PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Leben und Schickſale, von ihm ſelbſt beſchrieben.
Fuͤnfter Theil, welcher deſſen Begebenheiten und Erfahrungen bis gegen das Ende des Jahres 1802 enthaͤlt.
Leipzig,in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern. 1802.
[II][III]

Seinen wuͤrdigen und biedern Freunden zu Nordhauſen, dem Herrn Commercienrath Neunhahn, dem Herrn Juſtitzcommiſſar Lange, und dem Herrn Candidat Ramsdahl, widmet dieſen Band ſeiner Lebensgeſchichte als ein Zeichen ſeiner Hochachtung der Verfaſſer.

[IV][V]

Vorbericht.

Hier iſt nun der fuͤnfte Band meiner Biogra - phie, welcher aber eigentlich der ſechſte ſeyn ſollte: denn durch einen ſeltſamen Irrthum iſtVI der fuͤnfte Band zur zweyten Abtheilung des vierten gemacht worden.

Dieſer Band erzaͤhlt meine Geſchichte vom Jahr 1797 bis 1802, ſoll aber, wenn ich leben bleibe, das ganze Werk noch nicht ſchließen. Ich werde bald eine Reiſe nach jenen Provinzen ma - chen, welche durch den lezten fuͤr unſer Deutſch - land ſo aͤußerſt nachtheiligen Frieden an Frank - reich gekommen ſind, von da aus werde ich den Elſaß, die Franche Comte und Bourgogne ich bediene mich noch immer der alten NamenVII dieſer Laͤnder mit aufmerkſamen Auge zu Fuße durchwandern, und meinen Ruͤckweg durch einen Theil der Schweitz, durch Schwaben und Franken nehmen: alles was mir notabel ſcheinen wird, werde ich fleißig notiren, und es unter dem Titel: Laukhards Reiſen durch ei - nen Theil von Deutſchland und Frank - reich: aber auch als den ſechsten Band meiner Biographie herausgeben.

Dieß iſt alles, was ich fuͤr jetzt meinen Le - ſern, welchen ich beßere Tage, als die meinigenVIII ſind, von ganzem Herzen anwuͤnſche. Geſchrie - ben zu Halle, den 26ten Auguſt 1802.

Fr. C. Laukhard.

[1]

Erſtes Kapitel.

Iſt ſtatt einer Vorrede.

Als ich einigen meiner Freunde die Eroͤffnung machte, daß ich zur Oſtermeſſe des Jahres 1802 den fuͤnften Theil meiner Biographie ans Ta - geslicht foͤrdern wuͤrde, ſchuͤttelten ſie mit den Koͤpfen und meynten, ich haͤtte dem Publicum in vier ziemlich dicken Baͤnden genug von mir geſagt, und koͤnnte nun endlich wohl ſchweigen, zumal da meine Ichheit und meine Verhaͤltniſſe von ſolcher Wichtigkeit nicht waͤren, daß die Quaſi - Leſewelt dabey intereſſirt ſcheinen duͤrfte.

Laukh. Leben 5ter Theil. A2

Die Freunde, welche ſo dachten und ſagten, hatten allerdings Recht: aber ihre Gruͤnde ſind nicht vermoͤgend mich zu beſtimmen, meinen Vor - ſatz aufzugeben. Ich will mich erklaͤren: nicht um der Recenſenten willen: denn dieſe moͤgen meine Arbeit aufnehmen wie ſie wollen, daran liegt mir und meinem Publikum gar nichts, und ich wuͤrde mich auch vergebens bemuͤhen, vor den Augen der Recenſirmaͤnner, beſonders derer zu Jena, Erlangen und Berlin Gnade zu finden, da ich ſelbſt ſchon mehrmals mein Glaubensbe - kenntniß von Recenſiſten und Recenſiſterey oͤffent - lich abgelegt, und dadurch mich den Herren ſchlecht genug empfohlen habe. Alſo nicht we - gen der Recenſenten, ſondern um meine Leſer von dem zu unterrichten, was ſie in dieſem Ban - de zu erwarten haben, ſoll hier meine Erklaͤrung uͤber die Herausgabe deſſelben das erſte Kapitel ausfuͤllen.

Ich weiß ſelbſt, ſo gut und beſſer als ſonſt einer auf der ganzen Erde, wie wenig ich bedeu - te, und zu allen Zeiten meines Lebens bedeutet habe. Dieſes Nichtvielbedeuten meiner Perſon haͤngt theils vom Schickſal, theils von meinem eig - nen Betragen ab: denn haͤtte jenes wollen Etwas aus mir machen, ſo haͤtte ich eben ſo gut Aſſeſſor eines Conſiſtoriums, Hofrath, Regierungsrath,3 Paſtor-Primarius in einer Reichsſtadt, Leibarzt, oder wohl gar General und Miniſter werden koͤnnen, als andre es konnten: denn meine we - nigen Kenntniſſe ſollten mir bey der allmaͤchti - gen Leitung des Schickſals, welches die Griechen Ειμαϱμενη*)Dieſe Goͤttin ſoll nach dem Zeugniß des Jamblichus im Leben des Pythagoras ſehr partheyiſch ſeyn, und doch will der weiſe Kaiſer Marcus Aurelius im 4ten Buche ſeiner Selbſtphiloſophie, daß der Menſch ihr, dieſer Partheylichkeit ungeachtet, willig gehorchen und folgen muͤſſe. Freylich wenn die Ειμαϱμενη unwiderſtehlich iſt, ſo waͤre es Thorheit ihr entgegen zu ſtreben. nennen, eben ſo wenig im Wege geweſen ſeyn, als ſie es andern waren und noch ſind. Aber auch vom leidigen Schickſal abge - ſehen, haͤtte ich mir vielleicht durch Schmiegen und Biegen eine Bedeutung verſchaffen koͤnnen, die ſo manche auf dieſen Wegen erlangt haben. Doch es ſollte einmal nicht ſeyn, und jetzt, da ich dieſes ſchreibe, iſts zu ſpaͤt, mir eine Lage zu ſuchen, in welcher mich die Leute von unten auf anſchauen und ſagen duͤrften: hic eſt,**)Perſius Sat. I. das heißt: ſeht einmal an, aus dem Laukhard iſt doch auch noch ein Mann geworden.

Ob ich nun gleich als ein unbedeutender Menſch, das iſt, ohne Amt, ohne Reichthum,A24ohne Glanz in der Welt lebe, ſo lebe ich doch nicht in obſcuro, wie man ſagt, das iſt, als ein ſolcher, der kaum bis an die dritte Thuͤre von ſeiner Wohnung bekannt iſt. Ich habe viele, recht ſehr viele Bekannte, worunter auch große angeſehene Maͤnner ſind, und worunter ich einige meine Freunde, wenigſtens ſo von Haus aus, nennen kann. Dieſe haben ſtets einigen Antheil an meiner Lage und an meinem Schickſal genom - men, und gerne geleſen, was ich von mir ge - ſchrieben, und gedruckt in die Welt geſchickt ha - be. Dieſen meinen Bekannten wird es denn auch nicht unangenehm ſeyn, wenn ich ſie von dem unterrichte, was mir ſeit fuͤnf Jahren be - gegnet iſt. Ueberdieß hat auch mancher, der mich nicht kennt, von Perſon naͤmlich, meine bisherige Geſchichten geleſen, und wenn dieſe kei - ne lange Weile gemacht haben, ſo wird die Fortſetzung derſelben gewiß auch keine machen.

Ich erzaͤhle alſo meinen lieben Leſern was mir ſeitdem ich von ihnen im Jahr 1797 Abſchied nahm, begegnet iſt: ſie finden zwar keine Groß - thaten, und keine Merkwuͤrdigkeiten, welche man den Annalen einverleiben muͤßte, um ſie fuͤr die Nachwelt aufzubewahren, aber doch leſen ſie hier manchen Vorfall, wobey ſie theils lachen,5 theils den Kopf ſchuͤtteln werden, und mitunter auch ſolche, wobey ſie nachdenken und nicht ſel - ten in ihren eignen Buſen greifen koͤnnen. Jede Lebensgeſchichte iſt ein Gewebe von Begebenhei - ten, wovon immer eine Urſache und Folge mit der andern verbunden iſt, und wie die Anlage war, ſo iſt jedesmal das Reſultat: wenn dieß in manchen Selbſt-Biographien nicht ſichtbar iſt, ſo kommt das bloß daher, weil der Herr Biograph entwe - der ſich durch Verdrehung und Verſtellung der Begebenheiten vor dem Publikum weißbrennen, oder Dinge ganz uͤbergehen wollte, deren Publi - citaͤt ihm unangenehm war. Dieß aber iſt mein Fall nicht: denn ich ſuche keines Menſchen Gunſt und fuͤrchte keines Menſchen Abneigung. Wer nichts mit mir zu thun haben will, mag mich immerhin gehen laſſen, und ich kann mit voller Ueberzeugung ſagen, daß mir nie jemand auf der Welt wirklich und in der Realitaͤt eben viel ge - nuͤtzt habe, ſo gut und brav es auch meine Freun - de mit ihrer Freundſchaft moͤgen gemeynt haben. Daher habe ich auch nicht Urſache, mich irgend jemanden durch Ausſtaffirung meines mir eignen Charakters zu recommandiren, ſondern werde in Ruͤckſicht meiner ſelbſt in dieſem Theile meiner Hiſtorie noch aufrichtiger zu Werke gehen, als in den vorigen, wo ich zwar nichts verdrehte,6 aber doch Einiges verſchwiegen habe, das ich vielleicht haͤtte erzaͤhlen ſollen.

Da ich aber auch gezwungen bin von mei - nem lieben Hannchen, welche ſeit beynahe fuͤnf Jahren meine Frau iſt, mehr als einmal zu ſpre - chen, ſo wird vielleicht mancher die Naſe ruͤm - pfen, und urtheilen, daß ſo ein Verfahren aͤußerſt anſtoͤßig und unwuͤrdig ſey, und daß ein Mann die Fehler und Schnitzer ſeiner Frau fein huͤbſch mit dem Mantel der Liebe zudecken, wenigſtens nicht der ganzen Welt aufdecken muͤſſe.

Wenn es mir drum zu thun waͤre, mich mit Exempeln zu vertheidigen, ſo koͤnnte ich die Le - bensbeſchreibung des beruͤhmten und beruͤchtigten Doctor Bahrdts anfuͤhren, welcher ſeiner theuren Ehehaͤlfte nicht ſchlecht und viel aͤrger mitgeſpielt hat, als ich es je oͤffentlich in Schriften thun werde, geſetzt auch ich wuͤrde nichts wider die Wahr - heit ſagen. Aber ich mag mich weder mit dem Beyſpiel des Doctor Bahrdts, des großen Mil - tons, welcher das verlohrne Paradies ſchrieb, nachdem er ſein eignes Paradies, naͤmlich das Gluͤck der Ehe, verlohren hatte, oder anderer Maͤn - ner rechtfertigen, wenn ich nicht auf die vor - theilhafteſte Weiſe von meinem Hannchen ſpreche, ſondern ſage nur, daß ich ſo von ihr ſprechen 7 mußte, wenn ich meiner Geſchichte die noͤthige Vollſtaͤndigkeit geben wollte.

Außer meinen eignen Hiſtorien werden meine lieben Leſer eine Menge fremde Perſonen be - treffende Anekdoten antreffen, welche ihnen, wie man ſagt, nicht wenig Spaß machen ſollen. Ich will zwar niemanden beleidigen, und mein Buch nicht zum Repertorium der ſkandaloͤſen Chronik ma - chen, wie einige Recenſenten faͤlſchlich von den erſten Theilen geurtheilt haben: aber ich bin auf alles aufmerkſam was in meiner Nachbarſchaft vorgeht, und da kann es mir niemand verdenken, wenn ich auch von andern das erzaͤhle, war mir Auffallen - des und Intereſſantes von ihnen in bonam et ma - lam partem will ſagen zu ihrem Vortheil und Nach - theil, bekannt geworden iſt. Daß ich meiſtens ſelbſt die Perſonen nenne, geſchieht deßwegen, daß mich niemand fuͤr einen kriechenden Panegyriſten oder gar fuͤr einen furchtſamen Verlaͤumder halte.

Dann ſollen hier und da auch einige Retrac - tionen vorkommen. Ich muß bekennen, daß in den vorigen Theilen einige, obgleich nur wenige Unrichtigkeiten untergelaufen ſind, woran ſich bald dieſer bald jener geſtoßen hat. Dieſe Unrichtig - keiten werde ich bey Gelegenheit zu verbeſſern und zu berichtigen ſuchen, und um gleich eine Probe zu geben, ſo geſtehe ich, daß die Th. 3. S. 1268 von dem verſtorbenen Kurfuͤrſten Maximilian von Coͤlln aufgetiſchte Anekdote, welche ein Geſpraͤch dieſes Fuͤrſten mit einer Schildwache zu Leipzig betrifft, voͤllig falſch iſt. Man hatte dieſe Sage nach Halle gebracht, und ſie da fuͤr gegruͤndet ausgegeben; ſelbſt Leute von Anſehen, welche in guten, das iſt ſolchen Cirkeln Zutritt haben, wo es vornehm nach kleinſtaͤdtiſcher Mode hergeht, erzaͤhlten ſich dieſelbe: ich ließ mich durch das putative Anſehen der Erzaͤhler blenden, und war ſchwach genug nachzuplaudern, was mir vor - geplaudert worden war.

So wie ich aber alles zuruͤcknehmen werde, was ich nun, als unrichtig habe kennen lernen, ſo ſoll auch alles, was mich betrifft, und noch nicht erzaͤhlt iſt, aber doch den Leſer intereſſiren koͤnn - te, nachgeholt werden, wohin unter andern eine gewiſſe Intrigue mit einem Goͤttingiſchen Frauen - zimmer gehoͤrt, welche ein gewiſſer Freund, der mich in Goͤttingen genau kannte, im erſten Theile vermißt hat. Sogar aus meinen fruͤhern Jahren werde ich einiges nachholen.

Ich bin mehrmals oͤffentlich in allerhand Zeitungen, vorzuͤglich in dem Intelligenzblatt der Jenaiſchen faͤlſchlich ſogenannten allgemeinen Literaturzeitung eine allgemeine Literaturzei - tung muͤßte doch wohl ein anderes Ding ſeyn, als9 das Recenſirding von Jena derb angegriffen worden von gewiſſen Herren, welchen meine Nach - richten aufgefallen waren. Auf dieſe theils grobe und impertinente, theils feinere und hoͤflichere Angriffe werde ich antworten, und zwar gebuͤh - rend, aber nur bey Gelegenheit: dem Herrn Hofrath Meyer zu Kuͤnzelsau im Hohenlohiſchen aber werde ich auch nicht einmal bey Gelegenheit Rede ſtehen. Dieſer Mann fuhr im Jahr 1796 uͤber eine ihn bereffende Stelle aus dem erſten Theil dieſer Biographie recht bitter her, und ſtellte mich als einen argen Laͤſterer an den Pran - ger. Ich ſchwieg, und behielt mir die Ant - wort auf eine andre Zeit vor: denn ich glaubte, da Herr Meyer fuͤnf Jahre lang geſchwiegen hatte, meine Antwort preſſire auch nicht. Zwey Jahre hernach ſchrieb er einen Privatbrief an mich, da er mich doch durch ein Publiclibell herunter gemacht hatte, und bat mich, das im Jahr 1781 zu Darmſtadt vorgefallne Scandal zu un - terſuchen: da kam es mir denn vor, als maͤße man in Franken meinen Ausſagen mehr Glau - ben bey, als dem Herren Hofrath Meyer, und ich haͤtte im Kopf vernagelt ſeyn muͤſſen, wenn ich, wie Herr Meyer forderte, das Zeugniß des Traubenwirths zu Darmſtadt haͤtte einholen und bekannt machen wollen. Will es aber Herr Hof -10 rath Meyer noch ſelbſt thun, à la bonne heu - re; nihil impedio.

Meine Schreibart mag ich nicht entſchuldigen, ſie iſt etwas derb, und die Feinheiten des deut - ſchen Stils kenne ich ſo wenig, als die Moden und die Lavendelflaſchen. Calamistris apud nos non est locus, ſagte einſt Merula in einem Brief an den Politianus, und ſo ſage auch ich. Doch verſichre ich, daß keine grobe, unanſtaͤn - dige und noch weniger zotologiſche Ausdruͤcke vor - kommen ſollen, wenn mir ſchon der Recenſent in der auch faͤlſchlich ſo benahmten allgemeinen deut - ſchen Bibliothek zur Ungebuͤhr vorgeſchmiſſen hat, daß ich die Zotologie liebte.

Zweytes Kapitel.

Der Himmel haͤngt nicht lange voll Geigen.

Ein Griechiſcher Weltweiſer ich weiß nicht mehr welcher, und habe die Apophthegmata des Erasmus nicht bey der Hand, um nachzuſchla - gen, wem die ſchoͤne Antwort eigentlich zugehoͤ - re, aber das thut auch nichts zur Sache alſo ein alter Philoſoph antwortete einem Freunde, der ihn gefragt hatte, ob er heirathen ſollte11 oder nicht: nimm, Freund, nimm eine Frau, oder nimm keine, es wird dich gereuen auf je - den Fall.

Der Mann hatte Recht, aber Unrecht war es doch von ihm, daß er als ein großer Kenner die Folgen des Heirathens und der Hageſtolzerey nicht genauer beſtimmte, in welchem Falle die Reue am ſtaͤrkſten ſey, im erſten oder im andern naͤmlich ſo im Allgemeinen: denn gleich wie es keine durchaus anwendbare Regeln fuͤr das menſchliche Betragen giebt, ſo giebt es auch keine fuͤr die Heirathen, doch daͤchte ich, daß das Coͤlibat lange nicht ſo viel verdrußvolle Stunden nach ſich zoͤge, als der heilige Eheſtand. Meine Leſer ſehen ohne mein Erinnern, daß dieſe Aeußerung bloß meine Privatgedanken ausdruͤckt, die ich durchaus nicht als richtig verkaufen mag, vorzuͤg - lich denen nicht, welche ſich in ihrem lieben Binde - ſtande wohl befinden; von dieſen uͤbergluͤcklichen Menſchen gilt der Spruch des Dichters:

Si quis amat, quod amare juvat, feliciter ardet, Gaudeat et vento naviget usque ſuo. *)Ovid. de Rem. Amor. L. I.

Und ledigen Perſonen uͤber dieſen Punkt predigen, heißt tauben Ohren predigen: ich hatte ja auch die ſechste Satire des Juvenalis geleſen,12 wußte alles, was der Graf Paſſerani gegen den Eheſtand gewitzelt, und der Graf von Rocheſter dawider raͤſonnirt hatte, die Meynungen des Tertullianus, Macarius, Hieronymus, Mar - tinus und vieler andrer Kirchenvaͤter, ſo wie die Moͤnchsgrillen von der Ehe, und von dem hohen Werth der Keuſchheit, das iſt, des Nichtheirathens waren mir recht gut bekannt und doch nahm ich eine Frau.

Am Ende des vorigen Theils verſicherte ich meinen Leſern, daß ich in dem Beſitz meines Hann - chens mein ganzes Gluͤck zu finden hoffte; aber wen hat die Hoffnung nicht ſchon oft haͤßlich be - trogen? Ueber Jahr und Tag, ſagt Herr Wums - haͤter in Leſſings Miſogyn, zu einem Paar Braut - leuten, werdet Ihr ſchon anders exclamiren. Das traf bey mir buchſtaͤblich ein, nur daß nicht Jahr und Tag vergingen, bis ich anders excla - mirte. Doch naͤher zur Sache.

Ich gelangte im September 1797 zum Beſitz meines Hannchens, und nun hing mir der Him - mel voll Geigen, wie man zu ſagen pflegt, wenn jemand am Ziel ſeiner Wuͤnſche, naͤmlich ſo nach ſeiner Meynung: denn andre Leute ſehen meiſtens beſſer ein, wo uns der Schuh druͤckt, als wir ſelbſt. Die erſten Tage gingen mir hin, wie ſie einſt den Auferſtandenen im Himmel hingehen13 werden, nur daß mir in der Hochzeitnacht ein komiſcher Streich begegnete, den ich hier erzaͤh - len wuͤrde, wenn ich mich nicht vor den ſchiefen Urtheilen gewiſſer Leute fuͤrchtete, welche noch an Hexen und Bezauberungen glauben.

Einige Tage nach der Hochzeit fand ich ſchon, daß ich die Rechnung ohne den Wirth gemacht hatte,

Und daß man immer moͤge ſagen,
Wer liebt, ſey lauter Herz; man hab 'auch
einen Magen.

Meine Leſer verſtehn mich: der Mangel ſtell - te ſich bald in meiner Wirthſchaft ein, und mein Hannchen forderte einmal acht Groſchen von mir, als ich gerade noch zwey Groſchen vier Pfennige im Vermoͤgen hatte. Ich gab dieß wenige Geld hin; Hannchen lachte;

Schaͤcker, ſagte ſie, ruͤcke doch heraus! Ich hab nicht mehr, liebes Kind. Ach, gackele nicht; gieb her, immer her!

Große Noth hatte ich, das gute Kind zu uͤberzeugen, daß ich nichts mehr hatte, und zu dieſer Ueberzeugung war eine Ocularinſpection noͤthig. Hannchen wurde uͤberfuͤhrt, und weg war mit dieſer traurigen Ueberzeugung ihre freundliche Miene. Ich fuͤhlte dieſen Uebel - ſtand gleich, und fing an, Bemerkungen deßwe -14 gen zu machen. Ein mir durch die Seele gehendes Ach! war die ganze vielbedeutende Beantwor - tung meiner ganzen philoſophiſchen Diſſertation uͤber die Genuͤgſamkeit.

Verdrießlich und ohne zu wiſſen, wohin ich ge - hen ſollte, verließ ich meine Wohnung und ging auf die Mail. An dieſem Orte, einer Schenke einen Buͤchſenſchuß vor der Stadt, findet man beynahe immer muntere Geſellſchaft, aber keine aus - ſchweifende und renommiſtiſche, daher ſchaͤmen ſich auch angeſehene Maͤnner und Frauenzimmer nicht, die Mail zu beſuchen. Hier traf ich ein juriſtiſches Animal diſputax an, das heißt, ein Menſchenkind, welches von nichts redet, als von Pandekten, Codex, Novellen und Feudalbuͤchern. Dieſer Hochgelehrte Herr nahm mich aufs Korn, und kaum hatte ich eine Kanone vor mir, die ich von Jungfer Dorchen auf Credit nahm, ſo packte er mich feſt, und raͤſonnirte mir da ein Langes und ein Breites uͤber die beruͤhmte Conſtitution Omnem des Kaiſers Juſtinianus vor: beſonders beſchaͤftigte ihn die wichtige Frage, warum in der Ueberſchrift der Conſtitution der Anteceſſor Salaminius nicht vir illustris wie die uͤbrigen ſieben, ſondern bloß vir diſertiſſimus genannt werde. Zum guten Gluͤck hatte ich einſt die Conſtitutio Omnem auch geleſen und zwar mit15 Wielings gelehrten Anmerkungen, und war daher im Stande dem Großſprecher zu antworten. Der Menſch aͤrgerte ſich, und gerieth vollends in den Harniſch, als der Schumachermeiſter Rehnius ihm gerade heraus ſagte, Laukhard verſtaͤnde vielleicht mehr von der Juriſterey, als er. Hole mich der Teufel, ſagte er nun, ich verwette einen Tha〈…〉〈…〉 er, Hr. Laukhard weiß nicht, was ein ſuus haeres iſt.

Rehnius. Nun, Magiſter, laſſen Sie das auf ſich ſitzen?

Ich. Der Herr B ... ſpaßet nur.

Hr. B. Nein, bey meiner Seele, es iſt mein Ernſt: ich ſetze einen Thaler, Sie wiſſen nicht was ein ſuus haeres iſt.

Ich. Eh bien, es bleibt dabey.

Hr. B. (legt einen Thaler auf den Tiſch). Hier: jetzt ſetzen Sie einen dagegen.

Ich. Gleich: will erſt wechſeln.

Es waͤre mir unmoͤglich geweſen, einen Gro - ſchen zu ſetzen, geſchweige denn einen Thaler; allein ein guter Freund, der Hallor Eckhard, ſonſt Bauer genannt, riß mich aus der Verlegenheit, und ſtreckte mir einen harten Thaler vor; ich ſetzte ihn, betete die Definition von ſuus haeres her,*)Ein ſuus haeres iſt ein Erbe, welcher zur Zeit des Todes des Erblaſſers in deſſen vaͤterlicher Gewalt, und und ge -16 wann meinen Thaler. Der gelehrte Herr aͤrgerte ſich gar maͤchtig, wurde derb ausgelacht, und zog nach einigen Fluͤchen, und Tiraden uͤber halbgelehrte Juriſten, zu welchen er aber ſelbſt gehoͤrte, zum Tempel hinaus.

Kaum war er fort, ſo erſchien ein andrer wel - cher der Geſellſchaft viel Spaß machte. Er hatte einſt in Jena ſtudiert, und ſein Geſpraͤch betraf bloß die Univerſitaͤt zu Jena und die Freyheiten der daſi - gen Studenten, welche er den auf der Mail verſam - melten Buͤrgern vordemonſtrirte. Straf mich Gott, meine Herren, ſchrie er unter andern, Sie koͤnnen mirs glauben, und ich will ein in - famer Eſel ſeyn, wenns nicht wahr iſt, in Jena kann ich einen durchhauen fuͤr einen Laubthaler. Wenn ich mit einem Haͤndel habe, und will ihn hauen, ſo greife ich ihn auf der Straße oder ſonſt wo an, mir nichts, dir nichts, haue ihm das Fell durch, daß er den Prieſter begehren moͤgte, dann gehe ich hin zum Prorektor: Diener, Ihr Magni - ficenz, hier iſt ein Laubthaler, hab den Lumpen - kerl, wie nun der Kerl heißt, ausgegerbt, und das honorig. Gut, gut, ſagt dann der Pro - rektor, kommen Sie bald wieder, wir wollenauch*)zwar im naͤchſten Grade war §. 2. I. de haered. qual. et diff. alſo bloß Kinder und Kindeskinder, deren Va - ter todt iſt.17auch leben. Blox iſt die ganze Sache rein abge - than. Ich hab einen gekannt, der ſchickte alle Monate, allemal auf den erſten, zwoͤlf Laubtha - ler an den Prorektor praenumerando: denn jeden Sonntag, Mittwoch und Freytag mußte er ei - nen durchhauen, das war ſo ſein Geſetz.

Der Menſch brachte ſeine Abgeſchmaktheiten mit einer ſo zuverſichtlichen Miene vor, daß die ganze Geſellſchaft herzlich uͤber den Gecken lachen mußte, aber niemand glaubte dem Gewaͤſche: denn unſre Hallenſer laſſen ſich nicht gerne etwas aufluͤ - gen.

Gegen Abend kam mein Hannchen, ſahe daß ich bezahlte, was ich geben ließ, viſitirte mir alſo die Taſchen, und da ſie fand, daß ich Geld hatte, fing ſie ordentlich an, mit mir zu expoſtuliren, daß ich ihr daſſelbe verhehlt haͤtte. Ich erklaͤrte ihr die Art, wie ich zu einem Thaler gekommen war, aber ich hatte große Muͤhe, ſie voͤllig zu uͤberzeu - gen.

Ich wohnte in der Maͤrkerſtraße bey dem Schnei - der Baum, welcher mir fuͤr zwanzig Thaler alte zerbrechliche Moͤbel uͤberlaſſen hatte. Ich haͤtte freylich weit beſſere fuͤr ſo viel Geld haben koͤnnen, wenn ich im Stande geweſen waͤre, baar zu bezah - len: aber da ich auf Credit nehmen mußte, und Herr Baum mir verſprach, vor Oſtern kein GeldLaukh. Leben 5ter Theil. B18zu fordern, ſo ließ ich alles gut ſeyn, und nahm das alte Geruͤmpel, als waͤre es taugbar und neu geweſen, gerne an. Ich dachte in dieſem Stuͤck noch immer ſtudentiſch: wenn naͤmlich die Herren Academiker etwas auf Credit, oder nach ihrem Ausdruck, auf Pump haben koͤnnen, ſo iſts ſchon gut, und ſie ſehen die gepumpte Sache als geſchenkt an. Indeſſen ſchien es nicht, als wenn Meiſter Baum der Schneider lang borgen wollte. Schon am ſechsten Tage nach meiner Hochzeit forderte er drey Thaler von mir. Ich wunderte mich uͤber den Menſchen, da ich ihm doch ſeine Miethe auf ein halbes Jahr vorausbezahlt hatte, und ſagte ihm, daß ich jezt kein Geld haͤtte. Baum, welcher ſei - nen Kopf bey Hr. Adolph auf dem Steinweg he - roiſch getrunken hatte, ſchwur bey allen himm - liſchen und allen hoͤlliſchen Geiſtern, daß er voͤllig auf dem Hund ſey und auf jeden Fall ausgepluͤn - dert werden wuͤrde, wenn ich ihm nicht aushuͤlfe. Er wolle aber in einigen Tagen alles zuruͤckgeben. Ich hatte Mitleiden mit dem fluchenden und ſchwoͤ - renden Schneidermeiſter, wendete mich an einen Freund, und dieſer ſchickte mir zwey Thaler, die ich ſofort dem Herrn Baum einhaͤndigte.

Es vergiengen acht Tage, auch vierzehn Tage, und Baum redete gar nichts mehr von den zwey Thalern. Die Noth druͤckte mich, und ich erinner -19 te meinen Herrn Wirth ſo von weitem: aber Herr Baum ſtellte ſich, wie die Hallenſer ſagen, eine halbe Stunde dumm, und that, als verſtuͤnde er mich nicht. Ich mußte mich alſo naͤher und deutlicher erklaͤren.

Lieber Baum, ſagte ich zu ihm, Sie ver - ſprachen mir doch die zwey Thaler

Baum. Ich weiß alles, kuͤmmern Sie ſich um nichts.

Ich. Jetzt bin ich ſehr gedraͤngt: wenn Sie doch Ihr Verſprechen erfuͤllen koͤnnten

Baum. Alles will ich thun, lieber Magiſter: Hole mich der Teufel, wenn ich nicht mit dem an - dern warten will, bis zu Michaelis.

Nun wußte ich, woran ich war: ich ließ den Baum ſtehen, und ſuchte einiges Geld aufzutrei - ben, welches mir damals auch nicht ſchwer fiel, da meine Scholaren faſt alle ihre Wechſel bekamen.

Das Jahr vorher hatte Baum die unterſten Stuben nach der Gaße an einen gewiſſen Gebhard vermiethet, und dieſer legte ſich einen Bier - und Schnappshandel an. Er wuͤrde wenig Zulauf ge - habt haben, weil er nur halliſches Stadtbier und Stadtbreyhan ſchenken durfte, indeß die großen Keller allerley auswaͤrtige Getraͤnke verkaufen, wenn er es nicht fuͤr gut gefunden haͤtte, ſeine Schenke in ein Spielhaus zu verwandeln, undB220alle Haſardſpiele zu erlauben. Nun liefen alle ſpielſuͤchtigen Leute, deren Zahl in Halle Legion heißt, in Gebhards Schenke, und die Karten und die Wuͤrfel regierten Tag und Nacht, vor fruͤh vier oder fuͤnf Uhr ward es da nie Feyerabend, auch fielen mehrere grobe Exzeße in dieſem Spielhauſe vor, und der Jaͤger des Generals Salomon wur - de einſt dermaßen ausgepluͤndert, oder nach Spie - lerdialekt, ausgemiſtet, daß er im Hemde und ohne Hut in alten Schuhen, die ihm Gebhard noch aus Mitleid gab, abziehen mußte.

Alle luſtigen Bruͤder der Stadt beſuchten dieſe Kneipe fleißig, und da es in Halle Mode iſt, ſol - chen Oertern Beynamen zu geben, ſo bekam auch Gebhards Niederlage einen dergleichen, naͤmlich den Zunamen Geige, deſſen wahrer Urſprung mir aber unbekannt iſt. Der Schneider Baum, welcher es ſehr ungerne ſah, daß ſeine Reſidenz einen Beynamen erhielt, und mit Recht ſchließen konnte, dieſer Beyname wuͤrde bis auf ſpaͤte Zeiten hin fort - waͤhren, zankte ſich deßwegen mit dem Schenkwirth Gebhard, und bot ihm in der Hitze aus. Geb - hard ſetzte an einem andern Orte ſeine patriotiſche Anſtalt fort.

Baum, der ſchon ſeit langer Zeit die Schere, Elle und Nadel fuͤr gar muͤhſelige Inſtrumente an - ſah, gab nun auf einmal die ganze Schneiderey21 auf, und fing an Kneipenwirthſchaft zu treiben. Anfangs ging alles vortreflich; denn auch er er - laubte die Haſardſpiele, und wer dieſe beguͤnſtigt in ſeinem Hauſe, darf wegen Kundſchaft nicht in Sorgen ſtehen. Da aber ſeine Kneipe den Namen Geige fortbehielt, und er oft damit geneckt wur - de, ſo gerieth er, beſonders wenn ihm der Spiri - tus in die Krone geſtiegen war, gar ſehr in den Harniſch, und behandelte ſeine Gaͤſte ſelbſt mit der aͤrgſten Impertinenz. Daruͤber wurden dann die Gaͤſte auch verdrießlich, und verlegten ihre Spiel - baͤnke ſonſt wohin. Meiſter Baum haͤtte leicht den Namen Geige dulten koͤnnen, da gewißen Haͤuſern in Halle ganz andre Beynamen gegeben ſind, z. B. Diebshoͤhle, blinde Herberge, Scheppenſtaͤtt, Spa - dille-Manille, Rußloch, Studentenherberge, u. ſ. w. Die Beſitzer dieſer Haͤuſer wiſſen dieſe Zu - namen, formaliſiren ſich aber nicht daruͤber, und thun wohl daran: denn kaͤme es unter die Leute, daß ſie ſich formaliſirten, ſo waͤre des Spektakelns kein Ende, und der Schaden bliebe auf jeden Fall auf Seiten des Formaliſanten, wie es ſich mit dem Herrn Schneider Baum zutrug, welcher durch ſeine Grobheit alle Gaͤſte verlohr.

22

Drittes Kapitel.

Ein Sprichwort iſt nicht immer ein wahres Wort.

Das Gegentheil von dem in der Ueberſchrift die - ſes Kapitels angegebnen Grundſatz iſt ſelbſt ein Sprichwort: aber ſo ſehr ich auch ſelbſt hin und wieder in meinen Buͤchern den Gebrauch der Sprich - woͤrter empfohlen habe, und noch empfehle, ſo muß ich doch bemerken, daß ſie durch die Erfah - rung oft widerlegt werden, und daß ſie folglich nicht immer wahr ſind. Das bekannte Weid - ſpruͤchlein wie man's treibt, ſo gehts hab 'ich zwar hundertmal durch meine eigne Erfah - rung beſtaͤtigt gefunden, allein im Winter 1797 98 wollte das gute Spruͤchlein nicht bey mir ein - treffen. Ich hatte mir vorgenommen, ſo zu hauſen, daß ich ruhig und ohne weitere Sorgen leben koͤnn - te; allein ich hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht, und ſo ſehr ich auch alles aufbot, und alle meine Kraͤfte anſtrengte, um ſoviel zu erwer - ben, als noͤthig war, meine kleine Wirthſchaft zu fuͤhren, ſo war ich doch keinen Tag ohne Kum - mer, und wenn auch alles noch ſo gut ging, ſo fing mein Hannchen an, uͤber ihre Lage zu noͤrgeln,23 und dieſe Noͤrgeleien verurſachten dann natuͤrlicher Weiſe, daß ich nirgends in einer penibelern Lage war, als wenn ich mich zu Haus aufhalten mußte.

Ich gab mehrere[Stunden] und repetirte dieſen Winter uͤber die chriſt-lutheriſche Dogmatik und die Kirchengeſchichte. Beyde[Diſciplinen] haben mir ſtets viel Vergnuͤgen gemacht; nicht als wenn es an und fuͤr ſich[angenehm] waͤre, eine Menge unbeweisbarer hyperphyſiſcher Lehrſaͤtze zu lernen, oder ſich mit dem Gang des kirchlichen Despotis - mus aus der Geſchichte der Kirche bekannt zu ma - chen, ſondern weil beyde jeden denkenden Kopf ſo ſehr beruhigen uͤber alles, was man ihm als offen - bart aufdringen will: denn die Dogmatik und die Kirchenhiſtorie ſind die beſte Widerlegung aller moͤg - lichen Offenbarung, man muͤßte dann annehmen, daß das ganze Menſchengeſchlecht etwan achtzehn - hundert Jahre lang im Kopf verruͤckt geweſen ſey. Doch das gehoͤrt hier nicht her. Außer dieſen theolo - giſch-hiſtoriſchen Stunden unterrichtete ich auch noch im Lateiniſchen, Franzoͤſiſchen und Italieniſchen.

So lang ich außer meiner Wohnung war, hatte ich heitere Sinnen, kam ich aber dahin zuruͤck, ſo machte mein ſanftes Hannchen eine dermaßen finſtere Stirne, daß ich mich in dem Augenblick weit weg wuͤnſchte. Daß es gleich von Anfang unſres Ehejochs oftmals zum Wortwechſel kam,24 verſteht ſich von ſelbſt. Ich bin zwar von Natur nicht finſter und rauh, noch weniger iſt Grobheit[und] Im - pertinenz mein Laſter; allein der Teufel bleibe gleich - guͤltig, wenn einem unverdiente Vorwuͤrfe gemacht werden, oder wenn man Dinge von uns, und zwar mit Poltern fordert, welche wir unmoͤglich leiſten koͤnnen.

So ging mirs: meine Frau fand alles nicht recht, was in unſrer Wirthſchaft war, und ich fand ganz natuͤrlich auch vieles von dem nicht recht, was ſie vornahm, beſonders gefiel mir ihr Umgang mit einer gewiſſen Madam Unruhe nicht, welche auch in unſerm Hauſe wohnte, und deren Mann mit einem andern halliſchen Frauenzimmer in Leip - zig wirthſchaftete. Ein Ehemann hat meiſtens Un - recht, wenn er ſein Weib ſitzen laͤßt, aber wer ſo ein Fegefeuer am Halſe hat, wie die gedachte Ma - dam Unruhe war, dem verdenke ichs warlich nicht, wenn er das Freye zu gewinnen ſucht: denn Si - rach ſagt mit Recht, er wolle lieber bey Loͤwen und Drachen wohuen, als bey einem boͤſen Weibe.

Meine Vorſtellungen, mein Zanken und mein Poltern half alle nichts: meine Frau verſtand es aus dem Fundament, auf Vorſtellungen zu repliciren, und iſt eine Meiſterin im Zanken und im Poltern. Meine Lage war gewiß nichts weniger, als benei - denswerth.

25

Im Herbſt 1797 war der Koͤnig Friedrich Wil - helm von Preußen geſtorben, und das Verhaͤltniß, worin ich ehedem mit ſeinem Nachfolger geſtanden hatte, ließ mich eine ſchwache Hoffnung ſchoͤpfen, daß durch ihn meine Umſtaͤnde koͤnnten verbeßert werden. Ich nenne die Hoffnung, die ich damals hatte, eine ſchwache Hoffnung: denn ich dachte nicht, wie die meiſten Preußiſchen Unterthanen, daß nun es wahr wuͤrde, was Virgilius ſagt: ſam redit et virgo, redeunt Saturnia regna queis ferrea primum Deſinet et toto ſurget gens aurea mundo. *)Virg. Ecl. IV. v. 5. ſeqq.

Ich hoͤrte die Nachricht von dem Tode des vo - rigen Koͤniges auf der Breyhanſchenke, eine Stun - de von Halle, wohin ich gegangen war. Das gan - ze Zimmer war voll Bauern, Jaͤgern und politi - ſchen Kanngießern: alles jubelte, und freute ſich der im vollen Galopp herbeyziehenden beſſern Zei - ten: nun wuͤrde alles, meynten die Politiker, ſo hergehen, wie es ein jeder wuͤnſchte, und in dieſen ſuͤßen Erwartungen uͤberließen ſie ſich ganz dem freudigſten Herumtrinken, und wurden nun noch lauter. Ein aͤltlicher Mann von Teutſchenthal ſaß neben mir, und ſprach zu allen Kanngießereyen auch nicht eine Sylbe. Ich wunderte mich uͤber ſein Stillſchweigen, und fragte ihn, was er von26 den neuen Vorfaͤllen daͤchte? Mer muß halig wahrten, wies noch kuͤmmt: mer waͤß wuhl, wie mer ausfaͤhrt, aber wie mer hame kuͤmmt, das waͤß mer niche. Der Bauer raͤſonnirte nicht un - recht, nicht als ob der Ausgang ſeine Spruͤchwoͤr - ter beſtaͤtiget haͤtte, ſoudern deswegen, weil es unklug iſt, zu fruͤhe ins Horn zu blaſen.

Der jetzige Koͤnig von Preußen hat die Hoff - nungen und Erwartungen aller derer erfuͤllt, wel - che im Stande ſind, zu uͤberlegen, und die große Wahrheit einſehen, daß ein Monarch, waͤre er auch der maͤchtigſte und einſichtsvollſte aller Men - ſchen, und gutgeſinnt, wie ein heiliger Engel, es doch nicht allen Menſchen recht machen koͤnne. Neque Jupiter omnibus placet, ſive pluat, ſive ſit ſerenus iſt ſchon vor Alters geſagt worden, ich weiß aber nicht von wem, und ſo lange noch ſo viel Koͤ - pfe ſeyn werden, als Sinne ſind, ſo waͤre es eine wahre Tollheit, zn fordern, ein Regent ſolle ſo re - gieren, wie es jeder Kopf fuͤr gut und wohlge - macht haͤlt. Dieß ſieht nun wohl jeder ein, aber da jeder glaubt, ſeine Vernunft koͤnne der Ver - nunft aller Menſchen zum Richtmaaß dienen, ſo raͤſonnirt auch jeder uͤber die Regierung, wenn dieſe es anders macht, als er glaubt, daß ſie es ma - chen muͤſſe.

Bey jedem Regentenwechſel findet noch ein27 Grund uͤberſpannter Erwartungen bey den Unter - thanen ſtatt, welcher meiſtens hoͤchſt falſch iſt. Die vorige Regierung wird durchaus als fehlerhaft be - trachtet, und alle unter derſelben getroffnen An - ſtalten fuͤrchterlich heruntergemacht. Als Friedrich der zweyte von Preußen ſtarb, mußte ſeine lange gluͤckliche, mit ſo vieler Weisheit gefuͤhrte Staats - adminiſtration die ſchrofſte aber auch zugleich die unbilligſte Critik paßiren: man tadelte ſogar die Einrichtungen ſeines Militairs, Einrichtungen, die noch kein Monarch vor ihm getroffen hatte, und worin ihm nur ſeine Nachfolger nachahmen koͤnnen. Aber bald kamen die guten Preußen von ihrem Irrthum zuruͤck.

Friedrich Wilhelm II. ein Fuͤrſt, deſſen Feh - ler bekannt ſind, deſſen vortrefliche Eigenſchaften aber alle ſeine Flecken bey weitem uͤberwogen. Dieß bedachte aber der große Haufe nicht, und ſahe bloß die Fehler ſeines guten Koͤniges, und die Schrift - ſteller haben nie ihre Federn mehr entwuͤrdiget, und ſich aͤrger unter den Troß der Laͤſterer und Calum - nianten gemiſcht, als in Ruͤckſicht auf dieſen Fuͤr - ſten hat man doch ſogar einen Saul den dicken, Koͤnig im Kanonenlande, erſchei - nen ſehen!! Aber Friedrich Wilhelms II. Anſtal - ten waren faſt alle meiſterhaft, und ſein Nachfol - ger der jetzige Koͤnig, haͤtte die Kunſt zu regieren28 gar nicht verſtehen muͤſſen, wenn er eine allgemei - ne Reform haͤt[t]e anfangen wollen, wie man doch damals erwartete und wuͤnſchte. Dieſe allgemei - ne Reform wuͤrde eine allgemeine Verwirrung nach ſich gezogen haben: es blieb daher auch in Preu - ßen nach dem Tod des Koͤnigs Friedrich Wilhelm ſo ziemlich beym Alten, obgleich manche heilſame Veraͤnderungen vorgenommen wurden, wohin die Abſtellung der Tabaksfe[r]me vorzuͤglich gehoͤrt.

Ich hatte, w〈…〉〈…〉 e geſagt, einige Hoffnung, daß der neue Koͤnig ſich meiner erinnern, und fuͤr mich ſorgen wuͤrde. Meine Freunde zu Halle riethen mir, ſelbſt nach Berlin zu reiſen, und mich dem Monarchen vorzuſtellen: ich fand dieſen Rath ver - nuͤnftig, und begab mich im Februar 1798 nach Berlin. Meine Kaſſe war ſchwach, wie ſie zu allen Zeiten zu ſeyn pflegt. Ich war alſo gezwun - gen, mich entweder um Freypoſt zu bemuͤhen, oder gar zu Fuſſe zu gehen. Unſer Poſtmeiſter Hr. Kriegs - rath von Madeweis geſtattete mir freye Poſt bis nach Deſſau, und von da kam ich durch bis nach Briezen. Ich hatte eine ſehr ſchnurrig componir - te Reiſegeſellſchaft: zwey Preußiſche Offiziere, ei - nen Juden, und ein halliſches Freudenmaͤdchen. Die Offiziere waren von der Cavallerie, und ka - men von einer Reiſe ins R[e]ich zuruͤck, wo ſie zu Hauſe waren; es waren ſehr ſolide brave Maͤnner29 von geſundem Urtheil und feinem Geſchmack, mit welchen ich mich vortreflich unterhalten konnte. Der Jude war ein Schacherer, der ſich aber neben ſeinem Schacherhandel auch aufs Spielen legte, und in dieſer Kunſt nicht geringe Fertigkeit ſchien erlangt zu haben. Die Offiziere machten ſich viel mit ihm zu thun, als ich ihm aber beweiſen wollte, daß die Juden zu allen Zeiten veraͤchtliche und hoͤchſt ſchaͤdliche Creaturen geweſen waͤren, ward der Iſraelit boͤſe, und gab uns ferner keine Antwort mehr. Der Kerl hatte Recht, ich aber hoͤchſt Unrecht, einen ganz unnuͤtzen Beweis zu fuͤhren: denn die Offiziere kuͤmmerten ſich um die ganze Judenſchaft nicht, und der Jude ließ ſich doch nicht bekehren.

Das Freudennymphchen von Halle war die be - ruͤchtigte Manſcheſterchriſtel, eines ehedem der huͤbſchſten Maͤdchen unſrer Stadt; nachdem ſie aber ſich auf die liederliche Seite gelegt hatte, und generis omnis geworden war, fand ſich in ganz Halle keine ſchaamloſere Hure, als eben Manſcheſterchriſtel. Der gar zu haͤufige Genuß der Wolluſt ſchwaͤchte ihren Koͤrper dergeſtalt, daß hernach, als die lei - dige Luftſeuche ſie befiel, keine Arzney mehr anſchla - gen wollte. Damals als ſie nach Berlin reiſte, war die aͤſthetiſche Krankheit ſchon ſehr ſichtbar an ihr, und doch ließ ſie ſich einfallen, einen jungen Me - diciner da zu beſuchen, welcher ehedem in Halle30 mit ihr geliebelt, und ihr im Taumel der Leiden - ſchaft die Ehe verſprochen hatte. Der Menſch haͤtte alles Gefuͤhl muͤſſen verlohren haben, wenn er nun noch den Liebhaber eines Frauenzimmers haͤtte ma - chen wollen, das ſo zu ihm kam: doch unterſtuͤtzte er die Unverſchaͤmte mit Geld und ließ ſie wieder nach Halle reiſen. In Halle fiel ſie taͤglich mehr ins Elend, und krepirte endlich in den abſcheulich - ſten Umſtaͤnden. Ihr Andenken hat ſich indeſſen noch in einem famoͤſen Knittelliedchen erhalten, welches unſre Straßenjungen noch ſingen, und wel - ches ein luſtiger Bruder einem gewiſſen Schwarz - rock zu Ehren ſcheint gemacht zu haben.

Von Briezen bis nach Berlin ging ich zu Fuß: es war ſehr ſchoͤnes Wetter, und die Geſellſchaft eines Schulmeiſters aus der Altmark, der auch dahin ging, aber von Wittenberg kam, machte mir die Fußreiſe ſehr angenehm. Der Schulmeiſter war ſehr redſelig, und wenn alles wahr iſt, was er mir von ſeinem Paſtor erzaͤhlte, ſo muß die geiſtliche Einrichtung in dem altmarkſchen Dorfe, wo der Cantor her war, beſſer ſeyn, als in mancher Stadt, ſogar in mancher Univerſitaͤtsſtadt. Unſer Paſtor, ſagte der Schulmeiſter, kann es nicht leiden, daß aller Schulunterricht ſich bloß aufs geiſtliche We - ſen, und auf ein bißchen Rechnen und Schreiben einſchraͤnke. Er hat daher auch oͤkonomiſchen Un -31 terricht eingefuͤhrt, und ertheilt dieſen ſelbſt; er lehrte ſogar die Jungens Baͤume pfropfen und oku - liren. Das Preußiſche Landrecht traͤgt er in der Schule und in der Kirche vor, naͤmlich des Nach - mittags, weil er noch nicht das Herz hat, die Pre - digten uͤber die Evangelien einzuſchraͤnken, und erzaͤhlt unſrer Jugend eine Menge huͤbſcher Hiſto - rien. Die Landkarten muͤſſen ſie auch treiben, und Raffs Naturgeſchichte, ſo wie Eberts Naturlehre koͤnnen die jungen Leute auswendig: eine ganze Hetze huͤbſcher Lieder und Spruͤche wiſſen ſie auch, und doch verſtehen ſie ihren Catechismus ſo gut, als wenn ſie ſonſt gar nichts trieben als den.

Ich konnte wohl merken, daß der Herr Cantor etwas uͤber die Schnur hieb, und zu viel von den Vorzuͤgen ſeines Schulweſens, und den Verdien - ſten des Paſtors um daſſelbe ſchwadronnirte, aber wenn ich dann auch nicht die Haͤlfte glauben konnte, ſo mußte ich mir doch einen ſehr vortheilhaften Be - griff von jener Schule in der Altmark machen. Ich habe den Namen des Dorfes vergeſſen, aber dieß thut nichts zur Sache, da es jedem, welchem daran gelegen iſt, leicht ſeyn muß, eine ſo trefliche Schulanſtalt in einem kleinen Lande zu entdecken, wo, wie der Herr Cantor bemerkte, dergleichen eben nicht haͤufig ſeyn ſollen.

In Berlin, wo ich gegen Abend ankam, lo -32 girte ich in einem mir ſchon bekannten Gaſthofe, und beſuchte den folgenden Tag einige alte Freunde. Da meine Abſicht war, den Koͤnig zu ſprechen, begab ich mich zu den Major Hn. von Kaͤbriz, und erhielt von dieſem Anweiſung, wie ich es anzu - fangen hatte, um zum Koͤnige zu gelangen, doch rieth er mir, eine Bittſchrift aufzuſetzen, und die - ſelbe dem Monarchen zu uͤberreichen; der Herr ha - be viel zu thun, und ſo was moͤgte vergeſſen werden.

Ich folgte dem Rath des Hn. Majors, und kam am folgenden Tag wirklich ins koͤnigliche Ka - binet. Der Koͤnig, welcher mich noch kannte, war aͤußerſt herablaſſend und gnaͤdig; er fragte mich nach meiner Lage, und da ich ihm ſagte, daß dieſe eben nicht die beſte ſey, und einer ſtarken Emenda - tion beduͤrfe, wenn ich zufrieden leben wollte, ver - ſprach er mir, fuͤr mich und fuͤr die Emendation meiner Lage zu ſorgen, las meinen Aufſatz fluͤchtig durch, und befahl in meiner Gegenwart einem Sekretair, denſelben ans Oberſchulcollegium zu ſchi - cken mit der Weiſung, dahin zu ſorgen, daß dem guten Laukhard ein Plaͤtzchen geſchafft wuͤrde, wobey er ohne Sorgen leben koͤnnte; dieß waren die eignen Worte des guͤtigen Monarchen, und dann erfolgte eine Anweiſung an einen Herrn, wel -cher33cher mir die Reiſekoſten erſezte. Ich verließ den Koͤnig mit dem tiefſten Dankgefuͤhl, als ich aber ins Vorzimmer kam, trat mich ein wohlgekleideter Mann ſehr aͤngſtlich an.

Aber, mein Gott, ſagte dieſer, was machen Sie?

Ich. Ich komme vom Koͤnige, und glaube nichts Boͤſes gethan zu haben.

Er. Nichts? Bedenken Sie doch ſelbſt!

Ich. Was ſoll ich dann bedenken? Ich weiß vom hellen Tage nichts: erklaͤren Sie ſich naͤher.

Er. Mein Himmel, Sie ſind mit einem Stock im Kabinet geweſen.

Ich. So iſt es: aber iſts dann verboten, mit dem Stock ins Kabinet zu gehn?

Er. Mein Gott, freylich! Das iſt gegen alle Etikette.

Ich. Der Koͤnig hat mir nichts daruͤber geſagt, und niemand wird ſich einbilden, daß ich ins koͤnig - liche Kabinet mit dem Stock gehe, um mich da herum zu pruͤgeln.

Ich gieng weiter, ehe ich aber das Palais ver - ließ der Koͤnig wohnte damals noch in dem Palais des Kronprinzen ging ich nach der Kuͤ - che, und fand da weniger Apparat, als in man - cher adelichen Kuͤche, ſelbſt in Berlin gefunden wird. Nun hatte ich weiter in Berlin keine Ge -Laukh. Leben 5ter Theil. C34ſchaͤfte mehr, und ſchickte mich an, den folgenden Tag zuruͤck zu reiſen. Ich ſuchte deshalben noch die Herren Ideler und Rambach auf, fand aber kei - nen von beyden zu Hauſe, auch den Herrn Predi - ger Stahn fand ich nicht, aber den wuͤrdigen Herrn Major von La Roche traf ich an, und traf ihn unveraͤndert in ſeinen Geſinnungen gegen mich. Wir ſtimmten zuſammen Klagelieder an uͤber das Ungluͤck, welches unſer gemeinſchaftliches Vater - land jenſeits des Rheins betroffen hatte. Der Herr Major unterhielt ſtarken Briefwechſel nach den Rheingegenden, und konnte mir von gar manchen Dingen Nachricht geben, welche ich noch nicht wuß - te. Den Herrn Kammerherrn von Wuͤlcknitz habe ich auch geſprochen, und von ihm ungeheuchelte Verſicherungen ſeiner Freundſchaft gegen mich er - halten.

Als ich mich eben anſchickte, Berlin zu verlaſ - ſen, fand ich von ohngefaͤhr den Commiſſar Hrn. Jungken und deſſen Bruder, welche noch einige Ta - ge in Berlin bleiben, und dann nach Halle zuruͤck - kehren wollten. Sie baten mich, auf ſie zu war - ten, und mit ihnen zu reiſen. Ich laſſe mich uͤber - haupt leicht zu etwas beſtimmen, und that herzlich gerne, was beyde Herren haben wollten, welche in Halle meine Freunde geweſen ſind, und wovon der Juͤngere meinen Unterricht noch immer genoß. 35Um aber doch indeßen im Gaſthofe etwas zu thun zu haben, holte ich mir ein Buch in einer Leſebi - bliothek, und fand auch da meine Schriften. Der Bibliothekar kannte mich nicht, daher fragte ich ihn, ob dann das Zeug da auch geleſen wuͤrde?

Was Zeug, erwiederte er! die Laukhardſchen Produkte ſind ganz vorzuͤglich gut, und werden mehr geſucht, als ſelbſt die Werke unſrer beſten Schriftſteller.

Ich. Das Publikum muß alſo einen ſchlechten Geſchmack haben.

Leſebibliothekar. Daran liegt mir nichts, und keinem meines Gleichen liegt was daran. Ge - nug wenn die Sachen geleſen werden. Aber wo - her ſchließen Sie dann, das Publikum muͤße ei - nen ſchlechten Geſchmack haben?

Ich. Das ſchließe ich daher, weil die Laukhard - ſchen Dinger nicht viel beſonders ſind.

Leſebib. (lacht) Gewiß hat Laukhard Ihnen ſelbſt die gute Wahrheit geſagt: ich habe gefunden, daß mancher auf dieſen Mann geſcholten hat: aber wenn mans recht beym Licht unterſuchte, ſo kam das Schelten daher, weil Laukhard etwas unſanft mit dem Knaben Abſalom umgefahren war Aber ſehe ich recht, ſo ſind Sie ſelbſt Laukhard, ich ken - ne Sie aus Ihrem Bildniß.

Ich konnte und mogte nicht leugnen, und derC236Herr Leſebibliothekar war ſo artig, daß er mir den Gebrauch ſeiner Bibliothek unentgeldlich anbot, ſo lange ich in Berlin bleiben wuͤrde. Ich konnte von ſeiner Guͤte nur fuͤr einen Groſchen Gebrauch ma - chen.

Auf der Ruͤckreiſe begegnete mir nichts merk - wuͤrdiges: ich kam wieder nach Halle, und fand alles, wie ich es verlaſſen hatte. Meine Frau hatte in meiner Abweſenheit mit dem Schneider Baum, unſerm Wirth, einigen Zank gehabt: er hatte nicht leiden wollen, daß ſie Waſſer in den Hof goß, und deßwegen abſcheulich ſpektakelt. Sie wollte nun haben, daß ich den Meiſter Baum deßwegen kora - miren ſollte, aber ich fand nicht fuͤr gut, den Mann zur Rede zu ſtellen, mit dem uͤberhaupt nichts auszurichten war: denn wer laͤßt ſich uͤber - haupt gern mit einem Menſchen ein, der keiner vernuͤnftigen Vorſtellung Gehoͤr giebt, und nur allemal Recht behalten will?

Viertes Kapitel.

Erfolg meiner Berliner Reiſe. Erſcheinung eines neuen Weltbuͤrgers.

Ohngefaͤhr vierzehn Tage nach meiner Ruͤckkehr von Berlin erhielt ich ein Schreiben vom Oberſchul -37 collegium, worin mir gemeldet wurde, daß wegen meiner Verſorgung an die halliſche Univerſitaͤt ſey geſchrieben worden. Auf den Bericht der Univerſitaͤt wuͤrde es nun ankommen, was mit mir zu machen ſey.

Oh weh geſchrien! dachte ich, und verlohr auf einmal alle Hoffnung einer Verſorgung.

Der Profeſſor Kluͤgel, welcher damals gerade Prorektor der Univerſitaͤt war, ließ mich rufen, und trug mir auf, einen ſchriftlichen Aufſatz einzu - chen, und anzugeben, wie ich etwan in Zukunft zu exiſtiren gedaͤchte, um mich einer Unterſtuͤtzung von Seiten der Regierung erfreuen zu koͤnnen. Ich hielt zwar die Zeit, welche ich auf einen Auf - ſatz dieſer Art verwenden wuͤrde, fuͤr voͤllig verloh - ren, doch aber reichte ich einen beym Prorektor ein, und Herr Kluͤgel verſprach mir, die Sache aufs vor - theilhafteſte vorzutragen.

Ich ging zu Herrn Wolf, und dieſer aufrichti - ge Mann ließ mich merken, daß ich durch die Uni - verſitaͤt nichts zu hoffen haͤtte: ich ſey, ſagte er, einigen, vorzuͤglich Theologen und Philoſophen, unvortheilhaft beſchrieben, und daher zweifle er gar ſehr, daß ich reuſſiren wuͤrde.

Im Grunde konnte ich auch weiter nichts erwar - ten, als einen uͤbeln Bericht nach Berlin. Ich hatte bisher nicht eines einzigen Profeſſors Freund -38 ſchaft vorzuͤglich geſucht, und war nur dann und wann zu einigen gekommen, die mich ihres Umgangs nicht unwuͤrdig fanden. So ging ich oft zum Hrn. Profeſſor Koͤnig: ſo oft naͤmlich ich etwas zu fra - gen hatte, woruͤber dieſer aͤußerſt humane Mann mir Auskunft geben konnte. Er that es auch jeder - zeit mit der groͤßeſten und unverſtellteſten Bereit - willigkeit, und ich kann wohl verſichern, daß ich meine Kenntniſſe durch den Rath dieſes Gelehrten nicht wenig vermehrt habe. Herr Koͤnig iſt der Mann nicht, welcher einen gewißen abſchreckenden Nimbus um ſich her verbreitet, und durch ein zu - ruͤckſtoßendes Betragen ſich den Ruhm eines tiefge - lehrten Helden erwerben will. Wer ihn kennt, weiß doch, daß er nicht nur in ſeinem Fache der Rechtskunde trefflich erfahren iſt, und ſich in den uͤbrigen Wiſſenſchaften, auch in ſolchen, welche mit der Juriſterey in weiter keinem naͤhern Zuſam - menhang ſtehen, ruͤhmlichſt umgeſehen hat. Daß er, wie jeder Gelehrte, von unachtſamen jungen Leuten nicht ſelten mißverſtanden werde, iſt ſehr begreiflich: aber der muß die Studenten ſchlecht kennen, wel - cher nach ihrem Urtheil den Werth eines gelehrten Mannes beſtimmen wollte. So wollte mir vor ei - niger Zeit ein juriſtiſcher Student aufbinden, Herr Koͤnig habe im Collegium behauptet, ein Juriſt habe gar nicht noͤthig die Inſtitutionen, die Pan -39 dekten und den Coder zu leſen, und doch hatte Koͤ - nig nichts weiter geſagt, als das Studium der Rechte nach jenen Compendien, welche nach der Ordnung der Pandekten u. ſ. w. eingerichtet ſind, ſey unbequem und luͤckenvoll, man muͤſſe die Wiſ - ſenſchaft nach einem beßer eingerichteten Syſtem lernen, dabey hatte er aber das Leſen der Pandek - ten u. ſ. w. ganz und gar nicht widerrathen, ſon - dern es vielmehr als hoͤchſt noͤthig dem kuͤnftigen Juriſten anempfohlen.

Ein gewißer Herr, welcher die Lage der Uni - verſitaͤt, und die Geſinnungen der Profeſſoren naͤ - her als ich kannte, verſicherte mich, daß der Direk - tor Klein mein Goͤnner nicht ſey, und daß dieſer vielgeltende Mann alles aufbieten werde, um mein Fortkommen in jeder Hinſicht zu hintertreiben. Ich erſtaunte: denn ich war mir bewußt, Herrn Ge - heimderath Klein in keinem Stuͤck jemals beleidigt zu haben, und begrif daher nicht, wie ein Mann, der ſelbſt zu lehren vorgab, was Recht und was Unrecht iſt, doch einem Menſchen ſchaden wollte, der ſich nicht gegen ihn vergangen hatte: ich hatte zwar ſchon manche Beyſpiele dieſer Art geſehen und erlebt, aber daß grade Hr. Klein ſo anomaliſch handeln koͤnnte, wollte mir nicht ſo recht in den Kopf: denn ich halte ſehr viel auf die rechtlichen Geſinnungen eines gelehrten Juriſten, und erwarte40 von einem ſolchen weit mehr, als von einem gelehr - ten Theologen und Philoſophen.

Daß unſre Theologen nichts auf mich halten konn - ten, beſchied ich mich ſehr leicht. Ich hatte in mei - ner Biographie ſolche Grundſaͤtze aufgeſtellt, welche mit jedem theologiſchen Syſtem, alſo auch mit dem Halliſch-Theologiſchen, incompatibel ſind. Da nun jeder Theologe, qua talis, wie man in den Schulen findet, alles als ketzeriſch und dem Heil der Seelen ſchaͤdlich anſehen und verwerfen muß, was ſeinem Syſtem entgegen iſt, ſo mußten unſre Herren nicht nur mich, als einen Ketzer verdam - men, ſondern mich auch von aller Activitaͤt zu ent - fernen ſuchen, damit ich nicht andere verfuͤhren moͤgte. So iſt es immer in der heiligen chriſtli - chen Kirche geweſen, vom erſten Jahrhunderte an bis aufs neunzehnte hat der Geiſt der Intoleranz und der Verfolgung geherrſchet, und wenn ich ſa - gen ſoll, was ich denke, ſo muß ich bekennen, daß dieſe Intoleranz in dem Weſen der Religion, das iſt, in ihren Grundſaͤtzen und den Lehren ihrer erſten Ver - breiter ſelbſt gegruͤndet iſt. Peter Bayle und Voltaire, und Teller, und viel andre brave Maͤnner haben ganz vortreflich uͤber Religionsduldung geſchrieben, aber keiner von dieſen wackern Maͤnnern ſcheint mir den Satz bewieſen zu haben, daß der Chriſt jeden Menſchen wie ſeinen Bruder behandeln muͤße, und41 zwar nach den Grundlehren des Evangeliums, ohne alle Ruͤckſicht auf das, was er glaubt. Alſo iſt es ausgemacht, daß ich unſern Theologen nicht ge - fallen konnte, und daß ſie mich ihrer Empfehlung unwuͤrdig fanden.

Einige unſrer Philoſophen konnten gleichfalls nicht fuͤr meinen Nutzen ſtimmen. Herr Eberhard hatte ſchon 1795 ſich nicht allzufreundſchaftlich gegen mich benommen, wie ich am Ende des vori - gen Theils dieſes Werkes hinlaͤnglich gezeigt und bewieſen habe. Sollte er jetzt freundlichere Geſin - nungen annehmen, ſo muͤßte er inconſequent han - deln, und niemand haßet die Inconſequenzen mehr, als Eberhard, wie man aus ſeinen Briefen ſehen kann, welche er gegen das Syſtem des Prof. Fichte herausgegeben, und wahrſcheinlich ſelbſt geſchrie - ben hat. Des verſtorbenen Prof. Forſters Urtheil uͤber mich habe ich auch ſchon an gedachtem Orte angefuͤhrt. Es iſt uͤberhaupt eine ganz eigne Sa - che um die liebe Philoſophie, und Claudius hat Unrecht, wenn er ſie beſchreibt, ſie ſey die Wiſſen - ſchaft, Daß Hinz nicht Kunz, und Kunz nicht Hinze ſey denn ſie geht gewoͤhnlich weiter, obgeich etwas unphiloſophiſch. Doch das geht mich hier weiter nichts an: vielleicht erklaͤre ich mich anderswo naͤher.

42

Unter den Medicinern hatte ich keinen Feind, aber unſre Mediciner bekuͤmmern ſich auch um die Angelegenheiten der Univerſitaͤt unter den Profeſ - ſoren am wenigſten. Herr Gren, der verdienſtvol - le, mir ewig unvergeßliche Gren, deßen rechtſchaff - ner Charakter mit ſeiner tiefen Wiſſenſchaft pari paſſu ambulirte, war mein Freund, aber ſeine ſchon laͤngſt erſchoͤpfte Geſundheit und andre Umſtaͤnde machten es ihm unmoͤglich, ſich meiner thaͤtig an - zunehmen. Die Herren Mekel und Reil kannten mich nur wenig, und ſchienen uͤberhaupt in dieſer Hinſicht ſehr gleichguͤltig zu ſeyn.

Auf dieſe Art wurde nun der Bericht nach Ber - lin in Abſicht meiner, bloß von ſolchen concipirt, welche mir abhold waren, und ſiehe da, er that die Wirkung, welche ſie davon erwarteten, und wie ich ſelbſt nicht anders vermuthete. Das Oberſchul - collegium ſchrieb mir, daß jezt fuͤr mich nichts zu machen ſey, und daß ich mich gedulten muͤße, bis ſich ſonſt was fuͤr mich faͤnde.

Im Jahr 1795 hatte mich ein ſolches Reſcript voͤllig niedergeſchlagen, aber im Jahr 1798 war die Wirkung davon verſchieden. Ich war ganz gleich - guͤltig dabey, und legte mein Papier hin, ohne mich zu kraͤnken oder zu aͤrgern. Ich hatte gelernt, uͤber die Umſtaͤnde beßer und richtiger zu urtheilen.

Meine Frau gebahr mir um Johannis dieſes43 Jahres einen Jungen, welcher noch lebt, und mir durch ſein munteres Weſen manche vergnuͤgte Stun - de macht. Bey der Geburt, welche etwas ſchwer hergieng, rief die Kindermutter den Herrn Geheim - derath Mekel: der wuͤrdige Mann ließ nicht lange auf ſich warten, und machte ſolche Anſtalten, daß meine Frau gar bald ihrer Buͤrde entlaſtet wurde.

Unter den Gevattern oder Pathen, welche ich fuͤr meinen Jungen gebeten hatte, war auch der nunmehr verſtorbene Obriſt Schmid von Wegewitz, ein Mann von etwas ſeltſamen Charakter. Ich war dieſem Mann durch meine Lebensbeſchreibung bekannt geworden, und im Fruͤhling 1798 ließ er mich durch ſeinen damaligen Sekretaͤr oder Schrei - ber Hoͤpfner zu ſich bitten. Ich beſuchte ihn, und fand einen durchaus originellen Mann. Herr Schmid bildete ſich naͤmlich ein, daß er nie Un - recht haben koͤnnte, und dieſer Opinion zufolge han - delte er auch in allen Stuͤcken. Damals, als ich ihn kennen lernte, hatte er nicht weniger, als 27 Prozeße, welche er alle mit der groͤßten Heftigkeit betrieb, und die meiſten ſelbſt betrieb, ob er gleich nicht die geringſte Kenntniß von poſitivem Recht be - faß. Er las mir eine Menge Acten vor, und klag - te unaufhoͤrlich uͤber die Chicanen der Advokaten, und uͤber die Langſamkeit und Partheylichkeit ſeiner Richter. Ich ſuchte ihm begreiflich zu machen,44 daß er Unrecht habe, grade das nur fuͤr Recht zu halten, was ihm ſo vorkomme, aber nun ſpruͤhte er Feuer und Flammen, und ſchimpfte ſogar auf die Geſetze ſelbſt, welche nach ſeiner Meynung aͤußerſt ſchief und unvollkommen abgefaßet waͤren. Gebt uns nur richtige Geſetze, fuhr er fort, und die Ad - vokaten werden bald mit ihrem Links - und Rechts - machen auf dem Miſt ſeyn: aber bey ſolchen Ge - ſetzen, wie wir haben, finden die Kerle vollkom - menen Spielraum fuͤr alle ihre Streiche.

Den Geſetzgebern mußte es darum zu thun ſeyn, den Gerichtshoͤfen etwas zu verdienen zu ge - ben; daher haben ſie auch alles ſo auf Schrauben geſtellt, daß jeder Advokat und jeder Richter leicht ein X fuͤr ein U machen kann.

Ich mogte dem raͤſonnirenden Obriſt nicht in allen Stuͤcken Recht geben, aber durchaus mogte ich ihm auch nicht widerſprechen, und legte mich daher aufs Diſtinguiren; aber Herr von Schmid war kein Freund vom Diſtinguiren, und daher ge - riethen wir nicht ſelten heftig an einander.

Auf die Franzoſen war er vollends nicht gut zu ſprechen, und ſchimpfte bey jeder Gelegenheit auf ſie: wenn er ein Commando im Kriege wider dieſe Freyheitsracker gehabt haͤtte, ſo wuͤrde er, wie er bey allen Teufeln oft genug verſicherte, die Burſche ſchon kurranzt haben, weder Bonaparte noch Piche -45 gruͤ, noch Moreau, noch Maſſena ſollten etwas ausgerichtet haben. Ich mußte bey dieſen Bra - marbaſereyen des fuͤr ſich und ſeinen Heldenmuth ſo ſehr eingenommenen Mannes nur laͤcheln.

Einſt kam ich zu ihm, und da ließ er ſeine ganze Galle gegen den damaligen Feldprediger beym Halliſchen Regimente, Herrn Lafontaͤne, fuͤrchterlich aus. Er hatte einige Tage vorher in Halle bey einem Offizier Gevatter geſtanden, und bey dem Kindtaufsſchmaus, wozu auch Hr. Lafon - taͤne gebeten wurde, war das Geſpraͤch auf die Franzoſen gefallen. Der Obriſt Schmid ſchimpfte nach ſeiner Art, der Feldprediger nahm ſich aber derſelben an, und ſo kams dann von Seiten des Obriſten zu groben nichtsbedeutenden Machtſpruͤ - chen, auf welche Lafontaͤne nach ſeiner Art witzig und bitter antwortete, bis endlich Schmid gar in Invektiven ausbrach, und dadurch ſeinen Gegner zum Stillſchweigen brachte.

Mit einem ſolchen Charakter konnte nun Herr von Schmid ſich nur Feinde machen: die Regie - rung zu Dresden, und beſonders die Stiftsregie - rung zu Merſeburg, unter welcher er zunaͤchſt ſtand, waren ihm aufſetzig, und mit dem Land - jaͤgermeiſter von Noſtitz zu Merſeburg fuͤhrte er unaufhoͤrliche Fehden. Ich habe eine in Halle ge - druckte Schrift geleſen, welche den Obriſt Schmid46 zum Verfaſſer haben ſoll, wenigſtens ſeinen Namen fuͤhrt, und von ihm dem Landtag zu Merſeburg vorgelegt worden iſt; in dieſer Schrift kommen Ausfaͤlle vor, welche man gar leicht fuͤr ſehr derbe Injurien erklaͤren koͤnnte.

Sonſt machte der Obriſt gerne den Maͤcen der Gelehrten und den Unterſtuͤtzer der Unterdruͤckten: beydes waͤre ſehr loͤblich, wenn es nicht bey Herrn von Schmid eine Wirkung der augenblicklichen Laune geweſen waͤre. Der von Leipzig, ich weiß nicht weßwegen, fluͤchtig gewordene Aventurier Hilſcher fand Zuflucht in Wegewitz, mußte aber endlich fort, weil ihm der Obriſt gedrohet hatte, ihn durch ſeine Hunde forthetzen zu laſſen. Hilſcher zog ab, und ſchrieb von Naumburg aus einen im - pertinenten Brief an den Obriſt, und ſo bewies er dann, daß er eben ſo unwuͤrdig war, Wohlthaten zu empfangen, als der Obriſt es war, einem duͤrf - tigen Gelehrten dergleichen zu erweiſen.

Einen gewiſſen Leutnant von Scheidt hatte Schmid auch damals in ſein Haus aufgenommen, dieſer Scheidt hatte ehedem unter einem Preußiſchen Garniſonsregimente gedient, hernach aber ſeinen Abſchied genommen, um einen bodenloſen Prozeß wider den Stadtrath zu Erfurt zu betreiben. Da alle ſeine Gruͤnde, wodurch er eine uͤber drey Mil - lionen betreffende Erbſchaft erobern wollte, nicht47 Stich hielten, und er ſelbſt kein Geld hatte, eine ſo koſtſpielige Rechtsſache fortzuſetzen, ſo ſuchte er Leute, welche Geld hergeben konnten, und ver - ſprach dieſen, wer weiß wie viel Antheil an der Erbſchaft aus dem Monde. Auf dieſe Art hatte er ſchon mehrere dran gekriegt, bis er endlich auch an den Obriſt Schmid gerieth, welcher anfaͤnglich auch Geld genug dran wendete, und ſogar die Sache in Wetzlar anhaͤngig machte. Aber bald ſahe doch der Obriſt die Bodenloſigkeit des Pro - zeſſes und die Schwindeleyen mit der vorgeſpiegel - ten Erbſchaft ein; er ſagte daher dem Leutnant den gemachten Contrakt auf, dieſer aber verklagte den Obriſt, und lezterer mußte viel Unkoſten tragen.

Ich koͤnnte noch viele Blaͤtter mit Hiſtoͤrchen anfuͤllen, welche den Obriſt Schmid von Wegewitz angehen; aber ich mag keine Beytraͤge zur ſkanda - loͤſen Geſchichte des Saͤchſiſchen Adels liefern.

Fuͤnftes Kapitel.

Studentenkriege im Jahr 1797 und 98.

Meine Lebensgeſchichte hat von ihrem Anfange an manche Nachrichten geliefert, welche allerdings zur Chronik der deutſchen Univerſitaͤten gehoͤren, ob48 ſie gleich nicht oͤffentlich pflegen bekannt gemacht zu werden: daher halte ich es auch noch immer fuͤr meine Schuldigkeit, meine Leſer mit Nachrichten zu unterhalten, welche die Univerſitaͤten angehen, und mir ſpeziell bekannt geworden ſind.

Ich weiß zwar recht gut, daß die Herren auf den Univerſitaͤten es gar nicht gerne ſehen, wenn Hiſtorien oͤffentlich bekannt werden, welche ihren gelehrten Innungen eben nicht zum Ruhme gerei - chen; indeſſen mag dieß immer ſeyn, was kuͤm - mern mich die Herren, genug wenn ich nur keine Unwahrheiten ſchreibe, und meinen Leſern keine lange Weile mache.

Auf der Mail, jener Bierſchenke, welche ſchon mehrmals in dieſem Werke vorgekommen iſt, fan - den ſich von Zeit zu Zeit Studenten ein, welche gerne Breyhan tranken, und mit den Buͤrgern, die ſich daſelbſt verſammelten, freundſchaftlich umgin - gen. Nicht ſelten geſchah es, daß die Studenten uͤber die Maaßen luſtig wurden, aber man vergab ihnen das gerne, und ließ ſie machen. Dem Wirth Brand waren Studentengeſellſchaften immer will - kommen, theils weil ſie brav verzehrten, theils aber auch, weil er ehedem ſelbſt Student geweſen war, obgleich ſeine Studien ſelbſt, wie er ſich ſelbſt ausdruͤckte, nicht weiter gingen, als bis an den Hoſenknopf.

Ohn -49

Ohngefaͤhr um Martini 1797 kam ein Haufe Studenten von Reideburg, einem ſaͤchſiſchen Dor - fe, wo ſie kommerſchirt hatten, auf die Mail, gra - de an einem Tage, als da getanzt wurde; ſie wa - ren alle etwas betrunken, oder nach ſtudentiſchem Ausdruck, beſpitzt, und betrugen ſich ſo, daß meh - rere Buͤrger ſich deßwegen ſtark formaliſirten. Es wuͤrde gewiß zum Handgemenge gekommen ſeyn, wenn nicht einige, die ſowohl der Studenten als deren Antagoniſten Freunde waren, den Frieden wieder hergeſtellt haͤtten. Fuͤr dieſen Tag war al - ſo alles wieder ruhig, aber ſchon am folgenden Mor - gen, als ich zu meinen Scholaren kam, hoͤrte ich, daß ſich manche fuͤr beleidigt hielten, und daß die Philiſter deßhalben ſollten ceram genommen wer - den.

Ich ging damals faſt taͤglich Abends auf die Mail, alſo traf es ſich auch, daß ich zugegen war, als abermals ein Haufen Studenten ſehr beſpitzt von Reideburg dahin kam. Dieſe Herren hatten ſich vorgenommen, den ihnen von den Philiſtern und Gnoten, ihrer Meynung nach, angethanen Schimpf zu raͤchen, und Satisfaction an ihren Beleidigern zu nehmen, aber zum Gluͤcke oder zum Ungluͤcke war auch nicht einer von denen da, welche einige Tage vorher mit den Studenten Haͤndel gehabt hatten.

Laukh. Leben 5ter Theil. D50

Die Studenten haͤtten nun, ſelbſt nach ſtudenti - ſchen Begriffen, ruhig ſeyn ſollen, aber der Brey - han wirkte in ihren Koͤpfen, und beleidigende Re - den von Philiſtergrob, Philiſtermenſchern, Gno - tenzeug u. ſ. w. wurden von ihnen ausgeſtoßen. Endlich beleidigten ſie die Frau eines Branntewein - brenners thaͤtlich, und nun gings an ein Katzbal - gen, wobey aber die Muſenſoͤhne den Kuͤrzern zo - gen, und zum Tanzſaal hinausgedraͤngt wurden.

Alles war nun wieder ruhig, und ich ſezte mich in eine aparte Stube, um da mit einigen mir be - kannten Buͤrgern eine Butelle Breyhan auszuſpie - len: niemand dachte daran, daß die Studenten wieder kommen wuͤrden, und ſchon waren viele Gaͤſte nach der Stadt zuruͤckgegangen, als auf einmal eine ganze Caravane Studenten auf der Mail erſchien. Die beleidigten Herren waren nach Halle zuruͤckgegangen, und hatten da den angetha - nen Schimpf ihren Bekannten mitgetheilt, worauf einige luſtigen Bruͤder durch alle Straßen liefen, und durch das fuͤrchterliche Geſchrey: Burſch raus, Burſch raus! alles alarmirten. Die Meiſten liefen mit, ohne zu wiſſen, wohin, und ohne die Urſache einzuſehen, warum ſie zu einem Burſchen - kriege aufgefordert wurden. So pflegt es aber uͤberhaupt bey Studentenkriegen zu gehen: ſie han - deln ohne zu wiſſen warum?

51

Genug die Caravane kam auf die Mail, verſe - hen mit derben Ziegenhaynern und großen Knuͤtteln, auch ſchienen ſie Steine mitgebracht zu haben, we - nigſtens wurde mit Steinen in die Fenſter canonnirt. Der Tanzſaal wurde zuerſt uͤberfallen, und nun entſtand eine derbe Pruͤgeley, wobey einige Buͤr - ger uͤbel zugerichtet wurden, und zwar lauter ſol - che, welche vorher die Studenten gar nicht beleidi - get hatten: denn die Beleidiger hatten ſich, aus Furcht, die Studenten moͤgten ihnen unterwegs auf - paßen, ganz kluͤglich abgezogen. Einige Frauen - zimmer wurden gleichfalls mißhandelt. Nachdem die Studenten ſich nach ihrer Art Genugthuung verſchafft, und alles, was ihnen vorkam, rein zer - ſchmiſſen hatten, ſo zogen ſie ab, zwar nicht ganz ohne Kopfnuͤſſe: denn die Buͤrger hatten ſich gleich - falls ritterlich gehalten, und ſich mit Stecken, Bier - butellen und Glaͤſern, mit Stuhlbeinen und Baͤn - ken, ſogar mit Ofenkacheln gegen den uͤberfallenden Feind gewehrt.

Der Ruͤckzug der Studenten nach der Stadt ge - ſchah in aller Stille; ſie gingen durch entfernte Thore nach ihren Wohnungen, und mogten wohl glauben, daß nun alles geendiget ſey. Aber ſchon denſelben Abend wurde das abſcheuliche Scandal dem Prorektor der Univerſitaͤt angezeigt: dieſer ſchickte ſofort den Pedell nach der Mail, und fruͤhD252erſchien eine Unterſuchungscommiſſion daſelbſt, wel - che allen verurſachten Schaden genau aufzeichnete.

Nun war die Frage, wer das Scandal verur - ſacht, und wer Theil daran genommen habe? Auf die Ausſage einiger Aufwaͤrterinnen, und andrer Leute, welche einige von den Studenten gekannt haben wollten, wurde eine ganze Menge geſchleppt, und aufs Carcer geſezt. Einige von dieſen mog - ten wohl ſchuldig geweſen ſeyn, aber einige hat - ten ganz und gar keinen Antheil an dem ganzen Handel, und dennoch hielt man ſie auf dem Carcer. Einer davon namens A .... d aus Pommern be - wies ſeine Unſchuld aufs deutlichſte, er kam zwar los, mußte aber doch obendrein die Unkoſten bezahlen. Er war ein Menſch von ganz unbeſchol - tenen Sitten, und von allgemein anerkanntem Flei - ße. Wenn der Student ſich ein Verfahren dieſer Art muß gefallen laßen, ſo ſehe ich gar nicht ein, was der Ausdruck: akademiſche Privilegien, noch bedeuten ſoll; und wenn die Gerichten ſolche Proceduren einſchlagen koͤnnen, ſo muͤſſen ſie wahr - lich ihre Gerichtsordnung aus dem Codex der ſpa - niſchen Inquiſition hergenommen haben. Ein voͤl - lig Unſchuldiger, den ein lichtſcheuer Bube ange - klagt hat, erlangt auch da weiter nichts, als ſeine Freyheit: an Schadenerſatz iſt gar nicht zu denken. 53Doch genug hievon: ich uͤberlaſſe das Urtheil dar - uͤber meinen Leſern.

Die Unterſuchung waͤhrte ſehr lange, ſo nach Art akademiſcher Unterſuchungen: endlich erſchien das Urtheil, welches freylich von Berlin kam, aber natuͤrlich nach den Berichten der Univerſitaͤt ver - faßt war. Nach dieſem Urtheil wurden ohngefaͤhr ſieben Studenten als Stoͤhrer der oͤffentlichen Ruhe relegirt! Unter dieſen Studenten befand ſich ein gewißer Z .... n, welcher zwar aus andern Gruͤnden von der Univerſitaͤt haͤtte entfernt werden ſollen, der aber an dem Spektakel auf der Mail nicht den aller - geringſten Antheil genommen hatte. Es warfen ſich einige auf, welche tuͤchtige und unverdaͤchtige Zeugen fuͤr Z .... n's Unſchuld aufſtellen, und dadurch allen Verdacht einer Theilnahme an dem Mailkrieg von ihm entfernen wollten, aber die wurden nicht an - gehoͤrt, ſo wenig, als die, welche zur Zeit des Ter - rorismus in Frankreich die Unſchuld vertheidigen, und Zeugniße dafuͤr aufſtellen wollten!!

Ich weiß, daß ich hier manches hinſchreibe, wor - uͤber dieſer oder jener ein boͤſes Geſicht machen wird, aber das boͤſe Geſicht dieſes oder jenes Herrn ſoll mich gar nicht hindern, die Wahrheit laut und nach meiner ganzen Ueberzeugung zu ſagen. Anomalien taugen uͤberhaupt nicht viel, man hat ſie nicht ein - mal gerne in der Grammatik; aber gerichtliche Ano -54 malien ſind unter allen nur denkbaren Anomalien die boͤsartigſten: denn ſie beleidigen nicht nur am tief - ſten, ſondern geben auch das ſchaͤdlichſte Beyſpiel.

Der Ueberfall auf der Mail war uͤbrigens eine hoͤchſt aͤrgerliche Sache geweſen, eine grobe Stoͤh - rung der oͤffentlichen Ruhe und Sicherheit, und eben daher fand der Koͤnig fuͤr nothwendig, ein Edict zu geben, wie es in Zukunft bey Auftritten dieſer Art gehalten werden ſollte.

Die Subſtanz des Edicts lief dahin aus, daß bey groben Exceſſen, wohin natuͤrlicher Weiſe der oͤffentliche Tumult auch gehoͤrt, auch derbere Stra - fen, als bisher gebraͤuchlich waren, eingefuͤhrt wer - den ſollten. Der hoͤchſte Grad dieſer derbern Stra - fen ſollte in einem, freylich im Edict nicht genau ge - nug beſchriebenen Durchpruͤgeln des ſchuldigen Stu - denten beſtehen u. ſ. w.

Ich kann wirklich nicht ſagen, ob der Koͤnig ſelbſt die Idee zu dieſem Edict gegeben habe: ſollte es aber ja ſeyn, ſo iſt es geſchehen, weil man ihm das Leben der Studenten und ihr Betragen mit gar zu graſſen Farben geſchildert hat, und da konnte er dann beſchloſſen haben, militaͤriſche Strafen auf ſeinen Univerſitaͤten einzufuͤhren. Meine Sache iſts uͤberhaupt nicht, uͤber Landesherrliche Verord - nungen zu kritiſiren, und Bemerkungen zu machen, aber das kann ich doch hiſtoriſch ſagen, daß eine55 Verordnung dieſer Art alle Privilegien aufhebt, welche ehemals den Univerſitaͤten von den Paͤbſten, Kaiſern und andern Fuͤrſten verliehen worden ſind, und daß eben eine ſolche Verordnung mit dem Be - griff eines freyen deutſchen Mannes wie doch jeder Student iſt nicht beſtehen kann. Ein hieſiger junger Gelehrter ſchrieb damals eine kleine Schrift akademiſche Nuditaͤten welche ich im Manuſcript geleſen habe. Ich bedaure, daß ſie nicht iſt gedruckt worden, ſie wuͤrde bey manchem Naſenruͤmpfen, bey manchem recht Gallvollen Aer - ger, aber bey den Meiſten ein gefaͤlliges Achſelzu - cken und Laͤcheln rege gemacht haben.

Man kann ſich leicht vorſtellen, daß die Be - kanntmachung eines Edicts von ſolchem Inhalt bey den Studenten gewaltige Senſation erregte: ſie dachten ſchon auf einem Strohboſen zu liegen, und einige zwanzig Hiebe vom akademiſchen Profos auf den Hintern zu erhalten. Es wurden Fragen bey den Zuſammenkuͤnften der Studenten aufgeworfen, und ſo nach ſtudentiſcher Art aufgeloͤßt, z. B. wer dann eigentlich die Hiebe austheilen, und den Pro - fos oder den Steckenknecht machen ſollte? Wo man dieſe Knuterey vornehmen wuͤrde? u. ſ. w. Es war leicht zu entſcheiden, daß weder der Prorektor noch ſonſt ein Profeſſor ſich zu einer ſolchen Execution verſtehen wuͤrde: aber jemand mußte es doch ſeyn,56 und wer war dieſer Jemand? Sollte es ein Pe - dell verrichten, oder das waren Fragen, die niemand zu loͤſen vermogte.

In allen Geſellſchaften, wohin ich kam, ſuchte ich den Studenten begreiflich zu machen, daß eine Strafe dieſer Art nie Statt haben koͤnnte, geſetzt auch ſie ſey durch ein Koͤnigliches Edict feſtgeſetzt: Friedrich Wilhelm der Dritte pflege ſich nicht an ſei - ne Worte ſo genau zu halten und zu binden, ſon - dern aͤndere ſeine Reſolution, ſobald er einſaͤhe, daß er etwas unthuliches oder ſchaͤdliches beſchloſ - ſen habe. Es war mir gar nicht ſchwer, dieſe Be - hauptung recht anſchaulich zu beweiſen. Gegen den Winter 1797 hatte der Schauſpieldirektor Doͤ - blin die ſpecielle Erlaubniß vom Koͤnige erhalten, in Halle den Winter uͤber zu ſpielen: er miethete daher hier ein altes Brauhaus, und ließ durch den Zimmermeiſter Haak ein Theater erbauen. Anfaͤng - lich blieb alles ruhig, das Theater ward fertig, und unſre Hallenſer, beſonders die Studenten, ſahen dem lieblichen Winterzeitvertreib mit heiſſer Sehn - ſucht entgegen: aber die Univerſitaͤt machte einen Bericht an den Koͤnig, ſtellte dem Monarchen die Gefahr vor, welche der ſo gut geſitteten Uni - verſitaͤt aus einem Schauſpiel entſpringen koͤnnte, und der Monarch verbot dem Doͤblin, Komoͤdien in Halle zu ſpielen; weil aber doch dieſer ohnehin57 nicht reiche Mann viel Unkoſten mit ſeinen Anſtal - ten, und mit dem Transport ſeiner Bande, oder wies die Herren lieber hoͤren, ſeiner Truppe gehabt hatte, ſo reichte ihm der Koͤnig tauſend Thaler zur Entſchaͤdigung. Niemand kam bey dieſer Gelegen - heit ſchlimmer weg, als der Zimmermeiſter Haak: denn dieſer iſt bis jezt noch nicht bezahlt, ob er gleich den Doͤblin aller Orten gerichtlich verfolgt, und ſtets ſeinen Prozeß gewonnen hat.

Manche Leute fanden es nicht nach ihrem Schna - bel, daß der Koͤnig eine einmal gegebne Erlaubniß zuruͤck nahm; ein Fuͤrſt muͤſſe, meynten ſie, ſein Wort in allen Stuͤcken halten. Andre Leute, die kluͤger waren, raͤumten zwar ſehr gerne ein, daß ein Fuͤrſt ſein Wort halten muͤſſe, aber nur in ſo - ferne es niemand anders ſchaͤdlich werden koͤnne: denn in dieſem Fall muͤſſe auch der Fuͤrſt ſein Ver - ſprechen kaſſiren; der Fuͤrſt, auch der allerweiſeſte, ſey und bleibe immer ein Menſch, und koͤnne als ſolcher, Dinge zuſagen, die dem Wohl des Staa - tes, und folglich der Pflicht des Fuͤrſten ſelbſt zuwider waͤren, und Zuſagen dieſer Art koͤnne der Fuͤrſt zuruͤcknehmen, und muͤſſe es thun, ſobald er eines Beſſern belehrt wuͤrde. So waren die Ur - theile beſchaffen, welche man uͤber dieſen Vorfall faͤllte, zu welchen ich nichts von meinen eignen Gedanken ſetzen mag.

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In wiefern aber die Halliſchen Profeſſoren ein Recht hatten, gegen ein Theater in Halle ſelbſt zu remonſtriren und daſſelbe, als der Akademie hoͤchſt nachtheilig zu verſchreien, iſt eine andre Frage? In Halle muß es nicht wenig auffallen, daß Profeſſoren ſich uͤber ein Theater formaliſiren, das in der Stadt errichtet werden ſoll, und das immer unter der Halliſchen Polizey ſtehen wuͤrde, da doch eben die - ſe Profeſſoren noch nicht das Geringſte gethan ha - ben, um dem Unweſen und dem Schaden zu ſteu - ren, welchen die Akademie jaͤhrlich in der ſoge - nannten Badezeit durch die Lauchſtaͤdter Komoͤdie leidet. Sobald das Lauchſtaͤdter Theater eroͤffnet wird, ſcheint die ganze Halliſche Studenten - und Buͤrgerſchaft wie von einem elektriſchen Schlag getroffen zu ſeyn; alles ſtrampelt und jubelt, und aus den Fenſtern ruft man ſich einander zu: Wiſ - ſen Sie nicht, was heute gegeben wird? Koͤnnen Sie mir nicht ſagen, wenn Maria Stuart, wenn Abaͤllino, wenn Don Juan u. ſ. w. gegeben wird? Ja, ruft der Student, Gott ſtrafe mich, heute muß ich nach Lauchſtaͤdt: Die Raͤuber werden ge - geben, und das iſt kein Hund. Ich muß hinuͤber, und ſollt es Karbatſchenſtiele regnen. Der Vor - ſatz des Buͤrgers, und des Studenten wird auch auf alle Faͤlle ausgefuͤhrt, Lauchſtaͤdt wird beſucht,59 und ſollten die Stiefel verſetzt, oder verkauft werden, um Geld zu dieſer Expedition zu bekommen.

Das Rennen nach Lauchſtaͤdt iſt nun mit einem zwiefachen unerſetzlichen Schaden fuͤr unſre Stu - denten denn die Buͤrger gehn mich hier nichts an, allemal verbunden.

Einmal faͤllt die Bade - oder vielmehr die Komoͤ - dienzeit zu Lauchſtaͤdt mitten im Sommer, alſo grade dann, wenn die Collegien laͤngſt angefangen, aber noch lange nicht beendiget ſind. Fuͤr diejenigen Stu - denten, welche Lauchſtaͤdt frequentiren, geht alſo der ganze Sommer fuͤr das Studieren verlohren. Mir haben nicht zehen, ſondern hundert Studen - ten ſelbſt aufrichtig geſtanden, daß ihnen die Lauch - ſtaͤdter Komoͤdie alle ihre Sommerhalbejahre ver - dorben habe. Wenn nun ein junger Menſch in der ohnehin ſo kurzen Zeit von zwey Jahren ſeinen gan - zen akademiſchen Curſus endigen ſoll, und doch noch zwey Sommer durch die Lauchſtaͤdter Komoͤdie ver - liert, wie viel Zeit bleibt ihm noch uͤbrig? Es iſt wahr, daß ſich es manche mit ihrem Studieren ſehr kommod machen, und hoͤchſtens noch dasjeni - ge lernen, was zu ihren Brodſtudien gehoͤrt, aber auch dies wenige kann nur von vorzuͤglichen Koͤpfen in ſo kurzer Zeit gelernt werden, und ſind wohl alle Studenten vorzuͤgliche Koͤpfe?

Fuͤrs zweyte iſt dem Burſchenbeutel nichts ſchaͤd -60 licher in Halle, als die Lauchſtaͤdter Badezeit. Ich kenne Studenten, welche hoͤchſtens 250 Thaler Wechſel haben koͤnnen, und doch in einem Som - mer 80 Thaler in Lauchſtaͤdt verbringen: ſonach bleibt alſo dem Herrn noch ein Suͤmmchen von 170 Thalern uͤbrig, womit er alle ſeine andern Beduͤrf - niſſe beſtreiten ſoll. Das kann er nun nicht, er muß alſo borgen, und am Ende ſeine Glaͤubiger prellen. Noch heute, da ich dieſes niederſchreibe, fand ich einen mir bekannten Studenten hinter dem Rathhaus auf der Straße Lieber Laukhard, ſagte er, beſuchen Sie mich noch dieſe Woche; naͤchſten Sonntag gehe ich ab.

Ich. Das thut mir leid; ich glaubte, Sie wuͤr - den noch bis auf Michaelis hier bleiben.

Er. Der Alte will nicht mehr ſpucken (Geld ſchicken) Mein S ... ß (Schulden) ſind ſo groß, daß ich die Manichaͤer nicht bezahlen kann. Ich muß mich druͤcken mit der Malice (heimlich fortma - chen.)

Ich. Sie haben doch einen ſchoͤnen Wechſel ge - habt.

Er. O ja, dreyhundert Thaler; aber man hat auch Ausgaben; das verfluchte Lauchſtaͤdt allein koſtet mich uͤber vierhundert Thaler, ſeitdem ich hier bin.

Waͤhrend der Badezeit zu Lauchſtaͤdt wird der61 Halliſche Student auf alle Weiſe geprellt: die Pfer - dephiliſter, eine wahre Peſtilenz der Akademien, ſchlagen mit ihren Roßen ſo ſehr auf, daß ihnen manche Maͤhre in vierzehn Tagen ſo viel eintraͤgt, als das elende Thier ſelbſt werth iſt; und in Lauch - ſtaͤdt ſelbſt iſt alles ſo abſcheulich theuer, und da - bey noch ſo ſchlecht, daß es wirklich Suͤnde iſt, auch dem Allerreichſten, das geforderte Geld dafuͤr zu geben. Man bedenke nur, daß ein Platz auf dem Parterre in dem uͤber allen Glauben traurigen ſchlechten Komoͤdienhauſe, wo man eher ein von Joſeph Wieland*)Joſeph Wieland, der Marionettenſpieler, graſſirte vor etwan 25 Jahren in ganz Deutſchland herum, und erwarb ſich ein Vermoͤgen von 60000 Thalern. Er war wirklich beſſer dran, als mancher Schauſpieldirektor, den die Manichaͤer aus einem Land ins andre jagen. Exempla ſunt odioſa. dirigirtes Marionettenſpiel, als eine Fuͤrſtliche Truppe Schauſpieler erwarten ſollte, doch zwoͤlf Groſchen bezahlen muß.

Dieß ſind ſo die Hauptſchaͤden, welche unſre Univerſitaͤt durch die Komoͤdie zu Lauchſtaͤdt leidet, und doch hat bisher, ſo viel ich weiß, noch kein Prorektor in Halle dran gedacht, dieſem Unweſen auf irgend eine Art zu ſteuern, und man giebt recht gerne zu, daß unſre Studenten drey, vier, fuͤnf Wochen hinter einander in Lauchſtaͤdt bleiben, und da ihre Reſidenz aufſchlagen.

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Auſſer dem Zeit - und Geldverluſt aber leiden die Studenten noch andern Schaden, der zwar we - niger ſichtbar, aber nicht minder betraͤchtlich iſt. Die verderblichen Hazardſpiele ſind von Lauchſtaͤdt nach Halle gekommen, und manches obſcure Bre - lau wuͤrde nicht ſo haͤufig beſucht worden ſeyn, wenn die Herren nicht zu Lauchſtaͤdt das edle Pha - rao und das noch edelere Knoͤcheln gelernt haͤtten. Ich habe Studenten gekannt, welche ſich in der Spielkunſt ſo ſehr vervollkommnet haben, daß ſie die Studien an den Nagel henkten, und nun als Spieler in der Welt herumziehen. Doch genug von Lauchſtaͤdt: es wird, troz meines Predigens, doch bleiben wie es iſt, und vielleicht nur noch ſchlimmer werden.

Wenn man aber ſo alles zuſammen nimmt, ſollte man denken, es ſey mehr Eigenſinn von Seiten derer geweſen, welche im Jahr 1797 wider die Er - richtung eines Theaters in Halle proteſtirt haben, als wirklicher Patriotismus und Sorgſamkeit fuͤr die Univerſitaͤt. Ein Theater haͤtte hier wenig, oder gar nichts geſchadet, und wenn auch zwanzig Mal waͤre geſpielt worden, und ein Student haͤtte allen zwanzig Vorſtellungen beygewohnt, ſo haͤtte er doch nicht mehr, als 6 thlr. 8 gl. hingegeben, da ihn jezt eine einzige Lauchſtaͤdter Geniereiſe ſo viel koſtet.

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Sechſtes Kapitel.

Kriegsgeſchichten im Jahr 1798.

Nachdem der bisherige Haͤſcherhauptmann Baͤr, der Erzantagoniſt aller Studenten, das Zeitliche geſegnet hatte, ſuccedirte ihm Mosjeh Muͤller, und erſezte ihn in allen Stuͤcken. Baͤr war, wie jeder weiß, der ihn kannte, ein grober impertinen - ter Kerl, Muͤller war um kein Haar artiger: Baͤr prellte, wo er konnte, und Muͤller verſaͤumte keine Gelegenheit, etwas zu acquiriren, ohne ſich grade zu bekuͤmmern, ob der modus acquirendi ein legitimer oder illegitimer war. Endlich hatten beyde, Baͤr und Muͤller eine hohe Idee von ihrem Amt, und beſonders Letzterer bildete ſich auf ſeine erhabene Haͤſcherdignitaͤt mehr ein, als der Stadt - gerichtspraͤſident auf die Seinige.

Unſre Hallenſer lieben uͤberhaupt die Haͤſcher nicht, und wo Buͤrger hinkommen, da darf ſich keiner von der nobeln Haͤſchergeſellſchaft blicken laſ - ſen; daher haben auch dieſe Mosjehs ihre eignen Kneipen, ja ſogar ihre eignen Bordelle, wo ſie hingehen, und ſich luſtig machen: denn auch ſie haben Kehlen, und Fleiſch und Blut. Muͤller aber,64 der da glaubte, er koͤnne auch in honettere Geſellſchaf - ten gehen, wagte es einige Mal, an Oerter zu kom - men, wo Branntwein geſchenkt wurde, und wo Sol - daten ſich aufhielten; dieſen ließ er tapfer einſchen - ken, und erhielt ſoviel, daß die Soͤhne des Mars ihn ihrer Bruͤderſchaft wuͤrdigten, und ihm ihren Schutz wider jeden verſprachen, der ihn angreifen wuͤrde. Muͤller ward nun dreiſter, und erſchien im Keller - ſtuͤbchen, welches ich im vorigen Bande beſchrieben habe. Hier waren lauter geſezte Maͤnner, welche zwar den Haͤſcher nicht gern in ihrer Mitte ſahen, jedoch keinen Spektakel machten, und ihn ſein Glas Breyhan in Ruhe austrinken ließen. Als er aber doch ſahe, daß niemand mit ihm ſprach, und kei - ner von den Anweſenden auf ſein Schwadronniren zu merken ſchien, ſtand er auf und ging weg, aber noch an ſelbigem Abend kam er an einen Ort, wo man nicht ſo tolerant war, als im Kellerſtuͤbchen. Dieß war in einer Branntweinſchenke in der Maͤrker - ſtraße, wo er einen ruͤſtigen Muͤhlknappen antraf, der den Herrn Oberhaͤſcher Muͤller, mir nichts dir nichts, zur Thuͤre hinausſchmiß. Der Haͤſcher ſchwur den Philiſtern den Tod, und ſuchte ſich Freunde unter den Studenten. Zu dieſem Ende fand er ſich auf der Egge ein, wo Studenten ſich oft verſammelten, plauderte dieſen ein Langes und ein Breites von den vertrakten groben Philiſtern vor, und ſchwadron -nirte65nirte ſo trefflich, daß die Muſenſoͤhne uͤberlaut lach - ten, und den Oberhaͤſcher ſitzen ließen. Jezt dach - te Mosjeh Muͤller ſchon der Freund der Studenten zu ſeyn, frequentirte noch einige andere Oerter, wo Studenten hingehen, und hatte endlich gar die Freyheit, einem Studenten Schmollis anzubieten. Was, ſagte der Student, Er will Schmollis mit mir machen? Er verfluchter Haͤſcherbuͤttel, Ihn ſoll ja das heilige Kreuz erwuͤrgen. Mit dieſen Worten warf der Student den luͤmmlichen Haͤſcher - kapitaͤn zu Boden, und triſchakte ihn dermaßen durch, daß ihm das Blut zu Maul und Naſe her - aus lief. Die andern Studenten erfuhren die Ur - ſache des Skandals, und transportirten den unver - ſchaͤmten Bengel zur Thuͤre hinaus, die Treppe hinunter, und warfen ihn dann in eine Miſtpfuͤtze.

Nun war Muͤller auch der Feind und zwar der aͤrgſte ſchlimmſte Feind der Studenten, und ſchwur auch ihnen den Tod.

Nicht lange nach dieſer Begebenheit trug es ſich zu, daß ein Student mit einer brennenden, oder auch nicht brennenden Tabakspfeiffe auf der Stra - ße von einem Haͤſcher angetroffen wurde. Der Haͤſcher confiscirte ihm die Pfeiffe, aber der Stu - dent widerſezte ſich, und nachdem mehrere Haͤſcher dazu kamen die Sache ging grade vor der Haͤ - ſcherhauptwache vor ſo wurde der Student arre -Laukh. Leben 5ter Theil. E66tirt. Seine Landsleute gingen hin zum Prorektor, und behaupteten, er ſey zur Ungebuͤhr eingezogen worden, indem ſeine Pfeiffe nicht gebrannt habe. Indeßen ſollte das Zeugniß der Haͤſcher doch mehr gelten, als das der Studenten, und daruͤber kams dann zum foͤrmlichen Krieg.

Die Studenten zogen naͤmlich vor die Haupt - wache der Haͤſcher, ſchrieen ihnen ein pereat! und provocirten ſie foͤrmlich: dieſe Herren, welche ſich zu Kriegszeiten, und uͤberhaupt, wenn ſie auf ernſt - hafte Ebentheuer ausziehen, auf die laͤcherlichſte und abgeſchmackteſte Weiſe beharniſchen, daß man glauben ſollte, es waͤren Sancho Panſas Unter - ſchildknappen, fuhren wie die Furien aus ihrem Wachthauſe, aber die Studenten zerſchlugen ihnen ihre Bleyſtifte ſo nennt man in Halle die lan - gen Haͤſcherſtangen trieben die Stangenritter zu - ruͤck in ihr Caſtell, und provocirten ſie von neuem. Die Haͤſcher ermangelten nicht, abermals ſich ins Feld zu wagen, nachdem ſie aber nochmals zuruͤck - geſchlagen worden waren, blieben ſie ruhig, verram - melten ſich in ihrer Feſtung, und antworteten auf das unaufhoͤrliche Bruͤllen und Pereiren der Stu - denten nicht weiter mehr. Den folgenden Tag wurde der Krieg fortgeſezt, und als die Haͤſcher wieder einen Ausfall wagten, wurde ein Student mit einem Bleyſtift uͤbel zugerichtet. Die Stu -67 denten wuͤrden den Krieg noch lange fortgeſezt ha - ben, wenn man ihnen nicht, ich weiß nicht recht, durch welchen Canal, zu verſtehen gegeben haͤtte, daß ſie Satisfaction haben ſollten.

Muͤller der Haͤſcher wurde wirklich entfernt, weil ihm wenigſtens von den Studenten die Haupt - ſchuld am ganzen Skandal zugeſchrieben wurde. Muͤller vermuthete nichts weniger, als dieß: denn er glaubte, man duͤrfe ihm nicht allein nichts zu Leide thun, ſondern muͤße ihn noch dazu belohnen, weil er ſo ritterlich wider Studenten, Philiſter und Gnoten geſtritten hatte. Ja, ſagte er in der Knei - pe, wo ſonſt die Antiquariusbutike des ſeligen Spechts war, ich muͤßte den Geheimenrath Klein nicht zum Freunde haben, wenn ich mich fuͤrchten wollte. Ja Ihr koͤnnt mir glauben, Leute, ich und Klein verlaſſen einander nicht; er hat mirs in die Hand zugeſagt, daß ich nichts zu fuͤrchten haben ſollte, und wenn ſich die halbe Stadt auf den Kopf ſtellt, und Klein iſt ein Mann von Wort, vorzuͤglich gegen mich. Je nun, eine Hand waͤſcht die andre.

Ich kann nicht ſagen, wie weit die Freundſchaft des Herrn Klein gegen den Oberhaͤſcher ſich erſtreckt hat; vielleicht war die ganze hochgeruͤhmte Gunſt eine leere Erdichtung, wie viele Rodomontaden des eiteln Menſchenkindes: aber das weiß ich, daßE 268Muͤller fortmußte, und daß ſich ganz Halle freute, als dieſer geſtrenge Haͤſcherkapitaͤn ſeinen Abſchied nahm.

Einige Zeit uͤber war es ruhig in Halle, und ſchon glaubten die Studenten, es ſey alles vergeſ - ſen. Ich demonſtrirte meinen Freunden, daß die - ſer Ruhe nicht zu trauen ſey, anguem latere in her - ba, ſtille Waͤſſer gruͤndeten tief, und den Herren von der Univerſitaͤt ſey vollends nicht zu trauen, wenn ſie ſtille ſchwiegen, und freundlich laͤchelten; das Hauptſtudium der Gelehrten ſey Klugheit, und Klugheit erfordere, daß man ſeinen Feind, ehe er ſichs verſieht, uͤberfalle, und ihm die Kehle zu - ſchnuͤre, ehe er um Succurs rufen kann. Meine Freunde hielten mich fuͤr einen falſchen Propheten, aber ich hatte doch wahr prophezeyhet.

Ich blieb eine Nacht uͤber bey meinem Freund und Gevatter Leffler, welcher Hofmeiſter bey ei - nem gewiſſen ſtudierenden Adelichen von Spiegel war: Hr. Leffler war krank, und ich wachte bey ihm. Ich ſaß am Tiſch, und las in Mosheims Servetus, als auf einmal es mogte etwan zwey Uhr nach Mitternacht ſeyn das ganze Haus in Alarm gerieth. Die Haͤſcher waren naͤm - lich unter dem Commando des Univerſitaͤtspedel - len eingedrungen, und holten einige Studenten aus den Betten aufs Carcer, unter welchen auch Hr.69 von Spiegel war. Kaum erlaubten die geſtrengen Herren, daß die Leute ſich anziehen durften, und ſchrieen unaufhoͤrlich: machen Sie, machen Sie, wir muͤſſen fort! gleich als wenn ſie ſich gefuͤrch - tet haͤtten, der Feind moͤgte ihnen auf den Hals ruͤcken, und ihnen die gemachte Beute entreiſſen.

Ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich eine Bemer - kung anbringen, die ſich zwar jedem Nachdenken - den von ſelbſt aufdringt, und dies iſt, daß nichts die Schwaͤche der akademiſchen Regierung mehr be - weiſt, als die Proceduren, welche eben dieſe Re - gierung unternimmt, um ſich derer zu verſichern, welche ſie ſtrafen will. Warum wurden die jungen Leute aus ihren Betten geholt? Sie wuͤrden ſich entfernt haben, wird man antworten, wenn ſie or - dentlich waͤren gefordert worden. Gut; geſetzt ſie haͤtten ſich entfernt: ſo konnte man gegen ſie doch verfahren, wie andre Gerichte auch in ſolchen Faͤl - len thun. Die Leutchen hatten ja doch keine Capi - talverbrechen begangen. Aber die Herren fuͤrchte - ten nicht ſowohl die Entfernung der Angeklagten, als vielmehr die Nothwendigkeit, die angeſchuldig - ten Verbrechen zu beweiſen: und bey einer akade - miſchen Inquiſition kann ſo ein Beweis ſehr leicht ausgefuͤhrt werden, der oft ganz unmoͤglich waͤre, wenn man mit ſeinen Proben oͤffentlich herausruͤ - cken muͤßte. Der Student wird aufs Carcer geſetzt,70 und nun iſt nichts leichter, als ihn ſchuldig zu fin - den, wenn man ſonſt will: man kann ja inſtruiren und das Urtheil nach Wohlgefallen faͤllen. Aber wenn die Klagepunkte bey unbefangnen ſollten un - terſucht und gewuͤrdiget werden, moͤgte wohl man - ches in Senatu academica gefaͤllte Urtheil gar gewal - tig reformirt werden muͤſſen. Die Urſache alles Unheils auf Univerſitaͤten iſt ein radikal Unheil, naͤmlich die Geringſchaͤtzung der Geſetze. Und wo - her kommt dieſe ſchaͤdliche Verachtung? Antwort, aus dem Weſen der Geſetzgebung ſelbſt. Alle Au - genblick werden Geſetze und Verordnungen gedruckt und angeſchlagen, aber dabey bleibt es dann mei - ſtens auch, und fuͤr die Ausfuͤhrung des Gebote - nen, oder die Verhinderung des Verbotenen ſorgt weiter kein Menſch mehr. Es iſt mir wahrlich leid, daß ich es ſagen muß, aber es iſt Wahrheit, und die muß heraus, ſollten auch noch ſo viele Her - ren ihre Naſen daruͤber ruͤmpfen. Dadurch, daß die Herren auf der Univerſitaͤt ich rede nicht von Halle allein, ſondern von allen deutſchen Univerſi - taͤten, in ſoferne dieſe mir ſind bekannt geworden nicht auf die Erfuͤllung aller ihrer Verordnungen halten, machen ſie ſelbſt, daß niemand viel dar - nach fragt, und ſo bleibt es immer beym Alten. Ein ganz neues Beyſpiel mag hier zur Erlaͤuterung dienen. Vor etwan 8 Wochen wurde am ſchwar -71 zen Bret zu Halle angeſchlagen, daß kein Student mehr auf den Doͤrfern kommerſchiren ſollte, und na - mentlich wurden die Gelage in Reideburg verboten, und in dem Anſchlag hieß es, die Saͤchſiſchen Ge - richte ſeyen deßhalben requirirt, und wuͤrden ge - wiß recht ernſthafte Maaßregeln ergreifen, wenn je jemand eine Laͤrmſauferey veranſtalten wollte. Was geſchah? Den folgenden Tag, nachdem das Quaſigeſetz angeſchlagen worden war, zogen viele Studenten nach Reideburg, und erkundigten ſich bey Zacharias Schmid, dem Schenkwirth, ob er wohl einen honetten Kommerſch verſtatten wollte? Warum dann nicht, antwortete Schmid? Wer will mir das verbieten? Kommerſchirt Ihr nur derb, macht einen Pabſt, und thut was Ihr wollt: ich will den ſehen, der Euch etwas in den Weg legen ſoll. So Herr Zacharias Schmid. Die Stu - denten, neugierig zu erfahren, welche Wirkung die Requiſition des Prorektors durch die Saͤchſiſchen Gerichten thun wuͤrde, fingen ihren Landesva - ter an und ſangen munter herum. Indem ſie ſo laͤrmten, kam endlich der Richter, und gebot Ruhe, ließ ſich aber bald beſaͤnftigen, da ihm vorgeſtellt wurde, daß man bloß da ſey, um ein Liedchen zu ſingen, und dabey zu trinken, keinesweges aber, um ſich zu ſchlagen oder ſonſt Unordnungen anzu - fangen. In Halle ward es gleichſam wie durch72 ein Lauffeuer bekannt, daß in Reideburg war kom - merſchirt worden, aber davon wurde weiter keine Notiz genommen. Ich will hier gar nicht unter - ſuchen, ob ein Vergnuͤgen, wie Kommerſche zu unſrer Zeit ſind, tolerirt werden koͤnnen oder nicht, aber wenn man ſie toleriren will, oder gar toleriren muß, ſo ſollte man ſie auch nicht verbie - ten. Ich werde weiterhin Gelegenheit haben, uͤber dieſen Gegenſtand noch mehr zu ſagen, uͤbri - gens bekenne ich, daß mir, ſo oft ich von einem akademiſchen Geſetz hoͤrte, allemal der ſo ſehr wah - re Ausſpruch des Dichters beygefallen iſt:

Quid leges ſine moribus Vanae proficiunt? *)Was nuͤtzen die leeren Geſetze, wenn niemand zu gehorchen gewohnt iſt.

Doch ich will nur weiter erzaͤhlen. Die Unter - ſuchung ging, wie die meiſten Unterſuchungen auf Akademieen, ſehr langſam vor ſich, und da eben der nun verſtorbene Profeſſor Krauſe Prorektor wer - den ſollte, ſo ließ dieſer ſich ſchon vorher, ehe er, wie man ſagt, die Faſces academicos capeſſirte, in dieſer Sache initiiren, und war dabey ſo emſig, daß er den ganzen Tag auf der Wage**)Ein dem Stadtmagiſtrat gehoͤriges Gebaͤude, welches die Univerſitaͤt gemiethet hat, um da ihre Gerichte, Diſputatio -〈…〉〈…〉 u. d. gl. zu halten. blieb,73 und ſich ſogar Eſſen und Coffee dahin bringen ließ, gleichſam als waͤre ein ſolcher Prozeß mit der Wohlfahrt des heiligen Roͤmiſchen Reichs deutſcher Nation aufs innigſte verbunden. Das Ende vom Liede war, daß mehrere fortgeſchickt wurden, und daß die Aeltern der Inculpaten nach laͤngſt herge - brachter Sitte, große Summen Unkoſten und Straf - gelder bezahlen mußten. Die Studenten kamen dießmal, wie allemal, am ſchlimmſten weg, und Herr Klappenbach, der Stockmeiſter, wuͤnſcht ſich alle Jahre einen Studentenkrieg, weil er davon nicht geringen Nutzen hat.

Siebentes Kapitel.

Literariſche Arbeiten.

Im Winter 1797 ſchrieb ich meinen Carl Mag - nus, eine Lebensgeſchichte eines winzigen Despo - ten in den Rheingegenden, deſſen Begebenheiten mir laͤngſt genau bekannt waren. Ich habe von dieſem Carl Magnus, Rheingrafen zu Grehweiler, ſchon einiges in meiner Lebensbeſchreibung*)Band 1. Seite 37 ff. ange - fuͤhrt, aber das Buch, welches ich nun herausgab, war eine vollſtaͤndige Biographie dieſes unwuͤrdi - gen Reichsſtandes. Mein Zweck war nicht ſowohl74 das Andenken eines Grafen an den Pranger zu ſtellen, welcher noch ſehr vornehme Verwandte in - nerhalb und außerhalb Deutſchlands hat, als viel - mehr einen Zuchtſpiegel fuͤr diejenigen zu ſtellen, welche gern mit aller Ehrbarkeit als Regenten durch die Welt kommen wollen. Daß ich meinen Zweck nicht ganz verfehlt habe, beweiſt folgender Vor - fall: Im Fruͤhling 1798 ließ mich der Fuͤrſt von Neuß zu ſich auf den Loͤwen kommen, war ſehr artig gegen mich, und geſtand mir, daß er gerne den Verfaſſer des Carl Magnus habe wollen ken - nen lernen; Carl Magnus ſey zwar ſein Vetter ge - weſen, aber darauf nehme er gar keine Ruͤckſicht, und billige mein Unternehmen, einen winzigen Ty - rannen zum abſchreckenden Beyſpiel aufzuſtellen. Ich wuͤnſchte, fuhr er fort, daß manche Herren hier nannte er verſchiedene Ihren Carl Magnus leſen moͤgten. Denn viele ſtehn ſchon auf der Schaukel, und werden bald umkippen, andre ei - len ihrem Verderben ſchnurſtraks entgegen. Ihr Buch koͤnnte ſie belehren, was aus Donkiſchotspoſ - ſen herauskommt. So urtheilte ein helldenkender, aufgeklaͤrter Fuͤrſt; ganz anders aber ſprach der Goͤttinger Recenſent, welcher, wie man verſichert hat, Hr. von Berg ſeyn ſoll. Dieſer Recenſent fiel beſonders uͤber das Urtheil her, welches ich uͤber das Reichskammergericht zu Wetzlar gefaͤllt75 hatte; ohne das Urtheil ſelbſt zu widerlegen, be - ſchuldigt er mich geradezu der Partheylichkeit und der Verdrehung des Gegenſtandes, und verſichert, daß es bey keinem Gericht in ganz Europa ordent - licher und redlicher zugehe, oder auch nur zugehen koͤnne, als bey dem Reichsgericht zu Wetzlar!! Credat ludaeus Apella, wird hier mancher ſagen, der die Lage der Dinge beſſer kennt, und wenn es wahr iſt, daß Herr von Berg jene Recenſion ge - macht hat, ſo bin ich vollkommen uͤberzeugt, daß er anders dachte, als ſeine Feder ſchrieb.

Indeſſen machte doch meine Schrift auch in Wetzlar ſelbſt Aufſehen: der Prorektor Krauſe ſagte zu einem ſeiner Hausſtudenten, den ich noch, im Fall es verlangt werden ſollte, namhaft machen kann, ich ſey verklagt worden von der Kammer zu Wetzlar, und nach ſeiner Meynung muͤßte es mir hart an den Kragen gehen; es ſey aber auch ſchon recht: denn einem Menſchen, der ſich nicht ſcheute, das hohe Reichsgericht ſelbſt anzugreifen, muͤſte man das Maul ſtopfen, und zwar derb. Ich will hier gar nicht fragen, in wie weit es ſich ſchickt, daß ein Prorektor mit einem Studenten uͤber ſolche Sachen ſpreche, ſondern nur anmerken, daß ich das Reichskammergericht ganz und gar nicht ange - griffen habe, wenigſtens das nicht, welches im Jahr 1797 zu Wetzlar war: denn ſollte ja etwas76 Nachtheiliges fuͤr das Kammergericht aus meinem Buche zu ziehen ſeyn, ſo betraͤfe es doch bloß die Herren, welche ohngefaͤhr 1766 oder 1768 das Perſonale der Kammer ausmachten, und es wird doch wohl niemand behaupten wollen, daß es zu keiner Zeit Anomalien in Wetzlar geſetzt habe. Haec in parentheſi.

Der Student, mit welchem der Prorektor Krauſe uͤber mein Verbrechen gegen das hohe Reichsgericht geſprochen hatte, kam zu mir, und erzaͤhlte mir alles, in der Abſicht, mich zu warnen, und etwa mich durch die Flucht zu retten. Hr. Krauſe muß demnach meine Sache, als ſehr gefaͤhrlich vorge - ſtellt haben. Ich ging nun ſelbſt hin zum Prorek - tor, und erkundigte mich, allein dieſer gab mir zur Antwort, es waͤre zwar an dem, daß ich verklagt ſey, allein noch ſey Er nicht befugt worden, eine Unterſuchung uͤber die von mir gegen ein hoͤchſtes Reichsgericht er ſprach dieſe Worte mit einer ihm ganz allein eignen Emphaſe aus hingeworfe - ne Calumnien zu inquiriren, ſollte aber dieſer Fall eintreten, ſo wuͤrde er thun, was ſeine Pflicht for - derte. Ich merkte, daß Hr. Krauſe in dieſem Stuͤck ſeiner Pflicht nur gar zu gerne ein Genuͤge geleiſtet haͤtte, allein dieſe Freude ward ihm nicht: denn da die Klage uͤberhaupt ſo eingerichtet war, wie mir ſich - re Leute erzaͤhlt haben, daß ſie nicht konnte von77 Preußiſchen Obergerichten angenommen werden, ſo wurde ſie uͤberhaupt bey Seite gelegt, und kam nicht zur Unterſuchung. Da uͤbrigens meinem Carl Magnus von niemand oͤffentlich widerſprochen wird, welches doch ſehr leicht geſchehen koͤnn - te, wenn er Luͤgen enthielte, indem noch viele hohe und niedere Augenzeugen aller in dem Werkchen erzaͤhlten Begebenheiten noch jezt am Leben ſind, ſo verdient er allerdings hiſtoriſchen Glauben, und kann dem kuͤnftigen Hiſtorienſchreiber dienen, den Geiſt der Duodezmonarchien in Deutſchland mehr kennen zu lernen.

Den Sommer 1798 uͤber ſchrieb ich den erſten Theil meiner Annalen der Univerſitaͤt zu Schilda, auf welchen zu Oſtern 1799 der zweyte und dritte Band folgte. Ich hatte ſeit dem Jahr 1775 das Univerſitaͤtsweſen angeſehen*) quaeque ipſe miſerrima vidi, Et quorum pars magna ſui. Virg. Aen. L. II. und war daher ſehr wohl im Stande, das Karrikaturmaͤßige der ge - lehrten Innungen in Deutſchland darzuſtellen. Ich wagte es, und ſo entſtanden die Annalen von Schil - da. Ich habe aber dabey keine Univerſitaͤt insbe - ſondere, keinen individuellen Profeſſor u. ſ. w. vor Augen gehabt, ſondern unter erdichteten Namen diejenigen Boksſpruͤnge beſchrieben, welche ich78 kennen gelernt, und zum Theil warum ſollte ichs nicht geſtehen? ſelbſt mitgemacht hatte. Dieß moͤgen diejenigen ſich merken, die ſo unge - buͤhrliche und abgeſchmackte Auslegungen uͤber mein im Grunde ganz unſchuldiges Werk gemacht haben. Mein Freund, Herr Leffler, ſchrieb mir aus Fran - ken, daß man in Jena, Erlangen und Altorf mein Schilda und die von mir vorgeſtellte Perſonen alle gefunden, und mit Fingern auf ſie gewieſen habe. Der Profeſſor Fuͤnfkaͤs ſey in Jena Herr X, in Er - langen Herr Y und in Altorf Herr Z. Das Ding kam mir wunderlich vor, da Fuͤnfkaͤs auch in Halle geſucht und gefunden wurde. Ich erſchrack uͤber dieſe Auslegungen, welche meinen Worten einen Sinn gaben, den ich weder gedacht hatte noch den - ken konnte, da ich wirklich die Maͤnner verehre, welche ich in den Annalen an den Pranger geſtellt haben ſoll.

Ich hatte gewiß bey der Verfaſſung der Schil - daiſchen Annalen eine ganz andre Abſicht, als mei - ne meiſten Leſer vermutheten: ich wollte die Radi - calfehler aller deutſchen Univerſitaͤten ſchildern, und einige Mittel angeben, wie denſelben abzuhel - fen ſey. Ich dachte, vielleicht lieſt jemand dein Buch, dem es dran liegt, daß dieſe Fehler gebeſ - ſert werden, und der auch Kraft genug hat, ſo ein Werk ganz oder zum Theil auszufuͤhren, da kann79 das Buch nuͤtzlich werden. Damit es aber auch nicht ſollte liegen bleiben, und ſich auch von ſol - chen leſen laſſen, welche ſich um die Verbeſſerung des Univerſitaͤtsweſen nicht bekuͤmmern, kleidete ich das ganze Ding in Schnurren ein, welche um ſo verzeihlicher ſind, da es auf allen deutſchen Uni - verſitaͤten ſo ſehr ſchnurrig zugeht, wie die taͤg - liche leidige Erfahrung hinlaͤnglich beweiſt.

Eines Tages kam ich zu Herrn Bispink. Wiſſen, Sie daß ein hieſiger Student gegen Sie ein Buch ſchreiben wird, welches Laukhard der Obermeiſter der gelehrten Innung zu Schilda heißen ſoll? Ich betheuerte Hn. Bis - pink, daß ich nichts von ſo einer Schrift wiſſe. Ja, ja, fuhr er fort, es iſt ganz gewiß; der jun - ge Mann hat ſich nach allen Ihren Hiſtoͤrchen er - kundigt, und wird ein nettes Bild von einem Schil - daiſchen Obermeiſter darſtellen. Ich erkundigte mich unter den Studenten denn Herr Bispink wollte mir den Verfaſſer der imaginairen Broſchuͤre nicht ſagen wer doch ſo etwas zu ſchreiben im Sinn haͤtte; aber keiner wußte mir daruͤber Aus - kunft zu geben. Indeſſen ſuchte ich im Epilog zum dritten Band der Annalen mich gegen die etwai - gen Vorwuͤrfe meines Antagoniſten zu verwahren, allein das war ſehr uͤberfluͤßig: denn es erſchien auch kein Buchſtabe weder gegen