PRIMS Full-text transcription (HTML)
[III]
Leben und Schickſale,
von ihm ſelbſt beſchrieben, und zur Warnung fuͤr Eltern und ſtudierende Juͤnglinge herausgegeben. Ein Beitrag zur Charakteriſtik der Univerſitaͤten in Deutſchland.
Erſter Theil.
Mit einem Titelkupfer.
Halle,bei Michaelis und Bispink1792.
[IV][V]

Dem Durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn, Herrn Friedrich Auguſt, Herzogen zu Braunſchweig und Luͤneburg, General der Infanterie der Preußiſchen Heere und Ritter des Preußiſchen Schwarzen - Adler-Ordens.

Meinem Gnaͤdigſten Fuͤrſten und Herrn.

[VI][VII]

Durchlauchtigſter Herzog, Gnaͤdigſter Fuͤrſt und Herr,

Als ich vor zwei Jahren das unſchaͤzbare Gluͤck hatte, Ew. Hochfuͤrſtl. Durch - laucht perſoͤnlich bekannt zu werden, hatten Hoͤchſtdieſelben die Gnade, mir einen Aufſatz von meinen Begebenheiten zu befeh - len: und als ich nach dieſem mir ſo theuren Befehl, Hoͤchſtdenſelben einen franzoͤ - ſiſchen Aufſatz dieſes Inhalts unterthaͤnigſt uͤberreichte, bezeugten Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht Dero Hoͤchſte Billigung meiner kleinen Schrift.

Dieſe erhabene mir bewieſene Hoͤchſte Huld Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht machten den Gedanken bei mir rege, daß Hoͤchſtdieſelben meiner Lebensgeſchichte eine gnaͤdige Aufnahme nicht verweigern wuͤrden: und daher nehme ich die unterthaͤ - nigſte Kuͤhnheit, Ew. Durchlaucht dieſe Schrift zuzueignen.

[VIII]

Die Vorſicht lohne die erhabenen Tu - genden, welche die Welt an dem großen Helden, an dem Menſchenfreunde, an dem ruhmvollen Kenner und Befoͤrderer der Wiſſenſchaften an Friedrich Auguſt bewundert und verehrt. Dies iſt der hoͤch - ſte Wunſch

Ew. Hochfuͤrſtlichen Durchlaucht

unterthaͤnigſten Knechts Friedrich Chriſtian Laukhard, Soldaten bei dem Koͤnigl. Preuß. Regiment von Thadden.

[IX]

An den Leſer.

Ich uͤbergebe dem Publikum den erſten Theil meiner Lebensgeſchichte, wobei ich einiges zum voraus ſagen muß, damit man meinen Zwek kennen lerne, und uͤber das ganze Buch richtig urtheilen koͤnne.

Der verſtorbene Doktor Semler, deſ - ſen Aſche ich nie genug verehren kann, gab mir im Jahr 1784 den Rath, meine Bege - benheiten in lateiniſcher Sprache heraus zu geben. Ich hatte dem vortreflichen Mann mehrere davon erzaͤhlt, und da glaubte er, die Bekanntmachung derſelben wuͤrde in man - cher Hinſicht nuͤtzlich werden. Ich fing wirk - lich an zu arbeiten, und ſchrieb ohngefaͤhr acht Bogen, welche ich ihm vorwies. Er billigte ſie, und rieth mir, den Herrn Profeſſor Eberhard um die Cenſur zu bitten. Ich that dies ſchriftlich: denn damals ſcheute ich mich, weil ich kurz vorher Soldat geworden war, es muͤndlich zu thun. Auch Eber - hard lobte mein Unternehmen; nur rieth er mir, um der mehrern Leſer Willen, deutſch zu ſchreiben. Ich folgte ihm, und zeigteX mein Vorhaben oͤffentlich an. Aber weil da - mals mein Vater noch lebte, ſo mußte ich, um ihn nicht zu beleidigen, oder ihm gar durch meine Nachrichten in der[hyperortho - doxen] Pfalz und bei den daſigen Bonzen und Talapoinen nicht zu ſchaden, vieles weglaſſen, was doch zum Faden meiner Geſchichte ge - hoͤrte. Daher war jener Aufſaz mangelhaft und unvollſtaͤndig. Mein Vater erfuhr in - deſſen durch die Briefe des Herrn Majors von Muffling, daß ich mein Leben ſchrie - be, und befuͤrchtete, ich moͤchte Dinge erzaͤh - len die ihm Verdruß bringen koͤnnten. Er ſchrieb mir daher und befahl mir, von mei - nen Lebensumſtaͤnden ja nichts eher, als nach ſeinem Tode drucken zu laſſen. Der Brief meines guten Vaters war voll derber Aus - druͤcke: er ſtellte mir das Uebel, das fuͤr ihn daraus folgen koͤnnte, ſo lebhaft vor, daß ich mein Manuſkript ins Feuer warf.

Einige Jahre hernach ſtarb mein Vater, und ich konnte nun freimuͤthig zu Werke ge - hen: aber der Feldzug im Jahr 1790 und andre Geſchaͤfte, welche ich ums liebe Brod uͤbernehmen mußte, hinderten mich, meinen laͤngſt gefaßten Vorſatz eher ins Werk zu rich - ten: nachdem ich aber mehr Muße und thaͤ - tige Unterſtuͤtzung redlich geſinnter Maͤnner, die ich zu ſeiner Zeit nennen will, erhielt, ſo ging ich neuerdings ans Geſchaͤft, und ſo entſtand die gegenwaͤrtige Schrift.

XI

Jeder Leſer wird ohne mein Erinnern gleich ſchließen, daß das, was der Dichter von ſeinen Verſen ſagt:

paupertas impulit audax,
Ut verſus facerem;

auch von meinem Buche gelte; und ich wuͤr - de ſehr zur unrechten Zeit wollen diſkret ſeyn, wenn ichs nicht bekennte. Ich bin ein Mann, welcher keine Huͤlfe hat, kein Vermoͤgen be - ſitzt, und keinen Speichellecker machen kann: folglich wuͤrde ich ſehr kuͤmmerlich leben muͤſ - ſen, wenn ich mir keinen Nebenverdienſt ſu - chen wollte. Und wer kann mir das ver - denken?

Allein ob gleich der erſte Grund der Er - ſcheinung gegenwaͤrtiges Buches im Magen liegt; ſo iſt er doch nicht der einzige.

Ich war ein junger Menſch von guten Faͤhigkeiten, und von gutem Herzen. Falſch - heit war nie mein Laſter; und Verſtellung habe ich erſt ſpaͤterhin gelernt, und geuͤbt, nachdem ich vieles ſchon gethan und getrieben hatte, deſſen ich mich ſchaͤmen mußte. Mein Vater hatte mir guten Unterricht verſchaft, und ich erlangte verſchiedene recht gute Kennt - niſſe, welche ich meiner immer fortwaͤhrenden Neigung zu den Wiſſenſchaften verdanke. Meine Figur war auch nicht haͤßlich. Da war es denn doch Schade, daß ich verdorben und ungluͤcklich ward. Aber ich wurde es, und fiel aus einem dummen Streich in denXII andern, trieb Dinge, worunter auch wirkli - che groͤbere Vergehungen ſind, bis ich endlich aus Noth und Verzweiflung an allem Er - dengluͤck die blaue Uniform anzog.

Wenn nun ein Erzieher, ein Vater, oder auch ein Juͤngling meine Begebenheiten lieſt: muß er da nicht manche Regel fuͤr ſich und fuͤr ſeinen Zoͤgling abſtrahiren? Muß er nicht oft ſtutzen und ſich ſelbſt auf unrechtem Wege finden? Wird er dann nicht, wenn er klug iſt, einen andern und beſſern Weg einſchlagen? Muß er nicht aufmerkſamer auf die Folgen ſeines Denkens und Handelns werden, und folglich mehr Harmonie und Kon - ſequenz in ſein Leben zu bringen ſuchen? Meine Ungluͤcksfaͤlle ſind nicht aus der Luft geriſſen, wie man ſie in Romanen lieſt: ſie haben ſich in der wirklichen Welt zugetragen, haben alle ihre wirklichen Urſachen gehabt, und lehren, daß es jedem eben ſo gehen kann, der es ſo treibt, wie ich.

Ich glaube daher mit Recht, daß mein Buch einen nicht unebnen Beitrag zur prak - tiſchen Paͤdagogik darbietet, und daß niemand ohne reellen Nutzen daſſelbe durchleſen wird: und das iſt doch nach meiner Meinung ſehr viel. Auf dieſe Art werde ich, der ich durch meine Handlungen mein ganzes Gluͤck verdor - ben habe, doch durch Erzaͤhlung derſelben ge - meinnuͤtzig, und das ſey denn eine Art von Entſchaͤdigung fuͤr mich.

XIII

Außerdem hoffe ich auch, daß die Erzaͤh - lungen ſelbſt niemanden lange Weile machen werden; daß alſo meine Schrift auch zu de - nen gehoͤren wird, welche eine angenehme Lektuͤre darbieten. Und ſo haͤtte ich, wenn ich mich nicht uͤberall irre, einen dreifachen recht guten Zweck erreicht.

Aber einigen Vorwuͤrfen muß ich hier im voraus begegnen, welche man ohne allen Zweifel meinem Werkchen machen wird.

Ich habe viele angeſehene Maͤnner eben nicht im vortheilhafteſten Lichte aufgeſtellt von unwuͤrdigen Menſchenkindern, einem Kammerrath Schad, einem Brandenburger, und andern dergleichen, iſt hier die Rede nicht: die haben die Brandmarkung ver - dient! warum hab 'ich das gethan? Deswegen meine lieben Leſer, weil ich glaube und fuͤr unumſtoͤßlich gewiß halte, daß die Be - kanntmachung der Fehler angeſehener Maͤn - ner ſehr nuͤtzlich iſt. Die Herren muͤſſen nicht denken, daß ihr Anſehen, ihr Reich - thum, ihre Titel, ſelbſt ihre Gelehrſamkeit und Verdienſte ihre Maͤngel bedecken, oder gar rechtfertigen koͤnnte. Dieſe Maͤnner, von welchen ich erzaͤhle, haben theils mit mir im Verhaͤltniß geſtanden, und haben mir nach ihrem Vermoͤgen zu ſchaden geſucht, und wirklich geſchadet: theils aber ſchadeten ſie der guten Sache, den Rechten der Menſch - heit, beſonders jenem unumſtoͤßlichen ewigenXIV Recht, uͤber alle intellectuelle Dinge voͤllig frei zu urtheilen, und ſeine Gedanken dar - uͤber zu entdecken. Wenn ich alſo die Pro - feſſoren zu Mainz, Heidelberg und ſonſtige Meiſter als intolerante Leute beſchreibe, wel - che gern Inquiſitoren werden, und den hei - ligen Bonifacius, oder jenen abſcheulichen Menſchen, den Abſchaum aller Boͤſewichter, den Erfinder der Inquſition und Hexenpro - zeſſe, ich meine den Pabſt Innocentius III. nachmachen moͤchten: thu ich dann Unrecht, da die Sache ſich durch Thaten beſtaͤtiget? Vielleicht ſchaͤmen ſich andre, und werden toleranter, und waͤre das nicht herrlich? Haͤtte ich da nicht mehr Gutes geſtiftet, als mancher Verfaſſer dicker Baͤnde von Predig - ten und andern theologiſchen, philoſophiſchen oder juriſtiſchen Unſinn?

Ferner, ſagen Sie ſichs ſelbſt, lieber Leſer, ob ich recht habe: darf ich den nicht beſchreiben, der mir wehe that? Rache ſchreien zwar die Moraliſten (in ihren Theorien) ſey uͤberhaupt ein ſchaͤndliches Laſter, dem kein Weiſer nachgeben muͤſſe: ja, ich ſage irgendwo ſelbſt, daß ſie groͤßtentheils unter der Wuͤrde der Menſchheit ſey. Allein ich geſtehe es, daß ich ihr Gebot nicht ganz ein - ſehe; ich bin ein Menſch, ſo gut wie der Pabſt und der Fuͤrſt: ich hab 'auch meine Galle, und es kraͤnkt mich auch, wenn man mir unrecht thut, und mich armen ohnmaͤch -XV tigen Menſchen druͤckt, und ſeine Freude dran hat. Ich ſuche mich nun zu raͤchen, wie ich kann, und das kann ich auf keine an - der erlaubte Art, als daß ich die Leute von der Art nenne, und ihren Karakter bekannt mache. Ich werde das auch in der Zukunft ſo halten, und Anekdoten von der Art mehr ſammeln, um einmal Gebrauch davon zu machen. Urtheilen Sie ferner, meine Leſer, ob Sie es nicht auch ſo machen wuͤrden, wenn Sie in meinen Schuhen ſtaͤnden? Ich brenne mich nirgends weis, und erdenke an mir keine Geſinnungen, die ich nicht habe. Daher geſtehe ichs, daß die Großmuth, wel - che alle Neckereien uͤberſieht, und ſich ohnge - ahndet hudeln laͤßt, meine Tugend nicht iſt. Wer beſſer in dieſem Stuͤck iſt; nicht der, welcher blos beſſer ſpricht, verdamme mich: ich habe nichts dawider. Und wer uͤbeln Nachreden entgehen will, der thue nichts uͤbles. Schwachheiten abgerechnet, iſt Pub - licitaͤt fuͤr Thorheit und Laſter ein weit zutraͤg - licheres Heilmittel, als das Maͤntelchen der chriſtlichen Liebe das freilich gerade von denen am fleiſigſten empfohlen wird, die es am mei - ſten beduͤrfen. Ich zweifle nicht, daß meine Biographie, ſo wie die des verſtorbenen D. Bahrdt, mehrere andre Buͤchleins von Bei - traͤgen, Berichtigungen und vielleicht gar von Schimpfereien im Gefolge haben wird. Das ſoll mir auch wegen des bekanntenXVI Spruͤchelchens: contraria contrariis magis elucescunt recht lieb ſeyn. Aber die Herren Beitraͤgeſchreiber werdens auch nicht fuͤr Uebel nehmen, wenn ich ihnen nach Befinden antworte. Mir ſoll jeder Ton, der ſanfte und grobe, gleichviel gelten: denn ich bin dergleichen ſchon etwas gewohnt. Wo ich aber vielleicht aus Gedaͤchtnißfehler wirklich geirrt habe, will ich mich herzlich gern belehren laſſen, und wie billig, widerrufen. Aber ich hoffe, daß dergleichen Fehler nicht ſollen untergelau - fen ſeyn.

Im zweiten Theile, der auch ſchon unter der Preſſe iſt, erzaͤhle ich meine Geſchichte bis auf die jetzige Zeit. Er hat einige wichtigere Nachrichten als der erſte, und wird hoffent - lich die Neugierde der Leſer befriedigen, und ihnen mancherlei Genugthuung leiſten.

Und ſo viel habe ich Ihnen, meine Leſer, zum voraus ſagen wollen. Ich wuͤnſche, daß Sie alle, das Gluͤck genießen, welches mir das Schickſal wegen meiner eignen Ver - irrungen verſagt hat. Geſchrieben zu Halle den 5ten Mai 1792.

1

Erſtes Kapitel.

Nicht alle Prediger ſind, was mein Vater war!

Um meine Lebensgeſchichte etwas methodiſch ein - zuleiten, muß meine Erzaͤhlung doch wol von der Zeit und dem Orte anfangen, wo ich geboren bin. Das iſt geſchehen im Jahre 1758 zu Wendelsheim, einem Orte in der Unterpfalz, der zur Grafſchaft Grehweiler gehoͤrt. Mein Vater war Prediger die - ſes Orts, und genoß einer ganz guten Beſoldung bei einem ſehr ruhigen Dienſte. Das iſt nun freilich in der Pfalz eine ſeltene Sache, indem die lutheriſchen Pfarrer durchaus ſchlecht beſoldet und dabei mit Ar - beit uͤberladen ſind. Dies iſt aber nur von den ei - gentlichen Pfaͤlzer Pfarreien zu verſtehen: denn die graͤflichen und ritterſchaftlichen befinden ſich beſſer. Leider aber werden dieſe beſſern Stellen auch jedes - mal, wenn eine erledigt wird, an den meiſtbietenden verkauft oder ordentlich verſteigert. Mein Vater war jedoch ſo gluͤcklich geweſen, ſeine Stelle ohne einenErſter Theil. A2Kreuzer Ausgabe dafuͤr, zu erhalten, und dies von dem Kurfuͤrſten zu Mainz, der daſelbſt Patron iſt, und der, als Erzbiſchof einer heiligen Kirche, eine ketzeriſche Pfarrſtelle wol nicht ohne Geld hingegeben haͤtte, wenn nicht andere Gruͤnde da geweſen waͤren. Mein Vater hat mir dieſe Gruͤnde zwar niemals ent - deckt; daß ſie aber da geweſen ſeyn muͤſſen, erhellet daraus, daß alle und jede gute proteſtantiſche Pfarren, welche der Kurfuͤrſt zu Mainz vergiebt, von alten Zeiten her bis auf den heutigen Tag, ver - kauft werdena)Der jetzige Inhaber der Pfarrei zu Wendelsheim hat, wie ich aus Briefen weis, 1000 Gulden rheiniſch das fuͤr bezahlen muͤſſen.

Meine Leſer werden es nicht ungern ſehen, wenn ich eine kurze Beſchreibung von meinem Vater lie - fere, der ſich ohne Ruhm zu melden, von den uͤbri - gen proteſtantiſchen Herren Pfarrern in der Pfalz merklich unterſchieden hat.

Er hatte in ſeiner Jugend ſehr fleißig ſtudirt, und hatte beſonders die Wolffiſche Philoſophie zu ſeinem Lieblingsſtudium gemacht. Er bekannte mir oft, daß ihn die Grundſaͤtze der Wolffiſchen Meta - phyſikb)Beſonders den ontologiſchen Satz: quaecunque ſunt in ente, vel eſſentialia ſunt, vel attributa, vel modi, vel modi analogici. dahin gebracht haͤtten, daß er an den Haupt - dogmen der lutheriſchen Lehre gezweifelt haͤtte. In3 der Folge, da er ſein Studium nicht nach Art ſo vie - ler geiſtlichen Herren, an den Nagel henkte, unter - ſuchte er alle Dogmen ſeines Kompendiums, und verwarf ſie alle, da er ſie mit den Saͤtzen ſeiner lieben Metaphyſik unvereinbar fand. Endlich fiel er gar auf die Buͤcher des beruͤchtigten Spinoſa, wodurch er ein vollkommner Pantheiſt ward.

Ich kann dieſes meinem Vater jetzt getroſt nach - ſagen, da er todt iſt, und wol nicht zu vermuthen ſteht, daß ihn die hyperorthodoxen Herren in der Pfalz werden ausgraben laſſen, wie dies vor ohn - gefaͤhr vierzig Jahren dem redlichen Bergmeiſter Schittehelm von Moͤrsfeld geſchehen iſt. Es lieſſen naͤmlich die proteſtantiſchen Geiſtlichen zu Kreuznach dieſen hellſehenden Kopf als einen Edel - mannianer herausgraben, und ſo nahe an den Nohfluß einſcharren, daß ihn der Strom beim er - ſten Anſchwellen heraus und mit ſich fort riß. Der - gleichen Barbarei wird man doch, hoffe ich, am Ende dieſes Jahrhunderts nicht mehr begehen!

Sonſt war mein Vater ſehr behutſam in ſeinen Reden uͤber die Religion: nur ſeinen beſten Freun - den vertraute er dann und wann etwas von ſeinen Privatmeinungen, und bekannte mir oft in traulichen Geſpraͤchen, daß er gar nicht wuͤnſchte, daß ſein Sy - ſtem Leuten bekannt wuͤrde, welche einen moraliſchen Misbrauch davon machen koͤnnten. Vielleicht ge〈…〉〈…〉4 ich einmal eine Handſchrift heraus, die er unter dem Titel: Geſchichte meiner Zweifel und Ueberzeugungen, hinterlaſſen hat: da wird man recht wuͤrdige Gedanken uͤber dieſen Punkt finden!

Mein Vater hatte in den Sprachen und Wiſ - ſenſchaften viel geleiſtet. Er verſtand recht gut Latein, und war in den morgenlaͤndiſchen Sprachen, wie auch in der griechiſchen, gar nicht unerfahren. Ich erinne - re mich noch lebhaft, wie er den Propheten Ma - lachias mit mir las, und in Herrn D. Bahrdts Kommentar uͤber dieſen Propheten, die Schnitzer ruͤgte, welche dieſer artige Meiſter in der orienta - liſchen Litteratur da wider die gemeinſten Regeln der hebraͤiſchen und arabiſchen Grammatik gemacht hat, oder wenn er Herrn D. Bahrdts lateiniſche Barba - rismen und Soloͤcismen herzlich lachend durchging.

Die Predigten meines Vaters waren nicht aus - geſchrieben; und das heißt in der Pfalz viel, ſehr viel! Denn da reiten die Herren, was das Zeug haͤlt, die alten Poſtillen zuſammen: ja, das iſt ſchon ein rechter Mann, welcher aus Martin Jockiſch ſel. expe - ditem Prediger, aus Paſtor Goͤzens Diſpoſitionen, aus Dunkels Skiagraphie oder aus einem andern Troͤſter von der Art, eine Predigt zu fabriciren im Stande iſt. Den meiſten Herren muß alles von Wort zu Wort vor der Naſe ſtehen; ſonſt verlieren ſie gleich den Zuſammenhang. So war aber mein5 Vater nicht: er arbeitete ſeine Diſpoſitionen und Pre - digten ſelbſt aus, und trug weit mehr Moral als Dogmatik vor. Niemals konnte er ſich entſchlieſſen, die Sabellianer, Arianer, Eutychianer, Pelagianer, Apollinariſten, Deiſten, und andere alte und neue Ketzer auf der Kanzel zu befehden, nach Art ſeiner Herren Amtsbruͤder: und dieſes wollte man eben von Seiten dieſer Herren nicht ſehr loben. Sogar begieng er den Fehler, daß er die Katholiken und Re - formirten ihr Kirchenweſen ruhig fuͤr ſich treiben ließ: ein Benehmen, welches ihn bei den dortigen contro - versſuͤchtigen Herren vollends in Miskredit brachte. Aber er bekuͤmmerte ſich um die Herren nichts, und wandelte ſeinen Pfad getroſt fuͤr ſich fort.

Auſſerdem war mein Vater ein unerſchuͤtterli - cher Freund jeder buͤrgerlichen und geſellſchaftlichen Tugend. Seine Ehrlichkeit kannte eben ſo wenig Graͤnzen, als ſein Beſtreben, gegen jederman gefaͤl - lig zu ſeyn und jedem Nothleidenden zu helfen.

Bei dieſem Karakter mußte mein Vater noth - wendig bei jederman beliebt ſeyn: niemand haßte ihn, als vielleicht die, welchen er dann und wann die Wahrheit ſagte, wovon ich unten ein mehreres berichten werde. Von allen andern, welche ihn kann - ten, wurde er geliebt und geſchaͤzt als ein biederer, ehrlicher Mann, auf den man ſich in allen Stuͤcken verlaſſen konnte.

6

Herr D. Bahrdt meldet irgendwo in ſeiner Lebensbeſchreibung, daß er viele freundſchaftliche Brie - fe von der verſtorbenen Frau Landgraͤfin von Heſſen - Darmſtadt aufbewahre. Dieſes iſt, wie man ihm oͤffentlich vorgeworfen hat, erdichtet: er kann keine Zeile von der Hand dieſer vortrefflichen Fuͤrſtin vor - zeigen. Allein unter den Papieren meines Vaters finden ſich noch Briefe, welche die verewigte Hen - riette an ihn geſchrieben hat: Briefe, in welchen der Geiſt und die Herzensguͤte der großen Mutter der Koͤnigin von Preuſſen recht ſichtbar hervorglaͤnzt. Ich fuͤhre dieſes nicht aus Ruhmredigkeit oder aus der Abſicht an, mir einige Vortheile durch Erwaͤh - nungen von der Art zu erſchleichen: es geſchieht blos, um meinem Vater die Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, welche das Andenken eines ehrlichen Mannes verdient. Der Fuͤrſt Moriz von Salm Kyr - burg, und die vortreffliche Luiſe, ſeine Gemahlin, ſchaͤtzten meinen Vater nicht weniger: ſie beehrten ihn mit einem recht freundtchaftlichen traulichen Um - gange bis in ſeinen Tod. Seht, Ihr Herren Prediger! auch Große ſchaͤtzen euren Stand, wenn Einſicht und Verdienſt Euch ſelbſt nur ehrwuͤrdig machen!

Dabei hatte mein Vater indeß auch ſeine großen Schwachheiten; aber doch auch nur Schwachheiten und keine Laſter. Er war daß ich nur etwas7 davon anfuͤhre ein großer Kenner der Alchymie, und wollte durchaus Gold machen. Ein gewiſſer Musjeh Fuchs, welcher um das Jahr 1760 we - gen Geldmuͤnzerei und anderer Hallunkenſtreiche in Schwaben gehangen worden, hatte ihn mit den Ge - heimniſſen dieſer edlen Kunſt bekannt gemacht. Er fieng an zu laboriren, und las dabei die herrlichen Buͤcher des Baſilius Valentinus, Baptiſt Helmontius, und ſeines noch tollern Sohns, Meiſter Merkurius Helmontius, Paracel - ſus, Becher, Sendirogius den er be - ſonders hoch hielt und anderer theoſophiſcher al - chymiſtiſcher Narren und Spitzbuben. Die Lektuͤre dieſer Skarteken verwirrte ihm den Kopf, und mach - te, daß er Jahr aus Jahr ein den Stein der Wei - ſen ſuchte, und betraͤchtliche Summen bei dieſer un - ſeligen Bemuͤhung verſchwendete.

Meine Mutter machte dem verblendeten Mann die triftigſten Vorſtellungen, welche nicht ſelten in Zank und Specktakel ausarteten; aber alles umſonſt! Er laborirte friſch weg, und verſicherte mehr als ein - mal, daß er das große Magiſterium nunmehr gefun - den haͤtte, und naͤchſtens Proben davon geben wuͤr - de. Der Apotheker Eſchenbach in Flonheim war meines Vaters treuer Gehuͤlfe. Dieſer war bankrott geworden, zwar nicht durch Alchymie, ſondern durch ſein Saufen, und durch die Spitzbuͤbereien eines Ab -8 ſchaums aller Spitzbuben, des verſtorbenen Raths Stutz in Flonheim. Eſchenbach, welcher arm war, und keinen Unterhalt wußte, war froh, daß ihn mein Vater zu ſeinem Kalefaktor, oder wie ſie es nannten, Kollaboranten und Symphiloſophen aufnahm. Er half nicht nur treulich laboriren, ſondern ſchafte noch alle alte vermoderte Buͤcher herbei, welche die Kunſt, Gold zu machen, lehren ſollten. Haͤtte mein ehrlicher Vater ſtatt der Wolffiſchen Metaphyſik die phyſiſchen Werke dieſes Philoſophen ſtudirt; ſo wuͤrde viel Geld erſpahrt und manches Nachgerede unterblieben ſeyn. Er hat einige Jahre vor ſeinem Tode aufgehoͤrt zu laboriren: aber noch 1787, als ich ihn zum lezten - mal beſuchte, behauptete er, daß die Goldkocherei allerdings eine ausfuͤhrbare Kunſt ſey. Es iſt nur Schade, fuͤgte er hinzu, daß man ſo viel Lehr - geld geben muß, und doch keinen erfahrnen Lehrmei - meiſter haben kann.

Meine Mutter, welche noch lebt, iſt eine ganz brave Frau, und ſo habe ich ſie immer gekannt. Sie iſt eine Enkelin des ehemals beruͤhmten Rechtsgelehr - ten Johann Schilter von Strasburg. Mein Vater hatte ſie aus Liebe geheurathet, und ſie ſchien immer eingedenk zu ſeyn, daß ſie ihm nichts zuge - bracht hatte. Sonſt hat ſie, wie alle Weiber, ihre kleinen und großen Maͤngel, die ich eben hier nicht angeben mag!

9

Zweites Kapitel.

Soviel vermoͤgen Tanten und Geſinde:

Von meinen erſten Jahren und fruͤhern Erziehung kann ich nur wenig anfuͤhren. Mein Vater hatte eine Schweſter bei ſich im Hauſe, welche niemals wer weis, warum? verheurathet geweſen iſt. Dieſe fuͤhrte die beſondere Aufſicht uͤber uns Kinder; war aber dabei ſo nachgiebig, daß ſie alle unſre klei - nen Teufeleien nicht nur vor den Augen unſrer El - tern fein tantiſch verbarg, ſondern ſelbigen nicht ſelten noch gar Vorſchub that. Und ſo ward ich fruͤh un - ter den Bauern als ein Bubec)Nach der Pfaͤlzer Sprache heißen alle Jungen Buben: die Bauern nennen ihre Soͤhne ſo, bis ſie heurathen. Hanes Henrich, ſagte der alte Gerheim zu ſeinem 25jaͤhrigen Sohne, Hans Henrich, wann dau Vatter werrſchſt un eich werre Bub, dann beſtellſcht dau die Maͤuwe. Hoſcht d'es gehoͤrt, Hanes Henrich? bekannt, der es, mit den Pfaͤlzern zu reden, fauſtdick hinter den Oh - ren haͤtte, und ein ſchlimmer Kunde werden wuͤrde. Noch jezt erinnere ich mich mit Unwillen oder manch - mal mit Wohlgefallen, je nachdem meine Seele ge - ſtimmt iſt, an die Poſſen und Streiche, welche ich in meiner erſten Jugend geſpielt habe. Ich muß ei - nige erzaͤhlen.

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Der alte Eſchenbach hatte ſich einmal ent - ſetzlich beſoffen, und ſaß ſchlafend auf einem Stroh - ſtuhl in unſrer Scheune. Ich war allein zugegen, und bemerkte, daß Waſſer von dem Stuhle herab - lief: huſch! nahm ich ihm die Peruͤke vom Kopfe, hielt ſie darunter, ließ ſie volllaufen, ſtuͤrzte ſie ihm wieder auf den Kopf, doch ſo, daß der Haarbeutel uͤber das Geſicht zu haͤngen kam, und entfernte mich. Der alte Saͤufer erwachte daruͤber, lief, wie ich ihn gemuſtert hatte, auf den Hof, und ſchrie einmal uͤbers andere: wer thut mich mit Waſſer ſchuͤtten! Mein Vater erfuhr den Vorgang, und, ſtatt mich zu zuͤchtigen, ſagte er nichts als: 's iſt ein Blitzbu - be! hat er den alten Saufaus nicht bezahlt! habeat fibi! Noch eins von dieſer Art!

Meiſter Trippenſchneider handelte mit Eſ - ſig, Zwiebeln und Salz, welches alles er auf einem Eſel herumfuͤhrte. Einſt kam er in unſern Flecken, und ging in meines Vaters Haus, um da ſeine Waa - ren anzubieten. Fluchs ſteckte ich dem Thier ange - zuͤndeten Schwamm hinters Ohr. Der Eſel ward wild, warf ſeine Ladung ab, wobei das Salz ver - ſchuͤttet und die Eſſigfaͤßchen zerbrochen wurden. Man unterſuchte genau, woher das Thier ſo wild geworden war; aber man fand auch keine Spur von Urſache. Meiſter Trippenſchneider erklaͤrte endlich den Zufall aus der Feindſchaft der Schlampin,11 einer alten Frau, welche bei uns fuͤr eine Hexe galt. Dieſe ſollte den Eſel durch ihre Hexereien ſo in Har - niſch gejagt haben. Ich fuͤr mein Theil freute mich; konnte aber nicht ſchweigen: und ſo erfuhr mein Vater den Urheber des Spektakels. Ich er - hielt Ohrfeigen zur Belohnung, und Meiſter Trip - penſchneider Erſatz ſeines Schadens. Meine Tante pflegte hernach dieſes Stuͤckchen als einen Be - weis meiner Faͤhigkeiten anzufuͤhren, wenn ſie fuͤr gut fand, ihre Affenliebe gegen mich durch Lob zu aͤuſſern.

Meine Tante war eine große Freundin vom Trunk, und dieſe Neigung ging ſo weit, daß ſie ſich nicht nur oft ſchnurrig machte, ſondern auch dann und wann recht derb beſoff. Mein Vater ſchloß alſo, wenn er mit meiner Mutter uͤber Feld ging, den Keller zu, und ließ der Tante blos ihr Be - ſtimmtes.

Meine Tante machte die Entdeckung, daß eins von den Kellerfenſtern ohne eiſerne Barren und blos mit einem hoͤlzernen Gitter verwahrt war. Das Gitter konte leicht weggenommen werden: ich mußte mich alſo an einem oben befeſtigten Seile hinablaſſen. Inwendig oͤffnete ich ſodann die Kellerthuͤr, und Mamſell Tante konnte ſich nach Herzensluſt Wein holen. Fuͤr ſie ſelbſt haͤtte es hingehen moͤgen: denn12 ſie war einmal ans Trinken gewoͤhntd)Zur Schande des Frauenzimmers in der Pfalz muß ich anmerken, daß ſehr viele unter ihnen ſich dem Saufen recht unziemlich ergeben. Alle Frauenzimmer trinken Wein, und viele dergeſtalt, daß ſie die Manns - perſonen darin uͤbertreffen. Meine ſchoͤne Lands - maͤnninnen werden freilich uͤber mich zuͤrnen: denn bei ſolchen Nachrichten moͤchten Auslaͤnder eben nicht ſon - derliche Luſt ſpuͤren, ein Pfaͤlzer-Maͤdel zu heurathen; aber ich kann leider nicht gegen die Wahrheit.; daß ſie aber auch mich, mich einen Knaben von ſechs Jahren zum Weintrinken anfuͤhrte, war im hoͤchſten Grade unrecht: ich wuͤrde ſagen, daß es ſchaͤndlich war, weil ſie dadurch den Grund zu vielen meiner folgenden Unfaͤlle gelegt hat. Aber ihre Affenliebe zu mir, ließ ſie blos auf Mittel ſinnen, wie ſie mir Vergnuͤgen machen koͤnnte. An nachtheilige Folgen dachte ſie nicht.

Auf dieſe Art wurde ich alſo in der zarteſten Jugend ein Saͤuffer. Oft war ich durch den Trunk meiner Sinnen beraubt; und dann entſchul - digte mich meine Tante, wenn ja die Eltern nach mir fragten, durch Vorgeben: daß mir der Kopf wehe thaͤte, daß ich ſchon ſchliefe u. ſ. w. Mein Vater erfuhr demnach von meinen Saufereien nichts.

Ich fuͤhre dieſe Umſtaͤnde deswegen an, damit ich einen Erfahrungs-Grund zu der Vorſchrift gebe: daß Eltern ihre Kinder auch ihren naͤchſten Ver - wandten nicht anvertrauen ſollen, ſo lange ſie an13 deren regelmaͤßigem Leben auch nur im geringſten zweifeln koͤnnen. Eben dies gilt von Freunden und Freundinnen, und vorzuͤglich vom Geſinde. Man wird gleich ſehen, warum.

Zu den ſchoͤnen Tugenden, womit meine Ju - gend ausgeruͤſtet war, gehoͤrt auch das Fluchen und Zotenreißen. Unſer Knecht, Johann Ludwig Spangenberger unterrichtete mich in dieſen ſau - bern Kuͤnſten zu fruͤh und zu viel. Er erklaͤrte mir zuerſt die Geheimniſſe der Frauenzimmer, und brach - te mir leider ſo viel Theorie davon bei, daß ich in Stand geſetzt wurde, zu den ſchaamloſen Neckereien und Geſpraͤchen des Geſindese)In der Pfalz ſcheinen die Zoten wie zu Hauſe zu ſeyn: beſonders herrſcht unter den gemeinen Leuten eine ſol - che Schaamloſigkeit im Reden, daß auch ein Preußiſcher Musketier uͤber die unlautern Schaͤckereien der Pfaͤlzer Haͤnſels und Gretels erroͤthen wuͤrde. mein Kontingent allemal richtig und mit Beifall zu liefern. Und ſeit - dem der Knecht mich ſo unterrichtete, ſuchte ich ſeine Geſellſchaft mit aller Emſigkeit, und verſah ihn mit Taback aus meines Vaters Buͤchſe: es war natuͤr - lich, daß ſein Unterricht hierdurch zunahm. Da auch Meiſter Hans Ludwig wie ein Landsknecht fluchen konnte; ſo ahmte ich ihm auch hierin ſo treulich nach, daß jedesmal, wenn ich redete, das zweite Wort eine Zote und das dritte ein Fluch war. In meiner Eltern Gegenwart entfuhren mir anfaͤnglich14 auch dergleichen Unflaͤtereien; da ich aber bald merk - te, daß ſie das nicht leiden konnten, ward ich vor - ſichtiger, und ſprach beſcheiden; aber nur in ihrer Gegenwart.

Es laͤßt ſich denken, daß es nicht blos bei Lud - wigs Theorie geblieben iſt: ich bekam bald Luſt, auch das zu ſehen und das zu erfahren, wovon ich ſo viel gehoͤrt hatte. Dazu fand ich Gelegenheit bei einer unſrer Maͤgde, welche gern zugab, daß ich bei ihr alles das unterſuchte, was mir Hans Lundwig als das non plus ultra der hoͤhern Kenntniſſe angewie - ſen hatte.

So war meine erſte Erziehung beſchaffen, oder vielmehr, ſo wurde das wenige Gute, welches mein Vater durch Unterricht und Ermahnen in mich zu bringen ſuchte, durch Verfuͤhrung und boͤſes Beiſpiel Anderer verhunzt und vernichtet!

Drittes Kapitel.

Auch Vaͤter verſehens oft.

Ich muß es meinem guten Vater zwar nachruͤhmen, daß er mich oft und mit aller Herablaſſung und Sanftmuth unterrichtet hat: ja, er hielt mir an - fangs keinen Lehrer, weil er glaubte, daß der Un -15 terricht eines Vaters jenem eines Lehrers weit vorzu - ziehen ſey: und darin hatte er nun freilich Recht! Allein er haͤtte mehr auf meinen Verſtand und mein Betragen, als auf mein Gedaͤchtniß Ruͤckſicht neh - men, und das letztere nicht blos mit einſeitigen Kent - niſſen ausfuͤllen ſollen. Denn da unſre Lehrſtunden nicht lange dauerten, und ich das, was ich außer denſelben auswendig zu lernen hatte, mit meinem ziemlich gluͤcklichen Gedaͤchtniß bald faßte; ſo entzog ich mich ſeiner Aufſicht, und benuzte meine uͤbrige Zeit, da mein Vater in ſeiner Studierſtube oder im alten Hauſe mit Gold Laboriren beſchaͤftigt war, zu allerhand kleinen Teufeleien. Meine Mutter gab vollends noch weniger auf die Auffuͤhrung ihrer Kin - der acht: und ſo waren wir groͤßtentheils uns ſelbſt uͤberlaſſen.

Mein Vater ſetzte ferner, wie viele Vaͤter, die Erziehung in den Unterricht: lernen hieß bei ihm er - zogen werden, und ein junger wohlgezogener Menſch bedeutete ihm blos einen Juͤngling, der ſeinen Ci - cero und Virgil leſen, die Staͤdte, Fluͤſſe und dergleichen, auf der Landkarte anzeigen, die Namen der großen Herren, die Schlachten bei Marathon, Canna u. a. auf dem Nagel herzaͤhlen, und dann endlich franzoͤſiſch plappern konnte. Dies, ſagte er, iſt fuͤr einen Knaben genug: das Uebrige gehoͤrt fuͤr die hoͤhern Schulen! Wie ſehr er hierin geirrt habe16 darf ich nicht erſt ſagen: das haben unſre Herren Paͤdagogen ſchon bis zum Eckel geſagt. Aber dieſe Herren haben wieder auf der andern Seite darin ge - irrt, daß ſie die Geſchichte und alles Studium der aͤltern Sprachen, beſonders der lateiniſchen, die ih - nen Jalappenharz zu ſeyn ſcheintf)Man ſehe die Edukationsſchriften hin und wieder, und vergleiche damit des trefflichen Dresdner Krebs Vannus Critica in inanes paleas Baſedowii: desgl. den zweiten Theil des herrlichen Romans Hille - brand., verſaͤumen.

Vom Schoͤnſchreiben war mein Vater kein Freund: docti male pingunt, ſagte er: und ſo war es hinlaͤnglich, wenn ich nur ſchreiben, d. i. Kratzfuͤße machen konnte. Er gieng hierbei in ſeiner Pedanterie ſo weit, daß er den Verfaſ - ſer eines von Seiten der Schriftzuͤge ſchoͤn geſchrie - benen Briefes, jedesmal fuͤr einen Ignoranten er - klaͤrte.

Dieſem Vorurtheile meines Vaters verdanke ich es, daß ich immer elend und unleſerlich geſchrieben, und dadurch ſchon mehrere Fluͤche und Verwuͤnſchun - gen der Druckſetzer verdient habe. Ich habe mich zwar ſelbſt geuͤbt, nach Vorſchriften zu ſchreiben; aber was ich dadurch gewann, ging hernach durch das Nachſchreiben in den Kollegien auf den Univer - ſitaͤten wiederum verloren.

17

In die deutſche Schule zum Katechismus oder zum Religionsunterricht, wollte mich mein Vater aus guten Gruͤnden nicht ſchicken. Er war, wie meine Leſer ſchon wiſſen, ein Pantheiſt, mußte folg - lich die Art, wie man Kindern in den Schulen von der Religion vorſchwazt, von Herzen verabſcheuen: ich durfte alſo den Katechismus nicht lernen, und habe ihn auch nie gelernt. Erſt in Gießen, als ich D. Benners Vorleſungen uͤber die Symbolik hoͤrte, las ich den Katechismus Lutheri mit allem Ernſt.

Dagegen wurde ſchon in meinen fruͤhern Jah - ren das Latein mit mir angefangen, und zwar aus Amos Comenius bekanntem Buche, dem Orbis pictusg)Herr Adelung hat das Leben des braven Comme - nius ſeiner Geſchichte der menſchlichen Narrheit ein - verleibt. Das haͤtte er nicht thun ſollen: Comme - nius hatte Verdienſte, und war wenigſtens kein Narr. Aber Herr Adelung hat auch andere Maͤnner in die Klaſſe der Narren gebracht, die es nicht verdienten, z. B. den Jordan Brunus, wobei ihm das Bailtſche Woͤrterbuch haͤtte aushelfen koͤnnen.. Ich muß geſtehen, daß ich dieſem Buche vieles verdanke: es iſt das beſte Buch, welches ich kenne, um Kindern eine Menge Vokabeln und latei - niſche Redensarten ſpielend und ohne allen Eckel bei - zubringen. Ein Knabe, der den Orbis pictusErſter Theil. B18treibt, kommt in drei Monaten im Latein wei - ter, als er durch den Gebrauch der ſo genannten Chreſtomathien und Leſebuͤcher der Herren Stroth, Gedike, Wolfram und anderer, in einem Jah - re kommen kann. Neben dem Orbis pictus, wur - den die Trichter des Muzelius getrieben, und dadurch ward ich nach dem gewoͤhnlichen Schlage in der Grammatik feſt. Mein Vater hatte den guten Grundſatz, daß die Grammatik das Fundament der Sprachlehre ausmachen muͤſſe.

Als ich ohngefaͤhr acht Jahre alt war, wurde mein Vater in einen Handel verwickelt, der ihn ganz niederſchlug: es war folgender.

Viertes Kapitel.

So machens Prieſter und Grafen!

Der Rheingraf zu Grehweiler, meines Vaters hochgebietender Herr, hatte einen Hofprediger, Jo - hannes Herrenſchneider, von Strasburg, ehemaligen Konrektor der Schule zu Gruͤnſtadt, ei - nen Mann, der franzoͤſiſch parlirte, ſich taͤglich mit Lavendelwaſſer einbalſamirte, und immer durch die Fiſtel ſprach. Dieſer Mann hatte in Strasburg ſtudirt, einem Orte, wo die kraſſeſte Orthodoxie von19 Zeiten der Reformation an, fuͤrchterlich geherrſcht hat und noch herrſcht. Daher war er denn auch uͤber - trieben orthodox, und roch, wie D. Bahrdt ſagt, die Ketzer von weitem. Uebrigens wußte er gar nichts, und war ein truͤbſeliger unwiſſender Schuͤler. Und dennoch ließ ſich dieſer ſaubere Herr beigehen, ein Buch zum Unterrichte der Kinder in der Rhein - grafſchaft herauszugeben. Er ſudelte zu dem Ende ein Ding aus ſeinen dogmatiſchen Heften zuſammen, welches das non plus ultra alles Unſinns und aller Grillenfaͤngerei war: ein Ding, worin ſogar von Mittheilung der Eigenſchaften, von der Hoͤllenfahrt Chriſtih)Auf die Frage: warum Chriſtus zur Hoͤlle gefahren ſey? heißt die Antwort: daß er predigte ewige Ver - dammniß den verdammten Geiſtern, und ſich ſeines Sieges an ihrer Quaal und Marter erfreute. Pfui der Schadenfreude!, vom Antichriſt und von allen Raritaͤten des Syſtems weitlaͤuftig gefaſelt wird. Am Ende des Wiſches ſteht obendrein ein Anhang von der Verſchiedenheit der Religionen, oder eine Nachricht fuͤr Bauerkinder, von den Gnoſtikern, Arianern, Neſtorianern, Eutychianern, Monothe - leten, Schwenkfeldern, Majoriſten, Atheiſten, De - iſten, u. dgl.

Das Buch wurde ganz in der Stille zu Stras - burg abgedrukt, und ſollte auf Befehl des Herrn20 Grafen in alle Schulen der Grafſchaft eingefuͤhrt werden. Mein Vater widerſetzte ſich der Einfuͤh - rung dieſes elenden Wiſches mit aller Gewalt, und ſchrieb deswegen an den verſtorbenen Herrn D. Toͤllner nach Frankfurth an der Oder, der immer ſein Freund geweſen iſt, wie auch an Herrn D. Walch nach Goͤttingen. Dieſe Maͤnner erklaͤrten den Wiſch fuͤr das, was er war, fuͤr die Geburt eines elenden Gruͤtzkopfs, die ſich zum Schulunter - richt durchaus nicht ſchicke. Mein Vater uͤbergab dem Grafen die Briefe ſeiner Freunde, legte ihm die Maͤngel des Buches, dem der Verfaſſer den Na - men Heilsordnung gegeben hatte deutlich vor Augen; aber was halfs? Das Ding wurde eingefuͤhrt, und von den Schulkindern auswendig gelernt. Daß der Hofprediger von nun an meines Vaters erklaͤrter Feind wurde, verſteht ſich von ſelbſt.

Ich bin zwar nicht gewohnt, die Geiſtlichen als Maͤnner anzuſehen, welche die menſchlichen Schwachheiten abgelegt haben, ja, wenn ich etwas Skandaloͤſes von einem Schwarzrok hoͤre; ſo bin ich allemal geneigt, es zu glauben: die Erfahrung hat mich ſo weit gebracht. Doch bin ich uͤberzeugt, daß man meinem Vater Unrecht gethan hat, als man ihn in puncto ſexti beſchuldigte. Man urtheile ſelbſt!

21

Mein Vater hatte ſich einen benachbarten Geiſtlichen zum Feinde gemacht, den nahen Anver - wandten eines Einwohners unſers Ortes. Einige Unvorſichtigkeiten meines Vaters gaben hierauf ſeinen Feinden Gelegenheit, dem Meiſter Bran - denburger ſo hieß der Vetter des benachbar - ten Geiſtlichen, der meines Vaters Feind war alles zuzutragen, einen ſchmutzigen Umgang zwiſchen ihm und einem Frauenzimmer des Ortes, welches eben nicht im beſten Rufe ſtand, zu ſupponiren, und ihn, nachdem ſie vorher alles fein eingefaͤdelt hatten, foͤrmlich anzuklagen. Die Beweiſe fehlten gaͤnzlich, und ob man gleich viele Eide ſchwoͤren ließ; ſo konnte man doch nicht das geringſte herausbrin - gen, das meinen Vater auch nur aus der Ferne wirklich gravirt haͤtte. Dennoch wurde er ſuſpendirt: denn der Graf ſelbſt war ſein Feind. Ich muß den Grund dieſer Feindſchaft anfuͤhren.

Der Graf von Grehweiler hatte ohngefaͤhr nur 40000 Thaler Einkuͤnfte, und fuͤhrte doch einen fuͤrſtlichen Hofſtaat, hielt ſogar Heyducken und Huſa - ren, eine Bande Hofmuſikanten, einen Stallmeiſter, Bereuter und noch viel anderes unnoͤthiges Geſinde. Dazu gehoͤrte nun Geld, und ſeine Einkuͤnfte reich - ten nicht zu. Die Unterthanen durfte er aus Furcht vor dem Lehnsherrn, dem Kurfuͤrſten von der Pfalz, nicht mit neuen Auflagen belaͤſtigen; daher blieb22 blos der einzige Weg uͤbrig, Schulden zu machen. Dieſer modus acquirendi ging Anfangs recht gut; aber bald wollte niemand mehr dem Hrn. Grafen auf ſein hochgraͤfliches Wort borgen: was war zu thun! Man nahm Geld auf die Dorfſchaften auf; und die Unterthanen muſten ſich unterſchreiben. Auf dieſe Art wurde nach und nach eine Summe von 900000 rheiniſcher Gulden geborgt.

Die Procedur bei dieſem Anleihen war oft mit den groͤßten Spitzbuͤbereien verbunden. So wurde zum Beiſpiel an den Grafen von Lamberg in Mainz, ein Wald zwiſchen Bokkenheim und Wons - heim verſezt, von 500 Acker; und doch iſt in der ganzen Gegend keine Staude zu ſehen. Die Be - dienten des Grafen ließen ſich alle zu den Abſichten ihres Herrn willig finden: ſie ſahen ihren Vortheil dabei. Ich muß doch dieſe ehrlichen Leute nennen, ob ſie gleich ſchon in oͤffentlichen Schriften als Erz - betruͤger gebrandmarkt daſtehen. So etwas warnet! Es waren folgende! Herr Kammerrath Schadi)Kammerrath Schad iſt erſt vor einigen Jahren als ein Bettler geſtorben, nachdem er uͤber zehn Jahre im Gefaͤngniß zugebracht hatte. Folgendes Epigram auf den alten Schind-Hannes, welchen der Kammer - rath um Haab und Gut gebracht hatte, charakteriſirt ihn nicht uͤbel. Es heißt:, Kammerſekretaͤr Arnoldi, Renntmeiſter Breken - feld, den die Bauern hernach den Verreck-im-Feld23 nannten, Oberſchulz Haͤfner, nebſt Gemahlin, der Maͤtreſſe des Grafen, Kammerdiener Rohard, Baumeiſter Biel, Gaſtwirth Brann, eine Menge Juden und andrer Helfershelfer, welche ſammt und ſonders ſich auf des Grafen Unkoſten, oder vielmehr auf Unkoſten der Glaͤubiger zu bereichern ſuchten.

Mein Vater ſah das Unweſen, und ſprach davon ſo deutlich, wie er es ſeiner Pflicht angemeſſen hielt. Er ermahnte ſeine Pfarrkinder, ſich nicht ferner zu unterſchreiben, weil ſie einmal doch wuͤrden bezahlen muͤßen. Dies wirkte: die Leute wider - ſetzten ſich: die Schuld davon fiel auf meinen Vater. Das entflammte den Grafen zur Rache: was konnte ihm daher erwuͤnſchter ſeyn, als eine Gelegenheit, ſich an ihm zu raͤchen? Dieſe both ihm die erzaͤhlte Beſchuldigung dar. Mein Vater wurde alſo ſuſpen - dirt. Aber da dieſer den Proceß am Kammergericht zu Wetzlar anhaͤngig machte; ſo wurde er nach neun Monaten fuͤr unſchuldig erklaͤrt, und erhielt einen Ehrenerſatz. Wie ſehr aber der Proceß ſeine oͤkono - miſchen Umſtaͤnde in Unordnung gebracht habe, kann man denken.

i)
Ich war ein alter armer Schinder,
Jedoch im Schinden viel gelinder
Als der Herr Kamm'rrath Schad,
Der mich, den Schinder ſelbſt geſchunden hat.
Ich ſchund nur todtes Vieh, und meiſt krepirte Hunde,
Indeß Herr Kamm'rrath Schad lebend'ge Menſchen ſchunde.
i)24

Waͤhrend der Zeit dieſer Suſpenſion war ich zu Dolgesheim in dem Inſtitut des Inſpektors Kratz, der nachher Leiningiſcher Superintendent geworden iſt.

Wenn meine Leſer die Nachrichten von dem Rheingrafen zu Grehweiler nicht mit Langerweile geleſen haben; ſo werde ich ihnen keinen uͤblen Dienſt leiſten, wenn ich die Tragikomoͤdie auserzaͤhle.

Nachdem ſich alſo die Schulden des Grafen zu ſehr gehaͤuft hatten; ſo forderten die aͤltern Glaͤu - biger ihr geliehenes Geld zuruͤck. Man hatte auch die vielen Bubenſtuͤcke entdeckt, welche bei den Bor - gereien waren begangen worden. Man hatte naͤm - lich Schulknaben die Namen ihrer Vaͤter unter die Obligationen ſchreiben laſſen oder Namen hingeſchrie - ben, die nicht exiſtirten, u. ſ. w. Alles das bewog die Glaͤubiger, ihre Zahlung mit Ungeſtuͤm zu for - dern. Unter dieſen befand ſich auch der Mainziſche Staatsminiſter, Graf von Lamberg. Dieſer ließ durch den Mainziſchen Amtsverwalter Heim - bach, einige graͤfliche Unterthanen und drei Juden nach Neubamberg locken, anhalten und nach Mainz ins Gefaͤngniß bringen, wo ſie uͤber fuͤnf Jahre ge - blieben ſind. Der Graf hielt ſich bei dieſem Vorfall ganz ruhig; doch unterſtand er ſich nicht, ſeine Graf - ſchaft zu verlaſſen.

25

Endlich kam eine kaiſerliche Kommiſſion, welche die ganze Wirthſchaft unterſuchte, und zuvoͤrderſt den Herrn Grafen mit ſeinen Bedienden feſt - ſetzte. Die meiſten dieſer ſaubern Finanziers hatten ſich aus dem Staube gemacht. Oberſchulz Haͤfner war nach Holland und von da nach Amerika gegangen. Eben ſo waren Brekenfeld und Arnoldi ent - wiſcht; aber die Frau des Oberſchulzen, der Kam - merrath Schad und mehrere wurden feſtgeſetzt, und erſt lange hernach losgelaſſen. Der Fuͤrſt von Naſſau Weilburg war Kommiſſarius.

Nach mehrern Jahren kam das Endurtheil von Joſeph II. Die Unterthanen, welche ſich unter - ſchrieben hatten, wurden von der Bezahlung losge - ſprochen. Der Graf ſollte wegen ſeiner Betruͤgereien auf zehn Jahre nach der Feſtung Koͤnigsſtein bei Frankfurt gebracht, und der Regierung unfaͤhig er - klaͤrt werden. Die Succeſſion ſollte nicht auf den noch lebenden Bruder des Grafen, den Ludwig, ſondern auf eine Seitenlinie von Gumenbach fal - len. Die Kommiſſion ſollte ſo lange bleiben, bis die Schuldener bezahlt waͤren, welche aber keine Inte - reſſen zu fordern haͤtten. Alle andere, welche an der Sache mala fide Antheil gehabt haͤtten, ſollten nach Befinden von dem Kommiſſar zur Strafe gezogen werden.

26

Dies war das Urtheil, welches den Einſichten, und der Denkungsart des vortreflichſten Kaiſers wah - re Ehre gemacht hat! und ſo endigte ſich die Grehweileriſche Komoͤdie mit Schrecken!

Der Graf hat ſeine vollen zehn Jahre ausge - ſeſſen. Seine Tochter, die Gemahlin des Grafen von Ortenburg, reiſete zwar ſelbſt zum Kaiſer, und bath fußfaͤllig um die Loslaſſung ihres Vaters; aber der gerechte Fuͤrſt antwortete: der Graf haͤtte ſich einer weit ſchaͤrfern Ahndung ſchuldig gemacht. Danken Sie Gott, Madame, ſetzte er hinzu, daß ich mir, wie ich anfangs willens war, in dieſer Sache nicht das Gutachten der Kurfuͤrſten und der Reichsſtaͤnde ausbath: waͤre dieſes geſchehen, Ihr Vater wuͤrde ſo nicht weggekommen ſeyn. Mit dieſem Troſte muſte ſich die gute Graͤfin abfuͤhren.

Jetzt iſt die Sache dahin gebracht, daß der Graf Karl von Grumbach die Regierung der Graf - ſchaft fuͤhrt, und die Schulden bezahlen muß. Er hat ſich mit der juͤngſten Tochter des Rheingrafen vermaͤhlet. Der Bruder des Grafen hat ein Fraͤulein in der Lauſitz geheurathet, und iſt da ge - ſtorben.

27

Fuͤnftes Kapitel.

An dem Schulweſen in der Pfalz giebt es noch viel zu verbeſſern!

Der Inſpektor Kratz in Dolgesheim hatte ſchon vor mehrern Jahren eine Art Erziehungsinſtitut an - gelegt, und manche junge Leute ſo weit gebracht, daß ſie die Univerſitaͤt beziehen konnten. Unter andern war auch der Nachfolger des theuren Herrn Sigis - mundus, weiland Profeſſors der Theologie und Moral auf dem Bahrdtiſchen Philanthropin zu Hei - desheimk)Von dieſem herrlichen Manne handeln die Beitraͤ - ge zu Doktor Bahrdts Lebensgeſchichte in Briefen eines Pfaͤlzers. S. 97. ff., der ehrwuͤrdige Herr Schukmann, Alumnus des Kratziſchen Inſtituts, bis er die hohe Schule in Gieſſen bezogen hat. Kratz war wirklich ein geſchickter Mann im Latein und im Griechiſchen: er wußte viele Vocabeln, war ſtark in der Gramma - tik, und konnte ganze Reden des Cicero woͤrtlich herſagen: ſonſt war er ſteif orthodox. Als daher Hr. D. Bahrdt in der Pfalz 1777 ſeine Komoͤ - die ſpielte, predigte er tapfer wieder ihn los. Im Unterricht war er ein rechter Orbilius, der immer cum baculo et annulo daſtund, und ſeinen Schuͤ -28 lern das Zeug eingerbte. Ich kann mich vorzuͤglich ruͤhmen, die ſchwere Hand des Hrn. Kratz oft und derb empfunden zu haben.

Seine Eleven waren meiſtentheils uͤbelgezogene Jungen; und wie vorbereitet ich in dieſe Geſellſchaft gekommen bin, wiſſen meine Leſer. Die Schuͤler, an der Zahl vierzehn, behandelten mich als einen kleinen Buben, der ihren Komment (Kommang) nicht verſtuͤnde, und den ſie alſo in die Lehre nehmen muͤßten. Aber ſie wurden bald inne, daß ſie ſich ge - irrt hatten. Ich fing an, das praktiſch zu zeigen, was ich in Wendelsheim von meinem Mentor, dem Ludwig Spangenberger, theoretiſch gelernt hatte: und da ſahen die Dolgesheimer Jungen, daß ich in manchen Stuͤcken noch haͤtte ihr Lehrmeiſter ſeyn koͤn - nen. Ich ward jetzt der Theilnehmer an allen ihren Vergnuͤgungen, und bald die Seele der Geſellſchaft. Kein Lumpenſtreich wurde ausgefuͤhrt Mosjeh Fritz war dabei, und nicht ſelten der Anfuͤhrer. Unſern Lehrmeiſter, oder wie wir ihn nannten, Lehrprinzen (Principalen) ſchonten wir nicht, und ſchabernakten ihn, wo wir nur konnten. Ich muß doch ſo einen Streich erzaͤhlen!

Der Inſpektor Kratz hatte einen Knecht, Na - mens Hans. Dieſen Kerl wollte der Inſpektor zwingen, ein Privet im Garten auszuraͤumen. Der Knecht, welcher dieſe Arbeit unter ſeiner Wuͤrde29 hielt, wollte durchaus nicht, und als der Herr In - ſpektor ihm mit Schlaͤgen drohte, verſetzte er dem - ſelben einen ſolchen Stoß, daß er ruͤcklings ins Pri - vet fiel, und ſich ſchrecklich beſudelt. Von dieſem ſchmutzigen Handel machten wir eine Komoͤdie, und fuͤhrten ſie mehrmalen auf: da kamen noch andre Perſonen dazu: eine Hexe, ein Jude, ſogar der Teufel. Hr. Kratz erfuhr endlich, daß er den Stoff zu einer Komoͤdie ſeiner Schuͤler hergab, und da regnete es nun Pruͤgel mehr als zu viel. Drei Tage waͤhrte die Exekution, bis wir alle, wie man ſagt, unſer Fett reichlich bekommen hatten.

Die Bauern in Dolgesheim fuͤrchteten ſich or - dentlich vor uns: denn es vergieng kein Tag, daß wir die Leute nicht geneckt oder ſonſt gehudelt haͤtten.

Ich wohnte bei dem Bruder meines Vaters, der ſich in Dolgesheim aufhielt, und Kammerſekre - taͤr bei dem Grafen von Leuningen Gundersblum Emmerich war. Dieſer Graf hat ſich nachher ſelbſt erſchoſſen. Mein Onkel hatte einen Sohn, Jakob, welcher eben ſo luſtig lebte als ich, und es trotz mir, in der Schelmerei weit genug gebracht hatte. Meine Leſer werden nun ſchon fuͤr ſich ſelbſt einſehen, daß meine Sitten in Dolgesheim eher verſchlimmert, als verbeſſert wurden.

Im Latein kam ich freilich weiter. Ich lernte den Cellarius auswendig, und fieng an, den Cor -30 nelius zu exponiren. Auch fing ich an, griechiſch zu kaͤuen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht recht behagen: ich fuͤhlte den Unterſchied zwiſchen der Lehr - und Behandlungsart meines Vaters und der des Herrn Kratz. Jener war immer liebreich, fluchte und ſchalt nie; Hr. Kratz war ganz anders. Der fluchte, wenn er tuͤckiſch war, wie ein Boots - knecht, und gab uns immer die garſtigſten Zunah - men: Flegel, Eſel, Schlingel, Buͤffel, Ofenlochs - gabel, Hache waren die gewoͤhnlichen Titel, wo - mit er uns begruͤßte; und darauf pflegte eine derbe Pruͤgelſuppe zu folgen. Selten war Herr Kratz freundlich. Konnte ein Schuͤler ſeine Vocabeln ohne Anſtoß herſagen; ſo beſtand der ganze Beifall in einem muͤrriſchen hm, hm! fehlten aber einige Woͤr - ter, dann klang die Muſik anders. Kurz, die Schul - ſtunden waren allemal, wie ein Fegefeuer, und doch durften wir ſie bei ſchwerer Strafe nicht verſaͤumen.

Herr Kratz hatte keine Kinder, und ſeine liebe Haͤlfte war ein wahres Konterfait von der Hexe zu Endor. Es iſt ſchwer, ſich etwas abſcheulichers vor - zuſtellen: ihr Schmutz ging uͤber alle Beſchreibung. Sie ſoll ſogar einmal eine Reisſuppe von einer Juͤdin fuͤr einige Kreuzer gekauft haben, weil ſie Trefe, d. i. unrein, und folglich ungenießbar fuͤr Juden geworden war. Der Inſpektor liebte ſeine Frau nicht: wen befremdet es, daß der Mangel an ehelicher Liebe die31 Liebe gegen Andere, nicht verfeinerte, nicht erhoͤh - te. Er lebte fuͤr ſich, er war fuͤr ſich auf ſeiner Stube; wo er ſeine Buben ſo nannte er die Schuͤler unterrichtete, ſeine Tauben fuͤtterte, und in ſeinen Buͤchern herumblaͤtterte: uͤbrigens ließ ers gehen, wie es ging, und die ganze Wirthſchaft hing von der Frau Inſpektorin ab.

Ich hatte ohngefaͤhr anderthalb Jahr in Dol - gesheim zugebracht, als mich mein Vater zuruͤck hohl - te. Ein Baugefangener, der nach zehn Jahren ſaurer Feſtungsarbeit, wieder frei wird, kann nicht froher ſeyn, als ich es war, da es hieß es ginge nach Hauſe! Beinahe haͤtte ich vor lauter Jubel vergeſſen, bei meinem Lehrprinzen, dem Hrn. Kratz, Abſchied zu nehmen, und ihm fuͤr ſeinen Unterricht, wie auch fuͤr die vielen Schlaͤge, u. dergl. aufs verbindlichſte zu danken.

Ich war alſo wieder im Schooß meiner Fami - lie, erneuerte meine alten Bekanntſchaften, und fings wieder da an, wo ich es gelaſſen hatte.

Mein Vater wuͤrde mich jetzt auf eine oͤffentliche Schule geſchickt haben, wenn ihn nicht die elende Beſchaffenheit der Pfaͤlziſchen Schulen daran gehin - dert haͤtte. Da die drei Hauptpartheien der Chri - ſten in der Pfalz beinahe gleiche Rechte praͤtendiren obgleich die Katholiken, als die herrſchende Kirche alle Arten der groͤbſten Intoleranz, mit aller moͤgli -32 chen Inſolenz gegen die andern Religionsverwandten ausuͤben ſo haben auch Lutheraner, Reformirten und Katholiken in jeder Pfaͤlziſchen Stadt ihre Schu - len; aber die ſehen auch aus, daß es ein Greuel iſt! Zur Zeit der Jeſuiten gab es noch einige beſſere ka - tholiſche Schulen; jedoch nur wenige. Die andern ſind von jeher das rechte Gegentheil eines vernuͤnfti - gen Unterrichts geweſen.

Fuͤr die katholiſche Jugend iſt Meiſters Cani - ſius Katechismus mit Pater Matthaͤus Vogels Erlaͤuterungen das Orakel der Religion. Das Latein lernt man aus Emanuel Alvari's trefflichem Ru - dimente, und aus einigen verſtuͤmmelten Autoren. Die Geſchichte wird aus einem Lehrbuche vorgetragen, wo auf der einen Seite im abgeſchmackteſten Latein und auf der andern im fuͤrchterlichſten Deutſch die Begebenheiten nach wahren jeſuitiſchen Grundſaͤtzen, mit einer Menge Fabeln und Verdrehungen erzaͤhlt ſind. Ganz fruͤh ſucht man den zarten Gemuͤthern allen nur moͤglichen Haß gegen Ketzer, und recht re - gen Abſcheu gegen Neuerungen, profane Litteratur, Leſung Proteſtantiſcher Buͤcher, u. ſ. w. einzutrich - tern. Kommt daher ſo ein Menſch aus einer Pfaͤl - ziſchen katholiſchen Schule; ſo iſt er kraß, wie ein Hornochſe, und unwiſſend in allen noͤthigen Kennt - niſſen; ſpricht aber doch Latein. Aber was fuͤr La - tein? Solches: Ex mandato Domini Ballivii ve -33 ſtra dominatio hodie vel cras tenetur, extra - dere pecuniam, quam apud illam depoſuit Dominus N. Ex poſt videbimus u. ſ. w. das iſt phaͤlziſch-katholiſches Latein!

Die Pfaͤlziſchen lutheriſchen und reformirten Schulen ſind noch zehnmal elender! Da Do - ciren nicht einmal Leute, die ein Biſſel Latein ver - ſtuͤnden: und daher kommt es, daß die Schuͤler, wenn ſie die Univerſitaͤt beziehen ſollen, weder den Cornelius uͤberſetzen, noch ein griechiſches Verbum analyſiren koͤnnen. Ein mir bekannter Schaffner Namens Job, gab einmal dem Rektor Paniel in Kreuznach folgende deutſche Redensart, ins Latein zu uͤberſetzen auf, wozu er ihm die Vocabeln dictir - te: ich zweifle nicht, du werdeſt deiner Pflicht Genuͤge thun. Herr Paniel, ohne ſich lange zu beſinnen, uͤberſetzte friſch weg non dubito, quin ſat acturus ſis officio tuo. Wenn ein Rector ſo ein Schaͤcher in der Grammatik iſt, was kann aus den Schuͤlern werden? Die einzige gute Schule in der Pfalz iſt die zu Gruͤnſtadt, welche der Graf von Leiningen Weſterburg anlegen ließ, und die bis - her immer brave Maͤnner zu Lehrern gehabt hat. Ich will nur die Herren Seybold, Heyler und Balz davon nennen. Wer in der Pfalz auf Schu - len etwas gelernt hat, hat es gewiß in GruͤnſtadtErſter Theil. C34gelernt: auf den andern Schulen iſt das unmoͤglich. Doch hier iſt der Ort nicht, von den Pfaͤlzer Schulen weiter zu ſchreiben: wolt 'ich das thun; ſo muͤßt' ich ein ganzes Buch fuͤllen, und koͤnnte doch nur Jere - miaden anſtimmen.

Mein Vater hatte alſo wohl Urſach, mich nicht auf eine vaterlaͤndiſche Schule zu ſchicken: weit ent - fernen wollte er mich auch nicht. Da er nun wirk - lich Gaben und Geſchick zum Unterrichten hatte; ſo entſchloß er ſich, mich noch eine Zeitlang bei ſich zu behalten. Auch nach Gruͤnſtadt ſollte ich nicht, und zwar deswegen nicht, weil ein Bruder ſeines aͤrgſten Feindes, des Paſtors Rodrian, damals an dieſer Schule Unterlehrer war. Ich blieb alſo in Wendels - heim, und der Unterricht wurde wieder angefangen.

So brachte ich noch einige Jahre zu Hauſe zu, und da wir ſehr fleißig anhielten; ſo las ich unter der Anfuͤhrung meines Vaters mehrere lateiniſche und griechiſche Autoren. Zugleich kam ich in der Erdbe - ſchreibung und Geſchichte, welche zu allen Zeiten mei - ne liebſten Wiſſenſchaften geweſen ſind, ſo ziemlich weit. Ich erinnere mich noch, mit welcher Freude ich mit den Herren Paſtoren in unſrer Gegend uͤber Stellen aus dieſem und jenem Schriftſteller diſpu - tirt, und ſie in gewaltige Verlegenheit geſetzt habe, wenn ſie die beſprochenen Stellen nicht recht verſtun -35 den: denn ſehr bald merkte ich, daß ich ihnen uͤberle - gen war.

Sechstes Kapitel.

Merckt's euch, ihr Volks - und Kinderlehrer!

Ich habe mir nicht vorgeſetzt, ein curriculum vitae aus meiner Lebensgeſchichte zu machen, wie ihn die Studenten auf einigen Univerſitaͤten einreichen muͤſ - ſen, wenn ſie ein Teſtimonium von der Fakultaͤt ha - ben wollen: denn in einem ſolchen Curriculum iſt es hinlaͤnglich, daß die gehoͤrten oder nicht gehoͤrten Collegien, wenn ſie nur bezahlt ſind, angefuͤhrt werden. Ich will aber das nicht thun: ich erzaͤhle nicht, wie ich ſtudirt, und was ich etwa gelernt habe: denn einmal bin ich kein Gelehrter, und fuͤhle nur zu ſehr, wie manches ich verſaͤumt habe und dann ſoll mein Buͤchlein Nutzen ſtiften im Publikum. Ich werde daher nur das angeben, was dem Paͤda - gogen, dem Schulmanne, dem Beobachter und vor - zuͤglich dem unverdorbenen und verdorbenen Juͤng - linge Stoff zum Nachdenken geben kann. Und aus dieſer Abſicht muß alles, was ich hier ſchreibe, be - urtheilt werden.

36

Meine Tante nahm mich nun noch mehr, als vorhin in Schutz: ihre Neigung zu mir hatte durch meine lange Abweſenheit viel leiden muͤſſen. Sie bewies mir ihre Affenliebe bei jeder Gelegenheit jezt dergeſtalt, daß ich weiter keine Ruͤckſicht auf ſie nahm, wenn ich einen Streich vorhatte: vielmehr muſte ſie oft die Haͤnde dazu bieten. So muſte ſie z. B. die Juͤdin Brendel unterhalten, indeß ich in deren Stube ſchlich, und Schweinsgedaͤrme um die Scha - bes-Ampel oder Sabbatslampe wand, woruͤber ein entſetzlicher Spektakel ausbrach. Sie war es auch, die mich lehrte, auf dem Eiſe glandern, und Schritt - ſchuhe laufen. Dieſe Kunſt hatte ſie als Maͤdchen getrieben, und ſuchte ſie wieder hervor, um ihren lieben Neffen darin zu unterrichten. Mein Vater ſah wohl, daß die Tante mir zu gut war; aber da er nichts Boͤſes, oder doch nicht viel Boͤſes, von mir hoͤrte; ſo ſchwieg er, und ließ es gut ſeyn. Die Mutter war vollends froh, daß ich nicht viel um ſie war, und ihre Geſchaͤfte nicht ſtoͤhrte.

Die gute Tante war abſcheulich aberglaͤubig. Ueberhaupt iſt das Volk in der Pfalz dieſem Fehler auſſerordentlich ergeben. Es giebt zwar aller Orten Spuren von dieſer Seuche; aber nirgends auffallen - der, als in der Pfalz. Daß es dort viele tauſend Schock Teufel, Hexen, Geſpenſter, feurige Maͤn - ner u. ſ. f. giebt: daß es ſich anzeigt, daß das37 Maar wie man den Alp in der Pfalz nennt auf Anſtiften boͤſer Leute druͤckt, und tauſend derglei - chen Herrlichkeiten, ſind bei mei〈…〉〈…〉 en lieben Landes - leute ganz ausgemachte Wahrheiten: wer eine davon leugnen wollte, wuͤrde gewiß fuͤr einen Ketzer, oder fuͤr einen Dummkopf angeſehen werden. Jede Stadt, jedes Dorf hat ſeine oͤffentlichen Dorfgeſpenſter, ohne die Hausgeſpenſter. So geht z. B. in meinem Ge - burtsorte das Muhkalb und der Schlappohr im Dor - fe: im Felde ſpuckt der alte Schulz Hahn: item in der Adventszeit laͤßt ſich ein feuriger Mann im Felde ſehen. Beinahe alle Wendelsheimer ſchwoͤren, dieſe Ungeheuer geſehen zu haben. Die Haͤuſer ſind auch nicht frei von Uhuhus: ſelbſt im Pfarrhaus im Hinterhaus geht ein Moͤnch mit einem ſchrecklich langen Bart: in der Pfarrſcheune, wie die Dreſcher oft verſichert haben, laͤßt ſich der Sanktornus ſehen, u. ſ. w.

Daß der Poͤbel an dergleichen Schnurren glaubt, iſt ihm zu verzeihen; aber in der Pfalz glauben auch angeſehene Leute oder ſo genannte Honoratiores alles das eben ſo einfaͤltig, wie der Poͤbel. Ich bin mehr - mals in Geſellſchaften geweſen, wo Geiſtliche, Be - amte und Officire ſich in vollem Ernſt mit Geſpen - ſterhiſtoͤrchen unterhielten, und einander ihre Erfah - rungen mittheilten. Keine Seele unterſtand ſich zu widerſprechen; und wenn ich manchmal widerſprach,38 nachdem ich dieſen und noch mehr andern Unſinn hatte einſehen lernen; ſo erſchrak man uͤber meinen Un - glauben, und verſicherte mich, ich wuͤrde ſchon ein - mal mit Schaden klug werden. Ja, dieſer Aber - glaube ſitzt den dortigen Einwohnern ſo praktiſch feſt in den Koͤpfen, daß der herrſchaftliche Hofmann in Wendelsheim, dem Geſinde weit mehr Lohn geben muß, als man gewoͤhnlich giebt, blos darum, weil der Schlappohr in ſeinem Revier ſtark ſpuckt, wie man vorgiebt, und weil ſich immer eine weiße Frau im Kuhſtalle ſehen laͤßt.

Das abſcheulichſte iſt, daß die dortigen Geiſt - lichen ſelbſt den Aberglauben zu unterhalten und zu vermehren ſuchen. Mein Vater predigte zwar ſtark gegen dieſe Fratzen; aber er war auch der einzigel)Herr Chelius in Ilbesheim, Freſenius in Nie - derwieſen, Wehſarg in Eichloch, Simon zu Jop - weiler und noch einige wenige andre, wohin auch der katholiſche Paſtor in Erbesbuͤdesheim, Herr Hofmann, gehoͤrt, ſind Maͤnner, welche Balthaſar Beckers Geiſt haben. Gott lohne ſie dafuͤr!, der dergleichen Ungereimtheiten oͤffentlich hernahm. Doch dafuͤr raͤchen ſich nun auch die von ihm verwor - fenen Geſpenſter, indem ihn die Hausleute des jetzi - gen Pfarrers Schoͤnfeld ſelbſt haben ſpuken ſehen wie mir ein guter Freund ſchon vor einem Jahre ge - ſchrieben hat.

39

Herr Schoͤnfeld haͤtte billig dergleichen uͤble Nachreden wider ſeinen wuͤrdigen Vorfahr ernſtlich zu nichte machen ſollen; aber er iſt vielleicht ſelbſt zu ſehr von der Exiſtenz der Geſpenſter uͤberzeugt, als daß er dergleichen zu widerlegen wagen duͤrfte. In - deſſen fordere ich ihn hiermit auf, wenn ihn anders dieſe Geſchichte in die Haͤnde kommen ſollte, den guten Namen meines Vaters in dieſer Hinſicht zu rechtfertigen, oder zu erwarten, daß ich ihn noch bei lebendigem Leibe auch ſpuken laſſe. Herr Schoͤnfeld verſteht ohne Zweifel meinen Wink: und damit mags fuͤr diesmal gut ſeyn!

Ich wurde von meiner Tante mit allen Arten des Aberglaubens bekannt gemacht. Jeden Abend erzaͤhlte ſie mir und dem Geſinde Hiſtoͤrchen von Hexen und Geſpenſtern alles in einem ſo kraſſen, herzlichen Tone, daß es uns gar nicht einfiel, ihre Erzaͤhlungen im mindeſten zu bezweifeln. Unvermerkt ward ich dadurch ſo furchtſam, das ich mich nicht getrauete, des Abends allein zur Thuͤr hinaus zu ge - hen. Mein Vater merkte endlich das Unweſen, und fing an, wider die Geſpenſter loszuziehen, ſo oft er in dem Zirkel ſeiner Familie erſchien. Er nahm mich des Abends, auch ſpaͤt in der Nacht, mit auf den Kirchhof, und erzaͤhlte mir bei ſeiner Pfeife Tabak, allerhand Anekdoten, wie der und der durch Betrug der Pfaffen mein Vater kleidete ſeine ſkandaloͤſen40 Hiſtoͤrchen allemal ſo ein, daß ein Pfaffe dabei ver - wickelt war: daher mein unbezwinglicher Haß gegen alles, was Pfaffe heißt mit Geſpenſtern waͤren ge - neckt worden. Sofort vertroͤſtete er mich auf die Zukunft, wo ich wuͤrde einſehen lernen, daß alles, was man ſo hinſchwatzte, und was er zum Theil ſelbſt hinſchwatzen muͤßte, erdichtet und erlogen waͤre: daß die Leute, welche von abgeſchiedenen Seelen, von Geſpenſtern, Geiſtern und Erſcheinungen u. dergl. viel Weſens machten, nicht wuͤßten, was ſie trie - ben. Auf dieſe Art legte damals mein Vater den Grund zu der Irreligion, welcher in der Folge mei - nen Kirchen-Glauben gluͤcklich vernichtet hat.

Meine orthodoxen Leſer werden doch nicht boͤſe, daß ich ſo geradezu mich zu denen bekenne, die von Prieſter-Grillen nichts glauben? Die Gruͤnde lege ich ihnen noch zum Theil in meiner Biographie hiſto - riſch vor; und zwar ganz andre Gruͤnde, als jene, welche Hr. D. Bahrdt aufgetiſchet hat. Jeder hat indeß ſo ſeinen eignen Gott, ſeine eigne Welt, ſeinen eignen Himmel, Hoͤlle, Glauben, ſeine Meinungen, ſeine Narrheit, ſeine Philoſophie, ſeine und wer ihn darin irre macht, ohne ihm etwas Brauchbarers dafuͤr an die Hand zu geben, hat Unrecht er ſey, wer er wolle.

In der Pfalz iſt zwar keine Inquiſition; aber die Herren Geiſtlichen wiſſen es doch ſo huͤbſch zu41 karten, daß der, welcher ſich wider ihre Alfanzereien auflehnt, zwar nicht widerlegt, aber doch gedruͤckt und verfolgt wird. So nahm ich es mir einmal heraus, nachdem ich meine ſogenannten Studien ge - endigt und Erlaubniß zu predigen erhalten hatte, eine Predigt gegen den Aberglauben zu halten; aber da ſtach ich in ein fuͤrchterliches Weſpenneſt: ich haͤtte eher ſollen Vorſehung und Fortdauer des Seelenwe - ſens leugnen, als die leiblichen Beſitzungen des Sa - tans, die Hexereien und die Exiſtenz der Geſpenſter: das wuͤrde mir nicht ſo vielen Verdruß erregt haben. Doch genug hiervon!

Ich hatte nun ohngefaͤhr das dreizehnte Jahr erreicht, als mich mein Vater endlich nach Gruͤnſtadt ſchickte. Hier genoß ich bis ins ſechszehnte Jahr den Unterricht verſchiedener braver und gelehrter Maͤn - ner, insbeſondere des Hrn. Profeſſors Seybold. Ich nahm wuͤrklich in den Schulwiſſenſchaften ſicht - bar zu, wenigſtens wuſte ich ſo viel latein, griechiſch und franzoͤſiſch, als man in der Pfalz zu wiſſen pflegt, und wohl noch etwas mehr. Auch war ich in der Geſchichte, Erdbeſchreibung und Mathematik nicht ganz fremde, wie meine lieben Landesleute ge - meiniglich zu ſeyn pflegen.

Ich blieb nicht in einem fort in Gruͤnſtadt: denn da mein rechter Fuß, welchen ich vorher zer - brochen hatte, um dieſe Zeit wieder aufbrach, ſo42 nahm mich mein Vater nach Hauſe, um mich da unter ſeinen Augen heilen zu laſſen. Das geſchah im Herbſt, wenn ich nicht irre, des Jahres 1771. Und gerade zu der Zeit hatte der nunmehrige Super - intendent Kratz meinem Vater einen ſehr geſchick - ten Hauslehrer, wofuͤr er ihn hielt, empfohlen, der denn auch zu uns zog, und ſeine Lectionen mit mir und meinem zwei Jahre juͤngern Bruder anfing.

Der Menſch hieß Weichſelfelder, und hat - te ehemals in Jena ſtudirt: hernach war er Pfar - rer geworden in einem Dorfe des Grafen von Solms Roͤdelheim; aber ſein unbaͤndiges Saufen und an - dere Ausſchweifungen hatten ihn vom Dienſt ge - bracht. Darauf hatte er ſich nach Gießen begeben mit einem Sohn von vier Jahren, und dort ange - fangen, mediciniſche Kollegia zu hoͤren. Nachdem er ſo weit gekommen war, ein Recept zu ſchreiben, und kein Geld mehr hatte, um in Gießen weiter auszudauern; ſo ging er auf gut Gluͤck in alle Welt, ſalbaderte und quackſalberte in den kleinen Herrſchaf - ten am Rhein und Main herumm)In den unzaͤhligen kleinen Herrſchaften und Territo - rien in jenen Gegenden, ſieht es mit der mediciniſchen Einrichtung ſchrecklich aus. Jeder Quackſalber und Marktſchreier, jedes altes Weib hat daſelbſt das Privi - legium zu mediciniren, und die Leute nach Wohlgefal - len in die andere Welt zu ſchicken. Der Kuhdoctor Herr Thomas zu Schwabenheim, der meiſtens mit Sympathie kurirt, und ein andrer Charlatan, Ma -, und kam ſo43 auch ins Leiningiſche zum Superintendenten Kratz, welcher damals einen Schaden am Fuß hatte. Kratz ließ ſich von ihm behandeln, und der Schaden heilte. Nun nahm ihn Kratz in ſeinen Schutz, und empfahl ihn meinem Vater, als einen ſehr gelehrten Lingui - ſten, zum Lehrmeiſter fuͤr ſeine Soͤhne, auch als ei - nen ſehr geſchickten Arzt. Mein Vater, welcher vor kurzem den Apotheker Eſchenbach, ſeinen Calefactor, oder Symphiloſophen verlohren hatte, war froh, jemanden ins Haus zu bekommen, der Eſchenbachs Stelle in ſeinem Laboratorium erſezzen koͤnnte. Er verſuchte alſo zufoͤrderſt ſeine chemiſchen Faͤhigkeiten, fand aber zu ſeinem Aerger, daß Hr. Weichſel - felder ein Erzignorant in der edlen Kunſt der Goldmacherei war, daß er nicht einmal wußte, die Grade des Feuers nach dem Thermometer zu beſtim - men, und was des Dinges mehr iſt.

In den Schulwiſſenſchaften, wenn man ein wenig franzoͤſiſch ausnimmt, war Weichſelfelder gerade ſo weit gekommen, als die ehemaligen Pro - feſſoren auf dem Heidesheimer Philanthropin. Da - her muſte mein Vater den Unterricht mit mir wiederm)gnus Kaſpar Koͤhler, Bauer in Wendelsheim, ſind durch ihre Wunderkuren und Spitzbubereien be - ruͤhmt und reich geworden. Indeſſen mundus vult decipi! Aber je eingeſchraͤnkter das Reich ſcharfſich - tiger Aerzte iſt, deſto ausgedehnter iſt das Reich des Aberglaubens und der Pfaffen. Mein Vaterland beweiſet es.44 ſelbſt uͤbernehmen; nur mein Bruder blieb unter der Diſciplin des theuren Paͤdagogen.

Bald bemerkten wir die groͤßten Fehler des Lehr - meiſters: beinahe taͤglich war er berauſcht, und machte auf den benachbarten Doͤrfern in den Schen - ken allerhand Exceſſe: er pruͤgelte ſich mit den Bau - ern, und lief den Menſchern in den Kuhſtaͤllen u. ſ.w. nach. Da Signor Weichſelfelder viel Neigung zu dergleichen bei mir wahrnahm; ſo machte er mich zu ſeinem Vertrauten. Seine und meine Streiche blie - ben durch die Vermittelung meiner Tante, welcher er doch den Unnamen Kobold gegeben hatte, eine Zeitlang verborgen. Allein in der Laͤnge wollte es doch nicht gehen: mein Vater erfuhr alles, filzte ihn derb aus, und da dies bei dem im Grunde verderb - ten Menſchen nicht fruchten wollte; ſo gab er ihm den Laufzettel, und ſchickte mich von neuem zur Schule.

Weichſelfelder iſt hernach Schullehrer in Gla - denbach ohnweit Gießen geworden. Ob er noch lebe, und wo er ſich jetzt herumtreibe, weiß ich nicht. Er hat zu Frankfurt am Main einen elenden Wiſch ge - gen den beruͤhmten Abt Schubert uͤber die Wirk - ſamkeit der heil. Schrift herausgegeben, der aber gleich nach ſeiner Erſcheinung auf die heimlichen Ge - maͤcher wandern mußte.

45

Siebentes Kapitel.

Auch die Liebe iſt ein Krypto-Jeſuit, und im Proſelyten - machen oft ein maͤchtiger Apoſtel.

In den Ferien war ich gewoͤhnlich zu Hauſe, und ſuchte mich durch luſtige ausgelaſſene Streiche fuͤr die ausgeſtandenen Muͤhſeligkeiten und Arbeiten auf der Schule, in vollem Maaße zu entſchaͤdigen. Noch hatte ich, ſo ſehr ich ein theoretiſcher Zotologe war, in Praxi nichts gethan, einige Handgriffe abgerech - net, welche ich bei den Dorfmenſchern, und auch wohl bei einigen ſogenannten Mamſellen an - brachte. Aber nun kommt die Periode, wo ich an - fing, das foͤrmlich auszuuͤben, wozu mir unſer Knecht ſchon fruͤhe Anleitung gegeben hatte.

Ich war einſt im Herbſt zu Hauſe, gerade da meine Mutter ihre große Waͤſche beſorgen ließ. Das Zeug mußte uͤber Nacht auf der Bleiche liegen blei - ben, und wurde von den Waſchweibern nebſt eini - gen Knechten bewacht. Ich ſtieg in der Nacht aus meinem Fenſter, weil die Hausthuͤr verſchloſſen war, und begab mich zu den Bleichern. Ich fand eine recht luſtige Geſellſchaft, welche mir damals baß be - hagte. So luͤſtern, ſaft - und wortreich ich war, ſchaͤkerte ich mit, und uͤbertraf an Ungezogenheit die46 Knechte und die Menſcher, ſo ſehr ſie ſich auch be - muͤhten, kraͤftig zu ſprechen. Endlich kettete ſich eine Dirne, welche ſchon ein Kind von einem Muͤhl - burſchen gehabt hatte, an mich, ließ mich neben ſich liegen, fragte ſodann nach dieſem und jenem, wor - aus ich ihre Abſicht leicht merken konnte, und fuͤhrte mich hinter eine Hecke von Bandweiden, wo wir uns hinlagerten und

Ich bin nicht im Stande, die Angſt zu be - ſchreiben, worin ich mich nach dieſer Ausſchweifung befunden habe: ich zuͤndete meine Pfeife an, trank Wein; aber nichts wollte mir ſchmecken: ich wollte Spaß machen; aber es hatte keine Art: endlich lief ich nach Hauſe; konnte aber auch nicht ſchlafen.

Den folgenden Tag ſah ich die naͤmliche Dirne: ich ſchaͤmte mich; aber ſie wußte ſo gut zu ſchaͤkern, daß ich alle Schaam hintanſetzte, und ſie ſelbſt er - ſuchte, mir Gelegenheit zur Fortſetzung unſers Um - gangs zu verſchaffen. Dies geſchah, und zwar ſo, daß meine Eltern nicht das geringſte davon erfuh - ren. Alle Begierden waren nun in mir rege und geſchaͤrft; und von dem Augenblick des erſten Ge - nuſſes an, betrachtete ich die Frauenzimmer mit ganz andern Augen, als vorher. Jede reitzte meine Sin - nen; aber ſehr wenige, oder, wenn ich eine einzige ausnehme, gar keine, machte ferner bleibenden Ein - druck auf mich. Die Anmerkungen, welche ſich hier47 anbieten, moͤgen die Leſer ſelbſt machen: ich will in meiner Geſchichte fortfahren.

Der Amtmann zu .... man verzeihe mir, daß ich hier die Namen verſchweige, ſo ſehr ich es mir zum Geſetz gemacht habe, die Leute mit Namen zu nennen. Ich habe fuͤr den Amtmann und ſeine Familie viel Ehrfurcht, beſonders fuͤr ſeine Tochter: und dieſe Ehrfurcht verbietet mir, dieſe guten Menſchen zu beleidigen. Alſo der Amtmann zu .... hatte eine Tochter, welche ohngefaͤhr ein Jahr juͤnger war, als ich. Das Maͤdchen hieß Thereſe, war ziemlich huͤbſch, aber katholiſch, und zwar ſtreng jeſuitiſch-katholiſch, wie ihre ganze Familie. Ich lernte ſie auf einem Jahrmarkte ken - nen, und ſuchte von der Zeit an, mit ihr naͤher be - kannt zu werden. Es war im Herbſt, als ich ſie zum erſtenmal ſahe. Ich ſollte auf die naͤchſten Oſtern die Univerſitaͤt beziehen. Ich hatte daher, als angehender Student, ſchon mehr Freiheit, und mein Geſuch, Thereschen naͤher kennen zu lernen, war ſehr leicht auszufuͤhren. Ich beſuchte ſie her - nach oͤfters. Der alte Amtmann konnte mich wohl leiden: denn ich ſuchte mich nach ſeinen Grillen zu bequemen und widerſprach ihm niemals. Thereſe war auch allemal froh, und ſehr merklich froh, wenn ſie mich kommen ſah. Ich muß geſtehen, daß jene drei oder vier Monate, welche ich in dieſem Umgang48 zubrachte, die ſeligſte Zeit meines Lebens geweſen iſt. Immer, wenn ich mich allein unterſuchte, fand ich, daß ich dem Maͤdchen ſehr viel zu ſagen hatte; aber ſobald ich bei ihr war, hatte ich nicht Muth genug, das zu offenbaren, was mir die Bruſt druͤck - te, ſo oft ich mich auch entſchloſſen hatte, alles ge - rade heraus zu bekennen, es moͤchte auch werden, wie es wollte.

Endlich machte ichs, wie alle unerfahrnen Lieb - haber: ich ſchrieb ihr einen Brief, und gab ihrer Magd einen Gulden, damit ſie das Geſchaͤfte einer Unterhaͤndlerin uͤbernehmen moͤchte. Einige Tage ſchwebte ich zwiſchen Furcht und Hoffnung, und war wie im Fegefeuer: endlich brachte mir ein Bauer ei - nen Brief von Thereschen, worin ſie ſich uͤber meine lange Abweſenheit ich war drei Tage weggeblie - ben! beklagte, und mir alle Urſache gab, das Beſte zu hoffen. Nun flog ich nach .... traf mein Maͤdchen allein in ihrer Stube, und hatte das erſtemal Herz genug, ſie mein Maͤdchen, mei - nen Engel zu nennen, und ihre Wangen zu kuͤſſen. Das war ein Tag, lieben Leſer, wie ich Ihnen recht viele goͤnnen moͤchte! Groͤßere Seligkeit laͤßt ſich nicht denken, als ich an dieſem ſchoͤnſten Tage mei - nes Lebens genoß!

Von dieſem Tage an wuchs unſre Vertraulich - keit immer mehr, und wir wechſelten beſtaͤndig Briefe,49 welche, wenn ſie mein Vater nicht verbrannt hat, ſich noch unter deſſen hinterlaſſenen Papieren befin - den werden. Ich machte auch Verſe; und ſo we - nig Geſchick ich auch immer zur Poeterei gehabt habe, gefielen ſie meiner Geliebten doch beſſer, als die beſten unſrer Dichter. Das iſt ſo in der Natur der Liebenden gegruͤndet, und daher erklaͤrt ſich auch zum Theil die Verſchiedenheit des Geſchmacks.

Der alte Amtmann entdeckte auf irgend eine Art auf welche gerade, weiß ich nicht unſer Verſtaͤndniß, und hielt mir deshalb eine derbe Straf - predigt. So ein Umgang, meinte er, ſchikte ſich fuͤr junge Leute, als wir waͤren, nicht: ich haͤtte keine Ausſichten, kein Vermoͤgen, u. d. gl. Beſon - ders ſtieß er ſich an meiner Religion: ich waͤre luthe - riſch, und er wuͤrde nimmermehr zugeben, daß ſich ſeine Tochter mit einem Menſchen behinge, der nicht ihres Glaubens waͤre. In dieſem Geſpraͤch gedach - te er auch, daß die Lutheraner den Satz vertheidig - ten, daß der Pabſt der Antichriſt, und die katho - liſche Kirche die babyloniſche Hure ſei. Nun moͤchte ich ſelbſt bedenken, ob er, auch von allem, andern abgeſehn, ſich nur koͤnnte einfallen laſſen, ſein liebes Kind einem Menſchen anzuvertrauen, der dergleichen Grundſaͤtzen beipflichte? Er bath mich darauf, ſein Haus ſparſamer zu beſu -Erſter Theil. D50chen, um ſeine Tochter nicht ins Gerede zu bringen.

Das war ein Donnerſchlag fuͤr mich! Ich wußte nicht, was ich dem Manne antworten ſollte: ich ſtammelte einiges Unverſtaͤndliches, faßte mich kurz, und fuͤhrte mich ab, ohne dieſen Tag meine Thereſe geſehen zu haben.

Ich machte mir allerhand Grillen: bald wollte ich an den Herrn Amtmann ſchreiben; aber da war die Frage, was ich ſchreiben ſollte? Bald wollte ich zu Thereſens Baſe laufen, welche einige Meilen davon wohnte, und ihr meine Noth klagen: bald wollte ich ſonſt was thun. Aber von allen meinen Anſchlaͤgen wurde auch kein einziger ausgefuͤhrt, ich wußte naͤmlich nicht, wozu ich mich entſchließen ſoll - te. Zwei Tage nach dieſem harten Stand erhielt ich ein kleines franzoͤſiſches Zettelchen von meiner Thereſe, worin ſie mir meldete, daß ſie zu ihrer Baſe nach .... reiſen wuͤrde: daß ſie mich da - ſelbſt auf den Sonntag unfehlbar erwartete. Ich hatte Muͤhe, von meinem Vater die Erlaubniß zu erhalten, nach Kreuznach zu gehen, als wohin ich gehen zu wollen vorgab. Vielleicht hat ihm ſo was von einem quid pro quo geahnet; indeſſen erhielt ich die geſuchte Erlaubniß, und flog mehr als ich ging, nach dem Orte hin, wo mein Thereschen ſich aufhielt.

51

Die Baſe empfing mich ſehr hoͤflich, doch mit einer Zuruͤckhaltung, die mich ſchmerzte. Von der Sache ſelbſt wurde kein Wort geſprochen. Endlich kam Thereſe aus der Kirche, und that ſehr zuruͤck - haltend gegen mich in Beiſeyn der Baſe. Sie that gleichſam, als waͤre ich ihr ein unerwarteter Beſuch. Und ſo ſaßen wir beinahe eine halbe Stunde, bis endlich die Baſe mich fragte: ob ich ihnen die Ehre thun wollte, zum Mittagseſſen bei ihnen zu bleiben? Ich konnte nicht anders, als mich entſchuldigen, und gab vor, daß ich nur haͤtte ſehen wollen, wie ſie ſich befaͤnden: daß mein Weg eigentlich nach Kreuznach ginge, daß ich dort zu Mittag mit Hrn. Licentiaten Macher eſſen wuͤrde, und was des Geſchwaͤzzes mehr war. Sie haben nach Tiſche noch Zeit, nach Kreuznach zu gehen, wo Sie doch uͤber Nacht blei - ben werden, fing nun Thereſe an: bleiben Sie immer noch, und wenn es die Frau Baſe erlaubt; ſo begleite ich Sie eine Strecke: ich will die Mam - ſellen auf der Saline dieſen Nachmittag beſuchen. Das war nun Waſſer auf meiner Muͤhle: ich blieb, und nach Tiſche ging ich mit meinem Maͤdchen auf die Saline zu.

Kaum waren wir allein, als Thereschen mir der Laͤnge nach erzaͤhlte, daß ihr Vater unſers Um - gangs wegen boͤſe waͤre: daß er ſich hauptſaͤchlich an meiner Religion ſtieße, und daß, nach Wegraͤumung52 dieſes Steins des Anſtoßes, ihr Vater keinen An - ſtand nehmen wuͤrde, unſre Liebe ferner nicht zu ſtoͤh - ren: daß er mich fuͤr einen braven Menſchen hielte, aus welchem noch was werden koͤnnte, u. ſ. w. Ich fing wieder an, Athem zu ſchoͤpfen. Wenns wei - ter keinen Anſtand hat, erwiederte ich, ſo wollen wir ſchon Rath ſchaffen. Die Religion liegt mir nicht ſehr am Herzen; und um Dich zu erhalten, Engel Gottes! wollt ich wol einen Glauben anneh - men, bei welchem ich ewig verdammt werden koͤnn - te. Ich beredete mich ſofort mit meinem Maͤd - chen, und verſprach ihr, die katholiſche Religion naͤher zu pruͤfen, und mich ganz von ihr und ihrem Vater leiten zu laſſen.

Manche Leſer werden hier gewiß recht auf mich zuͤrnen; aber wer einmal wuͤrklich verliebt iſt, wuͤrde gewiß alles thun, was ich that, wenn er auch viel weniger Leichtſinn beſitzen ſollte, als Mutter Natur mir mitgetheilt hat: Kurz! recht ſeelenvergnuͤgt ſchieden wir von einander, und Thereſe verſprach, mich in ihr Gebet einzuſchließen, damit der liebe Gott meine Augen oͤffnen, und mir die Wahrheit recht ſichtbar machen moͤchte.

Sobald ich nach Hauſe kam, beſuchte ich den katholiſchen Pfarrer Neuner, in Erbesbudesheim, den ich ſchon lange kannte, und der in ziemlich ver - trautem Umgange mit meinem Vater ſtand. Ich53 fing recht gefliſſentlich an, von der Religion zu ſpre - chen, und erinnere mich: daß unſer Geſpraͤch die Rechtmaͤßigkeit der lutheriſchen 'und uͤberhaupt der proteſtantiſchen Geiſtlichen betraf. Herr Neuner ſetzte mir ſtarke Gruͤnde entgegen, daß ich bald ſelbſt geſtehen mußte und gern geſtand ichs ja! daß unſre lutheriſchen Geiſtlichen nicht geſetzlich geweiht und berufen waͤren; daß ſie folglich nicht ordentlich und guͤltig konſekriren koͤnnten. Daher leitete er mehrere Folgen, und bewies mir augenſcheinlich, daß die katholiſche Kirche einen unendlichen Vorzug vor allen andern Kirchen haͤtte. Das Ding gefiel mir unendlich, obs mir gleich nicht wenig auffiel: denn dergleichen hatte ich in meinem Leben noch nicht gehoͤrt. Ich erſuchte ſogar den Hrn. Neuner, ſich die Muͤhe nicht verdrießen zu laſſen, mir mehrere Auskunft uͤber das eine und andre Stuͤck der Reli - gion zu geben: denn mir ſei es wirklich darum zu thun, die Wahrheit zu erkennen, und hernach auch zu bekennen, wenn ich ſie nur einſaͤhe.

Herr Neuner borgte mir beim Abſchied ein Buch, das den Titel hatte: Religio prudentum, ſeu ſola fides catholica fides prudens, von einem gewiſſen Augspurger Jeſuiten, Namens Neumeyer. Er verſicherte mich, daß ich in dieſem Buche die Haupt - beweiſe der katholiſchen und die Hauptwiderlegungen der unkatholiſchen kirchlichen Lehrſaͤtze finden wuͤrde.

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Herr Neuner haͤtte mir kein angemeſſeneres Buch geben koͤnnen. Neumeyer hat ſchoͤn latein und ſo verfuͤhreriſch geſchrieben, daß auch ein Menſch ohne Intereſſe haͤtte irre dabei werden koͤnnen. Ich hatte niemals viel von theologiſchen Kontroverſien gehoͤrt, und verſtand die Lehren meiner eignen Secte nur ſo obenhin. Da uͤberdies mein Vater ſehr tole - rant war; ſo hatte er mir auch keinen Haß gegen an - dre Kirchenſyſteme eingefloͤßt. Auf dieſe Art war alſo meine Seele des Eindrucks recht empfaͤnglich, welchen die Vorſtellung von der Guͤte des Glaubens meiner Geliebten auf ſie erregte. Kaum hatte ich demnach die Religio prudentum durchgeleſen; ſo bekannte ich mir ſelbſt, daß das katholiſche Kirchen - ſyſtem beſſer, als das Meinige waͤre, und wurde recht ernſtlich boͤſe auf die Reformatoren, welche den unſeligen Kirchenſpalt bewirkt hatten, der mir jetzt mein ganzes Gluͤck zu rauben drohte.

Mit aller Freude beſuchte ich nun meinen lieben Neuner denn damals ſchien er mir mein beſter Freund zu ſeyn und entdeckte ihm ohne Umſchwei - fe, daß die Religio prudentum mich auf ganz an - dere Gedanken gebracht haͤtte: daß ich geſtehen muͤß - te, die katholiſche Kirche habe recht, unſre hingegen unrecht. Neuner laͤchelte mit proſelytenſuͤchti - ger Zufriedenheit; aber da er ein Jeſuiterſchuͤler war, ſo konnte er mit einem ſo raſchen Bekenntniß nicht55 zufrieden ſeyn. Er muthmaßete ein Nebenintereſſe von meiner Seite, und fragte mich geradezu: ob ich reine Abſichten bei meiner vorhabenden Bekeh - rung haͤtte? Ich ſtutzte: doch antwortete ich ihm: daß mir nichts naͤher am Herzen laͤge, als die Wahrheit. Darauf erklaͤrte er mir den Ausſpruch Chriſti: wer Vater oder Mutter mehr liebt, als mich, der iſt mein nicht werth. Er ſtellte mir bei der Auslegung dieſer Stelle vor, daß ich bei dem Be - kenntniß der Wahrheit auf meine Eltern keine Ruͤck - ſicht nehmen duͤrfte: daß der liebe Gott ein ſolches Opfer fuͤr ſehr verdienſtlich anſaͤhe, und folglich ge - wiß auch fuͤr mich ſorgen wuͤrde, u. d. gl. Dieſe Rede des Hrn. Paſtors erbaute mich gar ſehr, und ich ſchied zufrieden von dannen.

Inzwiſchen beſuchte ich wieder einmal den alten Amtmann, und fand ſeine Geſinnungen gegen mich beſſer, als das letztemal. Ich erzaͤhlte ihm, daß ich jetzt die Religio prudentum ſtudierte, und beinahe von der Wahrheit der katholiſchen Religion uͤberzeugt waͤre. Er fiel mir ins Wort, und ſagte, daß er um mein gutes Geſchaͤfte ſchon wuͤßte, und zwar durch den Capuziner, Pater Hermenegild von Alzey, der es vom Pfarrer Neuner gehoͤrt haͤtte. Uebrigens duͤrfte ich nicht fuͤrchten, verrathen zu werden, indem niemanden die Sache bekannt waͤre, der Vortheil davon haben koͤnnte, ſie auszuſchwaz -56 zen. Er verſicherte mich endlich, wenn ich der Wahrheit getreu bleiben, und dieſelbe oͤffentlich be - kennen wuͤrde, daß man bereit waͤre, mich auf der Univerſitaͤt zu Heidelberg etwas rechts lernen zu laſ - ſen und mir mit der Zeit auch eine Verſorgung zu verſchaffen: und ſo wuͤrde ſchon alles gut werden.

Dieſes zuͤndete wieder neue Hoffnung in meiner Seele an, und der Himmel hing mir voll Geigen, wie man in der Pfalz zu ſprechen pflegt. Ich durfte ſeit dieſer Zeit mit meinem Maͤdchen unter den Augen des Vaters vertraut umgehen, durfte ſie her - zen und kuͤſſen, ohne daß er uns je etwas anders ge - ſagt haͤtte, als: Leutchen, macht, daß ihr nicht in wuͤſte (ſchaͤndliche) Maͤuler kommt! Noch dank 'ich es dem guten Schickſal denn meinen Grund - ſaͤtzen habe ich es wahrlich nicht zu danken daß unſer Umgang nicht in eine allzu große und ſchaͤdliche Vertraulichkeit ausgeartet iſt. Gelegenheit war uͤber - fluͤßig da; aber ſo ausſchweifend ich auch ſonſt ſchon bei andern gefaͤlligen Maͤdchen geweſen war, ſo fiel mir doch niemals der Gedanke ein, etwas mit meiner lieben Thereſe vorzunehmen, das wider die Ehr - barkeit geſtritten haͤtte. So viel vermag ein be - ſtimmter, ehrbarer Gegenſtand der Liebe, auch bei verwoͤhnten feurigen Juͤnglingen!

Dem Paſtor Neuner und hernach dem Pater Hermenegild verſprach ich, nicht auf eine prote -57 ſtantiſche Univerſitaͤt zu gehen, ſondern katholiſch zu werden, und ohne weitere Ruͤckſicht auf meinen Va - ter, mit Unterſtuͤtzung einiger angeſehener, reicher und eifriger Katholiken in Heidelberg die Rechtsge - lehrſamkeit zu ſtudieren. Ob das Ding ſo haͤtte koͤn - nen ausgefuͤhrt werden, uͤberlegte ich damals nicht hinlaͤnglich: mir ſchien es moͤglich, und wenn ich es noch jetzt uͤberlege; ſo finde ich keinen Widerſpruch. Mein Vater, dem im Herzen alle Kirchenſyſteme, als ſolche, gleich waren, wuͤrde ſich wieder, wenn der Schritt einmal geſchehen waͤre, mit mir ausge - ſoͤhnt haben: eine Verſorgung haͤtte mir auch nicht entgehen koͤnnen, da ich ein Neubekehrter geweſen waͤre, welches in der Pfalz von jeher eine große Em - pfehlung geweſen iſt, und es leider noch iſt. The - reschen waͤre mir am wenigſten entgangen. Doch es hat nicht ſeyn ſollen: mein Schickſal hatte es an - ders mit mir beſchloſſen.

Achtes Kapitel.

Schon wieder ein Pfaffenſtreich! und dann ein Strich durch meine Rechnung.

Mein Vater merkte bald, daß ein Liebesverſtaͤnd - niß zwiſchen mir und der Mamſel Thereſe .... auf58 dem Tapete war; aber er hielt das Ding fuͤr eine Kinderei, die ihn nichts anginge, und die er alſo nicht zu ſtoͤren noͤthig haͤtte. Es wuͤrde ſich ſchon alles von ſelbſt geben, dachte er, wenn ich auf Oſtern die Akademie bezoͤge.

Zu dieſer toleranten Geſinnung meines Vaters trug das regelmaͤßige und ordentliche Betragen nicht wenig bei, welches ich ſeit dem Anfange meiner neu - ern Liebſchaft annahm. Ich ließ alle meine ehemali - gen ſchlechtern Bekanntſchaften fahren, war, wenn ich nicht in .... oder zu Buͤdesheim war, beſtaͤn - dig zu Hauſe, und ſtudirte beſonders fleißig den Quintilian und den Plutarch, meines Vaters erſte Lieblinge. Auſſerdem hatte ich mich bei ihm durch eine lateiniſche Elegie in ſtarken Kredit geſetzt, welche ich auf den tragiſchen Tod der Tochter des Hofpre - digers, Herrenſchneider, gemacht hatte, und die man als ein Meiſterſtuͤck ſo ſchlecht ſie ſonſt wohl ſeyn mochte bewunderte. Meine Leſer moͤgen es nicht uͤbel nehmen, wenn ich ihnen die Veranlaſſung zu dieſer Elegie erzaͤhle: ſie iſt einzig in ihrer Art, und giebt zu manchen Anmerkungen Stoff an die Hand.

Der Hofprediger Herrenſchneider, deſſen ich oben ſchon gedacht habe, hatte den Grehweileri - ſchen Pfarrer Valentin zu Muͤnſter bei Kreuznach59 beleidiget, und dieſer ihm aus Rachſucht einen toͤdt - lichen Haß geſchworen. Der Hofprediger wohnte ſo, daß man aus dem Schloßgarten gerade durch ein Fenſter in ſeine Wohnſtube ſehen konnte. Das wußte Meiſter Valentin, welcher ehemals in Grehweiler Hofkaplan geweſen war. Um nun ſeine Sache aus - zufuͤhren, begab er ſich an einem Winterabend in den Schloßgarten, und ſchoß eine Flinte mit gehacktem Blei durch das gedachte Fenſter ab, als der Hofpre - diger mit ſeinen Kindern zu Tiſche ſaß. Seine zweite Tochter, ein Maͤdchen von eilf oder zwoͤlf Jahren wurde von einem Stuͤck Blei ins Herz getroffen, und ſtarb auf der Stelle: der Hofprediger ſelbſt wurde nur an der Schulter beſchaͤdiget.

Dieſe Begebenheit erregte in der dortigen wei - ten Gegend fuͤrchterliches Laͤrmen; aber den wahren Thaͤter errieth niemand. Das ganze Publikum fiel auf den Rheingrafen, welcher den Hofprediger da - mals ſchlangenartig verfolgte. Valentin verrieth ſich aber ſelbſt: auf dem Nachhauſeweg ging er zu Kalkofen in eine Schenke. Es war um Mitternacht, und alſo ſchon verdaͤchtig. Hiezu kam, daß er einige Tage vor der grauſamen That Blei und Pulver in Kreuznach hatte holen laſſen, und mehrmalen dem Hofprediger den Tod geſchworen hatte. Auf dieſe und mehr andere Anzeigen ließ ihn die Obrigkeit einziehen; allein er kam dem Richter dadurch zuvor,60 daß er ſelbſt ſein Leben mit Gift unterbrach, welches er zu dieſem Gebrauch vielleicht ſchon lange bei ſich gefuͤhrt hatte. Er ſtarb in ſchrecklichen Konvulſionen, und geſtand demohngeachtet, daß er ſich freuete, daß ihm ſeine Rache an dem Schurken, dem Hofprediger Herrenſchneider, gelungen waͤre. So italiaͤniſch - unverſoͤhnlich haßte dieſer Mann Gottes in Deutſch - land! Er mußte uͤber vier Wochen uͤber der Erde liegen bleiben, weil die pfaͤlziſche Juſtiz ihren gewoͤhn - lichen Schneckengang auch hierbei ging: endlich ver - dammte ihn die Kammer zu Wezlar, nebſt zwei Univerſitaͤten, zu einem Begraͤbniß unter dem Galgen!!n)Der Hofprediger verließ bald darauf Grehweiler, ward Pfarrer zu Rappoltsweiler im Elſaß, und hernach zu Strasburg. Jezt wieder zu meiner eignen Ge - ſchichte!

Alſo, wie geſagt, mein Vater hinderte meine Liebſchaft nicht: er ging ſogar ſo weit, daß er mir von Landau, wohin er wegen ſeiner Alchymie gereiſet war, ein Paar ſeidene Pariſer Frauenzimmer-Hand - ſchuh mitbrachte, und ſie mir mit den Worten uͤber - reichte: da haſt'e was vor (fuͤr) dein Menſch! o)Die Sprache in der Pfalz iſt, wie meine Leſer hier ſehen, eben nicht delikat: eine Geliebte heißt da, auch unter den Honoratorien Menſch; der Liebhaber Borſch (Burſche)..

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Aber die Freude dauerte nicht lange: mein Va - ter entdeckte meinen Briefwechſel, und ſahe da zu ſeinem Erſtaunen, daß meine Liebſchaft die Veraͤn - derung der Religion zum Mittelzweck hatte. Ich war naͤmlich unvorſichtig genug geweſen, den erſten Aufſatz meiner Briefe an Herr Neuner[und] Pater Hermenegild nicht zu zernichten. Einer derſel - ben fiel meinem Vater in die Haͤnde, und bewog ihn, mein Schraͤnkchen naͤher zu durchſuchen. Er fand alſo die ganze Geſchichte mit allen ihren Urkun - den und Belegen. Daß er jetzt nicht ganz gleichguͤltig geblieben ſey, errathen meine Leſer ohne mein Erin - nern: er verbarg aber ſeinen Unwillen, und ließ alle Briefe, wie er ſie gefunden hatte.

Ich war am ſelbigem Tage in Flonheim bei dem Vikarius Grimp)Es iſt eben der Grim, der hernach Rektor zu Alzey ward, und ſich zum Profeſſor bei D. Bahrdt ange - boten hat. Man leſe die Beitraͤge zu D. Bahrdts Le - bensgeſchichte. S. 120., und kam erſt ſpaͤt nach Hauſe. Meine Tante nahm mich gleich auf die Seite und ſteckte mir, daß der Vater meine Schreibereien unterſucht haͤtte. Ich erſchrack nicht wenig, lief an mein Schraͤnkchen, fand aber alles in der gewoͤhnli - chen Lage, und war zufrieden. Nach dem Abend - eſſen warf mein Vater die Frage auf: ob der Chur - fuͤrſt von Sachſen recht gethan haͤtte, daß er um die62 Polniſche Krone zu erhalten, katholiſch geworden waͤre? Es wurde uͤber dieſe Frage viel hin und her geſprochen; doch ohne ſich etwas merken zu laſ - ſen, was eigentlich zur Sache gehoͤrt haͤtte.

Den andern Tag nahm er mich mit nach Stein - bockenheim zum Pfarrer Dietſch. Erſt auf dem Ruͤckwege nach Hauſe machte er mich auf mein Vor - haben aufmerkſam, und zeigte mir das Vernunftwi - drige, worein ich verfallen wuͤrde, wenn ich die ge - ringere Thorheit des Lutherthums gegen die groͤßere des Pabſtthums vertauſchen wollte. Ueberdem gab er mir nicht undeutlich zu verſtehen: daß ich meine Ab - ſicht ohnehin nicht erreichen wuͤrde, wenn ich auch mei - nen Sectennamen oder meine Confeſſion veraͤnderte.

Die Leſer koͤnnen ſich ſchon einbilden, was mein Vater als Vater, als lutheriſcher Prediger und als Pantheiſt hier weiter ſagen konnte und mußte: ich uͤbergehe alſo das Ausfuͤhrliche ſeines Geſpraͤchs. Schimpfen und Schelten fiel indeß nicht vor. Ich mußte ihm nur verſprechen, mein Vorhaben aufzu - geben: und dabei ſchien er ſich zu beruhigen. Zu Hauſe wurde weiter nichts davon erwaͤhnt, und ſelbſt meine Mutter war wenig von der Sache unterrichtet, weil er ſie nicht kraͤnken wollte.

Nach Verlauf von drei Wochen kuͤndigte mir endlich mein Vater an, daß ich mich anſchicken ſollte, in einigen Tagen eine Univerſitaͤt zu beziehen: hier,63 ſagte er, wird aus dir nichts, hier verdirbſt du an Leib und Seele, und aͤrgerſt mich noch zu Tode! Ich ſtellte ihm vor, daß noch lange nicht Oſtern waͤ - ren, daß es Aufſehn erregen wuͤrde, auſſer der An - trittszeit ſich zur Univerſitaͤt zu begeben, u. ſ. w. Aber alle meine Vorſtellungen waren vergebens: es blieb bei ſeinem Entſchluß: kaum konnte ich noch acht Tage Aufſchub erhalten, um von meinen naͤchſten Bekannten Abſchied zu nehmen; meine Thereſe ſollt 'ich durchaus nicht weiter beſuchen. Das that mir freilich ſehr wehe; aber die Erwartung der Dinge, welche ich nun bald auf der Univerſitaͤt erle - ben ſollte, milderte meinen Schmerz, erheiterte meine Mine.

Mein Vater wollte mich ſelbſt nach Gießen denn dahin ſollte ich begleiten, damit ich unter - wegs keine dummen Haͤndel vornehmen moͤchte. Trotz aller dieſer Strenge ſchrieb ich aber doch einige Tage vor meinem Abzug noch an meine Thereſe, und erhielt eine recht zaͤrtliche Antwort. Von Frankfurt am Main hab ich noch einmal an ſie geſchrieben.

Unterwegs gab mir mein Vater viele vortreffli - che Lehren; und ich wuͤrde gut gefahren ſeyn, wenn ich ſie befolgt haͤtte: aber leider ſchon in Frankfurt vernachlaͤſſigte ich eine ſeiner Hauptvorſchriften. In dieſer Stadt diente ein Barbiergeſelle aus meiner Gegend, den ich aufſuchte, weil mir ſeine Anver -64 wanten einen Auftrag an ihn gegeben hatten. Der Menſch war froh, daß er mich ſah, und both ſich an, mich auf den Abend in die Komoͤdie zu fuͤhren. Mein Vater erlaubte es. Da ich dergleichen ſchon mehr geſehen hatte, und ohnedies ein ſehr bekanntes Stuͤck gegeben wurde; ſo bath ich meinen Fuͤhrer, mir lieber ſonſt etwas Merkwuͤrdiges in dieſer ſchoͤnen Stadt zu zeigen. Um meinen Vater hernach zu be - ruhigen, verabredeten wir, ihm zu ſagen, daß wir in der Komoͤdie geweſen waͤren. Geſagt, gethan! Mein Landsmann nahm mich mit, und fuͤhrte mich ins Bordell, zur Madame Agricola. In mei - nem Leben war ich noch in keinem Hauſe geweſen, welches der Venus geweiht war: ich erſtaunte alſo nicht wenig, als ich die zuͤgelloſeſte Wolluſt ſich hier in ihrer abſcheulichſten Reizbarkeit entwickeln ſah. Mein Kamerad machte ſich mit den Maͤdchen viel zu ſchaffen; mich aber hinderte meine Bloͤtigkeit, zu machen, wie man vielleicht erwartet.

Ohngefaͤhr um eilf Uhr verließen wir dieſes luͤ - ſterne Hausq)Zu Frankfurt am Main ſind viele Bordelle; aber keins iſt oͤffentlich privilegirt. Der Magiſtrat ſchickt eben darum zuweilen die Haͤſcher hin, welche viſitiren, und die Maͤdchen wegbringen muͤſſen: die Viſitationen bleiben aber ohne Folgen, die zweibeinigen ausgenom - men: denn wie Juvenal ſagt: Quis cuſtodiet ipſos Cuſtodes? . Ich machte meinem Vater eine65 Beſchreibung von dem Schauſpiel, das ich wollte geſehen haben, und er war zufrieden. Des andern Tages beſuchte er einen Freund, der ihn zum Abend - eſſen dabehielt. Nun konnte ich wieder ausgehen, und meine Leſer errathen ſchon, daß mein Gang zur Madam Agricola gegangen iſt. Ich war jetzt drei - ſter: mein Begleiter war nicht bei mir. Ich blieb bis nach Mitternacht, und verzehrte uͤber eine Karo - line von dem Gelde, das mir meine Mutter und einer meiner Verwandten zur Univerſitaͤt geſchenkt hatten. Ich Thor wußte noch nicht, wie ſauer Geld erworben wird! Die Maͤdchen waren fuͤrchterlich aufgeraͤumt, und kirrten mich ſo zuckerſuͤß heran, daß ich ihnen Wein, Chokelade, Gebacknes u. d. gl. bringen ließ. Cetera non curat praetor. Mein Vater war ungehalten auf mich, daß ich ſo lange ausblieb; aber ich wußte ihm ſo viel vorzunebeln, daß er ſich endlich zufrieden gab.

Neuntes Kapitel.

So elend fand ich die Gießer Univerſitaͤt.

In einem Tage reiſeten wir von Frankfurt nach Gießen, welches ohngefaͤhr zwoͤlf ſtarke Stunden da -Erſter Theil. E66von liegt. Mein Vater uͤberließ es unterwegs meiner Wahl, ob ich Jura oder Theologie ſtudiren wollte; er ſtellte mir aber auch vor, daß ich in der Pfalz als Juriſt keine Verſorgung, oder doch nur ſehr ſchwerlich zu erwarten haͤtte. Er fuͤgte hinzu, daß P〈…〉〈…〉 oteſtanten wegen ihrer Religion wenig An - ſpruͤche auf kurfuͤrſtliche Bedienungen machen duͤrften. Er rieth mir alſo zur Theologie, ob er gleich im Her - zen die meiſten Saͤtze des Kompendiums fuͤr Erdich - tungen oder erzwungene Lehrvorſchriften hielt. Ich verſprach demnach, Theologie zu ſtudiren; aber im Ernſt hatte ich das nicht im Sinne. Ich wollte naͤmlich noch ſehen, wie es mit meinem Maͤdchen und ihrem Anhang werden wuͤrde. In Beiſeyn meines Vaters verſprach ich zwar hoch und theuer, an Thereſen nicht mehr zu denken, und noch weniger an ſie zu ſchreiben; aber mein Herz hing noch feſt an ihr, ſo feſt naͤmlich, als es fuͤr das Herz eines aͤuſ - ſerſt leichtſinnigen und unerfahrnen jungen Menſchen moͤglich iſt: und noch hatte ich keine andre Vorſtel - lung von Gluͤck, als von dem in ihrem Beſitz. Ich wollte alſo, wie ſchon geſagt iſt, zuſehen, wie es noch werden wuͤrde.

In Gießen ließ ich mich inmatrikuliren, und meinen Hut nach der neueſten Mode zuſtutzen. So - dann ſuchte ich mir auf dem Lektions-Katalog einige Collegien aus, praͤnumerirte ſie, kaufte die Kompen -67 dien, ſtattete meinen Beſuch auf den Doͤrfern ab, und verſchafte mir einen neuen blauen Flauſch mit rothen Kragen und Aufſchlaͤgen. Mein Vater blieb nicht lange: er gab mir noch gute Lehren in Menge, und reiſete zu Hauſe.

Hier muß ich dem Leſer eine Beſchreibung von der Gießer Univerſitaͤt liefern, wie dieſe damals war, als ich dahin kam. Ich wuͤnſchte, daß dieſe Be - ſchreibung weder langweilig noch laͤppiſch ſcheinen moͤchte. Aber bei der Beſchreibung einer Univerſitaͤt muß doch nothwendig manches Laͤppiſche mit vorkom - men, wenn ſie anders die noͤthige Vollſtaͤndigkeit ha - ben ſoll.

Gießen ſelbſt iſt ein elendes Neſt, worin auch nicht eine ſchoͤne Straße, beinahe kein einziges ſchoͤnes Gebaͤude hervorragt, wenn man das Zeug - haus und das Univerſitaͤts-Gebaͤude ausnimmt. Es fuͤhrt den Namen einer Feſtung; die aber unter allen Feſtungen, welche ich je geſehen habe, die elendeſte iſt. Zudem wird ſie von einem Berge kommandirt, von woher man ſie recht gut beſchießen kann. Es ſteht ein Regiment Soldaten darin, das aber gar nicht ſtark iſt, und nur, wenn ich nicht ſehr irre, ſechs Kompagnien zaͤhlt. Das Regiment iſt das Darmſtaͤdtiſche Kreisregiment, und muß zu der Reichsarmee ſtoßen, wenn dieſes Heldenkorps zu Felde zieht. Bei Rosbach ſind die Darmſtaͤdter recht68 exemplariſch gelaufen! Die Officiere des Regiments haben meiſtens von der Muskete an gedient, und ſind endlich zu Chargen gelangt, aus keinem andern Grunde, als weil ſie lange gedient hatten. Ihre Lebensart iſt eben nicht die beſte. Außer Dienſt ſitzen ſie auf den Dorfſchenken, auf dem Schießhaus, bei Eberhard Buſch oder ſonſt in einer Kneipe, machen mit Gnoten oder Philiſternr)So werden die Buͤrger auf den Univerſitaͤten von den Studenten genannt. und mit Studenten Bruͤderſchaft, und ſpielen Tarock, ſechs Marken zu einem Pfennig. Sehr wenige dieſer Herren ſind von Adel. Unter den Soldaten giebt es ſehr viel alte Invaliden: ſonſt ſind ſie lauter Landeskinder.

Unter den Buͤrgern giebt es mehrere wohlha - bende; uͤberhaupt aber iſt Gießen kein Ort, wo es viel Reiche giebt. Die Urſache liegt wohl darin, daß die Stadt wenig Verkehr, und gar keine Manufak - turen hat. Ob ſie dergleichen nicht haben koͤnnte, iſt eine andre Frage; aber daran denkt man vielleicht nicht. Die Stadt liegt wenigſtens auf einem guten Boden, und an einem ziemlich ſchiffbaren Fluß doch das geht mich nichts an!

Die Univerſitaͤt hatte zu meiner Zeit ſechszehn beſoldete und etwa drei unbeſoldete oder außerordent - dentliche Lehrer. Herr D. Bahrdt hat einige dieſer69 Herren in ſeiner Lebensbeſchreibung die Revuͤe paſſi - ren laſſen: ich habe in meinen Beitraͤgen und Berichtungen zu dieſer Schrift einiges hinzuge - fuͤgt: daruͤber hat Herr Schmid ein klaͤgliches Ge - ſchrei erhoben, und fuͤr gut befunden, mich in der 153ten N des Intelligenzblatts der Litteratur - zeitung von 1791, zu befehden. Ich kann nun nicht umhin, die Gießer Herren abermals zu beſchrei - ben, gerade ſo, wie ich ſie gefunden habe. Viel - leicht ſehen unpartheiiſche Leſer, daß Herr Schmid mit ſeiner Apologie mein Vorgehen noch nicht ganz vernichtet hat. Herr Koch mag den Anfang machen.

Koch iſt ein Juriſt von Anſehen und nicht ge - meinen Kenntniſſen, wenn man ihm naͤmlich und ſeinen Schuͤlern glauben will. Ich habe wohl wenig Maͤnner geſehen, die die Kunſt verſtanden, ihre Kenntniſſe ſo geltend zu machen, als dieſer Herr Kanzler. Sein Ton iſt im Kollegium und im ge - meinen Geſpraͤch ſo diktatoriſch, ſo zuverſichtlich, daß es ſcheint, er habe, gleich dem Vicegott zu Rom, alle Weisheit allein, und befinde ſich im Beſitz, im ausſchließenden Beſitz der ganzen juriſtiſchen Gelehr - ſamkeit. Es giebt aber andre Gelehrte, die ihm die - ſen Vorzug nicht laſſen wollen. Herr Schott in Leipzig will in den Kochiſchen Schriften nichts als oberflaͤchliche Kenntniſſe, und ſchales Raͤſonnement70 gefunden haben. Kochs Latein ſoll vollends gar nichts taugen: man ſoll ſogar in ſeinem Jus crimi - nale grammatikaliſche Schnitzer finden. Dieſes Buch hat, wie ein großer Juriſt urtheilt, ich meyne den Herrn Profeſſor Woltaͤr in Halle, mehr Gluͤck gehabt, als es verdient. Dafuͤr iſt es aber jetzt aller Orten abgeſchafft, und wird nur noch in Gießen von Herrn Koch zum Leitfaden ſeiner eignen Vorleſungen gebraucht, vielleicht auch noch auf jenen Univerſitaͤten, wo man noch an Hexen glaubt, oder Ketzereien fuͤr ein Hauptverbrechen ausgiebt: denn dieſes luſtige Buch enthaͤlt einen Artikel de Magia, und einen de Haereſi.

Wenn es wahr waͤre, was Herr Schmid in ſeiner Apologie gegen mich anfuͤhrt, daß Koch ein großer Verehrer des großen Leyſers ſey; ſo muͤßte er gewiß auch von dieſem ſehr vernuͤnftigen Juriſten gelernt haben, uͤber K. Carl V. Halsgerichts - ordnung vernuͤnftig zu urtheilen: aber aus dem criminale des Herrn Koch erhellet gerade das Ge - gentheil. Leyſer urtheilte von dieſer Compilation ſehr unvortheilhaft; Koch aber, Duce Kreſs, macht ſie zum Repertorium aller kriminaliſchen Ein - ſicht. Indeſſen mag ich doch nicht leugnen, daß Herr Koch den Leyſer geleſen hat: Leyſer iſt ein herrliches Huͤlfsmittel zu Vorleſungen uͤber die Pan - dekten des ſeel. Boͤhmers: auch zu Hellfelds71 Pandekten giebt er Stoff genug her, ſo reichlich, daß man eben nicht noͤthig hat, die alten ohnehin ſo ſchwerfaͤllig g[e]ſchriebenen Schmoͤcher nachzuſchlagen, und ſich bei ihnen den Kopf zu zerbrechen.

Wie ſtolz uͤbrigens Herr Koch auf ſeine Kan - zlerwuͤrde halte, erhellet daraus, daß er auch im Franzoͤſiſchen den Titel Excellence fordert. Herr Chaſtel, franzoͤſiſcher Sprachmeiſter zu Gießen, de - dicirte ihm im Jahr 1778. eine Sammlung proſai - ſcher Aufſaͤtze zum Gebrauch der Anfaͤnger. In der Dedikation hieß es: dediè très humblement à Monſieur Koch u. ſ. w. Herr Koch nahm dieſen Titel ſchroͤklich uͤbel, und Herr Chaſtel mußte, um ihn zu befriedigen, hinzuſetzen: à ſon Excel - lence, Monſieur Koch. Jeder Kenner der fran - zoͤſiſchen Sprache, der den Gebrauch des Wortes Excellence im Franzoͤſiſchen wußte in Deutſch - land kann ihn niemand fuͤhren, nach Richelet und de la Laine, als wer auch den Titel Monſei - gneur fuͤhren kann lachte freilich uͤber die laͤppi - ſche Titulatur; aber der Herr Kanzler Koch hieß doch einmal ſon Excellence Monſieur Koch, und damit war es gut.

In Gießen fuͤrchtet ſich jederman vor dem Herrn Koch: was Er auf dem akademiſchen Se - nate ſpricht, muß gelten, und wenn Rector und alle Profeſſoren andrer Meinung waͤren. Wer da -72 her den Herrn Koch zum Freunde hat, darf thun, was er will: kein Haar darf ihm gekruͤmmt werden. Er iſt eben darum fuͤrchterlich ſtolz, gebietheriſch[und] grob gegen die Studenten, welche er, wenigſtens zu meiner Zeit, wie Schulknaben behandelte. Dabei macht er ein Geſicht wie ein fuͤrſtlicher Befehl. Eben ſo deſpotiſch verfaͤhrt er in ſeinem Hauſe. Zu meiner Zeit bewohnte es ſein Schwager, ein alter Kandidat der Rechte, Herr Rolle, dem es aber ſtark an der ſecunda Petris)An der Beurtheilungskraft. Dies Sprichwort kommt daher, daß Petrus Ramus im zweiten Theil ſeiner Logik De ludicio handelt. fehlte. Dieſer Mann durfte nicht mit an ſeinem Tiſche eſſen, obgleich Herr Koch ſein ganzes Vermoͤgen in Haͤnden hatte. Freund Rolle hat nicht ſelten uͤber die Haͤrte und den uͤbertriebnen Stolz ſeines Herrn Schwa - gers geklagt.

Mit den uͤbrigen Profeſſoren hat Herr Koch wenig Umgang. Die Juriſten ſind ihm beſonders ein Dorn im Auge, ſo bald ſie etwas mehr verſtehen, als Heineccii Inſtitutionen. Der Regierungsrath Hoͤpfner lehrte zu meiner Zeit mit vielem Beifall die Rechte in Gießen. Er war ein Mann, der nicht nur den Leyſer, ſondern auch jene aͤltern Re - ſtauratoren der Juriſterei, einen Alciatus, Au - guſtinus und Cujacius fleißig ſtudirt hatte 73 der in der alten Litteratur zu Hauſe war, und aͤchtes Latein ſchrieb. Das war hinlaͤnglich, daß Herr Koch den guten Herrn Hoͤpfner fuͤrchterlich haßte und neckte. Herr Hoͤpfner nahm hernach eine Stelle in Darmſtadt an, blos um aus Kochs Collegenſchaft zu kommen.

Ich habe in meinen Beitraͤgen S. 49. geſagt, Herr Kanzler Koch ſey zu Bahrdts Zeiten ein großer Zotenreißer geweſen: und Herr Schmid hat ſich daruͤber ſehr aufgehalten. Allein jeder Gießer weis ja, wie Herr Koch ſogar in Gegenwart der Frauenzimmer loszieht. Auf der Doktorpromotion des Herrn Lobſteins, der jetzt Profeſſor in Stras - burg iſt, riß Freund Koch vor der Frau Doktorin ſolche Zoten, daß dieſe aufſtand und fortgieng. Herr Koch entſchuldigte ſich ganz kurz mit dem bekannten Weidſpruch: naturalia non funt turpia! Uebri - gens habe ich nicht ſelten gefunden, daß viele ſonſt angeſehene große Gelehrte auch große Zotenreißer waren welches doch wol Herr Schmid nicht leugnen wird?

Ich komme nun auf einen Punkt von mehrerer Wichtigkeit. In den erwaͤhnten Beitraͤgen ſteht S. 20. Herr Koch habe in Jena eine Tochter ge - habt, welche Hannchen geheißen, und im Jahr 1775 nach Gießen gekommen ſey. Da habe ihr Va - ter ſie ſchlecht aufgenommen, und ihr gedroht, er74 wolle ſie durch den Rathsdiener, ſonſt Haͤſcher, Neebt)Ich hatte Nepp geſchrieben, weil ich die Orthographie der Haͤſchernamen nicht ſo gut ſtudirt habe, als Herr Schmid., zum Thor hinaus bringen laſſen. Herr Schmid widerlegt meine Angabe mit ermuͤdender Weitſchweifigkeit; laͤßt ſich aber auf die Hauptſache gar nicht ein, wie ich ſogleich beweiſen will.

Zum voraus muß ich erinnern, daß ich von der Jenaiſchen Hiſtorie des Hrn. Kochs nichts aus eigner Erfahrung ſagen kann. Ich habe das alles vom Hoͤ - renſagen: denn vor dem Herbſt 1776 habe ich Jena nicht beſucht; aber 1775 habe ich wirklich ein Maͤd - chen in Gießen geſehen, auch in Lollar bei dem Wirth Menges, linker Hand, wenn man ins Dorf kommt, das ſich fuͤr Herrn Kochs Tochter aus Jena ausgab, und ihre Entſtehungsgeſchichte ſo erzaͤhlte, wie ich ſie erzaͤhlt habe. Ich habe auch gleich damals den ganzen Hergang dem noch in Gießen lebenden Hrn. Prof. Koͤſter entdeckt, der mir aber rieth, ihn als eine ſkandaloͤſe Geſchichte zu unterdruͤcken. Allein dieſen Rath befolgte ich aus natuͤrlichem Leichtſinn und auch deswegen nicht, weil ich damals der Meinung war: Hobbeſiſche Inquiſitoren verdienten keine Scho - nung. Auch ſprach man ſchon vorher merklich laut von Kochs Hannchen aus Jena. Das Ding war alſo gar kein Geheimniß.

75

Soll ich mich auch noch auf Andere berufen? Allerdings! aber auf welche? Auf Leute, welche da - mals in Gießen ſtudirt, und jetzt in Darmſtaͤdtiſchen Aemter haben? Die werden mir den Henker thun, und Zeugniß ablegen in einer Sache, wie dieſe iſt! Aber es ſind doch noch Leute in der Welt, welche Jungfer Hannchen gekannt haben, und zur Steuer der Wahrheit meine Behauptung unterſtuͤtzen koͤnnen. Dieſe Leute ſind Herr Henrici von Kuſel, Herr Hahn von Stutgard, Herr Luk aus dem Erbachi - ſchen, Herr Schmid, Doktor der Medicin in Saar - bruͤck, und Herr Muͤller von Zweybruͤck: alle dieſe ſind Auslaͤnder, alle haben damals in Gießen ſtudirt, haben das huͤbſche Hannchen ſo gut gekannt als ich und koͤnnen, wenns ſeyn muß, meine Ausſage durch ihr Zeugniß beſtaͤtigen. Kann Herr Schmid mehr verlangen?

Aber der Haͤſcher Neeb weis von Hannchen nichts, ſpricht Herr Schmid. Wie elend dies Argu - ment ſey, faͤllt in die Augen. Ich habe ja auch nicht geſagt, Meiſter Neeb habe ſie wirklich zum Thor hinaus geſchmiſſen, ſondern nur: daß Herr Koch dem armen Hannchen gedroht habe: er wolle ſie, wenn ſie ſich nicht ſelbſt gutwillig abfuͤhrte, durch Meiſter Neeb hinaus ſchmeißen laßen!

Uebrigens hat Herr Schmid in ſeiner Apologie nicht geleugnet, daß Herr Koch ſo ein Hannchen in76 Jena gehabt habe. Ich will alſo auch dieſen Punkt nicht weiter beweiſen, ſo leicht es mir ſonſt, ſeyn wuͤrde.

Die andere Anekdote, welche Herr Schmid angreift, betrift die Abſetzung des Rectors Ouvrier. Dieſe ſoll nicht Koch, ſondern der damalige Praͤſi - dent von Moſer bewirkt haben. Geſetzt, das waͤre ſo; warum verſprach denn Herr Koch den Stu - denten Genugthuung? warum ſagte er zu Koch aus dem Uſingiſchen, und zu Boly von Muͤmpelgard, ſie ſollten Genugthuung haben, und wenn auch der hoͤlliſche Satan Rektor waͤre? Warum ſagte er oͤffentlich: ohne mich kann der Rektor nichts thun! thut ers doch; ſo ſolls der Rektor nichts thun! thut ers doch; ſo ſolls ihm klaͤglich gehen: er pfeift ſo ſchon auf dem letz - ten Loche? Sonſt ſoll, nach Herr Schmids Angabe, der Schwiegervater des Rektors, Herr Miltenberg in Darmſtadt, Kochs großer Freund und was weis ich noch mehr geweſen ſeyn; das iſt aber, mit Herr Schmids gnaͤdiger Erlaubniß nicht wahr: die waren wie canis et anguis!

Aber ich befuͤrchte, meine Leſer zu ermuͤden: ſonſt wuͤrde ich meine Bemerkungen uͤber Herrn Koch und ſein Weſen fortſetzen koͤnnen. Indeſſen werde ich des Herrn Kanzlers im Verlauf dieſer Geſchichte noch oͤfter gedenken.

77

Zehntes Kapitel.

Schlechtere Profeſſoren gab es wohl nirgends!

Herr Schmid mag nun vorruͤcken! Er war vor - her Profeſſor in Leipzig, und wurde nach Gießen berufen durch welchen Canal? weiß ich nicht. Er iſt eigentlich von Profeſſion ein Juriſt; hat aber auch die ſchoͤnen Wiſſenſchaften begruͤßt, und daher ein ſehr feines Weibchen geheirathet die Schweſter des Profeſſors Schulz.

Herr Schmid hat das mit Herrn Koch gemein, daß er ſich fuͤr einen Matador unter den deutſchen Gelehrten haͤlt. Was Wunder, daß er ſich in alle Wiſſenſchaften gemiſcht; aber auch von den Recenſen - ten derbe Hiebe bekommen hat nach dem Sprich - wort: laſcivienti ferula puero! Er iſt auch der Redacteur des Leipziger Muſenalmanachs, des fade - ſten Zeugs der ganzen poetiſchen Leſerei, geweſen, welcher eben ſeinem Geſchmack wenig Ehre gemacht hat. Ich erinnere mich, daß Herr Deinet in Frankfurt der dortigen gelehrten Zeitung einſt ein Epigram einverleibte, aus welchem ich einige Verſe zur Curioſitaͤt behalten habe. Hier ſind ſie:

78
Herr Schmid in Gießen beſtach die Diener der
trefflichſten Dichter:
Gebt mir, ſo ſprach unſer Schmid zu Leuten von
dieſem Gelichter,
Was eure Herren insgeſammt
Zur Straf auf heimliche Gemaͤcher verdammt!
Die Schurken ließen ſich beſtechen
u)Hier ſind mir einige Zeilen entfallen.
u)
Und ſo entſtund denn nach und nach
Der Leipziger Muſenalmanach.

In Gießen hieß man ihn, als ich mich da auf - hielt, den Reimenſchmid, nach Aehnlichkeit des Hef - tenſchmids in Jena: Wuͤrklich war auch nichts trau - riger, als Herrn Schmids Gedichte. Seine Trink - lieder klangen, wie ſeine Trauergedichte, erbaͤrm - lich, alles nach der Melodie: ich liebte nur Is - menen. Er verfertigte einmal ein Gedicht auf die Vermaͤhlung des Erbpbinzen von Darmſtadt fuͤr die Handwerker in Gießen: das Ding war ſo tiefſinnig gelehrt, daß es kein Menſch verſtehen konnte.

Zu meiner Zeit las Herr Schmid folgende Col - legia, und zwar alle publice, damit er nur Zuhoͤ - rer bekam: uͤber Heineccii fundamenta ſtili uͤber Peter Muͤllers Buͤcherkenntniß uͤber Ovidii faſtosv)Bei dieſem Buche hat ſich Herr Schmid oft geſchnitten. Klaͤglicher hat wohl noch kein Docent einen alten Schriftſteller erklaͤrt. uͤber Gatterers Univerſalhiſtorie uͤber79 Sulzers Encyklopaͤdie. Nicht ſelten verließen ihn ſeine Gratis Zuhoͤrer mitten im halben Jahr: und er hatte ſodann Muße genug, Leipziger Muſenalma - nache zuſammen zu tragen.

Wenn ich gern ſkandaloͤſe Hiſtoͤrchen auftiſchte; ſo ſollte es mir leicht ſeyn, eine dergleichen von Herrn Schmids Frau Gemahlin anzubringen. Aber die Gießer verſtehen mich ſo ſchon.

Herr Schulz war zu meiner Zeit Profeſſor der orientaliſchen Sprachen, und Extraordinarius bei der theologiſchen Fakultaͤt. Das iſt ſo ein Mann Kelebh Adonai, wie Davidw)Nach dem Herzen Gottes, d. i. wie es ſchon ein alter Rabbiner erklaͤrt das der ſich, in die Zeit zu ſchicken weis, auf deutſch, ein Manteltraͤger.. Er wollte zu D. Bahrdts Zeiten auch ſein Schaͤrflein zur Auf - klaͤrung beitragen, und fing an, etwas freier uͤber das Syſtem zu raͤſonniren. Nachdem er aber inne ward, daß dergleichen Heterodoxien dem Landgrafen nicht lieb waͤren; ſo lenkte er ein, und betete die Konkordienformel eben ſo wieder nach, wie ſein Schwiegervater, der alte Doktor Benner. Der verſtorbene Ritter Michaelis hat von Schul -v)Tempora cum cauſis Latium digeſta per annum. Ca〈…〉〈…〉 ae bedeuteten hier, wie Schmid erklaͤrte die Urſachen, weshalb der Conſu das Jahr in ge - wiſſe Abtheilungen brachte. Sehr gelehrt!80 zens Gelehrſamkeit eben nicht ſehr vortheilhaft geur - theilt, ob er gleich ſein Schuͤler geweſen war.

Sonſt iſt Herr Schulz ein reicher Mann, dabei aber auch ſo geitzig, daß er auf Pfaͤnder geliehen hat. Ich weiß es noch, daß der Tambour Hofmann ich muß doch die Leute nennen, die man ſogleich in Gießen fragen kann oft Kleider, Schnallen, Uh - ren, Pfeiffenkoͤpfe u. d. gl. hintrug, und bei dem Herrn Profeſſor verſetzte. Einſt geſchah eine wahre Schnurre. Die Studenten hatten eine maskirte Schlittenfahrt, die ſonſt in Gießen ſehr gemein wa - ren, und es vielleicht noch ſind. Einer davon war als Jude maskirt, ſaß zu Pferde, und hatte alte Kleider, Hoſen, Hembden u. d. gl. bei ſich. Herr Schulz war am Fenſter: der verkappte Jude ritt hin zu ihm, und fragte, ob er nichts zu ſchachern haͤtte? Der Herr Profeſſor antwortete, nein. Der Jude both ihm darauf ſeinen ganzen Troͤdel zum Verſatz an, und verſprach ihm dreiſſig Procent. Herr Schulz ſchmiß das Fenſter zu, und die Zuſchauer lachten. Weiter ward nichts daraus.

Seine Frau Gemahlin iſt die Tochter des ver - ſtorbenen D. Benners ein Frauenzimmer von ſel - tener Fleiſchigkeit, wie Herr Bahrdt ſagt. Aber nicht der Fleiſchigkeit, ſondern des Geldes wegen hat Herr Schulz ſie geehliget. Schon vorher war ihr Ruf ſehr zweideutig, und ſo iſt er auch geblieben. 81Einigemal hat ſie ihren Mann verlaſſen, und mit Studenten communem cauſſam gemacht. Aber Herr Schulz ließ ſich alles gefallen, weil ſie Erbin eines betraͤchtlichen Vermoͤgens war.

Nun dann Herr Bechtold! Ich weiß nicht, ob ich von dieſem Ehrenmann etwas noch ſa - gen ſoll, da man ſchon aus Bahrdts Lebensbe - ſchreibung und meinen Anmerkungen zu derſelben ſich einen nicht unrechten Begriff von dieſem großen Kir - chenlicht machen kann. Aber die Leſer dieſer gegen - waͤrtigen Schrift, leſen jene vielleicht nicht, und die - ſen zu Gefallen muß ich doch wenigſtens eins und das andre von Herrn Bechtold anfuͤhren.

Als Gelehrter, ſagt Herr Bahrdt im Kezzer - almanach, iſt Bechtold unter aller Kritik. Dieſes Urtheil iſt ſo wahr, das ſelbſt die Gießer Fuͤchſex)So nennt man die Neulinge auf der Univerſitaͤt. ſich uͤber ihn luſtig gemacht haben. Das Epigram auf den Herrn Staxy)Siehe die Beitraͤge zu Bahrdts Leben, S. 29.: die Beinamen, die er in Gießen hatte, Quodammodarius, Grundſuppen - ſchwabe, und mehrere dergleichen, ſind hiervon Be - weis genug. Wegen des letzten Namens dient fol - gendes zur Erlaͤuterung. Er las ein Collegium uͤberErſter Theil. F82die dogmatiſchen Beweisſtellen: dieſes Collegium nannte er fundamentale biblicum; die Studenten aber hießen es, ſeines ſeltenen elenden Lateins wegen, fundamentalitium biblicanum, die dictas claſſi - cas, das Grundfundament, und endlich gar die Grundſuppe. Daher der Grundſuppenſchwabe. Waͤre Bechtold nicht Ephorus der Stipendiaten geweſen, er haͤtte nie einen Zuhoͤrer bekommen: niemand be - ſuchte ſeine uͤber allen Glauben erbaͤrmlichen Vorle - ſungen als Stipendiaten, oder ſolche, die es werden wollten. Die Bedaurungswuͤrdigen! Seine Or - thodoxie war ehedem ſo ſtark, daß er in dem Ton ei - nes Philipp Nicolaiz)War ein lutheriſcher Theolog aus dem 16ten Jahr - hundert. Er hat einen Aufſatz geſchrieben: Der Cal - viniſten Gott, der Teufel, worin er unter andern ſagt: Der calviniſche Herrgott iſt ein leicht - fertiger, geiler, unkeuſcher, blutduͤrſtiger Moloch: ein Bruͤllochſe, ein Ochſengott, der hoͤlliſche Bruͤlloch - ſe, der alte boͤſe Feind, und verfluchte Leviathan. Siehe G. Arnolds Kirchen - und Ketzerhiſtorie B. 16. Kap. 21. §. 10. Schade, daß zu der Zeit weder ein Hume, noch ein Paſtor Schulz in Gielsdorf, noch ein Kant etwas uͤber den lieben Gott geſchrieben hatten!, einige Wiſche wider die Reformirten hinſudelte, unter dem allerliebſten Titel: Calvinianorum Deus, ſcripturae ignotus et a ſana ratione abhorrens. Seine Beweiſe wa - ren, wie die des Philipps Nicolai. Aber jetzt iſt83 Freund Bechtold von ſeiner theologiſchen Duͤſterheit zuruͤckgekommen, und wundert ſich, daß er ſonſt ſo einen vernebelten Kopf hat haben koͤnnen. Er raͤſon - nirt, wie ich vor einigen Jahren bei meiner Durch - reiſe zu Gießen gehoͤrt habe, uͤber die heiligen Dogmen ſehr hoͤrbar, und lacht uͤber das alte Sy - ſtem das kluͤgſte, was er auch thun kann, we - nigſtens zehnmal kluͤger, als uͤber das neue Syſtem roſenkreuzeriſch zu lamentiren.

Sonſt iſt Bechtold ein ſchlauer Politikus, und ein Schadenfroh, der ſeines Gleichen ſucht. Er und Koch waren beſonders Urſache, daß Lobſtein von Gießen weg muſte. Unter ſeinem Rectorate waren die Eulerkappereien im Flor, ja ſie nahmen zu, weil er ihnen nicht ſteuerte, oder vielmehr es gern ſah, daß der arme Eulerkapper recht gepeinigt wurde. Bechtolds Toͤchter ſind brevi manu weggegan - gen: ſie hatten Geld!

Von Herrn D. Bahrdt, den ich auch in Gie - ßen gekannt habe, ſage ich hier nichts: ich habe in meinen Beitraͤgen von ihm genug geſagt.

Den alten Dogmaticus, den D. Benner, will ich ebenfalls in Ruhe laſſen.

Aber von Herrn Ouvrier einige Worte! Er war vorher Hofmeiſter oder Informator bei den fuͤrſtlichen Kindern in Darmſtadt geweſen, und zur Dankbarkeit, aus Gnade nach Gießen als Profeſſor84 der Theologie geſetzt wordena)Wie ein gewiſſer P r vor einiger Zeit nach H . Moͤchten doch die Großen nicht auf Koſten des Publi - kums ihre Dankbarkeit aͤußern wollen! Die Schande faͤllt doch zuletzt auf ihr eignes Haupt; aber der Nach - theil aufs Publikum. Doch Mancher ſteht ſelbſt auf einem zu ſehr verfehlten Poſten, um den ange - meßnen fuͤr Andere nicht wieder zu verfehlen! Und daraus pflege ich ſo nach meiner Art zu folgern: daß entweder die Goͤtter ſich um das Irdiſche nicht bekuͤm - mern, oder daß noch ein Zeitpunkt ſeyn muͤſſe, wo das alles (der allgemeinen Gerechtigkeit wegen) wieder ins Gerad〈…〉〈…〉 gebracht werden wird. Es iſt freilich hierbei das Seltſame, daß man erſt manchen dummen Streich erleben muß, um zur Schadloshaltung dereinſt einen klugen zu erleben. So zirkuloͤs denkt vielleicht kein Otaheiter! Indeß die Schulen lehren es ſo und was die Schulen lehren, muß doch wohl wahr ſeyn! . Er iſt, als Gelehr - ter, gar keiner Ruͤckſicht werth, hat auch nicht das geringſte geſchrieben, woraus man auch nur einen Schein von gelehrter Einſicht erzwingen koͤnnte. Er las, als ich in Gießen war, uͤber des Jenaͤiſchen D. Danovs Dogmatik: weil ihm das Latein dieſes Buches zu hoch war machte er manches quid pro quo. In der Frankfurter gelehrten Zeitung iſt ihm einmal ein lateiniſches Exercitium, dem er den Titel Programm gegeben hatte, haͤßlich korrigirt worden. Da gab es mehr als vierzig derbe Gram - matikalien! Er iſt uͤberhaupt ein Mann, der ſich zum Profeſſor durchaus nicht ſchickt. Auf der Kan -85 zel iſt ſein Vortrag elend, wie im Kollegium; daher iſt ſeine Kirche und ſein Auditorium gleich leer.

Von ſeinem Karakter weiß ich nichts zu ſagen: wer ihn zwar ſo ſieht und hoͤrt, ſollte ihn fuͤr einen ſchleichenden Jeſuiten halten; aber davon muß ich ihn frei ſprechen: denn zum Jeſuiten fehlt ihm alles. Sonſt hoͤrt er gern Stadtmaͤhrchen, und erzaͤhlt der - gleichen gern, wie alle Muͤßiggaͤnger oder Kleingei - ſter und Schadenfrohe. Er iſt aber von daher in manche Klatſcherei verwickelt worden, die ihm man - che truͤbe Stunde gemacht hat.

Zu den Juriſtiſchen Profeſſoren gehoͤrten auſſer Koch und Hoͤpfner noch die Herren Gatzert und Jaup. Herr Gatzert iſt jetzt in Darmſtadt, und Herr Jaup ſpielt gern l'Hombre. Seine Schweſtern zaͤhlte man zu meiner Zeit in die Zahl der Gießer Schoͤnheiten.

In der Mediciniſchen Facultaͤt kannte ich nur den Bergrath Baumer, und den Profeſſor Ne - bel. Letzterer war ein rechtſchaffener Mann, der an keinen Kabalen der Univerſitaͤt Theil nahm, und ein guter Geburtshelfer. Baumer war ehemals Geiſtlicher geweſen; hatte aber aus guten Gruͤnden die liebe Theologie mit der Medicin vertauſcht, und in der letztern viel geleiſtet. Sonſt war er ein Mann, der einen maſſiven Ton fuͤr deutſche Freimuͤthigkeit hielt.

86

Unter den Philoſophen muß ich hier einen Mann nennen, der ſo viel und wohl noch mehr wehrt war, als die uͤbrige ganze Univerſitaͤt, ſowohl in Abſicht der Gelehrſamkeit, als auch der Rechtſchaffenheit und des Biderſinns. Dieſer Mann war der verſtor - bene Profeſſor Boehm. Wenig Maͤnner habe ich gekannt, die mit dieſem trefflichen Manne zu verglei - chen waͤren. Ob er orthodox war, kann ich nicht ſagen, wenigſtens zog er in ſeinen Vorleſungen nicht ſelten auf die Theologen und Pfaffen los, ließ ſich aber weiter nichts merken, wahrſcheinlich aus Furcht vor den Juden. Daß Boͤhm eine gruͤndliche Kennt - niß, beſonders in der Mathematik gehabt hat, beweiſen ſeine Schriften: daß er der redlichſte Mann geweſen ſey, muͤſſen alle geſtehen, die ihn gekannt haben.

Der Profeſſor Koͤſter war vor Zeiten Paſtor zu Wallertheim in der Pfalz, und hernach Prorector zu Weilburg. Ich muß geſtehen, daß er viel hiſto - riſche Kenntniſſe beſitzt, welches ſeine Schriften auch bezeugen. Um nicht partheiiſch zu ſcheinen, enthalte ich mich alles weitern Urtheils uͤber ihn: er iſt mein Vetter.

Die uͤbrigen Herren Profeſſoren der Philoſo - phie, als Herr Kleveſahl, Herr Link, Herr Piehl, wie auch Herr Doctor Snell, waren ſammt und ſonders truͤbſelige Ignoranten, die ſehr ſelten ein Kollegium zu Stande brachten, und gaͤnz -87 lich in Dunkeln vegetirten. Herr Link hatte arabiſch buchſtabiren gelernt, und fing an, uͤber des Erpe - nius Grammatik ein Arabicum zu leſen. Da kam ein Student, welcher den Ritter Michaelis in Goͤt - tingen uͤbers Arabiſche gehoͤrt hatte, und widerſprach ihm oͤffentlich im Kollegium und die Arabiſche Lektion hatte ein Ende. Link iſt hernach Dorfpaſtor geworden.

Das waͤre nun eine kurze Nachricht von jenen Profeſſoren, welche ich in Gießen kennen gelernt ha - be. Nimmt man alles zuſammen; ſo ergiebt ſich, daß (auch die luſcos reges inter coecos mitge - zaͤhlt) in der theologiſchen Fakultaͤt nur Ein Mann war, der etwas leiſten konnte, und dieſer Mann war ich muß es geſtehen Herr D. Bahrdt. Der alte Benner konnte vor hohem Alter beinahe nicht mehr leſen, und was es las, war ſo alt-moͤn - chiſch-orthodox, daß es ſich auch fuͤr unſre ortho - doxern Zeiten nicht ſo recht mehr ſchicken wuͤrde. D. Bechtold und Ouvrier waren theologiſche Kruͤppel, immer einer truͤbſeliger, als der andre. Herr Schulz fing erſt nach Bahrdts Abſchied an, eigentliche Theologie vorzutragen, ja man konnte recht merken, daß er erſt damals anfing, Theologie zu ſtudiren. Er ſchrieb ganze Stellen aus Gru - ners deutſcher Dogmatik und andern dergleichen88 Buͤchern woͤrtlich ab, und trug ſie ſeinen Zuhoͤrern huͤbſch wieder vor.

In der philoſophiſchen Fakultaͤt wuͤßte ich aus jener Zeit niemanden vorzuͤglich zu nennen, als die Herren Boͤhm und Koeſter, obgleich dieſe auch von ſehr betraͤchtlicher Verſchiedenheit waren. Noch zu meiner Zeit kam Herr Schlettwein in dieſe Fakultaͤt, und ward ihre Zierde.

Von den Medicinern will ich noch anmerken, daß innerhalb den drei Jahren, und druͤber, die ich in Gießen verlebt habe, nur ein einziger Kadaver auf dem anatomiſchen Theater iſt ſecirt worden. Der - gleichen herrliche Anſtalten ſind da getroffen, die Wiſ - ſenſchaften in Flor zu bringen!

Der Grund von der aͤuſſerſt elenden Beſetzung der Profeſſorſtellen ich rede noch immer von der Zeit, als ich nach Gießen kam iſt nicht ſchwer zu entdecken. Die Profeſſoren ſind meiſtens Landeskin - der, welche auſſer Gießen nicht ſtudirt haben. Sie kennen alſo nur den hergebrachten Schlendrian der Gießer Univerſitaͤt: und da wird denn das Ding fort - geſetzt, wies von alten Zeiten her gewoͤhnlich war. Selten wird ein Auslaͤnder dahin berufen, oder wird es ja einer; ſo hat er ſeine liebe Noth. Die ehrli - lichen Maͤnner Bahrdt, Kartheuſer, Koͤſter, ſelbſt Koch und mein Panegyriſt, Signor Schmid, haben erfahren, was es heißt, in Gießen Profeſſor zu89 ſeyn, ohne ſeinen Stammbaum von denen herleiten zu koͤnnen, welche unter Philipp, dem Groß - muͤthigen, der Reformation beigetreten ſind. Zu Heidelberg iſt das noch aͤrger, wie auch zu Mainz: doch davon zu ſeiner Zeit.

Daß auch Auswaͤrtige, um dieſe Zeit, die Gie - ßer Univerſitaͤt nicht hoch geachtet haben, zeigt eine Anekdote, welche mir der jetzige Profeſſor zu Gießen, Herr Roos, erzaͤhlt hat, als ich vor einigen Jah - ren da war. Ich will ſie hier anbringen.

Nach dem Abſterben des Profeſſors Wolff wur - de der Lehrſtuhl der orientaliſchen Sprachen erledigt. Das Kuratorium glaubte, daß der Profeſſor Klotz zu Halle auch in dieſem Fache gelehrt ſey, und both ihm die Stelle an. Klotz dankte fuͤr die Ehre aus guten Gruͤnden. Er verſtuͤnde, ſchrieb er in ſeiner Antwort, zwar kein Hebraͤiſch, noch ſonſt etwas Orientaliſches; doch ceteris paribus ſollte ihn das nicht abhalten, die Profeſſur anzunehmen, indem er, binnen vier Wochen, ſoviel von dergleichen zu ler - nen gedaͤchte, als die Gießer Studenten nimmermehr brauchen wuͤrden.

Wenn es uͤbrigens wahr iſt wie es nur ein Strohkopf, ein wahrer Quodammodarius leugnen kann daß aͤchtes Studium der Philologie, der Philoſophie und der Geſchichte die Grundfeſte aller wahren Gelehrſamkeit ausmachen; ſo muß jeder ohne90 mein Erinnern einſehen, daß in Gießen zu der Zeit, als ich mich daſelbſt aufhielt, blutwenig Gelehrſamkeit zu holen war. Der alte Boͤhm las zwar philoſophi - ſche Kollegien; aber das war weiter nichts, als Wolffiſche Logik und Wolffiſche Metaphyſik: uͤber die uͤbrigen Theile der Weltweisheit las kein Menſch, das Jus naturae ausgenommen, welches Herr Hoͤpfner fuͤr Juriſten erklaͤrte nach Achenwall: die Geſchichte der Philoſophie, die Aeſthetik und die zu dieſen Wiſ - ſenſchaften gehoͤrige Litteratur waren ganz unbekannte Dinge.

In der Philologie ſah es noch ſcheußlicher aus. Herr Schmid docirte zwar einmal gratis, oder wie man ſagt, publice, die fundamenta Styli; ver - ſtand aber ſelbſt den lateiniſchen Styl ſo wenig, daß er alle Augenblicke wider die Grammatik verſtieß, wenn er als Profeſſor der Eloquenz eine lateiniſche Rede vorm lateiniſch Schreiben nahm er ſich in Acht halten mußte. So hielt er einſt eine Rede auf die Vermaͤhlung des Erbprinzen, woraus ich mir einige Floskeln bemerkt, und mich hernach mit meinen Be - kannten daruͤber luſtig gemacht habe. Dergleichen waren: benedicat Deus principi juventutis (Gott ſegne den Erbprinzen!) Et noſtram olim curam geres, o Princeps. Quis eſt, qui vocem no - ſtram jubeat obmuteſcendam? Neque eſt operae pretium, commemorandi. Freilich ſind91 dieſe Schnitzer nicht ſo grell, als die, welche Herr Deinet in dem Ouvrierſchen Exercitium korrigirt hat; aber fuͤr einen Profeſſor der heiligen Eloquenz ſind ſie doch immer grell genug.

Eben dieſer Herr Schmid erklaͤrte auch dann und wann einen lateiniſchen Claſſiker; da war aber nichts von dem Geiſt, der in den Vorleſungen eines Heyne zu Goͤttingen oder eines Wolfs zu Halle ſichtbar iſt: da wurden die Anmerkungen Anderer z. B. die des Baxters und Geßners uͤber den Horatz, und Lubini notae zum Juvenal geritten, daß es eine Art hatte. Wer den Baxter hatte, konnte Herr Schmids Lectionen gar wohl entbehren.

Ueber griechiſche Skribenten wurde vollends gar nicht geleſen, auch nicht uͤber einen einzigen. Da hieß es, und es heißt vielleicht noch ſo in Gießen: graeca ſunt: non leguntur. Der jetzige Profeſ - ſor Roos las damals, als Student, fuͤr ſich den Homer und andre Griechen: und die Studenten ſahen ihn als ein Monſtrum der Gelehrſamkeit an. Eben ſo ging es mir, weil ich Xenophons Kyropaͤdie und den Anakreon las. Aber wer haͤtte auch da - mals Griechiſche Autoren erklaͤren ſollen! Benner verſtand wohl Griechiſch, wie man aus ſeinen recht guten Anmerkungen zu Lucians ſomnium de lon - graevis ſieht; aber der war zu alt und zu ſtolz dazu: alle andre waren nicht weiter gekommen, als ans92 neue Teſtament: und da lieſt ſichs nicht ſo leicht uͤber griechiſche Skribenten.

In der Geſchichte gings nicht viel beſſer. Herr Koͤſter erbot ſich zwar immer, uͤber alle Theile der Geſchichte zu leſen; aber ſelten konnte er einige Kol - legia zu Stande bringen. Der Geſchmack war ein - mal verdorben: wer ſeine Brodlectionen gehoͤrt hatte, fragte viel nach derlei Nebenſachen. Koͤſter mußte ſogar die Kirchengeſchichte in einem halben Jahre endigen, wenn er Zuhoͤrer haben wollte.

Das mag hinlaͤnglich ſeyn, um meine Leſer in den Stand zu ſetzen, ein richtiges Urtheil uͤber die damalige zweckwidrige Einrichtung der ganzen Gießer Univerſitaͤt zu faͤllen. Daß ſie auch noch zu jetziger Zeit nicht viel beſſer iſt, habe ich erſt 1787 er - fahren.

Manche Eltern glauben noch immer, man koͤnne auf jeder Univerſitaͤt das Seine lernen, welches freilich in Anſehung einiger guter Koͤpfe wahr iſt man muͤſſe daher den wohlfeilſten Ort ausſuchen, und den Herrn Sohn da ſtudiren laſſen. Aber dieſe gu - ten Eltern verrechnen ſich haͤßlich: vielmehr ſollten ſie eine Univerſitaͤt waͤhlen, auf welcher die groͤßte Anzahl der beruͤhmteſten Maͤnner das Fach lehren, fuͤr deſſen Erlernung ihr Sohn entſchieden iſt, es ſey nun Medicin, Jurisprudenz, Theologie oder ein anderes und wo bei angemeſſenen Beſoldungen,93 Bibliotheken und Curatoren die ausgedehnteſte Schreib - Lehr - und Preßfreiheit herrſchet. Freilich wird auch da aus Manchem nichts; aber an einem Orte, wie Gießen, Heidelberg, Rinteln, Mainz, Strasburg und auf[m]ehr dergleichen Univerſitaͤten, wo Sub - jekte lehren, die kaum auf einer Trivialſchule lehren ſollten, oder wo ein Landesherr oder ein Curator ohne Kopf den Vorſitz fuͤhrt, und alles ſo engbruͤſtig ſchematiſirt, daß man den Verſtand daruͤber verlie - ren koͤnnte wird es vollends gar nichts. Die Anmerkung iſt freilich bitter, ſie iſt aber wahr, und deswegen ſage ich ſie gerade hin, wenn ſich auch Herr Schmid in Gießen, nebſt Konſorten weit und breit, noch ſo ſehr darob aͤrgern ſollte.

Eilftes Kapitel.

So commerſirten damals die Gießer Burſche!

Zu meiner Zeit waren ohngefaͤhr 250 Studenten in Gießen, obgleich in allen Zeitungen herumſtand, es waͤren uͤber 500 da. Aber man darf von dergleichen nur die Haͤlfte glauben. Im Durchſchnitt trifft das ſo bei allen Univerſitaͤten ein, z. B. gegenwaͤrtig ſol - len in Halle 1600, in Jena 1000, in Goͤttingen 1200 Studenten ſeyn wenigſtens ſagens die ſo,94 welche von ſo einer Univerſitaͤt herkommen. Un - terſucht man aber das Ding genauer; ſo muß man die Summe merklich vermindern. Wem das Blut noch hoch huͤpft, der macht es nicht anders: er er - hoͤht und dehnt objectiviſch aus, um ſelbſt ſubjectiviſch dabei zu gewinnen. Machten es die aͤltern Herren Geſchichtſchreiber nicht beſſer!

Die Gießer Studenten waren meiſtens Landes - kinder; doch befanden ſich auch viele Pfaͤlzer, Zwei - bruͤcker und andre daſelbſt. Der Ton der Studenten oder der Burſche war ganz nach dem Jenaiſchen eingerichtet: die vielen relegirten Jenenſer, welche dahin kamen, um auszuſtudiren, machten damals das fidele Leben der Bruͤder Studio von Jena in Gießen zur Mode. Zudem iſt Gießen auch ſo recht der Ort, wo man auf gut Moſellaniſch hauſiren kann. Das Maaß Bier, ein volles Rheiniſches, koſtet zwei Kreuzer, oder ſechs Pfennige Saͤchſiſch. Freilich iſt es jaͤmmerliches Bier; aber es fuͤllt doch den Bauch, und macht endlich uͤbermaͤßig geſoffen den Kopf heroiſch. Wer leugnen wollte, daß der Hauptkom - ment zu Jena im Bierſaufen beſtehe, wenigſtens noch vor Kurzem darin beſtanden habe, iſt in Jena nicht geweſen.

Zu Gießen borgen die Hauswirthe nicht, oder ſie geben, ſtudentiſch geſprochen, keinen Pump; hoͤchſtens bekommt auf die Art der Student nur95 Milch zum Kaffee. Alles andre muß er ſich ſelbſt holen laſſen, auch ſelbſt fuͤr ſein Bier ſich im Wirths - hauſe Pump verſchaffen. Auf den Stuben wird da - her ſelten gejubelt; vielmehr ſetzt man ſich zuſammen ins Bierhaus, und zecht auf Rechnung. Das iſt auch die Urſache, warum alle Kneipen oder Bier - ſchenken, wo ſonſt Burſche hingehen, zu allen Zeiten, voll Studenten ſind. In meinen Tagen beſuchte man beſonders den Rappen, den Stern, die Rei - berei, die beiden Buſchereien, das Schießhaus den Stangenwirth Balthaſar, und einige andre. Wein - haͤuſer beſuchte man ſeltener. Wer nun ein honoriger Burſch heißen wollte, ging des Abends wenigſtens in eine dieſer Bierkneipen, ſoff bis zehn oder eilf Uhr, und ſchob hernach ab. Und daß es noch jetzt ſo iſt, hab ich erſt vor einigen Jahren ſelbſt wieder geſehen.

Da man es fuͤr Pedanterie hielt, von gelehr - ten Sachen zu ſprechen; ſo wurde von Burſchen Af - fairen diskurirt, und groͤßtentheils wurden Zoten ge - riſſen. Ja, ich weis noch recht gut, daß man in Eberhards-Buſch-Kneipe ordentliche Vorleſungen uͤber die Zotologie hielt, woruͤber ein Kompendium im Manuſcript da war. Herr Schmid erwaͤhnt in ſeinem Pamphlet, ich ſelbſt habe in Gießen Profeſſor Zotarum geheißen: davon werde ich zum Jahr 1777 mehr ſagen.

96

In Gießen ſind die Kommerſe erlaubt: wir haben mehrmals auf der Straße kommerſirt, und das Ecce quam bonum zur großen Freude der Gie - ßer Nymphen hingebruͤllt. Herr Schmid muß das recht gut wiſſen: er bewohnte damals des Schuſters Beſt Haus auf dem Kirchenplatz. Man ſtellt ſich alſo leicht vor, daß die Kommerſe bei den taͤglichen Saufgelagen der Studenten ſehr frequent werden geweſen ſeyn: und ſo war es auch wirklich. Ich habe oft vierzehn Tage nach einander alle Tage einem Hoſpitz oder einem commerſirenden Saufgelage bei - gewohnt.

Die Hauptbeſtandtheile eines damaligen Gießer Burſchen oder Renommiſten findet man in einer Be - ſchreibung, welche man der poetiſchen Laune des Herrn Hild von Saarbruͤcken zu danken hat. Ich will ſie meinen Leſern mittheilen. Die Verſe ſind zwar elend; aber man kann doch hinlaͤnglich daraus erſehen, was fuͤr Eigenſchaften man an einem hono - rigen Gießer Burſchen gefordert hat. Man hoͤre nur!

Wer iſt ein rechter Burſch? Der, ſo am Tage
ſchmauſet,
Des Nachts herum ſchwaͤrmt, wetzt
b)D. i. Mit dem Degen ins Pflaſter haut, daß die Fun - ken heraus ſpruͤhen.
b)
97
Der die Philiſter ſchwaͤnzt
c)Nicht bezahlt, anfuͤhrt.
c), die Profeſſores prellt,
Und nur zu Burſchen ſich von ſeinem Schlag geſellt:
Der ſtaͤts im Carcer ſitzt, einher tritt wie ein
Schwein,
Der uͤberall beſaut, nur von Blamagen rein,
Und den man mit der Zeit, wenn er gnug renom -
miret,
Zu ſeiner hoͤchſten Ehr 'aus Gießen relegiret.
Das iſt ein firmer Burſch: und wers nicht alſo
macht,
Nicht in den Tag' nein lebt, nur ſeinen Zweck
betracht,
Ins Saufhaus niemals kommt, nur ins Collegium,
Was iſt das fuͤr ein Kerl? das iſt ein Draſti -
kum!
d)Ein damals bekannter Schimpfnamen, womit man Burſche belegte, die anderwaͤrts Thekeſſel genannt werden.
d)

Was meynen meine Leſer zu dieſem Ideal? Ich kann ſie aber auf Ehre verſichern, daß alle unſre ſo - genannten honorigen Burſche demſelben ſo aͤhnlich waren, wie ein Ey dem andern: nur das Philiſter - ſchwaͤnzen und Profeſſoresprellen wollte nicht immer ſo recht gelingen: die meiſten Studenten waren ſehr nahe zu Hauſe, und folglich hielt es nicht ſchwer, ſie nach ihrem Abzuge zum Bezahlen gerichtlich anzu - halten.

Erſter Theil. G98

Wer den Gießer Studenten Petimaͤterei ſchuld giebt, thut ihnen wahrlich Unrecht. Die meiſten tra - ten einher nach dem Liedchen wie die Schwei - ne. Ein gewiſſer Noͤllner aus dem Elſaß hatte keine Luſt, das Burſchikoſe mitzumachen; er kam alſo ſel - ten in die Gelage, und ließ ſich auch ein gutes Kleid machen. Dies war Loſung genug, ihn nicht ſchlecht zu verfolgen: in allen Kollegien wurde ihm Muſik gemacht, und auf der Straße nachgeſchrieen. Das wurde ſo lange getrieben, bis er endlich abzog, und nach Goͤttingen gieng: hier konnte er nun freilich ohne Gefahr, ausgepfiffen zu werden, in ſeinem ro - then Kleide mit dem ſeidnen Futter ſpaniſch einher - treten.

In Kleidern verthut der Burſche in Gießen da - her blutwenig: ein Flauſch iſt ſein Kleid am Sonn - tag und am Werktag: ſelten hat einer neben dem Flauſch noch einen Rock. Dann traͤgt er lederne Beinkleider und Stiefeln: weil aber die ledernen Beinkleider ſelten gewaſchen werden; ſo ſehen ſie ge - meiniglich aus, wie die der Fleiſcher.

Nur wenig Studenten in Gießen machen Knoͤpfee)Knopfmachen heißt dem Frauenzimmer aufwarten: daher Knopfmacher. Dieſe Phraſis iſt auch in Wezlar bekannt, und ſchon in einem Stuͤck des deutſchen Mu - ſeums erklaͤrt worden.: das wird uͤberhaupt daſelbſt fuͤr petimaͤ -99 triſch und unburſchikos gehalten. Vielmehr giebt es, oder gabs doch zu meiner Zeit einige, welche das gute Frauenzimmer bei jeder Gelegenheit proſtituir - ten. So zogen ſie z. B. auf dem Walle, wenn ſie ſpatzieren giengen, hinter ihnen her, und wiederhol - ten laut ein Kapitel aus der Zotologie. Herr Hand - werk, Oekonom der Univerſitaͤt, hatte eine ganz huͤbſche Tochter, Minchen, welche was ehrliches ge - neckt wurde. Die Studenten kamen des Abends vor ihr Haus, und ſchrien: Minchaͤ as de ham gießt, as de die Schwernuth krieſtf)Mienchen, willſt du nach Hauſe gehen, oder du ſollſt die Schwerenoth kriegen.. Mit dieſen Worten hatte ſie ihr Vater einmal nach Hauſe geholt.

Noch eins! Die Tochter des R. Raths Reuß hatte ſich mit einem Muſenſohn zuweit eingelaſſen. Zum Ungluͤck erfuhren die Studenten, daß die Heb - amme zu ihr gerufen ſey: Fluchs zogen ſie vor das Haus, und machten eine Katzenmuſik, wobei die ſchaͤndlichſten Lieder geſungen wurden. Der R.R. beſchwerte ſich bei dem Rektor; aber der freute ſich ſelbſt uͤber den ſchnurrigen Einfall ſeiner Burſche, und ließ es gut ſeyn.

Schlaͤgereien ſind in Gießen gar nicht ſelten. So klein die Univerſitaͤt iſt, ſo viel Balgereien fallen vor: manchmal haben ſie einen gefaͤhrlichen Aus -101[100] gang. Zu meiner Zeit war es gewoͤhnlich, ſich auf der oͤffentlichen Straße zu ſchlagen, und dies als - dann, wenn man zum voraus gewiß war, daß es wuͤrde verrathen werden. In dieſem Falle gieng der Herausforderer vor das Fenſter ſeines Gegners, nahm ſeinen Hieberg)Der Stoͤßer diente zu geheimen Schlaͤgereien., hieb damit einigemal ins Pflaſter, und ſchrie: pereat N. N. der Hundsfott, der Schweinekerl! tief! pereat! pereat! Nun erſchien der Herausgeforderte: die Schlaͤgerei gieng vor ſich, endlich kam der Pedel, gab Inhibition, und die Raufer kamen aufs Carcer: und ſo hatte der Spaß ein Ende.

Bordelle giebt es in Gießen nicht; aber doch unzuͤchtige Menſcher, und folglich auch wie jetzt leider auf jeder Univerſitaͤt veneriſche Krankhei - ten. Was fuͤr fuͤrchterliche Folgen hieraus entſtehen, lehrt die taͤgliche Erfahrung. Der luͤſterne Juͤng - ling laͤßt ſich hinreißen, zumal der, den der kurz - ſichtige Vater oder Lehrer von allem Umgang mit Maͤdchen entfernt gehalten hat. Er wird inficirt. Sein irriges Ehrgefuͤhl haͤlt ihn zuruͤck, ſich einem geſchickten Arzte zu entdecken. Dieſer iſt ihm zu be - ruͤhmt, zu anſehnlich. Um ſich weniger ſchaͤmen zu muͤßen, vertraut er ſich einem noch ſtudierenden Me - diciner, oder einem Feldſcheerer an und wird 101 verpfuſchert. Denn wenn je in einer Krankheit ge - pfuſchert wird; ſo geſchieht es in der veneriſchen nach allen ihren Aeſten und ſchoͤnen Abſtufungen. Und doch iſt in keiner Krankheit das Pfuſchern gefaͤhrli - cher, als eben in dieſer. Jeder Bartkratzer, jeder Junge, der kaum zur Ader laſſen kann, giebt ſich hier fuͤr einen erfahrnen Doktor aus. Einige Infi - cirte ſind gar ſo kuͤhn, ihre Kur nach Buͤchern oder auspoſaunten Zeitungs-Arkanen ſelbſt zu uͤbernehmen. Wer kann hier genug warnen! Mehr als fuͤnfhun - dertmal habe ich es erlebt, daß unwiſſende Quackſal - ber oder voreilige Bloͤdlinge aus einem kleinen Uebel von der Art, ein rechtfuͤrchterliches, ja unheilbares gemacht habenh)Sonderbar iſt es, daß der groͤßte Theil der inficirten Studenten gerade Theologen Schullehrer - und Prediger-Soͤhne geweſene Wayſenhaͤusler oder uͤberhaupt ſolche ſeyn ſollen, die man zu Hauſe oder auf Paͤdagogien, und andern eingeſchraͤnkten Schulanſtalten zur Univerſitaͤt vorbereitet hat. Noch ſonderbarer iſt es, inficirte Stipendiaten man merke dies fuͤr Halle! ſo bald ſie entdeckt werden, des Stipendiums verluſtig zu erklaͤren. Zur Schaam, ſich einem geſchickten Arzte zu entdecken, kommt hier ja noch Furcht vor Verluſt hinzu! und das erſchwert die Kur noch mehr. Er mag nun wollen oder nicht er faͤllt Pfuſchern in die Haͤnde, und verpflanzt, als halbgeheilter, uͤber kurz oder lang, ſein Gift weiter: ja, er bringt es nach Gegenden, wo es vorhin viel - leicht noch unbekannt war, und macht auf dieſe Art ſeine wuͤrkliche Suͤnde zur Erbſuͤnde, wider die weder.

102

Die fieberhafte Hitze, brav Hefte nachzuſchmie - ren, plagt die Gießer Studenten nicht, wenigſtens zu meiner Zeit nicht, wenn man die Pandecten - Schuͤler des Kanzlers Koch ausnimmt. Dieſer hielt keinen Studenten fuͤr fleißig, welcher die vorgetra - gne Weisheit nicht ſchriftlich eintrug, oder doch we - nigſtens einige Bemerkungen daruͤber nachſchrieb. Auf andern Univerſitaͤten hab ich immer ruͤſtige Hef - tenſchreiber gefunden; nirgends aber aͤrger als in Halle. Hier fuͤllen die Studenten viele Quartbaͤnde mit akademiſcher Kollegien-Weisheit an, und ſchrei - ben oft Dinge nach, welche in dem Kompendium weit beſſer ſtehen, als in ihren Heften, oder gar nicht zur Sache gehoͤren. Das macht aber in Gieſ - ſen, daß die Profeſſoren alle uͤber gedruckte Buͤcher leſen, und durchaus nicht dictiren, und dadurch das Hefteſudeln verhindern. Einige Zuhoͤrer moͤgen wohl auch den Vortrag ihrer Lehrer keiner ſchriftli - chen Bemerkung werth finden, und andern mag es an Vorkenntniſſen fehlen, um Spreu von Korn zu unterſcheiden.

In Goͤttingen wird freilich auch nachgeſchrieben, aber doch nicht ſo, wie in Halle. Dies Unweſenh)Taufe noch Exorcismus etwas vermoͤgen. Hierauf mit Ernſt Ruͤkſicht zu nehmen, iſt wahrlich mehr Ver - dienſt, als mit ſpaniſcher Inquiſitionswuth auf theolo - giſchen Unſinn zu dringen!103 hat auch die vorige Herbſtmeſſe eine ſehr uͤble Folge fuͤr einen Halliſchen Profeſſor gehabt. Ein Student hatte naͤmlich die juͤdiſche Geſchichte, ſo wie ſie Hr. D. Knapp vortrug, nachgeſchmiert, und ſie her - nach in Leipzig drucken laſſen. Und das wird, wie ich befuͤrchte, noch oͤfter geſchehen. Mit den exege - tiſchen Heften des Hn. D. Noͤſſelt, und der The - rapie des ſeel. Oberbergraths Goldhageni)Herr Boͤhm, ein Arzt und Herr Hecker, jetzt Pro - feſſor der Medicin zu Erfurt, haben ſich hieran zu Rit - tern geſchlagen; doch der letztere mit mehr Verdienſt, als der erſtere. iſt es nicht beſſer gegangen. Außerdem rechnet der Nach - ſchmierer auf das Bleibende ſeiner Hefte, und verſchiebt eben darum das Durchdenken und Wiederholen oft bis zur Ewigkeit. Einige ſchreiben auch zu ſchnell nach, um ihr Gekratztes dereinſt nicht ſelbſt eckelhaft oder unleſerlich zu finden. In Gießen moͤchte der Abdruck der Hefte freilich nicht zu befuͤrchten ſeyn, wenn auch alles nachgeſchrieben wuͤrde: denn wel - cher Verleger wuͤrde wohl die Vorleſungen eines Hrn. Bechtolds, Schmids u. a. in Verlag nehmen?

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Zwoͤlftes Kapitel.

Leider auch ich ward burſchikos!

Ich fand zu Gießen einige Landsleute, welche mich zuſtutzten und mit dem Kommang, ſo wie ich ihn hier beſchrieben habe, vertraut machten. Ich ſah die Burſche, ich bewunderte ſie und machte ſo recht affenartig alles nach, was mir an ihnen als heroiſch auffiel. Da ich bemerkte, daß die meiſten den Hut queer trugen; ſo trug ich meinen auch ſo, und gefiel. Zum Ungluͤck war gleich nach der Abreiſe meines Va - ters in Wieſek ein Kommers: ich wohnte demſelben bei, mußte uͤber zehn Maaß Bier zur Strafe aus - leeren, weil ich die Kommerslieder nicht auswendig wußte, und erwarb uͤber dreißig Dutzbruͤder! Wer war froher als ich! Dreißig honorige Burſche, die ich von dem Augenblick an Du heißen durfte! Calvin mag ſich kaum ſo gefreut haben, uͤber die Quaalen des braven Servets in den Flammen, als ich mich freuete, da ich den Degen am Balken be - trachtete, woran die Huͤte und mit ihnen die Bruͤ - derſchaften angeſpießt waren! Ich ſahe mich nun mit ganz andern Augen an, als zuvor, und ward um ſo eifriger in dem edlen Vorſatz, ein recht hono - riger Burſch zu werden.

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Hierzu zeigte ſich auch bald Gelegenheit. Es ſtudirte ein gewiſſer von Avemann in Gießen, ein Erzrenommiſt und Schlaͤger, vor dem man gewiſſen Reſpekt aͤußerte, ob er gleich an Liederlichkeit ſeines gleichen nicht mehr hatte. Es ſchien ihm ſogar der geſunde Menſchenverſtand zu fehlen. Dieſer Avemann nannte oder ſchalt mich einſt auf dem Schießhaus Fuchs. Ich nahm das Wort haͤßl〈…〉〈…〉 ch auf: denn meine Kameraden hatten mir auf - gebunden, mich durchaus nicht Fuchs, kraſſen Kerl u. ſ. w. nennen zu laſſen. Alſo trat ich zu ihm, und verbath mir den Ehrentitel. Avemann lachte mir ins Geſicht, woruͤber ich ſo erboßte, daß ich ihn einen dummen Jungen nannte. Hierauf hob er die Hand auf, um mich zu maulſchelliren. Meine Freunde hielten ihn zuruͤck, und erklaͤrten dem Großſprecher, daß er Desavantage ſey, und daher von mir Satisfaktion fordern muͤßte. Avemann ergrimmte ſchrecklich: denn nichts konnte ihm em - pfindlicher ſeyn, als daß er, ein Erzrenommiſt, von einem Fuchs Genugthuung fordern ſollte. Aber es mußte einmal ſo ſeyn! Der uͤbermorgige Tag wurde alſo zur Balgerei feſtgeſetzt. Ich hatte mich zwar ſchon vorhin etwas im Fechten geuͤbt; jetzt aber ga - ben ſich meine Freunde alle Muͤhe, mich ein wenig mehr einzuſchuſtern in dieſe edle Kunſt, um doch nicht ganz als Naturaliſt aufzutreten.

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Wir ſchlugen uns nun wirklich. Avemann ver - letzte mir ein klein wenig den Arm; ich ihm aber derber ſein Collet und der Skandal hatte ein En - de. Nachdem wir Frieden gemacht hatten, ſahen alle Anweſende mich mit Augen an, die vor Freude und Beifall funkelten: da war Bruder Laukhard hinten und Bruder Laukhard vorn! jeder wuͤrdig - te mich ſeiner beſondern Freundſchaft und ich Thor war uͤber den Ausgang dieſes Handels ſo be - geiſtert, als kein General es ſeyn kann, wenn er eine Menſchen-Schlacht gewonnen hat!

Ich weiß nicht, ob der Rektor den Vorfall klagbar erfahren hat: ich wenigſtens bin deshalb nicht zur Verantwortung oder Strafe gezogen wor - den. Daß aber doch etwas davon entdeckt worden ſey, folgere ich aus den Vorwuͤrfen daruͤber, die der Kanzler Koch mir kurz darauf vor dem akademiſchen Gerichte gemacht hat. Genug, man hat wahrſchein - lich von der Sache gerichtlich nichts wiſſen wollen, und das vielleicht wegen der Mutter meines Ge - gners, der Frau Geheime-Raͤthin von Avemann, die damals ſich zu Gießen aufhielt. Waͤre auch eben dieſe Dame hernach nur nicht in des Herrn Prof. Hoͤpfners Haus gezogen, ihr Sohn waͤre wahrlich nicht relegirt worden, ſo ſehr tolle Streiche er auch weiterhin getrieben haͤtte. Allein kaum war ſie ein - gezogen; ſo fiel auch gleich ein Theil des Grolls,107 womit Herr Kanzler Koch den Herrn Prof. Hoͤpfner verfolgte, auf ſie, und Avemann wurde relegirt. So gerecht verfuhr dieſer Inhaber der Gerechtigkeit zu Gießen! Herr Schmid mag das nun leugnen, wenn er kann: die Leute in Gießen wiſſen aber das alles recht gut, und die Frau von Avemann kann be - zeugen, wie diskret der Kanzler Koch in Ruͤckſicht auf ſie verfahren iſt. Doch was kuͤmmern uns die, die draußen ſind!

Nach meiner ritterlichen That wurde ich in eine geheime Gießer-Studenten-Geſellſchaft aufgenom - men, die nun glaubte, ein ſehr reſpektables Mitglied in meiner Perſon zu acquiriren. Die Geſchichte da - von iſt lang: ich will ſie aufſparen.

Ich hatte in meinem Vaterlande zwar derb ler - nen Wein trinken, wie meine Leſer aus dem vorher - gehenden wiſſen koͤnnen; aber Schnapps war nie in meinen Mund gekommen. Das Brandtweintrinken wird uͤberhaupt in der Pfalz gleichſam fuͤr ſchaͤndlich gehaltenk)Ein guͤnſtiges Vorurtheil! Es foͤrdert den Abſatz und Anbau des Weins, und beuget dort dem Kornmangel vor, der aus ſtark betriebner Brandtweinbrennerei ent - ſtehen wuͤrde. Und dann ein Pfaffenland!!. Die Trunkenheit haͤlt man nicht fuͤr ſchaͤndlich; nur das Vehikel, wodurch ſie entſteht! Ich hatte zwar einen ganz artigen Wechſel; aber der wuͤrde nicht zugereicht haben, wenn ich haͤtte taͤglich108 Wein trinken wollen. Alſo da doch manchmal eine Schnurre paſſiren ſollte; ſo ahmte ich meinen hono - rigen Bruͤdern nach, und trank Schnapps.

Der Gießer Schnapps iſt, wie das Bier, ſehr elend: er hat einen Geſchmack, wie wenn er mit Rauch von Nußlaub geraͤuchert waͤre. Dabei iſt er ſehr wohlfeil: wer fuͤr ſechs Kreuzer oder achtzehn Pfennige trinkt, ohne ganz berauſcht zu werden, muß ein kapitaler Saͤufer ſeynl)Zu Gießen iſt das Brandtweintrinken mehr als viel - leicht an einem Ort in Deutſchland Mode: daher giebt es dort auch die groͤßten Saͤufer. Ein gewiſſer Huſa - ren Korporal, Faſian, konnte drei Schoppen (etwas uͤber anderthalb Kannen) einſchieben, ohne zu taumeln. Habeat ſibi! .

Eines Tages kommerſirten wir in Schnapps auf dem Schießhaus bei Balzer. Mein vieles pro poena trinken brachte mich von Sinnen. Eben dies widerfuhr noch vier andern von der Geſellſchaft. In der Beſoffenheit trieben wir allerhand Muthwil - len. Endlich taumelten wir in die Stadt herein es war noch heller Tag und ſetzten unſer baechan - tiſches Weſen fort. Auf der Straße fiel ich hin nebſt noch einem, und man mußte uns zu Hauſe tragen.

Am folgenden Tag wurden wir auf den Senat vorgefordert zur Unterſuchung der Sache. Das war109 ſchon recht: denn ſolchen Exceſſen ſollte billig jedes - mal geſteuert werden. Der damalige Rektor der Univerſitaͤt, Herr Schulz, hielt es fuͤr hinlaͤnglich, uns unſere Ausſchweifung zu verweiſen, und unter der Androhung einer ſchaͤrfern Ahndung im Wieder - holungsfall zu entlaſſen. Allein der Kanzler Koch war andrer Meinung. Man vernehme warum? Einer von uns vieren, Namens Schacht aus Dil - leburg ich muß die Leute recht genau beſchreiben, blos um des Herrn Schmids willen, damit der Mann doch wiſſe, wo er die Belege zu meinen Be - hauptungen finden kann alſo Schacht aus Dille - burg, Student der Medicin, hatte kurz vor unſerm Tumulte den aͤlteſten Sohn des Kanzlers, einen ausgelaſſenen Jungen, der Schachten geneckt hatte, derb maulſchellirt, und einen dummen Buben ge - ſcholten. Das war in den Augen des Kanzlers ein crimen laeſae majeſtatis, welches er gewiß mit Carcer und Arreſt geraͤcht haͤtte, wenn die groͤßte Schuld nicht ſelbſt auf ſeinen Sohnm)Ich ſpreche noch mehr von dem guten Menſchen: er hat ſeinem Vater tauſend Verdruß gemacht, iſt endlich franzoͤſiſcher Soldat geworden u. ſ. w. gefallen waͤre. Er mußte alſo die Beleidigung fuͤr dasmal einſtecken. Aber hier nun zeigte ſich eine Gelegenheit, ſeine Rach - ſucht ſcheinrechtlich zu befriedigen. Er ſagte alſo dem Rektor vor Gericht gerade heraus: Ein Ver -110 weis waͤre nicht hinlaͤnglich, wir muͤßten exemplari - ſcher beſtraft werden Schacht insbeſondere. Der Rektor, der ſich vor Kochs Allmachtswort fuͤrch - tete, gab nun nach, und ſo kamen wir jeder zwei Tage, Schlacht aber vier Tage ins Carcer. Auſſer - dem mußten wir noch die Relegation unterſchreiben, das heißt, verſprechen ſchriftlich, daß wir uns gern wollten relegiren laſſen, wenn wir uns wieder gegen die Geſetze vergehen wuͤrden. So exemplariſch raͤchte ſich Herr Koch!

Ich ſtellte mir dieſe Unterſchrift als etwas vor, das wichtige Folgen haben koͤnnte; aber meine Be - kannten erklaͤrten mir das Ding anders: ſie nannten es eine akademiſche Spiegelfechterei, und ſo vergieng mir die Furcht.

Nicht lange nach meiner Ankunft zu Gießen wohnte ich auch einem Kreuzzuge bei. Das Ding war ſo: Sechs derbe Burſche bewaffneten ſich mit Flinten und dem Zugehoͤr, und marſchirten gegen Abend auf ein Dorf, etwa zwei Stunden von der Stadt. In dieſem Dorfe wurde derb gezecht, und dann gieng der Zug auf ein anderes. In jedem Dorfe wurden die Bauern perirt, die Flinten losgeſchoſ - ſen, dem Nachtwaͤchter das Horn genommen, wild darauf geblaſen: kurz, ein Spektakel verfuͤhrt, daß alle Bauern in Harniſch geriethen. Wagten ſie es dann, ſich uns zu widerſetzen; ſo wurde ihnen ge -111 droht, daß, ſobald ſie ſich weiter mokirten, wir ſcharf auf ſie feuren wuͤrden, ohne die Ankunft unſrer uͤbri - gen Kameraden abzuwarten: wir waͤren, wer weis wie ſtark! Wuͤrden ſie aber Friede machen; ſo woll - ten wir abziehen und dergl. In einigen Doͤrfern wurde wirklich auf dieſe Art Friede gemacht; aber in Buſeck, wohin wir gegen Tages Anbruch kamen, und wo wir weit aͤrger tobten, als vorher irgendwo, wollten die Bauern von kapituliren ſo wenig wiſſen, daß ſie uns, nachdem wir eine blinde Salve auf ſie gegeben hatten, dergeſtalt durchkeilten, daß es uns vergieng, den Kreuzzug fortzuſetzen. Freilich haͤtte mich dies witzigen ſollen, dergleichen Kreuzzuͤgen nicht wieder beizuwohnen: gefaͤhrlich waren ſie immer und ſehr tief unter der Wuͤrde eines Univerſitaͤters, aber wie man iſt! Mein Leichtſinn, mein ſtu - dentiſcher Heroismus verleiteten mich noch dreimal dazu!

Dreizehntes Kapitel.

Thereschen kommt wieder zum Vorſchein.

In dem wilden Leben vergaß ich ganz meines The - reschens, oder beſſer zu ſagen, die Burſchenphrene - ſie bemaͤchtigte ſich aller meiner Sinne ſo ſehr, daß ich112 an ſie nicht denken konnte. Freilich fiel ſie mir mehrmals ein: allein der ſtaͤrkere Gedanke, daß ich Burſch waͤre, und nun als Burſch leben muͤßte, verſcheuch - te ſogleich das Bild des guten Kindes, und jagte mich zum Balzer oder zum Eberhardt-Buſch.

An einem Sonntage, es war der Sonntag Exaudi 1775, wollte ich eben mit meinem Freund Diefenbach nach Reiskirchen gehen, wo er zu Hauſe war, drei Stuͤndchen von Gießen. Diefenbach und ich waren die innigſten Freunde. Er war, ob ich gleich Fuchs, und er ſchon ein alter Burſche war, doch mein Schuͤler im Lateiniſchen und Hebraͤiſchen. Da nun einige Tage Vacanz einfielen; ſo wollten wir dieſe bei ſeinem Vater, ei - nem altem kreutzbraven Manne, zubringen. Wir waren ſchon beinahe am Thor, als der Poſtbote LinkernHerr Schmid meint, ich habe ſo ein ungetreues Ge - daͤchtniß: aber ſehen Sie, Herr Schmid, daß ich ſogar den Namen des Gießer Poſtboten noch weis mir zwei Briefe uͤberreichte: den einen von meinem Vater, mit etwas Geld von mei - ner Mutter; den andern, wie ich aus der Hand der Aufſchrift ſchloß, von meinem Onkel, dem Pfarrer zu Oppenheim. Ich gab dem Linker ſeine Gaben, und ſteckte die Briefe zu mir, um ſie in Reiskirchen mit voller Muße zu leſen. In Reiskirchen konnte ich erſt den Abend beim Schlafengehen Zeit dazu ge -113 gewinnen: der ganze Tag wurde mit lauter erhei - ternden Zerſtreuungen hingebracht, und dann hatte die Schweſter des Herrn Diefenbachs, ein liebens - wuͤrdiges Landmaͤdchen, jetzt die wuͤrdige Gattin des Herrn Rectors Roͤmheld in Geudern, mich entzuͤckt, ſo ſehr entzuͤckt, daß ich beinahe vergeſſen haͤtte, daß ich Burſche war.

Auf meinem Schlafzimmer oͤffnete ich meine Briefe, und las den meines Vaters zuerſt: er war lateiniſch mit vielen griechiſchen Verſen aus dem Ho - mer, Theokrit u. a. nach ſeiner Gewohnheit ausge - ſchmuͤckt. Nachher oͤffnete ich den meines Onkels; aber Himmel, wie ward mir, als ich mich getaͤuſcht fand, als ich meines Thereschens Hand erkannte! Lange Zeit konnte ich vor Zittern und Verwirrung keinen Buchſtaben weiter heraus bringen: endlich ſucht 'ich mich zu faſſen, las mit Beſinnung, und wurde jetzt nur noch tiefer geruͤhrt. Thereſe meldete mir, daß ſie ſich in Manheim bei der Frau B .... ihrer Baſe, aufhalte, und machte mir uͤber mein Still - ſchweigen Vorwuͤrfe. Sie wiſſe, ſchrieb ſie, daß wir verrathen waͤren, daß mein Vater alles erfahren haͤtte, und daß er mir nicht haͤtte erlauben wollen, von ihr Abſchied zu nehmen: daß alſo dies nicht ge - ſchehen ſey, waͤre leicht zu verzeihen; daß ich aber von Gießen aus auch nicht einmal an ſie ſchriebe,Erſter Theil. H114waͤre ihr ein Raͤthſel. Ob ich ſie vielleicht nicht mehr liebte? u. ſ. w. Wenns uͤbrigens nicht gar zu weit waͤre, fuͤgte ſie hinzu, ſo wuͤrde ſie mich bitten, ſie in Mannheim zu beſuchen.

Ich bedaure, daß ich dieſen Brief nicht mehr in Haͤnden habe; ſonſt wuͤrde ich ihn meinen Leſern mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unſchul - dig verliebten Maͤdchens, den kein Romanſchreiber nachahmen kann Ich konnte die ganze Nacht nicht ſchlafen: hundertmal wollte ich aufſtehen, und gerade hin nach Mannheim laufen: tauſend andere Gedan - ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich war von meinem Maͤdchen eingenommen, und nicht ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur - ſchenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete mit dem lieben Maͤdchen, als waͤre ſie gegenwaͤrtig, klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, ſchwur ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb - ten Schwindelei mehr war. Den Brief uͤberlas ich wer weis wie oft! und lernte ihn faſt auswendig.

Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam, mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfaͤnglich meine Verwirrung nicht; aber ſeine Schweſter ſah mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich am vergangenen Tage geweſen war. Sie fragte mich, ob ich vielleicht nicht gut geſchlafen haͤtte? 115Niemals beſſer, war meine Antwort. Diefenbach hatte ſich auf eine halbe Stunde entfernt, und nach ſeiner Zuruͤckkunft bat er mich, ihn in den Garten zu begleiten. Ich thats, und nachdem wir unſere Pfeiffen geſtopft hatten, fragte Diefenbach ernſtlich: Hoͤre Laukhard! wie ſiehſt du aus? du machſt ja ein Geſicht, wie eine verhunzte Grundbirnen-Paſtete! ſag ', was iſt dir?

Ich: nichts Lieber, gar nichts: ich wuͤßte nicht, was mir fehlen ſollte!

Diefenbach: das muſt du einem Narren weis machen! dir iſt was begegnet, es ſey nun, was es wolle!

Ich: ſey verſichert, mir fehlt gar nichts.

Diefenbach: biſt verliebt Kerl, geſteh's nur; was hilft das leugnen! Nicht wahr, biſt verſchoſſen?

Ich: In wen denn? Ich glaube, du willſt mich zum Narren haben!

Diefenbach: (indem er Thereſens Brief hervorzieht) Sieh, Freund, du muſt deine Korre - ſpondenz kuͤnftig beſſer verwahren! Meine Schweſter hat den Brief da droben in der Stube gefunden, und hat ihn auch geleſen, und ich hab ihn auch ge - leſen. Schau, nun leugne, daß du ein verſcham - merirter Haſe biſt!

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Ich: (wie vom Blitz getroffen) du wirſts doch in Gießen nichts ſagen?

Diefenbach: da muͤßte mich der Gukkuk pla - gen! meynſt du denn, daß ich ein Draſtikum bin? Sey nur getroſt: von mir erfaͤhrt der Teufel ſelbſt kein Wort, und von meiner Schweſter auch nicht.

Waͤhrend dieſes Geſpraͤchs war auch Mamſel Diefenbach in den Garten gekommen, und fing nun an, mich aufzuziehen; als ſie aber ſah und ſo was ſehen die Frauenzimmer eher, als der feinſte Kritiker ein mendum, daß ſie mich tief kraͤnkte, aͤnderte ſie ihren Ton, und theilte meine Empfin - dung. Nichts iſt labender fuͤr einen Verliebten, als ein ſchoͤnes Frauenzimmer, das in ſeine Gefuͤhle ein - ſtimmt. Ich ſchwamm in Seligkeit und gerieth uͤber dem Lob meines Maͤdchens ſo in Enthuſiasmus, daß ich vergaß, daß das Lob des einen Frauenzimmers beinahe allemal die Eitelkeit des andern beleidiget.

Mamſell Diefenbach beſtaͤrkte mich in meinem Vorhaben, nach Manheim zu reiſen, um Theres - chen zu beſuchen. Ich blieb noch einige Tage in Reiskirchen; aber dann konnt 'ichs nicht mehr aus - halten vor lauter Sturm und Drang, wie Meiſter Klinger ſpricht: ich gieng nach Gießen zuruͤck, ruͤſtete mich, gab vor, ich wollte meine Bekannten117 in Weilburg beſuchen, und begab mich auf die Wan - derſchaft der Liebe.

Ich machte in einem Tage die Strecke von Gießen nach Frankfurt, und das zu Fuße. Nun, meine Herrn Pſychologen, will ich Ihnen was ſa - gen, das Ihnen vielleicht nicht ſo leicht zu erklaͤren ſeyn moͤchte, als die Ideen-formen. Ich war doch voll von Thereſens Bild, war ihr von ganzer Seele wieder ergeben: rege Sehnſucht trieb mich zu ihr hin, kein Gedanke ſtund in mir auf, an dem die Idee meines Maͤdchens ſich nicht ſogleich ange - kettet haͤtte; und doch beſuchte ich den Abend, als ich zu Frankfurt angekommen war, die beruͤchtigte Ma - dam Agrikola. Wie gieng das zu?

Den folgenden Tag fuhr ich mit dem Marktſchiffe nach Mainz, am dritten ſetzte ich mich in eine Re - tourchaͤſe, war ſchon um eilf Uhr in Worms, und kam des Abends noch vor dunkel in Manheim an. Ich logirte im goldnen Stern, wo ich den Wirth kannte, der ſich nicht wenig wunderte, mich bei ſich zu ſehen. Sogleich fertigte ich ein Billet in das Haus der Madame B .... des Inhalts, daß je - mand aus der Gegend der Mamſel .... da waͤre, und ſich erkundigte, ob ſie nichts an ihren Herrn Vater zu beſtellen haͤtte? Abſichtlich gab ich mir ei - nen falſchen Namen. Der Bothe kam zuruͤck, brachte mir ein Kompliment von der Mamſel, mit118 dem Zuſatz: man wuͤrde ſich freuen, wenn ich ſie des andern Tages zum Koffe beſuchen wollte.

Wer war froher als ich? Ich ließ mich fruͤh à la mode de Manheim friſiren, buͤrſtete meinen Rock fein aus, und marſchirte mit tauſend Herz - klopfen nach dem Hauſe der Madam B .... in der Nachbarſchaft der Dominikaner. Thereſe empfing mich an der Hausthuͤr, gab mir einen Wink, mach - te mir ein gleichguͤltiges Kompliment auf franzoͤſiſch, und ſagte ſodann: je vous donnerai une lettre; onvrez-la, quand vous ferez hors d'icio)Ich werde Ihnen einen Brief geben; oͤffnen Sie ihn, wenn Sie von hier weg ſind.. Die alte Baſe empfieng ſehr hoͤflich, und erkundigte ſich nach dem Befinden ihres Herrn Vetters, den ſie noch vor einem Monate; ich aber ſeit einem hal - ben Jahre nicht geſehen hatte. Thereſe gab mir waͤhrend des Koffeetrinkens den Brief, den ich ihrem Vater uͤberreichen ſollte; ich merkte aber wohl, daß er fuͤr mich war. Ich blieb lange da, und es wur - de vielerlei geſprochen. Einmal aber haͤtte ich den ganzen Spaß bald verrathen: denn ich fing an, eine Gießer Hiſtorie aufzutiſchen, und von Burſchenkom - ment zu unterhalten. Thereſe ward feuerroth: da merkte ich erſt, wie dumm ich geweſen war, und lenkte ein; erzaͤhlte aber doch weiter, nur ſagte ich,119 ein guter Freund, der vor kurzem von Gießen ge - kommen waͤre, haͤtte mir den Jux (Spaß) mitge - theilt. Die Alte merkte auf die Art nichts. Endlich kam ein Schneider, welcher Thereschen das Maaß zu einem Schlender nehmen wollte. Sie ging mit ihm ins Nebenzimmer, und da hob ſich folgendes Geſpraͤch an:

Baſe: Sind Sie denn auch katholiſch?

Ich: O ja! Mein Vater iſt ja Oberfoͤrſter.

Baſe: Nun, ſo darf ich Sie ja um etwas be - fragen! Kennen Sie den jungen Laukhard?

Ich: (beſtuͤrzt) O ja, warum ſolte ich den nicht kennen!

Baſe: Nun, wie iſts denn mit dem?

Ich: (gefaßter) Er iſt jetzt in Gießen: erſt vor einigen Tagen habe ich einen Brief von ihm er - halten, worin er mir ſchreibt, daß es ihm recht gefalle, daß er ſich das Burſchenleben recht zu Nutze mache, und den Burſchenkomment ſchon ziemlich verſtehe. Ich muß Ihnen doch einen Begriff machen vom Burſchenkomment, wie Laukhard mir ihn be - ſchrieben hat. Sehen Sie, ein rechter Burſch

Baſe: Laſſen Sie jetzt die Burſche und ihren Comment wir haben uͤber wichtigere Dinge zu ſprechen. Sie wiſſen doch, daß Laukhard auf Thereſe ein Auge geworfen hat?

Ich: davon weis ich nichts!

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Baſe: Nicht? die ganze dortige Gegend iſt davon voll. Sie werdens gewiß auch wiſſen! Doch dem mag ſeyn, wie's will; meynen Sie denn im Ernſt, daß Laukhard es ehrlich meynt?

Ich: Laukhard hat mir immer ein ehrlicher Kerl zu ſeyn geſchienen.

Baſe: Ja, geſchienen aber ſeine Auffuͤh - rund beweiſet ja, daß er ein Schlingel iſt, ein recht undankbarer Gukkuk, ders gute Maͤdel hat in der Leute Maͤuler gebracht, verſprochen, er wollte katho - liſch werden, und dann einmal Thereschen heura - then: Und jetzt geht der Schlingel hin, und ſtudirt lutheriſch geiſtlich pfui!

Ich: Hoͤren Sie, Sie thun vielleicht dem Menſchen unrecht. Sein Vater iſt ein ſtrenger Mann: der hat ihn gezwungen, nach Gießen zu gehen.

Baſe: Ach, was gezwungen! Glauben Sie denn, daß der Eſel nur einmal geſchrieben haͤtte? Das gute Naͤrrchen, die Thereſe, hat ſich bald die Augen ausgeheult, und der Flegel ſitzt zu Gießen, und denkt nicht mehr an ſie. Von Komment kann er Briefe ſchreiben; aber an das gute Maͤdel auch nicht eine Zeile!

Ich: Aber wenn er nun auch geſchrieben haͤtte, das waͤre ja doch vergebens geweſen!

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Baſe: Ih, warum nicht gar! Man haͤtte doch noch Mittel und Wege finden koͤnnen, wenn nur der Schliffel nicht ſo ein Schuft geweſen waͤre.

Mit dem kam Thereſe wieder, und unſer Ge - ſpraͤch hatte ein Ende. Wer war froher als ich! Zwar hatte ich nun meine Ehren Titel gehoͤrt; ſah aber doch auch, daß noch Hoffnung fuͤr mich uͤbrig war. Ich eilte darauf weg, um zu ſehen, was The - reſe geſchrieben haͤtte.

Ehe ich in mein Quartier kam, begegnete mir Herr Emons, jetzt Stadtſchreiber in Oppenheim, und noͤthigte mich, mit ihm auf ein Koffehaus zu gehen. Wir ſpielten eine Parthie Billard; ich ent - fernte mich aber auf einige Augenblicke, um den In - halt von Thereschens Brief zu erfahren. Der war ſehr kurz! Ich ſollte, ſchrieb ſie, um vier Uhr jen - ſeits des Neckers in der Aue ſeyn, da wuͤrde ſie mich ſprechen: ich ſollte nur am rothen Haͤuschen verwei - len. Das war viel Troſt fuͤr mich!

Auf dem Koffehaus wurde onze et demi ge - ſpielt: ich wollte einige Gulden wagen, die ich ent - behren konnte ich hatte von Gießen uͤber vier Louisd'or mitgenommen war aber gluͤcklich, und gewann gegen dreißig Gulden. Gegen Mittag hoͤrte das Spiel auf. Ich bin niemals ein Freund vom Spiel geweſen; aber wenn ich ſpielte, hatte ich mei - ſtens Gluͤck.

122

Um vier Uhr o wie bleiern langſam ſchleppte ſich dieſe ſo ſehnlich gewuͤnſchte Stunde heran! war ich ſchon lange am rothen Haͤuschen jenſeits des Neckers. Endlich erſchien auch Thereſe, und fuͤhrte mich hinter die Baͤume, wo wir ungeſtoͤrt koſen konn - ten. Das Geſpraͤch beſtand aus Vorwuͤrfen, Ent - ſchuldigungen, Nachrichten, und Betheurungen ewi - ger Liebe u. dergl. Leſer von Erfahrung wiſſen, was wir reden konnten. Zuletzt offenbarte ich Theres - chen das Geſpraͤch ihrer Baſe. Sie war ſehr froh daruͤber, und ſagte mir, daß ich am folgenden Tage unter meinem eignen Namen in ihrer Wohnung erſcheinen ſollte. Die Baſe ſoll doch ſehen, ſetzte ſie hinzu, daß Laukhard kein Schuft iſt: kommen Sie, wir wollen nach der Stadt gehen.

Ich begleitete mein Maͤdchen bis an ihre Woh - nung, wo die Baſe zum Fenſter heraus ſahe, und mich bat, herein zu kommen; aber das war wider unſre Abrede. Ich entſchuldigte mich, gab Geſchaͤfte vor, und ging weiter.

Ein Hanswurſt hatte einige Tage vorher in Manheim durch ſeine ſieben Kuͤnſte die Beutel der Muͤßiggaͤnger, der Domherren und des uͤbrigen hei - ligen und unheiligen Poͤbels in Contribution geſetzt, und hielt ſich jetzt in Frankenthal auf, um ſeine Poſſen auch da zu benutzen. Eine große Menge Manheimer, ſo erbaulich iſt auch da der Ge -123 ſchmack! fuhren, ritten und gingen nach Fran - kenthal, und auch ich ließ mich von Herrn Emons bereden, in einer Kaleſche ihn dahin zu begleiten. Der Hanswurſt balanſirte auf dem Drath, ließ Ma - rionetten ſpielen u. ſ. f. wobei das Zuſchauervolk ſein Zwerchfell maͤchtig voltigiren ließ. Wir ſpeiſeten den Abend im Wirthshaus; aber wie fuhr ich zuſammen, als ich den Kupferſchmid Keßler von Alzey gewahr wurde! er logirte im naͤmlichen Gaſthofe. Er fragte mich nach der Urſach meines dortigen Aufenthalts: Herr Dietſch von Frankfurt, antwortete ich, hat mich zu dieſer Reiſe bewogen, und Keßler fragte nicht weiter.

Nachts um eilf Uhr war ich wieder bei meinem Freund Sternwirth. Fruͤh kam die Magd der Madam .... und bat mich im Namen ihrer Herr - ſchaft, doch gegen neun Uhr zum Fruͤhſtuͤck zu er - ſcheinen. Ich flog um die beſtimmte Stunde dahin. Ach, ſagte die Baſe, Sie haben mich ſchoͤn ange - fuͤhrt! aber dafuͤr haben Sie geſtern Ihren Text hoͤren muͤſſen! Wir wollen es gegen einander aufheben, und gute Freunde ſeyn! Mit dieſen Worten nahm ſie mich bei der Hand, und ſetzte mich neben ſich.

Nun ward das Geſpraͤch ſehr ernſthaft, ſo ernſthaft, daß Thereschen ſich wegbegab. Es wur - de, damit ichs kurz mache, der Entſchluß gefaßt,124 daß ich zwar fuͤr jetzt in Gießen bleiben, aber in den Herbſt-Ferien meine Eltern beſuchen ſollte. In - zwiſchen wuͤrde ſich ſchon ein Mittel zeigen, unſern großen Zweck auszufuͤhren. Das war die ganze Ab - rede. Ich blieb noch zwei Tage in Manheim, ſah alle Tage mein liebes Maͤdchen, und reiſete dann mit ſchwerem Herzen wieder ab. Meinen Ruͤckweg nahm ich durch die Bergſtraße, und kam nach einer Abweſenheit von ohngefaͤhr zwoͤlf oder dreizehn Ta - gen in Gießen wieder an.

Vierzehntes Kapitel.

Nichts zu voreilig, meine Herren!

Meine Kameraden ließen ſich leicht bereden, daß ich in Weilburg geweſen waͤre, und waren fideelp)froh, daß ſie mich wieder ſahen.

Ich hatte einige Kollegia bei Hn. Boͤhm, naͤm - lich die Logik und reine Mathematik, welche letztere er zwar nach Wolffs Auszug, aber doch mehr nach dem vortrefflichſten aller mathematiſchen Lehrbuͤcher125 des Herrn Kaͤſtnersq)Seit Kaͤſtners Lehrbuch haͤtte billig kein anderes uͤber dieſe Wiſſenſchaft ſollen geſchrieben werden. Alle an - dere, das Karſteuſche ſelbſt nicht ausgenommen, blei - ben weit hinter ihm. ſehr gruͤndlich lehrte. Dann beſuchte ich das Grammatikale Hebraͤum des Herrn Link, welches aber ſo traurig war, daß ich es ſchon mit der ſechſten Stunde aufgab. Die allgemeine Geſchichte hoͤrte ich bei Herrn Koͤſter, und die Dog - matik bei Hrn. Schulz. Letzterem gab ich nun auch den Abſchied, weil ich ſeit meiner Conferenz mit der Baſe meines Thereschens feſt entſchloſſen war, blos ſchoͤne Wiſſenſchaften, Mathematik und Geſchichte zu treiben, um meinen großen Zweck deſto eher zu erreichen.

Ich war ziemlich fleißig, ſchwaͤnzter)Schwaͤnzen heißt, nach der Studenten-Sprache, die Vorleſungen verſaͤumen. nie, und ließ es an guter Repetition nur ſelten fehlen. Herr Koͤſter borgte mir manches gute Buch, aus dem ich viel lernen konnte. So las ich damals ſchon die treffliche Theodicee des unſterblichen Leibnitz, und ge - rieth oft in gewaltigen Enthuſiasmus, wenn ich eins ſeiner Argumente gefaßt zu haben glaubte. Beiher habe ich auch im erſten Sommer meines Aufenthalts zu Gießen den ganzen Ovidius und den ganzen Taci - tus geleſen. Beim Tacitus hatte ich eine franzoͤſiſche126 Ueberſetzung zu Huͤlfe, die zwar ſehr alt, aber zum Verſtehen des Schriftſtellers ſehr dienlich war. Auch legte ich mich aufs Italiaͤniſche, und brachte es unter der Anleitung eines gewiſſen Exkapuziners von Modena, Paters Brunelli, innerhalb drei Mo - naten ſo weit, daß ich ohne Muͤhe ein italiaͤniſches Buch, auch wohl einen italiaͤniſchen Dichter leſen konn - te. Herr Schmid hat mir damals die Komoͤdien des Goldoni, und den Taſſo geborgt, wofuͤr ich ihm hiermit oͤffentlich danke, damit er mich nicht auch in Abſicht Seiner des Undanks beſchuldige, wie er in Abſicht des Herrn Kochs gethan hat.

Es mochten wol vier Wochen ſeit meiner Rei - ſe nach Manheim verfloſſen ſeyn, als ein Brief von meinem Vater ankam. Das war ein Brief! Schrecklicher, als er darin auf mich loszog, kann ein Musketier-Kapitaͤn nicht auf einen Soldaten los - ziehen, der die Parade verſchlafen hat. Er hatte von dem Alzeyer Keßler meine Donkiſchotts-Reiſe erfahren; und die Urſache davon konnte er ſich leicht hinzudenken. Er wußte, daß Thereſe in Man - heim war, und mußte alſo auch ſchließen, daß ich ſie da geſehen und geſprochen hatte. Er drohte mir, mich von Gießen wegzunehmen, und nach Koppen - hagen auf die Univerſitaͤt zu ſchicken: da ſollte es mir wol vergehen, nach Manheim zu reiſen! Er wollte mit aller Gewalt meine unwuͤrdige Liebſchaft127 ſtoͤren: da muͤßte ſonſt der Henker drein ſitzen u. ſ. w. Sogleich ſollte ich antworten, und den Verlauf mei - ner Reiſe aufrichtig und ohne Umſchweife erzaͤhlen: er wiſſe doch ſchon alles, und wenn ich nicht aufrich - tig waͤre; ſo wuͤrde er ſelbſt nach Gießen kommen, und mich nach Koppenhagen hinfuͤhren in eigner Perſon.

Dieſe Drohung ſchlug mich gewaltig nieder: denn ich fuͤrchtete nichts ſo ſehr, als nach Daͤnemark geſchickt zu werden. Um alſo dieſem Uebel vorzu - beugen, antwortete ich, daß ich zwar in Manheim geweſen, aber blos mit einem guten Freunde dahin gereiſet ſey, der im Elſaß zu Hauſe waͤre, und zu Gießen ſtudiert haͤtte. Ich leugnete geradezu, The - reſen geſehen zu haben: ich wuͤßte ja nicht einmal, daß ſie ſich in Manheim aufhielte! Uebrigens raͤum - te ich ein, einen erzbummen Streich gemacht zu ha - ben; verſprach aber, mich zu beſſern, und bat um Verzeihung. Ich hatte meinen Brief lateiniſch ge - ſchrieben und brav mit griechiſchen Stellen ausſtaf - firt, welches meinem Vater denn dergeſtalt behagte, daß er mir verzieh, und mich nur noch zum Gehor - ſam anwieß.

Nun war ich wieder getroͤſtet! Aber der an - gelobte Gehorſam blieb aus: ich wechſelte von der Zeit an beſtaͤndig mit Mamſell Thereschen Briefe, und ſchrieb auch von Zeit zu Zeit an den Paſtor128 Neuner. Dieſer gute Mann ermahnte mich, fleißig gute katholiſche Buͤcher zu leſen; und dem zufolge hohlte ich mir auf der Univerſitaͤts-Bibliothek das Manuale Controverſiarum Becani, eines gelehr - ten Jeſuiten. Ich habe mich hernach oft gewundert, wie ich ſchon damals im Stande war, einen alten polemiſchen Klopfechter, wie Becani Manuale iſt, mit Aufmerkſamkeit und Lernbegierde zu leſen. Die Folge zu ſeiner Zeit.

Funfzehntes Kapitel.

Die Muſenſoͤhne ſind oft ſehr boͤsartige Kinder!

Ohngefaͤhr im Monat Auguſt dieſes Jahrs entſtan - den in Gießen die Eulerkappereien, welche mir und vielen andern zu ſchaffen gemacht haben: ſie verdienen daher allerdings eine Stelle in meiner Biographie. Ich muß aber zum voraus den Ur - ſprung dieſer Benennung erklaͤren.

Zu Gießen am Wagengaͤßchen, wohnte ein ge - wiſſer Euler, welcher in ſeiner Jugend Theologie ſtudiert hatte, hernach aber wegen eines illegalen Beitrags zur Bevoͤlkerung, der durch ſeines Vaters Magd zum Vorſchein gekommen war, die Hoffnung verlohr, ein geiſtliches Amt zu bekleiden. Er hatte129 die Maͤdchenſchule in Gießen angenommen, war da - bei Leichenbitter, Kantor in der Zuchthauskirche, und Klingelbeuteltraͤger in der Stadtkirche. Dieſer Euler, oder nach dem Eckelnamen, den ihm die Studenten gegeben hatten, Eulerkapper, war ein aͤußerſt laͤcherlicher Menſch: ſeine Minen, ſein An - zug, ſein Gang, kurz, alles war ſo auffallend beſchaf - fen, daß ihn niemand anſehen konnte, ohne uͤber - laut zu lachen. Er war eben darum der allgemeine Gegenſtand fuͤr die Neckereien der Gießer Studenten: und dieſe Neckereien nannte man Eulerkap - pereien. Was man alles mit ihm vorgenommen hat, lehrt unter andern folgendes.

Neben Eulerkappern wohnte ein Student, welcher aus ſeinem Kammerfenſter gerade in deſſen Putzſtube ſehen konnte. Der Student nahm einmal den Zeitpunkt in Acht, als das Fenſter dieſer Putz - ſtube offen ſtand, befeſtigte ſeinen Kammertopf an eine Stange, langte dieſelbe hinuͤber und leerte den Topf es war Unrath von verſchiedener Gattung darin in der Putzſtube aus. Euler mußte das Ding bald erfahren, mußte auf den Urheber ſchließen, und nun war es ganz natuͤrlich, daß er ihn beim Rector verklagte.

Der Student wurde vorgefordert, er lehnte aber die Beſchuldigung von ſich ab, durch Vorgeben:Erſter Theil. I130daß manche Burſche in ſeiner Abweſenheit auf ſeine Stube zu gehen pflegten, und da koͤnnte es immer ſeyn, daß ſie den Muthwillen veruͤbt haͤtten. Er fuͤr ſeine Perſon waͤre von dergleichen ſchmutzigen Affaͤren weit entfernt. Auf dieſe Art kam Bru - der Schacht eben der, von dem oben geſprochen iſt ohne Strafe davon, und der Rector lachte blos uͤber den Einfall, einen Kammertopf in ein fremdes Viſitenzimmer auszuleeren.

Den folgenden Sonntag verſammelte Herr Schacht eine große Menge Studenten auf ſeine Stu - be. Kaum war Euler mit Frau und Tochter zur Kirche, ſo wurde ſein Fenſter mit einer Stange ein - geſtoßen, und auf die vorhin beſchriebene Art eine Menge Ladungen in die Putzſtube transportirt. Eu - ler erfuhr ſchon auf dem Ruͤckweg nach Hauſe, was vorgefallen war. Er klagte; aber nun halfen dem guten Schacht ſeine Ausfluͤche nicht: er mußte vier Tage ins Karcer, mußte Eulern das Fenſter neu einſcheiben laſſen, und dreißig Kreutzer zur Reinigung der Putzſtube hergeben.

Zu Gießen war es damals Mode, daß ein in - karcerirter Student einen andern des Nachts zur Ge - ſellſchaft bei ſich haben konnte. Herr Schacht waͤhlte mich dazu: ich ging hin, und hier verbanden wir uns, den Euler forthin auf alle moͤgliche Art zu necken und zu beſchimpfen. Ich hielt redlich Wort,131 wie ich denn uͤberhaupt bei dergleichen Verſprechun - gen niemals wortbruͤchig geworden bin. Waͤre ich nur in andern Dingen auch ſo genau geweſen!! Ich hielt Wort, und perirte den Eulerkapper gleich am folgenden Abend, und warf ihm die Fenſter ein. Aber das Ungluͤck wollte, daß ich erkannt und beim Prorector angegeben wurde. Dieſer dictirte mir zwei Tage Karcer, und die Unkoſten fuͤr die einge - worfenen Fenſterſcheiben. Einige andre Freunde, welche den Eulerkapper auch perirt hatten, kamen gleichfalls aufs Karcer, oder wie man in Gießen ſpricht, nach Cordanopoliss)Der damalige Karcerknecht eine recht gute Anſtalt iſt das mit dem Gießer Karcerknecht! hieß Conrad. Dieſen Namen veraͤnderten die Studenten in Corda - nus, und das Karcer hieß daher, und heißt noch Cor - danopolis.. Daruͤber ergrimmte die ganze Burſchenſchaft, und ſchwur dem Eulerkapper den Tod.

Schacht indicirte nun ein Parlament, wel - ches ſich im Rappen verſammelte, und ein Urtheil uͤber den Eulerkapper ſprechen ſollte. Das Parla - ment kam zuſammen, Schacht redete, nachdem jeder ſeinen Bierkrug vor ſich, und ſeine Pfeiffe angeſteckt hatte, die Verſammlung an, und ſtellte ihr vor, wie Euler, der Maͤdchenſchulmeiſter, bisher Urſache geweſen ſey, daß ſo manche brave honorige Burſche132 ins Karcer gekommen und ſonſt geſtraft worden waͤ - ren; daß alſo eine allgemeine Entſcheidung zu faſſen ſey, wie man es in Zukunft mit dem Euler halten ſollte. Er fuͤr ſein Theil faͤnde nothwendig, daß man ihm einen angemeßnen Eckelnamen beilegte. Hierauf wurde debattirt und endlich beſchloſſen: daß der Maͤdchenſchulmeiſter Euler in Zukunft Eulerkap - per heißen und jeder Burſche ihn wenigſtens einmal die Woche periren ſollte. Die Perificationsformel wurde auch durch die meiſten Stimmen folgender - maßen angegeben: Es leben Ihre Magnifizenz, der Herr Johann Heinrich Eulerkapper, Ritter von Fellago, des heiligen Roͤmiſchen Reichs Großkron - eſelsohrtraͤger, Hunzfott und Schwerdtfeger, hoch und abermal hoch und noch einmal hoch! Pereat Eulerkapper! Dabei ſollte, wenn ſichs ſonſt thun ließe, der Perifikant dem Eulerkapper auch die Fenſter einwerfen.

Das loͤbliche Parlament gab gleich denſelben Abend ein Beiſpiel der Befolgung der ſancirten Ge - ſetze. Alle Aſſeſſoren, nachdem ſie ſich derb benebelt hatten, zogen vor des armen Mannes Haus und perirten ihn in der beſten Form. Der Eulerkapper, welcher ſich nicht getrauete, vor ſeine Thuͤr zu treten, mußte dem Laͤrmen ohngeraͤcht zuhoͤren: denn er kannte niemanden, war alſo nicht im Stande, einen Perifikanten bei der Obrigkeit anzugeben.

133

Seit dem Parlamentstage hatten die Kappe - reien kein Ende: alle Abende wurde von mehr als hundert Studenten, pereat Eulerkapper, gegroͤlt, und eine Fenſterkanonade vorgenommen. Ja, einſt perirten ihn gar zwei junge Frauenzimmer. Es blieb aber nicht beim Periren und Fenſtereinſchmeißen allein: es wurden auch Pasquille, Liedchen und ſcheußliche Gemaͤlde gemacht, und aller Orten, be - ſonders in der Gegend des Hauſes dieſes geplagten Schulmeiſters, angeklebt.

Da ſo oft Studenten vom Kapper erkannt wurden; ſo kamen auch nicht wenige aufs Karcer. Freilich war dieſe Strafe niemals ſcharf: ein, hoͤch - ſtens zwei, bei oͤfterer Wiederholung auch drei oder vier Tage Arreſt, war die ganze Zuͤchtigung nebſt der Bezahlung der zerſchmiſſenen Fenſterſcheiben. Der Rector lachte allemal, wenn er jemanden wegen Kapperei vorhatte. Vorzuͤglich gefielen dieſe Poſſen dem Herrn Bechtold, welcher mich beſonders, frei - lich im Spaß und mit großem Gelaͤchter, des Satans Engel hieß, der Eulerkappern mit Faͤuſten ſchluͤge. Dafuͤr muſte ich indeß doch nach Cordanopolis wan - dern.

Ehemals war das Karcer in Gießen ſo wie die Karcer auf andern Univerſitaͤten, blos mit dem Na - men derer bemalt, welche in demſelben kampirt hat - ten; aber ſeit der Eulerkappereien fings auch an, an134 den Waͤnden tapezirt zu werden. Anfangs wurde blos der Eulerkapper gerade der Thuͤr gegen uͤber ge - malt mit ſchwarzem Rock, gelber Weſte, rothen Beinkleidern u. ſ. w. Bald hernach wurde ein Teu - fel in ſcheußlicher Geſtalt vor ihm hingeſtellt, der ihm Bruͤderſchaft zutrank. Die Malerei blieb nicht beim Eulerkapper ſtehen: es wurden noch mehr Perſonen mit Epigrammen abkonterfeiet, und auf dieſe Art wurden alle Waͤnde ſo voll, daß innerhalb Jah - resfriſt kein Platz zu Portraͤts uͤbrig blieb.

Ein gewiſſer Student, Namens Anaker ſollte einmal eingeſteckt werden; er ſtellte aber gleich am erſten Abend bei Herrn Bechtold vor, daß er ſich vor den vielen im Karcer abgemalten Teufeln fuͤrchte, und wurde losgelaſſen. Als ich vor einigen Jahren durch Gießen reiſete, waren noch die meiſten dieſer Gruppen im Karcer ſichtbar. Doch genug hiervon! Man muß die Nachſicht ſeiner Leſer nicht mis - brauchen.

Sechszehntes Kapitel.

Illiacos intra muros peccatur et extra!

Die Stadt Wezlar habe ich bald nach meiner An - kunft in Gießen beſucht. Sie liegt kaum drei Stun -135 den von da, und iſt ein ungleiches, ruſtiges, ſchlecht gebautes Neſt. Die Stadt iſt gemiſchter Religion. Die Geiſtlichkeit derſelben iſt ſo bigot, daß man wohl ſchwerlich in der Welt bigotteres Grob antref - fen wird. Nur ein Proͤbchen hiervon.

Kurz vor meiner Zeit hatte ſich der Sekretaͤr Jeruſalem, der Sohn des beruͤhmten Abts Jeru - ſalem aus Haß gegen einen Geſandten und aus Liebe zur Tochter des Amtmanns Buff, erſchoſſen. Man ſagte damals in Gießen und Wetzlar, daß eine Belei - digung, welche Jeruſalem in dem Hauſe des Praͤſi - denten, Grafen von Spauer, habe erdulden muͤßen, bei dem ſehr empfindlichen und ſtolzen Juͤngling das meiſte zu dieſem traurigen Entſchluß gewirkt habe. Genug, Jeruſalem erſchoß ſich: und nun hatte es Schwierigkeit mit ſeiner Begraͤbnißſtaͤtte. Der Amt - mann Buff, ein redlicher Mann, bath den Pfarrer Pilger um die Erlaubniß, die Leiche des Ungluͤck - lichen auf den Gottesacker zu begraben: aber der Pfaffe, der leider in dieſer Sache zu befehlen hatte, ſah jeden Selbſtmoͤrder als ein Aas an, das eigent - lich fuͤr den Schinder gehoͤre, und verſagte die Er - laubniß. Kaum konnte der Graf v. Spauer, der ſich recht thaͤtlich fuͤr Jeruſalems ehrliche Beerdigung intereſſirte, ſoviel erhalten, daß der Erblaßte auf einer Ecke des Gottesackers durfte begraben werden. Der Paſtor Pilger hat hernach mehreer Predigten136 wider den Selbſtmord gehalten, und den guten Je - ruſalem ſo kenntlich beſchrieben, daß jederman merk - te, er ſey es, der nun in der Hoͤlle an eben dem Orte ewig brennen muͤße, wo Judas der Verraͤther brennt, der ſich erhenkte, mitten entzwei barſtete und all ſein Eingeweide ausſchuͤttete. (Act. 1, 18)

So elend Wezlar ſonſt iſt, ſo volkreich iſt es wegen des dortigen Reichskammergerichts. Da giebt es außer den vieler Aſſeſſoren, Prokuratoren, Advo - katen, Notarien und Skribaxen, wovon alle Gaſſen wimmeln, und welche ſich alle gewoͤhnlich ſchwarz kleiden, auch noch eine Menge von Fremden, wel - che dahin kommen, den Gang ihrer Proceſſe zu be - foͤrdern, d. i. die Referenten auszuſpaͤhen, denen ihre Acten uͤbergeben ſind, und dieſe dann mit baa - rem ſchweren Gelde, oden ſonſt etwas zu beſte - chent)Daß dieſes und noch vielmehr in Wezlar gaͤng und gaͤbe ſey, lehrt die vor 20 Jahren angeſtellte Viſitation, wobei Herr von Nettelbla, Herr von Papius, und mehr andere Herrn von und nicht von als Schelme ſich aus dem Staube machen muſten, um dem Galgen, den ihnen Kaiſer Joſeph II. gedrohet hatte, zu entge - hen. Moſers Staastrecht giebt Auskunft daruͤber..

Bei dieſer großen Volksmenge fehlt es nicht an allerhand Vergnuͤgungen, an anſtaͤndigen und unan - ſtaͤndigen, wie einer Luſt hat. Oft halten ſich, zum Beiſpiel, Komoͤdianten da auf, welche aber meiſtens137 ſo elend ſpielen, wie weiland Signor Schmettau in Paſſendorf, oder der Signor, welcher dieſen Win - ter, 1792, in Merſeburg die beſten Stuͤcke ſo fein radebrechen konnte. Mein Geſchmack iſt wahrlich nicht fein; aber von den vielen Schauſpielen, wel - chen ich in Wetzlar beiwohnte, hat mir auch nicht eins gefallen. Einſt ſah ich Leßings Emilia Ga - lotti: da agirte Odoardo wie ein beſoffener Korporal, Marinelli wie ein Hanswurſt, und der Prinz natuͤr - lich wie ein Schuhknecht. Klaudia ſah aus, wie eine Paſtorswittwe, Emilia wie ein Hockenmaͤdchen, und die Graͤfin Orſina endlich wie eine kuraſchirte derbe Burſchen-Aufwaͤrterin. Schreien konnten die Kerls und die Menſcher, als wenn alle halb taub geweſen waͤren. So war die Komoͤdie! dem aber ohngeachtet klatſchten die Wezlariſche Herren und Da - men, als ſpielte ein Garrik!

Das Entree koſtete indeſſen auch nicht viel drei Batzen auf dem Parterr! Und fuͤr kupfer-Geld kriegt man auch nur kupferne Seelmeſſen! Daher iſt das Theater immer ſchlecht erleuchtet, und die Muſik ganz abſcheulich. Nirgends kann eine Muſik elender ſeyn, als ſie dort im Schauſpielhauſe und auf den Baͤllen iſt. Ordentliche Konzerte hoͤrt man da nicht, wenigſtens zu meiner Zeit nicht; dann und wann, eben wie in Gießen, kommt ein Fremder, und laͤßt ſich hoͤren. Sonſt giebts Karruſſel u. d. g, in Wez -138 lar, auch einige Gaͤrten, wo man ſich ſo ziemlich zerſtreuen kann.

Die Gießer Studenten beſuchen Wezlar ſehr oft, wie denn uͤberhaupt die Studenten gewohnt ſind, außerhalb des Ortes, wo ſie ſich aufhalten, ihre Vergnuͤgungen aufzuſuchen, geſetzt auch, ſie koͤnnten dergleichen in ihrer Heimath weit beſſer an - treffen. Daß ich nicht lange wartete, dieſen Ort zu beſuchen, laͤßt ſich ſchon aus dem Vorhergehenden abnehmen, da ich uͤberhaupt gern alles das nach - machte, was Leute meines Zirkels und meines Glei - chens zu thun pflegten. Allein mir gefiel das alte Neſt nicht; deſto beſſer aber behagte mir die Tiſchge - ſellſchaft im Adler, weil da Leute aus allerlei Pro - vinzen ſpeißten, und ihre Avantuͤren beim Glas Wein erzaͤhlten, ſo unwahrſcheinlich einige auch klin - gen mochten. Ich habe hernach noch viermal, von Gießen aus, Wezlar beſucht, und mich allemal ge - freut, wenn ich mit Deputirten von Doͤrfern und Staͤdten aus allen Theilen desjenigen deutſchen Reichs, woruͤber die Kammer zu Wezlar noch etwas zu ſagen hat, kannegießern konnte.

Da in Gießen keine Bordelle ſind, und doch die Burſche daſelbſt den Stachel der Sinnlichkeit eben ſo gut fuͤhlen, wie an jedem andern Orte; ſo ziehen die meiſten nach Wezlar, um das Vergnuͤgen zu genießen, ſich mit dem Auswurf des weiblichen139 Geſchlechts zu unterhalten. Freilich ſind außer der Geldzerſplitterung, die uͤbrigen Folgen oft ſehr trau - rig: denn die Wezlariſchen Nymphen ſind groͤßten - theils franzoͤſiſch, und begaben ihre Liebhaber mit einer Galanterie, die alle andere Vergnuͤgungen ver - giftet, ſo lange ſie dauert. Ich ſelbſt warum ſollt 'ichs nicht geſtehen, da ich alles geſtehen will, was mir begegnet iſt, es ſey gut oder boͤſe? Hat ja doch Herr Schubart auch dergleichen von ſich ge - ſtanden? Ich ſelbſt habe die boͤſen Folgen eines Um - gangs mit dergleichen gefaͤlligen Menſchern empfun - den. Im zweiten Halbenjahre meines Aufenthalts in Gießen, ritt ich einmal nach Wezlar in Beglei - tung einiger Burſche. Des Abends gingen wir zu einer gewiſſen Makerelle, welche da unter dem Na - men der Poſtmeiſterin bekannt war, und divertirten uns. Ich hatte nicht Luſt, mich weiter einzulaſſen, als es unter aller Augen geſchehen konnte: ich be - gnuͤgte mich daher mit der Zotologie u. dgl. Allein da meine Kammeraden alle, einer nach dem andern, mit den Maͤdchen verſchwanden, und hernach hoͤchſt vergnuͤgt, wie es ſchien, zuruͤckkamen, da beſonders ein ganz artiges Geſchoͤpfchen ſich mir mehr, als dienlich war, naͤherte; ſo ließ ich mich denn auch vom Satan blenden, und gieng mit ihr in ein Apar - tement, wohin ſchon viele große Maͤnner, auch theologiſche Profeſſoren, Doctoren u. d. gl. gegan -140 gen waren. Einige Tage hernach empfand ich das Geſchenk, welches das Wezlariſche Menſch mir ge - macht hatte. Ich war gleich anfangs ſo gluͤcklich, in die Haͤnde eines geſchickten Studenten der Medi - cin, des jetzigen Herrn Doctor Adrian Diels von Gladenbach, der ſich ſeither durch einige gute Schriften bekannt gemacht hat, zu gerathen. Die - ſer ließ mich eine angemeſſene Diaͤt halten, und ku - rirte mich innerhalb vier Wochen aus dem Grunde. Waͤre ich ungluͤcklich genug geweſen, einem Gießer Quackſalber, deren es dort viele giebt, in die Kral - len zu fallen, vielleicht waͤre meine ſonſt dauerhafte Geſundheit in ihrer Grundfeſte erſchuͤttert und zer - ſtoͤhrt worden.

Ehe ich mein Kapitel von Wezlar ſchließe, muß ich noch etwas von dem Ton, welcher daſelbſt herrſcht, ſagen, und dann eine empfindſame Proceſſion zum Grabe des jungen Werthers erwaͤhnen.

Nirgends in ganz Deutſchland, ſelbſt in Lauch - ſtaͤdt nicht, in Eiſenach nicht, und in Merſeburg nicht, iſt der Ton in den vornehmen Geſellſchaften ſteifer, als eben in Wezlar. Ich habe dieſes zwar nicht aus unmittelbarer Erfahrung: denn der Gießer Student hat wenig Zutritt zu den vornehmen Geſell - ſchaften daſelbſt; allein jeder, den ich daruͤber habe ſprechen hoͤren, und ich habe mehrere Sachkun - dige gehoͤrt, haben mir das ſo geſagt. Der141 Adeliche, und beſonders die adelichen Damen, wiſ - ſen es gar zu gut, daß ſie adlich ſind, und laſſen es jedem, der mit ihnen umgeht, recht empfin - den. Beiher muß man wiſſen, daß der Adel in Wezlar eben nicht durch die Bank ſtiftsmaͤßig iſt, daß viel funkelneue darunter ſind, auch wohl ſolche, welche gar nicht von Adel, aber unverſchaͤmt genug ſind, ſich fuͤr ſolche auszugeben. Haben ſie einen Ball; ſo wird er mit folgenden Worten angezeigt: den und den, iſt im Hauſe des und des Herrn oͤf - fentlicher Ball, woran jeder adeliche Herr und jedes adeliche Frauenzimmer Theil nehmen kann. Einige adeliche Damen nehmen es indeſ - ſen nicht uͤbel, wenn ein buͤrgerlicher, der klingende Muͤnze hat, und ſonſt robuſt iſt, ihnen die Kur macht, und ſich die Muͤhe nimmt, dem hochwohlge - bornen Eheherrn Hoͤrner aufzuſetzen. Beiſpiele ſind verhaßt.

Die Proceſſion nach dem Grabe des armen Jeruſalems wurde im Fruͤhlinge 1776 gehalten. Ein Haufen Wezlariſcher und fremder empfindſamer Seelen beiderlei Geſchlechts beredeten ſich, dem un - gluͤcklichen Opfer des Selbſtgefuͤhls und der Liebe eine Feierlichkeit anzuſtellen, und dem abgefahrnen Geiſte gleichſam zu parentiren. Sie verſammelten ſich an einem zu dieſen Vigilien feſtgeſetzten Tage des Abends, laſen die Leiden des jungen Wer -142 thers von Herrn von Goͤthe vor, und ſangen alle die lieblichen Arien und Geſaͤnge, welche dieſer Fall den Dichterleins entpreßt hat. Nachdem dies geſchehen war, und man tapfer geweint und geheult hatte, gieng der Zug nach dem Kirchhof. Jeder Begleiter trug ein Wachslicht, jeder war ſchwarz ge - kleidet, und hatte einen ſchwarzen Flor vor dem Ge - ſicht. Es war um Mitternacht. Diejenigen Leute, welchen dieſer Zug auf der Straße begegnete, hiel - ten ihn fuͤr eine Proceſſion des hoͤlliſchen Satans, und ſchlugen Kreutze. Als der Zug endlich auf den Kirchhof ankam, ſchloß er einen Kreis um das Grab des theuren Maͤrtyrers, und ſang das Liedchen Ausgelitten haſt du, ausgerungen. Nach Endigung deſſelben trat ein Redner auf, und hielt eine Lobrede auf den Verblichnen, und bewies beiher, daß der Selbſtmord verſteht ſich aus Liebe, erlaubt ſey. Hierauf wurden Bluͤmchen aufs Grab geworfen, tiefe Seufzer herausgekuͤnſtelt, und nach Hauſe gewandert mit einem Schnupfen im Her - zen.

Die Thorheit wurde nach einigen Tagen wieder - holt; als aber der Magiſtrat es ziemlich deutlich merken ließ, daß er im abermaligen Wiederholungs - fall thaͤtlich gegen den Unfug zu Werke gehen wuͤrde; ſo unterblieb die Fortſetzung. Haͤtten lauter junge Laffen, verſchoſſene Haſen und andere Firlefanze, wie143 auch Siegwartiſche Maͤdchen, rothaͤugige Kuſinchen und vierzigjaͤhrige Tanten dieſes Poſſenſpiel getrieben; ſo koͤnnte mans hingehen laſſen: aber es waren Maͤn - ner von hoher Wuͤrde, Kammeraſſeſſoren, und Da - men von Stande. Das war doch unverzeihlich! Und alle die Thorheit hat das ſonſt in ſeiner Art mei - ſterhafte Buͤchlein des Herrn von Goͤthe verurſacht! So relativ wirkſam ſind Vorſtellungen, wenn ein Mann von Anſehen ſie ſo oder ſo ſtafiret!

Das Grab des jungen Werthers wird noch immer beſucht, bis auf den heutigen Tag.

Siebzehntes Kapitel.

Wer einmal Don Quixote gegen ſich ſelbſt iſt, wird es auch gegen Vater und Geliebte!

Ich hatte den Sommer fideel und burſchikos zuge - bracht, hatte mich zweimal geſchlagen, war drei oder viermal im Karzer geſeſſen, und hatte nach den Sta - tuten des eben erwaͤhnten Parlaments den Eulerkap - per bis aufs Leben geketzert. Da freute ſich nun meine Seele, als ich gegen das Ende des Halbjahrs meine Thaten ſo uͤberlegte, und keine einzige fand, warum ich mir wie ich damals dachte haͤtte144 Vorwuͤrfe machen duͤrfen. Das waren aber meine tollen Streiche noch nicht alle.

Einmal war es mir gar eingefallen, einem Ball am Ludwigstage als dem Namenstage des Landgrafen, beizuwohnen. Ich ließ mich deswegen chapeaubas friſiren, zog ſeidne Struͤmpfe an und ging nach dem Rathhauſe zu, wo der Ball gegeben wurde. Unterwegs begegnete mir ein gewiſſer Brumhard, welcher eben dahin wollte. Wir beredeten uns, vor - her zum Stangenwirth ſo hieß der Wirth Bal - thaſar bei den Studenten zu gehen, und da einige Stangen Doppelbier auszuleeren. Als wir ins Bierhaus kamen man ſtelle ſich eine erzraucherige Stube, voll Tabacksqualm vor, wo Studenten, Philiſter und Soldaten beiſammen ſitzen, und Bier trinken: und dann denke man ſich uns beide, ball - maͤßig gekleidet und chapeaubas auf der Bierbank mit einer Stange einem großen Paßglaſe in der Hand: genug, als wir hinkamen, fanden wir ſo viel Bekannte, daß wir bis zehn Uhr verweilten, und uns derb benebelten. Dann fiel es uns ein, auf den Ball zu gehen. Wir gingen hin; aber gleich merkte jederman, daß uns der Kopf ſchwer war. Brumhard hoͤrte, daß man ſich uͤber ihn aufhielt, er fing daher an zu ſpektakeln, bis man ihn endlich zur Thuͤr hinaus transportirte. Er trat hierauf vors Rathhaus und perirte den ganzen Ball: dafuͤr145 mußte er auf einige Tage nach Cordanopolis wan - dern.

Ich war, als dieſes vorgieng, in einem Ne - benzimmer, wo ein gewiſſes Frauenzimmer, welches ich kannte, mir Thee einſchenkte. Es war die De - moiſelle Langsdorf, welche mir beſonders gewo - gen war, weil ich einem dummen Jungen (Musje Lauer hieß er), der ihr einen Eckelnamen einſt gab, derbe Ohrfeigen zugetheilt hatte. Dieſe Heldenthat hatte ſie erfahren, und belohnte mich dafuͤr mit ihrer Freundſchaftu)Woraus ſich die Regel ergiebt: daß man ſich beim Frauenzimmer ſtark in Gunſt ſetzt, wenn man ihrent - wegen Ohrfeigen austheilt. Die alten Ritter waren warlich nicht dumm: ſie wagten noch mehr; aber auch wie's ſich verſteht gegen etwas mehr, als eine Taſſe Thee.. Mamſel Langsdorf hatte wohl geſehen, daß es mit mir nicht richtig war: ſie ſorgte alſo dafuͤr, daß ich im Nebenzimmer blieb, und kei - nen Skandal machte, wie mein Kamerad. Endlich ging ich doch in den Tanzſaal, und tanzte einige Menuets; wie aber das kann man ſchon denken!

Kurz darauf ſchrieb ich meinem Vater, daß jetzt bald Ferien waͤren: er moͤchte mir alſo erlauben, ihn zu beſuchen. Meine Leſer errathen, ohne daßErſter Theil. K146ich es ſage, daß nicht die Begierde, meine Eltern zu ſehen, ſondern ein aufwiegelnder Drang, mein Maͤdchen zu ſprechen, Urſache war, warum ich um dieſe Erlaubniß anhielt. Thereschen war wieder von Manheim nach Hauſe gereiſet, und daß mußte ich: denn ich hatte wohl ein halbes Dutzend Briefe von ihr erhalten, und lauter Briefe, ſo lang, als immer einer aus Sophiens Reiſen ſeyn mag.

Mein Vater mochte das Ding merken: wenig - ſtens ſchrieb er mir: ich ſollte fein huͤbſch in Gie - ßen bleiben, und die Ferien zur Repetition meiner Kollegien anwenden: es ſchicke ſich nicht, daß der Student alle Augenblick von der Univerſitaͤt zu Hauſe lief: das ſaͤhe ja aus, als wollte er ſeiner Mutter Katz 'noch einmal ſehen. So haͤtte ich alſo blei - ben muͤſſen, und waͤre auch wirklich geblieben, wenn nicht ein Vetter von mir, Herr Boͤhmer, damals Hofmeiſter bei einem Herrn von Breidenbach in Mar - burg, ſeine Reiſe durch Gießen genommen, und mich zum Mitreiſen in die Pfalz aufgefodert haͤtte.

Von der Reiſe ſelbſt will ich nichts erwaͤhnen: es iſt mir nichts Merkwuͤrdiges dabei aufgeſtoßen, außer dem folgenden.

Eine halbe Stunde von Wendelsheim wird jaͤhrlich ein beruͤhmter Jahrmarkt unter dem Namen Bellermarkt gehalten, und zwar im blanken147 Felde, woran mehrere Ortſchaften Theil nehmen. Dahin kommen Kaufleute und Kraͤmer viele Meilen her von Mainz, Worms, Manheim, ja ſogar von Frankfurt und Strasburg. Es werden auch eine Menge Weinhuͤtten, ohngefaͤhr 50, errichtet, und von allen Bierfiedlern aus dem ganzen Umkreis her bemuſicirt. Daher beſucht die dortige Gegend von weit her den Jahrmarkt. Da findet man Graͤfliche und Adeliche, Civilbediente und Prediger, Frauenzimmer von Stande, auch Hans und Gretel, Creti und Plethi, nebſt einer anſehnlichen Menge Toͤchter der Freude, und die Anzahl dieſer letztern ſoll ſich, wie man ſagt, noch jaͤhrlich vermehren.

Ich hoͤrte in Flonheim, daß heute eben der erſte Bellermarktstag waͤre. Das war mir eine er - wuͤnſchte Nachricht. Ich hatte von Alzey aus ein Pferd mitgenommen, und nun ſtatt nach Wendels - heim zu reiten, ritt ich à la Burſch angezogen, mit einem derben Hieber verſehen, auf den Bellermarkt. Gleich vorne an traf ich den〈…〉〈…〉 chen Toͤpfer Engel aus Wendelsheim, der da ſein irdenes Geſchirr feil hatte.

Engel: Ei Herr Jeh! Muſche Fritz, will - kum! Ach um Gottes Wille, wo kumme Sie dann her?

Ich: Heute nicht weiter, als von Alzey. Hoͤr Er, Meiſter, iſt mein Vater hier?

148

Engel: Noch nit: er werd abber doch bal kumme. Die Mammeſe kimt och, un och die Tan - teſe, (Mamma und Tante.)

Ich: Iſt ſonſt kein Bekannter hier?

Engel: (vertraulich) Muſche Fritz, Ehr Menſch, (Ihre Geliebte) es ſchun da mit ehrem Babe (Papa).

Ich: Das waͤre! Und wo ſind die, mein lie - ber Meiſter?

Engel: Da unne in Bremshuͤtt.

Ich: Da muß ich gleich hin! à propos Lie - ber! ich habe eine Bitte an Ihn.

Engel: Wann eichs (ich es) thu kan, mit Froͤde.

Ich: Kann er mir einige Gulden vorſtrecken, bis wir nach Hauſe kammen?

Engel: (ſehr freudig) Ei warum nit! Eich will Ehne zehn Gulle gebe: hun Se damet genuk?

Ich: Mit der Haͤlfte! wenn ich nur fuͤnf Gul - den habe.

Engel: (zaͤhlt Geld) Naͤ, da ſeyn Zehn Gulle, Es ſchun gut. Se (zu) Wennelshem gebe Se mer ſe wedder.

Auf dieſe Weiſe war mein Beutel wieder in Ordnung, welcher auf der Reiſe, beſonders zu Frankfurt, ziemlich ſchwindſuͤchtig geworden war. 149Hierauf band ich mein Pferd an den Wagen des ehr - lichen Engels, und ging, mein Maͤdchen aufzuſu - chen. Ich fand ſie bald; aber wie roth ward ſie uͤber und uͤber, als ſie mich erblickte! Ihr Vater ſchuͤttelte mir indeß traulich die Hand, und bewill - kommte mich, als waͤre ich ſein Sohn geweſen. Aber wegen der Herumſtehenden konnten wir nichts reden, was zur Sache gehoͤrte. Vielmehr ermahn - te er mich, ihn und ſeiner Tochter zu verlaſ - ſen, damit uns mein Vater, der wahrſcheinlich auch kommen wuͤrde, nicht zuſammen faͤnde, und hernach von neuem laͤrmte. Ich fand dieſen Grund vernuͤnf - tig, empfahl mich, verſprach aber, den folgenden Morgen ſie wieder zu beſuchen, und ging.

Weit von Bremshuͤtte ſetzte ich mich in eine andere, worin ich einige geiſtliche Herren, die ich kannte, ſah, und fing an, à la Burſch zu zechen. Kaum hatte ich einen Schoppen Wein geleert, als mein Vater mit einer ſtarken Geſellſchaft vorbeiging. Ich lief auf ihn zu, gruͤßte ihn: und der gute Mann, ſo unerwartet ihm auch mein Hervortreten war, gab doch ſein Vergnuͤgen zu erkennen, daß er mich ſah. Ich meldete ihm die Veranlaſſung zu dieſer Reiſe durch Herrn Boͤhmer, und er glaubte alles, oder ſchien es doch zu glauben, was ich ihm ſagte. Wir waren recht vergnuͤgt: es war da alles ſo philanthro - piniſch! keiner nahm dem andern etwas uͤbel.

150

Den Abend ging es nach Wendelsheim: mein Vater und ſeine Geſellſchaft zu Fuße; ich aber ritt ganz burſchikos neben her, und ſprach vom Kom - ment. Meinem Vater misfiel dies, wie ich aus ſeiner verdrieslichen Mine merkte; die andern ſchie - nen aber ganz Ohr zu ſeyn. Endlich kamen wir an, und die Bauern und Nachbarn liefen alle zuſammen, den Muſche Fritz, den ſie ſeit dem Jaͤnner nicht ge - ſehen hatten, zu beſchauen, ob er auch recht benge - lich (ſtark und robuſt) geworden waͤre. Mein Va - ter fragte mich, woher ich das Roß haͤtte, und da log ich ihm vor, ich habe es zu Flonheim genommen, wo noch ein Bekannter von mir ſich aufhielte: ich wuͤrde es den folgenden Morgen wieder dahin reiten: und ſo fragte er nicht weiter.

Ich war freilich ſehr muͤde, und haͤtte gern den andern Tag geſchlafen bis 8 Uhr; aber ich wollte ja Thereschen beſuchen! Das weckte mich ſchon um fuͤnfe. Ich ſtand auf, zog mich an, und friſirte mich, ſo gut ach konnte; ſodann mußte unſer Knecht das Pferd ſatteln, und darauf gings fort, noch lange vorher, ehe mein Vater aufſtand.

Als ich zu Thereſen kam, war ſie eben aufge - ſtanden, und noch ganz im Negliſchee. Ich genoß da wieder ſelige Augenblicke! Es wurde alles in Bei - ſeyn ihres Vaters wiederholt, was ſchon mehrmals war verabredet worden, beſonders an Pfingſten in151 Manheim. Das Pferd ſchickte ich durch einen Bo - ten nach Alzey, und begab mich bald zu Fuße zuruͤck, um wenigſtens zum Mittags-Eſſen zu Hauſe zu ſeyn, und meinem Vater Argwohn zu erſparen. Der gute Alte hat auch nicht gemerkt, daß ich ihn gleich am erſten Tage hintergangen hatte. So leichtſinnig iſt man, ſo lange man noch unſtaͤtig iſt!

Der Bellermarkt ging ganz in Jubel voruͤber, und ich ſah mein Maͤdchen noch einmal daſelbſt. Aber wenn ich mich nun ſo unterſuchte; ſo fand ich, daß meine ſonſt ſo feurige Liebe, viel von ihrer Staͤrke verloren hatte. Die lange Abweſenheit hatte ſie wahrlich nicht geſchwaͤcht: denn noch, als ich mit dem Toͤpfer Engel redete, war Thereſens Bild ſo in meiner Seele, daß es dieſelbe ganz und gar aus - fuͤllte: nur als ich ſie in der Weinhuͤtte ſah, nahm das Bild an Lebhaftigkeit ab, und wurde jedesmal, ſo oft ich nachher bei ihr war, ſchwaͤcher. Ob die kleinlichen Verhaͤltniſſe ihres Aufenthalts in der Huͤt - te, ſie ſelbſt bei mir verkleinert, oder ob die vielen und rauſchenden Zerſtreuungen meine Empfaͤnglichkeit fuͤr ſie vermindert hatten, weiß ich nicht: genug, ich fuͤhlte nach acht Tagen Aufenthalt in der Pfalz, keinen allgewaltigen Drang mehr, mein Maͤdchen zu beſuchen, und war in ihrer Abweſenheit ſogar auf - geraͤumt. Eine neue Liebſchaft hatte hieran keinen Antheil: denn ich kann ſchwoͤren, daß damals kein152 Maͤdchen außer Thereſen meine Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Kurz, mein Enthuſiasmus in der Liebe hatte nachgelaſſen. Der Verſuch alſo, mich uͤber die - ſen Punkt auszuſpaͤhen, mislang meinem Vater: er fragte mich naͤmlich, ob ich nicht Luſt haͤtte, den Amtmann ..... zu beſuchen? Er ſey immer ein Freund unſerer Familie geweſen: auch wuͤrde hoffent - lich die Lapperei mit ſeiner Tochter ſo nannte er unſre Liebſchaft nun ihr Ende erreicht haben. Ich ſagte ihm ganz unbefangen: wenn er es haben wollte, ſo wuͤrde ich ihn beſuchen, wenn er aber im geringſten beſorgt waͤre, daß ich wieder in meine vorigen Schwachheiten zuruͤckfallen moͤchte; ſo ſollte es nicht geſchehen. Mein Vater war damit zufrie - den, und verſprach mir, daß er ſelbſt mit mir zum Amtmann gehen wollte. Das geſchah auch einige Tage hernach; aber unſere Zuſammenkunft war ſo ziemlich kalt und gleichguͤltig. Thereſe ſelbſt ſchien mich nicht mehr als ihren Einzigen zu betrachten. Vielleicht hatte ſie einige Erkaͤltung in meiner Liebe gegen ſich bemerkt: und Bemerkungen von der Art, ziehen etwas aͤhnliches nach ſich: vielleicht Doch die Zeiten aͤndern ſich mit uns, und wir mit ihnen.

Ich hab einmal geleſen, ich glaub 'es war in der Mariane von Mariveaux, daß Liebe ſo lange ihre Herrſchaft ausuͤbe, bis ein anderer Ge -153 genſtand, oder bis Eckel, Alter oder grobe Belei - digung andre Leidenſchaften rege machten, oder ſie vertilgten. Das iſt aber nicht wahr: Liebe vergehet wie hitzige Krankheit. Heftig iſt ihr Anfall, und heftig ſind ihre erſten Paroxismen: dieſe laſſen nach, und hoͤren endlich gar auf. Dann brauchts nur ein klein wenig Arzenei: und die ganze Krankheit iſt ge - hoben. Aber freilich iſt die erſte Leidenſchaft dieſer Art von wunderbar langer Dauer, wenn man ſie gegen andre Liebſchaften haͤlt, die mancher hernach in der Welt angiebt. Vielleicht theile ich derer noch mehrere mit: einige muß ich ſchon mittheilen, denn ohne ſie zu kennen, wuͤrden einige meiner Begeben - heiten nicht leicht zu erklaͤren ſeyn. Doch genug davon.

Waͤhrend meines damaligen Auffenthalts in der Pfalz, hatte ich auch einigemal Gelegenheit, mit einigen Herren Paſtoren und andern orthodoxen Her - ren uͤber Gegenſtaͤnde der Theologie zu diſputiren, von der ich freilich damals noch blutwenig wußte. Ich hatte aber doch gehoͤrt, daß die Gottheit des Herrn Chriſtus anfinge, ſtark bezweifelt zu werden: daß Bahrdt die Eiwigkeit der Hoͤllenſtrafen, die Kraft der Taufe bei kleinen Kindern u. ſ. w. leug - nete: daß Semler in Halle ganz neue Grundſaͤtze uͤber den Kanon aufgeſtellt haͤtte, und was der - gleichen Weisheiten mehr waren. Ich brachte meine154 Saͤtze, die ich noch ſo vom Hoͤren-ſagen hatte, und eben darum nur halb vertheidigen konnte, aller Or - ten vor: man widerſprach mir maͤchtig; ich war aber immer gluͤcklich genug, meine Gegner in die Enge zu treiben, und freute mich allemal in der Seele, wenn ſo ein Herr Paſtor nicht weiter fortkonnte, und ſeine Zuflucht zu Machtſpruͤchen, und Schim - pfereien nehmen mußte. Herr Pfarrer Mach - wirth von Morſchheim wurde einſt uͤber Tiſche gleich nach der Suppe, ſo uͤber mich erboßt, als ich behauptete, das Hohelied des Salomo ſey nichts, als eine Sammlung von Fragmenten aus Liebeslie - dern, und ſey noch obendrein ſchmutziges Inhalts, wenn man es nach unſern Zeiten betrachtete, daß er keinen Biſſen weiter zu ſich nehmen konnte: ſo ſehr hatte ihn der Eifer fuͤr die reine Lehre er - griffen!

Mein Vater ſah mit Vergnuͤgen, daß ich nach ſeinem Ausdruck, anfing zu erkennen, wo Barthel Moſt hohlt. Er empfahl mir zugleich das Buͤchel - chen des Samuel Crellius de uno Deo Patre, welches er mir mit nach Gießen gab, das ich ihm aber nach einigen Monaten zuruͤckſchicken mußte. Ich habe dieſem Buche wahrlich zu verdanken, daß ich anfing, uͤber die von der Kirche und den Theolo - gen geheiligten Fratzen ganz anders zu denken, als man ſo gewoͤhnlich denkt. Crellius hat das ſoge -155 nannte Geheimniß der Dreieinigkeit nach meiner Einſicht gruͤndlich untergraben, und deſſen Ungrund ſogar aus dem neuen Teſtamente ſo buͤndig bewieſen, daß kein Theologe bisher auf ſeine achilleiſchen Ar - gumente hat antworten koͤnnen. Sociniani pflegte mein Alter zu ſagen, in eo reliquis Chriſtianis praeſtant, quod ibi philoſophantur, ubi ceteri credunt. Ich glaube, der Alte hatte vollkommen recht. Er empfahl mir zwar das Buch des Crellius nicht, daß ich blos auf ſein Wort glauben und an - nehmen ſollte, was darin ſtaͤnde, ſondern um zu ſehen, wie noͤthig theologiſche und philoſophiſche und andre Gelehrſamkeit waͤre, um das Syſtem der Kirche nur einigermaßen zu vertheidigen, wenn Geg - ner von Crellius Art dagegen auftraͤten. Hier im ganzen Lande, und auch im Darmſtaͤdtiſchen, ſagte mein Vater, wird niemand ſo leicht den Crellius widerlegen. Waͤhrend dieſes meines Auffenthalts bei meinen Eltern, machte ich eine Acquiſition, die mir in der Folge unendliches Vergnuͤgen gemacht hat. Das war die Bekanntſchaft und Freundſchaft des Pfaͤlziſchen Foͤrſters, Herrn Haags, dieſes von Bonzen und Talapoinen in der Pfalz genug verketzer - ten Mannes. Ich werde fernerhin mehr von dieſem aufgeklaͤrten Manne ſagen, und da muß ich denn freilich vom katholiſchen Paſtor zu Woͤllſtein und den Alzeier Kapucinern einiges anbringen, das dieſen156 Derwiſchen nicht gefallen wird. Aber dergleichen Dermiſche und Kalender leſen ja mein Geſchriebe - nes nicht!

Achtzehntes Kapitel.

Siehe da einen Ordensbruder!

Die Ferien waren ſchon acht Tage zu Ende, als ich nach Gießen zuruͤck kam. Ich ordnete meine Kollegia, und fing an, fleißig zu ſtudiren. Ich fand jetzt mehr als jemals, daß Kenntniſſe ein wah - res Beduͤrfniß fuͤr meinen Kopf waren. Ich habe auch, ohne mich zu ruͤhmen, blos aus innerm Trieb, und niemals deswegen gelernt, weil ich einmal mein Brod damit verdienen wollte. Meine Weisheit iſt niemals weit her geweſen, und in keiner einzigen Wiſſenſchaft hab ich mich uͤber das ſehr Mittelmaͤßige erhoben; doch habe ich ohne Unterlaß ſtudirt, und ſtudire noch recht gern; nur muß mir ein Buch in die Haͤnde fallen, worin mehr erzaͤhlt, als raͤſonnirt wird. Denn gegen das Raͤſonnement hab ich von jeher einen gewiſſen Widerwillen gehabt: und das iſt auch der Grund, daß ich in der Philoſophie ein jaͤm - merlicher Stuͤmper geblieben bin. Vielleicht war aber das auch ſo uͤbel nicht!

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Ich hatte bisher bei einem gewiſſen Schneider Klein gewohnt; nun aber quartirte ich mich zum Eberhard Buſch, beruͤhmten Bierſchenken zu Gie - ßen, ein. Dies Logis war in der ganzen Stadt bekannt, und das Bier war da wenigſtens ſo gut, als man es in Gießen haben konnte. Mein Haus - wirth war ein luſtiger braver Mann, bei dem ich ausgehalten habe, bis ich von Gießen abzog.

Ohngefaͤhr zwei Jahre vor meiner Univerſitaͤts - zeit, waren die Orden auch zu Gießen eingefuͤhrt. Dieſe unſinnigen Verbindungen ſind eigentlich in Jena entſtanden. Die Moſellaner Landmannsſchaft hat zuerſt dergleichen ausgebruͤtet. Nach und nach haben ſie ſich an mehreren Orten eingeſchlichen, ſo daß ſchon 1778. viele deutſche Univerſitaͤten von ihnen inficiret waren, beſonders Jena, Goͤttingen, Halle, Erlangen, Frankfurt, Gießen, Marburg, u. a. Einige Jenenſer hatten den Orden der ſogenanten Amiciſtenw)L'ordre de l'amitiè auf franzoͤſiſch genannt: denn die Deviſe war: Amitiè, welche durch dieſes Zeichen XX (vivat Amicitia!) angezeigt wurde., nach Gießen gebracht. Anfaͤnglich blieb das Ding geheim: nachdem aber die Ritter, ich wollte ſagen, die Herren Ordensbruͤder inne wur - den, daß man in Gießen alles thun durfte; ſo machten ſie ihre Sache publik. Sie trugen auszeich -158 nende Kokarden, und litten nicht, daß die Profa - nenx)So nennen Ordensbruͤder diejenigen, welche keine Ordensbruͤder ſind. Den Profanen ſteht aber, wie jeder weis, das Heilige entgegen. Wofuͤr ſich doch die Herren halten muͤſſen! O ſancta ſimplicitas!! dergleichen nachmachten. Den andern Stu - denten gefiel das Ding: ſie rotteten ſich alſo zuſam - men, und ſtifteten der Orden mehrere. Und ſo ent - ſtand der Heſſen-Orden, ja ſogar der Renommiſten - Orden oder der Orden des heiligen Fenſters, welcher aber leider, wegen der großen Schifitaͤt, der ſchiefe Orden und der Lauſe-Orden benannt wurde.

So war die Lage der Orden, als ich nach Gie - ßen kam. Ich gerieth gleich Anfangs in Bekannt - ſchaft mit mehrern Ordensbruͤdern; aber doch konnte ich mich nicht entſchließen, ihrer Verbindung beizu - treten. Ich war einmal verſichert, daß ich bei Haͤn - deln fremder Huͤlfe nicht bedurfte: zum andern fing man von Seiten der Univerſitaͤt an, auf die Orden aufmerkſam zu werden, und drittens mochte ich mit einer ganzen Bande keine genaue Freundſchaft auf - richten, von welcher mich viele nach dem Gießer Ausdruck, laxirten, d. i. mir hoͤchſt unausſtehlich waren. So blieb ich alſo vom Orden frei, auf eine Zeitlang naͤmlich.

Indeſſen hatten die Pfaͤlzer ein Kraͤnzchen unter ſich errichtet, welches herumgieng, und uns159 viel Vergnuͤgen machte. Wir hatten freilich unſere Ge - ſetze und Statuten, die den Geſetzen der Orden ziemlich nahe kamen: unſer Zweck war auch der Zweck aller Or - den, naͤmlich ein gewiſſes Anſehn auf der Akademie zu behaupten. Aber wir waren weder eidlich, noch auf ſonſt eine Art an einander gekettet, und es ſtand einem jedem frei, uns zu verlaſſen, ſobald es ihm beliebte. Uebrigens herrſchte unter uns die groͤßte Freundſchaft und Harmonie, und da wir lauter ſolche zu Mitglie - dern hatten, die als honorige Burſche auf der Uni - verſitaͤt angeſehen waren; ſo wagte es niemand, das Pfaͤlzer-Kraͤnzchen zu beleidigen, oder ſchlecht davon zu ſprechen. So blieben die Sachen eine geraume Zeit, bis endlich ich und noch zwei andere aus un - ſerm Kraͤnzchen uns in den Amiciſten Orden aufneh - men ließen.

Haͤtte ich vor meiner Aufnahme das eigentliche Weſen einer ſolchen Verbindung gekannt; ich wuͤrde wahrlich niemals hineingetreten ſeyn. Das Ding iſt ein Gewebe von Kindereien, Abſurditaͤten und Praͤſumtionen, uͤber welche ein kluger Mann bald unwillig werden muß. Die Geſetze ſind alle ſo elend abgefaßt, und ſo kauderwaͤlſch durch einander gewor - fen, daß man Muͤhe hat, ſich aus dem Labyrinthe derſelben heraus zu winden. Ueberhaupt iſt es ein erztoller Gedanken, daß ein Haufen junger Leute eine geheime Geſellſchaft ſtiften wollen, deren Zweck160 iſt, ſich ausſchließlich das hoͤchſte Anſehen zu verſchaf - fen: deren Oberhaupt ein Burſche iſt, welcher eine Gewalt in ſeinem Orden ausuͤbt, wie weiland der Jeſuiten General in der Geſellſchaft Jeſu. So un - gern es manche hoͤren werden, muß ich doch die Wahrheit bekennen, und gerade herausſagen: daß akademiſche ſogenannte Ordeny)Orden ſind bei Leuten, welche den Sprachgebrauch nicht verhunzen wollen, oͤffentiche Societaͤten, oder oͤffentliche Ehrenzeichen Der Studenten-Orden aber iſt eine geheime Geſellſchaft, und niemand geſteht gern, daß er ein Mitglied davon iſt: das iſt contradictio im - plicita. , unſinnige Inſti - tute ſind. Ich muß die Sache naͤher beleuchten.

Als ich hineintrat, las man mir die Geſetze vor, welche in gewiſſe Titel, z. B. von Schlaͤge - reien, vom Borgen und Bezahlen, vom Fluchen und Zotenreißen abgetheilt waren. Die Sprache der Geſetze war aͤuſſerſt legal, das iſt, undeutſch und unverſtaͤndlich. Da die Geſetze nach und nach ge - macht ſind; ſo fehlt es ihnen nicht an Widerſpruͤchen, Wiederholungen und ganz unbrauchbaren Vorſchrif - ten. Doch das iſt ja auch der Fall im Corpus ju - ris und in mancher andern heiligen und unheiligen Sammlung von Geſetzen.

Ich erinnere mich noch an viele Geſetze des gedachten Ordens, wovon ich meinen Leſern einige der vornehmſten mittheilen will.

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Der Zweck des Ordens iſt, ſich auf der Uni - verſitaͤt Ehre und Anſehn zu verſchaffen, d. h. ſich in ſolche Poſitur zu ſetzen, daß alle Studenten, ja ſelbſt die Profeſſoren und die Vorgeſetzten ſich vor den Herren Ordensbruͤdern fuͤrchten moͤchten.

Daher iſt die engſte Verbind〈…〉〈…〉 g noͤthig. Dieſe erfordert natuͤrlicher Weiſe, daß kein Mitglied das andere beleidigen darf. Alle Beleidigungen, die vor - fallen, muͤſſen vom Senior geſchlichtet werden. Ue - berhaupt ſind viele Geſetze da, welche Freundſchaft, Vertraͤglichkeit u. d. gl. gebieten. Da aber Freund - ſchaft ein Ding iſt, das ſich nicht gebieten laͤßt; ſo giebt es im Orden immer ſo viele Disharmonien, daß gewiß ſtets Schlaͤgerei ſeyn wuͤrde, wenn nicht andere praͤgnante Gruͤnde Ruhe heiſchten.

Das Oberhaupt des Ordens iſt der Senior, welchem die andern gehorchen muͤſſen. Er hat ihnen zwar nur in Ordensſachen zu befehlen: da ſich aber da - hin allerlei ziehen laͤßt; ſo iſt der Senior gleichſam der Herr der Mitglieder, und die Mitglieder ſind, wenn er es verlangt, ſeine gehorſamen Diener. So wird man Sklave, um frei zu ſeyn!

Neben dem Senior iſt noch ein Subſenior, der auch etwas zu ſagen hat, vorzuͤglich in Abweſenheit des großen Moguls, ich meyne, des Seniors: dannErſter Theil. L162folgt das fuͤnfte Rad am Wagen, der Herr Se - kretaͤr.

Ordnung muß ſeyn: wer alſo gegen den Senior ſpricht, ihn ſchimpft, und ſich ſeinen Befehlen fre - ventlich widerſetzt, wird ohne alle Gnade, wenns naͤmlich der Herr Senior befiehlt, aus dem Orden herausgeſchmiſſen. An Satisfaction darf er nicht denken.

Die vom Senior angegebne Kontribution muß richtig bezahlt werden. Fuͤgt es ſich, daß Ausgaben zu einer Zeit vorfallen, wo nicht alle Glieder bei Gelde ſind; ſo muͤſſen die, welche Geld haben, vor - ſchießen; das Vorgeſchoſſene muß aber promt erſetzt werden, unter Strafe der Verbannung aus dem Orden.

Um die Koſten zu beſtreiten, muß eine Kaſſe angelegt werden, welche unter der Aufſicht des Se - niors ſteht, und woruͤber ordentlich Rechnung ge - fuͤhrt werden muß.

Wenn ein Mitglied Haͤndel bekommt; ſo muß er ſich ſchlagen: doch aus guten Gruͤnden, ſchlaͤgt ſich auch der Senior oder ein anderes Mitglied fuͤr ihn. Ueberhaupt muͤſſen in dieſem Fall die Glieder dafuͤr ſorgen, daß ſie und nicht ihre Gegner in Avantage ſind. Lieber eine Niedertraͤchtigkeit be - gangen, lieber ſich à la mode der Gaſſenjun -163 gen herumgebalgt, als den Vortheil und die Ehre der Avantage aus den Haͤnde gelaſſen.

Bei den Zuſammenkuͤnften muß der, an dem die Reihe iſt, rechtſchaffen aufwichſen: Geht aber die Zeche auf gemeinſchaftliche Koſten; ſo zahlt jeder ſeinen Antheil, auſſer dem Senior, der immer frei iſt, weil er der Herr iſt.

Eine Klugheitsregel hieß es: keine arme Ver - wachſene, Muthloſe u. dergl. aufzunehmen. Der Orden haͤtte von dieſen Menſchenkindern keinen Vor - theil, und nichts als Koſten, Schande und Ver - druß. So ſoldatiſch-amikabel dachten die Ami - ciſten!

Und von dieſer Art waren die Regeln, oder die Geſetze des wohlloͤblichen Ordens der Herren Ami - ciſten. Ihre Anzahl ließe ſich noch ſtark vermehren, wenn ich nicht befuͤrchten muͤßte, meinen Leſern zur Laſt zu fallen. Einige ihrer Geſetze waren aber doch gut, z. B. daß die Mitglieder fleißig ſeyn, die Kol - legia nicht verſaͤumen, nicht fluchen oder Zotenreißen ſollten, u. dergl. Allein dieſe Vorſchriften wurden nicht befolgt, vielmehr wurde in unſern Zuſammen - kuͤnften geflucht und gezotologirt, wie auf keiner Hauptwache. Die meiſten andern Geſetze waren aͤuſſerſt unſinnig und laͤppiſch, z. B. die, uͤber die Aufnahme, uͤber das Zeichen, wodurch ein Glied ſich dem andern entdecken konnte, uͤber die Art, ſich164 zu gruͤßen, uͤber das Einzeichnen in den Stammbuͤ - chern u. ſ. w. Herr Profeſſor Iſenflamm in Er - langen hat, wenn ich nicht irre, 1780 auf der dor - tigen Univerſitaͤt den Amiciſten Orden zerſtoͤrt, und ihre Geſetze drucken laſſen.

Ich habe hernach mehrere akademiſche Orden kennen gelernt, und alle kamen in der Hauptſache mit einander uͤberein: nur daß jeder ſeine beſondern Geheimniſſe, das heißt, ſeine beſondern Zeichen und andre Alfanzereien vorgiebt. In Halle gab es ein - mal einen Orden der Inviolabiliſten, und ei - nen andern der Deſperatiſten. Wer dergleichen Namen hoͤrt, ſollte meynen, das waͤren gewiſſe Secten oder Ketzereien, wie die Interimiſten, Adia - phoriſten, Antinomiſten u. ſ. w., wenigſtens koͤnnte man leicht Unitarier in Polen und Unitiſten auf Uni - verſitaͤten fuͤr eins halten.

Obgleich der Hauptzweck der Orden, vorzuͤglich nach einer neuern Einrichtung bei einigen, auf eine unzertrennliche Freundſchaft und gegenſeitige Befoͤr - derung hinauslaufen ſoll; ſo iſt doch das Ding zuletzt lauter Wind oder kindiſche Speculation. Auf der Univerſitaͤt hindert oder verdirbt einer den andern, und hernach verabſcheuen ſie ſich oft um ſo mehr, je mehr ſie an Reife zunehmen, und nun den Nachtheil einſehen, der aus dieſer Spiegelfechterei fuͤr ſie ent - ſtanden iſt. Herr Clemens in Hersfeld, wollte mich165 vor fuͤnf Jahren gar nicht mehr kennen, und doch war ich lange ſein Ordensbruder geweſen, und hatte mich ſogar einmal fuͤr ihn, oder doch wegen ſeiner, herumgebalgt.

Die uͤbrigen Zwecke werden auch ſehr ſelten er - reicht. Ich habe ſelten geſehen, daß ein Ordens - bruder vor andern Profanen einen Vorzug gehabt haͤtte: es geht ihnen, wie allen hochmuͤthigen Schwaͤchlingen, die ihren Werth nicht von ſich, ſon - dern von Andern hernehmen wollen. Und dies gilt vom Innern, wie vom Aeußern. Mir ſind Faͤlle bekannt, wo Ordensbruͤder von ſogenannten Pro - fanen verachtet, derb ausgepruͤgelt und hernach mit Schande beſtanden ſind. Einmal hat ſogar ein Herr Senior auf oͤffentlicher Straße beinahe alle Zaͤhne verloren.

Fuͤr manchen Profeſſor, Sprachmeiſter, Stie - felwichſer, Schneider, Pferdeverleiher, Feldſchee - rer, Gaſtwirth und Haarkrauſeler haben die Orden allerdings Vortheile. Dieſe guten Leute zumal die groͤßten Fuſcher darunter, ſtecken ſich hinter an - geſehne Mitglieder derſelben, und nun werden alle uͤbrigen ihre Kunden. Die Beiſpiele davon ſind freilich verhaßt; ſie finden ſich aber leider mehr, als zu viel.

Es iſt wohl nicht zu hoffen, daß die Orden auf Univerſitaͤten durch die Kraft der Geſetze werden166 vertilgt werden. Es ſind immer einige angeſehne und reiche junge Leute in denſelben; und dieſe haben Anhang. Nun mag das Curatorium oder der Lan - desherr noch ſo ſcharfe Edicte wider ſie ergehen laſ - ſen man ſtellt wohl Unterſuchungen an; aber die endigen ſich mit Geldſtrafen, und der Orden wird ſtaͤrker, als zuvor. Auch hiervon hat man Beiſpiele die Menge.

Aber da doch der Schaden, welchen die Orden unter jungen Leuten ſtiften, unermeßlich iſt: da dieſe Verbindungen die Juͤnglinge von Fleiß und Subor - dination abbringen: da ſie ihnen aufwiegelnde Grundſaͤtze von Ehr 'und Schande einfloͤßen, da - durch ſie einen Staat im Staate bilden lehren, un - vertraͤglicher machen und ſo gleichſam ein Bellum omnium contra omnes unterhalten: da ſie ſich einander auf Abwege fuͤhren, in Gefahren ſtuͤrzen, und ſchaͤndlich ums Geld prellen, und dabei auch nicht den geringſten wahren Nutzen aufweiſen koͤn - nen; ſo waͤre es durchaus der Muͤhe werth, ein Mittel auszuſinnen, wie dieſe Art von Verbindun - gen koͤnnte geſtoͤhrt werden. Geſetze, Verbote, Strafen, Karcer und Relegation enthalten dies Mit - tel nicht; noch weniger die ſo haͤufig angewandten Geldſtrafen: das hat die Erfahrung gelehrt. Es giebt aber doch eins dergleichen; nur iſt hier der Ort nicht, davon weiter zu reden. Vielleicht liegt auch167 den Akademiſchen Senaten wenig daran; dieſe ſehen vielleicht aus oͤkonomiſchen Ruͤckſichten gern, daß das Unweſen fortdaure. Wenigſtens weis ich, daß Herr Iſenflamm in Erlangen ſich manchen von der Akademie daſelbſt zum Feinde gemacht hat, als er etwas unſaͤuberlich mit den hochloͤblichen Herren Or - densbruͤdern umgieng.

Aber genug von den Orden: ich habe vielleicht ſchon mehr davon geſagt, als mein Zweck mit ſich bringt.

Neunzehntes Kapitel.

Weiber Sinn und Mondesſchein Koͤnnen nie beſtaͤndig ſeyn!

Die Univerſitaͤt Marburg habe ich einigemal be - ſucht, und da ſowohl den Burſchen-Komment als auch einige Gelehrte kennen gelernt. Die Univerſitaͤt war damals ſehr ſchwach: ſie hatte kaum 180 Stu - denten, deren Komment elend genug war, naͤmlich Burſchikos zu reden. Die Studenten waren meiſt Landeskinder, und man hielt ſie in gar ſtrenger Zucht. Die Univerſitaͤt ſoll ſich ſeit der Regierung des jetzi - gen Landgrafen merklich zu ihrem Vortheil vermehrt und verbeſſert haben. Dieſes beſtaͤtigte mir vor kur -168 zen noch Hr. Dambmann aus Darmſtadt, den ich in Halle daruͤber geſprochen habe. Als ich von Gießen aus da war, machten die Marpurger Studenten eine Figur, wie ohngefaͤhr die Schuͤler auf dem Hal - liſchen Waiſenhaus. Sie waren den Gießer Studen - ten nur darin aͤhnlich, daß ſie derb Bier trinken und ſchnappſen konnten. In Kleidern gingen ſie etwas galanter, als die Gießer; dafuͤr wuſten ſie aber auch keinen Komment. Wir kommerſirten einſt ver - ſteht ſich ein Schwarm Gießer in einem Gaſt - hauſe zu Marburg. Einige Marburger ſahen uns zu; wurden aber nicht eingeladen zum mitmachen. Wir ſangen aus dem erbaulichen Liede ça donc ça donc folgende Verſe ſehr oft zur Erbauung der Her - ren Marburger:

Rien, Rien:,:
So ſpricht der dumme Teufel
Der noch nicht den Comment verſteht.
Seht doch den dummen Marburger an,
Der noch nicht kommerſiren kann!
Courage, Courage:,:
So ſpricht der Gießer Burſche
Der da recht den Comment verſteht
Seht doch den Gießer Burſchen an,
Wie er brav kommerſiren kann!

Die Marburger hatten nicht das Herz, uns et - was uͤbel zu nehmen: Vielleicht waren ſie zu klug169 dazu. Als wir ſie fragten - wie ihnen unſer Kom - mers gefallen haͤtte, und ſie mit einem: ſehr ſchoͤn antworteten, ſagte Bruder Henrici: Ja, Ihr muͤßt auch wiſſen, Ihr Marburger, daß die Gießer den Komment erſt recht verſtehen. Das ſind ganz andre Kerls, als ihr! Schwerenoth, zu uns muͤßt ihr kommen! Ein Fuchs bei uns weis mehr Kom - ment, als eure ganze Univerſitaͤt! Gott ſtraf mich, das iſt wahr! Die Herren Marburger laͤchel - ten und gingen ihrer Straße. Sie waren kluͤger, als wir.

In einigen Kollegien hoſpitirte ich, und be - ſuchte auch ſelbſt einige gelehrte, bei denen mich mein Vetter Boͤhmer, der Hofmeiſter bei Herrn von Brei - tenbach, einfuͤhrte. Es waren die Herren Wyt - tenbach, Coing, Seip und Curtius.

Herr Curtius iſt ein herrlicher Mann, ſo viel ich naͤmlich nach der kurzen Bekanntſchaft urtheilen konnte. Er ſprach ſehr huͤbſch und gruͤndlich uͤber Litteratur und Philologie, und machte auch einige Anmerkungen uͤber Herrn Schmid in Gießen, die mir baß behagten.

Coing iſt ein finſterer Mann, ſo recht von der Mine eines Dorfſchulmeiſters: dabei iſt er ſchroͤcklich orthodox, und im hohen Grade impertinent. Er hat auch allerhand geſchrieben, aber niemand hat es leſen wollen. Die Titel ſeiner Buͤcher ſtehen im ge -170 lehrten Deutſchland; die Buͤcher ſelbſt findet man ſtuͤckweiſe bei den Gewuͤrzkraͤmern.

Wyttenbach iſt ſchon lange todt. Er war ein Mann, auf dem Calvins Geiſt dreifach ruhte: ich meyne den Geiſt der Intoleranz, der Rechtha - berei und des theologiſchen Stolzes. Er war ein ſtrenger Verfechter des herrlichen decreti abſoluti, woruͤber er einige Streitſchriften mit dem Abt Schubert gefuͤhrt hat. Er war ſchon damals ein alter Mann, doch aber noch ruͤſtig zu heiligen Katz - balgereien. Mit mir gab er ſich auch ab, und diſpu - tirte de omnipraeſentia carnis Chriſti. Ich ſagte ihm zwar, daß ich ſelbſt die Allgegenwart des Leibes Chriſti nicht glaubte, und bath ihn, ſich nicht weiter mit ſeinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie? fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraeſentiam, oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem carnis domini? So ſind Sie auch nicht γνηοιως ein Lutheraner.

Ich: Dieſe Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri - ſchen eigentlichen Dogmatik: das iſt eine ſcholaſtiſche Grille einiger Privatlehrer.

Er: Privatlehrer? Iſt es nicht die Lehre der heiligen formula concordiae, die die Herren Lu - theraner dem Worte Gottes an die Seite ſetzen?

Ich: Das kann ich nicht ſagen: ich habe die Formula Concordiaͤ noch nicht geleſen: aber das weis171 ich, daß die Ubiquitaͤt ſo wenig Lehre unſrer Kirche iſt, als das abſolutum decretum eine weſentliche Lehre der Reformirten.

Er: Ei, ſieh doch: abſolutum decretum! Ih nun, wie mans nimmt! Aergert Sie das Wort abſolutum decretum; das kann man aufgeben: aber die Sache iſt doch certa ſub limitatione rich - tig, und ein weſentlicher Artikel des Glaubens.

Nun folgte eine fuͤrchterliche Erlaͤuterung des Artikels von den goͤttlichen Rathſchluͤſſen, wobei der alte Doctor ſo ſehr in die Hitze gerieth, daß er ſeine Pfeife daruͤber zerbrach. Dieſer Zufall machte, daß er ſich wieder erholte. Hernach ging der Laͤrmen von neuem los. Einigemal gedachte er des Sankt Calvins mit großen Lobſpruͤchen, nannte ihn einen frommen treuen Arbeiter im Weinberge Jeſu u. ſ. w. Allein ich war dem Sankt ſchon ſeit langer Zeit ſpinne feind, weil ich die Hinrichtung des Servetus in Mos - heims Geſchichte ſchon zu Hauſe geleſen hatte. Ich nahm mir daher die Freiheit dem Herrn Doctor zu erwiedern: Calvin ſey ein Mann von ſehr haͤmi - ſchen, heimtuͤckiſchen, erzboshaften Character gewe - ſen, ſo ungefaͤhr wie der Sankt Dominik oder ſein Ebenbild Meiſter Hochſtraten. Da fing Wyttenbach Feuer, vertheidigte den Calvin, und behauptete ge - radezu, daß man gotteslaͤſterliche Ketzer, wie Ser - vet, der die Trinitaͤt einen dreikoͤpfigen Cerberus ge -172 heißen haͤttez)Nichts iſt abgeſchmackter, als wenn die Verfechter Calvins von Servetus Gotteslaͤſterungen was daher plappern! Servet laͤugnete die Trinitaͤt: ſie war ihm ein Non-Ens; wie konnte er ſie alſo laͤſtern? Oder warum verbrannte man nicht auch den Luther, als Blasphemanten, da er die Meſſe einen Drachenſchwanz, Teufelopfer u. ſ. w. nannte? Hier iſt ja alles relativer Ideenkrieg! Und wenn der liebe Gott ſelbſt Philoſoph genug iſt, die Queergrillen der Menſchenkinder uͤber ſich zu dulden: wer gibt denn uns Thoren das Recht, ſtatt ſeiner zu haͤſchern, oder zu dominiciren? Aber freilich, die Herren Feuer - und Schwerd-Apoſtel waren von jeher unausſtehliche, ſelbſtſuͤchtige Grillenfaͤnger, die fuͤr ihre Rechthaberei und Verfolgungsſucht keinen glaͤnzernden Deckmantel finden konnten, als die Auf - rechthaltung der Ehre Gottes, oder der reinen Lehre., hinrichten koͤnnte. Calvin haͤtte recht gehabt.

Dieſer Freund Wyttenbach haͤtte ſich ganz vor - treflich zu einem Ketzermeiſter oder Inquiſitor ge - ſchickt. Hier will ich nur ſo im Vorbeigehen bemer - ken, daß man bei den Reformirten weit mehr Into - leranz und Geiſt der Verfolgung antrift, als bei den Lutheranern. Woher das kommen mag, weis ich nicht; es iſt aber in der That ſo. Auch fand ich bei ihnen in der Pfalz immer mehr Rechthaberei und geiſtlichen Stolz, als bei den Lutheranern. Ich denke je ſpitzfuͤndiger ein Syſtem iſt, deſto mehr173 Schulfuͤchſerei, Schlupfwinkel, Ausfluͤchte, Recht - haberei, Intoleranz deſto mehr Sache der Phan - taſie, mehr Indolenz u. ſ. w. Da ich gegen alle Sekten ſo ziemlich gleichguͤltig bin: ſo wird man mir auf mein Wort glauben, daß ich nicht aus Partheiſucht dieſe Anmerkungen herſchreibe. Doch weiter!

Das erſte Jahr hatte mein Wechſel huͤbſch zugereicht, und ich war um Oſtern 1776 keinen Pfennig ſchuldig. Ich hatte zwar luſtig gelebt, doch hatte ich meine Oekonomie ſo eingerichtet, daß ich mit meinem Beſtimmten auskam. Auch hatte ich mir einige gute Buͤcher, unter andern die Bouſſuet - Cramerſche Hiſtorie, Mosheims Inſtitutiones Hiſt. Eccleſ. majores, le ſiécle de Louis XIV. und einige andre angeſchaft. Meine Mutter gab mir das Geld dazu her, und bezahlte mir auch den Italiaͤ - niſchen Sprachmeiſter.

Auf Oſtern zog ich wieder nach Hauſe, meine Eltern zu beſuchen, und beiher auch Thereschen zu ſehen. Freilich ſehnte ich mich nach ihr nicht mehr ſo ſehr, als vorhin.

Mein Vater wollte jetzt durchaus, daß ich ein - mal predigen ſollte: ich lernte alſo eine auswendig: denn ſelbſt konnte ich noch keine machen, hatte auch nicht Luſt dazu, und hielt ſie mit vieler Dreiſtig - keit in Moͤrsfeld vor Bergknappen und Bauern. 174Mein Vater hatte mir vor der Kirche zugehoͤrt, ohne daß ich es wußte, und war hernach ganz ent - zuͤckt uͤber meine Eloquenz, nur meinte er, ich muͤßte kuͤnftig meine Predigten huͤbſch ſelbſt ausar - beiten, und mich ja nicht, wie ſonſt die Herren, aufs Reiten legen. In der Folge habe ich zwar manche Predigt ſelbſt gemacht; die meiſten aber ſchrieb ich ab, und hielt ſie. Ich glaubte das naͤmliche Recht zu haben, was ein Profeſſor der Geſchichte hat, welcher ſie woͤrtlich abſchreibt, und hernach ſeinen Herren Zuhoͤrern dahin kanzelt.

Meine Thereſe bekam ich fuͤr diesmal nicht zu ſe - hen: ſie war in Manheim, und mir war die Luſt ver - gangen, mich einem Wiſcher von meinem Vater da - durch auszuſetzen, daß ich dahin haͤtte fahren moͤgen. Beiher hatte ich auch ein anderes Maͤdchen kennen gelernt, welches mir meinen Aufenthalt zu Hauſe ziemlich angenehm machte. Verliebt in ſie bin ich wahrlich nicht geweſen, bin auch ſeit Thereſens Zeiten es in keine mehr geworden, hab 'gar hernach uͤber die verliebten Thorheiten oft weidlich gelacht! Doch hatt' ich ſo mein Behagen an huͤbſchen Geſich - tern, aber auch blos an Geſichtern, d. i. am Koͤr - perlichen: denn fuͤr die Seelen der Weiber hab 'ich von jeher blutwenig Reſpect gehabt. Es ſind, ſo nach meiner Meinung, welche ich aber niemanden aufdringen will, die ſich indeß ſchon von ſelbſt in175 der leidigen Erfahrung aufdringt eitle, einge - bildete, aberglaͤubiſche, neidiſche Dinger, die gern wollen brilliren, die ſich blos am Schein beluſtigen, in Kleinigkeiten Kabalen ſpielen, ſich durch Nach - aͤffung formen, keinen Karakter haben, Gottes - und Pfaffengunſt durch geiſtliche Coquetterie zu erſchlei - chen ſuchen, und wie's Wetter im April bald gut und ſanft, bald ſtuͤrmiſch und tigermaͤßig grauſam ſind.

Das iſt ſo mein Glaubensbekenntniß vom lieben Frauenzimmer, wozu ich mir die Gruͤnde aus der Erfahrung abſtrahirt habe. Ich habe ſie geſehen in vornehmen Zirkeln, und in Buffkellern: ſie waren aber da wie dort: immer gleiche Geſinnungen, nur beſtand der Unterſchied in einigen Schattirungen, welche groͤber und feiner ſind, und die Frauenzimmer von Qualitaͤt von denen ohne Qualitaͤt unterſchei - den. Ja meine liebe Dame, daß es auch hierbei Ausnahmen gebe, weis ich; daß aber dieſe ſelten ſind, weis ich eben ſo gut, als daß Sie ſich zu dieſen Ausnahmen rechnen werden, oder mein Buch mit Verachtung hinwerfen. Der groͤßte Theil von Ihnen iſt nun ſo!

Das Maͤdchen, von dem ich zuvor redete, hieß Lorchen, und war die Tochter eines ehrlichen Pfarrers, der in der Folge mein beſter Freund ge - worden iſt. Wenn ich nicht das Ungluͤck gehabt176 haͤtte, welches ich weiterhin berichten werde; ſo waͤre ich laͤngſt Pfaffe, und Lorchen waͤre meine Frau geworden. Aber ſo wollte mein Misgeſchick das nicht. Und wenn ichs ſo recht bedenke, aͤrgere ich mich auch daruͤber nicht. Wer weis, wie ungluͤcklich ich mich mit meiner Familie noch gemacht haͤtte! Zum Pfaffen war ich verdorben, und wuͤrde gewiß uͤber kurz oder lang wegen Ketzerei ſeyn kaſſirt wor - den. Wenn ich alſo im Ungluͤck bin und ich bin meiner Meinung und meiner Empfindung zu Folge nicht ganz darin ſo bin ich allein darin.

Ich habe bei meiner Biographie gar den Zweck nicht, dem Leſer eine mitleidige Thraͤne abzulocken, und dem Publikum ſo was vorzuwinſeln: nein, mei - ne Begebenheiten ſollen nur den Beweis erneuern: daß man bei ſehr guter Anlage und recht gutem Herzen ein kreuzliederli - cher Kerl werden und ſein ganzes Gluͤck ruiniren kann. Da wird nun vielleicht Man - cher, der das ließt, vorſichtiger in der Welt handeln, damit er nicht auch anrenne, wie ich angerennet bin!

Der Paſtor Neuner beſuchte uns fleißig in Wendelsheim, und da ich mehrmals Gelegenheit hatte, mit ihm allein zu ſprechen; ſo ermangelte er nicht, mir vorzuſtellen, daß es bald Zeit waͤre, das große Vorhaben des Katholiſchwerdens auszufuͤhren. 177Er erſchrack aber nicht wenig, als er hoͤrte, daß ich den Lehren, welche ich ſonſt fuͤr gewiß zu halten ſchien, jetzt geradezu widerſprach, und mit Gruͤn - den dawider diſputirte. Ich hatte naͤmlich nach dem Manuale controverſiarum Becani auch das Buch von dem verſtorbenen Gießer Kanzler Pfaffen: Réponſe aux douze lettres du R. P. Scheffma - cher geleſen, und war dadurch in den Stand geſetzt worden, den Katholiſchen Kirchenplunder etwas richtiger zu beurtheilen.

Ich fand damals Wohlgefallen an dergleichen Kontroverſen, und disputirte gern: hernach aber, als ich in Abſicht der ganzen heiligen Religion andere Gedanken bekam, verlohr ich auch die Luſt, dogma - tiſche Kontroversbuͤcher zu leſen: doch haben mir die Hiſtoͤrchen dieſer Katzbalgereien immer gefallen, und gefallen mir noch.

Mein Paſtor Neuner richtete alſo nichts bei mir aus, und gab ſchon die Hoffnung halb auf, daß ich mich jemals bekehren wuͤrde. Freilich ſtellte er mir vor, daß ich nun ein haereticus formalis waͤre, und wenn ich ſtuͤrbe, ſchlechterdins, ohne allen Par - don ſchibes d. i. verloren gehen muͤßte.

Erſter Theil. M178

Zwanzigſtes Kapitel.

Ein Maͤuſekrieg in Gießen!

Auf den Neujahrstag 1776 war Freund Ouvrier Rector der Univerſitaͤt geworden. Er verwaltete ſein Rectorat nach gewiſſen Grundſaͤtzen, die ihn aͤuſ - ſerſt verhaßt machten, und ihm manches pereat zu - zogen. Der Kanzler Koch haßte ihn aus vielen Urſachen, vorzuͤglich wegen ſeines Schwiegervaters, des Geheimen Raths Miltenberg zu Darmſtadt. Herr Schmid ſagt zwar in der dickbelobten Apologie: Millenberg ſey immer ein vorzuͤglicher Freund und Goͤnner von Kochen geweſen; das iſt aber mit Herrn Schmids Erlaubniß, nicht wahr: wenigſtens haßte Koch im Jahr 1776 den Geheimen Rath Miltenberg von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemuͤthe, und aus allen ſeinen Kraͤften, und hielt dieſen Haß fuͤr ſein erſtes und groͤſtes Gebot. Freilich ſehr unevangeliſch; aber Herr Koch iſt nicht ſehr orthodox, was die Moral betrift wie das gewoͤhnlich der Fall bei vielen Orthodoxen iſt! In der Dogmatik iſt er aller - dings rechtglaͤubig, geht aber nicht in die Kirche, als am Neujahrstage, wenn der neue Rector in der Kirche inaugurirt wird.

179

Von den uͤbrigen Profeſſoren waren nur wenige dem guten Ouvrier geneigt, und ſo war er als Rec - tor nicht in der beſten Lage.

Im Fruͤhlinge dieſes Jahres kam der Bruder des regierenden Herzogs von Wuͤrtenberg durch Gie - ßen, mit ſeiner Tochter, die fuͤr den Ruſſiſchen Groß - fuͤrſten zur Gemahlin beſtimmt war. Der Herzog logirte uͤber Nacht im Poſthauſe. Die Studenten wußten das vorher, und machten Anſtalt zu einer Serenade, ſo gut man dergleichen in Gießen haben kann. Die Gießer Hautboiſten, die ſich freilich un - ter Meiſter Wittichs Anfuͤhrung, wenig uͤber gemei - ne Bierfiedler erheben, wurden in Beſchlag genom - men; und damit alles recht feierlich herginge, wur - den Pechfackeln beſtellt, fuͤr jeden ein Paar. Der Herr Rector wußte um alles, und ließ uns machen, bis an dem Tage, fuͤr den die Serenade beſtimmt war. Da erſchien ploͤtzlich des Nachmittags um drei Uhr ein Edict am ſchwarzen Bret unter dem Ru - brum: Rector Univerſitatis Ludovicianae cum Senatua)Mir iſt aus guten Gruͤnden das cum Senatu immer als ein Schnitzer vorgekommen. Die Roͤmer ſchrieben: Senatus Conſule C Fannio et C. Meſſala. Doch man muß das nicht ſo genau nehmen., worin den Studenten durchaus verbo - then wurde, der Prinzeſſin von Wuͤrten -180 berg Muſik zu bringen: ſonſt moͤchten ſie Muſik bringen, wem ſie wollten: man wolle ihnen ihre Gerechtſame nicht ſchmaͤlern.

Die Studenten laſen den Anſchlag: viele ge - riethen daruͤber in Furcht, weil Meiſter Ouvrier dabei geſetzt hatte: ſub poena relegationis in per - petuumb)Meinen lateiniſchen Leſern, die nicht auf Univerſitaͤten geweſen ſind, muß ich ſagen, daß das akademiſches La - tein iſt. Freilich ſtehts ſo nicht im Cicero.; allein die Entrepreneurs der Serenade, Herr Lang aus dem Naſſauiſchen und Herr Bohy aus Muͤmpelgard ſetzten auf dem Billard, wo eine Zuſammenkunft war, feſt, daß das infame Hunds - foͤtter, Draſtika und Laxierpillen ſeyn ſolltenc)Gießiſche Studenten-Terminologie., die ſich an des Roͤckels Befehle kehren wuͤrden: wer ein rechtſchaffner honoriger Burſch waͤre, kaͤme auf den Abend, das Trifolium, den Rector und die verfluch - ten Pedelle Moͤſer und Stein tief zu periren! Das war das concluium, welchem ſtreng nachge - lebt wurde. Ich ſelbſt hatte viel zu laͤppiſche Be - griffe von akademiſcher Freyheit, als daß ich dieſe Gelegenheit nicht haͤtte ergreifen ſollen, mich zu zei - gen, und uͤbernahm eine Adjutanten Stelle. Gegen Abend verſammelten ſich alle Burſche auf dem Kir - chenplatz, und nach acht Uhr warteten wir dem Her -181 zog mit der Serenade auf. Er ſchien mit dieſer Ach - tung gegen ihn auſſerordentlich zufrieden zu ſeyn, und dankte nebſt der Prinzeſſin ſehr hoͤflich. Auch ließ er im Poſthauſe ſo viel Wein auftiſchen, als uns zu trinken beliebte. Da die meiſten ohnehin ſchon bei - nahe zu viel hatten; ſo kam es jetzt dahin, daß der ganze Haufen ſehr bezecht wieder abzog.

Auf dem Kirchenplatz wurden die uͤbrigen Fak - keln und Fackelſtummel verbrannt, der akademiſchen Freiheit ein Vivat und den Unterdruͤckern derſelben ein helles Pereat geſchrieen. Sofort wurde das ſchwarze Bret, woran das Edict geheftet war, her - abgeriſſen, in Stuͤcken zerſchlagen und ins Fackel - feuer geworfen. Das war nun das voͤllige Signal zum Tumulte. Die ganze Nacht ging der Spektakel nach Panduren Art fort, bis an den hellen Tag: der arme Eulerkapper mußte ſchrecklich herhalten: dem Schuſter Wannichd)Das war ein ſogenannter Pietiſt oder Separatiſt in Gießen, der immer betete; aber auch alle Jahr wenig - ſtens ein Hurenkind fabricirte. Die Studenten zuͤch - tigten ihn aber auch dafuͤr ganz ſeparat. wurde das Haus geſtuͤrmt, und alle Fenſter eingeſchmiſſen. Dem Rector er - ſcholl manches wilde Pereat.

Den andern Tag fruͤh ſetzten ſich die Hauptan - fuͤhrer Lang und Bohy zu Pferde, und ritten nach182 Butzbach, wo damals Herr Koch ſich auf dem Land - tage aufhielt. Sie ſtellten vor, was geſchehen war. Koch ermahnte ſie zur Ruhe, und verſprach ihnen Genugthuung, und wenn auch der hoͤlliſche Satan Rector waͤre. Das waren ſeine eignen Worte.

Obgleich die Hauptanfuͤhrer nicht in Gießen waren, ſo fehlte es doch nicht an ſolchen, welche den Aufruhr verbreiteten und unterhielten. Kein Menſch wollte weiter ins Kollegium, bis nach ausgemachter Sache. Der Rector ließ in aller Eile wieder ein ſchwarzes Bret verfertigen, ermahnte zum Frieden, und hielt ein Concilium, worauf ſich Lang und Bohy, die jetzt von Butzbach zuruͤck waren, mit aller moͤg - lichen Inſolenz und Grobheit vertheidigten. Herr Ouvrier wurde nun noch mehr aufgebracht, und da er ſich von Darmſtadt aus Unterſtuͤtzung verſprach; ſo ließ er die Relegation der beiden Anfuͤhrer anſchla - gen: den Andern wurde die Carcerſtrafe zuerkannt. Aber nun gings auch vollends loß. Den folgenden Tag ſahe man an verſchiedenen Orten der Stadt Zettel angeheftet, worin von Seiten der Bur - ſche verboten wurde, in ein Collegium zu gehen, und wer hineinginge, bekam nicht nur die allerſchoͤn - ſten Beinamen, ſondern man wollte ihn auch mit der Hundspeitſche begruͤßen, und er ſollte ein blamirter Junge ſeyn und bleiben. Das ſchwarze Bret litte aber - mals Noth. Ich ſelbſt beging zu der Zeit den dummen183 Streich, mich an meinem Freunde und wahren Goͤn - ner, dem Bergrath Boͤhm zu verſuͤndigen. Er las von 8 bis 9 die Metaphyſik, welche ich ſonſt ſelbſt hoͤrte. Nun wollte ich doch ſehen, ob welche da waͤren, und fand ohngefaͤhr vier oder fuͤnf Zuhoͤ - rer, welche vielleicht vom Interdict nichts wiſſen mochten. Dieſe preſchte ich mit ſtarken Worten her - aus, und machte ſolchen Laͤrmen, daß der Sohn des wuͤrdigen Mannes, Herr Aſſeſſor Boͤhm, dazu kam, und mir meine Impertinenz verwies. Aber da war fuͤr dasmal weder Gefuͤhl noch Beſinnung: ich ant - wortete grob, und das Kollegium ward leer. Nach - her hab ich mich freilich geſchaͤmt, und beide um Ver - zeihung gebeten: allein der dumme Streich aͤrgert mich noch bis auf die heutige Stunde.

Ouvrier hielt von neuem ein Concilium; woran aber nur wenig Profeſſoren Theil nahmen, und be - ſtaͤtigte die zuerkannten Strafen. Dies war Oel ins Feuer gegoſſen: es empoͤrte noch mehr.

Aber warum verfuhr denn Herr Ouvrier ſo? Man muß wiſſen, daß er ehemals Lehrer der fuͤrſtli - chen Kinder in Darmſtadt geweſen war, und folglich auch die erſte Gemahlin des Ruſſiſchen Großfuͤrſten unterrichtet hatte. Nun ſchien es ihm nicht recht zu ſeyn, daß man im Darmſtaͤdtiſchen zu eben der Zeit, wo man noch uͤber den Tod jener Fuͤrſtin trauerte, Freude uͤber derſelben Nachfolgerin feierlich beweiſen184 wollte. Das war ſo ſeine Empfindung, und da glaubte er denn durchzudringen. Beiher rechnete er auch auf den Beiſtand ſeines Schwiegervaters, und aͤrgerte ſich, daß ſich die Burſche an den Kanzler ge - wandt hatten, und ihm auf dem Concilium grob begegnet waren: und ſo beging er eine Uebereilung, welche ihm ſo viel Unluſt und ſo wenig Ehre gebracht hat.

Nachdem man gewiß war, daß Lang und Bohy relegirt waren; ſo verſammelten ſich alle Studenten auf den groͤßern Plaͤtzen in Gießen, und berath - ſchlagten, was zu thun waͤre. Kurz, es wurde einhellig beſchloſſen, auszuziehen, und ſich auf die Doͤrfer zu begeben, bis man Genugthuung erhalten haͤtte.

Der Rector bath den General von Rothberg und den Obriſten Zangen um einige Patrouillen, welche den Skandal ſtillen ſollten, den die Studen - ten durch ihr wildes Herumlaufen und Toben auf den Straßen erregten. Aber die Herren erwieder - ten: die Sache ginge ſie nichts an: die Studenten vertheidigten ihre Rechte, und darin koͤnnte man ſie nicht ſtoͤren.

Gegen ein Uhr ging der Zug zum Thor hinaus. und keine zehn Studenten blieben in dir Stadt. Die Hautboiſten bließen vorn weg, und dann folgten die Burſche. Viele hatten ſich mit Kienruß große185 Baͤrte in die Geſichter gemalt, und trugen Huſaren - pelze, und große Huſarenſaͤbel, welche ſie von den Gießiſchen Huſaren geborgt hatten. Sie ſaßen zu Pferde, und machten die Anfuͤhrer, Schließer und Adjutanten. Ich ſchloß den ganzen Zug, und hatte mich ſo verſtellt und verkienrußt, daß mich niemand erkennen konnte.

Auf dem naͤchſten Dorfe wurde Halt gemacht, gezecht, dann auf ein anderes marſchirt, und dabei alle moͤgliche Poſſen veruͤbt, wie man leicht denken kann.

Am andern Morgen kamen Lang und Bohy von Butzbach, und verkuͤndigten uns den naͤhern Willen des Kanzlers. Er wuͤrde, ſo hieß es, uns vollkommene Satisfaction ſchaffen: keinem Menſchen ſollte ein Haar gekruͤmmt werden; nur ſollten wir ruhig nach Gießen zuruͤckkehren, und das Laͤrmen einſtellen. Auf dieſe Verſicherung bezogen wir wie - der die Stadt; aber die Gaͤhrung dauerte noch uͤber acht Tage fort, ſo daß auch kein Profeſſor Kollegien leſen konnte. Der Kanzler machte indeß einen Be - richt nach Pirmaſens an den Landgrafen nach ſeiner Art worin er das Vergehen der Studen - ten entſchuldigte; hingegen den Rector als die ein - zige Urſache des Tumultes, und des Schadens und Schimpfes fuͤr die Univerſitaͤt ſchilderte. Auf dieſen Bericht wurde der Rector ſogleich abgeſetzt, und ſein186 Amt auf den D. Bechtold uͤbertragen. So endigte ſich dieſer Maͤuſekrieg; aber die Kataſtrophe zog dem verſchwaͤrzten Herrn Ouvrier ein Gallenfie - ber zu.

Herr Schmid will in ſeiner Apologie die Schuld dieſer Abſetzung ganz vom Kanzler Koch abwelzen, und ſie blos dem damaligen Praͤſidenten Herrn von Moſer zuſchieben. Dieſer war zu der Zeit zwar auch in Butzbach; allein wie ſollte der Herr von Moſer, der niemals in Gießen geweſen war, der den Rector nicht kannte, und von der Verfaſſung der Univerſitaͤt nichts wußte, an den endlich kein Deputirter geſchickt war, der mit keinem Studenten geſprochen hatte: der ferner in der Sache nicht einmal berichten konnte, da das Ding dem Kanzler oblag, wie ſollte, frage ich, dieſer Mann dem Landesherrn den Vorfall berichtet, und ganz allein, wie Herr Schmid vorgiebt, ſo berichtet haben, daß darauf ein Mann geſtuͤrzt waͤre, der ihn nie beleidiget hatte? Wer das alles uͤberlegt, und das vorſichtige bis zur Grillenfaͤngerei behutſame Verfahren des Herrn von Moſers kennt, der muß das Vorgeben des Herrn Schmids ungegruͤndet, das Meinige hingegen nicht nur wahrſcheinlich, ſondern beinahe ausgemacht ge - wiß finden.

Was aber fuͤr ein ſchiefes Licht aus dieſer ver - zerrten Geſchichte auf den Karakter des Herrn Kanz -187 lers falle, moͤgen andre beurtheilen. Mich geht das hier weiter nicht an.

Unter Bechtolds Regierung blieb der Zuſtand der Gießer Univerſitaͤt ziemlich ruhig. Man ging vorſichtiger zu Werke, und die akademiſchen Kinder hatten, fuͤr ihr Theil, nun einmal ausgetollt!

Ein und zwanzigſtes Kapitel.

Wer zu Hauſe nicht klug iſt, iſt es in der Fremde auch nicht.

Lange hatte ich den Wunſch genaͤhrt, die ihres Komments wegen hochberuͤhmte Univerſitaͤt zu Jena kennen zu lernen. Dieſen Wunſch befriedigte ich im Herbſt 1776. Ich machte mich auf, nachdem ich meinen Wechſel ſchon in der erſten Frankfurter Meß - woche erhalten hatte, und wanderte ganz allein zu Fuße dahin. Meinen Weg nahm ich uͤber Gruͤnberg, Alsfeld, Hersfeld, Eiſenach, Gotha, Erfurt und Weimar. Ich waͤhlte mit Fleiß dieſen Weg, um einige Staͤdte mit zu beſehen, welche mir ſchon aus Beſchreibungen bekannt waren.

Auf dieſer Fahrt hatte ich nun ſo recht Gelegen - heit, die niedere Klaſſe der Einwohner dieſer Laͤnder kennen zu lernen, eine Klaſſe, welche ich immer ſo188 gern kennen lernte. Im Heſſenkaſſelſchen hatte ich hierzu vorzuͤglich Gelegenheit. Ich merkte es gar zu genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich uͤber - ſpannte Grundſaͤtze herrſchten. Die Bauern waren durchaus arme Leute, und eben damals hatte der verſtorbene Landgraf ſeine Unterthanen nach Amerika verhandelt. Da liefen einem die halbnackten Kin - der nach, baten um ein Allmoſen, und klagten, daß ihre Vaͤter nach Amerika geſchickt waͤren, und daß ihre armen verlaßnen Muͤtter und ihre alten abge - lebten Großvaͤter das Land bauen muͤßten. Das war ein trauriger Anblick! Dergleichen empoͤrt tau - ſendmal mehr, als alle ſogenannten aufruͤhreriſchen Schriften: jenes ergreift und erſchuͤttert das Herz; dieſe beſchaͤftigen meiſt blos den Kopf. Aber von dieſen will man nichts wiſſen, um jenes deſto unge - ſtoͤhrter treiben zu koͤnnen wie wenn es nicht weit aufruͤhreriſcher waͤre, aufruͤhreriſch zu regieren, als aufruͤhreriſch zu ſchreiben, zumal, da dieſes groͤß - tentheils eine Folge von jenem iſt! Iſt das conſe - quent? Iſt es im Ganzen klug, den Thurm - huͤtern und Nachtwaͤchtern das Laͤrmenmachen uͤber Brand und Einbruch zu verbieten? Heißt das fuͤr das oͤffentliche Wohl beſorgt ſeyn? Einſichtige, vaͤterliche Regenten denken hierbei weit vernuͤnftiger: man uͤberdenke die Regierung Friedrichs des Einzigen!

189

Ich gab ſoviel von meiner Baarſchaft her, als ich entbehren konnte. Ich ſprach in allen Heſſiſchen Schenken ein, und hoͤrte da nichts als Klagen und Verwuͤnſchungen. Ich ſtehe dafuͤr, wenn ein Fuͤrſt zu Fuße und unbekannt eine Reiſe durch ſeine Laͤnder vornaͤhme: es wuͤrde manches geaͤndert werden; aber ſo ſitzen die guten Herren in Schloͤſſern und in Zirkeln, wo Noth und Armuth fremde Namen ſind; und da lernen ſie die Beulen und Wunden nicht kennen, an denen ihre armen Unterthanen krank liegen.

Ganz anders ſieht es im Gothaiſchen und Wei - marſchen aus und noch beſſer im Erfurthiſchen. Zu Erfurth ſelbſt lernte ich einige Studenten kennen, welche aber meinem damaligen Geſchmack weit weni - ger entſprachen als die Marburger. Ich hoſpitirte auch in den Vorleſungen zweier Profeſſoren, des Paters Grant nicht le Grand, wie Herr D. Bahrdt ſchreibt und des Profeſſors Froriep, welcher damals ſchon allerlei Specktackel und Haͤn - del machte. Herr Grant hat mir ſehr gefallen: er las Phyſik. Der Herr Froriep behagte mir gar nicht. Gern haͤtte ich auch einen katholiſchen Theo - logen hoͤren moͤgen; aber da war niemand, der mich in ein ſolches Auditorium haͤtte fuͤhren koͤnnen, oder wollen. Das Hoſpitiren iſt uͤberhaupt in den katho - liſchen Theologiſchen Hoͤrſaͤlen gar nicht Mode.

190

Zu Jena kam ich gegen Abend an, und trat im halben Mond ab. Da ich hier gar keine Burſche antraf, ließ ich mich nach dem Abendeſſen auf den Fuͤrſtenkeller fuͤhren, wovon ich ſchon vieles gehoͤrt hatte. Ich fand da einen ganzen Haufen Studen - ten, welche mir alle unbekannt waren. Ich forderte Bier, und rauchte meine Pfeiffe an. Ein Student trat zu mir, und fragte; Der Herr iſt gewiß Burſch?

Ich: Natuͤrlich!

Er: Woher? von Halle?

Ich: Nein, von Gießen!

Er: Das iſt brav: wie iſts denn in Gießen? Alles noch fluͤchtig?

Ich: O ja, fidel!

Er: Recht ſo! Wollen Sie hier bleiben?

Ich: Nein, ich will mich hier nur beſehen.

Er: Schoͤn! Hier koͤnnen Sie den Kom - ment recht lernen. Sapperment! Sie werden die Reiſe nicht bereuen!

Ich: Das glaub ich auch: hab 'immer viel vom Jenaiſchen Komment gehalten!

Er: (nimmt ſeinen Krug) à bonne!

Ich: (gleichfalls m[it]dem Krug) Schmollis!

Ich empfehle mich deiner Freundſchaft, heiß Lauk - hard, und bin aus der Pfalz.

191

Er: Gleichfalls: heiße Kroͤber, und bin aus der Pfalze)So macht man die akademiſche Bruͤderſchaft!. Alſo Landsleute: Pardid! das iſt ja exellent! Komm Bruder, ſetz dich hierher! Nun hatte ich ſchon Einen Bruder in Jena, aber noch ehe ich den Fuͤrſtenkeller verließ, zaͤhlte ich derer uͤber zwanzig. Die Burſche wetteiferten, mir nach ihrer Art Hoͤflichkeiten zu bezeugen.

Man muß es den Jenaiſchen Studenten laſſen daß ſie alle ſehr freundlich gegen Fremde ſind, und die Gaſtfreiheit in einem hohen Grade ausuͤben. Das findet in Halle und Erlangen wenig und in Goͤt - tingen gar nicht ſtatt. Zu Mainz, Heidelberg, Strasburg, Fulda und Wuͤrzburg iſt auch nicht ein Schatten von akademiſcher Gaſtfreiheit. Die Gießer kommen den Jenenſern darin an naͤchſten. Vielleicht traͤgt die Wohlfeilheit des Unterhalts zu Jena und Gießen vieles dazu bei; doch ſcheint mir der Haupt - grund in den Gelagen zu liegen, welche auf den ge - dachten Univerſitaͤten mehr oder weniger im Gange ſind. Gelage machen herzliche Freundſchaften, we - nigſtens auf einige Zeit; und herzliche Freundſchaft erzeugt Gaſtfreiheit. Freude laͤßt uns unſere Nebenmenſchen im vortheilhaften Lichte erſcheinen: ſie macht wohlwollend und zutraulich, oͤffnet das192 Herz und beſonders den jugendlichen Buſen fuͤr Freundſchaft und Liebe. Niemand, als der Froͤh - liche, iſt bereitwilliger, Fehler zu verzeihen, Freund - ſchaften zu ſchließen, ſelbſt ſeine Geheimniſſe Andern zu vertrauen. Daher ſind Heiterkeit der Seele, und Gemuͤthsruhe, wegen der wohlwollenden Ur - theile und Gefuͤhle, die ſie fuͤr Andere in uns er - wecken, die reichhaltigſten Quellen der geſelli - gen Tugend! So ſchreibt Hr. Prof. Maaß in ſeinem Verſuch uͤber die Einbildungskraft (1792.) S. 160: ein Verſuch, der, nach meiner Einſicht, in der Hand eines jeder Pſychologen, Ae - ſtheſtikers und Paͤdagogen ſeyn ſollte.

Als die Jenaiſchen Studenten hoͤrten, daß ich im halben Mond logirte, unterſagten ſie mir, laͤn - ger dort zu bleiben, und einer von ihnen both ſich ſogleich an, mich in ſeiner Wohnung ſo lange aufzu - nehmen, als ich in Jena verweilen wuͤrde. Ich nahm dies an, und wohnte jetzt in der Laͤuterſtraße bei einem Becker, aber ſo ſchrecklich hoch, daß mir allemal die Beine wehe thaten, wenn ich die Treppen ſteigen mußte.

Der Ton der Jenenſer behagte mir ſehr: er war blos durch mehrere Roheit von dem der Gießer unterſchieden. Der Jenenſer kannte wenigſtens damals keine Komplimente: ſeine Sitten hießen Petimaͤterei, und ein derber Ton gehoͤrte zum rech -193 ten Komment. Dabei war der Jenenſer nicht be - leidigend grob, oder impertinent; vielmehr zeigte ſich viel Trauliches und dienſtfertiges in ſeinem Betragen. Ich habe hernach den viel feinern Ton in Goͤttingen, und den ſuperfeinen Leipziger kennen gelernt: da lobe ich mir denn doch meinen Jeniſchen. Vielleicht war mein Geſchmack verdorben, und zu ſehr an groͤbere Speiſen gewoͤhnt: aber bei dem allen ſcheint es doch der Sache angemeſſen zu ſeyn, daß der Student auf Univerſitaͤten ſich, ſo viel er kann, von allem verzaͤr - telten und verfeinerten Weſen abhalte. Dieſes hat ſichtbare boͤſe Folgen, wie es bei einer andern Gele - genheit erhellen wird, naͤmlich da, wo ich das glaͤnzende Elend der Studenten zu Leipzig beſchrei - ben werde.

Man hatte mir ſchon geſagt, daß Schlaͤgereien in Jena haͤufig vorfielen: und in der That fand ich, daß es gar leicht war, in Haͤndel zu gerathen. Sie wurden zwar mit dem Degen ausgemacht; da aber immer fuͤr gute Sekundanten geſorgt wurde; ſo wa - ren die Balgereien ſelten gefaͤhrlich. Doch iſt noch vor ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren ein gewiſſer Baron von Herſtal auf der Raſenmuͤhle erſtochen wordenf)Dieſer Vorfall machte, daß der Beſuch der genannten Muͤhle den Studenten verboten wurde.. Erſter Theil. N149[194]Seit kurzem ſollen jetzt in Jena alle Duelle durch eine recht artige Konvenienz der Studenten ſelbſt ab - geſchaft ſeyn. In Kiel ſoll man etwas Aehnliches vorhaben. Auch ſoll der Herzog von Weimar, die - ſes edle Muſter aller Humanitaͤt an einem Fuͤrſten, ſich auf die liberaleſte Art bemuͤhen, die Denkungs - und Lebensart der Studenten zu Jena ſo zu modi - ficiren, daß die akademiſche Freiheit auf eine ange - meſſene Art dabei beſtehen koͤnne. Heil dieſem Vater ſeiner Laͤnder!

Die Profeſſores laſen damals gerade nicht, weil die Ferien eben angegangen waren. Doch beſuchte ich den Profeſſor Danovius, deſſen Dogmatik, im ſchwerfaͤlligſten Latein, ich ſchon in Gießen gele - ſen hatte. Der Mann war ſehr zuruͤckhaltend, und wollte nicht recht mit der Sprache heraus, als ich mit der Weisheit hervorplatzte, die ich aus Crellius Buch geſchoͤpft hatte. Er ſagte mir, das Leſen der Schriften von Socinianern ſey ſehr verfuͤhreriſch, und einem jungen Menſchen hoͤchlich zu misrathen. Als ich ihn bath, mir ein Buch anzugeben, worin des Socinismus vollkommen widerlegt, und die Lehre von der Trinitaͤt und der Satisfaction hinlaͤnglich bewieſen waͤre, bedaurete er, daß er mir keine Schrift von der Art anzeigen koͤnnte, weil man nicht ſo wohl auf die Lehre ſelbſt, als vielmehr auf den Beweis der kirchlichen Beſtimmungen geſehen haͤtte. Doch195 empfahl er mir Reuſch's Introductio in Theo - logiam revelatam. Ich habe zwar hernach dieſes Buch auch geleſen: aber da ich ſchon weiter mit mei - nem Syſtem gekommen war, und es damals ſchon durch Tindals bekanntes Buch Erweis, daß das Chriſtenthum ſo alt iſt, als die Welt berich - tiget hatte; ſo konnte keine Erlaͤuterung und Modi - fikation eines ſo genannten Geheimniſſes bei mir wei - ter Statt finden.

Danovius empfahl mir vor allen Dingen das Studium der alten Sprachen und der Geſchichte: ſonſt meinte er, koͤnne aus allem Studiren nichts werden, auch aus dem Theologiſchen nichts. Die - ſer rechtſchaffene Mann hat nachgehends, weil er ſein Hauskreutz nicht laͤnger tragen konnte, ſich in der Saale erſaͤuft!

Meine Freunde ſuchten mir meinen Aufenthalt ſo angenehm zu machen, als ſie vermochten. Die Doͤrfer Ammerbach, Lichtenhein, Loͤbſtaͤdt, Ziegen - hein, wie auch die Muͤhlen, hab ich in ihrer Ge - ſellſchaft fleißig beſucht: auch in der Oelmuͤhle in ei - ner Bataille mit den Gnoten derbe Kopfnuͤſſe davon getragen. Auf der Schneidemuͤhle und in Wenig - Jena habe ich einige unſaubere Nymphen angetrof - fen, welche den Beutel, die Geſundheit und die Sitten der Juͤnglinge ſo ſchaͤndlich verwuͤſten. Da - mals war eine gewiſſe Hanne in Wenig - Jena, der196 ein Student die Ehe durch einen ſchriftlichen Auf - ſatz verſprochen hatte. Seine Kameraden mochten ſeine Reue daruͤber wiſſen, und um ihn zu be - ruhigen, ſtuͤrmten ſie nach ſeinem Abzuge das Haus der Dirne, und zwangen ſie, den Aufſatz heraus zu geben. So war alſo das Maͤdel geprellt!

Wenn ich daͤchte, daß es etwas fruchten wuͤr - de, ſo erzaͤhlte ich in einem eignen Kapitel einige auf - fallende Beiſpiele von Maͤdchen, auch ſonſt nach ih - rer Art recht guten Maͤdchen, die von leichtſinnigen Studenten auf den Univerſitaͤten durch Eheverſpre - chungen an der Naſe herumgefuͤhrt, hernach vom Poͤbel beklatſchet und endlich ungluͤcklich geworden ſind. Ich habe in der langen Zeit, die ich unter Studenten verlebt habe, eine ſolche Menge von der - gleichen Beiſpielen erfahren, daß ich wohl eine ganze Chronik damit fuͤllen koͤnnte. Aber was wuͤrde eine Nachricht der Art nutzen? Mannſuͤchtige Maͤdchen werden ſich ſo lange anfuͤhren laſſen, als es noch neugierige Verfuͤhrer und wolluſtgierige Wuͤſtlinge geben wird: und an dieſen fehlt es niemals.

Den Orden der Amiciſten fand ich auch in Je - na im beſten Flor: er behauptete damals den Vor - zug auf der ganzen Univerſitaͤt, und beſtand vorzuͤg - lich aus Moſellanern. Die Ordensbruͤder hielten ſich aber jetzt ſtille, weil kurz vor meiner Ankunft eine Unterſuchung wider ſie ergangen war. Die Moſel -197 laner waren zu der Zeit die angeſehnſten Burſche, wenigſtens die fideelſten, welche das meiſte Bier ſof - fen, und am wenigſten ins Konvikt gingen. Dieſes iſt ein herrſchaftlicher Freitiſch, den aber auch ſolche benutzen, die den Freitiſch nicht haben, und doch einen wohlfeilen Tiſch ſuchen muͤſſen. Es iſt ſonder - bar, daß der Jenenſer die Studenten, welche das Konvikt beſuchen, nicht fuͤr voll anſieht. Der Stu - dent an allen Orten verachtet zwar keinen wegen ſei - ner Armuth; aber ſo recht leiden er es doch nicht, daß ein Armer, um wohlfeil durch zu kommen, die Mittel benutzt, welche auf den Univerſitaͤten fuͤr Un - bemittelte dazu da ſind. So gilt einer, der in Halle das Waiſenhaus, in Jena das Konvikt, in Heidel - berg die Sapienz beſucht, ſchon darum etwas weni - ger. Lieber verzeiht mans, daß einer Schulden ma - che, und die Philiſter prelle. Ich glaube dies ruͤhrt von dem Contraſt her, den man nach einem gewiſ - ſen Wuͤrdigungsgefuͤhl der Studenten zwiſchen einer liberalen Jovialitaͤt und der Scheinheiligkeit oder dem ſonderbaren abgeſchmackten Weſen antrift, deſſen ſich die Benefiziaten befleißen muͤſſen, um zu dergleichen freilich ohnehin ſehr kuͤmmerlichen Anſtalten nur Zu - tritt zu haben. Der groͤßte Theil dieſer Duͤrftigen ſind armer Prediger, oder Schullehrer Soͤhne, de - ren gerader, offener Sinn ſchon durch den Druck der Duͤrftigkeit zu Hauſe verſtimmt, oft gar zur198 Unempfindlichkeit gegen herabwuͤrdigende Behan - dlungen, oder zu allerhand Tuͤcken, Schleichwegen, und Niedertraͤchtigkeiten verwoͤhnt, und deren Ehr - gefuͤhl eben darum groͤßtentheils abgeſtumpft oder gar erſtickt iſt. Geht es ihnen hernach auf der Uni - verſitaͤt nicht beſſer: wie werden ſie den Ekelnamen und der damit verknuͤpften Verachtung entgehen koͤnnen? Das eine erzeugt das andere! Und doch ſind dieſe beinahe durchgaͤngig diejenigen, denen man die Erziehung und Bildung der kuͤnftigen Ge - nerationen in Kirchen, Schulen und anderwaͤrts an - vertraut! Aber unſere Zeiten ſind finanzioͤs, und das Wohlfeilſte haͤlt man fuͤrs Beſte!

Außer der Moſellaner Landmannſchaft ſpielten die Lieflaͤnder und Meklenburger eine anſehnliche Rol - le. Die Landeskinder waren wie uͤberall, wo ſehr viel Fremde ſind, und das Land klein iſt, am wenig - ſten geachtet. Die Naͤhe oder die Aufſicht der El - tern haͤlt ſie etwas knapp: ſie koͤnnen alſo nicht ſo recht mitmachen, und dadurch ſinkt ihr Anſehn. Auch wirkt hier das Vorurtheil, nach welchem man von extenſiver Groͤße auf intenſive ſchließt von Menge auf Werth.

Es hat auch jemand, als ich in Jena war, fuͤr den mediciniſchen Doktor diſputirt; aber ſo elend, wie ichs ſchon oft geſehn und gehoͤrt habe. Kochs Hannchen denn ſo hieß ſie hab ich damals199 zwar nicht geſehn; wohl aber viel von ihr gehoͤrt. Sie fing um dieſe Zeit ſchon an, gemeinnuͤtzig zu werden.

Noch etwas von Jeniſcher Policei! Es war den Schenken verboten, nach zehn Uhr in der Stadt Bier und dergleichen herzugeben. Wenn nun die Burſche beiſammen ſaßen, und nach zehn Uhr blei - ben wollten und das wollten ſie immer, ſo ließ ſich ein jeder ſo viel Bier geben, als er zu trin - ken gedachte, zwei, drei und mehr Stuͤbchen: her - nach konnte ihn doch niemand zwingen, eher wegzu - gehen, als bis er ſein Bier ausgeleert hatte! Und ſo ſaß er dann bis nach Mitternacht. Fuͤrs hinein - kommen in ſein[Quartier] durfte er nicht ſorgen: die Haͤuſer ſtanden meiſtens die ganze Nacht uͤber auf. Die Aufwaͤrterinnen ſind eben darum in Jena mehr geplackt, als auf irgend einer Univerſitaͤt. In Goͤt - tingen ſind ſie es am wenigſten. Ein Maaßſtab der Cultur im Kleinen!

Nachdem ich ohngefaͤhr drei Wochen in Jena zugebracht hatte, trat ich meinen Ruͤckweg an. Zu Weimar ſprach ich den Hofrath Wieland, oder vielmehr, ich ſah ihn nur: denn kaum hatte ich und ein Lieflaͤnder Platz genommen, als ein Fremder ſich anmelden ließ, welcher allein den Diskurs fortfuͤhrte. Ich habe ſeinen Namen vergeſſen: es war aber einer von denen, die von ſich ſo ſehr eingenommen ſind,200 daß ſie niemanden als ſich ſelbſt gern reden hoͤren. Ich war aber doch froh, daß ich nun den herrlichen Wieland in Perſon kannte! Groß und beruͤhmt zu ſeyn, iſt indeß doch etwas Laͤſtiges: jeder will da - von participiren auf dieſe oder jene Art: und ſo iſt ein ſolcher Mann ſelten ganz Herr von ſich und dem Seinen, am wenigſten von dem ungeſtoͤhrten Ge - brauch ſeiner Zeit. Jeder Eingriff in dieſelbe, ohne vollguͤltigen Erſatz, ſollte man aber billig fuͤr eine Suͤnde wider den heiligen Geiſt halten.

Ich ging nicht wieder uͤber Hersfeld, ſondern uͤber Fulda, wo auch ein Stuͤck von Univerſitaͤt iſt. Ich fand einige Studenten in einer Schenke vor der Stadt, die man die Moſchee hieß: aber die Leut - chen waren zu ſehr mit ihrem Regeln beſchaͤftigt, als daß ſie mich haͤtten unterhalten ſollen. Ich ſchloß, ſie muͤßten wenig Komment verſtehen. Wohl ihnen!

Zwei und zwanzigſtes Kapitel.

Opinionum commenta deler dies: Naturae confirmat.

Als ich wieder nach Gießen kam, waren die Win - tervorleſungen ſchon einige Tage angegangen. Ich waͤhlte mir gute Kollegia, und fing an, recht emſig zu ſtudiren. Der Profeſſor Koͤſter, mein Vetter,201 und der Bergrath Boͤhm ſetzten mir beſonders zu, ja recht fleißig zu ſeyn. Ich faßte auch wirklich den feſten Vorſatz, zwar burſchikos zu leben, doch aber meine Wiſſenſchaften immer daneben zu treiben, um einmal etwas leiſten zu koͤnnen, oder vielmehr, weil mir die Litteratur von je her behagt hat. Haͤtte ich in der gehoͤrigen Ordnung ſtudirt; ſo glaube ich, daß ich es in einigen Kenntniſſen ziemlich weit gebracht haͤtte.

Ich gerieth dieſen Winter in die Bekanntſchaft des Prof. Lobſtein. Dieſer Mann war an Hrn. D. Bahrdts Stelle gekommen, hatte aber bei weitem Bahrdts Geiſt, und hellen Kopf nicht. Lobſtein war ein Mann von einiger Gelehrſamkeit; er hatte in Strasburg und Paris ſtudirt, und ſein Gedaͤcht - niß nicht uͤbel angefuͤllt; ſein Verſtand war aber lei - der unkultivirt geblieben. Zu Strasburg hatte er ſich den orthodoxen pietiſtiſchen Ton angewoͤhnt, der dort Mode war, und den wollte er nun auch in Gießen einfuͤhren. Er warf ſich alſo zum unbefug - ten Sittenrichter der Studenten auf, und verdarb dadurch ſeinen ganzen Credit. Wenn er ſeine Lehr - ſtunden anfing, ſo betete er allemal eine Viertelſtun - de, und wenn er ſie endigte, ſo empfahl er ſeine Zu - hoͤrer in die allgewaltige Hand des Herrn, und ließ ſie im Frieden Jeſu gehen. Kam ein Student zu ihm; ſo fragte er ihn, ob er auch ein Regeni -202 tus vereque Converſus waͤre? Dabei tobte und ſchimpfte er auf die Theologen und Heterodoxen, ſo wie auf die Baͤlle, Schlittenfahrten und den Kopfputz der Damen. In ſeinen Predigten war er uͤber die maßen abgeſchmackt, und handelte lauter Fratzen ab, z. B. die Suͤnde in den heil. Geiſt, die Ewigkeit der Hoͤllenſtrafen, den thaͤtigen Gehorſam Jeſu, und dergleichen. Durch ſolches Betragen mußte nun Lob - ſtein laͤcherlich werden: er ward es auch, und ſein Hoͤrſaal blieb leer.

Er hatte ein Collegium uͤber den Jeſaias ange - ſchlagen, welches ich gern hoͤren wollte, da ich wußte, daß der Mann im Hebraͤiſchen nicht uͤbel zu Hauſe war. Ich beſorgte alſo eine Anzahl von 16 Zuhoͤrern: und Lobſtein ward von dem Augen - blick an mein Freund und Goͤnner. Seine ganze Bibliothek ſtand mir offen, und taͤglich hatte ich freien Zutritt zu ihmg)Durch nichts kann man ſich bei den Herren Profeſſoren mehr inſinuiren, als wenn man fuͤr ſie wirbt: das ſchmeichelt zugleich ihrem Ehrgeiz und ihrer Kaſſe..

Lobſtein diſputirte ſehr oft mit mir, welches mir aber allemal ungelegen war: denn ich woll - te ihn gern zum Unterricht und nicht zur Bekeh - rung gebrauchen: er ſollte mich im Hebraͤiſchen weiter bringen, und wenigſtens arabiſch leſen leh -203 renh)Der groͤßte Theil unſrer Herren Orientaliſten weiß vom Arabiſchen ja auch nicht mehr! In keinem Theil der Gelehrſamkeit wird aͤrger aufgeſchnitten, als in der morgenlaͤndiſchen.. Ich wich daher immer aus, wenn er ein Geſpraͤch von der Bekehrung anfing, und fuͤhrte eine Stelle an, die er erſt erklaͤren, das iſt, nach der Grammatik durchgehen muſte.

Da er keine ſchlechten hiſtoriſchen Kenntniſſe im Gedaͤchtniß hatte, beſonders in der Geſchichte von Frankreich; ſo war ſein Geſpraͤch daruͤber unterhal - tend und lehrreich. Er borgte mir aus ſeiner Bi - blothek das beruͤhmte Werk des Auguſt von Thou (Thuanus) woraus ich wirklich manches Nuͤtzliche gelernt habe. Um mich, wie er ſagte, wider den neuen Unglauben zu ſichern, gab er mir des beruͤhm - ten Lardners Werk uͤber die Glaubwuͤrdigkeit zu leſen. Ich las es; fand aber ſelten etwas, das mir behagt haͤtte. Nun ſollte ich auch die Einwuͤrfe der Gegner kennen lernen, und zu dem Ende borg - te er mir die deutſche Ueberſetzung von dem verrufe - nem Erweis des Englaͤnders Matthias Tindal. Gott, mit welchem Vergnuͤgen und An - halten las ich dies merkwuͤrdige Buch! wie aͤnderten ſich nun auf einmal alle meine Gedanken uͤber Ge - heimniſſe und Offenbarung. Alle Zweifel vergingen mir ploͤtzlich, und ſind ſeitdem auch nicht wieder in204 meine Seele gekommen. Ich uͤberzeugte mich gleich - ſam mit mathematiſcher Gewißheiß: daß Geheim - niſſe nicht einmal der Gegenſtand des Glaubens ſeyn koͤnnen: daß ſie als unbegreifliche Dinge, den Wil - len nicht beſtimmen, und folglich die Moralitaͤt nicht befoͤrdern helfen: daß ſie vielmehr eine Mis - ſtimmung in dem Gebrauch unſrer Vorſtellungskraft hervorbringen, den geſunden Menſchenverſtand noth - zuͤchtigen, und den Weg zum Wahn und Aberglau - ben bahnen: daß eben darum Jeſus und die Apo - ſtel dergleichen auch nicht gelehrt haben; ſondern blos natuͤrliche Religion, hier und da geſchmuͤckt mit Bil - dern aus der aͤltern orientaliſchen Bilderſprache, woraus hernach die finſtere hierarchiſche chriſtliche Kirchenparthei ſolche Raritaͤten, wie die Geheimniſſe ſind, gebildet, und zu Glaubensartikeln erhoben hat: daß die moraliſche Religion, wie die Einſicht der Menſchen, eines ſtaͤten Fortſchrittes und folglich der Verbeſſerung faͤhig ſey: daß es alſo gar nicht noͤthig, ja pflichtwidrig ſey, bei den Lehren des neuen Te - ſtaments und den kirchlichen Beſtimmungen daruͤber ſtehen zu bleiben: daß eben dies Buch nur localen und temporellen Werth gehabt habe, und der Ethik des Ariſtoteles, den Pflichtbuͤchern des Cicero, und andern moraliſchen Schriften der ſogenannten Heiden nachſtehen muͤſſe. Das war ſo das Reſultat von meiner Lectuͤre der Tindaliſchen Schrift. Ich habe205 hernach eine Widerlegung derſelben vom Abt Schu - bert geleſen, welche er ſeinem Buche oder vielmehr Werke von der Wahrheit der chriſtlichen Religion an - gehenkt hat; aber die begnuͤgte mich nicht: vielmehr wurde ich in meinem naturaliſtiſchen Denken be - ſtaͤtiget.

Da ich ſchon ſeit meiner Jugend die Hierarchie der Pfafferei gehaßt hatte; ſo mußte mir ein Buch dieſer Art ſehr willkommen ſeyn. Ich ſah jezt die heiligen Dogmen mit ganz andern Augen an, und las nach ganz andern Grundſaͤtzen die Kirchenhiſto - rienſchreiber. Das ganze Kirchenſyſtem erſchien mir nun als ein Gebaͤude, welches auf Fratzen, Aber - glauben, Unwiſſenheit, Herrſchſu〈…〉〈…〉 t und Betrug ſich ſtuͤtzte: und einige naͤhere Bekanntſchaft mit der Geſchichte, beſonders der Kirchengeſchichte, welche ich mir in der Folge verſchaffte, hat mir die Beweiſe fuͤr dieſen Glauben, in Menge dargeboten. Mei - ne Leſer moͤgen mir mein freimuͤthiges Glaubensbe - kenntniß verzeihen: ich ſage nur, was ich denke, und will keine Proſelyten machen.

Prof. Lobſtein wollte gern Doktor der Theo - logie werden, und waͤhlte mich zu ſeinem Reſponden - ten. Ich hatte alſo die Ehre, daß mein Name auf einer Diſputation gedruckt ſtand, und daß ich ſelbſt mit den Herren Benner, Bechtold und Ou -206 vrier diſputiren konntei)In Gießen iſt es Mode, daß jedesmal, auch bei den Disputationen der Mediciner, nicht Studenten, ſon - dern die Fakultiſten, d. i. die Profeſſores ordinarii der Fakultaͤt opponiren. Bei den theologiſchen Doktor Promotionen mag das gut ſeyn; aber bei andern ſollte billig den Studenten die Gelegenheit gelaſſen werden, ſich ein Biſſel im Latein zu uͤben: denn das thut doch heutzutage warlich Noth.. Ich machte meine Sache ziemlich gut, und erhielt allgemeinen Beifall. Lobſtein gab nach dieſer Fehde einen koſtſpieligen Schmaus, worauf die ganze Gießer Nobleſſe zuge - gen war. Die Herren waren alle ſeelenluſtig, ließen ſichs wohl ſchmecken, und machten dem Herrn Doktor freundſchaftliche Komplimente, und hatten doch den Schalk im Buſen, zum Theil naͤmlich: denn ſchon hatte der damalige Prorektor Hoͤpfner, und der Kanzler Koch, welche ſich nun, um einen Dritten zu ſtuͤrzen, verſoͤhnt hatten, einen Bericht nach Pirmaſens gemacht, und den Profeſſor Lobſtein als einen Mann geſchildert, welcher der Univerſitaͤt Schande mache, und ſich zum Lehrer durchaus nicht ſchickek)Zum Doktor der Theologie war er alſo dennoch〈…〉〈…〉. Der Landgraf war Lobſteinen gewogen, und ließ die Sache liegen; allein die Gießer Herren, die den guten Mann aus vielen Gruͤnden, und auch beſonders deswegen haßten, weil er ein Auslaͤnder, ein Strasburger, war, behelligten den Fuͤrſten ſo207 lange, bis er ihn auf Butzbach verſetzte. Lobſtein arbeitete zwar aus allen Kraͤften dagegen, und ſup - plicirte; aber es half einmal nichts: er muſte gegen den Herbſt abziehen.

Gießen hat freilich an dieſem Manne nichts, gar nichts verlohren: denn er hatte wirklich keinen Beifall, und ſtiftete wenig Nutzen: aber doch haͤtte der Kanzler und der Prorektor nicht ſo heimlich zu Werke gehen, und die Lobſteiniſche Sache vielmehr der ganzen Univerſitaͤt und dem Kuratorium uͤberlaſ - ſen ſollen. Lobſtein iſt vor einiger Zeit Profeſſor in Strasburg gewordenl)Die jetzigen Lutheriſchen Profeſſoren in Strasburg muͤſſen doch gar huͤbſch neben den beiden Katholiſchen, Schneider und Dorſch, paradiren!. Bei aller ſeiner Pietiſte - rei und uͤbertriebenen Orthodoxie hatte er doch das Gluͤck, das ſchoͤnſte Maͤdchen in Gießen, die Toch - ter des Profeſſors Diez, zur Frau zu bekommen. Man wird gemeiniglich finden, daß die Pietiſten das huͤbſche Frauenzimmer ſehr gern haben. Das ge - hoͤrt ſo zum beſchaulichen Leben! Liebte doch der Schwaͤrmer und Polemiker Sankt Hieronymus auch huͤbſche Geſichter!

Ich komme wieder auf mich. Seit dem Herbſt 1776 bis in den Sommer 1777 habe ich ſehr fleißig ſtudirt, und nicht nur meine Wiſſenſchaften, beſon -208 ders Geſchichte und Geographie, letztere nach Cel - larius und Buͤſching, ſtark getrieben, ſondern auch die Lebensbeſchreibungen des Plutarchs, mehrere Schriften des Cicero und den Athe - naͤus durchgegangen. Auch hatte ich von den grie - chiſchen Dichtern, außer der Iliade, wenig geleſen; nun aber las ich den Theokrit, den Bion, Mo - ſchus und einiges in der Chreſtomathia Tragica. Daß ſich durch dieſe Lectuͤre meine Kenntniſſe ſtark mehrten, iſt gewiß; daß ich aber nicht aͤcht ſchmecken lernte, machte der Mangel an vernuͤnftiger Anfuͤh - rung, die ich in Gießen gaͤnzlich vermißte. Meine philologiſchen Kenntniſſe haben daher immer einem Chaos aͤhnlich geſehen, wo alles wie Kraut und Ruͤ - ben durch einander liegt: Viel Materie; aber keine Verbindung! Vielleicht liegt auch ein Theil dieſer Schuld in der Verabſaͤumung einer vernuͤnftigen ge - laͤuterten Philoſophie: denn die Wolffiſche Logik und Metaphyſik, welche ich bei Herrn Boͤhm lernte, mag ich doch nicht gute Philoſophie nennen.

209

Drei und zwanzigſtes Kapitel.

Neuer Krieg. Ruin der Gießer Univerſitaͤt.

In den Ferien des Jahres 1777 kam ein ge - wiſſer Wittenberg nach Gießen Er war ein Genie, focht unverbeſſerlich auf Hieb und Stich, und ſpielte die Geige und den Baß meiſterhaft; war aber dabei der liederlichſte Kerl, den man ſich vor - ſtellen kann. Durch dieſen Menſchen, der ſich zu den Amiciſten geſellte, entſtand allerlei Unruhe, und manche Schlaͤgerei. Die Amiciſten bekamen daher eine Menge Gegner und Feinde, und die Gaͤhrung ward allgemein. Endlich trafen einmal einige vor der Stadt am Waſſer zuſammen, und behandelten ſich, wie beſoffene Bauern: ſie ſchoſſen ſogar auf ein - ander; und ein gewiſſer Lange aus dem Elſaß, wurde durch einen Schuß ſo gefaͤhrlich verwundet, daß man an ſeinem Leben lange zweifelte. Er mu - ſte uͤber fuͤnf Monate die Stube huͤten. Einer, Namens Conradi, hieb einen andern dergeſtalt zuſammen, daß man mehr als zwoͤlf Wunden vor - fand. Dieſer Auftritt endigte den Spektakel noch nicht, und ſo klein die Univerſitaͤt war, fielen doch innerhalb acht Tagen mehr als dreißig Schlaͤge -Erſter Theil. O210reien vor. Die Antagoniſten der Orden wollten die Ordensbruͤder und die Orden herunter haben; und dieſe ſuchten ihren Vorzug, den ſie ſich einmal angemaßt hatten, zu behaupten.

Endlich, nachdem die Haͤndel ſchon ſehr lange gedauert hatten, fing der Prorector an, zu inquiri - ren. Einige wurden relegirt, z. B. Wittenberg: andere mußten aufs Karzer; und einen gewiſſen Breithaupt fuͤhrte man nach Pirmaſens ab, und ſteckte ihn daſelbſt unter die Soldaten. Aber durch dieſe Proceduren ward der Raufereien noch kein En - de: taͤglich hoͤrte man von neuem Skandal, und neuen Strafen.

Ich war bei der Sache nicht ruhig geblieben: der Senior meines Ordens war weggejagt, und der Senior von unſrer Landmannſchaft war auch be - ſtraft worden. Ich ermahnte daher, ſo viel ich konnte, die guten Freunde zur Standhaftigkeit, und legte ſelbſt hand an, ſo viel ich konnte. Der Prorek - tor ſchickte mir einmal den Pedell Moͤſer; da er mir aber grob zuſprach, warf ich ihn zur Thuͤr hinaus, und maulſchellirte ihn zur Treppe hinunter. Nun brannte alles gegen mich. Ich wurde abermals ci - tirt, erſchien aber nicht: endlich beſchloß man, mich zu relegiren, oder vielmehr mir das Conſilium abeun - di zu geben.

211

Man hatte damals gewiß Urſache, mich fort zu ſchicken: das kann ich nicht leugnen. Einmal hatte ich mich geſchlagen, dann Fenſter eingeworfen, den Spektakel nach Vermoͤgen vermehrt: auch war ich nicht erſchienen, als man mich zum zweiten und gar zum drittenmal citirt hatte: endlich hatte ich ein ſkandaloͤſes Lied auf den Rektor und Kanzler ge - macht, welches die Studenten des Abends auf der Gaſſe abſungen. Dieſes alles zuſammen genommen, war ſchon hinlaͤnglich, mir die Relegation zuzuziehen, die mir indeß doch, als Auslaͤnder, wenig geſchadet haͤtte.

Ich wuͤſchte aber in Gießen zu bleiben. Als ich nun hoͤrte, daß man mich relegiren wollte, und daß einer meiner Freunde ſchon wirklich relegirt ſey, gieng ich zum Rektor, und gab gute Worte. Die - ſer ſagte mir, daß ich ſehr gravirt waͤre, beſonders wegen eines Pasquills, welches ich aber ableugnete. Darauf gab er mir zu verſtehen, daß ich eine kleine Bittſchrift an ihn aufſetzen moͤchte: er wuͤrde die - ſelbe ſchon empfehlen. Ich that dieſes, und meine Relegation wurde aufgehoben; ich aber doch auf vier Wochen ins Carzer geſetzt.

Herr Schmid daß ich doch mit dem Eh - renmann ſo oft zuſammen komme! Herr Schmid gibt vor: ich waͤre wegen ſchaͤndlicher Lebensart relegirt worden; dieſe Strafe aber haͤtte der Kanzler212 Koch in Karzerſtrafe verwandeln helfen. Das iſt mit Hrn. Schmids kritiſcher und poetiſch-muſenal - manachiſcher Erlaubniß, nicht wahr. Er ſetzt hin - zu: das waͤre auf mein Bitten bei Hrn. Koch ge - ſchehen; da ich doch den Kanzler niemals um etwas gebeten habe, und auch gewiß haͤtte ich es jezt thun wollen bei dem gegen mich aͤußerſt aufge - brachten Mann fehl gebeten haͤtte. Das al - les iſt nicht wahr, und die noch in Gießen lebenden Profeſſoren, Herr Jaup, Herr Koͤſter und Herr Dietz muͤſſen mir bezeugen, daß es nicht wahr iſt. Denn an dem Tage, woran die Vota uͤber meine Beſtrafung geſammelt wurden, ſtimmten beinahe alle Profeſſoren auf Karzerſtrafe, und nur Hr. Koch drang auf meine Relegation: er haͤtte mich gar zu gern fortgejagt. Wenn alſo Hr. Schmid mir Un - dank gegen meinen Retter, Hern Koch, vorwirft; ſo hat er wahrlich Unrecht: Koch hat mich niemals leiden koͤnnen. Ich hatte ſeinem Jungen Ohrfeigen gegeben, ich hatte gegen den damaligen Exkaplan, jezt Profeſſor in Jena, Schnaubertm)Im andern Theil dieſer Biographie rede ich von die - ſem Herrn weiter., eben nicht zum Beſten geſprochen: und Schnaubert war ſo quaſi der Maͤhrchen - und Neuigkeitskontrolleur des Kanzlers; daher ſich auch die Studenten gewal -213 tig vor ihm in Acht nahmen: und endlich hatte ich dem Hrn. Koch das Latein in ſeinem Kompendium des Criminalrechts korrigirt. Lauter Urſachen, wel - che mich bei einem ſtolzen egoiſtiſchen, rachgierigen Manne hoͤchſt verhaßt machen muſten. So haͤtte ich denn abermals einen Vorwurf, den Herr Schmid mir macht, widerlegt!

Auf dem Karzer ſtudirte ich fleißig, und Herr Boͤhm verſah mich mit Buͤchern aus ſeiner Bi - bliothek. Aber indeſſen ich auf dem Karzer war, entſtand ein gefaͤhrlicher Aufſtand. Der Rektor wollte naͤmlich die uͤberall ſchaͤdlichen Geldſtrafen einfuͤhren, welche mehr eine Strafe fuͤr die Eltern, als fuͤr ihre ſtudierenden Soͤhne ſind, und die bisher in Gießen unerhoͤrt waren. Daruͤber kam nun alles in Harniſch: die feindſeligen Geſellſchaften und In - nungen verſoͤhnten ſich mit einander, machten ge - meinſchaftliche Sache, laͤrmten, tobten, und zo - gen aus, ſo wie ſie im vorigen Jahre ausgezo - gen waren.

Sie zogen wieder auf darmſtaͤdtiſche Doͤrfer, bis ſie merkten, daß man Mine machte, ſie von da nach einigen Tagen weg zu holen, und mit Gewalt nach Gießen zuruͤck zu ſchleppen. Jetzt begaben ſie ſich ins Weilburgiſche, wo die meiſten in Aßbach und Gleiberg den ganzen Sommer uͤber zubrachten. Die Univerſitaͤt ſah ſehr traurig aus, und mehrere Pro -214 feſſoren mußten ihre Vorleſungen ausſetzen. In Gleiberg lagen ſie in den Scheunen und Bauernſtu - ben auf dem Stroh, und ſahen aus, wie die Hot - tentotten. Wie viel Unordnungen und Skandale da vorgegangen ſind, kann man denken.

Dem Kanzler und Rektor war es bei der Sache nicht wohl zu Muthe: ſie befuͤrchteten, wenn der - gleichen Poſſen vor den Landesherrn kaͤmen in Darmſtadt hatten ſie ſchon alles zu ihrem Vortheil eingelenkt ſo moͤchte man ſie zur Rede ſtellen: denn ſie waren es doch, die durch eine unzeitige Einfuͤhrung ganz neuer Strafen, die erſte Gelegen - heit zu den Haͤndeln gegeben hatten, und recht wohl wußten, daß die Geldſtrafen ihre und nicht des Fuͤr - ſten Erfindung, waren. Um indeß den uͤbeln Fol - gen vorzubeugen, ſuchten ſie um eine Komiſſion bei dem Kuratorium an, und der Kurator, Herr Ge - heime-Rath Heß, erſchien ſelbſt in Gießen, inqui - rirte, und hob die Geldſtrafen auf. Einige ſchon in die Kaſſen der Herren gefallne Gelder wurden auch wieder zuruͤck gegeben. Aber Herr Heß war nicht im Stande, den Tumult zu ſtillen, und die Univerſitaͤt zu beruhigen. Die meiſten Burſche blie - ben auf den Doͤrfern bis zum Herbſt, wo ſie entwe - der abgingen, oder andere Univerſitaͤten bezogen; einige brachten den Winter in Gleiberg zu.

215

Die Frankfurter Zeitungen meldeten ſehr oft Neuigkeiten vom Gießer Kriege, und die Univerſitaͤt gerieth daruͤber in einen gewaltigen Miskredit, oder vielmehr wurde der Miskredit, worin ſie ſich ſchon ſeit langer Zeit befunden hatte, dadurch ſehr vermehrt. Unter andern las man folgenden Artikel darinn)Naͤmlich der Sache nach: denn einige Worte moͤgen wohl anders gelautet haben. Es war ſonſt ein derber Artikel, welcher den Gießer Herren gar nicht gefiel. Aber die Frankfurter Zeitungen, beſonders die Gelehr - ten, waren ſo der Satansengel, welcher die Herren mit Faͤuſten ſchlug. Wie froh muß doch Herr Schmid ſeyn, daß Herr Deinet keine gelehrte Zeitung mehr heraus - giebt!:

Gleiberg den 4ten Auguſt. Die Uni - verſitaͤt iſt von Gießen hieher verlegt worden. Wir haben unſern Rector, Kanzler und Profeſſo - ren. Zu den vier Fakultaͤten iſt noch eine fuͤnfte gekommen, naͤmlich die Zotologiſche, worin ſich die Lehrer ganz beſonders verdient machen. Alle Gemeinſchaft mit Gießen iſt abgeſchnitten: die da - ſigen Herren moͤgen den Schuͤlern vom Pihjo Kol - legia leſen. Pihjo ſo heißt das Paͤdago - gium in Gießen.

Hier ſehen meine Leſer zugleich, was Herr Schmid mit ſeinem Profeſſor Zotarum ſoll ei -216 gentlich Zotologia heiſſen: heißt doch Herr Schmid auch Profeſſor Poeſeos und nicht Poeticorum! haben will. In Gleiberg ließ ich mich naͤmlich zum Profeſſor dieſer edlen Kunſt ernennen, und las uͤber ein von mir ſelbſt geſchriebenes Kompendium, dem ich den Titel Elementa Zotologiae ſive Ae - ſchrologiae tam theoreticae quam practicae gegeben hatte, und das damals haͤufig abgeſchrieben wurde. So war ich alſo in Gleiberg Profeſſor der Zotologie geworden: aber Herrn Schmids eigner Schwager war ja mein Kollege in dieſer ſaubern Fa - kultaͤt!

Die Univerſitaͤt ſuchte auch in Weilburg darum an, daß man die Gießer Studenten von den Weil - burgiſchen Doͤrfern entfernen moͤchte; aber das ge - ſchah nicht: vielleicht dachte m〈…〉〈…〉 n Weilburg; ha - ben die Gießer Herren den〈…〉〈…〉 in den Koth ge - ſchoben, ſo moͤgen ſie ſelbſt ſehen, wie ſie ihn wie - der herausziehen!

Bei allem dieſem Laͤrmen vergaßen wir indeß den Eulerkapper in Gießen nicht: es wurden von Zeit zu Zeit Deputirte nach der Stadt geſchickt, die den armen Mann periren, und Pasquille auf ihn an - ſchlagen mußten. Um der Verfolgung zu entgehen, veraͤnderte er ſeine Wohnung; aber es blieb beim alten.

217

Nach den Michaelis Ferien wurde es zwar wie - der ruhig; allein die arme Univerſitaͤt hatte eine an - ſehnliche Anzahl Studenten verlohren, und mußte obendrein denen, die geblieben waren, nun mehr noch auch zu verſcheuchen. Aus der Bereitwilligkeit dazu, haben wir hernach geſchloſſen, daß die Herren Freiheit verſtatten, als vorhin, um ſie nicht einen derben Verweis von Pirmaſens aus muͤßten bekommen haben.

Auch der Komment hatte ſehr gelitten. Die beſten Schlaͤger waren fort, und die wenigen, wel - che etwa noch geblieben waren, ſcheuten die Strafen, welche nun freilich nicht mehr in Geld beſtunden, aber doch in Relegation und Karzer; und im Karzer ſitzt ſichs im Winter nicht gut, beſonders in dem zu Gießen nicht, wo der Ofen ganz moͤrderiſch zu rau - chen pflegte.

Zu den groben Unanſtaͤndigkeiten, welche um dieſe Zeit in Gießen Mode wurden, gehoͤrt die Ge - neralſtallung,[und] das wuͤſte Geſicht. Jene wurde ſo veranſtaltet, daß zwanzig, dreiſſig Studenten, nachdem ſie in einem Bierhauſe ihren Bauch weidlich voll Bier geſchlungen hatten, ſich vor ein vornehmes Haus, worin Frauenzimmer waren, hinſtellten, und nach ordendlichem Kommando und unter einem Gepfeife, wies bei Pferden gebraͤuchlich iſt, ſich auch viehmaͤßig, ich meyne, ohne alle Ruͤckſicht218 auf Wohlſtand erleichterten. Das garſtige, oder wuͤſte Geſicht war eine Larve von ſcheuslichem Anſehen, welche an einem Buͤndel zuſammengeroll - ter Lappen auf einer hohen Stange befeſtiget ward. Dieſe Larve nahm ein Student ich ſelbſt hab eine dergleichen gehabt trat des Abends ſpaͤt vor ein Haus, wo die Leute, wies in Gießen ſehr gewoͤhnlich iſt, wegen der Feuchtigkeit, im zweiten Stock logirten, und klingelte oder klopfte. Kam nun jemand ans Fenſter, um zu ſehen, wer da waͤre; ſo hielt man ihm das wuͤſte Geſicht vor, wor - uͤber dann die guten Leute zu Tode erſchracken. Wir gaudirten uns aber baß daruͤber. Schuſterjungen ſind heutzutage delikater und geſetzter!

Ich gerieth dieſen Winter in ſtarke Schulden, ob ich gleich nicht ſehr fideel lebte. Es ging aber ganz natuͤrlich zu. Ich hatte in den Herbſtferien eine Reiſe nach Oppenheim gemacht, wo meines Va - ters Bruder Prediger war, der mich noch einmal vor ſeinem Tode zu ſehen wuͤnſchte. Auf dieſer Rei - ſe empfing ich mein Geld zu Frankfurt am Main, und brachte, beſonders in Mainz, wo ich und Herr Lony, der von Jena gekommen war, und nach Hau - ſe reiſete, den Komment einfuͤhrten, eine ziemliche Summe durch. Ich muß doch meinen Leſern dieſe Komments-Schnurre mittheilen.

219

Vier und zwanzigſtes Kapitel.

Burſchenkomment in Mainz.

Wir waren gegen Abend in Mainz angekommen, und in den Gaſthof, die Pfalz, eingekehrt. Da wir daſelbſt alles thek und draſtiſch fanden, gingen wir zum Abendeſſen vors Muͤnſterthor, auf ein an - ſehnliches Gartenhaus, welches damals einem ge - wiſſen Dillmann zugehoͤrte, und wegen ſeiner ſchoͤnen Tochter fleißig beſucht wurde. Die Tochter hieß in Mainz die huͤbſche Gretel. Hier trafen wir Mainzer Juriſten an. Juriſten heißen hier ei - gentlich, im Gegenſatz der Seminariſten, oder Theo - logen, diejenigen Studenten, welche ganz ſo zu ſagen von den uͤbrigen abgeſondert ſind, und ihr Weſen fuͤr ſich haben. Dieſe Herren waren artig und ließen ſich mit uns ins Geſpraͤch ein. Ihre Hoͤflichkeit machte, daß wir uns ihrer erbarmten, und beſchloſ - ſen, ihnen den Komment beizubringen: denn wir ſa - hen wohl, daß ſie in dieſem Stuͤck arme Suͤnder waren. Ich fragte daher den erſten beſten: wie ſiehts denn hier mit dem Komment aus?

Student: Komment? was iſt das, wenn ich gehorſamſt bitten darf?

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Ich: Je nun, Komment iſt Komment: das iſt ſo die rechte Art, das rechte Avec, wie der Burſche auf Univerſitaͤten leben ſoll!

Student: Ja, liebſter Freund, die iſt hier ſehr verſchieden. Einige unſerer Studenten von den Seminariſten will ich nichts ſagen: die liegen ſo nur auf der faulen Haut ſind recht fleißige Leute, und von feinen Sitten und Lebensart,

Ich: (einfallend) Ei, wer Teufel fraͤgt denn nach Sitten und Lebensart und Fleiß! Ich frage nach dem Komment!

Lony: Du mußt mit dem Herrn ins Detail gehen, Bruder Herz, damit er das Ding recht faſſe.

Ich: Haſt recht! Sagen Sie mir mein Beſter, wird hier oft kommerſirt?

Student: Kommerſirt?

Nun erfolgte von meiner Seite eine weitlaͤuftige Erklaͤrung des Kommerſirens: darauf ſangen Lony und ich einige Kernſtrophen aus dem Liede Ecce quam bonum. Das Ding gefiel den Mainzer-Stu - denten, und es wurde beſchloſſen, ſogleich eine Pro - be davon zu machen. Alſo praͤſidirte ich; Lony praͤ - ſidirte kontra, und der Kommers ging vor ſich. Freilich war's ein ſehr ſchofeler Kommers, weil kei - ner von den Mainzern mitſingen konnte; jedoch wur -221 den ſie alle ſo betrunken in dem Doppel-Bier - daß ſie kaum noch ſtehen konnten. Den andern Gaͤſten, welche uns zuſahen, wie auch der huͤbſchen Gretel behagte das Ding gar ſehr, und ſie wuͤnſchten nur, daß auch ihre Herren dergleichen Komment verſtehen und ausuͤben moͤchten.

Nach dem Kommers gingen wir zur Stadt, und ſchrieen auf den Straßen, gleich Unſinnigen, ein Lurrah uͤber das andere. Wer uns nicht weit auswich, den ſchuppten wir, daß er wie weit auf die Seite flog. Unſre Herren Mainzer gingen nach ihrem Logis, bis auf einen, der uns in die Pfalz begleitete. Den andern Morgen nahm uns der Student, ich glaube er hieß Blumers, mit auf ein Kaffeehaus, und traktirte uns mit Aquavit: vorher hatte er ſich von uns die beſten Burſchenliedero)Zu jener Zeit waren die Burſchenlieder meiſt ſchaͤnd - liche Zoten, und abgeſchmackte Reime, worin oft wenig Verſtand war. Z. B. Die Welt mag immer brummen, Die alten Weiber ſummen! Brumme die Welt, Das gilt mir gleich viel. Hab ich kein Geld, So hab 'ich kein Spiel. Haſt du nicht geſehn des Teufels fein Spiel? Die Melodien zu dieſen Raritaͤten waren noch abge - ſchmackter, als der Text ſelbſt. Der Geſchmack aber dik -222 tiren laſſen, und ſie nachgeſchrieben. Nachmittags kamen noch mehrere auf Dillmanns Garten, und es wurde abermals kommerſirt.

Nun wollten wir auch einen Orden in Mainz ſtiften, wenigſtens wollten wir daſelbſt ſo eine Geſtalt von Amiciſtenklupp aufbringen. Auch das gelang uns. Wir entwarfen, weil wir die aͤchten Geſetze nicht bei uns hatten, eine Art von Geſetzbuch, er - klaͤrten alles, recipirten neun Studenten im Namen der Mutterloge in Jena, lieſſen einen Senior, Sub - ſenior, und Sekretaͤr waͤhlen, lehrten ſie die Zeichen und Merkmale, und verpflichteten die Mitglieder des hochloͤblichen Amiciſten Ordens durch einen Hand - ſchlag und eine Art von Eidesformel, dem Orden getreu zu bleiben, die Geſetze zu beobachten, und was dergleichen Tollheiten mehr waren. So wurde denn auch das Ordensgift nach Mainz gebracht. Ob ſich die Thorheit daſelbſt erhalten und ausgebreitet habe, kann ich nicht ſagen. So viel iſt gewiß, daß noch im Jahr 1781 Amiciſten in Mainz geweſen ſind, aͤchte oder unaͤchte, darauf kommt bei einem akademiſchen Orden gar nichts an: jeder kann der - gleichen ſtiften, wenn er nur Leute findet, die dumm oder leichtſinnig genug ſind, ſeine naͤrriſchen Grillen gut zu heißen, und ihnen nachzuahmen.

o)iſt auch hierin viel feiner geworden, wenn ſonſt guter Geſchmack uͤberhaupt beim Kommerſch ſtatt finden kann.
o)223

Wir hielten uns uͤber acht Tage in Mainz auf, wonach Lony in ſein Vaterland, und ich zu meinem kranken Onkel nach Oppenheim, und von da uͤber Darmſtadt wieder nach Gießen zuruͤckkehrte.

Die Univerſitaͤt zu Mainz hat nie viel getaugt. Man giebt zwar vor, daß mehrere Proteſtanten da - ſelbſt ſtudiren; aber das iſt nicht wahr. Ich habe noch im verwichnen Sommer einen Studenten in Halle geſprochen, der von Mainz kam, und mich verſicherte, es ſeyen gar keine Proteſtanten da. Vor drei Jahren wollte ein Vetter von mir, Herr Vi - triarius von Partenheim bei Mainz, der in Jena Medicin ſtudirt hatte, daſelbſt Doctor werden: die mediciniſche Fakultaͤt war es zufrieden; aber die The - ologen, beſonders Herr Hettersdorf und Freund Goldhagen, der Exjeſuit, widerſprachen: der Eid rede ja gaben ſie vor von der immacu - lata conceptione B. Virginisp)Dieſen frommen Glaubensartikel hat die Mainzer Uni - niverſitaͤt angenommen, zum Beweiſe ihrer erbaulichen Herablaſſung zu den Galanterie-Grillen der Franzis - kaner uͤber die liebe Maria!, und den koͤnne kein Proteſtant ablegen. So wurde denn Herr Vitriarius abgewieſen, und mußte in Gießen ſich promoviren laſſen. Das iſt ein ganz neues Proͤb - chen von der ſonſt hochgelobten Mainzer Toleranz!

224

Der Jeſuit oder Exjeſuit Goldhagen iſt quaſi das Haupt der theologiſchen Fakultaͤt. Ich hatte im Jahr 1781 Gelegenheit, dieſen Herrn nebſt einem andern ſehr korpulenten Theologen, dem Herrn Het - tersdorf kennen zu lernen, als ich fuͤr den Pfarrer Thiels in Undenheim bei ihnen ſollicitirte, wie ich an ſeinem Ort berichten werde.

Goldhagen hat nicht das einnehmende We - ſen, das man ſonſt bei Jeſuiten bemerkt, oder viel - mehr bemerkt haben will: denn die ich geſehen habe, waren meiſt grobe ungeſchliffene Menſchen: und Goldhagen iſt nichts anders. Er verſprach mir da - mals zwar, fuͤr Herrn Thiels bei dem Herrn von Koͤth zu intercediren; wollte aber durchaus nicht zu - geben, daß ich den Herrn Thiels Pfarrer nannte, noch weniger Prieſter: Praͤdikant muͤſſe er heiſ - ſen! Und nun mußte ich eine weitlaͤufrige Demon - ſtration anhoͤren, daß die unkatholiſchen ſo glimpflich nannte er die Proteſtanten obgleich auf dieſe Art auch jeder Jude, Muhamedaner u. ſ. w. unkatholiſch und folglich Proteſtant iſt keine aͤch - ten Prieſter haͤtten, die konſekriren koͤnnten. Er fuͤhrte noch mehr Kontroverſen mit mir, halb latein und halb deutſch, nach aͤchter Jeſuiter - Methode, und nannte mir hundertmal die Namen des heiligen Auguſtins, Hieronymus, Athanaſius, Bernhardus und andrer Pſeudoheiligen, welche ich beſſer kannte,225 und von ganzer Seele verabſcheuteq)Voltaire ſagt im Maͤdchen von Orleans, oder laͤßt vielmehr den Pater Grisburdon ſagen: die ganze Hoͤlle ſey voller Heiligen. Die hier genannten finden ſich ge - wiß auch da. Ihr Leben war, ihrer ſonſtigen Heilig - keit unbeſchadet, voller Greuel.. Er mußte um drei Uhr eine Vorleſung halten, und er erlaubte mir, derſelben beizuwohnen. Es waren ohngefaͤhr acht Seminariſten gegenwaͤrtig. Er las Scripturi - ſtik; aber ich konnte leider von der heilloſen Poſtillen - Exegeſe, wobei auch nicht ein geſcheuter Gedanke, nicht ein liberales Urtheil vorkam, nichts verſtehen, noch weniger gebrauchen.

Dieſer Herr Goldhagen hat Gellerts Moral mit den Schluͤſſen der Trientiſchen Synode zu ver - einigen geſucht, und hat eine Ausgabe des neuen Teſtaments veranſtaltet, wo er aus den Varianten, die Mill und Wetſtein geſammelt haben, bewei - ſen will, daß die Vulgata latina aͤchter ſey, als der griechiſche Textr)Wie wenn der auch ſo aͤcht waͤre! Wo ſollten die Verfaſſer des Neuen Teſtaments, die groͤßtentheils Ju - den vom gemeinen Schlage waren, ſo viel auslaͤndi - ſche Sprachkenntniß geſammelt haben, um ihre Denk - wuͤrdigkeiten in griechiſcher Sprache aufzuzeich - nen? . O ſancta ſimplicitas! Er iſtErſter Theil. P226aber auch daß dafuͤr ausgeziſcht worden! Jetzt hoͤre ich, daß er vom Erzbiſchof oder Kurfuͤrſtens)Dieſe Wuͤrden trennte der vorige Kurfuͤrſt Emmerich Joſeph ſtark, und war ſelten Erzbiſchof: der jetzige iſt taͤglich beides. zum Großinquiſitor bei einer Kommiſſion gegen die Illu - minaten ernannt ſey. Der wird abermals ſauberes Zeug von den Illuminaten herausbringen, ohngefaͤhr ſolches, wie Herr von Einen in ſeinem Ketzerlexi - kon, unter dem Artikel Illuminaten aus den einſeitigen Berichten einiger baieriſcher Bonzen auf - getiſcht hat. Wer weis auch, was das fuͤr giftige gottloſe Ketzer ſeyn moͤgen! Sie haͤngen ja der ge - faͤhrlichſten Ketzerinn an, die es fuͤr Katholiken geben kann der Vernunft! Was uͤbrigens Herr Goldhagen fuͤr ein ruͤſtiger Klopffechter in Sachen des Vicegotts zu Rom, und deſſen Anhangs ſey erhellet aus der Mainzer Monatsſchrift in geiſtlichen Sachen, und aus Winkopps Bemerkungen uͤber dieſelbe.

Herr Hettersdorf iſt zwar, oder ſcheint wenigſtens nicht ſo intolerant zu ſeyn, als Goldhagen: doch merkt mans ihm ſehr an, daß er ein Schuͤler der Jeſuiten iſt, und blutwenig Weltkenntniß be - ſizt. Er iſt, ehe er Profeſſor, und Vikariatsrath ward, Paſtor in Niederſaulheim geweſen, wo er227 fleißig Kontrovers predigte; aber noch fleißiger die Raͤnke des Mainzer Vikariats ſtudirte. Der jetzige Kurfuͤrſt lernte ihn kennen, und glaubte, das waͤre der Mann, welcher ihm dienen koͤnnte, das Vika - riat zu demuͤthigen. Er machte ihn daher zum geiſt - lichen Rath, und einen gewiſſen Heimes zum Weih - biſchof. Ob der Kurfuͤrſt wirklich durch dieſe Krea - turen das Anſehen des Vikariats geſchwaͤcht haben mag? Es iſt gar ſchwer, ſo ein Vikariat herun - ter zu bringen: eher geht das mit allen Kollegien in einem Koͤnigreiche an, als mit dem Vikariat des geringſten Biſthumst)Sehr natuͤrlich! Denn das Vicariat behandelt ſeine Didceſan - Rechte nach dem allgemeinen paͤpſtlichen Kirchenrechte, dem auch der Herr Kurfuͤrſt als Erzbiſchof und Katholik unterworfen iſt. Ueberdem da es nur Einen Gott, Eine Taufe und Eine Kirche giebt: da ferner jeder anathematiſirt iſt, der es ſich herausnimmt, an jenen Beſtimmungen etwas zu aͤndern, die die liebe Mutter Kirche, zu ihrem eignen Vortheil in ihrer eignen Sache feſtzuſetzen fuͤr gut gefunden hat: da endlich das Geiſtliche dem Leiblichen, das Ewige dem Zeitlichen vorzuziehen iſt, ſo wie die Seele dem Koͤrper; ſo muͤßten die Handhaber der Geiſtlichen Gerichts - barkeit ihren Vortheil wenig verſtehen, wenn ſie der weltlichen nachgeben wollten. Ja vielmehr wollen ſie, als Stellvertreter Gottes, deſſen doch Himmel und. Die Exempel hat das Main - zer und Wormſer in Ueberfluß hergegeben: ſonſt kenne ich keine.

228

Uebrigens iſt Mainz gar die Stadt nicht, wo eine Univerſitaͤt gedeihen koͤnnte. Der Student, wenn etwas liberales aus ihm werden ſoll, muß ei - nen gewiſſen Ton angeben, und ſich an dem Orte, wo er iſt, bemerkbar machen koͤnnen. In Leipzig z. B. iſt es mit den Studenten nichts: da richtet er ſich nach dem Kaufmannsdiener, der reicher iſt, als er: und in Mainz bemerkt man ihn vollends ganz und gar nicht. Dieſe Stadt ſteckt voller Kaufleute, voller reichem Adel, und voller vornehmer Geiſtlich - keit. Da herrſcht Pracht und Ueppigkeit in vollem Maaße, und der Student, der nicht mitmachen kann, gafft und ſtaunt ſo eine hochwuͤrdige Excellenz oder Gnaden an, und fuͤhlt ſeine eigne Vernichtung ſo ſehr, daß er ſichs gar nicht einfallen laͤßt, ſelbſtt)Erde iſt, daß die weltliche Regierung ſich nach der geiſt - lichen richte der Staat nach der Kirche. In katho - liſchen Bisthuͤmern mag das fuͤr dieſe hingehen: denn die guten Leute wiſſen, und wollen das nun einmal nicht anders; aber wie denn da, wenn Maͤnner von dieſer Denkungsart einen Poſten bekleiden, auf welchem es ihnen moͤglich wird, nach dieſen Grundſaͤtzen Con - cluſa herauszubringen, die der Gewiſſensfreiheit der Proteſtanten Eintrag thun, indem ſie es ihnen zum Geſetz machen, ſich nach Axiomen und Poſtulaten der Katholiſchen Kirche zu richten, oder behandeln zu laſ - ſen? Man denke an neuere Vorfaͤlle! In dieſem Falle hat es der Proteſtant aͤrger, als der Schutzjude. Doch Intelligenti pauca, ſo wie Vigilantibus jura! 229 etwas vorzunehmen, um ſich zu erheben. Nebenher ſind die Profeſſores, wie unter dem Zuchtmeiſter. Sagt einer etwas auf dem Katheder, das vielleicht dem oder jenem geiſtlichen Herrn misfaͤllt; wie ein Blitz, iſt die Sache beim Vikariat, und der Pro - feſſor hat Spectakel. Die Geſchichte des ehrlichen Iſenbiehls, der ſich an einer Stelle des Jeſaias vergriff, d. i. ſie anders auslegte, als ſie Cornelius a Lapide oder ſonſt ein kontrackter Ausleger ausge - legt hatte, iſt davon, nebſt dem ehrlichen Molitor, ein derber Beweis. Der verſtorbene Kurfuͤrſt ſchuͤtzte die Maͤnner gegen die Kabalen der Pfaffen; aber der jetzige fand fuͤr gut, den Iſenbiehl den 13. Dec. 1777 einzuſtecken, und ſein Buch zu Rom von Pius den Sechſten verdammen zu laſſen. Das iſt erſt in der That nur ſo genannte Aufklaͤrung! Mit der Mainzer Toleranz ſieht es nicht beſſer aus.

In Niederolm, wo Herr Dorſch Amtsver - walter iſt, wurde vor zehn Jahren eine neue Kirche fuͤr die dortigen Katholiken gebauet. Der Maurer, der den Bau im Verding hatte, nahm proteſtantiſche Geſellen dabei an. Das verdroß den Herrn Jacobi und er forderte vom Maurer, daß er die ketzeriſchen Geſellen fortjagen ſollte. Der Meiſter that das nicht, und Herr Dorſch, ein geſcheuter Kopf, wollte ſich auch vom Pfaffen nicht bewegen laſſen, den Maurer zu einer ſolchen Abgeſchmacktheit zu zwingen. 230Was hatte Jacobi zu thun? Er berichtete die Sache nach Mainz, und ſiehe da, es erſchien der Befehl, daß der Maurer die proteſtantiſchen Geſellen vom Kirchenbau entfernen, oder ſelbſt den Akkord aufgeben ſollte. Nun wars alle! die Geſellen muß - ten fort. In dergleichen unbedeutenden Stuͤckchen offenbart ſich der Geiſt der Intoleranz und der Dummheit oft mehr, als in großen Vorfaͤllen. Die Urſachen ſind nicht ſchwer zu entdecken.

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.

Noch endlich gar ein Komoͤdiant!

Ich habe ſo viel von Gießen geſchrieben, daß ich beinahe befuͤrchte, meine Leſer ermuͤdet zu haben. Aber dafuͤr ſoll nun auch alles kurz gefaßt werden, damit ich Raum uͤbrig behalte, mich als Kandidaten der hochheiligen Theologie zu produciren. Eine ganze Geſchichte von anderthalb Jahren ſoll nur wenige Blaͤtter einnehmen.

Mein letzter Winter in Gießen ging ziemlich ru - hig voruͤber, das heißt, ich wurde nicht mehr citirt, ſchlug mich nicht, kam nicht ins Karzer, und beſoff mich nur hoͤchſt ſelten.

231

Ein Marionettenſpieler, Joſeph Wieland, brach - te mich, Tenner und Dern auf den Gedanken, auch Komoͤdien zu ſpielen. Aber wie, wo und durch welche Mittel? das war die Frage. Ich beſprach alles mit dem Herr Profeſſor Schmid. Er erboth ſich gleich, die Direction zu uͤbernehmen, und rieth mir, einen Aufſatz cirkuliren zu laſſen, und Beitraͤge von Geld bei den Honoratioren einzuſammeln. Ge - rathen, gethan! Der Tambour Hofmann und der Karzerknecht Cordanus, mußten kontrolliren, und in einigen Tagen hatten wir ſo viel Geld, als noͤthig war, ein Theater zu bauen, und Kuliſſen nebſt andern Beduͤrfniſſen anzuſchaffen. Zum Theater ſchlug Herr Schmid das theologiſche Auditorium vor: denn das große Juriſtiſche war zu Diſputationen und Promo - tionen beſtimmt. Ich hielt beim Dekan darum an: aber der alte D. Benner hielt dies fuͤr Entheili - gung, und ſchlug das Geſuch ab. Alſo mußte das philoſophiſche Auditorium dazu herhalten. Dieſes war ſeit langer Zeit der Heuſtall der Pedellen gewe - ſen!! Wir ließen es reinigen, und bauten ein Theater fuͤr 80 Gulden. Kuliſſen, Vorhang, Lichter zur erſten Vorſtellung und dergleichen koſteten beinahe eben ſo viel. So waren wir denn im Stande, unſre Kunſt zu zeigen. Ich war Rollenmeiſter, Tenner Aufſeher der Kaſſe, und Dern Theater - meiſter: uͤber uns alle war der dux gregis ipſe ca -232 per, Herr Schmid, velut inter ignes Inna mi - nores. Das erſte Stuͤck, welches wir gaben, war Brandes Trau, ſchau, wem. Unſre Actri - zen waren anfangs huͤbſche milchbaͤrtige Studenten; nachher aber ſpielten auch wirkliche Frauenzimmer mit. So wurde noch die Zeit uͤber, die ich in Gie - ßen war, Leſſings junger Gelehrter, der Zerſtreute aus dem komiſchen Theater der Franzoſen, Ste - phanis Deſerteur aus Kindesliebe, der Bramar - bas von Hollberg, und der Poſtzug u. a. aufge - fuͤhrt. Herr Schmid ließ jedesmal in der Darm - ſtaͤdter Zeitung ein großes Weſen von der Vortref - lichkeit unſrer Action machen. Anfangs ſpielte ich ſelbſt mit, war z. B. der Graf von Werlingen im Trau, ſchau, wem, und Magiſter Stifelius im Bramarbas. Aber da ich bald merkte, daß ich zum Theater verdorben war; ſo gab ich das Mitſpielen auf, behielt aber mein Amt, als Rollenmeiſter, bis zu meinem Abzug aus Gießen.

Dieſes Komoͤdienſpielen hat wenig gutes geſtif - tet. Unſre Burſche fanden einen ſo ſtarken Geſchmack am Specktakel, daß alles ernſthaftere Studiren dar - uͤber vernachlaͤſſigt wurde, und jeder nur Komoͤdien las. Die mitſpielenden Perſonen konnten vollends gar nicht ſtudiren. Nach meinem Abſchied hat der Landgraf die Komoͤdie verbieten laſſen. Man haͤtte ihm vorgeſtellt, daß ſie die ganze Univerſitaͤt zerruͤt -233 ten wuͤrde. Nichts hat aber durch das Schauſpiel mehr gelitten, als der Komment, und die Orden. Denn die Verbindungen der Spielenden waren nun viel feſter, als die der Orden, und uͤber den Kom - ment wurde gelacht. Eulerkapper hatte auch mehr Ruhe. Der Ton war Frivolitaͤt.

Bei Gelegenheit der Komoͤdie lernte ich ein ge - wiſſes Buͤrgermaͤdchen naͤher kennen, welches von der Zeit an mein Umgang wurde. Dieſer Umgang hat mir viel Geld gekoſtet: ich mußte bald dieſes, bald jenes fuͤr ſie kaufen, und ihr bald ſo, bald an - ders ein Vergnuͤgen machen. Dadurch gerieth ich immer tiefer in Schulden. Ich rathe jedem, der dies lieſet, ja nicht auf Univerſitaͤten eine Liebſchaft zu unterhalten: es kommt nichts dabei heraus, als Skandal, und wenn ja das Ding ohne Skandal ab - geht; ſo ſind Schulden allemal das Ende vom Lie - de. Die meiſten Nymphen, welche ſich mit Stu - denten abgeben, wollen von ihnen ziehen, halten es eben darum mit mehrerern, und lachen hernach die geprellten Mosjees in die Fauſt aus. Ich wußte das Ding recht gut, und ließ mich doch prellen: denn meine Liebſchaft mit Gretchen Krauskopf war nichts weniger, als ſolide.

An dem Hrn. Regierungsrath Schlettwein, welcher dieſen Sommer nebſt dem armen Suͤnder, Breitenſtein, Profeſſor in Gießen geworden234 war, erhielt ich einen wahren Freund, der mir tau - ſend Gefaͤlligkeiten erwieſen, und mich zu einer et - was ſolidern und konſequentern Lebensart angehalten hat. Seine Frau, welche eine ſehr einſichtsvolle Dame iſt, erzeigte mir alle Freundſchaft. Ich war gewoͤhnlich in dieſem Hauſe zu Gaſte; und haͤtte ich das Gluͤck gehabt, den Umgang dieſer edlen Men - ſchen noch lange zu genießen, ich glaube, daß ich mich bekehrt haͤtte, und ein geſetzter ordentlicher Mann geworden waͤre. Allein das leidige Schickſal wollte, daß ich im Taumel meines Leichtſinns noch ſchreckliche Begebenheiten erleben ſollte: und ſo habe ich jetzt leider nichts, als ſchmerzhafte Erinnerungen an etwas Gutes, das mir vielleicht zu theil gewor - den waͤre, wenn nicht ein verkehrter Studentenſinn mich verleitet haͤtte, da mein kuͤnftiges Ungluͤck vor - zubereiten, wo meine lieben Eltern mich hinſchickten, um mein kuͤnftiges Gluͤck fuͤr ſie und mich zu gruͤn - den. Doch geſchehene Dinge laſſen ſich nicht aͤn - dern, ſagt man im Sprichwort, und dabei will und muß ich mich beruhigen. Du aber, Juͤngling auf dem Irrwege

Principiis obſta: ſero medicina paratur!

Und ſo waͤre ich mit meiner Geſchichte, in ſo fern dieſe Gießen betrift, fertig. Sie iſt mir unter der Hand weitlaͤuftiger geworden, als ich ſelbſt willens235 war, ſie zu ſchreiben. Da aber Gießen eine ganz obſkure Univerſitaͤt iſt; ſo war vielleicht eine etwas genauere Beſchreibung derſelben nicht uͤberfluͤßig, we - nigſtens fuͤr manchen Leſer nicht ganz unangenehm.

Sechs und zwanzigſtes Kapitel.

Abzug von Gießen. Haͤndel in Frankfurt.

Ich hatte meinem Vater meine Schulden, welche ſich auf 180 Gulden beliefen, ehrlich gemeldet. Der gute Mann mußte freilich ſtutzen, da er mir immer hinreichenden Wechſel geſchickt, und zur rechten Zeit geſchickt hatte, daß ich jetzt mit einer ſo großen Nach - rechnung auftrat! Zu dem hatte er beſchloſſen, mich nach Goͤttingen noch gehen zu laſſen: und da konnte er ſchon ausrechnen, daß ihm mein Studiren eine anſehnliche Summe koſten wuͤrde. Bezahlt mußte indeß einmal ſeyn: er ſchickte mir alſo das Geld, und obgleich ſein Brief viele Vorwuͤrfe enthielt; ſo hatte ich doch nicht Urſache, daß ich mich fuͤrchtete, vor ihm zu erſcheinen.

Nachdem das Geld in meinen Haͤnden war, bezahlte ich meinen Glaͤubigern, doch ſo, daß ich ein anſehnliches Reiſegeld uͤbrig behielt. Um dies zu bewerkſtelligen, kontrahirte ich mit ihnen, blieb236 dem 6, dem 8, dem 12 Gulden ſchuldig, und die Leute lieſſen das gern geſchehen, da ich ſie die drei Jahre hindurch immer ehrlich befriedigt hatte.

Es war ohngefaͤhr acht Tage vor Oſtern, als ich von Gießen abgieng. Da ich auf die erwaͤhnte Art mit Gelde verſehen war, ſo machte ich mich in Frankfurt ausſchweifend luſtig: und meine Baar - ſchaft nahm zuſehends ab, ſo daß nach Verlauf von vier Tagen, die ich da zubrachte, nicht viel uͤber einen Louisd'or uͤbrig war. Ich hatte vorher vor lauter Luſtbarkeit nicht Zeit, meine Kaſſe zu un - terſuchen: denn ich war zu meiner Schande muß ich dergleichen bekennen wenig nuͤchtern gewor - den, und noch weniger von der Madam Agrikola weg - gekommen. Ich dachte: Jetzt iſts mit dem Studen - tenleben alle biſt nun Philiſter nach Goͤttin - gen kommſt du nicht: weil dein Vater dir befohlen hat, geradesweges nach Hauſe zu kommen mußt nun pauken (predigen), mußt dich alſo, da du's noch haben kannſt, noch einmal zu guter lezt recht luſtig machen. Dieſer ſchoͤnen Reflexion folgte ich denn treulich nach, und lebte in Frankfurt einige Tage das wuͤſteſte, roheſte Leben. Gott! wenn mein gu - ter Vater mich da geſehen haͤtte!

Um wieder Geld zu bekommen, wendete ich mich an einen gewiſſen Hrn. Gebhard, der meine Familie kannte, und bath ihn, mich mit 18 Gul -237 den Reiſegeld auszuhelfen. Der ehrliche Mann that es gern, und erſt vier Jahre hernach iſt er be - zahlt worden, weil er nicht mahnte, und ich mei - nem Vater von dieſer Schuld nichts ſagen, aber auch, wenn ich Geld hatte, von dem Meinigen nicht bezahlen wollte.

Nun nahm ich mir im Ernſte vor, den andern Tag Frankfurt zu verlaſſen; doch ſollte den Abend Madam Agrikola noch einmal beſucht werden. Ich ging zeitig hin, und erklaͤrte, daß ich morgen abrei - ſein wuͤrde. Ein gewiſſer Menſch von etwa dreiſſig Jahren, den ich einigemal in dieſem berufenen Loche geſehen hatte, war zugegen, und fragte mich, ob ich uͤber Darmſtadt oder Mainz gehen wuͤrde? Ich antwortete ihm: daß ich uͤber Mainz muͤſte, weil ich dahin meinen Koffer von Gießen aus geſchickt haͤtte. So waͤren wir ja Reiſegefaͤhrten: ich gehe Morgen auch dahin, ſagte er, und trank mir zu. Ich freute mich, jemanden zu haben, mit dem ich unterwegs auf dem Marktſchiffe vom Jubel in Frankfurt ſchwa - tzen koͤnnte, und draͤngte mich naͤher an den Spitzbuben.

Gegen neun Uhr wollte ich fort. Mein ſaube - rer Kumpan begleitete mich: ich hatte ſchon eine Schnurre, und ſo wars ihm leicht, mich noch ein - mal in ein Wirthshaus zu verfuͤhren. Er ſagte mir, da gaͤb es herrlichen Wein, und wohlfeilen, und238 ganz kapitale Menſcher. Das war Einladung genug fuͤr mich: doch ſagte ich ihm gleich, daß ich nicht viel verzehren koͤnnte: denn ich muͤßte mein Geld zu Rathe halten, weil ich einige Tage in Mainz zubrin - gen wollte. Ei was, ſagte er, was wird's denn koſten? drei oder ſechs Batzen, das iſt's all! ſeyen Sie doch artig!

Der Kerl fuͤhrte mich in ein Weinhaus, wel - ches, wie ich hernach erfuhr, der rothe Ochſe hieß, und das oͤſterreichiſche Werbhaus war. Wir kamen in eine artige Stube, wo allerlei Leute waren, mei - ſtens oͤſterreichiſche Soldaten, und Muſik. Mein Begleiter ging ſogleich zur Thuͤr hinaus, um wie er ſagte, etwas noͤthiges auszufuͤhren, kam hernach zu - ruͤck und trank mit mir, einen Schoppen nach dem andern. Endlich als er merkte, daß es mir im Kopfe warm war, fragte er, ob ich nicht tanzen wollte? Ich ſchlug es ab. So wollen wir, er - wiederte er, uns wenigſtens dort oben an den Tiſch ſetzen: da iſt doch Geſpraͤch! das war ich zufrieden, und wir veraͤnderten unſern Platz. Ich kam neben einem Unterofficier zu ſitzen, welcher ganz artig von gleichguͤltigen Dingen ſprach. Er trank mir einige - mal zu, und ich that Beſcheid. Der Wein ſtieg mir endlich ſo ſtark in den Kopf, daß ich Bruͤder - ſchaft mit dem Unterofficier und meinem Begleiter, und wer weis, mit wem noch mehr, trank, daß ich239 tanzte, und bei den anweſenden Maͤdchenu)Gewoͤhnlich werden in den Werbhaͤuſern Maͤdchen ge - halten: durch dieſe traͤgt mancher den rothen, weißen, blauen oder gruͤnen Rock. Mags wohl große Ehre ſeyn, durch Kunſtgriffe, welche jederman verabſcheut, z. B. vermittelſt niedertraͤchtiger Huren, Beſoffenheit, Be - truͤgerei u. ſ. w. junge Leute wo nicht zu verfuͤhren doch zu betruͤgen! herum - ſchaͤkerte. Das Ding mag bis nach Mitternacht ge - dauert haben: denn bis halb zwoͤlf Uhr hatte ich meine Beſinnungskraft: was aber hernach mit mir vorgegangen iſt, weis ich nicht.

Den andern Morgen erwachte ich erſt um 10 Uhr, und hatte ſchrecklichen Durſt. Ich lag noch voͤllig gekleidet im Bette, außer, daß man mir den Ueberrock ausgezogen hatte. Doch war ich ordent - lich zugedeckt, und hatte ein Tuch um den Kopf. Meine Uhr, Stock und Huth lagen auf dem Tiſch, wie auch der Siegwart, den ich in Gießen zum Zeitvertreib zu mir geſteckt hatte: Er war damals die Modelektuͤre. Das Zimmerchen, worin ich lag, war ſehr klein, doch reinlich. Ich wußte nicht, wo ich mich befand, ging alſo nach der Thuͤr: aber wie erſchrack ich, als dieſe verſchloſſen war! Ich pochte ſtark an: endlich erſchien ein Unterofficier mit einem Maͤdchen, welches Koffe herauftrug. Guten Mor - gen Herr Bruder, ſagte er, wie haſt du geſchlafen?

240

Ich: Gut; aber mir thut der Kopf weh, und Durſt hab ich wie'n Pferd.

Er: Glaub's halterx)Ein oͤſterreichiſches Provinzialwort, welches die oͤſter - reichiſchen Herren Werber jeden Augenblick anbringen, und daher im Reiche vom Poͤbel auch nur ſchlechthin die Halters genannt werden. gern: trink du nur Koffe: es wird ſchon vergehen.

Ich: Ja, ja. Was koſtet der Koffe? will gleich bezahlen, auch das Logis.

Er: Iſt halter alles bezahlt, Herr Bruder! trink du nur.

Das Maͤdchen: Je nun mein Herzchen, du warſt geſtern Abend recht ſelig. Schaͤm dich, du haſt bei mir ſchlafen ſollen; aber da warſt du beſoffen wie ein Kater.

Der Unterof. Kann ja noch geſchehen: will hinunter gehn!

Ich: Bleiben Sie nur, und ſagen mir, wo ich bin.

Der Unterof. Im rothen Ochſen, Herr Bruder.

Ich: Gut! wie viel Uhr iſts?

Der Unterof. Halb elf.

Ich: Potz tauſend, dann muß ich fort.

Der Unterof. Ha, ha, daraus wird halter nichts: du biſt ja Soldat, dienſt dem Kaiſer!

241

Ich: Was, Soldat?

Der Unterof. Ja, komm nur mit hinunter.

Ich mußte mit ihm hinabgehen. In der großen Stube fanden wir eine Menge Leute; aber mein ſau - berer Begleiter war nicht darunter. Hoͤren Sie, meine Herren, fing mein Unterofficier an, iſt der Herr da halter nicht Soldat? Alle bejahten dies. Hat er halter nicht Handgeld genommen? Auch dieſe Frage wurde bejahet. Ich laͤugnete das alles, aber man befahl mir, meine Boͤrſe zu unterſuchen. Ich that es und fand, außer meinem Gelde, noch vier Kremnitzer Dukaten. Ich erſchrack zu Tode, da ich den Beweis ſahe, von dem, was der Unter - officier mir geſagt hatte. Doch faßte ich mich, und fragte, ob kein Officier da waͤre: ich muͤſte mit ihm ſprechen. Das ſoll ſchon halter geſchehen, war die Antwort: er wird bald kommen.

Ich ſetzte mich in eine Ecke des Zimmers, ſtieß jeden, der mit mir reden wollte, von mir, forderte ein Glas Brandtewein, und las vor lauter Aerger in mei - nem Siegwart. So leerte ich zwei oder drei Glaͤſer, und da der Spiritus vom vorigen Tage noch nicht ganz verraucht war; ſo wurde mein Kopf wieder verwirrt.

Es ſchlug zwoͤlf, und noch kam kein Officier. Ich ließ mir etwas zu eſſen geben, und muſte vielesErſter Theil. Q242von den Herrlichkeiten anhoͤren, welche bei der Ar - mee auf mich warten ſollten. Endlich riß mir die Geduld: ich forderte, daß man einen Officier holen ſollte. Man lachte. Ich wollte mit Gewalt zur Thuͤr hinaus, aber man hielt mich auch mit Gewalt zuruͤck: und indem wir uns ſo balgten, trat ein Officier in die Stube, der, wie ich hernach erfuhr, Major war.

Major: Was giebts denn da? rief der an - ſehnliche Mann, ich glaub ihr habt Haͤndel?

Ein Unterof. Verzeihens halter, Ihr Gna - den, da iſt ein Rekrute, der will ausreiſſen.

Major: (zu mir) Haben Sie Sich anwer - ben laſſen?

Ich: Nein, mein Herr!

Major: Aber die Leute da, die Unterofficiere ſagens doch?

Ich: Mein Herr, ich kam geſtern Abend hier her und

Major: (einfallend) und ſoffen ſich ſo voll, daß Sie noch nicht nuͤchtern ſind. Hab 'davon hoͤ - ren muͤſſen! Wer ſind Sie?

Ich: Ein Student von Gießen.

Major: Wie lange ſtudiren ſie ſchon?

Ich: Seit drei Jahren.

Major: So, ſo! Aber was nehmen Sie denn Handgeld? Haben wahrſcheinlich nichts ge - lernt? Nicht wahr?

243

Ich: Sie beleidigen mich

Major: Daß ich naͤmlich bei einem Menſchen von Ihrem Betragen keine Kenntniſſe vorausſetze! Nun, wie hieß der erſte Kaiſer aus dem oſterreichi - ſchen Stamme?

Ich: Rudolph von Habſpurg.

Major: Und der letzte?

Ich: Carl der Sechſte.

Major: Wann haben beide regiert?

Ich: Jener kam 1273 zur Regierung, und dieſer ſtarb 1740.

Major: Schoͤn! Ich bin kein Gelehrter, ſonſt ſetzte ich das Examen fort. Es thut mir leid, daß Sie ihr Gluͤck verſcherzen. Doch ich will ſehen, was ſich thun laͤßt. Ich moͤcht Ihnen gern helfen. Haben Sie Bekannte hier?

Ich: Ja, den Herrn Bucher, Stadtchirur - gus, den Gaſtwirth Tennemann und

Major: Schon gut: wollen ſehen, was zu thun iſt. Ich komme hernach wieder. Unterdeſſen halten Sie ſich ruhig: aber ſauffen muͤſſen Sie nicht mehr, hoͤren Sie?

Der rechtſchaffene Mann ging fort, und die Unterofficiere waren gleich weit hoͤflicher gegen mich, als zuvor: keiner ſagte mehr Du zu mir. Den kriegen wir halter nicht! ſagten ſie unter einan - der.

244

Nach ohngefaͤhr drei Stunden kam der Major zuruͤck mit noch zwei jungen Officieren. Der eine war der Sohn eines lutheriſchen Predigers aus Schwaben, und hieß Funk. Der Major trat ganz hoͤflich zu mir Mein Freund ſagte er, Sie geben die vier Dukaten heraus! Ich that dieſes mit Freuden der Spektakel hier, fuhr er fort, hat ohngefaͤhr zwoͤlf Reichsthaler Unkoſten gemacht: aber da Sie wahrſcheinlich nicht ſo viel bei ſich haben; ſo habe ich mit Herrn Bucher geſprochen, und der haftet dafuͤr. Sie ſchicken aber innerhalb ſechs Wochen zwoͤlf Thaler an den ehrlichen Mann, da - mit er ſie ſonſt nicht aus ſeinem Beutel bezahlen muͤſſe. Uebrigens ſind Sie frei: denn unſer Kai - ſer will nicht, daß man beſoffene Leute anwirbt: ja, wenn Sie auch jetzt Dienſte nehmen wollten; ſo muͤßten Sie erſt Ihren Rauſch ausſchlafen.

Ich: Herr Major, wie ſoll ich Ihnen meinen Dank

Major: Stille, mein Freund: ich thue, was Menſchenliebe erfordert, und vollbringe den Willen meines Herrn, der edel denkt. Danken Sie Gott, daß der Emiſſaͤr Sie nicht in ein Paar andere der hieſigen Werbhaͤuſer gefuͤhrt hat. Da waͤren Sie, ſo wahr ich lebe, nicht wieder weggekommen. Dieſe Herren ſcheeren ſich den Henker um Menſchenliebe und Menſchenrechte, wenn ſie nur Leute kriegen: obs ehr -245 lich oder unehrlich dabei zugehe, darum bekuͤmmern ſie ſich nicht. Aber huͤten Sie ſich vor aͤhnlichen Haͤndeln: Sie moͤchten ſonſt nicht ſo gluͤcklich wieder heraus kommen.

Mit dieſen Worten verließ mich der edle Major, ohne meine Dankſagung abzuwarten. Ich bin ſeinen Namen vergeſſen, und das aͤrgert mich in der Seele. Sollte er aber noch leben, und dieſe Blaͤtter zu ſehen bekommen; ſo wird er ſich dieſer Geſchichte erinnern, und dann verſichere ich ihn, daß ich, ſo oft ich an ihn denke, und das geſchieht ſehr oft, es nie ohne das innigſte Gefuͤhl von Hochachtung und Dankbar - keit thue. Moͤchte ich doch erfahren, daß er die hoͤchſte Stufe der Ehre und des Gluͤcks erſtiegen haͤtte: wie ſollte mich das freuen! Aber dem braven Mann muͤſſen die ſchoͤnen Handlungen, deren er ſich bewußt iſt, ſchon vollkommene Belohnung ſeyn!

So war ich alſo durch einen Schurken ins Un - gluͤck gebracht, und durch einen rechtſchaffnen Mann wieder errettet worden. Aber in ſolchem Waſſer faͤngt man ſolche Fiſche! Was hatte ich noͤthig mich in ſolche Loͤcher zu begeben, wo Geſundheit, Ehre, Geld und Freiheit aufs Spiel geſetzt wird! So oft gewitzigt und doch nicht klug! Es geſchah mir alſo recht, daß ich in dieſe Verlegenheit gerietht: wohl mir, und mehr, als ich verdiente, daß ein Men -246 ſchenfreund ſich meiner annahm! Wer war froher, als ich! Tages darauf verließ ich Frankfurt, und kam wohlbehalten nach einigen Tagen bei meinen Eltern an.

Sieben und zwanzigſtes Kapitel.

Examen. Goͤttingen.

Mein Vater haͤtte wohl viel Urſache gehabt, mich mit einem tuͤchtigen Wiſcher zu bewillkommen, um ſo mehr, da ich eine weit ſtaͤrkere Summe zum Ab - ſchiedswechſel gefordert hatte, als er erwartete: auſ - ſerdem waren ihm auch mehrere meiner Stuͤckchen bekannt geworden, beſonders die Eulerkappereien. Aber mein Vater erklaͤrte gern alles aufs beſte, und ſo machte ers auch hier: er entſchuldigte mich bei ſich ſelbſt, und empfing mich mit freundlichem Ge - ſicht.

Die erſten Tage gingen ruhig vorbei: dann nahm er mich auf ſein Stuͤbchen, um, wie er ſagte, zu ſehen, ob ich was wuͤßte, oder ob Oehl und Ar - beit verloren ſey? Ich beſtund aber in ſeinem Exa - men ſo gut, daß er mehrmals ausrief: non me poenitet pecuniae, quam in tua ſtudia impendi247 In der einzigen Metaphyſik kam ich nicht recht fort, und konnte ihm z. B. nicht beweiſen, daß die Monaden eine Kraft haben, ſich die Welt dunkel vorzuſtellen, und daß in dem Beweiſe dieſes Satzes eine Petitio Principii ſtecke, und folglich zu den Schwachheiten der Leibnitziſch-Wolffiſchen Metaphyſik gehoͤre. Du wirſt ſchon noch, ſetzte er hinzu, die Metaphyſik kennen lernen: nimm dir aber das Esſe zum erſten Grund: poſſe eſſe et tamen non eſſe widerſpricht ſich, ſi ſermo eſt de realitate activa, wenn man aber von der wirklichen Subſiſtenz redet, kann man wohl ſagen, poteſt eſſe, ſed non eſt. Ich verſtand das alles nicht, fand aber ſpaͤterhin, daß es ſich auf die Philoſophie des Spinoſa bezog.

Da mein Vater mit meinen Kenntniſſen ſowohl zufrieden war, war ich ſelbſt froh, und dachte an nichts, als wie ich mich einrichten wollte, um auch zu Hauſe meine Tage vergnuͤgt hinzubringen. Mein Vater hatte aber nach unſerm Examen ſich eines an - dern beſonnen und jetzt neuerdings beſchloſſen: daß ich noch auf ein Jahr die Goͤttingiſche Univerſitaͤt beziehen ſollte, und das deswegen, damit ich mehr in den orientaliſchen Sprachen leiſten, und uͤberhaupt mich in Abſicht meiner Sitten beſſern moͤchte, welche in Gießen ganz verwildert waren. Goͤttingen ſtand ſchon damals im Rufe ſehr feiner Sitten. Mein Vater entdeckte mir ſeinen Vorſatz, und befahl mir248 mich zur Abreiſe in wenigen Tagen anzuſchicken. Man ſtelle ſich meine Freude vor, abermals eine Univerſitaͤt zu beſuchen, welche die, wo ich geweſen war, unendlich uͤbertraf. Mein Gepaͤcke wurde in etwas ausgebeſſert, und mit neuer Waͤſche verſehen, und dann fuhr ich ab. Ich darf meine Reiſe wohl nicht beſchreiben: ſie ging uͤber Gießen, Marburg, Kaſſel und Minden. Mein Vater hatte mich aber - mals bis Frankfurt begleitet.

Meine Leſer werden es ſchon glauben, daß ich die Univerſitaͤt Goͤttingen mit ganz andern Augen angeſehen habe, als die zu Gießen. In Goͤttingen lehrten damals ſehr viele beruͤhmte Maͤnner: ein Walch, Muͤller, Boͤhmer, Klaproth, Puͤtter, Selchow, Baldinger, Richter, Murray, Michaelis, Heyne, Feder, Lich - tenberg, Kaͤſtner, Meiſter, Gatterer, Schloͤtzer, und einige andre ſehr gelehrte, ver - dienſtvolle Maͤnner. Quanta nomina! Und wie hervorſtechend groß werden nicht erſt dieſe Namen, wenn man zwiſchen ihnen und den Gießer-Profeſſo - ren einen Vergleich anſtellt! wenn man z. B. einen Walch mit Bechtolden oder Ouvrier, einen Boͤhmer mit Kochen, einen Heyne mit Herrn Schmid ver - gleicht!

Wenn es wahr iſt, daß das Anſehen und die Celebritaͤt der Lehrer einen maͤchtigen Einfluß auf249 den Eifer und die Fortſchritte der Schuͤler in den Wiſ - ſenſchaften hat, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß der Student in Goͤttingen nach Vorausſetzung alles Uebrigen, weit fleißiger ſtudiren, und folglich weit mehr lernen muß, als der in Gießen, Heidelberg, Rinteln oder ſonſt einem Orte, wo die großen Mu - ſter ſo ſelten ſind. Und ſo iſt es auch in der That, ob ich gleich herzlich gern geſtehe, daß ſehr viele un - fleißige Studenten zu meiner Zeit auch in Goͤttingen waren.

Ich war an den ſeligen D. Walch empfohlen, welchen mein Vater in Jena genau gekannt, und ſeine[Freundſchaft] genoſſen hatte. Walch war ein vortreflicher Mann, ſowohl von Seiten der Kennt - niſſe und Gelehrſamkeit, als in Anſehung des Bie - derſinns, und der Redlichkeit. Man findet der Maͤnner wenige, welche verdienen, mit einem Walch verglichen zu werden. Ich habe viel Gutes von ihm genoſſen: manchen Gefallen, manche Freundſchaft hat er mir erwieſen, und mit manchen Kenntniſſen hat er mich bereichert; dafuͤr danke ich ihm noch jetzt. Man weis, daß Walchs Staͤrke in der Litteratur und Geſchichtskunde beſtand: alles hieher gehoͤrige hatte er geleſen, gepruͤft, und zur Verbeſ - ſerung der hiſtoriſchen Vorſtellungen und Begriffe nach ſeiner Arr, ſorgfaͤltig benutzt. Einige Theile der Kirchengeſchichte waren vor ſeiner Zeit noch ganz250 unbearbeitet: er bearbeitete ſie zuerſt freilich nur in ſo fern, als man es von einem orthodoxen Manne erwarten darf. Was haͤtte Walch nicht aus der Geſchichte der Ketzereien machen koͤnnen, wenn er Semlers Freimuͤthigkeit gehabt haͤtte! Eine Haͤre - ſiologie von einem Manne, der ganz von den Feſſeln der Kirchenreligion entladen waͤre, der aber Walchs entſetzliche Beleſenheit und eiſerne Geduld haͤtte, muͤßte wahrlich mehr fruchten, als alle Dogmatiken mit und ohne Dogmengeſchichte, und als alle Beſtreitun - gen oder Rechtfertigungen der Symboliſchen Buͤcher u. ſ. w. Eine Haͤreſiologie von der Art wuͤrde au - genſcheinlich einen jeden uͤberzeugen: daß die meiſten kirchlichen Dogmen, wie ſie da im Katechismus vorliegen, zu gewiſſen Zeiten und in gewiſſen Laͤndern Ketzerei, und zu andern gewiſſen Zeiten und in an - dern gewiſſen Laͤndern wieder Orthodoxie geweſen ſind. Und wer das ſo anſieht, und erkennt, muß ja doch wahrhaftig das Gehirn erfroren haben, wenn er das Gewebe von Dogmen von Chriſti Per - ſon, von der Erbſuͤnde, Gnade, Praͤdeſtination u. ſ. w. noch fuͤr Gottes Wort und Offenbarung zur Seligkeit noͤthig halten kann*)Wie dergleichen Vorſtellungen nach dem Geſetz der Ein - bildungskraft und des Vernunftaͤhnlichen allmaͤlig fa - bricirt ſind, zeigt ſehr einleuchtend Herr Prof. Maaß. Das heißt doch251 den lieben Gott zum Hottentottiſchen Tyrannen her - abwuͤrdigen!

Ob Walch ſehr orthodox geweſen ſey dar - an zweifle ich; ob ich gleich gewiß dafuͤr halte, daß er kein freier oder liberaler Theologe war. Denn in der Kirchengeſchichte trug er mehrmals ziemlich freie Amerkungen vor, und bekannte ſogar, daß in den aͤrgerlichen Pelagianiſchen Specktakeln, Auguſtin und die Orthodoxen ſich mehrerer Fehler ſchuldig ge - macht haͤtten, als ſelbſt die Ketzer: aber in ſeinen Vorleſungen uͤber die Dogmatik hing er ganz an den Beſtimmungen der Orthodoxen.

Herr Leß war der Mann bei weitem nicht. Ich will ihm Gelehrſamkeit nicht abſprechen; aber ſein Ton, ſeine Thraͤnen bei dem Vortrage der Mo - ral haben mich nie geruͤhrt, da ich hingegen, wenn Walch bei der Erzaͤhlung der Grauſamkeiten des Dſchinkiskan, oder des Timurs weinte, gern mitgeweint haͤtte. Leß iſt ein pietiſches Quodlibet, ſo recht nach den Umſtaͤnden, und hat etwas an ſich von dem Weſen der Betſchweſtern in Frankreich, die in der Jugend nicht beten, und im Alter die Religion, als eine entſchaͤdigende Galanterie behan - deln. Dafuͤr hat man ihn aber auch tuͤchtig geſchul -*)in ſeinem Verſuch uͤber die Einbildungs - kraft.252 meiſtert und das nach Verdienſt in dem Sendſchreiben des jetzigen Thorſchreibers zu G. vormaligen Kandidaten der Theologie be - treffend des Herrn D. Leß Entwurf eines philoſo - phiſchen Kurſus der chriſtlichen Religion, im 10ten Stuͤck des Braunſchweigiſchen Journ. 1791.

Muͤller war der beſte Mann, ein wahrer Menſchenfreund, der gern alles that, um frohe Menſchen zu machen.

Oſſa quieta precor tuta requieſcere in urna Et ſit humus cineri non oneroſa ſuo!

Herr Meiners iſt gewaltig gelehrt: er hat faſt alles geleſen, und das Geleſene ziemlich alle be - halten: und doch lernt man aus ſeinen Vorleſungen gar wenig. Da er kein philoſophiſcher Kopf iſt; ſo wirft er alles durcheinander wie Kraut und Ruͤben. Aber ich will keine Karakteriſtik der Goͤttingiſchen Lehrer aufſtellen: dazu bin ich zu ſchwach, und die Maͤnner ſind ohnehin zu bekannt, als daß meine Beſchreibung noch noͤthig waͤre. Von zwei Maͤnnern aber muß ich doch noch ein Paar Worte ſagen.

Herr Puͤtter iſt, wie jedermann weis, ein großer Publiciſt, und ein großer Kenner der Va - terlaͤndiſchen Geſchichte: in dieſer Ruͤckſicht verdient er alle Hochachtung. Daß aber Herr Puͤtter den frommen Andaͤchtling, und den Hyperorthodoxen253 macht, und dabei immer, wie ein Milzſuͤchtiger, andrer Leute Sitten ſpeculirt, kann nicht gefallen. Wie juriſtiſch-poſitiv er ſich den lieben Gott in Ruͤck - ſicht auf das Wohl ſeiner vernuͤnftigen Geſchoͤpfe vor - modle, zeigt ſein einziger Weg zur Gluͤckſe - ligkeit, den man aber in Goͤttingen nicht anders, als die Himmelspoſt beniehmte. Wenn Herr Puͤtter die Reichsgeſchichte vortraͤgt; ſo haͤlt er ſich bei den wichtigſten Sachen nur kurz auf; hingegen bei D. Luthern und den Symbolen bringt er mehrere Wo - chen zu. Selten verſaͤumt er eine Kirche, geht auch regelmaͤßig zum Abendmal, und betet ohne Unterlaß; beiher jagt er aber ſein Geſinde uͤber das kleinſte Ver - ſehen fort, und laͤßt ſeinen frommen Stolz jeder - man empfinden, der zu ihm kommt: beſonders ſoll er denen, welche Huͤlfe und Unterſtuͤtzung bei ihm ſuchen, auſſerordentlich ſtreng und grob begegnen. Das iſt denn ſo der rechte Weg zur Gluͤckſelig - keit!

Der andre Mann, den ich noch nennen will, iſt der verſtorbene Ritter Michaelis. Die großen Verdienſte dieſes Gelehrten um die morgenlaͤndiſche Litteratur weiſen ihm billig einen Platz unter den groͤßten Maͤnnern ſeines Jahrhunderts an, und ſichern ſeinen Namen vor jener Vergeſſenheit, welche auf ſo manchen wartet, der ſich jetzt fuͤr ein Licht der Welt haͤlt. Aber ſein bis an Niedertraͤchtigkeit graͤn -254 zender Geitz, ſein haberechtiges Weſen, und ſeine Verachtung aller andern Gelehrten neben ſich, wer - fen ein ſehr gehaͤſſiges Licht auf ſeinen Karakter. Man hat viel Anekdoten von ihm erzaͤhlt, welche ich aber aus Achtung fuͤr ſeine ſonſtigen Verdienſte gern unterdruͤcke, und vielmehr auf meine Geſchichte zuruͤck komme.

Ich logirte bei der Prof. Koͤhlerin, einer recht braven Frau. Walch hatte mir ſehr gute Re - geln des Verhaltens gegeben, und hinzu geſetzt, daß, da ich ſchon laͤnger auf Univerſitaͤten geweſen waͤre, ich gewiß geſetzt ſeyn muͤßte: er wolle mir alſo nicht weiter ſagen, was ich als Student zu thun haͤtte. Der gute Mann hat ſich nicht wenig geirrt! Ich war noch ſo frivol, als ich vor drei Jahren gewe - ſen war.

Ein gewiſſer Sturm war in Goͤttingen, den ich in Gießen gekannt hatte: das wußte ich, und ſuchte ihn auf. Nun Bruder, ſagte ich zu ihm, wie ſiehts denn hier aus mit den Komment?

Sturm: Schofel Bruder, ſehr ſchofel! Die Kerls wiſſen dir den Teufel, was Komment iſt: hal - ten ihre Kommerſe in Wein und Punſch, ſaufen ih - ren Schnapps aus lumpigen Matierglaͤſern, laſſen ſich alle Tage friſiren, ſchmieren ſich mit wohlriechen - der Pommade und Eau de Lavende, ziehn ſeidne Struͤpfe an, gehn fleiſſig ins Conzert zum Profeſſor255 Gatterer, kuͤſſen den Menſchern die Pfoten; kurz Bruder Herz, der Komment iſt hier ſchofel.

Ich: Aber doch nicht allewege?

Sturm: Nein Bruͤderchen! es giebt noch derbe Kerls; aber die ſtehn wenig in Anſehn: man haͤlt ſie fuͤr liederlich, und deswegen muͤſſen ſie fuͤr ſich leben, und mit einander ihre Sachen allein treiben.

Ich: Hoͤr 'Bruder, ſo viel an uns iſt, muͤſſen wir den Komment wieder herſtellen, oder gar ein - fuͤhren à la Jena

Sturm: Haſt Recht: aber das wird ſchwer halten: wollen indeß ſehen, quid virtus et quid ſapientia poſſit. Du gehſt den Abend doch mit zum Schnapps-konradi? Nicht?

Wir begaben uns wirklich denſelben Abend zum Schnapps-konradi, einem Bruder des Schnapps - konradi in Halle. Wir fanden einige Studenten da, welche aus kleinen Bolen Punſch und aus Finger - hutsglaͤschen Schnapps tranken. Ich forderte ein Glas Schnapps, und Sturm auch eins. Man brachte es uns, aber in kleinen Glaͤschen; ich ließ mir alſo einen Bindfaden geben, um das Glas an - zubinden, damit wenn es, wie ich ſagte, die Kehle hinein wiſchte, ich es herausziehen koͤnnte. Man lachte uͤber meinen Einfall, beklatſchte ihn, und wir ließen uns ein Noͤßel Schnapps geben, leerten es aus256 und gingen ſo wohlbezecht nach Hauſe. Wir fuhren fort den Schnapps - konradi fleißig zu beſuchen; wa - ren aber doch nicht im Stande, die Mode aus Noͤ - ßeln zu Schnappſen, einzufuͤhren, obgleich einige es nachmachten: denn man kann nichts ſo ſehr naͤrri - ſches anfangen, das nicht einige Nachahmer finden ſollte.

Herr Walch erfuhr dieſe Wirthſchaft, und gab mir deshalb einen derben Wiſcher. Ich unterließ hierauf das haͤufige Beſuchen des Konradi's, des Kellers und der Doͤrfer, und fing an, ernſtlich zu ſtudiren.

Meine Kollegien hatte ich, ſo lange ich mich in Goͤttingen aufhielt, ſo eingetheilt, daß ich bei Mi - chaelis die Pſalmen, das Moſaiſche Recht und den Hiob hoͤrte: bei Schloͤzern die Staatengeſchichte, bei Walchen Kirchengeſchichte und Dogmatik, bei Herrn Leß Moral, aber nicht ganz aus, bei Heyne eini - ge Philologica, bei Kaͤſtner Mathematik u. ſ. w. Den Herrn Kulenkamp konnte ich in der Erklaͤ - rung des Theokrits nicht ausſtehen: da wußte ich mehr als er, ob ich gleich blutwenig wußte. Es iſt wunderbar, daß ein Kulenkamp es ſich heraus - nimmt, auf einer Univerſitaͤt zu dociren, wo ein Heyne aͤhnliche Vorleſungen haͤlt! Der verſtorbene Geheimerath Klotz hat ihm mehrmals die Exerci - tia korrigirt.

257

Die vortreffliche Bibliothek zu Goͤttingen, die wohl leicht die beſte Univerſitaͤtsbibliothek in Deutſch - land iſt, habe ich zu meinem wahren Vortheil fleißig benutzt, und bin uͤberhaupt in Goͤttingen anhalten - der und ordentlicher im Studiren geweſen, als in Gießen: einmal waren da nicht ſo viel herrſchende Reitze zur Renommiſterei und zur Liederlichkeit, und fuͤrs andere hatte ich Maͤnner von Anſehn und Ge - wicht vor mir, fand mehr Muſter und mehr Gele - genheit, etwas rechts zu lernen.

Acht und zwanzigſtes Kapitel.

Jung gewoͤhnt; alt gethan!

Ich fand auch in Goͤttingen einen gewiſſen Italiaͤ - ner, Badiggi, einen Exjeſuiten, mit dem ich ſchon in Gießen Umgang gepflogen hatte. Dieſer Badiggi war ein Menſch von viel Kopf und viel Er - fahrung; aber auch ohne Religion, ohne Sitten und ohne Geſetze, kurz, ein wahres moraliſches Unge - heuer. Er erzaͤhlte von ſich alle moͤgliche Schand - thaten, ohne Erroͤthen, und ſchrieb gewoͤhnlich in die Stammbuͤcher den Denkſpruch des Pabſtes Ale - xanders VI.

Erſter Theil. R258

Chi a dieci otto anni, e non é pazzo, O buzzera, o fotte, o ſi mena il cazzo.

Latein konnte Badiggi reden wie Waſſer, und Latein, das ſich immer hoͤren ließ, das keine Schnitzer hatte. Beiher hatte er eine große Beleſenheit in jenen freiern Schriften der Italiaͤner, welche das ſechzehn - te Jahrhundert erleuchtet haben, z. B. in denen des Aretin, Pulci, Arioſto, Pallavicino, u. a. m. Einen groͤßern Zotenreiſſer und Laͤſterer aller Religion, aller Sitten und aller Moral hab ich nie gehoͤrt. Das waren aber in meinen Augen damals Tugenden, und verbanden mich um ſo mehr mit Badiggi, oder um beſſer zu ſagen, ſie machten, daß ich ſeinen Umgang fleißig ſuchte, ohne jedoch ſeine Perſon zu lieben oder zu ſchaͤtzen. Dieſer Menſch genoß allerhand Unterſtuͤtzungen, ſowohl von Pro - feſſoren als von Studenten, welche letztern er mit ſeinen Schwaͤnken beluſtigte. Er erhielt auch Geld von Auswaͤrtigen. Endlich iſt er heimlich entwichen, nachdem er viele Leute geprellt, die Univerſitaͤtsbi - bliothek um 100 Thaler Buͤcher betrogen, und mehr andre Lumpenſtreiche begangen hatte.

Ich fuͤr mein Theil gewoͤhnte mir in dem Um - gange mit dieſem Menſchen einen aͤußerſt freien und ſchluͤpfrigen Ton, in Ruͤckſicht auf die Religion und ihre Lehren an: einen Ton, der mir, wie ich bald259 erzaͤhlen werde, in meinem Vaterlande ſehr viel ge - ſchadet, und mein ganzes theologiſches Gluͤck verdor - ben hat. Herr Walch merkte dieſen Ton, und ver - wies mir ihn, Hoͤren Sie, ſehen Sie, ſagte er zu mir, das iſt einfaͤltig geſprochen. Was Sie nicht glauben, muͤſſen Sie mit Gruͤnden widerlegen; aber nicht beſchimpfen. Klug war das wohl gera - then; aber wo ſollt ich ſo viel Klugheit hernehmen, einem klugen Rath zu folgen? Obgleich Walch mich fuͤr einen Religionsſpoͤtter hielt; ſo entzog er mir ſeine Freundſchaft doch nicht: und das war ſehr tolerant!

Nun muß ich noch einen Narren beſchreiben, deſſen Gleichen ich nicht weiter gefunden habe. Der Menſch hieß Dippel oder Timbel ich habe den Namen nicht recht behalten: man hieß ihn gewoͤhn - lich Mosjeh Kilian, oder Bruder Kilian. Er lebte als theologiſcher Student, von der Gutherzig - keit anderer Studenten. An einem gewiſſen Tiſche, wo ohngefaͤhr einige dreiſſig Studenten ſpeiſeten, ging er herum, ſo daß ihn alle Tage ein anderer fuͤt - terte. Sein Logis hatte er umſonſt beim Kauff - mann Backhaus, ich glaube, ſo hieß er hin - ten im Hof uͤber dem Pferdeſtall und unter dem Taubenſchlag. Da er ſich von jederman gebrau - chen ließ, wozu man nur wollte; ſo waren die Burſche freigebig gegen ihn, wenn er etwas noͤ -260 thig hatte. Hier einige Proͤbchen zur Erſchuͤtte - rung des Zwerchfells.

In einer Geſellſchaft von Studenten war Mei - ſter Dippel auch. Einer davon ſagte: wenn ich doch nur mit Heynen nicht uͤbern Fuß geſpannt waͤ - re, ſo ließ ich mir ſeine Ausgabe von Horazens he - braͤiſchen Georgicis und ſeiner griechiſchen Ueberſe - tzung des Eulenſpiegels geben. Sie kommen erſt auf die Meſſe in den Buchlaͤden; aber Heyne hat ſie ſchon an mehrere verborgt. Dippel erboth ſich alſo - bald, er wolle zu Heynen gehen, und ſich die Buͤ - cher ausbitten. Man ſtelle ſich nun Heynen vor, wie Dippel vor ihm ſtand und Horazens hebraͤiſche Georgica und den griechiſchen Eulenſpiegel aus - bath! Es waren gerade Fremde zugegen, und Heyne, der ſich ſehr aͤrgerte, ſchmiß den guten Dip - pel zur Thuͤr hinaus, und ſchalt ihn einen dum - men Eſel.

Ein andermal machte ein Englaͤnder dem Men - ſchen weiß, man truͤge jezt nach der neueſten Mode Halsbinden von bundem Stroh, mit einer Schelle vorn am Hals, ſtroͤherne Kokarden und eben ſolche Roͤschen hinten auf dem Zopf. Er ſchenkte ihm ſo - gleich eine ſolche Garnitur, deren er etliche hatte machen laſſen, um den Einfaltspinſel anzufuͤhren: und dieſer legte den Ornat auch an, wanderte ſo lan - ge damit durch die Straßen, bis die hinter ihm her -261 ſchreienden Jungen deutlich genug zu verſtehen gaben, daß er ein Geck ſey.

Die Studenten nahmen ihn in allerhand erdich - tete Orden auf, z. B. in den Orden der heiligen Ge - noveva, des heil. Kriſpinus u. a. m. machten ihm hernach weiß, er ſey nun zum Großmeiſter des Or - dens ernannt worden: und Dippel unterſchrieb ſich ſo in den Stammbuͤchern. Aber nicht ſelten wurden Komoͤdien mit ihm geſpielt, von denen die Spielen - den wenig Ehre hatten. So brachte man ihn einſt in Einbeck mit einem uͤber und uͤber inficirten Menſch zuſammen, woher der arme Teufel ein Uebel abkrieg - te, welches ihn uͤber zwei Monate gequaͤlt hat, ſo fleißig die Feldſcheerer ihn auch beſuchten. Das Geld zu dieſer Kur wurde an den Tiſchen und an - dern oͤffentlichen Orten geſammelt.

Mit dem Herrn Luther, Superintendent in Goͤt - tingen, habe ich und Sturm eine kleine Fehde ge - habt: wir ſchrieben ihm naͤmlich ſeine uͤber allen Glauben elende Predigten nach, und hielten ſie in luſtigen Geſellſchaften. Sturm konnte ſeine Geſtus ſo treffend nachmachen, daß man dachte, man haͤtte Luthern ſelbſt vor ſich. Der Ehrenmann erfuhr die Neckerei, verklagte Sturm und mich; und der Prorektor verboth uns das Halten der Lutheriſchen Predigten. Da unterblieb denn auch das Nach - ſchreiben.

262

Die Studenten haben zu meiner Zeit auch ei - nen Krieg mit den Schneidern gefuͤhrt, der aber ausging, wie alle Studentenkriege. Es ſind Lappe - reien, woruͤber der geſcheute Mann der man lei - der als Akademiſt ſo ſelten iſt die Achſel zuckt. Bei Gelegenheit dieſes Krieges kamen auch verſchie - dene Schriften heraus, wie vor einigen Jahren zu Halle wegen der beruͤhmten Fenſterkanonade. Es wurde auch ein ſchoͤnes Lobgedicht auf die Schneider komponirt, und einige Zeit uͤber von den Studen - ten auf den Straßen abgeſungen.

In Goͤttingen konnte ich bei weitem die Figur nicht ſpielen, welche ich in Gießen geſpielt hatte: dazu hatte ich nicht Geld genug. Mein Vater gab mir zwar ſo viel, als ich brauchte, um ordentlich zu leben, und nicht noͤthig zu haben, Waſſer zu trin - ken, wie er ſagte: aber ich koͤnnte doch nicht aus - reuten, ausfahren, nach Kaſſel reiſen, alle〈…〉〈…〉 en Wichs erſcheinen, wie ſo viel andre, welche G〈…〉〈…〉 hatten. Daher blieb ich immer im Dunkeln, und war blos meinen Freunden naͤher bekannt. Ich will nicht ſagen, daß ich mich geaͤrgert haͤtte, daß ich kei - ne Rolle ſpielen konnte: ich ſtand damals in den Ge - danken, daß Concerte, Baͤlle, Aſſambieen, Spatzier - fahrten u. d. g. gar nicht zum Weſen des Studen - ten gehoͤrten: daß der Burſch eben nicht gerade im Briefwechſel mit Mamſell Philippine G 263 ſtehen muͤſſe, und das es nicht noͤthig ſey, bei der Frau Magiſter V , oder der ſchoͤnen Nichte des Profeſſors P ſeine Aufwartung dann und wann zu machen, und dieſe Aufwartung mit baarem Gelde, oder mit theuren Geſchenken zu erkauffen. Und doch waren die, welche dieſes konnten, die an - geſehnſten auf der Akademie. Da es hier nicht ſel - ten geſchieht, daß Profeſſoren die Studenten auf ihren Stuben beſuchen; ſo gehoͤrt es auch zum guten Ton, dergleichen Herren dann und wann zu ſich zu bitten, und ſich in große Unkoſten zu ſtecken. Ich halte nichts davon, wenn Profeſſores die Studen - ten in ihrer Wohnung heimſuchen. Wollen ſie Um - gang mit ihnen haben; ſo ſey es an einem driften Ort. Der Profeſſor verliert nach und nach ſein An - ſehen, und der Student macht ſich ſchwere unnuͤtze Koſten. Am beſten iſt es, wenn beide in einer ge - wiſſen Entfernung von einander bleiben.

Ich muß doch ein klein Woͤrtchen vom Goͤttin - ger Frauenzimmer ſagen. Dieſe ſind mit gnaͤdiger und großguͤnſtiger Erlaubniß der Goͤttinger Damen durch die Bank nicht ſchoͤn. Ich weis es ſelbſt nicht: ſie haben ſo was widerliches im Geſicht, welches durchaus misfaͤllt: und ihre Farbe, oder der Teint, wie man ſagt, iſt weit entfernt von je - nen Lilien und Roſen, von denen unſre Herren Reimemacher ſo viel zu ſagen wiſſen. Unter den264 gemeinen Maͤdchen findet man auch ſehr wenig rares.

Es ſtehen einige Kompagnien Soldaten in Goͤt - tingen, roth mit weiſſen Aufſchlaͤgen, welche eben ſo, wie in Gießen und Halle ihren Kommers mit den Studenten treiben, ihnen die Stifeln wichſen, fuͤr ſie marſchandiren, kuppeln und ſich ſo eini - ges nebenher zu ihrer Loͤhnung zu verdienen ſuchen. Ich haͤtte uͤber den Umgang der Studenten mit Sol - daten verſchiedenes nicht undienliches zu ſagen; allein ich mag niemanden ſchaden, der auch eine Uniform traͤgt, wie ich.

Die Doͤrfer um Goͤttingen werden nicht ſo oft beſucht, als die um Gießen, Jena und Halle; doch giebt es da auch Dorfbruͤder, und dieſe laufen ge - woͤhnlich nach Boſten oder Doͤppeltshauſen: am letztern Orte iſt alle Freiheit, weil er Heſſiſch iſt.

Man findet keine Bordelle in Goͤttingen, we - nigſtens fand man zu meiner Zeit keine; aber an Nymphen, welche fuͤr einige Groſchen, und an Ma - damen und Mamſellen, welche fuͤr einige Thaler nach advenant feil ſind, fehlt es auch da nicht. Es ſoll ſogar einige Damen daſelbſt geben, die ihre Lieb - haber bezahlen. Auf den Doͤrfern halten ſich dann und wann auch Luſtdirnen auf: und daher laſſen ſich die haͤufigen Galanteriekrankheiten erklaͤren, welche in Goͤttingen graſſiren. Ich glaube nicht, daß die -265 ſes ſeit meiner Zeit beſſer geworden iſt. Auf dem Keller waren die Maͤdchen recht fideel: man hieß ſie ſchlechtweg die Kellermenſcher.

In Jena hat der Burſch ſeine ſogenannte Scharmante: das iſt ein gemeines Maͤdchen, mit welcher er ſo lange umgeht, als er da iſt, und das er dann, wenn er abzieht, einem andern uͤberlaͤßt. In Goͤttingen hingegen ſucht der Student, der's zwingen kann, das heißt, der Geld hat, bei einem vornehmern Frauenzimmer anzukommen, und macht dem ſeinen Hof. Gemeiniglich bleibt es beim Hof - machen, und hat keine weiteren Folgen, als daß dem Galan der Beutel tuͤchtig ausgeleert wird. Man - chesmal geht das Ding freilich weiter, und es folgen lebendige Zeugen der Vertraulichkeit, die eine Rit - terstochter oft eben ſo bezaubernd feſſelt, als eine ge - faͤllige buſenreiche Aufwaͤrterin.

Man hat es als einen Vorzug der Goͤttinger Univerſitaͤt angeſehen, daß daſelbſt der Student Ge - legenheit habe, in Umgang mit Familien zu kom - men. Man hat geſagt, das waͤre ein Mittel, wo - durch er die Roheit der Sitten ablegen, und ſich verfeinern koͤnnte. Ich weiß aber einmal nicht, ob der Familienton in Goͤttingen ſo fein ſey, daß ſich ein junger Menſch daran auspoliren koͤnne: und dann ſteht gewoͤhnlich nur da die Thuͤr auf, wo man gern auf Unkoſten der Studenten ſich vergnuͤgen266 macht. In andern Haͤuſern wird der Student ſo, wie an andern Orten, ausgeſchloſſen. Dafuͤr raͤchen ſich dann die Herren mit Pasquillen, welche man in Goͤttingen alle Tage leſen kann, und worauf nie - mand mehr achtet, weils gewoͤhnliche Dinge ſind.

Neun und zwanzigſtes Kapitel.

Ich bin nun Kandidat.

Meinen Leſern habe ich vielleicht lange Weile ge - macht, da ich ihnen ſo viel von Univerſitaͤten vorge - ſchwaͤtzt habe. Daß ich das ſelbſt muͤſſe gefuͤhlt ha - ben, beweiſen die ſo ins Enge gepreßten Erzaͤhlungen der Begebenheiten von vollen zwei Jahren. Aber nun ſollen ſie auch Begebenheiten von einer andern Art leſen, welche freilich in ſo fern, als wieder dum - me Streiche mit vorgefallen ſind, meinen Burſchen - ſtreichen gleich kommen, und ſie vielleicht noch uͤber - treffen. Ich wuͤnſche nur, daß wenn dem Leſer der Student nicht zuwider war, es der Kandidat auch nicht ſeyn moͤge.

Ich kam im Fruͤhling 1779 nach Hauſe. Mein Vater ſtellte abermals ein Examen mit mir an, und war zufrieden. Ich predigte mit Beifall: denn ich267 predigte Moral, und nicht vom Satan oder vom Blut Jeſu Chriſti, das uns rein macht von allen Suͤnden. Genug die Bauern und die Buͤrger hoͤrten, wo ich auftrat, etwas neues. Ich bin nie ein Red - ner geweſen; allein in der Pfalz braucht man nur eine reine Ausſprache zu haben, und nicht abzuleſen, um des Beifalls beim Predigen ſicher zu ſeyn. Da die Herren Prediger auch da, wie uͤberall, kommode ſind, und gern fuͤr ſich kanzeln laſſen; ſo hatte ich uͤberfluͤſſig Gelegenheit, mich im Kanzelvortrage zu uͤben, und that es auch. Beſonders predigte ich gern fuͤr den Pfarrer Stuber zu Flonheim, der mein wahrer Freund, auch in meinen Muͤhſeligkeiten geweſen iſt. Herr Stuber gehoͤrt unter die wenigen Kirchenlehrer in der Pfalz, die man, ohne daß es einem uͤbel wird, nennen kann, wenn man ſie kennt.

Ich kam bald in Bekanntſchaft mit dem Amt - mann Schroͤder in Grehweiler, einem Manne von ſeltner Ehrlichkeit, und nicht gemeinen Kennt - niſſen; der aber, weil er ſich mit dem faſelhaften Kammerrath Fabel und andern dieſes Geſichters nicht vertragen, das heißt, dieſer Herren Schleich - wege nicht billigen konnte, tauſend Verdruͤßlichkei - ten ausſtehen mußte. Herr Schroͤder oͤffnete mir ſeine wohlverſehene Bibliothek, und da las ich in - nerhalb einigen Jahren faſt alle Werke des Vol -268 taires, den Eſprit des Loix von Montesquieu, Rouſſeau's Novelle Heloiſe, deſſen Emile, und andere, freilich ſehr unorthodoxe Buͤcher, wo - mit die Bibliothek des Amtmanns verſehen war. Ich lernte aus Voltaire nichts, als ſpotten: denn andere Buͤcher, beſonders Tindals Werk, hatten mich ſchon in den Stand geſetzt, richtig naͤmlich wie ich die Sache anſehe uͤber Dogmen und Kirchenreligion zu urtheilen. Gewiß habe ich unendliches Vergnuͤgen genoſſen bei der Leſung des franzoͤſiſchen Dichters, der der Prieſterreligion mit ſeinem feinern und groͤbern Witz vielleicht mehr ge - ſchadet hat, als alle Buͤcher der Engliſchen und Deutſchen Deiſten. Die engliſchen gehen von Gruͤn - den aus, und ſuchen ihre Leſer durch philoſophiſche Argumente zu uͤberzeugen: die Deutſchen machen es beinahe eben ſo, und habens auch mit unter mit der Philoſophie zu thun. Zudem reduciren letztere alles auf Geſchichte, und verurſachen dadurch, daß die Le - ſer ihre gelehrten Werke nicht anders verſtehen, als wenn ſie ſelbſt gelehrt ſind. Der franzoͤſiſche Deiſt hingegen wirft einige fluͤchtige Gruͤnde leicht hin, ſchluͤpft uͤber die Streitfrage ſelbſt weg, und ſpoͤt - telt hernach uͤber das Ganze, als wenn er ſeine Be - hauptungen noch ſo gruͤndlich demonſtrirt haͤtte. Ich weis wohl, daß das nicht uͤberzeugt; aber Tauſende, die es leſen, halten ſich von nun an fuͤr uͤberzeugt,269 und beehren den Philoſophen mit ihrem ganzen Bei - fall. So war es auch moͤglich, daß Voltaire ſo viel Proſelyten des Unglaubens anwarb. Er ſchrieb nicht fuͤr Gelehrte: die, dachte er, moͤgen die Berichtigung ihrer Denkungsart anderwaͤrts ſuchen, wenn ſie klug ſind. Er ſchrieb fuͤr Ungelehrte, fuͤr Frauenzimmer, fuͤr Fuͤrſten und fuͤr Kaufmannsdie - ner: dieſen ſollten die Schuppen von den Augen weg - fallen. Und wenn das ſo Voltaire's Zweck war, ſo hat er ſeine Sachen wirklich klug eingerichtet. Alles Geſchrei der Gegner, von einem abgeſchmackten Non - notte an bis auf Herrn Leß, hat dem Manne an ſeinem Kredit nicht ſchaden koͤnnen. Den Nonnotte lieſt kein Menſch mehr: Herr Leß wird nur von eini - gen Geiſtlichen geleſen; Voltaire's Schriften aber ſind in allen Haͤnden, ſind beinahe in alle Sprachen uͤberſetzt, und werden dann auch noch mit Vergnuͤ - gen geleſen werden, wenn man laͤgſt vergeſſen hat, daß ſolche Gegner in der Welt geweſen ſind. Doch weiter im Text!

Ich hatte anfangs wenig Umgang. Herr Haag, Amtskellner Job von Erbesbuͤdesheim, Pfrarer Stuber und einige andre machten meine Geſellſchaft aus. Ich ging auf die Jagd, vergnuͤgte mich mit dem Feld - und Gartenbau, und lebte ſo vollkommen vergnuͤgt. Aber bald kam ich eine groͤſ - ſere Verbindung, die mich wie ein Strom fortriß,270 und mir ſelten Zeit ließ, mich zu beſinnen. Ich ge - rieth in die Geſellſchaft des Amtsverwalters Schoͤn - burg zu Neubamberg, ſeines Aktuars Metz, des Licentiaten Machers zu Kreuznach, Amtſchreibers Boger, Oberſchulz Baumann von Woͤllſtein, und anderer luſtigen Bruͤder. Dieſe Menſchenkinder hatten ſichs zum Geſetz gemacht, das ſteife Weſen, welches in den vornehmern Geſellſchaften in der Pfalz herrſchte, aufzugeben und einen freiern Ton einzufuͤh - ren. Sie ſprachen daher, wie es ihnen in den Sinn kam, ohne darnach zu fragen, wer ſie anhoͤrte, mach - ten keine Komplimente, und bekuͤmmerten ſich gar nichts darum, was Andre von ihnen urtheilten. Freilich fielen dieſe Urtheile ſehr unguͤnſtig aus! Wenn man von ihnen ſprach; ſo hieß es nur ſchlechtweg: der liederliche Amtsverwalter, der liederliche Macher u. ſ. w. Mein Vater ſah es eben nicht gern, daß ich mich ſo ſehr an dieſe Leute anſchloß; aber da es doch Leute waren, welche in Karakter ſtunden, ſo ließ er es geſchehen, ohne mir anfangs ernſthafte Vorſtellungen dawider zu machen.

Daß ich in dieſer Societaͤt nicht wenig werde brillirt haben, laͤßt ſich denken. Meine Zotologie war in Goͤttingen gleichſam verroſtet; ich hohlte ſie aber hier wieder hervor, und erlangte ſolchen Beifall daß kein Gelag ohne den Großen, ſo nannte man mich Κατ᾽εξοχὴν, gehalten werden konnte. Unſre271 Geſellſchafter dutzten ſich alle, und nahmen einander durchaus nichts uͤbel. Unſre Gelage waren wenig - ſtens ſo luſtig und ausſchweifend, wie die Studenten - gelage in Jena oder Gießen.

Ein Umſtand machte mich doch ein wenig auf - merkſam. Der Amtsſchreiber Boger trieb Liebelei mit der Tochter des reformirten Schulmeiſters zu Wonsheim, und ich, als ſein fideler Kumpan, begleitete ihn oft dahin, und blieb ſelbſt oft ganze Naͤchte mit ihm da, wo wir denn ſoffen und aller - hand Zeug vornahmen. Nicht lange hernach hieß es, das Maͤdchen ſey ſchwanger, was es auch in der That war; man wiſſe aber nicht, wer eigentlich Urheber davon ſey, Boger oder Laukhard: die Freun - de moͤgten es wohl ſelbſt nicht wiſſen. So wurde ich alſo ausgetragen, und mein Ruf litte gewaltig bei dieſer ſcandaloͤſen Relation. Endlich bekannte ſich Boger, auf des Maͤdchens Ausſage, zum Vater des Kindes, und ich war frei; doch wurde ich noch manchmal damit geſchoren, bis endlich die ganze Sache einſchlief.

Boger verſuͤndigte ſich bald darauf am Amts - verwalter Schoͤnburg, und durfte nicht mehr in un - ſere Cirkel kommen. Er hat hernach Baumanns Tochter geheurathet, und ſich kurz nach der Hochzeit todt geſoffen. Die ſkandaloͤſe Chronik in der Pfalz hat aber ſein Ende noch garſtiger erzaͤhlt.

272

In der Geſellſchaft dieſer Leute ward ich nun voͤllig liederlich, und fuͤhrte eben ſo ein aſotiſches Leben, wie ſie; doch nahm ich mich anfangs in Acht, daß man mich nicht oͤffentlich einen dummen Streich begehen ſah: und ſo hatte ich noch immer den Ruhm, daß ich im Roͤckelskollegium dieſen Namen hat - ten die Herren der Geſellſchaft ſelbſt gegeben noch bei weitem der Geſitteſte ſey. Ueberhaupt muß man in der Pfalz ſehr merklich ausſchweifen, wenn man den Namen eines Liederlichen fuͤhren ſoll: denn die Sitten waren da mein Tage ſo delikat eben nicht.

Jeder von uns hatte ſein Liebchen. (Meine Leſer denken hier ja nicht an Tereschen: von dieſer mach 'ich ein eigen Kapitel noch, aber vielleicht nicht in dieſem Theile). Der Amtsverwalter kareſſirte oder nach Pfaͤlzer Ausdruck, machte er verliebte Nas - loͤcher bei der Tochter des lutheriſchen Pfarrers Koͤſter in Woͤllſtein. Das Maͤdchen ſah huͤbſch aus; aber wie ich merkte, konnte ſie den wuͤſten Menſchen vor ihren Augen nicht leiden, allein ihres Vaters wegen, vor der Schoͤnburgen wohl wollte, mußte ſie ihn dul - den, und ſeine Zoten anhoͤren. Ueberhaupt wurde die Liebe von uns recht zotologiſch behandelt. Da der Amtsverwalter katholiſch war; ſo machte man endlich dem Pfarrer Koͤſter Vorwuͤrfe, und gab ihm zu verſtehen, daß er ſeine Tochter in uͤblen Kredit brin -273 gen wuͤrde, wenn er dieſen Umgang ferner geſtattete, beſonders da Herr Schoͤnburg als der groͤßte Schwein - ygel in der ganzen Gegend bekannt war. Er ließ ſich bewegen, und ſchickte ſeine Tochter nach Darmſtadt zu einer Baſe. Schoͤnburg war vor Aerger auſſer ſich, da ſeine Liebſchaft fort war. Ich begleitete ihn nach Mainz, wo er ſeine Rechnung ablegen muſte, und von da aus machten wir eine donquiſchottiſche Reiſe nach Darmſtadt.

Aber nun war die Frage, wie Schoͤnborn die Mamſell Koͤſter zu ſprechen kriegen ſollte. Ich ver - ſprach es zu bewirken, beſuchte ſie alſo, welches nicht auffallend ſeyn konnte, da ich mit ihr verwandt war. Hier iſt unſer Geſpraͤch, das wir hielten, ſo bald wir im Garten allein waren.

Ich: Wiſſen Sie was neues, Mamſell Ku - ſine? der naͤrriſche Amtsverwalter iſt hier!

Sie: Mein Gott, Herr Vetter, was ſagen Sie! was will denn der hier?

Ich: Er will Sie ſprechen. Er wird noch verruͤckt, wenn er Sie nicht bald ſehen darf.

Sie: (erſchrocken) Er wird doch nicht hieher kommen! Gott! was wuͤrde die Baſe ſagen!

Ich: Er wird gewiß zu Ihnen kommen; ich habe ihn noch abgehalten, ſonſt waͤre er ſchon da. Wiſſen Sie was, ich will Ihnen Rath geben: Ver -Erſter Theil. S274ſprechen Sie mir, daß Sie Heute Nachmittag um 3 Uhr im Schloßgarten ſeyn wollen, da ſoll er an der Landgraͤfin Begraͤbniß auf Sie warten. Wollen Sie?

Sie: Das kann ich nicht.

Ich: So koͤmmt wahrlich der naͤrriſche Amts - verwalter hieher. Sie kennen ihn, und haben nichts als Schimpf und Schande davon. Ich daͤchte, Sie machtens, wie ich Ihnen geſagt habe.

Das gute Kind ſann hin und her, und wußte nicht, wozu ſie ſich entſchließen ſollte: nachdem ich ihr aber betheuert hatte, daß der Amtsverwalter ganz gewiß ſelbſt kommen, und Skandal machen wuͤrde; ſo verſprach ſie endlich, um 3 Uhr in den Schloßgarten zu kommen. Ich berichtete dieſen Troſt meinem Schoͤnburg, und der flog ſchon gleich nach zwei Uhr in den Schloßgarten. Als er wieder zu - ruͤck kam, war er ganz auſſer ſich vor Freuden, ſoff vor lauter Jubel drei Buteillen Burgunder ganz allein aus, und ward ſo ſelig, daß er nicht mehr ſte - hen konnte.

Aber, werden meine Leſer fragen, blieben Sie denn ſo nuͤchtern? Hoͤren Sie nur an, lieben Leſer. Ich war nicht zu Hauſe, als das vorging, und hatte einen guten Freund beſucht, der mich nun eben zum Trinken nicht forcirte. Als ich nach dem275 Gaſthofe zuruͤck kam, war mein Schoͤnburg ſchon im Bette.

Ich trat daher in die Gaſtſtube, um mir da die Zeit zu vertreiben. Es waren mehrere Darm - ſtaͤdter Herren zugegen, unter andern auch Herr Maier, ein Sohn des Pfarrers Maier von Kup - ferzell, der ſo viel von Oekonomie geſchrieben hat. Der Sohn ſtund in Darmſtadt als Sekretaͤr bei dem Praͤſidenten von Moſer, und war ein eingemachter Haſenfuß. Er trallierte in der Stube herum, und ich fand ihn ſo aͤrgerlich, daß ich nur auf Gelegenheit paſte, ihm eine Sottiſe zu ſagen. Dieſe zeigte ſich bald. Er unterſtand ſich, mich in einem ſchnippigen Ton zu fragen: Sind Sie der Kompagnon des Mosje Firlefanz, der hier logirt?

Ich: Was fuͤr'n Mosje Firlefanz, meint der Herr?

Er: Je nun, den Menſchen mit der gruͤnen Wildſchur, der Geſtern hier neben Ihnen ſaß.

Ich: So? Und das war ein Mosje Firle - fanz? Herr Sie moͤgen wohl ſelbſt Firlefanz ſeyn, verdammtes Fratzengeſicht!

Er: (erhitzt) Reden Sie nicht ſo, oder

Ich: Nun dann (aufſtehend) oder?

Er: (zuruͤcktretend) Gott ſtrafe mich! haͤtt 'ich nichts zu riskiren, Sie ſollten Maulſchellen haben, daß Sie hinſaͤnken.

276

Ich: (ihm hinter die Ohren ſchlagend) Ver - fluchter Kerl, Du willſt mir Maulſchellen biethen? Du?

Er ſetzte ſich natuͤrlich zur Wehr, ich aber konnte leicht dem kleinen Maͤnnchen einen Stoß geben, daß er weit weg fuhr, und zu Boden ſtuͤrzte. Die An - weſenden legten ſich alle dazwiſchen, und brachten uns auseinander. Mosje Maier lief fort, und ſchwur, daß mir die Sache ſo nicht hingehen ſollte. Der Wirth ſelbſt, Herr Peter im Trauben, rieth mir, mich aus dem Staube zu machen: Maier ſey ein rach - gieriger Menſch, und gelte alles bei ſeinem Herrn: ich wuͤrde gewiß arretirt werden, und viel Verdruß haben. Ich ließ mir das nicht zweimal ſagen, ver - ließ den Trauben, und begab mich noch des Abends um neun Uhr zu meinem Freund Panzerbieter, dem jetzigen Prorector am Gymnaſium zu Darmſtadt, ſchrieb da einen Zettel an den Amtsverwalter, und meldete ihm, daß ich noch Heute nach Arhelgen ge - hen wuͤrde, wo er mich den folgenden Tag abholen koͤnnte. Ich bat Herrn Panzerbieter um die Beſtel - lung des Billets, und marſchirte zur Stadt hinaus: im Thor ſagte ich, daß ich auf die Kaͤmmerei gehen wollte.

In Arhelgen kam ich erſt nach zehn Uhr an, ſchlief recht gut, und hoffte den folgenden Morgen meinen Schoͤnburg zu ſehen. Allein ich mußte in277 der Schenke bei den Bauern einen ganzen langen Tag, und zwei Naͤchte harren. Am dritten Tage gegen Mittag kam Schoͤnburg mit einem ſo genann - ten ungriſchen Waͤgelchen, dergleichen auf jenen Po - ſten ſehr gewoͤhnlich ſind, holte mich ab, erzaͤhlte mir, daß es noch großen Laͤrmen meiner Haͤndel wegen gegeben haͤtte, und lobte bei dem allen meine Entſchloſſenheit. Wir kamen des andern Tages wieder in Mainz an, wo aber weiter nichts Merk - wuͤrdiges vorfiel.

Dreißigſtes Kapitel.

Ich ſoll Pfarrer werden.

Die Bauern in Kriegsfeld hatten mich zum Seel - ſorger ſo hießen die dortigen Herren Geiſtlichen gewoͤhnlich, und hoͤren den Titel auch gern haben wollen; weil aber die Pfarre daſelbſt gar ſehr ſchlecht iſt; ſo wollte mein Vater nicht, daß ich ſie annehmen ſollte.

Ich muß hier mit Erlaubniß meiner Leſer eine kleine Beſchreibung von den lutheriſchen Pfarreien in der Kurpfalz einſchalten.

Vorzeiten hatten die Lutheraner in der Pfalz gute Pfarreien; nachdem ihnen aber die Katholicken,278 verbunden mit den Reformirtenu)Die Reformirten haben beſtaͤndig mit den Katholicken in der Pfalz gemeinſchaftliche Sache gemacht, um die Lutheraner zu unterdruͤcken. Hier iſt der Ort nicht, dieſes weiter auszufuͤhren. Ich merke nur noch an, daß der Verfaſſer eines ſonſt recht guten Buchs: Ge - ſchichte der Reformirten Kirche in der Pfalz (Deſſau 1791.) vieles zum Vortheil der Reformirten Pfaͤlzer ganz falſch vorgeſtellt hat. Der Pfaͤlziſche Lutheraner weiß wirklich nicht, wer ihn mehr druͤckt, der Katholik, oder der Reformirte? Jener hat die Macht, und han - delt gerade zu; dieſer bedient ſich ſtatt der Gewalt haͤ - miſcher Raͤnke, und iſt nicht minder gefaͤhrlich und ſchaͤdlich., ihre Kirchenguͤ - ter genommen, und unter ſich getheilt haben; ſo muͤſſen die armen lutheriſchen Geiſtlichen ſeit der Zeit blos von dem Leben, was ihnen ihre Pfarrkinder aus Gnade und Barmherzigkeit geben wollen. Da aber der Kurpfalzer Bauer ſelbſt nicht viel hat, und alſo nicht viel geben kann ſo ſind die Predigerſtellen ungemein ſchlecht, und die Inhaber derſelben haben oft kaum das liebe Brod. Doch ſind die Lutheraner in der Pfalz, wie jede eccleſia preſſa, ſtreng auf ihren Glauben, ſo, daß ſie beinahe in jedem Dorf eine Kirche haben, und auch einen Paſtor. Was das aber auch fuͤr Paſtoͤre ſind! Kaum kann man ſich, ich weis nicht, ob ich ſagen ſoll, des Weinens oder des Lachens enthalten, wenn man ſo einen Pfaͤl -279 ziſchen lutheriſchen Gottesmann einhertreten ſieht, mit einem alten verſchabten Rock, der ehedem ſchwarz war, nun aber wegen des marasmus ſenilis, wie D. Bahrdt von ſeinem Hut ſagt, ins rothe faͤllt mit einer Peruͤcke, die in zehn Jahren nicht in die Haͤnde des Friſeurs gekommen iſt mit Hoſen, die den Hoſen eines Schuſters in allem gleich kommen, ſogar in Abſicht des Glanzes, und mit Waͤſche, wie ſie die Bootsknechte tragen. Aber freilich der Mann kann ſich nichts beſſeres anſchaffen: es iſt der Anzug, welcher bei ſeiner Ordination neu war, und ihm ſein ganzes Leben hindurch dienen muß.

Das Innere dieſer Herren ſtimmt vollkommen mit ihrem Aeußern uͤberein, und wenn je das Sprich - wort wahr iſt: man ſiehts einem an den Federn an, was er fuͤr ein Vogel iſt; ſo iſt es gewiß von den lutheriſchen Herren Pfarrern in der Pfalz wahr. Darunter findet man die allerkraſſeſten Ignoranten, welche kaum ihren Namen ſchreiben und lateiniſch leſen koͤnnen. Sie ſind zwar auf Univerſitaͤten ge - weſen, weil ſie aber ſchlecht unterrichtet dahin kamen; ſo lernten ſie auch da nichts: und der gaͤnzliche Man - gel an Buͤchern einige alte Schunken und Poſtil - len, welche vom Vater auf den Sohn fort erben, ausgenommen verbietet ihnen weiter zu ſtudieren. Aber wenn man ihnen auch Buͤcher geben wollte; ſo wuͤrde ihre kraſſe Orthodoxie, welche allemal bei280 Ignoranten und Dummkoͤpfen kraſſer iſt, als bei Gelehrten, nebſt ihrer natuͤrlichen Traͤgheit ſie hin - dern, irgend einen Gebrauch von einem guten Buche zu machen.

Die Lebensart dieſer Leutchen iſt abſcheu - lich. Sauffen das karakteriſtiſche Laſter der Pfalz iſt auch ihre Sache: da ſitzen ſie in den Dorfſchenken, laſſen ſich von den Bauern tractiren, ſaufen ſich voll, und pruͤgeln ſich mit unter ſehr er - baulich. So bekam der Pfarrer Weppner zu Alsheim einſt ſo viel Pruͤgel in der Schenke, daß er in drei Wochen nicht predigen konnte. In einem andern Lande wuͤrden dergleichen Skandale auf ver - druͤßliche Konſequenzen ziehen; aber in der Pfalz nimmt mans ſo genau nicht.

Ich rede aber, welches ſich von ſelbſt verſteht, nicht von allen und jeden, ſondern vom groͤßten Hau - fen. Giebt es daher noch〈…〉〈…〉 nige, welche beſſer ſind von Kenntniſſen und Sitten und daß es derglei - chen gebe, weis ich ſelbſt ſo habe ich dieſe nicht gemeint. Es iſt hier nur die Rede von dem, was gemeiniglich geſchieht. Und wer koͤnnte fuͤr ſo ſchlechte Stellen auch wohl etwas beſſeres verlan - gen!

Die Reformirten und Katholiſchen[Herren] ſind nicht viel beſſer, was naͤmlich ihre Sitten und Kennt - niſſe betrifft, ob ſie gleich beſſer gekleidet gehen, beſ -281 ſern Wein trinken, und der guten Atzung wegen, auch dickere Baͤuche haben, als die lutheriſchen.

Mein Vater wollte nun nicht haben, daß ich in der Kurpfalz Pfarrer werden ſollte: dazu, meinte er, haͤtte ich zu viel gelernt. Ich hatte auch nicht Luſt, mich dem traurigen Joch des Pfaͤlziſchen Kon - ſiſtoriums und der Tirannei der Oberamtmaͤnner zu unterwerfen: uͤberhaupt verlangte mich damals nicht nach einem Amte, welches nur meine Vergnuͤgungen wuͤrde erſchwert haben.

In unſrer Grafſchaft war zwar eine nicht ſchlechte Stelle aufgegangen, welche mir als einem Landeskinde gebuͤhrt haͤtte: allein der Herr Konſiſto - rialrath Dietſch, ein ſonſt braver Mann, und der damalige Adminiſtrator der Grafſchaft Herr von Zwirlein, waren von einem Auslaͤnder durch Geld praͤoccupirt worden, der denn auch die Pfarre er - hielt.

Aber da ſtarb im Herbſt 1779 der Pfarrer Ritterſpacher in Badenheim, einem dem Gra - fen Schoͤnborn, Heuſenſtamſcher Linie, zugehoͤrigem Dorfe. Ritterſpracher war mein Freund und Uni - verſitaͤtsbruder geweſen, und hatte die Wittwe ſeines Vorgaͤngers geheurathet. Weil er aber auf der Aka - demie ſehr akademiſch gelebt hatte; ſo bekam er die Schwindſucht und muſte abfahren. Waͤhrend ſeiner Kraͤnklichkeit hatte ich einigemal fuͤr ihn gepredigt,282 und alles Lob der Bauern davon getragen. Dieſe lagen mir nun, nach ſeinem Abſterben aͤuſſerſt an, mich zur Pfarre zu melden. Ich wollte anfangs nicht: weil es aber eine ſehr gute Stelle war; ſo drang auch mein Vater darauf, daß ich mich melden ſollte. Ich that es, und gab eine Bittſchrift bei dem Gra - fen, oder vielmehr des Grafen Beamten, dem Hof - rath Schott zu Mainz ein. Dieſer Hofrath iſt ein ruͤder unwiſſender Menſch, welcher vorher hinter der Kutſche geſtanden hatte. Er ſagte mir gerade heraus: Herr, Sie muͤſſen die Frau nehmen, ſonſt kriegen Sie die Pfarre ſchwerlich. Ich gab ihm zu verſtehen, daß es wider meine Grundſaͤtze waͤre, je ein Frauenzimmer zu heurathen, das mich an Al - ter uͤbertraͤfe, und ſchon zwei Maͤnner gehabt haͤtte. Der Hofrath bedaurte meine Delikateſſe; verſprach aber doch, die Sache beßtens zu beſorgen.

Ich traute dem Menſchen nicht recht, und ſchrieb gerade an den Grafen nach Wien, der mir zwar auch ſehr artig antwortete; aber zugleich zu verſtehen gab, daß die Sache nicht mehr ganz von ihm abhinge, indem er dieſelbe bereits einem andern uͤbergeben haͤtte; doch wollte er ſehen, was ſich fuͤr mich noch thun ließe. Als mein Vater dieſen Brief geleſen hatte, rieth er mir, alle Hoffnung aufzuge - ben: weil ich durchfallen wuͤrde. Er hatte recht: denn nicht lange darauf heurathete die Frau einen283 Pfaͤlzer Pfarrer, ſo einer von denen, die ich ſo eben beſchrieben habe: und der wurde Pfarrer in Baden - heim. Freilich rebellirten die Bauern ein wenig daruͤber, aber Bauernrebellion hat ſelten Beſtand. Der erſte Mann der Pfarrin, die eine Schweſter des bekannten Malers Muͤller von Kreuznach iſt, hatte 1000 Gulden fuͤr die Stelle gegeben: weil er aber, ſo wie der zweite bald ſtarb, ohne fuͤr ſein vie - les Geld die Pfarrei benutzt zu haben; ſo ließ ihr der Graf die Freiheit ſich zur Schadloshaltung noch einen dritten zum Nachfolger des zweiten zu waͤhlen. Allein auch der iſt bald hernach geſtorben, und da ſoll man die Pfarrei an Herrn Straͤuber, einen Menſchen, der es im Saufen mit jedem Matroſen aufnimmt, abermals fuͤr 1000 Gulden verkauft haben.

Ich koͤnnte nicht ſagen, daß dieſe fehlgeſchlage - nen Ausſichten mich ſehr geaͤrgert haͤtten: aber deſto mehr aͤrgerte ſich mein Vater, daß man das Ding angefangen hatte. Er wuͤnſchte indeß gar ſehr, mich verſorgt zu ſehen, um mich aus dem unbeſtimmten wuͤſten Leben heraus zu reißen, wie er ſagte. Als demnach eine ſehr elende Pfarre in der kaiſerlichen Grafſchaft Falkenſtein aufging: ſo mußte ich mich auch da melden, aber vergeblich: ein Landeskind wurde mir vorgezogen. Indeſſen gab man mir bei dem Oberamte zu Winweiler zu verſtehen, daß wenn284 ich etwas daran wenden wollte, das Ding ſich ſo karten ließe, daß das Landeskind ſeinem Vater ad - jungirt wuͤrde, und ich die Pfarre bekaͤme. Dieſer Vorſchlag war ſo unrecht nicht: denn weil viel alte Pfarrer in der Grafſchaft waren; ſo haͤtte ich Hoff - nung gehabt, bald weiter zu ruͤcken: allein er ſtand mit einem Schurkenſtreich in Parallelle: und ſo wollte mein Vater durchaus nichts weiter davon wiſſen.

Dieſe mislungenen Verſuche, mir in der Kur - pfalz eine Pfarrſtelle zu verſchaffen, brachten meinen Vater auf den Entſchluß, mich zu Heidelberg exa - miniren und in die Zahl der Pfaͤlziſchen Kandidaten, deren es wenige giebtz)daß hier die Rede von lutheriſchen Kandidaten ſey, verſteht ſich von ſelbſt: denn der Name der Reformir - ten heißt Legion, die lutheriſchen Pfarrſtellen werden auch meiſtens mit Auslaͤndern, und zwar mit verlauffe - nen Auslaͤndern beſetzt., aufnehmen zu laſſen. Ich hatte freilich keine Luſt in der Pfalz angeſtellt zu werden; doch mußte ich meinem Vater fuͤr ſein oͤfte - res Nachgeben, wohl auch einmal wieder nachgeben, und nach Heidelberg reiſen, um mich da einſtweilen zu erkundigen, wie mir wohl die Thuͤr zum pfaͤlzi - ſchen Schaafſtall offen ſtehen moͤchte, oder ob ich ſo ſonſt irgendwo hineinſteigen muͤßte.

285

Ich hatte einen Vetter im Heidelberger Kon - ſiſtorium, den Rath Zehner: ich glaube der Mann lebt noch. An dieſen hatte mir mein Vater einen Brief mitgegeben. Der Rath war, welches ſonſt ſeine Gewohnheit nicht iſt, ziemlich hoͤflich, und be - hielt mich zum Eſſen. Es wuͤrde, meinte er, mit meinem Unterkommen in der Pfalz keine Schwierig - keit haben, wenn ich mich einem rigoroͤſen Examen unterwerfen wollte und koͤnnte. Das Ding aͤr - gerte mich, und ich ſagte meinem Herrn Rath, daß er an mir nicht verzweifeln ſollte: ich haͤtte meine Sache ehrlich gelernt, und wuͤrde gewiß ſo gut be - ſtehen, als Weppner, Georgi, und viel andre Herrchen, die man doch auf dem Konſiſtorium zu Heidelberg approbirt und mit herrlichen Zeugniſſen verſehen haͤtte. Zehner laͤchelte, und fing an, mich zu tentiren; doch nur ſo gewandsweiſe: er brachte das Geſpraͤch auf die Reformirte Gnadenwahl. Aber da kam er mir eben recht: denn obgleich ich mich in der Kirchen Geſchichte nicht verſtiegen hat - te, ſo wuſte ich doch recht gut, was Auguſtin, die Praͤdeſtinatianer, Gottſchalk und Luther, von dieſer Lehre geſagt hatten, kannte die Haͤndel des Amyral - dus, der Remonſtranten, Janſeniſten und Jeſuiten weit beſſer, als Herr Zehner, und war daher im Stande, eine Gelehrſamkeit auszukramen, woruͤber der alte Rath ſtaunte. Er ließ es daher gleich gut286 ſeyn, leitete das Geſpraͤch auf die Weinleſe, und ent - ließ mich, mit dem Verſprechen, daß er fuͤr mich ſorgen, und mir den Tag beſtimmen wuͤrde, wo ich mich zum Examen ſtellen ſollte. Aber es wurde nichts daraus: denn es oͤffneten ſich fuͤr mich andre Ausſichten, und da dachte ich nicht mehr an die Pfaͤlzer Verſorgungen. Weil ich bei dieſer Gelegen - heit zuerſt die antiquiſſima Heidelbergenſis, oder die roſtige Univerſitaͤt zu Heidelberg habe kennen ler - nen; ſo mag ein Kapitel daruͤber nicht am unrechten Orte hier ſtehen.

Ein und dreißigſtes Kapitel.

Univerſitaͤt zu Heidelberg.

Wenn ſich eine Stadt in Deutſchland zu einer Uni - verſitaͤt ſchickt; ſo iſts gewiß Heidelberg.

Sie liegt in einer der ſchoͤnſten Gegenden: alles iſt wohlfeil da; und da weder Hof noch Regie - rung die Stadt verfuͤhreriſch und brillant macht, auch wenig Soldaten da ſind; ſo koͤnnte der Studen - daſelbſt eine angemeßne Rolle fuͤr ſich ſpielen und ceteris paribus den Zweck ſeiner Ausbildung da weit wohlfeiler und ungeſtoͤhrter erreichen, als in Mainz, Halle oder Leipzig.

287

Vorzeiten hat dieſe Univerſitaͤt große beruͤhmte Maͤnner unter ihre Lehrer gezaͤhlt: aber das achtzehn - te Jahrhundert hat auch nicht einen einzigen da auf - kommen laſſen, deſſen Name mehr verdiente, als eine Stelle im gelehrten Deutſchland, wo freilich die theuren Namen eines Brumbeys, Cranz, Roͤnn - bergs, Pater Merz, und hundert und neun und neunzig andrer Strohkoͤpfe und Diſtelkoͤpfe eben ſo gut genannt zu werden pflegen, als dit eines Wie - lands, Kants, Schulz, Amelangs und Semlers. Herr Succow lehrt aber doch jetzt in Heidelberg, und das ſoll ein gelehrter Chemi - kus ſeyn. Iſt es indeß wahr, daß er fleißig Gold laborire, ſo macht es ſeinen chemiſchen Einſichten eben nicht viel Ehre. Niemand ſagt Herr Profeſſor Gren in Halle, kocht Gold, als ein Erzſtuͤmper in der Phyſick und Chemie.

Die Univerſitaͤt beſteht aus katholiſchen und re - formirren Lehrern; doch hat die pfaͤlziſche Ketzerin - quiſition, welche am Hofe beſonders maͤchtig iſt, dafuͤr geſorgt, daß die Statuten hintangeſetzt, und beinahe alle Lehrſtuͤhle mit Rechtglaͤubigen beſetzt ſind.

So beſteht die Juriſtenfakultaͤt aus lauter Ka - tholiken: die Mediciniſche hat nur einen Reformir - den D. Nebel: und in der Philoſophiſchen dociren nur wenige Proteſtanten, damals z. B. Herr Buͤt -288 tingshauſen. Die Katholicken ſind zwar keine Hexen - meiſter in den Wiſſenſchaften; aber die Reformirten ſind noch zehnmal elender: lauter homines obſcuri nominis. Die Katholiſchen Theologen ſind Exje - ſuitena)Ich rede immer in tempore praeſenti, weil ſich ſeit 1779 nichts in Heidelberg verbeſſert hat., und lehren die Theologie, wie mans von Exjeſuiten erwarten kann. Sonſt haͤlt ein gewiſſer Exjeſuit, Signor Biſſing, ein Dickwanſt, dem das Feiſt beinahe die Augen zudruͤckt, und der in gar keiner Verbindung mit der Univerſitaͤt ſteht, dann und wann Vorleſungen uͤber die Kunſt Beicht zu ſitzen, gerade als wenn die andern Herren dieſe große Kunſt nicht auch genug dociren koͤnnten.

Die Reformirten Theologen ſind, beſonders Herr Mieg, Herr Heddaͤus und Herr Wund. Erſterer war ſonſt Inſpector in Kreutznach: er hat ganz und gar keine litterariſchen Kenntniſſe: verſteht weder hebraͤiſch noch griechiſch, ſo das er, wenn er ja einmal einen hebraͤiſchen Spruch anfuͤhren will, ihn erſt mit Muͤhe buchſtabirt, und das buchſtabirte hernach mit lateiniſchen Lettern aufſchreibt, und auf dem Katheder abließt. Uebrigens gehoͤrt Herr Wund zu denen, welche doch nicht kraß ſeyn wollen, und daher, da ſie ſelbſt nicht Kenntniſſe genug haben, um den Ungrund des kraſſen Syſtems einzuſehen, ſich an289 neuere Buͤcher machen, und ihren Katechismus ut - cunque reformiren. Aber auch dieſes iſt fuͤr Hei - delberg ſchon genug: denn da florirt der Urſiniſche Katechismus neben den Schluͤſſen der Dortrechter Synode ſo ſchoͤn, wie immer in Holland. Hr. Wund ſchaͤtzt die Schriften des beruͤhmten Steinbarts, und was er auf dem Katheder gutes ſagt, iſt aus Stein - barts Gluͤckſeligkeitslehre. Er hat endlich auch ein - mal ein geſcheides Kompendium eingefuͤhrt, naͤmlich das von Murſinna, woruͤber aber die Herren Kirchenraͤthe nicht das freundlichſte Geſicht gemacht haben, weil Herr Murſinna alles Diſputiren uͤber das decretum abſolutum fuͤr Spiegelfechterei und theologiſchen Aberſinn ausgiebt. Da man eine deutſche Ueberſetzung dieſes Kompendiums hat; ſo haben die Univerſitaͤtsbachhaͤndler zu Heidelberg, die Herren Pfaͤhler, auch nicht Ein lateiniſches Exemplar verkaufen koͤnnen. O des lieben Lateins!

Doktor Heddeus iſt ein finſtrer, ſtoͤrriger Orthodoxe, ein aͤchter Anhaͤnger der Synode von Dortrecht, der Euch die Meinung der Supralapſa - rier vertheidiget, wie einſt Meiſter Gomarus, und der den Heidelberger Katechismus fuͤr inſpirirt haͤlt. Er lieſt noch jetzt 1792 uͤber das Kompendium Pie - teti. Wie doch der Mann muß ſtudirt haben, daß er noch ein ſolch finſteres, und nach unſern ZeitenErſter Theil. T290abgeſchmacktes Lehrbuch zum Leitfaden gebrauchen kann! Deswegen lebt er aber auch mit ſeinem Kol - legen, dem Hrn. Wund, in ſtaͤter Feindſchaft, wel - che ſich durch niedertraͤchtige Klatſchereien Luft macht. Sonſt hat er einige Sprachkenntniſſe, d. i. er kann Jakob Altings hebraͤiſche Grammatikb)Dieſe konfuſe, im vorigen Jahrhundert fabricirte Gram - matik iſt auf den Pfaͤlzer Schulen noch gebraͤuchlich. Man muß indeß den Ketzern, den Lutheranern, die Freude nicht machen, auf einer rechtglaͤubigen Refor - mirten Schule eine lutheriſche Grammatik einzufuͤhren. Sie ſollten aber uͤberhaupt das Hebraͤiſche abſchaffen: denn die Herren lernen ja doch keins! auswen - dig, kann die Bibel durch Huͤlfe eines Woͤrterbuchs von Wort zu Wort uͤberſetzen, und ſchreibt Latein ohne grobe Schnitzer, welches in Heidelberg ſchon fuͤr gar maͤchtige Philologie angeſehen wird. Des - wegen ſpottet er bei jeder Gelegenheit auf den Pro - feſſor Wund, welchem er den Namen eines deut - ſchen Michels giebt.

Von Heddeus Toleranz vernehme man folgen - des Proͤbchen. Einer meiner Freunde, der dama - lige Vikarius zu Gundersblum, Hr. Simon, hat - te ein Geſchaͤft in Heidelberg, zu deſſen Ausfuͤhrung ihm der Reformirte Inſpektor zu Oppenheim ein Empfehlungsſchreiben an den Ehrenmann Heddeus mit - gab. Simon beſtellte ſeine Kommiſſion, und Hed -291 deus war ſehr freundlich, ſo freundlich, daß er ihn zum Mittagseſſen einlud. Hr. Simon nahm die Einladung an, und kurz vor Tiſche ward Freund Hed - deus erſt inne, daß ſein Gaſt ein lutheriſcher Vikarius ſey! Da pochte ihm ſein orthodoxes Herz, er verlohr die Sprache, und nachdem er oft gejaͤhnt, und 200 Priſen Tabak genommen hatte, verſicherte er Hrn. Simon, daß er Geſchaͤfte haͤtte, und ihn unmoͤglich bewirthen koͤnnte. Simon, ein Pfiffikus, verſetzte: daß wenn S. Hochwuͤrden zu thun haͤtten; ſo wollte er ſich an der Geſellſchaft der Jungfer Muhme be - gnuͤgen, welche damals der Hr. Doktor bei ſich hat - te. Geſagt, gethan! Heddeus muſte nachgeben, und Simon blieb. Der Doktor entfernte ſich unter dem Vorgeben, daß er, ich weiß nicht, bei wem, den uͤbrigen Tag zubringen muͤßte. Ueber Tiſche verſchnapte ſich aber Mamſell Muhme und verrieth, daß ihr Herr Vetter auf ſeiner Stube ſey. Ei, fragte der Vikarius, warum ſpeiſt denn der Hr. Vetter nicht mit uns? Je nun, erwiederte das Muͤhmchen, ohne zu uͤberlegen, was ſie ſagte, weil Sie eben lutheriſch ſind: der Herr Vetter kann einmal die Lutheraner nicht leiden. Hab ich nun genug geſagt, lieber Leſer, vom Gottesmann Heddeus? Seine Frau Gemalin hatte vor ihrer Verheurathung einen ge - nauen Umgang mit einem Dragonerofficier, und muſte den Doktor wider ihren Willen heirathen. Die292 ſkandaloͤſe Kronik in der Pfalz giebt viel Nachrichten von ihr.

Der Prof. Buttinghauſen las hiſtoriſche Sa - chen: aber da er wenig wußte, und alles durch ein - ander vortrug; ſo glichen ſeine Lektionen einem Quod - libet. Er iſt nun todt.

Der reformirte Prof. der Philoſophie, Herr Fauth, iſt, wie ihn ſelbſt die heidelberger Studenten beſchreiben man denke ſich heidelberger Stu - denten, als Kritiker eines Philoſophen! ein elender Schwaͤtzer, der das Kompendium abkanzelt, und hin und wieder ſeinen ſchalen Witz dazu ſetzt. Er lieſt auch Kirchengeſchichte, zwei Stunden die Woche. Das mag eine Kirchengeſchichte ſeyn!

Ueberhaupt iſt die ganze philoſophiſche Fakultaͤt zu Heidelberg eine Geſellſchaft unphiloſophiſcher hirn - loſer Gruͤtzkoͤpfe, die lieber Vorleſungen uͤber Eulen - ſpiegel, als uͤber Philoſophie halten ſollten. Das iſt ein harter Satz, den ich aber augenſcheinlich bewei - ſen werde. Man hoͤre! Herr Wiehrl, ein katho - liſcher Weltprieſter, und ſehr beleſner gelehrter Mann, ward 1778 Profeſſor zu Baden. Er las uͤber des Goͤttingiſchen Feders Buͤcher, und das mit Beifall. Die ſchleichenden Exjeſuiten fanden bald, daß Hr. Wiehrl ketzeriſche Saͤtze vortruͤge, und mach - ten beim Biſchof zu Speier, der in Bruchſal wohn -293 te, ſo ein abſcheuliches Spektakel, als wenn Hol - land in Noth waͤre. Was geſchah? der Biſchof wollte Hn. Wiehrl zuruͤck haben, aber der dankte da - fuͤr, vielmehr ſchickte er ſeine fuͤr ketzeriſch ausgege - benen Saͤtze, nebſt den Federiſchen Kompendien an die katholiſche Univerſitaͤt zu Freiburg im Bries - gau. Dieſe erklaͤrte, daß weder die Saͤtze des Hrn. Wiehrls, noch die Buͤcher des Hrn. Feders etwas ketzeriſches enthielten. Die Bruchſaler Exjeſuiten zo - gen hierauf die hochloͤbliche philoſophiſche Fakultaͤt zu Heidelberg zu Rathe, und ſiehe da, dieſe erklaͤrte die Buͤcher des Goͤttingers, und die Saͤtze des Bader Profeſſors fuͤr ketzeriſch, gefaͤhrlich, den guten Sit - ten, (man denke doch!) zuwiderlaufend und fuͤr aͤrgerlich. Dieſe Cenſur wurde gedruckt, und die Freiburger balbirten nun die elenden Heidelberger nach Herzensluſt, und zeigten ihnen, daß ſie das ABC der Philoſophie noch nicht gelernt haͤtten. Endlich kam die Sache gar nach Rom: aber die Beiſitzer der Congregation des Indicis waren viel kluͤger, als die Heidelberger Diſtelkoͤpfe. Sie ſchickten naͤmlich dem Hrn. Wiehrl eine Expoſition zu, welcher er gern unter - ſchrieb, weil ſie weiter nichts enthielt, als eine Er - laͤuterung ſeiner Saͤtze. So mußten denn die Her - ren Heidelberger ſich ſchaͤmen, und ſtille ſeyn. Das war ſo ein Proͤbchen von der Heidelberger Weisheit und Orthodoxie.

294

Außer den Katholiſchen und Reformirten Theo - logen ſollen auch die lutheriſchen Konſiſtorialraͤthe fuͤr lutheriſche Landeskinder theologiſche Vorleſungen hal - ten. So will es wenigſtens der Kurfuͤrſt; allein da die lutheriſchen Raͤthe Leute ſind, denen es an Kennt - niſſen fehlt, ſo hat kein Menſch von Lutheranern da - hin gehen wollen: und das Projekt iſt mißlungen. Es war auch uͤberhaupt ein ſeltſamer Gedanke, die dortigen Herren Michaelis, Zehner u. d. g. Colle - gien halten zu laſſen!

Nun noch ein Wort von den Heidelberger Stu - denten. Dieſe ſind lauter Landeskinder: denn ſehr ſelten verlaͤuft ſich ein Auslaͤnder dahin, und ſelbſt diejenigen Landeskinder, welche etwas rechts lernen wollen, gehen auf andre Schulen und Univerſitaͤten. So beſuchten Hr. Abbeg, jetzt Rektor zu Heidelberg, die Schule in Gruͤnſtadt, und ſtudirte hernach in Halle, wo er unter der Leitung des vortreflichen Wolfs ſich ſo bildete, daß er mit Recht fuͤr den groͤß - ten Philologen am Rheinſtrom gehalten wird. Die beiden Hrn. Weikom haben es eben ſo gemacht: aber das ſind ſeltene Beiſpiele.

Da die Pfaͤlzer Schulen uͤber allen Glauben elend ſind; ſo kommen die Herren Fuͤchſe ohne alle Vorkenntniſſe nach Heidelberg, nehmen die Lehrſtun - den an, welche ihnen der Herr Kirchenrath, an den295 ſie empfohlen ſind, vorſchlaͤgt, und hoͤren dann zu. Hefte werden in Heidelberg bei den Reformirten gar nicht geſchrieben: bei den Katholiken aber wird alles Vorgeſagte von den Zuhoͤrern ſchriftlich aufgezeichnet. Wenn ein Student zehn Stunden woͤchentlich zu hoͤ - ren hat, ſo denkt er wunder, welche Arbeit er habe! Nach drei Jahren zieht er wieder ab, laͤßt ſich exa - miniren, und zwar bei ſeinen Lehrern, die ihn dann freilich nicht abweiſen, und er wird mit der Zeit Paſtor, Schaffner, Amtmann, Doktor oder ſonſt etwas.

Der Komment iſt zu Heidelberg elend, auch nur wenn man ihn nach eingefuͤhrten akademiſchen Regeln mißt. Die Studenten unterſcheiden ſich in Abſicht ihrer Auffuͤhrung wenig von Gymnaſiaſten: es fehlt ihnen allen das ſonſt bei Studenten gewoͤhn - liche freie unbefangene Weſen. Doch ſaufen die Leut - chen wie die Buͤrſtenbinder, denn der Wein iſt ſehr wohlfeil da. Schlaͤgereien ſind gar nicht Mode, ob - gleich den Studenten erlaubt iſt, Degen zu tragen. Aber en Revanche nehmen die Herren allerhand Zeug vor, welches ſonſt Schuͤler aus Muthwillen oder Langerweile zu thun pflegen: ſie ſpielen Ball, gehen auf Stelzen, ſuchen Vogelneſter, ſpielen mit Weinſchrotern, welche ſie zuſammenjochen, und an ein kleines Waͤgelchen ſpannen u. d. g. Das Pasquil - liren iſt auch ihnen gar gewoͤhnlich.

296

Die Studenten zu Heidelberg werden abge - theilt in Seminariſten, Juriſten und Sapienzkna - ſter. Seminariſten ſind katholiſche Theologen, meiſt Kinder armer Eltern: denn wer Geld hat, und geiſtlich werden will, den ſchnappen die Kuttenpfaf - fen (ſo heiſſen die Moͤnche in der Pfalz) weg, und machen einen Heiligen aus ihm. Sie, die Semi - nariſten, werden von Exjeſuiten und Piariſten unter - richtet, lernen Jeſuitiſche Theologie kennen, und ſe - tzen das liebliche Syſtem des Jeſuitismus fort, wenn ſie mit der Zeit Pfarreien erhalten. Unter dem Namen Juriſten begreift man alle wuͤrklich Jura Studirende, ſodann die Mediciner und Proteſtanti - ſche Theologen. Dieſe ſind eigentlich der Kern der Univerſitaͤt, und alleinige Inhaber des Komments. Sapienzknaſter endlich heiſſen diejenigen armen reformirten Theologen, welche auf der ſogenann - ten Sapienz, einem mit Einkuͤnften, zur Erhaltung duͤrftiger Studenten, errichteten Kollegium woh - nen, und alſo von der Gnade des Hrn. Kirchen - raths leben muͤſſen. Dieſe Sapienzknaſter ſind ſehr verachtet, und duͤrfen ſich nirgends ſehen laſſen, wo Juriſten hinwandern: ſonſt bekommen ſie Na - ſenſtuͤber. In den Kollegien wird ihnen Muſik ge - macht, und wer des Nachts bei der Sapienz vorbei geht, der ſchreiet: heraus ihr lumpigen Sapienz - knaſter! pereant!

297

Die Anzahl der Studenten belief ſich ohngefaͤhr vor zwoͤlf Jahren auf zwei hundert: nachher hat ſich dieſe Zahl ſehr verringert und muß, wenn keine beſſere Einrichtung getroffen wird, ſich noch immer mehr verringern. Die Regierung ſcheint ſich ganz und gar nicht um die Verbeſſerung der Akademie zu bekuͤmmern. Das Reformirte Weſen iſt dem Kirchenrath uͤber - laſſen, und fuͤr die Beſetzung der Katholiſchen Stellen ſorgt der berufene Exjeſuit Frank, dieſer Malleus Haereticorum, d. i. der Antijeſuiten, Illuminaten und aller Vernunftfreunde zu Muͤnchen! Man hat den jetzigen Kurfuͤrſten von der Pfalz geruͤhmt, daß er fuͤr die Aufnahme der Heidelberger Univerſitaͤt ge - ſorgt habe. Wenn ich aber die Anſtellung einiger Ka - meraliſten ausnehme, ſo kann ich nicht begreifen, worin dieſe Fuͤrſorge beſtanden habe. Indeſſen was ruͤhmt man nicht alles an Fuͤrſten!

So viel von Heidelberg!

Zwei und dreißigſtes Kapitel.

Mein Apoſtolat des Deismus.

Ich habe ſchon oben gemeldet, daß ich durch Crel - lius Buch um meinen Glauben an Dreieinigkeit, und durch Tindals Schrift vollends um allen Glauben gekommen war. In der Pfalz ſuchte ich nun Proſe -298 lyten zu machen, und fand mehrere Anhaͤnger. An - faͤnglich erſtreckte ſich mein Bekehrungseifer blos auf meine Freunde: mit dieſen ſprach ich oft uͤber heilige Dogmen, und das Reſultat war jedesmal, daß das Dogma falſch und laͤppiſch waͤre. Da unter meinen Freunden mehrere Katholiken waren; ſo huͤtete ich mich, Unterſcheidungslehren anzutaſten: denn ſo wuͤrde ich ſie niemals gewonnen haben; vielmehr griff ich die ſogenannten Grundlehren des Chriſten - thums an, und widerlegte ſie mit Argumenten, wel - che bei meinen Leuten fangen mußten. Gewoͤhnlich ſchlug ich den Weg ein, daß ich die ganze Hiſtorie der Bibel ſuchte verdaͤchtig zu machen, und das gelang mir allemal, weil ich die Widerſpruͤche der Schriftſteller grell genug darſtellte, und dann fragte, ob man einem Buche glauben koͤnnte, welches ſich ſo oft widerſpraͤche? Bald beſchrieb ich den Abraham, Moſes, David, Samuel, Elias und andre in der Bibel als Heilige dargeſtellte Perſonen, als Erzſchur - ken, Spitzbuben und Rebellen, deren Stuͤckchen ich erzaͤhlte, und mit Anmerkungen erlaͤuterte. Sofort ging ich ans neue Teſtament, machte mich uͤber die Lehrart Jeſu und der Apoſtel luſtig, und bewies, daß die weiſen Heyden, Sokrates, Plato, Xeno - phon, Zeno, Plutarch, Cicero und Se - neka die Moral oder die eigentliche ewige allgemeine Religion weit ſchoͤner und gruͤndlicher gelehrt haͤtten,299 als die Stifter der Kirchlichen Secten. Da ich merk - te, daß die Hiſtorien der unendlichen chriſtlichen Zaͤnkereien, Spaltungen, Verfolgungen und Pfaf - fenſpitzbuͤbereien den meiſten Eindruck auf meine Freunde machten; ſo blieb ich bei dieſem Kapitel im - mer recht lange ſtehen, und erlaͤuterte alles, ſo gut ich konnte. Voltaire kam mir, wie man denken kann, recht wohl zu ſtatten. Dabei gab ich mir ein ſehr gelehrtes Air, und blickte mit Verachtung auf die herab, welche die Kirchen - Religion vertheidigten. Mußte ich dem einen und andern dieſer Vertheidiger die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er ein ge - lehrter Mann und heller Kopf ſey; ſo gab ich vor: der Mann ſey nur einſeitig aufgeklaͤrt, ſey ein Heuch - ler, rede anders, als er denke, oder dergleichen. Ich weis es recht wohl, daß ich nicht allemal redlich zu Werke gegangen bin: denn ich brauchte oft Argu - mente, deren Schwaͤche ich ſelbſt einſah; allein ich hatte mit Leuten zu thun, die alles, was ich ſagte, fuͤr baare Muͤnze annahmen, und da dachte ich, ſey eine pia fraus erlaubt. In dieſem Falle machte ich es gerade ſo, wie die heiligen Kirchenvaͤter, ja ſelbſt wie die Apoſtel, welche kat anthropon bewie - ſen, und zufrieden waren, daß ihre Zuhoͤrer glaubten, ſie mochten nun uͤberzeugt, oder uͤbertoͤlpelt ſeyn.

Endlich erhielt ich die beruͤhmten Fragmente, die Leſſing herausgegeben hat. Jetzt war ich vol -300 lends recht in meinem Elemente. Bisher hatte ich die chriſtliche Religion noch immer als eine gute mo - raliſche Stiftung fuͤr ihre erſten Anhaͤnger, vorzuͤg - lich aus den Juden, angeſehen, und verehrte den Urheber derſelben, ſo wie ſeine erſten Nachfolger, als brave ehrliche Maͤnner, die hoͤchſtens Fanatiker und Feinde des Prieſter - Despotismus geweſen waͤ - ren. Aber von nun an erblickte ich in dem ganzen chriſtlichen Syſtem nichts als Betrug und zwar Be - trug, der ſich auf die abſcheulichſten Abſichten gruͤn - dete. Ich theilte meinem Vater die Dinge mit. Er las ſie durch, und gab ſie mir mit den Worten wie - der: haec et ego dudum cogitaram: nil inveni novi! Dabei rieth er mir, da ich nun geſcheut genug ſeyn muͤſte, alles das fuͤr mich zu behalten, und nichts davon ins Publikum zu bringen. Aber das war kein Rath fuͤr mich. Ich las meinen Freunden die Fragmente, beſonders das uͤber die Auferſtehung Jeſu und deſſen Zweck und ſeiner Juͤnger mehrmals vor. Letzteres Buch wurde, weil ich es wieder zu - ruͤck geben muſte, von uns abgeſchrieben, und war von nun an unſre Bibel.

Auf dieſe Art hatte ich eine kleine deiſtiſche Geſellſchaft geſtiftet, wovon ich der Matador war: jeder konſulirte mich, trug mir ſeine Zweifel vor, und bath ſich meine Orakelſpruͤche aus. Ich nenne die Namen meiner Glaubensbruͤder nicht:301 denn es moͤchte ihnen in einem Lande ſchaden, wo man ſo inquiſitoriſch denkt, wie in der Pfalz. Es waren uͤbrigens Leute von ziemlich guter Auffuͤhrung, unter welchen ich zu meiner Schande muß ichs geſtehen! wegen meiner Sauferei der liederlichſte war. Die uͤbrigen tranken zwar auch, wie alle Pfaͤlzer, und wurden oft ſchnurrig: ich aber, vom Gießer Komment und Commers ganz und gar ver - woͤhnt, trieb die Sache weit ſtaͤrker, als die andern. Unſre Diſputationen wurden meiſtens beim Wein - glaſe gefuͤhrt, und da diſputirt ſichs freilich ganz allerliebſt.

Ob wir gleich unſre Sache ziemlich geheim an - fangs hielten; ſo waren doch verſchiedene Pfaffen auf unſre Spur gekommen, und hatten uns, beſon - ders mich und meinen ehrlichen Haag, als Erzfrei - geiſter ausgeſchrieen. Um dieſem uͤblen Geruͤchte zu entgehen, fertigte ich auf Anrathen meines Vaters eine kleine Schrift aus, und ließ ſie im Manuſkript zirku - liren. Das Ding war lateiniſch und hieß: Diſſer - tatiuncula de veritate Religionis Chriſt. argu - mentum morale. Es enthielt die gewoͤhnlichen moraliſchen Beweiſe fuͤr die Wahrheit der chriſtlichen Religion, und that ziemlich gute Wuͤrkung. In meinen Zirkeln widerlegte ich, nach Art ſo man - ches andern gezwungenen Schriftſtellers, mein eignes Schriftchen, und machte es laͤcherlich.

302

Mein redlicher Freund, der Inſpector Birau zu Alzey, den ich ſehr oft und auf mehrere Tage be - ſuchte, ermahnte mich fleißig, mein freies Reden uͤber die Religion einzuſtellen. Sauft, lieber Freund, ſagte er oft zu mir, macht Hurkinder, ſchlagt und rauft Euch, kurz, treibt alle Exceſſe: das wird Euch nicht ſo viel ſchaden, als Eure Freigei - ſterei. Er hatte Recht: denn Saufen, Hu - ren u. d. gl. ſind peccatilia, Herrn Simons Suͤn - den, wie D. Luther ſagte, die der Kuͤſter vergiebt; aber uͤber die Dreifaltigkeit zweifelhaft reden, ver - dient alle Anathemen. Ich ließ dieſe Ermahnungen im Ganzen vorbei gehen, und ward nur dann und wann behutſamer, warf mich auch zuweilen zum Apologeten des Chriſtenthums in Geſellſchaften auf, aber man merkte gar gut, daß es mir nicht Ernſt war.

Da ich in der Rheingrafſchaft Kandidat war, ſo kam das Ding von meiner Ketzerei vor das hoch - wuͤrdige Ohr des Grehweileriſchen Conſiſtoriums, welches mir dann ein Monitorium zuſchickte, und mich ad diem ich weis nicht mehr welchen vor ſich beſchied. Ich erſchien. Herr Rath Dietſch ließ mich doch niederſetzen, raͤuſperte ſich dann, und fing in einem gravitaͤtiſchen Ton alſo an: Mein lie - ber Herr Kandidat, Sie ſind in Verdacht gera - then, als ob Sie an verſchiedenen Orten, nament -303 lich zu Flonheim im Bock, zu Buͤdesheim beim Herrn Schulz, zu Wonsheim gleichfalls im Bock, und neulich auf dem Bellermarkt in der Weinhuͤtte verſchiedene freigeiſtiſche Reden gefuͤhrt, und da - durch nicht geringes Aergerniß gegeben haben.

Ich: Verzeihen Ew. Hochwuͤrden: davon weiß ich gar nichts!

Dietſch: Und doch hat mans nicht nur ge - ſagt, ſondern uns ſogar geſchrieben. Wollen Sie Briefe ſehen? Hier leſen Sie!

Er reichte mir einen Brief, deſſen Unterſchrift mit einem Papier beklebt war. Ich fand darin die fuͤrchterlichſten Beſchuldigungen, und Anklagen. Es hieß, daß ich zu Flonheim im Bock in großer Geſellſchaft uͤber die Gottheit Chriſti diſputirt und behauptet habe, ſie ſey eine Erfindung der Pfaffen aus dem vierten Jahrhundert: die aͤltern Vaͤter haͤtten ganz anders davon gelehrt, und uͤberhaupt nicht gewußt, was ſie damit machen ſollten. Ferner gab mir der Verfaſſer Schuld, uͤber Taufe und Abendmal geſpot - tet und dieſen heiligen Gnadenmitteln alle Kraft ab - geſprochen zu haben. Das alles, und noch mehr haͤtte ich mit ſtarken Gruͤnden unterſtuͤtzt, und daher ſey zu befuͤrchten, durch mich moͤchten in den Irrthum gefuͤhrt werden, wenns moͤglich waͤre, auch die Aus - erwaͤhlten. Daher bat der Schreiber das Conſiſto - rium, dem Unweſen zu ſteuren: er habe das Seine304 gethan, waſche ſeine Haͤnde in Unſchuld u. ſ. w. Ich ſchloß aus der Handſchrift, daß der Pfarrer Flieb - ner zu Bornheim der Schreiber des Briefs waͤre.

Nachdem ich den Brief geleſen hatte, ſagte ich, daß das nur halb wahr, und vom Schreiber boshafter Weiſe falſch vorgeſtellt ſey. Aber Herr Dietſch erwiederte das iſt nicht das einzige, was Sie gravirt. Sie koͤnnen doch nicht laͤugnen, daß Sie uͤber die Religion geſpottet haben zu Wons - heim im Bock, zu

Ich: Laſſen Sie mich Ihnen die Wahrheit ſagen. Ich habe mehrmals, das iſt wahr, uͤber ei - nige Dogmen geredet, aber nur ſo pro und contra. Ich wollte nur zeigen, daß ich auch was geleſen haͤtte.

Dietſch: Ey, ey, wenn man nur pro und contra redet, ſo diſputirt man nicht im Wirthshaus. Und zu dem ſah man es Ihnen recht wohl an, daß ſie im vollem Ernſt die Parthei der Freigeiſter er - griffen. Sie ſprachen da von nichts als von dum - men Pfaffen, von unwiſſenden Geiſtlichen, und ſo fort.

Ich: Das iſt wahr: ich habe wenig Theolo - gen kennen gelernt, welche geſcheute Maͤnner gewe - ſen waͤren.

Dietſch: (erboßt) Und doch haben Sie de - ren Buͤcher nicht geleſen: ich werte, Hrn. Seilers305 Apologie der chriſtlichen Religion iſt Ihnen nicht in die Haͤnde gekommen.

Ich: O doch. Ich kenne das Buch; aber es behagt mir nicht: es iſt ein dummer Wiſch, und wei - ter nichts! Alles iſt aus Lardner ausgeſchmiert. Sie wiſſen das doch ſelbſt, Herr Rath?

Dietſch: (betroffen) Wohl wahr! (ſanfter) Sie ſind alſo kein Freigeiſt?

Ich: Behuͤte Gott! Aber, wie Sie ſelbſt wiſſen: man kann heut zu Tage nicht alles mehr glauben, was in der formula concordiae ſteht. Zum Beiſpiel die Genugthuung Chriſti.

Dietſch: Genugthuung Chriſti? das iſt ja dogma ſtantis et cadentis eccleſiae!

Ich: Erlauben Sie. Man muß das Ding recht verſtehen: in gewiſſem Sinn hat Chriſtus fuͤr das nicht genug gethan, naͤmlich in dem Sinn nicht, wie es der Erzbiſchof Anſelm von Canterbury nahm. Aber im moraliſchen Sinn iſt es wahr. Haben Sie die neue Apologie des Sokrates von Eberhard geleſen?

Dietſch: Nein! das Buch kenne ich nur aus den Danziger Berichten, als ein erzgottloſes Buch, das alle Religion ruiniren ſoll.

Ich: Dann will ich die Ehre haben, Ihnen damit aufzuwarten. Sie ſind ein Mann von Ein -Erſter Theil. U306ſichten, und Gelehrſamkeit, Sie muͤſſen alſo ſchon finden, daß der Verfaſſer, einer der groͤßten Philo - ſophen unſrer Zeit, die Sache in das ſchoͤnſte Licht geſezt, und eine Menge von Wahrheiten aufgeſtellt hat, deren Beherzigung viel gutes ſtiften kann.

Nun hatte ich den Herrn Rath an der Ambi - tion angegriffen: er wurde ſehr ſanft, und war zu - frieden, daß ich ihn verſicherte, ich ſey kein Freigeiſt, und ihm verſprach, nie wieder in Wirthshaͤuſern von der Religion zu ſprechen. Ich war froh, daß ich ſo weg kam; auch mein Vater freute ſich uͤber den Aus - gang der Sache: denn er befuͤrchtete ſchon, man moͤchte mir das Predigen verbieten.

Sonntags drauf muſte ich in Flonheim fuͤr den Pfarrer Stuber auftreten. Da nahm ich Gelegen - heit die Gottheit Chriſti zu beweiſen, das heiſt, ich ſchrieb alle Beweiſe aus Schuberts Kompendium ab, brachte ſie in Form einer Predigt, und warnte am Ende meine Zuhoͤrer vor dem im finſtern ſchlei - chenden Gift der Freigeiſter. So wollten es die Umſtaͤnde!

Nach der Kirche ſtellte mich der Kantor, Herr Herrmannc)Dieſer Herrmann iſt ein recht guter Muſiker, oder viel - mehr der einzige Kantor in der ganzen Gegend, welcher Muſik verſteht. Er hat einige Klavierſonaten drucken laſſen, welche den Beifall der Kenner erhalten haben. mein guter Freund, zur Rede: wie307 ich eine Lehre vertheidigen koͤnnte, uͤber die ich ſchon ſo oft in ſeinem Beiſeyn geſpottet haͤtte? Ich er - zaͤhlte ihm aber den Vorfall mit dem Konſiſto - rium, und bat ihn: er moͤchte den Inhalt mei - ner Predigt ſo bekannt machen, als er koͤnnte. Hr. Herrmann bat ſich mein Konzept aus, ſchrieb es fein ab, und ließ es zirkuliren. Dieſes Beneh - men brachte meine Rechtglaͤubigkeit wieder zu ei - nem gewiſſen Kredit, der aber leider nicht ſehr lan - ge waͤhren wollte.

Denn Hr. Hahn, Pfarrer zu Kirchheim Po - landen, verhunzte denſelben bei dem Adminiſtrator der Rheingrafſchaft, dem Herrn von Zwirnlein. Hahn iſt ein Menſch ohne Kopf, das Hirn voll duͤ - ſterer Orthodoxie, welche er aus D. Seilers herr - lichen Schriften geſchoͤpft hat. Dabei lieſt er einige Zeitſchriften, welche man dort haben kann: und ob dieſer Leſerei haͤlt er ſich fuͤr gelehrt. Uebrigens iſt er ſtolz, rachſuͤchtig und haͤmiſch im hoͤchſten Grade, ſo wie er kriechend und bis zur Niedertraͤchtigkeit de - muͤthig bei Vornehmen iſt. Mit dieſem feinen Ka - rakter hat er ſich in die Gunſt der Herren geſezt, womit der kleine Naſſau-Weilburgiſche Hof verſe - hen iſt. Bei den Hrn. von Botsheim, Zwirnlein, Geiſpizheim, Normann u. a. iſt er immer zu Gaſte, weil er gern neue Maͤhren erzaͤhlt, und gut Tarok ſpielt.

308

Dieſen Mann Gottes fand ich einmal beim Hrn. Balleyrath Alefeld zu Oberfloͤrsheim. Bei Tiſche fing er an, uͤber gelehrte Dinge zu reden; ich miſchte mich ins Geſpraͤch und bald ſaß mein Herr Hahn auf dem Miſt. Ich konnte ihm ſogar weiß machen, daß Cromwell (es wurde von England geſprochen) mit Peter dem Großen und Ferdinand dem Katholiſchen in vertrautem Briefwechſel geſtan - den, und Paraguay, welches zwiſchen Perſien und China liegt, an die Jeſuiten fuͤr ſechs Millionen Pfund Sterling verkauft habe. Nachher kam das Geſpraͤch auf D. Bahrdt. Hahn verdammte ihn, als einen Erzketzer, ob er ihm gleich ſonſt ſeinen Hof gemacht hatte. Er ſtuzte nicht wenig, als ich ganz kalt behauptete, Bahrdt habe gar kein Verdienſt um die Aufklaͤrung: denn nicht mehr ſagen, als er ge - ſagt haͤtte, ſey gar nichts geſagt: die engliſchen und franzoͤſiſchen Deiſten ſeyn andre Kerls u. ſ. w. Als nun Herr Hahn mit ſeiner Seileriſchen Weisheit an - geſtochen kam, kappte ich ihn ab, und ließ ihn mar - ſchiren. Der Hofmeiſter des Balleyraths, Herr Otto, den wir in Gießen, auch wegen ſeiner armen Suͤnderſchaft, den S〈…〉〈…〉 ur nannten, begleitete mich eine Strecke, als ich fortging ich ging nach Worms und da erklaͤrte ich ihm, daß Hahn ein gewaltiger Ignorant ſeyn muͤſte, da er die groben Anachronismen und geographiſchen Schnitzer, die ab -309 ſichtlich von mir gemacht waͤren, nicht gemerkt haͤtte. Hier machte ich mich uͤber den Herrn Hahn nicht we - nig luſtig. Ich dachte, Otto wuͤrde ſchweigen, aber der war niedertraͤchtig genug, gleich darauf dem theuren Herrn Paſtor meine Geſpraͤche bruͤhheis zu hinterbringen.

Nun hatte ich einem giftigen Pfaffen auf die Fuͤße getreten, und der muſte ſich nun raͤchen. Er that es auch. Da er bei dem Hrn. v. Zwirnlein, welcher Adminiſtrator Subdelegatus der Rhein - grafſchaft war, manchmal Tarok ſpielte, und der gnaͤdigen Frau Stadtmaͤhrlein zutragen durfte; ſo bediente er ſich dieſer Gelegenheit, mich dem Admi - niſtrator als einen hoͤchſt aͤrgerlichen und gefaͤhrlichen Menſchen von den ſchlechteſten Sitten vorzuſtellen. Alles, was er von mir wuſte, brachte er an, und dichtete und log noch auf gut pfaffiſch brav dazu! Der orthodoxe Adminiſtrator, erſchrak uͤber die Be - ſchreibung des Pfaffen, und befahl bei ſeiner Anwe - ſenheit in Grehweiler dem Rath Dietſch, mich vorzunehmen, und die Sache zu unterſuchen. Der Herr Rath berichtete ihn, daß dieſes ſchon geſchehen ſey: daß ich ein leichtſinnige〈…〉〈…〉 Menſch und kein Frei - geiſt waͤre u. ſ. w. Da beſaͤnftigte ſich der Herr von Zwirnlein, und trug dem Rath nichts weiter auf, als mich zu ermahnen, vom Saufen zu laſſen, die Wirthshaͤuſer ſparſamer zu beſuchen, und mich aller310 Reden uͤber Religion und Gottesdienſt zu enthalten. Dabei blieb es fuͤr dasmal.

Wenn ich einen Roman ſchreiben wollte, ſo koͤnnte ich alle meine Ungluͤcksfaͤlle ganz kommode, wie Herr Bahrdt, den Pfaffen in die Schuhe ſchuͤt - ten, und mich ſchneeweis brennen. Allein, ob mich gleich giftige orthodoxe Ochſen von Pfaffen genug ge - druckt und geſtoßen haben; ſo muß ich doch bekennen daß die Hauptſchuld meiner Unfaͤlle auf mich kommt. Waͤre ich behutſamer geweſen, und haͤtte ich das Weinglas weniger geliebt, alle Pfaffen, alle Hahns, Wagner, Fliedner, Schukmann, und der - gleichen Geſindel wuͤrden mir nichts geſchadet haben. Aber ſo. Doch ich muß nur weiter erzaͤhlen, nachdem ich mit Fleiß in dieſem Kapitel mehrere Dinge zuſammen geſtellt habe, welche in mehrere Jahre, naͤmlich in die 1780 und 1781 gehoͤren. Alles that ich, um nicht jeden Augenblick von mei - ner Ketzerei ſprechen zu muͤſſen.

Zwei und Dreiſſigſtes Kapitel.

Ausſichten ins Darmſtaͤdtiſche!

Mein Vater war ein geborner Darmſtaͤdter und hatte in dieſem Lande viel Freunde und Verwandten,311 er ſollte auch einmal eine Stelle in dieſem Fuͤrſten - thum bekleiden: allein ſein Wendelsheim war ihm lieber. Nun aber dachte er daran, ob er mich vielleicht an eine Stelle bringen koͤnnte, etwa an eine Schul - ſtelle, deren es in dem Darmſtaͤdtiſchen manche giebt. Er ſchrieb daher an ſeinen Freund den Hof - prediger Kremer. Dieſer antwortete, er duͤrfe ſich deshalb gerade an den Landgrafen wenden: der waͤre ein guter Herr, und wenn er bei dem Re - gierungs-Rath Stauch Eingang finden koͤnnte; ſo waͤren die Sachen ſo gut, wie fertig. Stauch war ſeines Handwerks ein Schneider von Kyrn an der Nohe, und ein Vetter meines Freundes, des ehr - lichen Pfarrers Stuber zu Flonheim. Da er gut ſchreiben konnte, auch franzoͤſiſch auf der Wander - ſchaft gelernt hatte, ſo ward er erſt Schreiber bei dem Rath Kappesd)Dieſer Kappes war ein Erzfilou, von welchem die guten Darmſtaͤdter noch lange ein Liedchen ſingen wer - den: der Landgraf hat ihn 1776 als einen Schelmen weggejagt. zu Pirmaſens. Nach Rath Kappes Kaſſirung kam er in Landgraͤfliche Dienſte, benutzte die aͤuſſerſt ſchwachen Seiten des Landgrafen zu ſeinem Vortheil, und ward Regierungsrath, pro titulo naͤmlich, denn im Grunde regierte er das ganze Land. Ich bat Herr Stubern um eine Em -312 pfehlung an dieſen Herrn Stauch; und der war auch ſogleich bereit mir, das beſte Zeugniß zu geben, und mich ſeinem Vetter de optima nota zu empfeh - len. Sein Brief wuͤrkte; Herr Stauch verſprach, ſich fuͤr mich zu verwenden, nur moͤchte er mich erſt ſehen, und ſeinem Herren vorſtellen. Ich reiſete alſo nach Pirmaſens, wo der Landgraf Ludwig IX. ſeine Reſidenz hatte. Pirmaſens liegt in der Graf - ſchaft Lichtenberg ohnweit der franzoͤſiſchen Graͤnze. Es iſt ein kleiner Ort, den der Landgraf voll Solda - ten geſteckt hat. Man muß wiſſen, daß dieſer Fuͤrſt eben ſo in Soldaten verliebt war, wie der Herzog von Zweibruͤcken in ſeine Jagdhunde und Katzen. Nach Darmſtadt kam der Landgraf niemals, und die Regierungsgeſchaͤfte waren gaͤnzlich in den Haͤnden ſeiner Bedienten und ſeiner Kreaturen. Er hatte immer Maͤtreſſen, freilich gegen das Ende ſeines Lebens blos zum Spiel und Zeitvertreib. Die, welche er damals hatte, war ein gemeines Maͤdchen von Rheims, die lange in Paris als fille de joie gelebt hatte. Der Fuͤrſt hatte die Gnade gehabt, ihr den Titel einer Comteſſe von Lemberg zu geben.

In Pirmaſens logirte ich bei meinem Vetter, dem reichen Gerber Boͤhmer, welcher bei Herrn Stauch gut ſtand, und mich auch da einfuͤhrte. Herr Stauch parlirte franzoͤſiſch mit mir, und war auſſerordentlich hoͤflich. Es war ihm, meinte er,313 une ſatisfaction inſinie, einen braven Mann, einen homme de merite zu pouſſiren. Das freute mich, und ich inſinuirte mich beſonders dadurch bei Herrn Stauch, daß ich ihm erzaͤhlte, wie, ſeitdem er am Ruder waͤre, die Klagen nicht mehr ſo gehoͤrt wuͤrden, als vorher: das muͤſte durchaus von den guten Anſchlaͤgen herkommen, die er ſeinem Herrn dem Landgrafen gaͤbe. Und in dieſem Stuͤck hatte ich auch nicht gelogen: denn obgleich Stauch nicht ſtudiert hatte, und ein gelernter Schneider war; ſo machte er doch weit kluͤgere Anſtalten im Lande, als viele ſeiner ſtudierten Vorfahren, welche Schurken geweſen waren, und die Noth der mitlern und un - tern Volksklaſſen vielleicht nicht ſo gut gekannt hatten, als er.

Herr Stauch ſtellte mich auf der Parade dem Landgrafen vor, welcher ſehr freundlich und herab - laſſend nach ſeiner ſtaͤten Gewohnheit, mit mir redete, und mir ganz treuherzig auf die Achſel klopfte. Er befahl mir, eine Schrift bei ihm einzugeben, und ihm meine Wuͤnſche bekannt zu machen; hernach wollte er ſchon ſehen, was man thun koͤnnte, das hieß denn, er wollte es Herrn Stauch uͤberlaſſen, wie ich koͤnnte placirt werden. Die herablaſſende Guͤte des ehrlichen Fuͤrſten ruͤhrte mich, und ich bedauerte ganz aufrichtig, daß ein Regent von ſo gutem Karacter und Herzen ſo wenig Regent war.

314

Ich beſuchte, auf Herrn Stauchs Rath, auch den Feldprobſt Venator, einen erzorthodoxen duͤſtern Kopf, der mir alſobald auf den Zahn fuͤhlte, und mich aus einen dogmatiſchen Kapitel examinirte. Ich hielt Farbe und behauptete das abſurdeſte Zeug mit allen Gruͤnden, die ich aus dem Kompendium behalten hatte. Das behagte dem guten Herrn, welcher uͤber die einreiſſende Ketzerei heftig klagte, und mich ermahnte, die Buͤcher des David Hollaz fleiſſig zu leſen: Hollaz habe das Syſtem recht aufs reine gebracht u. ſ. w. Uebrigens konnte Venator bei dem Landgrafen viel ausrichten, und wer daher etwas zu ſuchen hatte, durfte es mit ihm nicht ver - derben. Er war des Landgrafen geiſtlicher Konſu - lent, und mußte ſeine geiſtlichen Grillen aufs reine bringen. Der Landgraf hatte dergleichen mehrere. Z. B. wenn er des Nachts nicht ſchlafen konnte; ſo dachte er an dies und jenes, und wenn ihm etwas einfiel, worin er ſich nicht zu finden wußte; ſo ließ er jemanden holen, der ihm ein kompetenter Richter zu ſeyn ſchien, und ſollte es auch Mitternacht ſeyn. In geiſtlichen Sachen war Herr Venator ſein gehei - me Rath und ſein Orakel.

Zum Beiſpiel mag folgendes dienen, das mir Herr Venator ſelbſt erzaͤhlt hat. Dem Landgrafen fiel einſt die wichtige Frage ein: ob der hohe Prie - ſter im alten Teſtament mit bedecktem oder unbedeck -315 tem Haupte ins Allerheiligſte eingegangen ſey? Dar - uͤber konnte er ſich nun nicht finden, und Venator muſte herbei des Nachts zwiſchen zwoͤlf und eins, um ihm dieſe wichtige Frage auseinander zu ſetzen. Bei einer ſolchen naͤchtlichen Conſultation ergriff auch ein - mal Venator die Gelegenheit, den D. Bahrdt, der von 1771 bis 1775 in Gießen Profeſſor war, dem Landgrafen als einen Socinianer verdaͤchtig zu machen, und ſo orthodox zu ſtuͤrzen.

Mir ſchien Venator gewogen zu ſeyn: warum? weis ich ſelbſt nicht: der Auditeur Reinhard gab mir von weitem zu verſtehen, daß der Herr Feld - probſt eine Abſicht mit mir im Sinne haͤtte. Es kann ſeyn, daß das wahr war: aber da aus der ganzen Sache nichts geworden iſt: ſo hab ich niemals erfahren koͤnnen, was das fuͤr eine Abſicht geweſen ſey.

Meine Supplike an den Landgrafen wurde von Herrn Stauch ſo gut unterſtuͤtzt, daß ich 14 Tage nach meiner Zuruͤckkunft, ein Dekret erhielt, darin mir Verſorgung verſprochen wurde, wenn ich mich in Darmſtadt examiniren ließe, und beſtuͤnde. Ich ſchrieb deswegen an den Hofprediger Kremer und an den Superintendenten Olf. Beide antworteten mir, und beſtimmten mir einen Tag, wo ſie einen Kandidaten-Examen halten wuͤrden. Ich erſchien, und wurde in der beſten Form examinirt. Es waren316 auſſer mir noch ſechs Kandidaten, deren einige ich noch von Gießen aus kannte: und da ſtaͤrkte ſich mein Muth gewaltig, weil mir die große Unwiſſenheit die - ſer Herren recht gut bekannt war. Der Superin - tend hielt eine lange aufgeſchriebene lateiniſche Rede, worin er den Spruch des Apoſtels erklaͤrte: Wer ein Biſchofsamt begehrt, begehrt ein koͤſtliches Werk. Nachher gings an die liebe Dogmatik, und zwar an den Artikel vom Abendmal, wo die ganze Orthodoxie ausgekramt wurde. Ich antwor - tete fertig, und hatte die Ehre, die hieher gehoͤrigen Stellen aus dem 10ten und 11ten Kapitel des erſten Briefes an die Korinther auszulegen. Es wurden noch mehr Artikel, und beſonders der von der heil. Schrift mit uns durchgegangen, wobei man die liebe Inſpiration ſehr vertheidigte. Ich wuͤrde meine Leſer beleidigen, wenn ich ihnen das Darmſtaͤdtiſche Examen weitlaͤuftiger beſchreiben wollte: es war erz - orthodox, ſo orthodox,[d] Albertus Grauerus oder Paſtor Goͤtz ihre Freude haͤtten haben muͤſſen, wenn ſie dabei geweſen waͤren. Alle Kandidaten wur - den approbirt, obgleich einige keine drei Worte her - vorbringen konnten. Von den Examinatoren fehlte nur einer, naͤmlich der Hofprediger Stark, welcher eben damals, oder doch nicht lange vorher nach Darmſtadt berufen war, und zwar auf Betrieb des Erbprinzen: denn ſonſt wuͤrde Herr Stark, deſſen317 Orthodoxie ſchon damals ſehr verdaͤchtig roch, gewiß in dieſer rechtglaͤubig Stadt nicht angekommen ſeyn. Allein da der Erbprinz darauf drang, weil er eben, wie Herr Stark, ein Freimaurer iſt, ſo hatten die Herrn Raͤthe das Herz nicht, zu widerſprechen, und der neue Hofprediger wurde eingefuͤhrt.

Herr Stark hat mir gar nicht gefallen: ich wollte ihn ſprechen, mußte aber viermal wiederkom - men, ehe Seine Hochwuͤrden mich vorlieſſen. End - lich kam ich vor, und erblickte eine Phyſionomie, die mich gleich zuruͤckſcheuchte: ich fand auch nicht einen Zug im ganzen Geſicht, der etwas gutes verſpro - chen haͤtte. Die Unterhaltung war aͤuſſerſt kalt, und von Seiten des Herrn Stark ſehr nachlaͤſſig. Ich lenkte mit Fleiß das Geſpraͤch auf den Hephaͤſtio; aber Herr Stark wollte mir nicht Rede ſtehen: er ſagte blos, daß man ihn in Koͤnigsberg widerrechtlich gedruͤckt und verfolgt haͤtte; doch gehorche er der Vorſehung, und hoffe auf beſſere Zeiten. Ich bat ihn, da ich einige deiſtiſche Schriften geleſen haͤtte, mir eine gute Widerlegung des deiſtiſchen Syſtems vorzuſchlagen; und Herr Stark, der große Litterator, empfahl mir Nonnotte's Er - reurs de Ms. de Voltaire. Ich ſtaunte, dieſes Buch, als eine gute Widerlegung der Deiſten von einem Manne nennen zu hoͤren, den ich fuͤr ſehr aufgeklaͤrt hielt, und gab ihm zu verſtehen, daß Non -318 notte, deſſen Buch ich auch ſchon in Haͤnden gehabt haͤtte, der Mann gar nicht ſey, den ich wuͤnſchte. Je nun, verſetzte Herr Stark gaͤhnend, wenn Ih - nen der keine Genuͤge leiſtet; ſo leſen Sie Leſſen: der iſt auch gut. Ich daͤchte aber, Sie haͤtten auf Univerſitaͤten in den Lektionen uͤber Dogmatik genug wider die Freigeiſter gehoͤrt: damit koͤnnten Sie zu - frieden ſeyn. Ich glaube nicht, daß der Mann im Ernſt ſo ſprach: vielleicht hatte er ſeine Ruͤckſich - ten: vielleicht wollte er meiner los ſeyn. Ich ging auch bald weg, und aͤrgerte mich uͤber das un - freundliche Weſen des Ehrenmannes, hernach habe ich mehrere geſprochen, welche eben ſo von Herrn Stark waren empfangen worden. Seine Predigt habe ich auch beſucht; aber eben nichts ſonderbares gehoͤrt: das Koncept und die Aktion waren beide ſehr mittelmaͤßig. In Darmſtadt fuͤhrte er ein Leben, wie ein Einſiedler, ging mit keiner Seele um, und wurde von Niemanden beſucht: man hielt ihn fuͤr ſtolz und leutſcheu. Und ſo iſt er noch, wie man mir geſagt hat. Der Kryptojeſuitismus hat dem armen Mann viel Verdruß, und ſeine dabei bewieſene Hef - tigkeit viel Schande gemacht, eben ſo wie dem Buch - haͤndler Fleiſcher zu Frankfurt am Main großen Schaden. Das geht mich aber weiter nicht an.

Auf dieſe Art gehoͤrte ich nun in die Zahl der Darmſtaͤdter Kandidaten, und erhielt ein vortreffli -319 ches Teſtimonium vom Conſiſtorio, worin die Woͤr - ter praeclare und optime mehrmals angebracht waren. Indeß auch die Hoffnung, die ich nun ſchoͤpfen konnte, bald verſorgt zu werden, ging durch Kabale verloren, wie man bald hoͤren wird.

Drei und dreiſſigſtes Kapitel.

Meine Vikariate.

Der Pfarrer Thiels in Udenheim, drei Stunden von Mainz, war nicht recht kapitelfeſt. Er war eben kein vollſtaͤndiger Narr; aber doch ein Haſenfuß, bei dem es ſtark rappelte. Das Dorf gehoͤrte dem Baron von Koͤth zu Mainz, der ſich wenig um den lutheriſchen Pfarrer bekuͤmmerte, und anfangs die Bauern fortjagte, wenn ſie mit einer Klage wider ihn einkamen. Endlich wurde der Spekta - kel zu arg.

Der Pfarrer lief manchmal im Dorfe herum, pruͤgelte die Jugend, und fluchte wie ein Landsknecht. Seine Schweſter, welche ihm die Wirthſchaft be - ſorgte, jagte er von ſich, und drohte ihr, ſie zu er - ſtechen, wenn ſie ihm wieder vor Augen kommen wuͤrde. Auch gab er dem Koͤthiſchen Amtmann He -320 bel, der ihn einmal zurechte wies, derbe Ohrfeigen. In die Kirche ging er gar nicht mehr, und ein abge - ſetzter Schulmeiſter Namens Knoch von Oberſaul - heim, welcher ehedem ein Bischen Theologie ſtudirt hatte, verſah ſeine Dienſte. Da konntens dann die Bauern nicht mehr ausſtehen, und kamen alle Au - blicke mit Schriften und Klagen bei ihrem Edelman - ne ein. Herr von Koͤth ſah ſich alſo genoͤthiget dem Pfarrer einen Vikarius beizufuͤgen und Herr von Wallbrun zu Partenheim ſchlug mich dazu vor. Mein Vater, welcher denken mochte, daß das ſo ein Poſten fuͤr mich werden koͤnnte, gab gern ſeine Einwilligung, und ich wurde ordentlich inſtal - lirt. Die Bauern waren auch wirklich ſehr mit mir zufrieden, und machten mir gleich anfangs ein ange - nehmes Geſchenk mit zwei Ohm Udenheimer Wein. Aber eben dieſer Wein haͤtte mich ohne meine Schuld beinahe in den erſten acht Tagen um Anſehn und Kredit gebracht. Denn der Oberſchulz Brug von Niederſaulheim, ein Erzſpaßvogel, ſonſt aber ein geſcheuter Kopf, ſchmiedete ein Gedicht auf den Udenheimer Wein, welches er das goldne A B C titulirte. In dieſem Karmen, das aus lauter Knit - telverſen beſtand, wurde der Udenheimer Wein ganz erbaͤrmlich mitgenommen, und als die elendeſte Bruͤ - he in der daſigen Gegend vorgeſtellt. Ich will einige Strophen davon herſetzen:

321
Ya, Ya, ſchreits Eſelein;
Doch gebt ihm Udenheimer Wein
Es wird vor aller Angſt und Pein,
Nicht ferner mehr ſein Ya ſchrein.
Pabſt Pius thu doch in den Bann,
Wer dieſe Bruͤh verdauen kann:
Denn es geſchieht, bei meiner Treu,
Durch Teufels Huͤlf und Hexerei.

Dies Zeug wurde abgeſchrieben, und kam ſo auch zu den Udenheimer Bauern, deren einige es fuͤr meine Arbeit ausgaben. Die Bauern ergrimmten nun ſehr, und ſchwuren, daß ein Menſch, der ſo ſchlecht von ihrem Weine)Der vornehmſte Nahrungszweig der Bauern in jener Gegend beſteht im Anbau des Weins, welcher ſehr wohlfeil, aber auch, wie auf dem ganzen Saulgau, den man vom Rheingau wohl unterſcheiden muß, ſehr ge - ring und ſchwach iſt. Zu meiner Zeit koſtete das Rhei - niſche Maaß Wein zwei Bouteillen ſechs Kreuzer, oder 18 Pfennige ſchreiben koͤnnte, ihr Vi - karius nicht ſeyn duͤrfte. Der Kirchen-Vorſteher, Jaun, dachte aber ehrlich gegen mich, und behaup - tete, man muͤſſe die Sache erſt unterſuchen. Er kam auch wirklich zu mir, und konſtituirte mich. Hoͤren Saͤ aͤmal, ſagte er zu mir, do hun ſaͤ ge - ſaat, Saͤ haͤttaͤ grauſam Ding gemacht uf unſere Wei. das ach wohr?

Erſter Theil. X322

Ich: Da weis ich kein Wort von! Was iſt denn das fuͤr ein Ding?

Jaun: Do ſeyn daͤ Verſch uf unſere Wei. was grauſames, wie der Wei erunner gemacht . Wonn das die Leute hoͤraͤ, ſaͤ kofe uns ach kaͤn Troppaͤ maͤh ab.

Ich las die Knittelverſe, und konnte mich des Lachens nicht enthalten. Dann verſicherte ich den Vorſteher, daß ich das Gedicht nicht gemacht haͤtte und es jetzt das erſtemal ſaͤhe: ich daͤchte aber den Urheber herauszubringen: denn ich muͤßte mich ſehr irren, oder der Oberſchulz Bruͤg waͤre Verfaſ - ſer. Jaun gab mir Recht, und ich ſchrieb noch denſelben Tag an Bruͤg, und erhielt zur Antwort, daß er die Verſe ſchon vor langer gemacht haͤtte, und recht froh waͤre, daß es die Udenheimer Grobians wuͤßten, und ſich baß aͤrgerten. So kam ich bei meinen Bauern wieder in Kredit, und der Jaun, ein Bruder des Kirchenvorſtehers, bat mich im Na - men der ganzen Gemeinde um Nachſicht mit ihrer Uebereilung.

Mit dem Pfarrer Thiels ward ich ziemlich gut fertig: ich gab ihm in allem Recht und diſputirte mit ihm brav aus den Zeitungen. Wir lebten ſehr friedlich zuſammen, und wenn er manchmal mit mir zanken wollte; ſo ging ich fort, und ließ ihn ſitzen. Er kam gar nicht aus ſeiner Stube; ich aber lief flei -323 ßig in der Gegend herum, und machte mich ſo luſtig, als ich konnte. Zu meinem Vater kam ich ſelten; aber den Amtsverwalter Schoͤnburg beſuchte ich oft, und fand mich auch oft in meinem Deiſten - Klubb ein.

Im Sommer 1781 entſtand eine andere Ka - bale, welche mich vom Vikariat, und den Pfarrer Thiels von ſeinem Dienſt brachte. Der Hergang der Sache war folgender:

Der Pfarrer Wagner zu Werrſtadt, in jener Gegend der Jeſuit genanntf)In keinem Lande ſind die Ekelnamen haͤufiger als eben in der Pfalz. Die Geiſtlichen haben deren beinahe alle einen. So heißt der eine Curtius Rufus, der andere der Hanebuͤchene; dieſer Langhals, jener Gaͤnſehals u. ſ. w. Ich erinnere mich nicht, daß jemals we - gen ſolcher Benennungen ein Injurienproceß gefuͤhrt waͤre., hatte vier Soͤhne, welche alle vier Erzignoranten und ſchiefe Priſen wa - ren. So wenig ſcharf die Conſiſtorien dort herum ſind, wurden doch die jungen Wagner allemal ab - gewieſen. Der Vater ſah ſich alſo genoͤthigt, ihnen eine Pfruͤnde zu kaufen, und ſie auf die Art unter - zubringen. Der juͤngſte davon, Namens Ernſt Wa - gner, welchem man den Beinamen Magiſter Weit - maul gegeben hatte, ſtand damals in Wendersheim,324 einem dem Mainziſchen Grafen von Elz gehoͤrigen Doͤrfchen, als Pfarrer. Hier hatte er eine ſchlechte Beſoldung, und ſuchte Gelegenheit zu einer beſſern. Er hoͤrte, daß der Pfarrer Thiels nicht recht bei Gelde ſey, und glaubte, durch ſeine Bekannte in Mainz deſſen Stelle erhalten zu koͤnnen. Dieſe Be - kannte waren der Vikariats-Rath Hettersdorf, der Karthaͤuſerpater Heinrichg)Das ſcheint ein Widerſpruch zu ſeyn, da die ſtrenge Regel der Kathenſermoͤnche bekannt iſt. Aber dieſe Herren bekuͤmmern ſich in ihren Zellen auch noch ums Sekulum, und wiſſen gut genug, was darin vorgeht. Pater Heinrich war einer von denen, die ſich ums memento mori blutwenig bekuͤmmern. das Orakel des Herrn von Koͤth, der Amtmann Hebel und ein Erzſchuft, Namens Brandenburger. Alle dieſe Leute waren bei dem Herrn von Koͤth ſehr angeſe - hen: den Hettersdorf und P. Heinrichen hielt er gar fuͤr Heilige! Hebel war ſein Beamter, dem er alle ſeine Geſchaͤfte uͤberließ. Denn der Herr Kammer - herr waren ſchwachen Geiſtes, und Brandenburger ſorgte ſo fuͤr ſeine menus plaiſirs: er iſt naͤmlich als ein großer Hurenſpediteur in Mainz bekannt, ich meyne den Brandenburger, und verſieht Hochwuͤrdige Gnaden, Excellenzen und Kaufmannsdiener mit leich - ter Waare, wenn er nur Geld bekoͤmmt. Das mag denn nun ſeyn; daß aber Leute von Karakter dieſen325 Schuft in ernſthaften Geſchaͤften gebrauchen konn - ten, war mir zu begreifen unmoͤglich, beſonders da der nichtswuͤrdige Kerl nicht ſchweigen konnte, und alles, was er wußte, ausplapperte und es noch mit ſeinen Luͤgen anſehnlich vermehrte.

Die gedachten vier Herren in Mainz, welche man freilich mit Geld gewinnen mußte, arbeiteten nun gemeinſchaftlich an dem Sturz des Pfarrers Thiels, um dem Ernſt Wagner Platz zu machen. Man wollte aber bei meiner Anweſenheit in Uden - heim nichts vornehmen, weil ich, als Freund des Pfarrers, mich gewiß den Machinationen der nieder - traͤchtiger Kabale widerſetzt haͤtte. Allein zum Un - gluͤck fuͤr Thiels verreißte ich auf einige Tage zu mei - nem Vater. Gleich den folgenden Tag kam Herr von Koͤth, Hettersdorf und Hebel nach Udenheim, und brachten es theils durch Drohungen, theils durch gute Worte dahin, daß Thiels gegen 800 Gulden ſeine Pfarrei reſignirte, und dies eigenhaͤndig unter - ſchrieb. Als ich zuruͤck kam, erfuhr ich den dummen Streich, den Thiels gemacht hatte, und aͤrgerte mich nicht wenig. Selbſt Thiels bereute ſeine Toll - heit, und heulte wie ein armer Knabe, der ſeinen Kreuzer verloren hat. Ich lief den andern Tag nach Mainz, und ſagte dem Herrn von Koͤth, und ſei - nem Amtmann gerade heraus, daß die Reſignation326 des Pfarrers unguͤltig ſey, weil er nicht recht bei Sinnen waͤre. Herr von Koͤth erſchrak uͤber meine Vorſtellung; der Amtmann aber ſagte mir gerade heraus, daß ich die Rechte nicht verſtuͤnde, und da - her zur Sache nichts ſagen koͤnnte. Den Vikariats - rath Hettersdorf beſuchte ich auch; aber das iſt ein kalter Jeſuitenſchuͤler, der mich ohne Troſt fuͤr den Pfarrer gehen ließ. Nun fragte ich den Aſſeſſor Schad, meinen Freund, den ich bei Schoͤnburgen hatte kennen lernen, und der ein vollkommner Rechtsgelehrter war, was in dieſer Sache Rechtens waͤre? Dieſer verſicherte mich, daß die Reſignation des Pfarrers unſtatthaft ſey, daß man aber doch ei - nen geſchickten Juriſten annehmen muͤßte, der die Sache erſt bei Hn. von Koͤth betriebe, und wenn das nichts helfen wuͤrde, zu Wezlar anhaͤngig machte. Dieſer Rath gefiel mir, und als ich ihn dem Pfarrer entdeckte, uͤberließ er mir die ganze Sache, und bath mich, einen geſchickten Advokaten fuͤr ihn anzu - nehmen. Dergleichen Maͤnner ſind nun in der Pfalz ſehr ſelten, ob es gleich an Rabuliſten nicht fehlt: doch fand ich einen in der Perſon des Leiningiſchen Amtmanns Hn. Suͤſſenmiehl zu Bechtheim, eines Juriſten, der in der Pfalz, wenige ſeines glei - chen hat. Ich ſtellte dieſem braven Mann das Un - recht vor, welches man dem guten Thiels anthun wollte, und er nahm ſich ſeiner auf eine ſo thaͤtige327 Weiſe an, daß das Ding bald eine andere Wendung nahm.

Mein Vater, welcher inzwiſchen ein Dekret fuͤr mich zum Gymnaſium in Darmſtadt von Pirma - ſens erhalten hatte, wovon ich im naͤchſten Abſchnitt reden werde, trug mir auf, mein Vikariat in Udenheim aufzugeben, welches ich auch that, obgleich die Bau - ern ſehr unzufrieden damit waren. Doch fuhr ich fort, den Pfarrer Thiels zu unterſtuͤtzen, und alles, was ich vermochte, wider den unwiſſenden intrigan - ten Wagner in Aktivitaͤt zu ſetzen. Weil ich aber nicht in den Schranken der Klugheit und Behutſam - keit blieb; ſo hezte ich mir eine eine Menge Feinde auf den Hals, und zog mir eine Art von Injurien - prozeß zu. Die Sache war dieſe.

Wagner hatte ſich mit der Tochter des Poſt - halters Specht von Duͤrkheim an der Hardt, der auch zugleich Gaſtwirth und Pfennigskraͤmer war, verſprochen. Ich und der Oberſchulz Bruͤg nahmen daher Gelegenheit, zwei Epiſteln in Verſen zu fabri - ciren, und ſie ſo einzurichten, als wenn die eine von Wagnern an ſeine Braut, die andre aber von der Braut an Wagner geſchrieben waͤre. Ich muß doch meinen Leſern eine davon, die ich noch auswen - dig weis, mittheilen, naͤmlich die der Jungfer Braut an ihren Geliebten.

328

An den Herrn Magiſter Weitmaul.

Herr Gott behuͤte! welche Freud
Schoͤpf ich aus Ihrem Karmen heut!
Sie wollen, daß ich lieben ſoll:
Ach, ich war laͤngſtens Maͤnnertoll!
Kyrieleis!
Ich hab 'manch liebe lange Nacht,
Mit Mannsgedanken zugebracht,
Mit Hand und Fuͤßen ſtaͤts gezuckt:
Denn grauſamlich hat's mich gejuckt.
Kyrieleis!
Mein goldnes Herr Magiſterlein,
Ich will Ihr Schaͤfchen werden fein;
Sie ſollen ſeyn mein Troͤſter werth,
Den mir der Himmel hat beſcheert.
Kyrieleis!
Ich will mich heben aus dem Staub,
Und tragen eine hohe Haub,
Und ziehen einen Reifrock an,
Da nun Herr Weitmaul wird mein Mann.
Kyrieleis!
Nur machen Sie ſich bald herbei,
Denn in drei Wochen iſt es Mai
Da laſſen Sie die Hochzeit ſeyn,
Und nehmen mich ins Bettelein.
Kyrieleis!
329
Gewiß, daß mich der Teufel hol ',
Wenn ich noch laͤnger warten ſoll,
Und nicht bald Ihnen werd getraut,
So fahr ich wahrlich aus der Haut.
Kyrieleis!
Es geht mir grad, wie meiner Katz,
Drum ſputen Sie ſich lieber Schatz,
Und machen mich fein bald zur Frau,
Sonſt werden mir die Haare grau.
Kyrieleis!

Dieſe Knittelverſe machten ſehr viel Aufſehen, und waren in kurzer Zeit in der ganzen Gegend weit und breit bekannt. Die Jungen ſangen ſie auf der Gaſſe. Daß ich Antheil daran haͤtte, muthmaß - te man, und auf dieſe Muthmaßung gab Wagner eine Klagſchrift zu Grehweiler wider mich ein; aber der Rath Dietſch war zufrieden, daß ich erklaͤrte, ich ſey nicht Verfaſſer, und ſo hatte der Proceß ein Ende. Ich habe es aber doch nachher bedauret, daß ich dieſe Schnurre hatte machen helfen: denn ich ver - mehrte nur meine Feinde; und ſelbſt Leute, die mir ſonſt gut waren, lachten zwar uͤber die Poſſen, aber verachteten doch den Urheber derſelben. Es iſt un - glaublich, auf welchen Grad man ſeinen Kredit durch Pasquillen verlieren, und ſich gehaͤſſig machen kann! Das bischen boshaften Witz muß man wahrlich theuer bezahlen!

330

Ohnerachtet aber aller Bemuͤhungen des Amt. manns Suͤſſemiehl, und andrer Freunde, wollte doch das Misgeſchick, daß Thiels ſeine Pfarre ver - lohr. Denn die Magd des Thiels ward ſchwanger. Sie war, wie ich ſelbſt bezeugen kann, eine erzlieder - liche Kreatur, und ich habe Bauernkerls genug bei ihr geſehen. Zu dem hing ſie an einem Kerl von Niederſaulheim, den ſie auch anfangs als den Urhe - ber ihrer Entjunferung angab, bis der vorhin - genannte Brandenburger ſie durch Geld beredete, auf den Pfarrer Thiels zu bekennen. Das that der Schuft auf Anſtiften des Pfarrers von Vendersheim, wie er ſelbſt mehrmals bekannt hat. So machens aber ſchlechte Menſchen, wenn ſie zum Zweck gelangen wollen! Alsdann gelten ihnen alle Mittel gleich: ſie bedienen ſich der ſchurkiſchten Raͤnke, und werden dabei nicht einmal roth.

Nun konnte Herr Suͤſſemiehl den armen Thiels nicht ferner durchhelfen, beſonders da dieſer ſelbſt vor Angſt und Narrheit, die erkaufte Ausſage der Magd beſtaͤtigte. Der redliche Suͤſſemiehl war von der abſcheulichen Kabale des Brandenburgers nicht unterrichtet: Er zog ſich alſo zuruͤck, und ließ es ge - ſchehen, daß dem beaͤngſtigten Thiels jaͤhrlich 200 Gulden von den Pfarr-Einkuͤnften lebenslaͤnglich zu - geſichert wurden. Wagner wurde demnach inſtal -331 lirt, Thiels zog ab, und ſeine Sachen verauktionir - te man unter allerlei Betruͤgereien.

Als ich vor fuͤnf Jahren in der Pfalz war, hoͤrte ich, daß Wagner immer Zank und Spektakel mit der Gemeinde haͤtte und uͤberhaupt der Gegen - ſtand der allgemeinen Verachtung waͤre. Das iſt auch ſchon recht: er hat es durch ſeine ſchuftigen Ka - balen wohl verdient, und der Name Magiſter Weitmaul wird ihm bleiben, ſo lang er lebt.

Thiels iſt immer naͤrriſcher geworden, und hielt ſich meiſtens in den Kneipen auf, wo er von gewiſ - ſen Inſecten ſo voll ward, daß er zu keinem ehrbaren Menſchen mehr kommen durfte. Die 200 Gulden werden ihm, wie ich gehoͤrt habe, nicht mehr aus - gezahlt: denn der Herr von Koͤth iſt ohne Erben geſtorben, und Udenheim iſt Pfaͤlziſch geworden. Da hat Wagner Wege gefunden, ſich von dieſer Laſt loszumachen. Freilich wirds beim Hn. Gehei - merath Koch zu Alzey Geld genug gekoſtet haben: denn ohne Geld richtet man in der Pfalz nichts aus; aber mit Geld dringt jeder durch, er mag nun ge - rechte Sache haben, oder einen ſchuftigen Handel aus - machen wollen. Da heißt es: venalia nobis Templa, ſacerdotes, altaria, ſacra, deusque.

332

Vier und Dreiſſigſtes Kapitel.

Ich ſoll Konrektor werden.

Herr Stauch hatte gut fuͤr mich geſorgt, und als Herr Klein, bisheriger Konrektor in Darmſtadt verſetzt wurde, wuͤrkte er mir ein Dekret vom Land - grafen zu dieſer Stelle aus. Mein Vater war uͤber meine ſo nahe ſcheinende Verſorgung faſt auſſer ſich vor Freude, und um ſo mehr, da ich nicht Prediger, ſondern Schulmann werden ſollte. In dieſem Stande, ſagte er, brauchſt du nichts contra con - ſcentiam zu lehren, wie leider! der Volkslehrer oft thun muß, um die Schwachen nicht zu zertreten, und das nicht einzureiſſen, was ſich vermoͤge des Al - terthums und der langen Gewohnheit entweder gar nicht, oder doch wenigſtens ohne viel Muͤhe und Einſicht nicht wieder aufbauen laͤßt. Ich ſelbſt fand bei einer ſolchen Stelle mein ganzes Behagen: denn zum Verkuͤndigen des[goͤttlichen] Worts verſpuͤr - te ich wenig Neigung. Anfangs arbeitete ich zwar meine heiligen Reden ſelbſt und ſorgfaͤltig aus, ſo daß ich oft drei bis vier Tage darauf verwandte; hernach ward ich kluͤger. Ich folgte dem Beiſpiele der meiſten meiner geiſtlichen Reiſegefaͤhrten: ich be - ſtieg den ſanftmuͤthigen Eſelsruͤcken, und ritt, ſtatt333 zu Fuße zu gehen, die Poſtillen meiner Vorgaͤnger und Vorreiter, ganz bequem und erbaulich. Unter andern Bruͤcken dieſes Bequemern Apoſtoliſirens, haben mir die Dispiſitionen des Doktor Muͤnters viel Dienſte geleiſtet. Im Grunde, dachte ich, ſey es einerlei, ob ich oder ein anderer den Leuten die chriſtliche Glaubens - und Sittenlehre predige; und mir war es um ſo mehr einerlei, da ich von dem, was ich vortrug, wenig oder gar nichts glaubte. Ich behandelte das Predigtamt, wie ein Handwerk, bei dem man ſich aller kleinen Vortheile und Kunſt - griffe bedienen duͤrfte. So dachte und handelte ich, und ſo denken und handeln, wie mich duͤnkt, jetzt die mehreſten!

Ich begab mich nach Darmſtadt, und glaubte, da ich die Hand des Landgrafen hatte, daß meine Anſtellung keine weitere Schwierigkeit haben koͤnnte. Allein wie kann der Menſch ſich truͤgen! Der Superintendent Olf und der Rektor Wenk hatten ein anderes Subjekt im Sinne, welches ein gewiſſer Kandidat Zimmermann war. Dieſer hatte ſich, auſſer andern ſchoͤnen Kuͤnſten, auch im Verſificiren geuͤbt und durch gereimte und ungereimte Gratula - tionen bei den vornehmern Darmſtaͤdtern in große Gunſt geſetzt. Der Superintendent verlangte daher, daß ich mich erſt pro re ſcholaſtica, wie er ſich ausdruͤckte, examiniren laſſen muͤßte. Ich un -334 terzog mich der Pruͤfung, welche Olf und Wenk mit uns beiden anſtellten, willig, und bewunderte dabei nichts mehr, als die große Pedanterie und Scharla - tanerie der beiden Examinatoren.

Der Superintendent diktirte unter andern ein Exercitium, ohngefaͤhr folgendes Inhalts: Lieber Bruder! meine Struͤmpfe ſind zerriſſen; bitte des - halb die liebe Mutter, daß ſie mir neue ſchickt. Auch habe ich neulich meine Kappe verlohren, und muß eine andere haben. Meine Hoſen wollen auch nicht mehr halten u. ſ. w. Ich lachte uͤber dies laͤppiſche Exercitium uͤberlaut; allein dies Mokkiren nahm Herr Olf ſo uͤbel auf, daß er mir einen recht derben Verweis gab. Ich mußte ihn hinnehmen: warum ließ ichs mir einfallen, uͤber einen Geiſtespruͤfer zu lachen! Meine Verſion wurde zwar nicht gelobt, aber auch nicht getadelt; allein Zimmermann hatte mehrere grammatikaliſche Schnitzer in ſeinem Thema gemacht, und dies war Waſſer auf meine Muͤhle. Ich freute mich ſchon innerlich uͤber die Maaße, als Wenk ſie bemerkte und urgirte; aber wie es die Dummkoͤpfe zu machen pflegen, Zimmermann gab ſie fuͤr Schreibfehler aush)So ohngefaͤhr, wie Herr Prof. P. in der litteratur Zeitung 1791 die lieblichen Schnitzer: oſtendidir,.

335

Unter dieſen Umſtaͤnden glaubte ich, gut beſtan - den und tuͤchtig befunden zu ſeyn, die Stelle zu er - halten; aber mein Freund, der Hofprediger Kre - mer, aͤuſſerte doch große Bedenklichkeit, und rieth mir, auf meiner Huth zu ſeyn, da man Kabalen wider mich ſchmieden wuͤrde. In der Meinung, daß doch der Fuͤrſt ſein Wort halten muͤſſe, ſchien mir dieſe Muthmaßung unwahrſcheinlich, und ließ mich daher weder durch ihn, noch durch andere irre ma - chen. Allein Kremers Vermuthungen waren nicht ohne Grund geweſen: dies lehrte der Ausgang der Sache. Rektor Wenk, ein eben ſo geſchickter Schulmann als gruͤndlicher Hiſtoriker, welches letz - tere, wie mich duͤnkt, er in ſeiner Heſſiſchen Ge - ſchichte hinlaͤnglich bewieſen hat, war ſehr freundlich gegen mich, gab mir indeß doch zu verſtehen, daß er es lieber ſaͤhe, wenn Zimmermann die Stelle er - hielte. Damals gefiel mir dies Benehmen nicht; allein uͤberlege ichs jetzt nun kaltblutig, und bedenke ich, daß der verſtorbene Landgraf meiſt Auslaͤnderh)quarundarum, provinciam offertam, tota orbis lit - teraria, und andere mehrere als Schreibfehler ange - ſehen wiſſen will: Denn Druckfehler koͤnnen dies eben ſo wenig ſeyn, als das rationem obmuteſcendam eſſe in einem ſonſt guten Compendium der Dogmatik S. 3. lin. 9. Oder der ganze Mann iſt ein Druckfehler, und dann laͤßt ſichs entſchuldigen!336 und wenig Inlaͤnder befoͤrderte; ſo kann ichs weder ihm noch dem Superintendenten verdenken, daß ſie die Stelle lieber mit einem Landskinde als mit mir beſetzen wollten. Nur haͤtte keiner von beiden ſich niedertraͤchtiger Kabalen bedienen ſollen, um den Zimmermann zu befoͤrdern und mich hintan zu ſetzen. Dergleichen iſt ſchlecht; und doch thaten ſie es.

Ich hatte im Darmſtaͤdtſchen einige Feinde. Da - hin gehoͤrt Mosje Jawand, damals Buͤchſenſpan - ner beim Erbprinzen, welchem ich einmal auf die Fuͤße getreten hatte. Dieſer Mosje Jawand, der, wie die Leute ſeines Geſchlechts, viel bei Hofe galt, und der Zimmermanns Goͤnner war, brachte es bei ſeinem Prinzen dahin, daß dieſer nach Pirmaſens ſchrieb, und Zimmermannen zu der Stelle empfahl, die mir zugedacht war. Das war eins aus dem Kapitel der Vorſehung und Regierung Gottes in der Menſchenwelt! Ferner hatte ich Wagenern von Udenheim beleidigt, und dadurch ſeine Feindſchaft mir zugezogen. Wagener war, wie alle kleinen Seelen, auf niedrige Rache bedacht. Man hoͤre, wie ers anfing!

Der jetzige Amtmann von Niederſaulheim wollte damals eben die Schweſter des Wageners heirathen. Jener war ehemals Hofmeiſter des jun - gen Herrn von Wallbrunn in Darmſtadt geweſen, hatte mich in Gießen kennen gelernt, und trieb ſich337 nachher unſtaͤt und unverſorgt herum, bis Herr von Wallbrunn ſeinen bisherigen Amtmann Wolf in Niederſaulheim, einen Mann ohne Vermoͤgen, einen Vater mit ſechs Kindern, einen braven gelehrten Mann, einen nahen Anverwandten des Herrn Prof. Schloͤzers in Goͤttingen, blos deshalb abſetzte, um den Hofmeiſter ſein Name iſt mir nicht ganz mehr erinnerlich; allein den wenigen Spuren meiner Ge - daͤchtnißkraft zu folge, heißt er Walther ins Brodt bringen zu koͤnnen.

So war denn dieſer unwiſſende Menſch, wel - chen der Oberſchulz Brug nicht ſelten geketzert hat, in die Pfalz gekommen; Wagener hatte ihn wider mich aufgebracht und die Procedur ging folgender - maßen. Der neue Amtmann ſteckte ſich hinter ſeinem Herrn, und dieſer, vom Apellationsrathe Hoͤpf - ner, ehemaligen Profeſſor in Gießen, und einem Kandidaten, Namens Baumann, der mich noch von Gieſſen aus haßte, unterſtuͤtzt, verfertigte eine ſehr ſchlimme Schilderung von meinem Charakter, und ſchickte ſelbige nach Pirmaſens an den Feldprobſt Venator. Bisher hatte ſich Herr Stauch meiner angenommen; allein da dieſer durch Venator Nachricht davon erhielt, und der Landgraf ihn mer - ken ließ, daß er gern den Zimmermann befoͤrdertErſter Theil. Y338ſaͤhe; ſo nahm er ſich meiner nicht weiter an. Ich benahm mich hierbei ſo ziemlich leidlich. Die Nachricht, daß Zimmermann an die per decretum Sereniſſimi mir zuerkannte Stelle gekommen ſey, er - trug ich ohne viele Kraͤnkung; allein die vom Hof - prediger, Herrn Kremer, jetzigen Oberpfarrer zu Rheinheim, nach der Hoͤpfner und der Baron von Wallbrunn vermoͤge ihrer elenden Relationen an mei - nem Durchfall Schuld geweſen waren, aͤrgerte mich ganz grimmig. Ich ſah indeß den Zuſammenhang der ganzen Kabale ſehr gut ein, und fand in meinem unbeſonnenen Betragen gegen den Pfarrer Wagener, ſonſt Magiſter Weitmaul genannt, mancherlei Urſache dazu; allein, ſtatt kluͤger zu werden, ſuchte ich mich durch neue auf ihn verfertigte Schmaͤhſchrif - ten zu raͤchen, die theils den vatinianiſchen Haß der ganzen Wageneriſchen Familie vermehrte, theils bei ihrem Anhange mir neuen zuzog. Ich verfer - tigte naͤmlich eine genealogiſche Tabelle der Wage - ners, welche ich von dem Famulus des beruͤchtigten Schwarzkuͤnſtlers, Doktor Fauſts, der auch Wa - gener geheißen haben ſoll, abſtammen ließ. Dies Ding wurde fleißig geleſen, und wurde ſogar mit Beifall beklatſcht und belacht. So angenehm ich aber andern dadurch geworden war, ſo vielen Ver - druß und ſo viele Vorwuͤrfe zog ich mir deshalb bei meinem Vater und meinen Anverwandten zu.

339

Ich ſchaͤme mich faſt, hier zu geſtehen, daß ich ein ſehr unedles Mittel anwandte, mich an den Wa - genern zu raͤchen: aber ich muß aufrichtig ſeyn. Der aͤlteſte Bruder des Pfarrers von Udenheim mit ſei - nem Schimpfnamen, in jener Gegend der Hoſenknopf genannt, hatte ſich die Pfarre zu Mommenheim, einem katholiſchen Edelleuten zugehoͤrigen Dorfe, fuͤr baar Geld gekauft. Die Bauern, welche die kraſſe Ignoranz des Menſchen aus den Nachrichten anderer, deren ſie in dieſem Stuͤcke gern glaubten, ſchon kannten, und nun noch ſeine niedrigen Sitten und ſeine ſaͤuiſche Lebensart mit Augen ſahen, fingen einen Prozeß wider ihn an, und forderten von ihren Edelleuten, daß das uͤber allen Glauben elende Sub - jekt ſollte removirt werden. Der Prozeß kam nach Wezlar; allein das Kammergericht ging, wie die Juſtiz nach alter Gewohnheit immer zu gehen pflegt, den langſam kriechenden Schneckengang, und ſo ver - gingen mehrere Jahre, bis endlich die Bauern des Prozeſſirens uͤberdruͤſſig wurden, und die Sache lie - gen ließen. Dies aͤrgerte mich. Ich feuerte alſo die Bauern von neuem an, ſchanzte ihnen einen recht beiſſigen Advokaten zu, und brachte es durch meine Veranſtaltung endlich dahin, daß die Mommenhei - mer Gemeinde Deputirte nach Wezlar ſchickte, wel - che ſo lange dableiben mußten, bis der Prozeß zu Wageners Nachtheil entſchieden ward. Ich ge -340 ſtehe gern, daß dieſe meine Handlungsart unedel und niedrig, und vielleicht Folge von dem Ausſpruche Juvenals war:

At vindicta bonum, vita jucundius ipſa, und daß ich die Vorwuͤrfe, die mir mein Vater, der alle Kabalen haßte und verabſcheuete, deshalb machte, wohl verdient hatte; indeß dem Wagener, der der allgemeine Gegenſtand der Verachtung und des Spot - tes aller klugen Leute in daſiger Gegend war, geſchah hierdurch keinesweges Unrecht. Es war unedel von mir in ſofern, da mich die Sache nichts anging, und Rachſucht, geſetzt ſie beabſichtet auch keine Schurke - rei, groͤßtentheils unter der Wuͤrde des Menſchen iſt.

Mancher ſkandaloͤſen Auftritte beſchuldigte man mich auſſerdem, woran ich aber auf Ehre nicht Schuld war. So iſt z. B. der Udenheimer Pfarrer, kurz vor meiner Abreiſe nach Halle, zwiſchen Werrſtadt und ſeinem Dorfe von einem Bauernkerl, ſo hat es ihm wenigſtens geſchienen, jaͤmmerlich ausgepruͤgelt worden, und man ſchob das Ding auf mich, als haͤtte dergleichen nur auf meinen Betrieb und auf meine Veranſtaltung geſchehen koͤnnen. Das war nun falſch geſchloſſen! Ich habe keinen Antheil daran gehabt, ſonſt wuͤrde ichs, da mir ein Geſtaͤndniß ſolcher Art jetzt nicht ſchaden koͤnnte, frei geſtehen. Das Ding laͤßt ſich erklaͤren, ohne mich zum Schluͤſſel zu nehmen. Wagener hatte341 viele Feinde, die ihm aufpaßten, folglich war eine Pruͤgelſuppe gar kein ungewoͤhnliches und auslaͤndi - ſches Gericht fuͤr ihn, zumal in der Pfalz, wo der - gleichen Auftritte nichts Neues ſind. Dies macht aber der Wein, der hier geſoffen und nicht getrun - ken wird.

Man kann ſich leicht vorſtellen, daß mein Va - ter auf die Nachricht, daß ich wegen meines in Gie - ßen und ſonſt gefuͤhrten Lebens Repulſe erhalten und die Konrektorſtelle in Darmſtadt nicht erlangt haͤtte, recht ernſtlich boͤſe auf mich geworden ſey. Er hielt mir eine recht derbe Strafpredigt deshalb, und er - mahnte mich bei allem, was ihm theuer und heilig war, anders zu leben, und geſetzt zu werden. Ich verſprach alles, und mein Vater troͤſtete mich, daß dann noch alles gut werden wuͤrde. Ich ſchoͤpfte hierzu um ſo mehr Muth, da der Pfarrer Stuber an Herrn Stauch ſchrieb, und meinem Lebenswandel eine lange Apologie hielt. Er gab die Berichte der Darmſtaͤdter Herren fuͤr lauter Laͤſterungen aus, und bat, daß Stauch ſich ferner meiner annehmen moͤchte. Dies geſchah auch, und ich bekam abermals ein De - kret vom Landgrafen, daß ich naͤchſtens ſollte befoͤr - dert werden. Ich habe aber von dieſem letztern Dekret niemals Gebrauch gemacht; und wenn ichs auch haͤtte thun wollen, ſo wuͤrde ich doch deshalb nie reuͤſſirt haben, weil Meiſter Olf, der Super -342 intendent zu Darmſtadt, bei der Beſetzung des Kon - rektorats mein erklaͤrter Feind geworden war. Ich hatte naͤmlich in dem Hauſe des Faſanenmeiſters Jawand zu Dornberg dieſen Herrn Olf als den abſcheulichſten Dummkopf beſchrieben, und eine ge - druckte Predigt von ihm gemuſtert und mit allerlei ſpoͤttiſchen Anmerkungen verſehen. Dieſer leichtſin - nige Streich war dem theuren Mann bei Gelegenheit der Konrektorei hinterbracht worden, und er hatte in heiligem Grimm geſchworen, daß er ſein Haupt nicht geſund tragen wolle, wenn ich in ſeinem Lande Speiſe und Trank bekaͤme fuͤr die Weidung geiſtli - cher Schaafe und Laͤmmer.

Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.

Ein Schuft wird mein Patron.

Nachdem ich in Darmſtadt durchgefallen war, durch - irrte ich aus Langerweile und Unluſt gegen das Da - heimſitzen die ganze umliegende Gegend unſtaͤt und fluͤchtig, faſt wie Kain. Meine vielen Bekannten in dem Kreiſe erleichterten mir mein Leben, und oft verfloſſen drei bis vier Wochen, ehe ich wieder der Wohnung meines Vaters zueilte. Dieſer war zwar mit meinem Umherlaufen wenig zufrieden, weil er es aber der Mißmuth zuſchrieb, die ich, ſeiner Mei -343 nung nach, uͤber mein Misgeſchick empfand, ſo ließ ers unter der vaͤterlichen Einſchraͤnkung, keine Exceſſe zu machen, gut ſeyn. Freilich in den Haͤuſern des Inſpektors Birau zu Alzey, meines Stubers, Freſenius und anderer gingen auch keine Exceſſe vor; aber wenn ich beim Chirurgus L., im Bock zu Flonheim oder ſonſt in einer Kneipe kampirte; ſo wurde nicht nur ſehr ſcharf geſoffen, ſondern auch anderer Unfug getrieben. Ich verlohr durch dieſes rohe und unbeſtimmte Leben nach und nach alle Ach - tung fuͤr meinen Kandidatenſtand, und da galt es mir gleich viel, mit wem ich umging, wovon ich redete, und wie ich mich betrug. Ich ſaß oft ganze Naͤchte in den Bauernkneipen, und raiſonnirte mit den beſoffenen Kerls uͤber allerlei. Die Leute hoͤrten mich immer gern ſchwatzen, und da ich in jener Ge - gend fuͤr einen Gelehrten paſſirte, ſo ſchaͤtzten ſichs faſt alle fuͤr eine Ehre, wenn ich bei ihnen ſaß und mit ihnen zechte. Dieſes Betragen ſchwaͤchte meinen Kredit bei dem geiſtlichen Stande noch mehr, und ich ſank ſo ſehr in meiner beſondern Achtung, daß meine Freunde, beſonders mein ehrlicher Haag und mein guter Job, mich oft und angelegentlich baten und ermahnten, anders und beſſer zu werden, we - nigſtens den Beſuch der Wirthshaͤuſer einzuſtellen. Allein es half nichts: ich aͤſtimirte mich ſelbſt nicht mehr, wie ſollte ich alſo fuͤr meine Reputation ſor -344 gen! dies war fuͤr mich nicht moͤglich, meine Lebensart war andere Natur, und ich ließ mich bis zu den gemeinſten Geſchoͤpfen herab.

Der Wirth im Bock zu Wonsheim hatte eine Magd, mit welcher ich bei der Gelegenheit in Be - kanntſchaft gerathen war, weil ich, wenn ich zu Schoͤnburg nach Neubamberg gehen wollte, Wons - heim paſſiren mußte. Dieſe Bekanntſchaft ſtieg bis zur Vertraulichkeit, und ward der Gegenſtand der muͤßigen Schwaͤtzerzungen, welche, auſſer vielem andern naͤrriſchen Zeuge, auch das von mir aus - ſprengten, daß das Maͤdchen von mir ſchwanger ſey. Ich bekuͤmmerte mich um das Geruͤcht der ſkandaloͤſen Chronik nicht; denn es war falſch.

Schon ſeit einigen Jahren war ich auch mit einem gewiſſen Baron von F. aus M. bekannt. Die - ſer Edelmann war zwar katholiſch der Profeſſion nach, aber ſeiner Praxis zu folge, war er ein Freigeiſt; zwar mehr aus Leichtſinn und Spottſucht, wie viele dergleichen Helden, denn auch der Unglaube hat ſeine blinden Anbeter, als aus Grundſaͤtzen. Dieſer F. war ein eingemachter Wolluͤſtling, der ganze Tage bei Wein und in Geſellſchaft feiler Menſcher, nach denen er ohne alle Delikateſſe jagte, zubrachte. Zo - tenreiſſen und fluchen waren ſeine ſchoͤnen Kuͤnſte: und ſeine einzige Wiſſenſchaft, da er von allen uͤbri - gen Kenntniſſen entbloͤßt war, beſtand darin, daß er345 Tag und Nacht auf den Strich ging, Maͤdchen, wie Lerchen, fing, und dieſen die Taille verdarb. Sonſt war er ein ganz guter Menſch, d. h. ganz ſo, wie wolluͤſtige und kreuzliederliche Leute zu ſeyn pfle - gen: ſie theilen mit was ſie haben, und freuen ſich, wenn ſie fuͤr ihr Geld einen Zirkel gleichgeſinnter Menſchen errichten koͤnnen, die eben ſo ausſchweifen und tolliren als ſie. Ich hatte dieſen Herrn von F. zwar bei dem Amtsverwalter Schoͤnburg kennen ler - nen; allein unſere wechſelſeitige Hauptfreundſchaft war waͤhrend meines Vikariats in Udenheim zu Nie - derolm, im Hauſe des Wirthes Noll auf folgende Weiſe geſtiftet worden.

Der Paſtor Jacobi in Niederolm, einem zwei Stunden von Mainz gelegenen Dorfe, hatte eine Baſe oder Nichte bei ſich, welche zwar nicht ſchoͤn war, uͤbrigens doch Reize genug hatte, jun - ge Leute luͤſtern zu machen. Herr Dorſch mein Freund, Amtsverwalter daſelbſt, verſchafte mir zuerſt Bekanntſchaft in dem Hauſe dieſes Paſtors, den ich denn nachher von ſelbſt, da uͤberdem Udenheim nur eine Stunde weit davon liegt, oͤfters beſuchte. Einſt, da ich dahin geritten war, und nach abgelegter Viſite meinen Gaul aus Noles Wirthshauſe, wo ich logirte, wieder abholen wollte, rief mich der Baron F. an, und noͤthigte mich, auf ſein Zimmer zu kommen. Ich thats, und es wurden zuerſt einige Glaͤſer Wein346 verſenkt. Hernach fragte er ſogleich, wen ich be - ſucht haͤtte, und auf meine Antwort, daß ich beim Hrn. Paſtor geweſen waͤre, kam er auſſer ſich und rief: ei! Schwerenoth! da haben Sie ja auch das huͤbſche Fratzchen geſehen? Schwerenoth! wenn ich doch auch da koͤnnte bekannt werden!

Ich: Das koͤnnen Sie leicht. Gehen Sie nur hin: der Paſtor iſt ein hoͤflicher freundlicher Mann.

Er: Herr ſchaffen Sie mir Bekanntſchaft und ich verſchreibe Ihnen Leib und Seele, wie man ſie dem Teufel verſchreibt.

Ich: Die Verſchreibung iſt unnoͤthig. Wiſſen Sie was? auf den Sonntag kommt Mamſel Jacobi mit der Tochter des Chirurgus nach Udenheim zu mir kommen Sie auch und Ihre Bekannt - ſchaft iſt gemacht.

Er: Topp! Freund! Ihr ſeyd mein Mann! (greift nach dem Glaſe) Auf gute Freundſchaft, du und du!

Ich: Blox! Da hab ich wieder einen neuen Dutzbruder.

Er: Kerl! hol mich der Teufel biſt mein Mann! Nur halt Wort, und ſey geſcheut! Auf den Sonntag puncto ein Uhr bin ich bei dir!

347

Nach dieſer Abrede ritt ich nach Udenheim, und mein Herr Baron F .... nach Mainz. Sonntags Vor - mittags kamen die Mamſellen, und um ein Uhr war Bruder F .... da. Er ſpielte den Unſchenirten ſo huͤbſch, daß das Frauenzimmer ſeine innige Freude uͤber ihn empfinden mußte. Ich merkte bald, daß Mamſell Jacobi eben nicht boͤſe ward, wenn der Ritter ihr nahe kam, und Handgriffe wagte. Es wurde ge - lacht und geſchaͤkert, bis gegen ſechs Uhr hin, wo die Maͤdchen aufbrechen wollten. Der Baron hatte, wahrſcheinlich abſichtlich, eine Kaleſche bei ſich, und war alſo im Stande, ſowohl ſeinen eigenen, als den Wuͤnſchen der beiden Schoͤnen ein Genuͤge zu lei - ſten. Ich war daruͤber nicht eiferſuͤchtig und neidiſch Dies iſt mein Zug nicht vielmehr freuete ich mich, daß ich einem jungen Menſchen zum Anfange einer Liebſchaft geholfen hatte. Einige Zeit hernach bekannte mir F ...., daß ſeine Liebſchaft gut von ſtatten ginge: und das dies keine Luͤge war, be - wies das allgemeine Geruͤcht, welches in der dortigen Gegend von dem aͤrgerlichen Umgange der Nichte ſeiner Hochwuͤrden, des Herrn Paſtors Jacobi, mit dem Baron von F .... zirkulirte. Aber das taugte nicht und war intolerant, daß die Leute daſiger Ge - gend zuviel und gerade das Schlimmſte ſupponirten. So gehts indeß in der Welt! Huͤbſch und artig zeigte ſich der Baron auch nicht. Er machte es, wie348 die meiſten ſeines Gleichen: er ließ das buͤrgerliche Ding, was er karreſſirt hatte, ſitzen, heurathete eine aus adlichem Blut entſproſſene, und Mamſel Jacobi mußte, um nur mit Ehren unter die Hau - be zu kommen, den oben genannten Gaſtwirth Noll heurathen. Dies war nun kein Cavalier Streich!

Meine Acquiſition war indeß doch gut; denn Herr von F .... hat mir, ſo lange ich mit ihm um - gegangen bin, viel Freundſchaft erwieſen. Ich wuͤrde ſeinen Namen ausſchreiben; da ich aber noch meh - rere Streiche und Schwaͤnke mittheilen will, die wir gemeinſchaftlich mit einander ausfuͤhrten; ſo mag der erſte Buchſtabe hinreichen. In jenen Gegen - den, wie ich glaube, verſteht man doch, wen ich meine.

Nachdem ich in Darmſtadt nicht hatte reuͤſſiren koͤnnen, und ich mich nachher, wie ſchon geſagt, in der Gegend unſtaͤt umhertrieb, traf ich einſt meinen treuen Baron F ... beym Licenciaten M ...... in Kreuznach, der ein ſehr fideler Bruder war. Ei! du infamer Schlingel, ſchrie er mir entgegen, als ich ins Zimmer trat, wo kommſt du her? Hab ja dich, wer weis wie lange, nicht geſehen! Wollt, der Teufel holte dich! Das war nun ſo ein Compliment; aber in unſern Zirkeln waren ſie nicht beſſer gebraͤuchlich. Ich erzaͤhlte ihm mein in349 Darmſtadt gehabtes Malheur, die Kabalen daſelbſt und deren wahrſcheinliche Urſachen. Er fuͤhlte ſtark das Haͤßliche darin, verfluchte die Kabbaliſten bis in den tiefſten Abgrund, und verſicherte mich, daß, wenn er einen ſolchen politiſchen und moraliſchen Moͤrder ertappen wuͤrde, er ihn zuſammenſchießen und, wie das angeſchoſſene Wild, krepiren laſſen wolle. Dis klingt zwar hart, aber der Baron hatte auch Gefuͤhl und rechtes Gefuͤhl fuͤr das Schickliche und Menſchliche. Nun, fuhr er fort, mußt du mit nach Mainz: ich hoffe, fuͤr dich alten Schweden etwas thun zu koͤnnen. Ich mußte auch wirklich mit nach Mainz. Hier lebten wir mehrere Tage fidel und gedachten des uns getroffenen Ungluͤcks nicht. Der Baron machte mir Vergnuͤgen allerlei Art, wozu auch dieſer Auftritt gehoͤrt. Er ſagte unter andern, er wolle einen Kerl kommen laſſen, mit dem man den Teufel im freien Felde fangen koͤnnte. Einen ſolchen Menſchen mocht ich gern ein - mal ſehen, und ſiehe da, dieſer Teufelsjaͤger war der ſchon oben beſchriebene Mosje Brandenburger. Hier iſt unſer Geſpraͤch.

Baron F.: Hoͤre du Hoͤllenbrand, du ordent - licher und auſſerordentlicher Ambaſſadeur des Satans, willſt du mir zu Dienſten ſeyn?

Brandenburger: Von Herzen gern, gnaͤ - diger Herr, mit meinem Blute.

350

Baron F.: Hat den Henker von deinem Blut! Glaub, haſt ſo nur Wagentheer in den Adern. Zwei Dinge ſollſt du mir ausrichten. Einmal beſorgſt du einige ordentliche Menſcher auf den Abend in Dillmanns Garten.

Brandenburger: Blox! gnaͤdiger Herr, da hab ich Waare! Mein Seel Waare, wie Sie noch nicht geſehen haben! Herrliche Maͤ - del! Blox! wenn Sie ſie ſehen, die Augen ſte - hen Ihnen auf, wie einem abgeſtochenen Kalbs - kopfe.

Baron F.: Gut! aber Kerl, wenn die Ca - naillen nicht koſcher ſind, ſo brech ich dir deinen ver - fluchten Hals, und ſchicke dich einige Tage fruͤher zum Teufel, Verſtehſt du mich? Fuͤrs andere will ich dich fragen, ob du keine lutheriſche Pfarre vakant weißt, da fuͤr den (auf mich zeigend.).

Brandenburger: O Herr Baron, dazu ſoll Rath werden. Blox, wenn der Herr Geld an - wenden kann und will, ſo wirds nicht fehlen. Mor - gen ſag ich Ihnen davon mehr. (ab)

Wir marſchirten gegen Abend nach Dillmanns Garten, und der Bube hatte Wort gehalten: es waren wirklich einige Maͤdchen da, dem Geſicht und der Taille nach ganz niedliche Nymphen, welche, ſo bald wir ankamen, ſich zu uns ſetzten, und uns die Zeit ſo vertrieben, wie man es nur von dergleichen351 Geſchoͤpfen erwarten kann. Wir blieben die ganze Nacht in dieſem Garten, und Herr von F .... wel - cher die Zeche allein gut machen wollte, mußte den Morgen gegen 18 Gulden bezahlen, die Gratiale abgerechnet, welche die Maͤdchen auſſerdem nebenher bekommen hatten. Wie viel koſtet doch Wolluſt und Ausſchweifung nicht!

Brandenburger beſuchte uns den andern Tag und berichtete, daß der Graf Schoͤnborn, Wie - ſenheitſcher Linie, der ſeine Guͤter in Franken, ober - halb Aſchaffenburg hat, eine lutheriſche Pfarre zu vergeben haͤtte; daß aber der Prediger noch lebe, jedoch den Tod ſchon auf der Zunge habe, und bald abfahren muͤſſe u. ſ. w. Die Pfarre habe der Graf dem Domvikar Stark uͤbergeben, und dieſem er - laubt, ein Subjekt zu waͤhlen, und ſich von dieſem die Gebuͤhren bezahlen zu laſſen. Mein F .... fand die Sache etwas unglaublich und drohte, dem Bran - denburger Naſen und Ohren abzuhauen, und ihn noch obendrein zu kaſtriren, wenn er uns hinterginge; aber Brandenburger blieb dabei, es ſey wahr.

Wir zogen Erkundigung ein, und Herr Stark verſicherte, daß Brandenburger wahr geredet habe, daß er es auch wohl zufrieden ſey, wenn ich die Pfarrei mit 200 Dukaten bezahlte und erhielte, da ſie jaͤhrlich 600 Gulden eintruͤge u. ſ. w. Ich aͤuſ - ſerte meine Verwunderung gegen Baron F ....,352 das ein angeſehner Geiſtliche, wie Herr Stark, gegen einen Hurenſpediteur, wie Herr Brandenbur - ger, vertraut ſeyn koͤnnte. Ja, war Herrn von F .... Antwort, da verſtehſt du den Henker da - von! die Pfaffen muͤſſen dergleichen Geſindel auf ihrer Seite haben: denn woher bekaͤmen ſie ſonſt ihre Menſcher?

Ich ſchrieb nun an meinen Vater den Vorfall; doch ließ ich den ſchuftigen Brandenburger aus dem Bericht. Er antwortete mir wieder, daß er es herzlich gern ſaͤhe, wenn ich koͤnnte befoͤrdert werden, damit ich einmal aus dem liederlichen und wuͤſten Leben herausgeriſſen, und in eine beſtimmte Renn - bahn verſetzt wuͤrde. Ich ſollte die Sache mit Herrn Stark gewiß machen, aber auch mit dem Grafen in Mainz reden, damit das Ding am Ende nicht auch wieder ſchief ginge: er wuͤrde dann, im Fall die Pfarrei mir wirklich conferirt ſeyn wuͤrde, das Geld ſchon be[za]hlen. Nun wurde ein Aufſatz gemacht, Stark und ich unterſchrieben ihn und Baron F .... ſignirte ihn qua teſtis. F .... ſchlug mir nun vor, eine Tour nach Franken zu machen, wohin er mich begleiten wollte, um die Pfarrei zu beſehen, und naͤhere Nachrichten davon einzuziehen. Mir behagte der Vorſchlag, und die Reiſe ging vor ſich.

353

Sechs und dreiſſigſtes Kapitel.

Reiſe nach Franken à la Don Quixote.

Wir reiſten bis nach Aſchaffenburg auf dem Main zu Waſſer, und nahmen von da aus Pferde. Wir kamen innerhalb drei Tagen in dem Orte an, wo ich nach Brandenburgers Anſtalten fuͤr die Zukunft den Bauern das Evangelium predigen ſollte. Das Dorf hieß, wenn ich nicht ſehr irre, Uthoffen, und war eben keins von den angeſehnſten, ob es gleich auch nicht zu den ſchlechteſten gehoͤrte. Wir ſtiegen im Wirthshauſe ab, und ließen uns auftiſchen, was das Zeug hielt, oder vielmehr, was des Wirths Kuͤche und Keller vermochten. Fruͤh Morgens fragte der Baron den Wirth nach dem Befinden des Pfarrers, ob er noch huͤbſch geſund ſey u. ſ. w., und die Antwort war, daß er zwar geſund, aber ſchon aͤuſſerſt alt waͤre, und er es wol nicht lange mehr machen koͤnnte. Dieſe Nachricht war mir eben nicht ſehr unangenehm. So geh er hin, ſagte F ... zum Wirthe, und ſage er dem Herrn Paſtor: der Baron (ich weiß nicht mehr, was F ... ſich fuͤr einen Namen gab) und ſein Schloßprediger Herr (auchErſter Theil. Z354mein cognomen iſt mir entfallen) waͤren hier, und wuͤnſchten ihn zu ſprechen. Dictum factum. Der Wirth kam zuruͤck und ſagte, der geiſtliche Herr wuͤrde es ſich fuͤr eine hohe Ehre ſchaͤtzen, wenn ſo vornehme Herren bei ihm einſprechen wollten. Wir fanden an dem Pfarrer einen Greis, der zwar kein gelehrter aber doch ein ſehr ehrlicher, aufrichtiger und freundſchaftlicher Mann war. Er ſuchte uns nach ſeiner Art ſo gut als moͤglich zu bewirthen, mit warmen Bier und Schnaps: denn Wein iſt in daſiger Gegend ſelten, obgleich er weit wohlfeiler als in Sachſen iſt. Wir zogen den letztern vor.

Der ehrliche Alte, welcher uns beide fuͤr Pro - teſtanten hielt, kam auf das Kapitel der Katholiken, und da war des Klagens kein Ende. Er erzaͤhlte mit dem groͤſten Feuer, wie die Proteſtanten von dieſen in Franken auf alle Weiſe geneckt und gedruͤckt wuͤrden, und wie beſonders der Fuͤrſtbiſchof zu Bam - berg viel Intoleranz ausuͤbe. Ich gab mein Befrem - den daruͤber zu erkennen, da ich das Gegentheil gehoͤrt hatte, und der Pfarrer erzahlte mehrere Beiſpiele von Neckereien und Unterdruͤckungen, daß ich meine vortheilhaften Begriffe von der Religionsduldung dieſes Fuͤrſten fahren ließ. Ich fand, was ich im - mer erlebte, auch hier beſtaͤtigt. Die roͤmiſchkatho - liſche Religion bleibt immer dieſelbe, d. h. immer intolerant, nur daß ſie an dieſem oder jenem Orte355 ſich mehr oder weniger ſchaͤmt, Menſchen des Glau - bens wegen oͤffentlich zu necken und zu druͤcken.

Wir entdeckten in Uthoffen die Abſichten unſrer Reiſe nicht, und reiſten nach zwei Tagen wieder mit Bauerpferden ab. F .... ein kreuzbraver Junge, der gern ſeinen Freunden Vergnuͤgen machte, und bei dem ich ſo gut ſtand, that mir hierauf den Vor - ſchlag, eine Tour nach Bamberg und Wuͤrzburg mit zu machen, unter der Verſicherung, mich ſollte die Reiſe auch nicht einen Kreuzer koſten. Vielleicht wußte ers, daß meine Boͤrſe kaum zur Ruͤckreiſe von Uthoffen nach Mainz hinreichen wuͤrde. Ich ließ mir den Vorſchlag unter der Einſchraͤnkung, daß ich ihm an Ort und Stelle das ausgelegte Geld wieder erſetzen duͤrfte, gefallen. Das wollen wir ſchon ſe - hen, ſagte er, und ſo gings nach Wuͤrzburg, Bam - berg, Anſpach, Erlangen, Nuͤrnberg, und den an - dern Staͤdten, welche in der dortigen Gegend herum liegen. Ich ſchrieb hier weder Reiſekunden noch Topographien, folglich darf man hier nichts weiter erwarten, als was mich betrifft. In Bamberg blie - ben wir nicht lange; ich hatte alſo keine Gelegenheit dies Ding, was misbraͤuchlich Univerſitaͤt genannt wird, naͤher kennen zu lernen. So viel weiß ich, daß hier nur der katholiſche Prieſter ausſtudiren kann, ob gleich auch dieſer dies eben ſo gut in jedem Kapu - cinerkloſter beim Pater Lektor thun koͤnnte.

356

Wuͤrzburg iſt ohne Zweifel die beſte katholiſche Univerſitaͤt in Deutſchland. Sie hat beſonders ei - nige recht gute Maͤnner in der Geſchichte, den Rech - ten, der Arzeneikunde, und ſogar in der Philologie aufzuweiſen. Die Studenten, welche hier auch Ju - riſten heißen, und deren Anzahl damals an 400 war, die ſogenannten Seminariſten abgerechnet, ſind mei - ſtens artige, gutgeſittete junge Maͤnner, und ganz anders, als jene in Heidelberg, Straßburg und Mainz. Weil ich ganz nach Burſchen Art gekleidet war, und einen gruͤnlichen Flauſch trug, welchen ich noch in Halle verſchenkt habe, nebſt geſtreifter Weſte, gelben ledernen Beinkleidern, großen großen Stiefeln, nebſt einem derben Hieber an der Seite; ſo ward es mir leicht, mich fuͤr einen Jenaiſchen Studenten auszugeben. Auch mein Reiſegefaͤhrte, oder viel - mehr mein Reiſepatron that dies, und es hatte die gute Wirkung, daß ſich die Herren Wuͤrzburger um die Wette beeiferten, uns recht viel Vergnuͤgen zu machen. Aber bald haͤtten wir doch Haͤndel bekom - men. Die Burſchen erfuhren, daß F .... kein Je - naiſcher Student ſeyn koͤnne: daß er vor mehrern Jahren ſelbſt in Wuͤrzburg ſtudirt habe, und mit mehrern Domherren und Adlichen daſelbſt, deren Namen hier, wie an allen geiſtlichen Stiftern, Legion iſt, verwandt ſey: ſie ſetzten uns alſo deshalb zu Rede. Ich vertheidigte meinen Kameraden, brach357 in hitzige Worte aus, und bald bald waͤre es zu Schlaͤgereien gekommen, wenn nicht der Student eben ſo hitzig, als gutmuͤthig und vertraͤglich waͤre. Wir verſoͤhnten uns bald, und ich wurde wegen mei - ner maͤnnlichen Entſchloſſenheit als Bruder Studio von Jena anerkannt. Ich bemerkte viel gute Zuͤge an dieſen Leuten. So hab ich unter den Wuͤrzbur - ger Studenten nur wenige gefunden, die ſich daran ſtießen, daß ich lutheriſch war, obgleich einige des - halb, weil ich nicht den rechten Glauben hatte, kalt gegen mich thaten. Doch dieſe Kaͤlte erſetzte der daſige vortreffliche Steinwein, der, wie mich duͤnkt, wegen ſeiner Guͤte eben ſo weit und breit beruͤhmt zu ſeyn verdient, als der Hochheimer, Nierſteiner oder Riedesheimer. Einigemal hat mich dieſer koͤſtliche Rebenſaft um all mein Beſinnen gebracht. Ehe ich weiter gehe, noch eine Statiſtiſch politiſche Bemer - kung. Das Wuͤrzburgiſche iſt ungleich beſſer be - voͤlkert und kultivirt, als das Bayreuthiſche. Die Bauern klagen dort nicht ſo ſehr uͤber Abgaben, als hier. Der Grund iſt leicht. Unter einem katholi - ſchen Biſchof darf man freilich nicht alles ſagen, was man uͤber Religion denkt, wie unter einem lutheriſchen Markgrafen; allein der katholiſche Bi - ſchof braucht auch nicht ſo viel Ausgaben als der lu - theriſche Markgraf; folglich braucht auch jener nicht ſo viel Abgaben aufzulegen, als dieſer. Die To -358 leranz allein macht die Unterthanen noch nicht gluͤcklich.

Als wir beinahe eine Woche in Wuͤrzburg zu - gebracht hatten, ohne daß es uns viel gekoſtet hatte, zogen wir weiter, durchſtrichen einige Staͤdte als: Bayreuth, Schweinfurth und andere, und gingen nach Erlangen. Ich traf hier einige meiner Landesleute an, unter denen vorzuͤglich Herr Kiefer von Saar - bruͤcken mir viel Vergnuͤgen gemacht hat. Die Univerſitaͤt iſt zwar klein; aber die Lebensart und der Ton der Studenten vortreflich und zweckmaͤßig. Ich traf viele wilde Chriſten und recht ausgelernte Schlaͤger unter ihnen an indeß die meiſten begehr - ten den lieben Frieden und hielten ſich ruhig. Nicht lange vorher hatte Herr Iſenflamm den Amiciſten-Orden zerſtoͤhrt, aber nicht ausgerot - tet. Denn da die Burſchen erfuhren, daß ich auch zu dieſer loͤblichen Geſellſchaft gehoͤrte; ſo brachten ſie mich in eine feierliche geheime Geſellſchaft, wol von zwoͤlf Ordensbruͤdern, trieben ihre Poſſen, und hielten auf die Obſervanz ihrer Geſetze ſo ſtreng, als waͤre ihr Klupp mit einem Kaiſerlichen Privilegium fundirt geweſen. Was gings mich an! ich logirte, wie uͤberhaupt, ſo auch hier, auf dieſe Art bei Or - densbruͤdern, und ließ meinen Baron, wenn er den Studententummel verließ, in den Gaſthof gehen.

359

In Erlangen lernte ich auch einige Profeſſoren kennen, naͤmlich die Herren Seiler, Roſenmuͤl - ler, Harles, Hufnagel, und Meuſel. Nur einiges von ihnen.

D. Seiler iſt ein kraſſer und dabei ganz ab - ſcheulich intoleranter Orthodox. In ſeinen Schrif - ten ſchimpft er zwar nicht; allein deſto aͤrger macht ers in ſeinem Kollegio. Er ſchaͤndet die Semlere, Tellers, Steinbarte, und ſogar die Leſſe, was das heilige Zeug haͤlt. Sonſt ſcheint mir Herr Seiler kein großer Gelehrter; und daß ers uͤberhaupt nicht iſt, das haben ihm auch andere, vorzuͤglich Bahrdt in ſeiner Apologie der Vernunft recht derbe geſagt. Freund Harles iſt ein Grammatiker; und da denkt er denn ſo in ſeinem Sinn, wie viele ſeiner Bruͤder, nun ſey er ein Philologe! Ich hoͤrte ihn uͤber den Theophraſt leſen; das war mir aber eine Leſerei, wobei mir angſt und bange ward. Die Herren Studioſi ſchrieben indeß dieſe philologiſche Weisheit von Wort zu Wort nach. Das waren mir auch Wichte!

Hufnagel war damals noch Profeſſor extra - ordinarius, und las Exegetica. Wenn ich je ei - nen Mann habe kennen lernen, der mit blutwenig Gelehrſamkeit ſich breit machen, und den Meiſter aller Meiſter ſpielen konnte; ſo war es gewiß Herr Profeſſor Hufnagel in Erlangen. Ich wurde durch360 einen Studenten mit ihm ſelbſt bekannt, und fand einen jungen raſchen Mann an ihm von unbeſchreib - lichem Duͤnkel, der uͤber die groͤßten Maͤnner ſo rai - ſonnirte, als wenn ſie kaum ſeine Schuͤler ſeyn koͤnnten. So redete er mit Verachtung von Leß, Muͤller und Walch, fand an Doͤderlein, Sem - ler, Erneſti, und vielen andern Matadoren der deutſchen Litteratur viel auszuſetzen, allegirte fleißig ſeinen Hiob und ſeine uͤbrigen kleinen Schrift - chen, und machte durch Faͤllung ſeiner Urtheile, daß ich anfing, ſtark an ſeiner Gelehrſamkeit zu zweifeln. Meine Vermuthungen beſtaͤtigten auch mehrere An - dere durch Erfahrung. Ich hoͤrte damals in Er - langen, daß Doktor Seiler Herrn Hufnagel gern ſeine Tochter habe anhaͤngen wollen; dieſer habe aber die Ehre ausgeſchlagen, und daher komme es, daß Seiler den Hufnagel haſſe, und dieſer an jenem durch bittern Spott und Raiſonnirerei in allen Ge - ſellſchaften ſich zu raͤchen ſuche. Doktor Seiler hatte wenig Freunde, und dies nicht ſowohl wegen ſeiner Orthodoxie, als vielmehr wegen mancher Fraubaſe - reien, wozu er die Haͤnde geboten hatte.

Aber an Herrn Meuſel hab ich einen rechten Mann getroffen. Dies iſt ein Mann, deſſen heller Kopf, geſunde und freimuͤthige Urtheile, deſſen aus - gebreitete Gelehrſamkeit und edles Herz jeder, der ſich ihm naͤhert, bewundern muß. Ich bin drei361 bis viermal bei ihm geweſen, und jedesmal mit einer Art von Bezauberung von ihm gegangen. Er war ehedem Profeſſor in Erfurt und zwar zu der Zeit, als D. Bahrdt dieſe Univerſitaͤt zierte; allein er huͤtete ſich recht ſehr, in das von den Herren, Bahrdt, Riedel, Bollmann und einigen andern errichtete col - legium zotologicum einzutreten.

Nuͤrnberg ſah ich bei dieſer Gelegenheit auch, und freuete mich uͤber die allgemeine Induſtrie, wel - che in dieſer Stadt herrſcht.

Ohngefaͤhr ſechs Wochen nach unſrer Abfahrt von Mainz, trafen wir endlich nach vielen Umſchwei - fen und luſtigen Streichen daſelbſt wieder ein. Doch ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich noch ein Anekdoͤtchen nachholen. In einem Dorfe oͤhnweit Aſchaffenburg mußten wir uͤbernachten, theils weil wir uns unter Weges zu lange in den Dorfkneipen aufgehalten hat - ten, theils weil uns unſer Bote verſicherte, daß wir fuͤr den Tag Aſchaffenburg nicht erreichen koͤnnten. Es war an einem Sonntage, und die Bauern, maͤnn - lichen und weiblichen Geſchlechts, machten ſich beim duͤrren Holze fuͤrbaß luſtig. Ein Maͤdel unter den Baͤurinnen zog des Herrn von F .... Aufmerkſamkeit auf ſich er nahm es und ſchaͤkerte mit ihm bis in die Mitternacht. Er ſchien von demſelben gleichſam angeſchoſſen zu ſeyn: denn den folgenden Morgen hatte er Pferde und Boten wieder zuruͤck geſchickt,362 ohne mir ein Wort davon zu ſagen. Ich trieb; allein er erklaͤrte mir, daß er dieſen Tag ſchlechter - dings noch dableiben muͤßte. Warum er mußte, ſah ich bald ein. Baͤrbel, ſo hieß das Maͤdchen, er - ſchien kurz nachher, und blieb den ganzen Tag bei uns. Ich mochte predigen, bitten, und ſchelten wie ich wollte; F .... war nicht zum Abmarſch zu bewegen, und erſt den Mitwochen konnt ichs dahin bringen, daß er mit mir abreiſete. Ich bin einige - mal Zeuge ganz vertrauter Auftritte geweſen; ich habe zwar nichts erfahren, aber wundern ſollt es mich doch, wenn dieſe Vertraulichkeit keine weitern Folgen gehabt haͤtte. Nun das wird Baͤrbel am be - ſten wiſſen!

Als wir wieder in Mainz angelangt waren, ſtatteten wir dem Herrn Grafen von Schoͤnborn und dem Vikarius Stark Bericht von unſrer Reiſe ab, und erhielten von beiden die troͤſtliche Antwort: daß, wenn der alte Praedikanti)So nennen die Katholiken die proteſtantiſchen Geiſtli - chen, indem ſie dieſe fuͤr keine Prieſter gelten laſſen. Ihrer Meinung nach, ſoll es ein Unname ſeyn; allein dies iſt er eben ſo wenig, als die Benennungen von Proteſtanten und Diſſidenten, die immer an große Be - gebenheiten erinnern, und denen, die ſie fuͤhren, keine Schande ondern Ehre machen. abfahren wuͤrde, keiner als ich die Pfarre, verſteht ſich, gegen Erlegung363 von 200 Dukaten, oder 1000 Rheiniſchen Gulden, erhalten ſollte. Brandenburger beſuchte mich gleich den Tag nach meiner Ankunft in Mainz, und erzaͤhlte mir mit Entzuͤcken, daß er, wie er ſich aus - druͤckte, ein gewaltiges Menſch fuͤr mich aufgetrieben haͤtte, deſſen Vermoͤgen an barem Gelde ſich an 6000 Gulden beliefe. Es war eine Muͤllerstochter im In - gelheimer Grund. Brandenburger wollte haben, daß ich, um die Sache bald in Richtigkeit zu brin - gen, ſogleich mit ihm herausgehen ſollte; aber ich hatte keine Luſt dazu, weil er als mein Freiwerber und Unterhaͤndler ein zu jaͤmmerlicher Schuft war. Beſprochen hatte er den Muͤller wirklich meinetwe - gen, auch fuͤrchterlich von mir aufgeſchnitten: dies hoͤrte ich nachher von andern. Das Band der Ehe muß mir damals aber eben ſo wenig als jetzt beſtimmt geweſen ſeyn; ſonſt waͤre aus der Sache wohl etwas geworden. Doch ich muß nun weiter gehen.

So ſtand die Sache mit der Pfarrei in Fran - ken, die ich haͤtte erlangen und bei der ich ein be - ſtimmtes und ruhiges Leben haͤtte fuͤhren koͤnnen, wenn nicht eigener Leichtſinn, Verabſaͤumung guͤn - ſtiger Gelegenheiten, und endlich Kabalen Anderer mich immer weiter und weiter, wie die Folge meiner Geſchichte zeigen wird, von meinem irrdiſchen Ziele entfernt haͤtten.

364

Sieben und dreiſſigſtes Kapitel.

Ein neues Vikariat

Mein Vater war mit meiner donkiſchottiſchen Reiſe nach Franken ſehr uͤbel zufrieden, und er hatte Recht. Er kannte mich, und mußte ſichs ſchon zum voraus vorſtellen, daß ich auf meiner Wallfahrt viele und mannigfaltige Suiten geſpielt habe. Um aber ſo viel als moͤglich ſeinen Unwillen von mir abzuleiten, be - ſchrieb ich ihm die zuruͤckgelegte Reiſe nach meiner Art, d. h. ich ließ aus, was er nicht wiſſen ſollte, und ſagte blos das, was ich, ohne Wiſcher zu be - kommen, getroſt erzaͤhlen konnte. Daß ich in Erlan - gen geweſen war, verſchwieg ich; und mein Vater haͤtte es vielleicht nie erfahren, wenn es ihm nicht vom Herrn von Meiern gemeldet waͤre, der es vom D. Seiler, ſeinem ehemaligen Hofmeiſter, gehoͤrt hatte. Mein Vater filzte mich deshalb ſehr derbe aus, beſonders da Herr Seiler, nach ſeiner theolo - giſchen Humanitaͤt, gar ſchief von mir geurtheilt, und mich als einen heilloſen Menſchen beſchrieben hatte, an dem auch nicht Ein Haar gut waͤre. Wahrſcheinlich that dies der theologiſche Ehrenmann, um ſich an mir zu raͤchen. Als eine eingemachte Frau Baſe, die gern Stadtmaͤhrchen hoͤrt und giebt, hatte365 er vermuthlich auch meine freimuͤthigen Raiſonne - ments uͤber ſich und ſeine Gelehrſamkeit erfahren, aber ſelbige ſehr unguͤtig aufgenommen. Herr von Meiern haßte mich, das wußte ich; er ſuchte mir alſo bei meinem Vater einzuhauen. Der Groll kam daher. Ich entdeckte meiner Freundin, dem Fraͤulein Henriette von Hunoltſtein zu Niederwieſen, die wahren Umſtaͤnde dieſes Mannes. Er wollte dies tugenthafte und ſchoͤne Fraͤulein heurathen, mehr aus Gier zu ihren 30000 Thalern, als aus Liebe zu ihrer Perſon. Denn im Punkte der Liebe war er ein Stoiker: er nahms, wie ers vorfand, nach Art vieler ſeines Gleichen. Er war von Zwingenberg im Darmſtaͤdtiſchen, hatte auch wirklich als R. Rath in Darmſtadt geſtanden, und war wegen verbrannter Akten ſchon vom Praͤſident Moſer fortgeſchickt wor - den. Dem Fraͤulein Jettchen und deren Bruder hatte er nun viel weis gemacht von ſeinem Vermoͤgen, und ſo fuͤrchterlich bramarbaſirt, daß man haͤtte glau - ben ſollen, wer weis wie viel Tauſende er beſitze! Ich demuͤthigte dieſen Großſprecher, der nachher ka - tholiſch wurde, und vor zehn Jahren zu Lemberg im Kaiſerlichen ſich aufhielt.

Mein Vater begehrte, daß ich dem Baron F .... ſein fuͤr mich ausgelegtes Geld das ſich immer auf 60 Gulden belaufen konnte erſetzen ſollte; allein der Baron ſchlug dieſe Erſtattung groß -366 muͤthig aus. Ich bin ſein Schuldner, und werde es auch wahrſcheinlich bleiben bis an den juͤngſten Tag.

Waͤhrend meiner Abweſenheit aus der Pfalz hatte der alte Pfarrer Koͤſter zu Oberſaulheim, ei - nem Rheingraͤflichen Dorfe, um einen Subſtituten oder Vikarius angehalten, und das Conſiſtorium zu Grehweiler hatte mich zu dieſer Stelle auserſehen, und mein Vater drang darauf, daß ich ſie annehmen ſollte. Sie war auch wirklich des Annehmens werth. Ich hatte da freie Station, d. h. meinen Koffee, der aber in jenen Gegenden nicht ſo frequent geſchluͤrft wird, als in Sachſen und Preuſſen, meinen Toback und Wein, mein Reitpferd zum Vergnuͤgen, mo - natlich ſechs Gulden Geld, und endlich alle bei der Pfarrei einlaufenden Accidenzien. Dafuͤr hielt ich nur Sonntags vormittags eine Predigt, und Nach - mittags entweder Kinderlehre oder eine ſogenannte Betſtunde. Kurz, dieſe Stelle war nicht unrecht. Ich ſiſtirte mich daher bei dem Conſiſtorium. Rath Dietſch hielt mir eine derbe, jedoch freundſchaft - liche Strafpredigt, welche meine Ketzerei, meinen ſchlechten Umgang, meine Trunkenheit, und endlich mein liederliches Leben mit Frauenzimmern von der niedrigſten Klaſſe betraf. Ich wollte mich ver - theidigen; allein Herr Dietſch empfahl mir, ſtatt der Apologie meines Lebens, behutſames und kluges Be -367 tragen, und ſagte, ich moͤchte mich nur nach Ober - ſaulheim begeben und mein Amt daſelbſt ſo verrichten, wie ich es zu verantworten, mir getrauete.

In dieſem Vikariate hab ich viel Vergnuͤgen genoſſen. Der Pfarrer Koͤſter, ein alter Mann von beinahe achtzig Jahren, und deſſen Frau, die nicht viel juͤnger war, machten mir nebſt ihrem Sohn, der Apotheker in demſelben Dorfe war, mein Leben angenehm und vergnuͤgt. Dieſer junge Mann hatte zwar keine Medicin ſtudirt, d. h. war nicht auf Uni - verſitaͤten geweſen, hatte da fuͤr ſchweres Geld keine Collegia gehoͤrt, hatte ſich endlich auch keine mit Griechiſch verhraͤmte, und mit hundert und neun und neunzig Citaten verſehene, Diſſertation von ei - nem expediten allzeit fertigen Diſſertationsfabrikanten fuͤr bares Geld zuſammenſchmieren laſſen, (derglei - chen Dinge einem ſolchen um ſo leichter werden, wenn er die abſurdeſten Saͤtze hinſudeln, und die lateiniſche Sprache mit neuen barbariſchen Woͤrtern und Phra - ſen bereichern kann z. B. praetervidere uͤberſehen) hatte auch keine ſtumme Perſon auf dem Katheder agirt, war auch endlich nicht auctoritate impera - toria et regia zum Doktor geſchaffen worden das alles hatte Herr Koͤſter nicht gethan. Aber en revanche beſaß er eine tiefe Kenntniß der Phyſio - logie, der Therapie, Pathologie und Semiotik, hatte ein hell ſehendes Auge, that die gluͤcklichſten Kuren,368 und war in der ganzen Gegend weit angeſehener, als jene mit Privilegien und Diplomen der Univerſitaͤt verſehene Pfuſcher. Dieſer, junge Mann ward mein innigſter Freund, ſo wie ſein Bruder, der Pfarrer zu Niederſaulheim. Waͤre ich nicht ſchon zu ſehr verdorben geweſen, oder haͤtte ich nur Muth genug gehabt, mich von meinen luſtigen Verbindungen los - zureißen; ich glaube, dieſe Leute haͤtten mich noch auf beſſere Wege bringen koͤnnen.

Oberſaulheim iſt nur eine halbe Stunde von Udenheim entfernt, wo ich Vikarius geweſen war. Die Udenheimer Bauern hatten noch viel Liebe zu mir, wenigſtens liebten ſie mich weit mehr, als ihren Paſtor, den ſie nur ſchlechtweg den Magiſter Weit - maul und den Zundermann titulirten. Daher kam es, daß die Udenheimer fleißig nach meinen Predigten liefen, und Wageners Kirche leer ſtehen ließen. Daruͤber aͤrgerte ſich nun Mosje Wagener ganz abſcheulich, und eiferte in allen ſeinen heiligen Reden uͤber gewiſſe Leute, die zwar Gottes Wort lehren wollten; aber von dem, was ſie ſagten, auch kein Wort glaubten, und uͤberdem noch ein lieder - liches Leben fuͤhrten u. ſ. w. Der Schulmei - ſter Tautfeß von Udenheim, gab mir von dieſen erbaulichen Reden Nachricht, und ich war ſo un - klug, daß ich gegen den Menſchen, den ich haͤtte verachten ſollen, eben ſolche Waffen ergriff, und phi -369 lippiſche Reden hielt. Ich ſuchte alles auf, was ich von dem Herrn Magiſter Weitmaul wußte, und ſetzte moraliſche Karaktere zuſammen, welche ſo kennt - lich waren, daß ſelbſt die Bauern, wenn ſie aus der Kirche gingen, zu einander ſagten: Heut hott der Vikaries dan Magiſchter Weitmaul wedder amol racht herunner kefummelt; es keſchieht am aber ſchone racht!

In die Laͤnge thats doch kein gut mit dieſen Controverspredigten. Ich bekam ein Monitorium von Herrn Dietſch, mich aller Anzuͤglichkeiten auf der Kanzel zu enthalten, weil, wenn die Sache zur Klage kaͤme, ich nicht mehr predigen duͤrfte. Jetzt wurde ich erſt klug, oder vielmehr, jetzt fuͤrchtete ich mich, und ließ das Ding ſeyn.

Meine Bauern zu Oberſaulheim waren mir ſehr gewogen; denn ich war gegen ſie freundlich, und that auf das Anſehen eines Gelehrten, in welchem Rufe, ohne mich zu ruͤhmen, ich bei ihnen ſtand, Verzicht. Bauern dulden an ihrem Paſtor gern alle Fehler, wenn er nur, wie ſie ſagen, was gelernt hat. Sie entſchloſſen ſich, mich dahin zu bringen, die Tochter des Pfarrer Koͤſters zu heurathen, und mir auf dieſe Art die Hofnung der Nachfolge zu ſichern. Der Schulz, und noch einige andere Bau - ern, baten mich daher in einer dazu angeſtellten Zu -Erſter Theil. Aa370ſammenkunft, ihnen einen Weg zu zeigen, wie dies Ding am beſten zu bewerkſtelligen waͤre.

Ich ſchlug vor, daß ſie meinetwegen eine Bitt - ſchrift beim Konſiſtorium zu Grehweiler eingeben moͤchten. Freilich hatte mein Herz gegen die Verbindung mit der Mamſell Koͤſter gar ſehr viel einzuwenden. Einmal war das Maͤdchen, wenig - ſtens ſechszehn Jahr aͤlter als ich, und dann hatte ſie auch nicht die geringſte Spur von Schoͤnheit. Sonſt ſchien es ein gutes und ſtilles Geſchoͤpf zu ſeyn; aber mir wollte ſie nicht gefallen, ohnerachtet ich doch auch gar nicht der Kerl war, der viel Wahl vor ſich hatte. Dies mein Zuruͤckziehen von dem Maͤd - chen, konnte ich mir ganz gut erklaͤren.

Bei dem Vorſchlage, ſie zu nehmen, ſtellten ſich mir die Bilder meiner vorigen Bekannt - und Liebſchaften wieder dar, und ſobald ſich mir Theres - chenk)Vielleicht haben ſchon manche meiner Leſer gefragt, warum ich denn ſo ganz und gar von dieſem herrlichen Geſchoͤpfe ſchweige? Aber warten Sie nur meine Her - ren, im andern Theile dieſer Hiſtorie ſoll Thereschen ſchon wieder auftreten, und ihre Rolle ausſpielen. Sa - chen, ſo zuſammen gehoͤren, zerſtuͤck ich nicht gern. wieder vor die Augen mahlte, ſo empoͤrte ſich alles in meiner Vorderbruſt.

Ich hatte ſchon mehrmals eine beinahe feſtge - gruͤndete Hoffnung verloren, war als ein Libertiner371 bekannt, und hatte blutwenig Freunde von Einfluß. Da dachte ich dann, es ſey beſſer, in einen ſauren Apfel zu beiſſen, als gar Hungers zu ſterben und ſo faßte ich den heldenmuͤthigen Entſchluß, durch den Canal der Mamſel Katharine in den Schafſtall der Heerde Chriſti einzugehen, und mein Kreuz, als Juͤnger und Apoſtel Jeſu, geduldig auf mich zu neh - men und zu tragen.

Ich notificirte meinem Vater dieſen Vorſchlag und meinen Entſchluß; aber der hatte eben ſoviel da - wider zu erinnern, als ich im Anfange der Sache. Er meinte, das ſei eine ungluͤckliche Heurath, welche auf ein Lamy, verdollmetſcht Lamentiren, hinaus - laufen wuͤrde. Ein junger Mann muͤſſe ſeine aͤltere Frau verachten und extra ſteigen: das koͤnne gar nicht anders ſeyn. Bei dieſer Gelegenheit erklaͤrte er mir allerlei Geheimniſſe des Eheſtandes. Doch wollt er mir nicht zuwider ſeyn, fuͤgte er zuletzt hin - zu: Er ſaͤhe wohl, daß, wenn ich laͤnger ohne feſte Station bliebe, mein ganzes Weſen noch voͤllig ver - dorben werden wuͤrde, wenn ja noch etwas Gutes in mir ſtecken ſollte.

Wie mein Vater, eben ſo dachten auch die Bruͤder der Mamſel, ohne es gerade mir unter die Augen zu ſagen; allein die Mamſel ſelbſt, dachte weit anders, als wir alle. Sie fand, daß ſie fuͤr mich, und ich fuͤr ſie von Gott gemacht waͤren: daß372 ein junger Menſch von drei und zwanzig, und ein zahnloſes Frauenzimmer von vierzig Jahren, ein allerliebſtes Paͤrchen machen wuͤrden: und bei die - ſer Vorausſetzung fing ſie an, nachdem der Herr Schulz ſeinen Sermon, die Sache betreffend, bei ihr abgelegt hatte, die Verliebte und Zaͤrtliche zu ſpie - len. Was man ſo im gemeinen Leben ſagt, hab auch ich, oft und Beſonders an dieſer Katharine wahr gefunden. Das Frauenzimmer laͤßt ſich, we - gen ſeiner natuͤrlichen Eitelkeit, die uͤber alles geht, gern, von jedermann, er ſei geliebt oder gehaßt, huͤbſch oder garſtig, jung oder alt, von Qualitaͤt oder ohne Qualitaͤt, flattiren und kareſſiren. Auch Katharine war ſo. Ihr Schoͤnthun kam aber ſehr naͤrriſch heraus, und quaͤlte mich ganz abſcheulich. Und ich glaube, fuͤr jeden braven deutſchen Kerl iſt nichts unertraͤglicher und ekelhafter, als Schmeiche - leien, Kuͤſſe, und zaͤrtliches Necken eines verliebten und empfindſamen Weibesbildes, fuͤr welches man nichts empfindet.

Das Aergſte bei der ganzen Sache war dies. Wenn ich nicht alle abſurden Zaͤrtlichkeiten und alle haͤufigen und vollmaͤuligen Kuͤſſe ſogleich mit allem Ernſt erwiederte; ſo ward die Mamſel boͤſe, und klagte recht ernſtlich uͤber meinen Kaltſinn. Ich war alſo allemal, ſo oft ich um und neben ihr ſeyn mußte, auf der Folterbank, und lief, um mir doch373 einigermaßen meinen Unmuth und Langeweile zu vertreiben,[fast] taͤglich ſpatzieren, durchſtrich die da - ſiege Gegend, und ſtiftete endlich wieder eine Art von Liebesverſtaͤndniß mit der Tochter eines Refor - mirten Pfarres: dies Liebesbuͤndniß hab ich ſelbſt noch von Halle aus fortgeſetzt und bei meiner Nachhaus - reiſe vor fuͤnf Jahren ſogar wieder erneuert.

So wenig Wahrſcheinlichkeit auch daſeyn mochte, daß die Sache zu Stande kommen wuͤrde, ſo betrach - tete ſich doch Mamſell Katharinchen ſchon als meine wirkliche Braut, und verlangte daher, eiferſuͤchtig wie alle alte Jungfern, von allen meinen Tritten und Schritten genaue Rede und Antwort, ſpuͤrte ihnen nach, und ſiehe, ſie witterte meine Gaͤnge zu dem Reformirten Pfarrer. Sie hoͤrte, daß da huͤb - ſche Maͤdchen waͤren: daß ich mit Karolinchen fidel umginge u. ſ. w., und nun hatt 'ich meine liebe Noth. Ich mochte ſagen, was ich wollte, mochte ſchwoͤren, ſo hoch ich wollte, und meine arme Seele auch neun und neunzig mal in den Abgrund der Hoͤlle verfluchen, es half alles nichts: ſie kiff und ſchmollte, daß es eine Art hatte. Und wollt' ich ſie ja gut machen; ſo mußt 'ich ſie auf den Schooß nehmen, ſie necken, druͤcken und kuͤſſen, und alle Thorheiten treiben, die der allerverliebteſte Junge mit ſeinem Maͤdchen nur treiben kann.

374

Die Bauern ließen indeß eine Bittſchrift verfer - tigen, und reichten ſelbige beim Konſiſtorium zu Greh - weiler ein. Der Rath Dietſch war mir nicht abge - neigt, und waͤre es blos auf ihn angekommen, ſo haͤtt 'ich die Pfarre erhalten; allein auch heiraus ſollte nichts werden, wie die naͤhere Beſchreibung meiner damaligen Lage zeigen wird.

Acht und dreiſſigſtes Kapitel.

O weh mir armen Korydon!

Ich ſchaͤme mich beinah, meinen Leſern die Geſchichte dieſes Kapitels mitzutheilen. Ich weis es, daß ich ihnen Achtung ſchuldig bin, und war deshalb lange unſchluͤſſig, ob ich ihnen dieſelbe erzaͤhlen duͤrfte oder nicht. Jedoch, da ich alles angeben will, was Grund zu meinen Verirrungen gab, oder was in meinen Verirrungen gegruͤndet war; ſo kann ich doch wirklich dieſe Paſſage nicht auslaſſen. Es kommt mir freilich etwas hart an, frei herauszugeſtehen; allein ich muß einmal hereinbeiſſen in den ſauren Apfel, da dies uͤberdem, wie ich glaubte, eben ſo gut, wie mancher Spruch in der Bibel, manchem zur Lehr 'und Warnung geſchrieben ſeyn kann.

375

Daß ich den Baron F .... in Mainz mehrmals waͤhrend meines Auffenthalts daſelbſt beſucht habe, daß ich ihn auch oft im erwaͤhnten Paſtorhauſe zu Niederolm antraf, und ich allemal, wenn ich in ſeiner Geſellſchaft war, in Freund und Wonne ſchwamm, kann jeder ſich ſchon von ſelbſt denken, wer das Harmoniſche und Gleiche unter beider Denkungsart in den vorigen Kapitel bemerkt hat.

Einſt beſuchte ich ihn, und er bat mich, da ich gewoͤhnlich dieſe Vergnuͤgenstour hin und her in einem Tage machte, die Nacht bei ihm zu bleiben: denn er wolle mich auf den Abend an einen Ort bringen, wo es recht flott und fidel herginge. Ich erkundigte mich nach dieſem Orte, und erfuhr, daß daſelbſt einige Nymphen ſich aufhielten, welche nicht boͤſe wuͤrden, wenn junge Mannsperſonen ſie beſuch - ten. Zu Deutſch war alſo dieſer fidele Ort weiter nichts, als ein Bordel, welches nur das Schild und das Privilegium nicht aushangen durfte: denn ſo viel oͤffentliche Huren es auch ſonſt in Mainz giebt, welche des Abends alle Straßen durchkreuzen, ſo iſt doch da kein oͤffentliches Haus, wo man unterm Schutz der Obrigkeit huren koͤnnte. Ich ſtellte meinem Freunde vor, daß dergleichen mir als Theo - logen nachtheilig werden koͤnnte, zumal wenn ich verrathen, oder erkannt wuͤrde, Narr, erwie - derte der Baron, biſt nicht klug! wer kennt dich376 denn machſt die Haare auf nimmſt einen Mantel um, und der hoͤlliſche boͤſe Feind entdeckt dich nicht! Komm nur und ſey geſcheut! Ich ging auch wirklich mit: denn wozu konnte man mich nicht bringen, bei ſothanen Umſtaͤnden! Wahr - haftig, zu einer ſolchen Zeit konnte man leicht aus und mit mir machen, was man Luſt hatte.

Wir begaben uns nach der Gaugaſſe, und gingen ohnweit der Kaſerne in ein Haus, in deſſen oberm Stockwerke drei recht charmante Nymphen ſich aufhielten. Anfangs ging alles recht keuſch und zuͤchtig zu: wir ließen Kaffe machen, Gebackenes und Wein holen, und die Maͤdchen participirten wie wir. Dies Schmauſen dauerte bis zwoͤlf Uhr, und wir hatten bis jetzt noch weiter nichts gethan, als geſchaͤkert, Handgriffe gewagt, und Zoten und zweideutige Reden mancherlei Art reichlich in ihren Schooß ausgeſchuͤttet. Die Maͤdchen verſtanden die Liebeskuͤnſte beſſer. Die eine entfernte ſich, und zwei blieben bei uns, von denen die eine nicht lange darauf ſo zu uns redete: Meine Herren! wir muͤſ - ſen ſchlafen gehen, es iſt ſchon ſpaͤt! (hier rieb ſie ſich die Stirn und die Augenlieder) entweder leiſten Sie uns Geſellſchaft, oder entfernen Sie ſich, es ſchlaͤgt den Augenblick zwoͤlf! Ei was, hob die andere an, ſo huͤbſche Herren nach Hauſe gehen laſſen: die Herren bleiben bei uns, nicht wahr? 377Wir waren beide von Wein und wolluͤſtigen Bildern erhitzt, ſahen den Tiſch gedeckt, und, weil wir des - halb gekommen waren, unſere Wuͤnſche erfuͤllt: was ſollten wir alſo auf das Nicht wahr des Maͤdchens antworten? Nichts weiter, als daß wir blieben: nicht wahr? Und ſo war es auch wirklich.

Ehe wir uns mit unſern Maͤdchen auf die Sei - te machten, hielten wir Abrede, nach zwei Stunden dieſen Ort zu verlaſſen, weil ich fuͤrchtete, wenn ich laͤnger oder bis an den Tag an dieſem Orte des Ver - gnuͤgens weilte, ein Bekannter mich ſehen und die ganze Geſchichte auspoſaunen moͤchte. F ... gab mir hierin Recht, und ſetzte hinzu: Ich ſcheere mich zwar den Teufel drum, ob man mich ſieht, oder nicht; aber du mußt dich ſchon wegen der Leute ein Biſſel ſcheniren, wenn du zu'n Menſchern gehſt. Du biſt'n Pfaff, und die Pfaffen duͤrfen dieſe Sache nicht ſo kommode haben, als die Welt - kinder.

Es war auch wirklich noch nicht Tag, als wir unſere Nymphen verließen; der Baron zwar ungern, denn er kehrte oft in der Thuͤr um, und ſprach noch mit dem Maͤdchen leiſe. Wir marſchir - ten ſogleich nach dem Kranich, einem vornehmen Wirthshauſe, pochten den Hausknecht daſelbſt her - aus, und ſchliefen auf dieſe Motion bis zehn Uhr.

378

Nachmittags wollt 'ich gleich fort, aber F .... war dawider. Ich reite, ſagte er, mit nach Nie - derolm: gegen ſechs oder ſieben Uhr muͤſſen wir da ſeyn freſſen mit dem Pfaffen holen zu Nacht die Balbierſchuͤſſell)Die Frauenzimmer in jener Gegend haben ſo gut ihre Schimpfnamen als die Mannsperſonen. Die Tochter des Chirurgus in Niederolm hieß Balbierſchuͤſſel. Vor einigen Jahren fing ein luſtiger Zeiſig auch in Halle an, dem Frauenzimmer ſchimpfliche Beinamen zu geben; allein das Ding fand keinen Beifall, wahr - ſcheinlich weils gar ein dummes Ding war. heruͤber ſchaͤkern bis elf Uhr, ſchlafen hernach beim Fellſack (ſo hieß der Wirth Noll) und Morgen reiſeſt du nach Oberſaulheim, und ich mache Retour nach Mainz.

Wie geſagt, ſo gethan. Ich blieb bis nach vier Uhr in Mainz, dann wurde mein Brauner ge - ſattelt, welcher immer, wenn ich in Mainz war, die Ehre hatte, in dem Stalle eines Domherrn, der mit dem Hn. F .... ſehr nahe verwandt war, (naͤmlich des Herrn Domprobſtes von F.) zu ſtehen, und da auf Unkoſten der heiligen Kirche gefuͤttert zu wer - den.

Am Schoſſeehauſe, eine Stunde von Mainz, ſtieg F .... ab: ich mußte nolens volens folgen, und erſchrack nicht wenig, als ich unſere beiden Maͤd - chen da wieder antraf. N'eſt ce pas, mon cher,379 ſprach F ...., que je prens bie[n]des ſoins pour vos plaiſirs? l'ai fait en ſorte, que ces ſilles ſont venues içi, pour vous amuſer encore. Ich erwiderte ihm, um von den Anweſenden nicht verſtanden zu werden, franzoͤſiſch, daß dieſer Auf - tritt mir gewaltig ſchaden koͤnnte, und bat ihn bei allen Teufeln, bei denen er ſich einzig und allein erbit - ten ließ, mich fortreiten zu laſſen: ſonſt wuͤrde ich in des Henkers Kuͤche kommen. Nach vielem Bitten ließ er mich endlich fort, und ſo kam ich noch gegen neun Uhr in meiner Station an. Er blieb zuruͤck bei den Maͤdchen, und reiſte erſt den folgenden Tag wieder nach Mainz.

Einige Tage vergingen, und ich hatte die Main - zer Auftritte faſt ſchon wieder vergeſſen, als ich zu meinem Schrecken auf einmal die abſcheulichſten Folgen meiner Ausſchweifung an meinem Koͤrper in ſehr ſichtbaren Zeichen gewahr wurde. Ich hatte zwar noch nie dergleichen Ungluͤck recht erlebt; allein nach den gemachten Erfahrungen an meinen Bekannten, konnt 'ich mich in Abſicht der Natur meiner Krank - heit nicht irren. Nun fiel mir aller Muth, und ein wuͤthender Schmerz vergaͤllte mir Wachen und Schlaf, kurz, ich war in der ſchrecklichſten Lage.

Was war zu thun? einen Arzt mußt 'ich haben, aber welchen? Meinem guten Koͤſter durft' ich mich nicht anvertrauen, nicht, als wenn380 er mich nicht haͤtte kuriren koͤnnen: er war uͤberhaupt geſchickt, und verſtand die Heilung veneriſcher Krank - heiten, die in dortiger Gegend gar keine ſeltene Er - ſcheinungen ſind, aus dem Fundament, ſondern weil ich mit ſeiner Schweſter in einem ſolchen Ver - haͤltniſſe ſtand, nach welchem die Entdeckung aͤuſſerſt delikat ward. Ich ging alſo zu dem Feldſcheer Kiſſel nach Schornsheim, einem Manne, der wenigſtens den Ruf der Verſchwiegenheit hatte, und entdeckte ihm mein Malhoͤr. Er ſah das Ding fuͤr eine Kleinigkeit an, gab mir Arzenei und verſprach mir, in wenig Wochen meine Geſundheit wieder herzuſtellen. Allein Meiſter Kiſſel war ein Igno - rant in ſeiner Kunſt, deſſen Gleichen Legion heißt: er verſtand das Uebel nicht, und machte es durch ſeine reizenden Mittel ſo ſchlimm, daß ich die hoͤlliſch - ſten Schmerzen empfand, und endlich gar im Bette bleiben mußte. Koͤſter mochte wol merken, wo es mir fehlte; da ich aber nichts geſtand, ſondern blos uͤber Magendruͤcken klagte, ſo ließ ers gut ſeyn, und gab mir Arzenei fuͤrs Magendruͤcken.

In dieſer Noth ſchrieb ich nach Mainz, und bat den Baron, mich zu beſuchen, aber in einem Wagen, weil ich mit ihm hereinfahren wollte und muͤßte. Er kam, und nachdem ich ihm meine Um - ſtaͤnde entdeckt hatte, ſchuͤttelte er den Kopf gewal -381 tig, doch ſprach er mir Troſt ein: Doktor Strack wuͤrde mich ſchon kuriren.

Sobald ich nach Mainz kam, beſuchte ich ſo - gleich dieſen vortrefflichen Arzt. Herr! fing er an, nachdem er das Uebel unterſucht hatte, was ha - ben Sie fuͤr einen Doktor gebraucht?

Ich: Den Barbier Kiſſel von Schornsheim.

Strack: Das iſt ein Schurke ein wahrer Spitzbube iſt das! denn jeder Doktor iſt ein Hallunke und Spitzbube, der Krankheiten uͤbernimmt, die er nicht verſteht! die Canaille haͤtte Sie hin - liefern koͤnnen! Doch es iſt noch Zeit dies da muß geheilt und jenes wieder hergeſtellt werden! Heute, Morgen und Uebermorgen bleiben Sie hier dann wird der Schmerz weg ſeyn, und Sie koͤnnen wieder gehen. Ich will Ihnen Arznei ver - ſchreiben, bei deren rechtem Gebrauch nebſt ſtrenger Diaͤt Sie bald wieder hergeſtellt ſeyn ſollen.

Die Worte des rechtſchaffenen Mannes gingen in Erfuͤllung: innerhalb drei Wochen war ich voll - kommen geſund; haͤtte ich aber den Ignoranten, den Meiſter Kiſſel fortgebraucht, ich glaube, ich laͤge ſchon laͤngſt in Oberſaulheim auf dem Kirchhofe begra - ben. Herr Strak lebt noch, und ſollte ihm dieſe Schrift zu Geſichte kommen; ſo verſichere ich ihn hier oͤffentlich, daß ich nie des ihm ſchuldigen Danks vergeſſen werde. Moͤchten doch recht viele382 ſeines Gleichen ſeyn, beſonders dort uͤbern Rhein, wo alles ſaalbadert, und alles kurirt!

Einige Zeit hernach bekannt 'ich Koͤſtern die ganze Sache, und erzaͤhlte ihm die Art, wie Strack mit mir verfahren waͤre. Er lobte dieſe Procedur, und verſicherte, daß ſie die einzig vernuͤnftige ſey, dergleichen Uebel zu heben, und daß die, welche hier das Meſſer gebrauchten, nur auf den Namen der Af - teraͤrzte und Kuhdoktoren Anſpruch machen koͤnnten.

Quod nocet, docet optime. Seit jener Zeit bin ich in Abſicht des naͤhern Umgangs mit fei - len Maͤdchen ſehr behutſam geworden, und die Luſt, mich auf eine ſo grobe Art zu vergnuͤgen, iſt mir ver - gangen, ſo bald ich das augenblickliche Angenehme mit dem vielen moͤglichen und wirklichen Unangeneh - men genau berechnete. Schade nur, daß bei den meiſten jungen Leuten, wie bei mir, Ciceros Aus - ſpruch eintrifft: Eventus Stultorum Magiſter.

Ich hoͤre hier einige, ja ſehr viele fragen, ob ich Suͤnder mich denn nicht gefuͤrchtet und ge - ſchaͤmt habe, mit einer ſolchen Krankheit behaftet, noch das Wort Gottes zu verkuͤndigen? Freilich ſchaͤmte ich mich; indeß meine Reflexionen uͤber an - dere meines Gleichen, welche mit der ſchwarzeſten, boshafteſten Seele, mit raͤuberiſchen Haͤnden, und mit giftiger Zunge auch hintreten und Tugend predi - gen, machten mich glauben, daß ich, wo nicht383 beſſer, doch wenigſtens, meiner koͤrperlichen Krankheit ungeachtet, eben ſo gut waͤre als ſie, die noch dazu fuͤr Heilige galten, und mein Gewiſſen ſchwieg. Ob mein Schluß ganz richtig war, weiß ich in der That ſelbſt nicht; genug aber, er beruhigte mich und legte meinem Gewiſſen Stillſchweigen auf.

Neun und dreiſſigſtes Kapitel.

Ich falle wieder durch. Nachwehen.

Das Konſiſtorium zu Grehweiler konnte auf die Bittſchrift der Bauern nichts reſolviren, ſondern mußte die Sache dem Adminiſtrator, Herrn von Zwirnlein uͤberlaſſen, meinem Feinde. Ich hatte dieſen Mann, meines Wiſſens, nicht beleidigt; allein ich ſtand wegen der Verlaͤumdungen des Paſtor Hahns zu Kirchheim, wie ich ſchon oben erzaͤhlt habe, bei ihm in einem ſehr uͤbeln Kredit. Hiernach ließ ſich ſchon vermuthen, daß mein unmittelbares Geſuch nicht durchgehen wuͤrde: indeß, da die Bau - ern ſupplicirten, ſo gab ich nicht alle Hofnung auf.

Die Antwort der Commiſſion erfolgte bald und erklaͤrte: daß die Pfarre Oberſaulheim ſchon laͤngſt an den Prediger Wagner vom Miniſter verſprochen ſey, und ich keine Hofnung dazu bekommen koͤnnte. 384Wagner, auch ein Sohn des Jeſuiten zu Werrſtadt, hatte naͤmlich Herrn von Zwirnlein einige Dutzend Fuͤchſe zugeſchickt, und alſo die Exſpektanz auf Ober - ſaulheim dafuͤr erhalten, wofuͤr man damals faſt alle Bedienungen erhielt fuͤr Geld.

Alſo auch dieſe meine Hofnung war verſchwun - den, und mit ihr meine Anhaͤnglichkeit an Mamſel Katharinchen, der ich bisher blos als moͤglichem Ka - nale zur Pfarre geſchmeichelt hatte. Sie machte mir anfangs zaͤrtliche, hernach groͤbere Vorwuͤrfe, und endlich ſprach ſie zu meiner Freude gar nicht mehr mit mir.

Mein Vater war hoͤchſt unzufrieden mit meiner Lage, noch viel unzufriedener als ich ſelbſt. Wenn du, ſagte er oft zu mir, noch lange ohne Verſor - gung bleibſt, ſo gehſt du an Leib und Seele verlo - ren. Ich troͤſtete ihn mit meiner Hofnung, eine Pfarre in Franken zu erhalten; aber dieſe beruhigte ihn nicht. Das Ding, meinte er, verzoͤgere ſich mit unter machte ich auch wohl einen dummen Streich, und dann waͤre alles verloren. Ich ſollte mich in Heidelberg zu einer Stelle melden, und gaͤb 'es gleich nicht viel dabei zu ſpeiſen, ſo ſtuͤrbe doch auch keiner Hungers.

Ich ſchrieb alſo nach Heidelberg, und erinnerte Herrn Zehnern an das mir ſchon vor mehrerer Zeit gethane Verſprechen, mit der Bitte, mir eine385 Zeit zu beſtimmen, wo ich etwa mich zum Examen ſtel - len ſolte. Allein Herr Zehner ſchrieb wieder zuruͤck: fuͤr mich waͤre in der Kurpfalz nichts zu machen ich haͤtte an der Hundelſchen Schrift Theil ge - habt man wuͤßte ſogar, welche Nachrichten in derſelben von mir herkaͤmen das Konſiſtorium duͤrfe durchaus beim Kurfuͤrſten nicht anſtoßen, und bedauerte endlich am Ende ſeines Briefes, daß er mir nicht dienen koͤnnte. Alſo war mein Gluͤcksſtern auch in der Kurpfalz, wo jeder Schuft Pfarrer werden kann, untergegangen! Wenn ich ſage jeder Schuft, ſo ſoll das nicht ſo viel heißen, als wenn alle lutheriſchen Prediger in der Kurpfalz Schufte waͤren, ſondern daß laut der Er - fahrung auſſerordentlich viel Schufte da Pfarrer ge - worden ſind und noch werden. Nur ein Paar Beiſpiele.

Ein gewiſſer Homann, der in ſeiner Ju - gend etwas ſtudiert, hernach aber ſich durchs Korb - machen ernaͤhrt hatte, erhielt die Pfarre zu Kriegs - feld, wo er ſo viel dumme und grobe Streiche machte er ganfte ſogarm)Homann ſtahl einſt dem Grafen von Grehweiler eine goldene Tabatiere. Der Graf wurde den Verluſt ge - wahr, und ſagte ganz kalt zu Homann: Herr Pfarrer, daß ihn das Kon -Erſter Theil. Bb386ſiſtorium abſetzen mußte. Er lief hernach als Bettler im Lande herum. Nach dieſem erhielt dieſe Stelle ein gewiſſer Erneſti, ein getaufter Jude aus dem Waldeckiſchen, der, nachdem er in Halle Theologie ſtudiert, und dem Schuſter Sauer daſelbſt ſein Schuldbuch vergroͤßert hatte, (er ſteht noch in ſeiner Kreide) poſt varios caſus in die Pfalz gekommen war. Dieſer Menſch legte ſich aufs Saufen, lief den Menſchern in die Kuhſtaͤlle nach, und wurde ebenfalls von den Bauern beim Konſiſtorium verklagt. Allein Mosje Erneſti ſpielte das praevenire und wandte den Magen um, das heißt nach der Pfaͤlzer Sprache, er wurde Katholiſch. Nachdem er nun den rech - ten Glauben hatte, halfen ihm die Alziger Kapuziner zu einer eintraͤglichen Gerichtsſchreiberſtelle, wo er ſeine Bubenſtuͤcke als Rechtglaͤubiger ungeſcheut und ungeahndet fortſetzt. Ich koͤnnte die Liſte der Schufte, welche in der Pfalz Pfarren bekommen haben, noch anſehnlich vermehren, wenn hier der Ort dazu waͤre, die dortigen Herren uͤberm Rhein die Revue paſſiren zu laſſen. Vielleicht zeigt ſich baldm) erlauben Sie mir eine Priſe aus meiner Doſe. Dieſer entſchuldigte ſich, der Graf griff ihm aber gerade nach dem Hoſenlatze und entdekte die Tabatiere. Nun rief er geſchwind dem Bedienten zu, welcher die Doſe herausholen, und den Pfarrer vors Schloß fuͤhren mußte.387 eine andere und beſſere Gelegenheit, und dann ſoll ihnen das Ihrige ſchon werden.

Mein natuͤrlicher Leichtſinn kam mir bei allen dieſen widrigen Vorfaͤllen ſehr gut zu ſtatten. Ich zerſtreuete mich, und vergaß in frohen Geſellſchaften, bei Trinkgelagen und im Zirkel guter Freunde all mein Ungemach. Meinem Symbolum: nunquam traurig, ſemper luſtig, hab ich treulich nachgelebt. Ich hatte ſeit einiger Zeit den Amtsverwalter Schoͤn - burg, den Licenciat Macher, und andere fidele Bruͤder weniger als gewoͤhnlich beſucht, und war deshalb oft von ihnen zur Rede geſetzt worden. Jetzt fing ich wieder an, ganze Tage, ja mehrere Tage nach einander bei ihnen zuzubringen, und die Grillen durch Zotologie und ein gut Glas Wein zu ver - ſcheuchen.

Mein redlicher Haag war zwar keiner von meinen ausſchweifenden Freunden, aber deſto ſolider war ſeine Freundſchaft. Er ließ es an gutem Rath und an Ermahnungen nicht fehlen, und wenn ich ihm gefolgt waͤre, ſo wuͤrde vielleicht noch alles recht gut gegangen ſeyn. Ich war erſt drei und zwanzig Jahr, und konnte meine Verſorgung wohl abwarten, allein der Rath dieſes braven Freundes gefiel mir nicht. Denn wollte ich ihm folgen, ſo durfte ich nicht mehr ſaufen, mußte den Umgang mit Schoͤn - burg und deſſen Freunden meiden, durfte nicht mehr388 in allen Weinhaͤuſern und Kneipen herumliegen, mit den Baurendirnen und andern nicht unanſtaͤndig ſcherzen, und endlich nicht mehr ſo frei uͤber Religion ſpotten. Und doch machten dieſe Dinge mein hoͤch - ſtes Gut aus, ſie mir nehmen wollen, hieß mich vernichten.

Was insbeſondere meine Religionsgeſpraͤche be - trifft, ſo waren ſie aͤcht deiſtiſch, d. h. ich ſuchte mit Gruͤnden darzuthun, daß die im neuen Teſtament enthaltene Lehre nichts ſey, wenigſtens nichts anders ſeyn koͤnne als natuͤrliche Religion, daß folglich die Wunder, Geheimniſſe und dergleichen, erdichtete Fabeln waͤren. Nachdem ich die Fragmente ſtudiert hatte, fand ich in der chriſtlichen Hiſtorie nichts als boshaften Betrug, und raͤſonnirte nun aus einem andern Tone. Ich hielt es jetzt uͤberhaupt nicht mehr der Muͤhe werth, die chriſtliche Religion mit Gruͤnden zu widerlegen, betrachtete ſie blos als einen wuͤrdigen Gegenſtand des Spottes, und brachte die - ſen Spott bei jeder Gelegenheit an, ohne auf Zeit, Ort und Perſon zu ſehen, mit denen ich zu thun hatte.

Auf dieſe Art verlohr ich ſogar bei denen den Kredit, welche mich bis jetzt, meiner verdorbenen Sitten und meines Deismus ungeachtet, noch geliebt und vertheidigt hatten. Die Kandidaten in jener Gegend, die ſonſt gern mit mir umgingen, weil ſie389 etwas von mir zu profitiren glaubten, flohen mich nun wie die Peſt, um nicht in den Ruf der Freigei - ſter - und Religionsſpoͤtterei zu gerathen. Selbſt mein trefflicher Haag mußte meinetwegen leiden. Er iſt, wie ich ſchon geſagt habe, katholiſch, und ſteht als Pfarrkind unter dem Paſtor von Woͤllſtein, ei - nem Erzgruͤtzkopfe und impertinenten Kanzelſchwaͤ - tzern)Hier ein Proͤbchen ſeiner Beredſamkeit: Meine Freun - de! nehmt ein Beiſpiegal (Beiſpiel) an dem frommen Samaritan, und vergedemuͤthigt euch unter die Demuth. Der fromme Samaritan war mit ein polirten Stifal - len, mit ſilbernen Sporenen, mit ſchoͤnen Stifallen - manſchetten angethan, und gezieret: da vergedehmuͤ - thigte er ſich aber, als er u. ſ. w. Man denke ſich hierzu, noch die fuͤrchterlichſten Geſtus, und die fuͤrch - terlichſte Stimme, und man hat das Bild dieſes Herrn Paſtors.. Dieſer Pfaffe, dem ich auch bekannt ge - worden war, koramirte meinen Haag, wegen des Umgangs mit mir, und gebot ihm denſelben aufzu - geben, oder er wuͤrde ihm die Abſolution verſagen, und die Sache hoͤheres Orts anzeigen. Eben ſo macht 'es auch der Oberforſtmeiſter Martin zu Kriegsfeld. Haag aber antwortete, daß er ſich um meine Grundſaͤtze nicht bekuͤmmere und blieb mein Freund nach wie vor. Ich muß aufrichtig geſtehen, einen ehrlichern Freund, der es beſſer mit mir ge - meint haͤtte als Haag, hab ich in der Pfalz nicht ge -390 funden. Ich hatte zwar noch mehrere Freunde auſſer ihm, allein das Spruͤchwort: viel Hunde ſind der Haſen Tod, traf auch bei mir ein. Die Zahl mei - ner Feinde war weit groͤßer, man druͤckte mich, und ich mußte hoͤren, daß man ſich in Geſell chaften von mir und meiner ſkandaloͤſen Chronik unterhielt. Statt ſtillzuſchweigen, und die Laͤſterungen der Frau - baſen in der Pfalz, eines elenden Oberſchulz An - dreaͤ zu Woͤllſtein, der kaum ſeinen Namen ſchrei - ben kann, eines Pfarrers Fliedner, Mach - wirth, Wagner, und andere ſchiefe Menſchen - kinder zu verachten, gerieth ich in Zorn, und ſuchte mich, gerade auf die ſchlechteſte Art, muͤndlich durch haͤmiſche Raiſonnements, und ſchriftlich durch Pas - quillen und Knittelverſe aͤrgerlichen Inhalts an ihnen zu raͤchen.

Ich ſchrieb unter andern Briefe aus Uto - pien (Schlaraffenland), worin ich die Leute gewal - tig heruntermachte. Sie fanden Beifall, und wur - den unzaͤhlichemal abgeſchrieben. Ich wuͤnſchte, meinen Leſern etwas daraus mittheilen zu koͤnnen; denn ſo aͤuſſerſt plump auch meine Schilderungen der Pfaͤlzer Herren und Damen ſeyn mochten, ſo waren ſie doch getreu, treffend und grob deutlich, daß man ſogleich die gemeinten Perſonen, der fingirten Namen ungeachtet, erkannte.

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Keiner ließ ſich auf dieſe Art des Streits mit mir ein, auſſer ein gewiſſer Mosje Varena, Schrei - ber zu Odernheim. Dieſer Menſch fabricirte ein uͤber allem Begriff elendes Ding in Verſen auf mich, was ſeiner wuͤrdig, ganz ohne Kopf, Magen und Schwanz war. Jedoch replicirte ich darauf durch ein Ding, betitelt: Valentin Pillendrechs - lers Medicinae Doctoris Nachricht von einer veneriſchen Kur.

Mit dem Stock hab ich mich nur einmal revan - ſchirt. Der Amtsaktuar Haas zu Sprendlingen hatte meinen Umgang mit der Tochter des daſigen reformirten Predigers bemerkt, und war deshalb eiferſuͤchtig ge - worden, oder er hatte es vielleicht uͤbel genommen, daß ich ihm einigemal ins Angeſicht geſagt: bei ihm traͤfe nomen et omen zuſammen. Er fing alſo an, meine Hiſtoͤrchen im Pfarrhauſe vorzutragen, und mich da aufs aͤrgſte zu blamiren. Mamſel Karoline, ſo hieß die Tochter des Pfarrers, ſagte mir alles treulich wieder, und ich ſchwur, den Kerl durchzu - gerben, wo ich ihn auch treffen wuͤrde. Nicht lange hernach traf ich ihn im Wirthshauſe zu Baden - heim an. A propos, ſagt 'ich zu ihm, Mosje Windſack, was unterſteht er ſich denn, von mir zu raiſonniren? Was hat er im Pfarrhauſe zu Sprendlin - gen von mir geſagt? O kein Wort, erwiederte er. Wie! kein Wort? Du biſt ein Schlingel, Kerl,392 ein elender Laͤſterer! bald moͤcht' ich dich aus - ſchmieren, daß du den Prieſter begehren ſollteſt! Hier ſtand er auf, ich griff ihn aber beim Kollet, ſchleuderte ihn an die Erde, und gerbte ihm das Fell rein aus. Der Wirth, der Haaſen ohnehin nicht hold ſeyn mochte, ließ mich geruhig fortpruͤgeln; endlich aber brachte er uns aus einander. Haas ſchwur mir die empfindlichſte Rache, von der ich aber bis jetzt nicht das Geringſte gefuͤhlt habe.

Auch dieſe Geſchichte wurde in der Gegend be - kannt, und machte neues Aufſehen.

Vierzigſtes Kapitel.

Dem Faſſe geht der Boden aus.

Mein Vater, benachrichtigt von meiner Auffuͤhrung, kraͤnkte ſich ſehr, daß alle ſeine Ermahnungen nicht fruchteten, und prophezeihte mir im voraus den gaͤnz - lichen Ruin meines Gluͤcks. Er bat mich mit Thraͤ - nen, eine andere Lebensart anzufangen, huͤbſch auf meinem Vikariate zu bleiben, fleiſſig zu ſtudiren, und ſo die boͤſen Geruͤchte nach und nach verrauchen zu laſſen; allein er predigte tauben Ohren. Theils hatte ich Selbſt keine Achtung mehr vor mir, theils393 hatten mir eine falſche Eigenliebe und ein unkluger Duͤnkel den Kopf ſo verruckt, daß ich blos mir folgte, keinen, weder Vater noch Freund, hoͤrte, und gegen alles, was man von mir ſagte und dachte, verachtend und unempfindlich wurde.

So gleichguͤltig ich indeß gegen die Cenſuren meiner Feinde war, ſo lieb war es mir doch, wenn ich auch an ihnen Fehler entdecken konnte. Ich wuß - te, Zwirnlein wollte mir nicht wohl, und druͤckte mich durch den Pfaffen Hahn von Kirchheim. Dis war mir ſchon Sporn genug, die Conduite und die Proceduren deſſelben, womit er die Rheingrafſchaft adminiſtrirte, auszuſpioniren. Ich erkundigte mich bei den Bauern nach ihren Klagen, und fand ſo viel krumme Wege und Gaͤnge der Zwirnleinſchen Juſtiz, daß ſelbſt Ich daruͤber erſchrak.

Die kaiſerlichen Commiſſionen werden, der In - tention des Kaiſers und der Reichsgerichte nach, des - halb geſetzt, damit ein Land nach beſſern Grundſaͤtzen regiert werde; allein dieſer Zweck wird ſelten erreicht, und am wenigſten durch Herrn von Zwirnlein. Es iſt ein Gluͤck fuͤr ihn, daß die Preuſſiſche Cenſur mir die einzeln data geſtrichen hat, ſonſt laͤſe er hier Din - ge, ob deren Bekanntſchaft er bei den bedenklichen Kriſen unſrer Zeiten ſtutzen muͤßte. Auſſer vielen andern Ungerechtigkeiten der ſchrecklichſten Bedruͤ - ckung und der Simonie nur dies.

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Die Gemahlin des auf die Feſtung gebrachten Rheingrafen, und ſeine damals noch unverheurathete Tochter Luiſe, wie auch des Grafen Schweſter, muß - ten allen Drang und alle Inſolenzien von dieſem ſtolzen Adminiſtrator leiden, der beſonders die letztere ſeine ſchwere Hand dadurch fuͤhlen ließ, daß er der - ſelben oft ihr Geld vorenthielt, unter dem Vorwande: es ſey nichts in der Kaſſe. Die gute Charlotte mußte daher oft darben, und von ihren groben Glaͤubigern ſich ſchrecklich quaͤlen laſſen.

Ich war ſehr eifrig, alles dies zu verbreiten und meine Gloſſen daruͤber zu machen, welche alle - mal zum Nachtheil des Herrn Adminiſtrators aus - fielen. Ich griff auch ſeinen intimſten Freund, den Kammerrath Fabel zu Grehweiler an. Dieſer Menſch, gelehrt bis an den Hoſenknopf und ſtolz wie Goliath, hatte einen gewiſſen Schneidermeiſter Eckel gedruͤckt, und ihm Unrecht gethan. Dieſer Mann war mein Gevatter; ich machte ihm alſo eine Schrift an die Commiſſion, worin ich des Kammerraths In - triguen ſchilderte, wies ſich gebuͤhrte, und deſſen Ungerechtigkeiten ruͤgte. Fabel erfuhr den Verfaſſer, und ward mir ſpinnefeind.

Nun erhielt ich um Martini 1781 ein Schrei - ben von der Kommiſſion des Inhalts: daß Seine Durchlauchten, der Herr Fuͤrſt von Naſſau-Weil - burg, mit hoͤchſtem Unwillen vernommen habe,395 wie der Kandidat Laukhardt noch immer das Vika - riat in Oberſaulheim verwalte, welches ohne großes Aergerniß und Skandal der chriſtlichen Gemeinde nicht mit angeſehen werden koͤnnte. Der Kandidat ſey als ein Menſch bekannt, der ganz und gar keine Religion habe der uͤber die heiligſten Geheim - niſſe der chriſtlichen Lehre oͤffentlich ſpotte uͤber - dies ausſchweifend lebe dem Trunk ſich ergebe Pasquillen auf andere ſchmiede, und ſogar die Kan - zel zum Tummelplatz ſeiner ſkandaloͤſen Auftritte mache: deshalb truͤgen Seine Durchlauchten dem Konſiſtorio auf, den bisherigen Vikarius Laukhardt zu removiren, und ein anderes unbeſcholtenes Sub - jekt an die Stelle zu ſetzen.

Herr von Zwirnlein hatte mir dieſen Befehl des Fuͤrſten, den er aber ſelbſt geſchmiedet und dieſem Herrn zur Unterſchrift vorgelegt hatte, abſchriftlich zugeſchickt, und mir es freigeſtellt, ob ich entweder freywillig, oder gezwungen durch das Konſiſtorium meinen Poſten verlaſſen wollte. Ich waͤhlte natuͤr - lich das Erſte, ſchrieb dem Adminiſtrator, daß er einen Vikarius ſchicken koͤnnte, welchen er wollte ich ginge gern weg; denn die Freiheit uͤber alles reden zu koͤnnen, was mir mißfiele, und ein Zuſtand, worin ich mich vor keinen Kabaliſten und Dumm - koͤpfen zu fuͤrchten brauchte, ſey mir theurer als das Predigervikariat zu Oberſaulheim. Dann hielt ich396 zu guter Letzt noch eine Predigt uͤber den Vorzug des Suͤnders vor dem Gerechten, die ich ſelbſt ausge - arbeitet, und aͤuſſerſt anzuͤglich zugerichtet hatte.

Auf dieſe Art war nun auch mein Gluͤcksſtern in unſerer Grafſchaft untergegangen. Sobald dieſe Nacht des Mißgeſchicks mein Vater wahrnahm, ſchrieb er mir einen Brief und bat mich, Seiner fuͤr jetzt zu ſchonen, und ihm nicht eher wieder vors Angeſicht zu kommen, als bis ers erlauben wuͤrde. Ich koͤnnte indeß nach Strasburg zu unſerm Vetter d'Autel reiſen, weshalb er mir auch Geld mit - ſchicke. Dieſer Brief kraͤnkte mich wahrlich in allem Ernſte mehr als alle Neckereyen der Commiſ - ſion, und alle uͤbeln Nachreden meiner Feinde; allein machte er mich auch vorſichtiger, kluͤger und gluͤckli - cher? Nein! mein Schickſal verſchlimmerte ſich von dieſer Zeit an immer mehr und mehr, und faſt immer durch meine eigene Schuld, wie die Fortſe - tzung zeigen wird.

Ende des erſten Theils.

Gedrukt bei Fr. Wilh. Michaelis.

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About this transcription

TextF. C. Laukhards Leben und Schicksale
Author Friedrich Christian Laukhard
Extent411 images; 77830 tokens; 12813 types; 535163 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationF. C. Laukhards Leben und Schicksale von ihm selbst beschrieben und zur Warnung für Eltern und studierende Jünglinge herausgegeben Ein Beitrag zur Charakteristik der Universitäten in Deutschland Erster Theil Friedrich Christian Laukhard. . XVI, 396 S. Michaelis und BispinkHalle1792.

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SUB Göttingen Göttingen SUB, 8 H L BI V, 5269:1https://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=8%20H%20L%20BI%20V%2C%205269%3A1

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; (Auto)biographie; Belletristik; Autobiographie; core; ready; mts

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ShelfmarkGöttingen SUB, 8 H L BI V, 5269:1
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