PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Das Staatsrecht des Deutſchen Reiches.
Dritter Band. Erſte Abtheilung.
Tübingen,1880. Verlag der H. Laupp’ſchen Buchhandlung.
[II]

Druck von H. Laupp in Tübingen.

[III]

Inhalts-Verzeichniß.

  • Zehntes Kapitel. Die bewaffnete Macht des Reiches.
  • I. Abſchnitt. Verfaſſungsrechtliche Grundlagen.
  • Seite
  • Seite
  • §. 77. Allgemeine Prinzipien1
  • §. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen12
  • §. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches35
  • §. 80. Die Gemeinſchaft der Laſten und Ausgaben für die bewaffnete Macht48
  • §. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten59
  • §. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen72
  • II. Abſchnitt. Die Organiſation und Gliederung der bewaffneten Macht.
  • §. 83. Das ſtehende Heer79
  • §. 84. Die Landwehr98
  • §. 85. Der Landſturm103
  • §. 86. Die Militairverwaltung104
  • §. 87. Die Kriegsmarine130
  • III. Abſchnitt. Der Militairdienſt.
  • §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht136
  • §. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht209
  • §. 90. Einfluß des Militairdienſt-Verhältniſſes auf andere Rechtsver - hältniſſe252
  • §. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen274
  • IV. Abſchnitt. Die Militairlaſten.
  • §. 92. Begriff und allgemeine Rechtsſätze311
  • §. 93. Die Friedensleiſtungen318
  • §. 94. Die Kriegsleiſtungen342
  • §. 95. Die Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen372
[IV]

Berichtigungen.

  • S. 30 letzte Zeile fehlt hinter 31. Oktober die Jahreszahl 1866 .
  • S. 42 Z. 3 iſt ſtatt Landesrath zu leſen Bundesrath .
  • S. 46 Z. 21 iſt ſtatt Art. 29 und 30 zu leſen Art. 27 und 28 .
    • Z. 22 iſt ſtatt Juni zu leſen Mai .
    • Note 2 iſt hinzuzufügen, daß in Elſaß-Lothringen, ſo lange das Reichs - preßgeſetz daſelbſt nicht zur Einführung gelangt, ſtatt des letzteren Art. 1 des franzöſ. Geſ. v. 11. Mai 1868 bei Verhängung des Be - lagerungszuſtandes außer Kraft zu ſetzen ſein würde.
  • S. 120 Note 3 iſt hinzuzufügen, daß auch auf die in Elſ. -Lothr. ſtehenden Württemb. und Bayeriſchen Truppen die Preuß. Milit. -Strafgerichts - Ordn. keine Anwendung findet. Geſ. v. 6. Dezember 1873 §. 1 Abſ. 2. (Geſetzbl. f. Elſ. -Lothr. S. 331.)
  • S. 128 letzte Zeile fehlt hinter Culm das Wort Potsdam .
  • S. 132 Note 2 iſt ſtatt 1878 / 80 zu leſen 1879 / 80 .
  • S. 135 Note 1 iſt ſtatt 1874 S. 44 zu leſen 1872 S. 41 .
  • S. 161 Note 4 iſt ſtatt §. 13 Abſ. 3 zu leſen §. 13 Abſ. 4 .
  • S. 189 vorletzte Zeile fehlt das Citat: Milit. Geſ. §. 50 Abſ. 3 .
  • S. 232 Note 1 iſt ſtatt §. 19 Ziff. 6 zu leſen §. 19 Ziff. b .
  • S. 234 Z. 18 iſt ſtatt darauf zu leſen darüber .
  • S. 253 Z. 17 iſt ſtatt des Geſetzes f. Elſ. -Lothr. v. 23. Nov. 1872 zu citiren das Geſ. v. 6. Dezemb. 1873. (Geſetzbl. f. Elſ. -Lothr. 1873 S. 331.)
    • Note 2 iſt ſtatt 1872 zu leſen 1871 .
    • Note 7 Ziff. 1 iſt nach §§. die Ziffer 50 hinzuzufügen.
  • S. 255 Note 3 iſt ſtatt §. 15 Abſ. 8 zu leſen §. 15 Abſ. 3 .
[1]

Zehntes Kapitel. Die bewaffnete Macht des Reiches*)Literatur. Die Militair-Geſetze des Deutſchen Reiches mit Erläuterungen herausgegeben auf Veranlaſſung des Kgl. Preuß. Kriegs - miniſteriums. Berlin, Mittler und Sohn. 1877. 78. 6 Abtheilungen, welche 2 Bände bilden. Dieſes Buch iſt das beſte Werk, welches die deutſche Militair - rechts-Literatur bisher beſitzt; die Erläuterungen zeichnen ſich ebenſoſehr durch Kürze wie durch Umſicht und Sachkenntniß aus. Karl v. Helldorff. Dienſtvorſchriften der Königl. Preuß. Armee. 4 Thle. in zahlreichen Abtheilungen. Die dritte Aufl. dieſes trefflichen Werkes iſt noch nicht vollendet, inzwiſchen iſt von Thl. 1 Abth. 1. die 4. Aufl. (Berlin 1879. A. Bath. ) erſchienen. v. Brieſen. Das Reichskriegsweſen und die preuß. Militair-Geſetzgeb. Düſſeldorf 1872. A. Frölich. Die Verwaltung des deutſchen Heeres. 2 Bde. 4. Aufl. Berlin 1875. Dazu zwei Ergänzungshefte. Berlin 1876. 1877. H. v. Löbell. Jahresberichte über die Veränderungen und Fortſchritte im Militairweſen. Seit 1874 jährlich ein Band. Berlin, Mittler und Sohn. Hervorzuheben iſt hier beſonders die Abhandlung Bd. I S. 1 ff. H. Blankenburg. Das Heerweſen des deutſchen Reichs. In v. Holtzen - dorff’s Jahrb. f. Geſetzgeb., Verwaltung und Rechtspfl. d. D. R. B. I S. 379 ff. Thudichum. Die Grundlagen der heutigen deutſchen Kriegsverfaſſung. Ebenda Bd. II S. 87 ff. Vgl. auch deſſelben Verfaſſers Verfaſſungsrecht des Nordd. Bundes. Tübingen 1870 S. 368 ff. Seydel. Das Kriegsweſen des deutſchen Reichs, in Hirth’s Annalen des deutſchen Reichs. 1874 S. 1035 ff., 1875 S. 53 ff. 1081 ff. 1393 ff. Ferner v. Rönne das Staatsr. des deutſchen Reichs. II, 2 S. 111 fg..

Erſter Abſchnitt. Verfaſſungsrechtliche Grundlagen.

§. 77. Allgemeine Prinzipien.

Nach dem Eingang der Reichsverfaſſung iſt das Reich ge - gründet zum Schutz des Bundesgebietes und des innerhalb des -Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 12§. 77. Allgemeine Prinzipien.ſelben gültigen Rechtes ; dem Reiche müſſen daher die zur Er - füllung dieſer Aufgabe erforderlichen ſtaatlichen Machtmittel zur Verfügung ſtehen. Die völkerrechtliche Stellung des Reiches als politiſche Einheit wäre praktiſch bedeutungslos ohne Zuſammen - faſſung und einheitliche Organiſation der im Reiche vorhandenen Streitkräfte; die Willensacte des Reiches ſowohl im internationalen Verkehr mit auswärtigen Mächten als auch in Ausübung der ſtaat - lichen Funktionen im Innern würden der Energie und Würde ent - behren, wenn das Reich nicht im Stande wäre, denſelben durch Entfaltung phyſiſcher Kraft Nachdruck zu geben. Alle Schriftſteller über das Weſen und die Einrichtungen des Bundesſtaates waren von jeher darüber einig, daß ſowie die völkerrechtliche Vertretung und die Wahrnehmung der internationalen Intereſſen ſo auch die Ordnung des Heerweſens und der Oberbefehl über die bewaffnete Macht zur Kompetenz der Bundesgewalt gehöre. Auch die Reichs - verfaſſung erkennt dieſes Prinzip an, welches durch die Natur der Sache von ſelbſt geboten iſt, und ſie ſichert nach allen Richtungen die thatſächliche Durchführung deſſelben. Die ſtaatsrechtliche Ge - ſtaltung aber, welche dieſe Durchführung gefunden hat, die formell juriſtiſche Form, in welche die Rechte des Reiches auf dem Gebiete des Heerweſens gebracht worden ſind, gehört zu den eigenthüm - lichſten und ſonderbarſten Gebilden des öffentlichen Rechts. Die herrſchende Theorie, welche das Weſen des Bundesſtaates darin erblickt, daß ein Theil der ſtaatlichen Thätigkeit ganz und aus - ſchließlich unter die ſouveräne Gewalt des Bundes, der andere Theil ebenſo vollſtändig und ausſchließlich unter die ſouveräne Gewalt der Einzelſtaaten fällt1)Vgl. Bd. I S. 73 fg., erweiſt ſich zwar auf ſämmtlichen Gebieten des Reichsrechts als falſch und undurchführbar, kaum irgendwo tritt dies aber klarer zu Tage als beim Heerweſen; denn grade hier ſind die Sphären der Reichsgewalt und der Gliedſtaatsgewalt in einer ſolchen Weiſe mit einander verknüpft und verſchlungen, daß von einer völligen Trennung derſelben nur ſolche Schriftſteller reden können, welche die Fähigkeit beſitzen,*)und G. Meyer Lehrb. des deutſchen Staatsr. S. 509 ff. Die Schrift von Lor. v. Stein, Die Lehre vom Heerweſen. Als Theil der Staatswiſſen - ſchaft. Stuttg. 1872. behandelt nicht das poſitive Staatsrecht.3§. 77. Allgemeine Prinzipien.gegen die wirklich beſtehenden Einrichtungen und die wahre Natur der Dinge feſt die Augen zu verſchließen.

Die Eigenthümlichkeiten des deutſchen Militairrechts beruhen nicht auf rationellen Gründen, auf allgemeinen Rechtsprinzipien oder auf ſachlichen (techniſchen) Erwägungen, ſondern lediglich auf hiſtoriſchen Urſachen, auf der Art und Weiſe, wie die Grün - dung des Reiches ſich vollzogen hat, und auf dem Zuſtande des Heerweſens, den das Reich bei ſeiner Entſtehung als thatſächlich gegeben vorgefunden hat. Denn das, was der Militairverfaſſung des deutſchen Reiches einen ſo eigenartigen, ja man kann faſt ſagen abſonderlichen, Charakter verleiht, iſt nicht die conſequente Durch - führung eines eigenthümlichen ſtaatsrechtlichen Grundſatzes, ſondern der Mangel eines einheitlichen Prinzips, indem ſowohl für die ver - ſchiedenen Theile der bewaffneten Macht als für die verſchiedenen Territorien, aus denen ſich das Bundesgebiet zuſammenſetzt, ganz ver - ſchiedene Rechtsſätze beſtehen. Insbeſondere kommt für die Marine ein anderes Grundprinzip zur Anwendung wie für das Heer, und rückſichtlich des Heeres kann man behaupten, daß die in der R.V. enthaltene Regelung des Verhältniſſes zwiſchen Reich und Einzel - ſtaat nirgends im ganzen Reiche unveränderte Geltung hat und auch von Anfang an gar nicht haben ſollte; denn ſchon bei der Feſtſtellung der Norddeutſchen Bundesverfaſſung und der Reichs - verfaſſung wurde durch vertragsmäßige Vereinbarungen für alle Einzelſtaaten ein Zuſtand herbeigeführt, der für einige derſelben eine Erweiterung, für die meiſten eine Beſchränkung, für alle eine Veränderung der verfaſſungsmäßigen Befugniſſe darſtellt. Die Reichsverfaſſung enthält demnach gleichſam ein Idealrecht, welches nirgends verwirklicht iſt, das vielmehr nur die Normallinie bildet, um welche ſich die thatſächlich in Geltung ſtehenden Regeln in mancherlei Windungen ziehen.

Als der norddeutſche Bund gegründet wurde, war unter allen Staaten, welche ſich zu demſelben vereinigten, nur ein einziger, der eine Kriegsmarine hatte, nämlich Preußen. Es war daher nicht die mindeſte Schwierigkeit vorhanden, die Preuß. Kriegsmarine nebſt dem dazu gehörigen Inventar, Häfen, Werften u. ſ. w. dem Bunde zu überweiſen, die Koſten ihrer Erhaltung, Vergrößerung, Verwaltung auf den Bundesetat zu übernehmen, den Oberbefehl dem Könige von Preußen, der ja zugleich Präſident des Bundes1*4§. 77. Allgemeine Prinzipien.war, uneingeſchränkt zu laſſen und die mit der Verwaltung betraute Behörde zur Bundesbehörde zu erklären. Der Eintritt der ſüd - deutſchen Staaten in den Bund bot begreiflicher Weiſe keinen An - laß, in dieſer Beziehung eine Aenderung vorzunehmen. Hinſicht - lich der Marine beſteht daher ein ſehr einfacher und durchgreifender Grundſatz; ſie iſt ausſchließlich Reichs-Angelegenheit; ſie iſt in Wahrheit einheitlich; die Einzelſtaaten ſind als ſolche völlig unbe - theiligt; Geſetzgebung, Verwaltung, Oberbefehl, Dienſtherrlichkeit ſtehen einzig und allein dem Reiche, reſp. dem Kaiſer zu. Für keinen Verwaltungszweig iſt die Emancipation des Reiches von den Einzelſtaaten vollſtändiger durchgeführt wie für die Marine. Dagegen waren alle zum norddeutſchen Bunde beziehentlich zum Deutſchen Reiche ſich vereinigenden Staaten von Alters her im Beſitze militairiſcher Streitkräfte und in der durchaus ſelbſtſtändigen Ausübung der militairiſchen Hoheitsrechte. Der ehemalige deutſche Bund beſchränkte die Militairhoheit der deutſchen Staaten ebenſo - wenig, wie er im Uebrigen ihrer Souveränetät Abbruch that; er begründete nur eine Verpflichtung aller deutſchen Staaten zu gegenſeitigem Schutz und Beiſtand d. h. zur Vereinigung ihrer Truppen im Falle eines gemeinſchaftlichen Krieges zu einer com - binirten Heeresmacht, der ſogen. Bundesarmee. In Folge dieſer völkerrechtlichen Verpflichtung, welche eine der weſentlichſten Seiten des Bundesverhältniſſes bildete, verabredeten die deutſchen Staaten in der Form von Bundesbeſchlüſſen gewiſſe allgemeine Grundzüge der Heeresorganiſation und ſie ſetzten eine nach der Bevölkerungs - zahl bemeſſene Präſenzſtärke feſt, zu deren Bereithaltung die ein - zelnen Staaten ſich gegenſeitig verbindlich machten. Sie einigten ſich ferner über Errichtung, Erhaltung und Beſetzung gewiſſer im gemeinſchaftlichen Intereſſe der Landesvertheidigung nothwendigen Feſtungen. Den Inbegriff dieſer Verabredungen (Bundesbeſchlüſſe) bezeichnete man mit dem Namen Bundeskriegsverfaſſung ; die - ſelben waren in jeder Beziehung ungenügend, um eine wirkliche Uebereinſtimmung in der Formation, Bewaffnung und Ausbildung der einzelnen Kontingente herbeizuführen, um das Gefühl der Zu - ſammengehörigkeit, gleichmäßiger Kriegstüchtigkeit und ſolidariſcher Verantwortlichkeit zu ſtärken, um ein einheitliches Zuſammenwirken der combinirten Heereskörper im Falle eines Krieges zu ſichern, endlich um die Laſten des Heerweſens auf die geſammte Bevölke -5§. 77. Allgemeine Prinzipien.rung Deutſchlands gleichmäßig zu vertheilen. Schon lange vor dem Zuſammenbruch des Bundes war die Preußiſche Regierung eifrig und unabläſſig bemüht eine Verbeſſerung des Bundesmilitair - weſens herbeizuführen; dieſe Beſtrebungen waren aber ohne erheb - lichen Erfolg.

Auch bei der im Jahre 1866 von Preußen beantragten Bundes - reform ſtand die Reviſion der Bundeskriegsverfaſſung in erſter Reihe; die Vorſchläge der Preußiſchen Regierung vom 11. Mai 18661)Vgl. Bd. I S. 12. enthielten die Forderung einer Conſolidirung der mili - tairiſchen Kräfte Deutſchlands für Feldarmee - und Feſtungsweſen aus dem Geſichtspunkte einer beſſeren Zuſammenfaſſung der Ge - ſammtleiſtung, ſo daß deren Wirkung gehoben und die Leiſtung des Einzelnen möglichſt erleichtert wird. Die Geſichtspunkte, von denen die Preuß. Regierung bei ihren Anträgen auf Reform der alten Bundeskriegsverfaſſung ausgegangen iſt, wurden dann bei den Vorſchlägen zur Gründung eines neuen Bundesverhältniſſes feſtgehalten. In den Grundzügen zu einer neuen Bundesver - faſſung vom 10. Juni 18662)Vgl. Bd. I S. 13 fg. Art. IX ſind dieſelben näher aus - geführt und die hier präciſirten Vorſchläge ſind abgeſehen von der damals beabſichtigten Theilung der Landmacht des Bundes in eine Nordarmee unter Preußiſchem und in eine Südarmee unter Bayeriſchem Oberbefehl im Weſentlichen in die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes übergegangen. Sie knüpfen an das be - ſtehende Recht an und nehmen die Fortexiſtenz der Armeen der ein - zelnen Staaten als getrennter, von einander unabhängiger Kontin - gente zur Vorausſetzung; von dem Gedanken einer Verſchmelzung dieſer Kontingente zu einer einheitlichen Bundesarmee findet ſich nicht die leiſeſte Andeutung. Nach den Grundzügen vom 10. Juni 1866 ſoll jede Regierung die Verwaltung ihres Kontingents ſelbſt führen, die erforderlichen Auslagen vorbehaltlich gemeinſamer Ab - rechnung leiſten, die Offiziere des eigenen Kontingentes ernennen. Der Bundes-Oberfeldherr ſoll das Recht und die Pflicht haben, dafür Sorge zu tragen, daß die bundesbeſchlußmäßigen Kontingente vollzählig und kriegstüchtig vorhanden ſind und daß die nothwendige Einheit in der Organiſation, Formation, in Bewaffnung und Com -6§. 77. Allgemeine Prinzipien.mando, in der Ausbildung der Mannſchaften, ſowie in der Quali - fikation der Offiziere hergeſtellt wird; er ſoll die Befugniß haben diejenigen Kommando’s, unter welchen mehr als ein Kontingent ſteht, zu beſetzen; er ſoll die kriegsbereite Aufſtellung jedes Theils der Bundesarmee anordnen dürfen und die Bundesregierungen ſollen ſich verpflichten, eine ſolche Anordnung in Betreff ihrer Kontingente unverzüglich auszuführen. Für das Bundesheer ſoll ein gemeinſchaftliches Militairbudget mit der Nationalvertretung vereinbart werden; die Ausgaben ſollen durch Matrikularbeiträge der Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung gedeckt werden; Er - ſparniſſe ſollen nicht der einzelnen Regierung, welche ſie macht, ſondern dem Bundeskriegsſchatze zufallen. Die Wortfaſſung der geltenden Reichsverfaſſung zeigt an vielen Stellen ihre Abſtammung aus jenen Grundzügen vom 10. Juni 1866; die Anordnungen der R.V. ſind zwar ſehr viel genauer und vollſtändiger, in keiner Be - ziehung aber prinzipiell verſchieden.

Als oberſtes Prinzip der Militairverfaſſung des deutſchen Reiches iſt daher der Satz feſtzuhalten: Es giebt kein Heer des Reiches, ſondern nur Kontingente der Einzel - ſtaaten. Wenn der Art. 63 der Reichsverf. den Satz an die Spitze ſtellt: die geſammte Landmacht des Reichs wird ein ein - heitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehl des Kaiſers ſteht , ſo hat dies einen völlig anderen juriſti - ſchen Sinn, als wenn der Art. 53 der Reichsverf. ſagt: die Kriegsmarine des Reichs iſt eine einheitliche unter dem Ober - befehl des Kaiſers. Die Einheit der Kriegsmarine iſt eine innere untheilbare, durch Begriff und Weſen gebotene, die Reichsarmee dagegen iſt eine zuſammengeſetzte Einheit; die Einheitlichkeit der Landmacht des Reiches hebt die geſonderte Exiſtenz der Contingente der einzelnen Staaten nicht auf, ſondern ſie bedeutet lediglich das Band, welches dieſe verſchiedenen Kontingente zuſammenhält. Die Einheit iſt bei der Marine Conſequenz, bei dem Heer Modifikation des Grundprinzips. Die Contingente der einzelnen Bundesſtaaten werden zum einheitlichen Heere zuſammengefaßt durch drei, unten noch näher zu erörternde Einrichtungen, nämlich durch den Ober - befehl des Kaiſers in Krieg und Frieden, durch die völlig über - einſtimmende gleichmäßige Organiſation, Bewaffnung, Ausbildung u. ſ. w. und durch die Beſtreitung der geſammten Koſten aus7§. 77. Allgemeine Prinzipien.Reichsmitteln. Die ſtrenge Durchführung dieſer 3 Sätze hat aller - dings den Erfolg, daß die aus den Kontingenten der Einzelſtaaten zuſammengeſetzte Armee im militairiſch-techniſchen Sinne eine ein - heitliche iſt, denn die Heereskörper, aus denen die Einheit ſich combinirt, ſind materiell gleichartig; mag dies aber in noch ſo hohem Grade erreicht werden, mögen die verſchiedenen Kontingente als ununterſcheidbare Beſtandtheile einer durchweg gleichmäßigen Armee erſcheinen, formell juriſtiſch bleibt der Grundſatz beſtehen, daß eine Reichsarmee nicht exiſtirt, ſondern daß dies nur eine Collektivbezeichnung iſt, um die Contingente der einzelnen Bundes - ſtaaten zuſammenzufaſſen.

Dieſem Prinzip ſteht nun aber ein zweites, nicht minder wich - tiges zur Seite: die Einzelſtaaten haben zwar Truppen, aber die ihnen zuſtehende Militairhoheit iſt keine ſouveräne. Sowie die Souverainetät der Gliedſtaaten durch die Unterordnung unter die Reichsgewalt im Allgemeinen aufgehoben iſt1)Vgl. Bd. I §. 9 u. 10., ſo auch insbeſondere hinſichtlich des Militairweſens. Kein Staat iſt befugt, ſeine Armee nach eigenem Belieben zu organiſiren, zu bewaffnen, auszubilden u. ſ. w., ſondern das Reich ertheilt die Vorſchriften, nach denen dies geſchehen muß. Die Wehrpflicht der Bevölkerung, die Rekrutirung, die Qualifikation und das Dienſtrechtsverhältniß der Offiziere, der Einfluß des Militärverhältniſſes auf andere Rechtsverhältniſſe, das Militair-Strafrecht, - Prozeß, - Disciplinar - recht, die Verpflegung und Ausrüſtung, die Militairlaſten u. ſ. w., mit einem Worte die geſammte Einrichtung des Heerweſens wird vom Reich normirt; Geſetzgebung und im praktiſchen Reſultat auch die Verordnungsgewalt in Armeeangelegenheiten werden vom Reich ausgeübt. Die Einzelſtaaten ſind formell die Subjecte der Mili - tairhoheit, aber Inhalt und Umfang derſelben beſtimmt das Reich; jeder einzelne Staat hat (nach der Reichsverf. ) eine Armee für ſich, aber nicht nach eigenem Belieben, ſondern nur eine ſo be - ſchaffene, wie das Reich ihm erlaubt und wie das Reich ihm be - befiehlt. Ferner: die Landesherren ſind die Kontingentsherren, Mannſchaften und Offiziere ſtehen zu ihnen im militairiſchen Dienſt - verhältniß, ſind ihnen zu militairiſcher Treue verbunden und leiſten ihnen den Fahneneid; aber der Kaiſer hat den Oberbefehl, das8§. 77. Allgemeine Prinzipien.Recht auf Gehorſam, das Recht die oberſten Kommando’s zu be - ſetzen und die Befugniß, die einzelnen Kontingente zu inſpiziren und die Abſtellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen. Die Kontingente ſind formell Machtmittel der Einzelſtaaten, ma - teriell Machtmittel des Reiches; ſie gleichen einem Vermögen, das dem Einen gehört, über das der Andere aber die Verfügung hat. Endlich ſteht den Einzelſtaaten zwar die Verwaltung ihrer Kontingente zu, aber dieſelbe iſt eine durchaus unfreie; ſie iſt nach den vom Reich gegebenen Geſetzen, Verordnungen und Reglements, nach den vom Kaiſer erlaſſenen Befehlen und nach Maßgabe der im Reichshaushaltsgeſetz feſtgeſtellten Etats zu führen. Die Einzel - ſtaaten leiſten (nach der R.V.) die für ihre Kontingente erforder - lichen Ausgaben, aber es ſteht ihnen kein Pfennig zur Verfügung, der ihnen nicht durch das Reichsbudget angewieſen iſt; ſie können keine Erſparniſſe machen, die ſie nicht der Reichskaſſe überlaſſen müßten; ſie haben nicht darüber zu befinden, welche Ausgaben zu leiſten oder zu unterlaſſen ſind, ſondern ſie ſind auf die Ausfüh - rung deſſen beſchränkt, was ihnen vorgezeichnet iſt.

Auf der Verbindung dieſer beiden Prinzipien beruht das Heerweſen des Deutſchen Reiches nach derjenigen Organiſation, welche gemäß der Reichsverfaſſung die normale iſt. Hiervon weicht aber der thatſächlich beſtehende Zuſtand ſehr erheblich ab. Zunächſt darf man nicht überſehen, daß die in der R.V. anerkannten Rechts - ſätze in Preußen eine völlig andere Wirkung äußern, wie in allen übrigen Bundesſtaaten: denn da der König von Preußen zugleich Kaiſer iſt, ſo wird die Theilung der Befugniſſe zwiſchen Landesherrn (Kontingentsherrn) und Kaiſer (Oberfeldherrn), welche die R.V. anordnet, hier nicht effectiv; ſie bleibt eine nominelle, wirkungsloſe; die quoad jus getrennten Befugniſſe fließen quoad exercitium wieder zuſammen. Daſſelbe gilt vom Reichslande, über welches der Kaiſer die Staatsgewalt ausübt. Nach der ent - gegengeſetzten Richtung entfernt ſich der für Bayern anerkannte Rechtszuſtand von dem verfaſſungsmäßigen Normalrecht, indem durch den in der R.V. beſtätigten Verſailler Vertrag vom 23. Nov. 1870 dem Könige von Bayern im Frieden der Oberbefehl über ſeine Armee und die Beſetzung ſämmtlicher Kommando’s in der - ſelben überlaſſen, die Fortgeltung der Bayeriſchen Militairgeſetze, Verordnungen, Reglements u. ſ. w. bis zur Aufhebung im Wege9§. 77. Allgemeine Prinzipien.der Reichsgeſetzgebung zugeſtanden, die Selbſtſtändigkeit der Armee - verwaltung, insbeſondere auch hinſichtlich der Aufſtellung der Special - etats, Rechnungscontrole u. ſ. w., gewährleiſtet worden iſt. Wenn man der Kürze wegen an dieſer Stelle die Rechte des Kaiſers als Oberbefehl, diejenigen des Landesherrn als Contingentsherrſchaft charakteriſirt, ſo laſſen ſich ſchon nach den vorſtehenden Ausfüh - rungen drei Gruppen unterſcheiden; in Preußen und dem Reichs - land ſind Oberbefehl und Kontingentsherrſchaft vereinigt in der Hand des Kaiſers, in Bayern ſind ſie (im Frieden) vereinigt in der Hand des Königs, in allen andern Staaten ſind ſie der Verfaſſung nach getrennt. Mit Ausnahme von Württemberg, Sachſen und Braunſchweig iſt dieſe Trennung aber auf einem Umwege beſeitigt, indem alle übrigen Staaten mit Preußen Conventionen abgeſchloſſen haben, durch welche ſie die Verwaltung ihrer Kontingente, die Er - nennung der Offiziere und Beamten und die meiſten anderen nach der R.V. ihnen zuſtehenden militairiſchen Hoheitsrechte dem Könige von Preußen zur Ausübung übertragen und ſich nur gewiſſe Ehren - rechte von geringer ſtaatsrechtlicher und politiſcher Bedeutung vor - behalten haben. Durch dieſe freiwillige Abtretung der in der Kon - tingentsherrlichkeit enthaltenen, durch die R.V. den Landesherren zuerkannten Rechte an den König von Preußen wird für dieſe Staaten thatſächlich derſelbe Zuſtand begründet, als hätte die Reichsverf. ihnen die Militairhoheit und die Verwaltung ihrer Kontingente gänzlich entzogen und das Heer ebenſo wie die Marine zur Inſtitution des Reiches gemacht. Für das Reich aber entſteht ein thatſächlich zwar ſehr einfacher, juriſtiſch aber ſehr com - plizirter Rechtszuſtand; denn das Reich als ſolches hat durch die erwähnten Conventionen kein weitergehendes Recht erlangt, als die Reichsverf. ihm zuſchreibt; alle von den Einzelſtaaten aufgegebenen Rechte ſind Preußen zugefallen; die Kontingente der erwähnten Einzelſtaaten ſind nicht Reichstruppen geworden, ſondern dem Preußiſchen Kontingente zugewachſen, ſie ſtehen nicht unter Ver - waltung des Reiches, ſondern unter Preußiſcher Verwaltung. Während die Reichsverfaſſung von dem Grundſatz ausgeht, daß es ſoviele Armee-Kontingente giebt, als Bundesglieder vorhanden ſind, iſt durch die Militairkonventionen der Effekt erzielt worden, daß nur 5 getrennte Kontingente vorhanden ſind, das Preußiſche, Baye - riſche, Württembergiſche, Kgl. Sächſiſche und Braunſchweigiſche. Das10§. 77. Allgemeine Prinzipien.Preußiſche Kontingent aber beſteht wieder aus Beſtandtheilen, deren Zugehörigkeit auf 3 verſchiedenen Gründen beruht; der Kaiſer iſt Kontingentsherr über die Preußiſchen Truppen kraft ſeines Mo - narchenrechts (jure proprio), über die elſaß-lothringiſchen Trup - pen kraft der Delegation der landesherrlichen Rechte Seitens des Reiches durch das Geſetz vom 9. Juni 1871 §. 3, über die Truppen der andern Staaten kraft der Ceſſion Seitens der Landesherren und Senate durch die Militairkonventionen.

Obwohl in der angegebenen Beziehung ſämmtliche Konventionen übereinſtimmen1)Selbſtverſtändlich mit Ausnahme der hier nicht in Rede ſtehenden Württembergiſchen und Sächſiſchen., ſo enthalten ſie doch im Uebrigen überaus mannig - fache und von einander abweichende Anordnungen, ſo daß ein völlig gleichheitlicher Rechtszuſtand auch in den mit Preußen hinſichtlich der Militairverwaltung verbundenen Gebieten durchaus nicht be - ſteht. Bei den betreffenden Lehren werden dieſe Beſtimmungen Erwähnung finden; hier iſt nur folgender Punkt von allgemeiner Bedeutung noch hervorzuheben. Die ehemaligen Bundeskontingente einiger Staaten ſind im Jahre 1867 gänzlich aufgelöſt worden, nämlich in Schwarzburg-Sondershauſen, Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, und in den 3 Hanſeſtädten. Dieſe Staaten gelten in militairiſcher Hinſicht als Preußen einverleibt; ihre Wehr - pflichtigen werden in Preußiſche Truppentheile eingeſtellt. In den andern Staaten dagegen ſind die Kontingente nur nach Preußiſchem Muſter reorganiſirt und in den Verband der Preußiſchen Armee aufgenommen worden; die Regimenter werden nach dem Staate, dem ſie angehören, benannt, tragen am Helm das Landes-Wappen und die Landeskokarde, ergänzen ſich vorzugsweiſe aus den Wehr - pflichtigen der betreffenden Staaten und haben Garniſonen in letz - teren erhalten. In den größeren Staaten, insbeſondere in Mecklen - burg, Heſſen und Baden iſt außerdem die Kontingentsgemeinſchaft der den betreffenden Staaten angehörigen Truppen gewahrt; die Heſſiſchen bilden eine geſchloſſene Diviſion, die Badiſchen ein Armee - corps für ſich und ſind als ſolche ein Beſtandtheil der Preußiſchen Armee2)Im Einzelnen weichen auch die Conventionen mit Baden, Heſſen und Mecklenburg nicht unerheblich von einander ab..

Mit Braunſchweig iſt eine Militairconvention zwar nicht11§. 77. Allgemeine Prinzipien.abgeſchloſſen worden und der Herzog übt im Allgemeinen die Rechte eines Kontingentsherrn aus, insbeſondere die Ernennung, Beförderung, Verabſchiedung der Offiziere; es ſind aber die Braun - ſchweigiſchen Truppen nicht nur ebenfalls nach dem Muſter der Preußiſchen formirt und in entſprechende taktiſche Verbände des Preußiſchen Heeres eingereiht und den Preußiſchen Kommandobe - hörden unterſtellt worden, ſondern es iſt auch das Braunſchweigiſche Kontingent ganz in die finanzielle Verwaltung und Abrechnung des Preußiſchen Heeres eingetreten1)Militairgeſetze des D. Reiches I S. 61..

Es bleiben demnach im Ganzen nur zwei Staaten übrig, auf welche die in der R.V. normirte Ordnung des Heerweſens, insbe - ſondere die hier anerkannte Theilung der ſtaatlichen Militair - hoheitsrechte zwiſchen Reich und Einzelſtaat wirklich Anwendung findet, nämlich die Königreiche Sachſen und Württemberg; und auch mit ihnen ſind Militairconventionen abgeſchloſſen worden, durch welche zwar nicht die prinzipiellen Grundlagen verändert, wohl aber die in der Reichsverfaſſung gezogenen Grundlinien der beiderſeitigen Kompetenz verſchoben worden ſind, in praktiſch minder erheblichem Grade zu Gunſten Sachſens, in bedeutenderem Maße zu Gunſten Württembergs.

Sowie hinſichtlich der Poſt - und Telegraphenverwaltung für den größten Theil des Bundesgebietes thatſächlich eine größere Einheitlichkeit und Concentration durchgeführt iſt, als die Reichs - verfaſſung anordnet, ſo iſt auch hinſichtlich des Heerweſens die Einheit thatſächlich weit über das in der Reichsverfaſſung beſtimmte Maß hinausgeführt. Die reichsverfaſſungsmäßigen Grund - lagen der Militairorganiſation laſſen ſich in dem Satze zuſammen - faſſen: Dem Reiche ſteht zu die einheitliche Ordnung und Einrichtung des Heeres, der Oberbefehl in Krieg und Frieden, die Feſtſtellung des Rekrutenbedarfs und des Ausgabe-Etats; den Einzelſtaaten iſt ver - blieben die Kontingentsherrlichkeit und die Selbſt - verwaltung.

Die in dieſem Satze zuſammengefaßten Momente werden nun im Einzelnen darzuſtellen ſein.

12§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres - Einrichtungen.

I. Die Militairgeſetzgebung.

Zur Zeit der Errichtung des Norddeutſchen Bundes hatte jeder deutſche Staat ſein beſonderes Militairrecht und ſeine beſon - dere Heeres-Organiſation. Dieſe Vielgeſtaltigkeit ſollte beſeitigt und durch eine einheitliche Regelung erſetzt werden; zu dieſem Zwecke wurden in die Verfaſſung zwei Sätze aufgenommen, Art. 4, Ziff. 14 und Art. 61, welche in die Reichsverfaſſung übergegangen ſind. Die erſte dieſer Beſtimmungen wies dem Bunde die Kompe - tenz zur Geſetzgebung über das Militairweſen und die Kriegs - marine ohne jede Beſchränkung zu und ſetzte ihn dadurch in den Stand, ein vollkommen einheitliches, formell gemein verbindliches, alle Seiten des Heerweſens vollſtändig regelndes Militairrecht zu ſchaffen. Für die Dauer war dieſe Befugniß des Bundes zwar völlig ausreichend und bedurfte keiner Ergänzung; für den Augenblick aber war ſie ungenügend und wirkungslos, da die Herſtellung einer umfaſſenden Bundes-Militairgeſetzgebung ein ſchwieriges, zeit - raubendes und von unvorherzuſehenden Hinderniſſen bedrohtes Werk war. Es war unmöglich, bis zur glücklichen Löſung einer ſo weit - reichenden legislatoriſchen Aufgabe die zahlreichen partikulären Militairordnungen fortgelten zu laſſen. Ueberdies kam es nicht darauf an, ein wirklich neues Militairrecht zu ſchaffen und eine neue Heeres-Einrichtung zu treffen. Man hatte vielmehr in Preußen eine muſtergültige, in Frieden und Krieg bewährte Organi - ſation, eine bis in das feinſte Detail ausgebildete und durch eine langjährige und reiche Praxis erprobte Armee-Verwaltung und eine in dem Rechtsbewußtſein und in den Lebensverhältniſſen des Volkes ſowie in den Traditionen der geſammten Staatsverwaltung feſtwurzelnde Militair-Rechtsordnung und Geſetzgebung. Es lag keine Veranlaſſung vor, an dieſer Ordnung des Heerweſens zu rütteln oder ſie in Frage zu ſtellen1)Der Gefahr, daß durch übereinſtimmende Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundes - rathes und Reichstages die Preußiſchen Militairgeſetze und Einrichtungen gegen den Willen Preußens Veränderungen erlitten, wurde dadurch vorgebeugt, daß im Art. 5 Abſ. 2 der B. Verf. dem Präſidium d. h. dem König von Preußen ein Veto eingeräumt wurde. Vgl. Bd. I S. 280. Bd. II S. 36.; was für den weitaus größten13§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.Theil des Bundes in Geltung ſtand, konnte auf den übrigen Theil ausgedehnt werden, zumal im Königr. Sachſen eine Reorganiſation der Armee ohnedies in Folge des Krieges von 1866 nothwendig war, die andern Bundesſtaaten aber zu klein waren, als daß ſie eine Militairgeſetzgebung von ſelbſtſtändiger Bedeutung hätten ſchaffen können.

Die ſofortige Herſtellung der Rechtseinheit im Bunde war daher zu erreichen, indem man den Geltungsbereich der Preußiſchen Geſetzgebung auf das ganze Bundesgebiet erſtreckte. Demgemäß verordnete der Art. 61 der B.V., daß in dem ganzen Bundesge - biete die geſammte Preußiſche Militairgeſetzgebung ungeſäumt ein - zuführen ſei, mit alleiniger Ausnahme der Militair-Kirchenordnung. Die hierdurch gewonnene Rechtseinheit ſollte aber in formeller Hinſicht nur eine proviſoriſche ſein; durch ein umfaſſendes Bundes - Militairgeſetz ſollte die definitive Codifikation des Militairrechts im verfaſſungsmäßigen Wege der Bundesgeſetzgebung erfolgen. Art. 61 Abſ. 2. Dem Geltungsgebiet der Preußiſchen und der Bundes - Militairgeſetzgebung trat Südheſſen durch die Militair-Convention vom 7. April 1867 Art. 2 hinzu1)Glaſer Archiv I Heft 3 S. 54. Thudichum Verfaſſungsr. des Nordd. Bundes S. 397 fg.; ferner Baden und Württem - berg durch die Bündnißverträge von Verſailles vom 15. Nov. 1870 und von Berlin vom 25. Nov. 18702)B. G.Bl. 1870 S. 650 654. Für Württemberg wurden in der Milit. Konv. v. 21 / 25. Nov. 1870 Art. 10 zwar einige Ausnahmen gemacht, indem gewiſſe Württembergiſche Geſetze und Einrichtungen vorerſt und bis zur Regelung im Wege der Bundesgeſetzgebung in Geltung verbleiben ſollten; dieſer Vorbehalt hat aber gegenwärtig, abgeſehen von der Milit. -Kirchenordnung, praktiſche Bedeutung nur noch hinſichtlich der Milit. -Strafgerichtsord - nung, da alle übrigen in dem Art. 10 aufgeführten Gegenſtände ſeither durch Reichsgeſetze geregelt worden ſind., endlich Elſaß-Lothringen durch das Geſetz vom 23. Januar 1872 (Geſ. Bl. f. Elſ. -Lothr. S. 83).

Für Bayern wurde dagegen durch den Bündnißvertrag vom 23. Nov. 1870 unter III §. 5 und durch die Schlußbeſtimmung zum IX. Abſchn. der R.V. ein anderer Grundſatz anerkannt. Die erſte der beiden oben erwähnten Vorſchriften der R.V., die im Art. 4 Ziff. 14 ſanctionirte unumſchränkte Kompetenz des Reiches zur Militairgeſetzgebung findet auch auf Bayern volle Anwendung;14§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.dagegen iſt die im Art. 61 der R.V. ausgeſprochene Regel hin - ſichtlich Bayerns ausgeſchloſſen. Die in Bayern zur Zeit der Er - richtung des Reiches in Geltung geweſene Militairgeſetzgebung nebſt den dazu gehörigen Vollzugs-Inſtruktionen, Verordnungen, Erläuterungen ꝛc. iſt in Kraft geblieben; die Einführung der be - reits vor dem Eintritte Bayerns in den Bund in dieſer Hinſicht erlaſſenen Geſetze und ſonſtigen Beſtimmungen in Bayern iſt von freier Verſtändigung d. h. von der Einwilligung der Bayeriſchen Regierung abhängig gemacht worden1)Vertrag vom 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. I. ; nur das in den Art. 57 und 59 der R.V. anerkannte Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht hat für Bayern ſofort Geltung erhalten.

Sonach bildet das Bundesgebiet ein einheitliches Rechts - gebiet nur hinſichtlich derjenigen Militairgeſetze, welche ſeit Errich - tung des Deutſchen Reiches erlaſſen worden ſind; hinſichtlich aller übrigen auf das Heerweſen bezüglichen Rechts - und Verwaltungs - vorſchriften dagegen zerfällt es in zwei Rechtsgebiete, welche man als die des Preußiſchen und des Bayeriſchen Rechts einander gegenüberſtellen kann2)Das ältere Bayeriſche Militairrecht iſt zum größten Theil codifizirt in dem Geſetz, betreffend die Wehrverfaſſung, vom 30. Januar 1868. Zu demſelben iſt ein ausführlicher Commentar erſchienen von M. Stenglein. Erlangen 1869. (In die Geſetzgebung des Kgr. Bayern ſeit Maximilian II. Thl. II Bd. 5.). Der Gegenſatz der beiden letz - teren hat aber mit der fortſchreitenden Ausbildung der Reichs - Militairgeſetzgebung und der allmälichen Umgeſtaltung der Bayeri - ſchen Heereseinrichtungen nach Preußiſchem Vorbilde ſeine praktiſche Bedeutung zum größten Theile eingebüßt.

Die Reichs-Militairgeſetzgebung hat einheitliches Recht ge - ſchaffen

  • 1. hinſichtlich der Wehrpflicht, der Organiſation des Heeres und der Rechtsverhältniſſe der Militairperſonen durch das Wehr - geſetz vom 9. Nov. 1867 (B. G.Bl. 1867 S. 131), eingeführt in Bayern durch Reichsgeſ. vom 24. Nov. 1871 (R. G.Bl. 1871 S. 398); das Militairgeſetz vom 2. Mai 1874 (R. G.Bl. 1874 S. 45)
    3)Daß gewiſſe in dieſem Geſetz dem Kaiſer zugewieſene Rechte für das Bayeriſche Kontingent vom König von Bayern ausgeübt werden, was im §. 72
    3), das Landſturmgeſetz vom 12. Februar 187515§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.(R. G.Bl. 1875 S. 63), und das Kontrolgeſetz vom 15. Febr. 1875 (R. G.Bl. 1875 S. 65).
  • 2. hinſichtlich der Penſionirung und Verſorgung der Militair - perſonen durch das Penſionsgeſetz vom 27. Juni 1871 (R. G.Bl. S. 275) und durch die Novelle hierzu vom 4. April 1874 (R. G.Bl. S. 25).
  • 3. hinſichtlich des Militair-Strafrechts durch das Militair - Strafgeſetzbuch vom 20. Juni 1872 (R. G.Bl. S. 173).
  • 4. hinſichtlich der finanziellen Militairlaſten durch das Quar - tierleiſtungsgeſetz vom 25. Juni 1868 (B. G.Bl. 523), ein - geführt in Bayern durch Reichsgeſ. vom 9. Febr. 1875 (R. G.Bl. S. 41), das Naturalleiſtungsgeſetz vom 13. Febr. 1875 (R. G.Bl. S. 52), das Kriegsleiſtungsgeſetz vom 13. Juni 1873 (R. G.Bl. S. 129) und das Feſtungsrayongeſetz vom 21. Dezember 1871 (R. G.Bl. S. 459).

II. Das Militair-Verordnungsrecht.

1. Umfang deſſelben.

Es iſt bereits oben Bd. II S. 210 fg. darauf hingewieſen worden, wie ſchwankend und unſicher die Grenze zwiſchen einer allgemeinen Verwaltungs-Anordnung und der Aufſtellung einer Rechtsregel iſt, wie eine Vorſchrift, die urſprünglich nur als In - ſtruction der Behörden und Beamten gegeben war, zu einem Satze der Rechtsordnung erhoben werden kann, und wie insbeſondere ſowohl die Form der Geſetzgebung zum Erlaß von Verwaltungs - vorſchriften als auch die Form der Verordnung zum Erlaß von Rechtsvorſchriften verwendbar iſt. Alle dieſe Sätze finden in her - vorragender Weiſe Anwendung auf das Militairweſen. Nach der geſchichtlichen Entwicklung deſſelben im ganzen mittleren Europa und insbeſondere im Preußiſchen Staate galt die Armee bis in dieſes Jahrhundert für eine Inſtitution, deren Ordnung und Lei - tung gänzlich dem unbeſchränkten Willen des Landesherrn unter - ſtellt war; man vermochte nicht, ſich den militairiſchen Oberbefehl zu denken ohne die Befugniß, die geſammte Einrichtung des Heeres3)dieſes Geſetzes eine ausdrückliche Anerkennung gefunden hat, ſchließt die ein - heitliche Geltung der objektiven Rechtsnormen dieſes Geſetzes für das ganze Reichsgebiet nicht aus. Das Gleiche gilt auch vom Landſturmgeſetz §. 9 und dem Kontrolgeſetz §. 9.16§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.in allen Beziehungen zu regeln; man hatte überdies der Armee eine ſo geſchloſſene und ſelbſtſtändige Verwaltung gegeben, daß dieſelbe innerhalb der übrigen ſtaatlichen Verwaltungen mit voller Unabhängigkeit fungirte, gleichſam ein Staat im Staate, ſo daß ſie von der Rechtsordnung, die rings um ſie her galt und von allen Veränderungen, welche die letztere erfuhr, unberührt blieb und ganz auf ſich ſelbſt geſtellt ſchien. Erſt durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurde die organiſche Verbindung zwiſchen der Heerverfaſſung und der eigentlichen Staatsverfaſſung wieder gewonnen und die Grundlage, auf welcher die ganze Wehr - verfaſſung ruhte, wieder zum Beſtandtheil der öffentlichen Rechts - ordnung gemacht. Denn der Natur der Sache nach kann die Ver - waltungs-Verordnung nur innerhalb des Verwaltungs-Apparates wirkſam werden; die Militair-Verordnung demnach nur innerhalb der Armee und hinſichtlich der zum militairiſchen Gehorſam ver - pflichteten Perſonen. Die Vorſchriften über die Dienſtpflicht der Unterthanen und über die Verpflichtung zu Vermögensleiſtungen für die Armee ſind daher ihrer Natur nach Rechtsvorſchriften und fallen in das Gebiet der Geſetzgebung im materiellen Sinne, weil es ſich bei ihnen nicht um Befehle an die zum militairiſchen Ge - horſam verpflichteten Perſonen handelt, ſondern um Befehle an Perſonen, die außerhalb des Armeeverbandes ſtehen. Dagegen unterlagen alle Interna der Armee, ſowohl was das dienſtliche Verhältniß der Militairperſonen als was die Organiſation und Formation des Heeres und die Einrichtung der Militair-Anſtalten anlangt, der Regelung durch Verordnung des Kontingentsherrn und der mit der Militair-Verwaltung betrauten Behörden. Daran hat ſich im Prinzip auch durch die Einführung der conſtitutionellen Verfaſſungsform Nichts geändert, da man zwar überall der Volks - vertretung ein Recht der Mitwirkung an der Geſetzgebung einge - räumt, eine verfaſſungsmäßige Abgränzung des der Geſetzgebung unterworfenen Gebietes von demjenigen, auf welchem die Verwal - tung freien Spielraum behielt, aber nicht getroffen hat. Nur ver - mittelſt des Antheils, den die Volksvertretung an der Feſtſtellung des Budgets, an der Kontrole der Staatshaushalts-Rechnungen und an der Ordnung des Finanzweſens im Allgemein hat, iſt es derſelben allmälich gelungen, einen maßgebenden Einfluß auch auf die Ordnung des Heerweſens in ſtets wachſendem Maße zu gewinnen17§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.und zwar vorzugsweiſe in denjenigen Theilen des Militairrechts, die eine vorwiegend finanzielle Bedeutung haben, wie z. B. die Penſionsanſprüche. Je mehr in Folge der Durchführung der all - gemeinen Wehrpflicht die innige Verbindung der Militairverfaſſung mit den übrigen Theilen der Staatsverfaſſung wieder hergeſtellt wurde, und je mehr in Folge der Ausbildung des conſtitutionellen Finanzrechts die Volksvertretung Gelegenheit fand, ſich mit den Armee-Angelegenheiten zu befaſſen, in deſto größerem Umfange fand auch die Form der Geſetzgebung auf die Ordnung des Heer - weſens Anwendung. Immerhin blieb aber die Verwaltungsthätig - keit der Landesherren und der Behörden auf dem Gebiete des Heerweſens eine bei Weitem freiere und durch Geſetze viel weniger beſchränkte als auf irgend einem anderen Gebiete der ſtaatlichen Thätigkeit, mit alleiniger Ausnahme der auswärtigen Angelegen - heiten. Die Reichsverfaſſung hat die Gränzen zwiſchen dem Be - reich der Geſetzgebung und demjenigen der Verwaltungs-Verordnung für das Heerweſen und die Marine prinzipiell nicht geregelt. Während dieſelbe Frage hinſichtlich des Poſt - und Telegraphen - weſens durch Art. 48 Abſ. 2 der R.V. eine ausdrückliche Löſung gefunden hat1)Vgl. Bd. II §. 71 S. 331., fehlt in der R.V. eine entſprechende Beſtimmung hinſichtlich des Heerweſens und der Kriegsmarine.

Wenn im Art. 4 Ziff. 14 der R.V. dem Reiche die Geſetz - gebung über das Militairweſen des Reichs und die Kriegsmarine zugeſprochen wird, ſo iſt dadurch zwar materiell eine ganz unbe - ſchränkte Kompetenz des Reiches zum Erlaß jeder beliebigen, das Militairweſen und die Kriegsmarine betreffenden Vorſchrift aner - kannt, aber es iſt zugleich vermöge des Doppelſinnes, welcher dem Worte Geſetzgebung zukömmt, die Ausübung dieſer Kompetenz an die Bedingung geknüpft, daß dabei die Form der Geſetzgebung, der Geſetzgebungsweg, beobachtet wird2)Vgl. Bd. II §. 58.. Dagegen giebt dieſe Stelle der R.V. keine Auskunft darüber, welche Vorſchriften im Wege der Geſetzgebung getroffen werden müſſen und welche durch Verordnung erlaſſen werden können.

Daß die R.V. aber in der That nicht das ganze Militair - weſen in allen Theilen und Einzelheiten durch Reichsgeſetz ordnenLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 218§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.wollte, ſondern nur gewiſſe, zur geſetzlichen Regelung geeignete Theile, ergibt ſich mit Deutlichkeit aus dem Bündnißvertrag mit Bayern III §. 5, welcher unter Ziff. I beſtimmt:

Bayern behält zunächſt ſeine Militairgeſetzgebung nebſt den dazu gehörigen Vollzugs-Inſtruktionen, Verordnungen, Erläute - rungen ꝛc. bis zur verfaſſungsmäßigen Beſchlußfaſſung über die der Bundesgeſetzgebung anheimfallenden Ma - terien.

Es wird hier alſo vorausgeſetzt, daß es auch ſolche Materien giebt, welche der Bundesgeſetzgebung nicht anheimfallen; leider wird aber auch hier nicht die geringſte Andeutung gegeben, welche Materien dies ſind.

Der Art. 61 Abſ. 2 der R.V. ordnet an, daß nach gleich - mäßiger Durchführung der Kriegsorganiſation des Deutſchen Heeres ein umfaſſendes Reichs-Militairgeſetz dem Reichstage und dem Bundesrathe zur verfaſſungsmäßigen Beſchlußfaſſung vorgelegt wer - den ſoll; aber auch durch dieſe Vorſchrift wird nicht der Weg der Reichsgeſetzgebung als der in Militair-Angelegenheiten ausſchließlich zuläßige erklärt und der Erlaß allgemeiner Verwaltungsverordnungen unterſagt, ſondern der Artikel verſpricht nur, ſelbſt wenn man ihn buchſtäblich interpretirt, ein Reichsgeſetz, welches alle diejenigen Materien umfaſſen ſoll, die überhaupt der geſetzlichen Regelung unterliegen.

Im Art. 61 Abſ. 1 wird die Geſammtheit aller in Preußen ergangener Vorſchriften über das Militairweſen zwar unter dem Ausdruck Preußiſche Militairgeſetzgebung zuſammengefaßt, for - melle Geſetzeskraft wird aber den hierbei erwähnten Reglements, Inſtruktionen und Reſkripten nicht beigelegt1)Dies wurde im verfaſſungberathenden Reichstage von 1867 ausdrück - lich durch eine Erklärung des Bundes-Komm. v. Roon conſtatirt (Stenogr. - Berichte S. 581) und iſt unbeſtritten..

In Ermangelung einer poſitiven verfaſſungsmäßigen Abgrän - zung des Verordnungsrechts iſt demnach dieſelbe aus allgemeinen ſtaatsrechtlichen Prinzipien zu gewinnen, und da laſſen ſich zwei Rechtsſätze bilden, welche feſte Schranken für das Verordnungs - recht aufſtellen und welche der materiellen und der formellen Be - deutung der Worte Geſetz und Verordnung entſprechen.

a) Eine Verwaltungs-Verordnung iſt nur innerhalb der Ver -19§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.waltung wirkſam und kann alſo nur Interna der Armee - und Marine-Verwaltung regeln; ſobald eine Vorſchrift den Unterthanen im Allgemeinen oder gewiſſen Klaſſen derſelben, oder den Gemein - den, Korporationen, Eiſenbahn-Unternehmern u. ſ. w. Verpflich - tungen für die bewaffnete Macht auferlegt, oder in das Gerichts - weſen, Steuerweſen, die Gemeindeverfaſſung u. ſ. w. eingreift, iſt ſie ihrem materiellen Inhalt nach nicht mehr eine res interna der Armee - und Marine-Verwaltung, ſondern eine Rechtsvorſchrift1)Vgl. Bd. II S. 223. Hiervon iſt der Fall zu unterſcheiden, daß der Chef eines andern Reſſorts Interna des letzteren im Intereſſe der Militairver - waltung oder mit Rückſicht auf ihre Bedürfniſſe regelt. Hierauf beruhen die zahlreichen gemeinſchaftlichen Verordnungen von 2 oder mehr Miniſtern.. Für ſolche Anordnungen iſt daher der Regel nach die Form der Geſetzgebung erforderlich; es ſei denn, daß der Erlaß derſelben durch ein Geſetz dem Kaiſer oder einem andern ſtaatlichen Organe delegirt iſt (Rechtsverordnung)2)Vgl. Bd. II §. 59 S. 70 fg..

b) Auch Verwaltungs-Vorſchriften können im Wege der Ge - ſetzgebung erlaſſen werden und erhalten dadurch formelle Geſetzes - kraft d. h. ſie können nur wieder im Wege der Geſetzgebung auf - gehoben oder verändert werden3)Vgl. Bd. II S. 95 und S. 209 fg.. Inſoweit daher ein Reichsgeſetz Anordnungen enthält, wenngleich dieſelben nur die innere Verwal - tung der Armee und Marine betreffen, iſt der Erlaß von Verord - nungen, welche damit im Widerſpruch ſtehen, unzuläſſig.

Dagegen iſt das ganze von dieſen beiden Rechtsſätzen nicht eingeſchloſſene Gebiet der freien Regelung durch Verwaltungs-Ver - ordnung unterworfen4)Ueber das Verhältniß derſelben zum militairiſchen Oberbefehl vergleiche den folgenden Paragraphen..

2. Subject des Verordnungsrechts.

Schwieriger und verwickelter als die Feſtſtellung des Umfanges iſt die Beantwortung der Frage, wer zum Erlaß der Militair-Verord - nungen befugt iſt. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß Art. 7 Ziff. 2 der R.V., wonach der Bundesrath über die zur Ausfüh - rung der Reichsgeſetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvor - ſchriften und Einrichtungen zu beſchließen hat, ſofern nicht durch Reichsgeſetz etwas Anderes beſtimmt iſt, auch auf die Militair - und Marine-Verwaltung Anwendung findet. Dieſe Verfaſſungsbeſtimmung2*20§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.giebt aber nur eine theilweiſe Löſung; denn die Ausübung des Ver - ordnungsrechts des Bundesrathes iſt eben an die Vorausſetzung ge - bunden, daß bereits ein Reichsgeſetz erlaſſen iſt. Der Bundes - rath kann nur ſolche allgemeine Verwaltungsvorſchriften beſchließen, welche zur Ausführung der Reichsgeſetze erforderlich ſind. Da nun ein großer Theil der das Heerweſen und die Kriegsmarine betreffenden Anordnungen und Einrichtungen nicht durch Reichs - geſetze geregelt iſt, ſo iſt auch für alle dieſe Gegenſtände ein Verordnungsrecht des Bundesrathes verfaſſungsmäßig nicht be - gründet und ebenſowenig iſt der Bundesrath befugt, in die im Art. 63 der R.V. dem Kaiſer zugewieſenen Rechte des militairiſchen Oberbefehls einzugreifen1)Vgl. auch Bd. II S. 234.. Für die Marine iſt es nun ſelbſt - verſtändlich, daß alle Anordnungen, welche weder in den Bereich der Geſetzgebung noch unter die Kompetenz des Bundesrathes fallen, vom Kaiſer reſp. von den kaiſerlichen Behörden, denen die Ver - waltung der Marine-Angelegenheiten obliegt (Reichskanzler, Ad - miralität u. ſ. w.), zu erlaſſen ſind, da die Marine in der un - mittelbaren und ausſchließlichen Verwaltung des Reiches ſich be - findet. Dies hat auch im Art. 53 Abſ. 1 der Reichsverf. eine geſetzliche Stütze und wenngleich in dieſem Artikel das umfaſſende Verordnungsrecht des Kaiſers keine ganz beſtimmte und ausdrück - liche Anerkennung gefunden hat, ſo iſt daſſelbe doch niemals von irgend einer Seite angefochten oder in Zweifel gezogen worden und es iſt dies auch der Natur der Sache nach unmöglich.

Hinſichtlich des Heeres dagegen entſteht die Frage, ob das Verordnungsrecht in Betreff der durch Reichsgeſetze nicht geregelten Materien dem Kaiſer oder den einzelnen Landesherren für ihre betreffenden Kontingente zuſteht. Für dieſe Frage findet ſich in der Reichsverfaſſung zwar keine direkte Be - antwortung, wohl aber eine indirekte von ſehr eigenthümlicher Be - ſchaffenheit. Da die Verfaſſung des Nordd. Bundes und ebenſo die Reichsverf., wie oben S. 6 ausgeführt worden iſt, die Kon - tingente der Einzelſtaaten nicht beſeitigte, ſondern den letzteren die Kontingentsherrlichkeit und Militairverwaltung ließ, ſo folgt daraus, daß die Landesherren auch das Verordnungsrecht für ihre Kontin - gente ſoweit behalten haben, als es nicht durch Vorſchriften der Reichsgeſetze ihnen entzogen oder beſchränkt worden iſt. Gerade21§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.wegen des ſehr bedeutenden Umfanges dieſes Verordnungsrechtes aber war die Aufrechterhaltung deſſelben ganz unvereinbar mit der durchzuführenden vollen Uebereinſtimmung und Gleichheit der Heeres - Einrichtungen in allen Bundesſtaaten; dieſe Gleichheit war nur dann eine wirkliche und den Bedürfniſſen der Landesvertheidigung entſprechende, wenn auch diejenigen umfangreichen Materien des Heerweſens gleichmäßig normirt wurden, welche nicht zur reichs - geſetzlichen Regelung ſich eigneten. Der Conflict zwiſchen den bei - den angeführten Prinzipien wurde nun in der Nordd. Bundes - und in der Reichsverfaſſung in der Art gelöſt, daß den Landes - herren der Einzelſtaaten (beziehentl. den Senaten der freien Städte) formell der Erlaß der Militair-Verordnungen zwar verblieb, materiell aber ihnen vom Kaiſer vorgeſchrieben wurde, was ſie zu verordnen haben; oder mit andern Worten: den Landes - herren ſteht die Sanction der Verwaltungs-Verordnungen zu, aber der Kaiſer (König von Preußen) ſetzt den Inhalt derſelben feſt1)Vgl. oben Bd. II S. 78, 85, 223 fg.. Dieſer Grundſatz hat in der R. Verf. in zwei Artikeln eine be - ſtimmte, wenngleich indirekte, Anerkennung erhalten. Art. 61 der R.V. ſagt in Uebereinſtimmung mit der Verf. des Nordd. Bundes:

Nach Publikation dieſer Verfaſſung iſt in dem ganzen Reiche die geſammte Preußiſche Militairgeſetzgebung unge - ſäumt einzuführen, ſowohl die Geſetze ſelbſt, als die zu ihrer Ausführung, Erläuterung oder Er - gänzung erlaſſenen Reglements, Inſtruk - tionen und Reſkripte.

Aus dieſem Satze und der demſelben hinzugefügten Aufzäh - lung einzelner Beiſpiele ergiebt ſich als unzweifelhaft, daß nicht blos die eigentlichen Militairgeſetze, ſondern auch alle Militair - Verwaltungsverordnungen, welche für die Preußiſche Armee in Geltung ſtanden, im ganzen Reiche Geltung erlangen ſollten; auf welchem Wege dieſes Reſultat aber zu erreichen ſei, alſo der ſtaats - rechtlich wichtigſte Punkt, darüber ſchweigt der Artikel. Deſſen - ungeachtet läßt ſeine Faſſung keine andere Auslegung zu, als daß dies durch die Einzelſtaaten zu geſchehen habe. Der Artikel ſagt nicht: Nach Publikation dieſer Verf. tritt in dem ganzen Reiche die geſammte Preuß. Militairgeſetzgebung ꝛc. in Geltung , er führt dieſelbe nicht ein, ſondern er legt die22§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.Verpflichtung auf, ſie einzuführen; es wird dies ganz un - zweifelhaft, durch den Zuſatz, daß ſie ungeſäumt einzuführen iſt. Der Nordd. Bund (und das Reich) konnte ſich aber doch nicht ſelbſt den Befehl ertheilen, ſofort gewiſſe Befehle zu ertheilen; es hätte doch wenig Sinn gehabt, wenn der Bund die ſofortige Geltung dieſer Militair-Reglements im ganzen Bundesgebiet an - ordnen wollte, ſtatt deſſen anzuordnen, daß die Einführung unver - züglich erfolgen werde. Dagegen iſt die im Art. 61 beliebte Faſ - ſung eine völlig correcte und ſinnentſprechende, wenn dadurch den Einzelſtaaten die verfaſſungsmäßige Pflicht auferlegt werden ſollte, die Preußiſchen Militair-Vorſchriften ungeſäumt einzuführen.

Eine volle Beſtätigung erhält dieſe Auslegung durch eine zweite Anordnung der Verfaſſung, nämlich durch Art. 63 Abſ. 5. Verblieb den Einzelſtaaten das Militair-Verordnungsrecht zu for - meller Ausübung, ſo war die Einführung der im Jahre 1867 be - ziehentl. im Jahre 1871 grade in Geltung geweſenen Preußiſchen Reglements ſelbſtverſtändlich nicht ausreichend; den Einzelſtaaten mußte vielmehr in dieſem Falle die fernere Verpflichtung auferlegt werden, auch alle künftig ergehenden Reglements bei ſich einzu - führen. Dies thut in der That Art. 63 Abſ. 5 cit., welcher beſtimmt:

Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Adminiſtration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüſtung aller Truppentheile ſind die bezüglichen künftig ergehenden Anord - nungen für die Preußiſche Armee den Kommandeuren der übrigen Kontingente durch den Art. 8 Nro. 1 bezeichneten Aus - ſchuß für das Landheer und die Feſtungen, zur Nachachtung in geeigneter Weiſe mitzutheilen.

Hätte der Kaiſer das Verordnungsrecht für die ganze Reichs - armee, ſo könnte es in den, in dieſem Artikel erwähnten Bezieh - ungen, Anordnungen für die Preußiſche Armee überhaupt nicht mehr geben, ſondern nur Anordnungen für das Reichsheer, und die Geltung derſelben für die übrigen Kontingente würde ſich von ſelbſt verſtehen und ipso jure eintreten, ohne daß es der Vermittlung des Bundesausſchuſſes behufs Mittheilung an die Kontingentskommandeure zur Nachachtung bedürfte. Der Art. 63 Abſ. 5 läßt eine andere Auslegung nicht zu, als daß der König von Preußen das Verordnungsrecht für die Preußiſche Armee be -23§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.hält und ebenſo alle anderen Bundesfürſten für ihre Kontin - gente, daß die letzteren aber von dieſem Verordnungsrecht nur in der Art Gebrauch machen dürfen und müſſen, daß ſie dasjenige für ihre Kontingente verordnen, was der König von Preußen für das ſeinige verordnet hat. Mit klaren Worten hat der hier aus - geführte Rechtsſatz ferner Anerkennung gefunden in der Militair - Konvention mit dem Königreich Sachſen vom 7. Febr. 1867 Art. 2, welche in dieſer Beziehung keine beſonderen Beſtim - mungen für Sachſen enthält, ſondern nur dasjenige vertragsmäßig feſtſtellt, was in dem Entwurf der Bundesverf. als geſetzliche Regel in Ausſicht genommen war, und ebenſo hat die Militair-Konvention mit Württemberg vom 21 / 25. Nov. 1870 Art. 10 und Art. 15 das Militair-Verordnungsrecht nicht dem Kaiſer, ſondern dem Könige von Württemberg zugewieſen, dabei aber die für die Preuſ - ſiſche Armee zur Zeit gültigen oder ſpäter zu erlaſſenden Normen, Reglements u. ſ. w. als maßgebend erklärt und die Württemb. Regierung zur entſprechenden Ausführung verpflichtet1)Daher erſcheint in Württemberg auch ein beſonderes Militair - Verordnungs-Blatt, welches die Anordnungen des Königs, des Würt - temberg. Kriegsminiſters u. ſ. w. enthält..

Endlich findet dieſe Interpretation darin eine Unterſtützung, daß bei der Aufzählung der Rechte des Kaiſers in der R.V., ins - beſondere in Art. 63 Abſ. 3 und 4 und Art. 64 fg. das aus - ſchließliche Recht zum Erlaß der Verordnungen nicht erwähnt wird, und daß ebenſowenig das Militairgeſetz vom 2. Mai 1874, welches in den §§. 7 8 den Erlaß gewiſſer Vorſchriften dem Kaiſer über - trägt, ein allgemeines Verordnungsrecht deſſelben anerkennt.

Auch die Praxis hat mit einer Ausnahme ſich an die hier entwickelten Grundſätze gehalten. Im Jahre 1867 und in den darauf folgenden Jahren ſind die Preußiſchen Verordnungen, Reglements u. ſ. w. in den Staaten des Nordd. Bundes, wenig - ſtens zum größten Theil, durch Anordnungen der Bundesregie - rungen zur Einführung gelangt; die ſeitdem neu erlaſſenen Vor - ſchriften ſind vom König von Preußen für die Preußiſche Armee ergangen und im Preuß. Armee-Verordn. -Bl. verkündet worden; in den übrigen Kontingenten ſoweit dieſelben nicht mit dem Preußiſchen verbunden ſind haben ſie durch Vermittlung der Kontingentsherrn oder der Kommando-Behörden Geltung er -24§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.langt. Allein gleich nach Erlaß der Nordd. Bundesverf. hat die ſchlechte und unklare Faſſung des Art. 61 der R.V. eine unrichtige Auslegung deſſelben verſchuldet und eine Abweichung von dem an - gegebenen Grundſatz zur Folge gehabt. Das Präſidium des Nord - deutſchen[Bundes] hat nämlich auf Grund des Art. 61 der Bundes - verfaſſung durch Verordnungen vom 7. November 1867 (B. G.Bl. S. 125), vom 29. Dezember 1867 (B. G.Bl. S. 185) und vom 22. Dezember 1868 eine beträchtliche Anzahl der für die Preußiſche Armee geltenden Vorſchriften im ganzen Bundesgebiete einge - führt und ebenſo iſt durch Kaiſerl. Verordnung vom 24. Nov. 1871 die Geltung der V. vom 29. Dezemb. 1867 auf das Groß - herzogth. Baden ausgedehnt worden. Mag man auch zugeben, daß dieſer Weg der Einführung mit dem Wortlaut des Art. 61 nicht in offenkundigem Widerſpruch ſteht, weil eben Art. 61 darüber eine beſtimmte Anordnung nicht enthält, mag man alſo nicht ſoweit gehen, in dem Erlaß dieſer Verordnungen eine Ueberſchreitung der Präſidialbefugniſſe zu erblicken und die Verordnungen ſelbſt für ungültig zu erachten, ſo iſt doch andererſeits feſtzuhalten, daß dieſe Verordnungen zur authentiſchen Auslegung des Art. 61 nicht ge - eignet ſind und daß Art. 61 nur eine Art von Uebergangsbeſtim - mung enthält, nur einen einmaligen Akt, die ungeſäumte Einfüh - rung der damals geltenden Preußiſchen Geſetzgebung, betrifft, daß daher der aus den allgemeinen Prinzipien der deutſchen Heerver - faſſung hergeleitete und im Art. 63 Abſ. 5 der R.V. ausdrücklich anerkannte Grundſatz durch die Exiſtenz der angeführten Verord - nungen nicht in Frage geſtellt werden kann1)Dem Kaiſer ſchreiben das Verordnungsrecht in Militair-Angelegenheiten zu Thudichum in v. Holtzendorff’s Jahrb. II S. 91 und v. Rönne II, 2 S. 136.. Die Praxis in Sachſen und Württemberg hat auch an der richtigen Anſicht con - ſtant feſtgehalten.

Der im Vorſtehenden dargelegte, verfaſſungsmäßige Rechtszu - ſtand iſt nun aber in folgender Art modifizirt und durch einfachere Verhältniſſe erſetzt worden:

1) Alle Bundesſtaaten, welche die Verwaltung ihrer Kontin - gente dem Kaiſer oder dem Könige von Preußen abgetreten und ihre Truppen dem Verbande der Preußiſchen Armee eingefügt haben, haben zugleich das Armee-Verordnungsrecht dem Könige25§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.von Preußen zur Ausübung übertragen. Auf alle dieſe Staaten iſt daher Art. 63 Abſ. 5 ebenſowenig anwendbar wie auf Preußen ſelbſt und auf Elſaß-Lothringen, da der Kaiſer hier zugleich die Rechte des Kontingentsherrn ausübt.

2) Hinſichtlich Bayern’s iſt ſowohl die Anwendung des Art. 61 wie die des Art. 63 Abſ. 5 ausgeſchloſſen. Die Einführung der vor dem Eintritte Bayerns in den Bund erlaſſenen Geſetze und ſonſtigen Beſtimmungen iſt abgeſehen von dem Erlaß von Reichsgeſetzen von der freien Verſtändigung abhängig, d. h. der eigenen Entſchließung Bayerns überlaſſen. Die Ausübung des Verordnungsrechts ſteht dem Könige von Bayern nicht nur formell zu, ſondern auch inhaltlich; insbeſondere hat die Königl. Bayeriſche Regierung bezüglich der Bewaffnung und Ausrüſtung, ſowie der Gradabzeichen die Herſtellung der vollen Uebereinſtim - mung mit dem Bundesheere ſich vorbehalten , alſo das Selbſt - beſtimmungsrecht ſich gewahrt. Dagegen iſt Bayern verpflichtet, in Bezug auf Organiſation, Formation, Ausbildung und Gebühren, dann hinſichtlich der Mobilmachung volle Uebereinſtimmung mit den für das Bundesheer beſtehenden Normen herzuſtellen1)Vertrag v. 23. Nov. 1870. III §. 5 Ziff. I u. III. Schlußbeſtimmung z. XI. Abſchnitt der R.V. Die Bayeriſchen Militair-Verordnungen werden verkündigt in dem: Verordnungsblatt des Kgl. Bayeriſchen Kriegsminiſteriums. .

3) Endlich iſt hervorzuheben, daß von dem im Art. 7 Ziff. 2 der R.V. gemachten Vorbehalte in der Mehrzahl der auf das Heerweſen bezüglichen Reichsgeſetze in der Art Gebrauch gemacht worden iſt, daß der Erlaß der Ausführungs-Verordnungen dem Kaiſer und für Bayern dem Könige von Bayern über - tragen worden iſt2)Vgl. Wehrgeſetz §. 18 u. 19 und Geſ. v. 24. Novemb. 1871 §. 1. Militairgeſetz §. 71 u. 72. Landſturmgeſetz §. 8 u. 9. Kontrol - geſetz §. 8 u. 9. Quartierleiſtungsgeſetz §. 20 und Geſ. v. 9. Febr. 1875 §. 3 (Bayern). Naturalleiſtungsgeſetz §. 18. Eine Ausnahme machen die Penſionsgeſetze und das Kriegsleiſtungsgeſetz; unklar und nichts - ſagend iſt die Beſtimmung im Rayongeſetz §. 47 Abſ. 2. (Vgl. Bd. II S. 78.). Eine ſolche Vorſchrift iſt in allen denjenigen Geſetzen durchaus rathſam und faſt unerläßlich, welche Gegenſtände betreffen, bei denen die Gränzen zwiſchen dem Armee-Verordnungs - recht und dem militairiſchen Oberbefehl unſicher und ſchwankend ſind und dies gilt von dem weitaus größten Theile aller die innere Ordnung des Heerweſens betreffenden Materien.

26§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

III. Die Militair-Konventionen.

Die ſtaatsrechtliche Bedeutung der, in den vorſtehenden Aus - führungen wiederholt in Bezug genommenen Militair-Konventionen, iſt nicht unbeſtritten und mehrfacher Auffaſſung fähig; ein völlig befriedigendes Reſultat iſt auch nur zu gewinnen, wenn man den Inhalt derſelben ſcheidet und die einzelnen Beſtandtheile analyſirt. Ungenügend iſt namentlich der Hinweis darauf, daß die Anfangs - worte des Art. 66 der R.V. beſondere Konventionen erwähnen, und dadurch den Einzelſtaaten eine verfaſſungsmäßige Ermächti - gung zum Abſchluß derſelben ertheilen1)So z. B. Hänel Studien I S. 244 v. Rönne II, 2 S. 126.; denn abgeſehen davon, daß die erwähnte Stelle die Befugniß der Einzelſtaaten nicht con - ſtituirt, ſondern als von ſelbſt beſtehend vorausſetzt, ſo ſpricht ſie auch lediglich von der Ernennung der Offiziere, während die Konventionen einen viel umfaſſenderen und ſehr mannigfaltigen Inhalt haben.

1. Die eigentliche Grundlage, auf welcher die Militair-Kon - ventionen ruhen, iſt die den Einzelſtaaten auf dem Gebiete des Heerweſens verbliebene Autonomie und Selbſtverwal - tung. Innerhalb des von der Reichsgeſetzgebung gezogenen Rah - mens haben die Staaten freie Bewegung und über die ihnen ver - bliebene (beſchränkte) Militairhoheit ſelbſtſtändige Dispoſition. Es gilt dies ebenſo von den objektiven Rechtsſätzen, welche in den Bereich dieſer Autonomie fallen, als auch von den entſprechenden ſubjektiven Hoheitsrechten (Kontingentsherrlichkeit und Verwaltungs - befugniß). Die Bethätigung dieſer Autonomie kann nun auch in Form eines Staatsvertrages erfolgen, durch welchen ſich ein Staat einem andern gegenüber verbindlich macht, beſtimmte Rechtsſätze oder Verwaltungsvorſchriften bei ſich einzuführen, und von den ihm zuſtehenden Hoheitsrechten kann der Staat in der Art Ge - brauch machen, daß er ihre Ausübung einem andern Bundesſtaat (oder auch dem Reiche ſelbſt) überträgt. Dies iſt in der That der weſentliche Inhalt und der überwiegende Schwerpunkt ſämmt - licher, von den Bundesſtaaten abgeſchloſſener Militair-Konventionen, mit alleiniger Ausnahme der von Sachſen, Württemberg und Bayern, die einer beſonderen Erörterung bedürfen.

27§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

Sämmtliche Konventionen, von den drei genannten abgeſehen, ſtimmen darin überein, daß durch dieſelben die Einzelſtaaten die ihnen zuſtehenden Militairhoheitsrechte ganz oder doch zum größten Theile dem Könige von Preußen zur Ausübung übertragen, und daß über die Verwaltung und Unterhaltung des Kontingents, über die Ernennung, Patentirung, Verabſchiedung der Offiziere und Beamten, ſowie über den Fahneneid, über Rekrutirungs - und Land - wehr-Angelegenheiten, militairgerichtliche und Disciplinar-Verhält - niſſe, Beſteuerung und andere Rechtsverhältniſſe der Militairper - ſonen, Garniſon-Einrichtungen u. ſ. w. Abreden getroffen werden. Würden die Militair-Konventionen keinen andern Inhalt haben, ſo würde ihre rechtliche Würdigung keinerlei Schwierigkeiten unter - liegen; ſie würden grade ſo wie die oben Bd. II S. 289 ff. be - ſprochenen Poſtverträge und wie die unten zu erörternden Juris - dictions-Verträge lediglich als Bethätigung der den Einzelſtaaten verbliebenen Autonomie zu erachten ſein.

Der Umſtand jedoch, daß alle dieſe Verträge von den einzelnen Bundesſtaaten mit dem Könige von Preußen abgeſchloſſen worden ſind und daß der letztere zugleich Bundesoberfeldherr beziehentl. Kaiſer iſt, war Veranlaſſung, daß ſie noch einen Nebenbeſtandtheil enthalten, der ſich nicht als zwiſchenſtaatliches Rechtsgeſchäft charakteriſirt, ſondern der das Rechtsverhältniß zwiſchen Einzelſtaat und Reich betrifft. Während in der Hauptſache die Konventionen Rechte der Einzelſtaaten an Preußen abtreten, enthält dieſer Nebenbeſtandtheil, gleichſam als eine Art von Gegen-Conceſſion, Beſchränkungen der dem Kaiſer zuſtehenden Befugniſſe; nament - lich des Dislokationsrechtes und des Rechtes, die Formation und Gliederung der Kontingente zu beſtimmen. Dieſes Verhält - niß unterliegt natürlich nicht der Autonomie der Einzelſtaaten. Wenn Feſtſetzungen über daſſelbe in den Militair-Konventionen getroffen worden ſind, ſo beruht dies auf dem engen thatſäch - lichen Zuſammenhange zwiſchen den Militairhoheitsrechten des Reichs und den Militairhoheitsrechten der Einzelſtaaten; für die rechtliche Beurtheilung aber iſt es erforderlich, dieſe zwei ſtaats - rechtlich verſchiedenartigen Beſtandtheile der Konventionen aus - einander zu halten.

2. Von dieſem Geſichtspunkte aus ſind zunächſt die Rechts - ſubjekte, unter welchen die Konventionen abgeſchloſſen worden ſind,28§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.zu betrachten. Die älteren Konventionen von 1867 und 1868 ſind mit dem Könige von Preußen , diejenigen der Hanſeſtädte mit der Königl. Preußiſchen Regierung abgeſchloſſen worden, dagegen iſt die Konvention von Baden mit dem König von Preußen als Bundesfeldherrn , und alle übrigen ſeit der Gründung des Reiches verfaßten Konventionen ſind mit dem Deutſchen Kaiſer und König von Preußen contrahirt1)Ausgenommen die Konvention mit Waldeck vom 24. November 1877, welche vom König von Preußen mit dem Fürſten vereinbart iſt; in den einzelnen Artikeln begegnet man aber wiederholt dem Deutſchen Kaiſer. . Aus der Wahl dieſer Bezeichnung allein iſt nicht zu entnehmen, in welcher rechtlichen Eigenſchaft der Kaiſer und König den Vertrag geſchloſſen hat und ob demgemäß das Reich oder Preußen als das Subjekt der aus dem Vertrage hervorgehenden Rechte und Pflichten zu erachten iſt; vielmehr iſt der Inhalt der Abrede dafür entſcheidend. Das Verhältniß der Einzelſtaaten zum Reich, insbeſondere die Anwendung und Aus - führung der in der Reichsverfaſſung dem Kaiſer übertragenen Rechte, kann nicht durch einen Staatsvertrag des Königs von Preußen, ſondern nur durch einen Willensact des Kaiſers normirt werden; andererſeits kann die Aufnahme der Truppen deutſcher Bundesſtaaten in die Kontingentsgemeinſchaft und Verwaltung der Preußiſchen Armee und die Feſtſtellung der Modalitäten, unter welchen dieſe Aufnahme erfolgt, nicht vom Deutſchen Kaiſer, ſon - dern allein vom Könige von Preußen erfolgen2)Die Annahme, daß einzelne Staaten ihre Militairhoheitsrechte nicht Preußen, ſondern dem Reiche (Kaiſer) cedirt haben, würde zu einer übermäßig verwickelten Konſtruktion führen; denn da das Reich eine eigene Militair - verwaltung nicht hat, ſo müßte man unterſtellen, daß 1) das Reich durch die Reichsverfaſſung den Einzelſtaaten die Selbſtverwaltung ihrer Kontingente zu - gewieſen, daß 2) die Einzelſtaaten dieſe Befugniß dem Reich abgetreten, daß 3) das Reich wieder die Ausübung derſelben Preußen übertragen habe und man müßte dabei ferner annehmen, daß das Letztere durch eine ſtillſchweigende Uebereinkunft geſchehen ſei..

3. Von Wichtigkeit wird die hervorgehobene Unterſcheidung aber namentlich hinſichtlich der Erforderniſſe der Gültigkeit und der rechtlichen Wirkungen der Konventionen.

a) Inſoweit der Inhalt derſelben in den Bereich der Auto - nomie der Einzelſtaaten fällt, iſt die Genehmigung des Bundes - rathes und des Reichstages nicht erforderlich, da die Rechte des29§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.Reiches hiervon unberührt bleiben; dagegen iſt die Gültigkeit der Konventionen nach Maßgabe des Landesrechts des betreffenden Bundesſtaates von der verfaſſungsmäßigen Zuſtimmung des Land - tages abhängig, wenn durch die Konvention die beſtehende Geſetz - gebung des Landes abgeändert oder ein Hoheitsrecht aufgeopfert wird. In Folge dieſes Prinzips bedurften die bisher abgeſchloſſenen Konventionen zu ihrer Geltung ſtets nur auf einer Seite der landſtändiſchen Genehmigung und ordnungsmäßigen Verkündigung, nämlich auf Seiten des Mitcontrahenten Preußens, während der Preuß. Landtag ebenſowenig wie der Reichstag ein Zuſtimmungs - recht in Anſpruch zu nehmen befugt war1)Das in Preußen geltende Recht wurde durch keine der zahlreichen Militairkonventionen berührt und ebenſowenig wurde irgend ein Preuß. Ho - heitsrecht beſchränkt oder der Preußiſche Staat finanziell belaſtet.. Dem entſprechend haben dieſe Konventionen aber auch keine andere rechtliche Wirkung als ſie oben Bd. II §. 66 für die Staatsverträge der Bundes - glieder überhaupt entwickelt worden iſt. Dieſe Verträge dürfen nicht nur keine Beſtimmungen enthalten, welche mit Anordnungen bereits verkündigter Reichsgeſetze im Widerſpruch ſtehen, ſondern ſie verlieren auch gemäß Art. 2 der R.V. ihre Geltung, ſobald das Reich durch Geſetz eine andere Vorſchrift ſanctionirt2)Vgl. Bd. II S. 196.; denn die Autonomie der Bundesglieder wird eben durch jedes neue Reichsgeſetz beſchränkt oder theilweiſe beſeitigt. Ein großer Theil der in den Militair-Konventionen enthaltenen Beſtimmungen iſt auch in der That durch die ſpäter ergangenen, oben S. 14 fg. ange - führten, Reichsgeſetze aufgehoben oder bedeutungslos geworden.

b) Inſofern die Militair-Konventionen das Verhältniß des Einzelſtaates zum Reich betreffen, iſt die Zuſtimmung des Land - tages des contrahirenden Staates ebenfalls erforderlich, falls Rechte dieſes Staates aufgegeben oder beſondere Laſten übernommen wer - den. Ebenſo iſt die Zuſtimmung des Bundesrathes und Reichs - tages erforderlich, wenn Anordnungen der Reichsgeſetze modi - fizirt werden, und zwar unter Beobachtung der im Art. 78 der R.V. aufgeſtellten Regeln, wenn die Konvention Verfaſſungsvor - ſchriften abändert. In einem ſolchen Falle würde ferner die ord - nungsmäßige Verkündigung der Konvention im Reichsgeſetzblatt eine unerläßliche Vorausſetzung ihrer Gültigkeit ſein.

30§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

Von dem hier vorausgeſetzten Falle iſt nun aber ein anderer wohl zu unterſcheiden; nämlich der, daß die Konvention nicht die in der Reichsverfaſſung oder den Reichsgeſetzen aufgeſtellten Rechts - ſätze abändert, ſondern nur die Ausübung der durch dieſe Rechts - ſätze dem Kaiſer übertragenen Oberbefehlshaber-Befugniſſe betrifft. Nur dieſer letztere Fall iſt in den bisher abgeſchloſſenen Konven - tionen gegeben; ſie enthalten nur Zuſicherungen über die Art und Weiſe, in welcher die dem Kaiſer verfaſſungsmäßig eingeräum - ten Befugniſſe ausgeübt werden ſollen1)Ausgenommen ſind hiervon die einigen kleineren Staaten zeitweiſe be - willigten Nachläſſe von den Militair-Ausgaben. Dieſelben hatten nur für die Uebergangszeit praktiſche Bedeutung und können hier unerörtert bleiben.. Dieſe Konventionen reichen an das Niveau der Geſetzgebung, insbeſondere der Ver - faſſung, gar nicht hinan; ſie laſſen die verfaſſungsmäßig oder reichs - geſetzlich ſanctionirten Rechtsſätze völlig unberührt; ſie äußern ihre Wirkungen ausſchließlich auf dem Gebiet der Verwaltung, in specie des militairiſchen Oberbefehls, welches der freien Entſchließung des Kaiſers unterſtellt iſt2)Vgl. Hänel Studien I S. 246.. Aus dieſem Grunde bedurften auch dieſe Konventionen nur der Genehmigung des Kaiſers, nicht der - jenigen des Bundesrathes und Reichstages, und ebenſowenig einer ordnungsmäßigen Verkündigung im Reichsgeſetzblatt. Es genügt eine Mittheilung der Konventionen an Bundesrath und Reichs - tag behufs Conſtatirung, daß die Konventionen nicht in das Gebiet der Geſetzgebung eingreifen.

4. Auf die Konventionen mit Sachſen, Württemberg und Bayern beziehen ſich die vorſtehenden Ausführungen nicht, jede derſelben hat vielmehr einen eigenthümlichen juriſtiſchen Charakter.

a) Die Konvention mit dem Königreich Sachſen iſt am 7. Februar 1867 abgeſchloſſen worden, alſo vor Einführung der Verf. des Nordd. Bundes. Im Eingange der Uebereinkunft wird bemerkt, daß dieſelbe geſchloſſen werde, um die Beſtimmungen der Verfaſſung des Nordd. Bundes über das Bundeskriegsweſen den beſonderen Verhältniſſen des Königreichs Sachſen anzupaſſen , und ſie wird bezeichnet als eine auf der Grundlage des Friedens - vertrages vom 21. Oktober getroffene beſondere Verabredung,31§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.welche unabhängig von allen ferneren darauf bezüglichen Verhand - lungen in Kraft treten und bleiben ſoll. Bei Abfaſſung dieſer Konvention hatten die Kontrahenten daher offenbar den überein - ſtimmenden Willen, einerſeits, daß dieſelbe auch in dem Falle Geltung haben ſolle, wenn die in Ausſicht genommene Verein - barung einer Bundesverfaſſung nicht gelingen ſollte, andererſeits, daß ſie für Sachſen unverändert in Kraft bleiben ſolle, wenngleich etwa die Bundesverfaſſung Beſtimmungen über das Kriegsweſen enthalten ſollte, welche mit ihr im Widerſpruch ſtehen. Eine aus - drückliche Beſtätigung hat dies in einem Nachtragsprotokoll vom 8. Febr. 1867 erhalten, in welchem vereinbart wurde, daß die von der Konferenz der Bevollmächtigten vom 7. Febr. 1867 in Art. 61 des Verfaſſungs-Entw. eingeſchobenen Worte1)Vgl. oben Bd. I S. 22 a. E. oder ohne (R.V. Art. 64 Abſ. 3) als über die Abſicht der Konvention zwiſchen Preußen und Sachſen hinausgehend, auf das Verhältniß zum Königr. Sachſen keine Anwendung finden. Hervorzuheben iſt ferner, daß dieſe Konvention mit Sachſen unter allen mit Staaten des Norddeutſchen Bundes geſchloſſenen Konventionen die einzige iſt, welche keine Beſchränkung oder Verminderung der nach der Verfaſſung den Einzelſtaaten verbliebenen Rechte enthält und welche keines dieſer Rechte auf Preußen überträgt, ſondern daß ſie lediglich das Verhältniß des Sächſiſchen Kontingents zum Bunde und zum Bundesfeldherrn betrifft. Als Contrahent der - ſelben wird im Eingang genannt der König von Preußen als Bundesfeldherr , obſchon zur Zeit ihres Abſchluſſes kein anderes Bundesverhältniß beſtand als das durch den Vertrag vom 18. Auguſt 1866 begründete2)Siehe Bd. I S. 16 fg.. Es ergiebt ſich aus alledem, daß die Konven - tion vom 7. Febr. 1867 nach der Abſicht ihrer Contrahenten eine ſpezielle Regelung der Heeres-Verfaſſung für Sachſen enthalten ſollte, welche vor der generellen Regelung des Bundeskriegs - weſens, wie ſie die Bundesverfaſſung normiren würde, den Vor - rang haben ſollte. Allein dieſer Charakter eines Spezial-Verfaſſungs - geſetzes iſt ihr in der Folge nicht beigelegt worden; es wäre dazu erforderlich geweſen, daß in die Verf. des Nordd. Bundes ein ähnlicher Vorbehalt aufgenommen wurde, wie ihn die Schlußbe -32§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.ſtimmung zum XI. Abſchnitt rückſichtlich Bayerns und Württem - bergs enthält. Dadurch, daß Sachſen, obwohl dies nicht geſchehen iſt, dennoch die Nordd. Bundesverfaſſung angenommen hat und in den Bund eingetreten iſt, hat es auf die Anerkennung der in der Konvention enthaltenen Beſtimmungen als Verfaſſungs-Son - derrecht verzichtet und ſich mit dem gemeingültigen Verfaſſungs - recht begnügt; und es wurde dies in concludenter Weiſe durch das thatſächliche Verhalten ſowohl Sachſens als des Reiches dadurch beſtätigt, daß bei der Redaktion der R.V. die gebotene Gelegenheit, in der Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchnitt auch die Sächſiſche Konvention aufzuführen, nicht benutzt worden iſt. Inſoweit dem - nach die Vorſchriften der Sächſ. Konvention mit Vorſchriften der Reichsverfaſſung oder der Reichsgeſetze im Widerſpruch ſtehen, hat nicht die Konvention, ſondern die Reichsverfaſſung und das Reichsgeſetz den Vorrang. Ein ſolcher Widerſpruch iſt aber nicht vorhanden, wenn die Reichsverfaſſung dem Kaiſer Befugniſſe ein - räumt, welche er nach freiem eigenen Ermeſſen geltend machen darf, die Konvention dagegen dieſes Ermeſſen beſchränkt und einen be - ſtimmten Gebrauch der Befugniſſe Seitens des Kaiſers zuſichert; vielmehr liegt hierin grade eine Anwendung der in der Verfaſſung dem Kaiſer gewährleiſteten Dispoſitionsfreiheit1)In dieſer Hinſicht ſtimme ich den im Uebrigen vortrefflichen Aus - führungen Hänel’s S. 247 nicht bei..

b) Die Konvention mit Württemberg iſt gleichzeitig mit dem Verfaſſungsbündniß-Vertrag geſchloſſen und durch Art. 2 Ziff. 5 deſſelben als ein integrirender Beſtandtheil dieſes Vertrages erklärt worden2)Sie iſt datirt von Verſailles den 21. Nov. 1870 und Berlin 25. Nov. 1870 und ſie iſt im Bundesgeſetzblatt 1870 S. 658 als Beſtandtheil des Bünd - nißvertrages publizirt worden.. Mit der Sächſiſchen Konvention hat ſie gemein, daß ſie die verfaſſungsmäßig den Einzelſtaaten gewährten Militairho - heitsrechte nicht einſchränkt und keines derſelben auf Preußen über - trägt, daß ſie ausſchließlich das Verhältniß Württembergs zum Reich beziehentl. zum Kaiſer betrifft, und daß ſie Vereinbarungen über die beſondere Art der Anwendung der verfaſſungsmäßigen Beſtimmungen auf das Württembergiſche Armeekorps enthält. Nur iſt ſie inhaltlich von der Sächſiſchen Konvention dadurch verſchieden, daß ſie bei Weitem eingreifendere und erheblichere Modifikationen33§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.der verfaſſungsmäßigen Normen enthält, wie jene1)Dahin gehört: der Vorbehalt der eigenen Militair-Strafgerichts-Ord - nung, die ſelbſtändige Beſtimmung über die Bekleidung, die weſentliche Be - ſchränkung des Dislocirungsrechtes des Kaiſers, das Recht des Königs von Württemberg den Höchſtkommandirenden zu ernennen und bei der Ernennung der übrigen Generale nicht an die Zuſtimmung des Kaiſers gebunden zu ſein, das Zugeſtändniß, daß Erſparniſſe am Württemb. Militairetat zur Verfügung Württembergs verbleiben, daß der Kaiſer wegen der Anlage von Befeſtigungen in Württemberg ſich vorher mit dem Könige von Württemberg in’s Vernehmen zu ſetzen habe u. a.. Mit der Sächſ. Konvention ſtimmt auch überein die Tendenz, welche bei dem Ab - ſchluß der Württembergiſchen verfolgt wurde, nämlich daß dieſelbe ein ſinguläres Recht gegenüber dem gemeinen Verfaſſungsrecht bilden und demgemäß demſelben vorgehen ſolle. Während aber rück - ſichtlich Sachſens dieſes Ziel nicht erreicht wurde, iſt rückſichtlich Württembergs ſeine vollſtändige und rechtlich unanfechtbare Ver - wirklichung eingetreten. Die Beſtimmungen der Württemberg. Kon - vention ſind durch die Schlußbeſtimmungen zum XI. Abſchnitt der R.V. zum integrirenden Beſtandtheil der R.V. erklärt worden; ſie bilden ein verfaſſungsmäßiges Sonderrecht und die Beſeitigung deſſelben iſt nur nach den im Art. 78 der R.V. aufgeſtellten Regeln zuläſſig2)Vgl. Bd. I §. 11.. Während durch die Sächſiſche Konvention der Kaiſer ſich ſelbſt freiwillig in dem Gebrauch der ihm zuſtehenden verfaſſungsmäßigen Befugniſſe Schranken auferlegt hat, ſtehen dieſe Befugniſſe dem Kaiſer in Württemberg von Rechtswegen nur in demjenigen Umfange zu, den die Württemb. Konvention aner - kannt hat; ihre Schranken wurzeln nicht in dem freien Willen des Kaiſers, ſondern in der Verfaſſungsvorſchrift des Reiches.

c) Mit Bayern iſt eine Militairkonvention in einem beſon - deren Aktenſtück zwar nicht abgeſchloſſen worden, der Bündnißver - trag vom 23. Nov. 1870 unter III §. 5 und das dazu gehörige Schlußprotokoll enthalten aber eine ſolche. Von derſelben gilt Alles, was von der Württembergiſchen Konvention ſoeben ausge - führt worden iſt; ſie iſt zum verfaſſungsmäßigen Spezialrecht er - klärt, auf deſſen Aufrechterhaltung Bayern ein Sonderrecht (im ſubjektiven Sinne) hat. Materiell freilich iſt dieſes Bayeriſche Sonderrecht von dem Württembergiſchen ſehr erheblich verſchieden;Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 334§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.denn für das letztere bildet die Anwendung der Vorſchriften der R.V., für Bayern der Ausſchluß derſelben den Ausgangspunkt.

Verzeichniß der gegenwärtig in Geltung ſtehenden Militairkonventionen1)Sie ſind ſämmtlich abgedruckt in Die Militair-Geſetze des Deutſchen Reichs I S. 55 181. Die Konventionen von 1867 in den Druckſachen des Reichstages 1867 Nro. 21 und in Glaſer’s Archiv I Heft 3. und 4.; die ſpäteren in den Druckſachen des Reichstages 1872 Nro. 189, 1873 Nro. 18, 1874 Nro. 33..

  • 1. Sachſen vom 7. Febr. 1867.
  • 2. Württemberg vom 21. / 25. Novemb. 1870.
  • 3. Baden vom 25. Novemb. 1870.
  • 4. Heſſen vom 13. Juni 1871 (an Stelle der Konvention vom 7. April 1867).
  • 5. Mecklenburg-Schwerin vom 24. Juli 1868 und vom 19. Dez. 1872.
  • 6. Mecklenburg-Strelitz vom 9. Novemb. 1867 und vom 23. Dez. 1872.
  • 7. Oldenburg vom 17. Juli 1867.
  • 8. Thüringiſche Staaten (Sachſen-Weimar, Sachſen - Meiningen, Sachſen-Altenburg, Sachſen-Koburg-Gotha, Schwarzb. -Rudolſt., Reuß ä. L. und Reuß j. L.) vom 15. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. v. 26. Juni 1867).
  • 9. Anhalt vom 16. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 28. Juni 1867).
  • 10. Schwarzburg-Sondershauſen vom 17. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 28. Juni 1867).
  • 11. Lippe-Detmold vom 14. Nov. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 26. Juni 1867).
  • 12. Schaumburg-Lippe vom 25. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 30. Juni 1867).
  • 13. Waldeck vom 24. Novemb. 1877 (an Stelle der Konvent. vom 6. Auguſt 1867).
  • 14. Hamburg vom 23. Juli 1867.
  • 15. Bremen vom 27. Juni 1867.
  • 16. Lübeck vom 27. Juni 1867.
35§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
  • 17. Vereinbarung zwiſchen Preußen, Bayern und Württemberg bezüglich der Feſtung Ulm. de dato Ulm den 16. Juni 1874.

§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.

I. Den Bereich des Armee-Befehls von dem Bereich der Armee-Verordnung ſcharf und prinzipiell abzugränzen, iſt nicht möglich; denn die weſentlichen Kriterien ſind beiden Begriffen ge - meinſam: es ſind Unterarten des Verwaltungsbefehls. Die Armee - Verwaltung unterſcheidet ſich in dieſer Beziehung nicht im Geringſten von jeder anderen Verwaltung und ſowie der dienſtliche Befehl irgend eines Beamten an ſeinen Untergebenen, eine beſtimmte ein - zelne Handlung zu verrichten, von der allgemeinen, auf unzählige Fälle anwendbaren Verordnung (Generalverfügung) des oberſten Verwaltungschefs hinſichtlich ihres juriſtiſchen Weſens und ihrer rechtlichen Wirkung nicht verſchieden iſt, ſo beſteht auch keine we - ſentliche juriſtiſche Differenz zwiſchen dem Befehl des Unteroffiziers an den Rekruten, ſich rechts umzukehren, und einer Anordnung des oberſten Kriegsherrn, die vielleicht von dem eingreifendſten Einfluß auf die ganze Ausbildung, Bewaffnung, Uniformirung u. ſ. w. der Armee iſt1)Vgl. oben Bd. II S. 222 fg.. Der Sprachgebrauch unterſcheidet freilich, indem man den Befehl zu einer einzelnen beſtimmten Handlung gewöhnlich nicht als Verordnung und andererſeits die Anordnung dauernder Einrichtungen und allgemeiner Verhaltungsregeln nicht als Dienſt - befehl bezeichnet; eine beſtimmte Gränze aber, nach welcher mit Sicherheit zu entſcheiden wäre, ob eine Ordre Dienſtbefehl oder ob ſie Verordnung iſt, läßt ſich nicht feſtſtellen. Der Rechtsgrund für die Verbindlichkeit des Befehls iſt in allen Fällen die Dienſt - pflicht und die in derſelben enthaltene Pflicht zum Gehorſam; auch in dieſer Hinſicht gelten für die Armee keine anderen Prin - zipien wie für die Civilverwaltungszweige, nur daß die militairiſche Gehorſamspflicht einen größeren Umfang hat und durch ſtrengere Strafen gegen Verletzungen geſichert iſt2)Siehe unten §. 88. IV. §. 89. II. 2.. Aus dem angegebenen Prinzip folgt, daß das Recht des Oberbefehls an und für ſich3*36§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.dem Kontingentsherrn zuſteht, da ſeine Truppen zu ihm in einem Dienſtverhältniß ſtehen und demgemäß ihm gegenüber zu Gehorſam und Treue verpflichtet ſind. Da nun aber eine einheit - liche Verwendung der Kontingente und eine Zuſammenfaſſung der in ihnen vorhandenen Streitkräfte nicht denkbar iſt, ohne einen ein - heitlichen Oberbefehl über ſämmtliche Kontingente, ſo hat die Reichs - verfaſſung dem Kaiſer dieſe Machtbefugniß verliehen und zwar nicht nur für den Krieg, ſondern auch im Frieden. Im Zuſam - menhange mit dieſem Recht des Oberbefehls ſteht eine Reihe von Befugniſſen, welche die Reichsverfaſſung dem Kaiſer als ſolchem beilegt und welche unter dem Namen Oberbefehl mit verſtanden werden. Dieſe Rechte hat der Kaiſer auch über diejenigen Truppen auszuüben, über welche ihm die Kontingentsherrlichkeit nicht zuſteht, und er iſt bei ihrer Ausübung nicht an die Zuſtimmung des Bun - desrathes und des Reichstages gebunden. Nur iſt es ſelbſtver - ſtändlich, daß alle im Wege der Reichsgeſetzgebung ſanctionirten Vorſchriften auch bei Handhabung des militairiſchen Oberbefehls beobachtet werden müſſen.

II. Die Rechte und Pflichten, welche nach der R.V. und den auf Grund derſelben ergangenen Reichsgeſetzen den Inhalt des kaiſerlichen Militair-Oberbefehls bilden, ſind folgende:

1) Alle deutſchen Truppen ſind verpflichtet, den Befehlen des Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten. Dieſe Verpflichtung iſt in den Fahneneid aufzunehmen 1)Vgl. unten §. 81. I. . R.V. Art. 64 Abſ. 1.

2) Behufs Ausübung des Befehls iſt der Kaiſer berechtigt, den Höchſtkommandirenden eines Kontingents, ſowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen und alle Feſtungskommandanten zu ernennen. Die von ihm ernannten Offi - ziere leiſten ihm den Fahneneid. Auch innerhalb der einzelnen Kontingente darf die Ernennung der Generale und der Offiziere, welche Generalsſtellungen verſehen, nur mit jedesmaliger Zuſtim - mung des Kaiſers erfolgen. R.V. Art. 64 Abſ. 2.

Eine Ausnahme hiervon beſteht für Württemberg. Die Beſetzung der Generalsſtellen in dieſem Kontingent iſt an die jedes - malige Zuſtimmung des Kaiſers nicht gebunden und die Ernennung des Höchſtkommandirenden erfolgt nicht Seitens des Kaiſers, ſon -37§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffuete Macht des Reiches.dern Seitens der Königs von Württemberg nach vorgängiger Zu - ſtimmung des Kaiſers1)Württemb. Milit. -Konv. Art. 5..

3) Der Kaiſer hat das Recht der Inſpektion. Er kann jeder Zeit von dem Zuſtande der einzelnen Kontingente ſich per - ſönlich oder durch von ihm ernannte Inſpekteure überzeugen, um feſtzuſtellen, daß innerhalb des deutſchen Heeres alle Truppentheile vollzählig und kriegstüchtig vorhanden ſind, und er hat dafür zu ſorgen, daß Einheit in der Organiſation und Formation, in Be - waffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannſchaften, ſowie in der Qualifikation der Offiziere hergeſtellt und erhalten wird. Der Kaiſer iſt befugt, die Abſtellung der bei den Inſpek - tionen vorgefundenen Mängel anzuordnen. R.V. Art. 63 Abſ. 32)Da alle Truppentheile den Befehlen des Kaiſers unbedingt Folge leiſten müſſen, ſo ergiebt ſich, daß dieſe Anordnungen unmittelbar vom Kaiſer an die betreffenden Truppen-Kommando-Behörden ergehen können. Durch die Militairkonventionen mit Sachſen Art. 4 Abſ. 2 und mit Württemberg Art. 9 Abſ. 2 iſt jedoch vereinbart worden, daß der Kaiſer die in Folge ſol - cher Inſpizirungen bemerkten ſachlichen oder perſönlichen Mißſtände dem Könige von Sachſen, reſp. Württemberg, mittheilt, welcher ſeinerſeits dieſelben abzuſtellen ſich verpflichtet und von dem Geſchehenen dann dem Kaiſer Anzeige machen läßt..

4) Nach der R.V. Art. 63 Abſ. 4 hat der Kaiſer den Prä - ſenzſtand, die Gliederung und Eintheilung der Kon - tingente des Reichsheeres zu beſtimmen. Dieſe Befugniß iſt aber hinſichtlich des Friedensſtandes des ſtehenden Heeres weſentlich eingeſchränkt worden durch die Vorſchriften des Militairgeſetzes §. 1 43)Vgl. darüber §. 83.; und es ſind nunmehr folgende Unterſcheidungen zu machen:

a) hinſichtlich des ſtehenden Heeres im Frieden erſtreckt ſich die Befugniß des Kaiſers nur auf diejenigen taktiſchen und adminiſtrativen Verbände, ſowie auf diejenigen beſonderen Forma - tionen, welche in den §§. 2 und 3 des Militairgeſetzes nicht er - wähnt werden4)Außerdem enthalten die meiſten Militairkonventionen beſtimmte Ver - einbarungen über die Formation der einzelnen Kontingente, nämlich für Sachſen, Württemberg, Heſſen, beide Mecklenburg, Baden, Oldenburg, die Thüringiſchen Staaten und Anhalt..

b) hinſichtlich der Landwehr hat der Kaiſer das Recht, die38§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.Organiſation (Gliederung, Eintheilung u. ſ. w.) zu beſtimmen und er iſt dabei nur an den Rechtsſatz gebunden, daß die Territorial - Eintheilung des Bundesgebietes in 17 Armeekorps-Bezirke als Grundlage für die Organiſation der Landwehr zu dienen habe1)Milit. -Geſ. §. 5. Siehe §. 84..

c) Die Kriegsformation des Heeres ſowie die Organiſation des Landſturmes beſtimmt der Kaiſer, ohne daß er hierbei irgend welchen geſetzlichen Einſchränkungen unterliegt2)Milit. -Geſ. §. 6. Vgl. §. 85..

d) Daſſelbe gilt von der Organiſation und Zuſammenſetzung der Kriegsmarine, abgeſehen von den aus dem Etatsgeſetz ſich ergebenden Schranken für die Friedenszeit3)R.V. Art. 53 Abſ. 1. Vgl. unten §. 87..

5) Der Kaiſer hat das Dislokationsrecht d. h. das Recht, die Garniſonen der einzelnen Truppenkörper zu beſtimmen und zwar innerhalb des ganzen Bundesgebietes, ſo daß er den Truppentheilen der einzelnen Kontingente auch außerhalb ihres Staatsgebietes Garniſonen anweiſen kann4)R.V. Art. 63 Abſ. 4.. Ueber die Aus - übung dieſes Rechtes5)jedoch unbeſchadet der Fortdauer dieſes Rechtes ſelbſt in ſeinem verfaſſungsmäßigen Umfange. ſind aber den meiſten Staaten in den Militairkonventionen beſtimmte Zuſicherungen ertheilt worden und zwar in dreifacher Richtung:

a) Zahlreichen Staaten iſt die Zuſicherung ertheilt worden, daß ihre Kontingente für die Dauer friedlicher Verhältniſſe im eigenen Lande dislozirt bleiben6)Konvent. mit Sachſen Art. 5. Wenn im Intereſſe des Bundes - dienſtes der Kaiſer zu einer Dislozirung der Sächſ. Truppen ſich bewogen findet, ſo will er ſich vorher mit dem Könige von Sachſen in Vernehmen ſetzen. Konvent. mit Württemberg Art. 6. Eine Dislozirung der Württemberg. Truppen außerhalb des Staatsgebietes ſoll nur mit Zuſtimmung des Königs v. W. erfolgen, ſofern es ſich nicht um Beſetzung ſüddeutſcher oder weſtdeutſcher Feſtungen handelt. Heſſen Art. 6 (wie Sachſen). Baden Art. 4. Oldenburg Art. 4 Abſ. 2. Thüringen Art. 2. Anhalt Art. 2.. Indeſſen ſind Truppen mehrerer dieſer Staaten nach Elſaß-Lothringen verlegt worden. Die Dis - lozirung der Sächſiſchen Truppen innerhalb Sachſens und der Württembergiſchen Truppen innerhalb Württembergs ſteht den Kontingentsherren zu, während hinſichtlich der übrigen hier in Be -39§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.tracht kommenden Kontingente die Anweiſung der einzelnen Garni - ſonen von dem Kaiſer verfügt wird.

b) Mehreren dieſer Staaten iſt ferner zugeſichert worden, daß ohne beſondere militairiſche oder politiſche Intereſſen Truppen anderer Kontingente in ihren Gebieten nicht Garniſon erhalten werden, nämlich Sachſen, Württemberg, Heſſen, Baden und Olden - burg1)Milit. -Konventionen mit Sachſen Art. 5 (vorbehaltlich der vorüber - gehenden, inzwiſchen aufgehobenen Beſetzung einzelner befeſtigter Plätze mit Preuß. Truppen). Württemberg Art. 6 (ausgenommen Ulm); Heſſen Art. 6 (ausgenommen Mainz Art. 22); Baden Art. 4 (ausgenommen Raſtatt); Oldenburg Art. 4 Abſ. 2 (mit Ausnahme der Stadt Bir - kenfeld)..

c) Anderen Staaten iſt dagegen wieder das Verſprechen ge - geben worden, das ſie an beſtimmten in ihrem Gebiete gelegenen Orten eine fremde und zwar Preußiſche Garniſon erhalten werden2)Konvent. mit Schwarzb. -Sondershauſen Art. 2. Lippe - Detmold Art. 2. Schaumburg-Lippe Art. 2. Lübeck Art. 2. 3. Hamburg Art. 2 u. 3. Bremen Art. 3. 4. Waldeck (von 1877) Art. 2..

Eine mittelbare Beſchränkung des kaiſerl. Dislokations - rechts ergiebt ſich außerdem, ſoweit die vorhandenen Kaſernen zur Unterbringung der Truppen nicht ausreichen, dadurch, daß die Herſtellung neuer Kaſernen an die Bewilligung der dafür erfor - derlichen Mittel im Etatsgeſetz, die Einquartirung aber an die im §. 6 des Quartierleiſtungsgeſetzes gezogenen Schranken gebunden iſt3)Vgl. unten §. 93 I. Baden iſt überdies in dem Schlußprotok. zur Milit. -Konvent. Ziff. 5 Abſ. 2 die Zuſicherung ertheilt worden, daß nach Orten, in denen die erforderlichen Kaſernen-Einrichtungen nicht vorhanden ſind, nur aus beſonders dringenden Gründen eine Garniſon verlegt werden wird..

6) Endlich hat der Kaiſer das Recht, die kriegsbereite Aufſtellung eines jeden Theiles des Reichsheeres anzuordnen und die Reſerve, Landwehr und Seewehr zu den Fahnen einzube - rufen4)R.V. Art. 63 Abſ. 4. Wehrgeſ. §. 8 Abſ. 1.. Zur Sicherung der prompten Ausführung eines ſolchen Befehls ſind alle bereits im Frieden zur ſchleunigen Ueberführung des Heeres auf den Kriegsfuß erforderlichen Vorbereitungen nach den Beſtimmungen des Kaiſers zu treffen5)Militairgeſ. §. 6 Abſ. 1. Die Militair-Konvent. mit Sachſen Art. 9 und mit Württemberg Art. 14 betreffen zwar dieſes Recht des Kaiſers, ohne daſſelbe aber irgend wie einzuſchränken..

40§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.

III. Die angegebenen Rechtsvorſchriften haben für Bayern keine Geltung1)Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchn. der R.V.. Nur im Kriege ſind die Bayeriſchen Truppen verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherrn (Kaiſers) unbedingt Folge zu leiſten2)Vertrag v. 23. Nov. 1870. III §. 5 Ziff. IV. ; im Frieden ſtehen ſie ausſchließlich unter dem Befehl des Königs von Bayern. Der Oberbefehl des Kaiſers tritt ein mit Beginn der Mobiliſirung3)ebendaſ. Ziff. III Abſ. 1.. Im Frieden gelten nur folgende Regeln, um die Einheitlichkeit des Deutſchen Heeres auch mit Rückſicht auf das Bayeriſche Kontingent zu ſichern:

1. Der oben S. 25 in Betreff des Verordnungsrechts er - wähnte Satz, daß Bayern verpflichtet iſt, in Bezug auf Organiſation, Formation, Ausbildung und Gebühren, ſowie hinſichtlich der Mo - bilmachung volle Uebereinſtimmung mit den für das Reichsheer beſtehenden Normen herzuſtellen, findet auch Anwendung auf die Ausübung des dem Könige von Bayern zuſtehenden Oberbefehls - rechtes.

2. Dem Kaiſer ſteht das Recht der Inſpektion des Baye - riſchen Kontingents, um ſich von der Uebereinſtimmung in Organi - ſation, Formation und Ausbildung, ſowie von der Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit deſſelben Ueberzeugung zu verſchaffen, grund - ſätzlich zu; in jedem einzelnen Falle der Vornahme einer ſolchen Inſpektion muß ſich jedoch der Kaiſer über die Modalitäten ſowie über das Ergebniß mit dem Könige von Bayern ins Verneh - men ſetzen4)ebendaſ. Ziff. III Abſ. 4.. Ohne die Einwilligung des Königs von Bayern kann daher der Kaiſer ſein Inſpektionsrecht nicht ausüben, und es beſteht keine Verpflichtung des Königs, wenn bei einer ſtatt - gefundenen Inſpektion perſönliche oder ſachliche Mängel bemerkt werden, dieſelben auf eine vom Kaiſer an ihn gerichtete Aufforde - rung abzuſtellen; es iſt dies vielmehr dem eigenen Willensentſchluß des Königs anheimgegeben.

3. Die Anordnung der Kriegsbereitſchaft (Mobiliſirung) des Bayeriſchen Kontingents erfolgt zwar Seitens des Königs von Bayern; derſelbe iſt aber verpflichtet, dieſen Befehl auf Veran - laſſung des Bundesfeldherrn zu ertheilen5)ebendaſ. Abſ. 5.. Durch Erlaß der41§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.Mobilmachungs-Ordre unterſtellt der König von Bayern zugleich ſein Kontingent dem Oberbefehl des Kaiſers.

IV. Zu den militairiſchen Rechten des Kaiſers zählt die Reichsverf. auch die Befugniß deſſelben, wenn die öffentliche Sicher - heit in dem Bundesgebiete bedroht iſt, einen jeden Theil deſſelben in Kriegszuſtand zu erklären1)R.V. Art. 68.. Dieſe Beſtimmung findet ſich in dem XI. Abſchnitt der R.V., welcher die Ueberſchrift Reichs - kriegsweſen trägt, und nach dem Wortlaut der Nordd. Bundes - verfaſſung war dieſe Befugniß nicht dem Bundespräſidium, ſondern dem Bundesfeldherrn beigelegt; es iſt alſo kein Zweifel, daß nach der Verfaſſung dieſes Recht des Kaiſers als ein Ausfluß oder Beſtandtheil ſeines militairiſchen Oberbefehls aufgefaßt wird. Daraus iſt aber nicht zu folgern, daß von dieſer Befugniß nur im Kriegs - falle oder zur Sicherung der öffentlichen Ordnung gegen äußere Feinde Gebrauch gemacht werden dürfte; denn der Kaiſerl. Ober - befehl beſteht auch im Frieden und das Militair iſt nicht nur zum Schutz gegen äußere Feinde, ſondern auch zur Aufrechterhal - tung des Landfriedens gegen innere Bedrohungen beſtimmt2)v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 87 wirft dieſen Zweifel auf um ihn ſelbſt zu widerlegen. Seine Ausführungen finden ſich abgedruckt bei v. Rönne I S. 82. Vgl. ferner Seydel in Behrend’s Zeitſchrift f. Deutſche Geſetz - gebung Bd. VII S. 620.. Ihrem Inhalte nach reicht die im Art. 68 dem Kaiſer eingeräumte Machtvollkommenheit aber weit über die Gränzen hinaus, welche dem Militair-Oberbefehl an ſich gezogen ſind; denn die Erklärung des Kriegszuſtandes wirkt nicht nur auf die zur Armee gehörenden, zum Militair-Gehorſam verpflichteten Perſonen, ſondern ſie erſtreckt ſich auf die geſammte Verwaltung und ſogar auf das Strafrecht und die Rechtspflege und erzeugt eine tief eingreifende, wenngleich nur zeitweilige, Veränderung des geſammten Rechtszuſtandes. Die Erklärung des Belagerungszuſtandes iſt im Weſentlichen als die Einführung einer Militairdiktatur zu bezeichnen. Dieſelbe kann ſich auf jeden Theil des Bundesgebietes (ausgenommen Bayern) erſtrecken, alſo nöthigenfalles auch auf das ganze Bundes - gebiet3)Vgl. v. Mohl S. 88, deſſen Ausführungen abgeſchrieben ſind bei v. Rönne a. a. O. S. 86.. Die Entſcheidung der Vorfrage, ob die öffentliche Sicher -42§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.heit bedroht iſt, hat der Kaiſer allein zu entſcheiden; weder hat die Landesregierung ein Zuſtimmungs - oder Widerſpruchsrecht, noch ſteht dem Landesrath oder dem Reichstage eine Beſchluß - faſſung reſp. Genehmigung zu1)Die Behauptung v. Rönne’s S. 84, daß ſchon nach jetziger Lage des Reichsſtaatsrechtes der Bundesrath in der Lage ſei, auf dem im Art. 7 der R.V. vorgeſehenen Wege (?) die vom Kaiſer ausgehende Maßregel der Erklärung des Belagerungszuſtandes zu ſeiner Kognition (?) zu ziehen , iſt ebenſo haltlos wie nichtsſagend..

Im Einzelnen gelten darüber folgende Regeln:

1. Die Vorausſetzungen, die Form der Verkün - digung und die Wirkungen einer ſolchen Erklärung ſind durch ein Reichsgeſetz zu regeln; bis zum Erlaß eines ſolchen gelten dafür die Vorſchriften des Preußiſchen Geſetzes vom 4. Juni 1851 (Pr. Geſ. S. 1851 S. 451 ff.)2)R.V. Art. 68.. Die proviſoriſche Gel - tung dieſes Geſetzes erſtreckt ſich daher nicht auf den geſammten Inhalt deſſelben, ſondern nur auf diejenigen Beſtimmungen, welche Vorausſetzungen, Verkündigung und Wirkungen betreffen3)Zu denjenigen Beſtimmungen des Geſetzes, welche nicht reichsgeſetz - liche Geltung haben, gehören insbeſondere §. 16, wonach das Staatsminiſterium zur Suſpenſion gewiſſer Verfaſſungsartikel auch dann befugt iſt, wenn der Belagerungszuſtand nicht erklärt iſt, und §. 17, welcher vorſchreibt, daß dem Preuß. Landtage Rechenſchaft zu geben ſei.; und auch dieſe Anordnungen laſſen zum Theil keine vollſtändige und wörtliche Anwendung in den nichtpreußiſchen Theilen des Bundes - gebietes zu, weil ſie ſich auf Preußiſche Staatseinrichtungen und Verfaſſungsbeſtimmungen beziehen.

a) Vorausſetzungen. Das Geſetz geſtattet nur in zwei Fällen die Erklärung des Belagerungszuſtandes, für den Fall eines Krieges in den von dem Feinde bedrohten oder theilweiſe ſchon beſetzten Provinzen (§. 1) und für den Fall eines Auf - ruhrs bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit (§. 2). Andere Gefahren für die öffentliche Sicherheit rechtfertigen die Erklärung des Belagerungszuſtandes nicht4)Die Anordnungen in §§. 1 u. 2 des Preuß. Geſetzes über die Be - hörden, denen die Erklärung des Belagerungszuſtandes zuſteht, nämlich im Falle des Krieges die Feſtungskommandanten und die kommandirenden Gene - rale, im Falle des Aufruhrs das Staatsminiſterium und in dringenden Fällen die Militairbefehlshaber, haben keine Geltung, da ſie nicht die Voraus -.

43§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.

b) Form der Verkündigung. Unter der Verkündigung iſt nicht zu verſtehen die Publikation der kaiſerl. Verordnung im ſtaatsrechtlichen Sinne (vgl. Bd. II S. 54 fg. 90 fg. ); dieſelbe iſt in allen Fällen durch Abdruck im Reichsgeſetzblatt zu bewirken; ſondern die faktiſche Kundmachung an die von der Verhängung des Kriegszuſtandes betroffene Bevölkerung. Die Erklärung des Belagerungszuſtandes iſt zur allgemeinen Kenntniß zu bringen durch Verleſung der kaiſerl. Verordnung bei Trommelſchlag oder Trompetenſchall und außerdem durch Mittheilung an die Ge - meindebehörde, durch Anſchlag an den öffentlichen Plätzen und durch öffentliche Blätter (Geſ. §. 3). Daß die drei zuletzt erwähn - ten Bekanntmachungsarten ſämmtlich angewendet werden, iſt zwar nicht erforderlich, dagegen iſt es nach dem Wortlaut des Geſetzes unerläßlich, daß die Verkündigung bei Trommelſchlag oder Trom - petenſchall erfolgt und wenigſtens mit einer der 3 anderen Be - kanntmachungsformen combinirt werde. Aus dieſer Vorſchrift über die Bekanntmachungsform ergiebt ſich übrigens, daß die Erklärung in jeder einzelnen Gemeinde zur allgemeinen Kenntniß ge - bracht werden muß und daß daher in Ortſchaften, welche vom Feinde bereits beſetzt ſind, die Erklärung des Belagerungszuſtandes nicht wirkſam erfolgen kann.

c) Die Wirkungen der Verhängung des Kriegszuſtandes ſind folgende:

α) Mit der Bekanntmachung der Erklärung des Belagerungs - zuſtandes geht die vollziehende Gewalt an die Militairbe -4)ſetzungen der Verhängung des Belagerungszuſtandes betreffen und weil ſie durch die ausdrückliche Anordnung im Art. 68 der R.V., daß der Kaiſer den Kriegszuſtand zu erklären habe, beſeitigt ſind. Die Behauptung von Rönne’s S. 84 Note 1, daß ſie im Preuß. Staatsgebiete Geltung haben, im außer - preußiſchen nicht, iſt gänzlich unbegründet und ſteht im Widerſpruch mit dem Grundſatz, daß Reichsgeſetze (nämlich Art. 68 der R.V.) den Landesgeſetzen vorgehen, ſowie mit dem Prinzip der Einheitlichkeit des Militairrechts. Thu - dichum Verf. R. des Nordd. Bundes S. 293 hält dieſe Beſtimmungen des Preuß. Geſetzes im ganzen Bundesgebiet für anwendbar, was ſich durch Art. 68 der R.V. widerlegt. In dem einzigen Falle, in welchem bisher von Art. 68 Gebrauch gemacht worden iſt, erfolgte die Erklärung des Belagerungszuſtandes ſowohl in Preußen als außerhalb Preußens durch Bundespräſidial-Verordnung vom 21. Juli 1870 (B. G.Bl S. 503), welche vom Bundeskanzler contra - ſignirt iſt.44§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.fehlshaber über. Die Civilverwaltungs - und Gemeindebehörden haben den Anordnungen und Aufträgen der Militairbefehlshaber Folge zu leiſten. (§. 4 Abſ. 1.) Dadurch werden alle Civilbe - hörden des Staates und alle Gemeindebehörden zu Unterbehörden und Vollzugsorganen der Militairkommandanten gemacht; die An - ordnungen der letzteren ſind auszuführen ohne Rückſicht und ohne Prüfung, ob dieſelben nach den Geſetzen zuläſſig ſind; die unbe - dingte Gehorſamspflicht der Civilbehörden entbindet dieſelben anderer - ſeits von jeder Verantwortlichkeit für die Geſetzmäßigkeit der Maß - regeln1)Siehe Bd. I S. 423 ff.; die Militairbefehlshaber tragen dieſelbe für alle von ihnen ausgehenden Anordnungen perſönlich (§. 4 Abſ. 2).

β) Die Militairperſonen ſtehen während des Belage - rungszuſtandes unter den Geſetzen, welche für den Kriegszuſtand ertheilt ſind2)Militair-Strafgeſetzb. §. 9 Ziff. 2 u. 3. und der Befehlshaber der Beſatzung hat über ſämmt - liche zu der letzteren gehörende Militairperſonen die höhere Ge - richtsbarkeit (§§. 6 und 7).

γ) Gewiſſe ſtrafbare Handlungen ſind mit härterer Strafe bedroht, wenn ſie in einem in Belagerungszuſtand erklärten Orte oder Diſtrikte verübt werden. Die im §. 8 des Preuß. Ge - ſetzes hierüber enthaltenen Beſtimmungen haben aber keine Geltung mehr, da ſie durch ein Reichsgeſetz erſetzt worden ſind, nämlich durch das Einführungs-Geſetz zum Strafgeſetzbuch vom 31. Mai 1870 §. 4. Darnach ſind die in den §§. 81 (Hochver - rath) 88 (Landesverrath) 90 (Kriegsverrath) 307 (Brandſtiftung) 311. 312. 315. 322. 323. 324 (andere gemeingefährliche Verbrechen) des St. G. B.’s mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Ver - brechen mit dem Tode zu beſtrafen, wenn ſie in einem Theile des Bundesgebietes, welchen der Kaiſer in Kriegszuſtand erklärt hat, begangen werden3)Die Todesſtrafe tritt nur an Stelle der lebenslänglichen Zuchthausſtrafe; auf ſie darf alſo nicht erkannt werden, wenn ohne die Verhängung des Kriegszuſtandes auf eine niedrigere Strafe als lebenslängl. Zuchthaus zu er - kennen wäre. Für dieſe Fälle bleiben die Strafdrohungen des Strafgeſetzb. auch während des Belagerungszuſtandes unverändert. Vgl. Oppenhoff. Strafgeſetzb. (5. Aufl.) Note 7 zu §. 4 cit.. Dagegen iſt §. 9 des Preuß. Geſetzes vom 4. Juni 1851 nicht aufgehoben, welcher für die daſelbſt an -45§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.gegebenen Handlungen, wenn die beſtehenden Geſetze keine höhere Freiheitsſtrafe beſtimmen, Gefängnißſtrafe bis zu Einem Jahre androht.

δ) Es kann ferner zur Anordnung von Kriegsgerichten geſchritten werden; die darüber getroffenen Beſtimmungen müſſen aber entweder ausdrücklich in die Bekanntmachung über die Er - klärung des Belagerungszuſtandes aufgenommen oder in einer be - ſonderen, unter der nämlichen Form bekannt zu machenden Ver - ordnung verkündet werden (Geſ. §. 5 Abſ. 1)1)Die Einrichtung von Kriegsgerichten ohne Erklärung des Belagerungs - zuſtandes iſt unzuläſſig. §. 5 Abſ. 2. Ihre Wirkſamkeit hört mit der Be - endigung des Belagerungszuſtandes ipso jure auf. §. 14.. Das Preußiſche Geſetz verlangt zur Errichtung von Kriegsgerichten, daß zuvor oder gleichzeitig der Art. 7 der Preuß. Verf. Urk. ſuſpendirt werde2)Derſelbe lautet: Niemand darf ſeinem geſetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte und außerordentliche Kommiſſionen ſind unſtatthaft. ; in denjenigen außerpreußiſchen Staatsgebieten, in denen eine Ver - faſſungsbeſtimmung gleichen Inhaltes beſteht, wird in analoger Anwendung des Geſetzes die Suspenſion des betreffenden Ver - faſſungsſatzes auszuſprechen ſein3)Dies beſtimmt in der That ein bei Weſterkamp über die Reichs - verfaſſ. S. 67 erwähnter allerh. Erlaß v. 22. Juli 1870, betreffend die Er - richtung von General-Gouvernements, Nro. 6.; wo es an einer ſolchen Ver - faſſungsbeſtimmung fehlt, iſt die Einrichtung der Kriegsgerichte an die Beobachtung dieſer Formalität nicht gebunden. Der Art. 7 der Preuß. Verf. Urk. iſt aber faſt wörtlich im Art. 16 des Ge - richtsverfaſſungsgeſetzes wiederholt worden und hat ſonach durch die Erhebung zum Reichsgeſetz ſeine landesgeſetzliche Bedeutung verloren. Da nun Art. 16 des Gerichtsverf. -Geſetzes ausdrücklich die Ausnahme zufügt: die geſetzlichen Beſtimmungen über Kriegs - gerichte werden hiervon nicht berührt , ſo erſcheint eine ausdrück - liche Suſpenſion des Art. 7 der Preuß. V.U. bei Einrichtung der Kriegsgerichte auch in Preußen nicht mehr nothwendig.

Vor die Kriegsgerichte gehört die Unterſuchung und Aburthei - lung der Verbrechen des Hochverraths, des Landesverraths, des Mordes, des Aufruhrs, der thätlichen Widerſetzung, der Zerſtörung von Eiſenbahnen und Telegraphen, der Befreiung von Gefangenen, der Meuterei, des Raubes, der Plünderung, der Erpreſſung, der46§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.Verleitung der Soldaten zur Untreue und der in den §§. 8 und 9 des Geſetzes mit Strafe bedrohten Verbrechen und Vergehen, in - ſofern alle genannten Verbrechen und Vergehen nach der Erklärung der Bekanntmachung des Belagerungszuſtandes begangen oder fort - geſetzte Verbrechen ſind (§. 10 Abſ. 1)1)§. 10 Abſ. 2 u. 3 ſind unanwendbar geworden.. Ueber die Zuſammen - ſetzung der Kriegsgerichte, ihre Zahl, die Vereidigung der Mit - glieder, ſowie über das vor den Kriegsgerichten zu beobachtende Verfahren enthält das in Rede ſtehende Geſetz in den §§. 11 13 die näheren Vorſchriften.

ε) Es können ferner die Vorſchriften der Preuß. Verf. über die Gewährleiſtung der perſönlichen Freiheit (Art. 5), über die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), über die Freiheit der Preſſe (Art. 27. 28), über das Verſammlungs - und Vereins-Recht (Art. 29. 30), und über das Einſchreiten der bewaffneten Macht (Art. 36) ſuſpendirt werden. Wenn die Suſpenſion dieſer Artikel oder ein - zelner derſelben angeordnet wird, ſo gilt über die Bekanntmachung dieſelbe Vorſchrift wie von der Einrichtung von Kriegsgerichten (§. 5 Abſ. 1). An die Stelle der Art. 5 und 6 der Preuß. Verf. ſind aber jetzt, und zwar im ganzen Bundesgebiet, die Beſtim - mungen im I. Buch 8. und 9. Abſchnitt der Strafprozeß-Ordnung, und an die Stelle der Art. 29 und 30 der Preuß. Verf. die Be - ſtimmungen des Reichsgeſetzes über die Preſſe vom 7. Juni 1874 (R. G.Bl. S. 65) getreten2)Das Preßgeſetz §. 30 Abſ. 1 erhält die für Zeiten des erklärten Kriegs - (Belagerungs -) Zuſtandes in Bezug auf die Preſſe beſtehenden beſonderen geſetzlichen Beſtimmungen bis auf Weiteres in Kraft.. Die Erklärung der Suſpenſion wird demnach eintretenden Falles auf dieſe Reichsgeſetze zu richten ſein.

2. Die Frage, ob auch den Einzelſtaaten die Befugniß zuſteht, für ihre Gebiete den Belagerungszuſtand wenigſtens in Friedens - zeiten zu verhängen, wird von den meiſten Schriftſtellern be - jaht3)Am ausführlichſten äußert ſich darüber v. Mohl a. a. O. S. 90 fg., deſſen Erörterungen mit einigen ſtyliſtiſchen Abänderungen v. Rönne l S. 87 fg. abgeſchrieben hat. Vgl. außerdem Thudichum Verf. R. des Nordd. Bundes S. 294. Meyer Staatsr. S. 494. Seydel Kommentar S. 248, der letz - tere Schriftſteller hat ſeine Anſicht aber geändert. (Zeitſchr. f. die deutſche Geſetzgebung Bd. VII S. 621.). Das Gegentheil iſt richtig und zwar aus zwei Gründen. 47§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.Die Erklärung des Kriegszuſtandes iſt ein Ausfluß des Kaiſerl. Militair-Oberbefehls; die Einzelſtaaten ſind nicht befugt, in den - ſelben einzugreifen, insbeſondere den Militair-Befehlshabern die geſammte Oberleitung der Civilverwaltung und die Verantwortlichkeit für dieſelbe zu übertragen und die Militair - Gerichtsverfaſſung eigenmächtig umzuändern. Dies aber ſind die mit der Erklärung des Kriegszuſtandes eintretenden, in §§. 4, 6 und 7 des Geſetzes erwähnten Rechtsfolgen. Kein Feſtungs - kommandant und kein kommandirender General dürfte einem der - artigen Befehle nachkommen, wenn er ihm nicht vom Kaiſer er - theilt iſt, oder gar gegen den Willen des Kaiſers. Sodann ſind die Regierungen der Einzelſtaaten nicht befugt, Reichsgeſetze eigen - mächtig aufzuheben oder umzuändern; die Erklärung des Belage - rungszuſtandes hat aber eine zeitweiſe Veränderung des Strafgeſetzbuchs, und ſofern Kriegsgerichte eingeſetzt wer - den, auch des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes und der Strafprozeß - Ordnung zur Folge. Das Einf. -Geſ. zum R. St. G.B. §. 4 bedroht die dort aufgeführten Verbrechen nur dann mit dem Tode, wenn ſie in einem Theile des Bundesgebietes, welchen (der Bundes - feldherr) der Kaiſer in Kriegszuſtand (Art. 68 der Verf. ) erklärt hat, begangen werden. Einem Landesherrn ſteht es demnach nicht zu, die im §. 4 cit. enthaltenen Normen in Geltung zu ſetzen. Der Art. 68 der R.V. ermächtigt den Kaiſer allein zur zeitweiligen Suſpenſion des beſtehenden Rechts, insbeſondere auch der Reichsgeſetze; folglich haben die Regierungen der Einzel - ſtaaten dieſes Recht nicht. Völlig unrichtig iſt es, wenn v. Mohl ſich darauf beruft, daß die Bundesfürſten nach Art. 66 der R.V. das Recht haben, die in ihren Ländergebieten dislozirten Truppen zu polizeilichen Zwecken zu requiriren. Die Requiſition iſt in allen Beziehungen das Gegentheil des Belagerungszuſtandes; die Truppen ſchreiten hier nur auf Erfordern der Civilbehörde und zu ihrer Unterſtützung ein, beim Belagerungszuſtand dagegen iſt der Militairbefehlshaber der Herr, er requirirt die Civilbehörden und ertheilt ihnen Anordnungen, wenn er ihrer Hülfe bedarf. Die Requiſition zu polizeilichen Zwecken ſetzt die Fortdauer des gemein - gültigen Rechtes voraus, der Belagerungszuſtand iſt die zeitweiſe Aufhebung deſſelben. Die Reichsverfaſſung unterſcheidet daher mit gutem Grunde, wenn ſie im Art. 66 den Bundesfürſten das Recht48§. 80. Die Gemeinſchaft der Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.zur Requiſition von Truppen, dagegen im Art. 68 dem Kaiſer das Recht zur Erklärung des Belagerungszuſtandes zuſchreibt und es iſt grade aus dieſer Unterſcheidung der Schluß gerechtfertigt, daß die Bundesfürſten das im Art. 68 erwähnte Recht nicht haben.

3. Alles, was im Vorſtehenden über die Verhängung des Belagerungszuſtandes ausgeführt worden iſt, findet auf Bayern keine Anwendung. Daß der Kaiſer im Frieden Bayern nicht in Belagerungszuſtand verſetzen kann, folgt ſchon aus dem Ausſchluß des Oberbefehls des Kaiſers über die Bayeriſche Armee in Ver - bindung mit dem Ausſchluß des Rechts, andere Truppen nach Bayern zu disloziren, aber auch für den Fall des Krieges iſt dieſes Recht dem Kaiſer nicht eingeräumt. Nach dem Vertrage v. 23. Nov. 1870 und der Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchnitt der R.V. iſt die Anwendung des Art. 68 der R.V. auf Bayern unbedingt und vollſtändig ausgeſchloſſen. Dagegen iſt das Reich competent, ein Geſetz über die Erklärung des Bundesgebietes oder eines Theiles deſſelben in Kriegszuſtand zu erlaſſen, welches auch für Bayern Geltung haben würde. Dieſe in Art. 4 Ziff. 14 begründete Kom - petenz iſt im Vertrage v. 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. VI aus - drücklich anerkannt worden. Die Sonderſtellung Bayerns iſt daher nur gewährleiſtet, ſo lange das Preuß. Geſ. v. 4. Juni 1851 in Geltung bleibt.

Dem Ausſchluß des Rechts des Kaiſers zur Erklärung des Kriegszuſtandes entſpricht es, daß der König von Bayern in ſeinem Staatsgebiete zur Ausübung deſſelben befugt iſt. Demge - mäß hat das R.G. v. 22. April 1871 §. 7 (R. G.Bl. S. 89) be - ſtimmt, daß an Stelle des §. 4 des Einf. Geſetzes zum St. G.B. für Bayern es bis auf Weiteres bei den einſchlägigen Beſtim - mungen des Militärſtrafrechts, ſowie bei den ſonſtigen Vorſchriften über das Standrecht ſeine Bewenden hat, und ebenſo iſt in das Gerichtsverfaſſ. -Geſ. Art. 16 die Klauſel aufgenommen worden, daß von dieſem Artikel die geſetzlichen Beſtimmungen über Stand - rechte nicht berührt werden.

§. 80. Die Gemeinſchaft der Laſten und Ausgaben für die be - waffnete Macht.

Weder die Einheitlichkeit der Militärgeſetze und Heereseinrich - tungen noch der Oberbefehl des Kaiſers über die Truppen der49§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.Einzelſtaaten würden genügen, um die übereinſtimmende und gleich - mäßige Kriegstüchtigkeit und Vollzähligkeit der einzelnen Kontin - gente zu ſichern, wenn die Einzelſtaaten von der mangelhaften oder unvollſtändigen Durchführung der Militairgeſetze materielle Vor - theile hätten. Die eigentliche Bürgſchaft für die Einheitlichkeit des Heeres und für die Gleichartigkeit ſeiner Beſtandtheile, die fundamentale Baſis der Reichskriegsverfaſſung, durch welche alle anderen Einrichtungen erſt Feſtigkeit und Halt gewinnen, iſt daher in dem weitreichenden Prinzip des Art. 58 der R.V. zu erblicken:

Die Koſten und Laſten des geſammten Kriegsweſens des Reichs ſind von allen Bundesſtaaten und ihren Angehörigen gleich - mäßig zu tragen, ſo daß weder Bevorzugungen noch Prägrava - tionen einzelner Staaten oder Klaſſen grundſätzlich zuläſſig ſind.

In dieſem Satze ſind allerdings zwei ſehr verſchiedene Dinge durcheinander geworfen: die gleichmäßige Vertheilung der Laſten auf die Bundesſtaaten und die gleichmäßige Verpflichtung der Angehörigen der Bundesſtaaten zur Leiſtung von Militair - dienſten und Militairlaſten. Das letztere Prinzip hat lediglich die Bedeutung eines verfaſſungsmäßigen Programmes für die Militair - Geſetzgebung des Reiches; das erſtere dagegen iſt in der Reichs - verfaſſung ſelbſt effektiv durchgeführt und für das Verhältniß des Reiches zu den Einzelſtaaten hinſichtlich des Militairweſens, ja hin - ſichtlich des geſammten Verfaſſungsbaues des Reiches von maß - gebender Bedeutung. Nur dieſes Prinzip ſteht hier zur Erörte - rung. Ohne die Durchführung dieſes Grundſatzes von der gleichen Vertheilung der Laſten wären auch die Militairkonventionen mit Preußen ſchwerlich abgeſchloſſen worden; dieſelben waren nur des - halb möglich, weil ſie die materiellen Leiſtungen der Einzelſtaaten für Heer und Marine unverändert ließen. Der erwähnte Grund - ſatz iſt ſo weſentlich und überdies ſo ſehr in der Billigkeit begrün - det, daß er auch für Bayern volle und unbeſchränkte Anwendung erhalten hat und nur die Art und Weiſe ſeiner Ausführung iſt für Bayern anders wie für die übrigen Staaten geregelt worden. In dem Bündnißvertrage v. 23. Nov. 1870 III §. 5 iſt feſtgeſetzt, daß Art. 58 der R.V. für das Königreich Bayern gültig iſt, jedoch den Zuſatz erhält: der in dieſem Artikel bezeichneten Verpflichtung wird von Bayern in der Art entſprochen, daß es die Koſten und Laſten ſeines Kriegsweſens, den Unterhalt der auf ſeinem GebieteLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 450§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.belegenen feſten Plätze und ſonſtigen Fortifikationen inbegriffen, ausſchließlich und allein trägt .

Die von den Einzelſtaaten zu machenden Leiſtungen für die Armee ſind von zweierlei Art; ſie beſtehen theils in der Hergabe von dienſtfähiger Mannſchaft (Rekruten - oder Erſatzleiſtung) theils in der Hergabe von Geld (Finanzleiſtung).

I. Die Stellung des Erſatzbedarfes.

1. Art. 60 der R.V. enthält außer der Beſtimmung über die Friedens-Präſenzſtärke des Deutſchen Heeres bis zum 31. Dez. 1871 die Vorſchrift, daß die Mannſchaften pro rata der Bevölke - rung von den einzelnen Bundesſtaaten geſtellt werden. Derſelbe Grundſatz iſt als dauernde, von der Präſenzſtärke unabhängige Rechtsregel in dem Wehrgeſetz v. 9. Nov. 1867 §. 9 ſanctionirt und in dem Militärgeſetz §. 9 beſtätigt und weiter ausgeführt worden. Auf Grund der geſetzlich feſtgeſetzten Präſenzſtärke wird alljährlich der für Heer und Flotte erforderliche Rekrutenbedarf vom Kaiſer beſtimmt1)Das Recht des Kaiſers zur Feſtſtellung des Rekrutenbedarfs iſt im We - ſentlichen ein nur formelles, denn durch die geſetzlich feſtgeſtellte Friedensprä - ſenzſtärke (vgl. §. 83 II) und die beſtehende Heeresorganiſation iſt der jährliche Bedarf an Rekruten materiell beſtimmt. Nach einer dem Reichstage vorge - legten Berechnung (Druckſ. 1874 I. Seſſ. Beilage zu Nr. 106) beträgt derſelbe für das ganze Heer jährlich 130,000 Mann, dazu circa 10 % Nacherſatz 13,000 M. und für die Marine 2,500 M., ſonach im Ganzen 145,500 Rekruten. Da jedoch die geſetzliche Präſenzſtärke mit der effectiven Präſenzſtärke nicht über - einſtimmt, die letztere vielmehr durch Beurlaubungen, ſpätere Rekruteneinſtel - lungen, und andere Manquements zeitweiſe erheblich niedriger iſt und da die Zeit, welche der einzelne Wehrpflichtige bei den Fahnen gehalten wird, va - riabel iſt und bisweilen erheblich unter die normale Dauer verkürzt wird, ſo kann andererſeits die Rekrutenquote relativ höher bemeſſen werden, um die für die Kriegsſtärke erforderlichen Jahresraten von Beurlaubten zu beſchaffen. Insbeſondere aber iſt der Kaiſer befugt, den Präſenzſtand in den einzelnen Kadres (unter Feſthaltung der geſetzlich feſtgeſtellten Maximal-Präſenzſtärke des ganzen Heeres) anzuordnen und den Termin der Entlaſſung der ausgedienten Mannſchaften und der Einſtellung der Rekruten zu beſtimmen. Der thatſäch - liche Geſchäftsgang iſt der, daß bei jedem einzelnen Truppen - und Marinetheil der zur Kompletirung der etatsmäßigen Stärke erforderliche Bedarf zu er - mitteln und dem Preuß. Kriegsminiſterium mitzutheilen iſt, welches nach Feſt - ſetzung des Geſammtbedarfs denſelben dem Bundesraths-Ausſchuß anzeigt. und demnächſt durch den Bundesausſchuß für51§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.das Landheer und die Feſtungen, unter Mitwirkung des Bundes - ausſchuſſes für das Seeweſen hinſichtlich des für die Marine er - forderlichen Erſatzes, auf die einzelnen Bundesſtaaten nach dem Ver - hältniß der Bevölkerung vertheilt.

Der für das Bayeriſche Kontingent erforderliche Bedarf an Rekruten wird formell vom König von Bayern beſtimmt; materiell ſind hiefür aber die vom Kaiſer für das Bundesheer gegebenen Vorſchriften maßgebend. Es iſt dies eine Folge des erwähnten, im Art. 58 der R.V. ſanctionirten Prinzips.

2. Den Maßſtab für die Vertheilung des Erſatzbedarfs bildet die Bevölkerung. Die Größe derſelben wird nach dem Reſul - tat der vorhergegangenen auf Anordnung des Reiches vorgenom - menen Volkszählung ermittelt. Hiebei kommen natürlich nur die Reichsangehörigen in Betracht, da Ausländer (Reichsfremde) in Deutſchland nicht wehrpflichtig ſind; dagegen iſt die Staats an - gehörigkeit für die Feſtſtellung der Bevölkerungszahl nicht von Be - lang, da für die Erfüllung der Militärpflicht nicht die Staatsan - gehörigkeit, ſondern der dauernde Aufenthalt entſcheidend iſt1)Wehrgeſetz §. 9 Abſ. 2. Siehe unten §. 88 sub. II. .

Von dieſer ortsanweſenden reichsangehörigen Bevölkerung wer - den ſodann in Abzug gebracht die im aktiven Dienſt befindlichen Militairperſonen2)Milit. Geſ. §. 9 Abſ. 1.. Der Erſatzbedarf für die Marine wird nach Maßgabe der vorhandenen ſeemänniſchen Bevölkerung ver - theilt3)Auf diejenigen Bundesſtaaten, in welchen Militairpflichtige der ſee - männiſchen Bevölkerung vorhanden ſind, erfolgt daher die Erſatzvertheilung nach Land - und ſeemänniſcher Bevölkerung getrennt. W.O. I §. 41 Ziff. 4. und die für die Marine ausgehobenen Mannſchaften ſind in ihren Aushebungsbezirken auf die Geſtellung zum Landheere in Abrechnung zu bringen4)R.V. Art. 53 Abſ. 5. Milit. Geſ. §. 9 Abſ. 1.. Auf die Quote des Erſatzbedarfes, welche nach dieſen Regeln auf jeden Staat entfällt, werden die - jenigen Mannſchaften angerechnet, welche aus den Gebietstheilen des Staates innerhalb des letztverfloſſenen Kalenderjahres freiwillig in den Militairdienſt eingetreten ſind5)Mil. Geſ. §. 9 Abſ. 1. W.O. I §. 52 Ziff. 3. Um dieſen Satz in Ein - klang zu bringen mit dem Grundſatz, daß die Einjährig-Freiwilligen auf die.

1)Dieſes Verfahren iſt bei allen Kontingenten mit Ausnahme des Bayeriſchen zu beobachten. Vgl. Wehrordnung I §. 50 und Heerordnung I §. 1.

4*52§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.

3. Eine Conſequenz des Satzes, daß der Rekrutenbedarf von den Staaten nach Verhältniß ihrer Bevölkerung gedeckt werden ſoll, beſteht darin, daß, wenn ein Aushebungsbezirk ſeinen Re - krutenantheil nicht aufzubringen vermag, der Ausfall auf die an - dern Bezirke deſſelben Bundesſtaates übertragen wird und daß die Erhöhung der Rekrutenantheile anderer Bundesſtaaten erſt dann erfolgen kann, wenn die geſammten Aushebungsbezirke eines Bundesſtaates nicht zur Leiſtung des demſelben aufgegebenen Re - krutenantheils im Stande ſind1)Mil. Geſ. §. 9 Abſ. 3. In dieſer Geſetzesſtelle wird zugleich eine an - dere Beſtimmung noch eingeſchaltet, welche leicht zu einem Mißverſtändniß An - laß bieten kann. Es wird nämlich angeordnet, daß bei der Repartirung des Ausfalls eines Aushebungsbezirkes auf die andern Bezirke deſſelben Staates, der Ausfall zunächſt auf die der nächſt höheren Militär-Territorial - einheit angehörigen Bezirke übertragen werden ſoll. Dieſe Beſtimmung bezieht ſich alſo nicht auf das Verhältniß unter mehreren Bundesſtaaten und die gleichmäßige Behandlung derſelben Seitens des Reiches, ſondern ſie ſtellt einen Grundſatz auf hinſichtlich der Aushebung innerhalb eines Bundes - ſtaates. Sie iſt aber geeignet den Anſchein zu erwecken, als ob auch unter mehreren Staaten, welche zu derſelben Militair-Territorial-Einheit ge - hören, der in einem Staate entſtandene Ausfall zunächſt auf die andern über - tragen werden müſſe, bevor die zu einem andern Militair-Bezirk (Bri - gade -, Diviſions - oder Armeekorps-Bezirk) gehörenden Staaten zum antheils - mäßigen Erſatz herangezogen werden dürfen. Nach der Faſſung des §. 9 cit. im Entwurfe v. 1873 und v. 1874 (Druckſ. I Seſſ. 1874 Nro. 9 S. 34) war eine ſolche Beſtimmung allerdings beabſichtigt und ſie hat auch noch in einer Aeußerung des Berichterſtatters der Reichstags-Kommiſſion (Stenogr. Berichte 1874 S. 841) Erwähnung und, wie es ſcheint, Billigung gefunden. Auch em - pfiehlt ſich ihre Beobachtung aus Zweckmäßigkeitsgründen. Mit dem Wortlaut des Geſetzes aber, auf den es allein ankommt, iſt ſie unvereinbar. Vergl. auch Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1450 ff.. Dieſer zu repartirende Ausfall iſt nach dem im Wehrgeſetz v. 9. Nov. 1867 §. 9 enthaltenen Grundprinzip ebenfalls wieder auf ſämmtliche Bundesſtaaten5)Friedenspräſenzſtärke nicht in Anrechnung kommen (Mil. Geſ. §. 1), wird die Vertheilung des Erſatzes in der Art vorgenommen, daß die Geſammtzahl der im Vorjahre eingetretenen Freiwilligen dem auszuhebenden Rekrutenbedarf hin - zugerechnet, die hiernach ſich ergebende Summe auf die Bundesſtaaten repar - tirt und von der auf jeden einzelnen Staat entfallenden Quote die aus dieſem Staate in das Heer und in die Marine eingetretenen Freiwilligen wieder ab - gerechnet werden. Die Freiwilligen werden immer demjenigen Bezirke an - gerechnet, in welchem ſie geſtellungspflichtig ſind. Preuß. Miniſt. -Reſcr. v. 5. Dezemb. 1877 bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften I. 1. S. 107.53§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.nach Verhältniß ihrer ortsanweſenden reichsangehörigen Bevölke - rung zu vertheilen; hiervon iſt nach Art. 58 der R.V. auch Bayern nicht ausgenommen, jedoch erleidet die Regel für alle Staaten, welche beſondere Armeekorps bilden, eine unter Nr. 5 noch zu erörternde Modifikation.

4. Von dem Falle, daß ein Bundesſtaat nicht im Stande iſt, die auf ihn entfallende Quote des Rekrutenbedarfs zu ſtellen, iſt wol zu unterſcheiden der andere Fall, daß nach erfolgter Ver - theilung des allgemeinen Erſatzbedarfs auf die Bundesſtaaten bei einem Truppentheile durch unvorhergeſehenen Ausfall oder Abgang an Mannſchaften ein außerordentlicher Erſatzbe - darf entſteht. Während in dem unter 3 erörterten Falle (Mil. - Geſ. §. 9 Abſ. 3) der Erſatzbedarf für das Heer unverändert bleibt und nur die Vertheilung anders regulirt werden muß, ändert ſich in dem hier beſprochenen Falle (Mil. Geſ. §. 9 Abſ. 2) der Erſatz - bedarf ſelbſt, indem ein Nacherſatz erforderlich wird. Hier iſt nun nicht die Repartirung deſſelben auf ſämmtliche Bundesſtaaten nothwendig, ſondern es iſt eine Abweichung von dem vorge - ſchriebenen Vertheilungsmaßſtabe unter Zuſtimmung des Ausſchuſſes für das Landheer und die Feſtungen geſtattet. Die in Folge deſſen entſtehende Ungleichheit in der Belaſtung der Bundesſtaaten iſt bei der Rekrutengeſtellung des nächſtfolgenden Jahres auszugleichen1)Mil. Geſ. §. 9 Abſ. 2. Auf die Rekrutirung für die Marine finden die Beſtimmungen des Militairgeſetzes keine Anwendung. Beim Mangel an Erſatzmannſchaften der ſeemänniſchen Bevölkerung iſt ein Hinübergreifen auf Militairpflichtige der Landbevölkerung innerhalb der aufzubringenden Geſammt - zahl ohne Weiteres zuläſſig. W.O. I §. 51 Ziff. 7..

5. Zu der Regel, daß der für das Reichsheer erforderliche Erſatz gleichmäßig auf alle Bundesſtaaten zu vertheilen iſt, tritt ein anderer Grundſatz hinzu, welcher eine ſehr eingreifende Be - ſchränkung der Kontingentsherrlichkeit der Einzelſtaaten enthält2)Vgl. §. 81 I, 1.. Verfaſſungsmäßig haben nämlich die Bundesſtaaten (außer Bayern) kein Recht darauf, daß der von ihnen geſtellte Erſatz in ihre Kontingente eingereiht wird, ſondern die Geſammtleiſtung ſämmtlicher Staaten an Rekruten ſteht für das geſammte Reichs - heer zur Verfügung des Kaiſers3)Nur der einzelne Wehrpflichtige iſt berechtigt zu verlangen, daß er. Für die Zutheilung der aus -54§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.zuhebenden Rekruten an die Truppen des Reichsheeres iſt das militairiſche Bedürfniß beſtimmend1)Mil. Geſ. §. 9 Abſ. 4. Durch die Aufnahme dieſer Anordnung in den §. 9 iſt das Verſtändniß ſehr erſchwert worden, da dieſer Geſetzesparagraph ſehr heterogene Dinge zuſammenfaßt. Vgl. die Erläuterungen, welche Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1454 fg. giebt.; da über dieſes Be - dürfniß aber der Kaiſer reſp. die Militairkommandobehörde zu ent - ſcheiden hat, ſo folgt, daß die aus einem Aushebungsbezirk oder Staatsgebiet geſtellten Rekruten nach Anordnung des Kaiſers in jeden beliebigen Truppenkörper des ganzen Reichsheeres eingeſtellt werden können, ohne daß der Regierung des Einzelſtaates ein Widerſpruchsrecht zuſteht. An dieſem Rechtsſatz wird auch dadurch nichts geändert, daß thatſächlich die meiſten Truppenkörper, insbe - ſondere die Linien-Infanterie-Regimenter, beſtimmte Rekrutirungs - bezirke haben. Der erwähnte Rechtsſatz kann in doppelter Richtung wirkſam werden; es können ſowohl in das Kontingent des einzel - nen Staates die in andern Staaten ausgehobenen Rekruten einge - ſtellt als auch die im eigenen Staatsgebiet zur Aushebung ge - langten Rekruten zur Kompletirung anderer Kontingente verwendet werden. Für eine große Zahl von Staaten iſt aber die Anwen - dung dieſes Grundſatzes ausgeſchloſſen oder beſchränkt und zwar in folgender Weiſe:

a) Verfaſſungsmäßig iſt der Grundſatz gänzlich aus - geſchloſſen für Bayern und zwar durch den Zuſatz, welchen Art. 58 der R.V. in dem Vertrage v. 23. Nov. 1870 erhalten hat, wonach Bayern die Laſten ſeines Kriegsweſens ausſchließlich und allein trägt und durch den Ausſchluß des militairiſchen Oberbefehls u. ſ. w. des Kaiſers über die Bayeriſche Armee im Frieden. In das Bayriſche Kontingent können daher weder die in andern Bundesſtaaten ausgehobenen Rekruten eingereiht werden, noch kann der in Bayern geſtellte Erſatz für andere Kontingente in3)zur Erfüllung der Militairpflicht in demjenigen Bundesſtaat reſp. Aushebungs - bezirke herangezogen werde, in welchem er ſeinen Wohnſitz hat (Wehr - geſetz §. 17 Milit. Geſ. §. 12. Siehe unten §. 88), ein Recht, das ihn freilich nicht davor ſchützt, nach erfolgter Einreihung in das Heer in einen beliebigen Theil des Reichsgebiets geſchickt zu werden; dieſes Recht des einzelnen Wehr - pflichtigen iſt aber nicht zu verwechſeln mit dem Anſpruch der einzelnen Staaten, die von ihnen geſtellten Rekruten zur Kompletirung ihrer eigenen Kontingente zu verwenden.55§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.Anſpruch genommen werden1)Deſſen ungeachtet beſteht der Grundſatz, daß auch Bayern für den Aus - fall in andern Bundesſtaaten pro rata mit aufkommen müſſe und vice versa fort; er iſt aber in der Art zu realiſiren, daß wenn in Bayern ein Ausfall ſich ereignet, die Kontingente der übrigen Staaten entſprechend erhöht werden, und daß wenn der Ausfall außerhalb Bayerns (z. B. in Elſaß-Lothringen) ein - tritt, die Rekruten-Einſtellung in das Bayeriſche Heer um ſo viel erhöht wird, als der auf Bayern kommende Antheil an dieſem Ausfall beträgt. Für das ganze Reichsheer wird hierdurch die feſtgeſetzte Zahl der einzuſtellenden Re - kruten, reſp. der geſetzlichen Friedens-Präſenzſtärke erreicht. Die praktiſche Durchführung dieſes Prinzips würde allerdings mit Mißſtänden verknüpft ſein, weil die etatsmäßige Stärke der einzelnen Truppenkörper dadurch Verände - rungen erleiden würde.. Es gehört dieſe Selbſtändigkeit der Erſatzſtellung zu den verfaſſungsmäßigen Sonderrechten Bayerns, welche nur nach Art. 78 der R.V. beſeitigt werden können.

b) Durch das Reichsmilitairgeſetz §. 9 Abſ. 4 iſt denjenigen Bundesſtaaten, welche beſondere Armeekorps bilden, zugeſichert worden, daß ſie unbeſchadet der Beſtim - mungen in Abſ. 3 im Frieden zur Rekrutengeſtellung für andere Armeekorps nur in dem Maße herangezogen werden, als An - gehörige anderer Bundesſtaaten bei ihnen in Gemäßheit des §. 12 zur Aushebung gelangen . Der Sinn dieſer dunkeln Worte iſt der, daß auch für Sachſen und Württemberg im Frie - den daſſelbe Verhältniß gelten ſoll, welches für Bayern beſteht; d. h. daß dieſe beiden Staaten den Erſatz für ihre Armeekorps in ihren Gebieten ſelbſt aufbringen und daß die von ihnen ausge - hobenen Rekruten nicht in andere Kontingente eingereiht werden2)Vgl. Stenogr. Berichte des Reichstags 1874 S. 1455. Bei der Bun - des-Erſatz-Vertheilung wird daher auf dieſe Staaten nur der für ihre Armee - korps erforderliche Bedarf in Einer Summe vertheilt. Vergl. Wehr-Ordn. I §. 51 Ziff. 5. Die Beſtimmungen in Abſ. 3 d. h. die Repartirung des Aus - falls in einem Bundesſtaat auf die andern, finden auf Sachſen und Württem - berg in derſelben Art Anwendung, wie dies in der vorhergehenden Note für Bayern erläutert iſt.. Außerdem aber erkennen die citirten Geſetzesworte eine Ausnahme von dieſem Grundſatz an rückſichtlich der Staaten mit ſelbſtſtän - diger Kontingentsverwaltung, einſchließlich Bayerns, deren Bedeutung und Begründung erſt bei Erörterung der Kontingents - herrlichkeit dargelegt werden kann (vgl. §. 81 I, 1).

c) Durch die Militair-Konventionen haben die -56§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.jenigen Staaten, welche ihre Kontingente mit der Preußiſchen Ar - mee vereinigt haben, beſtimmte Zuſicherungen über die Verwen - dung der in ihren Gebieten ausgehobenen Rekruten erhalten. Je nach der Größe der Staaten beſteht hier eine Verſchiedenheit. Baden1)Bad. Mil. Konvent. Art. 9 Abſ. 2. und Heſſen2)Heſſ. Mil. Konvent. Art. 10 Abſ. 2 Die Heſſiſche Diviſion wird in Be - treff des Ergänzungsweſens den Armeekorps gleichgeſtellt. bilden je einen Ergänzungsbezirk für ſich und werden hinſichtlich der Erſatzſtellung thatſächlich wie Sach - ſen und Württemberg behandelt. Mit dem Großherzogthum Ol - denburg iſt vereinbart, daß die aus dem Herzogthum Ol - denburg (nicht die aus den Fürſtenthümern Lübeck und Birkenfeld) ausgehobenen Wehrpflichtigen nur als Erſatz für die im Art. 3 der Konvent. aufgeführten Truppenkörper verwendet werden3)Dies gilt jedoch nicht von der für Jäger, Feſtungs-Artillerie, Pioniere Train und Bundeskriegsmarine erforderlichen Quote. Oldenb. Mil. Konv. Art. 4 Abſ. 1.; daſſelbe iſt den Thüringiſchen Staaten und Anhalt hin - ſichtlich der Thüringiſchen und des Anhaltiſchen Infanterie-Regi - ments zugeſichert worden4)Art. 1 und Art. 3 der Thüring. und der Anhalt. Milit. Konv. In den Thüring. Staaten findet, ſofern dieſelben nicht Widerſpruch erheben, die Re - krutirung auch für das Preuß. Garde-Korps ſtatt. Schlußprotok. zu Art. 3 der Mil. Konvent. Heer-Ordn. §. 2 Ziff. 1., und gilt auch für Mecklenburg5)Heer-Ordn. §. 2 Ziff. 6.. Den übrigen Staaten iſt nur das Verſprechen ertheilt worden, daß die ihnen angehörigen Erſatzmannſchaften in demjenigen Preuß. Truppenkörper ihrer Dienſtpflicht genügen können, welcher in dem betreffenden Gebiete in Garniſon liegt, reſp. bei nächſtgelegenen Preuß. Truppentheilen6)Milit. Konv. mit Waldeck Art. 2; Schwarzburg-Sondershauſen, Art. 1 bis 3. Schaumburg-Lippe Art. 1. und 2. (Jägerbataillon), Lippe-Detmold Art. 1 3. Lübeck §. 2. Hamburg §. 2. Bremen §. 2..

6. Die Aushebung des auf den einzelnen Staat ent - fallenden Antheils an dem Erſatzbedarf und die Organiſation und das Verfahren der Erſatzbehörden ſteht nicht im Zuſammenhang mit der Leiſtung der Bundesſtaaten ſondern mit der Erfül - lung der Wehrpflicht Seitens der Reichsangehörigen und wird dem - gemäß unten §. 88 dargeſtellt werden.

57§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.

II. Die finanziellen Laſten.

1. Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zuſammenhängenden Anſtalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichskaſſe beſtritten1)R.V. Art. 53 Abſ. 3.. Ebenſo werden die Ausgaben für das geſammte Reichsheer und deſſen Einrichtungen aus der Reichs - kaſſe beſtritten und durch das Etatsgeſetz feſtgeſtellt2)R.V. Art. 62 Abſ. 3.. Durch dieſe Verfaſſungs-Grundſätze wird die gleichmäßige Vertheilung der für die bewaffnete Macht des Reiches erforderlichen Koſten auf alle Staaten nach Verhältniß ihrer Bevölkerung herbeigeführt, da zur Beſtreitung aller gemeinſchaftlichen Ausgaben des Reiches, ſoweit dieſelben nicht durch die ſogen. eigenen Einnahmen der Reichskaſſe gedeckt werden, von den einzelnen Staaten Beiträge nach Maßgabe ihrer Bevölkerung zu entrichten ſind3)R.V. Art. 70. Das Nähere ſiehe unten bei der Darſtellung des Fi - nanzrechtes. Ueber die einigen kleineren Norddeutſchen Staaten zeitweilig bewilligten Nachläſſe vgl. meine Darſtellung des Reichsfinanzrechts in Hirth’s Annalen 1873 S. 494 fg..

Dieſes Prinzip findet auch auf Bayern vollſtändig Anwen - dung, jedoch mit derjenigen Modifikation, welche Art. 58 der R.V. für Bayern erhalten hat, daß nämlich Bayern die Koſten und Laſten ſeines Kriegsweſens ausſchließlich und allein trägt. Für die finanziellen Leiſtungen gelten daher ganz analoge Regeln wie für die Leiſtungen an Mannſchaften. Die von Bayern aufzuwen - denden Beträge werden in Einer Summe feſtgeſtellt, deren Höhe zu der für das Reichsheer zu verausgabenden Summe in demſelben Verhältniß ſteht wie die Kopfſtärke des Bayriſchen Kontingents zu der des übrigen Reichsheeres. Die Verwendung dieſer Summe iſt Bayern überlaſſen; die Spezialetats werden nicht vom Reich, ſon - dern von Bayern aufgeſtellt, das aber verpflichtet iſt, hierbei im Allgemeinen diejenigen Etatsanſätze nach Verhältniß zur Richtſchnur zu nehmen, welche für das übrige Reichsheer in den einzelnen Titeln ausgeworfen ſind4)Bayer. Bündnißvertrag vom 23. Nov. 1870. III §. 5 Ziff. II. .

2. Die Leiſtung der Ausgaben ſelbſt nach Maßgabe der im Etat feſtgeſtellten Sätze und der durch Geſetze oder Verordnungen58§. 80. Die Gemeinſchaft d. Laſten u. Ausgaben f. d. bewaffnete Macht.gegebenen Normen erfolgt durch diejenigen Einzelſtaaten, welche eine eigene Militairverwaltung haben. Da dieſe Ausgaben aber für Rechnung des Reiches erfolgen, ſo unterliegen ſie der Kontrole Seitens des Rechnungshofes des Reiches und es iſt über dieſelben durch den Reichskanzler dem Bundesrathe und dem Reichs - tage zur Entlaſtung jährlich Rechnung zu legen1)R.V. Art. 72.. Da die De - charge dem Reichskanzler ertheilt wird und dieſer die ver - faſſungsmäßige Pflicht hat, dem Bundesrathe und Reichstage Rech - nung zu legen, ſo folgt daraus, daß die Kontingentsverwaltungen verpflichtet ſind, dem Reichskanzler Rechnung zu legen und daß ſie zu allen Abweichungen von den Anſätzen des Etats die Genehmigung des Reichskanzlers einholen müſſen. Für Bayern gilt dies jedoch aus dem angegebenen Grunde nicht; dem Bundes - rath und Reichstag iſt nur nachzuweiſen, daß die für das Baye - riſche Heer erforderliche, im Etat ausgeworfene Hauptſumme wirk - lich an Bayern überwieſen worden iſt, während die Kontrole und die Ertheilung der Entlaſtung über die Verwendung dieſer Summe den nach dem Bayeriſchen Staatsrecht hierzu berufenen Organen des Königreichs zuſteht2)Schlußbeſtimmung zum XII Abſchnitt der R.V. Vgl. Riedel Reichs - verf. S. 146, Seydel Commentar S. 235..

3. Aus demſelben Grundſatz folgt, daß Erſparniſſe an dem Militair-Etat, welchen eine Regierung bei der ihr zuſtehenden Ar - mee-Verwaltung macht, nicht der Kaſſe dieſes Staates, ſondern der Reichskaſſe zufallen3)R.V. Art. 67.; ausgenommen iſt auch hier Bayern4)Darüber ſind faſt alle Schriftſteller einverſtanden. Vrgl. Auerbach das deutſche Reich S. 150 und die daſelbſt citirte Aeußerung des Staatsmi - niſters Lutz; ferner Blankenburg in v. Holtzend. Jahrbuch I S. 394. Riedel Reichsverf. S. 154. v. Pözl Bayer. Verf. R. 4. Aufl. Supple - ment §. 44. Seydel Commentar S. 234 und in Hirth’s Annalen 1875 S. 1503. Meyer Staatsrecht S. 551. Anderer Anſicht iſt nur Thudi - chum in v. Holtzendorffs Jahrb. II S. 116, deſſen Ausführungen bei v. Rönne II, 2 S. 119 wiedergegeben ſind., da die Geltung des Art. 67 für Bayern in dem Verſailler Ver - trage ausdrücklich ausgeſchloſſen iſt und Bayern ſeine Armee-Ver - waltung auf eigene Rechnung und ſelbſtſtändig führt. Eine for - melle Garantie, daß Bayern nicht auf Koſten der Kriegstüchtigkeit59§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.ſeines Kontingentes Erſparniſſe macht, iſt lediglich durch das dem Kaiſer eingeräumte Inſpektionsrecht gegeben.

Auch Württemberg iſt verfaſſungsmäßig1)Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchn. der R.V. das Sonder - recht eingeräumt worden, daß die Württemberg. Regierung nach Maßgabe des Reichshaushalts-Etats den Aufwand für die Unter - haltung des Württemb. Armeekorps in ſelbſtſtändiger Verwaltung beſtreitet, und daß Erſparniſſe, welche unter voller Erfüllung der Bundespflichten als Ergebniſſe der obwalten - den beſondern Verhältniſſe möglich werden, zur Verfügung Württembergs verbleiben2)Milit. Konvent. Art. 12 Abſ. 1.. Dieſes Recht Württem - bergs iſt von dem erwähnten Rechte Bayerns erheblich verſchieden, weil die Spezialetats auch für das Württemberg. Armeekorps vom Reiche feſtgeſtellt und die wirklich erfolgten Ausgaben vom Rech - nungshofe des Reiches geprüft werden und weil das Württem - bergiſche Kontingent auch im Frieden dem Oberbefehl des Kaiſers in dem oben dargelegten Umfange unterworfen iſt. Die für das übrige Reichsheer aufgeſtellten Vorſchriften dienen für die Verwal - tung des Württemb. Armeekorps nicht nur im Allgemeinen zur Richtſchnur wie für die Bayeriſche Armee , ſondern ſie müſſen volle Erfüllung finden3)Insbeſondere darf die Württembergiſche Regierung nicht durch Herab - ſetzung der Präſenzſtärke des Armeekorps Erſparniſſe machen.. Dadurch iſt die thatſächliche Möglichkeit, an den Ausgaben für das Kontingent Erſparungen zu machen, eine ſehr beſchränkte.

4. Endlich ſind auch die Naturalleiſtungen für das Heer und die Marine im Krieg und Frieden, ſowie die Beſchränkungen des Grundeigenthums in den Umgebungen der Feſtungen für das ganze Reichsgebiet gleichmäßig normirt. Vgl. unten §§. 92 ff.

§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.

Der Satz, welcher das Kompetenz-Verhältniß zwiſchen Reich und Einzelſtaaten im Allgemeinen charakteriſirt, nämlich daß die letzteren alle diejenigen Hoheitsrechte behalten haben, welche ihnen nicht durch Reichsverfaſſung oder durch Reichsgeſetze entzogen wor - den ſind, gilt auch hinſichtlich des Heerweſens. Theoretiſch iſt60§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.demnach die Kompetenz des Einzelſtaates, beziehentl. des Landes - herrn, die Regel und die Kompetenz des Reiches, beziehentl. des Kaiſers, die Ausnahme, für welche es in jedem einzelnen Falle eines beſonderen geſetzlichen Grundes bedarf.

Praktiſch iſt dieſes Verhältniß aber nur für Bayern durch - geführt; den andern Staaten gegenüber hat die Ausnahme in ſo weitem Umfange die Regel durchlöchert, daß die ihnen verbliebenen Reſte der Militairhoheit von geringfügiger Bedeutung ſind. Eine ſelbſtſtändige Entfaltung militairiſcher Macht iſt ihnen ebenſo ent - zogen, wie eine ſelbſtſtändige Ausübung der Geſetzgebung, Organi - ſation, Verwaltung und des Oberbefehls und es iſt demnach der Reſt, den die R.V. den Bundesgliedern gelaſſen hat, werthlos, ausgenommen in Preußen, weil hier dieſer dem Könige verbliebene Reſt ſich mit der dem Kaiſer zuſtehenden Machtbefugniß wieder zur vollen, zuſammenhängenden, mit Wirkſamkeit auszuübenden Militairhoheit vereinigt. Hieraus erklärt ſich, daß die Mehrzahl der Staaten bereit war, die Ausübung der ihnen verbliebenen Rechte durch Militairkonventionen an Preußen abzutreten, da dieſe Ceſſion den Staaten ein wirkliches Opfer an politiſcher Macht nicht auferlegte; und es erklärt ſich ferner hieraus, daß Militairkonven - tionen nur mit Preußen, und in keinem einzigen Falle mit einem andern Bundesgliede abgeſchloſſen worden ſind. Die Rechte, welche den Einzelſtaaten noch verblieben ſind, erſcheinen gleichſam als ein ihnen gelaſſenes Andenken an ihre ehemalige Souveränetät; denn wenn man einem Staate, der rechtlich nicht befugt iſt, phyſiſche Machtmittel zu organiſiren und zur Anwendung zu bringen, die Eigenſchaft der Souveränetät zuſchreibt, ſo muß man dieſes Wort in einer ſehr eigenthümlichen, von dem gemeinen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutung verſtehen, jedenfalls nicht in demjenigen Sinne, in dem es als ſtaatsrechtlicher Begriff von Werth iſt, näm - lich als höchſte öffentliche Gewalt.

Die nach der Reichsverfaſſung den Landesherren der Einzel - ſtaaten und den Senaten der freien Städte verbliebenen Rechte laſſen ſich auf folgende Kategorien zurückführen.

I. Die Kontingentsherrlichkeit.

Die Landmacht des Reiches bildet wie oben S. 6 dar - gethan worden iſt kein einheitliches Heer, ſondern iſt aus den61§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.Kontingenten der einzelnen Staaten combinirt. Der eigentliche Kern aller den Bundesgliedern verbliebenen Militairhoheitsrechte iſt daher die Kontingentsherrlichkeit. Obgleich dieſelbe im Art. 63 der R.V. erwähnt iſt, ſo hat doch weder die Reichsverfaſſung noch das Militairgeſetz ſie definirt und ebenſowenig iſt in der ſtaats - rechtlichen Literatur bisher auch nur ein Verſuch gemacht worden, die Kriterien dieſes Begriffes feſtzuſtellen; man hat ſich damit be - gnügt, ein Verzeichniß der einzelnen in der R.V. erwähnten Befug - niſſe der Bundesfürſten aufzuſtellen1)Vgl. Thudichum Verfaſſ. des Nordd. Bundes S. 387 ff. Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1400 und die hieraus entnommenen Bemerkungen bei v. Rönne II, 2 S. 146, ſowie Meyer Staatsrecht S. 512.. Die Kontingentsherrlichkeit iſt ſowohl von der Kriegshoheit, als auch von dem Oberbefehl unterſchieden und ſie iſt unabhängig von dem Recht zur Geſetz - gebung in Militairangelegenheiten. Ihr juriſtiſches Weſen beſteht in Folgendem: Der Eintritt in die Armee, gleichviel ob derſelbe auf Grund der geſetzlichen Unterthanenpflicht oder ob er freiwillig, alſo auf Grund eines Rechtsgeſchäftes, erfolgt, iſt Begründung eines öffentlich-rechtlichen Dienſtverhältniſſes von beſtimmtem Inhalt2)Vgl. darüber unten §§. 88 ff.; jedes Dienſtverhältniß ſetzt aber nothwendig zwei Per - ſonen voraus, einen Diener und einen Herrn; der militairiſchen Dienſtpflicht entſpricht daher die militairiſche Dienſtherrlichkeit. Alle Mannſchaften, Offiziere und Militairbeamte, welche einem und demſelben Dienſtherrn gegenüber zur Erfüllung der mili - tairiſchen Dienſtpflichten verbunden ſind, alſo zu ihm in einem militairiſchen Dienſtverhältniß ſtehen, bilden ein Kontingent; der Kontingentsherr iſt demnach der militairiſche Dienſt - herr. Die Mannſchaften und Offiziere ſeines Kontingents ſtehen zu ihm im Dienſtverhältniß, ſind ihm gegenüber zur Erfüllung der militairiſchen Dienſtpflichten, zur Treue und zum Gehorſam verpflichtet, ſind ſeiner Dienſtgewalt unterworfen und andererſeits ihm gegenüber zu den geſetzlich normirten oder vertragsmäßig ver - einbarten Gegenleiſtungen berechtigt. Wenn demnach die R.V. anerkennt, daß die Landesherren der einzelnen Bundesſtaaten die Kontingentsherren ſind, ſo ſpricht ſie damit aus, daß dieſe Landes - herren die Subjecte der militairiſchen Dienſtgewalt ſind, nicht der Kaiſer. Dieſes Prinzip äußert ſich in folgenden Anwendungen:

62§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.

1. Die geſetzliche Wehrpflicht iſt eine Unterthanenpflicht und als ſolche von den Angehörigen der einzelnen Staaten ihrem Landesherrn zu leiſten. Für die thatſächliche Erfüllung der Militairpflicht iſt dieſer Grundſatz zwar modifizirt, theils durch das bereits erörterte Recht des Kaiſers zur Verfügung über die von den Einzelſtaaten geſtellten Rekruten1)Siehe S. 53 fg., theils durch die Vorſchrift, daß die Geſtellung und Aushebung des einzelnen Wehrpflichtigen im Bezirke ſeines dauernden Aufenthaltsortes erfolgt2)Militairgeſ. §. 12. Vgl. unten §. 88. II. ; es iſt daher die Möglichkeit ſehr wohl gegeben, daß der Angehörige eines Bundesſtaates ſeine Militairdienſtpflicht in dem Kontingent eines andern Bundesſtaates ableiſtet. Deſſenungeachtet beſteht dieſe Pflicht für jeden Deutſchen ſeinem Staat gegenüber; der Dienſt in einem andern Kontingent des Reichsheeres iſt nur ein reichsgeſetzlich ge - ſtatteter Modus der Leiſtung; durch Ableiſtung des Dienſtes in einem andern Kontingent erfüllt man die Dienſtverpflichtung ſeinem eigenen Staate gegenüber. Dieſes Prinzip kommt in zwei Conſe - quenzen zur Geltung, die ſich nur aus dieſem Prinzip erklären laſſen und die ihrerſeits die Richtigkeit deſſelben beſtätigen.

a) Wenn in dem Kontingent eines Staates Angehörige eines andern Staates dienen, ſo empfängt der erſtere Leiſtungen, die dem letzteren gebühren; er empfängt ſie deshalb gewiſſermaſſen für Rechnung des letzteren und iſt verpflichtet, ſie ihm zu reſtituiren d. h. ebenſoviele Angehörige ſeines Staates zum Dienſt in dem Kontingent des andern Staates abzugeben, als Angehörige des letzteren in ſeinem Kontigente dienen. Die Staaten mit ſelbſt - ſtändiger Kontingentsverwaltung3)d. h. Preußen mit den Annexen, Bayern, Sachſen und Württemberg. halten demnach unter einander Abrechuung über diejenigen Mannſchaften, welche in einem andern Kontingente als in demjenigen des Staates, deſſen Ange - hörige ſie ſind, ihrer Dienſtpflicht genügen und gleichen die ſich hierbei ergebende Differenz dadurch aus, daß ſie von ihren eigenen Angehörigen die entſprechende Anzahl von Rekruten an die anderen Armeekorps abgeben. Es iſt dieſes, urſprünglich auf einem Ab - kommen unter den Staaten beruhende Verfahren ausdrücklich in dem Mililtairgeſetz §. 9 Abſ. 4 ſanctionirt worden4)Vgl. oben S. 55. Vgl. hierzu die Auseinanderſetzung des Bericht -. Unter den -63§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.jenigen Staaten, welche mit Preußen zu einer gemeinſamen Kon - tingentsverwaltung verbunden ſind, findet eine ſolche Abrechnung nicht ſtatt; unter dieſen Staaten beſteht vielmehr eine Art von Rekrutengeſtellungs-Sozietät.

b) Den prägnanteſten Ausdruck findet der Grundſatz, daß die geſetzliche Dienſtpflicht eine Pflicht gegen den einzelnen Staat iſt, darin, daß jeder Wehrpflichtige den Fahneneid ſeinem Landesherrn leiſtet. Ihm gelobt er Gehorſam und Treue. In dieſen, dem Landesherrn zu leiſtenden Eid iſt nach Art. 64 Abſ. 1 der R.V. die Verpflichtung aufzunehmen, den Befehlen des Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten. Der Gehorſam gegen den Kaiſer iſt ein Beſtandtheil der Treu - und Dienſtverpflichtung gegen den Landesherrn. Dienſtpflicht und Ge - horſamspflicht decken ſich demnach vollkommen nur für die Ange - hörigen Preußens, weil der Kaiſer zugleich Landesherr iſt, und andererſeits im Frieden für die Bayeriſchen Staatsangehörigen, weil für die Bayeriſchen Truppen eine Gehorſamspflicht gegen den Kaiſer im Frieden nicht beſteht1)Die Formel des Fahneneides iſt bisher noch nicht einheitlich normirt. Es ſind folgende Fälle zu unterſcheiden: Für Preußiſche Staats - angehörige iſt die im Art. 64 Abſ. 1 der R.V. vorgeſchriebene Klauſel gegenſtandslos und deshalb in den Eid nicht aufzunehmen; ſie leiſten den Fahneneid in der durch die Kabin. -Ordre vom 5. Juni 1831 vorgeſchriebenen Faſſung. Falls ſie aber ihrer Dienſtpflicht in einem nichtpreußiſchen Kontin - gent genügen, ſo haben ſie außerdem zu Protokoll zu erklären, daß der von ihnen geleiſtete Fahneneid die Verpflichtung einſchließe, dem betreffenden Kon - tingentsherrn als Bundesfürſten treue Dienſte zu leiſten u. ſ. w. (Reſcript des Preuß. Kriegsminiſters vom 19. Febr. 1869). Ein ſolches Protokoll iſt auch aufzunehmen, wenn Unterthanen anderer Bundesſtaaten in ein anderes als das heimiſche Kontingent eintreten. Im Uebrigen iſt der Fahneneid für die - jenigen Militairpflichtigen, welche ihrer Dienſtpflicht nicht bei einem Truppen - theile des Bundesſtaates genügen, dem ſie angehören, feſtgeſtellt worden durch die Kabinets-Ordre vom 14. Dezemb. 1867 (Armee-V. Bl. 1867 S. 179). Dieſelbe findet auch auf Bayeriſche Unterthanen Anwendung, welche in nichtbayeriſchen Kontingenten zur Einſtellung gelangen (Reſcr. des Preuß. Kriegsmin. vom 4. Mai 1872). Der Fahneneid der Sächſiſchen Staats - angehörigen iſt in der Sächſ. Milit. -Konvention Art. 6 feſtgeſtellt; für Würt - temberg und Baden ſind entſprechende Verabredungen getroffen worden (Reſcript des Preuß. Kriegsmin. vom 19. Juli 1872). Elſaß-Lothringer.

4)erſtatters über das Militairgeſetz im Reichstage (Lasker). Stenogr. Berichte I Seſſ. 1874 S. 841 und Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1455.

64§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.

2. Da die geſetzliche Dienſtpflicht eine Unterthanenpflicht iſt, ſo erſcheint ihr gegenüber die Kontingentsherrlichkeit als ein bloßer Anwendungsfall der Landesherrlichkeit; denn der Landesherr als ſolcher iſt, wenigſtens in der Regel, Dienſtherr. Dagegen erweiſt ſich in Bezug auf die freiwillig übernommene Mili - tairdienſtpflicht, welche nicht auf der Unterthanenqualität beruht1)Siehe unten §. 89., die Kontingentsherrlichkeit ganz rein und unverhüllt als Dienſtherrlichkeit. So wenig das Deutſche Reich eine eigene Armee hat, ebenſowenig hat es eigene Offiziere und Militairbe - amte (für das Heer). Dieſelben ſtehen vielmehr in einem Dienſt - verhältniß nur zu demjenigen Landesherrn, von welchem ſie angeſtellt worden ſind. Dieſer Grundſatz bildet die ausnahmsloſe verfaſſungsmäßige Rechtsregel; die Reichsverf. hat ihn nicht ein - geſchränkt, auch nicht durch die Anordnungen im Art. 64 Abſ. 2; denn hier handelt es ſich nicht um die Eingehung eines Dienſt - verhältniſſes, ſondern um die Uebertragung eines militairiſchen Amtes (Kommando’s) an einen Offizier, der einem Deutſchen Kon - tingent bereits angehört. Es iſt auch nicht erforderlich, daß der letztere durch Uebernahme des vom Kaiſer verliehenen Amtes aus dem Offiziercorps ſeines Kontingents ausſcheidet2)Ausdrückliche Anerkennung hat dies gefunden in der Vereinbarung zwiſchen Preußen, Bayern und Württemberg bezügl. der Feſtung Ulm vom 16. Juni 1874 Art. II Abſ. 5. Vgl. auch wegen der Feſtungskommandanten in Sachſen die Sächſiſche Mil. -Konv. Art. 7: Dieſelben haben, wenn ſie den Kgl. Sächſiſchen Truppen angehören, nachfolgenden Eid zu leiſten. .

Dagegen iſt der verfaſſungsmäßige Rechtsſatz in ſeiner that - ſächlichen Geltung dadurch beſchränkt, daß die Mehrzahl der Deutſchen Staaten mit alleiniger Ausnahme von Bayern, Sachſen, Würt - temberg und Braunſchweig die Rechte des Kontingentsherrn durch Konvention dem Könige von Preußen zur Ausübung über -1)werden, gleichviel in welches Kontingent ſie eintreten, nur für den Deutſchen Kaiſer vereidigt (Reſcr. vom 28. Mai 1872 und Kab. -Ordre vom 4. Dezemb. 1878). Die angeführten Reſcripte ſind abgedruckt bei v. Helldorff Dienſt - vorſchriften Bd. II Th. 1 S. 2 ff. In Bayern endlich iſt in den dem Könige von Bayern zu leiſtenden Fahneneid die Verpflichtung aufzunehmen: im Kriege den Befehlen des Kaiſers unbedingt Folge zu leiſten. Vertrag vom 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. IV. 65§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.tragen hat, ſo daß ihm allein die Ernennung, Beförderung, Ver - abſchiedung der Offiziere und Militairbeamten zuſteht und dieſe in einem direkten Dienſtverhältniß zu ihm ſich befinden1)In den Kontingenten von Heſſen und von beiden Mecklenburg erhalten die Offiziere ꝛc. ꝛc. jedoch neben den Königl. Preuß. Patenten auch noch Großherzogl. Patente und führen, ſolange ſie dieſen Kontingenten ange - hören, ausſchließlich die Bezeichnung Großherzoglich. Heſſiſche Mil. - Konvent. Art. 4. Beide Mecklenburgiſche Konventionen v. 1872 Art. 9.. Er iſt als Militairdienſtherr einerſeits zu unterſcheiden vom Landesherrn und andererſeits vom Kriegsherrn (Kaiſer).

Die in der Kontingentsherrlichkeit enthaltene oder vielmehr mit ihr identiſche Dienſtgewalt darf nun aber in keiner Beziehung in Conflict kommen können mit dem Recht des Kaiſers zum Ober - befehl und dem Grundprinzip der einheitlichen Organiſation aller Kontingente und demgemäß iſt ſie in dreifacher Beziehung modi - fizirt und beſchränkt.

a) Die Offiziere, Aerzte und Militairbeamten ſind ebenſo wie die Mannſchaften verpflichtet, den Befehlen des Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten2)R.V. Art. 64 Abſ. 1; falls der Kaiſer nicht zugleich der Dienſtherr iſt, ſind ſie daher zum unbedingten militairiſchen Gehorſam gegen einen Andern als ihren Dienſtherrn verpflichtet. Die Bundes - fürſten ſind zwar befugt, Offiziere ꝛc. für ihre Kontingente zu er - nennen, aber nur in der Art, daß die Offiziere nicht ihnen, ſondern dem Kaiſer zum unbedingten militairiſchen Gehorſam verbunden ſind3)Ausgenommen Bayern für die Zeit des Friedens.. Der Kaiſer als oberſter Kriegsherr ſteht über den Kon - tingentsherren, ſowie das ſouveraine Reich über den autonomen Einzelſtaaten. Der Fahneneid wird daher auch Seitens der Offiziere dem Kontingentsherrn geleiſtet und in dieſem Eide wird dem Kontingentsherrn das Verſprechen gegeben, ihm treu zu dienen und dem Kaiſer Gehorſam zu leiſten4)In Sachſen haben jedoch die ein Kommando führenden Generale, deren Ernennung nur unter Zuſtimmung des Kaiſers erfolgen darf, dem Kaiſer gegenüber das eidliche Verſprechen des Gehorſams abzulegen. Milit. -Konv. Art. 7.; in Bayern unter Beſchränkung auf den Fall des Krieges. In Preußen und in allen mit der Preuß. Armee verbundenen Kontingenten fällt dieſe Unter - ſcheidung fort und die Offiziere, Aerzte und Militairbeamten leiſtenLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 566§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.den Fahneneid reſp. Beamteneid dem Könige von Preußen als Kontingentsherrn; in mehreren Konventionen iſt aber ausbedungen, daß ſie ſich gleichzeitig verpflichten: das Wohl und Beſte des be - treffenden Landesherrn zu fördern, Schaden und Nachtheile von Allerhöchſtdemſelben und Seinem Hauſe und Lande abzu - wenden 1)Dieſe Verpflichtung wird übernommen mittelſt Reverſes in den Kontingenten von Heſſen (Milit. -Konv. Art. 4), von Baden (Mil. -Konv. Art. 3 Abſ. 4) und von Oldenburg (Mil. -Konv. Art. 3 a. E.); mittelſt Handgelöbniſſes in den Kontingenten der beiden Mecklenburg (Mil. -Konv. Art. 5), der Thüringiſchen Staaten (Mil. -Konv. Art 10 Abſ. 2) und Anhalt (Mil. -Konv. Art. 10). Nach den Konventionen mit Lippe und mit Schaumburg hat der Kommandeur der in Detmold reſp. in Bückeburg dislozirten Garniſon jenes Gelöbniß mittelſt Handſchlages oder Re - verſes abzulegen..

b) In der Dienſtgewalt iſt enthalten das Recht zur Verwen - dung des Dienenden behufs Führung der amtlichen Geſchäfte, d. h. zur Ertheilung eines Kommandos (militairiſchen Amtes). Dieſe Befugniß ſteht demnach prinzipiell dem Kontingentsherrn in Betreff ſeiner Offiziere und Militairbeamten innerhalb des Kon - tingents zu. Ausgenommen ſind jedoch diejenigen Befehlshaber - ſtellen, welche nach Art. 64 Abſ. 2 der R.V. vom Kaiſer zu be - ſetzen ſind2)Vgl. oben S. 36.. Dieſe Ausnahme führt eine Conſequenz mit ſich, welche in das Dienſtverhältniß der Offiziere eingreift. Nach Art. 64 Abſ. 3 der R.V. iſt nämlich der Kaiſer berechtigt, behufs Ver - ſetzung mit oder ohne Beförderung für die von ihm im Reichs - dienſte, ſei es im Preußiſchen Heere oder in anderen Kontin - genten zu beſetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente des Reichsheeres zu wählen. Dieſe Anordnung der R.V. läßt den Gegenſatz zwiſchen Kommando und Dienſtverhältniß ſehr deut - lich hervortreten; denn ſie ermächtigt den Kaiſer, auch ſolchen Offizieren ein militairiſches Reichsamt ( eine Stelle im Reichs - dienſte ) zu übertragen, welche in keinem perſönlichen Dienſtver - hältniß zu ihm ſtehen, und folglich ſie aus dem Dienſt bei ihrem Kontingentsherrn wider den Willen deſſelben in den Dienſt des Reiches abzurufen. Hierin liegt zweifellos eine Anomalie; dieſelbe iſt aber thatſächlich für faſt alle Kontingente beſeitigt. Für das Preußiſche Heer und alle mit demſelben vereinigten67§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.Kontingente fällt ſie von ſelbſt fort wegen der Identität des Dienſtherrn und des Kaiſers. Auf Bayern iſt die Anwendung des Art. 64 Abſ. 3 verfaſſungsmäßig ausgeſchloſſen; vertragsmäßig iſt dieſelbe zwar für einige Offiziersſtellen in Ulm in Geltung ge - ſetzt worden, jedoch mit der Maßgabe, daß der Kaiſer dieſe Stellen auf Vorſchlag der Bayeriſchen Regierung beſetzt und bei der Ernennung zum Ausdruck bringt, daß dieſelbe entſprechend dem Vorſchlage des Königs von Bayern erfolgt ſei1)Ulmer Separat-Protokoll vom 16. Juni 1874 Art. 2 Abſ. 1. Dieſe im Reichsdienſte verwendeten Bayeriſchen Offiziere und Militairbeamte werden für den Kaiſer vereidigt. Hauptprotokoll vom 16. Juni 1874 Art. II Abſ. 4 und Separat-Protok. Art. 2. Vgl. R.V. Art. 64 Abſ. 2.. Württemberg iſt die Zuſicherung ertheilt worden, daß der Kaiſer, wenn er für eine von ihm zu beſetzende Stelle einen Offizier aus dem Württem - bergiſchen Armeekorps wählen will, ſich mit dem König von Würt - temberg vorher ins Vernehmen ſetzen werde2)Württemb. Milit. -Konv. Art. 7 Abſ. 1 und Art. 8.. Mit Sachſen iſt vereinbart worden, daß der Kaiſer von dem in Rede ſtehenden Recht nur dann Gebrauch machen wolle, wenn mit der Verwendung des Sächſiſchen Offiziers im Reichsdienſte eine Beförderung ver - bunden iſt3)Sächſ. Milit. -Konv. Nachtragsprotokoll vom 8. Febr. 1867.. Thatſächlich wird wol dieſe Schranke auch den Offizieren des Braunſchweigiſchen Kontingents gegenüber beobachtet, obwohl es hier an einer verpflichtenden Zuſage fehlt.

Im Zuſammenhange mit dem im Art. 64 Abſ. 3 der R.V. dem Kaiſer eingeräumten Rechte ſteht die Aufſtellung jährlicher Perſonal - und Qualifikationsberichte über die Offiziere des Würt - tembergiſchen und des Sächſiſchen Armeekorps vom Stabsoffizier aufwärts nach Preußiſchem Schema und die Einſendung dieſer Berichte an den Kaiſer4)Vgl. für Württemberg die Mil. -Konv. Art. 7 Abſ. 2; für Sachſen die Mil. -Konv. Art. 7 Abſ. 2. Daſſelbe iſt vereinbart für die im Reichsdienſte (in Ulm) verwendeten Bayeriſchen Offiziere und Beamten im Separat - Protok. vom 16. Juni 1874 Art. 9..

Keine Ausnahme von der Dienſtgewalt der Kontingentsherren, ſondern eine Beſtätigung und Anerkennung derſelben iſt die Feſt - ſetzung, daß zur Beförderung der Gleichmäßigkeit in der Ausbil - dung und dem inneren Dienſt der Truppen nach gegenſeitiger Verabredung einige Sächſiſche und Württembergiſche Offiziere5*68§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.je auf ein bis zwei Jahre in die Preußiſche Armee und Preußiſche Offiziere in das Sächſiſche und Württembergiſche Armeekorps kom - mandirt werden1)Sächſ. Mil. Konv. Art. 4. Württemb. Mil. -Konv. Art. 8..

Denjenigen Bundesfürſten, welche mit Preußen Militair-Kon - ventionen abgeſchloſſen haben, iſt meiſtens2)ſoweit nämlich ihre Kontingente nicht ganz aufgelöſt, ſondern dem Preuß. Armeeverbande eingefügt worden ſind. zugeſichert worden, daß bei Verſetzungen und Anſtellungen von Offizieren und Militair - beamten, die ihre Kontingente betreffen, ihre Wünſche, ſoweit thunlich, Berückſichtigung finden ſollen3)Militair-Konventionen mit Heſſen Schlußprotok. Art. 1. Baden Art. 7. Mecklenburg (von 1868) Art. 11. Oldenburg Art. 7. Thü - ringen Art. 10 Abſ. 1. Anhalt Art. 10 Abſ. 1.. Es iſt dies ein Reſt ihres verfaſſungsmäßigen Ernennungsrechts.

c) Obgleich formell das Dienſtverhältniß der Offiziere, Aerzte und Beamten des Heeres (nicht der Marine) ein Rechts - verhältniß zwiſchen dieſen und den Kontingentsherren iſt, ſo iſt dasſelbe doch in allen weſentlichen Beziehungen materiell vom Reich normirt4)Eine Analogie bieten die ſelbſtſtändigen Poſtverwaltungen im Reiche. Wer in Bayern oder Württemberg einen Brief zur Poſt giebt, ſchließt zwar ein Rechtsgeſchäft mit der Bayeriſchen oder Württembergiſchen Poſtverwaltung ab, das daraus hervorgehende Rechtsverhältniß iſt aber materiell geregelt durch das Reichspoſtgeſetz.. Dieſe einheitliche Regelung erſtreckt ſich auf die Qualifikation und die Grundſätze über das Aufrücken in höhere Stellen, auf die dienſtlichen Obliegenheiten und Befugniſſe, auf die Disciplinar - und Rechtsvorſchriften, auf die Dienſtentlaſſung, auf die perſönlichen Anſprüche auf Gehalt, Servis, Penſion u. ſ. w.5)Reichsverf. Art. 61. 63. Milit. -Geſ. §. 4. 7. 8. Das Einzelne ſiehe unten §. 89. 91.. Dem entſprechend ſind die pekuniären Anſprüche der Offiziere ꝛc. formell Forderungen gegen den Fiskus des Staates, in deſſen Dienſt ſie ſtehen, materiell aber erfolgt die Befriedigung derſelben aus der Reichskaſſe.

3. Zu den Rechten des militairiſchen Dienſtherrn gehört nach der hiſtoriſchen Entwicklung des Militairrechts die Gerichts - herrlichkeit in Strafſachen; dieſelbe ſteht daher den Kon - tingentsherren rückſichtlich ihrer Truppentheile zu6)Vgl. Württemb. Mil. -Konv. Art. 5.. Die Aus -69§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.übung derſelben iſt durch die Militair-Konventionen dem Könige von Preußen übertragen und nach Maßgabe der Militair-Straf - prozeß-Ordnung zu handhaben1)Vgl. die nähere Darſtellung unten §. 90 I, 1..

4. Das äußere Merkmal des militairiſchen Dienſtverhältniſſes iſt das Dienſtkleid, die ſogenannte Uniform, welches vom Dienſt - herrn ertheilt reſp. vorgeſchrieben wird. Das Tragen der Uniform iſt Dienſtpflicht. Für die Bekleidung der Offiziere und Mann - ſchaften ſind zwar die Grundfarben und der Schnitt der Königl. Preußiſchen Armee maßgebend; innerhalb dieſer Schranken aber hat der Kontingentsherr die Uniform, insbeſondere die äußeren Abzeichen (Kokarden ꝛc. ) zu beſtimmen2)R.V. Art. 63 Abſ. 2. Nach der Württemb. Mil. -Konv. Art. 10 werden dieſe Anordnungen vom König v. W. gegeben und es ſoll dabei den Verhältniſſen der Bundesarmee die möglichſte Rechnung getragen werden. Dem Braunſchweigiſchen Kontingent iſt eine in den Grundfarben und dem Schnitt abweichende Bekleidung bisher ſtillſchweigend gelaſſen worden. Auf Bayern findet dieſer Art. keine Anwendung.. Auch in denjenigen Kon - tingenten, welche in den Verband der Preußiſchen Armee aufge - nommen worden ſind, iſt den Landesherren ein Reſt dieſer äußeren Bekundung ihrer Kontingentsherrlichkeit gelaſſen worden, indem beſondere Beſtimmungen über die Helmdekoration, Kokarden, Schärpe, Portepee, Epauletten, Achſelſtücke und Achſelklappen der betreffen - den Truppentheile verabredet worden ſind3)Vgl. Konvention mit Heſſen Art. 3 u. 5, mit beiden Mecklen - burg 1868 Art. 10. 1872 Art. 9 und Schlußprotok. Art. 6. Baden Art. 2 und Schlußprotok. Art. 2. Oldenburg Art. 3 und Schlußprotok. Art. 10. Thüringen Art. 7. Anhalt Art. 7. Vgl. Bekleidungs-Reglement §. 88. (v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. 3 Abth. 4. I S. 76.). Durchweg iſt die Regel anerkannt, daß die ihrer Dienſtpflicht genügenden Wehr - pflichtigen neben der Kokarde des Truppentheils, in dem ſie dienen, die Kokarde des Staates, dem ſie angehören, tragen4)Dies gilt insbeſondere auch von den Angehörigen derjenigen Staaten, welche keine eigenen Kontingente haben. Vgl. die Milit. -Konvent. mit Waldeck Art. 1 Abſ. 2, mit Schwarzburg-Sondershauſen Art. 6. Lippe - Detmold Art. 6. Schaumburg Art. 5. Lübeck §. 2 Abſ. 3. Ham - burg §. 2. Bremen §. 3..

II. Landesherrliche Ehrenrechte.

Den Bundesfürſten und Senaten ſind im Art. 66 Abſ. 1 der70§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.R.V. gewiſſe Rechte hinſichtlich aller ihren Gebieten angehörenden Truppentheile eingeräumt. Vorausſetzung dieſer Rechte iſt dem - nach nicht die Zugehörigkeit der Truppen zum Kontingent d. h. die Dienſtgewalt, ſondern die Zugehörigkeit zum Gebiet d. h. die Landeshoheit. Dieſe Rechte kommen daher auch denjenigen Landes - herren und Senaten zu, welche gar keine eigenen Kontingente haben, und jeder Landesherr hat dieſe Rechte hinſichtlich derjenigen Trup - pentheile, welche in ſeinem Gebiete dauernd oder vorübergehend ſich befinden, wenngleich ſie einem fremden Kontingente angehören. Die unter dieſe Kategorie gehörenden Rechte ſind durchweg Ehren - rechte, die weder hinſichtlich des militairiſchen Befehls noch hin - ſichtlich der Verwaltung der Truppen-Abtheilungen von erheblicher praktiſcher Bedeutung ſind. Es ſind folgende:

1. Den Bundesfürſten und den Mitgliedern ihrer Familien ſind diejenigen militairiſchen Ehrenbezeugungen zu erweiſen, welche nach den beſtehenden Dienſtvorſchriften dem Landesherrn und ſeinen Angehörigen zukommen1)Vgl. Milit. -Konvent. mit Württemberg Art. 5. Heſſen Art. 7 Abſ. 2. Baden Art. 5 Abſ. 1. Mecklenburg Art. 9. Oldenburg Art. 5 Abſ. 1. Vgl. ferner Lübeck §. 4. Hamburg §. 4. Bremen §. 9. Die Befugniß, Regimentsinhaberſtellen zu verleihen, iſt anerkannt für den Groß - herzog von Heſſen in der Milit. -Konv. Art. 3 Abſ. 2; vgl. auch das Schluß - protokoll Art. 2 zur Badiſchen Mil. -Konv..

2. Die Landesherren ſtehen in dem Verhältniß eines kom - mandirenden Generals zu allen in ihren Gebieten garniſo - nirenden oder vorübergehend dorthin kommandirten Truppen und üben als ſolche neben den Ehrenrechten die entſprechende Disciplinarſtrafgewalt aus2)Aber keine anderen Rechte des Oberbefehls.; ſie ſind befugt, in dieſer Beziehung ihre Befehle direkt an die betreffenden Abtheilungs - Kommandeure zu erlaſſen3)Milit. -Konv. mit Heſſen Art. 7 Abſ. 2. Baden und Oldenburg Art. 5 Abſ. 2. Thüringen und Anhalt Art. 8. Waldeck, Schwarz - burg und Lippe Art. 7. Schaumburg Art. 6.. In demſelben Umfange ſteht ihnen die Dispoſition über die Truppen zu Zwecken des inneren Dienſtes, z. B. zur Stellung von Ehrenpoſten, Wachen u. dgl., zu und die Truppen-Kommandeure haben in dieſer Beziehung ihren Anord - nungen Folge zu leiſten4)Dieſe Befugniß iſt in den Militair-Konventionen auch den Senaten von Lübeck, Hamburg und Bremen eingeräumt..

71§. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten.

3. Die Bundesfürſten haben das Recht, Offiziere à la suite zu ernennen, deren etwaige Beſoldung und dereinſtige Penſioni - rung nicht aus Reichsmitteln erfolgt; ſie ſind ferner befugt zur Auswahl (beziehentl. zum Wechſel) der Adjutanten, welche ihnen oder den Prinzen ihres Hauſes zur Verfügung zu ſtellen ſind1)Mil. -Konv. mit Heſſen Art. 9 und Schlußprotok. Art. 2. Mecklen - burg Art. 11 u. 12. Baden Art. 6 und Schlußprotok. Art. 3. Olden - burg Art. 6 und Schlußprotok. 10. Thüringen und Anhalt Art. 11. Lippe-Detmold, Schwarzb. -Sondersh., Waldeck (1877) Art 9. Schaumburg Art. 8..

4. Die Hoheitszeichen des betreffenden Staates werden in Wappen und Farben an den dem Militair eingeräumten Lokali - täten und Garniſons-Einrichtungen beibehalten, ſoweit nicht Bundes - zeichen und Farben an die Stelle treten2)Mil. -Konv. mit Heſſen Art. 3 Abſ. 6. Mecklenburg (1872) Art. 9. Baden und Oldenburg Art. 5 Abſ. 3. Schwarzburg, Lippe und Waldeck (1877) Art. 7 Abſ. 3. Schaumburg Art. 6. Lübeck und Ham - burg §. 4 c. Bremen §. 6..

III. Requiſitionsrecht.

Den Bundesfürſten und Senaten iſt verfaſſungsmäßig das Recht gewährleiſtet, zu polizeilichen Zwecken nicht blos ihre eigenen Truppen zu verwenden, ſondern auch alle anderen Truppentheile des Reichsheeres, welche in ihren Ländergebieten dislozirt ſind, zu requiriren 3)R.V. Art. 66 Abſ. 3.. Dieſes Recht iſt das nothwendige Correlat zu dem kaiſerlichen Dislokationsrecht. Es findet Anwendung nicht nur bei Störungen der öffentlichen Ruhe, wenn die Polizeibehörden den Beiſtand des Militairs in Anſpruch nehmen, ſondern auch im Intereſſe der Sicherheit in gewöhnlichen Zeitverhältniſſen, z. B. zur Bewachung der Strafanſtalten4)Nähere Anordnungen ſind enthalten in den Militair-Konventionen mit Heſſen Art. 13. Baden Art. 13. Oldenburg Art. 16. Waldeck Art. 7 Abſ. 4. Lübeck §. 4 letzt. Abſ. und §. 6. Hamburg §. 5 und 7. Bremen §. 10 12. Auf Bayern findet Art. 66 der R.V. keine An - wendung; ſollten daher einmal nichtbayeriſche Truppen vorübergehend in baye - riſchem Gebiete dislozirt ſein, ſo ſind die bayeriſchen Behörden nicht befugt, dieſe Truppen zu polizeilichen Zwecken zu requiriren, und ebenſowenig im um - gekehrten Falle Behörden anderer Bundesſtaaten die bayeriſchen Truppen.. Ueber das Verhältniß dieſes Rechtes zur Verhängung des Kriegszuſtandes ſiehe oben S. 47.

72§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.

Die Vorausſetzungen, unter denen das Militair zur Aufrecht - haltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit einſchreiten und von den Waffen Gebrauch machen darf, ſowie die übrigen Fälle, in denen Waffengewalt Seitens des Militairs angewendet werden darf, ſind normirt in der Preuß. Verordn. zur Aufrecht - haltung der öffentlichen Ordnung ꝛc. vom 17. Aug. 1835 und in dem Preuß. Geſ. vom 20. März 1837. Beide Geſetze ſind auch in Württemberg durch Erlaß vom 27. Mai 1878 eingeführt worden1)Württemb. Regierungsbl. 1878 S. 125. (Auch abgedruckt im Mil. V. Bl. S. 101.) Die Einführung iſt erfolgt in Vollzug des Art. 10 der Mil. Konv. .

§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.

Die ſtaatsrechtlichen Regeln über Feſtungen und Kriegshäfen im Bundesgebiete erhalten dadurch einen eigenthümlichen Charakter, daß hier nicht blos die Grundſätze über die Militairverfaſſung, ſondern auch diejenigen über die Gebietshoheit in Betracht kommen und daß dadurch das Rechtsverhältniß zwiſchen dem Reich und den Einzelſtaaten beſtimmt wird. Die in der Reichsverfaſſung enthal - tenen Vorſchriften ſind ſehr unvollſtändig und bedürfen in ver - ſchiedenen Richtungen der Ergänzung.

1. Den Ausgangspunkt bildet der Satz, daß den Einzelſtaaten an den Feſtungen und Kriegshäfen die Gebietshoheit in dem Um - fange zukommt, welcher oben Bd. I §. 20 ff. dargelegt worden iſt. Alle in der Landeshoheit begründeten Rechte ſtehen ihnen ſo - weit zu, als ſie nicht durch Reichsgeſetze entzogen oder beſchränkt ſind, insbeſondere Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt und Beſteuerungs - recht. Eine direkte Anerkennung hat dies, wenn auch nicht in der R.V. ſelbſt, ſo doch in der gleichzeitig mit ihr abgefaßten Militair - Konvention mit Sachſen Art. 8 erhalten, woſelbſt es heißt:

Die territorialen Souveränetätsrechte ſollen durch dieſe Beſtimmung ebenſowenig wie die ferner geltenden Privatbeſitz - verhältniſſe eine Aenderung erleiden.

Die Feſtungen und Kriegshäfen ſind demnach integrirende Beſtandtheile der Gebiete der Einzelſtaaten, und das Reich iſt nicht befugt, dieſelben der Landeshoheit der Einzelſtaaten zu entziehen. 73§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.Weder die bereits vorhandenen noch die neu anzulegenden Feſtungen und Kriegshäfen ſind reichsunmittelbare Gebiete1)Eine Bethätigung der Preußiſchen Landeshoheit am Jadegebiet iſt z. B. der Erl. vom 27. Mai 1869, der im Bundesgeſetzbl. 1869 S. 375 be - kannt gemacht worden iſt..

Das Reich iſt aber berechtigt, innerhalb des Bundesgebietes Feſtungen anzulegen, und zwar ſteht die Ausübung dieſes Rechtes dem Kaiſer zu2)d. h. ohne daß es der Zuſtimmung des Bundesrathes und Reichstages bedarf., mit der aus den Grundſätzen des Finanzrechts ſich ergebenden, ſelbſtverſtändlichen Beſchränkung, daß die dazu er - forderlichen Geldmittel im Wege der Reichsgeſetzgebung bewilligt werden müſſen3)R.V. Art. 65. Die Worte, welcher die Bewilligung der dazu erforder - lichen Mittel, ſoweit das Ordinarium ſie nicht gewährt, nach Abſchnitt XII beantragt , hatten einen guten Sinn, ſolange ein feſtes Pauſchquantum für die Militairbedürfniſſe dem Bundesfeldherrn zur Verfügung ſtand (Art. 71 Abſ. 2). Seitdem dies aufgehört hat, ſind ſie mindeſtens überflüſſig.. Dieſes Recht bezieht ſich nicht blos auf neu anzulegende Feſtungen, ſondern ebenſo auf Erweiterungen und Veränderungen, welche an bereits vorhandenen Feſtungen erforder - lich werden4)Eine Anwendung dieſes Rechtes liegt dem Geſ. vom 30. Mai 1873 (R. G.Bl. S. 123) zu Grunde..

Den Einzelſtaaten ſteht demnach weder ein Widerſpruch gegen die Anlage oder Erweiterung von Feſtungen in ihrem Gebiete zu, noch ſind dieſelben befugt dieſelbe zu erſchweren oder zu verhindern durch baupolizeiliche, waſſerpolizeiliche oder dergleichen Anordnungen.

Ausgenommen von dieſem Grundſatz ſind Bayern und Würt - temberg; zur Anlage neuer Befeſtigungen auf dem Gebiete dieſer beiden Staaten iſt die Zuſtimmung der letzteren erforderlich. Auf Bayern findet nach dem Vertrage vom 23. Nov. 1870 Art. 65 der R.V. überhaupt keine Anwendung; es hat lediglich die Zuſage er - theilt, daß es die Anlage von neuen Befeſtigungen auf Bayeriſchem Gebiete im Intereſſe der geſammtdeutſchen Vertheidigung im Wege jeweiliger ſpezieller Vereinbarung zugeſtehen werde. Württemberg gegenüber iſt in der Militair-Konvent. Art. 7 zwar das Recht des Kaiſers, neue Befeſtigungen innerhalb des Königreichs anzulegen, prinzipiell feſtgehalten, aber hinſichtlich der Ausübung deſſelben iſt verabredet worden, daß ſich der Kaiſer74§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen. eintretenden Falls mit dem König von Württemberg vorher in Vernehmen ſetzen werde 1)Das heißt nicht, wie Thudichum in Holtzend. Jahrb. II S. 99 meint, deſſen Anſichten und Wünſche vernehmen, ſondern deſſen Einwilligung einholen. Vgl. oben Bd. II S. 80 Note 3..

2. Soweit nun das Recht des Reiches zur Anlage neuer oder zur Erweiterung und Verſtärkung bereits vorhandener Feſtungen reicht, ſtehen demſelben auch die dazu nothwendigen Mittel zu Ge - bote, insbeſondere das Recht der Expropriation2)Siehe Bd. I S. 196. und das Recht der Rayonbeſchränkungen3)Vgl. unten §. 95.. Ueberdies aber muß als ſelbſtverſtändliche Folge dieſes Rechtes erachtet werden, daß den Einzelſtaaten jede Ausübung der Landeshoheit unterſagt iſt, welche die Vertheidigungsfähigkeit der Feſtungen mittelbar oder unmittel - bar beeinträchtigen könnte, insbeſondere Veränderungen der Waſſer - läufe oder die Anlage von Eiſenbahnen, Kanälen u. dgl. in der Nähe der Feſtungen, wenngleich außerhalb der Rayongränzen. Aus demſelben Grunde iſt es als ſelbſtverſtändlich zu erachten, daß die Einzelſtaaten nicht befugt ſind, ihrerſeits Feſtungen anzu - legen, ſelbſt wenn ſie die Koſten aus eigenen Mitteln beſtreiten wollten, da alle Feſtungen ein einheitliches Vertheidigungsſyſtem bilden. Das Vorhandenſein einer Feſtung kann in großem Maße die Fürſorge für Handel und Verkehr u. dgl. hindern oder er - ſchweren. Andererſeits iſt dem Reiche geſetzlich die Pflicht aufer - legt, daß wofern ſich in den Reichsfeſtungen die für den öffentlichen Verkehr beſtimmten Thore und Thorbrücken im Laufe der Zeit als unzulänglich für dieſen Verkehr erweiſen, auf Antrag der Gemein - den dieſe Thore und Thorbrücken, ſoweit ein fortifikatoriſches Intereſſe nicht entgegenſteht, auf Koſten des Reiches erweitert werden. Die Entſcheidung hierüber wird in letzter Inſtanz durch die vereinigten Ausſchüſſe des Bundesrathes für Handel und Ver - kehr und für das Landheer und die Feſtungen getroffen4)R.G. v. 30. Mai 1873 Art. IV Abſ. 2 (R. G.Bl. S. 124). Vgl. Bd. I S. 267.. Dieſe Beſtimmung findet auf die Bayeriſchen Feſtungen keine Anwendung, denn dieſelben ſind nicht Reichsfeſtungen , ſondern Landesfeſt - ungen 5)Die Behauptung v. Rönne’s II, 2 S. 123, daß im Art. IV.

75§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.

3. Die militairiſche Verfügung über die Feſtungen und Kriegshäfen ſteht dem Kaiſer zu. Es ergiebt ſich dies ſchon aus dem allgemeinen Grundſatz, daß alle Truppen, alſo auch die Beſatzungstruppen, ſeinen Befehlen unbedingte Folge zu leiſten haben. Das ihm zuſtehende Dislokationsrecht ermächtigt ihn, die zur Beſatzung zu verwendenden Truppentheile aus allen Kontingen - ten zu wählen1)Soweit durch Milit. -Konventionen die Ausübung des Dislokationsrechtes eingeſchränkt worden iſt, ſind grade die Feſtungen davon ausgenommen worden. Siehe oben S. 39 Note 1. und der Art und Zahl nach zu beſtimmen. Ferner erſtreckt ſich die ihm nach allgemeinen Verfaſſungsprinzipien obliegende Beaufſichtigung (R.V. Art. 4 Ziff. 14), ſowie das ihm ſpeziell eingeräumte Recht der Inſpektion und das Recht die Abſtellung der vorgefundenen Mängel anzuordnen (R.V. Art. 63 Abſ. 3) nicht nur auf die Truppen ſelbſt, ſondern auch auf die geſammte Aus - rüſtung und alle militairiſchen Anſtalten, folglich auch auf die Feſtungen, ihren baulichen Zuſtand, ihre Armirung, Verprovianti - rung u. ſ. w. Wegen der Wichtigkeit der Feſtungen iſt zur Siche - rung dieſer im militairiſchen Oberbefehl enthaltenen Befugniſſe dem Kaiſer das Recht eingeräumt, alle Feſtungskommandanten zu ernennen2)R.V. Art. 64 Abſ. 2. Nur über die Ernennung der Kommandanten der in Württemberg gelegenen feſten Plätze hat der Kaiſer ſich vorher mit dem König von W. in Vernehmen zu ſetzen. Mil. -Konv. Art. 7. Ueber Ulm ſiehe unten Nro. 5.. Hierdurch iſt aber in Verbindung mit Art. 68 der R.V. noch ein weiteres, ſehr eingreifendes Recht gegeben. Mit der Bekanntmachung der Erklärung des Belagerungszuſtandes geht nämlich die vollziehende Gewalt an den Feſtungskommandanten über, und ebenſo die höhere Militairgerichtsbarkeit über ſämmtliche zur Beſatzung gehörende Militairperſonen aller Kontingente3)Geſ. über den Belagerungszuſtand vom 4. Juni 1851 §§. 1; 2 Abſ. 3; 4; 7. Vgl. oben S. 44..

Die vorſtehend aufgeführten Rechtsſätze haben für Bayern keine Geltung; alle militairiſchen Oberbefehlshaber-Rechte des Kaiſers5)und VII dieſes Geſetzes die im Art. I aufgezählten Feſtungen, unter denen ſich auch Ingolſtadt befindet, als Reichsfeſtungen bezeichnet werden, beruht auf einem Irrthum. Art. VII enthält gar keine Bezugnahme auf Art. I, und Art. IV enthält eine Beſtimmung lediglich über diejenigen im Art. I genannten Feſtungen, welche Reichsfeſtungen ſind, ſagt aber nicht, daß alle im Art. I aufgeführten Feſtungen dieſe Eigenſchaft haben.76§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.ſind im Frieden auch rückſichtlich der Bayeriſchen Feſtungen ausge - ſchloſſen1)In Betreff der Fortifikation von Neu-Ulm ſiehe unten Nro. 5. und es ſteht ihm nur ein Recht zur Inſpektion derſelben in demjenigen Umfange zu, der oben S. 40 für die Inſpektion des Bayeriſchen Kontingents feſtgeſtellt worden iſt. Die Erhaltung der Feſtungen Ingolſtadt und Germersheim und der im Bayeriſchen Gebiete auf Koſten des Reiches etwa künftig errichteten Feſtungen in vollkommen vertheidigungsfähigem Stande iſt eine verfaſſungs - mäßige Pflicht Bayerns, die es gemäß der ihm eingeräumten mili - tairiſchen Sonderſtellung unabhängig und ſelbſtſtändig zu erfüllen hat2)Schlußprotokoll vom 23. Nov. 1870 Art. XIV §. 1.. Im Kriege dagegen, d. h. mit Anordnung der Kriegsbe - reitſchaft (Mobiliſirung) des Bayeriſchen Kontingents erſtreckt ſich der militairiſche Oberbefehl des Kaiſers auch auf die Bayeriſchen Feſtungen. Das Preuß. Geſetz über den Belagerungszuſtand findet in Bayern aber auch im Fall des Krieges keine Anwendung3)Siehe oben S. 48..

4. Alle im Bundesgebiet vorhandenen Feſtungswerke, mögen dieſelben bei Gründung des Norddeutſchen Bundes beziehentl. des Deutſchen Reiches ſchon vorhanden geweſen oder erſt ſpäter herge - ſtellt worden ſein, nebſt allen dazu gehörenden Gebäuden, Grund - ſtücken und Ausrüſtungsgegenſtänden ſind Eigenthum des Deutſchen Reichs4)R.G. vom 25. Mai 1873 §. 1 (R. G.Bl. S. 113). Ueber die Rückgabe entbehrlich werdender Feſtungsgrundſtücke vgl. §. 7 u. 8 deſſelben Geſetzes und Art. IV Abſ. 1 und V des R.G. vom 30. Mai 1873 (R. G.Bl. S. 124).. Dagegen iſt das geſammte in Bayern befindliche Feſtungs-Material an unbeweglichen und beweg - lichen Gegenſtänden Eigenthum des Königreichs Bayern, da die Verwaltung der Bayeriſchen Feſtungen, ihre Ausrüſtung, Erhaltung u. ſ. w. nicht aus Reichsmitteln erfolgt, ſondern Bayern dieſe Koſten ausſchließlich und allein trägt5)Vertr. vom 23. Nov. 1870 III §. 5 (Zuſatz zu Art. 58 der R.V.).. Auch für den Fall, daß in Bayern auf gemeinſchaftliche Koſten neue Befeſtigungen ange - legt werden ſollten, iſt verabredet worden, daß dieſelben bezüglich ihres immobilen Materials in das ausſchließliche Eigenthum Bayerns treten, während das bewegliche Material gemeinſames Eigenthum der Staaten des Bundes, das heißt Miteigenthum des Reiches und Bayerns, wird6)Schlußprotok. vom 23. Nov. 1870 §. 2. Auf ſolches mobiles Feſtungs -.

77§. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen.

Im Uebrigen findet der Verfaſſungsgrundſatz, daß die Koſten und Laſten des Kriegsweſens von allen Bundesſtaaten gleichmäßig zu tragen ſind, auch hinſichtlich der Feſtungen Anwendung und zwar auch auf Bayern. Soweit dieſe Koſten aus dem regelmäßigen Etat der Militair-Verwaltung zu beſtreiten ſind, nimmt Bayern im Verhältniß der Kopfſtärke ſeines Kontingents, alſo im Ver - hältniß ſeiner Bevölkerung daran Theil, da ſich der für das Baye - riſche Kriegsweſen zu verwendende, in einer Summe auszuwerfende Betrag darnach berechnet; und nur in der Verausgabung dieſer Summe iſt Bayern ſelbſtſtändig. Aber auch an den Koſten für die Herſtellung und Ausrüſtung neuer Befeſtigungsanlagen, mögen dieſelben nun auf Bayeriſchem Staatsgebiete oder auf einem andern Theile des Bundesgebietes errichtet werden, betheiligt ſich Bayern in dem ſeiner Bevölkerungszahl entſprechenden Verhältniſſe1)Vertrag vom 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. V Abſ. 2.. Dieſer Grundſatz iſt auch in den Reichsgeſetzen vom 8. Juli 1872 (R. G.Bl. S. 289) und vom 30. Mai 1873 (R. G.Bl. S. 123) thatſächlich befolgt worden, ebenſo in den Anſätzen des Reichshaushalts-Etats2)Die Bemerkungen Blankenburgs in Holtzendorff’s Jahrb. I S. 392 (reproduzirt bei v. Rönne II, 2 S. 124) über eine finanzielle Bevorzugung Bayerns beruhen auf Irrthum. Richtig Thudichum in Holtzend. Jahrb. II S. 113 und Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1403..

5. Beſondere etwas complicirte Rechtsverhältniſſe beſtehen hin - ſichtlich der Feſtung Ulm, welche theils auf bayeriſchem, theils auf württembergiſchen Gebiet liegt, dabei aber für das Verthei - digungsſyſtem Geſammtdeutſchlands von ſo hervorragender Bedeu - tung iſt, daß die Bayeriſchen und Württembergiſchen Sonderrechte hier nicht uneingeſchränkte Geltung finden können. Dieſe Verhält - niſſe ſind geregelt in der Vereinbarung zwiſchen Preußen, Bayern und Württemberg v. Ulm d. 16. Juni 1874, zu welcher noch ein Separat-Protokoll vom gleichen Tage zwiſchen Preußen und Bayern und ein Separat-Protok. zwiſchen Preußen und Württemberg hinzugefügt iſt3)Sämmtl. Protokolle ſind gedruckt in den Militairgeſ. des Deutſchen Reiches I S. 175 ff.. Den Hauptgrundſatz enthält der Art I, welcher die Feſtung Ulm beider Ufer für einen ein - heitlichen Waffenplatz unter einheitlichem Kommando6)material ſoll eintretenden Falles die Uebereinkunft vom 6. Juli 1869 über das Material der ehemaligen deutſchen Bundesfeſtungen Anwendung finden.78Die Feſtungen und Kriegshäfen.und einheitlicher Verwaltung durch Organe des Deutſchen Reiches erklärt1)Vorbehaltl. der Territorialhoheit und der beſtehenden Eigenthumsver - hältniſſe.. Der Kaiſer ernennt den Gouverneur und den Kommandanten nebſt dem dazu gehörigen Stabe2)Beſtehend aus dem Artillerie-Offizier und dem Ingenieur vom Platz, den Platzmajoren für jedes der beiden Ufer und dem Gouvernements-Adju - tanten.; die Territorial - ſtaaten ſtellen nach Maßgabe des Etats das übrige Perſonal. Alle dieſe im Reichsdienſte verwendeten Offiziere, Aerzte und Be - amten werden für den Kaiſer verpflichtet. Für die dienſtlichen Verhältniſſe ſind die Preuß. Dienſtvorſchriften maßgebend; ebenſo für das Verhältniß des Gouverneurs, Kommandanten u. ſ. w. zu den Beſatzungstruppen3)Hauptprotok. Art. II IV. Ulm gehört zur Ingenieur - und Feſtungs - Inſpektion Mainz.. Die geſammten perſönlichen und ſächlichen Ausgabepoſitionen, einſchließl. die feſten Dotirungen für Artillerie und Fortifikation, finden in dem Preußiſchen Milit. - Etat des Reichshaushalts-Etats Aufnahme in der Art, daß der auf Rechnung des Bayeriſchen Etats fallende Antheil4)Nämlich 2 / 7 der Geſammtſumme. in Abrech - nung gebracht und in letzterem vorgetragen wird. Die Verwal - tung der geſammten Etatsſumme führt das Preuß. Kriegsmi - niſterium durch Vermittlung der Intendantur des XIV. Armee - korps5)Hauptprotok. Art. VIII. .

6. Ueber die Kriegshäfen enthält die Reichsgeſetzgebung keine Beſtimmung als die im Art. 53 Abſ. 2 der R.V. enthaltene: Der Kieler Hafen und der Jadehafen ſind Reichskriegshäfen . Durch Kaiſerl. Kab. Ordre v. 15. Febr. 18736)Marine-V. Bl. S. 37. iſt dieſen beiden Häfen die Eigenſchaft von Feſtungen beigelegt und beſtimmt worden, daß dieſelben in allen militairiſchen und territorialen Beziehungen mit alleiniger Ausnahme der Erſatz - und Landwehr-Angelegenheiten von der Kaiſerl. Admiralität reſſortiren.

79§. 83. Das ſtehende Heer.

Zweiter Abſchnitt. Die Organiſation und Gliederung der bewaffneten Macht.

§. 83. Das ſtehende Heer.

I. Die Friedensformation.

Obgleich in der R.V. Art. 63 Abſ. 4 der Grundſatz aner - kannt iſt, daß der Kaiſer den Präſenzſtand, die Gliederung und die Eintheilung der Kontingente des Reichsheeres beſtimmt, ſo hat doch das Militairgeſetz von 1874 eine Anzahl von organiſatoriſchen Anordnungen getroffen, durch welche die Grundzüge der Friedens - formation des Heeres mit formeller Geſetzeskraft feſtgeſtellt ſind, und dadurch einerſeits das Gebiet, auf welchem die freie Entſchlie - ßung des Kaiſers Spielraum hat, erheblich eingeſchränkt, anderer - ſeits aber eine feſte Grundlage für die Aufſtellung des Militair - Etats geſchaffen.

1. Die Organiſation des Deutſchen Heeres beruht auf dem Kadre-Syſtem d. h. die im Kriege zur Verwendung kommende Heeresmacht wird im Frieden nur zum Theil präſent gehalten. Die Friedensformationen bilden den Rahmen, welcher erſt im Kriege durch die eingezogenen Mannſchaften und Offiziere völlig ausgefüllt wird; zugleich aber dienen ſie zur militairiſchen Aus - bildung der Mannſchaften, ſie ſind gleichſam die militairiſchen Schulen und die Zeit des Dienſtes im ſtehenden Heere iſt die mi - litairiſche Lehrzeit. Das Wehrgeſetz v. 9. Nov. 1867 §. 4 erklärt das ſtehende Heer und die Flotte für die Bildungsſchulen der ganzen Nation für den Krieg und giebt hierdurch ſowie durch die Vorſchriften über die allgemeine Wehrpflicht dem Kadre-Syſtem ge - ſetzliche Geltung.

2. Die Grundeinheit für die Formation und Gliederung der ganzen Armee iſt das Bataillon für die Infanterie nebſt den Jägern, für die Fußartillerie, die Pioniere und den Train, die Schwadron (Eskadron) für die Kavallerie und die Batterie für die Feldartillerie. Die Bataillone zerfallen in Kompagnien, und zwar in der Regel in je 4, bei dem Train in je 2 3; allein ſo wichtig dieſe Unterabtheilungen auch in Bezug auf die Ausbil - dung der Mannſchaften und die Einrichtung des Dienſtes ſind, ſo80§. 83. Das ſtehende Heer.bleibt durch dieſelben doch der Grundſatz unberührt, daß das Ba - taillon die letzte taktiſche Einheit der Infanterie iſt1)Vgl. Druckſachen des Reichstages 1874. I Seſſ. Beilage zu Nro. 106 S. 13 Ziff. 4.. Daher iſt auch die Anzahl der Kompagnien geſetzlich nicht fixirt und die Ein - theilung des Infanteriebataillons in 4 Kompagnien nur als die regelmäßige Formation hingeſtellt, von welcher in Berückſichtigung beſonderer Verhältniſſe Abweichungen ſtatthaft ſind2)Auch die Pionierbataillone ſind in je 4 Kompagnien eingetheilt; die Bayriſchen jedoch in fünf.. Anderer - ſeits iſt bei der Feldartillerie nicht die Abtheilung, ſondern die Batterie die letzte taktiſche Einheit und demgemäß die Anzahl der Abtheilungen nicht im Geſetz feſtgeſtellt, ſondern nur angeordnet, daß je 2 bis 4 Batterien eine Abtheilung bilden. Die hiernach beſtehenden Grundformationen oder Kadres ſind im §. 2 des Mi - litairgeſetzes der Zahl nach fixirt, und zwar

  • für die Infanterie (nebſt den Jägern) 469 Bataillone
  • für die Kavallerie 465 Eskadrons
  • für die Feldartillerie 300 Batterien
  • für die Fußartillerie 29 Bataillone
  • für die Pioniertruppe 18 Bataillone
  • für den Train 18 Bataillone
    3)Die Vertheilung dieſer Kadres auf die einzelnen Kontingente ergiebt ſich aus folgender Tabelle, welche in den Motiven zum Militairgeſetz S. 32 (Druckſ. des Reichst. 1874. I Seſſ. Nro. 9) enthalten iſt:
    3).

Dieſe Kadres ſind dauernde Einrichtungen, die von der Bewilligung im Haushalts-Etats des Reiches reſp. Bayerns un - abhängig ſind und die durch den Ablauf der Friſt, für welche die Friedenspräſenzſtärke des Heeres feſtgeſetzt iſt (ſiehe unten), nicht betroffen werden. Ebenſowenig kann die Zahl dieſer Kadres durch81§. 83. Das ſtehende Heer.Kaiſerl. Verordnung erhöht werden; es iſt hierzu ein Reichsgeſetz erforderlich.

Dagegen bleiben von dieſer geſetzlichen Feſtſtellung unberührt die ſogenannten beſonderen Formationen ; dazu gehören die Ei - ſenbahntruppen, die Landwehr-Bezirks-Kommandos, die Garniſon - Kompagnien in Bayern, das Lehrbataillon, die Unteroffizierſchulen, Schießſchulen, die Kadettenkorps und andere Militair-Erziehungs - und Bildungs-Anſtalten1)Vgl. Motive a. a. O. Ueber dieſe Schulen vgl. §. 86. VIII. . In dem Militairgeſetz ſind dieſelben nicht erwähnt und es iſt unterlaſſen, einen Vorbehalt rückſichtlich derſelben zu machen. Aus den Motiven zum §. 2 des Militair - geſetzes und aus den Verhandlungen des Reichstages ergibt ſich aber, daß dieſe Formationen neben den im §§. 2 u. 3 des Mi - litairgeſetzes erwähnten beſtehen und ſie ſind auch in den jährlichen Etats-Geſetzen des Reiches anerkannt worden. Hinſichtlich dieſer beſonderen Formationen beſteht das verfaſſungsmäßige Organiſa - tionsrecht des Kaiſers ungeſchmälert fort und es findet ſeine Schranke lediglich in dem Budgetrecht des Bundesrathes und des Reichstages.

3. Die nächſt höhere Einheit iſt das Regiment; die For - mation derſelben iſt dem Kaiſer (in Bayern dem Könige) über - laſſen und es iſt nur angeordnet2)Milit. Geſ. §. 2 Abſ. 2., daß in der Regel ein Re - giment gebildet wird

  • bei der Infanterie aus 3 Bataillonen
    3)Für die Jägerbataillone beſtehen keine Regimentsverbände. Sämmtliche Infanterie-Regimenter haben 3 Bataillone mit alleiniger Aus - nahme des 2. Großherz. Heſſiſchen Nr. 116, welches nur 2 Bataillone hat. Vgl. Anl. zu Art. 2 der Heſſ. Militair-Konvent. v. 1871.
    3)
  • bei der Kavallerie aus 5 Eskadrons
  • bei der Artillerie aus 2 bis 3 Abtheilungen reſp. Bataillonen.

4. Zwei oder drei Regimenter (derſelben Waffengattung) wer - den zu einer Brigade, zwei oder drei Brigaden der Infanterie und Kavallerie zu einer Diviſion vereinigt4)Mil. Geſ. §. 3 Abſ. 1.. Weder die Zahl noch die Zuſammenſetzung der Brigaden und Diviſionen iſt geſetz - lich fixirt, alſo von der Anordnung des Kaiſers (reſp. des Königs von Bayern) abhängig; jedoch enthalten die Anlagen zu den Mi -Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 682§. 83. Das ſtehende Heer.litair-Konventionen mit Sachſen, Württemberg und Heſſen beſtimmte Vereinbarungen über die Formation der Kontingente.

5. Die höchſte Friedensformation iſt das Armeekorps; daſſelbe bildet eine für die geſammte Organiſation und Verwal - tung der Armee in allen Beziehungen wichtige Einheit und es iſt deshalb im Militairgeſetz die Zahl und Vertheilung der Armee - korps feſt beſtimmt. Ein Armeekorps beſteht aus 2 bis 3 Divi - ſionen1)In dem Gardekorps, dem XV. Korps und dem Kgl. Sächſ. Armee - korps ſind beſondere Kavallerie-Diviſionen formirt und deshalb beſtehen dieſe Armeekorps aus drei Diviſionen; ferner iſt das Kontingent des Großherzogth. Heſſen dem XI. Armeekorps als dritte Diviſion eingefügt. Alle übrigen Korps haben zwei Diviſionen. mit den entſprechenden Artillerie -, Pionier - und Train - Formationen. Die geſammte Heeresmacht des Deutſchen Reiches beſteht aus achtzehn Armeekorps, von denen Bayern zwei, Sachſen eines, Württemberg eines, Preußen gemeinſchaftlich mit den übrigen Staaten und mit Elſaß-Lothringen vieŕzehn Armeekorps formiren2)Die Preußiſchen Korps führen die Bezeichnung Gardekorps und Nro. I bis XI, XIV (Baden) und XV (Elſaß-Lothr. ), das Sächſiſche Nro. XII, das Württemb. Nro. XIII, die Bayeriſchen I u. II Bayr. Korps..

Für mehrere Armeekorps, in der Regel für je 3 bis 4, be - ſteht eine Armee-Inſpektion, die aber weder in taktiſcher noch adminiſtrativer Hinſicht als eine Formation des Heeres zu bezeichnen iſt. Gemäß der Kabin. Ordre v. 1. Nov. 1877 ſind der I. Ar - mee-Inſpektion das 4. 5. 6., der II. das 1. 2. 9., der III. das 7. 8. 10. 12., der IV. das 3. 11. 13., der V. Armee-Inſpektion das 14. und 15. Armeekorps unterſtellt.

6. Die im Vorſtehenden aufgeführten Kadre’s, welche zur Aufnahme und Ausbildung der Mannſchaften dienen, erfordern eine entſprechende Anzahl von Offizieren, Unteroffizieren, Aerzten u. ſ. w. Das Militairgeſetz §. 4 hat deshalb im Anſchluß an die Regelung der Formationen auch die für dieſelben erforderlichen militairiſchen Amts - (Offiziers -) Stellen normirt, hiebei aber einen ziemlich weiten Spielraum gelaſſen. Es ſind im Weſentlichen die in der Preußiſchen Armee hergebrachten Einrichtungen und Be - zeichnungen nur aufgezählt.

An der Spitze jeder Kompagnie, Eskadron und Batterie ſteht in der Regel ein Hauptmann oder Rittmeiſter, dem ein83§. 83. Das ſtehende Heer.Premierlieutenant, zwei oder drei Sekonde-Lieutenants1)Ueber den dritten Lieutenant ſind im Reichstage von 1874 ausführ - liche Erörterungen gepflogen worden. Stenogr. Berichte S. 822 ff. und die entſprechende Anzahl von Unteroffizieren unterſtellt ſind. Jedes Bataillon und jede Artillerie-Abtheilung wird befehligt von einem Stabsoffizier, jedes Regiment von einem älteren Stabs - offizier (Oberſt, Oberſtlieutenant, Major). Zu den Regiments - ſtäben gehört außerdem in der Regel noch je ein zweiter Stabs - offizier und zu den Stäben der Regimenter und Bataillone (reſp. Abtheilungen) je ein Lieutenant als Adjutant, ſowie das erfor - derliche Perſonal an Aerzten, Zahlmeiſtern, Roßärzten, Büchſen - machern und Sattlern.

Eine Brigade wird in der Regel durch einen Generalmajor, eine Diviſion durch einen Generallieutenant, ein Armeekorps durch einen kommandirenden General (General der Infanterie ꝛc. oder Generallieutenant) befehligt. Den höheren Truppen-Kom - mandos ſind die zur Befehlsführung erforderlichen Stäbe bei - gegeben.

Die bisher aufgeführten Offiziere entſprechen der Gliederung der Truppenkörper; außer ihnen gehört noch zum Heere eine An - zahl von Offizieren, welche das Geſetz als Offiziere außer Reih und Glied bezeichnet, nämlich General -, Flügel - und andere per - ſönliche Adjutanten, Offiziere der Kriegsminiſterien, des General - ſtabes, des Ingenieurkorps, des Militair - Erziehungs - und Bil - dungsweſens. Hierzu kömmt endlich das geſammte Heeres-Ver - waltungsperſonal.

Eine feſte Zahl der im Heere zu beſetzenden Offiziers - und Beamtenſtellen iſt demnach nicht geſetzlich angeordnet; es iſt aber andererſeits auch die Beſtimmung derſelben nicht dem Belieben des Kaiſers anheimgeſtellt, ſondern es werden durch den Reichshaushalts - Etat die für das Heer nothwendigen Stellen und die hieran erfor - derlichen Aenderungen feſtgeſtellt2)Bayern hat die Spezial-Etats ſelbſtſtändig aufzuſtellen und dabei nur die Anſätze des Reichsetats zur Richtſchnur zu nehmen. Siehe oben S. 57.. Indem das Militairgeſetz §. 4 Abſ. 5 dies ausdrücklich anerkennt, trifft es keine für das Heer - weſen eigenthümliche Anordnung, ſondern es erkärt nur eine Regel für anwendbar, welche für alle Verwaltungen Gültigkeit hat und6*84§. 83. Das ſtehende Heer.deren Geltung für die Armee-Verwaltung ſelbſtverſtändlich iſt, es ſei denn, daß dieſelbe davon beſonders ausgenommen wäre. Dem Militairgeſetz-Entwurf iſt ein Verzeichniß ſämmtlicher im Reichs - heer (mit Ausnahme Bayerns) erforderlichen Offiziere, Aerzte und Beamten beigefügt und dem Reichstage vorgelegt worden1)Druckſ. des Reichst. I Seſſ. 1874 Beilage zu Nro. 9.. Dieſem Verzeichniß kömmt irgend welche formale Geſetzeskraft nicht zu und es iſt insbeſondere nicht zum Beſtandtheile des Militair - geſetzes gemacht worden; allein es bildet die Grundlage für die Anſätze des Militair-Etats im Reichshaushaltsgeſetze ſeit 18752)In dem Etat von 1877 / 78 trat eine Erhöhung der Hauptmannsſtellen ein (105 und demgemäß noch 18 in Bayern), indem jedes Infanterie-Regiment 13 Hauptmannsſtellen erhielt.. Durch die erwähnte Anordnung im §. 4 des Mil. Geſ. iſt nur an - erkannt, daß die allgemeinen Regeln des Budgetrechts durch Art. 62 und 63 der R.V. hinſichtlich des Heerweſens nicht modifizirt ſind. Zu beachten iſt aber, daß ein Etatsgeſetz-Entwurf, welcher an den beſtehenden Einrichtungen des Heerweſens Veränderungen hervor - bringen würde, als vom Bundesrath abgelehnt gilt wenn ſich die Stimme des Präſidiums gegen denſelben erklärt, R.V. Art. 5 Abſ. 2, und es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß die einmal gültig errichteten und in den früheren Etatsgeſetzen genehmigten Offizier - und Beamtenſtellen zu den beſtehenden Ein - richtungen des Heerweſens gehören.

II. Die Friedenspräſenzſtärke.

Die Kadres ſind gleichſam die Zellen, aus denen der Körper - bau des Heeres gebildet iſt; es frägt ſich nun, wie dieſelben aus - gefüllt werden, wie viele Wehrpflichtige in dieſelben eintreten. Erſt dadurch verbindet ſich mit den Ausdrücken Bataillon, Eskadron und Batterie ein feſtbeſtimmter und präziſer Sinn, daß man nicht nur die zu dieſen Formationen erforderlichen Offiziere ꝛc., ſondern auch die dazu gehörenden Mannſchaften angibt. Leider hat die Reichsgeſetzgebung dies nicht gethan und deshalb auch die feſte geſetzliche Grundlage für die Heeresorganiſation nicht geſchaffen, die von ſo vielen Seiten als durchaus nothwendig und wünſchens - werth erklärt worden iſt. Wäre dies wirklich die ernſte Abſicht geweſen, ſo hätte man nur nöthig gehabt, dem §. 2 des Militair -85§. 83. Das ſtehende Heer.Geſetzes einen Satz hinzuzufügen, welcher die Begriffe Bataillon, Eskadron und Batterie definirt, d. h. ihre normale Kopf - ſtärke angiebt1)Dem Entwurf der Verf. des Nordd. Bundes Abſchnitt XI war bereits von dem Preuß. Kriegsminiſter eine Erläuterung beigegeben, welche die Friedens-Formation eines Armeekorps ganz genau darſtellt; in der - ſelben wird ein Infanterie-Regiment à 3 Bataillone auf 57 Offiziere und 1613 Mann, ein Jägerbataillon auf 22 Offiziere und 534 Mann, ein Kavallerie - Regiment à 5 Eskadrons auf 28 Offiziere und 712 Mann u. ſ. w. angegeben. (Stenogr. Berichte des verfaſſungberathenden Reichstages von 1867 Aktenſtücke S. 52.) Ebenſo wurde dem Reichstag von 1874 eine Ueberſicht der Truppen - Formationen und Etatsſtärken vorgelegt, nach welcher z. B. das Preuß. Linien - Infanterie-Bataillon 566 Mann (incl. Unteroffiziere, Lazarethgehilfen und Handwerker) ſtark ſein ſoll (Druckſ. 1874 I Seſſ. Beilagen zu Nro. 106). In dem Militairgeſetz fand aber eine Beſtimmung dieſer Art keine Aufnahme, ſondern es wird nur dem Militair-Etat alljährlich eine Ueberſicht der Etatsſtärke des Deutſchen Heeres beigefügt. Genauere Nachweiſungen enthält das Kapitel Geldverpflegung der Truppen des Militair-Etats.. Es hätte dies immerhin ſo gefaßt werden können, daß Schwankungen im Einzelnen geſtattet blieben; da doch für jede dieſer taktiſchen und adminiſtrativen Einheiten ein Friedensver - pflegungs-Etat beſteht, der nicht nur von dem Kaiſer reſp. der oberen Militairbehörde genehmigt, ſondern auch von dem Reichs - tage bei der Feſtſtellung des Militair-Etats des Reiches zu Grunde gelegt wird, ſo hätte auch im Geſetz beſtimmt werden können, nach welchen Normalſätzen dieſe Verpflegungs-Etats aufzuſtellen ſeien. Dadurch hätten alle in den §§. 2 und 3 des Milit. -Geſetzes ent - haltenen Anordnungen erſt einen concreten Inhalt und verſtänd - lichen Sinn erhalten, während ſie jetzt nur eine militairiſche Nomen - clatur geben, die praktiſch eine ſehr verſchiedene Bedeutung haben kann2)Nach dem Referate des Berichterſtatters (Miquel) in der Sitzung vom 13. April 1874 (Stenogr. Berichte S. 748) wurde zwar in den Berathungen der Reichstags-Kommiſſion Seitens der Regierungsvertreter und einiger Kom - miſſions-Mitglieder geſagt: Ein Bataillon iſt doch ein Bataillon und keine Kompagnie. Wer ein Bataillon auf Geſetz baſirt, erkennt damit an, daß das Bataillon doch wenigſtens eine Minimalfriedenspräſenzſtärke haben muß, und daß er bei der Aufſtellung des Budgets nicht berechtigt iſt, wenn er loyal ver - fahren will, thatſächlich ein Bataillon in eine Kompagnie zu verwandeln. Die Friedenspräſenzſtärke ergiebt ſich aus den Aufgaben, welche den einzelnen For - mationen militairiſch-techniſch obliegen. Dies iſt aber völlig ungenügend, um einen feſten Anhalt zu gewähren. Derſelbe Truppenkörper, der den Namen.

86§. 83. Das ſtehende Heer.

Statt des correcten Weges, ein Geſetz ſo zu machen, daß es einen deutlichen, feſten, gemeinverſtändlichen Sinn hat, d. h. im vorliegenden Falle die im §. 2 aufgeſtellten Grundformationen geſetzlich zu definiren, hat man einen Umweg eingeſchlagen, indem man die Friedenspräſenzſtärke des geſammten Heeres in Einer Hauptſumme feſtgeſetzt hat. Dieſe Methode ſchreibt ſich aus der Zeit der Errichtung des Norddeutſchen Bundes, alſo vor der völligen Durchführung der Heeresverfaſſung her. Die Nordd. Bundesver - faſſung enthielt im Art. 60 den Satz:

Die Friedens-Präſenzſtärke des Bundesheeres wird bis zum 31. Dezemb. 1871 auf Ein Prozent der Bevölkerung von 1867 normirt und wird pro rata derſelben von den einzelnen Bundes - ſtaaten geſtellt. Für die ſpätere Zeit wird die Frie - dens-Präſenzſtärke des Heeres im Wege der Bun - desgeſetzgebung feſtgeſtellt.

Die Reichsverfaſſung hat dieſen Artikel wörtlich beibehalten; nur iſt ſtatt Bundesheeres Deutſchen Heeres und ſtatt Bundes - geſetzgebung Reichsgeſetzgebung geſetzt worden. Das Reichs - geſetz vom 9. Dezemb. 1871 (R. G.Bl. S. 411) behielt das im Art. 60 ſanctionirte Prinzip bei und prolongirte die Geltung deſſelben für 3 Jahre; veränderte die Faſſung aber in der Art, daß es die Friedenspräſenzſtärke nicht auf eine Quote der Be - völkerung, ſondern auf eine beſtimmte, dieſer Quote genau ent - ſprechende, Zahl fixirte. Es verordnet im §. 1:

Für die Jahre 1872, 1873 und 1874 wird die Friedens - präſenzſtärke des deutſchen Heeres auf 401,659 Mann feſt - geſtellt.

Dieſem Vorgange folgte das Reichs-Militairgeſetz. Es lautet §. 1 deſſelben:

Die Friedenspräſenzſtärke des Heeres an Unteroffizieren und2) Bataillon führt, hat im Kriege 1003 Mann, im Frieden 566; die Bataillone der älteren Preuß. Garde-Infanterie-Regimenter ſind ſtärker als diejenigen der Linien-Infanterie, und doch paßt auf beide gleichmäßig der Name Bataillon. Ein Bataillon würde noch nicht zur Kompagnie werden, wenn es 20, 30 oder 50 Mann weniger ſtark formirt würde; die Eskadron könnte um 5 Mann ſchwächer ſein ohne aufzuhören Eskadron zu heißen. Und welchen Einfluß würde dies dennoch haben einerſeits auf die Verringerung der Kriegsſtärke des Heeres und andererſeits auf die Etatsanſätze!87§. 83. Das ſtehende Heer.Mannſchaften beträgt für die Zeit vom 1. Januar 1875 bis zum 31. Dezember 1881 401,659 Mann. Die Einjährig-Freiwilligen kommen auf die Friedenspräſenzſtärke nicht in Anrechnung.

Hiernach gelten folgende Rechtsregeln:

1. Nur die Geſammtſtärke des ganzen Heeres ſteht feſt und demgemäß die antheilsmäßige Stärke des Bayeriſchen Kontingents1)Auf Bayern entfallen 48,244 Mann. Der Reſt vertheilt ſich in der Art, daß das Preußiſche Heer nebſt den mit ihm verbundenen Kontingenten 311,423 M., das Sächſiſche Kontingent 24,208 M., das Württemb. 17,784 M. ſtark iſt.. Dagegen iſt die Vertheilung dieſer Geſammtmaſſe auf die einzelnen Formationen geſetzlich nicht normirt. Nicht einmal das Verhältniß der Waffengattungen zu einander iſt beſtimmt2)Indeß bieten die Anſätze des Etats indirect ein Hinderniß zu erheb - lichen Schwankungen. und noch viel weniger beſteht eine geſetzliche Nöthigung, daß die einzelnen gleich - namigen Kadres gleich ſtark ſein müſſen3)Es iſt dies auch thatſächlich nicht der Fall; einzelne Regimenter, nament - lich die Garde-Infanterie-Regimenter, haben eine höhere Etatsſtärke als die andern, und auch ſonſt kommen Abweichungen vor, die theils durch die Mili - tair-Konventionen theils durch lokale Verhältniſſe begründet ſind. Als im Jahre 1876 ein zweites Preußiſches Eiſenbahn-Bataillon formirt wurde, mußte die Etatsſtärke anderer Truppen entſprechend vermindert werden und ſo verlor jedes Kavallerie-Regiment 2 Mann, ferner die Feld-Artillerie-Abtheilungen und die nicht verſtärkten reitenden Baterien zuſammen 4 Unteroff., 4 Gefreite, 104 Kanoniere; endlich die Infanterie - und Jäger-Bataillone je 2 Mann, die Mecklenburgiſchen, welche einen höheren Etat hatten, 5 Unteroff., 4 Gefreite, 39 Gemeine, 2 Handwerker. Dieſe Herabſetzungen boten außerdem das Mittel zur Verſtärkung der Unteroffizierſchulen um 358 Mann u. ſ. w. Vgl. von Löbell’s Jahresberichte III S. 4. Aus dieſem Beiſpiele iſt zu entnehmen, daß die Vertheilung der Geſammt-Kopfſtärke der Armee nicht feſtſteht.. In der geſetzlichen Ziffer ſind auch die beſonderen Formationen mit inbegriffen; da - gegen treten zu ihr hinzu die Offiziere, Aerzte und ſämmtliche Mili - tairbeamte aller Kategorien.

2. Die geſetzliche Ziffer der Friedenspräſenzſtärke hat nicht die Bedeutung, daß das Deutſche Heer in dieſer Stärke wirklich präſent gehalten werden müſſe; ſondern ſie bezeichnet nur das Maximum der Effectivpräſenzſtärke. Zu keinem Zeitpunkt im Jahre darf eine größere Zahl bei den Fahnen im activen Dienſt gehalten werden, abgeſehen von der Einziehung der Reſerve - und88§. 83. Das ſtehende Heer.Landwehr-Mannſchaften zu Uebungen und etwaigen Verſtärkungen aus Anlaß beſonderer Verhältniſſe, z. B. zum Zweck einer Gränz - ſperre, oder behufs Aufſtellung eines Obſervationskorps oder dgl .1)Daß der Kaiſer zur Anordnung ſolcher Verſtärkungen der Armee befugt iſt, ergiebt ſich aus §. 6 Abſ. 5 des Wehrgeſetzes vom 9. Nov. 1867. Vgl. Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1417.. Dagegen bleibt die Effektivſtärke hinter der geſetzlichen Präſenzziffer theils aus zufälligen Gründen theils in Folge kaiſerlicher Anord - nung zurück, insbeſondere wegen Beurlaubungen und wegen des Zwiſchenraumes zwiſchen der Entlaſſung der Reſerven und Ein - ſtellung der Rekruten, der durchſchnittlich mindeſtens vier Wochen, bisweilen über 2 Monate beträgt2)Vgl. die Erklärung des Bundes-Kommiſſarius Major Blume in der Sitzung der Reichstagskommiſſion vom 27. Febr. 1874. Druckſachen I Seſſ. 1874 Nro. 106 Beilage XI. .

3. Die wichtigſte praktiſche Bedeutung der geſetzlichen Präſenz - ſtärke beſteht darin, daß ſie den Anſätzen des Militair - Etats zu Grunde gelegt wird. Die einzelnen Truppen - theile müſſen auf Grundlage des für ſie gegebenen Verpflegungs - Etats wirthſchaften und Rechnung legen und die Veranſchlagungen in den einzelnen Ausgabe-Titeln des Militair-Etats des Reiches beruhen auf den in den Verpflegungs-Etats der Truppentheile normirten Kopfſtärken.

Hierbei gilt der Grundſatz, daß die Geſammtſumme der in den Friedensverpflegungs-Etats aufgeführten Mannſchaften unver - änderlich für das ganze Jahr 401,659 Mann beträgt 3)Vgl. die angef. Erklärung des Major Blume.; alſo ohne Rückſicht auf die durchſchnittliche Effectivpräſenzſtärke4)Erſparniſſe an den etatsmäßigen Verpflegungsſätzen durch Beurlaubungen und andere Herabminderungen der Präſenzſtärke fallen aber nicht der Militair - Verwaltung zur beliebigen Verfügung zu, ſondern ſind wie andere Minder - ausgaben zu verrechnen und der Reichskaſſe wieder zuzuführen. Demgemäß iſt auch bei den Anſätzen des Militairetats in den letzten Jahren auf die vor - ausſichtlich eintretenden Erſparniſſe durch Beurlaubungen und andere Manque - ments bereits Rückſicht genommen worden.. Man kann die doppelte Bedeutung der geſetzlichen Präſenz - ziffer durch den Satz ausdrücken: ſie iſt die Maximalziffer hin - ſichtlich des Beſtandes an Mannſchaft, alſo für das Quantum an perſönlicher Militairdienſtpflicht, das die Bevölkerung zu89§. 83. Das ſtehende Heer.leiſten hat; ſie iſt die Normalziffer hinſichtlich der Anſätze des Militair-Etats, alſo für das Quantum an finanziellen Leiſtungen, die das Volk für das Militairweſen zu machen hat1)In dieſem Sinne gab der Berichterſtatter des Reichstages (Miquél) eine Erläuterung des §. 1 des Regierungs-Entwurfs, welche er ausdrücklich als eine authentiſche, von der Regierung ſelbſt abgegebene, bezeichnete. (Stenogr. Berichte I Seſſ. 1874 S. 751.) Vgl. auch Seydel a. a. O. S. 1409, deſſen Erörterungen bei v. Rönne II, 2 S. 149 faſt wörtlich abgedruckt ſind..

Aus dieſer finanziellen Bedeutung erklärt ſich, daß in dieſe Präſenzſtärke alle diejenigen Militairperſonen nicht eingerechnet wer - den, welche den normalen Friedensverpflegungs-Etats nicht zur Laſt fallen, ſondern welche entweder Nichts erhalten, wie die Einjährig - Freiwilligen, oder deren Bezüge aus beſonderen Fonds beſtritten werden, wie die zu Uebungen eingezogenen Reſerve - und Land - wehrmannſchaften, die einberufenen Verſtärkungen aus beſonderen politiſchen Veranlaſſungen u. ſ. w.

4. Die Friedens-Präſenzſtärke gilt nach dem gegenwärtigen Zuſtande der Reichsgeſetzgebung nur bis zum Ablauf des Jahres 1881. Mit dieſem Zeitpunkt tritt die Vorſchrift des Art. 60 der R.V. wieder ein: Für die ſpätere Zeit wird die Friedens-Prä - ſenzſtärke des Heeres im Wege der Reichsgetzgebung feſtgeſtellt. Nach dem Wortlaut dieſer Beſtimmung und nach der erörterten Bedeutung der geſetzlichen Ziffer kann es keinem be - gründeten Zweifel unterliegen, daß die Feſtſtellung auch durch den Reichshaushalts-Etat erfolgen kann. So wenig wünſchenswerth es auch iſt, daß eine der weſentlichſten Grundlagen der Heeres - verfaſſung und der Finanzwirthſchaft von einer Etatsperiode zur andern in Frage geſtellt und zum Gegenſtande immer wiederkehren - der Verhandlungen gemacht werde, ſo ſehr daher Zweckmäßigkeits - Gründe dafür ſprechen, die Präſenzſtärke in einem beſonderen Ge - ſetz dauernd oder für längere Zeit feſtzuſtellen, ſo beſteht doch rechtlich keine Nöthigung hierzu. Denn Art. 60 verlangt nur die Feſtſtellung im Wege der Reichsgeſetzgebung , alſo die Beobachtung der für die Reichsgeſetzgebung vorgeſehenen Form2)Vgl. Bd. II §. 58.; dieſe Form wird aber bei der Feſtſtellung des Reichs - haushalts-Etats beobachtet3)R.V. Art. 69. und es iſt demnach der Vorſchrift90§. 83. Das ſtehende Heer.des Art. 60 genügt, wenn im Etatsgeſetz eine beſtimmte Präſenz - ſtärke dem Militair-Etat zu Grunde gelegt wird1)Vgl. hierzu die trefflichen Erörterungen Seydel’s in Hirth’s Annalen S. 1410 ff., welche v. Rönne II. 1 S. 150 mit einigen Kürzungen wie - dergiebt. Derſelben Anſicht iſt auch Meyer Staatsrecht S. 517 Note 4. Für die entgegengeſetzte Anſicht erklären ſich Thudichum in v. Holtzend. Jahrb. II S. 109 und H. Schulze in Grünhut’s Zeitſchrift für das Privat - und öffentl. Recht II S. 309, jedoch lediglich aus Erwägungen de lege ferenda, die bereits in den Verhandlungen des Reichstages von 1867, 1871 und 1874 vielfach geltend gemacht worden ſind..

Es entſteht nun die zwiefache Frage, ob bei der Feſtſtellung der Friedenspräſenzſtärke durch Geſetz Art. 5 Abſ. 2 der R.V. Anwen - dung zu finden habe, und welche Rechtsfolgen eintreten, wenn ein neues Geſetz über die fernere Präſenzſtärke nicht zu Stande kömmt. Dieſe beiden Punkte darf man aber nicht durcheinander werfen; die Be - jahung der Anwendbarkeit des Art. 5 Abſ. 2 darf nicht zu dem Schluß verleiten, als ob damit indirekt eine Fortgeltung der im Militair-Geſetz §. 1 feſtgeſtellten Präſenzziffer auf unbeſtimmte Zeit behauptet werde2)Dieſe Verwirrung findet ſich in einer Aeußerung des Abg. Reichen - ſperger (Stenogr. Berichte 1874 I Seſſ. S. 763), und namentlich bei von Rönne II. 1. S. 151 fg..

Die Vorſchrift des Art. 5 Abſ. 2 greift nur Platz bei der Abſtimmung innerhalb des Bundesrathes; hier aber giebt die Stimme des Präſidiums bei Geſetzesvorſchlägen über das Militairweſen den Ausſchlag, wenn ſie ſich für die Aufrechter - haltung der beſtehenden Einrichtungen ausſpricht. Die Reichsverfaſſung ſtellt dieſen Satz ganz unbedingt und ohne Einſchränkungen und Unterſcheidungen auf; namentlich iſt es auch nicht erforderlich, daß die beſtehende Einrichtung überhaupt auf einem Geſetz beruhe3)Der Abg. Tweſten, auf deſſen Antrag der Abſ. 2 des Art. 5 in die Verfaſſung gekommen iſt, ſagte im verfaſſungberathenden Reichstage von 1867 (Stenogr. Ber. S. 309): Man hat gemeint, ſtatt Einrichtungen zu ſagen Geſetze. Ich glaube aber, daß Einrichtungen ſtehen bleiben müſſe. Denn es giebt manche Einrichtungen ſowohl im Militairweſen wie ſonſt im Staate, die nicht ausdrücklich auf Geſetzen beruhen, ſondern thatſächlich beſtehen, auf welche ſich aber künftige Geſetze wohl beziehen können, und ich meine, die Krone Preußen muß in der Lage ſein, auch dann ein Veto einzulegen, wenn es verſucht werden ſollte, durch die Geſetzgebung Aenderungen in ſolchen Ein - richtungen zu treffen, welche bisher nicht auf ausdrücklichen geſetzlichen Beſtim - mungen beruhen. . Daß aber die durch die Verfaſſung91§. 83. Das ſtehende Heer.ſelbſt eingeführte, durch die Geſetze von 1871 und von 1874 pro - longirte Friedenspräſenzſtärke und die durch dieſelbe bedingte Stärke der Kadres eine beſtehende Einrichtung iſt, kann nicht in Ab - rede geſtellt werden. Man kann höchſtens behaupten, daß ſie vom 1. Januar 1882 ab nicht mehr eine geſetzlich beſtehende Ein - richtung ſei, immerhin aber iſt ſie eine beſtehende Einrichtung und der Bundesrath kann daher gegen den Widerſpruch Preußens keinen Geſetzesvorſchlag beſchließen, der auf eine Abänderung dieſer beſtehenden Einrichtung geht1)Uebereinſtimmend mit dieſer Anſicht ſind Thudichum Verf. R. des Nordd. Bundes S. 414 und beſonders in Holtzend. Jahrbuch II S. 110 fg., Seydel Commentar S. 220 fg. und in Hirth’s Annalen S. 1413 fg., ferner Hierſemenzel Verf. des Nordd. Bundes I S. 160; Fricker Zeitſchr. f. die geſammte Staatswiſſenſch. Bd. 28 S. 174 ff. ; Meyer Staatsrecht S. 517. Note 5. Die entgegengeſetzte Anſicht vertreten Riedel Reichsverf. S. 142 und v. Rönne II. 1. S. 151 ff..

Dies findet aber gleichmäßig Anwendung ſowohl auf ein Etatsgeſetz, welches eine andere Präſenzſtärke als die beſtehende zur Grundlage der Militair-Ausgabe-Poſten nimmt, als auch auf ein beſonderes, die Friedenspräſenzſtärke auf längere Zeit oder auf unbeſtimmte Dauer feſtſetzendes Reichsgeſetz.

Sowie nun aber die Zuſtimmung des Kaiſers (Preußens) zu jeder geſetzlichen Abänderung der bisher beſtehenden Präſenzſtärke erforderlich iſt, ſo kann andererſeits die geſetzliche Grundlage derſelben für die Zeit nach 1881 nur durch übereinſtimmende Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundesrathes und des Reichstages geſchaffen, reſpective prolongirt werden. Denn dieſe Rechtsgrundlage erliſcht ipso jure mit dem 31. Dezemb. 1881; von einer Fortgeltung des §. 1 des Mil. -Geſ. nach dieſem Termin, falls ein neues Geſetz über die Präſenzſtärke nicht zu Stande kömmt, kann nicht die Rede ſein. Wortlaut und Ent - ſtehungsgeſchichte des Art. 60 der R.V. und des §. 1 des Milit. - Geſetzes ſtehen entgegen2)Darüber beſteht auch in der Literatur keine Meinungsverſchiedenheit.. In einem ſolchen Falle würde es eben an jeder geſetzlichen Rechtsnorm über die Frie - denspräſenzſtärke des Heeres fehlen. Allein deſſenunge - achtet würden gewiſſe verfaſſungsmäßige Grundlagen der Heeres - organiſation vorhanden ſein, welche nicht interimiſtiſch, ſondern92§. 83. Das ſtehende Heer.dauernd Geltung haben und welche deshalb mit dem im §. 1 des Militairgeſetzes angegebenen Endtermin nicht mit erlöſchen. Dieſe Grundlagen ſind folgende:

a) Die im Militairgeſetz §. 2 bis 4 angegebenen Kadres und deren Formationen bleiben beſtehen1)Siehe oben S. 79 fg..

b) Der Grundſatz der Reichsverfaſſung Art. 63 Abſ. 4: Der Kaiſer beſtimmt den Präſenzſtand der Kontingente des Reichsheeres gilt fort. Die Behauptung, daß dieſe Anordnung durch das Militairgeſetz §. 1 aufgehoben ſei, iſt eine ganz grundloſe. Dieſe Beſtimmung ſteht in der R.V. neben dem Art. 60, kann alſo mit ihr nicht im Widerſpruch ſich befinden; das Geſetz vom 9. Dezember 1871 und das Milit. -Geſetz §. 1 haben den im Art. 60 enthaltenen Satz prolongirt, haben ſich alſo ebenfalls nicht an Stelle der Regel des Art. 63 Abſ. 4, ſondern neben dieſe Regel geſetzt. Sie enthalten allerdings eine Einſchränkung derſelben, indem der Kaiſer die für jedes Jahr in das Heer einzuſtellenden Rekruten nach Maßgabe des Geſetzes zu beſtimmen hat2)Wehrgeſ. v. 1867 §. 9.; ſobald aber die Geltung des Militairgeſetzes erliſcht, hört eben nur dieſe Einſchränkung auf, aber nicht die im Art. 63 Abſ. 4 der R.V. ſanctionirte dauernde Regel.

c) Die allgemeine Wehrpflicht dauert in dem Umfange, den die[Reichsverfaſſung], das Wehrgeſetz und das Militairgeſetz normirt haben, fort; die Reichsangehörigen können alſo nach Vor - ſchrift dieſes Geſetzes zum Dienſt herangezogen werden ohne Rück - ſicht darauf, ob eine Präſenzſtärke des Heeres geſetzlich feſtgeſtellt iſt oder nicht.

d) Der im Art. 62 Abſ. 2 der R.V. enthaltene Grundſatz hat dauernde Geltung. Er lautet: Nach dem 31. Dezember 1871 müſſen dieſe Beiträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Reichskaſſe fortgezahlt werden. Zur Berechnung derſelben wird die im Art. 60 interimiſtiſch feſtgeſtellte Friedens-Präſenzſtärke ſo lange feſtgehalten, bis ſie durch ein Reichsgeſetz abgeändert iſt. Die Behauptung, daß dieſe Beſtimmung ihre Geltung verloren habe, ſeitdem an die Stelle des Pauſchquantums die jährliche Ver -93§. 83. Das ſtehende Heer.anſchlagung der Militairausgaben im Etatsgeſetz getreten1)Dies meint v. Rönne II. 1. S. 177, dem ſich Meyer a. a. O. S. 550 anſchließt., iſt gänzlich unbegründet. Ihre Haltloſigkeit ergiebt ſich ſofort, wenn man nur den folgenden Abſatz des Art. 62 hinzu lieſt: Die Verausgabung dieſer Summe für das geſammte Reichs - heer und deſſen Einrichtungen wird durch das Etatsgeſetz feſtgeſtellt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge ſteht demnach nicht in Zuſammenhang mit dem Pauſchquantum; das letztere iſt als eine vorübergehende Modifikation des Budgetrechts im Art. 71 Abſ. 2 aufgeführt; im Art. 62 dagegen ſteht das volle und uneingeſchränkte, regelmäßige Budgetrecht unmittelbar neben der Verpflichtung zur Zahlung der Militairbeiträge. Es iſt daher ganz unerfindlich, wie dieſe Verpflichtung im Widerſpruch mit der ordnungsmäßigen Feſtſtellung der Militairausgaben durch das Etatsgeſetz ſtehen oder durch die Beendigung der Pauſchquantum - Periode und das Eintreten der ordentlichen Ausgabe-Veranſchlagung in Wegfall gekommen ſein ſoll. Abſ. 3 handelt von der Feſtſtellung der Ausgaben für das Heer, Abſ. 2 betrifft die Sicherſtellung der Einnahmen. Die Einnahme-Quellen können durchaus un - abhängig ſein von der Ausgaben-Bewilligung. So gut die Er - träge der Zölle und Verbrauchs-Abgaben, der Poſt und der Reichs - eiſenbahn u. ſ. w. zur Reichskaſſe fließen, ohne alle Rückſicht, ob und wie über ihre Verwendung Beſtimmung getroffen worden iſt, ſo beſteht auch die Pflicht der Einzelſtaaten die im Art. 62 Abſ. 2 angegebenen Beiträge zur Reichskaſſe einzuzahlen, mag nun in Form des Pauſchquantums oder in Form des regelmäßigen Etats - geſetzes oder in beliebiger anderer Art die Verausgabung für das Heer feſtgeſtellt werden. Freilich tritt dieſe Anordnung formell nicht in Wirkſamkeit, wenn ein Etatsgeſetz zu Stande kommt; denn in dieſem Falle finden die geſammten Militair-Ausgaben durch den Etat ſelbſt und ſoweit erforderlich durch die Matrikularbeiträge ihre Deckung. Aber wenn ein Etatsgeſetz nicht vereinbar iſt, der Reichskanzler alſo die im Art. 70 der R.V. vorgeſehenen Matri - kularbeiträge nicht erheben darf, dann treten die Militairbeiträge des Art. 62 theilweiſe an die Stelle derſelben und das grade iſt der Zweck dieſer Anordnung.

94§. 83. Das ſtehende Heer.

Der Art. 62 der R.V. iſt hervorgegangen aus einem Amende - ment der Abgeordneten Herzog v. Ujeſt und v. Bennigſen, welches der Reichstag von 1867 erſt in der Schlußberathung des Verfaſſungs-Entwurfes angenommen hat und das einen Ausgleich zwiſchen den Anſprüchen der Regierung und denen der Reichstags - mehrheit darſtellte. Die Regierung forderte, daß die Friedens - präſenzſtärke dauernd feſtgeſtellt werde1)Entwurf zur Verf. Art. 58., und acceptirte eine in - terimiſtiſche Feſtſtellung derſelben nur unter der Bedingung, daß wenigſtens die Einnahmen der Bundeskaſſe, die zur Beſtreitung des für das Heer erforderlichen Aufwandes unerläßlich ſind, dauernd ſichergeſtellt werden2)In dieſem Sinne verſtanden alle Redner das Amendement Ujeſt, welche über daſſelbe das Wort nahmen. Vgl. Stenogr. Berichte des conſtit. Reichst. 1867 S. 716 ff. 723 ff. Vgl. ferner die Ausführungen des Abg. v. Bennigſen bei der Diskuſſion des §. 1 des Milit. -Geſetzes. (Stenogr. Berichte I Seſſ. 1874 S. 755.). Es wurde dadurch im Weſentlichen für den Nordd. Bund dieſelbe Grundlage gewahrt, die im Preußiſchen Staatsrecht anerkannt iſt, indem nach dem Art. 109 der Preuß. Verf. Urk. die Forterhebung der beſtehenden Steuern und Abgaben von der jährlichen Etatsfeſtſetzung unabhängig iſt. Die Preuß. Regierung war nicht Willens, dieſe verfaſſungsmäßig vorhandene Grundlage aufzuopfern und den Fortbeſtand der Preuß. Armee vom Jahre 1872 ab dem willkührlichen Gutbefinden einer Reichs - tagsmajorität anheimzugeben, und der Reichstag beſtand nicht auf einem ſolchen Verlangen, ſondern begnügte ſich mit der vollen Wahrung des Ausgabebewilligungsrechts unter Einſchiebung einer kurzen Pauſchquantum-Periode und dem Vorbehalte einer ſpäteren Vereinbarung über die dauernde Präſenzſtärke3)Die richtige Anſicht iſt vollkommen zutreffend und wohlbegründet dar - gelegt worden von Thudichum Verf. Recht des Nordd. Bundes S. 416 ff. und in v. Holtzend. Jahrb. I S. 41. Vgl. ferner meine Darſtellung des Reichsſinanzr. in Hirth’s Annalen 1873 S. 551. Die gegen dieſe Ausführung gerichtete Erörterung v. Rönne’s II, 1 S. 176 fg. zeichnet ſich nicht ſowohl durch Gründe, als durch das Bemühen aus, die deutlichen Vorſchriften der R.V. einfach bei Seite zu ſchieben..

Die Berechnung der von den Einzelſtaaten an die Reichs - kaſſe zu zahlenden Beiträge erfolgt nach der im Art. 60 interimiſtiſch feſtgeſtellten Friedens-Präſenzſtärke, bis ſie durch ein Reichsgeſetz95§. 83. Das ſtehende Heer.abgeändert iſt; tritt ein ſolcher Fall ein, ſo wird alsdann die in dem Reichsgeſetz ſei es nun wiederum interimiſtiſch oder ſei es für immer d. h. für unbeſtimmte Zeit feſtgeſetzte Friedens - Präſenzſtärke der Berechnung zu Grunde gelegt1)Die Behauptung Seydel’s Commentar S. 233, daß Art. 62 Abſ. 2 in Wegfall gekommen ſei durch das Geſ. v. 9. Dez. 1871 über die Friedens - präſenzſtärke für 1872 1874, beruht m. E. auf einem Interpretations-Fehler. Der in Rede ſtehende Abſ. 2 des Art. 62 beſteht aus 2 Sätzen; der erſte ſanc - tionirt die dauernde Pflicht der Einzelſtaaten zur Zahlung der Militair - beiträge, der zweite normirt die Berechnungsweiſe; die letztere ändert ſich, wenn die Friedenspräſenzſtärke geſetzlich abgeändert wird, die Pflicht ſelbſt nicht. Vgl. auch Fricker a. a. O. S. 176..

e) Der letzte Abſatz des Art. 62, wonach bei der Feſtſtellung des Militair-Ausgabe-Etats die auf Grundlage dieſer Verfaſſung geſetzlich feſtſtehende Organiſation des Reichsheeres zu Grunde gelegt werden ſoll, würde unanwendbar werden. Denn wenn die Friedenspräſenzſtärke geſetzlich nicht beſtimmt iſt, fehlt es an einer geſetzlichen Grundlage für die Veranſchlagung der Mili - tair-Ausgaben. Gelingt es nicht, zwiſchen dem Reichstage und der Reichsregierung hierüber eine Einigung zu erzielen, ſo wird die Vorſchrift im Art. 62 Abſ. 3, daß die Verausgabung der von den Einzelſtaaten gezahlten Beiträge durch das Etatsgeſetz feſtge - ſtellt werden ſoll, unausführbar; alle für das geſammte Reichsheer und deſſen Einrichtungen zu machenden Ausgaben würden alsdann auf Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erfolgen und ſtaatsrecht - lich wie außeretatsmäßige Ausgaben zu beurtheilen ſein2)Vgl. meine Darſtellung des Finanzrechts in Hirth’s Annalen 1873 S. 549 ff..

III. Die Territorial-Eintheilung.

Das Bundesgebiet wird in militairiſcher Hinſicht in Bezirke eingetheilt und zwar in ſiebzehn Armeekorps-Bezirke3)Dem Preußiſchen Gardekorps entſpricht kein Bezirk., welche wie - der in Diviſions - und Brigadebezirke und in Landwehr-Bataillons - und Landwehr-Kompagnie-Bezirke eingetheilt werden4)Mil. Geſ. §. 5.. Dieſe Eintheilung hat in dreifacher Beziehung juriſtiſche Bedeutung.

1. Sie liegt der Organiſation der Landwehr zu Grunde. Siehe den folgenden §. Da nun dieſe Organiſation96§. 83. Das ſtehende Heer.vom Kaiſer beſtimmt wird (Art. 63 der R.V.), ſo folgt daraus, daß der Kaiſer auch die Militair-Territorial-Eintheilung zu be - ſtimmen hat1)Motive zum Entwurf des Milit. Geſ. §. 5..

2. Sie bildet ferner die Grundlage für die Heeres-Er - gänzung2)Mil. Geſ. §. 5 Abſ. 3.; demgemäß lehnt ſich die Einrichtung der Erſatzbe - hörden an die Eintheilung des Reichsgebietes in Militairbezirke an und jeder Landwehr-Bataillons-Bezirk bildet entweder ungetheilt einen Aushebungsbezirk oder er zerfällt in mehrere Aushebungs - bezirke, für deren Abgränzung auf die entſprechenden Civil-Ver - waltungsbezirke Rückſicht zu nehmen iſt3)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 1 u. 2. Die Militairkonventionen ent - halten meiſtens die Zuſicherung, daß die Abgränzung und Abänderung der Aus - hebungsbezirke nur unter Mitwirkung der landesherrlichen Civilbehörden er - folgen werde. Heſſen Art. 10. Baden Art. 9. Oldenburg Art. 9. Thüringen Art. 5. Anhalt Art. 5. Schwarzburg Art. 5. Lippe Art. 5. Schaumburg Art. 4. Oder es iſt eine beſtimmte Abgränzung vereinbart; ſo in Lübeck Art. 8, Hamburg §. 11. Bremen §. 18.. In denjenigen Staaten, in welchen eine Kreiseintheilung beſteht, bildet in der Regel jeder Kreis einen Aushebungsbezirk; größere Kreiſe können zwar in mehrere Aushebungsbezirke getheilt werden, dies iſt aber nicht zu - läſſig hinſichtlich der Städte, welche einen eigenen Kreis bilden4)Wehrordn. I §. 1 Ziff. 5..

3. Die kommandirenden Generale ſind die Militair-Be - fehlshaber in den Armeekorps-Bezirken5)Milit. Geſ. §. 5 Abſ. 2.. Ihrem Befehle ſind daher auch die, zum Verbande eines andern Armeekorps gehören - den Truppentheile unterſtellt, wenn dieſelben in dem Armeekorps - Bezirk ihren Garniſonsort erhalten und ſie ſind befugt, gegen die Civilbehörden aller zu ihrem Armeekorps-Bezirk gehörenden Staaten alle diejenigen amtlichen Rechte zur Geltung zu bringen, welche im Militairbefehl enthalten ſind6)Das Militairgeſetz fügt rückſichtsvoll die Worte hinzu unbeſchadet der Souveränetätsrechte der einzelnen Bundesſtaaten. .

IV. Die Kriegsformation des Heeres.

Dieſelbe wird vom Kaiſer beſtimmt7)Mil. Geſ. §. 6.. Geſetzliche Vorſchriften darüber ſind nicht erlaſſen; die vom Kaiſer ergangenen Anordnungen97§. 83. Das ſtehende Heer.ſind in dem Mobilmachungs-Plan enthalten1)Für das Bayeriſche Kontingent iſt der Mobilmachungsplan zwar vom Könige zu erlaſſen, allein in voller Uebereinſtimmung mit den für das Bundes - heer beſtehenden Normen. Vertr. v. 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. III Abſ. 2.. Die weſentlichſten Unterſchiede der Kriegsformation des ſtehenden Heers von der Frie - densformation beſtehen in der größeren Kopfſtärke (Kriegsſtärke) der Kadres, in der Formirung von Erſatz-Truppenkörpern bei den Regi - mentern ꝛc. behufs Ausbildung von Rekruten und behufs Nachſen - dung ausgebildeter Rekruten zum Erſatz für die Abgänge bei den im Felde ſtehenden Truppen, ſodann in der Bildung gewiſſer, im Frieden entbehrlicher Formationen, insbeſondere Feldeiſenbahn - und Feld - telegraphie-Abtheilungen, Feldpoſt, Munitionsdepots, Etappenkom - mando’s, Lazarethe, Feld-Proviantämter u. ſ. w., und endlich in der Einſetzung von ſtellvertretenden Kommando - und Militairver - waltungs-Behörden2)Einen Ueberblick über die geſammte Kriegsformation gewährt das Reglement über die Bekleidung und Ausrüſtung der Armee im Kriege vom 8. Februar 1877, insbeſondere die Beilage Nro. 2 zu demſelben: Nachweiſung über die Sicherſtellung und Aufbewahrung des Kriegsbedarfs an Bekleidungs - und Ausrüſtungs-Stücken für ſämmtliche mobile und immobile Formationen. (Bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften III. Abth. 4. II. S. 39 ff.) Eine über - ſichtliche und ſehr anſchauliche Darſtellung der Kriegsformation des Deutſchen Heeres in den Jahresberichten f. Militairweſen I (1874) S. 73 ff.. Im Allgemeinen bleiben die taktiſchen Ver - bände der Friedensorganiſation auch im mobilen Zuſtande erhalten, insbeſondere die Eintheilung in Brigaden, Diviſionen und Armee - Korps. Jeder Infanterie-Diviſion wird aber ein Kavallerie-Regi - ment und eine Artillerie-Abtheilung zugetheilt; während die übrigen Kavallerie-Regimenter unter Beigabe von einer oder mehreren rei - tenden Batterien in Diviſionen oder ſelbſtſtändigen Brigaden formirt und den Armee-Korps (reſp. Armeen) überwieſen werden. Eigen - thümlich der Kriegsformation iſt die Bildung einer, unter dem unmittelbaren Befehle des kommandirenden Generals ſtehenden Korps-Artillerie , welche aus denjenigen Theilen der Feldartillerie zuſammengeſetzt wird, die nicht den Infanterie - und Kavallerie - Diviſionen einverleibt werden. Das Heer zerfällt in den mobilen und den nicht mobilen Theil; im mobilen Zuſtande befinden ſich die Feldtruppen nebſt den zu ihnen gehörenden Kommando - und Verwaltungsbehörden; dagegen ſind die Erſatztruppen und die Be - ſatzungstruppen, ſowie die ſtellvertretenden Kommando - und Ver -Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 798§. 84. Die Landwehr.waltungsbehörden nicht mobil. Der mobile Zuſtand beginnt mit dem Tage des Erlaſſes des Mobilmachungs-Befehls und hört mit dem Tage des Eintritts der Demobilmachung auf. Die in Folge der Kriegsformation eintretenden Stellenverleihungen1)Zu unterſcheiden von Beförderungen zu einer höheren Charge. und die mit ihnen verbundenen Rechte gelten nur für die Dauer des Kriegszuſtandes2)Reglement über die Geldverpflegung der Armee im Kriege v. 29. Aug. 1868 §. 15 (bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften III Abth. 2. II S. 4)..

§. 84. Die Landwehr.

I. Mit dem Kadreſyſtem hängt die Inſtitution der Landwehr enge zuſammen. Die in den Kadres des ſtehenden Heeres ausge - bildeten Mannſchaften bilden einen Vorrath, aus welchem im Falle eines Krieges die nothwendige Verſtärkung der Streitkräfte ent - nommen wird. Dies kann aber in doppelter Weiſe geſchehen; entweder durch Erhöhung des Präſenzſtandes der dem ſtehenden Heere angehörenden Kadres oder durch Formirung neuer Truppen - körper, die im Frieden nicht vorhanden ſind, ſondern deren Bil - dung nur vorbereitet iſt. Beide Arten der Verwendung haben in der Deutſchen Heeresverfaſſung Platz gefunden. Die jüngeren Jahrgänge der ausgebildeten und von den Fahnen bereits ent - laſſenen Mannſchaften werden im Falle der Kriegsbereitſchaft oder Mobilmachung in die Kadres des ſtehenden Heeres eingeſtellt und zur Erhöhung derſelben bis zur Kriegsſtärke verwendet; ſie werden als die Reſerve bezeichnet3)Wehrgeſ. §. 6.. Die Verpflichtung zum Dienſt im ſtehenden Heere umfaßt auch das Reſerveverhältniß mit; be - ſondere Reſerve-Kadre’s giebt es nicht4)Die Erſatztruppentheile haben, wie bereits erwähnt, eine völlig andere Bedeutung; ſie dienen vorzugsweiſe grade zur Aufnahme und Ausbildung von Rekruten.. Dagegen die älteren Jahrgänge der ausgebildeten wehrpflichtigen Mannſchaften werden, falls ihre Einberufung erfolgt, in der Regel in beſondere Trup - penkörper eingeſtellt5)Ueber den Unterſchied zwiſchen der Reſerve-Dienſtpflicht und der Land - wehr-Dienſtpflicht vgl. unten §. 88 V. . Dieſe älteren Jahrgänge heißen die Land -99§. 84. Die Landwehr.wehr ; die Verpflichtung zum Dienſt in derſelben dauert 5 Jahre nach abgeleiſteter Dienſtpflicht im ſtehenden Heere1)Wehrgeſ. §. 7..

Die Organiſation der Landwehr iſt nach Art. 63 Abſ. 4 der R.V. vom Kaiſer zu beſtimmen; in Bayern vom König von Bayern in Uebereinſtimmung mit den für das Bundesheer erlaſſenen Anordnungen. Dieſe Regelung iſt ergangen für das Preußiſche Heer und die unter Preuß. Verwaltung ſtehenden Kontingente durch die Heerordnung vom 28. Septemb. 1875, deren zweiter Theil als Landwehrordnung bezeichnet iſt2)Durch die Kabin. -Ordre vom 28. Sept. 1875 iſt die Verordn. be - treffend die Organiſation der Landwehrbehörden und die Dienſtverhältniſſe der Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes vom 5. Sept. 1867 aufgehoben worden; an ihre Stelle iſt die Landwehrordnung getreten.. Die Heerordnung iſt nach Vorſchrift des Art. 63 Abſ. 5 der R.V. (ſiehe oben S. 22 fg. ) auch in Sachſen und Württemberg in Kraft getreten. Für das Baye - riſche Heer iſt eine übereinſtimmende Heerordnung vom König von Bayern am 20. Dezember 1875 erlaſſen worden3)Vgl. Militairgeſetze Bd. I Abth. II S. 2..

Für die Organiſation der Landwehr giebt es aber gewiſſe geſetzliche Grundlagen, welche für die Anordnungen des Kaiſers maßgebend ſind. Dieſelben beſtehen in folgenden zwei Sätzen:

1. Für die Landwehr-Infanterie gilt die Regel unbedingt, daß ſie in beſonderen Truppenkörpern formirt und zur Vertheidigung des Vaterlandes als Reſerve für das ſtehende Heer verwandt wird4)Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 2.. Für die Mannſchaften der Landwehr-Kaval - lerie iſt zwar prinzipiell derſelbe Grundſatz in Kraft, jedoch mit der Einſchränkung, daß die Formirung in beſondere Truppenkörper nach Maßgabe des Bedarfs erfolgt5)Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 4.. Für die Landwehrmann - ſchaften der übrigen Waffen iſt die Regel ausgeſchloſſen; ſie werden bei eintretender Kriegsgefahr nach Maßgabe des Bedarfs zu den Fahnen des ſtehenden Heeres einberufen. Hieraus ergiebt ſich, daß nicht allen Kadres des ſtehenden Heeres auch Landwehr-Kadres entſprechen und daß die regelmäßige Organiſation der Land - wehr eine Organiſation der Landwehr-Infanterie iſt.

2. Die Militair-Territorial-Eintheilung iſt die Grundlage für7*100§. 84. Die Landwehr.die Organiſation der Landwehr1)Militairgeſetz §. 5 Abſ. 3.. Die Landwehr-Truppenkörper müſſen daher beſtimmten Bezirken entſprechen, welche als Land - wehr-Bataillons - und Landwehr-Kompagnie-Bezirke bezeichnet wer - den. Da dieſe zugleich die Aushebungsbezirke beſtimmter Forma - tionen des ſtehenden Heeres (Brigaden und Regimenter) ſind, ſo ergiebt ſich hieraus eine große Congruenz zwiſchen der Organiſation des ſtehenden Heeres und der Landwehr. Durch den Wohnſitz des Wehrpflichtigen beſtimmt ſich zunächſt der Ort ſeiner Geſtellung, ferner das Infanterie-Regiment, bei welchem er ſeine Dienſtpflicht im ſtehenden Heer zu erfüllen hat, und endlich das Landwehr - Bataillon, zu welchem er nach Beendigung dieſer Dienſtpflicht ge - hört2)Eine Ausnahme machen die 9 Preußiſchen Garde-Landwehr-Regimenter (18 Bataillone), welche keine provinzielle Zuſammengehörigkeit und territoriale Erſatzbezirke haben. Ihre Organiſation iſt geregelt durch die Kabinets - Ordre vom 1. März 1872 (A. V.Bl. S. 82), das dazu ergangene Miniſt. - Reſcr. vom 16. Juli 1872 (A. V.Bl. S. 256) und die Kab. -Ordre vom 1. Januar 1873 (A. V.Bl. S. 7).. Es iſt hierdurch einerſeits eine Beziehung der Truppen - körper zu gewiſſen Landſchaften hergeſtellt, die auch in ihren Be - zeichnungen Ausdruck gefunden hat, und andererſeits eine Verbin - dung der Linien-Regimenter und Landwehr-Regimenter untereinan - der geſichert, indem im Allgemeinen3)d. h. von den durch den Wechſel des Wohnſitzes hervorgerufenen Ab - weichungen abgeſehen. ſämmtliche Mannſchaften eines Landwehrbataillons bei einem und demſelben Linien-Regiment ihre militairiſche Ausbildung erhalten haben.

II. Die Friedens-Organiſation der Landwehr-Behör - den iſt durch die angegebenen Grundſätze beſtimmt; es gelten für dieſelbe folgende Regeln.

1. Das ganze Bundesgebiet zerfällt in Landwehr-Batail - lonsbezirke. Die Eintheilung iſt vom Kaiſer (reſp. dem Könige von Bayern) zu beſtimmen; ſie iſt in der Anlage 1 zur Wehrord - nung I. Theil (Erſatz-Ordnung) feſtgeſtellt4)Es entfallen auf das Gebiet der Preußiſchen Militairverwaltung 209, auf Sachſen 17, auf Württemberg 17, auf Bayern 32 Landwehr - Bezirkskommandos.. Jedem Infanterie - Regiment entſprechen in der Regel zwei Landwehr-Bataillons -101§. 84. Die Landwehr.bezirke1)Da in jedes Linien-Infanterie-Bataillon jährlich 190 Rekruten einge - ſtellt werden und ebenſoviele ausgebildete Soldaten zur Entlaſſung kommen, ſo macht dies für die fünf Landwehr-Dienſtjahre 950 Mann, wovon 25 % als Abgang zu ſubtrahiren ſind; es bleiben alſo pro Bataillon circa 700 Mann oder pro Regiment à 3 Bataillone 2100 M., womit 2 Landwehrbataillone in der Kriegsſtärke von 1000 Mann formirt werden können. Die Reſerve-Land - wehrbataillone , deren Bezirke die großen Städte ſind, entſprechen in der Regel je einem Regimente. Es ſind die Landwehr-Bataillone 33 40, 73, 80, 86, 97 99, 108, 127. Ausnahmsweiſe werden in einzelnen Bezirken bereits im Frieden Landwehr-Regiments-Stäbe formirt.. Jedem dieſer Bezirke iſt ein Stabsoffizier als Land - wehr-Bezirkskommandeur vorgeſetzt, welchem zur Unter - ſtützung in den Büreaugeſchäften ein Bezirksadjutant beigegeben iſt. Die letzteren ſind Lieutenants des aktiven Dienſtſtandes, die auf 2 3 Jahre kommandirt werden; die Regelung dieſer Kom - mando’s liegt den Generalkommando’s ob. Ausnahmsweiſe wird einzelnen Bezirkskommando’s ein Militairarzt und ein Zahlmeiſter zur ſtändigen Unterſtützung beigegeben. Das Unterperſonal der Bezirkskommando’s beſteht aus einem Bezirksfeldwebel für jeden Landwehr-Kompagniebezirk, ferner Sergeanten, Unteroffizieren und Gefreiten, und befindet ſich entweder im Stabsquartiere oder in den Stationsorten der Kompagnie. Die Zutheilung dieſes Per - ſonals erfolgt in der Regel durch den Brigade-Kommandeur2)Die näheren Anordnungen ſiehe im §. 2 der Landw. -Ordn.. Dieſe Perſonen ſind Militairperſonen des aktiven Dienſtſtandes und das Unterperſonal iſt auf die geſetzliche Friedenspräſenzziffer des ſtehenden Heeres mit einzurechnen3)Nach dem Etat pro 1879 / 80 beträgt der geſammte Beſtand an Mann - ſchaften aller Landwehrbezirkskommandos (inclus. Bayern) 4622 Mann..

Für die Landwehr-Kompagniebezirke können Landwehr-Kom - pagnieführer aus der Zahl der Hauptleute oder älteren Lieutenants der Provinzial-Landwehr-Infanterie ernannt werden4)Der Militair-Etat für 1879 / 80 Kap. 24 Tit. 8 bringt für das Preuß. Heer und die in Preuß. Verwaltung übernommenen Kontingente 883 Land - wehr-Kompagnieführer mit je 360 M. Dienſtzulage in Anſatz.; ſie dienen innerhalb ihrer Kompagnie-Bezirke zur Unterſtützung der Bezirks - kommandeure; jedenfalls halten ſie die Kontrolverſammlungen in ihren Kompagniebezirken ab; inwieweit ſie außerdem zum Dienſt in ihren Kompagniebezirken heranzuziehen ſind, beſtimmen die Be - zirkskommandeure5)Landwehr-Ordn. §. 2 Ziff. 3..

102§. 84. Die Landwehr.

2. Den Landwehr-Bezirkskommandeuren liegt die Kontrole der Perſonen des Beurlaubtenſtandes, insbeſondere die Führung der Liſten1)Die Liſten über die Offiziere, Militairärzte und oberen Militairbe - amten des Beurlaubtenſtandes heißen Rangliſten; die Liſten über die Mannſchaften der Reſerve und Landwehr und über die zur Dispoſition der Truppentheile beurlaubten Mannſchaften heißen Landwehr-Stamm - rollen; die Liſten über die übrigen zum Beurlaubtenſtande gehörigen Mann - ſchaften und über die Erſatzreſerviſten erſter Klaſſe heißen Kontrolliſten; außerdem werden zur Aufrechterhaltung und Ueberſicht und zur Erleichterung der Einberufung Auszüge aus dieſen 3 Liſten geführt, welche Hülfsliſten heißen. Die näheren Anordnungen über die Liſtenführung ſind enthalten in der Landwehr-Ordn. §§. 3 ff. und die Anordnung der Kontrolverſammlungen ob2)Landw. Ordn. §. 17.; ferner die Vorbereitung aller zur Formirung der Landwehrbatail - lone erforderlichen Maßregeln. Wenn Perſonen des Beurlaubten - ſtandes zum aktiven Dienſt einberufen werden, ſo erhalten ſie die Ordre von Seiten des Landwehrbezirkskommandos; dem letzteren ſind daher alle Deſignationen für den Mobilmachungsfall und deren Veränderungen mitzutheilen und es ſind von ihm, ſoweit dies von den Generalkommandos vorgeſchrieben iſt, die Geſtellungsordres bereits im Voraus auszufüllen. Die Einberufenen werden in der Regel in den Stabsquartieren der Landwehrbataillone geſammelt und in Transporte formirt, ſoweit nicht nach Anordnung der Generalkommandos gewiſſe Kategorien direkt bei den Truppen - theilen eingeſtellt werden3)Landw. Ordn. §. 19..

3. Die Eintheilung in Landwehr-Bataillonsbezirke iſt eine vollſtändige, alle Landwehrpflichtige umfaſſende. Auch die bei der Garde, bei der Kavallerie und bei den andern ſpeziellen Waffen ausgebildeten Mannſchaften gehören nach Beendigung ihrer Dienſt - zeit im ſtehenden Heer zu dem Landwehr-Bataillonsbezirk ihres dauernden Aufenthalts und ſtehen unter der Kontrole des Bezirks - Kommandeurs. Deſſenungeachtet werden ſie im Falle der Einbe - rufung zum aktiven Dienſt derjenigen Waffe zugetheilt, bei der ſie ausgebildet worden ſind. Demgemäß werden für jede dieſer Kate - gorien die Rangliſten und die Landwehr-Stammrollen beſonders angelegt und fortgeführt4)Vgl. Landw. O. §. 4 und §. 7. Hiernach zerfallen die Landwehr -.

103§. 85. Der Landſturm.

4. Die Landwehr-Bezirkskommandos ſtehen unter der Leitung des Infanterie-Brigadekommandos; die letzteren ſind in allen An - gelegenheiten der militairiſchen Kontrole den Generalkommandos direkt unterſtellt, inſoweit nicht ausnahmsweiſe die Mitwirkung der Diviſionskommandos beſonders vorgeſchrieben iſt. Nur im Großherz. Heſſen tritt in dieſen Beziehungen an Stelle des Generalkommandos das Diviſionskommando1)Landw. O. §. 1.. Zu generellen Erlaſſen über die Ge - ſchäftsführung der Landwehr-Bezirkskommandos ſind nur die Gene - ralkommandos befugt2)Landw. O. §. 3 Ziff. 8..

III. Die Kriegs-Organiſation der Landwehr iſt vom Kaiſer anzuordnen. Der Mobilmachungs-Plan enthält die erfor - derlichen Beſtimmungen, ſoweit dieſelben nicht nach der Natur der Sache im concreten Falle erſt getroffen werden müſſen. Von Wichtigkeit iſt auch hier der Satz, daß beſondere Truppenkörper nur für die Landwehr-Infanterie und nach Maßgabe des Bedarfs für die Landwehr-Kavallerie, nicht für die übrigen Waffengattungen formirt werden. Mit der Friedensorganiſation ſtimmt die Kriegs - formation der Landwehr inſofern nicht überein, als aus den Ba - taillonsbezirken nicht blos Provinzial-Infanterie-Regimenter, ſon - dern auch die Garde-Landwehr-Regimenter, die Landwehr-Kavallerie - Regimenter, Landwehr-Jäger-Bataillone, ſowie die Verſtärkungen der Feld-Artillerie, Fußartillerie, Pioniere, Eiſenbahntruppen und Trains u. ſ. w. entnommen werden.

§. 85. Der Landſturm.

Während das ſtehende Heer und die Landwehr unter dem gemeinſamen Namen das Heer zuſammengefaßt werden, bildet der Landſturm einen Gegenſatz zum Heer. Er umfaßt diejenigen Wehrpflichtigen vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebens - jahre, welche weder dem Heere noch der Marine angehören3)Wehrgeſ. §. 3. Vgl. über die Landſturmpflicht unten §. 88. VII. . 4)Stammrollen in 12 Verzeichniſſe, nämlich I. Garde. II. Provinz. -Infanterie. III. Provinz. -Jäger. IV. Provinz. -Kavallerie. V. Provinz. -Feldartillerie. VI. Provinz. -Fußartillerie. VII. Provinz. -Pioniere. VIII. Eiſenbahntruppen. IX. Provinz. -Train. X. Sanitäts-Perſonal. XI. Veterinär-Perſonal. XII. Son - ſtige Mannſchaften.104§. 86. Die Militair-Verwaltung.Dieſe Wehrpflichtigen bilden einen weiteren Reſerve-Vorrath an Mannſchaften, der erſt dann in Anſpruch genommen werden ſoll, wenn die Landwehr nicht ausreichend zur Landesvertheidigung er - ſcheint. Der Landſturm tritt nur auf Befehl des Bundesfeld - herrn zuſammen, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Bundes - gebietes bedroht oder überzieht 1)Wehrgeſ. §. 16.. Der Landſturm iſt aber kein ungeregeltes Maſſenaufgebot, ſondern ein organiſirter Beſtandtheil der bewaffneten Macht, der als ſolcher erkennbar gemacht und den Militairgeſetzen und der Disciplinarordnung unterworfen iſt2)Landſturm-Geſ. §. 4 u. §. 5 Abſ. 1.. Man kann ihn als eine Landwehr zweiten Aufgebotes charakteriſiren. An einer Friedens-Organiſation deſſelben fehlt es gänzlich; die Kriegs-Organiſation wird vom Kaiſer beſtimmt3)Milit. Geſ. §. 6.. Die kaiſer - liche Verordnung, durch welche das Aufgebot des Landſturmes er - folgt, hat zugleich feſtzuſetzen, in welchem Umfang dies geſchieht4)Landſt. Geſ. §. 2.. Der Umfang kann theils in territorialer Beziehung theils mit Rückſicht auf gewiſſe Jahrgänge beſchränkt ſein5)Motive zum Landſt. Geſ. (Druckſ. des Reichst. 1874. II Seſſ. Nro. 14.). Für die Kriegs - organiſation des Landſturms giebt es keine geſetzliche Anord - nung mit alleiniger Ausnahme der Vorſchrift, daß der Landſturm in der Regel in beſondere Abtheilungen formirt wird 6)Landſt. Geſ. §. 5 Abſ. 1.. In Fällen außerordentlichen Bedarfs können die Mannſchaften des auf - gebotenen Landſturms aber auch zur Ergänzung der Landwehr verwendet werden7)ebendaſ. Abſ. 2. und hieraus folgt rückſichtlich derjenigen Waffen - gattungen, für welche auch für die Landwehr die Formirung be - ſonderer Truppenkörper unterbleibt, daß die Landſturmpflichtigen ſogar auch in die Kadres des ſtehenden Heeres eingereiht werden können.

§. 86. Die Militair-Verwaltung.

I. Es giebt keine Reichs-Armeeverwaltung, ſondern nur vier Kontingents-Verwaltungen, welche formell von den Einzelſtaaten geführt werden, materiell gemäß den in den §§. 77 82 entwickel -105§. 86. Die Militair-Verwaltung.ten Grundſätzen durch die Anordnungen des Reiches gebunden ſind. Hinſichtlich der eigentlichen Reichsverwaltung bleiben nur folgende Punkte zu erwähnen:

1. Dem Reiche ſteht nach Art. 4 der R.V. die Beaufſich - tigung des Militairweſens aller Bundesſtaaten zu1)Die Wortfaſſung iſt wie an zahlreichen Stellen der R.V. ſo auch hier mißglückt; wörtlich ſagt der Art. 4: Der Beaufſichtigung Seitens des Reichs .... unterliegen 14) das Militairweſen des Reichs und die Kriegsmarine. Das wäre alſo eine Selbſtbeaufſichtigung! Es wäre genügend, wenn Ziff. 14 lautete: das Militairweſen.. Ueber dieſe Funktion gelten die Bd. II §. 69, insbeſondere S. 232 ff., erörterten Rechtsſätze. Die Ausübung dieſer Thätigkeit liegt dem Reichskanzler ob; für dieſelbe kann ein Spezial-Stellvertreter nicht ernannt werden, da das Militairweſen nicht zu denjenigen Amtszweigen gehört, welche ſich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches befinden2)Reichsgeſ. v. 17. März 1878 §. 2 (R. G.Bl. S. 7). Ein Kriegsmini - ſterium des Reiches exiſtirt nicht. Vgl. Joël in Hirth’s Annalen 1878 S. 786..

2. Für die Herſtellung übereinſtimmender Verwaltungsnormen und zur Ausgleichung hervorgetretener Verſchiedenheiten oder Mängel beſteht beim Bundesrath der Ausſchuß für das Land - heer und die Feſtungen, in welchem alle 4 Staaten mit eigener Kontingentsverwaltung vertreten ſind3)R.V. Art. 8. Vgl. Bd. I §. 31, insbeſ. S. 287.. Dieſem Ausſchuß liegt verfaſſungsmäßig4)R.V. Art. 63 Abſ. 5. die Vermittelung der dienſtlichen Bezieh - ungen zwiſchen der Preußiſchen Kontingentsverwaltung und den übrigen Kontingentsverwaltungen ob5)Bei den einzelnen Lehren ſind die dem Bundesrathe reſp. dem in Rede ſtehenden Bundesraths-Ausſchuſſe obliegenden Thätigkeiten dargeſtellt worden..

3. Diejenigen Geſchäfte, welche ihrer Natur nach einheitlich für die ganze deutſche Armee oder wenigſtens für die ganze Armee mit Ausnahme des Bayeriſchen Kontingents erledigt werden müſſen, werden von den betreffenden Centralſtellen der Preußiſchen Kontin - gentsverwaltung, insbeſondere vom Preuß. Kriegsminiſterium und dem Generalſtab der Armee, wahrgenommen. Eine Theilnahme an den gemeinſchaftlichen Heereseinrichtungen, namentlich an den höheren Militair-Bildungsanſtalten, Examinationskommiſſionen, den militairwiſſenſchaftlichen und techniſchen Inſtituten u. ſ. w. hat106§. 86. Die Militair-Verwaltung.Preußen durch Militair-Konvent. nicht nur den in die Preußiſche Verwaltung aufgenommenen Kontingenten, ſondern auch Sachſen und Württemberg zugeſichert1)Sächſ. Milit. Konv. Art. 3. Württemb. Art. 12. Für Bayern vgl. Schlußprotok. vom 23. Novemb. 1870 §. 4 Abſ. 2..

4. Die Verwaltungen der Einzelſtaaten, mit Ausnahme Bayerns, unterliegen der Rechnungskontrole Seitens des Rechnungshofes des Deutſchen Reiches. Siehe oben S. 58.

II. Innerhalb jeder der 4 Kontingentsverwaltungen iſt die Centralbehörde das Kriegsminiſterium.

A. Das Preußiſche Kriegsminiſterium2)Die Verfaſſung des Preuß. Kriegsminiſteriums beruht auf dem Publik. v. 18. Febr. 1809. In demſelben wird der Geſchäftskreis der Behörde dahin beſtimmt, daß zu demſelben Alles gehört, was auf das Militair, deſſen Ver - faſſung, Einrichtung, Erhaltung und den von ihm zu machenden Gebrauch, Bezug hat. Die Kab. Ordre v. 1. Juni 1867 und v. 16. Sept. 1871 beſtimmt diejenigen Gegenſtände, zu deren ſelbſtſtändiger Erledigung der Kriegs - miniſter befugt iſt. beſteht zur Zeit aus ſieben Abtheilungen oder Departements3)Die folgende Darſtellung beruht auf dem bei v. Helldorff Dienſt - vorſchriften der Kgl. Preuß. Armee Bd. II Abth. 4 zuſammengeſtellten Mate - rial. Vgl. auch Frölich Die Verwaltung des Deutſchen Heeres. 4. Aufl. 1875. I S. 21 fg. und das Militair-Wochenblatt pro 1873 Nro. 79..

1. Die Central-Abtheilung; dieſelbe iſt das eigentliche Bureau des Kriegsminiſters; ſie hat deshalb die Bearbeitung der - jenigen Angelegenheiten, welche der perſönlichen Entſcheidung des Kriegsminiſters unterliegen; ferner die Perſonalien der Mitglieder und Beamten des Kriegsminiſteriums, ſowie der Intendanturen.

2. Das Allgemeine Kriegs-Departement. Dem - ſelben liegen nach dem Publik. v. 18. Febr. 1809 alle auf die Verfaſſung der Armee und das Kommando Bezug habenden Ge - ſchäfte ob. Es zerfällt in 5 (Unter -) Abtheilungen.

a) Die Armee-Abtheilung A4)Die Abtheilungen A und B bildeten früher zuſammen die I. Armee - Abtheilung und wurden als vollſtändig ſelbſtſtändige Abtheil. durch V. v. 29. Nov. 1866 conſtituirt. Die Geſchäftsvertheilung beruht auf dem Reſcr. v. 18. Dezemb. 1871. (A. V.Bl. S. 342.) umfaßt die Organiſations-For - mations-Mobilmachungs-Landwehr-Angelegenheiten; die Rekruti - rung, Uebungen, Dislokationen und die militair-politiſchen Ange - legenheiten.

107§. 86. Die Militair-Verwaltung.

b) Die Armee-Abtheilung B bearbeitet das Militair-Erzieh - ungs - und Bildungsweſen, die Angelegenheiten des Generalſtabes, die milden Stiftungen, Begräbniß - und Kriegervereine, Militair - Kirchenweſen, Militair-Juſtiz-Angelegenheiten, Steuerſachen, Marſch - und Etappenſachen, ſtatiſtiſche und literariſche Angelegenheiten, Militairmuſik u. a.

c) Die Abtheilung für die Artillerie-Angelegenheiten ſorgt für die Ausrüſtung der Armee und befeſtigten Plätze mit Waffen, Artillerie-Material und Munition, für die Aufbewahrung, Fabri - kation, Reparatur dieſes Materials, ſie leitet die Verſuche über Waffenwirkung, ſie inſpizirt die Gewehrfabriken ſowie die Fuß - Artillerie-Brigaden in Bezug auf die Verwaltung der ihnen unter - gebenen Artillerie-Depots.

d) Die techniſche Abtheilung für Artillerie-Angelegenheiten1)Sie iſt auf Grund der Kab. Ordre vom 5. Nov. 1867 (A. V.Bl. S. 141) eingerichtet worden. Ihr Wirkungskreis iſt normirt durch Verordnung vom 26. Nov. 1874. (Frölich a. a. O. I Ergänzungsheft S. 2.). Von ihr reſſortiren die Artillerie-Werkſtätten, die Geſchütz-Gießerei und das Feuerwerks-Laboratorium zu Spandau, die Pulverfabriken, die Geſchoßfabrik bei Siegburg.

e) Die Abtheilung für die Ingenieur-Angelegenheiten bear - beitet alle, die feſten Plätze des Landes in fortifikatoriſcher Be - ziehung betreffenden Angelegenheiten, die Feſtungs-Bauſachen, die Verwaltung der Feſtungs-Grundſtücke, die Angelegenheiten des Pionier-Korps und des Pontontrains, die Anlage von Chauſſeen und Eiſenbahnen, welche das Militair-Reſſort berühren.

3. Die Abtheilung für die perſönlichen Ange - legenheiten. Ihr liegt ob die Bearbeitung der Offizier - Perſonalien und aller den Offizier-Erſatz betreffenden Angelegen - heiten. Von ihr reſſortirt die Geheime Kriegskanzlei 2)Dagegen gehören die Kommando-Angelegenheiten, die gerichtlichen An - gelegenheiten und die Gnadenſachen zum Reſſort des Militair-Kabinets , deſſen Stellung zum Kriegsminiſterium juriſtiſch ſehr unbeſtimmt und ſchwan - kend iſt..

4. Das Militair-Oekonomie-Departement. Das Publik. vom 18. Febr. 1809 beſtimmt: Dieſem Departement ſind alle, die Militair-Oekonomie angehenden Sachen als adminiſtriren - der und ausübender Behörde unterworfen. Sie hat gleichfalls108§. 86. Die Militair-Verwaltung.ihren eigenen Chef und zerfällt in vier Diviſionen. Die Geſchäfts - vertheilung unter die letzteren iſt neugeordnet worden durch die Verordn. vom 27. Okt. 1868 und 11. Nov. 1872; ſie ergiebt ſich im Allgemeinen aus der Bezeichnung der vier Abtheilungen, nämlich

  • a) Abtheilung für das Etats - und Kaſſen-Weſen.
  • b) Abth. f. die Natural-Verpflegungs-Angelegenheiten.
  • c) Abth. f. die Bekleidungs -, Geldverpflegungs -, Reiſe - und Vorſpann-Angelegenheiten.
  • d) Abth. f. das Servis-Weſen
    1)Dieſer Abth. ſind auch zugewieſen die Garniſonverwaltungen in ſäch - licher und perſoneller Beziehung, die Unterhaltung der Uebungsplätze, Garniſon - Kirchen und Begräbnißplätze, ſowie die Flur-Entſchädigungen.
    1).

5. Das Departement für das Invaliden-Weſen. Daſſelbe zerfällt in zwei Abtheilungen, deren Geſchäftskreiſe durch Verf. vom 18. Dezemb. 1871, 30. Juni 1873 (A. V.Bl. S. 202) und vom 11. Dezemb. 1873 (A. V.Bl. S. 273) abgegränzt wor - den ſind.

6. Die Abtheilung für das Remonteweſen. Ihr liegt die Bearbeitung der auf die Remontirung der Armee Bezug haben - den Angelegenheiten, ſowie die Aufſicht über die Verwaltung der Remonte-Depots ob; ihr ſind die Remonte-Ankaufs-Kommiſſionen unterſtellt.

7. Die Militair-Medizinal-Abtheilung2)Ihre Einrichtung iſt erfolgt auf Grund der Kab. Ordres vom 2. Juli und 24. Sept. 1868. Vgl. Bekanntm. vom 28. Sept. 1868 im A. V.Bl. S. 197 und Kab. Ordre vom 8. Juli 1869 A. V.Bl. S. 150.. Ihr ſind übertragen: die Wahrnehmung der Militair-Hygiene, die Sani - tätspolizei und die Sanitätsſtatiſtik der Armee, die techniſche Super - arbitrirung der Erſatz-Aushebungs - und Invaliden-Sachen, das geſammte Friedens - Feld - und Belagerungs-Lazareth-Weſen, die Angelegenheiten des Sanitätskorps, der militairärztlichen Bildungs - anſtalten u. ſ. w., jedoch mit der Maßgabe, daß alle von dieſer Abtheilung ausgehenden Anordnungen, welche die Verhältniſſe der Truppen reſp. deren Oekonomie berühren, der Mitwirkung des Allgem. Kriegs-Departements reſp. Militair-Oekonomie-Departe - ments unterliegen3)Die rein militairiſchen Angelegenheiten des Sanitätskorps und die Train-Angelegenheiten der Feld-Lazarethe gehören zum Reſſort des Allgem. Kriegs-Departements unter entſprechender Mitwirkung der Mediz. -Abth..

109§. 86. Die Militair-Verwaltung.

8. Dem Kriegsminiſter ſind ferner unterſtellt:

a) Die Militair-Oberexaminations-Kommiſ - ſion1)V. v. 28. Nov. 1872 (A. V.Bl. S. 351).; ihr liegt die Abhaltung ſämmtlicher Prüfungen zum Por - tepeefähnrich und Offizier ob; ferner hält ſie die Eintritts-Prüfun - gen der Schüler der Prima des Kadettenhauſes zu Berlin ab.

b) Das Direktorium des Potsdam’ſchen großen Militair - Waiſenhauſes.

c) Die General-Militair-Kaſſe2)Dieſelbe iſt zugleich Korps-Zahlungs-Stelle für das Garde - und das 3. Armeekorps ſowie für die Marine.; ſie reſſortirt von dem Oekonomie-Departement; ſie verwaltet die reſervirten Fonds und empfängt die Quartal - und Final-Extrakte der Korps-Zah - lungsſtellen, nach welchen die General-Buchhalterei die Haupt - Ueberſichten fertigt. Sie verwaltet zugleich die Militair-Wittwen - Kaſſe und die Militair-Penſionskaſſe.

B. Das Sächſiſche Kriegsminiſterium beſteht aus fünf Abtheilungen , welche in Wirklichkeit aber nur Dezernate ſind, nämlich für Juſtiz-Angelegenheiten, für juriſtiſche Verwaltungs - Angelegenheiten, für Commando-Angelegenheiten, für techniſche An - gelegenheiten und die Intendantur. Außerdem ſind dem Kriegs - miniſterium aggregirt der Commandeur des Kadettenkorps zu Dresden und der Remonte-Inſpekteur.

C. Das Württembergiſche Kriegsminiſterium iſt nach dem Jahre 1871 nach Preuß. Muſter reorganiſirt worden; es beſteht aus 4 Abtheilungen, dem Centralbüreau mit der Kanzlei, der Militair-Abtheilung, der Oekonomie-Abtheilung und der Juſtiz - Abtheilung (Ober-Kriegs-Gericht)3)Vgl. die Erl. v. 28. u. 30. März 1874 im Württemb. Milit. V. Bl. S. 51.. Von demſelben reſſortiren die Oberbau-Deputation, das Kriegs-Zahlamt, das Militair-Reviſions - Gericht und der Ober-Rekrutirungsrath4)Der Ob. Rekrut. Rath reſſortirt zugleich vom Miniſt. des Innern..

D. Das Bayeriſche Kriegsminiſterium iſt durch Kgl. Erlaß vom 2. März 1876 organiſirt worden5)Verordn. Blatt des Bayr. Kriegs-Miniſt. 1876 S. 181 ff.. Es beſteht aus 7 Abtheilungen unter je einem Chef, nämlich:

  • 1. Central-Abtheilung. (Betrieb des formellen Dienſtes, innere110§. 86. Die Militair-Verwaltung.Verwaltung des Kriegsminiſteriums, Perſonal-Angelegen - heiten der Sekretariats-Branche.)
  • 2. Abtheilung für perſönliche Angelegenheiten. Dieſe Ab - theilung dient zugleich als ſpezielles Büreau des Miniſters und bearbeitet diejenigen Angelegenheiten, deren definitive Erledigung er ſich ſelbſt vorbehält.
  • 3. Abtheilung für allgemeine Armee-Angelegenheiten. (Organi - ſation, Formation, Mobilmachung, allgemeine Dienſtver - hältniſſe, Dislokationen, Angelegenheiten des Generalſtabs, Bauſachen, Militair-Bildungs - und Erziehungsweſen, Er - ſatz - und Landwehr-Angelegenheiten, allgemeine Disciplin, Dienſtauszeichnungen, Polizei, Statiſtik u. ſ. w.)
  • 4. Militair-Oekonomie-Abtheilung. Dieſelbe zerfällt in vier Sektionen mit beſonderen Vorſtänden aber unter einem ge - meinſamen Abtheilungschef, für Etats - und Kaſſenweſen (Geldverpflegung), für Naturalverpflegung, für Bekleidung, Ausrüſtung und Bewaffnung, und für Servisweſen.
  • 5. Abtheilung für das Invaliden-Weſen.
  • 6. Militair-Medizinal-Abtheilung, deren Vorſtand den Titel Generalſtabsarzt der Armee führt.
  • 7. Juſtitiar.

III. An der Spitze eines jeden Armeekorps ſteht das Ge - neral-Kommando, welchem nicht blos die Handhabung des militairiſchen Oberbefehls, ſondern auch die Leitung der Armeever - waltung für das betreffende Korps (Armeekorps-Bezirk, Provinz) übertragen iſt, und das in dieſer Beziehung dem Kriegsmi - niſterium untergeordnet iſt. Die Generalkommando’s ſind oberſte Provinzialbehörden, welche auf derſelben Linie wie die Oberprä - ſidien ſtehen. Nach der Inſtruktion über die Geſchäfts - führung bei den Truppen v. 12. Juli 18281)v. Helldorff a. a. O. S. 15. ſind die Ge - ſchäfte bei den Generalkommando’s in vier Sectionen zu bearbeiten, 1. Generalſtab, 2. Adjudantur, 3. Auditoriat, 4. Intendantur und General-Arzt. Das in der angef. Inſtruktion enthaltene Tableau enthält die Geſchäftsvertheilung. Durch Kab. Ordre v. 28. Ja - nuar 18692)v. Helldorff a. a. O. S. 17. ſind diejenigen Verwaltungs-Angelegenheiten feſt -111§. 86. Die Militair-Verwaltung.geſtellt worden, über welche die General-Kommando’s endgültige Entſcheidungen zu treffen haben; eine Erweiterung hat dieſe Kom - petenz noch erhalten durch die Kab. Ordre v. 16. Sept. 1871 Ziff. V1)v. Helldorff a. a. O. S. 21. Vgl. auch die zuſammenfaſſende Dar - ſtellung in v. Löbell’s Jahresberichten f. Militairweſen I S. 78..

IV. Die mit der wirthſchaftlichen Armee-Verwal - tung betrauten Behörden ſind die Militair-Intendanturen; ſie ſind in Folge der Kab. Ordre v. 1. Nov. 1820 an Stelle der Ober-Kriegs-Kommiſſare getreten und haben die obere Verwaltung und Aufſicht über alle Zweige der Militair-Oekonomie des betref - fenden Armeekorps. Ihre Zuſammenſetzung und ihre Geſchäfts - führung wurden geregelt durch die Inſtruktion v. 16. Januar 1821, welche die weſentliche Grundlage aller ſpäteren Vorſchriften ge - blieben iſt2)Vgl. v. Löbell’s Jahresberichte II (1875) S. 477 ff.. Bei der Reorganiſation der Preußiſchen Armee er - hielt auch die Intendantur eine andere Gliederung, indem außer den Korps-Intendanturen noch beſondere Diviſions-Intendanturen eingerichtet wurden3)Zuerſt verſuchsweiſe bei 4 Provinzial-Armeekorps (I. III. IV. VIII. ) durch die Kab. Ordre v. 27. Juni 1861; dann bei den andern 4 Provinzial - Armeekorps durch Kab. Ordre v. 20. Dez. 1862, endlich bei dem Gardekorps durch Kab. Ordre v. 16. Nov. 1864 (v. Helldorff S. 42. 43).. Hierdurch wurde eine neue Regelung der Verfaſſung, Geſchäftsvertheilung und des Verfahrens dieſer Be - hörden erforderlich. Die gegenwärtig geltenden Beſtimmungen be - ruhen auf dem Geſchäftsplan für die Korps-Intendanturen , welcher durch Erl. des Kriegsminiſt. v. 28. Novemb. 1875 feſtge - ſtellt worden iſt.

1. An der Spitze der geſammten Intendantur des Armeekorps ſteht der Korpsintendant; ihm ſind die übrigen Intendanturbeamten untergeordnet. Er iſt das Organ des Kriegsminiſteriums und bil - det eine Zwiſcheninſtanz zwiſchen demſelben und den unteren Mi - litair-Oekonomie-Behörden. Die bei dem General-Kommando vor - kommenden zu dem Reſſort der Intendantur gehörigen Geſchäfte werden von dem Intendanten erledigt, der erforderlichen Falles dem kommandirenden General perſönlich Vortrag zu halten hat. Neue Vorſchriften, nach denen ſich die Truppen richten ſollen, können von dem Intendanten ſelbſtſtändig nicht erlaſſen werden, ſondern müſſen von dem kommandirenden General als Befehle ausgehen. Hin - ſichtlich der Rechnungslegung und Kontrole ſind die Intendanturen112§. 86. Die Militair-Verwaltung.dem Rechnungshof untergeordnet und müſſen an denſelben in gleicher Form, wie an die vorgeſetzte Verwaltungsbehörde (Kriegsminiſte - rium) berichten1)Frölich I S. 35..

2. Der Regel nach zerfällt der Geſchäftskreis der Korps-Intendanturen in 5 (bei dem Gardekorps in 4) Ab - theilungen2)Reſer. v. 29. Nov. 1875.. Er umfaßt alle diejenigen Zweige der Militair - Oekonomie des Armee-Korps, reſp. des zugetheilten Bezirks, welche entweder territorialer Natur ſind und daher im Falle einer Mo - bilmachung bei der Provinzial-Intendantur verbleiben, oder einer einheitlichen Leitung bedürfen; insbeſondere die allgemeinen Kaſſen - und Etats-Angelegenheiten, die Beſchaffung und Verwal - tung der Mund - und Fourage-Verpflegungs-Gegenſtände für die Truppen des Korps und die Aufſicht über die Magazine, die Be - ſchaffung der Tuche und ſonſtiger zur Bekleidung und Ausrüſtung gehörigen Gegenſtände ſowie die Aufſicht über die Montirungs - und Traindepots, die Leitung und Aufſicht der Garniſon - und La - zarethverwaltung, die Mitwirkung bei der Materialien - und Kaſſenverwaltung der militairiſchen Erziehungs - und Bildungsan - ſtalten, der techniſchen Inſtitute des Artillerie - und Ingenieurweſens, der Remonte-Depots-Verwaltung. Ihnen liegt weiterhin ob die Bearbeitung der Mobilmachungsangelegenheiten der Adminiſtra - tionen des Korps, der Invaliden-Angelegenheiten, die Befriedigung der Kommunen für Naturalleiſtungen.

Die Korps-Intendanturen ſind legitimirt zur Führung von Prozeſſen für den Preuß. Militair-Fiskus3)Erl. v. 6. Aug. 1838. Vgl. hierzu Frölich a. a. O. S. 38. 39..

3. Den Diviſions-Intendanturen liegen ob alle Geſchäfte, welche die Gehalts - und Löhnungsverhältniſſe, die Ge - währung von Servis - und Wohnungsgeld, die Reiſekoſten und Marſchverpflegung betreffen, ferner die Kontrole des Buch -, Kaſſen - und Rechnungsweſens; die auf die Bekleidung und Ausrüſtung der Truppen der Diviſion Bezug habenden Angelegenheiten und Theil - nahme an den Muſterungen; die Ueberwachung der Lokalverwal - tungen u. ſ. w. Zu den Diviſions-Kommando’s nehmen die ihnen zugetheilten Intendanturen dieſelbe Stellung ein, wie zu den Ge - neral-Kommando’s die Korps-Intendanturen.

113§. 86. Die Militair-Verwaltung.

4. Im Königreich Sachſen iſt die Intendantur mit dem Kgl. Kriegsminiſterium verbunden und bildet eine Abtheilung deſ - ſelben; Diviſions-Intendanturen ſind in dem Kgl. Sächſ. Armee - korps bisher nicht errichtet worden. In Württemberg ſind Korpsintendantur und Diviſionsintendanturen nach Preußiſchem Muſter eingerichtet worden1)Erl. v. 23. Febr. 1874 im Württemb. Mil. V. Bl. 1874 S. 27.; zur Vertretung des Württ. Mili - tair-Fiskus in privatrechtl. Streitigkeiten iſt die Korps-Intendantur legitimirt2)Erl. v. 31. Dez. 1875. Württ. Mil. V. Bl. 1876 S. 3.. Auch in Bayern iſt die Intendantur in gleicher Weiſe organiſirt3)Vgl. die Verordnungen im Bayer. Mil. V. Bl. 1869 S. 336; 1878 S. 6, 7, 202, 240..

5. Die unmittelbare Befriedigung der gewöhnlichen laufenden Armeebedürfniſſe iſt den einzelnen Truppenkörpern überlaſſen. Die Kommandobehörden bis herab zum Kompagnie -, Eskadrons - oder Batteriechef haben unter eigener Verantwortlichkeit die Oekonomie der betreffenden Truppen-Abtheilung zu verwalten. Regelmäßig hat jedes Regiment oder jedes ſelbſtſtändige (nicht regimentirte) Bataillon Selbſtbewirthſchaftung und es gehen alle Oekonomie -, Montirungs - und Armatur-Angelegenheiten unmittel - bar an die Regiments-Kommandeure. Sowohl die höheren Mili - tairbefehlshaber als die Intendanturen ſind im Weſentlichen auf die Leitung und Kontrole dieſer Selbſtbewirthſchaftung beſchränkt. Die letztere umfaßt die Kaſſengeſchäfte4)Vgl. das Reglement über das Kaſſenweſen bei den Truppen v. 28. Januar 1841. Mit den Nachträgen ꝛc. adgedruckt bei v. Helldorff Theil III Abth. 1. und die Geldverpflegung, die Naturalverpflegung und Menage, die Bekleidung und die Mon - tirung5)Bei jedem Truppentheil, der einen beſonderen Bekleidungs-Etat hat, beſteht zur Verwaltung deſſelben eine Bekleidungs-Kommiſſion, welche aus einem Präſes (Stabsoffizier), einem oder mehreren Offizieren und einem Zahlmeiſter gebildet wird. Sie iſt ein Organ des Kommandeurs. Alle An - ſchaffungen, Abnahmen u. dgl. werden gemeinſchaftlich berathen und durch Ma - joritäts-Beſchlüſſe entſchieden. Tuch und andere Materialien ſowie Monti - rungsſtücke erhalten die Truppentheile entweder in natura aus den Monti - rungsdepots oder ſie ſchaffen dieſelben im Wege des öffentlichen Submiſſions - verfahrens an. Die Anfertigung der Bekleidungsgegenſtände und ſoweit möglich auch der Ausrüſtungsſtücke erfolgt zunächſt durch die bei den Truppen befind - lichen Oekonomiehandwerker. Die Einzelheiten ſind geregelt durch das Regle -, die Unterſtützungsfonds und die bei den einzelnen Truppen -Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 8114§. 86. Die Militair-Verwaltung.theilen für beſondere Zwecke (z. B. Muſik, Unterricht, Bibliothek, Medizingelder u. dgl. ) gebildeten Spezialfonds. Genaue Vor - ſchriften über die Verwaltung dieſer Fonds ſind enthalten in dem Geldverpflegungs-Reglement für das Preuß. Heer im Frieden v. 24. Mai 18771)Eingeführt in Württemberg durch Erl. v. 14. Juli 1877 Württ. Mil. - V. Bl. S. 99. Vgl. Bayeriſches Geldverpfl. Regl. v. 27. Januar 1878 Mil. V. Bl. S. 109..

Für die örtliche Verwaltung der Garniſon-Einrichtungen, zu denen namentlich gehören die Kaſernen, Militair-Stallungen und Schmieden, Wach - und Arreſtlokale, Landwehr-Zeughäuſer, Dienſt - wohnungsgebäude, Reitbahnen, Exercierplätze und Exercierhäuſer, Garniſonkirchen und Begräbnißplätze, und ſonſtige, nicht einem be - ſtimmten anderen Dienſtzweige zugewieſenen Militairgebäude und Räume, beſtehen Garniſon-Verwaltungen. Auch können die Funktionen der letzteren den Magiſtraten und Kommunalbe - amten übertragen werden. Die Garniſonverwaltungen ſind den Korps-Intendanturen direkt untergeordnet und haben in Friedens - zeiten eine von den Feſtungskommandanten, Garniſon-Chefs und ſonſtigen militairiſchen Oberbefehlshabern unabhängige Stellung, ſind jedoch verpflichtet den Requiſitionen der letzteren ſoweit Folge zu geben, als es mit den Geſetzen, Verordnungen, Reglements und Inſtruktionen zuläſſig iſt2)Die näheren Vorſchriften ſind enthalten in der [Geſchäftsordnung] für die Verwaltung der Garniſon-Anſtalten v. 20. April 1843 bei v. Helldorff Th. IV Abth. 2 S. 157 ff..

6. Die Feldadminiſtration. Sowie die Kommandobe - hörden im Falle einer Mobilmachung der Armee für die immobilen Theile in Wirkſamkeit bleiben und im territorialen Bereich des Armeekorps -, Diviſions -, Brigadebezirks weiter fungiren, ſo tritt auch für die Verwaltung der Armee bei einer Mobilmachung eine Ver - doppelung der Formation ein; neben die Intendantur des Friedens - zuſtandes tritt eine ihr analog gegliederte Feldintendantur. Für die ganze mobile Armee oder für eine aus mehreren Armeekorps beſtehende Armee wird ein General - oder Armee-Inten -5)ment über die Bekleidung und Ausrüſtung der Truppen im Frieden v. 30. April 1868. Insbeſondere der vierte Abſchnitt deſſelben (§§. 198 fg. ) regelt die innere Bekleidungs-Wirthſchaft der Truppen . Abgedruckt mit Erläuterungen u. Nachträgen bei von Helldorff. Theil III Abth. 4. I S. 182 ff.115§. 86. Die Militair-Verwaltung.dant eingeſetzt, welcher als Stellvertreter des Kriegsminiſteriums (Oekonomie-Departements) die oberſte Leitung und Beaufſichti - gung der geſammten Militair-Oekonomie der mobilen Armee hat. Er ſteht zu dem Oberbefehlshaber der Armee reſp. dem Generalſtabs-Chef in demſelben Verhältniß, wie der Intendant zum kommandirenden General. Für jedes mobile Armeekorps wird ein Feld-Intendant ernannt, der unter den Be - fehlen des kommandirenden Generals ſteht und zu ſeiner beſtän - digen Umgebung gehört. Ihm ſind unterſtellt die Feld-Intendan - turen der Diviſionen, zu welchen noch eine Feld-Intendantur für die Reſerve - (Korps -) Artillerie hinzutritt, ferner die Feld-Proviant - Aemter nebſt dem Feldbäckerei-Amt und die Kriegskaſſe. Den thatſächlichen Verhältniſſen entſprechend iſt der Wirkungskreis dieſer Beamten ein freierer und demgemäß ihre perſönliche Verantwort - lichkeit eine größere wie im Friedenszuſtande. Ihre dienſtlichen Obliegenheiten und ihre Geſchäftsführung ſind geregelt durch die Dienſtinſtruktion vom 1. Juni 18591)Dieſelbe iſt auszugsweiſe mitgetheilt bei Frölich I S. 158 ff. Vgl. Bayeriſche Dienſtinſtruktion f. d. Feldintendantur v. 3. Febr. 1873 Mil. V. Bl. S. 37.. Bei der Demobilmachung gehen alle Geſchäfte der aufgelöſten Feld - und ſtellvertretenden Intendanturen auf die Friedens-Intendanturen über.

Das Syſtem der Selbſtbewirthſchaftung der Truppen iſt, ſo - weit die thatſächlichen Verhältniſſe die Durchführung deſſelben ge - ſtatten, auch für die Feldtruppen beibehalten.

V. Das Militair-Sanitätsweſen2)Vgl. Bericht über die Entwickelung und die Fortſchritte des Preuß. Militair-Sanitätsweſens in H. v. Löbell’s Jahresberichten f. Militairweſen I S. 123 ff. und beſonders Prager Preuß. Mil. -Medizinal-Weſen. 2 Bde. Zweite Auflage. Berlin 1875.. Die Organi - ſation deſſelben ſchließt ſich im Allgemeinen an die Formation des Heeres und der ökonomiſchen Armee-Verwaltung an und iſt mit beiden vielfach verknüpft.

1. Das Sanitätskorps. Die jetzige Einrichtung deſſelben beruht auf der Verordnung vom 6. Februar 1873. A. V.Bl. S. 103 ff. Die Centralſtelle bildet die Medizinal-Abtheilung des Kriegsminiſteriums, deren Vorſtand den Titel: General-Stabs - Arzt der Armee führt. Für jedes Armeekorps wird ein Gene -8*116§. 86. Die Militair-Verwaltung.ral-Arzt beſtellt, welchem die Militairärzte des ganzen Armee - korps-Bezirkes, ohne Rückſicht auf die Art ihrer dienſtlichen Ver - wendung unterſtellt ſind, und der in derſelben Art wie der Korps - intendant dem Generalkommando angehört und den Befehlen des kommandirenden Generals Folge leiſten muß. Ihm liegt außer der Leitung und Kontrole des Sanitäts - und Lazarethweſens im Armeekorps-Bezirk insbeſondere auch die techniſche Reviſion der Arznei-Rechnungen ob, zu welchem Zwecke ihm ein Stabs-Apo - theker beigegeben iſt1)Für denſelben exiſtirt eine beſondere Geſchäfts-Inſtrukt. vom 6. Juli 1868 A. V.Bl. S. 148.. Bei den Diviſions-Kommando’s fungirt ein Diviſions-Arzt, der aus der Zahl der älteſten Regiments - ärzte genommen wird; er bildet die Zwiſchen-Inſtanz zwiſchen dem Generalarzt und den bei den Truppen und in den Lazarethen fun - girenden Aerzten, er iſt der ärztlich-techniſche Referent des Diviſions - Kommandeurs und hat außer der Leitung des Sanitätsdienſtes die Sammlung, Kontrole und Zuſammenſtellung der militairärztlichen Eingaben, Berichte, Rapporte u. ſ. w. Auch iſt er Vorſitzender der wiſſenſchaftlichen Prüfungs-Kommiſſion für die Aſpiranten der mili - tairärztlichen Bildungs-Anſtalten2)Ausführ. -Beſtimmungen (zur V. v. 6. Febr. 1873) vom 9. April 1873 ad §. 2.. Die eigentliche Krankenpflege bei den Regimentern und Bataillonen und bei den Militairinſtituten leiten die Oberſtabsärzte und Stabsärzte, denen Aſſi - ſtenzärzte beigegeben ſind. Die oberen Truppenärzte ſind in der Regel verbunden, ſich unentgeltlich der ärztlichen Behandlung aller bei ihrer Truppen-Abtheilung befindlichen Offiziere und Militairbe - amten zu unterziehen3)V. v. 6. Febr. 1873 §. 41. und alle im dienſtlichen Intereſſe erforder - lichen ärztlichen Unterſuchungen und Feſtſtellungen des Geſundheits - zuſtandes der Offiziere und Mannſchaften (Körperletzungen, innere Dienſtbeſchädigungen u. dgl. ) vorzunehmen. In größeren Garniſons - orten werden überdies Garniſonärzte angeſtellt, denen die Behandlung aller in den Garniſonen vorhandenen nicht regimentirten Offiziere und Militair-Beamten, des Feſtungsperſonals und der Arbeitsſoldaten, ſowie der Fuß-Artillerie-Regimenter und Train - Bataillone obliegt4)Prager a. a. O. II S. 184 fg..

117§. 86. Die Militair-Verwaltung.

Zum Zwecke der Hilfsleiſtung, insbeſondere zur Ausführung der von den Aerzten angeordneten niederen chirurgiſchen Verrich - tungen werden Lazareth-Gehilfen ausgebildet, welche aus den Verpflegungs-Etats der Truppentheile ihre Bezüge erhalten1)In der Regel ein Mann per Kompagnie oder Eskadron. Sie zerfallen in 3 Klaſſen, a) Unter-Lazareth-Gehilfen, welche zu den Gefreiten, b) Lazareth - Gehilfen, welche zu den Unteroffizieren, und c) Ober-Lazareth-Gehilfen, welche zu den Sergeanten gerechnet werden. Die näheren Beſtimmungen enthält die Kab. O. vom 11. Januar 1866 (bei Frölich a. a. O.)..

Im Falle der Mobilmachung werden für jedes Armeekorps drei Sanitäts-Detachements formirt, die zu dem Train - bataillon gehören. Je eins derſelben iſt den beiden Infanterie - Diviſionen, das dritte der Korps-Artillerie zuzutheilen. Jedes Detachement iſt ſo eingerichtet, daß es in zwei ſelbſtſtändigen Sek - tionen verwendbar iſt. Die den Diviſionen zugetheilten Detache - ments folgen den Truppen unmittelbar in’s Gefecht und ſtehen zur Verfügung des Diviſionskommandeurs2)Kriegs-Sanitäts-Ordn. v. 10. Januar 1878 §. 7. 34..

2. Das Lazarethweſen.

a) Die Friedenslazarethe3)Reglement f. die Friedens-Lazarethe der Preuß. Armee vom 5. Juli 1852 und Kab. Ordre vom 24. Okt. 1872 betreffend die Einführung von Chef - Aerzten ꝛc. (bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften. IV. Th. 3. Abth. Berlin 1877). In Württemberg eingeführt durch Erlaß vom 28. Nov. 1872. (Württemb. M. V.Bl. S. 393.) In Bayern Regl. für die Friedens-Lazarethe v. 27. Nov. 1877. (Bayr. M. V.Bl. 1878 S. 134.). Garniſonlazarethe ſind einzurichten in allen Garniſonorten (und in Orten mit bleibendem Kommando), in denen die Truppentheile die Stärke einer Kom - pagnie oder Eskadron und darüber haben, und in Feſtungen. Auch können für einzelne Truppentheile der Garniſon ſogen. Spezial - Lazarethe und in Fällen eines vorübergehend geſteigerten Bedürf - niſſes Hülfslazarethe reſp. Kantonnements-Lazarethe eingerichtet werden. Die einzelnen Friedenslazarethe ſtehen zwar unter einer einheitlichen Verwaltung, die aber einerſeits den Intendanturen und dem Militair-Oekonomie-Departement und andererſeits den Generalärzten und der Militair-Medizinal-Abtheilung (General - Stabsarzt) untergeordnet iſt. Von den Intendanturen reſſortirt die adminiſtrative und ökonomiſche Partie, die Anſtellung des Ver - waltungs-Perſonals, die Anſchaffung und Erhaltung der Gebäude118§. 86. Die Militair-Verwaltung.und Grundſtücke, des Lazarethgeräthes, der Verpflegungs-Haushalt und das ganze Kaſſen - und Rechnungsweſen1)Regl. §. 36.. Zum ſpeziellen Reſſort der Generalärzte gehört die Aufſicht über die Ausführung des geſammten Krankendienſtes, über das ärztliche Perſonal, über die Diſpenſir-Anſtalten und über die Anſchaffung von Medika - menten2)ebendaſ. §. 38.. Beide Behörden müſſen hinſichtlich der Lazarethverwal - tung in ſteter Verbindung bleiben und im gegenſeitigen Einverſtänd - niß ihre Anordnungen treffen3)ebendaſ. §. 41 ff..

Die Friedenslazarethe ſtehen unter einem Chefarzt, der zugleich eine etatsmäßige Stelle als Truppen - oder Garniſonarzt einnimmt4)Jedoch kann er bei der Uebernahme eines größeren Lazareths von anderweitigen dienſtlichen Funktionen ganz oder theilweiſe entbunden werden. V. vom 24. Okt. 1872 §. 2.. Derſelbe führt den Befehl über das Lazareth und er iſt der Vorgeſetzte des geſammten für den Dienſt des Lazareths beſtimmten militairiſchen, ärztlichen und adminiſtrativen Perſonals, welches demgemäß ſeinen Anordnungen unbedingt Folge leiſten muß5)V. vom 24. Okt. 1872 §. 11. 20.. Nach Anordnung des Korps-Generalarztes werden von dem Chefarzt Stationen eingerichtet und den ordinirenden Aerzten übergeben. Die letzteren, welche vom Generalarzt beſtimmt wer - den, ſind in Betreff der Krankenbehandlung durchaus ſelbſtſtändig; ihren Aufforderungen zu Konſultationen bei Lazarethkranken iſt der Chefarzt aber verpflichtet, ſofort Folge zu leiſten6)a. a. O. §. 13 16.. Für die Kaſſen - und Oekonomie-Verwaltung wird ein Ober-Lazareth - Inſpektor, welchem nach Bedürfniß ein oder mehrere Lazareth - Inſpektoren beigegeben ſind, ernannt7)Das Friedenslazareth-Reglement enthält beſonders über die Amts - pfl ichten und die Geſchäftsführung dieſer Beamten ſehr eingehende Anordnungen..

b) Die Feldlazarethe8)Kriegs-Sanitäts-Ordnung vom 10. Januar 1878 §. 55 fg.. Es werden für jedes mobile Armeekorps 12 Lazarethe für je 200 Kranke eingerichtet; ſie ſind zur Aufnahme der von den Verbandplätzen oder direkt von den Truppen kommenden Verwundeten und Kranken beſtimmt. Jedes Lazareth kann in zwei Sektionen getheilt werden, die ganz ſelbſt -119§. 86. Die Militair-Verwaltung.ſtändig etablirt und erweitert werden können. Die Zutheilung der Lazarethe an die Diviſionen verfügt der kommandirende General und er ſorgt durch Vermittelung der General-Etappen-Inſpektion für den erforderlichen Nachſchub von Reſerve-Feldlazarethen. Die Leitung eines jeden Feldlazarethes wird einem Chefarzte übertragen.

Von den Feldlazarethen zu unterſcheiden ſind die Stehen - den Kriegslazarethe. Es ſind dies diejenigen im Kriege[e]rrichteten Lazarethe, welche wegen des Vorrückens des Armeekorps mit dem Kommando deſſelben keinen unmittelbaren Verkehr unter - h[a]lten können; dieſelben ſind zunächſt der General-Etappen-In - ſp[e]ktion unterſtellt, welcher es obliegt, das Perſonal abzulöſen und das Material zu erſetzen und das hierdurch wieder verwendbar ge[m]achte Feldlazareth dem Armeekorps nachzuſenden. Die ſtehen - den Kriegslazarethe werden ſodann, wenn ſie im Inlande ſich be - find[e]n, den Provinzial-Militairbehörden, wenn ſie im Auslande erric[h]tet ſind, den General-Gouvernements von der General-Etappen - Inſp[e]ktion überwieſen1)Kriegs-Sanit〈…〉〈…〉 s-Ordnung §. 59..

VI. Die Militair-Gerichtsverwaltung2)Ueber den Mi[lit]air-Gerichtsſtand vgl. unten §. 90 I. .

Die Militair-Strafgerichte ſind keine ſtändigen Gerichte, ſon - dern[]r jeden einzelnen Fall werden ſowohl die Unterſuchungs - gerichte wie die Spruchgerichte beſonders gebildet; die höheren Truppe-Befehlshaber ſind mit der Handhabung der Gerichtsge - walt be[t]raut und heißen in dieſer Eigenſchaft Gerichtsherren. Eine ſol[c]he Gerichtsbarkeit haben außer dem Kontingentsherrn ſelbſt die kommandirenden Generale, die Diviſionskommandeure, die Regi[me]ntskommandeure und diejenigen Truppenbefehlshaber, denen die Berichtsgewalt derſelben ſpeziell beigelegt worden iſt, und die G[o]uverneure oder Kommandanten von Feſtungen. Dem - gemäß zerfa[l]len die Militair-Gerichte in Korps-Gerichte, Diviſions - Gerichte, R[e]giments-Gerichte und Garniſon-Gerichte. Den Regi - mentskomman[d]euren ſteht jedoch nur die niedere Gerichtsbarkeit zu. Den Gerichtsherren mit höherer Gerichtsbarkeit iſt bei Aus - übung der geri[ch]tsherrlichen Befugniſſe ein Auditeur als richter - licher Beamter[z]ugeordnet; demgemäß fungiren Korps-Auditeure, Diviſions-Auditere und Garniſon-Auditeure als richterliche Mili - tair-Juſtizbeamte. Zu der Stelle eines ſolchen kann nur berufen120§. 86. Die Militair-Verwaltung.werden, wer die Befähigung zur Bekleidung eines Richteramtes in einem Bundesſtaate erworben hat1)Milit. Geſ. §. 7 Abſ. 1.. In Betreff ſeiner Pflichten als Gerichtsperſon finden die allgemeinen für Richter geltenden Vorſchriften Anwendung. Im Weſentlichen beſchränken ſich die Funktionen des Auditeurs auf die Führung der ihm aufgetragenen Unterſuchungen und einen Vortrag darüber an den Gerichtsherrn, ſowie auf eine Theilnahme an den Verhandlungen des Spruch - gerichts, deſſen Erkenntniß er auszufertigen hat.

Ueberdies beſteht als oberſter Militair-Gerichtshof das Gene - ral-Auditoriat. Nach §§. 86. 87 der Preuß. Milit. -Stra[f]- gerichts-Ordnung iſt es die Rekurs-Inſtanz, ſowie die begutachten[d]e Behörde in den, in dieſem Geſetzbuch näher bezeichneten Fäll[e]n. Daſſelbe bildet die zweite Inſtanz in Strafſachen der Militair[b]e - amten und iſt die vorgeſetzte Dienſtbehörde der Auditeure[u]nd Aktuarien. Es hat die Geſchäftsführung der Militairgerichte[n]ach den darüber beſtehenden beſonderen Vorſchriften zu beaufſicht[i]gen, Beſchwerden in militairgerichtlichen Angelegenheiten abzuhelfen und es iſt ihm überdies die Befugniß beigelegt, die Zweifel übe[r]die Kompetenz der Militairgerichte oder über die Anwendung und Aus - legung der Militairgeſetze zu erledigen, nöthigenfalls zur E[n]tſchei - dung des Königs zu bringen. Gegen die rechtlichen B[e]ſcheide des General-Auditoriats findet der Rekurs an den König ſtatt.

Im Königreich Sachſen werden die nach der Milit. -S[t]rafger. - Ordn. dem General-Auditoriat obliegenden Geſchäfte[v]on dem Ober-Kriegsgericht wahrgenommen2)Für das Mecklenburgiſche Kontingent war das For〈…〉〈…〉 eſtehen eines Großherz. General-Auditoriats zeitweilig zugeſtanden worden[du]rch die Milit. - Konv. Art. 13. Schlußprotok. Ziff. 8..

In Württemberg richtet ſich die Verwaltung de[r]Militair - gerichtsbarkeit nach der Mil. -Strafger.-Ordn. vom 20. J[un]i 18183)Von der Einführung der Preußiſchen Milit. -Strafger. Ordn. v. 3. April 1845, welche auf gänzlich veralteten, mit den Anforderungen einer unparthei - ſchen, gerechten und ſachverſtändigen Rechtſprechung durch[a]us unvereinbaren Prinzipien beruht, iſt Württemberg in Folge der Milit[k]onv. Art. 10 ver - ſchont geblieben. In Württemberg führt die Juſtiz-Abt[e]ilung des Kriegs - miniſteriums die Bezeichnung Oberkriegsgericht, während die kriegsrechtlichen Urtheile an das Militairreviſionsgericht einzuſenden ſind Erl. vom 30. März 1874. Württemb. Mil. V. Bl. S. 51.;121§. 86. Die Militair-Verwaltung.in Bayern nach der Mil. -Strafger.-O. vom 6. Novemb 18721)Bayr. M. V.Bl. 1872 S. 453. Sie beruht auf dem Geſetz v. 29. April 1869.. Eine Regelung der Gerichtsbarkeit über Militairperſonen durch Reichsgeſetz iſt in dem Milit. -Geſ. §. 39 in Ausſicht geſtellt.

VII. Das Militair-Kirchenweſen.

Die Heeresorganiſation hat mit der Kirchenverfaſſung und der Ausübung der gottesdienſtlichen Handlungen einen nur loſen Zu - ſammenhang und von der im Art. 61 der R.V. vorgeſehenen Her - ſtellung eines einheitlichen Militairrechts durch Einführung der Preuß. Geſetzgebung iſt die Militair-Kirchenordnung ausdrücklich ausgeſchloſſen worden. Den Landesgeſetzen iſt es überlaſſen, die kirchlichen Verhältniſſe der Militairperſonen zu regeln. In meh - reren Staaten ſind in den Garniſonen beſondere Militairgemeinden gebildet. Die Wahrnehmung der Seelſorge und der anderen Ob - liegenheiten des geiſtlichen Amtes für die Militairgemeinde iſt theils den Civilgeiſtlichen des Ortes übertragen, theils werden beſondere Militairgeiſtliche ernannt. Für das Reichsſtaatsrecht ſind dieſe Einrichtungen inſofern von Belang, als die Koſten des Militair - Kirchenweſens aus der Reichskaſſe beſtritten und im Reichsetat feſtgeſetzt werden und die Militairgeiſtlichen die rechtliche Eigen - ſchaft von Reichsbeamten haben.

In Preußen ſind die dienſtlichen Verhältniſſe der Militair - Geiſtlichkeit geregelt durch die Militair-Kirchenordnung vom 12. Februar 1832. Preuß. Geſ. -Sammlung S. 692)Eingeführt mit den erforderlichen Ergänzungen und Modifikationen in Hannover durch Verordn. v. 24. Juni 1867 (A. V.Bl. S. 67), für den Bezirk des XI. Armeekorps durch V. v. 12. Oktob. 1867 (A. V.Bl. S. 123), für den Bezirk des IX. Armeekorps durch V. v. 25. Nov. 1868 (A. V.Bl. S. 233)..

VIII. Wiſſenſchaftliche Inſtitute, Bildungs - und Erziehungs-Anſtalten.

1. Der Generalſtab der Armee iſt zwar nicht aus - ſchließlich wiſſenſchaftlichen Zwecken gewidmet, er dient vielmehr in erſter Reihe zur Unterſtützung der Oberbefehlshaber in allen auf Taktik und Strategie bezüglichen Verhältniſſen und er hat im Frieden die Mobilmachung, die Dislokationen, die Telegraphen - und Eiſenbahn-Angelegenheiten u. ſ. w. zu bearbeiten; allein er iſt zugleich ein wiſſenſchaftliches Inſtitut erſten Ranges3)Ueber die Organiſation des Preuß. Generalſtabes giebt ein Aufſatz im Militair-Wochenblatt 1875 S. 1746 detaillirte Auskunft. Vgl. ferner. Ihm122§. 86. Die Militair-Verwaltung.liegt das Studium und die Pflege aller Zweige der Kriegswiſſen - ſchaften ob, insbeſondere die fortlaufende Kenntnißnahme der Heeres - Einrichtungen der fremden Staaten1)Dieſem Zwecke ſind 3 Abtheilungen des Generalſtabes gewidmet., das Eiſenbahn-Bau - und Transportweſen, Kriegsgeſchichte, Geographie, Statiſtik, Topo - graphie. Das Landesvermeſſungsweſen und die Herſtellung von Landkarten und Plänen iſt in enge organiſche Verbindung mit dem Generalſtab gebracht2)Dem Chef der Landesaufnahme im großen Generalſtab iſt die Ge - ſammtleitung aller Abtheilungen, welche das Vermeſſungsweſen betreffen, näm - lich der Trigonometriſchen, Topographiſchen, Kartographiſchen Abtheil. mit dem Photogr. Inſtitut und der Druckerei, ſowie die Plankammer mit dem Karten - debit übertragen; die übrigen Abtheilungen ſtehen direkt unter dem Chef des Generalſtabes der Armee. . Es werden ferner unter der Lei - tung des Chefs des großen Generalſtabes jährlich Uebungsreiſen be - hufs Ausbildung von Truppenführern gemacht3)Vgl. Beſtimmungen über die jährlichen Uebungsreiſen des Generalſtabes vom 19. Juni 1878 A. V.Bl. S. 139 ff. Vgl. Bayeriſches M. V.Bl. 1878 S. 303..

2. Die Kriegs-Akademie in Berlin. Dieſelbe iſt aus der im Jahre 1816 gegründeten Kriegsſchule hervorgegangen; ihre jetzige Organiſation beruht auf dem Erlaß vom 15. Aug. 1856 und der Kab. -Ordre vom 21. Nov. 1872 (A. V.Bl. S. 350)4)v. Helldorff I. Th. 3. Abth. S. 65 ff. Eine kritiſch-hiſtor. Darſtel - lung der Kriegsakademie unter Vergleichung der ähnlichen Einrichtungen an - derer Staaten enthält das Werk: L’Académie de guerre de Berlin. Paris 1877. 331 S.. Der Chef des Generalſtabes der Armee hat die Oberaufſicht über die wiſſenſchaftliche Thätigkeit der Anſtalt; in disciplinariſchen, ökonomiſchen und polizeilichen Angelegenheiten ſteht ſie direkt unter dem Allg. Kriegs-Departement (des Kriegsminiſteriums). Die Aufnahme wird nur Offizieren gewährt, welche mindeſtens 3 Jahre als ſolche gedient haben, ſich um Aufnahme in die An - ſtalt bewerben und die Eintrittsprüfung beſtanden haben5)Ueber dieſe Prüfung vgl. die Kab. Ordres vom 3. Dezemb. 1825 und vom 26. Januar 1826 bei v. Helldorff a. a. O. S. 69 ff. Dieſe Beſtimmun - gen ſind aber abgeändert durch die V. vom 11. Nov. 1875.. Der Lehrkurſus umfaßt 3 Jahre6)Der Lehrplan und die wiſſenſchaftl. Aufgaben der Kriegs-Akademie, die Kommandirung erfolgt aber3)Bronſart v. Schellendorf der Dienſt des Generalſtabes. 2 Thle. Berlin 1875 fg.123§. 82. Die Militair-Verwaltung.ſtets nur auf 1 Jahr und die Erneuerung derſelben hängt von dem Fleiße und den Fähigkeiten der Offiziere ab.

Die Theilnahme an der Kriegs-Akademie iſt nach den Militair - Konventionen den Offizieren des Sächſiſchen und Württembergiſchen Kontingents1)Vgl. Württemb. Milit. V. Bl. 1872 S. 217 ff. gewährt; Bayern hat ſeine eigene im Jahre 1867 gegründete Kriegs-Akademie in München.

3. Die Kriegs-Schulen. Die Beſtimmungen über Or - ganiſation und Dienſtbetrieb derſelben ſind durch Kab. -Ordre vom 27. Februar 1873 genehmigt2)Armee-V. Bl. 1873 Beilage zu Nr. 7. v. Helldorff S. 19.. Zweck derſelben iſt die kriegs - wiſſenſchaftliche Ausbildung der Offizier-Aſpiranten aller Waffen; es beſtehen ſolche Anſtalten in Anklam, Potsdam, Erfurt, Neiſſe, Engers, Hannover, Kaſſel und Metz, jede unter der Lei - tung eines Stabs-Offiziers als Direktor3)Außerdem hat Bayern eine beſondere Kriegsſchule.. Die Aufſicht und Oberleitung wird geführt von der General-Inſpektion des Mili - tair-Erziehungs - und Bildungsweſens , welcher als berathendes und begutachtendes Organ die Studien-Kommiſſion für die Kriegs - ſchulen unterſtellt iſt. Der Vorſitzende dieſer Kommiſſion iſt zu - gleich Inſpekteur der Kriegsſchulen. Die Inſpektion der Kriegs - ſchulen bildet für die letzteren die erſte höhere Inſtanz und iſt der General-Inſpektion unterſtellt4)Kab. Ordre vom 29. Dez. 1874 und vom 28. Januar 1875. A. V.Bl. 1875 S. 2 und S. 36.. In allen adminiſtrativen Be - ziehungen reſſortiren die Kriegsſchulen von dem Allg. Kriegs - Departement. Die Lehrer ſind Offiziere, welche für die Dauer dieſer Verwendung aus dem Etat ihrer Truppentheile ausſcheiden und einen in ſich geſchloſſenen Offizier-Korps-Verband bilden. Zur Theilnahme am Unterricht in den Kriegsſchulen iſt jeder Offizier - Aſpirant vor der Zulaſſung zur Offizier-Prüfung verpflichtet5)Ausnahmsweiſe können diejenigen davon dispenſirt werden, welche ſich ein vollgültiges Zeugniß der Reife zur Univerſität erworben, demnächſt Studien auf Univerſitäten innerhalb des Deutſchen Reichs mindeſtens ein Jahr hindurch obgelegen haben und ſich hierüber, ſowie über ihre gute Führung auf der Univerſität durch glaubhafte Atteſte ausweiſen. V. vom 27. Febr. 1873 §. 13.;6)ſind erſichtlich aus einem Reſcript der General-Inſpektion des Mil. -Erziehungs - und Bildungsweſens (dem früher die Kriegs-Akademie unterſtellt war) vom 22. März 1868 bei v. Helldorff S. 77 ff.124§. 82. Die Militair-Verwaltung.die Zulaſſung ſetzt eine Dienſtleiſtung im aktiven Dienſte von mindeſtens 5 Monaten und die Beibringung eines Brauchbarkeits - Zeugniſſes voraus. Am Schluſſe des neunmonatlichen Kurſus legen die Kriegsſchüler in der Anſtalt die Offizier-Prüfung ab und kehren demnächſt zu ihren Truppentheilen zurück1)§. 24 der angef. Verordn..

4. Die vereinigte Artillerie - und Ingenieur - Schule. Ueber die Verfaſſung und Einrichtung derſelben geben die vom Kuratorium dieſer Schule redigirten Grundzüge vom November 1869 detaillirte Auskunft2)Abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O. S. 44 64.. Zweck der Anſtalt iſt: den durch die Kriegsſchulen vorgebildeten jungen Offizieren der Artillerie und des Ingenieur-Korps des Deutſchen Reiches3)Bayern hat jedoch ſeine eigene Artillerie - und Ingenieur-Schule. Gelegenheit zu geben, ſich die wiſſenſchaftliche Ausbildung zu ver - ſchaffen, welche der Dienſt eines etatsmäßigen Lieutenants der Artillerie und des Ingenieurkorps erfordert und welche ſie befähigt, ihre Weiterbildung durch Selbſtſtudium ſowie durch die Praxis zu verfolgen (§. 1 a. a. O.). Das Kuratorium der Schule beſteht aus den General-Inſpekteuren der Artillerie und des Ingenieur - korps; der General-Inſpektion des Mil. -Erziehungs - und Bildungs - weſens ſind jährlich Berichte über den Zuſtand und Fortgang der Schule zu erſtatten; die ökonomiſche Verwaltung reſſortirt vom Allg. Kriegs-Departement. Die Direktion der Anſtalt führt ein höherer Stabsoffizier der Artillerie oder des Ingenieurkorps, dem eine Studienkommiſſion zur Seite ſteht. Bedingung für die Zu - laſſung zur Schule iſt für Artilleriſten, daß ſie nach beſtandenem Armee-Offizier-Examen 2 Jahre, für Ingenieure, daß ſie nach be - ſtandenem Armee-Offizier-Examen 1 Jahr im praktiſchen Dienſt beim Truppentheil geweſen ſind. Am Schluſſe des theoretiſchen Unterrichts des unteren Cötus legen die zum Beſuche der Schule kommandirten Artillerie-Offiziere die Berufungsprüfung ab; es iſt ihnen alsdann noch geſtattet in einen Selecta-Kurſus einzu - treten. Auch für die Ingenieur-Offiziere beſtehen zwei Cötus; nach Beendigung des theoretiſchen Unterrichts des unteren Cötus legen dieſe Offiziere den erſten Theil der Berufungsprüfung ab, treten dann in den oberen Cötus ein, welcher vorzugsweiſe zu praktiſchen Uebungen beſtimmt iſt, und abſolviren dann den 2. Theil125§. 86. Die Militair-Verwaltung.der Berufsprüfung. Ueber Unterricht und Lehrplan vgl. die an - geführten Grundzüge §§. 34 ff.

5. Die militairärztlichen Bildungs-Anſtalten. Es beſtehen in Berlin zwei ſolcher Anſtalten, das mediziniſch - chirurgiſche Friedrich-Wilhelms-Inſtitut1)Daſſelbe iſt 1795 gegründert und führte bis 1818 den Namen medi - ziniſch-chirurgiſche Pepinière. und die mediziniſch-chirur - giſche Akademie für das Militair. Der Unterſchied der beiden Anſtalten beruht im Weſentlichen darauf, daß das Friedr. -Wilhelm - Inſtitut außer koſtenfreiem Unterricht in allen Zweigen der Heil - kunde auch noch jedem Zöglinge für die Dauer der Studienzeit freie Wohnung und eine Geldunterſtützung gewährt. Die Aufnahme in das Friedr. -Wilhelms-Inſtitut erfolgt unter der Bedingung, daß ſich der Zögling verpflichtet, für jedes Studienjahr zwei Jahre im ſtehenden Heere oder in der Flotte als Arzt zu dienen; bei der Aufnahme in die mediz. -chirurg. Akademie iſt für jedes Studien - jahr eine entſprechende Dienſtverpflichtung für ein Dienſtjahr zu übernehmen. Die Leitung beider Inſtitute, welche in enger Be - ziehung zur Berliner Univerſität ſtehen, liegt dem General-Stabs - arzt der Armee als Direktor ob; die ökonomiſche Verwaltung wird von der Intendantur des Gardekorps beaufſichtigt; die letzte und oberſte Inſtanz iſt der Kriegsminiſter als Kurator der Anſtalt. Die Zöglinge der Anſtalt ſtehen unter Militair-Gerichtsbarkeit und unter der Disciplinar-Strafgewalt der Direktion2)Vgl. Prager a. a. O. II. S. 191 ff..

6. Die Infanterie-Schulen. Für die Leitung derſelben iſt eine beſondere Behörde eingerichtet, welche die Benennung In - ſpektion der Infanterie-Schulen führt und ihren Sitz in Berlin hat3)Kab. Ordre vom 28. Febr. 1872 (A. V.Bl. S. 103). Der Inſpekteur der Inf. -Schulen hat den Rang, die Kompetenzen und die Disciplinarſtraf - gewalt eines Brigade-Kommandeurs.. Ihre Obliegenheiten ſind normirt durch eine beſondere Dienſt - Inſtruktion vom 6. April 1872 (A. V.Bl. S. 135). Die Schulen, welche dieſer Behörde unterſtellt ſind, ſind folgende:

a) Die Unteroffizier-Schulen zu Potsdam, Biebrich, Weißenfels, Ettlingen und Marienwerder und die Unteroffizier - Vorſchule zu Weilburg. In Sachſen beſteht eine beſondere Unter - offizier-Schule (und Vorſchule) zu Marienberg; aus dem Würt -126§. 86. Die Militair-Verwaltung.tembergiſchen Kontingente werden jährlich 60 Zöglinge in den Schulen zu Biebrich, Ettlingen und Potsdam untergebracht1)Vgl. Erl. v. 18. Dez. 1873 im Württemb. Mil. V. Bl. S. 389.. Die Schulen haben die Beſtimmung, junge Leute, welche ſich dem Militairſtande widmen wollen, zu Unteroffizieren für die Infanterie des ſtehenden Heeres heranzubilden. Der Aufenthalt in der Schule dauert in der Regel drei, ausnahmsweiſe zwei Jahre; der Einzu - ſtellende muß wenigſtens 17 Jahr und höchſtens 20 Jahr alt ſein, die erforderlichen Vorkenntniſſe beſitzen und ſich zu einer vierjährigen aktiven Dienſtzeit nach erfolgter Ueberweiſung aus der Unteroffi - zierſchule an einen Truppentheil verpflichten2)Wehrordnung I §. 86.. Die Meldung zum Eintritt erfolgt entweder bei dem Landwehrbezirkskommando der Heimath oder bei dem Kommando einer der Schulen ſelbſt3)Vgl. die näheren Beſtimmungen in dem Reſcr. v. 9. Aug. 1873 A. V.Bl. S. 222 und v. 3. Dezemb. 1875 A. V.Bl. S. 273..

b) Die Militair-Schießſchule4)Errichtet durch Kab. O. v. 29. Nov. 1860. Vgl. die Beſtimmungen vom 24. Febr. 1870 A. V.Bl. S. 29. In Bayern iſt eine Militair-Schießſchule im Jahre 1872 errichtet worden; die Beſtimmungen für dieſelbe ſind am 16. Febr. 1872 ergangen (Verordn. Bl. des Bayr. Kriegs-Miniſt. S. 59).. Dieſelbe tritt in ihrem vollen Beſtande am 1. April zu einem Sommer-Lehrkurſus znſammen, während in den 6 Wintermonaten ein Winterſtamm zur Ausbildung von Lehrern u. ſ. w. zurückbleibt5)Eine Zuſammenſtellung der für die Schießſchule erlaſſenen Anordnungen findet ſich bei v. Helldorff II. Theil 1. Abth. S. 78 ff..

c) Die Central-Turnanſtalt6)Allgemeine Beſtimmungen des Kriegs-Miniſt. betreffend die Komman - dirung der Offiziere ꝛc. zur Central-Turnanſtalt v. 5. Jan. 1872 (A. V.Bl. S. 5). in Berlin, welcher die Ausbildung tüchtiger Turn - und Fechtlehrer obliegt.

7. Das Militair-Reit-Inſtitut in Hannover7)Vgl. die durch Kab. Ordre v. 4. Juli 1867 genehmigten Grundzüge für die Errichtung eines Militair-Reit-Inſtituts bei v. Helldorff a. a. O. In Bayern beſteht eine ähnliche Reitſchule unter dem Namen Equitations - Anſtalt. Ueber ihre Formation vgl. das Verordn. Bl. des Bayr. Kriegs-Min. 1873 S. 375.. An der Spitze des Inſtituts ſteht ein Chef mit den Einkünften und der Gerichtsgewalt eines Diviſionskommandeurs; er hat die Befugniß, dem Könige direkt zu berichten und iſt nur in den öko -127§. 86. Die Militair-Verwaltung.nomiſchen Beziehungen dem Kriegsminiſterium untergeordnet. Das Inſtitut zerfällt in 2 von einander unabhängige Abtheilungen, deren jede unter einem Direktor ſteht, die Offizier-Reitſchule und die Kavallerie-Unteroffizierſchule1)Kab. Ordre vom 17. Mai 1872 (Kriegs-Min. Reſcr. vom 30. Mai 1872) Armee-V. Bl. S. 194.. Zur Reitſchule kommandirt jedes Kavallerie-Regiment der Armee ein Jahr um das andere und jede Feld-Artillerie-Brigade alljährlich einen Offi - zier von angemeſſenem Dienſtalter und entſchiedener Anlage und Neigung zum Reiten und zur Ausbildung als Reitlehrer. Zur Kavallerie-Unteroffizierſchule kommandirt jedes Kavallerie-Regiment einen Gefreiten oder Unteroffizier, welche 2 Jahre oder länger gedient, hervorragende Anlage zum Reiten haben und brauchbare Unteroffiziere zu werden verſprechen; ſie müſſen ſich zu mindeſtens einjährigem Fortdienen nach der Rückkehr zum Regiment (reſp. nach Ablauf der 3jährigem Dienſtzeit) verpflichten. Der Kurſus dauert ein Jahr; nach Ablauf deſſelben kann eine Elite bis zur Höhe von 20 Mann noch ein 2tes Jahr zurückbehalten werden2)Außerdem ſtellt jedes Kavallerie-Regiment einen Mann als Pferde - pfleger und Offizierburſchen. Reſcr. vom 11 Juli 1872 A. V.Bl. S. 222..

8. Artillerie-Schulen.

a) Die Artillerie-Schießſchule in Berlin hat die Be - ſtimmung, eine genügende Anzahl von Inſtruktoren für die Ar - tillerie-Truppen zur Erweiterung der Kenntniſſe derſelben in der Behandlung und im Gebrauch der ſämmtlichen Geſchütz - und Muni - tions-Arten heranzubilden. Sie iſt dem Präſes der Artillerie - Prüfungs-Kommiſſion unterſtellt und wird von einem Stabsoffizier dirigirt. Abgeſehen von dem Stamm zur Ertheilung des Unter - richts werden zu jedem Kurſus von den Artillerie-Regimentern und Abtheilungen ſowohl Offiziere als Unteroffiziere kommandirt. Die Schule abſolvirt jährlich 2 Kurſus3)Vgl. Kab. Ordre vom 4. Juli 1867 nebſt Organiſations-Plan. A. V.Bl. S. 75 und die Nachträge dazu bei v. Helldorff Th. II Abth. 1 S. 91 ff..

b) Die Oberfeuerwerker-Schule in Berlin iſt er - richtet und in ihren Einrichtungen geregelt durch die Kab. -Ordre vom 3. Auguſt 1869. Sie iſt dazu beſtimmt, die Aſpiranten des Feuerwerksperſonals von der Artillerie des Landheeres auszubilden und die Berufsprüfung zum Oberfeuerwerker reſp. zum Zeugfeuer -128§. 86. Die Militair-Verwaltung.werks-Lieutenants abzuhalten1)Eine analoge Schule in München iſt am 1. Oktober 1876 errichtet worden.. Sie ſteht unter der Leitung eines Direktors, die nächſtvorgeſetzte Behörde (Inſpektion) bildet die 2te Artillerie-Inſpektion; das Kuratorium der Anſtalt wird von der General-Inſpektion der Artillerie geführt2)Die Vorſchriften über den Unterrichtsplan, die Dienſtordnung, die Auf - nahme-Bedingungen, die ökonomiſchen Verhältniſſe der Anſtalt u. ſ. w. ſind zuſammengeſtellt bei v. Helldorff Th. I Abth. 3 S. 120 ff.. Jeder Schüler muß bei Antritt ſeines Kommandos zur Oberfeuerwerker-Schule etats - mäßiger Unteroffizier ſein und durch eine Vorprüfung ſich über das erforderliche Maß der Vorbildung ausweiſen.

9. Die Militair-Roßarztſchule iſt in Folge der Kab. -Ordre vom 5. Febr. 1863 aus dem ehemaligen Militair - Kurſchmids-Eleven-Inſtitut hervorgegangen und iſt der, durch Kab. -Ordre vom 6. März 1873 errichteten und dem Allg. Kriegs - departem. untergeordneten Inſpektion des Militair-Veterinär - Weſens unterſtellt worden3)Die über dieſe Schule geltenden Beſtimmungen ſind zuſammengeſtellt bei v. Helldorff I Abth. 3 S. 140 ff. Jedoch ſind die wiſſenſchaftl. Anforde - rungen zum Eintritt in die Schule erhöht worden durch Kab. Ordre v. 8. Aug. 1878 A. V.Bl. S. 197.. Mit der Roßarztſchule iſt eine Lehrſchmiede verbunden.

10. Regiments - und Bataillons-Schulen ſollen dazu dienen, um Unteroffiziere und Soldaten im Leſen, Schreiben und Rechnen zu unterrichten und ſie für die künftige Anſtellung im Civildienſt brauchbar zu machen. Die Ertheilung des Unter - richts darf auch an zuverläſſige Lehrer des Civilſtandes übertragen werden4)Kab. O. v. 19. Dezemb. 1871 bei v. Helldorff a. a. O. S. 157.. Für dieſe Zwecke werden dem Selbſtbewirthſchaftungs - fonds der Truppen gewiſſe Beträge zur Verfügung geſtellt5)Vgl. Geldverpfleg. Regl. im Frieden v. 24. Mai 1877 §. 89.. Der Unterricht wird auf zwei Stufen ertheilt; der Lehrplan und die Schuleinrichtungen ſind geregelt durch Erlaß vom 2. Novemb. 18766)Armee-V. Bl. 1876 S. 223 fg. Für Bayern vgl. die Verfüg. vom 24. März 1877. Bayr. Mil. V. Bl. S. 119..

11. Kadettenanſtalten. Das Kadettenkorps beſteht aus zwei Abtheilungen, nämlich a) den 6 Voranſtalten (Kadetten - häuſern) zu Culm, Wahlſtatt, Bensberg, Ploen und Oranienſtein129§. 86. Die Militair-Verwaltung.mit den Lehrklaſſen Sexta bis Tertia für Zöglinge in dem Alter von 10 15 Jahren und b) aus der Hauptkadetten-Anſtalt zu Lichterfelde mit den Lehrklaſſen Sekunda und Prima, einer Ober-Prima und Selekta, in welchen letzteren die unmittelbare Be - rufsbildung beginnt, für Zöglinge zwiſchen 15 und 18 Jahren. Die Aufnahme erfolgt theils in etatsmäßige (oder königliche) Stellen theils gegen eine jährliche Penſion1)Die jetzt geltenden Aufnahmebeſtimmungen ſind durch Ver. v. 1. Juli 1869 (A. V.Bl. S. 152) feſtgeſtellt. Ueber den Lehrplan vgl. die Kab. O. vom 18. Januar 1877 (A. V.Bl. S. 77).. Die Aufnahme iſt auch den Angehörigen aller Staaten, welche mit Preußen Militair-Konven - tionen geſchloſſen haben, zugeſichert; dem Württembergiſchen Kriegs - miniſt. iſt die Verfügung und Zuertheilung über 54 etatsmäßige Stellen eingeräumt2)Die ehemalige Württemb. Kadetten-Schule zu Ludwigsburg iſt durch Ordre v. 30. März 1874 (Württemb. Mil. V. Bl. S. 55) aufgehoben worden.; für Sachſen beſteht z. Z. noch eine beſon - dere Kadetten-Anſtalt zu Dresden; desgleichen für Bayern in München. Das Preuß. Kadettenkorps ſteht unter einem Korps - kommandeur im Range eines Generalmajors3)Ueber das Perſonal an Offizieren und Lehrern giebt der Militair-Etat Kap. 35 Tit. 18 Auskunft..

12. Militairiſche Knaben-Erziehungs-Inſti - tute. Hierher gehören

a) Das Inſtitut zu Annaburg. Daſſelbe iſt dem In - ſpekteur der Infanterie-Schulen unterſtellt und reſſortirt in ökono - miſcher Beziehung von der Intendantur des 4. Armeekorps. Die Grundſätze, nach welchen bei der Aufnahme von Soldaten-Söhnen in das Inſtitut zu verfahren iſt, ſind durch Miniſt. -Reſcr. vom 28. April 1870 formulirt4)Abgedruckt bei v. Helldorff I. 3. S. 93..

b) Das große Militair-Waiſenhaus zu Pots - dam und Schloß Pretzſch iſt zur Aufnahme und Erziehung von ehelich geborenen und bedürftigen Soldaten-Waiſen beſtimmt; die Knaben finden in Potsdam, die Mädchen evangel. Konfeſſion in Pretzſch Aufnahme5)Mädchen kathol. Konfeſſion werden auf Koſten der Stiftung in kathol. Erziehungs-Anſtalten untergebracht.. Der Inſpekteur der Infanterie-Schulen iſt beauftragt, die Militair-Schule des Waiſenhauſes zu inſpizirenLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 9130§. 87. Die Kriegsmarine.und darüber an das Direktorium deſſelben zu berichten1)Erl. v. 11. Juli 1872.. Im Uebrigen reſſortirt die Verwaltung dieſer Stiftung direkt vom Preuß. Kriegsminiſterium.

§. 87. Die Kriegsmarine2)Eine Sammlung aller die Marine betreffenden Vorſchriften iſt begonnen in dem Werke von Bütow Die Kaiſerl. Deutſche Marine. Berlin 1878 fg., von welchem bis jetzt 4 Lieferungen erſchienen ſind..

Ueber die Organiſation und Zuſammenſetzung der Kriegs - marine fehlen geſetzliche Vorſchriften gänzlich; die Beſtimmung darüber ſteht nach Art. 53 der R.V. ausſchließlich dem Kaiſer zu, der dabei lediglich hinſichtlich der Dienſtpflicht an die im Wehr - geſetz und hinſichtlich der finanziellen Mittel an die in dem Reichs - haushalts-Etatsgeſetz gezogenen Schranken gebunden iſt. Das Reichs-Militairgeſetz findet auf die Marine keine Anwendung.

Mit Rückſicht auf die Dienſtpflicht ergiebt ſich die Eintheilung der Marine in die Kriegsflotte, welche dem ſtehenden Heere, und in die Seewehr, welche der Landwehr entſpricht3)Wehrgeſ. §. 3 und §. 13.. Eine be - ſondere Formirung der letzteren findet nicht ſtatt, dieſelbe wird viel - mehr im Falle des Bedürfniſſes zur Verſtärkung der Flotte einberufen. Hinſichtlich der Feſtſtellung der finanziellen Mittel iſt eine Grund - lage geſchaffen in dem ſogen. Flottengründungsplan. Derſelbe iſt zuerſt dem Reichstage von 1867 zur Motivirung der von der Bundesregierung verlangten Anleihe behufs Erweiterung der Bun - desmarine vorgelegt worden4)Druckſ. des Reichst. v. 1867 Nro. 106.; nachdem ſich jedoch das Bedürfniß ergeben hatte, dieſen Plan in vielen Beziehungen abzuändern und zu erweitern, wurde dem Reichstage von 1873 eine Denkſchrift der Admiralität vorgelegt, welche einen neuen Flottengründungsplan enthält5)Druckſ. des Reichst. v. 1873. I Nro. 50.. Obwohl derſelbe eine formelle Rechtskraft in keiner Beziehung hat, ſo iſt ihm doch im Allgemeinen die Billigung des Bundesrathes und des Reichstages zu Theil geworden und er liegt den Anſätzen des Reichshaushalts-Etats im Weſentlichen zu Grunde.

Die gegenwärtige Organiſation der Marine hat ſich im engſten Anſchluß an die Einrichtungen der ehemaligen Preußiſchen Marine allmählig entwickelt; den Ausgangspunkt für die zur Zeit gelten -131§. 87. Die Kriegsmarine.den Vorſchriften bildet demgemäß das Preuß. Organiſations - Reglement für die Marine-Stations-Kommandos, die Werften, die Depots und die Marine-Intendantur vom 19. Juni 18621)Preuß. Geſ. S. 1862 S. 175 ff.. Daſſelbe iſt jedoch ſeit der Gründung des Reiches, namentlich ſeit 1872 vielfach abgeändert worden.

I. Die Centralbehörde für die geſammte Kriegsmarine iſt die Kaiſerl. Admiralität, welche ſich von dem Kriegs - miniſterium dadurch ſehr weſentlich unterſcheidet, daß ſie nicht blos die oberſte Verwaltungsbehörde für die Marine (unter Verant - wortlichkeit des Reichskanzlers) iſt, ſondern daß ſie auch den Oberbefehl über die Flotte nach den Anordnungen des Kaiſers zu führen hat. In dieſer Beziehung hat ſie eine ähnliche Doppel - ſtellung wie die General-Kommandos der Armeekorps. Ihre Er - richtung, Verfaſſung und Wirkungskreis ſind bereits oben Bd. I S. 333 bei der Darſtellung des Behördenſyſtems des Reiches er - örtert worden.

Maßgebend für die Gliederung der Marine iſt die Eintheilung derſelben in zwei Stationen, die der Oſtſee und die der Nordſee. Für jede derſelben beſteht ein Marineſtationskommando (zu Kiel und zu Wilhelmshafen), an deren Spitze ein Marine - ſtationschef mit den Befugniſſen eines Diviſionskommandeurs der Armee ſteht. Er iſt der militairiſche Befehlshaber der Station und der Inſpekteur der techniſchen Inſtitute2)Vgl. Bd. I S. 338..

II. Die maritimen Streitkräfte ſind in folgenden For - mationen gegliedert:

1. Die beiden Matroſen-Diviſionen in Kiel und in Wilhelmshaven. Die Organiſation derſelben iſt unter Aufhebung der früheren Beſtimmungen geregelt durch die Kab. -Ordre vom 18. Juni 18723)Marine-V. Bl. 1872 S. 147 ff. Auch abgedruckt bei v. Rönne Staatsr. d. D. Reichs II. 2. S. 165 fg. Vgl. ferner M. V.Bl. 1873 S. 1.. Dieſe Formationen ſind zur militairiſchen Aus - bildung der Matroſen beſtimmt4)Nach dem Etat für 1879 / 80 beträgt die Kopfſtärke der beiden Diviſionen excl. Offiziere zuſammen 6474 M.. Zu jeder Matroſen-Diviſion gehören 4 Abtheilungen und ſeit der Aufhebung der Seeartil - lerie-Abtheilung 1 Matroſen-Artillerie-Abtheilung, welche zur9*132§. 87. Die Kriegsmarine.Vertheidigung der Hafen - und Küſtenbefeſtigungen und zur Aus - führung artilleriſtiſcher Arbeiten dient.

2. Die beiden Werft-Diviſionen zu Kiel und in Wil - helmshaven. Die älteren Beſtimmungen über die Einrichtung der - ſelben ſind erſetzt durch das Reglem. vom 10. Dezember 18721)Marine-V. Bl. 1872 S. 243 ff. Auszugsweiſe abgedruckt bei v. Rönne a. a. O. S. 168 fg.. Die Aufgabe derſelben beſteht nach §. 1 dieſes Reglements darin, die Schiffe ihres Stationsortes mit Maſchiniſten - und Handwerker - perſonal zu verſehen, ſowie die Werften mit Arbeitskräften zu unterſtützen. Dieſer Beſtimmung entſprechend zerfällt jede Werft - Diviſion in die erſte oder Maſchiniſten-Abtheilung und in die zweite oder Handwerker-Abtheilung. Die erſtere beſteht wieder aus der Maſchiniſten-Sektion und der Heizer-Sektion2)Der Perſonalſtand der beiden Diviſionen beziffert ſich nach dem Etat f. 1878 / 80 auf 1853 Köpfe excl. Offiziere..

3. Die Schiffsjungen-Abtheilung zu Friedrichsort. Die gegenwärtige Formation derſelben beruht auf der Verordn. vom 22. Oktober 18723)Marine-V. Bl. 1872 S. 221. Auszugsweiſe abgedruckt bei v. Rönne a. a. O. S. 170 fg. Inſtrukt. über die Ausbildung von Schiffsjungen vom 26. Nov. 1875 bei Bütow II. 7. S. 189 fg.. Die Abtheilung ſoll Matroſen und Unter - offiziere ausbilden. Der Eintritt erfolgt freiwillig und iſt nur körperlich vollkommen qualifizirten Leuten im Alter von 15 17 Jahren geſtattet; die Annahme erfolgt nur unter der Bedingung, daß man ſich zu einer neunjährigen aktiven Dienſtzeit in der Kriegs - marine nach ſtattgehabter Ausbildung verpflichtet4)Der Etat f. 1879 / 80 ſieht einen Beſtand von 400 Schiffsjungen vor.. Die Aus - bildungszeit ſelbſt beträgt 3 Jahre, während derſelben gelten die Schiffsjungen nicht als Perſonen des Soldatenſtandes, ſondern als militairiſche Zöglinge; erſt wenn ſie die genügende ſeemänniſche Ausbildung erlangt haben, werden ſie vereidigt und als Matroſen entweder in die Matroſen-Diviſion oder in die Werft-Diviſion eingeſtellt.

4. Das Seebataillon. Daſſelbe iſt eine Infanterie - Truppe, welche aus 6 Kompagnien beſteht (4 in Kiel, 2 in Wil - helmshaven5)Nach dem Etat f. 1879 / 80 hat es eine Kopfſtärke von 1169 Mann (incl. Spielleute, Oekonomiehandwerker, Zahlmeiſter-Applikanten u. ſ. w.).. Es iſt vorzugsweiſe für den Wacht - und Garniſon -133§. 87. Die Kriegsmarine.dienſt in den Marine-Etabliſſements und an Bord der Kriegsſchiffe, event. auch zu Landungen, beſtimmt1)Die dem Seebataillon bisher attachirt geweſene Marineſtabswache, welcher der Polizeidienſt auf den Werften obliegt, ſoll nach den Erläuterungen zum Marine-Etat 1879 / 80 Tit. 17 aufgehoben und durch Schutzleute erſetzt werden..

5. Die Kommandantur zu Kiel. Von derſelben reſſor - tirt der Garniſondienſt, alle garniſonpolizeilichen Angelegenheiten, ihr ſteht die Aufſicht über die Garniſon - und Lazareth-Anſtalten und eigene Militair-Gerichtsbarkeit zu2)Vgl. Handb. f. das D. R. für 1879 S. 123..

6. Das Lootſen-Kommando an der Jade zu Wil - helmshaven reſſortirt von der Marine-Station der Nordſee. Das Lootſen-Perſonal gehört zu den Militair-Beamten der Marine und zwar der Lootſen-Kommandeur und die Ober-Lootſen als obere Milit. -Beamte mit Offizier-Rang, die Lootſen als untere Milit. - Beamte mit dem Range der Portepee-Unteroffiziere3)Kab. O. v. 24. April 1873 Mar. V. Bl. S. 77..

III. Für die Verwaltung der Marine beſtehen unter der Oberleitung der Admiralität folgende Behörden:

1. Die beiden Stations-Intendanturen zu Kiel und zu Wilhelmshaven, welche durch Erlaß vom 18. Juni 18724)R. G.Bl. S. 361. Vgl. Bd. I S. 339. errichtet worden ſind und im Allgemeinen mit den Diviſions-Intendanturen der Armee auf gleicher Stuſe ſtehen. Die Geſchäfte werden bei jeder derſelben in zwei Abtheilungen bearbeitet. Ueber die An - nahme, Ausbildung und Prüfung von Kandidaten für den Marine - Intendanturdienſt ſind die näheren Vorſchriften in dem Reglem. vom 19. Januar 18755)Beilage zu Nro. 2 des Marine-V. Bl. 1873. Mit einigen Kürzungen abgedruckt bei v. Rönne a. a. O. S. 186 fg. ergangen. Für die örtliche Verwaltung der Kaſernen, Uebungsplätze und der übrigen Gebäude, Grund - ſtücke und Anſtalten der Marine beſtehen Garniſonverwaltungen zu Kiel, zu Friedrichsort und Wilhelmshaven.

2. Die Krankenpflege iſt in ganz ähnlicher Weiſe wie bei der Armee geregelt und die Kaiſerl. V. vom 6. Febr. 1873 (oben S. 115) hat auch für das Sanitäts-Korps der Marine Gel - tung. An der Spitze dieſes Korps ſteht der Generalarzt der134§. 87. Die Kriegsmarine.Marine, welchem die Oberſtabsärzte, Stabsärzte und Aſſiſtenzärzte untergeordnet ſind1)Bei jeder der beiden Marineſtationen verſieht ein Stationsarzt die - jenigen Geſchäfte, welche bei der Armee den Diviſionsärzten obliegen.. Die Marine-Lazarethe2)Solche Friedenslazarethe ſind errichtet zu Kiel, Friedrichsort, Wilhelms - haven und Yokohama. ſtehen unter der Leitung von Chefärzten, unter denen für die ökonomiſche Verwal - tung Oberinſpektoren und Inſpektoren fungiren3)Vgl. Kab. Ordre v. 10. Dez. 1872 Marine-V. Bl. S. 254..

3. Die Militair-Gerichtsbarkeit wird nach Vor - ſchrift der Preuß. Militair-Strafprozeß-Ordnung ausgeübt; die höhere Gerichtsbarkeit (der Diviſionskommandeure4)Die darüber hinausgehende Gerichtsgewalt wird von dem Chef der Admiralität reſp. vom Kaiſer ſelbſt gehandhabt. ſteht den Stationschefs zu und es ſind denſelben Marine-Auditeure beigegeben, für welche dieſelben Regeln wie für die Auditeure des Heeres gelten. Die niedere Gerichtsbarkeit ſteht den Kom - mandanten der in Dienſt geſtellten Schiffe zu5)Vgl. Kab. O. v. 13. Juni 1850, Kab. O. v. 25. Mai 1871 (M. V.Bl. S. 41) und Kab. O. v. 10. Dezember 1878 (M. V.Bl. S. 227).. Das oberſte Militairgericht in Marinejuſtizſachen iſt mit dem Preuß. General - Auditoriat verbunden; es führt die Bezeichnung General - Auditoriat der Kaiſerl. Marine 6)Erl. v. 23. Mai 1876 R. G.Bl. S. 165.. Es iſt die auf - ſichtführende Behörde über ſämmtliche Marine-Gerichte.

4. Für die Seelſorge werden Marinepfarrer und Küſter angeſtellt7)Den Oberpfarrern bei der Armee, entſprechen Stationspfarrer der Marine., auf welche hinſichtlich ihrer dienſtlichen Verhältniſſe die für die Militairgeiſtlichen gegebenen Vorſchriften d. h. die An - ordnungen der Militair-Kirchen-Ordnung vom 12. Febr. 1832, Anwendung finden8)Marine-Organiſations-Reglem. v. 7. Juli 1854 (Preuß. Geſ. S. 399) §. 126..

5. Unterricht. Für die wiſſenſchaftliche Ausbildung der Marine-Angehörigen ſind die Marineakademie und die Marineſchule zu Kiel beſtimmt. Beide Lehranſtalten reſſortiren von der Ad - miralität und ſind unter einer gemeinſchaftlichen Direktion ver - einigt9)Kab. Ordre v. 2. Nov. 1875 Marine-V. Bl. S. 243.. Die Einrichtung der Marineakademie iſt geregelt135§. 87. Die Kriegsmarine.durch die Kab. -Ordre vom 5. März 18721)Marine-V. Bl. 1874 S. 44. Auch abgedruckt bei v. Rönne a. a. O S. 175. Jedoch iſt §. 7 abgeändert durch Kab. Ordre v. 16. Juli 1878 M. V.Bl. S. 145.; demnach hat ſie die Beſtimmung: den Seeoffizieren durch weitere wiſſenſchaftliche Ausbildung die Mittel zu gewähren, ſich zu den höheren Stellen der Marine beſonders geeignet zu machen und den Offizieren über - haupt Gelegenheit zu einer höheren wiſſenſchaftlichen Ausbildung .... darzubieten. Der Lehrkurſus iſt ein zweijähriger und zer - fällt in zwei einjährige Abſchnitte für einen erſten und zweiten Cötus2)§. 9 a. a. O. Beſtimmungen v. 16. Okt. 1875 bei Bütow II. 7. S. 2 fg.. Die Marineſchule iſt aus dem ehemaligen Preuß. Seekadetten-Inſtitut hervorgegangen; ihre jetzige Organiſation iſt durch einen Erlaß vom 15. Mai 1866 normirt3)Aus dem Preuß. Miniſt. Bl. d. inneren Verw. 1866 S. 119 ff. aus - zugsweiſe abgedruckt bei v. Rönne a. a. O. S. 176. Vgl. ferner die citirten Beſtimmungen v. 16. Okt. 1875.. Sie hat die Beſtimmung: den Seeoffizieraſpiranten diejenige wiſſen - ſchaftliche Bildung zu verleihen, deren der Seeoffizier zur gedeih - lichen Ausübung ſeines Berufes bedarf, und welche daher als ſichere Grundlage für ferneres Selbſtſtudium in der Prüfung zum Seeoffizier nachzuweiſen iſt 4)§. 1 der angef. Beſtimmungen v. 15. Mai 1866..

Für den niederen Unterricht und für die Vorbildung des Perſonals der unteren Chargen für die höheren Stellen beſtehen Diviſions-Schulen5)Inſtrukt. f. die Diviſionsſchulen v. 14. Okt. 1875 bei Bütow II, 7 S. 79 fg. in jeder Matroſen - und in jeder Werft - diviſion und als Lehranſtalt einer höheren Stufe die Maſchi - niſten - und Steuermannsſchule zu Kiel6)Vgl. Inſtruktion f. die Kaiſerl. Maſchiniſten - und Steuer - manns-Schule v. 16. Dezember 1877 Beilage zu Nro. 24 des M. V.Bl. v. 1877. Der Lehrplan dieſer Schulen iſt abgedruckt bei v. Rönne a. a. O. S. 177 fg. Vgl. auch Bütow a. a. O. S. 38 ff.. Die letztere hat das Maſchiniſten - und Steuermannsperſonal wiſſenſchaftlich fortzubilden und auf die Prüfungen vorzubereiten.

IV. Anſtalten für den Schiffsbau und die Schiffs - ausrüſtung.

1. Die Werften. Der Kaiſerl. Admiralität unmittelbar untergeordnet ſind die 3 Werften zu Danzig, Kiel und Wilhelms -136§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.haven; zu ihrer Aufgabe gehört der Schiffsbau und die Reparatur der Schiffe, der Maſchinenbau, der Hafenbau, die Ausrüſtung und Armirung der Fahrzeuge, die Aufſtellung des Bedarfs an Mate - rialien, ſowie die Anſchaffung, Aufbewahrung und Verwendung derſelben1)Marine-Organiſations-Regl. v. 19. Juni 1862 §. 18.. Ueber das an denſelben beſchäftigte Perſonal und die Eintheilung ihres Geſchäftskreiſes vgl. oben Bd. I S. 339. 340.

2. Die Marine-Artillerie-Depots und die Artil - lerie-Verwaltungen der Werften zu Friedrichsort und Wilhelmshaven.

3. Die Torpedo-Depots zu Friedrichsort und Wil - helmshaven, denen die Verwaltung des Minen-Materials obliegt; das geſammte Torpedo-Material wird bei dem Depot zu Friedrichs - ort verwaltet2)Die Bildung eines in ſich geſchloſſenen Torpedo-Perſonals iſt durch Kab. Ordre v. 29. Febr. 1876 M. V.Bl. S. 49 angeordnet worden; die Er - richtung der beiden Torpedo-Depots beruht auf der Kab. Ordre v. 18. Dezemb. 1877 (M. V.Bl. 1877 S. 191)..

V. Die Deutſche Seewarte zu Hamburg und das Ob - ſervatorium zu Wilhelmshafen. Siehe darüber Bd. I S. 340. 616.

Dritter Abſchnitt. Der Militairdienſt.

§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht3)Die gegenwärtig geltenden Vorſchriften ſind auf Grund des Wehrgeſetzes und Militairgeſetzes neuredigirt worden in der Deutſchen Wehrordnung, welche an die Stelle der Militair-Erſatz-Inſtruktion vom 26. März 1868 ge - treten iſt. Sie hat die Kaiſerl. Genehmigung durch Erl. v. 28. Septemb. 1875 erhalten. Sie zerfällt in zwei Theile, von denen der erſte Erſatz - ordnung , der zweite Kontrolordnung überſchrieben iſt. Eine ord - nungsmäßige Verkündigung der Wehrordnung von Reichswegen iſt ver - nachläſſigt worden; ſie iſt abgedruckt im Centralbl. des D. R. 1875 S. 535 ff. und in den Verordnungsblättern der Einzelſtaaten. In Bayern iſt eine entſprechende Wehrordnung durch Kgl. Verordn. v..

I. Die allgemeine Wehrpflicht.

Die Wehrpflicht iſt die ſtaatsbürgerliche Verpflichtung zur Dienſtleiſtung in der bewaffneten Macht (Heer, Marine, Land - ſturm). Ueber dieſelbe gelten folgende Rechtsregeln.

137§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

1. Die Wehrpflicht iſt eine ſtaatsbürgerliche Verpflichtung; ſie beruht auf der Staats - reſp. Reichsangehörigkeit und iſt das Cor - relat des ſtaatsbürgerlichen Rechts auf Schutz. Die Wehrpflicht ſteht daher begrifflich im Gegenſatz zur vertragsmäßigen Ver - pflichtung zur Leiſtung militairiſcher Dienſte. Das Syſtem der allgemeinen Wehrpflicht unterſcheidet ſich juriſtiſch von dem Werbe - ſyſtem, indem das erſtere das Hoheitsrecht des Staates, von ſeinen Unterthanen perſönliche Militairdienſte zu verlangen, zur Grund - lage hat, bei dem letzteren dagegen ein ſolches Hoheitsrecht nicht anerkannt oder wenigſtens nicht zur Durchführung gebracht wird, ſondern die Leiſtung von militairiſchen Dienſten durch Verträge geſichert wird. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ent - hebt den Staat der Nothwendigkeit, die erforderlichen Mili - tairkräfte ſich vertragsmäßig zu verſchaffen, aber ſie ſchließt dieſen zweiten Weg nicht aus; ſoweit militairiſche Bedürfniſſe durch die allgemeine Wehrpflicht nicht völlig gedeckt werden, iſt der Staat auf die vertragsmäßige Gewinnung der erforderlichen Kräfte hin - gewieſen. Dies gilt auch von der Heeresverfaſſung des Deutſchen Reiches; dieſelbe beruht nicht ausſchließlich auf der allgemeinen Wehrpflicht und könnte mit ihr allein durchaus nicht erhalten wer - den; es beſteht neben der ſtaatsbürgerlichen Wehrpflicht die ver - tragsmäßige Dienſtpflicht. Vgl. §. 89.

2. Die Wehrpflicht umfaßt nicht alle für Zwecke der Landes - vertheidigung beſtimmten Dienſte und Leiſtungen, ſondern lediglich den Dienſt in der organiſirten, bewaffneten Macht, d. h. im Heere, in der Marine und im Landſturm1)Wehrgeſ. §. 2.. Wenn im Falle äußerſter3)21. Nov. 1875 ſanctionirt und im Bayr. Geſetz - und Verordnungsblatt 1875 Nro. 63 ordnungsmäßig verkündigt worden. Die ſpezifiſch militairiſchen Ergänzungen zur Wehrordnung ſind zuſammen - geſtellt in der Heerordnung f. das Preußiſche Heer, welche ebenfalls durch Erl. vom 28. Sept. 1875 genehmigt und in Sachſen und Württemberg über - einſtimmend eingeführt worden iſt. Auch ſie zerfällt in zwei Theile, die Re - krutirungsordnung und die Landwehrordnung. In Bayern iſt eine entſprechende Heerordnung durch Kgl. Verordn. v. 20. Dezember 1875 erlaſſen worden. Wehrordnung und Heerord - nung für Bayern, nebſt den einſchlägigen Geſetzen und Vollzugsbeſtim - mungen ſind herausgegeben von J. Zenetti. Nördlingen 1876 und ein Er - gänzungsband hierzu 1878. Daſelbſt Einl. S. XXII findet ſich eine Zuſam - menſtellung der Abweichungen der Bayer. W.O. von der Preußiſchen.138§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Noth noch über die Mannſchaften des Landſturmes hinaus ein Maſſen-Aufgebot erfolgt, ſo kann auch dieſer Befehl der Staats - gewalt mit Rechtswirkungen ausgeſtattet ſein1)Vgl. die Motive zum Landſturmgeſ. (Druckſ. des Reichst. II Seſſ. 1874 Nro. 14)., aber ihm Folge zu leiſten bildet nicht mehr den Inhalt der in der Reichsverfaſſung und den Militairgeſetzen anerkannten allgemeinen Wehrpflicht. Ebenſowenig begreift dieſelbe ſolche Dienſte, welche außerhalb des Verbandes der bewaffneten Macht geleiſtet werden, mögen dieſelben auch der Thätigkeit des Heeres zu Gute kommen. Andererſeits iſt aber die Wehrpflicht nicht beſchränkt auf den Waffendienſt; ſondern ſie umfaßt alle militairiſchen Dienſtleiſtungen und es können nicht nur neben dem eigentlichen Waffendienſt auch andere Dienſtleiſtungen von dem Wehrpflichtigen gefordert werden, ſondern diejenigen Wehrpflichtigen, welche zwar nicht zum Waffendienſte, jedoch zu ſonſtigen militairiſchen, ihrem bürgerlichen Berufe ent - ſprechenden Dienſtleiſtungen fähig ſind, können zu ſolchen heran - gezogen2)Wehrgeſ. §. 1 Abſ. 2. Dahin gehören z. B. Dienſte in den Büreau’s, in den Lazarethen, Handwerksſtätten u. ſ. w. Vgl. die Motive zu dieſem Geſetz (Druckſ. des Reichst. 1867 Nro. 18). und ausſchließlich zu ſolchen Dienſten verwendet werden.

3. Die Wehrpflicht iſt wegen ihrer Natur als ſtaatsbürger - lichen Pflicht eine kraft Geſetzes beſtehende, gemeſſene und für alle Unterthanen im Prinzip gleiche Laſt. Die Regierungs - behörden können von keinem Wehrpflichtigen ein größeres Maß von Dienſten verlangen, als das Geſetz beſtimmt, und es giebt keine Befreiungsgründe von Erfüllung der Wehrpflicht als die im Geſetz anerkannten. Das Maß der Verpflichtung beſtimmt ſich nach der Zeitdauer des Dienſtes, der von dem Wehrpflichtigen verlangt werden kann. Die Wehrpflicht iſt beſchränkt auf die Zeit vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebensjahre, denn nur innerhalb dieſer Altersgränzen iſt eine Einberufung zur bewaffneten Macht (Landſturm) zuläſſig3)Wehrgeſ. §. 3 Abſ. 3.. Innerhalb dieſes Le - bensabſchnittes iſt im Frieden der Dienſt bei den Fahnen (aktiver Dienſt) auf drei Jahre, in der Reſerve auf vier Jahre,139§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.in der Landwehr auf fünf Jahre beſchränkt1)R.V. Art. 59. Wehrgeſ. §. 6. 7.. Dieſe Zeiträume bilden das Maximum des Dienſtes, der kraft des Geſetzes geleiſtet werden muß; ſie bilden die Gränzen für das Recht des Staates, von dem Unterthan im Frieden Militairdienſte zu ver - langen.

4. Die Wehrpflicht an ſich erzeugt keine ſubjektive Verpflicht - tung zu einer beſtimmten militairiſchen Dienſtleiſtung; eine ſolche Verpflichtung entſteht erſt durch den hinzukommenden Befehl des Staates in jedem einzelnen concreten Fall; die allgemeine Wehrpflicht iſt nur der Inbegriff derjenigen ge - ſetzlichen Vorausſetzungen, bei deren Vorhan - denſein der Befehl der Staatsbehörden zur Lei - ſtung von Militairdienſten mit rechtlicher Kraft und Gültigkeit erlaſſen werden kann. Es beruht dies auf dem tiefgehenden Gegenſatz zwiſchen ſtaatsbürgerlichen Laſten und obligatoriſchen Verpflichtungen; der Beſtand der letz - teren iſt unabhängig davon, daß der Berechtigte ihre Erfüllung fordert und ſie erlöſchen regelmäßig nur durch Leiſtung oder Erlaß; die ſtaatsbürgerlichen Pflichten dagegen ſind Gehorſams - pflichten, ſie entfalten keine Wirkſamkeit, wofern der Staat nicht ihre Erfüllung fordert d. h. befiehlt, und ſie können demnach völlig wirkungslos bleiben, wenn dieſer Befehl thatſächlich nicht er - laſſen wird. So kann namentlich die Wehrpflicht des Einzelnen erlöſchen, ohne daß er durch dieſelbe zu irgend einer militairiſchen Dienſtleiſtung genöthigt worden iſt; denn das Weſen derſelben be - ſteht nur in der rechtlichen Gebundenheit, einem Befehl des Staates zur Leiſtung militairiſcher Dienſte Folge geben zu müſſen. Unter Befreiung von der Wehrpflicht iſt demnach nicht zu ver - ſtehen, die thatſächliche Nicht-Einforderung von Militairdienſten von Jemandem, z. B. wegen geiſtigen oder körperlichen Gebrechens wegen Auslooſung u. ſ. w., ſondern ſie bedeutet die Exemtion von jener Rechtspflicht, d. h. den Satz, daß der Staat Militair - dienſte von dem Befreiten nicht verlangen, ihn zur Leiſtung der - ſelben nicht zwingen darf. Eine ſolche Befreiung iſt im Wehrgeſetz §. 1 zugeſtanden:

a) den Mitgliedern regierender Häuſer,

140§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

b) den Mitgliedern der mediatiſirten, vormals reichsſtändiſchen und derjenigen Häuſer, welchen die Befreiung von der Wehrpflicht durch Verträge zugeſichert iſt oder auf Grund beſonderer Rechts - titel zuſteht.

Befreit von der Wehrpflicht ſind ferner:

c) die vor dem 1. Januar 1851 geborenen Angehörigen von Elſaß-Lothringen1)Geſ. v. 23. Januar 1872 §. 2. Landſt. Geſ. §. 9. Vgl. Bd. I S. 603..

5. Da die Wehrpflicht eine ſtaatsbürgerliche Laſt iſt, ſo kann ſie nur die Reichsangehörigen betreffen. Ausländer können zwar zum Dienſt im Deutſchen Heere und in der Flotte zugelaſſen werden2)W.O. I §. 19 Ziff. 5. und freiwillig Dienſtpflichten übernehmen, aber wehr - pflichtig ſind ſie niemals3)Sie bleiben demgemäß auch bei der Bundes-Erſatz-Vertheilung außer Anrechnung. Siehe oben S. 51.. Mit dem Verluſt der Reichsangehörig - keit erliſcht demnach von ſelbſt auch die Wehrpflicht. Durch die Auswanderung kann man ſich daher derſelben entziehen und aus dieſem Grunde bewirkt die Wehrpflicht eine Erſchwerung der Vor - ausſetzungen, unter denen die Auswanderung geſtattet iſt. Anderer - ſeits ſoll die Auswanderungsfreiheit nicht durch die Rückſicht auf die Wehrpflicht aufgehoben oder ſoweit beſchränkt werden, daß ſie thatſächlich werthlos wird; dies würde aber der Fall ſein, wenn die Auswanderung während der ganzen Dauer der Wehrpflicht unſtatthaft wäre. Es iſt deshalb die Geſtattung der Auswande - rung nicht an die Beendigung der Wehrpflicht, ſondern an die Erfüllung des wichtigſten Theiles derſelben, der activen Dienſt - pflicht (ſiehe unten sub IV. ) geknüpft. Die Auswanderung, um ſich dem activen Dienſte im Heere oder in der Flotte zu entziehen, iſt verboten; wenn die active Dienſtpflicht aber er - füllt iſt4)Wehrgeſ. §. 15 Abſ. 3. Reichsverf. Art. 59 Abſ. 2. Für Offiziere und im Offizierrange ſtehende Aerzte des Beurlaubtenſtandes gelten andere Vorſchriften, da ihr Dienſtverhältniß nicht ausſchließlich auf dem Rechtsgrunde der allgem. Wehrpflicht beruht. Siehe unten VIII, 5. Ueber die im activen Dienſt befindlichen Wehrpflichtigen vgl. Reichsgeſ. v. 1. Juni 1870 §. 15 Ziff. 2 u. 3., oder wenn der Wehrpflichtige zur Erfüllung der Dienſt - pflicht ſich geſtellt hat, zur Ableiſtung derſelben aber deshalb nicht141§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.gelangte, weil er zur Erſatzreſerve überwieſen worden iſt, ſo bildet die Wehrpflicht im Frieden kein weiteres Hinderniß der Auswan - derung1)Nur müſſen Erſatzreſerviſten erſter Klaſſe von ihrer bevorſtehenden Aus - wanderung der Militairbehörde Anzeige machen. Milit. Geſ. §. 69 Ziff. 8 und R. Straf-G.B. §. 360 Ziff. 3.. Im Kriege dagegen oder in Zeiten einer Kriegsgefahr können beſondere Anordnungen über die Auswanderung vom Kaiſer erlaſſen werden2)Reichsgeſ. v. 1. Juni 1870 §. 17.. Mit dieſem Grundſatz, daß nicht die allgemeine Wehrpflicht als ſolche d. h. in ihrem vollen Umfange, ſondern nur die in ihr enthaltene oder aus ihr reſultirende Pflicht zur Ableiſtung von Militairdienſten im ſtehenden Heere oder in der Flotte eine Beſchränkung der Auswanderungs-Freiheit begründet, iſt zugleich die Conſequenz gegeben, daß die Auswanderungsbeſchränkung der Wehrpflichtigen nur ſo lange dauert, als die letzteren zur Ablei - ſtung der Dienſtpflicht herangezogen werden können und bis über ihre active Dienſtpflicht definitiv entſchieden iſt, d. h. ſo lange ſie militairpflichtig ſind. (Siehe unten sub II und III.) Die Aus - wanderung kann nun aber in doppelter Form erfolgen3)Abgeſehen von den familienrechtlichen Gründen, welche einen Wechſel der Staatsangehörigkeit nach ſich ziehen, und den praktiſch unerheblichen Fällen der Expatriirung zur Strafe., entweder mit Conſens des Heimathsſtaates, d. h. durch Entlaſſung aus dem Staatsverbande, oder in Folge langer Abweſenheit, alſo durch einſeitigen Willensakt des Staatsangehörigen4)Vgl. Bd. I §. 18.. Für beide Fälle ſind demnach Auswanderungsbeſchränkungen zur Sicherung der activen Dienſtpflicht geſetzlich angeordnet und es iſt überdies die Wehrpflicht der ausgewanderten und in das Bundesgebiet wieder eingewanderten Reichsangehörigen normirt worden.

a) Die Entlaſſung aus dem Staatsverbande eines Deutſchen Bundesſtaates darf Wehrpflichtigen, welche ſich in dem Alter vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 25. Lebensjahre befinden, nicht ertheilt werden, bevor ſie ein Zeugniß der Erſatz - kommiſſion darüber beigebracht haben, daß ſie die Entlaſſung nicht blos in der Abſicht nachſuchen, um ſich der Dienſtpflicht im ſtehenden Heere oder in der Flotte zu entziehen5)Reichsgeſ. v. 1. Juni 1870 §. 15 Abſ. 2 Ziff. 1. Dieſe Beſtimmung. 142§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Da die Entlaſſung des Angehörigen eines Deutſchen Staates aus dem Staatsverbande zugleich auch auf die noch unter väterlicher Gewalt ſtehenden minderjährigen Kinder ſich erſtreckt, ſofern nicht bei der Entlaſſung eine Ausnahme gemacht wird1)Reichsgeſ. v. 1. Juni 1870 §. 19., ſo iſt in dem Falle, daß der Auswanderer minderjährige Söhne hat, welche das 17. Lebensjahr zurückgelegt haben, in der Entlaſſungsurkunde ein Vor - behalt hinſichtlich dieſer Söhne zu machen, wenn nicht für dieſelben das erforderliche Zeugniß der Erſatzkommiſſion beigebracht wird2)W.O. I §. 25 Ziff. 3. Die beiden ſtändigen Mitglieder der Erſatz - kommiſſion haben nach den thatſächlichen Verhältniſſen des einzelnen Falles darüber zu entſcheiden, ob das zur Entlaſſung erforderliche Zeugniß zu er - theilen iſt oder nicht. Der Beſchluß der Erſatzkommiſſion iſt endgültig. Wenn die beiden Mitglieder verſchiedener Meinung ſind, ſo iſt die Entſcheidung der Ober-Erſatzkommiſſion einzuholen und inzwiſchen von der Ertheilung der Aus - wanderungs-Erlaubniß Abſtand zu nehmen. a. a. O. Ziff. 2.. In Kriegszeiten kann durch Kaiſerliche Verordnung auf Grund des §. 17 des Reichsgeſetzes v. 1. Juni 1870 die Ertheilung der Aus - wanderungs-Erlaubniß an Wehrpflichtige ganz unterſagt werden3)W.O. I §. 25 Ziff. 4..

b) Ein Wehrpflichtiger, welcher in der Abſicht, ſich dem Eintritte in den Dienſt des ſtehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen, ohne Erlaubniß das Bundesgebiet verläßt oder nach erreichtem militärpflichtigen Alter ſich außer - halb des Bundesgebietes aufhält, wird mit Geldſtrafe von 150 bis zu 3000 Mark oder mit Gefängniß von einem Monat bis zu einem Jahre beſtraft. Der Verſuch iſt ſtrafbar. Die Beſchlag - nahme des Vermögens des Angeſchuldigten zur Deckung von Geld - ſtrafe und Koſten iſt ſtatthaft4)St. G.B. §. 140 Z. 1. Dieſe Beſtimmung iſt nur anwendbar auf ſolche Perſonen, welche noch nicht zum Soldatenſtande gehören. Rekruten, die be - beits ausgehoben, oder Freiwillige, die von einem Truppentheil bereits an - genommen ſind, verüben, wenn ſie ſich dem Dienſte durch Entfernung aus dem Bundesgebiet entziehen, das Delict der Fahnenflucht und ſind nach Maß - gabe des Militair-Strafgeſetzbuchs zu beſtrafen.. Für den Thatbeſtand des Deliktes5)findet jedoch keine Anwendung, wenn der Wehrpflichtige, welcher die Entlaſſung aus dem Staatsverbande nachſucht, den Nachweis erbringt, daß er in einem andern Bundesſtaate die Staatsangehörigkeit erworben hat, da durch die Ueberwanderung aus einem Bundesſtaate in einen andern die Wehrpflicht nicht berührt wird. a. a. O. §. 15 Abſ. 1. Vgl. Bd. I. S. 172.143§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.iſt es unerheblich, ob der Heerespflichtige durch lange Abweſenheit vou Deutſchland die Reichsangehörigkeit wirklich eingebüßt hat oder nicht und ob er eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat oder nicht. Kehrt er in das Bundesgebiet zurück, ſo kann er zur Strafe gezogen werden, wofern die Strafverfolgung noch nicht ver - jährt iſt1)Die Frage, wenn die Verjährungsfriſt beginnt, iſt nicht ohne Schwie - rigkeit. Es ſind hier verſchiedene Fälle zu unterſcheiden. Das Verbrechen kann nicht länger verübt, d. h. fortgeſetzt werden, als die Dienſtpflicht dauert. Verliert der Auswanderer alſo die Reichsangehörigkeit, ſo beginnt mit dieſem Moment die Verjährung; bleibt er aber reichsangehörig, ſo beginnt die Ver - jährung erſt mit dem Aufhören der Dienſtpflicht. Als dieſer Zeitpunkt kann aber nicht der 1. Januar des Jahres, in dem der Wehrpflichtige ſein 27. Lebensjahr vollendet, wegen §. 6 des Wehrgeſetzes angenommen werden, wie dies die herrſchende Anſicht iſt vgl. v. Martitz in Hirth’s Annalen 1875 S. 1154 und die daſ. Note 3 angeführten Criminaliſten; denn dieſes Geſetz ſagt nicht, daß die Verpflichtung zum Dienſt im ſtehenden Heere in allen Fällen mit dieſem Zeitpunkt endet, auch dann, wenn der Wehrpflich - tige ſich der Erfüllung dieſer Pflicht entzieht. Wer durch ſeine Schuld den Eintritt in das Heer verzögert, der rückt dadurch auch den Termin hinaus, in dem die Dienſtverpflichtung endet. Wer alſo durch Entfernung aus dem Reichs - gebiet ſich dem Dienſt entzieht, deſſen Dienſtpflicht hört erſt auf mit dem Ende der Militairpflicht (ſiehe unter II). Dadurch erledigt ſich der von v. Martitz a. a. O. angenommene Widerſpruch zwiſchen dem Strafrecht und dem Militair-Verwaltungsrecht.. Von dieſem Grundſatz iſt eine Ausnahme nur aner - kannt, wenn ein Angehöriger des Deutſchen Reiches, der ſich ſeiner Dienſtpflicht durch Auswanderung entzogen hat, in Nordamerika naturaliſirt worden iſt und dann nach Deutſchland zurückkehrt; in - dem Art. 2 des Vertrages des Nordd. Bundes v. 22. Febr. 1868 (B.G.B. S. 228) und der entſprechenden Verträge der Nordameri - niſchen Union mit Bayern, Württemberg, Baden und Heſſen vom Jahre 1868 beſtimmt, daß der zurückkehrende Auswanderer nur wegen ſolcher Handlungen, welche er vor ſeiner Auswanderung verübt hat, zur Strafe gezogen werden könne2)Hierdurch ſollte die Beſtrafung eines durch die Auswanderung etwa verübten Delicts ausgeſchloſſen werden. Ausdrücklich iſt dies erklärt im Protok. v. 26. Mai 1868 Ziff. II zum Bayr. Vertrage. Für Norddeutſchland hat der Bundeskommiſſar im Reichstage (Stenogr. Berichte 1868 S. 43) den Vertrag in dieſem Sinne interpretirt. Vgl. über dieſen Vertrag die Verhandlungen des Reichstags vom 16. April 1874 (Stenogr. Ber. S. 844 ff. ) und v. Martitz a. a. O. S. 794 ff..

144§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Eine erhöhte Strafe tritt ein, nämlich Gefängniß bis zu zwei Jahren, neben welchem auf Geldſtrafe bis zu 3000 Mark er - kannt werden kann, wenn ein Wehrpflichtiger nach öffentlicher Be - kanntmachung einer vom Kaiſer für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlaſſenen beſonderen Anordnung in Widerſpruch mit derſelben auswandert1)St. G.B. §. 140 Ziff. 3. Eine Auswanderung kann in dieſen Fällen immer nur ohne Entlaſſung geſchehen, da die Behörden die Entlaſſungs - urkunde in Widerſpruch mit der Kaiſerl. Anordnung nicht ertheilen dürfen; die Auswanderung iſt alſo immer nur eine factiſche, die erſt durch 10jährige Abweſenheit vom Bundesgebiet den Verluſt der Reichsangehörigkeit nach ſich zieht..

Das Strafverfahren gegen Abweſende, welche ſich der Wehr - pflicht entzogen haben, iſt in der Reichs-Strafprozeß-Ordnung §§. 470 ff. beſonders geregelt worden. Eigenthümlich iſt demſelben, daß die Erhebung der Anklage und die Eröffnung der Unterſuchung auf Grund einer Erklärung der mit der Kontrole der Wehrpflich - tigen beauftragten Behörde erfolgt.

c) Wenn ein Wehrpflichtiger durch Entfernung aus dem Bundesgebiet ſich der Erfüllung der Wehrpflicht entzogen hat und ſpäter wieder zurückkehrt, ſo entſteht die Frage, in wie weit er nachträglich zur Erfüllung der Wehrpflicht und insbeſondere der activen Dienſtpflicht im Heere oder in der Flotte angehalten wer - den kann. In dieſer Beziehung ſind 3 Fälle zu unterſcheiden. Entweder hat die Entfernung den Verluſt der Reichsangehörigkeit nicht nach ſich gezogen, indem ſie den Erforderniſſen des §. 21 des Geſ. v. 1. Juni 1870 nicht entſprochen und mit der Entlaſſung nicht verbunden war alsdann dauert auch die Wehrpflicht ununter - brochen fort und der Wehrpflichtige kann zur nachträglichen Erfüllung derſelben2)Milit. Geſ. §. 33 Abſ. 2. Siehe unten. als unſicherer Heerespflichtiger in die Armee eingereiht werden. Oder der Auswanderer hat die Reichsangehörigkeit aufge - geben und eine fremde Staatsangehörigkeit erworben und kehrt als Bürger eines fremden Staates zurück alsdann iſt er im deutſchen Reiche nicht wehrpflichtig. Der dritte Fall endlich iſt der, daß der zurückkehrende Deutſche die Reichsangehörigkeit zwar verloren, eine andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder ver - loren hat. In dieſem Falle lebt die Wehrpflicht wieder auf und mit -145§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.hin auch die Militairpflicht, gleichviel ob der zurückkehrende Auswan - derer die Reichsangehörigkeit wieder erworben hat oder ſtaaten - los den Aufenthalt in Deutſchland genommen hat. Jedoch können ſolche Perſonen im Frieden nicht über das vollendete 31. Lebens - jahr hinaus im Dienſt zurückbehalten werden1)Milit. Geſ. §. 11 Abſ. 1 und 3. Im Falle eines Krieges unterliegen ſie der Erſatzreſerve - und Landſturmpflicht; unter Umſtänden können ſie auch landwehrpflichtig ſein.. Dieſelbe Ver - pflichtung trifft die Söhne ausgewanderter und wieder in das Deutſche Reich zurückgekehrter Perſonen, ſofern ſie keine andere Staatsan - gehörigkeit erworben haben2)Mil. Geſ. §. 11 Abſ. 2.. Auch Perſonen des Beurlaubten - ſtandes und der Erſatzreſerve I. Kl., welche nach erfolgter Aus - wanderung vor vollendetem 31. Lebensjahre wieder naturaliſirt werden, ſind ebenfalls wieder wehrpflichtig und treten in den - jenigen Jahrgang ein, dem ſie ohne die ſtattgehabte Auswanderung angehört haben würden3)Mil. Geſ. §. 68, 69 Ziff. 7..

6. Die Erfüllung der Wehrpflicht iſt auch außer den erwähn - ten Beſtimmungen über die Auswanderung durch eine Anzahl von Strafdrohungen geſichert. Die meiſten derſelben betreffen die ein - zelnen in der allgemeinen Wehrpflicht enthaltenen Verpflichtungen und können daher erſt bei Erörterung der letzteren dargeſtellt wer - den; auf die Wehrpflicht im Allgemeinen aber4)Alſo z. B. auch auf die Erſatzreſerve - und Landſturmpflicht. beziehen ſich folgende Vorſchriften:

a) Wer ſich vorſätzlich durch Selbſtverſtümmelung oder auf andere Weiſe zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder durch einen Anderen untauglich machen läßt, wird mit Ge - fängniß nicht unter Einem Jahre beſtraft; auch kann auf Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieſelbe Strafe trifft denjenigen, welcher einen Anderen auf deſſen Verlangen zur Er - füllung der Wehrpflicht untauglich macht 5)St. G.B. § 142. Wird das Delict von Perſonen des Soldatenſtandes oder von den im Milit. Geſ. §. 56 unter 2 4 bezeichneten Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes verübt, ſo finden die Anordnungen des Milit. Strafgeſetzb. §. 81 und 82 Anwendung. Vgl. Milit. Geſ. §. 60 Ziff. 3.. Zum Thatbeſtande iſt nicht erforderlich, daß die Handlung die gänzliche Untaug - lichkeit zum Militairdienſt herbeiführt; die Strafe iſt auch dannLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 10146§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.verwirkt, wenn der Wehrpflichtige zum Waffendienſt untauglich ge - macht wird, zu anderen militairiſchen Dienſten dagegen verwend - bar bleibt1)Oppenhoff. Kommentar Note 2 zu §. 142 cit. .

b) Wer in der Abſicht, ſich der Erfüllung der Wehrpflicht ganz oder theilweiſe zu entziehen, auf Täuſchung berechnete Mittel anwendet, wird mit Gefängniß beſtraft; auch kann auf Ver - luſt der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieſelbe Straf - vorſchrift findet auf den Theilnehmer Anwendung 2)St. G.B. §. 143. Vgl. Mil. St. G.B. §. 83.. Dieſes Delict kann nur einer Behörde gegenüber verübt werden, welche über die Erfüllung der Wehrpflicht des Einzelnen eine Ent - ſcheidung zu treffen hat; dieſe Behörde braucht aber nicht gerade eine Erſatzkommiſſion oder Obererſatzkommiſſion zu ſein; ſondern es kann jede Civil - oder Militärbehörde ſein, welche behufs Durch - führung der Wehrpflicht in irgend einem Stadium vom Beginn bis zum Erlöſchen derſelben eine amtliche Thätigkeit zu entfalten hat, alſo insbeſondere auch die mit der Aufſtellung der Liſten be - trauten Gemeindebehörden, die Landwehr-Bezirkskommando’s u. ſ. w. Zum Thatbeſtande iſt ferner nicht erforderlich die Vorſpiegelung eines körperlichen oder geiſtigen Mangels, um die Behörden über die Tauglichkeit des Wehrpflichtigen zu täuſchen, ſondern es kann auch verübt werden durch Machinationen, um die über die Erfüllung der Wehrpflicht entſcheidenden Behörden hinſichtlich der Reichsangehörigkeit des Wehrpflichtigen, über ſeine rechtliche Fähig - keit zum Eintritt in das Heer oder zum Verbleiben in demſelben, über ſein Lebensalter, über das Vorhandenſein von Befreiungs - gründen u. ſ. w. irre zu führen.

II. Die Militairpflicht.

1. Begriff. Militairpflichtig iſt derjenige, welcher der Aus - hebung zum Dienſt im ſtehenden Heere oder in der Flotte unter - worfen iſt3)M.G. §. 10. Die W.O. I §. 20 Z. 1 definirt: Die Militairpflicht iſt die Pflicht, ſich der Aushebung für das ſtehende Heer oder die Flotte zu unter - werfen. Dieſe Definition iſt juriſtiſch nicht correct; denn der Militairpflichtige iſt nicht verpflichtet ſich zu unterwerfen, ſondern er iſt ohne ſeinen Willen. Die Militairpflicht iſt begrifflich der Wehrpflicht ganz gleichartig. Sie iſt keine Dienſtpflicht; ſie enthält nicht die Obliegenheit zu Leiſtungen für das Heer oder die Flotte; der147§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Militairpflichtige gehört nicht zur bewaffneten Macht; er unterliegt nicht der militairiſchen Disciplin und Rechtsordnung. Aber die Militairpflicht iſt eine Potenzirung oder Qualifikation der Wehrpflicht.

Wehrpflichtig iſt jeder, welcher dem Befehl zum Dienſt in der bewaffneten Macht zu gehorchen verpflichtet iſt, alſo auch dem Befehl zum Dienſt im Landſturm, in der Landwehr und in der Seewehr; die Wehrpflicht umfaßt ferner auch den activen Dienſt ſelbſt mit. Die Militairpflicht dagegen iſt nur ein vorübergehendes Stadium der Wehrpflicht; ſie bezieht ſich nur auf die Aushebung zum ſtehenden Heere und zur Flotte; ſie beginnt daher erſt mit dem Lebensalter, in welchem der Wehrpflichtige ſich die Aushebung gefallen laſſen muß, und ſie endet mit der definitiven Entſcheidung über die Dienſtpflicht, gleichviel ob dieſe Entſcheidung in der Aushebung für einen Trup - pen - oder Marinetheil, oder in der Ueberweiſung zur Erſatzreſerve oder Seewehr, oder in der Ausmuſterung reſp. Ausſchließung vom Dienſt beſteht1)W.O. I §. 20 Z. 2.. Während die Wehrpflicht mit dem vollendeten 17. Lebensjahre beginnt, fängt die Militairpflicht erſt am 1. Januar des Kalenderjahres an, in welchem der Wehrpflichtige das 20. Lebensjahr vollendet2)W.G. §. 6 Abſ. 1. Mil. G. §. 10.. Wenn der Wehrpflichtige ſchon vor dieſem Zeitpunkt ſich freiwillig zum Eintritt in das Heer oder die Flotte meldet und zur Erfüllung der Dienſtpflicht zugelaſſen wird3)Wehr-Geſ. §. 10., ſo wird er im juriſtiſchen Sinne überhaupt niemals militairpflichtig, da er der Aushebung nicht mehr unterworfen iſt4)Mil. Geſ. §. 10. W.O. I §. 22 Z. 2.. Wenn anderer - ſeits ein Wehrpflichtiger die endgültige Entſcheidung über ſeine Dienſtpflicht dadurch unmöglich macht, daß er ſich vor den Erſatz - behörden nicht zur Unterſuchung geſtellt, ſo bleibt er bis zum Erlöſchen ſeiner Wehrpflicht fortdauernd militair - pflichtig5)W.O. I §. 34 Z. 4. Es läßt ſich zwar ein beſtimmter Zeitpunkt an -.

Die Wehrpflicht in ihrer allgemeinen Bedeutung und die Militairpflicht insbeſondere haben das mit einander gemein, daß3)und ohne ſein Zuthun der Aushebung unterworfen; die Militairpflicht iſt ein Zuſtand.10*148§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ſie an ſich, d. h. ſo lange nicht die Einberufungsordre hinzukömmt, zu militairiſchen Dienſten nicht verpflichten. Dagegen iſt die Militairpflicht dadurch von der Wehrpflicht verſchieden, daß ſie die Verpflichtung zu Handlungen in ſich ſchließt, welche die Durch - führung der die Dienſtpflicht regelnden Vorſchriften, die Rekruti - rung, erleichtern oder ermöglichen. Dieſe Handlungen ſind die Anmeldung und die Geſtellung. Mit Rückſicht hierauf giebt es in der That eine Erfüllung der Militairpflicht durch ein poſi - tives Thun. Für die Erfüllung der Militairpflicht iſt reichs - geſetzlich der wichtige Grundſatz anerkannt, daß ſie nicht in dem Ge - biete desjenigen Staates zu erfolgen hat, dem der Militairpflichtige angehört, ſondern in demjenigen, in welchem er ſeinen dauernden Aufenthaltsort hat. Man pflegt dies die militairiſche Frei - zügigkeit zu nennen. Wenn der Militairpflichtige im Bundes - gebiet einen dauernden Aufenthaltsort nicht hat, ſo iſt die Mili - tairpflicht da zu erfüllen, wo er ſeinen Wohnſitz d. h. ſeinen ordentlichen Gerichtsſtand hat. Wer innerhalb des Bundesgebietes weder einen dauernden Aufenthaltsort noch einen Wohnſitz hat, muß die Militairpflicht an ſeinem Geburtsort erfüllen, und wenn auch der Geburtsort im Auslande liegt, in demjenigen Aushebungs - bezirke des Inlandes, in welchem die Eltern oder Familienhäupter ihren letzten Wohnſitz hatten (locus originis)1)Mil. Geſ. §. 12 Abſ. 1. W.O. I §. 23, 24. Das Wehrgeſ. v. 1867 §. 17 Abſ. 1 erforderte die Erfüllung der Militairpflicht am Orte des Wohn - ſitzes. Die Motive hierzu führen aus, daß dieſe Beſtimmung die noth - wendige Conſequenz des nach Art. 3 der B. Verf. beſtehenden gemeinſamen In - digenats in Verbindung mit der allgemeinen Wehrpflicht ſei. Allein eine Folge des Indigenats iſt das im Freizügigkeitsgeſ. §. 1 anerkannte Recht zum unbe - ſchränkten Aufenthalt im ganzen Bundesgebiet auch ohne Niederlaſſung d. h. ohne Begründung eines Wohnſitzes im juriſtiſchen Sinne. Dieſes Recht würde in vielen Fällen illuſoriſch werden, wenn der Militairpflichtige behufs Erfüllung der Militairpflicht von dem Ort ſeines dauernden Aufenthaltes an den.

2. Die Meldepflicht. Die Militairpflichtigen und deren Angehörige haben die Anmeldung zur Stammrolle nach Maßgabe der gegenwärtig beſtehenden Vorſchriften zu bewirken. Mil. -Geſ. 5)geben, in welchem die Militairpflicht oder was daſſelbe iſt das militair - pflichtige Lebensalter eines Wehrpflichtigen beginnt, aber nicht ein be - ſtimmter, für alle Fälle gültiger Zeitpunkt, in welchem es aufhört. Der äußerſte Termin, bis zu welchem die Militairpflicht fortdauern kann, iſt das vollendete 42. Lebensjahr.149§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.§. 31. Durch dieſe Anordnung iſt nicht nur die Meldepflicht ge - ſetzlich begründet, ſondern es iſt auch die Geſammtheit der über die Erfüllung derſelben gegenwärtig d. h. bei Erlaß des Militair - geſetzes beſtehenden Vorſchriften mit formeller Geſetzeskraft ausge - ſtattet worden, ſo daß dieſelben nur in der Form des Geſetzes ab - geändert werden können. Dieſe Vorſchriften ſind enthalten im §. 59 der Militair-Erſatz-Inſtruktion vom 26. März 1868 und ſind in die Wehr-Ordn. I §. 23 übergegangen. Im Einzelnen gelten folgende Sätze:

a) Die Rekrutirungs-Stammrollen ſind von den Gemeinden oder gleichartigen Verbänden unter Kontrole der Erſatzbehörden zu führen1)Mil. Geſ. §. 31.. In dieſelben ſind alle Militair - pflichtigen der Gemeinde einzutragen; ſie werden auf Grund der Civilſtandsregiſter2)Mil. Geſ. §. 32. Die mit Führung der Civilſtandsregiſter betrauten Behörden überſenden unentgeldlich zum 15. Januar jedes Jahres a) den Vorſtehern der Gemeinden ꝛc. einen Auszug aus dem Geburts - Regiſter des um 17 Jahre zurückliegenden Kalenderjahres, enthaltend alle Ein - tragungen der Geburtsfälle von Kindern männlichen Geſchlechts innerhalb der Gemeinde ꝛc. b) Den Civilvorſitzenden der Erſatzkomm. des Bezirks einen Auszug aus dem Sterberegiſter des letztverfloſſenen Kalenderjahres, enthaltend die Eintra - gung von Todesfällen männlicher Perſonen, welche das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, des Bezirks. W.O. I §. 45 Z. 7. Aus der letztgedachten Liſte macht der Civilvorſ. der Erſ. Kommiſſ. den Gemeindevorſtänden unmittelbar oder durch Vermittlung des Civilvorſ. der betreffenden Erſ. Komm. Mittheilung über die Todesfälle derjenigen Perſonen, welche in der Gemeinde geboren ſind, damit dieſelben aus den Stammrollen fortgelaſſen oder in denſelben geſtrichen werden. Ebendaſ. Z. 9. Die Anfertigung des Auszugs unter a) iſt nicht er - forderlich, wenn die Führung der Civilſtandsregiſter und der Stammrollen für einen Bezirk durch eine und dieſelbe Behörde erfolgt. a. a. O. Z. 10. und der erfolgten Anmeldungen der Militair - pflichtigen, ſowie amtlicher Ermittelungen geführt. Die Regelung und Kontrole der Führung innerhalb des Aushebungsbezirkes iſt Sache des Civilvorſitzenden der Erſatzkommiſſion; zu allgemeinen Erlaſſen über die Führung der Stammrollen iſt die in der dritten Inſtanz fungirende Civilbehörde befugt. Die Eintragungen erfolgen in alphabetiſcher Ordnung der Militairpflichtigen. In die Liſten ſind auch diejenigen Wehrpflichtigen aufzunehmen, welche vor Be -1)Ort ſeines Wohnſitzes zurückkehren müßte. Der Gedanke des Wehrgeſetzes von 1867 hat im Militairgeſetz von 1874 einen beſſeren und genaueren Ausdruck gefunden.150§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ginn des militairpflichtigen Alters freiwillig eingetreten ſind; ſie werden jedoch nach der Eintragung mit bezüglichem Vermerk wie - der geſtrichen. Zum 15. Februar jedes Jahres werden die Stamm - rollen des laufenden Jahres und der beiden Vorjahre unter Bei - fügung der Auszüge aus den Geburtsregiſtern und der Benach - richtigungsſchreiben über Todesfälle, an den Civilvorſitzenden der Erſatzkommiſſion eingereicht. Derſelbe veranlaßt, ſoweit erforderlich, die[Berichtigung] der Stammrollen, fertigt auf Grund derſelben für jedes Jahr die alphabetiſche Liſte, d. h. die Zuſammenſtellung aller in den Stammrollen eines Jahres enthaltenen Militairpflich - tigen für den ganzen Aushebungsbezirk, an und ſendet ſodann die Stammrollen dem Gemeindevorſteher zurück1)W.O. I §. 44, 45, 46 Z. 2, 48 Z. 4..

b) Die Wehrpflichtigen haben nach Beginn der Militairpflicht die Verpflichtung, ſich bei der Behörde des Ortes, an welchem ſie die Militairpflicht zu erfüllen haben, zur Aufnahme in die Rekrutirungs-Stammrolle anzumelden. Die Mel - dung muß in der Zeit vom 15. Januar bis zum 1. Februar er - folgen und iſt alljährlich ſo lange zu wiederholen, bis eine end - gültige Entſcheidung über die Dienſtpflicht durch die Erſatzbehörden erfolgt iſt; es ſei denn, daß der Militairpflichtige von der Wieder - holung der Anmeldung auf einen beſtimmten Zeitraum von den Erſatzbehörden ausdrücklich befreit oder über das laufende Jahr hinaus zurückgeſtellt worden iſt. Verlegt der Militairpflichtige nach Anmeldung zur Stammrolle im Laufe des Jahres ſeinen dauern - den Aufenthalt oder Wohnſitz nach einem andern Aushebungs - bezirk, ſo hat er dies ſowohl derjenigen Behörde, welche ihn in die Stammrolle aufgenommen hat, als auch derjenigen, welche an ſei - nem neuen Aufenthaltsorte die Stammrolle führt, anzumelden. Eine Verſäumniß der Meldefriſten entbindet nicht von der Er - füllung der Meldepflicht2)W.O. I §. 23..

c) Wenn Wehrpflichtige von dem Orte, an welchem ſie ſich zur Eintragung in die Stammrolle anzumelden haben, zeitweilig abweſend ſind, ſo haben ihre Angehörigen d. h. ihre Eltern, Vormünder, Lehr -, Brod - oder Fabrikherren die Verpflichtung, ſie anzumelden3)W.O. I §. 23 Ziff. 5..

151§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

d) Die Nichterfüllung der Meldepflicht wird an den Militairpflichtigen und deren Angehörigen, ſofern ihnen ein Ver - ſchulden zur Laſt fällt, mit Geldſtrafe bis zu 30 Mark oder mit Haft bis zu 3 Tagen beſtraft1)Mil. Geſ. §. 33 Abſ. 1. W.O. I §. 23 Z. 10.. Das Delict iſt kein militairiſches; es gehört zur Kompetenz der bürgerlichen Gerichte.

3. Die Geſtellungspflicht. Die Militairpflichtigen haben ſich vor den Erſatzbehörden zu geſtellen bis über ihre Dienſt - verpflichtung endgültig entſchieden iſt, jedoch höchſtens zweimal jährlich. Mil. Geſ. §. 10. Die Geſtellung findet in demjenigen Aushebungsbezirk ſtatt, in welchem der Militairpflichtige ſich zur Stammrolle zu melden hat2)W.O. I §. 24 Z. 2. Im Auslande wohnhafte Militairpflichtige können ſich jedoch einem ihrem Wohnorte näheren Bezirke überweiſen laſſen., und zwar während der ganzein Dauer der Militairpflicht, ſofern der Militairpflichtige nicht durch die Er - ſatzbehörden von der Geſtellung ganz oder theilweiſe entbunden worden iſt3)W.O. I §. 24 Z. 5.. Die Geſtellungspflicht gliedert ſich wieder in die Geſtellung zur Muſterung, das iſt die Geſtellung vor der Er - ſatzkommiſſion, und in die Geſtellung zur Aushebung, das iſt die Geſtellung vor der Ober-Erſatzkommiſſion.

a) Die Geſtellung zur Muſterung. Der Aushebungs - bezirk wird, wenn nöthig, in mehrere Muſterungsbezirke zerlegt4)W.O. I §. 1 Z. 4.; die Muſterungsorte ſind ſo zu wählen, daß die zu muſternden Militairpflichtigen möglichſt nicht länger als einen Tag, einſchließ - lich des Rückweges, ihren bürgerlichen Geſchäften entzogen werden, und die Zahl der an einem Tage zu muſternden Militairpflich - tigen darf 200 nur ausnahmsweiſe überſteigen5)W.O. I §. 59 Z. 4, 5.. Die Beorderung der Militairpflichtigen zur Muſterung erfolgt durch die Gemeinde - vorſteher; in Folge der Beorderung müſſen ſich alle Militairpflich - tigen des Bezirks, welche noch keine endgültige Entſcheidung durch die Erſatzbehörden erhalten haben oder von der Geſtellung zur Muſterung nicht ausdrücklich durch den Civilvorſitzenden der Erſatz - kommiſſion dispenſirt worden ſind, in dem Muſterungsorte ihres Muſterungsbezirkes ſtellen6)W.O. I §. 61. Eine Geſtellung in einem andern Muſterungsbezirk iſt ausnahmsweiſe im Falle der Behinderung des Geſtellungspflichtigen zuläſſig.. Wer der Beorderung keine Folge152§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.leiſtet, kann durch Anwendung geſetzlicher Zwangmaßregeln zu ſo - fortiger Geſtellung angehalten werden.

Jeder Militairpflichtige wird der Erſatzkommiſſion einzeln vor - geſtellt; er muß ſich einer körperlichen Unterſuchung unterwerfen und ſich zu dieſem Zwecke auf Verlangen des Arztes völlig ent - blößen; er muß ferner behufs Vervollſtändigung und Berichtigung der Grundliſten über ſeine bürgerlichen Verhältniſſe Auskunft geben und die erforderlichen Angaben machen behufs Feſtſtellung, ob Ausſchließungsgründe vom Militairdienſte vorhanden ſind1)W.O. I §. 62..

b) Die Geſtellung zur Aushebung. Nach beendigter Muſterung werden die Militairpflichtigen dem Ausfall der Muſterung gemäß in Kategorien getheilt und für jede dieſer Kategorien wird eine Vorſtellungsliſte angelegt2)W.O. I §. 67 Z. 4 und §. 49.. Die vom Dienſt im Heere aus - zuſchließenden Militairpflichtigen (Vorſt. -Liſte A), die wegen geiſtiger oder körperlicher Gebrechen oder wegen Mindermaßes dauernd untauglichen (Vorſt. -Liſte B), und die wegen zeitlicher Untauglich - keit, wegen bedingter Tauglichkeit oder als überſchüſſig zur Erſatz - reſerve II. Kl. in Vorſchlag gebrachten Militairpflichtigen (Vorſt. - Liſte C lit. a, b, d) werden der Ober-Erſatzkomm. nur auf be - ſondere Anordnung derſelben perſönlich vorgeſtellt3)W.O. I §. 68 Z. 3.; für dieſelben hat daher die Militairpflicht nach geſchehener Muſterung in der Regel keine praktiſche Bedeutung mehr. Dagegen ſind die wegen häuslicher Verhältniſſe zur Erſatzreſerve II. Kl. in Vorſchlag ge - brachten Militairpflichtigen (V.L. C lit. c), ſämmtliche zur Erſatz - reſerve I. Kl. (V.L. D) und ſämmtliche zur Aushebung (V.L. E) in Vorſchlag gebrachten Militairpflichtigen der Landbevölkerung, ſowie die Militairpflichtigen der ſeemänniſchen Bevölkerung (V.L. F), wofern ſie an der Muſterung Theil genommen haben, endlich die von den Truppen - oder Marinetheilen abgewieſenen Freiwilligen ver - pflichtet, ſich vor der Ober-Erſatzkommiſſion zur Aushebung zu geſtellen.

6) Wer durch Krankheit am Erſcheinen im Muſterungstermin verhindert iſt, hat ein ärztliches Atteſt einzureichen, welches von der Polizeibehörde zu be - glaubigen iſt, wenn der ausſtellende Arzt nicht amtlich angeſtellt iſt. Die Erſ. - Komm. darf ſeine außerterminliche Muſterung veranlaſſen und ſie kann Ge - müthskranke, Blödſinnige, Krüppel ꝛc. auf Grund eines derartigen Atteſtes von der Geſtellung überhaupt befreien.

153§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Der Plan zur Aushebungsreiſe im Bezirke wird von der Ober-Erſatzkommiſſ. feſtgeſtellt und den Erſatzkommiſſionen mitge - theilt1)Die näheren Vorſchriften ſind enthalten in der W.O. I §. 68.. Die Civilvorſitzenden der letzteren haben die Aushebungs - termine amtlich bekannt zu machen und die Geſtellungspflichtigen nach dem Aushebungsort zu beordern2)W.O. I §. 68 Z. 6. §. 71 Z. 1.. Außerdem iſt jeder in den Grundliſten des Aushebungsbezirks enthaltene Militairpflichtige berechtigt, im Aushebungstermin zu erſcheinen und der Ober-Er - ſatzkomm. Anliegen vorzutragen3)Meldet ſich im Aushebungstermin ein Militairpflichtiger, der in den Grundliſten nicht aufgeführt iſt, ſo iſt nach W.O. I §. 71 Z. 3 zu verfahren..

Die Militairpflichtigen werden der Ober-Erſatzkommiſſion in der Reihenfolge vorgeſtellt, in welcher ſie in den Vorſtellungs - liſten oder deren Beilagen ſtehen. Sie müſſen ſich einer noch - maligen körperlichen Unterſuchung unterwerfen. Die von der Ober - Erſatzkomm. getroffenen Entſcheidungen werden ſogleich in die Vor - ſtellungsliſten eingetragen. Die tauglich befundenen Militairpflich - tigen werden, ſoweit es zur Deckung des Rekrutenbedarfes und des Nacherſatzes erforderlich iſt, in der regelmäßigen Reihenfolge4)Abweichungen hiervon ſind nur im Intereſſe einzelner Waffengattungen geſtattet, ſofern in der regelmäßigen Reihenfolge eine genügende Zahl taug - licher Rekruten nicht zu finden iſt. Mil. Geſ. §. 13 Abſ. 2. W.O. I §. 72 Z. 5. ausgehoben. Die Reihenfolge wird in jedem Aushebungsbezirk durch das Loos beſtimmt5)Mil. Geſ. §. 13 Abſ. 1. Ausführliche Beſtimmungen über die Rangi - rung und Looſung enthält die W.O. I §. 65.. Die ausgehobenen Rekruten werden in den Grundliſten geſtrichen und erhalten Urlaubspäſſe. Mit Aushändigung derſelben treten ſie zu den Mann - ſchaften des Beurlaubtenſtandes über und ſind der Kontrole der Landwehrbehörden unterſtellt6)W.O. I §. 72 Z. 6. Mil. Geſ. §. 34..

c) Die ſchuldbare Verletzung der Geſtellungs - pflicht iſt mit derſelben Strafe bedroht wie die Verletzung der Meldepflicht, nämlich mit Geldſtrafe bis zu 30 Mark oder Haft bis zu 3 Tagen7)Mil. Geſ. §. 33 Abſ. 1., falls nicht zugleich eine härtere Strafe ver - wirkt, d. h. der Thatbeſtand des im §. 140 Z. 1 des St. G. B.’s normirten Delicts gegeben iſt.

154§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Außer dieſer gerichtlichen Beſtrafung kann die Nichterfüllung der Geſtellungspflicht Nachtheile hinſichtlich der Erfüllung der Dienſtpflicht nach ſich ziehen. Die Erſatzbehörden ſind befugt, Militairpflichtigen, welche in dem Muſterungs - oder Aushebungstermin nicht pünktlich erſchienen ſind, die Vortheile der Looſung zu entziehen1)Sie werden in dieſem Falle als Vorweg Einzuſtellende in der Reihen - folge der Militairpflichtigen rangirt. W.O. I §. 65 Ziff. 3., und wo - fern die Verſäumniß in böslicher Abſicht oder wiederholt erfolgt iſt, können die Erſatzbehörden ſie des Anſpruchs auf Zurückſtellung oder Befreiung von der Dienſtpflicht verluſtig erklären und als unſichere Heerespflichtige ſofort in die Armee einreihen laſſen. Alsdann wird die Dienſtzeit erſt vom nächſtfolgenden Rekruten - Einſtellungstermin ab gerechnet2)Mil. Geſ. §. 33 Abſ. 2..

Wenn der Militairpflichtige bei der Muſterung auf Täuſchung berechnete Mittel anwendet, um ſich der Erfüllung der Dienſtpflicht zu entziehen, ſo wird er nach §. 143 des St. G. B.’s beſtraft3)Siehe oben S. 146.. Dem Civilvorſitzenden der Erſatzkommiſſion liegt es ob, die Ein - leitung der gerichtlichen Unterſuchung herbeizuführen4)W.O. I §. 64 Ziff. 3..

III. Die Entſcheidung über die Dienſtpflicht.

Die allgemeine Wehrpflicht iſt, wie bereits bemerkt wurde, keine allgemeine und gleiche Dienſtpflicht, d. h. nicht jeder Wehr - pflichtige iſt dienſtpflichtig. Die Einziehung der Wehrpflichtigen zum Dienſt iſt vielmehr abhängig von ihrer Würdigkeit, ihrer Tauglichkeit, ihren bürgerlichen Verhältniſſen und von der Rangi - rung der Militairpflichtigen. Ueber jeden Militairpflichtigen findet daher eine Unterſuchung und Entſcheidung hinſichtlich ſeiner Dienſt - pflicht ſtatt. Hierbei iſt der Rechtsweg ausgeſchloſſen, die Gerichte ſind nicht competent, ein Prozeßverfahren findet nicht ſtatt; auch die Verwaltungsgerichte können nicht angerufen werden. Die Entſchei - dung liegt vielmehr ausſchließlich den Erſatzbehörden d. h. den mit den ſtändigen Geſchäften der Heeresergänzung betrauten Verwal - tungsbehörden ob. Ihrer Natur nach iſt die Entſcheidung über die Dienſtpflicht aber kein Verwaltungsgeſchäft5)Vgl. über die juriſtiſche Bedeutung deſſelben Bd. II S. 199 fg. 212 fg., ſondern ein rich - terliches Urtheil; ſie beſteht in der Feſtſtellung der relevanten that -155§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ſächlichen Umſtände und in der logiſchen Unterordnung derſelben unter Rechtsregeln. Durch die Entſcheidung der Erſatzbehörden wird in rechtskräftiger Weiſe der Anſpruch des Staates auf die militairiſchen Dienſte des Wehrpflichtigen reſp. das Vorhandenſein und der Umfang der Dienſtpflicht des letzteren feſtgeſtellt; ſie ſchafft formelles Recht zwiſchen dem Staat und dem Wehrpflichtigen in ähn - licher Weiſe wie das gerichtliche Urtheil unter den Prozeß-Parteien.

1. Die zur Entſcheidung kompetenten Behörden. Dieſelben ſind aus militairiſchen und bürgerlichen Elementen zu - ſammengeſetzt, da bei der Rekrutirung nicht ausſchließlich militai - riſche Intereſſen in Betracht kommen. Sie ſind in vier Inſtanzen gegliedert. Die erſte Inſtanz iſt die Erſatzkommiſſion. Sie wird für den Aushebungsbezirk gebildet und beſteht aus dem Landwehr-Bezirkskommandeur und einem Verwaltungsbeamten des Bezirks, oder wo ein ſolcher Beamter fehlt, einem beſonders zu dieſem Zwecke beſtellten bürgerlichen Mitgliede1)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 3 a. Ueber die letzten Worte bemerkte der Bericht - erſtatter (Lasker) im Reichstage: Wer nicht die Specialverhältniſſe in den einzelnen Staaten des Deutſchen Reiches kennt, wird dieſen Zuſatz nicht ver - ſtehen; es iſt uns aber in der Kommiſſ. glaubhaft berichtet worden, daß nach den Verwaltungsmaximen Mecklenburgs nicht in jedem einzelnen Bezirke ein ſolcher Beamter zu finden ſein würde, und deswegen mußte eine Spezialbeſtim - mung für Mecklenburg getroffen werden. Stenogr. Ber. 1874. I Seſſ. S. 864.. Die zweite In - ſtanz bildet die Ober-Erſatzkommiſſion für den Infanterie - Brigadebezirk; ſie beſteht aus dem Infanterie-Brigadekommandeur und einem höheren Verwaltungsbeamten2)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 3 b. . Die dritte In - ſtanz fungirt für den Armeekorps-Bezirk; ſie wird gebildet durch den kommandirenden General des Armeekorps in Gemeinſchaft mit dem Chef einer Provinzial - oder Landesbehörde, ſofern nicht hier - für in einzelnen Bundesſtaaten beſondere Behörden beſtellt ſind3)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 3 c. Ein Verzeichniß der Erſatzbehörden dritter Inſtanz und ihrer Zuſammenſetzung im ganzen Bundesgebiet mit Einſchluß Bayerns, Sachſens und Württembergs enthält die W.O. I §. 2 Ziff. 3.. Die Oberaufſicht über die Geſchäftsthätigkeit der Erſatzbehörden und die oberſte Leitung der Heeresergänzung wird von den zu - ſtändigen Kriegsminiſterien in Gemeinſchaft mit den oberſten Civil - Verwaltungsbehörden der einzelnen Bundesſtaaten geführt4)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 3 d. Ein Verzeichniß dieſer Behörden enthält die W.O. I §. 2 Ziff. 2.. Dieſer,156§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ſogen. Miniſterial-Inſtanz, ſind Angelegenheiten zur Ent - ſcheidung vorzulegen, hinſichtlich deren bei den Erſatzbehörden dritter Inſtanz Meinungsverſchiedenheiten beſtehen, über welche eine Ver - einbarung durch ſchriftliche oder mündliche Berathung nicht erzielt wird1)W.O. I §. 2 Z. 3 letzter Abſ..

Zur Entſcheidung über die geſetzlichen Anſprüche auf Befrei - ungen und Zurückſtellungen (Mil. Geſ. §. 20), ferner über die Ent - ziehung gewährter Vergünſtigungen und Befreiungen vom Militair - dienſt (eod. §. 33, 21, 51 und 55), endlich über die Klaſſifikation der Reſervemannſchaften, der Landwehr und der Erſatzreſerve I. Klaſſe mit Rückſicht auf die gewerblichen und häuslichen Ver - hältniſſe (eod. §. 64. 69) treten den ſtändigen Mitgliedern der Erſatz - und Ober-Erſatzkommiſſion andere Mitglieder hinzu, welche aus den Bezirks-Eingeſeſſenen von den Kommunal - oder Landes - vertretungen gewählt, oder wo ſolche Vertretungen nicht vorhanden ſind, von der Landes-Verwaltungsbehörde ernannt werden. Die verſtärkte Erſatzkommiſſion beſteht neben den ſtändigen Mitgliedern aus höchſtens noch einem Offizier2)Nämlich einem Infanterie-Offizier, den der Infanterie-Brigade-Kom - mandeur der Erſatzkommiſſion zutheilt. W.O. I §. 60 Z. 1. und aus vier bürgerlichen Mitgliedern; die verſtärkte Ober-Erſatzkom - miſſion wird von den ſtändigen Mitgliedern und noch einem bürgerlichen Mitgliede gebildet3)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 4. Das bürgerliche Mitglied der Ober-Erſatzk. darf nicht zugleich Mitglied einer Erſatzkommiſſ. ſein. W.O. I §. 2 Ziff. 6 letzt. Abſ.. Die bürgerlichen Mitglieder der Erſatz - und Ober-Erſatzkommiſſion nebſt einer gleichen Anzahl von Stellvertretern werden auf drei Jahre gewählt4)W.O. I §. 2 Z. 6..

Das Verhältniß der verſchiedenen Inſtanzen iſt in ſehr eigen - thümlicher, fein ausgeſonnener Weiſe geregelt, die ſowohl den In - tereſſen der Militair - und Civilverwaltung als denen der Wehr - pflichtigen Rechnung trägt.

Definitive Entſcheidungen über die Dienſtpflicht werden der Regel nach nur von der Ober-Erſatzkommiſſion getroffen; die Er - ſatzkommiſſion arbeitet ihr nur vor und ihre Beſchlüſſe unterliegen der Reviſion und endgültigen Entſcheidung der Ober-Erſatzkommiſ - ſion. Insbeſondere kann daher die Erſatzkommiſſion Wehrpflichtige157§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.nicht von der Dienſtpflicht befreien oder der Erſatzreſerve zuweiſen. Dagegen verfügt die Erſatzkommiſſion die nach dem Geſetze zuläſ - ſigen Zurückſtellungen1)Mil. Geſ. §. 30 Z. 7 Abſ. 1..

Wo nur die ſtändigen Mitglieder an der Beſchlußfaſſung Theil nehmen, iſt bei Meinungsverſchiedenheit derſelben die Ange - legenheit der nächſt höheren Inſtanz zur Entſcheidung vorzulegen. Für unaufſchiebbare vorläufige Maßregeln iſt bei der Erſatzkommiſſion die Stimme des Civilmitgliedes maßgebend; dieſe Beſtimmung be - ruht darauf, daß keine Verfügung der Erſatzkommiſſion im Stande iſt, einen Wehrpflichtigen definitiv von der Erfüllung der Dienſt - pflicht zu befreien, die ausſchließliche Geltendmachung des militai - riſchen Intereſſes aber unwiderbringliche Nachtheile für ihn her - beiführen könnte. Bei der Ober-Erſatzkommiſſion iſt dagegen die Stimme des militairiſchen Mitgliedes maßgebend nicht nur für unaufſchiebbare vorläufige Maßregeln, ſondern auch bei der Ent - ſcheidung über die körperliche Brauchbarkeit der Militairpflichtigen und die Vertheilung der ausgehobenen Mannſchaften auf die ver - ſchiedenen Waffengattungen und Truppentheile2)Mil. Geſ. §. 30 Z. 5.. [Durch] dieſe Vorſchriften wird das gegenſeitige Verhältniß der Civilverwaltung und der Militairverwaltung bei dem Erſatzgeſchäft geregelt und zwar ſo, daß das militairiſche Intereſſe überall volle Wah - rung findet.

Wenn die verſtärkte Erſatzkommiſſion oder Ober-Erſatz - kommiſſion die Entſcheidung zu treffen hat, ſo haben alle Mitglieder gleiches Stimmrecht und die Beſchlüſſe werden mit Stimmenmehr - heit gefaßt3)Mil. Geſ. §. 30 Z. 5 a. Anf.. Dem ſtändigen militairiſchen Mitgliede ſteht aber die Erhebung des Einſpruches zu gegen Entſcheidungen der Erſatz - kommiſſion über die Klaſſifikation der Mannſchaften der Reſerve, der Landwehr und der Erſatzreſerve I. Kl.; in dieſem Falle erfolgt die endgültige Entſcheidung lediglich durch die ſtändigen Mitglieder der Ober-Erſatzkommiſſion4)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 7 Abſ. 2..

Die Betheiligten d. h. die Militairpflichtigen und ihre Ange - hörigen ſind berechtigt, bei dem Verfahren vor den Erſatzbehörden158§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Reklamationen anzubringen und Anträge zu ſtellen und dieſelben durch Vorlegung von Urkunden und Stellung von Zeugen und Sachverſtändigen zu unterſtützen1)Mil. Geſ. §. 30 Z. 6.. Gegen die Entſcheidungen der Ober-Erſatzkommiſſion ſteht den Militairpflichtigen und ihren zur Reklamation berechtigten Angehörigen die Berufung an die höheren Inſtanzen zu. Nur in ſolchen Aushebungsbezirken, welche ihren Rekrutenantheil nicht aufzubringen vermögen, iſt das ſtändige mili - tairiſche Mitglied der Ober-Erſatzkommiſſion berechtigt, gegen die auf Befreiung vom Militairdienſt gerichteten Entſcheidungen Be - rufung an die höhere Inſtanz einzulegen2)Mil. Geſ. §. 30 Z. 8..

2. Zurückſtellungen. Dieſelben erfolgen in der Regel nur für die Dauer des laufenden Jahres d. h. bis zu dem Termin für Anmeldung zur Stammrolle im nächſten Jahre; wegen be - ſonderer Verhältniſſe kann aber eine Zurückſtellung bis zum dritten Militairpflichtjahre gewährt werden3)Mil. Geſ. §. 20, 21 Abſ. 1. W.O. I §. 27 Z. 3. Wegen zeitiger Aus - ſchließungsgründe iſt die Zurückſtellung bis zum fünften Mililtairpflichtjahre zuläſſig, Mil. Geſ. §. 18; behufs ungeſtörter Ausbildung für den Lebenslauf in ausnahmsweiſen Verhältniſſen bis zu einer Geſammtdauer von vier Jahren, Mil. Geſ. §. 20 Ziff. 6, alſo ebenfalls bis zum 5. Militairpflichtjahre; über die zum einjährig-freiwilligen Dienſt Berechtigten (Mil. Geſ. §. 14) ſiehe unten sub VIII; Perſonen, die ſich dauernd im Auslande aufhalten, können bis zu dem in ihrem dritten Militairpflichtjahre ſtattfindenden Aushebungs geſchäft zu - rückgeſtellt werden. W.O. I §. 31 Ziff. 7.. Für die Dauer der Zu - rückſtellung iſt der Militairpflichtige von der Melde - und Geſtellungs - pflicht dispenſirt; bei Ablauf der Friſt iſt er in dem Bezirk der - jenigen Erſatzkommiſion geſtellungspflichtig, welche die Zurückſtellung verfügt hat; an dieſe Erſatzkommiſſion ſind daher auch Anträge auf Ueberweiſung an einen andern Aushebungsbezirk zu richten. Zurückſtellungen auf längere Dauer oder aus andern Billigkeits - gründen, als den in dem Militairgeſetz angegebenen, können nur von der Miniſterial-Inſtanz des betreffenden Bundesſtaates verfügt werden; der Antrag iſt Seitens der Erſatzkommiſſion auf dem In - ſtanzenweg einzureichen; die Zurückſtellung ganzer Berufsklaſſen auf Grund dieſer Beſtimmungen iſt unzuläſſig4)Mil. G. §. 22. W.O. I §. 27 Z. 7. z. B. der Theologen; vgl. Erlaß des Reichskanzlers und Preuß. Kriegsminiſters vom 22. Juli 1874 (Centralbl. f. d. D. Reich S. 294).. Bei Eintritt159§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.einer Mobilmachung verlieren alle Zurückſtellungen ihre Gültigkeit; ſie können jedoch durch die Erſatzkommiſſion für die Zeit bis zum nächſten Muſterungsgeſchäft von Neuem ausgeſprochen werden1)W.O. I §. 27 Z. 8..

Die geſetzlich anerkannten Zurückſtellungs-Gründe ſind folgende:

a) Zeitige Untauglichkeit. Militairpflichtige, welche noch zu ſchwach oder zu klein für den Militairdienſt oder mit heil - baren Krankheiten von längerer Dauer behaftet ſind, werden vor - läufig zurückgeſtellt und falls ſie nicht nach ihrer Loosnummer zu den Ueberzähligen ihres Jahrganges gehören, für das nächſte Jahr vorgemerkt2)Mil. Geſ. §. 17 Abſ. 1. Die näheren Vorſchriften über die zeitige Un - tauglichkeit enthält die Heer-Ordn. I §. 8, vgl. auch W.O. I §. 29, ſowie die Dienſtanweiſung zur Beurtheilung der Militair-Dienſtfähigkeit und zur Aus - ſtellung von Atteſten vom 8. April 1877. Auszugsweiſe abgedruckt bei von Helldorff I. 1. S. 325 ff.. Die Zurückſtellung erfolgt im Intereſſe des Dienſtes, folglich ohne Antrag und ſelbſt wider den Wunſch des Militair - pflichtigen. Die für den Militairdienſt erforderliche Körpergröße wird durch Kaiſerliche Verordnung beſtimmt3)Mil. Geſ. §. 17 Abſ. 3. Die zur Zeit geltenden Vorſchriften ſind in der Heer-Ordn. I §. 5 Ziff. 2 enthalten..

b) Zeitige Unwürdigkeit4)Mil. Geſ. §. 18.. Wer wegen einer ſtraf - baren Handlung, die mit Zuchthaus oder mit dem Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte beſtraft werden kann, oder wegen welcher die Verurtheilung zu einer Freiheitsſtrafe von mehr als ſechs - wöchentlicher Dauer oder zu einer entſprechenden Geldſtrafe zu er - warten iſt5)Nach dem Wortlaut des Geſetzes iſt eine Unterſcheidung zu machen. Iſt die Handlung eine ſolche, daß die Verurtheilung zur Zuchthausſtrafe über - haupt möglich iſt, ſo muß jedenfalls der Ausgang der Unterſuchung abge - wartet werden; bei andern ſtrafbaren Handlungen dagegen iſt die Einſtellung nur dann aufzuſchieben, wenn nach Lage des concreten Falles eine Freiheits - ſtrafe von mehr als 6 Wochen zu erwarten iſt., in Unterſuchung ſich befindet, wird nicht vor Be - endigung der Unterſuchung eingeſtellt. Wer zu einer Freiheits - ſtrafe oder zu einer in Freiheitsſtrafe umzuwandelnden Geldſtrafe rechtskräftig verurtheilt iſt, wird nicht vor deren Vollſtreckung oder Erlaß eingeſtellt. Damit die Verzögerung der Unterſuchung oder Strafvollſtreckung aber nicht zur Befreiung von der Militairpflicht160§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.mißbraucht werde, kann die Zurückſtellung ſolcher Perſonen bis zum fünften Militairpflichtjahre verlängert werden.

c) Berückſichtigung bürgerlicher Verhältniſſe. Die Zurückſtellung wird von den Erſatzehörden auf Antrag der Militairpflichtigen oder deren Angehörigen auf Grund ſpecieller Prüfung der Umſtände verfügt1)Mil. Geſ. §. 19.. Anſpruch darauf haben2)Mil. Geſ. §. 20.:

  • α) Die einzigen Ernährer hülfloſer Familien, erwerbsunfähiger Eltern, Großeltern und Geſchwiſter
    3)Vgl. hiezu W.O. I §. 31 Ziff. 2 bis 5.
    3).
  • β) Der Sohn eines zur Arbeit und Aufſicht unfähigen Grund - beſitzers, Pächters oder Gewerbetreibenden, wenn dieſer Sohn deſſen einzige und unentbehrliche Stütze zur wirth - ſchaftlichen Erhaltung des Beſitzes, der Pachtung oder des Gewerbes iſt.
  • γ) Der nächſtälteſte Bruder eines vor dem Feinde gebliebenen oder an den erhaltenen Wunden geſtorbenen oder in Folge derſelben erwerbsunfähig gewordenen oder im Kriege an Krankheit geſtorbenen Soldaten, ſofern durch die Zurück - ſtellung den Angehörigen des letzteren eine weſentliche Er - leichterung gewährt werden kann.
  • δ) Militairpflichtige, welchen der Beſitz oder die Pachtung von Grundſtücken durch Erbſchaft oder Vermächtniß zugefallen, ſofern ihr Lebensunterhalt auf deren Bewirthſchaftung an - gewieſen und die wirthſchaftliche Erhaltung des Beſitzes oder der Pachtung auf andere Weiſe nicht zu ermöglichen iſt.
  • ε) Inhaber von Fabriken und anderen gewerblichen Etabliſſe - ments, in welchen mehrere Arbeiter beſchäftigt ſind, ſofern der Betrieb ihnen erſt innerhalb des dem Dienſtpflichtjahre vorangehenden Jahres durch Erbſchaft oder Vermächtniß zugefallen und deren wirthſchaftliche Erhaltung auf andere Weiſe nicht möglich iſt. Auf Inhaber von Handelshäuſern entſprechenden Umfanges findet dieſe Vorſchrift ſinngemäße Anwendung
    4)Ueber Motive und Bedeutung dieſes Reclamations-Grundes vgl. Stenogr. Berichte des Reichst. 1874 S. 853.
    4).
  • ζ) Militairpflichtige, welche in der Vorbereitung zu einem161§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. Lebensberufe oder in der Erlernung einer Kunſt oder eines Gewerbes begriffen ſind und durch eine Unterbrechung be - deutende Nachtheile erleiden würden
    1)Nach der W.O. I §. 31 Ziff. 6 kann dieſe Vergünſtigung auch ertheilt werden: Handwerksburſchen behufs der Wanderung, den Schifffahrt treibenden Militairpflichtigen der Landbevölkerung, allen Militairpflichtigen der ſeemänni - ſchen Bevölkerung. Seeleute, welche eine deutſche Navigations - oder Schiffs - bauſchule beſuchen, haben für die Dauer des Beſuches dieſer Anſtalten auf Zurückſtellung Anſpruch. Wehr-Geſetz v. 9. Nov. 1867 §. 13 Ziff. 5.
    1).
  • η Militairpflichtige, welche ihren dauernden Anfenthalt im Auslande haben.

Eine beſondere Art der Zurückſtellung iſt für den Fall ange - ordnet, daß zwei arbeitsfähige Ernährer hülfloſer Familien, er - werbsunfähiger Eltern, Großeltern oder Geſchwiſter, im militair - pflichtigen Alter ſich befinden und gleichzeitig nicht entbehrt werden können. In dieſem Falle iſt Einer von ihnen zurückzuſtellen bis der Andere entlaſſen wird; ſpäteſtens nach Ablauf des zweiten Dienſtpflichtjahres ſoll der einſtweilen Zurückgeſtellte eingeſtellt und gleichzeitig der zuerſt Eingeſtellte entlaſſen werden. Dieſelbe Be - ſtimmung findet auf den unter β) angegebenen Fall Anwendung2)Mil. Geſ. §. 20 Abſ. 2..

d) Ueberzählige. Diejenigen Militairpflichtigen, welche bei der Looſung3)Vgl. W. O. I §. 65. eine ſo hohe Nummer getroffen haben, daß ſie bei der Aushebung nicht zur Einſtellung in den Militairdienſt ge - langen, werden nicht ſogleich definitiv vom Dienſt befreit. Es kann vielmehr in den beiden nächſtfolgenden Jahren auf dieſe Wehr - pflichtigen zurückgegriffen werden, jedoch nur dann, wenn in dem Aushebungsbezirk der Rekrutenbedarf in anderer Weiſe nicht ge - deckt werden kann4)Mil. Geſ. §. 13 Abſ. 3..

3. Definitive Entſcheidungen. Dieſelben können einen vierfachen Inhalt haben, nämlich

a) Ausſchließung. Die Verurtheilung zur Zuchthausſtrafe hat die dauernde Unfähigkeit zum Dienſte in dem Deutſchen Heere und der Kaiſerlichen Marine zur Folge5)Str. G.B. §. 31 Abſ. 1.. Ebenſo ſind diejenigen Militairpflichtigen vom Dienſte auszuſchließen, welche noch in ihremLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 11162§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.fünften Militairpflichtjahre wegen einer gegen ſie ſchwebenden Unter - ſuchung oder wegen einer gegen ſie verhängten Strafe nicht ein - geſtellt werden können1)W.O. I §. 35 Ziff. 2.. Auch die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte bewirkt die Unfähigkeit, während der im Urtheile be - ſtimmten Zeit in das Heer oder die Marine einzutreten2)St. G.B. §. 34.. Wenn Militairpflichtige jedoch vor Ablauf ihrer aktiven Dienſtzeit wieder in den Beſitz der Ehrenrechte gelangen würden, ſo kann ihre Ein - ſtellung ihre körperliche Tauglichkeit vorausgeſetzt in eine Arbeiterabtheilung unter Anrechnung auf die Dienſtzeit erfolgen3)Mil. Geſ. §. 18.. Bei Wiedererlangung der Ehrenrechte werden ſie zur Ableiſtung des Reſtes der Dienſtzeit einem Truppentheile überwieſen4)Ueber die Berückſichtigung ausländiſcher Straferkenntniſſe vgl. W.O. I §. 35 Ziff. 3..

b) Ausmuſterung. Militairpflichtige, welche wegen körper - licher und geiſtiger Gebrechen dauernd unbrauchbar befunden wer - den, ſind vom Militairdienſt und von jeder weiteren Geſtellung vor die Erſatzbehörden zu[befreien]5)Mil. Geſ. §. 15.. Dies findet nur auf ſolche Militairpflichtige Anwendung, welche auch zum Dienſt ohne Waffe6)Als Pharmazeuten, Krankenwärter, Oekonomie-Handwerker, in der Handwerker-Abtheilung der Werft-Diviſionen. Vgl. W.O. I §. 29 Z. 2. dauernd untauglich ſind7)W.G. §. 1 Abſ. 2. W.O. I §. 36 Z. 1.. Ihre Ausmuſterung erfolgt durch die Ober-Erſatzkommiſſion ohne Rückſicht auf das Militairpflichtjahr, in welchem ſie ſich befinden.

c) Ueberweiſung zur Erſatzreſerve. Dieſelbe iſt im praktiſchen Erfolge eine Befreiung von der aktiven Dienſtpflicht im Frieden8)Vgl. unten sub VI. . Der Erſatzreſerve ſind zu überweiſen:

  • α) Militairpflichtige, welche wegen unheilbarer körperlicher Fehler nur bedingt brauchbar befunden werden
    9)Mil. Geſ. §. 16. Bedingte Tauglichkeit wird durch ſolche bleibende Fehler und Gebrechen veranlaßt, welche zwar die Geſundheit (!?) nicht beein - trächtigen, die Leiſtungsfähigkeit jedoch beſchränken ſagt die Heer-Ordn. I §. 7 Z. 1. Die Anlage 1 hiezu giebt ein Verzeichniß ſolcher Fehler.
    9) und zwar ohne Rückſicht auf das Militairpflichtjahr, in dem ſie ſich befinden.
163§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
  • β) Ueberzählige, welche auch im dritten Militairpflichtjahr noch nicht zur Einſtellung gelangen
    1)Mil. Geſ. §. 13 Abſ. 4. Die Ueberführung zur Erſatzreſerve geſchieht ſpäteſtens am 1. Februar des nächſtfolgenden Kalenderjahres; bis dahin können ſie zu Nacherſatz-Geſtellungen verwendet werden. W.O. I §. 37 Z. 4, §. 72 Z. 7 und §. 76 Z. 1.
    1).
  • γ) Zeitig Untaugliche, welche vor Ablauf des dritten Militair - pflichtjahres nicht dienſtfähig werden
    2)Mil. Geſ. §. 17 Abſ. 2.
    2).
  • δ) In Berückſichtigung bürgerlicher Verhältniſſe Zurückgeſtellte, denen die im Militairgeſetz §. 20 unter 1 bis 5 aufgeführten Berückſichtigungsgründe auch im dritten Militairpflichtjahre noch zur Seite ſtehen
    3)Mil. Geſ. §. 21 Abſ. 1.
    3). Wenn ein ſolcher Militairpflichtiger aber ſich der Erfüllung des Zweckes entzieht, welcher ſeine Befreiung vom Militairdienſt herbeigeführt hat, ſo kann er vor Ablauf des Jahres, in welchem er das 25. Lebensjahr vollendet, nachträglich ausgehoben werden
    4)Mil. Geſ. §. 21 Abſ. 2.
    4). Die Entſchei - dung hierüber erfolgt von der verſtärkten Ober-Erſatzkom - miſſion, nachdem die verſtärkte Erſatzkommiſſion ſich gutacht - lich geäußert hat
    5)Mil. Geſ. §. 31 Z. 4 d. W.O. I §. 37 Z. 3 Abſ. 3.
    5).
  • ε) Militairpflichtige, welche wegen beſonderer, geſetzlich nicht vorgeſehener Billigkeitsgründe ausnahmsweiſe von der Mini - ſterial-Inſtanz von der Einſtellung in das Heer befreit werden
    6)Mil. Geſ. §. 22.
    6).

Bei der Ueberweiſung eines Militairpflichtigen zur Erſatzreſerve wird gleichzeitig darüber entſchieden, welcher der beiden Klaſſen der Erſatzreſerve er zugewieſen wird. Der erſten Klaſſe werden zu - nächſt die Ueberzähligen zugewieſen, welche wegen hoher Loos - nummer nicht zur Einſtellung gelangt ſind. Außerdem wird der Bedarf gedeckt aus den wegen häuslicher Verhältniſſe Befreiten, wenn die weitere Berückſichtigung dieſer Verhältniſſe im Falle des Krieges nicht gerechtfertigt erſcheint; aus den wegen geringer kör - perlicher Fehler Befreiten und aus den wegen zeitiger Dienſtun - brauchbarkeit Befreiten, wenn ihre Kräftigung während der nächſt -11*164§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.folgenden Jahre in dem Maße zu erwarten iſt, daß ſie voraus - ſichtlich zum Kriegsdienſte werden eingezogen werden können1)Mil. Geſ. §. 25.. Der erſten Klaſſe ſind alljährlich ſo viele Mannſchaften zu über - weiſen, daß mit fünf Jahrgängen der Bedarf für die Mobil - machung des Heeres gedeckt wird2)Mil. Geſ. §. 24.. Wenn ein Ueberſchuß vor - handen iſt, ſo entſcheidet unter den Freigeloosten die Reihenfolge der Loosnummer, unter den übrigen Mannſchaften das Lebensalter, die beſſere Dienſtbrauchbarkeit und Abkömmlichkeit3)Mil. Geſ. §. 25 Abſ. 3.. Der zwei - ten Klaſſe werden alle diejenigen, der Erſatzreſerve zugetheilten Militairpflichtigen überwieſen, welche als weniger geeignet oder überſchüſſig nicht der erſten Klaſſe zugetheilt werden4)Mil. Geſ. §. 26..

In allen Fällen, in welchen Militairpflichtige der Landbe - völkerung der Erſatzreſerve I oder II zu überweiſen ſind, werden Militairpflichtige der ſeemänniſchen Bevölkerung der Seewehr zweiter Klaſſe überwieſen5)W.O. I §. 40..

d) Aushebung für das ſtehende Heer oder die Flotte. Dieſelbe iſt zu unterſcheiden von der Einſtellung; ſie iſt lediglich das Urtheil, daß der Militairpflichtige den Dienſt im aktiven Heer oder in der Flotte zu leiſten habe. Sie kann wieder einen vierfach verſchiedenen Inhalt haben, nämlich

α) zum Dienſt mit der Waffe. Die hierzu tauglich Be - fundenen werden auf die einzelnen Waffengattungen nach ihrer Körpergröße und ihren beſonderen Eigenſchaften vertheilt6)Die näheren Vorſchriften ſind in der H.O. I §. 5 enthalten.. Die ſeemänniſche Bevölkerung des Reiches iſt nur der Aushebung für die Flotte unterworfen, vom Dienſte im Landheer befreit7)Reichsverfaſſung Art. 53 Abſ. 4..

β) zum Dienſte ohne Waffe und zwar als Krankenwärter Leute, welche Luſt und Befähigung zur Krankenpflege haben, als Oekonomiehandwerker Militairpflichtige, welche als Schneider, Schuh - macher oder Sattler zu verwenden ſind, und als Pharmazeuten ſolche zum einjährig-freiwilligen Dienſt berechtigte Perſonen, welche die Approbation als Apotheker erlangt haben8)Wehr-Geſ. §. 1 Abſ. 2. H.O. I §. 6..

165§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

γ) als Arbeitsſoldaten ſolche zum Dienſt mit der Waffe taugliche Militairpflichtige, welche nicht im Beſitz der bürgerlichen Ehrenrechte ſind1)Mil. Geſ. §. 18. W.O. I §. 42 Ziff. 2. Siehe oben S. 162..

δ) zur verſuchsweiſen Einſtellung, wenn Militairpflichtige angeblich an Gebrechen leiden, deren Vorhandenſein bei der Ge - ſtellung vor den Erſatzbehörden überhaupt nicht oder nicht in dem behaupteten Grade nachgewieſen werden kann2)W.O. I §. 42 Ziff. 3..

IV. Die Verpflichtung zum aktiven Dienſt im ſtehen - den Heere oder in der Flotte.

Mit dem Ausdruck ſtehendes Heer bezeichnen die Reichs - geſetze nicht blos die Geſammtheit der bei den Fahnen befindlichen Militairperſonen des Friedensſtandes, ſondern auch die zur Reſerve Beurlaubten3)R.V. Art. 59 Abſ. 1. W.G. §. 6. Vgl. oben S. 98.. Er iſt demnach nicht gleichbedeutend mit dem Ausdruck: aktives Heer 4)Mil. Geſ. §. 38.. Ebenſo umfaßt der Ausdruck Flotte auch die Marinereſerve mit. Die Dienſtpflicht im ſtehenden Heere oder in der Flotte gliedert ſich daher in zwei Theile, in die Pflicht zum aktiven Dienſt (bei den Fahnen) und in die Reſervepflicht5)W.G. §. 6. W.O. I §. 5 und 6., die juriſtiſch von einander ſehr verſchieden ſind.

Die aktive Dienſtpflicht als Beſtandtheil der geſetzlichen Wehr - pflicht d. h. im Gegenſatz zur vertragsmäßig übernommenen Dienſt - verpflichtung iſt ein Anwendungsfall der Unterthanenpflicht und hat deshalb qualitativ keinen andern Inhalt als die ſtaatsbürger - liche Unterthanenpflicht überhaupt, nämlich Gehorſam und Treue6)Vgl. Bd. I §. 14 S. 137 ff.. Sie iſt aber eine ſtark potenzirte Unterthanenpflicht, indem ſowohl die Gehorſamspflicht als die Treuverpflichtung einen ſehr ausgedehnten Umfang haben und indem ihre Erfüllung durch ſchwere Strafdrohungen geſichert iſt.

1. Die militairiſche Gehorſamspflicht.

Die ausgehobenen Rekruten ſind von dem Tage ihres Ein - trittes in das aktive Heer bis zu dem Ablauf des Tages ihrer166§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Entlaſſung aus dem aktiven Dienſte1)Vgl. Mil. Geſ. §. 38 Z. 3. der Gewalt ihrer militairi - ſchen Vorgeſetzten in der Art unterworfen, daß ſie dienſtlichen Be - fehlen derſelben unbedingt Folge leiſten müſſen. Dieſe Gewalt iſt eine obrigkeitliche, eine im öffentlichen Recht wurzelnde; ſie iſt ein Anwendungsfall der Staatsgewalt ſelbſt; daher darf ſie nur im Intereſſe des Dienſtes verwendet werden und der Mißbrauch der - ſelben iſt mit Kriminalſtrafe bedroht2)Mil. Strafgeſ. Buch VII Abſchnitt §. 114 ff. (R. G.Bl. 1872 S. 195 ff.).. Dies iſt aber auch die einzige juriſtiſche d. h. durch Rechtsſatz gegebene Schranke dieſer Gewalt. Worin der Inhalt dienſtlicher Befehle beſtehen kann, iſt nicht rechtlich beſtimmt, ſondern durch thatſächliche Um - ſtände, techniſche Rückſichten, durch das Intereſſe an der Ausbil - dung der Soldaten, der Sicherheit, Ordnung, Sparſamkeit der Verwaltung u. ſ. w. bedingt. Man kann nicht angeben, zu welchen einzelnen Leiſtungen der bei den Fahnen befindliche Soldat recht - lich verpflichtet ſei; ſeine Gehorſamspflicht iſt vielmehr inhaltlich eine unbegränzte; er muß jedem dienſtlichen Befehl des Vorge - ſetzten nachkommen, ſoweit er es vermag.

Zwar kann der Vorgeſetzte nicht befehlen, was ihm beliebt; er iſt vielmehr ſeinerſeits wieder durch Verordnungen, Inſtruktionen und Befehlen ſeiner Vorgeſetzten angewieſen, was er den ihm untergebenen Mannſchaften befehlen dürfe und ſolle. Die Ord - nung dieſer Verhältniſſe aber iſt eine innere Angelegenheit der Militair-Verwaltung und nicht von rechtlicher Natur. Das Rechts - verhältniß zwiſchen dem ſeine aktive Dienſtpflicht erfüllenden Unterthan und der Staatsgewalt iſt lediglich durch den Satz ge - geben, daß der erſtere allen dienſtlichen Befehlen Gehor - ſam ſchuldig iſt. Durch dieſen Satz iſt die aktive Dienſtpflicht von allen andern Unterthanenpflichten ſpezifiſch verſchieden; nicht weil ſie eine Gehorſamspflicht iſt, ſondern weil es keine recht - lichen Gränzen für das giebt, was dienſtlich befohlen werden kann3)Auch wenn durch die Ausführung eines Befehls in Dienſtſachen ein Strafgeſetz verletzt wird, ſo iſt dafür der befehlende Vorgeſetzte allein ver - antwortlich. Ausgenommen iſt jedoch abgeſehen von einer Ueberſchreitung des Befehls der Fall, wenn dem Untergebenen bekannt geweſen iſt, daß der Befehl des Vorgeſetzten eine Handlung betraf, welche ein bürger -. Hierauf und auf den ſtarken Schutzmitteln, mit denen167§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.der militairiſche Gehorſam geſichert iſt, beruht die außerordentliche Intenſivität der ſtaatlichen Militairgewalt.

Die Erfüllung der militairiſchen Gehorſamspflicht iſt durch eine Reihe von Rechtsvorſchriften geſichert:

a) Die Wehrpflichtigen leiſten bei ihrer Einſtellung in einen Truppentheil den Fahneneid, in welchem ſie die genaue Be - folgung der ihnen ertheilten Befehle angeloben. In die Formel iſt nach R.V. Art. 64 Abſ. 1 die Verpflichtung, den Befehlen des Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten , aufzunehmen1)Vgl. oben §. 81 I S. 63..

b) Das Militair-Strafgeſetzbuch behandelt im ſechſten Abſchnitt (§§. 89 113) Verletzungen der Pflicht der militairiſchen Unterordnung. Die Strafen ſind je nach dem Thatbeſtande ab - geſtuft; in ſchweren Fällen tritt die Todesſtrafe ein2)M.St. G.B. §. 95, 97 Abſ. 3, 107, 108.. Ganz all - gemein aber beſtimmt §. 92: Ungehorſam gegen einen Befehl in Dienſtſachen durch Nichtbefolgung oder durch eigenmächtige Ab - änderung oder Ueberſchreitung deſſelben wird mit Arreſt beſtraft.

c) Die Disciplinar-Strafordnung für das Heer vom 31. Oktober 18723)Armee-Verordnungs-Bl. 1872 S. 330. Eingef. in Württemberg d. V. v. 27. Nov. 1872. Württ. M. V.Bl. S. 368. In Bayern V. v. 12. Dezemb. 1872 Bayer. Mil. V. Bl. S. 493. und die Disciplinar-Verordnung für die Kaiſerl. Marine vom 23. November 18724)Marine-V. Bl. 1872 Beilage zu Nro. 22. enthalten ebenfalls Vorſchriften über die Beſtrafung des Ungehorſams. Die Discipli - narſtrafordnung geht über den Umfang, welchen die Disciplinar - gewalt ihrem Begriffe nach ſonſt hat und der namentlich im Reichs - beamten-Geſetz feſtgehalten iſt5)Vgl. Bd. I S. 477 ff., weit hinaus; ſie läßt in weitem Maße die Verhängung von Arreſtſtrafen zu; ſie iſt überhaupt ein zweites Militair-Strafgeſetzbuch, das gleichſam für leichtere Fälle die Ergänzung des eigentlichen vom 20. Juni 1872 bildet. Dieſe Verwendung der Disciplinargewalt hat eine ausdrückliche geſetz - liche Anerkennung gefunden im Einführungsgeſetz zum Militair -3)liches oder militairiſches Vergehen bezweckte. Führt der Untergebene trotzdem einen ſolchen Befehl aus, ſo trifft ihn die Strafe des Theilnehmers. Milit. Strafgeſetzb. §. 47. Hieraus ergibt ſich, daß ein ſolcher Befehl für den Untergebenen nicht rechtsverbindlich iſt.168§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Strafgeſetzbuch vom 20. Juni 1872 §. 3, welches die Beſtrafung im Disciplinarwege der Beſtrafung auf Grund eines gerichtlichen Erkenntniſſes gegenüberſtellt, den Gegenſatz alſo lediglich in die Form des Verfahrens legt. Zu den leichteren Fällen, welche im Disciplinarwege geahndet werden können, gehören nach §. 3 Z. 1 des erwähnten Geſetzes gerade auch Ungehorſamsfälle. Die Dis - ciplinargewalt reicht aber viel weiter als die eigentliche Straf - gewalt; ſie iſt recht eigentlich das Mittel, durch welches der Staat die Erfüllung der militairiſchen Dienſtpflicht und insbeſondere der Gehorſamspflicht mit unwiderſtehlicher Kraft und ſofortigem Er - folge erzwingt1)Vgl. Bd. I S. 449.; ſich ſichert nicht nur wie das Strafgeſetz den Gehorſam, ſondern den prompten Gehorſam. Der Dis - ciplinarbeſtrafung unterliegen insbeſondere alle Handlungen gegen die militairiſche Zucht und Ordnung und gegen die Dienſtvorſchrif - ten, für welche die Militairgeſetze keine Strafbeſtimmungen ent - halten2)Discipl. Straf. Ordn. §. 1 Ziff. 1.. Das Recht, die Vorſchriften über die Handhabung der Disciplin im Heere zu erlaſſen, ſteht dem Kaiſer zu3)Milit. Geſ. §. 8. Für die Marine ergiebt ſich derſelbe Rechtsſatz aus Reichs-Verf. Art. 53. Ueber Bayern vgl. Mil. Geſ. §. 72 und oben S. 25..

d) Zur Sicherung der Disciplin dienen ferner die Vorſchriften über die Behandlung von Beſchwerden, indem die letzteren den Charakter einer Oppoſition gegen den Vorgeſetzten tragen und die Subordination beeinträchtigen könnten. Um dies zu verhüten, iſt angeordnet, daß ſie nicht ſogleich, ſondern früheſtens am nächſten Morgen nach dem Vorfall, der zur Beſchwerde Anlaß gegeben hat, erhoben werden dürfen, ferner ſind ſie an beſtimmte Friſten ge - bunden, iſt die Beobachtung eines beſtimmten Weges und Ver - fahrens, die Meldung bei dem nächſten direkten Vorgeſetzten u. ſ. w. vorgeſchrieben4)Die gegenwärtig geltenden Vorſchriften ſind erlaſſen für das Heer und die Marine am 6. März 1873. Armee-Verordnungsblatt 1873 S. 63. Marine-V. Bl. S. 43. Bayeriſche V. v. 29. Okt. 1875. Mil. V. Bl. S. 575.. Die Verletzung dieſer Vorſchriften iſt ganz unabhängig von der materiellen Entſcheidung über die Beſchwerde ſelbſt ein Vergehen, das von Perſonen des Soldatenſtandes, welche im aktiven Dienſt ſich befinden, gerichtlich, an ſolchen Per - ſonen, die dem Beurlaubtenſtande angehören, gerichtlich oder dis -169§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ciplinariſch beſtraft wird1)Mil. Strafgeſ. B. §. 152 Abſ. 2. Discipl. Straf-O. §. 27. Vorſchriften vom 6. März 1873 §. 1 Ziff. 2.. Auch die Erhebung unbegründeter, leichtfertiger oder wider beſſeres Wiſſen auf unwahre Behauptun - gen geſtützter Beſchwerden bildet den Thatbeſtand eines beſonderen militairiſchen Delictes2)Mil. Strafgeſ. B. §. 152. Vorſchriften vom 6. März 1873 §. 12..

e) Auch die Anreizung einer Perſon des Soldatenſtandes zur Verletzung der militairiſchen Gehorſamspflicht iſt unter Strafe ge - ſtellt. Wird das Vergehen von einer im activen Dienſt ſtehenden Militairperſon verübt, ſo wird es nach dem Milit. -Strafgeſetzbuch §. 99 ff. beurtheilt; in allen anderen Fällen findet §. 112 des Reichs-St. G. B’s Anwendung.

f) Endlich iſt es den militairiſchen Vorgeſetzten anheimgeſtellt, ſich im Nothfalle ſelbſt Gehorſam zu erzwingen. Diejenigen Hand - lungen, welche der Vorgeſetzte begeht, um den thätlichen Angriff der Untergebenen abzuwehren oder um ſeinen Befehlen im Fall der äußerſten Noth und dringendſten Gefahr Gehor - ſam zu verſchaffen, ſind nicht als Mißbrauch der Dienſtgewalt an - zuſehen 3)Mil. Strafgeſ. B. §. 124 Abſ. 1.. Namentlich kann ein Offizier in Ermangelung an - derer Mittel, um den durchaus nothwendigen Gehorſam zu er - halten, gegen den thatſächlich ſich ihm widerſetzenden Untergebenen von der Waffe Gebrauch machen4)Ebendaſ. Abſ. 2. Während der erſte Abſ. ganz allgemein von Vor - geſetzten ſpricht, erwähnt der zweite Abſ. nur den Offizier..

2) Die militairiſche Treuverpflichtung.

Auch dieſe Verpflichtung iſt eine Verſtärkung oder Potenzirung der Treupflicht des Unterthanen. Die letztere iſt nur nach ihrer negativen Seite rechtlich von Belang, d. h. der Unterthan muß jede gegen das Wohl des Staates und ſeines Oberhauptes ge - richtete Handlung unterlaſſen; die Verletzung dieſer Unterlaſſungs - pflicht wird als Hochverrath oder Landesverrath geahndet5)Vgl. Bd. I S. 139.. In dieſer Beziehung ſtehen die Perſonen des Soldatenſtandes den übrigen Staatsunterthanen völlig gleich. Auf eine Perſon des Soldatenſtandes, welche ſich eines Hochverrathes oder eines Landes - verrathes ſchuldig macht, finden die Vorſchriften des Deutſchen170§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Strafgeſetzbuchs (§§. 80 93) Anwendung 1)Mil. St. G.B. §. 56.. Nur ſind erheblich höhere Strafen für den ſogen. Kriegsverrath d. h. für einen im Felde begangenen Landesverrath feſtgeſetzt2)Mil. St. G.B. §. 57 61.. Dagegen iſt die militairiſche Treupflicht von der gewöhnlichen Unterthanen-Treu - pflicht dadurch unterſchieden, daß ſie zu poſitiver Förderung des Wohles des Kriegsherrn reſp. des Staates und Reiches nach beſtem Wiſſen und Können verpflichtet, ſelbſt wenn die Erfüllung dieſer Pflicht mit der Gefährdung oder Aufopferung der höchſten perſönlichen Intereſſen, der Geſundheit, Freiheit oder des Lebens verbunden iſt3)Ueber den Begriff der Treupflicht und über das Verhältniß derſelben zur Gehorſamspflicht ſind die Unterſuchungen von Ehrenberg Commendation und Huldigung. Weimar 1877 S. 105 ff. zu vergleichen. Was hier auf Grund der Quellen fränkiſcher Zeit klar gelegt worden iſt, hat auch für das heutige Recht ſeine volle Bedeutung.. Eine poſitive Aufzählung beſtimmter einzelner Handlungen, zu welchen die Treupflicht verbindlich macht, iſt nach dem Begriff derſelben unmöglich; das Maß der Leiſtungen be - ſtimmt ſich nach der ſubjectiven Einſicht und Fähigkeit und richtet ſich nach den thatſächlichen Verhältniſſen; der Idee nach ſchließt die Treue die Bereitſchaft zur vollſtändigen Selbſtverläugnung und Selbſtaufopferung ein. In dieſem vollen Maße iſt ſie aber recht - lich nicht erzwingbar, die Strafgewalt des Staates kann immer nur einzelne, durch beſtimmte Thatbeſtände umſchriebene Ver - letzungen der Treue treffen. Die Treue im ideellen Sinne iſt eine moraliſche Pflicht und kann deshalb auch nur durch ein Mittel von weſentlich moraliſchem Charakter geſichert werden. Dieſes Mittel iſt der Treueid. In dem Fahneneid der Soldaten lebt das alte juramentum fidelitatis fort; er enthält das Verſprechen: dem Landesherrn in allen und jeden Vorfällen, zu Lande und zu Waſſer, in Kriegs - und Friedenszeiten, und an welchen Orten es immer ſei, getreu und redlich zu dienen, Allerhöchſt Dero Nutzen und Beſtes befördern, Schaden und Nachtheil aber abwenden ..... zu wollen.

Aber auch rechtliche Folgen kann die Verletzung der poſitiven Seite der Treupflicht nach ſich ziehen, wenn ſie in beſtimmten, im Geſetz vorgeſehenen Thatbeſtänden geſchieht. Dahin gehört nament -171§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.lich die ſtrenge Beſtrafung der Feigheit1)M.St. G.B. §. 84 88. Wer während des Gefechts aus Feigheit die Flucht ergreift und die Kameraden durch Worte oder Zeichen zur Flucht ver - leitet, wird mit dem Tode beſtraft. §. 84., der Deſertion2)M.St. G.B. §. 64 ff., 69 ff., der Gefährdung der Kriegsmacht im Felde durch Verletzung einer Dienſtpflicht3)Ebendaſ. §. 62., wiſſentlich unwahrer Ausſagen in dienſtlichen An - gelegenheiten4)M.St. G.B. §. 90. u. ſ. w.

3) Die Gegenleiſtung des Staates.

Die active Dienſtpflicht abſorbirt wegen der in ihr enthaltenen unbeſchränkten Gehorſamspflicht die perſönliche Kraft und Leiſtungs - fähigkeit des Pflichtigen in dem Maße, daß er der Regel nach gänzlich außer Stande iſt, daneben ſeinem bürgerlichen Beruf ſich zu widmen und eine Erwerbsthätigkeit auszuüben. Aus dieſem Grunde laſtet auf dem Staate die Verpflichtung, die im activen Dienſt befindlichen Wehrpflichtigen zu erhalten. Der Anſpruch des Wehrpflichtigen iſt aber kein Anſpruch auf Lohn, auf Bezahlung der Dienſte, wie er bei der Dienſtmiethe begründet iſt, ſondern auf Alimentirung5)Hierin liegt ein bedeutſamer Gegenſatz zwiſchen dem Syſtem der geſetz - lichen Wehrpflicht und dem Werbeſyſtem. Eine Erinnerung an das letztere hat ſich jedoch darin enthalten, daß die regelmäßige baare Geldzahlung, welche der Wehrpflichtige während des aktiven Dienſtes bezieht, den techniſchen Namen Löhnung führt, im Gegenſatz zu dem Gehalt der Offiziere, Aerzte, Be - amten ꝛc.. Die Erfüllung der Dienſtpflicht iſt daher trotz der Verpflegung der Mannſchaften auf Koſten des Staates eine unentgeldliche Leiſtung der Wehrpflichtigen; ſie iſt keine Erwerbsthätigkeit, keine bezahlte Arbeit. Aus der Natur der Wehr - pflicht als einer ſtaatsbürgerlichen oder Unterthanenpflicht ergiebt ſich dies von ſelbſt; es iſt aber von Wichtigkeit für das Verſtänd - niß des juriſtiſchen Charakters der Wehrpflicht, dies klar zu er - kennen. Damit der Staat ſeine weſentlichſte Aufgabe, nämlich Schutz gegen äußere Feinde und Aufrechthaltung der Rechtsordnung im Innern, wirkſam erfüllen könne, fordert er von allen dazu ge - eigneten Unterthanen die Militairdienſte. Die wahre Gegen - leiſtung des Staates für dieſelben iſt eben dieſer Schutz nach Außen und Innen. Leiſtung und Gegenleiſtung172§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ſind gleichartig; ſie ſind beide unſchätzbar, unentgeldlich, von durchaus öffentlich-rechtlicher Natur. Aber eine thatſächliche Folge der Erfüllung der Dienſtpflicht beſteht in einer zeitweiſen Beeinträchtigung oder Vernichtung der Erwerbsthätigkeit. Der Staat, welcher durch die Anforderung des activen Militairdienſtes den Wehrpflichtigen außer Stande ſetzt, ſeinen Unterhalt zu er - werben, ſieht ſich dadurch genöthigt, die Fürſorge für dieſen Unter - halt ſelbſt zu übernehmen. Von dieſem Princip aus ergiebt ſich der eigenthümliche Rechtscharakter dieſer Leiſtung des Staates. Es hängt nämlich von dem alleinigen Belieben des Staates ab, in welchem Maße und in welcher Art und Weiſe er dem Dienſt - pflichtigen den Unterhalt gewähren will; der eigene Wille des Dienſtpflichtigen kömmt hierbei in keiner Hinſicht in Betracht. Der Dienſtpflichtige hat deshalb keine civilrechtliche Klage gegen den Staat auf Gewährung des Unterhaltes oder auf Gewährung be - ſtimmter Leiſtungen und es giebt kein Gericht, welches bei einem Streit zwiſchen dem Staat und dem Dienſtpflichtigen das ange - meſſene Maß der Verpflegung ꝛc. feſtſtellen könnte. Hierdurch unterſcheidet ſich der Anſpruch des Wehrpflichtigen nicht nur von dem Anſpruch auf Lohn auf Grund eines Dienſtmiethevertrages, ſondern auch von dem Anſpruch der Beamten. Denn, wenn auch die Beſoldung der letzteren ebenfalls den Charakter der Alimen - tirung, nicht den der Lohnzahlung hat1)Vgl. oben Bd. I S. 465., ſo beruht doch der An - ſpruch auf Gewährung derſelben auf einem Vertrage und er bildet das Aequivalent für Leiſtungen, zu denen der Beamte nicht kraft Rechtsſatzes ſondern kraft freiwilliger Uebernahme verbunden iſt2)Bd. I S. 401 ff.. Deshalb ſteht den Beamten auch für die Geltendmachung dieſer An - ſprüche der Weg der Klage vor den Gerichten offen und der ihnen zu - geſicherte Gehalt kann von Rechtswegen gegen ihren Willen nicht herabgeſetzt werden. Der Wehrpflichtige dagegen erfüllt durch Leiſtung des activen Dienſtes eine geſetzliche Unterthanenpflicht, die ihm auch ohne ſeinen Willen obliegt, und demgemäß empfängt er in völlig paſſiver Weiſe die Verpflegung Seitens des Staates nach deſſen freiem Ermeſſen. Der Anſpruch des Wehrpflichtigen auf Unterhalt hat demnach nicht den Charakter eines vermögensrecht -173§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.lichen ſubjectiven Rechts und der Fiskus iſt nicht civilrechtlich ob - ligirt. Die Verpflegung der dienſtpflichtigen Mannſchaften des Heeres und der Marine hat vielmehr durchaus den Charakter einer Verwaltungsthätigkeit des Staates. Es ſchließt dies nicht aus, daß ſie nicht theilweiſe durch Vorſchriften geregelt iſt, die in der Form der Geſetzgebung ergangen ſind1)Vgl. Bd. II S. 209 fg., und insbeſon - dere findet die Rechtswirkung des Staatshaushalts-Etats auch hier ihre volle Anwendung.

Die Fürſorge für die Lebensbedürfniſſe der Mannſchaften er - folgt theils in der Geſtalt der Naturalverpflegung theils durch Geld - verpflegung. Dieſelbe erſtreckt ſich auch auf die Märſche der aus - gehobenen Rekruten zum Truppentheil und der entlaſſenen Wehr - pflichtigen vom Truppentheil, ferner auf Krankheitsfälle, auf die Zeit der Verbüßung einer Gefängniß -, Haft - oder Arreſtſtrafe; dagegen erhalten Wehrpflichtige, während ſie auf Urlaub ſind, keine Löhnung2)Die näheren Vorſchriften über die Verpflegung der Truppen ſind in mehreren, z. Th. ſehr umfangreichen Reglements enthalten, die durch Königl. Kabinets-Ordre genehmigt und im Armee-Verordn. Bl. verkündet ſind, die aber fortwährend durch ſpezielle Kab. Ordres abgeändert oder ergänzt und durch Miniſterial-Reſcripte erläutert werden. Eine vortreffliche Ausgabe und Bear - beitung dieſes weitſchichtigen Materials enthält das umfangreiche Werk von v. Helldorff. Dienſt-Vorſchriften der Königl. Preuß. Armee 4 Bde. 3. Aufl. 1873 ff. (Die älteren Ausgaben ſind völlig antiquirt.) Die wichtigſten dieſer Reglements ſind: Das Geldverpflegungs-Regl. für den Frieden v. 24. Mai 1877 (v. Hell - dorff Th. III Abth. 2 Heft 1); das Geldverpflegungs-Regl. für den Krieg vom 29. Aug. 1868 (ebend. III. 2, 2); Reglem. für die Naturalverpfl. im Frieden vom 13. Mai 1858 mit zahlreichen Nachträgen (ebenda III. 3, 1); Reglem. über die Bekleidung und Ausrüſtung im Frieden vom 30. April 1868 (ebenda III. 4, 1); Reglem. über die Bekleidung und Ausrüſtung im Kriege vom 8. Februar 1877 (ebenda III. 4. 2 ); V. über Tagegelder, Reiſekoſten u. dgl. vom 15. Juli 1873 (ebenda III. Abth. 5); Vorſchr. über Einrichtung und Aus - ſtattung der Kaſernen vom 21. Juli 1874 (ebenda IV. Abth. 2); Reglem. über die Friedenslazarethe vom 5. Juli 1852 (ebend. IV. Abth. 3)..

4) Die Dauer der activen Dienſtpflicht.

Nach dem Art. 59 der R.V. hat jeder wehrfähige Deutſche den Dienſt im ſtehenden Heere bei den Fahnen in der Regel drei Jahre vom vollendeten 20. Lebensjahre an zu leiſten. Dieſe Regel174§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.hat aber verſchiedene Modifikationen durch die Reichsgeſetzgebung erfahren.

a) Die Verpflichtung zum Dienſt im ſtehenden Heere oder in der Flotte beginnt bereits mit dem 1. Januar desjenigen Kalender - jahres, in welchem der Wehrpflichtige das 20. Lebensjahr voll - endet1)W.G. §. 6 Abſ. 1. Mil. G. §. 10. Es iſt jedoch jedem jungen Manne überlaſſen, ſchon nach vollendetem 17. Lebensjahre, wenn er die nöthige mora - liſche und körperliche Qualifikation hat, freiwillig in den Militairdienſt einzu - treten. W.G. §. 10. Wer von dieſem Recht Gebrauch macht, kann den Trup - pentheil, bei welchem er ſeiner aktiven Dienſtpflicht genügen will, auswählen. W.G. §. 17 Abf. 2. Die näheren Vorſchriften über den freiwilligen Eintritt zum dreijährigen aktiven Dienſt enthält die W.O. I §. 83 87.. Obwohl dem Wortlaut nach zwiſchen dieſer Beſtimmung und dem Art. 59 der R.V. keine volle Uebereinſtimmung beſteht, ſo vermindert ſich doch thatſächlich dieſer Widerſpruch dadurch, daß die im Laufe eines Jahres für das aktive Heer ausgehobenen Wehrpflichtigen in der Regel erſt im letzten Quartal deſſelben Jahres in das Heer eingeſtellt werden2)Bericht der Kommiſſion des Reichstages zum W.G. §. 6. Eine wört - liche Ausführung des Art. 59 der R.V. d. h. die Einſtellung jedes Wehrpflich - tigen in das Heer an dem Tage, an welchem er das 20. Lebensjahr vol - lendet, iſt aus techniſchen Gründen (der Rekruten-Ausbildung) unthunlich; die Einſtellung des jährlichen Erſatzes muß an einem einheitlichen Termin er - folgen..

b) Die dreijährige Friſt wird von dem Tage des wirklich er - folgten Dienſtantritts berechnet, jedoch mit der Maßgabe, daß die - jenigen Mannſchaften, welche in der Zeit vom 2. Oktober bis 31. März eingeſtellt werden, als am vorhergehenden 1. Oktober eingeſtellt gelten3)W.G. §. 6 Abſ. 3.. Hierdurch tritt eine Verminderung der drei - jährigen Dienſtzeit ein. Andererſeits kann die Entlaſſung einge - ſchiffter Mannſchaften der Marine, wenn den Umſtänden nach eine frühere Entlaſſung nicht ausführbar iſt, bis zur Rückkehr in Häfen des Bundes verſchoben werden4)W.G. §. 6 Abſ. 4..

Die Dienſtzeit der als unſichere Heerespflichtige außertermin - lich eingeſtellten Militairpflichtigen wird erſt vom nächſtfolgenden Rekruten-Einſtellungstermine ab gerechnet5)Mil. Geſ. §. 33 Abſ. 2 a. E. und die Zeit einer175§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Freiheitsſtrafe von mehr als ſechs Wochen wird auf die geſetzliche Dienſtzeit im ſtehenden Heer oder in der Flotte nicht angerechnet1)Milit. Strafgeſetzb. §. 18..

c) Vor Ablauf der geſetzlichen Dienſtzeit können Wehrpflichtige aus dem activen Dienſt entlaſſen werden und zwar entweder zur Dispoſition des Truppentheils oder zur Dispoſition der Erſatz - behörden.

Beurlaubungen zur Dispoſition des Truppen - theils ſind nach Ablauf einer zweijährigen activen Dienſtzeit ſtatthaft, ſofern die entſtehenden Vakanzen durch Einſtellung von Rekruten oder Freiwilligen gedeckt werden können. Für die Aus - wahl der Mannſchaften iſt Lebensalter, ſowie Rückſicht auf häus - liche und dienſtliche Verhältniſſe maßgebend. Die Entſcheidung ſteht der Militairbehörde allein zu. Die beurlaubten Mannſchaften können bis zum Ablauf ihres dritten Dienſtpflichtjahres jederzeit wieder zu ihren Truppentheilen einberufen werden2)Mil. Geſ. §. 60 Ziff. 5. Heer-Ordn. I §. 14 Ziff. 2. Ueber die Ent - laſſung der Trainſoldaten und Krankenwärter vgl. ebend. §. 13, 3 u. 4.. Bis dahin bedürfen ſie zum Wechſel des Aufenthaltsorts der militairi - ſchen Genehmigung. Dieſelbe wird von den Landwehr-Bezirks - Kommando’s ertheilt. Wer ohne die Genehmigung nachgeſucht und erhalten zu haben, den Aufenthalt wechſelt, wird ſofort wieder ein - berufen3)Mil. Geſ. a. a. O. W.O. II §. 7 Ziff. 8..

Eine beſondere geſetzliche Begünſtigung genießen Volks - ſchullehrer und Kandidaten des Volksſchulamtes, welche die vor - ſchriftsmäßige Prüfung für das Schulamt beſtanden haben. Sie können nach kürzerer Einübung mit den Waffen d. h. nach ſechswöchentlicher aktiver Dienſtzeit bei einem Infanterie-Regiment beurlaubt werden4)Mil. Geſ. §. 51 Abſ. 1. W.O. I §. 9. Heer-Ord. I §. 13 Z. 2.. Wenn der Beurlaubte aber ſeinen bisherigen Beruf gänzlich auf - giebt oder aus dem Schulamte für immer entlaſſen wird, ſo kann er vor Ablauf des Jahres, in welchem er das 25. Lebenjahr vollendet zum aktiven Dienſt wieder eingezogen werden5)Mil. Geſ. §. 51 Abſ. 2.. Die Entſcheidung über die Wieder-Einberufung ſteht der verſtärkten Er - ſatzkommiſſion reſp. Ober-Erſatzkommiſſ. zu6)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 4 c. .

176§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Zur Dispoſition der Erſatzbehörden zu entlaſſen ſind Soldaten, welche während der Erfüllung ihrer aktiven Dienſt - pflicht dienſtunbrauchbar werden1)Mil. Geſ. §. 52.. Die Entlaſſung wird durch den kommandirenden General, bei Marinemannſchaften durch den Chef der Kaiſerl. Admiralität verfügt2)W.O. §. 81 Z. 2 Abſ. 2. Ueber das zu beobachtende Verfahren vgl. Heer-Ordn. I §. 15.. Außerdem können Sol - daten auf Anſuchen aus dem aktiven Dienſt entlaſſen werden, wenn nach ihrer Aushebung einer der Gründe eingetreten iſt, aus welchem ihre Zurückſtellung hätte verfügt werden können, wenn er vor der Aushebung bereits vorhanden geweſen wäre3)Mil. Geſ. §. 20 Z. 1 5 und §. 53 Abſ. 1.. Das Geſuch iſt durch die ſtändigen Mitglieder der Erſatzkommiſſion zu begutachten; die Entſcheidung fällt der kommandirende General des Armeekorps, in welchem der Reklamirte ſeiner Dienſtpflicht genügt, in Gemein - ſchaft mit der (nach §. 30 Z. 3 lit. c competenten) Landes - oder Provinzialbehörde ſeines Heimathsbezirkes4)Mil. Geſ. §. 53 Abſ. 2.. Die Entlaſſung er - folgt zu dem nächſten allgemeinen Entlaſſungstermin, ſofern nicht ein ungewöhnlicher Grad der Dringlichkeit die frühere Entlaſſung nothwendig macht5)Mil. Geſ. §. 53 Abſ. 3.. In beſonderen Ausnahmefällen kann eine vorzeitige Entlaſſung, auch wenn keiner der im §. 53 Abſ. 1 des Mil. Geſ. vorgeſehenen Gründe vorliegt, von der Miniſterialinſtanz genehmigt werden6)W.O. §. 82 Z. 4.. Soldaten, welche ſich bei mobilen Truppen im Dienſt befinden, können nur im äußerſten Nothfalle reklamirt werden7)Die näheren Vorſchriften enthält die W.O. §. 100 auf Grund des Mil. Geſ. §. 53 Abſ. 4..

Ueber das fernere Dienſtverhältniß der zur Dispoſition der Erſatzbehörden entlaſſenen Mannſchaften entſcheiden die Erſatzbe - hörden nach denſelben Grundſätzen wie über die noch nicht einge - ſtellten Militairpflichtigen der entſprechenden Altersklaſſen. Ihre Wiederaushebung ſoll jedoch nicht ſtattfinden, wenn ſie bereits ein Jahr oder als Einjährig-Freiwillige 9 Monate aktiv gedient haben; es ſei denn, daß ſie der Verpflichtung, deren Erfüllung ihre Ent - laſſung aus dem Militairdienſt begründete, ſich entziehen und das177§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben1)Mil. Geſ. §. 55.. Die Entſcheidung über die Wiederaushebung iſt von der verſtärkten Erſatzkommiſſ. reſp. Ober-Erſatzkommiſſ. zu fällen2)Mil. Geſ. §. 30 Z. 4 c. W.O. I §. 81 Ziff. 4..

Die zur Dispoſition der Erſatzbehörden entlaſſenen Soldaten gehören bis zur Entſcheidung über ihr ferneres Militairverhältniß zu den Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes.

d) Nach Erfüllung der geſetzlichen activen Dienſtpflicht werden die Soldaten im Frieden zur Reſerve entlaſſen3)Mil. Geſ. §. 50.; im Kriege findet eine Entlaſſung ausgedienter Mannſchaften nur inſoweit ſtatt, als der Abgang dem Bedürfniß entſprechend durch anderweitige Aus - hebungen gedeckt werden kann4)Vgl. W.G. §. 14..

V. Die Dienſtpflicht in der Reſerve und in der Land - oder Seewehr.

1. Begriff. So erheblich der Unterſchied zwiſchen der Reſerve und der Landwehr hinſichtlich der Organiſation des Heeres iſt, in - dem die Reſerve zum ſtehenden Heere gehört, die Landwehr dagegen in der Regel in beſonders formirten Truppenkörpern verwendet wird5)Wehr-Geſ. §. 5. Vgl. oben §. 84., ſo gleichartig iſt die Dienſtpflicht der zur Reſerve und der zur Land - oder Seewehr gehörenden Wehrpflichtigen normirt. Die Landwehrdienſtpflicht iſt lediglich eine fortgeſetzte Reſervedienſt - pflicht. Gemeinſam iſt beiden, daß ſie die militairiſche Ausbildung der Wehrpflichtigen, alſo die Ableiſtung der aktiven Dienſtpflicht zur Vorausſetzung haben; gemeinſam iſt ferner beiden, daß die Wehrpflichtigen von dem aktiven Dienſt zwar dispenſirt ſind, aber ſich bereit halten müſſen, der Einberufung zu den Fahnen Folge zu leiſten; gemeinſam iſt ihnen endlich, daß die Mannſchaften im Frieden zu Uebungen, Kontrolverſammlungen und Meldungen ver - pflichtet ſind. Die Dienſtpflicht in der Reſerve und in der Land - oder Seewehr läßt ſich dahin charakteriſiren, daß die Pflicht zum aktiven Militairdienſt quoad ius fortdauerd, quoad exercitium aber ſuspendirt iſt. Die Mannſchaften der Reſerve und der LandwehrLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 12178§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.gelten daher als von den Fahnen beurlaubt und bilden gemein - ſchaftlich mit den bereits ausgehobenen aber noch nicht eingeſtellten Rekruten und den zur Dispoſition der Truppenkörper oder der Erſatzbehörden vor erfüllter aktiver Dienſtpflicht entlaſſenen Mann - ſchaften den Beurlaubtenſtand1)Mil. Geſ. §. 56.. Die Pflichten, welche den zur Reſerve - und Land - (See -) wehr gehörenden Mannſchaften ob - liegen, zerfallen in zwei weſentlich verſchiedene Kategorien; die einen ſind die ordentlichen, d. h. im Frieden und bei gewöhnlichen Verhältniſſen zu erfüllenden, die anderen ſind die außerordentlichen, welche nur bei Verſtärkungen oder Mobilmachungen des Heeres wirkſam werden.

2. Die ordentlichen Dienſtpflichten (im Frieden).

a) Die Theilnahme an Uebungen. Jeder Wehr - pflichtige iſt während der Dauer des Reſerveverhältniſſes zur Theil - nahme an zwei Uebungen verpflichtet, welche die Dauer von je acht Wochen nicht überſchreiten2)W.G. §. 6 Abſ. 6.. Jede Einberufung zum Dienſt im Heere, beziehungsw. zur Ausrüſtung in der Flotte, zählt für eine Uebung3)ebend. Abſ. 7.. Die Uebungen finden bei den Truppentheilen des ſtehenden Heeres ſtatt4)Behufs Ausbildung im Magazin-Verwaltungsdienſt können in jedem Armeekorps 12 dazu geeignete Perſonen des Beurlaubtenſtandes zu einer ſechs - wöchentlichen uebung bei einem größeren Proviant-Amt (ſtatt bei der Truppe) einberufen werden. Kab. Ordre vom 9. März 1869 und Miniſt. Reſcr. vom 18. März 1869 (v. Helldorff I, 1. S. 285 fg.). Ebenſo finden Uebungen be - hufs Ausbildung im Speditionsdienſt bei einem Montirungsdepot ſtatt. Kab. - Ordre vom 21. Nov. 1872 und Miniſt. Reſcr. vom 15. Januar 1873 (v. Hell - dorff a. a. O. S. 288 fg. ); ſowie Uebungen behufs Ausbildung im Sanitäts - dienſt bei den Friedenslazarethen. Kab. Ordre vom 3. Sept. 1874. Miniſt. - Reſcr. vom 27. Okt. 1874 (v. Helldorff a. a. O. S. 290 fg.).. Die Mannſchaften der Landwehr können während der Landwehr-Dienſtzeit ebenfalls zweimal auf 8 14 Tage zu Uebungen einberufen werden; die Uebungen der Landwehr-Infan - terie finden in beſonderen Kompagnien oder Bataillonen ſtatt; die der Jäger und Schützen, der Artillerie, der Pioniere und des Trains im Anſchluſſe an die betreffenden Linien-Truppentheile; die Land - wehr-Kavallerie wird im Frieden zu Uebungen nicht einberufen5)W.G. §. 7 Abſ. 4. 5.. 179§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Landwehr-Mannſchaften, welche das 32. Lebensjahr überſchritten haben, können zu den geſetzlichen Uebungen nur ausnahmsweiſe, auf Grund beſonderer Kaiſerlicher Verordnung einberufen werden, ausgenommen wenn ſie in Folge eigenen Verſchuldens1)Alſo nicht in Folge von Zurückſtellungen durch die Erſatzbehörden. verſpätet in den aktiven Dienſt getreten ſind, oder wenn ſie wegen Kontrol - entziehung oder in Folge einer erlittenen Freiheitsſtrafe von mehr als ſechswöchentlicher Dauer nachdienen müſſen, oder wenn ſie auf ihren Antrag von den zuletzt vorhergegangenen Landwehr-Uebungen befreit worden ſind2)Kontrolgeſ. §. 4 Abſ. 1.. Die Schifffahrt treibenden Mannſchaften der Reſerve und der Landwehr ſollen zu Uebungen im Sommer nicht einberufen werden3)ebendaſ. Abſ. 2..

Die Seewehr wird in Friedenszeiten in der Regel zu Uebungen nicht einberufen4)W.O. II §. 12 Z. 8..

Während der Zeit, in welcher die Reſerve - und Landwehr - Mannſchaften zum Dienſt einberufen ſind und zwar von dem Tage, zu welchem ſie einberufen ſind bis zum Ablauf des Tages ihrer Wiederentlaſſung, gehören dieſe Perſonen zum aktiven Heere5)Mil. Geſ. §. 38 B. 1.; die Regeln über die aktive Dienſtpflicht finden auf ſie Anwendung, insbeſondere die Vorſchriften des Militairſtrafgeſetzbuchs und der Disciplinar-Ordnung6)Mil. Strafgeſetzb. §. 6 und Discipl. Strafordn. §. 2.; ſie haben den Militair-Gerichtsſtand7)Preuß. Mil. Strafgerichts-Ordn. vom 3. April 1845 §. 7..

Die Einberufung zu den Uebungen erfolgt hinſichtlich aller Perſonen des Beurlaubtenſtandes auf Anordnung der komman - direnden Generale, reſp. des Chefs der Kaiſerl. Admiralität durch die Landwehr-Bezirkskommandos und zwar ſtets durch Geſtellungs - Ordres8)W.G. §. 8. Heer-Ordn. II §. 19 Z. 1 und 17..

Ungehorſam gegen die Einberufungs-Ordre wird nach §. 113 des Milit. -Strafgeſetzb. beſtraft; im Disciplinarwege iſt die Be - ſtrafung nur dann zuläſſig, wenn der Einberufene nur zu ſpät ſich an den ihm beſtimmten Ort geſtellt hat, oder wenn die Umſtände ſonſt eine milde Beurtheilung zulaſſen9)Discipl. St. Ordn. §. 25.. Außerdem können die12*180§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Wehrpflichtigen unter Verlängerung ihrer Dienſtzeit in die nächſt jüngere Jahresklaſſe verſetzt werden1)Mil. Geſ. §. 67.. Die Entſcheidung hierüber ſteht dem Landwehr-Bezirkskommandeur zu2)W.O. I §. 11 Ziff. 4 §. 12 Ziff. 3..

b) Geſtellung zu Kontrolverſammlungen. Die Mannſchaften der Landwehr können alljährlich einmal3)Und zwar zu den Herbſt-Kontrolverſammlungen; es ergiebt ſich dies aus Mil. Geſ. §. 62 Abſ. 2. Vgl. W.O. II §. 11. Ziff. 4. Siehe unten S. 189., die übrigen Perſonen des Beurlaubtenſtandes zweimal zu Kontrolverſammlun - gen zuſammenberufen werden4)Kontr. Geſ. §. 1. Für die Schifffahrt treibenden Mannſchaften der Re - ſerve und Landwehr dürfen durch die General-Kommando’s im Januar be - ſondere Schiffer-Kontrolverſamml. anberaumt werden. W.O. II §. 11 Z. 7. Die Einberufung erfolgt in der Regel durch öffentliche Aufforderung. Wer ohne Entſchuldi - gung ausbleibt, kann behufs ſeiner Rechtfertigung nach dem Stations - ort der Landwehr-Kompagnie oder auch in das Stabsquartier des Landwehr-Bezirkskommando’s zur perſönlichen Vernehmung beor - dert werden5)Kontr. Geſ. §. 2 Abſ. 2. Heer-Ordn. II §. 17 Z. 7.. Mannſchaften, welche ſich der Kontrole länger als ein Jahr entziehen, können, abgeſehen von der etwa verwirkten Strafe wegen Ungehorſams, unter Verlängerung der Dienſtzeit in die nächſt jüngere Jahresklaſſe und wenn die Kontrolentziehung zwei Jahre und darüber dauert entſprechend weiter zurückver - ſetzt werden6)Milit. Geſ. §. 67. Die Entſcheidung ſteht auch hier dem Landwehr - Bezirkskommandeur zu. Vgl. oben Note 2.. Dispenſationen von den Kontrolverſammlungen ſind ſtets zu ertheilen, wenn Billigkeitsrückſichten dafür ſprechen und nicht beſondere militairiſche Bedenken entgegenſtehen7)Heer-Ordn. II §. 17 Ziff. 8. An Tagen von Reichs - und Landtags - Wahlen finden Kontrolverſammlungen nicht ſtatt. W.O. II §. 11..

Das Erſcheinen bei der Kontrolverſammlung iſt ein militai - riſcher Dienſt; die Perſonen des Beurlaubtenſtandes gehören daher während der ganzen Dauer des Tages, an welchem ſie zur Kontrolverſammlung einberufen ſind, zum aktiven Heere8)Mil. Geſ. §. 38 B. 1. Die Mannſchaften (nicht die Offiziere) erſcheinen jedoch in bürgerlicher Kleidung. H.O. II §. 17 Ziff. 5.. Sie ſind an dieſem Tage zum militairiſchen Gehorſam verpflichtet9)Ueber das Verfahren bei den Kontrolverſammlungen vgl. H.O. II §. 17 Ziff. 6.181§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.und unterliegen den Vorſchriften des Militair-Strafgeſetzbuchs und der Disciplinar-Strafordnung1)Mil. Strafgeſ. B. §. 6. Disciplin. St. O. §. 23, 26. Die Disciplinar - ſtrafe darf die Dauer von 3 Tagen gelinden oder mittleren Arreſt nicht über - ſteigen.. Die Geſtellung zu den Kontrol - verſammlungen begründet jedoch keinen Anſpruch auf Verpflegung oder auf Gebühren2)Kontr. Geſ. §. 3. Dagegen wird bei Beorderung in das Stabsquartier des Landwehr-Bezirkskommando’s das reglementsmäßige Reiſegeld und event. Quartier und Verpflegung den Mannſchaften (nicht den Offizieren) gewährt.. Mit Rückſicht hierauf ſind die Kontrolver - ſammlungen in Bezug auf Zeit und Ort ſo einzurichten, daß die betheiligten Mannſchaften nicht länger als einen Tag, einſchließlich des Hinweges und des Rückweges, ihren bürgerlichen Geſchäften entzogen werden3)Kontr. Geſ. §. 1..

c) Meldepflicht behufs der Kontrole. Während die Kontrole der Wehrpflichtigen von dem Eintritt in das mili - tairpflichtige Alter bis zur Entſcheidung über die Dienſtpflicht von den Erſatzbehörden geführt wird, tritt von dieſem Zeitpunkt an die Kontrole der Landwehrbehörden ein. Die mit der Ausübung der Kontrole beauftragten Behörden ſind die Landwehr-Bezirks - kommando’s; unter ihrer Leitung ſtehen die Landwehr-Bezirksfeld - webel, denen die Führung der Kontrole über die Mannſchaften4)nicht über die Offiziere W.O. II §. 9 Ziff. 1. H.O. II §. 5 ff. übertragen iſt. Alle Reichs - Staats - und Kommunalbehörden ſind verpflichtet, in dem Bereiche ihrer geſetzlichen Befugniſſe die Mili - tairbehörden bei der Kontrole zu unterſtützen5)Mil. Geſ. §. 70. Dieſe Pflicht liegt in erſter Linie den Polizeibehörden und Ortsvorſtänden ob; desgleichen den Konſulaten und Seemannsämtern; die Gerichte haben von Amtswegen von der Einleitung von Unterſuchungen und von Verurtheilungen, welche Perſonen des Beurlaubtenſtandes betreffen, An - zeige zu erſtatten. W.O. II §. 2, §. 7 Ziff. 12..

Der Zweck der Kontrole beſteht darin, daß die Einberufung der Perſonen des Beurlaubtenſtandes zu Uebungen, nothwendigen Verſtärkungen oder Mobilmachungen des Heeres und der Marine jederzeit ſtattfinden kann. Den zur Ausübung dieſer Kontrole er - forderlichen Anordnungen ſind die beurlaubten Mannſchaften des Heeres und der Marine unterworfen6)W.G. §. 15. Mil. Geſ. §. 57. Die Anordnungen ſind enthalten in dem. Zur Führung der Kon -182§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.trole über die Mannſchaften der Reſerve und der Landwehr dienen die Landwehr-Stammrollen, welche für die verſchiedenen Waffengattungen getrennt angelegt werden und in welche die Wehr - pflichtigen, nach Jahresklaſſen abgetheilt, einzutragen ſind1)Ausführliche Vorſchriften darüber enthält die Heer-Ordn. II §. 7.. Um die Landwehr-Stammrollen jeder Zeit in der erforderlichen Ord - nung zu halten, ſind die Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes verpflichtet, von jedem Wechſel ihres Aufenthaltsortes oder ihrer Wohnung und von jeder Reiſe von mehr als 14tägiger oder un - beſtimmter Dauer dem Bezirksfeldwebel Meldung zu erſtatten2)Kontrolgeſ. §. 2 Abſ. 1. W.O. II §. 10 Ziff. 5 und 6. Wer aus einem Landwehr-Kompagniebezirk in einen andern verzieht, hat ſich vor dem Verziehen bei ſeinem bisherigen Bezirksfeldwebel ab - und bei dem Bezirksfeld - webel ſeines neuen Aufenthaltsorts innerhalb 14 Tage nach erfolgtem Umzuge anzumelden. Reſerve - und Landwehr-Mannſchaften treten beim Verziehen von einem Staate in den andern zur Reſerve beziehungsw. Landwehr des letzteren über. Wehrgeſ. §. 17 Abſ. 3.. Bedürfen ſchriftliche Meldungen weiterer Erläuterungen, ſo kann die perſönliche Geſtellung im Stationsorte gefordert werden.

Zuwiderhandlungen gegen die zum Zweck der Aufrechterhal - tung der militairiſchen Kontrole ertheilten Dienſtvorſchriften über die Meldung werden an Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes mit Geldſtrafe bis zu 60 Mark oder mit Haft bis zu 8 Tagen be - ſtraft. Die Feſtſetzung der Strafen geſchieht durch das Landwehr - bezirkskommando, die Vollſtreckung auf Requiſition deſſelben durch die Civilbehörde3)Kontrolgeſ. §. 6, 7. Disciplinarſtrafordn. §. 28.. Außerdem können die Wehrpflichtigen, wenn die Kontrolentziehung länger als ein Jahr dauert, gemäß §. 67 des R. Mil. Geſ. in die nächſt jüngere Jahresklaſſe verſetzt werden4)Vgl. oben sub b. .

d) Dispenſation von den gewöhnlichen Dienſt - pflichten. Mannſchaften der Reſerve und Landwehr, welche nach außereuropäiſchen Ländern gehen wollen, können von der Er - füllung der gewöhnlichen Dienſtpflichten im Frieden auf zwei Jahre dispenſirt werden, jedoch unter der Bedingung der Rückkehr im Falle6)zweiten Theil der Wehrordnung, welcher die Bezeichnung Kontrol-Ord - nung führt; das Reglement für die Landwehr-Bezirksbehörden bildet den zweiten Theil der Heer-Ordnung unter dem Titel: Landwehr-Ordnung.183§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.einer Mobilmachung1)Mil. Geſ. §. 59 Abſ. 1.. Der Dispens wird durch die Landwehr - Bezirkskommando’s ertheilt2)W.O. II §. 7 Ziff. 3.. Wenn der Beurlaubte durch Kon - ſulatsatteſte nachweiſt, daß er ſich in einem der erwähnten Länder eine feſte Stellung als Kaufmann, Gewerbetreibender ꝛc. erworben hat, ſo kann der Urlaub bis zur Entlaſſung aus dem Militair - verhältniſſe und unter gleichzeitiger Dispenſation von der Rückkehr im Falle einer Mobilmachung verlängert werden. Dieſe Beſtim - mung findet aber auf die Küſtenländer des Mittelländiſchen und Schwarzen Meeres keine Anwendung3)Mil. Geſ. §. 59 Abſ. 2.. Solche Anträge unter - liegen der Entſcheidung der Infanterie-Brigadekommandeure4)W.O. II §. 7 Ziff. 4..

3. Die außerordentlichen Dienſtpflichten (im Falle der Mobilmachung).

Die Mannſchaften der Reſerve, Landwehr und Seewehr ſind verpflichtet, bei nothwendigen Verſtärkungen oder Mobilmachungen des Heeres beziehentl. bei Ausrüſtung der Flotte der Einberufung zur Fahne (zur Flotte) Folge zu leiſten5)Mil. Geſ. §. 63.. Die Einberufung er - folgt auf Befehl des Kaiſers; in dem Falle, daß Theile des Bun - desgebietes in Kriegszuſtand erklärt werden, ſind die kommandiren - den Generale zur Einberufung befugt6)W.G. §. 8. Die Einberufungen erfolgen entweder durch Geſtellungs - ordres, oder durch öffentlichen Aufruf oder auf ſonſtige der Kriegslage ange - meſſene Weiſe. W.O. II §. 13 Z. 8. H.O. II §. 19. Vgl. auch Mil. Geſ. §. 70.. In Bayern erfolgt die Einberufung auf Veranlaſſung des Kaiſers durch den König von Bayern7)Bündniß-Vertr. vom 23. Nov. 1870 III §. 5. III Abſ. 5.. Die Mannſchaften gehören von dem Tage, zu welchem ſie einberufen ſind, bis zum Ablauf des Tages ihrer Wiederent - laſſung, zum aktiven Heere8)Mil. Geſ. §. 38. Der Militair-Gerichtsſtand beginnt jedoch ſchon mit dem Empfang der Einberufungs-Ordre. Preuß. Militair-Strafgerichts-Ordn. vom 3. April 1845 §. 7 Ziff. 1.; während dieſer Zeit ſind ſie zum aktiven Dienſt verpflichtet und die oben entwickelten Rechtsſätze von der aktiven Dienſtpflicht finden auf ſie vollſtändige und ausnahmsloſe Anwendung.

184§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Ueber die Einberufung gelten im Einzelnen folgende Rechts - regeln:

a) Die Einberufung erfolgt, nach Maßgabe des Bedarfs und ſoweit die militairiſchen Intereſſen es geſtatten, nach den Jahres - klaſſen, mit der jüngſten beginnend1)Mil. Geſ. §. 63.. Demgemäß werden die Mannſchaften der Reſerve und Landwehr in Jahresklaſſen nach ihrem Dienſtalter eingetheilt2)Mil. Geſ. §. 62 Abſ. 1. Vgl. über Zurückverſetzung in eine jüngere Klaſſe zur Strafe Mil. Geſ. §. 62 Abſ. 3 und §. 67.. Dieſe regelmäßige, durch das Alter beſtimmte Reihenfolge kann jedoch wegen dringender häus - licher oder gewerblicher Verhältniſſe oder wegen Unabkömmlichkeit aus einer Stellung im öffentlichen Dienſt modifizirt werden; hier - nach unterſcheidet man das Klaſſifikations-Verfahren und das Un - abkömmlichkeits-Verfahren.

α) Das Klaſſifikations-Verfahren. Die Klaſſifika - tionsgründe ſind geſetzlich nicht fixirt; das Militairgeſetz §. 64 erwähnt nur dringende häusliche und gewerbliche Verhältniſſe; die Wehrordnung II §. 17 ſpezialiſirt dieſelben aber und bildet dadurch eine Ergänzung des Mil. -Geſetzes3)Die Klaſſifikationsgründe ſind an erheblich ſtrengere Vorausſetzungen gebunden als die Zurückſtellungsgründe der Militairpflichtigen bei Erfüllung der aktiven Dienſtpflicht im Frieden.. Die Geſuche um Zurück - ſtellung ſind bei dem Vorſteher der Gemeinde anzubringen, welcher dieſelbe prüft und eine Nachweiſung aufſtellt, aus der nicht nur die militairiſchen, bürgerlichen und Vermögensverhältniſſe der Bitt - ſteller, ſondern auch die obwaltenden beſonderen Umſtände erſicht - lich ſind, durch welche eine zeitweiſe Zurückſtellung bedingt werden kann4)W.O. II §. 18 Ziff. 1.. Die Geſuche nebſt dieſen Nachweiſungen ſind an den Civilvorſitzenden der Erſatzkommiſſion einzureichen. Die Entſchei - dung darüber erfolgt durch die verſtärkten Erſatzbehörden5)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 4 d. . Gegen die Entſcheidung der verſtärkten Erſatzkommiſſion6)Dieſelbe erfolgt nach den im Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 5 gegebenen Regeln. ſteht dem ſtändigen militairiſchen Mitgliede die Erhebung des Einſpruchs zu, in welchem Falle die endgültige Entſcheidung lediglich durch die ſtändigen Mitglieder der Ober-Erſatzkommiſſion erfolgt7)Mil. Geſ. §. 30 Ziff. 7 Abſ. 2.. 185§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Die Berückſichtigung der Klaſſifikationsgründe findet in der Art ſtatt, daß Reſerviſten hinter die letzte Jahresklaſſe der Reſerve ihrer Waffe oder Dienſtkategorie, Landwehrmannſchaften aber, ſowie in beſonders dringenden Fällen auch einzelne Reſerviſten, hinter die letzte Jahresklaſſe der Landwehr ihrer Waffe oder Dienſt - kategorie zeitweiſe zurückgeſtellt werden1)Mil. Geſ. §. 64 Abſ. 1.. Die Zurückſtellungen behalten ihre Gültigkeit nur bis zum nächſten Klaſſifikationstermin und erlöſchen, wenn Mannſchaften aus einem Aushebungsbezirk in einen andern verziehen2)W.O. II §. 18 Ziff. 5, 6. Ueber außerterminliche Klaſſifikation vgl. W.O. II §. 19.. In keinem Aushebungsbezirk darf die Zahl der hinter den letzten Jahrgang der Reſerve zurückgeſtellten Mannſchaften zwei Prozent der Reſerve, die Zahl der hinter den letzten Jahrgang der Landwehr zurückgeſtellten Mannſchaften drei Prozent der Reſerve und Landwehr überſteigen3)Mil. Geſ. §. 64 Abſ. 2..

β) Das Unabkömmlichkeits-Verfahren. Als unab - kömmlich können reklamirt werden Reichs - Staats - und Kommunal - beamte, ferner Angeſtellte der Eiſenbahnen4)Ueber die Zurückſtellung des dienſtpflichtigen Eiſenbahn-Perſonals vom Waffendienſt ſind detaillirte Vorſchriften in der W.O. II §. 23 erlaſſen. und endlich Perſonen, welche ein geiſtliches Amt in einer mit Korporationsrechten inner - halb des Bundesgebietes beſtehenden Religionsgeſellſchaft bekleiden. Unabkömmlich ſind dieſelben nur dann, wenn ihre Stellen ſelbſt vorübergehend nicht offen gelaſſen werden können und eine geeignete Vertretung nicht zu[ermöglichen] iſt5)Mil. Geſ. §. 65 Abſ. 1.; unter ihnen dürfen in erſter Reihe nur ſolche Beamte berückſichtigt werden, welche in ihren Civilverhältniſſen für militairiſche Zwecke wirkſam ſind. Die Be - ſcheinigung der Unabkömmlichkeit erfolgt nach näherer Beſtimmung der Landesregierungen durch den Chef derjenigen Civilbehörde, bei oder unter welcher der Civilbeamte angeſtellt iſt6)W.O. II §. 20 Ziff. 1.. Jede zur Er - theilung ſolcher Atteſte berechtigte Behörde trägt die für unabkömm - lich erklärten Beamten in eine Liſte ein und theilt zum 1. Dezember jedes Jahres dieſe Liſte, ſowie zum 1. Juni eine Nachtragsliſte, dem Provinzial-Generalkommando mit, in deſſen Bezirk die Be -186§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.amten militairiſch kontrolirt werden. Die Generalkommando’s prüfen dieſe Liſten; im Beanſtandungsfalle werden ſie dem zu - ſtändigen Miniſterium, zu deſſen Reſſort die Civilbehörde gehört, zur Beſtätigung oder Abänderung vorgelegt1)W.O. II §. 21 Z. 1.. Unabkömmlichkeits - erklärungen im Moment der Einberufung ſind unzuläſſig2)ebenda Z. 4.. Die Wirkung der Unabkömmlichkeitserklärung beſteht in der Zurück - ſtellung hinter den älteſten Jahrgang der Landwehr; ſobald dieſe Jahresklaſſe einberufen wird, erliſcht jedes Anrecht auf Zu - rückſtellung3)Mil. Geſ. §. 65. W.O. II §. 20 Ziff. 8. Wann die hinter die letzte Jahresklaſſe der Landwehr Zurückgeſtellten einzuberufen ſind, beſtimmt das Kriegsminiſterium. H.O. II §. 19 Ziff. 10..

b) Perſonen des Beurlaubtenſtandes (der Reſerve oder Land - wehr), welche nach bekannt gemachter Kriegsbereitſchaft oder nach angeordneter Mobilmachung ihrer Einberufung zum Dienſte oder einer öffentlichen Aufforderung zur Stellung nicht binnen 3 Tagen nach Ablauf der beſtimmten Friſt Folge leiſten, werden mit Frei - heitsſtrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren beſtraft4)Mil. Straf-Geſ. B. §. 68.. Wer der Einberufung den Gehorſam in der Abſicht verweigert, ſich dauernd ſeiner Verpflichtung zum Dienſte zu entziehen, wird wegen Fahnen - flucht (Deſertion) beſtraft5)M.St. G.B. §§. 69 ff.. Wer eine Perſon, welche zum Be - urlaubtenſtande gehört, auffordert oder anreizt, der Einberufung zum Dienſt nicht zu folgen, wird mit Gefängniß bis zu 2 Jahren beſtraft6)Reichs-St. G.B. §. 112. Perſonen des Soldatenſtandes, welche einen Andern zur Fahnenflucht vorſätzlich verleiten, werden nach §. 78 des M.St. G.B. beſtraft; auf Anreizung zum Ungehorſam finden die Anordnungen des M.St. G. B.’s §§. 99 ff. Anwendung..

c) Die Mannſchaften der Reſerve werden zu den Truppen - theilen des ſtehenden Heeres behufs Verſtärkung derſelben einbe - rufen; dagegen wird die Landwehr-Infanterie in beſonderen Trup - penkörpern formirt und daſſelbe geſchieht im Kriegsfalle nach Maßgabe des Bedarfs mit den Mannſchaften der Landwehr-Ka - vallerie7)Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 2 und 4.. Auf dieſem Satze beruht die große thatſächliche Ver -187§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ſchiedenheit, die trotz der formell-juriſtiſchen Gleichartigkeit zwiſchen der Reſervepflicht und der Landwehrpflicht beſteht und zu ihrer ſcharfen Unterſcheidung im Art. 59 der R.V., ſowie in §§. 6 und 7 des Wehrgeſetzes Anlaß gegeben hat; denn die Linientruppen des ſtehenden Heeres finden im Falle eines Krieges in erſter Reihe Verwendung, während die beſonders formirten Landwehr-Truppen - körper nach ausdrücklicher Anordnung des Wehrgeſetzes zur Ver - theidigung des Vaterlandes als Reſerve für das ſtehende Heer verwandt werden ſollen. Im Frieden befinden ſich die Perſonen der Reſerve und Landwehr als Beurlaubte im gemeinſamen Gegenſatz zu den Perſonen des aktiven Heeres und bilden zu - ſammen eine faſt gleichartige Klaſſe der Wehrpflichtigen; im Kriege wächſt die Reſerve-Mannſchaft den Truppenkörpern der Linie zu und bildet gemeinſam mit der bei denſelben ihre Dienſtpflicht er - füllenden Mannſchaft als ſtehendes Heer einen gemeinſamen Gegenſatz zu der Landwehr. Der Gegenſatz beruht aber wie bemerkt nicht auf einer juriſtiſchen Verſchiedenheit in der Nor - mirung der Dienſtpflicht, ſondern auf einer militairiſch-techniſchen Verſchiedenheit in der Ausnützung derſelben. Der Unterſchied iſt daher auch nicht ſtreng innegehalten. Zunächſt fällt bei den Spe - zialwaffen die Bildung beſonderer Landwehr-Truppenkörper ganz fort; die Landwehrmannſchaften derſelben werden nach Maßgabe des Bedarfs zu den Fahnen des ſtehenden Heeres einberufen; ebenſo die Seewehrmannſchaften zur Flotte1)Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 5. Siehe oben §§. 84. 87 I. . Sodann können die Mannſchaften des jüngſten Jahrganges der Landwehr-Infanterie bei Mobilmachungen erforderlichenfalls auch in Erſatz-Truppentheile eingeſtellt werden2)Wehrgeſ. §. 5 Abſ. 3.. Endlich können im Kriege die zu den Land - wehr-Regimentern einberufenen Mannſchaften auch in Truppen - körpern der Linie zur Verwendung gelangen3)Vgl. den Kommiſſionsbericht des Reichstages zu §. 5 Abſ. 3 des Wehr - geſetzes. (Druckſachen 1867 Nro. 96), ſowie den Kommiſſionsbericht zum Land - ſturmgeſetz. (Druckſachen II Seſſion 1874 Nro. 70 S. 9 fg.) und ein Uebertritt vom ſtehenden Heere (Reſerve) zur Landwehr findet während der Dauer einer Mobilmachung nicht ſtatt4)Wehrgeſ. §. 14. Wehr-Ordn. I §. 18..

d) Perſonen des Beurlaubtenſtandes, welche ein geiſtliches188§. 88. Die geſetzliche WehrpflichtAmt in einer mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebiets beſtehenden Religionsgeſellſchaft bekleiden, werden zum Dienſte mit der Waffe nicht herangezogen, ſondern im Falle des Bedürfniſſes im Dienſt der Krankenpflege und Seelſorge verwandt1)Mil. Geſ. §. 65 Abſ. 2. W.O. II §. 13 Ziff. 5..

e) Die Reſerve - und Landwehrmannſchaften erhalten, ſobald ſie zum Kriege oder wegen außerordentlicher Zuſammenziehung der Reſerve - oder der Landwehr einberufen werden, nicht nur wie alle im aktiven Militairdienſt befindlichen Wehrpflichtigen die regle - mentsmäßige Beköſtigung, Verpflegung, Löhnung u. ſ. w., ſon - dern im Falle der Bedürftigkeit auch für ihre Familien eine Unter - ſtützung, welche ſich bis zum Erlaß eines dieſe Materie regelnden Reichsgeſetzes nach den Vorſchriften des Preuß. Geſetzes vom 27. Februar 1850 normirt. In Bayern gilt bis zu demſelben Zeitpunkt Art. 33 Abſ. 1 des Bayr. Geſetzes betreffend die Wehr - verfaſſung vom 30. Januar 18682)Vgl. das Reichsgeſ. vom 24. Nov. 1871 §. 2 (R. G.Bl. S. 398) und die Motive zum Entwurf deſſelben (Druckſachen des Reichstages II Seſſ. 1871 Nro. 86)..

4. Die Dauer der Reſerve - und Landwehrpflicht.

Für die Berechnung der Dienſtzeit im Frieden iſt die Ein - theilung der Mannſchaften der Reſerve und Landwehr in Jahres - klaſſen von praktiſcher Bedeutung. Die Wehrpflichtigen rücken gleichſam von einem Jahrgang zum andern fort, ſie gelangen nach Militairpflicht-Jahren zur Einſtellung bei den Truppen, ſie werden in Jahrgängen von dem aktiven Heere zur Reſerve übernommen, gliedern ſich in Jahresklaſſen der Reſerve, werden jahrgangsweiſe zur Landwehr verſetzt und endlich, nachdem ſie die Jahresklaſſen der Landwehr durchgemacht haben, zum Landſturm entlaſſen. Von dieſem Prinzip aus ergeben ſich mehrere, geſetzlich anerkannte Rechtsſätze. Die Dienſtzeit in der Reſerve und Landwehr wird von demſelben Zeitpunkt an berechnet, wie die aktive Dienſtzeit3)Vgl. oben S. 174; alſo bei den zwiſchen dem 2. Okt. und 1. April eingeſtellten Wehrpflichtigen vom vorhergehenden 1. Oktober an., auch wenn in Erfüllung der letzteren eine Unterbrechung ſtattge - funden hat4)Mil. Geſ. §. 62 Abſ. 2.. Andererſeits treten Mannſchaften, welche in Folge eigenen Verſchuldens verſpätet aus dem aktiven Dienſt entlaſſen189§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.werden1)Nämlich auf Grund des §. 18 des R. Mil. Straf-Geſetzbuchs., ſtets in die jüngſte Jahresklaſſe der Reſerve ein2)Mil. Geſ. §. 62 Abſ. 3.. Wegen Kontrolentziehung oder Ungehorſams gegen Einberufungs - Ordres kann eine Verſetzung in die nächſt jüngere Jahresklaſſe zur Strafe verhängt werden, was einer Verlängerung der geſetzlichen Dienſtzeit gleichkömmt3)Mil. Geſ. §. 67.. Reſerviſten oder Landwehrleute, welche nach erfolgter Auswanderung vor vollendetem 31. Lebensjahr wie - der naturaliſirt werden, treten in denjenigen Jahrgang, welchem ſie ohne die ſtattgehabte Auswanderung angehört haben würden, wieder ein, d. h. ſie rücken während der Zeit der Auswanderung durch die Jahresklaſſen mit fort4)Mil. Geſ. §. 68.. Die Verſetzung aus der Re - ſerve in die Landwehr, ſowie die Entlaſſung aus der Landwehr erfolgt bei den Herbſt-Kontrolverſammlungen des betreffenden Jahres5)Mil. Geſ. §. 62 Abſ. 2., auch wenn die zwölfjährige Geſammtdienſtzeit gemäß Art. 59 der R.V. ſchon vor dieſem Tage abgelaufen ſein ſollte6)Zur Landwehrpflicht gehört demnach auch die Verpflichtung, ſich behufs Entlaſſung aus der Landwehr zu dieſer Herbſt-Kontrolverſammlung zu geſtellen. (Motive zu §. 55 des Entwurfs des Mil. Geſ.).

Die Dienſtzeit in der Reſerve beträgt zwar nach der Aus - drucksweiſe des Art. 59 der R.V. vier Jahre; dieſer Ausdruck iſt indeſſen nicht correct, da die Dauer der Reſervepflicht davon ab - hängig iſt, wann die Beurlaubung des Wehrpflichtigen von den Fahnen eintritt. Feſt beſtimmt iſt nur die Geſammtdienſtpflicht im ſtehenden Heere und zwar auf ſieben Jahre. Treffender ſagt das Wehrgeſetz §. 6 Abſ. 5, daß nach der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt während des Reſtes der ſiebenjährigen Dienſtzeit die Mannſchaften zur Reſerve gehören. Die Dienſtzeit in der Landwehr und in der Seewehr umfaßt die (auf die Verſetzung aus der Reſerve zur Land - oder Seewehr) folgenden fünf Lebensjahre7)R.V. Art. 59. W.G. §. 7 Abſ. 1 und 2.. Mannſchaften der Kavallerie, welche ſich freiwillig zu einer vier - jährigen aktiven Dienſtzeit verpflichtet haben, dienen in der Landwehr nur drei Jahre.

In denjenigen Bundesſtaaten, in denen vor Einführung der190§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Bundesverfaſſung eine längere als 12jährige Geſammtdienſtzeit geſetzlich beſtanden hat, iſt dieſelbe zunächſt aufrecht erhalten wor - den; es iſt jedoch dem Kaiſer die Befugniß übertragen worden, unter Berückſichtigung der Kriegsbereitſchaft des Reichsheeres die Herabſetzung dieſer Verpflichtung auf das reichsgeſetzliche Maß anzuordnen1)R.V. Art. 59. W.G. §. 18. Dieſe Anordnungen ſind ergangen in den Kabin. -Ordres vom 14. Mai 1868, 1. April 1869, 17. Februar 1870, 5. März 1871..

VI. Die Erſatzreſerve-Pflicht.

1. Begriff. Die Erſatzreſerve-Pflicht iſt eine eventuelle Dienſtpflicht. Dadurch wird der Unterſchied derſelben ſowohl gegenüber der definitiven Befreiung von der Dienſtpflicht als auch gegenüber der Reſerve - oder Landwehrpflicht charakteriſirt. Wäh - rend bei der letzteren die aktive Dienſtpflicht nur quoad exercitium ſuspendirt, die Wehrpflichtigen beurlaubt ſind, gehören die Er - ſatzreſerviſten nicht zum Heere, alſo auch nicht zum Beurlaubten - ſtande; während die Reſerve - und Landwehrpflicht eine Fortſetzung der aktiven Dienſtpflicht iſt, läßt ſich die Erſatzreſervepflicht als die Fortſetzung der Militairpflicht bezeichnen. Andererſeits enthält die Zuweiſung zur Erſatzreſerve zwar eine Befreiung von der Einſtellung in das ſtehende Heer und von der militairiſchen Ausbildung, aber keine Beendigung der Wehrpflicht; die Dienſt - verpflichtung in der Erſatzreſerve iſt vielmehr eine beſondere Ge - ſtaltung oder Differenzirung derſelben. Die eventuelle Dienſtpflicht kann ſich in eine aktive verwandeln, wenn das Bedürfniß der Heeresergänzung die Einberufung von Erſatzmannſchaften erfordert2)Nach einer dem Reichstage von 1874 vom Preuß. Kriegsminiſterinm vorgelegten Berechnung beziffert ſich bei der Mobilmachung der Bedarf an Mannſchaften für jedes Infanterie-Regiment mit Einſchluß der Erſatz - und Landwehrbataillone auf 5600 Mann. Auf Grund der durch 12 Jahrgänge fortgeſetzten Rekruten-Einſtellung ſind nach Abrechnung eines Abgangs von 25 % und nach Hinzurechnung der Unteroffiziere des Friedensſtandes ꝛc. durch - ſchnittlich circa 5300 Mann vorhanden. Die Differenz muß daher durch Ein - ziehung von Mannſchaften aus der Erſatzreſerve für das Erſatzbataillon gedeckt werden. Druckſ. des Reichst. I Seſſ. 1874 Anlage zu Nro. 106 S. 20..

Dieſem Begriffe entſpricht es, daß der Erſatzreſerve alle Per - ſonen überwieſen werden, welche aus irgend einem Grunde nicht191§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.zur Einſtellung in das aktive Heer gelangen, ausgenommen die - jenigen, welche gänzlich untauglich oder dauernd unfähig zum Dienſt im Heere oder in der Flotte ſind1)Siehe oben S. 161 fg., und daß die Erſatz - reſervepflicht ebenſolange dauert wie die Dienſtverpflichtung im Heere oder in der Flotte, nämlich bis zum vollendeten 31. Lebens - jahre2)Mil. Geſ. §. 23 Abſ. 3..

Die Erſatzreſerve wird in zwei Klaſſen getheilt. Die erſte beſteht aus denjenigen Militairpflichtigen, aus welchen bei Mobil - machungen die regelmäßige Ergänzung des Heeres und nament - lich die Mannſchaft zur Bildung von Erſatz-Truppentheilen ent - nommen wird; die zweite Klaſſe dagegen bildet eine Art von Reſervefonds an wehrpflichtiger Mannſchaft, auf welchen nur bei ausbrechendem Kriege und auch alsdann nur im Falle eines außer - ordentlichen Bedarfes zurückgegriffen werden darf3)Mil. Geſ. §. 27 Abſ. 1.. Nach dieſem Princip beſtimmt ſich die Entſcheidung der Erſatzbehörden, welche Perſonen der erſten Klaſſe der Erſatzreſerve und welche der zweiten Klaſſe zu überweiſen ſind4)Vgl. oben S. 163 fg.; aus demſelben Grundſatz er - giebt ſich aber auch eine erhebliche Verſchiedenheit der Dienſtver - pflichtungen der beiden Erſatzreſerve-Klaſſen.

Bei der zum Dienſt in der Flotte verpflichteten ſeemänniſchen Bevölkerung findet dieſe Eintheilung nicht ſtatt; die Seewehr erſter Klaſſe entſpricht der Landwehr, die Seewehr zweiter Klaſſe der Erſatzreſerve5)W.O. I §. 40. Vgl. Wehrgeſ. §. 13 Z. 7..

2. Die Dienſtpflichtinder Erſatzreſerve I. Klaſſe.

a) Der weſentliche Inhalt des Rechtsverhältniſſes beſteht in der Verpflichtung, der Einberufung zum aktiven Dienſt Folge zu leiſten. Vorausſetzung der Einberufung iſt die Anordnung der Mobilmachung oder der Bildung von Erſatztruppen6)Mil. Geſ. §. 24.. Für die Reihenfolge der Einberufung gilt das Prinzip der Jahres - klaſſen; dringende häusliche und gewerbliche Verhältniſſe können jedoch in derſelben Art wie bei den Perſonen des Beurlaubten -192§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ſtandes Berückſichtigung finden1)Mil. Geſ. §. 69 Ziff. 1.. Die Klaſſifikation erfolgt durch die verſtärkte Erſatzkommiſſion und das Verfahren iſt das gleiche wie bei der Klaſſifikation der Reſervemannſchaften2)Mil. Geſ. §. 30 Z. 4 d. Ziff. 7 Abſ. 2. W.O. II §. 15 Z. 2 u. §. 18.. Der Modus der Einberufung iſt entweder die öffentliche Aufforderung oder die an den Einzelnen gerichtete Geſtellungs-Ordre3)Heer-Ordn. II §. 19 Ziff. 11.. Die im Aus - lande befindlichen Erſatzreſerviſten I. müſſen ſich bei eintretender allgemeiner Mobilmachung unverzüglich in das Inland zurück - begeben und ſich bei dem Bezirksfeldwebel, in deſſen Kontrole ſie ſtehen, oder bei demjenigen der nächſten Landwehr-Kompagnie an - melden. Von dieſer Verpflichtung können ſie aber im Falle des §. 59 des Mil. Geſ. (ſ. oben S. 183) dispenſirt werden4)Mil. Geſ. §. 69 Z. 4. W.O. II §. 15 Z. 5 u. 6.. Un - gehorſam gegen den Einberufungsbefehl wird nach den Vor - ſchriften des Militair-Strafgeſetzbuchs beſtraft; Erſatzreſerviſten I. ſtehen in dieſer Beziehung den Perſonen des Beurlaubtenſtandes völlig gleich5)Mil. Geſ. §. 69 Z. 5.. Von dem Tage, zu welchem ſie einberufen ſind, bis zum Ablauf des Tages der Wiederentlaſſung gehören ſie zum aktiven Heere6)Mil. Geſ. §. 38 B. 2.; alle von der aktiven Dienſtpflicht geltenden Rechtsregeln finden in dieſer Zeit auf ſie Anwendung; ſie haben andererſeits Anſpruch auf reglementsmäßige Verpflegung und Be - ſoldung und unter denſelben Vorausſetzungen und in demſelben Umfange wie Mannſchaften der Reſerve und Landwehr auf Unter - ſtützung ihrer Familien7)Geſ. v. 8. April 1868. R. G.Bl. S. 38. Dieſes Geſetz gilt im ganzen Reichsgebiet ausgenommen in Württemberg und Bayern. Es iſt in Baden eingeführt durch Reichsgeſ. v. 22. November 1871 (R. G.Bl. S. 399), in El - ſaß-Lothringen durch Geſ. v. 22. Juni 1872 §. 1 Ziff. 4. (Geſetzbl. f. Elſ. -L. 1872 S. 446.).

b) Zur Sicherung dieſer Verpflichtung unterliegen ſie einer militairiſchen Kontrole. Dieſelbe wird von den Landwehr - Bezirkskommando’s geführt, welche die Erſatzreſerviſten nach Jahrgängen getrennt in die Kontrol-Liſten einzutragen haben8)Die näheren Anordnungen über Anlage und Führung dieſer Liſten enthält die Heer-Ordn. II §. 8 Ziff. 5.. 193§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Behufs Durchführung der Kontrole beſteht für die Erſatzreſerviſten I. eine Meldepflicht, welche der Meldepflicht der Reſerve - und Landwehr-Mannſchaften völlig gleichartig iſt1)Vgl. oben S. 181. Späteſtens 14 Tage nach erfolgter Aushändigung des Erſatzreſerveſcheins muß ſich der Wehrpflichtige bei dem Bezirksfeldwebel derjenigen Landwehrkompagnie, in deren Bezirk ſein Aufenthaltsort liegt, melden und ebenſo von jedem Wechſel des Wohnorts und von Reiſen von längerer als 14tägiger Dauer Anzeige erſtatten. Mil. Geſ. §. 69 Ziff. 2. W.O. II §. 15 Ziff. 3 und 4.. Dagegen beſteht für ſie der Regel nach keine Verpflichtung zur Geſtellung zu Kon - trol-Verſammlungen; ſie können jedoch im Falle eines außerordent - lichen Bedürfniſſes auf Grund Kaiſerlicher Verordnung zu Kontrol - Verſammlungen einberufen werden und müſſen ſich bei denſelben einer ärztlichen Unterſuchung hinſichtlich ihrer Dienſttauglichkeit unterwerfen2)Mil. Geſ. §. 69 Z. 3. W.O. I §. 96 Z. 2.. Die Kontrol-Entziehung wird an Mann - ſchaften der Erſatzreſerve I. mit Geldſtrafe bis zu 60 Mark oder mit Haft bis zu 8 Tagen beſtraft. Das Delict gehört zur Kompe - tenz der bürgerlichen Gerichte; die Landwehr-Bezirkskommando’s ſind aber verpflichtet, die ſtrafrechtliche Verfolgung zu veranlaſſen und es iſt ihnen von der erfolgten Verurtheilung Mittheilung zu machen3)Mil. Geſ. §. 69 Z. 6. W.O. II §. 15 Z. 7.. Außerdem können Erſatzreſerviſten wegen Kontrol-Ent - ziehung durch Verfügung des Landwehr-Bezirkskommandeurs in die nächſt jüngere Jahresklaſſe verſetzt werden; in keinem Falle aber darf dadurch eine Ausdehnung der Erſatzreſervepflicht über das vollendete 31. Lebensjahr hinaus bewirkt werden4)Mil. Geſ. a. a. O. W.O. I §. 13 Z. 7..

Im Zuſammenhange mit dieſer Kontrole ſteht die Verpflich - tung der Erſatzreſerviſten von ihrer bevorſtehenden Auswanderung der Militairbehörde Anzeige zu machen5)Mil. Geſ. §. 69 Z. 8.. Die Unterlaſſung der Anzeige wird nach §. 360 Z. 3 des St. G. B.’s mit Geldſtrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft beſtraft6)Ueber das Strafverfahren vgl. Strafprozeß-Ordn. §. 470 fg..

c) Da in jedem Jahre ſo viele Mannſchaften der Erſatzreſerve I. Kl. überwieſen werden, daß mit fünf Jahrgängen der Bedarf für die Mobilmachung des Heeres gedeckt wird7)Mil. Geſ. §. 24. Der Bedarf an Erſatzreſerviſten wird nach denſelben, ſo iſt die Dienſt -Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 13194§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.zeit in der Erſatzreſerve I. auf 5 Jahre normirt; ſie hat alſo die - ſelbe Dauer wie die Dienſtzeit in der Landwehr. Die 5jährige Friſt beginnt am 1. Oktober des Jahres, in welchem die Ueber - weiſung zur Erſatzreſerve erfolgt iſt; nach Ablauf der 5 Jahre werden die Mannſchaften in die zweite Klaſſe der Erſatzreſerve verſetzt1)Mil. Geſ. §. 23 Abſ. 2. Der Erſatzreſerviſt hat ſich zu dieſem Zweck beim Bezirksfeldwebel unter Vorlegung ſeines Erſatzreſerveſcheins zu melden; die Verſetzung wird durch den Landwehr-Bezirkskommandeur verfügt und auf dem Erſatzreſerveſchein vermerkt; bis dies geſchehen, tritt der Uebergang zur zweiten Klaſſe nicht ein. W.O. II §. 15 Z. 8..

d) Erſatzreſerviſten, welche zu den Fahnen einberufen werden, ſind bei Zurückführung des Heeres auf den Friedensfuß wieder zu entlaſſen2)Mil. Geſ. §. 29.. Sie treten in die Erſatzreſerve zurück, wenn ſie militairiſch nicht ausgebildet ſind. Haben Erſatzreſerviſten bei ihrer Entlaſſung drei Monate aktiv gedient, ſo werden ſie als ausgebildet angeſehen3)H.O. II §. 13 Z. 2.. Sie treten alsdann bei ihrer Entlaſſung nach ihrem Lebensalter zur Reſerve oder Landwehr über4)Mil. Geſ. §. 50 Abſ. 2. und ihre Reſerve - und Landwehrpflicht wird ſo bemeſſen, als wenn ſie im erſten Jahre ihres dienſtpflichtigen Alters ausgehoben worden wären5)Mil. Geſ. §. 62 Abſ. 4..

3. Die Dienſtpflicht in der Erſatzreſerve II. Klaſſe.

a) Im Frieden ſind die Mannſchaften derſelben von allen militairiſchen Verpflichtungen befreit, insbeſondere auch von der Meldepflicht behufs der Kontrole6)Mil. Geſ. §. 27 Abſ. 1..

b) Bei ausbrechendem Kriege kann im Falle außerordentlichen Bedarfs ihre Einberufung durch Kaiſerl. Verordnung ange - ordnet werden. Die Wirkung dieſer Verordnung beſteht darin, daß die Militairpflicht der Erſatzreſerviſten II. wieder auflebt, d. h. die Pflicht, ſich zur Stammrolle wieder anzumelden und ſich zur Aushebung zu geſtellen. Auf Grund der Kaiſerl. Einberufungs - ordre iſt in ortsüblicher Weiſe bekannt zu machen, welche Alters -7)Grundſätzen wie der Rekrutenbedarf auf die Infanterie-Brigade - und Aus - hebungsbezirke vertheilt; jedoch unter Zuſchlag von 25 Prozent zur Deckung der eintretenden Abgänge. W.O. I §. 13 Ziff. 5.195§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.klaſſen zunächſt zur Einziehung gelangen. Vom Zeitpunkte der Bekanntmachung an unterliegen die Mannſchaften der bezeichneten Altersklaſſen den Vorſchriften über die Militairpflichtigen1)Mil. Geſ. §. 27 Abſ. 2. Siehe oben S. 146 ff. Die ſpeziellen regle - mentariſchen Vorſchriften über Anlegung der Stammrollen, ſowie über Muſte - rung und Aushebung der Erſatzreſerviſten II. ſind enthalten in der W.O. I §. 98.. Von der Erfüllung der Geſtellungspflicht können die jenigen Mannſchaften der Erſatzreſerve II, welche durch Konſulatsatteſte nachweiſen, daß ſie in einem außereuropäiſchen Lande, jedoch mit Ausſchluß der Küſtenländer des Mittelländiſchen und Schwarzen Meeres, eine feſte Stellung als Kaufleute, Gewerbetreibende ꝛc. erworben haben, für die Dauer ihres Aufenthalts außerhalb Europas befreit werden2)Mil. Geſ. §. 28. Vgl. oben S. 183. Der Dispens wird von der zu - ſtändigen Erſatzkommiſſion und zwar von den ſtändigen Mitgliedern derſelben ertheilt. W.O. II §. 16 Z. 3..

c) Für die Erſatzreſerviſten zweiter Klaſſe, welche zur Aus - hebung und Einſtellung gelangen, gelten im Falle der Zurückfüh - rung des Heeres auf den Friedensfuß dieſelben Regeln, wie für Erſatzreſerviſten I.3)Mil. Geſ. §. 29.. Hinſichtlich der nicht zur Einziehung gelangten Mannſchaften hört mit der Auflöſung der Erſatz-Truppentheile das Militairpflichts-Verhältniß von Neuem auf4)Mil. Geſ. §. 27 Abſ. 3..

4. Die Dienſtpflicht in der Seewehr II. Klaſſe.

Dieſelbe entſpricht der Dienſtpflicht der Erſatzreſerviſten I. Kl.5)In dem Formular des Seewehrſcheins, welches der Wehrordnung (Schema 5 zu §. 40) beigefügt iſt, heißt es, daß der zur Seewehr II. Kl. überwieſene Wehrpflichtige zu den Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes gehört. Früher gehörten auch die Erſatzreſerviſten I. Klaſſe zum Beurlaubten - ſtande, das Militairgeſetz §. 56 hat dies aber aufgehoben; nun gilt zwar das Militairgeſetz allerdings für die Marine nicht, nach dem Wehrgeſ. §§. 6 15 iſt aber eine gleichmäßige Normirung der Wehrpflicht in Heer und Flotte prinzipiell durchgeführt.. Die Mannſchaften ſind in derſelben Art wie dieſe der militairiſchen Kontrole unterworfen und zur Meldung verpflichtet, während Kontrolverſammlungen im Frieden nicht ſtattfinden6)W.O. II §. 11.. Bei ausbrechendem Kriege können ſie zur Ergänzung der Marine ein - berufen werden. Ueber Einziehung, Wiederentlaſſung, Dauer der13*196§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Dienſtzeit u. ſ. w. gelten ebenfalls dieſelben Regeln wie für die Erſatzreſerve I1)W.O. I §. 17.. Nur in einer Beziehung beſteht eine, allerdings erhebliche, Abweichung. Für die Mannſchaften der Seewehr II. Kl. finden nämlich zeitweiſe kürzere Uebungen an Bord, namentlich behufs Ausbildung in der Schiffsartillerie, ſtatt und es wird jeder dieſer Verpflichteten in der Regel zweimal zu dieſen Uebungen herangezogen2)Wehrgeſ. §. 13 Ziff. 8..

VII. Die Landſturmpflicht.

1. Begriff. Der Landſturm beſteht aus allen Wehrpflich - tigen vom vollendeten 17. bis bis zum vollendeten 42. Lebensjahre, welche weder dem Heere noch der Marine angehören3)Wehrgeſ. §. 3 Abſ. 2. Landſt. Geſ. §. 1 Abſ. 1.. Die Land - ſturmpflicht iſt demnach ein generelle und ſubſidiäre Dienſt - pflicht, die letzte und allgemeinſte Verwirklichung der Wehrpflicht4)Nur ſoweit die allgemeine Wehrpflicht reicht, beſteht eine geſetzliche Regelung und militairiſche Organiſation der bewaffneten Macht. Es wird dadurch zwar keineswegs das Recht des Staates ausgeſchloſſen, im Falle äußerſter Noth und Gefahr alle Kräfte der Nation zur Landesvertheidigung aufzubieten; ein ſolcher Akt iſt aber nicht durch allgemeine Rechtsſätze geregelt, ſondern bedarf in jedem einzelnen Falle der Normirung.. Ihrem juriſtiſchen Charakter nach entſpricht die Landſturmpflicht der Dienſtpflicht in der Erſatzreſerve II. Klaſſe, indem ſie wie dieſe eine nur eventuelle Dienſtpflicht iſt und nur im Falle eines außerordent - lichen Bedürfniſſes reelle Wirkungen äußert, in ihrer praktiſchen Ge - ſtaltung dagegen iſt die Landſturmpflicht der Landwehrpflicht nachge - bildet und man kann den Landſturm als eine Landwehr zwei - ten Aufgebots bezeichnen5)Die Erſatzreſerve umfaßt nur Wehrpflichtige, welche militairiſch nicht ausgebildet ſind; zum Landſturm dagegen gehören neben den Wehrpflichtigen, welche das militairpflichtige Alter noch nicht erreicht haben und den ehemaligen Erſatzreſerviſten auch die ehemaligen Landwehr-Mannſchaften und die letzteren bilden wol den werthvollſten Beſtandtheil deſſelben.. Der Landſturm tritt nur zuſam - men, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Reichsgebietes bedroht oder überzieht6)Wehrgeſ. §. 16. Landſt. Geſ. §. 1 Abſ. 2.. Das Aufgebot erfolgt durch kaiſerl. Verord -197§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.nung1)In Bayern auf Veranlaſſung des Kaiſers durch Anordnung des Königs. Landſt. Geſ. §. 9.; durch dieſelbe wird zugleich beſtimmt, auf welchen terri - torialen Umfang und auf welche Kategorien von Wehrpflichtigen (Jahrgänge u. ſ. w.) ſich das Aufgebot erſtreckt2)Landſt. Geſ. §. 2..

2. Inhalt. Wenn der Landſturm nicht aufgeboten iſt, dürfen die Landſturmpflichtigen keinerlei Kontrole oder Uebung unterworfen werden3)Landſt. Geſ. §. 6.; die Landſturmpflicht enthält demnach keinerlei aktive Dienſtverpflichtung. Sobald dagegen das Aufgebot ergangen iſt, finden auf die von demſelben betroffenen Landſturmpflichtigen die für die Landwehr geltenden Vorſchriften Anwendung4)Landſt. Geſ. §. 4. Dies erſtreckt ſich auch auf die Unterſtützung ihrer hülfsbedürftigen Familien.. Sie werden alſo zunächſt ſo angeſehen, als gehörten ſie zum Beurlaub - tenſtande; ſie ſtehen unter der Kontrole der Landwehrbehörden; ſie ſind der Meldepflicht, der Geſtellungspflicht zu Kontrolverſamm - lungen unterworfen, ſie müſſen einer Einberufungs-Ordre Folge leiſten; die Militairſtrafgeſetze und die Disciplinarordnung finden auf ſie Anwendung. Die Einberufung der durch Kaiſerl. Verord - nung aufgebotenen Kategorien landſturmpflichtiger Perſonen erfolgt durch die Landwehrbehörden. Die einberufenen Landſturm - pflichtigen gehören zum aktiven Heere5)Mil. Geſ. §. 38 B Ziff. 2. und auf ſie finden alle Regeln von der aktiven Dienſtpflicht in vollem Umfange Anwendung. Die Einberufung erfolgt nach Jahresklaſſen, mit der jüngſten beginnend, ſoweit die militairiſchen Intereſſen dies ge - ſtatten6)Landſt. Geſ. §. 5 Abſ. 3. Eine ſtrenge Durchführung des Prinzips würde die Folge haben, daß erſt alle Wehrpflichtigen vom 17. bis 20. Lebens - jahre, alſo lauter nicht militairiſch ausgebildete und zum Theil körperlich noch nicht taugliche Perſonen einberufen werden müßten, bevor man über den älteſten Jahrgang der Landwehr und Erſatzreſerve hinausgreifen dürfte. Eine ſolche Conſequenz iſt durch die Clauſel ſoweit die militairiſchen Intereſſen dies geſtatten abgewendet.. Die einberufenen Laudſturm-Mannſchaften werden in der Regel in beſondere Abtheilungen formirt7)Landſt. Geſ. §. 5 Abſ. 1. Vgl. oben S. 104.. Hierauf beruht praktiſch der wichtige Unterſchied zwiſchen der Landſturmpflicht und198§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.der Erſatzreſervepflicht und die Aehnlichkeit der Landſturmpflicht mit der Landwehrpflicht. Die Erſatzreſerviſten werden zur Er - gänzung und Verſtärkung der Truppenkörper des Heeres verwen - det; die Landſturmpflichtigen werden zu Truppenkörpern vereinigt, welche einen von dem Heere verſchiedenen Beſtandtheil der bewaff - neten Macht bilden1)Wehrgeſ. § 2.. Dieſer Grundſatz gilt aber nur als Regel; er wird nur inſoweit durchgeführt, als dies mit techniſch-militairi - ſchen Rückſichten verträglich iſt. Einerſeits kann das Aufgebot zum Landſturm ſich auch auf die verfügbaren, d. h. für die Ergänzung des Heeres nicht erforderlichen, Theile der Erſatzreſerve erſtrecken2)Landſt. Geſ. §. 3 Abſ. 1., ſo daß auch Erſatzreſerviſten in die Landſturm-Bataillone eingeſtellt werden können. Andererſeits iſt es zuläſſig, daß in Fällen außer - ordentlichen Bedarfs die Landwehr aus den Mannſchaften des auf - gebotenen Landſturms ergänzt wird; jedoch nur dann, wenn bereits ſämmtliche Jahrgänge der Landwehr und die verwendbaren Mann - ſchaften der Erſatzreſerve einberufen ſind3)Landſt. Geſ. §. 5 Abſ. 2. Da die Entſcheidung der Frage, ob ein Fall außerordentlichen Bedarfs vorliegt und ob von der in dieſer Geſetzesſtelle er - theilten Ermächtigung Gebrauch gemacht werden ſoll, lediglich von dem Er - meſſen des Kaiſers abhängt, ſo kann im Falle eines Krieges thatſächlich von Bildung beſonderer Landſturm-Truppenkörper ganz abgeſehen und die land - ſturmpflichtige Mannſchaft wie eine zweite Serie von Jahrgängen der Land - wehr reſp. Erſatzreſerve behandelt werden..

Werden Landſturmpflichtige aus dem aktiven Dienſt ent - laſſen, ohne daß das Aufgebot zum Landſturm ſelbſt aufgehoben wird, ſo treten ſie in den Beurlaubtenſtand zurück und verbleiben unter Kontrole der Landwehrbehörden. Die Auflöſung des Landſturms wird vom Kaiſer angeordnet4)Für das Bayeriſche Kontingent auf Veranlaſſung des Kaiſers durch Verordnung des Königs von Bayern. Landſt. Geſ. §. 9.; mit der Auflöſung der betreffenden Formationen hört das Militairverhältniß der Land - ſturmpflichtigen auf5)Landſt. Geſ. §. 7..

VIII. Die Dienſtpflicht der Einjährig-Freiwilligen und der Offiziere des Beurlaubtenſtandes.

1. Begriff und juriſtiſche Natur. Der Dienſt als199§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Einjährig-Freiwilliger iſt eine Modifikation der Erfüllung der geſetzlichen Wehrpflicht. Die Dienſtpflicht iſt keine freiwillig übernommene, ſondern eine Unterthanenpflicht; der Rechtsgrund derſelben iſt nicht der Dienſtvertrag, ſondern das Geſetz; im All - gemeinen finden daher nicht die Vorſchriften, welche über die ver - tragsmäßig übernommene Dienſtpflicht (der Kapitulanten, Offiziere ꝛc. ) gelten, ſondern die Rechtsregeln von der geſetzlichen Wehrpflicht Anwendung. Aber die Dienſtpflicht iſt nicht die regelmäßige und gewöhnliche, ſondern eine beſonders geartete. Dieſe Modifikation beſteht theils in Erſchwerungen, indem der Wehrpflichtige für ſeine Bekleidung, Ausrüſtung und Verpflegung auf eigene Koſten Sorge tragen muß, theils in Erleichterungen, unter denen die wichtigſten und hervorragendſten die Wahl des Truppentheils und die Ver - kürzung der aktiven Dienſtzeit im Frieden auf Ein Jahr ſind. Dieſe beſondere Art der Dienſtleiſtung beruht auf dem freien Willen des Wehrpflichtigen; ſie wird ihm durch das Recht geſtattet, aber nicht abgenöthigt. Auf einem Conſens1)Nicht auf einem obligatoriſchen Vertrage im Sinne des Privatrechts. beruht alſo nicht die Dienſtpflicht an ſich, ſondern die Modifikation der Erfüllung der - ſelben; und nur in dieſer Hinſicht ſteht der Dienſt der Einjährig - Freiwilligen juriſtiſch den freiwillig begründeten Militair-Verhält - niſſen gleich. Die praktiſche Verwirklichung dieſes Grundſatzes be - ſteht darin, daß kein Wehrpflichtiger, in deſſen Perſon die Voraus - ſetzungen zum einjährig-freiwilligen Dienſt begründet ſind, rechtlich gehindert iſt, ſeine Wehrpflicht in der gewöhnlichen Weiſe zu er - füllen; daß er ſich zum einjährig-freiwilligen Dienſt ausdrücklich melden muß2)W.O. I §. 89.; daß ihm Reklamationsgründe wie allen übrigen Wehrpflichtigen zur Seite ſtehen3)W.O. I §. 93 Ziff. 7., und daß bei dem Wegfall der Vorausſetzungen zum einjährig-freiwilligen Dienſt oder wenn der Freiwillige die Verpflegung auf eigene Koſten nicht länger beſtrei - ten kann oder will, die regelmäßige Art der Wehrpflichts-Erfüllung wieder an die Stelle der außerordentlichen Art tritt4)Mil. Geſ. §. 50 Abſ. 4. W.O. I §. 93 Z. 6. §. 94 Z. 9. Ziff. 3 der Anlage 5 zur Heerordn. I §. 18..

2. Vorausſetzungen5)Die Vorbedingungen, welche zum einjährig-freiwilligen Dienſt berech -. Außer den allgemeinen Voraus -200§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.ſetzungen zum Eintritt in das Heer und in die Marine, nämlich körperliche Tauglichkeit und Unbeſcholtenheit1)Siehe oben S. 161 fg., iſt erforderlich der Nachweis wiſſenſchaftlicher Bildung und die Uebernahme der Ver - pflichtung zur Selbſtverpflegung2)W.G. §. 11..

a) Der Nachweis wiſſenſchaftlicher Bildung kann geführt wer - den entweder durch Ablegung einer Prüfung oder durch Schul - zeugiſſe. Für die Prüfung beſtehen beſondere Kommiſſionen unter dem Vorſitz des Civilvorſitzenden der Ober-Erſatzkommiſſion, welche jährlich zwei Mal, im Frühjahr und im Herbſt, die Prüfungen abhalten3)Ueber Zuſammenſetzung, Geſchäftsgang und Prüfungsreglement vgl. W.O. I §. 91, 92 und Anlage 2 hierzu..

Die Lehranſtalten, welche berechtigt ſind, Befähigungszeugniſſe für den einjährig-freiwilligen Dienſt auszuſtellen, werden durch den Reichskanzler bezeichnet und durch das Centralblatt f. das D. R. veröffentlicht4)W.O. I §. 90. Die Lehranſtalten zerfallen in 4 Klaſſen: a) ſolche, bei welchen der einjährige erfolgreiche Beſuch der Sekunda genügt (Gymnaſien, Lyceen, Realſchulen I. Ordnung), b) ſolche, bei welchen der einjährige erfolg - reiche Beſuch der Prima genügt (Progymnaſien, Realſchulen II. Ordnung, höhere Bürgerſchulen), c) ſolche, bei denen das Beſtehen der Entlaſſungs-Prü - fung gefordert wird (höhere Bürgerſchulen, Realanſtalten, Induſtrie -, Handels - Landwirthſchaftl. Schulen), d) ſolche, für welche beſondere Bedingungen feſt - geſtellt worden ſind (Gewerbeſchulen u. a.). Reifezeugniſſe für die Univerſität und für die derſelben gleichgeſtellten Hochſchulen, ſowie Reifezeugniſſe für die Prima der Gymnaſien u. ſ. w. machen die Beibringung beſonderer Befähigungs - zeugniſſe entbehrlich. Auch der einjährige Beſuch der 2. Klaſſe des Kadetten - korps genügt. Um Gleichmäßigkeit in den Anforderungen für die ſämmtlichen Bundesſtaaten zu ſichern, beſteht beim Bundesrath eine beſondere Reichs - Schulkommiſſion. Vgl. über dieſelbe Bd. I S. 324.. Von dem Nachweis der wiſſenſchaftlichen Befähi - gung dürfen entbunden werden junge Leute, welche in einem Zweige der Wiſſenſchaft oder Kunſt, des Kunſthandwerks oder der mecha - niſchen Arbeiten, oder in einer andern dem Gemeinweſen zu Gute5)tigen, ſollen gemäß Mil. Geſ. §. 14 Abſ. 3 durch Geſetz geregelt werden. Daſſelbe iſt noch nicht ergangen und ſoll erſt nach erfolgter Normirung des höheren Unterrichtsweſens erlaſſen werden. Vgl. Stenogr. Ber. des Reichstags I Seſſ. 1874 S. 850 fg. Bis zum Erlaß dieſes Geſetzes ſind die Anordnungen der Wehr-Ordnung maßgebend.201§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.kommenden Thätigkeit ſich beſonders auszeichnen, ſowie die zu Kunſtleiſtungen angeſtellten Mitglieder landesherrlicher Bühnen1)W.O. I §. 89 Ziff. 6..

b) Die Verpflichtung zur Bekleidung, Ausrüſtung und Ver - pflegung auf eigene Koſten wird übernommen durch Beibringung eines Atteſtes des Vaters oder Vormunds, in welchem er ſeine Bereitwilligkeit und Fähigkeit bekundet, dieſe Koſten zu tragen. Der Umfang der Verbindlichkeit iſt normirt in einem beſonderen Reglement, welches als Anlage 5 zu § 18 der Rekrutirungs-Ord - nung (Heerordnung I. Theil) beigegeben iſt. Ein Freiwilliger, welchem die Mittel zu ſeinem Unterhalt fehlen, darf ausnahms - weiſe mit Genehmigung des Generalkommandos in die Verpfle - gung des Truppentheils aufgenommen werden2)W.O. I §. 94 Z. 11. Solche Freiwillige kommen auf die Friedens - Präſenzſtärke in Anrechnung. Vgl. oben §. 83 II S. 88 fg..

Für die Marine beſteht aber eine abweichende Regel, die auf der eigenthümlichen Art des Dienſtes in der Flotte beruht. Junge Seeleute von Beruf und Maſchiniſten, welche beim Eintritt in das dienſtpflichtige Alter die Qualifikation zum einjährig-frei - willigen Dienſt erlangt, oder welche das Steuermanns-Examen ab - gelegt haben, werden zum einjährig-freiwilligen Dienſt in der Ma - rine zugelaſſen, ohne zur Selbſtverpflegung verpflichtet zu ſein3)Wehrgeſetz §. 13 Ziff. 4..

Das Vorhandenſein der Vorausſetzungen zum einjährig-frei - willigen Dienſt wird conſtatirt durch einen Berechtigungsſchein, den die Prüfungskommiſſion auf ſchriftlichen Antrag ertheilt. Der An - trag darf nicht vor vollendetem 17. Lebensjahre und muß ſpäte - ſtens bis zum 1. April des erſten Militairpflichtjahrs geſtellt werden4)W.O. I §. 89..

3. Militairpflicht. Wer die Berechtigung zum einjährig - freiwilligen Dienſt hat, iſt von der gewöhnlichen Melde - und Ge - ſtellungspflicht frei; er hat ſich vielmehr beim Eintritt in das mi - litairpflichtige Alter bei der Erſatzkommiſſion ſeines Geſtellungs - ortes ſchriftlich oder mündlich zu melden und unter Vorlegung des Berechtigungsſcheines die Zurückſtellung von der Aushebung zu beantragen; er wird hierauf bis zum 1. Oktober ſeines vierten Militairpflichtjahrs zurückgeſtellt und iſt bis zum Ablauf dieſer202§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.Friſt von der Geſtellung dispenſirt1)W.O. I §. 93 Z. 1 3.. Ausnahmsweiſe kann die Zurückſtellung bis zum 1. Oktober des ſechſten Militairpflicht - jahres erſtreckt werden2)Mil. Geſ. §. 14 Abſ. 1. §. 20 Z. 6. W.O. I §. 27 Z. 4 c. §. 93 Z. 4.. Auch eine Aushebung der zum einjährig - freiwilligen Dienſt Berechtigten findet nicht ſtatt; ſie haben ſich vielmehr bis zum Ablauf der ihnen gewährten Zurückſtellungsfriſt zum Dienſtantritt zu melden, widrigenfalls ſie die Berechtigung verlieren. Dieſelbe kann ihnen jedoch durch die Erſatzbehörde dritter Inſtanz wieder verliehen werden3)Mil. Geſ. §. 14 Abſ. 2. W.O. I §. 93 Ziff. 5.. Bei ausbrechendem Kriege müſſen ſich alle zum einjährig-freiwilligen Dienſt Berechtigten, welche bereits in das militairpflichtige Alter eingetreten ſind, auf öffent - liche Aufforderung ſofort zum Heeresdienſt ſtellen4)Mil. Geſ. §. 14 Abſ. 1. Vgl. W.O. I §. 99 Ziff. 3 5..

4. Aktive Dienſtpflicht. Dieſelbe iſt in folgenden Be - ziehungen von der Dienſtpflicht der gemeinen Soldaten verſchieden:

a) Den Freiwilligen ſteht die Wahl des Truppenthei - les, bei welchem ſie ihrer aktiven Dienſtpflicht genügen wollen, innerhalb des ganzen Reiches frei5)Wehrgeſ. §. 17 Abſ. 2. Nur in größeren Garniſonen erfolgt nach An - ordnung des Generalkommando’s die Vertheilung der Freiwilligen auf die Truppentheile der gewählten Waffengattung durch die denſelben vorgeſetzte Militairbehörde. W.O. I §. 94 Z. 3 Abſ. 2. Wird der Truppentheil, in welchem ein Einjährig-Freiwilliger dient, in Friedenszeiten in eine andere Garniſon verlegt, ſo wird der Freiwillige auf ſeinen Wunſch zu einem in der Garniſon oder in der Nähe derſelben verbleibenden Truppentheil verſetzt. W.O. I §. 94 Z. 10.. Der Dienſteintritt derſelben findet alljährlich bei der Infanterie am 1. April und 1. Oktober, bei dem Train am 1. Novemb., bei den übrigen Waffengattungen am 1. Oktober ſtatt. Bei der Meldung iſt der Berechtigungsſchein und ein obrigkeitliches Atteſt über die ſittliche Führung ſeit Er - theilung der Berechtigung vorzuzeigen, worauf der Kommandeur des Truppentheils die ärztliche Unterſuchung des ſich Meldenden veranlaßt. Bei derſelben dürfen die zuläſſig geringſten körperlichen Anforderungen gemacht werden6)H.O. I §. 5 Ziff. 4.. Die von den Truppentheilen als untauglich abgewieſenen Freiwilligen melden ſich unter Vor - legung des Berechtigungsſcheines, auf welchem die Gründe der Ab -203§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.weiſung vermerkt werden, innerhalb 4 Wochen bei dem Civilvor - ſitzenden der Erſatzkommiſſion ihres Aufenthaltsortes. Dieſer be - ordert ſie zur Vorſtellung vor der Ober-Erſatzkommiſſion beim Aushebungsgeſchäft, welche nach den allgemeinen Grundſätzen ent - ſcheidet. Der von ihr für eine beſtimmte Waffengattung als taug - lich erklärte Freiwillige muß von jedem Truppentheil dieſer Waffen - gattung angenommen werden1)W.O. I §. 94 Z. 5 bis 8..

b) Die Dauer der aktiven Dienſtzeit beträgt ein Jahr vom Tage des Dienſteintritts an gerechnet. Nach Ablauf dieſer Zeit werden die Freiwilligen zur Reſerve beurlaubt2)Wehrgeſ. §. 11. Mediziner, welche ihre Studien auf Univerſitäten zurücklegen, können nach ihrer Wahl entweder der Dienſtpflicht ganz mit der Waffe oder ein halbes Jahr mit der Waffe, ein halbes Jahr als Unterarzt genügen. Die näheren Vorſchriften darüber enthält die Verordn. über die Organiſation des Sanitäts-Korps vom 6. Febr. 1873 §. 5 (Armee - V. Bl. S. 106), deren Beſtimmungen in die Heer-Ordnung I §. 21 überge - gangen ſind..

c) Die militairiſche Ausbildung der Freiwilligen iſt eine andere wie die der gewöhnlichen Soldaten, da ſie zu Unter - offizieren und Offizieren der Reſerve und Landwehr vorbereitet werden ſollen. Einjährig-Freiwillige, welche ſich gut geführt und ausreichende Dienſtkenntniß erworben haben, werden nach halb - jähriger Dienſtzeit zu Gefreiten befördert und erhalten nach einge - tretener Beförderung theoretiſchen und praktiſchen Unterricht über alle Dienſtobliegenheiten des Offiziers und Unteroffiziers, ſowie über die beſonderen Standespflichten des Offiziers3)In derſelben Weiſe liegt es den Matroſen-Diviſionen ob, für die Ausbildung derjenigen als Einjährig-Freiwillige dienenden Seeleute Sorge zu tragen, welche ihre Beförderung zum Offizier wünſchen und ihrer allge - meinen Bildung und militairiſchen Qualifikation nach befähigt erſcheinen, brauch - bare Seeoffiziere zu werden. Verordn. der Admiralit. v. 2. Juni 1874 §. 3.. Vor Be - endigung der aktiven Dienſtzeit werden ſie einer theoretiſchen und praktiſchen Prüfung unterworfen, durch welche ihre Qualifikation zum Reſerveoffizier feſtgeſtellt wird. Die Truppenbefehlshaber treffen die näheren Beſtimmungen über die Prüfung, und den höheren Vorgeſetzten liegt die Pflicht ob, ſich bei Inſpizirungen von dem Stande der Ausbildung der Einjährig-Freiwilligen zu überzeugen. Wer die Prüfung beſteht, erhält ein Qualifikations -204§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.atteſt zum Reſerveoffizier und wird bei ſeiner Entlaſſung zum über - zähligen Unteroffizier befördert1)Heer-Ordn. I §. 19 Ziff. 1 bis 5. Aehnlich in der Marine; nur wer - den hier die in der Prüfung Beſtandenen zum Bootsmanns-Maat ernannt. V. v. 2. Juli 1874 a. a. O..

5. Reſerve - und Landwehrpflicht. Die Dienſtzeit im ſtehenden Heer wird durch die Verkürzung der aktiven Dienſt - zeit nicht berührt; die Reſervepflicht dauert demnach bei den Ein - jährig-Freiwilligen ſechs Jahre, nach deren Ablauf die fünfjährige Verpflichtung zum Dienſt in der Landwehr beginnt. Prinzipiell gelten nun auch für Wehrpflichtige, welche ihre aktive Dienſtpflicht als Einjährig-Freiwillige erfüllt haben, die allgemeinen Regeln über die Reſerve - und Landwehrpflicht ohne alle Ausnahme; es kann jedoch eine Abweichung in der Erfüllung dieſer Pflicht dadurch eintreten, daß ſie zu Offizieren der Reſerve oder Landwehr ernannt werden2)W. Geſ. §. 11 a. E.. Die Dienſtpflicht der Reſerve - und Land - wehr-Offiziere hat juriſtiſch vollkommen denſelben Charakter wie die aktive Dienſtpflicht der Einjährig-Freiwilligen d. h. ſie iſt eine modifizirte Erfüllung der geſetzlichen Wehr - pflicht. Der Reſerveoffizier fällt daher nicht wie der Berufs - Offizier unter die Rechtskategorie der Beamten, ſondern er gehört zu den ihrer geſetzlichen Wehrpflicht genügenden Unterthanen. Dieſe Unterthanenpflicht erfüllt er aber in einer be - ſonderen, theils Erſchwerungen, theils Erleichterungen in ſich ſchlieſ - ſenden Art und deshalb iſt ein Conſens zwiſchen dem Wehr - pflichtigen und dem Kontingentsherrn (reſp. dem die Rechte des - ſelben auf Grund von Militair-Konventionen ausübenden Kaiſer,) erforderlich, damit dieſe beſondere Art der Erfüllung an die Stelle der allgemeinen trete. Niemand kann wider ſeinen Willen zum Reſerveoffizier ernannt und zur Erfüllung der mit dieſer Stellung verbundenen Pflichten genöthigt werden. In dieſer Hinſicht beſteht allerdings zwiſchen dem Rechtsverhältniß, in wel - chem der Berufsoffizier zu ſeinem Dienſtherrn ſteht, und dem Rechtsverhältniß des Reſerve - und Landwehroffiziers Gleichheit3)Dies überſieht G. Meyer in Hirth’s Annalen 1876 S. 669.. Die Grundlage des ganzen Verhältniſſes bleibt aber immer die geſetzliche Wehrpflicht.

205§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Die Vorausſetzungen zur Erlangung des Charakters eines Reſerve - oder Landwehr-Offiziers ſind außer dem Erwerb des Qualifikationsatteſtes zum Offizier folgende: Die Offizier - Aſpiranten müſſen nach ihrer Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt eine achtwöchentliche Uebung abſolviren, um ihre dienſtliche und außerdienſtliche Befähigung zum Offiziere darzuthun; am Schluß der Dienſtleiſtung trägt der Befehlshaber des Truppentheils, bei welchem ſie die Uebung machen, in das Ueberweiſungs - nationale ein, ob er einverſtanden ſei, daß der betreffende Offi - zier-Aſpirant zum Reſerve-Offizier des Truppentheils beziehw. zum Landwehr-Offizier in Vorſchlag gebracht werde1)H.O. II §. 22. Schon nach den erſten Wochen der Uebung darf zum Vicefeldwebel oder Vicewachtmeiſter reſp. Vice-Seekadetten ernannt werden, wer ſich zu ſolcher Beförderung eignet. Offizier-Aſpiranten, welche nach dem Ausfall der Uebung das Einverſtändniß des Truppenbefehlshabers nicht er - langen, dürfen im nächſten Jahre zu einer erneuten Uebung eingezogen werden.. Hierauf muß ſich der Offizier-Aſpirant zur Offizierwahl ſtellen. Die Wahl erfolgt durch das Offizierkorps des Landwehrbataillons, welchem der Aſpirant angehört; falls er aber zum Dienſt einberufen iſt, durch das Offizierkorps des Truppentheils. Nur diejenigen Offi - zier-Aſpiranten werden zur Wahl geſtellt, welche mit ihrer Beför - derung zum Offizier ſich ſchriftlich einverſtanden erklären, die Charge eines Vicefeldwebels oder Vicewachtmeiſters bekleiden und den gedachten Vermerk im Ueberweiſungsnationale haben2)Die näheren Anordnungen über die Wahl ſind enthalten in der H.O. II §. 23. Bemerkenswerth iſt darunter beſonders der Satz: Gewählt dürfen nur diejenigen Offizier-Aſpiranten werden, welche bei ehrenhafter Geſinnung eine geſicherte bürgerliche Exiſtenz und eine dem Anſehen des Offizierſtandes entſprechende Lebensſtellung beſitzen. . Die gewählten Offiziers-Aſpiranten werden hierauf dem Kontin - gentsherrn reſp. dem Kaiſer durch den Landwehr-Bezirkskomman - deur auf dem Waffen-Inſtanzenwege mittelſt Geſuchsliſte in Vor - ſchlag gebracht und geeigneten Falls zu Offizieren des Beurlaub - tenſtandes ernannt3)Analoge Vorſchriften gelten für die Unterärzte, welche Sanitäts - Offiziere (Aſſiſtenz-Aerzte) des Beurlaubtenſtandes werden wollen. Verordn. über die Organiſ. des Sanitätskorps v. 6. Febr. 1873 §. 12. Ebenſo ſind analoge im Einzelnen jedoch vielfach abweichende Vorſchriften über die Ergänzung und Ausbildung der See-Offiziere des Beurlaubtenſtandes ergangen durch die Verordn. v. 2. Juni 1874..

206§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Die Dienſtpflichten der Reſerve - und Landwehroffiziere ſind im Allgemeinen nicht analog denjenigen der Berufsoffiziere, ſondern denjenigen der Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes, d. h. ſie ſind im Frieden nur verpflichtet zur Meldung des Wohnungswechſels, zur Geſtellung zu Kontrolver - ſammlungen und zur Theilnahme an Uebungen1)Die Dienſtverhältniſſe der Offiziere des Beurlaubtenſtandes ſind ge - regelt durch die V. v. 4. Juli 1868, welche in den übrigen Kontingenten zur Einführung gelangt iſt (in Württemberg durch Erl. v. 5. Dezemb. 1871, in Bayern durch V. v. 24. Oktob. 1872); dieſelbe iſt aber formell aufgehoben durch die Heerordnung, in welche ihre Anordnungen größtentheils über - gegangen ſind. Für die Marine ſind die entſprechenden Vorſchriften ent - halten in der Verordn. v. 2. Juni 1874. (Beilage zu Nro. 12 des Marine - V. Bl. 1874.). Hinſichtlich der Meldungen beſteht nur die aus dem Rangver - hältniß ſich ergebende Modifikation, daß ſie nicht an den Bezirks - feldwebel, ſondern an das Landwehr-Bezirkskommando zu richten ſind2)W.O. II §. 10 Ziff. 9. H.O. II §. 27 Ziff. 2.. In Betreff der Kontrolverſammlungen gilt für die Offiziere des Beurlaubtenſtandes die Vorſchrift, daß ſie in Uniform zu erſcheinen haben3)H.O. II §. 27 Ziff. 3.. Wenn ſie zur Geſtellung in das Stabsquartier des Landw. -Bezirkskommandeurs beordert werden, haben ſie keinen Anſpruch auf Gebühren4)Vgl. die Motive zu §. 2 u. 3 des Entw. des Kontrolgeſetzes. (Druckſ. des Reichst. II Seſſ. 1874 Nro. 13 S. 6.) Es wird dies damit begründet, daß die Offiziere des Beurlaubtenſtandes mancherlei beſondere Pflichten zu er - füllen haben, denen ſie ſich aber freiwillig unterwerfen, da ſie nur mit ihrer Zuſtimmung zu Offizieren ernannt werden. . Die Verpflichtung zur Theilnahme an den Uebungen iſt dem Umfange nach er - weitert, indem Offiziere der Reſerve während der Dauer des Re - ſerveverhältniſſes dreimal zu vier - bis achtwöchentlichen Uebun - gen, die Offiziere der Landwehr außer zu den gewöhnlichen Land - wehr-Uebungen auch zu Uebungen bei Linien-Truppentheilen behufs Darlegung ihrer Qualifikation zur Weiterbeförderung heranzuziehen ſind5)W.G. §. 12.. Die Einberufung zum Dienſt bei außergewöhnlicher Ver - anlaſſung (Mobilmachung u. ſ. w.) iſt als eine Uebung anzu - rechnen6)Kontrolgeſ. §. 5..

207§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.

Der Uebertritt von der Reſerve zur Landwehr erfolgt nach denſelben Grundſätzen wie die der Mannſchaften. Auf Wunſch des Reſerveoffiziers kann die Ueberführung zur Landwehr jedoch unter - bleiben, falls der Truppentheil ſich damit einverſtanden erklärt; die Geſammtdauer der Dienſtpflicht wird dadurch nicht verändert1)H.O. II §. 20 Ziff. 3. Hinſichtlich des Uebertritts der Reſerve-Offiziere des Seeoffizier-Korps zu den Offizieren der Seewehr vgl. die cit. Verordn. v. 2. Juli 1874 §. 7.. Die Ueberführung von Offizieren des Beurlaubtenſtandes zum Landſturm findet jedoch auch im Frieden nicht ipso iure ſtatt, ſon - dern nur auf Grund eines von ihnen einzureichenden und geneh - migten Abſchiedsgeſuches2)H.O. II §. 20 Ziff. 5. Hinſichtlich der Offiziere der Seewehr iſt der - ſelbe Grundſatz anerkannt in der V. v. 2. Juli 1874 §. 10..

Im Kriege können auch die Offiziere der Landwehr erfor - derlichen Falls bei Truppen des ſtehenden Heeres verwendet wer - den3)W.G. §. 12 a. E..

Hinſichtlich aller Rechte und Pflichten aber, welche nicht durch den Rechtsgrund der militairiſchen Dienſtpflicht, ſondern durch den militairiſchen Rang und die Dienſtſtelle bedingt ſind, beſteht völlige Gleichheit zwiſchen den Offizieren des Beurlaubten - ſtandes und denen des aktiven Friedensſtands. Dies gilt insbe - ſondere von dem Anſpruch auf Gehalt und auf alle anderen Dienſt - emolumente, von der Beförderung zu höheren Dienſtſtellen, von den militairiſchen Ehrenrechten, von der Ausübung obrigkeitlicher Befugniſſe über Untergebene, von der Beſtrafung wegen Dienſt - vergehen, von den Penſionsanſprüchen im Falle der Invalidität durch Dienſtbeſchädigung u. ſ. w. In allen dieſen Beziehungen werden ſelbſtverſtändlich die Offiziere des Beurlaubtenſtandes nicht wie die Reſerve - und Landwehr-Mannſchaften behandelt, ob - gleich die Dienſtpflicht beider auf demſelben Rechtsgrund beruht, ſondern wie die Offiziere des Friedensſtandes; denn für dieſe Verhältniſſe iſt eben der Rechtsgrund der Dienſtpflicht unerheblich. Aber dies gilt nicht nur von denjenigen Rechten und Pflichten, welche unmittelbar mit dem eigentlichen militairiſchen Range und Amte zuſammenhängen, ſondern auch von denjenigen, welche auf der Zugehörigkeit zum Offiziersſtande beruhen und ſich mit -208§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.hin als Standespflichten der Offiziere charakteriſiren. Denn auch derjenige, welcher ſeiner geſetzlichen Wehrpflicht als Offizier genügen will, tritt ebenſo wie der Berufsoffizier in dieſen Stand ein und unterwirft ſich hiermit den Standespflichten. Die wichtigſte Conſequenz dieſes Satzes iſt die, daß die Verordnung über die Ehrengerichte der Offiziere v. 2. Mai 18741)Siehe darüber den folgenden Paragraphen unter II. 2. c). auf die Offiziere des Beurlaubtenſtandes volle Anwendung findet.

Endlich iſt ein Rechtsſatz zu erwähnen, welcher mit dem ſo eben entwickelten Unterſchied, der zwiſchen den Offizieren und den Mannſchaften des Beurlaubtenſtandes hinſichtlich ihrer Dienſtpflicht beſteht, in engem Zuſammenhang ſteht. Reſerve - und Landwehr - Mannſchaften treten nämlich beim Verziehen von einem Staate in den anderen zur Reſerve, beziehungsweiſe Landwehr des letzteren über2)W.G. §. 17 Abſ. 3.; Offiziere des Beurlaubtenſtandes verbleiben dagegen ſtets im Dienſtverhältniß desjenigen Bundesſtaates, von deſſen Kon - tingentsherrn ſie zum Offizier ernannt worden ſind3)H.O. II §. 27 Z. 6. Ebenſo bleiben ſie beim Aufenthaltswechſel innerhalb des Gebietes ihres Kontingentsherrn bei demjenigen Truppentheil, in deſſen Offizierkorps ſie in Folge ihrer Beförderung eingetreten ſind, ſolange ſie nicht zu einem andern Truppentheil verſetzt werden.. Dieſer Unterſchied beruht darauf, daß Offiziere der Reſerve und Land - wehr nicht wie die Mannſchaften lediglich ihre geſetzliche Wehr - pflicht als einfache Unterthanenpflicht erfüllen, ſondern daß ſie zu - gleich mit einem militairiſchen Range ausgeſtattet ſind, der ſie zur Handhabung einer militairiſchen obrigkeitlichen Gewalt befähigt. Die Quelle derſelben iſt aber der betreffende Bundes-Staat; die den Offizieren zur Ausübung übertragene Militairgewalt ſteht dem - jenigen Kontingentsherrn zu, von welchem ſie ihre Ernennung er - halten haben. Offiziere des Beurlaubtenſtandes ſtehen in dieſer Hinſicht den Offizieren des activen Friedensſtandes ganz gleich; ſie haben nicht nur eine Dienſtpflicht, ſondern ſie bekleiden zu - gleich auch eine beſtimmte Dienſtſtelle und führen das derſelben entſprechende Kommando; ſie können daher nicht durch bloßen Wechſel des Aufenthalts oder der Niederlaſſung ohne Weiteres in ein anderes Kontingent eintreten, ſondern ſie müſſen, wenn beſon - dere Verhältniſſe einen ſolchen Uebertritt ausnahmsweiſe als zu -209§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.läſſig erſcheinen laſſen, aus ihrem bisherigen Dienſtverhältniß den Abſchied, und in dem Kontingent ihres neuen Wohnorts die Wie - derernennung zum Offizier des Beurlaubtenſtandes nachſuchen1)Den Offizieren ſind die Militairärzte mit Offiziersrang vollkommen gleichgeſtellt. Verordn. v. 6. Febr. 1873 §. 24, 27.. Durch dieſe beſondere Dienſtſtellung, in welcher Offiziere des Be - urlaubtenſtandes ſich befinden, iſt auch die Rechtsvorſchrift begrün - det, daß denſelben die Entlaſſung aus der Staatsangehörigkeit nur mit Genehmigung der Militairbehörde ertheilt werden darf, falls ſie nicht nachweiſen, daß ſie in einem andern Bundesſtaate die Staatsangehörigkeit erworben haben2)Mil. Geſ. §. 60 Ziff. 1., und daß ihnen die Aus - wanderung aus dem deutſchen Reich ohne Löſung ihres Militair - verhältniſſes nicht geſtattet iſt3)Die Verletzung dieſer Vorſchrift iſt nach §. 140 Ziff. 2 des Reichs - Strafgeſetzbuchs zu beſtrafen. Uebereinſtimmend Mil. Geſ. §. 60 Ziff. 2. Hin - ſichtlich des Verfahrens vgl. Strafproz. Ordn. §. 470 fg..

§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.

I. Begriff und rechtliche Natur.

1. Die geſetzliche Wehrpflicht iſt, weil ſie eine Unterthanen - pflicht iſt, zeitlich begränzt; der aktive Dienſt bei den Fahnen ſoll die Verfolgung eines bürgerlichen Lebensberufs und die Ausübung einer wirthſchaftlichen Erwerbsthätigkeit nicht dauernd verhindern. Grade aus dieſem Grunde iſt aber die allgemeine Wehrpflicht zur vollen Befriedigung der Militairbedürfniſſe des Staates nicht aus - reichend. Der Staat bedarf Perſonen, welche ſich berufsmäßig dem Militairdienſt widmen, welche ſich für denſelben ausbilden und vorbereiten, in ihm ihre Lebensaufgabe erblicken und in ihm ausharren. Es iſt allbekannt und bedarf keiner weiteren Aus - führung, wie zahlreiche und weſentliche Aufgaben des Heerweſens nur durch ſolche Perſonen erfüllt werden können. Der berufs - mäßige Dienſt im Heere iſt aber wie jeder Beruf ein freiwillig übernommener; Niemand kann gegen ſeinen Willen oder ohne ſeine ausdrückliche Zuſtimmung dazu genöthigt werden. Eine Pflicht, andere oder längere Dienſte im Heere zu leiſten alsLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 14210§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.die allen wehrpflichtigen Unterthanen obliegenden, kann daher nur durch einen Willensakt, durch ein Rechtsgeſchäft, begründet werden1)Dies gilt auch von denjenigen Perſonen, welche auf einer Militair - Bildungsanſtalt auf öffentliche Koſten ihre Ausbildung genoſſen haben und dafür verpflichtet ſind, außer der geſetzlichen Dienſtzeit eine gewiſſe Zeit im ſtehenden Heere oder in der Marine zu dienen. Sie übernehmen dieſe Ver - pflichtung freiwillig bei der Aufnahme in die Bildungs-Anſtalt und ſtellen in der Regel darüber eine Urkunde aus. Vgl. oben §. 86. VIII. ; es iſt ein Conſens erforderlich zwiſchen demjenigen, welcher ſich zum Dienſt im Heere oder in der Flotte verbindlich macht, und dem Kontingentsherrn, welcher dieſe Dienſte annimmt. Der durch dieſen Conſens zu Stande kommende Vertrag hat im heutigen Recht allerdings nicht die Natur eines obligatoriſchen Ver - trages des Privatrechts, einer gewöhnlichen Dienſtmiethe, ſondern er iſt ein Dienſtvertrag des öffentlichen Rechts in dem oben Bd. I §. 38 dargelegten Sinne; immerhin iſt er aber ein Vertrag. Hierauf beruht der prinzipielle Gegenſatz des berufsmäßigen Mili - tairdienſtes gegenüber dem Militairdienſt auf Grund der Wehr - pflicht; das juriſtiſche Fundament der Verpflichtung iſt ein ver - ſchiedenes; dort iſt es das Geſetz, hier der freie Wille des In - dividuums, das Rechtsgeſchäft.

Beide Rechtsgründe können allerdings theilweiſe zuſammen - treffen. In dieſem Falle kömmt die Wehrpflicht formell nicht zur Wirkſamkeit, denn die vertragsmäßige Dienſtpflicht iſt ſtets die weiterreichende, die geſetzliche Verpflichtung überdeckende. Die ge - ſetzliche Wehrpflicht beſteht aber virtuell fort und tritt wieder in Wirkſamkeit, wenn die vertragsmäßige Dienſtpflicht aufgehoben wird. So treten Offiziere des aktiven Dienſtſtandes, welche vor Beendigung ihrer geſetzlichen Dienſtpflicht aus dem aktiven Dienſt entlaſſen werden, nach der Jahresklaſſe, welcher ſie angehören, als Offiziere des Beurlaubtenſtandes zur Reſerve oder Landwehr über2)Vgl. Kabin. Ordre v. 25. Febr. 1816; v. 29. Januar 1857; Verordn. v. 4. Juli 1868 Anhang Ziff. 9. Kabin. Ordre v. 5. Dezemb. 1872 (abgedruckt bei v. Helldorff I, 4 S. 165 und II, 1 S. 36 fg.). Seit dem Erlaß der Heer-Ordnung ſind jedoch von dieſer Regel ausgenommen diejenigen Offiziere, welche verabſchiedet oder mit ſchlichtem Abſchied entlaſſen oder aus dem Offi - zierſtande entfernt werden; dieſelben ſind von der ferneren Ableiſtung der Dienſtpflicht entbunden. H.O. II §. 25. und ebenſo haben Kapitulanten nach ihrer Entlaſſung der Reſerve -,211§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Landwehr - und Landſturmpflicht nach Maßgabe ihrer Dienſtjahre zu genügen.

Der Eintritt in den berufsmäßigen Militairdienſt iſt Eintritt in den berufsmäßigen Staatsdienſt; der Offizier iſt im juriſtiſchen Sinne ein Staatsbeamter; die von ihm verwaltete Stelle im Heere iſt im juriſtiſchen Sinne ein Staatsamt; die ihm obliegenden Pflichten ſind Beamtenpflichten1)Vgl. Bd. I S. 401. Einen geſetzlichen Ausdruck hat dieſer Grundſatz im Preuß. Allg. Landrecht gefunden, welches im 10. Titel des II. Theiles die Rechtsregeln über Militair - und Civilbediente zuſammenſtellt.. Nicht in den Grundſätzen über die Wehrpflicht, ſondern in den Grund - ſätzen des Beamtenrechts ſind demnach die all - gemeinen Rechtsnormen zu ſuchen, welche für das Dienſtverhältniß der Offiziere ꝛc. ꝛc. maßgebend ſind und wenn auch im Einzelnen zahlreiche und erhebliche Modi - fikationen in der Anwendung und Durchführung der Rechtsſätze beſtehen, ſo giebt es doch keinen einzigen allgemeinen Rechtsbegriff, der nicht gleichmäßig für Offiziere, Unteroffiziere, Militairärzte und Militairbeamte wie für die Staatsbeamten des Civildienſtes Anwendung fände.

Insbeſondere iſt es für das juriſtiſche Verſtändniß des hier in Rede ſtehenden Rechtsverhältniſſes erforderlich, die Dienſt - pflicht als ſolche von dem in Folge derſelben übertragenen Amte (Kommando) begrifflich zu unterſcheiden. Das Dienſtverhältniß erzeugt auch außeramtliche Pflichten, deren Erfüllung auch dann dem Offiziere ꝛc. ꝛc. obliegt, wenn ihm ein Amt (Kommando) nicht übertragen iſt, wenn er zur Dispoſition geſtellt iſt. Andererſeits kann ein Kommando auch demjenigen ertheilt werden, welcher nicht kraft freiwilligen Eintrittes in den Dienſt, ſondern kraft geſetzlicher Wehrpflicht daſſelbe zu übernehmen verbunden iſt. Der Zweck des Dienſtvertrages beſteht eben darin, daß ſich der Staat geeignete Individuen verſchafft, denen er ein Kommando wirkſam ertheilen kann, weil die geſetzliche Wehrpflicht hierzu ganz ungenügend iſt. Die Pflicht, ein Kommando zu übernehmen und ſich der hier - mit verbundenen Thätigkeit zu widmen, iſt Folge und Inhalt des Dienſtverhältniſſes, dagegen der concrete Umfang der zu führenden amtlichen Geſchäfte und der auszuübenden ſtaatlichen Hoheitsrechte14*212§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.beſtimmt ſich nach dem übertragenen Amte. Namentlich hat die militairiſche Befehlsgewalt über Untergebene ihr rechtliches Funda - ment niemals in dem Dienſtvertrage, ſondern ausſchließlich in dem Amtsauftrage, d. h. in einer ſtaatlichen Delegation.

2. Unter den Perſonen, welche eine freiwillige Dienſtpflicht in dem Heere oder in der Marine übernommen haben, laſſen ſich mehrere Klaſſen unterſcheiden. Sie zerfallen zunächſt in Perſo - nen des Soldatenſtandes und Militairbeamte; eine Unterſcheidung, welche juriſtiſch von der größten Bedeutung iſt, in - dem das Reichsbeamtengeſetz auf Militairbeamte Anwendung fin - det, auf Perſonen des Soldatenſtandes dagegen nicht1)Siehe Bd. I S. 399, 401. Eine Ausnahme bilden die §§. 134 138., während andererſeits das Militair-Strafgeſetzbuch im Frieden nur für Per - ſonen des Soldatenſtandes Geltung hat, für Militairbeamte da - gegen nur im Felde und auch in dieſem Falle nur theilweiſe (Tit. I. Abſchn. 1. 2. 3. 6. 8.)2)Mil. St. G.B. §§. 153, 154..

Die Perſonen des Soldatenſtandes zerfallen wieder in zwei Klaſſen, die ſowohl in ſozialer als in rechtlicher Beziehung ſich weſent - lich von einander unterſcheiden und die man im Allgemeinen durch den Gegenſatz des höheren und niederen Militairdienſtes charakteri - ſiren kann. Der höhere Militairdienſt bietet eine Laufbahn für das ganze Leben; er iſt ein Lebensberuf im ſtrikten Sinne; er erfor - dert einerſeits eine umfaſſende und ſorgfältige Vorbereitung und er ermöglicht andererſeits das Aufrücken in die höchſten und ein - flußreichſten Stellungen; die höhere Art der Dienſte, die mehr auf der Intelligenz und den Eigenſchaften des Charakters als auf kör - perlicher Kraft beruhen, geſtattet die Fortleiſtung derſelben auch in vorgerückten Lebensjahren. Demgemäß wird die Aufnahme in den Dienſt von Bedingungen abhängig gemacht, welche die Quali - fikation des Eintretenden ſicher ſtellen, und es wird das Dienſt - verhältniß auf Lebenszeit eingegangen; dasſelbe erliſcht der Regel nach ſelbſt dann, wenn die aktive Erfüllung der Dienſtpflicht nicht mehr geleiſtet werden kann, nicht gänzlich, ſondern dauert mit ab - geſchwächten Wirkungen fort. Der niedere Militairdienſt dagegen iſt ſeinem Weſen nach auf eine begränzte Reihe von Jahren be - rechnet; ſowie er eine geringere, weniger koſtſpielige und weniger213§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.zeitraubende Vorbildung vorausſetzt, ſo führt er auch nicht über ein gewiſſes niedriges Niveau hinaus; ſowie er vorzugsweiſe phy - ſiſche Kraftleiſtungen und Ausdauer erfordert, an Kenntniſſe und Urtheilskraft dagegen mindere Anforderungen ſtellt, ſo verliert ſich auch die Qualifikation mit dem höheren Alter; er bildet daher nicht die Laufbahn für das ganze Leben, ſondern er iſt gewöhnlich nur ein Durchgangsſtadium, aus welchem man in andere Lebens - ſtellungen einzutreten pflegt. Daraus ergiebt ſich eine Verſchieden - heit in der juriſtiſchen Geſtaltung des Verhältniſſes.

Die Perſonen des höheren und niederen (berufsmäßigen) Mi - litairdienſtes kann man kurz einander gegenüberſtellen als Offiziere und Unteroffiziere; nur iſt dabei zu beachten, daß auch die Aſpi - ranten des höhern Militairdienſtes regelmäßig als ſogen. Portepee - Fähnriche reſp. als Seekadetten durch die Unteroffiziersſtellung hin - durchgehen müſſen und daß andererſeits den Unteroffizieren die Beförderung zu höheren Dienſtſtellungen von Rechtswegen nicht verſchloſſen iſt.

II. Das Dienſtverhältniß der Offiziere.

1. Die Qualifikation zum Offizier und die Er - gänzung des Offizierkorps. Die Grundprinzipien über die Zulaſſung zu den Offizierſtellen im Heere ſind enthalten in der Kabinets-Ordre v. 6. Auguſt 18081)Auszugsweiſe abgedruckt bei v. Helldorff. Dienſtvorſchriften der Kgl. Preuß. Armee I. Th. 2. Abth. S. 2.. Sie ſtellt den Grundſatz an die Spitze: Einen Anſpruch auf Offfzierſtellen ſollen von nun an in Friedenszeiten nur Kenntniſſe und Bil - dung gewähren, in Kriegszeiten ausgezeichnete Tapferkeit und Ueberblick. Aus der ganzen Nation können daher alle Individuen, die dieſe Eigenſchaften beſitzen, auf die höchſten Ehren - ſtellen im Militair Anſpruch machen. Aller bisher ſtattgehabte Vorzug des Standes hört beim Militair ganz auf und jeder ohne Rückſicht auf ſeine Herkunft hat gleiche Pflichten und gleiche Rechte. Sie erkennt ferner als Vorſtufe für die Offiziersſtellung den Dienſt als Portepeefähnrich an und ſanktionirt den Grundſatz, daß wenn eine vakante Offizierſtelle beſetzt werden ſoll, dieſelbe durch Wahl des Offizier-Korps aus der Zahl der Portepeefähnriche214§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.dem Könige zur Wiederbeſetzung in Vorſchlag gebracht wird, daß im Kriege aber die Wahl ſich auch über alle Unteroffiziere und Gemeine erſtreckt und ein Jeder durch ausgezeichnete tapfere That zum Offizier erwählt werden kann, ohne vorher Portepeefähnrich geweſen zu ſein, wenn er dabei von guter Führung und die tapfere That mehr als eine gewöhnliche iſt. Den Offizieren wird zur Pflicht gemacht, ſich um die Ausbildung ihrer Untergebenen zu be - kümmern und insbeſondere die Portepeefähnriche zwar mit Ernſt zu ihrer Pflicht anzuhalten, aber doch Alles anzuwenden, um ſie durch freundſchaftliche Aufmunterungen und Anleitungen auszubil - den und ſie ihres künftigen Poſtens würdig zu machen. Dieſe Grundſätze ſind in der Preuß. Armee ſeitdem maßgebend geblie - ben und auf die übrigen Kontingente ausgedehnt worden.

a) Eine genauere Regelung der Vorbedingungen zum Eintritt in den höheren Militairdienſt iſt unter Aufrechterhaltung dieſer Grundprinzipien erfolgt durch die Verordnung über die Er - gänzung der Offiziere des ſtehenden Heeres v. 31. Ok - tober 1861, welche in einzelnen Beziehungen durch ſpätere Kabi - nets-Ordres ergänzt und modifizirt worden iſt, im Weſentlichen aber noch gegenwärtig in Geltung ſteht1)Sie iſt in Württemberg eingeführt durch V. v. 9. Januar 1872. (Württ. Mil. V. Bl. 1872 S. 7.); in Bayern durch V. v. 18. Auguſt 1872 (Bayr. M. V.Bl. S. 309)..

Im Frieden muß der Offiziers-Aſpirant zunächſt Portepee - Fähnrich werden. Hierzu iſt erforderlich die wiſſenſchaftliche Qualifikation, welche entweder durch den Beſitz eines vollgültigen Abiturientenzeugniſſes eines deutſchen Gymnaſiums oder einer zur Ausſtattung ſolcher Zeugniſſe berechtigten Realſchule I. Ordnung oder durch Ablegung der Portepeefähnrich-Prüfung vor der Ober - Militair-Examinations-Kommiſſion dargethan wird2)V. v. 31. Oktober 1861 §. 3 und v. 20. Oktober 1874 (Armee-V. Bl. S. 216). Die näheren Vorſchriften über die Portepeefähnrichs-Prüfungen ſind enthalten in der V. v. 31. Oktober 1861 §. 4 fg.. Die Quali - fikation muß vor dem Dienſteintritt erworben werden, insbeſon - dere iſt auch die Ablegung der Portepee-Fähnrichs-Prüfung vor dem Eintritt in den aktiven Dienſt eine unerläßliche Bedingung für die Annahme derjenigen junge Leute, welche mit der ausge - ſprochenen Abſicht auf Beförderung zum Offizier zu dienen, in215§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.die Armee einzutreten wüuſchen1)V. v. 31. Okt. 1861 §. 5. Kab. Ordre v. 12. Juli 1862 §. 2 und v. 23. Aug. 1865 §. 2. (v. Helldorff a. a. O. S. 8.). Es iſt ferner erforderlich die Beibringung eines Dienſtzeugniſſes. Dasſelbe wird von dem Chef und den Offizieren der Kompagnie, dem Bataillons - und dem Regiments-Kommandeur ausgeſtellt und darf erſt ertheilt werden, wenn der Betreffende mindeſtens 5 Monate praktiſch den Dienſt bei der Truppe erlernt hat. Das Dienſtzeugniß entſcheidet über die Würdigkeit eines Unteroffiziers oder Soldaten, im Frieden mit Ausſicht auf Beförderung fortzudienen; es muß ſich daher aus - ſprechen über die körperlichen und geiſtigen Eigenſchaften des Be - treffenden, über ſeine Führung und Dienſt-Applikation, ſowie über den Grad der erworbenen Dienſtkenntniſſe 2)V v. 31. Okt. 1861 §. 2.. Iſt den beiden an - gebenen Erforderniſſen genügt, ſo kann jeder Unteroffizier oder Soldat, der nach vollendetem 17. und vor zurückgelegtem 23. Le - bensjahre mindeſtens 6 Monate gedient hat, ſobald bei ſeinem Truppentheile eine Vakanz in der etatsmäßigen Zahl der Porte - peefähnriche vorhanden iſt, zu letzterer Charge in Vorſchlag gebracht werden.

Portepeefähnriche, welche vor dem zurückgelegten 25. Lebens - jahre mindeſtens 6 Monate in ihrer Charge patentirt ſind, die Kriegsſchule beſucht haben und nach dem Urtheile der letzteren reif für die Prüfung zum Offizier erachtet worden ſind, können, bei untadelhafter Führung der Ober-Militair-Examinations-Kom - miſſion zum Offizier-Examen angemeldet werden 3)V. v. 31. Okt. 1861 §. 8. Die Anforderungen in dieſem Examen ſind normirt in den Beſtimmungen v. 27. Febr. 1873 über die Organſation der Kriegsſchulen. (Armee-V. Bl. 1873 Beilage Nro. 7.) Die Bedingungen zur Zulaſſung für Perſonen, die ein Jahr auf einer deutſchen Univerſität ſtudirt haben, für Landwehr-Offiziere und für Schüler des Berliner Kadet - tenhauſes beſtimmen ſich nach der V. v. 31. Okt. 1861 §. 11 16..

Von den im Offizier-Examen Beſtandenen werden bei ein - tretender Vakanz die der Anciennetät nach älteſten Portepeefähn - riche dem Könige zum Offizier vorgeſchlagen, nachdem das Offi - zier-Korps des betreffenden Truppentheils in einem eigenen, dem Vorſchlage beizufügenden Protokoll erklärt hat, daß es den Vor - zuſchlagenden für würdig erachtet, in ſeine Mitte zu treten, und216§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.nachdem in einem beſonderen Atteſte bezeugt iſt, daß derſelbe die einem Offiziere nöthige praktiſche Dienſtkenntniß beſitzt1)V. v. 31. Okt. 1861 §. 10, woſelbſt die näheren Vorſchriften enthalten ſind. Unter den letzteren iſt hervorzuheben, daß die zu Offizieren der Armee beförderten Aſpiranten der Artillerie und des Ingenieur-Korps noch eine ſpezielle Berufsprüfung vor einer aus Offizieren beider Waffen ge - bildeten Kommiſſ. abzulegen haben. Vgl. oben §. 86. VIII. 4..

Auszeichnung vor dem Feinde befreit von dem Examen zum Portepeefähnrich und fortgeſetztes ausgezeichnetes Benehmen im Kriege auch von dem zum Offizier2)V. v. 31. Okt. 1861 §. 17. Vgl. dazu die Kab. Ordre v. 3. Septemb. 1866. (v. Helldorff a. a. O. S. 14.).

b) Auf denſelben Grundprinzipien beruhen auch die Vorſchrif - ten über die Ergänzung des Offizierkorps der Marine; dieſelben ſind jedoch im Einzelnen nicht nur, den Bedürfniſſen des Dienſtes auf der Flotte entſprechend, modifizirt ſondern auch viel complizirter. Sie ſind enthalten in der Verordnung vom 10. März 18743)Marine-Verordn. -Bl. 1874 S. 61.. Der Eintritt in den Dienſt auf der Flotte er - folgt entweder als Kadett oder im Falle des Uebertritts aus der Handelsmarine als Matroſe. Zum Eintritt als Kadett iſt erfor - derlich der Nachweis wiſſenſchaftlicher Qualifikation, der entweder durch ein Zeugniß der Reife für Oberſekunda eines deutſchen Gym - naſiums, Realſchule I. Ordnung ꝛc. ꝛc. oder durch Ablegung der Eintrittsprüfung vor der Seeoffizier - und Kadettenprüfungs - kommiſſion in Kiel dargethan wird; ferner die Beibringung eines Zeugniſſes eines Marine - oder Militairarztes über körperliche Taug - lichkeit; endlich eines Reverſers über Gewährung der Mittel zur Equipirung und einer Zulage. Die Einſtellung als Kadett muß vor dem 17. Geburtstage erfolgen; nur bei den mit dem Zeugniß der Reife für die Univerſität entlaſſenen Abiturienten kann die Ein - ſtellung bis zum 19. Geburtstage hinausgeſchoben werden4)V. v. 10. März 1874 §§. 1 8. Daſelbſt ſind namentl. die näheren Vorſchriften über die Eintrittsprüfung enthalten..

Die Kadetten werden im Monat April an Bord des Kadettenſchiffes eingeſchifft und erhalten daſelbſt ihre erſte militai - riſch-ſteuermänniſche Erziehung. Das Kadettenſchiff kreuzt während des Sommers und kehrt Ende September zur Station zurück. 217§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Diejenigen Kadetten, von denen es ſich während der Uebungsreiſe herausſtellt, daß ſie ſich nicht zum Seedienſte eignen und daß ſie die genügende Anlage zum See-Offizier nicht beſitzen, werden auf Grund eines motivirten Berichts, den der Kommandant des Schiffes nach Anhörung der Offiziere des letzteren an die Admiralität ein - zureichen hat, von dem Chef der Admiralität entlaſſen1)V. v. 10. März 1874 §. 9..

Die übrigen Kadetten erhalten Anfangs September von dem Kommandanten und den Offizieren des Kadettenſchiffes ein Dienſt - zeugniß und werden von der Admiralität Anfangs Oktober zum Beſuch des Kadettencötus der Marineſchule kommandirt. Vor der Ueberweiſung werden ſie vereidigt. Der Unterricht in dem Kadettencötus hat den Zweck, die Kadetten zur Ablegung der See - kadettenprüfung vorzubereiten und dauert circa 6 Monate. Die - jenigen, welche die Seekadettenprüfung beſtanden und die Reife - zeugniſſe erhalten haben, können zur Beförderung zum Seeka - detten mittelſt Geſuchsliſte in Vorſchlag gebracht werden2)Die angef. V. §. 10 14. Daſelbſt ſind die näheren Vorſchriften über die Seekadettenprüfung und über die Rangirung der Seekadetten enthalten.. Der militairiſche Rang der Seekadetten entſpricht demjenigen der Por - tepee-Fähnriche3)Vgl. Bundes-Geſ. Bl. 1867 S. 284..

Die Seekadetten werden an Bord eines Schulſchiffes auf zwei Jahre eingeſchifft; ſie erhalten daſelbſt eine allſeitig prak - tiſche Ausbildung zum Dienſt als Unterlieutenant und Unterricht in den mehr praktiſchen Disciplinen zur Vorbereitung auf die Seeoffiziers-Prüfung. Diejenigen, welche bei der Rückkehr des Schulſchiffes von dem Kommandanten und den Offizieren desſelben ein günſtiges Dienſtzeugniß erhalten, werden von der Admiralität zur Ablegung der erſten Seeoffizier-Prüfung vor die Prüfungs - kommiſſion in Kiel kommandirt4)Die näheren Anordnungen ſiehe in der angef. Verordn. §§. 15 19.. Diejenigen Seekadetten, welche die Prüfung beſtanden haben, werden auf Antrag des Kommandeurs des Seekadettenſchiffes dem anweſenden Seeoffizierkorps der Marine - ſtation der Oſtſee zur Wahl geſtellt. Hinſichtlich dieſer Wahl gelten dieſelben Regeln wie für die Wahl zum Offizier im ſtehen - den Heere. Die Gewählten werden alsdann mittelſt Geſuchsliſte218§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.zur Beförderung zum Unterlieutenant zur See, unter Vor - behalt der Patentirung, in Vorſchlag gebracht1)a. a. O. §. 20. Unterlieutenants zur See haben Sekonde-Lieutenants - Rang. Bundes-Geſ. Bl. 1867 S. 284..

Die ſo ernannten Unterlieutenants ohne Patent werden durch den Chef der Admiralität zum Beſuche des Offiziercötus der Ma - rineſchule einberufen. Dieſer Unterricht iſt der vervollkommneten theoretiſchen Ausbildung und der Vorbereitung zur Ablegung der (zweiten) Seeoffizierberufsprüfung gewidmet, welche letz - tere im September jeden Jahres vor der Prüfungskommiſſion in Kiel abgelegt wird. Nach dem Ausfall dieſer Prüfung, den Dienſt - zeugniſſen und Rangirungsvorſchlägen werden die Reifezeugniſſe ausgeſtellt und es kann gleichzeitig nach Maßgabe der feſtgeſtellten Anciennetät, des Etats und der zurückgelegten dreijährigen See - fahrzeit die Verleihung von Patenten als Unterlieutenant zur See an den Betreffenden beim Kaiſer beantragt werden2)Die Detailvorſchriften finden ſich in der angef. V. §§. 21 25.. Das Be - ſtehen der Seeoffizierberufsprüfung iſt außer der ſonſtigen dienſt - lichen Qualifikation und einer Seefahrzeit von fünf Jahren in der kaiſerlichen Marine unerläßliche Bedingung für die Beförderung zum Lieutenant zur See 3)a. a. O. §. 26. Lieutenants zur See haben Premier-Lieutenants-Rang. B. G.Bl. 1867 S. 284. Durch den cit. §. 26 iſt die Beſtimmung der Ver - ordnung v. 16. Juni 1864 §. 28, daß Auszeichnung vor dem Feinde von dem wiſſenſchaftlichen Theil der Prüfungen und fortgeſetztes ausgezeichnetes Be - nehmen im Kriege, verbunden mit Beweiſen von ausreichender ſeemänniſcher Befähigung, auch von den Bedingungen der Dienſt - und Fahrzeit befreit, aufgehoben..

Etwas abweichende Beſtimmungen gelten für den Vorberei - tungs-Dienſt der Seeleute der Handelsmarine, welche in die Kriegsmarine mit der Ausſicht auf Beförderung eintreten wol - len. Sie haben ſich über ihre geiſtige und körperliche Qualifikation und außerdem durch Zeugniſſe der Schiffsführer über eine auf Kauffahrteiſchiffen zurückgelegte Fahrt von 12 Monaten und über Führung, Kenntniſſe und Leiſtungen auszuweiſen. Diejenigen, welche dieſen Bedingungen entſprechen und die Eintrittsprüfung beſtanden haben, werden als Matroſen eingeſtellt4)Sie werden von dem Kommandeur der Matroſen-Diviſion hierzu der Kaiſerl. Admiralit. in Vorſchlag gebracht., und auf dem219§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Kadettenſchiffe eingeſchifft und den Kadetten gleich behandelt. Nach erfolgter Beförderung zum Seekadetten müſſen ſie den Kurſus auf dem Artillerieſchiffe durchmachen und können, ſofern ſie ſich hier ein günſtiges Dienſtzeugniß erwerben, zur erſten Seeoffizierprüfung zugelaſſen werden, nach günſtigem Ausfall derſelben an dem See - offiziercötus Theil nehmen und nach dem Schluß des Curſus die Seeoffiziersberufsprüfung ablegen1)Kab. Ordre v. 9. Januar 1877, welche die §§. 27 und 28 der V. vom 10. März 1874 abgeändert hat. Marine-V. Bl. 1877 S. 4..

c) Die Ergänzung des Maſchineningenieurkorps der Marine iſt geregelt durch die Kaiſerl. Verordnung vom 7. Mai 18722)Marine-Verordn. Bl. 1872 S. 85 ff. Dieſelbe iſt abgeändert worden durch die V. v. 12. Nov. 1878. M. V.Bl. S. 211.. Zum Eintritt in dasſelbe werden zuge - laſſen diejenigen Obermaſchiniſten, welche ſich durch ihre techniſchen Kenntniſſe und Erfahrungen zur Leitung großer Schiffsmaſchinen eignen und zugleich in Betreff der allgemeinen und geſelligen Bil - dung, ſowie der perſönlichen Verhältniſſe und Eigenſchaften, der Aufnahme in das Maſchineningenieurkorps würdig ſind3)V. v. 7. Mai 1872 §. 3.. Sie müſſen die Maſchiniſtenprüfung mindeſtens mit dem Prädikat gut beſtanden haben, eine zweijährige Seefahrt als leitende Maſchiniſten in der Marine wovon mindeſtens 6 Monate an Bord eines Panzerſchiffes oder eines Schiffes erſten bis vierten Ranges zu - rückgelegt haben und die Maſchineningenieur-Prüfung beſtanden haben4)V. v. 7. Mai 1872 §§. 4 6.. Die Wahl erfolgt von den Offizieren und den Mit - gliedern des Maſchineningenieurkorps des Stationsortes, welchem der Betreffende oder das Schiff, auf dem er ſich befindet, ange - hört. Für die Wahl gelten im Uebrigen analoge Vorſchriften wie für die Offizierswahl5)a. a. O. §. 7.. Der Gewählte wird zunächſt zum Ma - ſchinen-Unteringenieur ernannt; nach einer zwölfmonatlichen Fahrzeit als leitender Ingenieur an Bord eines Schiffes 1 4ten Ranges kann er zum Maſchinen-Ingenieur, und nach einer weiteren zwölfmonatlichen Fahrzeit als leitender Ingenieur eines Schiffes 1. oder 2. Ranges zum Maſchinen-Oberingenieur befördert werden6)a. a. O. §. 8..

220§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.

d) Die Ergänzung des Sanitäts-Offizier-Korps.

Nachdem durch das Militair-Strafgeſetzb. §. 5 und durch die Verordn. vom 6. Februar 1873 über die Organiſation des Sanitäts-Korps die Militair-Aerzte, welche früher die rechtliche Eigenſchaft der Militairbeamten hatten, zu Perſonen des Soldaten - ſtandes erklärt worden ſind, iſt die Ergänzung des Sanitäts-Offi - zier-Korps mit den Grundſätzen, welche für die Offiziere im All - gemeinen gelten, in Uebereinſtimmung gebracht worden, d. h. es iſt die Ernennung zum Sanitäts-Offizier abhängig gemacht wor - den nicht nur von der Ablegung einer Prüfung, ſondern auch von einer Wahl der Berufsgenoſſen. Die Vorſchriften, welche gleich - mäßig für das Heer und die Marine gelten, ſind in der erwähn - ten V. v. 6. Febr. 18731)Armee-V. Bl. 1873 S. 103 ff. In Württemberg eingeführt durch Erl. v. 13. Juni 1873. (M. V.Bl. S. 187.); in Bayern durch V. v. 7. Juli 1873. (Bayr. M. V.Bl. S. 180.) enthalten. Der Eintritt in das Sani - täts-Offizier-Korps iſt einjährig-freiwilligen Aerzten geſtattet, wenn ſie nach Ablauf der ſechsmonatlichen Dienſtzeit mit der Waffe von ihrem militairiſchen Vorgeſetzten das für jede Beförderung erfor - derliche Dienſtzeugniß2)Die angef. Verordn. §. 4. erhalten haben; ſie können nach vier - wöchentlicher Dienſtzeit im Sanitätskorps von dem Korps-General - arzt zur Anſtellung als Unterarzt bei dem General-Stabsarzt der Armee in Vorſchlag gebracht werden3)a. a. O. §. 6. §. 21 Abſ. 1. Vor der Anſtellung muß ſich der Arzt in einem Kapitulations-Protokoll verpflichten, außer ſeiner allgemeinen ein - jährigen Dienſtpflicht noch mindeſtens ein Jahr im ſtehenden Heere oder in der Flotte zu dienen. Nach erfolgter Anſtellung können die Unterärzte überall verwandt werden, wo der Bedarf an Aerzten ſich geltend macht. Sie haben Anſpruch auf Gehalt und die übrigen Bezüge ihrer Charge. §. 6 cit.. Die Unterärzte haben den militairiſchen Rang eines Portepeefähnrichs. Ihre Beförde - rung zum Aſſiſtenzarzt ſetzt voraus die Abſolvirung der medi - ziniſchen Staatsprüfung, eine dreimonatliche Dienſt - leiſtung bei der Truppe, die Beibringung eines Zeugniſſes des Regiments-Arztes, daß der Vorgeſchlagene ſowohl ſeiner Füh - rung und Dienſt-Applikation als auch ſeiner, den Anſichten der Standesgenoſſen entſprechenden moraliſchen Eigenſchaften halber zur Beförderung pflichtmäßig empfohlen werde, und die Wahl durch221§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.die im Offizierrange ſtehenden Militair-Aerzte der Diviſion1)In der Marine bilden die Aerzte beider Marine-Stationen einen gemeinſamen Wahlverband.. Der Vorſchlag erfolgt durch den Diviſionsarzt auf Antrag des rang - älteſten ärztlichen Vorgeſetzten und nach eingeholter ſchriftlicher Genehmigung des Kommandeurs des Truppentheils2)Die näheren Vorſchriften über die Wahl ꝛc. ſind enthalten in der angef. Verordn. §§. 7 11..

2. Die dienſtlichen Pflichten der Offiziere im aktiven Dienſt.

Offiziere haben ganz dieſelben Pflichten wie andere Beamte, nämlich die Pflicht zur Verwaltung des übertragenen Amtes (Kom - mando’s), die Pflicht zur Treue und zum Gehorſam, und die Pflicht eines achtungswürdigen Verhaltens3)Vgl. oben Bd. I §. 40.. Daß die Dienſt - verrichtungen andere ſind wie die im Civildienſt, daß die Bethäti - gung der Treue und des Gehorſams unter gewiſſen Umſtänden, namentlich im Kriege, den Offizieren eine Gefährdung des eigenen Lebens und der Geſundheit, eine Selbſtaufopferung, auferlegt, wie ſie andern Beamten gewöhnlich nicht zugemuthet wird, und daß der Begriff des achtungswürdigen Verhaltens durch die Sitte und Anſchauungen der Standes - und Berufsgenoſſen eigenthümlich modifizirt iſt, dies alles begründet zwar eine ſehr bedeutende that - ſächliche Verſchiedenheit zwiſchen der Dienſtpflicht eines Offiziers und derjenigen eines Beamten im gewöhnlichen Sinne, ein juri - ſtiſcher Unterſchied iſt aber darin nicht zu finden. Die Rechts - normen ſind durchaus identiſch. Dagegen ſind die rechtlichen Mittel zur Erzwingung der Pflichterfüllung ſtärkere; die Rechts - folgen der Pflichtverletzung ſind ſchwerere. Im Allgemeinen gilt hier ein ſehr einfacher und durchgreifender Grundſatz: die Ver - letzung der freiwillig übernommenen Militairdienſt - pflicht wird ganz ebenſo behandelt wie die Verletz - ung der geſetzlichen Dienſtpflicht bei den Fahnen. Der Begriff der Perſonen des Soldatenſtandes umfaßt beide Kategorien von Dienſtpflichtigen und beiden gegenüber kommen völlig dieſelben Rechtsmittel zur Anwendung, um ſie zur Erfüllung ihrer Pflicht anzuhalten. Das Militair-Strafgeſetzbuch und die Disciplinar-Strafordnung, ſowie die übrigen hier in Betracht222§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.kommenden ſpeziellen Verordnungen unterſcheiden nicht nach dem Rechtsgrunde der Dienſtpflicht, ſondern, ſoweit überhaupt unter den Perſonen des Soldatenſtandes ein Unterſchied anerkannt wird, lediglich nach dem militairiſchen Dienſtrange, ſo daß zwar für Offiziere theilweiſe andere Rechtsregeln gelten, wie für Unteroffiziere und Gemeine, z. B. hinſichtlich der Strafen, aber nicht für Berufsoffiziere andere wie für Offiziere des Beurlaubten - ſtandes. Dies gilt im Prinzip ſelbſt für die Strafe der Dienſt - entlaſſung; im praktiſchen Erfolge aber beſteht hier allerdings eine Verſchiedenheit, indem ſie für die Offiziere des Beurlaubtenſtandes lediglich eine Ehrenſtrafe iſt, für Berufsoffiziere dagegen zugleich die Entziehung einer Einnahmequelle involvirt.

In Anwendung dieſes Grundſatzes ergeben ſich folgende Regeln:

a) Die Erfüllung der mit der dienſtlichen Stellung verbundenen Obliegenheiten iſt geſichert durch die Beſtimmungen im Militair - Strafgeſetzb. §. 64 ff. über die Beſtrafung der unerlaubten Ent - fernung von der Dienſtſtellung. Eine freiwillige Entfernung von der Dienſtſtellung iſt nur geſtattet nach vorher eingeholtem Urlaub. Die Beſtimmungen über Urlaubsertheilungen ſind unter Auf - hebung aller früheren Anordnungen zuſammengefaßt worden in der Verordnung vom 23. Oktober 1879 (Armee-V. Bl. S. 223 fg. ); für Militairärzte in der V. vom 6. Febr. 1873 §§. 30. 31. Iſt ein Offizier durch Krankheit an der Wahrnehmung des Dienſtes verhindert, ſo iſt er verpflichtet dies beim Feldwebel reſp. Adju - tanten melden zu laſſen und es ſteht dem Vorgeſetzten frei, ſich von dem Krankheitszuſtande durch den Bataillons - oder Regiments - Arzt in Kenntniß zu erhalten1)Frölich I S. 204..

Ob Offiziere im aktiven Dienſte zum Eintritt in den Reichs - tag eines Urlaubs bedürfen, iſt zweifelhaft. Da Offiziere unter den allgemeinen Begriff der Beamten fallen und Militairperſonen hinſichtlich der Wählbarkeit in den Reichstag keiner Beſchränkung unterworfen ſind, ſo iſt es wol dem Sinne des Art. 21 Abſ. 1 der R.V. entſprechend, ihn auch auf Offiziere zu beziehen; anderer - ſeits iſt aber nicht zu überſehen, daß nach dem regelmäßigen Sprachgebrauch der Reichsgeſetze der Ausdruck Beamte die Per - ſonen des Soldatenſtandes nicht mit umfaßt2)Der Entw. zum Mil. Geſ. §. 44 Abſ. 2 enthielt eine Beſtimmung, wo -.

223§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.

b) Die Verletzung der militairiſchen Treu - und Gehorſams - pflicht unterliegt hinſichtlich der Berufsoffiziere, Aerzte ꝛc. denſelben Regeln, welche oben S. 165 fg. bei Erörterung der geſetzlichen Wehr - pflicht dargeſtellt worden ſind. Dies gilt auch hinſichtlich der Vor - ſchriften über Beſchwerden gegen Vorgeſetzte; jedoch mit der Modi - fikation, daß die Offiziere des Heeres und der Marine, die Mit - glieder des Sanitäts-Offiziers-Korps und die Maſchinen-Ingenieure verpflichtet ſind, bevor ſie ihre Beſchwerden der Entſcheidung des kompetenten Vorgeſetzten zuführen, in Verhandlungen über eine dienſtliche Vermittlung einzutreten1)Die nähern Anordnungen ſind enthalten in der Verordn. vom 6. März 1873 §. 13 fg. (Armee-V. Bl. S. 69 fg.).

c) Die Pflicht des achtungswürdigen Verhaltens iſt bei dem Offiziersſtande in beſonderer Weiſe ausgeprägt. Die Offiziere ſind nicht nur wie alle anderen Staatsbeamten verpflichtet, Sitte, Zucht und Ordnung in ihrem dienſtlichen und außerdienſtlichen Ver - halten zu beobachten und ſie unterliegen nicht nur bei einer Ver - letzung dieſer Pflicht einer disciplinariſchen Beſtrafung nach Maß - gabe der Discipl. Straf-Ordn. v. 31. Okt. 1872, ſondern ſie ſollen in ihrem geſammten Verhalten ſich in vollem Einklange mit den Anſchauungen ihrer Standesgenoſſen befinden. Um die Erfüllung dieſer Pflicht zu ſichern, ſind Ehrengerichte der Offiziere gebildet worden, welche den Zweck haben, die gemeinſame Ehre der Ge - noſſenſchaft, ſowie die Ehre des Einzelnen zu wahren. Die Vor - ſchriften darüber ſind ergangen in der Verordnung über die Ehrengerichte der Offiziere im Preußiſchen Heere vom 2. Mai 18742)Sie iſt abgedruckt bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften Bd. IV Abth. 4 S. 228 ff. Gleichzeitig iſt eine Allerh. Kab. Ordre ergangen, welche in ebenſo beredten wie eindringlichen Worten dem Offizierkorps die ihm obliegenden Ehrenpflichten einſchärft. Abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O. S. 246 ff. Eine entſprechende Verordnung über die Ehrengerichte der Offi - ziere in der Kaiſerl. Marine iſt am 2. Nov. 1875 ſanctionirt worden. Marine-V. Bl. Beilage zu Nro. 21., welche an die Stelle der älteren Vor - ſchriften, namentlich der V. v. 20. Juli 1843 getreten und in den anderen drei Kontingenten eingeführt worden iſt3)In Bayern d. V. v. 31. Aug. 1874. Bayr. M. V.Bl. S. 253.. Die Aufgabe2)nach Angehörige des aktiven Heeres in Kriegszeiten keinen Anſpruch auf Be - urlaubung zur Theilnahme an den Sitzungen des Reichstages oder einer Landesvertretung haben; der Reichstag ſtrich dieſelbe aber.224§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.der Ehrengerichte iſt es, gegen diejenigen Offiziere, deren Beneh - men dem richtigen Ehrgefühl oder den Verhältniſſen des Offizier - ſtandes nicht entſpricht, einzuſchreiten und, wo es zur Erhaltung der Reinheit der Ehre des Offizierſtandes nöthig, auf die Entfer - nung unwürdiger Mitglieder aus der Genoſſenſchaft anzutragen; ſowie die Offiziere von unbegründeten Verdächtigungen ihrer Ehren - haftigkeit zu reinigen, inſoferne andere ſtandesgemäße Wege hierzu nicht vorhanden ſind. Den Offizieren ſteht es daher frei, zum Schutz ihrer eigenen Ehre ſelbſt auf einen ehrengerichtlichen Spruch anzutragen1)V. v. 2. Mai 1874 §. 2 und §. 26.. Die Ehrengerichte zerfallen in zwei Klaſſen; in Ehrengerichte über Hauptleute (Rittmeiſter) und Subaltern-Offi - ziere, welche durch Offizier-Korps gebildet werden2)Vgl. die angef. Verordn. §. 8 ff. Marine-Verordn. §. 8 14., und in Ehren - gerichte über Stabsoffiziere, welche durch beſonders dazu gewählte Stabsoffiziere gebildet werden3)a. a. O. §. 13. Marine-Verordn. §. 15.. Bei jedem Ehrengericht wird ein Ehrenrath eingeſetzt; derſelbe hat unter der Leitung des Kom - mandeurs als deſſen Organ die Geſchäfte des Ehrengerichts zu führen4)a. a. O. §. 14. Marine-V. §. 16 ff.. Die Mitglieder des Ehrenraths werden durch Wahl der Offiziere ernannt5)Die Vorſchriften über die Wahl, welche etwas complizirt ſind, enthält die angef. Verordn. §§. 15 21..

Jeder Offizier hat das Recht, Handlungen und Unterlaſſun - gen jedes andern Offiziers des Deutſchen Heeres oder der Marine, welche die Ehre desſelben oder die des Standes gefährden oder verletzen, zur Kenntniß des Ehrenraths oder des direkten Vorge - ſetzten des Bezichtigten zu bringen. Der Ehrenrath hat die Pflicht, ſobald Handlungen oder Unterlaſſungen der bezeichneten Art zu ſeiner Kenntniß kommen, dem ihm vorgeſetzten Kommandeur davon Meldung zu machen. Der Kommandeur entſcheidet dann nach An - hörung des Ehrenraths, ob und auf welchem Wege die Sache weiter zu verfolgen iſt6)a. a. O. §. 22, 23. Marine-V. §. 25 27.. Das ehrengerichtliche Verfahren iſt ein - gehend geregelt7)a. a. O. §. 27 ff. Marine-V. §. 30 ff.. Eine Strafgewalt ſteht den Ehrengerichten nicht zu; dieſelben haben lediglich einen Wahrſpruch darüber225§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.abzugeben, ob der Angeſchuldigte die Standesehre gefährdet oder verletzt oder unter erſchwerenden Umſtänden verletzt habe und hie - ran den Antrag zu knüpfen, dem Angeſchuldigten eine Warnung zu ertheilen, ihn mit ſchlichtem Abſchied zu entlaſſen oder ihn aus dem Offizierſtande zu entfernen1)a. a. O. §. 51. Marine-V. §. 55.. Die Ausfertigung des Spruchs, welche zugleich die nöthigen Nachrichten über die perſönlichen Ver - hältniſſe des Angeſchuldigten, eine Darſtellung des Sachverhalts und die Angabe der Entſcheidungsgründe enthalten muß, iſt nebſt den Akten und einem kurzen Aktenauszug durch denjenigen Befehls - haber, der das Ehrengericht angeordnet hatte, im Inſtanzenzuge der Entſcheidung des Königs zu unterbreiten2)a. a. O. §. 59. Ueber Publikation der Entſcheidung vgl. §. 60, 61..

3. Die Rechte der Offiziere.

Die aus dem Dienſtverhältniß und der Amtsführung den Offizieren zuſtehenden Rechte ſind den Rechten anderer Beamten gleichartig, wenngleich nicht völlig ihnen entſprechend. Im Allge - meinen iſt daher auf die oben Bd. I § 42 gegebene Darſtellung zu verweiſen; die Unterſchiede beruhen z. Th. auf techniſch mili - tairiſchen Verhältniſſen und ſind ohne juriſtiſches Intereſſe, ſo z. B. die beſonderen Vorſchriften über das Tragen der Uniform, über gewiſſe militairiſche Ehrenrechte u. dgl. Von hervorragender recht - licher Bedeutung ſind dagegen die Regeln über die pekuniären Rechte der Offiziere.

Der Anſpruch auf Gehalt und andere Dienſteinkünfte iſt nach der hiſtoriſchen Entwicklung des Heerweſens und nach herge - brachten Rechtsgrundſätzen nicht im Rechtswege verfolgbar3)Für Preußen galt dies früher für alle Anſprüche auf Dienſteinkünfte, welche aus der Verleihung von Staatsämtern und Würden hergeleitet wurden. Dieſer, aus §§. 7 und 16 des A.L.R. Th. II Tit. 13 deducirte Rechtsſatz war zweifellos ſanctionirt durch die Kabin. Ordres v. 7. Juli 1830 und 28. Oktob. 1836 (v. Kamptz Jahrb. B. 48 S. 433), ſowie durch viele Urtheile des Ge - richtshofes zur Entſch. der Kompetenz-Konfl., insbeſondere durch das Erk. vom 28. Dez. 1850 (Juſt. Miniſt. Bl. 1851 S. 78) anerkannt. Das Preuß. Geſetz v. 24. Mai 1861 ließ den Rechtsweg zwar zu für die vermögensrechtlichen Anſprüche der Beamten, nicht aber für die der Militairperſonen. Das Reichsbeamtengeſetz hat die[Militairbeamten] den andern Reichsbeamten gleich - geſtellt, aber nicht die Perſonen des Soldatenſtandes. Das Reichs - geſetz v. 27. Juni 1871 §. 113 hat den Rechtsweg nur für die durch dieſes. DieLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 15226§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.den einzelnen Offizieren zu zahlenden Gebührniſſe werden nach Maßgabe der Beſoldungs - und Verpflegungs-Etats von dem Kriegs - miniſterium, reſp. von den Intendanturbehörden nach den ihnen vom Kriegsminiſterium zugehenden Anweiſungen feſtgeſtellt. Zu - lagen, welche nicht im Voraus feſtgeſtellt werden können, ſind bei den Intendanturen zu liquidiren. Reklamationen können nur im Beſchwerdewege verfolgt werden; jedoch ſind die beſchränkenden Vorſchriften über den Beſchwerdeweg ausgeſchloſſen, ſofern es ſich um Hebung von Meinungsverſchiedenheiten in Bezug auf Zuſtän - digkeit materieller Kompetenzen handelt 1)Vorſchriften über den Dienſtweg ꝛc. v. 6. März 1873 §. 3 (A. V.Bl. 1873 Nro. 8 S. 65). Vgl. auch Geldverpfl. Regl. §. 99 Ziff. 6.. Die Regeln über die Berechnung und Zahlung des Gehaltes und anderer perſönlicher Gebührniſſe ſind enthalten in dem durch Kabinets-Ordre v. 24. Mai 1877 genehmigten Geldverpflegungs-Reglement für das Preuß. Heer im Frieden2)Armee-V. Bl. 1877 Nro. 16 S. 110. Abgedruckt in v. Helldorff Dienſtvorſchriften Bd. III Abth. II Heft 1. Hierdurch ſind die älteren Be - ſtimmungen außer Kraft geſetzt worden.. Die Höhe der Gehälter beſtimmt ſich nach der Dienſtſtelle, der Charge und dem Dienſtalter. Durch die Etats wird feſtgeſetzt, welches Gehalt mit einer gewiſſen dienſtli - chen Stelle verbunden und für den Inhaber derſelben verfügbar iſt, ſo daß im Allgemeinen jeder Dienſtſtelle eine Etatsſtelle entſpricht. Innerhalb dieſer durch die Etats gegebenen Gränzen erfolgt die Gewährung des Gehalts nach dem für die einzelnen Chargen feſtgeſetz - ten Beträgen inſofern, als die Gehaltsſätze einer höheren Charge erſt nach dem Aufrücken in dieſe Charge gewährt werden dürfen. Wenn für Offiziere derſelben Charge verſchiedene Gehaltsſätze beſtehen, wie insbeſondere für Hauptleute und Rittmeiſter, ſo beſtimmt ſich die Klaſſe nach dem Dienſtalter im Regiment, reſp. desjenigen Ver - bandes, für welchen ein beſonderer Etat aufgeſtellt iſt3)Geldverpfl. Regl. §. 3.. Wenn jedoch ein Offizier eine Stelle verwaltet, mit der etatsmäßig ein höheres Gehalt verbunden iſt, als ihm nach ſeiner Charge oder ſeinem Dienſtalter zukommt, ſo wird ihm der Mehrbetrag des etats -3)Geſetz gewährten Penſionen, nicht für andere Anſprüche geſtattet; das Reichsmilitairgeſetz endlich hat an dem beſtehenden Recht in dieſer Beziehung Nichts geändert.227§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.mäßigen Stellen-Gehalts gegen das ihm nach ſeiner Charge und ſeinem Dienſtalter zukommende Gehalt inſoweit als Zulage ge - währt, als der Etat nicht anderweite Beſtimmungen enthält1)a. a. O. §. 4. Wenn alſo z. B. ein Premier-Lieutenant eine Stelle verwaltet, welche nach dem Etat mit dem Gehalt eines Hauptmanns erſter Klaſſe dotirt iſt, ſo erhält er als Zulage die Differenz zwiſchen dem Gehalt eines Premier-Lieutenants und dem Gehalt eines Hauptmanns erſter Klaſſe. Reſcr. des Kriegs-Min. (Mil. Dec. Depart. ) v. 28. Aug. 1877 bei v. Helldorff a. a. O. S. 4. Die vorübergehende Wahrnehmung der höheren Stelle begründet dieſen Anſpruch jedoch nicht; es iſt eine Königl. Ernennung zur Be - kleidung oder Wahrnehmung der Dienſtſtelle erforderlich.. Die Gehaltszahlung erfolgt monatlich im Voraus2)a. a. O. §. 91.; bei Anſtel - lungen, Beförderungen und Verſetzungen beginnt der Bezug des Gehalts oder des höheren Gehalts, wofern dasſelbe vakant iſt, mit dem erſten Tage des Monats, aus welchem die Kabinets-Ordre über die Ernennung ſtammt; ſtirbt ein Offizier, ſo wird ſein etats - mäßiges Gehalt noch für den Monat nach dem Ableben den Hin - terbliebenen gewährt (ſogen. Gnadengehalt); ſcheidet ein Offizier mit Penſion aus dem Dienſte, ſo behält er für denjenigen Monat, in welchem ihm die betreffende Kab. Ordre bekannt gemacht iſt, das volle Einkommen der Stelle und für den folgenden Monat das etatsmäßige Gehalt ohne Zulagen und dgl .3)Geldverpfl. Regl. §. 21 23.. Beurlaubte Of - fiziere erhalten in der Regel für die erſten 1 ½ Monate des Urlaubs das volle Gehalt, für die folgende Zeit findet ein Abzug ſtatt4)ebendaſ. §. 24. Ausgenommen in Krankheitsfällen.; gleiche Grundſätze gelten für die Zeit der Verbüßung einer Feſtungs - haft oder Gefängnißſtrafe, ſowie wenn in Folge einer gerichtlichen Unterſuchung Dienſtſusſpenſion oder Verhaftung eintritt, jedoch vor - behaltlich der Nachzahlung des entzogenen Gehaltstheiles im Falle der Freiſprechung5)ebendaſ. §. 26, 27. Ueber Gehaltsabzüge zur Offizier-Kleiderkaſſe, zur Wittwenkaſſe und zur Lebensverſicherungsanſtalt f. Armee und Marine, ſowie behufs der Schuldentilgung vgl. a. a. O. §§. 40 ff..

Werden Offiziere vom Range des Regiments-Kommandeurs abwärts dienſtlich außerhalb ihrer Garniſon verwendet, ſo erhalten ſie eine ſogen. Kommandozulage6)Die näheren Vorſchriften a. a. O. §. 47 fg.. Außerdem wird den Offi -15*228§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.zieren zur Beſtreitung der Wohnungs-Bedürfniſſe ein ſogen. Ser - vis und überdies der geſetzliche Wohnungszuſchuß gewährt1)Sehr detaillirte und z. Th. verwickelte Beſtimmungen über die Servis - zahlung enthält das an die Stelle der älteren Vorſchriften getretene Reglement über die Servis-Kompetenz der Truppen im Frieden v. 20. Febr. 1868 (v. Helldorff Th. IV Abth. 1 S. 83 ff. ); vgl. ferner das R.G. v. 30. Juni 1873 über die Wohnungsgeld-Zuſchüſſe und dazu die Ausführungs - Beſtimmungen des Preuß. Kriegsminiſteriums v. 4. Juli 1873. Armee-V. Bl. S. 200 fg..

Im Falle der Mobilmachung erhalten die Offiziere, Aerzte u. ſ. w. zum Zweck der Ausrüſtung das Mobilmachungsgeld und während des mobilen Verhältniſſes eine Feldzulage nach Maßgabe des Geld - verpflegungs-Reglements im Kriege v. 29. Aug. 18682)Daſſelbe iſt abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O. Th. III. Abth. II. Heft 2..

Die Reiſekoſten, Tagegelder und Umzugs-Gebühren bei Dienſt - reiſen und Verſetzungen der Perſonen des Soldatenſtandes ſind geregelt durch die Kaiſerl. Verordnung v. 15. Juli 18733)Arm. V. Bl. 1873 S. 270 und Centralbl. f. d. D. R. 1873 S. 248. Zur Ausführung dieſer Verordnung ſind auf Grund des §. 16 derſelben vom Preuß. Kriegsminiſter Erläuterungen und nähere Feſtſetzungen am 24. Aug. 1873 erlaſſen worden. (Arm. V. Bl. S. 230.) Dieſe, ſowie die zahlreichen Reſcripte des Mil. Oekon. Dep. zur Erledigung von Spezialfragen ſind gedruckt bei v. Helldorff a. a. O. Th. III Abth. V S. 1 105. Die V. v. 21. Juni 1875 (ſiehe über dieſelbe oben Bd. I S. 463 fg. ) iſt auf Perſonen des Sol - datenſtandes nicht anwendbar..

4. Die Beförderung der Offiziere.

Ein wirkliches Recht auf Beförderung giebt es im Militair - dienſt ſo wenig wie in andern Zweigen des Staatsdienſtes; die Beförderung eines Offizieres hängt vielmehr von der freien Willens - entſchließung des betreffenden Kontingentsherrn ab. Es beſtehen aber gewiſſe Verwaltungsvorſchriften, nach welchen die Truppen - befehlshaber und die übrigen mit der Bearbeitung der Avance - ments-Angelegenheiten betrauten Offiziere zu verfahren haben, ſo daß dadurch die Beförderung wenigſtens theilweiſe verwaltungs - rechtlich geregelt iſt und für die einzelnen Offiziere eine rechtlich begründete Anwartſchaft gegeben iſt, bei dem Eintritt gewiſſer that - ſächlicher Verhältniſſe zu einer höheren Charge, Dienſtſtellung oder Gehaltsklaſſe aufzuſteigen. Als allgemeines Princip gilt der Grund - ſatz, daß die Beförderung zu einer höheren Stelle oder Charge ꝛc. 229§. 88. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.nach Maßgabe des Dienſtalters erfolgt. Dieſes Princip galt in der Preuß. Armee ſeit alter Zeit; eine Ausnahme wurde nur hin - ſichtlich der Generale gemacht1)Kab. Ordre v. 30. Nov. 1808. (bei v. Helldorff II, 1 S. 11.); ferner hinſichtlich der Regiments - Kommandeure2)Kab. Ordre v. 10. März 1809. (ebenda a. a. O.), endlich allgemein bei der Beſetzung der höheren Stellen in der Armee d. h. bei Stabsoffizieren3)Kab. Ordre v. 30. März 1839. Dieſelbe iſt beſtätigt und von Neuem verkündigt worden durch Kab. Ordre v. 17. Mai 1859; es iſt dabei ausdrück - lich der Stabsoffiziere Erwähnung geſchehen.. Das Dienſt - alter beſtimmt ſich in jedem Dienſtrange nach dem Datum des Patentes. Jedes Patent wird in der Regel nach dem Tage der Ernennung datirt; für die an einem und demſelben Tage Beför - derten beſtimmt ſich die Rangordnung nach dem Patent der frü - heren Charge, giebt auch dies keine Entſcheidung nach dem Tage des Dienſteintrittes und äußerſten Falles nach dem Lebensalter4)Kab. Ordre v. 12. März 1853 (a. a. O. S. 14 fg.). Nur für die an Einem Tage ernannten Sekonde-Lieutenants der Artillerie beſtimmt ſich die Reihenfolge der Patente nach dem Ausfalle der Berufsprüfung..

Hierdurch ergibt ſich eine Rangordnung aller Offiziere durch alle Waffen und durch die ganze Armee, welche dadurch von Wich - tigkeit wird, daß in dienſtlichen Angelegenheiten ſtets der ältere Offizier als der Vorgeſetzte des jüngeren gilt und ihm Befehle zu ertheilen befugt iſt5)Er kann ſelbſt eine vorläufige Verhaftung der nach dem Dienſtgrade oder dem Patent oder dem Dienſtalter unter ihm ſtehenden Perſonen des Soldatenſtandes verfügen. Mil. Discipl. Straf. Ordn. §. 7 Abſ. 2.. Für die Beförderung iſt dieſe Rangord - nung jedoch in der Regel nicht unmittelbar entſcheidend; es iſt vielmehr folgende Unterſcheidung zu machen: Die nicht regimen - tirten Offiziere aller Grade haben die Anciennetät in der Ar - mee6)d. h. den ſelbſtſtändigen Kontingenten.; bei den regimentirten Stabsoffizieren berechnet ſich die Anciennetät in der Regel nach allen Truppen ihrer Waffe in der Armee; die übrigen Offiziere vom Hauptmann oder Rittmeiſter abwärts haben die Anciennetät in ihrem Regiment7)Bei den Jägern und Schützen im Bataillon. Kab. Ordre v. 27. Jan. 1853 (v. Helldorff a. a. O.).. Für die nicht regimentirten Offiziere, ſowie für die Offiziere ohne Dienſt - ſtellungen (Offiziere der Armee und Offiziere à la suite) fehlt es230§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.an einer beſtimmten Regel über ihre Beförderung; wenngleich auch bei ihnen die Anciennetät Berückſichtigung findet, ſo erfolgt doch die Beförderung lediglich nach Allerhöchſter Intention 1)Vgl. Frölich Verwaltung des Deutſchen Heeres (4. Aufl.) I S. 246.. Inner - halb der Regimenter dagegen erfolgt die Beförderung nach Maß - gabe der Anciennetät auf Grund des von dem Regiments-Kom - mandeur beim Eintritt von Vakanzen mittelſt Geſuchsliſte einzu - reichenden Vorſchlages. Das Princip der Anciennetät iſt jedoch auch hier nicht abſolut durchgeführt; um die raſchere Beförderung beſonders befähigter Offiziere zu ermöglichen, ſtehen diejenigen Offiziersſtellen, welche durch außergewöhnliche Ereigniſſe erledigt werden, zur Allerhöchſten Dispoſition , d. h. es dürfen Wieder - beſetzungs-Vorſchläge erſt eingereicht werden, wenn nach Verlauf eines Jahres über die Beſetzung nicht verfügt worden iſt2)Dies findet Anwendung, wenn die Vakanzen entſtanden ſind in Folge von Selbſtmord, von Tödtung im Duell, von Deſertion, von Kaſſation, ſelbſt - verſchuldeter Entlaſſung oder Entfernung aus dem Heere, oder in Folge von Verſetzungen oder Penſionirungen, die aus eigener Bewegung des Königs ver - fügt worden ſind. Kabinets-Ordres vom 15. März 1823, 25. Auguſt 1826, 13. März 1832, 12. November 1834. Abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O. S. 14. Ueber die Fälle, in denen Einrangirungen über den Etat zuläſſig ſind, vgl. Frölich a. a. O. I S. 250.. Das Aufrücken der Hauptleute oder Rittmeiſter in eine höhere Gehalts - klaſſe geſchieht bei eintretender Vakanz ohne Weiteres. Aehnliche Regeln gelten auch für die Mitglieder des Sanitäts-Korps. Bei den Vorſchlägen zum Aufrücken der Militair-Aerzte in höhere Char - gen und Dienſtſtellungen iſt möglichſt die Anciennetät zu berück - ſichtigen; das Avancement außer der Tour iſt nur in beſonders begründeten Fällen in Antrag zu bringen. Für die Ernennung zum Ober-Stabsarzt iſt die Ablegung eines ſpezifiſch militairärzt - lichen Examens Bedingung, ohne daß aber der Zeitpunkt, in wel - chem dieſes Examen abſolvirt wird, auf die Anciennetät Einfluß hat3)Verordn. über die Organiſ. des Sanit. -Korps v. 6. Febr. 1873 §. 22..

5. Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt.

Offiziere können ebenſo wie Beamte4)Vgl. Bd. I §. 44 S. 478 ff. aus dem Dienſte entlaſſen werden, ohne daß das Dienſtverhältniß beendigt wird;231§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.ſie bleiben Offiziere, ſie behalten ihren militairiſchen Rang, die mit demſelben verbundenen Ehrenrechte und Standespflichten, ſie ſind zur Treue, zum Gehorſam und zur Wahrung eines achtungs - würdigen Verhaltens verbunden, ſie unterliegen gewiſſen, aus dem Dienſtverhältniß entſpringenden Beſchränkungen; aber ſie leiſten keinen aktiven Militairdienſt. Ein ſolches Aufhören der aktiven Dienſtleiſtung ohne Auflöſung des Dienſtverhältniſſes kann nun aber bei Offizieren in einer doppelten Weiſe vorkommen1)Hierbei wird abgeſehen von der Suſpenſion vom Dienſt bei Unter - ſuchungsfällen. Hierüber beſtimmt die Kabinets-Ordre v. 22. April 1822, daß jeder Vorgeſetzte, der das Recht hat, einem Offizier Arreſt zu geben, auch be - fugt iſt, denſelben vom Dienſt zu ſuſpendiren, und nur verpflichtet iſt, die bei Arreſtfällen vorgeſchriebene Meldung höheren Ortes zu machen. (v. Helldorff Th. IV Abth. 4 S. 124.), indem ſie entweder zu den Offizieren des Beurlaubtenſtandes verſetzt oder zur Dispoſition geſtellt werden. In beiden Fällen findet weder Verabſchiedung noch Ausfertigung eines Entlaſſungspatentes ſtatt, da nicht das Dienſtverhältniß gelöſt, ſondern nur die Dienſtſtellung verändert wird.

a) Die Verſetzung zu den Offizieren des Beur - laubtenſtandes. Durch dieſelbe hört die Zahlung von Gehalt und anderen Gebührniſſen vollkommen auf, ebenſo aber auch die Verpflichtung zu anderen Militairdienſten als ſie den Reſerve - oder Landwehr-Offizieren geſetzlich obliegen. Die Verſetzung zur Reſerve oder Landwehr tritt nur auf Antrag ein. In Fällen, in denen im Civildienſt der Beamte einfach ſeine Entlaſſung fordern würde, wird beim Militairdienſt die Verſetzung zu den Offizieren des Be - urlaubtenſtandes beantragt, da ſie dem Offizier die Freiheit gewährt, ſich einem andern Beruf zu widmen und doch zugleich die Standes - und Ehrenrechte des Offiziers und ſeine Verwendung im Kriegs - falle fortbeſtehen läßt. Auf Berufsoffiziere, welche in den Beur - laubtenſtand verſetzt werden, finden vollſtändig und ausnahmslos diejenigen Regeln Anwendung, welche oben S. 204 fg. von den Re - ſerve - und Landwehr-Offizieren entwickelt worden ſind2)Nur unterliegen ſie nicht einer nochmaligen Offizierswahl. Kab. Ordre v. 29. Januar 1857. (v. Helldorff I Abth. 4 S. 165.) Heer-Ordnung II §. 21 Ziff. 2.. Das Gleiche gilt von den im Offiziersrange ſtehenden Militairärzten.

b) Die Stellung zur Dispoſition kann jeder Zeit232§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.auch ohne den Willen des Offiziers erfolgen; der Kontingentsherr iſt befugt, nach ſeinem Belieben jedem Offizier die ihm übertragene Dienſtſtelle zu entziehen. Dies kann aber wieder in zwei Formen geſchehen, entweder als Verſetzung zu den Offizieren von der Armee d. h. mit Belaſſung des vollen Gehaltes und aller Rechte der Offiziere des aktiven Dienſtſtandes1)Wenn die Zeit der Dispoſitionsſtellung mit Gehalt die Dauer eines Jahres nicht überſteigt, ſo wird ſie bei Berechnung der aktiven Dienſtzeit mit in Anſatz gebracht. Geſ. v. 27. Juni 1871 §. 19 Ziff. 6) (R. G.Bl. S. 280)., oder als eigent - liche Stellung zur Dispoſition mit Penſion (Wartegeld, In - aktivitätsgehalt). Das Recht des Kontingentsherrn bei der Stel - lung zur Dispoſition die geſetzmäßige Penſion zu bewilligen, iſt reichsgeſetzlich ausdrücklich anerkannt worden2)Geſ. v. 27. Juni 1871 §. 38 (R. G.Bl. S. 284). Vgl. auch §. 5 des - ſelben Geſetzes.. Die Dienſtzeit wird, inſoweit dieſelbe für die Höhe der Penſion in Betracht kommt, bis zum Tage, an welchem die Ordre der Dispoſitions - ſtellung ergangen iſt, gerechnet3)Geſ. v. 27. Juni 1871 §. 18 Abſ. 1.; bei einer Wiederverwendung des zur Dispoſition geſtellten Offiziers im aktiven Dienſt und in einer etatsmäßigen Stellung erhöht ſich der Penſions-Anſpruch nach Maß - gabe der Geſammt-Dienſtzeit4)ebendaſ. §. 21. Der Grundſatz war bereits durch eine Kabin. Ordre v. 27. Dez. 1860 (Militair-Geſetze des Deutſchen Reiches V S. 148) zur An - erkennung gebracht worden..

Die zur Dispoſition geſtellten Offiziere5)Eine im Preuß. Kriegsminiſt. verfaßte Zuſammenſtellung über die Rechtsverhältniſſe der z. D. geſtellten Offiziere iſt vom Reichskanzler am 28. Mai 1871 dem Reichstag mitgetheilt worden. Druckſachen I Seſſion 1871 Nro. 170. Dieſelbe iſt aber unvollſtändig. Vgl. für Bayern V. v. 19. April 1875. B. Mil. V. Bl. 1875 S. 159 ff. Beilage 7. bleiben Perſonen des Soldatenſtandes; ſie unterliegen allen für dieſe Perſonen geltenden Rechtsvorſchriften ſowohl des Militairgeſetzes als des Militair-Strafgeſetzbuchs; ſie ſind zum Tragen der Uniform befugt, ohne daß es einer beſonderen Verleihung dieſes Rechtes bedarf; die Kompetenz der Militairgerichte dauert ihnen gegenüber unver - ändert fort6)Milit. Strafger. Ordn. v. 3. April 1845 §. 1 Ziff. 3., die Verordnung über die Ehrengerichte findet auf ſie Anwendung7)V. v. 2. Mai 1874 §. 4 Ziff. 5.. Insbeſondere hört ihre Dienſtverpflich -233§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.tung quoad ius nicht auf1)Es iſt dies ausdrücklich ausgeſprochen in der Kabin. Ordre vom 11. Juli 1822 (Kamptz Jahrb. Bd. 22 S. 88), welche die Grundlage des gegenwärtigen Rechts bildet. Vgl. auch Kabinets-Ordre v. 4. Mai 1837 (Preuß. Geſ. Samml. 1837 S. 98).; die Erfüllung derſelben wird von ihnen nur thatſächlich nicht in Anſpruch genommen; ſie müſſen daher einem Befehl zum Wiedereintritt in den Dienſt, nicht nur im Falle der Mobilmachung, ſondern auch in Friedensverhältniſſen, unverzüglich Folge leiſten2)In Mobilmachungsfällen ſind die General-Kommando’s ermäch - tigt, Offiziere z. D. aller Grade unter Vorbehalt der königl. Genehmigung dienſtlich zu verwenden. Kriegsminiſter. Refcr. v. 10. Sept. 1858 (bei v. Helldorff Th. II Abth. 1 S. 42).. Obwohl die zur Dispoſition geſtell - ten Offiziere nicht zu den Perſonen des Beurlaubtenſtandes ge - hören3)Vgl. Mil. Geſ. §. 56., insbeſondere alſo ohne Genehmigung ihrer Vorgeſetzten ein Gewerbe nicht betreiben dürfen4)Mil. Geſ. §. 43., ſo haben ſie doch das Recht, ihren Aufenthaltsort zu wählen und ſie ſind hinſichtlich der Pflicht, ihren Wohnort reſp. Aufenthalt anzumelden und geeignete Vor - kehrungen zu treffen, daß dienſtliche Befehle ihnen jederzeit zuge - ſtellt werden können, denſelben Vorſchriften wie die Offiziere des Beurlaubtenſtandes unterworfen5)Anlage 3 zu §. 27 der Landwehr-Ordn. (Heer-Ordn. II).. Der Auswanderungs-Conſens kann ihnen erſt ertheilt werden, wenn ſie ihren Abſchied erhalten haben6)ebendaſ. Ziff. 4 al. 3. Die §§. 9 und 15 des Staatsangehörigkeits - Geſetzes v. 1. Juni 1870 finden auf dieſe Offiziere Anwendung.. Sie unterliegen den Vorſchriften der Militair-Disciplinar - ſtrafordnung ganz ebenſo wie die Offiziere des Beurlaubtenſtandes7)Discipl. Strafordn. v. 31. Oktob. 1872 §. 30. und die Landwehr-Bezirks-[Kommandeure] ſind zur Ausübung der Disciplinar-Strafgewalt über die unter ihrer Kontrole ſtehenden Offiziere z. D. wie über die Landwehr-Offiziere befugt8)Kabin. Ordre v. 13. Febr. 1866. Bei v. Helldorff Th. IV Abth. 4 S. 219. Ausgenommen ſind Stabsoffiziere z. D., ſie können nur von dem zuſtändigen Brigade-Kommandeur disciplinariſch beſtraft werden. Kab. Ordre v. 31. Mai 1877. Armee-V. Bl. S. 108..

6. Beendigung des Dienſtverhältniſſes.

In ähnlicher Art wie dies oben Bd. I §. 45 hinſichtlich der Reichsbeamten dargeſtellt worden iſt, laſſen ſich auch hinſichtlich234§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.des Dienſtverhältniſſes der Offiziere die Beendigungsarten in zwei Kategorien gruppiren, die ſich dadurch von einander unterſcheiden, daß bei der einen die Ehrenrechte und der Anſpruch auf Lebens - unterhalt (Penſion) fortbeſtehen, ebenſo aber auch eine ſubſidiäre Dienſtpflicht und die Pflicht eines der Standesehre entſprechenden Verhaltens, bei der andern dagegen alle durch das Dienſtverhält - niß begründeten Rechte und Pflichten gänzlich erlöſchen.

a) Mit Anſpruch auf Penſion und Ehrenrechte. Die Auflöſung des Dienſtverhältniſſes erfolgt durch die Verab - ſchiedung mittelſt eines Entlaſſungs-Patents; ſie iſt auf dem militairiſchen Inſtanzenwege durch Geſuchsliſte zu beantragen. Zur Begründung des Antrages iſt erforderlich, daß der Offizier oder Militairarzt ſeine Invalidität nachweiſt, falls er nicht bereits das 60. Lebensjahr zurückgelegt hat1)Mil. Penſionsgeſ. v. 27. Juni 1871 §. 27. 28.. Auch wider den Willen des Offiziers kann ſeine Verabſchiedung mit Penſion erfolgen, wenn derſelbe ungeachtet ſeiner körperlichen oder geiſtigen Unfähigkeit zur Fortſetzung des Dienſtes es unterläßt, den Abſchied zu ver - langen. Die Vorgeſetzten ſind verpflichtet darauf zu wachen, daß ſolche Offiziere nicht zum Nachtheil des Dienſtes in ihrer Stelle verbleiben. Um aber gleichzeitig die Offiziere vor Willkür zu ſichern, iſt angeordnet, daß unter den Vorgeſetzten eine ſchriftliche Berathung über die Dienſtfähigkeit des Offiziers gehalten werde; lautet das Urtheil auf Dienſtunfähigkeit, ſo iſt der Offizier durch den Kommandeur, der die Berathung geleitet hat, aufzufordern, ſeine Verabſchiedung zu beantragen; im Weigerungsfalle iſt Seitens des Kommandeurs der Antrag darauf unter Beifügung des Be - rathungsprotokolls und des ärztlichen Gutachtens im dienſtlichen Wege dem Kontingentsherrn einzureichen2)Kabin. Ordre v. 7. Juli 1828 (bei v. Helldorff II, 1 S. 38). Daſelbſt ſind die näheren Anordnungen über die Zuſammenſetzung der Kommiſſionen enthalten. Die Kabinets-Ordre iſt ausgedehnt worden auf Landwehr - Offiziere, deren Beibehaltung dem dienſtlichen Intereſſe nachtheilig ſein würde, durch Kab. Ordre v. 20. Okt. 1828 (ebenda S. 39) und auf Militair - Aerzte im Offiziersrang durch die Verordn. v. 6. Febr. 1873 §. 27 letzter Abſ. (Armee-V. Bl. 1873 S. 113)..

Die Befugniß, die Armee - reſp. Regiments-Uniform zu tragen, wird bei der Verabſchiedung beſonders verliehen; beſtimmte Regeln,235§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.unter welchen Vorausſetzungen dieſes Recht verliehen wird, ſind nicht aufgeſtellt worden. In der Preußiſchen Armee iſt es üblich, daß bei einer Dienſtzeit von mindeſtens 10 Jahren das Tragen der Armee-Uniform, bei einer Dienſtzeit von 15 Jahren oder bei dem Ausſcheiden in Folge einer im Kriege erhaltenen Verwundung das Tragen der Regiments-Uniform geſtattet wird1)v. Helldorff a. a. O. S. 41., ſo daß die mit Penſion verabſchiedeten Offiziere regelmäßig dieſe Befugniß haben. Die Genehmigung iſt von dem Bundesfürſten zu ertheilen, von welchem die Offiziere desjenigen Kontingents ernannt werden, in dem der Verabſchiedete zuletzt aktiv gedient hat2)Mil. Geſ. §. 7 Abſ. 2..

Alle mit Penſion verabſchiedeten Offiziere haben noch eine ſubſidiäre und beſchränkte Dienſtpflicht, indem ſie im Noth - falle zu militairiſchen Dienſten, zu welchen ſie ihrem Geſundheits - zuſtande nach geeignet ſind, herangezogen werden können3)Vgl. Milit. Penſions-Geſetz §. 34. Dieſe Offiziere werden alljährlich befragt, ob ſie geneigt ſind, für den Fall einer Mobilmachung während des nächſtfolgenden Jahres in den Dienſt zu treten. Die Aufſtellung und Ein - reichung von Liſten dieſer Offiziere gehört zu den jährlichen Mobilmachungs - Arbeiten. Sie haben ihren Wohnſitz bei dem betreffenden Generalkommando anzumelden. Vgl. v. Helldorff I, 4 S. 248.. Die mit Penſion verabſchiedeten Offiziere werden deshalb zu den Mi - litairperſonen gezählt; das Militair-Strafgeſetzb. findet auf die - ſelben Anwendung, ſoweit dies der Natur der Sache nach möglich iſt4)Koppmann Das Militair-Strafgeſetz-Buch des Deutſchen Reichs. 1875 S. 53., ſie unterliegen dem Militairgerichtsſtande5)Mil. Strafgerichts-Ordn. v. 3. April 1845 §. 1 Ziff. 3. und falls ſie das Recht haben, die Militairuniform zu tragen den Offiziers - Ehrengerichten6)Verordn. v. 2. Mai 1874 §. 4 Ziff. 5. Dagegen iſt die Disciplinar - ſtrafordn. nach §. 30 derſelben auf verabſchiedete Offiziere nicht an - wendbar. Sobald ſie aber wieder im Militairdienſte verwendet werden, finden ſelbſtverſtändlich die Disciplinarvorſchriften auf ſie volle Anwendung und das - ſelbe iſt nach der ratio legis anzunehmen, wenn ſie in der Militair - uniform gegen die Vorſchriften im §. 23 Ziffer 2 und 3 der Disciplinar - ſtrafordn. ſich vergehen..

b) Ohne Anſpruch auf Penſion und Ehrenrechte. Ein formelles Recht des Offiziers, ſeinen Abſchied nach Belieben236§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.zu verlangen, iſt nicht anerkannt; es hängt von der Entſchließung des Kontingentsherrn ab, ob dieſelbe gewährt werde oder nicht. Wenn der Offizier mit Rückſicht auf die von ihm genoſſene Aus - bildung in Militair-Erziehungs-Anſtalten zu einem activen Dienſt von gewiſſer Dauer verpflichtet iſt1)Vgl. §. 86. VIII. , ſo muß er dieſe Verpflichtung erſt erfüllen, bevor er ſeine Entlaſſung fordern darf. Hat er ſeine geſetzliche Dienſtzeit noch nicht zurückgelegt, ſo wird er nicht verabſchiedet, ſondern zunächſt zu den Offizieren des Beurlaubten - ſtandes verſetzt2)Früher erfolgte die Verabſchiedung unter Vorbehalt der geſetzlichen Dienſtverpflichtung ; ſeit Erlaß der Heerordnung (II §. 25) findet dieſe Form keine Anwendung mehr, ſondern an ihre Stelle iſt die Verſetzung zur Reſerve oder Landwehr getreten. Vgl. die oben S. 210 Note 2 citirten Stellen.. Wenn der Offizier jedoch die zwölfjährige Dienſt - zeit abſolvirt hat und den Abſchied verlangt, ohne Anſprüche auf Penſion und militairiſche Ehrenrechte zu erheben, oder wenn er vor Erfüllung der geſetzlichen Geſammt-Dienſtzeit dringende perſönliche Gründe zur Rechtfertigung ſeines Abſchiedsgeſuchs an - führen kann, ſo wird ihm die Entlaſſung ſchwerlich verweigert, da dieſelben Gründe, welche es als unthunlich erſcheinen laſſen, Je - manden wider ſeinen Willen im Civilſtaatsdienſte zurückzuhalten3)Vgl. Bd. I S. 488., in erhöhtem Grade auch bei Berufsoffizieren wirkſam ſind. Ab - geſehen von dieſem, im Allgemeinen nicht häufigen und praktiſch nicht belangreichen Falle tritt die Verabſchiedung ohne Penſion und Ehrenrechte nur zur Strafe ein und zwar auf Grund eines Ur - theils. Dieſe Ehrenſtrafe hat mehrere Abſtufungen.

α) Die Entfernung aus dem Heer oder der Marine. Ge - gen Offiziere muß auf dieſe Strafe erkannt werden neben Zucht - haus oder dem Verluſte der bürgerlichen Ehrenrechte ohne Rückſicht auf die Dauer derſelben, und in allen Fällen, wo gegen Unter - offiziere oder Gemeine die Verſetzung in die zweite Klaſſe des Soldatenſtandes geboten iſt. Auf dieſe Strafe kann erkannt wer - den neben Gefängniß von längerer als fünfjähriger Dauer und in allen Fällen, wo gegen Unteroffiziere oder Gemeine die Ver - ſetzung in die zweite Klaſſe des Soldatenſtandes zuläſſig iſt4)Milit. Strafgeſetzb. §. 31 und hierzu Koppmann Note 7 9. Vgl. ferner R. Strafgeſetzb. §. 31. 33.. 237§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Sie tritt ferner ein, wenn ein Spruch des Ehrengerichts, der den Offizier der Verletzung der Standesehre unter erſchwerenden Um - ſtänden für ſchuldig erklärt, die Allerh. Beſtätigung erhalten hat1)Verordn. über die Ehrengerichte v. 2. Mai 1874 §. 51 Ziff. 6.. Sie bewirkt das völlige Ausſcheiden aus dem Heer oder der Ma - rine, und hat von Rechtswegen den Verluſt aller durch den Mili - tairdienſt erworbenen Anſprüche, ſoweit dieſelben durch Richter - ſpruch entzogen werden können2)Dieſe Worte beziehen ſich auf die Anordnung im §. 32 Abſ. 2 des Penſionsgeſetzes v. 27. Juni 1871, daß Penſions-Erhöhungen durch rich - terliches Erkenntniß nicht entzogen werden können. Vgl. jedoch Koppmann S. 109 ff., der darzulegen ſucht, daß §. 32 cit. ſich nur auf bereits bezogene oder angewieſene Penſionen beziehe., den dauernden Verluſt der Orden und Ehrenzeichen, die Verwirkung des Rechts die Offizier-Uniform zu tragen und den Offizierstitel zu führen, und die Unfähigkeit zum Wiedereintritt in das Heer und in die Marine zur Folge3)Mil. Strafgeſetzb. §. 32. Verordn. v. 2. Mai 1874 §. 52. Ueber die Vollſtreckung der Strafe vgl. das Militair-Strafvollſtreckungs-Reglem. vom 2. Juli 1873 §. 23 (v. Helldorff IV Abth. 4 S. 267).. Gegen penſionirte Offiziere iſt ſtatt auf Entfernung ꝛc. auf Verluſt des Offiziertitels zu erkennen, womit zugleich der Verluſt der Orden und Ehrenzeichen, die Verwirkung des Rechtes die Offizieruniform zu tragen, und die Unfähigkeit zum Wiedereintritt in das Heer und die Marine von Rechtswegen verbunden iſt4)Mil. Strafgeſetzb. §. 33. Dagegen verbleibt ihnen die Penſion und die Penſionserhöhung. Koppmann S. 115..

β) Die Dienſtentlaſſung iſt eine leichtere, weniger ehren - rührige Strafe5)Sie tritt bei ſolchen ſtrafbaren Handlungen ein, welche einen Mangel an ehrliebender Geſinnung nicht zur Vorausſetzung haben. Vgl. Motive zum Mil. Strafgeſetzb. S. 71.. Auf ſie muß erkannt werden neben Erkennung auf Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter, ſowie in den Fällen, wo gegen Unteroffiziere Degradation geboten iſt; es kann auf ſie erkannt werden neben Freiheitsſtrafe von längerer als ein - jähriger Dauer und wo gegen Unteroffiziere Degradation zuläſſig iſt6)Mil. Strafgeſetzb. §. 34. Eine Aufzählung dieſer Fälle giebt Kopp - mann a. a. O. S. 116 119.. Sie bewirkt von Rechtswegen den Verluſt der Dienſtſtelle und aller durch den Dienſt als Offizier erworbenen Anſprüche, ſo -238§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.weit dieſelben durch Richterſpruch aberkannt werden können1)Siehe oben S. 237 Note 2., in - gleichen die Verwirkung des Rechts, die Offizieruniform zu tra - gen; dagegen iſt der Verluſt des Dienſttitels mit dieſer Strafe nicht verbunden2)Mil. Strafgeſetzb. §. 35. Ebenſowenig der Verluſt der Orden und Ehren - zeichen. Auch die Möglichkeit des Wiedereintrittes in den Militair - dienſt iſt nicht von Rechtswegen ausgeſchloſſen.. Gegen penſionirte Offiziere, welche das Recht zum Tragen der Offizieruniform haben, iſt ſtatt auf Dienſtent - laſſung auf Verluſt dieſes Rechtes zu erkennen3)Mil. Strafgeſetzb. §. 36..

Der Dienſtentlaſſung kraft gerichtlichen Urtheils ſteht hinſicht - lich der Wirkungen gleich die Entlaſſung mit ſchlichtem Abſchied auf Grund eines ehrengerichtlichen Spruches, welcher auf ſchuldig der Verletzung der Standesehre lautet4)V. über die Ehrengerichte §. 51 Ziff. 5. §. 52. 53..

III. Das Dienſtverhältniß der Kapitulanten.

1. Unter Kapitulation verſteht man einen ſchriftlichen Vertrag zwiſchen einem Truppenbefehlshaber oder einer Militairbehörde und einem militairdienſtfähigen Mann, durch welchen der letztere ſich verpflichtet, nach erfüllter aktiver Dienſtpflicht noch eine gewiſſe Zeit im aktiven Dienſt zu verbleiben, wogegen ihm die mit ſeiner Dienſtſtelle geſetzlich und reglementsmäßig verbundenen Einkünfte und andere Vortheile zugeſichert werden. Daß dieſe Dienſtſtelle eine Unteroffiziers - oder Sergeanten-Stelle ſei, iſt durchaus nicht erforderlich. Auch zu einem verlängerten Dienſt als gemeiner Soldat kann man ſich verpflichten; es werden ſolche Verträge ab - geſchloſſen insbeſondere mit den Mannſchaften der Kavallerie, welche ſich freiwillig zu einem vierjährigen activen Dienſt verpflichten; ſie ſind ferner früher abgeſchloſſen worden mit ſolchen Soldaten, welche als Offiziersburſchen verwendet und in einer ſolchen Stel - lung nach Ableiſtung der geſetzlichen Dienſtpflicht beibehalten wur - den. Aus finanziellen und militairiſchen Gründen dürfen aber nur ſolche Perſonen als Kapitulanten angenommen werden, durch welche ein weſentlicher Nutzen für den Dienſt zu erwarten iſt und in allen Fällen ſind Kapitulationen zu ſolchen Zwecken und Aufgaben, welche vermittelſt der geſetzlichen Wehrpflicht er -239§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.füllt werden können, zu vermeiden. Als thatſächliche Regel iſt es daher allerdings richtig, daß die Kapitulation das Mittel iſt, um der Armee und Marine den erforderlichen Bedarf an Unterof - fizieren zu ſichern1)Ferner werden Kapitulationen mit tüchtigen Militairmuſikern, Lazareth - gehülfen, ausnahmsweiſe auch wol mit Oekonomiehandwerkern, geſchloſſen.. Juriſtiſch begründet aber die Kapitula - tion lediglich eine Dienſtpflicht, keine Amtsgewalt; die letztere und alle damit verbundenen obrigkeitlichen Befugniſſe und vermögens - rechtlichen Anſprüche beruhen auf der Ernennung zum Unteroffizier oder der Uebertragung einer beſtimmten Dienſtſtelle.

2. Die Beſtimmungen über Kapitulationen für die Preußiſche Armee ſind durch Kabinets-Ordre vom 8. Juni 18762)Armee-V. Bl. 1876 S. 141. Für die Marine ſind ganz entſprechende Beſtimmungen eingeführt worden durch Kabin. Ordre v. 29. Auguſt 1876. Mar. V. Bl. S. 149 ff. Für Bayern V. v. 14. Juli 1876. Mil. V. Bl. S. 438. genehmigt worden. Ermächtigt zum Abſchluß der Kapitulation iſt der Befehls - haber eines Truppentheils (Regiment, ſelbſtſt. Bataillon, Bezirks - kommando)3)Für die Marine ſind außer den Marinetheilen und Artillerie-Depots auch die Kommandanten der Schiffe und Fahrzeuge in außereuropäiſchen Ge - wäſſern und bei längerer Abweſenheit berechtigt, Mannſchaften deutſcher Ab - ſtammung als Kapitulanten einzuſtellen. Verf. v. 25. Mai 1873. Marine - V. Bl. S. 116. Beſtimmungen v. 29. Aug. 1876 Ziff. 1.; der Kapitulant muß großjährig ſein oder falls er bereits vor erreichter Großjährigkeit eine Kapitulation abſchließen will, die ſchriftliche und beglaubigte Zuſtimmung des Vaters oder Vormundes beibringen4)V. v. 8. Juni 1876 §. 7 Abſ. 1.. Er kann die Kapitulation bereits vor Erfüllung der aktiven Dienſtpflicht, ja ſogar ſchon bei der Annahme oder dem Dienſteintritt abſchließen5)ebendaſ. §. 1 Abſ. 2. §. 6.. Der Vertrag muß in allen Fällen ſchriftlich abgeſchloſſen werden6)ebendaſ. §. 2. Die Verhandlung wird von einem Offizier nach einem vorgeſchriebenen Schema aufgenommen.. Kein Truppentheil darf mit Kapitulanten eines andern Truppentheils ohne Zuſtimmung des letzteren behufs Gewinnung derſelben in Verbindung treten und er darf mit Mannſchaften, welche Truppentheilen oder Inſtituten derſelben Garniſon angehört haben, nicht früher eine Kapitulation abſchließen als nach Ablauf eines Jahres nach ihrer Entlaſſung240§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.von ihrem Truppentheil, wofern nicht der letztere die Zuſtimmung zu einer früheren Kapitulation ertheilt1)ebendaſ. §. 8. 9..

3. Der Kapitulant iſt verpflichtet, während der Zeit, für welche er den Vertrag abgeſchloſſen hat, den activen Militair - dienſt ebenſo zu leiſten, wie ihm dies in Erfüllung der geſetzlichen Wehrpflicht obliegen würde. Die Anwendung der Vorſchriften des Militair-Strafgeſetzbuchs, der Strafgerichts-Ordnung, Disciplinar - ſtrafordnung und aller übrigen die Dienſtpflicht regelnden und ihre Erfüllung ſichernden Vorſchriften erfolgt auf Kapitulanten ganz ebenſo wie auf Mannſchaften, welche ihrer geſetzlichen activen Dienſt - pflicht genügen2)Insbeſondere ſind im Milit. Strafgeſetzb. §. 69 die geſetzliche und die übernommene Verpflichtung zum Dienſt hinſichtlich der Strafe der Fahnen - flucht ganz gleichgeſtellt. Vgl. ferner §. 76. 81 83 ebendaſ.. Auch Verſetzungen von Kapitulanten können nach denſelben Grundſätzen, wie die aller übrigen Mannſchaften geſchehen3)V. v. 8. Juni 1876 §. 10.. Kapitulanten gehören zu den Militairperſonen des Friedensſtandes vom Beginn bis zum Ablauf oder bis zur Auf - hebung der abgeſchloſſenen Kapitulation4)Mil. Geſ. §. 38 A. 2..

4. Die Rechte und Anſprüche der Kapitulanten beſtim - men ſich nicht nach freier vertragsmäßiger Feſtſetzung des einzelnen Falles, ſondern lediglich nach den geſetzlichen und reglementsmäßi - gen Vorſchriften über Löhnung, Verpflegung, Ausrüſtung, Beklei - dung, Quartiergewährung, Verſorgung u. ſ. w. Sie ſind daher je nach der Dienſtſtellung und Charge des Kapitulanten verſchie - den5)Demgemäß werden die Kapitulanten eingetheilt in Unteroffizier-Kapi - tulanten und Gemeinen-Kapitulanten. Vgl. Geldverpfleg. -Reglement f. den Frieden v. 24. Mai 1877 §. 6.. Ein Recht zum Unteroffizier ernannt oder weiter beför - dert zu werden, hat der Kapitulant nicht, während andererſeits ein Wehrpflichtiger ſchon vor Abſchluß einer Kapitulation oder ohne dieſelbe zum Unteroffizier ꝛc. ernannt werden kann6)Die Ernennung zum Unteroffizier erfolgt durch den Regiments-Kom - mandeur reſp. den mit der Disciplinargewalt eines ſolchen ausgeſtatteten Be - fehlshaber..

5. Hinſichtlich der Beförderung der Unteroffiziere ſind allgemeine Beſtimmungen durch die Kabin. Ordre vom241§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.22. Juni 1873 getroffen1)Armee-V. Bl. 1873 S. 175. Mit den dazu ergangenen Nachträgen, Miniſterial-Reſcripten u. ſ. w. abgedruckt bei v. Helldorff II Abth. 1 S. 17 fg. Für Bayern V. v. 5. Nov. 1878. Mil. V. Bl. S. 523.. Als Grundſatz für das Avance - ment iſt in dieſer Verordnung § 6 feſtgeſtellt, daß bei Beförderung eines Unteroffiziers zum etatsmäßigen Vice-Feldwebel oder zum Sergeanten zunächſt die Anciennetät entſcheidet und zwar bei der Kavallerie innerhalb des Regiments, bei den übrigen Waffen innerhalb der Kompagnie reſp. Batterie2)Unteroffiziere, welche dem Unteroffizier-Korps einer Kompagnie ꝛc. nicht angehören, werden nach der Anciennetät im Bataillon, Inſtitut ꝛc. befördert. Uebrigens iſt es den General-Kommando’s freigeſtellt, auch bei der Kavallerie die Beförderung der Unteroffiziere innerhalb der Schwadron ſtatt innerhalb des Regiments ſtattfinden zu laſſen.. Iſt der hiernach zu befördernde Sergeant oder Unteroffizier nicht ausreichend qualifi - zirt, ſo darf nur der in der Tour nächſtfolgende qualifizirte Unter - offizier befördert werden. Dagegen kann zum Feldwebel jeder hierzu geeignete Unteroffizier ohne Rückſicht auf ſeine Anciennetät befördert werden.

6. Die Beendigung des Dienſtverhältniſſes erfolgt

a) Durch Ablauf der in der Kapitulation vereinbarten Zeit. In der Regel iſt dieſelbe auf mindeſtens Ein Jahr feſtzuſetzen3)V. v. 8. Juni 1876 §. 1. Die Truppentheile können jedoch Kapitu - lanten unter Vorbehalt der jederzeitigen Kündigung auf einen Zeitraum von höchſtens 3 Monaten annehmen. ebenda §. 12.. Perſonen, welche in eine Unteroffiziersſchule behufs ihrer Ausbil - dung aufgenommen werden, müſſen ſich zu einer 4jährigen aktiven Dienſtzeit nach erfolgter Ueberweiſung an einen Truppentheil ver - pflichten4)Wehr-Ordn. I §. 86 Ziff. 3. Durch eine Entlaſſung aus der Unter - offizier-Schule wird dieſe Verpflichtung gelöſt. ebenda Ziff. 6.. Eine Verlängerung der Dienſtzeit erfordert den ſchrift - lichen Abſchluß einer erneuerten Kapitulation5)V. v. 8. Juni 1876 §. 4.. Mit Mannſchaf - ten, welche unter Doppelrechnung der Kriegsjahre zwölf Jahre und länger aktiv gedient haben, iſt ein Kapitulationsvertrag nicht mehr abzuſchließen. So lange dieſelben noch dienſtbrauchbar ſind, dür - fen ſie gegen ihren Willen nur ausnahmsweiſe, wenn gewichtige Gründe vorliegen, und nach ſechsmonatlicher Kündigung aus dem Dienſt entlaſſen werden, nachdem die Genehmigung des General -Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 16242§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Kommando’s hierzu eingeholt worden iſt1)V. v. 8. Juni 1876 §. 11 in Verbindung mit der Kab. Ordre v. 22. Juni 1873 Ausführungs-Beſtimmung litt. f. Vgl. Militair-Geſetze des Deutſchen Reichs I, 2 S. 293.. Kapitulanten, deren Kapitulation während des mobilen Zuſtandes oder einer vom Kaiſer angeordneten außergewöhnlichen Verſtärkung ihres Truppen - theils abläuft, dürfen ihre Entlaſſung aus dem Dienſt erſt bei der Demobilmachung oder Ueberführung ihres Truppentheils auf den Friedensſtand fordern2)V. v. 8. Juni 1876 §. 13..

b) Durch Uebereinkunft zwiſchen dem Truppentheil und dem Kapitulanten, wenn die häuslichen Verhältniſſe deſſelben ſeine Ent - laſſung dringend wünſchenswerth machen. Eine ſolche Ueberein - kunft bedarf aber der Beſtätigung Seitens des Generalkommandos3)V. v. 8. Juni 1876 §. 3 litt. b. .

c) Von Rechtswegen hört das Dienſtverhältniß auf durch Verurtheilung des Kapitulanten zur Entfernung aus dem Heere oder der Marine. Auf dieſe Strafe muß gegen Unteroffiziere und Gemeine neben Zuchthaus ſtets, neben dem Verluſte der bürger - lichen Ehrenrechte dann erkannt werden, wenn die Dauer dieſes Verluſtes drei Jahre überſteigt. Auf dieſe Strafe kann erkannt werden neben Gefängniß von längerer als fünfjähriger Dauer4)R. Milit. Straf-Geſetzb. §. 31.. Die Wirkungen dieſer Strafe ſind bei Kapitulanten dieſelben wie bei Offizieren5)ebendaſ. §. 32..

d) Die Degradation eines Unteroffiziers6)ebendaſ. §. 40. 41. und die Verſetzung in die zweite Klaſſe des Soldatenſtandes7)ebenda §. 37 39. haben die Auflöſung des durch die Kapitulation begründeten Dienſt verhältniſſes zwar nicht zur Rechtsfolge; dem Truppentheil ſteht aber die Befugniß zu, vor Ablauf der Kapitulationszeit die Kapitulation aufzuheben, wenn der Kapitulant zu einer der erwähnten Strafen oder zu einer Freiheitsſtrafe von 6 Wochen oder zu einer höheren Strafe gerichtlich verurtheilt wird8)V. v. 8. Juni 1876 §. 3 litt. a. .

e) Durch das Generalkommando kann die Kapitulation vor Ablauf der Kapitulationszeit aufgehoben werden, wenn bei fort -243§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.geſetzt ſchlechter Führung des Kapitulanten durch das längere Verbleiben deſſelben im Dienſt das Intereſſe des Truppentheils geſchädigt wird1)ebendaſ. litt. b. .

7. Den Hinterbliebenen derjenigen Kapitulanten, welche der dreijährigen geſetzlichen Dienſtpflicht genügt haben, wird die Löh - nung der Verſtorbenen für die Dekade, in welcher der Tod erfolgt iſt, belaſſen und für weitere drei Dekaden als Gnadenlöhnung gewährt. Ueber die Gnadenlöhnung gelten dieſelben Regeln wie über den Gnadengehalt der Hinterbliebenen von Offizieren2)Geldverpfleg. Reglem. v. 24. Mai 1877 §. 31..

IV. Das Dienſtverhältniß der Beamten der Mili - tair - und Marine-Verwaltung.

Die Beamten der Militairverwaltung3)Ausgenommen in Bayern. ſind mittelbare, die der Marineverwaltung unmittelbare Reichsbeamte, auf welche das Reichsgeſetz vom 31. März 1873 anwendbar iſt. Hinſichtlich ihrer Rechtsverhältniſſe kann daher auf die oben Bd. I §. 37 ff. ge - gebene Darſtellung verwieſen werden. Dieſelbe bedarf jedoch in der Richtung eine Ergänzung, daß dieſe Beamten zum Heere reſp. zur Flotte gehören und deshalb bei ihnen zu dem a. a. O. erör - terten Beamten-Verhältniß noch ein Militair-Verhältniß hinzutritt. In Beziehung auf dieſes letztere Verhältniß zerfallen die Beamten der Militair - und Marine-Verwaltung in zwei Klaſſen, nämlich in Militair - (Marine -) Beamte und in Civilbeamte der Militair - (Marine -) Verwaltung; beide Kategorien gehören zwar zum aktiven Heere (Flotte), die Militair - und Marinebeamten aber ſind wie die Offiziere und Aerzte des Friedensſtandes Militair - perſonen , während die Civilbeamten der Militair - und Marine - verwaltung von den Militairperſonen unterſchieden und als eine beſondere Kategorie neben ihnen aufgeſtellt werden4)Milit. Geſ. §. 38..

Die Anlage zum Militair-Strafgeſetzbuch v. 20. Juni 1872 (R. G.Bl. S. 204) erklärt: Militairbeamte ſind alle im Heer und in der Marine dauernd oder auf Zeit angeſtellten, nicht zum Sol - datenſtande gehörenden und unter dem Kriegsminiſter oder Chef der Admiralität als Verwaltungschef ſtehenden Beamten, welche16*244§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.einen Militairrang haben. Es macht dabei keinen Unterſchied, ob ſie einen Dienſteid geleiſtet haben oder nicht. Von den in dieſer Definition hervorgebobenen fünf Merkmalen paſſen vier auch auf die Civilbeamten der Militairverwaltung; auch ſie ſind im Heer oder in der Marine angeſtellt, da ſie ja nach § 38 des Milit. - Geſ. zum activen Heere gehören; ſie ſind ferner für das Bedürf - niß des Heeres oder der Marine und zwar entweder dauernd oder auf Zeit angeſtellt; ſie gehören nicht zum Soldatenſtande und ſie ſtehen unter dem Kriegsminiſter oder Chef der Admirali - tät als Verwaltungschef. Als das charakteriſtiſche Unterſcheidungs - Merkmal zwiſchen den Militairbeamten und den Civilbeamten der Militairverwaltung bleibt demnach allein übrig, daß die erſteren einen Militairrang haben, die letzteren nicht. Sowie hierin der alleinige Unterſchied zwiſchen den Militairbeamten und den Civilbeamten beſteht, ſo bildet andererſeits der Militairrang die gemeinſame Eigenſchaft der Perſonen des Soldatenſtandes und der Militairbeamten, und da dieſe beiden Klaſſen von Perſonen unter der Bezeichnung Militairperſonen zuſammengefaßt werden1)Mil. Strafgeſetzb. §. 4 und Mil. Geſ. §. 38., ſo ergiebt ſich, daß der Begriff Militairperſon identiſch iſt mit Perſon, welche einen Militairrang hat . Auf dieſen Militair - rang ſind auch in der That alle rechtlichen Unterſchiede zurück - zuführen, welche zwiſchen den Militairbeamten und den übrigen Reichsbeamten beſtehen. Auf ihm beruht zunächſt die Eintheilung, welche die angef. Anlage zum Mil. Strafgeſetzb. unter den Mili - tairbeamten macht; indem ſie definirt: Militairbeamte, die im Offizierrange ſtehen, ſind obere Militairbeamte, alle anderen Mi - litairbeamten ſind untere Militairbeamte. Eigenthümlich für dieſen Militairrang iſt aber, daß er kein beſtimmter zu ſein braucht; ja es giebt überhaupt gar keine Militairbeamten mit einem beſtimmten Militairrange mehr, ſeitdem die Militairärzte zu Perſonen des Soldatenſtandes erklärt worden ſind2)Man kann daher ſagen: Perſonen des Soldatenſtandes ſind Militair - Perſonen mit einem beſtimmten Militairrang, Militairbeamte ſind Militair - Perſonen mit unbeſtimmtem Militairrang. Dieſer Begriff des unbeſtimmten Militairrangs iſt aber gewiß keine juriſtiſche Zierde unſeres Militairrechts.. Obwohl es nun rechtlich von der erheblichſten Bedeutung iſt, ob ein Be - amter der Militairverwaltung einen Militairrang hat oder nicht,245§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.ſo hat doch weder das Militair-Strafgeſetzbuch noch das Militairge - ſetz die Beamten angegeben, bei denen das Eine oder das An - dere der Fall iſt. Dagegen iſt dem alten Strafgeſetzbuch für das Preußiſche Heer v. 3. April 1845 als Anlage eine Claſſifi - kation der zum Preuß. Heere und zur Marine gehörenden Mili - tairperſonen beigegeben, welche ein Verzeichniß der Militairbeam - ten enthält. Bei Einführung jenes Geſetzbuchs im Gebiet des Norddeutſchen Bundes durch V. v. 29. Dezemb. 1867 iſt dieſe Klaſſifikation den veränderten Verhältniſſen entſprechend neu redigirt und im Bundes-Geſetzbl. von 1867 S. 283 ff. publizirt worden. Aus dieſem Verzeichniß iſt im Weſentlichen auch gegenwärtig noch zu entnehmen, welche Beamte Militairbeamte ſind; in einer demſelben beigefügten Anmerkung (B. G. Bl. 1867 S. 289) iſt ausdrücklich erklärt, daß diejenigen Beamten der Militairverwal - tung, welche nicht in dem vorſtehenden Verzeichniß sub B. aufge - führt ſind, zu den Militairperſonen nicht gehören 1)Obwohl dieſe Beſtimmungen in dem Bundesgeſetzblatt verkündet worden ſind, ſo wird ihnen formelle Geſetzeskraft dennoch nicht beigelegt, ſon - dern die Klaſſifikation wird lediglich als eine deklaratoriſche Zuſammenſtellung nach Maßgabe der damaligen Organiſation des Heeres und der Marine ange - ſehen, ſo daß ſie mit Veränderungen der Organiſation im Verordnungswege von ſelbſt veraltet. In der That ſind zahlreiche Veränderungen eingetreten. Die wichtigſte iſt die, daß die Militairärzte, welche in dem Verzeichniß noch zu den Militairbeamten gerechnet werden, ſeit der Verordn. v. 20. Febr. 1868 zu den Perſonen des Soldatenſtandes gehören; andere Veränderungen beſtehen darin, daß Beamte, welche in dem Verzeichniß gar nicht aufgeführt ſind, zur Zeit zu den Militairbeamten hinzugetreten ſind, und daß andererſeits Beamte, welche in dem Verzeichniß enthalten ſind, zur Zeit entweder gar nicht mehr ernannt oder als Civilbeamte der Militairverwaltung betrachtet werden. Eine Zuſammenſtellung der Militairbeamten findet ſich in den Motiven zum Pen - ſionsgeſ. Druckſ. I Seſſ. 1871 Nro. 96. Ein dem im Mai 1877 beſtehenden Zuſtande entſprechendes Verzeichniß enthalten die Militair-Geſetze des Deutſchen Reichs IV S. 122. Da es von ſehr weitreichenden Rechtsfolgen iſt, ob ein Beamter zu den Militairbeamten gehört oder nicht, ſo iſt eine feſtere Ab - gränzung dieſer Beamtenkategorie gegen die Civilbeamten der Militairverwal - tung wünſchenswerth..

Gemeinſchaftlich für beide Klaſſen von Beamten gilt der Rechts - ſatz, daß die Beſtimmungen über ihre Zulaſſung (Qualifikation) und über ihre Beförderung für alle Kontingente mit Ausnahme des246§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Bayeriſchen vom Kaiſer zu erlaſſen ſind1)Milit. Geſ. §. 7 Abſ. 1. Ueber die gegenwärtig geltenden Vorſchriften vgl. Frölich I S. 235 ff. Hinſichtlich der richterlichen Militair-Juſtizbeamten enthält das Mil. Geſ. a. a. O. die ausdrückliche Anordnung, daß dieſelben die Befähigung zur Bekleidung eines Richteramtes in einem Bundesſtaat erworben haben müſſen.. Im Uebrigen beſtehen unter den beiden erwähnten Kategorien folgende Unterſchiede:

1. Die Militair - und Marine-Beamten.

a) Die von ihnen im Heere oder in der Marine zu leiſten - den Dienſte ſind zwar keine Dienſte mit der Waffe, immerhin aber Militairdienſte, welche dem Organismus des Heeres und der Marine eingeordnet ſind. Die praktiſch wichtigſte und folgen - reichſte Conſequenz dieſes Satzes beſteht darin, daß die Militair - beamten einen militairiſchen Vorgeſetzten haben. Es giebt keine Militairbeamten, die nicht einem ſolchen untergeordnet wären, während es nicht weſentlich iſt, daß ſie einem höheren Beamten unterſtellt ſind. Demnach zerfallen die Militairbeamten wieder in zwei Klaſſen; in ſolche, die nur ihren vorgeſetzten Militairbefehls - habern untergeordnet ſind, und in ſolche, die in einem doppelten Unterordnungsverhältniß ſtehen, d. h. die neben ihrem Militair - Vorgeſetzten auch noch einen Militair-Beamten zum Vorgeſetzten haben. Zu den letzteren gehören die Auditeure und Aktuarien, die Militairgeiſtlichen und Küſter, die Intendantur-Beamten bei der Armee und ſämmtliche Marine-Beamten2)Im mobilen Zuſtande treten noch eine Anzahl anderer Beamter hinzu, die im Frieden zu den Civilbeamten der Militairverwaltung gehören.; alle andern Militair - beamten ſind nur einem Militair-Vorgeſetzten unterſtellt3)Vgl. die oben citirte Klaſſifikation. Anmerkung Ziff. 1 (Bundes - Geſetzbl. 1867 S. 289).. Aus dieſem Subordinations-Verhältniß folgt, daß alle Militair - und Marine-Beamten hinſichtlich der Disciplin, der Urlaubsertheilung, des Weges für dienſtliche Beſchwerden ähnlichen Vorſchriften unter - liegen, wie die Perſonen des Soldatenſtandes4)Auch die Verpflichtung, während des Dienſtes in der Regel in der vor - geſchriebenen Dienſtuniform zu erſcheinen, kann hier erwähnt werden. Aus - führlich hierüber Frölich I S. 205 ff..

Ein ſehr eigenthümlich complizirter Rechtszuſtand ergiebt ſich hieraus hinſichtlich der Disciplinar-Gewalt über Militair -247§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Beamte, indem dieſelben zugleich den Vorſchriften des Reichs - beamten-Geſetzes und denjenigen der Disciplinarſtrafordnungen für das Heer beziehentl. für die Marine unterliegen, und zwar in folgender Weiſe. Die letzteren Verordnungen kennen die Strafe der Entfernung aus dem Amte nicht; in allen Fällen alſo, in wel - chen auf dieſe Strafe erkannt werden ſoll, iſt die Einleitung eines Verfahrens nach Maßgabe des Reichsbeamtengeſetzes er - forderlich und zwar findet rückſichtlich derjenigen Militair - und Marinebeamten, welche unter einem doppelten Unterordnungs - verhältniß ſtehen, mit Ausnahme der richterlichen Juſtizbeamten, das gewöhnliche Verfahren wie gegen andere Reichsbeamte vor den Disciplinarkammern ſtatt, dagegen rückſichtlich derjenigen Beamten, welche ausſchließlich unter Militair-Befehlshabern ſtehen, iſt nach dem im Reichsbeamten-Geſetz § 120 fg. normirten Ver - fahren vor den Militair-Disciplinarkomiſſionen einzuſchreiten1)Vgl. Bd. I S. 373 ff.. In Betreff der Verfügung von Disciplinarſtrafen aber, welche nicht in der Entfernung aus dem Amte beſtehen, hat das Reichs - beamtengeſetz § 123 ſelbſt die auf jene Beamten bezüglichen be - ſonderen Beſtimmungen für anwendbar erklärt. Dieſe beſonderen Beſtimmungen ſind in der Disciplinarſtrafordnung für das Heer (reſp. für die Marine) enthalten. Nach § 1 derſelben unterliegen der militairiſchen Disciplinarbeſtrafung alle Handlungen ge - gen die militairiſche Zucht und Ordnung und gegen die Dienſt - vorſchriften 2)Die noch folgenden Worte: für welche die Militairgeſetze keine Straf - beſtimmungen enthalten ſind im Frieden rückſichtlich der Militairbeamten gegenſtandslos, da auf dieſelben im Frieden die Militairſtrafgeſetze überhaupt keine Anwendung finden.; die Miltairbeamten ſind ſonach einer viel weiter reichenden Disciplinarſtrafgewalt unterworfen als andere Beamte.

Hinſichtlich der Vorgeſetzten, welche dieſe Disciplinargewalt auszuüben haben, und hinſichtlich der Strafen, iſt nun wieder zu unterſcheiden zwiſchen den Militairbeamten, welche in einem doppel - ten Unterordnungsverhältniß ſtehen, und denjenigen, welche ledig - lich einem Militairvorgeſetzten untergeben ſind. Ueber die in einem doppelten Unterordnungsverhältniß ſtehenden Beamten übt der Ver - waltungsvorgeſetzte ausſchließlich die Disciplinarſtrafgewalt aus bei248§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Verletzung von ſolchen Dienſtvorſchriften, welche die Grundlage der Amtswirkſamkeit der Militairbeamten bilden, während alle andern zur Disciplinarbeſtrafung geeigneten Handlungen ſolcher Militair - beamten zur Zuſtändigkeit des ihnen vorgeſetzten Militairbefehls - habers gehören, unbeſchadet jedoch der Mitaufſicht der Verwal - tungsvorgeſetzten über die ſittliche Führung des untergebenen Be - amten1)Disciplinar-Strafordnung §. 34.. Dagegen ſteht die Disciplinargewalt über Beamte, welche ausſchließlich in einem militairiſchen Unterordnungsverhält - niß ſtehen, lediglich den Militairvorgeſetzten zu und zwar innerhalb derſelben Gränzen, wie über Perſonen des Soldatenſtandes2)Die näheren Vorſchriften hierüber ſind enthalten in den §§. 8 20 und 33 der Disciplinarſtrafordnung.. Soweit die Verwaltungsvorgeſetzten die Disciplinarſtrafgewalt aus - zuüben haben, regelt ſich dieſelbe nach dem Reichsbeamten-Geſetz (§§. 80 83)3)Disciplinar-Ordn. §. 35. Das Verhältniß zwiſchen R.B.G. und Discipl. - Ordn. findet einen ſehr eigenthümlichen Ausdruck in den wechſelſeitigen Ver - weiſungen. Das Beamten-Geſ. §. 123 verweiſt rückſichtlich der Disciplinar - beſtrafung der Militairbeamten auf die beſonderen Beſtimmungen d. h. auf die Disciplinarſtrafordnung; die letztere verweiſt im §. 35 rückſichtlich der Aus - übung der Disciplinargewalt Seitens der Verwaltungsvorgeſetzten ebenfalls wieder auf die beſonderen Beſtimmungen d. h. auf die §§. 80 fg. des Be - amtengeſetzes.; ſoweit die Militairvorgeſetzten dieſelbe handhaben, regelt ſich dieſelbe nach der Disciplinarſtrafordnung für das Heer (reſp. die Marine). Dies gilt auch rückſichtlich der Beſchwerde - führung über Disciplinarbeſtrafung. Ueber ſolche obere Beamte aber, welche unter einem doppelten Vorgeſetzten ſtehen, darf der Militairvorgeſetzte die Strafe des Stubenarreſtes nur in der Zeit verhängen, während welcher ſie nach § 9 des Milit. Strafgeſetzbuchs unter den Kriegsgeſetzen ſtehen4)Discipl. Ordn. §. 32 Abſ. 2. Dagegen dürfen gegen die unteren Mili - tairbeamten Arreſtſtrafen in demſelben Maße wie gegen Unteroffiziere, welche das Portepee tragen, von den Militairvorgeſetzten verhängt werden..

In Betreff der Urlaubs-Ertheilung an Militairbeamte finden zwar im Allgemeinen dieſelben Regeln wie bei andern Reichs - beamten Anwendung5)Siehe Bd. I S. 420 fg., jedoch mit der Einſchränkung, daß, wenn die Kriegsbereitſchaft oder Mobilmachung der bewaffneten Macht249§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.oder einer Abtheilung derſelben angeordnet wird, mit der Bekannt - machung dieſer Anordnung jede Urlaubsbewilligung erliſcht1)V. v. 2. Nov. 1874 §. 7 Abſ. 2. (R. G.Bl. S. 130.). Be - amte, welche in einem doppelten Unterordnungs-Verhältniß ſtehen, haben den Urlaub zwar in der Regel bei dem Verwaltungsvorge - ſetzten nachzuſuchen; derſelbe darf den Urlaub aber nur bewilligen, wenn der Militärvorgeſetzte ſein Einverſtändniß ertheilt hat2)Verf. des Kriegsminiſt. v. 15. Juni 1875 (Armee-Ver. -Blatt S. 128). Daſelbſt iſt zugleich verkündigt die Nachweiſung der Stellen, welche zur Ertheilung von Urlaub an Beamte der Militair-Verwaltung berechtigt ſind, ſowie der Zeiträume, für welche Urlaub gewährt werden darf. .

Ueber den Dienſtweg und die Behandlung von Be - ſchwerden gelten für Militairbeamte dieſelben Vorſchriften, wie für Perſonen des Soldatenſtandes mit den in den §§ 24 26 der V. v. 6. März 1873 enthaltenen Modifikationen3)Armee-V. Bl. 1873 S. 63.. Insbeſondere iſt das im II. Abſchnitt der erwähnten Verordn. für Offiziere ꝛc. vorgeſchriebene Vermittlungsverfahren den Militairbeamten freige - ſtellt, aber für ſie nicht obligatoriſch.

b) Die Vorſchriften des Reichsmilitairgeſetztes §§ 39 ff. über die beſonderen Rechtsregeln für Militairperſonen4)Vgl. die näheren Erörterungen hierüber unten §. 90. finden auch auf Militairbeamte Anwendung mit alleiniger Ausnahme des § 49 Abſ. 1, welcher die Suspenſion des Wahlrechts für die Per - ſonen des Soldatenſtandes ausſpricht5)Vgl. Bd. I S. 525.. Ebenſo ſind Militairbe - amte denſelben Auswanderungsbeſchränkungen wie andere Militair - perſonen des aktiven Heeres oder der Flotte unterworfen6)R.G. v. 1. Juli 1870 §. 15 Abſ. 2. Vgl. Bd. I S. 172..

c) Das Militair-Strafgeſetzbuch findet im Frieden auf Militairbeamte keine Anwendung7)Mil. St. G.B. §. 153.. Die Motive zum Ent - wurf dieſes Geſetzbuches8)Druckſachen des Reichstages 1872 Nro. 5 S. 118 (zu §§. 162. 163 des Entwurfs). begründen dies damit, daß, während für die Perſonen des Soldatenſtandes als leitendes Princip bei Ausübung ihrer Dienſtobliegenheiten der pünktliche Gehorſam gegen den Vorgeſetzten anzuſehen ſei, der Militairbeamte das ihm über - tragene Amt nach den Grundſätzen ſeiner Wiſſenſchaft oder nach250§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Verwaltungsgrundſätzen oder beſonderen Inſtruktionen zu verwal - ten habe und deshalb in ſtrafrechtlicher Hinſicht im Allgemeinen ebenſo behandelt werden müſſe wie der Civilbeamte, mit welchem er im Weſentlichen gleiche Berufspflichten habe. Im Kriege ſei es dagegen zur Sicherung der Armee, ſowie zur Erhaltung ihrer Schlagfertigkeit und Thatkraft dringend geboten, daß der Militair - beamte denſelben Pflichten und ſomit auch denſelben Strafbeſtim - mungen unterworfen werde, wie eine Perſon des Soldatenſtandes. Demgemäß iſt im § 154 a. a. O. angeordnet, daß ein Militair - beamter, welcher ſich im Felde einer der in dem 1 3, 6 u. 8 Abſchnitt des I. Titels bezeichneten Handlungen ſchuldig macht, nach den daſelbſt für Perſonen des Soldatenſtandes gegebenen Be - ſtimmungen beſtraft wird, mit der Modifikation, daß ſtatt auf Verſetzung in die zweite Klaſſe des Soldatenſtandes auf Amts - verluſt zu erkennen iſt1)Vgl. über die Fälle, in welchen gegen Militairbeamte auf Amtsverluſt erkannt werden kann, Mil. Strafgeſ. §. 43.. Andere Pflichtverletzungen, d. h. alſo im Frieden alle Verbrechen und Vergehen im Amte, im Felde alle nicht militairiſchen Delicte der Militairbeamten ſind nach den allgemeinen für Beamte geltenden Vorſchriften, alſo insbe - ſondere nach dem Allg. Strafgeſetzbuch Th. II Abſchn. 28 (§§ 331 bis 359) zu beurtheilen2)Mil. Strafgeſetzb. §. 154..

d) Die Militairbeamten ſind der Militair-Gerichtsbar - keit und der Militair-Strafgerichts-Ordnung unter - worfen, und zwar nicht nur in den nach dem Militair-Strafgeſetz - buch zu beurtheilenden Fällen, ſondern in allen Straffachen3)Mil. Strafger. Ordn. §. 1 Z. 2. Ausgenommen ſind lediglich die im §. 3 daſ. angeführten Kontraventionen. Vgl. unten S. 253 Note 7.. Ebenſo ſind Straferkenntniſſe gegen Militairbeamte zu vollſtrecken nach Maßgabe des Reglements v. 2. Juli 18734)v. Helldorff IV, 4 S. 249 fg.. Dagegen fin - det die Verordn. v. 2. Mai 1874 über die Ehrengerichte auf Mi - litairbeamte keine Anwendung.

2. Die Civilbeamten der Militair - und Marine - Verwaltung.

Obwohl auch dieſe Beamten vom Tage ihrer Anſtellung bis zum Zeitpunkte ihrer Entlaſſung aus dem Dienſte zum aktiven251§. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht.Heere gehören und die von ihnen zu leiſtenden Dienſte zu den Mi - litairdienſten gezählt werden können, ſo ſind dieſelben doch in einer ſo loſen Verbindung mit der Organiſation des Heeres und der Marine und bei ihren amtlichen Geſchäften iſt der ſpezifiſch mili - tairiſche Charakter ſo wenig ausgeprägt, daß die Anwendung der für Militairperſonen gegebenen beſonderen Rechtsvorſchriften auf ſie nicht als angemeſſen, jedenfalls nicht als erforderlich erſcheint.

Von den im Militairgeſetz enthaltenen beſonderen Rechtsregeln für Militairperſonen findet allein die Beſtimmung des § 41 über die Uebernahme von Vormundſchaften auch auf die Civilbeamten der Mil. Verw. Anwendung. Die Disciplinar-Strafordnung f. das Heer (reſp. f. die Marine) iſt auf dieſe Beamten in keinem Falle anwendbar, ſelbſt dann nicht, wenn ſie einem Militair-Befehlshaber dienſtlich untergeordnet ſind1)In dieſem Falle hat zwar der Militair-Vorgeſetzte eine Disciplinar - gewalt, für Ausübung derſelben ſind aber die §§. 80 83 des Reichsbeamten - Geſetzes maßgebend. Vgl. das Reſcr. des Preuß. Kriegsminiſt. v. 3. Januar 1875 bei v. Helldorff Th. IV Abth. 6 S. 24 fg.. Dagegen gilt die Verordnung v. 6. März 1873 über den Dienſtrang und die Behandlung von Beſchwerden (Armee-V. Bl. 1873 S. 63 ff. ) auch für die Civilbe - amten der Mil. - und Marine-Verwaltung. Der Militairgerichts - barkeit ſind dieſe Beamten nicht unterworfen, ebenſo wenig dem Militairſtrafgeſetzbuch und der Militairſtrafgerichtsordnung. Eine Ausnahme hiervon kann jedoch in Kriegszeiten eintreten, da wäh - rend eines gegen das Deutſche Reich ausgebrochenen Krieges alle Perſonen, welche ſich in irgend einem Dienſt - oder Vertrags-Ver - hältniſſe bei dem kriegführenden Heere befinden, oder ſonſt ſich bei demſelben aufhalten oder ihm folgen, den Vorſchriften des Militair-Strafgeſetzb., insbeſondere den Kriegsgeſetzen unterworfen ſind2)Mil. St. G.B. §. 155. Die Vorſchrift iſt alſo nur anwendbar, wenn der Krieg bereits ausgebrochen iſt die Mobilmachung des Heeres allein ge - nügt nicht und wenn der Beamte ſich bei dem kriegführenden Heere befindet. Ueber die entſprechenden Vorausſetzungen bei der Marine vgl. Mil. St. G.B. §§. 164 166.. Sind dieſe Vorausſetzungen vorhanden, ſo iſt zugleich für dieſe Perſonen der Militairgerichtsſtand begründet3)Mil. St. Gerichts-Ordn. §. 18 Ziff. 1. Bayer. Mil. Straf-Gerichts-Ordn. Art. 6.. Werden ſie252§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.zu einer Freiheitsſtrafe verurtheilt, ſo kann das Gericht zugleich auf Aufhebung des Dienſtverhältniſſes erkennen1)Mil. Strafgeſetzbuch §. 156..

§ 90. Einfluß des Militairdienſt-Verhältniſſes auf andere Rechts-Verhältniſſe.

In ganz ähnlicher Art wie das Beamten-Verhältniß, jedoch in größerem Umfange, äußert der Militairdienſt im Heere und in der Flotte einen Einfluß auf andere Rechtsverhältniſſe, welche mit demſelben in keinem nothwendigen und logiſch gebotenen Zuſammen - hange ſtehen2)Vgl. oben §. 46. (Bd. I S. 495 fg.). Im Allgemeinen macht es hierbei keinen Unterſchied, ob die Militairperſon den Dienſt auf Grund des Geſetzes leiſtet oder ob ſie die Dienſtpflicht freiwillig übernommen hat; der Militair - dienſt als ſolcher und die mit demſelben verbundene eingreifende Beſchränkung der individuellen Freiheit erſcheint als genügendes Motiv zur Ausſchließung des gemeinen Rechts und zur Anerken - nung eines jus singulare. Das letztere findet nicht nur auf Of - fiziere, Kapitulanten und Militairbeamte, ſondern auch auf alle Wehrpflichtigen Anwendung, während ſie im aktiven Heer ſich be - finden. Einzelne dieſer Rechtsſätze ſtehen aber in ſo enger Be - ziehung mit dem Beruf und den allgemeinen Lebensverhältniſſen, daß ſie auf Perſonen, welche aus ihrer bürgerlichen Lebensſtellung zeitweilig zum Militairdienſt eingezogen werden, nicht vorübergehend Anwendung finden können; ſie gelten daher nur für die Militair - perſonen des Friedensſtandes, ſind dagegen für die Militair - perſonen des Beurlaubtenſtandes, ſelbſt wenn dieſelben zum aktiven Dienſt einberufen ſind, unanwendbar3)Dieſer Unterſchied fällt aber nicht zuſammen mit dem Gegenſatz des geſetzlichen und des freiwillig übernommenen Militairdienſtes; zu den Perſonen des Friedensſtandes gehören auch die Freiwilligen und ausgehobenen Rekruten, während dieſelben ihre aktive Dienſtpflicht erfüllen. Mil. Geſ. §. 38..

Die Rechtsmaterien, in denen für Militairperſonen Sätze des ius singulare beſtehen, ſind im Weſentlichen auf dieſelben Kate - gorien zurückzuführen, welche oben Bd. I § 46 hinſichtlich der Reichsbeamten angegeben worden ſind; dieſe beſonderen Rechts - regeln betreffen theils die Rechtsverfolgung, theils Exemtionen von253§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.allgemeinen ſtaatsbürgerlichen Laſten oder Rechten, theils endlich Be - ſchränkungen oder Begünſtigungen in privatrechtlichen Verhältniſſen.

I. Beſondere Vorſchriften hinſichtlich der Rechtsverfolgung.

1. In Strafſachen unterliegen Militairperſonen einer be - ſonderen Gerichtsbarkeit. Dieſelbe ſoll durch Reichsgeſetz geregelt werden1)Milit. Geſetz §. 39 Abſ. 1.. Bisher iſt die reichsgeſetzliche Regelung jedoch noch nicht erfolgt und ein übereinſtimmendes Recht im Bundesgebiet noch nicht hergeſtellt. Die Militair-Strafgerichts-Ordnung für das Preußiſche Heer v. 3. April 1845 iſt auf Grund des Art. 61 der Bundes-Verf. im ganzen Gebiet des Norddeutſchen Bundes durch Verordnung vom 29. Dezemb. 1867 (B. G. Bl. S. 185), in Südheſſen auf Grund der Militairkonvention v. 4. April 1867 Art. 14 und bei der Errichtung des Deutſchen Reiches in Baden eingeführt worden2)Reichsverf. Art. 61. Verordn. v. 24. Nov. 1872. R. G.Bl. S. 401.; ausgeſchloſſen wurde ihre Einführung in Württemberg3)Mil. Konvent. Art. 10 Abſ. 3. (B. G.Bl. 1870 S. 660.) und Bayern4)Vertr. v. 23. Nov. 1870. III §. 5. R. G.Bl. 1871 S. 19.. In Elſaß-Lothringen iſt die Ein - führung erfolgt durch das Geſetz v. 23. Januar 18725)Geſetzbl. f. Elſ. -Lothr. 1872 S. 83.. Es be - ſtehen ſonach zur Zeit im Reich drei verſchiedene Militair-Straf - gerichts-Ordnungen, die Preußiſche v. 3. April 1845, die Bayeriſche v. 29. April 18696)Dieſelbe iſt revidirt und von Neuem verkundigt worden durch Verordn. v. 6. Nov. 1872. Bayer. Mil. V. Bl. 1872 S. 453. und die Württembergiſche v. 20. Juli 1818. Die Militair-Gerichtsbarkeit umfaßt nicht blos die ſpezifiſch mili - tairiſchen Delicte, ſondern alle Strafſachen7)Auch die in den §§. 69 und 77 der R. Strafproceß-Ordn. normirten. Nach der Preuß. Mil. Strafger. Ordn. §. 3 ſind jedoch ausgenommen Kontra - ventionen gegen Finanz - und Polizeigeſetze und gegen Jagd - und Fiſcherei - Verordnungen in dem Falle, wenn die Kontravention im Geſetz nur mit Geld - buße oder Konfiskation bedroht iſt. Wenn dagegen auf Freiheitsſtrafe erkannt werden kann, ſo ſind die Militairgerichte ausſchließlich kompetent. Vgl. hierzu die Verf. des General-Auditoriats v. 10. März 1868 bei v. Helldorff IV. 4. S. 74. Zu den Kontraventionen gegen Finanzgeſetze im Sinne des §. 3 cit. gehören auch die Poſt - und Portodefraudationen. Uebereinſtimmend Bayer. Mil. St. G.O. Art. 2 Abſ. 2. und ſie umfaßt auch254§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.die Vollſtreckung der gerichtlich erkannten Strafen gegen Militair - perſonen. Die letztere iſt für die Preußiſche Armee geregelt durch das, mittelſt Kabin. -Ordre genehmigte, ſehr ausführliche Militair - Strafvollſtreckungs-Reglement v. 2. Juli 18731)Daſſelbe iſt weder durch die Geſetz-Sammlung noch durch das Armee - Verordnungs-Blatt verkündigt worden, obgleich das zuletzt erwähnte Blatt zahlreiche Veränderungen und Erläuterungen enthält (!). Auszugsweiſe abgedruckt iſt es bei v. Helldorff a. a. O. S. 249 ff., welches eine ſehr bedeutſame und wichtige Ergänzung der Strafgerichts-Ordnung bildet. Für die Marine iſt ein Straf-Vollſtreckungs-Reglement durch Erl. vom 4. April 1876 genehmigt worden.

Die Militairgerichtsbarkeit erſtreckt ſich auf alle Militairper - ſonen des Friedensſtandes und des Beurlaubtenſtandes, ſo lange dieſelben dem aktiven Heere angehören. Inſoweit jedoch Perſonen des Beurlaubtenſtandes auch während der Beurlaubung den Vor - ſchriften des Militairſtrafgeſetzbuchs unterworfen ſind2)Vgl. Mil. Strafgeſetzb. §. 6., unterlie - gen dieſelben in dieſer Zeit auch dem Militairgerichtsſtand3)Preuß. Mil. St. G.O. §. 6. Zur Competenz der Militairgerichte ge - hören demnach Zuwiderhandlungen der zum Beurlaubtenſtande gehörenden Militairperſonen gegen die §§. 68, 69, 101, 113, 126 des Mil. Straf-Geſ. Buchs, ſowie die im §. 42 Abſ. 2 daſelbſt bezeichneten Fälle. Vgl. Verf. des Gener. - Auditor. v. 25. Sept. 1872. (v. Helldorff a. a. O. S. 77.). Iſt die ſtrafbare Handlung von der Militairperſon vor dem Eintritt in den Dienſt verübt worden, ſo ſteht in dem Geltungsbereich der Preußiſchen Milit. Strafger. Ordn. die Unterſuchung und Abur - theilung dem Militairgerichte zu, wenn die wahrſcheinlich zu er - wartende Strafe eine dreimonatliche (jetzt ſechswöchentliche) Ge - fängnißſtrafe4)Siehe die folgende Note. nicht überſteigt, und zwar auch dann, wenn die Unterſuchung bei dem bürgerlichen Gericht bereits eingeleitet, das Erkenntniß erſter Inſtanz aber dem Angeſchuldigten vor dem Ein - tritt in den Dienſtſtand noch nicht publizirt iſt. Iſt dagegen eine längere Freiheitsſtrafe zu erwarten oder das Erkenntniß erſter In - ſtanz vor dem Eintritt in den aktiven Dienſt bereits verkündigt, ſo iſt die Kompetenz des bürgerlichen Gerichtes begründet5)Preuß. Mil. Str. G.O. §. 9 bis 11. Dieſe Vorſchriften ſind durch das Mil. Straf-Geſetz-B. nicht aufgehoben. Es wird dies übereinſtimmend vom General-Auditor. in dem Reſcr. v. 25. Sept. 1872 und vom Kriegs-Miniſterium im Reſcr. v. 8. Januar 1876 anerkannt, dabei jedoch.

255§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.

Nach der Bayeriſchen Milit. Strafger. Ordn. Art. 8 und 9 kommt es lediglich darauf an, ob gegen die Militairperſon vor ihrem Eintritt in den aktiven Dienſt von dem bürgerlichen Richter oder Staatsanwalt bereits die Strafverfolgung begonnen worden iſt oder nicht; in dem erſteren Falle ſind die bürgerlichen, in dem andern die militairiſchen Gerichte zuſtändig. Nach der Württem - giſchen Mil. St. G.O. § 128 fällt die Unterſuchung und Entſchei - dung der vor dem Eintritt in den Militairdienſt begangenen und erſt nach dem Eintritt zur Sprache kommenden Verbrechen und Vergehen ohne Einſchränkung den bürgerlichen Gerichten zu.

Der Militairgerichtsſtand hört auf durch Ausſcheiden aus dem Militairverhältniß1)Die Verabſchiedung der Offiziere mit Penſion gilt nicht als gänzliches Ausſcheiden; ſiehe oben S. 235., gleichviel ob die Löſung des letzteren freiwillig oder durch Urtheil erfolgt2)Preuß. Mil. Strafger. Ordn. §. 16.. Mit der Beendigung des Militair-Gerichtsſtandes hört auch die Befugniß der Militairbe - hörden zur Strafvollſtreckung auf; wenn daher das Militair - gericht auf Zuchthausſtrafe oder neben einer Freiheitsſtrafe auf Entfernung aus dem Heer oder der Marine oder auf Dienſtent - laſſung erkannt hat oder wenn das militairiſche Dienſtverhältniß aus einem andern Grunde aufgelöſt wird, ſo geht die Vollſtreck - ung der Strafe auf die bürgerlichen Behörden über3)Mil. Strafgeſetzb. §. 15 Abſ. 8. Hierzu hat der Bundesrath am 19. Febr. 1875 beſchloſſen, daß die Vollſtreckung der von Militairgerichten er - kannten Strafen übergeht auf die Behörden des Heimathsſtaates des Ver - urtheilten, wenn entweder die ſtrafbare Handlung außerhalb des Bundesgebietes verübt worden, oder der Verurtheilte im Gebiet des Heimathsſtaates ſich auf - hält, in andern Fällen auf die bürgerlichen Behörden desjenigen Bundesſtaates, in deſſen Gebiet die ſtrafbare Handlung verübt worden iſt. Armee-V. Bl.. Zur Kom -5)ausgeführt, daß der geſetzgeb. Wille im §. 9 cit. dahin geht, den Militairge - richten die Beſtrafung in ſolchen Fällen zu überweiſen, in denen die zu ver - hängende Freiheitsſtrafe in einem militairiſchen Arreſtlokale abgebüßt wer - den kann; da nun nach dem Mil. St. G.B. Freiheitsſtrafen von längerer als ſechswöchentlicher Dauer in Militair-Arreſtlokalen nicht vollſtreckt werden können, ſo werden die Unterſuchungen an das Civilgericht in allen Fällen zu über - weiſen ſein, in denen eine Freiheitsſtrafe von mehr als 6 Wochen zu erwarten iſt, (nicht von mehr als 3 Monaten). Beſtätigt wird dies durch die bei Publikation der Strafger. O. im Bundesgeſetzbl. von 1867 dem §. 9 cit. bei - gefügte Anmerkung S. 232.256§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.petenz der bürgerlichen Gerichte gehört ferner die Aburtheilung der von Militairperſonen begangenen militairiſchen oder gemeinen Ver - brechen oder Vergehen, wenn die Unterſuchung erſt nach dem gänz - lichen Ausſcheiden des Angeſchuldigten aus dem Militair-Verhält - niß eingeleitet wird1)Preuß. Mil. St. G.O. §. 17. Iſt der Thäter nicht entlaſſen, ſondern in den Beurlaubtenſtand übergetreten, ſo ſind die Civilgerichte nur dann zu - ſtändig, wenn das von ihm während des aktiven Dienſtſtandes verübte Delict zu den nicht militairiſchen gehört und auch mit keinem gerichtlich zu beſtrafen - den militairiſchen Delict zuſammentrifft. ebendaſ. §. 15..

Die Zuſtändigkeit der einzelnen Militairgerichte iſt von der Staatsangehörigkeit der Militairperſonen unabhängig, ſie beſtimmt ſich lediglich nach dem Militairdienſtverhältniß, ſo daß z. B. ein Preuße, der ſeiner Wehrpflicht in einem bayeriſchen Truppentheil genügt, dem entſprechenden bayeriſchen Militairgericht unterworfen iſt. Dieſem Grundſatz gemäß iſt auch die nach den Militairgeſetzen erforderliche Genehmigung zur Einleitung eines ſtrafgerichtlichen Verfahrens, ſowie die Beſtätigung gerichtlicher, disciplinariſcher oder ehrengerichtlicher Urtheile von dem zuſtändigen Militairbefehls - haber, reſp. von dem Kontingentsherrn zu ertheilen, mithin in allen, mit der Preußiſchen Armee verbundenen Kontingenten von dem Könige von Preußen, da auf dieſen die Rechte der Kon - tingentsherren übergegangen ſind2)Eine Ausnahme beſteht lediglich in den Kontingenten von Heſſen und Mecklenburg, indem hier in denjenigen Fällen, in denen zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens oder zur Beſtätigung eines Erkenntniſſes die Entſchließung des Königs erforderlich iſt, hinſichtlich der Großherzogl. Un - terthanen das Einverſtändniß des Landesherrn eingeholt werden ſoll; in Mecklenburg jedoch dann nicht, wenn das Erkenntniß auf Entlaſſung aus dem Dienſte lautet. Vgl. Heſſiſche Milit. Konv. Art. 14 Abſ. 2. Mecklen - burg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz Milit. Konv. Art. 6 Abſ. 2 und 4.; in den Kontingenten von Bayern, Württemberg und Sachſen von den betreffenden Landes - herrn3)Ausdrückliche Anerkennung hat dies erhalten in der Württemb. Mil. Konv. Art. 5..

Mit dieſen in der militairiſchen Gerichtsherrlichkeit begründe -3)1875 S. 73. Für Württemberg iſt ein beſonderes Regl. über den Voll - zug militairgerichtlich erkannter Freiheitsſtrafen durch die bürgerl. Behörden erlaſſen. Mil. V. Bl. 1873 S. 53. 1876 S. 44.257§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.ten Befugniſſen iſt ferner auch das Begnadigungsrecht ver - bunden. Dasſelbe ſteht alſo bei allen von den Militairgerichten erkannten Strafen ſowohl wegen militairiſcher als wegen nicht mi - litairiſcher Verbrechen und Vergehen dem Dienſtherrn des Kon - tingents zu, ohne Unterſchied, welchem Staate der Verurtheilte angehört. Die Militair-Konventionen enthalten jedoch regelmäßig die Zuſage, daß die Wünſche der betreffenden Landesherren hin - ſichtlich ihrer Unterthanen Berückſichtigung finden werden1)Vgl. Mil. Konvent. mit Baden Art. 14. Oldenburg Art. 17. Thüringiſche Staaten Art. 8. Anhalt Art. 8. Schwarzb. -Sondersh. Art. 7. Lippe-Detmold Art. 7. Schaumburg Art. 6. Waldeck Art. 5. Baden und Oldenburg iſt überdies in den Schlußprotokollen zu den Konventionen Art. 8 zugeſichert worden, daß das Begnadigungsrecht über Badiſche reſp. Oldenburgiſche Staatsangehörige in Fällen von Verurtheilungen wegen nicht militairiſcher Vergehen den Großherzogen überlaſſen werde. In der Heſſiſchen Milit. Konvent. Art. 14 Abſ. 3 und 4 iſt ausbedungen, daß in Betreff der Heſſiſchen Unterthanen die Begnadigung wegen aller mili - tairiſcher Vergehen vom Kaiſer ausſchließlich, wegen der nicht militairiſchen Vergehen vom Kaiſer in Gemeinſchaft mit dem Großherzog ausgeübt wird. Ebenſo die Konventionen mit beiden Mecklenburg Art. 6 Abſ. 3..

Durch die Einführung des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes ſind die über die Militairgerichtsbarkeit beſtehenden Rechtsſätze unbe - rührt geblieben2)Einf. Geſ. z. Gerichtsverf. Geſ. Art. 7..

2. Auf bürgerliche Rechtsſachen der Militairperſonen erſtreckt ſich die Militairgerichtsbarkeit nicht; es finden vielmehr die allgemeinen Rechtsregeln auch auf Militairperſonen Anwen - dung. Der allgemeine Gerichtsſtand derſelben beſtimmt ſich daher durch ihren Wohnſitz3)Civilprozeß-Ordn. §. 13.. Für die Frage aber, welcher Ort der Wohnſitz einer Militairperſon ſei, iſt die Unterſcheidung nach dem Rechtsgrund der Dienſtpflicht von Belang. Durch die Erfüllung der geſetzlichen Wehrpflicht wird ein Wohnſitz nicht begründet, Wehr - pflichtige behalten daher, während ſie im aktiven Dienſt ſich be - finden, denjenigen Wohnſitz, welchen ſie nach ihren bürgerlichen Lebensverhältniſſen haben. Der freiwillige (berufsmäßige) Eintritt in den Militairdienſt dagegen iſt maßgebend für die ganze Lebens - ſtellung und alle Rechtsverhältniſſe und demgemäß haben ſolche Militairperſonen in Anſehung des Gerichtsſtandes ihren WohnſitzLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 17258§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.am Garniſonorte, wofern ſie überhaupt ſelbſtſtändig einen Wohnſitz begründen konnen1)Civilproz. Ordn. §. 14. Unter welchen Vorausſetzungen Jemand befähigt iſt, ſelbſtſtändig einen Wohnſitz zu begründen, beſtimmt ſich nach den Vorſchriften des bürgerlichen Rechts.. Wenn ein Truppentheil im Deut - ſchen Reich keinen Garniſonort hat, ſo gilt in Anſehung des Ge - richtsſtandes der letzte deutſche Garniſonort des Truppentheils als Wohnort der zu dieſem Truppentheil gehörenden Militairperſonen2)Civilproz. Ordn. §. 15. Hierdurch iſt §. 39 Abſ. 3 des Milit. - Geſetzes aufgehoben. Auch dieſe Beſtimmung bezieht ſich nur auf die berufs - mäßigen Militairperſonen. Vgl. auch Fitting im Archiv f. die civil. Praxis Bd. 61 S. 404.. Der dienſtliche Aufenthalt einer Militairperſon außerhalb des Gar - niſonortes begründet keinen Gerichtsſtand für dieſelbe. In Be - treff aller Klagen, welche wegen vermögensrechtlicher Anſprüche erhoben werden, iſt für Militairperſonen, welche nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen, oder welche ſelbſtſtändig einen Wohnſitz nicht begründen können, das Gericht des Garniſonorts zuſtändig; der Garniſonort hat für dieſe Perſonen daher diejenige rechtliche Bedeutung, welche in bürgerlichen Verhältniſſen ähnlicher Art der Aufenthaltsort hat3)Civilproz. Ordn. §. 21. Mil. Geſ. §. 39 Abſ. 2. Für Klagen wegen nicht vermögensrechtlicher Anſprüche, insbeſondere für Prozeſſe, welche die Perſonenſtands-Verhältniſſe betreffen, iſt der Gerichtsſtand des §. 21 über - haupt nicht begründet und auch für vermögensrechtliche Klagen iſt er nicht der ausſchließliche, ſondern der Kläger hat die Wahl zwiſchen ihm und dem allgemeinen Gerichtsſtande des Wohnſitzes und den etwa begründeten ſpeziellen Gerichtsſtänden. Civilproz. Ordn. §. 35. Vgl. Endemann der Deutſche Civilprozeß I S. 262..

Wohl zu unterſcheiden von der Begründung des Gerichtsſtan - des iſt dagegen die Bedeutung des Wohnſitzes reſp. des Garniſon - ortes hinſichtlich der Frage, welches Recht bei Beurtheilung der Rechtsverhältniſſe in Anwendung zu bringen iſt (ſogen. Statuten - lehre). In dieſer Hinſicht hat weder die Militairgeſetzgebung noch die Juſtizgeſetzgebung des Reiches eine gemeinrechtliche Regel auf - geſtellt; es kommen daher die Vorſchriften der Landesgeſetze zur Anwendung4)Für das Preuß. R. vgl. das Urth. des R. Oberhandelsgerichts v. 10. Okt. 1873 Entſcheidungen Bd. XI S. 178 fg. In dieſer Beziehung iſt insbeſondere zu erwähnen, daß für die Oberoffiziere ſowie für die Militairbeamten von. In einer großen Anzahl von Militair-Konventionen259§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.iſt übereinſtimmend der Grundſatz anerkannt worden, daß die per - ſönlichen Verhältniſſe der Militairperſonen durch Verlegung ihres Domicils nicht verändert werden1)Vgl. hierzu das Urth. des Reichsoberhandelsger. v. 20. Januar 1877 Entſchdg. Bd. XXII S. 330 ff. und daß ihr eheliches Güterrecht, die Erbfolge in ihre Verlaſſenſchaft und die Bevormundung ihrer Hinterbliebenen ſich nach den Rechtsnormen ihrer Heimath richtet2)Vgl. Milit. Konvent. mit Heſſen Art. 15 Abſ. 1, mit beiden Meck - lenburg v. 1872 Art. 8. Baden Art. 15 Abſ. 1 u. 2. Oldenburg Art. 18 Abſ. 1. Waldeck Art. 5 Abſ. 3. Lübeck Art. 5 Abſ. 3 und Art. 17 Abſ. 2. Hamburg Art. 10. 27 Abſ. 2. Bremen Art. 8. 35 Abſ. 2. Dagegen enthalten einige andere Konventionen nur die Erklärung, daß die in den betreffenden Staaten garniſonirenden Militairperſonen den dortigen Landesgeſetzen und Rechtsnormen unterworfen ſind. So die Konvent. mit den Thüringiſchen Staaten 14. Anhalt 14. Schwarzburg - Sondersh. 12. Schaumburg-Lippe 11. Lippe-Detmold 12. Auch in den Verhandlungen des Reichstages über das Militair-Geſetz iſt anerkannt worden, daß die Beurtheilung der Statusverhältniſſe ſich nach dem Recht der Heimath regelt. Stenogr. Berichte 1874 S. 877 fg..

Auch hinſichtlich des Bürgerlichen Prozeßverfahrens (ausgenommen die Zwangsvollſtreckung) beſtehen für Militairper - ſonen keine abweichenden Vorſchriften, mit der alleinigen Ausnahme, daß die Zuſtellungen für einen Unteroffizier oder einen Ge - meinen des aktiven Heeres oder der aktiven Marine an den Chef der zunächſt vorgeſetzten Kommandobehörde (der Kompagnie, Schwa - dron, Batterie u. ſ. w.) erfolgen müſſen, und daß Zuſtellun - gen an Perſonen, welche zu einem im Auslande befindlichen oder zu einem mobilen Truppentheile oder zur Beſatzung eines in Dienſt geſtellten Kriegsfahrzeuges gehören, mittelſt Erſuchens der vorge - ſetzten Kommandobehörde erfolgen können3)Civilproz. Ordn. §. 158. 184. Die Anordnung des §. 158 beruht auf der ähnlichen Vorſchrift des §. 54 des Anhangs zur Preuß. Allgem. Gerichts - Ordn. I Tit. 7 §. 19..

Zu erwähnen iſt ferner, daß zu denjenigen Fällen, in denen die Ausſetzung des Prozeßverfahrens ſtatthaft iſt, auch der gehört,4)Offiziersrang des Bayeriſchen Heeres ohne Rückſicht auf ihre Garniſon be - züglich aller nach den Geſetzen des Wohnſitzes zu entſcheidenden Rechtsverhält - niſſen das Bayeriſche Landrecht als geltendes Recht erklärt iſt. Verordn. v. 16. Juni 1816. Roth Bayr. Civilr. I S. 198.17*260§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.daß eine Partei zu Kriegszeiten im Militairdienſte ſich befindet1)Civilproz. Ordn. §. 224..

3. Das Militairdienſtverhältniß bildet das Motiv für eine be - deutende Anzahl von Sonderbeſtimmungen hinſichtlich der Zwangs - vollſtreckung. Dieſe Beſtimmungen finden nicht nur auf die gerichtliche, ſondern auch auf jede andere Art von Zwangsvoll - ſtreckungen, insbeſondere auf die von Verwaltungsbehörden auszu - führenden, Anwendung, und da ſie nicht im perſönlichen Intereſſe des Schuldners, ſondern im Intereſſe des militairiſchen Dienſtes getroffen ſind, ſo haben ſie den Charakter des jus cogens und können durch Einwilligung des Schuldners nicht aufgehoben wer - den2)Militairgeſetz §. 45 Abſ. 1.. Für alle Arten von Exekutionen beſteht der Grundſatz, daß ſie gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Ma - rine angehörende Militairperſon erſt beginnen dürfen, nachdem die vorgeſetzte Militairbehörde davon Anzeige erhalten hat3)Civilproz. Ordn. §. 673 Abſ. 1. Die Militairbehörde iſt geſetzlich ver - pflichtet, dem Gläubiger auf Verlangen den Empfang der Anzeige zu be - ſcheinigen. eod. Abſ. 2., und daß die Zwangsvollſtreckung gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Perſon des Soldatenſtandes4)Auf Militair - und Marine-Beamte findet dieſe Vorſchrift demnach keine Anwendung. Auch hierin folgt die Civilproz. Ordn. dem früheren Preuß. Recht. Vgl. Kab. Ordre v. 4. Januar 1833 bei v. Helldorff Th. IV Abth. 5 S. 7 fg. in Ka - ſernen und andern militairiſchen Dienſtgebäuden, ſowie auf Kriegsfahrzeugen in der Art erfolgen muß, daß das Voll - ſtreckungsgericht die zuſtändige Militairbehörde um die Zwangs - vollſtreckung erſucht5)Civilproz. Ordn. §. 699. Für die Mitwirkung des Gerichts werden in dieſem Falle Gebühren nicht erhoben. Gerichtskoſten-Geſetz v. 18. Juni 1878 §. 47 Ziff. 13..

Der Pfändung ſind nicht unterworfen:

a) Der Sold und die Invalidenpenſion der Unteroffiziere und der Soldaten6)Civilproz. O. §. 749 Ziff. 5.; das Dienſteinkommen der Militairperſonen, welche zu einem mobilen Truppentheile oder zur Beſatzung eines in Dienſt261§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.geſtellten Kriegsfahrzeuges gehören1)ebendaſ. 749 Z. 6.; ferner das Dienſteinkommen der Offiziere, Militairärzte, Deckoffiziere, Beamten, ſowie die Pen - ſion dieſer Perſonen nach deren Verſetzung in einſtweiligen oder dauernden Ruheſtand und der nach ihrem Tode den Hinterbliebe - nen zu gewährende Sterbe - oder Gnadengehalt2)a. a. O. Ziff. 8.. Ueberſteigen in den zuletzt erwähnten Fällen (§ 749 Ziff. 8) das Dienſtein - kommen, die Penſion oder die ſonſtigen Bezüge die Summe von 1500 Mark für das Jahr, ſo iſt der dritte Theil des Mehrbe - trages der Pfändung unterworfen3)Dieſe Beſchränkung findet indeß keine Anwendung bei Alimentenforde - rungen der Ehefrau und der ehel. Kinder. a. a. O. §. 749 Abſ. 3.; jedoch ſind die Einkünfte, welche zur Beſtreitung eines Dienſtaufwandes beſtimmt ſind4)Dahin gehören z. B. die Tafelgelder der Generale ꝛc., Equipirungs - und Mobilmachungsgelder u. dgl. Vgl. §. 167 des Anhangs zur Preuß. Allgem. Ger. Ordn. I Tit. 24 (zu §. 108). und der Servis der Offiziere, Militairärzte und Militairbeamten weder der Pfändung unterworfen noch bei der Ermittelung, ob und zu welchem Betrage ein Dienſteinkommen der Pfändung unterliege, zu berechnen5)a. a. O. §. 749 Abſ. 2 und Abſ. 4..

b) Von der Pfändung ſind ferner ausgenommen bei Offi - zieren, Aerzte, Deckoffizieren und Beamten die zur Ausübung des Berufs erforderlichen Gegenſtände mit Einſchluß anſtändiger Klei - dung; ſowie ein Geldbetrag, welcher dem der Pfändung nicht un - terworfenen Theile des Dienſteinkommens oder der Penſion für die Zeit von der Pfändung bis zum nächſten Termine der Gehalts - oder Penſionszahlung gleichkommt6)a. a. O. §. 715 Ziff. 6 und 7..

c) Die Haft (zur Erzwingung der Ableiſtung des Offenbarungs - eides) iſt unſtatthaft gegen Militairperſonen, welche zu einem mo - bilen Truppentheile oder zur Beſatzung eines in Dienſt geſtell - ten Kriegsfahrzeuges gehören7)ebenda §. 785 Ziff. 2., und demgemäß wird die Haft gegen Militairperſonen unterbrochen, wenn dieſelben zu einem mo - bilen Truppentheile oder auf ein in Dienſt geſtelltes Kriegsfahr - zeug einberufen werden, für die Dauer dieſer Verhältniſſe8)a. a. O. §. 786 Ziff. 2.. Die262§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.Vollſtreckung der Haft gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militairperſon erfolgt durch die vor - geſetzte Militairbehörde auf Erſuchen des Gerichts1)a. a. O. §. 793. Auch in dieſem Falle werden für die Mitwirkung des Gerichts keine Koſten erhoben. Gerichtskoſtengeſetz §. 47 Ziff. 13..

d) Dieſelben Vorſchriften gelten für die Vollziehung des per - ſönlichen Sicherheitsarreſtes, wenn ſie durch Haft erfolgt2)a. a. O. §. 812..

II. Ausſchluß von öffentlichen Rechten und Pflichten.

1. Wahlrecht. Für die zum aktiven Heere und zur Ma - rine gehörigen Perſonen des Soldatenſtandes ruht die Berechtigung zum Wählen ſowohl in Betreff der Reichsvertretung als in Betreff der einzelnen Landesvertretungen3)Milit. Geſ. §. 49 Abſ. 1. Uebereinſtimmend Wahlgeſetz v. 31. Mai 1869 §. 2. Vgl. oben Bd. I S. 525. Das Wahlgeſetz erwähnt ausdrücklich auch die zur Marine gehörenden Perſonen des Soldatenſtandes..

2. Vereinsrecht. Den zum aktiven Heere gehörigen Militairperſonen (alſo auch den Militairbeamten) iſt die Theil - nahme an politiſchen Vereinen und Verſammlungen unter - ſagt4)Milit. Geſ. §. 49 Abſ. 2. Daraus, daß ſich dieſes Verbot auf die Per - ſonen des Beurlaubtenſtandes nicht erſtreckt, folgt, daß dieſelben wegen einer Theilnahme an polit. Vereinen und Verſammlungen weder militairgerichtlich noch disciplinariſch verfolgt werden können; ein ehrengerichtliches Ver - fahren gegen Offiziere des Beurlaubtenſtandes wegen ihres Verhaltens in poli - tiſchen Vereinen und Verſammlungen iſt jedoch keineswegs ausgeſchloſſen. Un - berührt von der Vorſchrift des §. 49 bleiben ferner die Beſtimmungen in §. 101 und §. 113 des Militair-Strafgeſetzbuchs über die Verſammlungen von Perſonen des Soldatenſtandes behufs Berathung über militairiſche Angelegen - heiten, Einrichtungen u. ſ. w..

3. Gewerbefreiheit. Die Militairperſonen des Frie - densſtandes (alſo nicht die zum Dienſt einberufenen Perſonen des Beurlaubtenſtandes) bedürfen zum Betriebe eines Gewerbes für ſich und für die in Dienſtgebäuden bei ihnen wohnenden Mitglie - der ihres Hausſtandes der Erlaubniß ihrer Vorgeſetzten, ſofern nicht das Gewerbe mit der Bewirthſchaftung eines ihnen gehörigen ländlichen Grundſtücks verbunden iſt5)Mil. Geſ. §. 43. Zu bemerken iſt hierbei, daß das Militairgeſetz keine. Auf die Militairbeamten263§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.und auf die Civilbeamten der Militair - und Marine-Verwaltung finden außerdem die Vorſchriften des § 16 des Reichsbeamten - Geſetzes Anwendung1)Siehe oben Bd. I S. 431. 432.. Die Perſonen des Beurlaubtenſtandes ſind von dieſen Beſchränkungen ausdrücklich ausgenommen2)Wehrgeſ. §. 15. Mil. Geſ. §. 61..

4. Gerichtsdienſte. Die dem activen Heere angehören - den Militairperſonen werden weder zu dem Amte eines Schöffen noch zu dem eines Geſchworenen berufen3)Gerichtsverf. Geſ. §. 34 Ziff. 9. §. 85 Abſ. 2. Dieſe Beſtimmungen finden auch auf Offiziere z. D. Anwendung. Die Preuß. V. vom 3. Januar 1849 §. 63 Ziff. 4 befreite vom Geſchworenendienſt die im aktiven Dienſt befindlichen Militairperſonen. Demgemäß nahm das Kriegsminiſt. -Reſcr. v. 4. Aug. 1861 (v. Helldorff Th. IV Abth. 5 S. 21) mit Recht an, das die z. Dispoſ. geſtellten Offiziere, da ſich dieſelben nicht im aktiven Dienſt befinden, zum Geſchworenendienſt verpflichtet ſind. Das Reichsgeſetz befreit von dem - ſelben aber alle dem aktiven Heere angehörenden Militairperſonen, und dieſe Beſtimmung umfaßt die z. Dispoſition geſtellten (alſo nicht verab - ſchiedeten oder zum Beurlaubtenſtande verſetzten) Offiziere mit. Vgl. oben S. 232..

5. Vormundſchaften. Die Militairperſonen des Frie - densſtandes und die Civilbeamten der Militairverwaltung ſind von der geſetzlichen Verpflichtung zur Uebernahme von Vormundſchaf - ten befreit. Wenn ſie freiwillig Vormundſchaften übernehmen wol - len, ſo müſſen ſie die Genehmigung ihrer Vorgeſetzten einholen4)Mil. Geſ. §. 41. Vgl. hierzu die Kab. Ordre v. 8. Aug. 1876, welche anordnet, daß dieſe Genehmigung Seitens derjenigen Generale und Stabs - offiziere, welche ſich in einer Immediatſtellung befinden, bei dem Könige un - mittelbar nachgeſucht, dagegen Seitens der übrigen Generale und Stabsoffiziere, ebenſo wie von allen anderen Militairperſonen bei der zunächſt vorgeſetzten Militairbehörde beantragt und geeigneten Falls ertheilt werden ſoll. Die Geltung dieſer Kab. Ordre iſt auf die Marine ausgedehnt worden durch Verf. v. 30. September 1876 (Marine-V. Bl. S. 172.).

6. Verwaltungsdienſte in Kommunal - und Kir - chenämtern. Eine Befreiung der Militairperſonen des aktiven Heeres von der Uebernahme dieſer Aemter iſt reichsgeſetzlich nicht anerkannt; es kommen in dieſer Beziehung daher die landesgeſetz -5)Ausnahme hinſichtlich der Mitglieder des Sanitäts-Korps und der Roßärzte macht; für die Ausübung der Civilpraxis bedürfen dieſelben daher dem Geſetze nach ebenfalls der Genehmigung ihrer Vorgeſetzten. Das Gleiche gilt von Militair-Muſikern, welche gewerbemäßig Muſik machen.264§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.lichen Vorſchriften zur Anwendung. Durch die letzteren ſind Mi - litairperſonen des aktiven Dienſtſtandes regelmäßig entweder von der Berufung zu ſolchen Aemtern ganz ausgeſchloſſen oder von der Verpflichtung zu deren Führung befreit. Inſoweit ſolche Aemter Militairperſonen der erwähnten Art übertragen werden können, bedürfen die letzteren zur Annahme derſelben der Genehmigung ihrer Dienſtvorgeſetzten1)Mil. Geſ. §. 47..

7. Steuerpflicht. Die Beſteuerung der Militairperſonen richtet ſich nach den Landesgeſetzen; eine doppelte Beſteuerung der - ſelben in verſchiedenen Staaten iſt durch das Reichsgeſetz v. 13. Mai 1870 ausgeſchloſſen2)B. G.Bl. 1870 S. 119. Das Geſetz iſt im ganzen Reichsgebiet einge - führt worden; in Baden, Südheſſen und Württemberg durch die Verfaſſungs - bündniſſe, in Bayern durch das Reichsgeſ. vom 22. April 1871 §. 2. II, in Elſ. -Lothringen durch das Reichsgeſetz v. 14. Jan. 1872.. Nach § 4 dieſes Geſetzes dürfen Ge - halt, Penſion und Wartegeld, welche Militairperſonen und Civil - beamte, ſowie deren Hinterbliebene aus der Kaſſe eines Bundes - ſtaates beziehen nur in demjenigen Staate beſteuert werden, wel - cher die Zahlung zu leiſten hat. Da aber die geſammten Koſten des Heeres und der Marine von der Reichskaſſe beſtritten werden, ſo iſt dieſe Vorſchrift im Allgemeinen unanwendbar3)Ausgenommen ſind diejenigen Offiziere à la suite, Adjutanten, Stadt - Kommandanten ꝛc., welche die Bundesfürſten ernennen und auf eigene Koſten oder aus Landesmitteln beſolden. Vgl. Mil. Konv. mit Heſſen Art. 9 Abſ. 1. Mecklenburg Art. 12 und von 1872 Art. 11. Baden Art. 6 Abſ. 1. Oldenburg Art. 6 Abſ. 1. Thüring. Staaten von 1867 Art. 11 (1873 Art. 11). Anhalt Art. 11. Schwarzburg-Sondersh. von 1867 Art. 8 (1873 Art. 9). Lippe von 1867 Art. 8 (1873 Art. 9). Schaumburg Art. 8. Waldeck Art. 6.. Es kommt daher der im § 2 Abſ. 3 ausgeſprochene Grundſatz zur Anwen - dung, daß die in Reichs - oder Staatsdienſten ſtehenden Deutſche nur in demjenigen Bundesſtaate beſteuert werden, in welchem ſie ihren dienſtlichen Wohnſitz haben, d. i. für Militairperſonen ihr Garniſonort4)Eine Abkommandirung nach einem andern Orte, die länger als 6 Monate dauert, iſt jedoch einer Verſetzung gleich zu achten. Vgl. Reſcr. des Preuß. Finanz-Miniſters v. 4. März 1877 §. 8. (v. Helldorff IV Abth. 5 S. 40.).

Im Uebrigen gelten für Militairperſonen folgende Steuer - Privilegien:

265§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.

a) Hinſichtlich der Staatsſteuern. Das Militaireinkom - men der Perſonen des Unteroffizier - und Gemeinenſtandes, ſowie für den Fall einer Mobilmachung das Militaireinkommen aller An - gehörigen des aktiven Heeres iſt bei der Veranlagung bezw. Er - hebung von Staatsſteuern außer Betracht zu laſſen1)Mil. Geſ. §. 46 Abſ. 2. Auch die Militair-Konventionen enthielten be - reits durchweg die Beſtimmung, daß das Dienſteinkommen der Militairperſonen unter Offizierrang überhaupt nicht, weder zu Staats - noch zu Gemeindezwecken beſteuert werden darf.. Für die Beſteuerung des Militaireinkommens der Offiziere und der andern im Offiziersrang ſtehenden Militairperſonen, ſowie für die Be - ſteuerung des aus andern Quellen herfließenden Einkommens ſämmt - licher Militairperſonen enthält die Reichsgeſetzgebung keine Vor - ſchrift2)Gegenwärtig beſteht in dieſer Hinſicht eine ſehr große Mannigfaltigkeit der ſteuergeſetzlichen Anordnungen. Eine Zuſammenſtellung einiger der wich - tigſten Partikulargeſetze hierüber findet ſich in den Motiven zum Mil. Geſetz S. 44. (Druckſachen des Reichstags I Seſſ. 1874 Nro. 9.); ebenſo iſt die Feſtſtellung eines angemeſſenen Steuer - nachlaſſes für die Unteroffiziere und Gemeinen des Beurlaubten - ſtandes und deren Famlilien für die Monate, in welchen jene ſich im aktiven Dienſt befinden, der Landesgeſetzgebung überlaſſen3)Dieſe Beſtimmung des Mil. Geſ. §. 46 findet ſich bereits wörtlich in ſämmtlichen Militair-Konventionen, welche im Jahre 1873 geſchloſſen worden ſind. Für Preußen vgl. das Geſetz über die Klaſſen - und Einkommenſteuer v. 25. Mai 1873 Art. I §. 5 und Art. II. (Geſ. S. 213.).

b) Hinſichtlich der Kommunalſteuern enthält zwar weder das Reichsmilitairgeſetz noch ein anderes Reichsgeſetz eine Anord - nung4)Der von der Regierung vorgelegte Entwurf des Militairgeſetzes ver - ſuchte zwar die Freiheit der Militairperſonen von den Kommunalſteuern zur formellen Anerkennung zu bringen, der Reichstag verweigerte aber ſeine Zu - ſtimmung. Stenogr. Ber. 1874 S. 886 ff. 890 ff., deſſen ungeachtet beſteht aber in dem größten Theile des deutſchen Bundesgebietes eine gleichmäßige weitreichende Befreiung der Militairperſonen von den Gemeinde -, Kreis - und andern Kom - munalſteuern. Auf Grund des Art. 61 der Verf. des Nordd. Bundes, welcher die ungeſäumte Einführung der geſammten Preu - ßiſchen Militairgeſetzgebung im ganzen Bundesgebiete vorſchreibt, wurden nämlich durch Verordnung des Bundes-Präſidiums vom 22. Dezemb. 1868 die in Preußen geltenden Vorſchriften über die Heranziehung der Militairperſonen zu Kommunalauflagen im gan -266§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.zen Gebiet des Norddeutſchen Bundes, ſoweit ſie in demſelben noch nicht Geltung hatten, eingeführt1)B. G.Bl. 1868 S. 571. Vgl. hierzu oben S. 20 fg.. Die Rechtsgültigkeit dieſer Verordnung wurde zwar ſofort und von vielen Seiten beſtritten2)Insbeſondere auch im Reichstage des Nordd. Bundes. Vgl. Stenogr. Berichte 1869 S. 220 ff. 1117 ff., von der Bundesregierung aber aufrecht erhalten. Die Entſchei - dung der Frage hängt theoretiſch lediglich davon ab, ob man unter dem Ausdruck Militairgeſetzgebung auch die Vorſchriften über Veranlagung und Erhebung von Kommunalſteuern hinſichtlich der Militairperſonen mitbegreifen kann. Da der Ausdruck Militair - geſetzgebung eine feſt beſtimmte techniſche Bedeutung nicht hat und die Protokolle und Reichstags-Verhandlungen über den Entw. der Norddeutſchen Bundesverf. eine Erläuterung des Umfangs dieſes Begriffes nicht enthalten, ſo läßt ſich eine zweifelloſe und unbe - dingte Beantwortung dieſer Frage nicht gewinnen; nach dem Wort - ſinn und gewöhnlichen Sprachgebrauch wird man allerdings ge - neigt ſein, den Ausdruck auf die Steuergeſetzgebung nicht aus - zudehnen, wie ja auch kein Verſuch gemacht wurde, die Vorſchrif - ten des Preuß. Rechts über die Heranziehung der Militairperſonen zu den Staatsſteuern im Wege der Präſidialverordnung auf das Bundesgebiet auszudehnen. Thatſächlich iſt jedoch die Ver - ordn. v. 22. Dezemb. 1868 im Gebiet des ehemal. Nordd. Bun - des in Geltung geblieben und durch die Militair-Konventionen3)Mecklenburg v. 1868 Art. 9. (In Mecklenburg beſtand bereits geſetzlich für das Großherz. Militair Freiheit von Kommunal-Abgaben.) Ol - denburg Art. 18. Thüringen Art. 13. Anhalt Art. 13. Schwarzb. - Sondershauſen Art. 11. Lippe-Detmold Art. 11. Schaum - burg-Lippe Art. 10. Waldeck v. 24. Nov. 1877 Art. 10. Lübeck Art. 5 Abſ. 4. Hamburg §. 10. Bremen §. 8. In allen dieſen Kon - ventionen iſt übrigens die Steuerbefreiung nur denjenigen Militairperſonen zugeſichert, welche nicht Unterthanen des betreffenden Staates ſind. iſt ihr dieſe Geltung bis zu einer Regelung im Wege der Reichs - geſetzgebung auch rechtlich geſichert worden; auf Grund der Mili - tairkonventionen iſt außerdem im ganzen Gebiet des Großherz. Heſſen und in Baden die Freiheit der Militairperſonen von Kom - munalſteuern in demſelben Umfange, in dem dieſelbe in Preußen beſteht, geſetzlich anerkannt worden4)Dieſe Konventionen ſind von den Ständen der beiden Großherzog -.

267§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.

In Bayern, Württemberg und Elſaß-Lothrin - gen iſt dagegen das Preuß. Recht nicht zur Einführung gelangt.

Nach den Vorſchriften des Preuß. Rechts ſind die ſervis - berechtigten Militairperſonen des aktiven Dienſtſtandes, ſowohl hinſichtlich ihres dienſtlichen als ſonſtigen Einkommens, voll - ſtändig befreit von allen direkten Kommunalauflagen, ſowohl der einzelnen Stadt - und Landgemeinden, als der weiteren kom - munalen Körperſchaften und der Kreis -, Kommunal - und Provin - zialverbände. Ausgenommen ſind die auf den Grundbeſitz oder das ſtehende Gewerbe oder auf das aus dieſen Quellen fließende Ein - kommen gelegten Kommunallaſten, zu dem die Militairperſo - nen herangezogen werden können, falls ſie in dem Kommunal - bezirk Grundbeſitz haben oder ein ſtehendes Gewerbe betreiben1)Sachlich übereinſtimmend beſtimmt die Badiſche Mil. Konv. Art. 15, daß die Offiziere ꝛc. von Kommunal-Abgaben befreit ſind, ſoweit dieſe nicht von Grund -, Häuſer -, Gefäll - und Gewerbeſteuerkapitalien entrichtet werden.. Demgemäß erſtreckt ſich die Steuer-Befreiung nicht auf das Ein - kommen der Militairärzte aus einer Civilpraxis. Die mit Ruhe - gehalt oder mit Penſion zur Dispoſition geſtellten Offiziere ſind von allen direkten Kommunalauflagen befreit hinſichtlich ihrer Ge - halts - und ſonſtigen dienſtlichen Bezüge; die verabſchiedeten Be - amten und Militairperſonen hinſichtlich ihrer aus Staatsfonds oder ſonſtigen öffentlichen Kaſſen zahlbaren Penſionen und laufen - den Unterſtützungsbezüge2)Dieſe Beſtimmungen beruhen in Preußen auf folgenden Geſetzen: Für die älteren Landestheile auf dem Geſetz v. 11. Juli 1822 (Geſ. Samml. S. 184); für Frankf. a. M. auf dem Gemeindeverfaſſungs-Geſ. v. 25. März 1867 §. 11 (Geſ. Samml. S. 403); für die übrigen im Jahre 1866 erworbenen Landes - theile auf der V. v. 23. Septemb. 1867 (Geſ. Samml. S. 1648). Die letztere iſt abgedruckt mit der V. v. 22. Dez. 1868 im Bundesgeſetzbl. 1868 S. 572. Die Vorſchriften dieſer Geſetze ſind aufrecht erhalten worden durch die Kreis - ordnung v. 13. Dezember 1872 §. 6 und §. 18 und durch die Provinzialord - nung vom 29. Juni 1875 (Geſ. S. S. 335) §. 5. 107. Ein Erkenntn. des Badiſchen Verwaltungsgerichtshofes v. 25. Okt. 1879 führt aus, daß in Baden die penſionirten Offiziere ꝛc. von den Gemeindeſteuern nicht befreit ſind..

c) Gleichmäßig für Staatsſteuern und Kommunal - Abgaben beſteht die reichsgeſetzliche Vorſchrift, daß diejenigen Begünſtigungen, welche nach der Geſetzgebung der einzelnen Bun -4)thümer genehmigt und ordnungsmäßig verkündigt worden. Heſſiſche Konv. v. 13. Juni 1871 Art. 15 Abſ. 3. Badiſche Konv. Art. 15 Abſ. 3.268§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.desſtaaten den Hinterbliebenen von Staatsbeamten hinſichtlich der Beſteuerung der aus Staatsfonds oder aus öffentlichen Verſor - gungskaſſen denſelben gewährten Penſionen, Unterſtützungen oder ſonſtigen Zuwendungen zuſtehen, auch zu Gunſten der Hinter - bliebenen von Militairperſonen hinſichtlich der denſelben aus Reichs - oder Staatsfonds oder aus öffentlichen Verſorgungs - kaſſen zufließenden gleichartigen Bezüge Anwendung finden1)Mil. Geſ. §. 48. Eine gleichlautende Beſtimmung enthält das Reichs - beamtengeſetz §. 19 Abſ. 2. (R. G.Bl. 1873 S. 64.).

8) Endlich ſind hier die Portovergünſtigungen zu er - wähnen, welche den Perſonen des Militairſtandes und der Kriegs - marine bewilligt ſind2)Vgl. oben Bd. II S. 342..

III. Beſondere Vorſchriften hinſichtlich der Rechtsgeſchäfte.

1. Eheſchließung. Die Militairperſonen des Friedens - ſtandes bedürfen zu ihrer Verheirathung der Genehmigung ihres Vorgeſetzten3)Mil. Geſ. §. 40.. Daſſelbe gilt von den vorläufig in die Heimath beurlaubten Rekruten und Freiwilligen4)Mil. Geſ. §. 60 Z. 4. Die Genehmigung wird dieſen Perſonen vom Landwehr-Bezirks-Kommandeur ertheilt. Wehr-Ordn. I §. 79 Ziff. 3 Abſ. 2.. Dagegen ſind die übri - gen Perſonen des Beurlaubtenſtandes rückſichtlich ihrer Verhei - rathung einer geſetzlichen Beſchränkung nicht unterworfen5)Wehrgeſ. §. 15. Mil. Geſ. 61. Ebenſowenig die Offiziere zur Dispoſ. Kab. Ordre v. 26. Aug. 1871. (A. V.Bl. S. 265 und Marine-V. Bl. S. 115.). Dieſe Vorſchriften ſind aufrecht erhalten im Reichsgeſ. v. 6. Februar 1875 über die Eheſchließung § 38. Offiziere haben die Ertheilung der Genehmigung ſowohl in der Preußiſchen, wie in der Bayer. Württembergiſchen und Sächſ. Armee bei ihrem Könige nachzu - ſuchen6)Vgl. f. Preußen Allgem. Landr. II, 1 §. 34 und hinſichtlich der Aerzte die V. v. 6. Febr. 1873 §. 38 fg.. Nach den gegenwärtig in Preußen geltenden Anordnun - gen darf die Genehmigung zur Verheirathung eines Offiziers vom Hauptmann oder Rittmeiſter II. Kl. abwärts nur dann nachgeſucht werden, wenn der Nachweis geführt iſt, daß der Offizier neben ſeiner Beſoldung ein Einkommen von 250 Thlr.; 450 Thlr. reſp. 600 Thlr. jährlich hat7)Die Grundlage bildet die Kabinets-Ordre v. 1. Sept. 1798. Auf ihr. Außerdem müſſen alle aktiven und z. 269§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.D. geſtellten Offiziere eine Wittwen-Penſion verſichern1)V. v. 31. Oktober 1868 und v. 13. Juni 1873 (bei v. Helldorff a. a. O. S. 286 fg.).. Unter - offiziere und Soldaten haben den Eheconſens durch ihren Kom - pagnie-Chef bei dem Regiments-Kommandeur nachzuſuchen2)Preuß. Allg. Landr. II, 1 §. 35.; die allgemeinen Bedingungen ſind unbeſcholtener Lebenswandel der Braut, die Nachweiſung der Mittel zur erſten häuslichen Einrich - tung und Deponirung eines Kapitals von 100 Thlrn. in die Kaſſe des Truppentheils3)Kab. Ordre v. 23. Okt. 1826, 11. Nov. 1837, Miniſt. Reſcr. v. 30. Juni 1873. Sämmtlich bei v. Helldorff a. a. O. S. 290 ff. Für Bayern vgl. die Verordn. v. 14. Dezemb. 1872 §. 1. 12. 13. (Bayer. Mil. V. Bl. S. 532 fg.).

Wenn Militairperſonen eine Ehe eingehen, ohne die erforder - liche Genehmigung erhalten zu haben, ſo iſt der Mangel der Ge - nehmigung auf die Rechtsgültigkeit der geſchloſſenen Ehe ohne Ein - fluß4)Reichsgeſ. v. 6. Febr. 1875 §. 38.; die Militairperſon begeht aber eine Pflichtwidrigkeit. An Perſonen des Soldatenſtandes iſt dieſelbe gemäß dem Milit. Straf - geſetzb. § 150 mit Feſtungshaft bis zu 3 Monaten zu beſtrafen; zugleich kann auf Dienſtentlaſſung erkannt werden. Auf Militair - beamte und auf die vorläufig in die Heimath beurlaubten Rekru - ten und Freiwilligen erſtreckt ſich dieſer Paragraph nicht; dieſelben können daher nur im Disciplinarwege beſtraft werden5)Auch §. 113 des M.St. G.B. iſt unanwendbar, da man die Eheſchließung ohne erlangte Genehmigung nicht als Widerſetzung gegen einen rechtmäßigen Befehl in dienſtlichen Angelegenheiten anſehen kann. Die entgegengeſetzte Anſicht findet ſich in: Die Militairgeſetze des Deutſchen Reichs II. 51..

2. Rechtsgeſchäfte des Vermögensverkehrs. Die in den Landesgeſetzen enthaltenen ſingulären Vorſchriften für ver - mögensrechtliche Geſchäfte der Militairperſonen hat das Reichs - Militairgeſetz im Allgemeinen unberührt gelaſſen; denn es enthält weder eine ausdrückliche Aufhebung derſelben noch eine Andeutung, daß es das Sonderrecht der Militairperſonen hinſichtlich der pri - vatrechtlichen Verhältniſſe in vollſtändiger und ausſchließender Weiſe normiren will6)Vgl. Mandry civilr. Inhalt der Reichsgeſ. S. 65.. In Kraft geblieben ſind daher insbeſondere die7)beruhen die jetzt geltenden Vorſchriften der Kab. Ordre v. 14. März 1850 und 22. Juni 1852. Vgl. v. Helldorff a. a. O. S. 285 fg.270§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.Vorſchriften des Preußiſchen Rechts über die Darlehensverträge der Militairperſonen1)Allg. Landr. I, 11 §. 678 ff. 700. Vgl. dazu Dernburg Lehrb. des Preuß. Privatr. II S. 436., über die Aufhebung von Miethsverträgen bei Verſetzungen und beim Ausrücken der Truppen in’s Feld2)Allg. Landr. I, 21 §. 376. 378. Die Aufnahme dieſer Beſtimmungen in das Reichsgeſetz hat der Reichstag abgelehnt. Vgl. Mandry a. a. O. S. 66., über die Verjährung gegen Militairperſonen, welche des Krieges wegen ihre Garniſon verlaſſen müſſen3)Allg. Landr. I, 9 §. 522..

Aufgehoben ſind jedoch die landesgeſetzlich für einzelne Klaſſen von Militairperſonen beſtehenden Beſchränkungen hinſichtlich der Erwerbung, Veräußerung und Belaſtung von Grundſtücken4)Mil. Geſ. §. 42. Nach den Motiven (zu §. 35 des Entwurfs) ſollte dadurch eine überlebte Spezialität des Preuß. Militairrechts, Allg. Ldr. II, 10 §§. 27 ff. , beſeitigt werden; es ſind ferner aufgehoben die Beſtimmungen des Röm. Rechts, welche ähnliche Beſchränkungen enthalten, ſoferne dieſelben überhaupt noch partikularrechtlich in Geltung geweſen ſind. Vgl. Mandry a. a. O. S. 65. 66.. Außerdem iſt hier zu erwähnen, daß die Militairperſonen den An - ſpruch auf Zahlung von Dienſt-Einkünften, Wartegeldern oder Pen - ſionen mit rechtlicher Wirkung nur inſoweit abtreten, verpfänden oder ſonſt übertragen können, als eine Beſchlagnahme im Falle einer Zwangsvollſtreckung zuläſſig geweſen wäre5)Dieſer Umfang beſtimmt ſich jetzt durch die Vorſchriften der Civilpro - zeß-Ordnung. Siehe oben S. 260 ff.. Die Benachrichti - gung an die auszahlende Kaſſe geſchieht durch eine der Kaſſe aus - zuhändigende öffentliche Urkunde6)Mil. Geſ. §. 45 Abſ. 2..

3. Verfügungen von Todeswegen. Alle Vor - ſchriften der Partikularrechte mit Einſchluß des römiſchen Rechts über Soldaten-Teſtamente und über andere erbrechtliche Privi - legien der Militairperſonen ſind ausnahmslos und im vollen Umfang aufgehoben und durch die Vorſchriften des § 44 des Mi - lit. Geſetzes erſetzt worden7)Vgl. Mandry a. a. O. S. 418 und Seydel in Hirth’s Annalen 1875 Sp. 1485. Die zahlreichen Verſchiedenheiten der Deutſchen Partikular - rechte hinſichtlich des materiellen Teſtaments-Erbrechts ſind ſelbſtverſtänd - lich unberührt geblieben; nur die Privilegien der Soldaten ſind beſeitigt. Eine Abhülfe der hieraus möglicher Weiſe entſtehenden Uebelſtände kann erſt das Reichscivilgeſetzbuch bringen.. Die in dieſem Geſetz ſanctionirten271§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.Rechtsregeln haben aber keinen inneren Zuſammenhang mit dem militairiſchen Dienſtverhältniß. Denn ſie gewähren die Befug - niß, unter beſonders erleichterten Formen letztwillige Verordnungen zu errichten, den Militairperſonen und Civilbeamten der Militair - verwaltung nur in Kriegszeiten oder während eines Belagerungs - zuſtandes und nur von dem Zeitpunkte an, wo ſie ihre Stand - quartiere oder bisherigen Wohnorte im Dienſte verlaſſen oder in denſelben angegriffen oder belagert werden; unter den gleichen Verhältniſſen ſteht dieſelbe Befugniß aber allen Perſonen zu, welche nach §§. 155 158 des Milit. Strafgeſetzb. den Militairgeſetzen unterworfen ſind, ſowie den Kriegsgefangenen und Geißeln, ſo lange ſie ſich in der Gewalt des Feindes befinden; endlich ver - lieren privilegierte militairiſche letzwill. Verfügungen ihre Gültig - keit mit dem Ablauf eines Jahres von dem Tage ab, an welchem der Truppentheil, zu dem der Teſtator gehört, demobil gemacht iſt, oder der Teſtator aufgehört hat zu dem mobilen Truppentheil zu gehören oder als Kriegsgefangener oder Geißel aus der Ge - walt des Feindes entlaſſen iſt1)Der Lauf der einjährigen Friſt wird jedoch ſuſpendirt durch anhal - tende Unfähigkeit des Teſtators zur Errichtung einer anderweiten letztwilligen Verordnung. §. 44 cit. Ziff. 5 Abſ. 2.. Die Formen, unter denen unter den angegebenen Vorausſetzungen letztwillige Verfügungen errichtet werden können, ſind entweder eigenhändige Niederſchrift und Unter - ſchrift durch den Teſtator oder Unterzeichnung der Willenserklärung durch den Teſtator und durch zwei Zeugen oder ſtatt der letzteren durch einen Auditeur oder Offizier, oder endlich mündliche Erklä - rung des letzten Willens zu Protokoll, welches von einem Audi - teur oder Offizier unter Zuziehung zweier Zeugen oder noch eines Auditeurs oder Offiziers aufgenommen, dem Teſtator vorgeleſen und von dem Auditeur oder Offizier und den Zeugen unterſchrie - ben iſt2)Eine ſorgfältige und eingehende Erläuterung des §. 44, auf welche hier der Kürze wegen verwieſen wird, findet ſich bei Mandry a. a. S. 418 bis 425. Vgl. auch Roth Bayr. Civilr. III §. 304 S. 278 fg..

4. Verrichtungen der Standesbeamten. Im An - ſchluß an die Vorſchriften über die Errichtung letztwilliger Ver - fügungen ſind die beſonderen Regeln über die Beurkundung des Perſonenſtandes von Militairperſonen zu er -272§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.wähnen. Das Reichsgeſetz über die Beurkundung des Perſonen - ſtandes und die Eheſchließung v. 6. Febr. 1875 hat im § 71 an - geordnet, daß durch Kaiſerliche Verordnung beſtimmt werden ſolle, in welcher Weiſe die Verrichtungen der Standesbeamten in Be - zug auf ſolche Militairperſonen wahrzunehmen ſind, welche ihr Standquartier nicht innerhalb des Deutſchen Reichs, oder dasſelbe nach eingetretener Mobilmachung verlaſſen haben, oder welche ſich auf den in Dienſt geſtellten Fahrzeugen der Marine befinden. Auf Grund dieſer Delegation ſind folgende Anordnungen erlaſſen worden:

a) Die Kaiſerl. Verordn. v. 4. November 18751)R. G.Bl. 1875 S. 313. betrifft die Sterbefälle von Militairperſonen auf den in Dienſt ge - ſtellten Schiffen oder andern Fahrzeugen der Kaiſerl. Marine; ſie beſtimmt, daß das Kommando des Schiffes eine Urkunde über den Sterbefall aufzunehmen und an das zuſtändige Marine-Sta - tionskommando einzuſenden hat, welches die Anzeige von dem Sterbefalle unter Ueberſendung der erwähnten Urkunde demjenigen Standesbeamten zu erſtatten hat, in deſſen Bezirk der Verſtorbene ſeinen letzten Wohnſitz gehabt hat.

b) Die Kaiſerl. Verordnung v. 20. Januar 18792)R. G.Bl. 1879 S. 5 ff. betrifft die Beurkundung der Geburten, Eheſchließung und Sterbe - fälle in Bezug auf die zum Heere gehörenden Militairperſonen, welche ihr Standquartier nach eingetretener Mobilmachung verlaſſen haben; ſie findet auch Anwendung auf alle diejenigen Perſonen, welche ſich während der Dauer einer Mobilmachung in irgend einem Dienſt - oder Vertragsverhältniſſe bei dem Heere befinden oder ſonſt ſich bei demſelben aufhalten oder ihm folgen, einſchließl. von Kriegsgefangenen3)V. v. 20. Januar 1879 §. 2.. Bei der Beurkundung von Geburten, welche ſich innerhalb des Gebiets des Deutſchen Reichs ereignen, ſind die allgemeinen geſetzlichen Beſtimmungen maßgebend; erfolgt die Geburt außerhalb des Reichsgebietes, ſo geſchieht die Anzeige an den Standesbeamten durch Vermittlung des Kommandeurs der - jenigen Truppe oder Behörde, bei welcher ſich die Mutter bei ihrer Niederkunft aufhielt oder vor ihrer Niederkunft zuletzt aufgehalten273§. 90. Einfluß d. Militairdienſt-Verhältniſſes auf and. Rechtsverhältniſſe.hat1)cit. Verordn. §. 4 Abſ. 1.. Für die Eheſchließung von Militairperſonen, welche ihr Standquartier nach eingetretener Mobilmachung verlaſſen ha - ben, gelten die allgemeinen geſetzl. Beſtimmungen, wenn ſie inner - halb des Gebiets des Deutſchen Reiches erfolgt, nur iſt außer den im § 42 des Geſetzes v. 6. Febr. 1875 genannten zuſtändigen Standesbeamten auch derjenige zuſtändig, in deſſen Bezirk der Verlobte ſeinen augenblicklichen dienſtlichen Aufenthalt hat2)a. a. O. §. 7.. Da - gegen können die Diviſions-Kommandeure (ſowie die mit höheren oder gleichen Befugniſſen ausgerüſteten Militairbefehlshaber) für Eheſchließungen der ihnen untergebenen Militairperſonen, wenn dieſelben außerhalb des Gebiets des Deutſchen Reichs erfolgen, die Verrichtungen der Standesbeamten einem oberen Militairbeamten3)Einem Geiſtlichen oder andern Religionsdiener darf aber dieſe Stell - vertretung nicht übertragen werden. R.G. v. 6. Febr. 1875 §. 3 Abſ. 3. als Stellvertreter des zuſtändigen Standesbeamten4)Zuſtändig iſt in dem hier in Rede ſtehenden Falle derjenige Standes - beamte, in deſſen Bezirk einer der Verlobten ſeinen bisherigen Wohnſitz oder ſeinen gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat, und wenn ein Wohnſitz oder gewöhnlicher Aufenthaltsort derſelben im Inlande nicht bekannt iſt, der Stan - desbeamte, in deſſen Bezirk einer der Verlobten geboren iſt. Verordn. §. 11. übertragen. Dem letztern iſt von den Verlob - ten die Dispenſation von dem Aufgebot oder eine Beſcheinigung des zuſtändigen Standesbeamten über das erfolgte Aufgebot und daß Ehehinderniſſe nicht zu ſeiner Kenntniß gekommen ſind, vorzu - legen, worauf derſelbe über die Eheſchließung eine Urkunde auf - nimmt, welche die im § 54 des Geſetzes v. 6. Febr. 1875 be - ſtimmten Angaben enthalten ſoll. Auf dieſer Urkunde hat der Militairbefehlshaber (Diviſions-Kommandeur), welcher den Stell - vertreter beſtellt hat, dieſe Beſtellung zu beſcheinigen; dieſelbe iſt alsdann dem zuſtändigen (oder einem von mehreren zuſtändigen) Standesbeamten behufs der Eintragung in das Heirathsregiſter zu überſenden. Eine Abſchrift der Urkunde wird bei der Militair - behörde aufbewahrt5)Vgl. §§. 8 10 der angef. Verordn.. Für die Beurkundung der Sterbefälle von Militairperſonen, welche ihr Standquartier nach eingetretener Mobilmachung verlaſſen haben, macht es keinen Unterſchied, obLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 18274§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.die Sterbefälle innerhalb oder außerhalb des Gebiets des Deut - ſchen Reichs erfolgen. Die Eintragung in das Sterberegiſter er - folgt[auf] Grund einer ſchriftlichen dienſtlich beglaubigten Anzeige, welche einen Vermerk über die Todesurſache enthalten ſoll und welche zu erſtatten iſt, ſobald der Sterbefall und die Per - ſönlichkeit des Verſtorbenen durch dienſtliche Ermittelung feſtgeſtellt iſt1)§. 13 a. a. O.. Die Anzeige erfolgt durch den Vorſtand der Militairbehörde beziehentl. durch den Regiments-Kommandeur oder den in gleichem Verhältniß ſtehenden Befehlshaber der Truppe oder durch den Kommandeur des betreffenden Erſatztruppentheils2)§. 14 a. a. O.. Sobald die Militairperſonen in ihr[Standquartier] zurückgekehrt ſind, oder nachdem die Truppe (Behörde), zu welcher ſie gehörten, demobil geworden oder aufgelöſt iſt, kommen die allgemeinen geſetzlichen Beſtimmungen zur Anwendung3)§. 16 a. a. O..

§ 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen*)Literatur. Seydlitz das Militair-Penſionsgeſetz von 1871 er - läutert. Berlin 1874. Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 53 fg. Neu - mann das Militair-Penſionsgeſetz erläutert. 2. Aufl. Berlin 1878. Vogel die Penſionsgeſetze für das Reichsheer und die Marine. Bonn 1876..

I. Allgemeine Geſichtspunkte.

1. Die Verpflichtung zur Verſorgung der durch den Militair - dienſt invalide oder erwerbsunfähig gewordenen Perſonen liegt allgemeinen Rechtsgrundſätzen gemäß demjenigen ob, welchem die Militairdienſte geleiſtet worden ſind. Da nun ein Militair-Dienſt - verhältniß zum Reiche, abgeſehen von der Marine, nicht beſteht, ſondern die Armee aus Kontingenten der Bundesſtaaten zuſammen - geſetzt iſt, ſo richtet ſich auch der Rechtsanſpruch auf Penſion wegen geleiſteter Militairdienſte nicht gegen das Reich, ſondern gegen denjenigen Bundesſtaat, in deſſen Kontingent die Militairdienſtpflicht erfüllt worden iſt. Die Ausgaben für das geſammte Reichsheer und deſſen Einrichtungen ſind aber nach der Reichsverf. Art. 62 vollſtändig auf die Reichskaſſe übernommen worden; der Reichs -275§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.fiskus hat ſonach den Einzelſtaaten diejenigen Beträge zu über - weiſen, welche dieſelben zur Verſorgung der Militairperſonen (reſp. ihrer Hinterbliebenen) aufzuwenden haben und die für dieſen Zweck erforderlichen Summen ſind in den Reichsetat aufzunehmen. Aus der materiellen Uebertragung dieſer Koſten von den Kaſſen der Einzelſtaaten auf die Reichskaſſe, ſowie aus der im Uebrigen durch - geführten Einheitlichkeit der Heeresorganiſation und der Armee - Einrichtungen folgt, daß auch die Grundſätze über die Verſorgung der Militairperſonen für alle Kontingente gleichmäßige und ein - heitlich normirte ſein müſſen. Zu der nach der Verfaſſung des Nordd. Bundes Art. 61 im ganzen Bundesgebiete einzuführenden Preußiſchen Militairgeſetzgebung gehörte deshalb auch das Preußi - ſche Militair-Penſionsrecht. Dasſelbe beruhte in Betreff der Of - fiziere und oberen Militairbeamten auf dem Militair-Pen - ſionsreglement vom 13. Juni 1825, zu welchem zahl - reiche Ergänzungen und Erläuterungen hinzu gekommen ſind1)Das Penſionsregelement iſt in der Geſetz-Samml. nicht publizirt worden und konnte deshalb bis zum Erlaß des Reichsgeſetzes durch Allerhöchſte Kabinets - Ordres verändert werden. Eine überſichtliche Zuſammenſtellung derſelben, ſoweit ſie noch von praktiſchem Intereſſe ſind, findet ſich in Militairgeſetze des Deutſchen Reichs. II. Band. Abſchn. V S. 143 ff.. Im Wege der Geſetzgebung geregelt war dagegen die Verſorgung der Militairperſonen der Unterklaſſen vom Oberfeuerwerker ꝛc. ab - wärts durch das Geſetz v. 6. Juli 18652)Preuß. Geſ. S. 1865 S. 777 ff., welches durch Geſ. v. 9. Febr. 1867 ergänzt worden iſt3)Geſ. S. 1867 S. 217., und außerdem die Pen - ſions erhöhung für die im Kriege invalide gewordenen oder durch den Militairdienſt verſtümmelten oder erblindeten Offiziere und oberen Militairbeamten, und die Unterſtützung der Wittwen und Kinder der im Kriege gebliebenen Militairperſonen desſelben Ranges durch Geſ. v. 16. Oktob. 18664)Geſ. Samml. 1866 S. 647., welches ebenfalls durch das erwähnte Geſ. v. 9. Febr. 1867 einige Erweiterungen erhalten hat. In Betreff der Militairperſonen der Marine war durch eine Königl. Kab. Ordre v. 16. Dezemb. 1863 beſtimmt worden, daß ſie hinſichtlich der Penſionirung den Militairperſonen des Heeres durchweg gleichgeſtellt werden. Die Einführung dieſer18*276§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.Vorſchriften in den übrigen Staaten des Norddeutſchen Bundes iſt nicht durch Präſidialverordnung erfolgt, ſondern den einzelnen Staaten überlaſſen worden. Vgl. oben S. 23.

Bei der Uebernahme der Heeres-Kontingente der Bundes - ſtaaten in Preußiſche Verwaltung iſt die Verpflichtung zur Zahlung ſämmtlicher von dieſen Staaten zu zahlenden Militairpenſionen oder Unterſtützungen an Hinterbliebene auf Preußen übergegangen1)Formell ſind dieſe Verpflichtungen der Einzelſtaaten Verpflichtungen des Preuß. Fiskus geworden, materiell ſind ſie aus der Kaſſe des Nordd. Bundes reſp. des Deutſchen Reiches erfüllt worden.; die Militairkonventionen enthalten die Anerkennung dieſes Satzes2)Mil. Konvent. mit Heſſen Art. 16. Mecklenb. (v. 1872) Art. 1 Abſ. 2. Baden Art. 17 Abſ. 3. Oldenburg Art. 20 Abſ. 3 Thürin - gen Art. 15. Anhalt Art. 15. Waldeck Art. 8. Lübeck Art. 16. Hamburg §. 31. Bremen §. 39.. Außerdem beſtimmen dieſelben, daß die in Zukunft zu penſioniren - den Militairperſonen, welche bei Uebernahme der Kontingente bereits eine Anſtellung in Militairdienſten hatten, nach Preußi - ſchen Normen zu penſioniren ſind, daß ſie aber mindeſtens den - jenigen Penſionsbetrag zu erhalten haben, welcher ihnen zu dem Zeitpunkte des Inkrafttretens der Konvention nach den für das betreffende Kontingent geltenden Vorſchriften zugeſtanden haben würde3)Vgl. Konvent. mit Heſſen Art. 19. Mecklenb. (v. 1872) Art. 6 Abſ. 2 und Schlußprotok. V. Baden Art. 17 Abſ. 1, 2 und Schlußprotok. Art. 9. Oldenburg Art. 20 und Schlußprot. Art. 1. Thüring. Staa - ten (v. 1867) Art. 9. Anhalt (1867) Art. 9. Schwarzburg (1867) Art. 7 Abſ. 3 und 4. Lippe-Detmold (1867) Art. 7. Schaumburg - Lippe (1867) Art. 7. Lübeck §. 17 19. Hamburg §. 26 ff. Bremen §. 34 ff..

Auch den Angehörigen der vormaligen im Jahre 1851 auf - gelöſten Schleswig-Holſtein’ſchen Armee wurden vom Norddeutſchen Bunde Penſionen bewilligt, welche nach Maßgabe der für die Preuß. Armee geltenden Vorſchriften ſich berechnen4)Bundesgeſ. v. 14. Juni 1868 (B. G.Bl. S. 335) für die Offiziere und oberen Militairbeamte. Bundesgeſ. v. 3. März 1870 (B. G.Bl. S. 39) für die Perſonen der Unterklaſſen. Beide Geſetze ſind zu Reichsgeſetzen erklärt worden in Baden und Heſſen ſowie in Württemberg durch die Verfaſſungsbündniſſe, in Bayern durch Reichsgeſ. v. 22. April 1871 §. 2. I. 4 u. 11..

Nach der Beendigung des Franzöſ. Krieges wurde das Mi -277§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.litairverſorgungsweſen in einem umfaſſenden und für das ganze Reich geltenden Geſetze geregelt, welches ſowohl materiell als for - mell auf den älteren Preuß. Vorſchriften beruht1)Inzwiſchen war auch in Bayern ein Militair-Penſionsgeſetz vom 28. Mai 1868 ergangen, welches ſich an die Preuß. Geſetze v. 6. Juli 1865 und 9. Febr. 1867 anſchloß.. Es iſt dieß das Reichs-Geſetz, betreffend die Penſionirung und Verſorgung der Militairperſonen des Reichsheeres und der Kaiſerl. Marine, ſowie die Bewilligungen für die Hinterbliebenen ſolcher Perſonen, v. 27. Juni 18712)R. G.Bl. S. 275. Im Folgenden wird dieſes Geſetz kurzweg als Pen - ſionsgeſetz citirt.. Schon wenige Jahre darauf ſtellte ſich das Be - dürfniß nach zahlreichen Abänderungen und Ergänzungen der Be - ſtimmungen dieſes Geſetzes heraus; dieſelben ſind erfolgt durch das Reichsgeſetz v. 4. April 18743)R. G.Bl. S. 25. Im Folgenden als Novelle citirt. Der Bundes - rath hat zu den beiden Penſionsgeſetzen auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 der R.V. Ausführungsbeſtimmungen beſchloſſen, welche durch Bekanntmachung v. 22. Febr. 1875 im Centralbl. des D. R. 1875 S. 142 ff. veröffentlicht worden ſind. Die Frage, ob das Bayern zuſtehende Sonderrecht in Militair-Ange - legenheiten ſich auch auf den Erlaß beſonderer Ausführungsbeſtimmungen zum Penſionsgeſetz erſtrecke, iſt im Bundesrath verhandelt und durch einen aus - drücklichen Beſchluß verneinend entſchieden worden. Protokolle des Bundesrathes 1875 §. 124.. Den in dieſen beiden Reichs - geſetzen enthaltenen Beſtimmungen wurde rückwirkende Kraft bei - gelegt hinſichtlich der Theilnehmer am Kriege des Jahres 1870 / 71, auch wenn ſie bereits vor dem Inkrafttreten des Penſionsgeſetzes verabſchiedet worden waren4)Penſ. Geſ. §. 47. 112. Novelle §. 17. 23.; jedoch mit der Maßgabe, daß die denſelben hiernach zu bewilligenden Penſionen nicht hinter dem Betrage zurückbleiben, welcher ihnen bei etwaiger Penſionirung vor Erlaß des Reichsgeſetzes bereits zugeſtanden haben würde5)Penſ. Geſ. §. 46. 111..

Auf alle übrigen, vor dem Inkrafttreten des Geſ. v. 27. Juni 1871 bereits aus dem Heere oder der Marine ausgeſchiedenen Perſonen finden die älteren Rechtsvorſchriften Anwendung; ausge - nommen die Beſtimmungen des Reichsgeſetzes über Zahlbarkeit, Kürzung, Einziehung und Wiedergewährung von Penſionen, ſo -278§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.weit nicht die älteren Beſtimmungen für die Penſionäre günſtiger ſind1)Penſ. Geſ. §. 33 c und 47 Abſ. 2. §§. 99 108 und §. 112 Abſ. 2. Nov. v. 4. Apr. 1874 §. 17..

2. Die Verpflichtung des Staates zur Verſorgung der Mili - tairperſonen beruht darauf, daß der Militairdienſt den Betrieb einer andern Erwerbsthätigkeit ſtört oder ganz verhindert. Dies geſchieht aber in doppelter Weiſe, theils dadurch, daß während der Leiſtung des Militairdienſtes, alſo während der Dienſtzeit, die Erfüllung jedes andern Lebensberufes unthunlich iſt, theils da - durch, daß der Militairdienſt mit Gefahren für die Geſundheit verbunden iſt, daß alſo in Folge desſelben eine dauernde Störung der Erwerbsfähigkeit und unter Umſtänden noch überdies eine be - ſondere Pflegebedürftigkeit eintreten kann. Das Penſionsgeſetz er - kennt demgemäß zwei verſchiedene Grundlagen für die Verſorgungs - Anſprüche an, die Dienſtzeit und die Dienſtbeſchädi - gung.

Der erſte dieſer Gründe der ſtaatlichen Verſorgungspflicht ſteht in einer engen Beziehung zum Rechtsgrunde der Militairdienſt - pflicht. Die Störung in dem Aufſuchen von Erwerbsquellen durch den Militairdienſt wird nämlich nur dann als erheblich genug er - achtet um eine Verſorgungspflicht des Staates zu begründen, wenn der Dienſt lange Zeit hindurch geleiſtet worden iſt. Sowie den Beamten nach dem Reichsgeſ. v. 31. März 1873 § 34 der An - ſpruch auf Penſion nur nach einer Dienſtzeit von wenigſtens 10 Jahren zuſteht, ſo auch den Offizieren nur nach 10jähriger, den zur Klaſſe der Unteroffiziere und Gemeinen gehörenden Perſonen nach achtjähriger Dienſtzeit2)Penſ. Geſ. §. 2. 58. Vor Vollendung dieſer Dienſtzeit kann jedoch im Falle der Bedürftigkeit eine Penſion entweder auf beſtimmte Zeit oder lebenslänglich bewilligt werden. Penſ. Geſ. §. 5. §. 9 Abſ. 3 u. §. 110.. Dieſe Zeiträume ſind bedeutend größer als die Zeit des aktiven Militairdienſtes auf Grund der geſetzlichen Wehrpflicht im Frieden; die geſetzliche aktive Friedens - Dienſtzeit iſt in allen Fällen viel zu kurz, als daß der Staat durch ſie einen Verſorgungs-Anſpruch für rechtlich begründet aner - kennt. Das Militairverhältniß der Perſonen des Beurlaubten - ſtandes aber involvirt überhaupt keine ſo eingreifende Beſchränkung279§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.der Handlungsfreiheit und Erwerbsthätigkeit, daß der Staat dafür eine Verſorgungspflicht übernähme. Für alle Klaſſen des Beur - laubtenſtandes iſt vielmehr reichsgeſetzlich der Grundſatz anerkannt, daß ſie den Anſpruch auf eine Invaliden-Verſorgung nicht auf Grund der Dienſtzeit, ſondern lediglich durch eine im Militairdienſt erlittene Verwundung oder Beſchädigung erwerben1)Penſ. Geſ. §. 8. Novelle v. 4. April 1874 §. 10 Abſ. 2..

Die Erfüllung der geſetzlichen Wehrpflicht als ſolche begründet daher überhaupt gar keinen Anſpruch auf Verſorgung. Dagegen erzeugt die Erfüllung der berufsmäßigen, alſo freiwillig übernommenen Dienſtpflicht einen nach Verhältniß der Dienſtzeit bemeſſenen Verſorgungs-Anſpruch. Der Anſpruch auf Grund der Dienſtzeit iſt demnach ſeinem juriſtiſchen Weſen nach ein Anſpruch auf Grund des berufsmäßigen Militairdienſtes. Er ſteht begrifflich dem Verſorgungs-Anſpruch der Beamten auf Grund ihres berufsmäßigen Staatsdienſtes ganz gleich; er iſt wie dieſer ein Anſpruch auf Fortgewährung des ſtandesmäßigen Lebensunter - haltes auch für die Zeit, in welcher die wirkliche Leiſtung der Militairdienſte wegen Invalidität nicht mehr erfolgen kann2)Vgl. Bd. I S. 471 fg. Dem entſpricht es, daß die Reichsgeſetzgebung von der Tendenz ausgegangen iſt, für die Penſionirung der Offiziere im All - gemeinen dieſelben Grundſätze wie für die Penſionirung der Reichsbeamten zur Anerkennung zu bringen. Vgl. Motive zum Penſionsgeſ. S. 30. 32. (Druckſ. des Reichtstages. 1871. I. Seſſ. Nro. 96.).

Daß die Invalidität in Folge des Militairdienſtes ent - ſtanden ſei, iſt keine Vorausſetzung dieſes Anſpruchs.

Der andere Verpflichtungsgrund des Staates dagegen hat keinen Zuſammenhang mit dem Rechtsgrund der Dienſtpflicht, ſon - dern mit der thatſächlichen Beſchaffenheit der Dienſte, mit ihrer Gefährlichkeit für die Geſundheit und Erwerbsfähigkeit. Der Staat erkennt die Verpflichtung an, für die bei Ausübung des aktiven Militairdienſtes erlittenen Beſchädigungen einen pekuniären Erſatz zu leiſten, das von ihm aufgenöthigte periculum wenigſtens theilweiſe zu übernehmen. Dies findet ganz gleichmäßige An - wendung auf alle Perſonen, welche ſich den mit dem Militairdienſt verbundenen Gefahren ausſetzen müſſen, gleichviel ob ſie die Ver - pflichtung hierzu freiwillig (vertragsmäßig) übernommen haben oder ob ſie ihnen durch Geſetz auferlegt worden iſt. Dieſe Entſchädi -280§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.gungs-Anſprüche ſind demnach auch nicht durch eine Dienſtzeit von beſtimmter Dauer bedingt1)Penſ. Geſ. §. 2 Abſ. 2. §. 58 Abſ. 1.. Bei einer conſequenten Durchfüh - rung des Rechtsgedankens, auf welchem dieſe Anſprüche beruhen, müßte auch das Maß der Entſchädigung von der Länge der Dienſt - zeit unabhängig ſein und ſich allein nach der Schwere der Beſchä - digung und dem Grade der Erwerbsſtörung beſtimmen. Allein praktiſch iſt dies nur für die durch den Krieg herbeigeführte Invalidität und außerdem für die Fälle ſchwerer Beſchädigungen inſoweit feſtgehalten, als in dieſen Fällen ohne alle Rückſicht auf die Dienſtzeit beſtimmte Erhöhungen der Penſion gewährt werden2)Penſ. Geſ. §. 12. §. 13. §. 66 ff. §. 71. 72.. In den übrigen Fällen beſtimmt ſich die Höhe der Penſion, auch wenn ſie auf Grund der Dienſtbeſchädigung beanſprucht wird, nach der Dienſtzeit; denn eine Abſchätzung der durch die Dienſtbeſchädi - gung eingetretenen Erwerbsſtörungen iſt praktiſch unausführbar.

Zur Begründung dieſer Anſprüche iſt der Cauſalzuſammen - hang zwiſchen der Leiſtung des Militairdienſtes und der eingetre - tenen Beſchädigung weſentliche Vorausſetzung. Derſelbe wird durch die Bezeichnung der Beſchädigung als Dienſtbeſchädigung angedeu - tet. Ein ſolcher Cauſalzuſammenhang iſt vorhanden zunächſt bei jeder Verwundung und anderen äußeren Beſchädigung, welche bei Ausübung des aktiven Militairdienſtes im Kriege oder Frieden ohne eigene Verſchuldung erlitten worden iſt3)Penſ. Geſ. §. 2 Abſ. 2. §. 3 Ziff. a. §. 50 Zfff. a u. b. Es iſt nicht erforderlich, daß die Beſchädigung durch den Militairdienſt erfolgt iſt; es ge - nügt, daß ſie im aktiven Dienſt während Ausübung einer dienſtlichen Hand - lung erlitten worden iſt. Beſchluß des Bundesrathes v. 5. Dez. 1874. Erl. des Preuß. Kriegsminiſt. v. 20. Januar 1875.. Als Dienſtbe - ſchädigung gilt aber ferner jede anderweite, nachweisbar durch die Eigenthümlichkeiten des Militäirdienſtes, ſowie durch epidemiſche oder endemiſche Krankheiten, welche an dem zum dienſtlichen Auf - enthalt angewieſenen Orte herrſchen (insbeſondere durch die kon - tagiöſe Augenkrankheit) hervorgerufene bleibende Störung der Ge - ſundheit4)Penſ. Geſ. §. 3 Ziff. b. §. 59 Ziff. c u. d. Die Unterſcheidung der〈…〉〈…〉 ßeren von der inneren Dienſtbeſchädigung wird durch die Entſtehungs -〈…〉〈…〉 ache bedingt, inſofern alle durch von außen kommende mechaniſche Ein -〈…〉〈…〉 ungen (Verwundung, Stoß, Schlag, Sturz u. a.) entſtandene Leiden ſelbſt. Dieſe Störung muß der obigen Ausführung gemäß281§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.von der Art ſein, daß ſie die Erwerbsfähigkeit des Beſchä - digten beeinträchtigt. Dieß iſt auch für die Perſonen der Unter - klaſſen im Penſionsgeſetz anerkannt1)Penſionsgeſ. §. 59 Z. c. erhebliche und dauernde Störung der Ge - ſundheit und Erwerbsfähigkeit. ; dagegen für Offiziere und im Offiziersrange ſtehende Militairärzte iſt der Anſpruch nur da - von abhängig gemacht, daß durch die Verwundung oder Geſund - heitsſtörung die Militair-Dienſtfähigkeit ſowohl für den Dienſt im Felde als auch in der Garniſon aufgehoben wird2)Penſ. Geſ. §. 2. Dieſe Beſtimmung paßt offenbar nur für die Berufs - offiziere, da nur für dieſe der Militairdienſt Erwerbsquelle iſt; das Reichs - geſetz hat aber in dieſer Hinſicht die Offiziere des Beurlaubtenſtandes denſelben ganz gleichgeſtellt. In Folge dieſer Beſtimmung kann es vorkommen, daß ein Reſerve - oder Landwehroffizier, der während der Einberufung zum Dienſt eine Dienſtbeſchädigung erleidet, die ihn dienſtunfähig macht, ſeine Erwerbsfähigkeit aber gar nicht beeinträchtigt, einen doppelten Vortheil hat; er wird frei von der ferneren Erfüllung der Wehrpflicht und er erhält überdies eine lebensläng - liche Rente, wenn er dagegen z. Z. der Beſchädigung noch Unteroffizier ge - weſen wäre, ſo würde er keinen Penſionsanſpruch haben. Die Motive zum Penſ. Geſ. S. 31 ſprechen zwar ganz richtig aus, daß Offiziere des Beurlaubten - ſtandes nur dann Anſpruch auf Penſion haben, wenn ſie eine Beſchädigung im Militairdienſt und als Folge derſelben Nachtheile in ihren Erwerbs - verhältniſſen erleiden; in dem Geſetze aber iſt dieſe Vorausſetzung des Penſionsanſpruches für Offiziere nicht gefordert.. Bei den Offizieren ꝛc. der Marine gilt als Dienſtbeſchädigung au - ßerdem auch die, lediglich und nachweislich auf die klimatiſchen Einflüſſe bei Seereiſen, insbeſondere in Folge längeren Aufenthaltes in den Tropen, zurückzuführende bleibende Störung der Geſund - heit, wenn dadurch die Dienſtfähigkeit für den Seedienſt auf - gehoben wird3)Penſ. Geſ. §. 51..

Die Entſcheidung der Frage, ob eine Dienſtbeſchädigung vor - handen, erfolgt nicht im Rechtswege, ſondern durch die oberſte Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents und bei den Per - ſonen der Unterklaſſen muß die Thatſache der erlittenen Dienſtbe - ſchädigung durch dienſtliche Erhebungen nachgewieſen ſein4)Penſ. Geſ. §. 3 Abſ. 2. §. 62.. Ueber das Verfahren bei Beurtheilung der Militair-Dienſtfähigkeit und4)innerer Organe zu der erſteren, alle durch Witterungseinflüſſe, ungewöhn - liche Anſtrengungen, Anſteckung hervorgerufene Uebel zu der letzteren gerechnet werden. Dienſtanweiſ. v. 8. April 1877 §. 20 Ziff. 3.282§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.bei Ausſtellung von Atteſten iſt von dem Preuß. Kriegsminiſterium am 8. April 1877 eine ausführliche Dienſtanweiſung erlaſſen worden1)Die wichtigſten Beſtimmungen derſelben ſind abgedruckt in: die Mili - tairgeſetze des Deutſchen Reichs. Bd. II. Abth. V S. 90 ff. Weder im Armee - V. Bl. noch im Centralblatt des D. R. iſt dieſes Reglement bekannt gemacht worden..

Iſt die Beſchädigung von der Art, daß eine Beſſerung des Zuſtandes erwartet werden kann, ſo wird die Verſorgung nur auf Zeit bis zur Wiederherſtellung der Dienſtfähigkeit reſp. Erwerbs - fähigkeit bewilligt, ſofern nicht bereits die zum Penſionsanſpruch berechtigende Dienſtzeit von 10 beziehentl. 8 Jahren vollendet iſt2)Penſ. Geſ. §. 4 Abſ. 1. §. 63.. Offizieren (mit Einſchluß der Sanitäts-Offiziere) wird jedoch die Penſion ſtets auf Lebenszeit gewährt, wenn die Urſache der In - validität in einer vor dem Feinde erlittenen Verwundung oder äußerlichen Beſchädigung beruht3)Penſ. Geſ. §. 4 Abſ. 2. Auf Offiziere des Beurlaubtenſtandes findet dieſe Beſtimmung ebenfalls Anwendung. Vgl. Erl. des Preuß. Kriegsminiſt. v. 24. April 1872. (Militairgeſetze u. ſ. w. Bd. II. Abth. V S. 6.). Auf die Temporärinvaliden der Unterklaſſen ſind die Vorſchriften des Penſionsgeſetzes ſo lange ohne Einſchränkung maßgebend, bis ihrem Zuſtande nach definitiv über ſie entſchieden wird, und ſie bleiben verſorgungsberechtigt bis zur Rückkehr der Felddienſt fähigkeit4)Penſ. Geſ. §. 86. Nov. v. 4. April 1874 §. 13 Ziff. 3. Wenn ſie alſo wieder völlig erwerbsfähig, jedoch nicht felddienſtfähig werden, ſo verbleibt ihnen die einmal zugebilligte Penſion. Die ſehr unklare Faſſung des Ge - ſetzes wird mit Recht von Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 74 getadelt..

Den Soldaten, welche ſich in der zweiten Klaſſe des Solda - tenſtandes befinden, iſt ein Rechtsanſpruch auf Invalidenverſorgung nur in dem Falle zugeſtanden, wenn ſie vor dem Feinde verwun - det und in Folge deſſen invalide ſind. Den übrigen Soldaten der zweiten Klaſſe kann jedoch im Falle der Bedürftigkeit unter beſchränkenden Vorausſetzungen eine Unterſtützung gewährt wer - den5)Penſ. Geſ. §. 80..

3. Obgleich der militairiſche Rang des Verſorgungsberechtig - ten für die juriſtiſche Begründung und den Rechtscharakter des Verſorgungsanſpruchs unerheblich und nur für die Höhe des Pen -283§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.ſions-Betrages von Belang iſt, ſo beſteht doch eine eingreifende Verſchiedenheit in der Behandlung der Militair-Perſonen von Of - fiziersrang und der zur Klaſſe der Unteroffiziere und Gemeinen ge - hörenden Perſonen. Dieſer Unterſchied beruht auf der bereits oben S. 212 hervorgehobenen ſpezifiſchen Verſchiedenheit des höhe - ren und des niederen berufsmäßigen Militairdienſtes. Der höhere Militairdienſt iſt ein Lebensberuf im vollen Sinne des Wortes; der Anſpruch, aus demſelben auszuſcheiden und eine lebenslängliche Penſion zu beziehen, iſt daher an die Vorausſetzung der Untaug - lichkeit zur Fortleiſtung des Dienſtes (Invalidität) geknüpft1)Penſ. Geſ. §. 27. und nur Perſonen, welche das 60. Lebensjahr zurückgelegt haben, ſind bei Nachſuchung ihrer Verabſchiedung mit Penſion von dem Nach - weiſe der Invalidität befreit2)Penſ. Geſ. §. 28 Abſ. 1.. Dagegen iſt der niedere Mili - tairdienſt der Regel nach kein Beruf, der das ganze Leben erfüllt, ſondern er wird nur für einen gewiſſen Zeitraum mit der Aus - ſicht oder dem Vorbehalt des Uebertritts in eine andere Erwerbs - ſtellung übernommen3)Vgl. oben S. 213. 241.. Dem entſprechend iſt der Anſpruch auf Penſion mit dem Ablauf einer gewiſſen Dienſtzeit begründet auch ohne Nachweis der Invalidität. Dieſe Dienſtzeit beträgt 18 Jahre und der Anſpruch auf Penſion wächſt mit einer Verlänge - rung der Dienſtzeit, mag im Laufe derſelben die Invalidität ein - treten5)Penſ. Geſ. §. 74. oder nicht6)ebendaſ. §§. 66 68.. Außerdem aber findet auf dieſe Perſonen noch eine weſentlich andere Art der Verſorgung ſtatt, wie die Pen - ſionszahlung, nämlich die Anſtellung im Civildienſt oder Garniſondienſt7)Von der Aufnahme in Invalidenhäuſer wird hier abgeſehen, da die - ſelbe nur ein Surrogat der Penſion, eine andere Form der Alimentenreichung, iſt.. Der Uebertritt in den Beamtendienſt ſteht am Ende der Militairdienſtzeit; die Eröffnung einer bürgerlichen Be - rufsſtellung entſchädigt die Militairperſonen der Unteroffiziers - klaſſen dafür, daß ſie eine Anzahl von Lebensjahren dem Militair - dienſt gewidmet haben; der Staat reſervirt ihnen eine große An - zahl von dazu geeigneten Amtsſtellungen behufs ihrer Verſorgung,4)Penſ. Geſ. §. 69.284§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.ſo daß der Weg zur Erlangung dieſer Aemter zum großen Theil nur durch den niederen Militairdienſt hindurch führt. Dadurch ändert aber auch die Penſionszahlung ſelbſt theilweiſe ihren Cha - rakter. Denn abgeſehen von den ſchweren Fällen gänzlicher Er - werbsunfähigkeit iſt die Penſion nicht dazu beſtimmt, ausreichende Mittel für den vollen Lebensunterhalt zu gewähren, ſondern ſie bildet einen Zuſchuß zu anderen Einnahmen, deſſen Höhe nach den verſchiedenen dabei in Betracht kommenden Momenten vielfach ab - geſtuft iſt.

Auf den hervorgehobenen Unterſchieden, ſowie auf der abwei - chenden Art und Weiſe, in welcher der Anſpruch auf Invaliden - verſorgung bei den Perſonen von Offizierrang und denen der un - teren Klaſſen feſtgeſtellt wird, beruht es, daß das Penſionsgeſetz in zwei abgeſonderten Theilen die Penſionirung der Offiziere ꝛc. und die Verſorgung der Militairperſonen der Unterklaſſen behan - delt1)Es ſchließt ſich auch in dieſer Beziehung vollkommen dem älteren Preuß. Recht an..

II. Die Berechnung der eigentlichen Penſion.

Die Höhe der Penſion bemißt ſich nach der Dienſtzeit und dem Dienſteinkommen und nach einer auf dieſen beiden Fak - toren beruhenden, jedoch für die verſchiedenen Klaſſen von Mili - tairperſonen ungleichen Abſtufung.

1. Die Dienſtzeit2)Für die Militairperſonen der Unterklaſſen kommen dieſelben Beſtim - mungen zur Anwendung wie für die Offiziere. Penſ. Geſ. §. 60.. Dieſelbe wird berechnet vom Tage des Eintritts in den Dienſt bis zu dem Tage, an welchem die Ordre der Verabſchiedung oder Dispoſitionsſtellung ergangen iſt3)Die Zeit vorübergehender und die Dauer eines Jahres nicht über - ſteigender Stellung zur Dispoſition wird mit angerechnet. Bei den Offizieren ꝛc. des Beurlaubtenſtandes kommt nur die Zeit in Anrechnung, in welcher ſie aktiven Militairdienſt geleiſtet haben. Die Theilnahme an Kontrolverſamm - lungen kommt nicht in Anſatz. Penſ. Geſ. §. 18. 19.. Die im Civildienſte des Reiches oder eines Bundesſtaates zuge - brachte Zeit wird mit in Anrechnung gebracht; bei den Perſonen des Beurlaubtenſtandes jedoch nur dann, wenn ſie ſich bei ihrer Militair-Penſionirung nicht mehr im aktiven Civildienſt befinden. 285§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.Ob auch die Zeit des Gemeinde -, Kirchen -, Schul - oder landes - herrl. Haus - oder Hofdienſtes anzurechnen ſei, iſt dem Befinden der oberſten Militairverwaltung des Kontingents überlaſſen, in keinem Falle aber iſt eine doppelte Anrechnung desſelben Zeitraums ſtatthaft1)Penſ. Geſ. §. 20. Ob die im Dienſte eines dem Reiche nicht angehören - den Staates verbrachte Zeit anzurechnen iſt, hängt ebenfalls von der Genehmi - gung der oberſten Militairverwaltungsbehörde des Kontingentes ab. Penſ. - Geſ. §. 25.. Außer Anſatz bleibt die Dienſtzeit, welche vor den Beginn des 18. Lebensjahres fällt, ſofern ſie nicht während der Dauer eines Krieges bei einem mobilen oder Erſatztruppentheile abgeleiſtet iſt2)Penſ. Geſ. §. 22., ferner die Zeit eines Feſtungsarreſtes von ein - jähriger und längerer Dauer und die Zeit der Kriegsgefangen - ſchaft3)Penſ. Geſ. §. 24. Unter beſonderen Umſtänden kann jedoch die Zeit des Feſtungsarreſtes mit Genehmigung des Kontingentsherrn, die Zeit der Kriegsgefangenſchaft mit Genehmigung des Kaiſers angerechnet werden. eod. Abſ. 2. Dieſe Genehmigung iſt hinſichtlich der während des Krieges von 1870 / 71 in Franzöſ. Kriegsgefangenſchaft gerathenen Militairperſonen ertheilt worden durch die Kab. Ordre v. 18. Mai 1871 (A. V.Bl. S. 113).. Bei den zur Marine gehörenden Perſonen wird jedoch die Zeit, die ſie im aktiven Marinedienſte zugebracht haben, von dem Zeitpunkt der erſten Einſchiffung ab in Anrechnung gebracht, auch wenn derſelbe vor den für den Beginn der penſionsberechti - genden Dienſtzeit vorgeſchriebenen Termin fällt und die Fahrzeit auf der Handelsflotte vom 18. Lebensjahre an bis zum Eintritt in die Kriegsmarine wird zur Hälfte auf die Dienſtzeit ange - rechnet4)Penſ. Geſ. §. 54. Nov. v. 4. April 1874 §. 9. Vgl. über die legislator. Gründe für dieſe Begünſtigung die Motive zum Penſionsgeſ. S. 42 fg..

Für jeden Feldzug, an welchem eine Militairperſon (ausge - nommen Militairbeamte) derart theilgenommen hat, daß ſie wirk - lich vor den Feind gekommen oder bei den mobilen Truppen an - geſtellt geweſen und mit dieſen in das Feld gerückt iſt, wird zu der wirklichen Dauer der Dienſtzeit ein Jahr zugerechnet5)Penſ. Geſ. §. 23. Ob eine militairiſche Unternehmung als ein Feld - zug anzuſehen iſt und ob bei größeren Kriegen mehrere Kriegsjahre in An - rechnung kommen ſollen, wird in jedem einzelnen Falle durch Kaiſerl. Anord - nung beſtimmt. Für die Vergangenheit ſind die in den einzelnen Bundes -. Für286§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.die Beſatzung der Kriegsſchiffe werden überdies größere oder für die Geſundheit beſonders gefährliche oder ſchädliche Seereiſen dop - pelt gerechnet1)Penſ. Geſ. §. 50..

2. Das Dienſteinkommen. Bei den Offizieren und Militairärzten mit Offizierrang wird als penſionsfähiges Dienſt - einkommen in Anſatz gebracht das chargenmäßige Gehalt nach den Sätzen für Infanterie-Offiziere, oder, wo das wirklich bezogene etatsmäßige Gehalt niedriger iſt, dieſes letztere2)Penſ. Geſ. §. 10 Ziff. a. Nov. v. 1874 §. 6. Ausnahmen für Stabs - offiziere und Hauptleute I. Kl. mit geringerem als dem Normalgehalt Penſ. - Geſ. §. 47 Abſ. 3; ferner für die Zeug - Feuerwerks - und Traindepot-Offiziere Nov. v. 4. April 1874 §. 6. Vgl. die Motive zur Novelle S. 9. (Druckſ. I Seſſ. 1874 Nro. 10.); ferner der mittlere Stellen - beziehungsweiſe Perſonal-Servis und der Durchſchnittsſatz des Wohnungsgeldzuſchuſſes für die Servisklaſſen I bis V3)Penſ. Geſ. §. 10 Ziff. b. Reichsgeſ. v. 30. Juni 1873 §. 8. (R. G.Bl. S. 166.) Vgl. hierzu die Motive zum Penſ. Geſ. S. 33. (Druckſ. I Geſſ. 1871 Nro. 96.); endlich für die Offiziere vom Brigade-Kommandeur einſchließlich aufwärts die im Etat ausgeworfenen Dienſtzulagen, für die Offiziere vom Hauptmann erſter Klaſſe einſchließlich ab - wärts eine Entſchädigung für Bedienung, für die Offiziere vom Hauptmann dritter Klaſſe abwärts eine billige Durchſchnittsver - gütung für ihre Berechtigung zur Aufnahme in das Lazareth, für die Premier - und Sekonde-Lieutenants außerdem der etatsmäßige Werth ihrer Berechtigung zur Theilnahme an dem gemeinſchaft - lichen Offiziertiſche4)Penſ. Geſ. §. 10 Ziff. c bis f.. In Fällen, wo das penſionsmäßige Dienſt - einkommen insgeſammt mehr als 12000 Mark beträgt, wird von dem überſchießenden Betrage nur die Hälfte in Anrechnung ge - bracht5)Penſ. Geſ. §. 11.. Die Perſonen der Unterklaſſen zerfallen in Beziehung auf die Penſionsberechnung in vier Chargen, Feldwebel, Sergean - ten, Unteroffiziere und Gemeine6)Penſ. Geſ. §. 65. Ein Erlaß des Preuß. Kriegsminiſt. v. 31. Mai 1874 (Armee-V. Bl. S. 130) enthält ein Verzeichniß der zu jeder dieſer 4 Chargen.

5)ſtaaten darüber ergangenen Anordnungen in Kraft erhalten worden. Eine Zu - ſammenſtellung der Preußiſchen Erlaſſe über die einzelnen Kriege findet ſich in den Militairgeſetzen Bd. 2. V, 17.

287§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

Das Dienſteinkommen einer Charge wird aber nur dann der Berechnung zu Grunde gelegt, wenn die Charge mindeſtens wäh - rend eines Dienſtjahres innerhalb des Etats innegehabt iſt, aus - genommen wenn die Penſionirung in Folge von Dienſtbeſchädigung eintritt. Die Beförderung über den Etat, die bloße Charakter - erhöhung, ſowie die vorübergehende Verwendung in einer höher dotirten Stelle gewähren keinen höheren Penſionsanſpruch1)Penſ. Geſ. §. 6. 65 Abſ. 2..

3. Die Abſtufung der Penſionsſätze.

a) Bei den Offizieren (mit Einſchluß der Sanitätsoffi - ziere). Die Penſion beträgt, wenn die Verabſchiedung nach vollen - detem zehnten, jedoch vor vollendetem elften Dienſtjahre eintritt, 20 / 802)Dieſe Quote wird auch gewährt, wenn die Penſionirung vor vollende - tem zehnten Dienſtjahre wegen einer Dienſtbeſchädigung erfolgt. Penſ. - Geſ. §. 9 Abſ. 3. und ſteigt von da ab mit jedem weiter zurückgelegten Dienſtjahre um 1 / 80 des penſionsfähigen Dienſteinkommens. Ueber den Betrag von 60 / 80 dieſes Einkommens hinaus findet eine Steige - rung der (regelmäßigen) Penſion nicht ſtatt3)Penſ. Geſ. §. 9 Abſ. 1 u. 2. Eine nach den Vorſchriften dieſes Geſetzes berechnete Nachweiſung der Penſionsſätze für die einzelnen Chargen der Offi - ziere nach den Dienſtjahren iſt vom Preuß. Kriegsminiſt. am 7. Dezemb. 1874 veröffentlicht worden. Armee-V. Bl. 1874 S. 252.. Wird ein Offizier in einem militairiſchen Dienſtverhältniß mit geringerem Dienſtein - kommen als er bisher etatsmäßig bezogen hat, verwendet, ſo wird bei ſeiner ſpäteren Verabſchiedung die Penſion dennoch nach dem vorher bezogenen höheren Dienſteinkommen unter Berück - ſichtigung der geſammten Dienſtzeit berechnet. Soweit jedoch das früher bezogene höhere Dienſteinkommen aus Dienſtzulagen beſtand, wird die Penſion nur, je nachdem es für den zu Penſionirenden günſtiger iſt, entweder nach dem früheren Dienſteinkommen und der bis dahin zurückgelegten Dienſtzeit oder nach dem zuletzt bezogenen Dienſteinkommen und der geſammten Dienſtzeit be - rechnet4)Penſ. Geſ. §. 7.. Die Zeit, während welcher ein mit Penſionsanſprüchen aus dem aktiven Dienſt geſchiedener Offizier zu demſelben wieder herangezogen worden iſt und in einer etatsmäßigen Stellung Ver -6)gehörigen Stellen. Für Bayern ſind entſprechende Anordnungen ergangen. Bayr. Mil. V. Bl. 1874 S. 256 fg. 1878 S. 523.288§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.wendung findet, begründet bei einer Geſammtdienſtzeit von minde - ſtens 10 Jahren mit jedem weiter erfüllten Dienſtjahre den An - ſpruch auf Erhöhung der bisher bezogenen Penſion um 1 / 80 des derſelben zu Grunde liegenden penſionsfähigen Dienſteinkommens1)Penſ. Geſ. §. 21. Vorbehaltlich des Anſpruchs auf eine noch höhere Pen - ſion, welche ihnen etwa nach Maßgabe derjenigen Vorſchriften, nach denen ſie penſionirt worden ſind, zuſteht. Dies kann namentlich bei den nach dem Preuß. Regl. v. 13. Juni 1825 penſionirten Offizieren der Fall ſein. Vgl. Erl. des Preuß. Kriegsminiſt. v. 26. Sept. 1871. (Milit. Geſetze Bd. 2 Abth. V S. 15 Ziff. 2.).

b) Dür die Militairbeamten wird die Penſion berechnet nach den Vorſchriften des Reichsbeamtengeſetzes, welches in den weſentlichen Punkten mit den angegebenen Vorſchriften des Milit. - Penſions-Geſetzes übereinſtimmt2)Vgl. Bd. I S. 471 fg. Hierbei iſt aber zu beachten, daß das Reichs - beamtengeſetz für die Bayeriſchen Militairbeamten nicht gilt. Siehe Bd. I S. 399.. Jedoch finden die Anordnungen des letzteren über die Dienſtzeit (§. 18. 19. 50 ) auf die oberen Militairbeamten Anwendung3)Penſ. Geſ. §. 56. Die beſonderen Beſtimmungen über die Büchſen - macher im §. 89 daſ. ſind durch das Reichsbeamtengeſetz aufgehoben..

c) Für die Militairperſonen der Unterklaſſen beſtimmt ſich der Penſionsbetrag nicht nach einer mit der Dienſtzeit wachſen - den Quote des Dienſteinkommens, ſondern es ſind in jeder der vier Rangſtufen 5 Klaſſen unterſchieden, für welche feſte Penſions - beträge normirt ſind4)Penſ. Geſ. §. 66.. Die erſten 4 dieſer Klaſſen werden ohne Nachweis der Invalidität gewährt bei einer Dienſtzeit von 36, 30, 24, 18 Jahren; ferner den Ganzinvaliden bei einer Dienſtzeit von 25, 20, 15, 12 Jahren; endlich ohne Rückſicht auf eine beſtimmte Dienſtzeit denjenigen Ganzinvaliden, welche durch Dienſtbeſchädigung ganz erwerbsunfähig und beſonders pflegebedürftig, reſp. welche gänzlich, größtentheils oder theilweiſe erwerbsunfähig geworden ſind5)Penſ. Geſ. §. 67 69.. Die 5. Klaſſe wird gewährt den Ganzinvaliden nach 8jähriger, den Halbinvaliden nach 12jähriger Dienſtzeit oder wenn die Invalidität durch Verwundung, äußere Dienſtbeſchädigung oder kontagiöſe Augenkrankheit begründet iſt6)Penſ. Geſ. §. 70.. Das Penſionsgeſetz be - zeichnet als Ganzinvalide diejenigen Perſonen, welche zu keinerlei289§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.Militair dienſt mehr tauglich ſind, als Halbinvalide ſolche, welche zum Feld - beziehentlich Seedienſt untauglich, aber zum Garniſondienſt noch fähig ſind. Die Invalidität und der Grad derſelben werden durch die Militairbehörde feſtgeſtellt1)Penſ. Geſ. §. 61. 62..

Ueber den Civilverſorgungsſchein, welchen die Invaliden theils neben theils an Stelle der Penſion erhalten, vgl. unten sub IV.

An Stelle der Penſionirung können Ganzinvaliden auch durch Aufnahme in ein Invaliden-Inſtitut verſorgt werden. Ein recht - licher Anſpruch darauf iſt in keinem Falle begründet und anderer - ſeits kann Niemand wider ſeinen Willen zum Eintritt in ein ſolches Inſtitut gezwungen werden. Die Invalidenhäuſer ſollen vorzugs - weiſe als Pflegeanſtalten für ſolche Invaliden dienen, die beſonderer Pflege und Wartung bedürftig ſind2)Penſ. Geſ. §. 78. Die Preuß. Verordnungen, Reglements, Inſtruktionen ꝛc. ꝛc. über die Invalidenhäuſer und Invalidenkompagnien ſind zuſammenge - ſtellt bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. I Abth. 5 S. 217 230..

III. Die Penſionserhöhungen3)Das Penſionsgeſetz bedient ſich rückſichtlich der Offiziere des Ausdrucks Penſions-Erhöhungen , rückſichtlich der Perſonen der Unterklaſſen des Ausdrucks Penſions-Zulagen. Das Reichsgeſetz beruht im Weſentlichen auf den oben S. 275 angeführten Preußiſchen Geſetzen. Die Abweichungen ſind zuſammengeſtellt und begründet in den Motiven (Druckſ. I Seſſ. 1871 Nro. 96) S. 34 ff..

1. Kriegszulage. Unteroffiziere und Soldaten, welche nachweislich durch den Krieg ganzinvalide geworden ſind, erhalten eine Penſionszulage von 6 Mark monatlich neben der Penſion4)Penſ. Geſ. §. 71.; Offiziere, welche durch den Krieg invalide und zur Fortſetzung des aktiven Militairdienſtes unfähig geworden ſind, eine Penſionser - höhung, die je nach der Höhe der Penſion ſich bemißt5)Penſ. Geſ. §. 12. Sie beträgt bei einer Penſion von 550 Thlr. und weniger jährlich 250 Thlr., bei einer Penſion von 900 Thlr. und mehr jähr - lich 100 Thlr. Zwiſchen dieſen Gränzen iſt ſie abgeſtuft.. Denſelben Anſpruch haben Offiziere, die auf Seereiſen nachweislich in Folge einer militairiſchen Aktion oder durch außerordentliche klimatiſche Einflüſſe invalide und zur Fortſetzung des Seedienſtes ohne ihr Verſchulden unfähig geworden ſind6)Penſ. Geſ. §. 52 Abſ. 1.. Ob die Invalidität durchLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 19290§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.Verwundung oder Beſchädigung oder ob ſie durch eine anderweitige Störung der Geſundheit begründet iſt, macht im Allgemeinen keinen Unterſchied1)Es iſt nur erforderlich, daß die Dienſtunbrauchbarkeit in urſächlichem Zuſammenhange mit dem Feldzuge ſtehe. Dieſer Zuſammenhang iſt dann vor - handen, wenn entweder das die Dienſtunbrauchbarkeit bedingende Leiden durch den Krieg erſt hervorgerufen, oder wenn ein vor dem Feldzuge vorhandenes geringeres Leiden, welches nach ärztlichem Ermeſſen im Friedensdienſte voraus - ſichtlich in längerer Zeit noch nicht dienſtunbrauchbar gemacht haben würde, durch den Krieg nachweisbar bis zur Invalidität geſteigert worden iſt. Dienſt - anweiſung zur Beurtheilung der Milit. -Dienſtfähigkeit ꝛc. v. 8. April 1877 §. 25 Abſ. 2.; reactivirte, d. h. mit Penſion verabſchiedete und zum Militairdienſt wieder herangezogene Offiziere erhalten jedoch die Penſions-Erhöhung nur dann, wenn durch eine im Kriege er - littene Verwundung oder Beſchädigung ihre Geſundheit dauernd geſtört worden iſt, und zwar zur Hälfte, wenn dadurch nur ihre Felddienſtfähigkeit, zum vollen Betrage, wenn auch ihre Garniſons - dienſtfähigkeit aufgehoben worden iſt2)Penſ. Geſ. §. 14. Nov. v. 4. April 1874 §. 2. 19.. Die Bewilligung der Penſions-Erhöhung wegen Kriegsbeſchädigung iſt nur zuläſſig, wenn die Penſionirung vor Ablauf von 5 Jahren nach dem Frie - densſchluſſe3)Penſ. Geſ. §. 16. Für die Unterklaſſen kommen die Friſt - beſtimmungen in §. 81 ff. des Penſ. Geſ. und §. 13 der Novelle zur Anwendung. (Siehe unten sub V S. 303 fg.) reſp. nach der Rückkehr des Schiffes in den erſten heimathlichen Hafen eintritt4)Nov. v. 4. April 1874 §. 8..

Für jeden einzelnen Feldzug erläßt der Kaiſer beſondere Be - ſtimmungen darüber, wer im Sinne des Penſionsgeſetzes Theil - nehmer am Kriege war5)Nov. v. 4. April 1874 §. 18.. Die Entſcheidung der Frage, ob die Dienſtunfähigkeit durch den Krieg herbeigeführt worden iſt, erfolgt durch die oberſte Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents6)Penſ. Geſ. §. 17. 109. 115..

2. Verſtümmelungszulage. Militairperſonen, welche durch den Militairdienſt, ſei es im Krieg oder im Frieden, ver - ſtümmelt, erblindet oder ſchwer und unheilbar beſchädigt worden ſind, erhalten eine Erhöhung der Penſion, welche für Offiziere ꝛc. 600 Mark jährlich, für Unteroffiziere und Soldaten 18 Mark291§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.monatlich beträgt1)Penſ. Geſ. §. 13. 72. Daſelbſt ſind die einzelnen Arten der Beſchädi - gungen, für welche Verſtümmelungszulagen gewährt werden, aufgeführt.. Bei mehrfacher Verſtümmelung oder Be - ſchädigung wird dieſe Erhöhung für jede einzelne derſelben ge - währt; die Erhöhungen dürfen aber den Betrag von 1200 Mark jährlich, reſp. 36 Mark monatlich, nur in dem Falle überſteigen, wenn die Invalidität durch Verwundung oder äußerliche Beſchä - digung herbeigeführt iſt; die für Erblindung eines oder beider Augen ausgeſetzten Penſions-Erhöhungen werden von dieſer Ein - ſchränkung jedoch nicht betroffen.

Der Anſpruch auf Verſtümmelungszulagen iſt an eine Zeit - beſchränkung nicht gebunden2)Nov. v. 4. April 1874 §. 3. Penſ. Geſ. §. 84 Abſ. 3. §. 85.. Iſt die Verſtümmelung ꝛc. ꝛc. durch den Krieg herbeigeführt, ſo wird die Verſtümmelungszulage neben der Kriegszulage gewährt. Dieſe Penſions-Erhöhungen werden auch in dem Falle im vollen Umfange bewilligt, daß der Geſammt - betrag der Verſorgung den Betrag des penſionsfähigen Dienſtein - kommens erreicht oder überſteigt3)Penſ. Geſ. §. 15. 74 Abſ. 2..

3. Die Vorſchriften über Gewährung von Kriegszulagen und Verſtümmelungszulagen (Penſionserhöhungen) finden auch Anwen - dung auf die oberen Militairbeamten4)Penſ. Geſ. §. 56. und zwar werden ſie behandelt wie die Offiziere., auf die unteren Mi - litairbeamten5)Penſ. Geſ. §. 90. 92. Auf dieſe Beamten finden dieſelben Vorſchriften Anwendung, welche für die Unteroffiziere gelten., und auf die, ihr Einkommen aus dem Marine - Etat empfangenden Lootſen, Schiffsführer, Steuerleute u. ſ. w.6)Penſ. Geſ. §. 57. 93. Die in §. 57[aufgeführten] Perſonen werden den oberen, die in §. 93 genannten den unteren Militairbeamten gleich - geſtellt..

4. Dienſtzulage. Den Unteroffizieren vom Feldwebel abwärts wird vom zurückgelegten 18. Dienſtjahre ab für jedes weitere Dienſtjahr bei eintretender nachzuweiſender Ganzinvalidität eine Penſionszulage von Mark monatlich gewährt; der hier - nach erworbene Penſionsſatz darf jedoch das geſammte Dienſtein - kommen der Stelle, welche der Invalide im Etat bekleidet hat, nicht überſteigen7)Penſ. Geſ. §. 74..

19*292§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

5. Anſtellungsentſchädigung. Den Ganzinvaliden, deren Invalidität durch eine in dem Kriege von 1870 / 71 erlittene Dienſtbeſchädigung herbeigeführt worden iſt, und welche Anſpruch auf den Civilverſorgungsſchein haben, wird nach ihrer Wahl an Stelle des Civilverſorgungsſcheins eine Penſionszulage von 6 Mark monatlich gewährt1)Nov. v. 4. April 1874 §. 11. Die Friſt für Ausübung des Wahlrechts iſt ebendaſ. auf 6 Monate beſtimmt worden. Ueber die rückwirkende Kraft dieſer Vorſchriften vgl. §. 20 deſſelben Geſetzes. Der Grund dieſer Anordnung liegt in der großen Zahl von Kriegs-Invaliden, für welche eine genügende Menge von ihnen zugänglichen Civilſtellen nicht vorhanden geweſen iſt. Vgl. die Motive S. 11 fg. (Druckſ. des Reichstags I Seſſ. 1874 Bd. I Nro. 10.).

Invaliden, welche an der Epilepſie leiden und aus dieſem Grunde den Civilverſorgungsſchein nicht erhalten, oder welche ihrer Gebrechen wegen zu keinerlei Verwendung im Civildienſt tauglich ſind, erhalten, wenn die Invalidität durch Dienſtbeſchädi - gung entſtanden iſt, unter der Vorausſetzung ihrer Berechtigung zum Civilverſorgungsſchein anſtatt des letzteren eine Penſionszulage von 9 Mark monatlich. Ganzinvaliden von mindeſtens achtjähri - ger aktiver Dienſtzeit bedürfen zum Erwerbe dieſer Penſionszulage des Nachweiſes erlittener Dienſtbeſchädigung nicht2)Nov. v. 4. April 1874 §. 12 Abſ. 1. 2. Durch dieſe Vorſchriften iſt §. 76 des Penſ. Geſetzes abgeändert worden..

Die vorher erwähnte Penſionszulage (Geſ. v. 4. April 1874 § 11) und dieſe Anſtellungsentſchädigung können nicht neben ein - ander bezogen werden, wohl aber kann jede derſelben neben einer dem geſammten Dienſteinkommen gleichkommenden Penſion im Falle des § 74 (Dienſtzulage) gezahlt werden3)§. 12 cit. Abſ. 3. Auch das Recht auf Kriegszulagen und Verſtümme - lungszulagen bleibt davon unberührt..

6. Ehrenzulage an die Inhaber des Eiſernen Kreuzes v. 1870 / 71. Diejenigen Perſonen, welche im Kriege gegen Frankreich von 1870 / 71 in den unteren Chargen bis zum Feldwebel einſchließlich das Eiſerne Kreuz erſter Klaſſe erworben haben oder welche unter denſelben Vorausſetzungen das Eiſerne Kreuz zweiter Klaſſe erhalten haben und daneben das preuß. Mi - litair-Ehrenzeichen zweiter Klaſſe oder eine dieſem gleich zu ach - tende militairiſche Dienſtauszeichnung eines andern deutſchen Bun -293§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.desſtaates1)Die Beſtimmung darüber, welche Ehrenzeichen dies ſind, iſt dem Kaiſer. übertragen. Sie iſt ergangen in dem Erlaß v. 19. Novemb. 1878 (R. G.Bl. S. 361). Die Auszeichnung muß in den ſeit 1866 mit Preußen verbundenen Landestheilen vor deren Vereinigung, in den übrigen Bundesſtaaten vor dem Kriege v. 1870 / 71 verliehen worden ſein. beſitzen, erhalten vom 1. April 1878 ab eine Ehren - zulage von 3 Mark monatlich. Invalidität iſt keine Vor - ausſetzung dieſes Anſpruchs. Die Ehrenzulage wird auf Lebenszeit gewährt; der Anſpruch auf dieſelbe erliſcht mit dem Eintritt der Rechtskraft eines ſtrafgerichtl. Erkenntniſſes, welches den Verluſt der Orden zur Folge hat2)Reichsgeſ. v. 2. Juni 1878 (R. G.Bl. S. 99)..

IV. Die Civilverſorgung.

A. Offiziere.

Einen Rechtsanſpruch auf Anſtellung im Civildienſte haben Offiziere und im Offiziersrange ſtehende Militairärzte in keinem Falle. Es kann jedoch den zu lebenslänglicher Penſion berech - tigten Offizieren bei ihrer Verabſchiedung durch beſondere Allerh. Entſchließung die Ausſicht auf Anſtellung im Civildienſt ertheilt werden3)Es beruht dies auf dem Milit. Penſ. Reglem. v. 13. Juli 1825 §. 7. Vgl. hierzu die Kabin. Ordres v. 13. Dezemb. 1835 und v. 21. Sept. 1843 und das Miniſt. Reſcr. v. 27. Juli 1870. (bei v. Helldorff, Dienſtvorſchrif - ten I. Th. 5. Abth. S. 57 fg.). Eine ſolche Verleihung berechtigt den betreffenden Of - fizier, ſich bei den Behörden um eine Anſtellung zu bewerben , und legt den Behörden die Befugniß bei, ihn anzuſtellen, falls er den geſetzlich oder verordnungsmäßig beſtehenden Anforderungen für die Führung des Amtes genügt. Für die Civilbehörden be - ſteht aber keineswegs irgend eine Verpflichtung, einem mit Aus - ſicht auf Anſtellung im Civildienſt verabſchiedeten Offizier ꝛc. eine beſtimmte von ihm gewünſchte Stelle zu verleihen, und ſie ſind auch nicht befugt, ihre Verantwortlichkeit für die zweckmäßige Be - ſetzung vakanter Stellen mit geeigneten Perſonen dadurch von ſich abzuwälzen, daß ſie die Stellen den mit Ausſicht auf Civilanſtel - lung verabſchiedeten Offizieren verleihen4)Vgl. Reſcr. des Kriegsminiſt. (Abth. f. das Invalidenweſen) v. 1. Feb. 1873 (v. Helldorff a. a. O. S. 60).. Eine Ausnahme be - ſteht allein für die Poſtverwaltung. In den älteren Pro -294§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.vinzen Preußens ſind ſeit der Zeit König Friedrich’s II. eine An - zahl von Poſtämtern ausſchließlich für die Armee zur Verſorgung penſionirter, mit Ausſicht auf Anſtellung im Civildienſt verabſchie - deter Offiziere beſtimmt1)Dieſe Aemter werden als Militair - oder Offizier-Poſtämter bezeichnet. Es ſind nach dem durch Kabin. Ordre v. 27. Januar 1872 genehmigten Ver - zeichniß 132. Vgl. den Kommiſſionsbericht des Reichstags v. 13. Mai 1871. (Druckſachen 1871 I. Seſſ. Nro. 112) S. 13 fg.. Die Anſtellung erfolgt jedoch nur, wenn der vom Kriegsminiſterium der Poſtverwaltung zur Anſtel - lung überwieſene Exſpectant die erforderliche Kenntniß und Brauch - barkeit durch Ablegung der vorgeſchriebenen Prüfung dargethan hat. Die in der Prüfung beſtandenen Exſpectanten werden bei eintretenden Vakanzen in der durch die Zeitfolge des abgeleiſteten Examens beſtimmten Reihenfolge zuerſt auf Probe mit der Ver - waltung eines Poſtamtes kommiſſariſch beauftragt und nach einem Jahre, wenn ſie den dienſtlichen Anforderungen genügt haben, de - finitiv angeſtellt2)Die näheren Anordnungen beruhen auf einem zwiſchen der Poſtverwal - tung und dem Kriegsminiſt. vereinbarten und durch Kabin. Ordre v. 13. Mai 1862 genehmigten Reglement. Abgedruckt bei v. Helldorff a. a. O. S. 60 fg. Vgl. auch die Allgem. Poſt-Dienſt-Anweiſ. Abſchn. X Abth. 1. (Bd. IV) §§. 29 ff. Siehe oben Bd. II S. 358..

B. Militairperſonen der Unterklaſſen.

1. Einen geſetzlich begründeten Anſpruch auf den Civilver - ſorgungsſchein haben:

  • a) Die als verſorgungsberechtigt anerkannten
    3)Dies ſetzt voraus, daß die Ganzinvalidität entweder durch Dienſtbe - ſchädigung oder nach einer Dienſtzeit von mindeſtens 8 Jahren eingetreten iſt. Penſ. Geſ. §. 58 Abſ. 1.
    3) Ganz-Inva - liden, wenn ſie ſich gut geführt haben. Dieſelben erhalten dieſen Schein neben der Penſion.
  • b) Den verſorgungsberechtigten Halbinvaliden, welche minde - ſtens zwölf Jahre gedient haben, wird, wenn ihre Führung gut geweſen iſt, der Civilverſorgungsſchein nach ihrer Wahl an Stelle der Penſion ertheilt
    4)Penſ. Geſ. §. 75.
    4).
  • c) Unteroffiziere erlangen durch zwölfjährigen aktiven
    5)Durch das Wort aktiv ſoll ausgedrückt werden, daß bei Berechnung der 12jährigen Dienſtzeit eine Doppelrechnung der Kriegsjahre nicht ſtattfindet.
    5)
295§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

Dienſt bei fortgeſetzter guter Führung den Anſpruch auf den Ci - vilverſorgungsſchein, auch wenn ſie nicht als Invaliden verſor - gungsberechtigt ſind1)Novelle v. 4. April 1874 §. 10 Abſ. 1. Iſt ein Unteroffiz. von 12 - jähriger Dienſtzeit zugleich Halbinvalide, ſo empfängt er neben dem Civilver - ſorgungsſchein noch die Invalidenpenſion 5. Kl. Die Rechte aus §. 70 des Penſ. Geſ. und aus §. 10 der Nov. ſtehen in cumulativer Verbindung. Vgl. den Erlaß des Preuß. Kriegsmin. v. 6. Aug. 1874 (Mil. Geſetze a. a. O. S. 51)..

Invalide, welche an der Epilepſie leiden, dürfen den Civil - verſorgungsſchein nicht erhalten2)Penſ. Geſ. §. 76 Abſ. 1. Dafür erhalten ſie eine Penſionszulage. Siehe oben S. 292..

Von dem Civilverſorgungsſchein zu unterſcheiden iſt der Ci - vil-Anſtellungsſchein, welcher nach Maßgabe des Preuß. Regl. v. 20. Juni 1867 § 2 B verliehen wird und eine Ausſicht auf Ci - vilanſtellung begründet, jedoch in der Art, daß bei der Anſtellung im unmittelbaren Reichs - oder Staatscivildienſt die Inhaber des Civil-Verſorgungsſcheins, unter der Vorausſetzung ihrer Qualifi - kation, den Vorrang vor den Inhabern des Civil-Anſtellungs - ſcheines haben3)Bei der Anſtellung im Kommunaldienſt in Preußen beſteht dieſe Rang - ordnung nicht. Regl. v. 20. Juni 1867 §. 11 und dazu Reſcr. des Miniſt. des Innern v. 7. Juni 1869 (Min. Bl. f. die innere Verw. 1869 S. 193. Mil. Geſ. a. a. O. S. 205)..

Die Inhaber von Scheinen der beiden Kategorien werden unter der Bezeichnung Militairanwärter zuſammengefaßt.

2. Die Subaltern - und Unterbeamtenſtellen bei den Reichs - und Staatsbehörden, mit Ausnahme des Forſtdienſtes, wer - den vorzugsweiſe mit Invaliden beſetzt, welche den Civilver - ſorgungsſchein beſitzen4)Penſ. G. §. 77 Abſ. 1. Es wird jedoch ebendaſ. Abſ. 2 hinzugefügt, daß in dem beſtehenden Konkurrenzverhältniſſe zwiſchen den Invaliden und den übrigen Militair-Anwärtern durch dieſe Vorſchrift keine Aenderung eintritt.. Die Grundſätze, nach welchen hier - bei zu verfahren, ſind von dem Bundesrath feſtzuſtellen. Zur Zeit ſind dieſe Anordnungen vom Bundesrath noch nicht beſchloſſen worden; es beſteht vielmehr folgender Rechtszuſtand:

a) In Preußen gilt das Reglement v. 20. Juni 1867 über die Civilverſorgung und Civilanſtellung der Militairperſonen296§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.des Heeres und der Marine vom Feldwebel abwärts. Dasſelbe iſt durch eine Kommiſſion, beſtehend aus Vertretern ſämmtl. Mi - niſterien, ausgearbeitet und mit Motiven verſehen worden und hat durch Kab. Ordre die Genehmigung des Königs erhalten. Es iſt mehrfach ergänzt und durch Reſcripte erläutert worden1)Es iſt in dem Miniſt. Blatt f. d. inn. V. 1867 S. 280 und im Juſt. - M. Bl. S. 228 abgedruckt. Die beſte und überſichtlichſte Ausgabe mit allen Nachträgen und Erläuterungen, ſowie mit Auszügen und den Motiven findet ſich in den Milit. Geſetzen a. a. O. S. 183 234. Eine ähnliche Bearbeitung bei v. Helldorff, Dienſtvorſchriften I, 5 S. 255 ff..

b) Der Bundesrath des Nordd. Bundes hat im Jahre 1869 einige Grundſätze vereinbart, welche im ganzen Gebiet des ehe - mal. Nordd. Bundes Geltung haben. Dieſelben beruhen auf dem erwähnten Preuß. Reglem. Sie ordnen insbeſondere an (Ziff. 2), daß die Erwerbung der Eigenſchaft als Militairanwärter für alle Militairperſonen der Bundesarmee von der Erfüllung derſelben Bedingungen und zwar der im § 2 des Preuß. Regl. aufgeſtellten, abhängig ſei; daß der Ausweis als Militairanwärter durch ein im ganzen Bundesgebiet nach demſelben Schema auszufertigendes Legitimationspapier erfolgt (Ziff. 3); daß die Subaltern - und Unterbeamten ſtellen bei den Staatsbehörden mit Einſchluß der der Bundesaufſicht unterſtellten Dienſtzweige, jedoch mit Aus - nahme der Forſtverwaltung, entweder ausſchließlich oder zur Hälfte mit Militairanwärtern beſetzt werden2)Abgedruckt ſind die erwähnten Bundesrathsbeſchlüſſe im Preuß. A. V.Bl. 1869 S. 194. Milit. Geſ. a. a. O. S. 234.. Die nähe - ren Vorſchriften zur Durchführung dieſer Grundſätze blieben den Einzelſtaaten überlaſſen. Auch in Südheſſen, Baden und Elſaß-Lothringen iſt das Civilverſorgungsweſen in Uebereinſtimmung mit den vom Bundesrath des Nordd. Bundes beſchloſſenen Grund - ſätzen geregelt worden3)Auf Grund des Preuß. Reglements v. 20. Juni 1867 ſind insbeſon - dere ergangen im Königr. Sachſen ein Reglem. v. 13. Aug. 1870 (Geſ. u. V. Bl. f. d. Königr. Sachſen S. 288); im Großh. Baden die Verordn. v. 6. Dezemb. 1872 (Geſ. und Ver. -Bl. S. 393); im Großh. Heſſen die Ver - ordn. v. 25. April 1873 (RegierungsBl. Nro. 21). Vgl. Milit. Geſ. a. a. O. S. 181; für Elſaß-Lothringen die Kaiſerl. Verordn. v. 26. Januar 1878 (Armee-V. Bl. S. 61)..

297§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

c) In Bayern iſt bereits vor der Errichtung des Deutſchen Reiches das Civilverſorgungsweſen durch eine Königl. Verordn. v. 5. April 18691)Bayer. Regier. Bl. 1869 S. 538. geregelt worden, welche ſich in weſentlichen Be - ziehungen an das Preuß. Reglem. v. 1867 anſchließt.

d) In Württemberg iſt ein proviſoriſches Reglement v. 8. Aug. 1878 ergangen2)Württemb. Mil. Verordn. Bl. 1878 S. 149 (Milit. Geſetze Bd. II. Nach - trag V. 238. Note)., welches aber nur auf ſolche Militair-An - wärter Anwendung findet, die entweder den Verſorgungsſchein im Württemb. Kontingent erdient haben oder die ſowohl zur Zeit der Erlangung des Scheins als auch zur Zeit der Bewerbung die Württemb. Staatsangehörigkeit haben.

Auf dem aus der vorſtehenden Ueberſicht ſich ergebenden Rechtszuſtande beruht es, daß nach einem Beſchluß des Bundes - rathes bis zur Aufſtellung einheitlicher Grundſätze über die An - ſtellung der Militairanwärter die von den Bayeriſchen und Würt - temberg. Militairbehörden ausgeſtellten Civilverſorgungsſcheine nur in dem betreffenden Bundesſtaate Gültigkeit haben, während da - gegen die von den übrigen, hierzu berufenen Militairbehörden aus - geſtellten Civil-Verſorgungsſcheine in allen Bundesſtaaten, mit Ausnahme von Bayern und Württemberg, zu einer Verſorgung berechtigen3)Bekanntmach. des Preuß. Kriegsminiſt. v. 22. Nov. 1877. (A. V.Bl. S. 219.) Es iſt hierdurch jedoch nicht ausgeſchloſſen, daß in jedem Bundes - ſtaate die eigenen Angehörigen deſſelben oder ſeines Kontingents vorzugsweiſe berückſichtigt werden. Beſchlüſſe des Bundesrathes v. 1869. I. 4 Abſ. 2. Vgl. die citirte Badiſche Verordn. §. 4 a. E. Verordn. f. Elſ. - Lothringen §. 1 Abſ. 1..

3. Das Reichsgeſetz legt den Bundesſtaaten zwar nur die Verpflichtung auf, die Subaltern - und Unterbeamtenſtellen bei den Staatsbehörden vorzugsweiſe mit Invaliden zu beſetzen, welche den Civilverſorgungsſchein haben; es beſtimmt aber zugleich, daß dadurch die in den einzelnen Bundesſtaaten bezüglich der Verſor - gung der Militair-Anwärter im Civildienſte erlaſſenen weiter - gehenden Beſtimmungen nicht geändert werden4)Penſ. Geſetz §. 77 Abſ. 2.. In dieſer Beziehung iſt Folgendes zu bemerken:

298§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

a) Die Stadtgemeinden in Preußen ſind geſetzlich verpflichtet, die beſoldeten ſtädtiſchen Unterbeamtenſtellen und ſoweit Militairinvaliden mit der erforderlichen Geſchäftsbildung vorhanden ſind auch die ſtädtiſchen Subalternbeamtenſtellen mit verſorgungsberechtigten Militair-Invaliden zu beſetzen1)Preuß. Reglem. v. 20. Juni 1867 §. 11. Die Verpflichtung iſt ein - geführt worden durch eine Kab. Ordre v. 15. Juli 1776. Sie iſt durch den §. 157 der Städte-Ordn. v. 19. Nov. 1808 unberührt geblieben, was durch eine Deklaration v. 29. Mai 1820 (Geſetz-Samml. S. 79) ausdrücklich feſtge - ſtellt worden iſt. Durch die ſpäteren Städteordnungen iſt hieran Nichts ge - ändert worden. In den neu erworbenen Gebieten iſt durch Allerh. Erlaß v. 22. Sept. 1867 (Geſ. Samml. S. 1667) das in den ältern Provinzen beſtehende Recht zur Einführung gelangt. Vgl. die ausführlichen Angaben in den Mil. - Geſetzen a. a. O. S. 202 fg.. Ausge - genommen ſind die Stellen der Kämmerei-Rendanten und Kaſſen - beamten (Kabin. Ordre v. 1. Aug. 1835. Geſ. Samml. S. 179). Die für die Städte beſtehenden Vorſchriften finden auch Anwen - dung auf die Beſetzung der Kreisbeamtenſtellen und der Stellen für die Provinzialbeamten2)Preuß. Kreis-Ordnung v. 13. Dez. 1872 §. 134 Ziff 3 und Provinzial - Ordn. v. 29. Juni 1875 §. 97..

In den andern Deutſchen Staaten beſteht für die Kommunen eine geſetzliche Verpflichtung dieſer Art nicht.

b) Den Privat-Eiſenbahnen iſt in Preußen bei der Konzeſſionirung die Pflicht auferlegt worden, zu den Unterbeam - tenſtellen, mit Ausnahme der einer techniſchen Vorbildung bedürfen - den, Militair-Anwärter, welche das 35. Lebensjahr noch nicht zu - rückgelegt haben, vorzugsweiſe zu wählen3)Ein Verzeichniß der Eiſenbahnen, denen dieſe Verpflichtung obliegt, iſt vom Preuß. Kriegsmin. am 4. April 1878 im Armee-V. Bl. 1878 S. 94 ver - öffentlicht worden..

c) Die ſtändiſchen Inſtitute , ſie mögen von ſtän - diſchen oder Staatsbehörden verwaltet werden, haben in Preußen bei der Anſtellung der Unterbeamten die für die Kommunen gege - benen Vorſchriften zu befolgen, ſoweit nicht ſtatutariſche Anordnun - gen eine Abweichung begründen4)Beſchluß des Preuß. Staatsminiſt. v. 12. Okt. 1837 Nro. 10. Geneh - migt durch Kab. Ordre v. 22. Dez. 1837 (abgedruckt in Kamptz Annalen Bd. XXII S. 3 Mil. Geſ. a. a. O. S. 203). Preuß. Reglem. §. 12..

299§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

4. Zu einer jeden Anſtellung im Civildienſte iſt die für die betreffende Stelle vorgeſchriebene Qualifikation unbedingt erforder - lich; insbeſondere die Ablegung der Prüfungen, und der Nachweis der körperlichen und geiſtigen Befähigungen, welche für die Er - langung gewiſſer Stellen verlangt werden1)Preuß. Regl. §. 3. Eine Zuſammenſtellung der zahlreichen, in den ein - zelnen Reſſorts hierüber ergangenen Anordnungen gibt v. Helldorff Dienſt - vorſchriften Th. I Abth. 5 S. 291 422.. Unter den qualifi - zirten Militair-Anwärtern haben die Inhaber des Civilverſorgungs - ſcheines den Vorrang vor den Inhabern des Civilanſtellungsſchei - nes; unter den erſteren ſind zunächſt Unteroffiziere, welche nach mindeſtens achtjähriger Dienſtzeit ausgeſchieden ſind, zu berückſich - tigen; im Uebrigen richtet ſich die Reihenfolge der Militair-An - wärter nach der Zeit der Anmeldung zu einer Stelle, bei gleich - zeitiger Anmeldung nach der Länge der militair. Dienſtzeit2)Preuß. Kab. Ordre v. 17. April 1873 (A. V.Bl. S. 132). Hierdurch iſt §. 4 des Preuß. Regl. abgeändert worden. Dieſelben Vorſchriften ſind auch in andern deutſchen Staaten, z. B. in Sachſen, Heſſen, Elſaß-Lothringen (§. 1 der cit. Verordn. ) eingeführt worden.. Bei der Beſetzung von Stellen des Küſten - und Hafendienſtes haben Anwärter aus dem Seemannsſtande der Reichsmarine den Vor - zug3)Preuß. Regl. §. 3 Abſ. 3 und dazu Kab. Ordre v. 15. Dez. 1869.. In der Regel erfolgt die Anſtellung der Militair-Anwär - ter erſt nach einer zur Zufriedenheit der vorgeſetzten Civilbehörde abgelegten Probedienſtleiſtung von 6 Monaten, für welche eine an - gemeſſene Remuneration zu zahlen iſt4)Detaillirte Vorſchriften über die Probedienſtleiſtung enthält das Preuß. Regl. §. 27 ff. ; über die Fortzahlung des Militaireinkommens der in Reih und Glied befindlichen und zur Probedienſtleiſtung abkommandirten Militair - anwärter gelten die Vorſchriften des Geldverpfl. Regl. f. den Frie - den v. 24. Mai 1877 §. 39.. Die für Militair - Anwärter beſtimmten Civilſtellen dürfen durch Ci - vil-Anwärter nicht beſetzt werden, ſo lange quali - fizirte Militairanwärter vorhanden ſind und ſich darum bewerben.

Es iſt demgemäß ein Verfahren vorgeſchrieben, um die va - kanten für Militair-Anwärter zugänglichen Stellen bekannt zu ma - chen und Bewerbungen zu ermöglichen5)Die gegenwärtig hierüber geltenden Vorſchriften ſind enthalten im Preuß.. Sowohl die Reſſort -300§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.miniſterien wie die Oberrechnungskammer, und hinſichtlich der Kom - munal -, Kreis -, Provinzial - und Inſtituts-Stellen die aufſichtfüh - renden Regierungen und Oberpräſidien, ſind verpflichtet, die Kon - trole darüber zu führen, daß die den Militair-Anwärtern zugäng - lichen Stellen auch wirklich durch ſolche beſetzt werden1)Preuß. Regl. §. 31 fg. Dem Reichskanzleramte wird alljährlich die Zahl der mit Militairanwärtern beſetzten Stellen mitgetheilt. Beſchl. des Bun - desrathes v. 1869 Ziff. 9 (A. V.Bl. S. 194)..

5. Sowohl das Vorzugsrecht der Militairanwärter als die unter denſelben beſtehende Rangordnung gelten nur für die erſte Anſtellung; die Beförderung in höhere Dienſtſtellen oder Gehalts - ſtufen erfolgt lediglich nach dem Ermeſſen der vorgeſetzten Civil - behörde, beziehw. nach dem Dienſtalter im Civilſtaatsdienſte2)Preuß. Regl. §. 5 Abſ. 2. §. 9 Ziff. 3.. Wenn ein im Civildienſt angeſtellter Inhaber des Verſorgungs - oder Anſtellungsſcheins aus dieſem Dienſt mit Penſion aus - ſcheidet, ſo verliert der Schein ſeine Wirkſamkeit3)Preuß. Regl. §. 37.. Außerdem verliert er von Rechtswegen ſeine Kraft, wenn dem Inhaber durch rechtskräftiges Erkenntniß die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter abgeſprochen wird4)Preuß. Regl. §. 35..

6. An Stelle der Civilverſorgung können halbinvalide Unteroffiziere im aktiven Militairdienſt belaſſen und in ſol - chen Stellen verwendet werden, deren Dienſt das Vorhandenſein der Feld - beziehungsw. Seedienſtfähigkeit nicht erfordert (ſogen. Garniſondienſt), wenn ſie hierzu geeignet ſind und dies ſtatt der Gewährung der Penſion wünſchen5)Penſions-Geſetz §. 79. Garniſondienſtſtellen für Halbinvalide des Ge -.

V. Feſtſtellung, Zahlung, Kürzung ꝛc. der Penſion.

In der juriſtiſchen Natur des Verhältniſſes iſt zwar ein Un - terſchied zwiſchen dem Penſions-Anſpruch der Offiziere und dem5)Regl. §. 16 fg. und in einer Kab. Ordre v. 12. April 1875 (A. V.Bl. S. 157). Sie ſind in den meiſten Staaten Norddeutſchlands ebenfalls eingeführt. (Vgl. die Nachweiſungen in den Milit. Geſetzen a. a. O. S. 213.) Ebenſo im Großh. Heſſen. Für Elſaß-Lothringen vgl. die oben cit. Verordn. v. 26. Ja - nuar 1878 §. 4.301§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.der Perſonen der Unterklaſſen in den angegebenen Beziehungen nicht begründet und es ſind demgemäß auch die weſentlichen Rechts - grundſätze für alle Militairperſonen gleichartig, im Einzelnen aber hat das Penſionsgeſetz ſehr zahlreiche Abweichungen zwiſchen den oberen und unteren Rangklaſſen eingeführt. Es empfiehlt ſich des - halb, dem Vorgange des Penſionsgeſetzes gemäß die für jede der beiden Klaſſen beſtehenden Vorſchriften geſondert darzuſtellen.

1. Offiziere und im Offizierrange ſtehende Militairärzte.

a) Die Feſtſtellung und Anweiſung der Penſionen erfolgt durch die oberſte Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents1)Penſ. Geſ. §. 26. Bei den der Marine angehörenden Perſonen durch die Kaiſerl. Admiralität. Penſ. Geſ. §. 55. und zwar nur auf Antrag. Das Geſuch um Gewährung von Penſion muß in dem Abſchiedsgeſuche enthalten und begründet ſein. Eine nachträgliche Forderung von Penſion iſt nur in dem Falle zuläſſig, daß die Art der Invalidität gleichzeitig den Anſpruch auf Penſionserhöhung begründet2)Penſ. Geſ. §. 29. Für ſolche Anſprüche muß die im §. 16 a. a. O. feſtgeſetzte Friſt innegehalten werden. Siehe oben S. 290.. Offiziere ꝛc., welche das 60. Le - bensjahr noch nicht zurückgelegt haben, müſſen in dem Penſions - geſuch ihre Invalidität nachweiſen3)Für den Anſpruch auf die Penſionserhöhungen iſt der Nachweis in jedem Lebensalter erforderlich. Penſ. Geſ. §. 28 Abſ. 2. Das Geſetz ſagt fälſchlich: Dienſtalter. Vgl. über die Veranlaſſung dieſes Redactions-Ver - ſehens Seydel in Hirth’s Annalen 1875 Sp. 65 Note 4. und die Erklärung der un - mittelbaren Vorgeſetzten beibringen, daß dieſelben nach pflichtmäßi - gem Ermeſſen den die Penſionirung Nachſuchenden für unfähig zur Fortſetzung des aktiven Militairdienſtes halten4)Penſ. Geſ. §. 27 Abſ. 1. Das Formular für dieſe Erklärungen iſt vor - geſchrieben in den Ausführungsbeſtimmungen des Preuß. Kriegs - miniſt. v. 18. Aug. 1871 Ziff. 5. (A. V.Bl. 1871 S. 227.). Den oberſten Militair-Verwaltungsbehörden iſt es überlaſſen zu beſtimmen, in wie weit noch andere Beweismittel allgemein oder im einzelnen Falle beizubringen ſind5)Penſ. Geſ. §. 27 Abſ. 2. Dieſe Vorſchriften ſind für den Bereich der Preuß. Armeeverwaltung ergangen in der Dienſtanweiſung zur Beur -.

5)meinenſtandes gibt es nicht mehr; deshalb erwähnt das Geſetz nur Unteroffi - ziere. Vgl. Motive S. 48.

302§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

b) Die Zahlung der Penſion erfolgt monatlich im Voraus; ſie beginnt mit dem Ablaufe desjenigen Monats, für welchen der Verabſchiedete das etatsmäßige Gehalt zum letzten Male empfan - gen hat, und falls er zur Zeit der Penſionirung Gehalt nicht mehr bezog, mit dem Monat, für welchen die Penſionirung ausgeſpro - chen worden iſt1)Penſ. Geſ. §§. 30. 31. Nov. v. 4. April 1874 §. 4..

c) Das Recht auf den Bezug der eigentlichen Penſion ruht2)Ein völliges Erlöſchen des Penſions-Anſpruchs tritt nach §. 32 ein in zwei Fällen, nämlich beim Tode des Penſionairs und bei einer gerichtlichen Verurtheilung deſſelben zum Penſionsverluſt. Der erſte dieſer Fälle iſt ſelbſt - verſtändlich und ſeine Erwähnung im Geſetz überflüſſig, der zweite kann nicht mehr vorkommen, da die beiden Reichs-Strafgeſetzbücher die Strafe der Ent - ziehung einer bereits zugebilligten Penſion nicht kennen., wenn ein Penſionair das Deutſche Indigenat (d. i. die Reichs-Angehörigkeit) verliert, bis zur Wiedererlangung desſelben; ferner wenn er im aktiven Militairdienſt wieder angeſtellt wird während der Dauer des Dienſtes; endlich wenn und ſo lange ein Penſionair im Reichs -, Staats - oder im Kommunaldienſte ein Dienſteinkommen bezieht, inſoweit als der Betrag dieſes neuen Dienſteinkommens unter Hinzurechnung der Penſion (excl. Pen - ſionserhöhungen) den Betrag des vor der Penſionirung bezogenen penſionsfähigen Dienſteinkommens überſteigt3)Penſ. Geſ. §. 33..

Erwirbt der Militairpenſionär eine Civilpenſion aus Reichs - oder Staatsfonds, ſo wird um den Betrag der letzteren die Mili - tairpenſion gekürzt4)Hat die Civildienſtzeit weniger als ein Jahr betragen, ſo wird die volle Militairpenſion wieder gewährt, d. h. auf den Militairetat übernommen.; erwirbt er eine Penſion im Kommunaldienſt, ſo hat dieſe denſelben Einfluß wie ein Dienſteinkommen im Kom - munaldienſt5)Penſ. Geſ. §. 35. 36..

Im Fall vorübergehender Beſchäftigung im Reichs -, Staats - oder im Kommunaldienſte gegen Tagegelder oder eine anderweite Entſchädigung wird die Penſion für die erſten ſechs Monate dieſer5)theilung der Militairdienſtfähigkeit ꝛc. vom 8. April 1877 (Militairgeſetze Bd. II Abth. V S. 90 ff. ), insbeſondere §§. 40 ff. Für die Offiziere des Beurlaub - tenſtandes kommt ferner noch in Betracht der Erlaß des Preuß. Kriegsmin. v. 8. April 1872 (A. V.Bl. S. 138 und Mil. Geſ. a. a. O. S. 21 Note 2).303§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.Beſchäftigung unverkürzt gewährt; in allen andern Fällen tritt die Einziehung, Kürzung oder Wiedergewährung der Penſion mit dem Beginn desjenigen Monats ein, welcher auf das eine ſolche Veränderung nach ſich ziehende Ereigniß folgt1)Penſ. Geſ. §. 37..

d) Auf Penſions-Erhöhungen finden die Vorſchriften über Entziehungen, Kürzungen ꝛc. im Allgemeinen keine Anwendung; ſie verbleiben vielmehr dem Penſionär, ausgenommen wenn derſelbe die Reichsangehörigkeit verliert oder wenn er im aktiven Mili - tairdienſt wieder angeſtellt wird; und auch in dem letzterwähnten Falle werden Penſionserhöhungen fortgezahlt bei Anſtellung in den für Garniſondienſtfähige zugänglichen Stellen2)z. B. bei den Traindepots, den Landwehr-Bezirkskommando’s, den Garde-Landwehr-Bataillons-Stämmen, oder als Platzmajors, Führer der Strafabtheilungen, Vorſtände der Handwerksſtätten, Etappeninſpektoren, oder in der Militair - und Marine-Verwaltung.; das Recht ruht ferner bei vorübergehender Heranziehung zum aktiven Dienſt für die Dauer des mobilen Verhältniſſes und bei Verſorgung in In - validen-Inſtituten3)Penſ. Geſ. §. 34; 35 Abſ. 1; 36 Abſ. 2..

2. Unteroffiziere und Soldaten.

a) Der Anſpruch auf Invalidenverſorgung muß vor der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt angemeldet werden; dies gilt auch für Unteroffiziere und Soldaten des Beurlaub - tenſtandes, wenn ſie zum aktiven Militairdienſt einberufen ſind4)Penſ. Geſ. §. 81.. Nur wenn die Invalidität nachweislich durch eine während des aktiven Militairdienſtes (im Frieden) erlittene Dienſtbeſchädi - gung verurſacht iſt und dieſe Dienſtbeſchädigung durch dienſtliche Erhebungen vor der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt feſt - geſtellt iſt, kann der Anſpruch noch binnen 6 Monaten nach der Entlaſſung geltend gemacht werden5)Penſ. Geſ. §. 82 C. §. 83.. Von dieſem Grundſatz ſind jedoch ausgenommen die Verſorgungs-Anſprüche der nachweislich durch den Krieg oder durch eine auf Seereiſen erlittene innere oder äußere Dienſtbeſchädigung invalide gewordenen Unter - offiziere und Mannſchaften, für welche innerhalb der dem betreffen - den Friedensſchluſſe beziehentl. der Rückkehr in den erſten heimath - lichen Hafen folgenden 3 Jahre die §§ 65 80 des Penſionsgeſ. 304§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.Anwendung finden; für die Invaliden des Krieges v. 1870 / 71 iſt dieſer Termin auf 4 Jahre verlängert worden1)Penſ. Geſ. §. 82 B. §. 84 Abſ. 4. Novelle v. 4. April 1874 §. 13 Abſ. 1 und 2. In dieſen Fällen iſt es auch nicht erforderlich, daß die Dienſt - beſchädigung vor der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſte durch dienſtliche Er - hebungen feſtgeſtellt worden iſt Penſ. Geſ. §. 83. Vgl. die Motive zur Novelle S. 13. 14. (Druckſ. I Seſſ. 1874 Nro. 10.). Nach Ablauf dieſer Friſt können Anſprüche noch erhoben werden, wenn die In - validität als veranlaßt nachgewieſen wird durch eine im Kriege erlittene Verwundung oder äußere Dienſtbeſchädigung oder durch eine während des aktiven Militairdienſtes im Kriege oder im Frie - den überſtandene kontagiöſe Augenkrankheit2)Penſ. Geſ. §. 82 A. 1 und A. 2 a) und b). . Allein es werden alsdann (d. h. bei Erhebung des Anſpruchs nach Ablauf der drei - jährigen, reſp. 4jährigen Friſt) nur die Penſions - und Verſtümme - lungszulagen unbeſchränkt gewährt, die eigentliche Penſion da - gegen wird nach der nächſt niedrigen Klaſſe berechnet3)Penſ. Geſ. §. 84. Vgl. Inſtruct. v. 26. Juni 1877 §. 17..

Auch den nach ihrer Entlaſſung als verſorgungsberechtigt an - erkannten Invaliden kann der Civilverſorgungsſchein ertheilt wer - den4)Penſ. Geſ. §. 87..

Bei den im aktiven Dienſt befindlichen Perſonen erfolgt die Feſtſtellung der Invalidität durch den Hauptmann (Schwadron - oder Batteriechef) und den Militairarzt. Erſterer hat zu beſchei - nigen, ob und welche Beſchädigung ein Soldat erlitten hat5)Sache des Soldaten iſt es, jede erlittene Dienſtbeſchädigung ſogleich anzumelden. Inſtr. v. 26. Juni 1877 §. 24 fg., ob dieſe Beſchädigung im Dienſt erlitten iſt, ob ſie dem Betreffenden durch eigene Verſchuldung zur Laſt fällt, oder ob ſie außerdienſt - lich entſtanden iſt; der Militairarzt hat die Dienſtunbrauchbarkeit und Erwerbsunfähigkeit, ihre Grade und ihre Dauer zu konſta - tiren6)Dienſtanweiſ. v. 8. April 1877 §. 21 und Inſtrukt. v. 26. Juni 1877 §. 6 ff. Der Militairarzt darf die Unterſuchung nicht auf Verlangen des Be - ſchädigten, ſondern nur auf Befehl ſeines Militair-Vorgeſetzten vornehmen..

Die Entſcheidung über die zu bewilligende Invaliden-Verſor - gung wird von dem Generalkommando getroffen; zweifelhafte Fälle ſind dem Kriegsminiſterium vorzulegen; an welche Inſtanz auch305§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.der Rekurs gegen die Entſcheidung des Generalkommandos zu richten iſt1)Ueber das Invaliditäts-Prüfungsverfahren vgl. die Inſtrukt. vom 26. Juni 1877 §. 35 ff. Bei den der Flotte angehörenden Perſonen treten ſelbſtverſtändlich die Marinebehörden an die Stelle der Generalkommando’s und Kriegsminiſterien.. Wird nach der Entlaſſung aus dem aktiven Dienſt ein Verſorgungsanſpruch erhoben, ſo muß derſelbe bei dem Be - zirksfeldwebel oder dem Bezirkskommando angemeldet werden. Das Bezirkskommando veranlaßt die nähere Feſtſtellung der dem Ge - ſuch zu Grunde liegenden thatſächlichen Angaben, die ärztliche Un - terſuchung, die Prüfung der Verſorgungsberechtigung. Wenn dieſe Recherchen nicht die ſofortige Abweiſung des Antrages ergeben, ſo wird derſelbe der vorgeſetzten Infanterie-Brigade vorgelegt, von welcher die Einleitung des Prüfungsverfahrens verfügt wird2)Inſtr. v. 26. Juni 1877 §. 63.. Die Prüfung und Anerkennung der nach der Entlaſſung aus dem ak - tiven Dienſt erhobenen Verſorgungs-Anſprüche findet alljährlich nur einmal ſtatt3)Penſ. Geſ. §. 88.. Der Regel nach wird dieſe Prüfung mit dem Aushebungsgeſchäft verbunden4)Die ärztliche Unterſuchung wird durch den der Ober-Erſatzkommiſſion beigegebenen Militairarzt in Gegenwart des Militairvorſitzenden vollzogen. Ueber das Verfahren vgl. Inſtrukt. v. 26. Juni 1877 §. 66.; in beſondern Fällen ſind auch au - ßerterminliche Unterſuchungen ſtatthaft5)Vgl. die angef. Inſtr. §. 67 fg..

Erweiſt ſich nach dem Ausfalle der Unterſuchung der An - ſpruch als unbegründet, ſo wird der Antrag durch das Landwehr - Bezirkskommando ſchriftlich abgewieſen; andernfalls werden die Eingaben nebſt Atteſten, Bemerkungen u. ſ. w. dem Generalkom - mando zur Entſcheidung eingereicht6)Ueber das Verfahren vgl. die cit. Inſtruktion §. 71 fg.. Gegen die Beſcheide des Landwehr-Bezirkskommando’s iſt der Rekurs an das Generalkom - mando, gegen die Beſcheide des letzteren der Rekurs an das Kriegs - miniſterium zuläſſig.

b) Die Zahlung der Penſion und Penſionszulagen erfolgt mo - natlich im Voraus7)Jeder Invalide empfängt bei der Kaſſe, auf welche die Penſion zur Zahlung angewieſen iſt, ein Penſions-Quittungsbuch, für welches das Schema vom Bundesrath feſtgeſtellt worden iſt. Das z. Z. geltende; ſie beginnt mit dem Erſten desjenigen Monats, welcher auf die regelmäßige Anerkennung des Anſpruchs durchLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 20306§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.die kompetente Behörde folgt; hierbei werden aber die im Rück - ſtande gebliebenen Beträge ſeit dem Erſten des auf die Anmel - dung des Anſpruchs folgenden Monats nachgezahlt1)Penſ. Geſ. §. 99. Hiezu iſt zu vgl. ein Erlaß des Preuß. Kriegsminiſt. v. 9. Mai 1872 (Milit. Geſetze Bd. II Abth. 5 S. 68 Ziff. 5)..

c) Das Recht auf die Penſion und Zulagen erliſcht abgeſehen von dem Tode und dem Eintritt des Endtermins bei zeitweiliger Bewilligung ſobald das Gegentheil der Voraus - ſetzungen erwieſen iſt, unter denen die Bewilligung ſtattgefunden hat2)Penſ. Geſ. §. 100 Ziff. 3. Eine Heilung oder Beſſerung der durch den Dienſt erzeugten Körperſchäden hat auf die einmal feſtgeſtellten Penſionsan - ſprüche keinen Einfluß. Vgl. Nov. v. 1874 §. 13 Abſ. 3.. Das Recht ruht, wenn der Penſionär die Reichsange - hörigkeit verliert oder wenn er im aktiven Militairdienſt wie - der angeſtellt wird3)Penſ. Geſ. §. 101..

Nur die Penſions - und Verſtümmelungszulagen4)Nach den vom Bundesrath beſchloſſenen Ausführungsbeſtimmungen ſind hierunter nur die in den §§. 71 und 72 aufgeführten Zulagen zu ver - ſtehen, nicht die Dienſtzulage des §. 74. Siehe oben S. 289 fg. werden fortgezahlt, ſo lange ſich der Penſionair in einem Invaliden-In - ſtitut oder in einer militairiſchen Kranken -, Heil - oder Pflegeanſtalt befindet5)Andere Unterſtützungen zu Kurzwecken ſind auf die Penſionszahlung einflußlos und auch bei der Aufnahme des Invaliden in ein Militair-Kurhaus kann die Penſion ganz oder theilweiſe zur Erhaltung ſeiner Familie fortge - zahlt werden., oder wenn er im Civildienſt angeſtellt oder beſchäftigt wird mit Ablauf des 6. Monats, welcher auf denjenigen Monat folgt, in dem die Anſtellung oder Beſchäftigung begonnen hat6)Penſ. Geſ. §. 102. Bei wechſelnden Anſtellungen darf die Gewährung der Penſion neben dem Civileinkommen innerhalb eines Kalenderjahres den Geſammtbetrag für 6 Monate nicht überſteigen. ebendaſ. §. 104. 105.. Wenn das reine Dienſteinkommen aber nicht den doppelten Betrag der Invalidenpenſion (ausſchließl. der Kriegs - und Verſtümme - lungszulagen) erreicht oder mindeſtens bei einem Feldwebel 350 Thlr., bei einem Sergeanten oder Unteroffizier 250 Thlr.7)Für Militairperſonen des Unteroffizierſtandes, welche ſich mindeſtens, bei einem Gemeinen 130 Thlr. beträgt, ſo wird dem Penſionair, je7)Formular beruht auf dem Bundesraths-Beſchluß vom 13. März 1877. Central - blatt f. das D. R. 1877 S. 252.307§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.nachdem es günſtiger für ihn iſt, die Penſion bis zur Erfüllung des Doppelbetrages oder bis zur Erfüllung jener Sätze belaſſen1)Penſ. Geſ. §. 103. Nov. v. 4. April 1874 §. 15 Abſ. 1. Kriegs - invalide, welche an Statt des Civilverſorgungsſcheines die Anſtellungs-Ent - ſchädigung gewählt haben, dann aber doch eine Stelle im Civildienſt erhalten haben, beziehen dieſe Entſchädigung fort (Nov. §. 11), denn dieſelbe iſt eine Entſchädigung für den Verzicht auf das Anſtellungsrecht; Friedensinvalide dagegen, welche auf Grund des Penſ. Geſ. §. 76 Abſ. 3 und Nov. §. 12 ſtatt des Verſorgungsſcheins eine Penſionszulage erhalten, weil ſie z. Z. der Pen - ſionirung zu keinerlei Verwendung im Civildienſt tauglich waren, die ſpäter aber doch eine Civilanſtellung finden, beziehen dieſe Zulage nicht weiter fort. Erl. des Preuß. Kriegsm. v. 24. Juli 1876. (Mil. Geſ. II Abth. 5 S. 56.). Als Civildienſt iſt jeder Dienſt (Beſchäftigung) eines Beamten zu verſtehen, für welchen ein Entgelt aus einer öffentlichen Reichs -, Staats - oder Gemeindekaſſe direkt oder indirekt (z. B. durch Tan - tiéme) gewährt wird, ſowie der Dienſt bei ſtändiſchen oder ſolchen Inſtituten, welche ganz oder zum Theil aus Mitteln des Staats oder der Gemeinden unterhalten werden. Auch der Dienſt in der Militair - oder Marine-Verwaltung oder in der Feldadminiſtration iſt ein Civildienſt in dieſem Sinne2)Erl. des Preuß. Kriegsminiſt. v. 22. Juli 1875. (Milit. Geſetze Bd. II Abth. 5 S. 72 Ziff. 5.). Dagegen gehören nicht hier - her ſolche Dienſtverrichtungen, für welche dem Penſionair ohne daß ihm die Eigenſchaft eines Beamten beigelegt iſt; ſtückweiſe Bezahlung, Boten -, Tag - oder Wochenlohn oder Kopialien - vergütung gewährt wird3)Penſ. Geſ. 106. Der Entwurf zur Nov. v. 4. April 1874 wollte dieſen Paragraphen aufheben und durch eine Beſtimmung von erheblich weiterem Umfange erſetzen. Vgl. über die aus der mißglückten Faſſung des §. 106 her - vorgehenden Zweifel und Mißſtände die Motive zum Geſetzentw. v. 5. Febr. 1874 S. 17 fg. (Druckſachen des Reichstages I Seſſ. 1874 Nro. 10.) Die Kommiſſion des Reichstages hielt aber den Abänderungs-Vorſchlag im Inte - reſſe der Invaliden für bedenklich; vgl. den Kommiſſionsbericht S. 8. (Druckſachen I Seſſ. 1874 Nro. 88); und der Reichstag verwarf ſowohl den Antrag der Regierung als auch einen beſchränkteren Antrag der Kommiſſion. (Stenogr. Berichte S. 632 ff.). Ebenſowenig kommen Anſtellungen in Privatdienſt-Verhältniſſen, z. B. bei Privateiſenbahnen, in Betracht.

7)12 Jahre im aktiven Militairdienſt befunden haben, ſind dieſe beiden Sätze auf 400 Thlr. erhöht worden durch §. 15 Abſ. 2 der Nov. v. 4. April 1874; dieſe Beſtimmung findet aber nur auf ſolche Perſonen Anwendung, welche nach dem Inkrafttreten dieſes Geſetzes aus dem aktiven Militairdienſt ausſcheiden. §. 22 eod.

20*308§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.

Nach den vom Bundesrath beſchloſſenen Ausführungs-Beſtim - mungen (Centralbl. 1875 S. 142 ff. ) muß diejenige Behörde, welche einen penſionsberechtigten Invaliden im Civildienſt anſtellt, ihm das Penſions-Quittungsbuch abfordern, in dasſelbe das An - ſtellungsverhältniß und den Betrag des Dienſteinkommens eintra - gen und das Quittungsbuch der die Penſion feſtſtellenden Militair - behörde einreichen. Die letztere hat in das Quittungsbuch einzu - tragen, bis zu welchem Zeitpunkt der Angeſtellte die Penſion un - verkürzt zu beziehen hat und in welchem Betrage die Kürzung zu erfolgen hat. Durch Vermittlung der Civilbehörde empfängt hie - rauf der Invalide das Quittungsbuch zurück1)Falls der Invalide überhaupt keine Invalidenkompetenzen mehr zu be - ziehen hat, ſo wird das Quittungsbuch ihm von ſeiner Dienſtbehörde wieder ab - gefordert und aufbewahrt.. Wenn der Pen - ſionsempfänger nicht mit feſtem Einkommen, ſondern gegen Tan - tième, Gebühren und dgl. im Civildienſt angeſtellt iſt, ſo ſind die ihm zukommenden Penſionszuſchüſſe im Laufe des Jahres von der Dienſtbehörde vorſchußweiſe zu zahlen und im Januar des folgen - den Jahres derjenigen Behörde, auf deren Militairpenſionsetat der Empfänger ſteht, zur Feſtſtellung und Erſtattung nachzuweiſen.

d) Erwirbt der Militairpenſionair beim Ausſcheiden aus dem Civildienſt ein Civilpenſion, ſo iſt zu unterſcheiden, ob bei Feſtſtel - lung der letzteren die Militairdienſtjahre zur Anrechnung kommen oder nicht. Iſt dies der Fall, ſo wird der geſetzliche Betrag der Invalidenpenſion wieder ganz auf Militairfonds übernommen und nur der etwaige Mehrbetrag der Civilpenſion aus dem Civilpen - ſionsfonds gezahlt. Kriegs - und Verſtümmelungszulagen bleiben jedoch bei dieſer Berechnung außer Betracht und werden unter allen Umſtänden aus Militairfonds beſtritten. Wird die Militair - dienſtzeit bei der Civilpenſion nicht in Anrechnung gebracht, ſo zahlt der Militairpenſionsfonds zu der Civilpenſion einen Zuſchuß aus der früher erdienten Invalidenpenſion bis zur Erreichung des für die Geſammtdienſtzeit zu beanſpruchenden Penſionsbetrages2)Penſ. Geſ. §. 107. 108. Nov. v. 4. April 1874 §. 16..

VI. Bewilligungen für Hinterbliebene.

1. Hinterläßt eine penſionirte Militairperſon des Soldaten - ſtandes3)Auf die Militairbeamten finden die Beſtimmungen des Reichsbe - eine Wittwe oder eheliche Nachkommen, ſo wird die Pen -309§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenenſion noch für den auf den Sterbemonat folgenden Monat bezahlt; im Falle der Bedürftigkeit kann dieſe Penſionszahlung auch an - deren Familienmitgliedern, deren Ernährer der Verſtorbene geweſen iſt, oder zur Deckung der Koſten der letzten Krankheit und Beer - digung gewährt werden1)Penſ. Geſ. §. 39. 40. Nov. v. 4. April 1874 §. 5. 14. 21..

2. Beſondere Beihülfen erhalten die Wittwen und Kinder2)Unter Kindern ſind nur die aus rechtmäßiger Ehe hervorgegangenen zu verſtehen. Erk. des oberſt. Gerichtshofes zu München v. 12. Juli 1875 (Hauſers Zeitſchrift f. Reichs - und Landesrecht III S. 302). ſowie hülfsbedürftige Eltern und Großeltern derjenigen Militair - perſonen3)Dieſe Beſtimmungen finden auch auf die Hinterbliebenen der Militairbeamten Anwendung. Penſ. Geſ. §. 56. 94. der Feldarmee4)Der Begriff der Feldarmee beſtimmt ſich nach Penſ. Geſ. §. 45. (94. Abſ. 3.), welche

  • a) im Kriege geblieben oder an den erlittenen Verwundungen während des Krieges oder ſpäter geſtorben ſind,
  • b) im Laufe des Krieges erkrankt oder beſchädigt und in Folge deſſen vor Ablauf eines Jahres nach dem Friedensſchluß verſtorben ſind,
  • c) welche durch Schiffbruch verunglückt oder in Folge einer militairiſchen Aktion oder der klimatiſchen Einflüſſe auf Seereiſen oder innerhalb Jahresfriſt nach der Rückkehr in den erſten heimath - lichen Hafen verſtorben ſind
    5)Penſ. Geſ. §. 41. 42. 52. 94 ff. Daſelbſt ſind die Beträge der zu ge - währenden Beihülfen feſtgeſetzt. Zu den Anordnungen der §§. 94 ff. ſind vom Preuß. Kriegs - und Marineminiſter in Gemeinſchaft mit dem Miniſter des Innern und dem Finanzminiſter Ausführungsbeſtimmungen v. 18. Oktob. 1871 ergangen. Sie ſind gedruckt im A. V.Bl. 1871 S. 292 u. in den Militair-Geſetzen Bd. II Abth. 5 S. 135.
    5).

VII. Geltendmachung der Verſorgungsanſprüche.

Die Anſprüche auf Penſionen, Beihülfen und Bewilligungen auf Grund des Militair-Penſionsgeſetzes6)Bei den Militairbeamten iſt daher zu unterſcheiden zwiſchen dem An - ſpruch auf die eigentliche Penſion auf Grund des Reichsbeamtengeſetzes und ſind in erſter Reihe bei3)amtengeſetzes Anwendung. Siehe Bd. I S. 473. Stirbt ein Offizier, der im aktiven Dienſt ſich befindet, ſo erhalten die Hinterbliebenen das Gna - dengehalt. Geldverpfl. Regl. §. 22, vgl. oben S. 227 und über Kapi - tulanten S. 243.310§. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen.den Militairverwaltungsbehörden geltend zu machen und erſt, wenn der Inſtanzenzug bei denſelben erſchöpft iſt, kann die Klage innerhalb einer präkluſiviſchen Friſt von 6 Monaten, nachdem die endgültige Entſcheidung der Militairverwaltungsbe - hörde dem Kläger bekannt gemacht worden iſt, bei dem Gericht angebracht werden1)Penſ. Geſ. §. 113. 114. Ueber den Beginn der Friſt, reſp. über den Begriff der endgültigen Adminiſtrativ-Entſcheidung vgl. das Urth. des Reichs - oberhandelsgerichts v. 21. Febr. 1879. Entſcheidungen Bd. XXIV S. 411 fg.. Bei der Beurtheilung der Anſprüche ſind die Gerichte gebunden an die Entſcheidungen der Militairbehörden darüber: ob und in welchem Grade eine Dienſtunfähigkeit einge - treten, ob im einzelnen Falle das Kriegs - oder Friedensverhältniß als vorhanden anzunehmen und ob die Zugehörigkeit einer Mili - tairperſon zur Feldarmee im Sinne des § 45 des Penſ. Geſ. vor - handen geweſen iſt, ob eine Beſchädigung als eine Dienſtbeſchädi - gung anzuſehen iſt und ob ſich der Invalide gut geführt hat2)Penſ. Geſ. §. 17. §. 20 Abſ. 3. §. 62. §. 115.. Der Entſcheidung des Richters unterliegt dagegen ein Streit über die Berechnung des penſionsfähigen Dienſteinkommens oder der Dienſtzeit, über den Grad der Erwerbsunfähigkeit, über das Vor - handenſein einer Verſtümmelung (§. 13. 72), über die Zuläſſigkeit einer Kürzung der Penſion reſp. über den Umfang, in welchem die Kürzung ſtatthaft iſt, über die Erhebung weitergehender Anſprüche als ſie das Reichsgeſetz gewährt auf Grund älterer günſtigerer Vorſchriften u. ſ. w.

In einem Rechtsſtreite wegen Penſionen, Beihülfen u. ſ. w iſt, wenn die Kriegsdienſte in der Marine geleiſtet worden ſind, der Reichsfiskus, in allen andern Fällen der Landesfiskus der Ver - klagte, die mit dem dominium litis ausgeſtattete Prozeßpartei. Ihre Vertretung beſtimmt ſich daher nach der Behördenverfaſſung und den Geſetzen des Einzelſtaates; in Ermangelung einer anderen landesgeſetzlichen Beſtimmung wird der Militairfiskus durch die oberſte Militair-Verwaltungsbehörde des Kontingents ver - treten. Die Vertretung des Marinefiskus liegt der Kaiſerl. Ad -6)dem Anſpruch auf die Kriegs - oder Verſtümmelungszulage reſp. die Wittwen - und Kindererziehungs-Beihülfe auf Grund des Militairpenſionsgeſetzes.311§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.miralität ob1)Penſionsgeſ. §. 116.. Der Militairfiskus iſt Landesfiskus2)Für die mit der Preuß. Armee verbundenen Kontingente tritt an die Stelle des Landesfiskus der Preußiſche Fiskus, deſſen Vertretung dem Preuß. Kriegsminiſterium obliegt. In Elſaß-Lothringen beſtimmt ſich die Paſſivlegiti - mation und Prozeßvertretung nach dem Kontingent, zu welchem der Truppen - theil gehört, in dem die Militairdienſte geleiſtet worden ſind, reſp. nach dem Kontingentsherrn, zu welchem der Offizier, Militairbeamte u. ſ. w. in einem Militair-Dienſtverhältniß geſtanden hat., der Marine - fiskus iſt Reichsfiskus.

Vierter Abſchnitt. Die Militairlaſten.

§ 92. Begriff und allgemeine Rechtsſätze.

I. Militairlaſten ſind geſetzliche Verpflichtungen zu Vermögens - Leiſtungen für die bewaffnete Macht.

Ihrem Rechtsgrunde nach gehören ſie dem öffent - lichen Rechte an; ſie beruhen wie die Wehrpflicht auf dem ob - jectiven Rechte, auf dem Geſetz; ſie unterſcheiden ſich hierdurch von den auf Rechtsgeſchäften beruhenden Verpflichtungen, insbeſondere von den contractlichen Obligationen der Lieferanten. Die Militair - laſten bilden aus dieſem Grunde einen Gegenſtand des ſtaatlichen Verwaltungsrechtes, d. h. ihre Vertheilung, Erhebung, Geltend - machung u. ſ. w. geſchieht nach den Grundſätzen des öffentlichen Rechtes im öffentlichen Intereſſe durch die Verwaltungsbehörden, während die Rechte und Pflichten der Armee-Lieferanten lediglich nach den Regeln des Privatrechts zu beurtheilen und im Wege des bürgerlichen Prozeſſes geltend zu machen ſind.

Ihrem Inhalte nach ſtehen die Militairlaſten aber den Verpflichtungen des Privatrechtes gleich; denn ſie beſtehen in allen Fällen nur in Vermögensleiſtungen. Hierauf beruht der tiefgrei - fende Gegenſatz zwiſchen Militairdienſten und Militairlaſten; die letzteren involviren keine Verpflichtung zur Treue, zum Gehorſam, zu perſönlichem Dienſt, ſondern ſie betreffen lediglich das Vermö - gen. Eine Conſequenz dieſes Gegenſatzes zeigt ſich ſofort rückſicht - lich der verpflichteten Perſonen. Die Wehrpflicht ſetzt einen Staats -312§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.angehörigen, einen der Staatsgewalt unterworfenen Menſchen vor - aus; die Militairlaſten treffen das der Staatsgewalt unterworfene Vermögen. Ihnen unterliegen daher auch alle juriſtiſchen Perſonen und alle Ausländer, wofern ſie im Inlande ſolche Vermögensſtücke haben, welche von den Militairlaſten berührt werden, z. B. Wohn - räume, Grundſtücke im Feſtungsrayon, Pferde, Schiffe u. ſ. w. Andererſeits bleiben die Staatsangehörigen unberührt von den Militairlaſten hinſichtlich derjenigen Vermögensſtücke, die ſie im Auslande haben1)Man kann dieſen Gedanken auch ſo ausdrücken, daß bei der Wehrpflicht die Perſonalhoheit, bei den Militairlaſten die Territorialhoheit zur Geltung kömmt, denn die Wehrpflicht beruht auf der Rechtsmacht des Reiches über die ihm angehörigen Perſonen, die Militairlaſt auf der Rechtsmacht des Reiches über das im Bundesgebiet befindliche Vermögen. Ein ſolcher Gedanke ſcheint dem §. 1 des Kriegsleiſtungsgeſetzes zu Grunde zu liegen, welcher die Ver - pflichtung zu Kriegsleiſtungen als eine Verpflichtung des Bundes - gebiets erklärt. Der Berichterſtatter des Reichstages ſagte, dieſe Faſſung ſei gewählt worden, um klar auszudrücken, daß das Bundesgebiet das in erſter Linie zu den Kriegsleiſtungen verpflichtete Subjekt ſei. Stenogr. Berichte 1873 S. 573. Das iſt nun freilich ſehr unjuriſtiſch; denn das Bundesgebiet iſt kein Subjekt und kann nicht verpflichtet ſein. Es iſt vielmehr ein an ſich richtiger, aber nicht zu bewußter Erkenntniß ge - kommener Gedanke in den citirten Worten des §. 1 ſehr unklar ausgedrückt worden..

Aus dem pekuniären Inhalt der Militairlaſten ergiebt ſich aber noch eine andere bedeutſame Folge, die einen wichtigen Un - terſchied gegenüber dem Militairdienſt begründet. Die Erfüllung der Dienſtpflicht iſt eine unſchätzbare und unentgeldliche Leiſtung; es iſt oben S. 171 bereits hervorgehoben worden, daß die vom Staate den Soldaten gewährte Kleidung, Verpflegung, Löhnung u. ſ. w. nicht Lohnzahlung, ſondern Alimentirung iſt. Die Mili - tairlaſten dagegen ſind Vermögensleiſtungen und daher in allen Fällen abſchätzbar und vergütungsfähig.

Die Wehrpflicht iſt ferner eine allgemeine, gleiche Unterthanen - pflicht, die Jeder, der dazu geeignet iſt, nach dem Maße ſeiner Kräfte erfüllen muß. Die Militairlaſten dagegen legen einzelnen Perſonen nach zufälligen Umſtänden Vermögenseinbußen auf, welche, da ſie der Allgemeinheit zu Gute kommen, von dieſer d. h. vom Staate getragen werden müſſen. Die Forderung ihrer unentgeld -313§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.lichen Leiſtung würde eine ſchwere Unbilligkeit enthalten, eine will - kührliche, vom Zufall abhängige Rechtsungleichheit herbeiführen. In der Natur der Militairlaſten iſt es daher begründet, daß der - jenige, der durch die Erfüllung derſelben getroffen wird, Anſpruch auf Schadloshaltung hat. Der Staat bedarf zur Befriedigung ge - wiſſer Militairbedürfniſſe zwar gewiſſer Vermögensobjecte oder Arbeitsleiſtungen, aber nicht um ſich ihren pekuniären Werth anzu - eigenen, ſondern wegen ihrer thatſächlichen Unentbehrlichkeit; gerade deshalb iſt er verbunden, den pekuniären Werth zu reſtituiren. Hieraus ergiebt ſich der Rechtsſatz, daß mit der Erfüllung aller Militairlaſten der Regel nach ein Entſchädigungs-Anſpruch gegen den Fiskus verknüpft iſt1)Einzelne Ausnahmefälle, in denen für gewiſſe Leiſtungen z. B. für vorübergehende Gewährung von Naturalquartier an mobile Truppen, kein Er - ſatz gewährt wird, ſind ausdrücklich als Abweichungen von der Regel aner - kannt und beſtätigen daher die letztere..

Eine dritte Folge des Satzes, daß die Militairlaſten Ver - mögensleiſtungen zum Inhalt haben, beſteht darin, daß ihre Er - füllung ſtets nur dann zu fordern iſt, wenn die Militairbedürfniſſe nicht auf anderem Wege befriedigt werden können. Denn das für Durchführung der Staatsaufgaben erforderliche Vermögen iſt der Regel nach durch die Mittel des Finanzrechts herbeizuſchaffen. Die Staatswirthſchaft iſt nicht Naturalwirthſchaft ſondern Geldwirth - ſchaft. In erſter Reihe ſind daher auch die Bedürfniſſe der Armee und der Flotte mit den im Syſtem der Geldwirthſchaft liegenden Hülfsmitteln, alſo durch privatrechtliche Geſchäfte des Fiskus zu erfüllen.

Die Militairlaſten treten immer nur ſubſidiär ein, wenn durch die Umſtände zu einer gewiſſen Zeit oder an einem gewiſſen Orte Bedürfniſſe entſtehen, denen wegen ihrer Natur oder wegen ihres Umfanges durch die gewöhnlichen Mittel der Militair-Ver - waltung nicht genügt werden kann; insbeſondere nicht durch Ver - wendung der bereits vorhandenen Vorräthe oder durch Abſchluß von Lieferungsverträgen oder anderen Contrakten. Jedoch iſt das Vorhandenſein dieſer Vorausſetzung nicht im Rechtswege feſtzuſtel - len, d. h. der Verpflichtete kann ſich der Erfüllung der Militair - laſt nicht durch die Behauptung entziehen, daß die Bedürfniſſe der bewaffneten Macht auch ohne Beanſpruchung der Leiſtungspflicht314§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.befriedigt werden können, und darüber auf richterliche Entſcheidung provoziren. Denn der Staat ſteht dem Verpflichteteten nicht als Gläubiger, ſondern als Herrſcher gegenüber, deſſen Forderung den Charakter des obrigkeitlichen Befehles hat. Die zum Erlaß dieſes Befehles zuſtändigen Behörden haben ſelbſtſtändig zu prü - fen, ob die im Geſetz erforderten Vorausſetzungen im gegebenen Falle vorhanden ſind oder nicht; das Reſultat dieſer Prüfung iſt für den Militairlaſt-Pflichtigen bindend. Wenn die Behörde da - bei pflichtwidrig verfährt, ſo treten die Bd. I § 41 erörterten Rechtsfolgen der Pflichtverletzung ein, insbeſondere auch die Ver - pflichtung zum Schadenserſatz.

Aus den vorſtehenden Erörterungen ergibt ſich, daß alle Mi - litairlaſten ihrem juriſtiſchem Charakter nach eine gewiſſe Ver - wandtſchaft mit der Expropriation haben. Die Enteignung iſt gleichſam der Grundtypus derſelben. Die Militairlaſten haben mit der Enteignung die weſentlichen Merkmale gemein, daß ſie Eingriffe des Staates im öffentlichen (militairiſchen) Intereſſe in die Privatrechtsſphäre des Einzelnen ſind, daß der Rechtsgrund für die Befugniß hierzu im öffentlichen Recht gegeben iſt und dem - gemäß auch die Vorausſetzungen, unter denen dieſe Eingriffe ge - ſtattet ſind, durch das öffentliche Recht beſtimmt werden, daß zu den Vorausſetzungen ein Bedürfniß gehört, welches ohne dieſe Ein - griffe entweder gar nicht oder nicht in genügender oder zweckent - ſprechender Weiſe befriedigt werden kann, und endlich daß die An - wendung dieſer Befugniß die Verpflichtung zur Entſchädigung nach ſich zieht1)Vgl. meine Abhandlung über die Expropriation im civiliſt. Archiv Bd. 52 S. 169 ff..

Einige Militairlaſten ſtimmen mit der Expropriation auch noch darin überein, daß ſie auf Entziehung des Eigenthums gerichtet ſind, ſo z. B. die Pferdeaushebung; ſo daß der Unterſchied gegen die gewöhnliche Expropriation nur in dem anders geregelten Ver - fahren beſteht. Die Mehrzahl der Militairlaſten geht aber nicht auf Entziehung oder Beſchränkung des Eigenthums, ſon - dern auf die Lieferung von Sachen oder auf Leiſtung von Arbeit, alſo auf ein dare, facere, praestare. Deshalb können die von der Expropriation geltenden Rechtsregeln keine unmittel -315§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.bare und vollkommene Anwendung auf die Militairlaſten finden, ſondern nur eine allgemeine Analogie bieten. Immerhin iſt aber die Erkenntniß dieſer Analogie, d. h. der begrifflichen Gleichartig - keit der Enteignung und der Militairlaſten, für das Verſtändniß der rechtlichen Natur der letzteren von Wichtigkeit.

II. Die Militairlaſten dienen, wie erwähnt, nicht zur Durch - führung dauernder und regelmäßiger Aufgaben der Militairver - waltung, ſondern zur Befriedigung beſonderer und ungewöhnlicher, in eigenthümlichen thatſächlichen Verhältniſſen begründeter Bedürf - niſſe. Hieraus ergiebt ſich eine Eintheilung derſelben in 3 Klaſſen. Die Bedürfniſſe, zu deren Abhülfe die Militairlaſten auferlegt ſind, beſtimmen ſich für die Verhältniſſe des Friedens durch weſent - lich andere Momente wie für den Krieg. Zur Zeit des Krieges oder der Kriegsvorbereitungen ſind die Bedürfniſſe umfangreicher, dringender, vielſeitiger; andererſeits ergiebt ſich aber gerade aus den Verhältniſſen des Friedenszuſtandes die Nothwendigkeit gewiſſer Laſten, auf welche im Kriege verzichtet werden kann, da durch die Mobilmachung für die entſprechenden Bedürfniſſe geſorgt wird1)Hierher gehört namentlich die Beſpannung der Truppenfahrzeuge und des Trains. Da dieſelbe bei Rückführung der Armee auf den Friedenszuſtand nicht beibehalten werden kann, ſo ergiebt ſich die Nothwendigkeit, im Frieden Vorſpann in Anſpruch zu nehmen. Ferner iſt zu erwähnen, die Benutzung von Grundſtücken für Truppenübungen..

Auch bringen die Verhältniſſe des Krieges es mit ſich, daß andere Vorſchriften über Erhebung und Vertheilung der Militair - laſten und über die Vergütung für Leiſtung derſelben gelten müſ - ſen, wie im Frieden. Hieraus ergiebt ſich die durchgreifende Ein - theilung in Friedensleiſtungen und in Kriegsleiſtungen. Zu dieſen beiden Klaſſen tritt noch hinzu als eine dritte eigenartige Kategorie, die Beſchränkung des Grundeigenthums in der Umgebung der Feſtungen. Dieſe Beſchränkungen beruhen auf lokalen Ver - hältniſſen, und ſind im Krieg und Frieden gleichmäßig fortdau - ernd; indeſſen treten auch hier im Kriege d. h. im Falle einer Armirung der Feſtung noch beſondere Verpflichtungen hinzu.

Dieſe Eintheilung iſt auch von der Geſetzgebung des deutſchen Reiches bei der Regelung dieſer Materie zu Grunde gelegt wor - den. Die Militairlaſten für den Friedenszuſtand ſind geregelt durch zwei Geſetze, von denen das eine v. 25. Juni 1868 die316§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.Quartierleiſtung, das andere v. 13. Febr. 1875 alle übrigen Na - turalleiſtungen behandelt; die Militairlaſten für den Kriegszuſtand haben ihre geſetzliche Regelung gefunden durch das Geſetz über die Kriegsleiſtungen v. 13. Juni 1873; endlich die Beſchränkungen des Grundeigenthums in der Umgebung von Feſtungen ſind nor - mirt worden durch das ſogen. Feſtungs-Rayongeſetz v. 21. Dezem - ber 1871.

III. Die Entſchädigungspflicht für die Erfüllung der Miltair - laſten trifft den Reichsfiskus und zwar nicht nur materiell oder indirekt, indem er etwa die erforderlichen Beträge den Staats - kaſſen der Bundesglieder zu überweiſen hätte, ſondern formell und direct. Daß das Reich materiell dieſe Koſten tragen muß, ver - ſteht ſich von ſelbſt, da ihm die geſammten Koſten der Armee und Flotte mit Einſchluß aller Feſtungen und anderen Vertheidigungs - Anſtalten in Krieg und Frieden verfaſſungsmäßig obliegen. Aber auch formell iſt nicht der Fiskus eines einzelnen Staates, ſondern der Reichsfiskus verpflichtet. Denn die Kriegsleiſtungen und Rayon - Beſchränkungen werden erforderlich durch Willensacte des Rei - ches, nicht durch Handlungen der Einzelſtaaten, da nur das Reich im Stande iſt, Krieg zu führen und Feſtungen anzulegen; und auch bei den Friedensleiſtungen trifft dies für die Marine immer, für die Armee in der Mehrzahl der Fälle zu1)Insbeſondere für die Quartierleiſtung iſt feſtzuhalten, daß dieſelbe nicht den Einzelſtaaten, ſondern dem Reiche gewährt wird, theils weil der Kaiſer das Dislokationsrecht hat, theils weil die Herſtellung von Kaſernen nach Maß - gabe des Reichsetats, alſo gemäß den Willensentſchlüſſen des Reiches geſchieht. Nur Bayern nimmt in dieſer Hinſicht eine Sonderſtellung ein.. Auch iſt wohl zu beachten, daß die Kriegs - und Friedensleiſtungen nicht blos für die Bedürfniſſe des Kontingents des eigenen Staates, ſondern in gleicher Art für die Kontingente aller übrigen Bundes-Staaten zu machen ſind und daß dies um ſo häufiger thatſächlich eintritt, je mehr die Erfüllung der Militairlaſten an die Vorausſetzung gebun - den iſt, daß die Truppen ſich außerhalb ihres Garniſonortes be - finden.

Daß die Entſchädigungspflicht eine Pflicht des Reichsfis - kus iſt, wird ausdrücklich anerkannt im Rayongeſetz § 42 und im Kriegsleiſtungs-Geſetz § 34; ebenſo erklärt das Quartierlei - ſtungs-Geſetz § 3 und § 4, daß die Entſchädigung vom Bunde 317§. 92. Begriff der Militairlaſten und allgemeine Rechtsſätze.zu gewähren und daß der Bund berechtigt iſt, die Quartier - leiſtung gegen Entſchädigung zu verlangen1)Im Naturalleiſtungsgeſetz fehlt eine ausdrückliche Beſtimmung darüber, welcher Fiskus das Subjekt der Entſchädigungspflicht iſt. Im §. 14 wird nur angeordnet, daß die Leiſtungen aus Militairfonds vergütet werden..

Von erheblicher praktiſcher Bedeutung iſt dies übrigens nicht, da der Reichsfiskus ſowohl wie der Fiskus der Einzelſtaaten von den Intendanturbehörden vertreten wird, und auch die Zuſtändig - keit der Gerichte hiervon in der Regel unberührt bleibt.

Rückſichtlich der Bayeriſchen Armee jedoch beſteht hin - ſichtlich der Entſchädigung für die Friedensleiſtungen und für Rayonbeſchränkungen dieſe Verpflichtung des Reichs - fiskus nicht. Denn da Bayern eine ſelbſtſtändige Verwaltung der Armee hat und die Koſten und Laſten ſeines Kriegsweſens, den Unterhalt der auf ſeinem Gebiete belegenen feſten Plätze und ſon - ſtigen Fortifikationen einbegriffen, ausſchließlich und allein trägt und dafür eine im Reichsetat ausgeworfene, der Kopfſtärke ſeines Kontingents entſprechende Pauſchſumme empfängt2)Vertrag v. 23. Nov. 1870 III §. 5., ſo muß es auch ſelbſtſtändig die Entſchädigungspflicht für die von ihm gefor - derten Militairleiſtungen tragen. Im Falle des Krieges dagegen fällt dieſe Trennung zwiſchen der Armee-Verwaltung Bayerns und derjenigen der übrigen Kontingente fort. Der Krieg iſt ein Unter - nehmen des Reiches, als eines einheitlichen völkerrechtlichen und ſtaatsrechtlichen Subjects; er wird ebenſo wie in politiſcher ſo auch in finanzieller Beziehung auf Gewinn und Verluſt des Reiches geführt. Alle Kriegskoſten, d. h. alle durch den Krieg verurſachten Ausgaben, für welche nicht in dem Reichshaushalts - Geſetze (Friedens-Etats) die erforderlichen Beträge ausgeworfen ſind, fallen daher auch für das Bayeriſche Kontingent dem Reichs - fiskus unmittelbar zur Laſt. Dies gilt daher auch hinſichtlich der für Kriegsleiſtungen zu zahlenden Vergütungen, ſowie hinſichtlich der im Falle der Armirung einer Bayeriſchen Feſtung für Frei - legung des Feſtungsrayons zu gewährenden Demolirungs-Ent - ſchädigungen3)Vgl. Rayongeſ. §. 44..

318§. 93. Die Friedensleiſtungen.

§. 93. Die Friedensleiſtungen1)Geſetzgebung. Nachdem nach Gründung des Nordd. Bundes auf Grund des Art. 61 der Verfaſſung zunächſt die älteren Preuß. Beſtimmungen durch V. v. 7. November 1867 im ganzen Bundesgebiete eingeführt worden waren (B. G.Bl. 1867 S. 125), ſind dieſelben beſeitigt reſp. erſetzt worden durch folgende zwei Geſetze: 1. Geſetz, betreffend die Quartierleiſtung für die be - waffnete Macht während des Friedenszuſtandes, vom 25. Juni 1868. B. G.Bl. 1868 S. 523. (Entwurf mit Motiven in den Druckſachen des Reichstages v. 1868 Nr. 34. Kommiſſionsbericht ebendaſ. Nr. 90. Verhandlungen des Reichstages in den Stenogr. Berichten S. 92. 125. 271 fg. 461 fg. 573.) Dieſes Geſetz wurde eingeführt in Südheſſen auf Grund der Militair-Konvention v. 7. April 1867 durch ein Landesgeſetz v. 11. Aug. 1869 (Heſſ. Regierungs-Bl. 1869 S. 617). Die Erklärung deſſelben zum Reichsgeſetz iſt verabſäumt worden. Die Einführung des Quartierleiſtungs - geſetzes iſt ferner erfolgt: in Baden durch Reichsgeſ. v. 22. Nov. 1871 (R. G.Bl. 1871 S. 400); in Elſaß-Lothringen durch Geſetz v. 14. Juli 1871 (Geſetzbl. f. Elſ. -Lothringen 1871 S. 187. Die Publikation dieſes Ge - ſetzes im Reichsgeſetzblatt iſt verabſäumt worden. Vgl. hierzu Bd. II S. 136 fg. ); abgeändert durch Geſ. v. 13. Januar 1872 (Geſetzbl. f. E. -L. 1872 S. 60); in Württemberg durch Reichsgeſ. v. 9. Febr. 1875 (R. G Bl. 1875 S. 48); in Bayern durch Reichsgeſ. v. 9. Febr. 1875. (R. G.Bl. S. 41.) Alle dieſe Geſetze ſind hinſichtlich des Servistarifs und der Klaſſen-Eintheilung der Orte abgeändert worden durch das Reichsgeſetz vom 3. Auguſt 1878 (R. G.Bl. S. 243 fg.). Zum Quartierleiſtungsgeſetz iſt auf Grund des §. 20 deſſelben vom Bun - despräſidium eine Ausführungs-Inſtruktion vom 31. Dez. 1868 (Bundesgeſetzbl. 1869 S. 1) erlaſſen und §. 15 derſelben durch Erl. v. 3. Sept. 1870 (B. G.Bl. 1870 S. 514) abgeändert worden. Dieſe Ausführungs-Inſtruk - tion iſt in den ſüddeutſchen Staaten reſp. Gebieten gleichzeitig mit dem Quar - tierleiſtungs-Geſetz in Kraft getreten. In Bayern iſt der Erl. der Ausfüh - rungs-Beſtimmungen durch §. 3 des Geſ. v. 9. Febr. 1875 dem Könige über - tragen; dieſe Königl. Bayr. Verordn. iſt am 8. Juli 1875 ergangen und im Bayer. Geſetz - und Verordnungsbl. S. 513 publizirt worden. Sie wiederholt bis auf ganz geringfügige Abweichungen die Inſtrukt. v. 31. Dezemb. 1868. Eine Zuſammenſtellung der Abweichungen findet man in den Militairgeſetzen ꝛc. Bd. II Abth. 3 S. 69. 79. 2. Geſetz über die Naturalleiſtungen für die bewaff - nete Macht im Frieden, vom 13. Febr. 1875. R. G. Bl. S. 52. (Entw. mit Motiven Druckſ. des Reichst. II Seſſ. 1874 / 5 Nro. 23; Kom - miſſionsbericht ebendaſ. Nro. 141. Verhandlungen Stenogr. Be -.

Die Vorſchriften über die Friedensleiſtungen kommen in allen Fällen zur Anwendung, in welchen nicht die in §. 1 des Kriegs -319§. 93. Die Friedensleiſtungen.leiſtungsgeſetzes aufgeführten Vorausſetzungen begründet ſind. Vgl. den folgenden Paragraphen. Sie bilden alſo die dauernde Regel, die Vorſchriften über Kriegsleiſtungen die zeitweiſe eintretende Aus - nahme. Andere Leiſtungen für die bewaffnete Macht als die in den beiden Reichsgeſetzen v. 25. Juni 1868 und vom 13. Febr. 1875 normirten, können während des Friedenszuſtandes nicht ge - fordert werden1)Naturalleiſt. Geſ. §. 1..

I. Die Quartierleiſtung.

1. Vorausſetzungen.

a) Die Verpflichtung zur Quartierleiſtung iſt eine ſubſi - diäre Laſt, welche nur dann eintritt, wenn dem Bedürfniß der Truppen weder durch fiskaliſche Kaſernen und Stallungen noch durch Räumlichkeiten, welche der Militairverwaltung freiwillig über - laſſen, insbeſondere vermiethet, worden ſind, genügt werden kann2)Ausf. Inſtr. §. 1.. Für die Truppen in Garniſonen iſt die Unterbringung in Kaſernen die Regel; und auch da, wo dieſelbe noch nicht durchgeführt iſt, kann die Gewährung von Quartieren nur für die Mannſchaften vom Feldwebel abwärts, und die Gewährung von Stallungen nur für Dienſtpferde3)d. h. die dem Truppentheil als ſolchem gehörenden Pferde im Gegen - ſatz zu den Chargenpferden der Offiziere und den im Privateigenthum der Offiziere ſtehenden Pferden. (Stenogr. Berichte 1868 S. 463.) gefordert werden; für alle übrigen Bedürfniſſe der Militairverwaltung an Räumlichkeiten beſteht keine Leiſtungspflicht. Derſelbe Grundſatz gilt für Truppen in Kantonnements, wenn die Dauer des Kantonnements von vornherein4)Auf die thatſächliche Dauer der Kantonnements kömmt es nicht an, auf einen 6 Monate1)richte S. 115 ff. 881 ff. 1109 ff. und S. 1429 fg.). Auf Grund des §. 18 dieſes Geſetzes ſind Ausführungsbeſtimmungen zu demſelben er - laſſen worden für das geſammte Bundesgebiet, excl. Bayern’s, durch Kaiſerl. Verordn. v. 2. September 1875 (R. G.Bl. S. 261) und im Weſentlichen gleichlautend für Bayern durch Königl. Verordn. v. 28. Septemb. 1875 (Bayr. Geſetz - und Verordn. Bl. S. 579). Eine Abänderung haben dieſelben erfahren durch die Kaiſerl. Verordn. v. 11. Juli 1878 (R. G.Bl. S. 229) beziehentl. durch die Bayer. Verordn. v. 28. Aug. 1878 (Geſetz - und Verordn. - Bl. S. 409.) Literatur: Seydel in Hirth’s Annalen 1874 S. 1038 ff. und 1875 S. 1082 ff. Siegfried Reichsgeſ. über die Naturalleiſtungen erläutert Berlin 1875. v. Helldorff, Dienſtvorſchriften IV, 1. S. 1 ff.320§. 93. Die Friedensleiſtungen.überſteigenden Zeitraum feſtgeſetzt iſt. Dagegen kann bei Kan - tonnements von nicht längerer als 6monatlicher oder von unbe - ſtimmter Dauer, ferner bei Märſchen und Kommando’s im Be - dürfnißfall Quartier für Offiziere, Beamte und Mannſchaften, ferner Stallung für die von denſelben mitgeführten Pferde, ſoweit für dieſelben etatsmäßig Rationen gewährt werden, endlich das erfor - derliche Gelaß für Geſchäfts - Arreſt - und Wachlokalitäten verlangt werden1)Quart. Geſ. §. 2..

Der Begriff der Truppen umfaßt die geſammte bewaffnete Macht einſchließlich der Marine und zwar nicht nur die in einem eigentlichen Militairdienſt-Verhältniß ſtehenden Perſonen ſondern auch das Heergefolge2)ebendaſ. letzter Abſ. Die Beſtimmung, daß unter der bewaffneten Macht die Truppen des Nordd. Bundes und der mit ihm zu Kriegs - zwecken verbündeten Staaten zu verſtehen ſeien, bezog ſich auf die Süddeutſchen Staaten, welche mit dem Nordd. Bunde Schutz - und Trutzbünd - niſſe geſchloſſen hatten. Vgl. Bd. I S. 35. Durch die Errichtung des Deut - ſchen Reiches iſt dieſe Anordnung unanwendbar geworden.; er bedeutet ferner nicht nur geſchloſſene Truppenkörper, ſondern auch einzelne, auf dem Marſche oder auf einem Kommando befindliche Perſonen oder Truppentheile, insbe - ſondere auch die zum Dienſt einberufenen Rekruten, Reſerviſten oder Landwehrleute u. ſ. w.

b) Die Quatierleiſtung kann nur in demjenigen Umfange verlangt werden, welcher dem Bedürfniß entſpricht. Durch ein be - ſonderes, dem Geſetz als Beilage angehängtes Regulativ iſt die Größe, Beſchaffenheit, Ausſtattung des erforderlichen Raumes ſowohl für Garniſonquartier als für vorübergehende Einquartierung für die einzelnen Chargen ꝛc. beſtimmt worden3)Es iſt ein Theil des Geſetzes und mit demſelben verkündigt worden, Bundes-Geſ. Bl. 1868 S. 530 fg. ; hat alſo formelle Geſetzeskraft.. Dagegen hängt die Zahl und Art der Truppen, welche an einem gewiſſen Ort dauernd oder vorübergehend unterzubringen ſind, ausſchließlich von der Entſcheidung der Militairbefehlshaber ab. Die Anweiſung einer Garniſon erfolgt in jedem Falle durch Anordnung des Kaiſers (in Bayern des Königs); bevor dieſelbe erlaſſen wird, ſind4)ſondern lediglich darauf, daß eine Dauer von mindeſtens 6 Monaten in Aus - ſicht genommen iſt.321§. 93. Die Friedensleiſtungen.zwiſchen dem Generalkommando und der oberen Verwaltungsbe - hörde Verhandlungen über die Zuläſſigkeit der Belegung und die Garniſonſtärke zu führen1)Ausf. Inſtr. §. 5.. Das Maximum, bis zu welchem die garniſonmäßigen Quartierleiſtungen von der Gemeinde im Ganzen verlangt werden können, iſt durch ein von der Gemeindebehörde all - jährlich aufzuſtellendes Einquartierungskataſter zu beſtimmen2)Die näheren Vorſchriften darüber ſind enthalten im Quartierl. Geſ. §. 6 und der Ausf. Inſtr. §§. 7 und 8.. Bei Kantonnements und Märſchen wird das Bedürfniß durch die Marſchroute feſtgeſtellt, d. i. eine Urkunde, welche von der oberen Verwaltungsbehörde auf Requiſition der militairiſchen Kommandobehörde ausgefertigt wird. Das Original derſelben er - hält der Kommandoführer der marſchierenden Truppe, eine Ab - ſchrift die Aufſichtshehörde des mit Einquartierung zu belegenden Bezirks3)Ausf. Inſtr. §. 6. Das Formular zur Marſchroute, welches dieſer In - ſtruct. beigelegen hat, iſt aufgehoben und durch ein neues Formular erſetzt worden, welches eine Beilage zur Ausführungs-Inſtr. zum Naturalleiſt. Geſ. bildet. (R. G.Bl. 1875 S. 273.).

c) Die Pflicht zur Quartierleiſtung iſt eine Reallaſt. Der - ſelben ſind alle benutzbaren d. h. für Einquartirung, Stallung oder als Geſchäfts -, Wacht - und Arreſtlokale geeignete4)Ungeeignet ſind Gebäude in Stadttheilen, die allgemein als der Ge - ſundheit nachtheilig anerkannt ſind, im Bau begriffene Häuſer, feuchte Keller - wohnungen und andere nicht gehörig geſchützte Räumlichkeiten. Regulativ §. 12. Baulichkeiten unterworfen, ſoweit dadurch der Inhaber in der Benutzung der für ſeine Wohnungs -, Wirthſchafts - und Gewerbebetriebs-Bedürfniſſe unentbehrlichen Räumlichkeiten nicht behindert wird5)Quartierl. Geſ. §. 4 Abſ. 1. Eine Behinderung muß ſich der Inhaber gefallen laſſen, ſofern dieſelbe nur als Beſchränkung erſcheint d. h. ihm die Bewohnung und den Gewerbebetrieb nicht unmöglich macht.. Unter welchem Rechtstitel der Quartierträger die Räume inne hat, iſt rechtlich unerheblich, wenngleich es den einzelnen Gemeinden ge - ſtattet iſt, bei der Untervertheilung der Leiſtungen hierauf Rückſicht zu nehmen (ſiehe unten S. 323); die Laſt liegt auf dem Gebäude als ſolchem. Dieſem Charakter der Einquartirungslaſt entſpricht es, daß der Quartierträger zu neuen, einen Koſtenaufwand verurſachen - den Herſtellungen nicht verpflichtet iſt, es ſei denn, daß ihm eineLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 21322§. 93. Die Friedensleiſtungen.vollſtändige Entſchädigung Seitens des Reiches dafür gewährt wird1)Quartierl. Geſ. §. 4 Abſ. 3. Die Herſtellung der belaſteten Räume auf Koſten des Reiches muß der Quartierträger dulden.. Die Räume müſſen aber von dem Quartierträger mit den zu ihrer Benutzung für Einquartirungszwecke erforderlichen Utenſilien ausge - ſtattet werden2)Die näheren Vorſchriften darüber enthält das Regulativ §. 4 ff. und er iſt von der Verpflichtung zur Anſchaffung derſelben nicht befreit.

Den Quartierträgern iſt es geſtattet, ihre Verbindlichkeit da - durch zu erfüllen, daß ſie andere geeignete Quartiere zur Verfü - gung ſtellen. Dieſelben ſind der das Quartier vertheilenden Be - hörde anzumelden und von dieſer zu prüfen; wenn dieſelbe das anderweitige Quartier zurückweist, ſo findet gegen dieſe Verfügung keine Berufung ſtatt. Erfolgt die Annahme ſolcher Quartiere, ſo tritt der Inhaber in die Obliegenheiten des urſprünglich Verpflich - teten ein3)Quartierl. Geſ. §. 10. Ueber die örtlichen Erforderniſſe der Mieths - quartiere vgl. das Regulativ §. 13..

d) Befreit von der Einquartierungslaſt ſind nur die im Quartierleiſt. Geſ. §. 4 Abſ. 2 aufgeführten Gebäude; alle andern Befreiungen ſind aufgehoben4)Befreit ſind insbeſondere die Gebäude, welche ſich im Beſitze der Mit - glieder der regierenden Familie befinden; ferner die zu den Standesherrſchaften der vormals reichsſtändiſchen ꝛc. ꝛc. Häuſer gehörenden Gebäude, ſofern ſie für immer oder zeitweiſe zum Wohnſitze ihrer Eigenthümer beſtimmt ſind; die Wohnungen der fremden Geſandten und des Geſandtſchaftsperſonals und unter Vorausſetzung der Gegenſeitigkeit die Wohnungen der Berufskonſuln fremder Mächte, falls ſie Angehörige des entſendenden Staates ſind und in ihrem Wohnorte kein Gewerbe betreiben und keine Grundſtücke beſitzen; diejenigen Gebäude und Gebäudetheile, welche zu einem öffentlichen Dienſt oder Gebrauch beſtimmt ſind, und Dienſtlokale der Behörden, der Eiſenbahnen, Univerſitäts - und andere zum öffentlichen Unterricht beſtimmte Gebäude, Bibliotheken und Muſeen, Kirchen, Kapellen und andere dem öffentlichen Gottesdienſte gewidmete Gebäude, Armen -, Waiſen - und Krankenhäuſer, Beſſerungs -, Aufbewahrungs - und Gefängniß-Anſtalten, Gebäude der milden Stiftungen, welche für deren Zwecke unmittelbar benutzt werden; endlich neuerbaute oder vom Grunde aus wieder aufgebaute Gebäude, bis zum Ablauf zweier Kalenderjahre nach dem Kalenderjahre, in welchem ſie bewohnbar oder nutzbar geworden ſind.. In wie weit für die Aufhebung der Befreiung eine Entſchädigung in Anſpruch genommen werden kann, iſt nach Maßgabe der Landesgeſetze zu beurtheilen.

323§. 93. Die Friedensleiſtungen.
2. Vertheilung und Geltendmachung der Ein - quartierungslaſt.

a) Obgleich die Pflicht zur Quartierleiſtung eine auf den Ge - bäuden ſelbſt ruhende Reallaſt iſt, ſo erfolgt doch die Geltendma - chung derſelben nicht unmittelbar gegen den Beſitzer, ſondern durch Vermittelung der Gemeinden, denen die ſelbſtſtändigen Gutsbezirke vollkommen gleichgeſtellt ſind. Die örtliche Vertheilung der Quartier - leiſtung erfolgt auf die Gemeinde - und Gutsbezirke im Ganzen; den Vorſtänden derſelben liegt die weitere Untervertheilung und die Fürſorge für die gehörige und rechtzeitige Erfüllung der Quartier - leiſtungen ob. In den Städten kann die Verwaltung der Ein - quartierungs-Angelegenheiten beſonderen Deputationen übertragen werden1)Quartierleiſt. Geſ. §. 5.. In den Landkreiſen und analogen Verbänden regeln Kommiſſionen, welche aus dem Landrath, Amtshauptmann u. ſ. w. und zwei Mitgliedern beſtehen, die Grundſätze und Ausführung der allgemeinen Vertheilung der Einquartierung auf den betreffen - den Kreis; beſtehen derartige Vertretungen in einem Bundesſtaate nicht, ſo bleibt die Regulirung dieſer Angelegenheit der Landesge - ſetzgebung überlaſſen2)ebendaſ. §. 7 Abſ. 1 und 2.. In jedem einzelnen Gemeindebezirk wird die Vertheilung der Laſt durch Gemeindebeſchluß oder durch Ortsſtatut geregelt; für die Beſchlußfaſſung ſind dieſelben Grund - ſätze wie für die Einführung von Gemeindeſteuern maßgebend3)Bis zum Zuſtandekommen eines ſolchen Ortsſtatuts bleiben die bis da - hin geltenden Grundſätze über die Vertheilung in Kraft.. Durch ein ſolches Statut kann nun zwar keinem Gebäudebeſitzer eine größere Laſt als die ihn geſetzlich treffende auferlegt werden; es können aber die individuellen Verhältniſſe eine billige Berück - ſichtigung finden, es kann beſtimmt werden, daß nur die Eigen - thümer und Nutznießer der Gebäude, nicht deren Miether, heran - gezogen werden ſollen; es kann angeordnet werden, daß diejenigen, welche die Quartierleiſtung effectiv übernehmen, aus Gemeinde - mitteln Zuſchüſſe erhalten; es kann endlich feſtgeſetzt werden, daß4)Iſt ein Kataſter nach Maßgabe des §. 6 aufgeſtellt worden, ſo dürfen bei der Untervertheilung der garniſonmäßigen Quartierleiſtung die in dem Kataſter für die einzelnen Gebäude verzeichneten Maximalſätze nicht über - ſchritten werden. Ausf. Inſtr. §. 8 Abſ. 1.21*324§. 93. Die Friedensleiſtungen.die einzuquartierenden Truppen von dem Gemeindevorſtand in ge - mietheten Quartieren untergebracht und in welcher Weiſe die da - durch entſtehenden Koſten gedeckt werden ſollen. Zwiſchen ſelbſt - ſtändigen Gutsbezirken und Gemeinden können Verbände zur ge - meinſamen Leiſtung der Einquartierungslaſt nach Maßgabe des Ortsſtatuts eingegangen werden1)Quartierl. Geſ. §. 7 Abſ. 3 6.. In den dazu geeigneten Ort - ſchaften, namentlich in großen Städten oder ausgedehnten Land - gemeinden, können beſondere Quartierbezirke gebildet werden2)ebendaſ. §. 9..

Der Ortsvorſtand kann nach Ablauf von drei Monaten einen allgemeinen oder theilweiſen Wechſel der Quartiere vornehmen, nach Ablauf einer kürzeren Friſt nur mit Zuſtimmung der Mili - tairbehörde3)Geſ. §. 14. Nach der Ausführungs-Inſtr. §. 14 muß der Ortsvor - ſtand den Truppentheil noch vor Beginn des dritten Monats unter Angabe des neuen Quartierbezirks davon in Kenntniß ſetzen, daß eine ſolche Maßregel beabſichtigt wird..

b) Der Gemeindevorſtand oder die vorgeſetzte Aufſichtsbehörde deſſelben ſind befugt, die Quartierträger durch Anwendung admi - niſtrativer Zwangsmittel zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten mit Einſchluß der Beſchaffung der erforderlichen Utenſilien anzu - halten und die verauslagten Koſten von dem Verpflichteten auf dem für die Einziehung der Gemeindeabgaben vorgeſchriebenen Wege beizutreiben4)Geſ. §. 11. Ausf. Inſtr. §. 13.. Ebenſo haben die erwähnten Behörden Be - ſchwerden über mangelhafte oder nicht vollſtändige Quartierleiſtung endgültig zu erledigen. Die einquartierten Offiziere oder Mann - ſchaften ſind indeß nicht berechtigt, die Beſchwerde unmittelbar bei dem Gemeindevorſtand oder der Kommunal-Aufſichtsbehörde vor - zubringen; zur Erhebung der Beſchwerde iſt vielmehr in Garni - ſonen nur der Garniſonälteſte oder deſſen Beauftragter, auf Mär - ſchen ꝛc. der Truppenbefehlshaber, beziehentl. der Fourieroffizier befugt5)Geſ. §. 12., ſo daß dieſen Offizieren eine Vorprüfung in Betreff der ihnen gemeldeten oder von ihnen bemerkten Mängel obliegt. Dem entſpricht es, daß auch Beſchwerden der Quartiertträger durch die Kommunal-Behörden in Gemeinſchaft mit den genannten Offi -325§. 93. Die Friedensleiſtungen.zieren zu erledigen ſind; können ſich beide nicht einigen, ſo erfolgt die endgültige Entſcheidung von der höheren Verwaltungsbehörde unter Zuziehung des Truppenkommando’s1)ebendaſ. §. 13. Beſchwerden der Quartierträger ſind nur innerhalb vier Wochen ſtatthaft..

c) Die Zuweiſung der Quartiere, Stallungen ꝛc. an die Trup - pen erfolgt mittelſt Quartierbillets2)Das Formular dafür iſt in der Beilage C. zur Ausf. Inſtr. feſtgeſetzt. B. G.Bl. 1869 S. 17.. Dieſelben ſind vom Ortsvorſtande auszufertigen; ſie enthalten die genaue Bezeichnung der zu belegenden Quartiere mit Beifügung der Charge und Kopf - zahl der Einzuquartierenden; ſie ſind den Truppen zu übergeben, denen ſie zur Legitimation den einzelnen Quartierträgern gegenüber dienen; gegen Gewährung des Quartiers werden ſie den letzteren ausgehändigt3)Regulativ §. 14. Ausf. Inſtr. §. 11. In ſelbſtändigen Gutsbezirken iſt die Ausfertigung von Quartierbillets nur erforderlich, wenn auch die Hin - terſaſſen des Gutes zur Quartierleiſtung herangezogen werden. Der Gutsvor - ſtand oder deſſen Stellvertreter hat in dieſem Falle die Billete auszufertigen. Ausf. Inſtr. §. 12..

3. Die Entſchädigung. (Servis.)

a) Die Höhe der vom Reiche (reſp. von Bayern) zu ge - währenden Entſchädigung beſtimmt ſich durch den Servistarif und die Klaſſeneintheilung der Orte, welche einer allgemeinen, alle 5 Jahre zu wiederholenden Reviſion unterliegen4)Quartierl. Geſ. §. 3.. Ueberdies iſt der Kaiſer ermächtigt, unter Zuſtimmung des Bundesraths die Verſetzung einzelner Orte aus einer niederen Servisklaſſe in eine höhere anzuordnen5)ebendaſ. §. 19.. Seit dem 1. April 1879 iſt der durch das Reichsgeſ. v. 3. Aug. 1878 feſtgeſtellte Servistarif nebſt Klaſſen - eintheilung in Kraft getreten. Der Tarif unterſcheidet in ähnlicher Weiſe wie der Tarif zum Reichsgeſetz v. 30. Juni 1873 über den Wohnungsgeldzuſchuß6)R. G.Bl. 1873 S. 166. Im Uebrigen lehnt er ſich an an das Regle - ment über die Servis-Kompetenz der Truppen im Frieden v. 20. Febr. 1868. Daſſelbe iſt nebſt allen Abänderungen und Ergänzungen herausgegeben von v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. IV Abth. 1. S. 83 ff. Servisſtufen nach dem Range7)Nur treten ſelbſtverſtändlich die Gemeinen ꝛc. als ſiebente Stufe hinzu. und theilt326§. 93. Die Friedensleiſtungen.die Orte nach den Theuerungsverhältniſſen in 6 Servisklaſſen ein1)Die oberſte Klaſſe wird als Klaſſe Berlin oder A bezeichnet, enthält aber noch mehrere andere Städte (Altona, Bremen, Dresden, Frankfurt a. M., Hamburg, Metz, Mühlhauſen, München, Straßburg, Stuttgart), ſo daß die übrigen Klaſſen mit den Ziffern I bis V bezeichnet werden.. Der hiernach ſich ergebende Jahresſervis wird wieder in der Art vertheilt, daß auf die Wintermonate (1. Oktober bis 31. März) ein größerer Antheil als auf die Sommermonate fällt2)Außerdem wird eine Erhöhung der tarifmäßigen Entſchädigung gewährt bei Quartierleiſtungen zum Zwecke der Artillerie-Schießübungen und bei Ein - quartierungen, welche behufs Abwehr der Rinderpeſt nothwendig werden, ſowie bei vorübergehenden Quartierleiſtungen (Geſ. §. 2 Ziff. 2), inſoweit dieſelben die Dauer von 30 Tagen überſteigen. Anhang zur Klaſſeneinthei - lung. R. G.Bl. 1878 S. 288..

b) Die Berechnung der zu zahlenden Entſchädigungsſumme erfolgt in der Art, daß für jeden Einquartierungstag 1 / 30 des Monatsbetrages gewährt wird. Dabei wird der Abgangtag nicht mitgerechnet und wenn Ankunft und Abzug auf einen Tag fällt3)Nach der Ausf. Inſtr. §. 16. iſt hierunter der Zeitraum von Mitter - nacht zu Mitternacht zu verſtehen; die Entſchädigung iſt alſo für einen Tag zu zahlen, wenn die Truppen des Abends anlangen und am nächſten Morgen wieder ausrücken., eine Vergütung nicht gezahlt. Für ganze Kalendermonate wird ohne Rückſicht auf die Anzahl ihrer Tage ein Servis für 30 Tage gerechnet4)Quart. Geſ. §. 15 Abſ. 1 und 2.. Eine Entſchädigung wird in der Regel nur für die Zeit der wirklichen Quartierleiſtung gezahlt; ausgenommen ſind nur einige Fälle, in denen für kranke, arretirte, beurlaubte oder kommandirte Mannſchaften oder für die zu den Uebungen ausge - rückten Truppen die ihnen eingeräumten Wohnungen, Stallungen u. ſ. w. reſervirt bleiben5)Die näheren Vorſchriften hierüber enthält §. 16 des Geſetzes..

c) Die Zahlung des Serviſes erfolgt an den Ortsvor - ſtand und zwar in den Garniſonen allmonatlich6)Geſ. §. 15 Abſ. 3. Die Zahlung erfolgt an denjenigen, dem die Aus - ſtellung der Quartierbillets obliegt. Inſtr. §. 15 Abſ. 4. In Kanton - nements und auf Märſchen empfangen die Ortsvorſtände von den Truppentheilen Quartierbeſcheinigungen und liquidiren7)Für die Landgemeinden beſorgen die Aufſichtsbehörden die Liquidation. auf Grund derſelben die Servisentſchädigungen vierteljährlich bei derjenigen327§. 93. Die Friedensleiſtungen.Intendantur, zu deren Bezirk die mit Einquartierung belegten Ortſchaften gehören1)Ausf. Inſtr. §. 15 und Erl. v. 3. Sept. 1870 (B. G.Bl. 1870 S. 514) Der Inſtruct. ſind die erforderlichen Formulare beigefügt.. Die Befriedigung der einzelnen Quartier - geber iſt Sache des Ortsvorſtandes2)Geſetz §. 15 Abſ. 4. Der Quartiergeber kann demnach ſeine Forde - rung immer nur gegen den Gemeindevorſtand, nicht gegen die Intendantur oder den Truppentheil geltend machen..

d) Die Entſchädigungsanſprüche für gewährtes Naturalquar - tier ſowie alle Nachforderungen verjähren, wenn ſie nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres, welches auf dasjenige folgt, in welchem die Zahlungsverpflichtung begründet worden iſt, bei dem Gemeindevorſtand, beziehungsw. der vorgeſetzten Kommunal-Auf - ſichtsbehörde angemeldet werden3)Geſ. §. 17. Die Friſt läuft auch gegen Minderjährige und gegen die Perſonen, welchen die privil. minorum zuſtehen, ohne Zulaſſung der in integr. restitutio. . Dieſe Vorſchrift bezieht ſich lediglich auf die Anſprüche der Quartiergeber gegen die Gemeinde, dagegen nicht auf die Forderungen der Gemeinden gegen die Reichs - kaſſe, da dieſelben nicht bei dem Gemeindevorſtand angemeldet werden können. Ueber die Verjährung dieſer Anſprüche ent - hält das Reichsgeſetz gar keine Beſtimmung; ſie richtet ſich daher nach den Landesgeſetzen4)Die entgegengeſetzte Anſicht, daß ſich die Verjährungsfriſt des §. 17 auch auf die Anſprüche der Gemeinden bezieht, findet ſich in den Militairge - ſetzen III S. 17, ohne Angabe eines Grundes. Richtig iſt nur, daß eine Ge - meinde, welche verjährte Entſchädigungsforderungen bezahlt hat, hierfür keinen Erſatz von der Reichskaſſe zu beanſpruchen hat. Inſofern kömmt daher die Verjährung des §. 17 allerdings der Reichskaſſe zu Gute. Gegen die Gemein - den bedarf es auch der kurzen Verjährungsfriſt nicht, da dieſelben im Auf - ſichtswege zur rechtzeitigen Einreichung ihrer Liquidationen bei den Intendan - turen angehalten werden können..

II. Naturalverpflegung.

Die Verabreichung der Naturalverpflegung an Truppen kann nur als Acceſſorium der Quartierleiſtung gefordert werden, nie - mals als ſelbſtſtändige Verpflichtung. Im Allgemeinen beſtehen daher für dieſe Militairlaſt auch dieſelben Vorſchriften, wie für die Einquartierungslaſt, insbeſondere hinſichtlich der Durchführung der - ſelben durch Vermittlung der Gemeinden; im Einzelnen ſind aber328§. 93. Die Friedensleiſtungen.theils durch die Verſchiedenheit der Leiſtung Unterſchiede begründet, theils beſchränken die Vorausſetzungen, unter denen die Anforde - rung zuläſſig iſt, ſie auf ein engeres Gebiet.

1. Vorausſetzungen und Inhalt.

a) Jeder Quartiergeber iſt verpflichtet, die bei ihm ein - quartirten Offiziere und Mannſchaften zu verpflegen, wofern ſich dieſelben auf Märſchen befinden. Dies gilt ſowohl für die Marſch - und Ruhetage, als auch für die auf dem Marſche eintre - tenden Aufenthaltstage; dagegen beſteht eine geſetzliche Verpflich - tung zur Naturalverpflegung weder für Truppen in Garniſonen noch für Truppen in Kantonnements1)Naturall. Geſ. §. 4. Dem Kantonnement ſtehen gleich ſolche Unterbre - chungen von Märſchen, welche vorher beſtimmt ſind. In Kantonnements haben die Truppen entweder ihre Verpflegung ſelbſt zu beſchaffen oder es werden ihnen die Verpflegungsgegenſtände aus militairiſchen Magazinen geliefert. Vgl. die Inſtr. v. 2. Sept. 1875 (R. G.Bl. S. 261) §. 2..

b) Der mit Verpflegung[Einquartierte] ohne Unterſchied der militair. Charge muß ſich in der Regel mit der Koſt des Quar - tiergebers begnügen. Im Falle des Streites muß ihm aber das - jenige in gehöriger Zubereitung gewährt werden, was er nach dem Reglement bei einer Verpflegung aus dem Magazine zu fordern berechtigt ſein würde2)Naturall. Geſ. §. 4. Die näheren Vorſchriften über Art und Menge der zu liefernden Nahrungsmittel enthält die Ausf. Inſtr. v. 2. Sept. 1875 §. 2. Die Verabreichung von Brod Seitens des Quartiergebers findet nur ſtatt, wofern die Truppen nicht Brot oder Brotgelt empfangen haben. Offi - ziere, Aerzte und Militairbeamte ſind nicht verpflichtet, die Verpflegung von den Quartiergebern zu nehmen; ſie ſind aber dazu berechtigt und haben die Wahl, entweder ſich mit der magazinmäßigen Verpflegung gegen gewöhnliche Vergü - tung zu begnügen oder angemeſſene Bewirthung gegen Gewährung des dop - pelten Vergütungsſatzes zu beanſpruchen..

2. Geltendmachung.

a) Die Verpflichtung zur Naturalverpflegung tritt ein auf Grund der von den zuſtändigen Civil-Behörden ausgeſtellten Marſchrouten; nur in dringenden Fällen kann die zuſtändige Militairbehörde die Leiſtungen direkt von der Gemeindebehörde und, wenn dieſe nicht rechtzeitig zu erreichen iſt, von den Leiſtungs - pflichtigen unmittelbar requiriren3)Naturall. Geſ. §. 6 Abſ. 1. 2.. Alle Requiſitionen der Mili -329§. 93. Die Friedensleiſtungen.tairbehörden, ſowohl die an die Civilbehörden wegen Ausſtellung der Marſchrouten als auch die unmittelbar an die Gemeinden oder Quartiergeber gerichteten, müſſen ſchriftlich erfolgen und Umfang, Ort und Zeit der in Anſpruch zu nehmenden Leiſtung genau be - zeichnen. Ebenſo iſt über die erfolgte Marſchverpflegung von der Militairbehörde oder dem Kommandoführer eine ſchriftliche Be - ſcheinigung zu ertheilen1)Naturall. Geſ. §. 6 Abſ. 3. Ausf. Inſtr. v. 1875 §. 4. Derſelben ſind die erforderlichen Formulare beigefügt..

b) Die örtliche Vertheilung der Leiſtung erfolgt wie die Ver - theilung der Einquartierung durch die zuſtändige Civilbehörde auf die Gemeinden im Ganzen. Ebenſo gelten für die Unterverthei - lung dieſelben Regeln wie ſie das Quartierleiſtungsgeſetz aufſtellt. Die Gemeinden können die Leiſtungen aber auch ohne Unterver - theilung für eigene Rechnung übernehmen und die erwachſenden Koſten auf die hierdurch von unmittelbarer Leiſtung befreiten Pflich - tigen nach Verhältniß ihrer Verpflichtung zur Naturalleiſtung um - legen oder ohne Weiteres aus der Gemeindekaſſe beſtreiten. Die Gemeindevorſtände ſind befugt, die Leiſtungspflichtigen durch ad - miniſtrative Zwangsmittel zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten an - zuhalten, beziehungsw. den auf ſie entfallenden Koſtenbetrag auf dem für die Einziehung der Gemeindeabgaben vorgeſchriebenen Wege beizutreiben2)Naturall. Geſ. §. 7 Abſ. 1 5. Inſtruct. §. 5..

c) Die Vorſtände der Gemeinden und ſelbſtſtändigen Guts - bezirke ſind verpflichtet, für die rechtzeitige Beſchaffung der Marſch - verpflegung zu ſorgen. Unterläßt ein Gemeindevorſtand die Er - füllung dieſer Pflicht, ſo iſt bei Gefahr im Verzuge die Mi - litairbehörde berechtigt, die Leiſtung ohne Zuziehung des Gemeinde - Vorſtandes anderweit zu beſchaffen und von letzterem, falls ihm eine Verſäumniß zur Laſt fällt, Erſatz der für die Militairver - waltung entſtandenen Mehrkoſten zu verlangen3)Naturall. Geſ. §. 7 Abſ. 6..

3. Entſchädigung.

a) Die Höhe der für die Marſchverpflegung zu zahlenden Vergütung iſt ohne Rückſicht auf die Klaſſeneintheilung der Orte dieſelbe und ebenſowenig macht die Servisklaſſe oder die Charge330§. 93. Die Friedensleiſtungen.des Einquartirten einen Unterſchied. Jedoch iſt für Offiziere und im Offiziersrange ſtehende Aerzte und Militairbeamte, wenn ſie ſich nicht ausdrücklich mit der magazinmäßigen Verpflegung ein - verſtanden erklärt haben, der doppelte Betrag des Vergütungs - ſatzes zu entrichten1)Naturall. Geſ. §. 9 Ziff. 2. Abſ. 5. Siehe oben S. 328 Note 2.. Die Normalhöhe des letzteren iſt geſetzlich für die einzelnen Mahlzeiten feſtgeſtellt und beträgt für die volle Tageskoſt 80 Pf. (ohne Brot 65 Pf.). Wenn jedoch der Preis des Winterroggens nach dem Durchſchnitte der November-Markt - preiſe in Berlin, München, Königsberg und Mannheim für 1000 Kilogr. mehr als 160 M. beträgt, ſo wird im folgenden Jahre für je 10 M. des Mehrbetrages die Vergütung für die volle Tageskoſt um 5 Pf., bis zum Maximalbetrage von einer Mark erhöht und ebenſo in entſprechendem Verhältniß die übrigen Ver - gütungsſätze2)Die Inſtr. v. 1875 §. 6 enthält die näheren Angaben, wie die Erhö - hung der Vergütung auf die einzelnen Sätze zu vertheilen iſt.. Demgemäß werden die hiernach für das folgende Jahr zur Anwendung kommenden Vergütungsſätze durch den Reichs - anzeiger öffentlich bekannt gemacht3)Die Bekanntmachung wird auch im Centralbl. f. d. D. R. u. im Ar - mee-V. Bl. abgedruckt.. Die Feſtſtellung der Ver - gütungsſätze erfolgt vom Reichskanzler-Amte. Der Bundes - rath iſt außerdem befugt, bei außergewöhnlicher Theurung der Lebensmittel die Vergütungsſätze zeitweiſe für das ganze Bun - desgebiet oder für einzelne Theile deſſelben über den Normalſatz von 80 Pf. bis zu 1 M. und auch über den Betrag von einer Mark hinaus zu erhöhen4)Naturall. Geſ. §. 9 Ziff. 2 Abſ. 4. Hieraus ergiebt ſich, daß der Reichs - kanzler von dem einmal bekannt gemachten Vergütungsſatz im Lauf des Jahres nicht abweichen darf..

b) Die Zahlung für empfangene Marſchverpflegung erfolgt von dem Kommandoführer an den Gemeindevorſtand und zwar ſofort5)Ausf. Inſtr. §. 6 Abſ. 6.. Iſt ausnahmsweiſe die ſofortige Bezahlung nicht thunlich geweſen, ſo iſt der Betrag von dem Gemeindevorſtande, beziehentl. der Aufſichtsbehörde desſelben, auf Grund der über die erfolgte Leiſtung ertheilten Beſcheinigung zu liquidiren6)Das Formular hierfür enthält die Beilage D. 2 zur Inſtrukt.. Die Befriedigung der einzelnen Quartiergeber für die von ihnen331§. 93. Die Friedensleiſtungen.in natura gewährte Marſchverpflegung liegt dem Gemeindevor - ſtand ob1)Naturall. Geſ. §. 9 letzter Abſ..

c) Ueber die Verjährung der Anſprüche auf Entſchädi - gung gelten dieſelben Regeln wie bei der Quartierleiſtung2)Naturall. Geſ. §. 16..

III. Fourage-Lieferung.

Die Verpflichtung zur Verabreichung der Fourage iſt der Ver - pflichtung zur Marſchverpflegung inſoferne ganz gleichartig, als ſie nur auf den Unterhalt der Pferde und ſonſtigen Zugthiere der auf Märſchen befindlichen Theile der bewaffneten Macht, und zwar ſowohl für die Marſch - und Ruhetage, als auch für die Liegetage, ſich erſtreckt. Aber auch darin ſteht ſie unter denſelben Regeln wie die Verpflegungslaſt, daß ſie durch Vermittlung der Gemeinden geltend gemacht wird, daß die Vertheilung demnach auf die Gemein - den im Ganzen erfolgt, daß denſelben die Wahl frei ſteht, ob ſie die Laſt durch Untervertheilung auf die Beſitzer von Fouragebe - ſtänden oder durch unmittelbare Lieferung auf Gemeindekoſten er - füllen wollen, daß die Entſchädigung an den Gemeinde-Vorſtand für die Geſammtleiſtung bezahlt wird und dieſem die Befriedigung der einzelnen Verpflichteten für die von dieſen gelieferten Beſtände obliegt, daß über Marſchrouten, Requiſitionen, Beſcheinigungen, Liquidationen und Verjährung dieſelben Vorſchriften gelten. Ein rechtlicher Unterſchied zwiſchen beiden Militairlaſten beſteht ledig - lich in folgenden Beziehungen:

1. Vorausſetzungen und Inhalt.

a) Die Verpflichtung trifft alle Beſitzer von Fouragebeſtän - den, gleichviel ob zugleich ihre Stallungen auf Grund der Ein - quartierungslaſt in Anſpruch genommen werden oder nicht3)Jedoch erſtrecken ſich die Befreiungen von der Vorſpannlaſt (ſiehe unten S. 333 Note 4) auch auf diejenigen Fouragebeſtände, welche zum Unterhalt der Pferde erforderlich ſind, auf die ſich die Befreiung bezieht. Naturall. - Geſetz §. 5 Abſ. 3.. Wie alle Militairlaſten iſt aber auch dieſe Verpflichtung eine ſubſi - diäre. Die Verabfolgung der Fourage darf daher in keinem Falle gefordert werden, wenn am Orte des Marſchquartiers Ma - gazinverwaltungen oder Lieferungs-Unternehmer der Militairver -332§. 93. Die Friedensleiſtungen.waltung vorhanden ſind; und auch an ſolchen Orten, wo dies nicht der Fall, darf die Fourage-Lieferung für Heeresabtheilungen mit mehr als 25 Pferden nur dann gefordert werden, wenn der Bedarf im Wege des Vertrages gegen ortsübliche Preiſe durch die Militair-Intendantur nicht rechtzeitig hat ſichergeſtellt werden können1)Naturall. Geſ. §. 5 Abſ. 1. Es ſind ſonach zwei Fälle zu unterſcheiden, in denen die Lieferung von der Gemeinde verlangt werden kann; entweder wenn der Marſch binnen ſo kurzer Friſt erfolgt, daß die Intendantur keine Zeit zur Beſchaffung der Fourage hat, oder wenn es ihr angewendeter Be - mühung ungeachtet nicht gelingt, den Bedarf zu ortsüblichen Preiſen ſicherzu - ſtellen. In den Requiſitionsſchreiben an die zuſtändigen Civilbehörden wegen Ausſtellung der Marſchrouten iſt, wenn Fourage-Lieferung verlangt wird, eine entſprechende Begründung zu geben. Vgl. den Erl. des Preuß. Kriegs - miniſters v. 8. Sept. 1875 (A. V.Bl. S. 223), durch welchen §. 83 des Friedens-Verpfl. -Reglem. in dieſem Sinne umgeändert worden iſt..

b) Die Verpflichtung bezieht ſich nur auf die für den eigenen Wirthſchaftsbedarf entbehrlichen Beſtände; wenn im Gemeindebe - zirk ſolche entbehrliche Beſtände in dem erforderlichen Maaße nicht vorhanden ſind, ſo tritt an die Stelle der Pflicht zur Lieferung der Fourage die Verpflichtung, ſie gegen die tarifmäßige Vor - ſpannvergütung von der nächſten militairiſchen Verabreichungsſtelle abzuholen. Der Gemeindevorſtand iſt dafür verantwortlich, daß die Abholung rechtzeitig bewirkt werde2)Naturall. Geſ. §. 5 Abſ. 2. §. 7 Abſ. 6. Die Entbehrlichkeit der Fourage-Beſtände bezieht ſich aber nur auf den Bedarf zur augenblickl. Ernährung des Viehſtandes, iſt alſo je nach der Gelegenheit zur Wiederer - gänzung zu beurtheilen. Vgl. Kommiſſionsbericht S. 7 (Druckſachen II Seſſion 1874 / 5 Nro. 141). Der Gemeindevorſtand hat bei der Liquidation eine Be - ſcheinigung der vorgeſetzten Verwaltungsbehörde darüber beizubringen, daß der Fouragebedarf im Gemeindebezirk nicht vorhanden iſt. Ausf. Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 3..

c) Zur Fourage gehört Hafer, Heu und Stroh; ſie iſt in guter Qualität nach Gewicht zu liefern. Die Größe der Rationen iſt in der Ausführungs-Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 3 feſtgeſetzt.

2. Entſchädigung.

Die Vergütung für verabreichte Fourage erfolgt nach dem Durchſchnittspreiſe des Kalendermonats, in welchem die Lieferung ſtattgefunden hat. Bei der Berechnung des Durchſchnittspreiſes werden die Marktpreiſe desjenigen Ortes zu Grunde gelegt, wel -333§. 93. Die Friedensleiſtungen.cher für die Landlieferungen nach § 19 des Kriegsleiſtungsgeſetzes maßgebend iſt1)Naturall. Geſ. §. 9 Ziff. 3. Vgl. unten §. 94. Ueber die Ermittelung des Durchſchnittspreiſes vgl. Ausf. Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 5.. Die höheren Verwaltungsbehörden ſind ver - pflichtet, dieſe Durchſchnittspreiſe durch die öffentl. Anzeigeblätter regelmäßig bekannt zu machen und bei Einreichung der Liquidatio - nen an die Intendantur hat die zuſtändige Civilbehörde die Rich - tigkeit der angeſetzten Preiſe zu beſcheinigen2)Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 6. Eine ſofortige Baarbezahlung der gelieferten Fourage Seitens der Truppenführer findet nicht ſtatt; die Liqui - dationen müſſen vielmehr vorerſt von den Intendanturen geprüft werden..

IV. Vorſpannleiſtung3)Vgl. v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. III Abth. 5 S. 140 ff..

1. Vorausſetzungen und Inhalt der Ver - pflichtung.

a) Verpflichtet zur Stellung von Vorſpann ſind alle Beſitzer von Zugthieren und Wagen; unter dieſen ſind aber in erſter Linie diejenigen heranzuziehen, welche aus dem Vermiethen ihrer Thiere und Wagen oder dem Betriebe des Fuhrweſens ein Gewerbe ma - chen. Befreit ſind nur die im § 3 des Naturall. Geſ. aufgeführten Perſonen4)Es ſind dies die Mitglieder der Deutſchen regierenden Familien, be - züglich der für ihren Hofhalt beſtimmten Wagen und Pferde; die Geſandten und das Geſandtſchaftsperſonal fremder Mächte; Staats - und Privatgeſtüte und die Militairverwaltungen hinſichtlich ihrer Zuchtthiere und Remonten; Offiziere, Reichs - Staats - und Kommunalbeamte, Seelſorger, Aerzte und Thier - ärzte hinſichtlich der zur Ausübung ihres Dienſtes oder Berufes nothwendigen Pferde; endlich die Poſthalter hinſichtl. derjenigen Pferde, welche von ihnen zur Beförderung der Poſten vertragsmäßig gehalten werden müſſen.; es ſind im Weſentlichen dieſelben, welche auch nach dem Kriegsleiſtungsgeſetz § 25 Befreiung von der zwangsweiſen Pferdeaushebung genießen.

b) Die Stellung von Vorſpann kann nur gefordert werden für die auf Märſchen, in Lagern oder in Kantonnirungen befind - lichen Theile der bewaffneten Macht; niemals für Truppen in Garniſonen. Dagegen iſt die Verpflichtung kein Acceſſorium der Quartierleiſtung, Naturalverpflegung und Fourageleiſtung, ſondern ſie kann für ſich allein geltend gemacht werden.

c) Nur inſoweit der Bedarf im Wege des Vertrages gegen334§. 93. Die Friedensleiſtungen.ortsübliche Preiſe durch die Militair-Intendantur nicht rechtzeitig hat ſichergeſtellt werden können, darf er durch Geltendmachung der geſetzl. Vorſpannlaſt befriedigt werden1)Siehe oben S. 332 Note 1. Auch hier ſind dieſelben zwei Fälle wie nach §. 5 Abſ. 1 zu unterſcheiden..

d) Der geſtellte Vorſpann ſoll der Regel nach nicht länger als einen Tag benutzt werden; eine längere Benutzung iſt nur in den dringendſten Fällen zuläſſig.

e) Die Stellung von Vorſpann umfaßt die Stellung von Fuhr - werken, Geſpannen2)Als Beſpannung ſind in der Regel nur Pferde zu verwenden; nur wenn Pferdegeſpanne nicht in genügender Anzahl vorhanden ſind, können auch Ochſen und Kühe geſtellt werden. Ausf. Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 6. und Geſpannführen; dagegen iſt die Ver - pflichtung zur Stellung von Reitpferden in dem Reichsgeſetz nicht anerkannt und ſonach da, wo ſie partikularrechtlich beſtanden hat, aufgehoben. Der Umfang, in welchem im einzelnen Falle Vor - ſpannleiſtungen gefordert werden dürfen, iſt durch die Ausführungs - verordnung zu normiren, deren Erlaß in Bayern dem Könige, im ganzen übrigen Reichsgebiet dem Kaiſer übertragen iſt3)Naturall. Geſ. §. 3 Abſ. 6.. An die Stelle der früheren Vorſchriften ſind jetzt die Anordnungen unter Ziff. 2 der Verordn. v. 11. Juli 1878 (in Bayern vom 28. Aug. 1878) getreten4)Siehe oben S. 319. Die Verordnung unterſcheidet 5 Kategorien von Fällen, in denen Vorſpann in dem daſelbſt näher angegebenen Maße ge - fordert werden kann; nämlich Garniſonveränderungen ſonſtige Märſche ge - ſchloſſener Truppentheile, Kommando’s und Transporte, ferner Anfuhr der Verpflegungs - und Bivouaksbedürfniſſe, endlich gewiſſe beſondere Verhältniſſe z. B. Transport von Militairbeamten, Anditeuren, Geiſtlichen, Militairärzten, Zahlmeiſter, Fourieroffizieren, Kranken u. ſ. w. Für alle übrigen Transport-Bedürfniſſe der Truppen haben die Intendanturen im Wege des Vertrages die Transportmittel zu beſchaffen. Die Ortsbehörden ſind ver - pflichtet, ihnen hierbei behülflich zu ſein..

2. Geltendmachung.

Auch die Laſt der Vorſpannleiſtung wird durch Vermittelung der Gemeinden geltend gemacht und es finden daher dieſelben Vorſchriften Anwendung wie bei der Quartierleiſtung, Marſchver - pflegung und Fouragelieferung. Nur der eine Umſtand begründet eine Abweichung, daß die Vorſpannleiſtung häufig in ſolchen Fällen erforderlich wird, welche ſich nicht vorherſehen laſſen, ſo daß bei335§. 93. Die Friedensleiſtungen.Ausſtellung der Marſchrouten auf ſie keine Rückſicht genommen werden kann. An Stelle der Marſchrouten treten daher beſondere Anordnungen. Dieſelben ſind in der Regel aber auch von den zuſtändigen Civilbehörden auf Requiſition der Intendanturen zu erlaſſen und nur in dringenden Fällen darf die Requiſition direct von der Militairbehörde an die Gemeindebehörden oder an die einzelnen Verpflichteten gerichtet werden1)Naturall. Geſ. §. 6 und Ausführ. Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 4..

3. Entſchädigung.

a) Die Höhe der Vergütung für Vorſpann iſt vom Bundes - rath von Zeit zu Zeit für jeden Bezirk eines Lieferungsverban - des2)Siehe §. 17 des Kriegsleiſtungs-Geſetzes. feſtzuſtellen. Maßgebend ſind dafür die in dem betreffenden Bezirke üblichen Fuhrpreiſe. Die Feſtſtellung des Bundesrathes iſt endgültig d. h. die Entſcheidung im Rechtswege über die An - gemeſſenheit der Vergütungsſätze iſt ausgeſchloſſen3)Naturall. Geſ. §. 9 Ziff. 1. Vgl. auch Kriegsleiſt. Geſ. §. 12 und die Inſtrukt. zu letzterem Ziff. 5.. Der gegen - wärtig geltende Tarif iſt vom Bundesrath am 25. Juni 1875 beſchloſſen worden; er beruht auf einer Eintheilung der Lieferungs - verbände in 4 Klaſſen4)Er iſt veröffentlicht im Preuß. Armee-V. Bl. 1875 S. 166. Die Ver - öffentlichung im Centralbl. des D. R. iſt verabſäumt worden. Nach der Ausf. - Inſtr. v. 1875 Ziff. 6 liegt die Bekanntmachung den Landesregierungen ob..

b) Die Berechnung der Vergütungsſumme erfolgt tage - weiſe; werden die Fuhren einen halben Tag oder darunter in An - ſpruch genommen, ſo wird ein halber Tag berechnet. In Anſatz zu bringen iſt auch die Fahrt vom Wohnort nach dem Stallungs - orte und zurück, wenn die Entfernung mehr als Kilometer beträgt; in dieſem Falle iſt eine Wegeſtrecke bis zu 15 Kilom einem halben Tage gleichzuſetzen5)Naturall. Geſ. a. a. O. Ueber die Berechnung der Entfernungen und der Zeit für Zurücklegung des Rückweges, für Fütterung u. ſ. w. vgl. die Ausf. Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 4..

c) Die Zahlung erfolgt im Ganzen an die Gemeindebe - hörde, welcher die Befriedigung der einzelnen Fuhrwerksbeſitzer obliegt. Sie erfolgt in der Regel ſofort Seitens der Truppen - theile; ausgenommen iſt der Vorſpann zur Anfuhr der Verpfle -336§. 93. Die Friedensleiſtungen.gungs - und Bivouaksbedürfniſſe und des Fouragebedarfs, für wel - chen die Beträge monatlich bei den Intendanturen zu liquidiren ſind. Ueber die Verjährung kommen dieſelben Regeln zur An - wendung wie bei den andern durch Vermittlung der Gemeinden geltend zu machenden Militairlaſten.

d) Außer der Vergütung iſt dem Eigenthümer voller Er - ſatz zu leiſten für Verluſt, Beſchädigung und außergewöhnliche Abnutzung an Zugthieren, Wagen und Geſchirr, welche in Folge oder bei Gelegenheit der Vorſpann - oder Spanndienſtleiſtung ohne Verſchulden des Eigenthümers oder des von ihm geſtellten Geſpann - führers entſtanden ſind2)Naturall. Geſ. §. 9 Ziff. 1 Abſ. 2.. Die Feſtſtellung des Erſatzanſpruches erfolgt in derſelben Weiſe wie bei Flurſchäden3)ebendaſ. §. 14.. Die Forderung erliſcht, wenn ſie nicht binnen 4 Wochen nach dem Eintritt der behaupteten Beſchädigung angemeldet worden iſt4)ebendaſ. §. 16 Abſ. 1.. Die Anmeldung iſt an den Gemeindevorſtand zu richten, dem die Ein - leitung des Verfahrens zur Feſtſtellung der Entſchädigungsſumme obliegt5)Ausf. Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 10..

V. Stellung von Schiffsfahrzeugen6)Naturall. Geſ. §. 10..

1. Vorausſetzungen und Inhalt der Ver - pflichtung.

a) Verpflichtet zur Stellung von Schiffsfahrzeugen ſind alle Beſitzer ſolcher Fahrzeuge, ausgenommen die Inhaber öffent - licher Fähren und anderer öffentlicher Transportanſtalten hin - ſichtlich derjenigen Fahrzeuge, welche nach Anordnung der zu - ſtändigen Behörden oder auf Grund abgeſchloſſener Verträge von ihnen für die öffentliche Benutzung gehalten werden müſſen.

b) Die Erfüllung dieſer Laſt kann nur für die Kaiſerliche Marine gefordert werden und nur zu folgenden Zwecken:

α) für Truppentransporte an und von Bord außerhalb der Kriegshäfen und

β) für Ausrüſtungen von Schiffen mit Proviant, Inventar,1)Ausf. Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 5 Abſ. 6. 10. 11.337§. 93. Die Friedensleiſtungen.Kohlen und ſonſtigem Material aller Art an ſolchen Orten, an denen die Marine keine etablirten Proviant -, Inventarien - und Kohlendepots beſitzt.

c) Die Verpflichtung iſt nur begründet, inſoweit die eigenen Fahrzeuge der Kriegsmarine für die gedachten Zwecke nicht aus - reichen und die nöthigen Fahrzeuge nicht gegen angemeſſene Ver - gütung im Wege des Vertrages beſchafft werden können.

d) Die in Anſpruch genommenen Fahrzeuge ſind in einem zur Ausführung des Transports geeigneten Zuſtande und mit dem erforderlichen Perſonal zu ſtellen und die Verpflegung des Per - ſonals iſt von dem Schiffseigenthümer zu bewirken1)Ausf. Inſtr. v. 2. Sept. 1875 Ziff. 7 Abſ. 2 und 3..

2. Geltendmachung.

Den Gemeinden liegt die Durchführung dieſer Militairlaſt nicht ob; ſie wird vielmehr gegen die einzelnen Schiffseigenthümer unmittelbar geltend gemacht. Dabei haben jedoch die Hafenpoli - zeibehörden und in Ermangelung ſolcher die Ortspolizeibehörden zur Vermittelung zu dienen, welche Seitens der Marinebehörden auf ſchriftlichem Wege in Anſpruch zu nehmen iſt2)Naturall. Geſ. §. 10 Abſ. 3. Ausf. Inſtr. Ziff. 7 Abſ. 1..

3. Entſchädigung.

Sowohl die Vergütung für die geleiſteten Dienſte wie der Erſatz für Verluſt, Beſchädigung und außergewöhnliche Abnutzung am Fahrzeug nebſt Zubehör, welche in Folge oder gelegentlich der geforderten Leiſtung ohne Verſchulden des Beſitzers oder des von ihm geſtellten Schiffers entſtanden ſind, werden in dem für Schätz - ung der Flurſchäden vorgeſchriebenen Verfahren feſtgeſtellt3)Siehe unten S. 341 fg.. Die Forderung iſt bei dem Vorſtande derjenigen Gemeinde anzumel - den, in deren Bezirk die Leiſtung in Anſpruch genommen worden iſt; dieſer Behörde liegt es ob, die zur Feſtſtellung der Ver - gütung erforderlichen Verhandlungen herbeizuführen4)Ausf. Inſtr. v. 1875 Ziff. 10.. Für die Anmeldung der Anſprüche auf Vergütung der Dienſte beſteht eine Präcluſivfriſt bis zum Ablauf des Kalenderjahres, welches auf das Jahr folgt, in dem die Dienſte geleiſtet worden ſind; für dieLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 22338§. 93. Die Friedensleiſtungen.Forderung wegen Schadenserſatzes beträgt die Anmeldungsfriſt vier Wochen von dem Eintritte der behaupteten Beſchädigung an1)Naturall. Geſ. §. 16..

VI. Transportleiſtungen der Eiſenbahnen.

Die Verpflichtung der Eiſenbahnverwaltungen zur Beförderung der bewaffneten Macht und des Materials des Landheeres und der Marine kann an ſich als eine beſondere Militairlaſt nicht erachtet werden; denn Eiſenbahnen, welche der Benutzung des Pu - blikums übergeben ſind, haben den Charakter öffentlicher Verkehrsanſtalten, ihre Benutzung darf daher Niemandem verwei - gert werden, der ſich den allgemeinen Vorſchriften und Reglements unterwirft, mithin darf ſie auch der Militairverwaltung weder ver - ſagt noch durch beſondere Bedingungen erſchwert werden. Anderer - ſeits iſt die Militair - und Marineverwaltung verbunden, ſich den Vorſchriften der Betriebs - und Polizeireglements zu unter - werfen und ſie kann keine Transportleiſtungen verlangen, die mit den allgemeinen Betriebseinrichtungen und der Ausrüſtung der Eiſenbahn unvereinbar ſind.

Eine beſondere Verpflichtung iſt den Eiſenbahnverwaltungen nur inſoferne auferlegt worden, als ſie das Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern verpflichtet ſind. Dieſe Laſt iſt in der Reichsverfaſſung Art. 47 anerkannt2)Vgl. Bd. II S. 378 fg.. Die Reichsverf. hat aber nicht beſtimmt, wie dieſe ermäßigten Sätze feſtzuſtellen ſind; ſie verordnet nur, daß die Eiſenbahn-Verwaltungen nicht berechtigt ſind, für Militair - transporte die gewöhnlichen tarifmäßigen Sätze zu liquidiren und daß die zu gewährende Vergütung für ſämmtliche Eiſenbahnen gleich ſein ſoll. In dieſer Beziehung iſt Art. 47 der R.V. - her ausgeführt worden durch § 15 des Naturalleiſt. Geſ., welcher beſtimmt, daß der allgemeine Tarif vom Bundesrath zu er - laſſen und von Zeit zu Zeit zu revidiren ſei3)Außerdem iſt durch das Naturall. Geſ. außer Zweifel geſtellt, daß dieſer ermäßigte Tarif nicht nur zu Gunſten der Militairverwaltung, ſondern auch zu Gunſten der Marineverwaltung eintritt, was nach dem Wortlaut des Art. 47 der R.V. in Zweifel gezogen werden könnte.. Der Tarif iſt ſonach nicht mit den Eiſenbahn-Verwaltungen zu vereinbaren, ſon -339§. 93. Die Friedensleiſtungen.dern er wird vom Reich einſeitig feſtgeſtellt und zwar durch das Organ des Bundesrathes. Hierin allein beſteht die Militairlaſt der Eiſenbahnen in Friedenszeiten1)Ueber ihre Verpflichtung, das für die Kriegstransporte erforderliche Material vorräthig zu halten vgl. unten §. 94..

Dieſer allgemeine, im § 15 cit. vorgeſehene Tarif iſt bis jetzt vom Bundesrath noch nicht beſchloſſen worden. Es iſt jedoch be - reits im Jahre 1870 ein Reglement für die Beförderung von Truppen und Armeebedürfniſſen auf den Staats eiſenbahnen und den unter Staatsverwaltung ſtehenden Privat-Eiſenbahnen innerhalb des Gebiets des Norddeutſchen Bundes (incl. Südheſſen), ſowie im gegenſeitigen Verkehr zwiſchen den Staatsgebieten des Norddeutſchen Bundes, Bayerns, Württembergs und Badens unter den Regierungen vereinbart worden, welches zugleich einen Tarif enthält2)Im Druck erſchienen in der Geh. Ober-Hofbuchdruckerei Berlin 1870.. Dieſes Reglement iſt auch von den meiſten anderen Eiſenbahnen freiwillig angenommen worden3)Ein Verzeichniß dieſer Eiſenbahnen im Preuß. Armee-V. Bl. v. 1872 S. 317 fg. und vollſtändiger bei v. Helldorff Dienſtvorſchriften III. Theil Abth. 6 S. 108 ff. (1876). und auf den Reichs - Eiſenbahnen in Elſaß-Lothringen zur Einführung gelangt4)Reſcr. des Reichskanzler-Amtes v. 6. Nov. 1871 an die Kaiſerl. Eiſen - bahn-Betriebs-Kommiſſ. in Straßburg (ungedruckt). Ferner für den internen Verkehr in Württemberg d. Erl. v. 22. Febr. 1872. Württemb. Mil. - V. Bl. 1872 S. 37..

VII. Laſten der Beſitzer von Grundſtücken.

1. Die Befugniß der Truppen, Grundſtücke zu Uebungs - zwecken zu benutzen, iſt in dem Reichsgeſetz nicht direkt anerkannt worden; da aber für die Ausübung dieſer Befugniſſe gewiſſe Be - ſchränkungen aufgeſtellt ſind, ſo iſt damit auch die Verpflichtung der Grundſtückbeſitzer, die Ausübung dieſer Befugniß innerhalb dieſer Beſchränkungen zu dulden, als eine beſtehende vorausge - ſetzt5)Der Regierungs-Entw. §. 11 Abſ. 1 enthielt die ausdrückliche Erklä - rung dieſer Verpflichtung; die Kommiſſion des Reichstages ſtrich dieſe Beſtim - mung aber, weil es ſich nicht empfehle, den geſammten Grundbeſitz im Deutſchen Reiche einer derartigen allgemeinen Militair-Servitut zu unter - werfen. Bei den Berathungen im Reichstage wurde der Antrag auf Wieder -. Ausgeſchloſſen von jeder Benutzung bei Truppenübungen22*340§. 93. Die Friedensleiſtungen.ſind Gebäude, Wirthſchafts - und Hofräume, Gärten, Parkanlagen, Holzſchonungen, Dünen-Anpflanzungen, Hopfengärten und Wein - berge, ſowie Verſuchsfelder land - und forſtwirthſchaftlicher Lehr - anſtalten und Verſuchsſtationen. Außerdem iſt den Militairbehör - den die Verpflichtung auferlegt worden, wenn kultivirte Grund - ſtücke zu Truppenübungen benutzt werden ſollen, zuvor die betreffen - den Ortsvorſtände davon zu benachrichtigen, damit die vorzugsweiſe zu ſchonenden Ländereien durch Warnungszeichen kenntlich gemacht werden. Eine rechtliche Wirkung iſt mit der Aufſtellung der War - nungszeichen nicht verbunden; weder iſt es den Truppen verbo - ten, die durch Warnungszeichen bemerkbar gemachten Grundſtücke dennoch zu benutzen, noch iſt die Pflicht des Schadenserſatzes da -5)herſtellung der Regierungs-Vorlage verworfen. Dabei wurde aber von dem Berichterſtatter der Kommiſſion Dr. Weigel (Stenogr. Berichte S. 890) er - klärt, daß wegen der im Geſetz anerkannten Ausnahmen auch der ſchärfſte Civiliſt nicht zweifelhaft ſein kann, daß eine negatoria auf Anerkennung der Freiheit der nicht ausdrücklich ausgeſchloſſenen Grundſtücke nicht mehr zu - läſſig iſt. Denn in dieſen Beſtimmungen iſt ausgeſprochen, daß das Geſetz in den nicht ausgeſchloſſenen Fällen eine Benutzung von Grundſtücken ſtatuirt. Man verwarf alſo den erſten Abſatz, um eine allgemeine Militair-Servitut nicht anzuerkennen und erklärte zugleich, daß dieſelbe im zweiten Abſatz an - erkannt ſei. Aber auch materiell geht die Erklärung des Berichterſtatters zu weit. Denn das Reichsgeſetz enthält nicht die mindeſte Andeutung davon, daß die Befugniß der Truppen zur Benutzung von Privat-Grundſtücken da, wo ſie bisher nicht beſtand, eingeführt werden ſolle. Der §. 11 des Geſetzes zählt nur diejenigen Grundſtücke auf, die von der Benutzung der Truppen ausge - ſchloſſen ſind. Wenn alſo in einem Theil des Bundesgebietes dieſe Befugniß der Truppen gewohnheitsrechtlich oder geſetzlich überhaupt nicht beſtanden hat, ſo kann ſie auch auf Grund des §. 11 cit. nicht in Anſpruch genommen wer - den und man braucht keineswegs der ſchärfſte Civiliſt zu ſein, um die actio negatoria des Grundbeſitzers für wohlbegründet zu erachten. Eher kann man der Erklärung des Bundesraths-Kommiſſarius v. Voigt-Rhetz (Stenogr. Ber. S. 889) zuſtimmen, daß durch die Faſſung des §. 11 bezüg - lich der Benutzung des Privatgrundbeſitzes bei Truppenübungen eine Aende - rung in dem hiſtoriſch begründeten Rechtszuſtande nicht beabſichtigt werde. Allein auch hiergegen kann das Bedenken erhoben werden, daß nach §. 1 des Geſ. Naturalleiſtungen nur nach Maßgabe der Beſtimmungen dieſes Geſetzes gefordert werden können, daß alſo allerdings alle Belaſtungen aufge - hoben ſind, deren Fortdauer nicht in dem Geſetze ſelbſt ſanctionirt iſt. In keinem Falle iſt die Faſſung des §. 11 eine gelungene zu nennen. Vgl. auch Seydel in Hirth’s Annalen 1875 S. 1095.341§. 93. Die Friedensleiſtungen.von abhängig gemacht worden, daß ſolche Zeichen wirklich aufge - richtet worden ſind1)Vgl. den Kommiſſions-Bericht zu §. 11.. Die Warnungszeichen haben vielmehr nur den Zweck, die Truppen darauf aufmerkſam zu machen, daß die betreffenden Grundſtücke ſowohl im landwirthſchaftlichen als im fiskaliſchen Intereſſe möglichſt zu ſchonen ſind2)Vgl. Militairgeſetze Abth. III S. 94 Note 2..

2. Eine Eigenthumsbeſchränkung iſt dagegen in dem Natural - leiſtungsgeſ. § 12 ausdrücklich anerkannt hinſichtlich der Brunnen und Tränken. Die Beſitzer derſelben ſind verpflichtet, deren Mit - benutzung Seitens der marſchirenden, bivouakirenden, kantonniren - den und übenden Truppen abgeſehen von den Uebungen der Truppen auf ihren ſtändigen Exerzier - und Schießplätzen zu dulden, falls die vorhandenen öffentlichen Brunnen und Tränken für die Bedürfniſſe der Truppen nicht ausreichen und zwar auch dann, wenn zu dieſem Zwecke Wirthſchafts - und Hofräume betre - ten werden müſſen. Ferner ſind die Beſitzer von Schmieden ver - pflichtet, marſchirende, bivouakirende und kantonnirende Truppen zur Mitbenutzung der Schmieden zuzulaſſen3)Naturall. Geſ. §. 13..

3. Eine Vergütung für die Benutzung von Grundſtücken zu Truppenübungen, ſowie für die Benutzung von Brunnen und Trän - ken haben die Beſitzer nicht zu beanſpruchen; dagegen ſind ihnen die dadurch entſtehenden Schäden zu erſetzen. Die Höhe der - ſelben iſt zunächſt durch Vereinbarung zu beſtimmen; gelingt es nicht, eine Einigung zu erzielen, ſo iſt der Betrag auf Grund ſach - verſtändiger Schätzung zu ermitteln4)Naturall. Geſ. §. 14 Abſ. 1..

Das hierbei zu beobachtende Verfahren iſt durch die Ausf. - Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 8 geregelt; geſetzlich iſt nur vorge - ſchrieben, daß bei der Auswahl der Sachverſtändigen die Vertre - tungen der Kreiſe oder gleichartigen Verbände mitzuwirken haben und daß die Betheiligten zum Schätzungstermine vorzuladen ſind5)ebendaſ. Abſ. 2. Die Kreisvertretungen haben die Sachverſtändigen in genügender Anzahl periodiſch im Voraus zu beſtimmen; in denjenigen Bundesſtaaten, in denen dergleichen Verbandsvertretungen nicht vorhanden ſind, ernennt die Landesregierung unter Mitwirkung geeigneter anderer Organe die Sachverſtändigen. Die Sachverſtändigen werden entweder ein für alle. 342§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Die Flurſchäden ſind bei dem Ortsvorſtande anzumelden, der zu - nächſt darüber zu entſcheiden hat, ob und inwieweit die Aberntung der beſchädigten Felder vorzunehmen iſt. Die Abſchätzungskommiſſion für Flurſchäden, welche durch größere Truppenübungen (Korps, Diviſionen und Artillerie-Schießübungen) verurſacht worden ſind, beſteht aus einem Kommiſſar der betheiligten Landesregierung, einem Offizier, einem Militairbeamten, und mindeſtens zwei Sach - verſtändigen1)Bei den durch kleinere Uebungen veranlaßten Schäden kann die Zu - ſammenſetzung der Kommiſſion nach dem Ermeſſen der Militairverwaltung in der Art vereinfacht werden, daß die letztere bei der Kommiſſion gar nicht oder nur durch einen Offizier oder einen Militairbeamten vertreten wird.. Der Kommiſſar leitet die Verhandlungen. Die Gutachten der Sachverſtändigen bilden die Grundlage für die Er - wägungen der Kommiſſion, ſind für dieſelbe aber nicht bindend. Die Beſchlußfaſſung erfolgt nach Stimmenmehrheit; die Stimme des Kommiſſars giebt im Falle der Stimmengleichheit den Aus - ſchlag. Die Feſtſtellung der Vergütung hat möglichſt bald nach Entſtehung des Schadens ſtattzufinden2)Inſtr. v. 11. Juli 1878 Ziff. 8. Die Liquidation iſt auf Grund der Abſchätzungsverhandlungen von dem Kommiſſar der Landesregierung bei der Militair-Intendantur einzureichen, von dieſer zu prüfen und zur Zahlung an - zuweiſen.. Für die Anmeldung der Entſchädigungsanſprüche beſteht die Präcluſivfriſt von vier Wo - chen3)Naturall. Geſ. §. 16.. Die Beſitzer von Schmieden haben eine angemeſſene Vergütung für die Mitbenutzung derſelben zu beanſpruchen; hin - ſichtlich der Feſtſtellung dieſer Vergütung kommen dieſelben Regeln wie bei dem Erſatz der Flurſchäden zur Anwendung, auch die vier - wöchentliche Anmeldungsfriſt.

§ 94. Die Kriegsleiſtungen*)Geſetzgebung. Nach Gründung des Norddeutſchen Bundes wurde das Preußiſche Geſetz v. 11. Mai 1851 (Preuß. Geſ. Samml. S. 362) im.

A. Allgemeine Grundſätze.

1. Die Vorſchriften des Geſetzes vom 13. Juni 1873 ſind Ausnahmebeſtimmungen für Kriegszeiten; ſie treten in Wirkſamkeit5)Mal oder bei der einzelnen Abſchätzung vereidigt. Sie erhalten Tagegelder und Reiſeentſchädigung.343§. 94. Die Kriegsleiſtungen.von dem Tage ab, an welchem die bewaffnete Macht mobil ge - macht wird, und ſie verlieren ihre Anwendbarkeit mit dem Zeit - punkt, mit welchem der Friedenszuſtand wieder eintritt. Beides, ſowohl die Mobilmachung als die Zurückführung auf den Frie - denszuſtand, kann für einzelne Theile des Heeres und der Ma - rine angeordnet werden; wenn und inſoweit dies der Fall iſt, dür - fen die Kriegsleiſtungen nur für die im mobilen Zuſtande befind - lichen, augmentirten oder in Bewegung geſetzten Theile der be - waffneten Macht, ſowie zur Herſtellung der nothwendigen Ver - theidigungsanſtalten in Anſpruch genommen werden. Das Kriegs - leiſtungsgeſetz kann alſo partiell in Wirkſamkeit und wieder außer Wirkſamkeit geſetzt werden. Die Abgränzung iſt aber keine räum - liche und ebenſowenig eine ſachliche d. h. auf einzelne Arten von Kriegsleiſtungen beſchränkte; ſondern ſie betrifft den Umfang, in welchem die Leiſtungen erhoben werden dürfen, indem derſelbe durch das Bedürfniß der mobilgemachten Theile der bewaffneten Macht ſich beſtimmt1)Kriegsl. Geſ. §. 1. 32. Vgl. Stenogr. Berichte des Reichstags 1873 S. 573..

2. Dem allgemeinen Begriff der Militairlaſten entſprechend*)Bundesgebiet eingeführt durch Präſidial-Verordn. v. 7. Nov. 1867 (B. G.Bl. 1867 S. 125). Daſſelbe Geſetz wurde eingeführt in Südheſſen durch landesh. Verordn. v. 29. Mai 1868 (Heſſ. Reg. Bl. S. 780), in Baden durch Landesgeſ. v. 26. Dez. 1870 (Bad. Geſ. und Verordn. Bl. 1871 S. 5), in Elſaß-Lothringen durch Kaiſerl. Verordn. v. 22. Juni 1872 (Geſ. Bl. f. Elſ. -Lothr. 1872 S. 445). In Württemberg blieb zunächſt das Geſ. v. 18. Juni 1864, in Bayern die Verordn. v. 22. Juli 1819 in Geltung. An die Stelle aller dieſer Geſetze iſt getreten: Das Reichsgeſetz über die Kriegsleiſtungen v. 13. Juni 1873 (R. G.Bl. 1873 S. 129), in Elſaß-Lothringen eingeführt durch Geſetz v. 6. Okt. 1873 (G. Bl. f. E. -L. 1873 S. 262. Im Reichsgeſetzbl. nicht verkündigt). Die Motive zum Kriegsleiſtungsgeſ. in den Druckſachen des Reichstages 1873 Nro. 26. Die Verhandlungen des Reichstages in den Stenogr. Berichten S. 157 ff. 572 622. 785 ff. und 930 ff. Zu dieſem Geſetz iſt eine vom Bundesrath beſchloſſene, vom Kaiſer pro - mulgirte Ausführungs-Verordnung v. 1. April 1876 ergangen und im R. G.Bl. 1876 S. 137 verkündigt worden. Dieſelbe gilt für das ganze Reichsgebiet mit Einſchluß Bayerns. (Vgl. Bd. II S. 88 Note 2.) Literatur. Seydel in Hirth’s Annalen 1874 S. 1050 ff. Thiel Geſ. über die Kriegsleiſtungen. Roſtock 1877.344§. 94. Die Kriegsleiſtungen.iſt die Verpflichtung zu Kriegsleiſtungen eine ſubſidiäre, die nur ſoweit geltend gemacht werden darf, als für die Bedürfniſſe nicht anderweitig durch freien Ankauf oder andere Geſchäfte des Privat - rechts oder durch Entnahme aus den Magazinen geſorgt werden kann1)Kriegsl. Geſ. §. 2 Abſ. 1. Aus der Subſidiarität der Kriegslaſten er - giebt ſich ferner die Regel, daß aus den eigenen Mitteln der Armee-Verwal - tung vor Allem ſolche Bedürfniſſe zu beſtreiten ſind, deren Befriedigung ver - mittelſt der Kriegsleiſtungen für die Verpflichteten beſonders läſtig ſein würde. Vgl. Stenogr. Berichte a. a. O. S. 574. Seydel a. a. O. S. 1053.. Die Frage aber, ob und in wie weit im einzelnen Falle das militairiſche Bedürfniß die Beanſpruchung von Kriegsleiſtun - gen nothwendig macht, iſt lediglich von den zuſtändigen Militair - behörden zu entſcheiden. Den Requiſitionen derſelben iſt promp - ter Gehorſam zu leiſten; die Beſtreitung des Bedürfniſſes hat in keiner Beziehung einen ſuſpenſiven Effect; die ſofortige Erfüllung kann durch Zwangsmittel herbeigeführt werden2)Kriegsl. Geſ. §. 4. 5. 27. 31.. Der richter - lichen Beurtheilung unterliegt die Frage, ob die Militairbehörde für die Befriedigung der Bedürfniſſe anderweitig ſorgen konnte und ob ein Bedürfniß zur Erhebung der Leiſtungen überhaupt vorhanden geweſen iſt, auch dann nicht, wenn auf Grund der that - ſächlich erfolgten Leiſtungen Anſprüche an den Reichsfiskus erhoben werden. Dagegen iſt dieſe Frage der richterlichen Beurtheilung in dem Falle unterworfen, wenn ein Militairbeamter oder Offizier wegen geſetzwidriger Requiſition perſönlich auf Schadenserſatz ver - klagt wird. Die Beweislaſt für die behauptete Geſetzwidrigkeit liegt in dieſem Falle ſelbſtverſtändlich dem Kläger ob, da ſie zur Klage - begründung gehört. Hinſichtlich der perſönlichen Verantwortlichkeit der Militairperſonen iſt hierbei zu beachten, daß auf alle Militair - beamten, insbeſondere alſo auch auf die Intendanturbeamten, das Reichsbeamtengeſetz § 13 und 154 Anwendung findet, auf die Per - ſonen des Soldatenſtandes dagegen nicht3)Auch in Betreff der Erhebung des Kompetenzkonflikts kömmt dieſer Unterſchied in Betracht; bei der Verfolgung der Militairbeamten iſt dieſelbe durch §. 154 des Reichsbeamtengeſetzes ausgeſchloſſen, rückſichtlich der Offiziere kommen die Vorſchriften des Art. 11 des Einf. Geſ. zum Gerichtsverf. Geſetzes in Anwendung..

3. Auch für die Kriegsleiſtungen gilt im Allgemeinen der345§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Satz, daß für dieſelben Vergütung zu gewähren iſt1)Kriegsl. Geſ. §. 2 Abſ. 2.. Nur einige Leiſtungen ſind hiervon ausgenommen, welche mehr mit Un - bequemlichkeiten als mit poſitiven Vermögenseinbußen für den Ver - pflichteten verbunden ſind, nämlich die Gewährung von Quartier und Stallung an durchmarſchirende oder kantonnirende Truppen und die Ueberlaſſung von Gemeinde-Gebäuden, Plätzen u. ſ. w. zu Kriegszwecken2)Kriegsl. Geſ. §. 9. 14.. In dieſen Fällen werden nur die Auslagen und poſitiven Beſchädigungen erſetzt; vorbehaltlich einer Schadloshal - tung derjenigen Gemeinden oder Perſonen, welche in außergewöhn - lichem Maaße belaſtet worden ſind, nach Maßgabe eines Spezial - geſetzes3)Kriegsl. Geſ. §. 35.. Eigenthümlich für die Kriegsleiſtungen iſt jedoch die Art, in welcher die Vergütung gewährt wird. Nur ausnahms - weiſe beſteht dieſelbe in Baarzahlung4)In dem Fall des §. 3 Ziff. 6, ſowie für die Enteignung von Schiffen und Pferden §. 20 Abſ. 1. §. 24. 26 Abſ. 3.; in der Regel werden über die Vergütungs-Anſprüche auf Grund der feſtgeſtellten Liquidation Anerkenntniſſe d. h. Schuldurkunden des Reichsfiskus aus - geſtellt und demjenigen übergeben, welcher die Vergütung zu ver - langen hat5)Kriegsl. Geſ. §. 20 Abſ. 2. Dieſelben ſind wohl zu unterſcheiden von den Beſcheinigungen, welche über die gemachten Leiſtungen ertheilt werden.. Der Bundesrath hat die Behörden zu beſtimmen, bei welchen die Vergütungsanſprüche anzumelden und von welchen die Anerkenntniſſe auszuſtellen ſind, und das dabei zu beobachtende Verfahren vorzuſchreiben6)ebenda §. 20 Abſ. 3. Dieſe Vorſchriften ſind enthalten in der Verordn. v. 1. April 1876 §. 11. Die Beilage C enthält das Verzeichniß der in den einzelnen Bundesſtaaten zuſtändigen Behörden. Die daſelbſt in Col. III auf - geführten Behörden haben die mit Beweisſtücken verſehenen Anſprüche aus ihren Verwaltungsbezirken entgegenzunehmen und die Liquidationen aufzuſtellen. Die letzteren ſind den in Col. IV aufgeführten höheren Behörden zur Prüfung und Feſtſtellung vorzulegen. Dieſe Behörden haben die Prüfung darauf zu richten, ob die Liquidationen nach Maßgabe der Vorſchriften des Geſetzes und der Ausführungsverordnungen aufgeſtellt ſind, und ihre Feſtſtellungen den etwaigen Erinnerungen des Rechnungshofes gegenüber zu vertreten. Von dem Ergebniß der Prüfung und Feſtſtellung iſt dem Entſchädigungsberechtigten Kenntniß zu geben; demſelben ſteht innerhalb einer Präcluſivfriſt von 14 Tagen der Rekurs an die in Col. V aufgeführte Behörde zu und gegen die Ent -. Die Anerkenntniſſe lauten auf be -346§. 94. Die Kriegsleiſtungen.ſtimmte Geldſummen, welche vom erſten Tage des auf die Leiſtung folgenden Monats an mit vier Procent verzinst werden. Die Einlöſung und Zinszahlung findet nach Maßgabe der verfügbaren Mittel ſtatt. Die Inhaber werden von den oberen Verwaltungs - behörden durch öffentliche Bekanntmachung in den amtl. Anzeige - blättern zur Empfangnahme von Kapital und Zinſen bei den zu bezeichnenden öffentlichen Kaſſen aufgefordert. Mit dem Ende des Monats, in welchem dieſe Bekanntmachung erfolgt iſt, hört der Zinſenlauf auf. Die Anerkenntniſſe haben den rechtlichen Charak - ter von Scriptur-Obligationen; ſie lauten auf den Namen des Gläubigers (Gemeinde, Lieferungsverband), können aber veräußert (indoſſirt) und verpfändet werden und die Zahlung der Beträge erfolgt gültig an die Inhaber der Anerkenntniſſe gegen Rück - gabe derſelben. Die Legitimation der Inhaber zu prüfen, iſt die zahlende Kaſſe berechtigt, aber nicht verpflichtet1)Kriegsl. Geſ. §. 21..

Nach Wiedereintritt des Friedenszuſtandes haben die oberen Verwaltungsbehörden durch Bekanntmachung in den amtlichen An - zeigeblättern eine Aufforderung zur Anmeldung aller noch nicht angemeldeten Anſprüche auf Vergütung zu erlaſſen. Die Friſt zur Anmeldung bei den Behörden der Gemeinden und Lieferungsver - bände beträgt ein Jahr und beginnt mit dem Tage der Ausgabe des Anzeigeblattes; den Gemeinden und Lieferungsverbänden iſt eine weitere Friſt von drei Monaten zur Anmeldung bei den Staats - behörden gewährt. Die Friſt iſt eine präcluſiviſche, mit deren Ab - lauf die nicht angemeldeten Anſprüche erlöſchen2)Kriegsl. Geſ. §. 22. 23. 30. Für die ſogleich baar zu vergütenden Leiſtungen kommen dieſe Vorſchriften natürlich nicht zur Anwendung, für die Vergütungs-Anſprüche der Eiſenbahnen nur in analoger Weiſe, da die Liqui - dationen derſelben nicht von denjenigen Behörden, denen die Kommunal-Auf - ſicht obliegt, geprüft und feſtgeſtellt werden..

4. Ueber die Grundſätze, nach welchen die Vergütung zu be -6)ſcheidung der letzteren iſt wiederum innerhalb einer Präcluſivfriſt von 14 Tagen der weitere Rekurs an den Reichskanzler zuläſſig, jedoch nur inſoweit, als die Verletzung eines Reichsgeſetzes oder einer Ausführungsbeſtimmung zu einem ſolchen behauptet wird. Sind die Liquidationen definitiv feſtgeſtellt, ſo fertigen die in Col. VI aufgeführten Behörden auf Grund derſelben die Anerkenntniſſe nach dem, der erwähnten Verordn. unter E beiliegenden Schema aus.347§. 94. Die Kriegsleiſtungen.meſſen iſt, und über das dabei zu beobachtende Verfahren enthält das Kriegsleiſtungsgeſetz für die meiſten Arten von Leiſtungen ſpe - zielle Vorſchriften. Soweit dies nicht der Fall iſt, hat der Bun - desrath die Behörden zu beſtimmen, denen die Feſtſetzung obliegt, und das von ihnen zu beobachtende Verfahren, insbeſondere den etwa einzuhaltenden Inſtanzenzug, anzuordnen1)Kriegsl. Geſ. §. 33 Abſ. 1 und 6. Durch die Ausführungs-Verordn. v. 1. April 1876 Art. 16 ſind dieſe Anordnungen ergangen; ſie ſtimmen im Weſentlichen überein mit den Vorſchriften der Ausf. Inſtr. zum Naturall. Geſetz v. 11. Juli 1878 Ziff. 8 (oben S. 341 fg. ), denen ſie zum Vorbild gedient haben.. In allen Fällen, in denen das Geſetz nichts Anderes vorſchreibt, erfolgt die Feſt - ſetzung der Vergütung auf Grund der Schätzung von Sachverſtän - digen, bei deren Auswahl die Vertretungen der Kreiſe oder gleich - artigen Verbände mitzuwirken haben2)Die Sachverſtändigen werden vom Kommiſſar der Landesregierung berufen, müſſen vereidigt werden und dürfen bei der Sache nicht intereſſirt ſein.. Zum Schätzungstermin ſind die Betheiligten vorzuladen und ſind befugt, Einwendungen gegen das Reſultat der Ermittelungen zu erheben. Die Koſten des Feſtſtellungsverfahrens, ſoweit ſie nicht durch eine Verſchuldung des Forderungsberechtigten entſtanden ſind, fallen dem Reiche zur Laſt3)Kriegsl. Geſ. §. 33 Abſ. 2 bis 5. Ausf. Verordn. Art. 16..

Abgeſehen von dieſer regelmäßigen, im Kriegsleiſtungsgeſetz ſelbſt normirten Vergütung iſt eine nachträgliche Schadloshaltung derjenigen Bezirke, Gemeinden oder Perſonen vorbehalten, welche durch Kriegsleiſtungen außergewöhnlich belaſtet werden, wofern nach dem Geſetz für die Leiſtung gar keine oder keine hinreichende Entſchädigung gewährt wird. Dasſelbe gilt hinſichtlich der durch den Krieg verurſachten Beſchädigungen an beweglichem und unbe - weglichem Eigenthum (ſogen. Kriegsſchäden). Umfang und Höhe der zu gewährenden Entſchädigung, ſowie das Verfahren bei Feſt - ſtellung derſelben ſind aber jedes Mal durch Spezialgeſetz des Reiches zu beſtimmen4)Kriegsl. Geſ. §. 35.. So lange ein ſolches Spezialgeſetz nicht erlaſſen iſt, kann der Entſchädigungs-Anſpruch gegen das Reich rechtlich nicht durchgeführt werden5)Beiſpiele ſolcher Geſetze ſind die nach dem Franzöſiſchen Kriege er - laſſenen Geſetze vom 14. Juni 1871 betreffend den Erſatz von Kriegsſchäden.

348§. 94. Die Kriegsleiſtungen.

5. Die Kriegsleiſtungen werden in dem Geſetz eingetheilt in Verpflichtungen der Gemeinden und Lieferungsverbände, der Eiſen - bahnverwaltungen und der Beſitzer von Schiffsfahrzeugen und von Pferden. Rückſichtlich der letzteren 3 Klaſſen unterliegt das Sub - ject der Verpflichtung keinem Zweifel; dagegen bedarf die Stellung der Gemeinden nnd die völlig gleichartige der Lieferungsverbände einer näheren Erörterung, da ſie für die Kriegsleiſtungen in an - derer Weiſe wie für die Friedensleiſtungen geregelt iſt. Die Ge - ſetze über die[Quartierleiſtung] und über die Naturalleiſtungen im Frieden erkennen dem Vorſtande der Gemeinden durchweg nur die Function eines Verwaltungs-Organes zu, durch deſſen Thätigkeit die Militairlaſten durchgeführt und geltend gemacht werden, während die eigentlich Verpflichteten die Beſitzer der Wohnungen u. ſ. w. ſind. Die Verpflichtung der Gemeinde-Vor - ſtände beſchränkt ſich daher auf diejenige Thätigkeit, welche zur Ausführung der Requiſitionen erforderlich iſt, und ihre Verant - wortlichkeit geht nur darauf, daß ſie hierbei die gehörige Sorg - falt anwenden. Zwar ſteht es den Gemeinden frei, ſtatt der Heran - ziehung der Einzelnen zur Naturalleiſtung die Requiſition auf Koſten der Gemeinde zu erfüllen und von den Einzelnen die auf ſie entfallenden Antheile einzuziehen; es hängt dies aber von dem Belieben der Gemeinde ab; die Gemeinde als ſolche haftet nicht für die Erfüllung der Militairlaſt; die Leiſtung auf Gemeinde - koſten iſt zwar in solutione, aber nicht in obligatione.

Für die Kriegsleiſtungen dagegen, welche durch Vermittlung der Gemeinden geltend gemacht werden, reicht die Haftung derſel - ben weiter. Das Geſetz erklärt dieſe Gemeinden ſelbſt als die dem Reiche verpflichteten Subjekte1)Kriegsl. Geſ. §. 3., desgleichen die Lieferungs - verbände2)ebenda §. 17 Abſ. 1.; und erklärt nicht blos die Gemeindevorſtände für ver - antwortlich für die Fürſorge behufs Durchführung der Requiſition,5)und Kriegsleiſtungen, und betreffend die Entſchädigung der Deutſchen Rhederei (R. G.Bl. 1871 S. 247 und S. 249), ſowie das Geſ. v. 23. Febr. 1874 wegen nachträglicher Vergütung für Kriegsleiſtungen der Gemeinden (R. G.Bl. 1874 S. 17). Zu dem letzterwähnten Geſetze hat der Bundesrath Ausführungs - beſtimmungen am 29. März 1874 beſchloſſen, welche im Centralbl. d. D. R. 1874 S. 131 ff. bekannt gemacht worden ſind.349§. 94. Die Kriegsleiſtungen.ſondern macht die Gemeinden als ſolche verantwortlich für die vollſtändige und rechtzeitige Erfüllung der geforderten Leiſtungen ſelbſt1)ebenda §. 5. Den Gemeinden ſind in allen Beziehungen die ſelbſt - ſtändigen Gutsbezirke völlig gleichgeſtellt. §. 8 a. a. O.. Dem entſprechend ſteht auch der Anſpruch auf Vergütung den Gemeinden als ſolchen zu und die Anerkenntniß-Scheine wer - den auf den Namen der Gemeinden (oder Lieferungsverbände) aus - geſtellt.

Deſſen ungeachtet ſind die einzelnen Gemeinde-Angehörigen von der direkten Verpflichtung zur Erfüllung der Militairlaſten nicht frei. Denn die Gemeinden ſind berechtigt, behufs Erfüllung der geforderten Leiſtungen die zur Theilnahme an den Gemeindelaſten Verpflichteten2)auch Ausländer, welche in der Gemeinde ihren Wohnſitz oder Grund - beſitz haben., ſowie die ſonſt in der Gemeinde ſich aufhalten - den oder Eigenthum in derſelben beſitzenden Angehörigen des Reichs zu Naturalleiſtungen und Dienſten aller Art heranzuziehen, insbe - ſondere auch die in den Gemeindebezirken gelegenen Grundſtücke und Gebäude mit Ausnahme der landesherrlichen Schlöſſer und der unmittelbar zu Staatszwecken dienenden Gebäude oder Gebäudetheile zu benutzen und ſich nöthigenfalls zwangsweiſe in deren Beſitz zu ſetzen3)Kriegsleiſt. Geſ. §. 6 Abſ. 1.. Dieſelben Befugniſſe ſtehen den Liefe - rungsverbänden zu, die ſich hierbei der Vermittlung der Gemeinden bedienen können4)ebenda §. 18.. Das Rechtsverhältniß iſt alſo in folgender Weiſe zu conſtruiren: Verpflichtet zu den Kriegsleiſtungen dem Reich gegenüber ſind prinzipiell die einzelnen Reichsangehörigen und die einzelnen Beſitzer der im Reichsgebiet befindlichen, für Kriegsleiſtungen erforderten Vermögensſtücke; die Befugniß des Reiches zur zwangsweiſen Erhebung der Leiſtungen iſt aber den Gemeinden delegirt und dafür iſt den Gemeinden die Haftung für Erfüllung der geforderten Leiſtungen aufer - legt. Eine Beſtätigung findet dies in dem Satz, daß bei Weige - rung oder Säumniß der Gemeinden die Civilbehörden und bei Gefahr im Verzuge auch die Militairbehörden befugt ſind, die Leiſtung von den einzelnen Angehörigen der Gemeinden resp. von den Beſitzern der erforderlichen Gegenſtände direkt zwangsweiſe350§. 94. Die Kriegsleiſtungen.herbeizuführen1)a. a. O. §. 5.. Eine fernere Conſequenz dieſes Grundſatzes iſt die, daß die Untervertheilung der Leiſtungen innerhalb der Ge - meinde und die Art und Weiſe der Aufbringung den Gemeinden überlaſſen iſt und daß dieſe Verhältniſſe theils durch die Gemeinde - geſetzgebung der Einzelſtaaten, theils durch Ortsſtatut oder Ge - meindebeſchluß geordnet werden können, daß dadurch aber das Recht des Reiches nicht beſchränkt werden kann, im Bedürfnißfalle alle im Bereich der Gemeinde ſich vorfindenden Hülfsmittel für Kriegsleiſtungen in Anſpruch zu nehmen.

Quartierleiſtung und Naturalverpflegung können die Gemein - den für eigene Rechnung übernehmen und die erwachſenden Koſten auf die hiedurch von unmittelbarer Leiſtung befreiten Pflichtigen nach Verhältniß ihrer Verpflichtung zur Naturalleiſtung umlegen, ſo daß alſo auch die Externen, wofern ſie in der Gemeinde Be - ſitzthum haben, heranzuziehen ſind2)Aus den vorſtehenden Erörterungen ergiebt ſich, daß hinſichtlich der aktiven Offiziere ꝛc. ein bemerkenswerther Unterſchied zwiſchen der Einquar - tirungslaſt im Frieden und der im Kriege beſteht. Das Quartierl. Geſ. §. 4 hat die Wohnungen der Offiziere und ſervisberechtigten Militairbeamten nicht eximirt; ſie ſind daher im Frieden der Einquartirung unterworfen (ſiehe oben S. 322 Note 4); das Kriegsl. Geſetz legt dagegen die Verpflichtung den Gemeinden ob und da aktive Offiziere und Militairbeamte zu den Gemeinde - laſten nicht beitragen, vgl. oben S. 265, ſo ſind ſie auch von der Einquarti - rungslaſt im Kriege eximirt. Vgl. v. Helldorff Dienſtvorſchriften Th. IV Abth. 1 S. 156.. Alle andern durch die Lei - ſtungen entſtehenden Baarkoſten ſind von den zur Theilnahme an den Gemeindelaſten Verpflichteten aufzubringen; das Verhältniß, in welchem ſie zu den Gemeindelaſten im Frieden beitragen iſt daher auch für dieſe Baarkoſten maßgebend. Die Vergütung für die den Gemeinden obliegenden Laſten wird wie bemerkt dieſen gewährt; die Gemeinden ſind aber verbunden, den mit Naturalleiſtungen und Dienſten in Anſpruch Genommenen die Ver - gütung in dem Umfange zu gewähren, in welchem ſie vom Reiche geleiſtet wird3)Kriegsl. Geſ. §. 7 Abſ. 1. Nach der Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes iſt es aber zweifellos, daß hierdurch nur das Minimum der den Einzelnen zu zahlenden Vergütung nomirt werden ſollte, daß die Gemeinden daher be - fugt ſind, durch Statut oder Beſchluß höhere Entſchädigungen feſtzuſetzen und. Zur ſofortigen, vorſchußweiſen Bezahlung dieſer351§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Beträge ſind aber die Gemeinden nur in den Fällen beſonderer Bedürftigkeit oder unverhältnißmäßiger Belaſtung einzelner Lei - ſtungspflichtiger verbunden; der Regel nach iſt die Vergütung erſt dann von der Gemeinde auszuzahlen, wenn ſie ihr vom Reiche zur Verfügung geſtellt wird, und zwar mit Einſchluß der vom Reiche gezahlten Zinſen. Dem Einzelnen iſt inzwiſchen über die von ihm gemachte Leiſtung eine Beſcheinigung von der Gemeinde auszu - ſtellen1)Kriegsl. Geſ. §. 7 Abſ. 2 4..

Dieſelben Rechtsregeln finden analoge Anwendung auf die Lieferungsverbände und auf die an Stelle derſelben verpflichteten Staaten von geringem Gebietsumfange2)ebendaſ. §. 18 Abſ. 1..

Bei denjenigen Kriegsleiſtungen, welche unmittelbar gegen die Verpflichteten (Eiſenbahnverwaltungen, Schiffsbeſitzer, Pferdebeſitzer) geltend gemacht werden, findet eine Verpflichtung der Gemeinden und eine Mitwirkung derſelben bei der Durchführung der Requi - ſitionen, ſowie bei Feſtſtellung und Auszahlung der Vergütung nicht ſtatt.

B. Die einzelnen Kriegsleiſtungen.

I. Laſten der Gemeinden.
1. Quartierleiſtung.

a) Umfang der Laſt. Für die bewaffnete Macht, ein - ſchließlich des Heergefolges iſt Quartier, ſowie für die zugehörigen Pferde iſt Stallung zu gewähren, ſoweit Räumlichkeiten hierfür vorhanden ſind3)Kriegsl. Geſ. §. 3 Ziff. 1.. Eine andere Einſchränkung für dieſe Kriegs - laſt als die thatſächliche Leiſtungsfähigkeit der Gemeinde beſteht nicht; weder ſind gewiſſe Gebäude befreit, noch haben die Inhaber der Räumlichkeiten einen rechtlich anerkannten Vorrang für die Befriedigung ihrer eigenen Wohnungs - und Gewerbebetriebs-Be - dürfniſſe.

b) Vergütung. Dieſelbe wird nach den für den Friedens - zuſtand geltenden Sätzen4)Siehe oben S. 325. gewährt: für die Truppentheile, welche3)daß auch die Einzelſtaaten ermächtigt ſind, durch Geſetze den Gemeinden höhere Vergütungen zur Pflicht zu machen. Stenogr. Berichte 1873 S. 587. 941.352§. 94. Die Kriegsleiſtungen.ſchon vor der Mobilmachung zur Beſatzung des Ortes gehörten, bis zu ihrem Ausmarſche; ferner für die Truppentheile, welche zur Beſatzung des Ortes nach der Mobilmachung einrücken1)Nach der Ausf. Verordn. Art. 2 gehören dahin: die Beſatzungen der Feſtungen und befeſtigten Küſtenorte; neuformirte Truppentheile, ſo lange ſie ſich im Formationsorte befinden, und Truppentheile, welche durch eine aus - drückliche Erklärung des kommandirenden Generals als zur Beſatzung des Ortes beſtimmt bezeichnet werden, in welchem ſie ſich befinden oder in welchen ſie ein - rücken., insbeſondere auch für die Beſatzung der Etappenorte; endlich für Erſatztruppen in den Standquartieren. Ueber die Beſchaffenheit, Größe, Ausſtattung u. ſ. w. des zu gewährenden Quartiers finden in dieſen Fällen die für den Friedenszuſtand geltenden Vorſchriften, alſo namentlich die Anordnungen des Regulativs zum Quartier - leiſtungsgeſetz, Anwendung2)Kriegsleiſt. Geſ. §. 9 Abſ. 2. Vgl. oben S. 320..

Für Truppen, welche ſich auf dem Marſche oder in Kanton - nements befinden, wird keine Vergütung für Naturalquartier und Stallung gewährt3)Ueber die Gründe für dieſe exceptionelle Anordnung vgl. Stenogr. Ber. des Reichst. 1873 S. 599 ff. u. S. 932. Der Hauptgrund iſt der, daß die Vergütung eine ſehr erhebliche Belaſtung des Reichsfiskus herbeiführen würde.. Nur die auf Requiſition der Militairbehörde gemachten Auslagen, insbeſondere behufs Ausſtattung der Quartiere mit dem nothwendigen Mobiliar, ſind dem Quartier - geber zu erſetzen. Solche Requiſitionen ſind auf die Grenzen des unabweisbaren Bedürfniſſes zu beſchränken. Der Einquartirte muß ſich mit demjenigen begnügen, was nach Maßgabe der ob - waltenden Verhältniſſe angewieſen werden kann; d. h. er hat keinen Anſpruch darauf, daß das Quartier den für den Friedens - zuſtand gegebenen Vorſchriften genügt4)Kriegsl. Geſ. §. 9 Abſ. 2. Ausf. Verordn. Art. 2 Abſ. 2 und 3..

2. Naturalverpflegung.

a) Umfang der Laſt. Die Verpflichtung iſt beſchränkt auf die Verpflegung der auf Märſchen und in Kantonnirungen befindlichen Theile der bewaffneten Macht, einſchließlich des Heer - gefolges; die Leiſtung kann alſo nicht gefordert werden für Be - ſatzungstruppen und Erſatztruppen5)Kriegl. Geſ. §. 3 Ziff. 2.. Andererſeits iſt ihre Er - füllung nicht davon abhängig, daß eine genügende Menge von353§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Nahrungsmitteln in dem Gemeindebezirk vorräthig iſt; vielmehr ſind die Gemeinden verbunden, im Bedürfnißfalle ſie anzuſchaffen1)Stenogr. Ber. 1873 S. 575.. Der Einquartierte hat ſich in der Regel mit der Koſt des Quar - tiergebers zu begnügen; im Falle des Streites iſt ihm dasjenige zu gewähren, was er reglementsmäßig bei einer Verpflegung aus dem Magazin zu erhalten hätte2)Kriegsl. Geſ. §. 10 Abſ. 2. Der Rechtsſatz iſt zwar derſelbe, wie ihn §. 4 des Naturall. Geſ. aufſtellt, die Feldmundportion iſt aber in der Ausf. Verordn. v. 1. April 1876 Art. 3 Ziff. 1 anders beſtimmt wie die Frie - densverpflegungsportion in der Ausf. Inſtr. v. 2. Sept. 1875..

b) Die Vergütung erfolgt nach den für den Friedenszu - ſtand beſtehenden Sätzen3)Vgl. oben S. 330. Bei Erlaß des Kriegsleiſtungsgeſetzes beſtand noch ein einheitlicher Tagesſatz für die Vergütung der Naturalverpfl. im Frieden. Deshalb enthält §. 10 Abſ. 1 eine beſondere Vorſchrift über die Vergütung, welche für Verabreichung einzelner Mahlzeiten zu gewähren iſt. Dieſe Vor - ſchrift iſt unanwendbar geworden, nachdem das Naturall. Geſ. §. 2 beſondere Vergütungsſätze für die einzelnen Mahlzeiten aufgeſtellt hat. Vgl. Ausf. - Verordn. Art. 3 Ziff. 2..

3. Fouragelieferung.

a) Der Umfang der Laſt beſtimmt ſich ganz ebenſo wie der der Naturalverpflegungspflicht4)Naturalverpfl. und Fouragelieferung werden deshalb im Kriegsl. Geſ. in derſelben Ziffer des Art. 3 zuſammengeſtellt. Die Größe der Feldrationen iſt beſtimmt in der Ausf. Verordn. Art. 4..

b) Vergütung. Für die Fourage, welche aus den in der Gemeinde vorhandenen Beſtänden geliefert wird, werden die Durch - ſchnittspreiſe der letzten zehn Friedensjahre, mit Weglaſſung des theuerſten und des wohlfeilſten Jahres, bewilligt; für die Fourage dagegen, welche die Gemeinde durch Ankauf herbeizuſchaffen ge - nöthigt war, erfolgt die Vergütung nach den Durchſchnittspreiſen, welche zur Zeit der Lieferung5)d. h. in dem Monat, in welchem die Lieferung erfolgte. in dem Marktorte des Lieferungs - verbandes beſtanden, zu deſſen Bezirk die Gemeinde gehört6)Kriegsl. Geſ. §. 11.. Wenn die Gemeinde in der Liquidation die letzterwähnten Preiſe in Anwendung bringt, ſo liegt ihr der Nachweis ob, daß die nöthige Fourage zur Zeit der geforderten Leiſtung im Gemeinde - bezirk in der That nicht vorhanden war.

Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 23354§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
4. Vorſpann.

a) Umfang der Laſt. Alle im Gemeindebezirk vor - handenen Transportmittel und Geſpanne ſind den Truppen für militairiſche Zwecke zur Verfügung zu ſtellen1)Kriegsl. Geſ. §. 3 Ziff. 3.. Es beſtehen keine geſetzlichen Befreiungen; zur Anſchaffung von Wagen und Zug - thieren ſind die Gemeinden aber nicht verpflichtet. Hinſichtlich der Zeit, für welche der Vorſpann in Anſpruch genommen werden kann, iſt geſetzlich keine Schranke gezogen; das Bedürfniß allein entſcheidet.

b) Vergütung. Dieſelbe erfolgt nach denſelben Grund - ſätzen wie für die Vorſpannleiſtung im Frieden; die Vorſchriften des Naturalleiſt. -Geſetzes §. 9 Ziff. 1 ſind dem Kriegsleiſtungsgeſ. §. 12 Ziff. 1 entnommen. Die Höhe der Vergütung wird dem - nach durch einen vom Bundesrath zu beſchließenden Tarif normirt und tageweiſe berechnet2)Siehe oben S. 335.. Mit Rückſicht darauf aber, daß die Fuhrdienſte im Kriege auch für längere Zeit gefordert werden können, iſt die Beſtimmung hinzugefügt worden, daß bei Fuhren, die länger als 48 Stunden von ihrer Heimath fern gehalten wer - den, den Führern und Zugthieren auf der ihnen vorzuſchreiben - den Etappenſtraße freies Quartier und freie Verpflegung zu ge - währen iſt, und zwar ohne Kürzung der zu vergütenden Fahr - preiſe3)Kriegsl. Geſ. §. 12 Ziff. 2..

Außer der Vergütung für die Fuhrdienſte iſt dem Eigen - thümer voller Erſatz für die Verluſte, Beſchädigung und außer - gewöhnliche Abnutzung an Zugthieren, Wagen und Geſchirr zu gewähren, welche in Folge oder gelegentlich der Vorſpann - oder Spanndienſtleiſtungen ohne Verſchulden des Eigenthümers oder des von ihm geſtellten Geſpannführers entſtanden ſind. Wenn Fuhren länger als 48 Stunden außerhalb ihrer Heimath oder auf unbeſtimmte Dauer in Anſpruch genommen werden, ſo ſind Zug - thiere, Wagen und Geſchirr vor dem Abgang durch Sachverſtändige zu taxiren und dem Eigenthümer der Erſatz auf Grund der Taxe zu zahlen; iſt aber eine vorherige Schätzung nicht möglich, ſo ſoll der Werth nachträglich feſtgeſtellt werden, wofür die allgemeinen355§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Vorſchriften des §. 33 des Kriegsl. -Geſetzes in Anwendung zu bringen ſind1)Kriegsl. Geſ. §. 12 Ziff. 3. Ausf. Verordn. Art. 5 Ziff. 2. Eine Ab - ſchätzung muß in allen Fällen ohne Ausnahme ſtattfinden, die freie Vereinba - rung über den Schadenserſatz iſt ausdrücklich ausgeſchloſſen durch die Ausf. - Verordn. Art. 1 Ziff. 3..

5. Arbeitsleiſtung.

a) Umfang der Laſt. Die Gemeinden ſind verpflichtet zur Stellung der in der Gemeinde anweſenden Mannſchaften zum Dienſte als Geſpannführer, Wegweiſer und Boten, ferner zum Wege - Eiſenbahn - und Brückenbau, desgleichen zu fortifika - toriſchen Arbeiten und zu Fluß - und Hafenſperren, und endlich zu Boots - und Prahmdienſten2)Kriegsl. Geſ. §. 3 Ziff. 3.. Die Verpflichtung der Gemein - den geht nicht auf Herſtellung des erforderlichen Werks (opus), ſondern auf Lieferung der Arbeitskräfte (operae) zur Verfügung der Militairbehörde. Die Verwendung der Arbeiter iſt der letz - teren überlaſſen. Die Gemeinde iſt zwar nicht verpflichtet, aus - wärtige Arbeitskräfte herbeizuſchaffen, ſondern ſie braucht nur die anweſenden (arbeitsfähigen) Männer zu ſtellen; es iſt ihr aber unbenommen, der Requiſition in der Art zu genügen, daß ſie die verlangte Anzahl von Arbeitern miethet und dadurch die Mit - glieder der Gemeinde als ſolche von der unmittelbaren Erfüllung der Militairfrohnden befreit.

b) Vergütung. Für die Gewährung von Arbeitskräften und Transportmitteln mit Ausnahme der Fuhrenleiſtung wird eine Vergütung gewährt, welche nach den in gewöhnlichen Zeiten ortsüblichen Preiſen berechnet wird3)Kriegsl. Geſ. §. 13. Dieſer Preis kann durch Uebereinkommen feſtge - ſetzt werden unter Beobachtung der in der Ausf. V. Art. 1 Ziff. 3 Abſ. 2 ge - gebenen Vorſchriften. Iſt eine Verſtändigung nicht zu erreichen, ſo tritt das Abſchätzungsverfahren des §. 33 ein. Vgl. Ausf. V. Art. 6..

6. Ueberlaſſung von Grundſtücken.

a) Umfang der Laſt. Die Gemeinden ſind verpflichtet, der Militairbehörde die für den Kriegsbedarf erforderlichen Grundſtücke und vorhandenen Gebäude einzuräumen4)Kriegsl. Geſ. §. 3 Ziff. 4.. Es macht in dieſer Be - ziehung keinen Unterſchied, ob die Grundſtücke im Eigenthum oder23*356§. 94. Die Kriegsleiſtungen.in der Nutzung der Gemeinde ſelbſt ſich befinden oder nicht und ebenſowenig iſt es von Belang, zu welchem Zwecke die Truppen ſich der Grundſtücke und Gebäude bedienen, wofern er nur als Kriegszweck ſich charakteriſirt.

b) Vergütung. Keine Vergütung wird bezahlt für die Ueberlaſſung der leerſtehenden oder disponiblen eigenen Gebäude der Gemeinden, ſowie der freien Plätze, Oedungen und unbeſtell - ten Aecker bis zur Zeit der Beſtellung. Dagegen wird Erſatz ge - währt für die durch die Benutzung erweislich herbeigeführte Be - ſchädigung und außerordentliche Abnutzung1)Kriegsl. Geſ. §. 14 Abſ. 1. Darunter iſt aber nicht zu verſtehen die Beſchädigung durch eigentliche Kriegshandlungen z. B. durch Beſchießung, ſon - dern nur durch die Benutzung, welche zu dem in der Requiſition angegebenen Zwecke erfolgt iſt. Ausf. Verordn. Art. 7 Ziff. 1.. Behufs Feſtſtellung derſelben iſt bei der Uebernahme der Gebäude eine genaue Be - ſchreibung des baulichen Zuſtandes und eine Werthstaxe aufzu - nehmen und bei der Rückgabe die eingetretene Beſchädigung und außerordentliche Abnutzung zu conſtatiren2)Ausf. V. Art. 7 Ziff. 2..

Für andere Grundſtücke wird eine Vergütung für die entzo - gene Nutzung gewährt, ſofern der Anſpruch darauf nicht durch das Rayongeſetz ausgeſchloſſen iſt (Vgl. unten §. 95)3)Kriegsl. Geſ. §. 14 Abſ. 2.. Die Vergütung iſt in allen Fällen durch Abſchätzung zu ermitteln4)Ausf. Verordn. Art. 1 Ziff. 3 u. Art. 7 Ziff. 3 und 4..

Die Benutzung zu Kriegszwecken kann ſich in eine definitive Expropriation verwandeln, wenn Grundſtücke zur Ergänzung forti - fikatoriſcher Anlagen im Falle der Armirung einer Feſtung in Anſpruch genommen worden ſind und nach eingetretener Desarmi - rung nicht zurückgegeben werden. In dieſem Falle iſt die für die Eigenthumsabtretung zu zahlende Enſchädigung nach Vorſchrift des, in dem betreffenden Gebiete geltenden Enteignungsgeſetzes feſtzuſtellen5)Kriegsl. Geſ. §. 14 Abſ. 3..

7. Ueberweiſung von Materialien.

a) Umfang. Den Truppen ſind zu liefern die im Ge - meindebezirke vorhandenen Materialien zur Anlegung von Wegen, Eiſenbahnen, Brücken, Lagern, Uebungs - und Bivouaks -357§. 94. Die Kriegsleiſtungen.plätzen, zu fortifikatoriſchen Anlagen und zu Fluß - und Hafen - ſperren, ſowie das im Gemeindebezirk vorhandene Feuerungs - material und Lagerſtroh für Lager und Bivouaks1)Kriegsl. Geſ. §. 3 Ziff. 4 u. 5..

b) Die Vergütung wird berechnet nach den am Orte und zur Zeit der Leiſtung beſtehenden Durchſchnittspreiſen2)ebendaſ. §. 15.; fehlt es an ſolchen, z. B. hinſichtlich der Feldſteine, Erdmaterialien u. ſ. w., ſo wird der Preis durch ſachverſtändige Schätzung er - mittelt.

Eine Ausnahme hat das Geſetz jedoch hinſichtlich des für Lager und Bivouaks gelieferten Feuerungsmaterials und Lager - ſtrohes anerkannt, indem die Vergütung dafür nur nach den in gewöhnlichen Zeiten (Friedenszuſtand) ortsüblichen Preiſen ge - währt wird3)ebendaſ. §. 13..

8. Befriedigung außerordentlicher Militair - bedürfniſſe.

Zu den im Vorhergehenden aufgeführten, durch einen beſtimm - ten Inhalt abgegränzten Kriegslaſten der Gemeinden hat das Ge - ſetz noch eine generalis clausula hinzugefügt, kraft welcher die Ge - meinden zur Leiſtung aller Dienſte und zur Lieferung aller Gegenſtände verpflichtet ſind, welche das militairiſche Intereſſe ausnahmsweiſe erforderlich machen könnte, ſoweit die hierzu nöthigen Perſonen und Gegenſtände im Gemeindebezirke anweſend oder vorhanden ſind4)Kriegsl. Geſ. §. 3 Ziff. 6.. Als Beiſpiele führt das Geſetz die Liefe - rung von Bewaffnungs - und Ausrüſtungsgegenſtänden, von Arznei - und Verbandmitteln an. Dem ganz unbeſtimmten und unbegränz - ten Umfang der Laſt entſpricht der ganz ſubſidiäre Charakter der - ſelben; ihre Erfüllung ſoll nur ausnahmsweiſe verlangt werden, wenn ungewöhnliche Verhältniſſe ungewöhnliche Bedürfniſſe hervor - rufen. Eine Sicherung gegen eine mißbräuchliche Geltendmachung dieſer Laſt iſt dadurch geboten, daß die Vergütung für dieſe Lei - ſtungen ausnahmsweiſe nicht durch Anerkenntnißſcheine, ſondern baar aus den bereiteſten Beſtänden der Kriegskaſſe zu zahlen iſt5)ebendaſ. §. 20 Abſ. 1.. 358§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Die Höhe der Vergütung beſtimmt ſich nach den Durchſchnitts - preiſen am Ort und zur Zeit der erfolgten Leiſtung1)ebendaſ. §. 15..

II. Landlieferungen.
1. Vorausſetzungen und Umfang der Laſt.

Der Zweck der Landlieferungen iſt die Füllung der Kriegs - magazine; ſie haben alſo nicht, wie die den Gemeinden aufer - legten Kriegslaſten, die Beſtimmung, den augenblicklichen Bedürf - niſſen der Truppentheile unmittelbar abzuhelfen, ſondern ſie ſollen zur Anſammlung der Vorräthe dienen, welche zu einem ordnungs - mäßigen Unterhalt der bewaffneten Macht im Wege der Magazin - verpflegung erforderlich ſind. Zunächſt ſind dieſe Vorräthe durch Ankäufe und ähnliche Rechtsgeſchäfte (Lieferungsverträge) anzu - ſchaffen und zu ergänzen und nur im Nothfalle, d. h. falls der Unterhalt für die bewaffnete Macht auf andere Weiſe nicht ſicher zu ſtellen iſt, darf die Ausſchreibung von Landlieferungen er - folgen2)In den Motiven zum Entw. S. 17 wird anerkannt, daß bei der heutigen Geſtaltung der wirthſchaftlichen und Verkehrsverhältniſſe es in der Regel möglich ſein wird, für den Unterhalt der bewaffneten Macht auf anderem Wege als durch Landlieferungen zu ſorgen..

Die Anordnung der Landlieferungen geſchieht deshalb durch einen Beſchluß des Bundesrathes, welcher ſowohl das thatſächliche Bedürfniß conſtatirt als auch den Umfang der Liefe - rungen feſtſtellt3)Kriegsl. Geſ. §. 16. §. 17 Abſ. 4.. Objecte der Lieferung ſind: lebendes Vieh, Brotmaterial, Hafer, Heu und Stroh.

2. Die Geltendmachung.

a) Aus der Beſtimmung der Landlieferungen zur Füllung der Kriegsmagazine zu dienen, ergiebt ſich, daß es ſich bei dieſer Mi - litairlaſt um ſehr bedeutende Mengen von Nahrungsmitteln und Fourage handelt. Die Gemeinden ſind daher, abgeſehen von den großen Städten, nicht im Stande, ſie zu erfüllen. Vielmehr ſind als Subjekte der Laſt Lieferungsverbände bezeichnet. Die Bildung derſelben iſt den einzelnen Bundesſtaaten überlaſſen, den - ſelben aber dabei die Rückſichtnahme auf angemeſſene Leiſtungs - fähigkeit und auf die beſtehende Bezirkseintheilung zur Pflicht ge -359§. 94. Die Kriegsleiſtungen.macht1)Kriegsl. Geſ. §. 17 Abſ. 1. Ein Verzeichniß der Lieferungsverbände iſt der Ausf. Verordn. v. 1. April beigegeben und im R. G.Bl. 1876 S. 154 abgedruckt. Innerhalb des früheren Geltungsgebietes des Geſ. v. 11. Mai 1851 (vgl. oben S. 342 Note *) ſind bis zur anderweitigen Regelung die Kreiſe und gleichartigen Verbände als Lieferungsverbände beizubehalten. §. 17 cit. Abſ. 3.. Staaten von geringem Gebietsumfange iſt es freige - ſtellt, von der Bildung von Lieferungsverbänden abzuſehen und die Lieferungspflicht ſelbſt zu übernehmen2)§. 17 cit. Abſ. 2. Beſondere Verbände ſind nicht gebildet worden von den beiden Mecklenburg, den beiden Lippe, den freien Städten und Schwarz - burg-Rudolſtadt..

b) Der Bundesrath hat feſtzuſetzen, welche Lieferungen von den einzelnen Verbänden zu leiſten ſind, ſowohl der Art wie der Größe nach. Hierbei, ſowie bei der Untervertheilung iſt darauf Rückſicht zu nehmen, daß den einzelnen Verbänden nur die Liefe - rung ſolcher Gegenſtände und Quantitäten auferlegt wird, die ſich in deren Bereich in natura vorfinden3)§. 17 cit. Abſ. 4 u. 5..

c) Hinſichtlich der Obliegenheiten der Lieferungsverbände und der ihnen zur Erfüllung derſelben zuſtehenden Befugniſſe gelten dieſelben Vorſchriften, welche für die Gemeinden rückſichtlich der ihnen obliegenden Kriegsleiſtungen gelten. Auch können ſich die Lieferungsverbände zur Beſchaffung der von ihnen geforderten Lei - ſtungen der Vermittlung der Gemeinden bedienen4)eod. §. 18. Siehe oben S. 349.. In dem letzteren Falle können die Laſten der Lieferungsverbände vermittelſt der Untervertheilung thatſächlich in Gemeindelaſten aufgelöſt wer - den; rechtlich aber bleibt der Lieferungsverband als ſolcher für die ganze, ihm auferlegte Lieferung verpflichtet, ſo daß er für die Antheile der etwa leiſtungsunfähigen oder ſäumigen Gemein - den aufkommen muß.

3. Die Vergütung.

Dieſelbe wird berechnet nach den Durchſchnittspreiſen der letzten zehn Friedensjahre mit Weglaſſung des theuer - ſten und des wohlfeilſten Jahres, indem für jeden Lieferungsver - band die Preiſe des Hauptmarktortes (beziehentl. der in einzelnen Bundesſtaaten auf Grund der Geſetze beſtimmten Normal-Markt -360§. 94. Die Kriegsleiſtungen.orte ) zu Grunde gelegt werden1)ebenda §. 19 Abſ. 2 u. 3.. Eine Ausnahme von dieſer Regel beſteht jedoch für die Vergütung für geliefertes lebendes Vieh. Dieſelbe iſt nach Maßgabe der ortsüblichen Friedenspreiſe durch die Schätzung Sachverſtändiger feſtzuſtellen2)§. 19 cit. Abſ. 1. Auf das Abſchätzungsverfahren finden die im §. 33 des Geſetzes und im Art. 16 der Ausf. Verordn. gegebenen Vorſchriften An - wendung..

III. Kriegsleiſtungen der Eiſenbahn-Verwal - tungen3)Vgl. die durch Kaiſerl. Verordn. v. 20. Juli 1872 genehmigte In - ſtruktion betreffend das Etappen - und Eiſenbahnweſen im Kriege . Abgedruckt bei Frölich Verwaltung des Deutſchen Heeres I S. 113 ff..
1. Allgemeines.

Die Kriegslaſten der Eiſenbahn-Verwaltungen ſind verſchieden nach Art, Umfang und Geltendmachung, je nachdem die Eiſen - bahnen auf dem Kriegsſchauplatz ſelbſt oder in der Nähe deſſelben ſich befinden oder nicht. Welche Eiſenbahnen als zu der erſteren Kategorie gehörend anzuſehen ſind, beſtimmt der Kaiſer4)Ausf. Verordn. Art. 15.. Die Grenze der beiden Rayons wird für alle in Betracht kommenden Bahnlinien durch eine Uebergangsſtation bezeichnet, auf welcher der Uebergang aus dem gewöhnlichen in den Kriegsbetrieb ſtatt - findet5)Inſtr. v. 20. Juli 1872 §. 7 Abſ. 2.. Für die oberſte militairiſche Leitung des geſammten Eiſenbahn-Weſens im Kriege wird nach Erlaß der Mobilmachungs - Ordre ein General-Inſpekteur ernannt; bis zur Ernennung deſ - ſelben übernimmt der Chef des Generalſtabes der Deutſchen Ar - mee deſſen Funktionen. Unter demſelben ſteht an der Spitze des Eiſenbahnweſens im Kriegsrayon der Chef des Feld - Eiſenbahn-Weſens , deſſen Obliegenheiten bis zu ſeiner Er - nennung oder im Falle ſeiner Verhinderung von dem Chef der Eiſenbahn-Abtheilung des Preuß. großen Generalſtabes wahrge - nommen werden. Ihm liegt namentlich die Leitung des Betriebes aller von den deutſchen Truppen occupirten Eiſenbahnen oder der von der Armee ſelbſt conſtruirten Bahnſtrecken ob; er hat für die geregelte Benutzung und Inſtandhaltung der Eiſenbahnen des361§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Kriegsſchauplatzes zu ſorgen und muß fortgeſetzt einen Ueberblick über die Inanſpruchnahme und den Zuſtand der ſämmtlichen inlän - diſchen und okkupirten ausländiſchen Eiſenbahnen haben. Er iſt befugt, falls es ihm nothwendig erſcheint, beſondere Kommiſſare zur Regelung und Ordnung der Bahn-Verhältniſſe innerhalb der Grenzen ſeiner eigenen Befugniſſe abzuſenden1)Inſtr. §. 48. 49.. Für okkupirte Bahnen werden Militair-Eiſenbahn-Direktionen eingeſetzt, die dem Chef des Feld-Eiſenb. -Weſens untergeben ſind. Hinſichtlich aller nicht im Kriegsrayon gelegenen und unter militairiſchen Ei - ſenbahn-Direktionen ſtehenden Eiſenbahnen ſteht die Leitung des Eiſenbahndienſtes für militairiſche Zwecke dem Chef der Eiſen - bahn-Abtheilung im ſtellvertretenden Preuß. Generalſtabe zu. Er iſt dem Chef des Feld-Eiſenbahnweſens unterſtellt und er - hält von demſelben die allgemeinen Direktiven; er bewirkt die Vertheilung der Transporte auf die verſchiedenen Linien unter Mitwirkung des Reichs-Eiſenbahnamtes und unterhält den Ver - kehr mit den Central-Civilverwaltungen2)Inſtr. §. 52.. Die einzelnen Bahnen bleiben zwar unter ihrer regelmäßigen Friedens-Verwaltung, für beſtimmte Bahnſtrecken oder Bahn-Komplexe werden jedoch Linien - Kommandanten ernannt, welche dem Chef der Eiſenbahn-Abtheilung untergeben ſind3)Inſtr. §. 6. 52. 54..

Sowohl im Kriegsrayon als im Friedensrayon können Bahn - hofs-Kommandanten ernannt werden; im Kriegsrayon befinden ſie ſich im mobilen Verhältniß und ſind dem Militair-Eiſenbahn-Di - rektor unterſtellt, wofern eine Militair-Eiſenbahn-Direktion einge - richtet iſt; im Friedensrayon ſind ſie im nicht mobilen Dienſt und einem Linien-Kommandanten untergeordnet. Sie haben den tech - niſchen Stationsvorſtand in der Erfüllung der für Militairzwecke ihm aufgetragenen Obliegenheiten zu unterſtützen4)Detaillirte Vorſchriften darüber in der citirten Inſtruct. §§. 55. 56..

2. Die Transportleiſtungen.

a) Inhalt der Laſt. Alle Eiſenbahn-Verwaltungen im Deutſchen Reiche ſind verpflichtet, die Beförderung der bewaffneten Macht und der Kriegsbedürfniſſe zu bewirken5)Kriegsl. Geſ. §. 28 Ziff. 2.. Unter Beförde -362§. 94. Die Kriegsleiſtungen.rung iſt nicht blos die eigentliche Fortbewegung der Militairzüge, ſondern auch jede dazu gehörende Hülfsleiſtung zu verſtehen. Ins - beſondere gehört hierher das Beladen und Entladen der Wagen1)Ausgenommen ſind jedoch Munition und die von den Truppen ſelbſt mitgeführten Fahrzeuge und Armeegeräthe, welche durch militairiſche Kräfte nach Anleitung der Eiſenbahn-Behörden auszuladen ſind.; ferner die Freihaltung der Bahnhöfe, die Herſtellung von Rampen, von proviſoriſchen Lagerräumen, Güterſchuppen, Schutzdächern; end - lich die Ausrüſtung der Wagen, um ſie für die Beförderung von Mannſchaften und Pferden benutzbar zu machen. Den Verwal - tungen iſt in letzterwähnter Beziehung noch beſonders die Pflicht auferlegt, dieſe Ausrüſtungsgegenſtände für ihre Eiſenbahnwagen vorräthig zu halten2)Kriegsl. Geſ. §. 28 Ziff. 1.. Der Bedarf an ſolchen Gegenſtänden wird von den vereinigten Ausſchüſſen des Bundesrathes für das Land - heer und die Feſtungen und für Eiſenbahnen, Poſt und Tele - graphen feſtgeſetzt und durch das Reichs-Eiſenbahnamt, dem die Ueberwachung der Ausführung obliegt, den einzelnen Eiſenbahn - Verwaltungen mitgetheilt3)Ausf. Verordn. Art. 14 Ziff. 1. Der Natur der Sache nach iſt die An - ſchaffung der Ausrüſtungsgegenſtände ſchon in Friedenszeiten zu bewirken und das Reich iſt auf Grund des Art. 47 der Reichsverf. befugt, darauf zu dringen. Im Kriegsleiſtungsgeſetz iſt aber ein Redaktionsfehler paſſirt. Denn nach §. 1 beginnt die Pflicht zur Erfüllung aller Kriegsleiſtungen erſt mit Erlaß der Mobilmachungsordre und §. 28 macht hiervon keine Ausnahme; es ſtellt nur das Vorräthighalten der Ausrüſtungsgegenſtände als beſondere, ſelbſtſtän - dige Verpflichtung neben die Transportleiſtungspflicht. Bei ſtrenger Wortaus - legung würde daher zwar jede Bahnverwaltung, auch wenn ſie zum Trans - port von Truppen und Kriegsmaterial thatſächlich nicht in Anſpruch genommen wird, verpflichtet ſein, die Ausrüſtungs-Gegenſtände vorräthig zu halten und event. dieſelben anzuſchaffen; dieſe Pflicht würde aber erſt mit dem Erlaß der Mobilmachungs-Ordre ihren Anfang nehmen..

Das Maß, in welchem die Transportleiſtung einer Eiſenbahn in Anſpruch genommen werden kann, iſt geſetzlich nicht beſtimmt; es findet ſeine Grenze in der thatſächlichen Leiſtungsfähigkeit. Im Kriegsrayon kann bis zu dieſer äußerſten Grenze gegangen wer - den; die Feſtſtellung der Fahrpläne, ſowie die Zuläſſigkeit des Privatverkehrs unterliegt den Beſtimmungen des Chefs des Feld - Eiſenbahnweſens unter Mitwirkung des Reichseiſenbahnamtes. Bei den übrigen Eiſenbahnen bleibt in der Regel, d. h. wenn nicht be -363§. 94. Die Kriegsleiſtungen.ſondere Aufgaben zu erfüllen ſind, z. B. die ſchnelle Beförderung großer Truppenmaſſen, der gewöhnliche Fahrplan beſtehen und die Militairzüge ſind in denſelben einzuſchalten1)Inſtr. v. 20. Juli 1872 §. 7..

b) Die Geltendmachung der den Eiſenbahnen obliegen - den Verpflichtung, die Vertheilung der Laſt auf die einzelnen Ver - waltungen, das Verfahren bei den Requiſitionen, die Art und Weiſe der Ausführung des Transportes, das Verhältniß der regelmä - ßigen Verwaltungsbehörden zu den Militair-Behörden u. ſ. w. iſt durch ein Reglement zu normiren, welches der Kaiſer mit Zu - ſtimmung des Bundesrathes zu erlaſſen hat2)Ausf. Verordn. Art. 14 Ziff. 2.. Dieſes Reglement iſt noch nicht ergangen; zur Zeit würde eintretenden Falles die oben erwähnte Inſtruktion vom 20. Juli 1872 zur An - wendung kommen.

c) Die Vergütung für die Transportleiſtungen wird be - rechnet nach einem allgemeinen Tarife, welchen der Bundesrath zu erlaſſen und von Zeit zu Zeit zu revidiren hat3)Kriegsl. Geſ. §. 29 Ziff. 2. Derſelbe wird nach ſeiner jedesmaligen Feſtſtellung durch den Reichsanzeiger und durch das Centralbl. f. d. D. R. veröffentlicht. Ausf. Verordn. Art. 14 Ziff. 4 Abſ. 1.. Bis jetzt iſt die Feſtſtellung deſſelben noch nicht erfolgt. Die Abrechnung der Eiſenbahn-Verwaltungen mit den Militairbehörden iſt durch das vom Kaiſer unter Zuſtimmung des Bundesrathes zu erlaſſende Reglement zu ordnen4)Ausf. V. Art. 14 Ziff. 2.. Die den Eiſenbahn-Verwaltungen zu zah - lenden Beträge werden bis nach Eingang, Prüfung und Feſtſtel - lung der Liquidationen geſtundet und von dem erſten Tage des auf den Eingang der gehörig belegten Liquidation folgenden Mo - mats an mit vier Prozent verzinst. Die Zahlung der feſt - geſtellten Beträge und Zinſen findet nur nach Maßgabe der ver - fügbaren Mittel ſtatt5)Kriegsl. Geſ. §. 30. Ueber Aufruf und Präcluſion der Anſprüche findet §. 22 analoge Anwendung. Siehe oben S. 346..

3. Lieferung von Eiſenbahn-Material.

a) Inhalt der Laſt. Die Eiſenbahn-Verwaltungen ſind verpflichtet, ihr zur Herſtellung und zum Betriebe von Eiſenbahnen dienliches Material herzugeben6)Kriegsl. Geſ. §. 28 Ziff. 3.. Zur Anſchaffung von Eiſen -364§. 94. Die Kriegsleiſtungen.bahnmaterial um es der Militair-Verwaltung zu liefern, können ſie nicht angehalten werden; ſie brauchen nur ihr Material her - zugeben, dieſes aber ohne Einſchränkung, ſelbſt wenn ſie dadurch in betriebsunfähigen Zuſtand verſetzt werden1)Vgl. Stenogr. Ber. des Reichst. 1873 S. 618.. Die Verpflich - tung umfaßt ſowohl das Betriebsmaterial als die zum Bau und zur Ausrüſtung von Eiſenbahnen erforderlichen Gegenſtände und zwar nicht nur die von der Eiſenbahn-Verwaltung in Vorrath ge - haltenen, ſondern auch die mit dem Bahnkörper und den Gebäuden verbundenen2)Anderer Anſicht iſt Seydel in Hirth’s Annalen 1874 S. 1063.. Der Zweck der Kriegslaſt beſteht vorzugsweiſe darin, der Armeeleitung die ſchleunige Herſtellung und Reparatur von Eiſenbahnen und den Betrieb von okkupirten auslän - diſchen Eiſenbahnen zu ermöglichen3)Die Geltendmachung der Kriegslaſt kann aber auch ſtattfinden, um in - ländiſchen Eiſenbahnen, welche beſonders ſtark für Militairtransporte in An - ſpruch genommen werden, genügende Maſſen von Betriebsmaterial ꝛc. zuzu - führen..

b) Geltendmachung. Das Reichs-Eiſenbahn-Amt ſetzt den Maßſtab feſt, nach welchem die Eiſenbahn-Verwaltungen ihr Material herzugeben haben4)Ausf. Verordn. Art. 14 Ziff. 3.. Es iſt nicht vorgeſchrieben, daß der - ſelbe für alle Eiſenbahnen derſelbe ſei; es wird vielmehr denjenigen Bahnen, von denen Transportleiſtungen in großem Umfange ge - fordert werden, ihr Betriebs - und Ausrüſtungsmaterial nicht ent - zogen werden können; im Allgemeinen aber iſt an dem Grundſatz feſtzuhalten, daß die Eiſenbahnen nicht ohne dringende Noth in die Lage verſetzt werden ſollen, ihren Betrieb einzuſtellen. Die Her - gabe des Materials ſelbſt erfolgt auf direkte Requiſition der vom Kaiſer hierzu autoriſirten Militairbehörden, insbeſondere der Linien - Kommandanten. Die Requiſition ſoll nur im Falle des wirklich eintretenden Bedarfes erlaſſen werden. Die auf Grund der Re - quiſition gelieferten Lokomotiven und Wagen ſind mit der Inſchrift Militair-Eiſenbahn-Direktion Nro. zu verſehen; ſie werden ſo behandelt, als wenn die betreffende Militair-Eiſenbahn-Direk - tion Eigenthümerin derſelben wäre und ſind der letzteren von allen Bahnverwaltungen ſobald als möglich wieder zurückzuführen5)Inſtr. v. 20. Juli 1872 §. 54 Ziff. 6 u. 7..

365§. 94. Die Kriegsleiſtungen.

c) Vergütung. Für das gelieferte Betriebsmaterial er - halten die Bahnverwaltungen eine Vergütung nach Maßgabe eines vom Bundesrath feſtzuſetzenden allgemeinen Tarifs1)Siehe oben S. 363.; für das ge - lieferte Bau - und Ausrüſtungsmaterial dagegen erfolgt die Ver - gütung nach den am Orte und zur Zeit der Leiſtung beſtehenden Durchſchnittspreiſen und wird durch Schätzung Sachverſtändiger (§. 33 des Geſ. ) feſtgeſtellt2)Kriegsl. Geſ. §. 29 Abſ. 2 und Abſ. 3.. Hinſichtlich der Liquidation, Stun - dung, Verzinſung und Zahlung gelten dieſelben Regeln wie für die Transportvergütung3)Kriegsl. Geſ. §. 30..

4. Geſtellung von Perſonal.

a) Inhalt der Laſt. Den Eiſenbahnverwaltungen iſt die Verpflichtung auferlegt, ihr Perſonal herzugeben 4)Kriegsl. Geſ. §. 28 Ziff. 3.. Obwohl dieſe Laſt in einem und demſelben Satze mit der Verpflichtung zur Hergabe von Material zuſammengeſtellt iſt, ſo unterſcheidet ſie ſich doch von der letzteren ihrem rechtlichen Charakter nach erheblich, denn freie Perſonen können eben nicht wie Lokomotiven oder Schienen geliefert werden. Der Inhalt der Laſt beſteht viel - mehr im Allgemeinen nur darin, daß die Eiſenbahn-Verwaltungen ihren Beamten und Arbeitern gegenüber auf Erfüllung der Dienſt - pflicht verzichten, damit dieſelben in den Dienſt der Militair-Eiſen - bahn-Direktionen zeitweiſe eintreten können, und daß ſie ihre An - geſtellten auffordern, den Militair-Eiſenbahndienſt zu verſehen. Einen rechtlichen Zwang, dieſer Aufforderung Folge zu leiſten, können die Eiſenbahn-Verwaltungen in der Regel nicht ausüben. Inſofern jedoch den Verwaltungen entweder vertragsmäßige oder geſetzliche Befugniſſe zuſtehen oder inſofern ſie kraft ihrer Disci - plinargewalt ihrer Aufforderung Nachdruck zu geben vermögen, was insbeſondere bei den Staats-Eiſenbahnverwaltungen der Fall iſt, liegt ihnen die poſitive Verpflichtung ob, ihre Beamten zur Dienſtleiſtung bei den Militair-Eiſenbahnverwaltungen anzuhalten.

Wohl zu unterſcheiden von der Verpflichtung der Verwaltung iſt die Verpflichtung der Beamten zum Feld-Eiſenbahn-Dienſt. Die letztere iſt lediglich ein Anwendungsfall der geſetzlichen Wehrpflicht und wird durch die für die letztere geltenden Regeln beſtimmt. 366§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Nur ſoweit die Wehrpflicht ſich erſtreckt, kann das Eiſenbahn-Per - ſonal zum Dienſt in den Feldeiſenbahn-Formationen geſetzlich an - gehalten werden1)Die Vertheilung des für den Feldeiſenbahndienſt heranzuziehenden dienſtpflichtigen Perſonals findet bereits im Frieden durch den Chef des Ge - neralſtabes der Armee im Einverſtändniß mit dem Reichseiſenbahnamt ſtatt. Die näheren Vorſchriften darüber enthält die Wehr-Ordnung II §§. 22. 23.. Die nicht dienſtpflichtigen Eiſenbahnbeamten, welche in den Feld-Eiſenbahndienſt eintreten, haben die rechtliche Eigenſchaft der Militairbeamten und werden als ſolche behandelt2)Vgl. Inſtr. v. 20. Juli 1872 §. 57 Abſ. 3..

b) Ueber die Geltendmachung finden die Vorſchriften analoge Anwendung, welche für die Lieferung von Eiſenbahn-Ma - terial gegeben ſind3)Ausf. Verordn. Art. 14 Ziff. 3..

c) Eine Vergütung wird den Eiſenbahn-Verwaltungen da - für, daß ſie ihr Perſonal der Militair-Verwaltung zur Dispoſition ſtellen, nicht gewährt. Dagegen übernimmt die letztere für die in ihren Dienſt eintretenden Perſonen für die Zeit des Dienſtes die Zahlung des ihnen zukommenden Friedenseinkommens, ſowie ihre Verpflegung nach den im Etat für die einzelnen Stellen ausge - worfenen Anſätzen4)Ausf. V. Art. 14 Ziff. 4 Abſ. 2. Außerdem können die nicht dienſt - pflichtigen Perſonen nach Maßgabe der Militair-Etats noch beſondere Entſchä - digungen empfangen. Inſtr. v. 20. Juli 1872 §. 57..

5. Beſondere Vorſchriften für die Eiſenbahnen im Rayon des Kriegsſchauplatzes5)Kriegsl. Geſ. §. 31 u. Ausf. V. Art. 15..

Während im Allgemeinen die Kriegsleiſtungen der Eiſenbahn - Verwaltungen einen beſtimmten Inhalt haben, ſind die Eiſenbahnen auf dem Kriegsſchauplatz ſelbſt oder in der Nähe deſſelben der Verfügung der Militairbehörden gänzlich unterworfen. Die letz - teren können beſtimmen, daß der Betrieb fortgeführt, daß er ein - geſtellt und daß er wieder aufgenommen wird; ſie können ferner die Einrichtung des Betriebes vorſchreiben, alſo insbeſondere die Art, in welcher die Züge zu formiren und zu führen ſind, die Vor - kehrungen, welche für die Sicherheit der Züge, der Bahnanlagen, der Betriebsmittel zu treffen ſind u. ſ. w. Die Verwaltungen haben in allen dieſen Beziehungen den Befehlen der Militairbe - hörde Gehorſam zu leiſten. Im Falle des Zuwiderhandelns ent -367§. 94. Die Kriegsleiſtungen.ſteht für die Verwaltungen, abgeſehen von einem etwa begründeten ſtrafrechtlichen oder disciplinariſchen Einſchreiten gegen die Mit - glieder derſelben, eine doppelte Rechtsfolge. Die Militairbehörde iſt befugt, die Verwaltungsvorſtände ihrer Funktionen zu entheben und den Bahnbetrieb ſelbſt zu übernehmen, indem die betreffende Bahnſtrecke einer Militair-Eiſenbahn-Direktion unterſtellt wird. Sie iſt zweitens berechtigt, ihre Anordnungen auf Koſten der Eiſenbahn - verwaltungen1)d. h. bei Privatbahnen, bei denen allein der Fall thatſächlich vorkom - men könnte, auf Koſten des Eigenthümers, des Aktienvereines, dem es über - laſſen bliebe, gegen die Verwaltungsvorſtände Regreß zu nehmen. zur Ausführung zu bringen. Die Art und Weiſe, wie dieſe Befugniſſe gegen die Eiſenbahnverwaltung geltend zu machen ſind, beſtimmt ſich lediglich nach den beſonderen Umſtänden im einzelnen Fall.

Inwiefern die Eiſenbahn-Verwaltungen eine Vergütung für die Erfüllung der in Rede ſtehenden Verpflichtungen zu beanſpruchen haben, iſt im Geſetz nicht beſtimmt. Nach allgemeinen Rechtsſätzen iſt in dieſer Beziehung folgende Unterſcheidung zu machen. Wenn den Verwaltungen Anlagen oder Einrichtungen anbefohlen werden, welche mit Auslagen oder andern Vermögensaufwendungen (Ma - terialien, Arbeitskräften u. ſ. w.) verbunden ſind, ſo ſteht ihnen ein Anſpruch auf Erſatz der wirklich geleiſteten Verwendungen zu. Für die Einſtellung des Betriebes dagegen haben ſie ebenſowenig eine Entſchädigung zu fordern wie für die eigentlichen, an den Bahnanlagen verurſachten Kriegsſchäden. Es bleibt vielmehr nach §. 35 des Kriegsleiſtungsgeſetzes dem Reiche anheimgeſtellt, durch ein Spezialgeſetz über eine etwa zu gewährende Entſchädigung An - ordnung zu treffen.

IV. Kriegsleiſtungen der Beſitzer von Schiffen und Fahrzeugen2)Unter Fahrzeugen werden im Gegenſatz zu Fuhrwerken nur Schiffsge - fäße verſtanden, alſo Kähne, Prahmen, Fähren u. dgl..
1. Hergabe der Schiffe ꝛc. zur Benutzung.

a) Inhalt der Laſt. Die Beſitzer von Schiffen und Fahrzeugen ſind verpflichtet, dieſelben zur Benutzung für Kriegs - zwecke der Militairverwaltung auf Erfordern zur Verfügung zu368§. 94. Die Kriegsleiſtungen.ſtellen1)Kriegsl. Geſ. §. 23.. Die Zwecke können ſowohl in der Ausführung von Transporten als auch in der Herſtellung von Fluß - und Hafen - ſperren beſtehen. Während nach dem Naturalleiſt. Geſ. § 10 die Stellung von Schiffen nur für die Kaiſerl. Marine gefordert wer - den kann2)Siehe oben S. 336., enthält das Kriegsleiſtungsgeſetz dieſe Beſchränkung nicht; es können daher die Requiſitionen auch von den Militair - behörden des Heeres, den Feſtungskommandanten u. ſ. w. erlaſſen werden. Nach den Motiven der Regierungsvorlage iſt dieſe Kriegs - laſt eingeführt worden für Zwecke der Kriegführung zur See und des Küſtenſchutzes3)Motive S. 18.; das Geſetz ſelbſt enthält aber auch in dieſer Hinſicht keine Einſchränkung, ſo daß auch im Binnenlande die Her - gabe von Flußkähnen im Falle eines Bedürfniſſes verlangt wer - den könnte. Dagegen ſind die Beſitzer der Schiffe zur Ausführung von Transporten oder zur Stellung von Schiffsleuten nicht ver - pflichtet.

b) Geltendmachung. In der Regel iſt die Leiſtung durch Vermittlung der zuſtändigen Hafenpolizeibehörde, oder in Ermangelung einer ſolchen durch Vermittlung der Ortspolizeibe - hörde in Anſpruch zu nehmen. Die requirirte Behörde hat ſogleich die nöthigen Anordnungen zu treffen, um die Erfüllung der gefor - derten Leiſtung zu ſichern, und hat vor oder bei Uebergabe der Schiffe die für die Benutzung derſelben zu gewährende Vergütung feſtzuſtellen und eine genaue[Beſchreibung] des Zuſtandes und eine Werthstaxe aufzunehmen4)Ausf. Verordn. Art. 12 Abſ. 1..

c) Eine Vergütung erfolgt für die entzogene Benutzung ſowie für die durch dieſelbe herbeigeführte Werthsverminderung. Hinſichtlich der Bemeſſung derſelben gelten dieſelben Vorſchriften wie bei der Hergabe von Gebäuden (§ 14), hinſichtlich der An - meldung, Prüfung und Feſtſtellung der Anſprüche, der Ertheilung von Anerkenntniſſen, der Verzinſung und Zahlung kommen die all - gemeinen, für die Leiſtungen der Gemeinden und Leiferungsver - bände gegebenen Regeln zur Anwendung5)Kriegsl. Geſ. §. 23. Ausf. V. Art. 12 Abſ. 2..

369§. 94. Die Kriegsleiſtungen.
2. Hergabe der Schiffe ꝛc. zu Eigenthum.

Zum Zwecke der Hafen - und Flußſperren kann die Militair - Verwaltung die Beſitzer von Schiffen ꝛc. zur Abtretung des Eigen - thums daran nöthigen. In dieſem Falle iſt den Expropriirten der volle Werth der ihnen entzogenen Schiffe aus den bereiteſten Beſtänden der Kriegskaſſe baar zu bezahlen. In Ermangelung einer Einigung über die Höhe der zu gewährenden Vergütung wird dieſelbe durch die Abſchätzung Sachverſtändiger nach Maßgabe des § 33 des Geſetzes feſtgeſtellt1)Kriegsl. Geſ. §. 24. Vgl. Ausf. V. Art. 11 a Ziff. 1..

V. Kriegsleiſtungen der Beſitzer von Pferden.
1. Inhalt der Laſt.

Alle Pferdebeſitzer ſind verpflichtet, ihre zum Kriegsdienſt für tauglich erklärten Pferde zur Beſchaffung und Erhaltung des kriegs - mäßigen Pferdebedarfs der Armee der Militairverwaltung zu überlaſſen. Befreit hiervon ſind nur die Mitglieder der regieren - den deutſchen Familien, die Geſandten fremder Mächte und das Geſandtſchaftsperſonal, ferner die Beamten im Reichs - oder Staats - dienſte hinſichtlich der zum Dienſtgebrauch, ſowie Aerzte und Thier - ärzte hinſichtlich der zur Ausübung ihres Berufes nothwendigen Pferde, endlich die Poſthalter hinſichtlich derjenigen Pferdezahl, welche von ihnen zur Beförderung der Poſten kontraktmäßig ge - halten werden muß2)Kriegsl. Geſ. §. 25. Vgl. Naturall. Geſ. §. 3 (oben S. 333 Note 4).. Alle andern Befreiungen, gleichviel auf welchem Rechtstitel ſie beruht haben, ſind aufgehoben.

Die Ueberlaſſung der Pferde iſt ihrem juriſtiſchen Charak - ter nach kein Verkauf, ſondern ein Dulden der Expropriation. Deshalb haften die Pferdebeſitzer weder für die Kriegsbrauchbarkeit der ausgehobenen Pferde noch für heimliche Mängel derſelben und ſie ſind zur Zurücknahme auch dann nicht verpflichtet, wenn Krank - heiten der Pferde in beſtimmter Friſt zu Tage treten, welche nach den Landesgeſetzen zur Rückgängigmachung des Kaufes berechtigen würden.

Andererſeits befreit der Abſchluß eines Verkaufes der Pferde den Beſitzer derſelben nicht von Erfüllung der Laſt, ſo lange dieLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 24370§. 94. Die Kriegsleiſtungen.Pferde nicht wirklich übergeben ſind. Dagegen tritt die Enteig - nung nicht ein hinſichtlich aller derjenigen Pferde, welche an die Militairverwaltung oder an Offiziere, Militairärzte oder Militair - beamte, welche ſich ihre Mobilmachungspferde ſelbſt beſchaffen müſſen, verkauft worden ſind.

2. Geltendmachung.

Das Reichsgeſetz hat den einzel - nen Staaten die Befugniß übertragen, das Verfahren bei der Ent - eignung der Mobilmachungspferde zu ordnen. Auf Grund dieſer Ermächtigung ſind von den Regierungen der Bundesſtaaten Regle - ments erlaſſen worden, welche ſämmtlich ſich eng an das Preu - ßiſche Pferde-Aushebungs-Reglement v. 12. Juni 1875 anſchließen1)Militairgeſetze Bd. I. Heft III S. 166 ff. Auszugsweiſe auch bei Frölich Verwaltung des D. Heeres. Ergänzungsheft I S. 103 ff. Für Württemberg Erl. v. 27. Nov. 1876 (Mil. V. Bl. 227). Für Bayern Erlaß v. 14. Sept. 1876 (Verordn. Bl. des Bayer. Kriegsmin. 1876 S. 529).. Das in dieſen Reglements vorgeſchriebene Verfahren iſt eine vollſtändige Nachbildung des Rekrutirungsver - fahrens. In dem Mobilmachungsplane wird auf jede Provinz der von ihr in natura aufzubringende Bedarf repartirt; dieſer Be - darf wird bereits im Frieden von dem Oberpräſidenten im Ein - vernehmen mit dem kommandirenden General auf die einzelnen Kreiſe oder Lieferungsverbände vertheilt und die Landräthe haben die von jedem Kreiſe aufzubringende Quote nach Maßgabe des Pferdebeſtandes weiter zu vertheilen2)Pf. Aush. Regl. §§. 8 10.. Von 6 zu 6 Jahren fin - den behufs Feſtſtellung des Pferdebeſtandes auf Anordnung der Landesregierungen Vormuſterungen ſtatt, welche in jedem Kreiſe von dem Landrath und einem von dem kommandirenden General ernannten Offizier abgehalten werden. Zu dem Vor - muſterungstermin müſſen die Beſitzer ihre Pferde geſtellen; über das Ergebniß werden in jedem Kreiſe Ueberſichten angefertigt, welche den Regierungspräſidenten zum Zweck der Zuſammenſtellung einzureichen ſind3)ebenda §§. 1 7.. Bei Eintritt einer Mobilmachung werden in den einzelnen Kreiſen Muſterungen abgehalten. Die Bildung der Muſterungsbezirke und die Bezeichnung der Muſterungsorte liegt dem Landrath ob; die Muſterungs-Kommiſſionen werden von371§. 94. Die Kriegsleiſtungen.den Kreisvertretungen von 6 zu 6 Jahren gewählt1)Die näheren Vorſchriften ebenda §§. 11 ff.. Jeder Pferdebeſitzer iſt nach erhaltener Aufforderung verpflichtet, ſeine ſämmtlichen der Aushebung unterworfenen Pferde zur beſtimmten Zeit und an dem beſtimmten Orte zur Muſterung vorzuführen2)ebenda §. 19.. Die von der Muſterungs-Kommiſſion als kriegsbrauchbar bezeich - neten und ausgewählten Pferde ſind von den Beſitzern an dem vom Landrath beſtimmten Tage der Aushebungs-Kommiſſion vor - zuführen3)§. 21 a. a. O.. Für die Aushebung bildet in der Regel jeder Kreis einen Bezirk; die Aushebungskommiſſion beſteht aus dem Landrath als Civilkommiſſarius und einem vom kommandirenden General bezeichneten Offizier als Militairkommiſſarius; ihnen ſind zuzutheilen ein Thierarzt und drei von der Kreisvertretung von 6 zu 6 Jahren zu wählende Taxatoren4)Vgl. Kriegsl. Geſ. §. 26 Abſ. 1.. Die Pferde ſind von der Kommiſſion zu unterſuchen; die als kriegsbrauchbar anerkann - ten Pferde werden nach den verſchiedenen Kategorien getrennt in ein Nationale eingetragen, die übrigen werden ſogleich ent - laſſen. Aus den als kriegsbrauchbar anerkannten Pferden iſt das auf den Aushebungsbezirk fallende Kontingent, ſowie eine Reſerve von 3 Prozent, auszuwählen5)Sollte dieſes Kontingent in dem Aushebungsbezirk nicht aufzubringen ſein, ſo wird der Ausfall von dem Oberpräſidenten im Einvernehmen mit dem kommandirenden General auf die andern Kreiſe der Provinz vertheilt. Regle - ment §. 36.. Sämmtliche ausgewählten Pferde, mit Einſchluß der Reſervepferde, werden abgeſchätzt und hierauf von dem Militairkommiſſarius übernommen6)Die Reſervepferde werden indeſſen zunächſt nicht abgenommen, ſondern ſind von den Beſitzern 3 Wochen lang zur Dispoſition der Militairbehörde zu halten. §. 27 Abſ. 5.. Bis zur wirklichen Abnahme der Pferde müſſen dieſelben von den Beſitzern beauf - ſichtigt und verpflegt werden und bei der Abnahme mit Halfter, Trenſe, zwei Stricken und gutem Hufbeſchlag verſehen ſein7)a. a. O. §§. 23 29.. Ausnahmsweiſe kann den Beſitzern ausgehobener Pferde auf ihren Wunſch geſtattet werden, an deren Stelle andere dienſttaugliche Pferde, welche ſogleich vorgeführt werden, zu geſtellen8)a. a. O. §. 30..

24*372§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.

Uebertretungen der hinſichtlich der Anmeldung und Stellung der Pferde zur Vormuſterung, Muſterung oder Aushebung getrof - fenen Anordnungen werden mit einer Geldſtrafe bis zu 150 Mark geahndet1)Kriegsleiſt. Geſ. §. 27..

3. Die Vergütung für die enteigneten Pferde wird durch Sachverſtändige feſtgeſtellt, welche für jeden Lieferungsverband durch deſſen Vertretung periodiſch zu wählen ſind2)Kriegsl. Geſ. §. 26 Abſ. 1.. Bei der Schätzung ſind die Friedenspreiſe zu Grunde zu legen; der Pferdebeſitzer hat demnach zwar keinen Anſpruch auf die durch die Mobilmachung hervorgerufene Preisſteigerung, aber Erſatz des vollen Werthes nach Maßgabe der Friedenspreiſe zu beanſpruchen3)Kriegsl. Geſ. §. 25 Abſ. 1.. Die Koſten des Abſchätzungsverfahrens trägt das Reich; die Leitung des Ver - fahrens erfolgt durch einen von der Landesregierung beſtellten Kommiſſar4)ebendaſ. §. 26 Abſ. 2. Nach dem Preuß. Pf. Ausheb. Regl. §. 28 hat der Landrath die Abſchätzung zu leiten. Dieſelbe erfolgt in der Art, daß jeder der 3 Taxatoren ſeine Taxe beſonders angiebt und aus dieſen 3 Taxen der Durchſchnitt gezogen wird.. Die von der Kommiſſion feſtgeſtellte Taxſumme be - ſtimmt endgültig die Höhe der zu gewährenden Vergütung5)Kriegsl. Geſ. §. 25 Abſ. 1.. Die Zahlung derſelben erfolgt ſofort baar aus den bereiteſten Beſtänden der Kriegskaſſe6)ebendaſ. §. 26 Abſ. 3. Nach dem Pferde-Aush. Regl. §. 34 ff. erhalten die Pferdebeſitzer von dem Civilkommiſſar Anerkenntniſſe über die ihnen zu - ſtehenden Taxſummen, welche von den Regierungs-Hauptkaſſen oder den zur Einlöſung bezeichneten Kaſſen vorſchußweiſe ausgezahlt werden. Nach Prüfung der Liquidationen werden dieſen Kaſſen die Beträge von der General-Kriegs - kaſſe erſtattet..

§. 95. Die Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen*)Geſetzgebung: Reichsgeſetz betreffend die Beſchrän - kungen des Grundeigenthums in der Umgebung von Feſtun -.

I. Begränzung und Eintheilung des Rayonbezirkes.

1. Die Umgebung der Feſtungen, innerhalb deren die Benutz - ung des Grundeigenthums aus Rückſicht auf die Vertheidigungs -373§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.fähigkeit der Feſtungen geſetzlichen Beſchränkungen unterworfen iſt, beſteht aus einem, um die Feſtungswerke gezogenen Gürtel, deſſen äußere Umgränzungslinie von der Feſtungs-Enceinte bei normaler Abſteckung 2250 Meter entfernt iſt. Dieſer Bezirk zerfällt der Regel nach in drei Rayons, welche für das Maß der Eigenthums - beſchränkungen beſtimmend ſind. Der erſte Rayon erſtreckt ſich bis zu einer, der Feſtungs-Einfaſſung parallelen, von derſelben 600 Meter entfernten Linie; der zweite Rayon begreift das Terrain zwiſchen der äußeren Grenze des erſten Rayons und einer von dieſer im Abſtande von 375 Metern gezogenen Linie; der dritte Rayon endlich umfaßt das Terrain zwiſchen der äußeren Grenze des zweiten Rayons bis zu einer Entfernung von 1275 Metern. Zum erſten Rayon gehört außerdem bei Feſtungen, welche an Ge - wäſſern belegen ſind und beſondere Kehlbefeſtigungen haben, das Terrain zwiſchen dieſen und dem Ufer1)Rayongeſ. §§. 2 bis 6. Ueber die Art der Abmeſſung der Rayons vgl. §. 3 des Geſetzes und die Inſtruktion zu §§. 3 bis 7..

Bei detachirten Forts hat der Rayonbezirk zwar dieſelbe Ge - ſammtausdehnung wie bei Feſtungen; ſie haben indeß keinen zwei - ten Rayon, ſondern das Terrain von der Grenze des erſten Rayons bis zu einer Entfernung von 1650 (375 + 1275) Metern unter - liegt den für den dritten Rayon beſtehenden Einſchränkungen2)a. a. O. §. 5 Abſ. 2..

Wenn mehrere zuſammenhängende Befeſtigungslinien vor ein - ander liegen, ſo bildet der Raum zwiſchen denſelben die Zwiſchen -*)gen, vom 21. Dezemb. 1871. (R. G.Bl. 1871 S. 459.) Das Geſetz gilt im ganzen Bundesgebiet einſchließl. Bayerns; in Elſaß-Lothringen iſt es ein - geführt worden durch Geſ. v. 21. Febr. 1872. (R. G.Bl. 1872 S. 56. Geſetzbl. f. Elſ. -Lothr. 1872 S. 133.) Entwurf mit Motiven Druckſ. des Reichstages 1871 II. Seſſion Nro. 16; Kommiſſionsbericht des Reichstages ebendaſ. Nro. 93 und Nachtrag dazu Nro. 120; Verhandlungen Stenogr. Berichte 1871 II. Seſſ. S. 59 ff. 489 und 547 ff. Inſtruction der Reichs-Rayon-Kommiſſion über die Handhabung dieſes Geſetzes. Vom 4. Januar 1873. Dieſelbe iſt auf Grund des §. 47 des Ge - ſetzes erlaſſen, aber nicht publizirt worden und hat lediglich die Bedeutung einer Verwaltungsvorſchrift. Sie iſt abgedruckt in den Militairgeſetzen Bd. I Abth. III S. 193 ff. Literatur: Seydel in Hirth’s Annalen 1874 S. 1066. Dahn Grundriß des Deutſchen Privatrechts I S. 122 fg.374§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.Rayons. Dieſelben zerfallen in ſtrenge und einfache; die erſteren umfaſſen das Terrain im Abſtande von 75 Metern von der inneren Befeſtigungslinie; darüber hinaus liegt der einfache Zwiſchen - rayon1)a. a. O. §. 2 Abſ. 2 und §. 7..

Endlich beſtehen beſondere Vorſchriften bei Feſtungen mit einer Citadelle für den Rayonbezirk vor den ſtadtwärts gewendeten Werken derſelben, die ſogenannte Esplanade2)§. 2 Abſ. 3..

Dieſe Abgränzung der Rayons tritt jedoch nur bei der Neu - anlage oder dem Umbau von Feſtungen in Kraft. Die bisherigen von den Anordnungen des Reichsgeſetzes abweichenden Rayons be - ſtehender Befeſtigungen, insbeſondere die der vorhandenen deta - chirten Forts3)Auch die vorhandenen beſonderen Rayons, z. B. von verſchanzten Lägern, Städtebefeſtigungen, inneren Feſtungs-Abſchnitten ſind unverändert erhalten worden., verbleiben unverändert bis zur Ausführung eines Neu - oder Verſtärkungsbaues4)§. 24 Abſ. 1. Ob ein Bau als ein die Rayon-Abgränzung verändern - der Verſtärkungsbau anzuſehen iſt, wird von der Reichs-Rayonkommiſſ. ent - ſchieden. Inſtruct. zu §. 24.. Bei den Preuß. Feſtungen er - ſtreckt ſich daher, dem Feſtungs-Regulativ v. 10. Sept. 1828 (Geſ. Samml. S. 120) entſprechend bis zu dieſem Zeitpunkt der Rayonbezirk nur im Ganzen 360 Ruthen oder 1800 Schritt weit von den Feſtungswerken aus5)Entſcheidend iſt für ſelbſtſtändige detachirte Werke, ob ihr Rayon abgeſteckt worden iſt vor dem Tage, an welchem das Geſetz in Kraft getreten iſt, nämlich vor dem 12. Januar 1872; (in Elſaß-Lothringen vor dem 14. März 1872). Vgl. den Erlaß der Reichs-Rayonkommiſſ. v. 13. Septemb. 1875 (in den Militairgeſetzen I Abth. III S. 211).. Auch die vorhandenen Es - planaden bleiben in ihrer bisherigen Ausdehnung unverändert und bei dem Neubau einer Citadelle wird über den Umfang der Es - planade in jedem Falle beſondere Beſtimmung durch die R. -Rayon - kommiſſion getroffen6)§. 24 Abſ. 2..

2. Die erſten beiden Rayons, ſowie etwaige Esplanaden und Zwiſchenrayons, werden bei Neu-Anlagen von Befeſtigungen abgeſteckt und durch Rayonſteine bezeichnet. Eine Verſteinung des dritten Rayons iſt geſetzlich nicht vorgeſchrieben; den Beſitzern der375§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.Grundſtücke iſt von der Kommandantur die erforderliche Auskunft über die Rayongrenze zu ertheilen. Die Abſteckung und Verſtei - nung erfolgt durch die Kommandanturen unter Mitwirkung der Polizeibehörden und unter Zuziehung der Ortsvorſtände und Be - ſitzer ſelbſtſtändiger Gutsbezirke1)§. 8 Abſ. 1. Die Abſteckung wird durch einen Vermeſſungs-Reviſor oder vereideten Feldmeſſer unter Kontrole und auf Koſten der Fortifikation bewirkt. Vgl. die cit. Inſtruct. zu §. 8..

Dasſelbe Verfahren iſt bei Veränderungen der Rayonbezirke zu beobachten; es iſt dazu ſtets ein Zuſammenwirken der Kom - mandantur und der Civilbehörde und die Genehmigung der R. - Rayon-Kommiſſion erforderlich.

Von dem Zeitpunkt der Abſteckung und Vermarkung an treten die geſetzlichen Beſchränkungen in der Benutzung des Grundeigen - thums in Wirkſamkeit.

3. Unmittelbar nach der Abſteckung der Rayonlinie hat die Kom - mandantur einen Rayonplan und ein Rayonkataſter aufzuſtellen. Bei bereits beſtehenden Feſtungen bleibt die Anfertigung dem Er - meſſen der Kommandantur überlaſſen; ſie muß jedoch ſtets erfol - gen, wenn die bisherigen Rayons in Folge eines Neu - oder Ver - ſtärkungsbaues verändert werden ſollen3)§. 9 Abſ. 1. §. 25.. Der Rayonplan muß die Gränzen der Rayonbezirke, ſowie die Lage, Beſchaffenheit und Benutzungsweiſe der einzelnen in den Rayons belegenen Grund - ſtücke erkennen laſſen; das Kataſter muß unter Bezugnahme auf den Rayonplan die Beſitzer der einzelnen Grundſtücke, eine Be - ſchreibung aller innerhalb der erſten beiden und der Zwiſchenrayons vorhandenen Baulichkeiten und Anlagen unter Angabe ihres Zu - ſtandes und ihrer Entſtehungszeit4)Für den 3. Rayon ſind die Einträge in das Kataſter und ebenſo in den Rayonplan (vgl. Inſtruct. zu §. 9) weniger detaillirt; dagegen ſteht die Anſicht Seydel’s a. a. O. S. 1069, daß das Kataſter ſich auf den dritten Rayon überhaupt nicht erſtreckt, ſowohl mit dem Geſetz als der Praxis im Widerſpruch., endlich Vermerke über die Entſchädigungsberechtigung bei etwa ſtattfindender Demolirung ent - halten5)§. 9 Abſ. 2. Der Kommandantur ſind behufs Aufnahme des Rayon - planes und Kataſters von allen Behörden, alſo auch von den Gemeinde -. Rayonplan und Rayonkataſter haben eine doppelte Be -2)§. 8 Abſ. 2.376§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.ſtimmung; ſie dienen einerſeits der Kommandantur zur Informa - tion über die Terrainverhältniſſe des ganzen Rayonbezirks und als Anhalt zur Ueberwachung aller baulichen Veränderungen; ſie dienen andererſeits aber auch den Eigenthümern der einzelnen Grundſtücke gegenüber zum Erweiſe des Zuſtandes der letzteren und zum Anhaltspunkte bei Geltendmachung der Eigenthums - Beſchränkungen.

Aus dieſem Grunde findet die Aufſtellung von Rayonplan und Rayonkataſter nicht einſeitig durch die Kommandantur ſtatt, ſondern es iſt dafür ein Aufgebotsverfahren vorgeſchrieben. Plan und Kataſter ſind in derjenigen Gemeinde, in deren Bezirk die aufgenommenen Grundſtücke liegen, während 6 Wochen öffent - lich auszulegen. Der Gemeindevorſtand hat die Auslegung in ortsüblicher Weiſe öffentlich bekannt zu machen und gleichzeitig zur Erhebung etwaiger Einwendungen aufzufordern. In dieſer Aufforderung iſt die Friſt zu beſtimmen, innerhalb derer die Ein - wendungen bei dem Gemeindevorſtande anzubringen ſind, und die Verwarnung beizufügen, daß nach Ablauf der Friſt mit Feſtſtellung des Kataſters verfahren wird.

Alle eingehenden Beſchwerden oder Anträge werden nach Ab - lauf der Anmeldefriſt der Kommandantur zugeſtellt; letztere prüft dieſelben und ertheilt den Beſcheid. Gegen die Entſcheidung der Kommandantur ſteht binnen einer Präcluſivfriſt von 4 Wochen nach dem Empfang der Rekurs an die Reichs-Rayonkommiſſion zu. Der Rekurs iſt bei der Kommandantur einzulegen. Nach Ablauf der vierwöchentlichen Friſt beziehentl. nach Eingang der Rekursbeſcheide hat die Kommandantur Kataſter und Plan feſtzuſtellen. Die betreffenden Gemeindevorſtände ſind hier - von zu benachrichtigen und haben die Feſtſtellung öffentlich bekannt zu machen1)§. 11 a. a. O.. Die Wirkung dieſes Verfahrens iſt dahin zu be - ſtimmen, daß Rayonplan und Kataſter als von den Intereſſenten2)behörden und den Gerichten, die in ihrem Beſitze befindlichen Flurkarten, Pläne, Vermeſſungs - und Bonitirungsregiſter, Taxen, Kataſter u. dgl. unentgeltlich zur Benutzung zu verſtatten. eod. §. 10. Den Privatperſonen liegt dieſe Verpflichtung nicht ob. Vgl. Kommiſionsbericht S. 6. (Druckſ. des Reichst. 1871 II. Seſſ. Nro. 93.)377§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.anerkannte, für dieſe und die Feſtungskommandantur gemein - ſchaftliche Urkunden anzuſehen ſind1)Vgl. Civilproz. Ordn. §. 387 Ziff. 2..

Die Kommandantur hat dafür zu ſorgen, daß im Rayonplan und Rayonkataſter alle Veränderungen in baulicher Beziehung, ſowie im Beſitz, der Benutzung oder Beſtimmung der Grundſtücke nachgetragen werden2)Geſ. §. 12.. Zu dieſem Zwecke muß ſich die Komman - dantur mit den betreffenden Civilbehörden (Kataſter-Kontroleuren u. ſ. w.) in Verbindung ſetzen3)Inſtruct. zu §. 12..

II. Inhalt der Eigenthums-Beſchränkungen.

Die Eigenthumsbeſchränkungen ſind durchweg Verbote, Ver - änderungen der Terrainoberfläche vorzunehmen; ſie ſind nach der Entfernung des Grundſtücks von der Feſtungs-Enceinte abgeſtuft, ſo daß Alles, was in dem entfernteren Rayon unterſagt iſt, auch in den näher gelegenen verboten iſt. Die Verbote ſind theils ab - ſolute, theils relative d. h. gewiſſe Anlagen dürfen nur mit Ge - nehmigung der Militairbehörden erfolgen. Die Ertheilung oder Verſagung der Genehmigung iſt aber nicht immer in das freie Ermeſſen der Militairbehörde geſtellt. Das Geſetz hat vielmehr für viele Fälle die Bedingungen normirt, unter denen die Geneh - migung ertheilt werden muß. Dieſe Genehmigung hat daher nur die Bedeutung, daß die Kommandantur das Vorhandenſein der geſetzl. Erforderniſſe prüft und conſtatirt, beziehentl. die Innehal - tung der geſetzl. Beſchränkungen Seitens der Grundbeſitzer ſicher - ſtellt.

1. Im dritten Rayon und folglich auch in allen andern Rayons iſt die Genehmigung der Kommandantur erforderlich zu jeder dauernden Veränderung der Höhe der Terrainoberfläche. Dahin gehört die Anlage und der Betrieb von Lehm - und Sand - gruben, Stein - und Kalkbrüchen, die Anlage von Plätzen zur Ab - lagerung von Ballaſt, ſowie eine ſolche Ablagerung an nicht dazu beſtimmten Plätzen. Die Genehmigung der Kommandantur iſt ferner einzuholen zu allen die Waſſerverhältniſſe und die Wege betreffenden Neuanlagen oder Veränderungen, insbeſondere von378§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.Dämmen, Deichen, der Vorfluthverhältniſſe, der Ent - und Be - wäſſerungsanlagen und ſonſtigen Waſſerbauten, desgleichen der Chauſſeen, Wege und Eiſenbahnen; ſodann zur Anlage von größe - ren Parken, Baumſchulen und Waldungen; endlich zur Errichtung und Veränderung von Kirch - und Glockenthürmen und aller thurm - artigen Konſtruktionen1)§. 13 Ziff. 1 4. Die Projekte größerer Anlagen in den Rayons, z. B. von Chauſſeen, Deichen, Eiſenbahnen u. ſ. w. werden von einer gemiſch - ten Kommiſſion erörtert, deren Mitglieder von dem zuſtändigen Kriegsmini - ſterium im Verein mit den betreffenden höheren Verwaltungsbehörden berufen und in welcher auch die von der Anlage betroffenen Gemeinden durch Depu - tirte vertreten werden. Das Protokoll iſt der Reichs-Rayonkommiſſion zu überſenden behufs Feſtſtellung des Planes in Gemeinſchaft mit der betreffenden Centralverwaltungsbehörde. §. 30 des Geſetzes..

Die Genehmigung der Kommandantur darf aber nur dann verſagt werden, wenn die Anlage einen nachtheiligen Einfluß auf die Vertheidigungsfähigkeit der Feſtung hat; insbeſondere wenn dadurch eine nachtheilige Deckung gegen die raſante Beſtreichung der Werke, ein nachtheiliger Einfluß auf das Waſſerſpiel der Fe - ſtungsgräben, auf Inundation des Vorterrains oder auf die Tiefe der mit den Feſtungsanlagen in Beziehung ſtehenden Flußläufe entſteht, oder wenn eine vermehrte Einſicht in die Werke des Platzes gewonnen wird2)§. 13 Abſ. 2. Die Anwendung dieſer Grundſätze auf die einzelnen Arten von Anlagen iſt in der Inſtruction zu §. 13 näher erläutert..

Abgeſehen von Thürmen iſt demnach die Herſtellung von Ge - bäuden aller Art in dem 3. Rayon freigegeben; nicht aber die Herſtellung von großen Gebäude-Complexen. Steht die Anbauung des 3. Rayons in Ausſicht, ſo iſt ein Bebauungsplan feſtzuſtellen und es iſt hierbei die Genehmigung der Reichs-Rayonkom - miſſion in Beziehung auf die Breite und Richtung der Stra - ßen erforderlich3)§. 14. Der Bebauungsplan iſt auf kommiſſariſche Berathung der Kommandantur und der betheiligten Verwaltungsbehörden zu vereinbaren und der Entwurf der R. R.Kommiſſ. zur Genehmigung einzuſenden. Für das Mili - tair iſt dabei der Geſichtspunkt maßgebend, daß das bebaute Terrain ſoweit als thunlich der Einſicht geöffnet bleibt und die nach der Feſtung zuführenden Straßen von den Werken aus beſtrichen werden können. Vgl. Inſtruction zu §. 14..

379§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.

Die Bauart der einzelnen Häuſer, ſowie die Aufführung von Gebäuden auf dem zwiſchen den Straßen liegenden Terrain unterliegt in keiner Hinſicht einer Beſchränkung1)Vgl. den Kommiſſionsbericht des Reichstages S. 8..

Abſolute Verbote beſtehen für den 3. Rayon überhaupt nicht.

2. Im zweiten Rayon und folglich auch im erſten gelten folgende Beſchränkungen:

a) Ganz unzuläſſig ſind alle Maſſivkonſtruktionen von Ge - bäuden oder Gebäudetheilen (ausgenommen Feuerungsanlagen und Fundamente, die das umliegende Terrain nicht über 30 Centi - meter, im erſten Rayon nicht über 15 Centim. überragen); ferner jede Art von Gewölbebauten, ſowie Eindeckungen von Kelleranla - gen mit ſteinerner und eiſerner Konſtruktion; endlich die Anlage von bleibenden Ziegel - und Kalköfen, ſowie überhaupt von maſ - ſiven zu Fabrik - und ſonſtigen gewerblichen Zwecken beſtimmten Oefen von größeren Abmeſſungen3)§. 15 A Ziff. 1 3..

b) Alle andern Gebäude, ſowie maſſive Dampfſchornſteine dürfen nur mit Genehmigung der Kommandantur errichtet werden. Die Genehmigung darf jedoch nicht verſagt werden, wenn die Ge - bäude den im Geſetz § 15 B Ziff. 3 unter a) bis c) aufgeführten Bedingungen entſprechen, beziehentl. wenn die Höhe der Dampf - ſchornſteine 20 Meter nicht überragt. Außerdem iſt die Genehmi - gung der Kommandantur erforderlich zur Anlage von Beerdigungs - plätzen, von Grabhügeln von mehr als 50 Centimeter Höhe und von größeren Denkmälern4)d. h. Denkmäler aus Stein oder Eiſen, welche in den mehr als 50 Centim. über der Erdoberfläche liegenden Theilen eine größere Stärke haben als 15 Centim. für Stein, bezügl. 2 Centimeter für Eiſen. §. 15 B Ziff. 2 und dazu die Erläuterung in der Inſtruction..

3. Im einfachen Zwiſchenrayon gelten dieſelben Be - ſchränkungen wie im zweiten Rayon; indeß kann unter beſonde - ren Verhältniſſen die Herſtellung maſſiver Bauten und gewölbter Anlagen geſtattet werden. Ob die Genehmigung hierzu zu erthei - len iſt oder nicht, iſt ganz in das Ermeſſen der Militairbehörde geſtellt5)Nach der Inſtruction ſoll dieſe Genehmigung nur dann ertheilt werden,. Gebäude, welche mit Genehmigung der Kommandantur2)d. h. im Gegenſatz zu Feldziegelöfen. Vgl. Kommiſſionsbericht a. a. O.380§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.zuläſſig ſind, dürfen die Höhe von 8 Metern bis zur Dachfirſt nicht überragen, (während im zweiten Rayon eine Höhe von 13 Metern geſtattet iſt)1)Geſ. §. 16..

4. Die im erſten Rayon geltenden Einſchränkungen be - ruhen auf zwei verſchiedenen Motiven. Das eine iſt das für alle Rayons maßgebende, daß die Vertheidigung der Feſtung nicht er - ſchwert und dem Feinde keinerlei Deckung gegeben werde, das aber für den erſten Rayon ſtrenger durchgeführt iſt, indem alle Anlagen unterſagt ſind, die nicht ſofort und ohne Aufwendung bedeutender Kräfte weggeſchafft werden können. Das zweite Motiv dagegen kömmt nur für den erſten Rayon in Betracht; es beſteht darin, alle Wohngebäude von demſelben auszuſchließen, weil die Bewoh - ner gleich zu Anfang der Armirung der Feſtung ihres Obdaches beraubt werden müßten2)Vgl. hierzu den Kommiſſionsbericht S. 10. 11.. Demgemäß ſind

a) abſolut unzuläſſig: außer den im 2. Rayon bereits für unzuläſſig erklärten Anlagen Wohngebäude jeder Art und die im § 17 A Ziff. 3 6 angeführten Baulichkeiten und Anlagen (Lokomobilen, Denkmäler, lebendige Hecken).

b) nur mit Genehmigung der Kommandantur geſtattet: Die nicht als unzuläſſig bezeichneten Baulichkeiten, bewegliche Feuerungs - anlagen, leicht zu beſeitigende Einfriedigungen von Holz oder Eiſen, Brunnen, hölzerne Windmühlen, falls die Entfernung derſelben von den Feſtungswerken mindeſtens 300 Met. beträgt3)Dazu kommt wie im 2. Rayon die Anlage von Beerdigungs - plätzen, Grabhügeln und Denkmälern. §. 17 B Ziff. 1 und 2..

Von dem Verbote, wohnliche Einrichtungen irgend welcher Art herzuſtellen, ſind nur ausgenommen Wächterhütten, wenn die Nothwendigkeit der Anweſenheit eines Wächters nachge - wieſen werden kann4)Vgl. hierzu die Inſtruct. zu §. 17 B 4, insbeſondere über die Geſichts - punkte bei Prüfung der Frage, ob die Nothwendigkeit eines an Ort und Stelle wohnenden Wächters dargethan ſei.. Dieſelben dürfen im Grundflächenmaß 20 Quadratmeter nicht überſchreiten, mit andern Baulichkeiten nicht in Verbindung geſetzt ſein und müſſen mit einem transportabeln eiſernen Ofen mit blecherner Rauchröhre verſehen ſein.

2)wenn die Maſſivbauten und gewölbten Anlagen den Vertheidigungszwecken der Feſtung beim Eintritt der Armirung zu dienen im Stande ſind.

381§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.

5. Innerhalb des ſtrengen Zwiſchenrayons ſind alle baulichen Anlagen unzuläſſig; auf Esplanaden ſind nur ſolche Anlagen geſtattet, welche nach dem Urtheil der Militairbehörde zur Vertheidigung dienen können. Die Anlage von Hecken iſt ſowohl im ſtrengen Zwiſchenrayon wie auf Esplanaden unzu - läſſig1)§. 19 a. a. O..

6. Für den erſten und zweiten Rayon und den ein - fachen Zwiſchenrayon beſtehen noch folgende gemeinſame Anord - nungen:

a) Das Alignement der zu errichtenden Gebäude unterliegt der Genehmigung der Kommandantur, inſoferne dasſelbe nicht von der Richtung vorhandener öffentlicher Wege oder Straßen ab - hängig iſt2)§. 18 a. a. O..

b) Die Einrichtung von Niederlagen und Plätzen, auf welchen Vorräthe zu gewerblichen Zwecken im Freien oder in Schuppen aufgeſtapelt werden, iſt nur mit Genehmigung der Kommandantur zuläſſig, die nicht verſagt werden darf, wenn die Entfernung von den Feſtungswerken 225 Meter beträgt3)§. 20 Abſ. 1 bis 4. Auch die Höhe der zuläſſigen Aufſtapelungen iſt daſelbſt normirt. Vgl. dazu die Inſtruction.. Ausgenommen ſind Lagerplätze und die zum Ein - und Ausladen nöthigen Anſtalten an Flußufern; jedoch ſteht es der Kommandantur zu, die einzu - haltende Entfernung von der Kehle und die Zeit für die Wieder - beſeitigung zu beſtimmen4)§. 20 Abſ. 5. Vgl Kommiſſionsbericht S. 13..

c) Zu vorübergehenden Veränderungen der Höhe der Terrainoberfläche, z. B. zur Auflagerung von Baumaterialien wäh - rend der Ausführung eines genehmigten Baues u. dgl., bedarf es zwar keiner beſonderen Genehmigung der Kommandantur; es iſt jedoch derſelben vorher Anzeige zu machen und es ſteht ihr zu, die Zeit der Wiederbeſeitigung zu beſtimmen5)§. 21. Nur zur Anlage von Kompoſthaufen iſt die Genehmigung der Kommandantur erforderlich, die unter der Bedingung zu ertheilen iſt, daß die im §. 20 Abſ. 3 Ziff. a angegebene Höhe nicht überſchritten wird..

7. Die im Vorſtehenden aufgeführten Regeln erleiden zwei durchgreifende Modifikationen:

382§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.

a) Die[Reichsrayonkommiſſon] iſt befugt, aus örtlichen Rück - ſichten ſowohl die räumliche Ausdehnung der Rayons zu vermin - dern als auch die geſetzlichen Eigenthumsbeſchränkungen zu er - mäßigen1)§. 23 a. a. O..

b) Die einmal vorhandenen Baulichkeiten und Anlagen, auch wenn ſie den Vorſchriften dieſes Geſetzes nicht entſprechen, dürfen erhalten bleiben. Das Geſetz unterſagt die Herſtellung und Er - richtung von neuen Bauten und Anlagen, aber es befiehlt nicht die Beſeitigung der bereits vorhandenen. Unter das Verbot des Geſetzes an ſich würden aber auch alle Wiederherſtellungsbauten der zwar vorhandenen, aber in Verfall gerathenen Anlagen fallen. In dieſer Beziehung aber hat das Geſetz beſtimmt, daß wenn die vorhandenen Baulichkeiten und Anlagen ganz oder theilweiſe zer - ſtört oder baufällig geworden ſind, ſie nach vorgängiger Anzeige bei der Kommandantur in den alten Abmeſſungen und der bis - herigen Bauart wieder hergeſtellt werden dürfen, falls nicht auf ihnen die beſondere Bedingung des Eingehens durch Verfall oder der künftigen Reduktion auf eine leichtere Bauart ſchon haftet2)§. 22 Abſ. 1. Iſt ſeit dem Abbruch oder der Zerſtörung eines Ge - bäudes ein Zeitraum von zwei Jahren verfloſſen, ſo iſt nach Analogie von §. 28 Abſ. 2 anzunehmen, daß der Bau eines andern Gebäudes an Stelle des früheren als Neubau zu behandeln und der Genehmigung der Kommandantur bedürftig iſt.. Die Genehmigung der Kommandantur iſt jedoch in allen Fällen erforderlich, in denen Wiederherſtellungsbauten das vorbeſtimmte Maß überſchreiten3)§. 22 Abſ. 2.. Darunter fallen nicht nur Erweiterungen und Erhöhungen der Gebäude oder Anlagen über das früher inne - gehaltene Maß, ſondern auch Wiederherſtellungen in maſſiverer Konſtruktion, namentlich mit geſetzwidrigem Material; für den erſten Rayon kommt insbeſondere in Betracht, daß jede Erweite - rung der Bewohnbarkeit ausgeſchloſſen iſt4)Vgl. die näheren Erläuterungen der Inſtruction zu §. 22 und den Kommiſſionsbericht des Reichstages S. 15..

III. Geltendmachung des Unterſagungsrechtes.

Die Erzwingung der Innehaltung der im Rayongeſetz aner - kannten Eigenthumsbeſchränkungen erfolgt nicht im Wege des Ci -383§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.vilprozeſſes, ſondern durch Strafdrohungen und Verwaltungsmaß - regeln; denn da dieſe Beſchränkungen nicht zu Gunſten des Fis - kus, ſondern zu Gunſten des Staates im publiziſtiſchen Sinne und zur Erfüllung öffentlich rechtlicher Aufgaben eingeführt ſind, ſo werden ſie auch mit den für Zwecke der Verwaltung anerkannten Machtmitteln der Staatsgewalt durchgeführt.

Die von den Verboten des Rayongeſetzes betroffenen Bauten und Anlagen zerfallen in dieſer Beziehung in drei Kategorien, ſolche welche nur nach vorheriger Anzeige bei der Kommandantur ausgeführt werden dürfen, ſolche welche nicht ohne Genehmigung ſtatthaft ſind, und ſolche, welche gänzlich unzuläſſig ſind.

1. Die vorgängige Anzeige hat den Zweck, daß die Aus - führung kontrolirt und das Rayonkataſter auf dem Laufenden er - halten werden kann1)Inſtr. zu §. 26 Ziff. 1.. Sie iſt vorgeſchrieben bei den in den §§ 21 und 22 erwähnten Fällen. Wer die Anzeige unterläßt, wird mit einer Geldbuße bis zu 15 Mark beſtraft2)Geſ. §. 32 Abſ. 2.. Wer die Anzeige erſtattet, iſt für befugt zu erachten, von der Feſtungskom - mandantur eine Beſcheinigung darüber zu verlangen3)Dieſelbe iſt ihm nach §. 46 koſten - und ſtempelfrei zu ertheilen..

2. Die Fälle, in welchen die Genehmigung der Komman - dantur erforderlich iſt, ſind wieder von doppelter Art; ſolche, in denen die Genehmigung nicht verſagt werden darf4)Vgl. §. 13 Abſ. 2. §. 15 B Ziff. 3 Abſ. 2. §. 15 B Ziff. 4. §. 17 B Ziff. 3 und Ziff. 4 Abſ. 2. §. 20 Abſ. 2., und ſolche, in denen die Ertheilung der Genehmigung in das Ermeſſen der Behörde geſtellt iſt5)Dieſe Fälle bilden die Regel. Vgl. Kommiſſionsbericht S. 3.. Die Verpflichtung, die Genehmigung nach - zuſuchen, bevor mit der Ausführung des Baues oder der Anlage u. ſ. w. begonnen wird, beſteht jedoch für beide Kategorien gleich - mäßig6)§. 26 des Geſ. und die Verletzung dieſer Pflicht, ſowie jede eigenmäch - tige Abweichung von dem genehmigten Plan wird ſowohl an dem Grundbeſitzer, welcher den Bau oder die Anlage ausführen läßt, als an demjenigen, welcher als Baumeiſter oder Bauhandwerker7)Die Bauhandwerker ſtehen im Gegenſatz zu den Wirthſchaftsbeamten, Arbeitern, Knechten u. ſ. w. des Grundbeſitzers.384§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.die Ausführung geleitet hat, mit einer Geldbuße bis zu 150 Mark beſtraft1)§. 32 Abſ. 1..

Sind ſeit der Aushändigung der Genehmigung zwei Jahre verfloſſen, ohne daß davon Gebrauch gemacht worden iſt, ſo wird ſie als erloſchen betrachtet2)§. 28 Abſ. 2..

Das Verfahren behufs Erlangung der Genehmigung iſt im Geſetz in folgender Weiſe geregelt.

a) Das Geſuch iſt an die Ortspolizeibehörde zu rich - ten; es muß Alles enthalten, was zur Prüfung und Beurtheilung der Zuläſſigkeit der in Ausſicht genommenen Anlagen erforderlich iſt; insbeſondere ſind die Bauten zu beſchreiben und die Bauzeich - nungen in 2 Exemplaren beizulegen.

b) Die Ortspolizeibehörde unterwirft den Antrag einer Vor - prüfung; ergibt ſich hierbei die Unvollſtändigkeit oder formelle Mangelhaftigkeit, ſo hat ſie das Geſuch behufs Ergänzung und Verbeſſerung dem Antragſteller zurückzugeben; findet ſie Nichts zu erinnern, ſo überſendet ſie das Geſuch der Kommandantur. Die letztere entſcheidet3)Abgeſehen von denjenigen Fällen, in welchen die Projecte größerer An - lagen an die R. Rayonkommiſſion zur Prüfung und Feſtſtellung einzuſenden ſind. Vgl. §. 14 und §. 30 des Geſ. Der Ortspolizeibehörde ſteht eine materielle Entſcheidung über den Antrag in keinem Falle zu. Vgl. Seydel S. 1076., ob die Genehmigung zu ertheilen oder zu verſagen ſei. Wird ſie ganz oder theilweiſe verſagt, ſo ſind die Gründe der Ablehnung anzugeben; wird die Genehmigung ertheilt, ſo müſſen in der Ausfertigung derſelben alle für den betreffenden Fall feſtzuſtellenden ſpeziellen Beſchränkungen genau beſtimmt wer - den, denen der Grundbeſitzer und alle Beſitznachfolger bezüglich des Baues, der Niederlage von Materialien, der Anlage oder des Gewerbebetriebes ſich zu unterwerfen haben. In das eine Exem - plar der mit dem Geſuch eingereichten Zeichnung, welches der Aus - fertigung der Genehmigung beizulegen iſt, ſind die im Feſtungs - Intereſſe nothwendigen Abänderungen einzutragen. In denjenigen Fällen, in welchen nach dem Geſetz die Genehmigung nicht zu ver - ſagen iſt, darf dieſelbe auch nicht an Bedingungen geknüpft wer - den4)Nach dem Bericht der Reichstags-Kommiſſion S. 17 iſt hierdurch das. Die Enſcheidung der Kommandantur wird an die Orts -385§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.polizeibehörde geſendet, welcher die Mittheilung an den Antrag - ſteller obliegt.

c) Gegen die Entſcheidung der Kommandantur iſt binnen einer vierwöchentlichen Präcluſivfriſt von der Zuſtellung ab der Rekurs an die Reichs-Rayonkommiſſion zuläſſig1)Vgl. Bd. I S. 381 fg.. Derſelbe iſt bei der Kommandantur einzulegen. Iſt durch die Kommandantur eine Anlage unterſagt worden, ſo darf dieſe erſt dann begonnen oder fortgeſetzt werden, wenn die Reichs-Rayonkommiſſion die Anordnung aufgehoben hat2)Geſ. §. 29..

3. Die Herſtellung von unzuläſſigen Bauten und Anlagen bildet den Thatbeſtand einer Rayoncontravention, welche ganz ebenſo zu beurtheilen iſt, wie die eigenmächtige Vornahme von Bauten und Anlagen, welche nur mit Genehmigung der Komman - dantur geſtattet ſind3)In dem Rayongeſetz §. 32 findet ſich in dieſer Beziehung ein Redac - tionsfehler, indem die Strafdrohung daſelbſt nur gerichtet iſt gegen Gutsbe - ſitzer, Bauunternehmer ꝛc., welche ohne die geſetzlich erforderliche Genehmigung einen Bau ꝛc. ausführen. Die Aufführung von Bauten, die abſolut unzuläſſig ſind, zu denen die Genehmigung daher geſetzlich gar nicht ertheilt werden darf, iſt in dem Paragraphen nicht erwähnt. Der Sinn deſſelben iſt aber unzweifelhaft der, daß die daſelbſt angedrohte Strafe von jedem verwirkt wird, der gegen die in dem Geſetz anerkannten Eigenthumsbe - ſchränkungen eigenmächtig verſtößt.. Iſt ein Geſuch um Genehmigung einer ſolchen Anlage bei der Kommandantur eingereicht worden, ſo iſt dasſelbe unter Angabe der geſetzlichen Beſtimmung, welche die An - lage für unzuläſſig erklärt, zurückzuweiſen.

4. Widerrechtlich hergeſtellte Bauten und Anlagen müſſen von dem Beſitzer innerhalb der vom Kommandanten zu beſtimmenden Friſt beſeitigt werden, wenn ſie nach dem Urtheil der Komman - dantur für unzuläſſig zu erachten ſind. Es gilt dies nicht blos von ſolchen Anlagen, die nach dem Geſetz abſolut unzuläſſig ſind, ſondern auch von ſolchen, zu deren Herſtellung die Genehmigung ertheilt werden kann, die aber ohne Einholung derſelben oder mit eigenmächtiger Abweichung von dem genehmigten Plane hergeſtellt4)Verlangen einer Kaution, um aus derſelben eintretendenfalls die ausbedungene Abſchachtung, Wegräumung u. dgl. zu bewirken, für unzuläſſig erklärt.Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 25386§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.worden ſind. Die Entſcheidung der Frage, ob die Bauten oder Anlagen unzuläſſig ſind, ſteht der Militairbehörde ausſchließlich zu1)Geſetz §. 32..

Gegen die Verfügung der Kommandantur, welche die Beſei - tigung der Anlage ꝛc. anordnet, ſteht dem Beſitzer binnen einer Friſt von 4 Wochen der Rekurs an die R. -Rayon-Kommiſſion zu. In dieſem Falle hat der Rekurs Suſpenſiveffect; die Anordnung der Kommandantur wird erſt vollſtreckbar, wenn ſie von der R. - Rayonkommiſſion beſtätigt worden iſt oder wenn die Friſt für Einlegung des Rekurſes abgelaufen iſt2)§. 29 Abſ. 2. §. 32. Soweit nicht die Beſeitigung bereits vorhandener Anlagen, ſondern die Fortſetzung ihrer Herſtellung in Frage ſteht, hat der Rekurs keinen Suſpenſiveffect..

Wenn der Beſitzer die Beſeitigung der Anlage unterläßt, ſo erfolgt dieſelbe nöthigenfalls auf Antrag der Kommandantur durch die Ortspolizeibehörde auf Koſten des Beſitzers3)Eine ſolche Maßregel hat nicht den rechtlichen Charakter einer Strafe, ſondern iſt lediglich die Exekution eines verbindlichen Verwaltungsbefehls. Daher findet die dreimonatliche Verjährung, welche für die Strafverfolgung von Uebertretungen gilt, zwar auf Rayonkontraventionen, nicht aber auf die zwangsweiſe Beſeitigung der Anlagen Anwendung. Vgl. auch die Inſtruktion zu §. 32..

5. Die Kommandanturen und Ortsbehörden und deren Organe ſind befugt behufs der Kontrole über alle Bauten, Anlagen und die Benutzung von Grundſtücken in den Rayons, in den Stun - den von 8 Uhr Morgens bis 4 Uhr Nachmittags den Zutritt zu allen Privat - und öffentlichen Grundſtücken in den Rayons zu ver - langen. Organe der Kommandantur ſind die Ingenieur-Offiziere vom Platz, Poſten-Offiziere und Wallmeiſter4)§. 33 Abſ. 1 und 2.. Falls der Zu - tritt etwa verweigert werden ſollte, ſo iſt er von der Ortspolizei - Behörde nach Maßgabe der ihr nach den Landesgeſetzen zuſtehen - den Machtmittel zu erzwingen.

Eine allgemeine Reviſion der Bauten und Anlagen in allen Rayons erfolgt alljährlich einmal durch die Kommandan - tur oder ihre Organe unter Zuziehung der Ortspolizeibehörde und des Gemeindevorſtandes5)§. 33 Abſ. 3..

387§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.

IV. Die Entſchädigung.

1. Die Vorausſetzungen der Entſchädigungspflicht des Reichsfiskus ſind folgende:

a) Die Beſchränkungen müſſen in Folge des Reichs - geſetzes eingetreten ſein1)Geſ. §. 34 Abſ. 1. Vgl. hierzu den Nachtrag zum Kommiſſionsbe - richt des Reichstages. (Druckſachen 1871 II Seſſ. Nro. 120.). Folglich kann ein Entſchädigungs - Anſpruch gegen das Reich nicht erhoben werden, wenn die Be - ſchränkungen bereits vor dem Erlaß des Geſetzes auf Grund älterer Landesgeſetze beſtanden haben und durch das Reichsgeſetz nicht er - ſchwert worden ſind2)§. 34 Abſ. 2 Ziff. 1.. Der Anſpruch iſt daher nur begründet, wenn entweder durch Neuanlage oder Erweiterungsbauten von Feſtungen Grundſtücke, die bisher außerhalb des Rayonbezirks lagen, in den Rayon einbezogen werden3)Wenn ein Grundſtück bei Erweiterungsbauten einer Feſtung aus einem milderen Rayon in einen ſtrengeren verſetzt und in Folge deſſen den eingrei - fenderen Beſchränkungen des Reichsgeſetzes unterworfen wird, ſo iſt ebenfalls der Entſchädigungs-Anſpruch begründet., oder wenn Grundſtücke, die ſchon vor Erlaß des Reichsgeſetzes zu einem Rayonbezirke ge - hörten, durch das Reichsgeſetz neuen, in dem früheren Rechte nicht anerkannt geweſenen Beſchränkungen unterworfen werden. Ebenſo wenig kann vom Reiche eine Entſchädigung verlangt werden für Rayon-Beſchränkungen, welche auf beſonderen Rechtstiteln, insbe - ſondere auf Rechtsgeſchäften (Reverſen) der Grundſtücks-Eigenthümer, beruhen; denn auch dieſe Beſchränkungen ſind nicht in Folge des Reichsgeſetzes entſtanden4)§. 34 Abſ. 2 Ziff. 4. Iſt für ſolche Beſchränkungen eine Entſchädi - gung von der Landesregierung ausdrücklich zugeſichert worden, ſo bleibt der Anſpruch auf dieſelbe unverändert fortbeſtehen; da aber alle Militair-Ausgaben vom Reiche zu leiſten ſind, ſo müſſen auch ſolche Entſchädigungsgelder auf den Reichs-Militair-Etat übernommen werden..

b) Die Beſchränkungen müſſen eine Werthverminderung des Grundſtücks herbeiführen. Es iſt nun zwar im Allgemeinen davon auszugehen, daß die Rayonbeſchränkungen dieſen Effect haben, indem ſie die freie Benutzung des Grundſtücks erſchweren oder hin - dern; allein es gilt dies nicht unbedingt; es kann im einzelnen Falle nach den beſonderen Umſtänden und Verhältniſſen eines Grund -25*388§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.ſtückes die Annahme einer Werthverminderung ausgeſchloſſen ſein. Insbeſondere gilt dies von den Beſchränkungen in Betreff der An - lagen auf Beerdigungsplätzen1)Die Benutzung als Beerdigungsplatz wird nicht ausgeſchloſſen, ſondern nur die Errichtung von Grabhügeln und Denkmälern iſt beſchränkt.. Ebenſowenig wird durch die Ver - pflichtung zur Duldung der Rayonſteine der Werth des Grund - ſtücks beeinträchtigt2)§. 34 Abſ. 2 Ziff. 2 und Ziff. 3..

Es wird ferner für die geſetzlichen Beſchränkungen im 3. Rayon eine Entſchädigung nicht gewährt, da in dieſem Rayon abſolute Verbote überhaupt nicht beſtehen und auch die Genehmigung der Kommandantur nur zur Herſtellung von ſolchen Anlagen erforder - lich iſt, welche der gewöhnliche Wirthſchaftsbetrieb nicht mit ſich bringt. Nur dann, wenn die Genehmigung zu einer ſolchen An - lage nachgeſucht, aber verſagt worden iſt, tritt die Verpflichtung des Reiches zur Entſchädigung ein3)§. 38 Abſ. 1..

c) Das Reich kann natürlich ſich ſelbſt nicht entſchädigen; aber auch den Bundesſtaaten wird für die in ihrem Eigenthum befind - lichen Grundſtücke eine Entſchädigung für Rayonbeſchränkungen nicht gezahlt4)§. 34 Abſ. 2 Ziff. 2..

2. Die Höhe der Entſchädigung beſtimmt ſich durch die Größe der Vermögens-Einbuße, welche für den Beſitzer des Grund - ſtückes dadurch entſteht, daß daſſelbe fortan Beſchränkungen in der Benutzung unterliegt, denen es bisher nicht unterworfen war. Für die Feſtſtellung dieſer Vermögens-Einbuße gelten im Allgemeinen dieſelben Geſichtspunkte wie bei Enteignungen. Die Verringerung des gemeinen Kaufwerthes des Grundſtückes iſt nicht in allen Fällen dieſer Vermögens-Einbuße gleich; ſie bezeichnet vielmehr nur das Minimum derſelben, da der gemeine Verkaufswerth als der ſtets realiſirbare Werth anzuſehen iſt. Nach den beſonderen Verhält - niſſen des Beſitzers, ſeinem Gewerbebetrieb, ſeinen Wirthſchafts - Bedürfniſſen u. ſ. w. kann aber durch Auflegung der Rayonbe - ſchränkungen ſein Vermögen eine weit erheblichere Verminderung erleiden als ſie durch die Differenz des Kaufwerthes vor und nach der Auferlegung ausgedrückt wird; und in dieſem Falle iſt auch die Schadloshaltung ſo hoch zu bemeſſen, daß dem Vermögen des389§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.Beſitzers wieder ſo viel zugeführt wird, als ihm durch die Rayon - beſchränkungen entzogen worden iſt1)Vgl. Kommiſſionsbericht S. 21. 22.. Ein wichtiger Anwendungs - fall dieſes Grundſatzes liegt vor, wenn das von der Beſchränkung betroffene Grundſtück mit einem anderen Grundſtück deſſelben Be - ſitzers dergeſtalt in Zuſammenhang ſteht, daß die Beſchränkung des erſteren auch auf den Werth des letzteren Einfluß übt. In dieſem Falle wird das Vermögen des Beſitzers um ſo viel verringert als die Werthsverminderung des geſammten Grundbeſitzes beträgt2)Geſ. §. 35 Abſ. 3.. Immer aber kann es ſich nur um den Erſatz von Vermögens - einbußen handeln, niemals um eine Entſchädigung für blos ge - hofften Gewinn oder für einen imaginären Werth. Um den er - littenen Schaden feſtzuſtellen iſt es in allen Fällen erforderlich, den Werth des Grundſtückes vor Auferlegung der Rayonbeſchränkungen mit dem Werth deſſelben nach ihrer Auferlegung zu vergleichen. Nun tritt aber eine Werthsverminderung regelmäßig ſchon vor dem wirklichen Inkrafttreten der Rayonbeſchränkungen ein, ſobald es gewiß iſt, daß ein Feſtungsbau in Ausſicht ſteht, deſſen Rayon das Grundſtück umfaſſen wird. Aus dieſem Grunde darf bei der Feſtſtellung des bisherigen Werthes die Zeit nach der im Reichs - geſetzblatt erfolgten Bekanntmachung des Reichskanzlers, daß die Neubefeſtigung des Platzes oder die Erweiterung der ſchon beſte - henden Feſtungsanlage oder deren Rayons in Ausſicht genommen iſt, nicht berückſichtigt werden3)Geſ. §. 35 Abſ. 2. Beiſpiele ſolcher Bekanntmachungen ſiehe im R. G.Bl. 1872 S. 56. 1873 S. 39. 58. 1876 S. 165.. Iſt Entſchädigung dafür zu ge - währen, daß dem Beſitzer eines im dritten Rayon belegenen Grund - ſtücks die Genehmigung zu einer der in §. 13 erwähnten Anlagen verſagt wird, ſo iſt bei Feſtſtellung des Schadens die Zeit der Anbringung des Geſuchs bei der Kommandantur zu Grunde zu legen4)Geſ. §. 38 Abſ. 1..

3. Das Verfahren behufs Feſtſtellung der Ent - ſchädigung.

a) Die Gutsbeſitzer, welche Anſpruch auf Entſchädigung zu haben glauben, müſſen denſelben binnen einer ſechswöchentlichen Präcluſivfriſt nach Feſtſtellung des Rayonplanes bei der Kom -390§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.mandantur anmelden. Bei der öffentlichen Bekanntmachung der Feſtſtellung des Rayonplanes ſind gleichzeitig auch Beginn und Ablauf der Anmeldefriſt bekannt zu machen1)Geſ. §. 39..

b) Die eingegangenen Anmeldungen werden von der Kom - mandantur der höheren Civil-Verwaltungsbehörde mitgetheilt, welche einen Kommiſſarius zur Erörterung der Anſprüche ernennt. Die Erörterung geſchieht in Gegenwart der Entſchädigungsberech - tigten und eines Vertreters der Kommandantur. Einigen ſich die Parteien, ſo nimmt der Kommiſſarius einen Rezeß auf, welcher die Kraft einer gerichtlichen oder notariellen Vertragsurkunde hat2)Geſ. §. 40 Abſ. 1.. Falls die Kommandantur die Verpflichtung zur Entſchädigung über - haupt beſtreitet, ſo bleibt dem Beſitzer des Grundſtücks die Be - tretung des Rechtsweges überlaſſen; dem Civilkommiſſarius ſteht eine Entſcheidung darüber nicht zu3)ebendaſ. Abſ. 2..

c) Wenn das Vorhandenſein oder die Höhe des Schadens ſtreitig iſt, ſo werden Sachverſtändige darüber vernommen. Jede der beiden Parteien wählt einen Sachverſtändigen und der Kom - miſſarius ernennt den Dritten, falls ſich nicht beide Parteien über Einen Sachverſtändigen einigen. Die Sachverſtändigen haben ihr Gutachten zu begründen und die Richtigkeit deſſelben zu be - ſchwören oder auf den ein - für allemal geleiſteten Sachverſtändigen - Eid zu verſichern4)ebendaſ. Abſ. 3 5..

d) Der Kommiſſarius hat ebenfalls ein Gutachten abzugeben und die Abſchätzungsverhandlungen mit dieſem Gutachten der - heren Civil-Verwaltungsbehörde zu überreichen. Die letztere ſetzt die Entſchädigung durch Beſchluß feſt. Dabei iſt dieſelbe an das Gutachten der Sachverſtändigen nicht gebunden; ſie beſtimmt vielmehr den Entſchädigungsbetrag nach ihrem aus der Verhandlung und den Umſtänden geſchöpften pflichtmäßigen Er - meſſen5)§. 41 Abſ. 1. 2..

e) Dem Entſchädigungsberechtigten ſteht gegen den Beſchluß der Verwaltungsbehörde innerhalb einer Präcluſivfriſt von 90 Tagen, vom Empfange des Beſchluſſes an gerechnet, der Rechts -391§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.weg offen. Die Klage iſt gegen den Reichsfiskus zu richten, welcher durch die Kommandantur vertreten wird; zuſtändig iſt das Gericht, in deſſen Bezirk das betreffende Grundſtück belegen iſt1)§. 41 Abſ. 3. §. 42 Abſ. 1 und 2. Ob das Amtsgericht oder das Landgericht zuſtändig iſt, hängt davon ab, ob die beanſpruchte Entſchädigung die Summe von 300 Mark überſteigt. Gerichtsverf. Geſetz §. 23 Ziff. 1. §. 70..

f) Der Militairbehörde ſteht innerhalb derſelben Präcluſiv - friſt das Recht zu, die Enteignung des Grundſtücks zu ver - langen. Die Erklärung der Militairbehörde an die höhere Ver - waltungsbehörde, daß von dieſer Befugniß Gebrauch gemacht wird, unterbricht den Lauf der Friſt zur Beſchreitung des Rechtsweges ſowie das gerichtliche Verfahren über die Höhe der Entſchädigung. Das Verfahren bei der Enteignung richtet ſich nach den Landes - geſetzen2)§. 41 Abſ. 4. 5..

Der Beſitzer des Grundſtücks iſt befugt zu verlangen, daß die Enteignung auf alle diejenigen Theile des Grundſtücks ausgedehnt werde, deren fernere Benutzung in der bisherigen Weiſe nach dem Gutachten von Sachverſtändigen durch die Abtrennung des den Rayonbeſchränkungen unterworfenen Theiles weſentlich beeinträchtigt, erſchwert oder verhindert werden würde3)ebendaſ..

4. Die Zahlung der Entſchädigung.

a) Der Regel nach wird die Entſchädigung in Rente ge - währt. Dieſelbe beträgt jährlich 6 Prozent der Summe, um welche ſich der Werth des Grundſtücks vermindert hat. Der Lauf der Rente beginnt mit dem Tage der Abſteckung der Rayonlinien4)§. 36 Abſ. 3. und bei Entſchädigungen für die verſagte Genehmigung zu Anlagen im 3. Rayon mit dem Tage des ablehnenden Beſcheides der Kom - mandantur5)§. 38 Abſ. 2.. Die Rente wird in vierteljährigen Raten postnu - merando aus der Feſtungskaſſe gezahlt6)§. 36 Abſ. 4.. Sie erliſcht nach Ab - lauf von 37 Jahren oder ſobald das Grundſtück aufhört, den Be - ſchränkungen der erſten beiden Rayons oder der Zwiſchenrayons unterworfen zu ſein7)§. 36 Abſ. 3..

392§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.

b) Renten, welche jährlich weniger als 3 Mark betragen, wer - den mit dem 16⅔fachen Betrage kapitaliſirt und ſofort an die Beſitzer ausgezahlt1)§. 36 Abſ. 5.. Außerdem hat der Beſitzer das Recht, falls die Werthsverminderung ſeines Grundſtücks mindeſtens ein Drittel des bisherigen Werthes beträgt, nach ſeiner Wahl die Entſchädi - gung in Rente oder in Kapital zu verlangen2)§. 36 Abſ. 1. Ueber die Gründe, aus denen man dieſes Wahlrecht be - willigt hat, vgl. den Kommiſſions-Bericht S. 24.. Das Wahlrecht muß bereits während des Abſchätzungsverfahrens ausgeübt wer - den. Sobald nach dem Gutachten eines Sachverſtändigen die Werthsverminderung ſo groß iſt, daß der Beſitzer eine Entſchädi - gung in Kapital zu fordern berechtigt iſt, muß er auf die Aufforde - rung des Kommiſſarius binnen einer Präkluſivfriſt von 4 Wochen erklären, daß er die Entſchädigung in Kapital verlange, widrigen - falls er nur die Abfindung durch Rente fordern kann3)§. 40 Abſ. 6.. Die Entſchädigungsſumme iſt von demjenigen Tage an mit fünf Pro - zent zu verzinſen, mit welchem der Lauf der Rente beginnen würde4)§. 36 Abſ. 2. §. 38 Abſ. 2..

c) Berechtigt zum Empfange der Entſchädigungsſumme und Rente iſt der Beſitzer des Grundſtücks; die Legitimation desſelben zum Empfange des Kapitals, ſowie der einzelnen Raten der Rente wird der Feſtungskaſſe gegenüber dadurch geführt, daß er im Rayonkataſter eingetragen iſt5)§. 36 Abſ. 4. Die Feſtungskommandantur iſt nach §. 12 verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß Beſitzveränderungen der Grundſtücke im Kataſter nachgetragen werden. Unterläßt ſie dies und wird in Folge deſſen die Rente an einen Unberechtigten ausgezahlt, ſo iſt ſie dem Rentenberechtigten zur Schad - loshaltung verpflichtet. Vgl. auch Seydel a. a. O. S. 1080.. Inwieweit anderen Realberech - tigten, insbeſondere Pfandgläubigern, Nießbrauchsberechtigten, Mit - eigenthümern u. ſ. w., Rechte an der Entſchädigung zuſtehen, iſt nach Maßgabe der im concreten Falle beſtehenden Rechtsverhält - niſſe nach den Landesgeſetzen zu beurtheilen6)§. 37 des Geſ.. Hierbei iſt davon auszugehen, daß von den ſechs Prozent der Entſchädigungsſumme, welche als Rente gezahlt werden, fünf Prozent als Verzinſung393§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.(d. h. Nutzung) anzuſehen ſind1)Geſ. §. 36 Abſ. 3., während das ſechſte Prozent zur Amortiſation dient d. h. als Vergütung für die eingetretene Verminderung der Vermögensſubſtanz gilt. In demſelben Ver - hältniß wird daher die Rente zu vertheilen ſein, wenn an dem Grundſtück das Recht an der Subſtanz und das Recht auf die Nutzungen verſchiedenen Subjekten zuſtehen.

V. Beſondere Vorſchriften für den Fall der Armi - rung.

1. Inhalt der beſonderen Verpflichtungen. Wenn die Armirung permanenter Befeſtigungen angeordnet wird, ſo treten zu den in non faciendo beſtehenden Eigenthumsbeſchrän - kungen Verpflichtungen zu einem poſitiven Thun hinzu. Die Be - ſitzer der in den Rayons belegenen Grundſtücke ſind nämlich ver - pflichtet zur Niederlegung von allen vorhandenen baulichen oder ſonſtigen Anlagen, zur Wegſchaffung von Materialien-Vorräthen, zur Beſeitigung von Pflanzungen und zur Einſtellung des Ge - werbebetriebes2)Geſ. §. 43..

2. Die Geltendmachung dieſer Verpflichtung erfolgt mittelſt einer Aufforderung der Kommandantur, welche an die Grundbeſitzer entweder ſchriftlich oder durch öffentliche Bekannt - machung zu richten iſt und in welcher die Friſt angegeben wird, innerhalb deren der Aufforderung genügt werden ſoll. Wenn ein Beſitzer dieſer Aufforderung nicht Folge leiſtet, ſo kann er durch adminiſtrative Zwangsmaßregeln hierzu angehalten werden3)ebendaſ.. Ad - miniſtrative Maßregeln ſtehen im Gegenſatz ſowohl zu gericht - lichen als auch zu militairiſchen und bedeuten ein Einſchreiten der Civilbehörden. Die Kommandantur hat alſo die Ortspolizeibehörde und erforderlichen Falles die höhere Verwaltungsbehörde zu requi - riren, damit dieſe Behörden einen Zwang gegen die Beſitzer der Grundſtücke zur Anwendung bringen.

Sobald die Freilegung des Feſtungsrayons von der Kom - mandantur angeordnet wird, hat die letztere vor der Beſeitigung der baulichen und ſonſtigen Anlagen, Pflanzungen u. dgl. eine394§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.Beſchreibung und nähere Feſtſtellung des Zuſtandes zu veranlaſſen. Die Feſtſtellung erfolgt durch die Ortsobrigkeit unter Zuziehung des Beſitzers, eines Vertreters der Kommandantur und zweier Sachverſtändigen. Die darüber aufgenommene Verhandlung wird von der Ortsobrigkeit der höheren Verwaltungsbehörde überreicht; ſowohl der Kommandantur als den Betheiligten (Grundbeſitzern) wird eine Abſchrift ertheilt. Ueber die ſtattgefundene Zerſtörung oder Entziehung ſtellt die Kommandantur dem davon betroffenen Beſitzer eine Beſcheinigung aus1)§. 44 Abſ. 1 u. 2..

3. Eine Entſchädigung für die Demolirung oder Be - ſeitigung von Bauten und Anlagen iſt nicht in allen Fällen zu gewähren. Zunächſt iſt ein Entſchädigungs-Anſpruch nicht be - gründet für alle vor Eintritt der Geltung dieſes Geſetzes d. h. vor dem 12. Januar 18722)in Elſaß-Lothringen vor dem 14. März 1872. vorhandenen Gebäude und Anlagen, welche nach der bisherigen Geſetzgebung oder in Folge beſonderer Rechtstitel die Beſitzer auf Befehl der Kommandantur unentgelt - lich zu beſeitigen verpflichtet waren3)§. 44 Abſ. 5 Ziff. 1.. Denn durch das Rayon - geſetz iſt an dieſer Verpflichtung eine Aenderung nicht eingetreten4)Vgl. auch §. 34 Ziff. 1 und 4 und §. 25 Abſ. 2. (Beibehaltung der Reverſe, durch welche ſich die Unternehmer zur unentgeldlichen Beſeitigung ver - pflichteten. Kommiſſionsbericht des Reichst. S. 16.). Für die Bauten und Anlagen, welche innerhalb der alten d. h. vor Geltung des Rayongeſetzes bereits vorhandenen Rayons er - richtet ſind, wird demnach eine Demolirungs-Entſchädigung nur dann gewährt, wenn die Bauten entweder ſchon vor dem 12. Jan. 1872 ohne die Verpflichtung der Beſitzer zur unentgeldlichen Be - ſeitigung derſelben beſtanden haben5)Es genügt hierfür, daß der Bau zu dieſem Zeitpunkt ſchon begonnen hatte. Erl. der R. R.Kommiſſ. v. 13. Sept. 1875. (Milit. Geſ. Thl. I Abth. III S. 221.) oder wenn ſie nach dem 12. Januar 1872 genehmigt und hergeſtellt worden ſind6)Vgl. Inſtruction zu §. 44.. Für die neuen Rayons dagegen iſt der Geſichtspunkt maßgebend, daß durch die für die Eigenthumsbeſchränkungen gezahlte Entſchädigung der Grundbeſitzer bereits dafür ſchadlos gehalten worden iſt, daß395§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.er neue Bauten und Anlagen nicht herſtellen darf; wenn er deſſen - ungeachtet mit Genehmigung der Kommandantur dies thut, ſo kann er daraus nicht nochmalige Entſchädigungs-Anſprüche herleiten, ſondern er trägt die Gefahr der im Falle der Armirung eintreten - den Nothwendigkeit zur Wiederbeſeitigung der Anlagen. Der Ent - ſchädigungs-Anſpruch iſt daher begründet für alle Bauten und Anlagen im dritten Rayon falls deren Beſeitigung verlangt wird , da für die geſetzlichen Beſchränkungen im 3. Rayon Ent - ſchädigung nicht gewährt wird1)§. 38 Abſ. 1.; und ferner für alle Bauten und Anlagen in den andern Rayons, wenn dieſelben bei Abſteckung der Rayonlinien ſchon vorhanden waren; denn die Entſchädigung wird nur gewährt für das Verbot, neue Bauten und Anlagen herzu - ſtellen und Veränderungen des Terrains vorzunehmen, nicht für die möglicher Weiſe nothwendig werdende Demolirung bereits vor - handener Bauten und Anlagen. Eine Entſchädigung kann dagegen nicht verlangt werden für ſolche Bauten in neuen Rayons, welche erſt nach erfolgter Abſteckung der Rayonlinien errichtet worden ſind entweder im erſten oder zweiten Rayon oder in einem Zwiſchen - rayon oder auch auf einem Terrain, welches in Folge des Neu - oder Verſtärkungsbaues einer ſchon beſtehenden Feſtung in einen ſtrengeren Rayon fällt2)§. 44 Abſ. 5 Ziff. 2..

Die Feſtſtellung der Entſchädigung für Demolirung erfolgt nach denſelben Regeln wie die Ermittlung der Entſchädigung für die geſetzlichen Rayonbeſchränkungen. Sie ſoll ſo bald als mög - lich ſtattfinden, ſpäteſtens ſofort nach Aufhebung des Armirungs - zuſtandes der Feſtung. Die Entſchädigung wird nicht baar aus - gezahlt, ſondern das Reich ſtellt wie bei der Vergütung für Kriegsleiſtungen Anerkenntniſſe über die Entſchädigungs - ſumme aus, welche vom erſten Tage des auf die ſtattgefundene Zerſtörung oder Entziehung folgenden Monates bis zur Auszah - lung mit fünf Procent jährlich verzinst wird3)§. 44 Abſ. 3 u. 4..

4. Von der Entſchädigung zu unterſcheiden ſind die Koſten der Demolirung und Beſeitigung. Zwar gilt für beide inſofern der gleiche Rechtsſatz, als das Reich die Koſten der Beſeitigung396§. 95. Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen.nur für ſolche Gebäude und Anlagen trägt, für welche es auch Entſchädigung zu leiſten hat, während die Demolirungskoſten der ohne Anſpruch auf Entſchädigung zu beſeitigenden Bauten und Anlagen den Beſitzern zur Laſt fallen1)§. 44 Abſ. 6.. Dagegen beſteht keine Verpflichtung der Beſitzer, den Erſatz der Koſten in verzinslichen Anerkenntniß-Scheinen anzunehmen, ſondern es ſind ihnen die zum Zweck der Freilegung des Feſtungsrayons gemachten Auslagen und Verwendungen aus den baaren Beſtänden der Feſtungskaſſe zu erſetzen.

About this transcription

TextDas Staatsrecht des Deutschen Reiches
Author Paul Laband
Extent406 images; 126354 tokens; 13555 types; 965214 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDas Staatsrecht des Deutschen Reiches Dritter Band. Erste Abtheilung Paul Laband. . [2] Bl., 396 S. LauppTübingen1880.

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MPI f. europäische Rechtsgeschichte Frankfurt MPIER, Dt 27 k 5 [3,1]

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Jura; core; ready; china

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ShelfmarkFrankfurt MPIER, Dt 27 k 5 [3,1]
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