PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Leben und Schickſale, von ihm ſelbſt beſchrieben.
Fuͤnfter Theil, welcher deſſen Begebenheiten und Erfahrungen bis gegen das Ende des Jahres 1802 enthaͤlt.
Leipzig,in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern. 1802.
[II][III]

Seinen wuͤrdigen und biedern Freunden zu Nordhauſen, dem Herrn Commercienrath Neunhahn, dem Herrn Juſtitzcommiſſar Lange, und dem Herrn Candidat Ramsdahl, widmet dieſen Band ſeiner Lebensgeſchichte als ein Zeichen ſeiner Hochachtung der Verfaſſer.

[IV][V]

Vorbericht.

Hier iſt nun der fuͤnfte Band meiner Biogra - phie, welcher aber eigentlich der ſechſte ſeyn ſollte: denn durch einen ſeltſamen Irrthum iſtVI der fuͤnfte Band zur zweyten Abtheilung des vierten gemacht worden.

Dieſer Band erzaͤhlt meine Geſchichte vom Jahr 1797 bis 1802, ſoll aber, wenn ich leben bleibe, das ganze Werk noch nicht ſchließen. Ich werde bald eine Reiſe nach jenen Provinzen ma - chen, welche durch den lezten fuͤr unſer Deutſch - land ſo aͤußerſt nachtheiligen Frieden an Frank - reich gekommen ſind, von da aus werde ich den Elſaß, die Franche Comte und Bourgogne ich bediene mich noch immer der alten NamenVII dieſer Laͤnder mit aufmerkſamen Auge zu Fuße durchwandern, und meinen Ruͤckweg durch einen Theil der Schweitz, durch Schwaben und Franken nehmen: alles was mir notabel ſcheinen wird, werde ich fleißig notiren, und es unter dem Titel: Laukhards Reiſen durch ei - nen Theil von Deutſchland und Frank - reich: aber auch als den ſechsten Band meiner Biographie herausgeben.

Dieß iſt alles, was ich fuͤr jetzt meinen Le - ſern, welchen ich beßere Tage, als die meinigenVIII ſind, von ganzem Herzen anwuͤnſche. Geſchrie - ben zu Halle, den 26ten Auguſt 1802.

Fr. C. Laukhard.

[1]

Erſtes Kapitel.

Iſt ſtatt einer Vorrede.

Als ich einigen meiner Freunde die Eroͤffnung machte, daß ich zur Oſtermeſſe des Jahres 1802 den fuͤnften Theil meiner Biographie ans Ta - geslicht foͤrdern wuͤrde, ſchuͤttelten ſie mit den Koͤpfen und meynten, ich haͤtte dem Publicum in vier ziemlich dicken Baͤnden genug von mir geſagt, und koͤnnte nun endlich wohl ſchweigen, zumal da meine Ichheit und meine Verhaͤltniſſe von ſolcher Wichtigkeit nicht waͤren, daß die Quaſi - Leſewelt dabey intereſſirt ſcheinen duͤrfte.

Laukh. Leben 5ter Theil. A2

Die Freunde, welche ſo dachten und ſagten, hatten allerdings Recht: aber ihre Gruͤnde ſind nicht vermoͤgend mich zu beſtimmen, meinen Vor - ſatz aufzugeben. Ich will mich erklaͤren: nicht um der Recenſenten willen: denn dieſe moͤgen meine Arbeit aufnehmen wie ſie wollen, daran liegt mir und meinem Publikum gar nichts, und ich wuͤrde mich auch vergebens bemuͤhen, vor den Augen der Recenſirmaͤnner, beſonders derer zu Jena, Erlangen und Berlin Gnade zu finden, da ich ſelbſt ſchon mehrmals mein Glaubensbe - kenntniß von Recenſiſten und Recenſiſterey oͤffent - lich abgelegt, und dadurch mich den Herren ſchlecht genug empfohlen habe. Alſo nicht we - gen der Recenſenten, ſondern um meine Leſer von dem zu unterrichten, was ſie in dieſem Ban - de zu erwarten haben, ſoll hier meine Erklaͤrung uͤber die Herausgabe deſſelben das erſte Kapitel ausfuͤllen.

Ich weiß ſelbſt, ſo gut und beſſer als ſonſt einer auf der ganzen Erde, wie wenig ich bedeu - te, und zu allen Zeiten meines Lebens bedeutet habe. Dieſes Nichtvielbedeuten meiner Perſon haͤngt theils vom Schickſal, theils von meinem eig - nen Betragen ab: denn haͤtte jenes wollen Etwas aus mir machen, ſo haͤtte ich eben ſo gut Aſſeſſor eines Conſiſtoriums, Hofrath, Regierungsrath,3 Paſtor-Primarius in einer Reichsſtadt, Leibarzt, oder wohl gar General und Miniſter werden koͤnnen, als andre es konnten: denn meine we - nigen Kenntniſſe ſollten mir bey der allmaͤchti - gen Leitung des Schickſals, welches die Griechen Ειμαϱμενη*)Dieſe Goͤttin ſoll nach dem Zeugniß des Jamblichus im Leben des Pythagoras ſehr partheyiſch ſeyn, und doch will der weiſe Kaiſer Marcus Aurelius im 4ten Buche ſeiner Selbſtphiloſophie, daß der Menſch ihr, dieſer Partheylichkeit ungeachtet, willig gehorchen und folgen muͤſſe. Freylich wenn die Ειμαϱμενη unwiderſtehlich iſt, ſo waͤre es Thorheit ihr entgegen zu ſtreben. nennen, eben ſo wenig im Wege geweſen ſeyn, als ſie es andern waren und noch ſind. Aber auch vom leidigen Schickſal abge - ſehen, haͤtte ich mir vielleicht durch Schmiegen und Biegen eine Bedeutung verſchaffen koͤnnen, die ſo manche auf dieſen Wegen erlangt haben. Doch es ſollte einmal nicht ſeyn, und jetzt, da ich dieſes ſchreibe, iſts zu ſpaͤt, mir eine Lage zu ſuchen, in welcher mich die Leute von unten auf anſchauen und ſagen duͤrften: hic eſt,**)Perſius Sat. I. das heißt: ſeht einmal an, aus dem Laukhard iſt doch auch noch ein Mann geworden.

Ob ich nun gleich als ein unbedeutender Menſch, das iſt, ohne Amt, ohne Reichthum,A24ohne Glanz in der Welt lebe, ſo lebe ich doch nicht in obſcuro, wie man ſagt, das iſt, als ein ſolcher, der kaum bis an die dritte Thuͤre von ſeiner Wohnung bekannt iſt. Ich habe viele, recht ſehr viele Bekannte, worunter auch große angeſehene Maͤnner ſind, und worunter ich einige meine Freunde, wenigſtens ſo von Haus aus, nennen kann. Dieſe haben ſtets einigen Antheil an meiner Lage und an meinem Schickſal genom - men, und gerne geleſen, was ich von mir ge - ſchrieben, und gedruckt in die Welt geſchickt ha - be. Dieſen meinen Bekannten wird es denn auch nicht unangenehm ſeyn, wenn ich ſie von dem unterrichte, was mir ſeit fuͤnf Jahren be - gegnet iſt. Ueberdieß hat auch mancher, der mich nicht kennt, von Perſon naͤmlich, meine bisherige Geſchichten geleſen, und wenn dieſe kei - ne lange Weile gemacht haben, ſo wird die Fortſetzung derſelben gewiß auch keine machen.

Ich erzaͤhle alſo meinen lieben Leſern was mir ſeitdem ich von ihnen im Jahr 1797 Abſchied nahm, begegnet iſt: ſie finden zwar keine Groß - thaten, und keine Merkwuͤrdigkeiten, welche man den Annalen einverleiben muͤßte, um ſie fuͤr die Nachwelt aufzubewahren, aber doch leſen ſie hier manchen Vorfall, wobey ſie theils lachen,5 theils den Kopf ſchuͤtteln werden, und mitunter auch ſolche, wobey ſie nachdenken und nicht ſel - ten in ihren eignen Buſen greifen koͤnnen. Jede Lebensgeſchichte iſt ein Gewebe von Begebenhei - ten, wovon immer eine Urſache und Folge mit der andern verbunden iſt, und wie die Anlage war, ſo iſt jedesmal das Reſultat: wenn dieß in manchen Selbſt-Biographien nicht ſichtbar iſt, ſo kommt das bloß daher, weil der Herr Biograph entwe - der ſich durch Verdrehung und Verſtellung der Begebenheiten vor dem Publikum weißbrennen, oder Dinge ganz uͤbergehen wollte, deren Publi - citaͤt ihm unangenehm war. Dieß aber iſt mein Fall nicht: denn ich ſuche keines Menſchen Gunſt und fuͤrchte keines Menſchen Abneigung. Wer nichts mit mir zu thun haben will, mag mich immerhin gehen laſſen, und ich kann mit voller Ueberzeugung ſagen, daß mir nie jemand auf der Welt wirklich und in der Realitaͤt eben viel ge - nuͤtzt habe, ſo gut und brav es auch meine Freun - de mit ihrer Freundſchaft moͤgen gemeynt haben. Daher habe ich auch nicht Urſache, mich irgend jemanden durch Ausſtaffirung meines mir eignen Charakters zu recommandiren, ſondern werde in Ruͤckſicht meiner ſelbſt in dieſem Theile meiner Hiſtorie noch aufrichtiger zu Werke gehen, als in den vorigen, wo ich zwar nichts verdrehte,6 aber doch Einiges verſchwiegen habe, das ich vielleicht haͤtte erzaͤhlen ſollen.

Da ich aber auch gezwungen bin von mei - nem lieben Hannchen, welche ſeit beynahe fuͤnf Jahren meine Frau iſt, mehr als einmal zu ſpre - chen, ſo wird vielleicht mancher die Naſe ruͤm - pfen, und urtheilen, daß ſo ein Verfahren aͤußerſt anſtoͤßig und unwuͤrdig ſey, und daß ein Mann die Fehler und Schnitzer ſeiner Frau fein huͤbſch mit dem Mantel der Liebe zudecken, wenigſtens nicht der ganzen Welt aufdecken muͤſſe.

Wenn es mir drum zu thun waͤre, mich mit Exempeln zu vertheidigen, ſo koͤnnte ich die Le - bensbeſchreibung des beruͤhmten und beruͤchtigten Doctor Bahrdts anfuͤhren, welcher ſeiner theuren Ehehaͤlfte nicht ſchlecht und viel aͤrger mitgeſpielt hat, als ich es je oͤffentlich in Schriften thun werde, geſetzt auch ich wuͤrde nichts wider die Wahr - heit ſagen. Aber ich mag mich weder mit dem Beyſpiel des Doctor Bahrdts, des großen Mil - tons, welcher das verlohrne Paradies ſchrieb, nachdem er ſein eignes Paradies, naͤmlich das Gluͤck der Ehe, verlohren hatte, oder anderer Maͤn - ner rechtfertigen, wenn ich nicht auf die vor - theilhafteſte Weiſe von meinem Hannchen ſpreche, ſondern ſage nur, daß ich ſo von ihr ſprechen 7 mußte, wenn ich meiner Geſchichte die noͤthige Vollſtaͤndigkeit geben wollte.

Außer meinen eignen Hiſtorien werden meine lieben Leſer eine Menge fremde Perſonen be - treffende Anekdoten antreffen, welche ihnen, wie man ſagt, nicht wenig Spaß machen ſollen. Ich will zwar niemanden beleidigen, und mein Buch nicht zum Repertorium der ſkandaloͤſen Chronik ma - chen, wie einige Recenſenten faͤlſchlich von den erſten Theilen geurtheilt haben: aber ich bin auf alles aufmerkſam was in meiner Nachbarſchaft vorgeht, und da kann es mir niemand verdenken, wenn ich auch von andern das erzaͤhle, war mir Auffallen - des und Intereſſantes von ihnen in bonam et ma - lam partem will ſagen zu ihrem Vortheil und Nach - theil, bekannt geworden iſt. Daß ich meiſtens ſelbſt die Perſonen nenne, geſchieht deßwegen, daß mich niemand fuͤr einen kriechenden Panegyriſten oder gar fuͤr einen furchtſamen Verlaͤumder halte.

Dann ſollen hier und da auch einige Retrac - tionen vorkommen. Ich muß bekennen, daß in den vorigen Theilen einige, obgleich nur wenige Unrichtigkeiten untergelaufen ſind, woran ſich bald dieſer bald jener geſtoßen hat. Dieſe Unrichtig - keiten werde ich bey Gelegenheit zu verbeſſern und zu berichtigen ſuchen, und um gleich eine Probe zu geben, ſo geſtehe ich, daß die Th. 3. S. 1268 von dem verſtorbenen Kurfuͤrſten Maximilian von Coͤlln aufgetiſchte Anekdote, welche ein Geſpraͤch dieſes Fuͤrſten mit einer Schildwache zu Leipzig betrifft, voͤllig falſch iſt. Man hatte dieſe Sage nach Halle gebracht, und ſie da fuͤr gegruͤndet ausgegeben; ſelbſt Leute von Anſehen, welche in guten, das iſt ſolchen Cirkeln Zutritt haben, wo es vornehm nach kleinſtaͤdtiſcher Mode hergeht, erzaͤhlten ſich dieſelbe: ich ließ mich durch das putative Anſehen der Erzaͤhler blenden, und war ſchwach genug nachzuplaudern, was mir vor - geplaudert worden war.

So wie ich aber alles zuruͤcknehmen werde, was ich nun, als unrichtig habe kennen lernen, ſo ſoll auch alles, was mich betrifft, und noch nicht erzaͤhlt iſt, aber doch den Leſer intereſſiren koͤnn - te, nachgeholt werden, wohin unter andern eine gewiſſe Intrigue mit einem Goͤttingiſchen Frauen - zimmer gehoͤrt, welche ein gewiſſer Freund, der mich in Goͤttingen genau kannte, im erſten Theile vermißt hat. Sogar aus meinen fruͤhern Jahren werde ich einiges nachholen.

Ich bin mehrmals oͤffentlich in allerhand Zeitungen, vorzuͤglich in dem Intelligenzblatt der Jenaiſchen faͤlſchlich ſogenannten allgemeinen Literaturzeitung eine allgemeine Literaturzei - tung muͤßte doch wohl ein anderes Ding ſeyn, als9 das Recenſirding von Jena derb angegriffen worden von gewiſſen Herren, welchen meine Nach - richten aufgefallen waren. Auf dieſe theils grobe und impertinente, theils feinere und hoͤflichere Angriffe werde ich antworten, und zwar gebuͤh - rend, aber nur bey Gelegenheit: dem Herrn Hofrath Meyer zu Kuͤnzelsau im Hohenlohiſchen aber werde ich auch nicht einmal bey Gelegenheit Rede ſtehen. Dieſer Mann fuhr im Jahr 1796 uͤber eine ihn bereffende Stelle aus dem erſten Theil dieſer Biographie recht bitter her, und ſtellte mich als einen argen Laͤſterer an den Pran - ger. Ich ſchwieg, und behielt mir die Ant - wort auf eine andre Zeit vor: denn ich glaubte, da Herr Meyer fuͤnf Jahre lang geſchwiegen hatte, meine Antwort preſſire auch nicht. Zwey Jahre hernach ſchrieb er einen Privatbrief an mich, da er mich doch durch ein Publiclibell herunter gemacht hatte, und bat mich, das im Jahr 1781 zu Darmſtadt vorgefallne Scandal zu un - terſuchen: da kam es mir denn vor, als maͤße man in Franken meinen Ausſagen mehr Glau - ben bey, als dem Herren Hofrath Meyer, und ich haͤtte im Kopf vernagelt ſeyn muͤſſen, wenn ich, wie Herr Meyer forderte, das Zeugniß des Traubenwirths zu Darmſtadt haͤtte einholen und bekannt machen wollen. Will es aber Herr Hof -10 rath Meyer noch ſelbſt thun, à la bonne heu - re; nihil impedio.

Meine Schreibart mag ich nicht entſchuldigen, ſie iſt etwas derb, und die Feinheiten des deut - ſchen Stils kenne ich ſo wenig, als die Moden und die Lavendelflaſchen. Calamistris apud nos non est locus, ſagte einſt Merula in einem Brief an den Politianus, und ſo ſage auch ich. Doch verſichre ich, daß keine grobe, unanſtaͤn - dige und noch weniger zotologiſche Ausdruͤcke vor - kommen ſollen, wenn mir ſchon der Recenſent in der auch faͤlſchlich ſo benahmten allgemeinen deut - ſchen Bibliothek zur Ungebuͤhr vorgeſchmiſſen hat, daß ich die Zotologie liebte.

Zweytes Kapitel.

Der Himmel haͤngt nicht lange voll Geigen.

Ein Griechiſcher Weltweiſer ich weiß nicht mehr welcher, und habe die Apophthegmata des Erasmus nicht bey der Hand, um nachzuſchla - gen, wem die ſchoͤne Antwort eigentlich zugehoͤ - re, aber das thut auch nichts zur Sache alſo ein alter Philoſoph antwortete einem Freunde, der ihn gefragt hatte, ob er heirathen ſollte11 oder nicht: nimm, Freund, nimm eine Frau, oder nimm keine, es wird dich gereuen auf je - den Fall.

Der Mann hatte Recht, aber Unrecht war es doch von ihm, daß er als ein großer Kenner die Folgen des Heirathens und der Hageſtolzerey nicht genauer beſtimmte, in welchem Falle die Reue am ſtaͤrkſten ſey, im erſten oder im andern naͤmlich ſo im Allgemeinen: denn gleich wie es keine durchaus anwendbare Regeln fuͤr das menſchliche Betragen giebt, ſo giebt es auch keine fuͤr die Heirathen, doch daͤchte ich, daß das Coͤlibat lange nicht ſo viel verdrußvolle Stunden nach ſich zoͤge, als der heilige Eheſtand. Meine Leſer ſehen ohne mein Erinnern, daß dieſe Aeußerung bloß meine Privatgedanken ausdruͤckt, die ich durchaus nicht als richtig verkaufen mag, vorzuͤg - lich denen nicht, welche ſich in ihrem lieben Binde - ſtande wohl befinden; von dieſen uͤbergluͤcklichen Menſchen gilt der Spruch des Dichters:

Si quis amat, quod amare juvat, feliciter ardet, Gaudeat et vento naviget usque ſuo. *)Ovid. de Rem. Amor. L. I.

Und ledigen Perſonen uͤber dieſen Punkt predigen, heißt tauben Ohren predigen: ich hatte ja auch die ſechste Satire des Juvenalis geleſen,12 wußte alles, was der Graf Paſſerani gegen den Eheſtand gewitzelt, und der Graf von Rocheſter dawider raͤſonnirt hatte, die Meynungen des Tertullianus, Macarius, Hieronymus, Mar - tinus und vieler andrer Kirchenvaͤter, ſo wie die Moͤnchsgrillen von der Ehe, und von dem hohen Werth der Keuſchheit, das iſt, des Nichtheirathens waren mir recht gut bekannt und doch nahm ich eine Frau.

Am Ende des vorigen Theils verſicherte ich meinen Leſern, daß ich in dem Beſitz meines Hann - chens mein ganzes Gluͤck zu finden hoffte; aber wen hat die Hoffnung nicht ſchon oft haͤßlich be - trogen? Ueber Jahr und Tag, ſagt Herr Wums - haͤter in Leſſings Miſogyn, zu einem Paar Braut - leuten, werdet Ihr ſchon anders exclamiren. Das traf bey mir buchſtaͤblich ein, nur daß nicht Jahr und Tag vergingen, bis ich anders excla - mirte. Doch naͤher zur Sache.

Ich gelangte im September 1797 zum Beſitz meines Hannchens, und nun hing mir der Him - mel voll Geigen, wie man zu ſagen pflegt, wenn jemand am Ziel ſeiner Wuͤnſche, naͤmlich ſo nach ſeiner Meynung: denn andre Leute ſehen meiſtens beſſer ein, wo uns der Schuh druͤckt, als wir ſelbſt. Die erſten Tage gingen mir hin, wie ſie einſt den Auferſtandenen im Himmel hingehen13 werden, nur daß mir in der Hochzeitnacht ein komiſcher Streich begegnete, den ich hier erzaͤh - len wuͤrde, wenn ich mich nicht vor den ſchiefen Urtheilen gewiſſer Leute fuͤrchtete, welche noch an Hexen und Bezauberungen glauben.

Einige Tage nach der Hochzeit fand ich ſchon, daß ich die Rechnung ohne den Wirth gemacht hatte,

Und daß man immer moͤge ſagen,
Wer liebt, ſey lauter Herz; man hab 'auch
einen Magen.

Meine Leſer verſtehn mich: der Mangel ſtell - te ſich bald in meiner Wirthſchaft ein, und mein Hannchen forderte einmal acht Groſchen von mir, als ich gerade noch zwey Groſchen vier Pfennige im Vermoͤgen hatte. Ich gab dieß wenige Geld hin; Hannchen lachte;

Schaͤcker, ſagte ſie, ruͤcke doch heraus! Ich hab nicht mehr, liebes Kind. Ach, gackele nicht; gieb her, immer her!

Große Noth hatte ich, das gute Kind zu uͤberzeugen, daß ich nichts mehr hatte, und zu dieſer Ueberzeugung war eine Ocularinſpection noͤthig. Hannchen wurde uͤberfuͤhrt, und weg war mit dieſer traurigen Ueberzeugung ihre freundliche Miene. Ich fuͤhlte dieſen Uebel - ſtand gleich, und fing an, Bemerkungen deßwe -14 gen zu machen. Ein mir durch die Seele gehendes Ach! war die ganze vielbedeutende Beantwor - tung meiner ganzen philoſophiſchen Diſſertation uͤber die Genuͤgſamkeit.

Verdrießlich und ohne zu wiſſen, wohin ich ge - hen ſollte, verließ ich meine Wohnung und ging auf die Mail. An dieſem Orte, einer Schenke einen Buͤchſenſchuß vor der Stadt, findet man beynahe immer muntere Geſellſchaft, aber keine aus - ſchweifende und renommiſtiſche, daher ſchaͤmen ſich auch angeſehene Maͤnner und Frauenzimmer nicht, die Mail zu beſuchen. Hier traf ich ein juriſtiſches Animal diſputax an, das heißt, ein Menſchenkind, welches von nichts redet, als von Pandekten, Codex, Novellen und Feudalbuͤchern. Dieſer Hochgelehrte Herr nahm mich aufs Korn, und kaum hatte ich eine Kanone vor mir, die ich von Jungfer Dorchen auf Credit nahm, ſo packte er mich feſt, und raͤſonnirte mir da ein Langes und ein Breites uͤber die beruͤhmte Conſtitution Omnem des Kaiſers Juſtinianus vor: beſonders beſchaͤftigte ihn die wichtige Frage, warum in der Ueberſchrift der Conſtitution der Anteceſſor Salaminius nicht vir illustris wie die uͤbrigen ſieben, ſondern bloß vir diſertiſſimus genannt werde. Zum guten Gluͤck hatte ich einſt die Conſtitutio Omnem auch geleſen und zwar mit15 Wielings gelehrten Anmerkungen, und war daher im Stande dem Großſprecher zu antworten. Der Menſch aͤrgerte ſich, und gerieth vollends in den Harniſch, als der Schumachermeiſter Rehnius ihm gerade heraus ſagte, Laukhard verſtaͤnde vielleicht mehr von der Juriſterey, als er. Hole mich der Teufel, ſagte er nun, ich verwette einen Tha〈…〉〈…〉 er, Hr. Laukhard weiß nicht, was ein ſuus haeres iſt.

Rehnius. Nun, Magiſter, laſſen Sie das auf ſich ſitzen?

Ich. Der Herr B ... ſpaßet nur.

Hr. B. Nein, bey meiner Seele, es iſt mein Ernſt: ich ſetze einen Thaler, Sie wiſſen nicht was ein ſuus haeres iſt.

Ich. Eh bien, es bleibt dabey.

Hr. B. (legt einen Thaler auf den Tiſch). Hier: jetzt ſetzen Sie einen dagegen.

Ich. Gleich: will erſt wechſeln.

Es waͤre mir unmoͤglich geweſen, einen Gro - ſchen zu ſetzen, geſchweige denn einen Thaler; allein ein guter Freund, der Hallor Eckhard, ſonſt Bauer genannt, riß mich aus der Verlegenheit, und ſtreckte mir einen harten Thaler vor; ich ſetzte ihn, betete die Definition von ſuus haeres her,*)Ein ſuus haeres iſt ein Erbe, welcher zur Zeit des Todes des Erblaſſers in deſſen vaͤterlicher Gewalt, und und ge -16 wann meinen Thaler. Der gelehrte Herr aͤrgerte ſich gar maͤchtig, wurde derb ausgelacht, und zog nach einigen Fluͤchen, und Tiraden uͤber halbgelehrte Juriſten, zu welchen er aber ſelbſt gehoͤrte, zum Tempel hinaus.

Kaum war er fort, ſo erſchien ein andrer wel - cher der Geſellſchaft viel Spaß machte. Er hatte einſt in Jena ſtudiert, und ſein Geſpraͤch betraf bloß die Univerſitaͤt zu Jena und die Freyheiten der daſi - gen Studenten, welche er den auf der Mail verſam - melten Buͤrgern vordemonſtrirte. Straf mich Gott, meine Herren, ſchrie er unter andern, Sie koͤnnen mirs glauben, und ich will ein in - famer Eſel ſeyn, wenns nicht wahr iſt, in Jena kann ich einen durchhauen fuͤr einen Laubthaler. Wenn ich mit einem Haͤndel habe, und will ihn hauen, ſo greife ich ihn auf der Straße oder ſonſt wo an, mir nichts, dir nichts, haue ihm das Fell durch, daß er den Prieſter begehren moͤgte, dann gehe ich hin zum Prorektor: Diener, Ihr Magni - ficenz, hier iſt ein Laubthaler, hab den Lumpen - kerl, wie nun der Kerl heißt, ausgegerbt, und das honorig. Gut, gut, ſagt dann der Pro - rektor, kommen Sie bald wieder, wir wollenauch*)zwar im naͤchſten Grade war §. 2. I. de haered. qual. et diff. alſo bloß Kinder und Kindeskinder, deren Va - ter todt iſt.17auch leben. Blox iſt die ganze Sache rein abge - than. Ich hab einen gekannt, der ſchickte alle Monate, allemal auf den erſten, zwoͤlf Laubtha - ler an den Prorektor praenumerando: denn jeden Sonntag, Mittwoch und Freytag mußte er ei - nen durchhauen, das war ſo ſein Geſetz.

Der Menſch brachte ſeine Abgeſchmaktheiten mit einer ſo zuverſichtlichen Miene vor, daß die ganze Geſellſchaft herzlich uͤber den Gecken lachen mußte, aber niemand glaubte dem Gewaͤſche: denn unſre Hallenſer laſſen ſich nicht gerne etwas aufluͤ - gen.

Gegen Abend kam mein Hannchen, ſahe daß ich bezahlte, was ich geben ließ, viſitirte mir alſo die Taſchen, und da ſie fand, daß ich Geld hatte, fing ſie ordentlich an, mit mir zu expoſtuliren, daß ich ihr daſſelbe verhehlt haͤtte. Ich erklaͤrte ihr die Art, wie ich zu einem Thaler gekommen war, aber ich hatte große Muͤhe, ſie voͤllig zu uͤberzeu - gen.

Ich wohnte in der Maͤrkerſtraße bey dem Schnei - der Baum, welcher mir fuͤr zwanzig Thaler alte zerbrechliche Moͤbel uͤberlaſſen hatte. Ich haͤtte freylich weit beſſere fuͤr ſo viel Geld haben koͤnnen, wenn ich im Stande geweſen waͤre, baar zu bezah - len: aber da ich auf Credit nehmen mußte, und Herr Baum mir verſprach, vor Oſtern kein GeldLaukh. Leben 5ter Theil. B18zu fordern, ſo ließ ich alles gut ſeyn, und nahm das alte Geruͤmpel, als waͤre es taugbar und neu geweſen, gerne an. Ich dachte in dieſem Stuͤck noch immer ſtudentiſch: wenn naͤmlich die Herren Academiker etwas auf Credit, oder nach ihrem Ausdruck, auf Pump haben koͤnnen, ſo iſts ſchon gut, und ſie ſehen die gepumpte Sache als geſchenkt an. Indeſſen ſchien es nicht, als wenn Meiſter Baum der Schneider lang borgen wollte. Schon am ſechsten Tage nach meiner Hochzeit forderte er drey Thaler von mir. Ich wunderte mich uͤber den Menſchen, da ich ihm doch ſeine Miethe auf ein halbes Jahr vorausbezahlt hatte, und ſagte ihm, daß ich jezt kein Geld haͤtte. Baum, welcher ſei - nen Kopf bey Hr. Adolph auf dem Steinweg he - roiſch getrunken hatte, ſchwur bey allen himm - liſchen und allen hoͤlliſchen Geiſtern, daß er voͤllig auf dem Hund ſey und auf jeden Fall ausgepluͤn - dert werden wuͤrde, wenn ich ihm nicht aushuͤlfe. Er wolle aber in einigen Tagen alles zuruͤckgeben. Ich hatte Mitleiden mit dem fluchenden und ſchwoͤ - renden Schneidermeiſter, wendete mich an einen Freund, und dieſer ſchickte mir zwey Thaler, die ich ſofort dem Herrn Baum einhaͤndigte.

Es vergiengen acht Tage, auch vierzehn Tage, und Baum redete gar nichts mehr von den zwey Thalern. Die Noth druͤckte mich, und ich erinner -19 te meinen Herrn Wirth ſo von weitem: aber Herr Baum ſtellte ſich, wie die Hallenſer ſagen, eine halbe Stunde dumm, und that, als verſtuͤnde er mich nicht. Ich mußte mich alſo naͤher und deutlicher erklaͤren.

Lieber Baum, ſagte ich zu ihm, Sie ver - ſprachen mir doch die zwey Thaler

Baum. Ich weiß alles, kuͤmmern Sie ſich um nichts.

Ich. Jetzt bin ich ſehr gedraͤngt: wenn Sie doch Ihr Verſprechen erfuͤllen koͤnnten

Baum. Alles will ich thun, lieber Magiſter: Hole mich der Teufel, wenn ich nicht mit dem an - dern warten will, bis zu Michaelis.

Nun wußte ich, woran ich war: ich ließ den Baum ſtehen, und ſuchte einiges Geld aufzutrei - ben, welches mir damals auch nicht ſchwer fiel, da meine Scholaren faſt alle ihre Wechſel bekamen.

Das Jahr vorher hatte Baum die unterſten Stuben nach der Gaße an einen gewiſſen Gebhard vermiethet, und dieſer legte ſich einen Bier - und Schnappshandel an. Er wuͤrde wenig Zulauf ge - habt haben, weil er nur halliſches Stadtbier und Stadtbreyhan ſchenken durfte, indeß die großen Keller allerley auswaͤrtige Getraͤnke verkaufen, wenn er es nicht fuͤr gut gefunden haͤtte, ſeine Schenke in ein Spielhaus zu verwandeln, undB220alle Haſardſpiele zu erlauben. Nun liefen alle ſpielſuͤchtigen Leute, deren Zahl in Halle Legion heißt, in Gebhards Schenke, und die Karten und die Wuͤrfel regierten Tag und Nacht, vor fruͤh vier oder fuͤnf Uhr ward es da nie Feyerabend, auch fielen mehrere grobe Exzeße in dieſem Spielhauſe vor, und der Jaͤger des Generals Salomon wur - de einſt dermaßen ausgepluͤndert, oder nach Spie - lerdialekt, ausgemiſtet, daß er im Hemde und ohne Hut in alten Schuhen, die ihm Gebhard noch aus Mitleid gab, abziehen mußte.

Alle luſtigen Bruͤder der Stadt beſuchten dieſe Kneipe fleißig, und da es in Halle Mode iſt, ſol - chen Oertern Beynamen zu geben, ſo bekam auch Gebhards Niederlage einen dergleichen, naͤmlich den Zunamen Geige, deſſen wahrer Urſprung mir aber unbekannt iſt. Der Schneider Baum, welcher es ſehr ungerne ſah, daß ſeine Reſidenz einen Beynamen erhielt, und mit Recht ſchließen konnte, dieſer Beyname wuͤrde bis auf ſpaͤte Zeiten hin fort - waͤhren, zankte ſich deßwegen mit dem Schenkwirth Gebhard, und bot ihm in der Hitze aus. Geb - hard ſetzte an einem andern Orte ſeine patriotiſche Anſtalt fort.

Baum, der ſchon ſeit langer Zeit die Schere, Elle und Nadel fuͤr gar muͤhſelige Inſtrumente an - ſah, gab nun auf einmal die ganze Schneiderey21 auf, und fing an Kneipenwirthſchaft zu treiben. Anfangs ging alles vortreflich; denn auch er er - laubte die Haſardſpiele, und wer dieſe beguͤnſtigt in ſeinem Hauſe, darf wegen Kundſchaft nicht in Sorgen ſtehen. Da aber ſeine Kneipe den Namen Geige fortbehielt, und er oft damit geneckt wur - de, ſo gerieth er, beſonders wenn ihm der Spiri - tus in die Krone geſtiegen war, gar ſehr in den Harniſch, und behandelte ſeine Gaͤſte ſelbſt mit der aͤrgſten Impertinenz. Daruͤber wurden dann die Gaͤſte auch verdrießlich, und verlegten ihre Spiel - baͤnke ſonſt wohin. Meiſter Baum haͤtte leicht den Namen Geige dulten koͤnnen, da gewißen Haͤuſern in Halle ganz andre Beynamen gegeben ſind, z. B. Diebshoͤhle, blinde Herberge, Scheppenſtaͤtt, Spa - dille-Manille, Rußloch, Studentenherberge, u. ſ. w. Die Beſitzer dieſer Haͤuſer wiſſen dieſe Zu - namen, formaliſiren ſich aber nicht daruͤber, und thun wohl daran: denn kaͤme es unter die Leute, daß ſie ſich formaliſirten, ſo waͤre des Spektakelns kein Ende, und der Schaden bliebe auf jeden Fall auf Seiten des Formaliſanten, wie es ſich mit dem Herrn Schneider Baum zutrug, welcher durch ſeine Grobheit alle Gaͤſte verlohr.

22

Drittes Kapitel.

Ein Sprichwort iſt nicht immer ein wahres Wort.

Das Gegentheil von dem in der Ueberſchrift die - ſes Kapitels angegebnen Grundſatz iſt ſelbſt ein Sprichwort: aber ſo ſehr ich auch ſelbſt hin und wieder in meinen Buͤchern den Gebrauch der Sprich - woͤrter empfohlen habe, und noch empfehle, ſo muß ich doch bemerken, daß ſie durch die Erfah - rung oft widerlegt werden, und daß ſie folglich nicht immer wahr ſind. Das bekannte Weid - ſpruͤchlein wie man's treibt, ſo gehts hab 'ich zwar hundertmal durch meine eigne Erfah - rung beſtaͤtigt gefunden, allein im Winter 1797 98 wollte das gute Spruͤchlein nicht bey mir ein - treffen. Ich hatte mir vorgenommen, ſo zu hauſen, daß ich ruhig und ohne weitere Sorgen leben koͤnn - te; allein ich hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht, und ſo ſehr ich auch alles aufbot, und alle meine Kraͤfte anſtrengte, um ſoviel zu erwer - ben, als noͤthig war, meine kleine Wirthſchaft zu fuͤhren, ſo war ich doch keinen Tag ohne Kum - mer, und wenn auch alles noch ſo gut ging, ſo fing mein Hannchen an, uͤber ihre Lage zu noͤrgeln,23 und dieſe Noͤrgeleien verurſachten dann natuͤrlicher Weiſe, daß ich nirgends in einer penibelern Lage war, als wenn ich mich zu Haus aufhalten mußte.

Ich gab mehrere[Stunden] und repetirte dieſen Winter uͤber die chriſt-lutheriſche Dogmatik und die Kirchengeſchichte. Beyde[Diſciplinen] haben mir ſtets viel Vergnuͤgen gemacht; nicht als wenn es an und fuͤr ſich[angenehm] waͤre, eine Menge unbeweisbarer hyperphyſiſcher Lehrſaͤtze zu lernen, oder ſich mit dem Gang des kirchlichen Despotis - mus aus der Geſchichte der Kirche bekannt zu ma - chen, ſondern weil beyde jeden denkenden Kopf ſo ſehr beruhigen uͤber alles, was man ihm als offen - bart aufdringen will: denn die Dogmatik und die Kirchenhiſtorie ſind die beſte Widerlegung aller moͤg - lichen Offenbarung, man muͤßte dann annehmen, daß das ganze Menſchengeſchlecht etwan achtzehn - hundert Jahre lang im Kopf verruͤckt geweſen ſey. Doch das gehoͤrt hier nicht her. Außer dieſen theolo - giſch-hiſtoriſchen Stunden unterrichtete ich auch noch im Lateiniſchen, Franzoͤſiſchen und Italieniſchen.

So lang ich außer meiner Wohnung war, hatte ich heitere Sinnen, kam ich aber dahin zuruͤck, ſo machte mein ſanftes Hannchen eine dermaßen finſtere Stirne, daß ich mich in dem Augenblick weit weg wuͤnſchte. Daß es gleich von Anfang unſres Ehejochs oftmals zum Wortwechſel kam,24 verſteht ſich von ſelbſt. Ich bin zwar von Natur nicht finſter und rauh, noch weniger iſt Grobheit[und] Im - pertinenz mein Laſter; allein der Teufel bleibe gleich - guͤltig, wenn einem unverdiente Vorwuͤrfe gemacht werden, oder wenn man Dinge von uns, und zwar mit Poltern fordert, welche wir unmoͤglich leiſten koͤnnen.

So ging mirs: meine Frau fand alles nicht recht, was in unſrer Wirthſchaft war, und ich fand ganz natuͤrlich auch vieles von dem nicht recht, was ſie vornahm, beſonders gefiel mir ihr Umgang mit einer gewiſſen Madam Unruhe nicht, welche auch in unſerm Hauſe wohnte, und deren Mann mit einem andern halliſchen Frauenzimmer in Leip - zig wirthſchaftete. Ein Ehemann hat meiſtens Un - recht, wenn er ſein Weib ſitzen laͤßt, aber wer ſo ein Fegefeuer am Halſe hat, wie die gedachte Ma - dam Unruhe war, dem verdenke ichs warlich nicht, wenn er das Freye zu gewinnen ſucht: denn Si - rach ſagt mit Recht, er wolle lieber bey Loͤwen und Drachen wohuen, als bey einem boͤſen Weibe.

Meine Vorſtellungen, mein Zanken und mein Poltern half alle nichts: meine Frau verſtand es aus dem Fundament, auf Vorſtellungen zu repliciren, und iſt eine Meiſterin im Zanken und im Poltern. Meine Lage war gewiß nichts weniger, als benei - denswerth.

25

Im Herbſt 1797 war der Koͤnig Friedrich Wil - helm von Preußen geſtorben, und das Verhaͤltniß, worin ich ehedem mit ſeinem Nachfolger geſtanden hatte, ließ mich eine ſchwache Hoffnung ſchoͤpfen, daß durch ihn meine Umſtaͤnde koͤnnten verbeßert werden. Ich nenne die Hoffnung, die ich damals hatte, eine ſchwache Hoffnung: denn ich dachte nicht, wie die meiſten Preußiſchen Unterthanen, daß nun es wahr wuͤrde, was Virgilius ſagt: ſam redit et virgo, redeunt Saturnia regna queis ferrea primum Deſinet et toto ſurget gens aurea mundo. *)Virg. Ecl. IV. v. 5. ſeqq.

Ich hoͤrte die Nachricht von dem Tode des vo - rigen Koͤniges auf der Breyhanſchenke, eine Stun - de von Halle, wohin ich gegangen war. Das gan - ze Zimmer war voll Bauern, Jaͤgern und politi - ſchen Kanngießern: alles jubelte, und freute ſich der im vollen Galopp herbeyziehenden beſſern Zei - ten: nun wuͤrde alles, meynten die Politiker, ſo hergehen, wie es ein jeder wuͤnſchte, und in dieſen ſuͤßen Erwartungen uͤberließen ſie ſich ganz dem freudigſten Herumtrinken, und wurden nun noch lauter. Ein aͤltlicher Mann von Teutſchenthal ſaß neben mir, und ſprach zu allen Kanngießereyen auch nicht eine Sylbe. Ich wunderte mich uͤber ſein Stillſchweigen, und fragte ihn, was er von26 den neuen Vorfaͤllen daͤchte? Mer muß halig wahrten, wies noch kuͤmmt: mer waͤß wuhl, wie mer ausfaͤhrt, aber wie mer hame kuͤmmt, das waͤß mer niche. Der Bauer raͤſonnirte nicht un - recht, nicht als ob der Ausgang ſeine Spruͤchwoͤr - ter beſtaͤtiget haͤtte, ſoudern deswegen, weil es unklug iſt, zu fruͤhe ins Horn zu blaſen.

Der jetzige Koͤnig von Preußen hat die Hoff - nungen und Erwartungen aller derer erfuͤllt, wel - che im Stande ſind, zu uͤberlegen, und die große Wahrheit einſehen, daß ein Monarch, waͤre er auch der maͤchtigſte und einſichtsvollſte aller Men - ſchen, und gutgeſinnt, wie ein heiliger Engel, es doch nicht allen Menſchen recht machen koͤnne. Neque Jupiter omnibus placet, ſive pluat, ſive ſit ſerenus iſt ſchon vor Alters geſagt worden, ich weiß aber nicht von wem, und ſo lange noch ſo viel Koͤ - pfe ſeyn werden, als Sinne ſind, ſo waͤre es eine wahre Tollheit, zn fordern, ein Regent ſolle ſo re - gieren, wie es jeder Kopf fuͤr gut und wohlge - macht haͤlt. Dieß ſieht nun wohl jeder ein, aber da jeder glaubt, ſeine Vernunft koͤnne der Ver - nunft aller Menſchen zum Richtmaaß dienen, ſo raͤſonnirt auch jeder uͤber die Regierung, wenn dieſe es anders macht, als er glaubt, daß ſie es ma - chen muͤſſe.

Bey jedem Regentenwechſel findet noch ein27 Grund uͤberſpannter Erwartungen bey den Unter - thanen ſtatt, welcher meiſtens hoͤchſt falſch iſt. Die vorige Regierung wird durchaus als fehlerhaft be - trachtet, und alle unter derſelben getroffnen An - ſtalten fuͤrchterlich heruntergemacht. Als Friedrich der zweyte von Preußen ſtarb, mußte ſeine lange gluͤckliche, mit ſo vieler Weisheit gefuͤhrte Staats - adminiſtration die ſchrofſte aber auch zugleich die unbilligſte Critik paßiren: man tadelte ſogar die Einrichtungen ſeines Militairs, Einrichtungen, die noch kein Monarch vor ihm getroffen hatte, und worin ihm nur ſeine Nachfolger nachahmen koͤnnen. Aber bald kamen die guten Preußen von ihrem Irrthum zuruͤck.

Friedrich Wilhelm II. ein Fuͤrſt, deſſen Feh - ler bekannt ſind, deſſen vortrefliche Eigenſchaften aber alle ſeine Flecken bey weitem uͤberwogen. Dieß bedachte aber der große Haufe nicht, und ſahe bloß die Fehler ſeines guten Koͤniges, und die Schrift - ſteller haben nie ihre Federn mehr entwuͤrdiget, und ſich aͤrger unter den Troß der Laͤſterer und Calum - nianten gemiſcht, als in Ruͤckſicht auf dieſen Fuͤr - ſten hat man doch ſogar einen Saul den dicken, Koͤnig im Kanonenlande, erſchei - nen ſehen!! Aber Friedrich Wilhelms II. Anſtal - ten waren faſt alle meiſterhaft, und ſein Nachfol - ger der jetzige Koͤnig, haͤtte die Kunſt zu regieren28 gar nicht verſtehen muͤſſen, wenn er eine allgemei - ne Reform haͤt[t]e anfangen wollen, wie man doch damals erwartete und wuͤnſchte. Dieſe allgemei - ne Reform wuͤrde eine allgemeine Verwirrung nach ſich gezogen haben: es blieb daher auch in Preu - ßen nach dem Tod des Koͤnigs Friedrich Wilhelm ſo ziemlich beym Alten, obgleich manche heilſame Veraͤnderungen vorgenommen wurden, wohin die Abſtellung der Tabaksfe[r]me vorzuͤglich gehoͤrt.

Ich hatte, w〈…〉〈…〉 e geſagt, einige Hoffnung, daß der neue Koͤnig ſich meiner erinnern, und fuͤr mich ſorgen wuͤrde. Meine Freunde zu Halle riethen mir, ſelbſt nach Berlin zu reiſen, und mich dem Monarchen vorzuſtellen: ich fand dieſen Rath ver - nuͤnftig, und begab mich im Februar 1798 nach Berlin. Meine Kaſſe war ſchwach, wie ſie zu allen Zeiten zu ſeyn pflegt. Ich war alſo gezwun - gen, mich entweder um Freypoſt zu bemuͤhen, oder gar zu Fuſſe zu gehen. Unſer Poſtmeiſter Hr. Kriegs - rath von Madeweis geſtattete mir freye Poſt bis nach Deſſau, und von da kam ich durch bis nach Briezen. Ich hatte eine ſehr ſchnurrig componir - te Reiſegeſellſchaft: zwey Preußiſche Offiziere, ei - nen Juden, und ein halliſches Freudenmaͤdchen. Die Offiziere waren von der Cavallerie, und ka - men von einer Reiſe ins R[e]ich zuruͤck, wo ſie zu Hauſe waren; es waren ſehr ſolide brave Maͤnner29 von geſundem Urtheil und feinem Geſchmack, mit welchen ich mich vortreflich unterhalten konnte. Der Jude war ein Schacherer, der ſich aber neben ſeinem Schacherhandel auch aufs Spielen legte, und in dieſer Kunſt nicht geringe Fertigkeit ſchien erlangt zu haben. Die Offiziere machten ſich viel mit ihm zu thun, als ich ihm aber beweiſen wollte, daß die Juden zu allen Zeiten veraͤchtliche und hoͤchſt ſchaͤdliche Creaturen geweſen waͤren, ward der Iſraelit boͤſe, und gab uns ferner keine Antwort mehr. Der Kerl hatte Recht, ich aber hoͤchſt Unrecht, einen ganz unnuͤtzen Beweis zu fuͤhren: denn die Offiziere kuͤmmerten ſich um die ganze Judenſchaft nicht, und der Jude ließ ſich doch nicht bekehren.

Das Freudennymphchen von Halle war die be - ruͤchtigte Manſcheſterchriſtel, eines ehedem der huͤbſchſten Maͤdchen unſrer Stadt; nachdem ſie aber ſich auf die liederliche Seite gelegt hatte, und generis omnis geworden war, fand ſich in ganz Halle keine ſchaamloſere Hure, als eben Manſcheſterchriſtel. Der gar zu haͤufige Genuß der Wolluſt ſchwaͤchte ihren Koͤrper dergeſtalt, daß hernach, als die lei - dige Luftſeuche ſie befiel, keine Arzney mehr anſchla - gen wollte. Damals als ſie nach Berlin reiſte, war die aͤſthetiſche Krankheit ſchon ſehr ſichtbar an ihr, und doch ließ ſie ſich einfallen, einen jungen Me - diciner da zu beſuchen, welcher ehedem in Halle30 mit ihr geliebelt, und ihr im Taumel der Leiden - ſchaft die Ehe verſprochen hatte. Der Menſch haͤtte alles Gefuͤhl muͤſſen verlohren haben, wenn er nun noch den Liebhaber eines Frauenzimmers haͤtte ma - chen wollen, das ſo zu ihm kam: doch unterſtuͤtzte er die Unverſchaͤmte mit Geld und ließ ſie wieder nach Halle reiſen. In Halle fiel ſie taͤglich mehr ins Elend, und krepirte endlich in den abſcheulich - ſten Umſtaͤnden. Ihr Andenken hat ſich indeſſen noch in einem famoͤſen Knittelliedchen erhalten, welches unſre Straßenjungen noch ſingen, und wel - ches ein luſtiger Bruder einem gewiſſen Schwarz - rock zu Ehren ſcheint gemacht zu haben.

Von Briezen bis nach Berlin ging ich zu Fuß: es war ſehr ſchoͤnes Wetter, und die Geſellſchaft eines Schulmeiſters aus der Altmark, der auch dahin ging, aber von Wittenberg kam, machte mir die Fußreiſe ſehr angenehm. Der Schulmeiſter war ſehr redſelig, und wenn alles wahr iſt, was er mir von ſeinem Paſtor erzaͤhlte, ſo muß die geiſtliche Einrichtung in dem altmarkſchen Dorfe, wo der Cantor her war, beſſer ſeyn, als in mancher Stadt, ſogar in mancher Univerſitaͤtsſtadt. Unſer Paſtor, ſagte der Schulmeiſter, kann es nicht leiden, daß aller Schulunterricht ſich bloß aufs geiſtliche We - ſen, und auf ein bißchen Rechnen und Schreiben einſchraͤnke. Er hat daher auch oͤkonomiſchen Un -31 terricht eingefuͤhrt, und ertheilt dieſen ſelbſt; er lehrte ſogar die Jungens Baͤume pfropfen und oku - liren. Das Preußiſche Landrecht traͤgt er in der Schule und in der Kirche vor, naͤmlich des Nach - mittags, weil er noch nicht das Herz hat, die Pre - digten uͤber die Evangelien einzuſchraͤnken, und erzaͤhlt unſrer Jugend eine Menge huͤbſcher Hiſto - rien. Die Landkarten muͤſſen ſie auch treiben, und Raffs Naturgeſchichte, ſo wie Eberts Naturlehre koͤnnen die jungen Leute auswendig: eine ganze Hetze huͤbſcher Lieder und Spruͤche wiſſen ſie auch, und doch verſtehen ſie ihren Catechismus ſo gut, als wenn ſie ſonſt gar nichts trieben als den.

Ich konnte wohl merken, daß der Herr Cantor etwas uͤber die Schnur hieb, und zu viel von den Vorzuͤgen ſeines Schulweſens, und den Verdien - ſten des Paſtors um daſſelbe ſchwadronnirte, aber wenn ich dann auch nicht die Haͤlfte glauben konnte, ſo mußte ich mir doch einen ſehr vortheilhaften Be - griff von jener Schule in der Altmark machen. Ich habe den Namen des Dorfes vergeſſen, aber dieß thut nichts zur Sache, da es jedem, welchem daran gelegen iſt, leicht ſeyn muß, eine ſo trefliche Schulanſtalt in einem kleinen Lande zu entdecken, wo, wie der Herr Cantor bemerkte, dergleichen eben nicht haͤufig ſeyn ſollen.

In Berlin, wo ich gegen Abend ankam, lo -32 girte ich in einem mir ſchon bekannten Gaſthofe, und beſuchte den folgenden Tag einige alte Freunde. Da meine Abſicht war, den Koͤnig zu ſprechen, begab ich mich zu den Major Hn. von Kaͤbriz, und erhielt von dieſem Anweiſung, wie ich es anzu - fangen hatte, um zum Koͤnige zu gelangen, doch rieth er mir, eine Bittſchrift aufzuſetzen, und die - ſelbe dem Monarchen zu uͤberreichen; der Herr ha - be viel zu thun, und ſo was moͤgte vergeſſen werden.

Ich folgte dem Rath des Hn. Majors, und kam am folgenden Tag wirklich ins koͤnigliche Ka - binet. Der Koͤnig, welcher mich noch kannte, war aͤußerſt herablaſſend und gnaͤdig; er fragte mich nach meiner Lage, und da ich ihm ſagte, daß dieſe eben nicht die beſte ſey, und einer ſtarken Emenda - tion beduͤrfe, wenn ich zufrieden leben wollte, ver - ſprach er mir, fuͤr mich und fuͤr die Emendation meiner Lage zu ſorgen, las meinen Aufſatz fluͤchtig durch, und befahl in meiner Gegenwart einem Sekretair, denſelben ans Oberſchulcollegium zu ſchi - cken mit der Weiſung, dahin zu ſorgen, daß dem guten Laukhard ein Plaͤtzchen geſchafft wuͤrde, wobey er ohne Sorgen leben koͤnnte; dieß waren die eignen Worte des guͤtigen Monarchen, und dann erfolgte eine Anweiſung an einen Herrn, wel -cher33cher mir die Reiſekoſten erſezte. Ich verließ den Koͤnig mit dem tiefſten Dankgefuͤhl, als ich aber ins Vorzimmer kam, trat mich ein wohlgekleideter Mann ſehr aͤngſtlich an.

Aber, mein Gott, ſagte dieſer, was machen Sie?

Ich. Ich komme vom Koͤnige, und glaube nichts Boͤſes gethan zu haben.

Er. Nichts? Bedenken Sie doch ſelbſt!

Ich. Was ſoll ich dann bedenken? Ich weiß vom hellen Tage nichts: erklaͤren Sie ſich naͤher.

Er. Mein Himmel, Sie ſind mit einem Stock im Kabinet geweſen.

Ich. So iſt es: aber iſts dann verboten, mit dem Stock ins Kabinet zu gehn?

Er. Mein Gott, freylich! Das iſt gegen alle Etikette.

Ich. Der Koͤnig hat mir nichts daruͤber geſagt, und niemand wird ſich einbilden, daß ich ins koͤnig - liche Kabinet mit dem Stock gehe, um mich da herum zu pruͤgeln.

Ich gieng weiter, ehe ich aber das Palais ver - ließ der Koͤnig wohnte damals noch in dem Palais des Kronprinzen ging ich nach der Kuͤ - che, und fand da weniger Apparat, als in man - cher adelichen Kuͤche, ſelbſt in Berlin gefunden wird. Nun hatte ich weiter in Berlin keine Ge -Laukh. Leben 5ter Theil. C34ſchaͤfte mehr, und ſchickte mich an, den folgenden Tag zuruͤck zu reiſen. Ich ſuchte deshalben noch die Herren Ideler und Rambach auf, fand aber kei - nen von beyden zu Hauſe, auch den Herrn Predi - ger Stahn fand ich nicht, aber den wuͤrdigen Herrn Major von La Roche traf ich an, und traf ihn unveraͤndert in ſeinen Geſinnungen gegen mich. Wir ſtimmten zuſammen Klagelieder an uͤber das Ungluͤck, welches unſer gemeinſchaftliches Vater - land jenſeits des Rheins betroffen hatte. Der Herr Major unterhielt ſtarken Briefwechſel nach den Rheingegenden, und konnte mir von gar manchen Dingen Nachricht geben, welche ich noch nicht wuß - te. Den Herrn Kammerherrn von Wuͤlcknitz habe ich auch geſprochen, und von ihm ungeheuchelte Verſicherungen ſeiner Freundſchaft gegen mich er - halten.

Als ich mich eben anſchickte, Berlin zu verlaſ - ſen, fand ich von ohngefaͤhr den Commiſſar Hrn. Jungken und deſſen Bruder, welche noch einige Ta - ge in Berlin bleiben, und dann nach Halle zuruͤck - kehren wollten. Sie baten mich, auf ſie zu war - ten, und mit ihnen zu reiſen. Ich laſſe mich uͤber - haupt leicht zu etwas beſtimmen, und that herzlich gerne, was beyde Herren haben wollten, welche in Halle meine Freunde geweſen ſind, und wovon der Juͤngere meinen Unterricht noch immer genoß. 35Um aber doch indeßen im Gaſthofe etwas zu thun zu haben, holte ich mir ein Buch in einer Leſebi - bliothek, und fand auch da meine Schriften. Der Bibliothekar kannte mich nicht, daher fragte ich ihn, ob dann das Zeug da auch geleſen wuͤrde?

Was Zeug, erwiederte er! die Laukhardſchen Produkte ſind ganz vorzuͤglich gut, und werden mehr geſucht, als ſelbſt die Werke unſrer beſten Schriftſteller.

Ich. Das Publikum muß alſo einen ſchlechten Geſchmack haben.

Leſebibliothekar. Daran liegt mir nichts, und keinem meines Gleichen liegt was daran. Ge - nug wenn die Sachen geleſen werden. Aber wo - her ſchließen Sie dann, das Publikum muͤße ei - nen ſchlechten Geſchmack haben?

Ich. Das ſchließe ich daher, weil die Laukhard - ſchen Dinger nicht viel beſonders ſind.

Leſebib. (lacht) Gewiß hat Laukhard Ihnen ſelbſt die gute Wahrheit geſagt: ich habe gefunden, daß mancher auf dieſen Mann geſcholten hat: aber wenn mans recht beym Licht unterſuchte, ſo kam das Schelten daher, weil Laukhard etwas unſanft mit dem Knaben Abſalom umgefahren war Aber ſehe ich recht, ſo ſind Sie ſelbſt Laukhard, ich ken - ne Sie aus Ihrem Bildniß.

Ich konnte und mogte nicht leugnen, und derC236Herr Leſebibliothekar war ſo artig, daß er mir den Gebrauch ſeiner Bibliothek unentgeldlich anbot, ſo lange ich in Berlin bleiben wuͤrde. Ich konnte von ſeiner Guͤte nur fuͤr einen Groſchen Gebrauch ma - chen.

Auf der Ruͤckreiſe begegnete mir nichts merk - wuͤrdiges: ich kam wieder nach Halle, und fand alles, wie ich es verlaſſen hatte. Meine Frau hatte in meiner Abweſenheit mit dem Schneider Baum, unſerm Wirth, einigen Zank gehabt: er hatte nicht leiden wollen, daß ſie Waſſer in den Hof goß, und deßwegen abſcheulich ſpektakelt. Sie wollte nun haben, daß ich den Meiſter Baum deßwegen kora - miren ſollte, aber ich fand nicht fuͤr gut, den Mann zur Rede zu ſtellen, mit dem uͤberhaupt nichts auszurichten war: denn wer laͤßt ſich uͤber - haupt gern mit einem Menſchen ein, der keiner vernuͤnftigen Vorſtellung Gehoͤr giebt, und nur allemal Recht behalten will?

Viertes Kapitel.

Erfolg meiner Berliner Reiſe. Erſcheinung eines neuen Weltbuͤrgers.

Ohngefaͤhr vierzehn Tage nach meiner Ruͤckkehr von Berlin erhielt ich ein Schreiben vom Oberſchul -37 collegium, worin mir gemeldet wurde, daß wegen meiner Verſorgung an die halliſche Univerſitaͤt ſey geſchrieben worden. Auf den Bericht der Univerſitaͤt wuͤrde es nun ankommen, was mit mir zu machen ſey.

Oh weh geſchrien! dachte ich, und verlohr auf einmal alle Hoffnung einer Verſorgung.

Der Profeſſor Kluͤgel, welcher damals gerade Prorektor der Univerſitaͤt war, ließ mich rufen, und trug mir auf, einen ſchriftlichen Aufſatz einzu - chen, und anzugeben, wie ich etwan in Zukunft zu exiſtiren gedaͤchte, um mich einer Unterſtuͤtzung von Seiten der Regierung erfreuen zu koͤnnen. Ich hielt zwar die Zeit, welche ich auf einen Auf - ſatz dieſer Art verwenden wuͤrde, fuͤr voͤllig verloh - ren, doch aber reichte ich einen beym Prorektor ein, und Herr Kluͤgel verſprach mir, die Sache aufs vor - theilhafteſte vorzutragen.

Ich ging zu Herrn Wolf, und dieſer aufrichti - ge Mann ließ mich merken, daß ich durch die Uni - verſitaͤt nichts zu hoffen haͤtte: ich ſey, ſagte er, einigen, vorzuͤglich Theologen und Philoſophen, unvortheilhaft beſchrieben, und daher zweifle er gar ſehr, daß ich reuſſiren wuͤrde.

Im Grunde konnte ich auch weiter nichts erwar - ten, als einen uͤbeln Bericht nach Berlin. Ich hatte bisher nicht eines einzigen Profeſſors Freund -38 ſchaft vorzuͤglich geſucht, und war nur dann und wann zu einigen gekommen, die mich ihres Umgangs nicht unwuͤrdig fanden. So ging ich oft zum Hrn. Profeſſor Koͤnig: ſo oft naͤmlich ich etwas zu fra - gen hatte, woruͤber dieſer aͤußerſt humane Mann mir Auskunft geben konnte. Er that es auch jeder - zeit mit der groͤßeſten und unverſtellteſten Bereit - willigkeit, und ich kann wohl verſichern, daß ich meine Kenntniſſe durch den Rath dieſes Gelehrten nicht wenig vermehrt habe. Herr Koͤnig iſt der Mann nicht, welcher einen gewißen abſchreckenden Nimbus um ſich her verbreitet, und durch ein zu - ruͤckſtoßendes Betragen ſich den Ruhm eines tiefge - lehrten Helden erwerben will. Wer ihn kennt, weiß doch, daß er nicht nur in ſeinem Fache der Rechtskunde trefflich erfahren iſt, und ſich in den uͤbrigen Wiſſenſchaften, auch in ſolchen, welche mit der Juriſterey in weiter keinem naͤhern Zuſam - menhang ſtehen, ruͤhmlichſt umgeſehen hat. Daß er, wie jeder Gelehrte, von unachtſamen jungen Leuten nicht ſelten mißverſtanden werde, iſt ſehr begreiflich: aber der muß die Studenten ſchlecht kennen, wel - cher nach ihrem Urtheil den Werth eines gelehrten Mannes beſtimmen wollte. So wollte mir vor ei - niger Zeit ein juriſtiſcher Student aufbinden, Herr Koͤnig habe im Collegium behauptet, ein Juriſt habe gar nicht noͤthig die Inſtitutionen, die Pan -39 dekten und den Coder zu leſen, und doch hatte Koͤ - nig nichts weiter geſagt, als das Studium der Rechte nach jenen Compendien, welche nach der Ordnung der Pandekten u. ſ. w. eingerichtet ſind, ſey unbequem und luͤckenvoll, man muͤſſe die Wiſ - ſenſchaft nach einem beßer eingerichteten Syſtem lernen, dabey hatte er aber das Leſen der Pandek - ten u. ſ. w. ganz und gar nicht widerrathen, ſon - dern es vielmehr als hoͤchſt noͤthig dem kuͤnftigen Juriſten anempfohlen.

Ein gewißer Herr, welcher die Lage der Uni - verſitaͤt, und die Geſinnungen der Profeſſoren naͤ - her als ich kannte, verſicherte mich, daß der Direk - tor Klein mein Goͤnner nicht ſey, und daß dieſer vielgeltende Mann alles aufbieten werde, um mein Fortkommen in jeder Hinſicht zu hintertreiben. Ich erſtaunte: denn ich war mir bewußt, Herrn Ge - heimderath Klein in keinem Stuͤck jemals beleidigt zu haben, und begrif daher nicht, wie ein Mann, der ſelbſt zu lehren vorgab, was Recht und was Unrecht iſt, doch einem Menſchen ſchaden wollte, der ſich nicht gegen ihn vergangen hatte: ich hatte zwar ſchon manche Beyſpiele dieſer Art geſehen und erlebt, aber daß grade Hr. Klein ſo anomaliſch handeln koͤnnte, wollte mir nicht ſo recht in den Kopf: denn ich halte ſehr viel auf die rechtlichen Geſinnungen eines gelehrten Juriſten, und erwarte40 von einem ſolchen weit mehr, als von einem gelehr - ten Theologen und Philoſophen.

Daß unſre Theologen nichts auf mich halten konn - ten, beſchied ich mich ſehr leicht. Ich hatte in mei - ner Biographie ſolche Grundſaͤtze aufgeſtellt, welche mit jedem theologiſchen Syſtem, alſo auch mit dem Halliſch-Theologiſchen, incompatibel ſind. Da nun jeder Theologe, qua talis, wie man in den Schulen findet, alles als ketzeriſch und dem Heil der Seelen ſchaͤdlich anſehen und verwerfen muß, was ſeinem Syſtem entgegen iſt, ſo mußten unſre Herren nicht nur mich, als einen Ketzer verdam - men, ſondern mich auch von aller Activitaͤt zu ent - fernen ſuchen, damit ich nicht andere verfuͤhren moͤgte. So iſt es immer in der heiligen chriſtli - chen Kirche geweſen, vom erſten Jahrhunderte an bis aufs neunzehnte hat der Geiſt der Intoleranz und der Verfolgung geherrſchet, und wenn ich ſa - gen ſoll, was ich denke, ſo muß ich bekennen, daß dieſe Intoleranz in dem Weſen der Religion, das iſt, in ihren Grundſaͤtzen und den Lehren ihrer erſten Ver - breiter ſelbſt gegruͤndet iſt. Peter Bayle und Voltaire, und Teller, und viel andre brave Maͤnner haben ganz vortreflich uͤber Religionsduldung geſchrieben, aber keiner von dieſen wackern Maͤnnern ſcheint mir den Satz bewieſen zu haben, daß der Chriſt jeden Menſchen wie ſeinen Bruder behandeln muͤße, und41 zwar nach den Grundlehren des Evangeliums, ohne alle Ruͤckſicht auf das, was er glaubt. Alſo iſt es ausgemacht, daß ich unſern Theologen nicht ge - fallen konnte, und daß ſie mich ihrer Empfehlung unwuͤrdig fanden.

Einige unſrer Philoſophen konnten gleichfalls nicht fuͤr meinen Nutzen ſtimmen. Herr Eberhard hatte ſchon 1795 ſich nicht allzufreundſchaftlich gegen mich benommen, wie ich am Ende des vori - gen Theils dieſes Werkes hinlaͤnglich gezeigt und bewieſen habe. Sollte er jetzt freundlichere Geſin - nungen annehmen, ſo muͤßte er inconſequent han - deln, und niemand haßet die Inconſequenzen mehr, als Eberhard, wie man aus ſeinen Briefen ſehen kann, welche er gegen das Syſtem des Prof. Fichte herausgegeben, und wahrſcheinlich ſelbſt geſchrie - ben hat. Des verſtorbenen Prof. Forſters Urtheil uͤber mich habe ich auch ſchon an gedachtem Orte angefuͤhrt. Es iſt uͤberhaupt eine ganz eigne Sa - che um die liebe Philoſophie, und Claudius hat Unrecht, wenn er ſie beſchreibt, ſie ſey die Wiſſen - ſchaft, Daß Hinz nicht Kunz, und Kunz nicht Hinze ſey denn ſie geht gewoͤhnlich weiter, obgeich etwas unphiloſophiſch. Doch das geht mich hier weiter nichts an: vielleicht erklaͤre ich mich anderswo naͤher.

42

Unter den Medicinern hatte ich keinen Feind, aber unſre Mediciner bekuͤmmern ſich auch um die Angelegenheiten der Univerſitaͤt unter den Profeſ - ſoren am wenigſten. Herr Gren, der verdienſtvol - le, mir ewig unvergeßliche Gren, deßen rechtſchaff - ner Charakter mit ſeiner tiefen Wiſſenſchaft pari paſſu ambulirte, war mein Freund, aber ſeine ſchon laͤngſt erſchoͤpfte Geſundheit und andre Umſtaͤnde machten es ihm unmoͤglich, ſich meiner thaͤtig an - zunehmen. Die Herren Mekel und Reil kannten mich nur wenig, und ſchienen uͤberhaupt in dieſer Hinſicht ſehr gleichguͤltig zu ſeyn.

Auf dieſe Art wurde nun der Bericht nach Ber - lin in Abſicht meiner, bloß von ſolchen concipirt, welche mir abhold waren, und ſiehe da, er that die Wirkung, welche ſie davon erwarteten, und wie ich ſelbſt nicht anders vermuthete. Das Oberſchul - collegium ſchrieb mir, daß jezt fuͤr mich nichts zu machen ſey, und daß ich mich gedulten muͤße, bis ſich ſonſt was fuͤr mich faͤnde.

Im Jahr 1795 hatte mich ein ſolches Reſcript voͤllig niedergeſchlagen, aber im Jahr 1798 war die Wirkung davon verſchieden. Ich war ganz gleich - guͤltig dabey, und legte mein Papier hin, ohne mich zu kraͤnken oder zu aͤrgern. Ich hatte gelernt, uͤber die Umſtaͤnde beßer und richtiger zu urtheilen.

Meine Frau gebahr mir um Johannis dieſes43 Jahres einen Jungen, welcher noch lebt, und mir durch ſein munteres Weſen manche vergnuͤgte Stun - de macht. Bey der Geburt, welche etwas ſchwer hergieng, rief die Kindermutter den Herrn Geheim - derath Mekel: der wuͤrdige Mann ließ nicht lange auf ſich warten, und machte ſolche Anſtalten, daß meine Frau gar bald ihrer Buͤrde entlaſtet wurde.

Unter den Gevattern oder Pathen, welche ich fuͤr meinen Jungen gebeten hatte, war auch der nunmehr verſtorbene Obriſt Schmid von Wegewitz, ein Mann von etwas ſeltſamen Charakter. Ich war dieſem Mann durch meine Lebensbeſchreibung bekannt geworden, und im Fruͤhling 1798 ließ er mich durch ſeinen damaligen Sekretaͤr oder Schrei - ber Hoͤpfner zu ſich bitten. Ich beſuchte ihn, und fand einen durchaus originellen Mann. Herr Schmid bildete ſich naͤmlich ein, daß er nie Un - recht haben koͤnnte, und dieſer Opinion zufolge han - delte er auch in allen Stuͤcken. Damals, als ich ihn kennen lernte, hatte er nicht weniger, als 27 Prozeße, welche er alle mit der groͤßten Heftigkeit betrieb, und die meiſten ſelbſt betrieb, ob er gleich nicht die geringſte Kenntniß von poſitivem Recht be - faß. Er las mir eine Menge Acten vor, und klag - te unaufhoͤrlich uͤber die Chicanen der Advokaten, und uͤber die Langſamkeit und Partheylichkeit ſeiner Richter. Ich ſuchte ihm begreiflich zu machen,44 daß er Unrecht habe, grade das nur fuͤr Recht zu halten, was ihm ſo vorkomme, aber nun ſpruͤhte er Feuer und Flammen, und ſchimpfte ſogar auf die Geſetze ſelbſt, welche nach ſeiner Meynung aͤußerſt ſchief und unvollkommen abgefaßet waͤren. Gebt uns nur richtige Geſetze, fuhr er fort, und die Ad - vokaten werden bald mit ihrem Links - und Rechts - machen auf dem Miſt ſeyn: aber bey ſolchen Ge - ſetzen, wie wir haben, finden die Kerle vollkom - menen Spielraum fuͤr alle ihre Streiche.

Den Geſetzgebern mußte es darum zu thun ſeyn, den Gerichtshoͤfen etwas zu verdienen zu ge - ben; daher haben ſie auch alles ſo auf Schrauben geſtellt, daß jeder Advokat und jeder Richter leicht ein X fuͤr ein U machen kann.

Ich mogte dem raͤſonnirenden Obriſt nicht in allen Stuͤcken Recht geben, aber durchaus mogte ich ihm auch nicht widerſprechen, und legte mich daher aufs Diſtinguiren; aber Herr von Schmid war kein Freund vom Diſtinguiren, und daher ge - riethen wir nicht ſelten heftig an einander.

Auf die Franzoſen war er vollends nicht gut zu ſprechen, und ſchimpfte bey jeder Gelegenheit auf ſie: wenn er ein Commando im Kriege wider dieſe Freyheitsracker gehabt haͤtte, ſo wuͤrde er, wie er bey allen Teufeln oft genug verſicherte, die Burſche ſchon kurranzt haben, weder Bonaparte noch Piche -45 gruͤ, noch Moreau, noch Maſſena ſollten etwas ausgerichtet haben. Ich mußte bey dieſen Bra - marbaſereyen des fuͤr ſich und ſeinen Heldenmuth ſo ſehr eingenommenen Mannes nur laͤcheln.

Einſt kam ich zu ihm, und da ließ er ſeine ganze Galle gegen den damaligen Feldprediger beym Halliſchen Regimente, Herrn Lafontaͤne, fuͤrchterlich aus. Er hatte einige Tage vorher in Halle bey einem Offizier Gevatter geſtanden, und bey dem Kindtaufsſchmaus, wozu auch Hr. Lafon - taͤne gebeten wurde, war das Geſpraͤch auf die Franzoſen gefallen. Der Obriſt Schmid ſchimpfte nach ſeiner Art, der Feldprediger nahm ſich aber derſelben an, und ſo kams dann von Seiten des Obriſten zu groben nichtsbedeutenden Machtſpruͤ - chen, auf welche Lafontaͤne nach ſeiner Art witzig und bitter antwortete, bis endlich Schmid gar in Invektiven ausbrach, und dadurch ſeinen Gegner zum Stillſchweigen brachte.

Mit einem ſolchen Charakter konnte nun Herr von Schmid ſich nur Feinde machen: die Regie - rung zu Dresden, und beſonders die Stiftsregie - rung zu Merſeburg, unter welcher er zunaͤchſt ſtand, waren ihm aufſetzig, und mit dem Land - jaͤgermeiſter von Noſtitz zu Merſeburg fuͤhrte er unaufhoͤrliche Fehden. Ich habe eine in Halle ge - druckte Schrift geleſen, welche den Obriſt Schmid46 zum Verfaſſer haben ſoll, wenigſtens ſeinen Namen fuͤhrt, und von ihm dem Landtag zu Merſeburg vorgelegt worden iſt; in dieſer Schrift kommen Ausfaͤlle vor, welche man gar leicht fuͤr ſehr derbe Injurien erklaͤren koͤnnte.

Sonſt machte der Obriſt gerne den Maͤcen der Gelehrten und den Unterſtuͤtzer der Unterdruͤckten: beydes waͤre ſehr loͤblich, wenn es nicht bey Herrn von Schmid eine Wirkung der augenblicklichen Laune geweſen waͤre. Der von Leipzig, ich weiß nicht weßwegen, fluͤchtig gewordene Aventurier Hilſcher fand Zuflucht in Wegewitz, mußte aber endlich fort, weil ihm der Obriſt gedrohet hatte, ihn durch ſeine Hunde forthetzen zu laſſen. Hilſcher zog ab, und ſchrieb von Naumburg aus einen im - pertinenten Brief an den Obriſt, und ſo bewies er dann, daß er eben ſo unwuͤrdig war, Wohlthaten zu empfangen, als der Obriſt es war, einem duͤrf - tigen Gelehrten dergleichen zu erweiſen.

Einen gewiſſen Leutnant von Scheidt hatte Schmid auch damals in ſein Haus aufgenommen, dieſer Scheidt hatte ehedem unter einem Preußiſchen Garniſonsregimente gedient, hernach aber ſeinen Abſchied genommen, um einen bodenloſen Prozeß wider den Stadtrath zu Erfurt zu betreiben. Da alle ſeine Gruͤnde, wodurch er eine uͤber drey Mil - lionen betreffende Erbſchaft erobern wollte, nicht47 Stich hielten, und er ſelbſt kein Geld hatte, eine ſo koſtſpielige Rechtsſache fortzuſetzen, ſo ſuchte er Leute, welche Geld hergeben konnten, und ver - ſprach dieſen, wer weiß wie viel Antheil an der Erbſchaft aus dem Monde. Auf dieſe Art hatte er ſchon mehrere dran gekriegt, bis er endlich auch an den Obriſt Schmid gerieth, welcher anfaͤnglich auch Geld genug dran wendete, und ſogar die Sache in Wetzlar anhaͤngig machte. Aber bald ſahe doch der Obriſt die Bodenloſigkeit des Pro - zeſſes und die Schwindeleyen mit der vorgeſpiegel - ten Erbſchaft ein; er ſagte daher dem Leutnant den gemachten Contrakt auf, dieſer aber verklagte den Obriſt, und lezterer mußte viel Unkoſten tragen.

Ich koͤnnte noch viele Blaͤtter mit Hiſtoͤrchen anfuͤllen, welche den Obriſt Schmid von Wegewitz angehen; aber ich mag keine Beytraͤge zur ſkanda - loͤſen Geſchichte des Saͤchſiſchen Adels liefern.

Fuͤnftes Kapitel.

Studentenkriege im Jahr 1797 und 98.

Meine Lebensgeſchichte hat von ihrem Anfange an manche Nachrichten geliefert, welche allerdings zur Chronik der deutſchen Univerſitaͤten gehoͤren, ob48 ſie gleich nicht oͤffentlich pflegen bekannt gemacht zu werden: daher halte ich es auch noch immer fuͤr meine Schuldigkeit, meine Leſer mit Nachrichten zu unterhalten, welche die Univerſitaͤten angehen, und mir ſpeziell bekannt geworden ſind.

Ich weiß zwar recht gut, daß die Herren auf den Univerſitaͤten es gar nicht gerne ſehen, wenn Hiſtorien oͤffentlich bekannt werden, welche ihren gelehrten Innungen eben nicht zum Ruhme gerei - chen; indeſſen mag dieß immer ſeyn, was kuͤm - mern mich die Herren, genug wenn ich nur keine Unwahrheiten ſchreibe, und meinen Leſern keine lange Weile mache.

Auf der Mail, jener Bierſchenke, welche ſchon mehrmals in dieſem Werke vorgekommen iſt, fan - den ſich von Zeit zu Zeit Studenten ein, welche gerne Breyhan tranken, und mit den Buͤrgern, die ſich daſelbſt verſammelten, freundſchaftlich umgin - gen. Nicht ſelten geſchah es, daß die Studenten uͤber die Maaßen luſtig wurden, aber man vergab ihnen das gerne, und ließ ſie machen. Dem Wirth Brand waren Studentengeſellſchaften immer will - kommen, theils weil ſie brav verzehrten, theils aber auch, weil er ehedem ſelbſt Student geweſen war, obgleich ſeine Studien ſelbſt, wie er ſich ſelbſt ausdruͤckte, nicht weiter gingen, als bis an den Hoſenknopf.

Ohn -49

Ohngefaͤhr um Martini 1797 kam ein Haufe Studenten von Reideburg, einem ſaͤchſiſchen Dor - fe, wo ſie kommerſchirt hatten, auf die Mail, gra - de an einem Tage, als da getanzt wurde; ſie wa - ren alle etwas betrunken, oder nach ſtudentiſchem Ausdruck, beſpitzt, und betrugen ſich ſo, daß meh - rere Buͤrger ſich deßwegen ſtark formaliſirten. Es wuͤrde gewiß zum Handgemenge gekommen ſeyn, wenn nicht einige, die ſowohl der Studenten als deren Antagoniſten Freunde waren, den Frieden wieder hergeſtellt haͤtten. Fuͤr dieſen Tag war al - ſo alles wieder ruhig, aber ſchon am folgenden Mor - gen, als ich zu meinen Scholaren kam, hoͤrte ich, daß ſich manche fuͤr beleidigt hielten, und daß die Philiſter deßhalben ſollten ceram genommen wer - den.

Ich ging damals faſt taͤglich Abends auf die Mail, alſo traf es ſich auch, daß ich zugegen war, als abermals ein Haufen Studenten ſehr beſpitzt von Reideburg dahin kam. Dieſe Herren hatten ſich vorgenommen, den ihnen von den Philiſtern und Gnoten, ihrer Meynung nach, angethanen Schimpf zu raͤchen, und Satisfaction an ihren Beleidigern zu nehmen, aber zum Gluͤcke oder zum Ungluͤcke war auch nicht einer von denen da, welche einige Tage vorher mit den Studenten Haͤndel gehabt hatten.

Laukh. Leben 5ter Theil. D50

Die Studenten haͤtten nun, ſelbſt nach ſtudenti - ſchen Begriffen, ruhig ſeyn ſollen, aber der Brey - han wirkte in ihren Koͤpfen, und beleidigende Re - den von Philiſtergrob, Philiſtermenſchern, Gno - tenzeug u. ſ. w. wurden von ihnen ausgeſtoßen. Endlich beleidigten ſie die Frau eines Branntewein - brenners thaͤtlich, und nun gings an ein Katzbal - gen, wobey aber die Muſenſoͤhne den Kuͤrzern zo - gen, und zum Tanzſaal hinausgedraͤngt wurden.

Alles war nun wieder ruhig, und ich ſezte mich in eine aparte Stube, um da mit einigen mir be - kannten Buͤrgern eine Butelle Breyhan auszuſpie - len: niemand dachte daran, daß die Studenten wieder kommen wuͤrden, und ſchon waren viele Gaͤſte nach der Stadt zuruͤckgegangen, als auf einmal eine ganze Caravane Studenten auf der Mail erſchien. Die beleidigten Herren waren nach Halle zuruͤckgegangen, und hatten da den angetha - nen Schimpf ihren Bekannten mitgetheilt, worauf einige luſtigen Bruͤder durch alle Straßen liefen, und durch das fuͤrchterliche Geſchrey: Burſch raus, Burſch raus! alles alarmirten. Die Meiſten liefen mit, ohne zu wiſſen, wohin, und ohne die Urſache einzuſehen, warum ſie zu einem Burſchen - kriege aufgefordert wurden. So pflegt es aber uͤberhaupt bey Studentenkriegen zu gehen: ſie han - deln ohne zu wiſſen warum?

51

Genug die Caravane kam auf die Mail, verſe - hen mit derben Ziegenhaynern und großen Knuͤtteln, auch ſchienen ſie Steine mitgebracht zu haben, we - nigſtens wurde mit Steinen in die Fenſter canonnirt. Der Tanzſaal wurde zuerſt uͤberfallen, und nun entſtand eine derbe Pruͤgeley, wobey einige Buͤr - ger uͤbel zugerichtet wurden, und zwar lauter ſol - che, welche vorher die Studenten gar nicht beleidi - get hatten: denn die Beleidiger hatten ſich, aus Furcht, die Studenten moͤgten ihnen unterwegs auf - paßen, ganz kluͤglich abgezogen. Einige Frauen - zimmer wurden gleichfalls mißhandelt. Nachdem die Studenten ſich nach ihrer Art Genugthuung verſchafft, und alles, was ihnen vorkam, rein zer - ſchmiſſen hatten, ſo zogen ſie ab, zwar nicht ganz ohne Kopfnuͤſſe: denn die Buͤrger hatten ſich gleich - falls ritterlich gehalten, und ſich mit Stecken, Bier - butellen und Glaͤſern, mit Stuhlbeinen und Baͤn - ken, ſogar mit Ofenkacheln gegen den uͤberfallenden Feind gewehrt.

Der Ruͤckzug der Studenten nach der Stadt ge - ſchah in aller Stille; ſie gingen durch entfernte Thore nach ihren Wohnungen, und mogten wohl glauben, daß nun alles geendiget ſey. Aber ſchon denſelben Abend wurde das abſcheuliche Scandal dem Prorektor der Univerſitaͤt angezeigt: dieſer ſchickte ſofort den Pedell nach der Mail, und fruͤhD252erſchien eine Unterſuchungscommiſſion daſelbſt, wel - che allen verurſachten Schaden genau aufzeichnete.

Nun war die Frage, wer das Scandal verur - ſacht, und wer Theil daran genommen habe? Auf die Ausſage einiger Aufwaͤrterinnen, und andrer Leute, welche einige von den Studenten gekannt haben wollten, wurde eine ganze Menge geſchleppt, und aufs Carcer geſezt. Einige von dieſen mog - ten wohl ſchuldig geweſen ſeyn, aber einige hat - ten ganz und gar keinen Antheil an dem ganzen Handel, und dennoch hielt man ſie auf dem Carcer. Einer davon namens A .... d aus Pommern be - wies ſeine Unſchuld aufs deutlichſte, er kam zwar los, mußte aber doch obendrein die Unkoſten bezahlen. Er war ein Menſch von ganz unbeſchol - tenen Sitten, und von allgemein anerkanntem Flei - ße. Wenn der Student ſich ein Verfahren dieſer Art muß gefallen laßen, ſo ſehe ich gar nicht ein, was der Ausdruck: akademiſche Privilegien, noch bedeuten ſoll; und wenn die Gerichten ſolche Proceduren einſchlagen koͤnnen, ſo muͤſſen ſie wahr - lich ihre Gerichtsordnung aus dem Codex der ſpa - niſchen Inquiſition hergenommen haben. Ein voͤl - lig Unſchuldiger, den ein lichtſcheuer Bube ange - klagt hat, erlangt auch da weiter nichts, als ſeine Freyheit: an Schadenerſatz iſt gar nicht zu denken. 53Doch genug hievon: ich uͤberlaſſe das Urtheil dar - uͤber meinen Leſern.

Die Unterſuchung waͤhrte ſehr lange, ſo nach Art akademiſcher Unterſuchungen: endlich erſchien das Urtheil, welches freylich von Berlin kam, aber natuͤrlich nach den Berichten der Univerſitaͤt ver - faßt war. Nach dieſem Urtheil wurden ohngefaͤhr ſieben Studenten als Stoͤhrer der oͤffentlichen Ruhe relegirt! Unter dieſen Studenten befand ſich ein gewißer Z .... n, welcher zwar aus andern Gruͤnden von der Univerſitaͤt haͤtte entfernt werden ſollen, der aber an dem Spektakel auf der Mail nicht den aller - geringſten Antheil genommen hatte. Es warfen ſich einige auf, welche tuͤchtige und unverdaͤchtige Zeugen fuͤr Z .... n's Unſchuld aufſtellen, und dadurch allen Verdacht einer Theilnahme an dem Mailkrieg von ihm entfernen wollten, aber die wurden nicht an - gehoͤrt, ſo wenig, als die, welche zur Zeit des Ter - rorismus in Frankreich die Unſchuld vertheidigen, und Zeugniße dafuͤr aufſtellen wollten!!

Ich weiß, daß ich hier manches hinſchreibe, wor - uͤber dieſer oder jener ein boͤſes Geſicht machen wird, aber das boͤſe Geſicht dieſes oder jenes Herrn ſoll mich gar nicht hindern, die Wahrheit laut und nach meiner ganzen Ueberzeugung zu ſagen. Anomalien taugen uͤberhaupt nicht viel, man hat ſie nicht ein - mal gerne in der Grammatik; aber gerichtliche Ano -54 malien ſind unter allen nur denkbaren Anomalien die boͤsartigſten: denn ſie beleidigen nicht nur am tief - ſten, ſondern geben auch das ſchaͤdlichſte Beyſpiel.

Der Ueberfall auf der Mail war uͤbrigens eine hoͤchſt aͤrgerliche Sache geweſen, eine grobe Stoͤh - rung der oͤffentlichen Ruhe und Sicherheit, und eben daher fand der Koͤnig fuͤr nothwendig, ein Edict zu geben, wie es in Zukunft bey Auftritten dieſer Art gehalten werden ſollte.

Die Subſtanz des Edicts lief dahin aus, daß bey groben Exceſſen, wohin natuͤrlicher Weiſe der oͤffentliche Tumult auch gehoͤrt, auch derbere Stra - fen, als bisher gebraͤuchlich waren, eingefuͤhrt wer - den ſollten. Der hoͤchſte Grad dieſer derbern Stra - fen ſollte in einem, freylich im Edict nicht genau ge - nug beſchriebenen Durchpruͤgeln des ſchuldigen Stu - denten beſtehen u. ſ. w.

Ich kann wirklich nicht ſagen, ob der Koͤnig ſelbſt die Idee zu dieſem Edict gegeben habe: ſollte es aber ja ſeyn, ſo iſt es geſchehen, weil man ihm das Leben der Studenten und ihr Betragen mit gar zu graſſen Farben geſchildert hat, und da konnte er dann beſchloſſen haben, militaͤriſche Strafen auf ſeinen Univerſitaͤten einzufuͤhren. Meine Sache iſts uͤberhaupt nicht, uͤber Landesherrliche Verord - nungen zu kritiſiren, und Bemerkungen zu machen, aber das kann ich doch hiſtoriſch ſagen, daß eine55 Verordnung dieſer Art alle Privilegien aufhebt, welche ehemals den Univerſitaͤten von den Paͤbſten, Kaiſern und andern Fuͤrſten verliehen worden ſind, und daß eben eine ſolche Verordnung mit dem Be - griff eines freyen deutſchen Mannes wie doch jeder Student iſt nicht beſtehen kann. Ein hieſiger junger Gelehrter ſchrieb damals eine kleine Schrift akademiſche Nuditaͤten welche ich im Manuſcript geleſen habe. Ich bedaure, daß ſie nicht iſt gedruckt worden, ſie wuͤrde bey manchem Naſenruͤmpfen, bey manchem recht Gallvollen Aer - ger, aber bey den Meiſten ein gefaͤlliges Achſelzu - cken und Laͤcheln rege gemacht haben.

Man kann ſich leicht vorſtellen, daß die Be - kanntmachung eines Edicts von ſolchem Inhalt bey den Studenten gewaltige Senſation erregte: ſie dachten ſchon auf einem Strohboſen zu liegen, und einige zwanzig Hiebe vom akademiſchen Profos auf den Hintern zu erhalten. Es wurden Fragen bey den Zuſammenkuͤnften der Studenten aufgeworfen, und ſo nach ſtudentiſcher Art aufgeloͤßt, z. B. wer dann eigentlich die Hiebe austheilen, und den Pro - fos oder den Steckenknecht machen ſollte? Wo man dieſe Knuterey vornehmen wuͤrde? u. ſ. w. Es war leicht zu entſcheiden, daß weder der Prorektor noch ſonſt ein Profeſſor ſich zu einer ſolchen Execution verſtehen wuͤrde: aber jemand mußte es doch ſeyn,56 und wer war dieſer Jemand? Sollte es ein Pe - dell verrichten, oder das waren Fragen, die niemand zu loͤſen vermogte.

In allen Geſellſchaften, wohin ich kam, ſuchte ich den Studenten begreiflich zu machen, daß eine Strafe dieſer Art nie Statt haben koͤnnte, geſetzt auch ſie ſey durch ein Koͤnigliches Edict feſtgeſetzt: Friedrich Wilhelm der Dritte pflege ſich nicht an ſei - ne Worte ſo genau zu halten und zu binden, ſon - dern aͤndere ſeine Reſolution, ſobald er einſaͤhe, daß er etwas unthuliches oder ſchaͤdliches beſchloſ - ſen habe. Es war mir gar nicht ſchwer, dieſe Be - hauptung recht anſchaulich zu beweiſen. Gegen den Winter 1797 hatte der Schauſpieldirektor Doͤ - blin die ſpecielle Erlaubniß vom Koͤnige erhalten, in Halle den Winter uͤber zu ſpielen: er miethete daher hier ein altes Brauhaus, und ließ durch den Zimmermeiſter Haak ein Theater erbauen. Anfaͤng - lich blieb alles ruhig, das Theater ward fertig, und unſre Hallenſer, beſonders die Studenten, ſahen dem lieblichen Winterzeitvertreib mit heiſſer Sehn - ſucht entgegen: aber die Univerſitaͤt machte einen Bericht an den Koͤnig, ſtellte dem Monarchen die Gefahr vor, welche der ſo gut geſitteten Uni - verſitaͤt aus einem Schauſpiel entſpringen koͤnnte, und der Monarch verbot dem Doͤblin, Komoͤdien in Halle zu ſpielen; weil aber doch dieſer ohnehin57 nicht reiche Mann viel Unkoſten mit ſeinen Anſtal - ten, und mit dem Transport ſeiner Bande, oder wies die Herren lieber hoͤren, ſeiner Truppe gehabt hatte, ſo reichte ihm der Koͤnig tauſend Thaler zur Entſchaͤdigung. Niemand kam bey dieſer Gelegen - heit ſchlimmer weg, als der Zimmermeiſter Haak: denn dieſer iſt bis jezt noch nicht bezahlt, ob er gleich den Doͤblin aller Orten gerichtlich verfolgt, und ſtets ſeinen Prozeß gewonnen hat.

Manche Leute fanden es nicht nach ihrem Schna - bel, daß der Koͤnig eine einmal gegebne Erlaubniß zuruͤck nahm; ein Fuͤrſt muͤſſe, meynten ſie, ſein Wort in allen Stuͤcken halten. Andre Leute, die kluͤger waren, raͤumten zwar ſehr gerne ein, daß ein Fuͤrſt ſein Wort halten muͤſſe, aber nur in ſo - ferne es niemand anders ſchaͤdlich werden koͤnne: denn in dieſem Fall muͤſſe auch der Fuͤrſt ſein Ver - ſprechen kaſſiren; der Fuͤrſt, auch der allerweiſeſte, ſey und bleibe immer ein Menſch, und koͤnne als ſolcher, Dinge zuſagen, die dem Wohl des Staa - tes, und folglich der Pflicht des Fuͤrſten ſelbſt zuwider waͤren, und Zuſagen dieſer Art koͤnne der Fuͤrſt zuruͤcknehmen, und muͤſſe es thun, ſobald er eines Beſſern belehrt wuͤrde. So waren die Ur - theile beſchaffen, welche man uͤber dieſen Vorfall faͤllte, zu welchen ich nichts von meinen eignen Gedanken ſetzen mag.

58

In wiefern aber die Halliſchen Profeſſoren ein Recht hatten, gegen ein Theater in Halle ſelbſt zu remonſtriren und daſſelbe, als der Akademie hoͤchſt nachtheilig zu verſchreien, iſt eine andre Frage? In Halle muß es nicht wenig auffallen, daß Profeſſoren ſich uͤber ein Theater formaliſiren, das in der Stadt errichtet werden ſoll, und das immer unter der Halliſchen Polizey ſtehen wuͤrde, da doch eben die - ſe Profeſſoren noch nicht das Geringſte gethan ha - ben, um dem Unweſen und dem Schaden zu ſteu - ren, welchen die Akademie jaͤhrlich in der ſoge - nannten Badezeit durch die Lauchſtaͤdter Komoͤdie leidet. Sobald das Lauchſtaͤdter Theater eroͤffnet wird, ſcheint die ganze Halliſche Studenten - und Buͤrgerſchaft wie von einem elektriſchen Schlag getroffen zu ſeyn; alles ſtrampelt und jubelt, und aus den Fenſtern ruft man ſich einander zu: Wiſ - ſen Sie nicht, was heute gegeben wird? Koͤnnen Sie mir nicht ſagen, wenn Maria Stuart, wenn Abaͤllino, wenn Don Juan u. ſ. w. gegeben wird? Ja, ruft der Student, Gott ſtrafe mich, heute muß ich nach Lauchſtaͤdt: Die Raͤuber werden ge - geben, und das iſt kein Hund. Ich muß hinuͤber, und ſollt es Karbatſchenſtiele regnen. Der Vor - ſatz des Buͤrgers, und des Studenten wird auch auf alle Faͤlle ausgefuͤhrt, Lauchſtaͤdt wird beſucht,59 und ſollten die Stiefel verſetzt, oder verkauft werden, um Geld zu dieſer Expedition zu bekommen.

Das Rennen nach Lauchſtaͤdt iſt nun mit einem zwiefachen unerſetzlichen Schaden fuͤr unſre Stu - denten denn die Buͤrger gehn mich hier nichts an, allemal verbunden.

Einmal faͤllt die Bade - oder vielmehr die Komoͤ - dienzeit zu Lauchſtaͤdt mitten im Sommer, alſo grade dann, wenn die Collegien laͤngſt angefangen, aber noch lange nicht beendiget ſind. Fuͤr diejenigen Stu - denten, welche Lauchſtaͤdt frequentiren, geht alſo der ganze Sommer fuͤr das Studieren verlohren. Mir haben nicht zehen, ſondern hundert Studen - ten ſelbſt aufrichtig geſtanden, daß ihnen die Lauch - ſtaͤdter Komoͤdie alle ihre Sommerhalbejahre ver - dorben habe. Wenn nun ein junger Menſch in der ohnehin ſo kurzen Zeit von zwey Jahren ſeinen gan - zen akademiſchen Curſus endigen ſoll, und doch noch zwey Sommer durch die Lauchſtaͤdter Komoͤdie ver - liert, wie viel Zeit bleibt ihm noch uͤbrig? Es iſt wahr, daß ſich es manche mit ihrem Studieren ſehr kommod machen, und hoͤchſtens noch dasjeni - ge lernen, was zu ihren Brodſtudien gehoͤrt, aber auch dies wenige kann nur von vorzuͤglichen Koͤpfen in ſo kurzer Zeit gelernt werden, und ſind wohl alle Studenten vorzuͤgliche Koͤpfe?

Fuͤrs zweyte iſt dem Burſchenbeutel nichts ſchaͤd -60 licher in Halle, als die Lauchſtaͤdter Badezeit. Ich kenne Studenten, welche hoͤchſtens 250 Thaler Wechſel haben koͤnnen, und doch in einem Som - mer 80 Thaler in Lauchſtaͤdt verbringen: ſonach bleibt alſo dem Herrn noch ein Suͤmmchen von 170 Thalern uͤbrig, womit er alle ſeine andern Beduͤrf - niſſe beſtreiten ſoll. Das kann er nun nicht, er muß alſo borgen, und am Ende ſeine Glaͤubiger prellen. Noch heute, da ich dieſes niederſchreibe, fand ich einen mir bekannten Studenten hinter dem Rathhaus auf der Straße Lieber Laukhard, ſagte er, beſuchen Sie mich noch dieſe Woche; naͤchſten Sonntag gehe ich ab.

Ich. Das thut mir leid; ich glaubte, Sie wuͤr - den noch bis auf Michaelis hier bleiben.

Er. Der Alte will nicht mehr ſpucken (Geld ſchicken) Mein S ... ß (Schulden) ſind ſo groß, daß ich die Manichaͤer nicht bezahlen kann. Ich muß mich druͤcken mit der Malice (heimlich fortma - chen.)

Ich. Sie haben doch einen ſchoͤnen Wechſel ge - habt.

Er. O ja, dreyhundert Thaler; aber man hat auch Ausgaben; das verfluchte Lauchſtaͤdt allein koſtet mich uͤber vierhundert Thaler, ſeitdem ich hier bin.

Waͤhrend der Badezeit zu Lauchſtaͤdt wird der61 Halliſche Student auf alle Weiſe geprellt: die Pfer - dephiliſter, eine wahre Peſtilenz der Akademien, ſchlagen mit ihren Roßen ſo ſehr auf, daß ihnen manche Maͤhre in vierzehn Tagen ſo viel eintraͤgt, als das elende Thier ſelbſt werth iſt; und in Lauch - ſtaͤdt ſelbſt iſt alles ſo abſcheulich theuer, und da - bey noch ſo ſchlecht, daß es wirklich Suͤnde iſt, auch dem Allerreichſten, das geforderte Geld dafuͤr zu geben. Man bedenke nur, daß ein Platz auf dem Parterre in dem uͤber allen Glauben traurigen ſchlechten Komoͤdienhauſe, wo man eher ein von Joſeph Wieland*)Joſeph Wieland, der Marionettenſpieler, graſſirte vor etwan 25 Jahren in ganz Deutſchland herum, und erwarb ſich ein Vermoͤgen von 60000 Thalern. Er war wirklich beſſer dran, als mancher Schauſpieldirektor, den die Manichaͤer aus einem Land ins andre jagen. Exempla ſunt odioſa. dirigirtes Marionettenſpiel, als eine Fuͤrſtliche Truppe Schauſpieler erwarten ſollte, doch zwoͤlf Groſchen bezahlen muß.

Dieß ſind ſo die Hauptſchaͤden, welche unſre Univerſitaͤt durch die Komoͤdie zu Lauchſtaͤdt leidet, und doch hat bisher, ſo viel ich weiß, noch kein Prorektor in Halle dran gedacht, dieſem Unweſen auf irgend eine Art zu ſteuern, und man giebt recht gerne zu, daß unſre Studenten drey, vier, fuͤnf Wochen hinter einander in Lauchſtaͤdt bleiben, und da ihre Reſidenz aufſchlagen.

62

Auſſer dem Zeit - und Geldverluſt aber leiden die Studenten noch andern Schaden, der zwar we - niger ſichtbar, aber nicht minder betraͤchtlich iſt. Die verderblichen Hazardſpiele ſind von Lauchſtaͤdt nach Halle gekommen, und manches obſcure Bre - lau wuͤrde nicht ſo haͤufig beſucht worden ſeyn, wenn die Herren nicht zu Lauchſtaͤdt das edle Pha - rao und das noch edelere Knoͤcheln gelernt haͤtten. Ich habe Studenten gekannt, welche ſich in der Spielkunſt ſo ſehr vervollkommnet haben, daß ſie die Studien an den Nagel henkten, und nun als Spieler in der Welt herumziehen. Doch genug von Lauchſtaͤdt: es wird, troz meines Predigens, doch bleiben wie es iſt, und vielleicht nur noch ſchlimmer werden.

Wenn man aber ſo alles zuſammen nimmt, ſollte man denken, es ſey mehr Eigenſinn von Seiten derer geweſen, welche im Jahr 1797 wider die Er - richtung eines Theaters in Halle proteſtirt haben, als wirklicher Patriotismus und Sorgſamkeit fuͤr die Univerſitaͤt. Ein Theater haͤtte hier wenig, oder gar nichts geſchadet, und wenn auch zwanzig Mal waͤre geſpielt worden, und ein Student haͤtte allen zwanzig Vorſtellungen beygewohnt, ſo haͤtte er doch nicht mehr, als 6 thlr. 8 gl. hingegeben, da ihn jezt eine einzige Lauchſtaͤdter Geniereiſe ſo viel koſtet.

63

Sechſtes Kapitel.

Kriegsgeſchichten im Jahr 1798.

Nachdem der bisherige Haͤſcherhauptmann Baͤr, der Erzantagoniſt aller Studenten, das Zeitliche geſegnet hatte, ſuccedirte ihm Mosjeh Muͤller, und erſezte ihn in allen Stuͤcken. Baͤr war, wie jeder weiß, der ihn kannte, ein grober impertinen - ter Kerl, Muͤller war um kein Haar artiger: Baͤr prellte, wo er konnte, und Muͤller verſaͤumte keine Gelegenheit, etwas zu acquiriren, ohne ſich grade zu bekuͤmmern, ob der modus acquirendi ein legitimer oder illegitimer war. Endlich hatten beyde, Baͤr und Muͤller eine hohe Idee von ihrem Amt, und beſonders Letzterer bildete ſich auf ſeine erhabene Haͤſcherdignitaͤt mehr ein, als der Stadt - gerichtspraͤſident auf die Seinige.

Unſre Hallenſer lieben uͤberhaupt die Haͤſcher nicht, und wo Buͤrger hinkommen, da darf ſich keiner von der nobeln Haͤſchergeſellſchaft blicken laſ - ſen; daher haben auch dieſe Mosjehs ihre eignen Kneipen, ja ſogar ihre eignen Bordelle, wo ſie hingehen, und ſich luſtig machen: denn auch ſie haben Kehlen, und Fleiſch und Blut. Muͤller aber,64 der da glaubte, er koͤnne auch in honettere Geſellſchaf - ten gehen, wagte es einige Mal, an Oerter zu kom - men, wo Branntwein geſchenkt wurde, und wo Sol - daten ſich aufhielten; dieſen ließ er tapfer einſchen - ken, und erhielt ſoviel, daß die Soͤhne des Mars ihn ihrer Bruͤderſchaft wuͤrdigten, und ihm ihren Schutz wider jeden verſprachen, der ihn angreifen wuͤrde. Muͤller ward nun dreiſter, und erſchien im Keller - ſtuͤbchen, welches ich im vorigen Bande beſchrieben habe. Hier waren lauter geſezte Maͤnner, welche zwar den Haͤſcher nicht gern in ihrer Mitte ſahen, jedoch keinen Spektakel machten, und ihn ſein Glas Breyhan in Ruhe austrinken ließen. Als er aber doch ſahe, daß niemand mit ihm ſprach, und kei - ner von den Anweſenden auf ſein Schwadronniren zu merken ſchien, ſtand er auf und ging weg, aber noch an ſelbigem Abend kam er an einen Ort, wo man nicht ſo tolerant war, als im Kellerſtuͤbchen. Dieß war in einer Branntweinſchenke in der Maͤrker - ſtraße, wo er einen ruͤſtigen Muͤhlknappen antraf, der den Herrn Oberhaͤſcher Muͤller, mir nichts dir nichts, zur Thuͤre hinausſchmiß. Der Haͤſcher ſchwur den Philiſtern den Tod, und ſuchte ſich Freunde unter den Studenten. Zu dieſem Ende fand er ſich auf der Egge ein, wo Studenten ſich oft verſammelten, plauderte dieſen ein Langes und ein Breites von den vertrakten groben Philiſtern vor, und ſchwadron -nirte65nirte ſo trefflich, daß die Muſenſoͤhne uͤberlaut lach - ten, und den Oberhaͤſcher ſitzen ließen. Jezt dach - te Mosjeh Muͤller ſchon der Freund der Studenten zu ſeyn, frequentirte noch einige andere Oerter, wo Studenten hingehen, und hatte endlich gar die Freyheit, einem Studenten Schmollis anzubieten. Was, ſagte der Student, Er will Schmollis mit mir machen? Er verfluchter Haͤſcherbuͤttel, Ihn ſoll ja das heilige Kreuz erwuͤrgen. Mit dieſen Worten warf der Student den luͤmmlichen Haͤſcher - kapitaͤn zu Boden, und triſchakte ihn dermaßen durch, daß ihm das Blut zu Maul und Naſe her - aus lief. Die andern Studenten erfuhren die Ur - ſache des Skandals, und transportirten den unver - ſchaͤmten Bengel zur Thuͤre hinaus, die Treppe hinunter, und warfen ihn dann in eine Miſtpfuͤtze.

Nun war Muͤller auch der Feind und zwar der aͤrgſte ſchlimmſte Feind der Studenten, und ſchwur auch ihnen den Tod.

Nicht lange nach dieſer Begebenheit trug es ſich zu, daß ein Student mit einer brennenden, oder auch nicht brennenden Tabakspfeiffe auf der Stra - ße von einem Haͤſcher angetroffen wurde. Der Haͤſcher confiscirte ihm die Pfeiffe, aber der Stu - dent widerſezte ſich, und nachdem mehrere Haͤſcher dazu kamen die Sache ging grade vor der Haͤ - ſcherhauptwache vor ſo wurde der Student arre -Laukh. Leben 5ter Theil. E66tirt. Seine Landsleute gingen hin zum Prorektor, und behaupteten, er ſey zur Ungebuͤhr eingezogen worden, indem ſeine Pfeiffe nicht gebrannt habe. Indeßen ſollte das Zeugniß der Haͤſcher doch mehr gelten, als das der Studenten, und daruͤber kams dann zum foͤrmlichen Krieg.

Die Studenten zogen naͤmlich vor die Haupt - wache der Haͤſcher, ſchrieen ihnen ein pereat! und provocirten ſie foͤrmlich: dieſe Herren, welche ſich zu Kriegszeiten, und uͤberhaupt, wenn ſie auf ernſt - hafte Ebentheuer ausziehen, auf die laͤcherlichſte und abgeſchmackteſte Weiſe beharniſchen, daß man glauben ſollte, es waͤren Sancho Panſas Unter - ſchildknappen, fuhren wie die Furien aus ihrem Wachthauſe, aber die Studenten zerſchlugen ihnen ihre Bleyſtifte ſo nennt man in Halle die lan - gen Haͤſcherſtangen trieben die Stangenritter zu - ruͤck in ihr Caſtell, und provocirten ſie von neuem. Die Haͤſcher ermangelten nicht, abermals ſich ins Feld zu wagen, nachdem ſie aber nochmals zuruͤck - geſchlagen worden waren, blieben ſie ruhig, verram - melten ſich in ihrer Feſtung, und antworteten auf das unaufhoͤrliche Bruͤllen und Pereiren der Stu - denten nicht weiter mehr. Den folgenden Tag wurde der Krieg fortgeſezt, und als die Haͤſcher wieder einen Ausfall wagten, wurde ein Student mit einem Bleyſtift uͤbel zugerichtet. Die Stu -67 denten wuͤrden den Krieg noch lange fortgeſezt ha - ben, wenn man ihnen nicht, ich weiß nicht recht, durch welchen Canal, zu verſtehen gegeben haͤtte, daß ſie Satisfaction haben ſollten.

Muͤller der Haͤſcher wurde wirklich entfernt, weil ihm wenigſtens von den Studenten die Haupt - ſchuld am ganzen Skandal zugeſchrieben wurde. Muͤller vermuthete nichts weniger, als dieß: denn er glaubte, man duͤrfe ihm nicht allein nichts zu Leide thun, ſondern muͤße ihn noch dazu belohnen, weil er ſo ritterlich wider Studenten, Philiſter und Gnoten geſtritten hatte. Ja, ſagte er in der Knei - pe, wo ſonſt die Antiquariusbutike des ſeligen Spechts war, ich muͤßte den Geheimenrath Klein nicht zum Freunde haben, wenn ich mich fuͤrchten wollte. Ja Ihr koͤnnt mir glauben, Leute, ich und Klein verlaſſen einander nicht; er hat mirs in die Hand zugeſagt, daß ich nichts zu fuͤrchten haben ſollte, und wenn ſich die halbe Stadt auf den Kopf ſtellt, und Klein iſt ein Mann von Wort, vorzuͤglich gegen mich. Je nun, eine Hand waͤſcht die andre.

Ich kann nicht ſagen, wie weit die Freundſchaft des Herrn Klein gegen den Oberhaͤſcher ſich erſtreckt hat; vielleicht war die ganze hochgeruͤhmte Gunſt eine leere Erdichtung, wie viele Rodomontaden des eiteln Menſchenkindes: aber das weiß ich, daßE 268Muͤller fortmußte, und daß ſich ganz Halle freute, als dieſer geſtrenge Haͤſcherkapitaͤn ſeinen Abſchied nahm.

Einige Zeit uͤber war es ruhig in Halle, und ſchon glaubten die Studenten, es ſey alles vergeſ - ſen. Ich demonſtrirte meinen Freunden, daß die - ſer Ruhe nicht zu trauen ſey, anguem latere in her - ba, ſtille Waͤſſer gruͤndeten tief, und den Herren von der Univerſitaͤt ſey vollends nicht zu trauen, wenn ſie ſtille ſchwiegen, und freundlich laͤchelten; das Hauptſtudium der Gelehrten ſey Klugheit, und Klugheit erfordere, daß man ſeinen Feind, ehe er ſichs verſieht, uͤberfalle, und ihm die Kehle zu - ſchnuͤre, ehe er um Succurs rufen kann. Meine Freunde hielten mich fuͤr einen falſchen Propheten, aber ich hatte doch wahr prophezeyhet.

Ich blieb eine Nacht uͤber bey meinem Freund und Gevatter Leffler, welcher Hofmeiſter bey ei - nem gewiſſen ſtudierenden Adelichen von Spiegel war: Hr. Leffler war krank, und ich wachte bey ihm. Ich ſaß am Tiſch, und las in Mosheims Servetus, als auf einmal es mogte etwan zwey Uhr nach Mitternacht ſeyn das ganze Haus in Alarm gerieth. Die Haͤſcher waren naͤm - lich unter dem Commando des Univerſitaͤtspedel - len eingedrungen, und holten einige Studenten aus den Betten aufs Carcer, unter welchen auch Hr.69 von Spiegel war. Kaum erlaubten die geſtrengen Herren, daß die Leute ſich anziehen durften, und ſchrieen unaufhoͤrlich: machen Sie, machen Sie, wir muͤſſen fort! gleich als wenn ſie ſich gefuͤrch - tet haͤtten, der Feind moͤgte ihnen auf den Hals ruͤcken, und ihnen die gemachte Beute entreiſſen.

Ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich eine Bemer - kung anbringen, die ſich zwar jedem Nachdenken - den von ſelbſt aufdringt, und dies iſt, daß nichts die Schwaͤche der akademiſchen Regierung mehr be - weiſt, als die Proceduren, welche eben dieſe Re - gierung unternimmt, um ſich derer zu verſichern, welche ſie ſtrafen will. Warum wurden die jungen Leute aus ihren Betten geholt? Sie wuͤrden ſich entfernt haben, wird man antworten, wenn ſie or - dentlich waͤren gefordert worden. Gut; geſetzt ſie haͤtten ſich entfernt: ſo konnte man gegen ſie doch verfahren, wie andre Gerichte auch in ſolchen Faͤl - len thun. Die Leutchen hatten ja doch keine Capi - talverbrechen begangen. Aber die Herren fuͤrchte - ten nicht ſowohl die Entfernung der Angeklagten, als vielmehr die Nothwendigkeit, die angeſchuldig - ten Verbrechen zu beweiſen: und bey einer akade - miſchen Inquiſition kann ſo ein Beweis ſehr leicht ausgefuͤhrt werden, der oft ganz unmoͤglich waͤre, wenn man mit ſeinen Proben oͤffentlich herausruͤ - cken muͤßte. Der Student wird aufs Carcer geſetzt,70 und nun iſt nichts leichter, als ihn ſchuldig zu fin - den, wenn man ſonſt will: man kann ja inſtruiren und das Urtheil nach Wohlgefallen faͤllen. Aber wenn die Klagepunkte bey unbefangnen ſollten un - terſucht und gewuͤrdiget werden, moͤgte wohl man - ches in Senatu academica gefaͤllte Urtheil gar gewal - tig reformirt werden muͤſſen. Die Urſache alles Unheils auf Univerſitaͤten iſt ein radikal Unheil, naͤmlich die Geringſchaͤtzung der Geſetze. Und wo - her kommt dieſe ſchaͤdliche Verachtung? Antwort, aus dem Weſen der Geſetzgebung ſelbſt. Alle Au - genblick werden Geſetze und Verordnungen gedruckt und angeſchlagen, aber dabey bleibt es dann mei - ſtens auch, und fuͤr die Ausfuͤhrung des Gebote - nen, oder die Verhinderung des Verbotenen ſorgt weiter kein Menſch mehr. Es iſt mir wahrlich leid, daß ich es ſagen muß, aber es iſt Wahrheit, und die muß heraus, ſollten auch noch ſo viele Her - ren ihre Naſen daruͤber ruͤmpfen. Dadurch, daß die Herren auf der Univerſitaͤt ich rede nicht von Halle allein, ſondern von allen deutſchen Univerſi - taͤten, in ſoferne dieſe mir ſind bekannt geworden nicht auf die Erfuͤllung aller ihrer Verordnungen halten, machen ſie ſelbſt, daß niemand viel dar - nach fragt, und ſo bleibt es immer beym Alten. Ein ganz neues Beyſpiel mag hier zur Erlaͤuterung dienen. Vor etwan 8 Wochen wurde am ſchwar -71 zen Bret zu Halle angeſchlagen, daß kein Student mehr auf den Doͤrfern kommerſchiren ſollte, und na - mentlich wurden die Gelage in Reideburg verboten, und in dem Anſchlag hieß es, die Saͤchſiſchen Ge - richte ſeyen deßhalben requirirt, und wuͤrden ge - wiß recht ernſthafte Maaßregeln ergreifen, wenn je jemand eine Laͤrmſauferey veranſtalten wollte. Was geſchah? Den folgenden Tag, nachdem das Quaſigeſetz angeſchlagen worden war, zogen viele Studenten nach Reideburg, und erkundigten ſich bey Zacharias Schmid, dem Schenkwirth, ob er wohl einen honetten Kommerſch verſtatten wollte? Warum dann nicht, antwortete Schmid? Wer will mir das verbieten? Kommerſchirt Ihr nur derb, macht einen Pabſt, und thut was Ihr wollt: ich will den ſehen, der Euch etwas in den Weg legen ſoll. So Herr Zacharias Schmid. Die Stu - denten, neugierig zu erfahren, welche Wirkung die Requiſition des Prorektors durch die Saͤchſiſchen Gerichten thun wuͤrde, fingen ihren Landesva - ter an und ſangen munter herum. Indem ſie ſo laͤrmten, kam endlich der Richter, und gebot Ruhe, ließ ſich aber bald beſaͤnftigen, da ihm vorgeſtellt wurde, daß man bloß da ſey, um ein Liedchen zu ſingen, und dabey zu trinken, keinesweges aber, um ſich zu ſchlagen oder ſonſt Unordnungen anzu - fangen. In Halle ward es gleichſam wie durch72 ein Lauffeuer bekannt, daß in Reideburg war kom - merſchirt worden, aber davon wurde weiter keine Notiz genommen. Ich will hier gar nicht unter - ſuchen, ob ein Vergnuͤgen, wie Kommerſche zu unſrer Zeit ſind, tolerirt werden koͤnnen oder nicht, aber wenn man ſie toleriren will, oder gar toleriren muß, ſo ſollte man ſie auch nicht verbie - ten. Ich werde weiterhin Gelegenheit haben, uͤber dieſen Gegenſtand noch mehr zu ſagen, uͤbri - gens bekenne ich, daß mir, ſo oft ich von einem akademiſchen Geſetz hoͤrte, allemal der ſo ſehr wah - re Ausſpruch des Dichters beygefallen iſt:

Quid leges ſine moribus Vanae proficiunt? *)Was nuͤtzen die leeren Geſetze, wenn niemand zu gehorchen gewohnt iſt.

Doch ich will nur weiter erzaͤhlen. Die Unter - ſuchung ging, wie die meiſten Unterſuchungen auf Akademieen, ſehr langſam vor ſich, und da eben der nun verſtorbene Profeſſor Krauſe Prorektor wer - den ſollte, ſo ließ dieſer ſich ſchon vorher, ehe er, wie man ſagt, die Faſces academicos capeſſirte, in dieſer Sache initiiren, und war dabey ſo emſig, daß er den ganzen Tag auf der Wage**)Ein dem Stadtmagiſtrat gehoͤriges Gebaͤude, welches die Univerſitaͤt gemiethet hat, um da ihre Gerichte, Diſputatio -〈…〉〈…〉 u. d. gl. zu halten. blieb,73 und ſich ſogar Eſſen und Coffee dahin bringen ließ, gleichſam als waͤre ein ſolcher Prozeß mit der Wohlfahrt des heiligen Roͤmiſchen Reichs deutſcher Nation aufs innigſte verbunden. Das Ende vom Liede war, daß mehrere fortgeſchickt wurden, und daß die Aeltern der Inculpaten nach laͤngſt herge - brachter Sitte, große Summen Unkoſten und Straf - gelder bezahlen mußten. Die Studenten kamen dießmal, wie allemal, am ſchlimmſten weg, und Herr Klappenbach, der Stockmeiſter, wuͤnſcht ſich alle Jahre einen Studentenkrieg, weil er davon nicht geringen Nutzen hat.

Siebentes Kapitel.

Literariſche Arbeiten.

Im Winter 1797 ſchrieb ich meinen Carl Mag - nus, eine Lebensgeſchichte eines winzigen Despo - ten in den Rheingegenden, deſſen Begebenheiten mir laͤngſt genau bekannt waren. Ich habe von dieſem Carl Magnus, Rheingrafen zu Grehweiler, ſchon einiges in meiner Lebensbeſchreibung*)Band 1. Seite 37 ff. ange - fuͤhrt, aber das Buch, welches ich nun herausgab, war eine vollſtaͤndige Biographie dieſes unwuͤrdi - gen Reichsſtandes. Mein Zweck war nicht ſowohl74 das Andenken eines Grafen an den Pranger zu ſtellen, welcher noch ſehr vornehme Verwandte in - nerhalb und außerhalb Deutſchlands hat, als viel - mehr einen Zuchtſpiegel fuͤr diejenigen zu ſtellen, welche gern mit aller Ehrbarkeit als Regenten durch die Welt kommen wollen. Daß ich meinen Zweck nicht ganz verfehlt habe, beweiſt folgender Vor - fall: Im Fruͤhling 1798 ließ mich der Fuͤrſt von Neuß zu ſich auf den Loͤwen kommen, war ſehr artig gegen mich, und geſtand mir, daß er gerne den Verfaſſer des Carl Magnus habe wollen ken - nen lernen; Carl Magnus ſey zwar ſein Vetter ge - weſen, aber darauf nehme er gar keine Ruͤckſicht, und billige mein Unternehmen, einen winzigen Ty - rannen zum abſchreckenden Beyſpiel aufzuſtellen. Ich wuͤnſchte, fuhr er fort, daß manche Herren hier nannte er verſchiedene Ihren Carl Magnus leſen moͤgten. Denn viele ſtehn ſchon auf der Schaukel, und werden bald umkippen, andre ei - len ihrem Verderben ſchnurſtraks entgegen. Ihr Buch koͤnnte ſie belehren, was aus Donkiſchotspoſ - ſen herauskommt. So urtheilte ein helldenkender, aufgeklaͤrter Fuͤrſt; ganz anders aber ſprach der Goͤttinger Recenſent, welcher, wie man verſichert hat, Hr. von Berg ſeyn ſoll. Dieſer Recenſent fiel beſonders uͤber das Urtheil her, welches ich uͤber das Reichskammergericht zu Wetzlar gefaͤllt75 hatte; ohne das Urtheil ſelbſt zu widerlegen, be - ſchuldigt er mich geradezu der Partheylichkeit und der Verdrehung des Gegenſtandes, und verſichert, daß es bey keinem Gericht in ganz Europa ordent - licher und redlicher zugehe, oder auch nur zugehen koͤnne, als bey dem Reichsgericht zu Wetzlar!! Credat ludaeus Apella, wird hier mancher ſagen, der die Lage der Dinge beſſer kennt, und wenn es wahr iſt, daß Herr von Berg jene Recenſion ge - macht hat, ſo bin ich vollkommen uͤberzeugt, daß er anders dachte, als ſeine Feder ſchrieb.

Indeſſen machte doch meine Schrift auch in Wetzlar ſelbſt Aufſehen: der Prorektor Krauſe ſagte zu einem ſeiner Hausſtudenten, den ich noch, im Fall es verlangt werden ſollte, namhaft machen kann, ich ſey verklagt worden von der Kammer zu Wetzlar, und nach ſeiner Meynung muͤßte es mir hart an den Kragen gehen; es ſey aber auch ſchon recht: denn einem Menſchen, der ſich nicht ſcheute, das hohe Reichsgericht ſelbſt anzugreifen, muͤſte man das Maul ſtopfen, und zwar derb. Ich will hier gar nicht fragen, in wie weit es ſich ſchickt, daß ein Prorektor mit einem Studenten uͤber ſolche Sachen ſpreche, ſondern nur anmerken, daß ich das Reichskammergericht ganz und gar nicht ange - griffen habe, wenigſtens das nicht, welches im Jahr 1797 zu Wetzlar war: denn ſollte ja etwas76 Nachtheiliges fuͤr das Kammergericht aus meinem Buche zu ziehen ſeyn, ſo betraͤfe es doch bloß die Herren, welche ohngefaͤhr 1766 oder 1768 das Perſonale der Kammer ausmachten, und es wird doch wohl niemand behaupten wollen, daß es zu keiner Zeit Anomalien in Wetzlar geſetzt habe. Haec in parentheſi.

Der Student, mit welchem der Prorektor Krauſe uͤber mein Verbrechen gegen das hohe Reichsgericht geſprochen hatte, kam zu mir, und erzaͤhlte mir alles, in der Abſicht, mich zu warnen, und etwa mich durch die Flucht zu retten. Hr. Krauſe muß demnach meine Sache, als ſehr gefaͤhrlich vorge - ſtellt haben. Ich ging nun ſelbſt hin zum Prorek - tor, und erkundigte mich, allein dieſer gab mir zur Antwort, es waͤre zwar an dem, daß ich verklagt ſey, allein noch ſey Er nicht befugt worden, eine Unterſuchung uͤber die von mir gegen ein hoͤchſtes Reichsgericht er ſprach dieſe Worte mit einer ihm ganz allein eignen Emphaſe aus hingeworfe - ne Calumnien zu inquiriren, ſollte aber dieſer Fall eintreten, ſo wuͤrde er thun, was ſeine Pflicht for - derte. Ich merkte, daß Hr. Krauſe in dieſem Stuͤck ſeiner Pflicht nur gar zu gerne ein Genuͤge geleiſtet haͤtte, allein dieſe Freude ward ihm nicht: denn da die Klage uͤberhaupt ſo eingerichtet war, wie mir ſich - re Leute erzaͤhlt haben, daß ſie nicht konnte von77 Preußiſchen Obergerichten angenommen werden, ſo wurde ſie uͤberhaupt bey Seite gelegt, und kam nicht zur Unterſuchung. Da uͤbrigens meinem Carl Magnus von niemand oͤffentlich widerſprochen wird, welches doch ſehr leicht geſchehen koͤnn - te, wenn er Luͤgen enthielte, indem noch viele hohe und niedere Augenzeugen aller in dem Werkchen erzaͤhlten Begebenheiten noch jezt am Leben ſind, ſo verdient er allerdings hiſtoriſchen Glauben, und kann dem kuͤnftigen Hiſtorienſchreiber dienen, den Geiſt der Duodezmonarchien in Deutſchland mehr kennen zu lernen.

Den Sommer 1798 uͤber ſchrieb ich den erſten Theil meiner Annalen der Univerſitaͤt zu Schilda, auf welchen zu Oſtern 1799 der zweyte und dritte Band folgte. Ich hatte ſeit dem Jahr 1775 das Univerſitaͤtsweſen angeſehen*) quaeque ipſe miſerrima vidi, Et quorum pars magna ſui. Virg. Aen. L. II. und war daher ſehr wohl im Stande, das Karrikaturmaͤßige der ge - lehrten Innungen in Deutſchland darzuſtellen. Ich wagte es, und ſo entſtanden die Annalen von Schil - da. Ich habe aber dabey keine Univerſitaͤt insbe - ſondere, keinen individuellen Profeſſor u. ſ. w. vor Augen gehabt, ſondern unter erdichteten Namen diejenigen Boksſpruͤnge beſchrieben, welche ich78 kennen gelernt, und zum Theil warum ſollte ichs nicht geſtehen? ſelbſt mitgemacht hatte. Dieß moͤgen diejenigen ſich merken, die ſo unge - buͤhrliche und abgeſchmackte Auslegungen uͤber mein im Grunde ganz unſchuldiges Werk gemacht haben. Mein Freund, Herr Leffler, ſchrieb mir aus Fran - ken, daß man in Jena, Erlangen und Altorf mein Schilda und die von mir vorgeſtellte Perſonen alle gefunden, und mit Fingern auf ſie gewieſen habe. Der Profeſſor Fuͤnfkaͤs ſey in Jena Herr X, in Er - langen Herr Y und in Altorf Herr Z. Das Ding kam mir wunderlich vor, da Fuͤnfkaͤs auch in Halle geſucht und gefunden wurde. Ich erſchrack uͤber dieſe Auslegungen, welche meinen Worten einen Sinn gaben, den ich weder gedacht hatte noch den - ken konnte, da ich wirklich die Maͤnner verehre, welche ich in den Annalen an den Pranger geſtellt haben ſoll.

Ich hatte gewiß bey der Verfaſſung der Schil - daiſchen Annalen eine ganz andre Abſicht, als mei - ne meiſten Leſer vermutheten: ich wollte die Radi - calfehler aller deutſchen Univerſitaͤten ſchildern, und einige Mittel angeben, wie denſelben abzuhel - fen ſey. Ich dachte, vielleicht lieſt jemand dein Buch, dem es dran liegt, daß dieſe Fehler gebeſ - ſert werden, und der auch Kraft genug hat, ſo ein Werk ganz oder zum Theil auszufuͤhren, da kann79 das Buch nuͤtzlich werden. Damit es aber auch nicht ſollte liegen bleiben, und ſich auch von ſol - chen leſen laſſen, welche ſich um die Verbeſſerung des Univerſitaͤtsweſen nicht bekuͤmmern, kleidete ich das ganze Ding in Schnurren ein, welche um ſo verzeihlicher ſind, da es auf allen deutſchen Uni - verſitaͤten ſo ſehr ſchnurrig zugeht, wie die taͤg - liche leidige Erfahrung hinlaͤnglich beweiſt.

Eines Tages kam ich zu Herrn Bispink. Wiſſen, Sie daß ein hieſiger Student gegen Sie ein Buch ſchreiben wird, welches Laukhard der Obermeiſter der gelehrten Innung zu Schilda heißen ſoll? Ich betheuerte Hn. Bis - pink, daß ich nichts von ſo einer Schrift wiſſe. Ja, ja, fuhr er fort, es iſt ganz gewiß; der jun - ge Mann hat ſich nach allen Ihren Hiſtoͤrchen er - kundigt, und wird ein nettes Bild von einem Schil - daiſchen Obermeiſter darſtellen. Ich erkundigte mich unter den Studenten denn Herr Bispink wollte mir den Verfaſſer der imaginairen Broſchuͤre nicht ſagen wer doch ſo etwas zu ſchreiben im Sinn haͤtte; aber keiner wußte mir daruͤber Aus - kunft zu geben. Indeſſen ſuchte ich im Epilog zum dritten Band der Annalen mich gegen die etwai - gen Vorwuͤrfe meines Antagoniſten zu verwahren, allein das war ſehr uͤberfluͤßig: denn es erſchien auch kein Buchſtabe weder gegen meine Annalen,80 noch gegen meine Perſon. Die ganze Hiſtorie war eine Erfindung eines leeren muͤßigen Kopfes, oder einer Fraubaſe; vielleicht waren die guten Leutchen ſcharfſinnig genug, ſich in Schilda anzu - treffen, und da wollten ſie mir wenigſtens Angſt ma - chen, da ſie mir weiter nicht ſchaden konnten. Es geht ſo in der Welt, und man wuͤrde ſehr uͤbel thun; wollte man den Leuten den Spaß verſalzen, wie ich leicht koͤnnte, wenn es mir jezt einfiele, Skan - dale zu erzaͤhlen; aber das will ich nicht, obgleich damals die Herren ſich bemuͤhet haben, meine Suiten, ſogar meinen Zank mit einem Schacher - juden auf dem Rathskeller zu erforſchen, und zu verbreiten. Unter den Recenſenten der Annalen, hat Herr Borhoͤk meinen Sinn am beſten getroffen: wie aber die Annalen von Schilda in den theolo - giſchen Annalen konnten recenſirt werden, iſt nicht leicht zu begreifen, es muͤßte dann ſeyn, daß das Schildaiſche Weſen mit dem Theologiſchen einige Aehnlichkeit haͤtte. Daß aber ein ſo orthodox luthe - riſcher Mann, wie Herr Scheibel zu Breslau iſt, meine Annalen nicht billigte, iſt gar kein Wunder: aber Herr Scheibel hatte doch gar nicht Urſache, in ſeinen Gloſſen, wo er immer etwas Kluͤgeres haͤtte vorbringen koͤnnen, auf die armen Produkte und ihren Verfaſſer ſo fuͤrchterlich loszuziehen, und mich, wie mir ſelbſt einige von ſeinen Schuͤ -lern81lern geſagt haben, einen Kerl, einen Scribax, ei - nen Blasphemanten und Profananten uͤber den an - dern zu heißen. Es thut mir leid, daß ich dieß von einem Manne ſagen muß, deſſen Verdienſte ich hochſchaͤtze, und von dem ich ſelbſt manches Gute gelernt habe. Doch es mag ſeyn; vielleicht thut es Herr Scheibel in Zukunft nicht mehr, und ſieht vielleicht ein, daß Schulſaͤle keine Klatſchbu - den ſind, wo man andre Leute herumholt, und ih - nen das bischen Ehre abſchneidet, das ſie vielleicht noch haben moͤgen.

Achtes Kapitel.

Magiſter Dornenſteeg. Stemmert. Schulz.

Im Fruͤhling 1798 beſuchte mich ein Fremder, welcher ſich Dornenſteeg nannte. Dieſer Mann fiel mir auf, es war mir, als haͤtte ich ihn ſchon einmal irgendwo geſehen, aber da er ſich Dornen - ſteeg nannte, ich mich aber nicht beſinnen konnte, dieſen Namen irgendwo gehoͤrt zu haben, ſo ſtellte ich auch weiter keine Unterſuchungen an, zumal da Herr Dornenſteeg nicht im Geringſten that, als habe er mich ſchon ehemals gekannt. Einige Tage hernach beſuchte er mich wieder, und entdeckte ſich,Laukh. Leben 5ter Theil. F82und ſiehe da, es war Herr Eichhorn von Pyrmont, mit welchem ich ehedem in Gießen und in Goͤttin - gen ſtudiert, und an dieſen Orten manches Eben - theuer beſtanden hatte. Eine groͤßere Freude haͤtte ich damals nicht haben koͤnnen: denn es iſt ſo ſehr angenehm, alte Bekannte wieder zu treffen, und dieſe Bekannte ſind uns um ſo theurer und angeneh - mer, wenn wir mit ihnen an Oertern waren, die uns unvergeßlich ſind, wie mir Gießen und Goͤttingen ewig bleiben werden. In der erſten Stadt hatte ich den Anfang meines akademiſchen Lebens ge - macht, und hatte mich gleich ſo in den damaligen Burſchenton eingeſchuſtert, daß man noch in Gießen meiner gedenkt, und wohl noch lange gedenken wird. Nun hatte ich wieder einen Mann, mit dem ich mich uͤber die alten Geſchichten unterhalten konnte, und ſo oft wir zuſammen kamen wir kamen aber, da Hr. Dornenſteeg auch beym Schnei - der Baum wohnte, taͤglich zuſammen ließen wir die Gießer und Goͤttinger die Revuͤe paſſiren, und erzaͤhlten uns die alten Stuͤckchen, welche wir erlebt hatten. Die Eulerkappereyen, die Wami - chiaden, die Auftritte mit dem groben Muͤller im Einhorn, die Kreuzzuͤge und die uͤbrigen Gießer Poſſen: dann kamen wir auf Goͤttingen, muſter - ten die Kellermenſcher und den Schnappskonradi u. ſ. w. Dieß thun wir noch bis auf den heutigen83 Tag; wir treffen uns noch ſehr oft im Hirſch bey Hn. Kypke, auf dem Univerſitaͤtskeller, in Karls Garten und auf der Mail, wo unſer Geſpraͤch meiſtens alte Suiten beruͤhrt. Unſer gemeinſchaft - licher Freund, Herr Buͤchling, nimmt gerne Theil an unſern muntern Unterhaltungen, und da giebts immer was zu lachen, beſonders wenn wir uns mit der Mamſell Eulerkapper und mit dem Gießer Ober - haͤſcher Neeb aufziehen.

Herr Dornenſteeg heißt Eichhorn, hat aber ſei - nen Namen wegen gewiſſen Urſachen umgeſchaffen; dieſe Urſachen hat er mir nie entdeckt, weil ich ihn nie drum fragte: aber wichtig genug muͤſſen ſie ge - weſen ſeyn, weil man doch nicht ohne Noth ſeinen Namen veraͤndert. In Frankreich fand ich auch einmal fuͤr gut, mein Laukhard in Lamarets umzu - ſetzen, und fuhr ſehr wohl dabey, ich zweifle aber doch, daß Herr Dornenſteeg ſo trifftige Gruͤnde zur Veraͤnderung ſeines Namens ſollte gehabt haben, als ich.

Alle Hallenſer, welche mit dem braven Magi - ſter denn unter dieſem Namen iſt er hier bekannt Umgang haben, bedauern nur, daß er ſchwer hoͤrt, und daß dadurch ſeine Geſellſchaft etwas laͤ - ſtig wird; doch vergißt man auch bald dieſen Miß - ſtand bey der ihm ganz eignen und unveraͤnderlichen jovialiſchen Laune.

F284

Unter diejenigen, mit welchen ich genauer umging, ſeitdem ich verheyrathet war, gehoͤrt vorzuͤglich Herr Stemmert. Dieſer Mann war ehedem Fran - ziskanermoͤnch geweſen, hatte aber, theils aus beſ - ſerer Ueberzeugung, theils aber auch deswegen, weil ihm ſein eignes Fleiſch und Blut ſagte, es ſey beſſer, ein Hemd zu tragen, als einen wollenen Lap - pen auf dem Leibe, beſſer im Bette zu ſchlafen, als auf dem Strohſak zu lunzen, und des Nachts, wenn andre ruhen, im Chor zu plaͤrren, beſſer endlich, mit einem huͤbſchen Maͤdchen ſpazieren zu gehen, als auf dem Termin herumzulatſchen, und Butter, Kaͤſe, Eier u. d. gl. zu betteln. Das alles uͤber - legte Herr Stemmert und verließ ſein Kloſter, und that, me quidem judice, ganz recht daran, obgleich ihn alle gute katholiſche Chriſten deßhalb tadeln muͤſſen. Mit ſeiner Apoſtaſie vom Franziskaner - orden verband er auch die Apoſtaſie vom Roͤmiſchen Glauben, und handelte hierin wahrlich conſequen - ter, als jene Exmoͤnche, welche zwar das Kloſter verlaſſen, und doch aͤchte katholiſche Chriſten blei - ben wollen. In der roͤmiſchen Religion iſt alles Syſtem, und alles haͤngt da, wie in einer Kette zuſammen, wer ein Gelenk dieſer Kette aufloͤſet, trennt alles, und das ganze Gebaͤude faͤllt uͤbern Haufen. Die Kirche aber belegt den, der ſeinen Orden verlaͤßt, mit dem Anathema; wie kann abe85 ein ſolcher von der Kirche, alſo auch von Gott Ver - fluchter, noch ein guter katholiſcher Chriſt ſeyn? Und doch bilden ſich manche Exmoͤnche, ſogar ſolche, die doch nicht ſcheinen vernagelt zu ſeyn, in ihrem Gehirne ein, ſie koͤnnten den guten Catholiken und den anathematiſirten Kuttendeſerteur in einer Per - ſon vereinigen. Aber die Herren, welche ſo den - ken, ſcheinen ſich mit der Zeit wieder bekehren zu wollen: ſie wollen nur eine Zeitlang das Vergnuͤ - gen der Freyheit und des luſtigen Lebens genießen, alsdann beichten, Buße thun, und im Schoos der alleinſeligmachenden Kirche, in der gnadeertheilen - den Kutte des heiligen Franz, oder des heiligen Dominicus ſterben. So war zum Beyſpiel ſeit 1792 ein gewiſſer Exmoͤnch Succard hier in Halle, welcher im Lateiniſchen Stunden gab, ohne das Latein zu verſtehen: denn Succard war nicht im Stande, eine Zeile in einem Schriftſteller zu er - klaͤren. Das Dutzen im Lateiniſchen, meynte er, ſey Grobheit, ehedem in den groben Zeiten eines Cicero und Virgilius moͤgte das ſo hingegangen ſeyn; aber wir muͤßten die Sache beſſer verſtehn ', und ſtatt des ungeſchliffenen Ciceronianiſchen: ſi vales, bene eſt, ſagen: ſi veſtra dominatio ſe bene portat; waͤre es ein Geiſtlicher, muͤſſe man veſtra Reverentia ſagen, zu einem Fuͤrſten ſpraͤche der je - tzige Lateiner veſtra Serenitas, und zu einem Koͤni -86 ge veſtra Majeſtas u. ſ. w. Dieſer Menſch lebte zwar gar nicht monachaliſch, er ſoff, hielt ſich ein Maͤdchen von der verworfenſten Claſſe, fluchte und riß Zoten, wie ein Oberhaͤſcher; aber Fleiſch haͤtte er um alles in der Welt am Faſttage nicht ge - geſſen, und in ſeiner Stube ſahe es aus, wie in einer Kapelle; alle Waͤnde waren mit Heiligenbil - dern tapiſſirt, und das Weyhkeſſelchen hing neben der Stubenthuͤr. Endlich druͤckte den guten Suc - card das ſchwere Gewiſſen; er ſchrieb an ſein Klo - ſter, bekannte ſeine Suͤnden, erhielt natuͤrlicher Weiſe einen Gnadenruf von der heiligen Klike, und kehrte zuruͤck. Ohne allen Zweifel paradirt Mei - ſter Succard dereinſt im Himmel wie ein glaͤnzen - der Stern.

So wie aber Succard dachte und handelte, ſo handeln mehrere, welche das Kloſter verlaſſen. Im Sommer 1798 kam ein Weſtphaͤliſcher Moͤnch nach Halle, und ſuchte Beyſtand bey Hn. Bispink. Dieſer Mann, welcher niemand ſeine Huͤlfe ver - ſagt, wenn er helfen kann, nahm ſich des Men - ſchen nach allen Kraͤften an, kleidete ihn, und ſchaffte ihm eine Wohnung; aber der Ehrenmann, er hieß Schulz*)Mehr Nachricht von dieſem Nichtswuͤrdigen giebt das Staa - tenjournal. B. V. , fuͤhrte ſich auf, wie ein pecus campi, beſoff ſich alle Tage in Schnapps, der87 Kerl konnte fuͤr ſechs Groſchen Fuſel ausziehen, ohne trunken zu werden, und nun denke man, wie viel er ſaufen mußte, bis er hinſtuͤrzte! und machte außerdem noch allerley Exceſſe, daß ſeine Hausleute, aus Furcht, er moͤgte ihnen das Haus anſtecken, ihn nicht mehr leiden wollten. Er muß - te deßhalb, ſelbſt auf Hrn. Bispinks Betrieb, von Halle weg, und das Sonderbare bey der Sache war, daß ihm der damalige Prorektor die ihm ge - gebne Matrikel wieder abnahm. Der Prorektor war aber kein Juriſt, ſonſt haͤtte ers ſchwerlich gethan. *)I. A. Spohn de privatione privilegiorum infami ac famoſa. Goettingae in fallos 1775. Der Pro - rektor kann wohl eine Matrikel ertheilen, aber den, der ſie hat, derſelben nicht berauben, auch dann nicht, wenn dieſer rele - girt wird. Bey Schulz gings indeſſen: denn der dumme Teu - fel ließ mit ſich machen, was man wollte.Dieſer Schulz bey alle ſeinem Luderleben, war doch ein guter Katholik, betete taͤglich ſeinen Ro - ſenkranz, und lief in alle Meſſen. Von Halle aus ging er nach Weſtphalen zuruͤck, wurde aufgefiſcht, und in ein Kloſter geſteckt; er wird aber jezt wie - der los ſeyn, und gewiß auch noch ein Heiliger werden, wie Maria Magdalena eine Heilige iſt.

Nun wieder zu Herrn Stemmert. Er verließ alſo ſein Kloſter, ging nach Jena, und fing an, die lutheriſche Theologie zu ſtudieren. Das theo -88 logiſche Studium ſezte er auch in Halle fort: al - lein aus guten Gruͤnden verließ er es, und dieſe wa - ren, wie er mir ſelbſt geſtand, folgende. Er hatte bey dem ſehr bornirten Unterricht auf der Schule zu Fulda keine Gelegenheit gehabt, die morgenlaͤndi - ſchen Sprachen zu lernen, und war ſelbſt im Grie - chiſchen eben kein Hexenmeiſter geworden. Nun haͤtte ihn zwar der Mangel an dieſen Kenntniſſen nicht hindern koͤnnen, Theologie zu ſtudieren, wenn er den gewoͤhnlichen Gang haͤtte mitmachen wollen: denn viele unſrer Herren werden ja auch Theolo - gen, ohne Hebraͤiſch leſen oder Time dekliniren zu koͤnnen. Aber Herr Stemmert dachte anders, und war uͤberzeugt, daß ohne eine gruͤndliche Kennt - niß der Bibelſprachen das ganze theologiſche Stu - dium ein bodenloſes Ding ſey: er hatte nicht Luſt, ſich mit dem Kametz Chatubh abzugeben, und ließ daher auch die Theologie. Dann bewog ihn hier - zu auch noch die eigentliche Beſchaffenheit die - ſes Studiums. Er meynte, die ganze Theologie ſey eine bloß menſchliche Erfindung, welche bloß ihres erdichteten hoͤhern Urſprungs wegen ehrwuͤr - dig ausſaͤhe, aber bey jeder naͤhern Unterſuchung und Beleuchtung dahin ſtuͤrzte. Dieß ſey die Na - tur jeder Theologie, der heidniſchen, juͤdiſchen und chriſtlichen, und in der chriſtlichen ſey die prote - ſtantiſche der katholiſchen ſo aͤhnlich wie ein Ey dem89 andern, naͤmlich in Ruͤckſicht auf Urſprung und Wuͤrde: der Katholik baue das Anſehen ſeiner Theologie auf das Anſehen ſeiner Kirche, die er faͤlſchlich fuͤr die allgemeine Kirche ausgaͤbe, und der Proteſtant gruͤnde ſein Syſtem auf die ſehr zwey - deutige Autoritaͤt einiger Juden, welche den Stif - ter der Religion theils ſelbſt gehoͤrt, theils von an - dern deſſen Lehre erfahren hatten. Eine goͤttliche Inſpiration oder unmittelbare goͤttliche Direction kaͤme hier allerdings ins Spiel: denn die Verthei - diger der Religionen haͤtten wohl eingeſehen, daß ſie ihren Beweis, ohne den naͤhern Beyſtand Gottes zu Huͤlfe zu nehmen, nicht ſuchen koͤnnten; im Grunde aber ſey ſo eine Inſpiration oder Dire - ction entweder bey einzelnen Menſchen, bey Apo - ſteln, oder bey kirchlichen Verſammlungen, bey ſogenannten allgemeinen Concilien unerweislich, und eben daher ſey das Fundament der ganzen The - ologie gleichfalls unhaltbar, und ſchwankend. Die - jenigen Theologen, welche das Kirchenſyſtem mo - derniſiren wollten, und es, ſo gut es ſich thun lie - ße, mit dem jedesmaligen philoſophiſchen Syſtem harmoniſch zu machen ſich bemuͤheten, ſeyen in dieſem Fall nicht Theologen, und zerſtoͤrten dadurch, daß ſie die Lehren des Glaubens der Vernunft, oder genauer zu reden, dem herrſchenden philoſophiſchen90 Syſtem unterwuͤrfen, die ganze Theologie. Aus allen dieſen Urſachen ſey das Studium der Kirchen - lehre die Sache eines denkenden Kopfes nicht: denn dieſer faͤnde nie Nahrung fuͤr ſeinen Geiſt, und nie Gewißheit in derſelben.

Gern haͤtte Stemmert Medecin ſtudiert, aber die res anguſta domi verbot ihm, das koſtbare mediciniſche Studium zu verfolgen, und daher legte er ſich auf die Juriſterey, worin er ſich auch treffliche Kenntniſſe geſammelt hat, ſo daß er bald im Stande war, die verſchiedenen Theile dieſer Wiſſenſchaft mit Studenten zu wiederholen, ohne ihnen ſolche Juriſtiſche Fratzen aufzuheften, wie weiland Meiſter Stantke, ſeliges Andenkens, und ein gewiſſer Mosjeh welcher jus Auſtraegarum Oeſterreichiſches Landrecht uͤberſezt, und doch ſich kluͤger zu ſeyn einbildet, als Cujacius und Vitri - arius.

Da Stemmert ſehr jovialiſch iſt, ſo war er bald mein Mann und ich der Seinige: wir haben manche vergnuͤgte Stunden mit einander an oͤffentlichen Oer - tern, beſonders auf der Mail und auf unſern Kellern und in den an der Stadt gelegenen Gaͤrten hinge - bracht, und da wir ſtets das utile duci miſcirten, oder deutlicher, da wir immer uͤber Gegenſtaͤnde aus dem Fache der Gelehrſamkeit raiſonnirten, ſo war un - ſer Umgang fuͤr uns nie ohne Nutzen.

91

Mein laͤngſt erprobter Freund, der gelehrte und rechtſchaffene Herr Buͤchling, fuhr fort gegen mich ſo zu ſeyn, wie er immer war, und noch jetzo fin - de ich ſo wenig, als vor achtzehn Jahren unter denen, die ich kenne, keinen, den ich dieſem Edlen vorziehen moͤgte. Oft, wenn ich das gluͤckliche und ruhige Leben, welches Hr. Buͤchling fuͤhrt, uͤberdachte, fielen mir die Verſe des Horatius an den Dichter Albius Tibullus ein:*)Ep. L. I. IV.

Nor tu corpus eras ſine pectore Di tibi divitias dederant, artemque fruendi. Quid foveat dulci nutricula majus alumna Quam ſapere et fari poſſit quae ſentiat, et ari Gratia, fama, valetudo contingat abunde, Et mundus victus non deficiente crumena.

Es wird unter den, wer weiß wie vielen deut - ſchen Gelehrten ſehr wenige geben, welche ſo, wie Herr Buͤchling, in Ruhe und von allen Sorgen weit entfernt leben, und den Wiſſenſchaften obliegen koͤnnen. Er arbeitet viel, aber bloß, weil er die Arbeit liebt, und die Wiſſenſchaften um ihrer ſelbſt willen ſchaͤtzt, worauf er ſie verwendet, da hinge - gen andre Gelehrte Felder bearbeiten muͤſſen, de - ren Unfruchtbarkeit ſie hinlaͤnglich einſehen: aber92 ſie muͤſſen ſchon in einen ſauren Apfel beißen, um nur das liebe Brodt zu erwerben.

Magiſter artis ingeniique turgitor Venter, negatas artifex ſequi voces. *)Verſ. Prolog. in Sat.

Von meinen alten Bekannten kam im J. 1797 auch ein gewiſſer Herr von Brieſen. Dieſen Men - ſchen hatte ich in Goͤttingen gekannt, und ſchon damals hielt man ihn fuͤr ſchwach im Hirne. Er legte ſich unter Michaelis ſehr ſtark auf die Orien - taliſche Literatur, und lernte das alte hebraͤiſche Te - ſtament faſt auswendig, dann fiel er uͤber die rab - biniſchen Commentare der heiligen Schrift her, ſtudierte ſie fleißig, las das herrliche Buch, den Talmud, und wurde vor lauter juͤdiſcher Gelehr - ſamkeit faſt ganz verruͤckt. Ohne alles Geld kam er nach Halle und wendete ſich an den Direktor des Waiſenhauſes, erhielt auch daſelbſt die gewoͤhnli - chen Beneficien. Nun wollte er auch ſeine hebraͤi - ſchen Kenntniſſe den Studenten nuͤtzlich machen, und fing daher an von Stube zu Stube zu laufen, jedesmal eine Lobrede auf den Hebraismus zu hal - ten, und ſich dann als Praͤceptor dieſer Sprache ergebenſt-gehorſamſt zu empfehlen. Der Mann hatte auch eigne Entdeckungen in der Erklaͤrung des alten Teſtaments gemacht, von welchen ich doch93 eine pour la rareté du fait meinen gelehrten Leſern mittheilen will. Die Aufſchrift des hohen Lieds heißt: Schir haſchſchirim aſcher liſchlomo. Dieß uͤber - ſezt man faͤlſchlich: Lied der Lieder Salomos. Das Buch iſt eine Sammlung von Liedern, das erſte Wort Schir heißt nicht Lied; es iſt das praeteritum Hiphil ריש ſtatt רישח, vid. Danz. Gram. de Aphaer: es heißt alſo: er hat geſungen d. h. eingegeben: denn dieſe Bedeutung hat das Heb. ריש das griechiſche ἀδειν und das lateiniſche canere. Aber wer hat eingegeben? wer ſonſt, als der Adonai? Das Wort Jehovah ſprach Herr von Brieſen, ſo wie die aͤchten Juden, um alles in der Welt nicht aus Wem hat er eingegeben? Lischlomo dem Salo - mon. Was hat er ihm eingegeben? Haſchſchirim, dieſe Lieder, dieſe Liederſammlung: alſo heißt es nun: Adonai hat dem Salomon dieſe folgende Lie - derſammlung vorgeſungen, das iſt: eingegeben, und nun folgt eine weilaͤufige Diſſertation uͤber das Eingeben durch Vorſingen. Man kann ſich nach dieſer Probe ſchon vorſtellen, wie ſeine uͤbri - gen Exegeſen beſchaffen waren. Die Studenten hatten immer ihren Spaß mit dem guten Brieſen und er verdiente auch ſo viel, daß er wuͤrde haben auskommen koͤnnen; aber oft hinderten ihn ſeine Grillen monatlang Stunden zu geben, und ſo mußte er nicht ſelten darben, zumal da er endlich94 auch vom Waiſenhauſe geſchaßt wurde: denn vom Waiſenhaus ſchaßt man, wahrſcheinlich wegen der großen Schnelligkeit, womit der Ver - wieſene ſich entfernen muß. Nun gings ihm truͤb - ſelig in ſeiner Oekonomie, und er war oft gezwun - gen, Geſellſchaften zu ſuchen, welche ihn frey hiel - ten. Die Studenten hatten endlich ihren vollkom - menen Spott mit ihm, und wo er ſich blicken ließ, ſchallte es aus allen Fenſtern und das in den laͤ - cherlichſten Tonarten: Herr von Brieſen, Herr von Brieſen! Kam er mit Studenten zuſammen, ſo wurde er unbarmherzig geneckt, allerley Ver - brechen beſchuldigt und nach einer komiſchen Un - terſuchung zu den laͤcherlichſten Strafen verdammt, die dann auch oftmals exequirt worden. *)Einſt wurde er im Hirſch zu einer Strafe condemnirt, wel - che doch nicht wohl hatte ausgeuͤbt werden koͤnnen. Er ſollte naͤmlich kombabuſirt werden. Ein luſtiger Bruder machte auf dieſe Poſſe folgendes Diſtichon:Pendent de furca Briſi genitalia: namque Fecerat, infandum! ſtupra nefanda Briſus. Ich tadelte dieſe Verſe, weil die erſte Sylbe in Briſus lang und kurz gebraucht ſey; aber Herr von Briſen nahm ſich der Verſe ſelbſt an und vertheidigte ſie.Nach - dem er ſich nicht mehr fortzubringen wußte, ver - ließ er Halle, und bald hernach kam das Geruͤcht, Brieſen ſey, ich weiß nicht, wo, ins Waſſer ge -95 ſprungen und habe ſich erſaͤuft. Doch haben an - dre dieſer an ſich gar nicht unglaublichen Sage widerſprochen.

Neuntes Kapitel.

Alte Geſchichten von Gießen und Goͤttingen.

Du haſt deine Lebensgeſchichte nicht ſo er - zaͤhlt, wie ſie deine Freunde eigentlich erwartet haben, und wie ſie dieſelbe zu erwarten das Recht hatten, ſagte einſt der Magiſter Dornenſteeg auf einem Spaziergange nach der Mail zu mir.

Ich. Wie dann ſo? Finden ſich etwa Luͤgen oder verdrehte Nachrichten in meinem Werke?

Dornenſteeg. Das eben nicht: wenigſtens habe ich nicht gefunden, daß du vom Eulerkapper oder vom Schnappsconradi zu Goͤttingen gelogen haͤtteſt. Aber es fehlt ſo viel in dem Buche, das man gern wuͤrde geleſen haben, wenn du es erzaͤhlt haͤtteſt.

Nun begann Herr Dornenſteeg eine ganze Menge alter Geſchichten zu gedenken, welche da - mals ſich zutrugen, als wir beyſammen waren,96 und woran ich mit unter beſondern Antheil gehabt hatte. Dornenſteeg und mehrere, die es hoͤrten, daß noch hiſtoriſche Reliquien da waren, erſuchten mich, dieſelben bey Gelegenheit nach zu holen, und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich gewiß weiß, dieſe Schnurren werden den meiſten meiner Leſer nicht unwillkommen ſeyn.

Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gieſ - ſen auf eine hoͤchſt ſeltſame Art gefeiert. Abends ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei - pe zum Eberhard Buſch, in die Kraußkopferey, Reiberey oder wo ſonſt hin: Schnapps und Bier wurde getrunken, und das luſtige Leben waͤhrte bis um halb Zwoͤlf. Wenns ſo hoch an der Zeit war, lief jeder Student nach Hauſe: ſchon vorher war der Nachttopf ins Fenſter geſezt worden, nachdem man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte: manche patriotiſche Studenten verſahen ſich mit mehrern Nachttoͤpfen zu dieſem nobeln Geſchaͤfte. Auf den Glockenſchlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: pe - reat das alte Jahr! aus allen Fenſtern, wo Studen - ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garſtigen Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte - res: vivat das neue Jahr! worauf die meiſten ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zuGießen97Gießen ſahen alſo fruͤh am Neujahrstag gar haͤß - lich aus, und allerwegen hoͤrte man Verwuͤnſchun - gen uͤber die Garſtigmacher. Dieſer loͤblichen Ge - wohnheit wegen waren zu Gießen nur irdene Nacht - geſchirre: denn zinnerne zum pereat des alten Jah - res auf die Straße zu werfen, waͤre doch zu koſt - bar geweſen.

Zwiſchen dem Gießer Militaͤr und den Stu - denten herrſchte die innigſte Einigkeit, und die mei - ſten oder vielmehr alle Subaltern-Offiziere waren Duzbruͤder der Burſche, und kommerſchirten ſo - gar mit denſelben. Ich erinnere mich, einſt einem ſolchen Hoſpiz unter dem Praͤſidium des Hn. Leut - nants, jezt laͤngſt Hauptmanns P ... im Hirſch bey Magnus beygewohnt zu haben. In Halle wuͤrde ſo etwas gewaltig auffallen, und wohl gar auf Seiten der Offiziere Verdruß und Strafen nach ſich ziehen, aber in Gießen war das eine Kleinigkeit, worauf niemand Ruͤckſicht nahm. Ich weiß aber auch nicht, welches beſſer iſt, oder wel - ches weniger ſchadet, mit den Studenten kommer - ſchiren, oder mit ihnen die Bordelle oder Buff - keller beſuchen. Bey der innigen Einigkeit der Studenten und der Offiziere entſtanden keine Haͤn - del und Schlaͤgereyen unter ihnen; ich erinnere mich nur eines einzigen Duells, welches zwiſchen einem Leutnant und einem Studenten wegen Jung -Laukh. Leben 5ter Theil. G98fer Gretchen Kraußkopf vorgefallen iſt. Der Stu - dent machte dieſem Maͤdchen aus einer Schnapps - kneipe den Hof, und der Offizier, welchen dieſes aͤrgern mogte, raͤſonnirte auf das Maͤdchen, und[beſ]〈…〉〈…〉rieb es, als gar nicht ſproͤde und unbarmher - zig im Gießer Offizierton, der grade ſo gebildet war, wie der Burſchenton. Den Studenten ver - droß dieſes, und als er einſt den Leutnant auf dem Schießhaus antraf, conſtituirte er ihn, und die Folge war eine Schlaͤgerey, wobey der Leutnant einen Hieb uͤber die Naſe bekam, und waͤhrend drey Wochen nicht ausgehen konnte. Die Herren hatten ſich gegen die gewoͤhnliche Methode zu Gießen auf den Hieb geſchlagen. Die Urſache, warum die Gießer Studenten, welche doch auf ihre ſtudentiſchen Rechte eben ſo ſehr und wohl noch aͤr - ger verſeſſen waren, als die Hallenſer, Frankfur - ter und Goͤttinger, mit dem Militaͤr im beßten Vernehmen ſtanden, lag vorzuͤglich darin, daß die meiſten Offiziere nicht von Adel waren, und ehedem ſelbſt ſtudiert hatten. Ueberdieß gab es auch keine ganz junge Offiziere bey dem Gießer Regiment, eben ſo wenig, als es Bomsdorffe da - ſelbſt gab, oder , welche durch ihr grobes, impertinentes Weſen jederman empoͤren, und ins - beſondere den brauſenden Studenten zur Rache rei - zen. Ich werde an einem andern Orte, und viel -99 leicht noch in dieſer Schrift einige Stuͤckchen er - zaͤhlen, welche gar erbaulich zu leſen ſeyn werden.

Im Jahr 1777 hatte ich eine komiſche Lieb - ſchaft zu Frankfurt am Mayn, welche ſchon im erſten Bande meiner Biographie haͤtte erzaͤhlt werden ſollen, aber an jenem Orte aus guten Gruͤnden, die aber nun wegfallen, uͤbergangen worden iſt. Das Jahr 1777 war das traurigſte fuͤr die Univerſitaͤt zu Gießen, wo ich damals ſtu - dierte, die antiquiſſima Giſſenſis ging damals ganz ſchiebes, wie man von einer ſich ihrer Aufloͤſung neigenden gelehrten Innung nicht unfein ſagen wuͤrde. Ich ſelbſt kam in große Verlegenheit, aber nachdem alles Ungemach uͤberſtanden und der Univerſitaͤtsſpektakel, der fruͤh im Fruͤhling ange - fangen hatte, zu Ende war, welches jedoch erſt im ſpaͤten Herbſt geſchah, wie auf den deutſchen Uni - verſitaͤten ex cauſſis praequantibus et lucrativis*)D. t. weil die Herren vom Prorektor an, bis zum Karzer - knecht Etwas haben verdienen wollen. Mode iſt, machte ich in Geſellſchaft einiger Freun - de, welche ſelbſt Frankfurter waren, eine Reiſe nach dieſer Reichsſtadt. Ich logirte im Thiergar - ten, aber ich logirte auch nur da: denn verzehrt habe ich damals in dieſem Gaſthofe faſt gar nichts, da ich immer Freunde beſuchte, oder ſonſt herumG 2100lag. Unter andern Kneipen, welche ich in Ge - ſellſchaft meiner Kumpanen beſuchte, war auch eine, welcher man einen gar ſchnurrigen Namen gegeben hatte. Es war kein Bordel, und deß - wegen duͤrfen meine in Frankfurt bekannte Leſer ja nicht an die ſchwarze Katze, an den haarigen Ran - zen, oder an ſonſt ein beruͤchtiges, mit einem Ekelnamen verſehenes Haus denken. Indeſſen hatte die Kneipe, oder das Bierhaus doch ei - nen ſchnurrigen Namen, der mir damals, weil er eine Aehnlichkeit mit dem Namen einer Kneipe in Gießen hatte, ſehr gefiel, und um dieſes Na - mens willen, beſuchte ich die Bierſchenke faſt taͤg - lich. Ich wuͤrde dieſe Benennung hier mittheilen: aber ich mag in Frankfurt kein Stadtgeſchwaͤtz rege machen, und zudem iſt der jetzige Beſitzer der Schenke mein guter Freund, welcher mir in den Jah - ren 1793 und 95 einige Gefaͤlligkeiten erwieſen hat.

Der Wirth des Hauſes war damals ſeit einem halben Jahre verſtorben, und die Wirthin noch eine junge Frau, von ohngefaͤhr 28 oder 30 Jahren. Daß es ihr an Freiern nicht fehlte, verſteht ſich von ſelbſt: denn ſie hatte gute Nahrung, und nur ein Kind von etwan ſechs Jahren; aber von meh - rern Freiern ſchien keiner vorzuͤglich beguͤnſtigt zu ſeyn. Sie war jedesmal auſſerordentlich freund - lich, wenn ich kam, und ich ſchrieb die gute Auf -101 nahme, die ſie mir machte, und ihr zuvorkommen - des Weſen dem Gießer Ton zu, den ich an mir hatte: denn dieſen Gießer Ton und den Gießer Comment hielt ich damals fuͤr das Nichtweiter der feinen Lebensart. Allein meine Freunde ſahen weiter als ich, und Hr. R ... d ſagte eines Tags zu mir:

Hoͤre Bruder, merkſt du nicht an der Frau L .... wirthin?

Ich. Nichts! die Frau iſt, ſo wahr ich lebe und des Eulerkappers Seele lebt, eine honorige Frau.

R ... d. Das iſt ſie auch: aber merkſt du denn gar nichts?

Ich. Was ſollte ich merken? Macht ſie viel - leicht mit?

R ... d. Was weiß ich? Zu ſolchen Schoſen nimmt man hier zu Lande keine Zeugen. Aber das muß doch ein Blinder ſehen, daß die Frau dich gerne ſieht.

Ich. Kann ſeyn; das macht, weil wir Gieſ - ſer Burſche ſind, ſieht ſie uns alle drey gerne. Die Frau hat gerne mit Leuten zu thun, welche den Comment verſtehen.

R ... d. Die verſteht ſo viel vom Comment, wie der grobe Muͤller im Einhorn. Wenn ſie das Burſchenweſen verſtuͤnde und Gefallen dran faͤnde,102 wuͤrde ſie nicht zuͤrnen, und aus der Stube laufen, wenn wir das Ecce quam bonum intoniren; und doch gehoͤrt ein honettes Ecce quam bonum zum Commerſch, und folglich ſo weſentlich zum Bur - ſchencomment, wie das Feuer auf die Tabaks - pfeiffe. *)Wohl zu merken, daß ich vom Jahr 1777 rede, und nicht von 1802: denn, Dank ſey's der beſſern Lebensart der Stu - denten, nicht aber den Akademiſchen Polizeyanſtalten, das Ecce quam bonum und deſſen Schweinereyen, werden bloß noch bey Gnotenkommerſchen gehoͤret. Dieſe aber ſin - gen wie folget:Ex tam bonam Bonam acund am Han mer kane fratres Haburum. Nun, mein Freund, ſie iſt in dich ver - ſchoſſen.

Ich. Verſchoſſen, lieber Kerl, biſt du naͤrriſch?

R ... d. So gewiß, als ich vor dir ſtehe, ſie iſt es. Und hoͤre, Bruder, hier waͤr Etwas zu machen.

Ich. Und was?

R ... d. Wie, wenn du die Frau naͤhmſt und L ... wirth wuͤrdeſt. Das waͤr ein gefundnes Freſ - ſen fuͤr dich. Du ſchikſt dich gar nicht uͤbel zu ei - nem Kneipier.

103

Ich lachte, und doch hatten R ... ds Reden in mir gewiſſe Ideen rege gemacht, denen ich nicht ohne Wohlbehagen nachhing. Sobald ich konnte, beſuchte ich das Bierhaus, und entdekte Reize an der Wirthin, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Ich fing an, ſo nach meiner Art, ſchoͤn zu thun, und ſiehe da, Madam kam mir auf dem halben Weg entgegen: R ... d legte ſich hinein und wir ſprachen ganz im Ernſte von einer Heirath. Ich dachte nun Wunder, was ich meinem Vater fuͤr eine Freude machen wuͤrde, wenn ich ihm von meinem nahen Gluͤcke Nachricht gaͤbe. Ich ſchrieb an ihn: aber ſeine Antwort, die ich gleich ſechs Tage nachher erhielt, war voll Verweiſe uͤber mein thoͤrigtes Vorhaben. Ich erſchrak, konnte doch meinem ehrlichen Vater nicht Unrecht geben, und da ſelbſt meine Verwandten in Frankfurt mir hef - tig zuſezten, ſo eine naͤrriſche Idee fahren zu laſ - ſen, ſah ich ſelbſt ein, daß ich im Begriff war, einen dummen Streich zu machen, und beſchloß, nach Gießen zuruͤck zu kehren. Ich wandte bey meiner Madam vor, eine in Gießen vorgefallne Schlaͤgerey, wovon ich als Zeuge ſey aufgefuͤhrt worden, machte meine Gegenwart daſelbſt noth - wendig, ich wuͤrde aber in kurzer Zeit wieder kom - men. Madam glaubte mir, und ich zog ab: ſie begleitete mich noch bis Vibel, und wir nahmen104 zaͤrtlich Abſchied von einander. Ich kam nicht wieder, wie ſich von ſelbſt verſteht, und ſchon im Anfange des Jahr 1778 heurathete die gute Fran, welche auch zu Verſtande gekommen ſeyn mogte, einen Bierbrauer, der ſich freylich fuͤr ſie beſſer ſchickte, als ein neunzehnjaͤhriger Stu - dent, mit aller ſeiner Commentkenntniß. Der Sohn, welcher damals ein Kind von ſechs Jah - ren war, iſt ſeit 1792 Wirth, da der zweyte Herr Gemal, der Bierbrauer abgefahren iſt, und die Frau Wirthin entweder keinen andern mehr finden konnte, oder finden wollte. Ich bin bey den gu - ten Leuten noch 1795 geweſen, und von ihnen hu - man genug behandelt worden. Siehſt du, Cle - mens, der Mann da waͤre vorzeiten beynahe einmal dein Vater geworden ſagte ſie zu ihrem Sohne. Das waͤre ja recht huͤbſch geweſen, er - wiederte Clemens: denn ſo haͤtte ich doch noch ei - nen Vater; aber der, den ſie mir gaben, ſtarb mir viel zu fruͤh.

Wenn ich hernach die Sache mit der Bierſchen - kerey zu Frankfut am Mayn ſo bey einer Pfeiffe Tabak und bey heiterer Seele uͤberlegte, kraͤnkte ich mich zwar nicht, daß ſie zuruͤckgegangen war, aber ich uͤberzeugte mich doch auch, daß ich nicht ungluͤcklich geworden ſeyn wuͤrde, wenn ich Bier - chenke geworden waͤre. Ich kenne wirklich Bier -105 ſchenken, die mehr Credit und eo ipſo auch mehr Ehre haben, als mancher Profeſſor Ordinarius und mancher Hofrath, welcher mit groͤßter Sehnſucht auf die heiligen Abende wartet, um ſeinen Antheil an den Amtsſporteln zu ziehen.

Zehntes Kapitel.

Allerhand Hiſtoͤrchen.

Im Winter 1798 erhielt ich einen Brief von dem Kellerwirth Boos in Goͤttingen, worin ich um 11 Thlr. 16 Gr. 7 Pf. manichaͤert wurde. Ich war zwar einige Mal auf dem Keller zu Goͤttingen ge - weſen, aber nie hatte ich einen Heller Schulden da - ſelbſt gemacht, und dieß wuͤrde auch nicht einmal angegangen ſeyn, weil der Wirth ich weiß wirklich nicht, ob Signor Boos damals (1778-79) ſchon Kellerkneipier geweſen iſt, oder nicht ſich mit mir gezankt hatte, und dieß wegen ſeiner Magd, mit welcher er ſcharmirte, und die ich ein Keller - menſch genannt hatte. Denn der Goͤttinger Kel - lerwirth im Jahr 1778 war, wie die meiſten Herren dieſes Handwerks zu Goͤttingen, ein grober Mos - jeh, beynahe ſo grob, wie der grobe Muͤller zu106 Gießen, oder der Wirth in der Karthaune zu Frank - furt am Mayn.

Der Brief des Kneipier Boos befremdete mich nicht wenig, aber ich fand gar bald, daß ein Irr - thum vorgefallen ſeyn muͤßte, denn da ſich die Schuld von den Jahren 1783 und 84 herſchrieb, ſo konnte ich ſie nicht gemacht haben, weil ich da - mals in Halle Kollegia las, und nicht einmal mein Bruder konnte jenes Laus Deo contrahirt ha - ben. Ich fand fuͤr gut, gar nicht zu antworten, und nun verklagte mich Meiſter Boos der Kneipen - wirth beym Prorektor der Univerſitaͤt, welcher damals Hr. Pr. Kluͤgel war. Ich wurde citirt, verſaͤumte aber den Termin, und ſiehe da, ich wur - de contumacirt. Allein ob ich gleich mich vor dieſer Contumazſentenz gar nicht zu fuͤrchten hatte, und zwar wegen den zu Goͤttingen wenigſtens auf dem Papier, geltenden Geſetzen, ſo ſchrieb ich doch an den Prorector, und bat mir einen neuen Termin aus, und nun konnte ich hinlaͤnglich beweiſen, daß ich an dem Tage meiner Promotion in Halle nicht 8 gr. 6 pf. in Goͤttingen auf einer Kneipe verzeh - ren konnte. Dieſe Vertheidigung wurde dem Knei - pier zugeſendet, und da er ſeinen Irrthum einſah, wurden die Akten reponirt. Sonſt muß ich doch dem Mosjeh Boos wohlmeinend rathen, daß er, wenn er wieder einmal klagen will, ſich einen an -107 dern Advokaten annehme, als der war, durch deſſen Griffel er mich verklaget hat; denn das Kla - geding, welches nach Halle gekommen iſt, war gar ein klaͤgliches Klageding, welches Boos wohl ſelbſt koͤnnte fabricirt haben, wenn nicht die vie - len lateiniſch ſeyn ſollenden Brocken und der abge - ſchmakte Styl, die Fabrik eines Advokaten hin - laͤnglich anzeigten.

Weil ich aber doch von Goͤttingen rede, will ich einen Irrthum widerlegen, den man in Ruͤck - ſicht der daſigen Profeſſoren und Studenten ſchon ſeit der Errichtung der Univerſitaͤt hegt. Man bil - det ſich naͤmlich ein, die Herren Goͤttinger ſeyen Muſter der feinen Lebensart, und uͤbertrieben es hierin wohl mehr, als daß ſie es woran mangeln ließen. Dieß iſt, ſelbſt mit Erlaubniß der Goͤttin - ger Herren nicht wahr, durchaus naͤmlich nicht: denn daß es in Goͤttingen Profeſſoren und Stu - denten von ſehr feinen Sitten gab, hab ich ſelbſt erfahren, und zweifle nicht, daß es in dieſem Stuͤck ſeit meiner Zeit noch beſſer geworden iſt. Jedoch gab es einige Profeſſoren daſelbſt, welche auf dem Katheder fleißig die große Glocke lau - teten und ohngefaͤhr eine Sprache fuͤhrten, wie die Musketiere auf der Hauptwache. Beſonders war ein gewiſſer Herr Juriſt da, welchem es Arms - dick aus dem Maule ging, wenn er Beyſpiele108 zur Erlaͤuterung ſeines Vortrags herbey ſuchte. Ich weiß, daß er einſt in der Lehre de emtione venditione die Frage aufwarf, ob, wenn ein Stu - dent auf dem Weg nach Boſten ſich mit einem Maͤdchen im Korn fuͤr Geld luſtig mache, das Geſchaͤft ein contractus emtionis venditionis ſey? Es iſt uͤbrigens anzumerken, daß die Juriſten ſich auf mehrern Univerſitaͤten ſtark aufs Zotenreißen legen: doch war damals auch ein Herr Mediciner als ein aͤchter Cyniker bekannt, und das Beneh - men der ſonſt großen und hochverdienten Maͤnner, Michaelis, Kaͤſtners und Lichtenbergs gehoͤrte doch wohl nicht durchgaͤngig zur feinen Lebensart.

Bey den Studenten war die feine Lebensart auch nicht durch die Bank zu Hauſe. Ich ſah noch vor zwey Jahren an einem gewiſſen Orte einige Goͤttinger, welche renommirten trotz dem wildeſten Jenenſer vor zwanzig Jahren, nur mit dem Un - terſchiede, daß die Herren Goͤttinger, ſobald je - mand anfing, ihnen aufs Leder zu reden, gleich ſtille wurden, welches der Jenenſer aber ſo leicht nicht that. Die Herren bilden ſich auf ihre Uni - verſitaͤt etwas ein, und Einbildung dieſer Art, welche ſich auf keine eignen Realitaͤten gruͤnden, er - zeugen Stolz, Impertinenz und Grobheit, lauter Dinge, welche mit der feinen Lebensart gar nicht beſtehen koͤnnen. Wie weit es die Herren ich109 rede immer nicht von allen in der Real-Zoto - logie, welche doch große Wiſſenſchaft der Verbal - Zotologie vorausſezt, gebracht haben, mag fol - gendes Geſchichtchen beweiſen.

Im Jahr 1778 verließ ein gewiſſer von H ... die Univerſitaͤt Goͤttingen, wo er nichts ge - lernt, aber doch zum Erſatz fuͤr Profeſſoren und Philiſter, große Summen verzehrt hatte. Dieſer H .... gab den Tag vor ſeinem Abzug einen Schmauß, wozu auch ich eingeladen wurde. Ohn - gefaͤhr dreißig Perſonen wurden herrlich tractirt, nachdem aber alle beyſammen waren, trat Hr. H ... auf, und erklaͤrte, daß jeder, welcher vor dem allgemeinen Aufbruch auch nur aus der Stube gehen wuͤrde, fuͤr einen Hunzfott gehalten werden ſollte. Auf jeder andern Univerſitaͤt wuͤrde ein ſolches Hunzfottſetzen Unwillen und vielleicht gar Ausbruch des Unwillens in der ganzen Geſell - ſchaft verurſacht haben, aber die Herren Goͤttinger applaudirten den witzigen Einfall; damit aber das ſtrenge Gebot, nicht zur Thuͤre hinaus zu gehen, deſto beſſer moͤchte gehalten werden, mußte Con - rad, der Bediente, die Thuͤre verſchließen, welche er nur dann oͤffnete, wenn Chocolade, Wein, Punſch, Eſſen und d. gl. hineingebracht werden mußte. Weder Nachtſtuhl noch Nachttopf war zu ſehen, alle Neceſſitaͤten mußten entweder zum Fenſter hinaus, oder in die Stube gemacht110 werden. Das Gelag dauerte bis fruͤh ſechs Uhr, und nun denke man ſich die Geſtalt der beyden Zimmer des Hn. v. H ... und den lieblichen Geruch, welcher daſelbſt herrſchte! Hr. v. H ... welcher noch lebt, aber von der Gelehrſamkeit weiter kei - nen Gebrauch machte, wird gewiß lachen, wenn er dieſe Nachricht leſen ſollte.

Freylich war das Spaͤßchen doch noch etwas feiner, als die Art, womit die Gießenſer den Frauenzimmern den Spaziergang auf dem Wall verleideten. Auf dem Wall iſt ein ſchoͤner Spa - ziergang rund um die Stadt, aber wer einmal drauf iſt, muß entweder vorwaͤrts oder ruͤckwaͤrts gehen, da man bloß an den drey Thoren herunter kommen kann: faſt ſtets ſahe man Studenten und Frauenzimmer drauf herum ſpazieren, bis endlich die Studenten die Schoͤnen vertrieben. Dieß ge - ſchah auf folgende von Hn. Hill, dem Oberzoto - logen, angegebene Art. Zehn oder zwoͤlf Stu - denten zogen auf den Wall: da gingen ſechs, acht Maͤdchen oder Madamen mit einander; nun theil - ten ſich die Studenten, ſechs liefen den Damen vor, und ſechs blieben zuruͤck; die Damen kamen alſo in die Mitte, aber die vordern Burſchen ſezten ihr Ge - ſpraͤch mit den hinten Gebliebenen fort, und nun wurde ein derbes Kapitel aus der Zotologie vor - genommen, welches die armen Damen bis ans111 naͤchſte Thor mit anhoͤren mußten. Man ſtelle ſich die Qual der Schoͤnen vor! Doch ſagte man, einige haͤtten Gefallen an dem galanten Vortrag der Burſche gefunden. Nachdem dieſe zotologi - ſche Schnurre etwan ſechs Mal wiederholt worden war, vermieden alle Frauenzimmer den Wall! Das war eine Großthat der damaligen Gießer Burſchen wuͤrdig.

Indeſſen duͤrfen unſre heutigen Univerſitaͤter eben nicht ſo gar ſtolz thun, wenn ſie die zotolo - giſchen Genieſtreiche der ehemaligen leſen, und ihre, freylich in gar vieler Hinſicht beſſere, we - nigſtens feinere Lebensart, dagegen halten. Die aͤltern Studenten hatten Tugenden, welche zu un - ſerer Zeit anfangen, gewaltig rar und ſelten zu wer - den, und dahin gehoͤrt vorzuͤglich die Ehrlichkeit im Bezahlen. Ich weiß noch die Zeit, wo es eine Schande war, zu prellen, oder per Schwanz, wie man ſagt, von der Univerſitaͤt abzufahren. Das Wuchten, oder das geheime Abziehen aus einem Wirthshauſe, ohne die Zeche zu bezahlen, war vollends ſchimpflich. Ein gewiſſer Mayer zu Gieſſen ließ ſich einſt Spek und Eyer in Heuchel - heim machen, und wuchtete ſich. Die Wirthin klagte es andern Studenten, und Mayer mußte nicht nur die Zeche bezahlen, ſondern bey jeder Ge - legenheit ſang man ihm folgendes Epigramm vor:

112
Eps tenienfis Dominus Mayer
Prellte die Wirthin um Speck und Eyer:
Der Spaß war hübſch, doch wahrlich rar
Für den Verſtand des Musjeh Maar.

In und um Halle geſchehen dergleichen Wuch - tereyen mehrmals, ſo wie zu Jena, Goͤttingen, Erlangen u. ſ. w. Aber unſre jetzigen Wirthe und Kneipenhalter ſind auch viel aufmerkſamer, als ſonſt. Neulich erzaͤhlte mir der Schenkwirth zu Stichelsdorf, Herr Runge, folgende Raupe, welche ihm vor zwey Jahren die Studenten ſpiel - ten. Etwan vierzehn bis achtzehn Hallenſer ka - men nach Stichelsdorf, und ließen ſich den daſi - gen herrlichen Breyhan trefflich ſchmecken, forder - ten Abendbrod, und machten eine Zeche von ohn - gefaͤhr acht Thaler. Da ſie in der obern Stube allein waren, ſo warfen ſie nach und nach ihre Huͤte herunter, und ſchlichen ſich mit bloßen Koͤ - pfen, gleichſam als wollten ſie ihre Neceſſitaͤten ver - richten, zum Hauſe hinaus, und marſchierten nach Reideburg zu. Aber Hr. Runge, welcher nun inne ward, daß er geprellt war, verfolgte ſie, und war ſo gluͤcklich, einige einzuholen, welche ſich zwar zur Wehre ſezten, endlich aber doch dem Wirth und ſeinen Helfern ſich als Gefangene uͤber - laſſen mußten. Sie hatten kein Geld, und Runge war zufrieden, daß ſie ihm ihre Namen ſagten:er113er iſt auch bezahlt worden, haͤtten aber die Herren ſich wuchten koͤnnen, er haͤtte nie einen Heller erhalten.

Eben deßwegen, daß der Student ſo gerne prellt, ſich mit der Malice druͤckt, ſich wuchtet und ſkiſſirt, iſt auch der Credit ſo ſelten, und die Prellereyen von Seiten der Phili - ſter gehn ins Wilde. Es iſt was abſcheuliches, ein Pumpbuch fuͤr Studenten nachzuſehen, wie da alles uͤberſezt iſt, wodurch auch der ordentlichſte Menſch bey einem ſonſt ganz artigen Wechſel, mit Gewalt gezwungen wird, ſich in Schulden zu ſte - cken. Die Philiſter ruͤhmen ſich oͤffentlich, daß ſie die Studenten prellten, und rechtfertigen ihre Prellereyen damit, daß ſie ja auch geprellt wuͤrden, daß man es ihnen alſo nicht uͤbel nehmen duͤrfe, wenn auch ſie die Studenten wieder prellten. Der Student betrachtet den Philiſter, und der Philiſter den Studenten als abgeſagten Feind, und Feinde, wie man weiß, pluͤndern ſich wechſelsweiſe, ohne ſich deßhalben Vorwuͤrfe zu machen. Man hat, beſon - ders ſeit einiger Zeit her, ſo viel uͤber die Verbeſſerung des Studentenweſens geſchrieben, aber den wichti - gen Punkt, die Pumpprellereyen betreffend, faſt gar nicht beruͤhrt. Uebrigens denke man ja nicht, daß bloß in den Haͤuſern einiger habſuͤchtigen Buͤrger ſolche Betruͤgereyen denn das ſind ſolche SpaͤßeLaukh. Leben 5ter Theil H114doch immer Mode waͤren; auch in Profeſſoren - Haͤuſern wird der Student ſo gut geprellt, wie in dem Hauſe des aͤrmſten Buͤrgers, und in vorneh - men Quartieren wohl noch am aͤrgſten.

Eilftes Kapitel.

Fortſetzung der Geſchichte meiner eignen Lage.

Im Sommer 1798 wurde es mir in meinem Quar - tier bey dem Schneider Baum unertraͤglich: denn meine Frau zankte ſich oft mit demſelben, und ich ſuch - te mir ein ander[Quartier]. Ich haͤtte recht gute finden koͤnnen, aber meine Frau waͤhlte ein Suterraͤn, worin zwey ziemlich artige Stuben waren: alles war recht gut, wenn nicht die Fenſter à rez de chauſſée oder dem Pflaſter gleich geweſen, und alſo jedem Neu - gierigen zur Beſchauung all unſers Thun und Laſſens frey geſtanden haͤtten. Der Winter war ſehr ſtrenge, und doch empfand ich in meinem Su - terraͤn wenig von der Strenge deſſelben: ich hatte aber auch gutes Feuerwerk.

Um dieſe Zeit fing ich auch an, mich auf die Rechtswiſſenſchaft zu legen, wozu mir ein Ver -115 druß Gelegenheit gab, welchen ich mir unvorſich - tiger Weiſe zugezogen hatte. Ich hatte fuͤr einen gewiſſen Soldaten Urban, und fuͤr den Zimmermei - ſter Hn. Haak einige juriſtiſche Aufſaͤtze beſorgt, wohl gemerkt, nicht ſelbſt gemacht, ſondern nur beſorgt. Da man nun im Preußiſchen durchaus nicht zugiebt, daß ein Nichtzuͤnftler, d. i. ein ſol - cher, welcher nicht in die Innung der ſogenann - ten Juſtizcommiſſarien, an andern Orten heißen dieſe Herren Advocaten, ſo wie ſie ſchon vor Olims Zeiten hießen: der Name Advocat hat aber einen etwas ſchiefen Nebenbegriff, weil man ſich dabey immer einen Menſchen zu denken ge - wohnt iſt, welcher das Recht verdreht, und nicht ſowohl fuͤr ſeine Clienten, als fuͤr ſeinen Beutel ſorgt; deswegen ſchaffte auch Friedrich II. dieſen Titel Advocat ab, und gab den Herrn Sach - waltern den Titel Aſſiſtenzrath, hernach aber Ju - ſtizcommiſſarius. Im Grunde iſt nichts geſchlech - tert, aber leider! auch nichts gebeſſert worden durch die Veraͤnderung der Titulaturen. Wo das In - tereſſe obwaltet, da beſſert man ſelten was, und wie ſollte es einem Gericht, einer Regierung, Amt u. ſ. w. einfallen, die Advocaten in der Ordnung zu halten, da eben durch die Unordnungen, wel - che die Advocaten machen, die Sporteln der Her - ren ſelbſt vermehrt werden? Ich gebe uͤbrigensH 2116gerne zu, daß an den Preußiſchen Gerichtshoͤfen weit weniger Irregularitaͤten gefunden werden, als ſonſt wo. Man denke an die herrliche Gerech - tigkeitspflege in den Reichsſtaͤdten, und wers nicht weis, laſſe ſichs erzaͤhlen, er wird erſtaunen! In - deſſen will ich doch zu ſeiner Zeit ein Baͤndchen merkwuͤrdiger Rechstfaͤlle ins Publikum ſchi - cken, woruͤber auch mancher Herr zu und zu und an andern Orten mehr, die juriſtiſche Naſe garſtig ruͤmpfen ſoll. Aber ich muß wieder fort - fahren.

Da nun keinem Nonjuſtizcommiſſarius erlaubt iſt, und das von Rechts wegen, eine Rechtsſache vor Gericht zu bea[ſ]vociren, ſo wurden natuͤrlich der Sol - dat Urban und der Zimmermeiſter Haak, nach den Verfaſſern ihrer eingegebenen Schriften befragt, und beyde ob ſie mir gleich aufs heiligſte verſprochen hatten, meinen Namen zu verſchweigen be - kannten auf mich. Im Vorbeygehen muß ich an - merken, daß man Unrecht thut, ſich auf Leute zu verlaſſen, welche durch einen Eid getrieben wer - den koͤnnen, ihr Wort zu brechen. Ich fuͤr mei - nen Theil halte den Eid fuͤr ein ſehr elendes Mit - tel, die Wahrheit heraus zubringen, und wenn ich hoͤre, daß eine Sache durch einen Eid ſey berich - tiget worden, ſo zweifle ich deſto ſtaͤrker an ihrer Richtigkeit, beſonders wenn das Intereſſe des117 Schwoͤrenden mit im Spiel war. Es giebt groͤ - bere Vergehungen, als ein falſcher Eid, und zu dieſen groͤbern Vergehungen gehoͤrt die Brechung des einem Freunde gegebenen Wortes. Seine Seele zum Teufel ſchwoͤren, iſt ein Aus - druck ohne Sinn; denn nicht der Schwur, ſon - dern die Handlung iſt Suͤnde. Wenn ich z. B. falſch geſchworen haͤtte, um den tugendhaften Ver - gniaud, den Camille Desmoulins, oder den Bailli von dem moͤrderiſchen Eiſen zu retten, ſo wuͤrde ich mir nicht allein kein Gewiſſen daraus machen, die Terroriſten durch einen falſchen Eid betrogen zu haben, ſondern wuͤrde eben den fal - ſchen zur Rettung der Tugend geleiſteten Eid fuͤr meine ſchoͤnſte That halten, und mich derſelben oͤf - fentlich ruͤhmen, und jeder rechtdenkende Mann wuͤrde mir applaudiren. Meine Moral wird man - chem zu lux und manchem verdammlich vorkommen: aber was kuͤmmern mich die Urtheile anderer? Eben die, welche die ſogenannte Heiligkeit des Ei - des ſo vertheidigen, als wenn damit das Wohl und das Wehe des ganzen Staats im engſten Zuſam - menhang ſtuͤnde, ſind meiſtens die erſten, die falſch ſchwoͤren, wenn es auf ihrem Nutzen ankommt. Experto crede Roberto. Selbſt die hoͤchſte Obrig - keit, ich meyne die Fuͤrſten, nimmt es nicht ſo genau mit dem Meyneid. Ein Deſerteur hat ge -118 wiß ſeinen Eid gebrochen, und iſt daher meynei - dig, folglich nach den Geſetzen infam: doch nimmt jeder Fuͤrſt die Ausreißer andrer Fuͤrſten gerne an, und ich will den ſehen, der ſo einem ehe - maligen Deſerteur vorwerfen ſollte, er ſey kein ehr - licher Mann. Daß man hierin recht thue, geſte - he ich gerne: denn die meiſten vom Soldaten ge - leiſteten eidliche Verpflichtungen ſind erzwungen worden; aber ſo viel erhellet doch aus dieſem Bey - ſpiel, daß die hoͤchſte Obrigkeit Faͤlle annehme, wo ein Meyneid keine Schande bringt. Die Fol - ter hat man zur Ehre der Menſchheit abgeſchafft, weil man einſah, daß ſie ein ſehr unſicheres Mit - tel ſey, die Wahrheit zu erforſchen: eben ſo ſollte man es mit dem Eid machen; aber freylich, wo blieben alsdann die Sporteln? Doch wieder zu meiner Geſchichte.

Urban und Haak wurden zum Eide getrieben, und gaben mich nota bene als den Verfaſſer der von ihnen eingegebenen Rechtsſchriften an. Die Re - gierung zu Magdeburg ſowohl, als die Halliſchen Gerichte requirirten an die Univerſitaͤt, und ich wurde gefordert. Ich ſagte die Wahrheit, und der Hofrath Dryander, oder Triander ich weiß wirk - lich nicht, wie ſich dieſer Herr eigentlich ſchreibt erhielt den Auftrag, mir einen Verweis zu geben. Wer den Herrn Hofrath kennt, wird ſich leicht119 vorſtellen koͤnnen, wie dieſer Verweis beſchaffen geweſen iſt: mir fiel er indeſſen nicht auf; denn in den Paar Augenblicken, da er mir die vorgeſchrie - bene Naſe gab, dachte ich mir den Onkel Toby und den Korporal Trim ſo lebhaft, daß ich bey - nahe in lautes Auflachen ausgebrochen waͤre; und geſchah das, ſo haͤtte es der Herr Hofrath als Mangel des Reſpects gegen das ernſte Gericht*)Sie folgen dir nach, Juͤngling, ins ernſte Gericht. Klopſtock. vielleicht ausgelegt, und doch waͤre es nichts ge - weſen, als eine ganz unſchuldige Ruͤckerinnerung an den Onkel Toby und an den Korporal Trim! Es giebt aber dergleichen ſchiefe Auslegungen mehr, doch die gehn mich hier noch nichts an; vielleicht unterſuche ich ſie bey einer andern ſchick - lichern Gelegenheit.

Von Unkoſten iſt mir damals nichts abgefor - dert worden, aber im J. 1801, alſo drey Jahre hernach ſollte mir der Univerſitaͤtsactuar Hr. Bu - ſten einiges Geld auszahlen, und da zeigte er mir eine Rechnung, welche von Hn. Klein unterſchrie - ben war, und zog mir 4 Thlr. 11 Gr. 6 Pf. ab. Habeant ſibi: in drey Jahren fordern ſie nichts, und erſchweren oder erleichtern ſich dadurch ihre Rechnungen. Ich weiß es nicht: die Herren120 werden es am beſten wiſſen. Aber doch iſts ſon - derbar, daß ein Preußiſches Gericht, beſonders ein unverſitaͤtiſches drey volle Jahre warten konnte, ehe es Unkoſten forderte, und dann erſt forderte, als der Prorector, unter welchem die Sache vor - gefallen war, laͤngſt verſtorben, der Director aber weit weg verſezt war. Ich mache hier keine Anmer - kungen, vielleicht machen dieſe einige ſachkundige Leſer, und das iſt mir genug.

Indeſſen lebte ich ziemlich ruhig, und hatte gegen den Herbſt 1798 das Vergnuͤgen, mei - nen Vetter Jacob Laukhard bey mir in Halle zu ſehen. Dieſer rechtſchaffne Mann hatte mit mir einen Theil ſeiner erſten Jugend in Dolgesheim bey Maynz zugebracht, wo damals der Inſpector Kratz eine Art lateiniſcher Schule errichtet hatte. Kratz war ein Mann von Kenntniſſen, das heißt, er ſchrieb und ſprach lateiniſch ohne Schnitzer, las die Griechiſchen Autoren ohne Verſion und ohne Lexicon, wußte viel Geſchichte, Geographie und rechnete gut: dabey verſtand er auch Franzoͤſiſch und Engliſch, und ſo war er dann allerdings der gelehrteſte Mann weit und breit herum, aber ſeine Lehrmethode war abſcheulich, und die Behandlung der Schuͤler ſchrecklich: immer wurde zugeſchla - gen, und wer mit etwan ſechs oder acht Lungen - hiebe durchkam, fuͤr eine Schullection naͤmlich,121 nicht fuͤr den ganzen Tag, der konnte ſich gluͤck - lich preißen. Mein Vetter Jacob hat ſehr oft die ſchwere Hand des fuͤrchterlichen Orbilius Kratz fuͤh - len muͤſſen. Ich erinnere mich noch, oft mit Un - willen, oft mit Wohlbehagen, je nachdem ich ge - ſtimmt bin, an die Schimpfwoͤrter, womit Kratz ſeine Scholaren zu compelliren pflegte. Auſſer den auch ſonſt gewoͤhnlichen, Eſel, Flegel, Schlingel, Roͤckel, Toͤlpel, Ochſe, Narr, Teufelskind u. d. gl. hatte er auch noch ſeine vielleicht ihm ganz eigne: garſtiger Wuhl, Ofenlochsgabel, Kappesdorſche, Ruͤ - benhengſt, Dullullul, Federduͤftchen, Herr Schuzker, Kalidokes Schimpa - hes, Ennerſt und noch viele andre, die ich ver - geſſen habe. Nie rief er uns mit unſern eignen Namen: wenn er einen fragen wollte, guckte er ihn ſtier an, und ſchrie: Na, haſt'd keine Ohren, du Wuhl, du Ruͤbenhengſt? Folgte dann auf vorgelegte Frage eine befriedigende Antwort, ſo brummte er ſtatt aller Approbation ein dumpfes Hm, Hm, her; war er aber mit der gegebenen Antwort nicht zufrieden, ſo kamen Schimpfwoͤr - ter und endlich derbe Ohrfeigen oder Stockhiebe.

Mein Onkel, Jacobs Vater, zog etwan 1767 oder 69 nach der Oberlauſitz, und Jacob kam auf die Schu - le nach Goͤrlitz, dann auf die Univerſitaͤt nach Wit -122 tenberg, Leipzig und Strasburg: da aber das Schick - ſal ſeine Leute wunderlich fuͤhrt, ſo gerieth mein guter Vetter unter die franzoͤſiſchen Soldaten, ſegelte nach Amerika, und ward endlich Hofmeiſter in Schleſien. Die Leſer koͤnnen leicht denken, daß von einem Manne, welcher ſo wunderliche Umzuͤge gemacht hat, gar viel Intereſſantes erzaͤhlt werden koͤnnte, aber ich ſchreibe ja meine und nicht mei - nes Vetters Geſchichte, und kann daher damit nicht dienen. Vielleicht beſchreibt er einſt ſeine Hiſtorie, und dann waͤre es ſehr unartig, wenn ich ihm vorgreifen wollte.

Einige Wochen nach meines Vetters Abreiſe kam ein Maͤnnchen nach Halle, deſſen Logis ich aber trotz meiner Unterſuchungen nicht ausfindig machen konnte. Das Maͤnnchen beſuchte mich fruͤh Morgens, und beſchied mich auf den Nachmit - tag zu ſich auf die ſogenannte Loge, er habe mir ein Project mitzutheilen, durch deſſen Ausfuͤhrung wir beyde koͤnnten auf immer gluͤcklich werden. Ich halte zwar blutwenig auf Projecte, weil mir bis - her alle die, welche ich formirt hatte, oder welche andre fuͤr mich formirten, geſcheitert oder wenig - ſtens mislungen waren, doch wollte ich dießmal ſehen, was das Maͤnnchen eigentlich haben wolle, und ging auf die Loge, wo damals Mosjeh Diet -123 ler ſeine corrupte Wirthſchaft fuͤhrte. Geheimniß - voll blinkte mir das Maͤnnchen, und nahm mich mit in die große Wirthsſtube, die er ausdruͤcklich hatte heizen laſſen, und wo wir allein ſeyn konn - ten. Hier entdeckte er mir bey einem Glas Brey - han ſein Anliegen. Ich bin ein Adeptus, ſagte er, und habe durch lange Erfahrungen, große Rei - ſen, tiefe Unterſuchungen endlich die Geheimniſſe der Natur entdeckt, welche vor den Augen der Men - ſchen, auch der allerkluͤgſten und allergelehrteſten verborgen ſind. Ich mache zwar weder Gold noch Silber, denn das iſt vielleicht unmoͤglich, wel - ches ich jedoch nicht behaupten will, da ich die Sache nicht genau genug unterſucht habe; aber wenigſtens iſt das Goldmachen unnuͤtz und uͤber - fluͤſſig: denn Gold und Silber giebt es genug in der Welt, um Handel und Wandel zu unterhal - ten, und dieß iſt hinreichend. Aber ich habe weit koͤſtlichere Arcanen, ich beſitze die Kunſt, das Le - ben der Menſchen zu verlaͤngern und die Geſund - heit unverletzt zu erhalten. Ich mache es nicht wie Hufeland in Jena, welcher Diaͤt und Ord - nung befiehlt: nein! wer mir folgen will, kann nach Herzensluſt ausſchweifen, kann ſich alle Ta - ge zehnmal beſaufen, kann ſich mit Frauenzim - mern uͤbermaͤßig begehen, kurz er kann treiben, was ihm geluͤſtet zu treiben, und ſeine Geſund -124 heit muß nicht im geringſten dadurch geſchwaͤcht werden.

Das waͤre ja, fiel ich ein, ein herrliches Ar - canum fuͤr große Herren, fuͤr Praͤlaten, Dom - herren, Kammerherren, Hofbediente und reiche Taugenichtſe.

Ja wohl, fuhr er fort: aber nicht nur fuͤr reiche und vornehme Herren und Damen iſt mein Arcanum: denn auch in den niedern und niedrig - ſten Staͤnden ſind die Ausſchweifungen große Mode. Sogar bey Kammerkaͤtzchen und Domeſtiken wer - de ich Beyfall finden. Aber, liebſter Freund, ich habe einen Mann noͤthig, der mit mir zieht, und mich unterſtuͤzt, und dieſen Mann glaube ich in Ihnen gefunden zu haben.

Ich. Wie meynen Sie das?

Das Maͤnnchen. Sie ziehen mit mir: Sie haben viele Bekanntſchaften in - und außerhalb Deutſchland. Wo wir hinkommen, empfehlen Sie mich Ihren Bekannten, und es ſoll uns nicht fehlen, wir wollen unſern Schnitt ſchon machen. Alles Geld, welches wir verdienen, theilen wir.

Ich. Warum ziehen ſie nicht lieber allein, und behalten den Ertrag Ihrer Induſtrie fuͤr ſich?

Das Maͤnnchen. Das geht nicht an: ich darf mich nicht ſelbſt produciren; ſo was macht erſtlich verdammt verdaͤchtig, und die Leute ſehen125 einen fuͤr einen Charlatan an, und dann kommt auch hier und da die Obrigkeit dahinter.

Ich. (einfallend) Beſonders im Preußiſchen, nicht wahr?

Das Maͤnnchen. Bitte recht ſehr um Ver - gebung, im Preußiſchen iſts gar nicht ſchlimm fuͤr unſer Einen. Etwas Geld koſtets zwar, aber die Erlaubniß zu practiciren iſt leicht zu erhalten. Um aber allen Ungelegenheiten vorzubeugen, zie - hen Sie als Freund mit mir, machen mich ſo unter der Hand in Staͤdten und andern Orten bekannt, und wir wollen ſchon unſer Schaͤfchen ſcheeren.

Ich. Ja ja, denn nach dem Sprichwort, mundus vult depici, das heißt: die Herren wollen bedient ſeyn.

Das Maͤnnchen. Ganz recht, liebſter Freund; Sie ſind mein Mann, und wir koͤnnen einander dienen. Manus manum lavat, ſagt man im Sprichwort, Sie gehn doch mit?

Nun wurde ich im Ernſt uͤber den zudringli - chen Unverſchaͤmten aufgebracht, und erklaͤrte ihm gradezu, daß ich nie der Bediente oder der Freund eines Quakſalbers, Charlatans und Gift - miſchers werden wuͤrde. Das Maͤnnchen ſagte weiter nichts, als: wem nicht zu rathen iſt, dem iſt auch nicht zu helfen, und ging fort. Als er weg war, aͤrgerte ich mich, dem Mosjeh nicht126 derber die Wahrheit geſagt zu haben, aber nach und nach beſann ich mich und bedauerte, den Kerl auf ſeinen ebentheuerlichen Zuͤgen nicht begleitet zu haben; ich haͤtte, glaub ich, recht ſehr viel lernen koͤnnen in ſolcher Geſellſchaft. Es iſt al - lerdings nicht ſehr loͤblich, mit einem medicini - ſchen Charlatan und einem alchymiſtiſchen Betruͤ - ger und dieß war mein Maͤnnchen ganz ge - wiß herum zu ziehen, aber ich konnte es im - mer einmal probiren, um doch auch die Erfahrung zu lernen, wie weit Leichtglaͤubigkeit und Betrug gehen kann. Ich habe nachher weiter nichts mehr von meinem Maͤnnchen gehoͤrt: denn er verließ Halle noch am naͤmlichen Tag.

Zwoͤlftes Kapitel.

Haͤusliche Auftritte. Die Frau Hammern.

Seit der Geburt meines Fritzemann Acke gings ſo ziemlich in meiner Wirthſchaft: denn ich verdiente ſo viel, als wir brauchten, und ſo leb - ten wir ruhig, ſo ruhig, als man unter meinen127 Umſtaͤnden leben kann. Freylich fielen ſehr oft kleine Zaͤnkereyen zwiſchen mir und meiner Frau vor, welche von beyden Seiten nicht ganz ohne Grund waren, jedoch das ging bald voruͤber, und wenn wir uns gezankt hatten, ſo waren wir eine halbe viertel Stunde hernach wieder die beſten Freunde. Ein Umſtand war indeſſen doch Urſa - che, daß der Unwille meiner Frau gegen mich laͤnger dauerte, ſo lange naͤmlich, bis ſie von dem Ungrund ihres Verdachts uͤberzeugt war.

Eine gewiſſe weggeworfene Creatur, die man Frau Hammern nannte, ſprach mich einſt auf der Straße an, mit ihr zu gehen, und ihr einen Brief zu ſchreiben, oder vielmehr einen Menſchen, wel - cher ihr noch 19 thlr. ſchuldig war, bey den Gerich - ten zu Bernburg zu verklagen. Ich hatte gerade nicht Zeit, ihr Verlangen zu erfuͤllen, verſprach ihr aber, naͤchſtens zu ihr zu kommen. Sie de - ſignirte mir ihr Haus: ich ging fort und vergaß, was ich verſprochen hatte. Ohngefaͤhr acht Tage hernach ging mich die Hammern wieder an, aber auch damals konnt ich ihr nicht folgen, als ſie mich aber zum dritten Mal anredete, ging ich gleich mit ihr. Eine dienſtfertige Frau, naͤmlich die Frau des Muſicus Spazier, hatte mich ſchon mehrmals mit der Hammern reden ſehen, und als ſie nun gar ſahe, daß ich mit dieſer Makerelle ging,128 lief ſie ſchnell zu meiner Frau und berichtete ihr, ſo eben ſey ich in ein Hurenhaus gegangen. Ich muß hier bemerken, daß ich durchaus von den Verhaͤltniſſen der Hammern nichts wußte, und daß es mir gaͤnzlich unbekannt war, daß ſie lie - derliche Wirthſchaft betrieb: denn ſonſt wuͤrde ich doch wenigſtens nicht am hellen Tage hingegan - gen ſeyn. Meine Frau warf ſchnell ihren Mantel hin und eilte mir nach, fand mich aber ganz al - lein in der Stube der Hammern, weil dieſe weg - gegangen war, Papier zu holen. Wie ſie mich apoſtrophirt habe, moͤgen ſich meine Leſer ſelbſt denken. Ich hatte alle Muͤhe, ſie nur in ſoferne zu beſaͤnftigen, daß ſie nur keinen Skandal auf der Straße machte, und das Grobzeug zuſammen zog. Nun erfuhr ich alſo, in welchem Hauſe ich geweſen war, und aͤrgerte mich ſelbſt, dahin gegan - gen zu ſeyn. Nachdem aber meine Frau wieder ruhig geworden war, konnte ich ſie von meiner Unſchuld wohl uͤberzeugen, aber noch jezt macht ſie mir, wenn ſie boͤſe iſt, uͤber dieſen Vorfall die bitterſten Vorwuͤrfe, und ich muß oft folgende ſchoͤ - ne Frage hoͤren: Sag mir'n mal, Menſchenkind, obs nicht wahr iſt, daß ich dich aus'm Hurenhaus geholt habe? das iſt nun freilich wahr, aber ich war doch unſchuldig, und verdiene daher keine Vorwuͤrfe dieſer Art.

Da129

Da ich aber doch einmal von der Frau Ham - mern geſprochen habe, ſo will ich ihre heilloſe Wirthſchaft vorher beſchreiben: vielleicht kommen dieſe Blaͤtter den Herren der hieſigen Polizey zu Geſichte, und vielleicht nimmt dieſe einige Ruͤck - ſicht auf meine Nachrichten, und zerſtoͤrt vielleicht die Infamien, welche bey der Hammern getrie - ben werden. Ich habe meine Nachrichten zwar nicht aus eigner Erfahrung, aber doch von ſolchen Leuten, welche als die guͤltigſten Zeugen gelten koͤnnen, weil ſie dieſe Huͤtte der niedrigſten Wol - luſt ſelbſt und oͤfters beſucht haben.

Die Hammern haͤlt kein eigentliches Bordel, das heißt, es iſt bey ihr keine regelmaͤßige Auflage feiler Menſcher, welche jedem zu Gebote ſtehen, der den geringen Preiß bezahlt, auf welchen ſie ſich taxirt haben: aber wer Etwas von der Art ſucht, kann ſich dennoch an die Frau Hammern wenden, welche gewiß dafuͤr ſorgt, daß ihm aus der Noth geholfen werde. Feile Maͤdchen finden ſich ungerufen des Abends bey ihr ein: denn am Tage leidet ſie dergleichen nicht, es muͤßte denn ein auſſerordentlicher Fall ſeyn mir periculum in mora verbunden. Wenn aber keine Maͤdchen da ſind, ſo hat die gute Frau doch Bekanntſchaft und weiß gleich, wo ein Dirnchen ſteckt, das gern Et - was verdienen moͤgte: diejenigen Maͤdchen, wel -Laukh. Leben 5ter Theil. I130che oft bey der Madam Hammern ſich einfinden, haben den Namen Hammermamſellen von unſern Studenten bekommen. So eine Hammer - mamſell iſt aber gehalten, jedesmal eine Abgabe von dem zu zollen, was der gierige Herr Galan fuͤr die genoſſene oder vielmehr fuͤr die noch zu ge - nießende Freuden hingiebt; und dieſe Abgabe iſt ſehr billig: denn wer laͤßt gerne umſonſt, fuͤr nichts und wieder nichts in ſeiner Werkſtaͤtte ar - beiten? Bis auf dieſen Punkt hatte nun die Ham - mern vor den uͤbrigen Bordelliſten nichts zum voraus: aber was nun kommt, iſt ihr ganz eigen.

Frau Hammern verſteht die Kunſt, ledige und verehlichte Frauenzimmer zu verfuͤhren, und ſie zu verkuppeln. Wer ein Maͤdchen oder ein Weib gern haben moͤgte, darf ſich nur an Madam Ham - mern wenden, und wenn dieſe das Maͤdchen oder die Frau nicht ſchaffen kann, ſo kann es niemand. Mir ſind Faͤlle bekannt, wo Frau Hammern wirk - liche ernſthafte Liebesgeſchichten angeſponnen hat, und oft bin ich erſtaunt, wenn meine Freunde mir Frauenzimmer zeigten, welche bey der Hammern geweſen waren, um da mit ihren Liebhabern eine Zuſammenkunft zu halten, die doch ſonſt in aller Augen fuͤr tugendhaft, wenigſtens fuͤr ehrbar paſ - ſiren. Fuͤrchten Sie ſich aber nicht, meine Schoͤ -131 nen, ich werde keine von ihnen nennen: Sie ſind mehr zu bedauern, als zu beſchimpfen.

Dieſes Gewerbe treibt Frau Hammern ſchon ſeit vielen Jahren, und doch erinnere ich mich nicht, daß die Polizey auch nur ein einziges Mal nach dieſer heilloſen Wirthſchaft gefragt haͤtte. Es kann ſeyn, daß die Herren von der Sache, die jedoch ganz ſtadtkuͤndig iſt, und wovon in hoͤhern und niedrigern Cirkeln geſprochen wird, nichts vernommen haben, und daher die Kupplerin nicht controlliren konnten: eben deßwegen wuͤnſchte ich aber, daß dieſe Blaͤtter den Herren zu Geſicht kaͤmen, und dann waͤre ich gleich bereit, auf Re - quiſition naͤmlich, ihnen naͤhere Beweiſe der ab - ſcheulichen Kuppeley vorzulegen. Bey uns hat zwar der Unterſchied zwiſchen delicta privata und publica aufgehoͤrt, indeſſen glaube ich doch, daß jeder, welcher von ſolcher heilloſen Wirthſchaft Kenntniß hat, auch das Recht habe, den Skan - dal der Obrigkeit bekannt zu machen, und daß alsdann auch dieſe verbunden ſey, der heilloſen Wirthſchaft Einhalt zu thun.

Ich weiß, daß man hin und wieder die Frage aufgeworfen hat, ob auf Univerſitaͤten privilegirte Bordelle angelegt werden koͤnnten, wodurch der Schade, welcher aus den Winkelbordellen und aus dem Umgang mit liederlichen, auf ihre eigne HandI 2132wohnenden Menſchern, den Studenten erwaͤchſt, verhindert wuͤrde? Es muß wirklich weit mit dem Verderbniß der Sitten gekommen ſeyn, wenn man ſolche Fragen aufwerfen kann! Es ſollte noͤthig ſeyn, fuͤr junge Maͤnner, welche ſich den hoͤhern Wiſſenſchaften widmen, und einſt Volkslehrer, Richter und Aerzte werden wollen, und ſich oben auf den Univerſitaͤten zu dieſen erhabenen Zweckell vor - bereiten, fuͤr ſolche Leute, ſage ich, ſollte es noͤthig ſeyn, Bordelle zu errichten, und dieſe Bordelle zu privilegiren, und der Obrigkeit doch wohl der akademiſchen Obrigkeit ſelbſt? die Ober - aufſicht und das Direktorium davon zu uͤberlaſſen!!! Ich zweifle, ob jemals eine deutſche Univerſitaͤt ein Bordel privilegiren wird; vielleicht ſollten die Vorgeſezten der Univerſitaͤten dafuͤr ſorgen, daß alle Gelegenheiten, die niedre Wolluſt zu trei - ben, ſorgfaͤltig abgeſchnitten wuͤrden, welches auch ſo gar ſchwer nicht iſt, wenn mans nur or - dentlich anfaͤngt. Die meiſten jungen Leute, dieß muß ich zur Ehre unſrer Studenten ſagen, haſſen die feile Wolluſt, und verachten die elenden Creaturen, welche ſolche Dienſte leiſten. Wie leicht waͤre es aber, alle Juͤnglinge von guter Erziehung von dem Beſuch feiler Menſcher und von der Gemein - ſchaft mit denſelben abzuhalten, da eben dieſe Juͤnglinge ſich groͤßtentheils ein hohes Ideal von133 Liebe und Minnegluͤck gebildet haben, womit die Bordellerey und Menſcherey ganz und gar incom - patibel iſt? Alte Suͤndenboͤcke, und rohe Kerle ohne Erziehung werden zwar der niedern Luſt nach - rennen: denn dieſe kennen und verlangen weiter nichts als Genugthuung fuͤr ihren Kitzel, aber der Juͤngling hat Anſpruͤche, welche ihm keine Bor - delnymphe und kein Thuͤrmer gewaͤhren kann. Faſt immer iſt die Verfuͤhrung andrer Schuld, wenn junge Leute ſich der Ausſchweifung ergeben, und dadurch ungluͤcklich werden. Wenn die Neu - linge oder Fuͤchſe ankommen, werden ſie ſofort von den Veteranen angefuͤhrt, und mit allem bekannt gemacht, was dieſe betreiben: die Buffe oder Bor - delle werden bey dieſen Inſtructionen nicht vergeſſen, und kaum iſt der Fuchs drey Tage auf der Akade - mie, ſo kennt er ſchon alle Loͤcher, und die in den - ſelben commandirenden Buffpatronen, und die ſer - virenden Buffmenſcher. Dieß iſt beynahe auf al - len deutſchen Univerſitaͤten ſo. Die Polizey iſt zwar dann und wann aufmerkſam auf dieſe Unſtaͤ - tereyen, aber ſie verfehlt faſt allemal ihren Zweck: denn das Viſitiren der Bordelle, welches das Ein - zige iſt, das man bisher zur Stoͤhrung dieſer Un - ordnungen vorgenommen hat, wird groͤßtentheils ſchon vorher bekannt, und dann finden die ſuchen - den Haͤſcherpatroniſten ſelten einen Studenten in134 einem ſolchen Loche. Aber wenn ſie auch welche finden, ſo koſtet es einiges Geld, und das Uebri - ge bleibt, wie es war. Der jetzige Prorektor in Halle hat einiges zur Stoͤrung der Bordellerey und der Hurenwirthſchaft gethan, und ſelbſt alle gutdenkende Studenten wuͤnſchen, daß er ſeinen Zweck vollkommen erreichen moͤge aber ſie wuͤn - ſchen es mehr, als ſie es hoffen: denn das Uebel hat zu tiefe Wurzeln gefaßt, als daß es leicht aus - zurotten ſeyn ſollte. Doch es iſt gut, die Mate - rie von den Bordellen, Buffen und Thuͤrmern, das iſt Gaſſennymphen, abzubrechen, ob ſie gleich ſehr reichhaltig iſt, und es mancher geru ſehen wuͤrde, wenn ich noch einige Kapitel damit aufuͤllte.

Im Herbſt 1798 wurde ich durch einen ſehr freundſchaftlichen Brief des rechtſchaffnen und ge - lehrten Herrn Berghauptmanns von Murr zu Nuͤrnberg, ſehr angenehm uͤberraſcht. Dieſer vor - treffliche Literator verſicherte mich, daß er mei - ne Siebenſachen mit Vergnuͤgen geleſen habe, und mit meinen freyern Aeuſſerungen und Urtheilen durchaus zufrieden ſey: zugleich ſchickte er mir ei - nen Katalogus derjenigen Buͤcher ſeiner ſehr zahl - reichen Sammlung, welche er verkaufen wollte, und forderte mich auf, mir nach Gefallen einiges zu waͤhlen. Ich antwortete dem edelmuͤthigen Manne, und uͤberließ ihm ſelbſt die Wahl de135 Buͤcher, welche er fuͤr mich nuͤtzlich und brauch - bar hielte. Gegen Weihnachten ſchickte mir Herr von Murr einen Pack, worin ich unter andern folgende Werke fand: Euripidis Opera ex Editio - ne Canteri; Lyrici et Bucolici graeci; Serveti Lbb. de Chriſt. reſtit; La Vie de Lucillo Vanini; Aminta di Taſſo; Statii Opera; Apollonii Rhodii Aggonantica und mehr andre Werke dieſer Art. Herr von Murr muß ſich eine ſehr gute Vorſtel - lung von meinen geriugen Kenntniſſen und Faͤhig - keiten machen, da er mir ſolche Buͤcher zum Ge - ſchenk gemacht hat. Nie wird meine Hochach - tung und meine Dankbarkeit gegen den rechtſchaff - nen Mann bey mir lau werden, und der Bey - fall eines ſolchen Mannes wird gewiß mehr bey mir gelten, als das Lob oder der Tadel der licht - ſcheuen Recenſenten in den ſogenannten Bibliothe - ken, Literaturzeitungen, Annalen, und wie die gelehrten Troͤdelbuden in Deutſchland ſonſt noch heißen moͤgen. Die Herren, welche an den ge - lehrten Journalen arbeiten, moͤgen mir es nicht uͤbel nehmen, daß ich vielleicht mit weniger Reſpect von ihren Inſtituten ſpreche, als ſie vielleicht erwar - teten: es iſt zu unſrer Zeit große Mode, beſonders unter den Schriftſtellen, alles bey ſeinem rechten Namen zu nennen, und Dank ſey es der Preß - freyheit, ſeine Meynung grade heraus zu ſagen. 136Die Herren Recenſenten gehn uns in dieſem Stuͤck mit dem beſten Beyſpiel vor, und einige machens ihnen auch treulich nach. Herr Mehmel, Pro - feſſor in Erlaugen, ſchalt noch erſt neulich die all - gemeine deutſche Bibliothek eine Kneipe wor - in liederliches Geſindel (intellige die Re - cenſenten, alle oder nur einige, iſt gleichviel) be - herbergt wuͤrden. Dieſes herrliche Elogium ha - ben die Herren der deutſchen Bibliothek ſogar in ihrem Recenſirbuche wiederholt, aber dabey wird es auch wohl bleiben: denn ſie werden ſich wohl huͤten, den Herrn Mehmel gerichtlich zu belan - gen, welches auch wahrſcheinlicher Weiſe wenig helfen moͤgte. Wie artig Herr Danz ſeine Recen - ſenten abzufertigen wiſſe, kann man ſehen in der Vorrede zum ſechſten Bande ſeines Commentars uͤber Hrn. Runde's Privatrecht: Herr P. Dabelon hat auch gar artig deutſch geſprochen mit ſeinem Recenſenten. Nun frage ich:

quis dubitet, nomina tanta ſequi?

Doch mit den Recenſenten werde ich bald bey einer ſchicklichern Gelegenheit aber auch zum lez - ten Male ſprechen: hier merke ich nur noch an, daß mir ein Recenſirklub grade ſo vorkommt, wie etwan ein Criminalgericht, oder eine Municipa - litaͤt in Frankreich zur Zeit des Terrorismus. Die Mitglieder kannten einander ſelten, ſo gehts auch137 bey den Recenſenten: unter den Mitgliedern gabs einige der wichtigen Unterſuchungen und Entſchei - dungen gewachſene Maͤnner, aber da ſaßen auch〈…〉〈…〉 nberbes pueruli, jaͤmmerliche Wichte, die weder Giks noch Gaks wußten, und doch uͤber die ſchwer - ſten Rechtshaͤndel abſprachen; eben dieß iſt auch der Fall mit den Recenſeuten, unter welchen es manche ſachkundige einſichtige Maͤnner, aber auch gar traurige Kunſtjuͤngerlein giebt, wie ihr Mach - werk hinlaͤnglich beweiſet. Endlich konnte ein zur Zeit des Terrorismus in Frankreich gefaͤlltes Ur - theil nicht reformirt werden; wie einmal geſpro - chen war, ſo blieb es; eben ſo koͤnnen auch die Recenſirſpruͤche nicht geaͤndert werden: denn ſonſt muͤßte man ja die gedruckte Bogen umdrucken, und das geht nicht. Der Terrorismus in Frankreich hat laͤngſt aufgehoͤrt, der Terrorismus der Recen - ſenten aber auch: Es war einmal eine Zeit, wo man ſich vor den Urtheilen der Recenſenten zwar nicht fuͤrchtete, aber doch dieſelben als Urtheile von competenten Richtern gefaͤllt, anſahe, und ihre Zurechtweiſungen gern annahm, aber ſeitdem Grobheit, Stolz, Impertinenz und brutales We - ſen mit großer Ignoranz verbunden, das Signale - ment der Recenſiſten geworden iſt, kuͤmmert ſich nie - mand mehr um Recenſoren als ſolche; man lieſt die gelehrten Zeitungen, um zu erfahren, wie die138 Titel der neuen Buͤcher heißen, wie ſtark ſie ſeyen an der Bogenzahl, und was ſie koſten, auch wohl um die Zeit zu vertreiben, oder des Spaſes we - gen: denn wehe dem, welcher die Recenſirbuͤcher lieſet, um ſich zu unterrichten, und, um uͤber die Fortſchritte der Litteratur zu urtheilen!

Dreyzehntes Kapitel.

Herr Dreyßig. Die Eudaͤmoniſten.

Im Sommer 1799 kam der Koͤnig von Preußen nach Halle, und die Hallenſer waren alle, wie billig, ſehr froh, ihren erhabenen Monarchen in ihren Ringmauern zu ſehen. Ich fuͤr meine Per - ſon habe damals den Koͤnig nicht geſehen: denn ich mogte mich da nicht hinzu draͤngen, wo ſich jederman draͤngte, blieb daher zu Hauſe, und beſorgte mein Blumenbret. Ich erfuhr aber doch zu meiner nicht geringen Freude, daß der Koͤnig nach mir ge - fragt habe. Im botaniſchen Garten, wo dem Koͤnige und der Koͤnigin ein Fruͤhſtuͤck war bereitet worden, erblickte die Koͤnigin einen Haufen Studenten, und fragte, was das fuͤr gutgekleidete, artige, junge139 Leute waͤren? Es wurde ihr geantwortet, es ſeyen Studenten, und da wunderte ſie ſich, daß Stu - denten ſo artig und wohlgezogen ſeyn koͤnnten. Es iſt ſichtbar, daß der Monarchin ein boͤsartiger Be - griff von Studenten und ihrem Weſen beygebracht ſeyn mußte: freylich konnte ein Auftritt, welcher den Tag zuvor im Garten zu Dieskau vorgefal - len war, der Dame keine guͤnſtige Idee von Stu - denten beybringen. Ein Student war daſelbſt, als der Koͤnig ankam, und trug einen Helm, wel - cher mit einem Riemen uuter dem Kinn ſo befe - ſtigt war, daß er ihn nicht abnehmen konnte. Je - derman zog vor dem Konige den Hut ab, bis auf den Studenten mit dem Helm. Der Koͤnig, welchen dieſes verdrieſſen, oder wenigſtens befrem - den mogte, fragte ihn, wer er waͤre? Ich bin ein Student, erwiederte der Gefragte in einem eben nicht feinen Tone. Das ſieht man wohl, ſagte der Koͤnig, und wendete ſich weg. Der Student bekam hernach auf einige Tage Stadtar - reſt??? Ein Herr von dem Koͤnigl. Gefolge, wel - cher mir in der Maͤrkerſtraße begegnete, und mich noch von Alters her kannte, rieth mir, dem Koͤ - nige mich zu naͤhern, und ihn an ſein Verſprechen zu erinnern. Ich uͤberlegte, was zu thun ſey, und fand, daß ich es nicht thun muͤſſe: denn ich traute der Empfehlung gewiſſer Halliſcher Herren140 nicht; welche um den Koͤnig waren, vorzuͤglich fuͤrchtete ich, ein gewiſſer Theologe, deſſen Per - ſonnage dem Monarchen wichtig ſcheinen mußte, moͤgte mir einen uͤblen Gefallen thun, aus reiner Menſchenliebe naͤmlich, wie ſichs von ſelbſt ver - ſteht. Es iſt eine gar herrliche Sache um die Geſetze und die Moral: wer klug iſt, kann immer ſeinen Leidenſchaften Gehoͤr geben, und findet doch immer gute Gruͤnde zur Entſchuldigung, und zur Beſchoͤnigung der unbilligſten Dinge findet man Geſetze. Sollte man wohl folgenden Vorfall glau - ben? Und doch hat ſich die Sache gerade ſo zuge - tragen, wie ich ſie erzaͤhle.

Ein gewiſſer Student der Rechte, aus Schle - ſien gebuͤrtig, ſuchte vor einiger Zeit, etwan vor ſechs Monaten, um den Freytiſch nach: man machte ihm Hoffnung dazu, und er ſtellte ſich zum Examen. Weder gegen ſeine Kenntniſſe, welche gar nicht gemein ſind, noch gegen ſeine Lebensart, welche ſehr regelmaͤßig und geſittet iſt, konnte das Geringſte eingewendet werden, und doch erhielt er den ihm zugeſagten Freytiſch nicht, weil er katholiſch war. Wenn etwan ein Paſtor Goͤtz zu Hamburg, ein Profeſſor Seiler in Erlan - gen, oder ein Bechtold in Gießen ſo einen Grund das Beneficium zu verſagen, angefuͤhrt haͤtten, wollte ich kein Wort ſagen: denn bey dieſen Leuten141 iſt es Grnndſatz, daß man die Feinde des Herrn d. i. die Nichtlutheraner auch fuͤr ſeine Feinde hal - ten, und folglich ihnen nichts gutes thun muͤſſe. Aber ein Noͤſſelt, ein Eberhard ſolche Maͤnner koͤnnen ſagen: weil dieſer ſonſt fleißige, gutgeſittete Mann einen andern Kirchennamen hat, als wir, ſo ſoll er nicht umſonſt mit uns eſſen; lieber ſollen andre, welche Mittel genug habeu, ſich den Mittagstiſch zu kaufen, dieß Beneficium genießen. Sogar einige unter unſern Profeſſoren haben ziemlich laut uͤber das erzaͤhlte Verfahren geklagt, aber es iſt dabey geblieben, und ich ent - halte mich aller weitern Anmerkungen, doch wird jeder graddenkende Mann mir Recht geben, wenn ich behaupte, daß wenn ja ein altes Geſetz exiſtirte, welches die Katholiken von den koͤnigl. Freytiſchen ausſchloͤſſe, dieſes Geſetz entweder ab - geſchafft oder uͤbergangen werden muͤßte, zumal wenn von der Unterſtuͤtzung eines aͤuſſerſt armen, aber fleißigen und geſchickten Mannes die Rede iſt. Mir iſt die Litaney des großen Erasmus bey die - ſem Umſtand eingefallen.

Die Reiſe des Koͤnigs nutzte Herr Dreyßig, der Kunſt - und Buchhaͤndler, ſonſt gruͤner Mann ge - nannt, um einige Bogen gedruckt ins Publikum zu werfen, und einige Groſchen damit zu verdie - nen. Es wurden daher einige Sudelwiſche, wor -142 in die Reiſe des Koͤnigs nach Halle, und deſſen kurzer Aufenthalt in dieſer Stadt erzaͤhlt wurde, zuſammen geſcriebelt, und Gott weiß, quo cenſore, herausgegeben. Einige wollten behaupten, Hr. Dreyßig ſey nicht der Verfaſſer dieſer Dinger, aber wenn ich meine Meynung ſagen ſoll, ſo finde ich das Geſchreibſel des gruͤnen Mannes vollkommen wuͤrdig: bis auf den Ausdruck iſt alles gruͤnmaͤn - niſch. Der Koͤnig hatte ſich ohnweit Halle an ei - ner Anhoͤhe auf den Raſen gelegt, um von da aus den Halloren, welche auf der Saale ein Schiffer - ſtechen hielten, zuzuſehen: dieſen Umſtand druͤckt Herr Dreyßig mit dieſen Worten aus: Der Koͤ - nig habe vollends da gelegen, wie ein Schaafknecht! Heißt das nicht ſehr edel und ganz à la gruͤner Mann, von einem Monarchen ſprechen? Andre Nachrichten, die Koͤnigin betref - fend, werden in der halliſchen Poͤbelſprache er - theilt! z. B. die Koͤnigin ſey ein gar grauſam ſchoͤ - nes Madamchen u. ſ. w. Am Ende des zweyten Stuͤcks dieſes Machwerks kommt etwas ſehr wi - tziges vor: Herr Dreyßig fuͤhrt naͤmlich einen von dem Gefolge des Koͤnigs redend ein, welcher ſeine Betrachtungen uͤber Halle anſtellte, worin Leute von ſo verſchiedenem Charakter lebten. Er ſtellt mehrere zuſammen, welche einander auffallend unaͤhnlich ſind, oder wenigſtens nach Meiſter Drey -143 ßigs Einbildung ſeyn ſollen. So wird z. B. der Stadtmuſicus Hr. Wansleben, ein wohlgewach - ſener großer Mann, mit einer gewiſſen Mamſell Steinhaͤuſer, einem winzigen Geſchoͤpfchen, zuſam - mengeſtellt. Auch meiner Wenigkeit thut Herr Dreyßig die Ehre der Collation an, und bringt mich mit dem Hn. Prof. Bathe zuſammen. Ich weiß zwar recht gut, daß ich mit Hn. Bathe nichts Aehn - liches habe; aber worin die auffallende Unaͤhn - lichkeit beſtehen ſoll, ſahe ich nicht ein, und konn - te, als ich das Geſchmiere auf der Mail las, gar nicht begreifen, wie ich dazu kaͤme, mit dem Prof. Bathe verglichen zu werden. Ich ging da - her zu Herr Dreyßig in ſeine Kunſtkammer, oder wie die Studenten ſagen, Kunſtloch, und bat mir eine Erklaͤrung von dem Herrn Kunſtmeiſter aus, aber dieſer antwortete mir ſo komiſch unbeſtimmt, daß ich einſahe, er wolle mich zum beſten haben, und nun auch nach meiner Art derbe zu reden an - fing. Unſer Debattiren wurde ſo laut, daß die Jungen auf der Straße ſich vor Hn. Dreyßigs Ca - binet de merveilles verſammelten, und ſelbſt die Voruͤbergehenden ſtehn blieben. Ich entfernte mich, und Herr Dreyßig rief mir nach, daß er mich beym Prorektor ſprechen wuͤrde, aber er hat mich nicht fordern laſſen, ſondern mir dadurch eins zu verſetzen geglaubt, daß er in der Fortſetzung der Wiſche die144 Bemerkung einfließen ließ, ich verſtuͤnde mich auf den Schnapps, und wiſſe, wo der Beſte in Halle zu haben ſey. Ich glaubte nicht, daß es der Muͤhe werth ſey, mich weiter mit Mſtr. Drey - ßig in eine oͤffentliche Fehde einzulaſſen, und lachte uͤber die Ausfaͤlle eines Mannes, der ohnehin un - faͤhig iſt, jemand zu injuriiren.

Mit den Eudaͤmoniſten haͤtte ich auch Haͤndel bekommen, wenn mich die Verfaſſer des Obſcu - ranten-Almanachs der Muͤhe nicht uͤberhoben haͤt - ten, mit den jaͤmmerlichen Kerlen Krieg zu fuͤh - ren. Ich hatte das Geſchreibſel, Eudaͤmonia ge - nannt, noch nie geſehen, wohl hatte ich davon gehoͤrt und geleſen, und wußte aus den Nachrich - ten einſichtiger braver Maͤnner, daß die Eudaͤmonia unter den infamen Sudeleyen, welche zu un - ſrer Zeit Deutſchland uͤberſchwemmen, einen vor - zuͤglichen Platz verdient, und eben ſo wie andre gro - be Pasquillen z. B. einige Skarteken von Goͤchhau - ſen, Doctor Bahrdt mit der eiſernen Stirne u. d. gl. den guten Namen braver Maͤnner begeifert. Daß aber die fatalen Eudaͤmoniashanswurſten auch meiner gedenken, und mich an ihren Pranger ſtellen wuͤrden, war mir nie eingefallen, bis ich endlich einen Brief ohne Anzeige des Ortes, wo er herkam und ohne Unterſchrift erhielt, worin mir berichtet wurde, daß ich im zwoͤlften Stuͤck desKloaks145Kloaks Eudaͤmonia derb angegriffen und herunter ge - macht ſey. Ich wollte doch das Ding ſelbſt nachſehen, hatte aber große Muͤhe, es zu erhalten, da das Geſudel im Preußiſchen und Saͤchſiſchen ganz und gar keinen Abgang findet. Ich las und erſtaunte, da mich die elenden Buben fuͤr einen Verbrecher erklaͤren, den man in Effigie aufhaͤngen muͤſſe: die andern Titulaturen, welche ſie mir gaben, z. B. den Preußiſchen Spion, Laukhardsſeele, Propa - gandentrompeter, ſanscuͤlottiſcher Großſchreier u. d. gl. wollte ich ihnen gerne vergeben, aber wegen des Haͤngens in Effigie gedachte ich doch, ein Wort deutſch mit ihnen zu ſprechen, aber der Obſcuranten - almanach uͤberhob mich dieſer Muͤhe, und ich danke den Verfaſſern dieſes Werks, daß ſie den Eudaͤ - moniſten ſtatt meiner, geantwortet haben.

Der obgedachte Brief enthielt die Namen meh - rerer Maͤnner, welche zu den Eudaͤmoniſten ſollen gehoͤrt haben, naͤmlich v. Grolmann in Gießen, Prof. Jung in Marburg, Hofprediger Stark in Darmſtadt, Aoloys Hoffmann in Wien, Hoſchka, v. Goͤchhauſen in Eiſenach, und endlich den ad in - ſtar eines Zahnbrechers ſchreienden Journalsmann Schirach in Altona. Ich will nicht behaupten, daß alle die genannten Herren Eudaͤmoniſten ſind, d. i. daß ſie alle an dem Journal, Eudaͤmonia ge - nannt, den Staupbeſen verdient haben, ich magLaukh. Leben 5ter Theil. K146ſogar keinen Einzigen als wirklichen Eudaͤmoniſten angeben: denn das hieße gerade ſo viel, als ſo einen Herrn fuͤr einen Geſellſchafter und Waffen - traͤger der erſten Schurken Deutſchlands erklaͤren; indeſſen zeugen doch die Handlungen mehrerer der genannten Herren von Dero Eudaͤmoniſtiſchen Geſinnungen. Die That des Herrn von Grol - mann zu Gießen an dem D. G wurde durch einen gewiſſen Exulanten in Ober - und Nie - derſachſen ſo verſchrieen, daß gewiß die Kinder auf einen Mann weiſen wuͤrden, der ſich Grolmann nennt und dieſe Gegenden bereiſen ſollte. Schade iſt es doch, daß der liberale und rechtſchaffne Cri - minaliſt Grolmann in Gießen wohnt, und mit dem eudaͤmoniſch geſinnten Menſchen einerley Na - men fuͤhrt! Den Prof. Jung in Marburg mag ich kaum nennen: er hat zu viel aͤhnliches mit einem gewiſſen Kerl, Roſenfeld glaub ich, hieß er. Man ziehe nur Froͤmmlingen von Profeſſion die heilige Maske von der Fratze, und dann wird wenig uͤbrig bleiben, weßwegen man ſie fuͤr Muſter hal - ten muͤſſe.

Loripedem rectus derideat, Aethiopem albus.
Quis tulerit Gracchos de ſeditione querentes?
Quis coelum terris non miſceat, et mare coelo,
Si fur diſpliceat Verri, Homicida Miloni,
Clodius accuſet moechos, Catilina Cethegum?
147
Qualis erat tragico nuper pollutus adulter
Concubitu, qui tone leges revocabat amaras
Omnibus atque ipſi Veneri Martique timendas;
Cum tot abortivis foecundam Iulia vulvam
Solveret, ac patruo ſimiles effunderet offas.

Sollte man nicht denken, Juvenalis ſey ein Prophet geweſen, und die angefuͤhrte Stelle ſey ein weißagendes Geſichte?

Daß ein Mann, wie Stark in Darmſtadt ſich zu dem Eudaͤmoniſtengeſindel geſellt hat, oder ge - ſellt haben ſoll, iſt wirklich ſehr zu bedauern. Der Verfaſſer des Haͤpheiſtio ein Eudaͤmoniſt!!

Herr von Goͤchhauſen in Eiſenach verdient oͤf - fentlich geruͤhmt zu werden, und ich wuͤrde es thun, wenn ich meine Stimme fuͤr wuͤrdig hielte, den Rechtſchaffnen zu loben. Er hat ſich oͤffent - lich erklaͤrt, warum er freyere Geſinnungen mit Sanscuͤlotterey in eine Bruͤhe geworfen, und je - den fuͤr einen Ohnehoſen angeſehen habe, der nicht dachte, wie ohngefaͤhr Hr. Rehberg oder einer desgleichen. Ich habe mich unendlich uͤber das freye eines gelehrten und durch Verdienſte angeſe - henen ſo wuͤrdige Geſtaͤndniß gefreuet, und bedaure nur, daß mir einige Ausdruͤcke entfahren ſind in meinen Schriften, welche auf Herrn von Goͤch - hauſen nicht den beſten Bezug haben; aber dieſe Ausdruͤcke concerniren bloß den Schreiber der Wan -K 2148derungen in die Rhein - und Mayngegenden, kei - neswegs aber den ſchaͤtzbaren Verfaſſer des Maͤhr - chens aus der andern Welt.

Der Journaliſt Schirach, oder Herr von Schi - rach in Altona ſcheint mir durchaus keinen unmit - telbaren Antheil an der Eudaͤmonia genommen zu haben, da ſein politiſches Journal die Eu - daͤmonia beynahe aͤquirt, ich meyne an Luͤgen, Laͤ - ſterungen und Verlaͤumdungen. Doctor Bahrdt ſagt im Ketzeralmanach, das deutſche Publikum ſey ein altes Weib, weil es die Schriften eines gewiſſen Herrn gleichſam verſchlungen habe. Den Beweis, daß unſer Publikum ein altes Weib iſt, koͤnnte man am beſten daher fuͤhren, daß das po - litiſche Journal des Herrn von Schirach noch Kaͤu - fer und Abſatz findet. Der große Schirach hat den Schleier der Politik vom Geſicht geriſſen, und immer vorher aus unumſtoͤßlichen Gruͤnden geweißaget, wie es noch in der Welt gehen muͤßte, und folglich auch gewiß gehen wuͤrde. Daß es ſo, wie der große Politiker geweißagt hat, gehen mußte, daran iſt wohl kein Zweifel, nur war es ſehr Schade, daß faſt keine einzige Schirachſche Weißagung eintraf. Doch die Weißagungen moͤg - ten immer hingehen, die machen das politiſche Journal bloß zu einem elenden Sudel, woruͤber der Kluge die Achſel zuckt, und die Verdrehungen149 der Begebenheiten, welche ſich Schirach oder ſeine unbekannte Correſpondenten erlauben, waͤren auch noch zu verzeihen; denn ſo Etwas hat er mit vielen inlaͤndiſchen und auslaͤndiſchen Zeitungsſchreibern, ſogar mit gelehrten Zeitungsſchreibern, gemein: und wenn mehrere einerley Bocksſtreiche machen, ſo fallen dieſe weniger auf: aber ſeine Invectiven auf brave Maͤnner ſind unverzeihlich und verdienen oͤffentlich geprangert zu werden, wenn jenen ver - unglimpften Maͤnnern daher ein Schaden entſtan - den waͤre, daß ſie im politiſchen Journal mishan - delt wurden.

Die Eudaͤmonia hat nicht ſo viel Gluͤck ge - macht, als das politiſche Journal: das Ding war gar zu arg, und gar zu elend; da dachten dann die Herren, welchen zu Gefallen die Eudaͤmoni - ſten ihre Federn in Uebung ſezten:

Wollt ihr nicht beſſer ſtreiten fuͤr uns, dann I und verboten die fernere Erſcheinung der Monatswiſche.

Einen Hauptſpaß habe ich auch vor einigen Jahren erlebt, den ich doch hier ſo〈…〉〈…〉 ς ἐν παϱ〈…〉〈…〉; δῳ er - zaͤhlen will. Ein Prediger zu Acken an der Elbe, Na - mens Sabel, aͤrgerte ſich gar maͤchtig, daß der Ver - faſſer einer Broſchuͤre, Charakteriſtik einiger Brandenburgiſchen Geiſtlichen, ihn etwas unſanft mitgenommen und herumgeſchleppt hatte. 150Er rieth hin und her, wer doch der nicht genannter Schreiber des kleinen Buches ſeyn moͤgte, und fiel auf einen hieſigen Gelehrten, welcher ihn einſt in Acken beſucht hatte. Dieſer Mann iſt nichts weniger als ein Satyriker, und haßt alle gelehrte und ungelehrte Fehden; haͤtte daher Herr Sabel Perſonen gefragt, welche den ihm verdaͤchtigen Gelehrten naͤher und beſſer kannten, als er, ſo wuͤrde ihm ſein Irrthum leicht ſeyn benommen worden: aber das war ihm zu weitlaͤuftig, er wollte einen naͤhern Weg ein - ſchlagen, und ſchrieb daher einen Wiſch von eini - gen Bogen wider ſeinen putativen Angreifer. Das Ding iſt ein non plus ultra von fadem Geſchwaͤz, und hoͤkerweiberiſchen Witzeleyen: aller Orten leuchtet Herrn Sabels Armſeligkeit am Geiſte hervor, wenn er ſchon einen Brief einruͤckt, der ihm vom Phoͤbus Apollo ſelbſt ſoll geſchrieben ſeyn. Dieſer Brief des Apollo gehoͤrt zuverlaͤßig zu den apokryphiſchen Schriften, oder man muͤßte anneh - men, Phoͤbus Apollo habe Herrn Sabel ſo behan - deln wollen, wie ehedem Friedrich Wilhelm der Erſte den bekannten Gundlich, ſonſt naͤrriſche Ex - cellenz genannt, behandelt hat. Herr Sabel laͤßt ſeinen vermeynten Gegner in einen Schoͤps ver - wandeln, aufhaͤngen u. ſ. w. Der Gelehrte, welchen Herr Sabel ſo ſkandaloͤs beſchrieben und behandelt hatte, lachte uͤber die Armſeligkeiten und151 die Gaͤnſegalle des Kanzelmanns, und antwortete ihm, wie billig gar nicht. Bald hernach wußte das ganze Publikum, wer der wahre Ver - faſſer der obgedachten Charakteriſtik ſey: Herr Sabel weiß es wahrſcheinlich auch, hat aber ſtille geſchwiegen, und wohl dran gethan.

Vierzehntes Kapitel.

Engelmann von Schochwitz.

Im Herbſt des Jahres 1799 lernte ich einen Landmann naͤher kennen, welcher mir in mehr als einer Hinſicht merkwuͤrdig geworden iſt. Die - ſer Mann heißt Engelmann und beſizt ein Bauern - gut zu Schochwitz im Mansfeldiſchen. Der naͤ - here Umgang, welchen er mit einem armen Bauern - maͤdchen gehabt haben ſoll, brachte die Leute auf die Vermuthung, er ſey der Vater ihres unehligen Kindes, ob es gleich nicht an andern Mannsper - ſonen fehlt, die ſich der Gunſt dieſer ſonſt ziem - lich publiken Dirne ruͤhmen koͤnnen. Indeſſen wur - de das Maͤdchen wieder ſchwanger, und Engel - mann paſſirte abermals fuͤr den Urheber dieſer152 Schwangerſchaft. Er leugnete es zwar gegen je - derman, aber ein Verdacht dieſer Art und ein ſol - ches Geſchwaͤtz iſt ſchwer zu widerlegen und zu ſtil - len; daher konnte es auch nicht fehlen, daß die Gattin des Engelmann ihm manche truͤbe Stunde machte, und ſich faſt taͤglich mit ihm zankte. Auf einmal verſchwand das Maͤdchen, und wurde ei - nige Tage hernach in der Saale todt gefunden. Einige liederliche Buben, welche grade um dieſe Zeit wegen allerhand Hallunkenſtreichen eingezogen wurden, ſagten ganz von freyen Stuͤcken vor Ge - richt aus, Engelmann habe ſie beſtellt, das Maͤd - chen in ihrer Wohnung zu ermorden, und hernach in die Saale zu werfen. Daß auf dieſe Ausſage Engelmann ſofort eingezogen wurde, verſteht ſich von ſelbſt, aber bey der Unterſuchung fanden ſich ſo viele Widerſpruͤche zwiſchen den Ausſagen der Buben, und der Sache ſelbſt, daß jeder Unbe - fangne ſehr leicht ſchließen mußte, die Schurken haben falſch ausgeſagt: indeſſen konnte doch En - gelmann nicht eher losgelaſſen werden, bis ſeine Unſchuld vollkommen erwieſen war. Dieß bewirkte ein hieſiger Rechtsgelehrter, Herr Juſtizcommiſ - ſar Rupprich, welchem ich den Ruhm eines habi - len Sachwalters ſehr gerne zugeſtehe, ob er gleich mein Freund nicht iſt, wie ich weiterhin dociren werde. Die Unſchuld des Engelmann wurde voll -153 kommen anerkannt, und er kam los: aber er wur - de doch in alle Koſten verdammt, die der ganze weitlaͤuftige Proceß verurſacht hatte, und durfte an keinen Erſatz des großen Schadens denken, wel - chen ſein Hausweſen durch ſeine Verhaftung und ſein langes Gefaͤngniß gelitten hatte. Ich kann nicht beſtimmen, in wie fern jemand Proceßkoſten tragen muͤſſe, der fuͤr unſchnldig erklaͤrt worden iſt, indeſſen ſcheint es mir doch, daß in Faͤllen, wie der des Anſpaͤnners Engelmann war, der Staat ſelbſt die Koſten leiſten muͤßte. Ich habe viel Ehr - furcht gegen die Ausſpruͤche der Regierung zu Magdeburg, indeſſen kommt es mir doch vor, als ſey Engelmann zu hart und folglich unbillig behandelt worden. Freylich konnten jene Buben, welche den Mann bloß aus Bosheit denn Vor - theile konnten ſie durch dieſen Streich nicht erwar - ten angegeben und eines Menſchenmordes be - ſchuldiget hatten, die Proceßunkoſten nicht leiſten, die ihnen allerdings haͤtten zufallen muͤſſen: aber ich ſehe auch gar nicht ein, wie eine Verbindlichkeit auf mich fallen koͤnne, bloß deßwegen, weil der, wel - cher dieſelbe zu leiſten hat, ſie nicht leiſten kann?

Engelmann ſchrieb auf ſeinem Gefaͤngniß ein dickes Buch, worin er die Geſchichte ſeines Pro - ceſſes, ſeines Arreſtes und derjenigen erzaͤhlt, welche zugleich auf dem Rathhauſe ſaßen, und mit154 welchen er ſich unterreden konnte: denn da man gleich von Anfang einſahe, daß er unſchuldig ſeyn muͤſſe, hielt man ihn eben nicht ſehr ſtrenge, und fuͤr Geld und gute Worte thun die Herren Carcer - majoren auch Etwas. Dieſe Schrift iſt wirklich leſenswerth, und hat mitunter ſehr gute naive Ein - faͤlle, aber ich zweifle, daß ſie in Halle oder Mag - deburg das Imprimatur erlangen wuͤrde. Engel - mann iſt nach ſeiner Entlaſſung mein Gevatter ge - worden.

Meine Lage war im Jahr 1799 nichts weni - ger, als ruhig und gluͤcklich. Schon im Herbſt des vorigen Jahres war die Mutter meiner Frau zu ihrem Mann, der als Unteroffizier bey dem Fuͤ - ſelierbataillon Carlowitz ſteht, abgegangen, und hatte mir ihre juͤngſte Tochter zuruͤckgelaſſen. Wir konnten das Maͤdchen recht gut brauchen, da ſie weiter nichts koſtete, als das bischen Eſſen, und etwan das Schuhwerk. Im Fruͤhling 1799 hoffte ich bey dem Schneider Hubert weiter logiren zu koͤnnen, aber der religioͤſe Mann hatte von meiner Irreligion gehoͤrt, und befuͤrchtete, ich moͤgte Un - ſegen auf ſein Haus bringen, daher bat er mich in einem hoͤflichen Zettelchen, auszuziehen. Ich that dieß gerne, und zog in die ſogenannte Kutſche: der Beſitzer dieſes Hauſes war ein kreuzbraver Mann, welcher ehedem Soldat geweſen war, und den155 ich ſchon ſeit vielen Jahren kannte. Meine Frau war anfaͤnglich mit der Wirthin aufs beſte einver - ſtanden, und beyde ſtacken immer beyſammen: aber Weiber, beſonders Weiber ohne Grundſaͤtze, koͤnnen nicht lange Freundſchaft halten, jede Klei - nigkeit veruneinigt ſie, dann kommen Klatſche - reyen, und zulezt die unverſoͤhnlichſten Fehden.

So gings bey uns: ich kann zwar nicht ſagen, wer zuerſt Schuld war an dem Scandal, meine Frau oder die Frau Harrin; genug, ſie wurden Feinde, und zwar die unverſoͤhnlichſten Feinde. So gerne ich im Hauſe geblieben waͤre, mußte ich Anſtalt zum Ausziehen machen. Meine Frau hatte indeſ - ſen bey einem Schuhmacher Schaͤfer eingemiethet, und ich war nachgiebig genug, zu thun, was ſie haben wollte.

Im Sommer dieſes Jahres ſchrieb ich meinen Franz Wolfſtein, oder Begebenheiten eines dum - men Teufels in zwey Baͤnden. Das Buch oder dieſer Roman ſollte beweiſen, daß ohne Weltkennt - niß und ohne die Kunſt, ſich in andre Leute zu ſchi - cken, und ſich nach ihren Launen zu richten, alle Rechtſchaffenheit und alle Kenntniſſe nicht im Stande ſind, uns vor Unfaͤllen zu bewahren. Ei - nige Recenſenten haben das Werk ſo halbwege durchgehen laſſen, andre aber ſind derb druͤ - ber hergefallen. Doch das thut zur Sache nichts:156 infra rede ich noch ein Woͤrtchen mit meinen Re - cenſenten, oder vielmehr mit meinen Leſern: denn Recenſenten leſen ſelten mehr von den Buͤchern, als den Titel und die Vorrede; den Reſt durch - blaͤttern ſie nur.

Meine Frau brachte bald nach unſerm Einzuge in Schaͤfers Reſidenz einen zweyten derben Jun - gen. Nach chriſtlicher Gewohnheit und nach den Landesgeſetzen, oder vielmehr nach geiſtlichen Verordnungen, welche der Landesherr beſtaͤtigt hat, mußte ich den Jungen taufen laſſen, und Herr Prof. Guͤte taufte ihn. Als dieſer ſonſt gelehrte und rechtſchaffne Mann meinen erſten taufte, hatte er das alte Formular, nach welchem das arme acht - oder zehntaͤgige Kind gefragt wird: ob es dem Teufel, und allen ſeinen Werken und Weſen entſage? Ob es an Gott Vater, an Jeſum Chri - ſtum, der empfangen iſt vom heiligen Geiſte, ge - boren aus Maria der Jungfrauen, der niederge - fahren iſt zur Hoͤllen, an eine Auferſtehung des Fleiſches u. ſ. w. glaube? Ob es wolle getauft ſeyn? u. ſ. w. Lauter Fragen, die ſich einem kleinen Kinde nicht vorlegen laſſen, und die mit der ſonſt ehrwuͤrdigen Handlung der Taufe ei - nen ſeltſamen Contraſt machen. Denn wenn man auch zugeben muß, daß die Kindertaufe nicht ab - geſtellt werden kann, ſo muß doch auch zugegeben157 werden, daß das gewoͤhnliche Taufformular ab - geſchmackt und zweckwidrig, folglich allerdings ab - zuſtellen ſey. Erſt noch kuͤrzlich ſagte ein gewiſſer Halliſcher Geiſtlicher auf der Kanzel, Chriſtus ſelbſt (!) und die Apoſtel haͤtten Kinder getauft: der Herr muß nicht viel in der Kirchengeſchichte ſtudiert haben. *)Tertull. de baptismo Cap. 18. Walchli Hiſt. Paedobapt. IV. prior. ſecul. Ich hatte lange Zeit keiner Taufhandlung zugeſehen, und haͤtte beynahe uͤber das allerliebſte Formular laut aufgelacht, doch hielt ich an mich, und mein Fritzemann wurde ohne Scandal hingetauft. Ich konnte nichts anders er - warten, als Hr. Pr. Guͤte wuͤrde das alte Formu - lar wieder herbringen, als er meinen zweyten Jungen der heil. Kirche durchs Waſſerbad im Wort einverleibte: aber ich wurde ſehr angenehm uͤberraſcht, als Herr Guͤte ein neues ſehr vernuͤnf - tiges Formular gebrauchte, welches ihm, als Con - cipienten, wahre Ehre macht, und hinlaͤnglich be - weiſt, daß er wiſſe, wofuͤr man die Taufe uͤber - haupt, und die der kleinen Kinder insbeſondere zu halten habe.

Dieſen Winter uͤber habe ich fuͤrchterlich aus - geſtanden: ich hatte mir nur wenig Holz ange - geſchafft, und mußte hernach bloß Torfſteine bren - nen, und das dazu noͤthige Holz bey den Hoͤcken158 kaufen. Jede Woche brauchte ich mehr als fuͤr 1 ½ Thaler Brennwerk, und doch ward die ohne - hin abſcheulich kalte, dem Oſt - und Nordwind ausgeſezte Stube ſelten recht warm: die Fenſter waren faſt immer gefroren, und wenn ich an meinem Schreibtiſche ſaß, hatte ich ſelten warme Fuͤſſe oder warme Haͤnde. Doch trug ich alles ziemlich geduldig, weil ich damals noch beſ - ſere Zeiten hoffte. Ich arbeitete den erſten Theil meiner Novellen aus, und fing auch an ein Woͤr - terbuch der alten Erdbeſchreibung zu verfertigen, welches aber aus verſchiedenen Urſachen bis jezt noch nicht fertig geworden iſt. Es giebt zwar mehrere und nicht unbrauchbare Woͤrterbuͤcher uͤber dieſe Wiſſenſchaft, welche ich noch immer fuͤr ſehr ſchwer halte: aber dieſe Woͤrterbuͤcher ſind zu weit - laͤuftig und zu koſtbar, als daß ſie allen denen[i]n die Haͤnde kommen koͤnnten, die ihrer beduͤrfen. Da - her kommt es dann auch, daß nicht nur junge Leute, welche alte Schriftſteller leſen, ſondern auch ſolche, welche dergleichen Autoren erklaͤren ſollen, alle Augenblick ſtocken und nicht wiſſen, wo ſie ſind. Ich habe den Gedanken, ein Lexikon der alten Geographie, ohngefaͤhr 12 bis 14 Bogen ſtark, herauszugeben, noch nicht fahren laſſen: vielleicht erſcheint es bald. Gegen das Fruͤhjahr ſchrieb ich meinen Marki von Gebrian, worin ich159 die franzoͤſiſchen Emigranten, ſo wie ich ſie habe kennen lernen, abſchilderte. So lange unſre Deutſchen noch dumm genug ſind, ſich von dieſem Auswurf der franzoͤſiſchen Nation verachten und prellen zu laſſen, iſt es gut, daß man ihnen von Zeit zu Zeit dieſe Burſche abſchildere. Freylich wird es immer weniger noͤthig, von den unwiſſenden, ſchal - koͤpfigen, duͤnkelreichen, dummſtolzen, impertinen - ten Faſelanten, welche unter dem Namen der Emi - gres herumſtreichen, Beſchreibungen zu machen. Man faͤngt an, ſie aller Orten fuͤr das zu halten, was ſie ſind, naͤmlich fuͤr untaugliche Subjecte, welche das Ungluͤck, das ſie druͤckt, an ihrer eig - nen und an fremden Nationen, vorzuͤglich an der Deutſchen vollkommen verdient haben. Es ſey ferne von mir, jemand aufzuhetzen, und zu be - wegen, daß er den franzoͤſiſchen Emigranten Schutz und Unterſtuͤtzung verſage, und noch viel weniger will ich alle Emigranten fuͤr elende Kerle ausgeben: ich kenne mehrere, welche ver - dienen, daß man ſie ſchaͤtze und ehre, aber a po - tiori fit de nominatio, ſagen die Logiker, und da iſt dann Emigrant und Haſelant faſt immer ſyno - nym. Ich ſprach noch vor kurzem mit einem Ju - den, der aus Frankreich kam, und mir von der gegenwaͤrtigen Lage dieſes Reiches einige intereſ - ſante Nachrichten mittheilte. Dieſer Mann er -160 zaͤhlte mir, daß die Meiſten von den neuerdings zuruͤckgekehrten Emigranten ſich eben ſo in Frank - reich betruͤgen, wie ſie ſich in Deutſchland betra - gen haben, und daher bey jedem rechtlichen Fran - zoſen verhaßt und verachtet waͤren. Ich glaubs ſehr gerne, denn ich kenne die ſacrés bougres d'Emi - grés, und weiß, weß Geiſtes Kinder ſie ſind.

Funfzehntes Kapitel.

Mein Freund Premßler.

Mein Freund Premßler war ein Mann, welcher nach dem einſtimmigen Zeugniß aller derer, die ihn naͤher kannten, ein beſſeres Schickſal verdiente, als ihm zu Theil ward. Es gab freylich Firle - faͤnze, welche ihn bey ſeinem Leben taxirten, und nach ſeinem traurigen Tode blamirten und laͤ - ſterten, ſogar in gedruckten Wiſchen: aber auf das Urtheil der Firlefaͤnze kommt nichts an. Ich will ihn ſchildern, wie er war, und meinen Leſern uͤberlaſſen, von ihm und von ſeinem Tod zu ur - theilen, wie ſie glauben, daß geurtheilt werden muͤſſe.

Premßler161

Premßler war aus Weimar gebuͤrtig, wo ſein Vater, wenn ich nicht irre, Aufſeher uͤber das da - ſige Zuchthaus geweſen iſt. Einer von ſeinen Bruͤ - dern hatte die Rechte ſtudiert, und war in Eiſe - nach angeſtellt worden; dieſer aber hatte die Wund - arzneykunſt gelernt, und kam ohngefaͤhr 1790 zu dem Halliſchen Regiment als Compagniefeldſcheer, oder wie ſie nachgehends heißen mußten, als Chi - rurgus. Ich habe es nie recht verſtehen koͤnnen, warum das gute deutſche Wort Feldſcheer, welches jeder verſteht, einem griechiſchen Wort, Chirurgus, weichen mußte: denn Chirurgus, kommt her von χειϱ die Hand und ἐϱγον ein Werk, oder eine Arbeit, und heißt weiter nichts, als ein Kerl, der mit ſeinen Haͤnden etwas verrichtet: nach der erſten Bedeutung des Wortes iſt alſo ein Dieb, ein falſcher Spieler, ein Taſchenſpieler, ein Bierfiedler, ein Ausfeger der heimlichen Ge - maͤcher u. ſ. w. allemal ein Chirurgus: denn alle dieſe Kerle betreiben etwas mit ihren Haͤnden; aber das deutſche Feldſcheer kommt ſolchen Burſchen, und uͤberhaupt niemanden als einem Wundarzt zu. Doch dieſes will ich nur ſo im Vorbeygehn ange - merkt haben.

Premßler kam zum Halliſchen Regiment als Chirurgus, und wurde nach der Entweichung des windigen Herrn Haupt bey der Compagnie an -Laukh. Leben 5ter Theil. L162geſtellt, wobey ich damals als Soldat ſtand. Ich ward ſehr bald mit ihm bekannt, und von der er - ſten Zeit unſrer Bekanntſchaft waren wir unzer - trennliche Freunde. Wir liebten beyde muntere Geſellſchaften, und muntere Unterhaltung, und ſo trafen wir uns faſt taͤglich auf dem Rathskeller oder bey Sander in den neuen Haͤuſern, oder ſonſt wo luſtige Leute zuſammen kamen, und ſich die Zeit vertrieben. Ich will nicht ſagen, daß Premß - ler ein Freund von der Voͤllerey und andern Aus - ſchweifungen geweſen ſey: ſelten, ſehr ſelten ſahe ich ihn betrunken. Sein Umgang war angenehm, wenn er aber jemand, beſonders ein Frauenzimmer, herumholen wollte, wußte er ſeinen Gegenſtand ſo huͤbſch aufs Korn zu nehmen, daß ihm die Augen haͤtten uͤbergehen moͤgen. Meiner damali - gen Wirthin, der Frau Gruneberg, ward es im - mer Angſt und bange, wenn Premßler in ihr Zim - mer trat, und ein frommes Geſpraͤch mit ihr an - fing, welches ſich immer auf Sarcasmen endigte.

Als wir 1792 ins Feld zogen, blieb Premßler bis Coblenz bey der Compagnie, und vertheidigte mich in Gießen gegen den groben Muͤller, der mich bey meinem Hauptmann verklagt hatte: denn die groben Flegel, ſo grob und impertinent ſie auch immer ſeyn moͤgen, wollen es doch nicht leiden, daß man ihnen den kompetenten Namen gebe, und163 ſie grobe Flegel heiße. In Coblenz ward mein Premßler dem Generalchirurgus bekannt, und die - ſer verſezte ihn zum Feldlazareth, wo er auch bis an das Ende des Kriegs geblieben iſt. Ich ſah ihn dieſe Zeit uͤber nur ſelten, da ihm ſeine Ge - ſchaͤfte nicht erlaubten, weite Turen zu unter - nehmen. Als ich 1795 wieder nach Halle kam, fand ich meinen Freund Premßler daſelbſt, und nun wurde unſer Umgang wie ehedem fortgeſetzt. Wir waren faſt taͤglich beyſammen, vorzuͤglich auf der Mail und auf dem Keller, wo ſeit 1796 un - ſer gemeinſchaftlicher Freund, Herr Heynemann, Paͤchter war.

Premßler war in der Stadt als ein geſchickter Mann bekannt, und viele Leute bedienten ſich ſei - nes Raths und ſeiner Huͤlfe in Nothfaͤllen. Ein gewiſſer Herr von Adel, der damals hier ſtudierte, hatte ſich bey einem inficirten Maͤdchen ſo verdor - ben, daß er weder gehen noch ſtehen konnte. Premßler curirte ihn gluͤcklich. Der gnaͤdige Herr ließ ſich die Rechnung machen, fand ſie billig, und verſprach nicht nur bald zu bezahlen, ſondern noch obendrein ein gutes Praͤſent zu geben. Premß - ler erzaͤhlte mir dieß, und meynte, nun waͤre es ſchon ſo gut, als wenn er ſein Honorar und das Praͤſent ſchon wirklich in Haͤnden haͤtte. Ich kannte aber die Studenten beſſer, und beſonders jene,L 2164welche dicke thun, und mehr zu geben verſprechen, als ſie ſchuldig ſind, und deßwegen rieth ich Premß - lern, auf die Bezahlung ſeiner Schuld zu dringen, da der Herr von Adel, den er curirt hatte, ohne - hin bald abgehen wuͤrde. Premßler lachte mich aus, und war ohne Sorgen. Endlich hieß es auf einmal, Herr von ſey abgefahren, wie die Katze vom Taubenſchlag, und habe ſeinen ganzen Wechſel mitgenommen. Premßler war nun ſehr uͤbel dran; denn er hatte die Arzney in der Apo - theke auf ſein Conto genommen, und mußte den Apotheker bezahlen. Er ſchrieb drey Briefe an den ſaubern Kumpan, aber nie erhielt er eine Ant - wort. Endlich ſchrieb er einen derben Brief, und drohte, den ſchoͤnen Herrn zu verklagen. Nun kam Antwort, aber eine ſolche, wie ſie von einem Niedertraͤchtigen nur erwartet werden kann. Herr Premßler habe ohne Erlaubniß der Obrigkeit an - dern angeſtellten Aerzten ins Handwerk gegriffen: er moͤge immerhin klagen, wenn er Geld fuͤr Pro - zeßkoſten wegzuſchmeißen habe u. ſ. w. Da ſtand nun mein guter Premßler, und krazte ſich hinter den Ohren, ich aber rieth ihm zu ſchweigen: denn auf jeden Fall haͤtte er Unkoſten gehabt, und waͤre am Ende doch durchgefallen. Fuͤr Fuhren nach Lauchſtaͤdt, fuͤr Reiſen auf die Meſſe zu Leipzig, fuͤr die Unterhaltung eines luͤderlichen Maͤdchens165 hatte der feine Herr Geld genug, ſo wie fuͤr das Spiel im Doſtiſchen Keller, aber keins fuͤr den Arzt, der ihm die franzoͤſiſche Krankheit curirt hatte. Pfuy Teufel!!

Um Premßlers naͤhere Umſtaͤnde hatte ich mich nie bekuͤmmert: denn es iſt uͤberhaupt meine Ge - wohnheit nicht, in die Geheimniße meiner Freunde einzudringen. Eines Tages gingen wir ſpazieren, und da entdeckte er mir, daß er ſchon laͤngſt mit einem Maͤdchen aus dem Weimarſchen bekannt ſey, und daß er großen Luſten habe, das Maͤdchen zu ſeiner Frau zu machen, es ſey gar ein liebes gutes Kind, heiße Julchen, habe blaue Augen, einen vollen Buſen etc. etc. Ich billigte ſein Vorhaben. Ja, antwortete er, wenn das Ding nur ſo gleich gehn koͤnnte: der Alte, ihr Vater, iſt ein komiſcher Kerl, der verlangt, ich ſolle Medicin ſtudieren

Ich. Ih nun, die haſt Du ja ſtudiert.

Premßler. Aber nicht handwerksmaͤßig, das heißt, ich habe keine Collegia als Student ge - hoͤrt, und da kann ich nicht Doctor werden. Der Alte will aber, daß ſein Tochtermann ein Doc - tor ſey.

Ich. Der Alte iſt ein Haſenfuß. Grade als wenn man kein geſchickter Arzt ſeyn koͤnnte, ohne das elende Doctordiplom.

166

Premßler. Haſt Recht, aber was hilft das mir. Er iſt der Vater meiner Braut, und wenn er nicht will, wird aus der ganzen Sache nichts. Doch habe ich noch einen Vorſchlag; ich will mir eine Barbierſtube in meinem Lande anſchaffen, vielleicht, daß er alsdann ſeinen Conſens giebt.

Er ſchrieb an den Vater ſeines Maͤdchens, die - ſer antwortete aber nicht ſo, wie er es wuͤnſchte, und nun entſchloß ſich der arme Teufel, ſelbſt hin - zureiſen, und ſeine Sachen muͤndlich auszumachen. Er fand weder bey ſeinem kuͤnftigen Schwiegerva - ter noch bey ſeinen Anverwandten viel Troſt, und kam mißmuthiger zuruͤck, als er weggereiſt war. Gegen ſeine vertrauteſten Freunde war er verſchloſ - ſen, und nur dann und wann ließ er ein Wort fal - len, woraus man ſchließen konnte, was in ſeinem Innern vorging. Einſt ſaß ich neben ihm auf dem Rathskeller, und ein gewiſſer Buͤrger erzaͤhlte mir die Haͤndel, worin ihn ſein eigner Bruder ge - bracht hatte, und ſchloß mit den Worten: daraus koͤnnen Sie ſehen, das mein Bruder ein eingemach - ter Bengel iſt. Vielleicht, fiel Premßler ein, iſt Ihr Bruder noch lange ſo kein Bengel als der Meinige. Hieraus ſchloß ich, daß er zu Hauſe ſehr beleidigt worden ſeyn muͤße.

Da wir gewohnt waren, bey unſern Zuſam - menkuͤnften mitunter von ernſthaften Dingen zu167 reden, brachte Premßler ſo wie von ohngefaͤhr das Geſpraͤch auf den Selbſtmord, oder wie man rich - tiger ſagen ſollte, die Selbſttoͤdtung und beſtritt mich immer, wenn ich meine Meynung vertheidigte, daß der Selbſtmord in ſehr vielen Faͤllen erlaubt ſey, und in einigen ſogar Pflicht werden koͤnne. Einſt warf er mir ein, daß die Verbreitung einer ſolchen Lehre ſehr vielen Schaden ſtiften koͤnne. Im ge - geringſten nicht, erwiederte ich: wer ſo weit kommt, daß er ſein Leben haſſet und ſein Daſeyn muthig verabſcheut, der wird ſich hinrichten, und allen theologiſchen und philoſophiſchen So - phismen fuͤr das Gegentheil kein Gehoͤr geben: wer aus Melancholie ſich ermorden will, hoͤrt oh - nehin auf keine Gruͤnde; und wer endlich ſein Le - ben lieb hat, oder ſonſt den Tod fuͤrchtet, toͤdtet ſich nicht, und wenn Du ihm noch ſo ſtark bewei - ſeſt, daß es erlaubt ſey, oder daß er ſich in ſeinem jetzigen Fall hinrichten muͤſſe. Ueber ſolche Mate - rien diſputirt man bloß, damit die Zeit hingehe, obgleich das Pro und das Contra weder nutzen noch ſchaden kann.

Spaͤt im Herbſt 1799 blieb ich Abends bis um eilf Uhr auf dem Rathskeller: Premßler war auch zugegen, und als ich weggehen wollte, bat er mich, ihm noch Geſellſchaft zu leiſten. Ich ließ mir leicht zureden, und ſo ſaßen wir dann beyſammen168 bis gegen ein Uhr. Auf dem Nachhauſegang war Premßler ſehr aufgeraͤumt, und da Gebhards La - den noch offen war, traten wir ein, und machten einen Schnapps. Das Geſpraͤch kam auf ſein Maͤdchen, und Premßler aͤuſſerte, daß er ſie ganz vergeſſen habe, es ſey einfaͤltig, ſich an ein Maͤd - chen zu draͤngen, zu welchem man nicht mit Be - quemlichkeit kommen koͤnne. Wir gingen hierauf fort, und jeder begab ſich nach Haus. Den fol - genden Tag es war ein Montag begegnete mir Premßler um eilf Uhr Vormittags, und fragte mich, ob ich mit auf den Keller gehn wolle? Ich ſchlug es aus, weil ich nothwendig ſonſtwohin ge - hen mußte.

Gleich nach zwoͤlf Uhr kam das Geruͤcht, der Chirurgus Premßler habe ſich ſelbſt erſchoſſen. Ich erſchrack, und um mich von der Wahrheit der Sache zu uͤberzeugen, lief ich hin, und fand mei - nen Freund in ſeinem Blute liegen. Er hatte ſich mit einer bloßen Ladung Pulver in den Mund ge - ſchoſſen.

Daß er ſchon lange mit dem Gedanken, ſich ſelbſt zu toͤdten, muͤſſe umgegangen ſeyn, erhellet daher, daß er ſich ſchon vierzehn Tage vorher die Jagdflinte, womit er ſich entleibte, von einem Studenten, Namens Ballo, geborgt hatte. Auf ſeinem Tiſche fand man einen Brief an Hn. Ein -169 kauf, und dann eine kurze Lebensbeſchreibung, welche er bat, dem bekannten Herrn Dreyßig zu - zuſtellen, damit dieſer ſie moͤgte abdrucken laſſen: denn Premßler wußte ſehr wohl, daß Dreyßig dieſe Gelegenheit benutzen wuͤrde, um einen Bogen ins Publikum zu ſchicken, um nun zu verhuͤten, daß Dreyßig Unwahrheiten auftiſchte, wollte er lieber ſelbſt einen Aufſatz machen, der ohne Gefahr der Luͤgen im Publikum erſcheinen koͤnnte. Herr Dreyßig hat wirklich einen Bogen uͤber Premßlers Selbſtmord herausgegeben, und das Andenken deſſelben, ſo viel an ihm war, geprangert. Deſto edler aber handelten Premßlers Vorgeſetzte: ſie ließen ihn begraben, und zwar ſo auf den Gottes - acker, als wenn er ſua morte geſtorben waͤre. Alle gute Menſchen, welche Premßlern naͤher gekannt hatten, bedauerten ihn, aber einige Firlefaͤnze, welche gern raͤſonnirten, und alles zum Schlimm - ſten kehren, gaben vor, Premßler habe ſich wegen ſeiner Schuldenlaſt entleibt. Ich habe mich ſehr genau nach allen ſeinen Schulden erkundigt, und gefunden, daß nur etwan 34 Thaler hinreichend geweſen waͤren, alle ſeine Contos zu tilgen.

Oſſa quieta precor, Premslere, quieſcere in urna, Et ſit humus cineri non oneroſa tuo!

170

Sechszehntes Kapitel.

Haͤndel mit den Juden. Geſpenſtergeſchichten.

Ich bin nie ein Freund der Juden geweſen, nicht als verachtete und haßte ich ſie, weil ſie nicht glauben, wie es die ſymboliſchen Buͤcher der lu - theriſchen Kirchen vorſchreiben, oder weil ſie Je - ſum nicht Herren heißen, ſondern deßwegen weil ihre Religion ſo beſchaffen iſt, daß derjenige, wel - cher ihr von ganzer Seele anhaͤngt, ein ganz un - brauchbares Mitglied der Geſellſchaft ſeyn und blei - ben muß. Eine abgeſchmacktere und zugleich into - lerantere und ſtolzere Religion als die juͤdiſche iſt, kann es gar nicht geben, daher koͤnnen auch die Juden niemals uͤber Intoleranz klagen, wenn ſie verfolgt werden. Konnte wohl Calvin uͤber Into - leranz ſich beſchweren, wenn er den Catholiken in die Haͤnde gefallen und auf den Scheiterhaufen ge - ſetzt worden waͤre? Er hatte ja ſo ein Traktament dem braven und gelehrten Servet anthun laſſen. Man nehme an, Juden waͤren die Eroberer von171 Amerika geweſen, und fragte ſich, ob ſie es wohl wuͤrden beſſer gemacht haben, als Pizarro und Cartez? Pizarro und Cartez, und wie jene Bar - baren noch ſonſt hießen, handelten aber gradezu als Schurken: denn ſie wußten, daß das was ſie thaten, unrecht war; aber ſetzen wir, daß Juden Amerika erobert haͤtten, und es noch aͤrger gemacht haͤtten als Pizarro und Cartez, ſo konnten dieſe Juden immer ehrliche und rechtſchaffne Leute blei - ben: denn ſie thaten weiter nichts, als was ihre Religion erlaubte, oder vielmehr von ihnen heiſchte. Schon in den Moſaiſchen Buͤchern kommen haͤufige Geſetze vor, daß alle Heyden, d. i. alle Nichtju - den, wozu auch die Chriſten gehoͤren, ausgerottet werden ſollen, und zwar ſo, daß das Kind in ſei - ner Mutter Leib nicht moͤge verſchont werden. Daß die Juden dieſe unmenſchlichen Befehle nur zu treu - lich ausgefuͤhrt haben, lehren die hiſtoriſchen Buͤ - cher des alten Teſtaments, und ſogar die Pſalmen ſelbſt. Es iſt daher auch kein Wunder, daß meh - rere gutgeſinnte Menſchen das Alte Teſtament von einem gewiſſen dem menſchlichen Geſchlecht auf - ſaͤtzigen und gehaͤſſigen Daͤmon herkommen ließen, den ſie den Judengott nannten. Als der be - kannte Schwaͤrmer Barchocab oder Barchoc - bas unter der Regierung des K. Hadrianus die Juden verſammelte, und in Orient das jaͤmmer -172 liche Spectakel anfing, ſchlugen die ſanften Kin - der Iſraels viele tauſend Heyden und Chriſten todt, und dieß deßwegen, weil es Gott ſo haben wolle. Zu unſern Zeiten koͤnnen zwar die Leutchen Lehren dieſer Art nicht mehr gelten machen, aber die Leh - ren ſelbſt ſind noch immer da, wie kein orthodoxer Hebraͤer in Abrede ſeyn wird. Daß uͤbrigens die Juden dem Staate ſtets ſchaͤdlich und niemals nuͤtzlich ſind, im allgemeinen naͤmlich, haben ſchon viele Staatskundige Maͤnner hinlaͤnglich be - wieſen: da ſie nichts treiben, als Wucher, ſo muͤſ - ſen ſie auch immer ſchaden. Man hat zwar aller - hand Vorſchlaͤge gethan, die unter den Chriſten wohnenden Juden zu verbeſſern, aber alle dieſe Vorſchlaͤge muͤſſen durchaus nnfruchtbar bleiben, weil die Religion dieſen Leuten verbietet, ſich ver - beſſern zu laſſen.

Ich habe mich mehrmals in meinen Schriften uͤber Juden und Judenthum erklaͤrt, und dieſe eben nicht gar ſanfte Erklaͤrungen waren unſern hieſigen Juden bekannt geworden, und dieſe hatten daher keinen geringen Haß auf mich geworfen, woruͤber ich mich aber ſehr wenig bekuͤmmere: denn einem graddenkenden Menſchen muß es einerley ſeyn, ob ihn ſo ein Mosjeh Schacher - oder Wechſelhans an - freundet oder anfeindet. Eines Tags kam ich auf173 den goldnen Loͤwen, um daſelbſt einen Magdebur - giſchen Handelsmann, Herrn, Raack aufzuſuchen. Wir ſetzten uns zuſammen, und, ich weiß nicht wie, das Geſpraͤch kam auf die Juden. Hayman, der Judenvorſteher, Wolf und noch ein Iſraelit, deſ - ſen Namen mir entfallen iſt, waren gegenwaͤrtig: dieſe nahmen die Parthey ihrer Nation, aber auf die allerkomiſchte Weiſe. Sie meynten, da es unter den Chriſten ſelbſt ſo viele falſche Wechſel - ſchmiede, Betruͤger und Spitzbuben gaͤbe, ſo muͤſſe den Juden auch erlaubt ſeyn, falſche Wechſel zu machen, zu betruͤgen und zu ſpitzbuͤbern. Unter den Chriſten gaͤbe es viele Taugnichtſe, die auch bloß verzehrten, ohne das Geringſte fuͤr das Beſte der Ge - ſellſchaft zu arbeiten, und daher koͤnne man es den Juden nicht verdenken, wenn ſie alle Taugenichtſe waͤren u. ſ. w. Der Diſputat erhitzte ſich, und es kam zu Invectiven, und zwar zu ſo kraͤftigen, daß die Juden hoch und theuer ſchwuren, mich zu ver - klagen. Sie haben aber nicht Wort gehalten, viel - leicht weil ſie befuͤrchteten, es moͤgten in dem Pro - zeſſe gewiſſe Stuͤckchen durch mich an den Tag ge - bracht werden, deren Publicitaͤt ihnen unangenehm ſeyn koͤnnte. Seit jener Zeit gruͤßt mich kein Jude mehr auf der Straße, und der alte, unbeholfne Hayman weicht mir allemal ſehr weit aus, wenn er mir begegnet.

174

Ich geſtehe indeſſen ſehr gerne, daß es viel rechtſchaffne und brave Maͤnner unter denen giebt, welche Juden heißen: daß dieſe aber keine wahren Juden ſind, und folglich von mir nicht gemeynt werden, verſteht ſich von ſelbſt.

Ein Geſpenſtergeſchichtchen, welches mir im Februar 1800 erzaͤhlt wurde, darf ich hier nicht unberuͤhrt laſſen. Ich hatte einem beguͤterten Land - mann 4 ½ Stunde von hier einige Dienſte geleiſtet: der Mann bat mich ſo oft, ihn einmal zu beſuchen, daß ich endlich mich entſchloß, ein Paar Tage auf dem Dorf, wo er wohnte, zuzubringen. Es war ſchon ein alter Mann von 72 Jahren; ſein einzi - ger Sohn war laͤngſt geſtorben, wie auch ſeine Schwiegertochter, aber der Sohn ſeines Sohnes wohnte bey ihm im Hauſe, und dieſen jungen Leutchen hatte er ſein Gut uͤbergeben. Der Alte ſowohl, als die Jungen, erwieſen mir alle Freund - ſchaft, und wollten mich laͤnger bey ſich behalten, als ich mir vorgenommen hatte zu bleiben. Ueber dem letzten Fruͤhſtuͤck, welches wir mit einander einnahmen, kam unſer Geſpraͤch auf die Geſpen - ſter, ich weiß ſelbſt nicht wie, und da wurden ei - nige Hiſtoͤrchen aufgetiſcht, welche jedesmal ei - nen laͤcherlichen Ausgang gehabt hatten.

Ja, fing endlich der alte Mann an, da meine Schwiegertochter, die hat Kuraſche, die fuͤrchtet175 ſich vor keinem Geiſt, ſonſt haͤtte ſie meinen Sohn nicht. O ſchweigt doch, Vater, fiel die junge Frau ein. Ich ward begierig, was der Alte ſa - gen wollte, und bat ihn, zu erzaͤhlen, aber die junge Frau hielt ihrem Schwiegervater den Mund zu, als er eben anfing, meine Neugierde zu be - friedigen. Endlich riß dem Alten die Gedult; er machte ſich mit Gewalt los, und ſagte halb aͤrger - lich: laß mich immer erzaͤhlen, dann ſieht doch der Herr, daß du dich vor Geiſtern nicht fuͤrch - teſt, dumme Triene. Hierauf wendete er ſich zu mir, und fuhr fort: Ja ſehen Sie, da mein Toͤf - fel war kaum achtzehn Jahr alt, ſo machte er ſchon Liebſchaft mit meines Nachbars Tochter, die da druͤben auf der andern Seite am Kirchhofe oder Gottesacker wohnt. Ich merkte den Handel gar bald: denn ſo ein junger Schlapps verſtehts noch nicht, und kann unſer einen auf keinen Fall betruͤgen. Mir gefiel das Ding nicht; ich hatte ein ander Maͤdel fuͤr meinen Jungen; die war aber noch zu jung, aber mein Toͤffel war auch noch nicht veraltert, und konnte noch warten. Aber Toͤffel lag alle Tage bey ſeiner Roͤſe; das verbat ich ihm, und doch ließ ers nicht. Da ging ich zum Vater von Roͤſen: Gevatter, ſagte ich, mein Junge laͤuft Eurer Tochter nach, das iſt aber nichts, und daraus kann Spitakel werden;176 ich wills einmal nicht haben, und Ihr ſeyd ein geſcheider Mann, als daß Ihr uns Eure Tochter aufdringen ſolltet. Was, ſagte der alte Curt, mein Nachbar, ich Euch meine Tochter aufdrin - gen? Tauſend Sakkerment, wenn ich nicht wuͤßte, daß Ihr aus guter Meynung ſpraͤcht, Gevatter, ich ſagte Euch ins Angeſicht hinein, Ihr waͤret ein Eſel und ein Hunzfott, verſteht Ihr mich, Ge - vatter. Aber ſo meynt Ihrs gut, und ich meyne es auch gut: ich verſpreche Euch, den Umgang Eures Sohns mit meiner Tochter zu hindern, wie und wo ich kann, aber Ihr muͤßt Euern Toͤffel auch kurz halten.

Dieſer Abrede zufolge hielt ich meinen Toͤffel kurz, und als ich erfuhr, daß er dem Maͤdel im Feld nachgegangen war, kalaſchte ich ihn tuͤchtig durch, und verbot ihm den Umgang mit dem Maͤ - del von neuem. Mein Nachbar Curt that daſſelbe bey ſeiner Tochter, und nun glaubten wir, haͤtten wir das Unſrige gethan, und es wuͤrde weiter kein Spitakel werden. Ja, huͤte einer einen Sack voll Floͤhe! Alle Abende viſitirte ich meinen Sohn, wie ein Corporal ſeine Soldaten viſitirt, ob er auch huͤbſch zu Hauſe ſey: ich fand ihn allemal.

Nun gings Geſpraͤch im Dorf herum, auf dem Gottesacker ginge ein Geiſt: die Nachbarn woll - ten ihn geſehen haben, aber keiner hatte das Herz,den177den Geiſt naͤher zu pruͤfen: unſer Paſtor ſelbſt, dem wir es vorſtellten, ſagte, es koͤnnte wohl ſeyn, daß auf dem Gottesacker ein Geiſt ginge, man muͤſſe ſich aber davor nicht fuͤrchten; gute Geiſter thaͤten einem nichts, und boͤſe koͤnnten einem nichts thun, und doch traute ſich der Paſtor nicht hinzu - gehen, um dem Geiſt aufzupaſſen.

Eines Abends war ich in der Schenke mit meinem Nachbar Curt, da wurde auch von dem Geſpenſt auf dem Gottesacker geſprochen, und die Leute machten allerhand Gloſſen daruͤber. Donnerwetter, fing ein fremder Huſar an, wel - cher bisher ganz ſtill da geſeſſen, und zugehorcht hatte: das Spoͤkeding*)Spoͤkeding, Spukeding, Gloie, Gloinich, Kobold u. d. gl. ſind ſynonym mit Geſpenſt. moͤgt ich doch auch ſehen!

Curt fragte ihn, ob er an Spoͤkedinger glau - be? Warum nicht gar, erwiderte der Hu - ſar! Hab mein Tag an ſolche Narrendinger nicht geglaubt, an ſo was glaubt nur ein Dummkopf, ein Bauer, eine alte Vettel, oder ein Eſel, wie Euer Paſtor iſt. Na dann, ſagte Curt, wollt ich ihm nicht rathen, hinzugehen und das Spoͤke - ding aufzuſuchen. Wer an Spoͤkedinger nicht glaubt, ſieht entweder gar nichts, oder das Spoͤ -Laukh. Leben 5ter Theil. M178keding ſpielt ihm einen Poſſen, daß er genug dar - an hat.

Kreuz Bataillon, ſchrie der Huſar, kommt mir nicht ſo, Nachbar Curt? Das Ding will ich ſehen, und wenns der Teufel ſelbſt waͤre. Um wie viel Uhr kommts dann auf den Gottesacker?

Man ſagte ihm, daß es gleich nach Eilfen kaͤme, der ließ ſich alſo noch eine Kanne Bier geben, und ging auf den Schlag Eilf fort, nachdem er uns verſprochen hatte, wieder zu kommen.

Wir warteten bis drey viertel auf zwoͤlf, aber es kam kein Huſar: ha, ſagte Nachbar Curt, dem hat gewiß das Spoͤkeding einen Streich verſetzt; kommt laßt uns zuſehen. Wir gingen, aber nicht ohne Herzklopfen, nach dem Kirchhof, und ſiehe da, der Huſar ſtand dort und expoſtulirte mit dem Spoͤ - keding, welches er feſthielt. Wir vernahmen deutlich, daß der Huſar das Ding mitnehmen wollte, aber das Geſpenſt bat vor Gott, und nach Gott, er ſolle es gehen laſſen. Nun kriegten wir alle Kuraſche, und gingen darauf los, und als Gott den Schaden beſah, war es Nachbar Curts Tochter, die Roͤſe. Schwerenoth, ſchrie Curt, was machſt Du hier? Du verfluchter Beſen, Dich ſoll ja ein Gewitter regieren! Mit dieſen Worten griff er das Maͤdel an, und kalaſchte ſie derb durch; ich glaube, er haͤtte ſie zu Schanden179 geſchlagen, wenn der Huſar ſich nicht drein gelegt haͤtte.

Den andern Tag kam Curt zu mir. Hoͤrt, Nachbar, ſagte er, ich habe Euch was zu ſagen, aber Ihr muͤßt ja nicht boͤſe werden. Meine Toch - ter der verfluchte Nickel, hat mir alles geſtanden. Nachdem der Umgang mit Euerm Toͤffel verbo - ten war, durften ſie ſich nicht mehr oͤffentlich bey einander ſehen laſſen, und da fiel ihnen ein, des Nachts zuſammen zu kriechen. Euer Toͤffel ſollte zu Roͤſen kommen, aber der fuͤrchtete ſich vor den Todten auf dem Kirchhof; Roͤſe hatte mehr Herz und kroch zu Toͤffeln: ſie hing allemal einen Laken um, und da waren wir dumm genug, das Maͤdel fuͤr ein Spoͤkeding anzuſehen. Heut hat das Thier alles gebeichtet, und ſiehe da, die Ca - naille iſt ſchwanger. Was wollt Ihr nun thun, Nachbar? Wir waren doch immer gute Freunde. Was wollt ich machen, fuhr mein Landmann fort? Der Spitakel war einmal gemacht: ich hunzte meinen Toͤffel tuͤchtig ab, doch gab ich mei - ne Einwilligung, und nun ſind die Leutchen ſchon lange Mann und Weib.

Uebrigens muß ich von unſern Landleuten nahe bey Halle anmerken, daß der Aberglaube unter ihnen wenig mehr herrſcht, und daß ſie bey weitemM 2180vernuͤnftiger denken, als jene Pfaffen in der Pfalz, welche vom Schlappohr, vom Muhkalb und von andern Ungethuͤmen, ſogar auf der Canzel pre - digen. Im Mansfeldiſchen trift man hier und da noch den groͤbſten Aberglauben an; da giebts Kerle, welche im Lande herumziehen, und den Hoͤllenzwang des beruͤchtigten Doktor Fauſts, die Clavicula Salomonis, und anderes dummes Zeug aufſuchen, um die Schaͤtze auf dem Mansfelder Schloß, wo niemals Schaͤtze waren, mit Huͤlfe der Geiſter aufzuſuchen, und ein abgefeimter Kerl zu Eiſenberg, welcher aber auch ſelbſt in Halle ſei - nes Gleichen hatte, verſieht dieſe betrogenen Be - truͤger mit derley Raritaͤten. Ferner giebts im Mansfeldiſchen Hexen, Nixe u. d. gl. und wer den Fratzen widerſpricht, den haͤlt der Poͤbel fuͤr einen Wahnſinnigen, oder fuͤr einen Freygeiſt. In Helfta, einem Dorfe bey Eisleben, lebt eine Frau, oder hat doch noch vor kurzem gelebt, welche einen Kobold, oder nach der dortigen Ausſprache, einen Kowelt hatte, der ihr mit Spinnen und Stricken das Brodt verdienen mußte! Das muß ein miſerabe - ler Kerl von Teufel ſeyn, der ſeinen Clienten mit ſonſt nichts helfen kann, als mit Spinnen und Stricken. Der Herr Paſtor Baͤhrends zu Helfta iſt zwar nichts weniger, als ein Freund des Beelzebubs und ſeines Anhangs, aber ſeine Predigten wider den181 Aberglauben haben doch die Kobolde, die Nixen, den Berggeiſt u. d. gl. bis jetzt nicht verſcheuchen koͤnnen.

Siebenzehntes Kapitel.

Nordhauſen.

Meine Buͤcher, beſonders meine Lebensbegeben - heiten, waren auch nach Nordhauſen gekommen, und daſelbſt fleißig geleſen worden. Im Herbſt 1800 kam Hr. Schulze, welcher hier in Halle die Rechte ſtudierte, auf meine Stube, und lud mich im Namen ſeines Vetters, des Herrn Juſtizcom - miſſars Lange, nach Nordhauſen ein, und ver - ſicherte mich zugleich, daß ich viel Goͤnner daſelbſt habe, welche es gerne ſehen wuͤrden, wenn ich da - hin kaͤme.

Wer mich kennt, der denkt hierbey gleich, daß dieſe Einladung mir ſehr willkommen war: denn ich bin nie lieber, als wo man mich gerne ſieht, und haſſe alle Oerter, wo ich Leute vermuthen kann, die Etwas an mir zu tadeln und auszuſetzen finden. 182Nicht als wenn ich nicht das Herz haͤtte, ſolchen Recenſenten unter die Augen zu treten: denn ich weiß allemal, daß auch ſie, die Herren und Da - men, ihre recenſionsfaͤhige Fehler und Maͤngel an ſich haben, und auf allen Fall beſſer thun wuͤrden, ſie kehrten vor ihrer Thuͤre, und zaͤhlten erſt ihre Schulden, ehe ſie die meinigen, welche ſich doch de facto nicht uͤber dreyßig Thaler belaufen, bey jedem, der mir helfen koͤnnte, auseinander ſetzen, und die Leute vor mir warnen. Heute, da ich die - ſes ſchreibe, ſagte mir ein Buͤrger aus unſerer Stadt, Hr. habe geſagt: ja, wenn Laukhard heute noch ſtirbt, ſo ſind alle, die Etwas an ihn zu for - dern haben, rein betrogen. Ja, hatte ſeine Frau, die Madame dazu geſetzt, wenn Laukhard krepirt, ſo ſind alle ſeine Schuldner beſchiſſen. Ich wie - derhole dieſe ſchoͤnen Reden, die troz ihrer zotolo - giſchen Beſchaffenheit, doch ſchoͤn ſeyn muͤſſen, weil ſie aus einem ſchoͤnen Munde kommen, und wuͤnſche, daß meine Leſer ſie auch ſchoͤn finden moͤgen. Aber wie, wenn der Herr heute ſtuͤrbe, oder nach ſeiner Madam Dialekt, krepirte, um wie vieles wuͤrden dann die Herren in Halle und auſſerhalb Halle betrogen und beſchiſſen wer - den? Doch was geht mich das weiter an? Kommt Zeit, kommt Rath; und ſterbe, oder krepiere ich uͤber kurz oder uͤber lang, ſo wird die Noth der Welt183 wenigſtens durch meine Schulden nicht ver - mehrt werden.

In Nordhauſen hoffte ich huͤbſche Bekannt - ſchaften zu machen, und nahm die Einladung mit Freuden an. Ich ſchrieb an den Herrn Juſtizcom - miſſar Lange, daß ich zu Weyhnachten erſcheinen wuͤrde, und dieſer Biedermann antwortete mir gleich mit umgehender Poſt, daß ich ihm ein will - kommener Gaſt ſeyn ſollte.

Einige Tage vor Weyhnachten kam Abends Hr. Schulze und ſagte mir, daß ich mich fertig ma - chen muͤße: denn ſchon den folgenden Tag wuͤrde die Reiſe nach Nordhauſen vor ſich gehen. Ich war ſehr uͤbel berathen: denn es fehlte mir am Be - ſten, wie die Hallenſer ſagen, oder ich hatte Mo - ſen und die Propheten nicht, wie es nach einem andern Dialekt heißt, oder ich war ſans Spieß, und ganz niedertraͤchtig auf dem Hund, wie ſich unſre Herren Studenten in ihrer kernigten erhabe - nen Sprache ausdruͤcken, welche niemand verſteht, als ſie ſelbſt und die, welche mit ihnen umgehen, wohin Herr Zacharias Schmid in Reideburg vor - zuͤglich gehoͤrt. Aber es wurde Rath geſchafft.

Herr Wolf, der Vetter unſers Wolfs man merkt wohl, daß ich von τω πανυ dem Philolo - gen Wolf rede, welcher ſeit ſeiner Exiſtenz auf der halliſchen Akademie dieſer mehr Nutzen, und im184 Ausland mehr Ehre verſchafft hat, als alle die, welche nach Chriſtian Thomaſius hier gelehrt haben.

Große Maͤnner hat Halle zu allen Zeiten gehabt, und die unſterblichen Verdienſte der Boͤhme, Guud - ling, Heineccius, Baumgarten, und einiger ande - rer waren mir ſchon bekannt, ehe ich nach Halle kam; aber da traf ich den großen Semler, den beſſernden Noͤſſelt, den in omni jure vel curatiſſi - mum Woltaͤr; einen Karſten, einen Knapp Gei - ſter meiner Lehrer, und Sie noch im Leben, Sie, großer Woltaͤr, und ſie reinlehrender Noͤſſelt, ver - zeihen Sie, daß ich Ihre Namen in dieſem Bu - che hinſchreibe! Sie vergeben mir gewiß〈…〉〈…〉 aber die Recenſenten? Je nun! die Burſche muͤſſen ſich gefallen laſſen, was vor ihre Guckaͤuglein faͤllt, ſo wie ſich das liebe Publicum muß gefallen laſſen, was die Burſche demſelben jede Woche vorrecenſi - ren, id eſt, vorgakeln wollen. Habeant ſibi, ſagte ehemals mein Rektor, und er hatte Recht: Waͤrt Ihr nicht ſo dumm, dumme Jungensſtreiche zu ma - chen, ſo wuͤrden andre dummen Jungen nicht ge - reizt, Euch auszugerben. Tantum de recenſenti - bus, wenn ich werde angemerkt haben, daß der Name Recenſent ein Crimen falſi in ſich ſchließt.

Dem Publicum bin ich aber Rechenſchaft ſchul - dig: denn das Publicum lieſt mich. Alſo Sem -185 ler und Karſten ſind lange todt, aber in meiner Seele leben ſie, die großen Maͤnner, ſo lange meine Seele lebt!

Woltaͤr lebt noch; dieſer Redliche gab mir einſt ſein Auditorium, daß ich darin die alte Ge - ſchichte und die Begebenheiten der Roͤmer Roͤ - miſche Geſchichte haben wir noch nicht, leider! erklaͤren konnte. Karſten gab mir ſeine bisher noch nicht erſetzte Lehrſtunden frey. Dank den Maͤnnern!

Aber zuruͤck auf Wolf. Seitdem Schulz Halle verließ, lag alles Studium der Literatur gleich - ſam wie begraben. Freylich las Schulz noch uͤber die elende hebraͤiſche Ueberſetzung der chaldaͤiſchen Fragmente Daniels: Herr Fabri, der Magiſter, erklaͤrte freylich die Gedichte des Homerus aus dem Homeromoſtix d. i. aus der elenden Verſion, welche Hager beydrucken ließ, und ohne welche Hr. Fabri ſeinen Text nicht hatte vertiren koͤnnen, und dann aus eines, neſcio cujus, Clavis Home - rica; wenn ich nicht irre, war der Mosjeh ein Schweizer. Ueberdem erklaͤrte, oder exponirte, nach Waiſenhaͤuſer Art, Herr Gutz die Gedichte des Horatins, und machte ſie moraliſcher durchs Evangelium. Niemeyer harangirte uͤber einige Stuͤcke aus den griechiſchen Theaterdichtern, und der Vortrag gefiel ſo ſehr, daß man nach ge -186 endeter Lection nicht wußte, was Herr Niemeyer gewollt hatte: vom Griechen war gar keine Frage.

Nun kam Wolf, und auf einmal fielen die Lectionen eines Fabri und Niemeyer. Jener warf ſich in die Geographie, und erklaͤrte die Trachten der Buͤrgerfrauen zu Nordhauſen, dieſer (hic ille Rhenii Gram. p. 97.) machte eine Anweiſung zur Kinderzucht, genannt Paͤdagogik. Dieß Stu - dium muß ganz trefflich ſeyn: denn wer nichts lernen mag, ſtudiert Paͤdagogik, und kommt mit Unwiſſenheit durch. Er war ja ein Schuͤler Nie - meyers, et quis ad tanti hominis nomen non ad -[ſt]upeſcat!!! Hab ich doch Burſche gekannt, die nicht menſa decliniren konnten, und doch Maece - natis patrocinio derbe Kerls geworden ſind! Exem - pla ſunt odioſa; glaubt aber jemand, hier ſey zu viel geſchrieben, der melde ſich bey mir, und ich werde ihm Rede ſtehen.

Nun kam Wolf! Die verwoͤhnte Magen der Studenten konnten freylich Wolfs Gerichte nicht verdauen; der Mann war weder ein eleganter Nie - meyer, noch ein Lexicologus Fabri: er forderte grammatiſche Kenntniß der Sprachen, damit die Herren einſt auch das Zeug, d. i. den Inhalt des Geleſenen verſtehen koͤnnten. So was war man nicht gewohnt, das Wortding zu verſtehen, und zu aufmerkſam auf das Sachding, oder vielmehr187 das Sachding erwartend, die Schofeley nachzukri - tzeln, vergaß man ſogar, woruͤber geleſen wurde. Hr. Molwude aus Magdeburg hoͤrte ein ganzes Semeſter Hn. Niemeyers Vortrag uͤber den Ho - merus, und hatte kein Exemplar des Home - rus: doch ſchrieb er fleißig nach, und fuͤllte taͤg - lich 1 ½ Bogen mit Unſinn. Videantur Nie - meyeri Notae ad Homeri Carmina!!!

Ich ſelbſt las damals uͤber Theocritus Idyl - len: aber wie erſchrack ich, als ich einer Lection Wolfs beywohnte! Heyne, den großen Heyne hatte ich gehoͤrt, aber was war Heyne gegen Wolf? Je - ner gruͤndlich gelehrt in allem Alten und in allem Schoͤnen, aber ohne kritiſchen Geiſt, dieſer eben ſo gelehrt, oder noch gelehrter, und mit kri - tiſchem Auge guckend, betrachtend, aufnehmend. Verzeiht, große Maͤnner, daß ich uͤber Euch ur - theile; ich urtheile bloß fuͤr mich, fuͤr die Welt urtheilt Euer Verdienſt!

Wolf aͤnderte das Studium der Hallenſer auf die vortheilhafteſte Art. Mit einer koͤniglichen Kleinigkeit that er Wunder; ihm und zur ſeys geſagt ihm allein gebuͤhrt das Anſehen dieſer Akademie.

Welche Maͤnner ſind nicht ſchon aus Wolfs Schule gegangen? Wer kennt nicht Fuͤlleborn, Ideler, Rambach wer kennt ſie nicht, die Edeln,188 die Gelehrten, die Verbreiter guter nuͤtzlicher Keuntniſſe?

Vielleicht denkt der Leſer, ein naͤheres Intereſſe mache mich ſo ſprechen. Vergieb Leſer, daß ich Dich eines Irrthums zeuge. Haſt'n Tacitus gele - ſen Lib. I. Hiſt. C, I, Galba, Otho, Vitellius nec beneficio nec injuria mihi cogniti; dignitatem no - ſtram a Veſpaſiano inchoatum a Tito auctam, a Domitiano ulterius provectam non abnucrim; ſed Incorroptam fidem profeſſis et ſine odio citraque in - vidiam dicendus quisque eſt. Ich citire dieſe Stelle aus dem Gedaͤchtniß, da ich das Buch nicht zur Hand habe. Aber wenn ich ohngefaͤhr ein und das andre Wort falſch ſetze, ſo hoffe ich, daß man mir verzeihen wird, wie den alten Kirchenvaͤtern, die auch viele Stellen der Bibel anfuͤhren, wo ſie nicht ſtehen, z. B. der große Origines citirt den h. Paulus an die Galater,*)Πεϱι ἀϱχων L. III. C. 12. und doch ſteht die von dem gelehrten Alexandriener angezogne Stelle im Brief an die Roͤmer C. I. 17.

Doch ich bin ein dummer Kerl, will ein Buch machen, das jeder leſen ſoll, und raͤſonnire von Kir - chenvaͤtern. Doch iſt der Gedanke an Kirchenvaͤ - ter nicht ganz unfruchtbar. Jener Jenaiſche Stu - dent hielt die Kirchenvorſteher fuͤr Kirchenvaͤter,189 welche ihn verklagten, da er bey dem unſinnigen Vortrag des Hn. Superintendent Oemler Tabak geraucht hatte. Das war ja wohl ſo ein Stuͤck von Sacrilegium, woruͤber Hr. Schnaibert, der Ex - caplan, jetzt Profeſſor zu Jena, ſo viel zu ſchwa - tzen weiß. Der Mann ſoll jetzt hoͤflicher ſeyn, als im Jahr Domini 1787. Wohl ihm! Vielleicht hat ihn das Maͤdchen ad numerum neſcio quem, be - kehrt.

Aber wo bin ich denn? Ja, ob mir Herr Wolf beneficio oder injuria cognitus iſt? Nein, meine Herren Leſer! Hr. Wolf iſt zwar mir dann freundlich, wenn ich ihn um Freundſchaft bitte; aber ſo iſt Herr Wolf gegen Jeden. Buͤcher hat mir Wolf genug geborgt, und zwar ſolche, die nur Maͤnner von einander borgen, denn ich, da ich Bach kenne, brauche Dobelows Rechtsge - ſchichte nicht: ſo brauche ich auch den ſchulmei - ſtermaͤßigen Commentar des Mosjeh Thormeyers uͤber Ciceros LL. Offeiorum nicht, ſobald ich nur meinen Heiſinger habe.

Es iſt uͤberhaupt eine ſchnurrige Sache mit dem Becommentiren der alten Claſſiker. Wer z. B. den Virgilius leſen kann, oder den Homerus, bedankt ſich vor allen Auslegungen des Cuſtathius und des Hn. Heyne. Doch haben Ausleger wie die Genannten, immer ihre hohen Verdienſte; aber190 was ſagen wir denn zu Erklaͤrungen, wie die ei - nes Mosjeh Motz, eines A. B. C. X. Y. Z. ſind? Soll dann jeder Philologe der alten und neuen Zeit dieſer Burſchen ihr Eſel ſeyn? Heh! Die alten Kerle kennen dieſe Menſchenkinder nicht, wie ich dann Herrn Motz einmal betheuern hoͤrte, daß vor Dacier niemand den Horatius erklaͤrt habe. Zudem ſind es meiſtens arme Teufel, welche zu guten Buͤchern keine Moneten haben: lebt nun ſo ein armer Teufel auf einer Univerſitaͤt, wie Halle iſt, und will ein Buch haben: eh bien, non adeſt. *)Woͤrtlich ex ore. Er kommt nach vierzehn Tagen wieder: ſ'iſt niſcht dah; hab'ſch g'ſagt. Er geht zum Bibliothekar und beſchwert ſich: haͤtt den Teufel vom Suchen und Warten, hab mehr zu thun, iſt die Antwort des humanen gelehrten Bibliothekars, und der Su - chende bleibt weg, weil er ſich an den Hund erin - nert, welcher das Heu huͤtete. Doch das gilt nicht allewege. Alle, die Gunſt haben,**)Suo tempore abſens in libro cui titulus . Nunc contentus dictis cetera linquo. koͤn - nen ſich Buͤcher nehmen, welche ſie wollen, und ich kenne einen, der jetzt angeſtellt iſt,***)Meine Herren, wollen Sie das genauer wiſſen, laſſen Sie mich ad Magnificum citiren und egregié reſpondebo. Dieß zur Nachricht fuͤr gewiſſe Herren. welcher ſich191 alle Woche wenigſtens einen Thaler mit Verleihen der Buͤcher aus der Univerſitaͤtsbibliothek verdient. In Leipzig iſts uͤbrigens eben ſo, und daß es in Goͤttingen ſo war, wenigſtens im Jahr 1778-79 kann ich durch ſehr treffliche Teſtimonien beweiſen.

Was ſagen Sie aber dazu, junge Maͤnner? Nicht wahr, lieber einen Pabſt gemacht, als ſolches Zeug?

Achtzehntes Kapitel.

Fortſetzung.

Herr Wolf, Schulze und noch zwey andre aus der Grafſchaft Hohnſtein gebuͤrtige Studenten waren meine Begleiter. Es war fruͤh, als wir ausgingen, herrliches Wetter, und wir konnten ſchon gegen eilf Uhr in Langenbagen ſeyn, ob wir gleich erſt lange nach Sieben ausgingen. Es war Sonntag, und die Wirthin, bey welcher wir ein - kehrten, um ein Fruͤhſtuͤckchen zu nehmen, ſchrie und ſchimpfte fuͤrchterlich auf ihren Paſtor. Der Mann ſey zu faul und zu nachlaͤßig, meynte ſie,192 und hielt die Kirche nicht ſo oft, als er doch ſollte: kaum hoͤrten ſie in ihrem Dorfe alle vierzeh〈…〉〈…〉 Tage eine Predigt: aber der liebe Gott ſey auch ein ſtar - ker eifriger Gott, und habe ſchon vor einigen Jah - ren die ſeinem Dienſt widerfahrne Geringſchaͤtzung geraͤcht, indem er die ſchreckliche Feuersbrunſt ver - anſtaltet habe, wodurch das ganze Dorf beynahe zu Grunde ging.

Meynt ſie dann, Frau Wirthin, ſagte ich, daß der liebe Gott ein Mordbrenner ſey?

Sie. Herr Jehmineſes, lieber Herr, wie ſchwaͤtzen Sie doch? Der liebe Herr Gott ein Mord - brenner?

Ich. Allerdings iſt er ein Mordbrenner, wenn Sie Recht hat.

Sie. Ich will doch nicht hoffen, daß Sie ſo gottlos denken!

Ich. Bewahre! Ich weiß, daß das wohlthaͤ - tigſte Weſen ſeinen Creaturen nichts Boͤſes thut. Aber wie Sie ſpricht, Frau Wirthin, thut uns Gott Boͤſes.

Sie. Wie dann ſo, daß Gott erbarme.

Ich. Sie ſagt ja, der liebe Gott habe die Feuersbrunſt hier veranſtaltet, um ſeinen Schimpf zu raͤchen. Wenn das wahr iſt, ſo muß er ja einen Gefallen an derſelben gehabt haben; da aber doch der Brand ſehr viele Leute ins Verderben ſtuͤrzte,ſo193ſo muß Gott Vergnuͤgen am Verderben andrer Leute haben, und das iſt haͤßlich.

Die Frau ergrimmte, und ſagte grade heraus, ich verſtuͤnde die Sache nicht, und rieth mir, kuͤnf - tig nicht mehr ſo naſeweis zu ſeyn. Hr. Schulze zahlte unſere Zeche, und mußte zwanzig Groſchen geben, ob wir gleich nun fuͤr 2 gl. 6 pf. Schnapps und ein wenig Butter und Brodt gehabt hatten. Die - ſe Prellerey war wahrſcheinlich eine Strafe fuͤr un - ſern Unglauben gegen die Effaten der Frau Wirthin.

Als wir aus der Langenbagner Kneipe traten, fings an zu regnen: es hatte gefroren und nun ward der Weg ſo glatt, daß wir mehr hinten aus - rutſchten, als vorwaͤrts kamen. Nach vielem Fal - len erreichten wir endlich Abends ſpaͤt Eisleben. Der Regen hielt noch immer an, und die Ausſicht fuͤr den folgenden Tag war ſehr traurig. Im Wirthshaus zum Sieb zu Eisleben fanden wir ei - nen Menſchen, welcher mit einer Donna im Lan - de herum zog, und ſich, ich weiß nicht wie, durch - ſchlich. Das Maͤdchen war ganz artig von For - mate, und ſchien gar nicht ſproͤde zu ſeyn, wenig - ſtens nahm ſie es gar nicht uͤbel, daß ein geweſe - ner Preußiſcher Soldat den unter Soldaten her - koͤmmlichen Comment erklaͤrte, und brav Zoto - logien einmiſchte: zugleich verſicherte ſie, daß kei - ner, und ſollte er auch der große Mogul ſeyn, ihrLaukh. Leben 5ter Theil. N194ein Kind machen koͤnne. Die Donna muß alſo das Ding oft genug und zwar multifariam verſucht haben.

Den folgenden Tag hatte zwar der Regen aufgehoͤrt, aber der Weg war fuͤrchterlich ſchlecht. Gerne haͤtten wir eine Fuhre genommen, aber es war keine zu haben, und wir mußten zu Fuße fortbattern. Alle Augenblick gleiteten unſre Fuͤße aus, und Pardanz, da lag bald dieſer, bald jener auf der Naſe. Mich traf dieſes Ungluͤck gar ſehr oft. Mit Muͤhe kamen wir auf ein Dorf jenſeits Wallhauſen, wo Herr Schulze mit den beyden theologiſchen Studenten beym Paſtor Loci ein - kehrte. Ich und Hr. Wolf blieben in der Schenke, und erſt in Berg verſammelten wir uns wieder.

Die Herren, welche beym Paſtor eingekehrt wa - ren, waͤren zwar ſehr gerne fruͤh weggegangen, aber das ginge nicht, denn beym Paſtor muͤßen fruͤh nach verleſenem ellenlangen Morgenſegen drey bis vier Lieder geſungen werden, und ſo Etwas ko - ſtet Zeit. Wer ſich nicht in dieſe Ordnung fuͤgt, wird vom Hn. Paſtor fuͤr einen Freygeiſt und unflaͤtigen Kerl erklaͤrt, und darf nicht wiederkommen. Ich erinnerte mich bey der drolligen Erzaͤhlung von der Singerey und Beterey beym Paſtor an die Singerey beym ehemaligen Paſtor Thiels zu Udenheim in der Pfalz, wo man nicht eher195 Etwas zu eſſen bekam, als bis man das Lied: Gott lebet noch, mit hergeorgelt und neun und neunzig Tiſchgebeter mit hergeplerret hatte. An An - dacht war nicht zu denken, war aber auch nicht noͤthig, und der liebe Gott mußte mit dem Heror - geln und Herplerren ſchon zufrieden ſeyn.

Erſt gegen ſechs Uhr kamen wir nach Nordhau - ſen. Ich eilte nach dem Hauſe des Herrn Juſtiz - commiſſarius Lange, aber ſtehe da! der war nicht zu Hauſe. Was war zu thun? In ein Gaſthaus wollte ich zwar gehen, aber Hr. Wolf nahm mich mit, und ich machte mich ſchon commode, als Hr. Fromm, der negotiorum geſtar des Juſtizcommiſ - ſars erſchien, und mich mit Gewalt fortſchleppte. Herr Fromm redete mich folgender Weiſe an: Das verborgene Bewußtſeyn hat uns electeriomatiſch be - lehrt, daß Sie, mein wertheſter Magiſter, in dem Dunſtkreis der des heiligen Reichs freyen Stadt Nordhauſen ſeit einer Stunde den Punkt Ihrer Exiſtenz genommen haben. Herr Juſtizcommiſſar Lange, mein verehrter und bis in das Nichtſeyn meines ſich ſelbſt vergeſſenden Bewußtſeyn verehr - ter Goͤnner, Protector und Patronus, erſucht Sie durch die Puſillanimitaͤt meines Zungenorgans und durch die Abjecticitaͤt meiner Suada, ihre freylich etwas muͤden Hoͤlzer des Spazierens, loco - motiv zu machen, und mir zu folgen. DieſeN 2196Rede des Herrn Fromm beſtimmte mich mitzuge - hen, und Hr. Fromm fuͤhrte mich auf das Garten - haus des Herrn Senators Seydler, wo jede Wo - che eine Geſellſchaft zuſammen kommt, welche Aſſemblee genannt wird. Es ſind mehrere Geſell - ſchafteu dieſer Art in Nordhauſen, und mehrere von den Honoratioren der Stadt nehmen an dieſen verſchiedenen Conventen Antheil: eine iſt jedoch da, wozu niemand, als die Beſtimmten, Zutritt hat: ich glaube, dieſe hieß Concordia, und iſt ſo eine Art von Freymaͤurerloge, welche ich weiter nicht naͤher kennen lernte.

Bey Hn. Seydler traf ich jetzt den Juſtizcom - miſſar Lange, und noch viele artige Nordhaͤuſer von Extraction. Adel iſt uͤberhaupt in dieſer Stadt nicht: die Buͤrgerſchaft beſteht ſchon ſeit den großen hier vorgefallenen Mordgraͤueln nur aus Buͤrgerli - chen, ob ſie gleich vor Olims Zeiten ihren Pa - tricieradel ſo gut hatte, als Frankfurt, Nuͤrn - berg und die meiſten Reichsſtaͤdte. Allein unter der Regierung K. Carls des vierten, fand die Buͤr - gerſchaft fuͤr noͤthig, wider ihren Magiſtrat zu re - belliren, und alle Edelleute, welche nicht entwi - ſchen konnten, todtzuſchlagen. Dieſe entſetzliche That wuͤrde zu jeder andern Zeit derb ſeyn beſtraft worden, aber K. Carl IV. verzieh den Einwohnern, ließ ſich Geld geben, und confirmirte eine Conſti -197 tution, welche ſie ſich ſelbſt gemacht hatten. Ich glaube, dieſes Unheil geſchahe 1368; Hr. Seyd - ler hat dieſe Revolution zu Nordhauſen aus guten Quellen und archivariſchen Nachrichten beſchrieben, und ſeinen Aufſatz einem ſogenannten Revolutions - Almanach einverleibt, in welchem neben ſo man - chem elenden ſchofeln Zeug doch dann und wann ein leſenswerther Aufſatz zu finden iſt.

Die Herren, welche ich bey Hn. Seydler antraf, waren aͤuſſerſt artige Leute von viel jovialiſcher Munterkeit, und Feinde aller Jener. Ich hatte ſchon bey Hr. Wolf Abendbrodt gegeſſen; aber auf der Aſſemblee mußte ich nochmals eſſen, ob es gleich ſchon ziemlich ſpaͤt war. Sehr vergnuͤgt verlief die Zeit, und erſt gegen ein Uhr des Nachts fuͤhrte Hr. Fromm den Juſtizcommiſſar und mich nach Haus. Daß mein Kopf nicht ſo beſchaffen war, wie er zu ſeyn pflegt, wenn ich fruͤh auf - ſtehe, verſteht ſich von ſelbſt, indeſſen war ich noch nicht voͤllig heroiſch, das ward ich erſt beym Juſtizcommiſſar. Dieſer wußte, daß ich kommen wuͤrde, und hatte deßwegen ſich einen recht guten Nordhaͤuſer Schnapps zugelegt, womit er mich regalirte. Ich kannte die Kraͤfte des Getraͤnkes nicht, und Hr. Fromm brachte mich zu Bette.

Ich aͤrgerte mich den andern Morgen, daß ich gleich am erſten Abend meiner Exiſtenz in Norhau -198 ſen begenirt geweſen war, und erklaͤrte mich dar - uͤber gegen Hr. Fromm. Dieſer ſchlug eine helle Lache auf, und verſicherte mich, daß das Haar - beutelhaben, oder wie man pro dialecto Frommia - na in Nordhauſen ſagt, das ſich Beſchettern ſtark Mode ſey, daß niemand ſich daruͤber formaliſire. Daß Hr. Fromm ſehr Recht hatte, habe ich in der Folge mehrmals[gefunden].

Neunzehntes Kapitel.

Herr Fromm. Herr Bock und andre Perſonagen.

Der Juſtizcommiſſar haͤlt eine Leſebibliothek, welche vor andern ihre großen Vorzuͤge beſitzt. Herr Lange ſcheint bloß aus Patriotismus ſein Inſtitut angelegt zu haben, da es ihm ganz und gar nichts eintraͤgt, als die Proprietaͤt der Buͤcher, welche dazu angeſchafft werden: denn alles, was einkommt, wird wieder zum Ankauf neuer Buͤcher verwendet: die Intereſſenten zahlen daher auch nicht ſehr viel, muͤſſen ſichs aber gefallen laſſen, grade diejenigen Buͤcher zu leſen, welche ihnen zu - geſchickt werden, wenn ſie Buͤcher holen laſſen,199 und haben nicht das Recht, in der Bibliothek her - umzukrabſchen, und mitzunehmen, was ihnen etwan anſtehen mag. Alle Intereſſenten erhalten zwar alle Buͤcher nach und nach die neuern naͤmlich: denn die ſchon laͤngſt in dem Vorrath befindlichen kann ſich jeder holen laſſen aber dabey wird eine ſolche Ordnung beobachtet, daß derjenige, welcher eher als ein andrer Intereſſent war, auch vor dieſem das Buch zum Leſen erhalte. Ich weiß nicht, ob an dieſer Einrichtung Etwas zu tadeln ſey, da eben dadurch gar mancher In - convenienz vorgebeugt wird. Z. B. manches Werk beſteht aus mehrern Baͤnden: wer aus Hr. Lange's Bibliothek einen Band geleſen hat, erhaͤlt alle andre nach einander, dahingegen in andern Bi - bliotheken, welche doch auch gut eingerichtet ſind, ein Leſer zwanzigmal und wohl noch oͤfter ſchicken muß, bis er die verlangte Fortſetzung erhaͤlt, und indeſſen den Inhalt der vorigen Theile wieder ver - gißt. Die Leſerey um einen Groſchen faͤllt in der Langeſchen Bibliothek ganz weg, und niemand, auſſer den Intereſſenten, bekommt ein Buch: da - durch wird auch eine große Unordnung verhuͤtet.

Aber Einrichtungen dieſer Art ſind auch nur an Oertern moͤglich, wo lauter ordentliche Leſer zu haben ſind, welche alle Woche hoͤchſtens ein Buch zu ihrem Nutzen und Vergnuͤgen leſen,200 und alle Quartal richtig bezahlen, wie die Da - men und Herren in und um Nordhauſen zu thun gewohnt ſind. Auf Univerſitaͤten, und an ſolchen Orten, wo es eine große Menge Muͤßiggaͤnger giebt, z. B. in Berlin, Breslau, Magdeburg, Leipzig, wegen der großen Menge der Offiziere, der Scholaren, iſt es gar nicht thunlich, Ordnung zu halten. Einer, ſo ein Herr Leutnant, Faͤhn - drich, Student u. ſ. w. lieſt bloß Romane, aber ſo ſchnell und ſo heißhungrig, daß er alle Tage ei - nen Band und wohl noch mehr hineinworgt; und fuͤr ſolche kann doch wohl keine monatliche Praͤ - numeration Statt finden, der muß ſchon à Gro - ſchen leſen.

Die Buͤcher, welche Hr. Lange ausgiebt, ſind alle gut gewaͤhlt, und Sachen, zotologiſchen In - halts findet man gar nicht bey ihm. Hr. Fromm iſt ſein Bibliothekar, und beſorgt das Geſchaͤft mit ſehr vieler Genauheit, ob er gleich nur einige Stunden des Tages drauf verwendet. Sonſt iſt Hr. Fromm auch noch Leichen - und Hochzeitsbitter und Ceremonienmeiſter bey allen vornehmen Ge - lagen, welche zu Nordhauſen vorfallen. Er hat zwar bey dieſen wichtigen, und mit dem Wohl des Staats unmittelbar verbundnen Aemtern noch ei - nen Gehuͤlfen, aber dieſer, ob er gleich laͤnger angeſtellt iſt, kann es doch ſo weit in Ruͤckſicht der201 Gunſt des Publikums nicht bringen, als Herr Fromm, denn Fromm reißt keine Zoten, aber der andre Herr iſt ein Zotologe, deſſen Gleichen mir ſelten vorgekommen iſt, und nimmt kein Blatt vors Maul, es mag zugegen ſeyn, wer da will, luſtige Bruͤder, oder Frauenzimmer von Stande und Erziehung, das iſt ihm Eins; nebenher haͤngt er ſich auch nicht ſelten einen Haarbeutel an, den Fromm ſelten hat, und nur in gutem Wein an - nimmt.

Hr. Fromm hat viele Verdienſte um den Nord - haͤuſer Dialekt: welchen er mit vielen Woͤrtern und Redensarten verbraͤmt, ſo recht à la Burſch, und à la Musketier: denn Studenten und Soldaten pflegen auch ihre eigne Sprache zu reden, und wer die nicht verſteht, denkt oft, arabiſche und chineſi - ſche Woͤrter zu hoͤren, ſo ſeltſam klingen die Ra - ritaͤten. Unter andern iſt Fromm der Erfinder des Wortes Schetter, welches ſo viel bedeutet, als Schnapps, und von dieſem Stammwort kommen folgende Derivate, ein Schetterer (Schnapps - ſaͤufer) ſich beſchettern, Schetterey (Brannt - weinbrennerey, item eine Schnappskneipe) er ſpricht ſchetterlich (wie ein Betrunkner). Dieſe und andre Woͤrter dieſes Schlags hat Hr. Fromm ſo oft in allen Cirkeln, wohin er kommt, angebracht, daß ſie allgemein bekannt und gebraͤuchlich ge -202 worden ſind. Außerdem iſt Fromm ein Philoſoph, und raͤſonnirt uͤber alle Gegenſtaͤnde der Metaphy - ſik, der Moral und der Politik ſehr gelaͤufig, aber auch ſo grundgelehrt, daß ich bey aller Anſtrengung meiner Aufmerkſamkeit, doch nie ſo gluͤcklich ſeyn konnte, ihn zu verſtehen. Es giebt jedoch Leute zu Nordhauſen, welche den Mann eben deßwegen fuͤr einen großen Geiſt und gruͤndlichen Denker halten, weil er ſtets ſo ſpricht, daß man unmoͤg - lich abſehen kann, wovon eigentlich die Rede iſt, ob von der Revolution in Frankreich oder dem pomphaften Aufzug des Kayſers von Sina. Die - ſes aber und aͤhnliche Kleinigkeiten, welche ins Sonderbare fallen, ausgenommen, iſt Fromm ein kreuzbraver rechtſchaffner Mann, welcher das Ver - trauen aller derer verdient, die mit ihm zu thun haben.

Herr Bock, der Schuſter, hat mir waͤhrend meines Aufenthalts in Nordhauſen manche ver - gnuͤgte Stunde gemacht. Der Juſtizcommiſſar kann dieſen Mann wohl leiden, wegen ſeiner Origi - nal[i]taͤt, und ſeine huͤbſche junge Frau wird ihm auch gewiß keine Feinde machen, da er, wahrſcheinlich weil ers nicht noͤthig hat, durchaus nicht eiferſuͤch - tig iſt. Es iſt auch uͤberhaupt eine ganz naͤrriſche Sache um die Eiferſucht, die auf jeden Fall uͤberfluͤſ - ſig und nachtheilig iſt, da der Eiferſuͤchtige ſtets aͤr -203 ger geprellt wird, als der Tolerante. Dieß will ich aber ohne allen Bezug auf Hn. Bock den Schuſter zu Nordhauſen geſagt haben. Ob ich gleich vor meiner Ankunft in Nordhauſen keine Seele daſelbſt perſoͤn - lich kannte, ſo hatten doch viele daſelbſt gehoͤrt, daß ich kommen wuͤrde, und hatten deßwegen pro und contra Wetten angeſtellt. Bock, welcher ſich ge - nau erkundigt hatte, wettete mit einem Fleiſcher - meiſter um vier Butellen Wein, und gewann na - tuͤrlich ſeine Wette, als ich ankam. Die ganze Nacht ging hin, uͤber die Verzehrung der Wette: denn es blieb nicht bey vier Butellen das iſt Mode ſo zu Nordhauſen.

Neben dem Schuſter Bock wohnt der Berg - commiſſar Roſenthal, deſſen Buͤcher man im ge - lehrten Deutſchland findet. Herr Roſenthal, ſei - nes Handwerks ein Becker, legte ſich nachher auf allerhand Wiſſenſchaften, und ſchrieb uͤber alles, worauf er ſich legte, uͤber Mathematik, Chemie, Naturgeſchichte u. ſ. w. Da ich von allen die - ſen Sachen wenig verſtehe, und uͤberdieß Hn. Ro - ſenthals Buͤcher nie geſehen habe, ſo kann ich uͤber die Großheit oder Kleinheit ſeiner Verdienſte nicht urtheilen. Freylich wenn die Aufnahme in gelehrte Geſellſchaften ein ſicherer Beweis des Verdien - ſtes waͤren, ſo muͤßte Hr. Roſenthal ein Mann von gewaltigem Verdienſt ſeyn: denn er iſt ja 204 und ich glaube gar, inter alios honores Mit - glied der naturforſchenden Geſellſchaft zu Halle. Aber man weiß ja, daß ſolche honores nichts be - weiſen, zumal ! Doch was geht das mich an? Ich wollte den Mann kennen lernen, aber da ich hoͤrte: er ſey dann und wann ein wunder - licher Behandler der Fremden, die ihn beſuchen, wollte ich mich keiner unſanften Begegnung aus - ſetzen, und blieb weg. Aber Bock drang darauf, daß ich den Bergcommiſſar ſprechen mußte, und beſtellte ihn in ſein Haus, wohin er auch mich und Hr. Lange einlud. Herr Roſenthal kam nicht, und ließ ſich mit ſeinem Podagra entſchuldigen. Die wahre Urſache aber, warum der Commiſſar nicht kam, war Hr. Langens Gegenwart: denn dieſen kann er aus mehr als einem Grunde nicht leiden.

Roſenthal naͤmlich ſchreibt eine Wochenſchrift, welche er den Hohenſteiniſchen (Hohnſteiniſchen) Erzaͤhler nennt: im Grunde aber iſts ein Nord - haͤuſer Erzaͤhler und Spaßmacher, der gar oft ins Platte und Grobe faͤllt. Im Ausland kennt man das Ding gar nicht, und die ſich aufs Wei - teſte verlaufenden Blaͤtter kommen hoͤchſtens nach Sondershauſen und nach Rosla. Um aber ſeinen Schriften gehoͤrig Salz und Pfeffer beyzuſtreuen, ſey es auch ſchwarzes Salz und Spaniſcher Pfef -205 fer, ſo greift er dann und wann bekannte Perſo - nen an, und macht ſie, wo nicht laͤcherlich, doch boͤſe. Den obgedachten Hn. Fromm hatte er eben ſo einige Mal aufgefuͤhrt, unter dem Namen Pius. Fromm glaubte ſeine Ehre beleidigt, und zog brav auf den Bergcommiſſar los, und Hr. Lan - ge wurde in dieſen Streit verwickelt, ich weiß nicht wie.

Wie gern aber der Bergcommiſſar die Leute neckt, beweiſt folgendes Geſchichtchen. Ein ge - wiſſer Jung war als Doctor der Medicin nach Nordhauſen gekommen, und hatte angefangen zu practiciren. Man kann leicht denken, daß dieſer neue Aeſkulap mit Factionen zu kaͤmpfen hatte, welche nie ausbleiben, wenn ein neuer Arzt oder Advokat, oder Muſikus, Tanzmeiſter, ja ſogar wenn eine neue Freudennymphe auftritt, aber Hr. Jung ſchien ſich um die Factionen wenig zu kuͤmmern, und ſchrieb deßwegen einen Brief an einen Bekannten in Nordhauſen. Der Bekannte verrieth ihn, und brachte den Brief ins Publikum, und der Bergcom - miſſar ließ ihn in ſeinem Erzaͤhler abdrucken. Der Wiſch war ratione des Stils und der Orthogra - phie abſcheulich: ein Bauernjunge, deſſen Schul - meiſter nicht ganz Rindvieh war, mußte beſſer ſchreiben, als der Doctor, aber die Abſicht, war - um der Bergcommiſſar den Brief abdrucken ließ,206 war nichts weniger, als edel: er wollte dem Do - ctor ſchaden, und um ſeinen Credit bringen; in wie ferne ihm dieſe Abſicht gelungen ſey, muß hier nicht erzaͤhlt werden.

Zwanzigſtes Kapitel.

Krankheit.

Den Tag vor Weyhnachten fuͤhrte mich Herr Lange fruͤh in die Apotheke zum Bittern, dann gingen wir auf den Rathskeller zu Wein, von da zum Eſ - ſen, wobey auch derb Wein aufgetiſcht wurde, und den Abend brachten wir auf einer Schenke außer - halb der Stadt zu. Daß mir aller Orten derb zu - getrunken wurde, verſteht ſich von ſelbſt, ſo wie es ſich von ſelbſt verſteht, daß ich richtig Beſcheid that. Ich kam zwar ohne große Schnurre ins Quartier, aber hier wurde fortgefahren bis nach Mitternacht um drey Uhr, wo ich mit einigen Freunden die Kirchen beſuchte, in welchen die ſo - genannte Chriſtmette gehalten wurde. Hier wa - ren ſehr huͤbſche Geſichter bey dem Schimmer der unendlich vielen Lichter zu ſehen, und recht huͤb -207 ſche Muſik zu hoͤren, ſonſt ging aber alles ſehr an - ſtaͤndig zu, wenigſtens weit anſtaͤndiger, als ſonſt in der Chriſtmette zu Halle, wo die Studenten Commerslieder ſangen, Tabak rauchten, mit Straſ - ſenmenſchern ſchaͤkerten, und diejenigen beſcha - bernakten, bey welchen ſie einige Andacht bemer - ken wollten. Unſre Studenten ſind zwar jetzt viel artiger, als damals, und doch iſt es ſehr gut, daß die Chriſtmette in Halle abgeſchafft iſt. Vielleicht geſchieht dieß auch bald in Nordhauſen.

Nach der Chriſtmette gab Hr. Lange eine klei - ne Collation in ſeinem Hauſe, wobey ſich unter andern auch Hr. Koch, der Domkuͤſter, einfand. In Nordhauſen iſt ein (bisheriges) Immediatſtift, welches man den Dom nennt. An keinem Ort iſt ſo eine Anſtalt uͤberfluͤßiger als in Nordhauſen, wo beynahe gar keine Katholiken ſind, und doch ſind an dieſem Stift fuͤnf Canonici, ein Domſyndicus, ein Cantor und eine Menge andrer Bedienten. Die Canonici ſtehen ſich recht gut, haben das Recht, Bier und Schnapps zu ſchenken, aber nicht uͤber die Straße zu verkaufen: wer alſo das gute Dom - bier ſchlucken will, muß die Herren ſelbſt beſuchen, wo ihm dann aufgewartet wird. Die Territorial - gerechtigkeit des Stifts iſt mit Pfaͤhlen abgeſteckt, und der Domnepp oder Domgerichtsdiener darf ſich nicht uͤber dieſe Pfaͤhle in ſeinen Amtsverrichtungen208 wagen, ſonſt krabſcht ihn ein Stadtnepp auf, und ſchleppt ihn mir nichts, dir nichts aufs Raths - haus. Der Syndicus des Doms, Hr. Klaproth, Doctor der Rechte, ein feiner artiger Mann, wel - cher eine ſehr ſchoͤne Frau hat, aber auch trefflichen Burgunder fuͤhrt, ſuchte von jeher alle Zaͤnkereyen mit dem Magiſtrat zu vermeiden, welcher, wie alle Magiſtraͤte, beſonders die in den Reichsſtaͤdten, keinen Spaß verſteht.

Hr. Koch wollte mir den Dom zeigen, und that es auch mit vieler Humanitaͤt: ich koſtete das gute Dombier, und den Domſchnapps, bey Hr. Advocat Lange, dem Bruder des Juſtizcom - miſſars zu Gaſt, verſchwaͤrmte den Tag in lauter muntern Cirkeln, ſo wie den folgenden, und konnte ſchon den zweyten Feyertag Abends den Kopf nicht mehr in der Hoͤhe halten. Ein heftiger Schwin - del, mit einem nicht zu daͤmpfenden Huſten verbun - den, ergriff mich, und ſiehe da, ich mußte die Geſellſchaft verlaſſen und mich zu Bette legen. Ich hatte meine Natur zu ſehr beſtuͤrmt, und dieſe unterlag.

Schon am folgenden Tag war das Entzuͤn - dungsfieber da, und wuͤrde mich vielleicht wegge - rafft haben, woran freylich nicht viel gelegen haͤtte, wie eine gewiſſe Madam in Halle, an de -ren209ren Wegraffung aber auch gar nichts laͤge, wohl - weiſe angemerkt hat, wenn Hr. Phyſikus Philter nicht ſeine Kenntniſſe zu meiner Herſtellung ange - wendet haͤtte. Dieſer edle Mann, dem ich nur im ſtillen danken darf, verbindet mit großen me - diciniſchen Einſichten, den liebenswuͤrdigſten Cha - rakter und eine unermuͤdete Aufmerkſamkeit auf alles, was ſeines Amtes iſt. Dieſem vortrefflichen Arzt verdanke ich, daß ich noch exiſtire, und be - ſaͤße ich ſolche Guͤter, welche die menſchliche Exi - ſtenz zu einem wahren Gut machen koͤnnen, gerne theilte ich ſie mit ihm. Doch Hr. Phyſikus Phil - ter bedarf meines Geſchenks nicht.

Ich wuͤrde eher wieder auf dem Zeug geweſen ſeyn, wenn ich mich ſtreng nach der Vorſchrift meines einſichtigen Arztes gerichtet haͤtte. Was die Speiſen anbetrifft, welche er mir unterſagt hatte, ſo folgte ich zwar: denn ich gar nichts, da ich gar keine Eßluſt hatte, und einen unuͤber - windlichen Ekel vor allen Speiſen empfand. Aber Hr. Philter hatte mir den Schetter (Branntewein) und den Wein verboten. Schetter trank ich zwar nicht, aber doch taͤglich einige Glaͤſer Wein, wel - che mir Herr Fromm aus dem Keller des Juſtiz - commiſſars zuſtellte, und ſo verſchlimmerte ich ſtets meinen Zuſtand.

Laukh. Leben 5ter Theil. O210

Am Neujahrstage 1801 feyerten die Nordhaͤu - ſer*)Es giebt auch Dichter zu Nordhauſen, und einer derſelben machte ein Epigramm auf das alte und neue Jahrhundert, welches verdient, aufbewahrt zu werden.Du ſcheidend Jahrhundert ich danke dir, Daß du's liebe Leben gegeben mir: Du angehend Jahrhundert, wie koͤnnt dich ich preißen: Du wirſt ja dieß hoͤchſt Gut gewiß mir entreißen. das Feſt des angehenden Jahrhunderts, und ich ſtehe dafuͤr, daß von allen Einwohnern keine funfzig die heilige Nacht uͤber ins Bette gekommen ſind. Um zwoͤlf Uhr des Nachts wurden alle Glo - cken gelaͤutet, und die nordhaͤuſer Canonen auf dem Kirſchberg abgebrannt. Die uͤbrige Nacht wurde gejubelt und geſoffen, bis man endlich in die Kirchen ging, und Gott dankte, daß man im neuen Jahre noch eben ſo gut Schlund und Kehle habe, als im alten.

Die Honoratioren zu Nordhauſen hatten mehre - re große Diners veranſtaltet: unter andern war auch eins auf dem Grimmel veranſtaltet, bey welchem auch der Juſtizcommiſſarius engagirt war. Er und mehrere Herren bedauerten ſehr, daß ich an dieſer Feſtlichkeit nicht Theil nehmen konnte, ich war ſelbſt verdruͤßlich daruͤber, aber was wollte ich machen? Ich mußte zu Hauſe bleiben und das Bette huͤten. Herr Lange verließ mich, Herr Fromm konnte mir nicht Geſellſchaft leiſten, weil211 er bey der Feſtivitaͤt eine Quaſioberinſpection hatte. Hr. Bock der Schuſter, hatte die Nacht uͤber dem Glaſe ſo ſtark zugeſprochen, daß er nun da liegen, und den Rauſch ausſchlafen mußte: niemand blieb alſo bey mir, als das huͤbſche Weibchen des lez - tern, welche meiner recht treulich pflegte. Man denke ja an nichts Boͤſes ἀισχϱα πϱαττειν τοτ〈…〉〈…〉 ἀδυνατον.

Die Herren, welche auf dem Grimmel bey Hr. Credo verſammelt waren, dachten fleißig an mich, und ſchickten mir von jedem Gericht eine ſo derbe Portion, daß ein Scheundreſcher ſich an je - der bequem haͤtte ſaͤttigen koͤnnen. Ich konnte aber leider von allen dieſen Herrlichkeiten keinen Ge - brauch machen; denn es fehlte mir an Appetit, und doch verſuͤndigte ich mich an einem Gerichte, welches der Doctor mir verboten hatte, naͤmlich an einer Sagoſuppe mit Wein. Sie war herrlich zubereitet, und ſchmeckte mir auch ſo gut, daß ich wenigſtens zwoͤlf Suppenloͤffel voll davon . Den folgenden Tag war mein Zuſtand wieder ſchlimmer. Endlich ſiegte meine gute Natur durch Hn. Philter unterſtuͤtzt, uͤber die Krankheit, und den Tag vor Dreykoͤnig ging ich wieder aus, und beſuchte nicht nur gute Freunde, ſondern auch vor - zuͤglich die Schenken.

O 2212

Ein und zwanzigſtes Kapitel.

Magiſtratswahl. Schenken.

Der Stadtmagiſtrat zu Nordhauſen beſteht aus drey Abtheilungen, deren jede ihren Buͤrgermeiſter, Senatoren und Aſſeſſoren hat. Dieſe Abtheilun - gen wechſeln ſo ab, daß alle drey Jahre jede an die wirkliche Regierung kommt. Die Stellen ſind uͤbrigens immerwaͤhrend, und wenn ein Mitglied abgeht oder ſtirbt, ſo wird ein neues auf den Vor - ſchlag eines wirklichen Mitglieds aufgenommen. So einen Vorſchlag thun, heißt man bringen, z. B. der und der hat den und den Buͤrgermeiſter, Senator u. ſ. w. gebracht: aber bey der jetzigen Verfaſſung wird wohl das anomaliſche Bringen und das damit verbundne Geldſchneiden wegfallen, oder ſich vielleicht noch gar vermehren. Viele Nordhaͤuſer klagten uͤber das Bringen, und ver - ſicherten, mancher Eſel wuͤrde nicht im Senat ſitzen, wenn er nicht einen guten Bringer ge - habt haͤtte.

213

In Nordhauſen hat jeder Buͤrger, welcher zu einer Rathsfaͤhigen Gilde gehoͤrt, auch das Recht, eine Stelle im Rath zu hoffen, wenn er anders ſich nur ſtets ſo betragen hat, daß der hochweiſe Rath keine Schande von ihm befuͤrchten muß. Aber gar viele Familien kommen nie zu der Ehre, daß einer aus ihren Mitteln zum Regiment gelangt, weil es ihnen an Bringern fehlt. Daher ſind nur einige Familien im Beſitz der hoͤchſten Gewalt und deren Verwaltung, und dieſe Familien conſtituiren alſo den Patricierſtand oder den Adel zu Nordhau - ſen. Adel iſt alſo doch auch da, ob ſich gleich niemand von ſchreibt. Die Roͤmer ſchrieben ſich auch nicht von, und hatten doch einen ſehr derben Adel. Wahrſcheinlich aͤndern die jetzigen Umſtaͤn - de vieles in dieſer Hinſicht.

Ob aber gleich die Rathsglieder durch die Brin - gerey gewaͤhlt werden, ſo ſpielt man doch alle Jahre eine Komoͤdie, welche einer Wahl des gan - zen Magiſtrats aͤhnlich ſieht. Den Tag vor drey Koͤnigen verſammelt ſich der vollſtaͤndige Magi - ſtrat, das heißt alle drey Regimenter, auf dem Rath - hauſe, in ihren ſchwarzen Galakleidern, und ſehn einander an. Gegen Abend gehn ſie auseinander. In der Nacht verſammeln ſie ſich wieder, der Herr Paſtor Primarius haͤlt eine Rede, worin er das abgehende Regiment ermahnt, bey der Wahl des214 neuen Regiments welches ſchon laͤngſt durchs Bringen gewaͤhlt iſt die Regeln der Gerech - tigkeit zu beobachten, und ja alles zur Ehre Got - tes zu thun. Die Zeit uͤber, als dieſe Ceremonie dauert, wird Wein und Kuchen gegeben, und ge - gen Tag zieht der Magiſtrat, der neue naͤmlich, nach der Hauptkirche, wo die Buͤrgerſchaft ihm eine Quaſihuldigung leiſtet. Daß die ganze Buͤr - gerſchaft dieſe Zeit uͤber luſtig im Sauß und Brauß lebe, laͤßt ſich denken: aber auch der hoch - edle Magiſtrat lebt hoch auf, und jedes Mitglied erhaͤlt aus dem Stadtkeller eine Portion Wein, und dann ein gewiſſes Weißbrodt, welches zu die - ſem Behuf beſonders gebacken wird, und den Na - men Herrenbrodt fuͤhret. Ich habe ſelbſt von die - ſem ſchoͤnen Brodt gegeſſen. Ehemals, ſo ſagte man mir, blieben alle drey Regimenter die Nacht zwiſchen den vigiliis Epiphaniae und dem Dreykoͤ - nigstag beyſammen, und zechten, konnten aber hernach, wenn die Quaſiwahl vor ſich gehen ſollte, nicht mehr ſtehen. Ein patriotiſcher Buͤrgermei - ſter machte, um dieſer Unordnung abzuhelfen, die Verordnung, daß in Zukunft jedem ſein Quantum ins Haus ſollte geſchickt werden: daher dann jener Wein, und jenes Brodt fuͤr die Senatoren. Die Buͤrgermeiſter erhalten doppelte Portionen, und das iſt auch ſehr billig!

215

Die Nordhaͤuſer, beſonders die von der hoͤhern und reichern Claſſe, ſind große Liebhaber von Ver - gnuͤgungen, ob ich gleich mit Recht behaupten kann, daß ſie ihre Arbeiten und Beſchaͤftigungen nie den Vergnuͤgungen und Ausſchweifungen auf - opfern, wie z. B. viele Hallenſer, Goͤttinger, Je - nenſer, Gießer u. d. gl. In Halle z. B. trift man ſtets in allen Kneipen fruͤh und Abends, und auf allen Doͤrfern um die Stadt Buͤrger an, und wenn zu Lauchſtaͤdt die fuͤr Halle ſo ſchaͤdliche Co - moͤdie im Gange iſt, ſo ſtroͤmen die Philiſter eben ſo unſinnig dahin, wie die Studenten, und ſi diis placet, wohl noch unſinniger. Ob zu Hauſe Ar - beit verſaͤumt wird, darnach fragt der Philiſter ſo wenig, als der Herr Student, ob er einige Colle - gien worin er doch ohnehin wenig lernt ſchwaͤnzt, oder nicht. In allen Staͤdten, wo Uni - verſitaͤten ſind, welche den Ton gewiſſer Maaßen angeben, habe ich dieſes Unweſen bemerkt.

Aber ſo iſts nicht zu Nordhauſen: die daſigen Buͤrger lieben auch ihr Vergnuͤgen, aber erſt dann, wenn ſie ihre Arbeit gethan haben, und richten ſich ſo ein, daß ſie gegen Abend zuſammen kommen koͤnnen. Die vornehmſten Verſammlungsoͤrter ſind auſſerhalb der Stadt, und heißen der Grim - mel, das Schießhaus, der Lorbeerbaum, der Kirſchberg und der Hammelr. Lezterer216 Ort wird doch nur ſelten beſucht, aber erſterer deſto mehr. An allen dieſen Oertern ſind ſchoͤne Zimmer, ſchoͤne Gaͤrten, gute Aufwartung ohne Prellerey, und was das beſte iſt, ſtets artige Geſellſchaft, und munteres, nicht aber zotologiſches Geſpraͤch. Frau - enzimmer ſind von ſolchen Gelagen durchaus aus - geſchloßen; dieſe haben andere Zuſammenkuͤnfte. Sonntags und Montags aber werden die gedachten Oerter von keinem Buͤrger von Diſtinction beſucht, weil an dieſen Tagen Creti und Plethi, das iſt Gno - ten u. d. g. mit ihren Schaͤtzchen daſelbſt ihr We - ſen haben, und ſich bey Muſik und Tanz luſtig machen.

In Halle ſchaͤmt ſich ſchon Hr. A der Kraͤmer, H. B der Buchhaͤndler, Hr. C der Baumeiſter, Hr. D der Antiquar, Hr. E der Profeſſor, Hr. F der Advocat, H. G der Schulhalter, Hr. H der Goldſchmied und andre Herren, oͤffentliche Oerter des Vergnuͤgens zu beſuchen, nicht deßwegen, weil ſie ſparſam waͤren, und nicht auch gerne mitmach - ten, ſondern bloß deßwegen, weil ſie ſich fuͤr vor - nehmer und beſſer halten, als alle andere Men - ſchen, die nicht auch Kraͤmer, Buchhaͤndler, Bau - meiſter, Antiquare u. ſ. w. ſind. So iſts nicht in Nordhauſen, und ich glaube, es iſt ſchon ſehr recht, daß es nicht ſo iſt. Ich habe in Schenken z. B. auf dem Grimmel Senatoren, Paſtoren, Buͤrger217 mit Titeln und andere gefunden, die ſich kein Be - denken machten, bey einem Glas Breyhan, und einer Pfeiffe Tabak einige Stunden zu verſchwaͤtzen, ſelbſt der nur ſeit kurzem verſtorbene Rector der la - teiniſchen Schule, Herr Pappe, glaubte nicht, daß es ſeinem Monarchismus zuwider ſey, eine ſolche Geſellſchaft zu beſuchen.

Indeßen muß ich anmerken, daß alle Arten von niedrigem Poͤbel aus dieſen Cirkeln verbannt ſind. Da uͤberhaupt keine Frauenzimmer dahin kommen, ſo kommt auch mancher Troß nicht hin, welche Da - men immer mitzuſchleppen pflegen, z. B. ihre Maͤdchen und mit dieſen einen Herrn Soldaten, Schuhputzer, Taugenichts u. ſ. w.: manche Faͤnt - chen, welche nur nach den Frauen und Jungfrauen laufen, bleiben auch weg, und ſuchen wo ſonſt ihr Unterkommen. Geſpielt wird auch nicht, und ſo ziehen die Karten und Wuͤrfel niemand dahin.

Der Trunk iſt in Nordhauſen ſehr gut. Den Schnapps, welcher hier gebrauet wird, kennt man weit und breit. Bier, braunes naͤmlich, wird faſt gar nicht getrunken, ob es gleich ſehr gut iſt, und nahrhaft, deſto mehr trinkt man aber die Goſe und den Breyhan. Wein hat jeder bemittelte Buͤrger im Keller, und manche mehrere Sorten.

Die Wirthshaͤuſer oder Gaſthoͤfe in der Stadt ſind nur fuͤr Fremde, und werden von Einheimi -218 ſchen ſelten oder gar nicht beſucht, ja man wollte gar von Magiſtrats wegen den Wirthen in der Stadt, wahrſcheinlich auf Betrieb derer auſſerhalb der Stadt, das Recht ſtreitig machen, Leuten aus der Stadt zu eſſen und zu trinken zu geben.

Einige Sonderbarkeiten habe ich bemerkt, die mir damals auffielen, als ich ſie zum erſtenmal ſahe. Einer meiner Freunde nahm mich eines Tages mit ins Concert, wohin auch fuͤr uns eine derbe Butelle Breyhan gebracht wurde. Als wir uns geſetzt hatten, ermahnte mich mein Beglei - ter, meine Pfeiffe anzuzuͤnden. Ich lachte, und ſag - te, daß es doch nicht erlaubt ſey, an einem oͤffentli - chen Orte Tabak zu rauchen, wo ſo viele Schoͤ - nen gegenwaͤrtig waͤren. Was, erwiederte mein Freund, kuͤmmern uns die Frauenzimmer? Unſre Weiber ſind des Qualmens ſchon gewohnt, und unſre Maͤdchen? die ſind froh, wenn ſie Maͤnner kriegen, die Tabak rauchen. Ich fand das Argu - ment meines Freundes ſehr richtig, und ſteckte mei - ne Pfeiffe an, ſo wie es alle Mannsperſonen tha - ten, welche gegenwaͤrtig waren. Eben ſo raucht man auch auf Baͤllen und in andern Geſellſchaften, wo Weiber hingehen.

119[219]

Zwey und zwanzigſtes Kapitel.

Frauenzimmer, und andere Merkwuͤrdigkeiten von Nordhauſen. Mein Abzug von dannen.

Herr Fabri hat eine Abbildung von einer Nord - haͤuſer Buͤrgersfrau ſtechen und illuminiren laßen, wie vielleicht die Buͤrgerinnen daſelbſt vor hundert Jahren gegangen ſind: denn ich ſahe ſolche Tracht nicht. Die Buͤrgerinn des Hn. Fabri traͤgt einen langen blauen Tuchmantel mit einer goldnen Treſſe um den Kragen, und einen Huth, welcher dem Schabesdeckel der Juden ſo aͤhnlich ſieht, wie ein Ey dem andern. Ich fand keine Weiber in Tuch - maͤnteln und noch weniger mit Schabesdeckeln: alle gingen gekleidet, wie an andern Orten auch. Un - ter den Buͤrgermaͤdchen giebt es ſehr huͤbſche niedli - che Geſichtchen, und unter den Honoratioren habe ich auf einem Balle, dem ich beywohnte, ganz vor - zuͤgliche Schoͤnheiten beobachtet. Die Nordhaͤu - ſerinnen ſind um ſo mehr liebenswuͤrdig, da ſie gar nichts von dem ſteifen laͤppiſchen, praͤtenſionsvollen, groben und impertinenten Weſen an ſich haben,220 welches alibi das ſchoͤne Geſchlecht ſo ſehr uͤbel re - commandirt, ob gleich die Damen wunder glauben, wie huͤbſch ihnen die hohe Naſe und die futile Im - pertinenz anſtehe. Indeßen wißen die Nordhaͤuſer Schoͤnen recht gut, was ſie ſich und ihrer Wuͤrde ſchuldig ſind, und daher herrſcht unter ihnen wahre Sittſamkeit, und kein Wort wird aus ihrem Munde gehoͤrt, woraus man auf verderbte Sitten, oder auf Luͤſternheit ſchließen koͤnnte. Unter dem Poͤbel giebts freylich weggeworfne Menſcher, und wer des Nachts ausgeht, um ſolche Moͤbel auf der Straße aufzuſuchen, geht nicht vergebens. Aber das iſt ja aller Orten ſo.

Reiſende, welche dahin kommen, werden ge - wiß wieder zufrieden abgehen, wenn ſie ſich um die Bekanntſchaft einiger braven Maͤnner bemuͤhen wol - len: denn durch einen und den andern lernen ſie gewiß alles Sehenswerthe der Stadt kennen und wer - den in die beſten Familien eingefuͤhrt. Sehens - wuͤrdig ſind aber die ſehr gut eingerichteten Hoſpitaͤ - ler, welche ein gewißer Flugapoſtel durch Deutſch - land ſo ſchief beſchrieben hat, die Kunſt, wodurch das Flußwaſſer der ganzen Stadt mitgetheilt wird, und andere Dinge, welche ſich beſſer ſehen, als beſchreiben laßen. Der große Roland von Nord - hauſen,〈…〉〈…〉 lcher daſelbſt am Rathhauſe ſteht, und ein allmaͤchtiges Rachſchwert in der Hand fuͤhrt,221 iſt ſchon mehrmals der Gegenſtand des Romanen - ſchreiberwitzes geweſen. Man wird den großen Ro - land herunterwerfen, wenn Nordhauſen Preußiſch wird, ſagte neulich ein ſeynwollender Publiciſt zu mir. Man wird ihn ſtehen laßen, erwiederte ich; der große Roland iſt von Stein, und niemand fuͤrchtet ihn: ob man aber die Privilegien der Nord - haͤuſer auf immer unangetaſtet laßen wird, iſt eine andre Frage.

Als ich voͤllig hergeſtellt war, und mir alles wieder recht gut ſchmeckte, was ich und trank, reiſte ich von Nordhauſen ab, nachdem ich ohnge - faͤhr fuͤnf Wochen daſelbſt zugebracht hatte. Ewig werde ich mich mit Vergnuͤgen und Dankbarkeit an die Anfnahme und Behandlung erinnern, welche mir in dieſer guten Stadt wiederfahren iſt. Lange, Neuenhan, Ramsdahl, Seydler, Philter, Rothe, Heiker und viele andre ſind meinem Herzen ewig theure Namen. Ich hoffe, in dieſem Buche von Nordhauſen nichts Unrechtes geſchrieben zu haben, wenigſtens wollte ichs nicht thun, und konnte auch nicht, da mir nichts bekannt worden iſt, was der guten Stadt zum Nachtheil gereicht. Fehler und Maͤngel giebts aller Orten, aber in Nordhauſen fin - det man doch davon verhaͤltnißmaͤßig weniger, als ſonſtwo.

222

Moͤchte doch die gute Stadt unter Preußiſcher Hoheit ſo gluͤcklich, und noch gluͤcklicher ſeyn, als ſie es, bey ihrer republicaniſchen Verfaßung war! Und warum ſollte ſie es nicht? Sind nicht andre Staͤdte, welche Preußens Scepter unterworfen ſind, im bluͤhendſten Zuſtand? Und wenn hier und da eine Stadt in ſchlechten Umſtaͤnden iſt, ſo liegt es nicht ſowohl an der Regierung, als vielmehr an andern Umſtaͤnden z. B. an der Liederlichkeit der Buͤrger ſelbſt.

Ich war noch matt, als ich zuruͤckging, und kam den erſten Tag nicht weiter als nach Rosla, wo ein Graf von Stollberg wohnt. Im Wirths - hauß, wo ich uͤbernachtete, fand ich einen Preußi - ſchen Soldaten, welcher ins Weimarſche auf Ur - laub ging. Der Menſch gefiel mir, und ich rede - te viel mit ihm. Nicht lange hernach kam auch ein Kaſtenkraͤmer, der gleich ein Spiel vorſchlug, um die Zeit zu vertreiben. Ich entſchuldigte mich, und verſicherte, wie's denn auch wahr iſt, daß ich nie ſpielte. Nun machte ſich der Kaſtentraͤger an den Soldaten, welcher ſich eben einen großen Tha - ler hatte wechſeln laßen. Der Soldat wollte an - faͤnglich nicht anbeißen, doch gab er endlich nach, und das Spiel begann. Es war das verderbliche infame Grobhaus, welches die Franzoſen Lans -223 quenet nennen, und wie der Name Lansquenet*)Von Lanzknecht oder Landsknecht, d. i. Soldat. anzeigt, ein altes deutſches Soldatenſpiel iſt. Gar viele Spiele ſind von Soldaten erfunden wor - den, z. B. das Piket, das l'Homber. Der Soldat verlohr einige Thaler, war aber immer gleichguͤltig. Ich warnte ihn draußen vor dem Kaſtenkraͤmer, und rieth ihm aufzuhoͤren, aber er laͤchelte, und ſagte: laßen ſie mich nur; der Kerl ſoll ſchon ſeinen Mann finden. Ich legte mich ſchlafen, und fand fruͤh Morgens den Kaſtenmann nicht mehr, aber wohl den Soldaten, welcher mir vierzehn blanke Kronenthaler wieß, die er dem Bur - ſchen abgenommen hatte. O, ſagte er, lieber Herr, ich kann mogeln, wie der Teufel, das hab ich bey den Preußen gelernt. Alſo Mogeln, dachte ich, iſt eine Kunſt, die man bey den Preußen leicht lernen kann!! Die Gegend von Nordhauſen bis Sanger - hauſen iſt himmliſch: man heißt ſie die guͤldne Aue, und ſie verdient dieſen Namen auch vollkommen: auf der Seite ragt der hohe Kipphaͤuſer hervor, von welchem der Poͤbel gar viel zu erzaͤhlen weiß. In dieſem Berg iſt naͤmlich der Sage nach eine be - zauberte Hoͤhle, worin Kayſer Friedrich der Erſte, oder der Rothbart mit ſeinem Hofſtaat an einer ſtei - nernen Tafel ſitzt, und nicht eher erloͤſt werden224 kann, bis ſein Bart neun Mal wird um die Ta - fel gewachſen ſeyn: ſchon vor hundert Jahren um - gaben die rothen Haare von Friedrichs Bart ſechs Mal die myſterioͤſe Tafel, alſo wird wohl Frie - drich bald frey werden. Die Fabel ſchreibt ſich ohne Zweifel daher, daß damals, als Friedrich im Ori - ent umkam, lange Zeit niemand in Deutſchland wußte, wo er hingekommen war.

Die ganze Straße von Nordhanſen bis nach Sangerhauſen war damals mit Saͤchſiſchen Dra - gonern beſetzt, welche verhindern ſollten, daß kein Getreide aus dem Saͤchſiſchen nach Nordhauſen verfuͤhrt wurde. Sachſen war geſperrt, aber die Herren Drogoner ließen mit ſich handeln, und ſo wurde gewaltig viel Roggen, Weitzen, Gerſte und Hafer durchgefahren. Die Kerle lebten einen gu - ten Tag in fraudem legis.

In Sangerhauſen ſprach ich bey Hr. Kayſer dem Kaufmann ein, welcher recht guten Wein hat, und zog dann weiter: aber ſchon zwey Stunden von dieſer Stadt mußte ich wieder Halt machen, weil es regnete. Ich legte mich um neun Uhr auf die Streue, aber ſchon um elf kamen Gaͤſte, welche auf dem naͤchſten Dorf Gevatter geſtanden, und nun ein Scandal machten, daß ich unmoͤglich ſchlafen konnte. Was war zu thun? Ich ſtand auf, und nahm an der Geſellſchaft Antheil, welchebis225bis Tag beyſammen blieb, und ſich die Zeit mit Koffee - und Schnappstrinken und Zotenreißen ver - trieb. Hier konnte ein Sammler zotologiſcher Anekdoten ſeinen Vorrath um ein ſtarkes vermehren.

Weiter begegnete mir auf dieſer Reiſe nichts Sonderbares: doch lernte ich noch die wahre Ur - ſache kennen, warum die Weidenbaͤume, wenn ſie aͤlter werden, pflegen aufzuplatzen, und dieſe muß ich meinen Leſern mittheilen. Zwiſchen Scherben und Paſſendorf kam ein huͤbſcher Menſch zu mir, welcher aus dem Mansfeldiſchen gebuͤrtig war. Wir ſprachen von allerhand, endlich kamen wir an eine Reihe Weidenbaͤume. Sieh an, ſagte ich, die Baͤume ſind auch alle geborſten.

Er. Ja, wiſſen Sie aber auch warum?

Ich. O ja! Die Baͤume werden oft ihres Oberholzes beraubt: da muß alſo der Saft im Stamm bleiben, und macht, daß dieſer aufſpringt.

Er. Larifari, das iſt nicht wahr; ich weiß es wohl beſſer.

Ich. Nun, und

Er. Kennen Sie Judas, den Verraͤther?

Ich. Nein, den kenne ich nicht, aber gehoͤrt habe ich von ihm. Wie kommt aber Judas, der Verraͤther, und die Weidenbaͤume zuſammen?

Er. O, ſehr ſtark.

Laukh. Leben 5ter Theil. P226

Ich. Das verſtehe ich nicht, und bin begierig, es zu vernehmen.

Er. Ja, ſehen Sie, Judas hat ſich an ei - nen Baum gehenkt, nachdem es ihm leid gewor - den war, daß er den Herrn verrathen hatte. Der Baum, woran ſich der Schuft aufhenkte, war ein Weidenbaum.

Ich. Je nun, wenn es auch ein Weidenbaum war, ſo wars doch gewiß keiner von dieſen da.

Er. Nein, das wars nicht: aber es war doch ein Weidenbaum, und nun muͤßen alle Weiden - baͤume dafuͤr buͤßen: Gott hat ſie alle verflucht, daß ſie muͤßen aufberſten, wie Judas, der Verraͤ - ther, aufgeborſten iſt. Hab ich nicht Recht, Herr?

Gegen ein ſolches Argument hatte ich nun frey - lich nichts einzuwenden, aber aus dem angefuͤhrten Geſpraͤch erhellet doch, wie ſtark die Macht des Aberglaubens noch iſt, und wie kraß und finſter die Begriffe der Leute vom lieben Gott ſeyn muͤßen, welcher alle Weidenbaͤume verfluchen kann, weil Judas, der Schuft, ſich an einen Weidenbaum gehenkt hat. Unſre heiligen Buͤcher ſelbſt ſcheinen dieſen ſeltſamen, der goͤttlichen Gerechtigkeit ſo nach - theiligen Fratzenglauben, zu unterſtuͤtzen. Denn da lieſt ja der Poͤbel auch, daß Jeſus einen Feigen - baum ve〈…〉〈…〉 flucht habe, weil er zu einer Zeit, da er keine Feigen haben konnte, auch wirklich keine hatte. 227Der arme Feigenbaum am Wege mußte verdorren, und hatte doch nichts verbrochen.

Drey und zwanzigſtes Kapitel.

Meiſter Schaͤfer der Schuſter zu Halle.

Ich hatte im Sommer 1799 in einem Hauſe ge - wohnt, welches die Kutſche heißt, und war von da im Herbſt zu einem Schuhmacher gezogen, wel - cher Schaͤfer hieß, unter den hieſigen Buͤrgern aber mehr unter dem Namen des Hn. Unteroffi - ziers, als unter ſeinem eignen bekannt war. Schaͤ - fer hatte naͤmlich bey einer gewiſſen Gelegenheit ſich geruͤhmt, er ſey Unteroffizier bey der Stadt, und habe das Recht, einen Degen zu tragen mit ei - nem Portdepe. Die Hallenſer ſind aber komiſche Leute, welche nichts weniger vertragen koͤnnen, als dummen Bauernſtolz, und jeden ſarkaſtiſch verfolgen, der ſich ſo was zu Schulden kommen laͤßt: Schaͤfer hieß daher der Herr Unteroffizier, ſo wie ein anderer Jemand der Leutnant genannt wurde, weil er zu ſeiner Frau beym Abſchied insP 2228Feld geſagt hatte: als Corporal gehe ich weg, als Leutnant komme ich wieder.

Ich kann nicht eigentlich ſagen, was mich be - wog, zu dem Schuſter Schaͤfer zu ziehen: meine Frau war auch hier an meiner Mißlage vorzuͤglich Schuld, dieſe miethete das Zimmer, und that ſo froh, als ſie auf dem Katzenplan ſo heißt das Plaͤtzchen, worauf Schaͤfer ſein Haus hatte wohnen konnte, als logierte ſie im Luſtgarten des Paradieſes.

Indeſſen waͤhrte die Freude nicht lange: meine Frau kam bald in die Wochen, und der fuͤrchterlich kalte Winter, welcher erfolgte, machte, daß wir in der ſehr uͤbel verwahrten Stube mehr Feuerwerk brauchten, als zur Heitzung von zwey andern Zim - mern noͤthig geweſen waͤre. Meine Frau ſprach deßwegen mit dem Wirth; dieſer verſprach den Ofen machen zu laßen: denn hieran mußte die Schuld lie - gen, daß die Stube ſich ſo ſchwer heitzen ließ; aber ſtatt den Ofen zu verbeſſern, nahm er die ei - ſerne Platten heraus, und ſetzte Ziegeln dafuͤr ein: die Platten verkaufte er, wie er dann hernach vor ſeinem loͤblichen Abſchied von Halle ſogar die Oefen verkauft hat. Auſſerdem trillte uns Schaͤfer unaufhoͤrlich um Geld, daran aber hatte er noch nicht genug: er trug mich noch obendrein in allen Knei - pen herum, und gab bald da bald dort vor, ich229 ſey ihm, wer weiß wie viel ſchuldig, zwanzig, dreyßig Thaler, und noch druͤber: wer mich kannte, und den Herrn Stadt-Stabs-Unteroffizier Schaͤ - fer, der wußte freylich, daß dieß gelogen war: denn Schaͤfer konnte mir keine dreyßig Thaler bor - gen, ſo viel hatte er noch niemand borgen koͤnnen.

Mein Gevatter Engelmann von Schochwitz be - ſuchte mich oͤfters, und da Freund Schaͤferus merk - te, daß der Mann Geld hatte, lag er ihm an, wenigſtens ihm drey Louisdor zu borgen, welche er binnen vier Wochen wieder zu geben verſprach. Engelmann traute dem Menſchen, weil er aber kein Geld bey ſich hatte, verſprach er es ihm zu ſchicken, Freund Schaͤfer aber, welcher befuͤrchtete, Engel - mann moͤgte auf andre Gedanken kommen, und ihm den Credit verſagen, nahm ein Pferd, und begleitete den ehrlichen Engelmann nach Schoch - witz, wo er das Geld empfing, und dann eine Luſt - reiſe ins Mansfeldiſche machte, von welcher er nicht eher zuruͤckkam, als bis das Geld alle war. Engelmann hat noch keinen Kreuzer von ſeinem Geld wieder geſehn, und wird, ſi diis placet, auch keinen wieder ſehen.

Einen andern ehrlichen Mann wollte Schaͤfer auch anprellen, aber ich verhinderte es. Dieſer war Hr. Lederhaͤndler Zappe von Magdeburg, mit wel - chem ich hier in Halle Bekanntſchaft und Freundſchaft230 gemacht hatte. Hr. Zappe und ich ſaßen bey ein - ander auf dem Weinkeller, und waren vergnuͤgt, als Schaͤfer ſich ſo nach ſeiner dummdreiſten Art bey uns eindrang, und an unſerm Wein Theil nahm, welchen Hr. Zappe auch gerne hergab, da er hoͤrte, der Zudringliche ſey mein Hauswirth. Dieſer, wel - cher bloß gekommen zu ſchmarntzen, hoͤrte nun, Hr. Zappe ſey ein Lederhaͤndler, und machte ſeine Sachen ſo gut, daß Zappe ihm fuͤr hundert Thaler Leder zu ſchicken verſprach, welche Schaͤfer auf die Oſtermeſſe bezahlen ſollte. Sie machten ſogar eine Art von ſchriftlichem Contract. Den folgenden Tag ſprach ich Hn. Zappe auf dem Loͤwen; er frag - te mich nach dem Credit des Großſprechers; als ich ihm aber die wahren Umſtaͤnde deſſelben entdeck - te, dankte er mir und war froh, daß er ſein Leder noch hatte. Haͤtte er es geſchickt, ſo war er geprellt, wie ſo mancher andere.

Mit allen Leuten im Hauſe zankte ſich Mosjeh Schaͤfer alle Tage, und beſonders heftig, wenn er kein Geld hatte, welches dann ſehr oft der Fall war. Er haßte nichts ſo ſehr, als die Arbeit; fruͤh, wenn er aufſtand fruͤh hieß aber bey Schaͤfer ſo viel als um neun oder zehn Uhr zog er ſich ſchnell an, und eilte in eine Kneipe, um da ſein Fruͤhſtuͤck einzunehmen: nach Tiſche, das heißt nach der Zeit, wo ordentliche Leute zu eſſen pflegen,231 ſtieg oder, wenn er Geld hatte, ritt er zu Dorfe. Stichelsdorf war ſein Lieblingsort, theils weil es da herrlichen Breyhan giebt, theils aber auch, weil er daſelbſt einen Freund, den Hn. Amtsver - walter Bertram hatte, welchen er auch weidlich geſchnellt hat. Der gutmuͤthige Mann dachte, ſein Gevatter Schaͤfer wuͤrde ihn nicht anfuͤhren, und borgte ihm zu ſeinem Schaden. Von Sti - chelsdorf kehrte er gegen Abend nach Halle zuruͤck, pflanzte ſeinen Leichnam auf den Rathskeller, auf die Mail, oder auf die Loge, und hielt daſelbſt aus bis auf den lezten Mann.

So gings einen Tag und alle Tage: wie ſeine Wirthſchaft bey dieſer Lebensart gefahren ſey, kann man leicht denken. Er hielt zwar Geſellen, aber die verließen ihn bald, ſo auch die Lehrburſche, welche bey ſo einem Meiſter nichts lernen konnten; mit der Frau lebte er wie Hunde und Katzen mit einander zu leben pflegen: dabey war er ein großer Verfechter der Innungsprivilegien, ein Erzfeind alles Herkommens, und wollte alles bloß durch Ge - ſetze entſchieden wiſſen. Eben daher zankte er ſich unaufhoͤrlich mit den andern Meiſtern, welche ihn aber nur auslachten, und ſchreien ließen.

Da er unendlich viel uͤbelverſtandnen Stolz beſaß, ſo war ihm nichts empfindlicher, als wenn er wegen Schulden gemahnt wurde, am alleraͤrg -232 ſten aber tobte und ſchalt er, als ihm von Ma - giſtrats wegen einige Neppe zur Auspfaͤndung ins Haus geſchickt wurden. Nie habe ich einen Men - ſchen geſehen, der ſich komiſcher betragen haͤtte, als ſich unſer Hr. Unteroffizier damals betrug. Da wollte er alles zum Hauſe hinaus werfen: aber ein derber Soldat, welcher zu einer hinten im Ho - fe wohnenden Frau gehen wollte, und welchem der Schuſter Grobheiten ſagte, griff ihn bey der Gur - gel, und transportirte ihn ſehr unſanft ſelbſt zur Hausthuͤre hinaus.

So zaͤnkiſch aber ſonſt auch Schaͤfer, und ſo impertinent grob er gegen jederman war, der ihm in den Weg kam, kann ich doch nicht ſagen, daß er mit mir gezankt, oder mir Grobheiten geſagt habe, bis ohngefaͤhr einige Wochen vor meinem Abzug aus ſeinem Hauſe, und auch damals war er gegen mich nicht eigentlich grob.

Meinen Leſern muß dieß billig auffallen, und ſie werden mir es ohne Zweifel uͤbel nehmen, daß ich den Ehrenmann hier ſo unvortheilhaft beſchreibe, zumal da er nicht in Halle iſt, und ſich nicht ver - theidigen kann: ſie finden in der Schilderung des militaͤriſchen Schuſters vielleicht eine gewiße de - mangeaiſon de médiſe, die keinem Menſchen wohl anſteht, und die ich mir bey allen meinen uͤbrigen Fehlern, doch nicht gerne moͤgte vorruͤcken laßen. 233Aber das folgende Kapitel ſoll und wird mich gewiß entſchuldigen. Ich weiß es recht gut das goldne Spruͤchlein de mortuis et abſentibus non niſi bene, aber obgleich der Schuſter Schaͤfer jetzt abweſend iſt, ſo darf ich ihn nicht allein doch beſchreiben, ſondern ich glaube auch, daß es meine Pflicht iſt, einen Menſchen oͤffentlich bekannt zu machen, der ſich an mir ſo wie Schaͤfer verſuͤndigt hat.

Vier und zwanzigſtes Kapitel.

Huͤbſche Raritaͤten.

Ich habe immer von der Enthaltſamkeit und von der Keuſchheit der Frauenzimmer ſo meine ganz eig - ne Gedanken gehabt, und niemals die Vorzuͤge einer Frau oder eines Maͤdchens bloß allein in der Jungferſchaft oder in der ehelichen Treue geſucht. Es mag uͤbrigens eine ganz huͤbſche Sache ſeyn, wenn man ein lediges Maͤdchen als Jungfer zur Gattin erhaͤlt, oder wenn eine Ehefrau ſichs nie nach fremder Koſt geluͤſten laͤßt. Aber nur wenige ſind ſo gluͤcklich, dieſes Loos zu treffen, wie die leidige Erfahrung zeigt und beweiſet.

234
Tarpejum limen adora
Bonus et auratam Junoni caede juvencam,
Si tibi contigerit capitis matrona pudici!
Paucae adeo Cereris vittas contingere dignae
Quarum non timeat pater oſcula

ſagt Juvenalis*)Sat. VI. v. 49. vielleicht etwas ſtark, aber ſehr wahr fuͤr ſeine Zeit, und fuͤr die unſrige nicht ganz falſch wenigſtens. Da nun die Hoͤrnertraͤgerey ſo ein gemeines, ja gar allgemeines Uebel iſt, ſo darf man beynahe behaupten, es ſey ein nothwendiges Uebel, und daher iſt es recht, und billig, daß man es mit Gedult ertrage, und ſo viel als moͤglich iſt, zu lindern und zu beſſern ſuche, wenn es eintritt. Die Franzoſen haben daher ganz Recht, daß ſie wenig eiferſuͤchtig ſind, und es von jeher auch we - nig waren: Die ſonſt ſo eiferſuͤchtigen Italiener und Spanier ſind zu unſern Zeiten ſehr nachſichtig, und in Italien hat jede Dame einen Cicisbeo, ſo wie in Spanien jede einen Corteja hat: geringere Frauenzimmer haben hier ihre amigos und in Ita - lien ihre vicini. Das iſt ſchon recht ſo: die Leute ſind tolerant geworden, und haben eingeſehen, daß unter allen Bocksſtreichen keine naͤrriſcher heraus - kommen, als die, welche ein Eiferſuͤchtiger ge - woͤhnlich macht.

235

Ich denke, wenn die Frau das Scandal nicht gar zu arg macht, und ihren Mann nicht abſicht - lich zu beſchimpfen und zu kraͤnken ſucht, hat die - ſer keine Urſache, mit ihr zu brechen. Manche machen es freylich zu arg, und ſolche verdienen fortgejagt zu werden, aber grade ſolche Creaturen pflegen recht nachſichtige Maͤnner zu haben. Doch dieſe Kerle ſuchen ihren eigenen Nutzen zu befoͤr - dern, indem ſie die Schleichgaͤnge der Frau Ge - mahlin nicht verhindern. Ich habe die Ehre, eine gewiße Madam zu kennen, welche mehr als einen angeſehenen Mann in ihr Netz gezogen, und mehr als eine Familie in große Unordnung gebracht hat. Ihre Liebhaber waren bloß Ehemaͤnner: denn von ſolchen konnte die Kokette mehr ziehen, als von Unverheiratheten, aber es waren auch durchaus Schafskoͤpfe, welche ſich prellen ließen nach No - ten; insbeſondere wird geſagt, daß ſich ein gewiſ - ſer Herr Schwarzrock, vulgo Pfaff, habe von der Liſtigen ganz artig haͤnſeln laßen, aber obgleich dieſer Pfaffe fuͤnf oder ſechs hundert Thaler fuͤr das Vergnuͤgen von einer halben Viertelſtunde hingeben mußte, hat ihn doch jederman ausgelacht, und niemand bedauert, und das mit Recht: denn nichts iſt abſcheulicher als ein heuchleriſcher Pfaffe. *) Hunc ego fatis Imputo, qui vultu morbum inceſſuque ſatetur,Der236 Ehemann der Madam, von welcher ich rede, wuß - te um ihre ganze Wirthſchaft, da Madame alles ſo frey oͤffentlich trieb, daß die ganze Stadt daruͤber ſkallirte, und daß in allen Kneipen, wohin Herr Gerber, der Ehemann, kam, ſo deutlich daruͤber raͤ - ſonnirt wurde, daß er haͤtte muͤſſen von Holz ſeyn, wenn ers nicht haͤtte verſtehn wollen. Aber Herr Gerber hatte dazu keine Ohren: er ließ ſeine liebe Jule machen, was ſie wollte, und lebte einen guten Tag. Geſchaͤfte hatte Hr. Gerber nie geliebt, und da das von Madam verdiente Geld ihn der Muͤhe uͤberhob, ſelbſt Geld zu verdienen, ſo freute er ſich ſeiner Hahnreyſchaft, die ihm ſo viele Vortheile brach -*)Horum ſimplicitas miſerabilis, his ſuros ipſe Dat veniam; ſed pejores qui talia verbis Herculis invadunt, et de virtute locuti Clunem agitant. Ego te caventem, Sexte vereber? Infamis Varillus alt: quo deterior te? Loripedem rectus derideat, Aethiopem albus: Quis tulerit Gracchos de ſeditione querentes. Quis coelum terris non miſceat, et mare coelo, Si ſur diſpliceat Verri, homicida Miloni, Clodius accuſet Moechos, Catilina Cethegum? In tabulam Sullae ſi dicant diſcipuli tres? Qualis erat tragico nuper pollutus adulter Concubitur, qui tunc leges revocabat amaras Omnibus atque ipſis Veneri Martique timendus, Cum tot abortivis foecundam Julia vulvam Solveret, et patruo ſimileis effunderet offas. Juvenalis Sat. II. 237 te. Aber Julchens Reize nahmen nach gerade auch ab, und verſchwanden, und mit ihnen verſchwan - den auch die Liebhaber. Einige waren von ihr zu Grunde gerichtet worden, und die darbenden Fami - lien fluchten der Koketten, andre hatten die Ver - fuͤhrerin naͤher kennen lernen, und verachteten ſie: neue Liebhaber, welche im Stande geweſen waͤren, Geld zu geben, und die ausſchweifenden Beduͤrf - niſſe der Madame zu befriedigen, kamen nicht; aber Madame mußte durchaus bedient ſeyn, und ſchaffte, welche freylich nicht klotzten, weil ſie nicht konnten, welchen aber Madame klotzen mußte. Madame war gewohnt, ſtets auf hohen Fuß zu leben, und ein Haus zu machen: ſo lange ihre Anbeter noch huͤbſch reich waren, ging das Ding gut, aber als ſie anfing nichts mehr einzunehmen fuͤr ihre Gunſtbezeugungen, mußte Madame aus eignen Mitteln die ſchweren Ausgaben beſtreiten, welche das Hausmachen zu koſten pflegt. Dar - uͤber gerieth ſie in Schulden, und ihres Mannes Credit in gewaltige Unordnung. Nun erſt fiel es Herrn Gerbern ein, daß ſeine Frau ihm untreu ge - weſen war, und er ließ ſich ſcheiden, da ſie nichts mehr verdienen konnte.

So ein Mosjeh, wie Herr Gerber und ſeines Gleichen, verdient Verachtung: aber ſoll man dann auch ohne Unterſchied jeden verachten, der ſeiner238 Frau einen Fehler vergiebt, und eine Gattin be - haͤlt, von deren Fall er uͤberzeugt iſt? Ich denke, nein! Sie beſſert ſich, und dann mags ja gut ſeyn: wir ſind ja alle ſterbliche Menſchen, pflegte meine Tante immer zu ſagen, wenn ihr mein Vater ihre Ausſchweifungen im Trunke vorhielt. Eine Frau kann ſonſt ſehr ſchaͤtzbare Eigenſchaften haben, welche den Ehemann mit Recht bewegen koͤnnen, ihr einen verliebten Fehltritt zu vergeben. Frauen - zimmer ſind ſchwache Geſchoͤpfe, und man weiß ja, daß luͤſterne Burſche huͤbſchen Weibern mehr nachſteheu, als ledigen Maͤdchen, und das aus leicht zn errathenden Gruͤnden.

Hier werden meine Leſer fragen, was dann Meiſter Laukhard gethan haben wuͤrde, wenn ihm ein andrer ins Gehege gegangen waͤre? Ich weiß es warlich nicht, meine Herren, was ich grade ge - than haben wuͤrde: denn mich regieren die Leiden - ſchaften, wie der Wind das ſchwache Rohr: aber das weiß ich doch, daß ich wuͤrde klug gethan ha - ben, wenn ich geſchwiegen, und mein Kreutz mit Gedult getragen haͤtte. Mein Hannchen hat mir zwar in dieſem Stuͤck noch keine Gelegenheit oder Urſache zu klagen gegeben; aber wenn dem auch ſo waͤre, ſo wuͤrde ich mir wahrſcheinlich haben zu - reden laſſen.

239

Herr Profeſſor M .... zu F .... ſperrte erſt den Leuten die Maͤuler auf, und nachdem er ſich und ſeine Frau weidlich beſchimpft hatte, ließ ers auch gut ſeyn: er haͤtte den Spektakel nicht anfan - gen ſollen. Herr M .... war ein Buͤcherwurm, lag den ganzen Tag und die halbe Nacht uͤber dem Corpus Juris: die Zeit, wenn er nicht ſtudierte, oder ſchlief, brachte er bey der Weinflaſche zu. In H ...., wo er anfangs exiſtirte, heyrathete er ein junges Ding, welches mit der Lebensart des Herrn Gemahls durchaus nicht zufrieden ſeyn konnte. Madame ſuchte ſich alſo andern Zeitvertreib, und fand ihn mit Studenten und ſogar mit gemeinen Soldaten. Der Herr Profeſſor merkte nichts: ſeine Frau trieb das Leben ſo frech und ſo oͤffentlich, daß die ganze Stadt davon redete, und er merkte noch immer nichts. Endlich wurden ſeine eigne Collegen aufgebracht, und meynten, ein ſolches Betragen einer Frau Profeſſorin blamire die ganze Innung. Prof. N .... ein Freund des Hn. M ... uͤbernahm es, dieſem das ſkandaloͤſe Leben der Frau vorzuſtellen, und that es nach der ihm ganz eignen zotologiſchen Freymuͤthigkeit*)Die Profeſſores Juris haben von jeher den wohlverdienten Ruhm als groſſe Kenner der Zotologie gehabt. Ich rede nicht von allen! Doch ſehe man Caricaturen von Anſelmus Rabioſus 2ten Theil. Berlin 1802. ſo kraͤftig,240 daß M .... Fener fing, und beſchloß, ſich ſcheiden zu laſſen. Waͤhrend der Verhandlung kamen die abſcheulichſten Dinge zum Vorſchein, und unter andern auch, daß Madame oͤffentliche Hurenhaͤu - ſer beſucht hatte. Es war nun ganz natuͤrlich, daß Hr. M .... ſeine liebe Frau loswerden mußte; aber die Mutter derſelben, eine alte Politikuſſin, brachte ihn durch Geld und Champagner, wie auch durch einen Codex Theodoſianus in 6 Folianten, den ſie ihm ſauber gebunden zuſchickte, ſo herum, daß er den Scheidungsprozeß niederſchlug, und ſeine Frau wieder zu ſich nahm. Die Acten wur - den bey dem Univerſitaͤtsgericht niedergelegt, aber Hr. M .... aͤrgerte ſich doch, daß in der Regiſtra - tur der Univerſitaͤt Papiere lagen, welche ſeiner Ehre ſo ſehr nachtheilig waren. Er ſagte daher dem Actuar, er moͤgte ihm doch ſeine Acten auf ei - nige Tage geben, er habe wonach zu ſehen. Der Actuar, welcher einfaͤltiglich glaubte, was der Hr. Profeſſor ſagte, gab die Acten hin, und Herr M .... ließ ſogleich Feuer anzuͤnden im Ofen, und warf die Acten hinein. Freylich waren nun die Papiere dahin, aber M .... s Schande und die ſeiner Frau waͤhrte noch immer, er machte daher, daß er fortkam, und ging nach F ...., wo man ſeine Hahnreyſchaft weniger kannte, als in H .... Man ſagt, die Frau Profeſſorin ſoll ihrem Ehe -mann241mann nie wieder Gelegenheit gegeben haben, eine Eheſcheidungsklage wider ſie anzufangen, ob es gleich nicht an Leuten fehlte, welche ausſprengten, in F .... ſogar habe ſie Stipendien an huͤbſche Studenten ausgetheilt.

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.

Fortſetzung des drey und zwanzigſten Kapitels.

Als ich von Nordhauſen zuruͤck kam, empfing mich meine Frau mit vieler Herzlichkeit, aber ſo - bald die erſten Bewillkommungen vorbey waren, floß ihr Mund von Invectiven wider den Schuſter Schaͤfer uͤber. Der Bube hatte ſie im Zank eine Hure geheiſſen, und ihr vorgeworfen, ſie habe ei - nen guten Freund von mir mehr beguͤnſtigt, als es einer Ehefrau zukomme. Ich kannte den Schuſter, und wußte, daß er an alle Schlechtigkeiten und Eſeleyen gewoͤhnt, jederman fuͤr einen ſchlechten Kerl und fuͤr einen Eſel anſahe. Ich rieth meiner Frau, ſtille zu ſchweigen, dieſe aber beſtand dar - auf, daß ich den Burſchen koramiren ſollte. Ich mußte gehorchen, denn eine Frau hat allemal das Recht, ſo Etwas zur Rettung ihrer Ehre von ih - rem Manne zu fordern. Des andern Tages fruͤh ſprach ich mit dem Staabsunteroffizier Schaͤfer,Laukh. Leben 5ter Theil. Q242und hielt ihm ſein Vergehen vor; er aber ſchwur hoch und theuer, es ſey nicht wahr; er koͤnne zwar einiges geſagt haben, aber dann ſeys gewiß nicht in uͤbler Abſicht, und zwar in einem bey ihm ſehr gewoͤhnlichen hohen Grad der Beſoffenheit geſche - hen u. ſ. w. Was wollt ich machen? Zeugen hatte ich keine, und den Mosjeh auf einen Schwur zu treiben, hielt ich nicht fuͤr rathſam: denn es iſt uͤberhaupt eine kuͤtzliche Sache, ſein Recht auf ei - nen Eid ankommen zu laßen, beſonders in Halle, und bey Schaͤfern war es gewiß am aller kuͤtzlich - ſten: denn dieſer hatte einſt auf dem Rathskeller erklaͤrt, ein Schwur ſey eine Lumperey; man koͤn - ne ſo ein Ding hinbrummen ſeine eigene Aus - druͤcke ohne ſich das geringſte Gewiſſen zu ma - cheu. Ich mußte alſo ſchweigen, und alles war wieder gut.

Die Sache ſelbſt, welche Schaͤfer meiner Frau vorwarf, ruͤhrte mich nicht im Mindeſten: denn der - jenige Freund, mit welchem, nach der Laͤſterung des Buben meine Frau ein Verbrechen begangen haben ſollte, war damals, als ich in Nordhauſen war, zwar in Halle, aber in ſolchen Umſtaͤnden be - fand er ſich, welche nicht erlauben, daß man an naͤheren Umgang mit Frauenzimmern denke: ich konnte daher ſehr ruhig ſeyn. Daß uͤbrigens mein bra - fer Freund meine Frau beſucht, und ihr in meiner243 Abweſenheit Beyſtand geleiſtet hat, verdanke ich ihm herzlich. Man hatte naͤmlich ausgeſprengt, ich ſey in Nordhauſen geſtorben, und da zog ſich jederman von meiner Frau zuruͤck, aber der ehr - liche S ... und Hr. B. nahmen ſich meiner Frau und meines Ackens an, und ſo konnten dieſe auch ohne mich ſubſiſtiren.

Mit Schaͤfern blieb nun alles ruhig, und er ſelbſt legte weder mir noch meiner Frau nicht das Gering - ſte mehr in den Weg. Ohngefaͤhr vierzehn Tage vor Oſtern ſprach er mich um Geld an, welches ich ihm zwar erſt bey der Raͤumung des Quartiers zu geben hatte: denn ich wollte ausziehen. Ich hatte eben eine Anweiſung an einen hieſigen An - tiquar erhalten, und gab dieſe dem Schuſter, um ſie Hn. Weidlich ſo heißt der Antiquar zu bringen, und zu fragen, ob er ſie annehmen wollte. Schaͤfer kam zuruͤck und meldete mir, daß Hr. Weidlich den andern Tag verſprochen habe, die Anweiſung zu bezahlen, nur ſollte er eine Quittung von mir mitbringen.

Dieſe ſchickte ich zwar an Hn. Weidlich, ließ ihn aber bitten, dem Schaͤfer nicht mehr als 6 Thlr. zu bezahlen: denn grade ſo viel war ich ihm ſchuldig: Schaͤfer, welcher gedacht hatte, die ganze Anweiſung zu ziehen, und mich hernach warten zu laßen, undQ 2244am Ende zu prellen, gerieth hieruͤber aufs heftigſte in Wuth, und da er vermuthete, meine Frau habe mich bewogen, ihm nicht mehr zu geben, als ihm zukomme, wie es denn auch wahr iſt, fiel er dieſe an, und nannte ſie in Beyſeyn einiger Buͤrger eine Hure und Ehebrecherinn, welche einen fremden Herrn in meiner Abweſenheit bey ſich habe ſchlafen laßen: als ſich meine Frau etwas derb gegen den unſinni - gen Buben vertheidigte, ſtieß dieſer ſie an, daß ſie uͤber die Wiege hinſtuͤrzte.

Ich ward wegen dieſer infamen Behandlung meiner Frau bey den Stadtgerichten klagbar, und Hr. D. Scheuffelhuth, welcher die Klageſchrift auf - ſetzte, wuͤrde dem elenden Wicht gewiß rechtſchaf - fen eingeheizt haben, wenn der Burſche ſich nicht fortgemacht, und alle die geprellt haͤtte, welche ei - nige Forderungen an ihn hatten.

Kaum war Mosjeh Schaͤfer, der Schuſter und Unteroffizier weg, ſo hoͤrte man ſein Lob in der ganzen Stadt, und weit und breit auf dem Lande herum. Es war in der Stadt beynahe keine Knei - pe, wo er nicht Baͤren angebunden hatte, alle ſei - ne Bekannte hatte er geprellt, und ich mußte meine Klage liegen laßen. Wie konnte ich auch gegen einen Hollunken agiren, welcher ſeine Frau und zwar in ſchwangern Umſtaͤnden im aͤrgſten Elend ſitzen laͤßt, und in die Welt laͤuft? Alle die, wel -245 che mit ihm zu thun gehabt hatten, krazten ſich hinter den Ohren, und mußten nun durch Ehren - titel, Schurke Spitzbube, Betruͤger, u. d. gl. ihrem Aerger Luft machen. Ich hatte voll - kommne Satisfaction: denn einem Elenden, wel - cher durch Schulden, Fikfakkereyen und Buben - ſtreiche, deren uͤble Folgen er fuͤrchtet, fluͤchtig wird, kann man wohl eine Injurie vergeßen.

Aber warum thuſt du es denn nicht, Laukhard, werden meine Leſer fragen? Warum beſchreibſt du denn den elenden Schuſter Schaͤfer, ſo wie du gethan haſt? Das war auch nicht recht.

Antwort: Ich thue dieß nicht meinetwegen: denn mir liegt wenig daran, ob Schaͤfer der Staabs - unteroffizier und Schuſter in Halle auf dem Raths - keller, in Stichelsdorf bey Hr. Runge, oder in ei - ner Branntweinskneipe ſitzt, und da den großen Herrn macht, oder ob er unſtaͤt und fluͤchtig in der Welt herumſtreicht: aber meiner Frau war ich dieſe Genugthuung ſchuldig, und habe ſie ihr auch gerne geleiſtet. Die Familie des Schaͤfers, welche in Halle exiſtirt, habe ich weder beſchimpfen noch be - leidigen wollen: was ich geſchrieben habe, iſt no - toriſch, und jedem bekannt, ſo bekannt, daß ſich von Schaͤfers Hiſtorien einige Spruͤchwoͤrter her - ſchreiben, welche wahrſcheinlich, wie alle Spruͤch - woͤrter, noch lange im Gang bleiben werden.

246

Von Halle aus zog Schaͤfer nach Erfurt, ließ ſich daſelbſt von Kayſerlichen Werbern unterhalten, und wurde nach Prag gebracht, wo er jetzt hal - ter die Ehre und das große Gluͤck hat, halter dem groͤß〈…〉〈…〉 en Herrn in der ganzen Welt zu dienen, und halter den Stand eines Koſtbeutels zu be - kleiden. Er hat ſchon einige Mal an ſeine Ver - wandte geſchrieben, und ſie gebeten, fuͤr ſeine Los - kaufung zu ſorgen, aber die wollen nichts von ihm wißen. Seine Frau befindet ſich jetzt beßer als vor - her, da der Wicht noch bey ihr war, aber ſeine Schuldner ſind geprellt.

Eben war ein Freund bey mir, dem ich das, was ich vom Schuſter Schaͤfer geſchrieben hatte, vor - las. Er ſchuͤttelte den Kopf, und meynte, es wuͤrde beßer ſeyn, wenn ich die ganze Hiſtorie wegließe. Ich koͤnnte einen Injurienprozeß mir auf den Hals ziehen.

Und wer ſoll mir den an den Hals werfen, fragte ich?

Er. Je nun ſeine Verwandten.

Ich. Seine Verwandten? Die kuͤmmern ſich um den Burſchen nicht.

Er. Meynen Sie? Seine Schweſter verthei - digt ihn πυξ ϰαι λαξ.

Ich. Ha, ha, ha, das ſollte mir doch eine wahre Freude ſeyn, wenn dieſe gegen mich auf -247 treten wollte. Aber Sie wißen ja, daß eine Schweſter die Sache ihres Bruders nicht fuͤhr[en]darf. Dem Bruder ſtuͤnde es noch eher an; der iſt ja ein Juriſt, und koͤnnte an mir probiren quid valeant humeri Quid ferre recuſent.

Auf keinen Fall aber fuͤrchte ich mich: denn ſind ſie klug, ſo ſchweigen ſie; ſchweigen ſie aber nicht, und raͤſonniren brav, und ſpectakeln, was das Zeug haͤlt, ſo lache ich, und finde gewiß viele, die mit mir lachen. Uebrigens muß ich noch eini - ge Kunſtgriffe erwaͤhnen, welche Schaͤfer anwen - dete, wenn er kein Geld hatte, und doch ſaufen wollte. Vielleicht koͤnnen dieſe Kunſtgriffe andern Leuten nuͤtzlich ſeyn, welche ihm aͤhneln.

Einſt kam er auf die Loge zu Hr. Buſſe. Wer hat da Ihrer Frau die Schuhe gemacht, fragte er?

Buſſe. Meiſter N. N.

Schaͤfer. Iſt ſchofele Waare, mein Seel! Gott ſoll mich ſtrafen (beſieht die Schuh) ja meiner Seele, mein Junge macht beßeres Zeug. Was koſten denn die Latſchen?

Frau Buſſe. Einen Thaler.

Schaͤfer. Schwerenoth, ſo ein Paar Latſchen einen Thaler! Da mache ich ein Paar derbe huͤb - ſche Schuhe fuͤr 20 gl.

248

Fr. Buſſe. Je nun, ich brauche wieder Schuhe.

Schaͤfer. Blox, will's Maaß nehmen.

Schaͤfer nahm das Maaß, ſoff einige Tage auf die zu machenden Schuhe los, und als er merk - te, daß die 20 gl. herunter ſeyn mogten, kam er nicht wieder. Hr. Buſſe mahnte ihn einige Mal, aber da er ſahe, daß doch nichts werden wuͤrde, ließ ers gut ſeyn, und iſt geprellt.

Ein ander Mal kam er auf den Univerſitaͤts - keller, ein Beckermeiſter ſaß da, und trank ein Glas Breyhan. Schaͤfer that, als ſaͤhe er den Becker nicht, wendete ſich gegen einen ſeiner Mitmeiſter, und ſagte: Es iſt doch zum Raſendwerden, wenn man denkt, Geld zu kriegen, muß man noch ſuchen, wo man welches herkriegt, um es einzuloͤſen.

Der Meiſter. Es wird wohl auf der Poſt liegen.

Schaͤfer. Warum nicht gar auf der Poſt? In der Kugel vorm Steinthor ſteht es in Saͤcken. Stelle Dir vor, der Lauſekerl da von der vertrackte iſt mir ſchon ſeit Jahr und Tag Geld ſchuldig: ich drohte ihm mit der Klage, da ſchaͤmte er ſich, und ſchickt mir heute neun Schef - fel Roggen herein. Sechs ſollen meine, und drey ſoll ich ihm bezahlen. Sein Kerl hat die Saͤcke in der Kugel abgeſetzt, und will nun Geld haben.

249

Meiſter. Du mußt die drey Scheffel verkau - fen, ſo kriegſt Du ja gleich Geld.

Schaͤfer. Das will ich auch: weiſt Du nie - mand, der alles zuſammen nehmen wollte.

Der Beckermeiſter legte ſich nun drein, und fragte nach dem Preiß: Schaͤfer ſetzte einen ci - pilen, verſprach dem Becker alle neun Scheffel zu laßen, ließ ſich aber gleich 4 Thlr. 12 gr. auf Abſchlag geben, um den Kerl abzufertigen, wie er ſagte, ging dann ſchnell fort, und kam nicht wieder.

Vor vierzehn Tagen ſprach ich mit einem kayſer - lichen Deſerteur, welcher den Mosjeh Schaͤfer recht gut kannte. Er beſchrieb mir ihn ſo, daß ich wohl merken konnte, er habe ſich bey den Koſtbeuteln nicht um ein Haar gebeſſert. Sein brutales Weſen hat ihm auch ſchon einige Mal derbe Regimentsſtrafen, wie der Deſerteur ſagte, zugezogen, aber vielleicht hats der Kerl uͤbertrieben, und Schaͤfers Zuͤchti - gungen waren wohl nur Arſchpruͤgel, welche bey den Halters nur gar zu gemein und leicht zu ha - ben ſind.

250

Sechs und zwanzigſtes Kapitel.

Oeffentliches Aergerniß und Apologie.

Nach meiner Ruͤckkehr von Nordhauſen unterhielt ich mit meinen daſigen Freunden, beſonders mit dem Hn. Juſtitzcommiſſar Lange, einen ununterbro - chenen Briefwechſel: ich ſchrieb ellenlange Epiſteln, und erhielt dergleichen wieder zuruͤck, kurz ich lebte auch noch in der Ferne mit meinen lieben Freunden. Herr Juſtitzcommiſſar Lange meldete mir, daß er eine kleine Schrift herauszugeben geſonnen ſey, worin auch meiner und meines Aufenthalts zu Nordhauſen gedacht werden wuͤrde, und fragte mich, ob ich ſein Unternehmen billige? Warum ſollt 'ich das nicht thun? Hatte ich doch ſelbſt ſchon fuͤnf dicke Baͤnde von mir in die Welt geſchickt: und zudem war nicht zu vermuthen, daß Hr. Lan - ge etwas ſkandaloͤſes und ehrenruͤhriges von mir anbringen wuͤrde: dazu war er zu ſehr mein Freund, und ein zu ehrlicher Mann. Ich ſchrieb ihm alſo, und bat ihn, mir bald Bogen zu ſchicken. Ich wartete lange vergebens, nun aber erhielt ich das Nordhaͤuſiſche woͤchentliche Nachrichts - blatt, 17tes Stuͤck vom 27. April 1801 und er - ſtaunte nicht wenig, als ich folgenden Artikel las,251 welcher gleich vorn, und zwar wie's ſcheint, abſicht - lich voran gedruckt war.

Oeffentliche Bekanntmachung.

Allen Unſern gutdenkenden biedern Buͤrgern und Einwohnern, welche ſich die Muͤhe genommen ha - ben, die von dem Herrn Juſtiz-Commiſſair Lange herausgegebenen Bogen uͤber den Aufenthalt des Herrn Magiſter Laukhard in Nord - hauſen etc. nur zu durchblaͤttern, wird bey dem erſten Anblick derſelben gewiß nicht entgangen ſeyn, wie aͤußerſt platt und ſchmutzig die Ausdruͤcke ſind, deren ſich der Verfaßer zur offenbaren Beleidigung der Leſer, der Sittlichkeit, und des guten Ge - ſchmacks bedient; wie ſchal der Witz iſt, womit derſelbe Gegenſtaͤnde abgehandelt hat, die auch nicht das geringſte Intereſſe haben, und wie ſtraͤf - lich er ſich ſogar erdreuſtet hat, bey dem aufgeſtell - ten Begriff des Worts Genie eine hoͤchſt ſkandaloͤſe, die Wuͤrde der chriſtlichen Religion ſchaͤndende Zu - ſammenſtellung und Vergleichung zu machen. Zwar ſoll der Herr Magiſter Laukhard bey einem Abend - Geſpraͤche dieſe unerhoͤrte Vergleichung gemacht haben; allein dies kann dem Verfaßer auf keine Weiſe zur Entſchuldigung dienen, denn wer berech - tiget ihn, ein Geſpraͤch unter vier Augen oͤffentlich durch den Druck bekannt zu machen, und durch die Lobſpruͤche der Laukhardſchen Definition jene Mey -252 nung und Vergleichung zu billigen und oͤffentlich anzupreiſen. Wer gab ihm das Recht, in der Note ſub No 7 uͤber die Dogmen der chriſtl. Kirche ſo hoͤchſt unanſtaͤndige Ausdruͤcke zu gebrauchen?

Wir ſind nun zwar weit entfernt, die Preßfrey - heit allhier nur im geringſten einſchraͤnken zu wol - len; koͤnnen aber ohnmoͤglich geſtatten, daß ſolche in Preßfrechheit ausarte, und daß allhier Piecen ge - druckt werden, die wie das angefuͤhrte Langiſche Produkt im hoͤchſten Grade anſtoͤßig und dem Gan - zen nachtheilig ſind. Ohngeachtet wir dahero (un - de vero, ſi placet?) uͤberzeugt ſind, daß diejenigen gutgeſinnten (ſed malevoli?) Buͤrger und Einwohner, welche die bisher herausgekommenen wenigen Bo - gen der Langiſchen Piece geleſen haben, der wei - teren Fortſetzung derſelben mit großem Verlangen eben nicht entgegen ſehen, ſondern vielmehr die fol - genden Bogen von ſelbſt zuruͤcklegen werden, (nach dem Durchleſen doch erſt?); ſo haben wir uns den - noch bewogen gefunden, den Druck und die Ver - breitung derſelben aus wohlgemeynter Abſicht all - hier zu unterſagen, und ſolche (die noch zu drucken - den oder die ſchon gedruckten?) als confiscirt hier - mit zu erklaͤren. Nordhauſen, den 20. April 1801. B. u. R. d. K. F. R. St. Nordhauſen.

Ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich einige Anmer - kungen machen uͤber dieſe oͤffentliche Bekanntma -253 chung. Hr. Lange ſchrieb eine Piece, und der Hoch - weiſe Magiſtrat zu Nordhauſen will nicht erlauben, daß dieſe Piece in dieſer Reichsſtadt gedruckt, und verbreitet werde. Gut, ſo konnte und ſollte viel - mehr bloß dem Cenſor denn ich weiß doch, daß ein Cenſor in Nordhauſen iſt anbefohlen wer - den, den folgenden Bogen das Imprimatur zu ver - weigern. Geſchah dieß nicht, oder wußte vielleicht der Hochweiſe Magiſtrat zu Nordhauſen, daß der Hr. Buchdrucker auch gar manches z. B. den Ho - hen (Hohn) ſteiniſchen Erzaͤhler ohne Cenſur, mir nichts dir nichts, drucke, ſo konnte ja dem Herrn Buchdrucker durch einen Rathsdiener, welche ohne - hin nicht viel zu thun haben, angezeigt werden, das Langeſche Schriftchen duͤrfe bey Strafe nicht fortge - druckt werden, und that es dann doch der Buch - drucker nicht, ſo hatten ja die Hochweiſe Herren ihre Neppe,*)Haͤſcher. welche als dienſtbare Geiſter den Be - fehlen der hohen Obrigkeit ſchon Reſpect zu ſchaffen wißen. Wozu war es nun noͤthig, dieſen Befehl ins Wochenblatt zu ſetzen? Man ſetzt Befehle und Verordnungen ins Wochenblatt und in die Zei - tungen, weil ſie allgemein ſind, und weil man ſie nicht jedem Individuum inſinuiren kann: hier aber faͤllt dieſer Grund weg: denn ſowohl dem Hn. Lan -254 ge als dem Buchdrucker war die Fortſetzung der Piece ſchon unterſagt, und beyde hatten ſchon Pari - tion geleiſtet gegen die hohen Befehle, ehe dieſelben im Wochenblatt oͤffentlich bekannt gemacht wurden. Aus welchen Urſachen hat alſo der Magiſtrat dieß ge - than? Ich kann keine andere auffinden, als die lie - be Schadenfreude, welche in den Seelen einiger Mit - glieder dieſer gewiß ehrwuͤrdigen und helldenkenden Verſammlung ein wenig ultra modum wirkſam ge - weſen ſeyn mag. Doch ich muß weiter erzaͤhlen.

Die Bekanntmachung, welche man ſo eben ge - leſen hat, fiel mir ſehr auf: ich wollte ſofort an den Herrn Juſtitzcommiſſar Lange ſchreiben, und mich nach den wahren Umſtaͤnden und der Lage der gan - zen Sache erkundigen, als mir folgender Brief zuge - ſchickt wurde, welchen ich ohne Bedenken ganz ein - ruͤcke.

Nordhauſen, den 21. Mai 1801. Hochgeehrteſter Herr,

Ich habe waͤhrend Ihrem Aufenthalt in unſe - rer Stadt die Ehre gehabt, Sie kennen zu lernen, und auch zu ſprechen, und habe gefunden, daß Sie ein Mann ſind, der es wenigſtens nicht verdient, wenn (daß) man ihn oͤffentlich ſchimpfe und proſti - tuire. Das thut aber Lange, der Advocat, der ſich hier fuͤr einen Juſtitzcommiſſarius ausſchreit, und255 es doch nicht iſt: denn unſer Magiſtrat macht keine Juſtizcommiſſarios (commiſſare). Lange hat ein haͤßlich Pasquil (Pasquill) auf Sie drucken laßen, worinnen Sie als ein großer arger Religionsſpoͤtter, als ein Erzfreygeiſt und als ein Verraͤchter aller Tu - gend und aller Keuſchheit (???) an den Pranger geſtellt und abgemahlt (gemalt) werden. Laßen Sie ſich nur die gottloſen Bogen kommen, und Sie werden ſehen, wie graͤßlich Sie abgebildet ſind. Ich mags Ihnen nur nicht zu Leide thun, ſonſt ſchickte ich Sie (Ihnen) dieſelbige gleich mit. Aber damit hat Lange noch nicht genug: er macht Sie auch in allen Geſellſchaften herunter, und hat ſo - gar ihr ſchmutziges Hembd beſchrieben, das Sie mit nach der Stadt ſollen gebracht haben. Iſt das ein Freund? Er ſprach zwar immer, daß er Ihr wah - rer Freund iſt (ſey), und daß er Sie bald wieder bey ſich erwartet (erwarte), aber Sie werden ſich wohl in Acht nehmen, den Lange wieder zn beſuchen, der an Sie (Ihnen) ſo freventlich gethan hat. Sie werden, wie ich hoͤre, bald Ihre Lebensbeſchreibung fortſetzen, da muͤßen Sie dann auch den Lange recht mitnehmen: denn er verdient es. Faͤllt es Ihnen bald wieder ein, nach Nordhauſen zu kommen, ſo werden Sie auch außer dem Lange Freunde finden, die es ſich zur Freude machen werden, Ihnen Ver - gnuͤgen zu machen. Dieſes Schreiben habe ich in256 guter Meynung geſchrieben und hoffe, Sie werden mich verſtehen. Ich bin mit aller Hochachtung

Ew. ergebenſter Diener Sincerus.

Von wem war nun der Brief? Von Sincerus; aber keine Familie Sincerus exiſtirt in Nordhauſen. Der Verfaſſer war alſo ein Pſeudonymus, und auf pſeudonymiſche Schriftſteller und Briefſchreiber ha - be ich nie Etwas gehalten; die Herren ſind allemal gar ſehr verdaͤchtig. So viel ſahe ich wohl ein, daß Factionen in Nordhauſen ſeyn mußten, von welchen eine auf Hr. Langens Seite war, die andre aber ihn haßte, und mich gern zum Werkzeug ihres Un - willens machen wollte: aber ich ſahe doch auch zu - gleich, daß mußte geplaudert worden ſeyn. Der Briefſteller erwaͤhnt meines ſchmutzigen Hemdes. Ich hatte wirklich ein ſchmutziges und ich ſetze es hinzu zerriſſenes Hemd in Nordhauſen auf dem Leibe. Woher wußte dieß der Briefſteller? Von Herrn Langen ſelbſt? das folgt nicht: Herr Fromm und der Schuſter Bock, und des Schuſters huͤbſche junge Frau, und Hr. Langens alte Auf - waͤrterin, und vielleicht noch mehr andere Perſo - nen kannten die Beſchaffenheit meines Hemdes; konnte keiner von dieſen geplaudert haben? Und geſetzt auch, Hr. Lange habe ſelbſt von meinem Hem - de etwa der Geſellſchaft auf dem Grimmel, aufdem257dem Kirſchberg oder ſonſtwo Notitz erhielt, ſo folgt noch nicht, daß er mich herunter gemacht, und be - ſchimpft habe: denn wenn ein zerrißnes oder ſchmu - tziges Hemd beſchimpft Quis tunc conſervet honorem?

Ich erinnere mich noch eines alten jezt laͤngſt aus der Mode gekommnen Studentenliedes, wor - in es unter andern heißt:

Die Zeit macht alle Sachen ſtumpf, Utendum eſt dum durat, Ein dreckigt Hemd, ein Loch im Strumpf Philoſophus non curat.

Das alte Liedchen hat nicht ſehr unrecht: ich wuͤrde es daher dem Juſtitzcommiſſar auch nicht ſehr uͤbel nehmen, wenn er von meinem Hemd in ſeinen Cirkeln erzaͤhlt haͤtte.

Den Vorwurf der Freygeiſterey und der Reli - gionsſpoͤtterey hat mir der Magiſtrat zu Nordhauſen gewißer Maaßen ſchon vorher in ſeiner Bekannt - machung gemacht und Hr. Lange hatte bloß das gebilligt, was er mir wider die Religion in ſei - nen Bogen in den Mund legte. Zu Nordhauſen iſt man ſo gut in der Welt, wie an andern Orten, das heißt, man glaubt auch da oft zu hoͤren und zu verſtehen, was man weder gehoͤrt noch verſtanden hat. Ich habe zwar nicht eigentlich erfahren koͤn - nen, welche Aeußerung gegen die chriſtliche Reli -Laukh. Leben 5ter Theil. R258gion mir eigentlich Schuld gegeben wird, aber er - klaͤren muß ich oͤffentlich, daß ich in Nordhauſen wider die eigentliche chriſtliche Religion nie das geringſte geaͤußert habe. Es kann ſeyn, daß ich dieſer oder jener Kirchenfratze, und ſollte es auch eine Nordhaͤuſer Fratze ſeyn, nicht im Beſten ge - dacht habe: indeßen weiß ich nicht, ob es ſo iſt: denn wer erinnert ſich an alle Worte, die er beym Wein, Punſch, Breyhau oder Schetter geredet hat? Es mag aber immer ſeyn, daß ich ſo nach meiner Art von gewiſſen Lehren, z. B. von der Erb - ſuͤnde, von der Trinitaͤt, von der reellen Gegen - wart des Leibes u. ſ. w. welche ich nebſt mehrern andern fuͤr Hirngeſpinnſte halte, oder von Gebraͤu - chen z. B. vom Beichtpfennig, von der Kinder - taufe, von den Bustagen, von der Vereydung auf die Symboliſchen Buͤcher, von der Kirchenbuße, u. d. gl. die ich als Mißbraͤuche anſehen muß, raͤ - ſonnirt habe, aber dennoch bin ich uͤberzeugt, nie wider die eigentliche Lehre Jeſu und ſeiner Apoſtel, mithin auch nicht gegen die chriſtliche Religion los - gezogen zu haben: hat aber dennoch Herr Lange mir ſo etwas in den Mund gelegt, ſo hat er mich nchit verſtanden, oder welches auch ſeyn kann die Herren vom Senat haben den Hn. Lange nicht verſtanden. Dieſes wuͤrde ihnen, den Her - ren naͤmlich, auch gar nicht zum Vorwurf gerei -259 chen: denn ſie ſind ja keine Theologen, aber dann haͤtten ſie auch ihr Urtheil ſuſpendiren und den Herrn Primarius erſt zu Rathe ziehen muͤßen. Doch wer weiß auch, was geſchehen iſt!

Herr Lange ſoll mich auch als einen Spoͤtter aller Tugend und aller Keuſchheit beſchrieben ha - ben, ſagte der Epiſteliker. Ich erinnere mich nicht, uͤber die Tugend geſpottet zu haben: dieß kann nur ein Narre thun, und ſelbſt der Allerla - ſterhafteſte nimmt ſich in Acht, oͤffentlich uͤber geſell - ſchaftliche Tugenden loszuziehen, und das Laſter zu empfehlen. Doch gedenkt der Briefſteller der Keuſchheit insbeſondere, welche ich ſoll beleidiget haben. Practiſch kann dieß nicht geſchehen ſeyn: denn ich habe mir keinen unkeuſchen Griff, ge - ſchweige denn ſonſt Etwas in Nordhauſen zu Schul - den kommen laßen. Ich zweifle zwar nicht, daß es in dieſer Stadt, ſo wie leider in allen Staͤdten, feile Nymphen und Gaſſenmenſcher giebt, und das zwar in abundantia, wie mich einige Freunde ver - ſichert haben, aber ich habe Menſcher dieſer Art daſelbſt nicht kennen lernen. Doch kann es ſeyn, daß ich bey einem und dem andern Zotologiſchen Diskurs mein Scherflein auch beygetragen habe. Daß aber ein zotologiſches Geſpraͤch die Tugend der Keuſchheit gradezu beleidige, ſehe ich nicht ein. Catullus hat Recht, wenn er ſagtR 2260Caſtum decet eſſe pium poëtam Ipſum; verſiculos nihil neceſſe eſt und Auſonius Laſciva nobis eſt pagina, vita proba d. i. curta. Ich kenne einen gewiſſen Hn. Profeſſor, welcher in ſeinen Lehrſtunden die aͤrgſten Zoten und Saͤue - reyen vorbringt, und doch ſonſt keuſch und zuͤchtig lebt in Werken. Die ehemaligen Zuhoͤrer des ſeeligen N .... s zu H .... wißen noch recht gut, wie dieſer große Gelehrte auf dem Catheder zu re - den gewohnt war, und wie er die Zoten mit Ge - walt in ſeinen Vortrag zwang, daß er ſogar bey der Lehre de emtione venditione ſchmutzige aͤcht zo - tologiſche Beyſpiele von den Menſchern unter dem rothen Thurm anbrachte, und doch war N .... nichts weniger, als ausſchweifend. Baldinger riß auch Zoten, und zwar recht ſaftige, und lebte doch keuſch. Wenn ich alſo gleich einiges Zotologiſche angebracht habe in den Geſellſchaften zu Nordhau - ſen, ſo kann daraus doch gar nicht geſchloßen wer - den, daß ich ein Feind der Keuſchheit ſey, und hat jemand ſo geſchloßen, ſo hat er einen Fehlſchluß gemacht.

Was ſonſt noch in dem anonynen Briefe von Herrn Langen ſelbſt vorkommt, geht mich nichts an z. B. daß er nicht Juſtitzcommiſſar ſey. Da ihm aber doch der Magiſtrat ſelbſt dieſen Titel bey -261 legt, ſo muß ich allerdings denken, er ſey es wirklich. *)So im Vorbeygehen moͤgte ich anmerken, daß das Wort Juſtitzcommiſſar ſeiner Etymologie nach einen komiſch - haͤmiſchen Nebenbegriff mit ſich fuͤhrt. Zur Erklaͤrung iſt hier kein Raum. Anmerkung des Setzers. So viel und nicht mehr fuͤhre ich wegen des oͤffentlichen Schreibens und Redens zu meiner Rechtfertigung an; nicht als ob ich mich geaͤrgert haͤtte uͤber das unnuͤtze Gezaͤnke, ſondern bloß um den Herren zu zeigen, daß ich antworten kann, wenn ich directe oder indirecte gefragt werde.

Indeſſen fand ich fuͤr gut, meinen Briefwechſel mit Hn. Langen abzubrechen. Ich bin gewohnt, an gute Freunde grade von der Leber weg zu ſchreiben, und kuͤmmere mich wenig darum, was ich ſchreibe, und wie ich ſchreibe, daher kann es mir auch nicht gleichviel ſeyn, ob man mein Geſchreibſel oͤffentlich bekannt macht, oder nicht. Hat aber, ſo dachte ich, Herr Lange ſogar von deinem ſchmutzigen Hem - de geſprochen, ſo wird er wohl auch deine Briefe oͤffentlich vorleſen. Ich ſchwieg daher, und Hr. Lange auch.

Im Februar dieſes Jahres ſchrieb ich an einen Freund zu Nordhauſen, und ſchickte ihm eine Ab - ſchrift des oben angefuͤhrten anonymen Briefes. Der Freund, an den ich ſchrieb, iſt eben kein Freund des Hn. Lange, und daher glaubte ich, eine fuͤr262 dieſen eben nicht vortheilhafte Antwort zu erhalten. Ich irrte mich: denn mein Freund ſchrieb mir, die Blaͤtter, welche der Juſtitzcommiſſar haͤtte drucken laßen, enthielten gar nichts nachtheiliges fuͤr mich, und ſeine oͤffentlichen Geſpraͤche auf dem Grimmel und an andern Orten des Vergnuͤgens waͤren ſo be - ſchaffen, daß man ſeine Freundſchaft gegen mich nicht verkennen koͤnne. Dieß beruhigte mich voͤl - lig, und ich verlange jezt nicht einmal mehr, die famoͤſen Bogen zu leſen, welche Hr. Lange im Reichsanzeiger zu vollenden verſprochen hat. Wenns ihm uͤbrigens drum zu thun iſt, daß die von ihm geſchriebenen Lauchardiana im Druck er - ſcheinen, ſo mag er mir nur das fertige Manu - ſcript ſchicken: fuͤr einen Verleger will ich ſchon ſorgen.

Sieben und zwanzigſtes Kapitel.

Meine Haͤndel mit der Regierung zu Magdeburg.

Die Preußiſchen Staaten wimmeln, wie alle Laͤnder, von einer großen Menge Winkeladvokaten, welche fuͤr Geld und gute Worte in Prozeßen ar - beiten, Klagen ſchreiben, und Suppliken machen. 263Dieſe Praxis iſt zwar durch einige Verordnungen ſehr eingeſchraͤnkt, und was eigentliche Rechts - ſachen anbelangt, gaͤnzlich verboten. Dafuͤr ſind ordentliche Advokaten, welche man Juſtitzcommiſ - ſarien gewoͤhnlich nennt, angeſtellt, und dieſe ſol - len auch fuͤr Geld und gute Worte, wie ſich dieß ohnhin verſteht, die klagenden und bittenden Par - theyen bedienen oder deſerviren. *)Hr. Juſtizcommiſſar Schneller ſchreibt desſerviren, des - ſerviten. Nicht unrecht! Er desſervirt ſo lange, als noch etwas da iſt, wenns alle iſt, hoͤrt er auf.Die Einrichtung iſt im Ganzen nicht zu verwerfen, ob ſie gleich viele Inconvenienzen mit ſich fuͤhrt, die freylich nicht immer koͤnnen vermieden werden. Eine von den Hauptinconvenienzen iſt wohl dieſe, daß die Gerechtigkeit leicht zur Hure und das Recht eine kaͤufliche Waare werden kann. Exempla ſunt odi - oſa, ſonſt waͤre ich wohl im Stande, einige und zwar recht auffallende zu liefern.

Ich behalte mirs auf ein ander Mal vor. Ich habe mich nie mit gerichtlichen Dingen gern abge - geben: theils verſtand ich das Ding nicht hinlaͤng - lich, theils haßte ich die Schikane, und fuͤrchtete mich vor der Arbeit, vor der unangenehmen Ar - beit, Acten durchzuſtaͤnkern: inzwiſchen machte ich doch dann und wann fuͤr einen Bekannten eine264 Vorſtellung, und hatte einige Mal das Vergnuͤ - gen zu hoͤren, daß ſie nach Wunſch gewirkt hatte. Im eigentlichen Sinn war ich jedoch kein Win - keladvokat, weil ich nicht jedem aufwartete, der mich drum anſprach, mich auch in eigentliche Rechtshaͤndel nicht einließ, und mich in nichts miſchte, worin jemand anders arbeitete.

Ohngefaͤhr im Auguſt 1800 erſcholl auf ein - mal das Geruͤcht in der ganzen Stadt, der Aſſeſſor Rommann oder Kornmann habe eine ſchwangere Frau auf dem Rathhaus in der Gerichtsſtube der - maßen geſtoßen und getreten, daß ſie abortirt ha - be, und auf der Stelle geſtorben ſey. Ich hoͤrte die ſchoͤne Geſchichte auf dem Rathskeller, glaub - te aber eben deswegen wenig davon, weil ſie gar zu graͤßlich erzaͤhlt wurde. Das Geruͤcht macht gleich alles groͤßer, beſonders in Halle.

Fama malum quo non velocius ullum
Mobilitate viget, viresque adquirit eundo:
Tam ficti pravique tenax quam nuntia veri
Fama loquax, quae veris addere*)Virg. Aen. L. IV. falſa
Gaudet et ex minimo ſua per mendacia creſcit.
**)Ovid. Met. Lib. IX.
**)

Indeſſen mußte doch etwas an der Sache mit der Inſultirung der ſchwangern Frau ſeyn, da je -265 derman ſo frey und oͤffentlich davon ſprach. Wenn damals der Aſſeſſor Kornmann die Geſellſchaf - ten auf der Mail, auf dem großen Keller, bey Herrn Boſſe, in Stichelsdorf und Riedeburg haͤtte beſuchen ſollen, er wuͤrde Dinge gehoͤrt haben, woruͤber ihm die Ohren haͤtten gellen muͤſſen, und waͤre er auch noch mehr taub geweſen, als die Geſetze ſelbſt ſind, welche er behandelt. Einige Wochen hernach ging ich durch die Clausſtraße: ein mir bekannter, ſehr rechtſchaffner Buͤrger bat mich, bey ihm einzuſprechen, weil er mir Etwas zu ſagen habe. Ich that dieß gerne, und Herr Grundmann ſo hieß der Buͤrger fuͤhrte mich zu dem Becker Wendeburg, deſſen Ehefrau der Aſſeſ - ſor Kornmann ſo abſcheulich behandelt haben ſollte. Wendeburg erzaͤhlte mir den Vorfall, und ſeine gleichfalls gegenwaͤrtige Frau beſtaͤtigte alles, was der Mann ſagte.

Nach dieſem Bericht hatte ein Student Na - mens Ahlburg, bey Wendeburgen logirt. Als die - ſer auszog, zahlte er alles, was er ſchuldig war, bis auf einen Thaler, den er nicht ſchuldig ſeyn wollte. Es kam daruͤber zu einem Gezaͤnke, und Hr. Ahlburg, um ſeinen Koffer, welchen Wende - burg nicht herausgeben wollte, zu erhalten, wen - dete ſich an den Prorector. Dieſer ließ den Koffer ſofort holen, aber Herr Ahlburg mußte dennoch266 den Thaler bezahlen, und zwar an den Prorektor. Der Prorektor ſchickte, ich weiß nicht warum, den Thaler aufs Rathhaus, und die Herren auf dem Rathhaus ließen dem Becker ſagen, er moͤge kom - men, und ſeinen Thaler holen. Der Becker war eben mit Arbeit uͤberladen, und ſchickte die Frau hin, weil er glaubte, dieſe koͤnne eben ſo gut, als er ſelbſt, einen Thaler in Empfang nehmen. Als die Frau in die Gerichtsſtube kam, war von den Herren noch niemand da es war nach eilf Uhr als der Aſſeſſor Kornmann. Dieſer fuhr die Frau haͤßlich nnd mit den niedrigſten Schimpf - reden an: die Frau, welche auch das Maͤulchen bey ſich hatte, blieb ihm ſeine Invectiven nicht ſchuldig, und ſo entſtand ein foͤrmliches Gezaͤnke, welches fortzuſetzen Hr. Kornmann unter ſeiner Wuͤrde hielt, worinn er dann auch vollkommen recht hatte: denn es iſt nichts abgeſchmackter, als ein Gezaͤnke mit dem Richter in der Gerichtsſtube, und doch hoͤrt man dergleichen nicht ſelten. Die Frau ſchwieg aber noch nicht, da gab er ihr, vielleicht weil ſie ſich zu nahe machte, einen Stoß, und klingelte den Haͤſchern. Dieſe kamen und ſchlepp - ten die Frau auf des Aſſeſſors Befehl in die Nep - perey oder aufs Capitel, wo die Herren Neppen ihr Standquartier haben. In der Nepperey blieb die Frau nicht lange, ſondern wurde nun ins Loch267 geworfen, wo ſie bis Abends um neun Uhr blei - ben ſollte. Als die Wendeburgin von der Gerichts - ſtube nach der Nepperey, und von da aus ins Loch geſchleppt wurde, widerſetzte ſie ſich den Knechten oder Neppen aus allen Kraͤften und fiel ei - nige Mal auf den Treppen nieder; die Neppen aber, ihrer Schuldigkeit eingedenk, drohten ihr mit Schlaͤgen, mißhandelten ſie, und ſchleppten ſie fort: die Frau kam hiedurch in mißliche Umſtaͤnde, und da ſie ſich alle Stunden der Niederkunft ver - muthend war, ſo konnte ihr Zuſtand allerdings be - denklich werden.

Wendeburg der Beckermeiſter wartete auf ſeine Frau, aber ſie kam nicht: er erkundigte ſich nach ihr, und hoͤrte, ſie ſey durch die Haͤſcher ins Loch ge - worfen worden. Er eilte aufs Rathhaus, und redete da ſo derb, daß der Aſſeſſor, welcher uͤble Folgen befuͤrchten mogte, ſeinen ſtrengen Spruch zuruͤcknahm, und die Frau ſtante pene, wie die Hallenſer ſagen, wieder in Freyheit ſetzen ließ. Die Neppen aͤrgerten ſich gewaltig; denn ſie er - hielten nichts pro ſtudio et labore.

Die Frau konnte kaum nach Haus gehen, ſo matt und ſchwach war ſie: zu Hauſe mußte ſie gleich ins Bett gebracht werden: denn ſie empfand Schmerzen und Wehe, wie eine Kreiſende. Der Becker ließ eine Hebamme, die Frau Großin ru -268 fen, aber dieſe wollte das Geſchaͤft nicht allein uͤbernehmen, und daher wurde nach dem Hn. Ge - heimenrath Meckel geſchickt. Dieſer große Mann, deſſen Humanitaͤt eben ſo groß iſt, als ſeine Wiſ - ſenſchaft und Dexteritaͤt, erſchien, und fand die Umſtaͤnde allerdings mehr als bedenklich. Indeſ - ſen war die Frau jung und ſtark, und ſo konnte durch Hn. Meckels geſchickte Hand dasjenige leicht wieder gut gemacht werden, was die Neppen auf dem Rathhaus, oder ſelbſt Hr. A. Kornmann ver - dorben hatte: die Hebamme verſicherte, das Kind ſey aus ſeiner Lage verruͤckt geweſen, und habe muͤßen reponirt werden. Der Beckermeiſter Wen - deburg, uͤber die unwuͤrdige Behandlung, welche ſeiner Frau in der Gerichtsſtube wiederfahren war, mit Recht aufgebracht, ſuchte ſich einen Advoca - ten, und wollte den Beleidiger bey der Magdebur - giſchen Regierung verklagen, aber die Herren Ad - vocaten Juſtizcommiſſare, Hoffiskaͤle, etc. etc. waren eben nicht der Meynung, daß man um eines mit Recht oder mit Unrecht beleidigten Philiſters ſich eine Gerichtsperſon deren favor, zu deutſch, Beguͤnſtigung in andern Faͤllen nuͤtzlich ſeyn konnte, durch Verklagerey auf den Hals hetzen muͤſſe, und verſagten ihre Aſſiſtenz. Nun ſuchte ſich der Becker einen andern, und kam ſo an mich.

269

Soweit geht die Erzaͤhlung des Becker Wende - burgs und ſeiner Frau. Ich habe ſie hinlaͤnglich unterſucht, und vieles davon beſtaͤtigt gefunden, daher trage ich auch kein Bedenken, das Ganze, naͤmlich fuͤr mein Individuum, fuͤr wahr zu hal - ten. Dem leſenden Publikum liegt wenig an der ganzen Geſchichte: denn was kuͤmmert ſich dieſes um den halliſchen Aſſeſſor Kornmann, um den hal - liſchen Becker Wendeburg und ſeine Frau, und um ein Scandal auf dem halliſchen Rathhaus und in der halliſchen Nepperey? Aber ich mußte dennoch die Sache in extenſo erzaͤhlen, damit meine Leſer mich nicht fuͤr unbeſonnen halten, daß ich mich in dergleichen Dinge miſchte: ich dachte, etwas gu - tes zu ſtiften, wenn ich mich einer Sache annaͤh - me, die mich freylich nichts anging: nahm ſich doch, Si licet exemplis in parva grandibus uti der große Voltaire der Familie des ungluͤcklichen Calas an, und rettete ſie durch ſeinen Freund, den ehrwuͤrdigen Sachwalter Beaumont: aber ſo - gleich hatte Beaumont mit dem Parlament zu thun, wo ein Aulnoy und ein Chatignon ſaßen. Doch haec in tranſitu, ſo viel ſich ſonſt noch druͤber ſagen ließe: denn nie erſchien das Parlament zu Paris in groͤßerm Glanze, nie wurde deßen Gerechtig - keit mehr geprießen, als damals, da es nicht ei -270 nen Individuellen armen Suͤnder in einem Colle - gium, ſondern ein ganzes anſehnliches Collegium das Parlament zu Toulouſe beſtrafte.

Wendeburg bat mich, eine Klage wider Herrn Kornmann aufzuſetzen, und zwar im Namen ſeiner Frau. Ich hatte grade damals nicht wohl Zeit, ſo ein Ding zu machen, erzaͤhlte aber die ganze Hiſto - rie einem damals durch Halle reiſenden naſſauiſchen Beamten, welcher mich durch ſeine Vorſtellung, daß ich ein gutes Werk thun koͤnnte, bewog, ſo ein Li - bell aufzuſetzen und nach Magdeburg zu ſchicken. Ich habe in dieſer Schrift mich keines einzigen Aus - drucks bedient, welchen der Aſſeſſor Kornmann als Injurie oder Calumnie anſehen konnte: freylich hatte ich nicht geſchrieben Seine Wohlge - bohren, der Herr Aſſeſſor haben geru - het, mich allerguͤtigſt durch Neppe, ins Loch werfen zu laßen aber ſo darf man ja, wie mich duͤnkt, nicht an die Regierung ſchreiben, unter welcher der Hr. Aſſeſſor ſteht, oder welcher er, nach einem richtigern Ausdruck, ſubordinirt iſt. Demohnerachtet hieß es doch nachher, die Klage ſey voll Injurien und Calumnien geweſen: ſo waͤ - ren aber die meiſten Klagſchriften wahre Pasquil - len voll Injurien und Calumnien.

Die Antwort blieb nicht lange aus: denn der Aſſeſſor Kornmann erhielt Befehl, auf die Anklage271 der Beckerin zu berichten, und zwar, quod probe notandum, gewißenhaft. Wie und was er be - richtet hat, oder ob er gar berichtet hat, habe we - der ich noch die Beckerinn erfahren: uͤbrigens war auch ſein Bericht nicht noͤthig, und iſt er ja ab - gegangen, ſo war es nur ſo pro forma. Ich ver - ſtand damals den Rummel noch nicht ſo, wie ich ihn jetzt verſtehe, ſonſt wuͤrde ich mich mit der Sache gar nicht haben eingelaßen.

Der Syndicus Streuber oder Streiber*)Ich verſtehe die Orthographie der eignen Namen unſerer Ge - richtsherren ſchlecht. Sie werden mir daher verzeihen, wenn ich falſche oder unrechte Buchſtaben ſetze. erhielt den Auftrag, denjenigen herauszubringen, und deßen Namen der Regierung anzugeben, welcher das Pasquill denn ſo nannte Hr. Streuber die Klage**)Er mag wohl Hn. P. Webers bekanntes vortreffliches Buch uͤber dieſen Gegenſtand damals noch nicht geleſen haben. gemacht habe. Ich war grade von Halle abweſend, und in Nordhauſen krank, als dieſe Unterſuchung angeſtellt wurde. Die Wende - burgin verrieth mich nicht, aber nach meiner Ruͤck - kehr rieth ich ihr ſelbſt, mich zu nennen. Hr. Streuber hatte indeßen ſich die Unterſuchung vom Hals gewaͤlzt, und jezt wurde ſie dem Hn. Doc - tor Stiſſer aufgetragen, welcher mich citiren ließ.

Wenn nicht Hr. Stiſſer die Commiſſion gehabt haͤtte, ſo waͤre ich nicht erſchienen, und ſollte man272 neun und neunzig beſchriebene Stempelbogen an mich geſchickt haben: denn weder die Regierung zu Magdeburg noch ihre Mandatarien und Deputirten zu Halle, wie ſie heißen moͤgen, Syndicuſſe, Hof - fiskaͤle etc. etc. etc. ſind meine Vorgeſetzten; aber ich kannte den Herrn Doctor, als einen ſehr ſoliden, braven und einſichtigen Mann, und erſchien.

Um bald loszukommen, geſtand ich alles gerne ein, doch hielt mich Hr. Stiſſer beynahe zwey Stunden auf, weil auch die Beckerinn und ihr Mann herbey mußten. Zum Ueberfluß hatte ich mich noch auf den Zinngießer Hn. Grundmann be - rufen, und einige Tage hernach wurde auch dieſer verhoͤrt.

Acht und zwanzigſtes Kapitel.

Luſtiger Arreſt. Der Regiſtrator Abel. Hempel der Amtsknecht.

Nach vielen Hin - und Herſchreiben, Protocoll - machen, Citiren, Verhoͤren und d. gl. kam endlich nach Pfingſten meine Sentenz von Magdeburg, nach welcher ich 1 Thlr. 4 gl. 6 pf. bezahlen und 48 Stunden im Arreſt ſitzen ſollte. Dieſes Ur -theil273theil war nun in der That nicht hart, und in der Sentenz hatten die Herren weder deſpotiſch noch anzuͤglich geſprochen. Hr. D. Stiſſer fragte mich, ob ich mit dem Spruche zufrieden ſey, oder ob ich dagegen einkommen wolle? Ich verneinte dieſes, und erklaͤrte, daß ich einſitzen wolle, nur muͤſſe es an einem Sonnabend und Sonntag geſchehen, da ich an den andern Tagen Unterricht zu geben haͤtte. Meine Frau erſchrack fuͤrchterlich, als ſie hoͤrte, ich muͤſſe aufs Karzer; aber ich erklaͤrte ihr alles, und fuͤhrte ihr Beyſpiele an, und ſie lachte, wie ich, obgleich aus verſchiedenen Gruͤnden.

Ich konnte mich ſehr leicht troͤſten: denn wie oft habe ich und andere ehrliche Kerle in Gießen wegen des vertrakten Eulerkappers ſitzen muͤſſen, zwey, drey Tage und noch laͤnger? Rief ich Abends: pereat Eulerkaper, kapper, kapper! und wurde entdeckt, ſo waren mir wenigſtens zwey Tage Kar - zerſtrafe gewiß. Der Aſſeſſor Kornmann glaubte ſich von mir beleidigt, und die Regierung glaubte es auch, alſo war es natuͤrlich, daß ich geſtraft wer - den mußte. Und doch iſt Hr. Kornmann eine ganz andere Perſon als der Gießer Eulerkapper: dieſer war ein elender Maͤdchenschulmonarch, ein Jo - hann Heinrich Eulerkapper, Ritter von Fellaga, des heiligen Roͤmiſchen Reichs Großkroneſelsohrtraͤger, Hunzfott,Laukh. Leben 5ter Theil S274und Schwerdfeger, und doch mußte man ein - ſtecken, wenn man pereat Eulerkapper, kapper, kapper! gerufen hatte! Zwar hatte ich den Hn. Kornmann gar nicht beleidigt,*)Injuria enim dictum eſt vel factum ſignificans (?) in contumeliam hominis honeſti dolo malo commiſſum. Herm. Vultejus. Ueber dieſe Definition der Injurie werde ich bey Gelegenheit, wel - che ſich mir, wie ich hoffe, bald darbieten ſoll, einen Com - mentar liefern. meiner Mey - nung nach naͤmlich, alſo im Grunde nicht, man muͤßte dann mit gewiſſen kuͤnſtlichen Criminaliſten eine injuria culpoſa annehmen; aber er hielt ſich fuͤr beleidigt, und da war doch wohl eine Satisfaction nothwendig. Ob ſich Hr. Kornmann auch druͤ - ber mag gefreuet haben? Sollte man ihn fragen, ſo wuͤrde er wahrſcheinlich antworten, er kuͤmme - re ſich wenig um mich; ob ich auf dem Bau oder in einem Bierhauſe ſitze, ſey ihm ganz einerley: ich ſey unter aller Kritik, und daher denke er nicht an das, was mich betraͤfe; haͤtte er aber gewußt, daß ich ſitzen ſollte, ſo haͤtte er es nicht zugegeben (!!) etc. etc. etc. etc. **)Sunt haec ipſiſſima verba. Auch hieruͤber liefre ich ſuo tempore einen Commentar, aber erſt ſuo tempore. Im Grunde aber mag er ſich doch recht herzlich gaudirt haben: denn ſonſt wuͤrde er bey der Regierung zu Magdeburg, wo er ſo viele Freunde hat, nicht πυξ〈…〉〈…〉 λαξ auf die Beſtra - fung des Schriftſtellers gedrungen haben. Ob er275 ſich aber auch uͤber dieſe gedruckte Nachrichten gau - diren wird, iſt eine andre Frage? Hier iſt nicht die Magdeburgiſche Regierung, ſondern das Deut - ſche, und bald auch*)Weil dieſe Biographie uͤberſetzt wird. das Franzoͤſiſche und Engli - ſche Publikum Richter, und da fragt es ſich, ob die Plurima auf ſeiner Seite ſeyn werden. Vehe - menter dubito!

Aber ich mußte einmal eingeſteckt werden, und ward es auch. Ohne einen Spieß**)Sechſer oder Sechspfennigſtuͤck. Lat. haſta, daher haſtatus d. i. ein Menſch, der Moſen und die Propheten hat, zu Deutſch, ein Beſpieſter. zu haben, zog ich zu Herrn Klappenbach und forderte Quartier. Herr Klappenbach nicht aber, wie einige ſu - perkluge geplappert haben, Herr Schlappenbach, der Obernepp, von welchem in meinem Aſtolfo Mention geſchieht ſagte mir, ich muͤßte noch einige Wochen warten, denn alle ſeine Quartiere waͤren beſetzt. Er hatte nicht Unrecht: denn eine kurz vorher entdeckte Spitzbubenbande hatte Anhang in Halle***)Quo undique cuncta atrocia et pudenda confla - unt, celebranturque. Tacit. Aun. L. XV. C. 45., und dieſer Anhang war damals auf allen Karzern und Gefaͤngniſſen einquartiert. Aber ich wollte einmal dem Herrn Aſſeſſor Korn - mann meine ἀπολυτϱωσις, zu Deutſch, meinen Loͤſepreiß leiſten nicht aber Buße thun: dennS2276warlich, es reuete mich nicht, des Hn. Aſſeſſors wegen an die Regierung geſchrieben zu haben und forderte alſo, daß Hr. Klappenbach mich ein - ſtecken moͤgte. Ich kam nun auf die Buͤrgerſtube, ein Loch, bey deſſen Anblick der Pſychologe ſowohl, als der Criminaliſt und der Satyriker reichlichen Stoff zu Expectorationen finden kann. Der Pſy - chologe wuͤrde ſich wundern, daß die Hallenſer zu - geben, daß ein Pißfaß da ſteht, worin der Urin mehrere Monate conſervirt wird, und wuͤrde vom dreymonatlichen Urin auf den Geſchmack unſerer Herren Hallenſer ſchließen, welche die Antiquitaͤten auch in dieſem Stuͤcke zu lieben ſcheinen. Der Cri - minaliſt wuͤrde ſagen, das ſey doch wohl kein Ge - faͤngniß, deſſen Waͤnde ein kleiner Junge einſtoßen kann: und der Satyriker vollends doch ſuo tempore plura!

Mein Hannchen brachte mir Kaffee, den ich frey - lich erſt haͤtte zu Hauſe trinken koͤnnen, und mein Fritzemann Acke waͤlzte ſich auf dem in der Came - ra obſcura d. i. dem Schlafzimmer liegenden Stroh, und ward ſo voll Laͤuſe, daß ihn meine Frau in einigen Tagen nicht reinbringen konnte. *)Haec phraſis notetur! Meinſt du?

Kaum war es bekannt worden, Laukhard ſey auf dem Gute, das heißt, auf dem Arreſt, ſo wur -277 de ich gleichſam beſtuͤrmt mit Beſuch: aber die Neugierigen wieß ich ab, weil ich mich nicht zum Object des Anguckens ad inſtar der Praͤdicanten, Profeſſoren, Komoͤdianten, Seiltaͤnzer, Hans - wurſte etc. machen wollte, ob ichs gleich ſelbſt ſchon oft genug geweſen war. Nur einige kamen wirk - lich in meine Putzſtube, aber keiner kam leer.

Der Magiſter Dornenſteeg hatte ſeine achtzehn - jaͤhrige Schnappspulle gefuͤllt, und wir leerten ſie; als wir grade am Ende waren, kam Hr. Kiepke, der Hirſchwirth mit einem derben Schnabes*)Schnapps. und einem Pack Taback. Unſer Geſpraͤch rollirte uͤber die Befugniſſe der Accisbediente, die Contrebande, welche confiscirt wird, utiliter ſich zuzueignen: doch wurde die ſchwere Frage geloͤſet, warum ein Defrandant weniger und mehr geſtraft werde, als ein anderer, und oftmals gar nicht. Mir kam die Frage immer ſchwer vor, aber einige Aufſchluͤſſe machten mir das Problem leicht. Auch Hr. Raack und Hr. Albrecht der Beutler bekanonirten mich, das iſt, ſie beſetzten meinen Arreſttiſch mit großen Breyhanskruͤgen, Canonen genannt.

Unter mir ſaß eine Theilnehmerin an der loͤb - lichen Geſellſchaft, welche Klappenbachs Quartie - re occupirt hatte. Dieſe induſtrioͤſe Communitas278 hatte weit und breit herum geſtohlen und geraubt, und es ſcheint, als wenn einige Oberaufſeher der lieben Polizey ſelbſt Theil genommen haben, nicht an der Operation ſelbſt, wohl aber an dem Ope - rirten; die Mail bey Halle, welche ſo oft in dieſem Werke ſchon genannt iſt, diente den Burſchen zur Niederlage, und Herr Brand der Mailwirth hatte woͤchentlich einen fixirten Gehalt fuͤr ſeine Gefaͤllig - keit. Er und alle, welche man entdecken konnte, wurden eingeſteckt.

Hier muß ich eine impertinente Luͤge widerle - gen, welche zur Schaͤndung der Wahrheit in ſo vie - len Buͤchern aufgetiſcht wird, naͤmlich daß die Folter im Preußiſchen durchaus abgeſchafft ſey. Wider die Folter hat man ſchon gewaltig geſchrie - ben, und dieſelbe als unſinnig und grauſam weit und breit verſchrieen; beſonders haben dieß unſre Philoſophen gethan. Preußen hat die Ehre, als der aufgeklaͤrteſte Staat in Europa angeſehen zu wer - den, und das mit Recht, und doch hat die Folter noch nicht aufgehoͤrt in Preußen! Baum, ein Theil - nehmer an der genannten Spitzbubengeſellſchaft, hat auf Befehl und Verordnung des Auditoͤrs mehr als tauſend Pruͤgel bekommen, weil er nicht geſte - hen wollte, was man aus ſeinem Munde zu hoͤren verlangte. Ob er die Wahrheit immer geſagt, oder279 manches Factum zum Schaden andrer, falſch angegeben habe, iſt ungewiß, und gar manche einſichtige Maͤnner finden in Baums Angaben, allerley Anomalien. Baum iſt indeſſen ein Be - weis, daß die Folter noch nicht abgeſchafft iſt: denn Pruͤgel, welche man geben laͤßt, um jeman - den nachbeten zu machen, was man ihm in Cauſa criminali vorſagt, verdienen den Namen der Fol - ter ſo gut als Daumenſchrauben und Spaniſche Stiefel. Freylich war Baum nichts als Soldat, und Soldaten werden in mancher Hinſicht angeſe - hen, wie die Sclaven auf Martinique: aber Baum war doch immer Menſch, und verdiente allemal als Menſch behandelt zu werden. Nach den Ge - ſetzen macht der Meyneyd infam, und das mit Recht: ein Musketier legte vor einigen zwanzig Jahren einen Meyneyd ab, und Ruſt der Soldat, welchen er als einen Dieb angegeben hatte, wurde beynahe todtgeſchlagen, weil er einen nicht begang - nen Diebſtahl nicht geſtehen wollte. Der geweſene General des Halliſchen Regiments, Adolph von Anhalt, erklaͤrte auf aͤcht Fuͤrſtlich, die Canaille ſo lange zu pruͤgeln, bis ſie bekennte oder verreckte, und der Auditoͤr Seyfert, cujus memoria eſt in ma - ledictione, befolgte den barbariſchen Befehl des Ty - rannen ſo artig, als wenn er die Schinderknechts - kunſt zu Gießen bey dem Kanzler Koch, dem Ante -280 ſignan der Schinderknechte*)Man ſehe Kochs Inſtitutiones juris Criminalis im An - hange, aber die aͤltern Ausgaben: denn Hr. Koch oder ſein Verleger mag ſich des Schinderknechtsunterrichts geſchaͤmt ha - ben; und ſo blieb er in den neuern Editionen weg. gelernt haͤtte: Ruſt wurde zum Kruͤppel geſchlagen, und wuͤrde endlich haben unterliegen muͤſſen, wenn die wahren Diebe nicht waͤren entdeckt worden. Der Menſch, wel - cher durch einen falſchen Eyd dem Ruſt die infame Behandlung zugezogen hatte, ward Unteroffizier. Auf den Bau haͤtte er ſollen geſchickt werden, aber er ward Unteroffizier, und endlich gar Offizier. Konnte man das Portdepee aͤrger brandmarken? Ich bin uͤberzeugt, wenn unſer ehrliebender Koͤnig die Ruſtiſche Hiſtorie wuͤßte, er riße dem Unwuͤr - digen den Degen von der Seite. Doch weiter!

Die Unterſuchungen der Spizbuͤbereyen der Brandiſchen Bande waͤhrt ſchon uͤber ein Jahr; Brand und ſeine Frau ſitzen noch, und niemand vermuthet einen baldigen Rechtsſpruch.

Montags fruͤh wurde ich meines Arreſtes ent - ledigt.

Einige Zeit nachher wurde ich auf die Waage gefordert, wo mir der Hofrath Dreyander einen Wiſch vorlegte, der an die Regierung zu Magde - burg von einen Kerl aus Trotha war geſchickt wor - den. Haben Sie das Ding gemacht, fragte Hr. Dreyander?

281

Ich. Nein.

Er. Si feciſti nega, eſt prima regula juris.

Ich. Die nur gar zu gut befolget wird.

Er. Beſonders vom Herrn Magiſter.

Ich. Herr Hofrath, bin ich hierher gerufen worden, um Beleidigungen zu hoͤren?

Er. Schon gut, ſchon gut! Haben Sie das Ding da gemacht?

Ich. Nein.

Er. Aber der Kerl hat's doch geſagt.

Ich. Und wenn auch.

Er. Dem Kerl muß geglaubt werden.

Ich. Mein Wort gilt doch ſo viel wie das Wort des lumpigen Kerls von Trotha.

Er. Das verſtehen Sie nicht. Der Kerl hat fidem; er indicirt ſeine complices. Die Sache ſoll naͤher unterſucht werden.

Ich. Hab nichts dagegen.

Er. Auf allen Fall kommen Sie garſtig in die Tinte.

Das war mein Beſcheid. Acht Tage nachher ließ mich Hr. Dreyander nochmals citiren: ich er - ſchien, wartete uͤber eine Stunde, und konnte kaum erhalten, daß ich weggehen durfte, indem der luſtige Kerl von Trotha, welcher aber doch mehr fidem als ich hatte, nicht kam. Kaum war ich zu Hauſe, ſo kam der Pedell Hr. Penke, und rief mich. Nun282 entdeckte ſich die ganze Sache. Der Regiſtrator Abel oder Apel von Gibichenſtein hatte den Wiſch fuͤr meine Arbeit ausgegeben, und da der dumme Kerl von Trotha ſelbſt nicht wußte, wer den Dreck geſchmiert hatte, ſo rieth ihm Abel, mich als den Verfaßer anzugeben. Dieß ſagte der Pinſel aus, und Dreyander ließ es zu Protocoll nehmen. Ich beſchwerte mich nun, uͤber die Impertinenz des Regiſtrators, Hr. Hofrath Dreyander verſprach mir Genugthuung, aber ich habe keine erhalten, und muß mir ſie ſelbſt nehmen, indem ich dieſe Hiſtorie dem Publikum erzaͤhle. Abel haͤtte, ſtatt in der Gerichtsſtube, den dummen Kerlen, Luͤgen und Falſchheiten zu inſpiriren, doch warlich an ſich und ſeine Fallibilitaͤten denken ſollen. Ich mag hier nichts von ihm herſetzen: denn Fremde kuͤm - mern ſich wenig um den Regiſtrator Abel, und Einheimiſche hoͤren in allen Kneipen genug von ihm, beſonders in Delau und auf dem Neumarkt in Halle. Madam Abel erzaͤhlt ganz frank und frey die allerſchoͤnſten Geſchichtchen von verbrannten Acten, von geſtohlnen Uhren u. d. gl. und die Leute tragen die Geſchichtchen von Kneipe zu Kneipe. Abel ſcheint aber gut friſch zu denken, und ſich um das Gerede der Leute nicht zu kuͤmmern. Er hat auch vollkommen Recht: denn je aͤrger man, mit Verlaub zu reden, den Dreck herumruͤhrt,283 deſto aͤrger ſtinkt er. Neulich reichte ſeine Frau ein derbes Ding gegen ihn ein, aber das Ding bewirkte grade ſo viel als ein Mahnbrief an einen boͤſen Schuldner. Man braucht ja Fidibus.

Da Herr Abel Amtsregiſtrator zu Gibichen - ſtein iſt, ſo faͤllt mir durch die Aſſociation der Ide - en der Amtsknecht Hempel ein. Sein Vorfahr Scharlach nannte ſich ſelbſt den Schwanz von der Gerechtigkeit zu Gibichenſtein, und dachte Wun - der, wie witzig er ſich ausgedruͤckt habe. Ich rei - ſte vor wenigen Jahren nach Schochwitz, und kehrte in Lieskau ein, um einen Schnapps zu machen. Als ich wegging, fragte ich die Wirthin, ob ich mei - ne Pfeiffe durchs Dorf fortrauchen duͤrfte? O ja, erwiederte die Wirthin, heute kommt Hempel nicht: er geht zu Gottes Tiſche.

Ich. Alſo wenn Hempel nicht kommt, darf man rauchen.

Wirthin. Freylich; was der nicht ſieht, darf jeder thun.

Ich. Aber kann mich denn keiner von den Her - ren ſehen, die im Amt ſitzen?

Wirthin. Ey was die andern Herren! die ſind Wenns nur Hempel nicht ſieht.

Ein ſolches Anſehen hat Hempel, von welchem man im eigentlichen Sinn der Worte ſagen kann, er habe die Gewalt zu zuͤchtigen und loszulaßen.

284

Neun und zwanzigſtes Kapitel.

Madame Ilſchnerin. Herr Doctor Thieß.

Warum ich dieſes Capitel hier einruͤcke, wird man verſtehen, wenn man es durchgeleſen haben wird: alſo bitte ich die Leſer, nicht gleich beym Anklotzen der Ueberſchrift ein Urtheil zu faͤllen.

Um die oͤffentliche Meynung, oder vielmehr um das oͤffentliche Geſchwaͤtz iſt es eine gar ſeltſame Sache. Laudatur ab his, culpatur ab illis, ſagte Horatius, und dieſes Wort iſt auf den Gegenſtand dieſes Kapitels ſehr anwendbar. Ganz Halle, und die Gegend weit und breit um Halle kennt die Frau Ilſchnerin, aber die Urtheile derer, welche ſie kennen, ſind gar ſehr verſchieden. Ich mache hier weder ihren Accuſator, noch ihren Apologe - ten, und erzaͤhle bloß das, was mich in Ruͤckſicht auf ſie angeht, das Uebrige moͤgen die Leſer ſich ſelbſt ſuppliren.

Vor ohngefaͤhr vier Jahren heyrathete ein ge - wißer Student*)Er laͤßt ſich zwar Commiſſar nennen: in den Acten aber heißt er Student, und die Acten duͤrfen doch in der Regel nicht luͤgen. eine alte Wittwe, welche da -285 mals noch reich war, und Madam Ilſchnerin war die Hayrathsſtifterin. Der Herr Student hatte aber grade kein Geld: denn wenn er ſich haͤtte hel - fen koͤnnen, wuͤrde er ſich wohl ſchwerlich ent - ſchloßen haben, eine alte an der Kruͤcke ſchleichende Schachtel zu heyrathen: freylich de guſtibus non eſt diſputandum, aber in Hinſicht auf alte Schach - teln iſt der Geſchmack ziemlich allgemein. Noch vor der Hochzeit veruneinigtr ſich der Student und ſeine Frau Braut mit Madam Ilſchnerin, und nun war des Raͤſonnirens kein Ende von beyden Seiten. Nachdem der Student ſeine Ehe, wenig - ſtens vor dem Prieſter, vollzogen hatte, verklagte er die Frau Ilſchnerin, und forderte einige Wech - ſel, wodurch er ihr viertauſend Thaler verſchrieben hatte, zuruͤck. In dem Laufe der Klage ergab ſichs, daß die Madam Ilſchnerin dem Studenten kein baares Geld gegeben hatte, und daß dieſer bloß um zu ſeinem Zweck zu gelangen, den Wechſel ge - ſchrieben hatte.

Um dieſe Zeit wurde ich mit Madam Ilſchne - rin bekannt, und fand ein ſehr gebildetes Frauen - zimmer in ihrer Perſon. Da ich mit ihrem Gegner mehrere Geſchaͤfte ſchon gehabt hatte, ſo unternahm ich es, einen Vergleich zu Stande zu bringen, und der Gegner war nicht abgeneigt, ſich Vorſchlaͤ - ge gefallen zu laßen, aber Madam Ilſchnerin war286 mit den Anerbieten ihres Feindes nicht zufrieden, zumal da ihr Sachwalter, der Stiftsamtmann Buͤttner verſicherte, der Prozeß koͤnne fuͤr Mada - me nicht verlohren gehen. Aber es heißt auch hier Fraudancur jure periti.

Der Prozeß ging verlohren, und zwar in allen Inſtanzen: die Acten ſind, wegen der vielen darin vorkommenden Allotria und alter und neuer Ge - ſchichten gar ſehr erbaulich zu leſen. Gedruckt haben ſie werden ſollen, und es wuͤrde auch geſche - hen ſeyn, wenn der Buchdrucker haͤtte auf Pump drucken, und bis ad calendas graecas mit der Be - zahlung warten wollen. Meine Bemuͤhungen, ei - nen Vergleich zu bewirken, waren alſo vergebens; doch ſetzte ich meine Beſuche bey Madam fort, weil ich wirklich viel Vergnuͤgen in ihrem Umgang fand. Indeßen hatte Frau Ilſchnerin auch Scandal mit ihrem Manne, und beyde Theile trugen auf Ehe - ſcheidung an. Die Acten dieſes Prozeßes ſind auch gar erbaulich zu leſen, und den Winter von 1800 bis 1801 durfte man nur den Univerſitaͤtskeller be - ſuchen, um aus dem Munde eines Hn. Auſculta - tors einen fidelen Auszug aus den die Ilſchneriſche Eheſcheidungsſache betreffenden Acten zu hoͤren. Der Hr. Auſcultator mogte nicht umſonſt auſcul - tirt haben. Ehe die Scheidung wirklich erfolgte, beſuchte ich die Madam noch immer; der Mann287 aͤrgerte ſich uͤber den Umgang ſeiner Frau, und Hr. Roͤpprich, ſein Advocat, brachte es dahin, daß der Frau Ilſchnerin aufgegeben wurde, von mir, dem Candidat Hn. Bernhard, und einem Landlaͤufer Namens Gebhard keine Beſuche mehr anzuneh - men. Madame hatte ſich auf mein Zeugniß in einer ganz unbedeutenden Sache berufen; Hr. Roͤp - prich, den die Sache nichts anging, weil ſie weder fuͤr noch wider ſeinen Klienten war, mach - te allerley Gloſſen vor Gericht uͤber meine Perſon, und uͤber mein Betragen, wofuͤr ich ihm hiermit oͤffentlich danke, und ihn verſichre, daß ich den weitern Dank ſuo tempore nicht ſchuldig bleiben werde. Aber freylich hatte ich mich an einem Freun - de des Hn. Roͤpprichs grob genug verſuͤndigt, und daher mag es wohl kommen, daß er meiner ſo un - gnaͤdig gedachte. Ich muß doch die Sache er - zaͤhlen.

Im Sommer 1800 ſchickte mir Hr. Magiſter Dornenſteeg oder Eichhorn einige Bogen zur Durch - ſicht, weil er ſelbſt nicht Zeit hatte. Ich ſahe das Ding an, und fand, daß es ein juriſtiſches Woͤr - terbuch ſeyn ſollte, aber von ſo erbaͤrmlicher Art, daß auch nicht ein einziger Artikel ohne einige Schock Schnitzer darin war. Hr. Boͤhme in Leipzig war der Verleger, und der verſtorbne Buch - drucker Hr. Cramer druckte es.

288

Wenn Hr. Boͤhme Ihr Freund iſt, lieber Cra - mer, ſagte ich zu dieſem, ſo ſchreiben Sie ihm, er moͤge ja nicht den traurigen Sudel drucken laßen: der Dreck wird zuverlaͤßig Makulatur, und um Ihnen zu beweiſen, daß ich Recht habe, wollen wir einen Mann fragen, der als competenter Be - urtheiler ſolcher Dinger kann und muß angeſehen werden. Wir gingen zu dem Hn. Profeſſor Koͤnig, und dieſer gelehrte und humane Jurisconſult er - klaͤrte das Machwerk fuͤr das non plus ultra alles juriſtiſchen Unſinns. Cramer ſchrieb das Urtheil des Hn. P. Koͤnigs an Hn. Boͤhmen, und mit dem dritten Bogen wurde der Druck des jaͤmmerlichen Sudels beſchloſſen. Der Verfaſſer war mir unbe - kannt, aber hinterher erfuhr ich, daß es ein ſehr naher Verwandter eines Freundes des Herrn Roͤp - prichs war. Nun konnte ich mir manches erklaͤren.

Madam Ilſchnerin wurde von ihrem Manne geſchieden, zog in die Stadt, und bekam bald ei - nen Freywerber, der aber bald wieder abtrat, und ihr einen derben Prozeß an den Hals warf, wel - cher gleichfalls erbaulich iſt. Bey der Gelegenheit meines Umgangs mit der Frau Ilſchnerin ward ich naͤher mit einem gewiſſen Mann bekannt, welcher Knorre heißt, und ſich durch ſeine Feder und durch die Induſtrie ſeiner Frau durchbringt. Knorre hat der Frau Ilſchnerin viel, ſehr viel zu danken, unddaher289daher war es mir auffallend, daß er endlich gar wider ſie auftrat, und ein Zeugniß zu ihrem Nachtheil ablegte. Es kann ſeyn, daß er die Wahrheit bezeuget hat, aber zum Nachtheil ſeiner Freundin mußte er es nicht thun, zumal da er nicht aufgefordert war, noch aufgefordert werden konnte. Knorre ſchrieb in Ilſchners Namen zwey Wechſel: Ilſchner leugnet dieſe Wechſel beſtellt, und Geld darauf empfangen zu haben. Die Sache iſt noch nicht ausgemacht. Wie wenn die Wechſel, als untergeſchoben, anerkannt werden? Hat nicht Knor - re alle Urſache, die Madam Ilſchnerin zu ſchonen, um ſich nicht die Gefahr zuzuziehen, fuͤr einen Fal - ſarius angeſehen zu werden? Hr. Knorre und ſeine Frau, welche ich nie beleidigt, haben doch die Guͤte gehabt, meiner ſo nach ihrer Art zu geden - ken, und ſogar den Anzug meiner Frau ihrer Cri - tik zu wuͤrdigen. Danke dafuͤr recht ſchoͤne, und da einer meiner Freunde naͤchſtens ein Werkchen uͤber das Jus Cambiale ſchreiben will Doch wei - ter im Text.

Im erſten Theil meines Aſtolfo kommt eine ge - wiſſe Madam Maſchkupi vor, eine bloß fingirte Perſon, unter welcher ich mir die Madam Ilſchne - rin wenigſtens ganz und gar nicht dachte. Eben ſo wenig dachte ich mir unter dem daſelbſt beſchrie - benen Magiſter ein Individuum aus der wirklichenLaukh. Leben 5ter Theil. T290Welt, und die dort genannten Mamſellen Spa - dille und Manille ſind bloß erdichtete Perſonen. Dieß iſt meine Erklaͤrung, welche mehr gelten muß, als alle Auslegungen muͤßiger Koͤpfe, auf welche der Spruch des Terentius*)Terent. Andriae prolog. angewendet werden kaun:

Faciunt nae intellegenda, ut nihil intellegant.

Indeſſen hat mir doch dieſe fatale Auslegung, welche wer weiß von wem zuerſt iſt aufgebracht worden, gar viel Verdruß zugezogen. Erſtlich machte mir die Madam Ilſchnerin ſelbſt Vorwuͤrfe druͤber, und ich hatte alle Muͤhe anzuwenden, um ſie nur gewiſſer Maaßen zu beruhigen, und dann hielten ſich andre gleichfalls fuͤr beleidiget, und gingen mir zu Leibe: einer davon drohte mir ſogar mit einer Klage. Ein gewißer Herr will ſogar in der Rathsſtube geſagt haben, von Mad. I. koͤnne man ſkandoloͤſe Nachrichten in Laukhards Buͤchern finden, und ein anderer wollte ſich ſogar drauf, als auf ein Document berufen. Man denkt leicht, daß mir ſo Etwas nicht gleichguͤltig ſeyn konnte: ich kuͤmmere mich zwar ſehr wenig um die Urtheile andrer Leute, aber ich mag doch nicht haben, daß man mich als einen Diffamanten ausſchreie und das wuͤrde ich auf alle Faͤlle ſeyn, wenn ich wirk -291 lich auf jene Perſonen angeſpielt, oder ſie gar naͤ - her beſchrieben haͤtte, welche die kurioͤſen Muͤßig - gaͤnger zu Halle unter meinen Perſonen wollen ver - ſtanden wißen.

Wer einen Roman ſchreibt, kann ohnmoͤglich vermeiden, daß nicht ſeine Perſonen einigen wo nicht ganz, doch zum Theil aͤhnlich ſehen, welche in der wirklichen Welt exiſtiren: es waͤre aber doch ein gewaltiger Fehlſchluß, daß der Schreiber eines ſolchen Buches auch grade jene Leute, welchen ſeine Fictionen aͤhneln, wirklich im Sinne gehabt, und Willens geweſen ſey, ſie zu beſchreiben, und ihnen auf dieſe Art wehe zu thun. Ich habe mich hieruͤber ſchon hinlaͤnglich erklaͤrt, aber die kuͤnſtlichen Leute ha - ben auf meine Erklaͤrungen nicht geachtet, und ihre Noten mit niemands Dank gemacht, blos um zu zeigen, daß ſie eine feine Naſe haben.

Herr D. Thieß hat mir auch die Ehre angethan, meinen Namen in ſeinen Theologiſchen Almanach fuͤrs Jahr 1802 zu ſetzen, nur wuͤnſchte ich, daß er es mit mehrerer Schonung gethan haͤtte. Er nennt mich den famoͤſen Laukhard. Das Wort famoͤs kommt aus dem Lateiniſchen her, wo fa - moſus im guten und boͤſen Sinn gebraucht wird: doch haͤufiger im lezten als im erſten. Im Deut - ſchen weiß ich nicht, ob es gute Schriftſteller von Menſchen in guter Bedeutung gebraucht haben. T 2292Schiller hat zwar einmal famoͤſe Niederlage geſagt, wo das Beywort bloß das Aufſehen und die großen Folgen anzeigt, welche jene Niederlage ge - habt hat. Doch ich will mich wegen dieſes Adjec - tivs mit Hr. D. Thieß nicht zanken: will mich der Herr Doctor wegen der wenigen Bekanntſchaft, die ich mir erworben habe, einen famoͤſen Mann nen - nen, ſo mag er es thun, und dann wird er es auch nicht uͤbel nehmen, wenn ihn jemand den famoͤſen Doctor Thieß nennt, auch Er iſt bekannt genug, und hat ſich durch ſeine, wie ich gern eingeſtehe, leſenswuͤrdige Lebensbeſchreibung, noch bekannter gemacht. Aber daß Herr Thieß ſagt, ich habe das Geheime Archiv der Zeit erbrochen, verſtehe ich nicht ganz. Geheimniße habe ich nie entdeckt; da - zu hatte ich weder Gelegenheit noch Willen. Ich habe freylich manche Geſchichte und manches Ge - ſchichtchen, auch manches ſkandaloͤſe Anekdoͤtchen in meinen Buͤchern vorgebracht; aber alle dieſe Dinge waren keine Geheimniße. Zum Beyſpiel, was ich von Carl Magnus dem Rheingrafen, von den Grafen von Leiningen geſchrieben habe, auch alles was in meinen Schriften von dem traurigen franzoͤſiſchen Kriege, von der laͤcherlichen und elen - den Beſchaffenheit der Reichsarmee und andern Dingen vorkommt, gehoͤrt nicht ins geheime Archiv der Zeit, ſondern iſt da, wo es geſchehen iſt, we -293 nigſtens bekannt genug geweſen. Meine Buͤcher ſind in den Haͤnden des Publikums, und werden in ganz Deutſchland und auch außer Deutſchland geleſen, und dennoch hat meinen Nachrichten noch niemand in Hauptſachen widerſprochen, wenn ich gleich gern zugeben will, daß ich dann und wann in Kleinigkeiten geirrt und einen Namen*)Z. B. im zweyten Band dieſes Werkes S. 329. kommt Krippenſtavel ſtatt Krippendorf vor. Deßwegen haͤtte aber ein gewiſſer Herr keinen großen Brief ſchreiben, und es mir zum Verbrechen machen muͤſſen, daß ich des Branntweinbrenners und Schenkwirths zu Neuſtaͤtt im Weimarſchen, Hn. Caſpar Krippendorfs Namen unrecht geſchrieben habe. Fehler dieſer Art finden ſich ſogar beym Thuanus und beym Hugo Grotius. unrecht geſchrieben habe. Meine Nachrichten ſind daher notoriſch wahr, und keineswegs aus dem gehei - men Archiv der Zeit gezogen, welches ich nicht er - brechen kann. Hr. Thieß erzaͤhlt ja ſelbſt eine Menge Anekdoten, die gewiß manchem nicht ſchme - cken werden. Deßwegen hat aber Hr. Thieß noch lange kein Archiv erbrochen. Man nimmt es ſehr uͤbel, und zwar mit Recht, wenn ſich jemand un - terſteht, aus einem Archiv, wozu er Zugang hat, Documente zu entwenden, oder Nachrichten oͤffent - lich bekannt zu machen, deren Publicitaͤt dem Be - ſitzer des Archives nachtheilig ſeyn kann: was wird man erſt von einem Menſchen denken, welcher ge - heime Archive erbricht, und den Inhalt derſelben mit des Henkers Dank unter die Leute bringt? 294Uebrigens iſt mir des Hn. Doctors Anzeige nicht ſchaͤdlich, und daher bin ich gar nicht unzufrieden mit ihm, vielmehr verehre ich ſeine großen Kennt - niße und Verdienſte, und ſchaͤtze ſeine edle Frey - muͤthigkeit, und freue mich, einem ſolchen Mann bekannt zu ſeyn.

Dreyßigſtes Kapitel.

Meine literariſche Arbeiten ſeit 1799.

Der letzte Theil meiner Schildaiſchen Annalen kam auf Oſtern 1799 heraus, im Sommer ſchrieb ich mein Werkchen uͤber den Amiciſtenorden, wes - halben ich einigen Verdruß mit dem ſeeligen Pro - feſſor Krauſe und dem damaligen Univerſitaͤtsdirec - tor Hr. G. R. Klein hatte. Ich mußte einige Sei - ten umdrucken laßen. Außer dieſem Buͤchlein, welches ſogar von den Recenſenten iſt gut aufgenommen worden, und woruͤber der Verfaßer der Schrift Graf Gerido von Taufkirchen ſehr beſcheidene Anmerkungen gemacht hat,*)In der Vorrede zum zweyten Theil dieſes im Grunde leſens - werthen Buches. ſchrieb ich noch einen Roman, Franz Wolfſtein oder Be -295 gebenheiten eines dummen Teufels, in zwey ziemlich ſtarken Baͤnden. Die Recenſenten dieſes Buchs haben unter andern es ſehr uͤbel genommen, daß ich in einer Anmerkung geſchrieben hatte, die Univer - ſitaͤt, oder vielmehr die mediciniſche Fakultaͤt zu Erfurt habe einen jungen erzunwiſſenden Men - ſchen, welcher ſchon in Halle ſey abgewieſen wor - den, ohne Examen und ohne Diſputation fuͤr baar Geld zum Doctor der Arzneykunſt gemacht, und haben deßwegen dieſe Fakultaͤt aufgefordert, ſich zu vertheidigen; aber die Apologie iſt ausgeblie - ben, wahrſcheinlich, weil die Fakultaͤt ſie nicht ſelber wollte. *)Non poſſum, ich will nicht.

Auf Oſtern 1800 gab ich einen Band Novel - len heraus, welchem der zweyte auf Michaelis nach - folgte, und einen Roman in zwey Theilen Mar - ki von Gebrian. In der Novellenſammlung kommen kleine Romane, und zum Theil auch wah - re Erzaͤhlungen vor; im Gebrian aber wollte ich die franzoͤſiſchen Emigranten von jener Seite ſchil - dern, von welcher ſie mir bekannt worden waren. Ich kenne einige Emigranten, welche verdienen, geehrt und geſchaͤtzt zu werden: aber die Meiſten et tantum non omnes ſind elende Wichte, welche von Unwiſſenheit, Stolz und Impertinenz ſtrotzen,296 und bey all ihrer innerlichen und aͤußerlichen Trau - rigkeit die deutſche Nation, bey welcher dieſe Bett - ler Brodt und Schutz finden, verachten und haſ - ſen. Die Emigranten-Canaille iſt unſerm Vater - lande ſchaͤdlicher geweſen, als die Peſt zu Davids Zeiten dem juͤdiſchen Lande war. Alle dieſe Schrif - ten, den Amiciſtenorden ausgenommen, hat Hr. Fleiſcher in Leipzig verlegt. Hr. Guͤnther in Pe - gau verlegte meinen Grafen von Vitacon, einen Emigrantenroman in zwey Baͤnden, worin aber andre Perſonen aufgeſtellt ſind, als im Gebrian. Auf Oſtern 1801 kam meine Ueberſetzung einer anonymiſchen Piece, Bonaparte und Cromwell mit meinen Anmerkungen heraus, welche mir deß - wegen wuͤrdig geſchienen hat, auch in Deutſchland bekannt zu werden, weil der franzoͤſiſche Verfaſ - ſer ſehr richtige Urtheile uͤber den Oberconſul ſeines Volkes vorbringt, welche manches falſche Urtheil, uͤber den ſonſt großen Mann rectificiren koͤnnen. Beynahe zwey Jahre arbeitete ich an einem Werke uͤber die Geſchichte Europas von Carl dem Großen bis auf unſre Zeit. Dieſes Werk iſt unter dem Titel: Bild der Zeit mit Kupfern in zwey Baͤn - den erſchienen, und ſoll, wenn ich einigen Re - cenſenten und einigen ſachkundigen Leſern trauen darf, ſeinem Zweck entſprechen. Ich wollte das Studium der Geſchichte durch eine richtige und297 lichtvolle Darſtellung leichter und angenehmer ma - cher; ob ich aber dieß habe leiſten koͤnnen, wage ich nicht zu entſcheiden. Ich that wenigſtens, was ich thun konnte. Ein Erfurter Recenſent, er heißt glaube ich, Dominicus, hat verſchiedne antipa - piſtiſche Aeußerungen in meinem Werke getadelt, und das ſehr conſequent: denn wer nach moͤn - chiſchen Grundſaͤtzen erzogen iſt, der muß auch nach moͤnchiſchen Principien recenſiren: ſind ja doch auch die Recenſenten der A. L. Zeitung und der deutſchen Bibliothek ihren philoſophiſchen Grundſaͤtzen ſo ziemlich getreu, warum ſollte es der Erfurter Recenſent nicht auch den ſeinigen ſeyn? Aus guten Gruͤnden ſetzte ich meinen Na - men nicht auf den Titel des Bildes der Zeit: aber ſieben ſchoͤne Kupfer dienen ihm zur vorzuͤglichen Zierde.

Von meinem Aſtolfo erſcheint jetzt der dritte und letzte Band, und auf Oſtern dieſes Jahres iſt ein Theil meines Anekdotenbuches fertig geworden. Einiges habe ich anonymiſch herausgegeben, und finde es noch nicht nothwendig, meine Anonymi - taͤt in dieſer Hinſicht aufzugeben. Einiges hat man auch ſchon auf meine Rechnung geſchrieben, wovon ich aber nicht Verfaſſer bin. In Hn. Meu - ſels gelehrtem Deutſchland findet ſich eine gewalti - ge Menge von Fehlern dieſer Art, welche aber298 beynahe nicht vermieden werden koͤnnen, bey ei - nem Werke von ſolchem Umfang.

Meinen Unterricht bey den hieſigen Studie - renden habe ich nach meinen Kraͤften immer ſo be - trieben, daß ich hoffen konnte, meine Herren Zu - hoͤrer wuͤrden wahren Nutzen von meinen Lectionen haben. Mit einigen wiederholte ich die Kirchenge - ſchichte, mit andern die theologiſche Dogmatik, und da ich mir ſeit einigen Jahren einige Kennt - niſſe in der Rechtswiſſenſchaft, beſonders im Ju - ſtinianiſchen -, Canoniſchen - und Staats-Recht er - worben habe, ſo fand ich ſchon einige Mal Gele - genheit, auch dieſe Diſciplinen zu repetiren: die he - braͤiſche, griechiſche und lateiniſche, wie auch ei - nige neuere Sprachen, habe ich mitunter auch ge - lehrt, und lehre ſie noch. Seitdem Hr. Wolf hier das philologiſche Studium wieder è tenebris zuruͤck gerufen hat, finden ſich mehrere Liebhaber der Sprachkunde, als ehemals in Halle. Die ſchoͤne Spaniſche Sprache ſogar, welche bisher ganz und gar vernachlaͤßigt wurde, weil man ſie aus Un - kunde der wirklich ſchaͤtzbaren Spaniſchen Literatur fuͤr unnuͤtz hielt, findet ihre Schuͤler. Ob aber auch das Studium der Morgenlaͤndiſchen Sprachen einſt in Halle in gebuͤhrenden Flor kommen wird, iſt eine Frage, welche ich nach der jetzigen Lage der Dinge nicht bejahen kann. Wir haben zwar299 fuͤr die Sprachen des Orients recht gute Lehrer, die Herren Vater und Wahl, aber dieſe Herren koͤnnen wegen gewiſſer Radicalfehler, doch nur aͤuſſerſt wenig bewirken. Dieſe Radicalfehler lie - gen theils in den Vorurtheilen, welche unſre Stu - dierenden beherrſchen, theils in dem Mangel an Huͤlfsmitteln, die zur Orientaliſterey nothwendig ſind. Ich werde mich naͤher erklaͤren. Die mei - ſten Studenten et tantum non omnes, glauben, die morgenlaͤndiſchen Sprachen ſeyen uͤbermaͤßig ſchwer, und koͤnnten nur durch die aͤußerſte An - ſtrengung erlernt werden. Dieſes wirklich unge - gruͤndete Vorurtheil kommt aber daher, daß die jun - gen Leute einen pedantiſchen Unterricht auf Schu - len gehabt haben. Um eine Sprache zu lehren, und dem Anfaͤnger Geſchmack daran beyzubringen, muß man auch die Sprache verſtehen, und recht gruͤndlich verſtehen, ſonſt wird der Unterricht con - fus und abgeſchmackt. Nun aber ſind viele von denen, welche auf Schulen das Hebraͤiſche lehren ſollen, ſelbſt traurige Suͤnder in dieſer Sprache, und deren Grammatik, und fuͤhren eine Lehrart, die kein Menſch verſtehen und nuͤtzen kann. Jun - ge Leute ſchreiben aber das der Sprache ſelbſt zu, was doch der Unwiſſenheit des Docenten haͤtte ſol - len zugeſchrieben werden, und laſſen ſich ab - ſchrecken.

300

Das andre Vorurtheil der Studenten in Hin - ſicht auf die morgenlaͤndiſche Sprachen erklaͤrt die - ſelben fuͤr uͤberfluͤßig und unnuͤtz. Ich brauche, heißt es, das alte Teſtament ja nicht zu verſte - hen; genug wenn ich das neue verſtehen lerne. Aber die Herren bedenken nicht, daß ſie ohne Kennt - niß des Hebraismus, und folglich auch der Arabi - ſchen Sprache, ohne welche die Hebraͤiſche unmoͤg - lich erlernt werden kann, das neue Teſtament noch viel weniger verſtehen koͤnnen, als ohne Wiſſen - ſchaft der Griechiſchen Sprache. Da hoͤren ſie zwar zwey Jahre hinter einander die ſogenannte Exegeſe des neuen Teſtaments, und wenn ſie fertig und recht fleißig geweſen ſind, koͤnnen ſie zwar nachbeten, aber nicht gruͤndlich erklaͤren.

Dieſes Vorurtheil verſtaͤrken die Conſiſtorien auf eine hoͤchſt unanſtaͤndige Weiſe, indem ſie Leute durchlaſſen, wie man ſagt, und als Candidaten approbiren, welche kaum hebraͤiſch leſen koͤnnen. Dieß iſt Unrecht, und vermehrt die Traͤgheit der Studierenden, welcher doch nach dem Willen des Koͤniges nicht vorgearbeitet werden ſoll. Da den - ken dann die jungen Herren, ſie brauchten ja das juͤdiſche Zeug ſo nennen ſie die alte ehrwuͤrdige hebraͤiſche Sprache, vor dem Conſiſtorium nicht, weßhalben ſie dann dieſelbe nun noch lernen ſoll - ten? Es waͤre ſehr zu wuͤnſchen, daß die Exami -301 natoren in dieſer Hinſicht etwas ſchaͤrfer, hingegen in Ruͤckſicht der kritiſchen Philoſophey nachgiebiger waͤren.

Endlich hindert auch der Mangel an Huͤlfs - mitteln das Studium der Orientaliſchen Literatur gar ſehr. Fuͤr das Hebraͤiſche giebts nun wohl noch Huͤlfsmittel genug, Bibeln, Verſionen, Le - xika, Januen, Claves, Eſelsbruͤcken von allerley Art, u. ſ. w. aber fuͤr die arabiſche Sprache, oh - ne welche die hebraͤiſche nie gruͤndlich erlernt werden kann, ſind die Huͤlfsmittel ſehr ſelten, und bey der jetzigen Lage der Dinge, laͤßt ſich kaum hoffen, daß dieſer Mangel aufhoͤren werde. Wir haben ja nicht einmal ein ertraͤgliches Handlexi - kon, und an wohlfeilere Ausgaben der beſten Schriftſteller iſt gar nicht zu denken, da ſogar man - che wichtige Werke dieſer Literatur noch uͤberhaupt nicht gedruckt ſind.

Ein und dreyßigſtes Kapitel.

Annalen der Univerſitaͤt zu Halle von 1801 und 1802.

Herr G. R. und Prof. Meckel war Prorektor der Halliſchen Univerſitaͤt, als im December 1800 der302 bisherige Direktor Klein abging, um in Berlin das Amt eines Tribunalraths zu uͤbernehmen. Herr Klein hatte nie das Zutrauen der Studenten gehabt a potiori naͤmlich ich mag aber nicht unterſuchen, ob er ſelbſt oder vielmehr die Studen - ten an dieſem Mißverſtaͤndniß Schuld waren. Hr. G. R. Meckel fuͤhrte aber ſein Prorektorat ſo, daß jederman, die Studenten und die Buͤrger, voll - kommen damit zufrieden waren. Herr Meckel iſt ein Mann, welcher ſtets mit Arbeiten zum Beſten der Leidenden, gleichſam uͤberladen iſt. Kleinig - keiten ließ er alſo ſobald durch, als es nur immer moͤglich war, und befolgte bey der Unterſuchung der Vergehungen gewiſſe Grundſaͤtze, welche den wahren Zweck des Prorektorats, naͤmlich die Erhal - tung der oͤffentlichen Ruhe und der guten Sitten, ungemein befoͤrderten. Das Meckeliſche Prorekto - tat ging voruͤber ohne ein einziges auffallendes Skandal, und Herr Klappenbach, der Oberauf - ſeher der Karzer, verſicherte, daß er nie weniger, als waͤhrend dieſer Zeit, verdient habe. Ich glaubs ihm gerne: denn Meckel beſann ſich erſt, ehe er jemand aufs Karzer ſchickte, wo die Studenten ſo recht eigentlich geſtraft, das heißt um ihr Geld, und um ihre Zeit gebracht werden.

Profeſſor Jakob ward Prorektor nach Meckel, und gleich anfangs trug man ſich mit allerhand Ge -303 ſpraͤchen von Verbeſſerungen, welche der neue Ma - giſtrat vornehmen wuͤrde. Es blieb jedoch alles ruhig, ſo ziemlich naͤmlich, bis gegen den Herbſt 1801, wo die ſogenannten Studentenkraͤnzchen aufgehoben werden ſollten.

Ehedem exiſtirten in Halle eine große Menge Ordensbruͤder, welche unter dem Namen der Uni - tiſten und Conſtantiſten vorzuͤglich bekannt waren. Es gab zwar auch zu gewiſſen Zeiten Inviolabi - liſten, Deſperatiſten und andre Klicken mit ſelt - ſamen Namen, aber dieſe kamen vor jenen nicht recht auf, und unter andern nahm der Orden der Herren Deſperatiſten ein gar deſperates Ende. Die Univerſitaͤt war immer aufmerkſam auf die Ordens - verbindungen, und ſtellte mehrmals ſcharfe Unter - ſuchungen darwider an: aber ganz vertilgt wurden ſie doch nie, bis es der Mehrheit der Studenten ſelbſt einfiel, gegen die Orden zu agiren, und ih - nen ein derbes Bollwerk entgegen zu ſetzen. Dieſes Contra gegen die Orden ſollten die Kraͤnzchen wer - den, welche die verſchiedenen Landsmannſchaften unter ſich errichteten, und den Orden opponirten. Das Ding hatte den beſten Erfolg; die Orden wur - den gewiſſer Maaßen infamiſirt, und gingen ſo nach und nach ein, wenigſtens wurden ſie unſicht - bar, wie die unſichtbare chriſtliche Kirche, und304 niemand bekannte ſich mehr zu dieſen geheimen Ge - ſellſchaften.

Die Kraͤnzchen exiſtirten ganz oͤffentlich, und ſogar ein Verfaſſer einer Poetiſchen Blumenleſe de - dicirte einem Kraͤnzchen ſeine Sammlung: Wenn die Kraͤnzchen oͤffentlich am Neujahrsabend oder am Tag der ſogenannten Prorektorwahl commerſirten, ſo hatten ſie die Ehre, von Profeſſoren, ja ſogar vom Prorektor ſelbſt beſucht zu werden. Dieſe Herren commerſirten zwar nicht ſelbſt mit, aber ſie approbirten doch durch ihre Gegenwart das Kraͤnz - chen und den kraͤnzianiſchen Commers.

Die Kraͤnzchen ſind, wie ich an einem andern Orte*)In meiner Schrift uͤber den Amiciſten-Orden. Halle bey Cra - mer 1799. hinlaͤnglich bewieſen habe, von den eigent - lichen Orden im Grunde wenig unterſchieden; ihr Zweck iſt wie der Zweck der Orden, ein Streben nach einer freylich nur eingebildeten Herrſchaft auf der Akademie: da ſie jedoch nicht ſo viele Alfanze - reyen und myſterioͤſe Fratzen haben, als die Orden, ſo koͤnnen ſie nicht ſo ſchaͤdlich werden, als dieſe, und koſten auch bey weitem nicht ſo viel Geld. Ich fuͤr meinen Theil bin vollkommen uͤberzeugt, daß junge Leute ohne alle Verbindung auf Univerſitaͤten wederexiſti -305exiſtiren koͤnnen, noch exiſtiren ſollen: ſo lange der - gleichen Verbindungen, Kraͤnzchen, Landsmann - ſchaften etc. nicht in renommiſtiſche Klicken ausar - ten, und ſo den Zweck der Univerſitaͤterey ſelbſt hin - dern, ſoll und muß man ſie toleriren, damit nicht Etwas ſchlimmeres entſtehe, wenn man ſie zer - ſtoͤrt.

Aber von Seiten der Univerſitaͤt, oder vielmehr von Seiten des Curatoriums zu Berlin dachte man anders, und verbot die Kraͤnzchen bey ſchweren Strafen. Herr Prof. Meckel ſtellte waͤhrend ſei - nes Prorektorats keine Inquiſition gegen die Kraͤnz - chen an, aber Herr Jakob that dieſes, und die Studenten glaubten, er allein ſey die Urſache der ihnen ſo unangenehmen Unterſuchung, und warfen einen Vaturianiſchen Haß auf ihn, der ſich durch allerley ziemlich derbe Exploſionen aͤußerte.

Der Prorektor ließ ſich nicht irre machen, und verordnete am ſchwarzen Bret, daß alle Senioren und andre bey den Kraͤnzchen Chargirten ſich bin - nen acht Tagen angeben, die Geſetze der Verbin - dungen nebſt den Degen und Rappieren extradiren, und ein Verzeichniß aller Verbuͤndeten ſtellen ſoll - ten: widrigenfalls wuͤrde man wider ſie ſtreng nach den Geſetzen verfahren: die Klicken und alle Theil - nehmer an denſelben ſeyen hinlaͤnglich bekannt etc.

Laukh. Leben 5ter Theil. U306

Dieß war ein Donnerſchlag fuͤr die Herren Kraͤnzianer! Dieſe hatten ſich nichts weniger als ſo Etwas vermuthet, und hatten daher ſich gar nicht in Acht genommen, um ihre Verbindungen geheim zu halten, wie ſie doch der Klugheit gemaͤß haͤtten thun muͤſſen, da ſchon einige Jahre vorher das Halten der Kraͤnzchen unterſagt worden war. Aber jeder Schuſter und Schneider, jeder Kraͤnzianiſcher Kneipenhalter, jeder Stiefelwichſer und jeder Pferdephiliſter wußte ganz genau, wer zu dieſem oder zu jenem Kraͤnzchen gehoͤrte, und da konnten die Herren leicht vermuthen, daß der Prorektor mit ihren Verbindungen bekannt ſey. Auſſerdem ſollen auch, wie man ſich nicht ins Ohr, ſondern ganz laut auf der Straße ſagte, Angeber und Maͤhr - chenstraͤger aus der Zahl der Halliſchen Studenten ſelbſt herumſchleichen, und das, was ſie erfahren koͤnnen, wieder ausplaudern, und ſogar bey den Vorgeſezten angeben. Ich bin zwar vollkommen uͤberzeugt, daß Herr Jakob ſich keines Angebers und keines geheimen Spions bedient habe, um die Heimlichkeiten der Studenten zu erfahren: denn dergleichen thut kein rechtlicher Mann, und dann war es ja auch gar nicht noͤthig, da er andre Mit - tel genug in Haͤnden hatte, die Kraͤnzchen und de - ren ganzes Zubehoͤr hinlaͤnglich zu entdecken. In - deſſen glaubten dieſes doch die Kraͤnzianer, und307 um ſo vielmehr mußten ſie glauben, der Prorek - tor wiſſe um alles, was ſie anging.

Gleich nach dem obgedachten Anſchlag verſam - melten ſich die Kraͤnzchen, und nach einigen De - batten wurde beſchloſſen, der Aufforderung nicht zu gehorchen, ſondern das Aeuſſerſte zu erwarten. Waͤren die Senioren Leute geweſen, welche noch lange auf der Univerſitaͤt haͤtten bleiben wollen, oder haͤtte die Pluralitaͤt der Geſellſchaften aus Auslaͤndern beſtanden, ſo waͤre es vielleicht dabey geblieben, aber ſo waren beynahe alle Landeskinder, und die Senioren waren naͤchſtens im Begriff, die Akademie zu verlaſſen. Unter ſolchen Umſtaͤnden wurde das Concluſum weislich abgeaͤndert, und Degen, Rappiere und Geſetze wurden ausgeliefert.

Bis jezt war alles ſtille wie mans ohnge - faͤhr von Univerſitaͤten ſagen kann hergegan - gen; aber nun entſtand eine gewaltige Gaͤhrung auf der ganzen Akademie; die Studenten glaubten in ihren Rechten gekraͤnkt zu ſeyn, und dem Pro - rektor wurden manche Pereat's geſchrieen. Ich ging eines Abends hinter dem Rathhaus herunter, um mich auf den Univerſitaͤtskeller zu begeben. Von ferne hoͤrte ich pereat tief! tief! rufen, kuͤmmerte mich aber nicht um dieſes Geſchrey, und ging weiter. Einige Menſchen, vielleicht Studen - ten, vielleicht auch keine Studenten, liefen nebenU 2308mir vorbey; als ich aber gegen das Rathhaus kam, hielten mich einige Neppe an, welche, wie es ſcheint, den Perificanten nachgerennt waren. Was wollt Ihr, fragte ich? und die Neppe, welche mich kennen mogten, ſagten: ach, Sie haben gewiß nicht pereat geſchrieen! und ließen mich gehen.

Nach und nach legte ſich der Unwillen der Stu - denten, und es ſcheint auch, daß die Obrigkeit von der Strenge der Geſetze nachgelaſſen habe. So wurden z. B. die Commerſe nicht nur in der Stadt, ſondern auch auf den Doͤrfern, und namentlich zu Riedeburg unter ſtrengen Strafen unterſagt. Das war zwar ſchon oͤfter geſchehen, aber dießmal wurde ſogar an die Saͤchſiſchen Gerichte deßwegen requirirt. Nicht lange nachher, als dieſer Befehl angeſchlagen worden war, hielten mehrere Stu - denten in Riedeburg einen flotten Commers, und der Herr Richter ſahe zu, und gaudirte ſich ob der Fidelitaͤt. Nach dieſer Zeit ſind oͤfters Commerſe bey Herrn Zacharias Schmid in Riedeburg gehal - ten worden, aber alle ohne Ahndung.

Mit den Staͤndchen oder Abendmuſiken ging es eben ſo. Dieſe waren ſtreng verboten, aber die Obſervanz hat ſie wieder erlaubt gemacht: Oft - mals fiel mir bey dergleichen Vorfaͤllen die Stelle aus dem Horatius bey:

309

Quid leges ſine moribus Vanae prot[i]ciunt?

Lieber gar keine Geſetze, als ſolche, welche man nicht ſtreng halten machen kann, oder nicht mag. Il vaut mieux de ne faire point de loix, que d'en faire des impuiſſantes, ſagt Montesquieu, und er hat Recht. Un magiſtrat, qui menace toujours, mais qui n'y donnes pas de poids, ſe fait mépriſer, ſagt der Verfaſſer des Buchs: ſur les moeurs,*)Duclos. und er hat auch ſehr Recht, wie die leidige Erfah - rung taͤglich beweiſet.

Eins hat indeſſen der Prorektor, Herr Jakob, recht gut gemacht, und jederman, ſelbſt die Stu - denten, danken ihm dafuͤr. Er hat die haͤßlichen Halliſchen Bordelle, oder die Hurenloͤcher zerſtoͤrt, wo die jungen Leute in den Grund verderbt wur - den. Die ſchaͤndlichen Halter ſolcher infamen Wirth - ſchaften zogen die Herren an ſich, indem ſie ihre feile Waare ſtets ankuͤndigten, und aufs Beſte her - ausſtrichen. Sie ſtanden ſich auch recht gut da - bey, konnten jubeln nach Herzensluſt, konnten alles mitmachen, und achteten kein Geld, da ſie dergleichen ſehr leicht verdienen konnten. Aber ſeit - dem die Wirthſchaften aufgehoͤrt haben, geht es dieſen Prieſtern und Prieſterinnen der niedrigen310 Wolluſt gar klaͤglich. Freylich wird es nie an fei - len Menſchern fehlen, aber es giebt doch keine oͤffentliche Tempel der Wolluſt mehr, und das iſt ſchon ſehr viel.

Wenn Herr Prof. Jakob, oder das Curatorium zu Berlin auch den Schaden hindern koͤnnte, oder wollte denn warum ſollte es unmoͤglich ſeyn? welchen die Komoͤdie zu Lauchſtaͤdt jaͤhrlich fuͤr die Halliſchen Studenten ſtiftet, ſo wuͤrde das dadurch erworbene Verdienſt warlich ſehr bedeutend ſeyn. Dieſe Komoͤdie verfuͤhrt die Studenten nicht nur zu ſehr betraͤchtlichen Ausgaben, welche das Vermoͤ - gen der Meiſten uͤberſteigen, ſondern haͤlt ſie der - geſtalt vom Studieren ab, daß Viele den ganzen Sommer uͤber gar nichts lernen. Wenn ich einem Vater rathen ſollte, deſſen Sohn in Halle ſtudiert, ſo wuͤrde ich ihn zu bewegen ſuchen, den jungen Herrn nur den Winter uͤber daſelbſt zu laſſen, und den Sommer zu Hauſe zu behalten. Ich rede aus vieljaͤhriger Erfahrung. Es waͤre beſſer, man er - laubte, waͤhrend der ſogenannten Lauchſtaͤdter Zeit ein Schauſpielhaus in Halle ſelbſt: dieſes wuͤrde unendlich weniger uͤble Folgen haben, als das Theater in dem koſtbaren und doch uͤber allen Glau - ben elenden Lauchſtaͤdt.

Sonſt wird die Lebensart unſrer Studierenden von Tag zu Tag artiger und geſitteter. Die alte,311 in das Weſen der Studenten ſelbſt verwebte Re - nommiſterey hat beynahe voͤllig aufgehoͤrt, und ſelten ſieht man noch auffallende Kleiderfratzen, Stuͤrmer,*)Huͤte, wie man ſie im Jahr 1672 in Spanien getragen hat. Uniformen, Canonenſtiefel u. d. gl. Aber der Fleiß, welcher den Wiſſenſchaften gebuͤhrt, ſcheint auch taͤglich abzunehmen, und die Herren Examinatoren tragen dazu das Ihrige maͤchtig bey. Menſchen paſſiren durch juriſtiſche Examina ich wills beweiſen, wenn man mich auffordert die auch die erſten Linien der Rechtswiſſenſchaft nicht gelernt haben. Ich habe noch vor einigen Wochen ein Teſtimonium geſehen, worin beſtaͤtiget wurde, daß Hr. das Civil - Criminal - Kirchen - und Staatsrecht, wie auch die Rechtsgeſchichte fleiſ - ſig gehoͤrt habe; aber ganz Poſſendorf und Lauch - ſtaͤdt kann bezeugen, daß er in alle dieſe Collegia wenig kommen konnte, weil er nicht in loco war. Was ihn ſein Examinator mag gefragt haben, weiß ich freylich nicht, aber das weiß ich wohl, daß er auf die Frage, wie culpa und dolus in criminalibus differirten, antwortete, dolus ſey alsdann, wenn der Delinquent ſeine Sachen liſtig geſpielt habe, culpa aber ſey gewaltſames Verbrechen, z. B. Straſ - ſenraub: bey jenem, dem dolus faͤnde Entſchuldi - gung Statt, bey dieſer aber nicht. Iſt ſo Etwas312 nicht erbaulich? Doch wuͤrde ich ſehr ſuͤndigen, wenn ich nicht oͤffentlich geſtehen wollte, daß es uns an jungen Maͤnnern nicht fehlt, welche den Wiſſen - ſchaften Ehre machen, und dereinſt die Zierde der - ſelben ſeyn werden.

Zu bedauern iſt es aber doch, daß die Theolo - gie in Halle, wo ſonſt ein Semmler lehrte, nun nach gerade zur Concordienformel zuruͤck krebsgaͤn - gert. Das alte Ding, Syſtem mit Unrecht ge - nannt, welches die Nicaͤniſchen und Chalcedonenſi - ſchen Fratzen, nebſt den Fratzen des h. Auguſtinus, Anſelmus und Luthers Privatmeynungen und an - dre unverdaute Saͤtze aufſtellt, wird unſern Stu - dierenden zur Schande des neunzehnten Jahrhun - derts noch immer vorgeleyert, und die jungen Maͤn - ner, welche in ihren Schuljahren geſcheidere Sa - chen gehoͤrt haben, moͤgen kratzen, ſcharren und laͤrmen, wie ſie wollen, der Herr Profeſſor hoͤrt doch nicht auf, ihnen die Erbſuͤnde vorzudemon - ſtriren, und die Zahl der Engel und der Teufel vorzurechnen.

O quantum eſt in rebus inane!

Zwey313

Zwey und dreyßigſtes Kapitel.

Meine jetzige Lage.

Die taugt nun freylich nicht viel: quaͤlende Sor - gen druͤcken mich zu Boden, und Ausſichten zur Verbeſſerung meines Zuſtandes zeigen ſich auch nicht. Ich habe bey jedem Project, das ich mach - te, immer gefehlt, und eben daher bin ich es muͤ - de, neue Projekte zur Beſſerung meines Zuſtandes zu machen, und laſſe es gehen, wie es geht. Nichts ruͤhrt mich mehr, und wenn ich auf Etwas hoffte, und es mir dann, wie faſt immer, fehl ſchlaͤgt, ſo kann ich recht herzlich druͤber lachen. Auf Freundſchaften habe ich ſonſt viel gehalten: aber die Erfahrung hat mich gelehrt, daß Freund - ſchaften gerade nicht mehr und nicht weniger ſind, als hoͤfliche Geſellſchaften, z. B. in einem Gar - ten, Kneipe u. ſ. w. die man vergißt, ſobald man heraus iſt, und ſie folglich nicht mehr noͤthig hat. Man thut Unrecht, wenn man mehr von Freun - den fordert, als ſie nach der Natur der Freund - ſchaft leiſten koͤnnen. Mutua utilitas iſt das Fun -Laukh. Leben 5ter Theil. X314dament ſolcher Verbindungen, hoͤrt das mutuum auf, gute Nacht Jungfer Freundſchaft! Daher ſind alle Theorien und Moralien, welche Cicero und Carraccioli, und alle zwiſchen jenem groſ - ſen und dieſem kleinen Buͤchermacher ſtehende Schriftſteller bloß Hirngeſpinnſte, denen die Er - fahrung widerſpricht. Eben indem ich dieß ſchrei - be, laͤßt mir ein Freund, den ich aufforderte mir beyzuſtehen, freundſchaftlichſt ſagen, er ſey mir nichts ſchuldig; ich moͤge ihm nicht mehr kommen. Er hat Recht! und ich waͤre ein Narre, wenn ich mich uͤber erkaltete Freundſchaft beſchwe - ren, oder gar aͤrgern wollte.

Ob ich aber gleich keine Ausſichten habe, und ein Feind aller Projecten bin, ſo habe ich doch noch nicht allen Muth verlohren, und vielleicht zeigt mir das Schickſal noch einen ungeſuchten Weg, worauf es ſich beſſer gehen laͤßt, als auf dem ge - genwaͤrtigen. Dieſer Band meiner Lebensgeſchichte iſt aber grade nicht ſo beſchaffen, daß ich hoffen koͤnnte, meine Lage dadurch beſſer zu machen, er kann mir unmoͤglich einen Goͤnner bringen, aber manche Feinde muß er mir machen. Aber mei - ne Theorie uͤber Feindſchaft iſt der uͤber Freund - ſchaft vollkommen gleich: ich achte weder eine noch die andre. Ich biete mich nie theurer aus, als ich werth bin, und habe die Kunſt nicht ſtudiert,315 folglich auch nicht gelernt, Aufſehen zu meinem Vortheil zu machen, daher bin ich auch immer zu - ruͤck geblieben, und komme wahrſcheinlich erſt daun in eine ruhige Lage, wenn man mich zu Grabe traͤgt.

Ueber das fehlgeſchlagene Gluͤck, welches ich mit meinem Hannchen zu genießen hoffte, troͤſtet mich meine leidige Erfahrung. Ich ſehe naͤmlich, daß tauſend Ehen, wo nicht ungluͤcklicher, doch auch um kein Haar beſſer ſind als die meinige. Wer hieß mich auch heyrathen? Ein Menſch, der nicht jaͤhrlich auf einige hundert Thaler gewiße Rech - nung machen kann, muß, wenn er klug iſt, an kein Weib denken. Doch es iſt einmal geſchehen, und il faut faire bonne mine à mauvais jeu: ich werde die Launen meiner Frau tragen, poltern mitunter und doch am Ende gedultig thun, wenn ſie auch bis in Ewigkeit fortfahren ſollte, bey allem meinem Bitten und Schelten, den Kammerfenſterladen zu - zumachen, und das Mittagseſſen erſt um ein Uhr auf den Tiſch zu bringen. Gut iſt uͤbrigens, daß mein Hannchen kein Buch ſchreiben kann: denn ſonſt ſchriebe ſie vielleicht auch ihre Lebensgeſchich - te, und da wuͤrde ich vielleicht noch ſchlimmer weg - kommen, als in der Literaturzeitung und in der deutſchen Bibliothek.

316

Meinen Fritzemann Acke habe ich beſchloßen, auf eine ganz eigne Art zu erziehen. Latein und Franzoͤſiſch, die Erdbeſchreibung und die Geſchichte, in ſoferne dieſe verdient, gelernt zu werden, werde ich ihn ſelbſt lehren, auch die Rechenkunſt und die Geometrie. Kann ichs bewerkſtelligen, ſo ſoll er die Chirurgie lernen; denn dieſe Wiſſenſchaft iſt unter allen Wiſſenſchaften wohl die, welche den meiſten Nutzen leiſtet, und ich moͤgte nicht gerne, daß mein Fritzemann ein unnuͤtzer Kerl in der Welt wuͤrde. Geht es aber nicht mit der Chirurgie, welche ich ſehr wohl von der Bartkratzerey zu unterſcheiden weiß, ſo ſchicke ich ihn, wenn er die Staͤrke dazu hat, zu einem Canoniercorps. Den Katechis - mus ſoll er nicht lernen, und ich hoffe ihm durch meinen Vortrag der Geſchichte ſo einen Eckel ge - gen die Pfafferey beyzubringen, daß er weder die Salbadereyen der Pfaffen anhoͤren, noch ihnen Beichtgeld geben ſoll. Die Polizey fordert zwar mirabile dictu daß jedes Kind entweder ge - tauft oder beſchnitten ſey, ausgenommen die Kinder der Anabaptiſten, welche ein privilegium ſpeciale haben, aber bisher kenne ich noch kein Preußiſches Polizeygeſetz, welches befiehlt, daß alle getaufte Kinder den Katechismus lernen und confirmirt wer - den muͤßen. Der Junge hat zwar ſchon ſo vom Zuhoͤren das Lied: eine feſte Burg iſt unſer Gott 317gelernt, hat aber ſo wenig Begriffe von dem In - halt deſſelben, daß er den darin genannten al - ten boͤſen Feind und ſeinen Schulmeiſter fuͤr ein Ding haͤlt. Kommt Zeit, kommt Rath.

Ich fuͤr mein Theil lebe ſo ziemlich ruhig, und laße alle Steine liegen, die ich nicht wegſchaffen kann. Mangel habe ich freylich an vielen Dingen, woran andre abundiren, aber das Nothwendige fehlt mir doch nur ſelten. Man ſagt gewoͤhnlich, Credit ſey ſo gut, als baar Geld; aber es iſt doch auch zu etwas gut, wenig Credit zu haben: denn ſo kann man auch wenig Schulden machen, und dieß iſt mein Fall.

Mein Umgang ſind meine Bekannten, worun - ter ich auch einige Freunde rechnen kann. Von leztern habe ich erſt kuͤrzlich Herrn Dornenſteeg oder Eichhorn verlohren, welcher ins Hannoͤveriſche verreiſet iſt, und wahrſcheinlich nicht wieder kommt. Die oͤffentlichen Oerter beſuche ich oft, aber nur ge - gen Abend, meiſtens aber nur ſolche Oerter, wo man bey einem Glas Breyhan einen unterhaltenden Diſcours fuͤhren kann. Meine Bekannten ſehen mich immer gerne kommen.

Meine Studien ſetze ich noch immer fort, und vorzuͤglich ſuche ich das Roͤmiſche und Deutſche ge - meine Recht zu erlernen, nicht als wollte ich einſt großen nuͤtzlichen Gebrauch davon machen: denn318 wie ſchon geſagt iſt, ich haſſe alle Projecte fuͤr mich und meinen Zuſtand: ſie haben bisher nichts ge - taugt, und werden in Zukunft eben ſo wenig tau - gen: alſo apage has nugas. Aber ich habe Gefal - len an der Rechtswiſſenſchaft, und vielleicht kann ſie mir noch nuͤtzen.

Vor einigen Tagen erhielt ich einen Brief von meiner alten Mutter, welcher meine laͤngſt pro - jectirte Reiſe nach dem Vaterlande nothwendig macht. Ich werde dieſelbe noch dieſes Jahr un - ternehmen, und da ich meine Tour etwas ausdeh - nen will, ſo werde ich Gelegenheit haben, man - ches zu ſehen und zu hoͤren, welches eines oͤffent - lichen Rapports nicht unwuͤrdig ſeyn moͤgte. Kuͤnf - tige Oſtermeſſe hoffe ich dem Publikum mit den Beobachtungen, welche ich auf dieſer Reiſe machen werde, meine Aufwartung zu machen, und bis da - her wuͤnſche ich meinen lieben Leſern recht wohl zu leben.

Ende des fuͤnften Theils.

319

About this transcription

TextF. C. Laukhards Leben und Schicksale
Author Friedrich Christian Laukhard
Extent328 images; 60253 tokens; 10731 types; 414137 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationF. C. Laukhards Leben und Schicksale von ihm selbst beschrieben Fünfter Theil, welcher dessen Begebenheiten und Erfahrungen bis gegen das Ende des Jahres 1802 enthält Friedrich Christian Laukhard. . VII, 318 S. FleischerLeipzig1802.

Identification

SUB Göttingen Göttingen SUB, 8 H L BI V, 5269:5https://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=8%20H%20L%20BI%20V%2C%205269%3A5

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; (Auto)biographie; Belletristik; Autobiographie; core; ready; mts

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:27:59Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibrarySUB Göttingen
ShelfmarkGöttingen SUB, 8 H L BI V, 5269:5
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.