PRIMS Full-text transcription (HTML)
[III]
Leben und Schickſale,
von ihm ſelbſt beſchrieben, und zur Warnung fuͤr Eltern und ſtudierende Juͤnglinge herausgegeben. Ein Beitrag zur Charakteriſtik der Univerſitaͤten in Deutſchland.
Erſter Theil.
Mit einem Titelkupfer.
Halle,bei Michaelis und Bispink1792.
[IV][V]

Dem Durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn, Herrn Friedrich Auguſt, Herzogen zu Braunſchweig und Luͤneburg, General der Infanterie der Preußiſchen Heere und Ritter des Preußiſchen Schwarzen - Adler-Ordens.

Meinem Gnaͤdigſten Fuͤrſten und Herrn.

[VI][VII]

Durchlauchtigſter Herzog, Gnaͤdigſter Fuͤrſt und Herr,

Als ich vor zwei Jahren das unſchaͤzbare Gluͤck hatte, Ew. Hochfuͤrſtl. Durch - laucht perſoͤnlich bekannt zu werden, hatten Hoͤchſtdieſelben die Gnade, mir einen Aufſatz von meinen Begebenheiten zu befeh - len: und als ich nach dieſem mir ſo theuren Befehl, Hoͤchſtdenſelben einen franzoͤ - ſiſchen Aufſatz dieſes Inhalts unterthaͤnigſt uͤberreichte, bezeugten Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht Dero Hoͤchſte Billigung meiner kleinen Schrift.

Dieſe erhabene mir bewieſene Hoͤchſte Huld Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht machten den Gedanken bei mir rege, daß Hoͤchſtdieſelben meiner Lebensgeſchichte eine gnaͤdige Aufnahme nicht verweigern wuͤrden: und daher nehme ich die unterthaͤ - nigſte Kuͤhnheit, Ew. Durchlaucht dieſe Schrift zuzueignen.

[VIII]

Die Vorſicht lohne die erhabenen Tu - genden, welche die Welt an dem großen Helden, an dem Menſchenfreunde, an dem ruhmvollen Kenner und Befoͤrderer der Wiſſenſchaften an Friedrich Auguſt bewundert und verehrt. Dies iſt der hoͤch - ſte Wunſch

Ew. Hochfuͤrſtlichen Durchlaucht

unterthaͤnigſten Knechts Friedrich Chriſtian Laukhard, Soldaten bei dem Koͤnigl. Preuß. Regiment von Thadden.

[IX]

An den Leſer.

Ich uͤbergebe dem Publikum den erſten Theil meiner Lebensgeſchichte, wobei ich einiges zum voraus ſagen muß, damit man meinen Zwek kennen lerne, und uͤber das ganze Buch richtig urtheilen koͤnne.

Der verſtorbene Doktor Semler, deſ - ſen Aſche ich nie genug verehren kann, gab mir im Jahr 1784 den Rath, meine Bege - benheiten in lateiniſcher Sprache heraus zu geben. Ich hatte dem vortreflichen Mann mehrere davon erzaͤhlt, und da glaubte er, die Bekanntmachung derſelben wuͤrde in man - cher Hinſicht nuͤtzlich werden. Ich fing wirk - lich an zu arbeiten, und ſchrieb ohngefaͤhr acht Bogen, welche ich ihm vorwies. Er billigte ſie, und rieth mir, den Herrn Profeſſor Eberhard um die Cenſur zu bitten. Ich that dies ſchriftlich: denn damals ſcheute ich mich, weil ich kurz vorher Soldat geworden war, es muͤndlich zu thun. Auch Eber - hard lobte mein Unternehmen; nur rieth er mir, um der mehrern Leſer Willen, deutſch zu ſchreiben. Ich folgte ihm, und zeigteX mein Vorhaben oͤffentlich an. Aber weil da - mals mein Vater noch lebte, ſo mußte ich, um ihn nicht zu beleidigen, oder ihm gar durch meine Nachrichten in der[hyperortho - doxen] Pfalz und bei den daſigen Bonzen und Talapoinen nicht zu ſchaden, vieles weglaſſen, was doch zum Faden meiner Geſchichte ge - hoͤrte. Daher war jener Aufſaz mangelhaft und unvollſtaͤndig. Mein Vater erfuhr in - deſſen durch die Briefe des Herrn Majors von Muffling, daß ich mein Leben ſchrie - be, und befuͤrchtete, ich moͤchte Dinge erzaͤh - len die ihm Verdruß bringen koͤnnten. Er ſchrieb mir daher und befahl mir, von mei - nen Lebensumſtaͤnden ja nichts eher, als nach ſeinem Tode drucken zu laſſen. Der Brief meines guten Vaters war voll derber Aus - druͤcke: er ſtellte mir das Uebel, das fuͤr ihn daraus folgen koͤnnte, ſo lebhaft vor, daß ich mein Manuſkript ins Feuer warf.

Einige Jahre hernach ſtarb mein Vater, und ich konnte nun freimuͤthig zu Werke ge - hen: aber der Feldzug im Jahr 1790 und andre Geſchaͤfte, welche ich ums liebe Brod uͤbernehmen mußte, hinderten mich, meinen laͤngſt gefaßten Vorſatz eher ins Werk zu rich - ten: nachdem ich aber mehr Muße und thaͤ - tige Unterſtuͤtzung redlich geſinnter Maͤnner, die ich zu ſeiner Zeit nennen will, erhielt, ſo ging ich neuerdings ans Geſchaͤft, und ſo entſtand die gegenwaͤrtige Schrift.

XI

Jeder Leſer wird ohne mein Erinnern gleich ſchließen, daß das, was der Dichter von ſeinen Verſen ſagt:

paupertas impulit audax,
Ut verſus facerem;

auch von meinem Buche gelte; und ich wuͤr - de ſehr zur unrechten Zeit wollen diſkret ſeyn, wenn ichs nicht bekennte. Ich bin ein Mann, welcher keine Huͤlfe hat, kein Vermoͤgen be - ſitzt, und keinen Speichellecker machen kann: folglich wuͤrde ich ſehr kuͤmmerlich leben muͤſ - ſen, wenn ich mir keinen Nebenverdienſt ſu - chen wollte. Und wer kann mir das ver - denken?

Allein ob gleich der erſte Grund der Er - ſcheinung gegenwaͤrtiges Buches im Magen liegt; ſo iſt er doch nicht der einzige.

Ich war ein junger Menſch von guten Faͤhigkeiten, und von gutem Herzen. Falſch - heit war nie mein Laſter; und Verſtellung habe ich erſt ſpaͤterhin gelernt, und geuͤbt, nachdem ich vieles ſchon gethan und getrieben hatte, deſſen ich mich ſchaͤmen mußte. Mein Vater hatte mir guten Unterricht verſchaft, und ich erlangte verſchiedene recht gute Kennt - niſſe, welche ich meiner immer fortwaͤhrenden Neigung zu den Wiſſenſchaften verdanke. Meine Figur war auch nicht haͤßlich. Da war es denn doch Schade, daß ich verdorben und ungluͤcklich ward. Aber ich wurde es, und fiel aus einem dummen Streich in denXII andern, trieb Dinge, worunter auch wirkli - che groͤbere Vergehungen ſind, bis ich endlich aus Noth und Verzweiflung an allem Er - dengluͤck die blaue Uniform anzog.

Wenn nun ein Erzieher, ein Vater, oder auch ein Juͤngling meine Begebenheiten lieſt: muß er da nicht manche Regel fuͤr ſich und fuͤr ſeinen Zoͤgling abſtrahiren? Muß er nicht oft ſtutzen und ſich ſelbſt auf unrechtem Wege finden? Wird er dann nicht, wenn er klug iſt, einen andern und beſſern Weg einſchlagen? Muß er nicht aufmerkſamer auf die Folgen ſeines Denkens und Handelns werden, und folglich mehr Harmonie und Kon - ſequenz in ſein Leben zu bringen ſuchen? Meine Ungluͤcksfaͤlle ſind nicht aus der Luft geriſſen, wie man ſie in Romanen lieſt: ſie haben ſich in der wirklichen Welt zugetragen, haben alle ihre wirklichen Urſachen gehabt, und lehren, daß es jedem eben ſo gehen kann, der es ſo treibt, wie ich.

Ich glaube daher mit Recht, daß mein Buch einen nicht unebnen Beitrag zur prak - tiſchen Paͤdagogik darbietet, und daß niemand ohne reellen Nutzen daſſelbe durchleſen wird: und das iſt doch nach meiner Meinung ſehr viel. Auf dieſe Art werde ich, der ich durch meine Handlungen mein ganzes Gluͤck verdor - ben habe, doch durch Erzaͤhlung derſelben ge - meinnuͤtzig, und das ſey denn eine Art von Entſchaͤdigung fuͤr mich.

XIII

Außerdem hoffe ich auch, daß die Erzaͤh - lungen ſelbſt niemanden lange Weile machen werden; daß alſo meine Schrift auch zu de - nen gehoͤren wird, welche eine angenehme Lektuͤre darbieten. Und ſo haͤtte ich, wenn ich mich nicht uͤberall irre, einen dreifachen recht guten Zweck erreicht.

Aber einigen Vorwuͤrfen muß ich hier im voraus begegnen, welche man ohne allen Zweifel meinem Werkchen machen wird.

Ich habe viele angeſehene Maͤnner eben nicht im vortheilhafteſten Lichte aufgeſtellt von unwuͤrdigen Menſchenkindern, einem Kammerrath Schad, einem Brandenburger, und andern dergleichen, iſt hier die Rede nicht: die haben die Brandmarkung ver - dient! warum hab 'ich das gethan? Deswegen meine lieben Leſer, weil ich glaube und fuͤr unumſtoͤßlich gewiß halte, daß die Be - kanntmachung der Fehler angeſehener Maͤn - ner ſehr nuͤtzlich iſt. Die Herren muͤſſen nicht denken, daß ihr Anſehen, ihr Reich - thum, ihre Titel, ſelbſt ihre Gelehrſamkeit und Verdienſte ihre Maͤngel bedecken, oder gar rechtfertigen koͤnnte. Dieſe Maͤnner, von welchen ich erzaͤhle, haben theils mit mir im Verhaͤltniß geſtanden, und haben mir nach ihrem Vermoͤgen zu ſchaden geſucht, und wirklich geſchadet: theils aber ſchadeten ſie der guten Sache, den Rechten der Menſch - heit, beſonders jenem unumſtoͤßlichen ewigenXIV Recht, uͤber alle intellectuelle Dinge voͤllig frei zu urtheilen, und ſeine Gedanken dar - uͤber zu entdecken. Wenn ich alſo die Pro - feſſoren zu Mainz, Heidelberg und ſonſtige Meiſter als intolerante Leute beſchreibe, wel - che gern Inquiſitoren werden, und den hei - ligen Bonifacius, oder jenen abſcheulichen Menſchen, den Abſchaum aller Boͤſewichter, den Erfinder der Inquſition und Hexenpro - zeſſe, ich meine den Pabſt Innocentius III. nachmachen moͤchten: thu ich dann Unrecht, da die Sache ſich durch Thaten beſtaͤtiget? Vielleicht ſchaͤmen ſich andre, und werden toleranter, und waͤre das nicht herrlich? Haͤtte ich da nicht mehr Gutes geſtiftet, als mancher Verfaſſer dicker Baͤnde von Predig - ten und andern theologiſchen, philoſophiſchen oder juriſtiſchen Unſinn?

Ferner, ſagen Sie ſichs ſelbſt, lieber Leſer, ob ich recht habe: darf ich den nicht beſchreiben, der mir wehe that? Rache ſchreien zwar die Moraliſten (in ihren Theorien) ſey uͤberhaupt ein ſchaͤndliches Laſter, dem kein Weiſer nachgeben muͤſſe: ja, ich ſage irgendwo ſelbſt, daß ſie groͤßtentheils unter der Wuͤrde der Menſchheit ſey. Allein ich geſtehe es, daß ich ihr Gebot nicht ganz ein - ſehe; ich bin ein Menſch, ſo gut wie der Pabſt und der Fuͤrſt: ich hab 'auch meine Galle, und es kraͤnkt mich auch, wenn man mir unrecht thut, und mich armen ohnmaͤch -XV tigen Menſchen druͤckt, und ſeine Freude dran hat. Ich ſuche mich nun zu raͤchen, wie ich kann, und das kann ich auf keine an - der erlaubte Art, als daß ich die Leute von der Art nenne, und ihren Karakter bekannt mache. Ich werde das auch in der Zukunft ſo halten, und Anekdoten von der Art mehr ſammeln, um einmal Gebrauch davon zu machen. Urtheilen Sie ferner, meine Leſer, ob Sie es nicht auch ſo machen wuͤrden, wenn Sie in meinen Schuhen ſtaͤnden? Ich brenne mich nirgends weis, und erdenke an mir keine Geſinnungen, die ich nicht habe. Daher geſtehe ichs, daß die Großmuth, wel - che alle Neckereien uͤberſieht, und ſich ohnge - ahndet hudeln laͤßt, meine Tugend nicht iſt. Wer beſſer in dieſem Stuͤck iſt; nicht der, welcher blos beſſer ſpricht, verdamme mich: ich habe nichts dawider. Und wer uͤbeln Nachreden entgehen will, der thue nichts uͤbles. Schwachheiten abgerechnet, iſt Pub - licitaͤt fuͤr Thorheit und Laſter ein weit zutraͤg - licheres Heilmittel, als das Maͤntelchen der chriſtlichen Liebe das freilich gerade von denen am fleiſigſten empfohlen wird, die es am mei - ſten beduͤrfen. Ich zweifle nicht, daß meine Biographie, ſo wie die des verſtorbenen D. Bahrdt, mehrere andre Buͤchleins von Bei - traͤgen, Berichtigungen und vielleicht gar von Schimpfereien im Gefolge haben wird. Das ſoll mir auch wegen des bekanntenXVI Spruͤchelchens: contraria contrariis magis elucescunt recht lieb ſeyn. Aber die Herren Beitraͤgeſchreiber werdens auch nicht fuͤr Uebel nehmen, wenn ich ihnen nach Befinden antworte. Mir ſoll jeder Ton, der ſanfte und grobe, gleichviel gelten: denn ich bin dergleichen ſchon etwas gewohnt. Wo ich aber vielleicht aus Gedaͤchtnißfehler wirklich geirrt habe, will ich mich herzlich gern belehren laſſen, und wie billig, widerrufen. Aber ich hoffe, daß dergleichen Fehler nicht ſollen untergelau - fen ſeyn.

Im zweiten Theile, der auch ſchon unter der Preſſe iſt, erzaͤhle ich meine Geſchichte bis auf die jetzige Zeit. Er hat einige wichtigere Nachrichten als der erſte, und wird hoffent - lich die Neugierde der Leſer befriedigen, und ihnen mancherlei Genugthuung leiſten.

Und ſo viel habe ich Ihnen, meine Leſer, zum voraus ſagen wollen. Ich wuͤnſche, daß Sie alle, das Gluͤck genießen, welches mir das Schickſal wegen meiner eignen Ver - irrungen verſagt hat. Geſchrieben zu Halle den 5ten Mai 1792.

1

Erſtes Kapitel.

Nicht alle Prediger ſind, was mein Vater war!

Um meine Lebensgeſchichte etwas methodiſch ein - zuleiten, muß meine Erzaͤhlung doch wol von der Zeit und dem Orte anfangen, wo ich geboren bin. Das iſt geſchehen im Jahre 1758 zu Wendelsheim, einem Orte in der Unterpfalz, der zur Grafſchaft Grehweiler gehoͤrt. Mein Vater war Prediger die - ſes Orts, und genoß einer ganz guten Beſoldung bei einem ſehr ruhigen Dienſte. Das iſt nun freilich in der Pfalz eine ſeltene Sache, indem die lutheriſchen Pfarrer durchaus ſchlecht beſoldet und dabei mit Ar - beit uͤberladen ſind. Dies iſt aber nur von den ei - gentlichen Pfaͤlzer Pfarreien zu verſtehen: denn die graͤflichen und ritterſchaftlichen befinden ſich beſſer. Leider aber werden dieſe beſſern Stellen auch jedes - mal, wenn eine erledigt wird, an den meiſtbietenden verkauft oder ordentlich verſteigert. Mein Vater war jedoch ſo gluͤcklich geweſen, ſeine Stelle ohne einenErſter Theil. A2Kreuzer Ausgabe dafuͤr, zu erhalten, und dies von dem Kurfuͤrſten zu Mainz, der daſelbſt Patron iſt, und der, als Erzbiſchof einer heiligen Kirche, eine ketzeriſche Pfarrſtelle wol nicht ohne Geld hingegeben haͤtte, wenn nicht andere Gruͤnde da geweſen waͤren. Mein Vater hat mir dieſe Gruͤnde zwar niemals ent - deckt; daß ſie aber da geweſen ſeyn muͤſſen, erhellet daraus, daß alle und jede gute proteſtantiſche Pfarren, welche der Kurfuͤrſt zu Mainz vergiebt, von alten Zeiten her bis auf den heutigen Tag, ver - kauft werdena)Der jetzige Inhaber der Pfarrei zu Wendelsheim hat, wie ich aus Briefen weis, 1000 Gulden rheiniſch das fuͤr bezahlen muͤſſen.

Meine Leſer werden es nicht ungern ſehen, wenn ich eine kurze Beſchreibung von meinem Vater lie - fere, der ſich ohne Ruhm zu melden, von den uͤbri - gen proteſtantiſchen Herren Pfarrern in der Pfalz merklich unterſchieden hat.

Er hatte in ſeiner Jugend ſehr fleißig ſtudirt, und hatte beſonders die Wolffiſche Philoſophie zu ſeinem Lieblingsſtudium gemacht. Er bekannte mir oft, daß ihn die Grundſaͤtze der Wolffiſchen Meta - phyſikb)Beſonders den ontologiſchen Satz: quaecunque ſunt in ente, vel eſſentialia ſunt, vel attributa, vel modi, vel modi analogici. dahin gebracht haͤtten, daß er an den Haupt - dogmen der lutheriſchen Lehre gezweifelt haͤtte. In3 der Folge, da er ſein Studium nicht nach Art ſo vie - ler geiſtlichen Herren, an den Nagel henkte, unter - ſuchte er alle Dogmen ſeines Kompendiums, und verwarf ſie alle, da er ſie mit den Saͤtzen ſeiner lieben Metaphyſik unvereinbar fand. Endlich fiel er gar auf die Buͤcher des beruͤchtigten Spinoſa, wodurch er ein vollkommner Pantheiſt ward.

Ich kann dieſes meinem Vater jetzt getroſt nach - ſagen, da er todt iſt, und wol nicht zu vermuthen ſteht, daß ihn die hyperorthodoxen Herren in der Pfalz werden ausgraben laſſen, wie dies vor ohn - gefaͤhr vierzig Jahren dem redlichen Bergmeiſter Schittehelm von Moͤrsfeld geſchehen iſt. Es lieſſen naͤmlich die proteſtantiſchen Geiſtlichen zu Kreuznach dieſen hellſehenden Kopf als einen Edel - mannianer herausgraben, und ſo nahe an den Nohfluß einſcharren, daß ihn der Strom beim er - ſten Anſchwellen heraus und mit ſich fort riß. Der - gleichen Barbarei wird man doch, hoffe ich, am Ende dieſes Jahrhunderts nicht mehr begehen!

Sonſt war mein Vater ſehr behutſam in ſeinen Reden uͤber die Religion: nur ſeinen beſten Freun - den vertraute er dann und wann etwas von ſeinen Privatmeinungen, und bekannte mir oft in traulichen Geſpraͤchen, daß er gar nicht wuͤnſchte, daß ſein Sy - ſtem Leuten bekannt wuͤrde, welche einen moraliſchen Misbrauch davon machen koͤnnten. Vielleicht ge〈…〉〈…〉4 ich einmal eine Handſchrift heraus, die er unter dem Titel: Geſchichte meiner Zweifel und Ueberzeugungen, hinterlaſſen hat: da wird man recht wuͤrdige Gedanken uͤber dieſen Punkt finden!

Mein Vater hatte in den Sprachen und Wiſ - ſenſchaften viel geleiſtet. Er verſtand recht gut Latein, und war in den morgenlaͤndiſchen Sprachen, wie auch in der griechiſchen, gar nicht unerfahren. Ich erinne - re mich noch lebhaft, wie er den Propheten Ma - lachias mit mir las, und in Herrn D. Bahrdts Kommentar uͤber dieſen Propheten, die Schnitzer ruͤgte, welche dieſer artige Meiſter in der orienta - liſchen Litteratur da wider die gemeinſten Regeln der hebraͤiſchen und arabiſchen Grammatik gemacht hat, oder wenn er Herrn D. Bahrdts lateiniſche Barba - rismen und Soloͤcismen herzlich lachend durchging.

Die Predigten meines Vaters waren nicht aus - geſchrieben; und das heißt in der Pfalz viel, ſehr viel! Denn da reiten die Herren, was das Zeug haͤlt, die alten Poſtillen zuſammen: ja, das iſt ſchon ein rechter Mann, welcher aus Martin Jockiſch ſel. expe - ditem Prediger, aus Paſtor Goͤzens Diſpoſitionen, aus Dunkels Skiagraphie oder aus einem andern Troͤſter von der Art, eine Predigt zu fabriciren im Stande iſt. Den meiſten Herren muß alles von Wort zu Wort vor der Naſe ſtehen; ſonſt verlieren ſie gleich den Zuſammenhang. So war aber mein5 Vater nicht: er arbeitete ſeine Diſpoſitionen und Pre - digten ſelbſt aus, und trug weit mehr Moral als Dogmatik vor. Niemals konnte er ſich entſchlieſſen, die Sabellianer, Arianer, Eutychianer, Pelagianer, Apollinariſten, Deiſten, und andere alte und neue Ketzer auf der Kanzel zu befehden, nach Art ſeiner Herren Amtsbruͤder: und dieſes wollte man eben von Seiten dieſer Herren nicht ſehr loben. Sogar begieng er den Fehler, daß er die Katholiken und Re - formirten ihr Kirchenweſen ruhig fuͤr ſich treiben ließ: ein Benehmen, welches ihn bei den dortigen contro - versſuͤchtigen Herren vollends in Miskredit brachte. Aber er bekuͤmmerte ſich um die Herren nichts, und wandelte ſeinen Pfad getroſt fuͤr ſich fort.

Auſſerdem war mein Vater ein unerſchuͤtterli - cher Freund jeder buͤrgerlichen und geſellſchaftlichen Tugend. Seine Ehrlichkeit kannte eben ſo wenig Graͤnzen, als ſein Beſtreben, gegen jederman gefaͤl - lig zu ſeyn und jedem Nothleidenden zu helfen.

Bei dieſem Karakter mußte mein Vater noth - wendig bei jederman beliebt ſeyn: niemand haßte ihn, als vielleicht die, welchen er dann und wann die Wahrheit ſagte, wovon ich unten ein mehreres berichten werde. Von allen andern, welche ihn kann - ten, wurde er geliebt und geſchaͤzt als ein biederer, ehrlicher Mann, auf den man ſich in allen Stuͤcken verlaſſen konnte.

6

Herr D. Bahrdt meldet irgendwo in ſeiner Lebensbeſchreibung, daß er viele freundſchaftliche Brie - fe von der verſtorbenen Frau Landgraͤfin von Heſſen - Darmſtadt aufbewahre. Dieſes iſt, wie man ihm oͤffentlich vorgeworfen hat, erdichtet: er kann keine Zeile von der Hand dieſer vortrefflichen Fuͤrſtin vor - zeigen. Allein unter den Papieren meines Vaters finden ſich noch Briefe, welche die verewigte Hen - riette an ihn geſchrieben hat: Briefe, in welchen der Geiſt und die Herzensguͤte der großen Mutter der Koͤnigin von Preuſſen recht ſichtbar hervorglaͤnzt. Ich fuͤhre dieſes nicht aus Ruhmredigkeit oder aus der Abſicht an, mir einige Vortheile durch Erwaͤh - nungen von der Art zu erſchleichen: es geſchieht blos, um meinem Vater die Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, welche das Andenken eines ehrlichen Mannes verdient. Der Fuͤrſt Moriz von Salm Kyr - burg, und die vortreffliche Luiſe, ſeine Gemahlin, ſchaͤtzten meinen Vater nicht weniger: ſie beehrten ihn mit einem recht freundtchaftlichen traulichen Um - gange bis in ſeinen Tod. Seht, Ihr Herren Prediger! auch Große ſchaͤtzen euren Stand, wenn Einſicht und Verdienſt Euch ſelbſt nur ehrwuͤrdig machen!

Dabei hatte mein Vater indeß auch ſeine großen Schwachheiten; aber doch auch nur Schwachheiten und keine Laſter. Er war daß ich nur etwas7 davon anfuͤhre ein großer Kenner der Alchymie, und wollte durchaus Gold machen. Ein gewiſſer Musjeh Fuchs, welcher um das Jahr 1760 we - gen Geldmuͤnzerei und anderer Hallunkenſtreiche in Schwaben gehangen worden, hatte ihn mit den Ge - heimniſſen dieſer edlen Kunſt bekannt gemacht. Er fieng an zu laboriren, und las dabei die herrlichen Buͤcher des Baſilius Valentinus, Baptiſt Helmontius, und ſeines noch tollern Sohns, Meiſter Merkurius Helmontius, Paracel - ſus, Becher, Sendirogius den er be - ſonders hoch hielt und anderer theoſophiſcher al - chymiſtiſcher Narren und Spitzbuben. Die Lektuͤre dieſer Skarteken verwirrte ihm den Kopf, und mach - te, daß er Jahr aus Jahr ein den Stein der Wei - ſen ſuchte, und betraͤchtliche Summen bei dieſer un - ſeligen Bemuͤhung verſchwendete.

Meine Mutter machte dem verblendeten Mann die triftigſten Vorſtellungen, welche nicht ſelten in Zank und Specktakel ausarteten; aber alles umſonſt! Er laborirte friſch weg, und verſicherte mehr als ein - mal, daß er das große Magiſterium nunmehr gefun - den haͤtte, und naͤchſtens Proben davon geben wuͤr - de. Der Apotheker Eſchenbach in Flonheim war meines Vaters treuer Gehuͤlfe. Dieſer war bankrott geworden, zwar nicht durch Alchymie, ſondern durch ſein Saufen, und durch die Spitzbuͤbereien eines Ab -8 ſchaums aller Spitzbuben, des verſtorbenen Raths Stutz in Flonheim. Eſchenbach, welcher arm war, und keinen Unterhalt wußte, war froh, daß ihn mein Vater zu ſeinem Kalefaktor, oder wie ſie es nannten, Kollaboranten und Symphiloſophen aufnahm. Er half nicht nur treulich laboriren, ſondern ſchafte noch alle alte vermoderte Buͤcher herbei, welche die Kunſt, Gold zu machen, lehren ſollten. Haͤtte mein ehrlicher Vater ſtatt der Wolffiſchen Metaphyſik die phyſiſchen Werke dieſes Philoſophen ſtudirt; ſo wuͤrde viel Geld erſpahrt und manches Nachgerede unterblieben ſeyn. Er hat einige Jahre vor ſeinem Tode aufgehoͤrt zu laboriren: aber noch 1787, als ich ihn zum lezten - mal beſuchte, behauptete er, daß die Goldkocherei allerdings eine ausfuͤhrbare Kunſt ſey. Es iſt nur Schade, fuͤgte er hinzu, daß man ſo viel Lehr - geld geben muß, und doch keinen erfahrnen Lehrmei - meiſter haben kann.

Meine Mutter, welche noch lebt, iſt eine ganz brave Frau, und ſo habe ich ſie immer gekannt. Sie iſt eine Enkelin des ehemals beruͤhmten Rechtsgelehr - ten Johann Schilter von Strasburg. Mein Vater hatte ſie aus Liebe geheurathet, und ſie ſchien immer eingedenk zu ſeyn, daß ſie ihm nichts zuge - bracht hatte. Sonſt hat ſie, wie alle Weiber, ihre kleinen und großen Maͤngel, die ich eben hier nicht angeben mag!

9

Zweites Kapitel.

Soviel vermoͤgen Tanten und Geſinde:

Von meinen erſten Jahren und fruͤhern Erziehung kann ich nur wenig anfuͤhren. Mein Vater hatte eine Schweſter bei ſich im Hauſe, welche niemals wer weis, warum? verheurathet geweſen iſt. Dieſe fuͤhrte die beſondere Aufſicht uͤber uns Kinder; war aber dabei ſo nachgiebig, daß ſie alle unſre klei - nen Teufeleien nicht nur vor den Augen unſrer El - tern fein tantiſch verbarg, ſondern ſelbigen nicht ſelten noch gar Vorſchub that. Und ſo ward ich fruͤh un - ter den Bauern als ein Bubec)Nach der Pfaͤlzer Sprache heißen alle Jungen Buben: die Bauern nennen ihre Soͤhne ſo, bis ſie heurathen. Hanes Henrich, ſagte der alte Gerheim zu ſeinem 25jaͤhrigen Sohne, Hans Henrich, wann dau Vatter werrſchſt un eich werre Bub, dann beſtellſcht dau die Maͤuwe. Hoſcht d'es gehoͤrt, Hanes Henrich? bekannt, der es, mit den Pfaͤlzern zu reden, fauſtdick hinter den Oh - ren haͤtte, und ein ſchlimmer Kunde werden wuͤrde. Noch jezt erinnere ich mich mit Unwillen oder manch - mal mit Wohlgefallen, je nachdem meine Seele ge - ſtimmt iſt, an die Poſſen und Streiche, welche ich in meiner erſten Jugend geſpielt habe. Ich muß ei - nige erzaͤhlen.

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Der alte Eſchenbach hatte ſich einmal ent - ſetzlich beſoffen, und ſaß ſchlafend auf einem Stroh - ſtuhl in unſrer Scheune. Ich war allein zugegen, und bemerkte, daß Waſſer von dem Stuhle herab - lief: huſch! nahm ich ihm die Peruͤke vom Kopfe, hielt ſie darunter, ließ ſie volllaufen, ſtuͤrzte ſie ihm wieder auf den Kopf, doch ſo, daß der Haarbeutel uͤber das Geſicht zu haͤngen kam, und entfernte mich. Der alte Saͤufer erwachte daruͤber, lief, wie ich ihn gemuſtert hatte, auf den Hof, und ſchrie einmal uͤbers andere: wer thut mich mit Waſſer ſchuͤtten! Mein Vater erfuhr den Vorgang, und, ſtatt mich zu zuͤchtigen, ſagte er nichts als: 's iſt ein Blitzbu - be! hat er den alten Saufaus nicht bezahlt! habeat fibi! Noch eins von dieſer Art!

Meiſter Trippenſchneider handelte mit Eſ - ſig, Zwiebeln und Salz, welches alles er auf einem Eſel herumfuͤhrte. Einſt kam er in unſern Flecken, und ging in meines Vaters Haus, um da ſeine Waa - ren anzubieten. Fluchs ſteckte ich dem Thier ange - zuͤndeten Schwamm hinters Ohr. Der Eſel ward wild, warf ſeine Ladung ab, wobei das Salz ver - ſchuͤttet und die Eſſigfaͤßchen zerbrochen wurden. Man unterſuchte genau, woher das Thier ſo wild geworden war; aber man fand auch keine Spur von Urſache. Meiſter Trippenſchneider erklaͤrte endlich den Zufall aus der Feindſchaft der Schlampin,11 einer alten Frau, welche bei uns fuͤr eine Hexe galt. Dieſe ſollte den Eſel durch ihre Hexereien ſo in Har - niſch gejagt haben. Ich fuͤr mein Theil freute mich; konnte aber nicht ſchweigen: und ſo erfuhr mein Vater den Urheber des Spektakels. Ich er - hielt Ohrfeigen zur Belohnung, und Meiſter Trip - penſchneider Erſatz ſeines Schadens. Meine Tante pflegte hernach dieſes Stuͤckchen als einen Be - weis meiner Faͤhigkeiten anzufuͤhren, wenn ſie fuͤr gut fand, ihre Affenliebe gegen mich durch Lob zu aͤuſſern.

Meine Tante war eine große Freundin vom Trunk, und dieſe Neigung ging ſo weit, daß ſie ſich nicht nur oft ſchnurrig machte, ſondern auch dann und wann recht derb beſoff. Mein Vater ſchloß alſo, wenn er mit meiner Mutter uͤber Feld ging, den Keller zu, und ließ der Tante blos ihr Be - ſtimmtes.

Meine Tante machte die Entdeckung, daß eins von den Kellerfenſtern ohne eiſerne Barren und blos mit einem hoͤlzernen Gitter verwahrt war. Das Gitter konte leicht weggenommen werden: ich mußte mich alſo an einem oben befeſtigten Seile hinablaſſen. Inwendig oͤffnete ich ſodann die Kellerthuͤr, und Mamſell Tante konnte ſich nach Herzensluſt Wein holen. Fuͤr ſie ſelbſt haͤtte es hingehen moͤgen: denn12 ſie war einmal ans Trinken gewoͤhntd)Zur Schande des Frauenzimmers in der Pfalz muß ich anmerken, daß ſehr viele unter ihnen ſich dem Saufen recht unziemlich ergeben. Alle Frauenzimmer trinken Wein, und viele dergeſtalt, daß ſie die Manns - perſonen darin uͤbertreffen. Meine ſchoͤne Lands - maͤnninnen werden freilich uͤber mich zuͤrnen: denn bei ſolchen Nachrichten moͤchten Auslaͤnder eben nicht ſon - derliche Luſt ſpuͤren, ein Pfaͤlzer-Maͤdel zu heurathen; aber ich kann leider nicht gegen die Wahrheit.; daß ſie aber auch mich, mich einen Knaben von ſechs Jahren zum Weintrinken anfuͤhrte, war im hoͤchſten Grade unrecht: ich wuͤrde ſagen, daß es ſchaͤndlich war, weil ſie dadurch den Grund zu vielen meiner folgenden Unfaͤlle gelegt hat. Aber ihre Affenliebe zu mir, ließ ſie blos auf Mittel ſinnen, wie ſie mir Vergnuͤgen machen koͤnnte. An nachtheilige Folgen dachte ſie nicht.

Auf dieſe Art wurde ich alſo in der zarteſten Jugend ein Saͤuffer. Oft war ich durch den Trunk meiner Sinnen beraubt; und dann entſchul - digte mich meine Tante, wenn ja die Eltern nach mir fragten, durch Vorgeben: daß mir der Kopf wehe thaͤte, daß ich ſchon ſchliefe u. ſ. w. Mein Vater erfuhr demnach von meinen Saufereien nichts.

Ich fuͤhre dieſe Umſtaͤnde deswegen an, damit ich einen Erfahrungs-Grund zu der Vorſchrift gebe: daß Eltern ihre Kinder auch ihren naͤchſten Ver - wandten nicht anvertrauen ſollen, ſo lange ſie an13 deren regelmaͤßigem Leben auch nur im geringſten zweifeln koͤnnen. Eben dies gilt von Freunden und Freundinnen, und vorzuͤglich vom Geſinde. Man wird gleich ſehen, warum.

Zu den ſchoͤnen Tugenden, womit meine Ju - gend ausgeruͤſtet war, gehoͤrt auch das Fluchen und Zotenreißen. Unſer Knecht, Johann Ludwig Spangenberger unterrichtete mich in dieſen ſau - bern Kuͤnſten zu fruͤh und zu viel. Er erklaͤrte mir zuerſt die Geheimniſſe der Frauenzimmer, und brach - te mir leider ſo viel Theorie davon bei, daß ich in Stand geſetzt wurde, zu den ſchaamloſen Neckereien und Geſpraͤchen des Geſindese)In der Pfalz ſcheinen die Zoten wie zu Hauſe zu ſeyn: beſonders herrſcht unter den gemeinen Leuten eine ſol - che Schaamloſigkeit im Reden, daß auch ein Preußiſcher Musketier uͤber die unlautern Schaͤckereien der Pfaͤlzer Haͤnſels und Gretels erroͤthen wuͤrde. mein Kontingent allemal richtig und mit Beifall zu liefern. Und ſeit - dem der Knecht mich ſo unterrichtete, ſuchte ich ſeine Geſellſchaft mit aller Emſigkeit, und verſah ihn mit Taback aus meines Vaters Buͤchſe: es war natuͤr - lich, daß ſein Unterricht hierdurch zunahm. Da auch Meiſter Hans Ludwig wie ein Landsknecht fluchen konnte; ſo ahmte ich ihm auch hierin ſo treulich nach, daß jedesmal, wenn ich redete, das zweite Wort eine Zote und das dritte ein Fluch war. In meiner Eltern Gegenwart entfuhren mir anfaͤnglich14 auch dergleichen Unflaͤtereien; da ich aber bald merk - te, daß ſie das nicht leiden konnten, ward ich vor - ſichtiger, und ſprach beſcheiden; aber nur in ihrer Gegenwart.

Es laͤßt ſich denken, daß es nicht blos bei Lud - wigs Theorie geblieben iſt: ich bekam bald Luſt, auch das zu ſehen und das zu erfahren, wovon ich ſo viel gehoͤrt hatte. Dazu fand ich Gelegenheit bei einer unſrer Maͤgde, welche gern zugab, daß ich bei ihr alles das unterſuchte, was mir Hans Lundwig als das non plus ultra der hoͤhern Kenntniſſe angewie - ſen hatte.

So war meine erſte Erziehung beſchaffen, oder vielmehr, ſo wurde das wenige Gute, welches mein Vater durch Unterricht und Ermahnen in mich zu bringen ſuchte, durch Verfuͤhrung und boͤſes Beiſpiel Anderer verhunzt und vernichtet!

Drittes Kapitel.

Auch Vaͤter verſehens oft.

Ich muß es meinem guten Vater zwar nachruͤhmen, daß er mich oft und mit aller Herablaſſung und Sanftmuth unterrichtet hat: ja, er hielt mir an - fangs keinen Lehrer, weil er glaubte, daß der Un -15 terricht eines Vaters jenem eines Lehrers weit vorzu - ziehen ſey: und darin hatte er nun freilich Recht! Allein er haͤtte mehr auf meinen Verſtand und mein Betragen, als auf mein Gedaͤchtniß Ruͤckſicht neh - men, und das letztere nicht blos mit einſeitigen Kent - niſſen ausfuͤllen ſollen. Denn da unſre Lehrſtunden nicht lange dauerten, und ich das, was ich außer denſelben auswendig zu lernen hatte, mit meinem ziemlich gluͤcklichen Gedaͤchtniß bald faßte; ſo entzog ich mich ſeiner Aufſicht, und benuzte meine uͤbrige Zeit, da mein Vater in ſeiner Studierſtube oder im alten Hauſe mit Gold Laboriren beſchaͤftigt war, zu allerhand kleinen Teufeleien. Meine Mutter gab vollends noch weniger auf die Auffuͤhrung ihrer Kin - der acht: und ſo waren wir groͤßtentheils uns ſelbſt uͤberlaſſen.

Mein Vater ſetzte ferner, wie viele Vaͤter, die Erziehung in den Unterricht: lernen hieß bei ihm er - zogen werden, und ein junger wohlgezogener Menſch bedeutete ihm blos einen Juͤngling, der ſeinen Ci - cero und Virgil leſen, die Staͤdte, Fluͤſſe und dergleichen, auf der Landkarte anzeigen, die Namen der großen Herren, die Schlachten bei Marathon, Canna u. a. auf dem Nagel herzaͤhlen, und dann endlich franzoͤſiſch plappern konnte. Dies, ſagte er, iſt fuͤr einen Knaben genug: das Uebrige gehoͤrt fuͤr die hoͤhern Schulen! Wie ſehr er hierin geirrt habe16 darf ich nicht erſt ſagen: das haben unſre Herren Paͤdagogen ſchon bis zum Eckel geſagt. Aber dieſe Herren haben wieder auf der andern Seite darin ge - irrt, daß ſie die Geſchichte und alles Studium der aͤltern Sprachen, beſonders der lateiniſchen, die ih - nen Jalappenharz zu ſeyn ſcheintf)Man ſehe die Edukationsſchriften hin und wieder, und vergleiche damit des trefflichen Dresdner Krebs Vannus Critica in inanes paleas Baſedowii: desgl. den zweiten Theil des herrlichen Romans Hille - brand., verſaͤumen.

Vom Schoͤnſchreiben war mein Vater kein Freund: docti male pingunt, ſagte er: und ſo war es hinlaͤnglich, wenn ich nur ſchreiben, d. i. Kratzfuͤße machen konnte. Er gieng hierbei in ſeiner Pedanterie ſo weit, daß er den Verfaſ - ſer eines von Seiten der Schriftzuͤge ſchoͤn geſchrie - benen Briefes, jedesmal fuͤr einen Ignoranten er - klaͤrte.

Dieſem Vorurtheile meines Vaters verdanke ich es, daß ich immer elend und unleſerlich geſchrieben, und dadurch ſchon mehrere Fluͤche und Verwuͤnſchun - gen der Druckſetzer verdient habe. Ich habe mich zwar ſelbſt geuͤbt, nach Vorſchriften zu ſchreiben; aber was ich dadurch gewann, ging hernach durch das Nachſchreiben in den Kollegien auf den Univer - ſitaͤten wiederum verloren.

17

In die deutſche Schule zum Katechismus oder zum Religionsunterricht, wollte mich mein Vater aus guten Gruͤnden nicht ſchicken. Er war, wie meine Leſer ſchon wiſſen, ein Pantheiſt, mußte folg - lich die Art, wie man Kindern in den Schulen von der Religion vorſchwazt, von Herzen verabſcheuen: ich durfte alſo den Katechismus nicht lernen, und habe ihn auch nie gelernt. Erſt in Gießen, als ich D. Benners Vorleſungen uͤber die Symbolik hoͤrte, las ich den Katechismus Lutheri mit allem Ernſt.

Dagegen wurde ſchon in meinen fruͤhern Jah - ren das Latein mit mir angefangen, und zwar aus Amos Comenius bekanntem Buche, dem Orbis pictusg)Herr Adelung hat das Leben des braven Comme - nius ſeiner Geſchichte der menſchlichen Narrheit ein - verleibt. Das haͤtte er nicht thun ſollen: Comme - nius hatte Verdienſte, und war wenigſtens kein Narr. Aber Herr Adelung hat auch andere Maͤnner in die Klaſſe der Narren gebracht, die es nicht verdienten, z. B. den Jordan Brunus, wobei ihm das Bailtſche Woͤrterbuch haͤtte aushelfen koͤnnen.. Ich muß geſtehen, daß ich dieſem Buche vieles verdanke: es iſt das beſte Buch, welches ich kenne, um Kindern eine Menge Vokabeln und latei - niſche Redensarten ſpielend und ohne allen Eckel bei - zubringen. Ein Knabe, der den Orbis pictusErſter Theil. B18treibt, kommt in drei Monaten im Latein wei - ter, als er durch den Gebrauch der ſo genannten Chreſtomathien und Leſebuͤcher der Herren Stroth, Gedike, Wolfram und anderer, in einem Jah - re kommen kann. Neben dem Orbis pictus, wur - den die Trichter des Muzelius getrieben, und dadurch ward ich nach dem gewoͤhnlichen Schlage in der Grammatik feſt. Mein Vater hatte den guten Grundſatz, daß die Grammatik das Fundament der Sprachlehre ausmachen muͤſſe.

Als ich ohngefaͤhr acht Jahre alt war, wurde mein Vater in einen Handel verwickelt, der ihn ganz niederſchlug: es war folgender.

Viertes Kapitel.

So machens Prieſter und Grafen!

Der Rheingraf zu Grehweiler, meines Vaters hochgebietender Herr, hatte einen Hofprediger, Jo - hannes Herrenſchneider, von Strasburg, ehemaligen Konrektor der Schule zu Gruͤnſtadt, ei - nen Mann, der franzoͤſiſch parlirte, ſich taͤglich mit Lavendelwaſſer einbalſamirte, und immer durch die Fiſtel ſprach. Dieſer Mann hatte in Strasburg ſtudirt, einem Orte, wo die kraſſeſte Orthodoxie von19 Zeiten der Reformation an, fuͤrchterlich geherrſcht hat und noch herrſcht. Daher war er denn auch uͤber - trieben orthodox, und roch, wie D. Bahrdt ſagt, die Ketzer von weitem. Uebrigens wußte er gar nichts, und war ein truͤbſeliger unwiſſender Schuͤler. Und dennoch ließ ſich dieſer ſaubere Herr beigehen, ein Buch zum Unterrichte der Kinder in der Rhein - grafſchaft herauszugeben. Er ſudelte zu dem Ende ein Ding aus ſeinen dogmatiſchen Heften zuſammen, welches das non plus ultra alles Unſinns und aller Grillenfaͤngerei war: ein Ding, worin ſogar von Mittheilung der Eigenſchaften, von der Hoͤllenfahrt Chriſtih)Auf die Frage: warum Chriſtus zur Hoͤlle gefahren ſey? heißt die Antwort: daß er predigte ewige Ver - dammniß den verdammten Geiſtern, und ſich ſeines Sieges an ihrer Quaal und Marter erfreute. Pfui der Schadenfreude!, vom Antichriſt und von allen Raritaͤten des Syſtems weitlaͤuftig gefaſelt wird. Am Ende des Wiſches ſteht obendrein ein Anhang von der Verſchiedenheit der Religionen, oder eine Nachricht fuͤr Bauerkinder, von den Gnoſtikern, Arianern, Neſtorianern, Eutychianern, Monothe - leten, Schwenkfeldern, Majoriſten, Atheiſten, De - iſten, u. dgl.

Das Buch wurde ganz in der Stille zu Stras - burg abgedrukt, und ſollte auf Befehl des Herrn20 Grafen in alle Schulen der Grafſchaft eingefuͤhrt werden. Mein Vater widerſetzte ſich der Einfuͤh - rung dieſes elenden Wiſches mit aller Gewalt, und ſchrieb deswegen an den verſtorbenen Herrn D. Toͤllner nach Frankfurth an der Oder, der immer ſein Freund geweſen iſt, wie auch an Herrn D. Walch nach Goͤttingen. Dieſe Maͤnner erklaͤrten den Wiſch fuͤr das, was er war, fuͤr die Geburt eines elenden Gruͤtzkopfs, die ſich zum Schulunter - richt durchaus nicht ſchicke. Mein Vater uͤbergab dem Grafen die Briefe ſeiner Freunde, legte ihm die Maͤngel des Buches, dem der Verfaſſer den Na - men Heilsordnung gegeben hatte deutlich vor Augen; aber was halfs? Das Ding wurde eingefuͤhrt, und von den Schulkindern auswendig gelernt. Daß der Hofprediger von nun an meines Vaters erklaͤrter Feind wurde, verſteht ſich von ſelbſt.

Ich bin zwar nicht gewohnt, die Geiſtlichen als Maͤnner anzuſehen, welche die menſchlichen Schwachheiten abgelegt haben, ja, wenn ich etwas Skandaloͤſes von einem Schwarzrok hoͤre; ſo bin ich allemal geneigt, es zu glauben: die Erfahrung hat mich ſo weit gebracht. Doch bin ich uͤberzeugt, daß man meinem Vater Unrecht gethan hat, als man ihn in puncto ſexti beſchuldigte. Man urtheile ſelbſt!

21

Mein Vater hatte ſich einen benachbarten Geiſtlichen zum Feinde gemacht, den nahen Anver - wandten eines Einwohners unſers Ortes. Einige Unvorſichtigkeiten meines Vaters gaben hierauf ſeinen Feinden Gelegenheit, dem Meiſter Bran - denburger ſo hieß der Vetter des benachbar - ten Geiſtlichen, der meines Vaters Feind war alles zuzutragen, einen ſchmutzigen Umgang zwiſchen ihm und einem Frauenzimmer des Ortes, welches eben nicht im beſten Rufe ſtand, zu ſupponiren, und ihn, nachdem ſie vorher alles fein eingefaͤdelt hatten, foͤrmlich anzuklagen. Die Beweiſe fehlten gaͤnzlich, und ob man gleich viele Eide ſchwoͤren ließ; ſo konnte man doch nicht das geringſte herausbrin - gen, das meinen Vater auch nur aus der Ferne wirklich gravirt haͤtte. Dennoch wurde er ſuſpendirt: denn der Graf ſelbſt war ſein Feind. Ich muß den Grund dieſer Feindſchaft anfuͤhren.

Der Graf von Grehweiler hatte ohngefaͤhr nur 40000 Thaler Einkuͤnfte, und fuͤhrte doch einen fuͤrſtlichen Hofſtaat, hielt ſogar Heyducken und Huſa - ren, eine Bande Hofmuſikanten, einen Stallmeiſter, Bereuter und noch viel anderes unnoͤthiges Geſinde. Dazu gehoͤrte nun Geld, und ſeine Einkuͤnfte reich - ten nicht zu. Die Unterthanen durfte er aus Furcht vor dem Lehnsherrn, dem Kurfuͤrſten von der Pfalz, nicht mit neuen Auflagen belaͤſtigen; daher blieb22 blos der einzige Weg uͤbrig, Schulden zu machen. Dieſer modus acquirendi ging Anfangs recht gut; aber bald wollte niemand mehr dem Hrn. Grafen auf ſein hochgraͤfliches Wort borgen: was war zu thun! Man nahm Geld auf die Dorfſchaften auf; und die Unterthanen muſten ſich unterſchreiben. Auf dieſe Art wurde nach und nach eine Summe von 900000 rheiniſcher Gulden geborgt.

Die Procedur bei dieſem Anleihen war oft mit den groͤßten Spitzbuͤbereien verbunden. So wurde zum Beiſpiel an den Grafen von Lamberg in Mainz, ein Wald zwiſchen Bokkenheim und Wons - heim verſezt, von 500 Acker; und doch iſt in der ganzen Gegend keine Staude zu ſehen. Die Be - dienten des Grafen ließen ſich alle zu den Abſichten ihres Herrn willig finden: ſie ſahen ihren Vortheil dabei. Ich muß doch dieſe ehrlichen Leute nennen, ob ſie gleich ſchon in oͤffentlichen Schriften als Erz - betruͤger gebrandmarkt daſtehen. So etwas warnet! Es waren folgende! Herr Kammerrath Schadi)Kammerrath Schad iſt erſt vor einigen Jahren als ein Bettler geſtorben, nachdem er uͤber zehn Jahre im Gefaͤngniß zugebracht hatte. Folgendes Epigram auf den alten Schind-Hannes, welchen der Kammer - rath um Haab und Gut gebracht hatte, charakteriſirt ihn nicht uͤbel. Es heißt:, Kammerſekretaͤr Arnoldi, Renntmeiſter Breken - feld, den die Bauern hernach den Verreck-im-Feld23 nannten, Oberſchulz Haͤfner, nebſt Gemahlin, der Maͤtreſſe des Grafen, Kammerdiener Rohard, Baumeiſter Biel, Gaſtwirth Brann, eine Menge Juden und andrer Helfershelfer, welche ſammt und ſonders ſich auf des Grafen Unkoſten, oder vielmehr auf Unkoſten der Glaͤubiger zu bereichern ſuchten.

Mein Vater ſah das Unweſen, und ſprach davon ſo deutlich, wie er es ſeiner Pflicht angemeſſen hielt. Er ermahnte ſeine Pfarrkinder, ſich nicht ferner zu unterſchreiben, weil ſie einmal doch wuͤrden bezahlen muͤßen. Dies wirkte: die Leute wider - ſetzten ſich: die Schuld davon fiel auf meinen Vater. Das entflammte den Grafen zur Rache: was konnte ihm daher erwuͤnſchter ſeyn, als eine Gelegenheit, ſich an ihm zu raͤchen? Dieſe both ihm die erzaͤhlte Beſchuldigung dar. Mein Vater wurde alſo ſuſpen - dirt. Aber da dieſer den Proceß am Kammergericht zu Wetzlar anhaͤngig machte; ſo wurde er nach neun Monaten fuͤr unſchuldig erklaͤrt, und erhielt einen Ehrenerſatz. Wie ſehr aber der Proceß ſeine oͤkono - miſchen Umſtaͤnde in Unordnung gebracht habe, kann man denken.

i)
Ich war ein alter armer Schinder,
Jedoch im Schinden viel gelinder
Als der Herr Kamm'rrath Schad,
Der mich, den Schinder ſelbſt geſchunden hat.
Ich ſchund nur todtes Vieh, und meiſt krepirte Hunde,
Indeß Herr Kamm'rrath Schad lebend'ge Menſchen ſchunde.
i)24

Waͤhrend der Zeit dieſer Suſpenſion war ich zu Dolgesheim in dem Inſtitut des Inſpektors Kratz, der nachher Leiningiſcher Superintendent geworden iſt.

Wenn meine Leſer die Nachrichten von dem Rheingrafen zu Grehweiler nicht mit Langerweile geleſen haben; ſo werde ich ihnen keinen uͤblen Dienſt leiſten, wenn ich die Tragikomoͤdie auserzaͤhle.

Nachdem ſich alſo die Schulden des Grafen zu ſehr gehaͤuft hatten; ſo forderten die aͤltern Glaͤu - biger ihr geliehenes Geld zuruͤck. Man hatte auch die vielen Bubenſtuͤcke entdeckt, welche bei den Bor - gereien waren begangen worden. Man hatte naͤm - lich Schulknaben die Namen ihrer Vaͤter unter die Obligationen ſchreiben laſſen oder Namen hingeſchrie - ben, die nicht exiſtirten, u. ſ. w. Alles das bewog die Glaͤubiger, ihre Zahlung mit Ungeſtuͤm zu for - dern. Unter dieſen befand ſich auch der Mainziſche Staatsminiſter, Graf von Lamberg. Dieſer ließ durch den Mainziſchen Amtsverwalter Heim - bach, einige graͤfliche Unterthanen und drei Juden nach Neubamberg locken, anhalten und nach Mainz ins Gefaͤngniß bringen, wo ſie uͤber fuͤnf Jahre ge - blieben ſind. Der Graf hielt ſich bei dieſem Vorfall ganz ruhig; doch unterſtand er ſich nicht, ſeine Graf - ſchaft zu verlaſſen.

25

Endlich kam eine kaiſerliche Kommiſſion, welche die ganze Wirthſchaft unterſuchte, und zuvoͤrderſt den Herrn Grafen mit ſeinen Bedienden feſt - ſetzte. Die meiſten dieſer ſaubern Finanziers hatten ſich aus dem Staube gemacht. Oberſchulz Haͤfner war nach Holland und von da nach Amerika gegangen. Eben ſo waren Brekenfeld und Arnoldi ent - wiſcht; aber die Frau des Oberſchulzen, der Kam - merrath Schad und mehrere wurden feſtgeſetzt, und erſt lange hernach losgelaſſen. Der Fuͤrſt von Naſſau Weilburg war Kommiſſarius.

Nach mehrern Jahren kam das Endurtheil von Joſeph II. Die Unterthanen, welche ſich unter - ſchrieben hatten, wurden von der Bezahlung losge - ſprochen. Der Graf ſollte wegen ſeiner Betruͤgereien auf zehn Jahre nach der Feſtung Koͤnigsſtein bei Frankfurt gebracht, und der Regierung unfaͤhig er - klaͤrt werden. Die Succeſſion ſollte nicht auf den noch lebenden Bruder des Grafen, den Ludwig, ſondern auf eine Seitenlinie von Gumenbach fal - len. Die Kommiſſion ſollte ſo lange bleiben, bis die Schuldener bezahlt waͤren, welche aber keine Inte - reſſen zu fordern haͤtten. Alle andere, welche an der Sache mala fide Antheil gehabt haͤtten, ſollten nach Befinden von dem Kommiſſar zur Strafe gezogen werden.

26

Dies war das Urtheil, welches den Einſichten, und der Denkungsart des vortreflichſten Kaiſers wah - re Ehre gemacht hat! und ſo endigte ſich die Grehweileriſche Komoͤdie mit Schrecken!

Der Graf hat ſeine vollen zehn Jahre ausge - ſeſſen. Seine Tochter, die Gemahlin des Grafen von Ortenburg, reiſete zwar ſelbſt zum Kaiſer, und bath fußfaͤllig um die Loslaſſung ihres Vaters; aber der gerechte Fuͤrſt antwortete: der Graf haͤtte ſich einer weit ſchaͤrfern Ahndung ſchuldig gemacht. Danken Sie Gott, Madame, ſetzte er hinzu, daß ich mir, wie ich anfangs willens war, in dieſer Sache nicht das Gutachten der Kurfuͤrſten und der Reichsſtaͤnde ausbath: waͤre dieſes geſchehen, Ihr Vater wuͤrde ſo nicht weggekommen ſeyn. Mit dieſem Troſte muſte ſich die gute Graͤfin abfuͤhren.

Jetzt iſt die Sache dahin gebracht, daß der Graf Karl von Grumbach die Regierung der Graf - ſchaft fuͤhrt, und die Schulden bezahlen muß. Er hat ſich mit der juͤngſten Tochter des Rheingrafen vermaͤhlet. Der Bruder des Grafen hat ein Fraͤulein in der Lauſitz geheurathet, und iſt da ge - ſtorben.

27

Fuͤnftes Kapitel.

An dem Schulweſen in der Pfalz giebt es noch viel zu verbeſſern!

Der Inſpektor Kratz in Dolgesheim hatte ſchon vor mehrern Jahren eine Art Erziehungsinſtitut an - gelegt, und manche junge Leute ſo weit gebracht, daß ſie die Univerſitaͤt beziehen konnten. Unter andern war auch der Nachfolger des theuren Herrn Sigis - mundus, weiland Profeſſors der Theologie und Moral auf dem Bahrdtiſchen Philanthropin zu Hei - desheimk)Von dieſem herrlichen Manne handeln die Beitraͤ - ge zu Doktor Bahrdts Lebensgeſchichte in Briefen eines Pfaͤlzers. S. 97. ff., der ehrwuͤrdige Herr Schukmann, Alumnus des Kratziſchen Inſtituts, bis er die hohe Schule in Gieſſen bezogen hat. Kratz war wirklich ein geſchickter Mann im Latein und im Griechiſchen: er wußte viele Vocabeln, war ſtark in der Gramma - tik, und konnte ganze Reden des Cicero woͤrtlich herſagen: ſonſt war er ſteif orthodox. Als daher Hr. D. Bahrdt in der Pfalz 1777 ſeine Komoͤ - die ſpielte, predigte er tapfer wieder ihn los. Im Unterricht war er ein rechter Orbilius, der immer cum baculo et annulo daſtund, und ſeinen Schuͤ -28 lern das Zeug eingerbte. Ich kann mich vorzuͤglich ruͤhmen, die ſchwere Hand des Hrn. Kratz oft und derb empfunden zu haben.

Seine Eleven waren meiſtentheils uͤbelgezogene Jungen; und wie vorbereitet ich in dieſe Geſellſchaft gekommen bin, wiſſen meine Leſer. Die Schuͤler, an der Zahl vierzehn, behandelten mich als einen kleinen Buben, der ihren Komment (Kommang) nicht verſtuͤnde, und den ſie alſo in die Lehre nehmen muͤßten. Aber ſie wurden bald inne, daß ſie ſich ge - irrt hatten. Ich fing an, das praktiſch zu zeigen, was ich in Wendelsheim von meinem Mentor, dem Ludwig Spangenberger, theoretiſch gelernt hatte: und da ſahen die Dolgesheimer Jungen, daß ich in manchen Stuͤcken noch haͤtte ihr Lehrmeiſter ſeyn koͤn - nen. Ich ward jetzt der Theilnehmer an allen ihren Vergnuͤgungen, und bald die Seele der Geſellſchaft. Kein Lumpenſtreich wurde ausgefuͤhrt Mosjeh Fritz war dabei, und nicht ſelten der Anfuͤhrer. Unſern Lehrmeiſter, oder wie wir ihn nannten, Lehrprinzen (Principalen) ſchonten wir nicht, und ſchabernakten ihn, wo wir nur konnten. Ich muß doch ſo einen Streich erzaͤhlen!

Der Inſpektor Kratz hatte einen Knecht, Na - mens Hans. Dieſen Kerl wollte der Inſpektor zwingen, ein Privet im Garten auszuraͤumen. Der Knecht, welcher dieſe Arbeit unter ſeiner Wuͤrde29 hielt, wollte durchaus nicht, und als der Herr In - ſpektor ihm mit Schlaͤgen drohte, verſetzte er dem - ſelben einen ſolchen Stoß, daß er ruͤcklings ins Pri - vet fiel, und ſich ſchrecklich beſudelt. Von dieſem ſchmutzigen Handel machten wir eine Komoͤdie, und fuͤhrten ſie mehrmalen auf: da kamen noch andre Perſonen dazu: eine Hexe, ein Jude, ſogar der Teufel. Hr. Kratz erfuhr endlich, daß er den Stoff zu einer Komoͤdie ſeiner Schuͤler hergab, und da regnete es nun Pruͤgel mehr als zu viel. Drei Tage waͤhrte die Exekution, bis wir alle, wie man ſagt, unſer Fett reichlich bekommen hatten.

Die Bauern in Dolgesheim fuͤrchteten ſich or - dentlich vor uns: denn es vergieng kein Tag, daß wir die Leute nicht geneckt oder ſonſt gehudelt haͤtten.

Ich wohnte bei dem Bruder meines Vaters, der ſich in Dolgesheim aufhielt, und Kammerſekre - taͤr bei dem Grafen von Leuningen Gundersblum Emmerich war. Dieſer Graf hat ſich nachher ſelbſt erſchoſſen. Mein Onkel hatte einen Sohn, Jakob, welcher eben ſo luſtig lebte als ich, und es trotz mir, in der Schelmerei weit genug gebracht hatte. Meine Leſer werden nun ſchon fuͤr ſich ſelbſt einſehen, daß meine Sitten in Dolgesheim eher verſchlimmert, als verbeſſert wurden.

Im Latein kam ich freilich weiter. Ich lernte den Cellarius auswendig, und fieng an, den Cor -30 nelius zu exponiren. Auch fing ich an, griechiſch zu kaͤuen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht recht behagen: ich fuͤhlte den Unterſchied zwiſchen der Lehr - und Behandlungsart meines Vaters und der des Herrn Kratz. Jener war immer liebreich, fluchte und ſchalt nie; Hr. Kratz war ganz anders. Der fluchte, wenn er tuͤckiſch war, wie ein Boots - knecht, und gab uns immer die garſtigſten Zunah - men: Flegel, Eſel, Schlingel, Buͤffel, Ofenlochs - gabel, Hache waren die gewoͤhnlichen Titel, wo - mit er uns begruͤßte; und darauf pflegte eine derbe Pruͤgelſuppe zu folgen. Selten war Herr Kratz freundlich. Konnte ein Schuͤler ſeine Vocabeln ohne Anſtoß herſagen; ſo beſtand der ganze Beifall in einem muͤrriſchen hm, hm! fehlten aber einige Woͤr - ter, dann klang die Muſik anders. Kurz, die Schul - ſtunden waren allemal, wie ein Fegefeuer, und doch durften wir ſie bei ſchwerer Strafe nicht verſaͤumen.

Herr Kratz hatte keine Kinder, und ſeine liebe Haͤlfte war ein wahres Konterfait von der Hexe zu Endor. Es iſt ſchwer, ſich etwas abſcheulichers vor - zuſtellen: ihr Schmutz ging uͤber alle Beſchreibung. Sie ſoll ſogar einmal eine Reisſuppe von einer Juͤdin fuͤr einige Kreuzer gekauft haben, weil ſie Trefe, d. i. unrein, und folglich ungenießbar fuͤr Juden geworden war. Der Inſpektor liebte ſeine Frau nicht: wen befremdet es, daß der Mangel an ehelicher Liebe die31 Liebe gegen Andere, nicht verfeinerte, nicht erhoͤh - te. Er lebte fuͤr ſich, er war fuͤr ſich auf ſeiner Stube; wo er ſeine Buben ſo nannte er die Schuͤler unterrichtete, ſeine Tauben fuͤtterte, und in ſeinen Buͤchern herumblaͤtterte: uͤbrigens ließ ers gehen, wie es ging, und die ganze Wirthſchaft hing von der Frau Inſpektorin ab.

Ich hatte ohngefaͤhr anderthalb Jahr in Dol - gesheim zugebracht, als mich mein Vater zuruͤck hohl - te. Ein Baugefangener, der nach zehn Jahren ſaurer Feſtungsarbeit, wieder frei wird, kann nicht froher ſeyn, als ich es war, da es hieß es ginge nach Hauſe! Beinahe haͤtte ich vor lauter Jubel vergeſſen, bei meinem Lehrprinzen, dem Hrn. Kratz, Abſchied zu nehmen, und ihm fuͤr ſeinen Unterricht, wie auch fuͤr die vielen Schlaͤge, u. dergl. aufs verbindlichſte zu danken.

Ich war alſo wieder im Schooß meiner Fami - lie, erneuerte meine alten Bekanntſchaften, und fings wieder da an, wo ich es gelaſſen hatte.

Mein Vater wuͤrde mich jetzt auf eine oͤffentliche Schule geſchickt haben, wenn ihn nicht die elende Beſchaffenheit der Pfaͤlziſchen Schulen daran gehin - dert haͤtte. Da die drei Hauptpartheien der Chri - ſten in der Pfalz beinahe gleiche Rechte praͤtendiren obgleich die Katholiken, als die herrſchende Kirche alle Arten der groͤbſten Intoleranz, mit aller moͤgli -32 chen Inſolenz gegen die andern Religionsverwandten ausuͤben ſo haben auch Lutheraner, Reformirten und Katholiken in jeder Pfaͤlziſchen Stadt ihre Schu - len; aber die ſehen auch aus, daß es ein Greuel iſt! Zur Zeit der Jeſuiten gab es noch einige beſſere ka - tholiſche Schulen; jedoch nur wenige. Die andern ſind von jeher das rechte Gegentheil eines vernuͤnfti - gen Unterrichts geweſen.

Fuͤr die katholiſche Jugend iſt Meiſters Cani - ſius Katechismus mit Pater Matthaͤus Vogels Erlaͤuterungen das Orakel der Religion. Das Latein lernt man aus Emanuel Alvari's trefflichem Ru - dimente, und aus einigen verſtuͤmmelten Autoren. Die Geſchichte wird aus einem Lehrbuche vorgetragen, wo auf der einen Seite im abgeſchmackteſten Latein und auf der andern im fuͤrchterlichſten Deutſch die Begebenheiten nach wahren jeſuitiſchen Grundſaͤtzen, mit einer Menge Fabeln und Verdrehungen erzaͤhlt ſind. Ganz fruͤh ſucht man den zarten Gemuͤthern allen nur moͤglichen Haß gegen Ketzer, und recht re - gen Abſcheu gegen Neuerungen, profane Litteratur, Leſung Proteſtantiſcher Buͤcher, u. ſ. w. einzutrich - tern. Kommt daher ſo ein Menſch aus einer Pfaͤl - ziſchen katholiſchen Schule; ſo iſt er kraß, wie ein Hornochſe, und unwiſſend in allen noͤthigen Kennt - niſſen; ſpricht aber doch Latein. Aber was fuͤr La - tein? Solches: Ex mandato Domini Ballivii ve -33 ſtra dominatio hodie vel cras tenetur, extra - dere pecuniam, quam apud illam depoſuit Dominus N. Ex poſt videbimus u. ſ. w. das iſt phaͤlziſch-katholiſches Latein!

Die Pfaͤlziſchen lutheriſchen und reformirten Schulen ſind noch zehnmal elender! Da Do - ciren nicht einmal Leute, die ein Biſſel Latein ver - ſtuͤnden: und daher kommt es, daß die Schuͤler, wenn ſie die Univerſitaͤt beziehen ſollen, weder den Cornelius uͤberſetzen, noch ein griechiſches Verbum analyſiren koͤnnen. Ein mir bekannter Schaffner Namens Job, gab einmal dem Rektor Paniel in Kreuznach folgende deutſche Redensart, ins Latein zu uͤberſetzen auf, wozu er ihm die Vocabeln dictir - te: ich zweifle nicht, du werdeſt deiner Pflicht Genuͤge thun. Herr Paniel, ohne ſich lange zu beſinnen, uͤberſetzte friſch weg non dubito, quin ſat acturus ſis officio tuo. Wenn ein Rector ſo ein Schaͤcher in der Grammatik iſt, was kann aus den Schuͤlern werden? Die einzige gute Schule in der Pfalz iſt die zu Gruͤnſtadt, welche der Graf von Leiningen Weſterburg anlegen ließ, und die bis - her immer brave Maͤnner zu Lehrern gehabt hat. Ich will nur die Herren Seybold, Heyler und Balz davon nennen. Wer in der Pfalz auf Schu - len etwas gelernt hat, hat es gewiß in GruͤnſtadtErſter Theil. C34gelernt: auf den andern Schulen iſt das unmoͤglich. Doch hier iſt der Ort nicht, von den Pfaͤlzer Schulen weiter zu ſchreiben: wolt 'ich das thun; ſo muͤßt' ich ein ganzes Buch fuͤllen, und koͤnnte doch nur Jere - miaden anſtimmen.

Mein Vater hatte alſo wohl Urſach, mich nicht auf eine vaterlaͤndiſche Schule zu ſchicken: weit ent - fernen wollte er mich auch nicht. Da er nun wirk - lich Gaben und Geſchick zum Unterrichten hatte; ſo entſchloß er ſich, mich noch eine Zeitlang bei ſich zu behalten. Auch nach Gruͤnſtadt ſollte ich nicht, und zwar deswegen nicht, weil ein Bruder ſeines aͤrgſten Feindes, des Paſtors Rodrian, damals an dieſer Schule Unterlehrer war. Ich blieb alſo in Wendels - heim, und der Unterricht wurde wieder angefangen.

So brachte ich noch einige Jahre zu Hauſe zu, und da wir ſehr fleißig anhielten; ſo las ich unter der Anfuͤhrung meines Vaters mehrere lateiniſche und griechiſche Autoren. Zugleich kam ich in der Erdbe - ſchreibung und Geſchichte, welche zu allen Zeiten mei - ne liebſten Wiſſenſchaften geweſen ſind, ſo ziemlich weit. Ich erinnere mich noch, mit welcher Freude ich mit den Herren Paſtoren in unſrer Gegend uͤber Stellen aus dieſem und jenem Schriftſteller diſpu - tirt, und ſie in gewaltige Verlegenheit geſetzt habe, wenn ſie die beſprochenen Stellen nicht recht verſtun -35 den: denn ſehr bald merkte ich, daß ich ihnen uͤberle - gen war.

Sechstes Kapitel.

Merckt's euch, ihr Volks - und Kinderlehrer!

Ich habe mir nicht vorgeſetzt, ein curriculum vitae aus meiner Lebensgeſchichte zu machen, wie ihn die Studenten auf einigen Univerſitaͤten einreichen muͤſ - ſen, wenn ſie ein Teſtimonium von der Fakultaͤt ha - ben wollen: denn in einem ſolchen Curriculum iſt es hinlaͤnglich, daß die gehoͤrten oder nicht gehoͤrten Collegien, wenn ſie nur bezahlt ſind, angefuͤhrt werden. Ich will aber das nicht thun: ich erzaͤhle nicht, wie ich ſtudirt, und was ich etwa gelernt habe: denn einmal bin ich kein Gelehrter, und fuͤhle nur zu ſehr, wie manches ich verſaͤumt habe und dann ſoll mein Buͤchlein Nutzen ſtiften im Publikum. Ich werde daher nur das angeben, was dem Paͤda - gogen, dem Schulmanne, dem Beobachter und vor - zuͤglich dem unverdorbenen und verdorbenen Juͤng - linge Stoff zum Nachdenken geben kann. Und aus dieſer Abſicht muß alles, was ich hier ſchreibe, be - urtheilt werden.

36

Meine Tante nahm mich nun noch mehr, als vorhin in Schutz: ihre Neigung zu mir hatte durch meine lange Abweſenheit viel leiden muͤſſen. Sie bewies mir ihre Affenliebe bei jeder Gelegenheit jezt dergeſtalt, daß ich weiter keine Ruͤckſicht auf ſie nahm, wenn ich einen Streich vorhatte: vielmehr muſte ſie oft die Haͤnde dazu bieten. So muſte ſie z. B. die Juͤdin Brendel unterhalten, indeß ich in deren Stube ſchlich, und Schweinsgedaͤrme um die Scha - bes-Ampel oder Sabbatslampe wand, woruͤber ein entſetzlicher Spektakel ausbrach. Sie war es auch, die mich lehrte, auf dem Eiſe glandern, und Schritt - ſchuhe laufen. Dieſe Kunſt hatte ſie als Maͤdchen getrieben, und ſuchte ſie wieder hervor, um ihren lieben Neffen darin zu unterrichten. Mein Vater ſah wohl, daß die Tante mir zu gut war; aber da er nichts Boͤſes, oder doch nicht viel Boͤſes, von mir hoͤrte; ſo ſchwieg er, und ließ es gut ſeyn. Die Mutter war vollends froh, daß ich nicht viel um ſie war, und ihre Geſchaͤfte nicht ſtoͤhrte.

Die gute Tante war abſcheulich aberglaͤubig. Ueberhaupt iſt das Volk in der Pfalz dieſem Fehler auſſerordentlich ergeben. Es giebt zwar aller Orten Spuren von dieſer Seuche; aber nirgends auffallen - der, als in der Pfalz. Daß es dort viele tauſend Schock Teufel, Hexen, Geſpenſter, feurige Maͤn - ner u. ſ. f. giebt: daß es ſich anzeigt, daß das37 Maar wie man den Alp in der Pfalz nennt auf Anſtiften boͤſer Leute druͤckt, und tauſend derglei - chen Herrlichkeiten, ſind bei mei〈…〉〈…〉 en lieben Landes - leute ganz ausgemachte Wahrheiten: wer eine davon leugnen wollte, wuͤrde gewiß fuͤr einen Ketzer, oder fuͤr einen Dummkopf angeſehen werden. Jede Stadt, jedes Dorf hat ſeine oͤffentlichen Dorfgeſpenſter, ohne die Hausgeſpenſter. So geht z. B. in meinem Ge - burtsorte das Muhkalb und der Schlappohr im Dor - fe: im Felde ſpuckt der alte Schulz Hahn: item in der Adventszeit laͤßt ſich ein feuriger Mann im Felde ſehen. Beinahe alle Wendelsheimer ſchwoͤren, dieſe Ungeheuer geſehen zu haben. Die Haͤuſer ſind auch nicht frei von Uhuhus: ſelbſt im Pfarrhaus im Hinterhaus geht ein Moͤnch mit einem ſchrecklich langen Bart: in der Pfarrſcheune, wie die Dreſcher oft verſichert haben, laͤßt ſich der Sanktornus ſehen, u. ſ. w.

Daß der Poͤbel an dergleichen Schnurren glaubt, iſt ihm zu verzeihen; aber in der Pfalz glauben auch angeſehene Leute oder ſo genannte Honoratiores alles das eben ſo einfaͤltig, wie der Poͤbel. Ich bin mehr - mals in Geſellſchaften geweſen, wo Geiſtliche, Be - amte und Officire ſich in vollem Ernſt mit Geſpen - ſterhiſtoͤrchen unterhielten, und einander ihre Erfah - rungen mittheilten. Keine Seele unterſtand ſich zu widerſprechen; und wenn ich manchmal widerſprach,38 nachdem ich dieſen und noch mehr andern Unſinn hatte einſehen lernen; ſo erſchrak man uͤber meinen Un - glauben, und verſicherte mich, ich wuͤrde ſchon ein - mal mit Schaden klug werden. Ja, dieſer Aber - glaube ſitzt den dortigen Einwohnern ſo praktiſch feſt in den Koͤpfen, daß der herrſchaftliche Hofmann in Wendelsheim, dem Geſinde weit mehr Lohn geben muß, als man gewoͤhnlich giebt, blos darum, weil der Schlappohr in ſeinem Revier ſtark ſpuckt, wie man vorgiebt, und weil ſich immer eine weiße Frau im Kuhſtalle ſehen laͤßt.

Das abſcheulichſte iſt, daß die dortigen Geiſt - lichen ſelbſt den Aberglauben zu unterhalten und zu vermehren ſuchen. Mein Vater predigte zwar ſtark gegen dieſe Fratzen; aber er war auch der einzigel)Herr Chelius in Ilbesheim, Freſenius in Nie - derwieſen, Wehſarg in Eichloch, Simon zu Jop - weiler und noch einige wenige andre, wohin auch der katholiſche Paſtor in Erbesbuͤdesheim, Herr Hofmann, gehoͤrt, ſind Maͤnner, welche Balthaſar Beckers Geiſt haben. Gott lohne ſie dafuͤr!, der dergleichen Ungereimtheiten oͤffentlich hernahm. Doch dafuͤr raͤchen ſich nun auch die von ihm verwor - fenen Geſpenſter, indem ihn die Hausleute des jetzi - gen Pfarrers Schoͤnfeld ſelbſt haben ſpuken ſehen wie mir ein guter Freund ſchon vor einem Jahre ge - ſchrieben hat.

39

Herr Schoͤnfeld haͤtte billig dergleichen uͤble Nachreden wider ſeinen wuͤrdigen Vorfahr ernſtlich zu nichte machen ſollen; aber er iſt vielleicht ſelbſt zu ſehr von der Exiſtenz der Geſpenſter uͤberzeugt, als daß er dergleichen zu widerlegen wagen duͤrfte. In - deſſen fordere ich ihn hiermit auf, wenn ihn anders dieſe Geſchichte in die Haͤnde kommen ſollte, den guten Namen meines Vaters in dieſer Hinſicht zu rechtfertigen, oder zu erwarten, daß ich ihn noch bei lebendigem Leibe auch ſpuken laſſe. Herr Schoͤnfeld verſteht ohne Zweifel meinen Wink: und damit mags fuͤr diesmal gut ſeyn!

Ich wurde von meiner Tante mit allen Arten des Aberglaubens bekannt gemacht. Jeden Abend erzaͤhlte ſie mir und dem Geſinde Hiſtoͤrchen von Hexen und Geſpenſtern alles in einem ſo kraſſen, herzlichen Tone, daß es uns gar nicht einfiel, ihre Erzaͤhlungen im mindeſten zu bezweifeln. Unvermerkt ward ich dadurch ſo furchtſam, das ich mich nicht getrauete, des Abends allein zur Thuͤr hinaus zu ge - hen. Mein Vater merkte endlich das Unweſen, und fing an, wider die Geſpenſter loszuziehen, ſo oft er in dem Zirkel ſeiner Familie erſchien. Er nahm mich des Abends, auch ſpaͤt in der Nacht, mit auf den Kirchhof, und erzaͤhlte mir bei ſeiner Pfeife Tabak, allerhand Anekdoten, wie der und der durch Betrug der Pfaffen mein Vater kleidete ſeine ſkandaloͤſen40 Hiſtoͤrchen allemal ſo ein, daß ein Pfaffe dabei ver - wickelt war: daher mein unbezwinglicher Haß gegen alles, was Pfaffe heißt mit Geſpenſtern waͤren ge - neckt worden. Sofort vertroͤſtete er mich auf die Zukunft, wo ich wuͤrde einſehen lernen, daß alles, was man ſo hinſchwatzte, und was er zum Theil ſelbſt hinſchwatzen muͤßte, erdichtet und erlogen waͤre: daß die Leute, welche von abgeſchiedenen Seelen, von Geſpenſtern, Geiſtern und Erſcheinungen u. dergl. viel Weſens machten, nicht wuͤßten, was ſie trie - ben. Auf dieſe Art legte damals mein Vater den Grund zu der Irreligion, welcher in der Folge mei - nen Kirchen-Glauben gluͤcklich vernichtet hat.

Meine orthodoxen Leſer werden doch nicht boͤſe, daß ich ſo geradezu mich zu denen bekenne, die von Prieſter-Grillen nichts glauben? Die Gruͤnde lege ich ihnen noch zum Theil in meiner Biographie hiſto - riſch vor; und zwar ganz andre Gruͤnde, als jene, welche Hr. D. Bahrdt aufgetiſchet hat. Jeder hat indeß ſo ſeinen eignen Gott, ſeine eigne Welt, ſeinen eignen Himmel, Hoͤlle, Glauben, ſeine Meinungen, ſeine Narrheit, ſeine Philoſophie, ſeine und wer ihn darin irre macht, ohne ihm etwas Brauchbarers dafuͤr an die Hand zu geben, hat Unrecht er ſey, wer er wolle.

In der Pfalz iſt zwar keine Inquiſition; aber die Herren Geiſtlichen wiſſen es doch ſo huͤbſch zu41 karten, daß der, welcher ſich wider ihre Alfanzereien auflehnt, zwar nicht widerlegt, aber doch gedruͤckt und verfolgt wird. So nahm ich es mir einmal heraus, nachdem ich meine ſogenannten Studien ge - endigt und Erlaubniß zu predigen erhalten hatte, eine Predigt gegen den Aberglauben zu halten; aber da ſtach ich in ein fuͤrchterliches Weſpenneſt: ich haͤtte eher ſollen Vorſehung und Fortdauer des Seelenwe - ſens leugnen, als die leiblichen Beſitzungen des Sa - tans, die Hexereien und die Exiſtenz der Geſpenſter: das wuͤrde mir nicht ſo vielen Verdruß erregt haben. Doch genug hiervon!

Ich hatte nun ohngefaͤhr das dreizehnte Jahr erreicht, als mich mein Vater endlich nach Gruͤnſtadt ſchickte. Hier genoß ich bis ins ſechszehnte Jahr den Unterricht verſchiedener braver und gelehrter Maͤn - ner, insbeſondere des Hrn. Profeſſors Seybold. Ich nahm wuͤrklich in den Schulwiſſenſchaften ſicht - bar zu, wenigſtens wuſte ich ſo viel latein, griechiſch und franzoͤſiſch, als man in der Pfalz zu wiſſen pflegt, und wohl noch etwas mehr. Auch war ich in der Geſchichte, Erdbeſchreibung und Mathematik nicht ganz fremde, wie meine lieben Landesleute ge - meiniglich zu ſeyn pflegen.

Ich blieb nicht in einem fort in Gruͤnſtadt: denn da mein rechter Fuß, welchen ich vorher zer - brochen hatte, um dieſe Zeit wieder aufbrach, ſo42 nahm mich mein Vater nach Hauſe, um mich da unter ſeinen Augen heilen zu laſſen. Das geſchah im Herbſt, wenn ich nicht irre, des Jahres 1771. Und gerade zu der Zeit hatte der nunmehrige Super - intendent Kratz meinem Vater einen ſehr geſchick - ten Hauslehrer, wofuͤr er ihn hielt, empfohlen, der denn auch zu uns zog, und ſeine Lectionen mit mir und meinem zwei Jahre juͤngern Bruder anfing.

Der Menſch hieß Weichſelfelder, und hat - te ehemals in Jena ſtudirt: hernach war er Pfar - rer geworden in einem Dorfe des Grafen von Solms Roͤdelheim; aber ſein unbaͤndiges Saufen und an - dere Ausſchweifungen hatten ihn vom Dienſt ge - bracht. Darauf hatte er ſich nach Gießen begeben mit einem Sohn von vier Jahren, und dort ange - fangen, mediciniſche Kollegia zu hoͤren. Nachdem er ſo weit gekommen war, ein Recept zu ſchreiben, und kein Geld mehr hatte, um in Gießen weiter auszudauern; ſo ging er auf gut Gluͤck in alle Welt, ſalbaderte und quackſalberte in den kleinen Herrſchaf - ten am Rhein und Main herumm)In den unzaͤhligen kleinen Herrſchaften und Territo - rien in jenen Gegenden, ſieht es mit der mediciniſchen Einrichtung ſchrecklich aus. Jeder Quackſalber und Marktſchreier, jedes altes Weib hat daſelbſt das Privi - legium zu mediciniren, und die Leute nach Wohlgefal - len in die andere Welt zu ſchicken. Der Kuhdoctor Herr Thomas zu Schwabenheim, der meiſtens mit Sympathie kurirt, und ein andrer Charlatan, Ma -, und kam ſo43 auch ins Leiningiſche zum Superintendenten Kratz, welcher damals einen Schaden am Fuß hatte. Kratz ließ ſich von ihm behandeln, und der Schaden heilte. Nun nahm ihn Kratz in ſeinen Schutz, und empfahl ihn meinem Vater, als einen ſehr gelehrten Lingui - ſten, zum Lehrmeiſter fuͤr ſeine Soͤhne, auch als ei - nen ſehr geſchickten Arzt. Mein Vater, welcher vor kurzem den Apotheker Eſchenbach, ſeinen Calefactor, oder Symphiloſophen verlohren hatte, war froh, jemanden ins Haus zu bekommen, der Eſchenbachs Stelle in ſeinem Laboratorium erſezzen koͤnnte. Er verſuchte alſo zufoͤrderſt ſeine chemiſchen Faͤhigkeiten, fand aber zu ſeinem Aerger, daß Hr. Weichſel - felder ein Erzignorant in der edlen Kunſt der Goldmacherei war, daß er nicht einmal wußte, die Grade des Feuers nach dem Thermometer zu beſtim - men, und was des Dinges mehr iſt.

In den Schulwiſſenſchaften, wenn man ein wenig franzoͤſiſch ausnimmt, war Weichſelfelder gerade ſo weit gekommen, als die ehemaligen Pro - feſſoren auf dem Heidesheimer Philanthropin. Da - her muſte mein Vater den Unterricht mit mir wiederm)gnus Kaſpar Koͤhler, Bauer in Wendelsheim, ſind durch ihre Wunderkuren und Spitzbubereien be - ruͤhmt und reich geworden. Indeſſen mundus vult decipi! Aber je eingeſchraͤnkter das Reich ſcharfſich - tiger Aerzte iſt, deſto ausgedehnter iſt das Reich des Aberglaubens und der Pfaffen. Mein Vaterland beweiſet es.44 ſelbſt uͤbernehmen; nur mein Bruder blieb unter der Diſciplin des theuren Paͤdagogen.

Bald bemerkten wir die groͤßten Fehler des Lehr - meiſters: beinahe taͤglich war er berauſcht, und machte auf den benachbarten Doͤrfern in den Schen - ken allerhand Exceſſe: er pruͤgelte ſich mit den Bau - ern, und lief den Menſchern in den Kuhſtaͤllen u. ſ.w. nach. Da Signor Weichſelfelder viel Neigung zu dergleichen bei mir wahrnahm; ſo machte er mich zu ſeinem Vertrauten. Seine und meine Streiche blie - ben durch die Vermittelung meiner Tante, welcher er doch den Unnamen Kobold gegeben hatte, eine Zeitlang verborgen. Allein in der Laͤnge wollte es doch nicht gehen: mein Vater erfuhr alles, filzte ihn derb aus, und da dies bei dem im Grunde verderb - ten Menſchen nicht fruchten wollte; ſo gab er ihm den Laufzettel, und ſchickte mich von neuem zur Schule.

Weichſelfelder iſt hernach Schullehrer in Gla - denbach ohnweit Gießen geworden. Ob er noch lebe, und wo er ſich jetzt herumtreibe, weiß ich nicht. Er hat zu Frankfurt am Main einen elenden Wiſch ge - gen den beruͤhmten Abt Schubert uͤber die Wirk - ſamkeit der heil. Schrift herausgegeben, der aber gleich nach ſeiner Erſcheinung auf die heimlichen Ge - maͤcher wandern mußte.

45

Siebentes Kapitel.

Auch die Liebe iſt ein Krypto-Jeſuit, und im Proſelyten - machen oft ein maͤchtiger Apoſtel.

In den Ferien war ich gewoͤhnlich zu Hauſe, und ſuchte mich durch luſtige ausgelaſſene Streiche fuͤr die ausgeſtandenen Muͤhſeligkeiten und Arbeiten auf der Schule, in vollem Maaße zu entſchaͤdigen. Noch hatte ich, ſo ſehr ich ein theoretiſcher Zotologe war, in Praxi nichts gethan, einige Handgriffe abgerech - net, welche ich bei den Dorfmenſchern, und auch wohl bei einigen ſogenannten Mamſellen an - brachte. Aber nun kommt die Periode, wo ich an - fing, das foͤrmlich auszuuͤben, wozu mir unſer Knecht ſchon fruͤhe Anleitung gegeben hatte.

Ich war einſt im Herbſt zu Hauſe, gerade da meine Mutter ihre große Waͤſche beſorgen ließ. Das Zeug mußte uͤber Nacht auf der Bleiche liegen blei - ben, und wurde von den Waſchweibern nebſt eini - gen Knechten bewacht. Ich ſtieg in der Nacht aus meinem Fenſter, weil die Hausthuͤr verſchloſſen war, und begab mich zu den Bleichern. Ich fand eine recht luſtige Geſellſchaft, welche mir damals baß be - hagte. So luͤſtern, ſaft - und wortreich ich war, ſchaͤkerte ich mit, und uͤbertraf an Ungezogenheit die46 Knechte und die Menſcher, ſo ſehr ſie ſich auch be - muͤhten, kraͤftig zu ſprechen. Endlich kettete ſich eine Dirne, welche ſchon ein Kind von einem Muͤhl - burſchen gehabt hatte, an mich, ließ mich neben ſich liegen, fragte ſodann nach dieſem und jenem, wor - aus ich ihre Abſicht leicht merken konnte, und fuͤhrte mich hinter eine Hecke von Bandweiden, wo wir uns hinlagerten und

Ich bin nicht im Stande, die Angſt zu be - ſchreiben, worin ich mich nach dieſer Ausſchweifung befunden habe: ich zuͤndete meine Pfeife an, trank Wein; aber nichts wollte mir ſchmecken: ich wollte Spaß machen; aber es hatte keine Art: endlich lief ich nach Hauſe; konnte aber auch nicht ſchlafen.

Den folgenden Tag ſah ich die naͤmliche Dirne: ich ſchaͤmte mich; aber ſie wußte ſo gut zu ſchaͤkern, daß ich alle Schaam hintanſetzte, und ſie ſelbſt er - ſuchte, mir Gelegenheit zur Fortſetzung unſers Um - gangs zu verſchaffen. Dies geſchah, und zwar ſo, daß meine Eltern nicht das geringſte davon erfuh - ren. Alle Begierden waren nun in mir rege und geſchaͤrft; und von dem Augenblick des erſten Ge - nuſſes an, betrachtete ich die Frauenzimmer mit ganz andern Augen, als vorher. Jede reitzte meine Sin - nen; aber ſehr wenige, oder, wenn ich eine einzige ausnehme, gar keine, machte ferner bleibenden Ein - druck auf mich. Die Anmerkungen, welche ſich hier47 anbieten, moͤgen die Leſer ſelbſt machen: ich will in meiner Geſchichte fortfahren.

Der Amtmann zu .... man verzeihe mir, daß ich hier die Namen verſchweige, ſo ſehr ich es mir zum Geſetz gemacht habe, die Leute mit Namen zu nennen. Ich habe fuͤr den Amtmann und ſeine Familie viel Ehrfurcht, beſonders fuͤr ſeine Tochter: und dieſe Ehrfurcht verbietet mir, dieſe guten Menſchen zu beleidigen. Alſo der Amtmann zu .... hatte eine Tochter, welche ohngefaͤhr ein Jahr juͤnger war, als ich. Das Maͤdchen hieß Thereſe, war ziemlich huͤbſch, aber katholiſch, und zwar ſtreng jeſuitiſch-katholiſch, wie ihre ganze Familie. Ich lernte ſie auf einem Jahrmarkte ken - nen, und ſuchte von der Zeit an, mit ihr naͤher be - kannt zu werden. Es war im Herbſt, als ich ſie zum erſtenmal ſahe. Ich ſollte auf die naͤchſten Oſtern die Univerſitaͤt beziehen. Ich hatte daher, als angehender Student, ſchon mehr Freiheit, und mein Geſuch, Thereschen naͤher kennen zu lernen, war ſehr leicht auszufuͤhren. Ich beſuchte ſie her - nach oͤfters. Der alte Amtmann konnte mich wohl leiden: denn ich ſuchte mich nach ſeinen Grillen zu bequemen und widerſprach ihm niemals. Thereſe war auch allemal froh, und ſehr merklich froh, wenn ſie mich kommen ſah. Ich muß geſtehen, daß jene drei oder vier Monate, welche ich in dieſem Umgang48 zubrachte, die ſeligſte Zeit meines Lebens geweſen iſt. Immer, wenn ich mich allein unterſuchte, fand ich, daß ich dem Maͤdchen ſehr viel zu ſagen hatte; aber ſobald ich bei ihr war, hatte ich nicht Muth genug, das zu offenbaren, was mir die Bruſt druͤck - te, ſo oft ich mich auch entſchloſſen hatte, alles ge - rade heraus zu bekennen, es moͤchte auch werden, wie es wollte.

Endlich machte ichs, wie alle unerfahrnen Lieb - haber: ich ſchrieb ihr einen Brief, und gab ihrer Magd einen Gulden, damit ſie das Geſchaͤfte einer Unterhaͤndlerin uͤbernehmen moͤchte. Einige Tage ſchwebte ich zwiſchen Furcht und Hoffnung, und war wie im Fegefeuer: endlich brachte mir ein Bauer ei - nen Brief von Thereschen, worin ſie ſich uͤber meine lange Abweſenheit ich war drei Tage weggeblie - ben! beklagte, und mir alle Urſache gab, das Beſte zu hoffen. Nun flog ich nach .... traf mein Maͤdchen allein in ihrer Stube, und hatte das erſtemal Herz genug, ſie mein Maͤdchen, mei - nen Engel zu nennen, und ihre Wangen zu kuͤſſen. Das war ein Tag, lieben Leſer, wie ich Ihnen recht viele goͤnnen moͤchte! Groͤßere Seligkeit laͤßt ſich nicht denken, als ich an dieſem ſchoͤnſten Tage mei - nes Lebens genoß!

Von dieſem Tage an wuchs unſre Vertraulich - keit immer mehr, und wir wechſelten beſtaͤndig Briefe,49 welche, wenn ſie mein Vater nicht verbrannt hat, ſich noch unter deſſen hinterlaſſenen Papieren befin - den werden. Ich machte auch Verſe; und ſo we - nig Geſchick ich auch immer zur Poeterei gehabt habe, gefielen ſie meiner Geliebten doch beſſer, als die beſten unſrer Dichter. Das iſt ſo in der Natur der Liebenden gegruͤndet, und daher erklaͤrt ſich auch zum Theil die Verſchiedenheit des Geſchmacks.

Der alte Amtmann entdeckte auf irgend eine Art auf welche gerade, weiß ich nicht unſer Verſtaͤndniß, und hielt mir deshalb eine derbe Straf - predigt. So ein Umgang, meinte er, ſchikte ſich fuͤr junge Leute, als wir waͤren, nicht: ich haͤtte keine Ausſichten, kein Vermoͤgen, u. d. gl. Beſon - ders ſtieß er ſich an meiner Religion: ich waͤre luthe - riſch, und er wuͤrde nimmermehr zugeben, daß ſich ſeine Tochter mit einem Menſchen behinge, der nicht ihres Glaubens waͤre. In dieſem Geſpraͤch gedach - te er auch, daß die Lutheraner den Satz vertheidig - ten, daß der Pabſt der Antichriſt, und die katho - liſche Kirche die babyloniſche Hure ſei. Nun moͤchte ich ſelbſt bedenken, ob er, auch von allem, andern abgeſehn, ſich nur koͤnnte einfallen laſſen, ſein liebes Kind einem Menſchen anzuvertrauen, der dergleichen Grundſaͤtzen beipflichte? Er bath mich darauf, ſein Haus ſparſamer zu beſu -Erſter Theil. D50chen, um ſeine Tochter nicht ins Gerede zu bringen.

Das war ein Donnerſchlag fuͤr mich! Ich wußte nicht, was ich dem Manne antworten ſollte: ich ſtammelte einiges Unverſtaͤndliches, faßte mich kurz, und fuͤhrte mich ab, ohne dieſen Tag meine Thereſe geſehen zu haben.

Ich machte mir allerhand Grillen: bald wollte ich an den Herrn Amtmann ſchreiben; aber da war die Frage, was ich ſchreiben ſollte? Bald wollte ich zu Thereſens Baſe laufen, welche einige Meilen davon wohnte, und ihr meine Noth klagen: bald wollte ich ſonſt was thun. Aber von allen meinen Anſchlaͤgen wurde auch kein einziger ausgefuͤhrt, ich wußte naͤmlich nicht, wozu ich mich entſchließen ſoll - te. Zwei Tage nach dieſem harten Stand erhielt ich ein kleines franzoͤſiſches Zettelchen von meiner Thereſe, worin ſie mir meldete, daß ſie zu ihrer Baſe nach .... reiſen wuͤrde: daß ſie mich da - ſelbſt auf den Sonntag unfehlbar erwartete. Ich hatte Muͤhe, von meinem Vater die Erlaubniß zu erhalten, nach Kreuznach zu gehen, als wohin ich gehen zu wollen vorgab. Vielleicht hat ihm ſo was von einem quid pro quo geahnet; indeſſen erhielt ich die geſuchte Erlaubniß, und flog mehr als ich ging, nach dem Orte hin, wo mein Thereschen ſich aufhielt.

51

Die Baſe empfing mich ſehr hoͤflich, doch mit einer Zuruͤckhaltung, die mich ſchmerzte. Von der Sache ſelbſt wurde kein Wort geſprochen. Endlich kam Thereſe aus der Kirche, und that ſehr zuruͤck - haltend gegen mich in Beiſeyn der Baſe. Sie that gleichſam, als waͤre ich ihr ein unerwarteter Beſuch. Und ſo ſaßen wir beinahe eine halbe Stunde, bis endlich die Baſe mich fragte: ob ich ihnen die Ehre thun wollte, zum Mittagseſſen bei ihnen zu bleiben? Ich konnte nicht anders, als mich entſchuldigen, und gab vor, daß ich nur haͤtte ſehen wollen, wie ſie ſich befaͤnden: daß mein Weg eigentlich nach Kreuznach ginge, daß ich dort zu Mittag mit Hrn. Licentiaten Macher eſſen wuͤrde, und was des Geſchwaͤzzes mehr war. Sie haben nach Tiſche noch Zeit, nach Kreuznach zu gehen, wo Sie doch uͤber Nacht blei - ben werden, fing nun Thereſe an: bleiben Sie immer noch, und wenn es die Frau Baſe erlaubt; ſo begleite ich Sie eine Strecke: ich will die Mam - ſellen auf der Saline dieſen Nachmittag beſuchen. Das war nun Waſſer auf meiner Muͤhle: ich blieb, und nach Tiſche ging ich mit meinem Maͤdchen auf die Saline zu.

Kaum waren wir allein, als Thereschen mir der Laͤnge nach erzaͤhlte, daß ihr Vater unſers Um - gangs wegen boͤſe waͤre: daß er ſich hauptſaͤchlich an meiner Religion ſtieße, und daß, nach Wegraͤumung52 dieſes Steins des Anſtoßes, ihr Vater keinen An - ſtand nehmen wuͤrde, unſre Liebe ferner nicht zu ſtoͤh - ren: daß er mich fuͤr einen braven Menſchen hielte, aus welchem noch was werden koͤnnte, u. ſ. w. Ich fing wieder an, Athem zu ſchoͤpfen. Wenns wei - ter keinen Anſtand hat, erwiederte ich, ſo wollen wir ſchon Rath ſchaffen. Die Religion liegt mir nicht ſehr am Herzen; und um Dich zu erhalten, Engel Gottes! wollt ich wol einen Glauben anneh - men, bei welchem ich ewig verdammt werden koͤnn - te. Ich beredete mich ſofort mit meinem Maͤd - chen, und verſprach ihr, die katholiſche Religion naͤher zu pruͤfen, und mich ganz von ihr und ihrem Vater leiten zu laſſen.

Manche Leſer werden hier gewiß recht auf mich zuͤrnen; aber wer einmal wuͤrklich verliebt iſt, wuͤrde gewiß alles thun, was ich that, wenn er auch viel weniger Leichtſinn beſitzen ſollte, als Mutter Natur mir mitgetheilt hat: Kurz! recht ſeelenvergnuͤgt ſchieden wir von einander, und Thereſe verſprach, mich in ihr Gebet einzuſchließen, damit der liebe Gott meine Augen oͤffnen, und mir die Wahrheit recht ſichtbar machen moͤchte.

Sobald ich nach Hauſe kam, beſuchte ich den katholiſchen Pfarrer Neuner, in Erbesbudesheim, den ich ſchon lange kannte, und der in ziemlich ver - trautem Umgange mit meinem Vater ſtand. Ich53 fing recht gefliſſentlich an, von der Religion zu ſpre - chen, und erinnere mich: daß unſer Geſpraͤch die Rechtmaͤßigkeit der lutheriſchen 'und uͤberhaupt der proteſtantiſchen Geiſtlichen betraf. Herr Neuner ſetzte mir ſtarke Gruͤnde entgegen, daß ich bald ſelbſt geſtehen mußte und gern geſtand ichs ja! daß unſre lutheriſchen Geiſtlichen nicht geſetzlich geweiht und berufen waͤren; daß ſie folglich nicht ordentlich und guͤltig konſekriren koͤnnten. Daher leitete er mehrere Folgen, und bewies mir augenſcheinlich, daß die katholiſche Kirche einen unendlichen Vorzug vor allen andern Kirchen haͤtte. Das Ding gefiel mir unendlich, obs mir gleich nicht wenig auffiel: denn dergleichen hatte ich in meinem Leben noch nicht gehoͤrt. Ich erſuchte ſogar den Hrn. Neuner, ſich die Muͤhe nicht verdrießen zu laſſen, mir mehrere Auskunft uͤber das eine und andre Stuͤck der Reli - gion zu geben: denn mir ſei es wirklich darum zu thun, die Wahrheit zu erkennen, und hernach auch zu bekennen, wenn ich ſie nur einſaͤhe.

Herr Neuner borgte mir beim Abſchied ein Buch, das den Titel hatte: Religio prudentum, ſeu ſola fides catholica fides prudens, von einem gewiſſen Augspurger Jeſuiten, Namens Neumeyer. Er verſicherte mich, daß ich in dieſem Buche die Haupt - beweiſe der katholiſchen und die Hauptwiderlegungen der unkatholiſchen kirchlichen Lehrſaͤtze finden wuͤrde.

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Herr Neuner haͤtte mir kein angemeſſeneres Buch geben koͤnnen. Neumeyer hat ſchoͤn latein und ſo verfuͤhreriſch geſchrieben, daß auch ein Menſch ohne Intereſſe haͤtte irre dabei werden koͤnnen. Ich hatte niemals viel von theologiſchen Kontroverſien gehoͤrt, und verſtand die Lehren meiner eignen Secte nur ſo obenhin. Da uͤberdies mein Vater ſehr tole - rant war; ſo hatte er mir auch keinen Haß gegen an - dre Kirchenſyſteme eingefloͤßt. Auf dieſe Art war alſo meine Seele des Eindrucks recht empfaͤnglich, welchen die Vorſtellung von der Guͤte des Glaubens meiner Geliebten auf ſie erregte. Kaum hatte ich demnach die Religio prudentum durchgeleſen; ſo bekannte ich mir ſelbſt, daß das katholiſche Kirchen - ſyſtem beſſer, als das Meinige waͤre, und wurde recht ernſtlich boͤſe auf die Reformatoren, welche den unſeligen Kirchenſpalt bewirkt hatten, der mir jetzt mein ganzes Gluͤck zu rauben drohte.

Mit aller Freude beſuchte ich nun meinen lieben Neuner denn damals ſchien er mir mein beſter Freund zu ſeyn und entdeckte ihm ohne Umſchwei - fe, daß die Religio prudentum mich auf ganz an - dere Gedanken gebracht haͤtte: daß ich geſtehen muͤß - te, die katholiſche Kirche habe recht, unſre hingegen unrecht. Neuner laͤchelte mit proſelytenſuͤchti - ger Zufriedenheit; aber da er ein Jeſuiterſchuͤler war, ſo konnte er mit einem ſo raſchen Bekenntniß nicht55 zufrieden ſeyn. Er muthmaßete ein Nebenintereſſe von meiner Seite, und fragte mich geradezu: ob ich reine Abſichten bei meiner vorhabenden Bekeh - rung haͤtte? Ich ſtutzte: doch antwortete ich ihm: daß mir nichts naͤher am Herzen laͤge, als die Wahrheit. Darauf erklaͤrte er mir den Ausſpruch Chriſti: wer Vater oder Mutter mehr liebt, als mich, der iſt mein nicht werth. Er ſtellte mir bei der Auslegung dieſer Stelle vor, daß ich bei dem Be - kenntniß der Wahrheit auf meine Eltern keine Ruͤck - ſicht nehmen duͤrfte: daß der liebe Gott ein ſolches Opfer fuͤr ſehr verdienſtlich anſaͤhe, und folglich ge - wiß auch fuͤr mich ſorgen wuͤrde, u. d. gl. Dieſe Rede des Hrn. Paſtors erbaute mich gar ſehr, und ich ſchied zufrieden von dannen.

Inzwiſchen beſuchte ich wieder einmal den alten Amtmann, und fand ſeine Geſinnungen gegen mich beſſer, als das letztemal. Ich erzaͤhlte ihm, daß ich jetzt die Religio prudentum ſtudierte, und beinahe von der Wahrheit der katholiſchen Religion uͤberzeugt waͤre. Er fiel mir ins Wort, und ſagte, daß er um mein gutes Geſchaͤfte ſchon wuͤßte, und zwar durch den Capuziner, Pater Hermenegild von Alzey, der es vom Pfarrer Neuner gehoͤrt haͤtte. Uebrigens duͤrfte ich nicht fuͤrchten, verrathen zu werden, indem niemanden die Sache bekannt waͤre, der Vortheil davon haben koͤnnte, ſie auszuſchwaz -56 zen. Er verſicherte mich endlich, wenn ich der Wahrheit getreu bleiben, und dieſelbe oͤffentlich be - kennen wuͤrde, daß man bereit waͤre, mich auf der Univerſitaͤt zu Heidelberg etwas rechts lernen zu laſ - ſen und mir mit der Zeit auch eine Verſorgung zu verſchaffen: und ſo wuͤrde ſchon alles gut werden.

Dieſes zuͤndete wieder neue Hoffnung in meiner Seele an, und der Himmel hing mir voll Geigen, wie man in der Pfalz zu ſprechen pflegt. Ich durfte ſeit dieſer Zeit mit meinem Maͤdchen unter den Augen des Vaters vertraut umgehen, durfte ſie her - zen und kuͤſſen, ohne daß er uns je etwas anders ge - ſagt haͤtte, als: Leutchen, macht, daß ihr nicht in wuͤſte (ſchaͤndliche) Maͤuler kommt! Noch dank 'ich es dem guten Schickſal denn meinen Grund - ſaͤtzen habe ich es wahrlich nicht zu danken daß unſer Umgang nicht in eine allzu große und ſchaͤdliche Vertraulichkeit ausgeartet iſt. Gelegenheit war uͤber - fluͤßig da; aber ſo ausſchweifend ich auch ſonſt ſchon bei andern gefaͤlligen Maͤdchen geweſen war, ſo fiel mir doch niemals der Gedanke ein, etwas mit meiner lieben Thereſe vorzunehmen, das wider die Ehr - barkeit geſtritten haͤtte. So viel vermag ein be - ſtimmter, ehrbarer Gegenſtand der Liebe, auch bei verwoͤhnten feurigen Juͤnglingen!

Dem Paſtor Neuner und hernach dem Pater Hermenegild verſprach ich, nicht auf eine prote -57 ſtantiſche Univerſitaͤt zu gehen, ſondern katholiſch zu werden, und ohne weitere Ruͤckſicht auf meinen Va - ter, mit Unterſtuͤtzung einiger angeſehener, reicher und eifriger Katholiken in Heidelberg die Rechtsge - lehrſamkeit zu ſtudieren. Ob das Ding ſo haͤtte koͤn - nen ausgefuͤhrt werden, uͤberlegte ich damals nicht hinlaͤnglich: mir ſchien es moͤglich, und wenn ich es noch jetzt uͤberlege; ſo finde ich keinen Widerſpruch. Mein Vater, dem im Herzen alle Kirchenſyſteme, als ſolche, gleich waren, wuͤrde ſich wieder, wenn der Schritt einmal geſchehen waͤre, mit mir ausge - ſoͤhnt haben: eine Verſorgung haͤtte mir auch nicht entgehen koͤnnen, da ich ein Neubekehrter geweſen waͤre, welches in der Pfalz von jeher eine große Em - pfehlung geweſen iſt, und es leider noch iſt. The - reschen waͤre mir am wenigſten entgangen. Doch es hat nicht ſeyn ſollen: mein Schickſal hatte es an - ders mit mir beſchloſſen.

Achtes Kapitel.

Schon wieder ein Pfaffenſtreich! und dann ein Strich durch meine Rechnung.

Mein Vater merkte bald, daß ein Liebesverſtaͤnd - niß zwiſchen mir und der Mamſel Thereſe .... auf58 dem Tapete war; aber er hielt das Ding fuͤr eine Kinderei, die ihn nichts anginge, und die er alſo nicht zu ſtoͤren noͤthig haͤtte. Es wuͤrde ſich ſchon alles von ſelbſt geben, dachte er, wenn ich auf Oſtern die Akademie bezoͤge.

Zu dieſer toleranten Geſinnung meines Vaters trug das regelmaͤßige und ordentliche Betragen nicht wenig bei, welches ich ſeit dem Anfange meiner neu - ern Liebſchaft annahm. Ich ließ alle meine ehemali - gen ſchlechtern Bekanntſchaften fahren, war, wenn ich nicht in .... oder zu Buͤdesheim war, beſtaͤn - dig zu Hauſe, und ſtudirte beſonders fleißig den Quintilian und den Plutarch, meines Vaters erſte Lieblinge. Auſſerdem hatte ich mich bei ihm durch eine lateiniſche Elegie in ſtarken Kredit geſetzt, welche ich auf den tragiſchen Tod der Tochter des Hofpre - digers, Herrenſchneider, gemacht hatte, und die man als ein Meiſterſtuͤck ſo ſchlecht ſie ſonſt wohl ſeyn mochte bewunderte. Meine Leſer moͤgen es nicht uͤbel nehmen, wenn ich ihnen die Veranlaſſung zu dieſer Elegie erzaͤhle: ſie iſt einzig in ihrer Art, und giebt zu manchen Anmerkungen Stoff an die Hand.

Der Hofprediger Herrenſchneider, deſſen ich oben ſchon gedacht habe, hatte den Grehweileri - ſchen Pfarrer Valentin zu Muͤnſter bei Kreuznach59 beleidiget, und dieſer ihm aus Rachſucht einen toͤdt - lichen Haß geſchworen. Der Hofprediger wohnte ſo, daß man aus dem Schloßgarten gerade durch ein Fenſter in ſeine Wohnſtube ſehen konnte. Das wußte Meiſter Valentin, welcher ehemals in Grehweiler Hofkaplan geweſen war. Um nun ſeine Sache aus - zufuͤhren, begab er ſich an einem Winterabend in den Schloßgarten, und ſchoß eine Flinte mit gehacktem Blei durch das gedachte Fenſter ab, als der Hofpre - diger mit ſeinen Kindern zu Tiſche ſaß. Seine zweite Tochter, ein Maͤdchen von eilf oder zwoͤlf Jahren wurde von einem Stuͤck Blei ins Herz getroffen, und ſtarb auf der Stelle: der Hofprediger ſelbſt wurde nur an der Schulter beſchaͤdiget.

Dieſe Begebenheit erregte in der dortigen wei - ten Gegend fuͤrchterliches Laͤrmen; aber den wahren Thaͤter errieth niemand. Das ganze Publikum fiel auf den Rheingrafen, welcher den Hofprediger da - mals ſchlangenartig verfolgte. Valentin verrieth ſich aber ſelbſt: auf dem Nachhauſeweg ging er zu Kalkofen in eine Schenke. Es war um Mitternacht, und alſo ſchon verdaͤchtig. Hiezu kam, daß er einige Tage vor der grauſamen That Blei und Pulver in Kreuznach hatte holen laſſen, und mehrmalen dem Hofprediger den Tod geſchworen hatte. Auf dieſe und mehr andere Anzeigen ließ ihn die Obrigkeit einziehen; allein er kam dem Richter dadurch zuvor,60 daß er ſelbſt ſein Leben mit Gift unterbrach, welches er zu dieſem Gebrauch vielleicht ſchon lange bei ſich gefuͤhrt hatte. Er ſtarb in ſchrecklichen Konvulſionen, und geſtand demohngeachtet, daß er ſich freuete, daß ihm ſeine Rache an dem Schurken, dem Hofprediger Herrenſchneider, gelungen waͤre. So italiaͤniſch - unverſoͤhnlich haßte dieſer Mann Gottes in Deutſch - land! Er mußte uͤber vier Wochen uͤber der Erde liegen bleiben, weil die pfaͤlziſche Juſtiz ihren gewoͤhn - lichen Schneckengang auch hierbei ging: endlich ver - dammte ihn die Kammer zu Wezlar, nebſt zwei Univerſitaͤten, zu einem Begraͤbniß unter dem Galgen!!n)Der Hofprediger verließ bald darauf Grehweiler, ward Pfarrer zu Rappoltsweiler im Elſaß, und hernach zu Strasburg. Jezt wieder zu meiner eignen Ge - ſchichte!

Alſo, wie geſagt, mein Vater hinderte meine Liebſchaft nicht: er ging ſogar ſo weit, daß er mir von Landau, wohin er wegen ſeiner Alchymie gereiſet war, ein Paar ſeidene Pariſer Frauenzimmer-Hand - ſchuh mitbrachte, und ſie mir mit den Worten uͤber - reichte: da haſt'e was vor (fuͤr) dein Menſch! o)Die Sprache in der Pfalz iſt, wie meine Leſer hier ſehen, eben nicht delikat: eine Geliebte heißt da, auch unter den Honoratorien Menſch; der Liebhaber Borſch (Burſche)..

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Aber die Freude dauerte nicht lange: mein Va - ter entdeckte meinen Briefwechſel, und ſahe da zu ſeinem Erſtaunen, daß meine Liebſchaft die Veraͤn - derung der Religion zum Mittelzweck hatte. Ich war naͤmlich unvorſichtig genug geweſen, den erſten Aufſatz meiner Briefe an Herr Neuner[und] Pater Hermenegild nicht zu zernichten. Einer derſel - ben fiel meinem Vater in die Haͤnde, und bewog ihn, mein Schraͤnkchen naͤher zu durchſuchen. Er fand alſo die ganze Geſchichte mit allen ihren Urkun - den und Belegen. Daß er jetzt nicht ganz gleichguͤltig geblieben ſey, errathen meine Leſer ohne mein Erin - nern: er verbarg aber ſeinen Unwillen, und ließ alle Briefe, wie er ſie gefunden hatte.

Ich war am ſelbigem Tage in Flonheim bei dem Vikarius Grimp)Es iſt eben der Grim, der hernach Rektor zu Alzey ward, und ſich zum Profeſſor bei D. Bahrdt ange - boten hat. Man leſe die Beitraͤge zu D. Bahrdts Le - bensgeſchichte. S. 120., und kam erſt ſpaͤt nach Hauſe. Meine Tante nahm mich gleich auf die Seite und ſteckte mir, daß der Vater meine Schreibereien unterſucht haͤtte. Ich erſchrack nicht wenig, lief an mein Schraͤnkchen, fand aber alles in der gewoͤhnli - chen Lage, und war zufrieden. Nach dem Abend - eſſen warf mein Vater die Frage auf: ob der Chur - fuͤrſt von Sachſen recht gethan haͤtte, daß er um die62 Polniſche Krone zu erhalten, katholiſch geworden waͤre? Es wurde uͤber dieſe Frage viel hin und her geſprochen; doch ohne ſich etwas merken zu laſ - ſen, was eigentlich zur Sache gehoͤrt haͤtte.

Den andern Tag nahm er mich mit nach Stein - bockenheim zum Pfarrer Dietſch. Erſt auf dem Ruͤckwege nach Hauſe machte er mich auf mein Vor - haben aufmerkſam, und zeigte mir das Vernunftwi - drige, worein ich verfallen wuͤrde, wenn ich die ge - ringere Thorheit des Lutherthums gegen die groͤßere des Pabſtthums vertauſchen wollte. Ueberdem gab er mir nicht undeutlich zu verſtehen: daß ich meine Ab - ſicht ohnehin nicht erreichen wuͤrde, wenn ich auch mei - nen Sectennamen oder meine Confeſſion veraͤnderte.

Die Leſer koͤnnen ſich ſchon einbilden, was mein Vater als Vater, als lutheriſcher Prediger und als Pantheiſt hier weiter ſagen konnte und mußte: ich uͤbergehe alſo das Ausfuͤhrliche ſeines Geſpraͤchs. Schimpfen und Schelten fiel indeß nicht vor. Ich mußte ihm nur verſprechen, mein Vorhaben aufzu - geben: und dabei ſchien er ſich zu beruhigen. Zu Hauſe wurde weiter nichts davon erwaͤhnt, und ſelbſt meine Mutter war wenig von der Sache unterrichtet, weil er ſie nicht kraͤnken wollte.

Nach Verlauf von drei Wochen kuͤndigte mir endlich mein Vater an, daß ich mich anſchicken ſollte, in einigen Tagen eine Univerſitaͤt zu beziehen: hier,63 ſagte er, wird aus dir nichts, hier verdirbſt du an Leib und Seele, und aͤrgerſt mich noch zu Tode! Ich ſtellte ihm vor, daß noch lange nicht Oſtern waͤ - ren, daß es Aufſehn erregen wuͤrde, auſſer der An - trittszeit ſich zur Univerſitaͤt zu begeben, u. ſ. w. Aber alle meine Vorſtellungen waren vergebens: es blieb bei ſeinem Entſchluß: kaum konnte ich noch acht Tage Aufſchub erhalten, um von meinen naͤchſten Bekannten Abſchied zu nehmen; meine Thereſe ſollt 'ich durchaus nicht weiter beſuchen. Das that mir freilich ſehr wehe; aber die Erwartung der Dinge, welche ich nun bald auf der Univerſitaͤt erle - ben ſollte, milderte meinen Schmerz, erheiterte meine Mine.

Mein Vater wollte mich ſelbſt nach Gießen denn dahin ſollte ich begleiten, damit ich unter - wegs keine dummen Haͤndel vornehmen moͤchte. Trotz aller dieſer Strenge ſchrieb ich aber doch einige Tage vor meinem Abzug noch an meine Thereſe, und erhielt eine recht zaͤrtliche Antwort. Von Frankfurt am Main hab ich noch einmal an ſie geſchrieben.

Unterwegs gab mir mein Vater viele vortreffli - che Lehren; und ich wuͤrde gut gefahren ſeyn, wenn ich ſie befolgt haͤtte: aber leider ſchon in Frankfurt vernachlaͤſſigte ich eine ſeiner Hauptvorſchriften. In dieſer Stadt diente ein Barbiergeſelle aus meiner Gegend, den ich aufſuchte, weil mir ſeine Anver -64 wanten einen Auftrag an ihn gegeben hatten. Der Menſch war froh, daß er mich ſah, und both ſich an, mich auf den Abend in die Komoͤdie zu fuͤhren. Mein Vater erlaubte es. Da ich dergleichen ſchon mehr geſehen hatte, und ohnedies ein ſehr bekanntes Stuͤck gegeben wurde; ſo bath ich meinen Fuͤhrer, mir lieber ſonſt etwas Merkwuͤrdiges in dieſer ſchoͤnen Stadt zu zeigen. Um meinen Vater hernach zu be - ruhigen, verabredeten wir, ihm zu ſagen, daß wir in der Komoͤdie geweſen waͤren. Geſagt, gethan! Mein Landsmann nahm mich mit, und fuͤhrte mich ins Bordell, zur Madame Agricola. In mei - nem Leben war ich noch in keinem Hauſe geweſen, welches der Venus geweiht war: ich erſtaunte alſo nicht wenig, als ich die zuͤgelloſeſte Wolluſt ſich hier in ihrer abſcheulichſten Reizbarkeit entwickeln ſah. Mein Kamerad machte ſich mit den Maͤdchen viel zu ſchaffen; mich aber hinderte meine Bloͤtigkeit, zu machen, wie man vielleicht erwartet.

Ohngefaͤhr um eilf Uhr verließen wir dieſes luͤ - ſterne Hausq)Zu Frankfurt am Main ſind viele Bordelle; aber keins iſt oͤffentlich privilegirt. Der Magiſtrat ſchickt eben darum zuweilen die Haͤſcher hin, welche viſitiren, und die Maͤdchen wegbringen muͤſſen: die Viſitationen bleiben aber ohne Folgen, die zweibeinigen ausgenom - men: denn wie Juvenal ſagt: Quis cuſtodiet ipſos Cuſtodes? . Ich machte meinem Vater eine65 Beſchreibung von dem Schauſpiel, das ich wollte geſehen haben, und er war zufrieden. Des andern Tages beſuchte er einen Freund, der ihn zum Abend - eſſen dabehielt. Nun konnte ich wieder ausgehen, und meine Leſer errathen ſchon, daß mein Gang zur Madam Agricola gegangen iſt. Ich war jetzt drei - ſter: mein Begleiter war nicht bei mir. Ich blieb bis nach Mitternacht, und verzehrte uͤber eine Karo - line von dem Gelde, das mir meine Mutter und einer meiner Verwandten zur Univerſitaͤt geſchenkt hatten. Ich Thor wußte noch nicht, wie ſauer Geld erworben wird! Die Maͤdchen waren fuͤrchterlich aufgeraͤumt, und kirrten mich ſo zuckerſuͤß heran, daß ich ihnen Wein, Chokelade, Gebacknes u. d. gl. bringen ließ. Cetera non curat praetor. Mein Vater war ungehalten auf mich, daß ich ſo lange ausblieb; aber ich wußte ihm ſo viel vorzunebeln, daß er ſich endlich zufrieden gab.

Neuntes Kapitel.

So elend fand ich die Gießer Univerſitaͤt.

In einem Tage reiſeten wir von Frankfurt nach Gießen, welches ohngefaͤhr zwoͤlf ſtarke Stunden da -Erſter Theil. E66von liegt. Mein Vater uͤberließ es unterwegs meiner Wahl, ob ich Jura oder Theologie ſtudiren wollte; er ſtellte mir aber auch vor, daß ich in der Pfalz als Juriſt keine Verſorgung, oder doch nur ſehr ſchwerlich zu erwarten haͤtte. Er fuͤgte hinzu, daß P〈…〉〈…〉 oteſtanten wegen ihrer Religion wenig An - ſpruͤche auf kurfuͤrſtliche Bedienungen machen duͤrften. Er rieth mir alſo zur Theologie, ob er gleich im Her - zen die meiſten Saͤtze des Kompendiums fuͤr Erdich - tungen oder erzwungene Lehrvorſchriften hielt. Ich verſprach demnach, Theologie zu ſtudiren; aber im Ernſt hatte ich das nicht im Sinne. Ich wollte naͤmlich noch ſehen, wie es mit meinem Maͤdchen und ihrem Anhang werden wuͤrde. In Beiſeyn meines Vaters verſprach ich zwar hoch und theuer, an Thereſen nicht mehr zu denken, und noch weniger an ſie zu ſchreiben; aber mein Herz hing noch feſt an ihr, ſo feſt naͤmlich, als es fuͤr das Herz eines aͤuſ - ſerſt leichtſinnigen und unerfahrnen jungen Menſchen moͤglich iſt: und noch hatte ich keine andre Vorſtel - lung von Gluͤck, als von dem in ihrem Beſitz. Ich wollte alſo, wie ſchon geſagt iſt, zuſehen, wie es noch werden wuͤrde.

In Gießen ließ ich mich inmatrikuliren, und meinen Hut nach der neueſten Mode zuſtutzen. So - dann ſuchte ich mir auf dem Lektions-Katalog einige Collegien aus, praͤnumerirte ſie, kaufte die Kompen -67 dien, ſtattete meinen Beſuch auf den Doͤrfern ab, und verſchafte mir einen neuen blauen Flauſch mit rothen Kragen und Aufſchlaͤgen. Mein Vater blieb nicht lange: er gab mir noch gute Lehren in Menge, und reiſete zu Hauſe.

Hier muß ich dem Leſer eine Beſchreibung von der Gießer Univerſitaͤt liefern, wie dieſe damals war, als ich dahin kam. Ich wuͤnſchte, daß dieſe Be - ſchreibung weder langweilig noch laͤppiſch ſcheinen moͤchte. Aber bei der Beſchreibung einer Univerſitaͤt muß doch nothwendig manches Laͤppiſche mit vorkom - men, wenn ſie anders die noͤthige Vollſtaͤndigkeit ha - ben ſoll.

Gießen ſelbſt iſt ein elendes Neſt, worin auch nicht eine ſchoͤne Straße, beinahe kein einziges ſchoͤnes Gebaͤude hervorragt, wenn man das Zeug - haus und das Univerſitaͤts-Gebaͤude ausnimmt. Es fuͤhrt den Namen einer Feſtung; die aber unter allen Feſtungen, welche ich je geſehen habe, die elendeſte iſt. Zudem wird ſie von einem Berge kommandirt, von woher man ſie recht gut beſchießen kann. Es ſteht ein Regiment Soldaten darin, das aber gar nicht ſtark iſt, und nur, wenn ich nicht ſehr irre, ſechs Kompagnien zaͤhlt. Das Regiment iſt das Darmſtaͤdtiſche Kreisregiment, und muß zu der Reichsarmee ſtoßen, wenn dieſes Heldenkorps zu Felde zieht. Bei Rosbach ſind die Darmſtaͤdter recht68 exemplariſch gelaufen! Die Officiere des Regiments haben meiſtens von der Muskete an gedient, und ſind endlich zu Chargen gelangt, aus keinem andern Grunde, als weil ſie lange gedient hatten. Ihre Lebensart iſt eben nicht die beſte. Außer Dienſt ſitzen ſie auf den Dorfſchenken, auf dem Schießhaus, bei Eberhard Buſch oder ſonſt in einer Kneipe, machen mit Gnoten oder Philiſternr)So werden die Buͤrger auf den Univerſitaͤten von den Studenten genannt. und mit Studenten Bruͤderſchaft, und ſpielen Tarock, ſechs Marken zu einem Pfennig. Sehr wenige dieſer Herren ſind von Adel. Unter den Soldaten giebt es ſehr viel alte Invaliden: ſonſt ſind ſie lauter Landeskinder.

Unter den Buͤrgern giebt es mehrere wohlha - bende; uͤberhaupt aber iſt Gießen kein Ort, wo es viel Reiche giebt. Die Urſache liegt wohl darin, daß die Stadt wenig Verkehr, und gar keine Manufak - turen hat. Ob ſie dergleichen nicht haben koͤnnte, iſt eine andre Frage; aber daran denkt man vielleicht nicht. Die Stadt liegt wenigſtens auf einem guten Boden, und an einem ziemlich ſchiffbaren Fluß doch das geht mich nichts an!

Die Univerſitaͤt hatte zu meiner Zeit ſechszehn beſoldete und etwa drei unbeſoldete oder außerordent - dentliche Lehrer. Herr D. Bahrdt hat einige dieſer69 Herren in ſeiner Lebensbeſchreibung die Revuͤe paſſi - ren laſſen: ich habe in meinen Beitraͤgen und Berichtungen zu dieſer Schrift einiges hinzuge - fuͤgt: daruͤber hat Herr Schmid ein klaͤgliches Ge - ſchrei erhoben, und fuͤr gut befunden, mich in der 153ten N des Intelligenzblatts der Litteratur - zeitung von 1791, zu befehden. Ich kann nun nicht umhin, die Gießer Herren abermals zu beſchrei - ben, gerade ſo, wie ich ſie gefunden habe. Viel - leicht ſehen unpartheiiſche Leſer, daß Herr Schmid mit ſeiner Apologie mein Vorgehen noch nicht ganz vernichtet hat. Herr Koch mag den Anfang machen.

Koch iſt ein Juriſt von Anſehen und nicht ge - meinen Kenntniſſen, wenn man ihm naͤmlich und ſeinen Schuͤlern glauben will. Ich habe wohl wenig Maͤnner geſehen, die die Kunſt verſtanden, ihre Kenntniſſe ſo geltend zu machen, als dieſer Herr Kanzler. Sein Ton iſt im Kollegium und im ge - meinen Geſpraͤch ſo diktatoriſch, ſo zuverſichtlich, daß es ſcheint, er habe, gleich dem Vicegott zu Rom, alle Weisheit allein, und befinde ſich im Beſitz, im ausſchließenden Beſitz der ganzen juriſtiſchen Gelehr - ſamkeit. Es giebt aber andre Gelehrte, die ihm die - ſen Vorzug nicht laſſen wollen. Herr Schott in Leipzig will in den Kochiſchen Schriften nichts als oberflaͤchliche Kenntniſſe, und ſchales Raͤſonnement70 gefunden haben. Kochs Latein ſoll vollends gar nichts taugen: man ſoll ſogar in ſeinem Jus crimi - nale grammatikaliſche Schnitzer finden. Dieſes Buch hat, wie ein großer Juriſt urtheilt, ich meyne den Herrn Profeſſor Woltaͤr in Halle, mehr Gluͤck gehabt, als es verdient. Dafuͤr iſt es aber jetzt aller Orten abgeſchafft,</