PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Geiſt des römiſchen Rechts auf den verſchiedenen Stufen ſeiner Entwicklung.
Erſter Theil.
Leipzig,Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel.1852.
[II][III]

Dem Andenken des großen Meiſters, Georg Friedrich Puchta.

[IV][V]

Vorrede.

Mit dem Werk, von dem ich hiermit den erſten Theil publicire, iſt es mir eigenthümlich gegangen. Seit 11 bis 12 Jahren beſchäftige ich mich mit demſelben, und bereits 1843 beabſichtigte ich, öffentliche Vorleſungen über den Gegenſtand dieſer Schrift, mit denen ich damals in Berlin als Privatdocent aufgetreten war, drucken zu laſſen. Puchta, dem ich von meinem Plan geſprochen hatte, rieth mir davon ab; er hielt es für be - denklich ſich mit einem ſo allgemeinen Thema beim Publikum einzuführen.

Ich wünſchte faſt, daß ich dieſem wohlgemeinten Rath kein Gehör gegeben hätte, denn obgleich der lange Zeitraum, der ſeitdem verfloſſen, für mein Werk nicht ohne Nutzen geweſen iſt, ſo ſteht doch der Gewinn in keinem Verhältniß zu dem Preiſe, den er mich gekoſtet hat. Der Geiſt des römiſchen Rechts, den ich im jugendlichen Uebermuth citirt hatte, ward für mich bald zum Quälgeiſt, der mich in abſolute Abhängigkeit von ſich ver - ſetzte und keinen andern Gedanken in mir aufkommen ließ.

Zu ſpät bereute ich es, mich mit ihm eingelaſſen zu haben, er hatte bald zu viel Gewalt über mich bekommen, als daß ich ihm noch hätte entrinnen können; das einzige Mittel, mich vonVIVorrede.ihm zu befreien, beſtand darin, ihn der Oeffentlichkeit zu über - geben. Im Jahre 1845 bat ich Puchta, als ich mich von ihm trennte, um die Erlaubniß, ihm mein Werk dediciren zu dürfen. Wenn einerſeits die Dankbarkeit für den unvergleichlichen Ge - nuß, den mir ſein Curſus der Inſtitutionen gewährt hatte, ſo - wie die tiefe Verehrung, die ich für den großen Meiſter hege, den Wunſch in mir erregt hatten, ihm das Liebſte und Beſte, was ich ihm glaubte geben zu können, zu widmen, ſo veranlaßte mich eine andere Rückſicht, ihm dieſen Wunſch ſchon damals mitzutheilen. Ich hoffte nämlich, wenn ich ihm meinen Quäl - geiſt verſchriebe, ſo würde es mir eher gelingen deſſelben Herr zu werden, und ich bin überzeugt, daß wenn Puchta noch lebte, ich bereits ſeit Jahren damit fertig geworden wäre; die ihm ausgeſtellte Verſchreibung würde mich angetrieben haben, jenen Geiſt todt oder lebendig in ſeine Hände zu liefern.

Mit Puchta’s Tod fiel dieſer Antrieb für mich hinweg, und von neuem ward ich der Spielball des übermächtigen Gei - ſtes. Je mehr ich mich meinem Ziel zu nähern glaubte, um ſo mehr entrückte es ſich meinen Blicken; je mehr ich arbeitete, um ſo weniger fühlte ich mich befriedigt. Meine Selbſtkritik, die namentlich was die Redaction anbetraf, immer ängſtlicher und pedantiſcher wurde, führte gegen das Werk einen Vernichtungs - krieg. Meine Arbeit drehte ſich, ohne eigentlich aus der Stelle zu kommen, im Kreiſe herum, und ich würde wohl mein ganzes Leben dazu verdammt geweſen ſein, wenn ich hätte abwarten ſollen, daß das Werk meinen eignen Beifall erwürbe; meine Selbſtkritik hatte ſich ſo ſehr abgenutzt, daß ich bei manchen Aen - derungen kaum wußte, ob ich verbeſſere oder verſchlechtere, jene ewige Kreisbewegung hatte mich, wenn ich ſo ſagen darf, moraliſch ſchwindlich gemacht.

VIIVorrede.

Ich fühlte endlich, daß ich dieſem Zuſtande ein Ende machen müſſe, und rief daher den Setzer zu Hülfe. Ich gedachte daran, daß die Bücher nicht mit einem Male zur Welt kommen, viel - mehr bogenweis geſetzt und gedruckt werden, daß folglich auch die erſten Bogen bereits das Licht der Welt erblicken können, während die folgenden noch den Embryonenſchlaf halten. So ließ ich denn den Setzer im Mai vorigen Jahres mit wenig Manuſcript beginnen, mir von ihm bogenweis den Rückzug abſchneiden, einen einmal gedruckten Bogen reſpectire ich als fait accompli und mich von ihm bogenweis unaufhaltſam weiter treiben. Meine im letzten Monat Statt findende Ueber - ſiedlung von Kiel nach Gießen brachte unſer glückliches Aus - tauſchgeſchäft ins Stocken. Das Werk war damals gerade zu einem Abſchnitt gediehen, der die Herausgabe des bisher Ge - druckten möglich machte, und da ich in nächſter Zeit keine Aus - ſicht habe, einen regelmäßigen, ungeſtörten Verkehr mit meinem Setzer einzuleiten, ſo habe ich mich zur vorläufigen Herausgabe dieſes erſten Theils entſchloſſen. Der zweite Theil ſoll im Spät - herbſt folgen.

Ich habe dieſe Perſonalia meines Buchs mitgetheilt, weil ſie vielleicht einen Einfluß auf daſſelbe ausgeübt haben; über Zweck und Plan deſſelben habe ich mich in der Einleitung hin - länglich ausgeſprochen, ſo daß es überflüßig wäre darüber noch etwas zu bemerken.

Mein Werk erſcheint unter einem Titel, der Manche von vornherein gegen daſſelbe einnehmen wird. Geiſt einer Sache und ungründliches, ſeichtes Räſonnement wird von Manchen und oft nicht mit Unrecht für gleichbedeutend gehalten. Ob meine Schrift einen neuen Beleg für dieſe Annahme liefern wird? Ich bin mir bewußt mit Ernſt und Aufbietung allerVIIIVorrede.meiner Kräfte gearbeitet zu haben und kann in dieſer Beziehung mit Ruhe dem Spruch der Kritik entgegenſehen. Möge letztere die von mir gewonnenen Reſultate verwerfen, meine Methode bekämpfen ich darf in dieſer Beziehung um ſo weniger auf Schonung hoffen, als ich ſelbſt bei meinen Angriffen gegen die herrſchende Methode ſie nicht geübt und jeden Anſpruch auf eine milde Kritik verwirkt habe aber die Ueberzeugung wird ſich, hoffe ich, dem Leſer aufdrängen, daß nicht Abneigung gegen ernſte und mühſame Arbeit mich dem Geiſt des römiſchen Rechts in die Arme geführt hat.

Der Gedanke, der mich bei meinem Werk angeſpornt hat, iſt die Hoffnung auf Anerkennung, nicht meiner ſelbſt, ſondern des römiſchen Rechts. Das Gefühl der höchſten Bewunderung und Verehrung, das ich vor dieſer grandioſen Schöpfung em - pfinde, habe ich Andern mitzutheilen geſtrebt, und mein Buch iſt namentlich für ſolche Leſer berechnet, die mit dem römiſchen Recht noch nicht vertraut ſind, alſo für Studierende der Rechts - wiſſenſchaft und wiſſenſchaftlich gebildete Laien. Möchte mein Werk bei dieſem Leſerkreiſe Verbreitung finden und im Stande ſein, jenes Gefühl, aus dem es entſprungen iſt, auch in Andern zu erwecken.

Ich bitte den Leſer, zwei ſinnentſtellende Druckfehler zu ver - beſſern; auf Seite 10 Zeile 12 von oben ſteht Kapitel ſtatt Kapital, Seite 102 Zeile 14 von oben ſichtliches Mini - mum ſtatt ſittliches Minimum. Daß ich auf S. 94 Zeile 3 von unten Servius Tullius ſtatt Tullus Hoſtilius geſchrieben, iſt ein ziemlich unſchädliches Verſehn.

Gießen 29. April 1852.

[IX]

Inhalt des erſten Theiles.

  • Einleitung. (S. 1 82.)
  • Die Aufgabe und die Methode ihrer Löſung.
  • §. 1. Die Zukunft des römiſchen Rechts Veranlaſſung zu einer Beurthei - lung deſſelben. S. 1 5.
  • §. 2. Bedürfniß der Löſung unſerer Aufgabe Unſere heutige Wiſſenſchaft und ihr wiſſenſchaftlicher Apparat. S. 5 12.
  • Methode der rechtshiſtoriſchen Darſtellung.
  • A. Anforderungen, die in der Natur des Rechts ent - halten ſind.
  • §. 3. 1. Anatomiſche Betrachtung des Rechtsorganismus Die Beſtand - theile deſſelben: Rechtsſätze, Rechtsbegriffe, Rechtsinſtitute pſychiſche Organiſation des Rechts Differenz zwiſchen dem objektiven Recht und der ſubjektiven Erkenntniß (latente Beſtandtheile des Rechts) Aufgabe der Wiſſenſchaft. S. 12 39.
  • §. 4. 2. Phyſiologiſche Betrachtung des Rechtsorganismus Die Funktion deſſelben im Leben Formale Realiſirbarkeit des Rechts Die Auf - gabe des Hiſtorikers gegenüber dem Recht der Vergangenheit. S. 39 50.
  • X
  • B. Anforderungen, die in dem Begriff der Geſchichte liegen.
  • §. 5. Ausſcheidung der unweſentlichen Thatſachen Der innere Zuſammen - hang der Thatſachen und das Moment der Zeit Innere Chronologie oder abſolute und relative Zeitbeſtimmung nach inneren Kriterien. S. 51 76.
  • §. 6. Plan der folgenden Darſtellung Die drei Syſteme des Rechts. S. 77 82.
  • Erſtes Buch. (S. 85 336.)
  • Die Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
  • §. 7. Urzuſtände Erinnerungsvermögen des römiſchen Volks Ergänzung der Tradition durch Etymologie und Rückſchlüſſe vom ſpätern Recht. S. 85 90.
  • §. 8. Die römiſche Kosmogonie des Rechts Das Charakteriſtiſche derſelben für die römiſche Vorſtellungsweiſe. S. 90 98.
  • A. Die Ausgangspunkte oder die Urelemente des römiſchen Rechts.
  • §. 9. Das Minimum geſchichtlicher Anfänge. S. 98 103.
  • I. Das Prinzip des ſubjektiven Willens der Urquell des römiſchen Rechts. S. 103 161.
  • §. 10. 1. Der thatkräftige ſubjektive Wille in ſeiner Richtung auf Begründung des Rechts (Recht der Beute) Vorliebe der römiſchen Rechtsanſicht für originäre Erwerbungsarten. S. 103 115.
  • §. 11. 2. Der thatkräftige ſubjektive Wille in ſeiner Richtung auf Schutz und Verwirklichung des Rechts Das Syſtem der Selbſthülfe Die Selbſthülfe unter Vorausſetzung eines zweifelloſen Anſpruchs Die Privatrache und der Urſprung der Privatſtrafen Zuſicherung des Beiſtandes von Seiten Einzelner und des ganzen Volks (testimonium = Garantie des Rechts). S. 115 143.
  • §. 12. 3. Vertragsmäßige Entſcheidung der Rechtsſtreitigkeiten Das öffent - liche Richteramt in ſeinem Anſchluß an das Syſtem der Selbſthülfe Geſtalt dieſes Syſtems in ſpäterer Zeit. S. 143 161.
  • XI
  • II. Familienprinzip und Wehrverfaſſung, die Faktoren der organiſirten Gemeinſchaft. S. 161 255.
  • §. 13. Vorbemerkung. S. 162 168.
  • §. 14. 1. Das Familienprinzip. S. 168 238.
  • a. Die Gentilverbindung Die Gens eine Familie im Großen und ein Staat im Kleinen Einfluß auf das geſammte Recht. S. 168 192.
  • §. 15. b. Der Staat vom Standpunkt des ſubjektiven Prinzips aus Die publiciſtiſche Societät der Individuen Baſirung der Strafgewalt auf Rache, der geſetzgebenden Gewalt und des Rechtsſchutzes auf Ver - trag lex und jus Dualismus der vom Staat anerkannten und der bloß ſubjektiven Rechte. S. 192 219.
  • §. 16. c. Stellung außerhalb der Gemeinſchaft Volle Negation des Rechts, der Kriegsfuß Relative Berechtigung dieſes Standpunktes Mil - derungen Einfluß des Handels Das hospitium Entſtehung des internationalen Rechts aus dem Vertrage heraus Die Clientel, precarium und peculium. S. 219 238.
  • 2. Einfluß der Wehrverfaſſung auf Staat und Recht. S. 239 255.
  • §. 17. Vortheilhafter Einfluß des Krieges auf die Verfaſſung Die Staats - verfaſſung eine Wehrverfaſſung Die militäriſche Eintheilung des Volks Prinzip der Subordination Das imperium Militäri - ſcher Charakter des Königthums Strafgewalt Einfluß der Wehrverfaſſung auf die Erziehung des Volks Sinn für äußere Ordnung und Geſetzlichkeit.
  • III. Das religiöſe Prinzip mit ſeinem Einfluß auf Recht und Staat. S. 256 281.
  • §. 18. Das Fas Handhabung deſſelben durch das Pontifikalcollegium Prozeß vor dem geiſtlichen Gericht (legis actio sacramento) Her - vortreten des religiöſen Einfluſſes in den verſchiedenen Theilen des Rechts, namentlich im Strafrecht Der homo sacer Die Strafe als religiöſes Sühnemittel.
  • §. 19. Gemeinſames aller dieſer Ausgangspunkte. S. 281 285.
  • XII
  • B. Verhalten des römiſchen Geiſtes zu den gegebenen Ausgangspunkten. S. 285 336.
  • §. 20. 1. Das Weſen des römiſchen Geiſtes und die Prädeſtination deſſelben zur Cultur des Rechts Moraliſche und intellektuelle Begabung des römiſchen Volks Die Selbſtſucht Die Idee der Zweckmäßigkeit Die Energie des Willens (Conſequenz und conſervative Tendenz). S. 285 314.
  • §. 21. 2. Verhalten des römiſchen Geiſtes zu den gegebenen Ausgangspunk - ten, vor allem das praktiſche Verhältniß des römiſchen Lebens zur Religion. S. 314 336.
[1]

Einleitung.

Die Aufgabe und die Methode ihrer Löſung.

Die Zukunft des römiſchen Rechts Veranlaſſung zu einer Beurtheilung deſſelben.

I. Es tauchen von Zeit zu Zeit in jeder Wiſſenſchaft ge - wiſſe Fragen und Richtungen auf, die durch ihre ins Leben tief - eingreifende Bedeutung auch den gebildeten Laien ein Intereſſe abnöthigen, und für deren Schickſal die Stimmung dieſes Pu - blikums nicht ſelten entſcheidender wird, als der Ausgang des Prozeſſes, den ſie in der Wiſſenſchaft zu beſtehen haben. Auch die Jurisprudenz, ein Gebiet, das in früherer Zeit den Blick des Laien kaum auf ſich zog, hat neuerdings bei manchen Fragen dieſe Erfahrung machen müſſen, und zu dieſen gehört der Gegen - ſtand der vorliegenden Schrift, das römiſche Recht. Der Auf - ſchwung des Nationalgefühls zur Zeit der ſ. g. Freiheitskriege lenkte faſt nothwendigerweiſe die Aufmerkſamkeit des größeren Publikums auf dieſen fremdartigen Beſtandtheil unſeres Rechts - lebens, und das Gefühl, mit dem man denſelben betrachtete, konnte nicht zweifelhaft ſein. Es hätte nicht erſt der Autorität nahmhafter Juriſten bedurft, die über das römiſche Recht den Stab brachen, nicht des reichen Sündenregiſters, mit dem ſie ihren Spruch rechtfertigten; die Thatſache, daß ein vor mehr als tauſend Jahren bei einem fremden Volke entſtandenes Geſetzbuch als Richtſchnur des heutigen Rechtsverkehrs galt, ſchien in ſichJhering, Geiſt d. röm. Rechts. 12Einleitung die Aufgabe.ſelbſt einen ſolchen Widerſpruch, eine ſolche Verletzung des Na - tionalitätsprinzips zu enthalten, daß der gebildete Laie auch ohne Beihülfe der Juriſten ſich berufen halten mußte, einen ſolchen Zuſtand zu verdammen und die Aufhebung deſſelben zu verlan - gen. Eine wiſſenſchaftliche Richtung, die darauf ausging, das römiſche Recht zu bekämpfen und zu verdrängen, konnte daher von vorn herein der Sympathieen des großen Publikums ver - ſichert ſein und mußte täglich an Terrain gewinnen. Sie war zeitgemäß, denn ſie hatte den großen Gedanken, dem die Zeit gehört, den der Nationalität zu ihrem Bundesgenoſſen, und die Allgewalt, die dieſer Gedanke auf die Gebildeten wie die Maſſen ausübt, ſichert dieſer Richtung den Sieg. Die gegenwärtige Generation von Juriſten muß darauf gerüſtet ſein, das römiſche Recht in ſeiner bisherigen Geſtalt ſcheiden zu ſehen; ſie hat jedenfalls die Aufgabe, dies Ereigniß vorzubereiten, vielleicht auch noch die, ſelbſt mit Hand ans Werk zu legen.

Jene vorausſichtliche Verdrängung des römiſchen Rechts wird aber mehr ſeine Form, als ſeinen Inhalt treffen. Es wird aufhören, für uns die Gültigkeit eines Geſetzbuches zu beſitzen, aber es wird uns, wie überall, wo es früher galt und dann auf - gehoben ward, einen bedeutenden Theil des Materials liefern, aus dem wir den Neubau unſeres Rechts zu geſtalten haben, und ſo wird eine große Summe der römiſchen Rechtsgrundſätze in veränderter Form fortexiſtiren. Kein Verſtändiger nämlich wird dieſelben als einen Krankheitsſtoff betrachten, den unſer Rechtsorganismus, um wieder zu geneſen, ganz und gar auszu - ſcheiden hätte. Es iſt nicht die Aufgabe, in krankhafter Erregung des Nationalgefühls jede Partikel des römiſchen Rechts, bloß weil ſie römiſchen Urſprunges iſt, als einen mit unſerer Natur unverträglichen Beſtandtheil auszuſtoßen. Wie die Nationen im Handelsverkehr ihre Produkte und Fabrikate gegen einander umſetzen, ſo findet auch ein geiſtiges Austauſch-Geſchäft unter ihnen Statt, und täglich entlehnt die eine von der andern in Kunſt, Wiſſenſchaft, Recht u. ſ. w., ohne daß ſie davon eine3Die Zukunft des römiſchen Rechts. §. 1.Gefährdung ihrer Nationalität befürchtete. Dieſe Entlehnung ſoll nur keine mechaniſche, ſondern eine Aſſimilirung, eine innerliche Aneignung ſein. Das römiſche Recht als Geſetzbuch in frem - der Sprache hat dieſen Aſſimilirungsprozeß nie durchmachen kön - nen und muß darum auch wieder ausgeſtoßen werden, dahingegen iſt von ſeinen materiellen Grundſätzen eine große Zahl im Laufe der Jahrhunderte ganz in unſer Fleiſch und Blut übergegangen, und dieſer Bildungsprozeß läßt ſich weder rückgängig machen noch ignoriren.

So werden wir alſo manches behalten, manches zurück - erſtatten. Damit wir aber nach keiner von beiden Seiten hin zu viel oder zu wenig thun, iſt eine genaue Prüfung des Materials unerläßlich. Es iſt gewiſſermaaßen zum Zweck der Auseinander - ſetzung mit dem römiſchen Recht die vorherige Aufnahme einer Abrechnung erforderlich. Was iſt uns denn das römiſche Recht bisher geweſen, was kann und darf es uns fortan ſein, wie ſind die Mittel, über die es gebietet und die es uns zu Gebote ſtellt, beſchaffen u. ſ. w., das ſind Fragen, über die wir uns am Tage jener Abrechnung bereits völlig klar geworden ſein müſſen.

Eine erſchöpfende Beurtheilung des römiſchen Rechts würde daſſelbe von drei verſchiedenen Seiten zu betrachten haben, näm - lich vom ſpezialhiſtoriſchen, univerſalhiſtoriſchen und legislativen Standpunkt. Auf dem erſten Standpunkt betrachtet man daſſelbe abſolut, d. h. als ein für ſich ſelbſtändiges Ganze, auf den bei - den andern relativ, und zwar auf dem zweiten in Beziehung auf die geſammte Entwicklung des Rechts in der Weltgeſchichte, auf dem dritten in Beziehung auf die legislativen Bedürfniſſe und Zwecke der Gegenwart. Jene erſte Betrachtungsweiſe würde das Weſen des römiſchen Rechts zu ergründen, ſeinen geiſtigen Ge - halt zu ermitteln haben; die zweite hätte die Frage zu beant - worten: welchen Fortſchritt machte die Univerſal-Geſchichte des Rechts mit dem römiſchen Recht, und welchen Einfluß hat daſ - ſelbe auf die moderne Welt ausgeübt; die dritte hätte die legis - lative Brauchbarkeit dieſes Rechts zum Gegenſtande.

1*4Einleitung die Aufgabe.

Es iſt nun meine Abſicht, mich nach und nach an allen dieſen drei Fragen zu verſuchen, und die gegenwärtige Schrift, die die erſte derſelben behandelt, ebnet mir für die Bearbeitung der bei - den andern den Boden. So hätte ich dieſelbe denn als erſten Theil einer Kritik des römiſchen Rechts erſcheinen laſſen können. Allein andererſeits iſt ſie durch die Selbſtändigkeit ihrer Aufgabe ein abgeſchloſſenes Ganze, und es iſt mir ſelbſt noch ſo ungewiß, ob und wann ich im Stande ſein werde, die beiden andern Theile folgen zu laſſen, daß ich es vorgezogen habe, jeden derſelben als ſelbſtändiges Werk anzulegen und erſcheinen zu laſſen. Ich wende mich denn fortan ausſchließlich der erſten Frage zu, d. h. der Charakteriſtik des römiſchen Rechts auf den verſchiedenen Stufen ſeiner Entwicklung.

Es iſt nun meine Abſicht, dieſe Aufgabe in einer auch für gebildete Laien faßlichen Weiſe zu behandeln. Denn wenn, um an die obige Bemerkung wieder anzuknüpfen, die Exiſtenzfrage des römiſchen Rechts vor das große Publikum gezogen iſt, wenn ſie das Intereſſe der Gebildeten mit Recht auf ſich ziehen kann, ſo halte ich es für eine Pflicht der Wiſſenſchaft gegen ſich ſelbſt wie gegen ihre Zeit, dieſem Intereſſe auf halbem Wege entgegen zu kommen und dem Laien die Gelegenheit zu bieten, ſich über das römiſche Recht ein richtiges Urtheil zu bilden. Schon man - cher Laie mag das Bedürfniß gefühlt haben, ſich über ein Recht zu belehren, das durch ſeine merkwürdigen Schickſale und ſeine außerordentliche Bedeutung für die moderne Welt zu den her - vorragendſten geſchichtlichen Erſcheinungen gehört; ein Recht, deſſen praktiſche Beziehung zur Gegenwart ihm ſo oft und räth - ſelhaft entgegentritt; ohne daß er jedoch geneigt oder im Stande wäre, zu dem Zweck den langen Weg der Schule einzuſchlagen. Der ſpeziellen Veranlaſſungen, die der Hiſtoriker, Philologe, Philoſoph hat, ſich eine Einſicht in das römiſche Recht und ein Urtheil über daſſelbe zu verſchaffen, will ich gar nicht einmal gedenken.

Ich habe nun bei der Ausarbeitung dieſer Schrift die Be -5Die Löſung unſere heutige Wiſſenſchaft. §. 2.dürfniſſe dieſes Publikums zu berückſichtigen geſucht, ohne doch, wie ich glaube, dadurch die Theilnahme meiner Fachgenoſſen auf eine zu ſchwere Probe geſtellt zu haben. Ehr möchten umgekehrt neben dem weſentlichen Kern des Werks, der jedem Gebildeten verſtändlich ſein wird, einzelne Ausführungen vorkommen, die ſein Intereſſe nicht in Anſpruch nehmen oder ohne Beihülfe eines Juriſten ihm weniger zugänglich ſind. Dieſe Berechnung auf zwei Leſerkreiſe mag manchen unthunlich erſcheinen, denn unter allen Umſtänden, könnte man ſagen, geſchieht daran für den einen ſchon zu viel, was für den andern eben ausreicht, und für jenen genügt wiederum, was für dieſen zu wenig iſt. Dies iſt aber nur ſcheinbar, und gerade umgekehrt halte ich die Berück - ſichtigung jener beiden Leſerkreiſe bei wiſſenſchaftlichen Gegen - ſtänden, die ſich überhaupt für eine populäre Darſtellungsweiſe eignen, und den vorliegenden zähle ich dazu für ſehr vor - theilhaft. Die Rückſicht auf den Laien zwingt zur Klarheit, die Rückſicht auf den Leſer vom Fach verhindert, daß dieſe Klarheit in Plattheit übergehe oder daß der Schriftſteller ſich der Be - gründung ſeiner Behauptungen überhebe. Die Wiſſenſchaft ſelbſt kann dadurch nur gewinnen, daß man ſie dem unbefange - nen Blicke des Laien bloß zu ſtellen verſucht, indem man dadurch veranlaßt wird, aus Rückſicht auf ihn traditionelle Anordnungen und Begriffsformulirungen zu verändern, das den freien geiſti - gen Blick nicht ſelten ſtörende gelehrte Beiwerk fallen zu laſſen, den weſentlichen Kern der Wiſſenſchaft herauszuſuchen und ohne Hülfe der Schulſprache faßlich darzuſtellen.

Bedürfniß der Löſung unſerer Aufgabe Unſere heutige Wiſſen - ſchaft und ihr wiſſenſchaftlicher Apparat.

II. Bedarf denn unſere Aufgabe noch erſt der Löſung? Sollte man nicht erwarten, daß ſie bei der Fülle der geiſtigen Kraft, über die das römiſche Recht ſeit Jahrhunderten geboten hat, längſt gelöſt ſei? Zu allen Zeiten wiederholten ſich die Angriffe auf6Einleitung die Aufgabe.dieſes Recht, zu allen Zeiten ſuchte man ſie mit der Verweiſung auf den hohen Werth deſſelben zurückzuſchlagen; worin beſteht denn derſelbe? Welchen dankbareren Stoff zur Bethätigung hätte die Verehrung, die man dieſem Recht zollte, finden können, als die Lichtſeiten deſſelben hervorzuheben, und wie hätte man die Gegner wirkſamer zum Schweigen bringen können? Aber unſere Literatur ſtraft dieſe Erwartung Lügen, denn ſtatt einer einge - henden Kritik des römiſchen Rechts gewährt ſie uns nur gele - gentliche allgemeine Ausſprüche über die Trefflichkeit deſſelben, den eminenten Scharfſinn und praktiſchen Takt der römiſchen Juriſten u. ſ. w. Weihrauch hat man dem römiſchen Recht genug geſtreut, und es lagert ſich, möchte ich ſagen, um daſſelbe eine glänzende Atmoſphäre, durch die der Unkundige erſt hin - durchdringen muß, um ſich ihm zu nähern; aber ſobald er ſie hinter ſich hat, ſobald der Gegenſtand ſelbſt in ſeiner Nacktheit ſich ihm zeigt, tritt eine bittere Enttäuſchung ein, und man be - greift nicht, worin die viel geprieſene Größe deſſelben beſtehen ſoll. Bei längerer Beſchäftigung mit demſelben offenbart ſie ſich freilich, aber mehr dem Gefühl, als der Erkenntniß; es verhält ſich damit, wie mit dem Zauber, den manche Perſönlichkeiten ausüben: man fühlt ihn, ohne ſich bewußt zu ſein, worin er eigentlich beruhe. So hat auch das römiſche Recht auf tauſende und aber tauſende ſeiner Jünger die höchſte Anziehungskraft ausgeübt; in ihnen allen lebte das Gefühl ſeiner Größe und artete nicht ſelten in fanatiſche Blindheit aus, aber an die wiſſen - ſchaftliche Begründung dieſes Gefühls hat man kaum gedacht. Man begnügte ſich, den Gegenſtand auf das ſorgfältigſte zu erforſchen und, wo es galt, ein Urtheil abzugeben, ihm in den allgemeinſten Ausdrücken ein glänzendes Zeugniß auszuſtellen. Bedürfte es aber eines ſolchen, käme es darauf an, die Größe des römiſchen Rechts auch für den Unkundigen in das rechte Licht zu ſetzen und dem Zweifler den Mund zu ſchließen, ſo brauchte man nur die Thatſachen ſprechen zu laſſen; die Geſchichte ſelbſt hat dem römiſchen Recht das beſte Zeugniß ausgeſtellt. 7Die Löſung der Werth des römiſchen Rechts. §. 2.Denn als das Volk, dem daſſelbe angehörte, längſt vom Schau - platz abgetreten, als im Laufe der Jahrhunderte eine neue Welt auf den Trümmern Roms ſich gebildet hatte, da regte ſich unter ihnen das Recht dieſes Volks, das wieder erwachte aus der Erſtarrung, der es lange verfallen geweſen. Wie es nun hervor - trat in ſeinem fremdartigen, entſtellten Aeußern, ſchwerfällig und einem abgelebten Greiſe ähnlich, wer hätte da glauben ſollen, daß die blühenden, kräftigen Geſtalten der jugendlichen Völker, denen jetzt die Welt gehörte, ſich vor dieſem Fremdling beugen und ihn an ihren Heerd aufnehmen würden; daß er aus einem Lehrer allmählig ihr Gebieter werden und ihnen ſeine Geſetze aufzwingen würde? Wenn man weiß, mit wie feſten Banden, mit wie viel tauſend Fäden jedes Recht an das Volk ſeiner Hei - math geknüpft iſt; wenn man bedenkt, welchen Widerſtand das Nationalgefühl ſo wie das Leben mit ſeinen unendlichen Intereſſen und Mitteln dem Eindringen eines fremden Rechts entgegenzu - ſetzen vermag, ſo wird man ermeſſen, welche rieſige Kraft dem römiſchen Recht inne wohnen mußte, um dieſen Widerſtand zu brechen und Völkern fremder Sprache und Sitte ſein Joch auf - zulegen. Mich hat jenes Wiedererwachen und das ſpätere Schick - ſal des römiſchen Rechts oft an ein bekanntes morgenländiſches Märchen erinnert. Ein Zauberer bannt einen Geiſt in ein ver - ſchloſſenes Gefäß. Lange liegt es verborgen auf dem Meeres - grunde, bis es in die Netze eines Fiſchers geräth. Er öffnet es, und damit erhält der gebannte Geiſt ſeine Freiheit zurück und beginnt ſofort, ſie zum Heile oder Unheile des Finders zu benu - tzen. So war auch der Genius des römiſchen Rechts zu einer Unthätigkeit von Jahrhunderten verdammt, bis das Behältniß, in das er im ſechſten Jahrhundert eingeſchloſſen worden war, wieder geöffnet ward, und jetzt ſtrömte er aus faſt über den ganzen europäiſchen Continent, zerſtörend und ſchaffend, und keine Macht der Lebendigen war dieſem Geiſte des Alterthums gewachſen.

In dieſer Apotheoſe des römiſchen Rechts liegt die Größe8Einleitung die Aufgabe.deſſelben in unverkennbaren Zügen ausgeſprochen, nichts iſt alſo leichter, als den Beweis dieſer Größe zu erbringen. Aber wenn man weiter dringt, wenn man frägt: worauf beruht ſie denn, wodurch unterſcheidet ſich das römiſche Recht ſo ſehr zu ſeinem Vortheile von andern Rechten, dann geben uns ſelbſt die größten Kenner deſſelben nur ungenügende Antwort. Man preiſt den Scharfſinn und die Conſequenz der römiſchen Juriſten, aber damit iſt nichts gewonnen. Dieſelbe Eigenſchaft findet ſich in nicht minderem Grade, ja vielleicht mit einer noch ſchärferen Spitze in der talmudiſchen Jurisprudenz1)Man vergleiche z. B. den Schulchan Aruch, von dem eine abge - kürzte Ueberſetzung 1838 zu Hamburg erſchien. und in der juriſtiſchen und moraliſchen Caſuiſtik der Jeſuiten,2)Namentlich in der Lehre vom Eide und von der Ehe. und wie ſehr treten doch beide hinter das römiſche Recht in den Schatten. Wenn man auch noch ſo viele Vorzüge der römiſchen Juriſten nahmhaft machen will, ſo führen ſie alle nur zu dem einen Satze, daß letztere große Meiſter geweſen. Wer aber von irgend einem Pro - dukt nachweiſen will, daß und warum es ein Meiſterſtück ſei, wird gewiß nicht den Weg einſchlagen, daß er zeigt, der Urhe - ber habe alle Eigenſchaften beſeſſen, um ein ſolches Meiſterſtück zu liefern, ſondern er wird ſich an das Werk ſelbſt halten und auf jeden einzelnen Vorzug deſſelben aufmerkſam machen.

Es iſt nun höchſt auffallend, wie wenig Sinn für eine ſolche Materialkritik des römiſchen Rechts in unſerer Literatur hervortritt. Es iſt weder der Verſuch einer Beurtheilung des römiſchen Rechts im ganzen und großen gemacht, noch pflegt auch bei der Bearbeitung einzelner Lehren eine ſolche kritiſche Betrachtungsweiſe hervorzutreten. Man begnügt ſich, das römiſche Recht möglichſt rein darzuſtellen, ich möchte ſagen, man müht ſich ab, täglich von neuem den Aktenauszug zu verbeſſern, ohne zu gedenken, daß ſich ihm ein Urtheilsentwurf nebſt Ent - ſcheidungsgründen anſchließen ſoll. Worin liegt der Grund die -9Unſere heutige Wiſſenſchaft. §. 2.ſes Verſäumniſſes? Hält man dieſe Aufgabe einer Urtheilsfäl - lung für ſo leicht, daß die Literatur ſich ihr nicht erſt zu unter - ziehen brauche, ihre Löſung ſich vielmehr von ſelbſt ergebe? Das wäre ein großer Irrthum; man müßte gar keine Ahnung von der Bedeutung und dem Umfang dieſer Aufgabe haben. Oder iſt unſere Jurisprudenz bei ihrer praktiſchen Tendenz gleichgültig gegen alle Fragen, die ſich nicht unmittelbar auf die praktiſche Anwendbarkeit des Rechts beziehen? Dies iſt eben ſo wenig der Fall, wie ja die eifrige Cultur der römiſchen Rechtsgeſchichte am beſten bezeugt.

Nein, ſcheuen wir uns nicht, den Vorwurf auszuſprechen: der Grund jenes Verſäumniſſes liegt nicht im Nicht-Wollen, ſondern im Nicht-Können. Zu einer wahrhaften Kritik des - miſchen Rechts, zur Erforſchung ſeines innerſten Weſens und ſeiner letzten Gründe fehlt es unſerer romaniſtiſchen Jurisprudenz ſowohl an der ſubjektiven Fähigkeit wie an dem objektiven wiſſenſchaftlichen Apparat. Die Beſchaffenheit des Stoffes, dem ihre ganze Thätigkeit gewidmet iſt, zwingt ſie, denſelben ſtets in größter Nähe, ich möchte ſagen mit der exegetiſchen Lupe in der Hand zu betrachten, und dieſe Fertigkeit iſt durch Uebung ſo ſehr in ihr ausgebildet, ihr wiſſenſchaftlicher Apparat, ihre Lupen und Mikroſkope ſind ſo ſcharf geſchliffen, daß ſie in der kleinſten, unſcheinbarſten Stelle aus den Pandekten oder Gajus gewiſſermaaßen das Blut circuliren ſehen kann. Aber wie da - durch einerſeits das Auge für ſolche mikroſkopiſche Beobachtun - gen geſchärft wird, nimmt andererſeits die Weitſichtigkeit deſſel - ben ab, und es ſtellt ſich eine Abneigung gegen die Einnahme entfernterer Standpunkte ein. Iſt es nicht erklärlich, daß man - cher, der jedes Sandkorn in der Nähe ſieht, in allgemeineren Geſichtspunkten nichts erblickt, als verſchwimmende Umriſſe, Seifenblaſen, an denen nur ungründliche Naturen Gefallen fin - den können? Unſere gegenwärtige Aufgabe erfordert aber durch - weg ein Operiren mit allgemeinen Geſichtspunkten, eine Be - trachtung aus der Ferne. Um das römiſche Recht zu beurtheilen,10Einleitung die Aufgabe.können wir uns nicht an einzelne Beſtimmungen deſſelben halten, ſondern wir müſſen daſſelbe prinzipiell erfaſſen, wir ſind daher beſtändig gezwungen zu abſtrahiren. Statt der Lupe bedürfen wir, wenn der Vergleich erlaubt iſt, der Teleſkope d. h. ſtatt einer Kritik, die die Ueberlieferungsform des römiſchen Rechts, die Handſchriften, Varianten u. ſ. w. zum Gegenſtand hat, einer Kritik des Rechts überhaupt, einer allgemeinen Natur - lehre deſſelben. Wer meſſen will, bedarf eines Maaßſtabs, und den Maaßſtab zur Beurtheilung eines einzelnen Rechts kann uns nur die allgemeine Lehre von der Natur und Erſcheinungs - form des Rechts überhaupt geben. Wie dürftig iſt es aber mit dieſer Lehre beſtellt, wie gering iſt das Kapitel von Begriffen, Anſchauungen und Geſichtspunkten, das uns die heutige Juris - prudenz zu dieſem Zwecke zu Gebote ſtellt. Mir iſt dieſer Mangel bei meiner Arbeit ſehr fühlbar geworden. An wie mancher Er - ſcheinung mußte ich ohne Ausbeute vorübergehen, bei der es mir doch gewiß war, daß ſie einen geiſtigen Gehalt in ſich ſchließe, den zu finden es nur einer Erweiterung der rechtsphi - loſophiſchen Auffaſſung bedürfte. Was uns im Leben täglich begegnet, geſchieht auch in der Wiſſenſchaft; gedankenlos gehen wir vor manchen merkwürdigen Erſcheinungen vorbei, und wenn wir aufmerkſam darauf gemacht ſind, erſcheint uns unſer früheres Ueberſehen unbegreiflich. So wird auch eine kommende Zeit es unerklärlich finden, daß unſere gegenwärtige Jurisprudenz, die eine ſo hohe Kenntniß des römiſchen Rechts beſitzt, doch eine ſo geringe Beobachtungsgabe für die charakteriſtiſchen Eigenſchaften deſſelben gehabt hat, und daß uns verſchloſſen blieb, was demnächſt, wenn der rechte Begriff dafür gefunden, dem blöden Auge ſichtbar wird. Mich hat bei meiner Aufgabe öfter das Gefühl beſchlichen, als hätte ich vor mir den geſtirnten Himmel; die Reſultate meiner Beobachtung erhöhen täglich in mir die Ueberzeugung, daß ſich hier dem For - ſchergeiſte noch ein unendliches Feld von Entdeckungen öffnet, aber bei jedem Schritte, den ich ſelbſt vorwärts zu machen ſtrebe,11Unſere heutige Wiſſenſchaft. §. 2.hemmt mich, um im Bilde zu bleiben, der dürftige Apparat der Sternwarte und drängt mir die Ueberzeugung auf, daß er ſelbſt erſt vermehrt und verbeſſert werden muß, damit die Ausbeute loh - nender werde. In demſelben Maaße, in dem die allge - meine Naturlehre des Rechts auf rechtsphiloſophi - ſchem und empiriſch-comparativem Wege ſich ver - vollkommnet und an neuen Begriffen und Geſichts - punkten ſich bereichert, wird auch die Einſicht in das wahre Weſen des römiſchen Rechts ſteigen. Jene Naturlehre ſelbſt liegt heutzutage noch in der Kindheit und die vorliegende Schrift hat neben ihrer Hauptaufgabe zugleich die Beſtimmung, dieſe Lehre um einige Beiträge zu bereichern, bei Gelegenheit der Beurtheilung eines einzelnen Rechts Geſichts - punkte aufzuſtellen, die dem Weſen des Rechts überhaupt ent - nommen ſind, eine allgemeinere Wahrheit beanſpruchen. Ihre Benutzung für unſern ſpeziellen Zweck wird eine nähere Begrün - dung derſelben unvermeidlich machen, aber auch nur ſoweit jener Zweck es erheiſcht, werden wir es uns verſtatten, dieſelben aus - zuführen.

Mit dieſer Verſicherung ſcheinen ſchon die nächſten Para - graphen in Widerſpruch zu treten. Dieſelben ſollen nämlich die richtige Methode für eine rechtshiſtoriſche Darſtellung vorzeich - nen, und daß unſere Aufgabe rechtshiſtoriſcher Art iſt, liegt auf der Hand, denn das römiſche Recht läßt ſich ohne Eingehen auf ſeine Geſchichte nicht beurtheilen. In wie fern unſere Aufgabe von der der römiſchen Rechtsgeſchichte abweicht, wird ſich bei der Begründung der Methode am beſten beſtimmen laſſen. Ich gehe nun bei dieſer Begründung von der Idee aus, daß jede Dar - ſtellung der Geſchichte des Rechts den beiden Begriffen des Rechts und der Geſchichte eine Genüge thun ſoll ein gewiß höchſt unſchuldiger Satz, den, möchte man ſagen, kein Rechts - hiſtoriker je außer Augen gelaſſen hat. Aber in wie manchen Darſtellungen der römiſchen Rechtsgeſchichte zeigt ſich das Ge - gentheil, wie manche enthalten in Wahrheit weder eine Ge -12Einleitung die Methode.ſchichte, noch eine Geſchichte des Rechts, ſondern eine nach Zeit und Inhalt angeordnete Zuſammenſtellung von rechtshiſto - riſchem Material, ein Inventarium der römiſchen Rechtsgeſchichte. Die folgende Darſtellung wird die Grundgebrechen der herr - ſchenden Methode bezeichnen, und ſie ſind ſo tief eingewurzelt, daß es nicht ausreichte, ſie durch die That zu widerlegen, ſondern daß ich es für unerläßlich hielt, dem Verſuch einer ſolchen that - ſächlichen Widerlegung die Begründung der nach meiner Anſicht richtigen Methode vorauszuſchicken. Letzteres ſelbſt war nur durch eine zuſammenhängende Entwicklung der aus den beiden Begrif - fen des Rechts und der Geſchichte ſich für den Rechtshiſtoriker ergebenden Conſequenzen möglich. Es iſt aber nicht auf eine philoſophiſche Analyſe beider Begriffe abgeſehen, ſondern unſer Zweck verſtattet es uns von einfachen, unbeſtrittenen Wahrhei - ten auszugehen und uns mit einfachen Reſultaten zu begnügen. Die einfachſten Wahrheiten werden aber bekanntlich nicht ſelten überſehen oder nicht zur Anwendung gebracht, und dieſer alte Satz bewährt ſich auch hier.

Methode der rechtshiſtoriſchen Darſtellung.

1. Anforderungen die in der Natur des Rechts enthalten ſind.

1. Anatomiſche Betrachtung des Rechtsorganismus Die Be - ſtandtheile deſſelben: Rechtsſätze, Rechtsbegriffe, Rechtsinſtitute pſychiſche Organiſation des Rechts Differenz zwiſchen dem objektiven Recht und der ſubjektiven Erkenntniß (latente Be - ſtandtheile des Rechts) Aufgabe der Wiſſenſchaft.

III. Wir gehen von der heutzutage herrſchenden Auffaſſung des Rechts als eines objektiven Organismus der menſchlichen Freiheit aus. Es iſt gegenwärtig kein Streit mehr darüber, daß das Recht nicht, wie man es früher betrachtete, ein äußerliches Aggregat willkührlicher Beſtimmungen iſt, der Reflexion der13Das Recht ein Organismus. §. 3.Geſetzgeber ſeinen Urſprung verdankt, ſondern wie die Sprache eines Volkes ein innerlich zuſammenhängendes Produkt der Ge - ſchichte iſt. Menſchliche Abſicht und Berechnung hat freilich ihren Antheil an der Bildung deſſelben, aber ſie findet mehr, als daß ſie ſchafft, denn die Verhältniſſe, in denen ſich das Gattungsleben der Menſchheit bewegt, warten nicht erſt auf ſie, daß ſie ſie aufrichtete und geſtaltete. Der Drang des Lebens hat das Recht mit ſeinen Anſtalten hervorgetrieben und unterhält daſſelbe in unausgeſetzter äußerer Wirklichkeit. Die Geſtalt, die die Sinnesart des Volks und ſeine ganze Lebensweiſe demſelben aufgedrückt hat, iſt das, was jede legislative Reflexion und Willkühr vorfindet, und woran ſie nicht rütteln kann, ohne ſelbſt zu Schanden zu werden. In ſteter Abhängigkeit von dem Cha - rakter, der Bildungsſtufe, den materiellen Verhältniſſen, den Schickſalen des Volks verläuft die Bildungsgeſchichte des Rechts und neben den gewaltigen hiſtoriſchen Mächten, die dieſelbe beſtimmen, ſchrumpft die Mitwirkung menſchlicher Einſicht, wenn ſie ſtatt Werkzeug Schöpferin ſein wollte, in Nichts zu - ſammen.

Die reale, objektive Schöpfung des Rechts, wie ſie uns in der Geſtaltung und Bewegung des Lebens und Verkehrs als verwirklicht erſcheint, läßt ſich als ein Organismus bezeichnen, und an dieſes Bild des Organismus wollen wir unſere ganze Betrachtung anknüpfen. Indem wir dieſes Bild benutzen, legen wir damit dem Recht die Eigenſchaften eines Naturproduktes bei, alſo Einheit in der Vielheit, Individualität, Wachsthum von innen heraus u. ſ. w. Dieſe Vergleichung, die Bezeichnung: organiſch, naturwüchſig u. ſ. w. iſt heutzutage eine ſehr beliebte geworden, aber nicht ſelten iſt ſie ein prunkendes Aushängeſchild, hinter dem ſich eine ganz mechaniſche Behandlungsweiſe verbirgt, ein Glaubensbekenntniß in Worten, das man im erſten Para - graphen ablegt, um es nachher durch die That verläugnen zu dürfen.

Jeder Organismus macht nun eine doppelte Betrachtung14Einleitung die Methode.möglich, eine anatomiſche und eine phyſiologiſche; jene hat die Beſtandtheile deſſelben und ihr Ineinandergreifen, alſo ſeine Structur, dieſe die Functionen deſſelben zum Gegenſtand. Wir wollen nun das Recht dieſen beiden Betrachtungsweiſen unterwerfen und zwar wenden wir uns in dieſem Paragraphen zuerſt der Structur deſſelben zu.

Wie jeder Organismus zuſammengeſetzt iſt aus verſchie - denen Theilen, ſo auch der des Rechts. Je edler aber und zarter dieſe Theile organiſirt ſind, je weniger ſie alſo auf der Ober - fläche liegen, deſto ſpäter kommen ſie dem Menſchen zum Be - wußtſein, und dies gilt auch vom Recht. Bei jedem Volke hat die Kunde von der Organiſation des Rechts, vom Aeußerlichen immer weiter zum Innerlichen aufſteigend, eine lange Stufen - leiter zurücklegen müſſen. Die Frucht dieſer auf die Erkenntniß des Rechts gerichteten Thätigkeit iſt das Ausſprechen des Er - kannten, ich nenne es das Formuliren des Rechts. Es ge - ſchieht theils aus dem Volke heraus, indem die thatſächlich beach - teten Normen in Form von Rechtsſprüchwörtern ausgedrückt werden, theils durch den Geſetzgeber, indem er beſtehende Ge - wohnheitsrechte anerkennt oder neue Normen, die ihm als Recht erſcheinen, aufſtellt, theils endlich durch Doctrin und Praxis, in - dem ſie ſich geltender Rechtsſätze oder ihrer Conſequenzen bewußt werden. Alle dieſe Beiträge ſind Verſuche, das Recht ins Bewußt - ſein zu bringen, und für alle dieſe Verſuche gilt jener Satz, daß die Erkenntniß mit dem Aeußerlichen beginnend erſt allmählig zum Innerlichen aufſteigt. Dies wollen wir nun im folgenden ausführen und, indem wir dem menſchlichen Geiſt in dieſer ſei - ner Arbeit folgen, die Stufenleiter in der Organiſation des Rechts ſelbſt kennen lernen.

Das erſte, das er erblickt, ſind die äußeren, praktiſchen Spitzen des Rechts, die Theile, deren Thätigkeit ihm ſofort in die Augen ſpringen muß, nämlich die Rechtsſätze. Er ſieht, daß etwas geſchieht und ſich ſtets wiederholt, er fühlt, daß es geſchehen muß, und faßt dies Müſſen in Worte. So entſtehen15Organiſation des Rechts die Rechtsſätze. §. 3.die Rechtsſätze. Aber wie weit bleiben dieſe Abſtractionen hinter der Wirklichkeit, der ſie entnommen ſind, zurück; wie roh und lückenhaft iſt das Bild, das ſie uns von derſelben gewähren. Sie gleichen den erſten plaſtiſchen Verſuchen eines Volkes. So wenig wie man aus letzteren folgern dürfte, daß Menſchen und Thiere zu jenen Zeiten ſo ausgeſehen hätten, wie ſie in dieſen unvollkommnen Nachbildungen erſcheinen, ſo wenig iſt die An - nahme verſtattet, daß ſämmtliche Rechtsregeln aus der Kind - heitsperiode eines Volkes ein getreues Bild ſeines Rechts ge - währen. In qualitativer ſowohl wie quantitativer Hinſicht bleiben dieſelben vielmehr hinter dem Rechte, wie es lebte und leibte, weit zurück.

Iſt dies nicht eine kecke Behauptung? Wie wiſſen wir denn, daß das Recht einen andern Umfang und Inhalt gehabt habe, als die uns erhaltenen Rechtsſätze bekunden? Die Sache iſt einfach. Um einen Gegenſtand richtig darzuſtellen, iſt eine dop - pelte Fähigkeit nöthig, nämlich die, ihn getreu in ſich aufzuneh - men und die, ihn getreu wieder zu geben, oder mit andern Wor - ten Beobachtungsgabe und Darſtellungstalent. Auf das Recht angewandt alſo iſt erforderlich, daß der Darſtellende unter der bunten Hülle der concreten Lebensverhältniſſe, aus denen er die Regel abſtrahiren ſoll, den rechtlichen Kern wahr - nehme, und ſodann daß er denſelben entſprechend zu formuliren verſtehe. Wie wir aber in der uns umgebenden äußeren Natur täglich manche bedeutungsvolle Erſcheinung überſehen, und oft erſt ein Zufall den Beobachter aufmerkſam macht und zu den wichtigſten Entdeckungen den Anſtoß gibt, ſo iſt daſſelbe auch in der moraliſchen Welt der Fall, ja es gilt für ſie, die nur mit dem geiſtigen Auge wahrgenommen werden kann, in einem noch höheren Grade. Wir finden eine beſtimmte Organiſation derſel - ben vor und haben uns an die gleichmäßige Fortdauer derſelben ſo gewöhnt, daß wir gar nicht auf die Frage kommen, in wie weit dieſe Ordnung bloß faktiſcher, in wie weit ſie rechtlicher, nothwendiger Art ſei. Da macht der Zufall, daß Jemand in16Einleitung die Methode.irgend einem Punkt dieſer Ordnung zuwider handelt, uns auf - merkſam; wir werfen jene Frage auf, und mit der Frage iſt auch die Antwort, die Erkenntniß da. So verdankt vielleicht auch die Kunde der moraliſchen Welt dem Zufall ihre folgenreichſten Entdeckungen. Bei vielen Entdeckungen iſt die Antwort weniger ſchwierig geweſen, als die Frage, und der Wiſſenſchaft, die vor lauter Anworten nicht zum Fragen kam, hat oft der Zufall zu Hülfe kommen und die rechten Fragen hinwerfen müſſen.

Mühſam und langſam ſchleicht auf dem Gebiete des Rechts die Erkenntniß und auch bei hoher Reife entzieht ſich noch man - ches ihrem Blicke. So groß die Virtuoſität der klaſſiſchen römi - ſchen Juriſten war, ſo gab es doch auch zu ihrer Zeit in jedem Moment Rechtsſätze, die da waren, ohne von ihnen erkannt zu ſein, und die erſt durch die Bemühungen ihrer Nachfolger ans Tageslicht gebracht ſind. Wenn man uns frägt: wie war dies möglich, da ſie doch, um angewandt zu werden, erkannt ſein mußten, ſo können wir ſtatt aller Antwort auf die Sprachgeſetze verweiſen. Dieſelben werden von Tauſenden täglich ange - wandt, die nie etwas von ihnen gehört haben; was der Er - kenntniß gebricht, erſetzt das Gefühl, der Takt. 3)Ich kann es mir nicht verſagen, hier eine Bemerkung von einem Sprachforſcher, deſſen Reſultate ich im Laufe des Werks noch oft benutzen werde, mitzutheilen, nämlich von Pott Etymologiſche Forſchungen auf dem Gebiete der Indo-Germaniſchen Sprachen u. ſ. w. Bd. 1. 1833. S. 146: Jene umgekehrte Kurzſichtigkeit, welche wohl entfernte Punkte, aber nicht die ganz nahe liegenden wahrnehmen läßt, offenbart ſich im geiſtigen Sinne am Menſchen vorzüglich rückſichtlich der Kenntniß ſeiner Mutterſprache. Dieſe bietet dem Fremden auf den erſten Blick eine Menge auffallender und hervor - ſtechender Punkte dar, die der, welcher ſie von Kindesbeinen an redet, eben der Gewohnheit wegen entweder nie oder nur ſchwer inne wird; jener wird ſchon äußerlich gezwungen darauf ſein Augenmerk zu richten, während dieſer erſt den Reiz des Aufmerkens durch Willenskraft hervorbringen muß. Daher die bekannte Erſcheinung, daß man ſich in der Regel der Mutterſprache erſt durch die Erlernung fremder Sprachen recht bewußt wird und daß es faſt ſchwerer iſt, eine Grammatik der Mutterſprache als einer

17Beobachtungsgabe und Formulirungsvermögen. §. 3.

Alſo die Entdeckung der vorhandenen Rechtsregeln iſt be - dingt durch die Beobachtungsgabe. 4)Auch bei der Aufſtellung neuer Rechtsſätze durch den Geſetzgeber iſt die Beobachtungsgabe erforderlich; ſie hat hier nur ein anderes Objekt, näm - lich ſtatt der vorhandenen Regel das Bedürfniß nach einer neu zu bildenden Regel.Daß letztere aber nach Verſchiedenheit der Zeiten und Individuen großer Abſtufungen fähig iſt, liegt eben ſo ſehr auf der Hand, als daß das Maß derſelben im allgemeinen ſich nach der geiſtigen Bildung des Beobachtenden beſtimmt. Wir werden alſo nicht Unrecht thun, wenn wir ungebildeten, rohen Völkern zurufen: Das wenigſte von der Rechtswelt, die Euch umgibt, habt Ihr begriffen, das meiſte entzieht ſich Eurem Auge und lebt bloß in Eurem Gefühl; Ihr ſteht in Rechtsverhältniſſen, ohne es zu wiſſen, Ihr handelt nach Normen, die Keiner von Euch ausgeſprochen hat; die Rechtsſätze, von denen Ihr Kunde habt, ſind nur vereinzelte Streiflichter, die die Welt des thatſächlichen Rechts in Euer Bewußtſein wirft.

Als zweite bei der Aufſtellung von Rechtsſätzen mitwirkende Eigenſchaft bezeichneten wir das Formulirungsvermögen oder die Fähigkeit, den entdeckten Rechtsſätzen ihren angemeſſe - nen Ausdruck zu geben. Sie ſetzt eine richtige Erkenntniß vor - aus, aber iſt noch nicht mit ihr gegeben; wie manche Anſchau - ung ſteht klar und beſtimmt vor unſerer Seele, die wir doch nur höchſt unvollkommen in Worte bringen können. Jedes, auch das relativ vollendetſte Recht bietet uns Beiſpiele von mißlun - genen Formulirungen d. h. nicht von Mißgriffen in den Beſtim -3)fremden zu verfaſſen. Ferner würde der größte Sprachvirtuoſe vielleicht der ſchlechteſte Grammatiker ſein und umgekehrt. Doch wozu dies? Um uns dem Wahne derer entgegenzuſtellen, welche die Autorität eines Nationalgram - matikers in All und Jedem für heilig halten. Es gibt aber ſolche Böotier, und ſie kehren wieder, ſo oft man ſie auch mit den Zinken austreibt. Statt Sprache und Nationalgrammatiker ſetze man Recht und Nationaljuriſt und mutato nomine de nobis fabula narratur. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 218Einleitung die Methode.mungen ſelbſt, ſondern in ihrer Faſſung, und beweiſt damit die hohe Schwierigkeit der hier zu betrachtenden Operation. Wenn letztere ſelbſt zu Zeiten der höchſten geiſtigen Reife nicht immer gelingt, wie unvollkommen muß ſie ausfallen bei einem Ge - ſchlechte, das geiſtiger Arbeit wenig gewohnt iſt, wie groß alſo muß hier die Differenz zwiſchen dem thatſäch - lichen und dem formulirten Recht ſein. Die Formuli - rung wird bald zu eng, bald zu weit ſein. Bald werden weſent - liche Vorausſetzungen der Regel verſchwiegen, vielleicht weil man ihrer gar nicht gedachte, vielleicht auch weil man ſie für ſelbſtverſtändlich anſah; bald lautet die Regel allgemein, ohne der nothwendigen Modifikationen zu erwähnen; bald erſcheint ſie geknüpft an eine beſonders hervortretende Spezies, während ſie doch ihrer praktiſchen Gültigkeit nach die ganze Gattung be - traf u. ſ. w.

Jene Differenz zwiſchen dem formulirten und thatſächlichen Recht iſt nun ſowohl quantitativer als qualitativer, extenſiver als intenſiver Art oder m. a. W. neben den ausgeſprochenen Rechtsſä - tzen gibt es noch latente Rechtsſätze, und die ausgeſprochenen ſelbſt enthalten nicht immer eine adäquate Formulirung, ſo daß alſo die Theorie es in ihrer Hand hat, aus dem beſtehenden Recht ſowohl die Summe der Rechtsſätze zu vermehren, als letztere ſelbſt zu verbeſſern. Je nach Verſchiedenheit der Zeiten und Völker iſt jene Differenz verſchieden; es iſt nicht bloß die Culturſtufe, die ſie beſtimmt, ſondern auch die Verſchiedenheit der natürlichen Anlage, des angebornen Talents. Manchem Volke iſt es weni - ger Bedürfniß, ſich ſein Recht zum Bewußtſein zu bringen und es äußerlich zu fixiren, ein anderes iſt von vorneherein von dieſem Triebe beſeelt, und beſitzt auch die erforderliche natürliche Bega - bung. Letztere äußert ſich weniger quantitativ, in der Menge der Rechtsſätze, als in ihrer Beſchaffenheit; ja es kann die quanti - tative Produktivität gerade ein Zeichen von Schwäche ſein. 5)Bei Gelegenheit der unten folgenden Betrachtung der ſyſtematiſchen Seite des Rechts wird ſich dies leichter entwickeln laſſen.

19Differenz zwiſchen dem thatſächlichen und formulirten Recht. §. 3.

Wie graduell verſchieden aber auch jene Differenz bei ver - ſchiedenen Völkern ſein möge, ganz gehoben wird ſie nie. Bis jetzt wenigſtens hat die Erfahrung bewährt, daß das Recht eine unverſiegbare Quelle iſt, aus der Theorie und Praxis täglich ſubjektiv neue d. h. bis dahin noch nicht erkannte Rechtsſätze ſchöpfen, und bis jetzt noch haben ſich die Formulirungen aller Zeiten als bildungs - und vervollkommungsfähig bewieſen. Daß die rein doctrinellen Formulirungen beſtändig im flüſſigen Zuſtande begriffen ſind, täglich neue Formen annehmen, braucht kaum geſagt zu werden. Für den Laien aber bedarf es der Be - merkung, daß daſſelbe auch bei den durch Geſetze ausgeſpro - chenen Rechtsſätzen der Fall iſt und zwar nicht etwa was ſich von ſelbſt verſteht bloß in der Weiſe, daß der Geſetzgeber ſelbſt ſeine Verſehen rectificirte, ſondern auch ohne ſeine Bei - hülfe rein auf dem Wege doctrineller Thätigkeit. Dies geſchieht theils durch die Interpretation, indem der wahre Sinn des Geſetzes einer zu engen oder zu weiten Wortfaſſung gegenüber feſtgeſtellt wird, theils durch die analoge Ausdehnung, die eine Fortbildung des Geſetzes ſelbſt enthält, indem ſie zeigt, daß die geſetzliche Beſtimmung fälſchlich an einen unweſentlichen That - beſtand geknüpft war, an eine einzelne Spezies anſtatt an die Gattung, und folglich über die engen Gränzen, die ſie ſelbſt ſich ſetzte, ausgedehnt werden müſſe. 6)Die analoge Ausdehnung wird am häufigſten in dem Falle eintreten, wenn zur Zeit der Erlaſſung des Geſetzes nur beſtimmte einzelne Spezies der Gattung bekannt waren, und hinterher erſt andere aufkamen z. B. ein Geſetz aus alter Zeit ſpricht bei der Münzfälſchung von gemünztem Gelde, ſpäterhin aber kömmt Papiergeld auf. Indem nun die Doctrin das Geſetz auf letzteres ausdehnt, geht ſie von der Idee aus: Das Geſetz war für den Gattungsbe - griff Geld (öffentlich beglaubigtes Tauſchmittel) beſtimmt, es erſcheint aber an eine Spezies (Metallgeld) geknüpft, weil zur Zeit ſeiner Abfaſſung die Gat - tung noch mit dieſer einen Spezies zuſammenfiel; das weſentliche ſeines That - beſtandes liegt aber nicht in dem, was die Spezies auszeichnet (Metall), ſon - dern in dem, was der Gattung gemein iſt (Geld).

2*20Einleitung die Methode.

Nachdem wir jetzt dies Reſultat gefunden haben, daß zwi - ſchen dem objektiven Recht, wie es thatſächlich lebt und leibt, und ſeiner Faſſung in Form von Rechtsſätzen (wir können ſie auch die Theorie des Rechts nennen) keine vollſtändige Congruenz beſteht, wollen wir eine Frage beantworten, die ſich gewiß man - chem Leſer aufdrängt. Nämlich man könnte meinen, daß jene mangelhaften Formulirungen eine nachtheilige Rückwirkung auf das Recht ſelbſt ausüben müßten. Wie verhält es ſich damit? Man muß unterſcheiden. Gerade zu den Zeiten, wo ſie am un - vollkommenſten ſind, weil das Formulirungsvermögen auf der niedrigſten Stufe ſteht. droht dieſe Gefahr am wenigſten. Wo nämlich die Anwendung derſelben zu einem Widerſpruch mit dem Recht, wie es objektiv in der Wirklichkeit und ſubjektiv in dem Gefühl und der Anſchauung lebt, führen würde, tritt letztere rectificirend dazwiſchen. 7)Auch hier verweiſe ich wieder auf die Analogie der Sprache. Unrich - tige grammatikaliſche Regeln ſchaden dem Sprachgebrauch des Lebens zu den Zeiten am wenigſten, wo die Fertigkeit grammatikaliſcher Abſtractionen am wenigſten ausgebildet iſt.Zwiſchen den Rechtsſätzen und dem wirklichen Recht beſteht hier alſo das Verhältniß, welches ein römiſcher Juriſt8)Paulus in der L. 1 de R. l. (50. 17). für die regulae juris dahin angibt: regula est, quae rem, quae est, breviter enarrat; non ut ex regula jus sumatur, sed ex jure, quod est, regula fiat. Auch verdient dabei wohl beachtet zu werden, daß dieſe Rechtsſätze den Zeitgenoſſen, die die concreten Rechtsverhältniſſe täglich vor Augen haben, in einem ganz andern Lichte erſcheinen, als dem ſpäteren Beobachter; jenen genügt eine unvollkommne Skizze, ſie reproducirt in ihnen das vollſtändige Bild, während dieſer eben nichts darin erblickt, als rohe Umriſſe. Man könnte ſie auch Notizen nennen, die ſich ein Volk über die Erweiterung ſeines Rechtsbewußtſeins macht. So dürftig ſie ſind, ſo unver - ſtändlich für jeden Dritten, der die Vorausſetzung ihres Ver -21Das Leben gegenüber den falſchen Formulirungen. §. 3.ſtändniſſes nicht mitbringt, ſo gewähren ſie doch dem, der ſie ſelbſt ſich entworfen hat, nicht bloß einen Anhaltspunkt für ſein Gedächtniß, ſondern die bloßen Andeutungen leiſten ihm den Dienſt ausführlicher Schilderungen; er bemerkt die Lücken gar nicht. So wird auch die abſolute Unvollkommenheit alter Rechtsſätze relativ für die alte Zeit ſelbſt ausgeſchloſſen, weil ſie den objektiv wahren Sinn derſelben, der in ihnen nicht ausge - ſprochen vorliegt, aus ſich ſelbſt, aus ihrer Rechtsanſchauung in ſie hineinträgt.

Je mehr nun im Laufe der Zeit die Friſche und Lebendig - keit der unmittelbaren Anſchauung des Rechts abnimmt, um ſo mehr ſteigt (wie bei der Sprache) der Einfluß der Theorie auf die Anwendung des Rechts und damit auch die Möglichkeit, daß die Mißgriffe, die letztere bei der Formulirung ihrer Rechtsſätze begangen hat, praktiſche Nachtheile hervorrufen. Aber in dem - ſelben Maße, in welchem das Bedürfniß nach richtiger theore - tiſcher Erfaſſung des Rechts fühlbarer und dringender wird, mehren und verbeſſern ſich auch die Verſuche zu ſeiner Befriedi - gung, und es ſucht die Theorie in ſich ſelbſt, in ihrer eignen Uebung und Reife das Sicherungsmittel zu gewinnen, das ihr früher die ungebrochene Jugendkraft des Rechts gefühls ge - währte. Je mehr es ihr gelingt, die ſubſtantiellen Bildungen des Lebens getreu zu formuliren, um ſo ehr wird ſie aus einem bloßen Spiegel des Rechts eine Quelle deſſelben; je weniger ſie dieſer ihrer Aufgabe entſpricht, je weiter ſie ſich vom Leben ent - fernt, um ſo mehr weiſt letzteres ihre nutzloſe Beihülfe zurück, und die natürliche Heilkraft des Rechtsorganismus erſetzt wie - der, wie in der Kindheitszeit deſſelben, die Geſchicklichkeit des Heilkünſtlers. 9)Von den Geſetzen gilt daſſelbe, nur daß hier der Widerſtand von Seiten des Lebens mehr erſchwert iſt.

Welchen Nutzen kann uns nun die bisherige Ausführung für unſere ſpeziellen Zwecke leiſten, welches ſind die Conſequen -22Einleitung die Methode.zen, die ſich aus derſelben für die Methode der Darſtellung des Rechts ergeben? Zwei Sätze ſind es, oder richtiger ein Gedanke, der uns nach zwei Seiten hin nutzbar werden kann. Der Grundgedanke nämlich, den wir bisher entwickelt haben, daß die Rechtsſätze nur die praktiſchen Spitzen des Rechts ſind und ſowohl extenſiv als intenſiv hinter letzterem zurück bleiben, dieſer Grundgedanke richtet an uns nach der einen Seite eine War - nung, nach der andern eine Aufforderung. Eine Warnung, nämlich die, das Recht irgend einer Zeit nicht mit ihren Rechts - ſätzen zu identifiren. Je niedriger die Bildung dieſer Zeit, je geringer ihre Fertigkeit zu abſtrahiren und zu formuliren, um ſo weniger dürfen wir glauben, in ihren Rechtsſätzen, und wären ſie uns auch ſämmtlich erhalten, ein getreues Bild ihres Rechts zu beſitzen. 10)So wenig wie in den erſten dürftigen Grammatiken einer Sprache ein getreues Bild der Sprache ſelbſt. Was ich im folgenden verlange, iſt nichts anders, als daß der Juriſt, wie der Philologe es täglich bei der Sprache thut, ſtatt jener Grammatiken des Rechts das Recht ſelbſt zur Hand nehme.Was wir an demſelben haben, iſt das Bewußt - ſein der Zeit über ihr Recht in ſeiner unmittelbar prakti - ſchen Form, nicht das Recht, wie es in der Wirklichkeit beſtand. An dieſe Warnung knüpft ſich denn faſt nothwendig die Auffor - derung, das Recht ſelbſt, oder da wir es hier nur zunächſt mit einem Theile des Rechts, den Rechtsſätzen zu thun haben, ſie ſelbſt richtiger zu formuliren und die latenten Rechtsſätze aus Tageslicht zu bringen. Es ſcheint freilich ſehr gewagt, wenn der vielleicht um mehre Jahrhunderte ſpäter ſtehende Hiſtoriker ſich vermeſſen will, den Rechtsſätzen der Vergangenheit erſt ihre wahre Geſtalt zu geben; es klingt paradox, daß ein Rechtsſatz lange, nachdem er aufgehört hat zu exiſtiren, erſt entdeckt werden ſoll. Aber iſt dies in der That ſo auffällig und unerhört? Wie manche geſchichtliche Erſcheinung wird erſt begriffen, nachdem ſie längſt vorüber gegangen iſt, wie manche Perſönlichkeit erſt richtig gewürdigt, nachdem ſich das Grab über ihr geſchloſſen23Conſequenzen für den Rechtshiſtoriker. §. 3.hat. Wenn der Blick der Nachwelt nicht weiter trüge, als der der Zeitgenoſſen, ſo wäre die Geſchichte eine todte Wiſſenſchaft und könnte ſich darauf beſchränken, für jede Periode die gleich - zeitigen Darſtellungen abdrucken zu laſſen. Wie aber der Hiſto - riker dieſe Referate einer Kritik unterwirft und ſie nur als Quellen für ſeine eigne Darſtellung benutzt, ſo ſoll es auch der Rechts - hiſtoriker mit den Formulirungen der Vergangenheit thun. Der Erfolg dieſes Unternehmens hängt freilich von der Reichhaltig - keit ſeines Materials ab, aber es würde verkehrt ſein zu glauben, als ob nur Mittheilungen der Zeitgenoſſen über den Sinn und die Anwendbarkeit der Rechtsſätze ihn zu demſelben in Stand ſetzen könnten. Sehr oft laſſen letztere ſich aus ſich ſelbſt ſowohl berich - tigen als vermehren. Jenes, indem z. B. ein Rechtsſatz durch einen andern ergänzt oder beſchränkt wird, dieſes, indem derſelbe zu ſeinen Conſequenzen verfolgt, oder aus mehren detaillirten Beſtimmungen ein höheres Prinzip abſtrahirt wird. Es iſt nicht ſelten, daß ein Rechtsſatz ſtückweis ins Bewußtſein tritt. Zuerſt nämlich wird man ſich ſeiner nur in Anwendung auf einen be - ſonders dringenden Fall bewußt und er verſteinert ſich in der beſchränkten Form, in der er hier zum erſten Mal erſchien. Hin - terher ruft ein etwas verſchiedener Fall eine andere Seite deſſel - ben Rechtſatzes hervor, und es entſteht ein zweiter ſelbſtändiger Rechtsſatz. So kommen nach und nach vielleicht alle Seiten und Anwendungsfälle eines einzigen generellen Rechtsſatzes als be - ſondere ſelbſtändige Partikeln zur Welt, und in dieſer Zerſplit - terung kann er vielleicht lange Zeit fortexiſtiren, da ein prakti - ſches Intereſſe, die einzelnen Lichtſtrahlen in ihrem Brennpunkt zu vereinigen, nicht vorhanden war, und die Theorie aus eignem Impulſe ſich dieſer Aufgabe nicht unterzog. Iſt hier nicht jedem Späteren Gelegenheit gegeben, den latenten Rechtsſatz, der ver - gebens gerungen hat ſich in ſeiner wahren Geſtalt zu zeigen, ans Tageslicht zu bringen, und zwar ohne ein weiteres Material, als was jene vereinzelten Rechtsſätze ſelbſt ihm bieten? Dem Dogmatiker wird man die Berechtigung zu einer ſolchen Erwei -24Einleitung die Methode.terung und Vervollkommnung ſeines Stoffes nicht abſprechen wollen, wenn gleich die wenigſten von derſelben Gebrauch ma - chen, aber es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß auch vom Rechtshiſtoriker ganz daſſelbe gilt,11)Er ſoll nur natürlich Rechenſchaft darüber geben, wie er ſeine Reſultate gewonnen hat und eine Abſtraction, die er macht, als ſolche be - zeichnen. Ich will hier eine Stelle mittheilen, die mich anfänglich ſehr frap - pirte, nämlich aus Pott Etymologiſche Unterſuchungen auf dem Gebiete der Indo-Germaniſchen Sprachen Bd. 1 S. 145: In jeder urſprünglichen Sprache liegt eine Unendlichkeit von Bildungskeimen, deren nur ein ſehr klei - ner Theil zur wirklichen Entwicklung gediehen iſt; jede enthält einen Vorrath von wirklichen und bloß möglichen Wörtern und Formen; jene ſind ein baares Kapital, worüber ſie jeden Augenblick frei verfügen kann, dieſe ein ein - gebildetes, das nur erſt dann wahrhaften Werth erhält, wenn ihm der Gebrauch dieſen zugeſtanden hat. Ohne dieſe öffentliche Beglaubigung bleibt daſſelbe immer, wie ſicher und feſt auch übrigens ſeine Gewähr ſei, null und nichtig. Hieraus fließt nun für den Sprachforſcher, wenn er nicht Geſetzgeber, ſondern bloßer Berichterſtatter des Realbeſtandes einer Sprache ſein will, die Verpflichtung, nur die Befundnahme des wirk - lich in ihr vorhandenen Schatzes einzubringen, in keine Weiſe aber ihn zu vergrößern. Hierin wird nun aber unendlich oft gefehlt, in - dem man ganz willkührlich von dem wirklichen Befunde auf das, was möglicher Weiſe vorhanden ſein könnte, ſchließt und ſo die Sprache reicher macht, als ſie wirklich iſt. Die Wahrheit dieſer Bemerkung iſt ſo einleuchtend, daß ich, während ich ſie las, Gewiſſensbiſſe empfand, ob ich nicht für das Recht denſelben Verſtoß begangen habe, gegen den jener Gelehrte für ſein Gebiet mit Recht ſich erklärt. Da es mir hier nur um die Sache zu thun iſt, ſo habe ich jene Stelle abdrucken laſſen; wenn meine im Text vertheidigte Anſicht irrig iſt, ſo führt dieſe Stelle ſofort auf den Geſichtspunkt, aus dem ſie widerlegt werden kann. Ich glaube jenes aber nicht, denn ich will der Vergangenheit keinen potentiellen Reichthum als actuellen, wirklichen andichten, ſondern die Formulirung, die ſie der Wirklich - keit gegeben, einer Kritik unterwerfen, alſo wenn ich die Analogie mit der Sprache beibehalten will, die grammatikaliſchen Abſtractionen der Vergan - genheit aus der Sprache, wie ſie leibte und lebte und aus der auf uns gekom - menen Literatur erkenntlich iſt, berichtigen und vervollſtändigen. und daß eine gedeih - liche Behandlung der Rechtsgeſchichte ſich ohne die Ausübung jener Berechtigung nicht denken läßt.

25Syſtematiſche Gliederung der Rechtsſätze. §. 3.

Wir gehen jetzt in der Betrachtung der Structur des Rechts - organismus einen Schritt weiter. Die Rechtsſätze, welche wir bisher behandelt haben, wurden oben von uns die praktiſchen Spitzen des Rechts genannt; ſie bilden gewiſſermaßen die äußere ſichtbare Oberfläche des Rechts und bezeichnen, wo ſie in irgend einem Recht ausſchließlich und in ihrer urſprünglichen imperativiſchen Form gefunden werden, eine niedere Entwick - lungsſtufe deſſelben. Wie ſich nun ſowohl neben ihnen als aus ihnen höhere Bildungen des Rechts erheben, ſoll jetzt gezeigt werden.

Die Rechtsſätze ſind abſtrahirt aus einer Betrachtung der Lebensverhältniſſe und beſtimmt, die denſelben innewohnende Natur auszuſprechen und ſie ihnen zu ſichern. Zur Bildung der rechtlichen Form eines einzigen Lebensverhältniſſes können aber mehre Rechtsſätze zuſammenwirken; ſie finden alſo in dieſem ihrem gemeinſamen Gegenſtande ihren Vereinigungspunkt und lagern ſich um ihn wie die Muskeln um den Knochen. Das in dieſer Weiſe rechtlich geformte Lebensverhältniß kann ſeinerſeits wiederum in abhängiger Beziehung zu einem andern ſtehen, ſich zu demſelben verhalten z. B. als Phaſe, als ein tranſitoriſches Moment deſſelben, wie der Erwerb und Verluſt der Rechte zu den Rechten ſelbſt; oder als Folge, wie die Succeſſion des Erben in die Schulden des Erblaſſers zu der Antretung der Erbſchaft; oder als Spezies zu der Gattung, wie der Kaufcontrakt zu den Contrakten, und dieſe zu den Obligationen. Auf dieſe Weiſe ſchießen denn die vielen mannigfaltigen Rechtsverhältniſſe zu einigen weiten Grundformen zuſammen, die ihrem Begriff, Zweck und ihrer Structur nach von einander geſchieden ſind; man nennt ſie Rechtsinſtitute. 12)So ſpricht man z. B. von dem Rechtsinſtitut des Eigenthums, Erbrechts, Prozeſſes, der Vormundſchaft u. ſ. w.Sie bilden gewiſſermaßen das feſte Knochengerippe des Rechts, um das die ganze Subſtanz deſſelben ſich lagert.

26Einleitung die Methode.

Es iſt nun die Aufgabe der Wiſſenſchaft, dieſe Gliederung des Rechts zu erforſchen, für das Kleinſte wie das Größte die richtige Stelle aufzuſuchen. Dieſe ſyſtematiſche Seite der Juris - prudenz iſt für die Erkenntniß des Rechts von ungleich höherer Bedeutung, als es auf den erſten Blick ſcheint, und wir wollen ſie daher einer genaueren Betrachtung unterziehen.

Dieſe Bedeutung beſteht nicht darin, daß das Rechtohne ſeinen ſyſtematiſchen Zuſammenhang nicht verſtanden werden kann, denn das iſt bei jedem Gegenſtande der Erkenntniß der Fall. Auch bedarf das heutzutage wohl keiner Bemerkung, daß das Syſtem ebenſowenig beim Recht wie bei jedem andern Ge - genſtande eine Ordnung ſein ſoll, die man in die Sache hin - ein bringt, ſondern eine ſolche, die man herausholt. Jene iſt die der Sache ſelbſt fremde Logik eines Schematismus, in den ſie gewaltſam hineingepreßt wird; es iſt ein Netz, das man ebenſogut über dies als über jenes Recht werfen könnte, und das die Auffaſſung der Structur des individuellen Gegenſtandes mehr erſchwert, als erleichtert. Syſtem iſt gleichbedeutend mit innerer Ordnung der Sache ſelbſt und iſt daher immer ganz individuell; dieſem Rechte iſt ein anderes Syſtem eigenthümlich, als jenem. Bei dem Rechte beſteht nun das Unterſcheidende der ſyſtematiſchen Thätigkeit darin, daß dadurch nicht bloß wie bei jeder andern Wiſſenſchaft das einzelne an ſeine richtige Stelle gebracht wird, ſondern daß dieſer formale Prozeß eine mate - rielle Rückwirkung auf den Stoff ausübt, daß mit letzterem, nämlich den Rechtsſätzen, eine innere Umwandlung vor ſich geht. Die Rechtsſätze treten gewiſſermaßen in einen höhern Aggregatzuſtand, ſie ſtreifen ihre Form als Gebote und Verbote ab und verflüchtigen ſich zu Elementen und Qua - litäten der Rechtsinſtitute. So bilden ſich aus ihnen z. B. die Begriffe der Inſtitute, der Thatbeſtand der Rechtsgeſchäfte, die Eigenſchaften der Perſonen, Sachen, Rechte, Eintheilungen aller Art u. ſ. w. Ein Laie, der gewohnt iſt, ſich einen Rechts - ſatz in imperativiſcher Form zu denken, würde es kaum für mög -27Die dogmatiſche Logik des Rechts. §. 3.lich halten, welch bedeutender Theil des Rechtsſyſtems ſich ganz dieſer Form entledigen, und ebenſowenig wie den Rechtsbegriffen, Eintheilungen u. ſ. w. kurz der dogmatiſchen Logik eine inten - ſivere praktiſche Bedeutung innewohnen kann, als den Rechts - ſätzen. Dieſe Logik des Rechts iſt gewiſſermaßen die Blüthe, das Präcipitat der Rechtsſätze; in einen einzigen richtig gefaßten Begriff iſt vielleicht der praktiſche Inhalt von zehn früheren Rechtsſätzen aufgenommen. Wir wollen einige Beiſpiele geben, und zwar nehmen wir zuerſt einige Eigenſchaften der Sachen, von denen man am wenigſten ſagen ſollte, daß ſie aus Rechts - ſätzen entſprungen ſeien und ſich wieder in ſolche umſetzen ließen. Bei der Eintheilung in res in commercio und extra com - mercium läßt ſich dies noch am erſten einſehen; der Rechtsſatz, der ſich unter derſelben verbirgt, lautet: an gewiſſen Sachen ſollen gar keine Rechtsverhältniſſe entſtehen. Schwieriger iſt es bei der Eintheilung der zuſammengeſetzten und einfachen, theil - baren und untheilbaren Sachen, denn ſie betrifft nicht einmal eine juriſtiſche, ſondern eine bloß natürliche Eigenſchaft der Sachen. Und doch ruht auch in ihr praktiſche Kraft, es liegt in ihr z. B. folgender Rechtsſatz: Wenn eine Sache mit einer andern in Verbindung gebracht wird und zwar von der und der Beſchaffenheit, ſo gehen alle bisher an der hinzutretenden Sache beſtandenen Rechtsverhältniſſe unter; iſt ſie von der und der Beſchaffenheit, ſo geht nun der Beſitz unter und das Eigenthum und andere Rechte dauern fort; ſo lange die Verbindung dau - ert, ſteht der Eigenthümer der zuſammengeſetzten Sache in den und den Rechtsverhältniſſen zu den einzelnen Theilen; wird ſie aber wieder aufgehoben, ſo gilt hinſichtlich des Beſitzes und der Uſucapion dieſes, hinſichtlich der reivindicatio und des Eigen - thumes u. ſ. w. jenes. Kurz es ſind viele praktiſche Fragen, die ſich bei der Auflöſung einer Sache in mehre und der Zuſam - menſetzung mehrer zu einer aufwerfen laſſen, und die mittelbar durch die Entwicklung der hier in Rede ſtehenden Eigenſchaften der Sachen beantwortet werden. Nehmen wir als anderes28Einleitung die Methode.Beiſpiel den Begriff irgend eines Rechtes z. B. des Pfandrech - tes. Die Definition deſſelben lautet: Pfandrecht iſt ein Recht an einer fremden Sache, vermöge deſſen man ſie verkaufen und den Erlös zur Befriedigung einer Forderung verwenden darf. Darin liegen folgende Rechtsſätze: 1) es iſt die Verabredung rechtlich ſtatthaft, daß ein Gläubiger zur Befriedigung ſeiner Forderung eine fremde Sache verkaufe; 2) wenn die Sache ihm abhanden kömmt, ſo hat er eine Klage gegen den dritten Beſitzer auf Herausgabe derſelben (in rem actio); 3) die verpfändete Sache ſoll eine fremde ſein; an eigner Sache kann kein Pfand - recht beſtehen, daher geht daſſelbe unter, wenn der Gläubiger das Eigenthum an der verpfändeten Sache erwirbt; 4) die Exiſtenz einer Forderung iſt Vorausſetzung des Pfandrechts, mithin geht es unter, wenn die Forderung erliſcht, und entſteht erſt in dem Augenblick, wo die Forderung exiſtent wird u. ſ. w.

Dieſe Präcipitirung der Rechtsſätze zu Rechtsbegriffen ſchei - det die wiſſenſchaftliche Auffaſſung und Behandlung eines Rechts von der Darſtellung deſſelben in einem Geſetzbuch. Der Geſetzgeber kann ſich darauf beſchränken, ſeine Anforderungen in ihrer urſprünglichen, unmittelbar praktiſchen Form aufzuſtel - len, die Wiſſenſchaft aber hat nicht bloß die Aufgabe, dieſelben zu erläutern und zu ordnen, ſondern ſie auf logiſche Momente des Syſtems zu reduciren. Der Geſetzgeber gibt uns, ſo zu ſa - gen, zuſammengeſetzte Körper, die ihn bloß von Seiten ihrer unmittelbaren Brauchbarkeit intereſſiren, die Wiſſenſchaft hin - gegen nimmt eine Analyſe derſelben vor und zerlegt ſie in einfache Körper. Dabei zeigt ſich denn, daß manche ſcheinbar heterogene Rechtsſätze aus denſelben Elementen gebildet ſind, alſo geſtri - chen, geſpart werden können; daß der eine vor dem andern nur das Plus eines einzigen Momentes voraus hat, alſo die Angabe deſſelben genügt; daß mancher Rechtsſatz ganz und gar aus verſchiedenen einfachen begrifflichen Elementen beſteht, alſo um - gekehrt durch Zuſammenſetzung derſelben gewonnen werden kann. So bringt alſo dieſe Analyſe erſt die wahre Natur der Rechts -29Productivität der dogmatiſchen Logik. §. 3.ſätze zur Erkenntniß, und ihr Reſultat beſteht darin, daß die Wiſſenſchaft ſtatt der endloſen Menge der verſchiedenartigſten Rechtsſätze eine überſichtliche Zahl einfacher Körper gewinnt, aus denen ſie auf Verlangen die einzelnen Rechtsſätze wieder zuſammenſetzen kann. 13)Es kann freilich auch völlig unauflösbare Beſtimmungen geben, rein poſitive Vorſchriften, die jeder Bemühung der Wiſſenſchaft ſpotten, und die ſich eben nur als Rechtsſätze an der betreffenden Stelle des Syſtems auffüh - ren laſſen.Der Nutzen beſchränkt ſich aber nicht bloß auf dieſe Vereinfachung, die gewonnenen Begriffe ſind nicht bloße Auflöſungen der gegebenen Rechtsſätze, aus denen immer nur letztere ſelbſt ſich wieder herſtellen ließen; ſondern ein noch höherer Vortheil liegt in der hierdurch bewerkſtelligten Möglichkeit einer Vermehrung des Rechts aus ſich ſelbſt, eines Wachsthums von innen heraus. Durch Combination der verſchiedenen Elemente kann die Wiſſenſchaft neue Begriffe und Rechtsſätze bilden; die Begriffe ſind productiv, ſie paaren ſich und zeugen neue. Die Rechtsſätze als ſolche haben nicht dieſe befruchtende Kraft, ſie ſind und bleiben nur ſie ſelbſt, bis ſie auf ihre einfachen Beſtandtheile reducirt werden und dadurch ſowohl in aufſteigender als abſteigender Linie zu andern in Verwand - ſchaftsverhältniſſe treten d. h. ihre Abſtammung von andern Begriffen offenbaren und ſelbſt ihrerſeits wieder andere aus ſich hervorgehen laſſen. 14)Um ein Beiſpiel zu geben, ſo nehmen wir an, ein neuerer Geſetzgeber habe das ganze Pfandrecht neu regulirt. Die Thätigkeit der Wiſſenſchaft wird darin beſtehn, daß ſie das Pfandrecht zuerſt in ſeine beiden Elemente auflöſt: das dingliche (das Recht an einer fremden Sache) und obligatoriſche (die perſönlichen Forderungs-Verhältniſſe zwiſchen Pfandgläubiger und Pfand - ſchuldner). Sodann unterſucht ſie weiter, welche Modifikation der Begriff eines Rechts an der Sache und der Begriff der Forderung in dieſer Combina - tion im Pfandrecht erleidet; dieſe Modifikation iſt dann das Spezifiſche des Pfandrechts, das allein einer nähern Verarbeitung bedarf, und in dem das productive Prinzip des Pfandrechts liegt.

Bisher haben wir den Einfluß betrachtet, den dieſe Analyſe30Einleitung die Methode.und ſyſtematiſche Verarbeitung der Rechtsſätze auf das Recht ſelbſt äußert; wir können ihn mit einem Worte bezeichnen als die Erhebung der Rechtsſätze zu logiſchen Momenten des Sy - ſtems. Auch dem Leben gegenüber hat dieſe Operation die größte Bedeutung; ſie liefert uns nämlich, können wir ſagen, die ein - fachen Reagentien für die unendlich complicirten concreten Fälle des Lebens. Wer letztere nur mit Rechtsſätzen in der Hand ent - ſcheiden wollte, würde in unaufhörlicher Verlegenheit ſein, denn die Combinationskunſt des Lebens iſt ſo unerſchöpflich, daß die reichſte Caſuiſtik eines Geſetzbuches ihren ewig neuen Fällen gegenüber dürftig erſcheinen würde. Vermöge jener wenigen Reagentien hingegen löſen wir jeden Fall auf. Ich möchte mich noch eines anderen Vergleichs bedienen, nämlich jene ſyſtema - tiſche oder logiſche Structur des Rechts das Alphabet deſſelben nennen. Das Verhältniß, in dem ein caſuiſtiſch abgefaßtes Geſetzbuch zu einem auf ſeine logiſche Form reducirten Recht ſteht, iſt daſſelbe, worin die chineſiſche Schriftſprache zu der unſern ſteht. Die Chineſen haben für jeden Begriff ein beſonderes Zeichen, ein Menſchenleben reicht kaum aus, ſie zu erlernen, und neue Begriffe erfordern bei ihnen erſt eine Feſtſtellung ihrer Zeichen. Wir hingegen haben ein kleines Alphabet, mittelſt deſſen wir jedes Wort auflöſen und zuſammenſetzen können; leicht zu erlernen und nie uns im Stiche laſſend. So enthält auch ein caſuiſtiſches Geſetzbuch eine Menge von Zeichen für beſtimmte einzelne Fälle; ein auf ſeine logiſchen Momente redu - cirtes Recht hingegen bietet uns das Alphabet des Rechts, mit - telſt deſſen wir alle noch ſo ungewöhnlichen Wortbildungen des Lebens entziffern und darſtellen können.

Es läßt ſich jetzt auch die Bemerkung begreiflich machen, die wir früher hinwarfen, daß nämlich der quantitative Reich - thum an Rechtsſätzen ein Zeichen der Schwäche ſei. Er bekun - det nämlich die Schwäche der intellektuellen Verdauungskraft, das Unvermögen, aus der Menge der Rechtsſätze die logiſche Quinteſſenz herauszuziehen und in Fleiſch und Blut aufzuneh -31Erkenntniß der logiſchen Natur des Rechts. §. 3.men. Dies Vermögen iſt gerade die charakteriſtiſche Eigenſchaft der Jurisprudenz und die beſtändige Bethätigung deſſelben an den Rechtsſätzen ihre unerläßliche Pflicht.

Kehren wir nun mit dem im bisherigen gewonnenen Re - ſultat zu unſerm Ausgangspunkt zurück, ſo hat ſich alſo unſere Kenntniß des Rechtsorganismus dahin erweitert, daß die meiſten Rechtsſätze ſich zu logiſchen Momenten des Rechts und dieſe wieder zu höheren Ordnungen geſtalten, ſo daß von eigentlichen Rechtsſätzen als ſolchen nur ſehr wenig zurückbleibt. Dieſe, wie wir ſie oben nannten, Präcipitirung der Rechtsſätze im Syſtem iſt nicht ein Werk ſubjektiven Beliebens, keine von der Wiſſen - ſchaft vorgenommene Verarbeitung des Stoffes, ſondern ſie liegt in dem Rechte ſelbſt; indem wir ſie vornehmen und uns von den Rechtsſätzen freimachen, vertauſchen wir eine unvollkommne, äußerliche Betrachtung des Gegenſtandes mit einer innerlichen Auffaſſung deſſelben. So wie das Syſtem nichts äußerlich in den Gegenſtand hineingetragenes iſt, ſondern ſeine eigne Ordnung, ſo iſt auch die ſcheinbar durch die ſyſtematiſche Thätigkeit bewirkte logiſche Gliederung und Transſubſtantiation der Rechtsſätze in der That nur das Erkennen der wahren Natur des Rechts. Dem geübten Auge erſcheint das Recht als ein logiſcher Organismus von Rechtsinſtituten und Rechtsbegriffen, dem ungeübten als ein Complex von Rechtsſätzen; jenes iſt die innere Natur des Rechts, dieſes die dem praktiſchen Leben zugewandte Außenſeite.

Wenn wir nun ſchon hinſichtlich dieſer Außenſeite des Rechts zu dem Satze gekommen ſind, daß die Erkenntniß derſel - ben mit Schwierigkeiten verbunden und daher oft ſehr mangel - haft iſt, ſo gilt dies von jener logiſchen Structur des Rechts in einem noch viel höheren Grade. Das unmittelbar praktiſche Bedürfniß führt nur zu der Erkenntniß von Rechtsſätzen, es ge - hört eine beſonders glückliche Naturanlage eines Volkes dazu, wenn es von den Rechtsſätzen frühzeitig zur Entdeckung des Rechts-Alphabets gelangt. Wir werden ſehen, daß darin gerade die ungewöhnliche Prädeſtination des römiſchen Volks32Einleitung die Methode.zur Cultur des Rechts ſich manifeſtirt hat. Die hohen Schwie - rigkeiten dieſer Methode der Behandlung des Rechts wurden aber ſelbſt noch den klaſſiſchen römiſchen Juriſten fühlbar. Omnis definitio in jure civili (Bildung des Begriffs aus dem Material der Rechtsſätze) ſagen ſie,15)L. 202 de R. I. (50. 17). periculosa est; parum est enim ut non subverti possit; und es kommen Fälle vor, wo ſie ſich für unvermögend erklären, den Begriff genau zu be - ſtimmen und darauf dringen, daß man ſich aus dem Leben eine Anſchauung deſſelben erwerben müſſe. 16)Z. B. bei der Mora. L. 32 pr. de usuris (22. 1) nam diffici - lis est hujus rei definitio. Divus quoque Pius Tullio Balbo rescripsit: an mora facta intelligatur, neque constitutione ulla, neque juris aucto - rum quaestione decidi posse, cum sit magis facti, quam juris. So wenig aber auch die Begriffsformulirungen der römiſchen Juriſten immer genügen, ſo ſehr lebten doch die Begriffe in ihnen, wie die meiſterhafte Anwendung der - ſelben zeigt.

Auch hier alſo iſt wieder dem ſpäter Stehenden die Gele - genheit gegeben, die Auffaſſung des Rechts der Vergangenheit von Seiten der Zeitgenoſſen zu verbeſſern, ſich zum Bewußtſein zu bringen, was ihnen verſchloſſen blieb. Wenn ſie ihm bloß ein Aggregat von Rechtsſätzen überlieferten, ſo ſoll er verſuchen, aus ihnen den logiſchen Organismus des Rechts wieder herzu - ſtellen; wenn ſie ihm bloß die dem Leben zugewandte Außen - ſeite des Rechts zeigten, ſoll er bemüht ſein, die innere logiſche Subſtanz deſſelben zu entdecken.

Wir ſchreiten jetzt in unſerer Betrachtung des Rechtsorga - nismus abermals einen Schritt weiter, und zwar iſt es der letzte, den wir zu thun haben. Wenn wir das Recht eines und deſſelben Volkes zu verſchiedenen Zeiten betrachten, ſo finden wir, daß33Pſychiſche Organiſation des Rechts. §. 3.die einzelnen Rechtsinſtitute, ſo groß auch immer ihr logiſcher Gegenſatz bleiben möge, z. B. das Erbrecht, Obligationenrecht, die Vormundſchaft u. ſ. w., dennoch zu einer und derſelben Periode etwas gemeinſames, wir wollen ſagen, eine gewiſſe Aehnlichkeit in ihrem phyſiognomiſchen Ausdruck haben, ja daß dieſelbe höher, offenſichtlicher ſein kann, als die Aehnlichkeit eines und deſſelben Inſtitutes in ſeinen verſchiedenen Entwick - lungsphaſen mit ſich ſelbſt. 17)Man vergleiche z. B. im römiſchen Recht die Geſtalt der einzel - nen Rechtsinſtitute zur Blüthezeit der Republik mit den neuen Formen, in denen ſie zur Kaiſerzeit auftreten, namentlich das Eigenthum (dominium und in bonis esse) Erbrecht (hereditas und bonorum possessio) Vermächtniß (legatum und fideicommissum) u. ſ. w.Jedenfalls iſt völlig unbeſtreit - bar, daß die Altersſtufe bei aller ſonſtigen Verſchiedenheit der Individuen eine gewiſſe Aehnlichkeit im Habitus und Charakter mit ſich führt, einen beſtimmten Typus aufprägt.

Wenn wir nun in der Rechtswelt dieſelbe Bemerkung ma - chen, ſo berechtigt ſie uns zu dem Schluſſe, daß die gleichmäßi - gen Erſcheinungen, die wir um eine und dieſelbe Zeit in den verſchiedenartigſten Inſtituten wahrnehmen, in derſelben Urſache ihren Grund haben, daß mit andern Worten in dem geſammten Rechtsorganismus gewiſſe Kräfte thätig ſind, die auf alle einzel - nen Theile wirken. Die äußere Erſcheinung dieſer Einwirkung kann nach Verſchiedenheit der Inſtitute verſchieden ſein; eine und dieſelbe Kraft mag hier ſo, dort ſo ſich manifeſtiren. Wer würde auch die mechaniſche Gleichheit der Aeußerung erwarten? Wa - rum ſollte nicht auch in der ſittlichen Welt ſo gut wie in der Natur die Ungleichheit der Aeußerungsform bei Gleichheit der treibenden Kräfte möglich ſein. Daß z. B. die Cultur des römi - ſchen Rechts einen Aufſchwung nimmt zu derſelben Zeit, wo die römiſche Freiheit zu ſiechen beginnt, iſt äußerlich ebenſo verſchie - den, als wenn im Thale die Bäume blühen und auf den Ber - gen der Schnee ſchmilzt aber in beiden Fällen war eineJhering, Geiſt d. röm. Rechts. 334Einleitung die Methode.Urſache wirkſam. Je üppiger die Lebenskraft, um ſo mannigfal - tiger die Form ihrer Aeußerung, je matter, um ſo ärmer. So können denn auch im Recht dieſelben Kräfte in dem einen Inſti - tut eine Beſchränkung, in dem andern eine Erweiterung, dort eine Abſchwächung, hier eine Kräftigung bewirken.

In dieſen treibenden Kräften nun bewährt ſich erſt recht die Einheit und Individualität des Organismus, und wären ſie nicht vorhanden, ſo würde das Recht nur ein Aggregat von einzelnen Inſtituten ſein, und man könnte auf die Idee kommen, ein Recht in der Weiſe zuſammenzuſetzen, daß man von jedem Volke das Rechtsinſtitut entlehnte, das gerade bei ihm vor - zugsweiſe ausgebildet und zur Reife gelangt wäre. Indem wir aber das Recht einen Organismus nennen, indem wir von dem Charakter eines Rechtes ſprechen, gehen wir ſchon von der An - nahme ſolcher das ganze Recht gleichmäßig geſtaltenden und beherrſchenden Kräfte aus. Der Sitz dieſer Kräfte iſt die Indivi - dualität des Volks, ſie iſt gewiſſermaßen das Herz des Rechts - organismus, von dem aus belebend und erwärmend das Blut durch alle Theile ſtrömt und dadurch auf dem allgemeinen logi - ſchen Knochenſyſtem des Rechts Fleiſch und Haut anſetzt, ihm den individuellen Charakter verleiht, an dem man eben erkennt, daß das Recht dieſem Volke und dieſer Zeit angehört. In jeder Ader fühlen wir bald ſchwächer, bald ſtärker den Pulsſchlag allgemeiner nationaler Ideen und Anſchauungen, langſam und kaum merklich führen ſie den feſten Theilen den Nahrungsſtoff zu und bewirken, indem ſie ſelbſt dem Wechſel der Zeit ausge - ſetzt ſind, auch eine entſprechende Veränderung im ganzen Orga - nismus. So iſt denn der Geiſt des Volks und der Geiſt der Zeit auch der Geiſt des Rechts.

Wir wollen dieſe allgemeinen Ideen und Grundanſchauun - gen eines Volks, die den einzelnen Inſtituten ihren Ausdruck geben, die Beſtrebungen und Tendenzen der Zeit, die im Recht ſich verwirklichen, kurz den ganzen Inbegriff aller Triebkräfte, die im Rechte thätig werden, die pſychiſche Organiſation deſſel -35Pſychiſche Organiſation des Rechts. §. 3.ben nennen, die Inſtitute des Rechts, den geſammten Complex ſeiner praktiſchen Organe den Körper deſſelben. Was da treibt, läßt ſich nicht unmittelbar erkennen, und es iſt ein Nothbehelf, wenn wir zur Erklärung von Wirkungen, die wir ſehen, treibende Kräfte, die wir nicht wahrnehmen, ſupponiren; ſie ſind Ab - ſtractionen, zu denen die Gebrechlichkeit unſerer Erkenntniß uns zwingt. In dieſem Sinne machen wir denn auch im Recht von den Wirkungen den Schluß auf treibende Kräfte; letztere ſind eine Abſtraction, mittelſt deren wir uns im Grunde nur die Wirkungen ins Bewußtſein bringen, die Urſache ſelbſt bleibt eine Hypotheſe.

Dieſe Abſtractionen werden nicht ſelten eine gewiſſe Weite haben müſſen, um ſämmtliche einzelne Erſcheinungen in ſich zu ſchließen; ich möchte ſagen, die Verwandſchaft mancher Bildungen des Rechts wird nicht die der erſten Generation ſein, ſondern wir werden, um ſie zu entdecken, im Stammbaum weit zurückgreifen müſſen. Die nächſten Gedanken, von denen die einzelnen Inſtitute abſtammen, und die man beim erſten Blick in ihnen erkennt, wer - den unter ſich vielleicht wenig Aehnlichkeit haben, aber die Ab - ſtraction wird dann einige Generationen zurückgehen und dort in einem allgemeineren Gedanken den gemeinſamen Ausgangs - punkt entdecken. Für unſere Zwecke wollen wir darauf verzichten, dieſe genealogiſchen Unterſuchungen bis zu dem Punkte fortzu - führen, wo ſie uns auf ganz allgemeine logiſche Kategorieen führen, auf Ahnen, die dem gemeinen Bewußtſein zweifelhaft oder unbekannt ſind und in die graue an fingirten Ahnen nicht arme Vorzeit der Spekulation fallen. Unſere letzten und höch - ſten Begriffe ſollen nicht entlegener ſein, als daß ſie nicht auch dem Nichtphiloſophen bekannt wären.

Um ſo viel höher nun dieſe pſychiſche Organiſation des Rechts über dem leiblichen Organismus deſſelben erhaben iſt, um eben ſo viel ſteigen auch die Schwierigkeiten der Erfor - ſchung. Während die Rechtsſätze ſichtbar auf der Oberfläche liegen, während die Rechtsinſtitute und Rechtsbegriffe durch3*36Einleitung die Methode.ihre praktiſche Anwendung ſich faſt von ſelbſt dem Bewußtſein aufdringen, ruhen jene treibenden Kräfte des Rechts im tiefſten Innern, wirken höchſt allmählig, durchdringen zwar den ganzen Organismus, aber treten vielleicht an keinem einzigen Punkte ſo deutlich hervor, daß man ſich ihrer Beobachtung nicht entzie - hen könnte. Kein praktiſches Bedürfniß drängt dazu, ſich ihrer bewußt zu werden, denn ſie ſind keine Rechtsſätze, laſſen ſich nicht in Form derſelben faſſen, ſondern ſie ſind nur Qualitä - ten der Rechtsinſtitute, allgemeine Prinzipien, die als ſolche gar keiner Anwendung fähig ſind, ſondern nur Zuthaten zu den praktiſchen Bildungen des Rechts geliefert haben. Was wären die Gedanken, die wir bei der Charakteriſtik des römiſchen Rechts in demſelben nachweiſen werden, z. B. der Gedanke der perſön - lichen Natur der Berechtigungen, der ſubſtantiellen oder realen Natur des Willens, der Starrheit und Flüſſigkeit der Rechts - verhältniſſe u. ſ. w. als Rechtsſätze gedacht in der Praxis!

Kann es uns denn Wunder nehmen, daß dieſe Seite des Rechts ſich dem geiſtigen Auge am ſpäteſten und ſpärlichſten entſchließt, daß die Tendenzen und Gedanken, an deren Ver - wirklichung und Ausbildung im Recht dieſe Generation arbei - tet, ihr ſelbſt verborgen bleiben und erſt einem nachfolgenden Geſchlecht klar werden? Wenn irgend etwas erſt die göttliche Natur des Rechts bewähren müßte, zeigen, daß es nicht Men - ſchenwerk, nicht bloßes Produkt der Reflexion iſt, ſo würde man nur auf dieſe Erſcheinung zu verweiſen haben. Ein Geſetzgeber, der mit Bewußtſein ſeiner Zwecke und Mittel ſeine Geſetze er - läßt, lebt ſelbſt vielleicht des Glaubens, daß ſie nur aus ihm kommen, nur ſoviel enthalten, als er habe hineinlegen wollen, und doch ſchiebt ihm, ohne daß er es ahnt, der Geiſt der Zeit den Stoff unter, aus dem er ſie formt, und ſein ganzes Thun und Treiben, deſſen Einheit und Nothwendigkeit er ſelbſt nicht begriff, erſcheint dem ſpätern Beobachter als ein völlig abge - ſchloſſener einzelner Moment der geſammten Entwicklung des Rechts. Wie die Pflanze, die ſichtbar nichts äußeres aufnimmt,37Pſychiſche Organiſation des Rechts. §. 3.doch aus der Erde und der Luft ihre ganze Nahrung zieht, ſo erhält auch jedes Recht aus dem Erdreich, in dem es wurzelt und aus der Atmoſphäre, in der es wächſt, unmerklich die Ele - mente ſeines Lebens. Während es geſchieht, ſieht unſer ſtumpfes Auge es nicht, aber nachdem es geſchehen, kommen wir durch die Wirkung zur Erkenntniß der Urſache. Und wie manches, das wir ſehen, begreifen wir nicht, weil es noch nicht fertig, noch in den erſten Anfängen der Entwicklung begriffen iſt, wäh - rend ſich das Verſtändniß deſſelben dem ſpätern Beobachter, der auf den vollendeten Entwicklungsprozeß zurückſchaut, leicht erſchließt.

Wenn das geſagte nun ſelbſt für das vorgerückte Lebens - alter der Völker gilt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß es auf die Jugend - und Kindheit-Zeit derſelben in einem weit höheren Grade Anwendung findet. Dem Hiſtoriker kann es vielleicht mit leichter Mühe gelingen, ihrem ganzen Ringen und Streben die richtige Deutung zu geben, und ihnen ſelbſt blieb daſſelbe ein Räthſel. Aus jedem Rechtsinſtitute können gewiſſe nationale Grundanſchauungen uns entgegentreten, aber das Volk ſelbſt, das von ihnen erfüllt war, ſah ſie nicht oder nur im Halbdun - kel des Gefühls und der Ahnung. Denn das iſt freilich nicht ſelten, daß dieſe unausgeſprochenen Gedanken, für die der Be - griff noch fehlte, in der Mythe, der Etymologie und Symbo - lik u. ſ. w. in geheimnißvoller, verſchleierter Weiſe ſich einen Ausdruck verſchafft haben. Der träumende Genius des Volks hat hier in naiver Weiſe ein Selbſtgeſtändniß abgelegt, deſſen er im wachenden Zuſtande ſich nicht bewußt iſt.

Der Hiſtoriker findet hier alſo ein fruchtbares Feld für ſeine Thätigkeit vor, aber verhehlen wir es uns nicht, zugleich ein ſehr ſchlüpfriges. Je weiter er auf demſelben vorzudringen, je mehr er ſich der Werkſtätte der Geſchichte zu nahen ſucht, um ſo nebelhafter, verſchwimmender werden die Geſtalten, die ihm begegnen, um ſo mehr ſtellen ſich ſtatt der Geiſter, die er ver - folgt, Irrlichter ein, die ihn vom wahren Wege abzuleiten drohen. 38Einleitung die Methode.Schon mit Manchem, der ausging, den Geiſt einer Sache zu ſuchen, hat dieſer Geiſt ein neckiſches Spiel getrieben, ihn bald hierhin, bald dorthin gelockt und ihm ſtatt ſeiner ein Phan - tom in die Hände geſpielt, das nur dem Suchenden ſelbſt, aber keinem Dritten als das erſchien, was es ſein ſollte. Dadurch ſind denn dieſe Verſuche bei Vielen in Mißcredit gekommen, und die wiſſenſchaftlichen Spießbürger, die nur glauben, was ſie mit den Händen greifen können, betrachten ſie als Spielerei, an der nur ungründliche Naturen Gefallen finden können. Es iſt begreiflich, daß gerade unter den Juriſten eine ſolche Stimmung ſehr verbreitet iſt; der ungläubige Thomas, der auch vom Füh - len mehr hielt, als vom Sehen, wäre viel geeigneter, ihren Schutzpatron abzugeben als der heilige Ivo.

Jene Erfahrungen können uns behutſam machen, ſollen uns aber von unſerm Plan ſelbſt nicht abhalten. Wo eine Auf - gabe der Löſung ſo würdig iſt, als die unſere, kann die Gefahr, die ſie dem Schriftſteller droht, gar nicht in Erwägung gezogen werden.

Während uns nun unſere ganze Betrachtung immer auf den Satz zurückgeführt hat, daß das Recht ſelbſt nicht zuſammen - fällt mit dem ſubjektiven Bewußtſein und ſich uns daraus für die Bearbeitung deſſelben die Anforderung ergeben hat, die la - tenten Seiten und Theile des Rechts mehr und mehr ins Be - wußtſein zu bringen, beſchränkt ſich die herrſchende Methode auf eine Reproduction der Rechtsſätze und Begriffe, die von den Römern ſelbſt aufgeſtellt ſind. Ihr beſtändiger Refrain iſt Quellenſtudium, und der kühnſte Gedanke, deſſen ſie fähig iſt, beſteht in der Wiedererweckung der reinen römiſchen Theo - rie. Wäre es möglich, ſo würfe ſie wohl alles, was nicht direkt im römiſchen Recht ausgeſprochen iſt, über Bord und ſchraubte unſere wiſſenſchaftliche Bildung auf den Standpunkt von Ulpian und Paulus zurück. Aber die Zeiten von Ulpian und Paulus39Phyſiologiſche Betrachtung des Rechts. §. 4.ſind vorüber und werden trotz aller Bemühungen nicht wieder kehren. Um ſie zurückzuwünſchen, muß man vergeſſen, daß jede Zeit Original und nicht Copie einer andern ſein ſoll, daß jede Zeit einen und denſelben hiſtoriſchen Gegenſtand unter dem ihr eigenthümlichen Geſichtspunkt betrachten darf und muß, und daß auf dieſe Weiſe mit jedem neuen Geſchlecht neue Seiten des Gegenſtandes ſich enthüllen. Dieſer Richtung gegenüber that es Noth, unſere Anſicht näher zu begründen und der Bearbeitung des römiſchen Rechts, ſowohl der dogmatiſchen als rechtshiſto - riſchen, ein höheres Ziel zu ſtecken, als das der bloßen Repro - duction des römiſchen Bewußtſeins. So lange man bloß dies Ziel verfolgt, kann man zu einem Urtheil über das römiſche Recht, zu einer Einſicht in ſein wahres Weſen nicht gelangen. Wer ſich letzteres, wie wir gethan haben, zur Aufgabe geſtellt hat, wird von ſelbſt über jenes beſchränkte Ziel hinausgetrieben.

2. Phyſiologiſche Betrachtung des Rechtsorganismus Die Function deſſelben im Leben Formale Realiſirbarkeit des Rechts Die Aufgabe des Hiſtorikers gegenüber dem Recht der Vergangenheit.

IV. Der Zweck der Organe liegt in ihren Functionen; die Organe ſind vorhanden, damit ſie beſtimmte Verrichtungen aus - üben. In dieſem Zwecke beruht wiederum der Grund ihrer gan - zen Organiſation; letztere iſt ſo beſchaffen, wie ſie durch jene Functionen geboten iſt. Wie dies vom phyſiſchen Organismus gilt, ſo auch von dem des Rechts. Auch hier führt alſo erſt die Kenntniß der Functionen des Rechts zum Verſtändniß ſeiner Organe, die Phyſiologie zum wahren Verſtändniß der Anatomie.

Nichts iſt mithin verkehrter, als ein Recht gleich einem philoſophiſchen Syſtem bloß von Seiten ſeines geiſtigen Gehal - tes, ſeiner logiſchen Gliederung und Einheit zu beurtheilen. Möge es unter dieſem Geſichtspunkt auch als Meiſterſtück erſcheinen, ſo iſt damit über ſeinen wahren Werth noch nichts ermittelt,40Einleitung die Methode.denn letzterer liegt in ſeinen Functionen d. h. in ſeiner praktiſchen Brauchbarkeit. Was nützt es, daß eine Maſchine den Eindruck eines Kunſtwerkes macht, wenn ſie als Maſchine untauglich iſt? Man ſollte nun glauben, daß dieſe functionelle Seite des Rechts ſo ſehr hervortrete, daß ihr die gebührende Beachtung gar nicht entgehen könne. Und doch finden wir nicht ſelten das Gegen - theil. In demſelben Maße nämlich, in dem die im vorigen Paragraphen beſprochene Logik des Rechts wiſſenſchaftlich ent - wickelt wird, die Rechtsſätze ſich verflüchtigen zu logiſchen Mo - menten des Syſtems, wird jene functionelle Seite des Rechts dem Blick entrückt. Die imperativiſche Form der Gebote und Verbote, der Ausdruck ſo und ſo ſoll es ſein erregt faſt noth - wendig die Frage nach dem warum ; anders aber, wenn die Rechtsſätze dieſe Form abgeſtreift und ſich zu Rechtsbegriffen vergeiſtigt haben. Hier wendet ſich die Kritik viel eher ihrer logiſchen Prüfung zu, als einer Betrachtung ihrer prakti - ſchen Brauchbarkeit. Ja, es kann der Darſtellende leicht ſich der Täuſchung hingeben, es ſei etwas Hohes und Großes, das Material ſo zu verarbeiten, als ſei daſſelbe eine Emanation des Begriffes, der Begriff alſo das urſprüngliche, ſeiner ſelbſt wegen da ſeiende, während doch in der That die ganze logiſche Gliede - rung des Rechts, und ſei ſie noch ſo vollendet, nur das Sekun - däre, das Produkt der Zwecke iſt, denen ſie dienen ſoll. Daß die Begriffe ſo und ſo geſtaltet ſind, hat ſeinen Grund eben darin, daß ſie nur in dieſer Geſtalt den Bedürfniſſen des Lebens genü - gen, und ſehr häufig iſt aus dieſer Rückſicht die freie logiſche Entwicklung derſelben unterbrochen oder gehemmt. Ohne ſolche Eingriffe würde oft der logiſche Kunſtwerth des Rechts ein - herer, die praktiſche Brauchbarkeit deſſelben aber eine geringere ſein. 18)Dieſe Eingriffe des Lebens in die logiſche Entwicklung des Rechts nennen die Römer jus singulare, die Logik des Rechts ſelbſt ratio, auch re - gula juris z. B. L. 16 de legib (l. 3) Jussingulare est, quod contra

41Function des Rechts das Leben. §. 4.

Die Function des Rechts im allgemeinen beſteht nun darin, ſich zu verwirklichen. Was ſich nicht realiſirt, iſt kein Recht, und umgekehrt was dieſe Function ausübt, iſt Recht, auch wenn es noch nicht als ſolches erkannt iſt (Gewohnheits Recht). Die Wirklichkeit beglaubigt erſt den Text, den das Geſetz oder eine andere Formulirung des Rechts aufſtellt, als wahrhaftes Recht, ſie iſt mithin das einzige ſichere Erkenntnißmittel deſſel - ben. Aber ſie iſt mehr, ſie iſt zugleich der Gegenſtand und der Commentar jenes Textes. Kein Geſetzbuch, keine theoretiſche Zuſammenſtellung des Rechts irgend einer Zeit und irgend eines Volkes läßt ſich ohne die Kenntniß der realen Zuſtände dieſes Volkes und dieſer Zeit begreifen. Warum die Rechtsſätze da ſind, was ſie ſollen, wie ſie durch das Leben in ihrer Wirkſam - keit beeinträchtigt oder unterſtützt werden u. ſ. w. auf alle dieſe Fragen ertheilt nur das Leben ſelbſt eine Antwort. Die Formulirung des Rechts, die wir vor uns liegen haben, iſt nichts als der Plan einer Maſchine; die beſte Erläuterung und zugleich die Kritik deſſelben gibt uns die Maſchine, wenn ſie geht. Gar manche unbeachtete Feder offenbart dann eine tief - eingreifende Wichtigkeit, und manche ſehr in die Augen ſprin - gende und ſcheinbar ſehr nöthige Walze ſtellt ſich als ziemlich entbehrlich heraus. In den Zwecken und Bedürfniſſen dieſer beſtimmten Zeit liegt der Grund, warum dieſes Inſtitut vor - handen iſt oder dieſe beſtimmte Geſtalt trägt; in den Voraus - ſetzungen, die ſie mitbringt, der Grund, der jenes Inſtitut mög - lich und wiederum ein anderes überflüßig macht. Eine weitere18)tenorem rationis propter aliquam utilitatem auctoritate con - stituentium introductum est L. 15 ibid. In his, quae contra ra - tionem juris constituta sunt, non possumus sequi regulam ju - ris. Dem jus singulare ſelbſt wird von den römiſchen Juriſten mit Recht die logiſche Productivität abgeſprochen, damit der Riß im Recht nicht größer werde, als nöthig. Es gilt alſo zwar ſeinem ganzen Inhalt nach, aber iſt kein productives Prinzip L. 14 ibid: Quod vero contra rationem juris receptum est, non est producendum ad consequentias. 42Einleitung die Methode.Ausführung dieſes Gedankens, daß jedes Recht nur vom Stand - punkt des wirklichen Lebens aus begriffen werden kann, iſt ſelbſt für Laien unnöthig,19)Ich will mir nur noch erlauben auf das Verhältniß, das hinſichtlich der einzelnen Rechtsinſtitute zwiſchen ihrer anatomiſchen Structur und Lage und ihren Functionen Statt findet aufmerkſam zu machen. Es kann Inſtitute geben von verſchiedener anatomiſcher Structur mit gleichen oder ähnlichen Functionen z. B. das Vermächtniß und die donatio mortis causa, die alt - römiſche Verpfändung in Form der fiducia (Eigenthumsübertragung) und das neuere pignus, die Ceſſion und Delegation, die cura und tutela, der Un - tergang der Klage und der Verluſt des Rechts durch jenſeitige Erſitzung u. ſ. w. Umgekehrt kann die Structur eine ähnliche ſein oder bei einem und demſelben Inſtitut im weſentlichen dieſelbe bleiben, die Functionen aber ſehr auseinander gehen, wie z. B. bei der Staatsverfaſſung der Republik, die im Anfang der Kaiſerzeit ihrer anatomiſchen Structur nach dieſelbe blieb (Volk, Senat, Magiſtrat). Unſere juriſtiſche Methode legt leider ein gar zu großes Ge - wicht auf die anatomiſche Structur der Inſtitute, und ein zu geringes auf die Functionen. Von dieſem Standpunkt aus iſt es eine Conſequenz, wenn z. B. Puchta die Vormundſchaft ins Obligationenrecht ſtellt. aber eine Eigenſchaft des Rechts muß ich hervorheben, die durch den Zweck der Verwirklichung deſſel - ben geboten iſt, ich nenne ſie die formale Realiſirbarkeit oder Anwendbarkeit.

Ich unterſcheide nämlich zwiſchen materieller und for - maler Realiſirbarkeit eines Rechts und verſtehe unter jener die Brauchbarkeit oder Angemeſſenheit der materiellen Beſtimmun - gen des Rechts. Sie iſt natürlich durchaus relativ, bedingt durch die oben bezeichneten Beziehungen des Rechts zum Leben, die Anforderungen dieſer Zeit, die Eigenthümlichkeit dieſes Vol - kes, die Geſtalt dieſes Lebens. Unter formaler Realiſirbarkeit aber verſtehe ich die Leichtigkeit und Sicherheit der Anwen - dung des abſtracten Rechts auf die concreten Fälle. Je nachdem dieſe Operation einen geringeren oder höhern Aufwand geiſtiger Kraft erfordert, und ihr Reſultat ſicherer oder unſicherer iſt, ſpreche ich von einer höhern oder geringeren formalen Realiſir - barkeit. Es iſt aber nicht die Leichtigkeit oder Schwierigkeit des43Formale Realiſirbarkeit. §. 4.Verſtändniſſes der anzuwendenden Rechtsſätze gemeint. Sobald man einen Rechtsſatz einmal richtig begriffen hat, iſt dieſe Aufgabe ein für alle Mal gelöſt und wiederholt ſich nicht bei jedem einzelnen Fall ſeiner Anwendung. Die Aufgabe hingegen, von deren Schwierigkeit oder Leichtigkeit hier die Rede iſt, be - trifft die Anwendung des Rechtsſatzes, den Umſatz der ab - ſtracten Regel in concrete Verhältniſſe, und ſie iſt bei jedem einzelnen Fall von neuem zu löſen. Die Anwendung des Rechts - ſatzes beſteht darin, daß das, was er abſtract hinſtellt, con - cret ermittelt und ausgedrückt wird, und dies kann ſehr leicht, aber auch unendlich ſchwer ſein. Es hängt dabei zwar viel von der Geſchicklichkeit und dem richtigen Blick des Anwendenden ab (wir können dieſe Fertigkeit die juriſtiſche Diagnoſe nen - nen), allein die objektive Schwierigkeit oder Leichtigkeit der An - wendung des Rechtsſatzes wird durch ihn ſelbſt beſtimmt, dadurch nämlich ob er ſeine Beſtimmungen an ſchwer oder leicht erkenn - bare Kriterien angeknüpft hat. Jeder Rechtsſatz knüpft an eine beſtimmte Vorausſetzung ( wenn Jemand dies und das ge - than hat ) eine beſtimmte Folge ( ſo ſoll dies und das eintre - ten );20)Dieſe Form ( wenn ſo ) iſt die einfachſte, deutlichſte und liegt jedem Rechtsſatz zu Grunde, wenn ſie gleich äußerlich nicht hervortritt z. B. Unmündige ſollen bis zum 25. Jahr unter Vormundſchaft ſtehen, Bürg - ſchaften der Frauen ſind ungültig u. ſ. w. Die Vorausſetzung iſt hier: wenn Jemand noch nicht 25 Jahr alt iſt, wenn eine Bürgſchaft vorgenom - men wird und zwar von einer Frau; die Folge die: ſo ſoll er unter Vor - mundſchaft ſtehen u. ſ. w. ihn anwenden heißt alſo 1) unterſuchen, ob die Vor - ausſetzung im concreten Fall vorliegt und 2) die bloß abſtract ausgedrückte Folge concret ausdrücken, z. B. den Schaden, den Jemand erſetzen ſoll, in Geld abſchätzen. Nun hängt be - greiflicherweiſe ſehr viel davon ab, wie jene Vorausſetzung und Folge lautet. Nehmen wir einmal beiſpielsweiſe die Behandlung der Injurie im ältern und ſpätern römiſchen Recht. In jenem beſtand die Folge der Injurie d. h. ihre Strafe in einer beſtimm -44Einleitung die Methode.ten Geldſumme (25 As), in dieſem war ſie dem Ermeſſen des Richters überlaſſen. Stand dort einmal feſt, daß eine Injurie begangen war, ſo ergab ſich die Folge (Verurtheilung in 25 As) von ſelbſt; hier hingegen bedurfte es zu dem Zweck noch erſt einer genauen Würdigung der individuellen Verhältniſſe dieſes Falles, z. B. der perſönlichen Stellung des Beleidigenden und des Beleidigten, der Zeit, des Ortes u. ſ. w., und die Feſtſtel - lung der Strafe mochte dem Richter oft ſehr ſchwer fallen. Hin - ſichtlich der Vorausſetzung liegt ebenſo ſehr auf der Hand, daß wenn ſie allgemein auf Ehrenkränkung geſtellt iſt, die Unterſu - chung, ob dieſe Vorausſetzung im concreten Fall begründet ſei, weit ſchwieriger iſt, als wenn ſie, wie in manchen alten Geſe - tzen, auf ein beſtimmtes, äußerlich leicht erkennbares Faktum lautet z. B. wenn einer den andern geſchlagen, eines Ver - brechens beſchuldigt hat u. ſ. w.

Je allgemeiner und innerlicher die Vorausſetzung und Folge eines Rechtsſatzes beſtimmt iſt, deſto ſchwieriger die concrete Ermittlung derſelben; je concreter und äußerlicher, deſto leich - ter. Dieſe Leichtigkeit der concreten Erkennbarkeit des abſtrac - ten iſt aber praktiſch wichtiger, als die logiſche Vollendung des abſtracten Inhalts. Beſtimmungen, die in materieller Beziehung plump zugeſchnitten, aber an äußerliche, in concreto leicht zu erkennende Kriterien geknüpft ſind, wiegen in praktiſcher Bezie - hung Rechtsſätze auf, deren geiſtiger Gehalt und Zuſchnitt noch ſo tadellos iſt, bei denen aber die formale Realiſirbarkeit außer Acht gelaſſen iſt. Denn die Wichtigkeit dieſer letzteren Eigenſchaft liegt nicht bloß darin, daß die Operation der Anwendung des Rechts erleichtert und vereinfacht wird, alſo auch be - ſchleunigt werden kann, ſondern daß die gleichmäßige Verwirklichung des Rechts dadurch geſichert wird. Je äußer - licher und in die Augen ſpringend die Merkmale für eine Klaſſi - fikation beſtimmt ſind, um ſo ſicherer die Ausſicht, daß jedes Stück richtig klaſſificirt wird; je innerlicher, um ſo mehr ſteigt die Gefahr der Mißgriffe.

45Formale Realiſirbarkeit §. 4.

Dieſe Rückſicht nun auf die Leichtigkeit der Anwendung übt auf die logiſche Entwicklung des Rechts einen beſtimmenden Einfluß aus, zwingt die Rechtsbegriffe häufig, von ihrer ur - ſprünglichen Reinheit nachzulaſſen, um eine Geſtalt anzunehmen, in der ſie praktiſch leichter gehandhabt werden können. Was ſie an abſtractem Gehalt einbüßen, gewinnen ſie wieder an concre - ter Anwendbarkeit. Wir wollen dies an dem Beiſpiel der pri - vatrechtlichen und politiſchen Handlungsfähigkeit (Volljährig - keit und Wahlrecht) deutlich machen. Angenommen ein Geſetz - geber wollte dieſelbe rechtlich beſtimmen und ginge von der Idee aus: volljährig ſoll derjenige ſein, welcher die nöthige Einſicht und Charakterfeſtigkeit beſitzt, um ſeinen Angelegenheiten ſelb - ſtändig vorzuſtehen, wahlfähig und wählbar derjenige, der die Fähigkeit und den Willen hat, das Beſte des Staats zu beför - dern. So richtig nun dieſe Idee iſt, ſo verkehrt würde es ſein, ſie ſelbſt als Geſetz aufzuſtellen, alſo Volljährigkeit und Wahl - fähigkeit von dieſen Vorausſetzungen abhängig zu machen. Welche Zeit und Mühe würde verloren gehen, um die Exiſtenz dieſer Vorausſetzungen im concreten Fall zu ermitteln, welche unerſchöpfliche Quelle von Streitigkeiten würde der Geſetzgeber damit geöffnet, wie damit die ſubjektive Willkühr des Richters möglich gemacht, und ſelbſt bei untadelhafter Anwendung ſeines Geſetzes die Klagen über Parteilichkeit provocirt haben! Wie kann er dies alles vermeiden? Er ſtellt ſtatt jener Vorausſetzungen andere auf, die mit denſelbem in einem gewiſſen regelmäßigen, wenn auch nicht nothwendigen Nexus ſtehen und den Vorzug einer leichteren und ſicherern concreten Erkennbarkeit voraus haben, alſo z. B. das zurückgelegte 25ſte Jahr bei der Volljäh - rigkeit, den Beſitz eines gewiſſen Vermögens, die Ausübung gewiſſer Berufsarten oder die Einnahme einer gewiſſen Stel - lung u. ſ. w. bei der Wahlfähigkeit. Dieſes Ablaſſen von der urſprünglichen legislativen Idee, dieſe Vertauſchung der in abſtracter Beziehung