Das Recht der Ueberſetzung wird vorbehalten.
Druck von H. Laupp in Tübingen.
In den erſten Jahren nach Gründung des Norddeutſchen Bundes wendete ſich das öffentliche Intereſſe naturgemäß der politiſchen Würdigung der Neugeſtaltung Deutſchlands zu. Die großen Ereigniſſe, welche dieſer Gründung vorangegangen waren, hatten die politiſchen Leidenſchaften des Volkes in unge - wöhnlichem Grade erregt. Die neue Verfaſſung war für Jeden, der an dem politiſchen Leben der Nation Antheil nahm, ein Gegen - ſtand der Sympathie oder Antipathie, alſo des Gefühls. Ob die neue Schöpfung Beſtand haben werde oder nicht, ob ſie zur Ver - einigung oder zur Zerreißung Deutſchlands führen werde, ob ſie die Wohlfahrt des Deutſchen Volkes fördern oder hindern werde, das waren die Fragen, welche Erörterung verdienten und fanden. Von untergeordneter Wichtigkeit erſchien es dagegen, in welcher Art die neuentſtandenen Zuſtände rechtlich zu definiren und welche Rechtsbegriffe auf ſie anwendbar ſeien. Die nächſte Aufgabe be - ſtand nicht in der Durchführung ſchulgerechter Conſtruktionen, ſon - dern in der Vollbringung einer geſchichtlichen That.
Im Laufe der Zeit ändert ſich dies vollſtändig. Je längeren und je feſteren Beſtand die neue Verfaſſungsform hat, deſto müßi - ger erſcheinen die Betrachtungen darüber, ob ihre Einführung für heilſam oder für ſchädlich zu erachten ſei. Die Errichtung des Norddeutſchen Bundes und die Erweiterung deſſelben zum Deut - ſchen Reich erſcheint immer mehr und mehr als eine unabänderliche Thatſache, in welche auch derjenige ſich ſchicken muß, dem ſie un - erwünſcht iſt. Die Verfaſſung des Reiches iſt nicht mehr der Gegen - ſtand des Parteiſtreites, ſondern ſie iſt die gemeinſame Grundlage für alle Parteien und ihre Kämpfe geworden; dagegen gewinnt das Verſtändniß dieſer Verfaſſung ſelbſt, die Erkenntniß ihrerVIVorwort.Grundprinzipien und der aus den letzteren herzuleitenden Folge - ſätze und die wiſſenſchaftliche Beherrſchung der neu geſchaffenen Rechtsbildungen ein immer ſteigendes Intereſſe. Mit dem Ausbau der Verfaſſung und mit ihrer Durchführung gliedern ſich die Ver - hältniſſe des neuen öffentlichen Rechts immer feiner und reicher, es wird immer ſchwieriger, zugleich aber auch wichtiger, in den einzelnen Erſcheinungen des öffentlichen Rechtslebens die einheit - lichen Grundſätze und leitenden Principien feſtzuhalten; es ent - ſtehen durch die Praxis ſelbſt in unerſchöpflicher Fülle neue Fragen und Zweifel, welche nicht nach dem politiſchen Wunſch oder der politiſchen Macht, ſondern nach den Grundſätzen des beſtehenden Rechts entſchieden werden müſſen. Nachdem die That der Neuge - ſtaltung Deutſchlands vollbracht iſt, entſteht das Bedürfniß, ſich zum Bewußtſein zu bringen, worin dieſe That beſtanden hat, welchen Erfolg ſie bewirkt hat.
Die Befriedigung dieſes Bedürfniſſes iſt eine Aufgabe der Rechtswiſſenſchaft. Mit einer bloßen Zuſammenſtellung der Artikel der Reichsverfaſſung und der Reichsgeſetze unter gewiſſen Ueber - ſchriften kann ſie nicht gelöſt werden; ebenſowenig durch die Hin - zufügung von Stellen aus den Motiven der Geſetzesvorlagen und aus den Verhandlungen des Reichstages, welche meiſtens doch nur Erwägungen de lege ferenda enthalten. Es handelt ſich vielmehr um die Analyſe der neu entſtandenen öffentlich rechtlichen Ver - hältniſſe, um die Feſtſtellung der juriſtiſchen Natur derſelben und um die Auffindung der allgemeineren Rechtsbegriffe, denen ſie untergeordnet ſind. Man darf ſich über dieſe Aufgabe nicht mit der Verſicherung hinwegſetzen, daß die Verfaſſung des Deutſchen Reiches ſo eigenartig ſei, daß ſie unter keine der herkömmlichen juriſtiſchen Begriffskategorien paſſe. Eigenthümlich iſt der Deutſchen Verfaſſung, ſowie jeder concreten Rechtsbildung, nur die thatſäch - liche Verwendung und Verbindung der allgemeinen Rechtsbegriffe; dagegen iſt die Schaffung eines neuen Rechtsinſtitutes, welches einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht un - tergeordnet werden kann, gerade ſo unmöglich wie die Erfindung einer neuen logiſchen Kategorie oder die Entſtehung einer neuen Naturkraft. Es kann ſchwierig ſein, bei einer neuen Erſcheinung im Rechtsleben zu erkennen, aus welchen juriſtiſchen Elementen das rechtliche Weſen derſelben zuſammengeſetzt iſt; aber die wiſſen -VIIVorwort.ſchaftliche Behandlung des Rechts beſteht eben darin, daß ſie die Erſcheinungen des Rechtslebens nicht nur beſchreibt, ſondern er - klärt und auf allgemeine Begriffe zurückführt.
Mit der Auffindung der allgemeinen Principien iſt die Auf - gabe noch nicht vollſtändig gelöſt; es müſſen auch die, aus den gefundenen Principien ſich ergebenden Folgerungen entwickelt werden und es muß ihre Uebereinſtimmung mit den thatſächlich beſtehen - den Einrichtungen und den poſitiven Anordnungen der Geſetze dar - gethan werden.
Bei dem Verſuch, das Staatsrecht des Deutſchen Reiches in der angegebenen Weiſe zu erörtern, zeigt ſich ſofort der innere, unauflösliche Zuſammenhang des Verfaſſungsrechts mit den übrigen Gebieten der Rechtswiſſenſchaft, namentlich mit dem Strafrecht, und es macht ſich die Thatſache bemerkbar, daß ein erheblicher Theil des Staatsrechts nicht in der Verfaſſung, ſondern in dem Strafgeſetzbuch ſeinen geſetzlichen Ausdruck gefunden hat. Dieſe ſtaatsrechtliche Seite der Strafgeſetze erfordert um ſo eingehendere Berückſichtigung, als in der bisherigen Literatur die Publiciſten gewöhnlich den Strafrechtslehrern, die Kriminaliſten den Staats - rechtslehrern ſie überlaſſen haben. Es läßt ſich ferner die Unterſchei - dung des Reichsſtaatsrechts von dem Landesſtaatsrecht nicht ſtreng durchführen; beide ergänzen ſich gegenſeitig und ſtehen zu einander in vielfachen Wechſelbeziehungen. Eine große Zahl von wiſſenſchaftlichen Begriffen und Rechtsinſtituten iſt dem Reichsrecht und dem Staatsrecht der einzelnen Bundesſtaaten gemeinſam, ſo daß auch die theoretiſche Erörterung derſelben Reichsrecht und Landes - ſtaatsrecht umfaſſen muß. Endlich ergiebt ſich, daß auf dem Ge - biete des Staatsrechts zahlreiche Begriffe wiederkehren, welche ihre wiſſenſchaftliche Feſtſtellung und Durchbildung zwar auf dem Gebiete des Privatrechts gefunden haben, welche ihrem Weſen nach aber nicht Begriffe des Privatrechts ſondern allgemeine Be - griffe des Rechtes ſind. Nur müſſen ſie allerdings von den ſpezi - fiſch privatrechtlichen Merkmalen gereinigt werden. Die einfache Uebertragung civilrechtlicher Begriffe und Regeln auf die ſtaats - rechtlichen Verhältniſſe iſt der richtigen Erkenntniß der letzteren gewiß nicht förderlich; die „ civiliſtiſche “Behandlung des Staats - rechts iſt eine verkehrte. Aber unter der Verurtheilung der civili - ſtiſchen Methode verſteckt ſich oft die Abneigung gegen die juriſtiſcheVIIIVorwort.Behandlung des Staatsrechts und indem man die Privatrechtsbegriffe vermeiden will, verſtößt man die Rechtsbegriffe überhaupt, um ſie durch philoſophiſche und politiſche Betrachtungen zu erſetzen. Im Allgemeinen hat die Wiſſenſchaft des Privatrechts vor allen anderen Rechtsdisciplinen einen ſo großen Vorſprung gewonnen, daß die letzteren ſich nicht zu ſcheuen brauchen, bei ihrer reiferen Schweſter zu lernen und bei dem heutigen Zuſtande der ſtaatsrechtlichen und insbeſondere reichsrechtlichen Literatur iſt weit weniger zu fürchten, daß ſie zu civiliſtiſch, als daß ſie unjuriſtiſch wird und auf das Niveau der politiſchen Tagesliteratur hinabſinkt.
Von dieſen Geſichtspunkten aus iſt die folgende Darſtellung des Staatsrechts des Deutſchen Reiches unternommen worden, deren Anfang in dem vorliegenden erſten Bande veröffentlicht wird. Derſelbe umfaßt diejenigen Lehren, welche die eigentliche rechtliche Struktur des Reiches, ſein juriſtiſches Weſen, ſeine Grundlagen und ſeine Organiſation betreffen. Die Darſtellung derjenigen Re - geln, welche die Lebensthätigkeit des Reiches in formeller und materieller Hinſicht beherrſchen, wird der zweite Band enthalten.
Von der bisherigen Literatur des Reichsrechts konnte die zweite Auflage des Werkes von Ludwig v. Rönne, deren erſter Band während des Druckes des vorliegenden Buches erſchienen iſt (Leipzig 1876), nicht mehr berückſichtigt werden.
Mehr noch zu bedauern iſt es, daß die Ergebniſſe der Reichs - tags-Seſſion 1875 / 76 keine Verwerthung mehr finden konnten. Je - doch ſind die Veränderungen der Behörden-Organiſation, welche mit dem 1. Januar 1876 eingetreten ſind, in den Nachträgen am Schluſſe des Bandes aufgeführt worden.
Als am 14. Juni 1866 die deutſche Bundesverſammlung auf Antrag Oeſterreichs den Beſchluß gefaßt hatte, die Mobilmachung des VII., VIII., IX. und X., d. h. ſämmtlicher nicht öſterreichiſchen und nicht preußiſchen, Bundes-Armeecorps anzuordnen, obwohl der Preußiſche Geſandte gegen jede geſchäftliche Behandlung des Antrages, als formell und materiell bundeswidrig, Namens ſeiner Regierung Proteſt eingelegt hatte, erklärte derſelbe Geſandte ſofort nach der Beſchlußfaſſung im Namen und auf Befehl Seiner Majeſtät des Königs: „ daß Preußen den bisherigen Bundesvertrag für gebrochen und deshalb nicht mehr verbindlich anſieht, denſelben viel - mehr als erloſchen betrachten und behandeln wird “2)Hahn, Zwei Jahre S. 124 fg. Glaſer, Archiv I, 1. S. 27.. An dieſen Vorgang knüpften ſich mehrere bundesrechtliche Streit - fragen; ob der Antrag Oeſterreichs materiell zuläſſig geweſen, ob ſeine geſchäftliche Behandlung im Einklang mit den Vorſchriften1*4§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.des Bundesrechts ſich gehalten, ob die Abſtimmung und Beſchluß - faſſung namentlich mit Rückſicht auf die Vota in der 16. Curie ordnungsmäßig ſtattgefunden, ob der Austritt Preußens aus dem Bunde rechtlich ſtatthaft war1)Vgl. darüber Schulze, Einleit. in das deutſche Staatsrecht (Neue Ausgabe 1867) S. 379 fg.. Alle dieſe Fragen haben das praktiſche Intereſſe vollſtändig verloren; der Fortbeſtand des deut - ſchen Bundes war nicht mehr von der juriſtiſchen Löſung ſtaats - rechtlicher Streitigkeiten, ſondern von dem Gange weltgeſchichtlicher Ereigniſſe abhängig. Der Bund wurde von den letzteren zu Grabe getragen. Aber die thatſächliche Beendigung des Bundesverhält - niſſes hat auch ihre, nach allen Seiten hin vollkommene, formelle rechtliche Sanction erhalten. Der deutſche Bund war ein völker - rechtlicher Verein, der nach Art. I. der Bundesacte unauflöslich war. Es konnte daher allerdings kein einzelner Staat willkührlich aus demſelben ausſcheiden; durch übereinſtimmenden Willensent - ſchluß aller, zu dem Bunde gehörenden Staaten war ſeine Auf - löſung aber zuläſſig, da das Bundesverhältniß unbezweifelt den Charakter eines völkerrechtlichen Vertragsverhältniſſes hatte2)Auf die Austritts-Erklärung Preußens in der Sitzung der Bundesver - ſamml. v. 14. Juni 1866 erwiderte das Präſidium: „ Der deutſche Bund iſt nach Art. I. der Bundesacte ein unauflöslicher Verein, auf deſſen ungeſchmä - lerten Fortbeſtand das geſammte Deutſchland, ſowie jede ein - zelne Bundesregierung ein Recht hat, und nach Art. V. der Wiener Schlußacte kann der Austritt aus dieſem Vereine keinem Mitgliede deſſelben freiſtehen. “ Dies iſt im Weſentlichen richtig; abgeſehen davon, daß „ das geſammte Deutſchland “kein ſtaatliches Gemeinweſen, überhaupt kein Rechts - ſubject war und deshalb auch kein „ Recht “haben konnte; Rechte hatten nur die einzelnen Bundesglieder. Das Gleiche gilt von dem „ unveräußerlichen und unverjährbaren Recht des deutſchen Volkes auf eine ganz Deutſch - land umfaſſende politiſche Verbindung “, von welchem Zachariä in der Vor - rede der 3ten Auflage (1866) ſeines deutſchen Staats - und Bundesrechts Bd. II. ſpricht.. Dieſe Willensübereinſtimmung ſämmtlicher Bundesmitglieder, ſo weit ſie die Kataſtrophe von 1866 überdauert haben, iſt erfolgt und in rechtswirkſamer Weiſe erklärt worden und zwar durch nachſtehende Acte:
Zuerſt ſchied aus der Reihe der ſelbſtſtändigen Bundes - mitglieder der König von Dänemark als Herzog von Holſtein und Lauenburg aus; indem derſelbe durch den Wiener5§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.Frieden vom 30. Oktob. 1864 Art. 3 auf alle ſeine Rechte auf die Herzogthümer Schleswig, Holſtein und Lauenburg zu Gunſten des Königs von Preußen und des Kaiſers von Oeſterreich ver - zichtete, en s’engageant à reconnaître les dispositions, quel Leurs dites Majestés prendront à l’égard de ces duchés.
Dadurch ſind allerdings die Herzogthümer Holſtein und Lauen - burg aus dem deutſchen Bund nicht ausgeſchieden; die Wahrung ihrer Rechte war aber fortan in die Hände der Souveräne von Preußen und Oeſterreich, und nachdem Oeſterreich ſeine Rechte auf Lauenburg durch die Gaſteiner Convention v. 14. Auguſt 1865 Art. IX. und auf Schleswig-Holſtein durch den Nikolsburger Frieden Art. III. an Preußen abgetreten hatte, in die Preußens allein gelegt.
Sodann beantragte in der Sitzung vom 19. Mai 1866 der König der Niederlande die Entlaſſung des Herzogthums Limburg aus dem deutſchen Bunde1)Staatsarchiv XI. Nro. 2227.; der Antrag kam aber nicht mehr zur ordnungsmäßigen Erledigung.
Nachdem Preußen am 14. Juni 1866 ſeinen Austritt aus dem deutſchen Bunde erklärt hatte, folgten ſeinem Beiſpiele2)Wir entnehmen dieſe chronologiſche Zuſammenſtellung Schulze’s Ein - leitung in das deutſche Staatsrecht. (Neue Ausg. 1867). S. 399 Note 3, dem auch Thudichum, Verfaſſungsr. des Nordd. Bundes S. 3 folgt.:
Oeſterreich erkennt im Art. II. des Präliminarfriedens - vertrages von Nikolsburg v. 26. Juli 18663)Staatsarch. XI. 2364. Hahn S. 188. Glaſer S. 32. „ die Auflöſung des bisherigen deutſchen Bundes an und6§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.gibt ſeine Zuſtimmung zu einer neuen Geſtaltung Deutſch - lands ohne Betheiligung des Oeſterreichiſchen Kaiſerſtaates. “
Die Beſtimmungen des Nikolsburger Friedens wurden aner - kannt und der Beitritt zu denſelben, ſoweit ſie die Zukunft Deutſch - lands betreffen, erklärt von
Das Königreich Hannover, das Kurfürſtenthum Heſſen, das Herzogthum Naſſau und die freie Stadt Frankfurt hatten durch den Krieg ihre Exiſtenz als Staaten verloren und waren ebenſo wie die Elbherzogthümer mit dem Preußiſchen Staate vereinigt worden.
Luxemburg und Limburg hielten ſich von der Theilnahme an den Bundestags-Verhandlungen ſeit der Austrittserklärung Preu - ßens fern und erkannten die Auflöſung des deutſchen Bundes und die neue politiſche Geſtaltung Deutſchlands im Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 ausdrücklich an8)Schon die Rede des Prinzen-Statthalters Heinrich bei Eröffnung der Luxemburger Ständeverſammlung v. 29. Oktober 1866 ſprach die Anerkennung der Auflöſung des deutſchen Bundes aus. Sie iſt auszugsweiſe abgedruckt im Staatsarchiv XII. 2449..
Von allen Mitgliedern des ehemaligen deutſchen Bundes mit alleiniger Ausnahme Liechtenſtein’s liegt demnach, ſoweit ſie ihre ſtaatliche Exiſtenz bewahrt haben, das ausdrückliche, in bindender völkerrechtlicher Form abgegebene Einverſtändniß mit der Auf - löſung des deutſchen Bundes vor9)Eine ernſthafte Unterſuchung, ob Liechtenſtein der Auflöſung des deutſchen Bundes ein Veto entgegenzuſetzen berechtigt geweſen wäre, verbietet.
7§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.Aber nicht nur einzeln haben alle deutſche Staaten dieſe Anerkennung abgegeben, ſondern auch der Bundestag ſelbſt, der freilich ſeit dem Ausbruch der Feindſeligkeiten immer mehr einge - ſchrumpft war, ſich aber immer noch als das verfaſſungsmäßige Organ des Bundes anſah, faßte in ſeiner letzten Sitzung am 24. Auguſt 1866 zu Augsburg den Beſchluß: „ nachdem in Folge der Kriegsereigniſſe und Friedensverhand - lungen der deutſche Bund als aufgelöſt betrachtet werden muß, ſeine Thätigkeit mit der heutigen Sitzung zu beendigen, auch hiervon die bei ihm beglaubigten Vertreter auswärtiger Regierungen zu benachrichtigen. “
Der deutſche Bund war entſtanden nicht durch die völlig freie Entſchließung ſeiner Mitglieder, ſondern unter der Mitwirkung der beim Wiener Friedenscongreß vertretenen Europäiſchen Mächte. Er war ein Theil der allgemeinen politiſchen Geſtaltung Europa’s, die unter gegenſeitiger Zuſtimmung der Großmächte geſchaffen worden war; die Bundesacte bildet einen Beſtandtheil der Wiener Congreßacte von 18151)Die erſten elf Artikel wurden ſogar der Congreßakte ſelbſt einverleibt, außerdem wurde die Bundesacte in ihrem vollſtändigen Umfange als Beilage für einen Beſtandtheil der Wiener Congreßakte erklärt..
Die Europäiſchen Großmächte hatten daher an der ſtaatlichen Neubildung Deutſchlands nicht nur das politiſche Intereſſe, welches alle Kulturſtaaten der Welt daran nahmen, ſondern es konnte aus völkerrechtlichen Gründen ihre beſondere Zuſtimmung zur Auf - löſung des — unter ihrer Mitwirkung begründeten — deutſchen Bundes erforderlich erſcheinen. Auch dieſem Erforderniß iſt Ge - nüge geſchehen durch den internationalen Londoner Vertrag v. 11. Mai 18672)Hahn, S. 586. Glaſer, Arch. I. 4. S. 125 ff., welcher die Neutralität Luxemburgs unter die Collectivgarantie der Europäiſchen Großmächte mit Einſchluß Italiens ſtellte, indem der Art. 6 dieſes Vertrages ausdrücklich auf die Auflöſung des deutſchen Bundes Bezug nimmt.
9)ſich von ſelbſt, da die Exiſtenz eines ſouverainen Gemeinweſens wie Liech - tenſtein eine Ironie des Staatsbegriffes iſt. Für das juriſtiſche Gewiſſen aber, welches für die Auflöſung des deutſchen Bundes Einſtimmigkeit erfordert, mag es genügen, daß Liechtenſtein gegen die Auflöſung des Bundesverhält - niſſes keinen Widerſpruch erhoben, ſich thatſächlich gefügt und in concludenter Weiſe ſeine Einwilligung ſtillſchweigend erklärt hat.
8§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.Der deutſche Bund war kein ſtaatliches Gemeinweſen, ſondern ein Gebilde des Völkerrechts; er ſtand in rechtlicher Beziehung lediglich unter völkerrechtlichen Regeln. Auch ſeine Auflöſung iſt ausſchließlich nach völkerrechtlichen Grundſätzen zu beurtheilen. Für Zweifel, wie ſie die Beendigungsweiſe des alten deutſchen Reiches in Be - treff der rechtlichen Würdigung des Vorganges hervorrief1)Vgl. H. Schulze, Einleitung S. 281 Note 10., bietet die Auflöſung des deutſchen Bundes keinen Raum. Mag man politiſch über die Ereigniſſe des Jahres 1866 denken wie man wolle, mag man die Auflöſung des alten völkerrechtlichen Staaten - verbandes vielleicht beklagen: für die rechtliche Beurtheilung kommt nur die Thatſache in Betracht, daß die Auflöſung des Bundes - verhältniſſes unter dem einſtimmigen Conſens aller Staaten erfolgt iſt, welche einen Rechtsanſpruch auf deſſen Fortbeſtand hätten gel - tend machen können.
Es ergiebt ſich zugleich noch ein anderes Reſultat. Man kann die Auflöſung des deutſchen Bundes auch hinſichtlich ihrer recht - lichen Wirkungen nicht mit der des alten deutſchen Reiches auf gleiche Linie ſtellen2)So namentlich Zachariä in der angef. Vorrede S. IV. u. Schulze a. a. O. S. 403. Im Weſentlichen auch v. Rönne Reichsverfaſſung S. 27. u. Preuß. Staatsr. I. 2 S. 740 (3. Aufl.).. Das Reich hatte ſtaatliche Rechte, war überhaupt ein ſtaatliches, formell mit ſouveräner Gewalt ausge - ſtattetes Subject. In ſeine Rechte konnte daher eine Succeſſion ſtattfinden und zwar ſuccedirte in der That jeder Staatsſouverän für ſein Gebiet in diejenigen Hoheitsrechte, welche das Reich bis zu ſeiner Auflöſung hatte. Das Reich konnte ferner Geſetze geben, welche wegen ihres Urſprungs formell gemeinrechtliche Kraft und Geltung hatten und welche trotz der Auflöſung des Reiches dieſe Bedeutung behielten, bis ſie durch die ſouverain gewordene Landes - ſtaatsgewalt beſeitigt wurden. Der deutſche Bund war ein völker - rechtliches Verhältniß. Mit ſeiner Auflöſung war daſſelbe nach allen Seiten hin beendet; es wurde freilich nicht „ rückwärts “an - nullirt, aber für die Zukunft vollſtändig beſeitigt; es giebt weder eine Succeſſion in Bundesrechte, noch eine Fortwirkung von Bundesbeſchlüſſen, ſoweit nicht erworbene Rechte durch die - ſelben zu Zeiten des Bundes ſchon begründet waren. Der Bund9§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.hatte keinerlei geſetzgebende Gewalt. Weder die Bundesacte noch die Wiener Schlußacte ſind Geſetze, trotzdem ſie Grundgeſetze des deutſchen Bundes hießen; kein Bundesbeſchluß war ein Geſetz, ſelbſt wenn er Bundesgeſetz genannt wurde, ſondern nur eine Ver - einbarung über die von den einzelnen Staaten zu erlaſſenden Ge - ſetze oder über das völkerrechtliche Bundesverhältniß der Einzel - ſtaaten ſelbſt. Der Mißbrauch, der mit dem Worte „ Bundesrecht “getrieben wurde, iſt allerdings weit verbreitet geweſen; für die juriſtiſche Betrachtung iſt aber nicht der Klang des Wortes, ſondern die rechtliche Natur der Sache maaßgebend. Ein, von dem Landes - recht der einzelnen Staaten verſchiedenes Bundesrecht, das einen anderen Inhalt als die vertragsmäßige Normirung des Bundesverhältniſſes und deren Ausführung im Einzelnen hatte, gab es nicht. Alles, ſelbſt durch Bundesbeſchlüſſe provozirte und in allen deutſchen Staaten gleichmäßig geltende Recht war ohne Ausnahme nicht Bundesrecht ſondern Landesrecht1)Thudichum S. 6.. Dieſes Recht iſt daher auch durch die Auflöſung des deutſchen Bundes nicht beſeitigt worden, eben weil es kein Bundesrecht war. Da - gegen iſt alles Bundesrecht, d. h. der Inbegriff aller vertrags - mäßigen und ſtatutariſchen Beſtimmungen über den völkerrechtlichen Verein, welcher unter den deutſchen Staaten mit der Bezeichnung deutſcher Bund beſtanden hat, mit der Auflöſung dieſes Vereins gegenſtandslos geworden und vollſtändig und in allen Beziehungen in Wegfall gekommen.
Die Vorgeſchichte des Norddeutſchen Bundes reicht in die Zeiten des ehemaligen deutſchen Bundes hinauf. Schon im Jahre 1863 erklärte Fürſt Bismarck bei Erörterung des Oeſterreichiſchen Reformprojects in einer Denkſchrift des Staatsminiſte - riums vom 15. September 18632)Auszugsweiſe auch bei Hahn S. 60. Anm. für die wichtigſte und weſentlichſte Reform der Bundesverfaſſung, die Einfügung einer National-Vertretung, welche berufen ſei, „ die Sonderintereſſen der einzelnen Staaten im Intereſſe der Geſammt - heit Deutſchlands zur Einheit zu vermitteln “, und er verlangte10§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.im Gegenſatz zu der von Oeſterreich unter dem Beifall der Mittel - ſtaaten in Vorſchlag gebrachten Delegirten-Verſammlung: „ eine Verſammlung, die aus dem ganzen Deutſchland nach dem Maß - ſtabe der Bevölkerung durch direkte Wahlen hervorgeht “1)Vergl. die Darſtellung des öſterreich. Reformprojekts und ſeines Schick - ſals bei Schulze Einleitung S. 337 ff. und ebendaſelbſt (2. Ausg.) S. 406 ff. die Erörterung über „ die deutſche Politik des Grafen Bismarck 1862 — 1866. “. Eine weitere Verfolgung dieſes politiſchen Programmes war durch die Geſtaltung, welche die ſchleswig-holſteiniſche Angelegenheit durch den am 15. November 1863 erfolgten Tod des Königs Friedrich VII. von Dänemark erhielt, namentlich durch das Zuſammengehen der beiden deutſchen Großmächte und durch den gemeinſamen Gegen - ſatz, in welchem ſie ſich zur Mehrzahl der deutſchen Mittel - und Kleinſtaaten befanden, zunächſt unthunlich. Als aber der Conflict zwiſchen Preußen und Oeſterreich im Jahre 1866 drohender wurde, ſtellte Fürſt Bismarck die Bundesreform wieder in den Vorder - grund. Und mit Recht. Nicht um einen Länderzuwachs zum Preußiſchen Staatsgebiet, und ſei er auch von ſolcher Wichtigkeit wie die Elbherzogthümer, ſollte der gewaltige und gefährliche Kampf unter den deutſchen Großmächten und der Krieg gegen die mit Oeſterreich verbündeten deutſchen Bruderſtämme gewagt werden. Wurde er glücklich zu Ende geführt, ſo mußte der auf Deutſch - land laſtende Dualismus der beiden Großmächte, die Zerſplitterung der Nation in ſtaatlich mit einander nicht verbundene Parcellen, die darauf beruhende politiſche Ohnmacht nach Außen und Zer - fahrenheit im Innern beſeitigt werden. Darin liegt die hiſtoriſch - politiſche, die ſittliche Berechtigung des Krieges von 1866, daß er nicht im Sonderintereſſe Preußens, ſondern in dem Geſammtin - tereſſe Deutſchlands geführt wurde und daß von Anfang an nicht die Vergrößerung Preußens, ſondern die Erlöſung Deutſchlands von dem politiſchen Elend, welches die Verträge von 1815 über daſſelbe gebracht haben, das hohe Ziel des Kampfes war2)Es mag hier daran erinnert werden, daß Fürſt Bismarck in der Sitzung des Preuß. Abg. -Hauſes vom 13. Juni ausdrücklich erklärte, daß die Idee der Annexion der Elbherzogth. hervorgerufen werde, „ durch die Weigerung, Preußen billige, ja im Intereſſe Deutſchlands ſogar ganz nothwendige Zugeſtändniſſe zu machen “und daß Preußen noch am 14. Juni 1866 den deutſchen Staaten, welche ſich mit ihm zur Herſtellung einer deutſchen Verfaſſung ver -.
11§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.Am 14. März 1866 berührte das offizielle Organ der Preu - ßiſchen Regierung, die Provinzial-Correſpondenz, die Nothwendig - keit, bei der Entſcheidung der ſchleswig-holſteiniſchen Angelegenheit auch die Reform der Bundesverhältniſſe in Frage zu ziehen; ſie erinnerte an die in der Denkſchrift vom 15. September 1863 vom Preußiſchen Staatsminiſterium dargelegten Grundſätze und erklärte: „ die Preußiſche Regierung würde, falls jetzt die Nothwendigkeit hervorträte, die Umbildung der Bundesverhältniſſe wieder ins Auge zu faſſen, vermuthlich an ihre Vorſchläge in der erwähnten Denk - ſchrift wieder anknüpfen “1)Hahn S. 37..
Bald darauf, am 24. März 1866, richtete Fürſt Bismark an die Vertreter Preußens bei den deutſchen[Regierungen] eine Cir - cular-Depeſche2)Hahn S. 43 ff., welche eine ſcharfe Kritik der Bundesverhältniſſe enthält und die Nothwendigkeit einer Bundesreform den deutſchen Regierungen dringend ans Herz legt3)Bemerkenswerth iſt folgende Stelle: „ Wenn wir Deutſchlands nicht ſicher ſind, iſt unſere Stellung gerade wegen unſerer geographiſchen Lage gefährdeter, als die der meiſten andern europäiſchen Staaten; das Schickſal Preußens aber wird das Schickſal Deutſchlands nach ſich ziehen, und wir zweifeln nicht, daß, wenn Preußens Kraft einmal gebrochen wäre, Deutſchland an der Politik der europäiſchen Nationen nur noch paſſiv betheiligt bleiben würde. .... Wenn der deutſche Bund in ſeiner jetzigen Geſtalt und mit ſeinen jetzigen politiſchen und militäriſchen Einrichtungen den großen, europäiſchen Kriſen, die aus mehr als einer Urſache jeden Augenblick auftauchen können, entgegen gehen ſoll, ſo iſt nur zu ſehr zu befürchten, daß er ſeiner Aufgabe erliegen und Deutſch - land vor dem Schickſale Polens nicht ſchützen werde. “.
Am 9. April 1866 ſtellte Preußen am Bundestage den An - trag auf eine Reform des deutſchen Bundes4)Hahn S. 60 — 65.. In der Erklärung des Preußiſchen Bundestags-Geſandten wird die Nothwendigkeit einer Umgeſtaltung der Bundesverfaſſung nachgewieſen, namentlich aber darauf der größte Nachdruck gelegt, daß weder die einſeitigen Verhandlungen unter den Regierungen, noch die Debatten und Beſchlüſſe einer gewählten Verſammlung allein im Stande wären, eine Neugeſtaltung des nationalen Verfaſſungswerkes zu ſchaffen,2)einigen würden, die Integrität ihres Gebietes gewährleiſtete. Vgl. Hahn S. 128 ff. Staatsarch. XI. Nr. 2322 und 2324. (An Hannover, Sachſen und Kurheſſen gerichtete, ſogenannte Sommationen.)12§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.daß vielmehr nur durch ein Zuſammenwirken beider Factoren das Ziel erreicht werden könne. Für die zu wählende Verſammlung ſchlug Preußen das allgemeine Stimmrecht und directe Wahlen vor und demgemäß ging der Antrag dahin:
Hohe Bundesverſammlung wolle beſchließen: „ eine aus directen Wahlen und allgemeinem Stimm - „ recht der ganzen Nation hervorgehende Verſammlung für „ einen noch näher zu beſtimmenden Tag einzuberufen, um „ die Vorlagen der deutſchen Regierungen über eine Reform „ der Bundesverfaſſung entgegenzunehmen und zu berathen; „ in der Zwiſchenzeit aber, bis zum Zuſammentritt derſelben, „ durch Verſtändigung der Regierungen unter einander dieſe „ Vorlage feſtzuſtellen. “
Die Bundes-Verſammlung verwies den Antrag an eine Com - miſſion von 9 Mitgliedern, die am 26. April gewählt wurde; ſchon am 27. April erließ Fürſt Bismarck eine neue Circular-Depeſche an die Preuß. Vertreter bei den deutſchen Regierungen1)bei Hahn S. 67., in welcher er nochmals betonte, daß die Beſtimmung des Termins der Parla - ments-Eröffnung vor Beginn der Regierungsverhandlungen über die Reformvorlagen der Kern des Antrages vom 9. April ſei. „ Mit der Ablehnung dieſer Frage wäre die ernſtliche Behand - lung der Bundesreform überhaupt thatſächlich abgelehnt. “
Als die Bundesreform-Commiſſion ihre Berathungen am 11. Mai 1866 begann, ſkizzirte der Preußiſche Geſandte die Reform - Pläne ſeiner Regierung näher, indem er 8 Punkte formulirte2)Hahn S. 69.. Sie betrafen die Einführung einer periodiſch einzuberufenden National - vertretung in den Bundesorganismus mit der Wirkung, daß die bisher erforderliche Stimmeneinheit der Bundesglieder durch Beſchluß - faſſung der Nationalvertretung auf ſpeciell bezeichneten Gebieten der künftigen Bundesgeſetzgebung erſetzt werden ſolle (Nro. a); ferner die Feſtſtellung der Kompetenz (Nro. b — e); endlich Organi - ſation des Konſulatweſens, Gründung einer deutſchen Kriegsmarine und Reviſion der Bundeskriegsverfaſſung (Nro. f — h). Dieſe Preußiſchen Vorſchläge ſind darum von höchſter Bedeutung, weil ſie die Grundlinien der ſpäteren Verfaſſung enthalten und gewiſſer -13§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.maſſen die rechtsgeſchichtliche Brücke zwiſchen der alten Bundes - Verfaſſung und der neuen Bundesſtaats-Verfaſſung bilden. Es war zum erſten Male, daß die Umriſſe des neu zu ſchaffenden Bau’s deutlich entgegen traten.
Es war zugleich zum letzten Male, daß eine Bundes - reform angeſtrebt wurde. Zwiſchen den Preußiſchen Vorſchlägen vom 11. Mai 1866 und den alsbald zu erwähnenden vom 10. Juni 1866 liegt eine ſtaatsrechtlich überaus bedeutſame Kluft. Die erſteren haben die Fortdauer des Bundes, die letzteren ſeine Auflöſung zur Vorausſetzung; wären die Reform-Vorſchläge vom 11. Mai von Erfolg geweſen, ſo beſtünde zwiſchen dem alten Bunde und dem heutigen Verfaſſungszuſtande rechtliche Con - tinuität; die Ereigniſſe vom 14. Juni 1866 haben dieſelbe zer - ſtört; der Bund wurde vernichtet, nicht reformirt; und es mußte erſt wieder die Grundlage zu einem ſtaatsrechtlichen Neubau ge - ſchaffen werden.
Unmittelbar vor der Kataſtrophe, am 10. Juni 1866 richtete Fürſt Bismarck an die deutſchen Regierungen eine Circular-Depeſche1)Hahn S. 123., in welcher er ihnen „ Grundzüge zu einer neuen Bundes - verfaſſung “zur Erwägung mittheilte und ſie erſuchte, ſich zu - gleich über die Frage ſchlüſſig machen zu wollen, „ ob ſie eventuell, wenn in der Zwiſchenzeit bei der drohenden Kriegsgefahr die bisherigen Bun - desverhältniſſe ſich löſen ſollten, einem auf der Baſis dieſer Modifikationen des alten Bundesvertrages neu zu errichtenden Bunde beizutreten geneigt ſein würden. “
Die „ Grundzüge “2)Hahn S. 121. Glaſer I. 1. S. 29. gehen davon aus, daß das Bundesgebiet aus denjenigen Staaten beſteht, welche bisher dem Bunde an - gehört haben, mit Ausnahme der öſterreichiſchen und niederländi - ſchen Landestheile (Art I). Es ſollten demnach die nicht zum ehe - maligen Bunde gehörenden Landestheile Preußens und Schleswig eingeſchloſſen werden, Oeſterreich und die niederländiſchen Landes - theile3)d. h. Limburg; denn Luxemburg ſteht mit Holland nur in Perſonal - ausſcheiden. Die Beziehungen des Bundes zu den deutſchen14§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.Landestheilen des öſterreichiſchen Kaiſerſtaates ſollten durch beſondere Verträge geregelt werden (Art. X). Der Machtſtellung Bayerns ſollte dadurch Rechnung getragen werden, daß die Land - macht des Bundes in 2 Bundesheere, die Nordarmee und die Süd - armee eingetheilt und in Krieg und Frieden der König von Preußen Bundes-Oberfeldherr der Nordarmee, der König von Bayern Bundes-Oberfeldherr der Südarmee ſein ſollte (Art. IX). Im Uebrigen ſtimmen die Grundzüge nicht nur ſachlich, ſondern zum Theil ſelbſt hinſichtlich des Ausdrucks ſo ſehr mit der ſpäteren Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes überein, daß man ſie mit Recht als den erſten Entwurf der Norddeutſchen Bundesverfaſſung be - zeichnen kann.
Der in der Note vom 10. Juni vorhergeſehene Fall trat ſehr bald ein. Der Bundesbeſchluß vom 14. Juni 1866 bewirkte die Sprengung des Bundesverhältniſſes. Der Preußiſche Bundestags - Geſandte verband mit der Austritts-Erklärung Preußens aus dem Bunde ſogleich die Aufforderung, eine neue „ Form für die Einheit der deutſchen Nation “zu vereinbaren und erklärte die Bereitwil - ligkeit der Preußiſchen Regierung „ einen neuen Bund mit denjenigen deutſchen Regierungen zu ſchließen, welche ihr dazu die Hand reichen wollen “1)Hahn S. 126. Vgl. die Preuß. Proclamation „ An das deutſche Volk “vom 16. Juni 1866. (Hahn S. 134.).
Die Verwirklichung dieſes Planes wurde durch den raſchen und glücklichen Verlauf des Krieges in unerwarteter Weiſe ge - fördert, zugleich aber in Beziehung auf die ſüddeutſchen Staaten näher präciſirt. Die weſentliche Vorausſetzung des neuen Bundes, der Ausſchluß Oeſterreichs, gleichzeitig aber die Unter - ſcheidung zwiſchen den nördlich vom Main gelegenen und den ſüd - lichen Staaten Deutſchlands wurde Oeſterreich gegenüber völker - rechtlich feſtgeſtellt durch Art. II. des Präliminar-Friedens von Nicolsburg vom 26. Juli 1866, mit welchem Art. IV. des Prager Friedensvertrages vom 23. Auguſt 1866 abgeſehen von einem Zu -3)Union, iſt alſo kein niederländiſcher Landestheil. Daß die Abſicht Preußens nur auf den Austritt Limburgs gerichtet war, ergiebt ſich auch aus der, dem Art. I. beigefügten Parentheſe: „ Für dieſe iſt der Austritt aus dem Bunde ſchon vor Kurzem beantragt worden “, was ſich nur auf Limburg beziehen konnte. Siehe oben S. 5.15§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.ſatz am Schluß wörtlich gleichlautend iſt1)Die Provinzial-Correſpondenz vom 5. Sept. 1866 ſagt: „ Mit Recht erkennen erleuchtete deutſche Patrioten vom national-deutſchen, wie vom Preußiſchen Standpunkte in dem Artikel des Friedensvertrages, durch welchen eine neue Geſtaltung Deutſchlands ohne Betheiligung des öſterreichiſchen Kaiſer - ſtaates anerkannt iſt, die höchſte Errungenſchaft, den edelſten Siegespreis der Preußiſchen Waffen. “ Vergl. Herm. Schulze, die Friedensbeſtimmungen in ihrem Verhältniß zur Neugeſtaltung Deutſchlands. Breslau 1866.. Dieſer Artikel enthält vier Sätze. Er lautet:
Der Prager Friedensvertrag ſetzt hinzu: und der eine internationale unabhängige Exiſtenz haben wird.
Begriff und Name des Norddeutſchen Bundes erſcheint in offiziellen Aktenſtücken zum erſten Male im Nikolsburger Präli - minar-Vertrag.
Sämmtliche mit Preußen im Kriege befindlich geweſene Staaten traten in den mit ihnen feſtgeſtellten Friedensverträgen dieſen Be - ſtimmungen bei. (Siehe oben S. 6).
Damit war zunächſt nur die negative Vorausſetzung für16§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.die Errichtung des Norddeutſchen Bundes, die Beſeitigung des Widerſpruchs der Mitglieder des ehemaligen deutſchen Bundes, gegeben. Die poſitive Schöpfung erfolgte durch folgende That - ſachen:
Am 16. Juni 1866, ſogleich nach dem Austritte Preußens aus dem Bunde, wurde von Preußen mittelſt identiſcher Noten ſämmtlichen norddeutſchen Staaten mit Ausnahme von Hannover, Sachſen, Kurheſſen, Heſſen-Darmſtadt und Luxemburg der Vor - ſchlag zu einem Bündniß gemacht, welches nur von Sachſen - Meiningen und Reuß ältere Linie abgelehnt, von allen übrigen angenommen wurde. Nach einem mit dieſen Staaten ſtattgehabten Schriftenwechſel wurde durch eine Preußiſche Circular-Depeſche vom 4. Auguſt1)Hahn S. 462. der Entwurf eines Bündniß-Vertrages vorgelegt und am 18. Auguſt 1866 zu Berlin ein Bündniß-Vertrag definitiv abgeſchloſſen2)Hahn S. 463. Glaſer I, 1. S. 78..
Die urſprünglichen Contrahenten dieſes Vertrages waren Preußen, Sachſen-Weimar, Oldenburg, Braunſchweig, Sachſen - Altenburg, Sachſen-Coburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Sonders - hauſen, Schwarzburg-Rudolſtadt, Waldeck, Reuß j. L., Schaum - burg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen, Hamburg.
Dieſen 16 Staaten geſellten ſich ſofort am 21. Auguſt die beiden Mecklenburg hinzu, unter dem Vorbehalte der ſtändiſchen Genehmigung3)Hahn S. 464. Glaſer S. 79.. Reuß ältere Linie trat durch den Friedensver - trag vom 26. September Art. 1.4)Staatsarchiv XI. 2430. Glaſer S. 72., Sachſen-Meiningen durch den Friedensvertrag vom 8. October Art. 1.5)Staatsarch. XI. 2432. Glaſer S. 70., Königreich Sachſen durch den Friedensvertrag vom 21. Oktober Art. 26)Staatsarch. XI. 2434. Glaſer S. 52. dem Bünd - nißvertrage bei.
Heſſen-Darmſtadt endlich übernahm in dem Frieden vom 3. September 18667)Staatsarch. XI. 2375. Glaſer S. 61. Art. 14. Abſ. 2 die Verpflichtung, „ mit ſeinen ſämmtlichen nördlich des Mains liegenden Gebietstheilen auf der Baſis der in den Reformvorſchlägen vom 10. Juni 186617§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.aufgeſtellten Grundſätze in den Norddeutſchen Bund einzu - treten. “
Dieſer Bündniß-Vertrag vom 18. Auguſt 1866 bildet die völkerrechtliche Grundlage für die Errichtung des Norddeutſchen Bundes und ſein Verhältniß zu der nachmaligen Bundesverfaſſung iſt für die geſammte ſtaatsrechtliche Auffaſſung des Norddeutſchen Bundes und des deutſchen Reiches von ſo großer Wichtigkeit, daß ein näheres Eingehen auf ſeinen Inhalt uner - läßlich iſt.
Der Vertrag vom 18. Auguſt 1866 ſteht im ſchärfſten Gegen - ſatz zu dem Bundesvertrage von 1815. Der letztere ſchuf eine politiſche Organiſation Deutſchlands, ſein Inhalt war demgemäß auf die Dauer berechnet; der Bund war ein „ beſtändiger “d. h. ein unauflöslicher, von dem ſich kein Mitglied losſagen durfte, für den kein vorausbeſtimmter Endtermin fixirt war; ſein Zweck zwar nach Art. 2 und 6 der Bundes-Acte ein für alle Zeiten realiſir - barer1)Art. 2. „ Der Zweck des Bundes iſt Erhaltung der äußeren und in - neren Sicherheit Deutſchlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutſchen Staaten. “ Art. 6 erwähnt „ gemeinnützige Anordnungen. “; die Bundesacte enthielt die Verfaſſung des Bundes, ſoweit man den Ausdruck Verfaſſung von einem vertragsmäßigen Rechts - verhältniß gebrauchen darf.
Das Bündniß vom 18. Auguſt 1866 iſt in allen dieſen Be - ziehungen verſchieden. Die Dauer des Bündniſſes iſt durch Art. 6 auf ein Jahr feſtgeſetzt; mit Ablauf dieſes Zeitraumes erloſch der Vertrag von ſelbſt, falls er nicht ſchon vorher durch Gründung eines dauernden Bundesverhältniſſes erledigt wurde2)Vgl. die Rede des Fürſten Bismarck in der Reichstags-Sitzung vom 4. März 1867. (Sten. Ber. S. 41.).
Die Pflichten, welche die Contrahenten gegen einander über - nahmen, laſſen ſich auf zwei Punkte zurückführen.
1) Sie ſchloſſen ein Offenſiv - und Defenſiv-Bündniß zur Er - haltung der Unabhängigkeit und Integrität, ſowie der inneren und äußeren Sicherheit ihrer Staaten (Art. 1) und ſtellten ihre Truppen unter den Oberbefehl des Königs von Preußen, mit dem Vorbehalt, daß die Leiſtungen während des Kriegs durch beſondere Verabredungen geregelt werden (Art. 4).
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 218§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.2) Sie verpflichteten ſich, die Zwecke des Bündniſſes definitiv durch eine Bundesverfaſſung ſicher zu ſtellen (Art. 2) und verein - barten in dieſer Beziehung vier Sätze:
Außerdem enthielt der Vertrag nur noch die Beſtimmung, daß alle unter den Verbündeten beſtehenden Verträge und Ueber - einkünfte in Kraft bleiben, ſoweit ſie nicht durch dieſes Bündniß ſelbſt ausdrücklich modificirt werden (Art. 3).
Außer der für ein Jahr geſchloſſenen Offenſiv - und Defenſiv - Allianz verpflichten ſich demnach die Contrahenten zu einer ein - maligen Leiſtung, zu einer, ihrer Natur nach nicht wiederkehren könnenden Handlung, nämlich zur Herſtellung einer Bundes - Verfaſſung. Sie gründen nicht einen Bund, ſondern ſie verpflichten ſich, einen Bund zu gründen; ſie vereinbaren nicht eine Verfaſſung, ſondern ſie vereinbaren einen Modus behufs Feſtſtellung einer Ver - faſſung1)Hänel Studien zum deutſchen Staatsrechte. Leipzig 1873. I. S. 69 fg..
Der Art. 10 der Bundes-Acte behielt der Bundesverſammlung die Abfaſſung der Grundgeſetze des Bundes und deſſen organiſche Einrichtung vor oder — nach dem Wortlaute der Wiener Schluß - acte vom 15. Mai 1820 — die deutſchen Staaten übernahmen die Verpflichtung, den Beſtimmungen der Bundesakte „ eine zweck - mäßige Entwickelung “und „ mithin dem Bundesverein ſelbſt die erforderliche Vollendung zu ſichern “. Der Art. 6 des Bündniß -19§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.Vertrages vom 18. Auguſt 1866 ſetzt die Dauer des Bünd - niſſes bis zum Abſchluß des neuen Bundes-Verhält - niſſes feſt. Dieſer Abſchluß iſt nicht die Prolongation, nicht die Entwicklung und Vollendung, ſondern die Beendigung des Auguſt-Bündniſſes und zwar die Beendigung durch Erfüllung. Der Norddeutſche Bund iſt nicht am 18. Auguſt 1866 gegründet worden; Sachſen-Meiningen, Reuß. ä. L. und Königreich Sachſen treten in den mit ihnen abgeſchloſſenen Friedensverträgen nicht dem Norddeutſchen Bunde, ſondern dem Bündniß-Vertrage vom 18. Auguſt 1866 bei, und ebenſo verpflichtet ſich Heſſen-Darmſtadt nicht, mit ſeinen nördlich des Mains gelegenen Gebietstheilen in den ſchon beſtehenden Norddeutſchen Bund, ſondern in den zu gründenden einzutreten.
Der Bündniß-Vertrag vom 18. Auguſt 1866 und die ihn er - weiternden Friedensverträge begründen gegenſeitige völkerrecht - liche Pflichten und Rechte. Kam die Herſtellung des Bundes nach Maßgabe der in dem Auguſtbündniß vereinbarten Modalitäten zu Stande, ſo durfte keiner der Contrahenten von dieſem Bunde ſich fern halten, keiner von demſelben ausgeſchloſſen werden. Die Pflicht und das Recht der Antheilnahme ſowohl an den zur Her - ſtellung des Bundes in Ausſicht genommenen Verhandlungen als auch an dem Bunde ſelbſt waren für alle Contrahenten des Ver - trages wechſelſeitig feſtgeſtellt.
Das Auguſt-Bündniß iſt die alleinige völkerrechtliche Baſis für die Errichtung des Bundes, in keiner Hinſicht dagegen die ſtaatsrechtliche Grundlage des Norddeutſchen Bundes ſelbſt.
Die Feſtſtellung dieſer Thatſache iſt von größter Bedeutung, weil ihre Verdunkelung zur Rechtfertigung einer völlig haltloſen Theorie über die rechtliche Natur des Norddeutſchen Bundes und des deutſchen Reiches verwerthet worden iſt.
Die contrahirenden Regierungen begannen mit der Erfüllung der ihnen obliegenden Verpflichtung, indem ſie ihren Landtagen ein Wahlgeſetz für den Reichstag vorlegten, welches ſich ſo eng als möglich an das Wahlgeſetz von 1849 anlehnte. Gleich an - fangs ſtieß aber das Werk der Conſtituirung des Bundes auf eine ſehr ernſtliche Schwierigkeit an einer Stelle, wo man ſie kaum er - wartet hätte. Das Preußiſche Abgeordnetenhaus wollte das gemeinſame Parlament nicht mit der Befugniß ausſtatten, die2*20§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.Verfaſſung mit den Regierungen zu vereinbaren, ſondern nur ſie zu berathen; die Majorität deſſelben konnte „ die Neigung, partikulariſtiſche Rechte dem geſammten Gemeinweſen gegenüber zu verklauſuliren “1)Vgl. die Rede des Fürſten Bismarck in der Sitzung des Preuß. Abg. - Hauſes vom 12. September 1866., nicht unterdrücken; es ſollte die zwiſchen dem Parlament Norddeutſchlands und den norddeutſchen Regierungen zu vereinbarende Verfaſſung noch einer Superreviſion und Ge - nehmigung durch den Preußiſchen Landtag und mithin, da das gleiche Recht jedem anderen norddeutſchen Staat nicht verſagt werden konnte, durch mehr als 20 landſtändiſche Verſammlungen vorbehalten werden. Durch das Auguſtbündniß waren die Re - gierungen nur verpflichtet, eine mit dem Reichstage verein - barte Bundesverfaſſung anzunehmen; jeder Verſuch eines Einzel - landtages an der Feſtſtellung dieſer Verfaſſung poſitiven Antheil zu nehmen, hätte ſie ihrer vertragsmäßigen Verpflichtung entbun - den. Die Hoffnung auf die Herſtellung des Bundes hing jetzt nicht nur davon ab, daß die Vereinbarung zwiſchen den Regie - rungen und dem Norddeutſchen Reichstage gelingen werde, ſondern daß auch ſämmtliche Landtage der Verſuchung, die vereinbarte Verfaſſung verbeſſern zu wollen, widerſtehen würden. Auch an den Beſtimmungen des Wahlgeſetzes wurde amendirt2)Vgl. den Commiſſionsbericht des Abg. -Hauſes (Berichterſtatter Tweſten) v. 4. Sept. 1866. (auch bei Hahn S. 467 ff.), obwohl die vertragsmäßige Verpflichtung der Regierungen ausdrücklich darauf gerichtet war, die Wahlen auf Grund des Reichs-Wahlge - ſetzes vom 12. April 1849 vornehmen zu laſſen.
Deſſenungeachtet fügte ſich die Regierung und vermochte auch das Herrenhaus der von dem Abgeordneten-Hauſe beliebten Faſ - ſung zuzuſtimmen3)Vgl. die Erklärung des Regierungs-Commiſſars im Herrenhauſe vom 17. September 1866. Auch bei Hahn S. 478.; ſo daß am 15. Oktober 1866 das Wahlgeſetz für Preußen publizirt und kurz darauf in dem Jadegebiet und in den neuerworbenen Landestheilen durch königliche Verordnung ein - geführt werden konnte4)Preuß. Geſetz S. 1866. S. 735. 738. 891. 895.. Auch in allen übrigen Staaten wurde auf verfaſſungsmäßigem Wege das Wahlgeſetz für den Reichstag zu Stande gebracht; in einigen, namentlich in Mecklenburg, dem21§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.vom Preußiſchen Abgeordneten-Hauſe gegebenen Beiſpiele folgend, nicht ohne erhebliche Modifikationen des Reichswahlgeſetzes von 18491)Eine vollſtändige Sammlung aller dieſer Wahlgeſetze und der zu ihrer Ausführung ergangenen Verordnungen und Reglements enthält das 2. Heft des I. Bandes von Glaſer’s Archiv des Nordd. Bundes.; und in der überwiegenden Mehrzahl wurde dem zu wählen - den Reichstage nur die Befugniß zur „ Berathung “der Verfaſſung ertheilt.
Es konnte mithin die eine, der im Art. 5 des Auguſtbünd - niſſes übernommenen Verpflichtungen, die Parlamentswahlen an - zuordnen und das Parlament gemeinſam einzuberufen, von allen Staaten erfüllt werden.
Ebenſo wurde die zweite daſelbſt ſtipulirte Vereinbarung aus - geführt. Bevollmächtigte Vertreter aller verbündeten Staaten traten auf Grund von Einladungsſchreiben, welche die Preußiſche Regierung am 21. November erlaſſen hatte, am 15. Dezember 1866 in Berlin zu Conferenzen zuſammen, um einen Entwurf einer Ver - faſſung zu vereinbaren.
Fürſt Bismarck legte Namens der Preußiſchen Regierung einen Entwurf vor2)Veröffentlicht zuerſt von Hänel in den Studien zum deutſchen Staats - recht (Leipzig 1873) I. S. 270 ff. ; über den Entwurf brachte aber bereits die Pro - vinzial-Correſpondenz vom 19. Dezember 1866 ausführliche Mittheilungen. Vgl. Hahn S. 483 — 485., welcher eine weitere Ausführung der Grund - züge vom 10. Juni 1866 iſt und im Hinblick auf die letzteren als der II. Entwurf der Verfaſſung bezeichnet werden kann. Die Verhandlungen über dieſen Entwurf waren vertrauliche; über die Diskuſſion der einzelnen Artikel und die von den Regierungen geſtellten Amendements ſind Protokolle nicht veröffentlicht worden. Dagegen ſind die Reſultate der Berathungen in der Form von Protokollen feſtgeſtellt und publizirt worden. Es giebt vier ſolcher Protokolle.
Das erſte vom 18. Januar 18673)Stenogr. Berichte des verfaſſungber. Reichstags. Anlage Nr. 8. und 10. Hahn S. 486. Glaſer I, 3. S. 1. Staatsarchiv XII. 2725 (S. 353). über die „ erſte förmliche Sitzung “conſtatirt den einſtimmigen Beſchluß der Bevollmächtigten, daß die Krone Preußen dem einzuberufenden Reichstage gegenüber zur einheitlichen Vertretung der verbündeten Regierungen ermächtigt22§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.und zur Ausübung der in Art. 14 und 25 des Entwurfs er - wähnten Rechte (Einberufung, Eröffnung, Vertagung, Schließung, Auflöſung des Reichstages) befugt ſein ſolle.
Bei weitem wichtiger iſt das zweite Protokoll vom 28. Ja - nuar 18671)Stenograph. Berichte des verf. Reichstags. Anlagen S. 19. Hahn S. 487. Glaſer I, 3. S. 6. Staatsarch. XII. S. 357.. Die Sitzung war anberaumt worden, „ um die vertraulich gepflogenen Berathungen zu einem vorläufigen Abſchluß zu bringen. “ Zu dieſem Zwecke hatten die Preußiſchen Bevoll - mächtigten ſich der Aufgabe unterzogen, „ aus den von den übrigen Herren Bevollmächtigten formulirten zahlreichen Amendements diejenigen auszuwählen und zu bearbeiten, welche die Mehrzahl der geäußerten Wünſche befriedigen dürften, ohne den Prin - zipien des Entwurfs entgegenzulaufen. “
Dieſe Arbeit hatte zu einer Umgeſtaltung des Entwurfs vom 15. Dezember 1866 geführt; war zunächſt aber auf den 8. Ab - ſchnitt vom Poſtweſen und den 11. Abſchnitt vom Bundeskriegs - weſen noch nicht erſtreckt worden. Der Preußiſche Bevollmächtigte erklärte zugleich, „ daß die königliche Regierung ſich in Betreff der Abſchnitte, auf welche dieſe Arbeit ſich bezieht, zu ferneren Aende - rungen nicht verſtehen könne. “
Das Protokoll berichtet nun weiter:
„ Nachdem die bezeichneten, von Preußen angenommenen Amen - dements vorgeleſen und discutirt waren, vereinigten die Herren Bevollmächtigten ſich zu der Erklärung: daß ſie die auf dieſe Weiſe amendirten Abſchnitte des Verf. -Entwurfs als vorläufig feſt - geſtellt betrachten und demgemäß deren Vorlegung an den Reichs - tag genehmigen, unter dem Vorbehalte jedoch, daß es den hohen verbündeten Regierungen unbenommen bleibe, wenn das vollſtändige Reſultat der Conferenz vorliegen wird, in ihrer definitiven Er - klärung auf die heute angenommenen Abſchnitte zurückzukommen2)Außerdem gaben beide Mecklenburg noch eine Erklärung ab in Be - ziehung auf die Uebergangs-Beſtimmungen, welche hinſichtlich des Einſchluſſes dieſer Staaten in die Zollgränze u. ſ. w. erforderlich wären.. “
Das dritte Protokoll vom 7. Februar 18673)Stenogr. Berichte Anlagen S. 21. Glaſer I. 3. S. 10. Hahn 488. Staatsarch. XII. S. 358. enthält hinſichtlich der Abſchnitte über das Poſtweſen und das Kriegsweſen23§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.dieſelbe Feſtſtellung wie das 2. Protokoll hinſichtlich der übrigen Theile des Entwurfes; ſo daß das zweite und dritte Protokoll zuſammen den Entwurf, wie er dem Reichstage (mit neuer Numeri - rung der Artikel) vorgelegt werden ſollte, definitiv feſtſtellten1)Vgl. Stenogr. Berichte a. a. O. S. 22.. Dieſer Entwurf iſt demnach der III. Entwurf der Verfaſſung.
Neben dieſen, die Feſtſtellung des Entwurfs enthaltenden Protokollen gibt es noch ein viertes, ebenfalls am 7. Februar 1867 aufgenommenes „ Schlußprotokoll, “welches Erklärungen einzelner Bevollmächtigten enthält2)Stenogr. Berichte a. a. O. S. 23. Glaſer I. 3. S. 15. Hahn 489. Staatsarchiv XII. S. 359.. Die überwiegende Mehr - zahl derſelben betrifft Fragen vorübergehender Bedeutung, welche inzwiſchen längſt erledigt ſind3)Derartige Vorbehalte und Erklärungen gaben ab: Heſſen wegen Kaſtel und Koſtheim, wegen des Waaren-Verkehrs mit Südheſſen, wegen Ver - theilung der Poſtüberſchüſſe, wegen einer Militär-Convention; Mecklenburg wegen einer Entſchädigung für Aufhebung des Elbzolles, wegen des Mecklenb. - Franzöſ. Handelsvertrages, wegen des Fahnen-Eides; Braunſchweig wegen des Dislocationsrechts des Bundesfeldherrn; die meiſten thüringiſchen Staaten wegen der Militairlaſten; die Hanſeſtädte wegen des Averſums, der Bundesflagge und des Conſulatsweſens, der Koſten der Lokal-Poſt-Ein - richtungen., einige andere enthalten politiſche Wünſche, auf deren Durchführung die Staaten im Intereſſe des baldigen Zuſtandekommens der Verfaſſung verzichten4)Beſonders Oldenburg und Sachſen-Coburg-Gotha, welche ein Oberhaus, Bundesminiſterien, Vereinbarung des Militair-Etats ſtatt des Pauſchquantums und ein Bundesgericht wünſchten., einige end - lich beziehen ſich auf die Auslegung einiger Artikel des Entwurfs5)Namentlich über die Bedeutung des Wortes „ Bevölkerung “in Art. 57 (Sachſen und die Hanſeſtädte) und über die Fortdauer der Auſträgalgerichte trotz Art. 68 (Heſſen und Hamburg.). Auch dieſes Protokoll conſtatirt aber, daß ſämmtliche Bevollmächtigte trotz ihrer beſonderen Erklärungen darüber einverſtanden ſeien, „ daß der in amendirter Form definitiv feſtgeſtellte Ver - faſſungs-Entwurf Namens der Geſammtheit der in der Con - ferenz vertretenen Regierungen durch die Krone Preußen dem Reichstage vorgelegt werde. “
Nachdem die allgemeinen Wahlen am 12. Februar 1867 ſtatt - gefunden hatten, berief der König von Preußen in Ausführung24§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.des am 18. Januar gefaßten Beſchluſſes der Bevollmächtigten ſämmtlicher Staaten durch Patent vom 13. Febr. 1867 den Reichs - tag des norddeutſchen Bundes auf Sonntag den 24. Februar 1867 nach Berlin.
In der Thronrede, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde, iſt der Entwurf, welcher Namens der Regierungen dem Reichstag vorgelegt werden ſollte, dahin charakteriſirt, „ daß die verbündeten Regierungen, im Anſchluſſe an gewohnte frühere Verhältniſſe, ſich über eine An - zahl beſtimmter und begrenzter, aber factiſch bedeutſamer Einrichtungen verſtändigt haben, welche eben ſo im Bereiche der unmittelbaren Möglichkeit, wie des zweifelloſen Bedürf - niſſes liegen. “
Für das Verſtändniß der Verfaſſung iſt dieſer Geſichtspunkt von größter Wichtigkeit; trotzdem rechtlich die Continuität mit den Verhältniſſen des deutſchen Bundes gelöst war, iſt ſie den - noch ſo viel wie möglich erhalten worden. Der Bundestag mit ſeinem Plenum und mit ſeinen Ausſchüſſen und Matrikularbeiträgen, der Zollverein und manche andere Inſtitution der älteren Zeit bilden die Grundlage der zunächſt ins Leben gerufenen Einrichtungen; die Einfügung des Parlaments, die Erſetzung der früher erforderten Einſtimmigkeit durch Majoritätsbeſchlüſſe, die Erweiterung der Kompe - tenz auf das geſammte Gebiet der Verkehrs-Verhältniſſe, die Organi - ſation des Bundesheeres, der Marine, der Diplomatie, des Kon - ſulatweſens — das ſind die weſentlichen Neuerungen.
Es iſt das Programm, welches der Preußiſche Antrag vom 9. April 1866 verfolgte, mit den durch die veränderten politiſchen Verhältniſſe nothwendig gewordenen Modifikationen durchgeführt; bei der Neugründung des Bundes blieben dieſelben Geſichts - punkte maßgebend von denen aus die Bundesreform angeſtrebt worden war.
Bei den Berathungen des Reichstages fehlte es nicht an einer Fluth von Abänderungs-Vorſchlägen, unter denen ſich viele befan - den, „ die — wie Fürſt Bismark ſagte — von Allem, was wir gethan und geleiſtet haben, abſtrahiren, von dem in der Geſchichte unerhörten Fall, daß die Regierungen von 30 Millionen Deutſchen ſich nicht blos dem Wortlaute nach, wie bei der alten Bundesacte, ſondern auch dem Geiſte nach über einen ſolchen Entwurf geeinigt25§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.haben, keine Notiz nehmen. “ Der Werth recht zahlreicher An - träge beſteht lediglich in den durch ſie hervorgerufenen Widerleg - ungen Seitens der Bundescommiſſare; indem die letzteren Grund und Tragweite der in dem Entwurf enthaltenen Beſtimmungen entwickelten und dadurch theilweiſe dem Mangel an Motiven ab - halfen, von deren Ausarbeitung theils aus Rückſicht auf den Zeit - aufwand theils auf die Schwierigkeit ihrer Feſtſtellung Abſtand ge - nommen worden war1)Erklärung des Fürſten Bismarck v. 11. März 1867. Stenogr. Berichte S. 135..
Im Allgemeinen aber hielt der Reichstag an den Grundge - gedanken des Entwurfs feſt, lehnte alle mit demſelben in unverein - barem Contraſt ſtehende Abänderungen ab und erwarb ſich das Verdienſt, den Entwurf an einer bedeutenden Anzahl von Stellen erheblich verbeſſert zu haben2)Fürſt Bismarck gab in der Sitzung vom 15. April 1867 (Stenogr. Berichte S. 695) eine Ueberſicht der etwa 40 Punkte, in denen der Reichstag Abänderungen beſchloſſen hatte und erklärte, daß die Regierungen darin „ zum Theil zweifelloſe Verbeſſerungen erkannt haben “, während ihnen bei einem andern Theile „ die Annahme nicht leicht geworden. “— Eine erhebliche Diffe - renz blieb nur beſtehen hinſichtlich der Sicherſtellung der Heereseinrichtungen und der Bewilligung von Diäten. In Beziehung auf den erſten Punkt einigte man ſich über eine temporäre Fixirung des Präſenzſtandes mit einem Pauſch - quantum, in dem zweiten Punkt gab der Reichstag nach..
Am 16. April 1867 hat der Reichstag die Berathung des Entwurfs zu Ende geführt und ihn in der Geſtalt, wie er aus dieſer Berathung hervorgegangen iſt, mit 230 gegen 533)Darunter 11 Polen und — — 5 Abgeordnete der Stadt Berlin!! (Hahn S. 599). Stim - men angenommen. An demſelben Tage traten die Commiſſarien der verbündeten Regierungen zu einer Sitzung zuſammen und be - ſchloſſen einſtimmig: den Verfaſſungs-Entwurf, wie er aus der Schlußberathung des Reichstages hervorgegangen iſt, anzunehmen4)Das Protokoll iſt dem Reichstag am 17. April 1866 mitgetheilt worden. (Stenogr. Berichte S. 731.) Noch an demſelben Tage wurde der Reichstag mit einer Thronrede geſchloſſen, welche dem Gefühle aufrichtiger Genugthuung über das Zuſtandekommen des nationalen Werkes beredten Ausdruck gab..
Die rechtliche Lage, welche durch dieſe Beſchlüſſe geſchaffen wurde, bedarf einer näheren Fixirung. Die Errichtung des26§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.norddeutſchen Bundes war noch nicht erfolgt; von allen anderen Gründen abgeſehen ſchon deshalb nicht, weil dem Reichstage durch die Mehrzahl der Wahlgeſetze nur die Befugniß zur Berathung einer Bundesverfaſſung ertheilt worden war. Unter den verbündeten Staaten beſtand vielmehr dasjenige Rechts - verhältniß, welches durch das Auguſtbündniß und die daſſelbe in Bezug nehmenden Friedensverträge geſchaffen war, im Weſentlichen unverändert fort. Nur war der Art. 5 deſſelben erledigt durch vollſtändige Erfüllung und der Art. 2 war inhaltlich näher be - ſtimmt; die Verpflichtung und Berechtigung der Staaten, einem Bunde anzugehören, deſſen Verfaſſung unter Mitwirkung eines gemeinſchaftlich zu berufenden Parlaments vereinbart werden ſollte, hatte ſich ſpezialiſirt zu der Pflicht und dem Recht, einem Bunde mit der am 16. April 1867 feſtgeſtellten Verfaſſung anzugehören. Es war nunmehr eine Verfaſſung den Beſtimmungen des Auguſt - Bündniſſes gemäß vereinbart worden; die wechſelſeitige Pflicht, einen Bund zu gründen, konnte jetzt durch dieſe Gründung ſelbſt erfüllt werden.
Hierzu aber waren die Regierungen der verbündeten Staaten nach dem Staatsrecht der letzteren ohne Zuſtimmung der Landes - vertretungen nicht befugt. Sie konnten nicht in einen Bund ein - treten, der nach Maaßgabe der Verfaſſung vom 16. April 1867 organiſirt war, ohne eine in der Form des verfaſſungsändernden Geſetzes ertheilte Ermächtigung, weil durch dieſen Eintritt die Verfaſſung jedes Einzelſtaates auf das Tiefſte verändert und dem Staate wie ſeinen Angehörigen finanzielle Laſten auferlegt wurden. Demgemäß bedurfte die von ihnen erklärte Annahme der Bundes - verfaſſung mindeſtens der nachträglichen, ordnungsmäßigen Ge - nehmigung der Geſetzgebungsfactoren ihrer reſp. Staaten1)Voraus war die landſtändiſche Genehmigung ertheilt worden in Braun - ſchweig und Bremen..
In allen zum Norddeutſchen Bunde gehörenden Staaten iſt dieſe Genehmigung unter Beobachtung der verfaſſungsmäßigen Form-Vorſchriften ertheilt und in allen einzelnen Staaten iſt die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes in der für Geſetzes-Pub - likationen vorgeſchriebenen Form verkündet worden2)Sämmtliche Publikations-Patente ſind abgedruckt in Glaſer’s Archiv des Nordd. Bundes I. Heft 4. S. 117 ff.. Alle dieſe27§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.Publikationspatente enthalten außer der Publikationsclauſel die Beſtimmung, daß dieſe Verfaſſung in den betreffenden Staatsge - bieten „ am 1. Juli 1867 in Kraft treten ſoll “1)Dieſe Klauſel fehlt nur in dem Braunſchweigiſchen Patent vom 15. Juni 1867, welches ſich auf die bloße „ Verkündigung zur Nachachtung “beſchränkt. (Siehe S. 26. Note 1)..
Die juriſtiſche Bedeutung dieſes legislativen Aktes iſt mehr - fach mißverſtanden worden.
Seydel2)Commentar z. Verf. -Urkunde S. 5 fg. ſchließt aus dieſen Publikationen, daß die mit dem norddeutſchen Reichstage vereinbarte Verfaſſung gleich - mäßiges Landesgeſetz ſämmtlicher verbündeten Staaten ge - worden ſei3)Einigen Publikationspatenten liegt dieſelbe Rechts-Anſchauung zu Grunde; ſo wurde die Verf. in Oldenburg verkündet „ als Geſetz für das Großherzogthum “, in Schwarzburg-Rudolſtadt „ als Landesgeſetz “; das Lübecker Patent erwähnt die Zuſtimmung der[Bürgerſchaft] „ zu deren geſetzlicher Geltung für den Lübeckiſchen Freiſtaat. “ Auch H. Schulze Ein - leitung S. 473 nimmt an, daß „ die Bundesverfaſſung durch die Pu - blikation Landesgeſetz und integrirender Theil der Landesverfaſſung geworden iſt. “. Die norddeutſche Bundesverfaſſung ſei Landesrecht jedes Bundesſtaates geworden, nicht mehr, nicht weniger. Er zieht daraus die Folgerung, daß alle auf Grund der Bundesverfaſſung erlaſſenen Geſetze ihre Giltigkeit von einem Landesverfaſſungs - geſetze ableiten, alſo wieder Landesgeſetze ſeien und verwerthet dieſe Sätze für die juriſtiſche Conſtruction des Reiches.
Die Unrichtigkeit dieſer Auffaſſung iſt in durchſchlagender Weiſe von Hänel Studien I. S. 53 ff. 75 ff. dargethan worden. Er macht mit Recht geltend, daß die Bundesverfaſſung einen für das Landesgeſetz jedes einzelnen Staates unmöglichen Inhalt hat; ſie ſetzt einen Verein von Staaten voraus, deſſen Organiſation ſie beſtimmt, ein Landesgeſetz aber kann nur ſolche Gegenſtände recht - lich regeln, welche in das Herrſchaftsgebiet dieſes Staates fallen, nicht ſolche, welche die Coexiſtenz mehrerer Staaten vorausſetzen. „ Die rechtliche Regelung eines ſolchen Coëxiſtenzverhältniſſes liegt über den Bereich des Herrſchaftsverhältniſſes jedes einzelnen Staates und damit irgend eines Landesgeſetzes hinaus. Der nord - deutſche Bund und ſeine Verfaſſung konnte darum auch nicht durch28§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.eine Summe übereinſtimmender Partikulargeſetze zur thatſächlichen und rechtlichen Exiſtenz gelangen “.
Hänel a. a. O. S. 76 findet in der Mitwirkung der Landes - vertretungen eine doppelte rechtliche Bedeutung; zunächſt die An - erkennung, daß die Bundesverfaſſung den durch das Auguſtbünd - niß begründeten Pflichten und Rechten entſpreche; „ ſodann die negative Funktion, diejenigen Beſtimmungen der Verfaſſung und der Geſetze der Einzelſtaaten auf verfaſſungsmäßigem Wege außer Wirkſamkeit zu ſetzen, welche den in Ausſicht genommenen unmit - telbaren Wirkungen und Ermächtigungen des norddeutſchen Bundes und ſeiner Verfaſſung im Wege ſtanden. “
Auch dieſe Auffaſſung iſt nicht zutreffend. Der erſte Punkt iſt nicht nur unrichtig, ſondern auch unweſentlich. Die überwiegende Mehrzahl der Landesvertretungen war nicht gehindert, die Bundes - verfaſſung zu verwerfen, ſelbſt wenn ſie anerkannte, daß die Ver - faſſung den Beſtimmungen des Auguſtbündniſſes entſpreche, indem die Landtage ſich das Recht der Verwerfung ausdrücklich dadurch vorbehalten hatten, daß ſie die Wahlen nur für einen „ berathenden “Reichstag genehmigten. Wofern man in der Genehmigung des Wahlgeſetzes mit Hänel überhaupt eine Zuſtimmung der Landes - vertretungen zu dem Auguſtbündniß erblicken will, iſt dieſe Zu - ſtimmung jedenfalls nur mit dem Vorbehalt ertheilt worden, daß über Annahme oder Verwerfung der Verfaſſung die Entſchließung frei bleibe. Ebenſo wenig war aber ein Landtag gehindert, die Bundesverfaſſung zu acceptiren, trotzdem ſie ſich ſeiner Anſicht nach von den Beſtimmungen des Auguſtbündniſſes entfernte1)Dies iſt in der That der Fall, indem die Verfaſſung die Competenz des Bundes viel weiter beſtimmt als dies die Grundzüge v. 10. Juni 1866 thaten. Dies hob ſchon bei den Berathungen der Bevollmächtigten der Ver - treter Hamburgs in Beziehung auf die Flagge der Handelsſchiffe hervor. Vgl. die Anlage vom 15. Januar zu dem Schlußprotokoll vom 7. Februar 1867. (Stenogr. Berichte des verfaſſ. Reichst. Anlagen S. 26. Glaſer I, 3 S. 22. Staatsarchiv XII. S. 366.). Die Er - klärung der Landtage ging auch gar nicht dahin, daß die Bundes - verfaſſung der Prüfung unter dieſem Geſichtspunkte unterworfen worden ſei; keines von allen Publikationspatenten enthält ein der - artiges Urtheil.
Bei weitem beachtenswerther iſt der zweite, von Hänel betonte29§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.Geſichtspunkt. Darnach ſoll die Publikation der Verfaſſung in den einzelnen Staaten eine lediglich negative Bedeutung haben, nämlich die Aufhebung der entgegenſtehenden Beſtimmungen der Landesgeſetze. In jedem Staate würde mithin dieſe Publikation etwas Anderes bedeuten, da in jedem Staate ein anderer Inbegriff von Rechtsſätzen aufgehoben wurde; nicht die Einführung der Bundesverfaſſung, ſondern die Aufhebung eines Stückes der Landesverfaſſung wäre der Sinn und Inhalt der Publikationsge - ſetze. Damit hätte man aber Nichts erreicht, als in das Landes - recht jedes einzelnen Staates ein ungeheures Loch geſchlagen, es geradezu zerſtört; eine poſitive Schöpfung wäre nicht vollführt worden. Es bleibt immer noch der Sprung über eine unüber - brückte Kluft übrig. Wie gewann die Bundesverfaſſung eine poſi - tive Grundlage der geſetzlichen Geltung? Die bloße Zerſtörung des Landes-Verfaſſungsrechts aller einzelnen Staaten kann ihr die - ſelbe doch nicht bieten.
Hänel a. a. O. antwortet hierauf, indem er die Gründung des norddeutſchen Bundes darauf zurückführt, „ daß diejenigen Organe des Wollens und Handelns, welche die mit dem Reichstag vereinbarte Bundesverfaſſung vorgeſehen hatte, in das Leben treten mußten und der hiermit organiſirte Bund die Bundesverfaſſung als ſeine oberſte rechtliche Willensbeſtimmung ſich aneignen mußte. “ Dies iſt aber ein offenbarer Cirkel und ſchließ - lich Nichts Anderes als eine ſchwach umhüllte generatio aequivoca. Denn einerſeits ſoll die Bundesverfaſſung beſtimmen, welche „ Organe in das Leben treten müſſen “und dann ſoll erſt wieder der „ hier - mit organiſirte “Bund ſich die Bundesverfaſſung „ aneignen. “
Das logiſche Verhältniß wird von Hänel geradezu umgekehrt. Die Einführung der Norddeutſchen Verfaſſung hatte die Folge, daß ſie in jedem einzelnen Deutſchen Staate das damit im Wider - ſpruch ſtehende Landesrecht beſeitigte1)Die meiſten Publikationspatente erwähnen dieſe Folge als ſelbſt - verſtändlich gar nicht; diejenigen, welche darauf hinweiſen, nämlich die von Weimar und Schwarzburg-Sondershauſen, erklären, daß „ durch dieſe Ver - faſſung die beſtehenden Landesgeſetze ..... als abgeändert zu betrachten ſind. “, aber die Aufhebung eines noch ſo großen Beſtandtheiles des Landesrechts konnte niemals30§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.die Folge haben, daß nunmehr die Bundesverfaſſung Geltung erlangte.
Die richtige Auffaſſung iſt wohl folgende: die Form des Ge - ſetzes iſt bekanntlich im modernen Staatsrecht nicht blos dann an - wendbar, wenn eine Rechtsregel in einem Staat ſanctionirt werden ſoll, ſondern für jede Willenserklärung des Staates, für welche die Uebereinſtimmung des Landesherrn und der Landesvertretung erforderlich iſt. Das Wort Geſetz hat eine doppelte Bedeutung, eine materielle und eine formelle. Das Geſetz im formellen Sinne iſt eine Form der Willenserklärung des Staates, gleichviel worin ihr Inhalt beſteht. Die Gründung des Norddeutſchen Bundes, der gleichzeitige Eintritt der norddeutſchen Staaten in denſelben, kann nicht als die Aufſtellung einer Rechtsregel oder eines Com - plexes von Rechtsregeln angeſehen werden, ſondern als eine That, als eine Rechtshandlung der norddeutſchen Staaten. Die Staaten vollzogen als willens - und handlungsfähige Perſonen durch Gründung des Norddeutſchen[Bundes] einen Willens-Ent - ſchluß. Die Art und Weiſe wie dieſer Entſchluß erklärt und verwirklicht wurde, beſtand darin, daß jeder Staat in der Form des Geſetzes d. h. unter Conſtatirung der Uebereinſtimmung der Krone und der Volksvertretung, ihn öffentlich bekundete und dadurch zugleich ſeine Regierung ermächtigte und verpflichtete, alle zur Ausführung dieſes Entſchluſſes erforderlichen Maßregeln zu treffen.
Der Entſchluß in den Norddeutſchen Bund einzutreten, konnte aber in keiner anderen Weiſe mit der erforderlichen Beſtimmtheit ausgedrückt werden als durch Bezugnahme reſp. Mittheilung der Verfaſſung deſſelben. In ihr allein war der präciſe Ausdruck ſeines Zweckes, ſeines Mitgliederbeſtandes und Gebietsumfanges, ſeiner Kompetenz, ſeiner Verfaſſungseinrichtungen u. ſ. w. gegeben. Der Name Norddeutſcher Bund erhält nur durch die Bundesver - faſſung einen concreten und feſt beſtimmten Inhalt. Sie mußte daher mitpublicirt werden.
Die Klauſel: „ Die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes tritt in dem Gebiete des Staates X am 1. Juli 1867 in Kraft, “welche die Einführungspatente haben, iſt vollkommen identiſch mit dem Satze:31§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.„ Der Staat X tritt am 1. Juli 1867 in den Norddeutſchen Bund ein. “
Denn die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes konnte in einem Einzelſtaat gar nicht anders in Kraft treten, als durch Gründung des Norddeutſchen Bundes, reſp. Eintreten in denſelben; und kein Staat konnte anders in den Norddeutſchen Bund ein - treten als dadurch, daß die Verfaſſung des letzteren in ſeinem Ge - biete in Kraft trat.
Hieraus ergiebt ſich: Nicht die Norddeutſche Bundesverfaſſung iſt ein übereinſtimmendes Landesgeſetz der Einzelſtaaten, nicht ihre Sanction wird für jeden Staat beſonders von der Landesſtaats - gewalt ertheilt, ſondern der Entſchluß des Staates, in den durch dieſe Verfaſſung definirten Bund einzutreten, iſt in jedem Einzelſtaat durch Landesgeſetz erklärt worden. Object der Publi - kationsgeſetze vom Juni 1867 ſind nicht die Beſtimmungen der Norddeutſchen Bundesverfaſſung an ſich, ſondern Object iſt die Erklärung des Beitritts zu demjenigen Bunde, welcher in dieſer Verfaſſung definirt iſt. Kein Staat war im Stande, dieſe Ver - faſſung bei ſich als Landesgeſetz einzuführen, wol aber konnte jeder Staat für ſeine (ideelle) Perſon in der Form des Geſetzes erklären, daß er am 1. Juli 1867 an der Errichtung des Norddeutſchen Bundes Theil nehmen werde. Nicht die zahlreichen Beſtimmungen der Bundesverfaſſung ſind von jedem Einzelſtaat für ſein Gebiet als Landesgeſetz eingeführt worden, ſondern die Publikationspatente ſanctioniren nur einen einzigen Satz, der überall derſelbe iſt, und der lautet: Der Staat X gehört vom 1. Juli 1867 an zum nord - deutſchen Bunde.
Eben darum aber haben dieſe Publicationspatente keinen bloß negativen Inhalt, wie Hänel annimmt, indem ſie das mit der Norddeutſchen Bundesverfaſſung im Widerſpruch ſtehende Verfaſ - ſungsrecht der Einzelſtaaten aufheben. Hänel will für den Nord - deutſchen Bund erſt die Bahn frei machen, indem er die Hinder - niſſe, welche die Landesverfaſſungen bieten, durch die Publikations - geſetze beſeitigen und dann in den geſchaffenen freien Raum den Norddeutſchen Bund eintreten läßt. Dies iſt undenkbar. Man kann ſich keinen Staat auch nur während einer Secunde in einem Zuſtande denken, in welchem ſein Verfaſſungsrecht in ſoweit auf - gehoben iſt, als es mit der Bundesverfaſſung im Widerſpruch32§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.ſteht, und in welchem der Norddeutſche Bund doch noch nicht ins Leben getreten iſt1)Nach Hänel S. 77 trat erſt am 26. Juli 1867 durch das Publikan - dum des Königs von Preußen der neue Bund an die Stelle des Bündnißver - trages vom 18. Auguſt 1866; der Nordd. Bund datirt erſt vom 26. Juli 1867. Dagegen die Aufhebung der partikulären Landesverfaſſungs-Rechtsſätze, welche mit der Nordd. Bundesverfaſſung collidirten, trat am 1. Juli 1867 ein; ſo daß ein Zwiſchenraum von 26 Tagen bleibt..
Der Eintritt in den Norddeutſchen Bund iſt das Frühere, iſt Grund und Urſache, die Abänderung der damit unvereinbaren Be - ſtimmungen der Landesverfaſſungen das Spätere, die Folge und Wirkung. Die Publikationspatente haben überall einen poſitiven und identiſchen Inhalt, die Erklärung des Beitritts zum Nord - deutſchen Bunde, nicht einen negativen und in jedem Staate anderen Inhalt, die Beſeitigung von Landesgeſetzen2)Auch in der Preuß. Thronrede vom 24. Juni 1867 wird dies ange - deutet: „ Durch die Zuſtimmung der Preuß. Landesvertre - tung zur Errichtung des Nordd. Bundes ſind nunmehr alle Vor - bedingungen für die Geltung der Verfaſſung deſſelben — in Preußen erfüllt..
Die Publikationsgeſetze und die zu ihrer Durchführung er - folgten Regierungshandlungen ſind die definitive und vollſtändige Erfüllung des Auguſtbündniſſes. Sie ſtellen die Handlung dar, zu welcher ſich die Staaten gegenſeitig verpflichtet hatten, nämlich die Gründung des Bundes. Mit dieſer Gründung war das Auguſtbündniß nach der ausdrücklichen Beſtimmung in Art. VI deſſelben erloſchen. Am 1. Juli 1867 war der Norddeutſche Bund errichtet, nicht früher und auch nicht ſpäter. Als am 14. Juli 1867 der König von Preußen den Grafen von Bismarck zum Bundes - kanzler des Norddeutſchen Bundes ernannte, am 26. Juli 1867 die Einführung des Bundesgeſetzblattes anordnete und in der erſten Nummer deſſelben die Verfaſſung deſſelben abdrucken ließ, war der Norddeutſche Bund ſchon vorhanden und die Verfaſſung des - ſelben bereits in Geltung. König Wilhelm handelte bereits auf Grund derſelben Kraft der durch dieſe Verfaſſung ihm übertragenen Rechte. Dieſe Publikation iſt keine Sanction der Verfaſſung; das „ Publikandum “vom 26. Juli 1867, mit welchem das Bundes - Geſetzblatt beginnt, enthält keine Clauſel, welche dieſer Verfaſſung Geſetzeskraft beilegt, ſondern der König „ thut kund und fügt im Namen des Norddeutſchen Bundes zu wiſſen “, daß33§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.die Norddeutſche Bundesverfaſſung — folgt deren Wortlaut — unter dem 25. Juni d. J. verkündet worden und am 1. Juli die Geſetzeskraft erlangt hat. “ Indem der König dies „ zur öffent - lichen Kenntniß bringt, “erklärt er zugleich, die durch die Verfaſ - ſung ihm übertragenen Rechte, Befugniſſe und Pflichten zu über - nehmen1)Vgl. auch G. Meyer Staatsr. Erörterungen S. 60. 61..
Der Vorgang der Gründung kann auch nicht Anders gedacht werden. Der norddeutſche Bund konnte ohne eine beſtimmte Ver - faſſung nicht zur Exiſtenz kommen und folglich konnte die Sanction dieſer Verfaſſung nicht von ihm ausgehen. Das Problem, daß ein erſt zu gründendes Staatsgebilde ſich ſelbſt die Bedingungen ſeiner Entſtehung ſchafft, gleicht der Quadratur des Cirkels. Der Bund wurde in das Leben gerufen von Staaten, die vor ihm da waren und ſich zu dieſem Zwecke vereinigt hatten: ſie haben ihm ſeine Verfaſſung gegeben; er hat gleich bei ſeiner Geburt ſeine Konſtitution und Organiſation mit auf die Welt gebracht. Aber ſie haben dieſe Verfaſſung ihm gegeben, nicht ſich ſelbſt; daraus folgt, daß dieſe Gründung nicht unter den Geſichtspunkt des Lan - desgeſetzes gebracht werden darf, ſondern als eine freie Willens - that aller bei der Gründung betheiligter Staaten aufzufaſſen iſt. Zur Vornahme derſelben war für den Souverain jedes Staates die Zuſtimmung der Landesvertretung erforderlich, und aus dieſem Grunde ergab ſich die Nothwendigkeit, daß der Willensentſchluß des Staates in der Form des Geſetzes erklärt werden mußte2)Thudichum S. 51 conſtruirt die Entſtehung des Nordd. Bundes in anderer Art. Er ſagt: „ Dieſer Bundesſtaat iſt am 1. Juli 1867 ins Leben getreten vermöge Vereinbarung aller betheiligten Regierungen mit dem aus allgemeinen directen Wahlen hervorgegangenen Reichstag des Bundes, eine Vereinbarung, welche für jedes Bundesland ihre beſondere Gültigkeit erlangt hat durch die verfaſſungsmäßige Zuſtimmung der Landesvertretung deſſelben und die Verkündigung im Landesgeſetzblatt. “ Dies beruht auf einem höchſt ſonderbaren Mißverſtändniß. Darnach ſoll nämlich der Norddeutſche Bund beruhen auf einer Vereinbarung, welche zwiſchen den verbündeten Regierungen einerſeits und dem berathenden Reichstage andererſeits zu Stande gekommen iſt. Der Reichstag aber konnte nicht contrahiren, er war kein Rechtsſubject, er vertrat keinen Staat, er vertrat nicht einmal im eigentlichen Sinne des Staatsrechts das Volk; denn eine ſtaatsrechtlich wirkſame Vertretung des Volkes ſetzt die ſtaatliche Organiſation deſſelben ſchon voraus. Politiſch kam dem berathenden Reichstage die Autorität eines Parlaments im vollſten.
Durch den Prager Frieden Art. IV hatte Preußen ſich Oeſterreich gegenüber verpflichtet, das „ engere Bundesverhältniß “nach Süden hin nicht über die Linie des Mains auszudehnen; den ſüddeutſchen Staaten ſollte vielmehr freiſtehen, in einen Verein zuſammenzutreten, der mit dem norddeutſchen Bunde zwar über eine „ nationale Verbindung “ſich ſollte „ verſtändigen “dür - fen, aber „ eine internationale, unabhängige Exiſtenz haben “ſollte.
Zur Bildung des Südbundes kam es nicht und daher auch nicht zur „ näheren Verſtändigung “des Südbundes und Nordbun - des; wol aber gelang alsbald eine ſehr nahe Verſtändigung zwi - ſchen dem Norddeutſchen Bunde und den einzelnen ſüddeutſchen Staaten, welche ein ungleich feſteres Einheitsband um alle deut - ſchen Staaten (mit Ausnahme Oeſterreichs) ſchlang als es jemals zu den Zeiten des alten Deutſchen Bundes beſtanden hatte1)Von den zahlloſen verläumderiſchen Vorwürfen, mit denen die Preu - ßiſche Politik von 1866 überſchüttet wurde, iſt keiner von der Wahrheit weiter entfernt, als der, daß die Mainlinie eine Zerreißung Deutſchlands bewirkt habe; ſie bedeutete nur einen graduellen Unterſchied in der Vereinigung Deutſchlands, in dem die Staaten nördlich des Mains enger unter einander verbunden waren, als mit den Staaten ſüdlich des Mains und dieſe unter ſich. Im Vergleich zu dem, was der Deutſche Bund gewährte, war auch dieſe weniger enge Verbindung ein unermeßlicher Fortſchritt.. Da dieſe Zuſtände nur vorübergehende Bedeutung hatten, ſo ge - nügt es, dieſelben ganz kurz zu ſcizziren.
2)Maaße zu; rechtlich war er nur eine Verſammlung, vom Volke gewählter politiſcher Vertrauensmänner oder Sachverſtändiger, welche über den von den verbündeten Regierungen vorgelegten Verfaſſungsentwurf ein Gutachten abzu - geben hatte. Die „ Vereinbarung “zwiſchen den Bundesregierungen und dem Reichstage war nur die Ausgleichung der Anſichten über die dem Bunde zu gebende Verfaſſung, welche aber allerdings für die Erfüllung des Auguſt - bündniſſes eine weſentliche Vorausſetzung war. Eine Vereinbarung im Sinne des Vertrages ſchloſſen lediglich die Regierungen unter einander. In derſelben Richtung wie Thudichum argumentirt Weſterkamp S. 21 u. 28; er nimmt aber 3 Klaſſen von „ Kontrahenten bei der Norddeutſchen Bundesver - faſſung “an, nämlich „ 1. die Fürſten und die freien Städte. 2. die Bevöl - kerungen der einzelnen Staaten, repräſentirt durch ihre geſetzlichen Vertreter; 3. das Norddeutſche Volk in ſeiner Geſammtheit, repräſentirt durch den kon - ſtituirenden Reichstag. “ Richtig betont die blos berathende Function des Reichstages G. Meyer, Staatsrechtliche Erörterungen S. 57 Note 3; eine entgegengeſetzte Theorie verſucht Hänel I. S. 71 zu begründen.
35§. 3. Das Verhältniß des nordd. Bundes zu den ſüdd. Staaten.Das Verhältniß des Norddeutſchen Bundes zu den vier ſüd - deutſchen Staaten war, abgeſehen von der nationalen Baſis, ein rein völkerrechtliches, vertragsmäßiges, und war begründet durch folgende Verträge:
1) Gleichzeitig mit den Friedensverträgen wurden zwiſchen Preußen und den ſüddeutſchen Staaten Schutz - und Trutz - bündniſſe geſchloſſen1)Sie tragen, mit Ausnahme des Heſſiſchen, daſſelbe Datum, wie die be - treffenden Friedensverträge, wurden zunächſt aber geheim gehalten und erſt im April 1867 veröffentlicht. Ihr Wortlaut iſt gedruckt bei Hahn S. 212; Glaſer I, 3 S. 39 fg. 53. Staatsarchiv XII, 2734. Sie wurden in den ſüddeutſchen Staaten, außer in Bayern, den Landtagen zur Genehmigung vor - gelegt und dieſe wurde ihnen überall ertheilt. Siehe die näheren Angaben bei Thudichum S. 29. 30., durch welche ſich die Kontrahenten ge - genſeitig die Integrität des Gebietes ihrer bezüglichen Länder garantirten und ſich verpflichteten, im Falle eines Krieges ihre volle Kriegsmacht zu dieſem Zwecke einander zur Verfügung zu ſtellen. Für dieſen Fall wurde der Oberbefehl über die Truppen der ſüddeutſchen Staaten dem Könige von Preußen übertragen. Dadurch wurde der einzige Werth, welchen der ehemalige Bund hatte, nämlich die Kollectivgarantie aller Deutſchen Staaten für die Integrität des Bundesgebietes wieder hergeſtellt, zugleich aber eine Einheitlichkeit des Oberbefehls über die Deutſche Armee für den Kriegsfall begründet, wie ſie zu den Zeiten des Deutſchen Bundes nicht einmal angeſtrebt werden konnte. Der franzöſiſche Krieg brachte frühzeitig die Gelegenheit, um den hohen Werth dieſer Feſtſetzungen zu erproben.
Um die Schutz - und Trutzbündniſſe wirkſam erfüllen zu kön - nen, verabredeten die ſüddeutſchen Staaten auf einer in Stuttgart abgehaltenen Conferenz am 5. Februar 1867 ihre Streitkräfte den Prinzipien der Preußiſchen Wehrverfaſſung gemäß zu orga - niſiren2)Die Vereinbarung iſt gedruckt bei Glaſer I, 3 S. 42 und im Staats - archiv XII, 2733..
Zur Ergänzung des Zuſammenhanges des Defenſivſyſtems von Süddeutſchland und dem des Norddeutſchen Bundes diente ferner die Errichtung einer ſüddeutſchen Feſtungscommiſſion durch den Münchener Vertrag vom 10. October 1868 und die Errichtung3*36§. 3. Das Verhältniß des nordd. Bundes zu den ſüdd. Staaten.einer gemeinſchaftlichen Inſpizirungscommiſſion für die Feſtungen Ulm, Raſtatt, Landau und Mainz durch Protokoll vom 6. Juli 18691)Beide Urkunden ſind gedruckt in Hirth’s Annalen 1872 S. 1579 ff..
2) Nicht minder bedeutſam war der Zollvereins-Ver - trag vom 8. Juli 1867. Er erhielt nicht blos die Freiheit des Waarenverkehrs und die Einheitlichkeit des Zollgebietes in Bezie - hung auf Süddeutſchland in dem vor Ausbruch des Krieges vor - handenen Umfange aufrecht, ſondern gab dem Vereine zum erſten Male eine feſtere Organiſation und eine ſichere Gewähr der Dauer2)Vgl. den Bericht der vereinigten Ausſchüſſe für Zoll - und Steuerweſen und für Handel und Verkehr des Nordd. Bundesrathes v. 24. Auguſt 1867. (Hirth’s Annalen 1868 S. 1 ff. ) und Thudichum a. a. O. S. 39 fg.. Die Verfaſſung des Zollvereins war der Verfaſſung des Nord - deutſchen Bundes ſo völlig analog, daß ſie wie ein Schatten er - ſcheint, den die Reichs verfaſſung vor ſich her warf.
3) Außerdem wurden die vor dem Kriege abgeſchloſſenen Ver - träge und Uebereinkünfte, ſoweit ſie mit der neuen politiſchen Geſtaltung Deutſchlands vereinbar waren, wieder in Kraft geſetzt3)Ausdrücklich iſt dies vereinbart im Friedensſchluß mit Bayern Art. 8 und mit Heſſen Art. 8. und ergänzt durch den Vertrag über die Salzſteuer vom 8. Mai 1867, durch den Poſtvertrag vom 20. April 1868, durch Verträge über die ſogenannte militäriſche Freizügigkeit und über die Ge - währung der Rechtshülfe zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und Baden u. ſ. w.
In der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes war überdies der Eintritt ſüddeutſcher Staaten beſonders vorgeſehen, indem Art. 79 Abſ. 2 beſtimmte: Der Eintritt der ſüddeutſchen Staaten oder eines derſelben in den Bund erfolgt auf den Vorſchlag des Bundes-Prä - ſidiums im Wege der Bundesgeſetzgebung.
Einer der Abgeordneten, welche die Aufnahme dieſer Beſtim - mung in die Verfaſſung beantragt haben, Lasker, erläuterte dieſelbe durch die Erklärung4)Stenogr. Berichte des verfaſſ. Reichst. S. 685.: „ Wir wollen durch unſer Amen - dement ausdrücken, daß wir den Beitritt der ſüddeutſchen Staaten nicht für eine Veränderung der Bundes-Idee halten, daß — — —37§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.alſo dieſer Beitritt nichts weiter iſt als eine innere Angelegenheit welche geregelt wird nicht durch Aenderung der Verfaſſung, ſon - dern durch Geſetze. “
Der Norddeutſche Bund war von Anfang an darauf ange - legt, zum Deutſchen Reiche erweitert zu werden. Es hing ledig - lich von den politiſchen Verhältniſſen Europa’s und den eigenen Wünſchen der ſüddeutſchen Staaten und Bevölkerungen ab, wann die Vollendung der ſtaatlichen Wiedergeburt Deutſchlands erfolgen ſollte. Der glorreiche Krieg, welcher zur Abwehr des franzöſiſchen Angriffs vom Norddeutſchen Bunde und den ſüddeutſchen Staaten gemeinſchaftlich in treuer Erfüllung der Schutzbündniſſe geführt wurde, beſeitigte nicht nur die Hinderniſſe, welche bis dahin dem Beitritt der ſüddeutſchen Staaten entgegenſtanden, ſondern er gab durch die Wiedererwerbung von Elſaß-Lothringen der politi - ſchen Neugeſtaltung Deutſchlands einen Abſchluß, der die kühnſten patriotiſchen Wünſche übertraf.
Ueber den äußeren Hergang der Verhandlungen, welche zur Gründung des Deutſchen Reiches geführt haben, gab der Präſident des Bundeskanzler-Amts, Staatsminiſter Delbrück in der Sitzung des Norddeutſchen Reichstages vom 5. Dez. 1870 einen Bericht, der theils wegen ſeines offiziellen Charakters theils wegen ſeiner Vollſtändigkeit und Klarheit in ſeinem eigentlich re - ferirenden Theile hier wörtlich folgen mag: „ Die Initiative kam von Bayern. Die Königl. Baye - riſche Regierung gab im Laufe des September dem Bundes - präſidium zu erkennen, daß die Entwicklung der politiſchen Verhältniſſe Deutſchlands, wie ſie durch die kriegeriſchen Ereigniſſe herbeigeführt ſei, nach ihrer Ueberzeugung es bedinge, von dem Boden der völkerrechtlichen Verträge, welche bisher die ſüddeutſchen Staaten mit dem Norddeut - ſchen Bunde verbanden, ab zu einem Verfaſſungsbündniſſe überzugehen. Sie verband mit dieſer Mittheilung den Ausdruck des Wunſches, mit einem Bevollmächtigten des Präſidiums über die Vorſchläge in Beſprechung zu treten, welche ſie zur Ausführung ihres Gedankens vorbereitet hatte. Das Präſidium beeilte ſich, dieſem Wunſche zu ent -38§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.ſprechen, und es wurde mir der Befehl zu Theil, mich zu dieſem Zwecke nach München zu begeben. Der Zweck war nicht eine Verhandlung, ſondern eine Anhörung der Vor - ſchläge, die von der Königl. Bayeriſchen Regierung vorbe - reitet waren, eine Beſprechung dieſer Vorſchläge aus der Kenntniß der Verhältniſſe heraus, die mir meiner Stellung nach beiwohnte; die einzige Inſtruktion, welche ich erhielt, war die, mich jeder Aeußerung zu enthalten, welche gedeu - tet werden könnte, als ob das Präſidium im jetzigen Mo - ment geſonnen ſei, auf die freien Entſchließungen eines treuen und bewährten Alliirten auch nur den entfernteſten Druck auszuüben. Die Beſprechungen in München fanden ſtatt und wurden weſentlich gefördert dadurch, daß die Königl. Württembergiſche Regierung durch eines ihrer Mit - glieder an dieſen Beſprechungen theilnahm. Während das Ergebniß dieſer Beſprechungen der Erwägung des Bundes - Präſidiums unterlag, wurde von Stuttgart der Wunſch ausgeſprochen, die in München eingeleiteten Beſprechungen in Verſailles fortzuſetzen und zu ergänzen, namentlich nach der militairiſchen Seite hin, indem der Königl. Württem - bergiſche Vertreter in München nicht in der Lage geweſen war, ſich über dieſen vorzugsweiſe wichtigen Theil der Verfaſſung weiter, als in einigen allgemeinen Andeutungen zu äußern. Gleichzeitig mit dieſer Anregung erfolgte der offizielle Antrag Badens auf Eintritt in den Norddeutſchen Bund.
Das Präſidium konnte nicht zögern, dieſen Anregungen zu entſprechen, und ſowohl die Königl. Württembergiſche als die Großherzogl. Badiſche Regierung zur Entſendung von Bevollmächtigten nach Verſailles einzuladen. Es gab gleichzeitig davon nach München Nachricht, indem es zur Wahl ſtellte, entweder ebenfalls in Verſailles die Münche - ner Beſprechungen fortzuſetzen, oder, wenn es vorgezogen werden ſollte, das Ergebniß der Verhandlungen mit den anderen dort vertretenen Deutſchen Staaten abzuwarten, um ſodann die Verhandlungen in München wieder aufzu - nehmen. Endlich erklärte auch die Großherzogl. Heſſiſche Regierung ihren Entſchluß, mit dem ſüdlichen Theil ihres39§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.Gebietes in den Bund einzutreten, und ſo geſchah es, daß in der zweiten Hälfte des Octobers Vertreter der ſämmt - lichen ſüddeutſchen Staaten in Verſailles zuſammentraten, um über die Gründung eines Deutſchen Bun - des zu verhandeln. Die Verhandlungen mit Württemberg, mit Baden und mit Heſſen führten ſehr bald zu der Ueber - zeugung, daß es ohne große Schwierigkeiten gelingen werde, auf Grundlage der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes zu einer Verſtändigung zu gelangen; die Verhandlungen mit Bayern boten Anfangs größere Schwierigkeiten und es war auf den eigenen Wunſch des Königl. Bayeriſchen Bevollmächtigten, daß zunächſt die Verhandlungen mit den drei anderen ſüddeutſchen Staaten fortgeſetzt wurden. Die Königlich Bayeriſchen Bevollmächtigten fühlten das Bedürf - niß, nicht ihrerſeits durch die ſich darbietenden Schwierig - keiten den Abſchluß mit den anderen Staaten zu verzögern. So kam es, daß gegen Mitte des November die Verſtän - digung mit den drei anderen ſüddeutſchen Staaten zum Abſchluß gekommen war. Ein unvorhergeſehener Zufall verhinderte es, daß gleich am 15. November Württemberg an der mit ihm bereits in allen Hauptpunkten feſtgeſetzten Verſtändigung theilnahm. Es wurde deshalb zunächſt mit Baden und mit Heſſen abgeſchloſſen. Während dem wur - den die Verhandlungen mit Bayern wieder aufgenommen oder fortgeſetzt; ſie führten raſcher, als es Anfangs er - wartet werden durfte, zum Abſchluß, der in dem Vertrage vom 23. November vorliegt. Am 25. November erfolgte alsdann auf Grund der in Verſailles bereits feſtgeſtellten Verſtändigung der Abſchluß mit Württemberg. “— —
Die Reſultate der hier erwähnten Verhandlungen ſind nieder - gelegt in folgenden Urkunden:
I. Vertrag zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde, Baden und Heſſen, geſchloſſen zu Verſailles, den 15. No - vember 18701)Bundesgeſ. -Bl. 1870 S. 650..
Dieſem Vertrage iſt beigegeben eine „ Verfaſſung des Deut -40§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.ſchen Bundes “1)ebendaſ. S. 627., welche eine Redaction der Verfaſſung des Nord - deutſchen Bundes mit einer Reihe von Abänderungen iſt, die theils durch die Aufnahme Badens und Südheſſens von ſelbſt erforder - lich waren, theils auf den in Verſailles gepflogenen Verhandlungen beruhten. Der Vertrag ſelbſt enthält die Feſtſetzung, daß dieſe Verfaſſung am 1. Januar 1871 in Wirkſamkeit treten ſoll und daß der Vertrag nach erlangter Zuſtimmung der geſetzgebenden Faktoren des Norddeutſchen Bundes, Badens und Heſſens im Laufe des Monats Dezember ratifizirt werden ſoll.
Es iſt jedoch die Einſchränkung hinzugefügt worden, daß die Gemeinſchaft der Ausgaben für das Landheer für Baden und Heſſen und die Beſtimmungen der Art. 49 — 52 über die Poſten und Telegraphen für Baden erſt mit dem 1. Januar 1872 in Wirkſamkeit treten ſollen. Im Uebrigen wurden noch unter 9 Nummern beſondere Erklärungen über die Anwendung oder Aus - legung einzelner Verfaſſungs-Artikel vereinbart.
II. Zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde, Baden und Heſſen einerſeits und Württemberg andererſeits wurden abgeſchloſſen:
1. Der Vertrag von Berlin vom 25. Nov. 18702)Bundes-Geſ. -Bl. 1870 S. 654.. Derſelbe enthält im Art. 1 die Beſtimmung, daß Württemberg dem Vertrage von Verſailles vom 15. November dergeſtalt bei - tritt, daß alle in der dort vereinbarten Verfaſſung enthaltenen Beſtimmungen auf Württemberg volle Anwendung finden. Art. 2 enthält einige auf Württemberg bezügliche Sonderbeſtimmungen. Art. 3 betrifft die einzuholende Genehmigung der Volksvertretun - gen und die Auswechſelung der Ratifikationen.
2. Das Schlußprotokoll von Berlin vom 25. Novem - ber 18703)Bundes-Geſ. -Bl. 1870 S. 657. enthält die Ausdehnung der Mehrzahl der im Ver - ſailler Protokoll niedergelegten Erklärungen auch auf Württemberg und 2 Beſtimmungen, welche den Eiſenbahntarif und die Vorrechte der Poſt betreffen.
3. Die Militair-Konvention zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und Württemberg von 〈…〉 den 〈…〉 Nov. 18704)Bundes-Geſ. -Bl. 1870 S. 658..
41§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.III. Zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und Bayern wurden feſtgeſtellt:
1. Der Vertrag von Verſailles vom 23. Novem - ber 18701)Reichs-Geſ. -Bl. 1871 S. 9.. Derſelbe enthält 6 Artikel folgenden Inhalts:
2. Das Schlußprotokoll von Verſailles vom 23. November 18703)Reichs-Geſ. -Bl. 1871 S. 23.. Daſſelbe enthält eine Anzahl von Erläuterungen, Beſchränkungen, Ergänzungen, welche ſich theils auf die Bundesverfaſſung überhaupt theils auf deren Anwendung auf Bayern beziehen. Art. 16 legt den Beſtimmungen dieſes Protokolls dieſelbe verbindliche Kraft bei wie dem Vertrage vom gleichen Datum.
42§. 4. Die Gründung des Deutſchen Reiches.Hinſichtlich des Verhältniſſes, in welchem dieſe verſchiedenen, mit den ſüddeutſchen Staaten abgeſchloſſenen Verträge zu einander ſtehen, iſt ein Umſtand von erheblicher Bedeutung, welchen Staats - miniſter Delbrück in der oben in Bezug genommenen Rede in folgender Weiſe angegeben hat: „ Als mit Württemberg, Baden und Heſſen verhandelt wurde, waren die Wünſche Bayern’s bekannt. Es fand von Seiten des Präſidiums keinen Anſtand, einer Zahl dieſer Wünſche ſofort zu entſprechen. Es wurde davon, wie es nicht anders ſein konnte, den übrigen verhandeln - den Staaten Mittheilung gemacht; ſie eigneten ſich die Bayeriſchen Amendements an, und ſo ſind in … die An - lage des Protokolls vom 15. November eine Anzahl Be - ſtimmungen aufgenommen, welche eigentlich, wenn ich ſo ſagen darf, Bayeriſchen Urſprungs ſind, welche der Initia - tive Bayerns ihren Urſprung verdankten. “
Aus dieſer Thatſache erklärt ſich, daß Baden und Heſſen nicht einfach die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes mit den in Folge ihres Beitritts ſelbſtverſtändlichen formellen Abänderun - gen annahmen, ſondern daß dem Vertrage vom 15. Nov. 1870 eine Verfaſſung beigelegt wurde, welche von der des Norddeutſchen Bundes mehrfach und zwar in der Tendenz abweicht, um den von Bayern erhobenen Wünſchen zu genügen, obwohl die Zuge - hörigkeit Bayerns zum Bunde in dieſer Verfaſſungsredaction ſelbſt nicht vorausgeſetzt iſt.
IV. Endlich iſt am 8. Dezember 1870 noch ein Vertrag zu Berlin unterzeichnet worden, in welchem Württemberg, Baden und Heſſen dem zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und Bayern geſchloſſenen Vertrage, und Bayern, ſoweit dies noch erforderlich war, den zwiſchen dem Norddeutſchen Bunde und Baden, Heſſen und Württemberg abgeſchloſſenen Verträgen, nebſt Anlagen, Pro - tokollen und Militair-Konvention zuſtimmten.
V. In formeller Beziehung erfuhr die unter den deutſchen