PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Das Staatsrecht des Deutſchen Reiches.
Dritter Band. Erſte Abtheilung.
Tübingen,1880. Verlag der H. Laupp’ſchen Buchhandlung.
[II]

Druck von H. Laupp in Tübingen.

[III]

Inhalts-Verzeichniß.

  • Zehntes Kapitel. Die bewaffnete Macht des Reiches.
  • I. Abſchnitt. Verfaſſungsrechtliche Grundlagen.
  • Seite
  • Seite
  • §. 77. Allgemeine Prinzipien1
  • §. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen12
  • §. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches35
  • §. 80. Die Gemeinſchaft der Laſten und Ausgaben für die bewaffnete Macht48
  • §. 81. Die Militairhoheitsrechte der Einzelſtaaten59
  • §. 82. Die Feſtungen und Kriegshäfen72
  • II. Abſchnitt. Die Organiſation und Gliederung der bewaffneten Macht.
  • §. 83. Das ſtehende Heer79
  • §. 84. Die Landwehr98
  • §. 85. Der Landſturm103
  • §. 86. Die Militairverwaltung104
  • §. 87. Die Kriegsmarine130
  • III. Abſchnitt. Der Militairdienſt.
  • §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht136
  • §. 89. Die freiwillig übernommene Militairdienſtpflicht209
  • §. 90. Einfluß des Militairdienſt-Verhältniſſes auf andere Rechtsver - hältniſſe252
  • §. 91. Die Verſorgung der Militairperſonen und ihrer Hinterbliebenen274
  • IV. Abſchnitt. Die Militairlaſten.
  • §. 92. Begriff und allgemeine Rechtsſätze311
  • §. 93. Die Friedensleiſtungen318
  • §. 94. Die Kriegsleiſtungen342
  • §. 95. Die Beſchränkungen des Grundeigenthums im Rayon der Feſtungen372
[IV]

Berichtigungen.

  • S. 30 letzte Zeile fehlt hinter 31. Oktober die Jahreszahl 1866 .
  • S. 42 Z. 3 iſt ſtatt Landesrath zu leſen Bundesrath .
  • S. 46 Z. 21 iſt ſtatt Art. 29 und 30 zu leſen Art. 27 und 28 .
    • Z. 22 iſt ſtatt Juni zu leſen Mai .
    • Note 2 iſt hinzuzufügen, daß in Elſaß-Lothringen, ſo lange das Reichs - preßgeſetz daſelbſt nicht zur Einführung gelangt, ſtatt des letzteren Art. 1 des franzöſ. Geſ. v. 11. Mai 1868 bei Verhängung des Be - lagerungszuſtandes außer Kraft zu ſetzen ſein würde.
  • S. 120 Note 3 iſt hinzuzufügen, daß auch auf die in Elſ. -Lothr. ſtehenden Württemb. und Bayeriſchen Truppen die Preuß. Milit. -Strafgerichts - Ordn. keine Anwendung findet. Geſ. v. 6. Dezember 1873 §. 1 Abſ. 2. (Geſetzbl. f. Elſ. -Lothr. S. 331.)
  • S. 128 letzte Zeile fehlt hinter Culm das Wort Potsdam .
  • S. 132 Note 2 iſt ſtatt 1878 / 80 zu leſen 1879 / 80 .
  • S. 135 Note 1 iſt ſtatt 1874 S. 44 zu leſen 1872 S. 41 .
  • S. 161 Note 4 iſt ſtatt §. 13 Abſ. 3 zu leſen §. 13 Abſ. 4 .
  • S. 189 vorletzte Zeile fehlt das Citat: Milit. Geſ. §. 50 Abſ. 3 .
  • S. 232 Note 1 iſt ſtatt §. 19 Ziff. 6 zu leſen §. 19 Ziff. b .
  • S. 234 Z. 18 iſt ſtatt darauf zu leſen darüber .
  • S. 253 Z. 17 iſt ſtatt des Geſetzes f. Elſ. -Lothr. v. 23. Nov. 1872 zu citiren das Geſ. v. 6. Dezemb. 1873. (Geſetzbl. f. Elſ. -Lothr. 1873 S. 331.)
    • Note 2 iſt ſtatt 1872 zu leſen 1871 .
    • Note 7 Ziff. 1 iſt nach §§. die Ziffer 50 hinzuzufügen.
  • S. 255 Note 3 iſt ſtatt §. 15 Abſ. 8 zu leſen §. 15 Abſ. 3 .
[1]

Zehntes Kapitel. Die bewaffnete Macht des Reiches*)Literatur. Die Militair-Geſetze des Deutſchen Reiches mit Erläuterungen herausgegeben auf Veranlaſſung des Kgl. Preuß. Kriegs - miniſteriums. Berlin, Mittler und Sohn. 1877. 78. 6 Abtheilungen, welche 2 Bände bilden. Dieſes Buch iſt das beſte Werk, welches die deutſche Militair - rechts-Literatur bisher beſitzt; die Erläuterungen zeichnen ſich ebenſoſehr durch Kürze wie durch Umſicht und Sachkenntniß aus. Karl v. Helldorff. Dienſtvorſchriften der Königl. Preuß. Armee. 4 Thle. in zahlreichen Abtheilungen. Die dritte Aufl. dieſes trefflichen Werkes iſt noch nicht vollendet, inzwiſchen iſt von Thl. 1 Abth. 1. die 4. Aufl. (Berlin 1879. A. Bath. ) erſchienen. v. Brieſen. Das Reichskriegsweſen und die preuß. Militair-Geſetzgeb. Düſſeldorf 1872. A. Frölich. Die Verwaltung des deutſchen Heeres. 2 Bde. 4. Aufl. Berlin 1875. Dazu zwei Ergänzungshefte. Berlin 1876. 1877. H. v. Löbell. Jahresberichte über die Veränderungen und Fortſchritte im Militairweſen. Seit 1874 jährlich ein Band. Berlin, Mittler und Sohn. Hervorzuheben iſt hier beſonders die Abhandlung Bd. I S. 1 ff. H. Blankenburg. Das Heerweſen des deutſchen Reichs. In v. Holtzen - dorff’s Jahrb. f. Geſetzgeb., Verwaltung und Rechtspfl. d. D. R. B. I S. 379 ff. Thudichum. Die Grundlagen der heutigen deutſchen Kriegsverfaſſung. Ebenda Bd. II S. 87 ff. Vgl. auch deſſelben Verfaſſers Verfaſſungsrecht des Nordd. Bundes. Tübingen 1870 S. 368 ff. Seydel. Das Kriegsweſen des deutſchen Reichs, in Hirth’s Annalen des deutſchen Reichs. 1874 S. 1035 ff., 1875 S. 53 ff. 1081 ff. 1393 ff. Ferner v. Rönne das Staatsr. des deutſchen Reichs. II, 2 S. 111 fg..

Erſter Abſchnitt. Verfaſſungsrechtliche Grundlagen.

§. 77. Allgemeine Prinzipien.

Nach dem Eingang der Reichsverfaſſung iſt das Reich ge - gründet zum Schutz des Bundesgebietes und des innerhalb des -Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 12§. 77. Allgemeine Prinzipien.ſelben gültigen Rechtes ; dem Reiche müſſen daher die zur Er - füllung dieſer Aufgabe erforderlichen ſtaatlichen Machtmittel zur Verfügung ſtehen. Die völkerrechtliche Stellung des Reiches als politiſche Einheit wäre praktiſch bedeutungslos ohne Zuſammen - faſſung und einheitliche Organiſation der im Reiche vorhandenen Streitkräfte; die Willensacte des Reiches ſowohl im internationalen Verkehr mit auswärtigen Mächten als auch in Ausübung der ſtaat - lichen Funktionen im Innern würden der Energie und Würde ent - behren, wenn das Reich nicht im Stande wäre, denſelben durch Entfaltung phyſiſcher Kraft Nachdruck zu geben. Alle Schriftſteller über das Weſen und die Einrichtungen des Bundesſtaates waren von jeher darüber einig, daß ſowie die völkerrechtliche Vertretung und die Wahrnehmung der internationalen Intereſſen ſo auch die Ordnung des Heerweſens und der Oberbefehl über die bewaffnete Macht zur Kompetenz der Bundesgewalt gehöre. Auch die Reichs - verfaſſung erkennt dieſes Prinzip an, welches durch die Natur der Sache von ſelbſt geboten iſt, und ſie ſichert nach allen Richtungen die thatſächliche Durchführung deſſelben. Die ſtaatsrechtliche Ge - ſtaltung aber, welche dieſe Durchführung gefunden hat, die formell juriſtiſche Form, in welche die Rechte des Reiches auf dem Gebiete des Heerweſens gebracht worden ſind, gehört zu den eigenthüm - lichſten und ſonderbarſten Gebilden des öffentlichen Rechts. Die herrſchende Theorie, welche das Weſen des Bundesſtaates darin erblickt, daß ein Theil der ſtaatlichen Thätigkeit ganz und aus - ſchließlich unter die ſouveräne Gewalt des Bundes, der andere Theil ebenſo vollſtändig und ausſchließlich unter die ſouveräne Gewalt der Einzelſtaaten fällt1)Vgl. Bd. I S. 73 fg., erweiſt ſich zwar auf ſämmtlichen Gebieten des Reichsrechts als falſch und undurchführbar, kaum irgendwo tritt dies aber klarer zu Tage als beim Heerweſen; denn grade hier ſind die Sphären der Reichsgewalt und der Gliedſtaatsgewalt in einer ſolchen Weiſe mit einander verknüpft und verſchlungen, daß von einer völligen Trennung derſelben nur ſolche Schriftſteller reden können, welche die Fähigkeit beſitzen,*)und G. Meyer Lehrb. des deutſchen Staatsr. S. 509 ff. Die Schrift von Lor. v. Stein, Die Lehre vom Heerweſen. Als Theil der Staatswiſſen - ſchaft. Stuttg. 1872. behandelt nicht das poſitive Staatsrecht.3§. 77. Allgemeine Prinzipien.gegen die wirklich beſtehenden Einrichtungen und die wahre Natur der Dinge feſt die Augen zu verſchließen.

Die Eigenthümlichkeiten des deutſchen Militairrechts beruhen nicht auf rationellen Gründen, auf allgemeinen Rechtsprinzipien oder auf ſachlichen (techniſchen) Erwägungen, ſondern lediglich auf hiſtoriſchen Urſachen, auf der Art und Weiſe, wie die Grün - dung des Reiches ſich vollzogen hat, und auf dem Zuſtande des Heerweſens, den das Reich bei ſeiner Entſtehung als thatſächlich gegeben vorgefunden hat. Denn das, was der Militairverfaſſung des deutſchen Reiches einen ſo eigenartigen, ja man kann faſt ſagen abſonderlichen, Charakter verleiht, iſt nicht die conſequente Durch - führung eines eigenthümlichen ſtaatsrechtlichen Grundſatzes, ſondern der Mangel eines einheitlichen Prinzips, indem ſowohl für die ver - ſchiedenen Theile der bewaffneten Macht als für die verſchiedenen Territorien, aus denen ſich das Bundesgebiet zuſammenſetzt, ganz ver - ſchiedene Rechtsſätze beſtehen. Insbeſondere kommt für die Marine ein anderes Grundprinzip zur Anwendung wie für das Heer, und rückſichtlich des Heeres kann man behaupten, daß die in der R.V. enthaltene Regelung des Verhältniſſes zwiſchen Reich und Einzel - ſtaat nirgends im ganzen Reiche unveränderte Geltung hat und auch von Anfang an gar nicht haben ſollte; denn ſchon bei der Feſtſtellung der Norddeutſchen Bundesverfaſſung und der Reichs - verfaſſung wurde durch vertragsmäßige Vereinbarungen für alle Einzelſtaaten ein Zuſtand herbeigeführt, der für einige derſelben eine Erweiterung, für die meiſten eine Beſchränkung, für alle eine Veränderung der verfaſſungsmäßigen Befugniſſe darſtellt. Die Reichsverfaſſung enthält demnach gleichſam ein Idealrecht, welches nirgends verwirklicht iſt, das vielmehr nur die Normallinie bildet, um welche ſich die thatſächlich in Geltung ſtehenden Regeln in mancherlei Windungen ziehen.

Als der norddeutſche Bund gegründet wurde, war unter allen Staaten, welche ſich zu demſelben vereinigten, nur ein einziger, der eine Kriegsmarine hatte, nämlich Preußen. Es war daher nicht die mindeſte Schwierigkeit vorhanden, die Preuß. Kriegsmarine nebſt dem dazu gehörigen Inventar, Häfen, Werften u. ſ. w. dem Bunde zu überweiſen, die Koſten ihrer Erhaltung, Vergrößerung, Verwaltung auf den Bundesetat zu übernehmen, den Oberbefehl dem Könige von Preußen, der ja zugleich Präſident des Bundes1*4§. 77. Allgemeine Prinzipien.war, uneingeſchränkt zu laſſen und die mit der Verwaltung betraute Behörde zur Bundesbehörde zu erklären. Der Eintritt der ſüd - deutſchen Staaten in den Bund bot begreiflicher Weiſe keinen An - laß, in dieſer Beziehung eine Aenderung vorzunehmen. Hinſicht - lich der Marine beſteht daher ein ſehr einfacher und durchgreifender Grundſatz; ſie iſt ausſchließlich Reichs-Angelegenheit; ſie iſt in Wahrheit einheitlich; die Einzelſtaaten ſind als ſolche völlig unbe - theiligt; Geſetzgebung, Verwaltung, Oberbefehl, Dienſtherrlichkeit ſtehen einzig und allein dem Reiche, reſp. dem Kaiſer zu. Für keinen Verwaltungszweig iſt die Emancipation des Reiches von den Einzelſtaaten vollſtändiger durchgeführt wie für die Marine. Dagegen waren alle zum norddeutſchen Bunde beziehentlich zum Deutſchen Reiche ſich vereinigenden Staaten von Alters her im Beſitze militairiſcher Streitkräfte und in der durchaus ſelbſtſtändigen Ausübung der militairiſchen Hoheitsrechte. Der ehemalige deutſche Bund beſchränkte die Militairhoheit der deutſchen Staaten ebenſo - wenig, wie er im Uebrigen ihrer Souveränetät Abbruch that; er begründete nur eine Verpflichtung aller deutſchen Staaten zu gegenſeitigem Schutz und Beiſtand d. h. zur Vereinigung ihrer Truppen im Falle eines gemeinſchaftlichen Krieges zu einer com - binirten Heeresmacht, der ſogen. Bundesarmee. In Folge dieſer völkerrechtlichen Verpflichtung, welche eine der weſentlichſten Seiten des Bundesverhältniſſes bildete, verabredeten die deutſchen Staaten in der Form von Bundesbeſchlüſſen gewiſſe allgemeine Grundzüge der Heeresorganiſation und ſie ſetzten eine nach der Bevölkerungs - zahl bemeſſene Präſenzſtärke feſt, zu deren Bereithaltung die ein - zelnen Staaten ſich gegenſeitig verbindlich machten. Sie einigten ſich ferner über Errichtung, Erhaltung und Beſetzung gewiſſer im gemeinſchaftlichen Intereſſe der Landesvertheidigung nothwendigen Feſtungen. Den Inbegriff dieſer Verabredungen (Bundesbeſchlüſſe) bezeichnete man mit dem Namen Bundeskriegsverfaſſung ; die - ſelben waren in jeder Beziehung ungenügend, um eine wirkliche Uebereinſtimmung in der Formation, Bewaffnung und Ausbildung der einzelnen Kontingente herbeizuführen, um das Gefühl der Zu - ſammengehörigkeit, gleichmäßiger Kriegstüchtigkeit und ſolidariſcher Verantwortlichkeit zu ſtärken, um ein einheitliches Zuſammenwirken der combinirten Heereskörper im Falle eines Krieges zu ſichern, endlich um die Laſten des Heerweſens auf die geſammte Bevölke -5§. 77. Allgemeine Prinzipien.rung Deutſchlands gleichmäßig zu vertheilen. Schon lange vor dem Zuſammenbruch des Bundes war die Preußiſche Regierung eifrig und unabläſſig bemüht eine Verbeſſerung des Bundesmilitair - weſens herbeizuführen; dieſe Beſtrebungen waren aber ohne erheb - lichen Erfolg.

Auch bei der im Jahre 1866 von Preußen beantragten Bundes - reform ſtand die Reviſion der Bundeskriegsverfaſſung in erſter Reihe; die Vorſchläge der Preußiſchen Regierung vom 11. Mai 18661)Vgl. Bd. I S. 12. enthielten die Forderung einer Conſolidirung der mili - tairiſchen Kräfte Deutſchlands für Feldarmee - und Feſtungsweſen aus dem Geſichtspunkte einer beſſeren Zuſammenfaſſung der Ge - ſammtleiſtung, ſo daß deren Wirkung gehoben und die Leiſtung des Einzelnen möglichſt erleichtert wird. Die Geſichtspunkte, von denen die Preuß. Regierung bei ihren Anträgen auf Reform der alten Bundeskriegsverfaſſung ausgegangen iſt, wurden dann bei den Vorſchlägen zur Gründung eines neuen Bundesverhältniſſes feſtgehalten. In den Grundzügen zu einer neuen Bundesver - faſſung vom 10. Juni 18662)Vgl. Bd. I S. 13 fg. Art. IX ſind dieſelben näher aus - geführt und die hier präciſirten Vorſchläge ſind abgeſehen von der damals beabſichtigten Theilung der Landmacht des Bundes in eine Nordarmee unter Preußiſchem und in eine Südarmee unter Bayeriſchem Oberbefehl im Weſentlichen in die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes übergegangen. Sie knüpfen an das be - ſtehende Recht an und nehmen die Fortexiſtenz der Armeen der ein - zelnen Staaten als getrennter, von einander unabhängiger Kontin - gente zur Vorausſetzung; von dem Gedanken einer Verſchmelzung dieſer Kontingente zu einer einheitlichen Bundesarmee findet ſich nicht die leiſeſte Andeutung. Nach den Grundzügen vom 10. Juni 1866 ſoll jede Regierung die Verwaltung ihres Kontingents ſelbſt führen, die erforderlichen Auslagen vorbehaltlich gemeinſamer Ab - rechnung leiſten, die Offiziere des eigenen Kontingentes ernennen. Der Bundes-Oberfeldherr ſoll das Recht und die Pflicht haben, dafür Sorge zu tragen, daß die bundesbeſchlußmäßigen Kontingente vollzählig und kriegstüchtig vorhanden ſind und daß die nothwendige Einheit in der Organiſation, Formation, in Bewaffnung und Com -6§. 77. Allgemeine Prinzipien.mando, in der Ausbildung der Mannſchaften, ſowie in der Quali - fikation der Offiziere hergeſtellt wird; er ſoll die Befugniß haben diejenigen Kommando’s, unter welchen mehr als ein Kontingent ſteht, zu beſetzen; er ſoll die kriegsbereite Aufſtellung jedes Theils der Bundesarmee anordnen dürfen und die Bundesregierungen ſollen ſich verpflichten, eine ſolche Anordnung in Betreff ihrer Kontingente unverzüglich auszuführen. Für das Bundesheer ſoll ein gemeinſchaftliches Militairbudget mit der Nationalvertretung vereinbart werden; die Ausgaben ſollen durch Matrikularbeiträge der Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung gedeckt werden; Er - ſparniſſe ſollen nicht der einzelnen Regierung, welche ſie macht, ſondern dem Bundeskriegsſchatze zufallen. Die Wortfaſſung der geltenden Reichsverfaſſung zeigt an vielen Stellen ihre Abſtammung aus jenen Grundzügen vom 10. Juni 1866; die Anordnungen der R.V. ſind zwar ſehr viel genauer und vollſtändiger, in keiner Be - ziehung aber prinzipiell verſchieden.

Als oberſtes Prinzip der Militairverfaſſung des deutſchen Reiches iſt daher der Satz feſtzuhalten: Es giebt kein Heer des Reiches, ſondern nur Kontingente der Einzel - ſtaaten. Wenn der Art. 63 der Reichsverf. den Satz an die Spitze ſtellt: die geſammte Landmacht des Reichs wird ein ein - heitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehl des Kaiſers ſteht , ſo hat dies einen völlig anderen juriſti - ſchen Sinn, als wenn der Art. 53 der Reichsverf. ſagt: die Kriegsmarine des Reichs iſt eine einheitliche unter dem Ober - befehl des Kaiſers. Die Einheit der Kriegsmarine iſt eine innere untheilbare, durch Begriff und Weſen gebotene, die Reichsarmee dagegen iſt eine zuſammengeſetzte Einheit; die Einheitlichkeit der Landmacht des Reiches hebt die geſonderte Exiſtenz der Contingente der einzelnen Staaten nicht auf, ſondern ſie bedeutet lediglich das Band, welches dieſe verſchiedenen Kontingente zuſammenhält. Die Einheit iſt bei der Marine Conſequenz, bei dem Heer Modifikation des Grundprinzips. Die Contingente der einzelnen Bundesſtaaten werden zum einheitlichen Heere zuſammengefaßt durch drei, unten noch näher zu erörternde Einrichtungen, nämlich durch den Ober - befehl des Kaiſers in Krieg und Frieden, durch die völlig über - einſtimmende gleichmäßige Organiſation, Bewaffnung, Ausbildung u. ſ. w. und durch die Beſtreitung der geſammten Koſten aus7§. 77. Allgemeine Prinzipien.Reichsmitteln. Die ſtrenge Durchführung dieſer 3 Sätze hat aller - dings den Erfolg, daß die aus den Kontingenten der Einzelſtaaten zuſammengeſetzte Armee im militairiſch-techniſchen Sinne eine ein - heitliche iſt, denn die Heereskörper, aus denen die Einheit ſich combinirt, ſind materiell gleichartig; mag dies aber in noch ſo hohem Grade erreicht werden, mögen die verſchiedenen Kontingente als ununterſcheidbare Beſtandtheile einer durchweg gleichmäßigen Armee erſcheinen, formell juriſtiſch bleibt der Grundſatz beſtehen, daß eine Reichsarmee nicht exiſtirt, ſondern daß dies nur eine Collektivbezeichnung iſt, um die Contingente der einzelnen Bundes - ſtaaten zuſammenzufaſſen.

Dieſem Prinzip ſteht nun aber ein zweites, nicht minder wich - tiges zur Seite: die Einzelſtaaten haben zwar Truppen, aber die ihnen zuſtehende Militairhoheit iſt keine ſouveräne. Sowie die Souverainetät der Gliedſtaaten durch die Unterordnung unter die Reichsgewalt im Allgemeinen aufgehoben iſt1)Vgl. Bd. I §. 9 u. 10., ſo auch insbeſondere hinſichtlich des Militairweſens. Kein Staat iſt befugt, ſeine Armee nach eigenem Belieben zu organiſiren, zu bewaffnen, auszubilden u. ſ. w., ſondern das Reich ertheilt die Vorſchriften, nach denen dies geſchehen muß. Die Wehrpflicht der Bevölkerung, die Rekrutirung, die Qualifikation und das Dienſtrechtsverhältniß der Offiziere, der Einfluß des Militärverhältniſſes auf andere Rechtsverhältniſſe, das Militair-Strafrecht, - Prozeß, - Disciplinar - recht, die Verpflegung und Ausrüſtung, die Militairlaſten u. ſ. w., mit einem Worte die geſammte Einrichtung des Heerweſens wird vom Reich normirt; Geſetzgebung und im praktiſchen Reſultat auch die Verordnungsgewalt in Armeeangelegenheiten werden vom Reich ausgeübt. Die Einzelſtaaten ſind formell die Subjecte der Mili - tairhoheit, aber Inhalt und Umfang derſelben beſtimmt das Reich; jeder einzelne Staat hat (nach der Reichsverf. ) eine Armee für ſich, aber nicht nach eigenem Belieben, ſondern nur eine ſo be - ſchaffene, wie das Reich ihm erlaubt und wie das Reich ihm be - befiehlt. Ferner: die Landesherren ſind die Kontingentsherren, Mannſchaften und Offiziere ſtehen zu ihnen im militairiſchen Dienſt - verhältniß, ſind ihnen zu militairiſcher Treue verbunden und leiſten ihnen den Fahneneid; aber der Kaiſer hat den Oberbefehl, das8§. 77. Allgemeine Prinzipien.Recht auf Gehorſam, das Recht die oberſten Kommando’s zu be - ſetzen und die Befugniß, die einzelnen Kontingente zu inſpiziren und die Abſtellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen. Die Kontingente ſind formell Machtmittel der Einzelſtaaten, ma - teriell Machtmittel des Reiches; ſie gleichen einem Vermögen, das dem Einen gehört, über das der Andere aber die Verfügung hat. Endlich ſteht den Einzelſtaaten zwar die Verwaltung ihrer Kontingente zu, aber dieſelbe iſt eine durchaus unfreie; ſie iſt nach den vom Reich gegebenen Geſetzen, Verordnungen und Reglements, nach den vom Kaiſer erlaſſenen Befehlen und nach Maßgabe der im Reichshaushaltsgeſetz feſtgeſtellten Etats zu führen. Die Einzel - ſtaaten leiſten (nach der R.V.) die für ihre Kontingente erforder - lichen Ausgaben, aber es ſteht ihnen kein Pfennig zur Verfügung, der ihnen nicht durch das Reichsbudget angewieſen iſt; ſie können keine Erſparniſſe machen, die ſie nicht der Reichskaſſe überlaſſen müßten; ſie haben nicht darüber zu befinden, welche Ausgaben zu leiſten oder zu unterlaſſen ſind, ſondern ſie ſind auf die Ausfüh - rung deſſen beſchränkt, was ihnen vorgezeichnet iſt.

Auf der Verbindung dieſer beiden Prinzipien beruht das Heerweſen des Deutſchen Reiches nach derjenigen Organiſation, welche gemäß der Reichsverfaſſung die normale iſt. Hiervon weicht aber der thatſächlich beſtehende Zuſtand ſehr erheblich ab. Zunächſt darf man nicht überſehen, daß die in der R.V. anerkannten Rechts - ſätze in Preußen eine völlig andere Wirkung äußern, wie in allen übrigen Bundesſtaaten: denn da der König von Preußen zugleich Kaiſer iſt, ſo wird die Theilung der Befugniſſe zwiſchen Landesherrn (Kontingentsherrn) und Kaiſer (Oberfeldherrn), welche die R.V. anordnet, hier nicht effectiv; ſie bleibt eine nominelle, wirkungsloſe; die quoad jus getrennten Befugniſſe fließen quoad exercitium wieder zuſammen. Daſſelbe gilt vom Reichslande, über welches der Kaiſer die Staatsgewalt ausübt. Nach der ent - gegengeſetzten Richtung entfernt ſich der für Bayern anerkannte Rechtszuſtand von dem verfaſſungsmäßigen Normalrecht, indem durch den in der R.V. beſtätigten Verſailler Vertrag vom 23. Nov. 1870 dem Könige von Bayern im Frieden der Oberbefehl über ſeine Armee und die Beſetzung ſämmtlicher Kommando’s in der - ſelben überlaſſen, die Fortgeltung der Bayeriſchen Militairgeſetze, Verordnungen, Reglements u. ſ. w. bis zur Aufhebung im Wege9§. 77. Allgemeine Prinzipien.der Reichsgeſetzgebung zugeſtanden, die Selbſtſtändigkeit der Armee - verwaltung, insbeſondere auch hinſichtlich der Aufſtellung der Special - etats, Rechnungscontrole u. ſ. w., gewährleiſtet worden iſt. Wenn man der Kürze wegen an dieſer Stelle die Rechte des Kaiſers als Oberbefehl, diejenigen des Landesherrn als Contingentsherrſchaft charakteriſirt, ſo laſſen ſich ſchon nach den vorſtehenden Ausfüh - rungen drei Gruppen unterſcheiden; in Preußen und dem Reichs - land ſind Oberbefehl und Kontingentsherrſchaft vereinigt in der Hand des Kaiſers, in Bayern ſind ſie (im Frieden) vereinigt in der Hand des Königs, in allen andern Staaten ſind ſie der Verfaſſung nach getrennt. Mit Ausnahme von Württemberg, Sachſen und Braunſchweig iſt dieſe Trennung aber auf einem Umwege beſeitigt, indem alle übrigen Staaten mit Preußen Conventionen abgeſchloſſen haben, durch welche ſie die Verwaltung ihrer Kontingente, die Er - nennung der Offiziere und Beamten und die meiſten anderen nach der R.V. ihnen zuſtehenden militairiſchen Hoheitsrechte dem Könige von Preußen zur Ausübung übertragen und ſich nur gewiſſe Ehren - rechte von geringer ſtaatsrechtlicher und politiſcher Bedeutung vor - behalten haben. Durch dieſe freiwillige Abtretung der in der Kon - tingentsherrlichkeit enthaltenen, durch die R.V. den Landesherren zuerkannten Rechte an den König von Preußen wird für dieſe Staaten thatſächlich derſelbe Zuſtand begründet, als hätte die Reichsverf. ihnen die Militairhoheit und die Verwaltung ihrer Kontingente gänzlich entzogen und das Heer ebenſo wie die Marine zur Inſtitution des Reiches gemacht. Für das Reich aber entſteht ein thatſächlich zwar ſehr einfacher, juriſtiſch aber ſehr com - plizirter Rechtszuſtand; denn das Reich als ſolches hat durch die erwähnten Conventionen kein weitergehendes Recht erlangt, als die Reichsverf. ihm zuſchreibt; alle von den Einzelſtaaten aufgegebenen Rechte ſind Preußen zugefallen; die Kontingente der erwähnten Einzelſtaaten ſind nicht Reichstruppen geworden, ſondern dem Preußiſchen Kontingente zugewachſen, ſie ſtehen nicht unter Ver - waltung des Reiches, ſondern unter Preußiſcher Verwaltung. Während die Reichsverfaſſung von dem Grundſatz ausgeht, daß es ſoviele Armee-Kontingente giebt, als Bundesglieder vorhanden ſind, iſt durch die Militairkonventionen der Effekt erzielt worden, daß nur 5 getrennte Kontingente vorhanden ſind, das Preußiſche, Baye - riſche, Württembergiſche, Kgl. Sächſiſche und Braunſchweigiſche. Das10§. 77. Allgemeine Prinzipien.Preußiſche Kontingent aber beſteht wieder aus Beſtandtheilen, deren Zugehörigkeit auf 3 verſchiedenen Gründen beruht; der Kaiſer iſt Kontingentsherr über die Preußiſchen Truppen kraft ſeines Mo - narchenrechts (jure proprio), über die elſaß-lothringiſchen Trup - pen kraft der Delegation der landesherrlichen Rechte Seitens des Reiches durch das Geſetz vom 9. Juni 1871 §. 3, über die Truppen der andern Staaten kraft der Ceſſion Seitens der Landesherren und Senate durch die Militairkonventionen.

Obwohl in der angegebenen Beziehung ſämmtliche Konventionen übereinſtimmen1)Selbſtverſtändlich mit Ausnahme der hier nicht in Rede ſtehenden Württembergiſchen und Sächſiſchen., ſo enthalten ſie doch im Uebrigen überaus mannig - fache und von einander abweichende Anordnungen, ſo daß ein völlig gleichheitlicher Rechtszuſtand auch in den mit Preußen hinſichtlich der Militairverwaltung verbundenen Gebieten durchaus nicht be - ſteht. Bei den betreffenden Lehren werden dieſe Beſtimmungen Erwähnung finden; hier iſt nur folgender Punkt von allgemeiner Bedeutung noch hervorzuheben. Die ehemaligen Bundeskontingente einiger Staaten ſind im Jahre 1867 gänzlich aufgelöſt worden, nämlich in Schwarzburg-Sondershauſen, Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, und in den 3 Hanſeſtädten. Dieſe Staaten gelten in militairiſcher Hinſicht als Preußen einverleibt; ihre Wehr - pflichtigen werden in Preußiſche Truppentheile eingeſtellt. In den andern Staaten dagegen ſind die Kontingente nur nach Preußiſchem Muſter reorganiſirt und in den Verband der Preußiſchen Armee aufgenommen worden; die Regimenter werden nach dem Staate, dem ſie angehören, benannt, tragen am Helm das Landes-Wappen und die Landeskokarde, ergänzen ſich vorzugsweiſe aus den Wehr - pflichtigen der betreffenden Staaten und haben Garniſonen in letz - teren erhalten. In den größeren Staaten, insbeſondere in Mecklen - burg, Heſſen und Baden iſt außerdem die Kontingentsgemeinſchaft der den betreffenden Staaten angehörigen Truppen gewahrt; die Heſſiſchen bilden eine geſchloſſene Diviſion, die Badiſchen ein Armee - corps für ſich und ſind als ſolche ein Beſtandtheil der Preußiſchen Armee2)Im Einzelnen weichen auch die Conventionen mit Baden, Heſſen und Mecklenburg nicht unerheblich von einander ab..

Mit Braunſchweig iſt eine Militairconvention zwar nicht11§. 77. Allgemeine Prinzipien.abgeſchloſſen worden und der Herzog übt im Allgemeinen die Rechte eines Kontingentsherrn aus, insbeſondere die Ernennung, Beförderung, Verabſchiedung der Offiziere; es ſind aber die Braun - ſchweigiſchen Truppen nicht nur ebenfalls nach dem Muſter der Preußiſchen formirt und in entſprechende taktiſche Verbände des Preußiſchen Heeres eingereiht und den Preußiſchen Kommandobe - hörden unterſtellt worden, ſondern es iſt auch das Braunſchweigiſche Kontingent ganz in die finanzielle Verwaltung und Abrechnung des Preußiſchen Heeres eingetreten1)Militairgeſetze des D. Reiches I S. 61..

Es bleiben demnach im Ganzen nur zwei Staaten übrig, auf welche die in der R.V. normirte Ordnung des Heerweſens, insbe - ſondere die hier anerkannte Theilung der ſtaatlichen Militair - hoheitsrechte zwiſchen Reich und Einzelſtaat wirklich Anwendung findet, nämlich die Königreiche Sachſen und Württemberg; und auch mit ihnen ſind Militairconventionen abgeſchloſſen worden, durch welche zwar nicht die prinzipiellen Grundlagen verändert, wohl aber die in der Reichsverfaſſung gezogenen Grundlinien der beiderſeitigen Kompetenz verſchoben worden ſind, in praktiſch minder erheblichem Grade zu Gunſten Sachſens, in bedeutenderem Maße zu Gunſten Württembergs.

Sowie hinſichtlich der Poſt - und Telegraphenverwaltung für den größten Theil des Bundesgebietes thatſächlich eine größere Einheitlichkeit und Concentration durchgeführt iſt, als die Reichs - verfaſſung anordnet, ſo iſt auch hinſichtlich des Heerweſens die Einheit thatſächlich weit über das in der Reichsverfaſſung beſtimmte Maß hinausgeführt. Die reichsverfaſſungsmäßigen Grund - lagen der Militairorganiſation laſſen ſich in dem Satze zuſammen - faſſen: Dem Reiche ſteht zu die einheitliche Ordnung und Einrichtung des Heeres, der Oberbefehl in Krieg und Frieden, die Feſtſtellung des Rekrutenbedarfs und des Ausgabe-Etats; den Einzelſtaaten iſt ver - blieben die Kontingentsherrlichkeit und die Selbſt - verwaltung.

Die in dieſem Satze zuſammengefaßten Momente werden nun im Einzelnen darzuſtellen ſein.

12§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres - Einrichtungen.

I. Die Militairgeſetzgebung.

Zur Zeit der Errichtung des Norddeutſchen Bundes hatte jeder deutſche Staat ſein beſonderes Militairrecht und ſeine beſon - dere Heeres-Organiſation. Dieſe Vielgeſtaltigkeit ſollte beſeitigt und durch eine einheitliche Regelung erſetzt werden; zu dieſem Zwecke wurden in die Verfaſſung zwei Sätze aufgenommen, Art. 4, Ziff. 14 und Art. 61, welche in die Reichsverfaſſung übergegangen ſind. Die erſte dieſer Beſtimmungen wies dem Bunde die Kompe - tenz zur Geſetzgebung über das Militairweſen und die Kriegs - marine ohne jede Beſchränkung zu und ſetzte ihn dadurch in den Stand, ein vollkommen einheitliches, formell gemein verbindliches, alle Seiten des Heerweſens vollſtändig regelndes Militairrecht zu ſchaffen. Für die Dauer war dieſe Befugniß des Bundes zwar völlig ausreichend und bedurfte keiner Ergänzung; für den Augenblick aber war ſie ungenügend und wirkungslos, da die Herſtellung einer umfaſſenden Bundes-Militairgeſetzgebung ein ſchwieriges, zeit - raubendes und von unvorherzuſehenden Hinderniſſen bedrohtes Werk war. Es war unmöglich, bis zur glücklichen Löſung einer ſo weit - reichenden legislatoriſchen Aufgabe die zahlreichen partikulären Militairordnungen fortgelten zu laſſen. Ueberdies kam es nicht darauf an, ein wirklich neues Militairrecht zu ſchaffen und eine neue Heeres-Einrichtung zu treffen. Man hatte vielmehr in Preußen eine muſtergültige, in Frieden und Krieg bewährte Organi - ſation, eine bis in das feinſte Detail ausgebildete und durch eine langjährige und reiche Praxis erprobte Armee-Verwaltung und eine in dem Rechtsbewußtſein und in den Lebensverhältniſſen des Volkes ſowie in den Traditionen der geſammten Staatsverwaltung feſtwurzelnde Militair-Rechtsordnung und Geſetzgebung. Es lag keine Veranlaſſung vor, an dieſer Ordnung des Heerweſens zu rütteln oder ſie in Frage zu ſtellen1)Der Gefahr, daß durch übereinſtimmende Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundes - rathes und Reichstages die Preußiſchen Militairgeſetze und Einrichtungen gegen den Willen Preußens Veränderungen erlitten, wurde dadurch vorgebeugt, daß im Art. 5 Abſ. 2 der B. Verf. dem Präſidium d. h. dem König von Preußen ein Veto eingeräumt wurde. Vgl. Bd. I S. 280. Bd. II S. 36.; was für den weitaus größten13§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.Theil des Bundes in Geltung ſtand, konnte auf den übrigen Theil ausgedehnt werden, zumal im Königr. Sachſen eine Reorganiſation der Armee ohnedies in Folge des Krieges von 1866 nothwendig war, die andern Bundesſtaaten aber zu klein waren, als daß ſie eine Militairgeſetzgebung von ſelbſtſtändiger Bedeutung hätten ſchaffen können.

Die ſofortige Herſtellung der Rechtseinheit im Bunde war daher zu erreichen, indem man den Geltungsbereich der Preußiſchen Geſetzgebung auf das ganze Bundesgebiet erſtreckte. Demgemäß verordnete der Art. 61 der B.V., daß in dem ganzen Bundesge - biete die geſammte Preußiſche Militairgeſetzgebung ungeſäumt ein - zuführen ſei, mit alleiniger Ausnahme der Militair-Kirchenordnung. Die hierdurch gewonnene Rechtseinheit ſollte aber in formeller Hinſicht nur eine proviſoriſche ſein; durch ein umfaſſendes Bundes - Militairgeſetz ſollte die definitive Codifikation des Militairrechts im verfaſſungsmäßigen Wege der Bundesgeſetzgebung erfolgen. Art. 61 Abſ. 2. Dem Geltungsgebiet der Preußiſchen und der Bundes - Militairgeſetzgebung trat Südheſſen durch die Militair-Convention vom 7. April 1867 Art. 2 hinzu1)Glaſer Archiv I Heft 3 S. 54. Thudichum Verfaſſungsr. des Nordd. Bundes S. 397 fg.; ferner Baden und Württem - berg durch die Bündnißverträge von Verſailles vom 15. Nov. 1870 und von Berlin vom 25. Nov. 18702)B. G.Bl. 1870 S. 650 654. Für Württemberg wurden in der Milit. Konv. v. 21 / 25. Nov. 1870 Art. 10 zwar einige Ausnahmen gemacht, indem gewiſſe Württembergiſche Geſetze und Einrichtungen vorerſt und bis zur Regelung im Wege der Bundesgeſetzgebung in Geltung verbleiben ſollten; dieſer Vorbehalt hat aber gegenwärtig, abgeſehen von der Milit. -Kirchenordnung, praktiſche Bedeutung nur noch hinſichtlich der Milit. -Strafgerichtsord - nung, da alle übrigen in dem Art. 10 aufgeführten Gegenſtände ſeither durch Reichsgeſetze geregelt worden ſind., endlich Elſaß-Lothringen durch das Geſetz vom 23. Januar 1872 (Geſ. Bl. f. Elſ. -Lothr. S. 83).

Für Bayern wurde dagegen durch den Bündnißvertrag vom 23. Nov. 1870 unter III §. 5 und durch die Schlußbeſtimmung zum IX. Abſchn. der R.V. ein anderer Grundſatz anerkannt. Die erſte der beiden oben erwähnten Vorſchriften der R.V., die im Art. 4 Ziff. 14 ſanctionirte unumſchränkte Kompetenz des Reiches zur Militairgeſetzgebung findet auch auf Bayern volle Anwendung;14§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.dagegen iſt die im Art. 61 der R.V. ausgeſprochene Regel hin - ſichtlich Bayerns ausgeſchloſſen. Die in Bayern zur Zeit der Er - richtung des Reiches in Geltung geweſene Militairgeſetzgebung nebſt den dazu gehörigen Vollzugs-Inſtruktionen, Verordnungen, Erläuterungen ꝛc. iſt in Kraft geblieben; die Einführung der be - reits vor dem Eintritte Bayerns in den Bund in dieſer Hinſicht erlaſſenen Geſetze und ſonſtigen Beſtimmungen in Bayern iſt von freier Verſtändigung d. h. von der Einwilligung der Bayeriſchen Regierung abhängig gemacht worden1)Vertrag vom 23. Nov. 1870 III §. 5 Ziff. I. ; nur das in den Art. 57 und 59 der R.V. anerkannte Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht hat für Bayern ſofort Geltung erhalten.

Sonach bildet das Bundesgebiet ein einheitliches Rechts - gebiet nur hinſichtlich derjenigen Militairgeſetze, welche ſeit Errich - tung des Deutſchen Reiches erlaſſen worden ſind; hinſichtlich aller übrigen auf das Heerweſen bezüglichen Rechts - und Verwaltungs - vorſchriften dagegen zerfällt es in zwei Rechtsgebiete, welche man als die des Preußiſchen und des Bayeriſchen Rechts einander gegenüberſtellen kann2)Das ältere Bayeriſche Militairrecht iſt zum größten Theil codifizirt in dem Geſetz, betreffend die Wehrverfaſſung, vom 30. Januar 1868. Zu demſelben iſt ein ausführlicher Commentar erſchienen von M. Stenglein. Erlangen 1869. (In die Geſetzgebung des Kgr. Bayern ſeit Maximilian II. Thl. II Bd. 5.). Der Gegenſatz der beiden letz - teren hat aber mit der fortſchreitenden Ausbildung der Reichs - Militairgeſetzgebung und der allmälichen Umgeſtaltung der Bayeri - ſchen Heereseinrichtungen nach Preußiſchem Vorbilde ſeine praktiſche Bedeutung zum größten Theile eingebüßt.

Die Reichs-Militairgeſetzgebung hat einheitliches Recht ge - ſchaffen

  • 1. hinſichtlich der Wehrpflicht, der Organiſation des Heeres und der Rechtsverhältniſſe der Militairperſonen durch das Wehr - geſetz vom 9. Nov. 1867 (B. G.Bl. 1867 S. 131), eingeführt in Bayern durch Reichsgeſ. vom 24. Nov. 1871 (R. G.Bl. 1871 S. 398); das Militairgeſetz vom 2. Mai 1874 (R. G.Bl. 1874 S. 45)
    3)Daß gewiſſe in dieſem Geſetz dem Kaiſer zugewieſene Rechte für das Bayeriſche Kontingent vom König von Bayern ausgeübt werden, was im §. 72
    3), das Landſturmgeſetz vom 12. Februar 187515§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.(R. G.Bl. 1875 S. 63), und das Kontrolgeſetz vom 15. Febr. 1875 (R. G.Bl. 1875 S. 65).
  • 2. hinſichtlich der Penſionirung und Verſorgung der Militair - perſonen durch das Penſionsgeſetz vom 27. Juni 1871 (R. G.Bl. S. 275) und durch die Novelle hierzu vom 4. April 1874 (R. G.Bl. S. 25).
  • 3. hinſichtlich des Militair-Strafrechts durch das Militair - Strafgeſetzbuch vom 20. Juni 1872 (R. G.Bl. S. 173).
  • 4. hinſichtlich der finanziellen Militairlaſten durch das Quar - tierleiſtungsgeſetz vom 25. Juni 1868 (B. G.Bl. 523), ein - geführt in Bayern durch Reichsgeſ. vom 9. Febr. 1875 (R. G.Bl. S. 41), das Naturalleiſtungsgeſetz vom 13. Febr. 1875 (R. G.Bl. S. 52), das Kriegsleiſtungsgeſetz vom 13. Juni 1873 (R. G.Bl. S. 129) und das Feſtungsrayongeſetz vom 21. Dezember 1871 (R. G.Bl. S. 459).

II. Das Militair-Verordnungsrecht.

1. Umfang deſſelben.

Es iſt bereits oben Bd. II S. 210 fg. darauf hingewieſen worden, wie ſchwankend und unſicher die Grenze zwiſchen einer allgemeinen Verwaltungs-Anordnung und der Aufſtellung einer Rechtsregel iſt, wie eine Vorſchrift, die urſprünglich nur als In - ſtruction der Behörden und Beamten gegeben war, zu einem Satze der Rechtsordnung erhoben werden kann, und wie insbeſondere ſowohl die Form der Geſetzgebung zum Erlaß von Verwaltungs - vorſchriften als auch die Form der Verordnung zum Erlaß von Rechtsvorſchriften verwendbar iſt. Alle dieſe Sätze finden in her - vorragender Weiſe Anwendung auf das Militairweſen. Nach der geſchichtlichen Entwicklung deſſelben im ganzen mittleren Europa und insbeſondere im Preußiſchen Staate galt die Armee bis in dieſes Jahrhundert für eine Inſtitution, deren Ordnung und Lei - tung gänzlich dem unbeſchränkten Willen des Landesherrn unter - ſtellt war; man vermochte nicht, ſich den militairiſchen Oberbefehl zu denken ohne die Befugniß, die geſammte Einrichtung des Heeres3)dieſes Geſetzes eine ausdrückliche Anerkennung gefunden hat, ſchließt die ein - heitliche Geltung der objektiven Rechtsnormen dieſes Geſetzes für das ganze Reichsgebiet nicht aus. Das Gleiche gilt auch vom Landſturmgeſetz §. 9 und dem Kontrolgeſetz §. 9.16§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.in allen Beziehungen zu regeln; man hatte überdies der Armee eine ſo geſchloſſene und ſelbſtſtändige Verwaltung gegeben, daß dieſelbe innerhalb der übrigen ſtaatlichen Verwaltungen mit voller Unabhängigkeit fungirte, gleichſam ein Staat im Staate, ſo daß ſie von der Rechtsordnung, die rings um ſie her galt und von allen Veränderungen, welche die letztere erfuhr, unberührt blieb und ganz auf ſich ſelbſt geſtellt ſchien. Erſt durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurde die organiſche Verbindung zwiſchen der Heerverfaſſung und der eigentlichen Staatsverfaſſung wieder gewonnen und die Grundlage, auf welcher die ganze Wehr - verfaſſung ruhte, wieder zum Beſtandtheil der öffentlichen Rechts - ordnung gemacht. Denn der Natur der Sache nach kann die Ver - waltungs-Verordnung nur innerhalb des Verwaltungs-Apparates wirkſam werden; die Militair-Verordnung demnach nur innerhalb der Armee und hinſichtlich der zum militairiſchen Gehorſam ver - pflichteten Perſonen. Die Vorſchriften über die Dienſtpflicht der Unterthanen und über die Verpflichtung zu Vermögensleiſtungen für die Armee ſind daher ihrer Natur nach Rechtsvorſchriften und fallen in das Gebiet der Geſetzgebung im materiellen Sinne, weil es ſich bei ihnen nicht um Befehle an die zum militairiſchen Ge - horſam verpflichteten Perſonen handelt, ſondern um Befehle an Perſonen, die außerhalb des Armeeverbandes ſtehen. Dagegen unterlagen alle Interna der Armee, ſowohl was das dienſtliche Verhältniß der Militairperſonen als was die Organiſation und Formation des Heeres und die Einrichtung der Militair-Anſtalten anlangt, der Regelung durch Verordnung des Kontingentsherrn und der mit der Militair-Verwaltung betrauten Behörden. Daran hat ſich im Prinzip auch durch die Einführung der conſtitutionellen Verfaſſungsform Nichts geändert, da man zwar überall der Volks - vertretung ein Recht der Mitwirkung an der Geſetzgebung einge - räumt, eine verfaſſungsmäßige Abgränzung des der Geſetzgebung unterworfenen Gebietes von demjenigen, auf welchem die Verwal - tung freien Spielraum behielt, aber nicht getroffen hat. Nur ver - mittelſt des Antheils, den die Volksvertretung an der Feſtſtellung des Budgets, an der Kontrole der Staatshaushalts-Rechnungen und an der Ordnung des Finanzweſens im Allgemein hat, iſt es derſelben allmälich gelungen, einen maßgebenden Einfluß auch auf die Ordnung des Heerweſens in ſtets wachſendem Maße zu gewinnen17§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.und zwar vorzugsweiſe in denjenigen Theilen des Militairrechts, die eine vorwiegend finanzielle Bedeutung haben, wie z. B. die Penſionsanſprüche. Je mehr in Folge der Durchführung der all - gemeinen Wehrpflicht die innige Verbindung der Militairverfaſſung mit den übrigen Theilen der Staatsverfaſſung wieder hergeſtellt wurde, und je mehr in Folge der Ausbildung des conſtitutionellen Finanzrechts die Volksvertretung Gelegenheit fand, ſich mit den Armee-Angelegenheiten zu befaſſen, in deſto größerem Umfange fand auch die Form der Geſetzgebung auf die Ordnung des Heer - weſens Anwendung. Immerhin blieb aber die Verwaltungsthätig - keit der Landesherren und der Behörden auf dem Gebiete des Heerweſens eine bei Weitem freiere und durch Geſetze viel weniger beſchränkte als auf irgend einem anderen Gebiete der ſtaatlichen Thätigkeit, mit alleiniger Ausnahme der auswärtigen Angelegen - heiten. Die Reichsverfaſſung hat die Gränzen zwiſchen dem Be - reich der Geſetzgebung und demjenigen der Verwaltungs-Verordnung für das Heerweſen und die Marine prinzipiell nicht geregelt. Während dieſelbe Frage hinſichtlich des Poſt - und Telegraphen - weſens durch Art. 48 Abſ. 2 der R.V. eine ausdrückliche Löſung gefunden hat1)Vgl. Bd. II §. 71 S. 331., fehlt in der R.V. eine entſprechende Beſtimmung hinſichtlich des Heerweſens und der Kriegsmarine.

Wenn im Art. 4 Ziff. 14 der R.V. dem Reiche die Geſetz - gebung über das Militairweſen des Reichs und die Kriegsmarine zugeſprochen wird, ſo iſt dadurch zwar materiell eine ganz unbe - ſchränkte Kompetenz des Reiches zum Erlaß jeder beliebigen, das Militairweſen und die Kriegsmarine betreffenden Vorſchrift aner - kannt, aber es iſt zugleich vermöge des Doppelſinnes, welcher dem Worte Geſetzgebung zukömmt, die Ausübung dieſer Kompetenz an die Bedingung geknüpft, daß dabei die Form der Geſetzgebung, der Geſetzgebungsweg, beobachtet wird2)Vgl. Bd. II §. 58.. Dagegen giebt dieſe Stelle der R.V. keine Auskunft darüber, welche Vorſchriften im Wege der Geſetzgebung getroffen werden müſſen und welche durch Verordnung erlaſſen werden können.

Daß die R.V. aber in der That nicht das ganze Militair - weſen in allen Theilen und Einzelheiten durch Reichsgeſetz ordnenLaband, Reichsſtaatsrecht. III. 218§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.wollte, ſondern nur gewiſſe, zur geſetzlichen Regelung geeignete Theile, ergibt ſich mit Deutlichkeit aus dem Bündnißvertrag mit Bayern III §. 5, welcher unter Ziff. I beſtimmt:

Bayern behält zunächſt ſeine Militairgeſetzgebung nebſt den dazu gehörigen Vollzugs-Inſtruktionen, Verordnungen, Erläute - rungen ꝛc. bis zur verfaſſungsmäßigen Beſchlußfaſſung über die der Bundesgeſetzgebung anheimfallenden Ma - terien.

Es wird hier alſo vorausgeſetzt, daß es auch ſolche Materien giebt, welche der Bundesgeſetzgebung nicht anheimfallen; leider wird aber auch hier nicht die geringſte Andeutung gegeben, welche Materien dies ſind.

Der Art. 61 Abſ. 2 der R.V. ordnet an, daß nach gleich - mäßiger Durchführung der Kriegsorganiſation des Deutſchen Heeres ein umfaſſendes Reichs-Militairgeſetz dem Reichstage und dem Bundesrathe zur verfaſſungsmäßigen Beſchlußfaſſung vorgelegt wer - den ſoll; aber auch durch dieſe Vorſchrift wird nicht der Weg der Reichsgeſetzgebung als der in Militair-Angelegenheiten ausſchließlich zuläßige erklärt und der Erlaß allgemeiner Verwaltungsverordnungen unterſagt, ſondern der Artikel verſpricht nur, ſelbſt wenn man ihn buchſtäblich interpretirt, ein Reichsgeſetz, welches alle diejenigen Materien umfaſſen ſoll, die überhaupt der geſetzlichen Regelung unterliegen.

Im Art. 61 Abſ. 1 wird die Geſammtheit aller in Preußen ergangener Vorſchriften über das Militairweſen zwar unter dem Ausdruck Preußiſche Militairgeſetzgebung zuſammengefaßt, for - melle Geſetzeskraft wird aber den hierbei erwähnten Reglements, Inſtruktionen und Reſkripten nicht beigelegt1)Dies wurde im verfaſſungberathenden Reichstage von 1867 ausdrück - lich durch eine Erklärung des Bundes-Komm. v. Roon conſtatirt (Stenogr. - Berichte S. 581) und iſt unbeſtritten..

In Ermangelung einer poſitiven verfaſſungsmäßigen Abgrän - zung des Verordnungsrechts iſt demnach dieſelbe aus allgemeinen ſtaatsrechtlichen Prinzipien zu gewinnen, und da laſſen ſich zwei Rechtsſätze bilden, welche feſte Schranken für das Verordnungs - recht aufſtellen und welche der materiellen und der formellen Be - deutung der Worte Geſetz und Verordnung entſprechen.

a) Eine Verwaltungs-Verordnung iſt nur innerhalb der Ver -19§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.waltung wirkſam und kann alſo nur Interna der Armee - und Marine-Verwaltung regeln; ſobald eine Vorſchrift den Unterthanen im Allgemeinen oder gewiſſen Klaſſen derſelben, oder den Gemein - den, Korporationen, Eiſenbahn-Unternehmern u. ſ. w. Verpflich - tungen für die bewaffnete Macht auferlegt, oder in das Gerichts - weſen, Steuerweſen, die Gemeindeverfaſſung u. ſ. w. eingreift, iſt ſie ihrem materiellen Inhalt nach nicht mehr eine res interna der Armee - und Marine-Verwaltung, ſondern eine Rechtsvorſchrift1)Vgl. Bd. II S. 223. Hiervon iſt der Fall zu unterſcheiden, daß der Chef eines andern Reſſorts Interna des letzteren im Intereſſe der Militairver - waltung oder mit Rückſicht auf ihre Bedürfniſſe regelt. Hierauf beruhen die zahlreichen gemeinſchaftlichen Verordnungen von 2 oder mehr Miniſtern.. Für ſolche Anordnungen iſt daher der Regel nach die Form der Geſetzgebung erforderlich; es ſei denn, daß der Erlaß derſelben durch ein Geſetz dem Kaiſer oder einem andern ſtaatlichen Organe delegirt iſt (Rechtsverordnung)2)Vgl. Bd. II §. 59 S. 70 fg..

b) Auch Verwaltungs-Vorſchriften können im Wege der Ge - ſetzgebung erlaſſen werden und erhalten dadurch formelle Geſetzes - kraft d. h. ſie können nur wieder im Wege der Geſetzgebung auf - gehoben oder verändert werden3)Vgl. Bd. II S. 95 und S. 209 fg.. Inſoweit daher ein Reichsgeſetz Anordnungen enthält, wenngleich dieſelben nur die innere Verwal - tung der Armee und Marine betreffen, iſt der Erlaß von Verord - nungen, welche damit im Widerſpruch ſtehen, unzuläſſig.

Dagegen iſt das ganze von dieſen beiden Rechtsſätzen nicht eingeſchloſſene Gebiet der freien Regelung durch Verwaltungs-Ver - ordnung unterworfen4)Ueber das Verhältniß derſelben zum militairiſchen Oberbefehl vergleiche den folgenden Paragraphen..

2. Subject des Verordnungsrechts.

Schwieriger und verwickelter als die Feſtſtellung des Umfanges iſt die Beantwortung der Frage, wer zum Erlaß der Militair-Verord - nungen befugt iſt. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß Art. 7 Ziff. 2 der R.V., wonach der Bundesrath über die zur Ausfüh - rung der Reichsgeſetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvor - ſchriften und Einrichtungen zu beſchließen hat, ſofern nicht durch Reichsgeſetz etwas Anderes beſtimmt iſt, auch auf die Militair - und Marine-Verwaltung Anwendung findet. Dieſe Verfaſſungsbeſtimmung2*20§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.giebt aber nur eine theilweiſe Löſung; denn die Ausübung des Ver - ordnungsrechts des Bundesrathes iſt eben an die Vorausſetzung ge - bunden, daß bereits ein Reichsgeſetz erlaſſen iſt. Der Bundes - rath kann nur ſolche allgemeine Verwaltungsvorſchriften beſchließen, welche zur Ausführung der Reichsgeſetze erforderlich ſind. Da nun ein großer Theil der das Heerweſen und die Kriegsmarine betreffenden Anordnungen und Einrichtungen nicht durch Reichs - geſetze geregelt iſt, ſo iſt auch für alle dieſe Gegenſtände ein Verordnungsrecht des Bundesrathes verfaſſungsmäßig nicht be - gründet und ebenſowenig iſt der Bundesrath befugt, in die im Art. 63 der R.V. dem Kaiſer zugewieſenen Rechte des militairiſchen Oberbefehls einzugreifen1)Vgl. auch Bd. II S. 234.. Für die Marine iſt es nun ſelbſt - verſtändlich, daß alle Anordnungen, welche weder in den Bereich der Geſetzgebung noch unter die Kompetenz des Bundesrathes fallen, vom Kaiſer reſp. von den kaiſerlichen Behörden, denen die Ver - waltung der Marine-Angelegenheiten obliegt (Reichskanzler, Ad - miralität u. ſ. w.), zu erlaſſen ſind, da die Marine in der un - mittelbaren und ausſchließlichen Verwaltung des Reiches ſich be - findet. Dies hat auch im Art. 53 Abſ. 1 der Reichsverf. eine geſetzliche Stütze und wenngleich in dieſem Artikel das umfaſſende Verordnungsrecht des Kaiſers keine ganz beſtimmte und ausdrück - liche Anerkennung gefunden hat, ſo iſt daſſelbe doch niemals von irgend einer Seite angefochten oder in Zweifel gezogen worden und es iſt dies auch der Natur der Sache nach unmöglich.

Hinſichtlich des Heeres dagegen entſteht die Frage, ob das Verordnungsrecht in Betreff der durch Reichsgeſetze nicht geregelten Materien dem Kaiſer oder den einzelnen Landesherren für ihre betreffenden Kontingente zuſteht. Für dieſe Frage findet ſich in der Reichsverfaſſung zwar keine direkte Be - antwortung, wohl aber eine indirekte von ſehr eigenthümlicher Be - ſchaffenheit. Da die Verfaſſung des Nordd. Bundes und ebenſo die Reichsverf., wie oben S. 6 ausgeführt worden iſt, die Kon - tingente der Einzelſtaaten nicht beſeitigte, ſondern den letzteren die Kontingentsherrlichkeit und Militairverwaltung ließ, ſo folgt daraus, daß die Landesherren auch das Verordnungsrecht für ihre Kontin - gente ſoweit behalten haben, als es nicht durch Vorſchriften der Reichsgeſetze ihnen entzogen oder beſchränkt worden iſt. Gerade21§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.wegen des ſehr bedeutenden Umfanges dieſes Verordnungsrechtes aber war die Aufrechterhaltung deſſelben ganz unvereinbar mit der durchzuführenden vollen Uebereinſtimmung und Gleichheit der Heeres - Einrichtungen in allen Bundesſtaaten; dieſe Gleichheit war nur dann eine wirkliche und den Bedürfniſſen der Landesvertheidigung entſprechende, wenn auch diejenigen umfangreichen Materien des Heerweſens gleichmäßig normirt wurden, welche nicht zur reichs - geſetzlichen Regelung ſich eigneten. Der Conflict zwiſchen den bei - den angeführten Prinzipien wurde nun in der Nordd. Bundes - und in der Reichsverfaſſung in der Art gelöſt, daß den Landes - herren der Einzelſtaaten (beziehentl. den Senaten der freien Städte) formell der Erlaß der Militair-Verordnungen zwar verblieb, materiell aber ihnen vom Kaiſer vorgeſchrieben wurde, was ſie zu verordnen haben; oder mit andern Worten: den Landes - herren ſteht die Sanction der Verwaltungs-Verordnungen zu, aber der Kaiſer (König von Preußen) ſetzt den Inhalt derſelben feſt1)Vgl. oben Bd. II S. 78, 85, 223 fg.. Dieſer Grundſatz hat in der R. Verf. in zwei Artikeln eine be - ſtimmte, wenngleich indirekte, Anerkennung erhalten. Art. 61 der R.V. ſagt in Uebereinſtimmung mit der Verf. des Nordd. Bundes:

Nach Publikation dieſer Verfaſſung iſt in dem ganzen Reiche die geſammte Preußiſche Militairgeſetzgebung unge - ſäumt einzuführen, ſowohl die Geſetze ſelbſt, als die zu ihrer Ausführung, Erläuterung oder Er - gänzung erlaſſenen Reglements, Inſtruk - tionen und Reſkripte.

Aus dieſem Satze und der demſelben hinzugefügten Aufzäh - lung einzelner Beiſpiele ergiebt ſich als unzweifelhaft, daß nicht blos die eigentlichen Militairgeſetze, ſondern auch alle Militair - Verwaltungsverordnungen, welche für die Preußiſche Armee in Geltung ſtanden, im ganzen Reiche Geltung erlangen ſollten; auf welchem Wege dieſes Reſultat aber zu erreichen ſei, alſo der ſtaats - rechtlich wichtigſte Punkt, darüber ſchweigt der Artikel. Deſſen - ungeachtet läßt ſeine Faſſung keine andere Auslegung zu, als daß dies durch die Einzelſtaaten zu geſchehen habe. Der Artikel ſagt nicht: Nach Publikation dieſer Verf. tritt in dem ganzen Reiche die geſammte Preuß. Militairgeſetzgebung ꝛc. in Geltung , er führt dieſelbe nicht ein, ſondern er legt die22§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.Verpflichtung auf, ſie einzuführen; es wird dies ganz un - zweifelhaft, durch den Zuſatz, daß ſie ungeſäumt einzuführen iſt. Der Nordd. Bund (und das Reich) konnte ſich aber doch nicht ſelbſt den Befehl ertheilen, ſofort gewiſſe Befehle zu ertheilen; es hätte doch wenig Sinn gehabt, wenn der Bund die ſofortige Geltung dieſer Militair-Reglements im ganzen Bundesgebiet an - ordnen wollte, ſtatt deſſen anzuordnen, daß die Einführung unver - züglich erfolgen werde. Dagegen iſt die im Art. 61 beliebte Faſ - ſung eine völlig correcte und ſinnentſprechende, wenn dadurch den Einzelſtaaten die verfaſſungsmäßige Pflicht auferlegt werden ſollte, die Preußiſchen Militair-Vorſchriften ungeſäumt einzuführen.

Eine volle Beſtätigung erhält dieſe Auslegung durch eine zweite Anordnung der Verfaſſung, nämlich durch Art. 63 Abſ. 5. Verblieb den Einzelſtaaten das Militair-Verordnungsrecht zu for - meller Ausübung, ſo war die Einführung der im Jahre 1867 be - ziehentl. im Jahre 1871 grade in Geltung geweſenen Preußiſchen Reglements ſelbſtverſtändlich nicht ausreichend; den Einzelſtaaten mußte vielmehr in dieſem Falle die fernere Verpflichtung auferlegt werden, auch alle künftig ergehenden Reglements bei ſich einzu - führen. Dies thut in der That Art. 63 Abſ. 5 cit., welcher beſtimmt:

Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Adminiſtration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüſtung aller Truppentheile ſind die bezüglichen künftig ergehenden Anord - nungen für die Preußiſche Armee den Kommandeuren der übrigen Kontingente durch den Art. 8 Nro. 1 bezeichneten Aus - ſchuß für das Landheer und die Feſtungen, zur Nachachtung in geeigneter Weiſe mitzutheilen.

Hätte der Kaiſer das Verordnungsrecht für die ganze Reichs - armee, ſo könnte es in den, in dieſem Artikel erwähnten Bezieh - ungen, Anordnungen für die Preußiſche Armee überhaupt nicht mehr geben, ſondern nur Anordnungen für das Reichsheer, und die Geltung derſelben für die übrigen Kontingente würde ſich von ſelbſt verſtehen und ipso jure eintreten, ohne daß es der Vermittlung des Bundesausſchuſſes behufs Mittheilung an die Kontingentskommandeure zur Nachachtung bedürfte. Der Art. 63 Abſ. 5 läßt eine andere Auslegung nicht zu, als daß der König von Preußen das Verordnungsrecht für die Preußiſche Armee be -23§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.hält und ebenſo alle anderen Bundesfürſten für ihre Kontin - gente, daß die letzteren aber von dieſem Verordnungsrecht nur in der Art Gebrauch machen dürfen und müſſen, daß ſie dasjenige für ihre Kontingente verordnen, was der König von Preußen für das ſeinige verordnet hat. Mit klaren Worten hat der hier aus - geführte Rechtsſatz ferner Anerkennung gefunden in der Militair - Konvention mit dem Königreich Sachſen vom 7. Febr. 1867 Art. 2, welche in dieſer Beziehung keine beſonderen Beſtim - mungen für Sachſen enthält, ſondern nur dasjenige vertragsmäßig feſtſtellt, was in dem Entwurf der Bundesverf. als geſetzliche Regel in Ausſicht genommen war, und ebenſo hat die Militair-Konvention mit Württemberg vom 21 / 25. Nov. 1870 Art. 10 und Art. 15 das Militair-Verordnungsrecht nicht dem Kaiſer, ſondern dem Könige von Württemberg zugewieſen, dabei aber die für die Preuſ - ſiſche Armee zur Zeit gültigen oder ſpäter zu erlaſſenden Normen, Reglements u. ſ. w. als maßgebend erklärt und die Württemb. Regierung zur entſprechenden Ausführung verpflichtet1)Daher erſcheint in Württemberg auch ein beſonderes Militair - Verordnungs-Blatt, welches die Anordnungen des Königs, des Würt - temberg. Kriegsminiſters u. ſ. w. enthält..

Endlich findet dieſe Interpretation darin eine Unterſtützung, daß bei der Aufzählung der Rechte des Kaiſers in der R.V., ins - beſondere in Art. 63 Abſ. 3 und 4 und Art. 64 fg. das aus - ſchließliche Recht zum Erlaß der Verordnungen nicht erwähnt wird, und daß ebenſowenig das Militairgeſetz vom 2. Mai 1874, welches in den §§. 7 8 den Erlaß gewiſſer Vorſchriften dem Kaiſer über - trägt, ein allgemeines Verordnungsrecht deſſelben anerkennt.

Auch die Praxis hat mit einer Ausnahme ſich an die hier entwickelten Grundſätze gehalten. Im Jahre 1867 und in den darauf folgenden Jahren ſind die Preußiſchen Verordnungen, Reglements u. ſ. w. in den Staaten des Nordd. Bundes, wenig - ſtens zum größten Theil, durch Anordnungen der Bundesregie - rungen zur Einführung gelangt; die ſeitdem neu erlaſſenen Vor - ſchriften ſind vom König von Preußen für die Preußiſche Armee ergangen und im Preuß. Armee-Verordn. -Bl. verkündet worden; in den übrigen Kontingenten ſoweit dieſelben nicht mit dem Preußiſchen verbunden ſind haben ſie durch Vermittlung der Kontingentsherrn oder der Kommando-Behörden Geltung er -24§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.langt. Allein gleich nach Erlaß der Nordd. Bundesverf. hat die ſchlechte und unklare Faſſung des Art. 61 der R.V. eine unrichtige Auslegung deſſelben verſchuldet und eine Abweichung von dem an - gegebenen Grundſatz zur Folge gehabt. Das Präſidium des Nord - deutſchen[Bundes] hat nämlich auf Grund des Art. 61 der Bundes - verfaſſung durch Verordnungen vom 7. November 1867 (B. G.Bl. S. 125), vom 29. Dezember 1867 (B. G.Bl. S. 185) und vom 22. Dezember 1868 eine beträchtliche Anzahl der für die Preußiſche Armee geltenden Vorſchriften im ganzen Bundesgebiete einge - führt und ebenſo iſt durch Kaiſerl. Verordnung vom 24. Nov. 1871 die Geltung der V. vom 29. Dezemb. 1867 auf das Groß - herzogth. Baden ausgedehnt worden. Mag man auch zugeben, daß dieſer Weg der Einführung mit dem Wortlaut des Art. 61 nicht in offenkundigem Widerſpruch ſteht, weil eben Art. 61 darüber eine beſtimmte Anordnung nicht enthält, mag man alſo nicht ſoweit gehen, in dem Erlaß dieſer Verordnungen eine Ueberſchreitung der Präſidialbefugniſſe zu erblicken und die Verordnungen ſelbſt für ungültig zu erachten, ſo iſt doch andererſeits feſtzuhalten, daß dieſe Verordnungen zur authentiſchen Auslegung des Art. 61 nicht ge - eignet ſind und daß Art. 61 nur eine Art von Uebergangsbeſtim - mung enthält, nur einen einmaligen Akt, die ungeſäumte Einfüh - rung der damals geltenden Preußiſchen Geſetzgebung, betrifft, daß daher der aus den allgemeinen Prinzipien der deutſchen Heerver - faſſung hergeleitete und im Art. 63 Abſ. 5 der R.V. ausdrücklich anerkannte Grundſatz durch die Exiſtenz der angeführten Verord - nungen nicht in Frage geſtellt werden kann1)Dem Kaiſer ſchreiben das Verordnungsrecht in Militair-Angelegenheiten zu Thudichum in v. Holtzendorff’s Jahrb. II S. 91 und v. Rönne II, 2 S. 136.. Die Praxis in Sachſen und Württemberg hat auch an der richtigen Anſicht con - ſtant feſtgehalten.

Der im Vorſtehenden dargelegte, verfaſſungsmäßige Rechtszu - ſtand iſt nun aber in folgender Art modifizirt und durch einfachere Verhältniſſe erſetzt worden:

1) Alle Bundesſtaaten, welche die Verwaltung ihrer Kontin - gente dem Kaiſer oder dem Könige von Preußen abgetreten und ihre Truppen dem Verbande der Preußiſchen Armee eingefügt haben, haben zugleich das Armee-Verordnungsrecht dem Könige25§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.von Preußen zur Ausübung übertragen. Auf alle dieſe Staaten iſt daher Art. 63 Abſ. 5 ebenſowenig anwendbar wie auf Preußen ſelbſt und auf Elſaß-Lothringen, da der Kaiſer hier zugleich die Rechte des Kontingentsherrn ausübt.

2) Hinſichtlich Bayern’s iſt ſowohl die Anwendung des Art. 61 wie die des Art. 63 Abſ. 5 ausgeſchloſſen. Die Einführung der vor dem Eintritte Bayerns in den Bund erlaſſenen Geſetze und ſonſtigen Beſtimmungen iſt abgeſehen von dem Erlaß von Reichsgeſetzen von der freien Verſtändigung abhängig, d. h. der eigenen Entſchließung Bayerns überlaſſen. Die Ausübung des Verordnungsrechts ſteht dem Könige von Bayern nicht nur formell zu, ſondern auch inhaltlich; insbeſondere hat die Königl. Bayeriſche Regierung bezüglich der Bewaffnung und Ausrüſtung, ſowie der Gradabzeichen die Herſtellung der vollen Uebereinſtim - mung mit dem Bundesheere ſich vorbehalten , alſo das Selbſt - beſtimmungsrecht ſich gewahrt. Dagegen iſt Bayern verpflichtet, in Bezug auf Organiſation, Formation, Ausbildung und Gebühren, dann hinſichtlich der Mobilmachung volle Uebereinſtimmung mit den für das Bundesheer beſtehenden Normen herzuſtellen1)Vertrag v. 23. Nov. 1870. III §. 5 Ziff. I u. III. Schlußbeſtimmung z. XI. Abſchnitt der R.V. Die Bayeriſchen Militair-Verordnungen werden verkündigt in dem: Verordnungsblatt des Kgl. Bayeriſchen Kriegsminiſteriums. .

3) Endlich iſt hervorzuheben, daß von dem im Art. 7 Ziff. 2 der R.V. gemachten Vorbehalte in der Mehrzahl der auf das Heerweſen bezüglichen Reichsgeſetze in der Art Gebrauch gemacht worden iſt, daß der Erlaß der Ausführungs-Verordnungen dem Kaiſer und für Bayern dem Könige von Bayern über - tragen worden iſt2)Vgl. Wehrgeſetz §. 18 u. 19 und Geſ. v. 24. Novemb. 1871 §. 1. Militairgeſetz §. 71 u. 72. Landſturmgeſetz §. 8 u. 9. Kontrol - geſetz §. 8 u. 9. Quartierleiſtungsgeſetz §. 20 und Geſ. v. 9. Febr. 1875 §. 3 (Bayern). Naturalleiſtungsgeſetz §. 18. Eine Ausnahme machen die Penſionsgeſetze und das Kriegsleiſtungsgeſetz; unklar und nichts - ſagend iſt die Beſtimmung im Rayongeſetz §. 47 Abſ. 2. (Vgl. Bd. II S. 78.). Eine ſolche Vorſchrift iſt in allen denjenigen Geſetzen durchaus rathſam und faſt unerläßlich, welche Gegenſtände betreffen, bei denen die Gränzen zwiſchen dem Armee-Verordnungs - recht und dem militairiſchen Oberbefehl unſicher und ſchwankend ſind und dies gilt von dem weitaus größten Theile aller die innere Ordnung des Heerweſens betreffenden Materien.

26§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

III. Die Militair-Konventionen.

Die ſtaatsrechtliche Bedeutung der, in den vorſtehenden Aus - führungen wiederholt in Bezug genommenen Militair-Konventionen, iſt nicht unbeſtritten und mehrfacher Auffaſſung fähig; ein völlig befriedigendes Reſultat iſt auch nur zu gewinnen, wenn man den Inhalt derſelben ſcheidet und die einzelnen Beſtandtheile analyſirt. Ungenügend iſt namentlich der Hinweis darauf, daß die Anfangs - worte des Art. 66 der R.V. beſondere Konventionen erwähnen, und dadurch den Einzelſtaaten eine verfaſſungsmäßige Ermächti - gung zum Abſchluß derſelben ertheilen1)So z. B. Hänel Studien I S. 244 v. Rönne II, 2 S. 126.; denn abgeſehen davon, daß die erwähnte Stelle die Befugniß der Einzelſtaaten nicht con - ſtituirt, ſondern als von ſelbſt beſtehend vorausſetzt, ſo ſpricht ſie auch lediglich von der Ernennung der Offiziere, während die Konventionen einen viel umfaſſenderen und ſehr mannigfaltigen Inhalt haben.

1. Die eigentliche Grundlage, auf welcher die Militair-Kon - ventionen ruhen, iſt die den Einzelſtaaten auf dem Gebiete des Heerweſens verbliebene Autonomie und Selbſtverwal - tung. Innerhalb des von der Reichsgeſetzgebung gezogenen Rah - mens haben die Staaten freie Bewegung und über die ihnen ver - bliebene (beſchränkte) Militairhoheit ſelbſtſtändige Dispoſition. Es gilt dies ebenſo von den objektiven Rechtsſätzen, welche in den Bereich dieſer Autonomie fallen, als auch von den entſprechenden ſubjektiven Hoheitsrechten (Kontingentsherrlichkeit und Verwaltungs - befugniß). Die Bethätigung dieſer Autonomie kann nun auch in Form eines Staatsvertrages erfolgen, durch welchen ſich ein Staat einem andern gegenüber verbindlich macht, beſtimmte Rechtsſätze oder Verwaltungsvorſchriften bei ſich einzuführen, und von den ihm zuſtehenden Hoheitsrechten kann der Staat in der Art Ge - brauch machen, daß er ihre Ausübung einem andern Bundesſtaat (oder auch dem Reiche ſelbſt) überträgt. Dies iſt in der That der weſentliche Inhalt und der überwiegende Schwerpunkt ſämmt - licher, von den Bundesſtaaten abgeſchloſſener Militair-Konventionen, mit alleiniger Ausnahme der von Sachſen, Württemberg und Bayern, die einer beſonderen Erörterung bedürfen.

27§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

Sämmtliche Konventionen, von den drei genannten abgeſehen, ſtimmen darin überein, daß durch dieſelben die Einzelſtaaten die ihnen zuſtehenden Militairhoheitsrechte ganz oder doch zum größten Theile dem Könige von Preußen zur Ausübung übertragen, und daß über die Verwaltung und Unterhaltung des Kontingents, über die Ernennung, Patentirung, Verabſchiedung der Offiziere und Beamten, ſowie über den Fahneneid, über Rekrutirungs - und Land - wehr-Angelegenheiten, militairgerichtliche und Disciplinar-Verhält - niſſe, Beſteuerung und andere Rechtsverhältniſſe der Militairper - ſonen, Garniſon-Einrichtungen u. ſ. w. Abreden getroffen werden. Würden die Militair-Konventionen keinen andern Inhalt haben, ſo würde ihre rechtliche Würdigung keinerlei Schwierigkeiten unter - liegen; ſie würden grade ſo wie die oben Bd. II S. 289 ff. be - ſprochenen Poſtverträge und wie die unten zu erörternden Juris - dictions-Verträge lediglich als Bethätigung der den Einzelſtaaten verbliebenen Autonomie zu erachten ſein.

Der Umſtand jedoch, daß alle dieſe Verträge von den einzelnen Bundesſtaaten mit dem Könige von Preußen abgeſchloſſen worden ſind und daß der letztere zugleich Bundesoberfeldherr beziehentl. Kaiſer iſt, war Veranlaſſung, daß ſie noch einen Nebenbeſtandtheil enthalten, der ſich nicht als zwiſchenſtaatliches Rechtsgeſchäft charakteriſirt, ſondern der das Rechtsverhältniß zwiſchen Einzelſtaat und Reich betrifft. Während in der Hauptſache die Konventionen Rechte der Einzelſtaaten an Preußen abtreten, enthält dieſer Nebenbeſtandtheil, gleichſam als eine Art von Gegen-Conceſſion, Beſchränkungen der dem Kaiſer zuſtehenden Befugniſſe; nament - lich des Dislokationsrechtes und des Rechtes, die Formation und Gliederung der Kontingente zu beſtimmen. Dieſes Verhält - niß unterliegt natürlich nicht der Autonomie der Einzelſtaaten. Wenn Feſtſetzungen über daſſelbe in den Militair-Konventionen getroffen worden ſind, ſo beruht dies auf dem engen thatſäch - lichen Zuſammenhange zwiſchen den Militairhoheitsrechten des Reichs und den Militairhoheitsrechten der Einzelſtaaten; für die rechtliche Beurtheilung aber iſt es erforderlich, dieſe zwei ſtaats - rechtlich verſchiedenartigen Beſtandtheile der Konventionen aus - einander zu halten.

2. Von dieſem Geſichtspunkte aus ſind zunächſt die Rechts - ſubjekte, unter welchen die Konventionen abgeſchloſſen worden ſind,28§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.zu betrachten. Die älteren Konventionen von 1867 und 1868 ſind mit dem Könige von Preußen , diejenigen der Hanſeſtädte mit der Königl. Preußiſchen Regierung abgeſchloſſen worden, dagegen iſt die Konvention von Baden mit dem König von Preußen als Bundesfeldherrn , und alle übrigen ſeit der Gründung des Reiches verfaßten Konventionen ſind mit dem Deutſchen Kaiſer und König von Preußen contrahirt1)Ausgenommen die Konvention mit Waldeck vom 24. November 1877, welche vom König von Preußen mit dem Fürſten vereinbart iſt; in den einzelnen Artikeln begegnet man aber wiederholt dem Deutſchen Kaiſer. . Aus der Wahl dieſer Bezeichnung allein iſt nicht zu entnehmen, in welcher rechtlichen Eigenſchaft der Kaiſer und König den Vertrag geſchloſſen hat und ob demgemäß das Reich oder Preußen als das Subjekt der aus dem Vertrage hervorgehenden Rechte und Pflichten zu erachten iſt; vielmehr iſt der Inhalt der Abrede dafür entſcheidend. Das Verhältniß der Einzelſtaaten zum Reich, insbeſondere die Anwendung und Aus - führung der in der Reichsverfaſſung dem Kaiſer übertragenen Rechte, kann nicht durch einen Staatsvertrag des Königs von Preußen, ſondern nur durch einen Willensact des Kaiſers normirt werden; andererſeits kann die Aufnahme der Truppen deutſcher Bundesſtaaten in die Kontingentsgemeinſchaft und Verwaltung der Preußiſchen Armee und die Feſtſtellung der Modalitäten, unter welchen dieſe Aufnahme erfolgt, nicht vom Deutſchen Kaiſer, ſon - dern allein vom Könige von Preußen erfolgen2)Die Annahme, daß einzelne Staaten ihre Militairhoheitsrechte nicht Preußen, ſondern dem Reiche (Kaiſer) cedirt haben, würde zu einer übermäßig verwickelten Konſtruktion führen; denn da das Reich eine eigene Militair - verwaltung nicht hat, ſo müßte man unterſtellen, daß 1) das Reich durch die Reichsverfaſſung den Einzelſtaaten die Selbſtverwaltung ihrer Kontingente zu - gewieſen, daß 2) die Einzelſtaaten dieſe Befugniß dem Reich abgetreten, daß 3) das Reich wieder die Ausübung derſelben Preußen übertragen habe und man müßte dabei ferner annehmen, daß das Letztere durch eine ſtillſchweigende Uebereinkunft geſchehen ſei..

3. Von Wichtigkeit wird die hervorgehobene Unterſcheidung aber namentlich hinſichtlich der Erforderniſſe der Gültigkeit und der rechtlichen Wirkungen der Konventionen.

a) Inſoweit der Inhalt derſelben in den Bereich der Auto - nomie der Einzelſtaaten fällt, iſt die Genehmigung des Bundes - rathes und des Reichstages nicht erforderlich, da die Rechte des29§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.Reiches hiervon unberührt bleiben; dagegen iſt die Gültigkeit der Konventionen nach Maßgabe des Landesrechts des betreffenden Bundesſtaates von der verfaſſungsmäßigen Zuſtimmung des Land - tages abhängig, wenn durch die Konvention die beſtehende Geſetz - gebung des Landes abgeändert oder ein Hoheitsrecht aufgeopfert wird. In Folge dieſes Prinzips bedurften die bisher abgeſchloſſenen Konventionen zu ihrer Geltung ſtets nur auf einer Seite der landſtändiſchen Genehmigung und ordnungsmäßigen Verkündigung, nämlich auf Seiten des Mitcontrahenten Preußens, während der Preuß. Landtag ebenſowenig wie der Reichstag ein Zuſtimmungs - recht in Anſpruch zu nehmen befugt war1)Das in Preußen geltende Recht wurde durch keine der zahlreichen Militairkonventionen berührt und ebenſowenig wurde irgend ein Preuß. Ho - heitsrecht beſchränkt oder der Preußiſche Staat finanziell belaſtet.. Dem entſprechend haben dieſe Konventionen aber auch keine andere rechtliche Wirkung als ſie oben Bd. II §. 66 für die Staatsverträge der Bundes - glieder überhaupt entwickelt worden iſt. Dieſe Verträge dürfen nicht nur keine Beſtimmungen enthalten, welche mit Anordnungen bereits verkündigter Reichsgeſetze im Widerſpruch ſtehen, ſondern ſie verlieren auch gemäß Art. 2 der R.V. ihre Geltung, ſobald das Reich durch Geſetz eine andere Vorſchrift ſanctionirt2)Vgl. Bd. II S. 196.; denn die Autonomie der Bundesglieder wird eben durch jedes neue Reichsgeſetz beſchränkt oder theilweiſe beſeitigt. Ein großer Theil der in den Militair-Konventionen enthaltenen Beſtimmungen iſt auch in der That durch die ſpäter ergangenen, oben S. 14 fg. ange - führten, Reichsgeſetze aufgehoben oder bedeutungslos geworden.

b) Inſofern die Militair-Konventionen das Verhältniß des Einzelſtaates zum Reich betreffen, iſt die Zuſtimmung des Land - tages des contrahirenden Staates ebenfalls erforderlich, falls Rechte dieſes Staates aufgegeben oder beſondere Laſten übernommen wer - den. Ebenſo iſt die Zuſtimmung des Bundesrathes und Reichs - tages erforderlich, wenn Anordnungen der Reichsgeſetze modi - fizirt werden, und zwar unter Beobachtung der im Art. 78 der R.V. aufgeſtellten Regeln, wenn die Konvention Verfaſſungsvor - ſchriften abändert. In einem ſolchen Falle würde ferner die ord - nungsmäßige Verkündigung der Konvention im Reichsgeſetzblatt eine unerläßliche Vorausſetzung ihrer Gültigkeit ſein.

30§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.

Von dem hier vorausgeſetzten Falle iſt nun aber ein anderer wohl zu unterſcheiden; nämlich der, daß die Konvention nicht die in der Reichsverfaſſung oder den Reichsgeſetzen aufgeſtellten Rechts - ſätze abändert, ſondern nur die Ausübung der durch dieſe Rechts - ſätze dem Kaiſer übertragenen Oberbefehlshaber-Befugniſſe betrifft. Nur dieſer letztere Fall iſt in den bisher abgeſchloſſenen Konven - tionen gegeben; ſie enthalten nur Zuſicherungen über die Art und Weiſe, in welcher die dem Kaiſer verfaſſungsmäßig eingeräum - ten Befugniſſe ausgeübt werden ſollen1)Ausgenommen ſind hiervon die einigen kleineren Staaten zeitweiſe be - willigten Nachläſſe von den Militair-Ausgaben. Dieſelben hatten nur für die Uebergangszeit praktiſche Bedeutung und können hier unerörtert bleiben.. Dieſe Konventionen reichen an das Niveau der Geſetzgebung, insbeſondere der Ver - faſſung, gar nicht hinan; ſie laſſen die verfaſſungsmäßig oder reichs - geſetzlich ſanctionirten Rechtsſätze völlig unberührt; ſie äußern ihre Wirkungen ausſchließlich auf dem Gebiet der Verwaltung, in specie des militairiſchen Oberbefehls, welches der freien Entſchließung des Kaiſers unterſtellt iſt2)Vgl. Hänel Studien I S. 246.. Aus dieſem Grunde bedurften auch dieſe Konventionen nur der Genehmigung des Kaiſers, nicht der - jenigen des Bundesrathes und Reichstages, und ebenſowenig einer ordnungsmäßigen Verkündigung im Reichsgeſetzblatt. Es genügt eine Mittheilung der Konventionen an Bundesrath und Reichs - tag behufs Conſtatirung, daß die Konventionen nicht in das Gebiet der Geſetzgebung eingreifen.

4. Auf die Konventionen mit Sachſen, Württemberg und Bayern beziehen ſich die vorſtehenden Ausführungen nicht, jede derſelben hat vielmehr einen eigenthümlichen juriſtiſchen Charakter.

a) Die Konvention mit dem Königreich Sachſen iſt am 7. Februar 1867 abgeſchloſſen worden, alſo vor Einführung der Verf. des Nordd. Bundes. Im Eingange der Uebereinkunft wird bemerkt, daß dieſelbe geſchloſſen werde, um die Beſtimmungen der Verfaſſung des Nordd. Bundes über das Bundeskriegsweſen den beſonderen Verhältniſſen des Königreichs Sachſen anzupaſſen , und ſie wird bezeichnet als eine auf der Grundlage des Friedens - vertrages vom 21. Oktober getroffene beſondere Verabredung,31§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.welche unabhängig von allen ferneren darauf bezüglichen Verhand - lungen in Kraft treten und bleiben ſoll. Bei Abfaſſung dieſer Konvention hatten die Kontrahenten daher offenbar den überein - ſtimmenden Willen, einerſeits, daß dieſelbe auch in dem Falle Geltung haben ſolle, wenn die in Ausſicht genommene Verein - barung einer Bundesverfaſſung nicht gelingen ſollte, andererſeits, daß ſie für Sachſen unverändert in Kraft bleiben ſolle, wenngleich etwa die Bundesverfaſſung Beſtimmungen über das Kriegsweſen enthalten ſollte, welche mit ihr im Widerſpruch ſtehen. Eine aus - drückliche Beſtätigung hat dies in einem Nachtragsprotokoll vom 8. Febr. 1867 erhalten, in welchem vereinbart wurde, daß die von der Konferenz der Bevollmächtigten vom 7. Febr. 1867 in Art. 61 des Verfaſſungs-Entw. eingeſchobenen Worte1)Vgl. oben Bd. I S. 22 a. E. oder ohne (R.V. Art. 64 Abſ. 3) als über die Abſicht der Konvention zwiſchen Preußen und Sachſen hinausgehend, auf das Verhältniß zum Königr. Sachſen keine Anwendung finden. Hervorzuheben iſt ferner, daß dieſe Konvention mit Sachſen unter allen mit Staaten des Norddeutſchen Bundes geſchloſſenen Konventionen die einzige iſt, welche keine Beſchränkung oder Verminderung der nach der Verfaſſung den Einzelſtaaten verbliebenen Rechte enthält und welche keines dieſer Rechte auf Preußen überträgt, ſondern daß ſie lediglich das Verhältniß des Sächſiſchen Kontingents zum Bunde und zum Bundesfeldherrn betrifft. Als Contrahent der - ſelben wird im Eingang genannt der König von Preußen als Bundesfeldherr , obſchon zur Zeit ihres Abſchluſſes kein anderes Bundesverhältniß beſtand als das durch den Vertrag vom 18. Auguſt 1866 begründete2)Siehe Bd. I S. 16 fg.. Es ergiebt ſich aus alledem, daß die Konven - tion vom 7. Febr. 1867 nach der Abſicht ihrer Contrahenten eine ſpezielle Regelung der Heeres-Verfaſſung für Sachſen enthalten ſollte, welche vor der generellen Regelung des Bundeskriegs - weſens, wie ſie die Bundesverfaſſung normiren würde, den Vor - rang haben ſollte. Allein dieſer Charakter eines Spezial-Verfaſſungs - geſetzes iſt ihr in der Folge nicht beigelegt worden; es wäre dazu erforderlich geweſen, daß in die Verf. des Nordd. Bundes ein ähnlicher Vorbehalt aufgenommen wurde, wie ihn die Schlußbe -32§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.ſtimmung zum XI. Abſchnitt rückſichtlich Bayerns und Württem - bergs enthält. Dadurch, daß Sachſen, obwohl dies nicht geſchehen iſt, dennoch die Nordd. Bundesverfaſſung angenommen hat und in den Bund eingetreten iſt, hat es auf die Anerkennung der in der Konvention enthaltenen Beſtimmungen als Verfaſſungs-Son - derrecht verzichtet und ſich mit dem gemeingültigen Verfaſſungs - recht begnügt; und es wurde dies in concludenter Weiſe durch das thatſächliche Verhalten ſowohl Sachſens als des Reiches dadurch beſtätigt, daß bei der Redaktion der R.V. die gebotene Gelegenheit, in der Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchnitt auch die Sächſiſche Konvention aufzuführen, nicht benutzt worden iſt. Inſoweit dem - nach die Vorſchriften der Sächſ. Konvention mit Vorſchriften der Reichsverfaſſung oder der Reichsgeſetze im Widerſpruch ſtehen, hat nicht die Konvention, ſondern die Reichsverfaſſung und das Reichsgeſetz den Vorrang. Ein ſolcher Widerſpruch iſt aber nicht vorhanden, wenn die Reichsverfaſſung dem Kaiſer Befugniſſe ein - räumt, welche er nach freiem eigenen Ermeſſen geltend machen darf, die Konvention dagegen dieſes Ermeſſen beſchränkt und einen be - ſtimmten Gebrauch der Befugniſſe Seitens des Kaiſers zuſichert; vielmehr liegt hierin grade eine Anwendung der in der Verfaſſung dem Kaiſer gewährleiſteten Dispoſitionsfreiheit1)In dieſer Hinſicht ſtimme ich den im Uebrigen vortrefflichen Aus - führungen Hänel’s S. 247 nicht bei..

b) Die Konvention mit Württemberg iſt gleichzeitig mit dem Verfaſſungsbündniß-Vertrag geſchloſſen und durch Art. 2 Ziff. 5 deſſelben als ein integrirender Beſtandtheil dieſes Vertrages erklärt worden2)Sie iſt datirt von Verſailles den 21. Nov. 1870 und Berlin 25. Nov. 1870 und ſie iſt im Bundesgeſetzblatt 1870 S. 658 als Beſtandtheil des Bünd - nißvertrages publizirt worden.. Mit der Sächſiſchen Konvention hat ſie gemein, daß ſie die verfaſſungsmäßig den Einzelſtaaten gewährten Militairho - heitsrechte nicht einſchränkt und keines derſelben auf Preußen über - trägt, daß ſie ausſchließlich das Verhältniß Württembergs zum Reich beziehentl. zum Kaiſer betrifft, und daß ſie Vereinbarungen über die beſondere Art der Anwendung der verfaſſungsmäßigen Beſtimmungen auf das Württembergiſche Armeekorps enthält. Nur iſt ſie inhaltlich von der Sächſiſchen Konvention dadurch verſchieden, daß ſie bei Weitem eingreifendere und erheblichere Modifikationen33§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.der verfaſſungsmäßigen Normen enthält, wie jene1)Dahin gehört: der Vorbehalt der eigenen Militair-Strafgerichts-Ord - nung, die ſelbſtändige Beſtimmung über die Bekleidung, die weſentliche Be - ſchränkung des Dislocirungsrechtes des Kaiſers, das Recht des Königs von Württemberg den Höchſtkommandirenden zu ernennen und bei der Ernennung der übrigen Generale nicht an die Zuſtimmung des Kaiſers gebunden zu ſein, das Zugeſtändniß, daß Erſparniſſe am Württemb. Militairetat zur Verfügung Württembergs verbleiben, daß der Kaiſer wegen der Anlage von Befeſtigungen in Württemberg ſich vorher mit dem Könige von Württemberg in’s Vernehmen zu ſetzen habe u. a.. Mit der Sächſ. Konvention ſtimmt auch überein die Tendenz, welche bei dem Ab - ſchluß der Württembergiſchen verfolgt wurde, nämlich daß dieſelbe ein ſinguläres Recht gegenüber dem gemeinen Verfaſſungsrecht bilden und demgemäß demſelben vorgehen ſolle. Während aber rück - ſichtlich Sachſens dieſes Ziel nicht erreicht wurde, iſt rückſichtlich Württembergs ſeine vollſtändige und rechtlich unanfechtbare Ver - wirklichung eingetreten. Die Beſtimmungen der Württemberg. Kon - vention ſind durch die Schlußbeſtimmungen zum XI. Abſchnitt der R.V. zum integrirenden Beſtandtheil der R.V. erklärt worden; ſie bilden ein verfaſſungsmäßiges Sonderrecht und die Beſeitigung deſſelben iſt nur nach den im Art. 78 der R.V. aufgeſtellten Regeln zuläſſig2)Vgl. Bd. I §. 11.. Während durch die Sächſiſche Konvention der Kaiſer ſich ſelbſt freiwillig in dem Gebrauch der ihm zuſtehenden verfaſſungsmäßigen Befugniſſe Schranken auferlegt hat, ſtehen dieſe Befugniſſe dem Kaiſer in Württemberg von Rechtswegen nur in demjenigen Umfange zu, den die Württemb. Konvention aner - kannt hat; ihre Schranken wurzeln nicht in dem freien Willen des Kaiſers, ſondern in der Verfaſſungsvorſchrift des Reiches.

c) Mit Bayern iſt eine Militairkonvention in einem beſon - deren Aktenſtück zwar nicht abgeſchloſſen worden, der Bündnißver - trag vom 23. Nov. 1870 unter III §. 5 und das dazu gehörige Schlußprotokoll enthalten aber eine ſolche. Von derſelben gilt Alles, was von der Württembergiſchen Konvention ſoeben ausge - führt worden iſt; ſie iſt zum verfaſſungsmäßigen Spezialrecht er - klärt, auf deſſen Aufrechterhaltung Bayern ein Sonderrecht (im ſubjektiven Sinne) hat. Materiell freilich iſt dieſes Bayeriſche Sonderrecht von dem Württembergiſchen ſehr erheblich verſchieden;Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 334§. 78. Die Einheitlichkeit des Militairrechts und der Heeres-Einrichtungen.denn für das letztere bildet die Anwendung der Vorſchriften der R.V., für Bayern der Ausſchluß derſelben den Ausgangspunkt.

Verzeichniß der gegenwärtig in Geltung ſtehenden Militairkonventionen1)Sie ſind ſämmtlich abgedruckt in Die Militair-Geſetze des Deutſchen Reichs I S. 55 181. Die Konventionen von 1867 in den Druckſachen des Reichstages 1867 Nro. 21 und in Glaſer’s Archiv I Heft 3. und 4.; die ſpäteren in den Druckſachen des Reichstages 1872 Nro. 189, 1873 Nro. 18, 1874 Nro. 33..

  • 1. Sachſen vom 7. Febr. 1867.
  • 2. Württemberg vom 21. / 25. Novemb. 1870.
  • 3. Baden vom 25. Novemb. 1870.
  • 4. Heſſen vom 13. Juni 1871 (an Stelle der Konvention vom 7. April 1867).
  • 5. Mecklenburg-Schwerin vom 24. Juli 1868 und vom 19. Dez. 1872.
  • 6. Mecklenburg-Strelitz vom 9. Novemb. 1867 und vom 23. Dez. 1872.
  • 7. Oldenburg vom 17. Juli 1867.
  • 8. Thüringiſche Staaten (Sachſen-Weimar, Sachſen - Meiningen, Sachſen-Altenburg, Sachſen-Koburg-Gotha, Schwarzb. -Rudolſt., Reuß ä. L. und Reuß j. L.) vom 15. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. v. 26. Juni 1867).
  • 9. Anhalt vom 16. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 28. Juni 1867).
  • 10. Schwarzburg-Sondershauſen vom 17. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 28. Juni 1867).
  • 11. Lippe-Detmold vom 14. Nov. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 26. Juni 1867).
  • 12. Schaumburg-Lippe vom 25. Sept. 1873 (an Stelle der Konvent. vom 30. Juni 1867).
  • 13. Waldeck vom 24. Novemb. 1877 (an Stelle der Konvent. vom 6. Auguſt 1867).
  • 14. Hamburg vom 23. Juli 1867.
  • 15. Bremen vom 27. Juni 1867.
  • 16. Lübeck vom 27. Juni 1867.
35§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
  • 17. Vereinbarung zwiſchen Preußen, Bayern und Württemberg bezüglich der Feſtung Ulm. de dato Ulm den 16. Juni 1874.

§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.

I. Den Bereich des Armee-Befehls von dem Bereich der Armee-Verordnung ſcharf und prinzipiell abzugränzen, iſt nicht möglich; denn die weſentlichen Kriterien ſind beiden Begriffen ge - meinſam: es ſind Unterarten des Verwaltungsbefehls. Die Armee - Verwaltung unterſcheidet ſich in dieſer Beziehung nicht im Geringſten von jeder anderen Verwaltung und ſowie der dienſtliche Befehl irgend eines Beamten an ſeinen Untergebenen, eine beſtimmte ein - zelne Handlung zu verrichten, von der allgemeinen, auf unzählige Fälle anwendbaren Verordnung (Generalverfügung) des oberſten Verwaltungschefs hinſichtlich ihres juriſtiſchen Weſens und ihrer rechtlichen Wirkung nicht verſchieden iſt, ſo beſteht auch keine we - ſentliche juriſtiſche Differenz zwiſchen dem Befehl des Unteroffiziers an den Rekruten, ſich rechts umzukehren, und einer Anordnung des oberſten Kriegsherrn, die vielleicht von dem eingreifendſten Einfluß auf die ganze Ausbildung, Bewaffnung, Uniformirung u. ſ. w. der Armee iſt1)Vgl. oben Bd. II S. 222 fg.. Der Sprachgebrauch unterſcheidet freilich, indem man den Befehl zu einer einzelnen beſtimmten Handlung gewöhnlich nicht als Verordnung und andererſeits die Anordnung dauernder Einrichtungen und allgemeiner Verhaltungsregeln nicht als Dienſt - befehl bezeichnet; eine beſtimmte Gränze aber, nach welcher mit Sicherheit zu entſcheiden wäre, ob eine Ordre Dienſtbefehl oder ob ſie Verordnung iſt, läßt ſich nicht feſtſtellen. Der Rechtsgrund für die Verbindlichkeit des Befehls iſt in allen Fällen die Dienſt - pflicht und die in derſelben enthaltene Pflicht zum Gehorſam; auch in dieſer Hinſicht gelten für die Armee keine anderen Prin - zipien wie für die Civilverwaltungszweige, nur daß die militairiſche Gehorſamspflicht einen größeren Umfang hat und durch ſtrengere Strafen gegen Verletzungen geſichert iſt2)Siehe unten §. 88. IV. §. 89. II. 2.. Aus dem angegebenen Prinzip folgt, daß das Recht des Oberbefehls an und für ſich3*36§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.dem Kontingentsherrn zuſteht, da ſeine Truppen zu ihm in einem Dienſtverhältniß ſtehen und demgemäß ihm gegenüber zu Gehorſam und Treue verpflichtet ſind. Da nun aber eine einheit - liche Verwendung der Kontingente und eine Zuſammenfaſſung der in ihnen vorhandenen Streitkräfte nicht denkbar iſt, ohne einen ein - heitlichen Oberbefehl über ſämmtliche Kontingente, ſo hat die Reichs - verfaſſung dem Kaiſer dieſe Machtbefugniß verliehen und zwar nicht nur für den Krieg, ſondern auch im Frieden. Im Zuſam - menhange mit dieſem Recht des Oberbefehls ſteht eine Reihe von Befugniſſen, welche die Reichsverfaſſung dem Kaiſer als ſolchem beilegt und welche unter dem Namen Oberbefehl mit verſtanden werden. Dieſe Rechte hat der Kaiſer auch über diejenigen Truppen auszuüben, über welche ihm die Kontingentsherrlichkeit nicht zuſteht, und er iſt bei ihrer Ausübung nicht an die Zuſtimmung des Bun - desrathes und des Reichstages gebunden. Nur iſt es ſelbſtver - ſtändlich, daß alle im Wege der Reichsgeſetzgebung ſanctionirten Vorſchriften auch bei Handhabung des militairiſchen Oberbefehls beobachtet werden müſſen.

II. Die Rechte und Pflichten, welche nach der R.V. und den auf Grund derſelben ergangenen Reichsgeſetzen den Inhalt des kaiſerlichen Militair-Oberbefehls bilden, ſind folgende:

1) Alle deutſchen Truppen ſind verpflichtet, den Befehlen des Kaiſers unbedingte Folge zu leiſten. Dieſe Verpflichtung iſt in den Fahneneid aufzunehmen 1)Vgl. unten §. 81. I. . R.V. Art. 64 Abſ. 1.

2) Behufs Ausübung des Befehls iſt der Kaiſer berechtigt, den Höchſtkommandirenden eines Kontingents, ſowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen und alle Feſtungskommandanten zu ernennen. Die von ihm ernannten Offi - ziere leiſten ihm den Fahneneid. Auch innerhalb der einzelnen Kontingente darf die Ernennung der Generale und der Offiziere, welche Generalsſtellungen verſehen, nur mit jedesmaliger Zuſtim - mung des Kaiſers erfolgen. R.V. Art. 64 Abſ. 2.

Eine Ausnahme hiervon beſteht für Württemberg. Die Beſetzung der Generalsſtellen in dieſem Kontingent iſt an die jedes - malige Zuſtimmung des Kaiſers nicht gebunden und die Ernennung des Höchſtkommandirenden erfolgt nicht Seitens des Kaiſers, ſon -37§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffuete Macht des Reiches.dern Seitens der Königs von Württemberg nach vorgängiger Zu - ſtimmung des Kaiſers1)Württemb. Milit. -Konv. Art. 5..

3) Der Kaiſer hat das Recht der Inſpektion. Er kann jeder Zeit von dem Zuſtande der einzelnen Kontingente ſich per - ſönlich oder durch von ihm ernannte Inſpekteure überzeugen, um feſtzuſtellen, daß innerhalb des deutſchen Heeres alle Truppentheile vollzählig und kriegstüchtig vorhanden ſind, und er hat dafür zu ſorgen, daß Einheit in der Organiſation und Formation, in Be - waffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannſchaften, ſowie in der Qualifikation der Offiziere hergeſtellt und erhalten wird. Der Kaiſer iſt befugt, die Abſtellung der bei den Inſpek - tionen vorgefundenen Mängel anzuordnen. R.V. Art. 63 Abſ. 32)Da alle Truppentheile den Befehlen des Kaiſers unbedingt Folge leiſten müſſen, ſo ergiebt ſich, daß dieſe Anordnungen unmittelbar vom Kaiſer an die betreffenden Truppen-Kommando-Behörden ergehen können. Durch die Militairkonventionen mit Sachſen Art. 4 Abſ. 2 und mit Württemberg Art. 9 Abſ. 2 iſt jedoch vereinbart worden, daß der Kaiſer die in Folge ſol - cher Inſpizirungen bemerkten ſachlichen oder perſönlichen Mißſtände dem Könige von Sachſen, reſp. Württemberg, mittheilt, welcher ſeinerſeits dieſelben abzuſtellen ſich verpflichtet und von dem Geſchehenen dann dem Kaiſer Anzeige machen läßt..

4) Nach der R.V. Art. 63 Abſ. 4 hat der Kaiſer den Prä - ſenzſtand, die Gliederung und Eintheilung der Kon - tingente des Reichsheeres zu beſtimmen. Dieſe Befugniß iſt aber hinſichtlich des Friedensſtandes des ſtehenden Heeres weſentlich eingeſchränkt worden durch die Vorſchriften des Militairgeſetzes §. 1 43)Vgl. darüber §. 83.; und es ſind nunmehr folgende Unterſcheidungen zu machen:

a) hinſichtlich des ſtehenden Heeres im Frieden erſtreckt ſich die Befugniß des Kaiſers nur auf diejenigen taktiſchen und adminiſtrativen Verbände, ſowie auf diejenigen beſonderen Forma - tionen, welche in den §§. 2 und 3 des Militairgeſetzes nicht er - wähnt werden4)Außerdem enthalten die meiſten Militairkonventionen beſtimmte Ver - einbarungen über die Formation der einzelnen Kontingente, nämlich für Sachſen, Württemberg, Heſſen, beide Mecklenburg, Baden, Oldenburg, die Thüringiſchen Staaten und Anhalt..

b) hinſichtlich der Landwehr hat der Kaiſer das Recht, die38§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.Organiſation (Gliederung, Eintheilung u. ſ. w.) zu beſtimmen und er iſt dabei nur an den Rechtsſatz gebunden, daß die Territorial - Eintheilung des Bundesgebietes in 17 Armeekorps-Bezirke als Grundlage für die Organiſation der Landwehr zu dienen habe1)Milit. -Geſ. §. 5. Siehe §. 84..

c) Die Kriegsformation des Heeres ſowie die Organiſation des Landſturmes beſtimmt der Kaiſer, ohne daß er hierbei irgend welchen geſetzlichen Einſchränkungen unterliegt2)Milit. -Geſ. §. 6. Vgl. §. 85..

d) Daſſelbe gilt von der Organiſation und Zuſammenſetzung der Kriegsmarine, abgeſehen von den aus dem Etatsgeſetz ſich ergebenden Schranken für die Friedenszeit3)R.V. Art. 53 Abſ. 1. Vgl. unten §. 87..

5) Der Kaiſer hat das Dislokationsrecht d. h. das Recht, die Garniſonen der einzelnen Truppenkörper zu beſtimmen und zwar innerhalb des ganzen Bundesgebietes, ſo daß er den Truppentheilen der einzelnen Kontingente auch außerhalb ihres Staatsgebietes Garniſonen anweiſen kann4)R.V. Art. 63 Abſ. 4.. Ueber die Aus - übung dieſes Rechtes5)jedoch unbeſchadet der Fortdauer dieſes Rechtes ſelbſt in ſeinem verfaſſungsmäßigen Umfange. ſind aber den meiſten Staaten in den Militairkonventionen beſtimmte Zuſicherungen ertheilt worden und zwar in dreifacher Richtung:

a) Zahlreichen Staaten iſt die Zuſicherung ertheilt worden, daß ihre Kontingente für die Dauer friedlicher Verhältniſſe im eigenen Lande dislozirt bleiben6)Konvent. mit Sachſen Art. 5. Wenn im Intereſſe des Bundes - dienſtes der Kaiſer zu einer Dislozirung der Sächſ. Truppen ſich bewogen findet, ſo will er ſich vorher mit dem Könige von Sachſen in Vernehmen ſetzen. Konvent. mit Württemberg Art. 6. Eine Dislozirung der Württemberg. Truppen außerhalb des Staatsgebietes ſoll nur mit Zuſtimmung des Königs v. W. erfolgen, ſofern es ſich nicht um Beſetzung ſüddeutſcher oder weſtdeutſcher Feſtungen handelt. Heſſen Art. 6 (wie Sachſen). Baden Art. 4. Oldenburg Art. 4 Abſ. 2. Thüringen Art. 2. Anhalt Art. 2.. Indeſſen ſind Truppen mehrerer dieſer Staaten nach Elſaß-Lothringen verlegt worden. Die Dis - lozirung der Sächſiſchen Truppen innerhalb Sachſens und der Württembergiſchen Truppen innerhalb Württembergs ſteht den Kontingentsherren zu, während hinſichtlich der übrigen hier in Be -39§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.tracht kommenden Kontingente die Anweiſung der einzelnen Garni - ſonen von dem Kaiſer verfügt wird.

b) Mehreren dieſer Staaten iſt ferner zugeſichert worden, daß ohne beſondere militairiſche oder politiſche Intereſſen Truppen anderer Kontingente in ihren Gebieten nicht Garniſon erhalten werden, nämlich Sachſen, Württemberg, Heſſen, Baden und Olden - burg1)Milit. -Konventionen mit Sachſen Art. 5 (vorbehaltlich der vorüber - gehenden, inzwiſchen aufgehobenen Beſetzung einzelner befeſtigter Plätze mit Preuß. Truppen). Württemberg Art. 6 (ausgenommen Ulm); Heſſen Art. 6 (ausgenommen Mainz Art. 22); Baden Art. 4 (ausgenommen Raſtatt); Oldenburg Art. 4 Abſ. 2 (mit Ausnahme der Stadt Bir - kenfeld)..

c) Anderen Staaten iſt dagegen wieder das Verſprechen ge - geben worden, das ſie an beſtimmten in ihrem Gebiete gelegenen Orten eine fremde und zwar Preußiſche Garniſon erhalten werden2)Konvent. mit Schwarzb. -Sondershauſen Art. 2. Lippe - Detmold Art. 2. Schaumburg-Lippe Art. 2. Lübeck Art. 2. 3. Hamburg Art. 2 u. 3. Bremen Art. 3. 4. Waldeck (von 1877) Art. 2..

Eine mittelbare Beſchränkung des kaiſerl. Dislokations - rechts ergiebt ſich außerdem, ſoweit die vorhandenen Kaſernen zur Unterbringung der Truppen nicht ausreichen, dadurch, daß die Herſtellung neuer Kaſernen an die Bewilligung der dafür erfor - derlichen Mittel im Etatsgeſetz, die Einquartirung aber an die im §. 6 des Quartierleiſtungsgeſetzes gezogenen Schranken gebunden iſt3)Vgl. unten §. 93 I. Baden iſt überdies in dem Schlußprotok. zur Milit. -Konvent. Ziff. 5 Abſ. 2 die Zuſicherung ertheilt worden, daß nach Orten, in denen die erforderlichen Kaſernen-Einrichtungen nicht vorhanden ſind, nur aus beſonders dringenden Gründen eine Garniſon verlegt werden wird..

6) Endlich hat der Kaiſer das Recht, die kriegsbereite Aufſtellung eines jeden Theiles des Reichsheeres anzuordnen und die Reſerve, Landwehr und Seewehr zu den Fahnen einzube - rufen4)R.V. Art. 63 Abſ. 4. Wehrgeſ. §. 8 Abſ. 1.. Zur Sicherung der prompten Ausführung eines ſolchen Befehls ſind alle bereits im Frieden zur ſchleunigen Ueberführung des Heeres auf den Kriegsfuß erforderlichen Vorbereitungen nach den Beſtimmungen des Kaiſers zu treffen5)Militairgeſ. §. 6 Abſ. 1. Die Militair-Konvent. mit Sachſen Art. 9 und mit Württemberg Art. 14 betreffen zwar dieſes Recht des Kaiſers, ohne daſſelbe aber irgend wie einzuſchränken..

40§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.

III. Die angegebenen Rechtsvorſchriften haben für Bayern keine Geltung1)Schlußbeſtimmung zum XI. Abſchn. der R.V.. Nur im Kriege ſind die Bayeriſchen Truppen verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherrn (Kaiſers) unbedingt Folge zu leiſten2)Vertrag v. 23. Nov. 1870. III §. 5 Ziff. IV. ; im Frieden ſtehen ſie ausſchließlich unter dem Befehl des Königs von Bayern. Der Oberbefehl des Kaiſers tritt ein mit Beginn der Mobiliſirung3)ebendaſ. Ziff. III Abſ. 1.. Im Frieden gelten nur folgende Regeln, um die Einheitlichkeit des Deutſchen Heeres auch mit Rückſicht auf das Bayeriſche Kontingent zu ſichern:

1. Der oben S. 25 in Betreff des Verordnungsrechts er - wähnte Satz, daß Bayern verpflichtet iſt, in Bezug auf Organiſation, Formation, Ausbildung und Gebühren, ſowie hinſichtlich der Mo - bilmachung volle Uebereinſtimmung mit den für das Reichsheer beſtehenden Normen herzuſtellen, findet auch Anwendung auf die Ausübung des dem Könige von Bayern zuſtehenden Oberbefehls - rechtes.

2. Dem Kaiſer ſteht das Recht der Inſpektion des Baye - riſchen Kontingents, um ſich von der Uebereinſtimmung in Organi - ſation, Formation und Ausbildung, ſowie von der Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit deſſelben Ueberzeugung zu verſchaffen, grund - ſätzlich zu; in jedem einzelnen Falle der Vornahme einer ſolchen Inſpektion muß ſich jedoch der Kaiſer über die Modalitäten ſowie über das Ergebniß mit dem Könige von Bayern ins Verneh - men ſetzen4)ebendaſ. Ziff. III Abſ. 4.. Ohne die Einwilligung des Königs von Bayern kann daher der Kaiſer ſein Inſpektionsrecht nicht ausüben, und es beſteht keine Verpflichtung des Königs, wenn bei einer ſtatt - gefundenen Inſpektion perſönliche oder ſachliche Mängel bemerkt werden, dieſelben auf eine vom Kaiſer an ihn gerichtete Aufforde - rung abzuſtellen; es iſt dies vielmehr dem eigenen Willensentſchluß des Königs anheimgegeben.

3. Die Anordnung der Kriegsbereitſchaft (Mobiliſirung) des Bayeriſchen Kontingents erfolgt zwar Seitens des Königs von Bayern; derſelbe iſt aber verpflichtet, dieſen Befehl auf Veran - laſſung des Bundesfeldherrn zu ertheilen5)ebendaſ. Abſ. 5.. Durch Erlaß der41§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.Mobilmachungs-Ordre unterſtellt der König von Bayern zugleich ſein Kontingent dem Oberbefehl des Kaiſers.

IV. Zu den militairiſchen Rechten des Kaiſers zählt die Reichsverf. auch die Befugniß deſſelben, wenn die öffentliche Sicher - heit in dem Bundesgebiete bedroht iſt, einen jeden Theil deſſelben in Kriegszuſtand zu erklären1)R.V. Art. 68.. Dieſe Beſtimmung findet ſich in dem XI. Abſchnitt der R.V., welcher die Ueberſchrift Reichs - kriegsweſen trägt, und nach dem Wortlaut der Nordd. Bundes - verfaſſung war dieſe Befugniß nicht dem Bundespräſidium, ſondern dem Bundesfeldherrn beigelegt; es iſt alſo kein Zweifel, daß nach der Verfaſſung dieſes Recht des Kaiſers als ein Ausfluß oder Beſtandtheil ſeines militairiſchen Oberbefehls aufgefaßt wird. Daraus iſt aber nicht zu folgern, daß von dieſer Befugniß nur im Kriegs - falle oder zur Sicherung der öffentlichen Ordnung gegen äußere Feinde Gebrauch gemacht werden dürfte; denn der Kaiſerl. Ober - befehl beſteht auch im Frieden und das Militair iſt nicht nur zum Schutz gegen äußere Feinde, ſondern auch zur Aufrechterhal - tung des Landfriedens gegen innere Bedrohungen beſtimmt2)v. Mohl Reichsſtaatsrecht S. 87 wirft dieſen Zweifel auf um ihn ſelbſt zu widerlegen. Seine Ausführungen finden ſich abgedruckt bei v. Rönne I S. 82. Vgl. ferner Seydel in Behrend’s Zeitſchrift f. Deutſche Geſetz - gebung Bd. VII S. 620.. Ihrem Inhalte nach reicht die im Art. 68 dem Kaiſer eingeräumte Machtvollkommenheit aber weit über die Gränzen hinaus, welche dem Militair-Oberbefehl an ſich gezogen ſind; denn die Erklärung des Kriegszuſtandes wirkt nicht nur auf die zur Armee gehörenden, zum Militair-Gehorſam verpflichteten Perſonen, ſondern ſie erſtreckt ſich auf die geſammte Verwaltung und ſogar auf das Strafrecht und die Rechtspflege und erzeugt eine tief eingreifende, wenngleich nur zeitweilige, Veränderung des geſammten Rechtszuſtandes. Die Erklärung des Belagerungszuſtandes iſt im Weſentlichen als die Einführung einer Militairdiktatur zu bezeichnen. Dieſelbe kann ſich auf jeden Theil des Bundesgebietes (ausgenommen Bayern) erſtrecken, alſo nöthigenfalles auch auf das ganze Bundes - gebiet3)Vgl. v. Mohl S. 88, deſſen Ausführungen abgeſchrieben ſind bei v. Rönne a. a. O. S. 86.. Die Entſcheidung der Vorfrage, ob die öffentliche Sicher -42§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.heit bedroht iſt, hat der Kaiſer allein zu entſcheiden; weder hat die Landesregierung ein Zuſtimmungs - oder Widerſpruchsrecht, noch ſteht dem Landesrath oder dem Reichstage eine Beſchluß - faſſung reſp. Genehmigung zu1)Die Behauptung v. Rönne’s S. 84, daß ſchon nach jetziger Lage des Reichsſtaatsrechtes der Bundesrath in der Lage ſei, auf dem im Art. 7 der R.V. vorgeſehenen Wege (?) die vom Kaiſer ausgehende Maßregel der Erklärung des Belagerungszuſtandes zu ſeiner Kognition (?) zu ziehen , iſt ebenſo haltlos wie nichtsſagend..

Im Einzelnen gelten darüber folgende Regeln:

1. Die Vorausſetzungen, die Form der Verkün - digung und die Wirkungen einer ſolchen Erklärung ſind durch ein Reichsgeſetz zu regeln; bis zum Erlaß eines ſolchen gelten dafür die Vorſchriften des Preußiſchen Geſetzes vom 4. Juni 1851 (Pr. Geſ. S. 1851 S. 451 ff.)2)R.V. Art. 68.. Die proviſoriſche Gel - tung dieſes Geſetzes erſtreckt ſich daher nicht auf den geſammten Inhalt deſſelben, ſondern nur auf diejenigen Beſtimmungen, welche Vorausſetzungen, Verkündigung und Wirkungen betreffen3)Zu denjenigen Beſtimmungen des Geſetzes, welche nicht reichsgeſetz - liche Geltung haben, gehören insbeſondere §. 16, wonach das Staatsminiſterium zur Suſpenſion gewiſſer Verfaſſungsartikel auch dann befugt iſt, wenn der Belagerungszuſtand nicht erklärt iſt, und §. 17, welcher vorſchreibt, daß dem Preuß. Landtage Rechenſchaft zu geben ſei.; und auch dieſe Anordnungen laſſen zum Theil keine vollſtändige und wörtliche Anwendung in den nichtpreußiſchen Theilen des Bundes - gebietes zu, weil ſie ſich auf Preußiſche Staatseinrichtungen und Verfaſſungsbeſtimmungen beziehen.

a) Vorausſetzungen. Das Geſetz geſtattet nur in zwei Fällen die Erklärung des Belagerungszuſtandes, für den Fall eines Krieges in den von dem Feinde bedrohten oder theilweiſe ſchon beſetzten Provinzen (§. 1) und für den Fall eines Auf - ruhrs bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit (§. 2). Andere Gefahren für die öffentliche Sicherheit rechtfertigen die Erklärung des Belagerungszuſtandes nicht4)Die Anordnungen in §§. 1 u. 2 des Preuß. Geſetzes über die Be - hörden, denen die Erklärung des Belagerungszuſtandes zuſteht, nämlich im Falle des Krieges die Feſtungskommandanten und die kommandirenden Gene - rale, im Falle des Aufruhrs das Staatsminiſterium und in dringenden Fällen die Militairbefehlshaber, haben keine Geltung, da ſie nicht die Voraus -.

43§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.

b) Form der Verkündigung. Unter der Verkündigung iſt nicht zu verſtehen die Publikation der kaiſerl. Verordnung im ſtaatsrechtlichen Sinne (vgl. Bd. II S. 54 fg. 90 fg. ); dieſelbe iſt in allen Fällen durch Abdruck im Reichsgeſetzblatt zu bewirken; ſondern die faktiſche Kundmachung an die von der Verhängung des Kriegszuſtandes betroffene Bevölkerung. Die Erklärung des Belagerungszuſtandes iſt zur allgemeinen Kenntniß zu bringen durch Verleſung der kaiſerl. Verordnung bei Trommelſchlag oder Trompetenſchall und außerdem durch Mittheilung an die Ge - meindebehörde, durch Anſchlag an den öffentlichen Plätzen und durch öffentliche Blätter (Geſ. §. 3). Daß die drei zuletzt erwähn - ten Bekanntmachungsarten ſämmtlich angewendet werden, iſt zwar nicht erforderlich, dagegen iſt es nach dem Wortlaut des Geſetzes unerläßlich, daß die Verkündigung bei Trommelſchlag oder Trom - petenſchall erfolgt und wenigſtens mit einer der 3 anderen Be - kanntmachungsformen combinirt werde. Aus dieſer Vorſchrift über die Bekanntmachungsform ergiebt ſich übrigens, daß die Erklärung in jeder einzelnen Gemeinde zur allgemeinen Kenntniß ge - bracht werden muß und daß daher in Ortſchaften, welche vom Feinde bereits beſetzt ſind, die Erklärung des Belagerungszuſtandes nicht wirkſam erfolgen kann.

c) Die Wirkungen der Verhängung des Kriegszuſtandes ſind folgende:

α) Mit der Bekanntmachung der Erklärung des Belagerungs - zuſtandes geht die vollziehende Gewalt an die Militairbe -4)ſetzungen der Verhängung des Belagerungszuſtandes betreffen und weil ſie durch die ausdrückliche Anordnung im Art. 68 der R.V., daß der Kaiſer den Kriegszuſtand zu erklären habe, beſeitigt ſind. Die Behauptung von Rönne’s S. 84 Note 1, daß ſie im Preuß. Staatsgebiete Geltung haben, im außer - preußiſchen nicht, iſt gänzlich unbegründet und ſteht im Widerſpruch mit dem Grundſatz, daß Reichsgeſetze (nämlich Art. 68 der R.V.) den Landesgeſetzen vorgehen, ſowie mit dem Prinzip der Einheitlichkeit des Militairrechts. Thu - dichum Verf. R. des Nordd. Bundes S. 293 hält dieſe Beſtimmungen des Preuß. Geſetzes im ganzen Bundesgebiet für anwendbar, was ſich durch Art. 68 der R.V. widerlegt. In dem einzigen Falle, in welchem bisher von Art. 68 Gebrauch gemacht worden iſt, erfolgte die Erklärung des Belagerungszuſtandes ſowohl in Preußen als außerhalb Preußens durch Bundespräſidial-Verordnung vom 21. Juli 1870 (B. G.Bl S. 503), welche vom Bundeskanzler contra - ſignirt iſt.44§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.fehlshaber über. Die Civilverwaltungs - und Gemeindebehörden haben den Anordnungen und Aufträgen der Militairbefehlshaber Folge zu leiſten. (§. 4 Abſ. 1.) Dadurch werden alle Civilbe - hörden des Staates und alle Gemeindebehörden zu Unterbehörden und Vollzugsorganen der Militairkommandanten gemacht; die An - ordnungen der letzteren ſind auszuführen ohne Rückſicht und ohne Prüfung, ob dieſelben nach den Geſetzen zuläſſig ſind; die unbe - dingte Gehorſamspflicht der Civilbehörden entbindet dieſelben anderer - ſeits von jeder Verantwortlichkeit für die Geſetzmäßigkeit der Maß - regeln1)Siehe Bd. I S. 423 ff.; die Militairbefehlshaber tragen dieſelbe für alle von ihnen ausgehenden Anordnungen perſönlich (§. 4 Abſ. 2).

β) Die Militairperſonen ſtehen während des Belage - rungszuſtandes unter den Geſetzen, welche für den Kriegszuſtand ertheilt ſind2)Militair-Strafgeſetzb. §. 9 Ziff. 2 u. 3. und der Befehlshaber der Beſatzung hat über ſämmt - liche zu der letzteren gehörende Militairperſonen die höhere Ge - richtsbarkeit (§§. 6 und 7).

γ) Gewiſſe ſtrafbare Handlungen ſind mit härterer Strafe bedroht, wenn ſie in einem in Belagerungszuſtand erklärten Orte oder Diſtrikte verübt werden. Die im §. 8 des Preuß. Ge - ſetzes hierüber enthaltenen Beſtimmungen haben aber keine Geltung mehr, da ſie durch ein Reichsgeſetz erſetzt worden ſind, nämlich durch das Einführungs-Geſetz zum Strafgeſetzbuch vom 31. Mai 1870 §. 4. Darnach ſind die in den §§. 81 (Hochver - rath) 88 (Landesverrath) 90 (Kriegsverrath) 307 (Brandſtiftung) 311. 312. 315. 322. 323. 324 (andere gemeingefährliche Verbrechen) des St. G. B.’s mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Ver - brechen mit dem Tode zu beſtrafen, wenn ſie in einem Theile des Bundesgebietes, welchen der Kaiſer in Kriegszuſtand erklärt hat, begangen werden3)Die Todesſtrafe tritt nur an Stelle der lebenslänglichen Zuchthausſtrafe; auf ſie darf alſo nicht erkannt werden, wenn ohne die Verhängung des Kriegszuſtandes auf eine niedrigere Strafe als lebenslängl. Zuchthaus zu er - kennen wäre. Für dieſe Fälle bleiben die Strafdrohungen des Strafgeſetzb. auch während des Belagerungszuſtandes unverändert. Vgl. Oppenhoff. Strafgeſetzb. (5. Aufl.) Note 7 zu §. 4 cit.. Dagegen iſt §. 9 des Preuß. Geſetzes vom 4. Juni 1851 nicht aufgehoben, welcher für die daſelbſt an -45§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.gegebenen Handlungen, wenn die beſtehenden Geſetze keine höhere Freiheitsſtrafe beſtimmen, Gefängnißſtrafe bis zu Einem Jahre androht.

δ) Es kann ferner zur Anordnung von Kriegsgerichten geſchritten werden; die darüber getroffenen Beſtimmungen müſſen aber entweder ausdrücklich in die Bekanntmachung über die Er - klärung des Belagerungszuſtandes aufgenommen oder in einer be - ſonderen, unter der nämlichen Form bekannt zu machenden Ver - ordnung verkündet werden (Geſ. §. 5 Abſ. 1)1)Die Einrichtung von Kriegsgerichten ohne Erklärung des Belagerungs - zuſtandes iſt unzuläſſig. §. 5 Abſ. 2. Ihre Wirkſamkeit hört mit der Be - endigung des Belagerungszuſtandes ipso jure auf. §. 14.. Das Preußiſche Geſetz verlangt zur Errichtung von Kriegsgerichten, daß zuvor oder gleichzeitig der Art. 7 der Preuß. Verf. Urk. ſuſpendirt werde2)Derſelbe lautet: Niemand darf ſeinem geſetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte und außerordentliche Kommiſſionen ſind unſtatthaft. ; in denjenigen außerpreußiſchen Staatsgebieten, in denen eine Ver - faſſungsbeſtimmung gleichen Inhaltes beſteht, wird in analoger Anwendung des Geſetzes die Suspenſion des betreffenden Ver - faſſungsſatzes auszuſprechen ſein3)Dies beſtimmt in der That ein