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Die Seehäfen des Weltverkehrs
I. BAND. Häfen Europas sowie der asiatischen und afrikanischen Küsten des Mittelmeerbeckens.
Mit 98 Illustrationen und 137 Plänen.
WIENVolkswirtschaftlicher Verlag Alexander Dorn1891.

Druck von Johann N. Vernay.

VORWORT.

Prachtvolle Ausblicke und lebhaft anregende Einzelnheiten ent - zücken und fesseln zugleich das Auge des Wanderers, der auf vorspringender Höhe einen Ruhepunkt gefunden und von da hinabsieht auf einen schön gelegenen und von regem Verkehrsleben erfüllten Hafen.

Das unendliche Meer in seiner bei ewig wechselndem Bilde dennoch bewahrten erhabenen Ruhe, das geschäftige Treiben der in Erwerbshast eilenden, Ameisen vergleichbaren Menschen, der mit der unermesslichen Wasserfläche in Eins verschwimmende Horizont, die qualmenden, rasch hingleitenden Dampfer (Kolosse für den Insassen, Nussschalen für den entfernten Beschauer!) all dies gibt eine Summe von Gegensätzen, die in ihrer Wechselwirkung alles Sinnen des Beob - achters gefangen nehmen und fast berauschend auf seine Denkorgane einwirken. Und bei aller ehrfurchtsvollen Scheu vor der unausfüllbaren Grösse und unerreichbaren Macht der allgewaltigen Natur vermag er sein Herz nicht der Bewunderung für den Geist des Menschen zu verschliessen, der doch schon so Vieles in dieser Natur sich unterthan gemacht.

Wer es aber vermag, mit seinem geistigen Auge dem Wege zu folgen, den jener zum Hafen steuernde schwerbeladene Schiffskörper Spuren harter Kämpfe mit Sturm und Wogen aufweisend zurück - gelegt, oder das Ziel sich zu vergegenwärtigen, dem der eben die Anker lichtende stattliche Dreimaster zustrebt, der wird sich bald bewusst werden, dass die Stadt da unten, so gross sie auch sei, ihre wahre Bedeutung nicht in ihrer eigenen Ausdehnung hat, sondern in ihrer Eigenschaft als Glied eines über den ganzen Erdenraum ausgebreiteten Organismus, welcher den der gesammten Menschheit gemeinsamen In - teressen zu dienen berufen ist.

In der That bilden die Seehäfen des Weltverkehrs eine Art von Verein, dessen Aufgabe es ist, den alle Völker umfassenden Bestre - bungen der Weltwirtschaft nach möglichst rascher und möglichst leichter Ausgleichung von Ueberfluss und Bedarf, Angebot und Nach - frage als ausführendes Organ zu dienen und in naturgemässer Folge hievon dem allgemein menschlichen Interesse an Fortschritt und Cultur - entwicklung über die trennenden Besonderheiten hinweg förderlich zu sein. Es geht somit ein einheitlicher Charakterzug durch Geschichte und Leben dieser wichtigen Werkstätten und Knotenpunkte der inter - nationalen Beziehungen jeder Art, und dieser Umstand legte den Ge - danken nahe, dass einem vielleicht noch nicht ausgesprochenen, gewiss aber bestehenden und immer stärker werdenden Bedürfnisse entgegen - gekommen würde, wenn alle Hafenplätze, welchen in der Lösung jener gemeinsamen Aufgabe ein gewichtiger Antheil zufällt, in einem systematisch angelegten Werke zur Darstellung kämen. Diese Erwägung gab die Anregung zu dem Buche, dessen erster Band nunmehr fertig hier vorliegt.

Der Grundgedanke dieses Werkes besteht, wie schon seinerzeit in dem Prospecte hervorgehoben worden, darin, dass dem Leser eine Serie von Monographien geboten werden soll, welche durch die beson - deren Beziehungen, in welchen die Seehäfen des Weltverkehres zu einander stehen, zu einem abgeschlossenen Ganzen aufgebaut ist.

Mühe und Arbeit, deren die Lösung dieser Aufgabe bedurfte, waren keineswegs gering. Schon allein die Beschaffung des nöthigen Materiales sowohl für den beschreibenden Theil als auch für die Dar - stellung der commerziellen Bedeutung und der wirklichen Handels - thätigkeit der einzelnen Häfen erheischte die Anknüpfung vieler Be - ziehungen und machte eine umfangreiche Correspondenz nöthig. Das - selbe gilt bezüglich der Sammlung der Ansichten und der Pläne sowie der nöthigen Daten, um die letzteren auf den neuesten Stand richtig - zustellen. Die dem Leser kaum erkennbaren Hindernisse, welche bei der Materialiensammlung mitunter zu überwinden waren, können aber auch in sich selbst als Beweis dafür gelten, in wie hohem Grade die vorliegende Arbeit Demjenigen Nutzen zu bringen vermag, welcher aus dem Buche, sei es aus Wissbegierde, sei es im Dienste seines Berufes, die so reichlich gebotene Belehrung schöpfen will.

Da die Bearbeitung sämmtlicher in dem Werke behandelten Häfen nach denselben Principien vorgenommen wurde, so genügt die Durch - sicht eines einzigen Abschnittes, um den Leser über Plan und Anlage des ganzen Werkes zu orientiren; überall werden die Situation, die topographische Lage der Stadt und ihre Merkwürdigkeiten ge - schildert, eine kurze Skizze ihrer historischen und commerziellen Ent - wicklung gegeben, sodann Handel und Verkehr unter gleichzeitiger Berücksichtigung der wichtigsten Industriezweige des Ortes nach ihren massgebendsten Momenten erörtert und durch die neuesten statistischen Daten illustrirt; ausserdem ist auf die Charakterisirung der betreffenden Küstenstriche und Meerestheile sowie auf die Beziehungen der einzelnen Häfen untereinander im Texte Rücksicht genommen. Rechnet man dazu noch, dass die Vorstellungsgabe des Lesers durch trefflich ausgeführte Illustrationen (durchwegs Originalholzschnitte) und fachmännisch ge - zeichnete Pläne in wirksamer und gewiss willkommener Weise unter - stützt wird, so wird man wohl gerne zugestehen, dass hier ein eigen - artiges, nach Anlage und Ausführung ganz neues Werk geschaffen ist, welchem nicht nur wissenschaftlicher Werth und die Eigenschaft einer angenehm belehrenden Lectüre innewohnt, sondern welches auch einem eminent praktischen Bedürfnisse unserer, auf die stets steigende Ent - wicklung des internationalen Verkehres mit Recht so stolzen Zeit entspricht.

Es drängt mich, an dieser Stelle den Verfassern für den regen Eifer und die ungemein mühevolle Arbeit, welche sie dem gemein - samen Werke widmeten, den wärmsten Dank auszusprechen. Nur ihrer unermüdlichen Thätigkeit im Aufsuchen und Ausnützen des Quellen - materials und dem collegialen Zusammenwirken, durch welches sie sich gegenseitig unterstützten und ergänzten, ist es zu danken, dass die Schaffung einer so stattlichen Reihe von gleichwerthigen Einzelndar - stellungen möglich wurde. Zu den ursprünglich am Werke betheiligten Kräften, den aus früheren Arbeiten auf diesem Gebiete bereits rühmlich bekannten Herrn Linienschiffscapitän Ritter von Lehnert (unter dessen bewährter Leitung auch sämmtliche Planzeichnungen angefertigt wurden), Corvettencapitän Holeczek, Prof. Dr. Zehden und Prof. Dr. Cicalek, traten im Laufe der Zeit im Interesse der Beschleunigung der Arbeit noch neue Genossen, welche sich ihnen würdig an die Seite stellen, so Ministerialrath Becher, Referent für die Angelegenheiten der Handels - marine im k. k. österreichischen Handelsministerium, Linienschiffslieute - nant v. Pajér und Secretär Schwarz des österreichisch-ungarischen Exportvereines.

Den Dank, welcher in erster Linie den genannten Herrn in so hohem Masse gebührt, muss ich aber auch noch auf jene namhafte Zahl von Männern ausdehnen, welche in liebenswürdigster und uneigen - nützigster Weise der an sie gestellten Bitte um Förderung des Werkes entsprochen haben. Einerseits war es nothwendig, für die Beschaffung des Quellenmaterials an die Gefälligkeit von Fachmännern des Aus - landes, namentlich kaiserlichen und königlichen Consularfunctionären und Angehörigen fremder Marinen zu appelliren, welche alle in bereit - willigster Weise ihre Mithilfe gewährt haben; andererseits habe ich es, um allfällige Irrthümer nach Möglichkeit zu vermeiden, für nothwendig erachtet, jene Abschnitte, welche Hafenplätze von hervorragender Wichtigkeit behandeln, vor ihrer Drucklegung an in den betreffenden Städten ansässige, sachkundige Männer mit der Bitte um Durchsicht und Richtigstellung zu senden; auch hier waren es in erster Linie die österreichisch-ungarischen Consularfunctionäre, dann vorzugsweise Handels - kammersecretäre, an welche ich mich diesbezüglich wendete; alle diese Herren haben sich ohne Ausnahme der erbetenen, mitunter nicht mühelosen Arbeit unterzogen, darunter auch solche, mit welchen mich kein Band persönlicher Bekanntschaft verbindet. Allen diesen Herren gebührt also für ihr freundliches Entgegenkommen der wärmste Dank nicht nur des Herausgebers, sondern auch des Lesers.

Das Werk fand schon im Beginne seines Erscheinens allenthalben eine freundliche Aufnahme, da bereits aus den ersten Lieferungen zu erkennen war, dass durch die untereinander in die entsprechende Beziehung gebrachten Darstellungen so wichtiger Stätten menschlicher Culturarbeit eine Fülle von interessanten Gesichtspunkten der Ver - gleichung geboten ist; namentlich musste der grosse Zug frappiren, der durch die steigende Vervollkommnung der Verkehrsmittel zu Land und zur See in die Entwicklung der internationalen Handelsbeziehungen gebracht ist, und die den neuesten statistischen Ausweisen entnommenen Daten der commerziellen Thätigkeit geben in ihrem Zusammenhalte ein imposantes und überraschendes Bild des mächtigen Anwachsens des Weltverkehres.

Als die erfreulichste und werthvollste Anerkennung der Tendenz des Werkes darf ich wohl hier den Umstand hervorheben, dass auch ihre k. und k. Hoheit die durchlauchtigste Frau Kronprinzessin-Witwe Erzherzogin Stefanie in gnädiger Weise gestattet hat, einige Höchst - ihrem Reisetagebuche entnommene charakteristische und lebensvolle Schilderungen als besondere Zierden dem Buche einzufügen.

Der vorliegende Band umfasst alle wichtigeren Handelshäfen Europas sowie auch der asiatischen und afrikanischen Küsten des Mittelmeerbeckens und bildet somit ein in sich abgeschlossenes Ganzes. Von der ursprünglichen Absicht, demselben als Einleitung eine Geschichte der Entwicklung der Seeschiffahrt voranzustellen, musste Umgang genommen werden, weil der Band sonst gar zu umfangreich geworden wäre.

Bezüglich des Zeitpunktes, welchem die Pläne der einzelnen Häfen entsprechen, möchte ich nur noch hervorheben, dass sich diese Pläne im Allgemeinen auf den Zustand beziehen, wie er zu Anfang des Jahres 1890 war, und dass in denselben zumeist auch alle Projecte Aufnahme fanden, welche eben damals zur Durchführung bestimmt waren. Bei dem raschen Tempo, in welchem gegenwärtig die Entwicklung des Verkehrs namentlich in Häfen von aufsteigender Bedeutung vor sich geht, ist es natürlich, dass seither schon manche Aenderung eingetreten, manches neue Project in Sicht gekommen ist. Soweit dies zur Zeit der Druck - legung der einzelnen Bogen den Verfassern bekannt geworden, ist im Texte hievon Erwähnung gethan eine wesentliche Aenderung des Bildes ist jedoch dadurch nirgends bewirkt. Auch die statistischen Ver - öffentlichungen, sowie die Consularberichte unter denen sich namentlich die der österreichisch-ungarischen Consuln als ganz vorzügliches Infor - mationsmateriale erwiesen haben wurden bei der Arbeit bis zum Momente der Drucklegung zur Ergänzung und Vervollständigung der Darstellung benützt, so dass wohl mit Recht behauptet werden darf, es existire dermalen kein Werk, welches über die Verhältsisse der Seehäfen neuere Daten enthielte als das vorliegende.

Mit einiger patriotischer Befriedigung darf darauf hingewiesen werden, dass hier von bewährten österreichischen Kräften ein Werk von internationaler Bedeutung geschaffen wurde, das dem weltumfassenden Geiste unserer Zeit entpricht und allen billigen Anforderungen, die an eine solche Arbeit gestellt werden können, Rechnung trägt.

Der zweite Band, von dem bereits vier Lieferungen erschienen sind, wird im Laufe des Jahres 1891 fertiggestellt werden, und es wird Sorge der Verfasser und des Herausgebers sein, dass er in seinem Werthe hinter dem ersten Bande nicht zurückbleibe.

Möge dem in mühevoller Arbeit entstandenen, aber mit Freude, Eifer und Hingebung vollendeten Werke die Gunst der Gebildeten lächeln!

Wien, im November 1890.

Dorn.

Inhalts-Verzeichniss.

  • Seite
  • Das Mittelmeerbecken1
  • Triest (1 Ansicht, 2 Pläne) 5
  • Fiume (1 Ansicht, 1 Plan) 21
  • Venedig (2 Ansichten, 1 Plan) 31
  • Ancona (1 Ansicht, 1 Plan) 51
  • Brindisi (1 Ansicht, 1 Plan) 55
  • Corfù (2 Ansichten, 1 Plan) 59
  • Patras und der Canal von Korinth (1 Ansicht, 3 Pläne) 69
  • Piräus (1 Ansicht, 1 Plan) 80
  • Syra (1 Ansicht, 1 Plan) 88
  • Salonich (2 Ansichten, 1 Plan) 93
  • Constantinopel (4 Ansichten, 1 Plan) 108
  • Varna (1 Ansicht, 1 Plan) 136
  • Die Donauhäfen (2 Ansichten, 3 Pläne)143 Sulina, Galatz, Braila.
  • Odessa (1 Ansicht, 1 Plan)166 Hiezu: Cherson, Nikolajew, Taganrog, Rostow.
  • Batum (2 Ansichten, 1 Plan) 184
  • Trapezunt (2 Ansichten, 1 Plan)191 Hiezu: Samsun.
  • Smyrna (1 Ansicht, 1 Plan)200 Hiezu: Samos, Kreta.
  • Rhodos (1 Ansicht, 1 Plan)216 Hiezu: Mersina, Cypern, Alexandrette, Tarabulus.
  • Beirut (1 Ansicht, 1 Plan)229 Hiezu: Jaffa.
  • Der Suez-Canal (2 Ansichten, 4 Pläne)254 Hiezu: Port-Saïd, Ismaïlia, Suez.
  • Alexandria (2 Ansichten, 1 Plan) 275
  • Tunis (1 Ansicht, 3 Pläne)296 Hiezu: Tripolis, Benghasi.
  • La Valetta (2 Ansichten, 1 Plan) 313
  • Palermo (1 Ansicht, 2 Pläne) 323
  • Seite
  • Messina (1 Ansicht, 1 Plan)333 Hiezu: Riposto, Catania, Syrakus, Marsala.
  • Neapel (1 Ansicht, 2 Pläne)341 Hiezu: Castellamare, Torre Annunziata, Gragnano, Torre del Greco.
  • Livorno (1 Ansicht, 1 Plan) 355
  • Genua (1 Ansicht, 1 Plan)363 Hiezu: Savona.
  • Marseille (1 Ansicht, 2 Pläne) 386
  • Cette (1 Ansicht, 1 Plan)414 Hiezu: Port Vendres.
  • Algier (1 Ansicht, 1 Plan)420 Hiezu: Oran, Philippeville, Bona.
  • Barcelona (1 Ansicht, 1 Plan)438 Hiezu: Tarragona.
  • Valencia (1 Ansicht, 1 Plan)463 Hiezu: Alicante.
  • Málaga (1 Ansicht, 1 Plan) 474
  • Gibraltar (1 Ansicht, 2 Pläne) 483
  • Der atlantische Ocean491
  • Cádiz (1 Ansicht, 1 Plan) 495
  • Sevilla (1 Ansicht, 2 Pläne) 507
  • Huelva (1 Ansicht, 2 Pläne) 521
  • Lissabon (1 Ansicht, 2 Pläne) 528
  • Porto (1 Ansicht, 2 Pläne)544 Hiezu: Vigo, Coruña.
  • Santander (1 Ansicht, 1 Plan) 553
  • Bilbao (1 Ansicht, 3 Pläne) 560
  • Bordeaux (1 Ansicht, 1 Plan) 569
  • Nantes (1 Ansicht, 2 Pläne) 586
  • Saint-Nazaire (1 Ansicht, 1 Plan) 595
  • Le Hâvre (1 Ansicht, 1 Plan)603 Hiezu: Rouen.
  • Boulogne-sur-Mer (1 Ansicht, 1 Plan) 622
  • Calais (1 Ansicht, 1 Plan) 630
  • Dünkirchen (1 Ansicht, 1 Plan) 637
  • Antwerpen (1 Ansicht, 3 Pläne)647 Hiezu: Vlissingen.
  • Rotterdam (1 Ansicht, 2 Pläne) 671
  • Amsterdam (1 Ansicht, 5 Pläne) 688
  • Bremen (1 Ansicht, 4 Pläne)712 Hiezu: Bremerhaven.
  • Hamburg (2 Ansichten, 2 Pläne)736 Hiezu: Altona, Cuxhaven, Helgoland.
  • Der Nord-Ostseecanal (1 Plan) 769
  • Kopenhagen (1 Ansicht, 2 Pläne) 774
  • Kiel (1 Ansicht, 1 Plan) 794
  • Seite
  • Lübeck (1 Ansicht, 2 Pläne)800 Hiezu: Travemünde, Rostock, Warnemünde.
  • Stettin (1 Ansicht, 2 Pläne)812 Hiezu: Swinemünde.
  • Danzig (1 Ansicht, 3 Pläne)822 Hiezu: Neu-Fahrwasser.
  • Königsberg (1 Ansicht, 2 Pläne)833 Hiezu: Pillau, Memel.
  • Libau (1 Ansicht, 1 Plan) 844
  • Riga (1 Ansicht, 3 Pläne)849 Hiezu: Reval.
  • St. Petersburg (1 Ansicht, 2 Pläne)861 Hiezu: Kronstadt, Wiborg, Helsingfors, Hangö, Åbo.
  • Stockholm (1 Ansicht, 2 Pläne)882 Hiezu: Malmö.
  • Göteborg (1 Ansicht, 2 Pläne) 896
  • Christiania (1 Ansicht, 2 Pläne) 903
  • Bergen (1 Ansicht, 1 Plan)911 Hiezu: Trondhjem.
  • London (3 Ansichten, 5 Pläne) 916
  • Dover (1 Ansicht, 1 Plan)969 Hiezu: Folkstone, Harwich, Ipswich, Yarmouth.
  • Hull (1 Ansicht, 1 Plan)979 Hiezu: Grimsby, Goole.
  • Newcastle (1 Ansicht, 2 Pläne)989 Hiezu: Sunderland, Hartlepool, Middlesborough.
  • Edinburgh-Leith (1 Ansicht, 1 Plan)999 Hiezu: Grangemouth, Dundee, Aberdeen.
  • Glasgow (1 Ansicht, 1 Plan)1012 Hiezu: Govan, Dumbarton, Port Glasgow, Greenock.
  • Liverpool (1 Ansicht, 3 Pläne)1024 Hiezu: Birkenhead, Manchestercanal.
  • Cardiff (1 Ansicht, 1 Plan)1048 Hiezu: Milford Haven, Swansea, Newport.
  • Bristol (1 Ansicht, 2 Pläne) 1055
  • Southampton (1 Ansicht, 1 Plan)1063 Hiezu: Dartmouth, Plymouth, Newhaven.
  • Cork-Queenstown (1 Ansicht, 1 Plan) 1073
  • Dublin (1 Ansicht, 2 Pläne)1080 Hiezu: Kingstown.
  • Belfast (1 Ansicht, 2 Pläne) 1088
  • Reykjavik (1 Ansicht, 1 Plan) 1096
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Das Mittelmeerbecken.

Nicht bloss die Länder und Staaten, auch die Meere haben ihre Geschichte. Und wie es bevorzugte Festlandsräume gibt, denen sozusagen eine providentielle Mission für die Entwicklung der Menschheit zutheil geworden ist, so kann man auch von ge - wissen Meeren sagen, dass sie auserwählt worden sind, die Gesittung der Menschen zu wecken, zu erhöhen, zu stützen, von Anbeginn der geschichtlichen Ueberlieferung durch alle Wechselfälle der Zeiten, bis zum gegenwärtigen Augenblicke und wohl auch in alle Zukunft. Jener Meerestheil nun, dem im vorderster Reihe der Name eines Culturmeeres, einer Wiege des Völkerverkehres, eines Trägers geschichtlicher Erinnerungen, eines Werthbesitzes der Gegen - wart, eines Menschheitserbes der Zukunft gebührt, ist das Mittelmeer, die markanteste Individualität unter allen Salzwasserräumen mit der feinst ausgearbeiteten und verständlichsten aller Physiognomien.

Unwillkürlich reproduciren wir mit der Vorstellung dieses Meeres, seiner Buchten, Strassen und fein gegliederten Festlands - küsten die Vorstellung seiner Hinterländer. Allmälig tritt das Natur - bild immer mehr in den Hintergrund, wird zum Schauplatze stre - bender Menschen, zum Cultur - und Geschichtsbilde.

Die Geschichte des Mittelmeeres beginnt mit den nautischen Thatversuchen der Phönikier. Wie dieses hamito-semitische Volk selbst auf dem Landwege an die seewärts gekehrten Abhänge des cedernreichen Libanon gelangt war, so fand es die Küsten des Mittel - meeres die Festlandsinseln mit eingerechnet gleichfalls schonDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 12Das Mittelmeerbecken.durch continentale Einwanderung besetzt. Es fängt mit dem Auftreten der Phönikier eine neue Aera der Besiedlung und Völkerberührung an. Individuen eines Culturvolkes, das sich zum Colporteur der Erzeugnisse aller schon bestehenden, meist an wasserreichen Strömen entstandenen Culturländer emporgeschwungen hat, dringen in die homogenen, un - entwickelten Massen begabter Naturvölker ein, und beschleunigen deren Entwicklung. Es gibt eine Epoche, in der die Phönikier die ausschliesslichen Herren des Mittelmeeres und damit des Welt - handels sind, in welcher Epoche alle Länder bis nach Centralasien und Indien, bis zur Nord - und Ostsee (Bernstein!) zu den Hinter - ländern des Mittelmeeres gehören. Was sich an selbständigen Kräften am indischen Oceane regen mag, wird durch die Verbindungen mit dem persischen Golfe, mit Arabien und dem rothen Meere zu einer Dépendance der jeweiligen Oberherren des Mittelmeerhandels. Ja, als auf einem unermesslich weiten Umwege die Seide Chinas und das Gold in den Welthandel gelangen, so wird auch der äusserste Osten Asiens in den Anziehungskreis dieser commerciellen Centralstellen der alten Welt hineingezogen.

Den Phönikiern folgen die Hellenen, diesen die Römer, ohne dass sich dieses Ur - und Grundverhältniss anders gestalten würde. Gerade zur Römerzeit, als die Cäsaren über die civilisirte Welt geboten und den Barbaren das Joch der eigenen Cultur auferlegten, da wurde die Idee der Mittelmeer-Monarchie erst Wirklichkeit und Wahrheit. Die Römer, die Italiker und in der Kaiserzeit wohl noch andere An - wohner des Mittelmeeres haben die Hinterländer im weitesten Sinne des Wortes nicht bloss mit dem Schwerte unterworfen, sondern auch ausgekauft und ausgewuchert, um Eigenthum, Freiheit und Fortexistenz gebracht.

Der Vorhang fällt über die Ruinenstätte der wirthschaftlich zu - grunde gerichteten Mittelmeerwelt, und die Culturarbeit einer neuen Zeit fängt auf materiellem, wie auf ideellem Gebiete, wenn auch nicht von vorne, so doch von neuem an. Lange, öde Zeiträume gehen dahin, bis wir an den Küsten des Mittelmeeres zwei feindlichen Religions - und Völkersystemen begegnen, durch deren Kämpfe sich die Idee der Herrschaft über das Mittelmeer und dadurch über den Welthandel hindurchzieht.

Zur Zeit der Kreuzzüge vollzieht sich eine Art von Ausgleich der ringenden Kräfte, von denen aber die eine der anderen nicht Herr zu werden vermag. Noch ist der Mittelmeerhandel, den man jetzt nach seinem wichtigsten Emporium Levantehandel nennen kann, das3Das Mittelmeerbecken.Hauptstück des Welthandels. Die wiederbelebten oder neu entstandenen Handelsmetropolen liegen noch immer am Mittelmeere, allen voran sind Venedig und Genua, deren Macht und Einfluss von Indien bis zur Nordsee reicht.

Jedoch gegen das Ende des historischen Mittelalters mehrten sich die Anzeichen, dass die commercielle Alleinherrschaft des Mittel - meeres zur Neige gehe. Im XIII. und XIV. Jahrhundert hatte sich an den Küsten des baltischen und des deutschen Meeres die Hansa ge - bildet, die über ein primäres, unabhängiges, selbstgenügendes Handels - gebiet die Herrschaft führte.

Was an ähnlichen Vorgängen in den Gewässern des indischen Oceans stattgefunden haben mag, entzieht sich nach wie vor unseren Blicken. Kurz, die Welt gewöhnte sich an die Emancipation von den mediterranen Handelsplätzen und machte sich an die Depossedirung des Mittelmeeres. Da traten die grossen Ereignisse des Entdeckungs - zeitalters ein: Der Seeweg nach Ostindien ward gefunden, und eine neue Welt hob sich aus den Fluten des Westmeeres. In gleicher Zeit wurden durch das Umsichgreifen der Türken die christlichen Abend - länder aus den Häfen der Levante hinausmanöverirt und ihrer tausend - jährigen Verbindungen mit den ältesten Culturländern der Erde beraubt.

Diese Thatsachen zusammengenommen bilden die Peripetie in der Geschichte des Mittelmeeres. Der Welthandel bewegt sich in neuen Bahnen und concentrirt sich in Handelsplätzen, welche nicht in Winkeln eines winkeligen Binnenmeeres gelegen sind, sondern durch ihre Lage am Weltmeere dem Seefahrer und dem Kaufmanne günstigere Chancen darbieten. Doch folgte den Zeiten des Verfalls bald eine Periode von hoffnungs - und erfolgreichen Versuchen, der veränderten Sachlage die möglichst günstige Seite abzugewinnen und in den Weltverkehr ohne jede Herrschaftsprätention als dienendes Glied einzutreten. Schon im XVIII. Jahrhundert nach den Siegen Oesterreichs über die Pforte begann der Orienthandel in mässigen Dimensionen die Mittelmeerge - genden zu beleben; auch das Vordringen Russlands an das Schwarze Meer blieb nicht ohne Folgen, ebenso die Zersetzung des türkischen Staatengefüges.

Mühselig und nicht gerade übermässig lohnend waren nament - lich anfangs diese Versuche, sich über die Ungunst der Verhältnisse durch eigene Anstrengung hinweg zu helfen. Indessen nahte die Epoche einer wenigstens theilweisen Rehabilitirung, einer commerciellen Restau - ration des Mittelmeeres heran. Schon die Verbindung der Mittelmeer - häfen mit den Hinterländern durch die neuen Verkehrsmittel des1*4Das Mittelmeerbecken.XIX. Jahrhunderts brachte in den localen Handel Schwung. Auch gelang es der Politik, die Levante und die Nordküste Afrikas den Europäern immer zugänglicher zu machen, wo nicht gar in deren Hände zu bringen. Das letzte und entscheidende Moment aber war die Erneuerung eines Gedankens, der schon zu den Zeiten der Pharaonen und Ptolomäer Leben gewonnen hatte und noch zuletzt bei der Napoleon’schen Ex - pedition nach Aegypten wieder aufgetaucht war: Die Durchstechung des Isthmus von Suez, die Schaffung eines ungeheuer abgekürzten Weges nach den Hauptländern des Welthandels, nach Indien, den Sunda-Inseln, Ostasien und Australien. Als sich im Jahre 1869 die Fürsten und Völker der gesitteten Welt bei dem Schauspiele der Er - öffnung des Suezcanales einfanden, ratificirten sie auch die Wieder - einsetzung des Mittelmeeres in seine commerciellen Herrschaftsrechte.

Zum Heile der in den letzten Jahrhunderten neu entstandenen Handelsstaaten kann diese Herrschaft nicht mehr eine Alleinherrschaft, wie sie es im Alterthume und Mittelalter gewesen, werden; die neueste Zeit hat eben nur das im XVI. Jahrhundert aus dem Welthandel aus - geschaltete Mittelmeer in denselben wieder eingeschaltet.

Indem wir nun an die Schilderung der wichtigsten Häfen des Mittelmeeres und seiner Nebenmeere gehen, beginnen wir mit jenem Hafen, der dem Centrum des europäischen Festlandes am nächsten liegt, mit Triest.

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Triest.

Der Siegeszug der morgenländischen Cultur erreichte frühzeitig die sonnigen Gestade des heutigen adriatischen Meeres, das worauf die ältesten Quellen hinweisen von dem Reize einer erlauchten Urzeit umflossen ist.

Nach den altgriechischen Sagen, in welchen schon der Name Illyrien erklingt, das ist jener der indo-germanischen Bewohner der adriatischen Küstenländer, dürfen Kadmos, Herakles, ja selbst Jason, der gefeierte Argonautenführer, für den geschichtlichen Hintergrund des Adriameeres in Anspruch genommen werden. Immerhin kann fest - gestellt werden, dass mehr als drei Jahrtausende verflossen sind, seit - dem die Phönikier an diesen Küsten erschienen und den Seeverkehr dahin ausdehnten. Zunächst folgten die Pelasger, jene ältesten Be - wohner Griechenlands, die als Erbauer der kyklopischen Mauern gelten; dann kamen in späteren Jahrhunderten die Etrusker, Japiden und Liburnier, bis Illyrien, durch die Legionen des Kaisers Augustus 28 v. Chr. nach langen Kämpfen erobert, unter römische Herrschaft gerieth.

Die Erinnerung an die römische Zeit ist in den meisten Küsten - städten der Adria durch herrliche Baudenkmale erhalten. Auch Triest ist eine Gründung der Römer. Die Stadt hiess Tergeste und wurde aus strategischen Gründen an dem Punkte, wo sie noch steht, angelegt. Hätten die Römer eine Handelsstation gründen wollen, so hätten sie wohl die Bucht von Muggia gewählt. Ihr Handelshafen war Aquileja.

In den folgenden Jahrhunderten gelangten die Städte Aquileja, Ravenna und Venedig zu geschichtlicher Bedeutung; die beiden erst - genannten unterlagen den Hunnen und Herulern, während die grossen Umwälzungen in Italien nach dem Sturze des weströmischen Reiches zur Gründung der glanzvollen Republik Venedig führten, die während6Das Mittelmeerbecken.eines vierzehnhundertjährigen Bestandes den grössten Einfluss auf die Schicksale der Küstenbewohner des adriatischen Meeres damals Golfo Veneziano genannt ausgeübt hatte.

Triest, das Tergeste der alten Römer, kam erst im XVIII. Jahr - hunderte zu einiger Bedeutung. Von der übermächtigen Republik Venedig unablässig bedrängt, suchte und fand die Stadt allerdings schon Hilfe und Schutz bei dem Herzoge Leopold von Oesterreich, der 1382 Triest seinem Reiche zugesellt; durch diesen Act der Staats - klugheit hatte das Haus Habsburg den Zugang zur See sich gesichert. Indess blieb Triest bis Ende des XVII. Jahrhundertes ein bedeutungs - loser Küstenplatz, dessen Hauptreichthum nur im Weinbaue bestand, denn Venedig wusste die durch Tractate verbriefte freie Schiffahrt in und durch die Adria mit allen Mitteln zu hintertreiben, bis Kaiser Karl VI. in seinem denkwürdigen Patente vom 2. Juni 1717 die Adria für den Schiffsverkehr frei erklärte und jede seinen Unterthanen zu - gefügte Belästigung so zu ahnden erklärte, als ob sie einer seiner Provinzen selbst widerfahren wäre.

Karl VI., welcher der Hebung des Seehandels die vollste Be - achtung widmete, erklärte 1719 Triest und Fiume zu Freihäfen und stattete diese mit vielen commerciellen und nautischen Einrichtungen aus. Zugleich fand der unter so günstigen Verhältnissen aufblühende Seehandel durch die Gründung einer Kriegsmarine Schutz und Auf - munterung. Kaiserin Maria Theresia, die Pläne ihres Vaters sorgsamst fördernd, erbaute zu Triest ausgedehnte Hafenanlagen und Molen, von welch letzteren der ihren Namen führende und mit einem Leucht - thurme an seiner Spitze versehene noch heute besteht und die soge - nannte Sacchetta des Hafens gegen die offene See abschliesst.

Während der gewaltigen, den europäischen Continent verheeren - den Kämpfe, welche die französische Revolution entfesselt hatte, fiel Triest zu wiederholtenmalen in französischen Besitz, bis die Stadt, 1813 nach viertägiger erfolgreicher Belagerung des von den Franzosen mit Bravour vertheidigten Castells wieder dem Banner der Habsburger gewonnen ward. Unter der segensreichen Herrschaft dieses Kaiser - hauses hatte Triest, seit 1849 zum reichsunmittelbaren Gebiete erhoben, allmälig zum reichen, handelsmächtigen Emporium und zum Haupt - hafen der Monarchie sich aufgeschwungen, und als 1857 die Eisen - bahnverbindung mit dem Inlande hergestellt war, genügten die un - vollkommenen Einrichtungen des damaligen allen äusseren Winden ganz ausgesetzten Hafens eigentlich Rhede nicht mehr, um den gesteigerten Schiffahrtsverkehr bewältigen zu können. Deshalb7Triest.wurde 1862 die Umwandlung des offenen Hafens in einen geschlossenen projectirt und die Arbeiten nach den Plänen des französischen Ingenieurs Paulin Talabot im Jahre 1867 begonnen. Der gänzliche Ausbau der prächtigen Hafenanlagen ist noch nicht vollendet. Die letzteren nehmen den nordöstlichen Theil des alten Hafens in der Länge von 1200 m ein. Vier breite Molen, welchen ein 1100 m langer Wellen - brecher vorgelagert ist, bilden drei grosse geschützte Bassins, die eine Quai-Entwicklung von 2800 m bei 39·5 ha Fläche und 8·5 m Wassertiefe besitzen. Dem nördlichsten Bassin zunächst gelegen ist der Petroleumhafen, der mit den neuesten Einrichtungen für die ge - fahrlose Ausladung des Steinöles ausgestattet ist. Auf den 80 m breiten Hauptmolen erheben sich geräumige Hangars, die gleichwie die aus - gedehnten Lagerhäuser auf der mehr als 21 ha messenden An - schüttungsfläche nächst des Bahnhofes mit dem Schienenstrange der Südbahn und der bei Sta. Andrea ausmündenden Staatsbahn verbunden sind. Die glänzende elektrische Beleuchtung des neuen Hafens gestattet auch bei Nacht die Verladung und Löschung der Frachten.

Die Herstellungskosten der ganzen Hafenanlage, die eine Material - bewegung von 6,000.000 m3 erforderte, belaufen sich auf mehr als 20 Millionen Gulden. Neuester Zeit wird beabsichtigt, auch den süd - lichen Theil des Hafens von Triest umzubauen, einen Holzhafen nach St. Andrea und den Petroleumhafen nach Sta. Sabba zu verlegen. Nach dem Ausbau der Lagerhäuser wird die bereits beschlossene Aufhebung des Freihafenpatentes stattfinden, von welcher Massregel eine weitere Belebung des Handelsverkehrs von Triest mit Recht zu erwarten ist.

Der Golf von Triest zählt zu den landschaftlich reizendsten Partien der Adriaküsten.

Im Norden senken die steilen Abfälle des felsigen Karstplateaus, dessen Rand die Ortschaften Prosecco und Sta. Croce schmücken, schluchtenreich zum Strande sich herab. Das malerische Duino, auf hohen senkrecht zum Meere abstürzenden Felsen erbaut, von dem aus der Blick über das weite Lagunenfeld von Grado und Aquileja schweift, ist der westlichste Markpunkt im Bilde des Golfes. Gegen Triest zu fesseln das in majestätischer Ruhe auf trotzigen Felsen emporragende Schloss von Miramar und die herrlichen Terrassen seines immergrünen Parkes die Aufmerksamkeit des Beobachters. Villen, Gärten und an waldige Schluchten gelehnte Ortschaften, von welchen Barcola ein beliebter Ausflugsort der Triester, geleiten nun den Küstensaum in form - und farbenreicher Abwechslung bis zum Weichbilde der Stadt.

8Das Mittelmeerbecken.

Im Süden des Golfes ragt gegenüber von Duino die reizende Silhouette des Domes von Pirano wie ein Wegweiser über den Horizont empor und die sanften Terrainwellen des istrischen Hügellandes, das hier in vollem Schmucke seiner reichen Olivenhaine und Rebenculturen prangt, vereinigen sich, die weiten Buchten von Muggia und Zaule umschliessend, mit den felsigen Hängen des Karstes. Auch hier lagern anmuthige Ortschaften oder Villegiaturen längs des buchtenreichen Strandes.

Völlig einladend blinken weiter westwärts die schmucken Ge - bäude der ausgedehnten Lazarethanlage in der Bucht von St. Barto - lomeo. Die Anstalt ist bestimmt, alle nach Triest und Istrien mit un - reinem Patente anlangenden Schiffe unter strengster Aufsicht zu halten und für die Zeit der Quarantaine den Verkehr mit denselben zu verhindern.

Westlich von der Spitze Ronc erblickt man die Baulichkeiten der Werfte S. Rocco, welche der durch den Bau grosser Schlacht - schiffe rühmlichst bekannten Schiff - und Maschinenbau-Gesellschaft Stabilimento tecnico triestino zugehört. Aus kleinen Anfängen stieg dieses Etablissement zum Range einer grossartigen Unternehmung empor und liefert nun seit Jahren sowohl für die österreichisch - ungarische Flotte, wie für fremde Marinen im vollen Sinne des Wortes prächtige Meisterwerke der Schiff - und Maschinenbaukunst.

Die pittoresk gelegenen Gebiete von Muggia und Zaule schliesst das auf schroff zur See abfallendem Hügel gelegene Servola mit seiner weithin sichtbaren Kirche ab.

Von der ganzen Küstenstrecke der Adria vermögen nur die Bocche di Cattaro mit ihrer grossartig trostlosen Gebirgswelt an male - rischen Effecten mit dem Golfe von Triest zu wetteifern, in dessen herrlichem Bilde die Stadt Triest selbst den gebührenden vornehmsten Platz einnimmt. Ihr weitläufiges Häusergewirre bedeckt in einer Er - streckung von 3 km die dem Meere abgewonnene Strandniederung und sendet wohlgeschlossene Colonnen schöner Baulichkeiten weit hinein in die tief eingeschnittenen, von grünen Höhen begleiteten Thalsohlen.

Ueber der durch Monumentalbauten gezierten Quaifront gewahrt man die dunklen Bastionen des Castells, das so recht die Rolle eines unwirschen Stadtwächters einzunehmen scheint. Am Fusse dieser alten Befestigung, von der gegenwärtig nur mehr die Abgabe von fried - lichen Salutschüssen erfolgt, war im Alterthume das römische Tergeste gruppirt; heute nimmt die sogenannte Altstadt mit ihren schmalen, lichtscheuen Gässchen diesen ehrwürdigen Stammsitz ein und krabbelt[9]

Triest.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 210Das Mittelmeerbecken.in anscheinend tollkühnem Unterfangen hinan bis zu den Castellmauern. Im Gegensatze zum Winkelwerke der Altstadt trägt die in regel - mässigen, senkrecht sich schneidenden Gassenzügen erbaute Neu - oder Theresienstadt ein durchaus vornehmes Gepräge, ohne indes auf eine besondere Charakteristik Anspruch erheben zu können.

Ueber der Stadt gegen Norden zu ragt auf der Höhe des Karstes der schlanke Obelisk von Opcina empor, und da er an den Ausbau der grossen Handelsstrasse erinnert, die seit Karl VI. berufen war, die Verbindung der Reichs-Haupt - und Residenzstadt Wien auf der Route über den Semmering, Graz und Laibach mit dem Meere zu verbinden, so verdient dieser Gedenkstein als Wahrzeichen der Verkehrsentwick - lung von Triest hier genannt zu werden. Von seinem Fusse aus, der, 354 m über der Meeresfläche gelegen, um Weniges höher über dem Pflaster von Triest sich befindet, als die Spitze des Eiffelthurmes über dem Pariser Marsfelde, geniesst man einen unvergleichlich schönen Rundblick über die Stadt und deren reizende Umgebung.

Eine Promenade längs der Quais des neuen Hafens zeigt uns die gewaltigen Verkehrsmittel und Anstalten der Gegenwart. Da liegen sie, die riesigen Dampfer, welche die kostbarsten Producte der uner - schöpflichen Tropenwelt in ihren mächtigen Stahlleibern bergen, um sie mittelst Dampfkraft direct auf die ihrer harrenden Lastzüge zu verladen. Wie schnell ist eine Ladung von einigen tausend Tonnen gelöscht und wie rasch füllen sich im lebhaften Handelsverkehr des Hafens die weiten Räume der Schiffe! Im alten Hafen, besonders in dem dort mündenden Canale grande, scheint hingegen das geflügelte Wort von Zeit und Geld noch nicht zur Geltung gekommen zu sein, denn er entbehrt durchwegs der modernen Einrichtungen und die Verlade - operationen vollziehen sich daher mit einer auffallenden Bedächtigkeit.

Selbstverständlich ist Triest der Hauptsitz aller maritimen Be - hörden und Anstalten der cisleithanischen Reichshälfte. Von grosser Wichtigkeit für die Heranbildung eines Nachwuchses für Schiffahrt und Handel ist die Handels - und nautische Akademie mit Sternwarte und einem reichen Museum. Ein gut ausgestattetes Aquarium in Verbindung mit einer zoologischen Versuchsstation ist berufen, das Studium der Fauna und Flora des Meeres zu fördern. An den Hafen gebunden ist gleich - falls die grosse Dampfschiffahrts-Gesellschaft des österreichisch-unga - rischen Lloyd, deren palastähnliches Directionsgebäude die Quaifront ziert. Die weitläufigen Werften, Docks und Etablissements dieser Gesell - schaft, die zu den grössten navalen Verkehrsunternehmungen der Erde zählt, wurden am nördlichen Strande der Bai von Muggia erbaut.

11Triest.

An sehenswerthen öffentlichen Bauwerken ist Triest im Grunde genommen arm, doch besitzt es in seiner auf dominirender Höhe ge - legenen Kathedrale von St. Giusto ein ehrwürdiges Denkmal der alt - christlichen Architektur. Beachtung verdienen auch einzelne originell und luxuriös angelegte Paläste reicher Kaufherren.

Die Hauptverkehrsstrasse von Triest ist der Corso, längs dessen die vornehmsten Verkaufsgeschäfte etablirt sind. Der Corso verbindet die Piazza grande, den Börsenplatz und den Holzplatz und bildet die Abgrenzung zwischen der Alt - und Neustadt. Zwei Denkmale zieren den Börsenplatz: eine schöne Neptunsgruppe und das 1660 errichtete Monument Kaiser Leopold I.

In den Gartenanlagen vor der weitläufigen Südbahnstation ward 1888 ein geistvoll gedachtes Denkmal zur Erinnerung an die Ein - verleibung Triests unter das Scepter des Hauses Oesterreich errichtet.

Künstlerisch am hervorragendsten ist jedoch das Erzbild des unglücklichen Erzherzogs Ferdinand Maximilian, des Kaisers von Mexico, der 1867 zu Queretaro den Opfertod starb. Dieses auf der Piazza Giuseppina am Quai des alten Hafens stehende Monument ist gegen das in der Ferne schimmernde Feenschloss Miramar gewendet. Der fürstliche Glanz und die kunstsinnige Pracht, die das Innere dieses Schlosses auszeichnen, wie nicht minder die romantische Anlage des mancherlei Ueberraschungen bietenden herrlichen Parkes zeugen von der Prunkliebe des geistvollen Prinzen. Miramar ist ebenso sehr einer der lohnendsten Ausflugsorte der Triester, wie es auf die Fremden eine mächtige Anziehungskraft ausübt.

Während der Wintersaison ist die hübsch gelegene Promenade nächst der Spitze St. Andrea das beliebte Stelldichein der Stadt - bevölkerung, wohingegen in der schönen Jahreszeit der Boschetto (Wäldchen) mit seinen zur Höhe des Ferdinandeums führenden schatti - gen Wegen bevorzugt wird.

Wer Studien über Volkstypen betreibt, wird in Triest, wie es dem Charakter einer Stätte des Welthandels entspricht, sein Interesse befriedigt finden. Einem jeden Besucher dieser Stadt dürfte das liebens - würdige Wesen und der frohe Sinn der Bewohner in angenehmer Erin - nerung verbleiben. Diesen Eindruck vermittelt das lebhafte Treiben der rührigen, in den Typen, oft auch in der farbigen Kleidung den Süden verrathenden Menge, die bis in späte Nachtstunden auf Strassen und Plätzen wogt, und wer in klarer Sommernacht an den Marmortischen des prächtigen Café Orientale vor dem Lloydpalaste geweilt und2*12Das Mittelmeerbecken.den Blick in die ahnungsvollen Fernen des von funkelnden Sternen beschienenen Meeres senkte, wird Triest im Fluge liebgewonnen haben.

Betrachten wir nun Triest als Handelsplatz, so stehen wir in einem der grössten mitteleuropäischen Häfen (circa 150.000 Einwohner), dessen Entwicklung namentlich durch die geographische Lage bestimmt ist und durch das Mass, in welchem diese wieder durch entsprechende Communicationsmittel ausgenützt wurde und wird. Der Golf, an dem die Stadt liegt, bildet den am meisten nach Norden vorgeschobenen Winkel des adriatischen Meeres; er ist zugleich der End - punkt jener wichtigen, von der Natur gegebenen Verkehrslinie, welche die fruchtbaren Tiefländer an der Oder und Weichsel auf dem kürzesten Wege mit dem Mittelländischen Meere verbindet. Diese Strasse führt längs der March an die Donau, überschreitet die Alpen in dem niedrigen Passe des Semmering, und, den meist breiten Thälern der Flüsse folgend, ge - langt man bis in die Nähe des Meeres, wo dann kurz vor dem Ziele die wasserarmen Hochflächen des Karstes den unmittelbaren Abstieg nach Triest verhindern und uns zwingen, sie zu umgehen. Aus dieser be - sonderen Lage von Triest, das eine bequeme Verbindung mit dem Hinterlande in der nächsten Umgebung nicht besitzt, erklärt sich der Verlauf der Geschichte seines Handels und dessen Eigenart. Triest ist nicht einer jener Hafenplätze, welche selbstthätig die im Innern ge - legenen Gebiete erschliessen, es musste vielmehr einem Dornröschen gleich von dem mächtigen Beherrscher des Hinterlandes aus seinem Traumleben erweckt worden.

Als Karl VI. daran ging, Triest zu einem Handelsemporium seiner deutschen Erblande zu machen, wohnte hier eine begabte, lebhafte Bevölkerung, welche einen dem venetianischen nahe verwandten Dialekt sprach, die aber bis dahin wenig Gelegenheit gehabt hatte, sich am Handel zu bethätigen. Diese war nicht genügend geschult für die weitaussehenden Pläne des Herrschers, dem als Handelsgebiet für sein Triest die Levante zu klein schien. Er suchte die Griechen, das erste Handelsvolk des östlichen Theiles des Mittelmeeres, her - einzuziehen, und das damals streng katholische Oesterreich, welches die Protestanten seiner Alpenländer nach Ungarn und Siebenbürgen schickte, gestattete in Triest den orientalischen Griechen das Recht der freien Uebung der Religion lange vor dem Toleranzpatente Josef II. Man rief auch Belgier, Holländer, Deutsche aus dem Reiche herbei; aber unter all den verschiedenartigen Elementen erlangten im Laufe der Zeit die Italiener das Uebergewicht, denen sich die aus der Ferne Gekommenen zum Theile sprachlich assimilirten.

[13]
Hafen von Triest. (Massstab 1: 60.000; Sonden und Höhen in Metern.)

A Rhede von Triest, B Wellenbrecher des neuen Hafens von Triest, C Castell, D Obelisk von Opcina, E Seilerei bei Servola, F Leuchtfeuer, G Projectirter Holzhafen bei S. Andrea-Spitze, H Arsenal der Lloyd-Gesellschaft, J Petroleummagazine in der Valle Zaole, K Salinen, L Schlachthaus, M Friedhöfe von S. Anna, N Werfte S. Rocco des Stabilimento Tecnico, O Bahnhof der Südbahn-Gesellschaft, O1 Bahnhof der Staatsbahn bei S Andrea, P Altes Petroleumbassin, Q Hafencapitänat.

14Das Mittelmeerbecken.

Mehr als in mancher anderen Hafenstadt zeigt in Triest der Gang der Geschäfte eine Wellenlinie. Auf Zeiten grosser Prosperität und leichten Geldverdienens folgten Tage voller Schwierigkeiten und Stag - nationen, unter denen heute noch Oesterreichs grosser Handelsplatz an der Adria leidet. Vier Momente sind es, welche diese ungünstige Ver - änderung zur Folge haben. Heute überbrücken sechs Schienenwege die lange Alpenkette, früher that dies bloss die österreichische Süd - bahn; heute concentrirt Ungarn seinen überseeischen Handel mit aller Kraft in Fiume; ein Drittes ist der Umstand, dass die export - fähige österreichische Industrie, in den Nordsudeten und Nieder - österreich vor allem angesiedelt, dem billigen Wasserweg der Elbe folgend, nach Hamburg gravitirt, und endlich, last not least, leidet Triest, wie alle Hafenplätze der Erde, unter dem Bestreben der neuesten Zeit, den Zwischenhandel, welchem gerade die alten Triester Häuser ihren Ruf und ihre Millionen verdanken, zu umgehen. Je mehr sich Producent und Consument selbst über Weltmeere hinweg die Hände reichen, desto mehr wird Triest zu einem Transitoplatze herabgedrückt. Daraus erklärt sich die scheinbar widersprechende Erscheinung, dass der Verkehr zu -, der Gewinn aber abnimmt. Ein Differentialzoll sucht Hamburgs Einfluss auf Oesterreich-Ungarn abzuschwächen; auch die Schweiz bedient sich seit Eröffnung der Arlbergbahn in steigendem Masse der Vermittlung des Triester Hafens, und dieser Theil des Handels ist so gross, wie der, welcher zu Lande von Triest aus nach dem be - nachbarten Italien betrieben wird.

Um den Werth des Triester Handels in der Ein - und Ausfuhr nach der Seite des Landes und nach der See hin zu zeigen, bringen wir folgende Tabelle:

〈…〉〈…〉

Bei Beurtheilung dieser Ziffern muss man sich jedoch gegenwärtig halten, dass heutzutage die Mehrzahl der Waaren nur im reinen Transit durch Triest ge - leitet wird.

Gross ist der Antheil, welchen die fremden Flaggen an dem Werthe des Seehandels von Triest nehmen. Sie brachten 1888 in der Einfuhr Güter im Werthe von 84·4 Millionen Gulden, die nationalen Schiffe solche im Werthe von 110·5 Mil - lionen Gulden, und in früheren Jahren waren die Verhältnisse noch weit ungün - stiger. Nur in der Ausfuhr übt die nationale Flagge ein gewaltiges Uebergewicht15Triest.aus; von der Gesammtziffer von 156·8 Millionen Gulden entfielen 1888 auf sie 117·4 Millionen Gulden, also nahezu drei Viertel.

Von den Schiffen fremder Nationen vermittelten den grössten Handelswerth die der Engländer; auf sie folgen die Italiener, und seit die Dampfer des Nord - deutschen Lloyd Triest nicht mehr anlaufen, stehen die Griechen an dritter Stelle. Es ist überhaupt interessant, zu beobachten, wie das griechische Element in der Vermittlung des Triester Handels energisch vordringt.

Was die Bestimmungs - und Herkunftsländer der im Triester Seeverkehre zur Verstauung kommenden Waaren betrifft, so hat dieser Hafenplatz abgesehen von den Transporten nach und von österreichischen und ungarischen Häfen den stärksten Verkehr in absteigender Reihenfolge mit Italien, der Türkei, Ostindien, Griechenland, Grossbritannien, Aegypten und Brasilien.

Wir werden nun jene Waaren einzeln besprechen, welche für den Handel von Triest von besonderer Bedeutung sind, und dieser Schilderung die Resultate des Jahres 1888 zugrunde legen; dabei werden wir die Einfuhr und die Ausfuhr nicht immer streng gesondert behandeln, da es sich ja hier nur darum handelt, ein anschauliches Bild des Triester Handels zu entwerfen.

Unter den zur See eingeführten Artikeln kommen hauptsächlich Colonial - waaren, Baumwolle, Früchte u. s. w. in Betracht, und unter den ersteren spielt Kaffee eine bedeutende Rolle: Triest ist einer der ersten Kaffeemärkte Europas. Die höchste Einfuhr fand 1886 mit 427.757 q statt, 1888 erreichte sie 327.588 q. Der grösste Theil kam aus Brasilien (1888 160.929 q), dann aus Grossbritannien (auch überwiegend brasilianischer Abkunft) und aus den Niederlanden. Versorgt werden von Triest aus mit Kaffee Oesterreich, dann Ungarn, ferner die Türkei, Griechenland, dessen nordwestliche Märkte ihren Kaffeebedarf fast ausschliesslich aus Triest beziehen, und das Venezianische.

Die im Hafen von Triest gelandete Baumwolle (1888 603.723 q) stammte aus Ostindien, Aegypten und der Levante. Eine Ausfuhr zur See fand nur nach dem Venetianischen statt; von der Ausfuhr zu Lande (518.090 q) gingen ansehn - liche Mengen auch nach Deutschland und der Schweiz. Die Einfuhr von ostindischer Jute fand meist direct statt; 1888 117.512 q.

Für den Handel mit Südfrüchten, deren ältestes Productionsgebiet ja das östliche Becken des mittelländischen Meeres bildet, ist Triest sehr günstig ge - legen. Von Agrumi, das sind Orangen, Cedern und Citronen, wurden zur See 288.265 q zugeführt und grösstentheils zu Lande in das heimische Zollgebiet, dann nach Deutschland und Russland verschickt. Dasselbe gilt für Johannisbrot, das aus Neapel kommt, für trockene Feigen, aus Griechenland, Neapel und der Türkei stammend, für Mandeln, welche Neapel und Sicilien liefern; ferner für Nüsse und Haselnüsse, Ursprungsländer die Türkei und Unteritalien mit Sicilien. Von Korinthen und Rosinen, die heute auch für die Bereitung des Weines steigend Wichtigkeit erlangen, wurden im Ganzen 153.492 q, davon 121.460 aus der Türkei, 28.941 aus Griechenland eingeführt. Von diesen geht nach Deutschland über Triest fast soviel wie nach Oesterreich. Zu erwähnen wären noch verschiedene Oele (etwa 100.000 q), besonders Olivenöl, und auch Wein.

Die Einfuhr aus dem Pflanzenreiche wollen wir mit dem ziemlich bedeu - tenden Getreidehandel (circa 700.000 q Umsatz) schliessen. Die stärksten Zu - fuhren kommen aus Südrussland. Italien ist das Hauptziel des Exportes von Getreide aus Triest.

16Das Mittelmeerbecken.

Bei den Producten aus dem Thierreiche überrascht der geringe Umfang des Handels mit Fischen. Schafwolle, Lamm - und Ziegenfelle werden zumeist aus der Türkei und Griechenland bezogen; von den rohen Ochsen -, Büffel - und Kuhhäuten (1888 57.596 q) kommt weit über die Hälfte aus Indien und China.

Beinahe ebenso kurz können wir uns bei Besprechung der Artikel des Mineralreiches fassen. Die markanteste Erscheinung auf diesem Gebiete ist, dass jetzt Rohpetroleum und Naphtha meist aus Russland (Baku über Batum) kommen; die Einfuhr von dort ist 1888 auf 414.133 q gestiegen, die aus Nord - amerika auf 9646 q gesunken, denen man auch die 3000 q zurechnen darf, die aus Grossbritannien und Hamburg eingingen.

In der Einfuhr von Steinkohlen nach Triest sehen wir Grossbritannien in einem erfolgreichen Wettbewerbe mit Oesterreich-Ungarn. Zur See gingen 1888 691.756 q ein, davon aus Grossbritannien 625.036 q, aus Oesterreich-Ungarn 65.990 q; zu Lande kamen von Oesterreich-Ungarn 608.279 q. Die Einfuhr englischer Kohle würde noch grösser sein, wäre nicht der Oesterreichisch-ungarische Lloyd vertragsmässig verpflichtet, 30.000 t Kohle aus inländischen Werken zu beziehen.

Klein ist gegenüber der Anzahl der Rohproducte, die zur See nach Triest gebracht werden, die Reihe der Fabricate, die auf demselben Wege dahin gelangen. Russland und Rumänien bringen Alkohol (1888 10.250 q), Grossbritannien Eisen, Eisenwaaren und Maschinen, Zündhölzchen[und] Zündwachskerzchen kommen aus Italien.

Was die wichtigsten Ausfuhrartikel anbelangt, so sei zuerst der Zucker genannt; bei diesem zeigt sich, wie mächtig die Concurrenz Frankreichs, Russ - lands und Aegyptens ist. Die Ausfuhr des raffinirten Zuckers betrug 1886 714.805 q, 1888 nur mehr 450.079 q, welche in die Türkei, nach Aegypten, Bulgarien und Tunis gingen.

Neben Zucker nehmen aus der Gruppe der Nahrungs - und Genussmittel im Exporte von Triest noch folgende Artikel eine hervorragende Stelle ein:

Mehl, 250.000 q nach Grossbritannien, Brasilien, der Türkei, Griechenland, Ostindien, Zanzibar.

Bier wurde in einer Menge von 107.061 q ausgeführt, die namhaftesten Absatzgebiete im Auslande waren Aegypten (34.081 q), die Türkei, Italien, Ost - indien, Griechenland, wo sich Biergattungen aus Wien und Graz grosser Beliebt - heit erfreuen.

Wein (1888 circa 300.000 q) geht zumeist nach Frankreich.

Wir müssen auch über die getrockneten und zubereiteten Früchte berichten, deren Haupttheil die getrockneten Pflaumen aus Slavonien und Bosnien bilden. Die Vereinigten Staaten von Amerika nahmen 1888 von den exportirten 179.494 q fünf Sechstel in Empfang. Als Gewürzmarkt ist Triest nicht bedeutend.

Beim Holzexport hat der Handel noch tiefer einschneidende Veränderun - gen erfahren als bei Zucker; Triest ist wegen der Concurrenz Fiumes fast allein auf die Zufuhren aus Oesterreich angewiesen. Dessenungeachtet erreichte die Gesammt - ausfuhr 1888 34,418.763 Stück Hölzer, 7651 m3 gezimmerte Balken und 52.026 q andere Holzgattungen. Bei Betrachtung der Einzelnheiten sehen wir, dass der Export der Fassdauben auf 17,154.417 Stück beschränkt ist, von denen Frankreich 8·5 Millionen, Italien 5·7 Millionen, Griechenland 1·8 Millionen und Algier, dessen17Triest.Weinhandel kräftig aufblüht, 0·3 Millionen Stück aufnahmen. Auch Gibraltar und England sind mit ansehnlichen Ziffern betheiligt. Für die übrigen Gattungen beschränken wir uns auf die Angaben, dass Griechenland, Italien, Aegypten und auch die Türkei einen grossen Theil ihres Holzbedarfes aus Triest beziehen; Parquetten gehen bis England.

Von grosser Wichtigkeit ist Papier, von dem ein kleiner Theil aus Italien zugeführt wird. Die Ausfuhrziffer erreichte allmälig steigend 1888 die Höhe von 162.195 q; davon gingen 62.641 nach der Türkei, 47.535 nach Ostindien, bedeu - tende Mengen nach Aegypten und Griechenland.

Plan der neuen Hafen-Anlagen in Triest. (Masstab 1: 30.000.)

A Bahnhof der Südbahn-Gesellschaft, Bo, B I, B II, B III, Bassins des neuen Hafens, C Lagerhäuser längs des Quai, D festgesetzter Umbau des alten Hafens von Triest, E Rhede.

Der Rückgang des Exportes von Zündhölzchen (1888 50.168 q) ist eine Folge der Concurrenz Italiens und Deutschlands. Die Abnehmer des meist öster - reichischen Fabricates sind China, die Türkei, Aegypten, Griechenland.

Von den übrigen Fabricaten ist besonders die Ausfuhr von Leder und Lederwaaren, von Wollwaaren, die meist einheimischen Ursrpunges, hervor - zuheben. Daneben benützen auch Deutschland und die Schweiz Triest als Export - hafen für die Levante.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 318Das Mittelmeerbecken.

Triest ist keine Industriestadt. Die wichtigsten Etablissements, die berühmten Werften, Maschinenfabriken des Lloyd und des Sta - bilimento tecnico dienen dem Seeverkehr. Merkwürdigerweise liess sich Triest in Bezug auf die industrielle Verarbeitung der eingebrachten überseeischen Rohproducte von Fiume überflügeln. Eine Specialität von Triest ist die Steinmetzerei, welche die wunderbaren Gesteins - arten Istriens verarbeitet.

Nachdem wir den Handel von Triest so ausführlich behandelt haben, können wir uns bei der Besprechung der Schiffsbewegung kürzer fassen. Ueber die Grösse des Verkehres und die daran be - heiligten Flaggen bringen wir folgende Tabelle:

〈…〉〈…〉

Das Gebiet des Seehandels von Triest ist in erster Linie das östliche Becken des Mittelmeeres mit dem Schwarzen Meere. Die Segel - schiffe besorgen einen grossen Theil des Handels mit Holz, mit Süd - früchten und Wein.

Im Segelschiffverkehre von Triest steht nach der Anzahl der Tonnen die nationale Flagge hinter den fremden zurück, im Verkehre - der Dampfschiffe hat sie das Uebergewicht. Die nationalen Dampfer sind zum grössten Theile die Schiffe einer einzigen Gesellschaft, nämlich des Oesterreichisch-ungarischen Lloyd, denn ganz Oesterreich-Ungarn besass anfangs 1889 163 Handelsdampfer mit 94.371 t, wovon auf den Lloyd 79 Dampfer mit 81.620 t und 87.500 Pferdekräften entfielen, so dass dieser unter den zehn grössten Schiffahrts-Gesellschaften der Erde rangirt. Er ist eine Schöpfung des genialen Freiherrn von Bruck.

Seine Gründung 1833, respective 1836 fiel zusammen mit der politischen Erschliessung der Levante und mit der Einführung der Seedampfer; beide Conjuncturen nützte der Lloyd, durch ein Privi - legium geschützt, Jahrzehnte hindurch in bequemer und lucrativer Weise aus. Heute kämpft er, wie fast alle Seedampfer-Gesellschaften, den19Triest.schwersten Concurrenzkampf auf den meisten Linien. Vom Staate bezieht er die geringe Subvention von 1·3 Millionen Gulden. Seit 1870 macht er seine Fahrten via Suez nach Indien und China und neuester Zeit sechs Fahrten jährlich nach Brasilien. Den Verkehr nach dem west - lichen Mittelmeerbecken und den atlantischen Häfen haben die öster - reichischen Rheder nie stark betrieben, daher haben ihn auch, so weit er für Oesterreich-Ungarn überhaupt in Betracht kommt, fast ganz die Italiener und Engländer und nur zum geringen Theile Deutsche (Hamburg) in Händen. Von allen grossen Linien ist am einträglichsten die von Bombay und Calcutta nach Triest, auf welcher der Tonnen - zahl nach die österreichische Flagge (Lloyd) der englischen das Gleichgewicht hält. Für die Ausfahrten fehlen allerdings auch dieser, wie fast allen österreichischen überseeischen Linien, die genügenden, regelmässigen Exporte.

Triest ist auch Kopfstation eines Zweiges der Eastern Telegraph Company , die England mit Bombay durch ein Kabel verbindet.

Wie schon erwähnt, besass Triest in der 1857 vollendeten Südbahn durch Jahre die einzige Eisenbahnverbindung nach den Hinterländern der Adria und des thyrhenischen Meeres. Heute hat Triest drei Eisenbahnverzweigungen über die Alpen und sogar Concurrenzbahnen zur Verfügung, allein die Wunden, welche der Bau der Brenner - und der Pontebba -, noch mehr aber jener der Gotthard - bahn dem Triester Handel schlug, kann die Linie Herpelje-Divacca nicht heilen; darum begehrt man in Triest die Erbauung einer Tauern - bahn, welche direct nach München gravitirt und welche einen grossen Theil des mitteleuropäischen Verkehres wieder von Genua und Venedig ab nach Triest leiten soll.

Ein andere, die Handels - und selbst Preisverhältnisse von Triest vollkommen umgestaltende Neuerung ist die bereits erwähnte Auf - hebung des Freihafens, welche am 1. Juli 1891 vorgenommen werden soll. Um das Gefährliche dieser Massnahme abzuschwächen, werden in dem dann noch erübrigenden Zollausschlussgebiete (Punto franco) vierzehn Lagerhäuser und Hangars (Güterschoppen) mit einem Fassungsraum von 124.000 m2 Lagerfläche errichtet, so dass selbst gewisse Triest eigenthümliche Sortirungen mancher Waaren ausser - halb des Zollgebietes vorgenommen werden können.

Triest besitzt in seiner Geld - und Waarenbörse, die am 21. Juni 1775 gegründet wurde, die älteste Börse Oesterreichs. Der Verkehr erstreckt sich auf Kauf und Verkauf von Waaren und Schiffen, Versiche - rungs - und Transportverträge, dann auf Effecten, Devisen und Valuten.

3*20Das Mittelmeerbecken.

Das Bankwesen von Triest beschränkte sich bis zum Jahre 1853, wo die Oesterreichische Nationalbank, jetzt Oesterreichisch-ungarische Bank, eine Zweigniederlassung daselbst errichtete, auf private Bank - firmen. Jetzt haben ausser der genannten die Oesterreichische Credit - anstalt für Handel und Gewerbe, die Unionbank und die Anglo - österreichische Bank, deren Sitz Wien ist, Filialen in Triest. Ein - heimische Unternehmungen sind die Banca Commerciale Triestina, die Banca Popolare Triestina für die Bedürfnisse der Kleinindustrie und die Triester Sparcasse.

In Triest ist der Ursprung des heutigen Versicherungswesens von Oesterreich-Ungarn zu suchen. Das war das Verdienst der vor ungefähr 60 Jahren gegründeten Azienda Assicuratrice , dann der Assicurazioni Generali und der nachfolgenden Riunione Adriatica di Sicurtà , welche ausser der Feuerversicherung auch die Hagel -, Transport - und Lebensversicherung einführten.

Zum Schlusse führen wir eine Reihe staatlicher und öffentlicher Institu - tionen an, welche berufen sind, auf den Handel Triests Einfluss zu nehmen. Triest ist Sitz der Statthalterei für das Küstenland, eines besonderen Handels - und See - gerichtes, eines Zolloberamtes, der k. k. Seebehörde, welcher sämmtliche Hafen - und Seesanitätsämter der Küsten Oesterreichs unterstehen, einer Handels - und Gewerbekammer. Dem Zwecke der Schiffsvermessung und Classification dient das Ufficio Veritas austro-ungarico , 1858 gegründet. Der jeweilige Präsident der Handelskammer ist Vorsitzender desselben. Von Handelslehranstalten sind zu nennen die Handelshochschule Stiftung Revoltella und die k. k. Handels - und nautische Akademie mit eigener Sternwarte. Triest ist reichsunmittelbare Stadt; sein Stadtrath ist zugleich Landtag.

Folgende Staaten haben Consulate in Triest: Vereinigte Staaten von Amerika, Argentina, Belgien (Generalconsulat), Bolivia, Brasilien (G. C.), Chile, Columbia, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich (G. C.), Dominicanische Re - publik, Frankreich (G. C.), Griechenland (G. C.), Grossbritannien, Italien (G. C.), Japan, Monaco, Niederlande, Persien, Peru, Portugal (G. C.), Rumänien, Russ - land, S. Marino, Schweden und Norwegen (G. C.), Schweiz, Serbien (G. C.), Spanien, Türkei (G. C.), Uruguay, Venezuela.

[21]

Fiume.

Am Ende des 40 Seemeilen in nördlicher Richtung sich er - streckenden Quarnero-Golfes liegt an der Mündung des Flüsschens Fiume, auch Reka oder Recina genannt, die aufblühende freundliche Hafenstadt Fiume (circa 30.000 Einw. ), die uralte liburnische Tersattica, dann Vito - polis, hierauf St. Veit am Pflaumb und slavisch Rieka genannt. Die spärlich bebauten Ausläufer der julischen Alpen überragen den frucht - baren Küstenstrich, der gegen Westen zu, einem grünen Bande ver - gleichbar, die Strandlinie bis weit in das Gebiet von Istrien umsäumt.

Die landschaftliche Schönheit der duftigen Küstenscenerien schil - dert uns die geistvolle Dichterin Ada Christen in nachfolgenden schwungvollen Versen, die sie im Fremdenbuche der Villa Angiolina bei Abbazia als Tribut der Bewunderung improvisirte:

Ew’ges Meer, wie bist du herrlich,
Wenn der Sturmwind dich bewegt,
Wenn die Brandung wild entfesselt
Schaumbedeckt ans Ufer schlägt.
So hab ich dich still bewundert
Dort an Abbazias Strand,
Dort in jenem Tropengarten,
Hingepflanzt von Feenhand.
Ueber meinem Haupt die Berge
Mit dem letzten Sonnenglüh’n,
Unter meinem Fuss die Brandung,
Rund um mich ein duftig Blüh’n.
Wogenschaum und fremde Blumen,
Vogellied und Sturmgedröhn,
Kampf und Friede, Licht und Schatten,
Ewig gross und ewig schön.

Das ist die österreichische Riviera mit ihren in Lorbeerhainen eingebetteten, von einer reichen subtropischen Vegetation umgebenen Städtchen, deren Ruf als klimatische Curorte und Seebäder in kurzer Zeit weit über die Grenzen des Kaiserstaates gedrungen ist.

22Das Mittelmeerbecken.

In der That lässt sich kaum eine reizendere Lage denken, als jene von Abbazia, dem immergrünen Nizza Oesterreichs, oder der malerisch am Küstensaume zu Füssen des 1450 m hoch aufsteigenden Gebirgsstockes Monte Maggiore gelegenen Nachbarstädtchen Volosca, Ika, Lovrana und Moschenizze, die sämmtlich gegen die stürmi - schen und rauhen Nordwinde geschützt, den Segen eines äusserst milden Klimas geniessen.

Im Osten von Fiume herrscht hingegen der Charakter einer rauhen Steilküste vor.

Der Quarnero-Golf führte im Alterthume mehrere bezeichnende Namen. Man nannte ihn unter anderen auch Sinus Canarius, aus welcher Bezeichnung wohl der heutige Name entstammen dürfte, an den die Vorstellung verheerender Seestürme sich knüpft. In der That gelten dieser Golf und der in denselben einmündende Meerescanal längs der croatischen Küste (Canale di Maltempo) im Volksmunde als Geburtsstätten der gewaltigen Bora-Orkane, gegen deren Wuth die wettergeübten Seeleute dieses Gebietes, die auch als Polarfahrer unter Weyprecht sich bewährten, muthig anzukämpfen haben. Dem Golfe von Fiume wird ein grosser Fischreichthum nachgerühmt; leider ist aber auch der Menschenhai ein ständiger Gast dieser Ge - wässer geworden. Dagegen bildet der äusserst schmackhafte rosa - färbige Scampo (Nephrops Norregiensis), ein Seekrebs, der nur in Quarnero und in den Scherren Norwegens vorkommt, eine kostbare Eigenheit der hiesigen Seefauna.

Schon im Alterthume beschäftigte die Küstenbevölkerung sich mit Schiffahrt und Schiffbau, zur Zeit der Uskoken allerdings auch mit Piraterie. Die Seetüchtigkeit und die gefälligen Formen der libur - nischen Fahrzeuge standen in bestem Rufe, und bekannt dürfte es sein, dass Cȧsar Augustus in dem Kriege gegen Marcus Antonius solcher sich bediente. Noch vor zwei Jahrzehnten waren Fiume und die östlich in einem herrlichen Becken gelegenen Städtchen Buccari und Porto im Besitze einer aus alter Zeit stammenden blühenden Rhederei und durch ihre prächtigen Segelschiffbauten in maritimen Kreisen sehr angesehen, allein die Ausbreitung der Dampfschiffahrt hat seither der Werftenindustrie dieser Gegend den Todesstoss versetzt.

Indes erfuhr die Stadt Fiume unter der Begünstigung der unga - rischen Regierung gleichwohl eine völlige Umwandlung und vortheil - hafte Verjüngung. Aus dem unbedeutenden Küstenorte erstand baldigst eine Seestadt, welche, indem sie das aufstrebende Reich Ungarn in23Fiume.directe Verbindung mit dem Welthandel setzte, im Fluge zur Con - currentin von Triest sich aufschwingen konnte.

Schon der äussere Anblick der Stadt zeigt ein aufblühendes Gemeinwesen und trägt die Merkmale des Wohlstandes an sich. Die prächtige Häuserfront der unteren Stadt ziert den geräumigen, durch Anschüttungen dem Meere abgewonnenen Quai. Breite und gerade laufende Strassen, Parkanlagen, Alleen und durch eine ge - fällige Architektonik auffallende öffentliche Gebäude lassen diesen Stadttheil als eine Schöpfung der neuesten Zeit erkennen.

Die obere oder alte Stadt bildet dagegen ein malerisches Ge - wirre ehrwürdiger Baulichkeiten; kleine Häuser mit Freitreppen, enge Gässchen, niedliche Gärten bedecken hier den Abhang bis zur Höhe des aus dem XIII. Jahrhunderte stammenden Domes von St. Veit (San Vito). Die Höhe krönte ehemals ein Castell, der Ausgangspunkt der durch Thürme flankirt gewesenen Ringmauer der Stadt. Gegen - wärtig sind kaum noch Spuren der erwähnten Befestigung zu sehen. Aus späterer Zeit sind zumeist einige kirchliche Denkmale zu verzeichnen, unter welchen die 1453 von den Grafen Nicolaus und Martin Frangepan an geweihter Stelle erbaute und gegenwärtig besonders von den Seeleuten in Ehren gehaltene Votivkirche der Madonna di Tersatto Beachtung verdient. Mehr als 500 Stufen führen aus der Vorstadt Susak von der Brücke über die Reka ausgehend hinauf nach Ter - satto, von wo aus der Besucher einen herrlichen Rundblick über den ganzen Golf von Fiume und die hochaufragenden quarnerischen Inseln geniesst.

Das heutige Fiume erstand auf den Trümmern der durch Karl den Grossen im Jahre 799 zerstörten liburnischen Tersattica, wurde später ein Lehen der Patriarchen von Aquileja, dann der Grafen von Duino und der Herren von Görz, bis es im Jahre 1471 an Kaiser Friedrich III. als Domäne des Hauses Oesterreich gelangte. Kaiser Karl VI. und Maria Theresia verliehen der Stadt mancherlei Privi - legien, Ersterer unter anderem 1719 das Freihafenpatent, und statte - ten den Hafen mit Schutzvorkehrungen aus.

Auch an dieser von den grossen Ereignissen ferne gelegenen Küste liess das blutige Ringen gegen die von der französischen Revo - lution decretirte neue Weltordnung tiefe Spuren zurück und wiederholt erdröhnten Kanonendonner und Waffengeklirre in Stadt und Hafen.

Nach dem Friedensschlusse von Schönbrunn 1809, welcher die österreichischen Erbländer vom Meere abschnitt, gelangte Fiume für24Das Mittelmeerbecken.mehrere Jahre in französischen Besitz, bis der Wiener Congress 1814 die alte Angehörigkeit zu Oesterreich wieder bestätigte.

Im Jahre 1822 wurde Fiume, das schon von 1779 1809 reichs - unmittelbares Gebiet der ungarischen Krone (Separatum corpus Sacrae regni Hungariae Coronae) gewesen war, diesem Königreiche wieder einverleibt, und nach mancherlei Wandlungen wurde die Reichs - unmittelbarkeit durch das Diplom vom November 1868 endgiltig be - siegelt.

Sogleich nach dem sogenannten politischen Ausgleiche, welcher 1867 aus der österreichischen Monarchie ein Oesterreich-Ungarn geschaffen hatte, war es eine der ersten national-ökonomischen Auf - gaben der neuen ungarischen Regierung, den Seeverkehr von Fiume zu beleben und aus diesem Hafen ein wichtiges Handelsemporium zu gestalten. Nach den Plänen des durch ähnliche Werke hervorra - genden französischen Hydrotechnikers Pascal wurde 1872 der Bau des neuen Hafens begonnen.

Wie aus dem Plane zu ersehen, ist durch einen nahezu 1000 m langen Wellenbrecher ein grosses gegen den Seegang vollkommen ge - schütztes Bassin gewonnen worden, in welchem die drei breiten zur Anlage von Magazinen geeigneten Molen Zichy, Rudolf und Nr. IV am Bahnhofquai eingefügt sind. Ausserdem blieb der alte Molo Adamich erhalten. In dieser Anordnung verfügt der Hafen über eine innere Quaientwicklung von 3000 m bei 36 Hektaren Fläche.

Einen besonderen Annex der Anlage bildet der westlich von Fiume erbaute Petroleumhafen, dessen Pumpwerke es gestatten, das ankommende rohe Steinöl direct in die zunächst gelegene Raffinerie, die täglich 1000 Fässer Petroleum verarbeitet, zu leiten.

Ein kleinerer Hafen ist an der Ausmündung des Fiumeracanales in Ausführung begriffen. Letzterer war ehemals der eigentliche Binnen - hafen für kleinere Schiffe.

Von den grossen Hafenbauten sind zur Zeit nur noch ein Theil des Wellenbrechers und der Molo IV zu vollenden. Als Mangel könnte das bisherige Fehlen eines Trockendocks in Fiume hervorgehoben werden.

Die für einen so wichtigen Hafen wie Fiume unentbehrliche Quarantaineanstalt ward in der östlich der Stadt liegenden freundlichen Bucht von Martinschizza belassen, wo Kaiser Franz I. 1833 ein gross - artiges Pestlazareth gegründet hatte.

Die k. k. Kriegsmarine unterhält westlich der Stadt die 1857 eröffnete Marine-Akademie, ein herrliches, für 130 Zöglinge berechnetes[25]

Fiume.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 426Das Mittelmeerbecken.Gebäude, das, in einem prächtigen Parke gelegen, eine Musteranstalt für die Heranbildung des Officiersnachwuchses der k. k. Flotte ist.

Auf dem Gebiete der maritimen Kriegstechnik hat Fiume durch die unübertroffenen Erzeugnisse der Whitehead’schen Fisch-Torpedo - fabrik, welche ihre äusserst zerstörenden submarinen Angriffswaffen allen Seemächten der Erde liefert, einen Weltruf sich geschaffen.

Ueberhaupt besitzt das nur 20 km2 umfassende reichsunmittelbare Gebiet von Fiume eine verhältnissmässig bedeutende Zahl industrieller Etablissements grösserer Art, von welchen hier noch die Reisschäl - mühle, die königliche Tabakfabrik, die Fabrik chemischer Producte und die grosse, in der tief eingerissenen, wildromantischen Schlucht der Recina gelegene Papierfabrik Smith & Meynier erwähnt seien.

Die Bewohner von Fiume sind Italiener, Croaten und Magyaren, der meiste Verkehr vollzieht sich aber in italienischer Sprache. Es ist eine betriebsame und liebenswerthe Bevölkerung, welche die uralte Stätte der Tersattica bewohnt.

Was die commercielle Bedeutung Fiumes betrifft, so besteht sie hauptsächlich darin, dass dieser Hafen das einzige Ausfallsthor Ungarns zur See bildet; die Länder der Stefanskrone, sowie die im Süden angrenzenden Gebiete von Bosnien und Serbien sind sein natürliches Handelsgebiet. Betrachten wir nun, wie durch das mo - derne Verkehrsmittel der Eisenbahnen das Hinterland für Fiume nutzbar gemacht wurde.

Seine erste Eisenbahnverbindung erhielt der Hafen durch den Flügel der Südbahn nach St. Peter, der auf die Linie Wien - Triest ausmündet. Bei der überlegenen Stellung, welche Triest in jeder Beziehung besass, war diese Bahn für Fiume von keinem zu grossen Nutzen. Es musste erst eine unmittelbare Verbindung nach Ungarn erhalten, um in seinem ureigenen Handelsgebiete mit Triest in Con - currenz treten zu können, und das seit 1867 wieder selbständige Ungarn nahm die Lösung dieser Angelegenheit sofort in die Hand.

Heute gravitiren, dank der Erbauung eines wohldurchdachten Eisenbahnnetzes, alle Comitate von Oedenburg bis in das getreidereiche Alföld, sowie das holz - und pflaumenreiche Slavonien und Nord - bosnien nach Fiume. Auch die Save und ein Theil der Donauschiff - fahrt dienen Fiume, und ist deren Ausnützung noch einer bedeutenden Steigerung fähig.

So erscheint Fiume als ein wirklich unglaublich rasch erblühender Handelsplatz.

27Fiume.

Im Jahre 1878 umfasste der Schiffsverkehr Fiumes 5463 Schiffe von 427.513 t, 1888 10.266 Schiffe mit 1,555.327 t, und mit Recht wird diese Steigerung der Handelsthätigkeit gerühmt. Allein man darf diese Erscheinung nicht überschätzen: viel ist geschehen, aber Alles ist im Entstehen. Fiume, dessen Import und Export neben Triest klein sind, hat nur Transito und überwiegenden Exporthandel, und dieser Export concentrirt sich auf die Monate September bis März, welcher Umstand fast den vierten Theil der Schiffe nöthigt, unter Ballast nach Fiume zu gehen und auf die Tarifbildung sehr nach - theilig wirkt.

Ueber die Grösse des Verkehres von Fiume liegen folgende Angaben vor:

〈…〉〈…〉

Diese Zahlen sind seit 1884 ziemlich constant.

Von dem oben ausgewiesenen Seeverkehre entfielen 1887 in der Ausfuhr 612.062 q im Werthe von 9·3 Millionen Gulden, in der Einfuhr 598.062 q im Werthe 6·3 Millionen Gulden auf den Verkehr mit den einheimischen Häfen. Diese Ziffern ändern sich wenig im Verlaufe der Jahre, und wir müssen sie von dem oben angegebenen Verkehre zur See abrechnen, da wir jetzt den Verkehr mit dem Auslande ins Auge fassen wollen. Bei diesem ist der Export nach dem Westen gerichtet; denn die wichtigsten Exportländer sind England (1887 16·8 Millionen Gulden), Frankreich (13·8 Millionen Gulden), die Vereinigten Staaten von Amerika (3·9 Millionen Gulden), Italien (3·5 Millionen Gulden), Bra - silien, Holland und im Osten die Türkei, die nur mit einer kleinen Ziffer bethei - ligt ist. Dagegen erhalten wir ein ganz anderes Bild von der räumlichen Verthei - lung des Fiumaner Einfuhrhandels; die stärkste Einfuhr findet statt aus Ost - indien und England, dann aus den russischen Häfen am Schwarzen Meere und der Türkei.

Durch die eingehendere Besprechung der wichtigsten Stapelartikel Fiumes werden diese Angaben die nothwendige Ergänzung erfahren. Bei der Ausfuhr zur See ist vor Allem Weizenmehl zu nennen aus den weltberühmten Mühlen von Budapest, den Provinzmühlen und der Fiumaner Dampfmühle stammend. Die letz - tere verarbeitet bei entsprechenden Preisen auch russischen Weizen. Der Export betrug 1885 996.867, 1886 964.513, 1887 905.325 q und 1888 1,188.091 q. Die Hauptabnehmer sind England (1887 594.943 q), Frankreich mit 93.944 q, Brasilien mit 78.456 q.

Im Getreidehandel ringen Weizen und Gerste um den Vorrang, von jedem werden mehr als 400.000 q exportirt.

Der Weinexport ist jetzt im allgemeinen kleiner als in früheren Jahren, er richtet sich nämlich nach dem Bedarfe Frankreichs. Export 1886 145.848, 1887 91.165 hl.

4*28Das Mittelmeerbecken.

Den wichtigsten Artikel des Fiumaner Exportes bildet Holz. In Triest und Fiume ist die Ausfuhr von Nutz - und Werkholz in einer beständigen Steigerung begriffen, doch findet insoferne ein Unterschied statt, als Triest in der Vermitt - lung des Exportes an weichem Schnittmaterial obenan steht, während sich der Verkehr mit harten Hölzern, insbesondere mit Fassdauben, immer mehr nach Fiume zieht. An Eichendauben wurden 1886 27,627.600, 1887 38,178.700, 1888 bei 42 Millionen Stück ausgeführt; davon gehen bis auf 1 bis 2 Millionen alle nach Frankreich, der Rest nach Algier, England, Italien u. s. w. Die Ausfuhr von Buchendauben erreichte 1887 über 3 Millionen, 1888 fast 4 Millionen Stück. Im Ganzen wurden 1887 59.811 m3 und über 51 Millionen Stück Hölzer exportirt.

Weit kleiner ist die Zahl der wichtigen Artikel, welche Fiume zur See einführt. Kaffee (1887 10.598 q) geht zum Theile wieder weiter in die Levante; ostindische Jute (1887 31.612 q) ist bestimmt für die Fabriken des gemeinsamen Zollgebietes. Allen voran aber stehen Petroleum und Reis, die Grundlagen zweier grossartiger Zweige der Fiumaner Exportindustrie.

Fiume ist im Gegensatze zu Triest auch eine Fabriksstadt mit starker Arbeiterbevölkerung.

Die Mineralöl-Raffinerie ist gegenwärtig das grösste und bedeutendste Unternehmen dieser Gattung in Europa. Die Fabrik erzeugt durchschnittlich im Jahre 451.600 q raffinirten Petroleums, ausserdem ein entsprechendes Quantum an Nebenproducten. Sie hat an den wichtigeren Verkehrspunkten Reservoirs angelegt, ihr Absatz beschränkt sich auf das Inland.

Auch die Reisschäl - und Stärkefabrik trägt wesentlich dazu bei, den überseeischen Verkehr des Hafens zu beleben. 1887 wurden 265.057, 1886 290.563 q ungeschälten Reises meist aus Ost - indien bezogen. Das fertige Product geht in die Monarchie, nach Ita - lien, Griechenland, der Türkei, die Reiskleie nach England, Holland, Portugal und Frankreich.

Andere Unternehmungen sind die bereits früher erwähnte Tor - pedofabrik, eine chemische Fabrik, eine Fabrik für Erzeugung von Bugholzmöbeln mit starkem Absatz ins Ausland u. s. w.

Die Grösse des Schiffsverkehres haben wir bereits oben ange - geben. Betrachten wir denselben nach den Flaggen, so sehen wir, dass unter den Dampfschiffen die Flaggen Oesterreich-Ungarns und Englands den weitaus grössten Theil des Verkehres vermitteln; unter den Segelschiffen ist neben der nationalen Flagge die italienische sehr wichtig. Die Dampfer vermitteln den auswärtigen Verkehr, die Segel - schiffe meist den inländischen und den mit Italien. Die Vertheilung nach Flaggen ist (1888) folgende:

[29]
Hafen von Fiume. (Massstab 1: 18.000; Sonden und Höhen in Metern.)

A Rhede von Fiume, B Reisschalfabrik, C Parkanlagen, D Marineakademie, E Kaserne, F Leuchtfeuer, G Tabakfabrik, H Papierfabrik, J Louisenstrasse in der Rekaschlucht, K Hafenbassin der Fiumera, L Bahnhof, M Fiumeracanal.

30Das Mittelmeerbecken.
〈…〉〈…〉

Der Seehandel von Fiume ist überwiegend nach Westeuropa, nach Nordamerika und Brasilien gerichtet; im Osten ist nur der Hafen von Batum wichtig.

Nach den Küsten des östlichen Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres besorgt der Oesterreich-ungarische Lloyd den regelmässigen Verkehr; die Linien nach dem Westen besorgt in erster Linie die ungarische Seeschiffahrts-Actiengesellschaft Adria, welche von der ungarischen Regierung eine regelmässige Subvention bezieht. Sie unter - hielt in den ersten Jahren ihrer Thätigkeit insbesondere nach den eng - lischen, schottischen und französischen Häfen Fahrten, in den letzten Jahren hat sie auch Nordafrika, Spanien, Portugal und Brasilien in ihr Itinerär aufgenommen, und trägt nicht wenig bei zu dem grossen Aufschwung, welchen der Verkehr Fiumes im letzten Quinquennium aufzuweisen hat.

An dritter Stelle ist die englische Dampfschiffahrts-Gesellschaft Anchor-Line hervorzuheben, welche jährlich 18 Fahrten von Fiume nach New-York unternimmt.

Kleinere Unternehmungen besorgen den Verkehr nach Cette und Marseille, nach Venedig und neben dem Lloyd nach den inländischen Küstenplätzen.

Für die Aufhebung des Freihafens, die in Fiume und Triest gleichzeitig erfolgen wird, ist der Platz heute schon zum Theile ge - rüstet. Die von der k. ungarischen Seebehörde erbauten grossen Magazine und die der k. ungarischen Staatsbahn können zusammen die Ladung von 7060 Waggons einlagern.

Die wichtigsten Banken sind die Filiale der Oesterreichisch - Ungarischen Bank und die Fiumaner Creditbank, eine Commissions - bank in grossem Style.

Fiume ist der Sitz eines königlich ungarischen Guberniums, dann der königlich ungarischen Seebehörde, einer Handels - und Gewerbekammer, der eines Hauptzollamtes, einer königlich ungarischen Handels-Akademie, eines Staats - Gymnasiums und einer nautischen Schule.

Consulate haben in Fiume: Die vereinigten Staaten von Amerika, Argen - tina, Belgien, Brasilien, Dänemark, das Deutsche Reich, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, die Niederlande, Portugal, Russland, Schweden und Nor - wegen, Serbien, Spanien, das Türkische Reich.

[31]

Venedig.

Wir sind aus dem Quarnero wieder in das nördlichste Gebiet der Adria eingedrungen. Das dunkle Azur des Meeres, die undurch - dringliche Decke über dem Geheimnisse der Tiefe, ist allmälig einer gründlichen Färbung gewichen. Algenbüschel und Gräser, hin und wieder der laublose Zweig eines Baumes schwimmen träge auf der endlosen Wasserfläche. Ueber uns in ätherklaren Lüften tummeln sich, das Schiff geleitend, kreischende Möven in lustigem Spiele.

Alle Anzeichen des nahen Landes sind vorhanden und mehren sich, je weiter wir westwärts vordringen; ja selbst kühne Fischer auf eigenthümlich gebauten Fahrzeugen, über welchen roth und gelb bemalte Segel in gefälligem Schwunge sich blähen, erblicken wir, allein noch immer kein Land.

Doch plötzlich schimmert und leuchtet es am westlichen Hori - zont. Im Sonnenscheine erglänzende Kuppeln und Thürme, grosse palastähnliche Bauwerke mit geheimnissvoll bewegten Formen tauchen dort, von magischem Lichte umflossen, wie eine trügerische Fata Mor - gana auf.

Seitlich und davor scheinen dunkle, wie aus dem Buschwerke hoher Bäume geformte Gebilde sich zu drängen.

Ernst und gross und doch so luftig und zart blicken die zackigen Höhen der fernen Alpen rechts der vielbesungene Triglav, links die aus gottgesegneten Fluren aufsteigenden vulkanischen Colli Euganei und Monti Berici herab zu uns, und von dem Hauche sanfter Meeres - lüfte erfrischt, erhält die Phantasie weiten Raum, das zaubervolle Bild auszugestalten.

Die Stadt der Paläste, das gold’ne Venedig, liegt vor uns, und es ist, als leuchte eine glänzende geistige Corona über den fernen Umrissen der altehrwürdigen Metropole eines entschwundenen, mehr als tausendjährigen Staatsgebildes.

32Das Mittelmeerbecken.

Der Gegenwart entrückt, taucht der Gedanke gern zurück in die Tiefe der Vergangenheit, in völlig classische Räume der unend - lichen Zeit. Der Blick fällt unwillkürlich auf die euganeischen Hügel, die mit dem rundlich geformten Monte Venda am meisten gegen Süden vorspringen.

Dort lag an der Stelle des heutigen Padua das uralte Patavium, dessen Gründung der Mythe nach dem trojanischen Antenor zuge - schrieben wird, jenem bei Homer zum Frieden drängenden Greise, den eine spätere Sage zum Verräther an Troja werden und nach dem grauenvollen Untergange der Feste fluchbeladen weit hinweg nach Italien wandern lässt. Wie drängt diese Erinnerung eine andere näher - liegende auf, nämlich an den Sturz der alten Republik Venedig, den ebenfalls Verrath herbeiführte. So finden hier graues Alterthum und neue Zeit einen wenig anmuthenden Berührungspunkt. Wie entehrend der Vaterlandsverrath immerdar gebrandmarkt ist, er schleicht doch als eine bleibende Erscheinung durch die Geschichte der Menschheit.

Der Anblick der euganeischen Hügel erweckt den Gedanken an Livius, den classischen Historiker, dessen Wiege die dunklen Wälder der Fons Aponi, des heutigen Badeortes Abano, beschatteten, und über den Monti Berici erscheint uns das geistige Bild eines der be - rühmten Führer des Cinque Cento, Andrea Palladio’s, der nicht nur seine Vaterstadt Vicenza durch seine besten Prachtbauten schmückte und ihr ein einheitliches, festliches Gepräge verlieh, das Goethe’s Be - wunderung errang, sondern dessen herrliche Werke auch zu reichen Zierden der italienischen Kunstmetropolen geworden sind.

Mit Palladio entrollt sich wie eine herrliche Vision das gestalten - reiche Bild der Geistesheroen, die als Söhne der jungfräulichen Dogen - stadt die Welt der Farben belebten und den Ruhm Venedigs häuften. Voran Tizian, der unerschöpfliche geniale Hauptmeister der venetia - nischen Schule, Tintoretto, der unübertroffene Prunkmaler, Paolo Veronese, die beiden Palma u. a., deren Werke eine Glanzepoche der Kunst bezeichnen.

Neben den Vertretern des Cinque Cento erscheinen die Tiepolo, Canale und Canaletto als Repräsentanten der Kunstrichtung des XVIII. Jahrhunderts.

Wie erweitert die Nennung solcher Namen die einstige Bedeu - tung der Lagunenstadt, wie gross und gewaltig stellt das Dominium des gold’nen Markuslöwen allein schon am Massstabe seiner Kunst - grösse sich dar! Es glänzen denn auch neben den Meistern der Kunst die grosse Zahl hervorragender Regenten, Heerführer, bewährter[33]

Venedig.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 534Das Mittelmeerbecken.Diplomaten, berühmter Reisenden (Marco Polo!) und Männer der Wissenschaft.

Die Macht Venedigs konnte nur bei einem grossen Aufwande an Intelligenz emporblühen.

Die bezaubernde Eigenart der Stadt, die noch heute ihresgleichen sucht, liegt so recht in der historischen Entwicklung des Dogenreiches selbst. Während die Stürme der Völkerwanderung den Continent ver - heeren und das mächtige weströmische Reich vernichten, krystallisiren sich die Flüchtlinge der zerstörten Städte Patavium, Altinum, Aqui - leja u. a. auf den Lagunen zu einem Freistaat; wir finden die römische Gesellschaft mit ihren gewaltigen Traditionen in diesem Verbande. Den Lagunen haben die Colonisten zu danken, dass die Invasion der Gothen, die Eroberung Italiens durch die Longobarden und Griechen die Entwicklung ihres Staatswesens nicht zu stören vermochten und ihr meerumgebenes Gebiet in der Zeit der grössten Bedrängniss das einzige Asyl bildete, wo Friede, Sicherheit und Freiheit herrschten.

An der Wende zum VIII. Jahrhundert wird schon der erste Doge genannt.

Die staatliche Ordnung ist gesichert und ein neues Culturleben beginnt Glanz und Wärme auszustrahlen.

Aus Rialto, wohin 819 der Sitz der Regierung verlegt wurde, entsteht, die inneren Wirren besiegend, das aufstrebende Venedig. Die Heldenzeit der Kreuzzüge begünstigt den Aufschwung der Republik, die unter dem Dogen Enrico Dandolo (1192 1205) nach der Eroberung von Constantinopel und Theilung des byzantinischen Reiches einen reichen Länderzuwachs, darunter die Ostküste der Adria, die Insel Candia und anderen Besitz erhält.

Der fast zweihundertjährige erbitterte Kampf gegen die Schwester - republik Genua bildet eine blutige Episode in der Geschichte Venedigs.

Die Demüthigung der Rivalin (1380) ist das Werk der tapferen Flotte des Dogen Andrea Contarini.

Im XV. Jahrhundert feierte Venedig nicht nur unerwartete politische Triumphe, auch sein Handel blüht, und die Metropole wächst unter dem Betriebsfleisse von 200.000 Einwohnern zum Mittelpunkt des Welthandels auf.

Catarina Cornaro, die schöne Gemahlin des Königs Jakob von Cypern, die uns Meister Makart so blendend in Erinnerung brachte, darf hier genannt werden, denn durch ihre Verzichtleistung erwirbt Venedig die reiche Insel.

35Venedig.

In den folgenden Jahrhunderten steigt die Republik langsam, aber stetig von dem Höhepunkte ihrer Macht herab. Dank ihrer aus - gezeichneten Flotte vermag sie während der Periode der türkischen Invasion in Europa der enormen ottomanischen Macht zwar die Stirne zu bieten, allein in demselben Masse als durch das Aufleben des oceanischen Verkehres der Portugiesen und Spanier die aus Handel und Industrie fliessenden Hilfsquellen eine immer grössere Einbusse erleiden, sinkt auch die militärische und politische Stellung Venedigs. Dazu gesellen sich Verluste an Landbesitz in der Levante, ein verhängnissvoller Müssiggang aller Bevölkerungsschichten, Abnahme des Rechtsgefühles, kurz, eine Zahl von Ursachen, unter deren Einflusse die Republik mit Beschleunigung ihrem Untergange zueilte, bis sie 1797, von den Ba - jonnetten Bonaparte’s eingeschüchtert, ruhmlos erlosch. Der letzte Doge, der schwache Ludovico Manin, hatte den Gedanken Marino Falieri’s durchgeführt.

Von da an war das ehemalige Dominium des Markuslöwen zur Beute der Grossstaaten geworden, deren Schicksale es theilte. Venedig, die Mutterstadt, und deren Terra ferma aber schmücken schliesslich als glanzvolle Perlen den Busen der zu Leben und That erwachten jugendlichen Italia.

Während der Blick zurück in die Vergangenheit schweift, kommen wir dem Lande näher. Die langgestreckten und niedrigen Dünen-Inseln, Lidi, die wie ein Schutzwall das Lagunengebiet von der offenen See abschliessen, liegen vor uns. Man gewahrt dort, zum Theile durch die 10 m hohe Aufböschung der berühmten Murazzi gedeckt, Ortschaften, Gärten, Festungswerke. Dahinter bauen sich die Häusermassen Venedigs auf.

In das Labyrinth der Lagunen führen die vier Einfahrten von Lido, Treporti, Malamocco und Chioggia. Die vorletzt genannte ist die Passage der grossen Schiffe; sie wird durch einen 2100 m frei in das Meer gebauten Damm, der 1825 unter der Regierung des Kaisers Franz I. entstand, vor Versandung geschützt. Die Zufahrt von Mala - mocco wird bei stürmischem Wetter auch von den kleinen Schiffen benützt, denn bei Lido, wo ausgedehnte Sandbänke vorgelagert sind, bilden sich bei hohem Seegange infolge der geringen Wassertiefe schwere Brechen und Sturzseen, welche die Schiffahrt ernstlich ge - fährden.

Die Ebbe und Flut treibt eine beachtenswerthe Strömung durch die Lagunen-Canäle zu den genannten Einfahrten und bewirkt Ver - änderungen des Meeresspiegels bis zu einem Meter Höhe. Zur Flut -5*36Das Mittelmeerbecken.zeit ist das ganze weitausgedehnte Lagunengebiet in einen grossen See verwandelt, dessen ruhige Fläche Venedig, seine Vorstädte sowie die zahlreichen in der Umgebung zerstreut liegenden Klöster, Kirchen und andere Baulichkeiten als Inseln und Eilande höchst malerisch beleben; den Lauf der zahlreichen Canäle markiren aber dunkle oft seltsam gruppirte Holzpfähle, die eine auffallende Charakteristik des fesselnden Lagunengebildes sind. Bei Ebbe erscheinen hingegen die trockengelegten, von den Wasserstrassen durchzogenen Sandbänke des Lagunenplanes (Paludi) als dunkelbraun gefärbte Flächen.

Seit den ältesten Zeiten waren die Venetianer bemüht, das La - gunengebiet nicht nur gegen die äusseren Sturmfluten zu schützen, sondern auch die Versandung durch die einmündenden Flüsse abzu - wenden. Grossartige Canalbauten, wie jene der Brenta, des Bachilione, Sile u. a., dann eine Anzahl von Schleusenwerken bezweckten die Ableitung der Hochwässer zu ausserhalb der Lagunen gelegenen Punkten.

Mit der Canalisation gewann die Republik natürliche Verbindungs - wege für ihren Handel mit fast allen Provinzen von Oberitalien, wo - durch in jener sonst so wegearmen Zeit die rasche Ausdehnung und das Gedeihen seines Handels mit dem Binnenlande erklärt werden kann.

Die Lagunen füllten im Leben der Republik eine ganz besondere Stellung aus, sie gehörten überhaupt zum Weichbilde der Hauptstadt, denn auf den Lidi und den anderen Inseln, wie in Venedig selbst wussten die weitblickenden Lenker des Dogenstaates die grösstmög - liche Bevölkerung, Reichthum und Behaglichkeit zu vereinigen.

Dorthin strömten die Handelsschätze aus dem reichen Oriente, und es entstanden in gegenwärtig fast verödeten Orten, wie Oriago, Mestre, Compalto, Porto Buffoledo, Porto Gruario, bedeutende Stapel - plätze, wohin Schiffe aller Nationen kamen. So häuften sich fabel - hafte Reichthümer zu einer Zeit, in der Europa noch in tiefe Barbarei versunken war, in der Dogenstadt an.

Die äussere Handelspolitik Venedigs bezweckte, die fremden Völker in ein Abhängigkeitsverhältniss zu drängen. Ein besonderes Pressionsmittel bildete bis zum Jahre 1500 der Salzhandel. Das in den strenge bewachten Salinen von Comacchio und Cervia gewonnene Salz durfte nur dorthin ausgeführt werden, wohin der Senat es be - stimmte. In ihrem Bestreben, durch den Salzbesitz dominirend aufzu - treten, vermochten die Venetianer 1381 die Ungarn zur Schliessung der Salzbergwerke in Croatien gegen eine Entschädigung von jährlich 7000 Goldducaten zu bewegen, und ähnlich verfuhren sie im Frieden37Venedig.von Chambery mit den Genuesen. Im XIII. und XIV. Jahrhunderte florirten in Venedig viele Gesellschaften, die sich Salinari nannten. Diese kauften die Salzernten der Saracenen, Barbaresken, Sicilianer und Calabresen unter äusserst günstigen Bedingungen auf und konnten infolge dessen das Salz zu so niedrigen Preisen verkaufen, dass nicht einmal die findigen Genuesen zu concurriren vermochten.

Die Einfahrt bei Lido wird nebst anderen Batterien hauptsächlich durch das äusserst geräumige Fort S. Nicolò di Lido beherrscht.

Venedig. (Dogenpalast und Piazzetta.)

Diese grösstentheils aus alter Zeit herstammende Befestigung erfüllte bis zur Einführung der Panzerschiffe vollkommen den Zweck einer fortificatorischen Sperre der wichtigen Zufahrt nach Venedig. Heutigen - tags ist sie allerdings veraltert; allein andere kräftigere Vertheidigungs - mittel, wie Seeminen und Torpedos, werden jeden feindlichen Einfall in das Lagunengebiet vereiteln können. Die Venetianer verwendeten das Fort S. Nicolò als Sammelort für die grossen Truppentransporte nach ihren überseeischen Provinzen und Besitzungen. Die Baulich - keiten innerhalb der ausgedehnten Umwallungen boten Unterkunft für38Das Mittelmeerbecken.10.000 Mann. Nebstdem konnte man dort grosse Herden Schlachtvieh (bis 2500 Ochsen) zur Approvisionirung der Hauptstadt in Bereitschaft halten.

Ein eigenthümliches unvergleichlich anziehendes Leben entfaltet sich vor unseren Blicken, wenn wir aus dem Engpass des Lido die inneren Lagunen erreichen und längs der Canalpfähle gegen Venedig dampfen. Jetzt erst gewahrt man die bedeutende Zahl von Eilanden, deren fast jedes ein oder mehrere grössere Bauwerke trägt. Der grüne Schmuck des Laubwerkes tönt das Bild vortheilhaft ab. Man sieht, dass das spärliche Lagunenterrain vorzüglich ausgenützt ward. Auf - fallend ist die Menge der Thürme und Glockengiebel, die indes eine wohlthuende festliche Stimmung vermitteln. Venedig hatte von jeher der Entfaltung der katholischen Kirche, deren volle Unterstützung seine Dogen häufig genossen, den freiesten Spielraum gewährt, und die zahl - reichen prachtvollen kirchlichen Bauten, worin die Eigenart der venetianischen Kunst verkörpert ist, sind und waren auch die ergie - bigsten Quellen seines Glanzes. Der gleichen religiösen Stimmung der Bevölkerung entsprechend, fand das Klosterleben einen günstigen Boden zur Entwicklung, und wir wissen, dass beim Sturze der Republik 123 Klöster in Venedig und auf den Laguneninseln bestanden. Die Hochhaltung der katholischen Kirche hinderte die Republik aber keineswegs, in der Levante den staatsklugen Grundsatz der Duldung zu bethätigen und schonend sich zu benehmen.

Zu den stabilen Objecten des Lagunenbildes gesellen sich nun auch die behenden Gestalten der Fahrzeuge des venetianischen Ge - bietes. Flinke, flachgebaute Batelli, dann wieder die pfeilschnell vorbei - schiessenden Vipere kreuzen, von zwei bis vier Ruderern bewegt, das Fahrwasser, während der eigentliche Beherrscher des Lagunenplanes das leichtbeschwingte Fischerboot des Chioggioten, das auch weit draussen in hoher See Bewunderung erregt, wie ein Schmetterling rechts und links und selbst am fernen Horizonte seine farbigen Flügel zeigt. Die schwarz gedeckte Gondel erscheint in Gesellschaft ihrer fröhlichen Genossen, noch mehr aber neben den raschen und lärmenden Local - dampfern, welche zu den Seebädern am Lido verkehren, wie ein Ana - chronismus; man ist versucht, an ein geheimnissvolles Vermächtniss der Ahnfrau zu denken, das den Blicken der Profanen entzogen werden soll. So düster schleicht das Fahrzeug einher, und fast dro - hend blitzt das hellebardenartig gezackte Eisen seines Buges. Ohne Gondeln ist jedoch Venedig fast undenkbar. Da keine Wagen in der Stadt verkehren können, so schuf man sich gedeckte, mit schwellen -39Venedig.den Kissen ausgestattete Fahrzeuge, um Schutz zu finden gegen die Unbill der Witterung und wohl auch gegen die Neugierde der lieben Mitmenschen. Ein grosser Theil der venetianischen Romantik hat die geheimnissvolle Gondel zur Unterlage. Unsere ganze Umgebung lässt sich in reizende Einzelbilder auflösen, deren jedes dem Künstler ein prächtiges Motiv entgegenhält. Der monumentale Hintergrund von ge - waltigstem Eindrucke ist aber die Stadt Venedig selbst. Die Ansicht der prächtigsten Metropolen der Erde wird den Besucher kaum mit solcher Ueberraschung erfüllen, wie der erste Anblick der Dogenstadt.

Da liegt sie vor uns mit ihren Prachtbauten und unschätzbaren Meisterwerken wie ein reich ausgestattetes Museum! Paläste und Dome entsteigen, mit Aphrodite vergleichbar, herrlich dem Schaume des Meeres; jedes Bauwerk ein Stück versteinerter Poesie, und alle zu - sammen eine vom Hauche ehrwürdiger Zeiten getragene Harmonie. Unzähligemale hat der Künstler das Bild uns dargestellt, jetzt aber erscheint es uns verjüngt, ja neu, wir wähnen nichts Aehnliches früher geschaut zu haben. Der säulengetragene Dogenpalast, der berühmte Palazzo ducale, ein Prachtbau in venetianisch-gothischem Style, in dessen Räumen einstens Serenissimus, der fürstliche Doge, und der grosse Rath die Staatsgeschäfte leiteten, wird sogleich zum Mittelpunkt un - seres Interesses, wie er ehemals das Herz der Republik gebildet hatte. Gewaltig sind die Erinnerungen, die an ihn sich knüpfen. Er sah die Vaterstadt auf dem Gipfel ihrer Macht, auf der Höhe ihres Glanzes, umworben und beneidet von allen Culturvölkern der Erde; allein er sollte auch Zeuge werden ihres schmählichen Falles, der am 12. Mai 1797 sich vollzog.

Die Westfront des Dogenpalastes flankirt die sogenannte Piazzetta, ein in den Marcusplatz einmündender, gegen die Lagune offener Platz, den die zwei berühmten syrischen Granitsäulen des Dogen Michiel (1120) zieren. Hier, wo heute ein lebhafter Verkehr froher Menschen flutet, wurden ehemals die Todesurtheile vollzogen. Gegenüber dem Dogenpalaste bewundern wir den jetzt zum königlichen Palais gehö - renden Prachtbau der Bibliothek (Antica libreria di S. Marco), eines Meisterwerkes Sansovino’s (1536), gleichzeitig eines der schönsten Bauwerke des Cinque cento und vielleicht der herrlichste Profanbau Italiens. Die Bibliothek findet in dem grossartigen Palast der Procura - zien, welcher den mit Trachyt - und Marmorplatten belegten Marcusplatz auf drei Seiten umschliesst, eine natürliche Fortsetzung. Unter den reich gegliederten Bogengängen haben elegante Kaffeehäuser und Kauf - läden sich etablirt und dadurch ohne Zweifel beigetragen, den Mittel -40Das Mittelmeerbecken.punkt des venetianischen Lebens an den Marcusplatz zu fesseln. Hier hält die elegante Welt, umflattert von der lustigen Schar der Marcustauben, ihren täglichen Corso, der zu reizender Lebhaftig - keit sich steigert, wenn die Klänge der concertirenden Militärmusik den weiten Raum des Platzes durchrauschen. Bei heller Mondnacht aber, wenn die edlen Formen der von Zeit und Wetter geschwärzten Monumentalbauten durch den milden Lichtstrom in ihrer wundervollen Plastik hervortreten und die phantastischen Profile der uralten Basi - lika des heiligen Marcus aus ihren reichen Ornamenten tausende von Reflexen uns zusenden, da geniesst man den vollen Reiz der vene - tianischen Poesie.

Die Marcuskirche und der vor ihr freistehende Glockenthurm, vollenden so recht den eigenthümlichen Charakter des Marcusplatzes. Die Basilika selbst zählt zu den ältesten und reichsten Gottes - häusern der Erde. Dem Schutzpatrone der Stadt, dessen Gebeine im Jahre 828 von Alexandrien nach Venedig überführt wurden, geweiht, währte ihr Bau vom Jahre 976 bis 1071. Er zeigt den Venedig an - gehörenden gemischten romanisch-byzantinischen Styl, der mit seinen Kuppeln und hunderten von Säulen, dann mit den gothischen Zuthaten und der verschwenderischen Pracht der ganzen Ausstattung im Laufe der Jahrhunderte zum kostbarsten Juwel der Dogenstadt sich heraus - gebildet hat. Ebenso herrlich ist das Innere der Kirche. Mehr als 4000 m2 der prächtigsten Mosaikmalerei, darunter die ältesten Darstel - lungen aus der ersten Bauperiode der Basilika, bedecken die mit Gold, Bronze und orientalischem Marmor überreich ornamentirten Wandun - gen. Einen eigenthümlichen Schmuck erhielt die Hauptfront der Marcus - kirche durch die berühmte Bronze-Quadriga, welche altrömischen Ur - sprunges man vermuthet, sie entstamme der neronischen Kunst - epoche und, als einziges tadellos erhaltenes antikes Viergespann, von unschätzbarem Werthe ist. Die Grossen der Erde stritten um den Besitz des Kunstwerkes. Constantin brachte die Quadriga nach Constantinopel, der Doge Dandolo im Jahre 1204 nach Venedig, Buonaparte entführte sie 1797 nach Paris und schmückte damit den Triumphbogen am Carrousselplatz, bis Kaiser Franz I. sie im Jahre 1815 wieder der Dogenstadt zurückgewann und an der geweihten Stelle aufrichten liess. Auffallend sind auch die drei hohen, in ehernen Fussgestellen vor der Marcuskirche aufgerichteten Flaggenmasten, auf welchen einst die Banner der Königreiche Cypern, Candia und Morea flatterten. Ent - sprechend den wechselvollen Schicksalen Venedigs nahmen dann die französiche Tricolore, das habsburgische Banner und die Flaggen des41Venedig.napoleonischen und jetzt savoischen Italiens zu verschiedenen Zeiten den Platz am Top der schlanken Cedernmasten ein.

Von der herrlichen Centralgruppe der eben skizzirten ehrwür - digen Monumente, die an den Dogenpalast sich anschliessen, fällt der Blick zunächst auf den von Hunderten von Fahrzeugen belebten Canal grande, der die Stadt in einer Doppelwindung als breite Verkehrs - strasse durchzieht. Linker Hand auf dem Thurme des Zollamtes weiset eine goldene Fortuna, auf gewaltiger Kugel schwebend, den Eingang zum Canale. Den breiten Wasserweg, die grossartige Pulsader, zieren die herrlichen Patricierpaläste der einstigen Venezia felix.

Die erlauchtesten Namen der venetianischen Geschichte sind hier durch hervorragende, den verschiedenen Kunstperioden angehörende Monumentalbauten verewigt. Der Canal grande ist dadurch zu einer reichen Gallerie architektonischer Meisterwerke geworden, welche durch den prächtigen Marmorbogen der Rialto-Brücke in räumlich gleiche Theile geschieden wird.

Wie die überwiegende Mehrheit der venetianischen Gebäude, ruht auch die Rialto-Brücke auf einem Fundament von eingerammten Pfählen; 12.000 Eichenstämme tragen die ungeheuere Last des stolzen Bau - werkes, das 1588 1591 entstanden ist. Unter den 378 meist stei - nernen venetianischen Brücken, welche die 117 Inseln der Stadt mit - einander verbinden, haben die Rialto-Brücke (Ponte di Rialto) und die Seufzerbrücke (Ponte dei sospiri), welch letztere aus dem Dogenpalast in die Gefängnisse führt, einen unverlöschbaren Weltruf erlangt, und die Volksmuse war und ist unerschöpflich, beide zu besingen; diese im tragischen, jene im romantischen Sinne.

Im Süden des mächtigen Stadtkernes von Venedig lagern, durch den breiten Canal della Giudecca von ihr geschieden, die beiden Inseln S. Giorgio Maggiore und Giudecca; auf ersterer erhebt sich gegenüber der Piazzetta in edlen majestätischen Formen das classische Bauwerk der Kuppelkirche S. Giorgio Maggiore, eines der imposantesten Meister - stücke des Andreo Palladio (1580). In der mit Kunstschätzen ausge - statteten, und zum anstossenden Benedictinerkloster gehörenden Kirche tagte im Jahre 1800 das Conclave, in welchem Pius VII. zum Papste erwählt wurde.

Die überwältigende Fülle der prächtigen altehrwürdigen Bau - werke, welche von hieraus mit einem Blicke zu überschauen sind, und in welchen ausnahmslos noch immer der frische Pulsschlag des Lebens wogt, drängt unwillkürlich den Gedanken wieder in die Vergangen - heit der Stadt zurück, die von keiner zerstörenden Katastrophe zuDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 642Das Mittelmeerbecken.berichten weiss. Die Stürme des Meeres und des Krieges hinterliessen, dank der vortheilhaften Lage der Dogenstadt, keine Spuren zurück, und vierzehn Jahrhunderte hindurch bis zu ihrem Falle schmückte der Myrthenzweig der fortificatorischen Jungfräulichkeit die Befestigungen der Lagunen. Selbst die Belagerung im Jahre 1849, als Radetzky nach fünfzehnmonatlichen Anstrengungen die Republik des zweiten Manin stürzte, verursachte den Kunstschätzen Venedigs keinen Schaden und so steht die Stadt vor uns prächtig und glanzvoll wie in ihren schönsten Tagen.

Als anmuthiges heiteres Element im Rundbilde Venedigs, wie es vom Hafen aus dem Beschauer sich bietet, erscheinen ausser den Thürmen der zahlreichen herrlichen Kirchen auch die grünen Laub - kronen der südöstlich in die Lagune vorgeschobenen Giardini pubblici. Die mässig ausgedehnten Anlagen sind eines der wenigen Geschenke, mit welchen Napoleon 1807 die zehn Jahre vorher durch ihn ge - demüthigte und gebrandschatzte Stadt bedacht hatte. Das heute in den Baumalleen der Anlage lustwandelnde fröhliche Volk weiss aller - dings nicht, dass die Freundschaft des übermüthigen Eroberers ausser mit dem politischen Tode des Freistaates auch noch mit mehr als 40 Millionen Ducaten an Kriegsmateriale und Kunstobjecten gesühnt werden musste.

Von den Giardini bis zum Beginn der breiten Quai-Promenade, der Riva degli Schiavoni dehnt sich der in maritimer Hinsicht be - merkenswerthe Stadttheil S. Pietro aus, in welchem das äussert geräu - mige Seearsenal eingeschlossen ist. Gegenwärtig im Betriebe sehr eingeschränkt, war es zur Zeit der Republik ein Ort rührigsten und grossartigsten Schaffens, wo bis zu 16.000 Arbeiter Beschäftigung fanden. Sowohl die Zahl der Arbeitskräfte wie die Weitläufigkeit der ganzen Anlage, die selbst einer grossen Seemacht unserer Zeit genügen würden, entsprachen indes völlig dem Bedürfnisse der venetianischen Machtstellung. Man muss, in die Geschichte zurückgreifend, der enormen Kriegsflotten gedenken, welche Venedig während der Bekämpfung der byzantinischen Kaiser entsendete. Mit Stolz erwähnt die Tradition, dass, als im XII. Jahrhunderte Kaiser Emanuel alle Venetianer in seinem Reiche verhaften liess und alle Kerker und zahlreiche Klöster mit den - selben anfüllte, das Arsenal in der Zeit von 100 Tagen nicht weniger als 100 gewaltige Galeeren, 30 Transportschiffe und 20 andere Fahr - zeuge wohlgerüstet in den Kampf entsenden konnte. Ebenso bethei - ligte sich Venedig bei der Eroberung von Constantinopel (1201) mit 220 Schiffen, unter denen 100 riesige Dromonen und Uscieri waren,43Venedig.die wie Il Mondo , La Pellegrina , Il Paradiso bis zu je 1000 Mann Besatzung führten und mit gewaltigen, eisenbeschlagene Balken schleudernden Kriegsmaschinen ausgestattet waren. Der grösste Theil der mächtigen Kreuzfahrerheere ward durch venetianische Flotten nach Syrien gebracht.

Auch in den folgenden Jahrhunderten glänzte Venedig durch die Tüchtigkeit seiner Flotten. Solche Leistungen konnte nur ein eminent maritimer Staat vollbringen, und in der That sehen wir den venetia - nischen Schiffbau schon im VI. Jahrhundert ausgebildet; in der Folge errichtete die Republik neben den Schiffbauschulen noch eine Lehr - kanzel für Schiffbau an der Universität zu Padua.

Ebenso gelangte die Kriegstechnik frühzeitig zur Reife, denn durch den Contact der Venetianer mit den Völkern des Ostens lernten sie weit früher als die übrigen Staaten Europas das Schiesspulver und seine Anwendung kennen. Noch vor Anbruch des XIII. Jahrhunderts erdröhnen im Kampfe gegen Genua die ersten Kanonenschüsse von ihren Galeeren.

Die Grösse Venedigs gipfelte in der ungeheueren Ausdehnung seines Handels und fusste in der unversiegbaren Quelle seiner mari - timen Hilfsmittel. Holz und geschulte Arbeitskraft war in Ueberfluss vorhanden. Tüchtige Seekriegsleute lieferten zum grössten Theil Istrien und Dalmatien, mit deren Küstenbevölkerung die Venetianer eine gegen - seitige Interessengemeinschaft verband.

Gegenwärtig bildet Venedig eines der Departements der mächtig angewachsenen italienischen Flotte und ist ein wichtiges Glied in dem Systeme der Küstenvertheidigung.

Am nordwestlichen Ende der Stadt liegt die Eisenbahnstation, mit breiten, während der letzten Jahre hergestellten Quaianlagen.

Zum Festlande führt die 3600 m lange und 222 Bogen zählende Steinbrücke nach Mestre wohl die längste der Erde.

Gerade in unseren Tagen verdankt die Markusstadt den Schienensträngen, welche sie mit den reichen Hinterländern verbinden eine erneuerte Blüte. Venedig ist auch heute eine der grössten Städte Italiens, denn es zählt 129.445, als Gemeinde 134.810 Einwohner. Aber sein Handel ist verhältnissmässig kaum ein Schatten jenes Verkehres, der hier herrschte, als Venedig der Vermittler der tausendfältigen Beziehungen und Verbindungen des Mittelmeeres, oder, was damals dasselbe bedeutet, der Mittelpunkt des Welthandels war. Es ist be - kannt, dass die kluge Benützung der durch die Kreuzzüge geschaffenen Steigerung des Personen - und Gütertransportes die Hauptursache der grossen Blüthe Venedigs war, und man pflegt die Errichtung des6*44Das Mittelmeerbecken.lateinischen Kaiserreiches in Byzanz (1204) als den Höhepunkt des Einflusses der bella Venezia zu bezeichnen allein mit Unrecht.

Zunächst erscheinen die alten Venetianer den heutigen Briten auch darin vergleichbar, dass sie es verstanden, noch im XIII. Jahr - hunderte ihre Vaterstadt zum Capitale für einträgliche Industrien zu erheben. In den 1204 erworbenen Theilen Griechenlands und den um - liegenden Inseln blühten die Production und die Verarbeitung der Seide. Die Venezianer versetzten griechische Arbeiter in ihre Vater - stadt, und an Stelle Constantinopels wurde Venedig der Hauptsitz der Seidenindustrie am Mittelmeere. Man war damit in einem der wich - tigsten Zweige des Handels unabhängig von der alten Metropole. Neben den Seidenfabriken erhoben sich bald weltbeherrschende Eta - blissements für Papier, Glas, Leder, geschmackvoll gearbeitete Waffen, für Schmuck, Holzarbeiten; kurz Venedig wurde die Heimat einer durch die wahre Kunst getragenen und getriebenen Kunstindustrie.

Um unbehindert in das Innere Osteuropas und Asiens zu ge - langen, umging man einfach Constantinopel, von wo aus seit 1265 die Rivalin Genua den Handel des schwarzen Meeres und Central - asiens zu monopolisiren bestrebt war. Einen Theil der Don - und Wolga - Artikel bezog man durch die Hanseaten über Brügge und Antwerpen, und nach Innerasien verfolgte man einen neuen Weg, die grosse armenische Handelsstrasse, welche von Lajazzo (Ajas) an der Süd - küste von Kleinasien ausging.

Diesen Weg schlugen die beiden edlen venezianischen Kaufleute Nicolò und Maffio Polo ein, als sie ihre zweite Reise in das Reich der Mongolen antraten, diesmal begleitet von Marco, Nicolò’s Sohn.

Durch 24 Jahre, 1271 1295, blieben sie im Morgenlande. Marco Polo stieg in den Diensten des Mongolenkaisers Kublai Chan zum Präfecten auf, wurde sogar Admiral und durchzog, dem Hoflager oder den erobernden Heeren folgend, alle chinesischen Provinzen innerhalb der grossen Mauer, ausgenommen die beiden südöstlichen Kuangsi und Kuangtung. Er betrat als erster Europäer das östliche Tibet, ja selbst das nördliche Birma, das gerade in unseren Tagen durch die Engländer vollständig erschlossen wird. Zu der Heimkehr wählten die Polos den südlichen Seeweg über Tschiampa (Cochinchina), Sumatra, Ceylon, die Malabarküste und Ormus am Eingange in den persischen Golf und kreuzten Vorderasien über Täbris und Trapezunt. Die glän - zenden Schilderungen, welche Marco Polo von den chinesischen Sitten machte, seine Beschreibung Quinsays (jetzt Hangtscheufu), der prächti - gen Hauptstadt Südchinas mit ihren meilenlangen Strassen und zwölf -[45]

Venedig. (Massstab 1: 133.300; Sonden in Metern.)

A Hafen von Venedig, B Rhede von Malamocco, C Eisenbahnbrücke, D Steindämme Murazzi, E Sand - barren, F Leuchtfeuer, G Quarantäne-Anstalt Poveglia, H Badestrand von Lido.

46Das Mittelmeerbecken.tausendmal überbrückten Canälen, seine Erzählungen von dem reichen Pfeffermarkte Zeiton an der Strasse von Fu-Kien und von der im Osten Asiens gelegenen Inselgruppe Zipangu (Japan), wo der königliche Palast mit goldenen Tafeln gedeckt war, erregten unendliches Aufsehen.

Die Bedeutung der kühnen Wanderungen der venetianischen Reisenden wird von Dr. Sophus Ruge sehr treffend in folgenden Worten charakterisirt: Fassen wir einmal die Resultate dieser epoche - machenden Reise zusammen, so war Marco Polo der erste Reisende, welcher ganz Asien der Länge nach durchzog und die einzelnen Län - der beschrieb. Er sah die Wüsten Persiens und die grünen Hoch - flächen und wilden Schluchten Badachschans, die jadeführenden Flüsse Ost-Turkestans und die Steppen der Mongolei, die glänzende Hofhaltung in Cambalu und das Volksgewimmel in China. Er erzählte von Japan mit seinen goldbedeckten Palästen, von Birma mit seinen goldenen Pagoden, schilderte zuerst die paradiesischen Eilandfluren der Sundawelt mit ihren aromatischen Gewürzen, das ferne Java und Sumatra mit ihren vielen Königreichen, mit seinen geschätzten Er - zeugnissen und seinen Menschenfressern; er sah Ceylon mit seinen heiligen Bergen, besuchte viele Häfen Indiens und lernte dieses im Abendlande noch immer von Sagen verhüllte Land in seiner Grösse und seinem Reichthum kennen. Er gab zuerst im Mittelalter einen klaren Bericht von dem christlichen Reiche in Abessynien und drang mit seinem Blick einerseits bis nach Madagaskar vor, andererseits zog er im Innern Asiens Erkundigungen über den höchsten Norden, über Sibirien ein, über das Land der Finsterniss, wo weder Sonne, noch Mond, noch Sterne scheinen und ein ewiges Zwielicht herrscht, wo man auf Hundeschlitten fährt oder auf Renthieren reitet, ein Land, hinter welchem endlich ein eisiger Ocean sich ausdehnt.

Aber gerade die Reisen Polo’s, welche bisher ungeahnte Dinge zur Kenntniss des Abendlandes brachten und der königlichen Repu - blik eine Quelle neuer Reichthümer, den Ausgangspunkt für unermess - liche Ausdehnung ihrer Machtsphäre bieten zu sollen schien, tragen den Keim tragischer Wendung in sich. Seine Berichte liessen in Venedigs Rivalen den Wunsch reifen, auf anderem Wege in jene Ge - biete märchenhafter Fülle zu gelangen; je verlockender die Schilde - rungen waren, desto stärkeren Ansporn mussten sie bieten, den grossen Schritt ins Unbekannte zu wagen, und eben die Länder und die Schätze, welche Polo im fernen Ostasien geschaut hatte, waren die Ziele, welche Christobal Colon zu erreichen hoffte, als er 1492 über den Atlantischen Ocean steuerte.

47Venedig.

Während Marco Polo im fernen Osten weilte, wurde Armenien von den Venezianern wirthschaftlich vollständig beherrscht; Kaufhäuser in Beiruth, Damaskus und Aleppo vermittelten den Verkehr mit Persien und Indien, durch Verträge mit der Mameluckendynastie, welche seit dem XIII. Jahrhunderte in Egypten mit Kraft herrschte, wurde Ale - xandrien eine wichtige Station ihres Handels, wohin die Araber auf dem Seewege durch das rothe Meer und den Nil abwärts die Ge - würze Indiens brachten, unter denen Pfeffer das wichtigste war.

So fällt der Höhepunkt der Macht Venedigs nicht in den Anfang des XIII., sondern in das Ende des XIV. Jahrhunderts, wo das ganze östliche Becken des Mittelmeeres das Colonialreich der Vene - zianer bildet.

Der Tag, an dem die Portugiesen den Seeweg nach Indien ums Cap fanden, war der Wendepunkt in der Geschichte Venedigs, denn er verlegte den Sitz des Gewürzhandels nach Lissabon, und die kürzere Route über die Landenge von Suez kam nicht weiter in Betracht, weil es den Portugiesen in kurzer Zeit gelungen war, die Seeherrschaft der Araber im indischen Ocean zu brechen.

Wohl ist heute die Route über Suez als Seeweg wieder eröffnet, aber die Handelsstellung von Triest und Genua ist durch günstigere Eisenbahnverbindungen bedeutender geworden, als die Venedigs. Auch schwand in Venedig der ehemalige traditionell gewordene Handelsgeist, der die Grösse der Stadt begründet und durch Jahrhunderte glänzend aufrecht erhalten hat. Die neueren Generationen der Venezianer nehmen wenig Interesse am Handel. Sie wenden sich nach Mailand und Florenz und legen ihr Vermögen in landwirthschaftlichen Unternehmungen an, die wohl weniger Gewinn abwerfen, dafür aber bei dem in Italien herrschenden Pachtsysteme auch wenig Arbeit machen. Dem Handel werden so die nothwendigen Capitalien entzogen, und die Anzahl der echt venetianischen leistungsfähigen Handelsfirmen vermindert sich andauernd.

Das heutige Handelsgebiet von Venedig umfasst nur die vene - tianischen Provinzen und die Romagna; alle Landschaften weiter im Westen gravitiren nach Genua. Auf die Producte dieses Gebietes allein aber lässt sich ein belangreicher Ausfuhrhandel nicht gründen. Bei den geänderten Verhältnissen unserer Zeit, welche sich mit allen Kräften anstrengt, den Zwischenhandel zu umgehen, musste Venedig ebenso wie Triest, Genua, Hamburg, kurz alle Continentalhäfen seine volle Kraft dem Transitohandel zuwenden. Sein Transitohandel leidet aber zunächst unter den mangelhaften Eisenbahnanschlüssen nach den48Das Mittelmeerbecken.anderen Städten Oberitaliens; die Magazzini Generali und der Punto Franco , also Lagerhäuser, von denen das letztere ausschliesslich dem Transitohandel dienen soll, nähern sich nur sehr langsam der Vollendung. Die Stazione Marittima ist unpraktisch angelegt und der Raum für das Anlegen der Schiffe sehr beschränkt. Das sind Hindernisse der Entwick - lung des Handels von Venedig, die mit gutem Willen und einiger Voraus - sicht schon lange aus dem Wege geräumt sein könnten. Schwieriger zu schaffen sind neue Eisenbahnverbindungen, die Venedig wieder zu einem Stapelplatze für den Verkehr der Länder nördlich der Alpen machen könnten; denn die heute bestehenden Verbindungen von Venedig - Mestre-Verona-Innsbruck, dann Mestre-Udine-Cormons und Udine - Pontebba genügen nicht. Nach Süden führt die Linie Mestre-Monselice - Bologna-Rom mit der neuen Abzweigung Monselice-Mantua, welch letztere die Verbindung Venedigs mit den Po-Gegenden erheblich verbessert. Venedig hat bis heute auch keine eigenen Schiffahrts - verbindungen, es ist nicht Kopfstation selbständiger Schiffahrtslinien; sein Ein - und Ausfuhrhandel wird von Dampfergesellschaften versehen, die den Hafen bloss im Cumulativdienste, das ist als Zwischenstation unter andern Escalen des mittelländischen und adriatischen Meeres an - laufen lassen. Man darf endlich auch begierig sein, wie die neue Einrichtung der Schleppschiffahrt auf dem Po und dessen Nebenflüssen den Handel von Venedig beeinflussen wird.

Unter diesen Verhältnissen bildet die Einfuhr über die Seegrenze den Kernpunkt der commerciellen Bedeutung Venedigs.

Handel zur See in Lire:

〈…〉〈…〉

Der wichtigste Artikel für die Einfuhr zur See ist Getreide (1887 für 18·5 Millionen Lire), insbesondere Weizen, welcher nur zum Theile für den Consum in den venezianischen Provinzen bestimmt ist; die grossen Dampfmühlen von Venedig und Treviso verschicken Mehl bis Süditalien. Diese mächtige Mühlen - industrie verwendet mit Vorliebe Weizen aus Südrussland, der sich ausgezeichnet zu Mischungen mit italienischem eignet. Der Bezug des ungarischen Weizens ist auffallend zurückgegangen, er entspricht nicht den Wünschen der italienischen Müller; dagegen erscheinen indische Weizensorten in der Einfuhr. Die Einfuhr des Maises ist vollständig abhängig von dem Ergebnisse der Ernte im Vene - zianischen.

Ueber Venedig geht Reis aus Birma und Japan durch Vermittlung engli - scher Häfen ein, der in den Reismühlen des östlichen Oberitaliens, von welcheu die grössten in Treviso sind, verarbeitet und mit italienischem vermischt wird. Die früher bedeutenden Zufuhren aus Bremen und Fiume haben seit 1887, wo der Zoll auf gemahlenen Reis doppelt so hoch bestimmt wurde, wie der auf49Venedig.rohen, aufgehört. Der Reis, welcher über Venedig exportirt wird, stammt aus der Romagna.

Bedeutend ist die Einfuhr von Kaffee, wobei man bemerkt, dass Venedig sich bestrebt, in directen Verkehr mit den Ursprungsländern zu treten. Es ist dies die einzige Lichtseite im Handel Venedigs. So bezieht man Kaffee aus Bra - silien direct, aber mittelst Umladung in Liverpool und Marseille. Westindische Sorten werden über die Kaffeeplätze Westeuropas und über New-York bezogen.

Der grösste Theil des eingeführten Zuckers, der in Italien raffinirt wird, stammt aus Oesterreich-Ungarn.

Venedig ist ein Hauptort des Handels mit Oelen. Dem Werthe nach nehmen sie in der Einfuhr die zweite (1887 16·8 Millionen Lire), in der Ausfuhr die dritte Stelle (13·5 Millionen Lire) ein. Besonders gesucht sind hier die mittel - feinen Gattungen des Olivenöls aus Bari. Viel Olivenöl kommt gemischt mit Baumwollsamenöl aus Triest auf den hiesigen Markt. Oelsaaten werden aus Indien eingeführt.

Wein wird aus Griechenland gebracht. Die Gattungen von Sta. Maura und Corfù sind beliebt zum Mischen. Ungarische und dalmatinische erscheinen zumeist nur dann auf diesem Markte, wenn die Ernte im Lande missrathen ist.

Branntwein ist in den Einfuhrlisten für 1887 mit 10·6 Millionen Lire ausgewiesen, daneben findet ein rentabler Schmuggel statt.

Bekanntlich ist die Lederindustrie Italiens bedeutend, und der Hafen von Venedig spielt in der Versorgung derselben mit Häuten eine wichtige Rolle. Man bezieht diese vor allem aus Shanghai, dann auch aus Calcutta, Aegypten und Bahia.

Baumwolle wurde 1887 für 13·7 Millionen Lire, Rohseide für 6·1 Millionen Lire und Schafwolle für 2 Millionen Lire eingeführt und in den Fabriken des Inlandes verarbeitet.

Steinkohlen kommen aus England, Petroleum aus Amerika und Russ - land. Das russische Petroleum verdrängt das amerikanische, obwohl dieses viel beliebter ist, weil man gute Einrichtungen für das Ausladen und Lagern des russischen getroffen hat.

Von Industrieartikeln werden Manufacturen (7·2 Millionen Lire) und ver - arbeitete Metalle eingeführt.

Die Ausfuhr ist wie gesagt von untergeordneter Bedeutung und überdies im Rückgange begriffen. In erster Linie stehen Manufacturen für etwa 13 Mil - lionen Lire. Der Holzexport (1887 3 Millionen Lire), der noch vor kurzem sehr bedeutend war, ist heute auf die Zufuhren aus Pieve di Cadore und der Romagna angewiesen. Triest verdrängt Venedig aus einem Handelsplatze nach dem andern. Anständigen Gewinn lässt die Ausfuhr des berühmten Hanfes der Romagna, des besten der Welt, dessen Absatzgebiet übrigens durch den Verbrauch der Jute sehr eingeschränkt ist, und der jetzt fast nur mehr für die Zwecke der Marine Verwendung findet. Exportwerth 1887 6·9 Millionen Lire.

Die Ausfuhr des Papieres geht zurück, weil die Concurrenz der französi - schen Waaren in der Levante zu mächtig ist. Die venezianische Specialität der Glas - und Emailwaaren behauptet sich nur mit Opfern im Auslande. Das gilt namentlich von den Emailglasperlen, deren Hauptmarkt Calcutta ist. Wie anders stand die Glasindustrie Venedigs im Anfange des XVIII. Jahrunderts da, als Colbert Arbeiter aus Murano entführen liess, um die Erzeugung der berühmten venetiani - schen Spiegel in Frankreich einzuführen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 750Das Mittelmeerbecken.

Ueber Venedig exportiren ferner die leistungsfähigen Stearinkerzenfabriken des Venezianischen nach Süditalien und dem Auslande.

Es ist natürlich, dass bei diesem grossen Ueberwiegen der Einfuhr gegen - über der Ausfuhr ein grosser Theil der Schiffe den Hafen Venedig in Ballast ver - lassen muss. Von den englischen Dampfern, welche im Hafenverkehre Venedigs an der Spitze stehen, geht fast die Hälfte unbeladen aus. Nach der englischen zeigen die stärkste Frequenz die italienische und dann die österreichisch-ungari - sche Flagge. Von Segelschiffen erscheinen in Venedig neben italienischen nur österreichisch-ungarische.

Schiffsverkehr von Venedig:

〈…〉〈…〉

Dazu kommen 1888 10 Segler mit 86 t, welche der grossen Fischerei angehörten.

Von den Schiffahrtsgesellschaften, welche Venedig regelmässig anlaufen, versieht die Società Navigazione Generale Italiana den Verkehr mit der Levante, den Häfen des Schwarzen und des Mittelländischen Meeres. Der Oesterreichisch - ungarische Lloyd verbindet Venedig mit Triest; man bedient sich seiner auch nicht ungern für Frachten über Triest hinaus, obwohl die Waaren in letzterer Stadt umgeladen werden müssen. Weniger beliebt ist die englische Peninsular and Oriental. Cy, welche den Verkehr mit Indochina versieht.

Aber es muss nochmals hervorgehoben werden, dass Venedig nicht Kopfstation einer Dampfschiffahrtslinie ist, dass daher die für Venedig bestimmten oder von dort abgehenden Waaren umgeschifft werden müssen, was eine Verschlechterung der Güter und Verzögerungen in der Spedition zur Folge hat.

Consulate: Vereinigte Staaten von Amerika, Argentina, Belgien, Bolivia, Chile, Columbia, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Frankreich, Japan, Monaco, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Peru, Portugal, Russland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela.

[51]

Ancona.

Auf der weiten Küstenstrecke zwischen Venedig und Brindisi ist Ancona, das einstige Dorica Ancon der dorischen Griechen aus Syracus, der einzige Hafen, der grösseren Schiffen vollkommen Schutz zu bieten vermag, ein Umstand, dem im Vereine mit der hier aus - mündenden Abruzzenbahn einige Wichtigkeit beigemessen werden mag.

Die nordwestliche Abdachung des 572 m hohen Monte Conero, auch Monte d’Ancona genannt, dessen Massiv an klaren Tagen von der dalmatinischen Küste aus erblickt werden kann, bildet eine mässige, gegen südliche Winde geschützte Bucht, die schon unter Kaiser Trajan durch Kunstbauten zu einem prächtigen Hafen gestaltet worden war.

Der römische Senat liess 112 n. Chr. zum Danke für dieses Werk dem Imperator einen heute noch gut erhaltenen marmornen Triumphbogen am Hafendamme errichten. Papst Clemens XII., der 1532 in den Besitz von Ancona gelangte, erweiterte die Hafenanlagen und umgab die Stadt mit Festungswerken, wofür die dankbaren Be - wohner ihm ebenfalls einen gegen das Meer gekehrten Triumphbogen widmeten. Sie ahnten nicht, wie sehr die Bauten des Gepriesenen zu einem Danaer-Geschenk für spätere Generationen werden sollten!

Die Kriegsgeschichte erzählt uns denn auch von sechs Bela - gerungen und Blocaden Anconas, und rechnet man die im Mittelalter vorgekommenen mehrfachen Zerstörungen der Stadt hinzu, so mag Ancona als eine schwergeprüfte menschliche Wohnstätte betrachtet werden.

Der Anblick des Hafens bietet ein recht malerisches Bild. In dem auf gewelltem Terrain ansteigenden Häusergewirre sind im Osten die hochgelegene mit einer prächtigen Kuppel gezierte alte Domkirche von St. Ciriaco, im Westen aber die Citadelle auf dem Berge Astagno die dominirenden Punkte. Der breite Quai längs des inneren Hafens,7*52Das Mittelmeerbecken.ehemals durch Bastionen verbaut, dient gegenwärtig als ein wichtiger Verkehrsweg, in welchem der schöne Corso Vittorio Emanuele, der die neue Stadt durchzieht, einmündet. Die letztere ist eine Schöpfung der neuesten Zeit und wurde durch die Auflassung des ehemaligen Hornwerkes der Festung ermöglicht.

An der Stelle der ehrwürdigen Domkirche stand zu dorischer Zeit, wie Invenal erzählt, ein Venustempel.

Ancona.

Der innere Hafen bietet Schiffen bis zu 8 m Tauchung gegen alle Winde vortrefflichen Schutz und kann bei jedem Wetter anstandslos angelaufen werden.

Die Umgebung Anconas ist reizend. Ein herrlicher Strand, dem zahlreiche Gebirgsflüsschen in malerischen Thälern und Schluchten zueilen, zieht sich, von Villeggaturen eingefasst. nordwärts gegen das betriebsame Städtchen Sinigaglia, das einstens seiner grossen Märkte wegen oft genannt wurde. Rebenculturen und Olivenhaine decken das Hügelland, durch welches angenehme Spazierwege führen.

53Ancona.

Gegen Süden der Stadt stürzt der Höhenrücken des Monte Co - nero und dessen Abdachung in steilen Abgründen zur See. Hier ge - schah es, dass bei der Belagerung von Ancona im Jahre 1799 durch die Milizen des Insurgentengenerals Lahoz Hunderte derselben durch

Hafen von Ancona (Massstab 1: 20.000 der Natur; Sonden in Metern).

A Innerer Hafen von Ancona, B Hafen-Capitanat, C Citadelle aut Mte. Astagno mit dem angeschlossenen Hornwerk (Trincerato), D Thurm der Präfectur, E Castell, gegenwärtig Zollamt, F Leuchtfeuer, G Semaphor, H Werfte, J Arsenal, K Neuer Stadttheil, L Triumphbogen des Papstes Clemens, M Triumphbogen des Trajan, N Canale del Lazzaretto.

die aus der Festung herausgebrochenen Franzosen zurückgeworfen wurden und in der gähnenden Tiefe den Tod fanden.

Der Wohnplatz Ancona hat ungefähr 30.000, die Gemeinde 50.000 Einwohner. In früherer Zeit concentrirte sich hier der See - verkehr eines grossen Theiles der Ostküste Italiens, denn Ancona ist seit den Tagen der Päpste der Ausgangspunkt der Strassen, welche54Das Mittelmeerbecken.die Marken mit Rom verbinden. Seit dem Ausbaue des italienischen Eisenbahnnetzes vertheilt sich der einst durch diesen Umstand von Ancona monopolisirte Handel auf eine ganze Reihe von neuen Hafen - plätzen, unter welcher Aenderung die Stadt natürlich leiden muss.

Anconas früher blühender Holzhandel ist zurückgegangen, weil die für Rom bestimmten Holzsendungen aus Oesterreich-Ungarn häufig in dem etwas nördlicher gelegenen Falconara gelandet werden. Dieses ist nämlich der Ausgangspunkt der Eisenbahn, welche die Küstenlinie des adriatischen Eisenbahnnetzes, die Ancona berührt, über Spoleto mit Rom verbindet. Auch Ortona bei Pescara hat einen grossen Theil des Holzhandels von Ancona an sich gezogen.

Die grossen Zuckerraffinerien von Ancona und Sinigaglia beziehen auf dem Seewege Rohzucker (1887 145.380 q) meist aus Südrussland, dann aus Frankreich und aus Oesterreich-Ungarn; indischer Reis wird in der Reismühle des nahege - legenen Jesi bearbeitet. Getreide, u. zw. Weizen (1887 272.000 q) wird aus Süd - russland, Valonea (9 bis 10.000 q) aus Griechenland und der Türkei, Häute werden aus Oesterreich-Ungarn und Calcutta eingeführt. Oesterreich-Ungarn liefert Holz - kohlen (1888 21.967 q), Steinkohlen schicken England und Frankreich. Im Aus - fuhrhandel wird kein nennenswerther Umsatz erzielt.

Der Schiffsverkehr von Ancona betrug:

〈…〉〈…〉

An der Küstenschiffahrt ist die italienische Flagge mit mehr als der Hälfte, an dem internationalen Verkehre mit mehr als einem Drittel der Tonnenzahl betheiligt. Der grösste Theil der Segelschiffe sind italienische. Bei den Dampfern folgt die italienische Flagge erst auf die englische; die dritte Stelle nehmen die Dampfer Oesterreich-Ungarns ein. Ancona wird von den Dampfern der Naviga - zione Generale Italiana, der Peninsular und Oriental Company und des öster - reichisch-ungarischen Lloyd regelmässig angelaufen.

Consulate haben in Ancona: Argentina, Belgien, Chile, Columbia, Co - starica (G. C.), Dänemark, das Deutsche Reich, Ecuador, Quatemala, die Nieder - lande, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Peru, Portugal, San Marino, die Schweiz, die Türkei, Urugnay, Venezuela.

[55]

Brindisi.

Die Bedeutung von Brindisi ruht mehr in der Vergangenheit, als in seiner heutigen Stellung im Weltverkehr, die den Rahmen einer gewissen theoretischen Wichtigkeit kaum zu überschreiten vermag. Der Durchstich von Suez (1869) erhob Brindisi zwar zur europäischen Endstation auf der Route nach Indien, allein dieses Mandat konnte ohne Begünstigung durch andere vortheilhafte handelsgeographische Verhältnisse, die dem Platze abgehen, das Emporblühen desselben bisher nicht nennenswerth fördern.

Im Alterthume lagen die Verhältnisse viel günstiger. Das schon im dritten Jahrhundert v. Chr. unter die Herrschaft Roms gelangte Brundusium war bald darauf zur wichtigsten Endstation für den über - seeischen Verkehr auf der Route über Dyrrhachium (früher Epidamnos, jetzt Durazzo) nach Griechenland und dem industriereichen Orient geworden. Die von Horaz beschriebene herrliche Kunststrasse Via Appia verband Capua mit dem volkreichen und blühenden Emporium am Adria-Meere. Den wohlgeschützten Hafen, der die Stadt mit zwei Wasserarmen umfasst, belebten zahlreiche mit den kostbarsten Er - zeugnissen des prunkliebenden Ostens beladene Kaufmannsschiffe und trotzige römische Triremen boten dem Handel Schutz und Schirm. Hier sammelten sich die Kaufherren und ihre Trosse zur gefahrvollen Reise nach Griechenland, Rhodus, Antiochia oder Alexandria, und häuften so den Wohlstand der betriebsamen Bevölkerung.

In die Glanzzeit von Brundusium fiel der Kampf Cäsar’s mit Pompejus ernüchternd ein, und die von letzterem besetzte Stadt bestand (49 v. Chr.) eine denkwürdige Belagerung.

Brundusium ist auch die Todesstätte Virgil’s, des ruhmgekrönten Sängers der Aeneis, der hier (19 v. Chr.), auf der Reise von Griechen - land nach Rom, nachdem er kaum den heimatlichen Boden betreten hatte, starb.

56Das Mittelmeerbecken.

Die Herrlichkeit des berühmten Hafenortes, in dessen Kathedrale 1225 die Vermählung Kaiser Friedrichs II. mit Jolantha erfolgte, verblasste im Mittelalter langsam, weil der Handel nach Griechenland reiner Seehandel geworden, der von Venedig betrieben wurde; Ludwig von Ungarn zerstörte 1348 die Stadt, und hundertzehn Jahre später bereitete ein furchtbares Erdbeben, das den grössten Theil der Ein -

Brindisi.

wohner unter den Trümmern begrub, der römischen Gründung ein entsetzliches Ende.

Erst während der französischen Revolutionskriege spielte wieder Brindisi als Stützpunkt des gegen die parthenopäische Republik kämpfenden Cardinals Ruffo vorübergehend eine Rolle.

Die Stadt liegt in einer fruchtbaren, allein durchaus nicht malerischen Gegend und rettete aus ihrer prunkvollen Vergangenheit keine Sehenswürdigkeiten. Die sanften Terrainwellen sind mit Wein - gärten und Olivenhainen bebaut, zwischen welchen Landhäuser zer - streut liegen.

57Brindisi.

Den für einen grossen Dampferverkehr eingerichteten Hafen schützen veraltete Befestigungen.

Die Einfahrt in das innere Hafenbecken ist, obgleich sehr enge, doch von grosser Tiefe. Schiffe von jeder Grösse vermögen mit einiger Vorsicht hier zu verkehren. Der räumlich beschränkte Hafen macht jedoch das Aus - und Einlaufen zu einer umständlichen Operation. Im

Hafen von Brindisi. (Massstab 1: 133.000 d. Natur; Sonden und Höhen in Metern.)

A Rhede von Brindisi, B Castell, gegenwärtig Gefängniss, C Eisenbahn-Station, D Steinbrüche, E Fried - hof, F Leuchtfeuer, G Kloster, H Castell und Semaphor S. Andrea.

Vorhafen, der grossen Schiffen nur bei günstigem Wetter einen sicheren Ankerplatz gewährt, finden kleinere Fahrzeuge zwischen dem Castell S. Andrea und dem Festlande guten Schutz.

Im Winter treiben die häufig einsetzenden Nordoststürme eine sehr hohe See gegen die Küste.

Brindisi zählt etwa 14.000 Einwohner.

Sein Schiffsverkehr ist der Postabgabe wegen verhältniss - mässig sehr bedeutend; der eigentliche Handelsverkehr dagegen ist kaum nennenswerth.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 858Das Mittelmeerbecken.
〈…〉〈…〉

Der Hafen wird von regelmässig verkehrenden österreichisch - ungarischen, italienischen, griechischen, englischen und deutschen Postdampfern angelaufen und steht durch diese mit Triest und Fiume, mit den wichtigeren Häfen Italiens, mit Griechenland, Constantinopel, Smyrna und Alexandrien, mit Süd - und Ostasien und endlich mit Australien in Verbindung.

Hier werden nur Postsäcke und Passagiergut der Reisenden ein - und ausgeladen, und immer nur wenige Stunden herrscht reges Leben.

Zwei von den Postlinien Brindisis wollen wir besonders hervorheben. Zu - nächst die Zweiglinie Brindisi Port Saïd des Norddeutschen Lloyd, welche den Verkehr der Briefschaften und Reisenden mit den nach Ostasien und Australien laufenden Hauptlinien herstellt, dann die Linie der Peninsular and Oriental Cy., welche die englische Ueberlandspost aufnimmt. Diese geht bei der Ausreise jeden Freitag 8 Uhr 5 Minuten Abends von London ab, wird von Calais aus über Paris, den Mont Cenis und Bologna mit einem Sonderzuge befördert und trifft in der Nacht vom Sonntag zum Montag um 1 Uhr 10 Minuten am Hafen zu Brindisi ein.

Auf zweispännigen, offenen Packwagen werden die centnerschweren Brief - säcke, deren manchmal bis 1200 sind, an den Quai gebracht und an Bord des Schiffes übernommen, wo sich die Reisenden mit ihrem Gepäck bereits unterge - bracht haben. Von dem nahen Glockenthurme schlägt es 4 Uhr, das Abfahrts - signal ertönt, langsam schwimmt das Schiff im Morgengrauen durch die enge Ausfahrt des Hafens an der Glockenboje und dem alten, düsteren Fort vorüber hinaus ins Adriatische Meer, und im Hafen von Brindisi herrscht wieder tiefe Ruhe. Diese würde wohl für immer an dem Tage eintreten, wo die Ueberlandspost den Weg über Salonichi-Port-Saïd einschlagen würde.

Consulate: Belgien, Chile, Griechenland, Grossbitannien, Monaco, Oester - reich-Ungarn (V. C.), Peru, Türkei, Venezuela.

[59]

Corfù (Kerkyra).

Auf dem von dichterischer Mythe umworbenen Strande von Corfù betreten wir wahrhaft classischen Boden.

Eine der herrlichsten Küstenlandschaften umgibt uns. Ausge - dehnte Olivenhaine und Gärten überziehen Hügel, Berge und Thäler und Ortschaften, Gehöfte, Villen und bescheidene Hütten liegen da in behaglicher Ruhe an schimmernden Buchten.

Die alte Doppelburg auf den Zwillingsklippen von Corfù, den berühmten Koryphäen der Byzantiner, erscheint im Süden mit ihrem scharf geschnittenen Profile über einer Front palastähnlicher, von Thürmen überragten Baulichkeiten, und westlich davon breitet die Stadt Corfù an der Lehne eines Höhenzuges bis zum Strande sich aus. Noch etwas weiter gegen Norden glitzern die Wässer des zwischen grünen Matten sanft dahinfliessenden Potamo, an dessen einladendem Ufer die lilienarmige odysseische Nausikaa und ihre Freundinnen durch Spiel sich vergnügten.

Da wo den kiesigen Grund am reinsten gespült das Gewässer, Badeten dann und salbten mit glänzendem Oele sich alle, Als sie darauf sich am Mahle gelabt, sie selbst und die Jungfrauen, Warfen sie alle die Schleier sich ab, mit dem Balle zu spielen; Und mit dem Spiele begann Nausikaa, strahlend in Anmuth. Und leicht wird sie vor Allen erkannt, von den Schönen die Schönste: So strahlt unter den Mädchen hervor die gefeierte Jungfrau!

So schildert Homer die reizende Idylle am Potamo.

Mehrere Eilande tauchen malerisch aus der Flut, über der manch weisses Segel oder der dunkle Umriss eines qualmenden Dampfers in der Lichtung des Canales von Corfù sichtbar wird.

Auf der Festlandseite bauen von Butrinto bis weit nach Süden die dunklen zackigen Gebirgsmassen von Epirus schroff und ernst aus8*60Das Mittelmeerbecken.dem Meere sich auf. Welch ein Gegensatz zu dem lachenden Sommer der zaubervollen Insellandschaft!

Den geistigen Hintergrund zum Gesammtbilde aber schuf Homer, indem er Corfù und den jonischen Sund poetisch belebte.

Man nehme einmal , sagt Ferd. Gregorovius, der glanzvolle Historiograph und begeisterte Schilderer von Corfù, das unsterbliche jonische Märchen, welches Odyssee heisst, von diesen Inseln und Küsten hinweg, und man wird sie zu einem Theil entgeistern und entzaubern. Man nehme aus Corfù Odysseus, Alkinoos und Nausikaa und man wird der Insel mehr Reiz entziehen, als zerstörte man ihre prachtvollen Olivenwälder .

Das nationale Bewusstsein der heutigen Griechen griff wieder zurück in das poesievolle Alterthum und brachte, unbekümmert darum ob Corfù wirklich der Schauplatz der Odyssee gewesen oder nicht, das ehrwürdige Kerkyra, den gegenwärtig officiellen Namen der Insel und Stadt, wieder zur Geltung.

In der alten Geschichte ist Corfù und den jonischen Inseln ein durchaus bevorzugter Platz angewiesen. Nach einer glänzenden Mythenzeit, die Herakles, Jason und Medea, den göttlichen Odysseus und die flüchtenden Trojaner auf den Inseln sieht, erscheint um 734 v. Chr. die Flotte der mächtigen Korinther und gründet die Colonie Korkyra, die, als sie zur Blüthe gelangt, sich und die jonischen Inseln von Korinth losreisst. Im peloponnesischen Kriege, den Korkyra mit - verschuldet, steht die Insel auf Seite Athens und erlangt dann nach harten Kämpfen und Drangsalen die Selbständigkeit. So endet die erste griechische Epoche der Insel. Schon um 229 v. Chr. tritt Kor - kyra in die Machtsphäre Roms, in der sie, von den Kaisern begün - stigt, ein halbes Jahrtausend festgebannt bleibt.

Korkyra und Illyrien sind die Schlüssel zum Oriente; ersteres wird durch seine seegeübten Flotten besonders werthvoll für Rom.

Bei Actium (31 v. Chr.), wo Octavianus im heissen Seekampfe gegen den Liebesbund des Antonius und der Kleopatra Sieger bleibt und die Alleinherrschaft in Rom erringt, betheiligen sich auch Schiffe der Korkyräer. Durch die Theilung des römischen Reiches (395 n. Chr.) wird die Insel byzantinisch und tritt in ihre zweite griechische Periode, die einen Zeitraum von acht Jahrhunderten umfasst, ein Abschnitt, in welchem die barbarische Flut der Völkerwanderung mit allen Schrecken die jonischen Inseln überschäumt.

Es kommen die Kreuzzüge und mit diesen der Kampf um die Levante. Corfù ist wieder ein Schlüsselpunkt für den Besitz[61]

Corfù.

62Das Mittelmeerbecken.des Orientes und wird deshalb für Jahrhunderte zum Zankapfel der Mächtigen.

Nach dem Falle von Byzanz wird die Insel für kurze Zeit ve - netianisch, dann bemächtigt sich ihrer der Despot von Epirus Michael I., der sie seiner schönen Enkelin Helena, der Braut des Heldenkönigs Manfred als Mitgift verleiht.

1267 wurde Karl von Anjou durch die Eroberung des Epirus auch Herrscher über Corfù. Die reiche Insel blieb bei dem Hause Anjou bis zu dessen Verfall.

Dann erst boten die Corfioten der mächtigen Republik Venedig die Herrschaft an. Vom 28. Mai 1386 flatterte das Banner des Mar - cuslöwen über der Stadt und auf den jonischen Inseln, bis 1797 der Dogenstaat selbst in Trümmer fiel.

Corfù sah während dieser seiner italienischen Periode die mäch - tigen Flottenzüge der Türken und schlug 1573 die Belagerung der - selben ab; Don Juan d’Austria führte von hier aus 1571 die grosse Christenflotte nach Lepanto. 1716 versuchen die Türken eine zweite Belagerung von Corfù, aber die Tapferkeit und Umsicht des Marschalls Schulenburg rettet die Insel.

Nach Venedig ist Frankreich der nächste Erbe der jonischen Inseln, aber schon im Frühjahre 1798 fallen sie nach harten Kämpfen, insbesondere Corfù nach dreimonatlicher Belagerung durch eine rus - sisch-türkische Flotte in die Hände des russischen Admirals Uschakoff und erhalten dann eine Selbstverwaltung. Der Friede von Tilsit bringt sie wieder an Frankreich und der Wiener Congress unter den Schutz Englands, dessen Vicekönige den Wohlstand der Bevölkerung zu heben wussten. Endlich wird das vielumstrittene Jonien am 1. Juni 1864 mit Hellas vereinigt.

Man könnte Corfù, an dessen Küsten seit Jahrtausenden die mächtigsten Flotten aller Reiche und Staaten Europas zum Streite kampfgerüstet erschienen, mit dem Beinamen einer historischen Flotten - warte auszeichnen. Es ist Weltgeschichte zu Schiff , sagt Gregoro - vius in seiner fesselnden jonischen Idylle, was da an unserem Auge vorüberzieht. Von hier herab durch das Fernrohr der Geschichte zu sehen ist fast so lohnend, als am goldenen Horn bei Byzanz. Denn dieser schöne Sund ist die alte Wasserstrasse zwischen Italien und Griechenland, zwischen Europa und Asien, durch welchen die Flut der Völkerwanderung sich Jahrhunderte hindurch hin und her gewälzt hat. In lauter Flottenzügen auf diesem Canal lässt sich nicht nur63Corfù.das Schicksal der Insel Corfù, sondern ein grosser Theil der Welt - geschichte darstellen.

Die bewegte Vergangenheit der Insel liess merkwürdigerweise nur spärliche Erinnerungszeichen zurück. Aus dem Alterthume sind nur die Fundamente eines Tempels und das Grabmal des Menekrates (VI. Jahrh. v. Chr.), das 1843 blossgelegt ward, erhalten geblieben, so gründlich vertilgten hier Zerstörungsgeist und wieder aufbanende Wohlhabenheit jede Spur früherer Culturepochen.

Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass die Stadt Corfù einen durchaus neueren Charakter aufweist. In ihren Bauten und Denkmälern herrscht vornehmlich die Erinnerung an die venetianische und englische Herrschaft vor.

Die Esplanade, la Spianata, ist der vornehmste, von Alleen durch - zogene Platz von Corfù. Im Grunde genommen ist dieser eigentlich das Glacis der alten Befestigung der Koryphäen, zu welchen eine Brücke über den natürlichen tiefen Wassergraben führt.

An der Nordseite ist mit prächtigem Ausblick auf den Hafen der gut stylisirte königliche Palast gelegen, und die Südseite schmückt ein zu Ehren des ersten Lord-Obercommissärs Sir Thomas Maitland errichteter Rundtempel, in dessen Nähe ein Obelisk an Sir Howard Douglas (1843) erinnert, der die beengenden venetianischen Bastionen an jener Seite abbrechen und den reizenden Fahrweg, der als Via Marina nach Castrades hinabführt, herstellen liess.

Auch die verdienstvolle Thätigkeit Sir Frederic Adams, der von 1823 bis 1832 hier residirte, ist durch ein Erzstandbild vor dem Königs-Palais ausgezeichnet worden.

An die venetianische Zeit erinnert das Monument des helden - müthigen Marschalls Grafen Schulenburg, das 1717 dem berühmten Vertheidiger von Corfù noch bei Lebzeiten errichtet worden war. Die Bildsäule fand vor dem Eingange in die Festung einen bezeichnenden Platz. Der Marcuslöwe, der sonst in den ehemaligen Besitzungen des Dogenstaates noch so manchen Thorbogen ziert, ist in Corfù nahe - zu ganz verschwunden, denn hier wie in der venetianischen Ebene ward 1797 der Befehl Bonapartes, das Wappen Venedigs zu ent - fernen, mit sklavischem Gehorsam durchgeführt. Nur einzelne In - schriften haben sich aus der Dogenzeit erhalten.

Das moderne Hellenenthum ist durch das Marmorstandbild des unglücklichen ersten Präsidenten von Griechenland, des Corfioten Capodistria, das den Platz südlich des Rundtempels seit 1887 ziert, vertreten.

64Das Mittelmeerbecken.

So führt die Gallerie der Monumente auf der Spianata der dort lustwandelnden Menge den letzten Act aus der Geschichte Corfùs vor.

Von der Spianata aus führt eine breite Fahrstrasse, die früher erwähnte Via Marina, abwärts zur malerischen Bucht von Kastrades, auch Garitza genannt, einem langgestreckten Vororte der Stadt. An dieser Stelle dürfte das alte Korkyra, die Stadt des Alkinoos, ge - standen sein, und die nahe, mit fruchtbarem Boden bedeckte Halbinsel, auf der die königliche Villa Monrepos (Villa Reale) in dunklem Grün erscheint, trug vielleicht einst die Akropolis der Stadt.

Es ist eine viel besuchte Promenade, die von Kastrades längs des mit Villen und Gärten geschmückten Abhanges südwärts gegen das Rondell al Canone hinführt.

Den schönsten Platz nimmt in diesem Paradiese unstreitig die von ausgedehnten Gartenanlagen umgebene Villa Reale ein, von der uns ein herrliches Panorama über die malerische Küstenscenerie und den Canal von Corfù zu schauen ist. Dort hatte Elisabeth, Kaiserin von Oesterreich und Königin von Ungarn, einst Genesung gefunden und besucht seither wiederholt die gottgesegnete Stätte, wo ihr zart - besaitetes Wesen, vom poetischem Hauche der Mythe umweht, stets Befriedigung und Stärkung fand; jetzt ist für die hohe Frau an einem der schönsten Punkte der Insel ein eigenes Heim erbaut.

Seitlich der Strasse zum Rondell schimmert die blendende Fläche der traumhaftstillen Kalikiopulo-Lagune durch das Laubwerk uns ent - gegen. Es ist eine tiefeingeschnittene Bucht, wahrscheinlich der Kriegs - hafen des alten Korkyra, das bis hieher sich erstreckt haben dürfte. Der Name Paläopolis oder Altstadt, den die Gegend bis heute führt, scheint darauf hinzuweisen.

Die Einfahrt in die Lagune verlegen zwei Eilande, von welchen das nördliche ein Miniaturkloster trägt und durch einen Steindamm mit dem Strande verbunden ist. Die südlichere höhere Klippe Ponti - konisi, die Mausinsel, spiegelt den düsteren Schmuck ihres Cypressen - saumes, der ein kleines Klösterlein beschattet und der Welt verbirgt, in der Meeresflut. Das Eiland, dessen Bild wir bringen, gilt wegen der Aehnlichkeit seines Profils mit der Form eines segelnden Schiffes als das vom zürnenden Poseidon versteinerte Schiff der Phäaken, dessen Schicksal uns Homer vermeldet. Dieser Mythe entstammt auch die Bezeichnung Ulysses-Insel.

Odysseus erreichte, nachdem der Erderschütterer Poseidon sein Floss im Sturme zertrümmerte, schwimmend die Gestade der Phäaken-Insel Scheria, wo er alsbald die herrliche Nausikaa beim Ballspiel überrascht und ihre Freundschaft65Corfù.erfleht. Mit ihrem Beistand gelangt er zu König Alkinoos, der ihn als Gast auf - nimmt und mit reichen Geschenken, wie auch mit einem Schiffe zur Heimreise nach Ithaka bedenkt. Odysseus geht am Abende zu Schiffe und wird schlafend nach Ithaka, seiner Heimat, entführt. Das war aber nicht nach dem Geschmacke Poseidons; empört darüber, dass der von ihm so lange Verfolgte ihm nun durch Hilfe der Phäaken endlich doch heil entkommen, beklagte er sich bei Zeus; dieser lieferte, um ihn zu besänftigen, in der beliebten Manier der homerischen Götter ihm die phäakischen Retter als Opfer der Rache aus und rieth dem erbosten Erderschütterer, das heimkehrende Schiff angesichts der Stadt zu versteinern. Poseidon liess sich dies nicht zwei - mal sagen.

Ulysses-Insel bei Corfù.

Als er solches vernommen, der Erderschüttrer Poseidon,
Eilt er gen Scheria hin, dem Lande phäakischer Männer,
Harrte dann. Schon nahte daher das gleitende Meerschiff,
Rasch durch die Wogen gestürmt; da trat ihm näher Poseidon,
Schlug mit der Fläche der Hand und schuf zum Felsen es plötzlich,
Der fest wurzelt am Boden des Meeres, und er kehrte von dannen.

Anlässlich ihrer Besuche von Corfù pflegte Kaiserin Elisabeth oftmals das stille Kloster auf der düsteren Ulysses-Insel zu besuchen, woran eine der Inschriften erinnert, die an der Aussenseite der Kirche angebracht sind. Die Widmung lautet:

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 966Das Mittelmeerbecken.

Elisabetta d’Austria qui riposando, per Lei spira - ron le aure più miti e lo scoglio che per Lei dava fiori ama serbarne memoria. MDCCCLXI.

In deutscher Uebersetzung besagt die artige Gedenktafel: Elisa - beth von Oesterreich ruhte hier; für sie hauchten die Lüfte milder und gerne bewahrt dieser Fels, der ihr Blumen bot, die Erinnerung an sie.

Der heutige Hafen von Corfù erhält durch die Insel Vido einigen Schutz gegen Nordwinde, und da er gegen Süden vollständig gedeckt ist, so finden dort Schiffe jeder Grösse einen guten Ankerplatz.

Die Insel Vido trug ehemals bedeutende Festungswerke, welche den Hafen und dessen Zufahrten sicherten. Als im Jahre 1864 die Engländer die ionischen Inseln räumten, sprengten sie angeblich über Verlangen der Grossmächte sowohl die Befestigungen auf Vido wie auch einen Theil der Fortezza nuova und das starke Fort Abraham; bloss die uralte Citadelle blieb erhalten.

So gestaltete sich der Abschiedsgruss der Engländer, für dessen Sportsmen die 1107 km2 umfassende und von etwa 106.000 Seelen bewohnte Insel Corfù Jahrzehnte hindurch ein wahres Paradies für jede Art von Vergnügungen bildete, ziemlich unfreundlich, allein kein Ionier wird verkennen, dass die Protectoral-Herrschaft Albions eine Periode der Ordnung und Wohlfahrt wie des Wohlstandes gewesen war. Der Fremde ist den Briten wohl vor allem verbunden für die Er - bauung der vielen ausgezeichneten Landstrassen, dank deren Existenz lohnende Ausflüge in die reizenden Gegenden der Insel überallhin zu Wagen ausführbar sind; gegen Süden zum 567 m hohen Monte S. Deca, einem herrlichen Aussichtspunkte, gegen Westen nach dem Orte Pelleka, oder in nördlicher Richtung nach den wildromantischen Schluchten des Gebirgsstockes S. Salvatore, von dessen nahezu 1000 m hohem Gipfel die Insel in ihrer ganzen Erstreckung von 59 km überblickt und nordwärts der akrokeraunische Höhenzug bis Valona erschaut wird.

Die Hauptquelle des Reichthums der Insel liegt in ihren gross - artigen Olivenwäldern, die einen Bestand von 4 Millionen Bäumen erreichen. Das prächtige Klima die Festung Corfù liegt unter 39° 37′ nördl. und 20° 3′ östl. v. Gr. begünstiget die Entfaltung einer üppigen, wahrhaft subtropischen Vegetation. Unter diesem Natur - segen blühte die Insel die reichste von Hellas zu einem einzigen grossen und fruchtbaren Garten auf.

Mit ihren Vorstädten Kastrades und Mandukio zählt die Stadt Corfù beiläufig 25.000 Einwohner, unter welchen das griechische67Corfù.Element zwar vorherrscht, ohne dass es jedoch den kosmopolitischen Zug, der das Strassenleben der interessanten Stadt so reizvoll ge - staltet, zu verwischen im Stande wäre.

Corfù ist der Sitz eines griechischen und eines römisch-katholischen Erzbischofs und besitzt an Stelle der 1865 aufgelassenen Universität ein nächst der Spianata gelegenes Lyceum. An der vom Hafen zur Spianata führenden sehr belebten Nikephoros-Strasse ist die S. Spiridion-Kirche mit dem reichen Grabmal des Märtyrers gleichen Namens, eines cyrischen Bischofs, sehenswerth.

Die Corfioten sind ein ebenso origineller versprengter Volks - splitter wie die Malteser. Die ungeheuere Blutmischung, welche der Wechsel der Herrschaft mit sich brachte, erzeugte ein Völkchen, das griechisch spricht, aber das weit entfernt vom reinen Hellenenthum ist. Ihnen fehlt vor allem der kühne Unternehmungsgeist, welcher sonst den Griechen eigen ist. Sie sind nicht Seefahrer, wie die übrigen Bewohner Griechenlands, und lieben ihre Heimat dermassen, dass sie nicht in der Ferne ihr Glück versuchen, sondern es vorziehen, daheim ihr Dasein kärglich zu fristen. Auch von den geschäftlichen Unternehmungen, welche den Verkehr über die Insel hinaus zum Zwecke haben, ziehen sie sich immer mehr zurück; im günstigsten Falle verbinden sie sich mit Firmen aus Patras, dem Piräus und Syra.

Die Haupterzeugnisse der Insel sind Wein und Oel, welche in den letzten Jahren öfter schlechte Ernten lieferten und daher den Corfioten nur spärliche Einnahmen brachten. Von Wein wurden 1888 65.000 hl, 1887 46.000 hl ins Aus - land geführt, und zwar meist nach Frankreich und Triest, 1887 auch nach Dalmatien. Die Ausfuhr des Olivenöls erreichte 1888 7059, 1887 16.640 q. Corfù-Oel ist in Venedig als Speiseöl sehr beliebt, dorthin wendet sich der grösste Theil der Aus - fuhr; kleinere Mengen gehen nach Triest und Fiume. Unter den Ausfuhrartikeln ist noch das einzige Industrieproduct der Insel, Seife aus Olivenöl hergestellt, zu nennen. Der grösste Theil geht in die übrigen Gebiete Griechenlands, 5000 q ins Ausland, vorab in die Türkei; 1300 q übernimmt Montenegro. Die Ausfuhr von frühreifen Kartoffeln und Gemüsen hält sich noch in engen Grenzen.

Im Ganzen befindet sich Corfù in einem wirtschaftlichen Rückgange, und deshalb sinkt auch die Kaufkraft der Insel fortdauernd. Die in Corfù eingeführten Waaren haben einen Werth von 57 Millionen Drachmen. Die Hälfte entfällt auf Hartweizen und Mais, denn die Insel liefert nur in seltenen Fällen den vierten Theil des Bedarfes an Getreide. Die Ergänzung liefert Russland, welches daher im Einfuhrhandel die erste Rolle einnimmt. Mehl, aus russischem Weizen herge - stellt, schickt Patras. Ihm reihen sich zunächst an: England, dann mit den Erzeug - nissen der Textilindustrie Oesterreich-Ungarn, und endlich die Türkei. In Colonial - waaren ist Corfù vielfach von Triest abhängig. Die Bedeutung Corfùs für den Handel der gegenüberliegenden Küste von Albanien geht zurück und damit auch der Entrepôtverkehr, der im Eingange 5 Millionen Drachmen erreicht.

9*68Das Mittelmeerbecken.

Der Schiffsverkehr von Corfù betrug:

〈…〉〈…〉

Corfù ist Station der Linien Triest Brindisi Constantinopel und Triest Smyrna des österreichisch-ungarischen Lloyd; alle Postdampferlinien, welche Brin - disi mit Patras verbinden, berühren seinen Hafen, der von Brindisi 116, von Patras

Rhede von Corfù. (Massstab 1: 64.500; Sonden und Höhen in Metern).

A Rhede von Corfù, B Bucht von Kastrades, C Maitland-Thurm auf der Insel Vido, D Citadelle auf dem Zwillingsfelsen Koryphaioi, E Griechischer Friedhof, F Leuchtfeuer, G Jonisches Strafhaus, H Rennplatz, J Salinen, K See Kalikiopulo, der antike Hafen Paläopolis, L Park la Spianata, M Mühle, N Stratia Casino, O Alte russische Batterie auf Insel Vido.

135 Seemeilen entfernt ist. Auf die Flagge Oesterreich-Ungarns entfällt die Hälfte der Tonnenzahl des Dampfschiffverkehres, auf die Griechen ein Viertel, die Italiener und Engländer folgen.

In Corfù legt das Kabel Triest Alexandrien der Eastern Telegraf Cy. an, auch nach Otranto besteht ein Anschluss.

Der Schiffsverkehr ist also verhältnissmässig ansehnlich, weil eben der Hafen von vielen in der Adria fahrenden Schiffen angelaufen wird. Corfù ist der Sitz der Ionischen Bank, welche das Recht der Notenausgabe besitzt.

Consulate haben in Corfù: Belgien, Dänemark, das Deutsche Reich, Frankreich, Grossbritannien, Italien, die Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Rumänien, Russland (G. -C. ), Spanien, die Türkei und Venezuela.

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Patras und der Canal von Korinth.

Der Golf von Patras ist durch die starkbefestigte Meerenge der Castelli (Rhion) mit dem langgestreckten korinthischen Binnenmeere verbunden und bildet einen wichtigen Vorraum desselben.

Der Golf von Korinth, der von den Mittelmeerbewohnern häufig auch Golf von Lepanto genannt wird, liegt zwischen 37° 56′ und 38° 27′ nördl. Breite und zwischen 21° 46′ und 23° 13′ östl. Länge von Greenwich.

Im strengsten Sinne des Wortes ein Binnengolf, wie einen ähn - lichen das Mittelmeer nur noch im Marmara-Becken aufweist, ver - dankte er schon im Alterthume seine Wichtigkeit als die kürzeste Wasserstrasse zwischen Brundusium (Brindisi) und Athen hauptsäch - lich dem Umstande, dass die Terrainbeschaffenheit des Isthmus einen leichten Verkehr zur nahen Küste des ägäischen Meeres ermöglichte. Ueber die vier Seemeilen breite, leicht gewellte Landenge wurden auf dem Diolkos, einer Schleifbahn en miniature, wie sie im Grossen der geniale Eads über der Landenge von Tehuantepec plant und deren Spuren noch heute zu sehen sind, kleinere Fahrzeuge von einer Küste zur anderen befördert.

In dem prächtigen Werke: Eine Spazierfahrt im Golfe von Korinth sagt der erlauchte Verfasser Erzherzog Ludwig Salvator:

Kein Busen des Mittelmeeres hatte in der antiken Welt eine so grosse Bedeutung wie der Golf von Korinth. Als Seestrasse im Herzen von Griechenland, als der gewöhnliche Verbindungsweg zwi - schen Ost und West, war derselbe das Emporium antiker Civilisation. Reiche Städte zierten seine Ufer, vor allen Korinth als die herrlichste von Hellas. Aber auch gegenwärtig noch könnte der korinthische Busen durch den Durchstich des Isthmus seine einstige Wichtigkeit er - langen.

Der letztausgedrückte Gedanke ist seither nahezu verwirklicht, denn hoffentlich bald wird der internationale Verkehr auf der neuen70Das Mittelmeerbecken.Wasserstrasse die ehrwürdige Landenge durchqueren und dadurch ein uraltes Project ausgeführt sein. Wie der Canal von Suez, erbringt auch jener von Korinth den Beweis für die Geistescontinuität der Menschheit.

An der Route nach Korinth gelegen, strebt Patras einer schönen Zukunft entgegen, und es ist wahrscheinlich, dass die Stadt, die schon heute die zweitgrösste von Griechenland ist, zu höherer Bedeutung gelangen werde, als jene war, die sie in ihrer Glanzperiode im Alter - thum gewonnen hatte.

Ionier waren die Gründer von Patras, wurden aber von den Achäern ver - drängt. Die Stadt schloss im peloponnesischem Kriege dem mächtigen Athen sich an und war 281 v. Chr. eine der Stützen des achäischen Bundes. Zu Bedeutung gelangte Patras aber erst unter Augustus als römische Colonie. Frühzeitig fand dort das Christenthum Schutz und Verbreitung, und im IX. Jahrhunderte blühte die Stadt zu seltenem Wohlstande auf. An der Wende zum XIII. Jahrhundert ist Patras die Hauptstadt des Herzogthums Achaia, dann nach Eroberung des Peloponnes (1204 und 1205) des Fürstenthums Morea; sie gelangt hierauf wie alle Küstenstädte Griechenlands für kurze Zeit unter die Herrschaft Venedigs, dann unter Byzanz und versinkt dann unter der Macht des Halbmondes.

Der grosse Freiheitskampf der Hellenen brach am 4. April 1821 hier aus; Patras unterlag und ging in Flammen auf. Aber erst als die heldenmüthige Vertheidigung und der am 22. April 1826 erfolgte entsetzliche Fall der Feste Missolunghi die Sympathie Europas der griechischen Sache zugewendet hatten, konnte Hellas das Glück der Unabhängigkeit erlangen. Von da an datirt wie für das schwer - geprüfte Land, so auch für Patras der Beginn einer neuen Epoche, die eine lebhafte und stete Entwicklung aller Verhältnisse kenn - zeichnet.

Das heutige Patras ist eine durchwegs neue Schöpfung; von dem classischen Paträ, das Pausanius besucht, sind kaum mehr als vereinzelte Trümmer vorhanden.

Mit ihren geradlinigen, von Arkaden begleiteten Strassen, die unter rechten Winkeln sich schneiden, lastet auf der an antiken wie modernen Sehenswürdigkeiten armen Stadt das Gepräge der Nüch - ternheit.

Die Platia ágios Georgios ist der Hauptplatz, den das Theater, die Post, das Justizgebäude und die Demarchie flankiren. Vor letzterem Gebäude haben zwei antike Sarkophage einen Ruheplatz gefunden.

In der Nähe der grossen St. Andreas-Kirche am Westende der Stadt soll einstens der Demeter-Tempel gestanden sein, für dessen71Patras und der Canal von Korinth.Reste einige dort aufgefundene Marmorplatten und Säulentrümmer ge - halten werden. Die zunächst rieselnde Quelle gilt als das berühmte Orakel derselben Göttin.

Von den einstigen Befestigungswerken ist gegenwärtig nur das alte venetianisch-türkische Kastell, wenngleich in verwahrlostem Zu - stande, erhalten.

Patras ist der Sitz des Nomarchen von Achaia-Elis und eines griechischen Erzbischofs.

Seitdem der Ausbau und die Erweiterung der peloponnesischen Bahnen in Angriff genommen wurde, hat die griechische Regierung in den grösseren Handelsplätzen, wie in Patras, Katakolo u. a., nicht unbedeutende Hafenanlagen geschaffen, welche dem Seeverkehre sehr zu Nutzen kommen. Patras erhielt, wie unser Plan zeigt, einen schönen Hafen von ausreichender Quaientwicklung und vollkommenen Schutz gegen äussere Winde. Die Herstellungskosten derselben be - ziffern sich auf mehr als 6 Millionen Francs.

Unter den circa 25.000 Einwohnern der Stadt herrscht natürlich das Griechenthum vor, doch haben sich viele Deutsche und einige englische Kaufherren dort niedergelassen.

Patras ist die zweitgrösste Stadt Griechenlands und gleichzeitig einer der ersten Handelsplätze dieses Staates, weil auf den umliegen - den Theilen des Festlandes und auf den benachbarten Inseln die Ab - art der kernlosen Rebe wächst, deren getrocknete Früchte als kleine Rosine oder Korinthe (in Süddeutschland und Oesterreich Weinberl genannt) in den Handel kommen. Die Korinthen liefern mehr als die Hälfte des Werthes der gesammten Ausfuhr Griechenlands, das ganze Wohl und Wehe des Handels von Patras hängt von dem Ertrage der Korinthenernte und von dem Preise dieses Artikels auf dem Welt - markte ab.

Von Patras wurden 1888 413.380 q (oder 41.338 t) direct ins Ausland ver - schifft, welche einen Werth von 15,783.401 Drachmen (= Francs) hatten. Aber im Korinthenhandel herrscht seit 1888 eine schwere Krisis, weil Frankreich, ein Haupt - abnehmer dieser Frucht, zum Schutze seines Weinbaues den Einfuhrzoll auf Korinthen bedeutend erhöht hat. Dadurch stockt auch der Einfuhrhandel, denn die anderen Ausfuhrartikel von Patras, die das Capital zum Ankaufe fremder Waaren liefern müssen, treten hinter den Korinthen vollständig zurück. Man exportirte 1888 aus Patras 10.200 q (Werth 256.870 Drachmen) Valonea nach England und Triest und um 108.180 Drachmen Wein.

In der Einfuhr ist am wichtigsten Getreide, wovon 1888 im Specialhandel 285.000 q im Werthe von 6,521.205 Drachmen nach Patras gelangten. Das Ge - treide stammt aus Russland; es wird in den zahlreichen Mühlen des Hafens zu Mehl verarbeitet, und dieses wird nach anderen Gebieten Griechenlands ausgeführt. 72Das Mittelmeerbecken.Garne wurden 1888 um 374.420 Drachmen meist aus England, Webewaaren um 4,366.889 Drachmen eingeführt. Die Baumwollgewebe (2·3 Millionen Drach - men) kommen aus England, kleinere Mengen aus Oesterreich-Ungarn und Frank - reich, Schafwollgewebe aus denselben Ländern. Der Holzimport, meist Bauholz umfassend, hatte einen Werth von 1·9 Millionen Drachmen. Letzteres kommt überwiegend aus Triest und Fiume, zum Theile auch aus Galatz. Wichtig ist noch die Einfuhr bearbeiteter Metalle (Werth 423.969 Drachmen), conservirter Fische aus Nordeuropa, von Zucker und Kaffee aus Triest, von Seilerwaaren und Kohlen.

Patras.

Die Handelsstatistik von Patras zeigt folgende Ziffern:

〈…〉〈…〉

Im Entrepôtverkehr repräsentirt Getreide den Hauptwerth, ansehnliche Ziffern entfielen noch auf Gewebe und Producte des Fischfanges.

Durch die Vollendung der 229 km langen Eisenbahn Piräus-Athen-Korinth - Patras hat letzteres in der Jetztzeit eine ähnliche Bedeutung erlangt, wie sie Dyrrhachium im Alterthume hatte. Denn gegenwärtig bestehen zwischen Patras und Brindisi in jeder der beiden Richtungen wöchentlich 4 Postverbindungen, welche durch griechische, italienische und österreichisch-ungarische Dampfer be - sorgt werden. Patras steht auch mit Triest, Fiume, Salonich und Constantinopel73Patras und der Canal von Korinth.in regelmässiger Dampfschiffverbindung, und wegen des Korinthenexportes gehen Schiffe nach Frankreich, England, Belgien und Holland, Hamburg und in die Union.

Der Schiffsverkehr von Patras betrug:

〈…〉〈…〉
Patras (Massstab 1: 15.800; Sonden in Metern).

A Rhede von Patras, B neuer Hafen, C Kastell, D englische Kirche, E Sanitätsamt, F Leuchtfeuer, G Zollamt, H Platia Agios Georgios, J Fabriken, K Bahnhof.

Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Gross - britannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Rumänien, Russland, Schweiz, Spanien, Türkei.

Der Isthmus von Korinth bot in den letzten Jahren ein Bild lebhaften Schaffens dar.

Tausende von Händen und gewaltige Grabe-Maschinen waren thätig, den Durchstich der sanften Bodenwelle zu vollenden, welche die Natur als Scheidewand zwischen zwei Meere hingelagert hat.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1074Das Mittelmeerbecken.

Gleichzeitig entstanden wie von unsichtbarer Macht hingezaubert neue kleine Städte mit schönen Häfen an den Ausmündungen der wer - denden Wasserstrasse, wohl die Erben des einst so stolzen Korinth.

Das historische Panorama, welches die uralte Burg Akrokorinth erschaute, sucht fürwahr seinesgleichen.

Die Blüthezeit von Korinth fällt weit zurück in das vorchristliche Alter - thum. Der Sage nach von Ephira, einer Fürstentochter 1900 v. Chr., nach anderen Ueberlieferungen aber von dem schlauen Sisyphos 1350 v. Chr. gegründet (die überaus günstige Lage der Stadt bestätigt seinen Scharfsinn) und dreihundert Jahre später von den Doriern genommen, wurde Korinth, die älteste Culturstätte auf europäischem Boden, dank dem stärkeren phönikischen Elemente in seiner Bevölkerung frühzeitig der Ausgangspunkt grossartiger Unternehmungen. Handel und Industrie, besonders die Purpur - und Teppich-Industrie, waren bereits im IX. Jahrhundert v. Chr. hoch entwickelt. Korinth war der Mittelpunkt des grossen Verkehres zwischen Asien, Italien und Griechenland geworden und seine Bewohner ihres Erfindungsgeistes und Kunstsinnes wegen ausgezeichnet.

Die überflutende Lebenskraft des üppigen Emporiums am Isthmus äusserte sich durch die Gründung zahlreicher Colonien, von welchen Syrakus, Potidäa und die bereits erwähnte Insel Kerkyra die hervorragendsten waren.

In der ganzen griechischen Welt vermochten bis zur Zeit der Perserkriege nur Aegina und das kleinasiatische Milet mit Korinth sich zu messen, das als grösstes Handelsemporium des Ostens galt.

Unter der Herrschaft der Tyrannen (657 bis 582 v. Chr.) war Korinth am mächtigsten, sein Volk am glücklichsten.

Am Kampfe wider die persische Macht betheiligte sich Korinth, dessen Bewohner wenig kriegerischen Ehrgeiz hatten, nur in bescheidenem Masse.

Sein Stern begann zu erbleichen, und selbst die Demüthigung der grossen Nebenbuhlerin Athen im Kriege gegen Sparta (404 n. Chr.) konnte den erlöschenden Glanz nicht wieder beleben. Zehn Jahre später erkämpft es in einem blutigen K[ri]ege gegen das mächtig gewordene Sparta (394 387) das Uebergewicht in Griechen - land, allein um 335 erstürmen die Makedonier unter Alexander dem Grossen, der hier mit Diogenes, dem genügsamen Philosophen, zusammentrifft, die Burg; sie werden im Jahre 243 vertrieben und es folgt für 21 Jahre die Blüthezeit des achäischen Bundes.

Schon lange ist aber Griechenland in die Machtsphäre Roms gelangt und im Jahre 196 verkündet T. Quinctius Flaminius in Stadion am Isthmus den Griechen die ihnen von den Römern geschenkte Unabhängigkeit. Am selben Orte hatte Alexander der Grosse (336) vor dem Kriege gegen Persien zum Heerführer aller Griechen sich ausrufen lassen. Korinth trat an die Spitze des neuen achäi - schen Bundes, der sich gegen Rom auflehnte, letzteres besiegelte den Untergang der Gegnerin.

Die Legionen des siegreichen Consuls Lucius Mummius erschienen 194 vor Korinth, legten die ehrwürdige Kunststätte in Schutt und trieben die Einwohner in die Sclaverei. So endete das alte Korinth.

Nach anderthalb Jahrhunderten gründet Cäsar (46) auf den Trümmern eine neue Colonie, die wieder zu grosser Blüthe gedeiht und zur glänzendsten Handels - stadt von Griechenland sich aufschwingt.

75Patras und der Canal von Korinth.

Das üppige materielle Leben und die Sittenlosigkeit der Stadt, an welche Apostel Paulus, der dort eine christliche Gemeinde gründete, seine Briefe gerichtet, sind bekannt.

Auch die Herrlichkeit des cäsarischen Korinth verblasst nur allzu bald. Noch sieht der Isthmus das römische Scheusal Nero auf dessen phantastischem Zuge nach Griechenland.

Der kaiserliche Schauspieler schreitet hier zur Schaffung eines Culturwerkes, indem er den der ganzen antiken Welt schon in der Zeit des Periander vorge - schwebten Gedanken eines Canalbaues durch den Isthmus ins Werk setzt. Vom westlichen Ufer aus ward die Arbeit begonnen und 1100 m des 60 m breiten Canales fertiggestellt. Die Empörung des Vindex in Gallien zwang plötzlich, das Unter - nehmen aufzugeben.

Korinth sinkt nun immer tiefer herab und bleibt mehr als ein Jahrtausend nur als unbedeutender Ort bekannt. In dieser Verlassenheit wird es eine Beute der Ottomanen, und 1458 weht nach furchtbarem Kampfe das Banner des Halb - monds auf der Burg Akrokorinth; 1682 ist dort das Banner mit dem Markuslöwen und 1715 wieder die Flagge des Propheten entfaltet, allerdings nur über den Trümmerhaufen der alten Feste.

Die jüngste Ansiedlung am Isthmus, das kleine Städtchen Neu - Korinth, ist vor kaum 30 Jahren entstanden, als 1858 ein Erdbeben die bescheidenen Ueberreste des alten Korinth fast ganz zerstört hatte. Die Bewohner gründeten hierauf an der Meeresküste ein neues Heim.

Umgeben von dem Zauber uralter Erinnerungen, in welche der Pfiff der Locomotive als Echo der neuen Zeit sich mengte, blickt das aufstrebende Städtchen froh hinaus auf das herrliche Bild des Golfes, der, nördlich von den mächtigen Gebirgsmassen von Böotien an bis Aetolien begleitet, wie ein grosser geschlossener See erscheint. Noch imposanter ist das Panorama von der Burghöhe Akrokorinth (575 m). Da treten der Helikon mit den jetzt baumlosen Abhängen und besonders der dem Apollo und den Musen geweihte Parnass mit seinem im Frühlinge bis tief hinab zum grünen Gelände schneebedeckten Abhängen scharf hervor.

Das alte Korinth war reich an weltberühmten Heiligthümern; von der Pracht einzelner derselben erzählen die erhaltenen Ueberreste. Ihres strengen frühdorischen Styles wegen hervorragend sind besonders die prächtigen Säulen eines uralten grossen Tempels, der der Astarte oder der Pallas Athene geweiht war, worüber die tiefe Gelehrsamkeit der Archeologen nicht einig ist.

Von dem bedeutenden Cultus, dessen die schaumgeborene Göttin in Korinth sich erfreute, ist heute nur eine vormals schön gefasste Quelle, das Bad der Aphrodite , zu sehen.

10*76Das Mittelmeerbecken.

Das alte römische Amphitheater deckt vielleicht den Schutt des Stadium, in welchem der Sage nach die Eumeniden an den hart - herzigen Mördern des Ibykos Rache übten.

Dagegen kann die berühmte Isthmos-Mauer, das grossartige Vor - werk, mit dem die antike Kriegskunst den ganzen Isthmus abschloss, wiewohl an einzelnen Strecken kaum über den Boden reichend, noch gut erkannt werden. In Osten schliesst sich an diese Befestigung die Umfassungsmauer der alten isthmischen Heiligthümer an, in welcher jetzt eine dem heiligen Johannes geweihte Kapelle steht.

Nördlich davon sind noch Ueberreste der antiken Schleifbahn (Diolkos) erkennbar.

Von durchaus actuellem Interesse stellt sich hingegen der seiner Vollendung entgegensehende Canal von Korinth uns dar. Wir haben oben angedeutet, wie der Gedanke, den Isthmus zu durchstechen, seit dem Alterthume als ein Vermächtniss von Generation zu Generation fortlebte, ohne dass seine Verwirklichung erreicht worden wäre.

Was aber selbst dem Machtworte von Herrschern spottete, die über ganze Sclavenheere verfügten, das kann das associirte Capital der Neuzeit allerdings unter Mitwirkung der hochentwickelten tech - nischen Hilfsmittel zuwege bringen, und mit Recht wird die Gegen - wart die Vollendung der neuen Wasserstrasse hoffentlich bald als einen ihrer grossen Triumphe feiern dürfen.

Die Vortheile des Canales für den Seeverkehr nach der Levante liegen auf der Hand. Für die adriatischen Häfen werden auf dem neuen Wege die levantinischen Emporien um rund 140 Seemeilen und für das westliche Mittelmeer noch immer um 90 Meilen näher ge - rückt. Ausser der Kürzung des Weges erwächst aber noch der weitere Vortheil, dass die Umschiffung von Morea, die namentlich im Winter der stürmischen Witterung wegen nicht nur beschwerlich, sondern für kleine Schiffe auch gefährlich ist, mit einer navigableren Route ver - tauscht werden kann.

Die Vorgeschichte des neuen Canales reicht in das Jahr 1870 zurück. Am 28. Jänner des genannten Jahres schloss die griechische Regierung mit den Banquiers Piatt und Chollet eine Convention, be - treffend den Durchstich des Isthmus, ab, wonach die Arbeiten in 18 Monaten begonnen und in 10 Jahren bei einem Kostenaufwande von 20 Millionen Francs durchgeführt werden sollten. Die Länge des Ca - nales war dem Plane gemäss auf 6120 m bei einer oberen Breite von 42, der Sohlenbreite von 32 m und 6·5 m geringster Wassertiefe be - messen. Den höchsten Terraineinschnitt berechnete man auf 60 m für77Patras und der Canal von Korinth.eine Länge von 600 m und die ganze Materialbewegung war mit 9 Millionen Cubikmeter abgeschätzt worden.

Das Unternehmen scheiterte indes, noch bevor an die Arbeit geschritten werden konnte.

Es zeigte sich später, dass die Arbeitsvoranschläge den That - sachen durchaus nicht entsprachen.

Im Jahre 1881 trat General Stefan Türr mit einem neuen Canalprojectc an die griechische Regierung heran und erhielt 1882 die Baubewilligung, die er sodann der Actiengesellschaft Société

Canal von Korinth (Massstab 1: 126.300; Sonden und Höhen in Metern).

A Hafenbassin von Posidonia, B Hafenbassin von Isthmia, C Bahnhöfe, D antike isthmische Mauer, E isthmisches Heiligthum, F Leuchtfeuer, G antikes Amphitheater, H Steinbrüche, J Wasserleitungs - Ruine, K Bad der Aphrodite, L Quelle, M Friedhof, N Arbeits-Eisenbahn, O antike Gräber, P Golf von Korinth, Q Golf von Aegina, R Ruinen, S Eisenbahn - und Strassenbrücke über den Canal.

internationale du Canal maritime de Corinthe, die über ein Capital von 30 Millionen Francs verfügte, übertrug.

Noch im Jahre 1882 erfolgte der erste Spatenstich und waren bis zum Schluss des Jahres 1888 ohne Unterbrechung 1700 bis 2000 Arbeiter an dem Werke beschäftigt.

Nach dem Plane des Generals Türr durchschneidet der Canal, wie unsere Karte zeigt, den Isthmus in einer Länge von 6300 m bei einer Breite von 22 m an der Sohle und m Wassertiefe. An den beiden Ausmündungen erweitert sich der Canal zu 100 m Breite. Aus - weichstellen im Verlaufe des Canales sind nicht projectirt worden. 78Das Mittelmeerbecken.Zwischen dem zweiten und dritten Kilometer von der westlichen Aus - mündung entfernt, überschreitet den Canal auf einer 47 m hohen Eisenbrücke von 80 m Spannweite die nach Athen führende pelopon - nesische Eisenbahn.

Die Brücke dient auch für gewöhnliche Fuhrwerke.

Eine Querbahn (transisthmique) wurde für Arbeitszwecke in Be - trieb gesetzt.

Die Trace des Canals führt von der korinthischen Seite aus - gehend über das Bett des Neronischen Canaltheiles gegen den Golf von Kalamaki.

Auf der Strecke des ersten Kilometers erreicht die Terrain - erhebung nur 3 m, sie steigt jedoch schon beim zweiten Kilometer auf 41 m, beim dritten auf 60 m. Vor dem vierten Kilometer erreicht die Terrainwelle die grösste Höhe mit 80 m, senkt sich beim fünften auf 42 m, um im letzten Theile am Golfe von Kalamaki auf 3 m über den mittleren Stand des Meeresniveau herabzusinken.

Neben der bedeutenden Materialbewegung, welche der tiefe Einschnitt verursacht, stellte sich ein unvorhergesehener Umstand ein, der ebenso die Durchführung der Arbeiten verzögerte, wie die Kosten derselben bedeutend erhöhte.

Unter der Kruste von hartem Gestein besteht nämlich das Innere der isthmischen Terrainwelle gerade dort, wo der Canal läuft, aus Mergel, so dass zur Verhütung einer Unterwaschung durch das von den Dampfern bewegte Wasser beiderseits des Canales Schutzmauern errichtet werden müssen, die bei 10 m Höhe gegen 3 km Länge messen dürften. Durch diesen Uferschutz wird eine Kostenerhöhung von etwa 12 Millionen Francs verursacht.

Von der präliminirten Materialbewegung von ungefähr 12 Mil - lionen Cubikmeter waren vom Jahre 1882, in welchem die Arbeiten begannen, bis zum Schlusse des Jahres 1888 bereits 8 Millionen Cubikmeter bewältigt und ist zur Stunde der Terraineinschnitt auf 2 km Länge des Canales bis zur Sohle und auf der erübrigenden Strecke bis zur Cote des Meeresniveaus durchgeführt.

An den Ausmündungen des Canales wurden durch Dammbauten geräumige Hafenbassins gewonnen, an deren Quais die vorne erwähnten Städtchen entstanden, und zwar Poseidonia an der korinthischen und Isthmia an der ägäischen Seite.

Da infolge der oben erwähnten unvorhergesehenen Arbeitsein - stellung auch eine bedeutende, die ursprünglichen Voranschläge weit überschreitende Erhöhung der Baukosten eingetreten ist, konnte mit79Patras und der Canal von Korinth.dem Actiencapitale das Auslangen nicht gefunden werden. Durch den Zusammenbruch des Comptoir d’Escompte in Paris, welches die Finan - zirung des Unternehmes übernommen hatte, entstanden Schwierig - keiten für die Geldbeschaffung, und so stockt gegenwärtig (Ende 1889) auch die Fortsetzung der Arbeiten. Es ist aber zu hoffen und auch im Interesse des Verkehres dringend zu wünschen dass die dermalen bestehenden Hemmungen der Weiterführung dieses nütz - lichen Werkes bald beseitigt werden.

Das Unternehmen hat jedenfalls den Vortheil, dass es zu seiner Rentabilität nicht erst auf einen zu schaffenden Verkehr angewiesen ist, sondern dass ein ganz bedeutender Verkehr bereits existirt, wel - cher unbedingt auf die Benützung des abgekürzten Weges reflectiren wird. Auch darf hier beigefügt werden, dass eine heute allerdings noch nicht zu berechnende Summe von Verkehrsbeziehungen erst durch die Eröffnung des Canales möglich werden und infolge dessen auch entstehen wird.

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Piräus.

Cap Sunion in Sicht! Je mehr wir dem hellenischen Boden uns nähern, desto mächtiger fühlen wir den Zauber, der in diesen Ge - filden jeden Gebildeten bestrickt. Die Erinnerung an das uralte Staats - wesen, das hier zu hoher Bedeutung gediehen war, an die glanzvolle Culturepoche, die Edles schaffend von hier aus ihren Bannkreis zog, dem selbst die Gegenwart noch nicht entrückt ist, tritt so mächtig in den Vordergrund unserer Einbildung, dass uns im Anblicke des classischen Bodens der Mangel an landschaftlichen Reizen kaum be - wusst wird.

Der Hafen von Piräus ist durch eine felsige Landzunge gebildet, auf der die beiden Hügel Akte (57 m) und Munychia (86 m) deutlich hervortreten. Im Alterthume umzog die ganze Halbinsel eine weit - läufige Befestigung, deren Ueberreste noch erhalten sind.

Ostwärts dehnt sich der flache Strand von Phaleron, über dem die sanft geneigte attische Ebene bis zu den im Hintergrunde auf - steigenden, über 1000 m hohen Berggruppen Pentelikon und Hymettos wie eine Schaubühne zum Vorschein kommt.

Mit ihren feingeschnittenen Umrissen bildet dort die ehrwürdige Akropolis, umgeben von dem zu ihren Füssen lagernden Athen, den mächtigen Anziehungspunkt eines wahrhaft historischen Bildes, dessen Verständniss zum Gemeingut der gebildeten Menschheit geworden ist, denn Athen war das geistige Centrum nicht allein Griechenlands, sondern der antiken Welt.

Von Athen sagt Gregorovius , einem Gemeinwesen freier Bürger, klein an territorialem Umfange und gering an staat - licher Macht, sind unermessliche Wirkungen in das Weltleben ausge - gangen. Sie haben sich nicht in der Form grosser geschichtlicher Hand - lungen und Völkerbeziehungen und jener kaum unterbrochenen Reihe von politischen und socialen Schöpfungen dargestellt, wie sie Rom hervorgebracht hat. Die an der Menschheit bildenden Kräfte der Stadt[81]

Piräus.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1182Das Mittelmeerbecken.Athen gehören dem Reiche der zeitlosen Ideen an. Denkgesetze, allseitige Welterkenntniss, Wissenschaften, Sprache, Literatur und Kunst, Ge - sittung, veredelte Humanität: das sind die unsterblichen Thaten Athens gewesen. Das Verhältniss der Menschheit zur Stadt der Pallas und nur als solche, als die Metropole des hellenischen Heiden - thums, war sie die Quelle alles Schönen und die Mutter der Weis - heit, wie man sie selbst noch in den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters mit traditioneller Ehrfurcht genannt hat , dies Verhält - niss der Pietät wurde zu einem einzigartigen Cultus von idealer Natur. Er setzte immer das Bewusstsein des unvergänglichen Werthes der attischen Bildung voraus. Man darf sagen: Nur wer die Weihen des Geistes genommen hatte, konnte den Genius Athens verstehen; nur die Aristokratie der Geister hat Athen verehrt. Auch Barbaren konnten die weltbeherrschende Grösse und Majestät Roms bewundern; aber was hätte einem Alarich oder Attila die Stadt des Plato und Phidias zu sein vermocht? Zur Zeit, als sie den Gipfel ihres bürger - lichen Lebens erstiegen hatte, nannte sie Perikles die Schule des ganzen Griechenlands. Isokrates bezeichnete ihre Bedeutung mit diesen Worten: dass sie durch ihre Weisheit und Beredsamkeit alle anderen Völker übertroffen habe, dass ihre Schüler die Lehrer Anderer ge - worden seien, dass es der Geist sei, der die Griechen kennzeichnet, und dass diese weniger die gemeinsame Abstammung, als die ethische Bildung zu Hellenen mache. Die wahrhaft schöpferische Epoche Athens umfasste nur einen kleinen Zeitraum, und doch genügte derselbe zur Hervorbringung einer kaum zu übersehenden Fülle von ewig giltigen Meisterwerken der Cultur, die in mancher Richtung kein folgendes Zeitalter mehr zu erreichen vermocht hat.

Westlich von Piräus gewahrt man zwischen der bergigen Insel Salamis und den kahlen, steil zum Meere abfallenden Skaramanga - höhen die nach dem Golf von Eleusis führende berühmte Enge von Salamis, an deren Westseite die Ambelakibucht, der Schauplatz der am 20. September 480 v. Chr. heldenmüthig geschlagenen Befreiungs - schlacht, liegt, in welcher die übermächtige Flotte des Xerxes von der griechischen völlig vernichtet worden war. Xerxes soll, die Nieder - lage der Griechen voll Siegeszuversicht erwartend, auf einer gegen - wärtig Thron des Xerxes genannten Höhe nächst der Küste dem Kampfe beigewohnt und laut aufgejammert haben, als er den Unter - gang seiner Flotte sich vollziehen sah Aeschylos, der selbst in der Schlacht mitkämpfte, hat in seinen Persern eine lebendige Schil - derung des Kampfes auf uns vererbt.

83Piräus.

Das heutige Piräus ist eine Schöpfung der neuesten Zeit. Seit seiner einstigen Glanzperiode gerieth in der tiefen Nacht der Bar - barei, die auf das Land sich gesenkt hatte, selbst der Name des berühmten athenischen Hafens gänzlich in Vergessenheit. Bis zum Jahre 1835, in welchem der Sitz der griechischen Regierung nach Athen verlegt wurde, war die nur von Fischern bewohnte Bucht von Piräus als Porto Leone bekannt, welcher Name von den Venetianern herstammte und auf den 1687 dort gefundenen und nach Venedig überführten Marmorlöwen (vor dem Seearsenale daselbst aufgestellt) sich bezog.

Das alte Piräus durchlebte als glanzvolle Hafenstadt eine Periode von nahe - zu vier Jahrhunderten, und zwar von 474 bis 86 v. Chr. Der Hafen war eine Schöpfung des Themistokles, des Begründers der griechischen Seemacht, dessen Standhaftigkeit der Sieg von Salamis, welcher die persische Macht gebrochen hatte, zu verdanken war. Ja, Themistokles soll sogar geplant haben, die Haupt - stadt Athen nach dem Piräus zu verlegen.

Bis zu den Perserkriegen war Phaleron der bescheidene Hafen von Athen; dann erst trat die vorzüglich gelegene Bucht von Piräus an seine Stelle. Dort entstanden grosse Hafenanlagen und Befestigungen und die neue Schöpfung war nicht nur ein bedeutender Handelsplatz, sondern auch ein gewaltiger Kriegshafen. Perikles vollführte den Ausbau der Hafenstadt nach dem einheitlichen Plane des Hippodamos aus Milet und bald zählte sie ihrer prächtigen Bauwerke wegen zu den schönsten Städten Griechenlands. Berühmt waren ihre Schiffshäuser, welche die Athener mit den Propyläen und dem Parthenon verglichen.

Die langen Mauern , welche die Verbindung Piräus mit Athen für alle Zeiten sichern sollten, wurden in den Jahren 460 456 aufgeführt. Allein nach dem Siege Spartas über Athen (404) mussten die Mauern, sämmtliche Befesti - gungen und die Schiffshäuser niedergerissen werden. Zehn Jahre später erstanden diese Bauten neuerdings, und Piräus sowie Athen traten in eine neue Epoche der Blüthe, die aber nur von kurzer Dauer war, denn zu lange hatte Athen und ganz Hellas gezögert, den Kampf gegen Philipp von Makedonien kraftvoll aufzunehmen. Die Schlacht bei Chäroneia (338) versetzte der griechischen Freiheit den Todes - stoss. Nach dem unglücklichen Aufstande im Jahre 322 erhielt Athen sowohl wie die Burg Munychia bei Piräus eine makedonische Besatzung. Die Occupation währte fast ein Jahrhundert.

Dann kamen als Beherrscher die Römer, die nach Niederwerfung des achäischen Bundes und der Zerstörung von Korinth (146 v. Chr.) Griechenland und Makedonien zu einer römischen Provinz erklärten. Als aber die Athener an die Seite des pontischen Königs Mithridates getreten waren, der den Kampf gegen die Römer um die Herrschaft in Asien auf griechischem Boden entscheiden wollte, ward die Stadt am 1. März 86 n. Chr. durch die Legionen unter Sulla gestürmt und geplündert. Die Befestigungen des Piräus wurden abgetragen und erstanden nie wieder.

Von dem berühmten Kantharos, dem Kriegshafen, wo Kriegs - schiffe den Hafeneingang bewachten, und dem unter Lykurgos ent -11*84Das Mittelmeerbecken.standenen Arsenal des Philon sind nur noch einzelne Grundmauern erhalten. Ein gleiches Schicksal erreichten die anderen glanzvollen Bauten von Piräus.

Das heutige, von circa 35.000 Einwohnern bevölkerte Piräus wurde in den vergangenen Jahrzehnten in die antike Rolle der Hafenstadt von Athen wieder eingesetzt und geht der Entwicklung rüstig entgegen.

Der von stattlichen Quais umgebene Hafen ist mit Schiffen aller Nationen gefüllt und bildet den Hauptknotenpunkt der griechischen Dampfschiffahrtsverbindungen. Der Hafen bietet den grössten See - schiffen vorzüglichen Schutz.

Die Stadt selbst ist regelmässig angelegt, verfügt jedoch mit Ausnahme eines hübschen Antikenmuseums im Gymnasion am Karais - kakisplatz über keine nennenswerthe Sehenswürdigkeit.

Am belebtesten ist die längs des Quais ziehende Miaulisstrasse.

Nach Athen führen neben einer Kunststrasse noch zwei Eisen - bahnen, nämlich die Athener und die peloponnesische Bahn, sowie eine Tramwaylinie.

Die Eisenbahnstationen liegen am nördlichen Ende der Stadt.

Wegen der Nähe der 9 km landeinwärts gelegenen Hauptstadt ist der Piräus der wichtigste Einfuhrhafen Griechenlands und ent - wickelt sich dank dem energischen Zusammenwirken griechischer Häuser in den russischen Plätzen des Schwarzen Meeres und auf dem hiesigen Platze als Ordrehafen für russisches Getreide. Unterstützt wird dieses Bestreben durch die 14 Dampfmühlen des Piräus, welche den Bezug fremden Mehles überflüssig gemacht haben. Erfreulich ist auch die andauernde Steigerung des Entrepôtverkehres. Dagegen hat der Piräus wegen des Mangels eines productiven Hinterlandes als Ausfuhrhafen keinerlei Bedeutung. Die Vollendung der Eisenbahn Athen-Korinth-Patras hat den Verkehr des Piräus geschädigt, weil die Reisenden jetzt mit der Bahn nach Athen kommen und den Piräus nicht mehr berühren. Seitdem verkehren auch keine Personen - schiffe mehr nach Kalamaki, das an der Ostseite der Landenge von Korinth liegt. Doch erwartet man von der seinerzeitigen Eröffnung des Canals von Korinth eine ausgiebige Steigerung des Schiffsverkehres und damit auch des Handels. Der Piräus ist ja schon jetzt der wich - tigste Knotenpunkt der Dampfschiffahrt im ägäischen Meere.

Der Handel des Piräus betrug in Drachmen:

〈…〉〈…〉
85Piräus.

Der wichtigste Einfuhrartikel des Piräus ist Getreide. Im Jahre 1888 wurden (im Specialhandel) 602.500 q im Werthe von 13·2 Millionen Drachmen eingeführt, fast ausschliesslich aus Russland. 1887 war die Einfuhr aus Russland bedeutend grösser als 1888, es konnte eben Thessalien, die Kornkammer Griechenlands, in dem letzteren Jahre bedeutend grössere Ueberschüsse an die übrigen Provinzen des Königreiches abgeben.

Hafen von Piräus (Massstab 1: 79.100; Sonden und Höhen in Metern).

A Hafen von Piräus, B Bucht von Ambelaki, C Bahnhöfe, D antike Grundmauern, E Signalstation, F Leuchtfeuer, G moderne Ruinen, H antikes Arsenal. J Gräber, K Kalköfen, L Ruinen mit Säulen, M Petroleummagazin, N Ruinen eines Theaters und Tempels, O Friedhof, P der antike Kantharos, Q antike Steinbrüche, R Xerxes-Thron, S Enge von Salamis, T attische Ebene, U Monument des Miaulis.

Reis kommt zum grossen Theile aus Triest und zu einem Fünftel aus Fiume, neuerer Zeit beginnt Holland die Häfen der Adria zu verdrängen. Einfuhr 1888 16.500 q.

Auch der Kaffeeimport aus Triest wird durch die directe Einfuhr aus Amerika bedroht.

Auch in Zucker hat der Piräus die stärkste Einfuhr unter allen grie - chischen Häfen. Oesterreich-Ungarn beherrscht den Markt, der Artikel richtet sich ganz nach den Verhältnissen und Preisen von Triest. Die Einfuhr betrug 1888 21.770 q im Werthe von 1,033.659 Drachmen, wofür 1,467.074 Drachmen Zoll erlegt wurden.

86Das Mittelmeerbecken.

Lebende Thiere kommen aus der Türkei und Russland. Einfuhr 1888 103.028 Stück im Werthe von mehr als einer Million Drachmen.

In allen griechischen Plätzen werden bedeutende Mengen conservirter Fische und Caviar verbraucht. Die Einfuhr im Piräus erreichte in Fischen 1888 9700 q, in Caviar 2100 q.

Griechenland ist ein wichtiges Absatzgebiet für Holz. Im Piräus wurden 1888 für 1·4 Millionen Drachmen Holz, vornehmlich Bauholz, eingeführt. Die Hölzer aus Steiermark und Kärnthen finden Concurrenz an der Schnittwaare Gali - ziens und der Bukowina, die über Galatz zur Ausfuhr gelangt. Zur Einfuhr ge - langen ferner schwedisches Fichtenholz, Fassdauben aus Samsun und Trapezunt, Eisenbahnschwellen aus Thessalien.

Im Piräus wurden 1888 um etwa 1 Million Francs Spinnstoffe importirt, wohl meist für den Bedarf der dortigen Fabriken und jener von Athen, unter denen die Seilereien zu nennen sind.

Die griechische Statistik kennt rohe Mineralien im Gegensatze zu unbe - arbeiteten Metallen. Wir haben unter den ersteren der Hauptsache nach wohl Kohlen zu verstehen. Petroleum, welches ein Monopol der Regierung bildet, ist ausgeschlossen. Von rohen Mineralien wurden 1888 893.600 q im Piräus eingeführt.

Andere wichtige Einfuhrartikel des Piräus sind chemische Producte, zubereitete Häute und Erzeugnisse der Textilindustrie, darunter Baumwoll - gewebe (Werth 1888 1·9 Millionen Drachmen) und Schafwollgewebe (1888 1·4 Millionen Drachmen) und gemischte Stoffe (1888 1·3 Millionen Drachmen). Ansehnliche Ziffern erreichen in der Einfuhr fertige Kleider, Hüte, Glas und Porzellan, Papier. In all diesen Artikeln spielt Oesterreich-Ungarn eine beden - tende Rolle. Zum Schluss nennen wir Metallwaaren, für die der Piräus der erste Einfuhrplatz Griechenlands ist.

An der Einfuhr der Industrieartikel sind Grossbritannien, Oesterreich-Ungarn und Frankreich in hervorragender Weise betheiligt. In der Einfuhr aus Oester - reich-Ungarn ist ein ansehnlicher Theil deutschen Ursprungs. Auch die Einfuhr Belgiens, das an vielen Unternehmungen in Griechenland betheiligt ist, ver - grössert sich.

Im Export sind in erster Reihe rohe Häute zu nennen. Der grössere Theil der Ausfuhr wurde nach österreichisch-ungarischen Häfen verschifft. Die Producte des Bergbaugebietes von Laurion kommen nicht über den Piräus zur Ausfuhr.

Der Piräus ist wie bereits erwähnt ein Centrum der Schifffahrtslinien des ägäischen Meeres. Die für diesen Platz wichtigste Dampfschiffahrts-Gesellschaft ist die des Oesterreichisch-ungarischen Lloyd. Durch diesen steht der Piräus in Verbindung mit Triest-Fiume, Salonich, Constantinopel, Smyrna.

Durch die levantinischen Linien der Messageries Maritimes ist der Piräus mit Marseille, durch die der Navigazione Generale Italiana mit Genua und Venedig, durch eine dänische Gesellschaft mit Antwerpen verbunden. Der Piräus ist Station egyptischer Postdampfer und selbstverständlich der nationalen Gesellschaften Elleniki Atmopliki Eteria und Panhellenion .

Der Piräus ist Endpunkt der für den internationalen Verkehr wichtigen Eisenbahnlinie Patras-Korinth-Piräus. Sollte der Plan der Griechen gelingen, eine Eisenbahnverbindung zwischen Athen und Salonich herzustellen, so würde der Piräus bestimmt mit der Zeit der Einschiffungshafen für die europäisch-indische Post an Stelle von Brindisi werden.

87Piräus.

Der Schiffsverkehr mit dem Auslande umfasste 1888 1171 einlaufende Schiffe mit 897.408 t und 1282 auslaufende Schiffe mit 979.120 t. Von den aus - laufenden Schiffen waren 417 mit 120.489 t in Ballast, was sich aus dem ungün - stigen Verhältnisse des Ausfuhrhandels zum Einfuhrhandel ergibt.

Für das Jahr 1887 liegen Angaben über die allgemeine Schifffahrt des Hafens Piräus vor, welche zeigen, wie grossartig der Küstenhandel in diesem Theile Griechenlands ist. Es liefen ein 2508 Dampfer mit 1,531.563 t und 5746 Segler mit 471.687 t, zusammen 8254 Schiffe mit 2,003.240 t. Den Hafen verliessen 2509 Dampfer mit 1,532.310 t und 5748 Dampfer mit 472.380 t, zusammen 8257 Schiffe mit 2,004.690 t.

Im Verkehre des Piräus ist die wichtigste Flagge die griechische; diese führen mehr als ein Viertel der Dampfschiffe und fast alle Segelschiffe. Es folgen nach der Zahl des Tonnenverkehres die österreichisch-ungarische, die italienische die französische, die englische und die türkische Flagge.

In Athen und Piräus sind folgende Consulate: Vereinigte Staaten, Bel - gien, Costarica (G. C.), Dänemark (G. C.), Deutsches Reich, Dominikanische Re - publik, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Liberia, Niederlande (G. C. in Athen, C. in Piräus), Oesterreich-Ungarn, Portugal (Athen C., Piräus G. C.), Rumänien, Russland, Schweden und Norwegen, Serbien, Spanien, Türkei (G. -C). Venezuela.

[88]

Syra.

In der Inselgruppe der Kykladen hat seit dem Beginne dieses Jahrhunderts die felsige und baumlose Insel Syra (Syros) einen nicht unbedeutenden Theil des levantinischen Verkehrs an sich gezogen. Die Gunst der Lage an der Dampferroute nach Piräus, Constantinopel und Smyrna verschaffte ihrer Hauptstadt Hermupolis oder Nea-Syra einen hervorragenden Platz unter den griechischen Hafenstädten, und es gab eine Zeit, in der sie den ersten Rang unter denselben einnahm. Wenngleich der Verkehr neuestens unter der Anziehungskraft Athens nach Piräus abgelenkt und Hermupolis bereits überflügelt wurde, so verdient der Platz dennoch hier genannt zu werden.

Unter 37° 25′ nördl. Breite und 24° 56′ östl. Länge von Greenwich gelegen, besitzt die bergige Insel eine Längserstreckung von 23 km bei einer grössten Breite von 9 km. Der nur gegen Nordosten und Osten offene Hafen von Hermupolis liegt nächst der Felseninsel Gaidaro, die einen schönen Leuchtthurm trägt, an der Ostseite der Insel.

In der alten Geschichte ist Syra keine nennenswerthe Rolle zu - gefallen; Pherekydes, der Lehrer des Pythagoras, soll hier geboren sein.

Am griechischen Befreiungskriege betheiligte sich Syra gar nicht, sondern bewahrte nur eine strenge Neutralität. Doch fanden 1821 die Flüchtlinge der verwüsteten Inseln Chios und Psara dort gastliche Aufnahme, und diesem Bevölkerungszuwachse verdankt die am Hafenquai liegende Stadt Neu-Syra ihre rasche Entstehung. Das alte Syra (Paläo-Syros), welches fast ausschliesslich von katholischen Abkömmlingen der venetianischen Ansiedler bewohnt ist, breitet sich hoch über der neuen Stadt, und von dieser durch eine häuserlose Zone getrennt, an der Berglehne aus.

Der Anblick der Doppelstadt ist ein höchst malerischer. Amphi - theatralisch baut sich die untere Stadt an der Rundung des Hafen - quais auf, hoch überragt von Alt-Syra, dessen zu einer Spitze auf - gethürmte Häusergruppen das Bild einer bunten Pyramide gewähren.

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Syra.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1290Das Mittelmeerbecken.

Am Hafenquai, wie überhaupt in der Neustadt herrscht ein sehr lebhaftes, ja sogar recht lärmendes Treiben. Nahe dem Quai liegt der mit schönen Platanen bepflanzte Leotsakos-Platz, der einzige Ort auf der Insel, der in heisser Tageszeit kühlenden Schatten bietet. Des Abends wogt dort die promenirende Menge.

Eine prächtige Illumination bieten des Abends, besonders wenn irgend ein Fest gefeiert wird, die zahllosen Lichter der Stadt.

Syra ist arm an Sehenswürdigkeiten. Ausser der griechischen Metropolitankirche Hag. Metamorphosis (Verklärung Christi) ist in der unteren Stadt noch die stattliche Kuppelkirche Hag. Nikolaos be - achtenswerth. In Alt-Syra, das auf steilen Treppen erreicht wird, nimmt die katholische Kirche St. Georgios den höchsten Punkt ein. Der Kirchenplatz ist seiner herrlichen Aussicht wegen ein Anziehungs - punkt für schaulustige Touristen, aber noch lohnender ist der Ausblick von der Höhe des weiter nördlich bis 492 m über das Meeresnivean ansteigenden Pyrgos-Berges. Von da aus überblickt man die ganze Kykladen-Gruppe und einen grossen Theil des griechischen Festlandes.

Hermupolis ist der Sitz des Nomarchen des Kykladen-Bezirkes, eines römisch-katholischen Bischofs und eines griechischen Erzbischofs.

Die Einwohnerzahl von Neu-Syra ist in Abnahme begriffen, welche Erscheinung mit dem Schwanken oder Niedergehen des Verkehres in Zusammenhang steht. Gegenwärtig hat die Stadt etwa 21.000 Ein - wohner.

Hermupolis ist der Mittelpunkt des Handels der Kykladen und Centrum der Kabellinien des ägäischen Meeres. Zwei Stränge der Eastern Telegraph-Com - pany gehen nach Piräus-Athen, einer nach Candia und einer nach Chio-Smyrna. Die Bevölkerung ist thätig und wohlhabend; Schiffahrt, Handel und Fabrikswesen sind die Quellen des Wohlstandes.

Der Handel von Syra betrug in Drachmen:

〈…〉〈…〉

Verhältnissmässig hoch ist also der Entrepôtverkehr, klein der Ausfuhr - handel. Die Einfuhr wird dadurch wesentlich gefördert, dass Hermupolis einer der ersten Industrieplätze Griechenlands ist. Es werden hier Gerberei, Seilerei und Schiffbau betrieben. Die Gerberei beschäftigt 3000 Arbeiter. Die griechische Handelstatistik zieht leider rohe Häute mit einer Reihe anderer thierischer Pro - ducte in Eins zusammen. Bei Syra machen offenbar rohe Häute den grösseren Theil dieser Einfuhr-Post (1888 Specialhandel) von 16.600 q im Werthe von 1·7 Mill. Drachmen aus. Im Jahre 1887 wurden unter diesem Titel 21.055 q ein - geführt. Auch von zubereiteten Häuten findet eine ansehnliche Einfuhr statt. Ein Theil der Häute stammt aus Südamerika und kommt über Antwerpen und Marseille.

91Syra.

Russisches Getreide ist auch hier der wichtigste Einfuhrartikel; 1888 wurden 130.000 q, 1887 279.000 q Getreide eingeführt. In Syra bestehen fünf Dampfmühlen.

Von Reis wurden 1888 5000 q, 1887 15.600 q importirt.

In keinem Hafen Griechenlands werden so viele Garne und so viele Baum - wollgewebe eingeführt, wie hier. Die letzteren erreichten 1888 eine Höhe von 8010 q im Werthe von 3·3 Mill. Drachmen, 1887 eine solche von 10.997 q im

Hafen von Syra (Massstab 1: 46.300; Sonden und Höhen in Metern).

A Innerer Hafen von Hermupolis, B Telegraphenkabel, C Sanitätsamt, D Windmühlen, E Bäder, F Leuchtfeuer, G Friedhöfe, H Werfte, J Alt-Syra, K Hermupolis oder Neu-Syra.

Werthe von fast 5 Mill. Drachmen. In der Einfuhr gemischter Stoffe kommt Syra knapp hinter dem Piräus.

Wichtig sind noch Zucker, meist aus Oesterreich-Ungarn stammend (1888 7000 q), Rohproducte des Waldes, Bauholz, rohe Mineralien, vornehmlich Kohle aus Cardiff und Newport, rohe Metalle, conservirte Fische und Caviar.

Die Hauptartikel des Exportes sind Tabak (1888 6200 q), für Egypten be - stimmt, Cocons (1888 69.832 k) und Schmirgel, der auf Naxos von privilegirten Arbeitern gewonnen und gegen einen fixen Satz an die Regierung abgeliefert wird. Schmirgel wird allein über Syra ausgeführt; 1888 27.160 q im Werthe von 585.720 Drachmen.

Der Entrepôtverkehr umfasst in erster Linie Producte des Ackerbaues, in zweiter Linie Gewebe.

12*92Das Mittelmeerbecken.

Früher war Syra Kreuzungspunkt einer Reihe von Schiffahrtslinien, die jetzt vom Piräus ausgehen.

Der gesammte Schiffsverkehr von Syra betrug:

〈…〉〈…〉

Die Segelschiffe sind meist griechischer Nationalität; ein Achtel führen die türkische Flagge. Auch unter den Dampfern überwiegt die griechische Flagge, welche, Segler und Dampfer zusammengerechnet, fast die Hälfte des Verkehres vermittelt. Ihr folgen in absteigender Ordnung die französische, die britische und die österreichisch-ungarische Flagge.

Die Handelsflotte von Syra betrug Ende 1888 716 Schiffe mit 94.582 Tons, das sind zwei Fünftel der Handelsflotte Griechenlands; 24 Schiffe mit 11.453 Tons waren Dampfer.

Syra ist Station des österreichisch-ungarischen Lloyd, der Messageries Maritimes und der russischen Dampfschiffahrts - und Handels-Gesellschaft (Sitz Odessa), und wird von Bell’s Asia minor Cy. angelaufen. Durch englische Dampfer steht Syra in directer Verbindung mit London, Liverpool und Malta.

Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Russland, Spanien, Türkei (G. -C.)

[93]

Salonich.

Nur wenige Handelsplätze der Levante vermögen heutigentags mit der uralten Hauptstadt von Makedonien rücksichtlich der com - merciellen Bedeutung im Weltverkehr in die Schranken zu treten.

Was diesbetreffend in Salonich (türkisch Selanik) in aller Stille bereits sich vollzogen hat, und die hoffnungsvollen Bedingungen für die zukünftige Entwicklung, die gewonnen wurden, sind in der That staunenswerth. Bis in die jüngste Zeit auf den Seeverkehr und land - einwärts nur auf den ebenso kostspieligen wie schwerfälligen Kara - wanenweg angewiesen, ist Salonich durch die Anlage des neuen Schienenweges, welcher dem Hafen das Herz Europas erschlossen hat, zu einer der massgebenden Handelsstädte der ganzen Balkanhalbinsel zwischen der Adria und dem Schwarzen Meere erblüht.

Salonich hat wie Athen, Korinth und das weit jüngere Byzanz eine Geschichte höheren Styles, die weit in die vorchristliche Zeit hineinreicht.

Wegen der zahlreichen warmen Quellen in ihrer Umgebung hiess die erste dortige griechische Ansiedlung Therme, und der an der thessalischen Küste mächtig aufragende Felsengrat des heiligen Olymps wies den Weg nach dem thermischen Meerbusen, an dessen nördlichem Ende die berühmte Badestadt lag. Xerxes lagerte in ihr und von hier aus zog er südwärts nach Griechenland. Dann erschienen zu Beginn des peloponnesischen Krieges die Athener und bemächtigten sich der Stadt. Perdikkes II. von Makedonien entriss sie ihnen wieder, worauf Pausanias die Stadt eroberte.

Nun kam 315 v. Chr. Kassandros, der Schwager Alexanders des Grossen, nachdem er Makedonien unterworfen, als Befreier vor die Thore von Therme. Er baute die halbzerstörte Stadt wieder auf, erweiterte sie und gab ihr den Namen seiner schönen Frau Thessalonika. Dieser sollte als kostbarer Talisman sich be - währen. Gewiss hat die geographische Lage und der Handelsgeist der Bewohner der Stadt viel zu ihrer Blüthe beigetragen, aber gleichwohl darf angenommen werden, dass die Gunst der hohen Frau, deren Namen die neue Schöpfung führte, und gewiss auch das Interesse ihres allmächtigen Bruders Alexander nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung der Stadt geblieben waren, die alsbald zur wichtigsten an der makedonischen Küste emporstiegen. Auf dieser Höhe fiel Tessalonike94Das Mittelmeerbecken.nach der Schlacht bei Pydna 168 v. Chr. in die Hände der Römer und wurde die Hauptstadt der Provinz Macedonia.

Die grosse römische Heer - und Handelsstrasse, die Via Egnatia, welche von Dyrrhachium (Durazzo) aus die Balkanhalbinsel bis Byzanz durchquerte und über See mit der Strasse Brundusium-Rom in Verbindung stand, führte durch das Centrum von Thessalonike, und noch heute ist der antike Name dort erhalten.

Dieser Verbindung entsprang der ungeheure Aufschwung, den die Stadt in der Folge genommen hatte und Jahrhunderte hindurch genoss. In den drei ersten Jahrhunderten unserer Aera wuchs die Bevölkerung von Thessalonike auf 220.000 Einwohner und als Handelsstadt hatte sie weit und breit keine Nebenbuhlerin. Die drohende Invasion der Barbaren veranlasste im dritten Jahrhunderte n. Chr. Rom zur Gründung einer Militär-Colonie in Thessalonike.

In das friedliche Schaffen der Stadt mengten sich plötzlich die Schrecknisse der Grausamkeit. Kaiser Theodosius der Grosse (379 385) liess 7000 Bürger der Stadt, weil die Bewohner gegen die römische Besatzung sich empört hatten, er - barmungslos hinrichten. Wohl übte der Mächtige im Jahre 390, um dem Bann - fluche zu entgehen, die ihm vom heil. Ambrosius, Bischof von Mailand, auferlegte Kirchenbusse, allein das Entsetzen seiner Greuelthat lebt in der Geschichte fort.

In der Zeit vom VI. bis zum VIII. Jahrhundert erwehrte sich die Stadt in mehreren blutigen Kämpfen slavischer Horden, und im Jahre 904 unterlag sie den raubgierigen Saracenen, welche in der reichen Stadt mordeten und plün - derten.

Hier erst endete die zwölf Jahrhunderte umfassende erste Blüthezeit von Thessalonike. Obgleich sie sich wieder aufrichtete, mussten doch wieder lange Zeiträume verfliessen, bis die Stadt zu einiger Bedeutung gelangte.

Taukred, der Held des ersten Kreuzzuges erschien dort (1185) mit seinen Normannen und wurde durch seine Gewaltthätigkeit zum Schrecken der Stadt, in der schon damals viele Kaufleute der mittelländischen Handelsrepubliken lebten. Nach der Einnahme von Constantinopel (1204) gelangte Thessalonike unter die Herrschaft des Markgrafen Bonifacius Montferrat, dem die Stadt und deren Umgebung als Königreich zufiel. Sein Nachfolger Demetrios wurde durch Theodoros Angelos Komnenos vertrieben, der 1222 Thessalonike eroberte und sich daselbst zum Kaiser krönen liess.

Die Herrschaft war nur von kurzer Dauer. Von den Bulgaren bekämpft, blieb der Nachfolger Theodoros, sein Sohn Johann, bald auf die Stadt allein be - schränkt, und auch diese fiel dann in die Hände des nikäischen Kaisers Valaces.

Im XV. Jahrhundert fiel Thessalonike dem ungeheuren Eroberungsdrange der Osmanen zum Opfer. Als Sultan Murad 1422 die Stadt hart bedrängte, sahen die Einwohner in der Macht Venedigs ihre einzige Rettung und luden die Repu - blik ein, die Stadt in Besitz zu nehmen. Dem entsprach der kluge Dogenstaat sogleich und zahlte auch den Kaufpreis von 50.000 Ducaten, welchen Andronikos, der Befehlshaber von Thessalonike, im Namen des griechischen Kaisers ausbedungen hatte. Die Venetianer installirten in der Stadt einen Duca (auf den Inseln des Archipels residirten auch Arciduca oder Erzherzoge der Venetianer) und einen Capitanio, aber ihre Herrschaft nahm ein unerwartet rasches Ende. Acht Jahre nach dem Kaufe erschien zum zweitenmale ein türkisches Herr vor Salonich und am 29. März 1430 fiel die feste Stadt in seine Gewalt. Seit jener Zeit weht die Fahne des Halbmondes auf den Wällen von Salonich.

95Salonich.

Thessalonike beherbergte in seinen Mauern 58 v. Chr. Cicero, der hier im Exil lebte.

In der Kirchengeschichte erinnert der Name Thessalonike an Apostel Paulus, der hier zur Zeit der Regierung Nero’s das Christenthum predigte und zwei Epistel an seine christliche Gemeinde richtete.

Thessalonike ward als die Hauptstadt der Christenheit im Oriente angesehen und galt als orthodoxe Stadt.

Unter ihren Kirchenfürsten steht Erzbischof Eustathius, der Tankred ge - sehen, als berühmter Rhetoriker und Commentator der Homer’schen Werke in glänzendem Rufe.

Grossartig und reich an Abwechslung wie ihre Geschichte ist auch das Bild der Stadt und deren Umgebung.

Schon längst ist Salonich aus den Ringmauern herausgequollen, welche die alte, an der Berglehne amphiteatralisch aufgebaute Stadt umgeben. Nördlich und südlich sind Vorstädte aus dem Boden ge - wachsen, und an Stelle der 1869 geschleiften Hafenbefestigung, welche der Stadt den Ausblick auf das weite offene Meer raubte, entstand ein 2 km langer und 10 m breiter mit grossen Lavaplatten belegter Quai, längs dessen eine neue Häuserfront von modernem Aussehen freundlich sich erhebt.

Die Neubauten gestalten das Bild von Salonich sehr wirkungs - voll. Sie bilden den grellen Gegensatz zu den von Thürmen flan - kirten erenelirten Mauerwerk der die Stadt dominirenden Citadelle und den düsteren Cypressenpflanzungen; sie drängen das Chaos der alten Häuser, die wie Wespennester aneinander zu kleben scheinen, in den Hintergrund, wetteifern als belebende Elemente mit den elegant aufstrebenden Minarets, welche mehr als alles andere der Stadt den orientalischen Typus aufprägen. Dazu tritt noch ostwärts der herr - liche Hintergrund des Kortač, eines mächtigen Gebirgszuges, und westlich die weite und fruchtbare Niederung der Kampania, durch welche der Vardar seine Fluten dem Meere zuwälzt, und in duftiger Ferne das wild zerrissene Hochgebirgsland von Albanien; also eine Fülle landschaftlicher Effecte, welche das Bild von Salonich imposant und malerisch ausgestalten. Das Innere der Stadt entspricht aber, wie in allen türkischen Städen, keineswegs der äusseren Herrlichkeit. Ausser der Quaifront und der mit ihr parallel gezogenen breiten Via Egnatia (grande), sowie dem Frankenviertel im Westen und der aus - gedehnten Vorstadt Kalemaria, wo recht hübsche und solide Stein - bauten entstanden, besteht das Gros der alten Stadt aus unansehn - lichen Holzhäuschen und schmutzigen Strassen, diese sind leider nur von wenigen der in der Türkei bekanntlich als Strassensäuberer thätigen Hunde bevölkert.

96Das Mittelmeerbecken.

Ueberraschend ist das Anwachsen der Bevölkerungszahl. Die Ausbreitung der Stadt liess allerdings die Annahme zu, dass die Ein - wohnerzahl von Salonich eine höhere sein müsse, als selbe bisher ge - schätzt worden war. Da versetzte eine Nachricht der Turquie vom 4. Mai 1889 die Statistiker dennoch in helles Staunen, denn darin war für Salonich eine Zahl von 195.000 Bewohnern nachgewiesen worden, also ungefähr das Doppelte der bisherigen Schätzungen.

Von den Bewohnern sind:

Juden 75.000, Griechen 36.000, Türken 25.000, katholische Albanesen 15.000, Makedonier und Serben 13.000, Bulgaren 11.000, Italiener 5000, Albanesen 4000, Franzosen 1500, Deutsche 1200, Engländer 800, Armenier 1000, Zinzaren 5000, Zigeuner 5000.

Die Juden, welche der Zahl nach dominiren, sind, wie die meisten Israeliten auf der Balkanhalbinsel, von spanischer Abkunft, welche sie durch Beibehalt der spanischen Sprache auch bekunden. Ihre Vorfahren wurden zu Ende des XV. Jahrhunderts aus Spanien in grossen Massen vertrieben und fanden in der Türkei eine zweite Heimat. Wie überall, sind sie fleissig und betriebsam; sie besor - gen alle Dienste des öffentlichen Verkehres, des Handels und Gewer - bes und scheuen auch die schwere Lastarbeit nicht, wenn es gilt, sich und die Familie zu erhalten. Sie bilden daher auch das Gros der gewerbetreibenden Bevölkerung der Stadt. Einige Familien sind zu Wohlstand und Reichthum gelangt und entfalten viel Luxus. Berühmt wegen ihrer classischen Schönheit ist die jüdische Frauenwelt von Salonich. Mit ihren Traditionen sind die Juden das interessanteste Element der dortigen Bevölkerung.

Abseits des Aussenhandels, auf den wir zurückkommen werden, dominiren unter den Seeleuten des Handelsplatzes die Griechen, und die Bulgaren stehen als Landwirte und Pferdezüchter in Ansehen.

Die malerische Tracht der Bulgarinnen mit ihrem Münzenschmuck im Haare und der weissen, färbig umsäumten Tunica tritt sehr wirksam in den bunten Strassenbildern der völlig kosmopolitischen Stadt hervor und findet ein anmuthiges Pendant im Costume der Walachinnen, das an die Tracht der Bäuerinnen in der Umgebung von Neapel lebhaft erinnert.

In Salonich residirt der Generalgouverneur, Vali, des gleich - namigen Vilajets; hier ist der Sitz eines griechischen Metropoliten und des Gross-Chacham (Grossrabbiner) der Juden.

Die Stadt hat 41 Moscheen, 16 dem christlichen Cultus ge - weihte Kirchen, worunter die Kathedrale St. Theodoro, 4 Syna -[97]

Salonich.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1398Das Mittelmeerbecken.gogen, ein griechisches und ein bulgarisches Gymnasium, dann eine Handelsschule, endlich, den Bedürfnissen der zahlreichen Nationali - täten ihrer Bevölkerung entsprechend, griechische, bulgarische, ita - lienische, französische, israelitische und türkische Volksschulen.

An Humanitätsanstalten bestehen drei Spitäler (je ein[türkisches], griechisches und französisches).

Mit dem Aufblühen der Stadt hat auch die industrielle Thätig - keit derselben sich gehoben. Es bestehen gegenwärtig 7 Dampf - mühlen, 2 Baumwollspinnereien mit Dampfbetrieb, die zusammen 500 Arbeiter beschäftigen, 5 Seifensiedereien, eine Gerberei, eine Spiritusfabrik u. a. m.

Am nördlichen Ende des Stadtquais sind in nächster Nähe zahl - reiche Lagerhäuser errichtet worden, von welchen Salonich mehr als 150 besitzt.

Leider entbehrt aber der Hafen der modernen Hilfsmittel für die schnelle Erledigung der Verkehrsoperationen. Das Löschen und Laden erfolgt mittelst Lichterbooten (maone), was ebenso kostspielig wie namentlich zeitraubend ist; auch können grössere Schiffe am Quai nicht anlegen, weil sie dort nur 1 3 m Wassertiefe finden. Manch - mal müssen Schiffe 8 Tage zuwarten, bis sie die nöthigen Lichter - boote zur Verfügung haben.

Die Hafenbucht bietet zwar unter gewöhnlichen Umständen aus - reichenden Schutz und hat bei 13 24 m Tiefe einen recht guten Ankergrund, allein bei steifen NNW - und Südwinden ereignet es sich oft, dass der Verkehr mit dem Lande ganz eingestellt werden muss.

Die Durchführung eines entsprechenden Hafenbaues wird daher auf die Länge der Zeit kaum zu vermeiden sein; ein solches Werk wäre eine Wohlthat für den Verkehr des regen Platzes. Projecte für Hafenbauten in Salonich liegen übrigens vor. Nebst der Schaffung von durch einen äusseren Wellenbrecher geschlossenen Bassins be - zwecken sie auch die Erweiterung der Quaifläche und die Verlänge - rung des Schienengeleises bis zum südlichen Ende derselben.

Salonich hat seiner Alterthumsschätze wegen schon lange die Aufmerksamkeit der Archäologen auf sich gelenkt, und man könnte fast sagen, dass die archäologische Erschliessung der Stadt noch nicht vollzogen ist.

Die 6 8 m hohen und 2 m dicken Befestigungsmauern der Stadt stammen aus dem Mittelalter und sind aus Resten antiker Bauten auf kyklopischen Fundamenten aufgeführt. Die Ringmauer endet im Westen an einer geschlossenen Bastion, der Fortezza, im Südosten aber an99Salonich.dem fünf Stockwerke hohen Thurm Kam Kule (der Blutthurm), der jetzt als Gefängniss dient.

Die von der Stadt isolirte Citadelle Jedi Kuleler Kalessi, d. i. Schloss der sieben Thürme, liegt unter 40° 37′ nördl. Breite und 22° 58′ östl. Länge von Greenwich und stammt in ihrer heutigen Gestalt wohl aus venetianischer Zeit, doch muss der Ursprung der Befestigung weit in die vorchristliche Aera versetzt werden. Jedenfalls war die Feste einstens die Akropolis von Thessalonike. Innerhalb der halbverfallenen Mauern, dort wo ehemals die Janitscharen Unterkunft hatten, haben sich arme türkische Familien angesiedelt.

Am westlichen Ende der bereits oben erwähnten Via Egnatia erhebt sich beim Vardar-Thor ein römischer Marmorbogen mit schönem Fries und figuralem Basrelief; im östlichen Theile derselben Strasse ist diese von dem 25 m hohen Triumphbogen des Constantin über - wölbt, einem mit Marmorplatten bekleidet gewesenen imposanten Bau - werke, das zur Verherrlichung des Sieges über Licinius (323 n. Chr.) errichtet worden war. Heute gähnt nur mehr der rohe Ziegelbau dem Besucher entgegen; nur einige hübsche Friese an der Bogenwölbung sind von der einstigen Herrlichkeit erhalten.

Nächst der Via Egnatia zwischen den Quartieren der Juden und Griechen stehen vier in die Façade eines Privathauses eingebaute, als Propyläen des Hippodroms bezeichnete antike korinthische Säulen.

Berühmt ist das grosse Gebäude des Karawanserai, das von Murad II. (1421 1451) gegründet sein soll, wahrscheinlich aber von den byzantinischen Kaisern stammt.

Noch wäre ein schöner antiker Porticus korinthischer Ordnung zu erwähnen, der in der Residenz des griechischen Metropoliten, einem Kloster nächst der unterhalb der Citadelle gelegenen griechischen Kirche, erhalten blieb.

Eine weit höhere Beachtung als die eben aufgezählten Bauwerke beanspruchen die kirchlichen Monumente der ersten Christenzeit, die allerdings gegenwärtig als Moscheen dem mohammedanischen Cultus dienen. Sie bilden eine Gruppe von Bauwerken, die jenen von Con - stantinopel an die Seite gestellt werden können, ja diese in gewisser Hinsicht sogar übertreffen, denn diese Kirchen weisen alle Stylvaria - tionen der damaligen Kunstperiode auf und besitzen selbst die Rotunde, die den Bauten in Stambul mangelt und nur in Italien vorgefunden wird.

Eine der ältesten Kirchen der Stadt ist der St. Georgios oder Rotunda genannte, in eine Moschee (Horta-Sultan Osman Dschami, gewöhnlich Hortadschi-Effendi) verwandelte interessante Rundbau, der13*100Das Mittelmeerbecken.wahrscheinlich von Constantin errichtet wurde und prächtige, voll - ständig erhaltene byzantinische Mosaiken enthält.

Die aus dem V. Jahrhundert stammende Eski-Dschami (alte Moschee), die erste Kirche von Thessalonike, die unter Murad als Moschee eingerichtet wurde, soll an der Stelle eines Tempels der Thermäischen Venus erbaut sein und enthält jonische Säulencapitäle in der von den Türken verbauten Vorhalle. (Zwischen 11 und 12 d. Pl.)

Die Aja Sophia genannte alte Kathedrale Santa Sophia von Thessalonike, welche jetzt die Hauptmoschee der Stadt ist, soll an - geblich unter Justinian vom Architekten Anthemius nach den Plänen des Domes gleichen Namens in Constantinopel, aber in kleineren Dimensionen mit Marmorverkleidung, erbaut worden sein.

Die Kuppelwandung enthält auf einer Fläche von 157 m2 ein merkwürdigerweise von den Mohammedanern nicht überklekstes Mosaik - gemälde auf Goldgrund, welches die Himmelfahrt Christi darstellt. Nur die Figur des Heilands übertünchten die Türken mit Kalk, so dass die Füsse des Erlösers allein sichtbar geblieben sind.

Von grosser Bedeutung ist die St. Demetrios-Kirche, die jetzige Kassimieh Moschee, die im V. Jahrhundert auf dem Grabe des h. Demetrios erbaut wurde und seit 1497 (Sultan Bajazid I.) zur Moschee umgewandelt ist. Die Türken üben an dieser Stätte die höchste Toleranz, indem sie den Besuch des Grabes den Griechen gestatten. Noch seien die altchristlichen, jetzt ebenfalls als Moscheen dienenden Kirchen Santi Apostoli, St. Elias und St. Bardias als sehenswerthe Bauwerke hier erwähnt.

Das Klima von Salonich ist trotz der Nähe des Meeres im Winter rauh, im Sommer heiss und wegen der ausgedehnten Sümpfe an der Vardarmündung ungesund. In der warmen Jahreszeit zieht denn auch ein grosser Theil der Bevölkerung hinaus in die Vorstadt Kalamaria, wo überdies ein besseres Trinkwasser als in der Stadt vorhanden ist.

Obgleich Salonich die Wohlthat einer Eisenbahnverbindung ge - niesst und in seiner Nähe der bis Köprülü, also auf eine Entfernung von 160 km, schiffbare Vardar mündet, hat der Karawanenhandel noch nicht aufgehört, und langen noch immer solche Handelszüge von 100 bis 120 Thieren aus Monastir und Serres in der Stadt an.

In Salonich concentrirt sich im Allgemeinen der Seehandel Makedoniens. Denn die übrigen Rheden von der griechischen Grenze bei Platamona bis Porto Lagos vermitteln bloss den Localhandel und Küstenschiffahrt. Eine Ausnahme machen nur Orfano, der Hafen von101Salonich.Serres, und Kawala, über welches der grössere Theil des türkischen Pfeifen - und Cigarettentabaks zur Ausfuhr kommt.

Der Tabakexport Kawalas erreichte 1888, in welchem Jahre die Ausfuhr der feineren Sorten sehr erschwert war, 42.791 q im Werthe von 2·9 Millionen Goldgulden. Doch die feinsten Sorten werden noch weiter östlich gebaut. Der Ghiubek und die etwas mindere Sorte Sirà Pastal wachsen an der Yakà, dem Kragen der Berge , das heisst an den Abhängen der Bergketten, welche sich zu beiden Seiten des unteren Karasu ausdehnen. Ausfuhrplatz ist das unbedeutende

Salonich (Hafenquai).

Porto Lagos, und der Werth des Exportes erreicht für eine Menge, die um ein Viertel kleiner ist, als die eben genannte Ausfuhr Kawalas, manchmal die Höhe von mehr als 16 Millionen Goldgulden.

Orfano und Kawala zeigen das Bestreben, in directe Verbindung mit dem Auslande zu treten und so die Vermittlung Salonichs zu um - gehen. Aber nach dem Baue des Landes haben beide Plätze nur ein beschränktes Hinterland. Salonich wird daher der wichtigste Handels - platz Makedoniens bleiben, dessen werthvollstes Gebiet das reiche und fruchtbare Thal des im Westen der Stadt mündenden Vardar ist. Auch der Handel des wirthschaftlich bedeutenden Gebietes102Das Mittelmeerbecken.von Bitolia oder Monastir geht über Salonich. Dagegen erwarten vor allem die Engländer, dass Nisch, der Vorort des südlichen Serbiens, und Üsküb, wo von der makedonischen Hauptlinie die Bahn über das Amselfeld nach Mitrowitza abzweigt, gewisse Artikel von Norden her auf dem Landwege und nicht mehr über Salonich beziehen werden. Aus Mähren gehen bereits Zuckersendungen über Belgrad nach beiden Städten. Mit dieser Thatsache ist der Beweis geliefert, dass man Unrecht hatte, wenn man von der 1888 eröffneten Verbindung der ägäischen Hafenstadt mit Eisenbahnnetze Westeuropas sofort einen grossartigen Fortschritt des Handels von Salonich erwartete. Die Eröffnung der Eisenbahn Salonich-Mitrowitza hat eine Vergrösserung des Verkehres gebracht, weil dadurch neue Gebiete dem Meere näher gebracht wurden; der Anschluss an die serbischen Bahnen erleichtert den Zugang der Waaren ins nördliche Makedonien von Belgrad her, und Salonich büsst damit einen Theil der alten Vermittlerrolle ein. Man kann bei den hohen Tarifen der dortigen Eisenbahnen auch nicht darauf rechnen, dass man Massenartikel aus Serbien und dem nördlichen Makedonien an die Küste bringen werde. Abgesehen von dem Per - sonentransporte, der aber nicht viel Geld in Salonich lässt, hat also dieser Hafen durch den Ausbau der Orientbahnen zunächst an Be - deutung kaum gewonnen.

Eine Besserung der Verhältnisse kann nur allmälig und nach langer Zeit erfolgen, wenn es gelingt, die Exportfähigkeit des Hinter - landes von Salonich zu heben und damit dessen Kaufkraft zu stärken. An die Hauptbahn müssen sich Zweiglinien anschliessen, welche die Hauptlinie mit Frachten versorgen, denn heute noch wird der vierte Theil des Verkehres zwischen Monastir und Salonich statt auf der Eisenbahn mit Tragthieren auf dem Karawanenwege über Vodena besorgt, und in grösserer Entfernung von der Bahn lässt man wegen der schlechten Communicationsmittel den Ueberschuss der Getreide - ernte einfach liegen.

Der Seehandel Salonichs erreichte in den letzten Jahren folgende Höhe:

〈…〉〈…〉

Zu dieser Tabelle müssen wir vor Allem bemerken, dass die hohe Einfuhr - ziffer des Jahres 1886 nicht allein die Einfuhr Makedoniens zum Verbrauche re - präsentirt. Damals waren bei Salonich grössere Truppenmassen concentrirt, und auch für den Bau der Eisenbahn wurden Materialien zugeführt.

Die Grundlagen des Reichthums von Makedonien sind Getreide und Tabak.

103Salonich.

Die Ernten Makedoniens hatten in den letzten Jahren wiederholt durch Dürre zu leiden; nur 1887 war ein etwas glücklicheres Jahr. Aus ihm stammte fast vollständig die Getreideausfuhr des Jahres 1888, welche eine Höhe von 454.616 q und einen Werth von 6·5 Millionen Francs erreichte. Wenn wir von der Ausfuhr in die Türkei absehen, welche zu dem Localverkehre in weiterem Sinne gehört, so geht das Getreide regelmässig nach England, Frankreich, Italien und Griechenland, in manchen Jahren auch nach Deutschland und Holland.

Von Tabak wurden 1888 aus Makedonien mit Einschluss der Districte von Kawala und Yenidjé 35.000 q im Werthe von 12·2 Millionen Francs, 1887 solcher im Werthe von 11·5 Millionen Francs ausgeführt. Die Hälfte geht nach Oesterreich-Ungarn, grössere Mengen auch nach Russland, Rumänien und England. Es ist dies meist Tabak von Kawala und Yenidjé. Die minderen Sorten der Umgebung kauft die türkische Tabakregie.

In den Ebenen, welche Vardar und Struma in ihrem Unterlaufe durchfliessen, wird ein lohnender Anbau von Baumwolle betrieben, doch ist das Product für den einheimischen Verbrauch wichtiger als für den Export. Die aus amerikanischen Samen gezogenen Sorten bleiben im Lande. Der Export leidet unter der Con - currenz der mittleren Sorten von Bombay, die den hiesigen Qualitäten roulé und battu sehr ähnlich sind. Um Salonich wurden 1888 15.000 q geerntet, davon 9000 q im Lande verarbeitet, 6000 q im Werthe von 745.000 Francs exportirt. Die Provinz Serres exportirte im selben Jahre 14.000 q. Hauptabnehmer ist Frank - reich, ausser diesem sind zu nennen Italien, die Türkei, Oesterreich-Ungarn. In Salonich bestehen zwei, in Nïausta eine Baumwollspinnerei. Die in Salonich ge - legenen haben 1888 25 % des Capitals als Reinerträgniss abgeworfen.

Bedeutend ist der Export von Producten des Waldes, er erreichte 1888, wo nur um 50.000 Francs Bauholz ausgeführt wurde, 2,150.000 Francs. Bauholz geht nach Smyrna, Brennholz nach Smyrna, Constantinopel und Alexandrien. Der wichtigste Artikel dieser Gruppe sind aber Holzkohlen; ausser den 8000 t, welche für den örtlichen Consum bestimmt waren, wurden noch 10.000 t im Werthe von 1,450.000 Francs ausgeführt. Alle diese Producte waren für die Türkei bestimmt, gehören also zum Localhandel im weiteren Sinne.

Opium (1888 150 q im Werthe von 490.000 Francs) geht nach England, Fenchel nach Frankreich, Italien, Oesterreich-Ungarn, gedörrte Pflaumen nach Amerika und Deutschland.

Von den Producten des Thierreichs werden Felle ausgeführt; 1888 um 2,509.500 Francs. Von Schaffellen kamen nur etwa 80.000 Stück zur Ausfuhr, es wurden viele im Lande verbraucht, dagegen ist die Ausfuhr von Lamm - und Kitz - fellen bedeutend.

Die einheimische Schafwolle wird meist im Lande verarbeitet, und zwar in Salonich und Monastir. Monastir hat eine ansehnliche Hausindustrie in Tuch - und Schafwollstrümpfen, die bis Egypten gehen. Bei Salonich macht man grobes Tuch und Teppiche. Der Export vermindert sich von Jahr zu Jahr und umfasste 1888 5000 q, die nach Amerika und Frankreich gingen.

In den Jahren 1887 und 1888 wurden je 3500 q Cocons geerntet; der Export geht meist nach Mailand, zum Theil auch nach Brussa, und erreichte 1888 3350 q im Werthe von 2,100.000 Francs.

Die Einfuhr von Salonich leidet naturgemäss unter den ungünstigen Ernte - verhältnissen der letzten Jahre, sie hat in keinem derselben den Umfang erreicht,104Das Mittelmeerbecken.welchen sie in guten Jahren hatte. England, Oesterreich-Ungarn und die Türkei sind dabei am stärksten betheiligt.

Zucker kommt hier, wie überall am ägäischen Meere, über Triest aus Oesterreich-Ungarn; die Einfuhr übersteigt den Werth von 3 Millionen Francs. Die Stellung von Triest als Hafen für den Zuckerhandel nach Salonich wird bedroht zunächst von der Eisenbahnlinie über Belgrad, auf welcher, wie erwähnt, mährischer Zucker bis Üsküb vordringt; bald dürfte ungarischer Zucker denselben Weg ein - schlagen. Auf dem Seewege treten nun auch Marseille und Odessa in Concurrenz mit Triest. Von Kaffee (1887 13.000 q) kommt das meiste über England und Triest, Reis direct aus Rangoon oder über England, als Ergänzung der einhei - mischen Ernte. Holz und Salz liefert die Türkei, Steinkohlen England. Petro - leum wurde bisher aus Amerika und Russland gebracht, 1889 kamen in der ersten Jahreshälfte aus Amerika keine Sendungen mehr.

Den Haupttheil der Einfuhr bilden Baumwollfabricate (um 6 Millionen Francs), die ebenso wie Säcke und Sackleinwand überwiegend aus England stam - men; Oesterreich-Ungarn hat den stärksten Antheil an der Einfuhr von Schafwoll - waaren, Papier, Holzwaaren, Quinçaillerien, Goldfäden und fertigen Kleidern. Wirkwaaren liefert Deutschland. Den Ledermarkt beherrschen Frankreich und Griechenland, Metallwaaren kommen aus England, Seife aus der Türkei und Griechenland, Seidenwaaren aus der Schweiz, Oel aus Griechenland und Italien, Alkohol aus Russland. Bemerkenswerth ist, dass Belgien in einer Reihe von Artikeln England zurückdrängt.

Der Schiffsverkehr von Salonich hatte in den letzten zwei Jahren fol - gende Grösse:

〈…〉〈…〉

Aber man darf sich durch die hohen Ziffern des Tonnenverkehres nicht täuschen lassen. Was insbesondere die Dampfschiffahrt betrifft, so sind nur selten ganze Schiffsladungen für diesen Platz bestimmt, ausgenommen die Fahrzeuge, welche Petroleum, Kohle oder Reis bringen. Directe Rückfrachten kommen bei Dampfern nur dann vor, wenn diese Getreide nach nordischen Häfen führen. Als Echelle laufen Salonich an: der Oesterreichisch-ungarische Lloyd (thessalische Linie), die Messageries Maritimes aus Marseille mit 2 Linien, Fraissinet & Cie. aus Mar - seille mit 2 Linien; die Navigazione Generale Italiana; ausser diesen 2 türkische, 1 griechische und 2 englische Unternehmungen. Die eigentlichen Frachtdampfer sind fast ausschliesslich britischer Nationalität.

An der Spitze des Tonnenverkehres steht die französische Flagge, an sie reihen sich die britische, die österreichisch-ungarische und die türkische Flagge. Unter letzterer fahren auch die meisten Segelschiffe.

Wir haben schon erwähnt, dass dem Handel Salonichs durch die Eröffnung des Bahnanschlusses nach Belgrad das nördliche Makedonien, wenigstens für Zucker und Mehl, verloren gegangen ist. Den Handel nach Serbien über Salonich zu leiten, ist für die allernächste Zeit auch wenig Aussicht, da der ganze Export Serbiens nach Norden, hauptsäch -[105]

Salonich (Massstab 1: 25.000; Sonden in Metern).

A Rhede von Salonich, B Zollamt und Sanität, C Waarenhäuser, D Bahnhof, E Arsenal an der Fortezza, F Leuchtfeuer, G Gefängnissthurm, H Seebäder, I Kaserne, J Mili - tärspital, K Volksgarten Bekjinar, L Gaswerke, M Alkohol-Fabrik, N Wollspinnerei Issaïa, O Wollspinnerei Modiano, P Fabrik, Q Vardar-Thor, R Kalemaria-Thor, S Thurm-Thor, T Jeni Kapu-Thor, U Citadelle, V Hissarstrasse, W Via Egnatia, X griechisches Kloster Tschausse, Y Giodschick-Moschee, Z türkisches Bad Isthané. 1 Muhidi, Alaedin - Moschee, 2 Suksu-M. (Apostel-K. ), 3 Saatly-M. (S. Elias-K. ), 4 Gouverneursgebäude, 5 Justizgebäude, 6 Kassimieh-M. (S. Demetrios-K. ), 7 Gemeindehaus, 8 Handelsschule, 9 Hor - tadschi-M. (S. Georg-K), 10 Constantin-Bogen, 11 S. Athanasius-K., 12 St. Mikolaos-K., 13 italienisches Theater, 14 französisches Theater, 15 Ayos Minas-K, 16 Tulmud Tera - Synagoge, 17 griechisches Gymnasium, 18 Aya Sophia-M., 19 Metropolitan-K., 20 Karsaly-M. (S. Bardias), 21 Bezesten (Bazar), 22 Fabrik, 23 Baugrund des österr. -ungar. Lloyd.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 14106Das Mittelmeerbecken.lich nach Oesterreich-Ungarn und Deutschland gerichtet ist, was bis zu einem hohen Grade die Lieferung von Gegenwerthen aus diesen Län - dern erleichtert. Russland rüstet mit allen Mitteln, Serbien auf dem Wege über Odessa-Sulina zu einem Absatzgebiete für seine erstarkte Industrie zu machen. Auch die Concurrenzfähigkeit Fiumes für den Norden Serbiens ist seit Eröffnung der Eisenbahn Sunja-Brod mächtig gestiegen. Die Tarife auf der Bahn Salonich-Belgrad müssten unge - wöhnlich erniedrigt werden, wenn sich Salonich als Transitoplatz für den Import nach den Donaugebieten entwickeln sollte. Ueberdies müsste die türkische Regierung vorher in Salonich einen Zollausschluss errichten und einen Quai bauen, der den Schiffen gestatten würde, unmittelbar am Ufer anzulegen und die Benützung der Lichterfahr - zeuge zu ersparen. Das letztere ist in Salonich nothwendiger als in einem anderen Hafen, weil sich namentlich in den Sommermonaten täglich der Imbatto, ein Südwind, erhebt, der das Ausladen oft durch Stunden unmöglich macht. Dadurch erleiden auch die Waaren wäh - rend des kurzen Transportes von den Schiffen in das hiesige Zollamt viel grössere Gefahr, havarirt zu werden, als während der ganzen übrigen Dauer der Reise. Es scheint, dass dieses vielleicht in ab - messbarer Zeit geändert werden wird, weil der Civilliste des Sultans eine Concession für den Bau des Hafens und eines Quais ertheilt wurde. In den ottomanischen Häfen wird ferner den nach Sonnenunter - gang eintreffenden Schiffen erst am nächsten Morgen die Libera pratica ertheilt, und speciell in Salonich müssen Schiffe, welche am Freitag Abends anlangen, 36 Stunden lang vor der Rhede liegen bleiben. Keine Hand rührt sich, um die Ladung ans Land zu bringen, die Bootsleute sind Juden und halten ihren Sabbath.

Gross also ist die Zahl der Schwierigkeiten, die beseitigt werden müssen, bevor Salonich ein bedeutender Hafen werden kann.

In einem Theile der europäischen Presse, vor allem in der deutschen, wird mit Vorliebe der Plan besprochen, an Stelle Brin - disis Salonich zum Umschiffungshafen der europäischen Post nach dem Süden und Osten Asiens und nach Australien zu machen. Man lässt sich dabei von der Erwägung leiten, dass die Entfernung Salo - nich-Port-Saïd um 205 Seemeilen kürzer sei als die Linie Brindisi - Port-Saïd. Es wäre entschieden ein grosser Triumph der Verkehrs - politik des Deutschen Reiches, wenn es dieser gelänge, wenigstens einen Theil des Brief - und Personenverkehrs, der nach dem äussersten Osten geht, von Brindisi abzudrängen und über Salonich zu leiten. Aber die oben aufgeführten Hindernisse fallen bei dem Postverkehre, wo107Salonich.es vor allem auf Pünktlichkeit der Anschlüsse ankommt, noch stärker ins Gewicht als bei dem Frachtenverkehre. Eines ist bereits erreicht, die Eisenbahnanschlüsse sind für Salonich günstiger geworden, die Züge bleiben nicht mehr an der serbischen Grenze liegen, sondern werden direct expedirt.

Nun könnte man behaupten, dass sich auch die anderen Uebel - stände beseitigen lassen. Gewiss! Aber ebenso sicher ist, dass auch der Eisenbahnanschluss Salonich-Piräus in wenigen Jahren vollendet sein wird. Es scheint uns, dass erst der Piräus berufen sein wird, für den grossen Postverkehr die Rolle zu spielen, welche man heute Salonich wünscht.

Nach alle dem kann man mit Sicherheit sagen, dass Salonich für den grossen ostasiatischen Verkehr nur ein Uebergangsposten ist, nämlich für die Zeit, bis der erste Eisenbahnzug direct Wien mit Athen verbindet.

Die Handelswelt hat begreiflicherweise in der letzten Zeit Salonich eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet. Als Folgen derselben sehen wir die Gründung der Banque de Salonique (Sommer 1888) durch die Länderbank in Wien, welche den Verkehr Oesterreich-Ungarns nach Salonich sehr gefördert hat; ferner die Errichtung einer öster - reichisch-ungarischen Handelskammer in Salonich (30. December 1888), die einer türkischen Handelskammer und endlich die Consti - tuirung der Deutschen Levante-Linie (6. December 1889) in Ham - burg, welche von diesem Hafen ausgehend den Piräus, Salonich, Syra, Smyrna, Constantinopel und Braila in regelmässigen Fahrten be - rühren soll.

Salonich ist ein wichtiger Punkt im Telegraphennetze der Levante. Hier münden in die Linie Otranto-Vallona-Constantinopel die Linien von Sarajevo und Belgrad her, die ab Üsküb vereinigt sind. Salonich ist ferner durch Kabel der Eastern Telegraph Cy. mit Constantinopel, Smyrna und Syra verbunden.

Consulate haben in Salonich folgende Staaten: Belgien, Deutsches Reich Frankreich, Griechenland (G. C.), Grossbritannien (G. C.), Italien (C.), Nieder - lande, Oesterreich-Ungarn (G. C.), Rumänien (G. C.), Russland (G. C.).

14*[108]

Constantinopel.

Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär - chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die Weltmutter der orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser - masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi - schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi - schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge - heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge - nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos - porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt; fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt.

Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein - drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi - schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen - hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit109Constantinopel.heiligen Schauern auch der unvergängliche Geist der uralten, tief in der griechischen Sagenwelt wurzelnden Geschichte der wechselvollen frohen und entsetzlichen Schicksale der Bewohner dieses Erdentheiles.

Eine solche Empfindung mag Lord Byron beherrscht haben, als er von der Schönheit der Residenzstadt am Bosporus begeistert aus - rief: Ich sah Athens heilige Räume, ich sah die Tempel von Ephesus und war in Delphi, ich habe Europa durchstreift von einem Ende zum anderen und die schönsten Länder Asiens besucht, aber nirgends erfreute mein Auge ein Anblick, dem von Constantinopel vergleichbar.

Am Kreuzungspunkte der Landroute von Europa nach Asien mit der zum Schwarzen Meere führenden Wasserstrasse gelegen, nahm Byzanz-Canstantinopel, dessen Gründung in das Jahr 658 v. Chr. fällt, zu allen Zeiten eine vornehme commercielle und politische Stell - lung ein; allein gerade die Früchte der natürlichen Begünstigung: Reichthum und Macht wurden wiederholt zu Ursachen der furcht - barsten Katastrophen für die Einwohnerschaften der Stadt, denn ab - seits der Anziehungskraft, welche ein reiches Gemeindewesen in Kriegszeiten ausübt, waren Bosporus und Hellespont vielbefahrene und günstig beschaffene Wasserstrassen, über welche die ungeheueren Kriegermassen der Darius, Xerxes und Alexander, die Heere der fana - tischen Kreuzfahrer und einer Revanche gleich die Völkerwanderung der Osmanen von einem Continente zum anderen hinübersetzten und wie eine vernichtende Sturmflut allen auf ihrem Wege gelegenen Wohnstätten den Untergang brachten. Auch die thätige Antheilnahme Byzanz an den Kämpfen der Perser, Athener und Spartaner, der Makedonier und Römer hatte zur Folge, dass die Stadt wiederholt als Opfer zu Füssen des jeweiligen Eroberers lag und vergeblich um Erbarmen flehte.

So kam es, dass, als Byzanz für den Gegner des Kaisers Septimus Severus Partei ergiff, die Stadt auch vor dem Vae victis der Römer er - bebte, der Römer, deren eifrigste Verbündete die freie Stadt einst gewesen. Nach dreijähriger heldenmüthiger Belagerung stürmten die Legionen (196 n. Chr.) über die Breschen in die besiegte Stadt. Wie alle alten Völker, übten auch die Römer gegen den Besiegten die härteste Grau - samkeit. Eroberte Städte verfielen den Flammen, und die Bewohner - schaft wurde meist ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht erbar - mungslos niedergemetzelt. Vae victis! Wehe den Besiegten!

Die Römer zerstörten Byzanz bis zu den Fundamenten und liessen nur rauchende Trümmer zurück. Selbst der uralte Name Byzanz sollte vernichtet bleiben, allein die Tradition siegte, und er lebte weiter.

110Das Mittelmeerbecken.

Zum Theile wieder aufgebaut, ward Byzanz eine römische Pro - vinzstadt ohne besondere Bedeutung, bis Constantin der Grosse nach Besiegung des Licinius bei Adrianopel es (330) an Stelle von Rom zur Hauptstadt des römischen Reiches und zu seiner Residenz erhob.

Nach des Kaisers Absicht sollte Byzanz als Neu-Rom (Roma nova) die Hauptstadt eines christlichen römischen Reiches werden, die er deshalb um mehr als das Doppelte erweiterte und mit den herrlichsten Bauten schmückte. Ihm zu Ehren hat die Nachwelt der Stadt den Namen Constantinopel verliehen.

Indes wurde Neu-Rom erst unter Constantin II. (337 361) voll - endet, aber auch die nachgefolgten Kaiser mehrten die Zierden der überaus prächtigen Stadt, die, als Theodosius I. das römische Reich im Jahre 395 unter seine Söhne Honorius und Arcadius theilte, die Hauptstadt des oströmischen Reiches wurde.

In dieser Zeit erhob sich bereits unter dem Missbrauch des zu verwerflicher Scheinheiligkeit ausgearteten Christenthums die mit der Bezeichnung Byzantinismus gebrandmarkte Gesinnungslosigkeit zu Macht und Einfluss. Dieser Theil der Geschichte des morgenländischen Kaiserthums ist so traurig wie die gleichzeitige der Völker des Abend - landes.

Unter dem prunkliebenden Kaiser Justinian (527 565), der als zweiter Gründer von Constantinopel gilt, entartete die Bevölkerung nach dem Vorbilde des sittenlosen Hofes, dem Theodora, die zur Würde einer Kaiserin emporgestiegene Buhldirne, Ton und Richtung gab. Die leidenschaftliche Parteinahme für die im Hippodrom sich bekämpfenden Wagenlenker steigerte sich zu tödtlichem Hass und war die Veranlassung zu dem furchtbaren Nika-Aufstand (Jänner 532), den Belizar nach Niedermetzlung von 30.000 Menschen im Cirkus unterdrückte. Ein grosser Theil der Stadt ging in Flammen auf, und Justinian wäre entthront worden, wenn die Festigkeit Theodora’s ihn nicht davor bewahrt hätte.

Unter dem Machtworte Justinian’s erhoben sich auf den Brand - stätten bald wieder prächtige Gebäude und entstanden herrliche Grossbauten, von welchen die berühmte Sta. Sophia und die gleich - namige von Theodora erbaute kleinere Kirche noch gegenwärtig zu den kostbarsten Monumenten aus der ersten Christenzeit zählen. Des Kai - sers neuerbauter Palast und viele andere Prunkbauten sind aber in der Zeiten Flucht verschwunden.

Während der folgenden Jahrhunderte brandete die Hochflut der Völkerwanderung neunmal an den starken Mauern der Stadt. Das111Constantinopel.Kaiserreich eilte unterdessen dem Verfalle entgegen, und Verbrechen, Elend, Feuersbrünste und Hungersnoth, Bürgerkriege, theologische Streitigkeiten und Metzeleien füllen bis zur Zeit der Kreuzzüge die Intervalle zwischen den erbitterten Angriffen der Barbaren.

Nun marschirten die gewaltigen Heere der Kreuzfahrer durch die Stadt, die kaum mehr sich selbst und dem von Fremden über - fluteten sowie von den Bulgaren und anderen Nachbarn bedrängten Reiche angehörte. In dieser Verfassung fällt Constantinopel im Jahre 1203 in die Gewalt des blinden Dogen Enrico Dandolo, eines erbit - terten Feindes der Byzantiner. Von Dandolo wird erzählt, dass, als er 30 Jahre vorher während eines Krieges als Gesandter den Audienz - saal des Kaisers betrat, er durch einen Hohlspiegel, welcher die Sonnenstrahlen scharf reflectirte, ruchlos geblendet worden sei.

Neun Monate hatte die Belagerung durch 40.000 Kreuzfahrer und 300 venetianische Galeeren gewährt, worauf die eroberte Stadt unter furchtbarem Gemetzel der Plünderung und Zerstörung anheim - fiel. Die meisten Prachtwerke aus den Kunstepochen Constantin’s, Justinian’s und anderer Kaiser wurden auch der Occident hatte Barbaren dabei vernichtet.

Das nun begründete lateinische Kaiserthum hatte nur eine Lebensdauer von 57 Jahren und endigte 1261 mit der Eroberung Constantinopels durch den kühnen Handstreich der von Strategopulos geführten Scharen des zu Nikäe thronenden Kaisers Michael Paläologos.

Bald sollte die steigende Macht der Osmanen, deren Sultane seit 1360 in Adrianopel residirten, mit eiserner Gewalt in das Schicksal Constantinopels greifen. Nach einer erfolglosen Belagerung durch Murad II. im Jahre 1422 erschien 1453 sein Sohn, der ruhmsüch - tige Mohammed II., mit seinem ganzen Heere und starker Flotte vor der Stadt, die nur von 8000 Mann vertheidigt war. Zuvor hatte der Sultan die Feste Rumili Hissar am europäischen Ufer des Bosporus erbaut, wodurch er letzteren beherrschte.

Während der 50tägigen heldenmüthigen Vertheidigung liess der Sultan, weil der Eingang zum goldenen Horn und in das Marmara - Meer durch eine schwere Kette gesperrt und nicht zu erzwingen war, seine Galeeren auf einer Schleifbahn vom heutigen Top-hane über den jetzigen Stadttheil Kassim-Pascha in das goldene Horn ziehen und winden. Am 29. Mai fand der Hauptsturm gegen das Charisius - Thor dort wo der Lykus-Bach (19) die Mauern der Stadt durch - schneidet statt. Trotz des Muthes der Verzweiflung unterlagen die Christen gegenüber der Tapferkeit der Janitscharen. Constantin, der112Das Mittelmeerbecken.letzte Kaiser, fiel dort im dichten Kampfgewühl, und als dann sein Kopf dem Sultan gebracht wurde, liess er ihn an der herrlichen Säule, die Justinian’s Kolossal-Reiterstandbild trug ein schrecklich Rache - bild ausstecken. Drei Tage währte die Plünderung und fast ebenso lang die Metzelei. Mehr als 60.000 Menschen, meist Frauen und Kinder, ereilte das entsetzliche Los der Sclaverei.

Mohammed sicherte jenen Christen, welche in der Stadt wohnen wollten, zwar die Freiheit des Gottesdienstes, verwandelte jedoch gleichzeitig acht der schönsten Kirchen, darunter die Aya Sophia, in Moscheen und bereicherte die Stadt durch grosse Bauten. Constanti - nopel wurde nun der Hort des Islams, dem die Sultane Bajazid, Soli - man der Glänzende, Selim II., Ahmet, Osman u. a. prächtige Tempel weihten.

Nahezu fünf Jahrhunderte währt nun die Herrschaft der Osmanen am goldenen Horn, eine Zeitperiode, die, wenngleich sie manchen Blutfleck enthält, doch für die Weltstadt Constantin’s eine Epoche ruhiger Entwicklung von einer Dauer und Stabilität bedeutet, wie solche dort an der Stätte so vieler Gräuelscenen niemals zuvor er - lebt worden sind.

Aber schon drängt das neuerwachte Griechenthum mächtig zu den Pforten der Aya Sophia und fordert das kostbare Erbe der christ - lichen Vorfahren.

Die Frage um die Zukunft von Constantinopel, der, wie Gre - gorovius sagt, gegenwärtig geheimnissvollsten und wichtigsten aller Städte der Erde, von deren dämonischem Fatum nicht nur das Schicksal Athens und Griechenlands, sondern vielleicht die künftige Gestaltung zweier Welttheile abhängig ist, wird zur Lösung aufge - worfen.

Ein Blick auf unseren Plan von Constantinopel erleichtert uns wesentlich die Orientirung in der ausgedehnten Stadt und deren Nachbargebieten.

Die Hauptstadt des türkischen Reiches wird von denkenden Türken mit dem Namen Islambol, Stadt des Islams, bezeichnet, ge - wöhnlich aber wird sie Stambul oder Istambul genannt; allein in topographischer Hinsicht bezieht sich dieser Name nur auf das in Dreiecksform zur Serailspitze vorspringende, im Osten durch das gol - dene Horn begrenzte Stadtgebiet des alten Byzanz. Die Stadt führt auch den Namen Der-i-Seadet, die Pforte des Glücks, türkisch heisst sie Konstantinije, griechisch Konstantinupolis und slavisch Zarigrad.

Gegen die Landseite ist Stambul durch die aus dem V. Jahr -[113]

Constantinopel (mit Bosporus und Skutari).

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band 15114Das Mittelmeerbecken.hundert herstammenden Doppelmauern geschützt; zwischen diesen und der unter Constantin I. aufgeführten Mauer befand sich das mit dem Namen Exokionion bezeichnete Lager der gothischen Kohorten, welchen die Sicherheit der Stadt anvertraut war.

Der südliche Theil der Mauer stützt sich an das Schloss der sieben Thürme (Jedi Kule), wo ehemals jene fremden Gesandten ein - geschlossen wurden, deren Staaten die Sultane den Krieg erklärten. Heute ist zwischen den düsteren Mauern, die manche geheimnissvolle Execution sahen, eine Industrieschule für Mädchen errichtet.

Von hier aus führt die Doppelmauer bis zum Mermer-Kule-Thurm (Marmara-Thurm), dessen Fuss die See bespült und der die Verbin - dung mit der zur Serailspitze führenden Seemauer herstellt.

Zwischen Stambul und dem gegenüberliegenden Galata krümmt sich das tief eingeschnittene goldene Horn (Chrysokeras), der ehe - malige Hafen von Byzanz. Der Name erinnert nicht nur an die Form der Einbuchtung, sondern auch an den Reichthum ihrer Ufer. In das goldene Horn münden an dessen äusserstem Ende die Flüsschen Cydaris und Barbyzes, die ein grünes Thal durchziehen, in welchem sich der beliebte Vergnügungsort die europäischen süssen Wässer (Kiaat - hane = Papierfabrik) befindet.

Die Vorstadt Galata ist mit Stambul durch zwei grossartige Pontonbrücken verbunden, über die ein ausserordentlich lebhafter Ver - kehr wogt. Besonders fesselnd ist das Leben auf der neuen Brücke der Sultanin-Valide (Mutter des Sultans), wo die schönen schnell - fahrenden Dampfer des Localverkehres anlegen, um Tausende von Passagiere nach allen Punkten des Bosporus zu befördern.

An der Stelle von Galata lag einst die grosse Nekropole der ersten Byzantiner; sie wurde durch die Vorstadt Sykae (Feigendorf) verdrängt, welche Justinian erweiterte. Unter den Paläologen errangen die Genuesen dort grossen Einfluss und dehnten Galata bis zur Spitze des kegelförmigen Hügels aus, den der vorne erwähnte, 1348 erbaute Galata-Thurm (Torre di Genova) als Theil der bestandenen Befesti - gung krönt. Von der Höhe des massiven runden Thurmes ist eine der prächtigsten Rundsichten über ganz Constantinopel zu geniessen.

Galata ist der Sitz der Handelsthätigkeit von Constantinopel; dort sind die Börse, das Zollamt, die Bureaux des österreichisch-ungarischen Lloyd, der französischen Messagerie und anderer Schiffahrtsgesell - schaften. Tramway-Linien haben zur Erweiterung und Verjüngung einiger Strassenzüge geführt und auch sonst sind die alten engen Strassen unter dem Hauche der Civilisation vielfach verschwunden.

115Constantinopel.

Ein unbeschreibliches Gedränge herrscht längs der neuen Ver - kehrsadern, wo von frühem Morgen bis zum späten Abend Menschen - massen, allen Nationen des Ostens und Westens angehörend, sich be - gegnen und kreuzen.

Höher hinauf am Rücken des Höhenzuges entfaltet das weit nach Nordosten ausgreifende Pera seine amphitheatralisch aufsteigen - den Häuserzeilen. Diese Vorstadt, in der die meist herrlichen Palais der Botschafter liegen, ist gegenwärtig zu einem bedeutenden Platze aufgewachsen. Die Grande Rue de Pera durchzieht die Stadt vom Galata-Thurme an bis an ihr äusserstes Ende als belebteste und fashionabelste Pulsader. Dort sind die elegantesten Geschäfte für Luxusartikel, die Theater, Clubs und Hôtels; an der Perastrasse liegt das gartenumgebene grosse kaiserliche Lyceum Galata-Serai und die griechische und armenische Kirche. Die katholische Marienkirche und eine katholisch-armenische Kirche liegen in der Nähe derselben Strasse.

Pera hat einige hübsche, aber kleine öffentliche Gärten und dürfte, wenn die inmitten der Stadt noch bestehenden ausgedehnten türkischen Friedhöfe einstens beseitigt sein werden, noch manch schattigen Park hinzufügen.

Im Osten von Pera wurden in den letzten Jahren einige gross - artige Militärbauten, wie: Artillerie-Kaserne, Kriegsschule, Waffen - dépôt u. a., aufgeführt.

Nach Galata führt eine Tunnel-Drahtseilbahn herab, und besteht auch eine Tramway-Verbindung zwischen den beiden Nachbarstädten.

Angrenzend an Pera liegen östlich die Vorstädte Top-hane mit schönen Moscheen, dem Artilleriearsenale und Stückgiessereien, Fün - dükly mit der Dampfschiffstation Kabatasch und weiter östlich der prächtige Neubau des grossherrlichen Palastes Dolma-Bagdsche, un - mittelbar an mit Treppenfluchten ausgestatteten Quais.

Das Palais von Beschiktasch (Tschiragan Serai) liegt noch weiter ostwärts, und darüber auf den grünen Abhängen des Höhen - zuges lagert in einem weiten bis hinab zum Tschiragan reichenden und mit diesem durch eine Marmorbrücke verbundenen Parke Jildis Kiosk (Sternenkiosk), die Residenz des herrschenden Sultans Abdul Hamid II. Es ist dies eigentlich eine kleine Stadt für sich, mit zahl - reichen den verschiedensten Zwecken des Hoflebens und des Staats - dienstes gewidmeten Gebäuden.

Unter den zahlreichen am europäischen Ufer des Bosporus lie - genden Ortschaften seien noch die fashionablen Sommerfrischen von Therapia und Böjükdere ihrer reizenden Lage wegen hier erwähnt.

15*116Mittelmeerbecken.

Im Westen ist an Pera die Vorstadt Kassim Pascha und an diese Ters-hane angeschlossen. Zu letzterer gehört das am goldenen Horn gelegene weitläufige See-Arsenal (E) und die Marine-Schule der türkischen Flotte. Weiter nordwärts sind die Quartiere von Piri - Pascha, Hasskiöi und Kalidschi Oglu. Gegenüber der letztgenannten breiten sich auf der Stambul-Seite die Vorstädte Ejub und Ortak - schilar aus.

Die Moschee von Ejub ist für den Mohammedaner die heiligste Stätte von Stambul, denn sie deckt das Grab des Abu Ejub Khalid - Ansari, eines Gefährten des Propheten Mohammed. Dort wird bei jeder Thronbesteigung der Sultan mit dem Schwerte Osmans umgürtet.

Wir haben bisher von der asiatischen Küste des Bosporus nicht gesprochen. Auch dort umsäumen dicht aneinander gereihte Ortschaften den von malerisch bewegten Höhenzügen begleiteten Strand.

Skutari oder Üsküdar (Schild), das alte Chrysopolis (Goldstadt), ist die bedeutendste Vorstadt Constantinopels mit ungefähr 50.000, fast ausschliesslich mohammedanischen Einwohnern. Mit ihren zahl - reichen Minareten, den grossartigen Militärbauten am Strande und den amphitheatralisch am Abhange der Bulgurlu-Höhe aufgebauten Häuser - massen bietet Skutari einen fesselnden Anblick. Die Stadt hat präch - tige Moscheen, unter welchen die Büjük Dschami (R) mit einer schönen Fontaine, die Yeni Dschami (der Sultanin Valide) (S), welche durch zwei Minarets mit Doppelgallerien auffällt, sehenswerth sind.

Im Süden der Stadt, in welcher das Erhabene mit dem Dürf - tigen um den Vorrang streitet, liegt in einem ausgedehnten Cypressen - walde der grossartige Friedhof von Skutari, der grösste des Orients, mit zahllosen Grabsteinen, deren Alter weit bis in die byzantische Zeit zurückreicht. Sultan Mahmud wagte es, in dieser Nekropole ein Grabmal für sein Lieblingspferd zu errichten. Eines der interessante - sten, der Stadt Skutari vorgelagerten Objecte ist der auf einer kleinen Felsenklippe erbaute Leander-Thurm (Kis Kalessi, Mädchenthurm), der gegenwärtig ein Leuchtfeuer trägt und als Signalstation ver - wendet wird.

Der Name Leander ist von den Franken willkürlich gewählt worden, da ja der Schauplatz der Sage von Hero und Leander am Hellespont zwischen Sectos und Abydos gelegen war. Der Thurm hat eine uralte Geschichte. Im Alterthume hiess die Klippe Damalis, ein althellenischer Name, der an die zu Skutari ver - storbene Gemahlin des gegen Philipp von Makedonien entsendeten[athenischen] Feld - herrn Chares erinnert. Dieser errichtete seiner Gemahlin auf der Klippe ein Mauso - leum. Die Byzantiner schmückten dasselbe mit einer hohen Säule, die auf Damalis (Kalb) anspielend das Bildniss einer jungen Kuh trug. Das Denkmal sollte gleich -117Constantinopel.zeitig die mit der Gründung von Byzanz verknüpfte Sage von dem Raub der Europa, die hier von dem als Stier erscheinenden Zeus über den Bosporus ge - tragen wurde, versinnlichen. Auch wird damit die Sage von der Gründung von Byzanz verknüpft, indem angeblich die in eine Kuh verwandelte Io im Thal des Barbyses die Keroessa, nachherige Mutter des Byzas, des Gründers der Stadt, gebar. Der türkische Name Mädchenthurm ist dagegen mit einer anderen aller - liebsten Sage in Verbindung gebracht.

In byzantinischer Zeit war am Fusse des Leanderthurmes die schwere Kette angelegt, welche zur Spitze Serai Burnu und von dort zum jetzigen Zollamt in Galata führte und den Bosporus und das goldene Horn für die Schiffahrt absperrte.

Südlich von Skutari ist noch die bedeutende Vorstadt Kadikiöi (Dorf des Richters) zu nennen, welche nach zwei verheerenden Feuers - brünsten neu aufgebaut, einen durchaus europäischen Charakter er - halten hat, wie sie denn auch fast nur von Franken aller Nationen bewohnt ist.

An der Stelle von Kadikiöi lag das 18 Jahre vor der Gründung von Byzanz entstandene Chalkedon, die älteste Niederlassung am Bosporus. Kadikiöi steht mit Constantinopel im regsten Dampferver - kehr, und viele reiche Kaufleute haben in der mit breiten Strassen und schönen Gärten gezierten Stadt ein trauliches Heim aufgeschlagen.

Kadikiöi ist an Zahl der Kirchen und christlichen Bildungs - anstalten beachtenswerth, es besitzt unter anderen auch ein griechi - sches Lyceum, das an der Stätte der alten Basilika der St. Euphemia, wo 451 und 507 Kirchenconcilien abgehalten wurden, liegen soll.

Noch eine Dependenz von Constantinopel sei hier erwähnt; es ist die im Marmara-Meere gelegene Gruppe der hohen und maleri - schen Prinzen-Inseln, die in byzantinischer Zeit der vielen dort bestandenen griechischen Klöster wegen auch Pfaffen-Inseln (Papa - donisia) hiessen. Prinzessinnen - oder Prinzen-Inseln nannte man sie, weil die Eilande ein Verbannungsort für byzantinische Kaiser und Kaiserinnen (Irene, Regentin von 780 bis 803), Prinzen und Prin - zessinnen war. Prinkipo, die grösste und höchste der Inseln, ist ein beliebter Ausflugsort der griechischen Bevölkerung von Constantinopel und besitzt bei herrlichem Klima, reicher Vegetation und reizenden Villen auch vielbesuchte Seebäder.

Nach der Rundschau, die wir in der unvergleichlich schönen Umgebung von Constantinopel gehalten haben, sei nun auch dem ehr - würdigen Stambul und seinen herrlichen Bauwerken ein Raum in der Schilderung eingeräumt.

Die weltberühmte Aja Sophia, der uralte mit Recht bewunderte118Das Mittelmeerbecken.Kunstbau, fällt dem zu Schiff von Westen ankommenden Beschauer unwillkürlich auf. Mit vier hohen Minarets geschmückt, ist die Mo - schee auf einem dominirenden Punkte jenes Höhenrückens aufgeführt, den auch die alten grossherrlichen, an geschichtlichen Traditionen reichen Marmorpaläste des Top Kapu-Serai und andere staatliche Bauten krönen. Südwestlich von Aja Sophia und von dieser überragt, liegt der durch sechs Minarets schon von weiter Ferne erkennbare Prachtbau der Moschee Ahmedieh des Sultans Ahmed I., und in derselben Frontrichtung gewahrt man noch zwei Moscheen, von wel - cher jene knapp am Eisenbahngeleise die kleine Aja Sophia (Küt - schük Aja Sophia) ist.

Es ist ein überaus wirkungsvolles Bild, das dieser mit so vielen bewunderungswürdigen Bauten reich ausgestattete, von tausendjährigem Gemäuer eingefasste Stadttheil mit seinen Gärten und den dunklen Nadeln seiner Cypressenhaine bietet. Sein Gebiet war zu byzantini - scher Zeit der prunkvollste Theil der Kaiserstadt; dort lag (nächst der jetzigen Ahmed-Moschee) das aus dem II. Jahrhunderte stam - mende, von Constantin vollendete arkadengezierte Hippodrom (gegen - wärtig türkisch: Atmeidan, Rossplatz), das bis in das XIII. Jahr - hundert der Centralpunkt des byzantinischen Hof - und Volkslebens war. Gegenwärtig ist von der stolzen Pracht des Bauwerkes nichts anderes übrig geblieben als drei Denksäulen, die zu den kostbarsten Erinnerungen an die Glanzperiode der ersten Kaiserzeit gezählt wer - den müssen. Constantin und andere Kaiser hatten nämlich im Hippo - drom mehrere Säulen errichtet, die aus allen Provinzen herbeige - schleppt werden mussten. So ward dort auch der goldene Dreifuss, ein Siegesdenkmal aus dem Apollon-Tempel von Delphi, aufgestellt, dessen ehernes Postament, die sogenannte Schlangensäule, heute noch erhalten ist. Am Atmeidan steht noch der kahle, einst mit Relief - platten von vergoldeter Bronze belegt gewesene Obelisk, den die Kreuzfahrer seines Schmuckes beraubten, und der 30 m hohe Obelisk Theodosius des Grossen, den dieser Kaiser aus Aegypten überführen und im Jahre 390 aufstellen liess. Die wohlerhaltenen Hieroglyphen des Obelisken weisen nach, dass letzterer um das Jahr 1600 v. Chr. durch Pharao Thutmes III. zu Heliopolis errichtet worden war.

Constantin erbaute in dem vorgenannten Stadttheile das prächtige Hauptforum (Forum Constantini), das unter andern eine 53 m hohe Porphyrsäule, deren Ueberreste unter der Bezeichnung verbrannte Säule noch heute bestehen, zierte. Unter dem aus dem Apollo - Tempel zu Rom stammenden Denkmale soll das alte trojanische Pal -119Constantinopel.ladium, das der Kaiser gleichfalls aus Rom herbeischaffen liess, als schützender Talisman der Stadt, begraben sein. Constantin erbaute (325), als er noch nicht den christlichen Glauben angenommen hatte, die ursprüngliche, der heiligen Weisheit (Hagia Sophia) geweihte Kirche und errichtete gleichfalls dem Frieden (Irene) noch heute bestehend und der Auferstehung (Anastasia) geweihte Tempel.

Von demselben Kaiser wird berichtet, dass die Siebenzahl für ihn einen mystischen Werth besessen habe; er wollte für die Sonne gelten, um welche die sieben Planeten sich bewegen. Sein Standbild auf der vorne erwähnten Porphyrsäule stellte ihn als Apollo-Sol mit der Inschrift Soli invicto (der unbesiegten Sonne) dar; er hatte sieben hohe Würdenträger aus Rom mitgebracht, und die von ihm errichtete Befestigungsmauer erhielt sieben Thore. In seinem Palaste war die Wache in sieben Abtheilungen gesondert, und sieben Lampen zierten den Haupt - saal desselben. Ebenso musste Neu-Rom gleich wie die ewige Stadt an der Tiber sieben Hügel haben, wenn es auch etwas schwer fällt, dieselben heute heraus - zufinden.

Zu den noch heute erhaltenen constantinischen Bauten zählen auch die grossartigen Cisternen, worunter die nächst der heutigen Sophien-Moschee befindliche Cisterne der 1001 Säulen (Binbirdirek) die bedeutendste ist.

Byzanz war frühzeitig ein Hort des Christenthums gewesen, denn dort erschien der Apostel Andreas und predigte das Evangelium. Die von ihm begründete Christengemeinde war der Kern, aus dem das spätere christliche Leben dort zu herrlicher Aeusserung sich entfaltete.

Die Stadt besass denn auch eine grosse Zahl schöner Kirchen, und die Kaiser wetteiferten, selbe durch prächtige Bauten zu erhöhen. Die Aja Sophia Justinian’s blieb aber unerreicht. Dieser Kaiser wollte, dass dieses Bauwerk das dauerhafteste und prächtigste aller Zeiten wäre. Die Schätze des ganzen Reiches wurden zur Ausschmückung geplündert. Dem Dianentempel von Ephesos, den Tempeln von Athen, Delos, Kyzikos, Heliopolis u. a. entnahm man Kostbarkeiten, den Riesenbau zu schmücken, dessen kühn gedachtes neues System von imposanten, völlig schwebenden Kuppeln ihn zu einem Meisterwerk aller Zeiten erhebt und den Ruhm seiner Erbauer (Anthemius von Tralles, Isidor von Milet und Ignatius) sichert.

Unbeschreiblich war die Pracht und der verschwenderische Reichthum an Kostbarkeiten im Innern des Tempels, bei dessen Ein - weihung (26. December 537) Justinian mit Stolz ausrufen durfte: Salomon, ich habe dich besiegt.

Während der Plünderung Constantinopels durch die Türken war die St. Sophia, in welcher Massen von Flüchtigen jeden Geschlechtes120Das Mittelmeerbecken.und Standes Schutz gesucht hatten, der Schauplatz einer grässlichen, durch die entmenschte Soldateska verbrochenen Metzelei. Dethier tritt aber der Darstellung einiger Historiker entgegen, welche erzählen, Mohammed II. selbst sei zu Pferde in den Münster bis zum Hauptaltar eingedrungen, dort vom Pferde gesprungen und habe ausgerufen: Es gibt keinen Gott als Gott und Mohammed ist sein Prophet! womit er das Signal zum Niedermetzeln und Plündern gegeben.

Von den frommen Legenden, die über die Aja Sophia berichtet werden, hat besonders eine beigetragen, die Aufmerksamkeit der Chri - stenwelt dem herrlichen Gotteshause lebhaft zu erhalten. Diese Le - gende berichtet, dass beim Eindringen der Türken in dasselbe der gerade die Messe lesende Priester mit dem heiligen Buche durch eine geheime Thüre in der Mauer verschwand, und den gestörten Gottesdienst fortzusetzen einst wieder erscheinen wird.

Mohammed II. verwandelte die Aja Sophia und sieben andere Kirchen in Klissa-Dschami (in Moscheen verwandelte Kirchen), und erst Murad III. setzte auf der Spitze der Kuppel einen Halbmond von so brutaler Grösse auf, dass dessen Vergoldung allein 50.000 Ducaten gekostet haben soll.

Eines der reizendsten Denkmäler türkischer Kunst ist in dem östlich der Sophienmoschee gelegenen und 1728 erbauten Brunnen Ahmed III. verkörpert. Eine Copie dieses Bijous schmückte 1873 den Park der Wiener Weltausstellung.

Die Zahl der Moscheen in Stambul und seinen Vororten wird mit 891 angegeben, an grossen Dschamis zählt man 227, von wel - chen 13 als die kaiserlichen hervorgehoben werden. Zu diesen ge - hören: die Sta. Sophia, Ahmedieh, Süleimanieh, Osmanieh, Mehe - medieh, Bajazidieh, Selimieh, Jeni Dschami, Laleli, Shah-zade, Mahmudieh und Dschehangir in Top-hane, Ejub und Abdul-Hamid in Skutari. Ausserdem bestehen 260 mohammedanische Klöster (Tekke) und Klausen, 177 mit den Moscheen verbundene theologische Schulen (Medresse) und 368 türkische Elementarschulen. 188 höhere türki - sche und christliche Lehranstalten sind geöffnet.

Auch die Zahl der christlichen Kirchen ist hervorragend. Es bestehen deren 143, wovon 60 dem griechisch-orthodoxen, 38 dem armenisch-gregorianischen, 12 dem armenisch-katholischen, 26 dem römisch-katholischen, 5 dem protestantischen Gottesdienste ge - weiht sind.

Sehenswerth ist der Platz des Seriaskierats (Kriegsministerium), auf dem der hohe Seriaskier-Thurm sich erhebt und als höchster[121]

Constantinopel (Serailspitze und goldenes Horn).

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 16122Das Mittelmeerbecken.Punkt Stambuls ein grossartig ausgedehntes Panorama über die ganze Umgebung bietet.

Interessant sind die Bazare, worunter der sogenannte grosse Bazar mit seinem unentwirrbaren Labyrinth von gedeckten engen Gassen, Durchgängen, Hallen und Kreuzwegen, in welchen Geschäft an Geschäft sich reiht und die Schätze der glänzenden und koketten orientalischen Industrie zur Schau liegen, ein dankbarer Anziehungs - punkt für jeden Fremden ist.

Die navigatorischen Verhältnisse im Bosporus sind im Allge - meinen günstig, nur erfordert die aus dem Schwarzen Meere ziehende scharfe Strömung einen hohen Grad von Vorsicht beim Ein - und Aus - laufen. Für die grossen Passagierdampfer bestehen in dem gut ge - schützten Hafen eine Zahl von Ankerbojen, die einzige Vorkehrung, welche Constantinopel dem Handelsverkehre überhaupt bietet. Bei aller Pracht und Herrlichkeit, welche den wunderbaren Hafen um - geben, vermisst man die Sorgfalt für die Hauptquelle alles höheren Reichthums, den Seehandel.

Wie das echt orientalische Strassenleben von Constantinopel durch die malerischen Trachten seiner allen Nationen angehörenden Einwohner, das lärmende Getriebe der Händler, die vermummten Gestalten der Frauen - welt und hundert andere fremdartige Erscheinungen fesselt, ebenso überrascht das Wasserleben des Hafens durch seinen rasch pulsirenden Verkehr. Die flinken scharfgebauten Kaiks sind hier als Ueberbleibsel uralter Zeiten zwar noch zahlreich in Verwendung, allein der Local - verkehr der Dampfer entzieht denselben immer mehr Gebiete der Thätigkeit.

Nach der amtlichen Statistik des Jahres 1885 zählt Constanti - nopel 873.565 Einwohner, darunter 384.910 Mohammedaner, 152.741 Griechen, 149.590 gregorianische und 6442 katholische Armenier, 4377 Bulgaren, 44.361 Juden, 819 Protestanten, 1082 sogenannte Lateiner (Katholiken als türkische Unterthanen) und 129.243 fremde Unterthanen, unter letzteren ungefähr 50.000 griechische. Constanti - nopel ist Sitz der türkischen Regierung und der Centralbehörden des Reiches, des Hauptes der mohammedanischen Geistlichkeit Scheich-ül - Islam, eines römisch-katholischen Erzbischofes, zugleich apostolischen Vicars, eines griechischen und armenischen Patriarchen, eines arme - nisch-katholischen Patriarchen und eines Grossrabbiners. Aus der Statistik von Constantinopel ist noch erwähnenswerth, dass die Stadt 169 öffentliche Bäder, 54 Druckereien, 45 mohammedanische Biblio - theken mit mehr als 70.000 meist ungedruckten Werken arabischer,123Constantinopel.persischer und türkischer Autoren besitzt. Unter den 71.000 Häusern ist nur eine Minderzahl für mehr als je eine Familie bestimmt.

Gross ist die Zahl von Aussprüchen, in welchen heidnische, christliche und mohammedanische Historiker, Geographen, Redner und Dichter die selten günstige Handelslage Constantinopels gefeiert haben. Man nennt die Stadt mit Recht die auf sieben Bergen thronende Beherrscherin Asiens und Europas , die Herrin der beiden Continente und Meere . Aber man erfährt durch diese schwungvollen Worte doch nicht mehr, als ein ganz oberflächlicher Blick auf die Karte zeigt.

Erst vor wenig mehr als einem Jahre wurde die Eisenbahnlinie Belgrad-Constantinopel vollendet, welche einem uralten Handelswege und Kriegspfade folgt. Dieser zweigt bei Belgrad von der Donau - strasse ab, folgt einem merkwürdigen Systeme von Flussthälern, Bergpässen und Ebenen. Längst der Morava und Nischava, des Isker und der Maritza führt der Weg nach Adrianopel, dem Mittelpunkte zahlreicher Strassen. Hier wendet sich die Maritza nach Süden, aber eine einladende Bodensenkung gestattet der Eisenbahn einen leichten, wenn auch gekrümmten Zugang nach dem südöstlich gelegenen Con - stantinopel. Und jenseits des Bosporus liegt in Skutari, das zum Polizeibezirke Constantinopel gehört, die Kopfstation der 93 km langen Eisenbahn Skutari-Ismid, welche gegenwärtig durch deutsches Capital und deutsche Ingenieure um mehr als 300 km nach Süd - ost bis Angora verlängert wird. Diese Strecke ist ein wichtiger Theil jener seit Jahrtausenden benützten Karawanenstrasse, welche in ihrem Verlaufe sich in zwei Aeste spaltet. Der eine führt nach Syrien und Aegypten und hat als Hadj , das ist als Pilgerstrasse nach Mekka, noch heute Bedeutung für die Millionen der Mohammedaner Klein - asiens. Als Handelsweg kann sie mit der Seeverbindung von Con - stantinopel nach Syrien umsoweniger in Wettbewerb treten, als dort die grösseren Küstenplätze gute Verkehrswege nach den Stapelplätzen des Innern besitzen. Aber von Angora nach Südosten fortschreitend kommt man in die fruchtbaren Länder des Euphrat und Tigris, die heute wegen unzureichender Verbindung dem Handelseinflusse Con - stantinopels mehr und mehr entrückt werden und über Bassorah und den persischen Meerbusen mit Europa in directem Verkehr stehen.

Wir sehen also auf zwei alten Völkerstrassen den Verkehr neu - belebt durch das moderne Mittel der Eisenbahnen. Die Via Egnatia, der dritte alte Zugang zu Lande nach Constantinopel, welcher im südlichen Theile des adriatischen Meeres, in Durazzo, dem alten16*124Das Mittelmeerbecken.Dyrrhachium, begann, bei Salonich das ägäische Meer erreichte und längs der Küste bis Byzanz führte, wird kaum je wieder belebt werden, denn Rom und Italien haben heute für die Balkanhalbinsel nicht mehr die Bedeutung wie in den Tagen des römischen Imperiums, und der Handel folgt der Richtung Nord-Süd und nicht West-Ost. Aber auf einer Karte der telegraphischen Verbindungen Constantinopels tritt sie nicht minder scharf hervor wie die beiden anderen Ver - kehrswege.

Bei Beschreibung der zahlreichen Seeverbindungen Constanti - nopels können wir uns viel kürzer fassen. Zunächst müssen wir her - vorheben, dass Constantinopel für alle minder werthvollen Güter in der Donaustrasse über Sulina eine billige Verbindung mit dem Herzen Europas besitzt.

Die Getreidemengen Südrusslands, die dort in zahlreichen Häfen, vorab in Odessa, gesammelt werden, haben keinen billigeren Weg nach Westeuropa, als den durch die Strasse von Constantinopel. Derselben Richtung folgt der Petroleumexport aus dem Kaukasus.

Die fruchtbaren Landschaften an der Nordküste Kleinasiens er - warten nur gute Verbindungen mit ihrem Hinterlande, und sie werden dem Handel Constantinopels reichliche Beschäftigung geben.

Ja Trapezunt, das am Schwarzen Meere so günstig für den Verkehr mit Persien gelegen ist, braucht sogar dringend eine Verbesserung des alten Karawanenweges nach Täbris, sonst geht sein Handel mit Persien und dadurch auch der Constantinopels an Bushir am persischen Meer - busen verloren. Auf die Seeverbindung Constantinopels mit dem Westen und Süden des Näheren einzugehen, ist wohl nicht noth - wendig, um zu verstehen, woher der strahlende Kranz stammt, der Constantinopel durch Jahrhunderte und unter so verschiedenen Ge - bietern als einen Mittelpunkt des Handels erscheinen lässt.

In unseren Tagen ist viel von diesem Glanze geschwunden; vieles durch die Schuld der indolenten Türken, das meiste aber durch politische Umwälzungen und die geänderten Verkehrsverhältnisse. Wohl liegt die Stadt noch immer an einer der wichtigsten Handelsstrassen; gegen 20.000 Schiffe mit fast 11 Millionen Tons belebten 1888 seinen Hafen, aber nur ein kleiner Theil derselben diente seinem Handel. Constan - tinopel ist nicht mehr der Angelpunkt für den Verkekr zweier Welt - theile; es hat keine nennenswerthe Industrie; es ist nicht mehr der Stapelplatz für die ganze Balkanhalbinsel und die gesammte ausser - europäische Türkei, es beherrscht nicht mehr ausschliesslich den Ver - kehr nach dem wichtigsten Theile Persiens. Neben Bushir, über125Constantinopel.welches meist englische Waaren nach Persien gelangen, gewinnt die Einfuhr Russlands durch Kaukasien und über das kaspische Meer stets höhere Bedeutung. Russlands Handel mit Persien wird von einem niedrigen Rubelcourse und von guten Strassen, die sich an die Bahn Batum-Baku anschliessen, begünstigt. Centralasien steht ganz unter russischer Herrschaft. Die Grosshandlungshäuser, welche das Geschäft mit Persien und Centralasien pflegten und zwischen den Fabrikanten

Constantinopel (Palast von Dolma Bagdsche).

Europas und den Kaufleuten dieser Länder vermittelten, sind in den letzten Jahren allmälig aus Constantinopel verschwunden.

Der Handel des türkischen Reiches selbst ist gegenwärtig de - centralisirt.

Die Häfen Salonich, Smyrna, Mersina, Beirut und andere haben sich von der Vermittlung Constantinopels befreit, und nur die Plätze des Schwarzen Meeres versorgen sich, wenigstens zum grösseren Theile, noch von hier aus, weil noch in einigen von ihnen Filialen beden - tender constantinopler Firmen bestehen.

Durch die grossen Verluste, welche die Türkei 1878 infolge des für sie unglücklichen Krieges mit Russland erlitten hatte, musste natur -126Das Mittelmeerbecken.gemäss auch Constantinopels Handelsbedeutung sinken, und schon 1885 erlitt diese einen neuen Stoss, indem damals Ostrumelien thatsächlich aus einer autonomen Provinz, welche innerhalb der Zollgrenze des türkischen Reiches lag, ein Theil des Vasallenfürstenthums Bulgarien wurde. Im September 1885 brach in Ostrumelien der Aufstand aus; von da an waren die Verbindungen und alle Beziehungen mit dieser Provinz unterbrochen, nach welcher etwa 30 % des gesammten in Constantinopel eingeführten Waarenquantums gegangen waren. Nicht nur die Bestellungen, auch die Zahlungen seitens der rumelischen Kunden blieben vollständig aus, und wegen der Zollschwierigkeiten errichteten die grossen Firmen Constantinopels für Baumwollgarne Waarenhäuser in Philippopel.

Als dann im Februar 1886 der Verkehr mit Ostrumelien wieder eröffnet wurde und man in Constantinopel auf die Erneuerung der alten geschäftlichen Beziehungen wartete, da traf die überraschende Nachricht ein, die bulgarische Regierung habe an der Grenze von Ostrumelien einen Zollcordon errichtet. Sie verlangte von Waaren, welche schon bei der Einfuhr in die Türkei den dort gesetzlichen Einfuhrzoll von 8 % vom Werthe erlegt hatten, bei ihrem Eintritte nach Ostrumelien neuerdings die Erlegung eines Zolles von 8 % ad valorem.

Im April 1886 wurden die Handelsbeziehungen der Türkei und Ostrumeliens geordnet; aber Ostrumelien blieb für die Türkei Zoll - ausland.

Die Vollendung der im Bau begriffenen Eisenbahn Jamboli - Burgas (Fortsetzung der Linie Tirnova-Semenli-Jamboli) wird Ost - rumelien auch für den Verkehr nach dem Süden von der Türkei ganz unabhängig machen und zunächst das türkische Dedeagatsch schä - digen. Dieses liegt im Osten der Mündung der Maritza ins ägäische Meer, ist Ende einer Zweigbahn von Adrianopel her und daher Ex - portplatz für ostrumelisches Getreide.

Auch die Stellung Constantinopels als vermittelnden Platzes für Ostrumelien dürfte durch die neue Bahnlinie geschwächt werden.

Einen neuen Aufschwung kann Constantinopol nur nehmen, wenn die Communicationsmittel Kleinasiens verbessert und damit neue Ver - kehrsgebiete dem Welthandel erschlossen werden.

Die Vollendung des Eisenbahnanschlusses nach Belgrad hat den Handel Constantinopels bis jetzt nur indirect gefördert, indem sich dadurch der Zuzug von Reisenden bedeutend gehoben hat. Aber die Tarife sind auf dieser Bahn zu hoch; Constantinopel kann daher als Importplatz gegen die Provenienzen aus dem Norden nicht weit hinein127Constantinopel.aufkommen, wenn man auch zugeben muss, dass die Gesellschaft der Orientbahnen Constantinopel gegenüber Salonich begünstigt.

Auch müsste Constantinopel als Hafen billiger werden; die Schiffahrtsabgaben sind zu hoch, die Schiffe können nicht am Ufer anlegen, und müssen sich der Lichterboote bedienen. Die Hamals (Lastträger) gestatten nicht, dass man den Dampfkrahn der Eisenbahn - station an der Serailspitze benütze.

In der Einfuhr Constantinopels spielen Getreide und Mehl eine grosse Rolle. Weizen wird ihm von allen Seiten zugeführt, hauptsächlich aber aus Russ - land und Ostrumelien. In den letzten Jahren dominirte Russland; das Bild ändert sich aber sofort, wenn Eis die Schiffahrt in den russischen Häfen schliesst.

Reis bringt seit zwei Jahren eine arabische Firma direct aus Bombay und Saïgon und hat darin ein Monopol erreicht. Zufuhren von indischem Reis 1888 96.000, 1887 88.800 Säcke.

Von Zucker wurden 1888 139.000 q eingeführt, das sind um 40.000 q weniger als die mittlere Einfuhr der Vorjahre, weil die Kaufkraft der Bezirke Kleinasiens, welche sich über Constantinopel versorgen, durch Missernten gesunken ist. Auch die Hauptstadt consumirt jetzt weniger. Von der obigen Einfuhrziffer des Jahres 1888 entfallen auf Oesterreich (Pilé) 80.626 q, auf Russland (Sand - zucker) 30.343 q, auf Frankreich (Pilé) 21.054 q, auf Aegypten (Rohrzucker) 5585 q. Seit dem Anfange der Siebzigerjahre beherrschte Oesterreich über Triest den Zuckerhandel Constantinopels. Jetzt muss es das vermehrte Angebot von vier Con - currenten durch eine ausgiebige Herabsetzung des Preises abwehren. Eine neue Concurrenz droht Triest und Constantinopel von Ungarn, das seinen Zucker mit der Bahn über Belgrad nach Rumelien zu schicken versucht.

Kaffee kommt seit zwei Jahren direct aus Rio Janeiro, die Ankünfte aus Triest und Marseille sind daher kleiner als früher.

Neben den Colonialwaaren bilden die Gegenstände der Textilindustrie den wichtigsten Theil des Importes. In Baumwollgarnen, in rohen, gebleichten und bedruckten Kattunen beherrscht England den Markt, neben ihm in feinster bedruckter Waare der Elsass und Frankreich, Frankreich auch in buntgewebten Baumwollstoffen (Toile de Vichy), welche zur Anfertigung von Feredsches (Frauen - mäntel) für die ärmere Bevölkerung dienen. In Flanellen, Strumpf - und Wirkwaaren dominirt Deutschland, Tücher kommen aus England, Deutschland und Oesterreich (Bielitz), bedruckte Wollstoffe aus Oesterreich, Leinenwaaren und Jutestoffe über - wiegend aus England, Seidenwaaren aus Deutschland und Frankreich und Italien. Von einzelnen Artikeln verdienen hervorgehoben zu werden Shawls für den Hals und lange Shawls als Leibbinden (Kuschak), welche meist aus Oesterreich und Deutschland bezogen werden, und Fez und fertige Kleider aus Oesterreich.

An der Einfuhr des Eisens sind England, Belgien und Schweden betheiligt. In diesem Artikel hat Constantinopel durch die Zollgrenze gegen Ostrumelien einen grossen Theil seiner dortigen Clientel verloren. Stahl kommt nur aus Oesterreich und Deutschland (1888 4600 Kisten), Zinn und Schwarzblech fast ausschliesslich aus England. In die Einfuhr von Werkzeugen, Schlosserwaaren, Haus - und Küchengeräthen theilen sich Deutschland, Belgien, Frankreich, England und Oesterreich.

128Das Mittelmeerbecken.

In Glas haben Belgien und Lothringen eine bedeutende Stellung, der Glasimport aus Böhmen (1888 5200 q) ist im Rückgange.

Porzellan schickten Oesterreich, Deutschland und Frankreich, Steingut Deutschland und Belgien, Thonwaaren Böhmen.

Von Bier wurden 1888 8000 9000 hl über Triest eingeführt, meistens österreichischer Erzeugung; von Flaschenbieren kommt schon viel aus Deutschland.

Die constante Verschlechterung der österreichischen Zündhölzchen kommt der Einfuhr fremder Waare zu statten.

In den meisten Sorten des Papiers steht Oesterreich noch in erster Linie, nur Cigarettenpapier, an dessen Import früher Oesterreich in hervorragender Weise betheiligt war, ist jetzt zu neun Zehnteln in Händen Frankreichs, und Strohpapier liefern jetzt die Italiener.

Holz kommt aus Anatolien und vom Auslande über Galatz aus Oesterreich und Rumänien, Russland erscheint nicht immer auf dem Markte.

Wir schliessen die Reihe der Einfuhrartikel mit Steinkohlen, welche bis auf die Zufuhren aus den staatlichen Lignitbauen von Bender Eregli am Schwarzen Meere aus England kommen. Zufuhr 1888 8·2 Millionen q, davon 5 Millionen q bestimmt für die Häfen des Schwarzen Meeres.

Von der kleinen Reihe der Ausfuhrartikel sind Erzeugnisse der Industrie nur Teppiche. Jährlich gehen etwa 160.000 Stück im Werthe von 250.000 Livres turques nach England und Amerika, ferner nach Oesterreich und Deutschland. Sie kommen aus Kleinasien, dann aus Turkestan, Persien und Afghanistan. Die Zoll behörden fördern diesen Handel in jeder Beziehung.

Der wichtigste Ausfuhrartikel dieses Marktes ist Mohair, das Haar der Angoraziege, welches England, die Union und Russland verbrauchen. Dann folgt Schafwolle 1888 / 89 7·4 Millionen kg, das sind ungefähr 43 % des Gesammt - exportes der Türkei. Steigende Bedeutung erlangen Lamm - und Schaffelle.

Für Dragant-Gummi war Constantinopel einst das Centrum des Handels, jetzt wird derselbe zum grossen Theile von Bagdad, Beirut und Mersina direct ver - schifft. Von Kreuzbeeren werden 80.000 90.000 kg versendet, von Opium 1887 / 88 nach einer guten Ernte in Kleinasien 157.500 kg, meist für die Union bestimmt.

Von untergeordneter Bedeutung in Bezug auf die Werthsummen, aber doch nennenswerth wegen der localen Eigenart sind noch Stickereien, Fili - granarbeiten und Rosenöl.

Die Türken geben über den Handel Constantinopels zur See keine amt - liche Statistik heraus, die Finanzbehörde erstattet nur Ausweise über den Verkehr sämmtlicher Häfen der Türkei zusammengefasst. Alle Angaben, welche wir ge - bracht haben, sind nur Schätzungen. Das türkische Finanzjahr umfasst die Zeit 1. / 13. März bis 28. Februar / 12. März (1888 / 89 = 1304).

Ueber die Einfuhr zu Lande liegen die Ausweise der rumelischen Eisen - bahnen vor, welche 1887 aus Ostrumelien nach Constantinopel 305.285 q Güter im Werthe von 39,436.000 Goldpiaster brachten, dagegen aus Constantinopel nach Ostrumelien nur 90.450 q im Werthe von 55.621 Goldpiastern führten. Auf diesem Wege waren die wichtigsten Einfuhrartikel Constantinopels Aba (Schafwollgewebe), Getreide (17·7 Millionen q), Käse und Rosenöl, die wichtigsten Ausfuhrartikel Baumwolle, roh und gesponnen, Manufacturwaaren, Leder und Lederwaaren, Dro - guen, Colonialwaaren, Eisen und Eisenwaaren, Quincaillerien.

129Constantinopel.

Der Handel Constantinopels ist zum kleinsten Theile in den Händen der Türken. Im Verkehre mit dem Auslande ist die Stellung der Engländer eine so dominirende, dass das Yard (0·91 m) die Basis für alle Waaren bildet, deren Länge durch ein Längenmass festzustellen ist. Grossen Einfluss haben auch Oester - reich-Ungarn (nationale Handelskammer) und Frankreich (Handelskammer). Die Bedeutung Deutschlands, welches eben eine directe Dampferlinie von Hamburg aus einrichtet, und die Belgiens, welches dort ein Musterlager besitzt, entwickeln sich günstig. Im inneren Handel sind die Armenier, welche die Banquiers der Osmanen sind, zurückgetreten, da ja das herrschende Volk verarmt; dafür ist der Einfluss der Griechen und spanischen Juden gestiegen.

Constantinopel (Böjük Dere).

Der Schiffsverkehr Constantinopels ist in den letzten Jahren überaus gestiegen wegen der grossartigen Getreideausfuhr der russischen Häfen des Schwarzen und Azow’schen Meeres. Er betrug 1887 17,344 Schiffe mit 8,666.012 Tons, 1888 19.445 Schiffe mit 10,829.991 Tons. Von diesen waren 1888 im

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Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 17130Das Mittelmeerbecken.

Davon waren

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Stark betheiligt sind ferner die russische, die französische, die italienische und schwedisch-norwegische Flagge.

Die grosse Steigerung des Schiffsverkehres von 1888 wurde fast ausschliess - lich von der britischen Flagge besorgt. Bemerkenswerth ist die zunehmende Thä - tigkeit der deutschen Flagge schon vor der Errichtung der Linie aus Hamburg.

Die in Constantinopel regelmässig verkehrenden Dampfergesellschaften sind: der österreichisch-ungarische Lloyd, die Messageries maritimes, die Compagnie Fraissinet & Co. (Marseille, französisch), die Compagnie Russe de navigation à vapeur (Odessa), welche englische Massengüter von Constantinopel nach Trapezunt befördert und directe Fahrten nach Alexandrien unternimmt, Navigazione Generale Italiana (Genua), Compagnie Mahsoussé (türkisch, hat 32 Schiffe), Compagnie Khédivié (egyptisch), Compagnie l’Egée Courtgi & Comp. (griechisch).

Constantinopel ist auch ein Centrum der Telegraphenleitungen der Levante. Hier geht durch eine der Verbindungen zwischen Europa und Indien, an welche sich auf der europäischen und der asiatischen Seite zahlreiche Nebenlinien anschliessen. In diesem Hafen landet das Kabel der Black Sea Telegraph Cy., das von Odessa ausgeht. Von dem nahegelegenen Kartal geht ein Kabel der schon öfter genannten Eastern Telegraph Cy. durch die Dardanellen nach Tenedos, von wo eine Fortsetzung nach Salonich, die andere nach Chios (Smyrna) Syra führt.

Constantinopel ist der einzige Ort der Türkei, in welchem das Bank - und Creditwesen besser entwickelt ist. Die wichtigste Bank ist die Banque Impériale Ottomane, welche das Privilegium der Noten - ausgabe besitzt. An sie reiht sich die Banque de Constantinople. In Galata befindet sich eine Börse.

Für die Bedürfnisse der kleinen Leute sorgen die Geldwechsler, Sarafi , welche in zwei Zünfte zerfallen. Die Zunft der Keuchè Saraf , der Geldwechsler, die unter Umständen auch auf der Strasse ihren Wechslertisch aufschlagen, steht unter strenger Aufsicht, denn ihre Mitglieder sind nur zu sehr geneigt, denjenigen, der ihre Ver - mittlung in Anspruch nehmen muss, zu übervortheilen.

Die misslichen Geldverhältnisse sind überhaupt das wichtigste Hinderniss des Aufschwunges der Türkei und Constantinopels insbe - sondere, trotz der wunderbaren Handelslage dieser Hauptstadt. Allge - mein herrscht hier der Zinsfuss von 12 % für sichere Pfandschaften. In diesem capitalsarmen Lande fällt es daher keinem Einheimischen ein, sein Geld in gewerblichen Unternehmungen, in Landgütern anzu - legen, die als erste Bedingung ihrer Rentabilität einen Grossbetrieb131Constantinopel.verlangen. Er leiht auf Pfänder und vermehrt sein Vermögen ziemlich rasch, ohne etwas zu riskiren.

Wie im Kleinen, ist es auch im Grossen. Die grossen Banken sind mit fremdem Gelde ins Leben gerufen. Aber Handel und Indu - strie wurden durch sie nur wenig befruchtet.

Die Concessionirung gemeinnütziger Arbeiten, wie die der Aus - trocknung der sumpfigen Strecken bei Ismid, am Marmara-Meere und der Bahn nach Angora, führt nur in seltenen Fällen zur Vollendung dessen, was man sich vorgenommen.

Es wäre zu wünschen, dass der eben jetzt in den Vordergrund gerückte Plan französischer Ingenieure den Bosporus an seiner schmal - sten Stelle zu überbrücken, nicht auch an den herrschenden Zuständen zu Grunde gehe. Die Verbindung der rumelischen und der anatolischen Bahn würde dem Handel Constantinopels einen neuen Aufschwung geben. Das Absatzgebiet der sogenannten Constantinopler Waaren, die einst die ganze Balkanhalbinsel bis an die Grenzen Croatiens und Bessarabiens beherrscht haben, würde in Kleinasien neu aufleben. Nicht weit von der Stelle, wo der Grieche Mandrokles die Schiffbrücke gebaut, über die 700.000 persische Krieger, unter den Augen ihres Königs Darius, über den Bosporus gezogen, soll die neue stabile Brücke errichtet werden, 800 m lang und in der Höhe von 17 m über dem Spiegel des Wassers, das hier jene vorerwähnte gewaltige Strömung zeigt, welche die Griechen die grosse , die Türken die teuflische nennen. Nördlich von den Anlegepunkten der Brücken erheben sich auf der europäischen Seite die grossen Thürme von Rumili-Hissar, umgeben von den Ueberresten zinnengekrönter Mauern und kleinen Thürmen, die in malerischer Unordnung sich bis zum Ufer hinabziehen. Und auf dem asiatischen Ufer leuchten von einer Höhe die schlanken Thürme von Anadoli-Hissar, dem Castelle des Sultans Bajazid, herab. Die Bahn würde von hier aus die entzückende Au der asiatischen süssen Wässer durchschneiden, um Scutari, den heutigen Kopf der anatolischen Linien, zu gewinnen.

Empfindsam angelegte Naturen werden den Bau der Eisen - bahnen bedauern; er wird ein schönes Stück der Poesie, welche die Ufer des Bosporus umgibt, hinwegräumen, aber zugleich dem Handel und Verkehr Constantinopels neues Blut zuführen.

So würden auch für die bestehenden türkischen Bahnen in stei - gendem Masse die Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie ihrer wirtschaftlichen Aufgabe in vollem Umfange gerecht werden könnten. 17*132Mittelmeerbecken.Bis jetzt sind sie noch weit davon entfernt aber die Umstände sind eben widrig. Es gibt wohl kaum ein zweites Beispiel in der Ge - schichte des Eisenbahnwesens, welches einen ähnlichen Umschlag von den höchsten Erwartungen zur deprimirtesten Ernüchterung zeigte, wie dies seit der Eröffnung der türkischen Linien der Fall ist. Hunderte von Artikeln und ebenso viele passende oder auch nicht passende Gelegenheitsreden in allen Sprachen Europas verkündeten den voll - ständigen Umsturz aller bestehenden Handelsverhältnisse auf der Bal - kanhalbinsel und in deren Nachbargebieten, sobald das Dampfross erst einmal den Bosporus und die Stadt Thessalonikes mit Wien ver - binden würde. Heute ziehen jeden Tag Eil -, Post - und Lastzüge diesen langen Weg hin und her, doch der Umsturz ist nicht ein - getreten; allein man kann sich allenfalls über den hochgehenden Enthusiasmus früherer Tage wundern oder über die Fülle von Illu - sionen, welche zur Zeit der Gründung der türkischen Bahnen weite Kreise zur finanziellen Betheiligung verleiten konnten, keineswegs aber darüber, dass der Erfolg bis heute jene frohen Hoffnungen noch nicht zu erfüllen vermochte. Ein Blick auf die Dimensionirung dieser Bahnen, und noch mehr ein Blick auf die menschen -, geld - und culturarmen Pro - vinzen, welche die Schienenstränge südlich der Save-Donaulinie durch - ziehen, zeigt jedem nüchternen, sachverständigen Beobachter, was man heute von diesen Bahnen erwarten, was man von ihnen verlangen kann. Sie sind nicht berufen, sofort Träger eines mächtigen Verkehres zu sein, sie sind Pionniere der Cultur, und zwar Pionniere der Cultur bei einer Bevölkerung, welche arm, Jahrhunderte lang durch elende Steuer - und Verwaltungsgesetze gedrückt, apathisch dahin lebt, jede Neuerung misstrauisch beschielt und nur durch den Baargewinn lang - sam vorwärts geschoben werden kann. Wir sind auf dem Balkan und nicht am Mississippi. Das darf man bei Beurtheilung dieser Pionnier - bahnen nie vergessen.

Legende zu Hafen von Constantinopel. A Bojen der Passagierschiffe, B Goldenes Horn, B1 Kriegshafen am Goldenen Horn, C neue Brücke Sul - tanin Valide, D alte Brücke Mahmud, E See-Arsenal, F Leuchtfeuer, G Armee-Arsenal, H Zollamt und Quarantaine in Galata, H1 Zollamt in Stambul, J Bahnhöfe in Stambul, K Ankerplatz der fremden Stationsschiffe, L Palais Dolma Bagdsché Serai, M Palais Beylerbey-Serai, N Garde-Kaserne Selimieh, O Militär-Spital und englischer Friedhof vom Krimfeldzug, P Eski-Valide-Moschee, Q Selimieh-Moschee, R grosse Moschee Büjük, S neue Moschee Jeni Valide, T Bahnhof Haidar-Pascha, U Landungsplatz in Kadikiöi, V grosse Friedhöfe, W makadamisirte Strassen, X Landungsplatz bei Kis Kalessi, Y Der - wisch-Klöster, Z Kaserne,〈…〉〈…〉 Moscheen, Kirchen. 1 Aja Sophia, 2 hohe Pforte, 3 mil. -medicin. Schule, 4 Top Kapu-Serai (altes Serail), 5 Marmor-Kiosk, 6 Sultan Ahmed-Moschee, 7 Sultan Valide - Moschee und egyptischer Bazar, 8 Süleimanieh Moschee, 9 Seriaskierat, 10 Bajazid-Moschee, 11 grosser Bazar, 12 Justiz-Ministerium, 13 Moschee Mohammed II. des Eroberers, 14 Sultan Selim-Moschee, 15 Shah Zade-Moschee, 16 Laleli-Moschee, 17 Vlangu Bostani-Ga[r]ten, 18 Spital Hastahaneh, 19 Wiesen, 20 grie - chische Schule und Kirche in Phanar, 21 Kaserne von Ramis Tschiftlik, 22 Ziegelbrennerei, 23 Kriegs - dépôts, 24 Kaserne, Militär-Schulen, 25 alte Giesserei, 26 Marineschule, 27 Gärten von Pera, 28 Artillerie - Kaserne, 29 Medschidieh-Kaserne, 30 Kriegsschule, 31 kaiserliches Lyceum von Pera, 32 neues grie - chisches Spital, 33 Thurm Marmarakule.

[133]
Hafen von Constantinopel Massstab 1: 75.600; Sonden und Höhen in Metern).

(Legende siehe auf Seite 132.)

134Das Mittelmeerbecken.

Aber ebensowenig darf man vergessen, dass auch am Balkan die Geschichte des XIX. und XX. Jahrhunderts von Tag zu Tag schneller rollt, und dass auch für den Balkan die Stunde der Entscheidung nahe gerückt erscheint. Wie nun auch diese Entscheidung ausfallen möge, soviel steht fest, sie bedeutet für diese einstmals blühenden, dann lange zertretenen Länder eine Epoche neuer Blüthe.

In erster Linie scheinen für Constantinopel, diesen Welt - handelsplatz ersten Ranges, der geographischen Lage nach, Tage neuen Glanzes im fernen Osten zu dämmern, seit die europäische Politik ihr Interesse mit dem Ausbau der kleinasiatischen Bahnen verwebt hat.

Wieder wird das unverwüstliche Byzanz der Angelpunkt des Handels zweier Welttheile werden, in seinem unvergleichlichem Hafen werden die Güter der Hinterländer gegen Seefrachten aller Nationen Umtausch finden, am goldenen Bosporus in Böjük Dere und den anderen reizenden Plätzen, wo so lange Muselmanen in verschwie - genen Harems ihr eigenes und das Glück der Balkanvölker ver - träumten, werden reiche Kaufherren den wohlverdienten Lohn schwerer Arbeit geniessen, dann werden aber auch die Balkanbahnen das sein, was unsere Zeitgenossen schon jetzt von ihnen verlangten, die Schlagadern der reichen, cultivirten Balkanstaaten und die inter - nationale Verbindung zwischen Westeuropa und dem fernen Asien. Denn die verkehrschaffende und culturfördende Kraft, welche in allen Bahnen liegt, ist eine ewige nationalökonomische Wahrheit, die nur in verschiedenen Ländern verschieden lange Zeit braucht, ehe ihre Blüthen sprossen und ihre Früchte reifen.

An Constantinopel schliessen wir einige Bemerkungen über die Bedeutung des schon genannten Dedeagatsch, in dessen Hafen der von der Station Kuleli-Burgas ausgehende, 112 km lange Flügel der rumelischen Eisenbahnen endet.

Dedeagatsch ist eine Gründung der Neuzeit, 20 km westlich von der Mündung der schiffbaren Maritza ins Meer geschaffen, denn das uralte Enos, welches in dem sumpfigen Delta des Flusses liegt, gleich schwer zugänglich von der See wie vom Lande, ein Herd böser Fieber, war ungeeignet zum Endpunkte einer Eisenbahn. Dieser verdankt auch die Stadt Dedeagatsch, welche etwa 10.000 Einwohner hat, ihre Entstehung.

Leider wurde der Hafen seit seiner Errichtung im Jahre 1872 nicht mehr gereinigt und seine Wassertiefe wird von Jahr zu Jahr schlechter.

135Constantinopel.

Der Handel erreichte 1887 in der Ausfuhr fast 8 Millionen Francs, dar - unter 245.000 q Weizen im Werthe von 5,320.000 Francs. Wichtig sind noch Seidencocons (850.000 Francs), Kanariensamen (430.000 Francs), Wein (325.000 Francs), Schafwolle und Tabak.

Fast ebenso gross wie die Ausfuhr war 1887 in den vorangehenden Jahren die Einfuhr. Die wichtigsten Posten derselben, Eisenwaaren und Maschinen werden mit der Vollendung der dortigen Eisenbahnen (1888) wohl beträchtlich sinken. Andere Artikel sind Zucker aus Oesterreich-Ungarn, Kaffee von Triest und Mar - seille, Reis, Petroleum, Olivenöl, Seife und Glaswaaren.

Der Schiffverkehr von Dedeagatsch betrug:

〈…〉〈…〉

Heute ist Dedeagatsch für den Export Ostrumeliens und des Vilajets Adria - nopel von grösserer Wichtigkeit, wie die Linie nach Constantinopel.

Die Bahn Yamboli-Burgas, welche die bulgarische Regierung baut, wird einen grossen Theil des Getreideverkehres von Dedeagatsch nach Burgas ab - lenken, die Ausfuhr von Seidencocons nach Genua, von Wein und Tabak fördern. Summe der Ausfuhr 1888 5,150.000 Francs. Der Import (2 Millionen Francs) besorgen England, Belgien, Frankreich, die Türkei, Oesterreich-Ungarn und Russland, welch letzteres die grössten Fortschritte macht. Hier landen regelmässig die Dampfer der Messageries maritimes und die Dampfer der Gesellschaft Courtgi aus Con - stantinopel.

Consulate: Vereinigte Staaten von Amerika (G. C.), Belgien, Deut - sches Reich (G. C.), Frankreich, Griechenland (G. C.), Grossbritannien (G. C.), Italien (G. C.), Oesterreich-Ungarn (G. C.), Persien (G. C.), Portugal (G. C.), Ru - mänien (G. C.), Russland (G. C.), Spanien. Bei den anderen Staaten, welche auch in Constantinopel Gesandtschaften haben, besorgen diese zugleich die Consulats - geschäfte.

[136]

Varna.

Das Schwarze Meer ist durch die thrakischen Meerengen Dar - danellen und Bosporus mit dem Mittelmeere verbunden und bildet, mit der Abzweigung des Azow’schen Meeres, ein weit zwischen die Continente Europa und Asien vordringendes Wasserbecken von theil - weise binnenseeischem Charakter.

Seine zwischen 40° 55′ und 47° 15′ nördl. Breite und zwischen 27° 21′ und 41° 48′ östl. Länge von Greenwich gelagerte Wasser - fläche nimmt ein Areal von 381.545 km2 ein.

Das Schwarze Meer wechselte in der Flucht der Zeiten wiederholt den Namen. Die ältesten Griechen nannten es Pontus Axenos, das unwirtbare Meer, aus welcher Bezeichnung dann infolge der Veränderung der Culturverhältnisse durch die zahlreichen griechischen Colonien Pontus Euxinos, ein wirtbares Meer, entstand. Im II. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung tritt der Name Schwarzes Meer zum erstenmale in den Schriften Appians von Alexandrien auf; für die alten Venetianer war es das Mare Major, das die Türken und Tartaren mit Kara Deniz benennen.

Die Bedeutung der am Schwarzen Meere liegenden Länder gehört der Zu - kunft an. Aus diesen Gebieten ergossen sich in grauer Vorzeit, so weit nur Mythe und Vermuthung zu dringen vermögen, die Völkerströme in unseren Continent. Die Griechen und Milesier, namentlich die letzteren, hatten hier seit dem VIII. und VII. Jahrhundert v. Chr. blühende Colonien. Die Milesier nahmen das assy - rische Sinope, dann auch Trapezus. Odessos, an der Stelle des heutigen Varna, war wohl die berühmteste thrakische Colonie der Griechen. Sie war mit den anderen nahegelenen Colonien, worunter auch Tomi, der spätere Verbannungsort Ovid’s, zu einem angesehenen Städtebunde vereinigt. In der Römerzeit erhielt Odessos den Namen Tiberiopolis und bildete später eines der mächtigsten Boll - werke der Byzantiner gegen den Ansturm der Bulgaren, welche es zu wieder - holten Malen eroberten, um es schliesslich gleichzeitig mit dem Untergange ihrer Unabhängigkeit an die Türken zu verlieren.

Die Nordküste des Pontus Euxinos bewohnten mehrere Völkerschaften, unter denen die mit den Griechen in Handelsverbindung gestandenen Skythen hervorragten. In der Folge blühte dort das 500 v. Chr. gegründete Bospora - nische Reich, besonders unter Mithridates dem Grossen, der auch Herr von Klein -137Varna.asien wurde. Seine glänzende Residenz lag in Pantikapäon nächst dem heutigen Kertsch. Auch in der Folge spielten sich am Schwarzen Meere wichtige historische Ereignisse ab, welche die hohe wirtschaftliche Wichtigkeit desselben bezeugen.

Dieses Meer war seit Jahrtausenden der Schauplatz eines lebhaften Handels und Schiffsverkehrs, den nacheinander die erwähnten Reiche, dann die Makedonier, Römer, Byzantiner, die Handelsrepubliken und seit der Eroberung Constantinopels durch die Türken auch die Osmanen beherrschten. Als Herren der Meerengen ver - schlossen die Sultane den christlichen Nationen drei Jahrhunderte hindurch den Bosporus und schufen aus dem Pontus Euxinos ein türkisches Meer. Katharina II., der Schöpferin der russischen Seemacht, gebührt das Verdienst, im Friedensschlusse

Varna.

von Kütschük Kainardschi die Meerengen dem Verkehr wieder geöffnet zu haben; im Traktate von Adrianopel (1829) wurde dann die volle Freiheit der Handels - schiffahrt durch die Engen von der hohen Pforte erzwungen.

Spätere Verträge bestätigen das Passagerecht der Handelsschiffe aller Staaten. Nur fremden Kriegsschiffen ist die Durchfahrt oder der Aufenthalt inner - halb der Engen ohne fallweise und specielle grossherrliche Genehmigung nicht gestattet.

Das Schwarze Meer ist sehr arm an Häfen, welcher Umstand in Verbin - dung mit den besonders zur Winterszeit häufig auftretenden rauhen meteorologi - schen Erscheinungen die Schiffahrt in allen seinen Theilen zu einer beschwerlichen und oft mit Gefahren verbundenen gestaltet.

Die Seehäfen des Weltverkehrs I. Band. 18138Das Mittelmeerbecken.

Die NNO-Stürme brechen oft plötzlich ohne Anzeichen herein. Am unge - stümsten und häufigsten sind die NO-Winde. Der Zeit nach wehen Winde zwischen NW und NO reichlich viermal so oft als solche aus westlichen Quadranten. Die Süd - und SO-Winde wälzen die längsten und schwersten Wogen heran, wohingegen Winde aus Nord-Ost die kürzesten, aber bewegtesten und dadurch zerstörendsten Wellen erzeugen. Dichte Nebel sind häufig.

An der Westküste besteht nur ein natürlicher, gegen alle Winde geschützter Hafen in der Bucht von Burgas (das alte Pyrgos), dem Hafenplatze Südbulgariens, der aber erst nach dem 1890 stattfindenden Ausbau der Eisenbahnlinie von Jamboli an die Küste durch den directen Verkehr mit Constantinopel und Sophia Bedeutung erlangen wird. Allein wenn auch Burgas geschützter ist als Varna, so man - geln demselben ebenso wie letzterem alle Einrichtungen, deren Vor - handensein zur Prosperität der beiden Echellen erforderlich ist.

An einer mässigen Einbuchtung unter 43° 12′ nördl. Breite und 27° 57′ östl. Länge von Greenwich (Evalar Tab.) gelegen, verdankt Varna seine internationale Bedeutung nur dem Umstand, dass es lange Zeit hindurch an der Postroute nach Constantinopel lag. Der Ankerplatz ist bei äusseren Winden, die oft zu grosser Wuth sich steigern und eine sehr hohe See heranwälzen, ein unhaltbarer.

Für den Verkehr vom Lande zum Schiffe wurden ein langer Pfahldamm mit Eisenbahngeleise und drei kleinere Rostwerke in See geführt, an welchen jedoch der geringen Wassertiefe wegen nur Boote anzulegen vermögen. Indes besteht noch aus türkischer Zeit das Pro - ject, den nahe zur Küste tretenden, genügend tiefen Devno-See durch einen Canal mit dem Meere zu verbinden und dadurch einen Hafen für Schiffe von mässigem Gehalte zu gewinnen. Die Kostspieligkeit einer solchen Anlage und manche mit derselben verbundene Nach - theile haben die Ausführung des Projectes verhindert. Im Sommer 1890 sollen indes die Vorstudien für Hafenbauten in Burgas und Varna an Ort und Stelle vorgenommen werden.

Die Stadt lagert, wie unsere Illustration zeigt, anmuthig auf einem hart zum Meere tretenden und steil abstürzenden Felsplateau. Aus dem Gros der zwischen grünem Laub gebetteten weissblinkenden kleinen Häuser erhebt sich hie und da die schlanke Säule eines Minarets neben unscheinbaren Moscheen, darüber aber erscheinen als dominirendes Object des ganzen Bildes die majestätischen Formen der mit sechs Kuppeln geschmückten neuen bulgarischen Kathedrale, welche unmittelbar nach der Erlangung der Unabhängigkeit Bulgariens erbaut worden war.

Während der letzten Jahre verschwand durch die Anstrengungen139Varna.der bulgarischen Stadtverwaltung der ehemals türkische Charakter der Stadt nahezu gänzlich. Ein grosser Theil der Strassen wurde nach einem einheitlichen Plane regulirt und an Stelle eines ehemaligen türkischen Friedhofes steht jetzt ein blühender Garten, in welchem die Militärmusik mehrmals in der Woche concertirt und die Be - völkerung promenirt.

Varna, das im Krimkriege als Sammelplatz der verbündeten Streitkräfte eine wichtige Rolle spielte, besass starke Festungswerke, die seither zufolge der Bestimmungen des Berliner Vertrages vom 13. Juli 1878 aufgelassen und zum Theile demolirt wurden. Seitdem entwickelten sich an der Stadtperipherie allerliebste cottageartige Stadttheile.

Ausser der bereits erwähnten imposanten Kathedrale ist unter den Neubauten das grosse bulgarische Gymnasium und das Zollamt erwähnenswerth. Gegenwärtig ist ein kleines Theater mit Unterhaltungs - localen im Entstehen begriffen. So sehen wir denn Varna in der neuen Epoche seiner Entwicklung rüstig vorwärts schreiten.

Ungefähr eine Wegstunde nördlich der Stadt erhebt sich auf einem Ufervorsprunge, weithin sichtbar, das durch seine Lage etwa an das Schloss Miramar bei Triest erinnernde, vom Fürsten Alexander erbaute und nach ihm benannte parkumgebene Schloss Sándrowo, welches nach der Resignation des Fürsten in das Eigenthum des Staates überging. Leider ist dasselbe im Innern noch nicht weit genug ausgebaut, um bewohnbar zu sein, so dass Fürst Alexander in einem unmittelbar neben dem Schlosse gelegenen ehemaligen Kloster das Ab - steigquartier zu nehmen pflegte, so oft er nach Varna kam. Auch Fürst Ferdinand wohnt anlässlich seiner häufigen Ausflüge nach Varna in demselben Kloster. Der hohe Schlossthurm ist bei klarem Wetter über 20 Seemeilen vom See aus sichtbar.

Die Stadt ist Sitz eines Präfecten und eines bulgarischen und griechischen Metropoliten. Ein Zollamt erster Classe liegt nördlich des grossen Pfahldammes am Meere.

Die interessanten Bevölkerungsverhältnisse von Varna verdienen hier in Kürze festgehalten zu werden.

Die 25.256 Einwohner zählende Bevölkerung Varnas ist eine äusserst buntfarbige. Die herrschende Classe bilden jetzt die Bul - garen, welche jedoch an Zahl den Griechen und Türken nachstehen. Die Bulgaren, deren Sprache vor zehn Jahren in Varna so gut als unbekannt war, wissen durch Gründung von Schulen, durch die Ein - führung ihres Idioms als alleiniger Commando - und Amtssprache ihrer18*140Das Mittelmeerbecken.Sprache immer weitere Verbreitung zu geben. Den Bulgaren in jeder Beziehung bei weitem überlegen ist das griechische Element, welches in commercieller und socialer Beziehung in Varna die erste Stelle einnimmt. Die Griechen besitzen seit langem in Varna gute Schulen, sowohl für Mädchen als auch für Knaben; ebenso unterhalten sie ein gutes Spital. Die Türken sind infolge von Auswanderung in Abnahme begriffen, wenn auch ihre Zahl noch immer eine recht ansehnliche ist. Sie wohnen in einem getrennten Stadttheil, welcher die türkischen Eigenthümlichkeiten noch gänzlich bewahrt hat und an manchen Punkten eine Localfarbe trägt, wie dieselbe prägnanter selbst in den entlegensten Strassen Stambuls nicht gefunden werden kann. Ausser - dem gibt es noch Zigeuner, Armenier, krimische Tartaren und Juden, letztere in spanischen, rumänischen, polnischen und persischen Varia - tionen. Hiezu tritt noch die europäische Colonie, deren Hauptvertreter ausser den Griechen Oesterreicher und Russen sind. Italiener, Fran - zosen, Engländer und Deutsche gibt es nur sehr wenige.

Ueber die Griechen wäre noch zu erwähnen, dass Varna auf der Ostseite der Balkanhalbinsel beinahe der nördlichste Punkt ist, wo Griechen in compacten Massen wohnen. Als nördlichster Punkt gilt das circa eine Stunde von Varna entfernte Städtchen Kavarna. Man kann also sagen, dass die ganze Küste der Hämushalbinsel von Durazzo im Westen bis nach Kavarna im Osten in überwiegender Zahl von Griechen bewohnt ist.

So lange die Verkehrsmittel Bulgariens nicht eine völlige Um - gestaltung erfahren, wird Varna der wichtigste Handelsplatz und der erste Hafen des Landes bleiben. So bewegten sich 1888 47 % der Einfuhr und 37 % der Ausfuhr Bulgariens über Varna.

Bulgarien ist ein Ackerbaustaat, daher sind die Getreidegat - tungen Weizen und Mais die wichtigsten Ausfuhrartikel des Hafens. Neben den Eisenbahnwaggons bringen jeden Monat hunderte, ja tausende von Ochsenkarren Getreide naeh Varna. Um endlich der Concurrenz der Wagen zu begegnen, hat man Ende 1888 auf der Bahn Rustschuk-Varna die Getreidefrachten erheblich herabgesetzt.

Die Ausfuhr geht nach England, nach Marseille, Genua und Constantinopel. 1887 579.109 q im Werthe von 9,449.265 Francs, 1888 555.777 q im Werthe von 10,503.389 Francs.

In Varna hat eine Mühlenindustrie ihren Sitz, welche Mehl untergeord - neter Qualität (1888 10.468 q) nach Constantinopel, Kleinasien und dem griechi - schen Archipel ausführt. Es leidet unter der Concurrenz des besseren rumänischen und russischen Mehles. Aus dem Pflanzenreiche werden ferner Tabak und Holz ausgeführt.

141Varna.

Unter den Ausfuhrartikeln des Thierreiches stehen obenan Hühner und Eier (1888 12.030 q im Werthe von 877.474 Francs), welche die arme moham - medanische Landbevölkerung nach Varna bringt. Auf der Eisenbahn ist die letzte Station, die mit Lieferungen auftritt, Razgrad. Richtung der Ausfuhr: Frankreich, Griechenland, Türkei. Wichtig ist Schafkäse in runden Laiben ( Kaschkawalj )

Rhede von Varna (Massstab 1: 63.500; Sonden und Höhen in Metern).

A Ankerplatz von Varna, B Eisenbahndamm aus Holz, C Blockhäuser, D Devno-See, E Bahnhof, F Leuchtfeuer, G Zollamt. 1 Kadir Baba Tabia, 2 Ildiz T., 3 Islam Oglu T., 4 Narrid T., 5 Meji - dieh T., 5 Evlar Burnu T.

und in Bottichen (1888 7219 q, Werth 513.080 Francs), für die Türkei und die griechischen Inseln bestimmt.

Zu nennen sind ferner lebende Schafe, ungefähr 10.000 Stück für die Türkei, Felle und Häute (2283 q, Werth 255.557 Francs).

Ist die Ernte gut gewesen, so ist eine günstige Einfuhr zu erwarten, und zwar in erster Linie in den billigen Massenartikeln, bestimmt für den Gebrauch der Land - bevölkerung, denn diese allein besitzt eine gewisse Kaufkraft; die Lage der Städte - bevölkerung ist weit weniger günstig. Die stärkste Einfuhr findet aus England142Das Mittelmeerbecken.statt, das in den Waaren der Textilindustrie (Gesammteinfuhr 6·7 Millionen Francs) dominirt, unterstützt durch billige Seefrachten. In zweiter Linie rangiren die Schweiz und Deutschland und erst in dritter Oesterreich-Ungarn.

In Confectionswaaren ist zuerst Oesterreich-Ungarn zu nennen.

Ansehnlich ist der Lederhandel von Varna.

In Eisen und Eisenwaaren behaupten England und Belgien den ersten Rang; mit Papier versieht Oesterreich-Ungarn den hiesigen Markt, ebenso mit Zündhölzchen. Glaswaaren liefern Belgien und Oesterreich-Ungarn, Porzellan - und Thonwaaren Oesterreich-Ungarn und das Deutsche Reich, Kurzwaaren meist Oester - reich-Ungarn.

Eine wichtige Gruppe der Einfuhr bilden die Colonialwaaren. In Zucker (1888 15.637 q, Werth 952.400 Francs) beherrscht bis jetzt Oesterreich den Markt. Kaffee, meist die Sorte Rio, wird aus London bezogen. Ein bedeutender Einfuhr - artikel ist Olivenöl, welches als Speiseöl und zur Seifenfabrication verwendet wird. Südfrüchte (1888 12.479 q, Werth 450.692 Francs) kommen aus Sicilien, Syrien und Bagdad (Datteln) und gehen zum Theile nach Rumänien weiter.

Wichtige Einfuhrartikel sind Fische (3310 q, Werth 413.485 Francs) als Ergänzung des bedeutenden localen Fischfanges, Spirituosen (Bier braut man im Orte), Petroleum aus Batum, Salz aus Sicilien.

Die Handelsbewegung betrug:

〈…〉〈…〉

Die Länder, aus welchen die Einfuhr erfolgt, sind dem Range nach Eng - land, die Türkei, Oesterreich-Ungarn, Frankreich; auch auf diesem Platze steigt die Bedeutung Belgiens. Die Länder, für welche die Ausfuhr bestimmt ist, sind: die Türkei, England, Frankreich, Italien.

Seit der Eröffnung der Eisenbahn Belgrad-Constantinopel ist Varnas Bedeu - tung für die internationale Postbahn zu Ende. Doch findet jetzt wieder einmal in der Woche eine Expedition der Post durch den österreichisch-ungarischen Lloyd über Varna-Rustschuk statt. (Varna-Constantinopel 14 Stunden.)

In regelmässiger Fahrt berührt Varna auch die unter türkischer Flagge fahrende griechische Gesellschaft Navigation à vapeur Egée T. M. Courtgi & Comp., siégeant à Constantinople . Ausserdem erscheinen ziemlich häufig englische und italienische Dampfer, wohingegen russische derzeit sehr selten eintreffen.

Für Verbesserung und Ausbau des Hafens hat die Sobranje Anfangs 1889 eine grössere Summe bewilligt.

Der Schiffsverkehr betrug 1888:

〈…〉〈…〉

Der Küstenverkehr ist unbedeutend.

Consulate: Deutsches Reich (C.), welchem auch die Wahrung der Interessen der dort ansässigen Russen obliegt, Frankreich (V. -C. ), Griechenland (C.), Grossbritannien (V. -C. ), Oesterreich-Ungarn (V. -C. ), Türkei (Handelsagentur), Belgien, Italien, Niederlande, Persien, Schweden-Norwegen, Spanien, sämmtlich Vice-Consuln.

[143]

Die Donauhäfen.

Unter den in das Schwarze Meer mündenden Strömen bean - sprucht die im Herzen Mitteleuropas entspringende Donau die grösste culturelle und wirtschaftliche Bedeutung. Ein Stromgebiet von 804.000 km2 umfassend und bei 2485 km Erstreckung des Laufes, ist die Donau von Donauwörth bis Sulina in einer Länge von 2556 km mit Dam - pfern befahrbar. Mit den grossen Stromarmen und den schiffbaren Nebenflüssen Inn, Drau, Theiss, Save und deren befahrbaren Neben - flüssen Kulpa, Bosna u. a., dann Szereth und Pruth treten noch schiff bare Strecken von 2400 km Länge hinzu, so dass im Strom - gebiete der Donau ein Netz von Wasserstrassen in der imposanten Gesammtlänge von nahezu 5000 km enthalten ist.

Die Wassermächtigkeit der Donau blieb denn auch seit jeher von tief greifendem Einfluss auf die Entwicklung der Verhältnisse aller in ihrem Gebiete sesshaften Völker. Männer der Wissenschaft, Monarchen und Feldherren aller Zeiten widmeten dem Strome eine berechtigte Aufmerksamkeit, und nicht zuletzt flocht die Muse manch zarte Blüthe an seinen grünen Ufern.

Herodot nennt bereits die Donau; Hesiod bezeichnet sie als den schön fliessenden Strom . Julius Cäsar nennt die Donau den Danuvius; bei römischen und griechischen Historikern wird sie vom Ursprung bis Carnuntum mit Danubius bezeichnet, welchen Namen wieder andere Historiker auch auf den Lauf bis zum Eisernen Thor bei Orsowa anwenden. Von da an bis zur Mündung in das Schwarze Meer hiess sie Ister. Napoleon I. gab dem Strom die Bezeichnung König aller Flüsse , und mit Recht, denn keinem der Flüsse Europas war eine so denkwürdige Rolle in der Kriegsgeschichte zugefallen wie der Donau, deren Beherrschung den Sieg bedeutete, daher jederzeit angestrebt wurde. So kam es, dass die Donau - gebiete und der Strom selbst bei nahezu allen grossen Kriegsereignissen am euro - päischen Continente in vorderster Reihe mit betheiligt waren.

Die Welteroberer und Weltbeherrscher Sesostris, Dareius, Alexander, Trajan, Attila, Karl der Grosse, Soliman, Napoleon u. A. kämpften an der Donau und ver - wertheten deren hohe strategische Eigenschaften zum Siege. Wenn aber der Heldenmuth der Krieger, dessen Zeuge die Donau seit Jahrtausenden ist, ihren Namen in die goldenen Blätter der Geschichte eingrub, so hat andererseits die Heimatliebe der deutschen Uferbewohner ihr den anmuthigen Beinamen die schöne blaue Donau eingetragen, der ebenso einen Weltruf erlangte.

144Das Mittelmeerbecken.

Bevor wir zur Darstellung der Donauhäfen schreiten, sei hier Küstendsches, eines Handelsplatzes, gedacht, der, obgleich nicht un - mittelbar an der Wasserstrasse der Donau gelegen, doch vermöge seiner Beziehungen und seiner Lage nächst dem Delta des Stromes zu den Donauhäfen im weiteren Sinne gerechnet werden darf.

Küstendsche (das antike Constantia), liegt in der seit 1878 rumänischen Dobrudscha und ist eine im Aufblühen begriffene Küsten - stadt. Nächst derselben tritt der sogenannte Trajanswall, das ver - fallene Bollwerk der alten Römer gegen die Einfälle der nordischen Barbaren, an die See. Der Ort besitzt ein Hafenbassin mit 6 m Wasser - tiefe. Hier besteht eine Lootsenstation für jene Schiffe, welche auf der Fahrt nach Sulina oder Odessa einen Piloten aufzunehmen wünschen.

Die Rumänen, welche sich als Nachkommen der romanisirten Daker betrachten, haben den türkischen Namen des Ortes fallen ge - lassen und nennen ihn Constanța. Er ist der Endpunkt einer Eisen - bahn, die in Cernavoda an der Donau beginnt und 64 km lang ist. Leider fehlt noch eine Verbindung mit dem links von der Donau lie - genden Feteşti, der letzten Station eines Bahnflügels von Bukarest her; das viele Kilometer breite Ueberschwemmungsgebiet der Donau macht den von den Rumänen projectirten Bau verbindender Brücken über den Arm Borcia und das Hauptbett der Donau zu einer der schwierigsten Unternehmungen. In den Wintermonaten, wenn das Eis der Flüsse nicht fest ist, bleibt oft durch längere Zeit die Post von Bukarest aus, dann fehlt auch die Versorgung des Handels von Con - stanța von der Donau her. Den Bau dieser nothwendigen Brücke hat die rumänische Regierung im Jänner 1890 vergeben. Es muss be - merkt werden, dass von hier auch donauaufwärts über Cernavoda Handel getrieben wird.

Rumänien thut viel für Constanța, seinen einzigen von der Con - trole der europäischen Mächte freien Hafen. So wurde 1887 in dem km entfernten Dorfe Anadolkiöi der Bau eines Viehmarktes be - gonnen, für den die Kammern eine Million Leï bewilligt haben, um dadurch die Viehausfuhr der Dobrudscha zu heben. Geleise verbinden den Markt mit der Eisenbahn. Die Rumänen setzen grosse Hoffnun - gen auf diesen Markt, der zugleich als Kontumazanstalt dienen wird. Man hofft, mit der Zeit von hier aus zunächst den Markt von Con - stantinopel zu erobern, der bisher meist aus Russland versorgt wird.

Der wichtigste Exportartikel ist Getreide, und zwar Mais, Gerste und Weizen. Aus dem Donaugebiete wurden auf der Bahn 1888 805.124 q, 1887 478.048 q Getreide für den Transit zugeführt, aus dem Hafen unmittelbar 1888 614.750 q, 1887 525.998 q exportirt.

[145]

Sulina.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 19146Das Mittelmeerbecken.

Das Getreide geht meist nach England und Frankreich, das Mehl aus den hiesigen Dampf - und Windmühlen in die Türkei und nach Griechenland. Ausser - dem werden ausgeführt Zigaywolle, Schafkäse, Schafhäute, lebende Schafe und Lämmer (1888 12.682 Paar, 1887 14.265 Paar) und Ochsen.

Die aus diesem Hafen mit voller Ladung auslaufenden Dampfschiffe nehmen fast durchgehends die Richtung nach Gibraltar, wo sie erst die Ordre für den zur Ausladung bestimmten Hafen einholen, um die Weiterreise fortzusetzen.

Die Einfuhr hat ungefähr den Werth des dritten Theiles der Ausfuhr. Sie beschränkt sich auf die Artikel, welche unumgänglich für die Bevölkerung von Constanța und Umgebung nothwendig sind. Von ihm kommen 36 % aus England, 35 % aus Deutschland, 10 % aus Frankreich und das Uebrige aus Oesterreich - Ungarn, Belgien etc.

〈…〉〈…〉
〈…〉〈…〉

Den Frachtenverkehr vermitteln meist englische Dampfer, regelmässig laufen Constanta an: der Oestereichisch-ungarische Lloyd, Messageries maritimes und Fraissinet & Co.

Consulate: Belgien, Deutsches Reich, Oesterreich-Ungarn, Türkei.

Sulina.

Im nordwestlichen Theile des Schwarzen Meeres tritt der nie - drige, weithin mit dichtem Schilf, hie und da auch mit Wald be - wachsene Sumpfboden des Donaudeltas als mächtiges Anschwem - mungsgebiet aus der gerade laufenden Küstenlinie hervor.

Dieses flache von See aus nur auf kurze Entfernung wahrnehm - bare Terrain nimmt einen Flächenraum von ungefähr 2600 km2 ein. Die Donau theilt sich nächst Tultscha in die drei Hauptarme St. Georg, Sulina und Kilia. Von diesen entsendet der erstgenannte einige Zweige zu dem grossen Küstensee von Razim, welcher durch die Portitz - mündung zum Meere ausfliesst.

Das Anlaufen des Donaudeltas wird durch die kleine, dem - selben auf 25 Seemeilen vorgelagerte 40 m hohe, einen Leuchtthurm tragende Schlangeninsel (antik Leuca) wesentlich begünstigt.

Von den drei Armen ist der Kilia-Arm zwar der mächtigste, da 17 / 27 der Donauwassermenge durch ihn ausmünden, allein für den grossen Verkehr besitzen die Barren an seinem Ausflusse noch eine zu geringe Wassertiefe, indes hat die russische Regierung die Ver - tiefung des Fahrwassers in Aussicht genommen. Der Arm hat eine147Die Donauhäfen.Gesammtlänge von 112 km und zwar von Tchatal d’Ismail bis Ismail - hafen 22 km, Kilia (Hafen) 46 km, Vilkov (Hafen) 29 km, Kilia-Mün - dung 15 km.

Der Georgsarm, welcher 8 / 27 der Wassermenge befördert, ist für die Schiffahrt von Tultscha abwärts bis Kedriles bei 3 4 m Tiefe geeignet. Die Regulirung der Barren würde an diesem Arme leichter herzustellen sein als bei der Kilia-Mündung. Dagegen besitzt der wohl regulirte Sulina-Arm, obgleich er nur 2 / 27 des Donauwassers entführt, alle Eigenschaften eines für die grössten Seeschiffe prakticablen Wasser - weges. Die infolge einer Bestimmung des Pariser Friedens vom Jahre 1856 zur Durchführung der Regulirungsarbeiten eingesetzte euro - päische Donaucommission hat, wie aus unserem Plane zu ersehen ist, bei Sulina ein System von grossartigen Steindämmen aufgeführt und durch die Einengung der Strommündung eine grössere Wasserströ - mung erzielt, wodurch die seichten in See gelagerten Sandbarren weggeschwemmt wurden. Dieser Arm war vor der Regulirung der seichteste und für die Schiffahrt ungeeignetste Wasserweg; seine Wahl im Pariser Vertrage dankte er allein der neutralen Lage. Gegenwärtig können Schiffe bis zu 7 m Tauchung in Sulina einlaufen und bis Galatz und Braila verkehren. Seitdem nahm die Frequenz des Sulina - Hafens bedeutend zu und wurde eine ansehnliche Verminderung der früher so zahlreichen Schiffbrüche erzielt.

Das unter 45° 9′ nördl. Br. und 29° 40′ östl. L. v. Gr. (Leucht - feuer in der Stadt) liegende Städtchen Sulina besteht aus einer am rechten Ufer gelagerten langen Reihe von bescheidenen Häuschen. Im Osten sind die Gebäude der Donaucommission, die hier ihren Haupt - sitz hat; dort ist auch das Hafencapitanat, das Telegraphenamt, die Sanität mit dem Lootsengebäude und die Rettungsbootstation.

Am linken Donauufer sind die Werkstätten der Donaucommission im Betriebe.

Die Hochwasserperioden der Donau fallen in das Frühjahr und in den Herbst. Der Wasserstand erreicht zuweilen, wie 1875, die Höhe von 6 m über Null, ge - wöhnlich aber nur 4 m. Bei einer durch mehrere Tage anhaltenden Kälte von 6 bis 8°C. bildet sich auf der Donau die Eisdecke.

Die Umgebung von Sulina ist trostlos. Während der heissen Jahreszeit werden die Myriaden blutdürstiger Mosquitos der Sumpf - gegend zu einer gefürchteten Landplage, und die grosse Kälte der rauhen Winter, die, wie 1829, die Donau zuweilen mit einer 2 m dicken Eisdecke überzieht, vollendet das wenig beneidenswerthe Los der in Sulina exilirten Menschen.

19*148Das Mittelmeerbecken.

Das kleine Städtchen Sulina mit 3200 Einwohnern ist das Thor, durch welches der ganze Seeverkehr der rumänischen Häfen Sulina, Tultscha, Galatz, Braila und eines Theiles der russischen Plätze Reni, Ismail und Kilia passiren muss. Sein Verkehr ist vollständig abhängig von den Verhältnissen, welche in dem ganzen Gebiete des Unterlaufes der Donau herrschen, denn der ganze Bezirk Sulina hat nur 7940 Bewohner, die grösstentheils aus Fischern, Seeleuten und Taglöhnern bestehen. Hier müssen wir also in erster Linie den Schiffs - verkehr ins Auge fassen.

Der gesammte internationale Schiffsverkehr an der Sulinamündung betrug:

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Wir schicken voran, dass der grösste Theil der einlaufenden Schiffe unbe - laden ist.

An der Steigerung des Tonnenverkehres der Dampfschiffe hat die englische Flagge den Löwenantheil, und im Jahre 1888 waren die englischen Dampfer an dem gesammten Schiffsverkehr der obengenannten Donauhäfen mit 46 % der An - zahl der Schiffe und 71 % des Tonnengehaltes betheiligt, dagegen die übrigen Flaggen, Dampfer und Segler zusammengenommen mit 54, respective 29 %. Es ist überdies zu bemerken, dass von den Engländern nur Dampfschiffe auf der unteren Donau verkehren und dass die englischen Schiffahrts-Unternehmungen meist die Fracht des Getreides vermitteln, die ihnen und den Schiffen anderer Nationen, die diesen Theil des Handels betreiben, meist volle Ladung sichert, während die Schiffe der regelmässigen Linien, die bei Galatz aufgezählt sind, sich mit Theil - ladungen begnügen müssen. Ueberdies drücken sie gegenseitig die Frachtsätze zu sehr herab, vor allem die Gesellschaft Navigation à vapeur Egée, Eigenthümer Courtgi & Co. in Constantinopel, welche 1888 wieder in der Sulina erschienen ist.

Neben England, doch weit zurück, stehen Oesterreich-Ungarn, diesem fast gleich Griechenland, dann Frankreich, Italien, Russland und die Türkei; letztere überwiegend mit Segelschiffen.

Nur ein kleiner Theil der obigen Dampfer ist in Sulina handelsthätig. Die Ziffer erreichte 1888 1172 Dampfer mit 1,035.890 Tonnen, 67 Segler mit 6125 Tonnen, also zusammen 1239 Schiffe mit 1,042.015 Tonnen im internationalen Verkehre; der selbständige Küstenverkehr Sulinas erreichte 1888 1454 beladene Segler mit 377.397 Tonnen im Einlaufe und dieselbe Zahl unbeladener Schiffe im Auslaufe. Diese Schiffe sind nämlich die Schleppschiffe, welche von den oberen Häfen Getreide bringen und bedeutenden Gewinn abwerfen; sie sind meist in den Händen von Griechen. In Zukunft will sich auch die Erste k. k. priv. Donau - Dampfschiffahrtsgesellschaft mit eigens in Budapest gebauten Dampfern mehr als bisher an dem Transporte des Getreides auf der unteren Donau betheiligen. Im Jahre 1887 umfasste der Schleppverkehr im Einlaufe 1208 Schiffe mit 306.542 Tonnen.

Rumänien und auch die beiden anderen Donauuferstaaten Russland und Bulgarien sind Ackerbaustaaten und wichtig für die Versorgung des industrie -149Die Donauhäfen.reichen Westens von Europa mit Getreide. Getreide und andere Bodenfrüchte sind daher die Ausfuhrartikel der unteren Donau, zu denen freilich Russland nur etwa ein Zwanzigstel, Bulgarien sogar viel weniger liefert. Der Donauweg ist der billigste für den Aussenhandel Rumäniens und daher folgt ihm abwärts und auch aufwärts ein so grosser Theil desselben.

Die Waarenausfuhr über die Sulinamündung betrug:

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Sulina-Mündung (Massstab 1: 34.500; Sonden in Metern).

A Glockenboje vor der Mündung, B Piloten - und Rettungsbootstation, C Amtsgebäude der Commission, D Werkstätten der Commission, E Stadthaus, F Leuchtfeuer, G Mühle, H Schutzdämme.

Nach Getreide ist Holz der wichtigste Artikel; die unbearbeitete Waare kommt zum grossen Theile aus der Bukowina den Pruth abwärts. 1888 wurden drei Flösse, 4,117.103 Stück Bretter, 51.270 m3 Bauholz, 73.874 Stück Eisenbahn - schwellen und 1,077.064 Stück Fassdauben über Sulina ausgeführt.

Auch Käse, lebendes Vieh und Spiritus nimmt seinen Weg über die Sulina ins Ausland.

Die Importartikel für den eigenen Bedarf des Platzes hatten 1888 einen Werth von 850.000 Francs, 1887 einen solchen von 819.500 Francs. Grösseren Absatz finden nur Colonialwaaren und Artikel für den Schiffsgebrauch, ferner Lebensmittel. Wichtige Waaren, welche hier nur durchgehen, sind russisches Petro - leum (1888 112.855 Kisten, 1887 214.007 Kisten) und englische Steinkohlen (1888 176.768 Tonnen).

150Das Mittelmeerbecken.

Zum Schlusse sei erwähnt, dass aufwärts von Sulina, in Tultscha, ein grossartiger Fischfang besteht, der 12.000 q liefert, welche zum grössten Theile nach Galatz, Braila, Bukarest und Bulgarien abgesetzt werden.

Aber, wie schon erwähnt, Sulina ist nur das Ausfallsthor, der Hauptsitz des Donauhandels dieser Gegenden ist Galatz, welches 90 km oberhalb Sulina liegt. Ihm ist der nächste Abschnitt gewidmet.

Consulate: Grossbritanien (V. C.), Oesterreich-Ungarn, Türkei (V. C.).

Galatz.

Die Stromverhältnisse der unteren Donau bieten der Schiffahrt unter gewöhnlichen Verhältnissen keinerlei wesentliche Beschwerden. Das Fahrwasser ist von Sulina an genügend tief, die Strömung mässig, so dass die Schiffe jeder Grösse bei Führung durch die ver - lässlichen Flusslootsen schnell und sicher die bedeutenden rumäni - schen Handelsstädte Galatz und Braila, die Endpunkte der grossen Seeschiffahrt in der Donau, erreichen können.

Die vortheilhafte Lage von Galatz am linken Donauufer zwi - schen den Mündungen der beiden schiffbaren Nebenflüsse Pruth und Szereth (rumänisch Sǐretu) unter 45° 25′ nördl. Br. und 28° 5′ östl. L. v. Gr. (neuer Hafen), charakterisirt die Stadt sowohl in mili - tärischer als commercieller Hinsicht zum Schlüsselpunkt der unteren Donau. Derselben Ursache ist die schon zu Römerzeiten bestandene Befestigung, die gleichzeitig auf den Bestand einer Handelsnieder - lassung an jener Stelle hinweist, zuzuschreiben.

Galatz, rumänisch Galați, bedeckt das westlich des Bratisch-Sees (Lacul Bratǐş) befindliche Terrain, auf dem, wie unser Plan zeigt, eine gegen Osten steil abfallende Terrainwelle bis hart an die Donau tritt. Dadurch erhält die Stadt eine natürliche Theilung in ein oberes und unteres Gebiet.

Der äussere Anblick von der Flussseite ist recht malerisch; denn die unregelmässig zwischen grünen Gärten vertheilten, von Thürmen und Kuppeln überragten Gruppen luftig gebauter weisser Häuser, die am Ufer sich zu verdichten scheinen, geben dem Stadtbilde viel Be - wegung und Reiz. Auch die Hafenpartien am Quai, wo Dampfer und Segelschiffe anlegen, um Ladungen zu löschen oder zu laden, fesseln unser Interesse.

Die untere Stadt (Mahala) lagert längs des breiten ge - mauerten Donauquais und schiebt sich ostwärts keilförmig zwischen den Bratisch-See und die Donau. Durch einen Damm, auf dem die gegenwärtig aufgelassene Eisenbahn nach Reni führte, ist die Vorstadt151Die Donauhäfen.gegen Ueberschwemmungen durch den genannten sumpfigen See geschützt.

In Mahala ist das eigentliche Handelsquartier von Galatz, hier liegen längs der Strada Portuluǐ (deutsch: Hafenstrasse) die Bureaux der Dampfschiffahrts-Gesellschaften, die Börse, die Comptoirs der grossen Firmen, die königlich rumänischen Handels - und Schiffahrtsämter und andere dem Verkehr gewidmete Anstalten. Auch die königliche Marine - schule hat dort einen Platz gefunden.

Im östlichen Theile der unteren Stadt ist, wie der Plan zeigt, ein neuer Handelshafen im Bau, auf dessen Details wir zurückkommen werden. Hieran schliesst sich das kleine Arsenal der rumänischen Donauflotille und weiters bis nahezu an die Mündung des Pruth wird das Ufergelände zur Lagerung der aus dem Innern geschwemmten grossartigen Holzmassen verwendet. Flussaufwärts der Stadt knapp unterhalb der Szereth-Mündung besteht ein Winterhafen, der, nach dem Plane des englischen Ingenieurs Sir Charles Hartley erbaut, aus - schliesslich der königl. rumänischen Flotille dient. Handelsschiffen ist dort keine Zuflucht geboten.

In der oberen Stadt bemerkt man zwei auffallend unter - schiedene Theile; der südliche weitaus volkreichere besteht aus meist einstöckigen Häusern in engen, jedoch gepflastersten Strassen, wohin - gegen der nördliche und neueste Theil eigentlich ein ausgedehntes elegantes Cottagegebiet mit schönen, in blühenden Gärten einge - schlossenen Hochparterregebäuden und regelmässigen Strassen bildet. Dort fanden denn auch der besitzende Theil der Bevölkerung, die Consuln, die Donaucommission u. A., sehr verlockende Heimstätten.

Auch die Aemter, Schulen, Hôtels und Cafés sind dort an - zutreffen.

Die Trajanstrasse und die Strada Domnesca (Herrenstrasse), beide in nördlicher Richtung laufend, sind die Hauptverkehrsadern der oberen Stadt. Von den Querstrassen sind die Strada Braila und nördlich die Strada Zimbrului erwähnenswerth.

Unter den freien Plätzen sind das hübsche Poligon des Tărgu de fen şi vite, der Tărgu Cercale, Tărgul nou und der Volksgarten (Gradina Publica) die grössten.

Von den 25 Kirchen ist die griechisch-orientalische Kathedrale die hervorragendste.

Der Pruth wird von Reni bis Nemtzeni mit Dampfern von höchstens 1·2 m Tiefgang, mit Segelfahrzeugen aber gar nicht befahren. Bis zu dem letzteren Orte ist der Fluss regulirt; die Arbeiten werden bis zur österreichischen Grenze fort -152Das Mittelmeerbecken.gesetzt. Die Wassertiefe des Pruth beträgt bei Reni bei mittleren Wasserstand 4 m, bei niedrigsten Wasserstand Nullwasser jedoch nur m.

Der Bezirk von Galatz zählte 1886 eine Landbevölkerung von 65.048 und eine städtische von 60.788 Seelen. Das engere Stadtgebiet von Galatz wird jedoch einschliesslich der nächstgelegenen Vororte auf höchstens 50.000 Einwohner, welche verschiedenen Nationalitäten an - gehören, geschätzt. Besonders stark ist die österreichisch-ungarische Colonie mit 4000 Seelen vertreten.

Galatz ist durch eine 7 km lange Zweigbahn mit der rumäni - schen Haupt-Bahnlinie Roinau-Bukarest-Verciorova verbunden. Mit Reni, der russischen Endstation, besteht gegenwärtig, wie vorne erwähnt, keine Eisenbahnverbindung.

Bis zum Jahre 1883 war Galatz ein Freihafen.

Der Bahnhof liegt im östlichen Theile der unteren Stadt und führt seine Geleise zum nächstgelegenen neuen Hafen - oder Dockbassin.

Wie unser Plan dieses interessanten und grossartigen Werkes zeigt, besteht der Hafen aus einem Bassin von 500 m Länge und 120 m Breite, am Boden ge - messen. Das Bassin steht vermittelst eines Canales mit der Donau in Verbindung. Der Canal, dessen Axe mit der Axe des Bassins einen Winkel von 34° 30′ bildet, hat an der Donau eine Breite von 30 m und an der Stelle des Anschlusses an das Bassin eine solche von 321 m.

Die Nordseite des Bassins wird von einem 500 m langen Quai begrenzt, die anderen Bassinseiten und die Canalufer sind nur mit Steinwurf und Steinpflaster versehen.

Die Canalmündung an der Donau wird an der Westseite durch eine 50 m lange Mauer, an der Ostseite durch eine ebenso lange, mit dem Ufer parallel laufende Holzbrücke gebildet.

Hinter dem Quai sind zwei grosse Getreidespeicher A und B mit Silo-Anlagen projectirt, in welchen das Aufspeichern, Ausputzen, Abwägen und Einladen des Getreides in die Seedampfer durch Maschinen stattfindet. Von diesen Speichern wird vorläufig nur A gebaut.

Ferner sind zwei grosse Magazine C und D zum Aufnehmen von Colonial - waaren etc. projectirt; jedoch wird vorläufig nur das Magazin C gebaut.

Das Gebäude E ist das Maschinenhaus; es enthält die Dampfkessel und Triebmaschinen, welche die maschinellen Anlagen der Getreide-Elevatoren treiben.

Vor den Getreidespeichern werden mehrere eiserne, zur Aufnahme von Waaren bestimmte Baracken F errichtet.

In dem Gebäude G auf der Westseite des Bassins werden die Bureaux für Douane, Polizei etc. installirt werden.

Die Tiefe des Bassins beträgt 5 m unter dem niedrigsten Wasserstand der Donau, und da das Terrain durchschnittlich eine Höhe von 4 m über diesem Wasser - stand hat, so beträgt die Tiefe der Ausgrabung durchschnittlich 9 m. Dieselben Maasse gelten auch für die Mündung. Mit der ausgeschachteten Erde (950.000 m3) ist das Terrain um das Bassin bis zu 6 m über den niedrigsten Wasserstand der Donau angeschüttet worden.

[153]

Galatz.

Die Seehäfen des Weltverkehr. I. Band. 20154Das Mittelmeerbecken.

Der mittlere Wasserstand der Donau ist 3 m und der höchste 5·74 m über dem niedrigsten, indem die Donau beim niedrigsten Wasser gewöhnlich 1·50 m höher als der angenommene niedrigste Wasserstand steht.

Der Quai. Die Nordseite des Bassins wird von einem[Quai], gleich lang wie das Bassin selbst, begrenzt. Die Construction desselben ist folgende:

Der Platz, auf welchem sich der Quai befindet, ist bis zum Boden des Bassins, also bis 5 m unter dem niedrigsten Donaustand, ausgeschachtet und alsdann mit zusammengebundenen Faschinen bis zu 50 cm unter dem niedrigsten Wasserstande angefüllt (H). Quer durch die Faschinen sind Piloten eingerammt. Die Pilotenreihen stehen 1 m von einander entfernt. Jede Reihe hat 10 Piloten, wovon 4 Stück eine Steigung aus der Verticale von 0·25 haben (J), was ungefähr mit der Richtung der Resultante vom Erddruck übereinstimmt. Eine Pilote hat eine Steigung von (K), die 5 hinteren, welche die Verankerung der Mauer darstellen, stehen vertical (L). Die Länge der Piloten ist 15 m, der mittlere Durch - messer der 5 vorderen 35 cm, der 5 hinteren 30 cm. Das Material ist Tannenholz aus der Bukowina.

Die in einer Reihe stehenden Pfähle sind durch ein 35 cm breites, 30 cm hohes Kantholz verbunden. In der Längsrichtung des Quais sind über die 30 / 35 Kanthölzer Hölzer von 20 / 25 angebracht. Die obere Seite der letzteren Hölzer liegt genau auf der Höhe des niedrigsten bekannten Wasserstandes. Hier fängt die Mauerarbeit vom Quai an. Der Quai wird durchwegs aus Beton mit einer Ver - kleidung von Quadersteinen gemacht. Die Zusammensetzung des Betons ist folgende: 12 Schiebkarren Schotter, 6 Schiebkarren Sand und 10 Schiebkarren Cement.

Im Quai sind viele cylinderförmige Ersparungen (M) zu dem Zwecke ange - bracht worden, um ein mehr stabiles Querprofil zu erhalten. Das letztere ist nicht auf die ganze Länge darstellbar; es ist ein verschiedenes gegenüber den Getreide - speichern, beziehungsweise den Dampfkrahnen etc.

Der Steinwurf und das Pflaster.

Die Bassinufer sind mit Ausnahme der Quaiseiten durch Steinwurf und Pflaster gegen das Wasser geschützt.

Der Steinwurf schützt die Ufer vom Boden bis zu 1 m über dem niedrigsten Wasserstand; die Steigung der Böschung an dieser Stelle ist 1·5 auf 1. Der Stein - wurf hat am Boden 3 m, oben 1 m Breite; seine Höhe ist 6 m. Jeder Quadrat - meter Wurffläche deckt also durchschnittlich 12 m3 Stein.

An den Steinwurf schliesst sich als Uferschutz ein 40 cm dickes Pflaster aus unbehauenen[Quadersteinen], 4 m hoch an; die Steine liegen ohne Mörtel in einer 15 cm dicken Schotterschicht. Auf dem Niveau dieses Pflasters ist ein 2 m breites Banquet hergestellt. Oberhalb dieses Pflasters wird der Uferschutz durch Gras - anpflanzungen gebildet.

Wie der Verbindungscanal zwischen Bassin und Donau construirt werden soll, ist zur Zeit (Anfang November 1889) noch nicht des Näheren bekannt.

Die Erbauungskosten der geschilderten Anlagen sollen mit 18 Millionen Francs veranschlagt worden sein.

Wie wir vernehmen, soll noch ein schwimmender Getreide-Elevator die Anstalten des Bassins bereichern.

Die Industrie von Galatz ist nur mässig entwickelt; es stehen nur zwei grosse Dampfmühlen, eine Dampfsäge und zwei Seifen - und Kerzenfabriken im Betriebe.

155Die Donauhäfen.

Galatz ist das Centrum des Einfuhrhandels an der unteren Donau, für die auf dem Seewege eingeführten Waaren. In dieser Beziehung steigt die Bedeutung des Platzes seit Ende 1886 unaus - gesetzt, weil seit diesem Zeitpunkte Oesterreich-Ungarn und Rumä - nien sich gegenseitig in einem Zollkriege befinden. Die Waaren aus Oesterreich-Ungarn sind den hohen Sätzen des autonomen rumä - nischen Zolltarifes unterworfen, die Vertragsstaaten geniessen für eine grosse Reihe von Artikeln den Vortheil von Zollsätzen, welche oft um ein sehr Bedeutendes niedriger sind als die autonomen. Daher treten jetzt häufig Waaren aus Deutschland, Belgien, Frankreich, England, Italien und Holland, welchen der Seeweg zur Verfügung steht, dann auch aus der Schweitz an die Stelle solcher aus Oesterreich - Ungarn, welche meist mit der Bahn über Verciorova, Predeal oder Itzkany kamen und bis Ende 1886 den rumänischen Markt beherrscht hatten. Auch die Frachtverhältnisse, welche beispielsweise billigere Sätze von Antwerpen nach Galatz als von Wien nach Galatz auf - weisen, wirken dahin, dass besonders für voluminösere Waarengattungen der hiesige Hafen gegen das westliche und nördliche Rumänien im Consum der Provenienzen aus Oesterreich-Ungarn zurückstehen muss und dass diese Waaren aus Westeuropa bezogen werden.

Im Exporthandel, der zumeist Cerealien umfasst, steht Galatz weit zurück gegen das an der Donau weiter oben gelegene Braila, indem von diesem Hafen ungefähr viermal soviel Cerealien zur Ausfuhr kommen wie von Galatz. Wegen der ungünstigen Eisenbahnverbindung über Barbosi hat Galatz allmälig den grössten Theil seiner alten Bedeutung an Braila verloren. Auch Odessa con - currirt mit Galatz; die Zufuhren aus der oberen Moldau wenden sich alle dem russischen Hafen zu. Dieses Handelsgebiet wird aber durch Eisenbahnen, deren Bau von der rumänischen Regierung betrieben wird, in Zukunft dem Einflusse von Galatz zufallen. Die älteren Eisenbahnen der Moldau, welche die Bukowina mit Galatz verbinden, gehen in ziemlicher Nähe von den Grenzen Siebenbürgens. Das dicht bevölkerte, mit Naturschätzen gesegnete und gut cultivirte Gebiet auf der Seite gegen Russland wurde nur in seinem nördlichen Theile von einer Eisen - bahnlinie durchzogen, welche von Pascany über Jassy und den Grenzort Critesti nach Odessa geht. Eine Eisenbahnverbindung von Galatz nach dem genau im Norden gelegenen Berlad würde Galatz gegen Braila begünstigen, nachdem die Fortsetzung derselben, die Linie Berlad-Vaslui-Jassy, Galatz in directe Verbindung mit der untern und obern Moldau setzen würde. Auch der Bezirk von Dorohoiu, der nördlichste Rumäniens, ist durch einen Flügel, der seinen Hauptort mit Lewida an der Bahn Czernowitz-Jassy verbindet, dem Verkehre erschlossen. Für Rumänien und Galatz ist aber viel wichtiger die bereits concessionirte Bahn von Jassy durch das Thal der Jijia nach Dorohoiu; denn dann ist der Verkehr der östlichen Moldau dauernd an Rumänien gefesselt. Die von Oesterreich-Ungarn, Russland und Rumä - nien beschlossene Fortsetzung der Regulirung des Pruth bis in die Nähe der öster - reichischen Grenze wird auch viel zur Belebung des Handels von Galatz beitragen.

20*156Das Mittelmeerbecken.

Der Handel von Galatz betrug:

〈…〉〈…〉

Aus Galatz wurden in dem für Rumänien so überaus günstigen Erntejahre 1888 976.273 q Roggen, 614.251 q Weizen, 366.776 q Gerste, 364.940 q Mais, 81.982 q Hafer, dann 28.980 q Weizenmehl und 12.430 q Kleie aller Art exportirt. Die Ausfuhr von Oelsaaten erreichte 18.111 q, die von Bohnen 10.598 q; die letztere war 1888 ungewöhnlich niedrig.

Der grösste Abnehmer rumänischer Bodenproducte ist England (1888 1,527.672 q); von dem bedeutenden Exporte nach Belgien (243.027 q) und Holland (203.545 q) nahm sicher ein grosser Theil über Antwerpen und Rotterdam seinen Weg nach Deutschland Die nach Italien (139.770 q) transportirte Waare ist zum Theile auch nach der Schweiz bestimmt gewesen, die überdies 25.187 q direct be - zogen hat. Die anderen Absatzländer sind Norwegen (110.250 q), Frankreich (76.972 q), Deutschland (64.328 q) und Spanien (44.565 q).

Bohnen gehen nach England, Frankreich, Italien und der Türkei; Mehl regelmässig in die Türkei, unter günstigen Verhältnissen auch nach England, Italien und Belgien.

Die Ausfuhr rumänischer Weine ist 1888 auf 82.722 q gegen 41.630 q im Jahre 1887 gestiegen, sie waren fast alle nach Südfrankreich bestimmt.

Die einst so bedeutende Ausfuhr von Hornvieh hat fast ganz aufge - hört; 1887 wurden noch 5024 Stück, 1888 nur mehr 544 Stück, davon das meiste nach Italien, ausgeführt. Die Viehzucht Rumäniens hat durch die Grenzsperre, welche Oesterreich-Ungarn gegen die Einfuhr des Rindviehes errichtet hat, einen empfindlichen Schlag erlitten. Die Preise sanken so, dass den Bauern kein Ge - winn mehr blieb, und die geringe Hoffnung, welche man auf den Export zur See setzte, wurde 1887 durch den Zollconflict zwischen Frankreich und Italien ver - nichtet. Denn da Frankreich nicht mehr Rindvieh aus Oberitalien einführt, so treten die werthvollen Rinder dieses Gebietes in Süditalien, dem bisherigen Ab - satzgebiete des rumänischen Hornviehes, mit dem minderwerthigen Vieh Rumäniens in Concurrenz. Die Erzielung besseren Rindviehes wird überdies auch durch den Rückgang der Spiritusproduction vereitelt, mit welcher regelmässig Viehmastung verbunden ist. Die Aufhebung der bis Ende October 1887 gewährten Exportprämie ist die Ursache der Verminderung dieser Production.

Von grosser Wichtigkeit ist für Galatz auch der Export von Bauholz, welches in dem bedeutendsten industriellen Unternehmen Rumäniens, in der zu Galatz etablirten Actiengesellschaft für Holzgewinnung und Dampfsägebetrieb, vormals Götz & Comp. bearbeitet wird. Diese Gesellschaft hat sich den Bezug von Holz aus den Waldungen der Bukowina gesichert, konnte aber das dort ge - fällte Rundholz nach dem für österreichische Provenienzen bestehenden Zollsatze von 15 Francs per Cubikmeter nicht nach Galatz einführen. Das rumänische Rundholz wieder ist unvermischt zur Ausfuhr nicht geeignet.

Die Regierung musste die erste Fabrik des Landes in ihrem Bestande schützen, und die Kammern bewilligten 1889 auf 15 Jahre die Rückerstattung des Einfuhrzolles für Rundholz, welches aus der Bukowina eingeführt ist, unter der157Die Donauhäfen.Bedingung, dass die Unternehmung sich ausweise, mindestens 80 % von der Brutto eingeführten Quantität als in Rumänien verarbeitetes Holz exportirt zu haben. Dadurch wird die Gesellschaft genöthigt, auch rumänisches Holz zu verarbeiten, da der Abfall des eingeführten Holzes nach dessen Verarbeitung im exportfähigen Zustande

Plan von Galatz (Massstab 1: 41.200; Sonden in Metern).

A Donau-Strom, B neuer Hafen, C Agentien der Dampfschiffahrts-Gesellschaften, D Börse, E neuer Quai, G Seiten - und Kerzen-Fabrik, H Bahnhof der rumänischen Eisenbahn, J Stationsgebäude, K Bratesch-See, L Sumpf, M Platz Tergu de Fén si Vite, N Spital, O Garten, P Platz Cercale, Q Kaserne, R Tergul nou, S Meidanu Strajescu, T Damm und Strasse nach Reni, U Braila-Strasse, V Trajan-Strasse, W Domnesca-Strasse, X Zimbrului-Strasse, Y Bessaraiei-Strasse, Z Militär-Spital, I untere Stadt, II obere Stadt.

bedeutend mehr als 20 % beträgt. Nur durch diese Begünstigung bei der Einfuhr wurde das Sägewerk wieder in Stand gesetzt, die Ausfuhr seiner Producte zu be - treiben und neue Absatzgebiete aufzusuchen. Der Export von Bauholz aus Ru - mänien betrug 1888 237.462 q, 1887 291.150 q, und war nach der Türkei, Russland,158Das Mittelmeerbecken.Griechenland, Bulgarien, Spanien, Massaua und Frankreich bestimmt. Der Export von Brettern nach Batum zur Herstellung von Petroleumkisten, welcher im Früh - jahre 1889 eingeleitet wurde, verspricht eine bedeutende Einnahmsquelle der Ge - sellschaft zu werden. Die übrigen vier Holzsägen, welche in Galatz bestehen, ver - arbeiten nur rumänisches Holz und haben fast keinen Antheil am Exporte.

Die übrigen Exportartikel von Galatz, wie Guss - und Schmiedeeisen, Eisen - und Stahlschienen, Eisenstangen, Eisenplatten (1888 zusammen 116.036 q), sind fast durchwegs Transitwaaren nach Bulgarien und Bessarabien.

Das wichtigste über die Einfuhr wurde schon vorangestellt, hier ist nur nachzutragen, dass eine Zeitlang ein gewisser Theil der Waaren von Oesterreich - Ungarn, besonders solche der Textil - und Lederindustrie in der Schweiz und im Deutschen Reiche, durch Erlegung des Einfuhrzolles naturalisirt wurde und auf diesem Umwege nach Rumänien unter dem Zollsatze gelangte, den die Handelsverträge Rumäniens mit diesen Staaten festsetzen; doch wurde die Fortdauer dieser Praxis durch eine Ende 1889 erlassene Verfügung der rumänischen Regierung verhindert. Was Oesterreich-Ungarn jetzt nicht mehr liefern kann, bringen England und Deutsch - land, die in erster Linie an die Stelle Oesterreich-Ungarns getreten sind. Wir stellen nun die wichtigsten Einfuhrartikel von Galatz zusammen.

Bis zum 1. Juni 1886 beherrschte der österreichische Zucker vollständig den Markt in der Moldau und in Galatz. Seitdem dominirt in der unteren Moldau nach Norden hinauf bis Jassy der französische Zucker und deckt in diesem Ge - biete 70 % des gesammten Verbrauches; er geniesst den Vortheil einer billigen Seefracht. Höher hinauf finden wir deutschen Zucker aus Oberschlesien, der auf dem Landwege zugeführt wird. Kleinere Mengen Zucker kommen nach Galatz aus Belgien und Russland. Einfuhr 1888 23.730 q, Werth 2·1 Millionen Francs, 1887 23.826 q.

Weil für Kaffee jedweder Provenienz der gleiche Zoll gilt, so hat Triest in diesem Artikel eine Einfuhr, die nahezu gleich ist der aus England. Einfuhr 1888 5484 q, 1887 4559 q. Dasselbe gilt von dem Handel mit Gewürzen.

Reis wird direct aus Rangoon bezogen. Einfuhr 1888 51.492 q.

Südfrüchte kommen aus der Türkei und Griechenland (Einfuhr 1888 33.111 q), Harz, Pech und Colophonium aus England, Italien und Frankreich (1888 4562 q im Werthe von mehr als zwei Millionen Francs), Speiseöl aus Frank - reich und Italien, Olivenöl aus der Türkei und Griechenland, Leinöl aus England.

Die Einfuhr von roher Baumwolle ist gering, die von Baumwollgarnen und Geweben sehr bedeutend. Von den 16.527 q im Werthe von 6,563.200 Francs (1888) entfällt der weitaus grösste Theil auf England, der Rest auf die Schweiz und das Deutsche Reich; doch stammt die Einfuhr des letzteren Landes ursprüng - lich aus Oesterreich-Ungarn. Wollwaaren liefern England, Deutschland und Oesterreich-Ungarn, Hanfwaaren Russland, Jutefabricate England. In vielen Gat - tungen von Papier und Glaswaaren ist Oesterreich-Ungarn, trotz der riesigen Zölle, die auf seine Artikel gelegt sind, concurrenzfähig geblieben.

Auch in Eisen - und Stahlwaaren dominirt England, neben ihm treten Bel - gien, Deutschland und Frankreich als Lieferanten auf (Einfuhr 1888 141.398 q im Werthe von 7,353.600 Francs). Chemische Producte kommen meist aus England, Stearin - und Stearinkerzen aus Belgien und Holland, gegerbte Häute aus England, Frankreich, Deutschland und Italien.

159Die Donauhäfen.

Wie schon erwähnt, wird Bauholz aus der Bukowina zugeführt, Kohlen bringt England auf nationalen Schiffen (1888 744.245 q), auch Oesterreich ist mit einer kleinen Einfuhr betheiligt; endlich Mineralöl aus dem russischen Kaukasien. Bemerkenswerth ist endlich die steigende Einfuhr von Maschinen, speciell von Ackerbaumaschinen; 1888 wurden in Galatz die Vorräthe erschöpft. In dieser Thatsache liegt eine Bürgschaft für die zunehmende Entwicklung des Ackerbau - staates Rumäniens, das trotz aller Veranstaltungen seiner Regierungen es zu einer nennenswerthen Industrie kaum jemals bringen wird. Denn der Rumäne ist zum Fabriksarbeiter durchaus ungeeignet, dagegen verdient die Hausindustrie der Rumänen vielfach Anerkennung. Leider geht sie mit der fortschreitenden Ent - wicklung der Communicationsmittel durch die Fabriksindustrie zugrunde.

Die Träger der Industrie sind in Rumänien aus der Fremde eingewanderte Arbeiter, Rumänien müsste daher zunächst die Einwanderung fördern, wenn es aus seinem Industriegesetze vom 24. Mai 1887 ausreichenden Gewinn ziehen soll. Dann erst kann Rumänien darauf rechnen, die grossartige Einfuhr, welche meist Industrieartikel umfasst, herabzumindern und zu einer activen Handelsbilanz zu ge - langen. Denn in dem günstigen Erntejahre 1887 führte Rumänien für 265·5 Mil - lionen Leï Waaren aus, für 314·7 Millionen Leï ein. Das Motiv des vielbesprochenen Industriegesetzes Rumäniens, das seitdem auch in anderen Ländern Nachahmung gefunden hat, ist, das Land durch Unterstützung der bestehenden und Schaffung neuer Industrien soviel wie möglich vom Auslande unabhängig zu machen.

Bei 50 Unternehmungen wurden auf Grundlage dieses Gesetzes geschaffen, manche sind aber seitdem wieder eingegangen, viele haben aus dem oben ange - gebenen Grunde trotz der grossartigen Unterstützungen, welche ihnen das Gesetz gewährt, nicht die Entwicklung genommen, welche man gehofft hatte; sie sind eben nur schwer im Stande, auf die Dauer der billigen und regen ausländischen Concurrenz zu widerstehen.

Die grosse Menge des rumänischen Volkes hat wenig Bedürfnisse, sie ver - braucht daher nur gewöhnliche Erzeugnisse.

Gerade diese Artikel wurden aus Oesterreich-Ungarn geliefert, und daher ist das Industriegesetz ebenso wie der autonome Zolltarif in erster Linie gegen Oesterreich-Ungarn gerichtet, und wenn auch in der Nähe der Grenze dieses Staates seine Artikel bis auf Zucker noch den grösseren Theil des Marktes ver - sorgen, so sind schon zahlreiche Besitzer kleinerer industriellen Unternehmungen, zumal aus Siebenbürgen, nach Rumänien übersiedelt, um nicht erwerbslos zu werden.

Auch in Galatz ist eine Localindustrie für feinere Schuhwaaren und Herren - kleider entstanden, welche immer mehr Ausdehnung gewinnt und die Einfuhr aus Oesterreich-Ungarn entbehrlich macht. Sie wird zum grössten Theile von Staatsan - gehörigen Oesterreich-Ungarns betrieben.

Von Fabriken bestehen ausser der schon genannten Unternehmung für Holzindustrie die Erste rumänische Seifen - und Kerzenfabrik (Konzelmann) , die ebenfalls das Privilegium der steuerfreien Einfuhr der zu ihrem Betriebe be - nöthigten Rohmaterialien geniesst. Ihre ordinäre Seife hat das Product von Kreta fast gänzlich verdrängt; sie concurrirt in Stearinkerzen mit Erfolg gegen Belgien und Holland.

Ferner bestehen vier Dampfmühlen, die zwei grösseren waren 1888 nicht im Betrieb, die zwei kleineren können sich nur mit Mühe der Concurrenz des Mehles aus Botuschan erwehren, wo man in der Moldau das feinste Mehl erzeugt.

160Das Mittelmeerbecken.

Im Bezirke Covurlui, dessen Hauptort Galatz ist, bestehen drei Spiritus - brennereien. Von den kleineren Etablissements ist nur eine Bierbrauerei hervorzu - heben, welche den ziemlich beträchtlichen Localconsum vollständig beherrscht.

Der Schiffsverkehr von Galatz hat sich wegen der grossen Getreideausfuhr Rumäniens, die sich immer mehr dem billigen Seewege zuwendet, im Jahre 1888 gegen 1887 bedeutend gehoben und ist auch 1889 sehr ansehnlich, weil ein grosser Theil der Ernte des Vorjahres wegen Mangels an Arbeitskräften im Lande erst in diesem Jahre zur Ausfuhr gelangen konnte.

Der Schiffsverkehr betrug:

Seeschiffahrt:

〈…〉〈…〉

Wie die Beschaffenheit des Verkehrs von Galatz ergibt, läuft ein grosser Theil der Seeschiffe unbeladen ein, um hier Getreide aufzunehmen. Den bedeutendsten Antheil haben immer die englischen Dampfer, welche im Jahre 1888 drei Viertel der Getreideausfuhr und drei Fünftel des Importes fremder Industrie-Erzeugnisse, überdies den von Reis, Pech und Kohle besorgten. Natürlich entfielen auf sie auch 48 % des Tonnengehaltes des gesammten Hafenverkehres, auf Oesterreich-Ungarn und Frankreich nur je 18 %, obwohl beide Staaten regelmässige Schiffahrtsver - bindungen mit Galatz unterhalten. Auf die türkische Flagge kamen 11 %, auf die griechische 4·5 %.

In Galatz verkehren die nachfolgenden Dampfschiffahrts-Gesellschaften:

Oesterreichisch-ungarische Donau-Dampfschiffahrts-Gesell - schaft mit Passagier - und Güterverkehr stromaufwärts, sowie jeden zweiten Tag nach Reni, Tultscha und Ismaila nebst gelegentlichen Fahrten nach Odessa und Batum.

Oesterreichisch-ungarischer Lloyd mit dem Verkehr nach Constan - tinopel, Braila, Küstendsche und Varna sowie nach den Mittelmeerhäfen.

Russische Schwarze Meer - und Donau-Dampfschiffahrts-Ge - sellschaft, vormals Fürst J. Gagarin & Comp., versieht die Verbindung zwischen den russischen Häfen des Schwarzen Meeres und der Donau bis nach Sistovo. Dieselbe Gesellschaft steht im Begriffe, einen Dampfschleppverkehr auf dem Pruth zu orga - nisiren.

Französische Messageries Maritimes.

Französische Gesellschaft Fraissinet & Comp.

Navigazione generale italiana Florio & Rubattino.

Englische Gesellschaft Agentia Watson & Yonell.

Türkische Gesellschaft Navigation à vapeur Egée P.M. Courtgi & Comp.

Ausserdem erscheinen zahlreiche englische und griechische Dampfer in unregelmässigem Verkehr.

Die Flussschiffahrt von Galatz hängt wie die Seeschiffahrt nicht allein von der Menge des ins Ausland zu führenden Getreides ab, sondern auch von dem Wasserstande der Donau. Im Jahre 1888 hatte die Donau von der Eröffnung der Schiffahrt am 21. März bis Mitte Mai an den seichtesten Stellen eine Tiefe von 6 m; Dampfer von 2000 Tonnen Gehalt konnten bis Braila aufwärts fahren und brauchten nicht in Sulina auf die Getreideschlepper zu warten, um dort erst die Ladung zu vervollständigen. Auf dem Pruth war dagegen in diesem Jahre der Wasserstand so161Die Donauhäfen.ausnehmend niedrig, dass sämmtliche auf diesem Flusse zum Getreidetransporte bestimmte Tschonns (Barken) nicht nach Galatz kommen konnten und die Hoch - wässer des Frühjahres 1889 abwarten mussten. So erklärt sich der Rückgang der Flussschiffahrt in Galatz bei einer gleichzeitig starken Getreideausfuhr.

Der Verkehr in der Flussschiffahrt betrug:

〈…〉〈…〉
Neuer Hafen von Galatz (Massstab 1: 8500; Sonden in Metern, auf den niedrigsten Wasserstand der Donau reducirt).

A und B Getreidespeicher mit Silo-Anlagen, C und D grosse Magazine für Colonialwaaren, E Ma - schinenhaus, F Eiserne Baracken, G Bureaux. Profil des Quais von F bis D: H Faschinen-Fütterung, J äussere Piloten mit ¼ Neigung, K Pilot mit Neigung, L senkrechte Piloten, M Materialaus - sparung, N Boden des Bassins, O niedrigster Wasserstand der Donau, P höchster Wasserstand.

Die meisten Schiffe führten 1888 die Flagge Oesterreich-Ungarns, hierauf folgten griechische Schiffe, meist Segler, welche wie die griechischen Kaufleute in dem Getreidehandel auf der unteren Donau eine hervorragende Stellung einnehmen; den Schluss bilden rumänische, russische und türkische Schiffe.

Den regelmässigen Personen - und Güterverkehr besorgt auf der unteren Donau die Erste k. k. privilegirte Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft. Die bestehende Absicht, eine rumänische Dampfschiffahrt mit staatlicher Unterstützung zu schaffen, wurde bisher nicht ausgeführt. Die auch auf der unteren Donau verkehrende russische Dampfschiffahrts-Gesellschaft (vormals Gagarin) hat den Zweck, den Absatz russischer Producte in die Donaustaaten zu fördern und zugleich den Einfluss der russischen Politik zu stützen. Aus diesem Grunde zahlt die russischeDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 21162Das Mittelmeerbecken.Regierung der Gesellschaft für die Schiffahrt auf der Donau, welche jetzt bereits bis Widdin ausgedehnt ist, und für die Befahrung des Pruth eine ansehnliche Subvention, von welcher das Unternehmen in der Hauptsache lebt. Denn mit den Frachten ging man aus Concurrenzrücksichten gegen die k. k. Donau-Dampfschiffahrts-Ge - sellschaft auf einen Stand hinunter, der keinen Nutzen mehr abwirft. Aber auch die österreichische Gesellschaft befindet sich in einer keineswegs beneidenswerthen Lage; sie muss den theuren Personenverkehr aufrecht erhalten, der seit dem Aus - baue des ungarischen und rumänischen Bahnnetzes in diesen beiden Staaten nicht mehr rentabel ist; er kann höchstens für das bulgarische Ufer als unentbehrlich bezeichnet werden und ist sehr wichtig für den Localverkehr zwischen Galatz und Braila.

Sowie Eisenbahnen parallel mit den Flüssen gebaut sind, hat für die Schiffs - gesellschaften der Personenverkehr nur in Gegenden Werth, welche, wie der Rhein auf der Strecke Mainz-Köln, sich eines ausnehmend reichen Verkehres von Touristen zu erfreuen haben. Man muss auch bedenken, dass seit dem Zollkriege zwischen Oesterreich-Ungarn und Rumänien der Verkehr auf dem oberen Theile der rumänisch-bulgarischen Donau in beiden Richtungen wesentlich beschränkt ist. Alles drängt von den mittleren und unteren Theilen des rumänischen Gebietes zum Schwarzen Meere hinaus, aber es fehlen bis auf kaukasisches Petroleum die umfangreichen Gegenfrachten von Naturproducten, welche ein Weltmeer, wie der atlantische Ocean, dem Rheine oder der Schelde zuführt. Auch die Vertiefung des eisernen Thores unterhalb Orsova wird die Dinge für die Flussschiffahrt nicht besonders bessern, wenn nicht die Schranke beseitigt wird, welche heute zwischen Oesterreich-Ungarn und Rumänien aufgerichtet ist. Dann wird die Donaustrasse aufwärts besser ausgenützt werden können und diese Verkehrsrichtung durch die heute schon eingerichtete Beförderung kaukasischen Petroleums, für welches die österreichische und die russische Gesellschaft die Errichtung von Reservoirs an passenden Orten planen, eine wesentliche Förderung erhalten. Für russisches Petroleum kann die Donau in Mitteleuropa eine ähnliche Stellung einnehmen, wie die Wolga in Russland. Man hat bisher die Donaustrasse zu sehr in ihrer Be - deutung für den Verkehr nach dem Osten beachtet, ihre Zukunft liegt in der Entwicklung des Handels nach dem Westen.

Galatz im Besonderen erwartet mit Sehnsucht die Vollendung der staatlichen Docks und die Entwicklung eines Waarenverkehres. Die zahlreich entstandenen Privatmagazine sind kein vollwerthiger Ersatz derselben. Dann wird sich Galatz wieder aus dem materiellen Niedergange erheben, in welchem es seit 1883 (Aufhebung des Frei - hafens) begriffen ist.

Dem Handel dienen vor allem die Getreidebörse und die rumä - nische Bank.

Um den Verkehr auf der unteren Donau aufrecht zu erhalten, besteht seit dem Pariser Vertrage (30. März 1856) eine von der rumänischen Regierung unabhängige Europäische Donau-Commission mit dem Sitze in Galatz. Mitglieder waren ursprünglich die Vertreter der Mächte, welche den Pariser Vertrag unterzeichnet hatten. Seit dem163Die Donauhäfen.Berliner Vertrage ist auch Rumänien in der europäischen Donaucom - mission durch einen Delegirten vertreten. Die Aufgabe derselben besteht in der Beseitigung der Schiffahrtshindernisse im Arme der Sulina und an der Mündung, sowie in der stetigen Verbesserung des Fahrwassers und in der Instandhaltung der ausgeführten Arbeiten.

Der europäischen Donau-Commission steht das Recht zu, fixe, durch Stimmenmehrheit festzustellende Gebühren einzuheben, sowie die Schiffahrts - und Flusspolizei auf Grund der im eigenen Wirkungs - kreise zu erlassenden Reglements auszuüben. Infolge der Bestimmun - gen des Londoner Vertrages vom 10. März 1883 (Art. I) erstreckt sich die Jurisdiction der europäischen Donau-Commission gegenwärtig auf den Stromlauf von Braila bis zur Mündung des Sulina-Armes einschliesslich des Hafengebietes von Sulina.

Die Einnahmen der Commission erreichten 1888 2,077.110 Francs, die höchste Ziffer seit deren Bestande, obwohl seit 1865 die Tarife wiederholt herabgesetzt wurden, so 1881, 1883, 1885, 1888. Seit 1881 sind Schiffe von 100 Tonnen und darunter, seit 1885 solche von 200 Tonnen und darunter von den Abgaben befreit.

Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Griechen - land, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Russland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Türkei.

Braila.

Braila, türkisch Ibrahil genannt, ist neben Galatz der wichtigste Handelsplatz an der unteren Donau, und da nur die geringe Entfernung von 22 km die beiden Häfen trennt, so stehen dieselben in vielfachen Beziehungen unter dem Drucke einer lebhaften Rivalität. Diesem Um - stande ist es wohl zuzuschreiben, dass Braila ebenfalls ein mit den - selben Anstalten ausgestattetes Hafenbassin von denselben Dimensionen als Geschenk der Regierung erhält, wie wir selbes bei Galatz be - schrieben haben. Die Stadt zählt 28.000 Einwohner und zeichnet sich durch hübsche geregelte Strassen nach westländischem Begriffe aus. Längs des Quais findet man den ganzen Apparat eines emsig be - triebenen Handels vereinigt.

Braila, oberhalb der letzten Strombeuge der Donau gelegen, ist Rumäniens erster Exporthafen und hat unter allen Hafenstädten des Landes durch die Ableitung des Eisenbahnverkehres von den Grenzen der österreichisch-ungarischen Monarchie am meisten gewonnen. Dies verdankt die Stadt hauptsächlich ihrer günstigen Lage als letzter für grosse Seeschiffe erreichbarer Donauhafen, dann den Verbesserungen21*164Das Mittelmeerbecken.des Hafens, welche, wie erwähnt, durch ausgedehnte Regierungsdocks vervollständigt werden.

Diese Stadt blüht seit der Aufhebung des Freihafens (1883) mächtig auf, wofür die lebhafte Baulust und das Steigen des Werthes aller Immobilien unzweifelhafte Beweise sind.

Gross ist die Zahl der Speculanten und Händler, aber auch die der Fuhr - leute, Lastträger und Taglöhner, welche in dem Hauptartikel der Ausfuhr, Getreide, Beschäftigung finden. Ein Theil des letzteren wird auch aus Bulgarien und Serbien auf der Donau zugeführt. Zur Vermittlung des Verkehres besteht eine Getreidebörse. Im Jahre 1887 wurden 12,053.621 q, 1888 14,554.041 q Getreide ausgeführt. Von den letzteren waren 8,804.098 q mit Schiffen von den oberen Stationen, 5,750.041 q mit der Eisenbahn hier angelangt, und wurden mit Dampfern nach England, Frankreich, Holland, Belgien, Schweiz, Deutschland und Italien exportirt. Der grösste Absatz fand nach England und Antwerpen statt. In der obigen Ziffer sind enthalten (1888) 206.907 q Reps und 88.158 q Bohnen. Ansehnlich ist auch die Ausfuhr von hier erzeugtem Mehl, 1888 113.965 q, 1887 64.689 q, der grösste Theil geht in die Türkei, dann die von Spiritus, welche 1888 16.300 q (Werth 1,793.000 Francs), 1887 21.800 q betrug. Von hier versendet man Gemüse in be - deutenden Quantitäten nach Galatz und anderen Donaustationen. Bulgaren sind hier wie überall auf der Balkanhalbinsel und auch in vielen Orten Ungarns die Pflanzer der Gemüse. Exportirt werden ferner russisches Petroleum, englische Stein - kohlen, Colonialwaaren und eine Reihe von Industrieartikeln fremden Ursprungs.

Die wichtigsten Artikel der Einfuhr sind: Reis, Oele aller Art, Zucker, Kaffee und Colonialwaaren, Hölzer, Petroleum und Steinkohlen. Den Haupttheil der Einfuhr bilden aber Industrieartikel jeder Art. Bei vielen derselben ist eine Abnahme bemerkbar, weil sich die einheimische Production durch eingewanderte Gewerbsleute hebt. Hervorzuheben sind Pflaster - und Ziegelsteine für mehr als 1 Million Francs. Von der Einfuhr in Braila gilt dasselbe, was bei Galatz erwähnt wurde, nur ist die Einfuhr aus Oesterreich-Ungarn verhältnissmässig bedeutender. Deutschland ist bemüht, seine Producte mit der Eisenbahn auf den hiesigen Markt zu bringen und auch den bisher zur See importirten Artikeln Concurrenz zu machen.

Der Seehandel von Braila betrug:

1)Ohne Cerealien.
1)

Der Schiffsverkehr umfasste ohne Schleppschiffe, von denen 1888 2409 mit 423.250 Tonnen zumeist unter griechischer und rumänischer Flagge hier an - kamen, ferner ohne die Passagierdampfer der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft, welche von den oberen Donaustationen kamen, und ohne die Localdampfer zwischen Galatz und Braila:

〈…〉〈…〉
165Die Donauhäfen.

An diesen Summen ist die englische Flagge am stärksten betheiligt, auf sie entfallen (1888) 65 % der Dampfer und 72 % des Tonnengehaltes. An sie reihen sich die französische, die griechische, die österreichisch-ungarische, die russische, die italienische und die türkische Flagge.

Ausser der schon genannten Börse dient wesentlich zur Hebung des Handels die hiesige Filiale der rumänischen Nationalbank und indirect die rumänische Bank in Galatz.

Consulate: Belgien, Griechenland, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Schweden und Norwegen, Türkei.

Die Donauhäfen oberhalb Braila gelten nicht mehr als See - häfen, aber namentlich die gegen die Mündung der Donau zu gelegenen liefern viele Producte in den Ausfuhrhandel der in den früheren Ab - schnitten breiter behandelten Städte Galatz und Braila.

In dieser Hinsicht ist zunächst wichtig das schon genannte Cernavoda, der Donauhafen Constanțas, wo bald der Bau einer herrlichen Brücke in Angriff genommen werden wird.

Der Bau einer Eisenbahnbrücke bei Cernavoda, welche die ununterbrochene Verbindung von Bukarest mit dem Schwarzen Meere bei Constanța herstellen soll, wurde von der rumänischen Regierung im Jänner 1890 vergeben. Die Strombrücke allein ohne Inundationsbrücken erhält eine Gesammtlänge von 750 m, die in fünf Oeffnungen getheilt ist. Die mittlere hat eine Spannweite von 190 m, die andern jede von 140 m. Die Donau hat hier eine Tiefe bis zu 9·5 m, wenn ihr Wasser - stand auf dem Nullpunkte des Pegels steht; bis 7·0 m über den Nullpunkt steigt das Hochwasser und die Unterkante der Eisenconstruction ist 30 m über Hoch - wasser angeordnet, damit Segelschiffe ungehindert verkehren können. Mit Ein - schluss der Inundationsbrücken und der Uebersetzung des Donauarmes Borcea wird der Bau bei 25 Millionen Francs kosten.

Erwähnenswerth sind ferner die bulgarischen Städte Silistria und Rustschuk, letzteres am Beginn der einst international so wichtigen Eisenbahn Rustschuk Varna, der wichtigste Hafen Bulgariens an der Donau.

Ein Localboot bringt den Reisenden in einer halben Stunde auf das rumänische Ufer nach Giurgewo (Giurgiu), dem Endpunkte einer Eisenbahn und dem Donauhafen von Bukarest (Bucuresci). Ein Schiffahrtscanal ist der Vollendung nahe; mit seiner Hilfe werden die Schiffe in der nächsten Nähe der Stadt anlegen, statt wie früher in dem donauabwärts gelegenen Smarda.

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Odessa.

Im nordwestlichsten Theile des Schwarzen Meeres, 150 km nörd - lich der Donau-Mündungen, bildet die Küste den prächtigen Golf von Odessa mit der gleichnamigen, an dessen Ostseite liegenden Bai, auf welche die malerischen Bauwerke des südrussischen Haupthafens von stolzer Höhe herabblicken. Die nahen Mündungen der mächtigen schiffbaren Flüsse Dnjepr, Bug und Dnjestr erheben Odessa zum Ausbruchshafen eines weiten bis nach Central-Russland reichenden Productionsgebietes.

Die Küstenformation ist eigenthümlich. An den zahlreichen Mündungen der Haupt - und Küstenflüsse bildeten sich seichte seenartige Salzwasseransammlungen (Limane), welche meist durch einen niedrigen, von den Wellen angeschwemmten Sand - oder Schotterstreifen (Nehrung, Peresyp) vom Meere getrennt sind. Nur bei den Mündungen der grösseren Flüsse bleibt der Liman geöffnet, wogegen bei kleineren die Verdunstung auf der Oberfläche des Limans den Zufluss aufzehrt und keine Wasserzuströmung in das Meer stattfindet.

Zwischen den erwähnten Salzseen tritt ein mässig hohes, schluchtenreiches Hügelland, die letzten Ausläufer eines Plateaus, das in die Karpathen übergeht, hart an die Küste und bildet hier steile Böschungen. Jedoch ist die Meerestiefe in diesem Theil des Schwarzen Meeres keine bedeutende, denn selbe überschreitet an keinem Punkte das Mass von 20 m, beträgt aber an der bessarabischen Küste auf 2 km Abstand vom Lande noch immer nur 7 m.

In der halbmondförmigen, 7·5 km breiten und 4 km eingebogenen Bai von Odessa überschreitet die Wassertiefe bei gleichmässig verlaufendem Grunde an keiner Stelle 15 m, und am Wellenbrecher des Hafens findet man nur eine solche von 10 m.

Starke Südostwinde erzeugen im Golfe von Odessa durch die Rückstauung und Reflexion der schweren Wellen an der Küste sowie durch die entgegen - stehende Strömung der Wasserzuflüsse eine hochgehende, für kleinere Fahrzeuge mitunter gefährliche, aber auch grösseren Schiffen lästige Widersee.

Odessa bietet dem zur See Ankommenden ein überraschendes Panorama dar. Von einem gegen 50 m hoch gelegenen Plateau, das mit steilen, oft senkrechten und zerrissenen Rändern zum Meere ab -167Odessa.fällt, blickt uns eine imposante Front von anscheinend herrlichen Monumentalbauten entgegen; darüber glänzen und glitzern die hoch - aufragenden Thürme und Kuppeln zahlreicher Kirchen.

Das ist die Oberseite des fesselnden Bildes. Aus dem grünen Saume schattiger Parkanlagen, welche die Häuserreihen begleiten, senkt sich, einer genialen Theaterdecoration vergleichbar, zwischen Blumenparquetten eine grossartige breite Freitreppe mit 200 Stufen und 20 Ruheplätzen hinab in das Centrum des weiten Hafens. Mit seiner reichen Quaientwicklung, den hunderten Schiffen aller Nationen, die sich hier vereinigten, den vielen allen Zwecken dienen - den Gebäuden, dem lebensvollen Treiben am Lande und zu Wasser offenbart das Hafengebiet den kräftigen Pulsschlag seines Verkehrs - lebens und stellt eine Stadt für sich und den Urquell all der schim - mernden Herrlichkeit des Oberbildes dar.

Odessa ist eine Schöpfung der neueren Zeit. Das rasche Auf - blühen der Stadt erweist, dass nicht allein die Kriegführung, sondern auch der Handel strategisch wichtige Punkte kennt. Ein solcher ist denn durch die glückliche Wahl Katharina’s II. in Odessa enstanden. Der schöpferische Geist dieser weitblickenden Monarchin und die wirksamen Impulse ihres verlästerten Rathgebers Potemkin schufen im südlichen Russland eine Zahl gegenwärtig volkreicher und wohl - habender Hafenstädte, die sämmtlich dank ihrer vortheilhaften Lage einer immer weiteren Entwicklung entgegengehen.

Potemkin ist der Gründer von Cherson (1778) an der Dnjepr - Mündung, das gegenwärtig 67.000 Einwohner zählt; er schuf am selben Strome 1784 Ekaterinoslaw, das heute 47.000 Einwohner hat. Auch Nikolajew, heute eine Stadt von 67.000 Bewohner und zum Kriegshafen geworden, entstand 1792 durch Potemkin.

An der Stelle des heutigen Odessa lag zu Ende des vorigen Jahrhunderts der kleine befestigte türkische Ort Hadschi-Bey, der 1789 durch den russischen Admiral de Ribas erobert wurde. Fünf Jahre später, und zwar am 22. August 1794, verlieh Katharina II. dem Platz den Namen Odessa, der an die alte in der Nähe gelegene griechische Colonie Ordesos erinnern sollte. Wenngleich die Kaiserin nur die zwei letzten Jahre ihres Lebens die Entwicklung ihrer neuen Schöpfung mit allen Mitteln fördern konnte, so fand die Stadt in der Folge doch so mächtige Beschützer, dass sie dadurch und vermöge der Vortheile ihrer Lage rasch zu einem in der Handelswelt ange - sehenen Rang emporblühte.

Der erste Gouverneur von Odessa, Admiral de Ribas (1795), dann168Das Mittelmeerbecken.Herzog von Richelieu (1803 1814), Prinz Michael von Worontzoff (1823), ebenso die Gouverneure General Langeron, Graf A. Strogonoff und Kotzebue haben unvergessliche Verdienste um die rasche Ent - wicklung des Handels-Emporiums sich erworben.

Odessa liegt unter 46° 29′ nördl. und 30° 44′ östl. v. Gr. (Kathedrale), auf einem fast ebenen, von einigen jetzt überbrückten Einschnitten durchzogenen Plateau und ist, wie unser Plan zeigt, sehr regelmässig gebaut.

Seine breiten schöngepflasterten Strassen werden häufig mit den Pariser Boulevards verglichen. Unter denselben ist der die ganze Stadt an der Landseite umspannende äussere Boulevard, eine Fahr - strasse, welche die Vorstädte abgrenzt, seiner grossen Ausdehnung wegen bemerkenswerth. Dagegen blickt der herrliche Boulevard Nicolas hinab in das bewegte Leben des Hafens. Von den schattigen Anlagen dieser einzig schönen Promenade geniesst man einen weiten Ausblick auf den Hafen und die See. Das 1827 errichtete Standbild Richelieu’s, in der Richtung der hier mündenden monumentalen Freitreppe gelegen, dann seit 1887 am südlichen Ende des Boulevards eine mit der Bronzebüste des russischen Dichters Puschkin gezierte Fontaine, und der säulengetragene Bau der Börse, welcher den Hintergrund ein - nimmt, schmücken diesen vielbesuchten reizenden Platz.

Von der Freitreppe aus gelangt man über den Richelieu-Platz zum Katharinen-Platz, und nach kurzer Strecke zu dem mit schönen Parkanlagen gezierten Theater-Platz. Hier erhebt sich das imposante und formenprächtige Theatergebäude ein Werk österreichisch - ungarischer Kräfte.

Nach den Plänen der Wiener Architekten Fellner und Helmer vollführte die Wiener Unternehmung Donat Zifferer den Bau, dessen Sculpturen Friedl aus Wien in würdigster Weise schuf. Die herrlichen Plafondgemälde und der Vorhang entstammen dem Atelier des Wiener Malers Leffer. Ganz & Comp. in Budapest tauchten aber das prächtige Werk in ein Meer elektrischen Lichtes.

Das am 15. September 1887 eröffnete Theater erforderte einen Kostenauf - wand von 1·1 Million Rubel.

Auch der Alexander-Park, dann die von hin und wieder grösseren Gebäuden flankirten Strassen Richelieu, Deribas, Preobra - schenska, Puschkin (früher italienische Strasse), die zu den belebtesten der Stadt gehören, endlich der neue Bazar seien hier genannt.

Unter den öffentlichen Gebäuden sind die kirchlichen Bauten beachtenswerth. Odessa besitzt 21 in verschiedenen Stylarten erbaute, mitunter ansehnliche Kirchen, mehrere Klöster und Synagogen.

Das geistige Leben ist sehr entwickelt, das Unterrichtswesen169Odessa.wohl gepflegt. Nebst der 1862 gegründeten Universität, dem Lyceum Richelieu sind abseits zahlreicher Volksschulen noch mehrere Gymnasien und Privatinstitute vorhanden, unter letzteren das in einem schönen Parke gelegene Institut der adeligen Fräulein.

Es bestehen mehrere gelehrte Gesellschaften neben Vereinigungen, welche der Pflege der schönen Künste gewidmet sind.

Von der Steppenlandschaft im Westen trennt Odessa ein breiter Gürtel hübscher Landhäuser und ergiebiger Weingärten. Dort gewahrt

Odessa.

man das mehrere Windmühlen zählende Mühlenviertel (Melnyey). Ehemals zählte man in der Umgebung von Odessa mehrere hundert Windmühlen. Seit der Entwicklung der Dampfmühlen sind erstere grösstentheils verschwunden.

Am Suchvy Liman, 16 km südlich des Hafens, liegen die deutschen Colonien Liebenthal und Lustdorf (Ljustra), sowie die griechische Ansiedlung Aleksandrowka, welche selbständige Ver - waltungen besitzen.

Zum Stadtgebiet zählen dagegen die am Strande nördlich des Hafens liegende Vorstadt Peresyp und die Viertel Tiraspol undDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 22170Das Mittelmeerbecken.Woroncowka im Südwesten der Stadt mit dem Waarenbahnhof, auf welchem sich neben anderen Anlagen die Hauptwerkstätten der Süd - westbahn befinden. Von letzterem aus führt eine Eisenbahnlinie zum neuen grossen Personenbahnhof am Siennaja-Platz, ein anderer Zweig geht zu dem 7 km nördlich liegenden Liman des Kujalnik (für den Salztransport) und die dritte Linie führt an der Hafenfront vor - bei auf den Quarantäne-Molo und über einen 7 m hohen Holzviaduct hinaus zur südlichen Hafeneinfahrt, so dass ein directer Waaren - verkehr zwischen den Schiffen und Waggons hergestellt ist. Ueber - haupt sind die Bahnhofanlagen den Verhältnissen einer grossen See - stadt entsprechend beschaffen.

Grossartig ist die Gesammtanlage des Kunsthafens. Wie unser Plan zeigt, lagert der Hafenfront ein 1300 m langer Wellenbrecher vor und gegen den Ansturm der hochgehenden Südostwellen schützt der 1650 m lange Quarantäne-Molo (Karantinnaja-Molo), welcher mit dem Platonsky-Molo den 17 ha grossen Quarantäne-Hafen einschliesst. Dieser hat an der schmalen Einfahrt und im Inneren 7 m Wassertiefe.

Am nördlichen Ende des Hafensystems ist das 13 ha umfassende und für 400 Schiffe ausreichende Bassin des Verkehrshafens (Prakticzeskaja Gawan), der bei 4·2 m Wassertiefe als Regierungs - hafen nur russischen Schiffen gewidmet ist.

Den ausgedehnten Quai zwischen diesem Bassin und dem Quarantäne-Hafen nannte man vormals den Kriegshafen; gegenwärtig ist hier ein grosser breiter Molo (neuer Molo, Novoi mole) in See geführt und dadurch die Quaientwicklung des Hafens beträchtlich erweitert.

Bisher gebricht es dem nördlichen Theile des Hafens an ge - nügender Wassertiefe, welcher Umstand hier besonders deshalb nach - theilig gefühlt wird, weil bei einsetzenden Landwinden, je nach der Stärke derselben, ein Fallen des Wasserstandes bis zu einem Meter Niveau-Unterschied stattfindet, welche Erscheinung die Schiffe oft zwingt, entweder den Ankerplatz zu verlassen oder auf Grund liegen zu bleiben.

Bis März 1892 sollen übrigens der Verkehrs-Hafen, welcher der Küstenschiffahrt dient, und der Quarantäne-Hafen bedeutend vertieft werden.

Der Hafen von Odessa ist von Natur kein wirklich guter Hafen und kann folgerichtig trotz mancher Verbesserungen nur mit Mühe den grossartigen Anforderungen genügen, die jetzt an ihn gestellt werden.

171Odessa.

Aber noch ein Nachtheil wirkt hier auf den Seeverkehr störend ein. Es ist die in manchen Jahren eintretende grosse Winterkälte, welche dann das Meer mit einer Eiskruste bedeckt und die Schiffahrt unterbricht. Das Zufrieren des Hafens ist jedoch keine regelmässige Wintererscheinung. Länger als 6 Wochen ist nicht erinnerlich, dass derselbe zugefroren geblieben sei. Bei starkem Froste und Nordost - winde sind Jänner und Februar die kritischen Monate.

Odessa ist Russlands wichtigster Hafen am Schwarzen Meere, der Brennpunkt des südrussischen Getreidehandels, neben welchem die anderen dort gelegenen Häfen, wie Nikolajew, Sewastopol und das neu entstandene Noworossisk nur eine secundäre Rolle spielen. Auch die Concurrenz auswärtiger Häfen, wie Königsberg und Danzig, die sich namentlich im Anfange der Achtzigerjahre geltend machte, ist nach der natürlichen Lage der Dinge nicht auf die Dauer besorg - nisserregend. Denn die Bedeutung Odessas liegt in seiner geographi - schen Lage und in seinen getreidereichen Hinterländern, aus welchen der Ueberschuss von Körnerfrüchten zur Deckung des Bedarfes ver - schiedener Theile Europas zur Ausfuhr hieher gelangt. Durch eine geschickte Tarifpolitik der Eisenbahnen des westlichen Russlands ist wohl in dem letzten Jahre die Ausfuhr eines Theiles des Tschernö Sem nach dem Norden abgelenkt worden, aber dem Handel Odessas bleibt unter allen Umständen ein umfangreicher Getreiderayon gesichert. Der Bau einer Küstenbahn, die heute noch dem Süden Russlands fehlt, würde Odessas Verkehr auf Kosten der anderen Plätze am Schwarzen Meere heben; denn auch hier würde der Verkehr des grösseren Platzes den der kleinen Concurrenten erdrücken.

Russlands Bedeutung als Agriculturstaat ist durch eine Reihe guter Ernten seit 1887 neuerdings zu ungeahnter Höhe gestiegen. Auf dem englischen Markte, der die grössten Mengen Getreides unter allen Ländern der Erde aufnimmt, trat 1888 Russland als erster Lie - ferant auf, und die südrussischen Häfen schickten ebensoviel dahin, wie in früheren Jahren die atlantischen Häfen der Union. Alles zeigt den ungemein grossen Aufschwung des Ausfuhrhandels in Russ - land, welcher in dem steigenden Rubelcourse einen unzweideutigen Ausdruck findet.

Mit dem Stande des Goldagios müssen in einem Lande des Zwangscourses Exporteur und Importeur beständig rechnen. Nun erhöhte wohl das Steigen des Rubelcourses für den ausländischen Käufer den Preis des russischen Getreides, vermochte aber den Export der grossartig reichen Ernte nicht zu hindern. Denn allent -22*172Das Mittelmeerbecken.halben war Mangel an Unterkunftsräumen, Mangel an Transport - mitteln. Für die Benützung der Lagerhäuser in Odessa und die längs der Bahnen errichteten wurden hohe Preise gefordert, und die Bauern halfen sich in ähnlicher Weise, wie die Bewohner Floridas, welche in einem sumpfigen Lande die Todten bestatten sollen. Im Lande der schwarzen Erde findet sich unter diesem humusreichen Boden fester Lehm. Der Bauer hebt den Humusboden aus, füllt die Höhle mit Stroh, zündet dieses an, und durch die Wirkung des Feuers werden die Lehmwände festgebrannt. Sodann werden die Gruben mit Getreide gefüllt und gut gedeckt.

Im ganzen Lande zeigte sich das Bestreben, durch Verbesserung der Verkehrsmittel den Abfluss des Getreides zu erleichtern. Noch mehr dringend aber erweist sich die Nothwendigkeit, den Getreide - handel Russlands zu organisiren, wobei man das mustergiltige Vor - bild der Union vor Augen hat. Russland gebührt unter allen durch die Union schwerbedrängten Agriculturstaaten Europas das Verdienst, dass es zuerst dem gefährlichen Gegner trotzig ins Gesicht zu sehen wagte und ihn jetzt mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen be - ginnt. Amerikas Uebergewicht liegt nicht so sehr in der billigen Production des Getreides Russland producirt nicht viel theurer als vielmehr in der grossartigen Organisation des Getreidehandels bis in die letzten Fasern. Diese Organisation sucht nun Russland zu copiren. Ein grosses schweres Unternehmen gegenüber den beste - henden corrupten Verhältnissen, aber ein Unternehmen, das bei star - kem Willen der Regierung gelingen kann, ja gelingen muss, soll Russ - land der überseeischen Concurrenz nicht erliegen. Gegen das häufig unreelle Gebaren des Zwischenhandels helfen die Elevatoren, deren im Innern Russlands eine ganze Reihe errichtet sind, allein nicht. Man muss gleichzeitig eine strenge Classification des Getreides, welches von öffent - lichen Lagerhäusern übernommen wird, einführen, auf dass wenigstens von dem Augenblicke, wo das Getreide daselbst eingelagert ist, weitere Verschlechterungen nicht mehr vorkommen können. Um Verfälschungen zu entgehen, hat man auch die Errichtung einer englisch-russischen Gesellschaft geplant, welche das Getreide direct vom Producenten kaufen soll. Allerdings kann die Regierung bei der einheimischen, weitverbreiteten Erzeugung des Getreides nicht in ähnlicher Weise direct eingreifen, wie bei dem Handel des Thees, der ausschliesslich aus dem Auslande stammt; wir lesen, dass die Regierung mit dem Plane um - geht, allen Thee auf den Zollämtern und Rentnien pfundweise auszu - wiegen und in Paketen abzusetzen, welche mit der amtlichen Ban -173Odessa.derole verschlossen sind. Jedenfalls müssen vor allem Lagerhäuser, insbesondere Elevatoren gebaut werden. Die Entwicklung des War - rantsystems muss sich nothgedrungen anreihen und schon sind die Vorbereitungen energisch getroffen. Durch ein Gesetz vom 30. März 1888 wurde die rechtliche Basis für die Lagerhäuser geschaffen. Der russischen Südwestbahn, auf welcher sich der grösste Theil der Getreidefrachten nach dem Hafen Odessas bewegt, wurde von der Regierung gestattet, aus dem Pensionsfonde ihrer Angestellten die nothwendigen Gelder für die Errichtung von Elevatoren zu entnehmen. Der grösste wird 3 km ausserhalb Odessa errichtet und soll 262.000 q fassen. Auf dem Quai von Odessa soll ebenfalls ein grosser Elevator erbaut werden und kleinere, ausreichend für die Ladung von 50 Waggons, werden in allen grösseren Orten Südrusslands entstehen. Dass Odessa schon 1888 solche Mengen von Getreide an das Ausland abgeben konnte, ist nur durch die Magazine längs der Südwestbahn und durch die ausgedehnten Lagerhäuser Odessas selbst ermöglicht worden, welche durch Geleise mit dem Hafen verbunden sind. Seit 1888 sind die russischen Bahnen auch ermächtigt, das bei ihnen ein - gelagerte Getreide zu belehnen, und im October 1889 hat die russische Reichsbank die russische Südwestbahn durch die Bewilligung eines Cre - dits von 2 Millionen Rubeln in den Stand gesetzt, eine Erweiterung ihres Belehnungsgeschäftes vorzunehmen. Gegenwärtig erhält der Producent bereits an den Verladestationen gegen die Frachtbriefe über das verladene Getreide einen angemessenen Vorschuss, und zwar zu dem niedrigen Zinsfusse von 5 % für das Jahr. In Odessa selbst wird das in solcher Weise belehnte Getreide von einem eigens zu diesem Zwecke errichteten Bureau der Südwestbahn in Empfang genommen, welches sich mit dem Verkaufe des Getreides zu einem von dem Eigenthümer vorher festgesetzten Preise oder nach freiem Ermessen gegen die Pro - vision von 1 % beschäftigt oder dasselbe gegen eine Gebühr von ½ Kopeke per Pud und Monat für Rechnung des Eigenthümers lagert. Dieses neu errichtete Bureau steht unter der Controle der russischen Regierung. Auch die Odessaer Filiale der russischen Reichs - bank belehnt Getreide. Was in Amerika die Energie der Yankees selbstthätig geschaffen, muss hier die Regierung durchführen; dort arbeiten Kaufleute, hier Beamte.

Es ist unzweifelhaft, dass Russland als Getreideproducent noch eine grosse Zukunft vor sich hat, von der Odessa in erster Linie Nutzen ziehen wird; aber mancher Uebelstand muss vorher noch beseitigt werden. Wir wollen hier nicht von dem Wirtschafts -174Das Mittelmeerbecken.betriebe, nicht von der mangelhaften Düngung reden, wodurch die Entwicklung des Unkrautes begünstigt ist. Näher liegt uns der Hin - weis auf die theueren Arbeitskräfte zur Zeit der Ernte. Wegen dieser hohen Löhne haben im Jahre 1888 die Arbeiter die Kohlenbergwerke am Donetz verlassen und sind in die Getreide bauenden Theile Süd - russlands gezogen.

Die reichen Ernten lieferten den Russen die Mittel, Ackerbau - maschinen anzuschaffen, um die menschliche Arbeitskraft wenigstens zum Theile entbehren zu können. Alles dies wird beitragen, im Laufe der Zeit seine Production zu heben. Aber der Ertrag des Getreide - baues könnte unmittelbar bedeutend steigen, wenn der Russe die ge - naue Arbeit des Amerikaners beim Verladen des Getreides sich zu - eigen machte. Es ist unglaublich, welche Mengen von Getreide in Russland durch die sehr nachlässige Verladung des Getreides verloren gehen. Von dem Arbeiter, der es aus der Kleete nachlässig in einem Sack füllt, angefangen, bis zu dem Lastträger in dem Verschiffungs - hafen, alle bemühen sich, Getreide zu verstreuen. In den südlichen Häfen Odessa, Rostow u. s. w. rechnet man den Verlust auf 3 6 %.

Nach dieser Schilderung ist Getreide die Grundlage der Ausfuhr Odessas; nicht weniger als 117·6 Millionen Rubel, das sind 72 % der Gesammtausfuhr Odessas, entfielen 1888 auf Erzeugnisse des Ackerbaues. Unter diesen ist Weizen besonders hervorragend, wie die unten folgende Tabelle zeigt, da sein Anbaugebiet im Süden Russlands liegt, während Roggen und Oelsaat die ihnen günstiger liegenden baltischen Häfen aufsuchen. Dass sich die Weizenausfuhr jetzt mehr auf die Herbst - monate concentrirt, während früher das Frühjahr die Handelssaison war, ist die Folge der fortschreitenden Besserung der Verkehrsmittel, welche gestattet, die Getreidemassen schneller in das Ausland abzustossen, als dies früher der Fall war. Die wichtigsten Bezugsländer für Weizen und die anderen Brotfrüchte sind Gross - britannien, Holland, Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland und die Türkei: von Gerste und Roggen gehen ansehnliche Ladungen direct nach Deutschland ab.

Die Ausfuhr Odessas betrug in Metercentner:

〈…〉〈…〉
175Odessa.

In Odessa bestehen 14 Dampfmühlen, welche Mehl in das Innere Russ - lands und ins Ausland schicken.

Die Ausfuhr zur See erreichte 1888 303.630 q (Werth 3,653.839 Rubel), 1887 347.730 q (Werth 4,205.096 Rubel), meist Weizenmehl umfassend. Somit be - sorgt Odessa auch fast die ganze Mehlausfuhr Russlands, welche vornehmlich nach der Türkei und nach Egypten gerichtet ist. Der allmälige Rückgang der Mehl - ausfuhr Odessas ist durch die starke Concurrenz Nordamerikas verursacht.

Die Production Russlands von Rübenzucker ist durch die Exportprämie, welche die Regierung gewährte, und durch die Verbindung des grössten Theiles der Fabriken zu einem Cartelle, welches genau normirt, was jede Fabrik erzeugen darf, in den Stand gesetzt, auch in der Ausfuhr aufzutreten. Ueber Odessa werden vor allem Sandzucker und Raffinade aus dem südlichen Productionsgebiete aus - geführt, dessen Mittelpunkt Kiew ist, die älteste und heute die dritte Hauptstadt Russlands. Im Gebiete des Schwarzen Meeres und auf den Strassen nach Persien dominirt heute russischer Zucker. Die Ausfuhr erreichte 1888 460.210 q (Werth 11,293.591 Rubel), 1887 443.846 q (Werth 10,838.000 Rubel). Die Ausfuhr Odessas repräsentirt mehr als der ganzen russischen Ausfuhr. Bei dem grossen Wett - bewerbe, welcher auf dem Zuckermarkte herrscht, müssen wir uns auch bei den Einzelnheiten auf das letzte Jahr beschränken. In diesem gingen Sandzucker und Raffinade nach Italien und England, Stückzucker nach dem fernen Osten und Ostsibirien, für den englischen Markt concurrirt die Route über Königsberg mit der über Odessa.

Die Ausfuhr von Spiritus aus den Gebieten südlich von Kiew sank 1888 auf 94,758.475 Grade gegen 108,472.122 Grade im Jahre 1887, und ist 1889 noch weiter zurückgegangen. Die Spiritusindustrie Odessas ist unbedeutend.

Auch Holz und Bauholz verdienten unter den Ausfuhrartikeln Odessas Erwähnung; der Export hievon hatte 1888 einen Werth von 2,912.850, 1887 von 602.435 Rubeln. Neben der aus russischen Wäldern stammenden Waare, welche meist dem Localconsum dient, spielt hier österreichisches Holz aus Galizien und der Bukowina eine Rolle, aber meist nur als Transitogut, bestimmt für Egypten, Algier, Constantinopel und einige griechische Häfen.

Der Ausfuhrhandel Odessas mit Horn - und Kleinvieh geht zurück und dürfte von der rumänischen Concurrenz auf seinem wichtigsten Markte Constantinopel noch weiter herabgedrückt werden. Die Ausfuhr von Federvieh, für Italien und Frankreich bestimmt, zeigt dagegen in den letzten Jahren eine bedeutende Zunahme. Im Jahre 1888 wurden ausgeführt 20.852 Stück Hornvieh, 83.650 Stück Kleinvieh und 243.693 Stück Federvieh (à 1 Rubel), zusammen im Werthe von 2,233.661 Rubel.

Auch im Wollhandel büsst Odessa seine Bedeutung langsam ein, auch die Qualität der Wolle geht zurück, selbst die der Merinoschafe vom Don, wo sie 1803 aus Spanien eingeführt wurden. Die Preise werden übrigens auch hier von den Verhältnissen in den La Plata-Staaten und in Australien bestimmt. Die besseren Sorten übernehmen England für Bradford über den Hafen Hull (1888 für 2·7 Mill. Rubel), welches der beste Käufer für russische Wolle ist, dann Italien, Belgien und Deutschland. Günstig für die einheimische Schafzucht ist der Aufschwung der russischen Schafwollindustrie. Ausgeführt wurden 1888 34.677 q (Werth 3,438.867 Rubel), 1887 62.810 q, meist ungewaschene Wolle.

Die Ausfuhr von Häuten erreichte 1888 noch 324.000 Rubel, die von Talg, einst für Odessa so wichtig, betrug im selben Jahre nur 7.570 q. Von Producten176Das Mittelmeerbecken.der Fischerei wurden 44.882 q im Werthe von 1,055.435 Rubel zum grössten Theile nach Rumänien exportirt.

Ein neuer Stern ist dem Handel Odessas in Petroleum, das in Cisternen - dampfern von Batum hieher gelangt, aufgegangen. Es geht von Odessa an der Donau aufwärts und nach den adriatischen Plätzen. Cisternendampfer brachten 1888 471.590 q, 1887 397.720 q Petroleum nach Odessa. Die Befürchtungen, welche die Einführung einer Accise von 40 Kopeken pro Pud (15. Jännar 1888) für die Zukunft des Petroleumhandels von Odessa erweckte, sind also nicht in Erfüllung gegangen.

Verhältnissmässig klein ist noch die Ausfuhr von Fabrikserzeugnissen; sie betrug 1888 14·5 Millionen Rubel, 1887 aber nur 8·9 Millionen Rubel. Die Steigerung entfällt auf Wäsche, Kleider, Pelze und Baumwollwaaren. In diesen Artikeln ist also Russland in der Levante schon concurrenzfähig.

Die Einfuhr Odessas ist klein gegenüber der Ausfuhr und hat noch lange nicht den tiefsten Stand erreicht, weil Russland in jeder Weise bemüht ist, Fabricate und Rohproducte möglichst im Lande zu erzeugen. Die südlichen Provinzen Russlands, welche von den Centren der einheimischen Industrie weit entfernt sind, müssen bei den theuren Eisenbahnfrachten ihre Bedürfnisse an Industrieerzeug - nissen um 60 % 100 % theurer bezahlen, als wenn sie dieselben aus England beziehen würden. Concurrenzfähig sind nur jene Staaten, welche aus Odessa und den andern Häfen des Schwarzen und Asow - schen Meeres Getreide beziehen, deren Schiffe also überwiegend in Ballast dort einlaufen und daher mit jedem Frachtsatz zu - frieden sind.

Der grössere Theil der Einfuhr aber besteht aus Rohproducten, die in der russischen Industrie Verwendung finden.

Die erste Stelle mit mehr als einem Drittel der gesammten Einfuhr nimmt rohe Baumwolle ein.

Bis 1886 war der Baumwollimport Odessas in Zunahme, seitdem sinkt er constant, er kann mit den nördlichen Einfuhrplätzen nicht concurriren. Die Ein - fuhr erreichte 1888 159.155 q (Werth 10,238.287 Rubel), 1887 222.456 q (Werth 12,905.225 Rubel).

Kaffee kommt hieher direct aus Indien und Brasilien; in kleineren Partien über London und seit einiger Zeit auch aus Triest. Einfuhr 1888 15.716 q (Werth 1,092.812 Rubel), 1887 10.270 q, (Werth 743.700 Rubel.)

Die Einfuhr von Thee nach Russland auf dem Seewege über Königs - berg und Odessa, wird auf Schiffen fremder Flaggen aus London vermittelt. Erst in den letzten Jahren brachten die Schiffe der Freiwilligen Kreuzerflotte direct kleine Mengen aus Ostasien. Durch Schaffung eines bedeutenden Differentialzolles, mit welchem Thee, der über Europa kommt, belegt ist, wurde die Einfuhr des so - genannten Karawanenthees über den sibirischen Grenzort Kiachta wieder gehoben und den fremden Schiffen ein Gegenstand der Fracht entzogen.

Dadurch sank Odessas Theeimport von den 3,695.388 Rubeln des Jahres 1886 plötzlich herab und erreichte 1888 nur 762.880 Rubel für 6248 q.

[177]
Odessa (Massstab 1: 68.300; Sonden in Metern).

A Rhede von Odessa, B Wellenbrecher, C Petapowski-Molo, D Androsowsky-M, E Militär-M., F Leucht - feuer, G neuer Molo, H Quarantäne-Hafen, J Platanov-M., K Rheden-M., L Quarantäne-M., M Ver - kehrshafen, N neuer Hafen, O Prachttreppe, P Dampfschiff-Agentie, Q Quarantäne-Grund und Gebäude, R Gouverneurs-Pal., S kaiserliche Bank, T Börse, U Zollamt, V Gaswerke, W griechischer Bazar, W, Alexander-Platz in Peresyp, X Personenbahnhof, Y Militär-Spital, Z Grenze des bestandenen Frei - hafens. 1 Kathed. Christi Himmelfahrt, 2 katholische Kirche, 3 Stadthaus des II Bezirkes, 4 Michaels - Kirche, 5 Allerheil. -Kirche, 6 alter Bazar. 7 Spiritus-Fabrik, 8 äusserer Boulevard, 9 Michaels-Kirche, 10 adelige Fräulein, 11 Christi Geburt-Kirche, 12 Maria Geburt, 13 Lyceum, 14 Katharinen-Platz, 15 Theater-Platz, 16 Lutheranische Kirche, 17 Waggonfabrik, 18 Friedhof, 19 Asyl der weiblichen Wohlthätigkeits-Gesellschaft, 20 Alexander-Prospect, 21 Genie-Kaserne, 22 Presbrazensky-Strasse, 23 Deribazow-Str., 24 Ekatherinen-Str., 25 städtisches Spital, 26 Stadt-Teich, 27 Schlachthaus, 28 Zoll - gebäude, 29 Siennaja-Platz, 30 Waarenbahnhof.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 23178Das Mittelmeerbecken.

Blättertabak, meist aus der Türkei stammend, zeigt in der Einfuhr einen ähnlichen Rückgang.

Russland fördert ja in seinen südlichen Gebieten den Bau des türkischen Tabaks in glücklicher Weise. Die Ziffern der Einfuhr waren 1888 447.086 Rubel, 1887 1,069.600 Rubel, 1886 4,296.447 Rubel.

Reis kommt nur noch aus Patea in Vorderindien, die gewöhnlichen Sorten, wie ähnliche Hinterindien liefert, werden im Lande gebaut.

Wichtige Einfuhrartikel aus dem Pflanzenreiche sind ferner frische und ge - trocknete Früchte, Olivenöl aus Italien, Speiseöl aus Bari und Nizza, Cocosnuss - und Palmöl theils direct aus Indien, theils über London und Marseille.

Russland hat somit glücklich eine Reihe von fremden Waaren aus dem Lande gedrängt. Auch mit den Kohlen, dem wichtigsten Einfuhrartikel Englands; schien es zu gelingen. Russland legte 1884 einen Zoll von 2 Kopeken Gold auf das Pud fremder Kohle und erhöhte ihn 1886 auf 3 Kopeken. Die Einfuhr der Kohlen sank von den 2,657.900 q des Jahres 1883 im Jahre 1886 auf 1,025.000 q, 1887 auf 486.700 q.

Der Ersatz kam aus den Kohlengruben am Donetz, die wohl eine minder - werthige Kohle lieferten, damals aber wohlfeile Arbeiter hatten, die Frachten waren mässig hoch, der niedrige Rubelcours war ein Hinderniss des Ankaufes aus - ländischer Erzeugnisse. Die englische Kohle blieb auf Odessa beschränkt, auf An - lagen, welche ein gutes Feuerungsmateriale verlangen. Da kam das Jahr 1888, ein Theil der Donetzgruben wurde durch Fluten unter Wasser gesetzt. Die hohen Löhne, welche Südrussland den Feldarbeitern zahlte, zog die Arbeiter dahin und die Gewinnung der Kohle im Donetzbecken ging zurück. So konnte England mit seinen Kohlen wieder in das Innere vordringen und die Importziffer stieg 1888 auf 1,964.000 q im Werthe von 1,685.227 Rubeln.

Odessa führt Blech ein aus England zur Erzeugung von Petroleumkisten. Den Zwecken der Landwirtschaft dienen Sensen aus Oesterreich-Ungarn und die landwirtschaftlichen Maschinen aus England; von dort kommen auch Locomobile und andere Maschinen. Von den Erzeugnissen der Textilindustrie haben nur Zwirn und Garne aus Baumwolle, ferner Jutesäcke und Wollwaaren einige Bedeutung.

Wir geben nun im Folgenden eine Uebersicht des Handels von Odessa in den letzten Jahren, welche den grossen Aufschwung des gesammten Ausfuhr - handels seit 1887 und den Rückgang der Einfuhr seit 1886, wo sie 53,748.075 Rubel betrug, als eine Folge der Zollerhöhungen, zeigen.

〈…〉〈…〉

Und trotz Allem sind die Kaufleute von Odessa nicht zufrieden. Wir hören hier wieder die Klage so vieler Hafenplätze. Die Ausfuhr ist gestiegen, aber nicht der Ausfuhrhandel. Fast die ganze Ausfuhr passirt den Platz als Transitogut.

Auch die Entwicklung der Industrie Odessas, in welcher sich erst seit den Siebzigerjahren grössere Capitalien engagirten, zeigt in den letzten Jahren einen gewissen Stillstand, wenigstens was die Zahl der Unternehmungen betrifft, welche Waaren im Werthe von 32 Millionen Rubel liefern. Die wichtigsten Fabriken sind 14 Dampfmühlen, die meisten von ihnen mit Walzen eingerichtet:179Odessa.lie grosse Zuckerfabrik von Brodski, welche 1888 286.000 q Zucker im Werthe von 10.437.916 Rubeln erzeugte, zwei Bierbrauereien mit einer Production von 33.000 hl im Werthe von 324.009 Rubeln. Seife und Lichter wurden früher nur aus russischem Talg hergestellt, der aber jetzt wegen des Rückganges der Schafzucht in Südrussland umsoweniger für die gesteigerte Production hin - reicht. Man verarbeitet auch Cocosnuss - und Palmöl, wahrscheinlich wird man im Laufe der Zeit auch zu österreichischem und australischem Talg greifen müssen. Die Erzeugnisse finden Absatz im Inlande, kleinere Mengen gehen auf Schiffen ler freiwilligen Flotte nach Ostsibirien.

Hier besteht ferner eine grosse Farben - und Lackfabrik, Tabakfabriken, Fabriken für Seile und Taue, Maschinenfabriken mit einem Productionswerthe von Mill. Rubeln, Eisengiessereien, Wagenfabriken, Gärbereien u. s. w.

Bei Odessa wird Seesalz gewonnen und von 500 Arbeitern ein guter Baustein gebrochen, welcher die Ausführung monumentaler Bauten in Odessa wesentlich fördert. Diese Steine gehen nach Cherson und Nikolajew, ja sogar bis Sewastopol.

Das Trinkwasser bringt eine Röhrenleitung vom Dnjestr aus einer Entfernung von 40 km. Mit ihrer Vollendung haben sich auch die sanitären Verhältnisse der Stadt gebessert.

Ein anderer Uebelstand, die grosse Theuerung des Holzes, mit dem in Russland fast ausschliesslich Wohnungen geheizt werden liess sich bisher leider nicht beseitigen, und man zahlt im Winter für eine Klafter Brennholz mindestens 25 Rubel.

Das gesammte Stadtgebiet zählt einschliesslich der flottanten Bevölkerung des Hafens und der Fremden rund 280.000 Einwohner.

Die Umgangssprache ist das Russische, auch deutsch wird viel - fach gesprochen. Die Juden, welche ein Drittel der Bevölkerung aus - machen, reden unter einander den deutsch-russischen Jargon. Für den Handel haben noch Bedeutung die Griechen und Italiener.

Der Schiffsverkehr des Hafens ist natürlich in dem letzten Jahre mit dem Ausfuhrhandel ungemein gestiegen.

Der auswärtige Schiffsverkehr umfasste:

〈…〉〈…〉

Auch der Cabotageverkehr ist sehr lebhaft, in ihm wurden 1888 219.942 Personen von und nach Odessa befördert.

Mehr als zwei Drittel des auswärtigen Handels besorgen die britischen Dampfer, nach ihnen sind die russische Flagge und jene Oesterreich-Ungarns her - vorragend betheiligt.

Odessa ist der Centralpunkt der grossen russischen Dampfschiffahrts - Gesellschaften für den Verkehr im Schwarzen, Asowschen und Mittelländi - schen Meere, sowie für jene nach China. Zu ihnen gehören die russische Dampfschiffahrts - und Handels-Gesellschaft, die im Schwarzen Meere23*180Das Mittelmeerbecken.regelmässige Linien nach Constantinopel hat, an die sich Fahrten nach Sewastopol und an die Nordküste Kleinasiens anschliessen. Im Mittelländischen Meere werden Smyrna, Syra, Beirut, Alexandria regelmässig angelaufen. Die russische Schwarze Meer - und Donau - Dampfschiffahrts-Gesellschaft geht die Donau aufwärts bis Widdin, die freiwillige Flotte von Südrussland unterhält den Verkehr mit Sachalin, Ostsibirien und Indien.

Von fremdländischen Gesellschaften sind hier vertreten der Oesterreichisch-Ungarische Lloyd (Triest), die österreichische Donau - Dampfschiffahrt-Gesellschaft (Galatz), die Messageries maritimes (Mar - seille), Fraissinet & Co. (Marseille), die Navigazione generale italiana (Genua). Nicht regelmässigen Dienst haben die englischen Dampfer und die dänische Linie der Gesellschaft Forende Dampskibs-Selskab , die den Verkehr mit Antwerpen herstellt.

Odessa ist eine Hauptstation der indo-europäischen Telegraphenlinie.

Von Banken bestehen in Odessa drei Hypothekenbanken, die Vereinsbank, die Bank für Handel und Industrie und eine Filiale der russischen Staatsbank.

Consulate haben in Odessa folgende Staaten: Deutsches Reich (G. -C.) Vereinigte Staaten von Nordamerika, Grossbritannien (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Belgien (G. -C. ), Chile, Dänemark, Spanien, Frankreich, Griechenland (G. -C. ), Italien (G. -C. ), Niederlande (G. -C. ), Persien, Portugal, Rumänien (G. -C. ), Schweden, Schweiz, Türkei (G. -C. ), Venezuela.

Als Russland im Frieden von Kütschük-Kainardschi (1774) das Recht der freien Schiffahrt auf dem Schwarzen Meere erhielt, besass es dort keinen Hafen. Schon vier Jahre später gründete man auf Befehl Katharina II. Cherson am Dnjepr. Man erinnerte sich an die alte griechische Strasse , auf der im Mittelalter durch Jahrhunderte Kiew und Constantinopel ihre Handelsproducte ausgetauscht hatten. Aber Stromschnellen hemmen den freien Verkehr mit dem Meere; das später gegründete Odessa wird das Handelsemporium Russlands am Schwarzen Meere, und Cherson, heute noch ohne Eisenbahnverbindung, hat nur eine locale Bedeutung. Doch gelang es einer Reihe kleinerer Plätze an den Küsten des Schwarzen und Asowschen Meeres neben Odessa für die Ausfuhr von Getreide eine angesehene Stellung zu erringen.

Von Odessa ostwärts gehend treffen wir zunächst den stark be - festigten Hafen Nikolajew an der Mündung des Bug mit 67.249 Ein - wohnern.

Die Eisenbahn, welche von Nikolajew nach Kiew und Poltowa führt, die Barken, welche auf dem Bug und Dnjepr verkehren, können nicht die Mengen des Getreides bewältigen, welche in guten Ernte - jahren über Nikolajew den Weg ins Ausland suchen.

181Odessa.

Der Hafen Nikolajews wird gegenwärtig umgebaut, ein Quai von mehr als 1000 m Länge errichtet, für die Lichterschiffe, welche von Odessa und Cherson kommen, soll ein eigener Hafen erbaut werden. Aber vom November bis März schliesst Eis den Hafen.

Nikolajew ist für den inländischen Verkehr ein Stapelplatz des kaukasischen Petroleums mit Reservoirs und Röhrenleitungen zu den Schiffen.

Nikolajew und Cherson stehen im Sommer in Dampfschiffs - verbindung mit Odessa. Eine dritte Linie führt uns in die Krim an langgestreckten, flachen Nehrungen vorüber, die hier so charakteri - stisch Peresyps, d. h. Aufschüttungen (der Flüsse nämlich), genannt werden. Der Dampfer wendet sich gegen Eupatoria oder Koslow. Wir aber lassen uns erzählen, dass in nicht zu langer Zeit das Schiff streng nach Osten halten werde, wo im innersten Winkel des Todten Meeres das unbedeutende Perekop liegt und ein nur schmaler Land - streifen die Krim an das grosse Russland knüpft. Ein 119 km langer Canal wird die Landenge und das Lagunengebiet im Osten derselben durchschneiden und eine kurze, ungefährliche Verbindung von Odessa ins Asow’sche Meer bilden.

Wir müssen also noch um die Krim herum und berühren nach Eupatoria südwärts haltend die herrliche Bucht von Sewastopol, berühmt durch die heldenmüthigen Kämpfe des Krimkrieges, welche um den Besitz des grossen Kriegshafens geführt wurden.

Als Getreidehafen blühte Sewastopol auf, nachdem es Endpunkt einer Eisen - bahn geworden war; die Einfuhr beschränkt sich auf englische Steinkohlen und amerikanische Baumwolle. Sewastopol soll neuerdings Kriegshafen werden.

Reizende Ufer bespült die smaragdne Meeresflut an der Süd - seite der Krim, wo die steilen Abhänge des Jaila Dagh den rauhen Winden den Zugang wehren. Von ferne begrüssen wir das kaiser - liche Lustschloss Livadia, den Lieblingsaufenthalt des Kaisers Ale - xander II.

Die Berge werden niedriger, die Ufer flach, und wie es gegen Kertsch am Eingange ins Asow’sche Meer geht, heisst es sehr vor - sichtig fahren. Die Meeresstrasse hat an ihren tiefsten Stellen nur 4 m Tiefe. Hier ist ein wahrer Kirchhof der Schiffe. Die Venezianer und Genuesen wagten sich mit grösseren Schiffen erst im XIV. Jahr - hunderte von Vosporo, wie Kertsch noch heute im Volksmunde heisst, durchs Asow’sche Meer an die Mündung des Don. Auch die Russen wollen Dämme aufführen, um das Fahrwasser der Meerenge wenig - stens in dem heutigen Zustande zu sichern. Die 150 Seemeilen lange Route von hier bis zu den Donmündungen führt durch ein schwierig zu befahrendes Wasser mit dürftigen Orientirungspunkten. Auf dieser182Das Mittelmeerbecken.Strecke beträgt die grösste Tiefe nicht mehr als 15 m; im Golfe von Asow lothet man bei Taganrog nur 3 5 m.

Genau nördlich von der Einfahrt ins Asow’sche Meer liegt der Getreidehafen Berdiansk, ohne Eisenbahnverbindung mit dem Hinter - lande. Nach Mariupol, weiter im Osten, bringen Bahnzüge Getreide und Kohle vom Dnjepr und Donetz, sein Hafen wird vertieft.

Die eigentlichen Stapelplätze des Asow’schen Meeres liegen in dessen innerster Bucht, am Meere selbst nur das schöne, wohl - habende Taganrog mit 56.000 Einwohnern.

Von hier geht Getreide nach Griechenland, Italien, Spanien, nach England und die Staaten an der Nordsee; Steinsalz, das in der Nähe gewonnen wird, nach Russland bis Polen. Eine Eisenbahn führt nach Norden zum Donetz, eine zweite um das Delta des Don herum.

Consuln haben hier: Belgien, Frankreich, Italien und Spanien.

Rostow, am rechten Ufer des Don mit mehr als 60.000 Ein - wohnern, ist heute der wichtigste Platz für die Ausfuhr der frucht -, fisch - und wollereichen Uferländer des Don. Wenige Kilometer abwärts am linken Ufer des Flusses, wo heute Asow steht, erhob sich im XIV. Jahrhundert der Welthandelsplatz Tana, eine Besitzung der Venezianer; sie wetteiferte damals mit Alexandrien an Bedeutung. Denn über den schmalen Isthmus zwischen Don und Wolga, den heute die 78 km lange Eisenbahn Kalatsch Zarizyn überschreitet und über welchen schon lange ein Canal geplant ist, gelangte man ins Caspische Meer und bezog auf diesem Wege die Seide Persiens und Chinas, die Gewürze von Vorder - und Hinterindien.

Rostows ansehnlicher Handel beschränkt sich auf Getreide, auf Wolle für Amerika, England, Frankreich und die russischen Tuchfabriken. Man betreibt hier von altersher starke Fischerei und präparirt in 150 Werkstätten die Producte des Meeres. Wichtig ist hier die Erzeugung von Ackerbaumaschinen. Der Hafen ist so seicht, dass Schiffe von grösserer Tauchung in Taganrog bleiben müssen. An Banken gibt es in Rostow: eine Filiale der kaiserlichen Bank, dann die städtische Bank und die Handelsbank.

Consuln haben hier: Deutsches Reich, England, Dänemark, Türkei.

Den Don befährt bis Eletz aufwärts eine Dampfschiffahrts - gesellschaft. Die Eisenbahnen, welche von Norden und Westen ein - münden, finden eine Fortsetzung durch die Linie Rostow Wladikaw - kas, die in die Vorberge der Mitte des Kaukasus führt. Die Zweig - bahn Tichorezkaia Noworossisk bringt uns über die westlichen Aus - läufer des Kaukasus wieder ans Schwarze Meer. Das Asowsche Meer, welches sammt der Strasse von Kertsch jedes Jahr mindestens von December bis März durch Eis gesperrt ist, wird durch sie umgangen. Noworossisk, dessen Hafen im Winter eisfrei bleibt und am Quai183Odessa.6 7 m tief ist, hat eine grosse Zukunft als Getreideplatz während der Wintermonate, wie der Aufschwung des Handels im Jahre 1889 beweist.

Ein Wellenbrecher von 1000 m Länge, der im Bau ist, wird die Gewalt des heftigen, boraähnlichen Nordostwindes brechen, die heute manchmal durch zwei bis drei Tage jede Handelsthätigkeit unterbricht. Grosse Lagerhäuser für 66.000 t sind bereits fertig, der Hafen wird elektrisch beleuchtet. Die Petroleumwerke der französischen Compagnie Standard , die grossartigen Cementwerke, welche ihr Product bis Sewastopol und Odessa verschicken, im Vereine mit dem blühenden Handel werden bald die Bevölkerung dieser modernen Hafenstadt, welche jetzt 4000 Einwohner zählt, verdoppeln.

Die Stadt Noworossisk (d. i. Neurussland) wird auch durch eine Küstenbahn mit Nowosenek an der transkaukasischen Eisenbahn verbunden, deren Endpunkte am Schwarzen Meere Poti und Batum sind; dies ist eine neue Bürgschaft für das Wachsthum dieses Schosskindes Russlands, das damit auch eine grosse mili - tärische Bedeutung erlangt. In dieser Beziehung wird es vielleicht an die Stelle Batums treten, wie dieses Poti in den Hintergrund gedrängt hat.

Der Werth der Handelsbewegung in den vorstehend erwähnten kleineren Häfen war folgender:

〈…〉〈…〉

Seit Eröffnung der Eisenbahnverbindung von Samtredi nach Batum hat Poti seine Handelsbedeutung als Transitstation des Verkehres aus dem asiatischem Russland und Persien sowie als Petroleumhafen völlig eingebüsst.

Die Stadt zählt nur 5300 Einwohner. Die Ausfuhr betrifft Mais, der auf dem Rion nach Poti gebracht wird, und Manganerze für England. Reguläre Dampf - schiffahrtsverbindung mit Odessa und Constantinopel.

Consulate haben hier: das Deutsche Reich, England, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Persien, Türkei.

[184]

Batum.

Seit dem Berliner Vertrag (1878) unter russische Herrschaft gelangt, nahm Batum unter der Gunst der Regierung einen raschen Aufschwung. Im östlichsten Theile des Schwarzen Meeres gelegen, be - sitzt es zwar keinen natürlichen Hafen im strengen Sinne, wohl aber einen der besten Ankerplätze an der ganzen kaukasischen Küste. Dieser Umstand und die militärische Wichtigkeit Batums als geeigneter Basis für Operationen nach Transkaukasien und Armenien haben offenbar die Bevorzugung der Stadt gegenüber Poti, dem uralten Einbruchs - thore nach Transkaukasien, veranlasst.

Die Verlegung des commerciellen und militärischen Schwer - gewichtes nach Batum fiel in eine Zeit, in welcher die Petroleum - production in Baku, wie wir zeigen werden, einen ungeahnten Auf - schwung genommen hatte, der sogleich auf den Seeverkehr des neuen Platzes eine ungeheuere Wirkung ausüben müsste. Den plötzlich so hoch gestiegenen Anforderungen war das alte Batum nicht gewachsen.

In aller Eile entstanden daher längs der Stadtfront hölzerne Rostwerke für die Zufuhr der Handelsgüter. Vor diesem Ufer liegen die Dampfer vertäut, jedoch ist der Raum sehr beschränkt. Südlicher ist der Ladeplatz der Segelschiffe. Es ist beabsichtigt, die Uferstrecke mit einem steinernen Quai auszustatten. In der ganzen Bucht können im besten Falle 30 Schiffe gleichzeitig vor Anker liegen.

Diese Verhältnisse drängten zur Anlage eines künstlichen Hafens, dessen Bassin nördlich und westlich des alten türkischen Forts (L des Hafenplanes) im Entstehen begriffen ist und im Jahre 1893 vollendet sein soll.

Der äussere Damm ist gegenwärtig so weit fortgeschritten, dass bereits Petroleum-Cisternenschiffe (Tanksteamer) daselbst anlegen können. Er wird für drei solcher Schiffe Raum bieten. Zur Erweite - rung der Hafenanlage und Gewinnung von Uferraum ist die Demolirung des vorne erwähnten türkischen Forts projectirt.

[185]

Batum. (Hafenansicht).

Batum. (Rothschild’sches Petroleum-Etablissements).

Die Seehäfen des Weltverkehrs, I. Band. 24186Das Mittelmeerbecken.

Von der Hauptlinie der Eisenbahn nach Tiflis-Baku zweigen zum Hafen und allen denselben umgebenden Etablissements zahlreiche Nebengeleise ab, auf welchen die eigenthümlichen cylindrischen Petroleumcisternen, ihrer Form nach auch Kessel-Waggons genannt, in langen Zügen verkehren. Ihr Inhalt wird in dickleibige, cylindrische Reservoirs von mit unterenormer Gehaltfähigkeit mittelst Dampfpumpen gefüllt, um seinerzeit nach Bedarf weiter verladen zu werden. Hafen und Stadt tragen den Typus der grossen Umwälzung an allen Ecken und Enden zur Schau, alles ist unfertig, vieles grossartig, aber zu dem alten gar nicht passend. Auch die Menschen dieser früher so tief verschlafenen Türkenstadt modernisiren sich durch Einwanderung; nur die Natur bleibt sich ewig gleich.

Batum ist die Hauptstadt des gleichnamigen Districtes im reichen Gouvernement Kutais. Nördlich der Mündung des reissenden, aber nicht schiffbaren Tscharuch-Flusses, unter 41° 39′ nördl. Br. und 41° 37′ östl. L. v. G. (Kirche J) gelegen, geniesst die Stadt alle Reize einer wildromantischen Umgebung. Bis zur Küste herab tragen Höhen und Thäler den Schmuck einer immergrünen Pflanzendecke; Lorbeer und Buxbaum gedeihen hier zu ansehnlicher Höhe.

Batum zählt gegenwärtig bereits 10.000 Einwohner. Die ur - sprüngliche Bevölkerung war mohammedanisch-grusinischer Abstam - mung; ein grosser Theil wanderte nach der Besitzergreifung durch die Russen nach der Türkei aus, den russischen Unterthanen Grund und Boden überlassend. Die gegenwärtige Bevölkerung ist grössten - theils aus den verschiedenen Theilen des Kaukasus, aus Russland und dem Auslande eingewandert und setzt sich zusammen aus: Grusinern mohammedanischer und christlicher Religion (das sind Mingrelier, Imerotiner und Gurier), ferner aus Armeniern, einigen Abchasen, Russen, den fremden Colonien und endlich aus einigen Israeliten.

Die Stadt ist Sitz eines Vice-Gouverneurs und eines Hafen - Commandanten.

Batum besitzt je eine griechische, katholische und armenische Kirche und zwei Capellen. Unter den staatlichen Anstalten sind das Civil - und Militär-Spital erwähnenswerth. Neuester Zeit wurde ein schöner Park angelegt.

Batum war die Jahre 1878 1886 hindurch Freihafen und hat wäh - rend dieser Periode einen grossen Aufschwung genommen. 1886 verfiel es der russischen Prohibitiv-Zollpolitik. Mit der Sperrung des Hafens sank der Import aus dem Auslande der hohen Zölle halber ganz enorm. Der[ausländische] Import beschränkt sich auf Weissblech und kaustische187Batum.Soda aus England und auf Fichtenbrettchen, welche vornehmlich aus Galatz und auch aus Odessa kommen und zum grössten Theile öster - reichischen Ursprungs sind. Nicht weniger als 6000 Arbeiter stellen täglich 30.000 bis 35.000 Holzkisten und die doppelte Zahl von Petroleum-Blechdosen her (zwei Dosen für jede Kiste); von diesen entfällt fast die Hälfte auf die Rothschild’sche Fabrik allein. Die exclusive Wirtschaftspolitik vermochte die junge Blüthe Batums nicht zu knicken, Batum verwandelte sich vielmehr in einen der ersten Petroleumhäfen der Erde.

Das rasche Aufwachsen der Stadt und der zahlreichen dem Petroleumhandel dienenden Etablissements ist staunenswerth. West - wärts der Stadt breitet sich das von vielen Schienensträngen durch - zogene Gebiet des Petroleumgeschäftes aus, das den Eindruck eines riesigen Laboratoriums bietet. Unzählige eiserne Reservoirs, die von der Ferne wie hübsche Zuckertorten aussehen, Wohnhäuser, Fabriken, Maschinenschoppen und zahllose eiserne Schlote bezeichnen ein ganzes Königreich fleissiger Arbeit und Thätigkeit.

Die kaukasische Petroleumproduction mit all ihren Schicksalen und Schwankungen ist längst nicht mehr eine Sache, welche Russland speciell interessirt, sie ist von höchster Bedeutung für ganz Europa und für das früher den Handel dieses so wichtigen Leuchtstoffes monopolisirende Nordamerika ge - worden, darum scheint es gewiss angezeigt, hier einige Worte über die kaukasi - schen Petroleumminen einzuflechten.

Von der Gegend bei Lüneburg in Hannover zieht sich nach Südosten durch Galizien, Rumänien, die Krim, den Kaukasus und jenseits des Caspischen Meeres weit nach Innerasien ein Streifen petroleumführenden Terrains, dessen ergiebigste Gebiete an den beiden Enden des Kaukasus liegen. Bisher ist die Hauptthätigkeit auf die flache Halbinsel Apscheron concentrirt, welche ostwärts von dem Hafen Baku weit ins Caspische Meer hinausragt. Einst berühmt durch die heiligen Feuer von Baku, ist die schwarze Stadt bei Baku der einzige ernstliche Concurrent der Union in Petroleum. Die Eröffnung der transkaukasischen Bahn im Mai 1883 von Baku über Tiflis nach Poti mit der später gebauten Abzweigung nach Batum erweckte die schönsten Hoffnungen. Baku blieb nicht mehr auf Russland als Absatzgebiet beschränkt, sondern konnte auch auf den europäischen und indischen Märkten in Wettbewerb treten. Die Production von Rohnaphtha, welche 1880 4 Millionen q betrug, stieg 1885 auf 16 Millionen q, 1888 auf 27 Millionen q, 1889 soll sie gegen das Vorjahr wieder um 4 % gestiegen sein; den Anstoss zu dem Aufschwung des letzten Jahres gab die Firma Caspische und Schwarze Meer-Naphtha-Productions - und Handelsgesellschaft (Rothschild Frères, Paris), welche sowohl in Baku als auch in Batum Zweigniederlassungen gründete, in der Absicht, gleich der Standard Oil Company in Amerika, den grössten Theil der Petroleumproduction Russlands in die Hand zu bekommen. Die Gesellschaft hat durch Anschaffung von eigenen Cisternenwaggons die Transport - fähigkeit des kaukasischen Petroleums bereits wesentlich erhöht. Die Errichtung24*188Das Mittelmeerbecken.einer bei 660 km langen Röhrenleitung nach amerikanischem Muster bis an den Ostabhang des Surampasses wurde ihr bisher nicht gestattet, und man bleibt daher auf den Transport mit der Bahn nach Batum angewiesen, deren Leistungsfähigkeit mit der im Mai 1890 erwarteten Fertigstellung des Tunnels unter dem schwierigen Surampasse wesentlich gesteigert werden wird.

Im Jahre 1888 wurden nach Batum mittelst Bahn 50.703 Waggonladungen oder der Waggon zu 98·28 q (600 Pud) gerechnet, 4,983.100 q Naphthaproducte gebracht.

Verschifft wurden von hier 1888 5,275.500 q Naphthaproducte, von diesen waren 4,166.400 q Petroleum. Seit Mitte 1889 wird ohne Unterlass geklagt, dass die Petroleumquellen von Baku versiegen, oder besser gesagt weniger ergiebig werden. Immer tiefer müssen die Bohrlöcher geführt werden, immer kleiner werden die Ergebnisse. In früheren Zeiten drang aus den frischen Bohrlöchern das Petro - leum durch 8 10 Tage oft mit solcher Gewalt heraus, dass es wie bei der Druschba-Fontaine bis 100 m Höhe emporschnellte, und dass zur Aufnahme der Tausende von Tonnen, welche jeden Tag heranströmten, als Reservoirs grosse Teiche gegraben wurden. Aber manchmal barsten die Dämme der Teiche und die Petroleummassen bahnten sich den Weg zum Caspischen Meere. Diese Zeiten, in welchen das Pud Petroleum am Bohrloch nur 2 Kopeken kostete, scheinen vorbei zu sein. Doch diese Klagen scheinen für jeden mit der Ge - schichte der amerikanischen Petroleumproduction Vertrauten jedenfalls verfrüht. Denn erstens kamen in Amerika schon hundertemale derartige Erschöpfungs - erscheinungen vor, denen jedesmal wieder neue erfolgreiche Anbohrungen folgten (Ende 1889 wurde in Pennsylvanien ein Bohrloch eröffnet, welchem eine 372 eng - lische Fuss hoch springende Fontaine entstieg), und zweitens gibt es erwiese - nermassen sowohl längs des Kaukasus als auch jenseits des Caspischen Meeres in der turkmenischen Steppe noch so viele nicht ausgebeutete Petroleumgebiete, dass ein dauernder Rückgang in diesem Hauptexportartikel Batums nicht zu fürchten ist.

Die grosse Schwierigkeit, mit welcher die russische Petroleumproduction wirklich schwer kämpft, ist die Transportfrage; da die caspischen Petroleumfelder 25 m unter dem Spiegel des atlantischen Oceans, die amerikanischen bis 250 m über demselben liegen, ist an eine automatische Zuleitung zum Schwarzen Meere durch einfache Röhrenleitungen nicht zu denken, und selbst den Eisen - bahntransport vertheuert der 1000 m hohe, in seiner technischen Anlage durchaus nicht entsprechende Surampass ganz ausserordentlich. Soll das kaukasische Petroleum ebenso Welthandelsartikel werden, wie das amerikanische, so müssen diese Transportschwierigkeiten behoben werden. Bisher geht das meiste Petroleum die Wolga hinauf in die russischen Cisternenplätze bis Warschau; nach den europäischen Hafenplätzen wird Petroleum meist in riesigen, in England ge - bauten Tanksteamern verschifft, deren 1888 22 in Verwendung waren, gegen 9 im Jahre 1887. In die Levante und den äussersten Orient geht es in Blechdosen, welche in Batum gefertigt werden. Auf diese Weise wurden 1888 1,861.000 q befördert.

Neben Petroleum treten die anderen Exportartikel Mais und Weizen, kaukasische und persische Wolle und Süssholz ganz in den Hintergrund; da Handel und Schiffsverkehr des hiesigen Hafens ganz ausschliesslich abhängig sind von189Batum.dem Verkehre in Petroleum, so genügt die Angabe der Ziffern des Jahres 1888. Der Export erreichte 24,475.033 Rubel, der Import 6,952.240 Rubel, der Schiffs - verkehr umfasste 1324 Schiffe mit 1,065.866 t, davon 858 Dampfer mit 947.313 t. Die meisten Schiffe führten die britische Flagge, dann kommen Frankreich, Oesterreich-Ungarn und Russland. Den Russen gehört ferner der ganze Küstenver - kehr (1888) mit 303 Schiffen und 94.950 t. In Baku laufen regelmässig russische

Hafen von Batum (Massstab 1: 18.100; Sonden in Metern).

A Rhede von Batum, B Arsenal, C Moscheen, D Friedhöfe, E Thürme, F Leuchtfeuer, G Wassermühle, H Kaserne, J Kirche, K Sturmsignal, L altes türkisches Fort (aufgelassen).

Dampfer an, von Odessa und Constantinopel ausgehend, die Messageries maritimes und der österreichisch-ungarische Lloyd, ferner dänische und griechische Dampfer.

In Batum besteht eine Zweigniederlassung der russischen Reichsbank.

Daran, dass Batums Verkehr nicht die Höhe erreicht, die seiner Handelsstellung gebührt, trägt die russische Politik die Schuld. Batum ist Kopfstation für die 899 km lange transkaukasische Bahn nach Baku. Dampfer bringen von dort in 22 Stunden Reisende und Güter nach190Das Mittelmeerbecken.Usun Ada, der heutigen Kopfstation der merkwürdigen transcaspischen Eisenbahn, die hunderte von Kilometern durch Wüsten eilt und erst 1437 km vom Meere entfernt in Samarkand ihr vorläufiges Ende findet. Nur wenige hundert Kilometer fehlen noch von Merw, dem südlichsten Punkte der transcaspischen Bahn nach dem Ende der indischen Bahnen bei Kandahar. Aber dieser riesige Verkehrsweg ist durch Verordnungen allen Waaren aus dem nichtrussischen Europa versperrt, der Importhandel Batums ist somit künstlich unterbunden und wird es wohl noch lange bleiben.

Vielleicht könnte Batum ein wichtiger Hafen für den europäisch - indischen Verkehr werden, wie dies im Mittelalter Tana und Trapezunt waren.

Consulate: Deutsches Reich, England, Oesterreich-Ungarn, Belgien, Frank - reich, Italien, Türkei (G. -C.).

[191]

Trapezunt.

Eine grossartige Gebirgswelt ohne weite Querthäler, ohne gang - bare Pässe schliesst das pontische Küstenland wie ein unübersteig - barer Wall von den fruchtbaren Thälern Armeniens ab. So tief hat Mutter Natur die Abgeschiedenheit der herrlichen Landschaften an der Südküste des Schwarzen Meeres gestaltet, dass Armenien in seiner alten Epoche weit mehr mit den östlichen Nachbarländern, selbst mit dem schwer zugänglichen Kurdestan im Handelsverkehre stand, als mit seinem eigenen Küstenlande. Der gegenwärtig viel benützte Karawanen - weg von Trapezunt nach Erzerum ist der einzige, der von der pontischen Küste nach dem centralen Armenien führt. Derselbe entstand bald nach Gründung von Trapezus (756 v. Chr.), einem Werke der Milesier von Sinope. Xenophon benützte diese Strasse, als er mit seinen 10.000 griechischen Söldnern aus dem Innern Asiens sich rettete und nach Byzanz zog. Zwei Reiche sah das Küstenland entstehen und vergehen: das bosporanische Reich der Skythen und die Romantik des komne - nischen Kaiserthums von Trapezunt.

Das letztere war im Grunde genommen nur ein kleiner Ableger des byzan - tinischen Monarchenstammes, als dieser 1204 nach Aufrichtung des lateinischen Kaiserthums in Constantinopel zu Falle kam. Damals ward der erst vierjährige Thronerbe Alexis durch die letzten Komnenen nach Kolchis gerettet und dort bis zur Erlangung der Grossjährigkeit zurückgehalten. Nun erfolgte die Aufrichtung, des Kaiserthums Trapezunt, das, ein Küstengebiet von beschränkter Ausdehnung, mit den alten Traditionen auch alle Gebrechen und Erbsünden der Byzantiner in sein träumerisches Dasein aufgenommen hatte.

Zu den Persern und Seldschuken unterhielt man die besten Beziehungen um der offenen Feindschaft des aufstrebenden Osmanenthums ein Gegengewicht zu schaffen. Nicht wenig begünstigte die Schönheit der Prinzessinnen die Richtung dieser Politik, und mächtige Fürsten, wie Uzun Hassan, der Turkmene, und andere traten in nahe Verwandtschaftsverhältnisse zum Kaiserhaus der Komnenen.

Das Hofleben war glänzend und der Handel allerdings in genuesischen und venetianischen Händen häufte Reichthum in Trapezunt an.

192Das Mittelmeerbecken.

Auf der die Stadt dominirenden Mythrashöhe (heute Bostepeh genannt), deren Name wohl an Mithridates erinnert, erhoben sich von mächtigen Festungs - werken umgeben die glanzvollen Marmorhallen des in Prachtgärten gelagerten Kaiserpalastes; dort stand auch die Kathedrale. Wohl sahen die gleissenden Säulen - hallen, durch welche würzige Lüfte strichen, viele blendende Festlichkeiten im Vereine mit der Poesie stillen Menschenglückes, allein sie wurden auch Zeugen des furchtbaren Unterganges, des entsetzlichen Endes der Kaiserpracht, als Mohammed II., der Eroberer von Constantinopel, mit brutaler Macht in das Schicksal der Komnenen eingriff. Trapezunt fiel 1462, nach 250jährigem Bestande des Kaiserthums, in die Gewalt des Sultans. Das Blutgericht war barbarisch. Der letzte Kaiser David und dessen ganze Familie wurden nach Stambul geschleppt und dort in den Kerkern hin - gerichtet. Das Griechenthum ward ausgerottet und die Kirchen wurden zu Moscheen umgewandelt. Von diesen bestehen noch die ehemalige Kathedrale und die Aja Sophia am Weststrande nächst der Stadt. Die rauchenden Trümmer der Kaiserstadt wurden bald durch die neuen Wohnstätten der Muselmanen verdeckt, aber das geborstene Gemäuer der gewaltigen Zinnen und Wälle, die, über tiefe Abgründe und Felsen setzend, dem Angreifer manche fortificatorische Ueberraschung bereitet haben mochten, krönt noch heute die Stadt.

Es wird berichtet, dass Mohammed II., von dem landschaftlichen Reize der Umgebung derselben bestrickt, den Winter nach der Katastrophe dort zubrachte. In der Folge wies er Trapezunt dem erstgeborenen Prinzen als Regierungssitz an. Die Stadt war den späteren Sultanen ein Stützpunkt bei deren Vordringen in den Kaukasus und von hier aus wussten die Herren des Bosporus den persisch-armenischen Handelsverkehr zu unterbinden.

Das heutige Trapezunt (Trébisonde, türkisch Tarabosan, vor - mals Tarabusun) ist die Hauptstadt des türkischen Vilajets gleichen Namens und erblühte wieder zu ihrer einstigen Bedeutung als wich - tiger Stapelplatz für den Handel zwischen Persien und Europa.

Die Stadt bedeckt die zu Füssen der Mythras-Höhe liegende Uferterrasse und bietet mit ihren luftig gebauten Häusern, zahlreichen Gärten, in welchen Lorbeer und Myrthe, Orangen und Citronen ge - deihen, mit ihren schlanken Minareten und dem idyllischen Sandufer des Hafens, an dem in ewigem Spiele die See sich bricht, ein an - muthiges Bild, dem die gewaltige pontische Gebirgswelt einen male - rischen Hintergrund geschaffen hat.

Vom Zollamt bei der Kalmekspitze (41° 1′ nördl. Br. und 39° 46′ östl. L. von Greenwich) führt die Hauptstrasse der Stadt zum Hauptplatze Meidan und weiter hinauf über eine die erste Schlucht übersetzende Brücke in die alte Festung der Komnenen, zu dem Gouvernements - gebäude und der Klissa Dschami, der alten griechischen Kathedrale. Innerhalb der Festungsruinen sind die Gefängnisse, eine Mittel - und eine Militärschule untergebracht. Ueber eine zweite Schlucht erreicht man die Militärbaraken am Kawak-Meidan und die Zufahrt zum Militärspitale. Vom Hauptplatze Meidan zweigt die Marktstrasse Tschar -193Trapezunt.schi ab und von dieser in östlicher Richtung gegen die Küste der Bazar mit seinen bunten Kaufläden. Am Meidan stehen das Gebäude der Muncipalität, die türkische Post und das Telegraphenamt.

Der grosse Stadttheil oberhalb dem Meidan ist vorwiegend von Türken bewohnt. Allen Theilen von Trapezunt ist aber der echt tür - kische Charakter der Gegenwart, also jene bauliche Styllosigkeit aufgeprägt, die als Architektur in Hemdärmeln nur der orientalischen

Trapezunt.

Bequemlichkeit Rechnung zu tragen versteht. Unter den 6000 Ge - bäuden sind nur ungefähr 100 in Stein bis zu zwei Stockwerken hoch aufgeführt, alle anderen aber Holz - und Riegelwandbauten. Die Stadt ist indes von einer Wasserleitung durchzogen. Mit Eintritt der Dunkelheit hört das Strassenleben der spärlichen Beleuchtung wegen auf, und wer seinen Weg durch das Gewirre der Gässchen finden muss, benützt die Handlaterne. Dessenungeachtet soll die öffentliche Sicherheit in der Stadt zufriedenstellend sein; ausserhalb derselben aber treiben freche Banden um so ärgeres Spiel.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I Band. 25194Das Mittelmeerbecken.

Die Stadt ist Sitz eines Generalgouverneurs (Vali), einer Han - delskammer, eines griechisch-orientalischen Bischofs, eines armenisch - gregorianischen Erzbischofs, eines armenisch-katholischen Bischofs, eines römisch-katholischen Präfecten und einer nordamerikanischen protestantischen Mission. Hier bestehen ein Appellationsgerichtshof für Civil - und Strafsachen sowie mehrere Tribunale erster Instanz. Neben zahlreichen Moscheen besitzt die Stadt auch eine griechische Kathe - drale und eine katholische Kirche.

Trapezunt zählt 45.000 Einwohner, von welchen 27.000 Tür - ken und 18.000 griechische und armenische Christen sind. Hiezu wären noch an fremden Elementen ungefähr 50 Europäer und eine persische Colonie von Kaufleuten, Mäklern, Pferdevermiethern (unge - fähr 200 Personen) beizufügen. Eine höchst auffallende Eigenthüm - lichkeit ist hier das Fehlen der Juden.

Verkehrssprachen sind die türkische, armenische und grie - chische. Das Italienische, vormals die Handelssprache, ist gegenwärtig gänzlich dem Verkehre entrückt. Dagegen beginnt die französische Sprache, welche 5 % der armenischen und griechischen Bevölkerung verstehen, an Boden zu gewinnen.

Der Mangel eines geschützten Hafens ist für Trapezunt von grossem commerziellen Nachtheile. Die eigenthümlichen Wetterverhält - nisse des Schwarzen Meeres zwingen die ankommenden Dampfer, auf der unsicheren Rhede mit stillem Dampf zu liegen, um bei einem der plötzlich ohne frühere Anzeichen losbrechenden Stürme oder überhaupt bei Zunahme des Windes nach dem westlich von Tra - pezunt befindlichen Platana, wo die Quarantäneanstalt besteht, zu flüchten.

An der pontischen Küste herrschen während des Winters häufig stürmische WNW - und Nordwinde, die eine hohe See und häufig Schnee und Regen bringen, aber meist von kurzer Dauer sind. Südwinde drehen gewöhnlich über West nach Nord, von wo es dann stürmisch weht. Während des Sommers setzen veränderliche Winde ein, allein der ONO-Wind mit hohem Seegang ist vorherrschend. Nebel - wetter erscheinen im Frühjahre, am häufigsten im April (zwei bis drei Tage).

Die Jahreszeiten treten sehr unregelmässig ein; der Winter beginnt nicht vor December und ist milde. Nach dem kalten regnerischen Frühling folgt der sehr heisse und feuchte Sommer mit oft umwölktem Himmel. Der Herbst ist hier die angenehmste Saison.

Die Hafenfront säumt ein flaches sandiges Ufer ein, und besteht dort nur bei der Kalmekspitze ein Steinmolo, an welchen Boote anlegen können. Die Waarenmanipulation geschieht mittelst Lastbooten von 30 bis 40 Tonnen Gehalt.

195Trapezunt.

Um den Calamitäten der offenen Rhede abzuhelfen, beabsich - tigt die türkische Regierung die Erbauung eines geschlossenen Hafenbasins.

Nach dem ausgearbeiteten, aber noch nicht genehmigten Projecte, das in unserem Hafenplane aufgenommen wurde, soll ein 400 m langer Steindamm von der Kalmekspitze in ONO-Richtung und ein 940 m langer Damm von der Eleusa - spitze gegen NNO geführt werden. Das durch die Dämme eingeschlossene Bassin müsste bis zu einer Tiefe von 8·6 m ausgebaggert und an der Südseite ein Quai von 71.500 m2 für den Bau von Häusern oder Magazinen angeschüttet werden.

Trapezunt ist von Natur das bequemste Thor, durch welches Persien mit Europa in Verbindung treten kann, seit Russland die günstigen Verkehrswege über Batum-Baku und den über das caspische Meer ausschliesslich dem Handel seiner Unterthanen vorbehalten hat. Der Handel Trapezunts zerfällt daher in den kleinasiatischen und in den Transitoverkehr von und nach Persien. Aber auch beide zusammen erreichen heute keine bedeutende Ziffer. Der Transitoverkehr mit Persien geht aber immer mehr zurück, weil der Weg über Trapezunt viel Zeit erfordert und die Frachten hoch und ganz je nach der Anzahl der vorhandenen Kameele äusserst variirend sind. Im Winter, Frühjahr und Herbst ist dieser Weg wegen der Schneemassen, Lawinen und Ueberschwemmungen sehr schwierig, im Sommer wieder leiden die Saumthiere Mangel an Futter, so dass die durchschnittliche Trans - portdauer von Trapezunt nach Täbris 55 60 Tage beträgt. Gleichzeitig befestigt sich Russlands commerzielle Stellung in Persien, und England begünstigt die Strassen, welche von Buschir, Bender Abbas und Moha - merah am persischen Meerbusen in das Innere Persiens führen. Der anatolische Handel aber zieht sich nach Samsun. Die Binnenvilajete Kharput und Diarbekir werden wegen der besseren Strassen, die von Samsun ausgehen, jetzt von dort aus mit europäischen Waaren ver - sehen. Trapezunt ist heute nur für die Gebiete, die an der per - sischen Karawanenstrasse nach Erzerum und Täbris liegen, vermitteln - der Hafen.

Die türkische Regierung müsste, um den Verkehr über Trape - zunt zu beleben, die schwierigsten Stellen der Strasse Trapezunt - bris umlegen. Dadurch liessen sich Transportdauer und Frachtsatz dieser Route, auf welcher übrigens im Sommer auch Fourgons, mit vier Pferden bespannt, verkehren, mit Leichtigkeit auf die Hälfte des gegenwärtigen Ausmasses herabsetzen, und die Route über Trapezunt könnte mit den Routen über den persischen Golf erfolgreich in Wett - bewerb treten.

25*196Das Mittelmeerbecken.

Anderseits verarmt das kleine Handelsgebiet Anatoliens, welches Trapezunt geblieben ist, zusehends. Täglich sieht man Schaaren von Landleuten in die Stadt ziehen, welche wegen Mangel an Zugvieh Säcke mit Kohlen und Bündel mit Holz auf dem Rücken tragen, da - mit sie aus dem Erlöse ihrer Noth wenigstens auf einige Tage ab - helfen. Das Nutz - und Arbeitsvieh ist bereits ins Ausland geführt, und auch der Wald wird bald aufhören, eine Quelle des Unterhaltes zu sein, weil er rücksichtslos ausgerodet wird.

Hafen von Trapezunt (Massstab 1: 27.000; Sonden in Metern).

A Ankerplätze auf der Rhede, B Zollamt, C Hafenamt, D Vorstadt Tschemlekschi, E griechische Kathedrale, F Leuchtfeuer, G Burg des Kaisers von Trapezunt, H Meidan-Platz, J projectirter Hafen, K Molo bei Kalmek, L Molo bei Eleusa, M Anschüttungsterrain.

Der Handelsverkehr von Trapezunt betrug in Gulden Gold:

〈…〉〈…〉

Die wichtigsten Einfuhrartikel für Anatolien und Persien sind: Zucker aus Triest und Marseille, der wegen der hohen Fracht, welche bis Täbris 71 76 % des197Trapezunt.Werthes ausmacht, aus Nordpersien verdrängt wird (1888 23.144 q im Werthe von 455.344 fl.), Stahl und Sensen für das getreidereiche Hocharmenien, ferner Tuch (1888 2409 q, Werth 1,098.240 fl.) aus Oesterreich-Ungarn und England, Baumwoll - garne und Manufacte (1888 49.360 q, Werth 6,388.560 fl.) meist aus England; be - merkenswerth sind ausserdem die Importe an Thee (1888 Werth 850.560 fl.), Metallen und Mais. Letzterer wird meist im Wege des Küstenhandels aus der Um - gebung hieher gebracht.

Von anatolischen Producten werden aus Trapezunt ins Ausland geführt: Haselnüsse, die an der ganzen Nordostküste Kleinasiens gedeihen und nach

Samsun.

Russland, Rumänien und Egypten gehen (1888 33.865 q, Werth 541.840 fl.), Bohnen; der Tabakbau bei Trapezunt und Platana ist infolge Einführung des Tabakmonopols auf 12.000 q gesunken; die Ausfuhr (1888 10.035 q, Werth 300.744 fl.) geht hauptsächlich nach Egypten. Die Ausfuhr von lebenden Hammeln und Rindern (1888 55.411 Stück, Werth 472.000 fl.) ist ein Beweis des sinkenden Wohlstandes; Verkehrsrichtung: Constantinopel.

Die Ausfuhr persischer Producte, deren Hauptziel Constantinopel ist, ver - mindert sich andauernd, denn die Kaufkraft der Türkei sinkt, die persische Industrie geht zurück. Für Teppiche (Ausfuhr 1888 2850 q, Werth 304.150 fl.) und Shawls (1888 220 q, Werth 352.000 fl.) ist Täbris in Azerbaidschan eine uralte Productionsstätte. Von der berühmten Tabaksorte Tombeki, die gewöhnlich in der Wasserpfeife ge -198Das Mittelmeerbecken.raucht wird, kamen 1888 über Trapezunt 12.825 q im Werthe von 1,026.000 fl. zur Ausfuhr, von Seide und Seidenstoffen um 215.000 fl.

Gegenüber diesem geringen Umfange des Handels ist der Schiffsverkehr von Trapezunt ungewöhnlich hoch.

〈…〉〈…〉

Trapezunt besitzt wohl keine Kohlendépôts, dafür zu viele regelmässige Schiffahrtsverbindungen, welche gegenseitig die Frachten drücken, alle von Con - stantinopel kommen und meist in Poti das Ende ihrer Route finden. Es sind dies der österreichisch-ungarische Lloyd, die Messageries maritimes und eine zweite französische Gesellschaft, welche Getreide nach Marseille führen, die russische Dampfschiffahrt - und Handelsgesellschaft, welche Thee und englische Massengüter aus Constantinopel bringt und den Verkehr nach Egypten beherrscht; die türkische Gesellschaft Mahsussié, die Gesellschaft Courtgi & Cie., die bis Triest fährt, ohne umzuladen, der Panhellenion, die dänische Unternehmung Forende Dampskisb Selskab (via Antwerpen, Neapel, Smyrna) und die englische Linie Westcott - Lawrence.

Die telegraphische Verbindung mit Europa wird durch die anatolische Linie mit dem Endpunkte Scutari, und mit Russland via Batum hergestellt.

Consulate haben folgende Staaten: Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Persien (G. -C. ), Russland, Frankreich, England, Italien, Griechenland, Belgien, Niederlande, Dänemärk, Spanien, Vereinigte Staaten.

Samsun, westlich von Trapezunt gelegen, obwohl ebenfalls nur eine ungünstige Rhede, hat Trapezunt an Capitalskraft und Wohl - habenheit weit überflügelt, weil es mit seinem reichen Hinterlande durch zwei gute Strassen verbunden ist. Eine endet nach 800 km in Kaisarieh, die zweite, welche mit Frachtwagen befahren wird, in Diarbekir am Tigris. Zahlreiche schöne Neubauten, der steigende Consum von Luxusartikeln und wachsende Credit seines Handels - standes im Auslande bezeugen die Blüthe Samsuns, welches auch mit der Bahnlinie Scutari Angora durch eine Zweiglinie in Verbindung gesetzt werden soll. Es scheint, dass sich Samsun, getragen von modernen binnenländischen Verkehrswegen, zum grössten Handels - platze des türkischen Küstengebietes am Schwarzen Meere entwickeln werde, obzwar eine derartige Entwicklung eines türkischen Platzes ohne die Initiative des europäischen Capitales schwer denkbar ist.

Zwischen den Mündungen des Kysyl-Irmak (im Alterthume Halys genannt) und des Jeschil-Irmak wächst der beste Tabak Kleinasiens; 1888 wurden 30.070 q (Werth 1,113.026 fl.), 1887 52.170 q nach Oesterreich-Ungarn, Frankreich, Russ - land und Egypten ausgeführt, 20.000 q mögen in der Türkei Verwendung finden. Andere Artikel sind Getreide, namentlich Weizen, Opium (1888 932 q, Werth199Trapezunt.746.000 fl.) und Mohnsamen (411.880 fl.), Gelbschotten (1888 6480 q, Werth 388.850 fl.), Schafwolle (1888 5720 q, Werth 425.128 fl.) und Kupfer.

Der Export geht vornehmlich nach Grossbritannien, Frankreich und in die Türkei.

Von der Einfuhr kommen vier Fünftel auf Manufacturen.

〈…〉〈…〉

Schiffsverkehr 1888:

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Die regelmässigen Linien, welche nach Trapezunt gehen, legen in Samsun an. Hier ist der Sitz einer türkischen Handelskammer.

[200]

Smyrna.

Im Gegensatze zur hafenarmen Nordküste Kleinasiens ist die Westküste überaus reich gegliedert. Mehrere imposante Golfe mit vor - trefflichen Häfen schneiden hier tief ins Land und finden in langge - streckten Thälern, den uralten Handelswegen nach dem Innern, einen natürlichen Verkehrsanschluss; zahlreiche fruchtbare Inseln, die Spo - raden, sind der Küste vorgelagert und bilden mit dieser ein System wohlgeschützter Wasserstrassen, ebenso wie das Gros der Kykladen ein solches für den Verkehr im Aegäischen Meere geschaffen hat. Durch diese Vortheile war die kleinasiatische Westküste auserkoren, schon frühzeitig Handel und Schiffahrt und als deren Folge eine höhere Entwicklung des Culturlebens in allen seinen Erscheinungen an sich zu fesseln und eine dominirende Stellung gegenüber den anderen Ge - bieten Kleinasiens zu erringen.

Diese Suprematie, deren Schwerpunkt im Laufe der Jahr - tausende nach Sardes, Pergamos, Ephesos und Smyrna zu liegen kam, blieb der Küste bis zum heutigen Tage gewahrt. Seit nahezu zwei Jahrtausenden ist Smyrna der Centralpunkt dieses Gebietes und da - durch auch der wichtigste Platz in ganz Kleinasien, wie denn über - haupt das ganze Vilayet Smyrna (Aïdin ist der officielle Name dieses Gourvernements) alle anderen türkischen Provinzen Kleinasiens, wenn auch nicht an Flächeninhalt, so doch durch seine volkswirtschaft - liche Bedeutung überragt. Zutreffend charakterisirt Dr. Karl v. Scherzer in seinem Werke Smyrna die Ueberlegenheit des Vilayets mit den Worten: Was sich des Guten, Schönen, Nützlichen, Lehrreichen und Interessanten in Kleinasien findet, ist in der Provinz Smyrna reprä - sentirt und potenzirt; von den herrlichen Denkmälern des Alterthums bis zu den Eisenbahnen und Fabriken, vom leichten Zelt der No - maden und dem Schiff der Wüste‘ bis zu den Panzerfregatten, die sich auf der Rhede schaukeln. Smyrna, von den Orientalen Blume[201]

Smyrna.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 26202Das Mittelmeerbecken.der Levante, Perle des Morgenlandes, Auge Anatoliens u. s. w. ge - nannt, gehört zu jenen Plätzen, welche, dank einer ganz besonders bevorzugten geographischen Lage, aus allen von aussen kommenden Schicksalswandlungen, dem Phönix gleich, sich in neuer Lebenskraft erheben, immer wieder zu einer handelsbeherrschenden Stellung erblühen.

Smyrna, das türkische Ismir, liegt unter 38° 26′ nördl. B. und 27° 9′ östl. L. von Gr. (Hafenbecken) am Ende eines der präch - tigsten Golfe der Erde. Von dem Cap Kara Burun an über 68 km tief in das Land eingeschnitten, ist das Becken bei einer wechselnden Breite von 3 18 km vielfach von malerischen Höhen mit fruchtbaren Thalläufen und anmuthigen Ortschaften umrahmt. Im Norden gewahrt man die Bergwände des Sipylos, im Osten den Jonischen Olymp und im Süden die Gebirgsgruppe des Mimasmu.

Die Einfahrt in den Golf markirt das steile Cap Kara Burun, dem gegenüber am Festlande der Hafenort Phokia (türkisch Fotscha) liegt. Hier lag das antike seemächtige Phokäa, die Mutterstadt von Mas - silia (Marseille). Die fruchtbare Insel Chio, die mit Smyrna in regster Verbindung steht, bleibt im SW des genannten Cap. Im Smyrna - Golfe lagert südöstlich des Caps die nahezu 13 km lange Insel Makronisi (türkisch Usun Ada, lange Insel). Ausgebreitete Feigen - und Olivenhaine bezeichnen den kleinen Ort Vurla (das alte Klazomenä) an der Südküste, dessen gute Rhede sehr oft von Schiffen besucht wird. Von hier aus nimmt der Golf eine völlige Ost - richtung an und wird durch die sich vorschiebende Alluvialebene und das Delta des hier mündenden Gedis-Tschai (des alten Hermos), der seine Ablagerungen mit jedem Jahre weiter seewärts absetzt, so be - deutend eingeengt, dass die Gefahr einer gänzlichen Abschliessung des Hafens von Smyrna zu befürchten ist, wenn nicht energische Massregeln zur Beseitigung derselben ergriffen werden.

Das Fahrwasser in der Enge des Schlosses Sandjak-Kalessi hat bei einer Längserstreckung von 7 km eine Minimalbreite von nur mehr einen Kilometer und sind die grossen Schiffe gezwungen, ganz nahe an der Südküste sich zu halten.

Die Rhede von Smyrna ist nur gegen Westen ungeschützt; allein das am Hafenquai erbaute Bassin vermag eine bedeutende Zahl von Schiffen aufzunehmen und gestattet diesen selbst bei stürmischer Wit - terung die Verkehrsoperationen vorzunehmen, wohingegen die auf der Rhede liegenden Schiffe bei Eintritt schlechten Wetters zur Un - thätigkeit verurtheilt sind. Das heutige Smyrna lagert, wie unser203Smyrna.Plan zeigt, weitgestreckt zu Füssen des 202 m hohen Berges Pagos (Pagus), den die Ruinen des alten genuesischen Kastells, der einstigen Akropolis, krönen. Im Osten der Stadt, hart an den steilen Abhängen des Pagos vorbei, rieselt das meist wasserarme Flüsschen Meles dem Meere zu. An seinen Ufern sollen Homer’s unsterbliche Gesänge ent - standen sein, denn Smyrna gilt als die Geburtsstadt und Heimat des Dichters. Man darf jedoch nicht vergessen, dass das damalige Smyrna ungefähr vier Kilometer nordöstlich der heutigen Stadt an der östlichsten Einbuchtung des Golfes lag. Die dort aufgefundenen Ruinen eines Felsenschlosses werden als die Ueberreste der Akro - polis von Alt-Smyrna gedeutet.

Auch die uralten Gräberanlagen in der Nähe von Burnabat scheinen diese Annahme zu bestätigen. Die bedeutendste derselben, welche deutliche Spuren der den ältesten griechischen Grabgemächern eigenthümlichen spitzbogigen Gewölbe zeigt, gilt als das Grab - mal des lydischen Königs Tantalos, dessen Gestalt in der griechischen Mythologie Aufnahme gefunden hat und uns durch Homer geistig über - liefert wurde.

Die Gründung von Alt-Smyrna verliert sich in mythische Zeiten, doch wird sie den Aeolern aus Kyme (am Golf von Eläa gelegen) unter Theseus zugeschrieben. Die älteste Geschichte weist der Stadt keine besonders hervorragende Rolle an. Neben der Handelsthätigkeit der Phönikier und dem regen Schaffen der Schwester - städte Milet und Phokäa konnte das von den Lydiern angefeindete Smyrna als Seehandelsplatz zu keiner Geltung gelangen und verblieb grossentheils auf den Verkehr mit dem Binnenlande angewiesen.

Die Stadt hatte sich zwar dem Aeolischen Bunde angeschlossen, fiel aber 688 v. Chr. durch Verrath in die Gewalt der Ionier, deren 13. Bundesstadt sie nun wurde. Allein ohne nachhaltige Unterstützung der Verbündeten erlag sie im Jahre 627 dem lydischen Könige Alyates (616 bis 560 v. Chr.), der ihre Mauern schleifen und die Bevölkerung in offene Ansiedlungen zerstreuen liess.

Jahrhunderte lang währte dieser Zustand. Nach der Zertrümmerung des persischen Reiches soll Alexander der Grosse, in den Besitz Kleinasiens gelangt, den Befehl zum Wiederaufbau Smyrnas ertheilt haben, allein dessen frühzeitiger Tod verzögerte die Ausführung des Planes. Erst Antigonos, der einäugige Feldherr Alexander’s, dem die Verwaltung Lykiens zugefallen war, baute Smyrna an der Stelle auf, wo es heute sich befindet. Nach dessen Tode, 301 v. Chr., führte Lysimachus, der auch die Akropolis am Berge Pagos erbaute, das Werk zu Ende. Die Stadt blühte rasch zu einem der schönsten und wohlhabendsten Plätze Klein - asiens auf; ihr Handel nahm einen lebhaften Aufschwung. Die römische Herr - schaft brachte keine Veränderung in die beneidenswerthen Verhältnisse, nur ein starkes Erdbeben verursachte 178 n. Chr. bedeutende Zerstörungen, die Marc Aurel (161 bis 180 n. Chr.) wieder beheben liess. Auch die Theilung des römischen Reiches beeinträchtigte keineswegs das Wohl der Stadt. Erst die späteren Schick - sale des oströmischen Reiches griffen, nachdem Ephesos den politischen Schlägen26*204Das Mittelmeerbecken.unterlegen und Constantinopel unter dem Andrange der Völkerwanderung von seiner Höhe als Handelsmetropole herabgestürzt war, auch in das Schicksal Smyrnas hemmend ein. Gross waren die Leiden der Stadt während der furchtbaren Periode der Völkerwanderung und in der Zeit der Seldschukenfürsten. Smyrna theilte nun die weiteren Schicksale des Byzantinischen Reiches, von jeder Phase derselben rege berührt. Die anarchischen Verhältnisse jener Zeit und die grosse Abhängigkeit der Herrscher am Bosporus von den Venetianern und Genuesen erklären es genügend, dass wie die einzelnen Inseln und Küstenstriche Griechenlands auch die kleinasiatische Küste unter den Einfluss und daher auch Schutz der Handelsrepubliken gelangte; dessenungeachtet fiel die Stadt 1402 nach vierzehntägiger Belagerung in die Ge - walt des Länderstürmers Tamerlan (Timur), der sie verwüstete. Bald darauf, 1424, pflanzte Sultan Murad den Halbmond auf der Burg des Pagosberges auf. Seither verblieb Smyrna unter der Herrschaft der Ottomanen. Die grossen politischen Ver - änderungen in der Levante blieben nahezu ohne Rückwirkung auf die Verhältnisse der Stadt, die immer mehr an Bedeutung gewann. Die Stadt hatte wiederholt durch Erdbeben, zuletzt im Jahre 1880, und durch Feuersbrünste (1840 und 1845) zu leiden.

Das heutige Smyrna zeigt gegen den Golf zu eine völlig mo - derne Quaifront, und wo noch vor wenigen Jahren verwahrloste Bret - terbuden und Holzstege eine idyllische Staffage des Ufers bildeten, da dehnt sich jetzt die breite Quaipromenade la Marina längs der ganzen Erstreckung der Stadt. Dort pulsirt denn auch, begünstigt durch eine Tramwaylinie und zahllose für den Verkehr mit den Schiffen bestimmte Kaïks, der Hauptstrom des geschäftlichen und socialen Lebens.

Ein überaus buntes Bild gewährt das bewegte Treiben im Hafen, wo der Umsatz der Landesproducte gegen die Erzeugnisse fremder Völker in seiner letzen Form sich vollzieht. In ganzen Schiffs - ladungen werden hier Teppiche, Seidenstoffe, Südfrüchte jeder Art, darunter die berühmten Smyrna-Feigen, Baum - und Schafwolle, Ge - treide, Wein, Oele und Tabak, Opium u. a. zur Ausfuhr verfrachtet und ebenso gelangen aus Europa ungeheuere Mengen Industrieartikel in die Magazine, um nach den Innern Anatoliens versendet zu werden.

Durch Grösse und Weitläufigkeit fallen die Residenz des Gou - verneurs mit der grossen nächstliegenden Kaserne, an die das Zellen - gefängniss sich schliesst, sowie die am neuen Hafen erbauten Zoll - und Hafendienstgebäude auf. Wenngleich der grösste Theil der Stadt auf ebenem Terrain liegt, so bietet Smyrna mit seinen zahlreichen Minarets und Kirchthürmen, mit dem herrlichen, farbensatten Cypres - senhaine am Südende, der malerischen Burgruine des Pagos und dem am Abhange zu ihr emporklimmenden Türkenviertel der Stadt, endlich mit seinem von hunderten Schiffen aller Nationen belebten Hafen ein überaus fesselndes Städtebild voller Leben und Farbe.

205Smyrna.

Aber gleich wie in anderen orientalischen Städten verbirgt sich auch in Smyrna hinter dem imposanten Aeusseren die abstossende Nüchternheit des Innern. Arm an Erinnerungszeichen ihres uralten Bestandes und ohne hervorragende Bauwerke, trägt die Stadt daher vorwiegend den Charakter eines Handelsplatzes.

Die Eintheilung Smyrnas entspricht den grossen Bevölkerungs - gruppen der Levante. Im nordöstlichen Theile zunächst des Quais liegt das Frankenviertel, hinter diesem das Griechenviertel, weiter südlich in der Umgebung des Bahnhofes nach Cossaba ist das Ar - menierviertel. Das zum Theile die Abhänge des Pagos bedeckende Türkenviertel bildet den südlichsten Theil der Stadt und umschliesst das schlechtgebaute Judenviertel.

Mit Ausnahme weniger Strassen besteht das Gros der Stadt aus einem völligen Labyrinth vielverzweigter enger und krummer Gäss - chen, in denen sich zurechtzufinden ohne Führer kaum möglich ist. Oede und verlassen sind infolge der muselmanischen Sitten und reli - giösen Einrichtungen die Gässchen der Türkenstadt. Dort herrscht kein nachbarlicher Verkehr, kein Strassenleben und kaum eines jener dichtvergitterten Fenster, wie man solche an Haremsgebäuden wahr - nimmt, blickt melancholisch hinab auf den schmalen Weg. Der min - der wohlhabende Türke ist nämlich gezwungen, sein ganzes Haus in einen Harem zu verwandeln, da er nicht die Mittel besitzt, abgeson - derte Frauengemächer zu unterhalten. Deshalb sind die Gassenzüge durch lange hohe Mauern gebildet, welche in der Regel die Woh - nungen von der Aussenwelt abschliessen. Hier ist für die Poesie des Orients kein Raum.

Anziehend ist dagegen das Gassenleben im Griechenviertel, be - sonders während der frühen Abendstunden, wenn Jung und Alt vor den Hausthüren gemüthlich zum Plaudern sich niedergelassen und lebhaft die Tagesereignisse bespricht. Hier ist das Hauptquartier der levan - tinischen Frauenschönheit. Manch feurigem Blick einer graziösen Frau begegnet unser Auge oder taucht in das unergründliche Dunkel der Gazellenaugen eines blühenden Mädchenantlitzes. Allein honni soit qui mal y pense, bei aller natürlichen Munterkeit, die uns hier erfreut, herrscht die lobenswertheste Sittsamkeit.

Nahezu parallel mit der Marina durchzieht die langgestreckte Frankenstrasse das Viertel der Franken. An ihren Häuserzeilen liegen unter anderem die katholische Kirche St. Policarpo mit dem anstossenden Kapuzinerkloster und die griechische Kathedrale Aja Photini mit der Resi - denz des griechischen Erzbischofs. Den religiösen Bedürfnissen ist durch206Das Mittelmeerbecken.zahlreiche Kirchen und Bethäuser Rechnung getragen. Ausser den genannten Kirchen haben die Katholiken noch 4, die Griechen 12 Kirchen, die Armenier eine Kathedrale, die Protestanten 3 Kirchen, die Juden 5 Synagogen und die Muselmanen beten in 42 Moscheen zu Allah.

Die Bevölkerung Smyrnas wird auf 186.510 Einwohnern ange - geben, davon sind 147.200 Unterthanen der Pforte und zwar 89.000 Mohammedaner, 40.200 Griechen, 17.000 Juden, 4000 Armenier und 39.210 Ausländer. Hellenen, das sind Unterthanen des Königreiches Griechenland, sind darunter 25.000, Italiener 6800; ausser diesen finden wir in Smyrna starke Colonien von Oesterreichern und Ungarn, von Franzosen, Engländern, Deutschen und Holländern.

Smyrna ist der Sitz des Generalgouverneurs der Provinz Aïdin, eines Appellationshofes, eines Handelsgerichtes, einer türkischen und einer französischen Handelskammer, eines griechischen, eines katho - lischen und eines armenischen Erzbischofs, einer schottischen und einer anglicanischen Judenmission.

Es bestehen hier einige von den Europäern gegründete Spitäler, Hospize und Waisenhäuser, wie denn auch das Schulwesen durch den Eifer der Franken sehr entwickelt wurde. Wir führen hier an eine Gewerbeschule, eine griechische und eine englische Handelsschule.

Wie in allen grösseren Städten des Orients sind auch hier die Bazare förmliche Labyrinthe mit gewundenen, düsteren und oft ge - deckten Gässchen.

Von einigem Interesse ist die über den Meles führende alte Karawanenbrücke, über welche die aus dem Landesinnern ankommenden oder dahin reisenden Kameelkarawanen tagsüber ziehen und in deren Nähe sie zu rasten pflegen. Die Karawanen sind gewöhnlich aus 15 bis 20 Kameelen gebildet, die an Stärke und Grösse die ägyptische Rasse übertreffen. Die bisherige Entwicklung des Eisenbahnwesens vermochte das Wüstensaumthier noch nicht wesentlich von seiner uralten Mis - sion zu verdrängen. Verfolgt man die von der Brücke nach Khalkar - bunar führende Strasse, so gelangt man zu einem mauerumfassten grossen Wasserbassin, welches von mehreren Quellen gespeist und mit Schilf bewachsen ist. Die anmuthige Lage mag diesem Wasser - becken den Namen Dianabad verschafft haben.

Am lohnendsten ist unstreitig der Aufstieg auf den Berg Pagos. Die Ruinen des genuesischen Castells ruhen grösstentheils auf den Fundamenten der altgriechischen Akropolis, während die weitläufige zum Theil geöffnete Cisterne der byzantinischen Zeit anzugehören207Smyrna.scheint. Die nahen Ruinen eines antiken Theaters (Stadion) liegen am westlichen Abhange des Berges, sind aber ohne Interesse. Von den Höhen des Castells geniesst man eine prachtvolle Aussicht auf Golf und Stadt. Namentlich an sonnenhellen Abenden ist der Ausblick in die Weite und Tiefe von überraschender Schönheit, denn die über dem Meere und den üppigen Pflanzungen des Landes ruhende feuchte Luft überzieht die Gegend mit den wunderbarsten Farbentönen, die von hellem Violett durch zartes Rosenroth in sattes Purpurroth schwe - ben und dem Auge ein märchenhaftes Naturspiel vorzaubern.

Smyrna ist nach Constantinopel die wichtigste Station der Le - vante. Es gewinnt von Jahr zu Jahr grössere Bedeutung, weil es der einzige modern ausgerüstete Hafen der Türkei ist, der einzige Platz an den Küsten Kleinasiens, von welchem längere Eisenbahnlinien in die fruchtbaren Gelände und auf die Hochebenen des Innern führen. Seinen Quai begleiten normalspurige Schienengeleise, welche die beiden Bahnhöfe verbinden, bei Tage von Tramwaywaggons be - fahren werden und von Mitternacht bis 8 Uhr Früh dem Waaren - verkehre dienen.

Das Hinterland erschliessen zwei Eisenbahnen; sie führen mit ihren Zweiglinien die Producte der reichen Thäler des Mäander, Hermos (Gedis-Tschai) und Kaikus nach Smyrna. Die südliche geht über Ephesos (Ayasoluk) bei Scalanova vorbei nach Aïdin und weiter im Mäanderthale über Seraikiöï nach Kizil Kaklik (283 km). Die Fortsetzung nach Dineïr, von wo man näher nach Konia als nach Smyrna hat, ist concessionirt. Eine Zweiglinie geht im Thale des Caystros nach Oedemisch. Die nördliche Eisenbahn führt über Manissa (das alte Magnesia), Kassaba, Sart (das alte Sardes) nach Alaschehr (169 km Länge). Eine Abzweigung dieser Linie geht nach Burnabat, der fashionablen Sommerfrische der besitzenden Classen von Smyrna, welche dort ihre Villen und Gärten haben. Ein zweiter Flügel Manissa - Kirkagatsch-Soma ist im Bau und findet seine Fortsetzung in einer Fahr - strasse mit steinerner Unterlage von Soma nach Bergama (Pergamum), wo als Schmuck der Seiten eines Altars jene wundervolle Giganto - machie aufgestellt war, deren Reste in dem Museum zu Berlin das Staunen des Betrachtenden erwecken. Schon nähern sich die Schienen - wege der Landschaft von Troja; man plant eine Eisenbahn an den Grabhügeln des Achilles und Patroklus vorbei zur schmalsten Stelle des Hellespont, um dort durch eine Brücke den Anschluss an das Bahnnetz Europas zu suchen. Dem Handelsstande Smyrnas wird Kleinasien zu eng.

208Das Mittelmeerbecken.

Die von Smyrna ausgehenden Bahnen wurden von Engländern gebaut und ausgerüstet, Engländer leiten auch deren Betrieb.

Mit Ausschluss der grösseren Städte und der an der Küste ge - legenen Stapelplätze bildet die Landwirtschaft den überwiegend wich - tigsten Erwerbszweig der consumfähigen Bevölkerung, deren Wohl - stand leider zurückgeht; die einheimischen Naturproducte müssen baar bezahlt werden, für die europäischen Importe erhält man selbst nach Monaten nur schwer sein Geld. Geldarmuth ist ein Hauptmerkmal des hiesigen Platzes. Daher gehören wirklich reiche Geschäftshäuser im europäischen Sinne des Wortes bereits zu den Seltenheiten, während noch vor wenigen Jahrzehnten die hiesigen Kaufleute durch ihren Reichthum bekannt und im ganzen Mittelmeere hochangesehen waren.

In dem herrlichen Klima des westlichen Kleinasiens gedeihen Wein und Südfrüchte in ausgezeichneter Weise. Sultaninen und Rosinen sind dem Werthe nach Smyrnas erste Ausfuhrartikel mit weit über eine Million q (Werth 27·6 Mil - lionen Francs) im Jahre 1888 und 434.500 q (Werth 16·6 Millionen Francs) im Jahre 1887. In dem erstgenannten Jahre herrschte ein wahrer Ueberfluss an Rosinen, dass man sie vielfach zu Destillationszwecken, zur Bereitung von Petmes und selbst zu Viehfutter verwendete. Von den Sultaninen geht das meiste nach England und wird von hier auch nach der Union und Canada versendet. Die Hälfte der rothen Rosinen bezieht Deutschland und versorgt damit auch die nordischen Plätze. Die schwarzen Rosinen kauft Frankreich zur Weinbereitung. In den letzten Jahren wurden um Smyrna viele neue Weingärten angelegt.

Feigen kommen mit der Bahn aus der Ebene von Aidin. Hauptexport nach England, Fabriksfeigen (Hordas) nach Oesterreich-Ungarn zur Erzeugung von Surrogatkaffee. Ausfuhr 1888 um 8·3 Millionen Francs, 1887 121.000 q, Werth 9·1 Millionen Francs. Mit Eröffnung der Bahn nach Dineïr wird der Export steigen.

Um Smyrna hat man in den letzten Jahren auch grosse Pflanzungen von Orangen und Citronen angelegt.

Olivenöl ist eines der ergiebigsten Producte des Handelsgebietes von Smyrna. Zur Ausfuhr gelangten 1888 2028 Fässer im Werthe von 406.000 Francs, bestimmt für Frankreich und Russland zu technischen Zwecken, in Russland ins besondere auch für Kirchenlampen.

Nach den Südfrüchten ist Vallonea, die Becherhülle der Knoppereiche, der wichtigste Artikel der Ausfuhr. Diese betrug 1888 987.624 q, Werth 15·8 Mil - lionen Francs, davon ging die Hälfte nach England, der Rest nach Triest. Ansehnlich ist auch die Ausfuhr von Galläpfeln.

Legende zu Hafen von Smyrna. A Ankerplatz von Smyrna, B Eisenbahn-Molo, C Bahnhof der Bahn nach Aïdin, D Hafen-Bassin, E Kaserne, F Leuchtfeuer, G Diana’s Bad, H Mosaikboden, vermuthlich des Diana-Tempels, J antike Wasserleitung, K Ruinen des Apollo-Tempels, L englischer Militär-Friedhof, M Mühlen, N Friedhof und Ruinen, O Karawanenbrücke, Q Quarantäne-Anstalt, R Homer’s Höhle, S Kastell, T Ruinen des 1736 zum Schutze der Stadt gegen den rebellischen Soleh-Bei erbauten Walles, U Ort des alten Hafens, V Wasserleitung des Vezirs Achmed vom Jahre 1674, W türkische Friedhöfe, X Dampfmühle, Y Gouverneurs-Palais, Z Schlachthäuser, 1 Bahnhof der Bahn nach Kassaba.

[209]
Hafen von Smyrna (Ismir) (Massstab 1: 74.000 der Natur; Sonden und Höhen in Metern).

(Legende siehe auf Seite 208.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. Band. I. 27210Das Mittelmeerbecken.

Von den Getreidearten ist besonders Gerste hervorzuheben. Ausfuhr 1888 15.681 t, Werth 2·5 Millionen Francs, für England und Portugal bestimmt. Auch Bohnen (1888 10.101 t, Werth 1·5 Millionen Francs) gingen nach Portugal.

Ueber Smyrna kommen ferner zur Ausfuhr Kanariensaat, Anis, Sesam (1888 für eine Million Francs), für welches Turin der Hauptmarkt ist, und Mohn - saat (1888 8269 t, Werth 1·9 Millionen Francs), deren Preise von der Mohnernte Vorderindiens abhängig sind. Viel bedeutender ist die Ausfuhr der Mohnsamen in Form der werthvollen Drogue Opium. Die holländische Colonie Smyrnas hat am Ende des vorigen Jahrhunderts in Kleinasien die Cultur der Mohnpflanze eingeführt, und die holländische Regierung bezieht noch heute den grössten Theil der Ernte durch die Handels-Maatschappij für den Bedarf der Monopolverwaltung Javas. Ausfuhr 1888 3023 Kisten à 60 kg, Werth 6 Millionen Francs.

Smyrna ist ferner einer der ersten Märkte für Süssholzwurzel und Lakritzensaft, der in der Nähe des alten Ephesus aus der Wurzel bereitet wird, um die Fracht zu ersparen. Ausfuhr 1888 zusammen 5 Millionen Francs, 1887 2·5 Millionen Francs. Das Geschäft, welches beinahe ein Monopol eines Hauses bildet, ist also in Aufschwung.

Die Ausfuhr der Baumwolle erreichte 1888 25.473 Ballen im Werthe von 5·1 Millionen Francs, 1887 57.750 q im Werthe von 6·9 Millionen Francs. Smyrna ist auch der Hauptmarkt für Wolle aus Adana im Süden Kleinasiens. Die levantinische Baumwolle ist etwas kurzstapelig, aber sehr schön weiss und fein - seidig, und wird am stärksten in Barcelona verarbeitet; Abnehmer sind aber auch Griechenland, Süddeutschland und Oesterreich. Von Baumwollsamen wurden 1888 3001 t im Werthe von 2·1 Millionen Gulden fast ausschliesslich nach England geschickt.

Tabak wird in verschiedenen sehr geschätzten Sorten gepflanzt, hievon wurden 1888 14.628 Ballen im Werthe von 1·5 Millionen Francs nach Rumänien, Italien und England ausgeführt. Vor Einführung der Tabakregie war die Aus - fuhr viel bedeutender, sie erreichte regelmässig 40 50.000 Ballen.

Hervorzuheben sind noch der Export von Gummi-Traganth und Gelbbeeren; die für Smyrna nicht wichtige Krappwurzel (Alizari) wird nur mehr auf Bestellung für den Export ausgegraben.

Von den Producten des Thierreiches ist zu erwähnen, dass die Ausfuhr von Rindshäuten sich stetig vermindert, weil die Bauern die Kälber sehr früh schlachten, um für die Thiere nicht die Kopfsteuer entrichten zu müssen.

Häute, Schaf -, Ziegen - und Hasenfelle gehen meist nach Triest, davon ist wohl viel im Transito für Deutschland bestimmt.

Der Hauptabnehmer der ausgeführten Schafwolle (1888 8321 Ballen, Werth 2·5 Millionen Francs) ist Amerika für seine Teppichfabrication.

Auch als Stapelplatz für die Ausfuhr von Schwämmen, die an der Küste im Süden Smyrnas gefischt werden, hat unser Platz Bedeutung. Von Mineralien wurde früher nur Smirgel von ziemlich guter Qualität ausgeführt (1888 11.722 t, Werth 1·2 Million Francs), der in der Nähe von Smyrna gewonnen wird und meist nach Amerika und England geht. In neuerer Zeit ist auch die Ausfuhr von Antimon und die von Chromerzen nach Glasgow rentabel geworden, weil das gute Materiale unmittelbar am Meere gegraben wird.

211Smyrna.

In und um Smyrna treffen wir auch eine für orientalische Ver - hältnisse ansehnliche Industrie, die freilich der Hauptsache nach Handindustrie ist. Maschinenindustrie treffen wir nur in den von Grie - chen bewohnten Landestheilen. In zwei Artikeln, in Leder, in den Fabriken Smyrnas erzeugt, und in Teppichen, ist diese Industrie exportfähig. Diese Teppichfabrication ist der wichtigste Industriezweig der ganzen Türkei, der in zahlreichen Dörfern bis weit ins Innere Kleinasiens hinein betrieben wird und Tausenden von Familien Unter - halt gewährt; die Männer färben die Wolle, Frauen und Mädchen knüpfen die Teppiche. Man ist in unseren Tagen wieder zu den alten schönen Mustern zurückgekehrt, welche die Bewunderung aller Kenner finden; man lässt die geschmacklosen Blumendessins der Europäer sein. Die verschiedenen Teppichsorten haben ihre Namen von den Er - zeugungsorten. Früher nahm man zur Herstellung dieser höchst halt - baren Teppiche nur einheimische Lammwolle, jetzt verwendet man auch Mohair. In dem Färben der Wolle liegt ein grosser Theil der Schönheit dieser geknüpften Teppiche, und die Fabriksindustrie wird diese Hausindustrie nicht wesentlich bedrohen, wenn man den glän - zend leuchtenden, aber bald verblassenden Anilinfarben Deutschlands und Englands ferne bleibt und nur Pflanzenfarben und Cochenille ver - wendet. Der Jahreswerth der Teppichindustrie wird auf Millionen Francs angegeben, 200.000 m2 im Werthe von 4 Millionen Francs werden jährlich ausgeführt. Man rechnet bei feineren Sorten 25 28 Francs für 1 m2, 2 kg schwer. Hauptabnehmer sind England, die Union und Frankreich, der Verkehr nach Deutschland und Oesterreich-Un - garn ist zurückgegangen, weil dort die sogenannten türkischen Tep - piche vielfach und mit grossem Geschick nachgeahmt werden.

Auf die Höhe der Einfuhr haben Einfluss die Baumwollfabriken von Kassaba und Smyrna und die Mahlmühlen von Smyrna.

Der Einfuhrhandel Smyrnas ist durchaus nicht blühend, denn die wirtschaftliche Lage der bäuerlichen Bevölkerung ist seit Jahren eine sehr gedrückte. Die grosse Masse der Bevölkerung, die Osmanlis sind überdies äusserst genügsam; sie consumiren zumeist nur einzelne Fabricate der europäischen Metall -, Leder - und Textilindustrie. Ausser den hier ansässigen Fremden kommen nur die Griechen, welche die Küstenstädte und die Kleinasien zahlreich vorgelagerten Inseln be - wohnen, für den Import der Artikel in Betracht, welche der Befriedi - gung feinerer Lebensbedürfnisse dienen. Die Griechen vermehren auch ihr Vermögen durch Fleiss und Arbeit.

27*212Das Mittelmeerbecken.

Der vierte Theil der Einfuhr entfällt auf Manufacturen und Gewebe. Von diesen wurden 1888 um 18·5 Millionen Francs eingeführt, die Einfuhr von Baumwollgarnen hat einen Werth von 1·5 2·8 Millionen Francs. In Baumwoll - garnen und Geweben versieht England den grössten Theil des Smyrnaer Marktes.

Leinenwaaren kommen meist aus Belfast, Juteleinwand aus Dundee, Modestoffe aus England, Frankreich und Böhmen. Die sogenannten levantinischen Tuche liefern Bielitz und Rheinpreussen, Wirkwaaren Sachsen.

Mit Seidenwaaren wird der Markt zunächst aus Syrien versorgt; von den europäischen Plätzen concurriren hier Lyon, Krefeld, Zürich und Como.

Von den Küsten dringt ins Innere der Gebrauch ein, europäische Kleider zu tragen. Diese kommen aus Wien, Fez und Hüte aus Böhmen und Wien. Werth der drei Artikel zusammen 1888 0·8 Millionen Francs.

In die Einfuhr von Kurzwaaren (1888 3·9 Millionen Francs) theilen sich England, Frankreich und Oesterreich-Ungarn.

Feine Glas - und Porcellanwaaren werden aus Böhmen, gepresstes Glas aus Belgien bezogen.

Von Möbeln werden nur mehr solche aus gebogenem Holze (von Wien stammend) eingeführt, alle anderen Bedürfnisse deckt die gut entwickelte Möbel - tischlerei Smyrnas. Papier (1888 0·6 Millionen Francs) kommt aus Oesterreich-Ungarn.

Von chemischen Producten werden eingeführt: aus England Soda (1888 für 1·6 Millionen Francs) für die Zwecke der Seifenfabrication, aus Deutschland Pottasche, welche man in aufgelöstem Zustande mit etwas Oel vermengt zur rascheren Trocknung der Weintrauben, respective der Rosinen verwendet. Anilin - und Alizarinfarben aus Deutschland finden immer mehr Anwendung. Zündwaaren kommen überwiegend aus Oesterreich-Ungarn.

Sehr wichtige Einfuhrartikel sind Leder - und Lederwaaren (1888 4·9 Mil - lionen Francs) aus England, Frankreich, Oesterreich-Ungarn und Deutschland. Den Handel in Droguen und Gewürzen besitzt zum grössten Theile London.

Von Genussmitteln ist wie überall Zucker hervorzuheben (Einfuhr 1888 4·5 Millionen Francs, 1887 4 Millionen Francs); neben Oesterreich-Ungarn tritt in diesem Artikel Frankreich weit zurück. Mit Eröffnung der levantinischen Linie Hamburgs wird auch Deutschland als Concurrent auftreten. Spirituosen liefert Russland.

Der importirte Kaffee (1888 45.651 Säcke für 3 7 Millonen Francs) stammt aus Brasilien und kommt zum grösseren Theile aus Marseille und Bordeaux mit Dampfern der Messageries maritimes; London und Triest kommen in zweiter Linie. Wirklicher Moccakaffe ist für Smyrna zu theuer.

In Getreide und Mehl (1888 1·4 Millionen Francs) dominirt Russland, mit Käse (1888) versieht Kreta den grössten Theil des hiesigen Marktes. Rangoon - Reis verdrängt auch hier den lombardischen. Sammt dem Hinterlande consumirt Smyrna jährlich regelmässig 37 40.000 Säcke.

Von Eisen und Eisenwaaren wird in Kleinasien wenig erzeugt; die Bedürf - nisse des Landes decken England, Rheinpreussen und Belgien, in Eisenwaaren tritt auch Frankreich auf, in Kistenstahl Oesterreich-Ungarn. Werth 1888 2·5 Mil - lionen Francs. Schwefel wird als Präservativ gegen Traubenkrankheiten aus Sicilien eingeführt.

Ein ungewöhnlich grosser Posten der Einfuhr Smyrnas sind Baumaterialien, wie Ziegelsteine, Dachziegel, Marmor aus Italien, Griechenland und der Türkei,213Smyrna.Cement aus Frankreich, Holz aus Galatz via Constantinopel, das aber aus der Bukowina stammt, aus dem Kaukasus und von den Ufern des Marmarameeres.

Dass Kohlen (40 45.000 t) und Petroleum (1·6 Millionen Francs) über - wiegend aus Russland kommen, ist selbstverständlich.

Die Angaben über die Grösse des Handels von Smyrna sind so verschieden, dass wir schon oben Zahlenangaben möglichst vermieden haben. Für die Ueber - sicht haben wir uns an die kleineren Ziffern gehalten. Diese umfassen den aus - ländischen und den inländischen Verkehr.

〈…〉〈…〉

Die grössten Geschäftsoperationen auf dem hiesigen Markte führt England durch wegen der regen Schiffahrtsverbindungen, die es mit Smyrna hat und weil London und Liverpool gute Umschiffungsplätze für den hiesigen Handel sind. Wichtig ist ferner der Handel mit Oesterreich-Ungarn, das heute noch einen Theil des deutschen Handels vermittelt; doch wird letzterer auch direct, dann über Hol - land und Belgien betrieben. Bedeutend ist der Verkehr auch mit Frankreich und Italien.

Smyrnas Schiffsverkehr betrug:

〈…〉〈…〉

Die Schiffahrtsverbindungen von Smyrna sind sehr zahlreich; die russische Dampfschiffahrts - und Handelsgesellschaft berührt den Hafen auf ihrer Linie Odessa Constantinopel; der Oesterreich-ungarische Lloyd auf den Linien Constan - tinopel Alexandrien, dann Smyrna Pyräus und Triest. Verbindungen unterhalten ferner: die Messageries maritimes, Fraissinet & C. und zwei kleinere französische Unternehmungen; die Navigazione Generale; die Khedivie, die Mahsussié, Courtgi oder Egée und eine kleine türkische Gesellschaft; zwei griechische Gesellschaften, welche mit starken Dampfern Rundreisen durch die griechische und kleinasiatische Inselwelt veranstalten und von der eingeborenen Bevölkerung mit Vorliebe benützt werden. Die fünf britischen Gesellschaften, von denen Bell’s Asia Minor-Cy. die wichtigste ist, haben den grössten Werth für die Waarenbeförderung, ferner die königlich niederländische Dampfschiffahrtsgesellschaft, die dänische Gesellschaft Forened Dampfskibs Selskab. In unregelmässigen Fahrten laufen hier noch belgische, schwedische und englische Dampfer an.

Die Einrichtung einer deutschen Linie von Hamburg in die Levante ist im Werke.

Auch in Smyrna bietet die Segelschiffahrt das traurige Bild des Verfalles.

Smyrna hat telegraphische Verbindungen mit dem Innern Kleinasiens über Angora und Konia, mit Constantinopel und Rhodos, ferner Anschluss an die Kabel des Aegäischen Meeres von der fruchtbaren Insel Chios aus.

Von Banken sind hier vertreten die kaiserlich ottomanische Bank und der Crédit Lyonnais.

Consulate haben hier: Vereinigte Staaten von Amerika, Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich (G. -C. ), Griechenland (G. -C. ), Grossbritannien (G. -C. ), Italien (G. -C. ), Niederlande, Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Persien, Portugal, Rumänien, Russland (G. -C. ), Spanien, Schweden und Norwegen.

214Das Mittelmeerbecken.

Alle Dampfer, welche von Süden her den Verkehr mit Smyrna vermitteln, laufen Chios (Scio) an, den gewerbefleissigen Hauptort der gleichnamigen gebirgigen Insel, deren 70.000 Einwohner Griechen sind.

Die Waldbestände sind bis auf einen kleinen Rest vernichtet, nur Strauchwerk, darunter namentlich Lentiscus, welcher Gummi-Mastik liefert, ist übrig geblieben.

Mastik, welcher für einen in der Levante sehr beliebten Branntwein ver - wendet wird, ist auch ein charakteristisches Product der Insel, welche daher im Türkischen den Namen Sakyz-Ada (Mastik-Insel) führt.

Mastik bildet natürlich einen wichtigen Ausfuhrartikel der Insel; ferner werden ausgeführt: Branntwein, Agrumen, Mandeln und Anis; Wein und getrock - nete Trauben kommen über Tschesmé, das gegenüber Chios auf dem Festlande liegt, und über Smyrna zur Ausfuhr. Ueber drei Millionen Gulden der Ausfuhr, welche fast fünf Millionen Gulden erreicht, entfallen auf Leder.

Für die Zwecke der Leder-Industrie werden jährlich ebenfalls um 3 Millionen Gulden Felle und Häute eingeführt; ferner Getreide, Mehl, Reis, Bauholz und getrocknete Fische. Die Einfuhr bewegt sich zwischen 5 und Millionen Gulden.

Der internationale Schiffsverkehr ist aus dem oben angeführten Grunde sehr bedeutend und übersteigt 1·3 Millionen t.

Von Chios gehen Kabel nach Tschesmé, über Tenedos und Limni nach Salonich und ein drittes nach Syra.

Von Chios geht eine Linie des österreichisch-ungarischen Lloyd über das 468 km2 grosse Fürstenthum Samos, das der Pforte tributär ist, nach Candia, eine zweite über Rhodos nach Cypern. Von des waldreichen Samos rüstiger, arbeitsamer Bevölkerung kann die Hälfte lesen und schreiben, was im Oriente etwas sagen will. Die 44.000 Be - wohner der Insel sind Griechen, 14.000 Samier wohnen auf dem kleinasiatischen Festlande.

Die Insel des Polykrates war im Alterthume berühmt durch ihren Reichthum, die Samier waren die ersten, welche um 700 v. Chr. Trieren bauten. Auch in der Gegenwart ist die Insel vermögend, hat keine öffentliche Schuld und kann öffentliche Bauten unternehmen. So haben die Samier bei ihrem Haupthafen Vathy einen Molo er - richtet, welcher Schutz gegen die nördlichen Winde bietet.

Der Handel hat sich in den letzten sieben Jahren ziemlich stark entwickelt, weil der ganze Wein und die getrockneten Beeren nach Frankreich zur Wein - bereitung gingen. Das Jahr 1888 war für Samos ein Jahr des wirtschaftlichen Rückschrittes, wie für Patras, aber die schlechte Weinernte Frankreichs von 1889 dürfte wieder Erleichterungen bringen.

Die Ausfuhr wird für 1887 mit 5·5, für 1888 mit 3·5 Millionen Francs an - gegeben. Die Einfuhr 1887 4·4, 1888 4·3 Millionen Francs.

Den Abschluss des Aegäischen Meeres bildet das langgestreckte Kreta, von den Türken Kirid, von den Italienern Candia genannt. Eine 2400 m hohe, in vier Theile zertrümmerte Gebirgskette durch - zieht die Insel. Häufig fallen die Berge nach Süden wandartig ab,215Smyrna.so dass das Ufer nur auf Stufen, die in die Felsen gehauen sind, zu erreichen ist. Die grossen Orte liegen daher auf der Nordküste. Kretas Geschichte ist mit der Europas verbunden. Von Osten her kommen wir zuerst nach Candia (Megalo-Kastron), dann nach - timo, und endlich nach Canea (Chaniá), dessen Hafen noch weniger entspricht als die früher genannten; bei schlechtem Wetter kann er nicht angelaufen werden, und die Postschiffe gehen nach der östlich gelegenen, wunderbaren Suda-Bai, welche schon öfter europäischen Kriegsflotten als Versammlungsort gedient hat.

Mit seinen hafenreichen Steilküsten und bei seiner glücklichen Lage als Angelpunkt dreier Welttheile wurde Kreta schon in sehr früher Zeit Sitz eines regen Lebens und Verkehrs. Hier siedelten sich Phönikier, Karer, Pelasger, Minyer an.

Der sagenhafte König Minos, nach Homer der Sohn des Zeus, galt als Be - gründer der vortrojanischen Seeherrschaft der Kreter. Es folgte die Einwande - rung des griechischen Stammes der Dorer, und allmälig erhielt die ganze Insel dorischen Charakter in Sitte und Sprache. Noch heute lebt in den Schluchten von Sphakia bei der rein griechischen Bevölkerung, den Sphakioten, die Sprache der alten Spartaner.

Die Insel bildet ein eigenes Vilajet mit weitgehender Autonomie, sie hat in der Generalversammlung einen gesetzgebenden Körper, von dessen 80 Mitgliedern 49 Christen und 31 Mohammedaner sind, welche Vertheilung nicht der Volkszahl der Bevölkerung entspricht, da der weitaus grösste Theil der 250.000 Einwohner Griechen sind, welche das Joch der Pforte abschütteln wollen und die Vereinigung mit dem Königreiche Griechenland anstreben. Die vielgeprüfte Insel ist ein Herd beständiger Unzufriedenheit.

Unter den Bodenerzeugnissen der Insel nimmt die Frucht der Olive den ersten Platz ein, Olivenöl verleiht Kreta die wirtschaftliche Signatur. Das Oel geht nach Grossbritannien, Russland und Egypten. In den Niederungen ist nach dem Olivenöl die Rebencultur der einträglichste Zweig der Bebauung des Bodens.

Der Wein von Malevísi, dem alten Malvasia, geht in stetig wachsenden Mengen nach Frankreich, um dort zur Erzeugung und Verschneidung von Bordeaux - weinen verwendet zu werden. Ausgeführt werden noch Rosinen, Johannisbrot, Mandeln und Südfrüchte, Valonea und Zwiebeln.

Den Hauptantheil an dieser Einfuhr hat Oesterreich-Ungarn durch seine günstige geographische Lage und durch die directe Linie des österreich-ungarischen Lloyd. Den zweiten Rang nimmt Grossbritannien durch seine bekannten Massen - artikel ein, den dritten Deutschland.

Ausser dem österreichisch-ungarischen Lloyd laufen Kreta zwei griechische Dampfschiffahrtsgesellschaften an.

Kabel der Eastern Telegraph Cy. laufen von Sitia nach Rhodos und nach Alexandria, von Candia nach Syra und von Canea nach Zante.

[216]

Rhodos.

Nicht so sehr der gegenwärtigen Handelsbedeutung halber, als vielmehr wegen seiner einstigen Seemächtigkeit und der wichtigen Rolle, die ihm in der Culturgeschichte zugefallen, darf Rhodos in die Reihe der vorliegenden Schilderungen einbezogen werden.

Die unermüdlich thätigen Phönikier gründeten hier eine Colonie, die sich länger hielt als die auf den anderen Inseln des Aegäischen Meeres. Aber erst dorische Einwanderer brachten Rhodos zu Glanz und Macht empor, und dieses ward ebenso gross und reich durch seine Industrie, seinen Seehandel, wie mächtig durch seine Kriegsflotte, die in den Kämpfen des Alterthums wiederholt entschieden aufge - treten war.

Kunst und Wissenschaft hatten in Rhodos seit jeher eine sichere Pflege - stätte gefunden.

Bekannt ist, dass die von dem Athener Aeschines (400 v. Chr.) hier ge - gründete Rednerschule, die auch der redegewandte Cicero besuchte, noch zur Zeit des Cäsar blühte. Von der Meisterschaft, zu welcher die bildende Kunst ge - diehen war, gibt die bewunderungswürdige Laokoon-Gruppe im Vatican ein beredtes Zeugniss; ihre Bildner waren Rhodiser.

Die berühmte Erzstatue des Sonnengottes (der Koloss von Rhodos), die 227 v. Chr. ein Erdbeben zertrümmerte, war 105 römische Fuss hoch. Nur starke Männer konnten die Daumen des Kolosses von Rhodus umfassen.

Von 227 168 v. Chr. ist die Zeit des höchsten Glanzes von Rhodus; jäh stürzt es durch die Macht Roms von seiner Höhe und spielt dann nur auf gei stigem Gebiete eine bedeutende Rolle.

Während der ersten christlichen Jahrhunderte verfiel, wie nahezu in allen Gebieten des römischen Reiches und jenen seiner Erben, auch die Cultur der Insel - bewohner immer mehr, und erst als 1309 die Johanniter Rhodus eroberten, kehrte für zwei Jahrhunderte wieder Glanz, Reichthum und edle Gesittung dahin zurück.

Der Halbmond trat aber das Erbe der heldenmüthigen Ritterschaft an. Das vorgeschobene Bollwerk der Christenheit kam in seine Gewalt, und an derselben Stelle, wo die Begeisterung des innigsten Christenglaubens zu den opferfreudigsten Thaten drängte, gewann der Islam sein erbitterster Gegner festen Fuss. Rhodos wurde für den Mohammedaner ein heiliger Ort; seine weisen oder auch fanatischen Derwische waren berühmt, und manche derselben standen selbst im Geruche der Heiligkeit.

217Rhodos.

Das gegenwärtige Rhodos, das nur mehr 10.000 Einwohner zählt, ist nur ein Schattenbild der einstigen Grösse.

Von dem Charakter der Stadt können wir den Lesern eine ungemein interessante Schilderung ganz jungen Datums bieten. Ihre kaiserliche Hoheit die durchlauchtigste Frau Kronprinzessin Stephanie hat nämlich im Jahre 1885 in Begleitung ihres hohen Gemals auf der kaiserlichen Yacht Miramar verschiedene Häfen der Levante darunter auch Rhodos besucht. Die angenehmen Erinnerungen, welche von dieser Reise zurückgeblieben waren, haben

Rhodos.

die hohe Frau veranlasst, dieselben durch eine Beschreibung in Form eines Tagebuches zu fixiren; dieses Tagebuch ist zwar gedruckt, blieb aber nur einem ganz engen Kreise vorbehalten. Jetzt hat jedoch Ihre kaiserliche Hoheit gestattet, die in demselben enthaltenen Schilderungen für das vorliegende Werk zu benützen. Indem wir nun wohl auch im Namen unserer Leser unserer tiefsten Dankbarkeit für das gnä - dige Zugeständniss Ausdruck geben, lassen wir aus dem an reizenden Stimmungsbildern reichen Buche hier zunächst den Abschnitt folgen, welcher in charakteristischen Contouren die Physiognomie des heuti - gen Rhodos zeichnet.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 28218Das Mittelmeerbecken.

Ihre kaiserliche Hoheit widmet dem Städtchen folgende Zeilen:

12. März. Während eine leichte Nebelmasse nach Osten zu auf dem Wasser lag, neigte sich im Westen die Sonne in voller Pracht ihrem Untergange zu, die kleinasiatische Küste in glühenden Duft tauchend. Rhodus trat immer deutlicher aus den blauen Fluten empor, auf dessen Rhede erst um 9 Uhr der Anker in die Tiefe sank. Leider gestattete die vorgeschrittene Dunkelheit nicht mehr, die Stadt zu sehen, aus welcher viele Lichter zu uns herüber leuchteten. Der klaren Nacht aber hatten wir es zu verdanken, dass wir die Umrisse der bergigen Ufer zu erkennen vermochten.

13. März. Ueber den weiten azurnen Spiegel der ungetrübten See weht ein angenehmer warmer Lufthauch, am Horizonte erheben sich Asiens Gebirge vom Morgenduft übergossen. Im Golde der Sonne, von alten ehrwürdigen Mauern umringt, von schönen Palmen beschattet, die ihre graziösen Blätterwedel über dieselben wiegen, von schlanken blinkenden Minarets, glänzenden Kuppeln und Zinnen überragt, von blauen Wogen umspült, von vielen Windmühlen umgeben, die sich auf schön gefärbtem Sandboden am Ufer erstrecken, zwischen blühen - den Gärten und dunklen Cypressen dehnt sich auf der flachen Küste die schöngeformte Häusergruppe der berühmten Rosenstadt aus. Dies war das entzückende Bild, welches sich unseren Blicken darbot, als wir am Morgen des 13. März voller Erwartung das Verdeck betraten.

Zwei mächtige Thürme, der von San Elmo, von einem Leucht - thurme gekrönt, und der von San Angelo, schliessen rechts und links den Eingang des Hafens ab und sind in Verbindung mit den Stadt - mauern. Hier erhob sich im Alterthume das eherne Standbild des Kolosses von Rhodus, eines der sieben Weltwunder.

Da in unserem Reiseprogramm die Aufenthaltszeit für Rhodus karg bemessen war, fuhren wir früh ans Land, um die interessante Stadt zu durchwandern. Wir verliessen unser Boot am Zollamt-Anlege - platze, gingen den Quai entlang und wurden von zudringlichen Ver - käufern, die uns ihre eigenthümlichen, kleinen, von Gefangenen an - gefertigten Holzgegenstände anboten, verfolgt. Durch einen gothischen Thorbogen betraten wir den alten Stadttheil und glaubten uns in das Mittelalter versetzt, denn auf Schritt und Tritt finden wir die Spuren jener glänzenden Zeit des eisernen Jahrhundertes und alles mahnt an die Herrschaft, an die Macht und an die Kämpfe der Johanniter. Auf einem offenen Platze befindet sich das Johanniter-Castell, welches wir zuerst besichtigen. Das Eingangsthor ist reich verziert und soll aus Cypressenholz geschnitzt sein. Man gelangt durch dasselbe in einen219Rhodos.von Gewölben umgebenen grossen Hof, über welchem nach allen Seiten Galerien angebracht sind, deren Arkaden auf ziemlich schweren Säulen ruhen. Die inneren Räumlichkeiten dieses Gebäudes dienen jetzt als Kaserne und zeitweise als Spital für die türkischen Truppen.

Wir setzten unseren Weg durch die an architektonischem Schmuck so reiche Strada dei Cavalieri‘ mit den uralten Palästen der Ritter verschiedener Zungen fort. Eine jede hatte ihre Herberge, auf welcher die Wappen und Devisen der ältesten Adelsfamilien und Ge - schlechter prangen, auch tragen sie die interessantesten Daten und Inschriften. Dieselben sind noch unglaublich gut erhalten und recht leserlich. Oefters sind sie über den spitzbogigen Thüren oder zwischen den mit Leisten und Blumenguirlanden umrahmten Fenstern ange - bracht. An den vielen eingefügten Wappenschildern erkennt man ihre Abstammung. Am reichsten ist die französische Herberge ausgeschmückt. Sie trägt über ihrem Haupteingange Inschriften und die Wappen des Ordens. Die Façade ist mit Thürmchen und Zinnen gekrönt. Phanta - stisch sind die steinernen Drachenköpfe, die als Regentraufen dienen. Inmitten der Strasse steht die Steinkanzel, von welcher aus der je - weilige Patriarch seine Zuhörer zur Theilnahme an den Kreuzzügen ermahnte. Nicht weit hievon zeigte man uns einen Vorhof, von alten Mauern eingeschlossen, in deren Mitte sich die Zweige eines in voller Blüthe stehenden Orangenbaumes ausbreiteten, dessen frisches Grün unter dem Schutt und Gerölle seltsam stimmte. Bedauernswerth ist es, dass die später hinzugefügten Holzterrassen und Erker die alten Stein - bauten so sehr entstellen; immerhin bleibt der Anblick der Strasse ein höchst malerischer, besonders wenn die Sonne auf dem verwit - terten Kalkstein spielt und Farbentöne vom Goldbraun bis ins Violette hervorzaubert. Hie und da blickt man in engwinklige, überwölbte Seitengässchen, wo tiefer, duftiger Schatten lagert, wie ihn nur der kennt, der den Süden gesehen hat. Zeitweise bemerkt man einen Türken, der nachlässig gegen seine Thür gelehnt ruhig raucht oder die Strasse geschäftig hinunter eilt und dessen Erscheinung einen eigenthümlichen Gegensatz zu dieser mittelalterlichen Welt bildet.

Die Strasse mündet auf einen freien grossen Platz, welcher, ehedem überwölbt, den Rittern bei besonderen Gelegenheiten als Ver - sammlungsort diente. Wenig entfernt davon sehen wir nur mehr die traurigen Ueberreste des Palastes des Grossmeisters und der alten, dem heiligen Johannes geweihten Kirche, die von den Türken in eine Moschee verwandelt wurde, jedoch ihren christlichen Namen bewahrte. Die Türken benützten den Thurm der Kirche als Pulvermagazin; im28*220Das Mittelmeerbecken.Jahre 1856 zündete ein Blitzstrahl die gefährliche Masse, und diese Explosion vollendete die gänzliche Zerstörung der schönen Denkmäler alter Baukunst, welche schon vorher durch Belagerung und Erdbeben sehr gelitten hatten.

In diesem Stadttheil erhebt sich ebenfalls die Citadelle mit dem ehemaligen Hospital der Ritter, welches jetzt zum Theil als Staatsgefängniss gebraucht wird. Wir stiegen eine bequeme Freitreppe hinauf, zwischen deren starkem Gemäuer überall sprossendes Grün und die verschiedensten Pflanzen sich hervordrängen, zu einer offenen Galerie, auf welche die Wohnungsräume der Gefangenen münden. Einige Stufen höher, und wir befinden uns auf einer weit vorspringen - den geräumigen Plattform, deren äussere Mauern jäh in die unge - heuere Tiefe des Festungsgrabens abstürzen. Von diesem Punkte ge - niesst man ein prächtiges Panorama über die Stadt mit ihrem reichen Kranz von Mauern, Schanzen, welche sie umziehen und ihr das An - sehen von Alter, Grösse und Bedeutung verleihen, auf das Land und die asiatische Küste. Tritt man an den inneren Rand, so gewahrt man einen grossen Hof, der zur Verwahrung der Gefangenen dient, dessen Mitte eine Cisterne einnimmt, um welche seltsame Gestalten sich bewegen. Unter ihnen mit Ketten gefesselte, in Nationaltrachten gekleidete Verbrecher, in deren verbissenen finsteren Gesichtern wir nur Trotz und Hohn lesen; zwei Derwische, wahrscheinlich aus der Gegend von Smyrna, und einige Mohren theilen das bittere Los der Gefangenen.

Von dieser schaurigen Scene wenden wir uns bald ab, ver - lassen das Gebäude und gehen zur jetzigen Moschee Suleimanieh. Von der alten Pracht der früheren Apostelkirche sind nur wenig Spuren mehr übrig geblieben. Acht weisse Marmorsäulen bilden den Porticus, reiche Sculpturen schmücken die zwei kleinen, aus dem XV. Jahr - hundert stammenden Säulen zu beiden Seiten des inneren Einganges. Dieselben sind mit Engelsköpfchen, färbigen Helmen und Streitäxten zwischen plastischen Laubgewinden geziert. Im Tempel erscheint alles kahl, nur einige alte Gebetteppiche und die Kanzel, von welcher die Lehren des Koran verkündet werden, unterbrechen die Eintönigkeit. Ein alter Brunnen von reicher Arbeit steht unmittelbar neben der Moschee.

In der Ibrahim Pascha-Moschee, die sich wenig von der vor - her erwähnten unterscheidet, uns nur kurz aufhaltend, gelangten wir durch den südlichen Theil der Stadt, ein labyrinthisches Gewirre enger dunkler Gassen, deren Häuser meist noch aus der Zeit der Jo - hanniterherrschaft herrühren, ohne von Bedeutung zu sein, in den Ba -221Rhodos.zar. Dieser besteht, wie in allen Ländern des Halbmondes, aus höl - zernen, baufälligen, dicht aneinandergereihten Buden mit vorspringenden Dächern, die fast aneinander stossen; sie sind ausserdem mit zerfetzten

Rhodos (Massstab 1: 13.400; Sonden in Metern).

A Sommer-Ankerplatz für grosse Schiffe, B Liman oder Hafen, C Zollamt, D Bazar-Thor, E Arsenals - hafen (Pto. Mandraki der Griechen; Porto delle Galere der Ritter), F Leuchtthurm St. Elmo (Standort des Kolosses von Rhodos), G Ruine des arab. Thurmes (St. Nicolo der Ritter), H Gouverneurs-Palais, J Harem des Pascha, K Waffenmagazin, L Kaserne, M Hospital, N Wächterhaus, O türkische Friedhöfe, P jüdischer Friedhof, Q Lazareth, R Friedhof der Sträflinge, S Bazar-Viertel, T Juden-Viertel, U Ge - fängniss, V Strada dei Cavalieri, X antiker Wall, Y Moschee (alte Kathedrale),〈…〉〈…〉 Moschee,〈…〉〈…〉 Wind - mühlen. Arab. Thurm 36° 26′ N., 28° 16′ O. L. v. Gr.

Teppichen überhängt, so dass man dort in vollkommener Dämmerung wandelt. Er ist weder mit dem von Constantinopel, noch mit dem von Damaskus zu vergleichen; aber auch hier fehlt es nicht222Das Mittelmeerbecken.an buntfärbigen Trachten, an eifrigem, fröhlichem Leben. Gebirgs - bewohner aus Kleinasien, wohlhabende Israeliten, auffallend viele Mohren, griechische Schiffer und Handwerker, Albanesen, die ihr ganzes Vermögen an kostbaren Waffen und Stoffen am Körper tragen, griechische Maulthiertreiber arbeiten sich mit ihren beladenen Thieren schreiend, scheltend durch die Menge und drängen sich durch das Gewimmel.

Nach dem Besuche des Bazars blieb uns noch die Besichtigung des Justizpalastes oder Casteliano übrig, welcher jedoch verschlossen war. Wir warteten geduldig auf dem flachen Dache eines der an - stossenden Häuser, von wo aus wir ungestörte Zeugen des Treibens in dem Bazar sein konnten; bald wurde das Gebäude aufgesperrt. Man gelangt über einige Stufen hinan zu dem Thore, oberhalb dem zwei Engel das Wappenschild des Grossmeisters d’Amboise halten; gothische Spitzbogenverzierungen schliessen sich daran an. Der Saal ist gross und in schönen Verhältnissen gebaut, die Fenstereinfassungen sind reich gearbeitet, an den Fensterkreuzen prangt wiederholt die fran - zösische Lilie. Flüchtig besuchen wir eine alte christliche Kirche, die erste katholische, welche in Rhodus gebaut und der heiligen Katha - rina geweiht wurde. Jetzt ist sie in eine Moschee umgewandelt, Kan - duri oder Enderum-Moschee, das ist Blut, steh still‘, so benannt nach dem Massacre der Türken. Im Innern macht man uns auf einige Gräber und verwischte Inschriften aufmerksam.

Während wir schon am Heimweg über den Platz gingen, be - gann eine aus zerlumpten und blossfüssigen Individuen zusammen - gestellte Musikbande mit wahrhaft betäubender Energie zu spielen, zumeist fürchterliche, ohrenzerreissende Misstöne hervorbringend, aus denen nur selten Anklänge an den türkischen Marsch herauszuhören waren. Zum Schlusse gingen wir, von einer zahlreichen Bevölkerung und den Schmuckverkäufern verfolgt, in das Lloydsecretariat, um die berühmten, so selten gewordenen Fayencen und Porzellanteller von Rhodus zu sehen. Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als mir zur Ver - vollständigung meiner Sammlung die vier uralten Schüsseln mit gut erhaltener Malerei zu erwerben, welche man uns vorwies. Gegen 12 Uhr, nachdem wir die interessante Stadt ganz durchzogen und alle Sehenswürdigkeiten in Augenschein genommen hatten, schifften wir uns ein.

223Rhodos.

So sieht es heute auf Rhodos aus, diesem verarmten Edel - boden , der einst das Herz des Welthandels war.

Als das grosse Erdbeben von 227 v. Chr. die Häuser von Rho - dus in Trümmer gelegt, ihre Schiffslager verwüstet hatte, da stockte der ganze Handel des östlichen Mittelmeeres, alle Staaten waren finanziell in Mitleidenschaft gezogen und Fürsten und Städte des Ostens und Westens wetteiferten, den Wiederaufbau der in den Staub ge - sunkenen Stadt zu fördern. Grossartig sind die Gaben an Geld, Ge - treide, Holz und Metallen gewesen, die von allen Seiten zuströmten, sie machen uns klar, wie reich die damalige griechische Welt, wie riesig der Handelsumsatz gewesen sein muss, den Rhodos vermittelte und den die auswärtigen Fürsten um so hohes Geld sichern wollten.

Der heutige Handel von Rhodos ist bescheidener und betrug in dem gün - stigen Jahre 1888 5,755.620 Francs in der Einfuhr und 3,205.550 Francs in der Ausfuhr.

Schwämme bilden den Haupttheil der Ausfuhr (1888 2 Millionen Francs), sie bestimmen die Höhe derselben und werden insbesondere nach Marseille und Triest verschickt. Die Bodenproduction liefert namhafte Erträge, doch werden nur Zwiebeln, Gemüse und Honig ausgeführt. Vallonea, Sesam, Koraköl und Zie - genfelle kommen von den Küsten des benachbarten Anatolien.

Die Hauptartikel der Einfuhr: Manufacte (1888 1·8 Millionen Francs), Eisenblech (0·9 Millionen Francs), Glaswaare, Zucker, Kaffee, kommen aus Oester - reich-Ungarn.

Rhodos steht in telegraphischer Verbindung mit dem Festlande und mit Kreta und wird von den Schiffen des österreichisch-ungarischen Lloyd auf der Linie Constantinopel Alexandria angelaufen.

Unter dem Meridian von Rhodos biegt die Küste Kleinasiens nach Osten um. Vielfach reichen die Berge des Taurus bis hart ans Ufer; auf ihnen findet man noch ganze Wälder der echten Ceder, die im Libanon auszusterben scheint. Von dem Dampfschiffe aus, das nach Mersina steuert, kann man mit dem Fernrohr deutlich alle Ein - zelnheiten der interessanten Küstenstrecke, des alten Kilikiens er - kennen, dessen Bewohner als kühne Seeräuber durch Jahrzehnte das römische Weltreich in Athem hielten. Am zweiten Tage nach dem Verlassen von Rhodos passirt man die herrlichen Ruinen von Pom - pejopolis mit ihrem aus 50 korinthischen Säulen bestehenden Porti - cus, der von der Stadt zum Meere herabführte, und erreicht gegen Mittag die in einer niedrigen, zum Theile sumpfigen Ebene gelegene Stadt Mersina, von deren Rhede uns eine 67 km lange Eisenbahn in 2 Stunden 40 Minuten über Tarsus nach Adana bringt. Früher ein unbekannter Ort, zählt jetzt Mersina 12 15.000 Einwohner. Eine Verlängerung der Eisenbahn nach Aintab würde auch den Handel224Das Mittelmeerbecken.Südarmeniens, der heute über Alexandrette geht, nach Mersina ab - lenken.

Im Jahre 1888 wurden Producte der kilikischen Ebene im Werthe von 7 Millionen Francs (1887 von 10 Millionen Francs) über Mersina exportirt, darunter 12.688 Ballen (Werth 1·2 Millionen Francs) Baumwolle, welche früher nur über Smyrna ging, ferner Sesam, Weizen, Gerste, dann Schafwolle und Thierhäute. Das Jahr 1888 war wegen der lange andauernden heissen Südwinde ein schlechtes Erntejahr.

Die Einfuhr, welche zum grösseren Theile über Constantinopel, Smyrna, Beirut und Alexandrien erfolgt, erreichte 1888 4·6 (1887 10) Millionen Francs; Tabak, Zucker, Mehl sind die wichtigsten Posten. Der Schiffsverkehr betrug 775 Schiffe mit 349.625 Tonnen, davon 322 Dampfer mit 328.736 Tonnen.

Der Südküste Kleinasiens vorgelagert liegt die fruchtbare, durch einen gewissen grandiosen Schwung ihrer Bergzüge ausgezeichnete Insel Cypern (Kypros), einst von üppigster Vegetation bedeckt und nach den Schilderungen der Alten in südlichen Zauber getaucht. Hier in dem wunderbaren Paradiese, in der Nähe des Cap Paphos, soll die schaumgeborene Venus dem Meere entstiegen sein; dort und zu Amathos und Salamis auf Cypern war ihr ein besonders heiliger Cult geweiht. In spätgriechischer Zeit wird die Insel wegen ihres Metallreichthums (feines Kupfer) erwähnt, und als die Römer dort Fuss gefasst, erstaunten sie über den Reichthum an Producten, welcher es gestatte, Schiffe vom Kiel bis hinauf zu den Segeln aus eigenen Er - zeugnissen zu bauen und auszurüsten.

Wie überall, wo Reichthümer zu holen, waren die Phönikier auch auf Cypern die ersten Bewohner. Bald erschienen auch die Griechen. Um 700 v. Chr. war die Insel den Assyriern tributpflichtig; um 550 fiel sie an Egypten, dann 333 an das Reich Alexander des Grossen und hierauf unter Ptolemäus, endlich 58 v. Chr. an Rom, und bei der Theilung des römischen Reiches an Byzanz. Zur Selbständigkeit gelangt, wurde die Insel 1191 von Richard Löwenherz erobert und 1193 durch diesen dem Guido von Lusignau als Lehen verliehen. 1489 gelangte Cypern als Vermächtniss der schönen Venetianerin Katharina Cornaro an die Republik Venedig und 1571 pflanzten die Türken dort den Halbmond auf, nachdem sie den Besitz der Insel durch schwere Opfer an Gut und Blut erkauft hatten.

Die denkwürdige Vertheidigung von Famagosta, die zu den heldenmüthigsten aller Zeiten gerechnet werden darf, erwarb den Venetianern die schönsten Lor - beeren. Die Belagerung des genannten Platzes begann am 24. Juli 1570 und am 16. August 1571 fiel das letzte Bollwerk desselben in die Gewalt der Türken. Das Belagerungsheer der letzteren zählte 94.000 Türken und über 100.000 Krieger aus Caramanien, Syrien, Arabien und Egypten, welche der für Venedigs Ruhm begeisterte Mariti mit dem Beinamen Canaglia asiatica belegte. Entsetzlich war das Schicksal der Besiegten. Der tapfere Gouverneur Bragadino wurde von den entmenschten Horden bei lebendigem Leibe geschunden, und die meisten der 8000 Einwohner und der im Ganzen 4000 Mann zählenden Besatzung verloren das Leben. Wie bei grossen Ereignissen der Heldenmuth der Frauen zur höchsten225Rhodos.Entfaltung sich begeistert, so gab auch die Belagerung und der Fall von Fama - gosta leuchtende Beispiele von Seelengrösse, die das schwache Geschlecht erfüllte.

Die Türken beabsichtigten nämlich, die schönsten Mädchen der unglück - lichen Stadt in die Sclaverei des Harems zu schleppen. Doch die über ein solches Schicksal entsetzten Opfer sprengten die Pulverkammer des Schiffes, das sie ent - führte, in die Luft und starben den Heldentod. Es wird berichtet, dass die Türken während der Belagerung von Famagosta gegen 75.000 Mann verloren haben.

Seit dem Vertrag vom 4. Juni 1878 steht Cypern unter englischer Ver - waltung.

In diesem Vertrage verpflichten sich die Engländer, den Sultan in der Ver - theidigung seiner asiatischen Länder gegen Russland zu unterstützen. Als Basis für ihre militärischen Bewegungen tritt ihnen der Sultan die Insel Cypern ab; nur wenn er von Russland die Festung Kars zurückerhält, müssen sie Cypern räumen. Auch muss England aus den Einnahmen der Insel jährlich eine bestimmte Summe an die hohe Pforte zahlen.

England hat in Cypern einen neuen Stützpunkt auf seiner Route nach Indien gewonnen, es beherrscht mit Cypern den Weg durch Syrien und den durch den Suez-Canal. Nur scheint es gegenwärtig, wo seine Beamten und Soldaten Egypten wirksam controliren, auf Cypern weniger Gewicht zu legen.

Ein werthvoller Besitz ist Cypern nicht. In den Gräbern der heutigen Bewohner wird ein künftiger Cesnola nicht einmal vereinzelt solche wunderbare Schmucksachen aus Gold finden, von denen die grösste Sammlung das Metropolitan-Museum in New-York ver - wahrt.

Die Berge sind entwaldet, die Ebenen versumpft, die Häfen ver - schlammt. Heuschreckenschwärme vernichten die Ernten und bis heute haben die Massregeln der Engländer, welche die gesammelten Eier der Heuschrecken massenhaft um gutes Geld aufkaufen und ver - nichten, noch keinen besonderen Erfolg. Aber der Einfluss ihrer Strassenbauten spiegelt sich wieder in der Steigerung des Handels - und des Postverkehres. Die Insel zählt 200.000 Einwohner, meist Griechen.

Larnaka und Limasol, die wichtigsten Häfen der Insel, liegen beide auf der Südseite. Larnaka (7833 Einwohner) im Südosten ist wichtiger und wird von dem österreichisch-ungarischen Lloyd und den Messageries maritimes angelaufen. Das durchaus nüchterne Städtchen liegt etwa einen halben Kilometer von der Küste entfernt und besitzt nur eine Rhede, die keine Vorkehrungen für den Handels - verkehr aufweist.

Die Hauptartikel der Ausfuhr sind gemeine Weine (1888 50.000 q), Com - manderiewein (5000 q) und Trauben, von Alters her berühmt, aber erst durch die Engländer wieder auf den Weltmarkt eingeführt.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 29226Das Mittelmeerbecken.

Die Einfuhr erfolgt aus denselben Staaten, die an dem Handel Syriens betheiligt sind.

Von Larnaka geht ein Kabel nach Alexandrien, das andere an die syrische Küste.

Westlich von Larnaka liegt Limasol (6000 Einwohner); die Strassen und Plätze zeichnen sich durch grösste Reinlichkeit aus, der Quai und die von ihm auslaufenden Molos befinden sich im besten Zu - stande, letzterer wurde von den Engländern 1881 in einer Länge von 190 m aus Eisen erbaut.

Auch von hier wird schwarzer ordinärer Wein nach Egypten, Syrien und Palästina, Commanderiewein nach Triest und Venedig ausgeführt, ferner Wein - branntwein ( Suma ), Johannesbrot und Sumach.

Bei Missernten muss man selbst Getreide und Olivenöl einführen. In Limasol bestehen 2 Dampfmühlen.

Nur 63 Seemeilen östlich von Mersina liegt Alexandrette (Iskanderum) an einer weiten tiefen Bai, welche hohe Berge wie eine Riesenmauer umziehen und gegen Nord -, Ost - und Südwinde schützen. In einer Höhe von 686 m führt von hier der berühmte Pass von Beilan, die syrischen Pforten der Alten, in das Thal des obern Eu - phrat, nach Haleb (Aleppo) und Antiochia. Aleppo hat 115.000 Ein - wohner, von dort stammen die Abajas, die landesüblichen grossen Mäntel von schwarzer oder weisser Farbe, die meist mit reicher Stickerei in Roth und Gelb verziert sind, die einheimischen Baumwoll - und Seidengewebe, die durch ihre Mannigfaltigkeit und Schönheit die Besucher des Bazars von Alexandrette überraschen.

Vor wenigen Jahren verbanden die Türken Alexandrette und Aleppo durch eine 165 km lange Strasse, die aber schon wieder halb verfallen ist. Man benützt sie nur im westlichen Theile, im Osten folgen die Kameele dem alten, viel kürzeren Karawanenweg.

Es spricht für die günstige Handelslage von Alexandrette, dass trotzdem die Handelsbewegung Ziffern, wie die folgenden, erreicht:

〈…〉〈…〉

Regelmässig ist die Einfuhr weit grösser als die Ausfuhr, ein Beweis, dass von hier grosse Theile des Binnenlandes mit Baumwollstoffen (1888 21.909 q, Werth 11·1 Millionen Francs) aus England, mit Tüchern aus England und Oester - reich-Ungarn, mit Seide und Seidenstoffen, mit Metallen und Metallwaaren ver - sorgt werden. Wichtig sind die Einfuhr von Zucker aus Egypten, Oesterreich - Ungarn und Frankreich, von Kaffee aus Brasilien über Marseille, von Petroleum aus Russland.

Die Wolle des Landes ist auf Hauptmärkten der Welt wohlbekannt, sie steht in der Ausfuhr obenan (1888 17.775 q, Werth 2·7 Millionen Francs) und227Rhodos.geht jetzt nach Frankreich und England; bis 1887 wurde das Meiste in die Union geschickt. Getreide (1888 119.000 q, Werth 1·6 Millionen Francs) wird nach Frankreich und Italien ausgeführt, Rinder und Schafe (Werth 2 Millionen Francs) gehen nach Malta, Egypten und Griechenland.

Wichtig sind ferner Galläpfel und Gelbbeeren, Butter und Oel. Eine ameri - kanische Gesellschaft hat in Alexandrette eine mächtige Dampfpresse errichtet, mit welcher die Süssholzwurzel, die im Inneren wild wächst, in Ballen von geringem Umfange gepresst und so für die Ausfuhr hergerichtet wird. Diese (1888 37.210 q, Werth 724.000 Francs) geht auf Seglern nach New-York; Lakritzen - saft wird in der Union bei der Fabrication von Kautabak verwendet.

Wenn wir endlich lesen, dass mit Kameelen Kupfererze im Werthe von 1·8 Millionen Francs aus der Nähe von Diarbekir am Tigris kommen und auf englischen Dampfern nach Liverpool gehen, und dass aus Aleppo, welches mit Kameelen von hier in drei Tagen zu erreichen ist, Getreide nicht ausgeführt werden kann, weil die Transportkosten 50 % des Werthes verschlingen, begreifen wir die Trostlosigkeit der dortigen Verkehrsverhältnisse. Wie würden sich die Verhältnisse ändern mit dem Ausbau der längst projectirten Bahn von Alexan - drette an den Tigris und diesen abwärts bis Basra! Man käme von London um 10 Tage früher nach Indien als jetzt.

Die Schiffsbewegung umfasste 1888 323 Dampfer mit 301.555 t und 197 Segler mit 14.498 t, an denen die französische, die russische und die egypti - sche Flagge den stärksten Antheil hatten.

An Latakieh vorbei, das berühmt ist durch seinen Tabak (Abu - Riha, Vater des Geruches ), gelangen wir an die Gestade Phöni - kiens und laufen ein in die durch Klippen geschützte Rhede von El Mina, der Hafenstadt von Tarabulus oder Tripoli di Soria (Syrien).

Tripolis liegt inmitten der überaus fruchtbaren Alluvialebene, am Ende einer Schlucht, des von der Natur gegebenen Verkehrs - weges nach den Binnenstädten Horms und Hama, die durch eine 142 km lange Chaussée mit Tripolis verbunden sind. Diese trägt der Gesellschaft, welcher der Betrieb ab 1882 auf 50 Jahre übertragen ist, jährlich 10 % des aufgewendeten Capitals; auch eine Eisenbahn würde auf diesem Wege nicht zu viele Hindernisse finden.

Von den 24.000 Einwohnern sucht ein grosser Theil Beschäfti - gung bei der Schiffahrt.

Der Hafen hat einen bedeutenden directen Ausfuhrhandel, die Einfuhr euro - päischer Artikel besorgt zum grossen Theile noch Beirut, doch kommen auch schon Waaren direct aus Triest, Marseille und Liverpool. Beachtenswerth ist die Er - zeugung von Seife und von Seidenwaaren.

Im Jahre 1888 wurden etwa 22.000 hl Mais nach Egypten, Dari nach England, Malta und Egypten, 110.000 hl Gerste nach Smyrna und Frankreich, Erbsen und Bohnen, die in der Umgebung gebaut werden, nach Malta, Marseille, England und den einheimischen Küstenplätzen ausgeführt. Um Tripolis dehnen sich grosse Haine von Oliven - und Orangenbäumen aus. Eine mittelmässige Oliven -29*228Das Mittelmeerbecken.ernte ergibt 2·3 Millionen kg, die grossen Seifenfabriken des Ortes verbrauchen jährlich bei 1·8 Millionen kg, der Ueberschuss der Ernte geht nach Frankreich und Egypten. Von der erzeugten Seife (1888 2·8 Millionen kg) wird der grösste Theil nach Egypten, Anatolien, Cypern verschifft.

Orangen und Citronen wurden in den letzten Jahren in grossem Mass - stabe angepflanzt. Die Ausfuhr ist meist nach Odessa gerichtet.

Man erzeugt im Handelsgebiete von Tripolis 640.000 800.000 kg Seiden - cocons; diese werden in einheimischen und Beiruter Filaturen, welche nach euro - päischem Muster eingerichtet sind, abgesponnen.

Die exportirte Schafwolle kommt aus Homs und Hama, der Ertrag der Schwammfischerei wird auf 400.000 Gulden geschätzt. Feine und mittelfeine Sorten erhält Marseille, in die ordinären theilen sich Marseille und Triest.

Die Einfuhr umfasst Zucker, Mokkakaffee, Tombeki, Kochsalz, Natron, Baumwollgewebe, Eisenwaaren, Quincaillerie, Glas - und Fayencewaaren.

Die Postschiffahrt besorgen der österreich-ungarische Lloyd, die Messageries maritimes und die Khedivié. Der Schiffsverkehr umfasste 1888 im internationalen Verkehre 380 Dampfer mit 409.266 t und 90 Segler mit 17.020 t, im Küstenver - kehre 286 Dampfer mit 286.802 t und 1886 Segler mit 34.124 t.

Consulate haben hier: Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Griechen - land, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Rumänien, Russland, Schweden-Norwegen, Spanien, Vereinigte Staaten.

[229]

Beirut.

Ernst und imposant ragen die Hochwarten Syriens aus den mächtigen Gebirgsmassen des Libanon und Antilibanon empor und schon von weiter Ferne her erblickt sie der ankommende Seefahrer, wie die vom fernen Osten über die gelbe schweigsame Wüste daher wandernde Karawane.

Die Grossartigkeit der Gebirgswelt, die ungeheuere Meerestiefe zu ihren Füssen; der schroffe Wechsel zwischen trostloser Wildniss und blumenbesäeten Paradiesen, zwischen fruchtbaren, von Flüssen durchzogenen Thälern und wasserlosen Steinwüsten, wo, um mit Wilbrandt zu empfinden, nur Adler kreisen und geräuschlos in der meeresblauen Ferne unsichtbaren Ufern zuschweben; diese und andere Gegensätze, die Syrien verschwenderisch bietet, wären bedeutend genug, jeden Denkenden zu fesseln.

Aber zwei gewaltige Momente vereinigen sich überdies, die ganze Glut tiefer Empfindungen in unserer Seele anzufachen. Das syrische Land ist Stammsitz einer in unmessbare Zeitfernen reichenden Culturwelt und war Schauplatz des weltbewegenden Ereignisses des Erscheinens Jesus von Nazareth.

Wie dem Astronomen die irdischen Masseinheiten nicht mehr ausreichen, um die Werthe der kosmischen Entfernungen darzustellen und Sonnenweiten sein Grundmass bilden, ebenso müsste der Historiker in der Geschichte Syriens das gewöhnliche Zeitmass bei Seite legen und nach Jahrtausenden rechnen, nicht mehr Generationen des Individuums, sondern Völkergenerationen zur Darstellung bringen, vorausgesetzt, dass es jemals gelänge, deren Folgeschaft zu erforschen.

So weit in unfassbare Zeiträume reicht hier das Culturleben zurück, dass die Glanzstätten der altgriechischen, punischen und römischen Macht ihr gegenüber als Schöpfungen neuerer Zeit erscheinen, denn Milliarden von Einzelschicksalen hatten sich auf asiatischem230Das Mittelmeerbecken.Boden vollzogen und gingen im tiefen Schweigen der Vergangenheit unter, bevor die Namen Carthago, Athen oder Rom zum erstenmale erklangen. Nur das alte Egypten und die vorassyrischen Reiche standen der syrischen Culturwelt zur Seite.

Diese erblühte schon frühzeitig in den fruchtbaren Thälern des Libanon und an den sonnigen Gestaden der Meeresküste, denn hieher wälzte sich ein Arm des Völkerstromes aus dem Mutterlande Indien, in jener fernen Vergangenheit, die uns selbst das älteste classische Geschichtswerk, die heilige Schrift der Juden, nicht aufzuhellen vermag.

Die Bibel nennt die Kanaaniter, das sind die handelsfähigen Phönikier als Urbewohner des Küstenstriches zwischen dem Libanon und dem Meere. Südwärts im heutigen Palästina lebten andere semitische, in viele Stämme getheilte Völker, die mit den asiatischen und afrikanischen Reichen zwar in enger Fühlung standen, aber, zu einem gemeinsamen Staatswesen nicht vereinigt, nur geringe Macht besassen. Daher fiel das Land jedem Eroberer, der in Westasien zur Herrschaft gelangte, als Beute zu Füssen. Die Assyrer, Babylonier, Meder, Makedonier, Römer, Egypter und Araber, Saracenen und Osmanen, all diese Völker wälzten ihre Heeresmassen in das einstmals gelobte Land, dessen Wohl - stand vernichtend.

Zahllose, mitunter kolossale Trümmerfelder, die ehrwürdigen Ueberreste mächtiger und glanzvoller Städte, deuten auf die entsetzlichen Schicksale fleissi - ger, erwerbsamer Völkerschaften, die dort gelebt und gehofft. An welchem Punkte des Landes wir die Erinnerung an seine Vergangenheit aufgreifen mögen, überall begegnen wir den Spuren gewaltiger politischer Stürme, unter deren Macht selbst grosse und gewaltige Reiche in Schutt und Trümmer sanken.

Gedenken wir der grossen phönikischen Zeit, so glänzen uns die Namen Sidon und Tyrus als jene der damals reichsten Handels - und Industriestädte Phönikiens entgegen, von wo aus die Colonisirung der Mittelmeerküsten stattge - funden hatte; ja Schiffe dieser Emporien drangen selbst im Atlantischen Ocean weit nach Norden und Süden vor.

Sidon, das heutige Saïda, war die ältere der beiden Königsstädte, die erst um 1100 v. Chr. durch den Glanz von Tyrus verdunkelt wurde. Von grosser Ausdehnung, mit herrlichen Bauwerken geschmückt, waren diese Metropolen die Hauptsitze einer blühenden Industrie in Metallarbeiten, Glaswaaren, Bern - stein, Purpurfärberei; die Kunstrichtung kam durch Bildhauerei in Elfenbein, Ebenholz und Stein zur Geltung. Grossartige Tempel des Baal und Moloch, der Astarte und anderer unheimlicher Gottheiten, welche Phönikien mit den Babylo - niern gemeinsam verehrte, öffneten die weiten Hallen zu prunk - und geräusch - vollen Festlichkeiten, bei welchen Liebeslust mit den Schauern des Todes sich mengte. Moloch, der Feuergott, Astarte, die Göttin der verderblichen Naturkraft, des Todes und Krieges, beide die schauerlichsten Götzen, welche die Phantasie des Menschen jemals zu ersinnen vermochte, empfingen in ihren rauchgeschwärzten Haupttempeln die oft sehr zahlreichen Kriegsgefangenen zum qualvollen Feuertode.

231Beirut.

Zu gleicher Zeit aber erklang im lichtvollen Wunderbau des salomonischen Tempels zu Jerusalem der feierliche Choral zur Weihe Jehovah’s, des Einen wahren Gottes der Liebe und Barmherzigkeit! Von Tyrus entstammte die schöne Prin - zessin Dido, die geniale und vielbesungene Gründerin Karthagos. Da wälzte im VI. Jahrhundert v. Chr. Nabukadnezar, der babylonische König, seine enormen Heeresmassen nach Israel, Juda, Phönikien und Jerusalem, Sidon, Tyrus, letzteres nach 13jähriger Belagerung, verfallen insgesammt der Zerstörung. Mit den Residenzen theilten Tripolis, Berytos (das heutige Beirut) und andere blühende Städte das gleiche Schicksal.

Aus der Verwüstung erstehen neue Wohnsitze, aber auch diese werden zwei Jahrhunderte später durch den Perserkönig Artaxerxes III. und durch Alexander den Grossen vernichtet.

Sidon (Saïda) spielte noch während der Kreuzzüge eine Rolle, allein heute erinnert nichts mehr an den unvergleichlichen Glanz seiner Vergangenheit.

Tyrus, das heutige Sur, war aber für ewige Zeiten untergegangen, wie Babylon und Ninive, deren gigantische Ruinenfelder das Geheimniss der Vergan - genheit hüten. So fielen auch Baalbeck (Heliopolis) auf der Wasserscheide zwischen Orontes und Leontes und sein weltberühmter Sonnentempel in Schutt und Asche, um nie mehr aufzuerstehen.

Der Vernichtung einer ganzen Culturwelt folgten neue Schöpfungen, die unter der Gunst der Lage und des natürlichen Bodenreichthums erblühten. Seleukos Nikator war 300 v. Chr. der Begründer des prächtigen Antiochia im Orontesthale, der Hauptstadt Syriens und des grossen Reiches der Seleukiden. Fünfzehn Jahrhunderte lang behauptete die mächtige Residenz Ruhm und Glanz, besonders zur römischen Kaiserzeit, in welcher Antiochia zu einer Bevölkerungs - zahl von 500.000 Einwohnern anwuchs. Berühmt durch die Pflege antiker theolo - gischer Wissenschaften, war die Stadt auch Sitz mehrerer Kirchenversammlungen.

Auch diese Stätte des Reichthums und der Kunst versank unter dem An - sturm der Feinde. Die Perser (541 n. Chr.), die Saracenen, die Kreuzfahrer (1098), dann neuerdings die Saracenen (1269), welche auch ganz Palästina unterjochten, hatten den Untergang Antiochias besiegelt, und die Osmanen, die im XVI. Jahr - hundert hier zur Herrschaft gelangten, hatten der Vernichtung nicht vorgebeugt.

Das heutige Antakijeh, eine Stadt von etwa 20.000 Einwohnern, inmitten eines riesigen Ruinenfeldes, zeigt uns den Ort, wo einst die herrliche Königin des Ostens, Antiochia Epidaphnes, sich erhob.

Aus der ältesten Zeit vererbte sich der schon zu Salomon’s Regierung ge - nannte Name Damaskus unverändert auf die Gegenwart. Die in einem fruchtbaren Thale glücklich gelegene Stadt erhob sich stets verjüngt aus hundert Stürmen zu einer höheren Blüthe und mit Recht ist sie von den Morgenländern als die paradiesduftige , als das Muttermal an der Wange der Welt und als das schönste der irdischen Paradiese gelobt. Dagegen bedeckt die Stätte der in völlig mythischem Ruf bekannten Palmenstadt Tadmor (Palmyra) seit mehr als einem Jahrtausend ein weites Trümmerfeld, das neuerer Zeit die Aufmerksamkeit der Archäologen auf sich gelenkt hat.

Unter der türkischen Herrschaft lebten an Stelle der zu Grunde gegangenen Emporien andere Städte auf, die, wenngleich sie den Glanz und die Grösse der ersteren zu erreichen nicht im Stande waren,232Das Mittelmeerbecken.immerhin von hoher Bedeutung im Verkehrs - und Culturleben der Gegen - wart sind und eine nähere Beachtung an dieser Stelle rechtfertigen.

Zu diesen Städten zählten neben Damaskus noch Aleppo (Haleb) und Beirut, die wichtigste an der ganzen syrischen Küste und zu - gleich Hafenstadt von Damaskus.

Berytus, die Brunnen , jetzt Beirut, hatte in der phönikischen Zeit keine besondere Bedeutung. Gleich allen anderen Städten Phö - nikiens nimmt sie ein hohes Alter für sich in Anspruch. Um 140 v. Chr. wurde sie von den Feinden, 528 n. Chr. durch ein grosses Erdbeben zerstört. Augustus hatte sie zur Militärcolonie und zum Hafen von Damaskus gemacht, damals war sie eine unbedeutende Ortschaft. Erst im Beginne der Kreuzzüge wurde Beirut wieder zu einer blühen - den Handelsstadt, eine Station der Venetianer und Marseiller, die sich auch als muhammedanische Stadt, deren frühere christliche Bewohner meist nach Cypern geflohen waren, trotz vieler vernichtender Schläge behauptete, weil sie für Damaskus der am nächsten gelegene See - hafen war.

In den letzten 30 Jahren erwuchs sie zu einer ungeahnten Be - deutung. Keine grössere Stadt des türkischen Orientes hat in den letzten Jahrzehnten eine so rasche Zunahme der Bevölkerung und der Verkehrsbeziehungen aufzuweisen, wie Beirut. In den Sechziger - jahren zählte die Stadt nur etwa 25.000 Einwohner. Sie verdankt ihr rasches Anwachsen zunächst einem traurigen Ereignisse, der Christen - verfolgung in Damaskus im Jahre 1860. Die Christen flüchteten aus dem Innern Syriens in grosser Zahl nach Beirut und die Ein - wohnerzahl der Stadt stieg bis auf 120.000. In demselben Jahre wurde von Franzosen die Strasse von Beirut nach Damaskus gebaut. Jetzt mag Beirut 85.000 Einwohner haben. Von diesen sind die Hälfte Griechen.

Wir schalten nun hier wieder eine reiche Folge anmuthiger und fesselnder Schilderungen von Beirut und Damaskus aus den Reiseerinnerungen Ihrer kaiserlichen und königlichen Ho - heit der durchlauchtigsten Frau Kronprinzessin Erzherzo - gin Stephanie ein, deren meisterhafte Darstellung uns Land und Leute in anschaulicher Plastik vorführt.

Die syrische Küste war (am 3. März 1885) bei Morgengrauen in Sicht gekommen; die kaiserliche Yacht steuerte gegen Beirut.

Das Tagebuch Ihrer kaiserlichen Hoheit widmet den auf syri - schen Boden empfundenen Eindrücken die nachfolgenden farbenschö - nen Partien:

233Beirut.

3. März. Seit dem verflossenen Jahre, als ich zum erstenmale asiatischen Boden betreten hatte, zog es mich mächtig nach dem Orient hin. Nun konnte ich mich einer kaum zu beschreibenden Freude hingeben, denn in wenigen Augenblicken sollte mein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen.

Herrlicher Sonnenschein, tiefblauer Himmel, warmes Wetter, spiegelglatte See erwarteten mich am Verdeck. Die Sonne beleuchtete mit ihren ersten Strahlen die Gebirgskette des Libanon, dessen höchste Spitzen, Djebel Makmal und Sannin, noch mit Schnee bedeckt waren. In duftigen Nebelschleier gehüllt, begrüssen uns die Minarets von

Beirut.

Beirut; erst als wir auf der Rhede angelangt waren und vor Anker gegangen, lichtete sich der Nebel, um uns ein herrliches Panorama zu enthüllen. In prachtvoller Lage unmittelbar am Meeresufer zu Füssen des Libanon amphitheatrisch an einem Bergeshange aufgebaut, dehnt sich die dichte malerische Häusermasse der Stadt aus und bietet unserem Auge ein überaus fesselndes Bild. Schlanke Minarets, echt orientalische Dörfer mit runden Kuppeldächern, schöne Palmen, villen - artige Gebäude, von blühenden Gärten umringt, unterbrechen das gelbliche sandige Gestade der weiten Einbuchtung nördlich der Stadt.

Bald nach unserer Ankunft umgaben zahlreiche türkische und arabische Boote, deren Insassen uns ihre Waaren feilboten, unser Schiff. Nach beendetem Frühstück kam der Consul Herr Schulz anDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 30234Das Mittelmeerbecken.Bord und um Uhr bestiegen wir unser Boot, um die Stadt zu besuchen; bald hatten wir den Molo erreicht. Zwei verfallene Thürme, auf vorspringende Felsen gebaut, erheben sich am Eingang des alten, nur für Boote zugänglichen Hafens. Am Landungsplatz umringt uns eine bunte Menschenmenge; türkische Truppen sind aufgestellt, der Generalmarsch wird geblasen und ins Gewehr getreten. Nun gingen wir einige steile Stufen hinauf, durch ein altes Thor in die erste Gasse und befanden uns inmitten der Stadt, umgeben von dem anziehenden, malerischen, echt orientalischen Leben und Treiben, welches Einige von uns schon kannten, während die Anderen entzückt, aber doch erstaunt die wunderbare Welt des Ostens betrachteten, besonders als wir den Bazar durchschritten. Näselnde Derwische, feilschende Käufer und Verkäufer in weiten Gewändern und bunten Turbanen, heulende herrenlose Hunde, arabische Pferde, schwerbeladene Kameel - und Maulthierkarawanen, Gesang, Geschrei, pechschwarze Neger, ver - schleierte Frauen, viele Krüppel und Bettler, verschiedenartiges Völker - gemisch, und das Alles übergossen von dem zauberhaft klaren Lichte der Sonne des Südens, umgeben von der Vegetation des Ostens in einem prächtigen Klima; das sind Bilder, wie sie nur der wahre Orient in seiner malerischen Unordnung hervorbringen kann. Nach der Be - sichtigung des Bazars unternahmen wir eine Fahrt zwischen Gärten und dichten Hecken, Landhäusern und Feldern nach dem durch seine Vegetation berühmten, am steilen Ufer eines Gebirgsflüsschens am Fusse der Vorberge gelegenen Garten Rustem Pascha’s.

Mit einem Umweg durch einen hübschen Pinienwald, dessen dunkles Grün herrlich absticht von den röthlich-gelben Sanddünen, gelangten wir wieder in die Stadt und besuchten noch einen im Christenviertel, nahe der amerikanischen Schule gelegenen Aussichts - punkt.

Der Nachmittag ward zu einem zweiten Ausfluge benützt. Auf der kurzen Strecke vom Schiffe zum Lande hatten wir mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen; die Fahrt war keine der ruhigsten. An der syrischen Küste pflegt bei schönem Wetter der imbatto (Seebrise) sich zu erheben, den wir auch kennen lernen sollten.

Unsere Matrosen zeichneten sich durch unermüdliches Rudern, grosse Ausdauer und Geschicklichkeit aus. Das Boot wurde von den Wellen erfasst, welche es einen Moment hoch emporhoben, um es im nächsten tief hinabzuschleudern. Nun hatten wir nach all dem Drang - sal das Ufer erreicht, bestiegen die Wägen, und nochmals die Stadt235Beirut.durchfahrend, rollten wir dann inmitten reizender Gartenlandschaften durch einige maronitisch-christliche Ortschaften, die sich sehr pitto - resk am Fusse der Berge bis unmittelbar an die Dünen des Meeres - ufers hinziehen. In Ab-Lias angelangt, an der Mündung des Nahr - el-Eb, gingen wir am Strand spazieren; der starke Wellenschlag daselbst fordert völlig zu einem Vergleich mit den Dünen der Nord - see und des Atlantischen Oceans heraus. Für einen Badeort wäre hier der geeignetste Platz.

Wir sammelten Muscheln und ich erkannte dieselben Gattungen, welche ich schon an der belgischen Küste gefunden hatte. Ich glaubte mich dorthin versetzt, als eine Gruppe Kameele, von Arabern geführt, durch den Sand einherziehend, mich erinnerte, dass ich in Syrien mich befände. Einem der Führer liessen wir ein Backschisch reichen, damit er das Schiff der Wüste‘ in Trab versetze, doch diese Bewe - gung schien das Thier sichtlich unangenehm zu berühren. Während der Heimfahrt durch die von den Strahlen der untergehenden Sonne in schöne Farben getauchten Gegend genossen wir die milde, aromatische Abendluft und ergötzten uns an dem lebhaften Menschengewoge in den Strassen von Beirut .....

Die nächsten Tage waren einer Reise nach Damaskus ge - widmet. Hierüber enthält das Tagebuch Ihrer kaiserlichen Hoheit die nachfolgenden interessanten Erinnerungen:

4. März. Um 7 Uhr setzte sich die kleine, aus sympathi - schen Elementen zusammengesetzte Reisegesellschaft in Bewegung. Der herrlichste Frühjahrsmorgen entfaltete bald alle seine Reize, denn zu - sehends sank der dichte Nebel, der die Gipfel des Libanon umhüllte. Nun stieg goldig die siegreiche Morgensonne am wolkenlosen Himmel empor. In Beirut angelangt, benützten wir die guten Wagen und Pferde der französischen Libanon-Diligence-Gesellschaft, mit welchen wir die zweitägige Fahrt nach Damaskus antraten. Zwischen von Cacteenhecken umsäumten Feldern, an vielen grünenden Gärten und aus - gedehnten Maulbeerpflanzungen vorbei, deren Eintönigkeit hohe Pal - men wohlthuend unterbrechen, wendet sich der Weg durch einen Pi - nienwald dem Gebirge zu. Auf der Strasse ist die Garnison von Beirut aufgestellt, welche unter den Klängen des türkischen Marsches die Ehrenbezeigungen leistet. Die bis zum Fusse des Libanon mitge - kommene reguläre Cavallerie bleibt hier zurück, und dann bilden Li - banon-Zaptiehs die Escorte.

Unseren Blicken entschwindet nach einigen Minuten das culti - virte Land, an dessen Stelle tritt eine steinige Einöde, von Zeit zu30*236Das Mittelmeerbecken.Zeit unterbrochen durch tiefliegende Thäler, deren reizende Landschaften hier unser Auge doppelt erfreuen und überraschen. Zwischen diesen grossartigen Felsmassen erwartet man nicht, belebte, meist von Maro - niten bewohnte Dörfer zu sehen, vor denen sich grüne Matten er - strecken, durchzogen von sprudelnden Gebirgsbächen. Der Gouverneur des Libanon scheint grosse Summen auf die Instandhaltung der Strasse zu verwenden, denn letztere ist trotz der grossen Schwierigkeiten, welche das steinige Terrain verursacht, mit vieler Sorgfalt gehalten. Für den Handel ist sie sehr wichtig als eines der wenigen Verkehrs - mittel zwischen den syrischen Hafenstädten und Damaskus.

Nach den ersten Stationen, wo wir uns nur kurz aufhielten, um Pferde zu wechseln oder sie ausruhen zu lassen, entfaltete sich das Panorama bei jeder Biegung des immer mehr ansteigenden Weges herrlicher. Tief unten schimmerte uns das blaue Meer und Beirut ent - gegen, umsäumt von den im Nebel fast verschwindenden Ufern. Nach einer fünfstündigen Fahrt liess uns der treffliche Reiseunternehmer Howard an einem schönen Anssichtspunkte halten, um das gut be - reitete Frühstück serviren zu lassen, welches wir in einem Zelte ein - nahmen.

Bald wurde aufgebrochen; wir nähern uns grossen Schneefel - dern, die sich bis hart an die Strasse erstrecken, welche ziemlich einsam ist. Nur selten ziehen schwer beladene Maulthier - und Kameel - karawanen, gewöhnlich von Maroniten geführt und bewacht, an uns vor - über. Diese Einwohner des Libanon sind Christen und gehören der katho - lischen Kirche an. Eigenthümlich ist es, bei diesen in orientalischer Tracht gekleideten Leuten blonde Haare, blaue Augen, gerade Züge und trotzdem auffallend semitischen Ausdruck zu finden. Ihre Sprache ist gegenwärtig die arabische, denn die maronitische ist nur mehr in Kirchenbüchern anzutreffen. Mit den Drusen und Metualis bilden die Maroniten die einzige Bevölkerung des Libanon, sind aber harmloser als die ersteren, deren wildes Wesen allgemein gefürchtet ist.

Wir hatten kaum den Kamm des Gebirges erreicht, als plötz - lich eine interessante Erscheinung auftauchte. An uns vorbei schreitet eine hohe Gestalt mit majestätisch erhobenem Kopfe, dessen wunder - bare Züge uns mächtig anziehen. Man liest die Verachtung darin, welcher der Träger derselben gegen die Christen hegt; aus dem düsteren Ausdruck der dunklen Augen leuchtet der Fanatismus des eingefleischten Moslims entgegen. Es ist Scheich Sali, ein frommer Derwisch aus Damaskus, welcher im Jahre 1877 in den Reihen seiner Glaubensgenossen tapfer gegen die Russen kämpfte.

237Beirut.

Jetzt hatten wir die Passhöhe erreicht und befanden uns 1780 m über der Meeresfläche. Von hier überblickten wir den zurück - gelegten Weg. Nach einer starken Wendung zwischen schön geformten Felsen entrollte sich unserem erstaunten Blick ein neues wunderbares Bild. Zu unseren Füssen liegt das fruchtbare breite Thal der Bekaa, begrenzt von den Gebirgszügen des Anti-Libanon, überragt von der grandiosen Gebirgsmasse des schneebedeckten Hermon. Zwischen nie - deren Gebüschen, kleinen Laubwäldern rollen wir den grünen Fluren des Thales entgegen, welches uns in dieser Steinwüste wie eine Oase er - scheint und das wir um 5 Uhr Nachmittags erreichen. Die Zelte, welche uns zum Nachtlager dienen sollten, waren schon aufgeschlagen. Nun ver - liessen wir nach vielen Stunden die Wagen und begaben uns in das Lager.

Wir hofften, uns in den Zelten erholen zu können, fanden aber darin die Temperatur so hoch, dass wir es vorzogen, im Freien zu verweilen. Mein Zeichenbuch war rasch zur Hand. Im Schatten eines Zeltes mich bequem einrichtend, begann ich die malerischen Punkte der schönen Gegend aufzunehmen. Eingeschlossen zwischen den in prächtigsten Farbentönen prangenden Felswänden der mäch - tigen Gebirgszüge, die in die tiefe Bläue des Himmels hineinleuchten, bot die mit dem saftigen Grün frisch keimender Saat geschmückte Ebene ein eigenartiges, überaus fesselndes Bild dar.

Die Herren benützten den schönen Abend, um eine Streifung in die nächste Nähe zu machen, wobei Rudolf einen Geier erlegte. Wir Damen unterhielten uns während dieser Zeit, dem Treiben um unsere Zelte zuzusehen; von den umliegenden Ortschaften hatten sich einige Araber mit ihren Familien angesammelt. Wir fühlten uns voll - kommen sicher, da unsere Escorte, die Tscherkessen, welche zur Wache aufgestellt waren, uns vor jeder Zudringlichkeit schützten. Es sind meist hohe schöne Männergestalten, vollkommen bewaffnet; zum grossen Theile stammen diese Leute, die in Syrien sich angesiedelt haben, aus der Dobrudscha und aus Bulgarien.

Sobald die Sonne hinter den Bergen im Westen verschwunden war, tauchten die Reflexe ihrer Strahlen die Bergspitzen in so dunkles Roth, wie ich es bei dem Alpenglühen in unseren Heimatsgegenden nie so intensiv gesehen hatte. Die Dämmerung und die rasch zuneh - mende Kühle zwangen uns, den Schutz der gut eingerichteten Zelte aufzusuchen, in welchen wir bald das Diner einnahmen, wobei es sehr lustig zuging. Die Zusammenstellung des Menu war für die dortigen Verhältnisse und die grosse Entfernung von jeder Stadt ganz bewun - derungswürdig. Howard hatte das Unglaublichste geleistet. Wir liessen238Das Mittelmeerbecken.es uns gut schmecken, umsomehr als unser Appetit durch den viel - stündigen Aufenthalt in der Bergesluft sich sehr geschärft hatte. Um uns einen Begriff von der Weincultur des Libanon zu geben, hatte der eingeladene Ingenieur Pschara Effendi ausgezeichneten Vin d’or‘ serviren lassen. Nach beendeter Mahlzeit gingen wir alle in ein als Rauchsalon eingerichtetes Zelt, um gemeinsam zu dampfen. Alle er - denklichen Rauchrequisiten waren aufgestellt; auch ein Nargileh wurde versucht. Später ward bei Fackelbeleuchtung ein eigenthümliches Spiel aufgeführt. Zwei Türken tanzten auf die graziöseste Weise, indem sie mit ihren Säbeln die merkwürdigsten Figuren hervorbrachten. Mit eintretender Dunkelheit wurde es in unserem Lager ruhiger. Die Stille der mondhellen Nacht unterbrach nur hin und wieder das Wiehern der Pferde und das Heulen der Schakale.

5. März. Freudig begrüssten wir den wiederkehrenden Tag. Als wir erwachten, herrschte eisige Kälte. Frierend beendeten wir unsere Toilette, um in Pelzen zu frühstücken. Um 7 Uhr wurde die Weiterreise bei starkem Wind und umwölktem Himmel fortgesetzt. Der Nahr el Litany, der Lcontes der Alten, wurde überschritten und jetzt galt es, den Anti-Libanon zu erklimmen, der jedoch weit weniger Schwierigkeiten bietet als sein höherer Vorgänger. An mehreren ma - ronitischen Klöstern und Grabstätten vorbei zieht sich der Weg durch die öden wilden Pässe des Anti-Libanon hin; nur spärliches Grün gedeiht auf den gelbbraunen Felsen. Auch hier überholen wir Ka - meelkarawanen, welche auf schmalem Pfade neben der Strasse in lan - gen Reihen dahinziehen. Diesmal sind es Drusen, welche sie begleiten und durch ihre grossen weissen Turbane auffallen. Die Gegend wird einsam, nur in den kleinen Stationen Citernes, Khân Dimâs, in wel - chen wir kurzen Aufenthalt nehmen, herrscht einiges Leben und Be - wegung. Endlich als wir den gut gewählten Frühstücksplatz Khân Meitheloûn erreicht hatten, war die Sonne aus dem Kampfe mit dem Nebel und den Wolken siegreich hervorgetreten und senkte ihre Strahlen unbarmherzig auf uns herab. Es that uns wohl, aus der Hitze in einen Engpass zu gelangen, dessen hohe Wände der Sonne nur selten Einlass gewährten. Während der ersten Nachmittagsstunden durcheilen wir das Hochplateau von Sahra, von wo aus wir in der Ferne die Wüstengebirge mit ihren eigenthümlich grellen Farben er - blicken. Die Glut, mit welcher die Sonne während der mittleren Tagesstunden auf die schattenlose Strasse niederbrannte, und das blendende Licht, welches der gelbliche Kalkstein zurückstrahlt, wirkte ermüdend und einschläfernd auf einige unserer Reisegefährten.

239Beirut.

An die Hochebene schliesst sich ein tiefes Thal, begrenzt von lothrechten Felsen; ein rauschender Bach durchschneidet mit seinem klaren Gewässer die grünen Wiesen üppigster Vegetation. Es ist der Barada, der im Gegensatze zu den meisten Flüssen des Orients nie versiegt; er bildet in seinem reissenden Lauf viele kleine Wasserfälle. Dem Flusse folgend, gelangen wir zum Dorfe Damar, dessen Lage bezaubernd ist. Einen besonderen Reiz gewähren die mit Schling - pflanzen bedeckten Landhäuser, welche inmitten blumenreicher Gärten stehen. Die Schlucht, welche das Thal abschliesst, und die öden Wüstengebirge verlassend, gelangen wir in die weite Ebene, von wel - cher wir ein wunderbares Bild vor Augen haben. Ein blühender Wall von Obstbäumen verbirgt uns noch die vielgepriesene Stadt. Aus dem goldigen Duft, welcher darüber liegt, ragen die vielen schlanken Minarets und die Kuppeln der Moscheen, welche uns die Nähe von Damaskus verkünden. Mit Recht nennt der begeisterte Dichter diese Stadt die Perle des Orients‘. Nun durchfahren wir den Wald, der leider noch nicht in seiner vollen Schönheit prangt, denn noch fehlt den Bäumen der Schmuck des Laubes, aber aus dem dunklen Geäste schimmern die Tausend und aber Tausend rosigen Blüthen der Aprikosen, gemengt mit jenen der Mandelbäume. Je mehr wir uns der Stadt näherten, desto belebter wurde die Strasse, auf welcher eine bunte Menschenmenge wogte. Equipagen rollen an uns vorüber, Reiter tummeln sich auf prächtigen Pferden und zahllose Fussgänger, Männer wie Frauen, umgeben unsere Wägen und scheinen sich, an den Ufern des Barada promenirend, des heiteren schönen Abends zu erfreuen.

Gegen 5 Uhr, an aufgestellten Truppen vorbei, durch das lär - mende Gewühl der Menschenschaar hindurch, überschreiten wir den Fluss und erreichen nach zweitägiger Fahrt unser Quartier, das Hôtel Victoria, dessen Besitzer Pietro Paulovich aus Macarsca in Dalmatien gebürtig ist. Das Hôtel ist ein einfaches, sauber gehaltenes zwei - stöckiges Gebäude, welches bequeme Räumlichkeiten hat, darunter einen grossen Saal, den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Gäste. Von diesem gelangt man auf einen Balcon, wo wir uns am ersten Abend aufhielten, um das Leben auf Strasse und Brücke zu beobachten, während die Herren noch einen Rundgang durch die Stadt machten. Unter unseren Fenstern wogte und lärmte ein buntes Durcheinander von Menschen verschiedener Nationen und Racen, deren fremdartiges Aussehen den Abendländer immer von Neuem anzieht.

So befanden wir uns also in der uralten Stadt Damaskus,240Das Mittelmeerbecken.welche ihren Namen von einem assyrischen König erhalten haben soll. Erst im Jahre 64 v. Chr. kam sie unter römische Herrschaft, bald darauf erfolgte innerhalb ihrer Mauern die Bekehrung des Apostels Paulus. Zur grössten Blüthe gelangte die Stadt unter der Regierung Moawiah’s, welcher Kunst und Wissenschaften lebhaft unterstützte und den Handel derart hob, dass durch ihn viel Reichthum in das Land gelangte. 1401 eroberte sie Timur Lenk, der grausame Mongolenfürst. und liess sie zum grössten Theile zerstören. Die Türken gewannen Damaskus im Jahre 1516 und behielten es bis auf die kurze Zeit von acht Jahren, während welcher Ibrahim Pascha es in seiner Ge - walt hatte.

Um 7 Uhr nahmen wir das Diner in animirtester Stimmung ein. Consul Bertrand war auch eingeladen und erklärte uns alle landes - üblichen Gebräuche. Wir besichtigten die von Kaufleuten gebrachten Geräthschaften und wählten einige schöne Stücke.

6. März. Der 6. März, ein Freitag, welcher von den Mohammedanern als ihr Sonntag gefeiert wird, brachte uns warmes Wetter; aber schwere Wolken, deren baldiger Ausbruch zu befürchten war, jagten, durch den seit den Morgenstunden herrschenden Wind getrieben, dahin. Dieser Umstand verhinderte die Muselmänner nicht, um allerwärts in bunten Gruppen durch die Strassen zu wandern oder vor ihren Häusern Platz zu nehmen, wozu die hin und wieder zum Vorschein kommenden Sonnenstrahlen einluden.

Nach gemeinschaftlichem Frühstück wurde eine Fahrt durch die Vorstadt Sabahijeh zum arabischen Friedhof unternommen. Zwi - schen armseligen Häusern und einigen Gärten gelangten wir in das öde Gebiet der steil abfallenden Wüstengebirge. Lohnend für die Mühe des schlechten Weges ist der prachtvolle Blick auf die im Golde der Sonne glänzenden Zinnen und Kuppeln der unvergesslichen Stadt. Von dieser Anhöhe gesehen, begreift man, dass den Arabern Damaskus als das Paradies auf Erden dünkt. Einige bunt durch - einandergeworfene beturbante Grabsteine mit ihren Vergoldungen bil - den die Staffage. Zu unseren Füssen aber dehnt sich die Metropole innerasiatischen Lebens aus, deren Häusermeer schöne Moscheen, ele - gante Minarets, winkende Palmen zieren und deren orientalischer Charakter durch keine europäische Niederlassung gestört wird. Ein zarter grüner Schimmer umgibt die eminente Karawanenstadt; tausende von Aprikosen -, Mandel -, Pflaumen - und Kirschbäumen prangen im vollen Blüthenschmucke. Eine ungeheure Ebene, welche bis zu den Gestaden des Euphrat reicht, erstreckt sich jenseits der Stadt. Im241Beirut.Norden hingegen erhebt sich die Bergkette des Haurangebietes, be - rüchtigt durch seine Beduinenstämme. Auch diese eigenthümliche Landschaft besitzt einen unbeschreiblichen Farbenzauber.

Nun kehren wir zur Stadt zurück, die einzelnen Viertel zu be - sichtigen. Der erste Gang gilt dem Bazar, welcher den inneren Theil derselben bildet. Obwohl er im Wesentlichen denen aller orientalischen Städte gleicht, übertrifft er sie doch an Ausdehnung und Reichhaltig - keit und gehört unstreitig zu den malerischesten. Die verschiedenen Gewerbe und Fabricate, deren Auswahl grossartig ist, sind in be - stimmte Gassen vertheilt, welche durch riesige alte Holzthore mit antiken Eisenbeschlägen von einander geschieden sind. Die Buden sind schrankartig gebaut, gegen die Gasse zu offen, so dass die Handwerker ihre Arbeiten vor aller Augen verrichten. Die Werkzeuge, deren sie sich dabei bedienen, sind grösstentheils sehr veraltet, desto bewunderungswürdiger ist die Geschicklichkeit, mit der sie dieselben handhaben. Holzgerüste, von denen schwere uralte Teppiche herab - hängen, überdecken die Gassen. Es gibt einen prächtig magischen Effect, wenn ein Sonnenstrahl verstohlen das Dämmerlicht durchdringt und auf den bunten Waaren spielt. Fast alle Völker des Morgenlandes sind hier vertreten und wogen rastlos und geschäftig in den engen Gassen umher. Je weiter wir in diesem Labyrinth von Strassen und Gässchen eindringen, desto dichter wird das Gewühl, so dass wir die interessantesten Typen und verschiedensten Costüme genau beobachten können. Neben einheimischen Arabern sehen wir Türken, Perser, in - dische Pilger, echte Zigeuner, Derwische aus Bagdad, Leute aus Af - ghanistan, Armenier, Kurden, Tscherkessen und Cirkassier, ferner Araber aus Palästina und wundervolle Gestalten aus dem afrikanischen Orient; ausserdem noch viele Mohren, blonde Maroniten mit fast nor - dischem Aussehen, wilde Drusen, ganze Gruppen dunkelfärbiger Be - duinen, jene lebhaften unheimlichen Gesellen aus dem Hauraugebiete und der Umgebung von Damaskus, welche unsere Aufmerksamkeit durch ihre herrlichen biegsamen Gestalten fesseln. Die Entschlossen - heit, die gemessenen Bewegungen, das Selbstbewusstein, mit welchem diese Söhne der Wüste herumwandeln, verleihen ihnen eine gewisse unverkennbare Würde. Die meisten derselben sind hoch gewachsen, hager, aber sehnig und musculös. Ihre schönen regelmässigen Gesichtszüge sind scharf geschnitten und sie wären passende Modelle für Maler zu Christusköpfen.

Durch die breiteren Bazarstrassen schreiten gravitätisch lange Reihen schwer beladener Kameele, eines an das andere gebunden,Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 31242Das Mittelmeerbecken.welche sich mühsam den Weg durch die Menge bahnen, ihr Nahen durch kleine am Hals angeheftete Glocken verkündend. Ohne sich von der lärmenden Umgebung beirren zu lassen, wandeln diese Thiere zu einem der den Bazar umgebenden grossen Khane, wo sie ihre Last ablegen; es sind dies mit aller Pracht arabischer Baukunst ge - schmückte Höfe, welche als Waarenlager dienen. Der schönste, am meisten Interesse bietende ist der Khan Assad Pascha’s. Man gelangt in denselben durch ein reich verziertes Thor, ringsherum sind Galerien, überwölbt von einer von vier Säulen getragenen Kuppel. Die Mitte des Hofes nimmt ein Wasserbassin ein, um welches zwischen den Gruppen eifrig handelnder Geschäftsleute Kameele am Boden lagern, ernste Raucher auf niederen mit Teppichen bedeckten Holzestraden kauern.

Unser Weg führte weiter in die algierische Colonie, wo wir zwei prachtvollen Gestalten begegneten. Sie waren auffallend durch ihre classischen Züge und ihre weissen Gewänder; nachträglich er - fuhren wir, dass es Verbannte seien, welche mit Abd-el-Kader kamen.

Hierauf besuchten wir einige Wohnhäuser, ein christliches Schamie‘, von Maroniten bewohnt, und ein jüdisches Schâmaja‘, dessen Inhaber sich noch nach der alten biblischen Tracht kleiden; die Räumlichkeiten boten aber nichts Bemerkenswerthes. Einige Strassen durchwandernd, an einer kolossalen Platane und an den Stadtmauern vorbei, lenkten wir unsere Schritte dem Hôtel zu.

Nach dem Déjeuner wurden uns zwei Mitbewohner vorgestellt. Zu meiner Ueberraschung war es ein junges belgisches Ehepaar, wel - ches auf der Hochzeitsreise begriffen war. Sie hatten Egypten be - sucht, die Nilfahrt gemacht, waren nach Palästina gekommen und von Jerusalem über Land auf guten Pferden nach Damaskus. Der Gatte ist ein reicher Fabriksbesitzer aus Antwerpen, die jugendliche Frau aus Lessines. Er war mir nicht unbekannt, da ich ihm wäh - rend meiner Reise nach Spanien und Frankreich im Jahre 1874 in Biarritz begegnet war. Ausserdem wohnten noch ein Deutscher aus Leipzig und zwei höfliche Engländer im Hôtel Victoria.

Wir fuhren hierauf abermals in den Bazar, um uns zu der grossen Moschee El Amûjè zu begeben, welche an der Stelle der von Kaiser Heraklius erbauten Kirche St. Johannes des Täufers sich erhebt. Da es eben Sonntag war, bot die Moschee ein sehr bewegtes Bild; wir durchschritten sie schleunigst, um die Gläubigen in ihrer Andacht nicht zu stören, in die sie ganz vertieft waren. Die einen rollten eifrig die Perlen ihrer Gebetschnur zwischen den Fingern, während243Beirut.die anderen aufmerksam den verkündeten Sprüchen des Korans lauschten. Wir gelangten in den viereckigen mit Marmor getäfelten Hof; die ihn umgebenden Arcaden sind zum Theil von korinthischen Säulen, zum Theil nur von Pfeilern getragen. Einige Indier hockten in den Ecken des länglichen Hofes. Während die Herren sich bei den Dreh-Derwischen aufhielten, gingen wir Damen nochmals durch den Bazar und zum Hôtel zurück, wo sich alle um 7 Uhr zum Diner einfanden.

Nach demselben harrte unser ein ganz besonderes Schauspiel, welches einigen der Mitreisenden Grauen einflösste. Es traten in unseren Kreis einige Türken, bekannt als Feuer - und Schlangenfresser und Schlangenbändiger. Zur Production entledigten sie sich der Ober - kleider. Sie hatten eigenthümliche, lang zugespitzte Waffen mit einem Kolben am Ende, welche sie sich durch Magen, Wangen und Brust stiessen. Nach dem Experimente des Durchstechens der Wange steckten sie zu beiden Seiten des Spiesses brennende Kerzen. Nun legte sich der eine mit dem Magen auf die Schneide eines krummen Schwertes, während der andere sich auf dessen Rücken stellte. Einige der Waffen erwarben wir als Erinnerung an die schaurige Stunde. Jetzt kam die Reihe an die Schlangenfresser. Die Schlangen wurden entzweigeschnitten und die noch zuckenden Stücke unter Beschwörungsformeln in den Mund gesteckt. Unter Krämpfen und Zittern des ganzen Körpers würgten und zerbissen sie die einzelnen Stücke, so dass die Fetzen der Haut zu beiden Seiten des Mundes herunterhingen. Der Anführer blies einige Schlangenfresser unter Gemurmel an, worauf sie sich beruhigten. Einige steckten auch glühende Kohlen in den Mund und behielten sie bis zum Erlöschen. Mit diesen unglaublichen Kunst - stücken beendeten sie ihre unvergesslichen Productionen.

Um 9 Uhr fuhren wir bei herrlichem Mondschein und funkeln - dem Sternenhimmel durch die schlummernden Strassen des finsteren Bazars, dessen einzelne Abtheilungen während der Nacht durch rie - sige Thore geschlossen werden. Unheimliche Stille herrschte darin, nur zeitweise unterbrochen durch das Geheul der herrenlosen Hunde. Die Wächter, die in diesen Gängen sich bewegen, sind die einzigen Menschen, denen man zu so später Stunde hier begegnet. Nach drei - viertelstündiger Fahrt hatten wir das christlich-orientalische Haus des österreichisch-ungarischen Consuls erreicht, in welchem ein von ihm inscenirtes Fest stattfand. Bei demselben tanzten Frauen ganz eigen - thümliche Tänze unter Begleitung von näselndem Gesang und ganz urwüchsigen Instrumenten. Gegen 11 Uhr verabschiedeten wir uns und31*244Das Mittelmeerbecken.traten den Heimweg an. Dieser Tag endete so schön als er begonnen hatte, mit einer Fülle herrlicher Eindrücke.

7. März. Die Stunden bis zu dem Diner benützten die Herren zu einem Jagdausfluge, bei welchem sie von dem Wetter sehr begünstigt waren. Wir Damen und einige der Herren als Begleitung setzten die Besichtigung der Stadt fort. Zuerst frühstückten wir ge - meinsam, dann beschäftigte sich jeder auf seine Art. Die Corre - spondenzen wurden erledigt, jedoch mit vielen Unterbrechungen und Zerstreuungen. Wir wurden dann auf den Balcon gerufen, um die vor - überziehenden zwei Beduinenstämme zu sehen, welche eigens aus ihrer Heimat gekommen waren. Auf kleinen, mageren, aber schnellen Pfer - den waren sie beritten und begannen nun eine Phantasia‘ aufzuführen, welche allmälig einen leidenschaftlichen Charakter annahm. Während sie gegen einander anrückten, stürzte plötzlich einer ihrer Anführer und kurz darauf fiel ein Pistolenschuss. Dies genügte, um unter ihnen einen lebhaften Streit anzufachen, welcher gewiss ernste Folgen nach ich gezogen hätte, wenn nicht türkische Soldaten und Polizisten ein - geschritten wären. Bei dergleichen Kampfspielen entwickeln Reiter und Pferde eine bewunderungswürdige Geschicklichkeit. Im tollsten Kampfe, von Zeit zu Zeit Schreie ausstossend, jagt einer von dem anderen verfolgt über die unebene Fläche, durch kühne Manöver dem nahenden Feinde ausweichend, ohne die Gangart des Pferdes zu mässigen. Die Flinte von der Schulter reissend, um sie auf den Ver - folgenden abzufeuern, aber von diesem eingeholt, wendet er sein Pferd auf dem Fleck und greift nun seinerseits den Gegner an. Dann trennen und ordnen sich die Reiter und von neuem beginnt das kühne Spiel. Es war ein Vergnügen, die schönen Pferde zu beobachten, wie sie schnaubend und mit weit geöffneten Nüstern dahinflogen. Die Klei - dung dieser Beduinen besteht meistens in einem grauen, blauen oder weissen Untergewande, das bis über die Knie reichend, in der Taille durch einen Ledergurt gehalten wird und weite, lang herabhängende Aermel hat. Bei dem Anführer ist dieses Gewand roth und weiss. Darüber kommt eine Art Burnus, Abâje‘ genannt, welche aus wolle - nem, meist weiss und braun gestreiftem Zeug gefertigt und mit Ka - puze versehen ist. Auf dem Kopfe ist ein einfaches dunkelfärbiges, gelbes oder braunes Tuch, Kuffieh‘, geworfen, welches mit einer dop - pelten Schnur aus Kameelhaaren befestigt wird und die ernsten Ge - sichter trefflich kleidet. Bewaffnet sind diese stets kampfbereiten Söhne der Wüste mit einer langen Lanze, die sie mit ausserordentlicher Ge - schicklichkeit, während sie im Galopp umhersausen, zu handhaben245Beirut.wissen. Der Schaft der Lanze besteht aus Rohr, unterhalb der Stahl - spitze ist ein dickes Büschel Straussenfedern angebracht. Ausserdem tragen sie noch einen Säbel sowie Pistolen und Dolchmesser im Gürtel.

Rings um die Moschee, auch Omniadenmoschee genannt, ver - zweigt sich das Gassennetz des Bazarviertels, welches wir gegen 10 Uhr durchwanderten, um an unser Ziel zu gelangen. An diese Moschee, die grösste von Damaskus, schliessen sich drei Minarets von verschiedenem Style an, deren ältestes durch den Khalifen Welid errichtet worden ist. Das Thor, welches den Eingang bildet, ist wun - dervoll und deutet auf eine einstige Blüthe der Baukunst, von der leider wenig mehr geblieben ist. Hier erschien der Aufseher mit den vorschriftsmässigen Pantoffeln, ohne welche man den geheiligten Raum nicht betreten darf. So ausgerüstet, gingen wir zwei Reihen antiker Säulen entlang, welche drei Schiffe bilden, immer auf den über die Marmorfliesen ausgebreiteten kostbaren alten Teppichen. Viele Lampen hängen herab und an den Wänden bemerken wir mit grossen Buch - staben bezeichnet die Namen der vier ersten Khalifen, ferner Koran - sprüche, die an den drei Seiten und den Knäufen der Säulen ange - bracht sind. An der südlichen Mauer zeigt uns eine Reihe hoher Rundbogenfenster schöne Glasmalereien. Unmittelbar darunter sind in der Richtung gegen Mekka Gebetnischen angebracht. In einem der Seitenschiffe erhebt sich ein hölzernes vergoldetes Kuppelgebäude, in welchem sich das Haupt Johannes des Täufers befinden soll; über der Kuppel prangt ein goldener Halbmond. In der Nähe macht sich eine schöne Kanzel bemerkbar. Einen Blick werfen wir noch in den Hof, wo nur wenig Menschen, meistens Krüppel und Kranke, sich bewegen. Das Gebethaus verlassend, durchschreiten wir den Schreiner - bazar mit seinen mit Perlmutter eingelegten Holzarbeiten, an dessen Ende sich das schönste alterthümliche dreitheilige Thor Bâb Djêrûn‘ befindet. Das Mittelportal ist mit reichen Arabesken geziert. Einige Stufen tiefer ein aus dem Jahre 1020 stammender Springbrunnen mit dichtem Strahl. In der Nähe zeigt man Saladin’s Grab, ein schönes Mausoleum.

Wir wollten Damaskus nicht verlassen, ohne das Innere eines arabischen Privathauses gesehen zu haben. Die fast märchenhafte Pracht wirkt um so überraschender, als sie sich von aussen durch nichts verräth. Von dem Hausherrn freundlich empfangen, folgten wir ihm in einen luftigen, weiten, ganz mit Marmor getäfelten Hof, dessen Anblick meine Erwartungen übertraf. Von den gleichfalls mit weissem Marmor bekleideten Gebäuden, welche den Hof umgeben, strahlte246Das Mittelmeerbecken.uns eine solche Lichtfülle entgegen, dass wir ganz geblendet waren. Es lässt sich kaum etwas Anmuthigeres denken, als dieser Hof, der zugleich der lieblichste Garten ist. Unter dem lachenden tiefblauen Himmel blühten in marmorumrandeten Beeten die farbenreichsten Blu - men, beschatteten fruchtbeladene Citronen - und Orangenbäume munter plätschernde Fontainen und umrankten üppige Schlingpflanzen die lauschigsten Raheplätzchen. Uns Damen war es gestattet, in den Ha - rem einzutreten, in welchem zehn Frauen uns auf das liebenswür - digste empfingen. Das Zimmer, welches sie bewohnen, liegt etwas erhöht über dem Niveau des Hofes, bildet eine hohe geräumige Nische; längs den Wänden sind schwellende Divans angebracht. Wir liessen uns zu kurzer Rast nieder und wurden mit Kaffee, Limonade und Cigaretten, orientalischer Sitte gemäss, bewirthet. Für die Gastfreund - schaft dankend, gingen wir in einen Seitenflügel, dessen Räume leider verfallen sind. Prächtige alte persische Teppiche bedecken den Boden, hochgepolsterte Divans, vor welchen niedere Tische stehen, ziehen sich an den Wänden hin, welche mit arabischen Sprüchen in Marmor - mosaik geschmückt sind. Das Holzwerk der Möbel ist mit Perlmutter ausgelegt. Chinesisches Porzellan, das hier ein sehr beliebter Schmuck zu sein scheint, ziert die Ecken. Ein wundervolles Gemach wurde uns gezeigt, inmitten dessen ein kristallklarer Wasserstrahl in einer Marmorschale spielt. Die Wände sind theils mit bemalter, theils mit vergoldeter Boiserie versehen, der Plafond ist reich cassettirt, gleich - falls mit bunten Farben und Vergoldung geziert.

Von hier aus durchwanderten wir verschiedene sehr belebte Bazarstrassen; an vielen Kaufläden vorüber, bemerken wir auf offenen Tischen die grünlich aussehende Henna‘, womit die arabischen Frauen ihre Fingernägel roth färben. Auch Rosenöl wird in kleinen Fläsch - chen den Vorübergehen feilgeboten. Besonders Nachmittags drängen sich viele Frauen heran, mysteriöse Gestalten, in weisse Tücher ein - gehüllt, den dünnen, geblümten Schleier vor dem Gesichte, aus dem manchmal ein paar grosse, schwarze, feurige Augen mit einem leisen Zug der Wehmuth neugierig hervorschauen. Durch das Getümmel bahnen sich Reiter und Reiterinnen, Träger mit Orangen, Citronen, Datteln, Rosinen, Aprikosen oder mit anderen Erfrischungen den Weg. Sie tragen einen zweihenkligen, weit - oder enghalsigen thönernen Krug oder ein Glasgefäss auf dem Rücken; in den Händen halten sie messingerne Tassen, mit denen sie klappern, dazu rufen sie ihre Waaren aus; zu diesem Lärm gesellt sich noch der näselnde Gesang der Bettler.

247Beirut.

Aus dem Bazar an der alten Citadelle vorüber, gingen wir nach Hause. Wir setzten uns auf den Balcon und bewunderten die Abendbeleuchtung, als plötzlich von den in goldene Glut getauchten Minarets die hohe Stimme der Gebetausrufer zum Glaubensbekenntnisse ertönte. Um 6 Uhr kehrten die Herren zurück, wenig befriedigt von dem jagdlichen Erfolge; jedoch der Ritt und die interessante Gegend hatten ihnen den Mangel an Wild ersetzt.

Nach dem Diner wählten wir zusammen unter den gebrachten Waaren hübsche Gegenstände aus; werthvolle Teppiche, geschmack - volle Goldstickereien, zierlich mit Perlmutter ausgelegte Tischler - arbeiten und graziösen Filigranschmuck. Um 10 Uhr zogen wir uns zurück, während wundervoller Mondschein unser Zimmer erhellte.

8. März. In aller Frühe bei einem wahrhaft magischen Sonnenaufgang weckte uns der Lärm auf der Strasse aus wohlthäti - gem Schlummer. Nach dem Frühstück um 7 Uhr fuhren wir in die Franziskanerkirche, um eine Messe mit Orgelbegleitung zu hören. Nach Beendigung des Gottesdienstes traten wir die Rückreise nach Beirut an. Damaskus zeigte sich heute im vollen Glanze seiner Schön - heit und Grossartigkeit, als wollte es uns den Abschied erschweren. Die milde Luft, der köstliche Duft, der den Blüthen entströmte, die zarte Beleuchtung der hochragenden Minarets, die sich so scharf von dem tiefblauen Himmel abgrenzten, die belebten Gassen, dies alles liess mir einen tiefen, für immer unvergesslichen Eindruck zurück. Meine Blicke verfolgten so lange als möglich die allmälig verschwin - dende Stadt; die paar Tage, welche ich in ihr zugebracht hatte, erschienen mir jetzt so recht wie ein Traum aus Tausend und einer Nacht ....

Nur einen kleinen Abschnitt der Küste Syriens, etwa 350 km, hatten die alten Phönikier in Händen. Auf der ganzen Strecke von der Bai von Alexandrette bis zum Berge Karmell dringen die Rücken mächtiger Bergwälle, der westliche Abfall des Libanon, bis ans Meer vor, und zwischen ihnen sehen wir nur schmale Streifen Landes bogen - förmig gegen die See hin eingebuchtet. Immer wieder erneuert sich dieses Bild. Oft ist längs der Küste nicht Raum für eine Strasse, die Be - wohner der verschiedenen kleinen Ebenen konnten ohne Zeitverlust nur auf dem Seewege mit einander verkehren. Kleine, dem Festlande vorgelagerte Inseln boten ihnen sichere Zufluchtstätten vor den Fein - den, welche durch die flachen Einsenkungen im Kamme des Libanon248Das Mittelmeerbecken.eingedrungen waren. Das Meer war ihr Retter, seine Gestade bildeten in der Folge den Schauplatz der Handelsthätigkeit, den Standplatz ihrer Colonien, der Menschen von röthlicher Farbe , wie der Name der Phönikier ausdrückt. Sie lenkten mit bewundernswerther Energie den Handel der östlichen Culturstaaten, Babyloniens, Assyriens, Per - siens und selbst den des damals sagenhaften Indiens über ihre Küsten. Von den Gestaden des Mittelmeeres brachten sie in der ersten Zeit Sklaven und Schafwolle und beschenkten die wenig entwickelten Völker mit ihrer hochentwickelten Cultur. Eine grosse Fabriksthätig - keit vermehrte neben dem Handel ihre Städte. In der That, die Phö - nikier waren die Engländer des Alterthums. Sie waren das erste Volk, welches sich von seiner Scholle freiwillig trennte, in der Ferne Colo - nien gründete, die immer ein fremdes Element unter den umgebenden Völkern bildeten, weil der Phönikier, wie der Engländer in unseren Tagen, auch in der Fremde nie seine Eigenart aufgab.

Der veränderte Zug des Welthandels, welchen Alexander der Grosse mit der Gründung Alexandrias anbahnte und seine Nachfolger in Egypten, die Ptolomäer, vollendeten, lenkte den Handel des öst - lichen Asiens von den Häfen Syriens nach Egypten ab. Nur in der Zeit der Kreuzzüge erlebten die Küstenorte Syriens eine kurze Nach - blüthe. Dasselbe Schauspiel des Verfalles vollzieht sich seit Eröffnung des Suezcanals im Kleinen vor unseren Augen. Denn seit 1869 ist der Einfuhrhandel von Beirut und Damaskus gesunken. Der Waarenverkehr mit Bagdad und Persien, welcher von Damaskus aus durch Kara - wanen vermittelt wurde, ist verloren gegangen, Mesopotamien und Persien versorgen sich durch den Suez-Canal und den persischen Meerbusen mit den Erzeugnissen der Industrien Europas. Auch die anderen Plätze Syriens, wie Aleppo, Tripolis, Latakieh, Akka-Haiffa, Jerusalem, sind nicht mehr ausschliesslich auf die Vermittlung von Beirut angewiesen, sondern treten mit Hilfe der Linie der Messa - geries maritimes zum Theile direct mit Europa in Verbindung. Dies gilt namentlich von dem volkreichen Handelscentrum Aleppo, das in Alexandrette seinen eigentlichen Hafen besitzt.

Auch für den Export Beiruts steht nicht viel zu erwarten. Den getreidereichen Districten liegen die Häfen Tripolis, Saida und Akka - Haiffa näher als Beirut, und der Exporthandel sucht diese Orte auf, um an Frachtkosten möglichst zu ersparen.

Das Sinken der Preise der wichtigsten Ausfuhrartikel Beiruts in den letzten 6 7 Jahren hat ebenfalls auf den Einfuhrhandel un - günstig eingewirkt. Denn wie fast alle Häfen in der Levante, ist249Beirut.dieser von der Ernte abhängig. Leider sind die Communicationsmittel unzureichend, denn ausser der Strasse von Beirut nach Damaskus ist nur nach Norden, gegen Tripolis zu, eine gute Strasse wenigstens bis zur Hälfte fertiggestellt. Zwischen Beirut und Damaskus ver - kehren täglich zweimal Omnibusse, welche die Strecke in 14 Stunden zurücklegen. Ein Sitz im Nachtwagen kostet 147, im Tagwagen 103 Piaster.

Rhede von Beirut (Massstab 1: 98.400; Sonden und Höhen in Metern).

A Rhede von Beirut, B Quarantäne, C Kaserne, D Thurm, E Landungsplatz, F Leuchtfeuer, G Moschee, H Feld Scheschi.

Die Gesellschaft, welche die Strasse gebaut hat, besorgt den Wagenverkehr ausschliesslich selbst mit eigenem Material auf die Dauer von 50 Jahren. Sie er - zielte 1886 ein Erträgniss von 12 %.

Sollte je eine Eisenbahn von Beirut aus ins Innere gebaut wer - den, so würde Beirut wohl verlieren, denn die Höhe des Libanon, über welche die Strasse führt, müsste mittelst eines 6 km langen Tun - nels unterfahren werden, und solche Kosten verträgt eine Eisenbahn in Syrien noch lange nicht. Die Eisenbahn müsste also bis Saida oder Sur, oder noch besser bis Akka an der Küste nach Süden ge - führt werden, um auf besseren Wegen die Berghöhen zu gewinnen. Diese Orte würden naturgemäss als Handelsplätze an die Stelle von Beirut treten.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 32250Das Mittelmeerbecken.

Zu der Ausfuhr von Beirut liefern Cocons, Seidenabfälle und gesponnene Seide weit mehr als zwei Drittel des gesammten Werthes; 1888 für 12·2 Millionen Francs, 1887 11·6 Millionen Francs, 1886 6·6 Millionen Francs.

Im ganzen Libanon und über diesen hinaus wird die Seidenzucht lebhaft betrieben. In Beirut bestehen Filanden französischer Unternehmer, welche aus den Cocons bessere Seide herstellen als die Eingebornen und dadurch der Seide Syriens ein gutes Absatzgebiet auf dem wichtigen Markte Frankreichs verschafft haben, wo sie mit der Seide Italiens concurrirt.

Auch die Fabrication von Seidenstoffen nimmt in Damaskus, Beirut und am Libanon langsam zu; ansehnlich ist auch die Erzeugung von ordinären Baumwoll - stoffen zur Verfertigung arabischer Kleidungsstücke, welche im Werthe von etwa 0·8 Millionen Francs in die Türkei und nach Egypten ausgeführt werden.

Von Schafwolle, aus dem Innern Syriens und dem Libanon stammend, wurde 1888 für 1·5 Millionen Francs exportirt. Die syrische Wolle, deren Fäden grob sind, eignet sich nur zur Teppichfabrication und geht über Liverpool nach Amerika, wo sie im Zolltarif in die dritte, die unterste Classe der Wolle einge - reiht ist und gegenüber den englischen, australischen und Capwollen den Vortheil eines niedrigen Zollsatzes geniesst. Der Rest der Ausfuhr umfasst Getreide, wenn die Frühlingsregen reichlich waren und das Land von Heuschrecken verschont blieb; Schafe und Ochsen im Werthe von 0·5 0·6 Millionen Francs gehen nach Egypten, getrocknete Trauben, Feigen und Aprikosen in die Türkei und Egypten. Die Kerne der bittern Aprikosen (Armelini) von Damaskus werden nach Triest und Marseille verschifft.

Für die Türkei und Egypten sind bestimmt: Tabak des Libanon, dessen Ausfuhr gewaltig zurückgeht, Oel, Butter, aus dem Innern stammend, und Oliven

Das Einfuhrgeschäft von Beirut ist am lebhaftesten in der Zeit vom October bis in den Anfang des Jahres, wenn für die Ausfuhrartikel Geld ins Land gekommen ist. Auch hier verlangt die Bevölkerung, wie auf allen Märkten der Levante, in erster Linie billige Waare. Nur in Damaskus ist eine Kundschaft für theure Waaren, die Wohnungen der Reichen sind dort mit seltener Pracht einge - richtet. Die erste Rolle spielt hinsichtlich der Einfuhr England in Manufactur - waare, von denen Baumwollwaaren (Manchester goods) die wichtigsten sind; es importirte 1888 für 19·5 Millionen Francs, 1887 für 20·3 Millionen Francs. Roth - garne und andersfärbige Garne kommen meist aus Deutschland, Jutesäcke aus England, Tuch und Kaschemir für arabische Anzüge (1888 für 1·5 Millionen Francs) wegen ihrer Billigkeit vorwiegend aus Oesterreich-Ungarn; von dort auch Fez und fertige Kleider (beide je um 0·5 Millionen Francs). Auch in den Städten Syriens gibt die Bevölkerung allmälig die nationale Tracht auf. Seidenstoffe (0·6 Millionen Francs) kommen aus Frankreich, gesponnene Seide aus China und Seidenraupen - samen aus Frankreich, Wirkwaaren aus Sachsen, Papier und Zündwaaren aus Oesterreich-Ungarn.

In allem, was der Mode unterliegt (Articles de Paris), dann in Leder domi - nirt Frankreich, in Stab - und Barreneisen beherrscht England den Markt; in Eisenwaaren sind Frankreich, Deutschland und Belgien wichtiger als England. In Glaswaaren steht Oesterreich-Ungarn, in Thonwaaren Deutschland an der Spitze der Einfuhr.

Auch von Nahrungs - und Genussmitteln werden bedeutende Mengen eingeführt. Der Rangoon-Reis verdrängt auch hier den besseren, aber in einem251Beirut.höheren Preise stehenden italienischen (Gesammteinfuhr 1·3 Millionen Francs); Mehl wird aus Damaskus und Tripolis zugeführt (1888 1·4 Millionen Francs).

Auch auf dem Zuckermarkte von Beirut ist die Alleinherrschaft Oester - reich-Ungarns zu Ende. Seit 1887 hat Frankreich, unterstützt durch die billigen Frachtsätze der Messageries maritimes, den grössten Antheil an der Einfuhr, es würde vielleicht hier ein Monopol erlangt haben, wäre nicht seit der zweiten Hälfte 1888 die egyptische Staatsraffinerie mit den Dampfern der Khedivié, welche eine wöchentliche Verbindung zwischen Alexandrien und den syrischen Plätzen unterhalten, in den Vordergrund getreten. Der Zucker Egyptens ist in Beirut der billigste, zum Einmachen der Früchte als Rohrzuker dem Rübenzucker unbedingt vorzuziehen. Oesterreich-Ungarn nahm 1888 noch die zweite Stelle in der Zucker - einfuhr Beiruts ein (1888 1·1 Millionen Francs).

Der importirte Kaffee gehört vorwiegend zur Sorte Mokka.

Bauhölzer (1888 0·8 Millionen Francs) kommen heute überwiegend von der Südküste Kleinasiens (Karamanien), ein Fünftel noch aus Oesterreich-Ungarn über Galatz-Odessa.

Gross ist gegenwärtig die Einfuhr von Tabak. Tumbeki (1·1 Millionen Francs) für die Wasserpfeife kommt auf dem Seewege aus Persien, Tabakfabricate (5·7 Millionen Francs) aus der Fabrik der Tabakregie in Constantinopel.

Endlich werden aus Indien Büffelhäute, aus Batum seit 1887 Petroleum (1888 1 Million Francs) und aus England Kohlen gebracht, letztere in einer be - merkenswerth kleinen Menge (25.000 q), und dabei hat Beirut noch eine Gasanstalt.

Wir fassen nun die Grösse der Handelsbewegung zusammen. In den Ziffern ist auch der türkische Handel enthalten.

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Für das syrische Wechselgeschäft bildet Beirut den Mittelpunkt. Eine grössere Creditanstalt ist die Zweigniederlassung der Ottomanischen Bank, welche aber bloss Regierungszwecken dient und daher dem Handel des Landes sehr wenig nützt. Daneben bestehen nur ein grösseres Beiruter Haus und zahlreiche arabi - sche Wechsler.

Regelmässige Verbindungen mit Beirut unterhalten der österreich-ungarische Lloyd (Linie Alexandrien-Constantinopel), die französischen Gesellschaften Messa - geries maritimes und Fabre (letztere benützen die Auswanderer des Libanon, welche über Marseille nach Amerika gehen), die russische Dampfschiffahrts - und Handelsgesellschaft, die Dampfer der Khedivié und die englischen Unternehmungen Bell’s Asia minor steamship Company, Moss und Papagani.

Den Küstenverkehr besorgen türkische Segelschiffe.

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Der Schiffahrtsverkehr von Beirut ist lebhafter, als es die Handelslage des Ortes erfordert.

32*252Das Mittelmeerbecken.

Arbeiten zur Verbesserung des Hafens, auf den man grosse Hoffnungen setzt, wurden im Frühjahre 1889 vergeben.

Die telegraphische Verbindung ist durch eine Küstenlinie nach Norden und Süden hergestellt.

Consulate haben hier: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutsches Reich (G. -C. ), Frankreich (G. -C. ),[Griechenland] (G. -C. ), Grossbritannien (G. -C. ), Italien (G. -C. ), Niederlande, Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Persien, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Norwegen, Spanien, Vereinigte Staaten.

Gehen wir nun weiter nach Süden. Die berühmten Ausgangs - punkte des alten phönikischen Welthandels Saida (Sidon) und Sur (Tyrus) werden heute nicht einmal von einer Postdampferlinie ange - laufen. Der grösste Theil des Hafenbeckens von Saida ist so seicht, dass die Kinder darin herumwaten. Die alten Molos sind zerstört und die wenigen kleinen Schiffe, die sie benützen können, finden keinen Schutz mehr gegen die Westwinde.

Sur ist ein dürftiges Städtchen von 6000 Einwohnern, seinen einstigen alten Hafen bedeckt üppiges Gartenland, eine Oase in der sandigen Umgebung.

Viel wichtiger sind Akka (Akre), der beste natürliche Hafen Palästinas, und Haiffa als Ausfuhrplätze für Weizen und Dari (Werth 1888 12 Millionen Francs). In Haiffa besteht seit 1869 eine Colonie des deutschen Tempelvereines, sie ist zugleich eine Musteranstalt für den Ackerbau, der in diesen Gegenden sehr primitiv betrieben wird.

Jenseits des steilen Caps Carmel folgt die geradlinige, langge - streckte, hafenlose, jetzt verödete Küste Palästinas und des Philister - landes, deren einziger Hafenplatz Jaffa (Joppe) der Hafen von Jeru - salem ist. Ungeheuere, grösstentheils über Wasser reichende Felsklippen umkränzen das Bassin des Hafens, an dessen schmaler Einfahrt die Matrosen alle Kräfte anstrengen müssen, um durch dieselbe ihr Boot in das ruhige Binnenwasser zu lenken. Grössere Fahrzeuge können sich diesem sogenannten Hafen von Jaffa nicht nähern, sie müssen weit draussen auf der Rhede bleiben; selbst Dampfer sind bei stürmischer See nicht im Stande, die Ausladung in die Lichterschiffe zu vollziehen, sie müssen weiter zum nächsten Hafen. Und ein so elender Hafenplatz bildet den Eingang zu den heiligen Stätten Palä - stinas, welche jährlich 80.000 Pilger besuchen. Die Trace der 1869 vollendeten Strasse nach Jerusalem war schlecht gewählt, erst 1887 wurde der Weg wesentlich verbessert. Das Fahrgeld auf dieser 67 km langen Strecke beträgt für die Person 7 Francs. Die Errichtung einer Eisenbahn wurde schon wiederholt geplant. Auch hier ist eine blü - hende Colonie des Tempelvereines, eine jüdische Ackerbauschule253Beirut.wurde errichtet, wir finden Schulen aller Religionen, welchen Palästina das heilige Land ist, und 3 Spitäler. Jaffa, im Osten und Südosten von grossartigen Orangen - und Citronenhainen umgeben, hat 12.000 Ein - wohner, dabei sind die 7 8000 Mohammedaner, welche in den Vor - orten wohnen, nicht gerechnet.

Der Handelsverkehr erreichte:

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Manufacturen (1889 für 2·1 Millionen Francs), Quincaillerien (0·8 Millionen Francs), Kaffee, Zucker, Reis bilden den Haupttheil der Einfuhr, Orangen, die um Jaffa wunderbar gedeihen, Pistazien, Sesam, Olivenöl und Seife, Gegenstände der Andacht (1888 0·6 Millionen Francs), hier und in Jerusalem erzeugt, sind die wichtigsten Artikel der Ausfuhr.

Der Schiffsverkehr ist unverhältnissmässig gross und umfasste 1888 im Ein - laufe und Auslaufe 916 Dampfer mit 1,044.852 Tons und 1118 Segeln mit 42.344 Tons. In Jaffa landen der österreich-ungarische Lloyd, die Messageries martimes, die russische Dampfschiffahrts - und Handelsgesellschaft und die Khedivié.

[254]

Der Suez-Canal.

Die ungeheuere Entwicklung der Technik und die Association des Capitales geben unserem Jahrhundert die Mittel in die Hand, Werke zu vollführen, welche unsere Vorfahren kaum zu denken wagten. Ein solches Weltwunder ist der Suez-Canal, jener künstliche Wasserweg, welcher dem Welthandel neue Bahnen wies, und die Seeherrschaft wieder Staaten und Völkern zurückgab, denen sie die Entdeckung Vasco de Gama’s vor vierhundert Jahren entrissen hatte.

Ein Blick auf die Weltkarte zeigt sogleich die ungeheueren Vortheile, welche der Seeverkehr auf der Route durch den Suez-Canal gewonnen hat. Von so weittragender Bedeutung erwies sich das gran - diose Werk, dass wir uns gegenwärtig, zwanzig Jahre nach dessen Vollendung, kaum mehr die Langwierigkeit des ehemaligen Seeweges nach Indien, Ostasien und Australien um das Cap der guten Hoff - nung vorzustellen vermögen. Der Canal von Suez hat die Verbindung mit den genannten Gebieten selbst für die Schnellläufer der Oceane um 15 22, für das gewöhnliche Frachtschiff aber um 27 40 Dampf - tage abgekürzt, und diese Thatsache erklärt zur Genüge, wie er mit völlig elementarer Gewalt einen ungeheueren Dampferverkehr an sich ziehen und schon in den ersten Jahren seines Bestandes zu einer der hervorragendsten Welthandelsstrassen sich aufschwingen konnte.

Unvergänglich ist daher der Ruhm Ferdinand v. Lesseps, des genialen Erbauers des Werkes, nicht nur, sondern auch des muthigen Besiegers der fast unüberwindlich erschienenen Hindernisse, welche der Ausführung durch politische Sonderinteressen und finanzielle Schwierigkeiten entgegenstanden.

Wie die Entstehungsgeschichte des Canals, bietet auch die bis in uralte Zeiten zurückreichende Vorgeschichte desselben einen Gegen - stand von höchstem Interesse.

Einige Geologen sind der Ansicht, dass die sandige Strecke zwischen dem alten Pelusium und dem langgedehnten Golf von Suez (Heroopolis), in welchen der Canal eingeschnitten ist, einstens vom Meere überflutet gewesen war. Das alte255Der Suez-Canal.Heroopolis, nach welchem der Meerbusen genannt wurde, ist wahrscheinlich das Ramesu der Egypter.

Manche Merkmale sprechen für die Richtigkeit dieser Annahme, nament - lich die Ergebnisse des Präcisions-Nivellements vom Isthmus im Zusammenhalte mit der Kette von trocken gelegenen kesselartigen Bodensenkungen (den heutigen Seen), welche auf jenem Gebiete von der einstigen Ueberflutung herrühren. Vom Norden her folgt nämlich den weit nach Süden greifenden Menzaleh-Lagunen, der Ballahsee, diesem nahezu in der Mitte der Landenge der Timsahsee, an welchem die Stadt Ismaïlia liegt; hierauf folgen in nahezu der gleichen Richtung die beiden Bitterseen, deren südlichste Einbuchtung nur mehr 26 km vom Suez - Golfe entfernt ist.

Aber noch andere Anzeichen sprechen für die ehemals bestandene Trennung der beiden Continente. So fand man einige Arten der dem Mittelländischen und dem Rothen Meere angehörenden Fauna im Innern des Isthmus. Der wasser - reiche und ungestüme Nil scheint hier eine wichtige Rolle behauptet zu haben, indem die Annahme zulässig ist, dass in grauer Vorzeit einer seiner Arme zu der Stelle des heutigen Timsahs-Sees durchgebrochen sei und seine Wässer den beiden Meeren zugesendet habe. Lepère, der Ingenieur Bonaparte’s während des Erobe - rungszuges nach Egypten (1798), fügt noch ein Argument hinzu, indem er aus - führt, dass, weil das Kameel in den altegyptischen Hieroglyphen unter den dar - gestellten Thieren nicht vorkomme, so hätte das Schiff der Wüste den Weg in das Land infolge der bestandenen Wasserbarrière damals noch nicht gefunden; später aber, als die Landbildung am heutigen Isthmus erfolgt war, habe kein Hinderniss mehr obgewaltet, das nützliche Lastthier in Egypten einzuführen.

Mit der Annahme einer ehemaligen Ueberflutung des Isthmus würde schliesslich auch die Nachricht der Bibel vom Durchzug der Juden durch das Rothe Meer übereinstimmen. Man erinnere sich nur, dass heute, trotzdem bei Suez keine tiefeingeschnittene Bucht besteht, die Springflut über 2 m hoch steigt, also bedeutende Wassermassen in Bewegung setzt. Zur Zeit des Auszuges der Juden aus Egypten mag der Höhenunterschied viel bedeutender gewesen sein, so dass die[verfolgenden] Egypter ertranken.

Die Frage, ob in alten Zeiten eine künstliche Wasserstrasse die Enge von Suez von einem Meere zum anderen durchschnitten habe, ist dermalen noch nicht endgiltig beantwortet.

Allerdings waren die alten Egypter, durch das wunderbare Spiel des Nil erzogen, sehr erfahrene Wasserbaumeister, so auch anderseits, wie die Pyramiden beweisen, Leute, welche vor einer Massenbewegung, selbst wenn sie viele tausende von Händen erforderte, nicht zurückschreckten; hatten sie doch die kriegs - gefangenen Völker zur Verfügung.

Uns ist keine Nachricht erhalten, welcher Zeit die Spuren alter Canalbauten angehören, die von Pelusium ausgehend in ihrem weiteren Verlaufe nahezu die - selbe Linie einhalten, wie der heutige Schiffahrtscanal, und bis in die Bitterseen führen. Dagegen wird überliefert, dass Ramses II. im XIV. Jahrhundert v. Chr. durch die flache Thalsenkung Wady Tomeilat, welche vom[pelusischen] Nilarm bei Zagazig, dem alten Bubastis, abzweigt, einen Schiffahrtscanal über die Bitterseen nach dem heutigen Suez gebaut habe. Der Canal ging durch den damaligen Wohnsitz der Israeliten, die fruchtbare Landschaft Gosen, das beste Land Egyptens, heute in einiger Entfernung vom Canal eine Wüste. Der Canal war entschieden256Das Mittelmeerbecken.nie so leistungsfähig, dass er eine Existenzbedingung auch nur für einen Theil des egyptischen Verkehrs gebildet hätte; so erklärt es sich auch, dass er durch die Hochwasser des Nil in den Perioden politischen Verfalles verschlammt, mit Treibsand angefüllt und durch energische Regierungen wiederholt neu hergestellt wurde, so durch Necho (um 600 v. Chr.), durch Darius I., durch Ptolomäos I. und Ptolomäos II. So scheint es sicher, dass durch Jahrhunderte eine Wasser - strasse von Suez einerseits nach Pelusium, andererseits nach Memphis und Alexandria bestand.

Zwei classische Zeugen, Herodot und Strabo, sahen die Wasserstrasse im Betriebe. Der erstere fand den Canal um die Mitte des V. Jahrhundert v. Chr. mit Wasser gefüllt und breit genug für zwei nebeneinander fahrende Schiffe. Strabo, der griechische Geograph, der ebenfalls Egypten besuchte, fand den Canal kurz vor Beginn der christlichen Aera 100 150 Fuss breit und sehr tief.

Plutarch erwähnt, dass nach der Schlacht bei Actium Kleopatra mit dem Reste ihrer Flotte über den Nil in Sicherheit gelangen wollte, allein der Wasser - mangel daselbst habe dies vereitelt, und Aelius Gallus konnte 24 v. Ch. nur Bau - holz, aber keine Schiffe hindurchbringen. Nochmals eröffnete ihn Trajan, und die letzte Nachricht einer Baggerung zum Zwecke des Durchganges der nach Arabien bestimmten Getreideschiffe datirt aus dem Jahre 648 n. Chr. unter dem Kalifen Omar.

Mehr als ein Jahrtausend verging, bevor die alte Idee einer Verbindung der beiden Meere wieder auftauchte. Der Reisende Baron de Tott, ein Franzose, war es, der im Jahre 1785 auf die Möglichkeit der Durchstechung der Enge von Suez hinwies. Er kannte die Schriften des Diodoros, welche festzustellen scheinen, dass im Alterthum begonnene Bauten zur Verbindung der genannten Meere infolge der Besorgniss eingestellt worden seien, dass das vermeintlich viel höhere Niveau des Rothen Meeres eine Ueberflutung Egyptens herbeiführen müsse, falls den Ge - wässern ein Weg dahin eröffnet würde. In seinen Memoiren erwähnt de Tott, Spuren und Reste dieser alten Arbeiten entdeckt zu haben und meint sanguinisch, eine leichte Arbeit würde ausreichen, den Canal schiffbar zu machen, ohne Schleusen anzuwenden und ohne Egypten mit Ueberschwemmung zu bedrohen .

Als Bonaparte 1798 in Egypten vordrang und im December auf die Ueber - reste des pharaonischen Canals gestossen war, trat seinem scharfen Geiste die Idee eines Suez-Canals sogleich entgegen, und er würde selbe wohl ausgeführt haben, gleich wie die grosse Strasse über die Alpen, die Docks in Antwerpen und andere Unternehmungen, deren Schöpfer er wurde, wenn die technische Grund - lage für die Durchführbarkeit des Werkes gewonnen worden wäre. Bildete doch der ihm vorschwebende Wasserweg sogleich einen Theil jenes grossen politischen Projectes, welches auf die Vertreibung der Engländer aus Ostindien abzielte. Bonaparte wollte eine kurze Verbindungslinie mit Indien schaffen, um von Egypten aus die einheimischen Fürsten Indiens gegen die englische Macht zu unterstützen und diese zu stürzen. Zunächst erst hatte eine Commission von Gelehrten mit dem Ingenieur Lepère die Prüfung des Canalprojectes vorzunehmen, allein bevor sie darüber Bericht erstatten konnten, verliess Bonaparte Egypten.

Es ist bekannt, dass die Ergebnisse des damaligen unter sehr schwierigen Verhältnissen unternommenen und häufig durch Feindseligkeiten seitens der Araber gestörten Nivellements das enttäuschende, aber durchaus falsche Resultat förderten,257Der Suez-Canal.dass das Niveau des Rothen Meeres um fast 10 m höher liege als jenes des Mittel - meeres und dass daher ein Canal das ganze Land überschwemmen müsste.

Auch bei diesem Projecte handelte es sich keineswegs um die heutige Canal - route, sondern um eine Verbindung von Suez mit Belbes und Alexandria.

Das Project wanderte in die Archive.

Der nächste Anlauf in der Canalfrage ging, merkwürdig genug, von den Propheten der Simonianer und Enfantiner aus, die sich mit einer Gesellschaft zur Unterstützung der Suez-Canalfrage verbanden.

Unter ihren Auspicien vollzogen die Ingenieure Stephenson, Negrelli und Talabot neue Aufnahmen, welche zu dem seltsamen Entwurf einer indirecten Route führten, nach welchem der durch Schleusen zu regulirende Canal den Nil auf einem Viaduct übersetzen, und 300 Meilen lang sein sollte. Allein so traumhaft das Project auch war, es wurde dennoch ernstlich erwogen*)Percy Fitzgerald The Great Canal of Suez ..

Erst Vicomte Ferdinand de Lesseps war es vorbehalten, nach langjährigen technischen Vorstudien die richtige Trace zu finden. Nachdem er den Ferman zur Anlage des Canals erlangt hatte, konnte er, gestützt von dem Wohlwollen Napoleon III., an die Ausführung der Napoleonischen Idee gehen und in Paris an die Gründung der Compagnie universelle du Canal maritime Suez und bald darauf 1859 an die Inangriffnahme der Arbeiten auf der Landenge selbst schreiten.

Eine geistreiche Charakterisirung des grossen Werkes finden wir in den interessanten Darstellungen der Reisen österreich-ungarischer Kriegsschiffe. Der Verfasser, Capitän Jerolim Freiherr Benko v. Boinik, dessen treffliche Ausführungen wir hier auch benützen werden, sagt von der neuen Wasserstrasse: Christof Columbus hat einen Seeweg nach Indien gesucht; Vasco de Gama hat ihn gefunden, Ferdinand Lesseps aber hat einen solchen geschaffen.

Die Canalroute ist eine durchaus originelle und in ihrer Ein - fachheit wahrhaft genial. Wie unser Plan zeigt, benützte Lesseps bei Führung der Route alle am Isthmus bestehenden Bodensenkungen, die im Verlaufe der Arbeiten mit Wasser gefüllt wurden und jetzt schiffbare Seen bilden. Die weit nach Osten ausgedehnt gewesene Menzaleh-Lagune wurde durch das Nordende des Canals abgedämmt und erscheint jetzt, nachdem der so abgetrennte östliche Theil zeit - weise völlig ausgetrocknet ist, in gerader Linie durch den Damm des Canals abgegrenzt.

Die Basis aller Arbeiten aber, von welcher überhaupt die Möglichkeit der Existenz zahlreicher menschlicher Wesen auf der wasserlosen Landenge von Suez abhängt, schuf man durch den Bau des Süsswasser-Canals vom Nil her.

Im Jahre 1861 wurde er begonnen, erreichte im Februar 1862 den Timsah-See bei der neu angelegten Stadt Ismaïlia, im Jänner 1864 Suez. Von Ismaïlia nach Port Saïd wurde eine Röhrenleitung gelegt. Der Süsswasser-Canal folgt der Einsenkung, in welcher der Canal desDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 33258Das Mittelmeerbecken.Ramses und der der Ptolemäer angelegt waren. Er spendet überall Fruchtbarkeit und ermöglicht bei einer Tiefe von 1·2 m den Verkehr mit ziemlich grossen Booten. In den letzten Jahren ist der Canal ebenso verschlammt, wie die Unternehmungen des Alterthums und be - darf schon dringend einer Reinigung.

Keinem der grossen Bauwerke aller Zeiten fehlt so gänzlich wie dem Suez-Canal die Fähigkeit, sinnliche Wahrnehmungen hervor - zurufen, welche zur unmittelbaren Empfindung des Grossartigen führen.

Mehr noch als für jenen, der von Süden in den Canal einfährt, ist für den von Norden kommenden Besucher der Anblick des Canals jeden Reizes bar, und nichts ist da, was den suchenden Blick irgend - wie fesseln könnte. Zu beiden Seiten des anfänglich (wegen des flachen Profils nur scheinbar) breiten Canals niedrige kahle Sand - dämme, bald darauf weite Wasserflächen, weitläufige, seichte, schlam - mige Lagunen; weiter seitwärts gänzlich flaches, sonnverbranntes wüstes Land. Weit vor oder hinter uns ein Schiff eintönige, me - lancholische Ruhe über dem Ganzen. Aber vielleicht ist es eben jene Ruhe und Stille, welche den Gedanken an das Getümmel und Ge - wimmel wachruft, die hier an derselben Stelle geherrscht haben müssen, als während mehr als zehnjähriger Dauer (22. April 1859 bis 17. November 1869) Tausende und Tausende von Menschen in emsiger Ameisenarbeit vereinigt waren, um das Riesenwerk zu schaffen, an dessen Bestehen und Benützen die heutige Generation vielleicht schon zu sehr gewöhnt ist, um sich die Gefühle vergegenwärtigen zu können, welche dessen Vollendung vor mehr als zwanzig Jahren wach - rief. 75 Millionen Cubikmeter Erde mussten in Bewegung gebracht werden, um den über 160 km langen, durchaus über 8 m tiefen, an der Sohle nirgends weniger als 22 m breiten Canal zu graben und ihn gegen Flugsand durch Dämme zu schützen; eine halbe Million Cubik - meter Erde und Schlamm muss jährlich nachgebaggert werden, um die Wasserstrasse in klaglos fahrbarem Zustande zu erhalten.

Die Gesammtkosten für den Bau und die erste Einrichtung des Canals, eingeschlossen die Kosten für die Verbesserung des Canals und die Anleihe, betrugen bis Ende 1883 488,055.019 Francs. Der Werth der Baulichkeiten und des Inventars der Compagnie, wie der der disponiblen und der realisirbaren Activen wurde auf 72,660.223 Frcs. geschätzt. Für die später zu besprechende Erweiterung und Vertiefung des Canals wurde in den letzten Jahren eine Anleihe von 100 Millionen Francs gemacht.

Als die von den Franzosen gezeichneten Anleihen zur Vollendung259Der Suez-Canal.nicht hinreichten, trat der Vicekönig ein mit baarem Gelde und der Ausführung von Bauten, die den Zwecken des Suez-Canals dienten. Er erhielt dafür 176.602 Stück Actien der Compagnie universelle du Canal maritime de Suez, welche seit 1875 im Besitze des englischen Staates sind. Die Coupons derselben bis Juli 1894 sind abgetrennt, aber der Eigenthümer hat das Recht auf 10 Stimmen in der General - versammlung des Canal-Unternehmens.

Es ist bekannt, dass Lesseps Unternehmen am nachdrücklichsten von jener Macht bekämpft wurde, welche seither, da das Werk ge - lungen, von demselben den grössten Vortheil zieht und sich auch, wie oben erwähnt wurde, zum Mitbesitz des Canals, sowie auch zu einer Art thatsächlicher Oberherrschaft über Egypten zu verhelfen gewusst hat. Direct und indirect wurde die Ausführung des Canal - projectes von englischer Seite geschädigt. Die Hindernisse, welche Englands Einfluss in Kairo und Constantinopel dem Lesseps’schen Unternehmen zu schaffen wusste wodurch unter anderem die gross - herrliche Gutheissung der Beistellung egyptischer Arbeitskräfte en masse gegen Bezahlung durch zehn Jahre hindurch verzögert wurde waren vielleicht dem Fortschritt der Sache noch weniger abträglich, als die ungünstige Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Gutachten hervorragender technischer Autoritäten, wodurch natürlich die Capitals - beschaffung sehr erschwert wurde. Schwierigkeiten und Hindernisse aller Art bezeichnen demnach die einzelnen Etappen der Geschichte des Canalbaues. Selbst Mohammed Saïd, anfänglich ein Enthusiast für die Lesseps’schen Projecte, begann am Erfolge zu zweifeln, und es ist bezeichnend, dass er im Jahre 1862, kurz vor seinem Tode, ein englisches Gutachten über die Lebensfähigkeit des Unternehmens ver - langte. Sir John Hawkshaw gab ein solches ab, nachdem er die Ar - beiten in Augenschein genommen hatte, und kam zum Endurtheil, dass weder er glücklichen Beendigung des Baues noch der Möglichkeit den Canal in benutzbarem Zustande zu erhalten, unübersteigliche tech - nische, natürliche oder finanzielle Hindernisse entgegenstünden. Die landläufigen Einwendungen, von den Gegnern des Werkes eifrig pro - pagirt, waren: voraussichtliche Verschlammung des Canals und Ver - schüttung desselben durch Flugsand und das Rutschterrain der - schungen und Dämme; Eintrocknung der Bitterseen zu einer dicken Salzlauge; Schwierigkeit der Beschiffung des Rothen Meeres; Gefähr - lichkeit des Anlaufens von Port Saïd an der Leeküste; Schwierig - keit, wenn nicht Unmöglichkeit, den mittelmeerseitigen Eingang des Canals schiffbar zu erhalten. Allen diesen in der öffentlichen Meinung,33*260Das Mittelmeerbecken.namentlich in England schon nahezu eingewurzelten Einwendungen wusste Sir John Hawkshaw in seinem unparteiischen Urtheile zu be - gegnen, und man könnte beinahe sagen, dass der Suez-Canal diesem Engländer ebensoviel verdankt wie dem Franzosen Lesseps. Denn eben zur Zeit, als Sir John Hawkshaw an Ort und Stelle mit der Ausarbeitung seines Gutachtens über den Canalbau beschäftigt war, starb Mohammed Saïd und sein Bruder und Nachfolger war für Lesseps Ideen keineswegs sehr begeistert. Im Gegentheile er - schrak er vor den allzu weitgehenden Concessionen, welche Moham - med Saïd’s Ferman der Canalbaugesellschaft gemacht hatte. So sollte z. B. nach den Bestimmungen dieses Fermans alles Land, welches vom Süsswassercanale aus bewässert werden konnte, Eigenthum der Canalgesellschaft werden; die zwangsweise Beistellung von Arbeitern, wenn auch gegen Bezahlung, war zur Pflicht der egyptischen Regie - rung gemacht u. s. w. So weitgehende Verpflichtungen wollte Ismail nicht übernehmen, und es mag dem günstigen Urtheile Sir J. Hawks - haw’s über die Lebensfähigkeit des schon in seiner Ausführung be - griffen gewesenen Projectes zum grossen Theile zu danken sein, dass Ismail sich zu einem Ausgleiche herbeiliess, welcher unter dem Patro - nate Napoleon III. zustande kam. Das Recht auf Landanfall wurde durch eine weitere finanzielle Betheiligung des Vicekönigs an dem Unternehmen abgelöst und die Verpflichtung zur Beistellung von Arbeitskräften fallen gelassen. Von letzterer Bestimmung des ge - schlossenen Compromisses leitete sich die gänzliche Veränderung im Charakter der Arbeiten ab, welche nun mit einemmale eintrat. An Stelle der ungezählten Fellahim, die in primitivster Weise mit Krampe und Schaufel gearbeitet hatten, traten relativ wenige, meist europäische Arbeiter, welche jene kunstvollen, gänzlich neu erfundenen Arbeits - maschinen, die Excavateurs und Elevateurs, bedienten, die man Jahre danach in den Wiener Praterauen ihre Thätigkeit aufs Neue auf - nehmen sehen konnte. Mit dem Uebergange zur mächtigen Arbeits - leistung der Maschinen hatte das Lesseps’sche Unternehmen die letzte grosse Krise erfolgreich überwunden und das Werk reifte rasch der

Legende zum Plan des Suez-Canals. A Einfahrt in den Canal bei Port Saïd, B Wellenbrecher, C Araber-Dorf, D Gaswerke, E Tewfik-Bassin in Suez, F Leuchtfeuer, F1 Gasbojen, F2 elektrisches Leuchtfeuer, G Wasserwerk in Suez, H Spitäler der Indier, J Araberhütten, K Friedhöfe, L Ballah-See, M Menzaleh-See, N Häuser des Khedive, O grosser Bitter-See, P kleiner Bitter-See, Q alte Quarantäne, R Ruinen, S Canal - und Eisenbahn - Stationen, T Sand-Dünen, U Palais des Khedive, V Timsah-See, W Frischwasser-Canal, X Telegraphen - Amt, Y französisches Spital, Z Bureaux der Canal-Gesellschaft 1. Bäder, 2. Lagune Bir Fawar, 3. Kalkofen, 4 Reste des alten Canals, 5. Suez-Creek,〈…〉〈…〉 Moschee. Die Seemeilen ängen des Canals sind durch Blockschriftziffern bezeichnet. Die Breite des Canals ist der Deutlichkeit wegen etwas überhalten.

[261]

Der Suez-Canal. (Sonden und Höhen in Metern.)

(Legende siehe auf Seite 260.)

262Das Mittelmeerbecken.Vollendung entgegen, welches für immerwährende Zeiten ein ruhm - volles Denkmal der französischen Conceptionskraft, Unternehmungslust und Ausdauer sein wird.

Die grosse Bedeutung des Suez-Canales für die Handelswelt fasst sich zusammen in dem alten wahren Worte: time is money. Darum trifft D. Stephenson gewiss das Richtige, wenn er die Ansicht ausspricht, dass der späte Zeitpunkt, in welchem die alte Idee des Suez-Canals verwirklicht wurde, dem Nutzen des Werkes nur förder - lich war, da inzwischen die oceanische Dampfschiffahrt sich allseitig entwickelt und gekräftigt hatte, für die Segelschiffahrt aber der Canal zwischen engen, schwer zu beschiffenden Meeren gelegen nur von sehr zweifelhaftem Vortheil gewesen wäre, und die Reisen der Segelschiffe wohl linear, aber nicht der Zeit nach abzukürzen vermocht hätte. Ganz anders verhält sich dies natürlich bei den Dampfschiffen, welche beinahe überall den linear kürzesten Weg zugleich als jenen einschlagen können, der am schnellsten zum Ziele führt. Durch den Suez-Canal wird die Strasse von Bab el Mandeb zum gemeinschaft - lichen Ausgangspunkte der Schiffahrt nach Ostindien, Ostasien, Ost - afrika, Australien und zum Theile selbst nach dem westlichen Amerika, Suez aber liegt nur 227 Seemeilen von Alexandria, 1503 Meilen von Marseille, 1397 Meilen von Triest, 892 Meilen von Constantinopel entfernt.

Der Gewinn an Weg und Zeit, welcher der Schiffahrt durch die Suez-Canalroute ermöglicht wird, ist sehr wesentlich. Folgende Zahlen - angaben mögen hierüber einige Orientirung geben.

Nach Bombay, dem Haupthandelshafen Ostindiens, beträgt die Länge des Seeweges in Seemeilen:

〈…〉〈…〉
263Der Suez-Canal.

Aus diesen Zahlenangaben ist zu ersehen, dass nach Ausschei - dung von Malta, Salonich und Constantinopel, welche als Stapelplätze für Mitteleuropa nicht wohl in Betracht gezogen werden konnten, Triest der Hafen war, welcher durch den Suez-Canal Bombay am nächsten gerückt wurde, und dass zugleich die grösste Wegersparniss, 8760 See - meilen, für Triest resultirte. Heutzutage ist wohl auch Salonich wich - tiger geworden.

Selbst bei jenen Häfen, welche in Hinsicht der Wegabkürzung am ungünstigsten gelegen sind, wie z. B. Amsterdam und Petersburg, ist noch eine Ersparniss an Weg und Zeit um fast die Hälfte eingetreten. Es ist daher nur natürlich, dass die Frequenz des Canals gleich nach seiner Eröffnung eine bedeutende wurde und sich seither fast ohne Unterbrechung steigerte.

Was aber diese Wegersparnisse in Zeit - und Geldersparnisse übersetzt be - deuten, mag ein Beispiel beweisen.

Ein von Triest auslaufender Dampfer von 3000 t Deplacement (mit 1800 Register-Ton. -Gehalt) und einer stündlichen Geschwindigkeit von 12 See - meilen erspart durch die Wegdifferenz von 8760 Seemeilen eine Fahrzeit von ungefähr 31 Tagen. Die täglichen Kosten stellen sich wie folgt:

  • Kohlenverbrauch 34 t zum Durchschnittspreise von ... 14 fl. 476 fl.
  • Sonstiges Maschinenbetriebs-Material 10 % des obigen ........ 47
  • Salair und Kost der Bemannung .......................... 140
  • 5 % jährliche Abschreibung am Werthe per Tag ............. 170
  • Summe per Tag .. 833 fl.
  • oder für 31 Tage 25.823 fl.

Dagegen Canalgebühren 9·50 Francs per Tonne bei 1800 Register-Tonnen, ergibt 17.100 Francs.

Es verbleibt daher noch eine directe Geldersparniss von circa 17.500 fl. Hier muss dann auch noch die Ersparniss an Assecuranz-Prämien, dann an dem Risico der längeren Seefahrt mit einbezogen werden, um das volle Bild des Nutzens durch die Wegabkürzung zu gewinnen.

Die Lebensfähigkeit des Canals, dessen Verkehr gegenwärtig einen sicheren Massstab für den Gang des Welthandels bildet, wurde so lange angezweifelt, bis 1872 die Einnahmen die Ausgaben um 2 Millionen Francs übertrafen; dieser Ueberschuss steigerte sich 1888 bis 36,271.447 Francs.

〈…〉〈…〉
264Das Mittelmeerbecken.

Die Zahl der Reisenden, welche den Canal passirten, ist seit der Zeit, als so viele Postdampfer direct durch den Canal gehen, stark gestiegen. Im Jahre 1880 passirten 53.517 Reisende den Canal, in dieser Ziffer sind am stärksten Soldaten und Mekkapilger vertreten; 1887 fuhren 182.998 Personen, 1888 183.895 Per - sonen hindurch.

In den Ausgaben der Gesellschaft sind natürlich bedeutende Summen für Arbeiten enthalten, so 1888 7,743.064 Francs, 1887 18,139.766 Francs. Den Haupttheil der Einnahmen bilden die Gebühren, welche die Schiffe entrichten, aber auch die Bewässerung der Gründe längs den Süsswassercanälen und die Wasser - werke werfen jährlich mehr als 1 Million Francs ab.

Die Taxe für die Benützung des Canals war ursprünglich auf 10 Francs 50 Centimes für beladene und Passagierschiffe, für Schiffe in Ballast auf 10 Francs per Tonne bestimmt. Die Besetzung Egyptens durch die Engländer im September 1882 hatte die Folge, dass die Klagen der englischen Rheder, welche mehr als fünf Sechstel der Canaltaxen entrichten, über die Höhe der Gebühren, über die für die Schiffseigenthümer ungünstige Berechnung des Netto-Tonnengehaltes, das ist des für Frachten nutzbaren Raumes der Schiffe, beachtet werden mussten.

Die Engländer wollten aus der Concessionsurkunde herauslesen, dass die Ausführung eines Concurrenzcanales über die Landenge von Suez gestattet sei, auch entwarf man abenteuerliche Pläne für den Bau eines Schiffahrtscanals von der Küste Syriens durch das Todte Meer zum Busen von Akaba am Rothen Meere. Das Ende dieser Agitationen war ein von der Suez-Canalgesellschaft und den englischen Rhedern am 30. November 1883 vereinbartes Programm über die Herabsetzung der Canalgebühren. Die Lootsungsgebühren wurden vom 1. Juli 1884 an gänzlich aufgehoben, die Canaltaxen auf den heutigen Betrag von 9 Francs 50 Centimes für die Netto-Tonne der beladenen und der Passagierschiffe, auf 7 Francs für die Netto-Tonne der Schiffe, welche in Ballast gehen, herabgesetzt. Für jeden erwachsenen Passagier werden 10 Francs, für jedes Kind von 3 12 Jahren 5 Francs gezahlt. Für jeden Reisenden, welcher in Ismaïlia ans Land steigt, um nach Kairo zu fahren, werden ebenfalls 5 Francs entrichtet. Eine weitere Ernie - drigung der Gebühren wird erst eintreten, wenn das Erträgniss 18 % des Actien - capitals von 200 Millionen Francs übersteigt. Doch soll die Canalabgabe nie unter 5 Francs sinken. Schiffe, welche den Localverkehr zwischen Port Saïd und Ismaïlia besorgen, zahlen übrigens nur 2·50 Francs pro Tonne. Es muss ausserdem bemerkt werden, dass von den oben ausgewiesenen Nettoeinnahmen nur 71 % den Actionären, dagegen 15 % der egyptischen Regierung nach Artikel 18 der Concession, 10 % den Gründern und je 2 % den Administratoren und den Bediensteten zufallen.

Auch zu Erweiterungsbauten musste sich die Gesellschaft entschliessen. Der Canal war gewissermassen nur eingeleisig, die Schiffe konnten, ausgenommen den Timsah-See, nur an den Ausweichstellen aneinander vorüber, manche Krümmung des Canals war zu scharf für das langsame Tempo, in welchem die grossen Schiffe fahren mussten, sie konnten dabei nicht schnell genug dem Steuerruder gehorchen. Häufig wurde der Verkehr ganz unterbrochen, so im Juni 1885, wo eine Bagger - maschine durch ein anrennendes Schiff im Canal zum Sinken gebracht wurde und während der zwölftägigen Räumungsarbeiten 122 Schiffe gehindert waren, weiter zu fahren. Dazu war der Verkehr des Nachts ganz unterbrochen; Schiffe, die gegen Abend nach Port Saïd kamen, mussten dort übernachten.

265Der Suez-Canal.

Diese Uebelstände wurden allmälig beseitigt. Die Capitäne wurden ver - traut mit dem Dienste im Canale und viele Schiffe fahren jetzt mit Dampfruder und Ruderansatz, wodurch die Führung sicherer geworden ist.

Der Versuch, die Fahrt durch den Canal in der Nacht mit Schiffen fortzusetzen, welche Vorrichtungen für elektrische Beleuch - tung besitzen, gelang 1886 mit dem Dampfer Carthago der Penin - sular und Oriental Cy. vollkommen.

Man gestattete zunächst den Postdampfern die Nachtfahrt von Port Saïd bis zu den kleinen Bitterseen, und als das Riff in diesen beseitigt war, durch den ganzen Canal. Nach dem Regulativ vom 1. März 1887 kann jeder Dampfer den Canal bei Nacht durchfahren, wenn er eine elektrische Lampe mit einem Projector am Bug hat, die einen Raum von 1200 m zu beleuchten im Stande ist; diese Lampe muss so nahe wie möglich dem Wasserspiegel angebracht sein; eine zweite Lampe auf Verdeck muss einen Raum von 200 m im Umkreis erhellen.

Vom 22. März bis Ende December 1886 passirten bloss 25 Schiffe den Canal mit elektrischer Beleuchtung. Im Jahre 1887 395 Schiffe, 1888 schon 1607 und im I. Semester 1889 1282 Schiffe. Die Sache wird dadurch erleichtert, dass Schiffe, welche Apparate für die elek - trische Beleuchtung nicht besitzen, solche am Suez-Canal für die Durchfahrt entlehnen können. Selbstverständlich ist das Fahrwasser in der Nacht durch leuchtende Bojen und Signale ausreichend markirt.

Die möglichste Steigerung der Leistungsfähigkeit aber wird nur durch eine solche Erweiterung des Canals erreicht, welche einen con - tinuirlichen Verkehr nach beiden Richtungen gestattet. Die General - versammlung der Suez-Canalgesellschaft vom Jahre 1886 nahm das Project an, welches Herr von Lesseps vorgelegt hatte. Das Endziel ist, den Canal durchgängig auf 9 m zu vertiefen, die geraden Strecken zwischen Port Saïd und den Bitterseen an der Canalsohle von 22 m auf 65 m Breite, in den Krümmungen auf 75 und 80 m zu bringen. Zwischen den Bitterseen und Suez soll in Zukunft die regelmässige Breite 75 m, in den Krümmungen 80 m betragen.

Die Arbeiten sind in drei Bauperioden durchzuführen. Die ge - fährlichen Krümmungen von El Guisr, dem Timsah-See, von Toussoum sind bereits auf grössere Halbmesser gebracht.

Der Canal wird zunächst von 22 m auf 37 m nach Sectionen verbreitert. Ist dies durchgeführt, dann können die Dampfer überall an einander vorüber, nur muss beim Passiren jeweils einer stille halten. Am 1. Jänner 1890 waren die Arbeiten so weit vorgeschritten, dassDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 34266Das Mittelmeerbecken.von den 160·650 km des ganzen Canals 63·250 km bereits die Breite von mindestens 37 m besassen, so auf der Strecke von Port Saïd bis 14·250 km, und die auf 37 m gebrachten Ausweichstellen (Gares) allein waren 10·4 km lang.

Seit 1. Jänner 1890 dürfen die Schiffe von Port Saïd bis 14 km sich auch ausserhalb der Ausweichstellen kreuzen.

Der Suez-Canal ist eine der Pulsadern des Welthandels, seinen Schiffsverkehr nährt daher vorzugsweise die Marine Grossbritanniens, deren Schiffe in allen Häfen der Welt mindestens eine hervorragende Stelle einnehmen, wenn sie nicht gar den seewärts gerichteten Ver - kehr derselben vollständig beherrschen. Die folgende Tabelle, welche den Antheil der wichtigsten Flaggen an dem Verkehre des Suez-Canals für 1888 enthalten, diene als Beweis für den überwiegenden Antheil Englands an dem von Franzosen mit französischem Gelde ins Leben gerufenen Suez-Canale.

〈…〉〈…〉

Im Jahre 1889 sank die Zahl der englischen Schiffe, welche den Canal benützten, auf 2611, die der französischen auf 168, die der italienischen auf 103, während bei Deutschland eine Zunahme auf 194, bei den Niederlanden auf 146 Schiffe eintrat.

Uns interessirt aber auch die Frage, ob die glänzenden Resultate, welche die wenig mehr als 20 Jahre alte Verkehrsstrasse des Suez - Canals aufzuweisen hat, allein genügend sind, die grossartige Bedeu - tung dieser Unternehmung Lesseps vollkommen klar zu machen. Diese Frage müssen wir entschieden verneinen. Wir sehen dabei ganz ab von der grossartigen commerciellen Entwicklung Indiens, Ostasiens, Australiens und Ostafrikas, die auf den Verkehr des Suez-Canals in günstiger Weise einwirken muss. Viel wichtiger ist für uns die That - sache, dass der Suez-Canal erst einem verhältnissmässig geringen Theil der Producte dient , welche zwischen den Küstenländern des Indi - schen und des Grossen Oceans und Europa ausgetauscht werden können und wirklich auch ausgetauscht werden.

267Der Suez-Canal.

Der Verkehr einer grossen Anzahl derselben, und zwar gerade der der minderwerthigen, geht heute noch, um Kosten zu ersparen, auf Segelschiffen um das Cap der guten Hoffnung. Aber in demselben Masse, als der Segelschiffahrt allmälig die Verfrachtung einer ganzen Reihe von Gegenständen entzogen wird, die auf die Dampfschiffahrt übergehen, muss auch die Bedeutung des Suez-Canals steigen; der Betrag der Canaltaxe wird durch den geringeren Verbrauch von Kohlen, welche die Folge des kürzeren Weges durch den Suez-Canal ist, mindestens aufgewogen, die Ersparniss an Zeit ist überdies für den Handel reiner Gewinn.

Wir können daher mit Recht sagen, die volle Bedeutung des Suez-Canals wird sich erst in der Zukunft zeigen, trotz des riesigen Aufschwunges, welchen sein Verkehr in den letzten Jahren genom - men hat.

Die Schnelligkeit der Fahrt ist auf 10 km in der Stunde fest - gesetzt, nur in den grossen Bitterseen darf mit voller Dampfkraft ge - fahren werden.

Die Zeit, welche die Schiffe zu einer Fahrt durch den Canal benöthigen, wird daher immer kürzer. Dampfer, welche sich des elek - trischen Lichtes bedienten, brauchten 1888 zu einer Durchfahrt durch - schnittlich 22 Stunden 26 Minuten. Die schnellste Fahrt machte 1887 die Dampfyacht Namouna , die den Weg in 13 Stunden 53 Minuten zurücklegte.

Das ist die Zeit des Verweilens im Canale, ungerechnet die Auf - enthalte in Port Saïd und Suez; die effective Canalfahrt ist natürlich kürzer. Auf diese verwendete 1888 das holländische Torpedoboot Cerberus nur 9 Stunden 47 Minuten.

Wenn der Canal so fertiggestellt sein wird, wie man beschlossen hat, werden also die Schiffe durchschnittlich 10 Stunden zum Passiren des Canals brauchen.

Neben der Verbreiterung des Canals ist jetzt auch die Vertiefung desselben sehr dringend geworden. Denn immer grösser werden die Dimensionen der Schiffe, welche den Weg durch den Suez-Canal suchen. Im Jahre 1870 hatte im Durchschnitte jedes Schiff eine Grösse von 891 t, 1889 von 2805 t. Im Jahre 1888 hatten 28 Schiffe mehr als je 1000 Passagiere bei einer Canalfahrt an Bord.

Gegenwärtig ist ein Tiefgang von 7·5 m gestattet. Schiffe, welche tiefer tauchen würden, dürfen in Port Saïd nicht die ganze Kohlen - ladung aufnehmen; sie ergänzen dieselbe in Suez. Die Vertiefung des Canals auf 8·5 m ist vollendet, und die Rheder werden Schiffe bauen34*268Das Mittelmeerbecken.lassen, welche für die künftige Tiefe des Canals von 9 m berech - net sind.

Auf der mittelländischen Seite ist Port Saïd die Kopfstation des Suez-Canals. Das Städtchen Port Saïd wurde im Jahre 1859 gegründet und ruht zum grössten Theile auf künstlichen Fundamenten. Einfach angelegt, ohne hervorragende Bauwerke und nur den Bedürfnissen des transitirenden Verkehres dienend, macht der Ort einen höchst nüchternen Eindruck. Als reine Durchzugsetappe, ohne eigene indi - viduelle Lebenskraft, vermochte nämlich Port Saïd infolge der zu - nehmenden Ansprüche des Canalverkehrs wohl von Jahr zu Jahr sich zu erweitern, nicht aber den angenehmen Eindruck der Wohlhaben - heit zu gewinnen, welche Eigenschaft überhaupt durch die trostlose, jeder Vegetation entbehrende Umgebung schwer erreicht werden dürfte. Die Anlage der Stadt war eine Nothwendigkeit, und es mussten vielerlei ungünstige Verhältnisse beseitigt werden, die einer Ansiedlung im Wege standen.

Die continuirliche Schiffahrtsbewegung, welche im Hafen herrscht, verleiht demselben einen ganz besonderen Charakter.

Während in den eigentlichen See - und Handelshäfen die grosse Mehrzahl der anwesenden zahlreichen Schiffe mit den langwierigen Operationen des Aus - und Einladens beschäftigt ist und der traditionelle Mastenwald dadurch ein Gepräge vornehmer Ruhe erhält, ist hier Alles Bewegung, um nicht zu sagen drängende Hast. Alle ankommen - den Schiffe sind nur da, um möglichst schnell und bald wieder weiter zu fahren; kaum ist das Schiff vertäut, so wird mit dem Agenten der Canalgesellschaft verhandelt, um ja nicht eine spätere Nummer für die Canalpassage zugetheilt zu bekommen. Ohne Unterlass sieht man Schiff auf Schiff den Vertäuungsplatz verlassen und die Canalfahrt antreten; andere kommen aus dem Canale an, ankern gar nicht oder nur auf wenige Stunden, und noch andere kommen von See aus, die frei gewordenen Vertäuungs - und Warteplätze einzunehmen. Die Canalgesellschaft ihrerseits ist natürlich bestrebt, die ankommenden Schiffe möglichst ohne Zeitverlust weiter zu befördern, um jede Stockung des Verkehres hintanzuhalten, so dass meistens nur wenige Schiffe zu gleicher Zeit im Hafen unthätig liegen. Der Aufenthalt wird dann hauptsächlich zur ausgiebigen Verproviantirung des Schiffes für die bevorstehende längere Seereise, zu kleinen Reparaturen und In - standsetzungen von Schiff, Tackelage und Maschine benützt.

Das rege Hafenleben erfährt auch durch den Umstand eine nahezu fieberhafte Steigerung, dass gerade Port Saïd die Hauptkohlen -[269]

Port Saïd und Einfahrt in den Suez-Canal.

270Das Mittelmeerbecken.station des Suez-Canales ist, und deshalb so ziemlich jedes Schiff hier zwischen zwei langen Seereisen seine Kohlenvorräthe ergänzt. Zu den markantesten Figuren zählen hier die Kohlen-Araber . Ge - schäftiger als Ameisen befördern diese schlanken und kräftigen Ge - stalten in lebhaft bewegtem Gewirre unter fortwährendem lauten Reden, Rufen und Schreien ganze Berge der schwarzen Diamanten in die grossen, neue Kraft aufspeichernden, allen Flaggen angehören - den Dampfer, die hier zusammenkommen.

Wie unser Plan zeigt, ist das Hafenbecken ein Bassin von 53 ha Oberfläche, dessen Zufahrt gegen den Andrang der hohen See durch zwei mächtige Wellenbrecher geschützt ist.

Der westliche derselben hat ausser dem Wasser eine Länge von 2500 m und eine submarine Fortsetzung von 500 m, der östliche nur eine Länge von 1900 m, denn der westliche Damm muss zugleich den Hafen vor der Verschlammung durch die Sinkstoffe schützen, welche eine die Küste gegen Syrien hin verfolgende Meeresströmung herbeischleppt und an der bereits ganz verschlammten Küste Syriens ablagert. Leuchtschiffe und Bojen markiren das Fahrwasser. Das höchste Bauwerk ist der am Fusse des grossen Wellenbrechers auf - geführte imposante Leuchthurm, eines der ersten mit elektrischem Lichte ausgestattet gewesenen (1870) Leuchtfeuer, und der wichtigste Markpunkt zum Anlaufen der hiesigen Flachküste. Er liegt unter 31° 16′ nördl. Breite und 32° 19′ östl. Länge v. Gr. Am Hafenquai steht das Administrationsgebäude der Häfen und Leuchtthürme.

Port Saïd verdankt dem Suez-Canale sein Dasein und seine Blüthe. Die Arbeiten in den grossartigen Kohlendepots, die Ver - proviantirung der Schiffe mit Schlachtvieh, Geflügel und Gemüse, die Erweiterung des Canales seit 1883, der Bau des Süsswassercanales Port Saïd Ismaïlia haben Tausende von Menschen herbeigezogen, und die Bevölkerung von Port Saïd wird auf mehr als 25.000 Seelen geschätzt, von denen zwei Drittel Eingeborene und Syrer, ein Drittel Europäer sind. Der Stock der starken flottanten Bevölkerung von Port Saïd besteht aus Engländern, die hier eine eigene Kirche und das Lady Strangford Hospital besitzen, in welchem Leitung und Wärter englisch sind.

Die Wasserleitung von Ismaïlia her, welche die Tonne Wasser um Francs liefert, genügt schon lange nicht mehr der rasch steigenden Bevölkerung, und 1887 wurde der Bau eines Süsswasser - canals von dort aus begonnen, der vier Jahre später vollendet sein soll.

Das junge Port Saïd ist heute bereits die zweite Hafenstadt271Der Suez-Canal.Egyptens, eine Rivalin von Alexandria. Sein Gesammtverkehr hat sich bedeutend gehoben, weil seit dem Februar 1888 nicht weniger als 7 grosse Postdampferlinien, die früher Alexandria anliefen, direct nach Port Saïd gehen. Damals wurden Post und Passagiere mit der Bahn über Alexandria, Kairo und Ismaïlia nach Suez befördert, heute benützen die Reisenden, welche in Egypten bleiben wollen, vielfach den Canal bis Ismaïlia, von wo sie die Waggons der Strecke Ismaïlia Zagazig durch Staub und Sand ins Innere bringen.

Noch vor wenigen Jahren brauchte ein Dampfer von Alexandria über Port Saïd nach Suez 4 6 Tage. Diese Zeit benützten alle besseren Passagiere, um per Bahn über Kairo nach Suez zu gehen, was circa 22 Stunden in Anspruch nimmt, und den Rest der Zeit, um Kairo und dessen Sehenswürdigkeiten (die Pyramiden etc.) zu bewun - dern. Dass nun in Ismaïlia so viele Reisende den Boden Egyptens betreten, ist für die Canalgesellschaft, wie schon erwähnt, ein Gewinn von je 5 Francs per Passagier.

Ueber Port Saïd, die Station der grossen Route zwischen Europa und Asien Australien, kommt man am schnellsten nach Egypten; die Oceana der Peninsular und Oriental Company legte einmal die Strecke Brindisi Port Saïd (930 Seemeilen) in 58½ Stunden zurück. Der Weg Salonich Port Saïd könnte, wie bekannt, in 48 bis 50 Stunden zurückgelegt werden. Aber Port Saïd hat nichts von seiner günstigen Lage an einer Linie des Weltverkehrs, wie wir eben gesehen haben; es entbehrt noch immer eines Anschlusses an das sonst gut angelegte Eisenbahnnetz Egyptens.

Eine Bahn von Port Saïd nach Ismaïlia oder Salihijeh würde den grössten Theil des Personenverkehres von Alexandria nach Port Saïd lenken, diesen Hafen zum Ausfuhrplatze des nordöstlichen Egyptens und somit zu einem gefährlichen Concurrenten Alexandrias machen.

Wurden doch durch Vermittlung der Egyptischen Bank über Port Saïd 1886 7316, 1887 6720 Ballen egyptischer Baumwolle, ausserdem grössere Mengen Baumwollsamen, die bis Ismaïlia auf dem Süsswassercanale, dann auf dem Hauptcanale gegangen waren, geschickt.

Es ist daher begreiflich, dass man in Port Saïd der Eröffnung des neuen Süsswassercanals von Ismaïlia her auch aus dem Grunde mit Spannung entgegensieht, weil man eine Benützung desselben wenig - stens durch kleine Schiffe hofft, obwohl es in der Concession für den Bau ausdrücklich heisst, er dürfe nicht breiter sein, als die Wasser -272Das Mittelmeerbecken.zufuhr erfordere. Port Saïd besitzt nämlich in der nächsten Umgebung gar kein cultivirtes Terrain. Die Verproviantirung der einheimischen Bevölkerung und der durchfahrenden Schiffe erfolgt bis zu den Ge - müsen herunter durch die aus Alexandria und Beirut hier anlegenden Dampfer und aus Damiette durch einige Segelschiffe, und in Port Saïd sind die Lebensmittel kostspieliger und auch die Wohnungsmiethe ist hier gut um ein Drittel höher als in Alexandria oder Kairo, weil bis jetzt zu wenig Grund und Boden vorhanden ist, auf dem man bauen könnte. Ein guter Baugrund kostet jetzt 70 120 Francs für 1 m2. Doch gegen diesen Uebelstand hat die Natur bereits Abhilfe geschaffen. Die oben genannte Meeresströmung hat vor dem westlichen Hafendamme aus den Sinkstoffen des Nils eine Halbinsel von 100 ha aufgebaut, davon sind über 38 ha so fest, dass die egyptische Verwaltung bald an die Parcellirung derselben und an den Verkauf der Bau - stellen gehen wird. So wird langsam der feste Boden um Port Saïd an Ausdehnung gewinnen, und der Süsswassercanal wird Wasser so billig liefern, dass man es zur Culturbewässerung benützen wird. Aber der Ort wird noch für lange Zeit eine Insel bleiben zwischen dem Meere, der ausgetrockneten Lagune im Osten des Suez-Canales und dem fischreichen Mensaleh-See, dessen ausgedehnte Fläche nicht trocken gelegt und auch nicht einmal von kleinen Dampfschiffen befahren werden darf, weil die Fischerei, die jährlich 500.000 fl. einbringt, nicht beeinträchtigt werden soll.

Dafür droht Port Saïd eine Verschlechterung seiner Gesundheits - verhältnisse, wenn nicht das Bett des Süsswassercanals wenigstens bei Port Saïd wasserdicht hergestellt wird. Die lästigen Fieber Ismaïlias sind ein warnendes Beispiel.

So wird im Lande des Suez-Canales der Canal immer mehr die Haupt - sache und Egypten immer mehr Nebensache. Dies Egypten, welches den Welt - handel zwischen Orient und Occident wirklich vermittelte, wird von Tag zu Tag mehr ein historischer Begriff, weil der Suez-Canal diese Vermittlung direct auf seine ausserhalb dem eigentlichen Egypten liegenden Schultern genommen hat.

Natürlich ist auch der Handel von Port Saïd, den meist Griechen betreiben, der Hauptsache nach Transito-Handel, dessen wichtigste Artikel englische Stein - kohlen und russisches Petroleum bilden. Von Steinkohlen wurden 1888 887.104 t, 1887 705.867 t eingeführt. Denn sowohl auf der Hinreise nach dem indischen Ocean, wie auf der Rückreise von dort decken die Schiffe ihren Bedarf an Kohlen auf dem hiesigen Platz.

In Port Saïd sind 5 grosse Kohlenfirmen etablirt, Tag und Nacht werden die Kohlendampfer gelöscht, von denen 1888 396 ankamen. Unerträglich ist der Kohlenstaub auf der Seite des Hafens, an welcher die Lager sich befinden, doppelt unangenehm aber wird es, wenn im April öfter aus dem südöstlichen Quadranten273Der Suez-Canal.der Chamsin weht, der ungeheure Massen Wüstensandes mit sich führt, so dass die Luft zeitweise bis zur Undurchsichtigkeit verdunkelt wird.

Der nächst wichtige Artikel ist Petroleum; 1887 kamen hier 100.650 Kisten aus Amerika, 86.740 Kisten aus Russland an, 1888 30.522 Kisten aus Amerika, 175.826 aus Russland, grösstentheils auf österreichisch-ungarischen Segelschiffen.

Rechnen wir von der gesammten Einfuhr die Maschinen ab, welche die Suez-Compagnie für ihre Arbeiten einführt, und auf welche 1887 und 1888 die Hälfte der Zolleinnahme von Port Saïd entfiel, so bleiben für den örtlichen Con - sum und die Versorgung der Schiffe nur übrig Thiere und thierische[Producte] aus Syrien (1888 für 25.843 egypt. Pfd.), Cerealien und Mehl aus Odessa und

Ismaïlia (Süsswasser-Canal).

Alexandria (1888 mit Conserven um 53.018 egypt. Pfd.), Spirituosen und Getränke (1888 89.831 egypt. Pfd.), Holz aus Triest, und Webewaaren (1888 52.755 egypt. Pfd.). 1 egyptisches Pfund (L. E) = 25·923 Francs.

Da 1888 nur ganz geringe Mengen von Baumwolle und Baumwollsamen über Port Saïd zur Ausfuhr kamen, so war die Ausfuhrziffer sehr niedrig.

〈…〉〈…〉

Von industriellen Unternehmungen bestehen hier nur ein grosses Etablisse - ment der Canalgesellschaft und eine Eisfabrik.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 35274Das Mittelmeerbecken.

Abgesehen von dem Verkehre, der durch den Suez-Canal geht, und den Kohlenschiffen aus England, wird Port Saïd angelaufen von den Dampfern der Messageries maritimes, der russischen Dampfschiffahrts - und Handelsgesellschaft, dem österreichisch-ungarischen Lloyd, welche die regelmässige Verbindung zwischen Alexandria und den syrischen Handelsplätzen herstellen, endlich von dem Nord - deutschen Lloyd (Linie Brindisi Port Saïd).

In Port Saïd liefen 1888 ein 779 Dampfer mit 905.834 Tons und 28 Segler mit 11.704 Tons. Der Platz steht durch ein Kabel der Eastern Telegraph Cy. mit Alexandrien, durch Landlinien mit Kairo, Suez und Syrien in telegraphischer Verbindung.

Auf dem hiesigen Platze bestehen Filialen der kaiserlich ottomanischen Bank und der Anglo-Egyptian-Bank.

Consuln: Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Russland.

Unter den an der Canalroute gelegenen Ortschaften beansprucht zunächst die im Timsah-See die weissen Häuserfronten spiegelnde Stadt Ismaïlia, ebenfalls eine Schöpfung Lesseps, unser Interesse. Der Khedive Ismael Pascha erbaute sich dort ein prunkvolles Palais und zauberte durch Berieselung der Sandwüsten prächtige Gärten, ein wahres Wundermärchen in der trostlosen Oede, hervor. Ebenso schuf Herr Lesseps sich hier ein trautes Wohnhaus.

Mit seinen reichen Baumpflanzungen steht Ismaïlia wie ein kleines Paradies inmitten der Wüste.

Das Städtchen hängt natürlich ebenfalls innig mit dem Canal - leben zusammen.

Hier sind grosse Pumpwerke zur Vertheilung und Weiterleitung des Süsswassers installirt. Werkstätten, Magazine und Bureaux, er - trägliche Gast - und Kaffeehäuser zählen zu den ansehnlichsten Bauten.

Ismaïlia ist die Kopfstation für den Eisenbahnverkehr zwischen Kairo, Suez und Alexandria, ebenso laufen hier die Telegraphen - verbindungen zusammen.

Während der Canalbauten fiel Ismaïlia eine wichtige Rolle zu, da es vermöge seiner Lage am Schnittpunkte der Süsswasserleitung und des Canals der Mittelpunkt der Bauthätigkeit war. Auch für die Instandhaltungs - und Erweiterungs-Arbeiten des Canals ist das Städtchen noch immer von Bedeutung.

Allein der bloss an seiner Seite vorbeiziehende Schiffsverkehr kann auf das Gedeihen dieser Ansiedlung nicht jene befruchtende Kraft ausüben, welche man bei der ausgedehnten Anlage erwartet haben mochte.

Drei altegyptische Sculpturwerke, die beim Canalbau ausge -275Der Suez-Canal.graben wurden, und zwar eine Sphynx aus grauem, dichtgekörntem Stein, sowie eine andere und ein riesiger Sarkophag aus röthlichem Granit, haben in der Nähe des Sees einen Ehrenplatz gefunden. Diese wohlerhaltenen Kunstwerke tragen Bänder von gravirten Hieroglyphen. Auf zweien ist das Ciffre-Medaillon des grossen Ramses verewigt.

Von allen Seen der Canalroute hat das lustige Volk der Wasser - vögel schon längst Besitz genommen. Möven, Pelikane und die ehe - mals heilig gehaltenen Ibisse sind allenthalben anzutreffen. Für den Naturhistoriker noch interessanter ist aber die Einwanderung von Fischen aus dem Indischen Ocean auf dem Wege des Lesseps nach dem Mittelmeere und umgekehrt.

Die Canaltrace führt nun zu den beiden wasserreichen Bitter - seen und von[] hier weiter zur Ausmündung bei Suez in das Rothe Meer.

Die Stadt Suez bleibt einige Kilometer westwärts des Canals, ist jedoch durch den seichten Meeresarm Suez-Creek mit diesem ver - bunden.

An der Westseite des Canalendes wurde das gut geschützte Tewfik-Hafenbassin mit grossem Trockendock und den Etablissements der Canalgesellschaft angelegt.

Diese Bauten, erst im Jahre 1874 beendigt, haben 32 Millionen Francs an Kosten verursacht. Die Einfahrt zum Tewfikbassin, zu welchem ein Schienenstrang aus Suez führt, ist durch Leuchtbojen und Leuchtfeuer gut markirt; sie liegt unter 29° 56′ nördl. Br. und 32° 33′ östl. Länge v. Gr.

An diesem Ende des Suez-Canals macht sich die Gezeiten - Strömung bis zu den Bitterseen (Chalouf) fühlbar. Bei Springflut, die etwas über 2 m steigt, setzt eine wechselnde Strömung mit 2·5 Meilen stündlicher Geschwindigkeit ein.

Es wird den Schiffen anempfohlen, die genannte Strecke gegen den Strom steuernd zurückzulegen.

Ueber das heutige Suez ist nur wenig zu berichten. Gänzlich im Wüstensand gebettet, ist das Städtchen mit seinen unansehnlichen Häusern völlig reizlos, ein Bild des Verfalls gegenüber dem auf - blühenden Port Saïd.

35*[276]

Alexandria.

Der mächtige Nil, der Vater des Segens (Abu el Baraka), theilt nächst Kairo sein Gewässer in sieben Hauptarme, welche strahlenförmig nordwärts ziehend, längs einer Deltabasis von 250 km Länge das Mittelmeer erreichen. Die Endpunkte des Deltas sind im Westen Alexandria, im Osten Port Saïd (vor Ausbau des Suez-Canals reichte das Delta bis Pelusium).

Die Küstenstrecke des Deltas hat eine nahezu kreisförmige Krümmung, aus welcher nur die Mündungen von Damietta und Rosetta, dann das Promontorium von Abukir zungenartig heraustreten.

Die Küste ist hier flach und von See aus erst auf geringe Ent - fernung wahrnehmbar, doch erleichtern hohe Leuchthürme die Orien - tirung. Hinter den Nehrungen der Küste dehnen sich haffartige Seen und Lagunen von Brakwasser aus, deren westlichster, der Mareotis - oder Mariut-See, bis 15 km westlich von Alexandria reicht.

Die ehrwürdige Residenzstadt der Kleopatra liegt jedoch auf keiner angeschwemmten Nehrung, sondern auf felsigem Boden, da von der libyschen Küste aus eine flache Terrainwelle gegen Abukir streicht, und diesem Theil der Deltaküste einen besonderen Charakter aufprägt, der nur dort, wo durch Bewässerung und fleissige Arbeit Culturen gewonnen wurden, freundlich, ja lieblich erscheint, sonst aber das Gepräge der öden Wüste, über die der Sandsturm braust, aufweist. So trägt die nächste Umgebung von Alexandria ein Doppelbild, den Contrast zwischen Oase und Wüste, zur Schau und schliesst sich so recht der Eigenthümlichkeit Egyptens an, in dessen Landschaftsbildern scharfe Gegensätze, wie Leben und Tod, hart aneinanderstossen.

Die Beschaffenheit des Hafens von Alexandria ist aus unserem Plane zu ersehen. Der eigentliche Hafen liegt, durch den langen, in einer gebrochenen Linie geführten Wellenbrecher geschützt, im Westen[277]

Alexandria.

278Das Mittelmeerbecken.der Stadt und ist durch einen zweiten Damm (der antike Akre) in den äusseren und inneren Hafen gesondert.

Im letzteren finden wir das Bassin des antiken Hafens der glücklichen Heimkehr (Eunostus), an dessen Namen die gegenwärtig den Leuchtthurm tragende Spitze erinnert.

Die Ostseite der Stadt wird von dem sogenannten neuen Hafen, der indes gegenwärtig nur von kleinen Küstenfahrern besucht ist, bespült. Dieser ist der antike grosse Hafen der ursprünglichen Residenzstadt. An seinem südöstlichen Quai lag der prunkvollste Stadttheil derselben, Bruchium, auch Basileia genannt, mit dem herr - lichen Schmuck von königlichen Marmorpalästen, Tempeln, Theatern und anderen Prachtgebäuden. Auf der östlichsten Landzunge, dem heutigen Pharallon, damals Lochias genannt, stand ein Königspalast und vor diesem lag ein kleiner Kunsthafen für die königlichen Prunkschiffe. Auf einem etwas westlich davon in See geführten Damme spiegelte das von Antonius erbaute Schloss Timonium sich in den Fluten.

An der Nordwestseite des grossen Hafens bezeichnete der zu den Weltwundern gezählte 160 m hohe Leuchtthurm Pharos, dessen Fundamente heute noch erhalten sind, die Zufahrt. Sostrates hatte ihn 295 v. Chr. unter Ptolemäus Lagi aus weissem Marmor auf einer Insel aufgeführt.

Der Wunderbau stand durch einen Damm mit der Insel Pharos in Verbindung und bildete deren östlichsten Punkt, wie die Spitze Eunostos den westlichsten. Die Pharos-Insel, deren südliche Contour einen Theil des heutigen Arsenalquais bildet, war durch einen 1300 m (7 Stadien) langen, an zwei Stellen durchbrochenen und dort über - brückten Damm, das Heptastadium, mit dem Festlande verbunden.

Durch Anschwemmung und Verschüttung wurde in der Folge zu beiden Seiten dieses Dammes das Terrain gewonnen, auf dem das neuere Alexandria sich erhebt. Die Längsachse der jetzigen Stadt bezeichnet die Lage des Heptastadium.

Das heutige Fort Napoleon krönt jenen Hügel, der ehemals das Castell der Ptolomäer trug und nächst dem gedachten Damme am Hafen Eunostos lag.

Um die Vergleichung zwischen Gegenwart und Vergangenheit auf unserem Plane noch weiter auszuführen, sei erwähnt, dass die schöne Fahrstrasse, welche nächst der Kathedrale zum Rosetta-Thor führt, nahe - zu mit der antiken, berühmten, über 4000 m langen und 37 m breiten Hauptverkehrsstrasse Meson Pedion zusammenfällt, welche durch die ebenso breite von Pharallon ausgehende Dromosstrasse senkrecht ge -279Alexandria.schnitten wurde. Der letzteren nördlichster Punkt war das Thor des Mondes, der südlichste das Thor der Sonne. Im Kreuzungspunkte beider Strassen (innerhalb der Bastionen des Rosetta-Thores) lag der herrliche Alexanderplatz mit dem Tetrapylon. Bis zu diesem reichte der breite Einschnitt des südlichen Mareotis - oder Limnaeus-Hafens der Stadt, der jetzt mit der ganzen Pracht seiner Umgebung ver - schwunden ist.

Am westlichsten Ende der Meson Pedion-Strasse, ungefähr an der Stelle des jetzigen Bauholz - und Wollquais, mündete der natür - liche Canal, der den Mareotis-See mit dem Meere verband und die Grenze zwischen Libyen und Egypten bildete. Dieser Canal besass nahe der Mündung in das Meer eine kreisrunde Erweiterung, das Ciborium, welches noch im Mittelalter erhalten war.

Alexander der Grosse war 331 v. Chr. der Gründer der Stadt und Deinocrates aus Rhodus der Ingenieur und Architekt, nach dessen Plane ein Fischerdorf in eine Weltstadt verwandelt wurde. Die geniale Schöpfung des grossen Makedoniers wurde nicht nur der Angelpunkt, um den sich der Handel zweier Welttheile drehte, sie wurde das London jener fernen Zeiten. Schien die Anlage an der Lagune selbst gefährlich, so wusste Deinocrates der Gefahr den Stachel zu nehmen. Die Lage der Stadt an der westlichsten Erstreckung des Nildeltas sollte den neuen Hafen vor der Versandung bewahren, eine Voraussicht, die sich wohl bewährte.

Durchaus regelmässig angelegt, mit prächtigen Bauwerken ge - ziert und zum Hauptsitz der Gelehrsamkeit geworden, war Alexandria in seiner Glanzperiode eine der volkreichsten und mächtigsten Städte der Welt. Strabo schildert unter anderem die am Meson Pedion ge - legene, ein Stadium (185 m) lange Säulenhalle des Gymnasion mit den herrlichen Hainen und der künstlichen Anhöhe des Paneums als den Glanzpunkt Alexandrias. Inmitten derselben Anlagen war auch das Dicasterium, und im Stadttheile Bruchium erhob sich das berühmte Museum, das die grosse alexandrinische Bibliothek enthielt, die Ptolo - mäus Lagi begründete und Philadelphus katalogisiren liess. Unter letzterem wird ihr Bestand auf 400.000 Rollen geschätzt, und als während der römischen Bürgerkriege ein Theil der Sammlung durch Cäsar’s Schuld abbrannte, mag sie wohl 700.000 Rollen gezählt haben. Auch eine zweite Bibliothek, die berühmte Pergamenische Büchersammlung von 200.000 Bänden, welche der Serapistempel (Serapeum) am Südwestrande der Stadt enthielt, ward im Jahre 389 n. Chr. bei der Erstürmung des Tempels durch die Christen unter280Das Mittelmeerbecken.dem Patriarchen Theophilus vernichtet. Der Verlust dieser unersetz - lichen Schätze des Geistes wurde tief empfunden.

Mit der Gründung von Alexandria und der Verlegung der könig - lichen Residenz aus dem engen vom Weltverkehr abgeschiedenen Nil - thale an die Meeresküste vollzog sich in Egypten einer der be - deutendsten Abschnitte seiner Geschichte. Die Politik der Landes - abschliessung, die Jahrtausende hindurch als die höchste Leistung der Staatskunst betrachtet wurde, wenngleich sie unter despotischem Drucke kaum mehr als den nationalen Charakter des Landes zu wahren vermochte, schlug nun in das gerade Gegentheil um; der frische Hauch des griechischen Geistes drängte nach auswärts, belebte den See - handel und häufte die Reichthümer Alexandrias.

Die Anfänge der egyptischen Staatsbildung liegen in vorhistorischen Zeiten. Geschichtliche Anknüpfungspunkte reichen beiläufig bis zum Jahre 3180 v. Chr. Damals unterwarf König Mena von Nordegypten das südliche Land und gründete Memphis. Er wird als der Begründer der ersten Königsdynastie von Egypten betrachtet. Unter seiner Herrschaft blühte bereits Kunst und Industrie, so dass ungeheure Zeiträume verflossen sein mussten, bis die Entwicklung der Cultur diese Höhe erreichen konnte. Die Dauer dieser Zeitläufe entzieht sich aber dem Geiste des Forschers. Noch älter als Memphis scheint indessen die berühmte Ammonstadt Theben (seit 2130 die Hauptstadt) zu sein, die von den Alten für die älteste Stadt der Welt gehalten wurde. Von Theben sind uns die zahlreichsten und gewaltigsten Tempel, Ruinen, Sphinxen, Kolosse, Gräber und andere Denkmäler erhalten geblieben.

Der ersten folgen noch weitere 25 Dynastien, deren zahlreiche Herrscher, die Pharaonen, häufig Eroberungszüge nach dem afrikanischen Süden und nach Asien unternahmen, ohne aber dauernden Besitz dort zu erreichen. Die für die egyptische Kunst fruchtbarste, wenngleich nicht die glanzvollste Periode erblühte unter Ramses II., der nach seinen erfolgreichen Eroberungszügen nach Indien, Skythien, Kaukasus, Thrakien, Syrien 49 Jahre den Werken des Friedens widmete. Seinen Canalbau, der den Nil mit dem Rothen Meere verband, haben wir im vor - hergehenden Abschnitte erwähnt, aber auch sonst entstanden unter seiner Regierung grossartige Bauwerke in einer Zahl, wie unter keinem seiner Vorfahren. Aber bald nach seinem Tode begann der Verfall des Reiches; das geknechtete Volk war er - mattet und so vermochte es 728 v. Chr. dem Könige Sabakos von Aethiopien nicht zu widerstehen. 670 fiel auch die äthiopische Dynastie unter den Streichen der eingefallenen Assyrer, welch letztere indes im Jahre 645 durch den Egypter Psam - metich vertrieben wurden. Dieser war der Ahnherr der 26. und letzten Herrscher - dynastie, unter welcher ein langentbehrter Wohlstand das Land beglückte. Da fielen die Perser ein, Psammetich III. ward 525 bei Pelusium geschlagen, die Hauptstadt Memphis fiel, und Egyptens Selbständigkeit ward unter ihren Trümmern begraben.

Der Vernichtungsschlag, welchen Alexander von Makedonien dem Perserreiche versetzte, erdröhnte auch auf egyptischem Boden. Die Perser wurden vertrieben und 332 v. Chr. pflanzte Alexander im Lande der Pharaonen das Banner seiner Herrschaft auf. Nach dessen Tode riss sein Feldherr Ptolemäus das Königthum281Alexandria.an sich, das 275 Jahre lang in dessen Familie erhalten blieb. Königin Kleopatra war 30 v. Chr. die letzte Herrscherin seines Stammes.

Egypten kam nun unter die Macht Roms, und ein neues Culturelement durchdrang das Land; die frühere griechisch-egyptische Kunstrichtung gerieth zwar ins Stocken, allein die Römer beglückten das Land durch Strassenbauten und Bewässerungsanlagen. Bei der Theilung des römischen Reiches, 395 n. Chr., ge - langte Egypten an das oströmische Reich, fiel aber schon 641 in die Gewalt der Araber, welche im X. Jahrhunderte dort ein selbständiges Khalifenreich gründeten, unter dessen Herrschern insbesondere der berühmte Saracenenheld Saladin während der Kreuzzüge glänzte.

Sultan Selim I. unterwarf 1517 das entvölkerte Egypten seinem Scepter. In der neueren Geschichte spielt das Land als Besitz der sinkenden Macht des türkischen Reiches eine wichtige Rolle in der orientalischen Frage und war von

Alexandria (vom Leuchthurm aus).

den Wechselfällen derselben wiederholt hart getroffen. So während des Eroberungs - zuges Bonaparte’s 1798 bis 1800, dann während der Herrschaft des kriegerischen Regenerators Mehemed Ali (1806 1848). Mit einem Truppencontingent 1799 nach Egypten gekommen, erlangte der in Kavala gebürtige energische Mann inmitten der kriegerischen Ereignisse bald grossen Einfluss und schwang sich zum Anführer des Albanesencorps und 1805 zum Pascha von Egypten auf. Die Regenerirung und Aufrichtung des tief gesunkenen und entvölkerten Landes strebte er mit den drastischesten Mitteln an. Er vernichtete 1811 zu Kairo die Herrschaft der Mameluken, indem er 470 Anführer derselben bei einem Festmahie theils nieder - hauen, theils über die Abstürze des Mokattam Felsrückens jagen liess. Durch die Confiscation alles Grundeigenthums gewann er die Mittel zur Begründung einer Land - und Seemacht. Nun trat er als Eroberer auf. Nubien, Sennaar und KordofánDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 36282Das Mittelmeerbecken.wurden unterworfen, Syrien 1831 33 erobert und die offene Auflehnung der Pforte entgegengeschleudert. Die Uneinigkeit der europäischen Grossmächte be - günstigte Mehemed Ali’s Pläne, doch endlich rafften England und Oesterreich zur Unterstützung der Türkei sich auf und hemmten 1841 auf syrischem Boden den Siegeslauf des Eroberers. Verdrängt und geschlagen bot er zwar gerne die Hand zum Frieden, jedoch bedang er für sich die erbliche Statthalterschaft in Egypten aus, die er denn auch erlangte. Alexandria und Kairo danken den hochfliegenden Plänen dieses afrikanischen Peter des Grossen die kräftigsten Impulse zu ihrer heutigen Blüthe, wie er denn überhaupt als der Begründer einer neuen Epoche in der Geschichte des Nillandes unvergesslich bleiben wird.

Unter seinen Nachkommen eröffnete der Khedive Ismaïl Pascha (1863 1879) das Wunderland der Pyramiden dem mächtigen Strome der abendländischen Civili - sation, deren köstlichste Früchte die Erbauung des Suez-Canals, die Schaffung von Eisenbahnverbindungen und die Begründung eines Repräsentativsystems (1866) ihm einen ruhmvollen Namen in der Geschichte sichern. Der unglückliche Krieg gegen Abessinien (1875) und der gänzliche Verfall der Finanzen führten den Sturz Ismaïl’s herbei, und dessen Sohn Tewfik übernahm unter sehr ungünstigen Verhält - nissen die Regierung. Er fügte sich zwar der Finanzcontrole durch England und Frankreich, vermochte aber der erwachten Nationalpartei gegenüber keinen Einfluss zu gewinnen. Diese trieb 1882 zum Aufstande unter dem Kriegsminister Arabi Pascha, der den Kampf selbst mit der zum Schutze der britischen Interessen vor Alexandria erschienenen englischen Flotte unter Admiral Seymour aufnahm. Am 11. Juli 1882 wurden die Forts und mit diesen die Stadt bombardirt.

England nahm nun die Pacification Egyptens in die Hand, nachdem der Khedive am 14. August die Ermächtigung ertheilt hatte, gegen Arabi mit Waffengewalt einzuschreiten. Nach blutigen Kämpfen und erst als Arabi am 15. September 1882 zu Kairo in Gefangenschaft gerathen war, trat die Beruhigung des Landes ein. Seither währt die Occupation Egyptens durch die englischen Truppen fort, und das Land hat unter der Controle der Engländer grosse Fortschritte gemacht, wie die Ueberschüsse der Einnahmen über die Ausgaben beweisen.

Die Zufahrt nach Alexandria ist durch eine dichte Kette von Riffen und Bänken, die nur einige Passagen für den Verkehr grosser Schiffe aufweisen, sehr erschwert. Diese Hindernisse bilden eine mit der Küste nahezu parallel laufende Barrière, innerhalb welcher ein Fahrwasser von 1 2 km Breite sich erstreckt.

Die am häufigsten benützte Einfahrt führt durch den Boghaz oder Central-Pass, der 7·6 m Wassertiefe bei tiefster Ebbe hat; nord - östlich derselben ist der Corvetten-Pass mit 6·1 m Tiefe.

Im Südwesten des Central-Passes liegt der Marabout-Pass mit 7 m Wassertiefe.

In den Durchfahrten steuern die Schiffe nach bestimmten Deckungen von Land - und Seemarken. Auf unserem Plane haben wir die Deckungslinien durch punktirte, die Curse der Schiffe aber durch volle Linien angegeben. Für die Nachtzeit bestehen dermalen keine Deckungs-Signale, welchem Umstande es zugeschrieben werden muss,283Alexandria.dass die Schiffe gegenwärtig, seltene Fälle ausgenommen, nur bei Tag die Pässe nehmen. Eine Regulirung der Haupteinfahrt ist im Zuge. Im April 1890 sollen die Arbeiten begonnen und in zwei Jahren zu Ende geführt werden. Eine regelmässige Einfahrt von 9·14 m Tiefe und 91·44 m Breite, auf Kosten der Regierung zu allen Witterungs - und Tageszeiten markirt, wird dann auch bei schlechtem Wetter und bei Nacht das Einlaufen der Schiffe möglich machen.

In seinem Aeusseren stellt Alexandria sich als eine levantinische Stadt von modernem Zuschnitte dar. Als verhältnissmässig neuere Schöpfung auf egyptischem Boden besass die ursprüngliche Stadt kaum ein Bauwerk im altegyptischen Style, sondern entlehnte die architektonischen Motive der griechischen Baukunst. Die Stürme der Zeiten, welchen Alexandria ausgesetzt war, haben aber kaum eine Ruine von ihren zahlreichen Prunkbauten auf uns vererbt. Gegenwärtig ist die sogenannte Pompejus-Säule das einzige Monument, welches an die Glanzzeit der berühmten Stadt erinnert. Dasselbe steht ausserhalb des Nilthores auf einer Erderhebung. Der 22 m hohe Monolith ruht auf einem aus rohen Steinblöcken gebauten Piedestal und zeichnet sich durch eine schöne Linienführung aus. Der Säulenschaft ist aus rothem Assuaner Syenit hergestellt und misst am Fusse 9 m im Umfange.

Ueber die ursprüngliche Bestimmung des Denkmals gehen die Meinungen der Archäologen sehr auseinander. Einige halten die Säule als zu Ehren des Pompejus, andere wieder zur Verherrlichung des Diocletians errichtet. Noch andere sind der Meinung, dass die Säule die einzig erhalten gebliebene jener 400 sei, die das Serapeum einst zierten.

Mehemed Ali’s Regierung, welche für die ganze Geschichte des modernen Egyptens den wesentlichsten Merkstein bildet, ist auch für die neuerliche Blüthe Alexandrias epochemachend gewesen. Als er den Thron der Pharaonen usurpirte, übernahm er Alexandria als eine Ruinenstätte, in welcher etwa 6000 arme Fellachen, Griechen, Türken und Franken ein elendes armseliges Leben fristeten. Selbst die Ruinen waren unter der Türkenherrschaft derart verwüstet worden, dass sie kein beredtes Zeugniss mehr geben konnten von der Pracht, die sie gesehen. Mehemed’s Scharfblick erkannte, was in Alexandria zu retten sei, und er wurde der Gönner der Stadt, welche er vor allem durch den Mahmudieh-Canal mit dem Nil verband. Unter seiner Regierung schon entstanden zahlreiche Privatbauten im östlichen Theile der Stadt, der als Frankenviertel immer mehr zur Geltung kam.

36*284Das Mittelmeerbecken.

Der Mehemed Ali-Platz, in dessen Mitte zwischen Baumanlagen das erzene Reiterstandbild des egyptischen Reformators steht, ist mit seinen langen Häuserfronten und den einmündenden breiten Strassen zum fashionablen Quartier der Stadt geworden. Längst sind die Häuserruinen, welche durch die Katastrophe am 11. Juli 1882 ent - standen waren, entfernt und durch Neubauten ersetzt.

Alexandria hatte damals arg gelitten. Als nach einer mörde - rischen Kanonade Admiral Seymour die Forts zum Schweigen ge - bracht, blieb die Stadt den plündernden Horden der Eingeborenen und den in Freiheit gesetzten Bagnosträflingen überlassen; ein grosser Theil der Stadt, darunter das Frankenviertel, gegen welches die ganze Wuth der anarchischen Massen tobte, ging in Flammen auf.

Im Jahre 1798 wurde Alexandria von Bonaparte erstürmt und 1799 erfolgte im Monate Februar eine mehrtägige Beschiessung durch ein englisches Geschwader unter Capitän Troubridge.

Die nächste Umgebung der Stadt besitzt einige durch ihre tropische Vegetation reizende Partien. Man ist überrascht, auf der Strasse nach Ramleh oder an den Ufern des Mahmudieh-Canales hart an trostlosen Wüsteneien einen Kranz herrlicher und wohlgepflegter Gärten, in welchen die zierlichen Wedel der Dattelpalme neben den mächtigen Kronen der Sykomoren gedeihen, vorzufinden. Dort hat sich die besitzende und vornehme Welt der Stadt in zierlichen Villen ein beneidenswerthes Sans-soucis geschaffen, das über die Mühen des Tages wohl hinwegzuhelfen geeignet ist.

Ein Glanzpunkt der Hafenansicht ist das Marmorschloss Ras - el-Tin nächst dem Leuchtthurme, dessen weisse Front markant hervor - tritt. Mehemed Ali erbaute dasselbe, und seither blieb es die Sommer - Residenz des jeweiligen Vicekönigs von Egypten. Auch dieses Gebäude wurde durch das Bombardement hart mitgenommen.

Merkwürdig sind die sogenannten Katakomben. Diese Bestattungs - räume mögen entweder der einstens in der Nähe gelegenen Ortschaft Rha - kotis als Nekropole gedient haben oder aber gehörten sie dem alten Alexandria selbst an. In Felsen gehauen, enthalten sie kaum 2 m hohe Gänge und Hallen von bescheidener Ausdehnung, aber ohne Inschriften oder Sculpturen. Der Zugang befindet sich knapp am Strande nächst der Batterie Tsalé.

Alexandria (türkisch Iskanderieh) zählt (1882) 227.000 Ein - wohner, davon 49.000 Fremde. In seiner Bevölkerung sind aller Herren Länder Sprachen und Nationen vertreten, es ist ein internationaler Hafenort, aber wie vor Alters, so herrscht noch heute ein gewisser285Alexandria.griechischer Typus vor und bewahrt so auch äusserlich das Andenken an seinen Ursprung.

Ueber siebzig Städte hat , nach dem angeblichen Plutarch, Alexander der Grosse unter den barbarischen Völkern gegründet und Asien mit hellenischen Städten besäet. Aber Alexandria ist seine glänzendste Schöpfung. Mit dem wunderbaren Scharfblicke, den wir bei allen Städtegründungen Alexander’s erkennen, ist die Stelle aus - gewählt, die einzige der egyptischen Küste, die ein erträgliches Hafen - bassin bieten konnte, das frei war von der Gefahr, durch die An - schwemmungen des Nil verschlammt zu werden, weil die Strömung des Meeres an diesem Theile der Nordküste Afrikas nach Osten zieht. Alexandria wurde nicht gegründet, um die Herrschaft über Egypten zu behaupten, es liegt ja mehr neben als in Egypten. Auch hier war für Alexander, wie bei so vielen anderen seiner Städtegründungen, nicht die militärische Bedeutung des Platzes entscheidend. Nicht durch Soldaten allein sollte die Welt des Orientes der Herrschaft des hellenischen Geistes gesichert bleiben, sondern auch durch Kaufleute. Er schuf für den wiedererweckten Handel neue Centralpunkte, gab ihm eine neue Richtung und verknüpfte so das Interesse der Einge - borenen mit dem der Hellenen, welche er in diesem Emporien an - siedelte. Die Rücksicht auf den Handel war auch entscheidend für die Städtegründungen seiner Nachfolger, und die Ptolemäer vollendeten in Alexandrien, was er begonnen. Als Ptolemaeus II. Philadelphus, so genannt, weil er seine Halbschwester Assinoë geheiratet hatte, die Leiche des Gründers der Stadt nach Alexandria brachte, war dieses nicht nur das Centrum der Regierungsgewalt einer militärischen Mon - archie, nicht allein der Brennpunkt eines neu gestalteten geistigen Lebens der Hellenen, sondern auch eine mächtige Stätte des Welt - handels.

Vor den Lagiden hatte Egypten nur Getreide ausgeführt. Sie stellten den alten Canal, der den Nil mit dem Rothen Meere verband, wieder her und säuberten dieses von den Seeräubern. Der Handel Indiens, Arabiens und Aethiopiens wurde dadurch auf dem bequemen und sicheren Weg durch Egypten geleitet, und die berühmten Städte Phönikiens verloren ihren Speditionshandel, die Hauptquelle ihrer Blüthe.

Alexandria blieb seitdem ein Sitz des Welthandels, und wenn auch später die Gewaltthätigkeit vieler mohammedanischer Herrscher Egyptens dem Handel Indiens mit dem Abendlande oft die grössten Hindernisse in den Weg legte, immer wieder suchte der Handel mit286Das Mittelmeerbecken.Gewürzen, namentlich der mit Pfeffer, die kürzeste Route über Egypten auf. Erst als der Seeweg um Afrika gefunden war und die vier portugiesischen Schiffe Vasco da Gama’s am 20. Mai 1498 vor Calicut ihre Anker auswarfen, brach die Schlusskatastrophe über Alexandria herein.

In wenigen Jahren vernichteten die Portugiesen die Seeherrschaft der Araber, welche den Handel Indiens mit Egypten vermittelt hatten, Gewürze, Seide und Baumwolle gingen ums Cap der guten Hoffnung nach Europa. Erst die Expedition Napoleon’s nach Egypten am Ende des vorigen Jahrhundertes rückte den uralten Handelsweg über Egypten wieder in den Vordergrund. Die Herrscher Egyptens erkannten allmälig die Stellung, welche ihrem Lande im Welthandel durch die geographische Lage vorgeschrieben war, und die Erfindung der Dampf - schiffahrt durch Foulton machte es möglich, durch das bei der Segel - schiffahrt arg verrufene Rothe Meer ohne Aufenthalt zu fahren.

Dem Engländer Waghorn gebührt das Verdienst, einen regel - mässigen Verkehr zwischen Indien und Europa über Egypten zuerst wieder angeregt zu haben. Aber 1830 verhielt sich die Präsident - schaft von Bombay noch ablehnend gegen das Project und erst im Jahre 1838 kam es zu einer regelmässigen monatlichen Verbindung mittelst Dampfern zwischen Bombay und Suez. Von hier ging die Fahrt auf zweiräderigen Karren an den Nil; nur nach langjährigen Bemühungen erhielt Waghorn die Geldmittel, welche ihn in den Besitz eines Schleppdampfers brachten, und die regelmässigen Linien der englischen Dampfer wurden endlich von Malta bis Alexandria ausgedehnt. Erst das Jahr 1855 brachte den ganzen indischen Ueber - landverkehr in die Hände der Peninsular and Oriental Company, im Jänner 1856 wurde die Bahn von Alexandria bis Kairo (211 km) und später die Linie von dort bis Suez eröffnet. Der Ueberlandverkehr liess nun an Regelmässigkeit und Sicherheit nichts mehr zu wünschen übrig, und Alexandria war für Briefe und für werthvolle Güter wieder ein Hauptpunkt des Weltverkehrs, doch nur für kurze Zeit. Denn der oben geschilderte Ausbau des Suez-Canals hat seit dem 1. März 1887 den internationalen Verkehr dauernd von Alexandria abgelenkt. Dieser Canal macht Egypten zu einem Transitolande, welches am Transitohandel keinen weiteren Antheil hat, als einen rein geographischen. Der Khalife Al Mansur, der im VIII. Jahrhundert den Trajansgraben verschütten liess, handelte mit Ueberlegung. Und was war jener Canal verglichen mit dem des Lesseps, was der damalige Welthandel im Vergleiche zu dem unserer Tage! Heute hat Alexandria nur Werth für den Handel287Alexandria.Egyptens und den seiner südlichen Grenzländer, vorausgesetzt, dass dort, wo heute die Mahdisten herrschen, wieder gesicherte Verhältnisse eintreten.

Der Bau einer Eisenbahn von Port Saïd nach dem Südwesten zum Anschlusse an das egyptische Eisenbahnnetz, der ja doch auf die Dauer nicht zu vermeiden ist, würde mindestens den Handel des öst - lichen Theiles des Deltas nach Port Saïd lenken. Die zahlreichen englischen Kohlenschiffe, welche jährlich dort landen, könnten für die Verschiffung von Baumwolle und Getreide nach England ausnehmend niedrige Frachtsätze bewilligen.

So lange aber diese Bahn nach Port Saïd nicht gebaut ist, bleibt Alexandria nicht nur der wichtigste, sondern, man könnte fast sagen, der einzige Hafenplatz Egyptens, weil die Einfuhr und Aus - fuhr von Port Saïd auf den Localverkehr im strengsten Sinne des Wortes beschränkt sind.

Aber trotzdem diese Bahn noch nicht gebaut ist, lässt sich der Rückgang Alexandrias nicht verkennen. Der Niedergang begann mit dem Bombardement von 1882, welcher die Blüthe der egyptischen Seestadt um so schwerer verletzte, als die folgenden Jahre dem Ale - xandriner Handel nur Entgang, aber keinen Aufschwung brachten. Der Wohlstand, den Egypten seit der Aufsicht der Engländer erlangt hat, kommt also nicht der Stadt zugute. Nur die Bauern gewinnen, nicht der Handel Alexandrias, die Reichsfinanzen floriren, der Stadtbewohner aber verarmt. Alexandria hat nämlich seinen Zwischenhandel ver - loren, der bis vor wenig Jahren in seinen Mauern blühte. Die Ausfuhr erfolgt zum grössten Theile unmittelbar, es fehlt der eigentliche Waarenumsatz, und die Erwerbsquellen sind dadurch auf ein Minimum reducirt. Ein Markt von der Bedeutung Alexandrias kann nicht be - stehen, wenn die Waaren vom Erzeuger direct an den Exporteur gehen, weil dann im günstigsten Falle nur 2 % von der Summe des Exportes, der ungefähr 10·5 Millionen egyptische Lire beträgt, verdient werden.

Der Transport der Ausfuhrartikel Egyptens nach Alexandria findet mit der Eisenbahn statt. Der Mahmudieh-Canal hat dafür nur sehr geringe Bedeutung, weil die egyptische Regierung die Schiffahrt auf dem Nil mit empfindlichen Abgaben belastet, um das Erträgniss ihrer Eisenbahnen zu heben. Auch muss man bedenken, dass ein Canal vom Rosette’schen Nilarm schon im XIV. und XV. Jahrhundert bestand, aber gerade so wiederholt verschlammte, wie in unseren Tagen der Mahmudieh - und Süsswasser-Canal. Gegenwärtig werden die Bahnlinien über Siut hinaus nach Süden weiter geführt.

288Das Mittelmeerbecken.

Egypten, dieses Geschenk des Nil , ist, soweit die Fluten des heiligen Stromes sein schmales langgestrecktes Thal und das Delta, welches wie ein Fächer sich ausbreitet, alljährlich überschwemmen und eine Schlammschichte zurücklassen, welche dem Boden wieder zuführt, was ihm in den letzten neun Monaten durch den Ackerbau entzogen worden ist, äusserst fruchtbar.

Im Monate Juli beginnt als Folge der Tropenregen, die im Quellgebiete des Nil im März einsetzen, das langersehnte Steigen des Flusses, und gegen Ende September erreicht er seinen höchsten Stand. Strassen und Ortschaften ragen nur wenig aus der graugrünen Flut heraus, die Ende October so weit gesunken ist, dass der Ackerbau beginnen kann. Niederwasser des Nil ist gleichbedeutend mit Miss - ernte. Schon in den ältesten Zeiten suchte man solchem Unglücke möglichst vor - zubeugen. Ein weit verzweigtes Canalsystem vertheilte das befruchtende Wasser des Stromes, unzählige Schöpfwerke brachten es in die ein wenig höher gelegenen Theile. Die Arbeit der Pharaonen haben die Ptolemäer, die muhammedanischen Fürsten der verschiedenen Dynastien fortgesetzt, welche nacheinander Egypten beherrschten. Mit den Hilfsmitteln der modernen Technik und den Erfahrungen, welche sie in Indien gemacht hatten, suchen die Engländer das grosse Werk der Bewässerung des Landes zum Abschlusse zu bringen, und sie hoffen, in absehbarer Zeit das Unglück, das eine nicht ausreichende Ueberschwemmung des Nils bringt, sehr bedeutend einzuschränken.

Die ganze Culturfläche Egyptens erreicht noch nicht 28.000 km2, also unge - fähr die Fläche von Mähren und Schlesien. Wohl erhöht sich diese Ziffer für Egypten noch um etwa drei Zehntel, weil auf vielen Feldern in einem Jahre drei Ernten stattfinden, nämlich die Winterernte (Chitroi), die Sommerernte (Sefi) und die Herbsternte (Nili). Doch auch dies eingerechnet, wie fruchtbar muss ein Land sein, das überdies noch so grosse Mengen von Baumwolle, Getreide und Zucker zur Ausfuhr bringen kann?

Baumwolle wird in Egypten erst seit dem nordamerikanischen Sclaven - kriege (1860 64) in grossem Massstabe für die Zwecke des Exportes gebaut und hat sich auch später, als Amerika wieder concurrenzfähig wurde, auf dem Welt - markte behauptet, obwohl die egyptische Baumwolle theurer ist als die amerika - nische. Sie geht zur Hälfte nach England (Liverpool), dann nach Russland (Odessa, Kronstadt), Spanien (Barcelona), Frankreich (Marseille, Havre), Italien (Genua), Oesterreich-Ungarn (Triest), in die Schweiz, ins Elsass, nach Sachsen und seit 1888 sogar in die Vereinigten Staaten, wo man mit der Erzeugung von Stoffen begonnen hat, für welche sich nur die egyptische Baumwolle eignet. In allen Ländern macht man mit Garnen, welche aus egyptischer Baumwolle gesponnen sind, gute Geschäfte.

Legende zum Hafen von Alexandria. A Aussen-Hafen, B innerer Hafen (alter oder Westhafen, Eunostus der Alten), C Hafenbank, D neuer oder Osthafen, der grosse Hafen der Alten, E Arsenalbassin mit Schwimmdock, F Leuchtfeuer, G grosser Wellenbrecher, H See-Arsenal, J Palais des Khedive, K Harem, L Hospital, M schwimmende Capelle für Seeleute, N Bassin für Reparaturen, O Fort Napoleon, P Feuer - und Zeitsignalstation, Q Quarantäne, R Bauholz - und Baumwolle-Quai, R1 Bassin der Pen. u. Orient. Schiffahrts-Gesellschaft, S Baumwolle-Börse, T Zollamt, T1 project. neues Zollamt, U Bauholz-Magazin, V arabische Dörfer, W Palmengärten, X Consuls - oder Mohammed Ali-Platz, Y Eisenbahn-Station, Z Gabari-Palais. 1 Directions-Marken für Schiffe, 2. Necropolis, 3. Palast-Ruinen, 4. Mareotis-See, 5. Wrack im Hafen, 6. Mahmudieh-Canal, 7. Nil-Thor, 8. Moharanbey-Thor, 9. Wasserwerke, 10. Standort des ptolemäischen Palastes, 11. Rosetta-Thor, 12. Friedhöfe, 13. Mahmudieh-Strasse, 14. Ibrahim-Strasse, 15. Kaserne, 16. katholische Kirche, 17. Pompejus-Säule, 18. Gärten des Moharan-Bey, 19. Ras-el-Tin-Strasse,〈…〉〈…〉 Moschee,〈…〉〈…〉 Windmühlen. Leuchtthurm Eunostos 31° 12′ n. B. 29″ 52′ O. v. Gr.

[289]

Alexandria (Massstab 1: 56200, d. N. Sonden und Höhen in Metern).

(Legende siehe auf Seite 288).

Die Seehäfen des Weltverkehrs, I. Band. 37290Das Mittelmeerbecken.Man baut jetzt auch eine Baumwollsorte, Mitaffi , deren Wolle eine glänzend braune Farbe hat.

Als Getreideland war Egypten im Alterthume eine Kornkammer für Südeuropa; diese Stellung musste es freilich längst mächtigeren Rivalen abtreten, allein sein Getreidehandel ist noch immer bedeutend. Ausgeführt wurden 1888 1,192.640 q, Werth 6,794.158 egyptische L. 1887 1.343.349 q, Werth 7,422.367 egyptische L. Von Baumwollsamen, dem bedeutendsten Exportartikel Egyptens nach Baumwolle, werden neun Zehntel nach England, das übrige nach Marseille gesendet. Ausfuhr 1888 4,145.442 hl, Werth 1,308.124 egyptische L.; 1887 4,576.832 hl, Werth 1,276.376 egyptische L. Von Weizen gehen die Hälfte bis zwei Drittel nach England. Ausfuhr 1888 785.590 hl, 1887 379.582 hl. Von Mehl wurden versendet 1888 59.518 q, 1887 43.967 q.

Mais ist die Hauptnahrung der Bevölkerung und wird erst seit 1883 / 84 in sehr guten Jahren in grösserer Menge nach England, Frankreich und Belgien exportirt. Ausfuhr 1888 356.768 hl, 1887 17.206 hl. In dieselben Länder wird Gerste ausgeführt. Die Reis-Ausfuhr erreichte 1888 64.294 hl, 1887 68.432 hl.

Der Werth der ausgeführten Bohnen übersteigt auch heute noch, wo diese durch die Concurrenz grüner Bohnen aus Calcutta in England im Preise ge - drückt sind, die aller Getreidegattungen zusammengenommen. In England ver wendet man sie gespalten als Futter für Pferde, in Frankreich vermengt man Bohnenmehl mit Weizenmehl. Ausfuhr 1888 1,291.682 hl, 1887 1,351.476 hl.

Die Ausfuhr der Linsen ist in steter Abnahme begriffen; 1888 42.924 hl, 1887 40.242 hl.

Die Zuckerproduction Egyptens hat in den letzten Jahren einen grossen Aufschwung genommen. Auch Raffinerien wurden errichtet und die Concurrenz des von ihnen gelieferten Zuckers macht sich an den Gestaden des Levantinischen und Aegäischen Meeres bis Smyrna hinauf bemerkbar. Rohzucker geht nach Italien und England. Ausfuhr 1888 415.990 q Zucker und 147.887 q Melasse, 1887 441.338 q Zucker und 139.076 q Melasse.

Im egyptischen Handel spielten von jeher Zwiebeln eine bedeutende Rolle; heute noch führt die wichtigste Vorstadt Alexandrias, diejenige, in welcher der ganze Ausfuhrverkehr des Platzes sich abwickelt, den Namen Minet el Bassal (der Zwiebelmarkt). Als die Engländer sich 1882 in Egypten festsetzten, wurden die egyptischen Zwiebeln in England beliebt und von dort nach Amerika versendet, verschafften sich 1887 Zutritt in Frankreich, 1888 in Oesterreich-Ungarn. Mit den egyptischen Zwiebeln geht es so, wie mit den bosnischen; wer sie ge - gessen, dem inunden die bei uns gebauten Gattungen nicht mehr. Für den Export wird Zwiebel in den südlich von Kairo gelegenen Districten in steigender Ausdehnung gebaut. Die Gesammtversendung aus Egypten belief sich 1888 auf 224.000 q, Werth 71.414 egyptische L.; 1887 159.200 q, Werth 40.860 egyptische L.

Endlich sind aus dem Pflanzenreiche noch zu nennen Wachs aus Ober - egypten und dem Sudan und Gummi arabicum aus dem Sudan. Wegen des Aufstandes der Mahdisten stockt die Zufuhr des letzteren nach Egypten, wo in Kairo die Waare gereinigt und über Alexandria exportirt wird. Die feinen ele - girten Sorten für den Apothekerbedarf, wie Kordofan-Gummi, kommen nur in ganz kleinen Mengen auf den Markt.

Von den Producten des Thierreichs werden rohe und gegerbte Häute und291Alexandria.in neuerer Zeit in steigenden Mengen lebende Wachteln exportirt. Man fängt sie in Oberegypten und versendet sie in Körben via Marseille. Frankreich war 1888 der Hauptabnehmer der ausgeführten 1,235.831 Stück (Werth 13.437 egyptische L.).

Grössere Wichtigkeit hat die Ausfuhr von Schafwolle. Sie kommt aus Oberegypten, wo sie einheimische, in Kairo ansässige Kaufleute zusammenkaufen und nach Liverpool zum Verkauf auf den Woll-Auctionen verschiffen. Ausfuhr 1888 13.489 q, 1887 15.791 q.

Aus den Fabriken, welche Mehemed Ali und Ismaïl Pascha in Egypten im Laufe dieses Jahrhunderts errichtet haben, ist nicht viel geworden. Gefährlicher für den Import scheinen die Fabriken zu werden, welche in den letzten Jahren in Egypten errichtet wurden. Der Zuckerraffinerien wurde schon Erwähnung gethan. Man erzeugt jetzt auch Leder zum Export, Zündhölzchen für den inländischen Be - darf, man wird wohl auch bald ordinäres Papier erzeugen, statt die Lumpen auszu - führen, und Baumwollsamenöl im Lande pressen, um bei diesem Artikel die doppelte Fracht zu ersparen, die heute auf ihm lastet, wenn er in Egypten consumirt wird.

Jedenfalls wird diese einheimische Industrie die Einfuhr nach Alexandria hemmen.

Die Einfuhr von Stoffen und Garnen aus Baumwolle, welche den sechsten Theil der gesammten Einfuhr ausmachen, deckt England. Frankreich nimmt die zweite Stelle ein, aber seine Einfuhr ist hinter der Englands sehr weit zurück. Der Import belief sich 1888 auf 133.033 q und 3,399.404 m (Werth beider 1,359.595 egyp - tische L.), 1887 auf 150.479 q und 2,831.704 m (Werth beider 1,478.941 egyptische L.).

Der Rückgang der Einfuhr der Baumwollstoffe ist nun theilweise gedeckt durch die Steigerung der Einfuhr von Schafwollstoffen, Wirkwaaren und anderen Erzeugnissen der Textilindustrie, ausgenommen Schafwollstoffe. Einfuhr 1888 225.818 egyptische L., 1887 190.681 egyptische L. In Egypten steigt die Nachfrage nach Herren - und Frauenwäsche sowie nach fertigen Kleidern. Letztere kommen meist aus Oesterreich-Ungarn, erstere aus Frankreich, Oesterreich - Ungarn und Deutschland, türkische Kappen (Tarbusche) aus Oesterreich-Ungarn, Hüte aus Frankreich, Seidenwaaren liefert Frankreich, halbseidene billige Sammte Deutschland.

Trotzdem der Import von Schuhwaaren aus Oesterreich-Ungarn zurück - geht, nimmt es in diesem Artikel noch immer die erste Stelle in Egypten ein. Neben ihm importiren Frankreich, England und die Schweiz. Aus Marokko und der Türkei kommen Pantoffeln. Einfuhr 1888 750.619 Paar, Werth 1,005.094 egyptische L.

Von Jutesäcken werden drei Viertel aus Dundee, ein Viertel aus Calcutta bezogen. Einfuhr 1888 32.111 q, Werth 63.000 egyptische L.

Oesterreich-Ungarn liefert den grössten Theil des egyptischen Bedarfs an Schreib -, Druck - und Cigarettenpapier, Concurrenten sind Italien, Belgien, Frank - reich und Deutschland.

Steingut und Porzellanwaaren kommen aus Oesterreich-Ungarn, Eng - land, Belgien und Frankreich, Holglas aus der Steiermark, gepresstes Glas und Fensterglas aus Belgien; Werth der Einfuhr all der genannten Artikel 149.514 egyptische L.

Die Einfuhr von Zündwaaren geht zurück, weil die einheimische Fabri -37*292Das Mittelmeerbecken.cation sich tüchtig entwickelt. Farbwaaren kommen aus England und Deutsch - land. Seife wird um 66.600 egyptische L. bezogen.

Die Gruppe Nahrungs - und Genussmittel spielt in der Einfuhr Alexandrias eine grosse Rolle. Bier wird aus Oesterreich-Ungarn, England und Bayern (Werth 1888 64.273 englische L.), 1887 84.710 egyptische L. bezogen. Frankreich wird bei der Einfuhr von Wein von Griechenland, Italien und Syrien zurückgedrängt, gleichzeitig geht der Weinimport überhaupt zurück (Werth 1888 108.234 egyptische L.).

Alkohol wurde 1888 um 62.870 egyptische L. eingeführt.

Der Import von Reis erfolgt nicht mehr über London, sondern direct von Rangoon aus, er ist zurückgegangen, weil von Alexandria aus nicht mehr andere Plätze des ottomanischen Reiches versorgt werden, sondern nur Egypten. Das Reisgeschäft ist zu sieben Achteln in deutschen Händen. Weizenmehl wird aus Russland eingeführt.

Die Einfuhr von raffinirtem Zucker aus Oesterreich-Ungarn und Frankreich sinkt und wird mit der weiteren Entwicklung der egyptischen Industrie sogar ganz aufhören.

Der Kaffeehandel concentrirt sich immer mehr in Suez und erreichte die Einfuhr in Alexandria 1888 nur 11.435 q.

Der Bedarf von Gewürzen, unter denen Pfeffer das wichtigste ist, wird nicht mehr über europäische Plätze, sondern direct aus Singapore gedeckt.

Mit Indigo aus Bengalen und Madras wird Alexandria vorzugsweise über Kairo versorgt, wo persische und indische Händler grosse Lager halten.

Olivenöl wird von den griechischen und türkischen Inseln (1888 für 74.934, 1887 für 83.475 englische L.) bezogen und allmälig durch andere Sorten verdrängt, welche England liefert, wie Baumwollöl und Leinsamenöl.

Der Verbrauch von Stearinkerzen nimmt stetig zu, selbst die Eingebornen legen Geld für bessere Sorten aus. Belgien ist an die erste Stelle gerückt, es schickt seine Kerzen auf dem Wasserwege zunächst nach Marseille; dann folgen Frankreich und die Niederlande.

In Seife ist auch die Türkei wichtig auf dem Platze von Alexandria. Im Allgemeinen geht die Einfuhr zurück (1888 27.996 q, Werth 64.441 egypt. L.), weil im Lande Seifenfabriken entstehen; damit steht in Zusammenhang die Steige - rung der Einfuhr von Chemikalien.

Im Jahre 1888 wurden die Steuern für in Egypten gebauten Tabak und der Zoll für die Einfuhr von Blättertabak erhöht, Cigarren als Staatsmonopol erklärt. Die Einfuhr beider Artikel steigt langsam und erreichte 1888 bei Blätter - tabak 26.034 q, Werth 224.548 egyptische L., bei Cigarren 731 q, Werth 15.456 egyptische L. Die egyptische Statistik hebt dann noch besonders den persischen Tumbeki hervor, der zum Rauchen in der Wasserpfeife bestimmt ist. Einfuhr 1888 1229 q, Werth 6104 egyptische L.

In Holz beherrschte früher Oesterreich-Ungarn mit seiner Einfuhr via Triest den Markt von Alexandria. Jetzt kommt wenig aus den Alpenländern, eingeführt werden sorgfältig geschnittene Hölzer aus Ungarn und Galizien via Odessa und Galatz. Ernste Concurrenten sind Schweden, vor allem aber Norwegen. Werth der Holzeinfuhr 1888 291.541 egyptische L. Die Höhe dieser Ziffer ist ebenso wie die Einfuhr der Bausteine aus Istrien abhängig von der Bauthätigkeit im Lande. Auch ansehnliche Mengen von Brennholz und Holzkohlen werden in dieses holzarme Land eingeführt; 1888 für 88.829 egyptische L.

293Alexandria.

Aus der Türkei wird Butter, oder besser gesagt, ein Surrogat, hergestellt aus Schaf - und Ziegenfett, eingeführt für den Consum der einheimischen Bevölke - rung. Eigentliche Butter kommt aus Indien, und für die englische Garnison aus England, beziehungsweise Dänemark. Auch findet eine Einfuhr lebender Thiere aus den türkischen Provinzen statt, hervorgerufen durch die englische Garnison; sie erreichte 1888 einen Werth von 156.260, 1887 von 149.097 egyptische L.

Rohe Seide wird jährlich durchschnittlich in einem Betrage von 118.000 bis 120.000 egyptische L. bezogen, Häute rund um 43.000 egyptische L.

Den Bedarf an Eisen - und Stahlwaaren, an Maschinen und an Gegen - ständen aus anderen Metallen als Eisen deckt in erster Linie England, und Petroleum kommt zu einem Drittel Amerika, zu zwei Dritteln aus Russ - land. Der arme Fellah, der Hauptconsument, dem der Detailhändler das Petro - leum unverhältnissmässig theuer verkauft, sieht in erster Reihe auf die Billigkeit, und dadurch ist das russische Petroleum dem amerikanischen in Egypten über - legen. Auch brauchen die Segler, welche Petroleum aus Amerika bringen, nach Alexandria 2 3 Monate, aus Batum kommt es auf Dampfern in 13 14 Tagen. Die Einfuhr der letzten Jahre zeigt eine grosse Differenz; offenbar wurde 1887 der Markt überführt. Einfuhr 1888 375.479 Kisten im Werth von 76.742 egyptische L., 1887 559.503 Kisten.

Der Kohlenimport Alexandrias steht hinter dem von Port Saïd zurück, ausser den Eisenbahnen sind jetzt auch die von den Engländern errichteten Irri - gationswerke grosse Consumenten englischer Kohlen. Einfuhr 1888 415.994 t, 1887 365.476 t.

Egypten ist seit 1882 von den Engländern besetzt. Die Bedürfnisse seiner Truppen werden direct aus England gedeckt. Seit viel längerer Zeit aber schon war Egypten ein werthvolleres Gebiet ihres Handels. England besorgt auch mit seinen weltbekannten Massengütern zwei Drittel der Einfuhr Alexandrias. Von der Ausfuhr übernimmt es gut zwei Fünftel zum grössten Theile für den eigenen Bedarf. Von der Ausfuhr Alexandrias entfallen bedeutende Beträge noch auf Russland, Frankreich, Oesterreich-Ungarn, Italien und die Türkei.

In der Einfuhr folgt auf England mit einem Sechstel der Gesammtziffer die Türkei, an sie reihen sich Frankreich, Oesterreich-Ungarn, die britischen Be - sitzungen in Süd - und Ostasien, Russland und Italien. Auch hier müssen wir die Erweiterung der belgischen Einfuhr feststellen. Deutschlands Import ist zum Theile auch in dem anderer Staaten enthalten.

Diese Darstellung des Handels Alexandrias deckt sich heute, wo der Sudan dem Verkehre verschlossen ist, zum grössten Theile mit dem Handel Egyptens, nur in Kaffee ist Suez der erste Platz des Landes.

Es fehlen aber hier jene Waaren, welche vom Rothen Meere her ins Land kommen. Die Mengen sind nicht mehr sehr bedeu - tend, denn der Suez-Canal hat das meiste von dem alten Handels - platze Kairo abgelenkt.

Der Gesammtverkehr Alexandrias erreichte in egyptischen Lire:

〈…〉〈…〉
294Das Mittelmeerbecken.

Ausländische Häuser vermitteln den grössten Theil desselben. Die Regierung hat auch die Bedeutung der Fremden für das Gedeihen der Stadt anerkannt und zugleich dem internationalen Charakter Alexandrias Rechnung getragen. Haben doch seine Kaufmannschaften und seine Banquiers sich selbst eine Steuer auferlegt und mit dem Gelde durch eine aus ihnen selbst gewählte Commission einen grossen Theil der Stadt mit einem vortrefflichen Pflaster versehen lassen. Ein Deutscher that sich in dieser Sache besonders hervor.

Daher sitzen auch in dem neuen Municipalrathe von Alexandria, der durch ein Decret des Khedive vom 5. Jänner 1890 eingesetzt wurde, drei Mitglieder aus den Kaufleuten, welche exportiren, und drei aus der Gruppe der Importeure.

Man darf von dieser Massregel, welche den Kaufleuten Alexan - drias eine wichtige Stellung im Municipalrathe gibt, nicht weniger für die Stadt erwarten, als von der Regulirung der Einfahrt des Hafens.

Ueber den Schiffsverkehr Alexandrias finden wir folgende Angaben:

〈…〉〈…〉

Antheil der Flaggen 1888:

〈…〉〈…〉

England ausgenommen, steht der Dampfschiffahrtsverkehr der anderen Staaten in engstem Zusammenhange mit den Postlinien. Solche unterhalten die Messageries martimes von Marseille nach Alexandria ( Tage), Piräus, Salonich, Constantinopel, Smyrna;

der österreichisch-ungarische Lloyd mit Triest über Brindisi ( Tage), und mit Fiume über Corfu, ferner mit Beirut, Smyrna, Constantinopel;

die Peninsular and Oriental Cy. von Venedig über Brindisi;

die Navigazione Generale von Genua über Neapel und Messina;

die Khedivié mit Piräus, Smyrna, Constantinopel, Beirut;

die russische Dampfschiffahrts - und Handelsgesellschaft aus Odessa mit Con - stantinopel, Smyrna, Syra, Beirut.

Von den Dampferlinien nach Ostasien landet nur mehr die der Messageries maritimes in Alexandria.

Alexandria ist Landungsstelle von 5 Kabeln der Eastern Telegraph Cy. Zwei verbinden den Platz mit La Valetta auf Malta und je 1 mit Sitia auf Kreta295Alexandria.mit Larnaka auf Cypern und mit Port Saïd. Die Ueberlandlinie geht längs der Eisenbahn über Kairo nach Suez.

In Alexandria sind folgende Banken vertreten:

Die Bank von Egypten, die Anglo-egyptische Bank (Sitz London), Crédit Lyonnais, Franco-Egyptienne, Impériale Ottomane, die Hypothekenbanken Société Immobilière und The Land and Mortgage; Cassa di Sconto e di Risparmio.

Von den 28 Versicherungsgesellschaften, die hier vertreten sind, dienen 11 der Seeversicherung.

Alexandria ist der Sitz eines Appellationsgerichtes, eines Zollamtes, der Direction générale des Ports et des Phares.

Consulate haben hier: Belgien, Brasilien (G. -C. ), Dänemark (G. -C. ), Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland (G. -C. ), Grossbritannien, Italien, Marokko, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Persien, Portugal, Russland, Schweden und Nor - wegen, Spanien.

[296]

Tunis.

Im Verlaufe unserer Schilderungen haben wir wiederholt Gegenden angetroffen, deren gegenwärtiges bescheidenes Dasein kaum mehr ahnen lässt, dass sie einstens vielbegehrte, vielumstrittene Gebiete waren, auf welchen die erschütterndsten Tragödien sich abspielten und der Kampf um die Weltherrschaft mit Erbitterung ausgefochten wurde.

Eine solche räumlich beschränkte Landschaft, auf der aber die blutigsten Kämpfe um Macht, Herrschaft und vor allem um die Hegemonie im Welthandel stattfanden, von welchen die Geschichte des Alterthumes zu berichten weiss, liegt zwischen Bizerta, Tunis und dem Cap Carthago. Auch hier spielte sich Weltgeschichte hohen Styles ab, wie zu Rom, Athen und Byzanz. Der Zauber einer grandiosen Vergangenheit erhebt denn auch die Gegend im Um - kreise von Tunis weit über die Bedeutung hinaus, die sie ob ihrer landschaftlichen Eigenthümlichkeiten beanspruchen könnte.

In dem grossen Golfe zwischen Cap Bon und Cap Farina tritt der Höhenzug von Carthago als markantes Object hervor und bildet im südlichsten Theile des Golfes, den man den Golf von Carthago nennen könnte, die - Bai von Tunis, an welcher das kleine Goletta, die Hafenstadt der uralten Residenz Tunis, liegt.

Das Bild der ganzen Umgebung ist ein fesselndes. Im Osten streicht vom Cap Bon aus ein Höhenzug von 300 bis 400 m Höhe durch die Halbinsel der Provinz Kalibia zu der fruchtbaren Ebene Suleimen (Soliman), wo das Minaret der uralten Stadt über grünen Baumkronen sichtbar ist; weiter an der Küste der Badeort Hammam el Lenf (Hamman-Lif), dessen heisse Quellen eine vorläufig nur locale Berühmtheit erlangten; weiter nördlich lagert auf einem Hügel am Meere das freundliche Dorf Rhadés (Aradis) und im Hintergrunde erhebt sich 1600 m hoch die imposante Spitze des Berges Zaguan,[297]

Tunis.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 38298Das Mittelmeerbecken.aus dessen Schluchten die Carthager das Wasser zuleiteten, gleichwie dies gegenwärtig für Tunis geschieht. Westwärts blinkt, durch den weiten Bahira-See von der Küste getrennt, die von einigen Hügeln umgebene weisse Masse der Stadt Tunis uns entgegen. Man glaubt einen Marmorbruch zu erblicken, so unregelmässig und verworren erscheint von der Ferne das Bild dieser interessanten Stadt. Sie führt denn auch den Namen die Weisse ; die Araber erschöpften die bilderreiche Sprache ihrer Heimat, um die herrlichsten und weihe - vollsten Beinamen der Stadt zu verleihen. Tunis ist für sie die Ruhm - reiche , der Aufenthalt des Glückes , der weisse Burnus des Propheten u. dgl. Den Vordergrund nimmt Goletta in hübscher Lage ein, und nordwärts desselben zieren reizende Paläste, Villen und Gärten den Küstensaum gegen Cap Carthago zu. Dort bei dem anmuthigen Orte Sidi-bu-Said fällt das Hochplateau, auf dem die glänzende Welt - stadt lag, zum Meere ab. Eine markante Erhöhung daselbst, dort wo die Capelle und Kathedrale St. Louis in die Ferne sieht, ist der Ort, auf dem die Feste Byrsa stand und die schöne Dido lebte. Dort starb auch der heilige Ludwig.

Wie man Tunis nicht betrachten kann, ohne die Höhe von Carthago mit dem Auge zu streifen, ebenso wenig vermag man von der Hauptstadt der Regentschaft zu schreiben, ohne die entschwundene Königin der Meere zu nennen. Die Schicksale beider Städte sind in deren ersten Perioden innig miteinander verknüpft.

Die älteste Kunde über die Colonisation der nordafrikanischen Küste gibt uns die Heilige Schrift, nach welcher asiatische Völkerstämme über Egypten dahin vordrangen. Die Berbern, Tunesen und algerischen Kabylen sind die Nachkommen dieser Colonisten. Dem politischen Geiste der Phönikier (Sidon) entstammten das Reich Libyen und viele blühende Colonien, wie Kambé, die Vorgängerin von Carthago, dann das als Tripolis benannte Gebiet der drei Städte Leptis, Oea und Sabratha ( Markt ) u. a. m.

Als in der Folge Tyrus zu Macht und Ueberfluss gedieh, vollendete es die Besiedlung der afrikanischen Küstengebiete durch die Gründung von Hippo Zarytus (Bizerta), Utica, Tunes, Insel Cossyra, Hadrumetum, Tapsus u. a., sämmtlich an der heutigen tunesischen Küste gelegen.

Von Tyrus ging 846 v. Chr. auch die Gründung Carthagos aus, der Sage nach das Werk einer Frau. Die schöne phönikische Prinzessin Elissa (Dido) lan - dete mit Colonisten in der Nähe von Utica und erbaute auf den Ruinen von Kambé die neue Stadt Carthago (von Karthada, das ist Neustadt).

Bekannt ist die Sage, dass der libysche König der Prinzessin so viel Land - fläche zusagte, als sie mit einer Ochsenhaut umspannen könne. Dido schnitt diese in feine Streifen und umgab damit einen Hügel, auf dem sich dann Byrsa, die Festung der Carthager, erhob. Auf derselben Höhe entstand auch der Palast, auf299Tunis.dessen Terrasse Virgil das grosse Liebesdrama zwischen Aeneas und der Prin - zessin, das die letztere in den Tod treibt, sich abspielen lässt.

Um Byrsa gruppirte sich allmälig die mächtige Stadt Carthago, die zuletzt eine Zahl von 700.000 Einwohnern erlangte. Der rege Handelsgeist und die Unter - nehmungslust der Phönikier hatten sich in die neue Colonie verpflanzt und trieben zur Ausbreitung der Macht. Von hier ging denn auch die Colonisation des west - lichen Mittelmeeres aus, und Niederlassungen der Carthager entstanden selbst ausserhalb der Säulen des Herkules am Senegal und nordwärts bis zu den bri - tischen Inseln. Im V. Jahrhundert v. Chr. war Carthago, die Rivalin von Massilia, das sie bekriegte, zur Königin der Meere geworden. Mit den Etruskern im Bunde bemächtigte sie sich der Inseln Sicilien und Corsica. Im westlichen Sicilien hatten die Carthager festen Fuss gefasst und kämpften seit 480 v. Chr. gegen die Griechen (Syrakus). Da beschloss Agathokles, die Carthager in Afrika selbst zu treffen. Er bemächtigte sich Tarytus und Tunes und belagerte dann drei Jahre hindurch, (310 307) wiewohl erfolglos, Carthago.

Als die Römer 272 das südliche Italien eroberten, kreuzten sie gar bald die Interessensphäre der Carthager, deren Ansprüche auf Sardinien, Corsica und Sicilien sowie die demüthigenden Beschränkungen, welche der römischen Flotte auferlegt wurden, die Veranlassung zu den punischen Kriegen bildeten, welche die ganze Wildheit und Falschheit, den Hass und die Begeisterung aufwiesen, deren die menschliche Seele fähig ist. Das war ein Kampf um die Weltherrschaft, ein blutiges Turnier der grössten und erfahrensten Feldherrn der damaligen Zeit: Regulus, Hamilkar und dessen Sohn Hannibal, Scipio.

Im ersten punischen Kriege (264 241) ging Sicilien verloren und Consul Regulus bedrohte 255 die Stadt Carthago, allwo nach dem Friedensschluss ein höchst gefährlicher Aufstand der Miethstruppen ausbrach, den Hannibal unter - drückte. Dieser brach dann nach Spanien auf, unterwarf einen grossen Theil des - selben als Ersatz für die von den Römern widerrechtlich besetzten Inseln Sardinien und Corsica. In den Silberminen Südspaniens fanden sie den Schatz, in dem Kriege gegen die eingebornen Stämme übten sie das Heer zum Rachekampfe gegen Rom.

Als dann Hannibal (219) Sagunt angriff, entbrannte der zweite punische Krieg (218 201). Carthago verlor Spanien und büsste seine Seemacht bis auf 10 Schiffe ein.

Der dritte punische Krieg (149 146), welcher der nicht gestillten Eifer - sucht der Römer entsprang, brachte Carthago den Untergang. Scipio belagerte die Stadt, deren Bewohner mit unübertrefflichem Heldenthum der wüthenden Angriffe sich erwehrten. Der Opfermuth der mitkämpfenden Frauen, die selbst ihre Haare abschnitten, um daraus die Sehnen der Wurfmaschinen zu erzeugen, ist völlig beispiellos in der Geschichte. Als die Mauern der Befestigungen schon durch - brochen waren, wüthete der Kampf noch volle sechs Tage von Haus zu Haus; Zoll um Zoll musste durch Menschenblut abgerungen werden. Das Gemetzel war entsetzlich. Nur ein Theil der Bewohner vermochte sich zu retten. Die Zerstörung Carthagos (146) beschloss den Krieg. Das Reich der besiegten Rivalin bildete dann die römische Provinz Afrika.

Auf den Trümmern Carthagos legte Augustus eine Colonie an, die rasch aufblühte und im II. und III. Jahrhundert n. Chr. eine der volkreichsten Städte des römischen Reiches wurde. Nur Rom und Alexandria übertrafen sie an Grösse.

38*300Das Mittelmeerbecken.

Bei der Theilung des Reiches kam die Provinz Afrika an das ost - römische Reich.

Nun fielen (439 n. Chr.) die Vandalen unter Genserich ein; dieser erhob Neucarthago zur Hauptstadt seines Reiches. Belisar, welcher 533 die Vandalen auf den Schlachtfeldern bei Tunis schlug, eroberte es wieder für Byzanz.

Im Jahre 647 erschienen die Araber auf afrikanischem Boden und eroberten 670 Tunis. Die Herrschaft der Byzantiner ward gebrochen. Byrsa allein widerstand bis zum Jahre 693. Mit ihm fiel auch Carthago zum zweitenmal in Trümmer.

Khairuan, das der Häuptling Okbah gründete, wurde nun und blieb bis zum XIII. Jahrhundert die Hauptstadt des Reiches, worauf 1260 Tunis an dessen Stelle tritt, die aus Spanien immer mehr verdrängten Mauren aufnimmt und deren poli - tisches und religiöses Centrum wird.

Indessen schwindet die Macht der Mauren auch in Tunis. Karl VI. von Frankreich zwingt 1391 den König von Tunis zum Frieden mit den Genuesen.

Im XVI. Jahrhundert fiel der Sultan von Algier, der berühmte Khaireddin, genannt Barbarossa, in Tunis ein, eroberte Bizerta und Tunis und verjagte den König Muley-Hassan. Da erschien Kaiser Karl V. 1535 mit einer grossen Flotte; Goletta wurde erfolgreich beschossen und Barbarossa durch ausgeschiffte Truppen entscheidend geschlagen. Muley ward wieder eingesetzt und Goletta behielt eine spanische Garnison.

Im Jahre 1575 trat Tunis unter die Oberhoheit der Türkei, aber 1649 nahm der Dey Mohammed den Titel eines Bey an und gründete, obgleich er noch als Vasall sich bekannte, die erbliche Monarchie.

Gleichwie Marokko, Algier und Tripolis brachte auch Tunis alsbald die officielle Piraterie im Mittelmeere in Schwung und respectirte selbst die Flaggen der grossen Seestaaten nicht. Die Handelsschiffahrt gerieth infolge dessen in höchst fatale Situationen. Wiederholte Beschiessungen der Raubnester an der Küste führten zu keiner Abhilfe, ebensowenig fruchteten Reclamationen bei der Hohen Pforte, und so entschlossen die meisten Staaten sich zur Zahlung jährlicher Tri - bute man nannte dieselben Geschenke an die Deys oder Beys der Regent - schaften (Barbaresken - oder Raubstaaten).

Ernstere und langwährende Conflicte hatte Tunis (1784 1790) mit der Republik Venedig auszukämpfen; diese entsendete den Admiral Emo mit einer Flotte nach Tunis und demüthigte nach mehrfachen Beschiessungen von Goletta und Tunis sowie anderer Küstenstädte den Raubstaat. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts bildeten die Barbaresken den Schrecken der Seefahrer im Mittel - meere, und erst im dritten Jahrzehnt ward ihre Macht gebrochen, nachdem Tausende von Matrosen und Passagieren von ihnen gefangen genommen und in die Sclaverei geführt worden waren.

Die wiederholten Einfälle tunesischer Stämme in Algier, die Niedermetze - lung der Expedition des Obersten Flatters, der zur Erforschung der Sahara aus - gesendet war, und vielleicht nicht zum geringsten die Sorge, dass Italien, dessen Unterthanen bei dem Bau der tunesischen Eisenbahnen betheiligt waren, an eine Besetzung von Tunis gehen könnte, führten im April 1881 zum Kriege, und durch den Vertrag vom 12. Mai 1881 (genauer bestimmt 8. Juni 1883) wurde Tunis, das seit 1575 unter der Souveränetät der Hohen Pforte gestanden, ein Schutzstaat Frankreichs. Der französische Generalresident ist Minister des Aeussern von301Tunis.Tunis, er handhabt die Rechte Frankreichs, ist den Truppen - und Seecommandanten vorgesetzt und entscheidet in allen die Europäer betreffenden Angelegenheiten. Desgleichen werden die Finanzen, das Post -, Schul - und Bauwesen durch fran - zösische Beamte verwaltet. Von Frankreich bestellte Gerichte sind ein Tribunal erster Instanz, abhängig vom Appellhof in Algier, und sechs Friedensgerichte.

Die von den Franzosen sehr geschickt durchgeführte unblutige Annexion dieses werthvollen Theiles von Nord-Afrika liess aber einen Stachel im Herzen Italiens zurück, weil eben dieses Reich durch die grosse Auswanderung, die sich seit Jahren in Tunis niedergelassen, Ansprüche ersessen zu haben glaubte.

Das Gebiet von Tunis umfasst eine Fläche von 116.000 km2 und zählt ungefähr 2,000.000 Einwohner, von welchen, nach Charles Lallemand (Tunis et ses environs 1890), 1·2 Millionen Mauren und Araber, 700.000 Berber, 50.000 Juden und 50.000 Europäer sind.

Wie unser Plan zeigt, lagert die Stadt Tunis auf einer Landenge, welche die beiden Seen Bahira und Sebkha el Sedjoumi von einander scheidet. Der letztgenannte pflegt im Sommer auszutrocknen.

Den höchsten Punkt der Stadt nimmt die alte, aus der Zeit Karl V. stammende, gegenwärtig im Umbau begriffene Citadelle Kasbah ein; sie bildet das Centralwerk einer Linie von Forts, welche sämmtlich auf Hügeln erbaut die Stadt umgeben und die vorbeiführende Eisenbahn bestreichen. Das die Stadt beherrschende Fort Ben Hassan ist das südlichste derselben. Fort des Andalouses im Westen flog 1887 in die Luft, wird aber wieder hergestellt werden.

Innerhalb der starken Umfassungsmauern, durch welche viele gut vertheidigte Thore führen, unterscheidet man drei Quartiere, und zwar im Norden Bab as Suïka, im Centrum La Medina und im Süden Bab al Dschazira. Die Frankenstadt entstand am Bahira-See. Dort liegt in der breiten Romstrasse der Bahnhof. Die Avenue de France führt zum Thor Bab-el-Bahar und die mit schönen Alleen gezierte Avenue de la Marine, die besuchteste Promenade der Stadt, geleitet uns zum Zollamte und zur Landungsstelle der nach Goletta verkehrenden Fahr - zeuge. An der Marina-Allee liegen die Kathedrale und ihr gegenüber das Palais der französischen Residentschaft. Tunis ist eine Stadt voll orientalischen Lebens, reich an Farbe und Reiz.

Von grossem Interesse ist auch hier der Besuch des Bazars, der im Viertel Medina liegt, aber eine Stadt für sich bildet, in der für die einzelnen Waarengattungen besondere Abtheilungen Zugs (französisch Souks) bestehen. Schöne Stoffe, Teppiche, Geschmeide, Parfums, Blumen, besonders herrlich im Winter, dann Früchte und Gemüse fesseln hier den Beschauer.

Das Volks - und Karawanentreiben ist zumeist an den Thoren,302Das Mittelmeerbecken.wo überhaupt eine grosse Bewegung herrscht, malerisch entwickelt. Dort sieht man reich beladene Kameel-Karawanen bedächtigen Schrittes anlangen oder rasten. Sie bringen die prächtigen Bodenproducte der fruchtbaren Thäler von Cap Bon, Soliman und Hammamet, Töpfer - waaren aus Naboul, Bausteine aus den werthvollen Brüchen von Kedel, die geschätzten Weine von Batic, Birkassa und aus dem Thale von Mornag, sowie andere Erzeugnisse der Hausindustrie. Der Segen eines prächtigen milden Klimas liegt über Stadt und Land und ein schöner blauer Himmel wölbt gnädig sich darüber. Um zu Kraft und Reich - thum zu gelangen, fehlen dem Lande nur zwei Dinge: Menschen und Wasser. Beide waren vorhanden, wurden aber verwüstet.

Gegenwärtig wird die Stadt durch die restaurirte alte carthagische Wasserleitung mit Trinkwasser versorgt. Derselbe Aquäduct speist auch Goletta und La Marsa. Die Leitung hat von Monte Zaguan bis Tunis eine Länge von 102 km und nach Goletta 124 km. Eine Besonder - heit von Tunis sind die Häuserterrassen, welche eine zweite, sozusagen obere Stadt bilden und eigene Communicationen besitzen. Auf kühlen Plätzchen regt sich dort nach des Tages Arbeit und Hitze das geheim - nissvolle Nachtleben der Stadt.

Fesselnd und eines Besuches werth ist das Judenquartier, das eine grosse Synagoge in der Zarkun-Strasse besitzt, welche letztere besonders am Sabbath-Nachmittage ein höchst lebhaft bewegtes Bild darbietet. An und für sich durch hübsche Gesichtszüge ausge - zeichnet, erscheint die junge jüdische Frauenwelt hier in eigenthüm - lichen, meist hellfarbigen und werthvollen Costumen auf der Strasse. Die Tracht der Jüdinnen ist fürwahr reizend und verführerisch; seidene Höschen, hübsche Stiefletten, kurze Blousen mit gestickten Tulleärmeln, am Haupte ein spitzes geziertes Bonnet, das Alles in lebhaften Farben gehalten und vom Temperament der Trägerin bewegt, steht den jugendlichen Gestalten prächtig.

Unter den Moscheen von Tunis ist die Djama ez Zituna (Oliven - Moschee), in Medina gelegen, die grösste. Durch eine schöne Colonnade ausgezeichnet, enthält sie die Gräber der Beys.

Im Westen der Stadt führt eine schöne Fahrstrasse aus dem Thore Bab-el-Khadra nach Bardo (3 km), einem weiten Gebäude - complex mit dem Palais des Beys. Reizender als dieses Gebäude ist das nächstgelegene Palais Kassar Said, inmitten herrlicher Gärten und Orangerien gelegen, die tausende edelster Orangenbäume auf einer Fläche von mehreren Hektaren enthalten. Auf derselben Strasse erreicht man nach weiteren 6 km die schöne Villenstadt La Manuba, einen303Tunis.vielbesuchten Ausflugsort der Bevölkerung von Tunis. La Manuba ist die erste Station der Eisenbahn nach Algier. Tunis zählt ungefähr 150.000 Einwohner, von welchen etwa 35.000 Juden sind und 30.000 den verschiedenen europäischen Nationen, hauptsächlich den Italienern, Maltesern, Griechen und Franzosen, angehören. Das Gros der Bevölkerung bilden Araber, Mauren, Berber und Neger.

Die französische Verwaltung des Landes hat sich bisher mit anerkennenswerther Energie der Hebung der vielfach verwahrlosten Verhältnisse angenommen und kann bereits auf schöne Erfolge hin - weisen. So hat sich seit 1883 bis 1889 die Zahl der französischen Schulen in Tunis von 27 auf 67 gehoben, und weisen die Register des Jahres 1889 9494 Schüler europäischer und 1765 solche tunesischer Abkunft (gegenüber von 150 Tunesen im Jahre 1883) aus. Die Alliance Israélite unterhält eine französische Schule mit 1200 Schülern, von welchen 800 armen Familien angehörende auch Kost und Kleidung erhalten.

Seit der Schutzherrschaft Frankreichs bietet die Stadt Tunis in jeder Beziehung das Bild des Fortschrittes; die Entstehung eines neuen europäischen Viertels, die Ausbesserung der Strassen, die Ein - führung von Tramway-Linien durch eine belgische Gesellschaft, die Erbauu[n]g von Localbahnen sind Beweise dafür.

Gegenwärtig ist das Project, einen Schiffahrtscanal von Goletta nach Tunis und einen geschützten Hafen bei Goletta herzustellen, in Ausführung begriffen. Die Arbeiten wurden der Société des Batignolles übertragen und sollen im Jahre 1892 beendigt sein. Durch den Bahira - See führt zwar bereits ein Canal von 8 km Länge, der aber versandet ist und an einzelnen Strecken kaum 2 m Wasser Tiefe hat. Nach Herstellung der Arbeiten werden die Seedampfer unmittelbar am Quai von Tunis anlegen können.

Der Bahira-See ist ein seichtes Haff, das bei Goletta mit dem Meere in Verbindung steht. Er ist der Tummelplatz grosser Schaaren von Wasservögeln, namentlich Pelikanen, Schwänen und herrlichen Flamingos. Auf der Insel Schickli erhebt sich die von Karl V. erbaute Burg, allwo noch eine mit Blei ausgegossene Cysterne zu sehen ist.

Ueber Goletta (französisch La Goulette), dessen Leuchtfeuer unter 36° 48′ nördl. Breite und 10° 18′ öst. Länge v. Gr. liegt, ist nur wenig zu sagen. Das Städtchen zählt kaum 3500 Einwohner und ist seiner gemässigten Sommertemperatur und prächtigen Seebäder wegen von den Tunesen gerne besucht. Ein schöner Kranz von Villen ist am304Das Mittelmeerbecken.Strande, nördlich des Städtchens gegen das Sommerpalais Khair-eddin und dem kleinen Ort El Kram zu, entstanden. Mit Tunis und La Marsa ist Goletta durch Eisenbahnen verbunden.

Auf der Stätte des alten Carthago gewahrt man gegenwärtig Felder, Gärten und Villeggiaturen. Tiefer Humus deckt die Grundmauern und ermöglichte bisher nicht, einen Situationsplan der berühmten Stadt zu entwerfen. Man weiss nur, dass die Stadt im Norden bis zum Cap Kamart, in dessen Nähe die Nekropole war, gereicht hatte. Die Höhe Byrsa trug die Festung, die Burg der Dido und einen Tempel des Aesculap. Jetzt glänzt dort die von Ludwig Philipp, König von Frank - reich, 1841 erbaute Capelle St. Louis zur Erinnerung an den heiligen Ludwig (König Ludwig IX. von Frankreich), der an jener Stelle am 25. August 1270, auf einem Kreuzzuge begriffen, der Pest erlag. Die Capelle entsprach weder der Grösse der Erinnerung, noch der patrio - tischen Begeisterung der Franzosen für die Ruhmesthaten ihrer helden - müthigen Vorfahren, und dieser Umstand bewog den als Philanthropen bekannten Cardinal Lavigerie, Erzbischof von Tunis, auf der Höhe von Byrsa ein prächtiges Gebäude in maurischem Style zu erbauen und als Seminar einzurichten. Ebenso erbaute er aus gesammelten Spenden in der Nähe der Capelle eine herrliche Kathedrale in byzantinisch - maurischem Style, welche 1890 eingeweiht werden wird.

Eine Sehenswürdigkeit ist das dort befindliche Museum Alavuï, das durch den Vorsteher der Mission, Abbé Delattre, archäologisch geordnet, eine Sammlung schöner Marmorsculpturen, Mosaiken, Bronzen, punischer Waffen, Münzen, Cameen und Schmuckgegenstände enthält.

Nördlich von diesen Gebäuden liegt nächst des carthagischen ungeheueren Amphitheaters, das mehr als 200 m Durchmesser besass, das Dorf la Malka, mit einer Eisenbahnstation. Dort befinden sich die ausgedehnten, gegenwärtig durch die Compagnie des eaux restau - rirten Cisternen von Carthago.

Nordwärts von Malka ist das Gebiet la Marsa, eine prächtige Landschaft mit reizenden Gärten und Villen. Hier lag der Stadttheil Megara des alten Carthago. Auf dem blühenden Terrain von la Marsa, das kühlende Seeluft bestreicht, residiren während des Sommers in poesie - vollen, mitunter eines Ariosto würdigen Villeggiaturen und hübschen Palais der weise, als Gelehrter und Schriftsteller hochangesehene Bey Ali von Tunis (geb. 1817), Prinz Saïeb, der Khasnadar, der französische General-Resident und viele andere Würdenträger. La Marsa ist ein reizender Aufenthaltsort. Mit dessen prächtiger Lage wetteifert das nächst Cap Carthago auf der Höhe liegende freundliche Dorf Sidi-bu -305Tunis.Saïd, die Sommerfrische der muselmanischen Aristokratie. In der dortigen Moschee wird das Grab des Sidi-bu-Saïd andachtsvoll ver - ehrt; der fromme Todte ist aber kein anderer als der heilige Ludwig.

Nächst dem Dorfe liegt die schöne Besitzung des Cardinals Lavigerie mit blühender Rebencultur.

Von der Höhe des Leuchtthurmes ist eine der grossartigsten Aus - sichten auf die ganze Umgebung zu geniessen. Vor allem ruht der

Tunis. (Sonden und Höhen in Metern.)

A Ankerplatz bei Goletta, B Brücke, C inneres Bassin, D Bahira - oder Tunis-See, E Eisenbahnstation, F Leuchtfeuer, G Paläste des Bey, H grosse Cisternen, J Cisternen, K Canal nach Tunis, L Landungs - platz in Tunis, M Frankenstadt, N Friedhof, O Vorstadt Bab-el-Tjazira, P Vorstadt Medina, Q Vor - stadt Bab-es-Suika, R Citadelle Kasbah, S Fort Fil-Fil, T Fort des Andalouses, U Fort Manubia, V Volksgarten.

Blick auf dem Trümmerfelde von Carthago und auf dessen Erben, dem neuen Hafen von Tunis.

Die Macht Carthagos, in dessen Nähe heute Tunis-Goletta stehen, war durch den zweiten punischen Krieg gebrochen, die Weltherrschaft des römischen Staates durch den Sieg der Scipionen über den syrischen Grosskönig Antiochus III. bei Magnesia (190 v. Ch.) entschieden, und doch schloss Cato der Aeltere jede seiner Reden im Senate, mochte sie welchen Inhalt immer haben, mit den Worten: Im Uebrigen aber glaube ich, Carthago muss zerstört werden , und Rom scheuteDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 39306Das Mittelmeerbecken.nicht List und Gewalt, bis 146 v. Ch. Carthago nach einem Ver - zweiflungskampfe in seiner Gewalt war. Der Sieger P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus Minor wollte die Reste schonen, aber der Senat befahl, den Pflug über die ungeheure Brandstätte zu ziehen und dann wurden Grund und Boden auf ewige Zeiten ver - wünscht, also dass weder Haus noch Kornfeld je dort entstehen möge!

Eine solche Lebenskraft traute Rom seiner stolzen Gegnerin Carthago zu, dass es nicht früher ruhte, bis kein Stein mehr auf dem andern stand. Die Weltstellung des Platzes Carthago in der damaligen Handelswelt des Mittelmeeres liess die Römer, trotz allem Unglück, das Carthago getroffen hatte, ein Wiedererstehen der Rivalin fürchten. Nun in wenigen Jahren wird Tunis wieder ein Seehafen sein; aber der Welthandel hat andere Ziele als im Alterthume, dem die Begriffe Mittelmeer und Weltmeer identisch waren. Im Handel des Mittelmeeres wird die Stellung von Tunis-Goletta vielleicht einflussreicher werden, als sie bisher war. Denn die Weltlage von Tunis an der schmalen Verbindungsstelle zwischen Ost - und Westmittelmeer gegenüber Sicilien lässt ihm wohl den Rivalen in Algier und Tripolis den Rang ablaufen; wenn auch die wichtigste, so bleibt Tunis doch immer eine Echelle des Localhandels, der nicht einmal der Verkehr des ganzen Gebietes von Tunis zufällt.

Goletta, der Hafen der Stadt Tunis, ist der Ausgangspunkt der Eisenbahn - linie, welche an das Netz von Algier Anschluss hat, und daher der erste Hafen des Landes, jedoch sind die Plätze an der Ostküste von Tunis als Endpunkte der einzelnen Thäler des Atlas in ihrem Ausfuhrhandel von Goletta fast ganz un - abhängig.

So liefen 1888 in alle Häfen der Regentschaft Tunis 7026 Schiffe mit 1,679.505 Tons ein, 6601 Schiffe mit 1,674.068 Tons aus und die Zahl der ein - laufenden Schiffe vertheilte sich wie folgt:

Von den einlaufenden Schiffen entfielen auf:

  • Goletta ........ 1020 Schiffe mit 468.319 Tons
  • Susa .......... 985 216.834
  • Sfax .......... 1624 237.057
  • Djerba ........ 779 202.237

Andere Häfen sind Monastir, Mehdia, Gabes, Bizerta und Tabarka.

In Goletta steht noch die Zahl der Schiffe der italienischen Flagge, die meist Segelschiffe von kleinem Tonnengehalt umfasst, an der Spitze des Hafen - verkehrs, nach der Zahl der Tonnen aber Frankreich mit fast zwei Dritteln des Tonnenverkehrs, denn dreimal in der Woche gehen Dampfer der Compagnie générale transatlantique von Marseille in ein und einen halben Tag nach Goletta (480 Seemeilen) und setzen den Ort mit den anderen Häfen der Regentschaft, mit Tripolis, Malta und Bona in Algier in Verbindung, und einmal landet ein Dampfer der Société générale des transports maritimes aus Marseille, während die italienische307Tunis.Navigazione generale eine Fahrt in der Woche ab Neapel-Palermo mit Tunis (231 Seemeilen) und eine zweite Neapel-Cagliari-Tunis unterhält. Hervorzuheben sind noch die englische und die griechische Flagge. Die deutsche ist seit der Einstellung des directen Verkehres der Slomanlinie fast ganz verschwunden. An ihre Stelle ist eine dänische Linie getreten, die, von Kopenhagen ausgehend, unter Anlaufen der belgischen Häfen auch den Verkehr zwischen Tunis und den Schwarzen Meerhäfen vermittelt. Der Hafen ist der Verbesserung sehr bedürftig und daher hat man seit 1887 den Ausbau eines Aussenhafens in Goletta unternommen, um auch grösseren Schiffen die Einfahrt zu ermöglichen.

Wir gehen nun über zur Darstellung der Handelsverhältnisse der Regent - schaft Tunis, nicht aber des Hafens Goletta, weil uns nur für den Handel des ganzen Staates Angaben zur Verfügung stehen.

Tunis ist ausschliesslich Ackerbaustaat. In der subtropischen Zone gelegen, hängt sein Wohl und Wehe davon ab, ob die Winterregen reichlich genug fallen Missernten sind hier um so gefährlicher, als der eingeborene Araber in guten Jahren nicht an die Möglichkeit einer schlechteren Zukunft denkt. Im Jahre 1888 verkaufte der Bauer, um überhaupt leben zu können, seine Geschmeide, welche eingeschmolzen und nach Europa weiter verkauft wurden. Wegen Mangel an Viehfutter gingen die Hausthiere massenhaft zu Grunde, und selbst bei guten Ernten wird das Land Jahre lang brauchen, um sich zu erholen und seine Kaufkraft wieder zu gewinnen. Niedergang ist also das Merkmal des jetzigen Handels von Tunis.

Für die letzten Jahre stellen sich Einfuhr und Ausfuhr folgendermassen:

〈…〉〈…〉

Nach diesen Tabellen ist wohl die Einfuhr 1888 gestiegen. Aber von dieser Steigerung entfällt der grössere Theil auf die Einfuhr von Getreide vom Schwarzen Meere, während die Einfuhr von Manufacturen, diesem Werthmesser für den Wohl - stand ackerbautreibender Länder, sehr zurückgegangen ist. Diese starke Einfuhr von Getreide ist als eine vorübergehende aufzufassen, auch Mehl, welches regel - mässig Marseille liefert, wurde in grösseren Mengen als sonst zugeführt. Vorüber - gehend ist auch die starke Einfuhr von Viehfutter, Gemüsen und anderen Lebens - mitteln in den Jahren 1887 und 1888.

Infolge der Hafenbauten zeigt sich 1888 ein Steigen der Einfuhr bei Bau - holz, welches meist aus Oesterreich-Ungarn, aber über Venedig und Genua auf italienischen Segelschiffen kommt, bei Eisen und Metallen, bei Maschinen und Instrumenten. Alle anderen Importwaaren zeigen eine bedeutende Abnahme infolge der zerrütteten finanziellen Verhältnisse der Bevölkerung. Unter diesen letzteren Importartikeln spielen Baumwollgewebe und Garne die wichtigste Rolle. Von Shirtings und T-clothes liefert 65 % England, der Rest von 35 % fällt auf die anderen Nationen, vorab auf Frankreich. In feinen Stoffen treten auch die Schweiz und Elsass-Lothringen in Concurrenz.

In Schafwollwaaren dominirt Belgien, dann folgen Frankreich, England, Deutschland und Oesterreich-Ungarn.

Im besonderen behauptet Deutschland den Markt in Flanellen, in Strumpf - waaren muss es einen harten Kampf gegen Frankreich bestehen.

Oesterreich-Ungarn beherrscht über Triest und Fiume vollständig den Markt in Zucker, in Spiritus, der zum Theile aus Deutschland stammt, doch39*308Das Mittelmeerbecken.kommen auch grosse Quantitäten amerikanischer Waare über Marseille, endlich in der Lieferung von Fez, in welcher Fabrication Tunis selbst eine hervorragende Stelle einnimmt. Glaswaaren aus Haida und Gablonz halten ihren Platz neben den theureren französischen Producten. Oesterreich-Ungarn behauptet das Feld in Möbeln aus gebogenem Holze und in Schuhwaaren; in fertigen Kleidern ist es der Hauptconcurrent Frankreichs. Bitterwasser aus Ungarn bildet heute schon einen ansehnlichen Importartikel von Tunis.

Bijouterien liefert Deutschland, Gold - und Silberfäden für Stickereien Lyon. In die Lieferung von Ultramarin muss sich Deutschland mit belgischen und französischen Fabriken theilen und in die von Goldleisten mit Italien.

England liefert den ganzen Bedarf an Steinkohlen, den grössten Theil aller Metall - und Eisenwaaren mit Belgien zusammen und billige Baumwollenartikel, Italien Wein, Oel, Papier, Quincailleriewaaren, Vieh und mit Frankreich und Eng - land zusammen Colonialwaaren, besonders Kaffee, Frankreich ausser den schon erwähnten Artikeln Häute, Leder, Seidenwaaren, Bijouterien, Wein, Seife und Lichter aus Marseille, auch Ziegelsteine und Röhren und lebendes Vieh.

Von anderen Ländern kommt noch Russland für Getreide und Petroleum und Amerika in Betreff der Petroleumeinfuhr in Betracht.

Wie viel genau auf die einzelnen Länder entfällt, weiss man nicht, der englische Consularbericht rechnet, wie das immer die Engländer thun, die Ein - fuhr in engl. Pfund um und schätzt dieselbe

  • für 1887 auf 1,108.716 engl. L.
  • 1888 1,368.187

Davon entfielen in letzterem Jahre auf Frankreich 430.000 engl. L., auf England und Malta 260.000 engl. L.; diesen folgen nach der Grösse der Einfuhr Deutschland, Belgien, Oesterreich-Ungarn und die Schweiz.

Der Export geht hauptsächlich nach Italien, das etwa die Hälfte desselben aufnimmt, nach Frankreich, England und Algier mit ungefähr je einem Achtel der Gesammtausfuhr, der Rest nach Malta, Tripolis, Egypten, Türkei, Spanien und Griechenland.

Von den Ausfuhrproducten steht in erster Reihe Olivenöl, von welchem mehr als drei Viertel nach Frankreich, der Rest nach Italien und England gehen. Würden auf Oliven und Olivenöl, bis sie nach Marseille kommen, nicht 40 % Lasten ruhen, die Pflanzungen wären weit grösser. Seit 1889 producirt man viel mehr feines Oel als früher. Noch 1887 war Weizen der wichtigste Artikel der Ausfuhr, an ihn reihte sich Gerste. Ausgeführt wurden ferner in guten Jahren Hülsen - früchte, Datteln nach Algier und nach Italien. Ansehnlich ist die Ausfuhr von Esparto (Halfa), die nach England gerichtet ist, dann die von Schwämmen, welche an der Küste südlich von Sfax 1400 Eingeborene, 500 Sicilianer und 400 Griechen beschäftigt. Eine Londoner und zwei Pariser Firmen haben in Sfax ihre Agenten und kaufen den ganzen Ertrag auf.

Für Wolle ist der Hauptmarkt Frankreich, ein bedeutender Theil der - selben wird von den Beduinenfrauen auf Handstühlen zu Stoffen für die Burnusse der Nomaden, zu Decken und Teppichen verarbeitet. Diese Gewebe gehen nach Egypten, Algier und Tripolis (Werth 1 Million Francs). Die 1611 aus Toledo vertriebenen Moriscos haben diese Industrie ins Land gebracht.

Seit Tunis unter dem Protectorate Frankreichs steht, ist auch viel für die309Tunis.Landverbindungen von Tunis-Goletta geschehen; Localbahnen wurden von Tunis aus gebaut und der Anschluss an das Netz Algiers hergestellt.

Weil nun ausserdem an der Landesgrenze Tunis-Algier kein Zoll besteht, ist Bona Verschiffungshafen für Güter aus dem westlichen Tunis.

Die telegraphische Verbindung mit Algier und dadurch mit Europa wird durch eine Landlinie und zwei Kabel (Biserta-la Calle) hergestellt.

Consuln haben in Tunis: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich (in Goletta ausserdem ein V. -C. ), Frankreich, Griechenland (G. -C. ), Grossbritannien, Italien (G. -C. ), Monaco (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Portugal, Russland, Schweden - Norwegen, Spanien (G. -C.).

Wir haben hier noch Tripolis, die Hauptstadt der gleichnamigen türkischen Provinz, zu erwähnen, von Belang als Ausfuhrhafen an der afrikanischen Küste zwischen den beiden Syrten und als Ausgangs - punkt einer wichtigen Karawanenstrasse durch die Sahara an den Tsadsee im Sudan. Tripolis, das alte Tarabulus (32° 54′ nördl. Breite und 13° 11′ östl. Länge v. Gr.), thront von alterthümlichen Mauern und detachirten Forts umgeben an einem felsigen Küstenvorsprung, von dem aus eine meilenlange Kette von Riffen und Bänken in der Richtung nach ONO. in das Meer sich zieht und einen zwar schwer anzulaufenden, allein sicheren Hafen bildet, in den Schiffe bis zu 6.2 m Tauchung einlaufen können. Diese Küstenbeschaffenheit begünstigte in früheren Zeiten ungemein das Piratenwesen, und Tripolis genoss den traurigen Ruf als einer der gefürchtetsten Raubstaaten des Mittel - meeres.

Im Alterthume gelangte die Stadt bald unter die Herrschaft Carthagos, wurde dann römisch, hierauf arabisch, stand von 1509 bis 1551 unter spanischer Herrschaft, bis die Türken von Stadt und Land Besitz ergriffen. In der Periode 1714 bis 1835 war das Paschalik von Tripolis eine erbliche Würde gewesen; seitdem regiert dort ein Vali der hohen Pforte.

Der Anblick der Stadt bietet manche malerische Reize. Ueber den dunkeln, hohen, aus den Meeresfluten aufsteigenden Mauern ragen die Kuppeln einiger Moscheen und viele hohe Minarete empor, da - zwischen Gruppen der hier charakteristischen dachlosen schneeweissen Häuser. Im Osten erhebt sich innerhalb der Citadelle das Amts - und Wohngebäude des Vali. Die Stadt zählt 30.000 Einwohner, zumeist Berber, Araber und Türken, neben ihnen 6900 Juden, 4500 Christen und überdies eine sehr starke türkische Garnison, da sich die Pforte von etwaigen Gelüsten europäischer Mächte auf Tripolis nicht überraschen lassen will.

Die Stadt liegt in einer gut cultivirten Oase, welche sehr reich ist an Oliven, Orangen und Dattelpalmen, die theils in malerischen Gruppen, theils in ausgedehnten Waldungen eine prächtige Staffage im Bilde der Festung darbieten.

310Das Mittelmeerbecken.

Die Bevölkerung von Tripolis treibt keine Industrie, sie ist dar - auf angewiesen, sich aus den Producten des Landes und dem Tausch - handel mit den Völkern des Sudan, mit denen sie die uralte Kara - wanenstrasse nach Murzuk in Fezzan verbindet, die Mittel zu ver - schaffen, welche ihr die Möglichkeit eines behaglichen Daseins und die Anschaffung europäischer Industrieerzeugnisse gestatten.

Mehrjährige Missernten infolge nicht ausreichender Winterregen und das Darniederliegen des Handels mit dem Sudan machten das Land arm; um eine halbe Million Francs Silberschmuck der Araberinnen und Berberinnen geht jährlich seit 1886 / 87 nach Frankreich, man deckt mit dem Erlöse die nothwendigsten Lebens - bedürfnisse.

In früheren Jahren wurden in Tripolis für 10 Millionen Francs Waaren sehr mittelmässiger Qualität aus Europa eingeführt, mit der Bestimmung nach dem Sudan. Als Gegenwerth kamen von dort Straussfedern, ein höchst geeignetes Tausch - object, weil sie bei geringem Gewichte hohen Werth besitzen. Das Capital, welches in diesem Tauschhandel angelegt war, verzinste sich wenigstens mit 30 40 %, in günstigen Fällen auch mit 100 150 % und mehr. Aber seit 1884 sind infolge der Ueberführung des Marktes mit Federn aus den Zuchthöfen am Cap, in Algier, Egypten, Californien etc. Straussfedern auf den europäischen Märkten entwerthet; die Federnhändler hofften lange Zeit auf Besserung, verloren aber vielfach ihr Vermögen.

Von den Artikeln Centralafrikas sind nun neben Straussfedern nur die aller - dings kostbaren, aber schwer zu transportirenden Elfenbeinzähne begehrt, es fehlen also auch dem Sudan die Mittel zur Deckung des Importes.

Die Verdrängung der österreichischen Maria-Theresia-Thaler, des bis dahin beliebtesten Geldes dieses Theiles der Sahara, durch einheimische Münzen trug ebenfalls ihren Theil dazu bei, den Sudanhandel von Tripolis, der seit dem Mahdisten-Aufstande auch den Aussenverkehr der ehemals äquatorialen Provinzen Egyptens umfasste, zu schwächen und diesen Verkehr noch weiter nach Westen, nach Algier zu drängen.

Handel des Vilajets Tripolis:

〈…〉〈…〉

Die Handelsbilanz von Tripolis ist jetzt passiv, die doppelte Höhe der Ein - fuhr gegenüber der Ausfuhr im Jahre 1887 bedeutet den Höhepunkt der Handels - krisis des Landes. Man hat 1888 die Einfuhr beschränkt, die Ausfuhr gefördert, aber wir müssen sogleich hervorheben, dass die ganze Steigerung der Ausfuhr auf einen einzigen Artikel, auf Halfa (stipa tenacissima), entfällt, also auf eine Pflanze, die nicht gebaut wird, sondern wild wächst.

Von der Einfuhr des Jahres 1888 entfielen auf Frankreich ungefähr Millionen, auf Grossbritannien und die Türkei je ca. 2·1 Millionen und der Rest mit Summen zwischen 200.000 500.000 Francs auf Italien, Oesterreich - Ungarn, Deutschland und Tunis. An Nahrungs - und Genussmitteln wurden 1888 um 6,598.000 Francs eingeführt, darunter besonders Getreide (3 Mil -311Tunis.lionen Francs) aus Russland, der Türkei und Rumänien, Mehl (2 Millionen Francs), untergeordneter Qualität, ausschliesslich aus Marseille, Olivenöl (450.000 Francs), sonst aus Tunis bezogen, kam dieses Jahr aus Canea. Zucker (220.000 Francs) aus Frankreich, Oesterreich und Deutschland, Kaffee (165.000 Francs) aus Marseille und Genua (brasilianischen Ursprungs) und Tabak und Cigarren für 400.000 Frcs. aus Italien; in letzteren Artikeln wird auch ein schwunghafter Schmuggel getrieben.

Von Rohstoffen und Halbfabricaten (1888 für 1,096.000 Francs, 1887 für 1,526.700 Francs) ist nur Baumwolle roh und als Garn aus England, Oesterreich - Ungarn, Italien und Belgien (260.000 Francs), Eisen (220.000 Francs), besonders in Bandform zum Verpacken der Espartograsballen, aus England zu nennen; von dort kommen auch Steinkohlen (150.000 Francs). Sonst wurden noch in namhafteren Quantitäten Rohseide und Seidenabfälle aus Italien, Frankreich, Creta, Werk - und Bauholz aus Italien und Petroleum aus Russland, Brennholz aus der Türkei eingeführt.

Bei den Fabricaten (1888 für 2,536.000 Francs, 1887 für 4.087.900 Francs) sind bemerkenswerth Baumwollengewebe (1,415.000 Francs), in welchem Manchester ein Monopol besitzt, Wollfabricate aus Oesterreich (Feze), Frankreich (Tuche) und Deutschland; Farbwaaren und Droguen kamen zusammen für 178.000 Francs aus Frankreich (Indigo und Cochenille), Deutschland und der Schweiz (Anilinfarben). Von sonstigen Importwaaren unter 100.000 Francs Werth wären noch zu nennen Papier jeder Art aus Italien, Frankreich und Oesterreich, Gold - und Silberpassa - mente, echte, aus Frankreich, unechte aus Deutschland, Metallwaaren aller Art (Lampenbrenner, Geschirre aus der Türkei, Malta und Oesterreich, Eisen - und Stahlwaaren aus Deutschland). Seilerwaaren aus Frankreich (Angers) und Venedig, Seidenwaaren aus Lyon, St. Etienne, Como, Krefeld und Zürich, Seife besonders aus Tunis und Marseille, Kurzwaaren aus Deutschland und Oesterreich-Ungarn, Zündwaaren aus Belgien und Kerzen aus England und Deutschland.

Die Ausfuhr von Tripolis ist in erster Linie nach Grossbritannien gerichtet, welches das ganze Halfa (1888 69.000 t im Werthe von 5·3 Millionen Francs) und fast das ganze Elfenbein (1888 0·5 Millionen Francs) aufnimmt. Frische und getrocknete Früchte, Vieh, Eier und Johannisbrot gehen nach Malta. Auf Gross - britannien folgen Frankreich (1888 1·5 Millionen Francs), Oesterreich-Ungarn, die Türkei und endlich Italien und Tunis. Die Einfuhr aus Tunis, das selbst durch Jahre unter Missernten zu leiden hat, ist gegenwärtig unverhältnissmässig klein.

Als Ausfuhrartikel sind noch zu nennen: Südfrüchte und Manteka in die Türkei, Felle und Häute (200.000 Francs) nach Frankreich und Amerika, Schweisswolle nach Frankreich, Henna nach Algier und Tunis.

Ein Theil der ausgeführten Fabricate (1888 745.000 Francs) stammt aus fremden Ländern, einen grossen Theil bildet der schon genannte Silberschmuck.

Ueber den Schiffsverkehr von Tripolis liegen neuere Angaben nicht vor; er erreichte in früheren Jahren 500.000 und 600.000 t.

Regelmässige Linien unterhalten die Compagnie générale transatlantique zweimal in der Woche mit Marseille, auf guten Verbindungen beruht das Ueber - gewicht Frankreichs und das Zurückgehen des Zwischenhandels von Malta. Die Navigazione Generale hat eine Linie von Neapel über Sicilien und Malta her; die Mahsoussie von Constantinopel hat keinen regelmässigen Dienst. Viele eng - lische Dampfer laufen Tripolis an, um Halfa zu laden.

312Das Mittelmeerbecken.

Tripolis ist durch ein Kabel mit La Valetta verbunden. Bankinstitute besitzen in Tripolis die Société de comptoirs maritimes de crédit industriel et commercial und die Banque transatlantique.

Consulate haben in Tripolis: Belgien, Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Spanien.

Zum Gebiete des Gouvernements Tripolis zählen noch das einst blühende Hochland Barka und die fruchtbaren Oasen Gadames, Fezzan und Audschila.

Am Küstensaume von Barka liegt der kleine Hafenort Ben - ghasi mit ungefähr 6000 Einwohnern, welcher mit Wadaï in Karawanen - verkehr steht. Das Land Barka spielte im Alterthum als griechische Colonie eine nicht unbedeutende Rolle. Fünf Städte lagen an seiner Nordküste, deren grösste Cyrene der Colonie den Namen Cyrenaïca gab. Hier blühte griechische Geistesbildung, die selbst unter der Herrschaft der Römer noch Geltung zu finden wusste. Das Land war dicht besiedelt und hatte gute Strassen; die nun grösstentheils in Trümmern liegenden Städte besassen Tempel, Theater und andere Bau - werke von Bedeutung.

Der Handel Benghasis ist im Niedergange; ein beträchtlicher Theil der früher daselbst angesiedelten Europäer hat daher den Ort verlassen.

Die Einfuhr erreichte 1888 2,041.000 Francs, 1887 3,102.560 Francs, die Ausfuhr 1888 4,295.460 Francs, 1887 2,728.600 Francs.

Die Nothlage der Eingeborenen drückt den Einfuhrhandel, die Steigerung des Werthes der Ausfuhr von 1888 entfällt auf Elephantenzähne aus Wadai, auf Vieh, Schweisswolle und Schwämme.

Andere Artikel der Ausfuhr sind Getreide für England und Meersalz für Syrien und Salonich.

Im weiteren Innern ist das Land mit grossen Waldungen von Pinien, Johannisbrotbäumen und Nussbäumen bedeckt; die Ausbeute dieser Schätze der Natur hat noch kaum begonnen.

[313]

La Valetta.

Im Canale von Malta, also in der schmalen Strasse zwischen der Südküste von Sicilien und dem afrikanischen Festlande, zwischen dem östlichen und westlichen Becken des Mittelmeeres, durch welchen also eine der wichtigsten Schiffahrtsrouten des Mittelmeeres führt, liegt etwa 85 km vom Cap Passero, dem nächsten Punkt von Sicilien entfernt, die Inselgruppe Malta, Gozzo und Comino, ein wichtiges und darum sorgfältig gehütetes Besitzthum Grossbritanniens. Die 180 m hohe, steil in See abfallende Insel Malta ist bei 32 km Länge und 15·5 km Breite die grösste der Gruppe. An der Nordseite liegt unter 35° 55′ nördl. Breite und 40° 31′ östl. Länge v. Gr. (Spencer’s Monument) der, wie unser Plan zeigt, fjordartig eingerissene, vielfach verzweigte und von grossartigen Festungswerken geschützte Hafen von La Valetta mit der gleichnamigen Hauptstadt des ganzen Inselgebietes.

Neben Gibraltar ist La Valetta, kurzweg Malta genannt, vermöge der centralen Lage die strategisch bedeutendste Station der Engländer im Mittelmeere. Dem Auge erscheinen die Inseln völlig vegetations - los, denn alle Culturen sind zum Schutz gegen die enorme Sommer - hitze durch hohe Steinmauern eingefasst, mitunter selbst unter das Bodenniveau eingesenkt und kommen daher landschaftlich gar nicht zur Geltung. Durch ausserordentlichen Fleiss und Beharrlichkeit gelang es den Bewohnern, mehr als zwei Drittheile der aus weichem gelben Kalksteine bestehenden Bodenkruste in fruchtbares Acker - und Garten - land zu verwandeln, auf dem nun der Segen überaus reicher Ernten ruht. Getreide, Baumwolle, Früchte, besonders Orangen, Citronen und Feigen, dann prächtiges Gemüse und frühreife Kartoffel werden in grossen Mengen gewonnen. Die Bewohner, deren Zahl 162.000 be - trägt, ungerechnet die englischen Soldaten und deren Familien, erfreuen sich dank dem reichen Bodenertrage einer ausgesprochenen Wohl - habenheit. Zahlreiche Ortschaften liegen auf Malta und Gozzo zerstreut;Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 40314Das Mittelmeerbecken.gute Fahrstrassen sind vorhanden. Die alte Hauptstadt Città Vecchia (La Notabile), seit der englischen Herrschaft stark befestigt, liegt ungefähr 10 km von La Valetta entfernt, im Innern der Insel Malta.

Im Winter werden die Inseln der milden Temperatur wegen (Mitteltemperatur im Jänner 16°C. ) viel von Fremden besucht. Allenthalben tritt dem Fremden der segensreiche Einfluss der englischen Verwaltung entgegen, welche nicht nur die nackten Felsen in reiche Fruchtgärten verwandelte, sondern Handel, Wandel und Verkehr ganz ausserordentlich hob. Auch hier bewiesen die Briten, wie weit sie als Colonisatoren allen Rivalen überlegen sind. Wie ganz anders sah es in Malta zu Anfang unseres Jahrhundertes aus!

Seit uralten Zeiten war die Inselgruppe ein viel umstrittenes Gebiet.

Die Geschichte derselben reicht weit in die vorchristliche Zeit zurück, und wird selbst mit einer der ehrwürdigsten Mythen, der Odyssee, in Verbindung ge - bracht. Dort auf Homer’s Nympheninsel Ogygia, in der man das heutige Malta erkennen will, soll die Nymphe Kalypso, deren Namen eine Höhle noch heute führt, den unternehmungsfreudigen Odysseus zurückgehalten haben.

Phönikier dürften die ersten Ansiedler daselbst gewesen sein, dann er - schienen 736 v. Chr. die Griechen. Um das Jahr 400 fiel Malta in die Gewalt der Carthager und erhielt den Namen Melité. Nun kamen 212 v. Chr. die Römer auf den Eilanden zur Herrschaft und übten selbe bis zum Verfall ihres Welt - reiches. Die Herbststürme des Jahres 61 n. Chr. bewirkten an der Nordküste von Malta den Schiffbruch des Apostels Paulus, der dann einige Zeit dort zubrachte und Bekehrungen zum Christenthum erzielte. Tempel des Apollo und der Proser - pina und ein Theater entstanden unter den Römern, fielen aber unter der Zer - störungswuth der 454 n. Chr. gelandeten Vandalen in Trümmer. Die Flut der Völkerwanderung brachte auch die Gothen (464), die Schaaren Belisars (533), die Araber (870), endlich auch die Normannen unter Roger (1090) auf die Inseln, welche in den darauffolgenden Jahrhunderten an Sicilien gebunden die Schicksale desselben theilten.

Nachdem der Johanniter-Orden im December 1522 die Feste Rhodus räumen musste, verlieh Kaiser Karl V. dem Orden die Inseln Malta und Gozzo, sowie die Festung Tripoli (Patent v. 23. März 1530); der Orden nahm von dieser Zeit an den Namen Malteser-Ritterorden an und vertheidigte den Besitz gegen die Ottomanen auf das Heldenmüthigste.

Eine der furchtbarsten Kampfperioden war die denkwürdige Belagerung der Feste im Jahre 1565 durch die Land - und Seemacht Sultan Soliman II. unter Mustapha und Piale.

Nach ungeheueren Verlusten mussten die Türken am 8. September 1565 ohne Erfolg von Malta abziehen. Der damalige Grossmeister Johann von La Va - lette beschloss hierauf den Umbau des Forts St. Elmo, die Erweiterung der Festungswerke und die Gründung einer neuen Stadt auf dem Bergrücken Sceberras. Auf letzterem entstand nun das heutige La Valetta, in welchem der aus der ersten Periode entstammende prunkvolle Palast des Grossmeisters (jetzt Gouverneur - Palais) den höchsten Punkt einnahm.

Auf seinem abenteuerlichen Zug nach Egypten bemächtigte sich Bonaparte315La Valetta.am 20. Juni 1798 durch einen Handstreich der Hauptstadt, die hierauf nach zwei - jähriger Blockade und Belagerung am 9. September 1800 in die Hände der Engländer fiel und seither mit grossartigen Festungswerken versehen, als völlig uneinnehmbares, von einer ständigen Garnison von 7000 Mann (das Local-Regiment eingeschlossen) beschütztes Bollwerk, als einer der Hauptstützpunkte der englischen Seemacht im Mittelmeere dem Vereinigten Königreiche angehört.

Der weitläufige Hafen von La Valetta bietet ein grandioses Bild voll malerischer Effecte. Wohin das Auge blickt, starren ihm Festungs - werke und Geschützreihen entgegen, die jeden Theil des Hafens wirk - sam bestreichen. Die kaum 350 m breite Einfahrt vertheidigen die stolzen Festen St. Elmo im Norden und Ricasoli im Süden. Ueber den Mauern und Bastionen baut sich die hochgelegene Hauptstadt mit ihren Thürmen und palastartigen Gebäuden auf; ihr südlich gegen - über liegen die Vorstädte Bighi, Il Birgo oder Città Vittoriosa, Lisla und Bormla um die tief eingeschnittenen fjordartigen Buchten Bighi - Creek, Caleara Cr., Dockyard Cr. (mit dem grossen Seearsenal) und French Cr. Dann folgt das Marsa-Bassin, dessen Ausläufer das süd - westliche Ende des Hafens bildet. Zwischen den beiden gewaltigen Hornwerken, welche La Valetta gegen die Landseite abschliessen, hat sich die reizende Vorstadt Floriana gelagert.

Der lebhafte Charakter der Bewohner, ihre altberühmte Vorliebe für den Wassersport, die vorzüglichen, dem Verkehr und Vergnügen gewidmeten Ruder - und Segelboote, deren Gestalt und Linienführung an uralte, vortreffliche Muster erinnern, endlich das einladende Klima und der geschützte seestille Wasserplan verwandeln den Hafen zu einem reizenden Vergnügungsort aller Gesellschaftsclassen, der an Schönheit sowohl wie an fröhlichem Getriebe seines Gleichen sucht.

Das Bassin des Haupthafens (Grand harbour) bespült, wie unser Plan zeigt, die Südseite der Stadt La Valetta, an deren Quais der rege Verkehr der grossen Dampfer und Segler stattfindet.

Die Stadt zählt mit allen Vorstädten 70.000 Einwohner und besitzt mehrere ansehnliche Strassen, unter welchen die Strada Reale die ausgedehnteste und eleganteste ist. Im Centrum derselben wird sie von dem imposanten weitläufigen Gouverneurpalais, der ehemaligen Residenz des Grossmeisters der Malteserritter, der hier einen gläu - zenden Hofstaat nach fürstlichem Muster hielt, flankirt.

Das Palais ist prächtig eingerichtet und besitzt noch reiche Erinnerungen an die Souveränetät des Ordens. Gemälde, werthvolle Gobelins, Trophäen und eine kostbare Waffensammlung erheben das Gebäude zu einer interessanten Sehenswürdigkeit. Viele der Ordens - schätze hatte Bonaparte auf die Linienschiffe L’Orient und Sen -40*316Das Mittelmeerbecken.sible geladen und nach Egypten entführt. Mit dem L’Orient , der in der Schlacht bei Akubir (1. August 1798) explodirte, ging manche Relique für immer verloren, während Sensible von den Engländern genommen, die Schätze übergeben musste, welche dann wieder nach Malta überführt wurden.

Der Pariser Louvre besitzt indes dennoch einige werthvolle Objecte des Grossmeisterschatzes, die Napoleon der Grosse dort auf - bewahren liess. Unter diesen sind ein kostbarer mit Edelsteinen be - setzter Dolch und ein ebensolches Schwert mit goldenem Gürtel, die Philipp II. von Spanien dem Grossmeister La Valette nach der helden - müthigen Vertheidigung von Malta zum Geschenke gemacht hatte, die historisch bedeutendsten.

Unter den Räumlichkeiten des interessanten aus dem XVI. Jahr - hunderte stammenden Palastes beansprucht die Halle des heiligen Michaels und heiligen Georgs sowohl durch ihre Dimensionen wie durch die Erinnerungen, die sich an diese Oertlichkeit knüpfen, einige Beachtung. Der Saal besitzt bei 25 m Länge eine Breite von 11 m und war der Festraum der Ritterschaft. Dort fanden denn auch die Investituren in den Ritterorden und die feierlichen Sitzungen statt. Die letzte derselben wurde in der Nacht zum 11. Juni 1798 abge - halten. Mme. Sajani, welche zur Zeit der französischen Invasion in La Valetta lebte, gibt in ihrem Werke: Gli altimi Giorni dei Cavalieri di Malta eine Beschreibung der letzten Rathssitzung der Ritterschaft. Die Wände waren damals mit rothem Damast bedeckt und durch grosse Spiegel abgetheilt.

Unterhalb eines gewaltigen Crucifixes stand am Ende der Halle der reich gezierte Thron des Grossmeisters. Hier sass der Grossmeister Hompesch in seiner schwarzen mit dem riesigen weissen Kreuze des Ordens geschmückten Robe; ihm zur Seite hatten der Prior von St. Johann und auf der anderen Seite der Bischof von Malta die Sitze inne. Der Vice-Kanzler des Ordens und zwei Priester sassen an einem Ebenholztisch und die Palast-Officiere standen nächst dem Throne. In schweren vergoldeten Armstühlen sassen die Säulen (Bailifs) der sieben Zungen mit ihren Vertretern und hinter diesen die Ritterschaft.

Der grösste Raum des Palastes ist der Waffensaal mit 75 m Länge und 11 m Breite. Hier waren ehemals die für eine Armee von 25.000 Mann berechneten Waffen der Ritterschaft aufgestapelt. Seit 1855 ist die Sammlung im Fort St. Elmo untergebracht, und enthält der Saal gegenwärtig nur die kostbarsten Waffen, Trophäen und[317]

La Valetta.

Das grosse Hafen-Bassin von Malta.

318Das Mittelmeerbecken.Documente des Ordens. Unter den letztgenannten ist die Original - Bulle des Papstes Paschalis II. aus dem Jahre 1113 enthalten, mittelst welcher derselbe dem Hospitale zum heiligen Johannes in Jerusalem seinen Schutz und Schirm gewährte.

Auch die berühmte Trompete, mit welcher die letzte Retraite beim Abzug der Ritter aus Rhodus (December 1522) geblasen wurde, ist als theures Vermächtniss der Grossmeister im Waffensaale auf - bewahrt.

Anschliessend an das Palais ist die 40.000 Bände enthaltende Bibliothek, in deren Gebäude auch Sculpturen aus phönikischer und römischer Zeit gesammelt wurden.

Unter den kirchlichen Bauten beansprucht die Kathedrale St. Giovanni als eigentliche Ordenskirche und als Bauwerk der berühmten Periode des Cinque Cento angehörend, eine hohe Beachtung.

Der Bau datirt aus dem Jahre 1576 und zeichnet sich durch reichen architektonischen und plastischen Schmuck aus. Dort hatten viele Grossmeister und Ordensritter, deren kunstvolle Denkmäler eine prächtige Zierde bilden, die letzte Ruhestätte gefunden. Die einzelnen Staaten und Provinzen (Bayern, Frankreich und die Provence, Italien, Oesterreich, Portugal, Spanien) haben in der Kathedrale besondere Seitencapellen, die mitunter auf das Kostbarste ausgestattet sind und herrliche Gemälde und Sculpturen oder Bronzegüsse enthalten.

Unter den sonstigen Grossbauten der Stadt zählen die Häuser der verschiedenen Nationen (auberges), die gegenwärtig grösstentheils baulich verändert meist für Clubzwecke Verwendung finden, zu den hervorragendsten. Das Clubwesen ist hier am Sitze einer starken eng - lischen Colonie natürlich sehr ausgebildet und beherrscht die ge - sammte Gesellschaft.

Im Norden von La Valetta mündet ebenfalls ein tief eingeschnit - tener Hafen, in welchem die Insel Jezirah mit dem starken Fort Manuel lagert und die Flanke der Hauptfestung deckt.

Die Malteser, eine Specialität von Racenkreuzung der ver - schiedenen Völker, welche nach einander die Felseninseln bewohnten, sind ein fleissiges Volk, sie scheuen nicht harte Arbeit, haben Talent für Mechanik und sind tüchtige Kaufleute und kühne Seefahrer. Malta gehört zu den dichtest bevölkerten Flecken der ganzen Erde, 500 auf den km2, und darum müssen viele Malteser, so gut auch die Insel bebaut ist, so viel auch durch den Handel verdient wird, dessen Entwicklung bedingt ist durch die wundervolle Handelsstellung der Maltagruppe im Mittelmeere und den Verkehr nach Indien, doch319La Valetta.auswandern, weil ihre Heimat zu klein ist. Wir finden die oliven - farbenen Söhne Maltas als Kaufleute in allen Plätzen des Mittel - ländischen Meeres, besonders aber in Egypten und Tunis, wo sie zum Aerger der Briten als englische Unterthanen oft den Schutz der Consuln in Angelegenheiten aufsuchen, die mit unserer Moral nicht recht vereinbarlich sind. Der maltesische Dialect ist ein verderbtes Arabisch, die Handelsleute sprechen auch italienisch oder englisch oder auch beide Sprachen.

Für die Betheiligung La Valettas am Welthandel sind selbst - verständlich die Engländer entscheidend, die hier einen ihrer grössten festen Plätze für die Sicherung des Seeweges nach Indien besitzen, welcher gegenwärtig Gibraltar an Bedeutung weit überragt, weil die räumliche Ausdehnung der Insel die Concentrirung grösserer Truppen - massen gestattet, wie wir das im Jahre 1878 gesehen haben, als das Ministerium Disraeli indische Regimenter nach Malta zog, um mit ihnen im gegebenen Falle an der Seite der Türken Constantinopel gegen die Russen zu vertheidigen.

Die officiellen Veröffentlichungen über den Handel umfassen nur jene Artikel, welche Zöllen unterworfen sind. Aber wir wissen doch, dass der Durchfuhrhandel, für welchen die Insel Malta im Aus - lande einstmals so wichtig war, heutigentags beinahe aufgehört hat. Die Orte an der benachbarten Küste Afrikas, wohin der Transito zu - meist ging, stehen jetzt überwiegend in directem Verkehre mi[t][d]em Auslande. In dem von Jahr zu Jahr sich steigernden Besuche von Fremden in den Monaten November bis März findet Malta theilweise Ersatz für den Verlust. Der grösste Theil der 46.844 Passagiere, welche die Schiffe 1888 nach Malta brachten, besuchte La Valetta freilich nur für die wenigen Stunden, welche die Schiffe brauchen, um Kohle aufzunehmen. Den Werth des Goldregens, welchen der Fremden - verkehr jedem Lande, den er befruchtet, bringt, wissen Regierung wie Volk von Malta wohl zu würdigen, aber auch zu fördern. Nach jeder Richtung wurden die Ansprüche des modernen Curortes berück - sichtigt.

Der Handel zeigt folgende Güterbewegung: Als grossartige Kohlenstation der Ostindienfahrer und der Kriegsschiffe führt Malta in erster Linie Stein - kohlen ein; Cardiff und Newcastle in kleinerem Masse decken den Bedarf; Ein - fuhr und Reexport 1888 99.116 t. Beim Verladen der Kohle finden 10.000 Menschen Beschäftigung.

Aus Albanien und Toscana kommen in bedeutenden Mengen Holzkohlen auf Segelschiffen, aus Fiume Buchen - und Eichendauben und unbehauene Ruder, aus Triest Tannenbrettchen. Aus den Buchendauben macht man in Malta Fässchen320Das Mittelmeerbecken.für den Transport von Kartoffeln (man braucht deren 14.000 20.000 Stück), aus den Tannenbrettchen Kisten für denselben Zweck und für Agrumen.

Oesterreich-Ungarn führt auch Stühle (1888 1349 Dutzend) und Möbel über - haupt ein. Der frühere Zwischenhandel Maltas in Holz für Nordafrika hat, wie erwähnt, fast ganz aufgehört.

Zucker, worin Oesterreich-Ungarn via Triest 1888 mit 1246 t über die Hälfte des Imports deckte, kommt auch noch aus Hamburg und London und wird theilweise nach der Berberei und Südsicilien ausgeführt.

Getreide, namentlich Weizen, wird vom Asow’schen Meere (Taganrog) und auch aus Syrien bezogen. Mehl aus Braila und weniger aus Fiume (1888 967 Säcke = 96 t). Alle Getreidespeicher der Insel, die hier Fosse genannt werden, ge - hören der Regierung.

Für den Bedarf der Garnison, welche viel Fleisch braucht, wird Rindvieh montenegrinischer Herkunft über Cattaro zugeführt; Ochsen und Schafe liefern Syrien und Nordafrika. Die frühere starke Einfuhr aus Südrussland und den Donau - häfen ist jetzt verboten. Bosnien könnte hier concurrenzfähig auftreten, sobald die Bahn Scrajevo-Mostar fertiggestellt sein wird.

Für Triest könnte leicht Kaffee, für Fiume Reis ein Artikel des Handels nach Malta werden.

Für Bier und Malzproducte, welche die englische Colonie consumirt, ist Eng - land Hauptlieferant, für Spiritus Oesterreich-Ungarn (300 t), Deutschland und Eng - land. Wein kommt besonders aus Frankreich, Sicilien und Süditalien.

Frankreich sendet grosse Posten von Quincaillerien neben Oesterreich (768 t), das auch in Lederwaaren hier England gegenüber siegreich ist. Ausserdem liefert es auch noch bedeutende Massen von Glaswaaren.

Belgien ist an dem Import mit bearbeitetem Eisen, Weissblech und Tafel - glas stark betheiligt, während Italiens Import an Oel, Obst und Wein sich in sehr bes〈…〉〈…〉 denen Grenzen bewegt.

Der Export Maltas ist unbedeutend. Ausser den schon oben erwähnten Transito-Artikeln sind es Erzeugnisse der Insel selbst, welche exportirt werden.

In erster Linie stehen Winter - und Frühjahrs-Kartoffeln. Der Anbau dieser Kartoffeln ist für die Grundbesitzer Maltas zu einer Quelle des Reichthums gewor - den. Die Kartoffeln werden zweimal im Jahre ausgesäet, im October nach dem ersten Regen und im December; die Ernte findet dann im December, beziehungsweise im März statt. Die zweite Ernte allein beträgt oft 40.000 q. Früher war England der Hauptabnehmer, seit aber dort die Canarischen Inseln und Portugal als glückliche Concurrenten auftreten, wendet sich die Ausfuhr stark nach Triest und Fiume, wohin die Adria in der Saison einen regelmässigen Verkehr mit billigen Frachtsätzen eingerichtet hat.

Triest ist Transitoplatz für Deutschland. Es schickt Herbstkartoffel nach Malta für den Bedarf der dortigen Garnison, während Saatkartoffel aus Belfast kommen.

Fast die ganze Jahresproduction von Zwiebeln (10 20.000 q) geht nach England; von den vorzüglichen Mandarinen Maltas kommt wegen des starken einheimischen Consums wenig zur Ausfuhr, und der früher wichtige Export von Baumwolle hat ganz aufgehört.

Das Thierreich liefert Häute und Talg, die nach Triest, das Mineralreich Malteser Steine und Platten nach Sicilien, Alexandria, Salonich und Constan -321La Valetta.tinopel. Handel und Ackerbau allein können die starke Bevölkerung nicht ernähren und die Industrie ist heute sehr arm. Der Schiffbau, einst eine hervorragende Hilfsquelle Maltas, hat aufgehört, ebenso die Erzeugung von Sesseln. Die ein - heimische Industrie liefert für den Export nur Strohhüte, besonders für die eng - lische Marine, Filigranarbeiten aus Gold und Silber. Binsenkörbe zum Kohlenladen

La Valetta (Malta). (Massstab 1: 45.400; Sonden in Metern.)

A Anlegeplatz der Dampfer, B Zollamt, C Gun Wharf-Spitze, D Ras Hanzin (Magazin-Spitze), E Slip-Werften (Schiffsaufzug), F Leuchtfeuer, G Kohlendepots, H Conradino-Gefängniss, I Militär - Gefängniss, J Speucer’s Monument, K See-Arsenal, L Trocken-Dock, M Isola-Point, N Fort St. Angelo, O Marine-Spital, P Gaswerke, Q Kloster, R Helena-Thor, S Polverista-Thor, T Zabbar-Thor, U Floriani - Hornwerk, V hydraulisches Hebewerk, W Garten, X Friedhof, Y Quarantaine-Anstalt, X Imgherbek - Spitze. 1. Gouverneur-Palais, 2. Strada reale, 3. Porta reale, 4. Admiralität, 5. Opernhaus, 6. St. Pauls - Kirche, 7. Kathedrale St. Johann, 8. Wasser-Reservoir der Marine.

nach Port Saïd, Suez, Aden, ferner Spitzen und bunte Taschentücher mit tür - kischen, persischen etc. Mustern.

Seit 1887 besteht auch eine Fabrik sogenannter schwedischer Zündhölzchen auf Malta, die ihre Erzeugnisse nach der Berberei ausführt.

Die Einfuhr jener Güter, welche hier gelandet wurden, erreichte 1888 875.853 , die bloss transitirenden oder reexportirten 26,763.123 . Ein Werth von 25,853,380 des Gesammtimportes kam aus fremden Ländern. AusgeführtDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 41322Das Mittelmeerbecken.wurden Güter um 70.874 , es transitirten solche um 25,955.348 , davon um 11,216.381 nach fremden Ländern, der Rest nach Grossbritannien und britischen Besitzungen.

Maltas Schiffsverkehr ist natürlich vermöge seiner geographischen Lage und seines Charakters als Zwischenstation ein äusserst lebhafter, wie die nachstehende Tabelle der einlaufenden Schiffe zeigt:

〈…〉〈…〉

Nach den verschiedenen Flaggen geordnet, stellt sich die Betheiligung der einzelnen Nationen an diesem Verkehr folgendermassen: Den ersten Platz nimmt natürlich England ein mit einem Einlauf von 3847 und einem Auslauf von 3848 Schiffen von beziehungsweise 4,827.394 t und 4,401.893 t Gehalt. Dann folgen Frankreich, Italien, Griechenland, Oesterreich-Ungarn und Montenegro.

Malta ist Kohlenstation der englischen Ostindienfahrer, Station der Pen - insular - und Oriental-Cy. auf den Linien nach Brindissi, der Linie Marseille-Tunis - Malta-Tripolis, der Compagnie générale transatlantique, der Linie Hamburg-Triest von A. C. Freitas und Cie., und der Linien der Navagazione generale Tunis - Tripolis-Malta und Messina-Syrakus-Malta. Auch die neue Linie von Hamburg nach der Levante wird hier anlegen.

Von Malta gehen acht Kabel der Eastern Telegraph Cy. aus: 1 nach Gibraltar, 2 nach Bona, 1 nach Tripolis, 2 nach Modica auf Sicilien, 2 nach Alexandria. Die Telegraphenleitungen der Insel stehen unter der Militär - verwaltung. Das Telephonnetz ist weit verbreitet. In Malta bestehen 2 Locul - banken (Banco di Malta und Anglo-Maltese-Bank) und eine Zweigniederlassung der Anglo-Egyptian-Bank; auf Malta sind auch Postsparcassen eingerichtet.

Consuln haben hier: Argentinien, Belgien, Brasilien, Chile, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Italien, Marokko, Niederlande, Oester - reich-Ungarn, Persien, Portugal, Rumänien, Russland, Siam, Schweden und Nor - wegen, Türkei (G. -C. ), Vereinigte Staaten, Venezuela.

[323]

Palermo.

Wenngleich die Insel Sicilien geographisch und geologisch dem italienischen Festlande zugehört und von diesem nur durch die in der engsten Stelle 3200 m breite Enge von Messina getrennt ist, so haben die Entwicklung der Culturverhältnisse und die Gestaltung der Schicksale seiner Bewohner dennoch eigene, lange Zeiträume hindurch von Italien unabhängige Wege genommen; und so viele Völker im Laufe der geschichtlichen Periode auf der Insel gewohnt oder geherrscht und Zeugnisse ihrer künstlerischen Befähigung zurückgelassen hatten: sie vermochten die specifisch-sicilianische Eigenart in keiner Richtung zu vernichten.

So erscheint uns denn Sicilien mit seiner grossartigen Natur und reichen Production, seinen eigenthümlichen Volkssitten und ehrwürdigen Traditionen, seinen die Kunstepochen dreier Jahrtausende repräsen - tirenden Monumenten als ein für sich abgeschlossenes Gebiet, als ein Eiland, dem an allgemeinem Interesse wenige Flecken der Erde gleichgestellt werden können.

Die Insel (griechisch Sikelia und Trinakria) ist bei einem Flächeninhalte von 25.800 km2 die bedeutendste des Mittelmeeres. Sie ist fast durchwegs gebirgig, und finden sich an ihrer 820 km langen Steilküste nur kurze Strecken mit seichtem Strande vor.

Zahlreiche landfest gewordene Küsteninseln bilden mitunter prächtige natürliche Häfen, wie jene von Syrakus, Augusta, Trapani und andere Hafenbildungen durch Anschwemmung entstanden, z. B. bei Messina wohl durch die scharfe Gezeitenströmung in der Meerenge.

Eine Eigenthümlichkeit der sicilianischen Küsten sind die zahl - reichen, jedoch wasserarmen Flüsse, die in oft sehr breiten mit Ge - rölle bedeckten Rinnsalen den grössten Theil des Jahres als dünne Wasseradern hinströmen, aber nach Regengüssen mit furchtbarer Gewalt und oft Verheerungen anrichtend dem Meere zustürzen.

41*324Das Mittelmeerbecken.

Diese Gebirgsflüsse, Fiumare genannt, sind ebenso eine Charak - teristik der sicilianischen Küstenlandschaft, wie die kahlen, bronce - farbigen vulcanischen Hügel - und Bergketten und das tiefblaue Meer.

Die Spuren der ältesten Bewohnerschaft der Insel führen, nach den dort aufgefundenen Steinwerkzeugen zu schliessen, in prähistorische Zeiträume zurück. Als nachweisbar erstes Volk erschienen die Sikaner, vielleicht keltischen oder iberischen Ursprungs, aber bereits vor 1000 v. Chr. hatten sich die kriegerischen und seegewohnten Sikeler in der Osthälfte der Insel angesiedelt und dort Städte gegründet. Zu diesen gesellten sich die Phönikier und im VIII. Jahrhundert v. Chr. kamen die ersten Griechen (Ionier und Dorer); unter diesen entstand unter anderem 735 Naxas und 734 Syrakus.

Die verdrängten Phönikier stellten sich im VI. Jahrhundert v. Chr. unter den Schutz Carthagos. Die Tyrannenherrschaften der volkreichen Städte (Syrakus!), zahllose Parteikämpfe, dann der Ansturm der Carthager von Westen her gegen Syrakus angestrebte Alleinherrschaft, endlich das kriegerische Auftreten Roms, dem 212 v. Chr. die ganze Insel zufällt, füllen die Annalen von mehreren Jahr - hunderten.

Während der römischen Herrschaft wurde die Insel wiederholt durch Sclavenkriege und durch die erbitterten Kämpfe zwischen Octavianus und Sextus Pompejus verwüstet und entvölkert, so dass Augustus, um den Verfall aufzuhalten, Colonisten zuführen lassen musste.

Obgleich der Apostel Paulus auf seiner Weltfahrt in Syrakus landete, so scheint das Christenthum auf Sicilien dennoch nur schwer Eingang gefunden zu haben. Erst im III. Jahrhundert und dann unter Constantin dem Grossen blühte der neue Glaube auf. Doch gab es im VI. Jahrhundert noch Heiden auf der Insel.

Theodorich, der Ostgothe, warf sich 493 n. Chr. zum Herrn auf, und 535 kam Sicilien wieder unter die Herrschaft der Byzantiner. Nun landeten im Jahre 827 die Sarazenen und eroberten die ganze Insel. Palermo fiel, eine der ersten Städte, (830) in ihre Gewalt. Im XI. Jahrhunderte werden die Normannen unter Roger I. Herren von Sicilien, und Roger II. lässt sich im Besitz von Apulien 1130 in Palermo zum König beider Sicilien krönen. Das Inselreich erblüht zu Kraft und Ansehen, aber nur zu bald unterliegt es im Erbfolgekrieg gegen Heinrich VI. (1194), den Sohn Friedrich Barbarossa’s. Nach Heinrich’s zu Messina erfolgtem Tode (1173) trat Kaiser Friedrich II. als König Friedrich I. eine segensreiche Herrschaft an; die Krone fällt aber, nachdem Karl von Anjou 1268 den letzten Sprossen des hohenstaufischen Kaiserhauses Conradin hatte hinrichten lassen, dem Haus Anjou zu. Dieses unterliegt bald darauf; die sicilianische Vesper (1282) war die Antwort auf die Blutthat an Conradin. Unter Peter III. von Aragon, Schwieger - sohn Manfred’s, der nun das Scepter ergreift, wird die Insel durch endlose Kämpfe gegen die Anjous und Neapel verwüstet und verfällt in der Folge. Alfons V. (1442) stellt das Königreich beider Sicilien wieder her und dieses ver - bleibt dann von 1501 bis 1713 unter Spanien.

Im Frieden von Utrecht erlangt Amadeus von Savoyen die Insel, die 1720 gegen Sardinien an Oesterreich ausgetauscht wird.

1735 wird Don Carlos von Bourbon König beider Sicilien, und bleibt das Reich, eine Unterbrechung während der Kriege gegen die französische Republik und das erste Kaiserthum abgerechnet, bis 1860 im Besitze dieses Herrscherhauses; Garibaldi’s Landung in Marsala führt den Anschluss an das Königreich Italien herbei.

325Palermo.

Aus diesen geschichtlichen Fragmenten geht die für Siciliens Vergangenheit bezeichnende Thatsache hervor, dass jedes der grossen Völker Europas, die auf dessen Cultur von Einfluss gewesen sind, auf Sicilien Fuss gefasst und seine Spuren zurückgelassen hat. In dem letzten Jahrtausend war die politische Capitale der Insel Palermo, früher Syrakus.

Palermo, das alte Panormus, ist phönikischen Ursprunges und spielte im Laufe der Jahrhunderte wiederholt eine hervorragende

Palermo.

Rolle. Zur Zeit der Araber war es die Hauptstadt und soll 300.000 Einwohner gezählt haben; hier spielte sich das entsetzliche Drama der sicilianischen Vesper ab; hier residirten die spanischen Vicekönige, welche im Vereine mit dem reichen Adel und der Geistlichkeit die Stadt mit Glanz und Prunk erfüllten und ihr durch herrliche kirch - liche Bauten und Paläste sowie durch die beiden die Stadt in Kreuz - form durchschneidenden merkwürdigen Hauptstrassen jenen architek - tonischen Charakter aufprägten, den man noch heute mit Bewunde - rung betrachtet. Palermo hatte in der Folge durch Revolutionen, Cholera und Bombardements viel zu leiden, nimmt aber seit der Ver -326Das Mittelmeerbecken.einigung Siciliens mit Italien einen ununterbrochenen Aufschwung in jeder Richtung.

Heute zählt Palermo als Hauptstadt der Insel mit Einschluss der Vororte 265.000 Einwohner.

Die Lage der Stadt ist eine herrliche. Eine weite fruchtbare Ebene, deren Name la Conca d’oro (die Goldmuschel) den Reichthum der Ernten andeutet, die hier der Boden beschert, umgibt die Stadt in weitem Umkreise und erstreckt sich nördlich zwischen dem impo - santen Massiv des malerischen Monte Pellegrino und dem östlich von diesem liegenden Monte Catalfano. Unsere Illustration zeigt den neuen Hafen, der im Süden des Monte Pellegrino erbaut wurde, in Deckung mit diesem Berge. Orangen, Citronen, Baumwolle und alle Boden - producte gedeihen hier auf das üppigste. Namentlich ergibt der Agru - menbau (Orangen und Citronen) reichen Gewinn. Der Ertrag eines Hektars Limonencultur beträgt in der Conca d’oro ungefähr 4000 Francs im Jahre; Orangen (Apfelsinen) ergeben dagegen auf den Hektar um 1000 Francs weniger. So reiht sich denn hier wie längs der ganzen Nordküste bis Messina und von dort bis Catania Garten an Garten mit den prächtigsten Culturen, ein weites, blüthenduftiges Paradies. Palermo la felice , das ohnehin durch Lage und mildes Klima aus - gezeichnet ist, geniesst auch die Vortheile einer grossen Production.

Die Stadt wird, wie unser Plan zeigt, durch die Hauptstrassen Via Vittorio Emanuele (früher Via Toledo, unter den Arabern el Kassar und jetzt noch vom Volke Cassaro genannt) und Via Macqueda, die unter rechten Winkeln sich schneiden und an ihrer Vereinigung den runden Platz Quatro Carti bilden, durchzogen.

Das sind die grossen, stets belebten Verkehrsadern der Stadt, in welchen Paläste, Kirchen und öffentliche Gebäude liegen.

An der Via Vittorio Emanuele, welche bei der Porta Felice am Meere ausmündet, liegt auch die Piazza Vittoria, der grösste öffent - liche Platz Palermos; dessen Südseite bildet der aus arabischer Zeit ent - stammende festungsartige Palazzo Reale, an dem die beiden Roger Friedrich II. und Manfred gebaut hatten. Dieses Bauwerk mit seinem herrlichen Arcadenhof, seinen Thürmen, seiner mosaikgeschmückten uralten Capelle Palatina und der im hohen Thurme S. Ninfa unter - gebrachten Sternwarte (38° 7′ nördl. Breite, 13° 21′ östl. Länge v. Gr.) ist neben dem herrlichen Dome, der Kathedrale von Palermo, das interessanteste Bauwerk der Stadt. Diese letztere stammt aus dem XII. Jahrhundert und enthält die sehenswürdigen Königsgräber und werthvolle Kunstwerke.

327Palermo.

Die Via Vittorio Emanuele erhält durch den schönen Corso Calatafini eine Fortsetzung gegen die Südseite der Stadt; hieran schliesst sich die Strasse nach dem schöngelegenen Monreale, einer Stadt von 16.500 Einwohnern, dessen alte Kathedrale, wegen ihres Reichthums an Kunstwerken, worunter die Mosaiken zu den umfang - reichsten in Sicilien zählen, berühmt ist.

Die zweite Querstrasse Macqueda führt in nordwestlicher Rich - tung in die schnurgerade Via della Libertà, die ein wahres Paradies von Gärten, Villeggiaturen und prunkvollen Anlagen durchschneidet; dort wogt das fesselnde Treiben der eleganten Welt, wie des lebens - frohen Volkes.

Eine wahre Perle muss die wunderbare Promenade längs der Marina am Meeresstrande genannt werden. Die breiten schattigen Alleen derselben führen in den Park la Flora oder Villa Giulia, der zu den schönsten und lieblichsten öffentlichen Gärten Italiens zählt und im Jahre 1777 angelegt wurde. An die Flora grenzt der reiche botanische Garten, der ebenfalls zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gerechnet werden darf.

Palermo ist der Sitz eines Erzbischofs, des Generals-Commandos des 12. Armeecorps und des höchsten Gerichtshofes der Insel. Die Universität ist eine der bedeutendsten Italiens. Hier befinden sich ferner eine Handelskammer, eine königliche Ingenieurschule und die höhere Schule für den Schwefelbergbau.

Reich an Kunstschätzen jeder Art, von welchen viele kostbare im Museo nazionale bewahrt werden, trägt die von dem Zauber er - lauchter Erinnerungen umgebene Stadt die stolzen Attribute histori - scher Grösse, hoher cultureller, aber auch grosser commercieller Be - deutung an sich.

Der überwiegend grösste Theil des Seeverkehrs vollzieht sich in dem nördlich der Stadt angelegten neuen Hafen, kurzweg Porto genannt, dessen für die grössten Schiffe ausreichende Wassertiefe durch kostspielige Baggerungen erzielt wurde. Dort mündet die Stadtbahn, welche, ausserhalb des Weichbildes von Palermo geführt, gleichzeitig dem Personen - und Frachtenverkehr dient und die Verbindung der Bahnen nach Ost und West herstellt. Der alte Hafen von Palermo, die sogenannte Cola, dient der geringen Wassertiefe und des be - schränkten Raumes wegen nur den kleineren Schiffen.

Die wirtschaftliche Lage Siciliens ist seit 1886 keine glückliche. Vor dieser Zeit erfreute sich die Insel lange Zeit hindurch einer regelmässigen Handelsbewegung; ruhig und stetig stützte sich der328Das Mittelmeerbecken.Handel auf die Ausfuhr der eigenen Producte der Insel, meist mit Segelschiffen, die für sich allein eine besondere Speculation italienischer Rheder bildeten. Es war eine Zeit des Wohlergehens. Der Bauer verdiente viel, und mit ihm lebten auch die anderen Stände in einer gewissen, gesicherten Wohlhabenheit. Die Verwüstungen, welche die Reblaus in Frankreich angerichtet hatte, der starke Consum der Orangen in den Vereinigten Staaten sicherten dem Weine und den Orangen Siciliens leistungsfähige Abnehmer. Da brach eine Krisis herein; sie nahm ihren Anfang mit der Entwerthung des Schwefels, der in Girgenti an der Südküste Siciliens gewonnen wird, fand ihre Fortsetzung bei den Agrumen und wurde zuletzt durch den Preis - sturz des Weines ungemein verschärft. Der namhafte Gewinn, welcher bei Wein und Orangen erzielt wurde, führte zu übermässiger Aus - dehnung dieser Culturen.

Ein Ende dieser traurigen Verhältnisse ist nicht abzusehen, denn die Ursachen derselben werden zum grossen Theile andauern. In den Vereinigten Staaten wird die Darstellung der Schwefelsäure aus Schwefelkiesen sich immer weiter ausdehnen und den Rohschwefel Siciliens entbehrlich machen, die Verheerungen, welche in Frankreich die Reblaus angerichtet hat, werden mit Glück bekämpft, die Wein - production nimmt dort wieder rasch zu; und auch das Aufhören des Zoll - krieges zwischen Italien und Frankreich, der seit März 1888 dauert, wird daher nicht mehr die alten Preise bringen; das Absatzgebiet der Vereinigten Staaten für Orangen, die man dort in Californien, Louisiana und Florida in immer grösserer Ausdehnung baut, wird jährlich kleiner, wie die trostlosen Preise beweisen, welche sicilianische Orangen 1889 jenseits des atlantischen Oceans erzielten. Man rechnete früher 1000 Stück mit 50 Lire, jetzt sind 12 Lire ein guter Preis. Neue Gegenden für den Verbrauch der genannten drei Artikel sind sehr schwer zu schaffen. Wohl entwickelt sich Triest als wichtiger Platz für Agrumen von geringerer Haltbarkeit in Europa, und in Canada steigt der Consum der Orangen und Limonen, aber viel zu langsam für die grosse Production Siciliens. Durch sogenannte Natio - nallager , die in der Fremde errichtet werden, hat sich die Weinaus - fuhr in die Schweiz und nach Deutschland entwickelt. Die neu errichtete Dampferlinie Adriatica-Platense, welche von Venedig über Apulien und den grossen Weinhafen Riposto bei Catania nach dem Rio de la Plata geht, führt apulischen und sicilianischen Wein direct dahin, aber diese Länder können nicht das frühere so aufnahms - lustige Frankreich ersetzen.

329Palermo.

Bei dem allen muss Sicilien, die ehemalige Kornkammer Roms, dank der herabgekommenen Agriculturzustände, Getreide in grossen Mengen vom Schwarzen Meere her und in neuerer Zeit von Ostindien, ebenso Schlachtvieh, ja selbst Gemüse von auswärts einführen.

Mit der rückläufigen Bewegung des Handels hielt diejenige

Palermo. (Sonden in Metern.)

A Hafen von Palermo, B Rhede, C Porta felice, D Fort Castellamare, E Arsenal, F Leuchtfeuer, G Ge - fängniss, H Central-Eisenbahnhof, J Marina-Platz, K La Flora, L königl. Palais, M Via Vittorio Emanuele (Toledo), N Via Macqueda, O Ringbahn (Circonvalazione), P Ammiraglio-Brücke, R Kathedrale (Duomo), S Sanität, T Eisenbahnstationen, U Werften und Slip, V Signalstationen, W botanischer Garten, X Piazza della Vittoria, Y Corso dei Mille, Z Strada della Libertà. 1. Theater. 2. Pretoria, 3. S. Giovanni degli Eremiti, 4. Museo nazionale, 5. Politeama, 6. Zollamt Sta. Lucia

des Seewesens gleichen Schritt. Die gewinnbringenden Schiffsfrachten, welche bisher das Capital der einheimischen Rheder gekräftigt hatten, gingen ganz in die Hände der englischen Dampfer, mit welchen französische und deutsche in Mitbewerb traten; die Segelflotte Sici - liens ist dem Untergange geweiht.

Die oben geschilderte einseitige Entwicklung des AckerbauesDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 42330Das Mittelmeerbecken.Siciliens wird bei der Eigenart der Bevölkerung sich sehr langsam ändern, und eine Fabriksthätigkeit, die ersetzen könnte, was an Ver - dienst beim Ackerbau verloren gegangen ist, existirt auf dem schönen Eilande schon deshalb nicht, weil der Sicilianer, wie der Neapolitaner im Allgemeinen jede Fabriksarbeit hasst und lieber hungert, als acht Stunden im engen Fabriksraum arbeitet. So tritt uns in Sicilien auf Schritt und Tritt die Verarmung mit all ihren traurigen Folgen entgegen.

Wir mussten diese Einleitung voranschicken, um bei den folgenden Hafenplätzen lästige Wiederholungen zu vermeiden und schildern nun den Handel Palermos.

Palermo ist die grösste Stadt Siciliens und auch der wichtigste Hafen und erste Handelsplatz der Insel, denn von hier gehen drei Eisenbahnlinien ins Innere, und die Küstenbahn nach Messina, an der man schon über 20 Jahre baut, wird doch endlich fertig werden. Palermo hat durch diese Verbindungen unter allen Häfen der Insel das ausgedehnteste Hinterland und ist namentlich wichtig für den Import fremder Waaren. Sein Export beruht auf den bekannten Erzeugnissen Siciliens, auf Orangen, Limonen, Olivenöl, Wein und Weinstein, Sumach.

Palermo exportirt unter allen Häfen Siciliens die meisten Agrumen; es hat aber nicht allein durch die Verminderung des Werthes der Früchte gelitten, sondern auch durch den Rückgang der ausgeführten Mengen, was bei Messina und Catania nicht der Fall ist.

Es wurden 1888 693.085 q, 1887 1,214.639 q (24,332.795 Lire) und 1886 500.941 q exportirt.

Die Ausfuhr von Essenzen und Pflanzensäften aus Palermo ist besonders hoch, dagegen sinkt stark die von trockenen Früchten 1888 7869 q, 1887 10.752 q im Werthe von 1 Million Lire; auch bei diesem Artikel macht sich der Preis - rückgang geltend. Zu nennen sind noch Manna und Haselnüsse.

Auf Sicilien produciren die Provinzen Palermo und Messina das meiste Olivenöl. Ausfuhr 1888 7127 q, 1887 9128 q (Werth 1·1 Millionen Lire) 1886 2114 q.

Von Wein wurden nur ausgeführt in Fässern 1888 13.429 hl, 1887 7250 hl, Werth 261.000 Lire. Die Exportgebiete des Weines liegen im Osten und im Westen der Insel. Flaschenweine werden dafür in steigender Menge eingeführt; 1888 123.931 Flaschen.

Weit wichtiger als Wein ist für Palermo Weinstein; 1887 wurden 21.542 q im Werthe von 3·2 Millionen Lire, 1886 10.645 q im Werthe von 1·3 Mil - lionen Lire ausgeführt.

Sumach ist ein hervorragender Ausfuhrartikel Palermos; die eine Hälfte geht nach der Union, die andere nach England. Ausgeführt wurden von Farb - und Gerbstoffen 1888 296.912 q, 1887 334.129 q im Werthe von fast 9 Millionen Lire; den Hauptantheil an dieser Ziffer hat Sumach, dessen Ernte 1887 nach331Palermo.Menge und Güte ausgezeichnet war. In Palermo und Umgebung bestehen Dampf - mühlen zum Mahlen des Blattes.

Die Ausfuhr von Schwefel über Palermo nimmt zu; 1888 48.177 q, 1887 43.495 q im Werthe von 3·6 Millionen Lire.

Mit diesen Waaren sind die Ausfuhrartikel Palermos erschöpft; Ge - treide können wir eigentlich nicht zu ihnen rechnen, denn die Einfuhr des - selben von den Häfen des Schwarzen Meeres steigt unausgesetzt, während die Ausfuhr stetig sinkt; 1888 Ausfuhr 54.038 q, Einfuhr 141.660 q.

Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird Vieh aus Rumänien und Russland zugeführt.

Von Genussmitteln sind anzuführen Kaffee, von welchem 1888 2469 q, 1887 3117 q eingeführt wurden; Zucker kommt nicht mehr aus Grossbritannien und den Niederlanden, sondern aus Ancona und Sampierdarena bei Genua; Tabak 1888 8574 q.

Steinkohlen kommen aus England; 1888 1,129.391 q, 1887 765.815 q. Diese Steigerung steht in Zusammenhang mit der grossen Einfuhr von Maschinen; Petroleum, das erst in der neuesten Zeit in den Haushaltungen Siciliens unent - behrlich wurde und einem sehr hohen Eingangszoll unterliegt, führen Amerika und Russland zu; 1888 27.228 q gegen 41.442 q im Jahre 1887, dieses Sinken ist ein sicheres Zeichen für das Sinken des öffentlichen Wohlstandes.

Der Haupttheil der Einfuhr Palermos besteht aus Erzeugnissen der Textil - industrie. Die fremden, meist englischen Baumwollfabricate werden all - mälig durch italienische ersetzt, daher sinkt die Einfuhr beständig: 1888 3101 q, 1887 10.758 q, 1886 12.009 q. Oesterreich-Ungarn wurde von diesem Ausfalle be - sonders stark getroffen. Schafwollstoffe kommen aus Frankreich, in zweiter Linie aus England, Seidenstoffe aus Frankreich; die Einfuhrmenge geht zurück wie die der Leinenwaaren und Jutestoffe; bei Seidenstoffen werden ausserdem jetzt viel schlechtere Qualitäten verlangt als früher.

In der Gruppe Glaswaaren, Steingut und Porzellan wird infolge der Errichtung der grossen Actiengesellschaft Vetraria in Livorno besonders in ge - ringerer roher Waare das Ausland überall geschlagen; Einfuhr von Glas 1888 4923 q, 1887 5286 q; von Thongeschirren und Porzellan 1888 554 q, 1887 3579 q. Den Verlust trägt vor allem Oesterreich-Ungarn.

Von dem eingeführten Papier, 1888 934 q, 1887 852 q, 1886 1373 q, ent - fällt etwa die Hälfte auf Oesterreich-Ungarn.

Die Einfuhr von Leder und Lederwaaren ist von 1886 mit 3515 im Jahre 1888 bis auf 1759 q gesunken, während gleichzeitig die Ausfuhr ge - stiegen ist.

Selbst in der Eisenindustrie macht sich Italien vom Auslande etwas unabhängig; man hat grosse ausländische Firmen dahin gebracht, in Italien Etablissements zu errichten. Die Einfuhr von Eisen und Eisenwaaren betrug 1888 59.125 q, 1887 91.728 q, 1886 109.508 q; die Einfuhr von Maschinen ist gestiegen.

Die Holzeinfuhr erfolgt überwiegend aus Galizien und der Bukowina über Galatz und auch über Triest; sie ist gestiegen, weil Italien den Einfuhrzoll auf Holz aufgehoben hat als Compensation für das Auflassen des Zolles auf Agrumen in Oesterreich-Ungarn.

Auffallend bleibt, dass die Einfuhr von Marmor, Steinen und Ziegelu42*332Das Mittelmeerbecken.1888 gewaltig gestiegen ist. Die Einfuhr Palermos wird für 1887 mit 35,987.876 Lire, für 1886 mit 41,425.227 Lire angegeben, die Ausfuhr 1887 mit 42,698.940 Lire, 1886 mit 31,309.542 Lire.

Diese Ziffern umfassen nur den Handel mit dem Auslande, sind aber in Betracht der Artikel, welche zollfrei eingeführt werden, ungenau.

Der Schiffsverkehr von Palermo betrug:

〈…〉〈…〉

Im internationalen Verkehre überwiegt die italienische Flagge, im Küsten - verkehre herrscht sie beinahe ausschliesslich. Von fremden Schiffen entfallen die meisten auf England, das Deutsche Reich und die Niederlande.

Der Verkehr mit dem Festlande findet über Neapel statt, in erster Reihe durch die Schiffe der Navigazione generale (168 Seemeilen in 17 Stunden). Der Aus - bau der Bahn nach Messina wird die Linie über die Meerenge in den Vordergrund stellen. Palermo ist Ausgangspunkt der Küstenfahrten um Sicilien, einer Linie über Messina und Catania nach dem Piräus und Station der Linie Sloman aus Hamburg und der Dampfer der Anchor-Line. Hier hat eine Subdirection der Navigazione Generale Italiana ihren Sitz.

Consuln haben hier: Argentina, Belgien, Chile, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien, Mexico, Monaco, Niederlande, Oesterreich - Ungarn (G. -C. ), Paraguay, Portugal, Rumänien, Russland (G. -C. ), Salvador, Schweiz. Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela (V. -C. ), Vereinigte Staaten von Amerika.

An Milazzo, einem aufstrebenden Hafen an der Nordküste Siciliens, der Wein ausführt und mit Sehnsucht die Eisenbahn - verbindung mit Palermo erwartet, vorüber, kommt man in 13 Stunden (132 Seemeilen) nach Messina.

[333]

Messina.

Zu den grossartigsten und zugleich an lieblichen Details reichsten Naturscenerien zählt die Meerenge von Messina, welche das gewaltige Inseldreieck Sicilien von Calabrien trennt. Beiderseits der vielbe - fahrenen Wasserstrasse, die schon im grauesten Alterthum die Kriegs - flotten der herrschenden Völker durchschnitten, streichen die Ausläufer bedeutender Gebirgsketten und entsenden kräftige Seitenzüge zum Meere. In den gedrängten dunklen Schluchten glänzt die helle Linie der Sturzbäche und des Gerölles der vertrockneten Küstenflüsse, deren steiles Bett oft, wie jenes bei Melita an der calabresischen Seite, in seiner ganzen Ausdehnung bis zur Höhe des Gebirges von See aus über - blickt werden kann. Fruchtbare Abhänge, ein blühender Strand mit einem überraschenden Reichthum an Städten, Ortschaften und Ge - höften, dazu die herrliche, von Schiffen und Fahrzeugen jeder Art belebte Wasserfläche würden an und für sich ein Bild von seltener Schön - heit bieten. Da tritt aber auch das kräftige Massiv des 3313 m hohen Mte. Aetna, des höchsten Vulcans in Europa, als malerisches Element hinzu und schafft eine Landschaft von völlig majestätischem Glanze, würdig der grandiosen Vergangenheit dieser Gegend.

Im ganzen Laufe der Meerenge, die von Süden gegen Norden zu trichterartig von 12 km bis auf 3200 m Breite sich bewegt, zieht eine kräftige Gezeitenströmung, deren Lauf ein ziemlich complicirter ist. Dampfer überwinden die Strömung wohl mit Leichtigkeit, allein Segelschiffe müssen ihrer achten, um nicht in die Nähe des Landes zu gerathen. In der Strasse steht indes ein gut geschultes Lootsen - personale zur Verfügung, das die Führung der Schiffe gegen mässige Entlohnung übernimmt. Eine Eigenthümlichkeit der nach je sechs Stunden die Richtung wechselnden Strömung (Rema) sind die Wasser - wirbel, deren bedeutendster jener beim Faro an der nördlichen Aus - mündung der Enge ist, und wo selbst die grössten Schiffe von dem334Das Mittelmeerbecken.Wasserschwall in drehende Bewegung versetzt werden, während sie diesen durchschneiden. Von einer Gefahr ist jedoch keine Rede. Auch bei Messina bilden sich solche Wirbel, deren Oertlichkeit wir im Plane angezeigt haben; der grösste derselben ist der Garofalo (Nelke).

Der Farowirbel ist die Charybdis der griechischen Schiffersage, eine der Gefahren am Eingange zur Meerenge. Die andere Gefahr sind die steilen Felsabhänge, auf welchen Burg und Ort Scilla thronen. Bei stürmischer Witterung tobt hier eine furchtbare Brandung. Friedrich Schiller’s herrliche Ballade Der Taucher bezieht sich auf ein Ereigniss, das unter Friedrich II. Regierung (siehe geschicht - liche Rückblicke im Abschnitte Palermo) beim Wirbel Garofalo vor - kam. Dort tauchte Cola Pesce und fand den Tod. Schiller aber ver - legte den Schauplatz nach Scilla.

Messina lagert höchst malerisch an den gefällig bewegten Ab - hängen des mit Wald und fruchtbaren Culturen bedeckten Küsten - gebirges.

Eine sichelförmige, durch Anschwemmung entstandene Landzunge bildet ein ansehnliches, wohlgeschütztes Hafenbassin von grosser Wassertiefe. Die italienische Regierung hat in den letzten Jahren den stark besuchten Hafen durch mancherlei Bauten und Einrichtungen sowie durch Entfernung bestandener Untiefen verbessert. Auf der sichelförmigen Landzunge, welche die Citadelle und das Fort S. Sal - vatore trägt, befinden sich die Kohlenmagazine in dem ehemaligen Lazareth S. Raineri und östlich davon der Leuchtthurm Faro grande unter 38° 11′ nördl. Breite und 15° 35′ östl. Länge v. Gr. Am Süd - ende des Hafens liegt der Bahnhof, von dem die Geleise zum Zollamt und zu den grossen Waarenmagazinen führen. In den letzten Jahren tauchte das Project auf, Messina durch einem unterseeischen Tunnel mit Calabrien zu verbinden; der Gedanke dürfte aber kaum verwirklicht werden, denn, um ihn als ein wirkliches Bedürfniss erscheinen zu lassen, müssten die Culturzustände auf Sicilien denn doch ganz andere sein, als die bestehenden. Die herrliche Quaifront des Corso Vittorio Emanuele, auch Marina genannt, eine palastreiche Esplanade (ehemals Palazzata), zieht sich längs des Hafens als eine belebte und durch Kunstbauten gezierte Promenade über ein und einen halben Kilo - meter nordwärts. Längs derselben sind südlich der Sanität die Schiffe in langer Reihe vertäut. Parallel mit der Quaifront ist die breite und schnur - gerade Via Garibaldi geführt; dann folgen der Corso Cavour und die Via Monasteri als höhergelegene Strassenzüge, welche die Stadt in nörd - licher Richtung durchschneiden. Das Weichbild der Stadt Messina335Messina.zählt 78.000 Einwohner, und mit den zur Gemeinde gehörenden 48 Vororten und Dörfern erhöht sich die Zahl auf mehr als 126.000 Einwohner. Die Stadt ist der Sitz eines Erzbischofs, eines Appellhofes, einer Universität und einer Handelskammer.

Die Vergangenheit Messinas ist wie jene von ganz Sicilien eine sehr bewegte. Auch hier wechseln Tage hoher Blüthe und grossen Reichthums mit Tagen tiefen Niederganges und grossen Elendes. Als cumanische Seeräuber und Chalkidier im Jahre 732 v. Chr. an der Stelle einer Stadt der Sikeler eine Niederlassung gründeten, hiess sie mit Beziehung auf die Gestalt der vorgelagerten Landzunge Zankle (Sichel). Ihre Bewohner schmachteten unter Tyrannen, unterlagen den Griechen (493 v. Chr.), welche die Stadt Messana nannten; dann fiel sie unter Carthago, kämpfte gegen Syrakus, unterlag gegen Hannibal (270).

Auch die römische Zeit brachte zahlreiche Kämpfe und unheilvolle Zustände, in welche Augustus helfend eingriff. Die Sarazenen fassten (842 n. Chr.) dort Fuss, und einige der Kreuzzüge berührten den Hafen und trugen zum Aufblühen desselben bei, wenngleich Richard Löwenherz 1189 n. Chr. die Stadt stürmte. Aus dieser Zeit datirten aber die ansehnlichen Privilegien der Stadt, die bis 1678 ihr eine bedeutende politische Stellung gesichert haben. Karl von Anjon belagerte sie (1282) vergebens; der Heldenmuth der Bürger in jener Drangperiode erregte die Bewunderung der Zeitgenossen.

Messina blühte gegen Ende des XV. Jahrhunderts auf, sank aber in der Folge unter dem Einflusse Palermos. Kaiser Karl V. besuchte die Stadt und be - schenkte sie reich, und als sein Sohn, der jugendliche Held Don Juan d’Austria, nach dem glänzenden Siege von Lepanto 1571 in Messina landete, ward ihm ein Denkmal gesetzt und eine Strasse nach ihm benannt.

Politischer Hader der Parteien, der die Einmengung Ludwig XIV. zur Folge hatte, führte nach Kämpfen und Reibungen den Verfall der Stadt herbei. Pest und Erdbeben traten im XVIII. Jahrhunderte verheerend hinzu; erstere forderte 1740 allein 40.000 Opfer. Ebenso brachte das gegenwärtige Jahrhundert vielerlei Miss - geschick, so 1848 ein Bombardement, das vom 3. bis zum 7. September währte, und 1854 die Cholera, welche gegen 16.000 Menschen hinwegraffte.

Seither scheint das Schicksal der thätigen Einwohnerschaft zum Besseren sich gewendet zu haben, denn Messina ist entschieden im Aufschwunge begriffen.

Zu den hervorragendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt der aus der Normannenzeit stammende, aber in späteren Epochen durch Um - und Zubauten vielfach veränderte Dom La Matrice, der, 1098 begonnen, von Roger II. vollendet wurde. Die Kirche enthält ausser dem prunkvollen und kostbaren Hochaltar, dessen Herstellung im Jahre 1628 die für die damalige Zeit ungeheuere Summe von fast vier Millionen Lire erforderte, noch mancherlei interessante Denkmäler, Kunstwerke und Reliquien.

Die älteste Normannenkirche der Stadt ist indes die St. Anun - ziata dei Catalani, deren Restaurirung gegenwärtig in Aussicht ge - nommen wurde. Der ehrwürdige Bau soll an der Stelle einer Moschee. 336Das Mittelmeerbecken.und diese auf den Fundamenten eines Neptuntempels aufgeführt worden sein.

Hervorragende Sehenswürdigkeiten sind noch die Kirchen St. Maddalena, St. Nicolo und St. Gregorio.

Im Süden der Stadt, jenseits des Torrente Portalegni, erhebt sich die durch weithin sichtbare Monumentalbauten auffallende und erst jüngst vollendete Nekropole von Messina, von deren Höhe eine prachtvolle Aussicht auf die ganze Meerenge zu geniessen ist.

Messina.

Antike Bauwerke haben sich hier, ungeachtet der wichtigen Rolle, die Messina im Alterthum gespielt, nicht erhalten.

Die Aus - und Einfuhr Messinas erreichte:

〈…〉〈…〉

Im Export überwiegt der Handel mit Agrumen und Früchten alle anderen Exportartikel. Agrumen, frische und eingelegte, wurden 1888 512.252 q = 9,232.776 L. exportirt, gegen 1887 mehr um 65.148 q, aber der Werth er337Messina.höhte sich nur um 350.637 L.; ungenannte Früchte aller Art 2042 q Gemüse, conservirt, Kastanien, Mandeln 7106 q = 1,279.229 L., Nüsse 26.803 q = 1,340.138 L., wovon ein Drittel allein nach Deutschland ging, Pistazien, Oli - venöl, Wein und Essenzen aus den oben schon genannten Früchten kamen auch in grosser Quantität infolge einer guten Ernte zur Ausfuhr, vornehmlich nach Frankreich, England, Russland, den Vereinigten Staaten und Canada, Oesterreich - Ungarn, Skandinavien (Essenzen) und Deutschland. Es wurden 1888 ausgeführt: Olivenöl 61.771 q = 7,412.913 L. Wein in Fässern 31.014 hl = 930.420 L., ferner Rosinen, Citronensaft roh und concentrirt 2,505.894 kg = 2,466.699 L., Essenzen aus Bergamotten, Citronen und Orangen 22.450 q = 3,367.662 L.

Messina. (Massstab 1: 32.600; Sonden und Höhen in Metern.)

A Hafen von Messina, B Braccio di S. Ranieri, C Dock, D Eingang in die Citadelle, E Kohlenmagazin (altes Lazareth), F Leuchtfeuer, G neues Zollamt und Magazin, H Verzehrungssteueramt, J Bahnhof, K Markt, L Sanität - und Hilfsstation, M Palazzo reale, N Kathedrale (Duomo), O Civil-Spital, P Universität, Q Capuziner-Kloster, R S. Francesco d’Assisi-Kirche, S Post, Telegraph und Börse, T Victoria-Thurm, U Municipalität, V Statue Don Juan d’Austria, W Via Cardines, X Torrente Portalegna, Y Torrente Boccetta, Z Torrente Trapani. 1. Imperiale Corso Cavour, 2. Via Garibaldi.

Von sonstigen wichtigen Exportartikeln wollen wir nur hervorheben Weinsteinsäure und weinsteinsäurehaltiges Rohmaterial 4,852.458 kg = 7,766.371 L., wovon über 4 Millionen kg nach England und der Rest nach Holland, Frankreich, Amerika, Canada, Oesterreich-Ungarn, Deutschland und Russ - land ihren Weg nahmen. Bimsstein und Cement kommen auch zur Ausfuhr.

Häute, roh und gegerbt, Hörner und Knochen finden in England (½ des Ganzen), Deutschland, Frankreich und Oesterreich-Ungarn Abnehmer; Fass - reifen und geschnittene Brettchen zu Kisten gehen oft nach Frankreich, Griechenland, Malta, Egypten und der Türkei; Gesammtwerth 1888 397.319 L.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 43338Das Mittelmeerbecken.

Von Rohseide gehen etwa drei Fünftel nach Frankreich und zwei Fünftel nach England; Ausfuhr 1888 Rohseide 45.677 kg = 2,616.452 L. und Flockseide 19.810 kg = 336.770 L. Die Seidenausfuhr war früher viel bedeutender.

Auch bei Rohseide machte sich wie bei Wein, Agrumen und Fruchtsäften der Zollkrieg mit Frankreich fühlbar, die Ausfuhr dieser Artikel ach Frankreich war 1888 um 5,597.678 Lire kleiner als 1887.

Die Einfuhr Messinas ist nicht allein deshalb zurückgegangen, weil die Bevölkerung aus Noth sich einschränken musste, sondern weil der seit 1887 / 88 geltende Zolltarif in einzelnen Artikeln die Concurrenz des Auslandes fast gänz - lich ausschliesst, wie bei Sprit, Zucker, Baumwollwaaren.

An der Spitze der Einfuhr steht Weizen (1888 264.717 q = 5,294.742 L.) aus Russland, das ungefähr sechs Siebentel des ganzen Bedarfes liefert, dann aus der Türkei und Rumänien. Mehl (1888 12.348 q) kommt aus Braila, Russland und Oesterreich-Ungarn. Seit 1888 besteht hier eine grosse Dampfmühle. Den zweiten Rang nimmt Bauholz aus Oesterreich-Ungarn, Schweden und Norwegen ein (Werth 1888 3,664.587 L.).

An dritter Stelle sind Steinkohlen, fast ausschliesslich englischer Pro - venienz, mit 594.430 q zu erwähnen.

Fische in allen möglichen Zubereitungen (17.716 q = 1,032.575 L.) bilden gleichfalls einen wichtigen Importartikel, die Hauptlieferanten dafür sind England, Skandinavien, Frankreich; den Haupttheil der Einfuhr bilden Stockfische.

Dann folgen Metalle, Metallwaaren, Maschinen, worin auch England den Vorrang vor Frankreich, Belgien, Deutschland und Oesterreich-Ungarn behauptet, indem es ungefähr drei Viertel der gesammten Metalleinfuhr besorgt, die man 1888 mit etwa 66.460 q = 1.734.000 L. annehmen kann. Davon entfallen auf Eisen roh und verarbeitet 57.114 q = 972.119 L. und auf Stahl und Stahlwerkzeuge 3162 q = 248.827 L.

Von rohen Häuten wurden 1888 4170 q (Werth 834.096 L.), Leder um 277.724 L. eingeführt.

Der Import von Artikeln für Gerberei und Färberei, letztere aus Frankreich und England, betrug 13.009 q = 418.287 L. Chemikalien und chemische Producte kamen aus Frankreich, dann England, den Vereinigten Staaten, Deutschland und Oesterreich-Ungarn; 1888 5395 q = 138.182 L.

Sehr bedeutend ist verhältnissmässig der Import von Erzeugnissen der Textilindustrie. Baumwollgarne und Baumwollgewebe kommen beinahe nur aus England; Gesammtwerth Millionen Lire; Garn aus Hanf, Leinen und Jute aus Frankreich, Algier, England; Gewebe aus Wolle erreichten 1888 einen Werth von 354.618 L., Confectionsartikel 130.000 L. und schliesslich Kurz - waaren aller Art 290.899 L.

Colonialwaaren werden nur zum Theile direct aus dem Auslande be - zogen, so Kaffee (1888) 2135 q im Werthe von 320.214 L.

Messina sieht einen grossen Verkehr vorbeiziehen, aber seinen Hafen be - lebten nur:

〈…〉〈…〉

Hier sind nicht eingerechnet jene Schiffe, welche vor Stürmen Schutz in Messina suchen und daher keine Hafenabgaben entrichten; die Zahl war 1888339Messina.ungewöhnlich hoch mit 400 Seglern (51.114 t) und 92 Dampfern (68.687 t). Etwa zwei Siebentel der Tonnenzahl entfallen auf den internationalen Verkehr, fünf Siebentel auf den Küstenverkehr.

Bei der Küstenschiffahrt hat nach der Zahl der Tonnen die italienische Flagge das Uebergewicht, im internationalen Verkehr aber sind die fremden Flaggen namentlich in der Dampfschiffahrt weit wichtiger als die einheimischen. England beschäftigt im internationalen Verkehre Messinas die meisten Tonnen. dann folgen Italien, Frankreich, Deutschland und Griechenland.

Regelmässige Verbindungen mit Messina unterhalten die Navigazione gene - rale, von Genua über Neapel, die Dampferlinie Slomann aus Hamburg.

Nach Reggio di Calabria, das zum Seebezirke Messina gehört, geht ein Kabel.

Consuln haben in Messina: Argentina, Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Japan, Monaco, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Peru, Rumänien, Russland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

Da in Sicilien kein Hauptthal vorhanden ist, das den Verkehr der ganzen Insel bestimmen könnte. so haben auch die übrigen Küstenplätze wohl für immer eine gewisse selbständige Bedeutung gegenüber Palermo und Messina, weil sie die natürlichsten Versorger ihres Nachbarterritoriums sind. Wir treffen von Messina südwärts - gehend auf Riposto, welches 1887 noch eine Ausfuhr von fast 18 Millionen Lire hatte; es ist der erste Weinhafen Italiens und lieferte früher die Aetnaweine nach Frankreich; der Handel ist in den Händen von Sicilianern.

Es folgt Catania mit 106.000 Einwohnern, vom Aetna gegen rauhe Winde geschützt, daher ein klimatischer Curort ersten Ranges, mit Colonien von Fremden, unter denen die Deutschen hervorragen. Die Einfuhr und die Ausfuhr erreichten 1887 jede 17½ Millionen Lire. Getreide (6 Millionen Lire) vom Schwarzen Meere, Erzeugnisse der Textilindustrie aus England, Frankreich und Oesterreich-Ungarn, Holz aus letzterem allein, ferner Leder und Häute sind die Hauptartikel der Einfuhr; Schwefel, Agrumen, Mandeln, Haselnüsse und Asphalt die der Ausfuhr. Eine Eisenbahn, welche rings um den Aetna führen wird, ist im Bau, dann wird die Ausfuhr bedeutend steigen.

Der Küstenhandel ist für Catania von höchster Wichtigkeit, in ihm werden grössere Werthe umgesetzt als im Aussenhandel.

Der nächste Hafen ist Syrakus, von dessen alter Pracht und Herrlichkeit nur eine einzige Säule aufrecht steht; hier werden um 2 3 Millionen Lire harter Weizen aus Russland eingeführt, Wein und Agrumen ausgeführt. An der Südküste sind zu nennen Ter - ranova, von wo täglich Verkehr mit Malta stattfindet, Liccata,43*340Das Mittelmeerbecken.auch Endpunkt einer Eisenbahnlinie und wie die folgenden Orte ein Centrum des Handels mit Schwefel, Porto Empedocle, der Hafen von Girgenti, in dessen Nähe bekanntlich die grössten Schwefel - lager der Welt sind, welche abgebaut werden.

An der äussersten Spitze des Westens von Sicilien liegt Mar - sala, eine Eisenbahnstation. Hier landete im Mai 1860 Garibaldi mit seinen Tausend von Marsala , und der Wein aus der Umgebung dieser Stadt ist von allen Sorten Italiens im Welthandel am meisten bekannt. Seinen Weinhandel beherrschen Ausländer. Wir schliessen mit Trapani, dem Endpunkt der von Palermo nach Westen führen - den Bahn.

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Neapel.

Mit dem Namen Neapel ist der Begriff sinnbestrickender Natur - schönheit verbunden. Vedi Napoli e poi muori! Betrachte Neapel und dann stirb, heisst es allerwärts in Italien, denn nirgends sonst auf der Welt vermag dein Auge eine ähnliche Wunderherrlichkeit wie hier zu schauen. Ein Stück Himmel, auf die Erde gefallen , liegt vor dir! Ueber Neapel schwebt die Aureole der Weltberühmtheit, wie über Constantinopel und Rio Janeiro. Schon zur Zeit der Römer sah dieser Golf die Pracht und den Geschmack der vornehmen Bewohner der Welthauptstadt, die hier, umgeben von der heiteren Ueppigkeit der Natur, in prächtigen Villen den Sommer zu verbringen pflegten. Die Ruinen zahlreicher Tempel, Theater, Bäder und anderer Bauwerke geben Zeugniss von der starken Anziehungskraft, die schon in uralter Zeit dieses gefeierte Stück Erde auf die Menschen ausgeübt hat. Und dieselbe geheimnissvolle Macht geht auch heute noch von ihm aus und lenkt alljährlich viele Tausende herbei, den verschwenderisch begnadeten Boden zu betreten.

Viel hatten dazu seit jeher die räthselhaften vulcanischen Ge - walten beigetragen, deren Thätigkeit in dem rauchenden Vesuv, in Fumarolen und giftige Dämpfe hauchenden Grotten sich äusserte und mächtig auf die Phantasie einwirkt. Aber merkwürdig, dem ein - schmeichelnden Klima, dem reichen Segen des Landes erlag die Spannkraft selbst der thätigsten und tüchtigsten Völker, die hieher den Fuss gesetzt hatten. Griechen und Römer, Byzantiner und Gothen, Normannen, Deutsche und Spanier, sie alle, die hier einst herrschten, verweichlichten und erlangten niemals eine andauernde Bedeutung. Diese wenngleich in der Tiefe der menschlichen Natur begründete, aber dennoch auffallende Erscheinung ist wohl geeignet, den unnenn - baren Zauber Neapels noch mehr zu steigern.

Die erhabene Schönheit des Golfes von Neapel begeisterte denn342Das Mittelmeerbecken.auch seit den ältesten Zeiten Dichter und Künstler, Schöngeister und Philosophen, und gross ist die Zahl der Werke, deren Dasein Motiven aus dem Bannkreise des geheimnissvollen Vesuv entstammt.

Der Vesuv ist hier das dominirende Object, wie die Erinnerung an entfesselte Gewalten des ewig drohenden Störenfrieds fast auf - dringlich in der alten Geschichte hervortritt.

Ohne Vesuv wäre Neapel nicht mehr Neapel, mit so tiefen Wurzeln steckt dieser Vulcan im Charakter der Landschaft. Er ist nicht nur der physische, sondern auch so zu sagen der geistige Mittelpunkt des ganzen Golfes.

Der erste Blick auf Neapel sollte von der Seeseite fallen, damit er den blühenden Strand des reichgegliederten Golfes, dessen Häfen, Inseln, schimmernde Städte und Ortschaften zu einem einzig schönen und grossartigem Gesammtbilde umfasse.

An der Nordwestseite des Golfes tritt die fruchtbare vulcanische Insel Ischia mit dem 792 m hohen Mte. Epomeo, einem seit 1302 erloschenen Vulcane, als letztes Glied eines die Küste begleitenden Inselkranzes in die See hinaus. Einst von Fremden viel besucht, ward das blühende Eiland seit dem entsetzlichen Erdbeben, welches am 28. Juli 1883 den lieblichen Ort Casamicciola zerstörte und 7500 Menschen unter den Trümmern begrub, einige Jahre hindurch völlig gemieden und beginnt erst neuestens wieder die Touristenwelt anzuziehen.

In der Lichtung zwischen Ischia und dem Festlandscap Miseno lagern die ebenfalls vulcanischen Eilande Vivara und Procida, die einst miteinander und wahrscheinlich auch mit Ischia zusammenhingen. Die Tuffmassen des nur durch einen flachen Terrainstreifen mit dem Festland verbundenen Misenohügels und der nächsten Höhen schliessen das Gebiet der von zahlreichen vulcanischen Bildungen, den phleg - räischen Gefilden, eingefassten Bucht von Pozzuoli ein. Man zählt hier auf einem Flächenraum von etwa drei geographischen Quadrat - meilen 27 erloschene Krater und Kraterseen, von welch letzteren der gegenwärtig trockengelegte See von Agnano und der kreisrunde 65 m tiefe See von Averna, dessen düstere Umgebung im Alterthum den Glauben erweckte, als sei hier der Eingang in die Unterwelt zu suchen, am meisten genannt wurden.

Die Umgebung von Pozzuoli ist der eigentliche classische Boden Neapels, hier lagen die vielbesungenen Stätten altrömischen und alt - griechischen Lebens, voran das malerisch am Abfalle einer Höhe auf - gebaute Puteoli, im Alterthum die bedeutendste Hauptstadt der itali -343Neapel.schen Halbinsel; Bajae (das jetzige Baja), einst berühmt durch die Herrlichkeit und den Glanz seiner Bäder, die Horaz begeistert nennt; Misenium, der ehemalige Kriegshafen der Römer; das reiche Cumae (griechisch Kyme), die älteste griechische Colonie auf italischem Boden, einst hervorragend durch die Pracht seiner Bauwerke, aber gegen - wärtig nur mehr ein Ruinenfeld.

Reich sind denn auch die Ueberreste der antiken Cultur, die hier geherrscht. Die Verbindung Puteolis mit Egypten und dem Osten ver - mittelte den Eingang orientalischer Culte, die neben den griechischen und römischen bestanden und deren Tempelbauten in schweigenden Ruinen noch heute zu uns blicken.

Der zum felsigen Vorgebirge Posilipo streichende massige Berg - rücken gleichen Namens, ein Gebilde von lockerem Tuffstein, trennt das Gebiet von Pozzuoli von dem Weichbilde der Stadt Neapel. Die Römer bohrten, wahrscheinlich unter Augustus, einen Tunnel durch das Hinderniss, der nach mehreren Erweiterungen gegenwärtig 689 m Länge, bei variirender Höhe (bis 16 m) und Breite (bis 10 m), misst und den Namen Grotta vecchia di Pozzuoli führt. Neben diesem besteht die 1882 bis 1885 hergestellte Grotta nuova, ebenfalls ein Tunnel, durch welchen die Strassenbahn nach Pozzuoli führt.

Die sanft gewellte Posilipohöhe und ihre nördlichen Ausläufer umrahmen höchst malerisch das Weichbild von Neapel, das mit seinen reichen Details als effectvolles Gemälde aus der reizenden Um - gebung hervortritt. Vom Meere, das zahllose Schiffe und Barken be - leben, steigt die Stadt, anscheinend eine regellose Masse von Häusern und Bauwerken, längs der Abhänge und auf dem Rücken der Höhe empor. Zahlreiche Thürme, Kuppeln und palastähnliche Gebäude, dann wieder die finster blickenden Umwallungen des Forts St. Elmo, oder das dunkle Gemäuer des romantischen Castello dell Ovo und gleich daran der blühende Park der reizenden Promenade Spiaggia di Chiaja mit dem freundlichen Kranz reizender Villen zu ihren Häupten, endlich aufwärts ein herrliches Paradies von Gärten, in welche die letzten Ausläufer der sich dehnenden imposanten Stadt sich gebettet haben; das sind die hervorstechendsten Einzelnheiten des bestrickenden Bildes der Stadt.

Scheinbar setzt sich Neapel in der langen Reihe von Ortschaften, Villen und Gehöften, welche den östlichen Strand beleben, endlos fort, denn man gewahrt keine Unterbrechung des Häuserzuges, der hier umgeben von Pinien und duftenden Orangenhainen fortflutet, so - weit das Auge reicht, vorbei am Fusse des isolirten Vesuvkegels, des344Das Mittelmeerbecken.Meisters der ganzen Gegend, dessen Grollen Entsetzen und Schrecken verbreitet, bis an den Strand der Bucht von Castellamare, wo die liebliche Ebene, aus welcher die Vulcane einst entstiegen, durch die Höhen von Sorrento begrenzt ist. Auf der erwähnten Küstenstrecke lagern in behaglicher Ruhe und heiterem Sonnenschein die Orte St. Giovanni, Portici und Resina, letzteres direct auf dem im Jahre 79 v. Chr. im Lavastrom begrabenen Herculanum; nun folgt das 25.000 Einwohner zählende anmuthige Städtchen Torre del Greco, dessen Bewohner die Edel - koralle fischen und verarbeiten, und das etwas kleinere Torre dell Annun - ziata; von diesem etwa 2 km östlich liegt das blossgelegte Ruinenfeld der einst blühenden Stadt Pompeji, das uns mit unerschöpflichem Reiz die Erscheinungen des altrömischen Lebens vorführt und die einzige Quelle ist, aus welcher wir die Kenntniss desselben schöpfen konnten.

Pompeji wurde im Jahre 79 v. Chr. (24. August) durch einen der furchtbarsten Ausbrüche des Vesuv unter Bimssteinblöcken, Asche und siedendem Schlamm begraben, nachdem der Vulcan Jahrhunderte lang geschlummert hatte. Dieselbe Katastrophe vernichtete auch das blühende Städtchen Stabiae, an dessen Stätte das heutige Castellamare (di Stabie), eine durch lebhaften Handel, Schiffahrt, den Bestand des grossartigen Seearsenales der italienischen Flotte und eine Fabrik für Brücken und Waggons ausgezeichnete Stadt von 33.000 Einwohnern, sich erhebt.

Mit einem Blicke übersieht man weiter rechts von dieser Stadt die bergige Halbinsel von Sorrento mit ihren schmucken Ortschaften, voran das auf steil zum Meere abfallenden Felsen liegende Städtchen Sorrento, dem seine üppigen Orangen - und Citronengärten den artigen Beinamen La Gentile eintrugen. Der Höhenzug endet mit dem felsigen Vorgebirge Punta di Campanella, das ehemals eine Signalstation trug, welche durch Glockengeläute das Nahen feindlicher, namentlich tür - kischer Flotten ankündigte, daher der Name Glockenspitze. Heute erhebt sich dort ein schöner Leuchtthurm.

Den äussersten Abschluss des Golfes bildet südlich die mit Oelbäumen und Rebenculturen bedeckte hohe Insel Capri, welche eine 4·5 km breite Wasserstrasse von der Punta Campanella trennt. Die charakteristische Form der an der Ostseite steil zum Meere abstür - zenden Insel mit ihrem centralen Felsendome Mte. Solaro (610 m) ist ebenso wie der Vesuv ein Merkzeichen des Golfes, das uns überall in den Gesichtskreis tritt. Capri ist gegenwärtig wohl die besuchteste aller nächstgelegenen Inseln, denn umgefähr 30.000 Touristen aus allen Theilen der Erde wallfahren alljährlich zu ihren schon im Alter -[345]

Neapel.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 44346Das Mittelmeerbecken.thum gepriesenen Strand. Hier weilte die letzten Jahre seines Lebens Kaiser Tiberius (Claudius Nero) und überliess sich den ärgsten Ausschweifungen und Grausamkeiten. Hier starb auch der Tyrann (37 n. Chr.) unter Mörderhand. Weltberühmt ist die an der Nord - seite der Insel liegende blaue Grotte (Grotta azzura), in der ein reizendes Naturspiel den Besucher überrascht. Die Rundsicht von der Höhe des Mte. Solare gehört zu den grossartigsten auf dem Erden - runde und lohnt durch hohen Naturgenuss weitaus die Mühen des Aufstieges.

Wir erwähnten bereits der alten Griechenkolonie Kyme (Cumae), welche um 1056 v. Chr. durch Aeoter und Chalkis auf Euböa gegründet, die Pflanzstadt von Neapel werden sollte. Von hier aus scheint die griechische Niederlassung Parthenope, in der Folge Palaiapolis oder Altstadt genannt, zum Unterschiede von dem später gegründeten Neapolis oder Neustadt angelegt worden zu sein. Die Altstadt bedeckte vermuthlich die Höhe des Pizzofalcone, während Neapolis östlich vom heutigen Castel Capuano gegen den Hafen zu erbaut war. Erst als hier die Römerherrschaft 326 v. Chr. begann, hörte die Unterscheidung der beiden Städte auf, doch bewahrten sie bis in die Kaiserzeit hinein die angestammte griechische Sprache und Sitte und erfreuten sich, treu zu Rom haltend, ihrer alten freiheitlichen Verfassung.

Die herrliche Lage erhob die Stadt Neapel und deren Umgebung bald zum Lieblingsaufenthalte der Grossen des Reiches, die hieher die Ueppigkeit des römischen Lebens verpflanzten. Was die Geschichte Roms während Jahrhunderten an illustren Namen aufzuweisen hat, lustwandelte am paradiesischen Strande des Golfes von Neapel. Lucullus, als Besitzer von Prachtgärten auf der Höhe von Posilipo und nächst der Altstadt, mag hier manche seiner berühmten Festlich - keiten veranstaltet haben; Augustus, Cäsar, Tiberius und Nero, Hortensius der berühmte Redner und der unvergleichliche Virgil lebten hier und wirkten jeder in der Weise seiner Art.

Nach der Theilung des römischen Reiches war bald der Glanz und die Herrlichkeit verschwunden; der goldenen Zeit folgte das Unglück.

Zuerst erschien 536 auf seinem Eroberungszuge nach Unteritalien Belizar, der oströmische Feldherr, und erstürmte Neapel; sieben Jahre später führte Totila die siegreichen Gothen hinein. Die Stadt litt entsetzlich.

In den folgenden Jahrhunderten gewann Neapel wieder seine Unabhängig - keit und behauptete selbe unter einem gewählten Duca gegen die langobardischen Fürsten. Erst der Normanne Roger (siehe Palermo) pflanzte nach Eroberung der Stadt 1130 eine neue Herrschaft auf. Bald folgte jedoch auch hier die Regierung der Hohenstaufen, von welcher Friedrich II. 1224 die Universität in Neapel gründete. Karl I. von Anjou erhob letzteres zur Hauptstadt seines Reiches, das indes durch den Abfall Siciliens (1282 sicilianische Vesper) geschwächt und in der Folge durch Sittenlosigkeit im Königshause wie auch durch Kriege mit Sicilien sehr herabsank.

So gelang es Karl VIII. von Frankreich, das Königreich Neapel binnen wenigen Tagen zu erobern. Nach mancherlei Kämpfen fassten die Spanier 1503 hier Fuss und verwalteten Neapel, Sicilien und die Insel Sardinien bis 1713 durch347Neapel.Vicekönige, von welchen viele zur Hebung des Landes beitrugen. Durch den Utrechter Frieden 1713 gelangte Neapel durch Philipp V. von Spanien (Bourbon) an das Haus Habsburg, fiel aber schon 1734 als Königreich beider Sicilien wieder an die Bourbonen zurück, welche dort bis zum Jahre 1860 herrschten.

Besonders harte Stürme brachte die französische Revolution, und 1799 sah die Stadt Neapel, als der kriegskundige Cardinal Ruffo die Schaaren der Gegen - revolution zum Sturme anführte, Metzeleien, Plünderung und mehrtägige Strassen - kämpfe, wie solche Gräuel kaum durch die barbarischen Horden der Völker - wanderung verübt worden sein mochten. Die letzte Zeit der Bourbonenherrschaft war eine fast ununterbrochene Periode von Unruhen und Aufständen.

Nach der Vereinigung mit Italien trat erst spät eine gewisse Ruhe im neapoli - tanischen Gebiete ein, und es bedurfte vieler und energischer Anstrengungen, um dem Brigantaggio und den geheimen Gesellschaften, die als Ueberbleibsel unge - ordneter Verhältnisse ihr Unwesen trieben, das Handwerk zu legen.

Kaum an einem zweiten Punkte zeigt sich die mächtige Initiative der jetzigen italienischen Regierung kräftiger und segenbringender, als in Neapel, wobei nicht zu vergessen ist, dass die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat, ausser in Sicilien nirgends in Italien so grosse sind wie hier. Die Stadt hat sehr an Ausdehnung zugenommen und gedeiht zusehends. Neue Strassenzüge, prächtige Promenaden sind entstanden, die Communicationen wurden vermehrt, der Hafen durch Kunstbauten erweitert, kurz, die segensreiche Entwicklung der von Natur zu einem herrlichen Aufenthalte prädestinirten Stadt ist aller - wärts glücklich eingeleitet. Den grössten Umschwung in der Rege - lung der sanitären Verhältnisse Neapels bewirkte das Wüthen der Cholera 1884.

Ganze Stadttheile, die des Lichtes und der Luft entbehrten, wo man das Trinkwasser aus nur zu oft verunreinigten Cisternen schöpfte, wurden niedergelegt und neu aufgebaut. Wasserleitungen, darunter eine wieder entdeckte altrömische, die man ohne Mühe in Stand setzte, vervollständigten das Werk. Auch Torre dell Annunziata am Golfe, das bei jedem Auftreten der Cholera hart mitgenommen wurde, hat eine Wasserleitung erhalten.

In Neapel wurde eine Dampftramway eröffnet; der Bau einer Eisenbahn nach Cumae, dem einstigen Sitze der Sibylle, deren Bücher so grossen Einfluss auf die Geschicke Roms ausgeübt haben sollen, ist in Angriff genommen.

Der Toledo, jetzt Via Roma genannt, ist die imposanteste und frequentirteste Strasse der Stadt. Im Jahre 1540 von dem Vicekönig Don Pedro de Toledo angelegt, führt sie über 3 km lang und an - sehnlich breit, nahezu in Nordsüdrichtung, bis zu der Höhe Capodi - monte, welche ein königliches Palais krönt. Diese prächtige Verkehrs -44*348Das Mittelmeerbecken.ader geht von der durch luxuriöse Bauwerke gezierten Piazza del Plebiscito aus, besitzt aber keinen Reichthum an besonders hervor - ragenden Gebäuden. Beachtenswerth ist die Ausweitung des Dante - Platzes, auf dem sich das 1872 enthüllte Marmorstandbild des un - sterblichen Dichters der göttlichen Komödie erhebt. Dort steht auch das 1757 von der Stadt zu Ehren Karls III. errichtete und mit 27, die Tugenden desselben symbolisirenden Figuren geschmückte Gebäude, welches seit 1861 den Namen Liceo ginnasiale Vittorio Emanuele führt.

Mehrere der zahlreichen meist sehenswerthen Kirchen Neapels sind in den Häuserzeilen der Via Roma eingebaut. Diese steigt nun allmälig gegen Capodimonte auf und wechselt den Namen. Vom Dante-Platz an heisst sie Salita del Museo und vom Museum an wird sie Strada nuova di Capodimonti genannt.

Das Museum (Museo nazionale), ein höchst ansehnliches Gebäude mit rother Façade, ist eines der allerbedeutendsten Museen der Erde, welches nebst der reichen Fülle interessanter Reliquien aus der alt - römischen Zeit, insbesondere aus Pompeji und Herculanum, auch die Sammlungen der neapolitanischen Krone, dann die farnesischen aus Rom und Parma, und die aus den Palästen von Capodimonte und Portici enthält und dadurch zu einer hervorragenden kunsthistorischen Anstalt und Sehenswürdigkeit ersten Ranges geworden ist. Die Südfront des Gebäudes blickt auf die schöne breite Strada Foria, welche hier in die Via Roma einmündet. Dort ist gegenüber dem Museum die eines Besuches würdige Galleria Principe di Napoli, ein mit reichem architektonischen Schmuck ausgestatteter eleganter Bazar, wie ein solcher unter anderem auch in Mailand, allerdings in grösseren Dimensionen, besteht.

Aus der Via Foria, an welcher die Piazza Cavour und ein schöner und gutgepflegter botanischer Garten liegen, gelangt man in die Via del Duomo, die Domstrasse. Hier erhebt sich die dem heili - gen Januarius (San Gennaro) geweihte, von Karl I. von Anjon 1272 an der Stelle eines Neptuntempels erbaute Kathedrale, deren Façade gegen - wärtig restaurirt und mit Thürmen ausgestattet wird. In diesem an alten Kunstwerken reichen Gotteshause ist die berühmte Capelle des heiligen Gennaro, in deren Tabernakel das Blut des Märtyrers in zwei Prunkgefässen aufbewahrt wird. Das bekannte Flüssigwerden des Blutes an drei bestimmten Tagen im Jahre füllt die Kirche mit zahl - reichen Andächtigen.

Einer der effectvollsten Plätze von Neapel ist die bereits früher349Neapel.genannte Piazza del Plebiscito und dessen vornehmstes Gebäude die von Ferdinand I. 1817 im Bau begonnene und 1831 beendigte Kirche St. Francisco di Paolo, eine Nachahmung des Pantheons zu Rom, die mit vielen kostbaren Gemälden und Sculpturen ausgestattet. Den Platz flankirt das grosse sehenswerthe königliche Palais, dessen erster Bau aus dem Jahre 1600 stammt. Die Mitte des Platzes nimmt ein Springbrunnen mit Hochstrahl ein. An das Palais austossend ist das weltberühmte Theater S. Carlo und gegenüber demselben ist letzter - zeit der grosse gedeckte Bazar Galleria Umberto I. entstanden.

Neapel ist auch reich an herrlichen Promenaden, unter welchen unstreitig der palmengeschmückten Villa nazionale am Strande west - lich des Eicastells (Castell dell Ovo) der Vorrang gebührt. Hier herrscht denn auch zu allen Tageszeiten und bis in die tiefe Nacht hinein ein reges Leben, und geniesst man von hier aus das bezau - bernde Bild des unvergleichlichen Golfes. In den blühenden Anlagen der Villa nazionale haben unter anderen Zierden auch zwei Virgil und Tasso gewidmete Tempel von reizenden Formen Platz gefunden.

Von hier aus gelangt man auf der Strasse Riviera di Chiaja westwärts zu den beiden Grotten von Posilipo, in deren Nähe der ausgedehnte um die Höhe des Castells S. Elmo in vielen Windungen und stellenweise auf Viaducten geführte Corso Vittorio Emanuele aus - mündet. Er umspannt gleichzeitig die westlich des genannten Castells liegende mit prächtigen Gärten und Villen bedeckten Höhen. Sowohl zum Castell wie zu den Villen führt je eine Drahtseilbahn. Dort oben ist in gesunder Lage ein neuer Stadttheil im Entstehen begriffen.

Mit den alten finsteren Spelunken verschwindet auch jener classische Pöbel Neapels, der, von Dichtern und Malern ge - feiert, in einer Bedürfnisslosigkeit, aber auch in einer Armuth und geistigen Verrohung dahin lebte, welche wir Nordländer einfach nicht zu denken vermögen, jene Individuen, die mit 10 Centesimi einen Tag leben, die nur wenige Stunden in der Woche arbeiten, den Erlös dieser Thätigkeit in die Lotterie tragen, aber auch bereit waren, den Dolch gegen gute Bezahlung Jedem zur Verfügung zu stellen.

Reich an Anregungen jeder Art, interessant durch das eigen - thümliche Volksleben, das sich namentlich in Santa Lucia am Fusse des Pizzofalcone in seiner ganzen Einfalt und Ursprünglichkeit preis - gibt, anziehend und sympathisch durch den modernen Geist, der hier nach jahrhundertelanger Unterdrückung endlich seine Schwingen zu entfalten beginnt, ist Neapel einer der hervorragendsten und meist besuchten Wallfahrtsorte der Gebildeten des Erdenrundes geworden350Das Mittelmeerbecken.und hat sich zur volkreichsten Stadt des jungen Königreiches Italien emporgeschwungen. Dieselbe zählte Ende December 1888 bereits 513.000 Einwohner. Neapel ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, Sitz eines Präfecten, eines Erzbischofs, des Generalcommandos des 10. Armeecorps, einer Universität, einer Ingenieurschule und einer Handelskammer.

Der Hafen von Neapel (40° 50′ nördl. Breite und 14° 16′ östl. Länge v. Gr., Kopf des Molo S. Vincenzo) ist bisher nur unvoll - ständig gegen den Ansturm der hohen See geschützt und entbehrte lange Zeit hindurch jener Vorkehrungen, welche für die rasche Be - wältigung der Seeverkehrs-Operationen nothwendig waren. Gegen - wärtig wurde jedoch der breite Molo S. Gennaro mit geräumigen Freidepots (Punto Franco) versehen, welche über hydraulische Auf - züge verfügen und mit Krahnen ausgestattet sind. Ebenso ist neuestens die Durchführung von Hafenbauten im Zuge, und zwar wird ausser den bestehenden Dämmen, wie unser Plan zeigt, noch ein 750 m langer Molo aufgeführt, der an seinem Ende eine Gabelung hat. Da - durch bezweckt man ein auch gegen Südostwinde geschütztes Bassin zu gewinnen.

Am Fusse des neuen Dammes ist der Bau von Trockendocks beabsichtigt. Ein solches Dock besteht gegenwärtig im Arsenale der Kriegsmarine für Schiffe bis zu 74 m Länge.

Ausser den Magazinen am Molo S. Gennaro besteht am Corso Garibaldi ein der Gesellschaft dei magazzini Generali gehörendes Lagerhaus von 35.000 m2 Fläche, welches mit allen neuen Vor - kehrungen ausgestattet ist und mit der Eisenbahnstation in Verbin - dung steht.

In neuester Zeit beginnt auch die Industrie eine lebhafte Ent - wicklung zu nehmen. So baute die bekannte Firma W. G. Armstrong Mitchell & Co. an der Bucht von Pozzuoli ein grossartiges Eisenwerk (Stabilimento Metallurgico Armstrong), in welchem bereits 13 Lauf - krahne, zwei davon mit 70 t Tragfähigkeit, bestehen, und am Kopfe des Ausschiffungsdammes wird eben ein hydraulischer Krahn von 170 t Hebekraft montirt. In der Fabrik sind 1200 Arbeiter, davon 5 % Engländer, beschäftigt. Bedeutend ist das Etablissement der Società industriale Napoletana Hawthorn & Guppy für Eisenschiff - bau. Dasselbe beschäftigt gegen 600 Ingenieure, Zeichner und Arbeiter. Nennenswerth ist auch die Thätigkeit der der Regierung gehörenden und an die Eisenbahngesellschaft Società Italiana vergebenen Eta -351Neapel.blissements von Pietrarsa und von Granili, welche 1600 Arbeiter be - schäftigen.

Endlich besteht noch die grosse Werftenfirma C. e T. T. Patti - son, welche 1000 Arbeiter beschäftigt und Eisenschiffe, Kessel, Dampfkrahne u. dgl. erzeugt.

Vor diesen ganz modernen Schöpfungen betrieb man in Neapel ausser der Seidenindustrie eigentlich nur die Erzeugung von Korallen - schmuck und wenigen werthvolleren Schmucksachen, welche die Fremden als Zeichen der Erinnerung an Neapel kauften.

Neapel ist für den internationalen Handel von keiner zu grossen Be - deutung. Es ist eine Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohner, und daher liegt der Schwerpunkt seines Verkehrs in der Einfuhr; darin ist es der zweite Hafen Italiens; für die Ausfuhr stehen ihm keine Güter zur Verfügung. denn es hat kein grosses Hinterland. In seiner nächsten Nähe haben Castellamare und seit neuerer Zeit Torre dell Annunziata einen selbständigen Handel.

Umfangreich dagegen ist der Inlandverkehr, das kommt in der Thatsache zum Ausdrucke, dass fünf Siebentel des gesammten Schiffverkehrs auf die Küsten - schiffahrt entfallen.

Der Handel Neapels mit dem Auslande betrug in Lire:

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Getreide von Russland, Rumänien und Indien ist der wichtigste Einfuhr - artikel Neapels. Die Einfuhr des Jahres 1888 war niedriger als gewöhnlich und erreichte 115.020 t. Die 24.249 t Cerealien der Ausfuhr bestehen zum grössten Theil aus süditalienischer Gerste und aus Hafer, bestimmt für England.

Für Steinkohlen ist ein ziemlicher Bedarf; kleinere Dampfer, welche nicht viel Kohle fassen können, laufen Neapel als Kohlenstation an und die neu errichteten Fabriken brauchen auch ziemlich viel Einfuhr 1888 220.074 t.

In Petroleum (1888 8064 t) tritt auch hier Russland mit Amerika in Wettbewerb.

Holz (1888 19.359 t = 2·5 Millionen Lire) kommt meist aus Oesterreich - Ungarn.

Metalle (1888 48.934 t = 17 Millionen Lire) kommen in Gestalt von Roheisen, Gusseisen, Schienen, Stahl und Maschinen aus Grossbritannien, Belgien und Deutschland.

Die Einfuhr von Baumwollwaaren (1888 92 500 q) ist dem Werthe nach mindestens ebenso wichtig, wie die der Metalle; die Einfuhr von Schafwollstoffen erreichte 1888 8·2 Millionen Lire.

Grössere Ziffern erreichen in der Einfuhr noch Leder, Farben und Chemikalien.

Wein und Speiseöl kommen aus Frankreich, Sprit aus Deutschland. Von Kaffee wurden 1888 12.500 q, davon zwei Drittel aus England eingeführt. Die italienische Regie führt auch über Neapel Tabak ein.

Für den Handel des katholischen Neapel ist die Einfuhr von Stock - fischen sehr wichtig: 1888 116.700 q, 1887 109.770 q. In früheren Jahren be - herrschte Grossbritannien den Markt, jetzt liefert es nur mehr ein Drittel des352Das Mittelmeerbecken.Bedarfes. Die Güte des Labrador-Fisches ist gesunken, man kauft jetzt mit Vor - liebe Stockfische von den Franzosen und Norwegern.

Die wichtigsten Artikel der Ausfuhr sind Wein, für England und Süd - amerika bestimmt; Frankreich ist verschlossen; 1888 30.894 t.

Olivenöl geht von den Hauptcentren der Production, Gallipoli und Gioja Tauro, ins Ausland.

Bemerkenswerth sind die Ausfuhren von Hanf und Tauwerk, von Ziegen - fellen, Leder und Papier.

Die Einfuhr kommt (1888) aus Grossbritannien (zwei Fünftel der Gesammt - summe), Frankreich, Russland, Deutschland, Oesterreich-Ungarn; die Ausfuhr geht nach Frankreich, Grossbritannien, den Vereinigten Staaten und Südamerika.

Neapel ist heute ein wichtiger Auswanderhafen, vielleicht ein Rivale von Genua; das Streben, jenseits des Oceans den Wohlstand zu suchen, der in der Heimat für die Massen unerreichbar ist, hat auch Süditalien ergriffen. Das dicht - bevölkerte Süditalien ertrüge einen bedeutenden Aderlass an Menschenmateriale, welcher den Auswanderern, wie den Daheimbleibenden in gleicher Weise zum Segen würde. Auch die süditalienischen Emigranten ziehen zumeist nach Argentinien.

Aus dem glücklichen Campanien wanderten 1887 20.786, 1888 22.134 Menschen aus, die meisten aus dem Kreise Salerno; die Basilicata und Calabrien stellten ebenfalls ansehnliche Ziffern.

Ueber Neapel wurden 1888 41.786, 1887 33.632 Auswanderer befördert, und zwar durch die Anchor-Linie 10.895 nach New-York, durch die Navigazione Gene - rale 15.985 nach Südamerika und durch die Compagnie Cyprien Fabre 7531.

Neapels Schiffsverkehr betrug:

〈…〉〈…〉

Wir sehen, dass der Schiffsverkehr verhältnissmässig viel umfangreicher ist als der Handel, und darf ausserdem nicht vergessen werden, dass viele Schiffe, die von Genua nach Südosten gehen, als Zwischenhafen Neapel anlaufen, ohne eine grössere Menge von Waaren aufzuladen. Gross ist daher die Zahl der Schiffe, welche in Ballast auslaufen, das sind fast alle die, welche Kohle oder Holz gebracht haben.

Legende zum Hafen von Neapel. A Rhede von Neapel, B Handelshafen, C Hafencapitanat, D Molosiglio, E Magazine des Punto franco, F Leuchtfeuer, G projectirtes Dock, H Strada de Tribunale, J königl. Palast, K Piazza del Plebiscito, L Strada Toledo, M Museum, N Piazza Cavour, O Strada Foria, P Via del Duomo, Q Strada St. Trinità, R Castell nuovo, S Piazza del Municipio, T Strada Salvator Rosa, U Villa del Popolo, V Marine - Arsenal, W Corso Vittoria Emanuele, X neue Posilipo-Grotte, Y alte P. -Grotte, Z Margherita-Park. 1. Via Caracciolo, 2. Aquarium, 3. Villa nazionale, 4. Riviera di Chiaja, 5. Via Tasso, 6. Certosa S. Martino, 7. Strada nuova di Poggio Realle, 8. Station Aversa-Caivano, 9. Station Nola-Bajano, 10. Central-Station, 11. Castell Capuano, 12. Piazza del Mercato, 13. Castello del Carmine, 14. Dom, 15. Strada nuova, 16. Universität, 17. Theater S. Carlo, 18. Municipinm, 19. Politeama, 20. Pizzo falcone, 21. Kirche S. Francesco di Paola, 22. Dante-Platz, 23. Incurablen-Spital, 24. Kirche Incoronata, 25. St. Maria la nuova, 26. Post - und Telegraphen-Amt, 27. Kirche Mte. Olivetto, 28. Gesu novo-Kirche, 29. Sta Chiara, 30. S. Domenico Maggiore, 31. S. Severino Sosia, 32. S. Paolo Magg., 33. S. Lorenzo, 34. Musik-Conservat., 35. Station und Tunnel der Cumana-Bahn, 36. Drahtseilbahn zum Castel S. Elmo, 37. Märtyrer-Säule, 38. Drahtseilbahn zur Villa Fioridiana.

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Hafen von Neapel. (Massstab 1: 36.500; Sonden und Höhen in Metern.)

(Legende siehe auf Seite 352.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 45354Das Mittelmeerbecken.

Am internationalen Verkehre ist die italienische Flagge bei den Dampfern mit einem Dreizehntel, bei den Seglern mit zwei Drittheilen der Tonnenzahl be - theiligt. Segler, welche die Küstenschiffahrt betreiben, führen fast ausschliesslich die italienische Flagge, von der Tonnenzahl der Dampfer gehören ihr drei Fünftel an. Neben der italienischen sind die wichtigsten Flaggen die englische, französische und deutsche. Durch die Navigazione Generale steht Neapel in regelmässigem Verkehr mit Palermo, Messina, Tunis, Tripolis, mit Genua, Cagliari, Guana. Marseille, mit Alexandria, Port Saïd, Massaua, Bombay, Hongkong; durch die Peninsular und Oriental mit London und Port Saïd, durch die Linie Slomann mit Hamburg. Ausser diesen läuft eine ganze Reihe englischer Linien Neapel im Küstenverkehre an.

Neapel steht in Schnellzugverbindung mit Rom, über Caserta-Foggia mit Brindisi und mit Ancona und über Metaponto mit Reggio di Calabria.

Hier haben eine Börse, 11 Banken und Bankfilialen ihren Sitz. Die Regie - rung errichtet soeben ein Istituto orientale.

Consulate haben in Neapel: Argentina, Belgien, Bolivia, Chile, Columbia, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich (G. -C. ), Dominik. Republik, Ecuador, Frank - reich (G. -C. ), Griechenland (G. -C. ), Grossbritannien, Guatemala, Haiti, Hawaii, Honduras (G. -C. ), Japan, Liberia, Mexico, Monaco, Montenegro, Niederlande (G. - C.), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay, Persien, Peru, Portugal (G. -C. ), Russ - land (G. -C. ), Salvador, San Marino, Schweden und Norwegen, Schweiz (G. -C. ), Spanien, Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela (V. -C. ), Vereinigte Staaten.

Von den Plätzen am Golf von Neapel hat noch grössere Be - deutung für den Handel Castellamare di Stabia; die Einfuhr er - reichte 1888 7·9 Millionen Lire, ein riesiger Abfall gegen 1887, wo die Einfuhr 19·7 Millionen Lire, die Ausfuhr 6·7 Millionen Lire betrug.

Castellamare verliert seinen Getreideimport an das nord - westlich gelegene Torre Annunziata, das eine Eisenbahnverbindung direct nach Norden erhalten hat. In Castellamare wurden 1887 un - gewöhnlich viel Eisen und Maschinen für die Docks der königlichen Marine und die Impresa industriale italiana eingeführt. Ausgeführt werden Wein und Agrumi. In Torre Annunziata werden ausge - zeichnete Maccaroni erzeugt, noch berühmter ist darin Gragnano, das grossen Export nach England und in die Union hat. In Torre del Greco endlich ist der Hauptsitz der Fischerei und der Ver - arbeitung von Korallen.

Im Jahre 1888 gingen 95 Boote mit 955 Mann aus auf die Korallenfischerei und brachten 322.500 kg Rohmateriale zurück; in den Zeiten der Blüthe des Ge - schäftes wurden nicht weniger als 500 Boote ausgerüstet, jedes mit 10 12 Mann bemannt, man verdiente 15 20 %, und heute nicht die Hälfte. Die bearbeiteten Korallen sind entwerthet, von 800 Lire für das Kilogramm im Jahre 1883 auf 180 Lire im Jahre 1888; man hat bei Sciacca an der Südküste Siciliens neun grosse Bänke entdeckt, während man früher nur die bei Tunis benützte. Calcutta ist der Hauptmarkt der italienischen Koralle, die in ganz Südasien und am Congo gerne gekauft wird.

[355]

Livorno.

In der weiten toscanischen Küstenebene beanspruchen zwei Städte ein höheres Interesse: Pisa wegen seiner glänzenden Vergangen - heit als handelsmächtige Rivalin von Venedig und Genua (vom X. bis zum XIV. Jahrhundert), und Livorno seines gegenwärtigen Auf - strebens halber.

Als Hafenplatz ist Livorno von der Natur eher stiefmütterlich als günstig bedacht worden. Der Charakter der Küste nächst Livorno ist der einer Flachküste ohne Buchten und Vorgebirge. Der Küsten - saum nördlich der Stadt ist sumpfig und sandig. Ebenso senkt sich der Meeresboden nur allmälig zu grösseren Tiefen herab. Auf 37 km Entfernung von der Küste erreicht das Loth erst eine Tiefe von 100 Faden (181 m).

Die Insel Gorgona, mit Livorno durch ein Telegraphenkabel verbunden, lagert wie eine Vedette 33 km westsüdwestlich der Stadt in See und westlich von Livorno auf 5·5 km Entfernung breitet sich der über 5 km weite Plan der sehr gefährlichen Bank von Meloria aus, die indes zwischen ihrer Ostseite und dem Lande eine Fahr - strasse von 7 m Wassertiefe der Schiffahrt offen lässt. Die hier mit grosser Wuth und hohem Seegange einbrechenden äusseren Winde erzeugen auf der Bank ungeheuere Brecher und branden an dem kleinen Felsen, der den Leuchtthurm der Bank trägt. In der Nähe wurde am 6. August 1284 die Flotte der Pisaner durch die Genuesen entscheidend geschlagen.

Von See aus bietet die Stadt einen imposanten Anblick, wenn - gleich sie ihrer tiefen Lage wegen landschaftlich nicht recht zur Geltung kommen kann. Allein die zahlreichen Thürme, hohen Ge - bäude, einzelne Wallgänge, Fabriken und hohen Schlöte, endlich die weiss schimmernden Dämme des mit Schiffen jeder Grösse und Flagge erfüllten Hafens sind die Wahrzeichen eines bedeutenden Seehandelsplatzes.

45*356Das Mittelmeerbecken.

Nordwärts der Stadt erblickt man über der sanft geneigten Fläche der zum Theil bewaldeten Küstenebene die Thürme von Pisa, und südwärts von Livorno ist mit den blühenden Anlagen des Viale Regina Margherita eine reizende durch Villen und schöne Gärten ge - zierte Strandpromenade entstanden, würdig des hohen Namens, den sie trägt.

Die Anlagen reichen südwärts an der königlichen Marine-Aka - demie und dem Lazareth S. Leopoldo vorbei bis nach Ardenza (3 km), einem lachenden Cottageviertel der Stadt.

Livorno, von Montesquieu das Meisterwerk der Mediceischen Dynastie genannt, ist eine staatskluge Schöpfung dieser Herrscher - familie, welche mit der Aufrichtung des Seeplatzes Livorno einerseits die alte Rivalin Pisa tödlich trafen, anderseits Florenz einen eigenen Hafen gaben, der es unabhängig von Genua, Venedig und Pisa machte.

Obzwar im IX. Jahrhundert gegründet, kam die Stadt, welche zu Pisa ge - hörte, im August 1405 an Genua, gerade als die Florentiner sich anschickten, Pisa, das längst von seiner Höhe herabgestiegen war, zu unterwerfen. Sie besetzten am 5. October 1406 Pisa; den Porto Pisano an der Mündung des Arno und Livorno kauften sie erst 15 Jahre später, am 27. Juni 1421, von dem geldbedürftigen Genua um den Preis von 100.000 Goldgulden. Werthvoller als der alte Hafen der Pisaner, welcher der Versandung entgegenging, war der neben ihm aufblühende, zu seinem Ersatze bestimmte Hafen Livorno.

Noch im selben Jahre, am 28. November, wurden die Consoli del mare ernannt, der Bau eines Seearsenals, die Ausrüstung von Handelsgaleeren begonnen: Florenz hatte endlich seinen eigenen Hafen, seine eigenen Schiffe. Kaufmännische Niederlassungen brauchte man nicht erst zu gründen, sie bestanden bereits in den meisten Stapelplätzen der Levante. Auch erhob die Republik Florenz als Rechts - nachfolgerin des unterjochten Pisa Anspruch auf alles, was jener Stadt an Besitz - thümern und Rechten in der Levante zugestanden war.

So trat Livorno als Hafenplatz die Erbschaft Pisas in der Levante an.

Als dann im XVI. Jahrhundert auch der Levantehandel Livornos verfiel, erlebte die Stadt einen neuen Aufschwung durch die Fürsorge der weitblickenden Mediceer. Cosimo I., der erste Grossherzog v. Toscana (1569), ertheilte der Stadt reiche Privilegien; Francesco I. befestigte die Stadt und Ferdinand I. trachtete, die Industrie zu heben, und ebenso bestrebt war Cosimo II., den Handel zu beleben. Ueberhaupt wussten die Medici vielen in anderen Staaten Unterdrückten und Unzufriedenen, wie den Katholiken aus England, den Juden und Mauren aus Spanien, den Kaufleuten aus Marseille, welche den Bürgerkriegen entflohen, eine zweite Heimat in Livorno zu gründen und den Glanz der Stadt zu heben. Ebenso waren diese Fürsten die Erbauer des alten Hafens, der noch heute ihren Namen führt.

Auch unter den Lothringern würde die Entwicklung angehalten haben, wenn nicht die blutigen und langen Kämpfe der französischen Republik und des napoleonischen Kaiserreiches einen jähen Stillstand herbeigeführt hätten. Livorno357Livorno.war ein Hauptdepotplatz der Alliirten, fiel 1796 in die Hände Bonaparte’s, der es durch Confiscationen aller Güter brandschatzte. Die Stadt gerieth in den Wechsel - fällen der Kriege bald unter die Herrschaft der Alliirten, bald wieder unter jene Frankreichs, und erst nach dem Wiener Congresse (1814) nahm Ferdinand III. wieder Besitz von Livorno. Dieser Grossherzog trachtete die tiefen Wunden des Krieges zu heilen, er erweiterte das Gebiet des Freihafens.

Die grossen Magazine, über welche die Stadt verfügte, und viele Erleich - terungen hoben die Handelsbedeutung des Platzes und die Zahl seiner Bevölkerung. Livorno wurde eine der günstigsten Echellen für die Verbindung der Levante mit dem europäischen Westen.

Unter Leopold II. wurde der grosse Wellenbrecher mit bedeutenden Kosten hergestellt (1854) und dadurch die Hafenfläche ausserordentlich erweitert.

Livorno.

Dennoch konnte in der neuesten Zeit, namentlich durch Eröffnung des Suez-Canals und der Gotthardbahn, ein Rückgang des Handels durch die Aende - rung der äusseren Verhältnisse nicht verhindert werden. Die thätige und unter - nehmende Bevölkerung Livornos begann nun in der Entwicklung der Industrie einen Ersatz zu suchen und erreichte glänzende Erfolge, die wieder eine Belebung des Handels nach sich ziehen.

Unter 43° 32′ nördl. Breite und 10° 17′ östl. Länge v. Gr. (Leuchtthurm) liegend, besteht der Hafen von Livorno, wie unser Plan zeigt, aus dem Porto nuovo oder äusseren Hafen, den ein Wellen - brecher von 1000 m Länge gegen die See abschliesst, ferner aus dem Porto vecchio oder dem Mediceischen Hafen, und aus drei Bassins, welche die Namen Mandracchio, Darsena vecchia und Darsena nuova führen. An den zwei erstgenannten Bassins liegen die Lagerhäuser des358Das Mittelmeerbecken.sogenannten Punto franco und von der Darsena vecchia führt ein Canal zum Bassin des Hafenbahnhofes (Stazione marittima). Die mittlere Tiefe im alten Hafen ist 7 m, im äusseren Hafen aber nur 6 m. An der Darsena vecchia erhebt sich das Standbild des Gross - herzogs Ferdinand I., ein Werk von Giovanni dell Opera, das vier tür - kische Sclaven in Erzguss (i quattro Mori) von Pietro Tacca zieren.

Livorno zählt gegenwärtig 85.000 Einwohner, ausschliesslich einer fluctuirenden Hafenbevölkerung von ungefähr 3000 Menschen und ist Sitz einer Präfectur, einer Handelskammer, der Marine-Akademie, eines technischen und nautischen Institutes.

Eine Zahl von Canälen durchschneidet die Stadt, welcher dieser - halb der Name Nuova Venezia beigelegt ward, und ein schiffbarer Wasserweg verbindet sie mit dem Arno-Fluss, der 14 km nördlich in das Meer mündet.

Vom Hafenquai aus zieht die breite mit schönen Verkaufs - geschäften versehene Hauptstrasse Via Vittorio Emanuele in Ostnord - ost-Richtung durch das Centrum der Stadt und kreuzt den grossen Platz gleichen Namens. Dort liegt die Kathedrale, das ehemalige grossherzogliche Palais und das Stadthaus.

Ein zweiter öffentlicher Platz ist die Piazza Carlo Alberto mit den Kolossal-Standbildern der beiden Grossherzoge Ferdinand III. (gest. 1824) und Leopold II. (gest. 1870). Auf der kleinen Piazza Cavour wurde dem grossen italienischen Staatsmanne eine Marmor - bildsäule errichtet. Mit den vorstehenden Daten haben wir die Sehens - würdigkeiten der Stadt, insoweit sie Monumente betreffen, erschöpft. Allein Livorno ist auch seiner industriellen Etablissements wegen beachtenswerth.

In der grossartigen Werfte der Fratelli Orlando besitzt die Stadt eine der bedeutendsten Schiffbauanstalten der Erde. Dort wurden die grossen italienischen Panzerschiffe (bis zu 13.500 t Gehalt), welche den Triumph der italienischen Techniker begründeten, gebaut.

Auch die Rhederei und der kleine Schiffbau sind in Livorno wohl entwickelt; ausserdem gibt es Fabriken für Oel und Seife, für überzuckerte Früchte, grosse Dampfmühlen, eine Fabrik für Fenster - glas, eine andere für Kupferwaaren; man erzeugt Möbel und Kleider im Grossen, Blechdosen und Holzkisten und verarbeitet Korallen.

Ueber diese blühenden Unternehmungen mögen die nachfolgenden Daten Aufschluss geben.

An der Südseite der Darsena nuova gelegen, nimmt die Werfte der Ge - brüder Orlando (Cantiere navale dei fratelli Orlando) einen Flächenraum von 100.000 m2 mit einer bedeckten Oberfläche von 40.000 m2 ein. Es bestehen dort zwei359Livorno.Schiffsaufzüge, ein Dock und drei Werften für den Bau von Schiffen bis 100 m Länge, dann zwei solche für Schiffe von 60 m Länge, endlich eine Werfte in Stein - construction für Kriegsschiffe von ausserordentlicher Grösse.

Die Schiffsaufzüge bewältigen mittelst eines Systemes hydraulischer durch Dampfmaschinen betriebener Pressen das Aufholen von Schiffen bis zu 1500 t Gehalt, wozu eine Zeit von drei Stunden erforderlich ist. Die Werften enthalten selbstverständlich alle für den Neubau und die Reparatur von Schiffen erforder - lichen Werkstätten und Mechanismen und verfügen über Eisenbahngeleise in der Gesammtlänge von 2 km. Orlando beschäftigt durchschnittlich 1700 Arbeiter.

Die Werften sind mit einem hohen drehbaren Dampfkrahn von 50 t Hebe - fähigkeit ausgestattet.

Das Trockendock misst 135 m Länge, 22 m Breite und 7·4 m Tiefe. Dieses Bassin wird mittelst Dampfpumpen in 6 Stunden trocken gelegt.

Die Società Vetraria hat eine grosse Fabrik für Fensterglas in der Vorstadt Torretta mit 4 Glasschmelzöfen und einem Beckenofen für continuirliche Arbeit und fabricirt Fensterglas (jährlich 600.000 m2), Glasglocken u. s. w. Die Fabrik beschäftigt bei 500 Arbeiter. Das Umsatzgebiet erstreckt sich bis Turin, Mailand, Rom und Sicilien.

Das zweite neue grosse Etablissement Società metallurgica Italiana befindet sich ebenfalls in der Vorstadt Torretta, besitzt eigene Geleise zur Station San Marco und durch den schiffbaren Canal Delle Cateratte Verbindung mit dem Hafen. Hier werden die Kupfererze der Maremma und fremde verhüttet, Kupfer, Messing und Bronze erzeugt und auch Platten, Röhren und Drähte verarbeitet. Die Unternehmung beschäftigt ungefähr 700 Arbeiter.

Noch andere grosse Unternehmungen sind geplant und die Stadt gestaltet sich immer mehr zu einem industriellen Platze aus, als Er - satz dafür, dass sie seit Eröffnung der Gotthardbahn als Handels - platz von dem rührigeren Genua überflügelt wird.

Livornos Handel, bei welchem die Einfuhr weit grösser ist als die Ausfuhr, macht keine Fortschritte.

Der einzige Lichtpunkt ist 1888 die Errichtung eines Behälters von 2400 t Fassungsraum, bestimmt für russisches Petroleum; denn dadurch wird Livorno ein Depotplatz für kaukasisches Petroleum.

Es kommt in Cisternenschiffen aus Batum. Die Manipulation mit Petroleum besorgen Dampfpumpen. Der Versandt aus dem Behälter geschieht in Cisternen - wagen, Fässern und Kisten. In einer eigenen Fabrik sollen täglich 5000 Blech - büchsen und halb so viele Holzkisten erzeugt werden.

Die Handelsverhältnisse Livornos sind übrigens, wie die aller Häfen Italiens, durch den Zollkrieg des Landes mit Frankreich anormal. So erklärt sich das ge - waltige Sinken der Ausfuhr von 1888 gegen 1887, doch, selbst abgesehen von der Ausfuhr nach Frankreich, lässt sich ein Rückgang des Exportes feststellen. Die Abnahme der Einfuhr aber des Jahres 1888 gegenüber 1887 ist in dem Umstande gelegen, dass 1887 wegen drohenden Zollerhöhungen manche Artikel in weit grösserer Menge eingeführt wurden als unter gewöhnlichen Verhältnissen.

Der Handel Livornos betrug in Lire:

〈…〉〈…〉
360Das Mittelmeerbecken.

Dem Werthe nach waren im Jahre 1888 gefasste Korallen, für welche Livorno einer der ersten Fabriksorte Italiens ist, der wichtigste Artikel der Aus - fuhr. Ausfuhr 1888 177 q, Werth 3,186.000 Lire, 1887 3,289.060 Lire, bestimmt für Indien, Egypten, Algier.

In früheren Jahren nahm verarbeiteter Marmor mit einem Ausfuhr - werthe von 6 Millionen Lire den ersten Rang ein. Die Ausfuhr sank 1888 auf 54.866 q herab gegen 142.513 q im Jahre 1887, auch die des rohen Marmors ver - minderte sich von 85.320 q im Jahre 1887 auf 54.866 q im Jahre 1888. In diesem Jahre wurden nämlich grössere Mengen von Spezia aus verschifft, das den be - rühmten Mormorbrüchen von Massa und Carrara, dem römischen Luna, viel näher liegt als Livorno und daher im Alterthume Portus lunensis hiess. Die Haupt - absatzländer sind England, Amerika, Spanien, Egypten, Deutschland, Holland und Russland, neben denen früher auch Frankreich zu nennen war.

Von Borsäure, dessen Hauptfundstätte Toscana ist, wurden 1888 11.998 q (Werth 659.890 Francs), 1887 28.778 q ausgeführt, wo England noch ein starker Käufer war.

Auch die Ausfuhr von Antimon, Arsenik und Quecksilber hat sich riesig vermindert.

Bei Weinstein ist der Rückgang nicht so gross wie bei den früheren Artikeln. Ausfuhr 1888 10.320 q, 1887 11.326 q.

Von Wein wurden 1888 7983 hl, 1887 11.807 hl ausgeführt, die Minder - ausfuhr nach Frankreich betrug 1888 3644 q.

Die Ausfuhr von Olivenöl betrug 1888 21.093 q (Werth 2·5 Million Lire), 1887 38.113 q (Werth 4·6 Millionen Lire) und ging nach England, Frankreich und Amerika.

Dadurch ist von den Artikeln des Pflanzenreiches Hanf an die erste Stelle gerückt. Ausfuhr 1888 32.765 q (Werth 2·3 Millionen Lire), 1887 43.860 q. Absatz - länder Frankreich und England. Confecte (Succaden) zeigten 1888 eine Ausfuhr von 10.814 q (Werth 2·5 Millionen Lire), 1887 eine solche von 15.518 q (Werth 2·7 Millionen Lire). Absatzländer: Amerika, Holland, Deutschland.

Auch die Ausfuhr von lebendem Geflügel und von Eiern (1888 4242 q 1887 10.704 q) ist zurückgegangen, weil Frankreich weniger davon aufge - nommen hat.

Gestiegen ist in den letzten Jahren die Ausfuhr von rohen Häuten, be - sonders für England bestimmt (1888 12.428 q, 1886 6113 q), sowie die von Ha - dern (1888 11.274 q, 1887 52 q).

Ausser gefassten Korallen und Marmorplatten, die wir schon genannt haben, werden von Industrieartikeln ausgeführt die für Toscana charakteristischen Strohhüte (sogenannte Florentiner), (1888 640.947 Stück im Werthe von 1·1 Million Lire, 1887 778.332 Stück im Werth von 1·5 Million Lire) und gemeine Seife (1888 7.033 q).

In der Einfuhr ist im Allgemeinen Getreide vom Schwarzen Meere, aus Indien und Amerika der wichtigste Artikel, 1888 326.638 q (Werth 7·2 Millionen Lire), 1887 610.489 q (Werth 12·5 Millionen Lire). Weizen und Hafer sind die für Livorno wichtigsten Getreidearten.

Von amerikanischem Blättertabak wurde 1888 70.012 q (Werth 7·6 Millionen Lire) bezogen. Dieser Artikel wird von der Tabakregie bereits im Lande der Pro - duction gekauft und ist somit reines Transitogut.

361Livorno.

Zucker (Einfuhr 1888 8800 q, 1887 79.096 q, 1886 674.460 q) verschwindet fast vom Markte zu Livorno, der ganze Handel ist an Genua übergegangen.

Livorno ist ein wichtiger Einfuhrplatz für Olivenöl (1888 4814 q) aus Tunis, für Baumwollsamenöl (1888 5028 q, 1877 8732 q) aus England, Amerika und Frankreich, für Leinsaat aus Indien und seit 1888 auch für ge -

Livorno. (Masstab 1: 39.600; Sonden in Metern.)

A Rhede von Livorno, A1 Porto nuovo (neuer Hafen), B Porto vecchio (alter Hafen), C Mandracchio, D Darsena vecchia, E Darsena nuova, F Leuchtfeuer, G Hafenbahnhof (Stazione maritt. ), H elektrische Semaphorstation, J Petroleum-Magazin, K Bagni Squarei (Bäder), L Bagni Pancaldo, M Bagni Patineri, N Marine-Akademie, O Viale Reg. Margherita, P Via Vittorio Emanuele, R Kathedrale, S Piazza Carlo Alberto, T Punto franco (Freihafen), U Eisenbahnstation, V Dominikaner-Kirche, X Forte nuovo, Y Porta Cavour, Z Monument Ferdinand I. 1. Porta Mazzini, 2. Via Garibaldi, 3. Porta fiorentina, 4. Porta delle Colline, 5. Porta delle Isole.

meines Holz (Werth 712.310 q), zumeist aus Frankreich stammend, was in Zu - sammenhang steht mit dem neu eingerichteten Petroleumverkehre.

Von Faserstoffen werden eingeführt Schafwolle (1888 4160 q) aus Egypten, Frankreich und Russland, Baumwolle (1888 6195 q) zumeist aus Indien, die Einfuhr von Jute ist auf eine unbedeutende Menge gesunken. Ansehnlich istDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 46362Das Mittelmeerbecken.noch immer die Einfuhr roher Häute (1888 16.440 q, Werth 2·6 Millionen Lire). Geringen Schwankungen ist die Einfuhr getrockneter und geräucherter Fische (1888 93.662 q, Werth 5·6 Millionen Lire) unterworfen.

Aus dem Mineralreiche sind anzuführen englische Steinkohlen (1888 2,143.070 q, Werth 4·9 Millionen Lire), Petroleum (1888 78.014 q); russisches Petroleum sucht amerikanisches vom Markte zu verdrängen. Wichtig sind auch Brucheisen, Eisen und Stahl. Die Einfuhr von Maschinen war am stärksten 1887, in welchem Jahre die Einrichtung der oben angeführten, grossen industriellen Etablissements vollendet wurde.

Zum Schlusse führen wir die Einfuhr von Kurzwaaren an, welche aus Frankreich, England, Deutschland und Oesterreich-Ungarn kommen, und die von Webewaaren, welche ungefähr 20.000 q umfasst und aus England, Frankreich und Deutschland stammt.

Der Schiffsverkehr von Livorno umfasste:

〈…〉〈…〉

Die Küstenschiffahrt mit Seglern ist ganz in den Händen der Italiener, die mit Dampfern zu drei Vierteln; auch im internationalen Verkehre behauptet die italienische Flagge in der Segelschiffahrt mit zwei Dritteln der Tonnenzahl den Vorrang, bei der Dampfschiffahrt ist sie dagegen nur mit einem Sechstel bethei - ligt. Die wichtigsten fremden Flaggen sind die englische (1888) mit 358.000 t, dann die französische und die deutsche. Der stärkste Tonnenverkehr findet statt mit England, Frankreich, der Levante einschliesslich Egypten, mit Russland, Ru - mänien und der Union.

Regelmässigen Schiffsverkehr vermitteln die Dampfer der Navigazione Gene - rale nach den Häfen an Italiens Westküste, nach Brindisi, Sardinien, Sicilien, Malta, Tunis, Tripolis, mit Egypten und durch Anschlusslinien mit der Levante und Süd - und Ostasien, Slomann mit Hamburg, und zwei französische Gesell schaften mit Corsica und Marseille.

Livorno hat über Pisa vier Eisenbahnlinien zur Verfügung, leider sichern ihm diese nur den Handel Toscanas.

Consulate haben in Livorno: Argentinien, Belgien, Chile, Columbia, Däne - mark, Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Guatemala, Honduras, Liberia, Mexico, Monaco, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Peru, Portugal, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten.

[363]

Genua.

Eine lachende Küstenlandschaft voller Reiz und Ueppigkeit be - gleitet den Fuss der Apennien von Spezia an bis weit nach Westen, dort wo die Seealpen zum Meere sich senken. Mit reichen Gaben hat Mutter Natur die Gegend ausgestattet. Gegen den rauhen Norden durch das Hochgebirge geschützt, empfängt sie die linden und feuchten Südlüfte, welche die Abhänge und Schluchten mit einen paradiesischen Pflanzenwuchs bedecken. Das glänzt, blüht und duftet, ein einziger grosser Garten, der halb Europa die köstlichsten Blumen spendet.

Hier, wo die ligurische Küste das östliche Knie (genu) bildet, hat Genua, la superba, an einer natürlichen Einbuchtung ihre Marmor - paläste erbaut. Beiderseits ihres Weichbildes erstrecken sich in wech - selvoller landschaftlicher Schönheit viele Meilen weit die herrlichen Abhänge der Riviera. Ostwärts die Riviera di Levante, westwärts die Riviera di Ponente, beides Bezeichnungen, welche schon zur Zeit der genuesischen Republik Geltung hatten. Blühende Gärten, eine ununter - brochene Reihe herrlich gelegener Städte, Ortschaften und Landhäuser sind zu einem unvergleichlich reizenden Bande vereinigt, welches den Strand umsäumt und seine malerischen Bilder in dem tiefen Meere des Golfes spiegelt.

Nizza, Mentone, San Remo, Sestri, Nervi und wie all die zahl - losen Perlen dieses zaubervollen Strandes heissen, geniessen ob der Herrlichkeit ihrer Lage und ihres milden Klimas einen Weltruf, und wenn einer Gegend die Widmung: Den Kranken zum Heil, den Gesunden zur Lust zukommen mag, so ist es die Riviera mit ihren prächtigen Naturscenerien und dem blendenden Luxus des High-life, der hieher sich verpflanzte.

In solcher Umgebung darf die Marmorstadt Genua den Bei - namen die Stolze wohl verdienen; er kommt ihr aber durch ihre Handelsmächtigkeit und ruhmvolle Geschichte sowie durch die Triumphe, welche die Liebe zur Stadt und der Wohlthätigkeitssinn46*364Das Mittelmeerbecken.ihrer Bewohner feierten, vielleicht mit noch mehr Berechtigung zu. Enge verknüpft mit dem neuen Genua ist der Name des grossmüthigen, 1876 verstorbenen Herzogs von Galliera, welcher zum Bau des Hafens 20 Millionen Lire gespendet hatte.

Der Anblick von Genua ist ein äusserst fesselnder. Die Stadt baut sich an den mitunter steilen Abhängen zwischen den beiden tief eingeschnittenen Thälern des Bisagno und der Polcevera zu be - deutender Höhe amphitheatralisch auf und die Wallgänge ihrer starken Befestigungen klimmen längs steilen Hängen und Abgründen weiter empor bis zu dem 3 km von der Küste entfernten, hochgele - genen Fort Sperone, dem Schlüsselpunkte der ganzen Position. Da - durch ist ein ganz bedeutendes Terrain eingeschlossen, wo viele Landhäuser und Villen in anmuthigen Gärten sich behaglich betten konnten.

Das malerische Gros der Stadt lagert an der Ostseite der Bucht, in welcher ein grandioser mit den neuesten Einrichtungen ausge - statteter Kunsthafen, auf den wir zurückkommen werden, entstanden ist. Den Norden und Westen desselben umklammern neben Bahnhof - anlagen nur die lebenskräftigen Ausläufer der Stadt. Aber die mo - dernen Bauten der Bahnhöfe und Lagerhäuser haben den Vordergrund eingenommen und trennen die ehrwürdigen Paläste von dem Hafen, dem Lebensnerv der heutigen Stadt.

Der jederzeit von hunderten Schiffen belebte Hafen mit seinen zahlreichen Dämmen, hier Ponti genannt, mit seinen Schienensträngen, Krahnen und Waarenlagern ist denn auch das Centralgebiet der rast - losen Thätigkeit der genuesischen Kaufmannschaft. Der volle Glanz der alten Republik findet hier in neuen Formen und in verjüngtem Leben den hellsten Widerschein. Unwillkürlich gedenkt man im An - blicke des weiten Hafens, dessen hoher Leuchtthurm aus den Ba - stionen beim Cap S. Benigno kräftig emporragt, an die Heroengestalt des Cristoforo Colombo, des 1456 in dem westlich von Genua lie - genden Küstenstädtchen Cogoleto geborenen Entdeckers von Amerika, des berühmtesten Bürgers der alten Republik. Genuas Handel hatte zwar durch die Entwicklung der oceanischen Schiffahrt infolge der Entdeckung des Columbus den Todesstoss erhalten; aber der Nieder - gang war nur vorübergehend. Der neueren Zeit war es vorbehalten, die einstige Handelsmächtigkeit wieder herzustellen und Genua, die Königin der italienischen Seehäfen, gerade zum wichtigsten Ausbruchhafen Italiens für den amerikanischen Verkehr zu erheben.

Sehr spät und vielleicht erst nach Erkenntniss der glücklichen365Genua.Veränderung ihres Seehandels erinnerte sich die Stadt des grossen Bürgers Columbus und widmete ihm ein Denkmal, das seit 1862 in den prächtigen Palmenanlagen der Piazza Acquaverde nächst dem Westbahnhofe sich erhebt. Ganz aus Marmor bestehend, hat das Mo - nument einen reichen figuralen Schmuck, vier allegorische Gestalten: die Religion, Klugheit, Wissenschaft und Stärke, umgeben den mit Schiffsschnäbeln gezierten Sockel, auf welchem die markante Gestalt Colons neben einer knienden Amorette sich erhebt. A Cristoforo Colombo la patria und Divinato un mondo lo avvinse di perenni benefizi all antico lautet die Inschrift des Denkmals.

Die tiefeingeschnittene Bucht von Genua, einer der Hauptstützpunkte der ligurischen Freibeuterei, war schon in uralter Zeit den griechischen Seefahrern wohlbekannt. Im III. Jahrhunderte v. Chr. hatten die Römer den Fuss hieher - gesetzt und ihre Municipalverfassung eingeführt; von hier bekämpften sie die Ligurer, um sich die längs der Küste nach Spanien führende Militärstrasse zu sichern.

Mit der Einwanderung germanischer Völker nach Italien entwickelte sich auch hier das Feudalsystem, und noch im XI. Jahrhunderte sahen die Genuesen innerhalb der Mauern ihrer Stadt die Markgrafen aus dem obertinischen Haus zu Gerichte sitzen.

Erst kurz vor dem ersten Kreuzzuge gelang es Genua, die communale Selbstregierung zu erringen; die freien Bürger der Stadt schlossen sich zu einer politischen Association Compagna unter selbstgewählten Consuln zusammen und beseitigten alle widerstrebenden Gewalthaber und Parteien. Fast zur selben Zeit erkämpfte sich Genua im Bunde mit Pisa die freie Bahn für seinen Seehandel, und die nordafrikanischen Araber, welche 935 Genua angefallen und ausgeplündert hatten, wurden in ihrem eigenen Lande angegriffen.

Jetzt aber werden aus den Bundesgenossen Rivalen; fast 200 Jahre währte das Ringen der beiden Handelsstädte Genua und Pisa, bis in der blutigen Ent - scheidungsschlacht bei den Sandbänken von Meloria nächst Livorno 6. August 1284 Pisa für immer unterliegt.

Diese Kämpfe fallen also in die Zeit der Kreuzzüge, in welchen Genua durch die Unterstützung der Paläologen gegen das lateinische Kaiserreich (1261), welches die Venetianer in Constantinopel 1204 aufgerichtet hatten, Smyrna, weit - läufigen Besitz auf den griechischen Inseln und in der Krim gewann. Im Jahre 1300 erwarb es von Pisa die Insel Corsica. Dieser Meeresherrschaft konnte nur Venedig ein Gegengewicht bieten, und die Uebermacht Genuas in der Levante musste zum erbitterten Kampfe mit diesem führen.

Vom Jahre 1257 bis 1380 währte das Ringen um die Herrschaft im Mittel - meere. Schon war die genuesische Flotte in das adriatische Meer, den Golfo veneziano, eingedrungen und bedrohte die Lagunenstadt, als die Venetianer in der Seeschlacht bei Chioggia 1380 mit entscheidendem Siege die Suprematie der kampfesmuthigen, aber durch den Parteihader der Guelfen und Ghibellinen sehr erschöpften Rivalin zertrümmerten. Der Glanz Venedigs stieg, jener Genuas aber neigte sich der Verdunklung entgegen; Genua verlor allmälig seine griechischen Besitzungen und sank im letzten Viertel des XIV. Jahrhunderts von seiner stolzen366Das Mittelmeerbecken.Höhe herab. In der Folge büsste es sogar die eigene Selbständigkeit ein, nach dem die Könige von Neapel und Frankreich, die Markgrafen von Montferrat und die Herzoge von Mailand abwechselnd zur Oberherrschaft von Genua gelangten.

Endlose Verschwörungen und blutiger Zwist, sowie die Kämpfe der Gross - mächte, deren Spielball Genua geworden war, beraubten die Stadt jeder ruhigen Entwicklung.

Der hochstrebende Andrea Doria, il padre della patria , der berühmte Admiral Karl V. raffte 1528 die Kraft des Staates auf und schüttelte das fran - zösische Joch ab. Er begründete eine neue oligarchische Verfassung und stellte dadurch Ordnung und Ruhe her, gegen welche die Verschwörung des Fiesco (1547) erfolglos blieb.

Nun aber waren die Besitzungen im Oriente den anstürmenden Osmanen zugefallen, die mächtigen Nachbarstaaten der Republik bedrängten ihr Gebiet immer mehr, 1684 rückten die Franzosen in Genua ein, dessen Kraft und Ansehen nicht mehr ausreichte, sich selbst zu schützen. Es verkaufte schliesslich 1768, wenige Wochen, nachdem Napoleon Bonaparte zu Ajaccio geboren war, Corsica an Frankreich um 30 Millionen Francs, und als die Wogen der französischen Re - volution ganz Europa überfluteten, verschlangen sie auch Genuas Selbständigkeit für ewige Zeiten. Von dem französischen General Massena besetzt, wurde die Stadt 1800 durch die Oesterreicher unter Melas und die verbündete Flotte unter Lord Keith cernirt und musste sich nach blutiger Gegenwehr und nach den Qualen einer verheerenden Hungersnoth ergeben. Im Jahre 1805 gelangte die Stadt an Frankreich und 1815 an das Königreich Sardinien.

Im Gegensatze zu Neapel, dessen Armuth an hervorragenden und schönen Bauwerken, wie überhaupt an Denkmälern der eigenen Kunst auffallend ist, geniesst Genua durch die zahlreichen und präch - tigen Renaissancepalais seines Adels und einige sehr alte Kirchen einen geschätzten Namen in kunstgeschichtlicher Beziehung. Die Kunst - periode des Cinque Cento ist hier durch viele hervorragende Werke des genialen Galeazzo Alessi ( 1572), eines Schülers Michel Angelo’s, reich vertreten. Von seinen Bauten sei der in der Via Garibaldi ge - legene Palazzo Rosso erwähnt, den die Herzogin von Galliera 1874 der Stadt Genua sammt der reichen Bibliothek und einer kostbaren Gemäldesammlung als Geschenk gewidmet hat.

Alessi erbaute auch den durch eine stattliche Façade ausge - zeichneten Palazzo Marcello Durazzo, dessen bedeutende Gemälde - sammlung Galleria Durazzo-Pallavicini viele alte Meister, wie Rubens, Van Dyck, Tizian, P. Veronese, Tintoretto u. A. enthält. Genua ge - noss überhaupt das Glück, Rubens (1607 bis 1608) und später Van Dyck bei sich beherbergt zu haben. Diese schaffensfrohen Meister hinter - liessen hier viele herrliche Werke und verewigten auch die Mitglieder der genuesischen Adelsfamilien jener Zeit.

Hier inmitten des die Kunst pflegenden Reichthums fanden gleich - falls die berühmtesten Vertreter und Träger der venetianischen Schule367Genua.Anregung und Beschäftigung. Deshalb sind die vielen Paläste grössten - theils mit herrlichen Kunstwerken geziert und enthalten kostbare Galerien.

Alessi ist auch der Erbauer der auf einem 53 m hohen Terrain - vorsprung an der Südostseite der Stadt sich erhebenden Renaissance - kirche St. Maria in Carignano, die in kleineren Verhältnissen an den Gedanken sich lehnt, dem Bramante und Michel Angelo beim Baue der Peterskirche in Rom gefolgt waren. Von der Galerie der obersten Kuppel geniesst man einen prächtigen Ausblick auf die Stadt und den Hafen sowie auf den malerischen Strand der Riviera. Auch die schöne Loggia dei Banchi, die Börse, vor welcher jetzt das Cavour - Denkmal sich erhebt, und die Paläste Cambiaso, Giorgio Doria, Adorno, Serra u. a. entstammen den Plänen Alessi’s.

Neben diesem fruchtbaren Meister haben auch andere Künstler von gutem Namen die Stadt durch bewunderungswerthe Bauten ge - ziert, und der lange Strassenzug der Via Balbi, der Via Nuovissima und der Via Garibaldi kann durch den Reichthum an Palästen, die besonders in der letztgenannten Strasse sehr zahlreich sind, eine Galerie von Palästen genannt werden, welche an die venetianischen des Canal grande erinnert. Was die Geschichte Genuas an hervor - ragenden Namen, wie Doria, Spinola, Balbi, Deferrari (Galliera), Durazzo u. s. w., aufzuweisen hat, ist hier in schönen Bauwerken der bleibenden Erinnerung geweiht.

Der grosse Palazzo Doria (zuweilen auch D’Oria geschrieben), der nächst dem Westbahnhofe von der Piazza del Principe liegt, ragt wie eine Insel aus dem ihn umgebenden Gewirre von Schienensträn - gen empor. Nirgends sonst in der Stadt zeigt sich der Gegensatz zwi - schen den Forderungen der neuen Zeit und den Erinnerungen an die Vergangenheit so unvermittelt wie bei dem erwähnten Bauwerke.

Dieser mit reichen Fresken geschmückte Palast wurde dem be - rühmten Flottenführer Admiral Andrea Doria, dem Padre della Patria , als Ruhesitz geschenkt, damit er , wie die Inschrift besagt, sein thaten - reiches Leben in ehrenvoller Ruhe beschliesse .

In Doria, von dem Ariosto sagt: Das ist jener Doria, der euer Meer gegen die Piraten sichert auf allen Seiten , ist das Heldenthum der Genuesen verkörpert, wie überhaupt das alte Adelsgeschlecht der Doria der Republik viele Seehelden und sonst bedeutende Männer schenkte. Andrea Doria aber, dessen wir bereits Eingangs erwähnten, zählt unstreitig zu den glänzendsten derselben.

An die Zeit der alten Republik erinnert der ursprünglich aus368Das Mittelmeerbecken.dem XIII. Jahrhundert stammende Palazzo Ducale, der gegenwärtig von städtischen Behörden eingenommen ist. Auch der eine kostbare Bildergalerie enthaltende Palazzo Reale in der Via Balbi ist ein alter Prachtbau (XVII. Jahrhundert) und ehemaliger Familiensitz der Durazzo, welchen 1815 das Haus Savoyen ankaufte. Ihm gegenüber erhebt sich der schöne Palast der 1812 gegründeten Universität, die reiche Sammlungen und sehenswerthe Statuen enthält. Die Gemeindevertretung hat im ehemaligen Palazzo Doria Tursi, einer Schöpfung des Rocco Lurago (XVI. Jahrhundert), ein bestechendes Heim gefunden.

Wie die Paläste, sind auch die kirchlichen Bauten Genuas von kunstgeschichtlichem Werthe. Voran die, drei Stylarten (romanisch, französisch-gothisch und Renaissance) angehörende marmorne Kathe - drale S. Lorenzo, deren Bau zu Ende des XI. Jahrhunderts an der Stelle einer alten Kirche begonnen und mehrere Jahrhunderte hindurch nicht vollendet worden war. Neben mancherlei Kostbarkeiten, worunter Statuen von Sansovino und della Porta sowie Arbeiten von Ben - venuto Cellini, und guten Altarbildern enthält die Kathedrale in ihrem Tesoro (Schatz) das besonders verehrte Sacro Catino, das ist der heilige Gral, ein schönes Gefäss, in dem Josef von Arimathäa das Blut des Heilands aufgefangen haben soll. In Cäsarea 1101 erbeutet, galt die Schale lange Zeit als Smaragd, bis sie als altorientalischer Glasfluss erkannt worden war. Das Sacro Catino gehörte zur italie - nischen Beute Bonaparte’s, der es nach Paris brachte, von wo die Kostbarkeit in zerbrochenem Zustande nach Genua zurückgelangte.

Zu den sehenswerthen Kirchen zählen ferner der alte, ebenfalls mehreren Stylarten angehörende Bau S. Stefano und die von Gia - como della Porta 1587 reich in Marmor aufgeführte und mit herr - lichen Fresken gezierte Kirche Sta. Annunziata, die prächtigste der Stadt.

Der bildenden Kunst ist die Academia delle Belle Arti ge - widmet, die, an der Piazza Deferrari gelegen, reiche Sammlungen und die städtische Bibliothek von 40.000 Bänden enthält.

All diese Bauten und der unschätzbare Werth der darin auf - gestapelten Kunstschätze stempeln Genua zu einer der hervorragendsten Stätten der italienischen Kunst.

Aus der Zeit der Republik haben sich einige grossartige Wohl - thätigkeitsanstalten erhalten, deren Zahl in neuer Zeit noch vermehrt worden ist. Das Ospedale di Pamatone und das Albergo dei Poveri (XVII. Jahrhundert) zählen überhaupt zu den weitläufigsten Gebäuden der Stadt.

[369]

Genua.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 47370Das Mittelmeerbecken.

Neben den humanitären und Kunstbestrebungen ist aber den Annehmlichkeiten des Lebens nicht Abbruch geschehen. Neben schönen in die herrliche Umgebung führenden Promenaden sind auch prachtvolle Gärten im Weichbilde der Stad tvorhanden, deren grösster der sehr besuchte Giardino Acquasola, der reizendste aber der nörd - lich daranschliessende Park Viletta di Negro ist.

Die Stadt verfügt über vier Theater, deren grösstes Carlo Felice zu den bedeutendsten von Italien zählt.

Unregelmässig angelegt, schmiegen sich die meist engen Strassen der Stadt den Unebenheiten des Terrains an, sind daher oft steil verlaufend und durch Treppen, ja auch durch tiefe Risse über - spannende Brücken mit anderen Gassen verbunden. Viele derselben sind für Fuhrwerk gar nicht passirbar und machen zwischen den mitunter siebenstöckigen Häusern den Eindruck dunkler Felsklausen. Dafür bewahren sie in drückender Sommerhitze eine tiefere Temperatur als die breiten Verkehrsadern der Via Balbi und der anderen vor - genannten Palast-Strassen.

Indes ist die von der Börse einwärts führende Via Orefici zwar auch enge, zählt aber zu den glänzendsten Strassen der Stadt.

Das scharf ansteigende Terrain Genuas ist der Grund zur Ent - wicklung einer speciellen Architektur, nämlich der Stiegen, in einer Vollendung und Grossartigkeit, wie sie an keinem zweiten Punkte der Erde entwickelt wurde. Iu Genua findet der Architekt die unver - gleichlichen Muster des Treppenbaues.

Genua, unter 44° 24′ nördl. Breite und 54′ östl. Länge v. Gr. (Leuchtthurm) gelegen, zählt (Ende 1888) 206.000 Einwohner. Der von der Natur gegebene Raum ist zu enge geworden für die Stadt, den Sitz eines grossen Handels.

Schon unter den Römern war Genua der bedeutendste Handels - platz Liguriens, an seinem trefflichen natürlichen Hafenbecken ver - einigten sich von Norden, Osten und Westen her drei Heerstrassen der Römer. Aber während der ganzen antiken Zeit erlangte die Stadt niemals auch nur annähernd jene Bedeutung, zu der sie im Mittel - alter der Unternehmungsgeist und die Seetüchtigkeit der Bevölkerung Liguriens, die Schlauheit seiner Staatsmänner erhoben hat.

Genua betheiligte sich von Anfang an in hervorragender Weise an den Unternehmungen der christlichen Fürsten, welche das heilige Land zu befreien suchten; es erhielt dadurch einen weiten Spielraum zur Entfaltung der eigenen Macht. Durch die grossen Transportflotten, welche die Republik ausrüstete, noch mehr aber durch die im Orient371Genua.angeknüpften Handelsbeziehungen gelangte sie zu Reichthum und er - richtete in Beirut, auf Cypern und Majorca, sowie in Tripolis und Tunis Niederlassungen.

Das Bündniss der Genuesen mit Michael Palaelogus zum Sturze des lateinischen Kaiserthums vom Jahre 1261 war ein Meisterzug des damaligen Podestà Martino di Fano und des Capitano del Popolo Guglielmo Boccanegra und erhob mit einem Schlage Genua zum ersten Handelsstaate in der Levante. Als Dank für ihre Hilfe gegen die Venetianer erlangten die Genuesen nicht nur Besitzungen in der Levante, sondern was weit werthvoller war, die Freiheit von allen Abgaben bei Einfuhr und Ausfuhr, bei Kauf und Verkauf; nur mit Salz und Mastix durften sie im griechischen Reiche nicht handeln. Sie erhielten am östlichen Ufer des goldenen Hornes 1267 Galata als Wohnsitz angewiesen. Dort wurden sie von einem eigenen Podestà gerichtet und der Handel ihrer stark befestigten Gemeinde übertraf bald den Constantinopels um das Zehnfache, und um die Mitte des XIV. Jahr - hunderts bezog Constantinopel sein Getreide nur von den Genuesen, welche den Ausgang des Bosporus durch ein Castell versperren konnten. Wir müssen noch heute dem kaufmännischen Geiste der Genuesen unsere Bewunderung zollen, welche bemüht waren, den indischen Handel über Byzanz zu leiten.

Ihre Schiffe befuhren das Kaspische Meer, ihre Kaufleute lenkten den persischen Handel nach Trapezunt und entsandten 1291 eine Handels-Expedition nach Indien. Die Vermittlung des Handels zwischen Syrien-Egypten und dem südlichen Kleinasien blieb noch lange nach den Kreuzzügen in ihren Händen. Aber die Eroberung Constantinopels durch die Türken 1453 brach mit einemmale die Handelsstellung von Genua. Die Stadt war, ungleich Venedig, damals schon lange nicht mehr ein in der Politik wichtiger Factor; unaufhörliche Parteikämpfe zwischen dem Adel und den Popularen hatten die Macht Genuas ge - lähmt. Man suchte sich dadurch zu helfen, dass man, wie in vielen lombardischen Städten, die höchste Würde im Staate des Oefteren Ausländern übertrug, zur Ergänzung des Grossen Rathes aus 90 Namen 5 ausloste, und später an die Stelle der Namen einfach Ziffern setzte. Gleich von Anfang an wurden zahlreiche Wetten auf die Candidaten abgeschlossen. Dies ist der Ursprung des genuesischen Zahlenlottos, welches im XVIII. Jahrhundert in den meisten Staaten Europas ein - geführt war, um die Einnahmen zu erhöhen.

Aber selbst bei diesen politischen Kämpfen verleugnete sich nicht der kaufmännische Geist der Genuesen, die finanziellen Angelegen -47*372Das Mittelmeerbecken.heiten und damit die Sicherung der Handelsinteressen des Staates wurden im Jahre 1407 dem unaufhörlichen Wechsel der politischen Verhältnisse durch die Gründung des Banco di S. Giorgio entrückt, welcher das ganze Staatsschuldenwesen selbständig leitete, die als Deckung erworbenen Abgaben und Einkünfte verwaltete, allmälig fast das ganze genuesische Gebiet, darunter auch Corsica, pfandweise an sich brachte und überall eine Territorialhoheit ausübte, wie etwa die britisch-ostindische Compagnie.

Die Bank von St. Georg war ein Staat im Staate, und jede politische Partei, welche die Oberhand gewonnen hatte, musste zuerst deren Privilegien anerkennen. Im Jahre 1675 wurde sie zu einer Girobank erweitert.

Nur einmal noch spielte Genua eine Rolle in der Politik, als der edle Andreas Doria seine Geschicke lenkte. Der berühmte See - held und treue Bundesgenosse Karl V. im Kampfe gegen die Fran - zosen und gegen die Barbaren, welche durch ihre Seeräuberei die Schiffahrt der christlichen Staaten zu vernichten suchten, erwarb durch den Schutz des Kaisers 1529 dauernd den Hafen Savona für seine Vaterstadt. Die damals drohende Gefahr, dass mit Hilfe der Fran - zosen Savona der Rivale Genuas werde, war für immer beseitigt.

Doch der Glanz glich dem Aufblitzen eines Sternes und hatte keine Dauer, das Scepter des Neptun und mit ihm die Weltherrschaft waren in die Hände der atlantischen Staaten gefallen. Als Geld - macht blieb wohl Genua noch lange von grosser Bedentung; hier wohnten die grössten Gläubiger Philipp II. von Spanien. Aber sein Handel sank immer tiefer und die Eroberung durch die Franzosen im Jahre 1800 vernichtete die letzten Reste desselben. Die Vereini - gung mit Frankreich brachte nicht die erhoffte Besserung und die am 21. November 1806 gegen England angeordnete Sperre unter - band vollständig die Entwicklung des Handels. Die Stadt lebte erst allmälig auf, als sie 1815 an das Königreich Sardinien kam; sie wurde in den Zwanzigerjahren ein wichtiger Getreideplatz und trieb Handel bis Chile und Peru. Aber Livorno überflügelte bald Genua. da in Toscana dem Handel nicht so viele Hindernisse in den Weg gelegt wurden, wie in Sardinien.

Endlich erhielten die rührigen Kaufleute und Schiffsrheder Genuas durch die freisinnige Handelspolitik, welche das Ministerium Cavour in den Fünfzigerjahren einschlug, die lang ersehnte Freiheit der Bewegung. Die Staatsverwaltung bemühte sich ihrerseits, die zahl -373Genua.reichen und ausserordentlichen Schwierigkeiten zu überwinden, welche sich der Ausführung eines Eisenbahnnetzes entgegenstellten.

Sie suchte sich mit grosser Beharrlichkeit der dreifachen Auf - gabe eines Ueberganges über die Apenninen, über den Mont Cenis und über die Alpen zu nähern und vollendete 1848 1859 ein ziem - lich umfangreiches Eisenbahnnetz mit dem Hauptknotenpunkte Ales - sandria, das am 18. December 1853 über den Pass von Giovi Genua erreichte. Der Ausbau der Bahnen längs der Riviera nach Westen (Ventimiglia) und nach Osten (Spezia-Livorno) erfolgte viel später.

Auch die Römer, deren Hauptstadt doch weit im Süden von Genua lag, hatten zuerst die Strasse vom Po nach Genua vollendet. Durch die Errichtung des Königreiches Italien erlangte Genua ein ausgedehntes industrielles Hinterland, und beherrschte dieses sofort mit Hilfe seiner vorzüglichen Land - und Seetransportwege, so dass es jetzt mit Venedig im Venetianischen, mit Livorno in Toscana con - currirt.

Das Jahr 1870, das ist das Jahr, als durch die Vollendung des Suez-Canals eine neue Zeit für alle Gestadeländer des Mittelmeeres hereingebrochen war, bedeutet auch für Genua eine Zeit, wo alle Keime neu zu sprossen begannen, um neuer ungeahnter Blüthe zuge - führt zu werden. Es soll auch nicht verschwiegen werden, die Ge - nuesen nicht nur, alle Italiener waren den Aufgaben, welche die ver - änderte Zeit und Weltlage an sie stellte, gewachsen. Das grosse kaufmännische Talent, welches im italienischen Volke schlummerte, zeigt sich heute wieder im selben Glanze wie vor 400 Jahren.

Eisenbahnen, welche über die Alpen führten, sollten zunächst das Handelsgebiet Genuas erweitern, es zu einem Transitohafen für die Nachbarstaaten machen.

Am 17. September 1871 wurde die Bahn durch den Mont Cenis eröffnet, die Aufgabe, einen 12 km langen Tunnel zu bauen, war glänzend gelöst. Aber wir müssen gleich bemerken, dass auf diesem Wege Hâvre und Boulogne beispielsweise in Schafwolle mit Genua erfolgreich in Oberitalien concurriren. Dafür ist die Eröffnung der Gotthardbahn 1882 ein wichtiger Markstein in der Entwicklung Genuas, das durch dieses internationale Werk ein Transitohafen für die Schweiz und zum Theile auch für Deutschland wurde.

In der Versorgung der Schweiz mit Getreide konnte Genua mit Marseille den Kampf mit Glück aufnehmen.

Die Menge der Frachten, welche in Genua gelöscht wurden, stieg seit Eröffnung der Gotthardbahn so gewaltig, dass man die Be -374Das Mittelmeerbecken.förderung derselben nach dem Innern auf der einzigen und ziemlich steilen Linie über den Pass von Giovi nicht mehr bewältigen konnte. Der Bau eines neuen Apenninenüberganges, der Hilfslinie des Giovi - Passes (Succursale di Giovi), wurde 1883 begonnen und 1888 vollendet. Dadurch ist, wie Scherzer schreibt, ein wesentliches Hinderniss für die Ausdehnung des Gotthardbahnverkehrs gegen das Mittelmeer beseitigt und ein neuer wichtiger Factor für den Aufschwung des Hafens von Genua sowie des italienischen Handels überhaupt geschaffen .

Die Schwierigkeiten, welche bei diesem Bahnbau zu überwinden waren, charakterisiren deutlich die Lage Genuas, dem die Eisenbahnlinien sich nur durch Tunnels nähern können.

Die 22.896 m lange Hilfslinie, welche von den alten Stationen von Ronco im Scriviathale auf der Nordseite und von Rivarolo, der nächsten Station hinter Sampierdarena von Genua aus, im Thale der Polcevera auf der Südseite des Apenninenkammes abzweigt, hat über 80 Millionen Lire gekostet, weil nebst dem 8297 m langen Roncotunnel zwei in Curven liegende Brücken über die Polcevera und die Torbella sowie eine sehr grosse Zahl von Viaducten von theilweise un - gewöhnlicher Höhe und Länge erbaut werden mussten, wie z. B. der Viaduct Verde, welches gewaltige Mauerwerk mit doppelter Bogenreihe bis zu 55·9 m über der Thalsohle sich erhebt, oder der lange Viaduct von Feglino mit 25 Oeffnungen von je 10 m Lichtweite.

Sollte das Project der auf 95 Millionen Lire veranschlagten Durchbohrung des Simplon zur Ausführung kommen, so hätte Genua für seine Verbindung mit Mitteleuropa erreicht, was zu erreichen ist.

Gleichen Schritt mit dem Ausbau der Landverbindungen Genuas hielt die Vermehrung der von dort ausgehenden Schiffahrtslinien. Die Gründung der Gesellschaft Florio im Jahre 1872, aus deren Vereini - gung mit der Gesellschaft Rubattino (Sitz Palermo) 1884 die grosse Navigazione Generale Italiana hervorging, und 1886 die Wahl Genuas an Stelle von Triest als Anlaufstation der ostasiatischen und austra - lischen Linie des Norddeutschen Lloyd sind die wichtigsten Momente der Geschichte der Schiffahrt von Genua in den letzten Jahrzehnten.

Fügen wir noch hinzu, dass Genua auch ein wichtiger Hafen für die Auswanderung nach Südamerika geworden, so ist es klar, dass den neuen grossen Ansprüchen die alten Anlageplätze nicht genügen konnten, ja öfter wurden die in Ausführung begriffenen Erweiterungs - bauten von dem neuerdings gestiegenen Verkehre überholt.

Auch die Eisenbahnlinien mussten vervollständigt werden. Man verband den Ostbahnhof mit dem Westbahnhof durch einen gross - artigen Tunnel, welcher die ganze Stadt in weitem Bogen umspannt. Der Tunnel zweigt unterirdisch mit einem Arm zur Hafenstation ab.

Jetzt fehlt noch eine Verbindung der im Westen gelegenen Quais375Genua.mit der Vorstadt Sampierdarena, um dadurch gewissermassen Platz für Genua zu gewinnen, denn das ist für die Zukunft Genuas die wichtigste Frage.

Man darf hoffen, dass infolge der Vollendung der Succur - sallinie des Passes der Hafen nicht mehr so lange wie im Jahre 1887 von Waaren blockirt sein wird, die nicht hinaus können.

Aber Mangel an Platz für die Bewegung der Waaren und da - mit in Zusammenhang ein Aufschub in der Beförderung der Waaren ist auch heute noch ein Merkmal des Hafens Genuas, hinter welchen schon in ganz geringer Entfernung Berghöhen ansteigen.

Zu den kostspieligen Hafenbauten der letzten Jahre hatte der Herzog von Galliera der Regierung einen Beitrag von 20 Millionen Lire unter der Bedingung gespendet, dass dieselben am 15. October 1888 vollendet seien, widrigenfalls die ganzen Kosten von ungefähr 40 Millionen Lire dieser allein zur Last fallen sollten.

Allein die Bauten waren, was den grossen Hafendamm, die neuen Moli, die Geleiseanlagen und die maschinellen Einrichtungen anbe - trifft, in ihrer Wesenheit schon lange vor diesem Termin vollendet und dem Verkehr übergeben.

Gegenwärtig besitzt der Hafen von Genua bei einem Gesammt - areal von 204 ha Landungsdämme und Molos in einer Länge von 6000 m mit einem Flächeninhalt von 240.000 m2, wovon 15.000 m2 mit Waarenlagern bedeckt sind. Auf den Molos sind nicht weniger denn 45 hydraulische Krahnen von je t Tragkraft vertheilt, von denen täglich durchschnittlich 12 in Betrieb stehen.

Ein geräumiges Maschinenhaus enthält die Kessel, Dampf - maschinen und Accumulatoren, welche auf das aus der städtischen Wasserleitung entnommene Süsswasser einen Druck bis zur Stärke von 50 Atmosphären ausüben und dasselbe durch ein 6 km langes Röhrensystem den Quais entlang vertheilten. In diesen Röhren sind von 6 zu 6 m Hydranten angebracht, mittelst deren je nach Bedarf die auf Geleisen verschiebbaren grossen Krahne in Verbindung ge - bracht werden können.

Ausserdem existiren noch drei fixe Krahne, deren jeder 10 t zu heben vermag und deren Anlage 800.000 Lire kostete. Nebst diesen Krahnen werden auch noch einige auf Drehscheiben postirte Cabestans (Winden) auf hydraulischem Wege betrieben, derart, dass das Ver - schieben der beladenen Waggons sowie die Bewegung der Dreh - scheiben vermittelst eines um den Cabestan gewundenen Seiles mit einem unglaublich geringen Aufwand von Menschenkraft bewerkstelligt376Das Mittelmeerbecken.wird. Die Miethe für die hydraulischen Krahne beträgt nur 2 Lire per Stunde, oder 10 Lire per Arbeitstag von 10 Stunden.

Im äusseren Hafen (Avamporto) sind die beiden Moli beendet und geht der Ausbau der beiden Trockendocks (T) von 179 und 219 m Länge, sowie des Quais Delle Grazie schnell ihrer Voll - endung entgegen. Genua verfügt überdies über ein Trockendock nächst der Darsena für Schiffe bis zu 89 m Länge und über ein Schwimm - dock für solche von 100 m Länge. Am Fusse des Molo vecchio ist ein Aufholstapel (Scalo d’allagio C) für Schiffe bis 100 m in Betrieb. Im inneren Hafen befinden sich die Molen Ponte alla Chiapella (O) und Passonuovo (P) bereits in Benützung, und ebenso ist die Er - weiterung der Löschplätze bei der Hafen-Eisenbahnstation (Stazione marittima) und die Anlage des inneren Löschplatzes am alten Hafen (Darsena) durchgeführt. Nebst der fertigen Rampe von S. Giovani werden noch zwei wichtige andere Zufahrten gebaut von der Piazza Principe und von der Via Milano bis zur Mündung des S. Lazzaro - Tunnels am Hafen. Auch wurde die längs der Darsena (H) zum Ponte Calvi (E) führende Quaistrasse Via Carlo Alberto bis auf 20 m ver - breitert und der zur Sanirung des Hafens nothwendige Canal fast vollendet, ebenso das neue Zollamt (K). Sonst ist noch die Anlage eines hammerförmigen kurzen Moloarms an der Spitze des Molo Orientale bemerkenswerth, der als Wellenbrecher dienen soll. Ueber die Tiefenverhältnisse des Hafens gibt unser Plan einen klaren Auf - schluss.

Für den Waarenverkehr besteht am Südostquai des inneren Hafens ein Porto franco (Freihafen-Magazine bei W) und nächst des - selben das zugehörige Zollamt.

Genua ist gegenwärtig einer der grössten Häfen des Mittel - ländischen Meeres und der erste Hafen Italiens; es vermittelt vier Fünftel des Seeverkehrs des Königreiches und hat noch lange nicht den Höhepunkt seiner zweiten Blüthe erreicht, welche, nebenbei be -

Legende zum Plan von Genua. A Avamporto (Vorhafen), B innerer Hafen, C Aufholstapel, D Ponte Spinola, E Pte Calvi, F Leucht feuer, G Pte Darsena, H Darsena, J Magazine des Seearsenals, K neues Zollamt, L Ponte Federico Guglielmo, M Pte S. Teodoro, N Pte S. Lazzaro, O Pte alla Chiapella, P Pte al Passanuovo, Q Pte Molo nuovo, R Molo vecchio, S Pte alle Malapaga, T Trockendocks im Bau, U Hafen-Eisenbahnstation, V Palais Doria, W Zollamt des Freihafens, X Kaserne S. Benigno, Y S. Lazzaro-Tunnel, Z Landarsenal. 1 West - Station (Stazione occidentale), 2. Columbus-Platz, 3. Via Balbi, 4. Piazza Annunziata, 5. Palazzo Reale, 6. Armenhaus, 7. Acquasola-Garten, 8. Pamatone-Spital, 9. Villetta di Negro Garten, 10 Via Roma, 11. Via Assarotti, 12 Via Garibaldi, 13. Piazza Deferrari, 14. Via Giulia, 15. Teatro Politeama Margherita, 16. Irrenhaus. 17. Via Corsica, 18. Kirche Sta. Maria di Carignano, 19. Ostbahnhof (Stazione orientale), 20. grosser Tunnel, 21. Via Caffaro, 22. Palazzo Ducale, 23. Kathedrale S. Lorenzo, 24. Kirche Sta. Maria di Castello, 25. Piazza Cavour, 26. Via Orefici, 27. Kirche Sta. Maria delle Vigne, 28. Teatro Apollo, 29. Friedhof, 30. Municipalschule, 31. Militär-Spital, 32. Palazzo Scassi, 33. S. Andrea-Spital, 34. Mura delle Grazie.

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Plan von Genua. (Massstab 1: 31.400, d. N.; Sonden in Metern.)

(Legende siehe Seite 376.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I, Band. 48378Das Mittelmeerbecken.merkt dem Werthe nach beobachtet, den zehnfachen Umsatz gegen - über der Zeit der Doria repräsentirt.

Sein Handel ist nicht mehr auf das Mittelmeer beschränkt wie in den Zeiten der Republik: er geht durch die Strasse von Gibraltar bis an die Westküste von Südamerika und durch den Suez-Caual an die östlichen Gestade Asiens. Aber auch hier begegnen wir der Klage, dass der reine Durchzugsverkehr sich auf Kosten des eigent - lichen Handels ausbreite.

Ueber den Umfang des Handels mit dem Auslande gibt die folgende Ta - belle Auskunft.

〈…〉〈…〉

Im Jahre 1889 stieg die gesammte Einfuhr zur See auf 2,855.738 t, von diesen kamen 2,137.621 t aus dem Auslande und 718.177 t aus italienischen Häfen.

Ausgeführt wurden 1,204.974 t, davon 664.638 t nach dem Auslande, 540.336 t in der Küstenschiffahrt. Im Jahre 1889 sind also Handel und Schiffahrt Genuas gewaltig gestiegen, doch liegen Einzelnangaben noch nicht vor.

Der Ausbruch des Zollkrieges mit Frankreich hat die Ziffer der Ausfuhr von 1888, die bevorstehende Erhöhung der Zölle die Einfuhr des Jahres 1887 wesentlich beeinflusst; diese beiden Jahre bieten also nicht das Bild normaler Handelsverhältnisse. Nur der Transitoverkehr zu Lande zeigt infolge der besseren Bahnverbindungen eine Zunahme.

Der Schwerpunkt des Handels von Genua liegt in der Einfuhr, die in den vorletzten zwei Jahren 4 bis 5mal grösser war als die Ausfuhr. Dass nach der Zahl der Tonnen die Einfuhr noch gewaltiger überwiegt, liegt darin, dass in der Ein - fuhr englische Steinkohlen, Metalle und Metallwaaren, meist aus Nordeuropa stammend, Getreide aus Russland und Indien einen bedeutenden Umfang erreichen.

Die Ziffern der nachfolgenden Beschreibung des Handels beziehen sich nur auf die Ein - und Ausfuhr.

Die Ausfuhr umfasst folgende Waaren:

Da Wein für Genua kein so wichtiger Artikel der Ausfuhr ist, wie für die südlichen Häfen, so ist der Rückgang seines Ausfuhrhandels im Jahre 1888 nicht so gross als in den südlicheren Seehäfen. Gesunken ist, 1888 als Consequenz des Zollkrieges mit Frankreich, die Ausfuhr von Fassweinen, gestiegen die von Flaschenweinen (1888 2,318.100, 1887 1,861.775 Flaschen), darunter viel Wermuth.

Hauptabnehmer ist Argentinien, dessen zahlreiche italienische Bevölkerung sich den heimischen Wein nachkommen lässt.

379Genua.

Nach Argentinien gingen 1888 1,184.746 Flaschen und 189.328 hl in Fässern, nach Frankreich 429.523 Flaschen und 30.569 hl in Fässern, nach Afrika (d. h. Tunis, Algier etc.) 102.206 Flaschen und 1365 hl in Fässern.

Die Ausfuhr von Olivenöl ist in den letzten Jahren so ziemlich in der - selben Höhe geblieben. Als Abnehmer erscheinen die La Platastaaten und die Union, Deutschland, Spanien und Grossbritannien, Ausfuhr ohne Transito 1888 44.554 q, 1887 52.620 q, Spirituosen in Flaschen werden nach Südamerika aus - geführt; 1888 412.095 Flaschen, mit je mehr als 1 l Inhalt.

Einen ansehnlichen Ausfuhrartikel bilden candirte Früchte; 1888 4418 q, 1887 3691 q.

Von Rohhanf wurden 1887 3920 q nach der nordamerikanischen Union ausgeführt.

Ausser Getreide und Reis, die zum grossen Theile ausländischen Ursprungs sind, werden von Genua ausgeführt Mehl und Teigwaaren; letztere, welche Maccaroni und andere Gattungen umfassen, werden in Genua und anderen Orten der Riviera fabricirt; in den letzten Jahren sind in Nervi und Quinto neue Fabriken errichtet worden. Das Meiste geht an den Rio de la Plata und nach Brasilien; die dort wohnenden Italiener wollen ebensowenig die Maccaroni wie den Wein Italiens entbehren. Die Ausfuhr der ganzen Gruppe erreichte 1888 96.031 q im Werthe von 1,512.732 Millionen Lire.

Von lebenden Thieren und thierischen Nahrungsmitteln, unter denen auch Geflügel, Butter, Käse, Eier hervorragen, exportirte Genua 1888 31.011 q im Werthe von 5·2 Millionen Lire nach Deutschland, England und Frankreich. Als noch Rindvieh nach Frankreich ausgeführt wurde, war die Aus - fuhr natürlich grösser.

Von mineralischen Stoffen wurden ausgeführt Blei in Blöcken und ver - arbeitet (1888 13.099 q) nach Russland und Argentinien. In allen anderen Metallen machte die Ausfuhr nur 10.099 q aus im Werthe von circa 4 Millionen Lire, worunter Gold - und Juwelenarbeiten miteingerechnet sind.

Bearbeiteter Marmor (1888 26.599 q) geht nach Belgien und anderen euro - päischen Staaten.

Schwefel (1888 15.603 q) nach Argentinien, Uruguay und in die Union.

Die Ausfuhr von Erzeugnissen der Industrie aus Genua ist im Ganzen nicht gross.

Man exportirt Baumwollfabricate nach Südamerika, Afrika und in die Türkei (1888 4799 q). Seilerwaaren, Ankertaue und andere Hanffabricate (1888 12.625 q, Werth 1,427.850 Lire) nach Amerika.

Der Seidenexport Genuas 1888 erreichte trotz des Rückganges den Werth von 6,605.087 Lire; einfach gezogene, doublirte und gezwirnte Rohseide gingen 26.286 kg nach Frankreich und 26.861 kg nach Nordafrika, Seidenabfälle nach den genannten Ländern und Amerika.

Zur Ausfuhr gelangen Sohlenleder, dann Papier (1888 18.748 q, Werth 1·7 Millionen Lire, 1887 38.520 q) nach Argentinien, der Union und in die Levante. Die Industrie hat durch das Verbot der Ausfuhr von Hadern und die Verwen - dung billiger Holzpasta gewonnen.

Von Wachshölzchen wurden 1888 3468 q (Werth 656.463 Lire) nach den Staaten am La Plata, nach Brasilien, den Vereinigten Staaten von Amerika und nach Afrika ausgeführt.

48*380Das Mittelmeerbecken.

Majoliken und andere Töpferwaaren gehen nach Spanien und Südamerika. Glaswaaren nach Südamerika, Summe der Ausfuhr von Thon, Stein, Thon - und Glaswaaren 1888 2,083.059 Lire.

Eisen in zweiter Verarbeitung (1888 14.436 q, Werth 931.115 Lire) nach Argentinien und Afrika.

Holz und Arbeiten aus demselben wurden ausgeführt 1888 22.984 q, Werth 2,171.868 Lire.

Seife (1888 3140 q, Werth 784.925 Lire) geht nach England und den Ver - einigten Staaten.

Glaswaaren, Porzellan und Töpferwaaren, dann Steine und Thon führte Genua 1888 für 34,817.394 Lire ein. 1887 kam Fensterglas aus Deutsch - land, Frankreich, Oesterreich-Ungarn und England (1013 q), geschliffenes, nicht belegtes Glas und Krystallglas aus Belgien, Deutschland, Oesterreich - Ungarn, England und Frankreich (140 q). Die Spiegeleinfuhr beherrscht Deutsch - land. In einfach geblasenen oder gegossenen Glas - und Krystall - waaren steht Deutschland weitaus in erster Reihe (1019 q) gegen Frankreich, England und Oesterreich-Ungarn. Ebenso in derartigen farbigen und ge - schliffenen Waaren Deutschland (917 q), Oesterreich-Ungarn (368 q), Frank - reich und England. Gewöhnliche Flaschen kommen aus Oesterreich-Ungarn, Frankreich und Deutschland, aus jedem Lande ungefähr 210.000 Stück, aus Eng - land nur 38.000 Stück. Jedenfalls steigt in diesem Artikel der Consum von Jahr zu Jahr. Genua ist ferner Ausfuhrplatz für deutsche und schweizerische Waaren.

Die Hauptartikel der Einfuhr von Genua sind Getreide, rohe Baumwolle und Kohle, die zusammen fast die Hälfte des Werthes der Einfuhr ausmachen.

Die Kategorie XIV des italienischen Zolltarifes, welche Getreide, Mehl. Teigwaaren und vegetabilische Producte umfasst, liefert weit mehr als ein Fünftel (1888 66·5 Millionen Lire) der Einfuhr von Genua. Es wurden 1888 2,259.610 q, 1887 2,725.353 q Weizen in Genua eingeführt. Die grössten Mengen der Einfuhr liefern Russland aus den Häfen des Schwarzen und Asow’schen Meeres, Ostindien über Bombay, Argentinien und die Türkei. Ueberdies gingen 1888 zu Lande weiter 318.229 q ins Ausland, und zwar meist in die Schweiz, 152.063 q ins Inland, und zwar hauptsächlich nach Sampierdarena.

Ungeschälter Reis wurde 1888 in der Menge von 357.362 q (Werth 7·1 Millionen Lire) eingeführt, zumeist aus Rangoon und Japan. Ausserdem gingen transito zu Lande weiter 239.191 q, meist bestimmt für die Fabriken in Sampier - darena. Japanischen Reis zu verarbeiten, ist für die grossen Reisschälfabriken Liguriens besonders rentabel. Die Einfuhr von geschältem Reis, welcher aus Bremen, den Niederlanden und Russland kommt, geht andauernd zurück.

Die Mehleinfuhr hört seit Erhöhung der Zölle fast ganz auf.

An Rohbaumwolle ging in Genua ein 1888 464.789 q, 1887 505.810 q, 1886 470.440 q, 1885 566.320 q, 1876 122.540 q.

Die nordamerikanische. zum grössten Theile direct bezogen, bildet die wichtigste Sorte auf dem Markte von Genua, dann folgt indische Baumwolle, die unterste Stelle nimmt die egyptische ein. Egyptische und indische Baumwolle gehen transito in die Schweiz; auch auf dem Seewege findet eine Wiederausfuhr nach Belgien und Frankreich statt (1888 24.301 q).

Von Faserstoffen wird ausser Baumwolle in grösserer Menge Jute ein geführt und in den Fabriken von Sampierdarena für die Zwecke der Zucker -381Genua.fabriken zu Packleinwand und Säcken verarbeitet. Einfuhr 1888 30.639 q, 1887 24.658 q.

Unter den Einfuhrartikeln nimmt Rohzucker einen hohen Rang ein; 1888 war die Einfuhr mit 341.334 q ungewönlich klein, weil 1887 die Speculation 946.961 q hereingebracht hatte; Zucker wird bezogen aus Oesterreich-Ungarn, Odessa, Egypten, Java, Belgien und Deutschland. Die Einfuhr aus Frankreich ist 1888 riesig gesunken, die aus England dürfte westindischen Ursprungs sein. Die Raffinerien von Sampierdarena und Rivarollo in Ligurien decken nicht nur den Bedarf Liguriens, sondern beginnen bereits mit dem Exporte.

Kaffee, 1888 69.934 q (Werth 15,385.482 Lire), wird direct aus Brasilien, meist aber über Grossbritannien, auch über Deutschland und Spanien bezogen. Die über Frankreich hat 1888 fast aufgehört. In Genua ist Portorico-Kaffee sehr beliebt, und trat an die Stelle von Ceylon-Kaffee.

Auch Cacao ist nicht unwichtig für den Markt von Genua. Für Colonial - waaren hat Genua im Ganzen wenig Bedeutung, es kann mit den nördlichen Häfen Hâvre, Antwerpen, Bremen und Hamburg nicht concurriren.

Tabak (1888 57.900 q) wird für die Zwecke der Regie meist aus Amerika bezogen.

Bier wird besonders aus Bayern (1887 36.906 hl) und aus Oesterreich (Pilsen 1888 1427 hl und 61.830 Flaschen) eingeführt, und steigt der Consum täglich.

Den Spiritushandel beherrschen Frankreich und Grossbritannien.

Chemikalien, Droguen und Parfumerien senden Frankreich, England, Deutschland und die Union. Die Einfuhr von Farbwaaren aus Deutschland auf der Gotthard-Route steigt. Das Droguengeschäft ist in den letzten Jahren gänzlich in die Hände von Mailänder Häusern übergegangen. Im Jahre 1888 wurden aus Amerika, England und Frankreich 65.946 q Gummi-Sorten und Harze im Werthe von 14·8 Millionen Lire eingeführt.

Indigo kommt meist aus Guatemala.

Genua führt für die Zwecke seiner Seifenfabrication auch Olivenöl aus Frankreich, Spanien und Tunis ein. Sehr bedenklich ist die steigende Einfuhr von Baumwollsamenöl aus England; mit diesem wird Olivenöl häufig vermengt.

Auch Oelsaaten werden vor Allem aus Ostindien und der Türkei ein - geführt, 1888 263.584 q, das ist kaum die Hälfte der Einfuhr von 1887, weil eine der grossen ligurischen Oelfabriken den Betrieb eingestellt hat. Dafür ist die Einfuhr von Palmöl und Cocosnussöl 1889 bereits auf 42.800 q gestiegen.

Auf den Markt zu Genua kommen Wollen aus dem Römischen und die minderwerthigen von Tunis. Zum grössten Theile aber wird dieser Artikel direct aus Buenos Ayres und Montevideo bezogen. Capwolle und australische gelangen von London und aus Frankreich und Belgien mit der Bahn über den Mont-Cenis in die Fabriken von Turin, Mailand und Biella.

Genua ist ein bedeutender Markt für Felle und Häute. Schaffelle kommen vom La Plata (1888 3465, 1887 5692 Ballen), vom La Plata und Brasilien auch Häute, kleinere Zufuhren stammen aus Calcutta, Rangoon und Russ - land; Einfuhr 1888 51.118 q. Die Einfuhr von Häuten wird kleiner, weil die Aus - fuhr von Vieh nach Frankreich fast aufgehört hat und bei den niedrigen Fleisch - preisen in Oberitalien mehr Fleisch consumirt wird.

Vom La Plata kommen auch Talg, Pferdehaare, Hörner und Knochen.

382Das Mittelmeerbecken.

Fette kommen auch aus der Union und aus England; 1888 54.668 q, Werth 4·4 Mill. Lire.

Von getrockneten und marinirten Fischen wurden 1888 161.132 q (Werth 12·1 Millionen Lire) eingeführt.

England und Frankreich sind die Lieferanten von Stockfisch und Kabljau, beide fischen bei Neufoundland. Isländische Waare kommt direct über Kopenhagen, wo sie für den italienischen Markt besonders hergerichtet wird.

Minderwerthige Häringe (pilchard) holen genuesische Händler jedes Jahr in Penzance, der letzten Eisenbahnstation im Südwesten Englands.

Von Holz, Holz - und Strohwaaren wurden 1888 224.032 q im Werthe von 5,353.966 Lire eingeführt, und zwar lieferte Frankreich grobe Korb - und Flecht - arbeiten, Spielzeug und Strohhüte, Deutschland billige Möbel und England Ge - räthschaften aus Holz und besonders Wagen, Oesterreich gebogene Möbel.

In raffinirtem Petroleum behauptet Amerika den Vorrang gegen das russische, welches 1885 zuerst hier erschien. Eine Gesellschaft hat 1888 ein grosses Reservoir für 1100 m3 Barrels Petroleum errichtet, das Municipium im December 1889 eines mit dem Fassungsraume von 3315 m3 Barrels eröffnet, so dass Genua nun mit den anderen Petroleumplätzen in Wettbewerb treten kann.

Es wurden 1888 176.483 q gereinigten und 49.930 q schweren Mineralöles, 1887 204.217 q gereinigten und 19.048 q schweren Oeles eingeführt.

Der Rückgang des Jahres 1888 ist die Folge einer grossen Erhöhung des Zolles und wohl auch des Importes kaukasischen Oeles in anderen italienischen Häfen, von wo es seinen Weg weiter über die Halbinsel nimmt.

Die Einfuhr von Steinkohle steigt mit jedem Jahre, der Vergrösserung der Schiffahrt und der einheimischen Industrie folgend; 1888 1,301.402 t, 1887 1,246.865 t. Cardiff und Newcastle, dann Schottland sind die wichtigsten Be - zugsquellen.

Hervorragend ist Genuas Einfuhr an Metallen, Metallwaaren und Mine - ralien. Die Artikel dieser Gruppe hatten 1888 einen Werth von 29·5 Mill. Lire. 1888 wurden Brucheisen 688.904 q und andere Metalle etc. 113.862 q, Summa 802.766 q (1887 1,367.085 q) eingeführt. England beherrscht den gesammten Eisen - handel im Ganzen auch heute noch mit 66 %.

Brucheisen, bestimmt zur Verarbeitung in den Fabriken Liguriens, sendet Grossbritannien, dann Frankreich und Deutschland. Gusseisen hauptsächlich eben - falls England (131.899 q), dann Spanien, Belgien, Deutschland, Frankreich; deutsche Waare geht seit 1888 über Holland ein. Gusswaaren sind fast ledig - lich englischen Ursprungs. Rohes Schmiedeisen und Stabeisen wird aus England und letzteres besonders auch aus Deutschland bezogen. Ebenso behauptet Deutschland in Eisenblech nächst England den zweiten Platz. Eisenbahn - schienen kommen in erster Linie wegen der billigeren Seefracht aus Belgien, aus Deutschland direct und über die Niederlande, doch führt Krupp in Essen auch über Antwerpen aus; und dann erst folgt England. Einfache Eisenwaaren liefern ebenfalls England und Deutschland fast ohne Concurrenz anderer Staaten und letzteres auch Geräthschaften und Werkzeuge.

Messing - und Bronzeröhren und - Waaren sind meist englischen oder belgischen Ursprungs. Sonst sind noch wichtigere Posten des Imports Zinkblech aus Deutschland und aus England, Locomotive und Schiffsmaschinen aus -383Genua.schliesslich aus England. Nicht namentlich aufgeführte Maschinen und Theile derselben liefert England und in weit geringerem Masse Deutschland und Frankreich, das auch fast alle Destillirapparate einführt.

Metalle sind auch einer der wichtigsten Artikel des Transitoverkehres zu Lande, bestimmt zur Verarbeitung in den industriellen Etablissements der Riviera, namentlich in jenen von Prá und Sestri Ponente.

Der Entrepôtverkehr Genuas erreichte 1888 nur 479.015 q, 1887 973.825 q.

Von den wichtigsten Fabriken Liguriens haben wir die Zuckerraffinerien, die Fabriken für Teigwaaren, die Reisschälfabriken schon aufgeführt. Andere Zweige der Industrie sind Baumwollspinnerei und Weberei, Seiden - und Schafwollweberei und Wirkwaaren. In allen diesen Zweigen hat die Hausindustrie einen hervorragen - den Antheil. Die grösste der acht Fabriken für Tauwerk ist in Sampierdarena; die Erzeugung leidet unter der Abnahme der Segelschiffahrt.

Es gibt hier Lederfabriken, welche mit Dampfmaschinen arbeiten, zwei grosse Seifenfabriken, Fabriken für Zündhölzchen, Blechbüchsen.

Eine grosse Bedeutung haben seit einigen Jahren an der ligurischen Küste von Savona bis Spezia die Ateliers für Eisenconstructionen erlangt, von denen manche von Ausländern errichtet wurden. Ihre Sitze sind Sampierdarena, Sestri und Savona. In Sestri baut man auch eiserne Handelschiffe.

Auf den Schiffsverkehr Genuas war neben dem Handel auch die Organi - sirung der Auswanderung über diesen Platz von grossem Einfluss. Wie der Handelsverkehr Bremens und Hamburgs mit Nordamerika, so empfing jener Genuas mit Südamerika dadurch eine grosse Anregung. Die Auswanderer sind der best - rentirende Exportartikel, welcher die Ausfahrt so gut bezahlt, dass man Rück - fracht zu billigeren Preisen nehmen kann. Und diese nach Hunderttausenden zäh - lenden Italiener decken die meisten ihrer Bedürfnisse sowohl die des gewöhnlichen als auch die des verfeinerten Lebens aus dem Mutterlande.

Es wanderten über Genua nach überseeischen Ländern aus 1888 181.537, 1887 101.280, 1886 52.852, 1885 71.110 Individuen. Die Auswanderer benützen überwiegend die nationalen Schiffe der Navigazione Generale und der La Veloce. 1888 wurden befördert 126.828 Auswanderer auf 125 nationalen Dampfern, 54.709 auf 66 Dampfern fremder Flagge.

Die Auswanderer waren meist Italiener, nur ungefähr 4000 kamen aus Süd - tirol und dem Canton Tessin. Südamerika war das Ziel Aller, doch ging 1885 nicht mehr wie früher die Mehrzahl nach Argentinien, sondern nach Brasilien, wo die tüchtigen italienischen Bauern und Taglöhner einen sehr werthvollen Zuwachs der Bevölkerung bilden. Nur die abnorme Dichte der Bevölkerung, welche Ober - italien aufzuweisen hat von dort stammen die meisten Auswanderer , macht diesen Verlust an Arbeitskräften weniger fühlbar.

Die Auswanderung wird noch lange steigen, denn drüben wird der agricole Arbeiter leicht Grundeigenthümer, in Italien bleibt er ewig hartgedrückter Colono, das ist Pächter auf fremdem Gute. Der Geist der Association, den die Italiener überall zeigen, beim Eisenbahnbau in Europa und beim Ankauf von Land in Süd - amerika, bietet eine gewisse Gewähr für das Gedeihen der italienischen Nieder - lassungen auf der südlichen Erdhälfte, für deren Gedeihen wieder umgekehrt die regelmässige kräftige Einwanderung ebenso Grundbedingung ist, wie seiner Zeit für das Emporblühen der Union das Menschenzuströmen aus Nordeuropa.

384Das Mittelmeerbecken.

Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit dem Schiffsverkehre Genuas zu, so erblicken wir folgende Erscheinung:

〈…〉〈…〉

Wir bemerken gleich, das 1889 auch jene Schiffe eingerechnet sind, welche aus Noth den Hafen anlaufen mussten, bei den früheren Jahren aber nicht; ihrer waren 1888 461 Schiffe mit 56.674 t.

Nach der Tonnenzahl dominirt die italienische Flagge nur in der Segel - schiffahrt, in der Dampfschiffahrt nimmt sie erst die zweite Stelle ein; sie stellt insbesondere für den internationalen Verkehr kaum den vierten Theil der Tonnen - zahl und hat nur in der Cabotage das Uebergewicht. Die Betheiligung der eng - lischen Flotte an der Küstenschiffahrt ist wohl auffallend gross (1888 544.605 t), aber sie erklärt sich leicht daraus, dass nach italienischem Gebrauche jedes vom Auslande kommende Schiff, das mehr als einen italienischen Hafen anläuft, zur Küstenschiffahrt gerechnet wird. Beachtenswerth bleibt es, dass sich 1889 die Tonnenzahl der englischen Schiffe neuerdings vergrössert hat, sie erreichte 2000 Schiffe mit 2,265.177 t, das ist doppelt so viel als 1880. Die starke Be - theiligung Deutschlands (1889 202 Schiffe mit 323.133 t) ist die Folge des An - laufens der Dampfer des Norddeutschen Lloyd aus Bremen und der Linie Slo - mann aus Hamburg. Die Marine der Niederlande ist in Genua 1888 plötzlich an die fünfte Stelle vorgerückt, weil zwei Gesellschaften dieses Landes auf ihren Fahrten nach Java Genua anlaufen. Dass Frankreichs Betheiligung gesunken ist, erklärt sich aus dem Fehlen eines Schiffahrtsvertrages zwischen beiden Ländern seit 1888, sie erreichte 1889 367 Schiffe mit 339.007 t, gegen 529 Schiffe mit 501.843 t im Jahre 1888. Die merkwürdigste Erscheinung der letzten Jahre ist aber die neuerliche Zunahme der Segelschiffahrt im Hafen von Genua nach Ton - nengehalt und Zahl der Schiffe.

Den stärksten internationalen Seeverkehr hat Genua mit Grossbritannien, Frankreich (1888 588.493 t), Südamerika (419.945 t), mit Russland-Rumänien, endlich mit Griechenland-Türkei, einen minder umfangreichen mit Spanien-Portugal, Union und Deutschland. Aus Grossbritannien kamen 1888 709 Schiffe mit 809.220 t an, fast alle beladen, dahin gingen zurück nur 70 Schiffe mit 76.325 t, und von diesen war der grössere Theil unbeladen. Die englischen Schiffe gingen von Genua meist un - beladen nach Griechenland-Türkei, nach Russland-Rumänien, nach Algier.

Zahlreich sind die regelmässigen Verbindungen Genuas. Von den italienischen Dampfergesellschaften ist die wichtigste die schon oben genannte Navigazione Generale Italiana (Società riunite: Florio e Rubattino) mit dem Sitze in Rom und mit Subdirectionen in Genua und Palermo. Die Subdirection in Genua ist bedeutender, ihr untersteht ausschliesslich der überseeische Verkehr. Die Gesell - schaft verfügt über 112 Dampfer und wird nach dem Vertrage vom 7. Februar385Genua.1877 von der italienischen Regierung für ihre sämmtlichen Linien, ausgenommen die nach Südamerika, subventionirt.

Diese Gesellschaft vermittelt den Verkehr Genuas mit Marseille, Sardinien, den Hafenplätzen Italiens, Sicilien und über Palermo mit Tunis, Tripolis und Malta. Die zweite Gruppe von Linien umfasst Griechenland, die Levante und das Schwarze Meer, mit denen Genua theils direct, theils über Brindisi verbunden ist. Eine Linie geht nach Bombay, Singapore und Hongkong.

Sehr lebhaft ist der Verkehr mit Südamerika. Nicht weniger als 32 grosse Oceandampfer haben schon in einem Monate den hiesigen Hafen verlassen, um Menschen und Waaren an die Ostküste Südamerikas zu bringen. Jede Woche geht ein Dampfer über Barcelona und Gibraltar nach den La Plata-Häfen, jede zweite Woche einer über Cadiz nach Rio de Janeiro und Santos. Alle zwei Monate dehnt einer dieser letzteren seine Fahrten bis nach der pacifischen Küste aus und läuft ausser Valparaiso und Callao auch alle diejenigen Häfen jener Küste an, für welche Frachtgüter vorhanden sind. Neben der Navigazione generale unterhalten die Ge - sellschaft La Veloce, Fratelli Lavarello und die Cie Fraissinet regelmässige Ver - bindungen zwischen Genua und dem La Plata.

Genua ist eine wichtige Station der von Bremerhaven auslaufenden ost - asiatischen und australischen Linien des Norddeutschen Lloyd.

Die Linie Slomann vermittelt den Verkehr mit Hamburg, Barcelona, Mar - seille und allen italienischen Häfen bis Palermo.

In unregelmässigen Zwischenräumen kommt noch eine ganze Reihe Schiffe deutscher Rhedereien nach Genua, unter denen die der Hansa die bedeutendsten sind.

Nicht weniger als sieben britische Linien verbinden durch regelmässige Fahrten Genua mit Liverpool, London und Hull. Die weltbekannte Cunard-Linie geht bis Triest, Fiume und Venedig, die Anchor und die Leyland-Line über Liver - pool nach New-York.

Diese Linien besuchen die Küstenplätze Italiens und Siciliens und sind daher bei dem Küstenverkehre eingerechnet.

Da diese Art des Verkehres seit dem Ablaufe des Schiffahrtsvertrages den französischen Schiffen in Italien untersagt ist, so wurde für den bisherigen regelmässigen Dienst der Compagnie Générale Transatlantique nach Südamerika die Compagnie Nationale gegründet, welche einmal im Monate Auswanderer nach Südamerika bringt. Französische Schiffe gehen nach Marseille, Nizza, Cannes.

Die 1888 errichtete spanische Linie Compan̅ia Transatlantica, welche ein - mal im Monate nach Südamerika geht, ist ebenfalls aus der Transatlantique her - vorgegangen.

Im Jahre 1888 haben auch zwei niederländische Linien, darunter die alt - renommirte Neederland auf ihren Fahrten nach Java Genua als Zwischenhafen gewählt. Auch aus Antwerpen und Kopenhagen gehen eigene Dampferlinien nach Genua.

Am 31. December 1888 besass Genua eine Marine von 105 Dampfern mit 96.606 t und von 777 Seglern mit 293.076 t. Gegen das Vorjahr zeigt sich bei den Dampfern eine Vermehrung um 9937 t, bei den Seglern eine Verminderung um 33.912 t.

Für den Kenner beweist wohl kein Umstand so sehr die gesicherte Blüthe Genuas als dieser Wettbewerb so alter, gut renommirter RhederDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 49386Das Mittelmeerbecken.um den Antheil am Handel eines Hafens, der vor 30 Jahren noch fast verödet, nur selten von Dampfern grosser Compagnien aufgesucht wurde. Wie viel gesünder ist das Aufblühen Genuas, als das von Triest oder Venedig! Genua ist der Haupterbe des durch den Suez - Canal wieder erwachten Ueberlandhandels nach Indien, aber es ist nicht nur der reiche Erbe durch das Glück der geographischen Lage, zumeist hat es sich seinen Löwenantheil durch die eigene Intelligenz seiner Bürger erstritten, welche vor wenigen Jahren auch eine Hochschule für Handelswissenschaften errichtet haben, die Scuola superiore di applicazione per gli studi commerciali.

In Genua bestehen 11 Banken und Banksuccursalen. Die wichtigsten sind: Banca generale, Banca di Genova und Banca Nazionale; zahlreiche Assecuranz - Gesellschaften haben hier ihren Sitz. Der Vermittlung des grossartigen Verkehres dienen eine Börse und ein Clearinghouse. Ferner sind zu nennen das Bureau für kaufmännische Informationen (A. Caligo & Cie. ) und das Weltannoncenblatt Globus .

Consulate haben in Genua: Argentinien, Belgien (G. -C. ), Bolivia, Brasilien (G. -C. ), Chile, Columbia (G. -C. ), Costarica, Dänemark, Deutsches Reich (G. -C. ), Dominik. Republik (G. -C. ), Ecuador, Frankreich (G. -C. ), Griechenland, Gross - britannien, Guatemala, Haïti (G. -C. ), Hawaii, Honduras, Liberia (G. -C. ), Mexico (G. -C. ), Monaco (G. -R. ), Niederlande (G. -C. ), Nicaragua (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay, Persien, Peru (G. -C. ), Portugal (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Sal - vador (G. -C. ), S. Marino, Schweden-Norwegen (G. -R. ), Schweiz, Serbien, Spanien (G. -C. ), Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten.

Von den zahlreichen Häfen Liguriens hat neben Genua nur Savona grössere Bedeutung für den Handel, weil es ausser den Bahnen, die längs der Küste laufen, noch eine Eisenbahnverbindung mit dem Innern nach Turin und Alessandria besitzt.

Sein Handel ist lebhaft, die Fabriken der Stadt und Umgebung blühen, so die Eisen - und Stahlwerke, die Fabriken für Glas, Thonwaaren und Leder.

Der Handel ist wesentlich Einfuhrhandel, seine wichtigsten Artikel sind Getreide (1888 611.938 q), besonders Weizen aus Russland, Brucheisen, Gusseisen und englische Kohlen. Der Schiffsverkehr umfasste 1888 881 Dampfer mit 778.461 t und 1694 Segelschiffe mit 175.822 t.

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Marseille.

Sechshundert Jahre vor Christus von handelskundigen Griechen gegründet, ragt die Stadt einer ungeborstenen Säule gleich hoch empor in der Geschichte des Mittelmeeres, ja in der Geschichte des europäischen Handels. Eine blühende Zeitgenossin der Handelsemporien der antiken Welt hat Massilia (Massalia) den Stürmen von Jahr - tausenden widerstanden, und erhob sich, wiederholt bezwungen, immer wieder zu neuem Leben und Glanze. Massilia sah Tyrus unter - gehen und Carthago, ihre mächtige Rivalin, enden; Massilia beherrschte den Osten des Mittelmeeres schon zu einer Zeit als Alexander der Grosse den ersten Spatenstich zur Gründung Alexandrias unternahm; Massilia sah das alte Rom und Byzanz, Athen und Korinth zu Glanz erstehen und erlebte deren Untergang, Massilia sah das alte Venedig, Genua und Pisa erblühen und zusammenbrechen.

Obgleich niemals um die Weltherrschaft kämpfend, sah Massilia Weltreiche in Trümmer sinken und sich selbst zur Grossmacht des Welthandels erhoben. Mit jugendlicher Thatkraft strebt Marseille weiter vorwärts und verdunkelt durch glänzende Erfolge neben allen neueren Hafenstädten des Mittelmeeres auch Constantinopel und Ale - xandria, die einzigen noch heute mächtigen von allen antiken Handels - Metropolen.

An Marseille lernt man am besten erkennen, wie die Bedin - gungen für die Blüthe eines Platzes von der Natur vorgezeichnet sind. All die herben Schicksale, welchen die Stadt ausgesetzt war, alle Hindernisse, welche durch den Barbarismus zahlloser Kriege dem Auf - schwunge wiederholt und oft lange Zeit hindurch entgegenstanden, ja selbst die Bevorzugung von Concurrenzstädten; nichts vermochte den bleibenden, verjüngenden und kräftigenden Einfluss der vortheilhaften natürlichen Lage, welche stets die Quelle des soliden Wohlstandes ist, zu vernichten.

Kein Theil der nächstgelegenen Küste hätte für die Anlegung49*388Das Mittelmeerbecken.eines Hafens solche Vortheile zu bieten vermocht als die Einbuchtung zwischen dem Cap Couronne im Westen und jenem nächst der Insel Maire im Süden.

Die hier der Küste vorgelagerten Inseln Ratoneau, Pomègues und die kleine Ile d’If sowie das vorspringende Cap Endoume schützen die Position gegen den Seegang aus Süden und Südwesten, und nur Westwinde stürmen direct zur Küste. Doch auch diese sind gegenwärtig nicht mehr im Stande, die Thätigkeit zu unterbrechen, denn Marseille besitzt gegenwärtig nicht mehr den Port vieux allein, sondern verfügt über einen der grossartigsten Kunsthäfen der Erde, ausreichend, um den ungeheueren Waarenverkehr zu bewältigen, der sich hier concentrirt. Der Port vieux war der Hafen von Massilia, dessen schmale Einfahrt durch Befestigungen vertheidigt wurde.

Westwärts von Marseille weit über das sumpfige Gebiet des Rhonedeltas (Bouches du Rhône) zieht sich eine an Haffbildungen (Étangs) reiche Flachküste um den Golfe du Lion, an welchem von bedeutenderen Hafenplätzen nur das aufblühende Cette grössere Be - achtung verdient.

Die Wassertiefe im Golfe du Lion beträgt infolge der Rhône - Ablagerungen im Durchschnitt nur etwa 80 m. Der Meeresboden fällt jedoch 12 Seemeilen südlich von Marseille von 200 m rasch ab in die gewaltigen Einsenkungen des Mittelmeeres.

Marseille bietet von See aus einen an malerischen Effecten sehr reichen und in der Gesammtheit grossartigen Anblick. An der Aus - mündung einer sanft absteigenden, von Bergen eingeschlossenen Küsten - ebene breitet sich die Stadt als ein leichtgewelltes Häusergewirre von 6 km Länge vor uns aus. Thürme, Kuppeln und Schlote ragen dort und da empor, und Grossbauten, wie die monumentale Kathedrale am Quai de la Joliette, oder die robusten fremdartigen Formen des Fort St. Jean, drängen als Beherrscher ganzer Partien im Bilde sich auf. Den Vordergrund nimmt das Gebiet des immensen Hafens ein, hinter dessen gewaltigem Wellenbrecher Schiff an Schiff sich reiht. Das qualmt, pustet und lärmt mit den Locomotiven der Quaibahn um die Wette; fleissige wohlorganisirte Arbeit wird hier geleistet in dieser gewaltigen Werkstätte des Welthandels. Unaufhörlich ist die Zufahrt der grössten Dampfer, der imposantesten Segelschiffe aus allen Punkten des Erdballs. Enorme Waarenmengen langen hier an, und staunend kann man beobachten, mit welcher Raschheit sie ausgeschifft und auf andere Routen geleitet werden.

All die grossartigen Magazine, über die der Hafen gebietet,389Marseille.wären ungenügend, die reichen Schätze des Handels zu bergen, wenn es nicht gelingen würde, die Schnelligkeit des Umsatzes auf jenen Höhepunkt zu bringen, der hier grösstentheils noch immer durch primitive Mittel erreicht worden ist.

An der Südseite rückt in das Bild der Stadt die malerische Höhe der Nôtre-Dame de la Garde, von deren 116 m hohen Spitze der ehrwürdige Bau der berühmten Kirche gleichen Namens herab - sieht. Dort ist auch eine Signalstation im Betriebe. Die schluchten - reichen Abhänge dieses isolirten Berges senken sich in reichen Formen und mit Ansiedlungen bedeckt zur Küste herab und bilden eine höchst wirksame Staffage des Panoramas der Stadt.

Die ungefähr 100 m breite Einfahrt in den Vieux Port ist kaum wahrnehmbar. Das Bassin desselben erweitert sich innerhalb bis auf 350 m Breite bei einer Längserstreckung von 930 m. Es ist ein herr - liches Hafenbecken, das mehreren hundert Schiffen Raum und Schutz gewährt. Dort herrscht denn auch im innigsten Contacte mit der Stadt ein äusserst lebhaftes Treiben, wie es kaum bewegter gedacht werden kann. Das Innere der ganz modern aussehenden Stadt, beson - ders die wunderbare Rue Cannebière, um welche selbst Paris Mar - seille beneidet, verräth zunächst den Reichthum der Bewohner, aber zeigt uns dafür nicht ein Stück, das den Ruhm vergangener Jahr - hunderte verkörperte. Nichts verräth die Geschlechter, die hier im Laufe von 2500 Jahren Herren des Bodens waren.

Die Umgebung von Marseille ist ein von Bewässerungsleitungen durchzogener fruchtbarer Thalgrund, mit zahlreichen Ortschaften und Gehöften bedeckt und von Hügelreihen und ansehnlichen Bergen ein - gefasst, an deren Abhängen unzählige der hier Bastides genannten Landhäuser in bescheidenen Einfriedungen lagern. Fast jeder Bürger von Marseille besitzt seine Scholle Erde im Freien, und der Werk - mann, dessen Mittel es nicht gestatten, ein gemauertes Landhaus mit solidem Ziegeldach zu erbauen und durch einige Fichten oder Pinien zu zieren, der stellt wenigstens eine Hütte sich her. Da nun die Be - wohner von Marseille ebenso passionirte Fischer, wie Nimrod er - gebene Jäger sind, so findet man fast bei allen grösseren Bastiden auch Jagdstände (postes), das sind mit Schiessscharten ausgestattete Laubhütten, in welchen der Jäger das Wild erwartet.

Leider gestatten die zahllosen Einfriedungsmauern keinen Aus - blick über das Terrain.

Ueber dem Thale ruht der Segen einer prächtigen und üppigen Vege - tation, die selbst den Fels mit einer Decke duftender Kräuter überzieht.

390Das Mittelmeerbecken.

Das ist das Bild der Umgebung der mächtigsten Handelsstadt von Frankreich.

Marseille ist die Hauptstadt des Departements Bouches du Rhône und zählt ausschliesslich einer starken fluctuirenden Hafen - bevölkerung 376.143 Einwohner.

Die Stadt ist Sitz eines Handelsgerichtes und einer Handels - kammer, einer Börse und eines Bischofs, der Oberbehörden des De - partements und des Commandos des 15. Armeecorps.

Schon in alten Zeiten ein Hort der Kunst und besonders der Wissenschaft, glänzt Marseille auch heute durch seine zahlreichen wissenschaftlichen Institute, höheren Anstalten und Sammlungen, deren Unterhaltung der allgemeine Wohlstand gestattet und fördert.

Ausser zahlreichen Elementar - und Mittelschulen besitzt die Stadt neben einer von der Akademie zu Aix delegirten Facultät der Wissenschaften eine vollständige Schule für Medicin und Phar - macie, eine Handelsakademie (École superieure), ein Musik - und De - clamations-Conservatorium, eine sehr gut besuchte Schule der schönen Künste, ein Lyceum mit Kanzeln für arabische und neugriechische Sprache, dann das Collegium Belsunce, zwei Seminare, das Pensionat des frères, eine höhere Töchterschule, eine Schiffsjungen-Schule und verschiedenes Andere.

Von grosser Wichtigkeit für die Schiffahrt ist die am Plateau von Longchamp nächst dem zoologischen Garten errichtete Sternwarte, die 78 m über dem Meere in der geographischen Position von 43° 18′ 19″ nördl. Breite und 3′ 24″ östl. Länge von Paris liegt. Die mit Instru - menten gut dotirte Anstalt verfügt unter Anderem über ein grosses Teleskop von 80 cm Objectiv-Durchmesser.

Wie wir bereits anlässlich der Schilderung von Smyrna erwähnten, wird die Gründung von Massilia als das Werk der altgriechischen Colonie Phokäa, die am Eingange des Smyrna-Golfes blühte, dargestellt; indes beginnen neue Forscher mit Recht zur Annahme hinzuneigen, dass möglicherweise schon die Phönikier die ersten Pionniere in Massalia gewesen seien, daher das Alter der Stadt noch um zwei bis drei Jahrhunderte höher zu schätzen sei. Es wird uns be - richtet, dass um 600 v. Chr. eine von Limos und Protis geführte Expedition der Phokäer nach mancherlei Abenteuern an der Stelle des heutigen Marseille gelandet und die Stadt Massalia gegründet habe.

Der Wohlstand der neuen Colonie, welche durch Freundschaftsverbindungen erstarkte, die Eroberung des jonischen Mutterlandes durch die Perser hatten weitere Zuzüge von Phokäern und anderen Landsleuten zur Folge, und bald sah Massalia sich im Besitze einer Kriegs - und Handelsflotte. Bei Zeiten mit Rom verbunden, bestand sie mehrere Seegefechte gegen die mächtige Rivalin Carthago. Diese aber verband sich mit den Liguriern, welche den Wohlstand der auf ihrem391Marseille.Grund und Boden entstandenen Colonie mit Neid und Hass verfolgten. Unter Catumandes erschienen die Ligurier vor der Stadt, aber Minerva bewahrte letztere vor dem Untergange, und als Carthago geendet hatte, sah Massalia sich auf dem Höhepunkte der Macht. Aber nun zeigte sich gar bald der uralte Kreislauf, in dem Macht und Verfall getrieben werden. Massalia, die Helferin Roms im Kampfe gegen Carthago und Ligurien, fiel nun selbst unter die Gewalt der grossen Weltbeherrscherin.

Nach ruhmvoller Vertheidigung zog Cäsar in Massalia ein und schonte die berühmte Stadt, doch liess er sich den Schatz, die Waffen und alle Schiffe aus - folgen. Auch verlor die Stadt alle Colonien mit Ausnahme von Nizza, dafür wurde sie ein Sitz der Kunst und Wissenschaft, und für den jungen Adel Galliens, selbst für viele Römer blieb Massalia noch in der Kaiserzeit ein beliebter Aufenthalt. Griechische Sprache wurde hier noch im III. Jahrhundert n. Chr. gepflegt, Ab - schriften griechischer Werke sind hier noch im frühen Mittelalter gemacht worden.

Die Zeit der Völkerwanderung brachte schwere Drangsale über die Stadt; Westgothen, Saracenen und Piraten überfielen und entvölkerten sie, aber konnten sie nicht vernichten. Erst gegen Mitte des X. Jahrhunderts erhebt sich Marseille unter der Herrschaft der Vicomtes aus dem Abgrunde des Verfalls, um sich 1112 als Republik zu constituiren.

Schon zur Zeit der Römer bestand Marseille aus zwei durch eine Mauer von einander gesonderten Theilen, und zwar war die obere Stadt römisch, die untere aber griechisch. Letztere hatte ihre alten freiheitlichen Institutionen be - wahrt. Diese eigenthümliche Sonderung hatte sich Jahrhunderte lang erhalten und im Mittelalter finden wir Marseille sogar in drei Städte geschieden, deren jede eine Regierung, ein eigenes Gebiet und einen abgesonderten Hafen besass. Zur unteren Stadt gehörte der antike Hafen (Vieux port), die obere bischöfliche Stadt (ville épiscopale) besass die Bucht von Joliette (damals Port gaulois, Porto Gallo gen. ), und zur Abtei St. Victor endlich gehörte der Hafen St. Lambert (Bucht Catalans).

Während der grossen, durch die Kreuzzüge hervorgerufenen Bewegung, blühte die Stadt lebhaft auf, indes zwang der ehrgeizige Karl v. Anjou die Republik Marseille 1253 zur Unterwerfung, und als selbe sich mit Alphons X. verband, um die Freiheit wieder zu gewinnen, bezwang Karl die Stadt nach langer Belagerung durch Hunger (1256) und besetzte die Citadelle.

Im XV. Jahrhunderte bemächtigte sich Alphons von Aragon der benach - barten Stadt Ciotat, die er plündern liess, als aber die tapferen Marseiller zur Hilfe herbeigeeilt waren und die Feinde vertrieben hatten, griff Alphons, darüber erbittert, nun Marseille zu Land und See an. Die Stadt verfiel der Plünderung und den Flammen (1423).

Kaum war wieder Wohlstand und Behagen zurückgekehrt, als der Conné - table von Bourbon (1524) die Stadt durch ein Heer von 40.000 Mann belagern liess. Diese Belagerung bildet durch die Todesverachtung und Ausdauer der Ver - theidiger, noch mehr aber durch den Heldenmuth der Frauen von Marseille, welchem die Rettung zu verdanken war, eine der denkwürdigsten Episoden in der Geschichte der Stadt. An dieses Ereigniss erinnert der Name des Boulevard des Dames, einer schönen Strasse, die vom Quai de la Joliette zur Place d’Aix ge - führt ist.

An den Religionskriegen des XVI. Jahrhundertes finden wir Marseille leb -392Das Mittelmeerbecken.haft betheiligt, doch verliert die Stadt bald ihre alte Unabhängigkeit. Während der Fronde erstürmt Ludwig XIV. am 2. März 1660 die Stadt und vereinigt deren Gebiet mit Frankreich.

Aber inmitten der Segnungen eines langen Friedens trat im Mai 1720 die Pest als furchtbare Geissel auf und wüthete ein volles Jahr hindurch.

Neben Beweisen von Hingebung für das allgemeine Wohl und von Herois - mus seitens vieler Bürger erwarb der opferfreudige Muth und die Seelengrösse des Bischofs Belsunce, welcher der Kranken und Sterbenden mit liebevoller Sorg - falt sich annahm, die gebührende Bewunderung und Dankbarkeit.

Die grosse Revolution von 1789 und die lange Reihe von Kriegen gegen England schlugen dem Wohlstande von Marseille tiefe Wunden. Dadurch stieg der Hass gegen Napoleon I., den Zerstörer aller Hoffnungen, so hoch, dass, als 1814 der Kaiser aus der Gefangenschaft auf Elba entfloh und in Cannes landete, Mar - seille eine Zahl von Freicorps organisirte, um den Corsen zu vertreiben. Napoleon war jedoch unterdessen nordwärts seinem Schicksale entgegengeeilt, das den Gi - ganten bald genug bei Waterloo für immer niederwarf.

Marseille erklärte sich nun offen für die weisse Fahne der Royalisten (Juni 1815), das Volk vertrieb die Besatzung, und sich dann allen Excessen hingebend, wüthete es mit Mord und Plünderung selbst gegen die Bürger der eigenen Stadt, die schliesslich zu den Waffen griffen und Ruhe herstellten.

Seitdem erfreut sich Marseille der Segungen einer steten Entwicklung, die nur vorübergehend durch anarchische Unruhen 1870 und 1871 unterbrochen wurde.

Wenn man von der Altstadt, die nördlich des Vieux Port liegt, absieht, ist Marseille im Allgemeinen regelmässig angelegt, wenngleich die Stadt auch nicht jene geometrische Symmetrie besitzt, die vielen amerikanischen Städten eigen ist. Aber Marseille besitzt dessen - ungeachtet einige Strassenzüge von ungewöhnlicher Länge. Zwei der - selben beanspruchen als wichtige Verkehrswege und Orientirungs - achsen der Stadt genannt zu werden. Die eine durchschneidet vom neuen Hafen aus in gerader Richtung nach Südsüdosten die ganze Stadt in einer Länge von mehr als 5 km und führt in ihrem Laufe mehrere Namen, wie: Boulevard de Paris, Rue d’Aix, Cours Belzunce, Cours St. Louis, Rue de Rome und Le Prado. Sie durchschneidet mehrere Plätze, und zwar: Place Pentagone, Place d’Aix mit hübschen Triumph - bögen, Place de Rome und Place Castellane, von welch letzterer an die breite, mit schönen Baumalleen geschmückte Promenade Le Prado hinaus ins Freie führt, um beim Rond-Point westwärts gegen die Küste zu den prächtig gelegenen Bains du Prado, stets in gleicher Breite, abzubiegen.

Die Mitte der Place Castellane schmückt ein Wasserbassin, aus dem ein hoher Obelisk sich erhebt.

Die zweite Orientirungsachse der Stadt durchschneidet die eben - gedachte am Cours St. Louis unterm rechten Winkel. Sie beginnt als[393]

Marseille.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 50394Das Mittelmeerbecken.Rue Cannebière am Vieux Port und erstreckt sich gleichfalls den Namen wechselnd als Rue Noailles, Allée de Meilhan, Cours du Chapitre, Boulevard Longchamp bis zum Château de Longchamp nächst dem zoologischen Garten.

Der belebteste Theil der Stadt ist ohne Zweifel jene Partie der - selben, wo die Strassen Cannebière, Noailles mit dem schattigen Cours Belzunce und St. Louis zusammentreffen.

Dieses Gebiet ist denn auch das Centrum der Stadt. Hier herrscht die grösste Bewegung, denn aus vier Richtungen strömen die Passanten hier zusammen, und die schönsten und grossartigsten Verkaufsgeschäfte und fashionablen Magazine haben sich hier etablirt. Die Cannebière (Hanfstrasse, denn hier lagen einstens die grossen Seilereien) gilt als die schönste Strasse der Stadt; sie flankirt den Börseplatz, auf dem die Börse und das Gebäude des Handelsgerichtes sich erheben. In der Rue Noailles, die gleichfalls reich an prächtigen Monumentalbauten ist, liegen die grandiosen Hôtels Louvre, de la Paix, de Marseille und de Noailles.

Als beliebte Promenaden verdienen die schattigen Alleen des Cours Belsunce erwähnt zu werden, längs welchen schöne Kaffee - häuser, elegante Gasthöfe und grosse Hôtels sich etablirten und wo auch das Marmorstandbild des berühmten Bischofs Belsunce einen Platz gefunden hat.

Sehr besucht sind gleichfalls die Alleen von Meilhan und jene des Capucines, welche das hübsche Gebäude der Faculté de Sciences von zwei Seiten einschliessen.

Seiner vielen Blumenpavillons wegen gewährt der Cours St. Louis ein reizendes Bild.

Während des Sommers ist die herrliche Avenue des Prado be - sonders belebt. Beim Rond-Point erhebt sich die Arena, in welcher an Sonntagnachmittagen die hier beliebten Stierkämpfe abgehalten werden.

Die Fortsetzung des Prado führt, von reizenden Villen einge - fasst, durch eine blühende Gegend zum Meeresstrande, wo zu Füssen des prächtigen parkumgebenen Château Borily die luftigen Gebäude der Seebäder sich erheben. Von hier aus führt die erst 1863 voll - endete reizende Strandpromenade Route de la Corniche in einer Ge - sammtlänge von 7 km um die vorne erwähnte Anhöhe von Nôtre Dame de la Garde und mündet erst bei der Anse des Catalans in das Strassennetz der Stadt. Man geniesst auf dieser selten schönen Fahrstrasse, die an mehreren Badeanstalten vorbeiführt, einen geist -395Marseille.erfrischenden Anblick auf das weite Meer und die malerischen Inseln der Bucht von Marseille.

Ungeachtet der Classicität des alten Marseille, besitzt die Stadt wie schon angedeutet gar keine an die vorchristliche Periode erinnernden und überhaupt keine wahrhaft alten Bauwerke. Was an Fragmenten älterer Gebäude vorhanden ist, reicht nicht über das XI. Jahrhundert zurück. Diese Erscheinung erklärt sich daraus, dass Marseille nie für Jahrhunderte völlig verarmte und menschenleer wurde, wie etwa Ravenna. Die Baulust ruhte nie und die späteren Geschlechter warfen pietätlos die Bauten der Vorfahren um, weil sie Platz und Material brauchten. So verschwanden die alten Bauwerke in neuen. Welch ein Unterschied gegen Arles, das allerdings mehr als 1000 Jahre keine Rolle mehr spielt! Was an Marseilles Bauwerken schön genannt werden kann, ist fast ausnahmslos modern, sogar ganz mo - dern, und was alt, wie einige Kirchen, ist wiederholt umgebaut. Nichts erinnert daran, dass man auf dem Pflaster von Marseille nach Jahrtausenden rechnen kann.

Unter den durch eine auffallende Architektur, Grösse und kost - bares Material hervorragendsten Monumentalbauten beansprucht die neue auf einer 9 m hohen, künstlich aufgeführten Plattform ruhende Kathedrale am Quai de la Joliette den ersten Rang.

Fünf Thüren und Kuppeln überragen die in byzantinisch-roma - nischem Styl gehaltene Basilika, deren 1852 begonnener Bau gegen - wärtig der Vollendung entgegengeht. Kein anderer Baustyl hätte die uralten Beziehungen Marseilles zum Oriente zu versinnlichen vermocht, wie der erwähnte, in welchem ausser den byzantinisch-romanischen Motiven auch neuere classische Erinnerungen glücklich verwerthet erscheinen.

Die alte Kathedrale La Major (Ste. Marie Majoure), am Ende der Esplanade La Torette gelegen, wurde grösstentheils abgetragen. Sie soll der Ueberlieferung nach auf den Ruinen eines Baaltempels er - baut worden sein.

Eine der schönsten Kirchen ist die im byzantinischen Style gehaltene, auf der Höhe errichtete Nôtre-Dame de la Garde, an deren Stelle ehemals die aus dem Jahre 1214 entstammte berühmte Capelle gleichen Namens gestanden hatte. Die neue, 1864 eingeweihte, reich mit Marmorsculpturen und Malereien gezierte Kirche ist von einer Kuppel und einem 45 m hohen Thurm überragt.

Die Spitze des letzteren nimmt eine 9 m hohe vergoldete Statue50*396Das Mittelmeerbecken.der heiligen Jungfrau Maria ein. Eine Treppe führt bis in den Kopf der Statue.

Von der breiten Terrasse, auf welcher der imposante Bau sich erhebt, geniesst man einen völlig zauberhaften Rundblick über die ganze Stadt, deren weiten Hafen und das unendliche Meer. Zu den alten Kirchen zählt jene des heiligen Victor, deren erster Bau im Jahre 410 entstand; wiederholt zerstört, wurde sie erst 1279 in ihrer jetzigen Form ausgeführt. In den Katakomben dieser Kirche soll der heilige Lazarus, der hier das Christenthum verbreitete, geweilt haben, und der heilige Victor der gleichen Tradition zufolge hier mit eini - gen Genossen seines Martyriums begraben sein.

Die Nôtre-Dame du Mont-Carmel stammt aus dem Jahre 1255, und Nôtre-Dame du Mont, deren Bau in das Jahr 576 zurückreicht, erlebte seither mehrere Reconstructionen.

Unter den zahlreichen öffentlichen Gebäuden verdienen die Börse, das Justizpalais, die Präfectur, das Stadthaus (Hôtel de Ville), das Palais des Arts de Longchamp und andere wegen ihrer monumen - talen Anlage genannt zu werden.

Eines der herrlichsten und in allen seinen Theilen stylvollsten Bauwerke ist das ebengenannte Palais de Longchamp, das nach den Plänen des Architekten Henri Espérandieu, eines der Erbauer der neuen Kathedrale, im Jahre 1870 vollendet wurde. W. Bartholdi, der berühmte Bildhauer, entwarf indes die ersten Pläne zu diesem Werke.

Die ganze Anlage von Longchamp besteht aus zwei sich gegen - überstehenden Palais, welche durch eine prächtige Säulenhalle mit einander verbunden sind. Die Mitte der letzteren nimmt das Wasser - schloss (Chateau d’Eau) ein, aus dem sich reiche Wassercascaden hinab in die durch herrlichen figuralen Schmuck gezierten, mit Blumenbeeten eingefassten Bassins ergiessen. Das Ganze macht den Eindruck edler Vornehmheit.

In den Palais sind die Gemälde - und Sculpturensammlung dann das naturhistorische Museum, beide reich an seltenen Objecten, untergebracht.

Sehenswerth sind auch andere der hervorragenden Anstalten Marseilles, wie das an phönikischen, egyptischen und anderen clas - sischen Sculpturen, Waffen, Inschriften u. dgl. reiche Musée des antiques, dann das Cabinet des medailles, die Ecole des Beaux-arts, die 86.000 Bände zählende Bibliothek, und andere gut dotirte Stätten der Wissenschaft, der Menschenliebe und Barmherzigkeit.

397Marseille.

Aber auch das edle Vergnügen findet in fünf Theatern, von welchen das Grand-Théatre das erste, das Theater des Nations das grösste ist, volle Befriedigung.

Eine grosse Wohlthat für die Stadt bedeutet der nach zehn - jährigem Bau im Jahre 1849 vollendete Canal von Marseille, die grandiose Wasserleitung, welche das Wasser der Durance aus einer Entfernung von 152 km der Stadt zuführt und gleichzeitig die um - liegende Thalsohle durch Berieselung befruchtet. Der Querschnitt des Canals ist ein mächtiger, er misst 9·4 m in der Breite und 2·4 m in der Tiefe. In seinem Laufe ist der Canal 21 km weit unterirdisch (Länge des grössten Tunnels 3672 m) geführt. Er liefert im Winter 5·7 m3 und im Sommer 10 m3 Wasser in der Secunde. Eine Zahl von Reservoirs mit dem Gehalte von nahezu 7 Millionen Cubikmeter sind in der Stadt und längs der Canalstrecke errichtet.

Der natürliche Fall des Wassers wird in 104 Werkstätten als Treibkraft mit einer Gesammtleistung von 2450 Pferdekräften ausge - nützt, und gestattet die Fülle des zugeleiteten Wassers die Speisung von 600 öffentlichen Auslaufbrunnen in der Stadt und von 1700 Be - wässerungsstationen ausserhalb derselben.

Die Baukosten der grossartigen Wasserleitung betrugen 50 Millionen Francs, aber die Stadt bezieht aus der Abgabe des Wassers eine Jahresrente von 1·2 Millionen Francs.

Wenden wir uns nun zu dem grossartigen Kunsthafen von Marseille.

Bis 1820 musste sich Marseille mit einem alten Hafen, der nur einen Flächeninhalt von 28·5 ha hatte, behelfen, und selbst dann be - schränkte man sich nur auf die Vertiefung desselben und die Ver - grösserung der Quaianlagen längs der Nord - und Westseite. Bei Gelegenheit dieser Bauten fand man 1855 ein wohlerhaltenes, 31 m langes römisches Kriegsschiff unter dem Sand und Geröll der Küste in 7 m Tiefe. Gleichzeitig mit den Ausbaggerungen des alten Hafens begann Louis Philipp, der Marseille heben wollte, 1844 mit dem Bau eines grossen Kunsthafens, und zwar mit dem Bau des Bassin de la Joliette mit 22 ha Fläche, des ersten der fünf prächtigen Hafenbecken, die jetzt zu - sammen den heutigen Hafen bilden. Der Joliettehafen wurde 1853 voll - endet, erwies sich aber für den rapid angewachsenen Verkehr zu klein, weshalb bald darauf das Bassin du Lazaret, dann das Bassin d’Arenc, Bassin de la Gare Maritime und Bassin National (48 ha) in Angriff genommen werden mussten, von denen das letzte, 1856 begonnen, erst jetzt fertiggestellt ist. Ausserdem plant man die Anlage eines398Das Mittelmeerbecken.Petroleumhafens bei Cap Pinède, also ausserhalb des eigentlichen Hafens.

Die genannten 5 Bassins ziehen sich, durch einen gemeinsamen 3600 m langen Wellenbrecher geschützt, längs der früher ganz unge - schützten felsigen Küste hin, die bei starken Winden für die vor Anker liegenden Schiffe eine stete Gefahr bildete. Diese felsige Beschaffen - heit der Küste kam aber den Neubauten als gutes Fundament sehr zu statten.

Der genannte Wellenbrecher ist aus einer Tiefe von 10 15 m in einer Ent - fernung von 500 m von der Küste und, wie unser Plan zeigt, in einer gebrochenen Linie aufgeführt. Er ist sehr solid gebaut, 8 m über dem Meeresspiegel erhaben und oben im Durchschnitte 7 m breit, in bestimmten Intervallen aber breiter an - gelegt, um im Kriegsfalle Platz für Geschütze zu bieten. Nach der Hafenseite um - säumt ihn ein Quai, nach der Seeseite ein Kranz von mächtigen, regellos vorge - lagerten Steinblöcken, die dem mächtigsten Anprall der Wellen widerstehen sollen.

Die fünf Bassins sind von einander durch breite Molen, welche grosse Waarenhäuser und Magazine tragen, getrennt, die aber Durchlässe für die Schiffe haben, so dass jedes Schiff von einer nach der anderen Seite des Hafens direct gelangen kann. Drehbrücken führen über diese Durchlässe.

Der neue Hafen hat eine Tiefe von 10 15 m, und zwar sind die nördlichen Bassins tiefer als die südlichen. Die gesammte Wasserfläche der Bassins erreicht über 300 ha. Die Quais haben eine lineare Erstreckung von 14.673 m. Der alte Hafen ist für Segelschiffe, Yachten und Fischerbote reservirt geblieben. Port Jo - liette dient dem Verkehr der französischen Passagierdampfer, Port Lazaret und Arène sind für die Dampfer und Segler langer Fahrt und für die Erzeinfuhr aus Italien und Spanien und die Producte Indiens, Australiens und Südamerikas. Der Port de la Gare Maritime nimmt die Weizenzufuhren aus Russland, Indien, Australien, Nordamerika und die grossen Dampfer der Britischen Peninsular und Oriental-Linie auf. Das Bassin National ist für die englischen Kohlenschiffe aus Cardiff und Newcastle und die Viehimporte aus Algier, Tunis und Italien und fremde Kriegsschiffe bestimmt. Im Zusammenhang mit letztgenanntem Bassin steht das grosse Bassin de Radoub, das 6 grosse Trockendocks, davon 3 erster Grösse, enthält. Ausserdem besteht dort noch ein kleiner schwimmender Dock. In den alten Hafen ausmündend ist das Bassin de Carrenage zum Ausbessern und Kal - fatern von Segelschiffen. Alle diese Einrichtungen stehen unter Aufsicht der Com - pagnie des Docks et Entrepôts, und sind die Tarife für Benützung der hier und später genannten Hafeneinrichtungen sehr hoch, wie wir schon bei Genua im Ver - gleiche erwähnten.

Die Vorrichtungen zur Verhinderung von Feuersgefahr sind ausserordentlich umfassend, Docks und Magazine sind nur aus Stein und Eisen erbaut, überall sind Hydranten, und auch die Feuercontrole im Hafen ist vorzüglich.

Die Maschinerien zum Aus - und Verladen sind ein Gemisch von alter und neuer Zeit, wie denn noch die Getreideschiffe im alten Hafen mangels eines Ele - vators durch Menschenhand, und zwar durch die ungefähr 6000 Mitglieder zählende Gilde der Speicherarbeiter entladen und befrachtet werden. Andererseits sind im neuen Hafen und den Docks 47 feste hydraulische Krahne zu je 3 t Tragkraft. 399Marseille.3 verschiebbare Dampfwinches, 38 Windlasses und ein hydraulischer Dersick von 120 t Tragkraft.

Trotz des grossen Fassungsraumes des alten Hafens, des Handels - hafens La Joliette und der Docks ist der Hafen stets so gefüllt, dass die Schiffe zum Löschen und Laden nicht mit der Breitseite an den Quais anlegen dürfen, sondern alle diese Manipulationen durch Ver - mittlung von Barken und Lichterfahrzeugen vor sich gehen. Die unter Ballast ausgehenden Schiffe nehmen als solchen Bruchsteine von der Küste, die sich vortrefflich zum Pflastern und Chaussiren eignen.

Zum Hafen von Marseille gehört die grosse Quarantaine-Anstalt, welche in einem durch Verbindung der beiden Inseln Ratoneau und Pomègues gebildeten Hafen (Port du Frioul) erbaut wurde.

Die ganzen Hafenanlagen haben bisher 95 Millionen Francs ge - kostet und werden wohl auch noch weitere 5 Millionen Francs in Anspruch nehmen.

Der Transport der Waaren vom Hafen nach dem Innern der Stadt geschieht durch zweiräderige mit schweren, normännischen oder Percherons-Pferden bespannten Karren, die oft, geschickt geladen, 5 6 t Waaren führen und in den engen Strassen Marseilles wohl sobald durch kein anderes Transportmittel ersetzt werden können. Eigen - thümlich ist das eigenartige, oben in Form eines Hornes auslaufende Kummetgeschirr dieser Zugpferde.

Das Anwachsen des Schiffsverkehrs in Marseille hat zu Studien über die so wünschenswerthe Erweiterung des neuen Hafens geführt, der trotz seiner Grösse kaum mehr den Anforderungen zu entsprechen vermag und es scheint, dass man sich zum Bau eines neuen Wellen - brechers, der seewärts des bestehenden zu liegen käme, wird ent - schliessen müssen.

Ebenso ist ein Project im Studium, welches dahin geht, nächst der Bucht des Catalans einen durch Wellenbrecher geschützten Süd - hafen herzustellen.

So zeigt das Stück dürftigen, nur zum Wein - und Oelbau ge - eigneten Bodens, welches die ionischen Seefahrer aus Phokaea um 600 v. Chr. von dem ligurischen Stamme der Salyer erkauft, dank seiner geographischen Lage jene unverwüstliche Lebenskraft, welche die wahren Emporien des Handels dem Phönix gleich aus dem Wechsel der Zeiten immer wieder erblühen lässt. Denn kein zweiter Platz im westlichen Mittelmeere ist so vortheilhaft für den europäischen Verkehr gelegen wie Marseille. Mit ihrem von Höhen eingeschlossenen sicheren Hafenbecken ist die Stadt, wie II. Kiepert sagt, entfernt400Das Mittelmeerbecken.genug von der Mündung der Rhône, um der Gefahr der Verschlam - mung durch den Fluss ausgesetzt zu sein, nahe genug, um sich den ausgezeichneten Handelsweg nach dem Norden, welchen dieses Flussthal darbietet, zu sichern.

Auf dem Nordwege durch Gallien erreichten die Massalioten schon früh die oceanischen Küsten und die Quellen des britannischen Zinnhandels als Concurrenten der Carthager, die zur See dahin ge - langten; von dort aus haben sie die erste Kunde von den grossen nach Norden zum Ocean fliessenden Strömen, namentlich dem Rheine, mitgebracht. Die weite Ausdehnung ihres Handelsgebietes nach Osten hin beweisen die zahlreichen Funde massaliotischer Münzen durch das ganze Alpenland bis Tirol und in der oberitalischen Ebene. Die Ver - bindungen zur See erstreckten sich im Osten bis Phönikien und im Westen seit den denkwürdigen Fahrten des Pytheas und Enthymenes (330 v. Chr.) über die Säulen des Herkules hinaus; der erstere er - reichte Britannien, Thule (die Shetlandinseln) und die germanischen Nordseeküsten, der letztere drang südwärts gegen den Senegal vor.

Der Sturz des Römerreiches drängte den ausgebreiteten Handel unseres Hafens nur auf kurze Zeit zurück. Schon in der Zeit der ersten Merovingerkönige besuchten seine Kaufleute die Messe von St. Denis; die Gesandten, welche die Franken zum Kaiser nach Byzanz schickten, schifften sich hier ein, und Papyrus aus Egypten war ein bekannter Handelsartikel Marseilles in den dunklen Jahr - hunderten des frühen Mittelalters.

Die tapferen und reichen Bürger Marseilles zogen auf ihnen wohlbekannten Pfaden, als sie die zahlreichen Ritter und Pilger Süd - frankreichs nach Palästina führten und im Vereine mit Genua, Pisa und Venedig bei der Errichtung der Kreuzfahrerstaaten in Syrien mit - halfen, und die kühnen Seefahrer Marseilles gingen nach Syrien nicht nur den Weg entlang den Küsten Europas, sie liessen seit der Mitte des XII. Jahrhunderts Sardinien, Sicilien, Candia und Cypern links liegen und fuhren bei gutem Winde in 15 Tagen und 15 Nächten nach Akkon (heute Akka).

Auch noch im späteren Mittelalter pflegte Marseille den Ver - kehr mit Egypten. Die im XIV. Jahrhunderte gegründeten Messen von Beaucaire an der unteren Rhône, auf der man Italiener, Deutsche, Brabanter, Spanier, Portugiesen, Griechen, Barbaresken und Egypter begegnete, stärkten seinen Handel, während Montpellier, Cette, Nar - bonne, die bis dahin eine bedeutende Rolle im Levantehandel gespielt hatten, zurückgingen.

401Marseille.

Seit Errichtung der Märkte von Lyon 1443 gelangten wohl eine Zeit lang die Gewürze auf dem Landwege von Venedig in das Innere Frankreichs, aber wenige Jahrzehnte später wurde ja Lissabon Sitz des Handels mit Gewürzen, und unter Heinrich IV., der 1599 die Handelskammer von Marseille errichtete, um zu überwachen und zu fördern alle Dinge, die Geschäft, Handel und Verkehr betreffen würden , ist Marseille Frankreichs Hauptexporthafen. Der venetianische Gesandte, der die Stadt kurz nach dem Tode des Königs sah, nennt sie Venedig weit überlegen, das Emporium ganz Europas , und der Hafen soll jährlich 8 Millionen Goldthaler, nach jetzigem Geldwerthe 78 Millionen Gulden, reinen Gewinn abgeworfen haben.

Aber auch Marseille verlor allmälig sein Brot , seinen Levante - handel; als etwa 50 Jahre später Colbert an die wirthschaftliche Neugestaltung Frankreichs ging, gründete man zu seiner Wieder - belebung mit Staatsgarantie die Compagnie der Levante, und der Handel dahin wurde erst 1790 freigegeben; der Convent hob auch den Freihafen auf.

In dem kolossalen Zollkriege Frankreichs mit England, den man Continentalsperre nennt, ging auch Marseilles Handel zu Grunde und, um es gegen Triest, Genua, Livorno concurrenzfähig zu machen, wurde Marseille am 4. November 1814 neuerdings Freihafen. Lange dauerte es, bis Englands Vorherrschaft im Mittelmeere etwas zurückgedrängt war; 1829 hatte der Handel noch nicht die Höhe wieder erreicht, die er vor der Revolution eingenommen hatte.

Die neue Blüthe Marseilles hebt erst an mit der Eroberung Algiers 1830; die Errichtung grosser Entrepôts unter Louis Philipp die Gründung der Schiffahrtsunternehmung Messageries maritimes, 8. Juli 1851, die zunächst den Verkehr nach der Levante vermittelte, 1857 den La Plata, seit dem Anfange der Sechzigerjahre Ostasien und später Australien in den Kreis ihrer Thätigkeit zog, endlich die Vollendung der Eisenbahnlinie Paris Marseille im Jahre 1855 sind die wichtigsten Marksteine der Geschichte Marseille in den letzten Jahrzehnten.

So erscheint uns denn die Blüthe des heutigen Marseille als ein Product, erzeugt in erster Linie durch die Intelligenz und den Unternehmungsgeist der heimischen Kaufmannschaft, getragen durch den Opfermuth der französischen Nation und die staatskluge Handels - politik der Regierung. Allen diesen Kreisen ist es klar, dass, soll diese Blüthe nicht bald verwelken, man nicht stille stehen darf. Wohl kennt man die Gefahr. Ein Gegner, den man seit JahrhundertenDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 51402Das Mittelmeerbecken.todt geglaubt, Genua, ist aus dem Scheintode erwacht, um sich in wenig Jahren ein schönes Stück des Mittelmeerhandels zu erobern und zu sichern.

Man beobachtet scharf alle Vorgänge in Genua, dem einzigen Rivalen, der zu fürchten ist, der nicht nur in nächster Nähe, son - dern auch im fernen Osten als Concurrent erscheint, der es am La Plata seit 1889 bereits ist. Nichts erscheint darum in Marseille als so unbedeutend, dass man es nicht beachtete und verfolgte. So hat in neuester Zeit die Thatsache, dass der Neederland auf den Fahrten nach Java jetzt Genua statt Marseille anläuft, stutzig gemacht. Dar - über ist man sich aber vor Allem ganz klar, dass Genuas Aufschwung in erster Linie mit der Vollendung der Gotthardbahn, welche Marseille den Schweizer Handel und andere Beziehungen entriss, zusammen - hängt; man erkennt auch, dass der Bau einer Simplonbahn Genua nützen und Marseille mehr schaden wird, daher sinnt man auf Mittel, die drohende Vollendung der Bahn über den Simplon für Marseille unschädlich zu machen. Eine neue Canalverbindung soll neben der schon bestehenden von Marseille zur unteren Rhône geschaffen, die Stadt also dem Flusse näher gerückt, die billige Wasserstrasse gegen die theure Gebirgsbahn in den Kampf geführt werden.

So weit wir die Geschichte Marseilles zurückverfolgen, zu allen Zeiten war man bestrebt, dem Hafen ein möglichst grosses Hinter - land als Absatz - und Handelsgebiet zu sichern. Seit den Tagen der Römer ist Marseille der Endknotenpunkt eines Strassennetzes, das fächerförmig nach West-Nord-Osten führt, bald im guten, bald im schlechten Zustande war, aber immer den billigsten Träger des Verkehrs abgab, weil andere Wege auch nicht besser waren. Seit Louis XIV. sind diese französischen Strassen gut und sehr leistungsfähig; seit 1850 1860 treten auch hier die Eisenbahnen in ihre Rechte und an wenig Plätzen Europas hat die Eisenbahnpolitik so viel zu leisten als in Marseille.

Nach der Lage des Hafens müssen seine Bahnverbindungen zwei Hauptrichtungen haben; die eine schlägt die Küstenlinie ein, die nach Osten nach Genua, nach Westen über Nimes und Montpellier nach Barcelona führt. Für die Verbindung nach dem Norden, die natürlich wichtiger ist als die frühere, sorgt auch die grösste und reichste der französischen Eisenbahngesellschaften, die Paris -, Lyon - und Mittel - meerbahn, deren Netz zwischen den Linien Paris Basel und Paris Cette liegt. Sie geht an der Rhône aufwärts nach dem wichtigen Knotenpunkte Lyon, wo sie sich fächerartig in vier Linien spaltet. 403Marseille.Sie wird unterstützt durch eine zweite Bahnlinie, die westlich von ihr von Nimes an der Küstenbahn über die Cevennen und durch das Thal des Allier (Clermont) nach Paris zieht. Eine dritte, heute noch weniger wichtige Linie geht von Marseille direct nach Norden, über Grenoble und Chambéry nach Genf, sie ist die Concurrenzlinie der künftigen Simplonbahn.

Aus diesen Verkehrslinien ergibt sich das Handelsgebiet des heutigen Marseille nach der Landseite hin. Mit Ausnahme des Ver - kehres nach den Ebenen Oberitaliens, der ihm durch Genua entzogen wurde, und den östlichen Alpenländern, welche Triest und Venedig be - herrschen, ist es noch derselbe, wie in den Zeiten des Alterthumes. Nach der Seeseite hin sind der Mittelmeerhandel und der Verkehr mit den französischen Colonien besonders hervorzuheben; die Aus - führung der von Marseille ausgehenden Seelinien wird diese Richtung des Verkehres genauer feststellen.

Heute aber ist Marseille nicht nur der grösste Hafenplatz Frank - reichs und einer der ersten von Europa, sondern auch eine grosse Fabriksstadt. Die Fabriksthätigkeit entwickelt sich wohl nicht in demselben Tempo wie der Handel, sie ist sogar seit Jahren fast stabil, aber ein grosser Theil des Handels beruht eben auf dieser ganz be - deutenden Industrie, welche 97 Seifenfabriken, 43 Oelfabriken, 77 Kunst - mühlen, 94 Pastefabriken, 52 Möbelfabriken, 16 Etablissements für den Schiffbau, das grosse Eisenwerk bei St. Louis, die Maschinenwerk - stätten der Mittelmeerbahn, eine grosse Tabakfabrik, zwei Zuckerraffi - nerien, Spritfabriken, chemische Fabriken, Seilereien, Lederfabriken umfasst.

Marseille und Hâvre sind Frankreichs wichtigste Einfuhrhäfen für Ge - treide. Für diesen Artikel ist Marseille einer der ersten Handelsplätze Europas, ein bedeutendes Centrum der Mühlenindustrie, und die Ernteberichte des dortigen Hauses Estienne, welche Ende August erscheinen und die ganze Welt umfassen sind äusserst werthvoll für den Statistiker.

Den Umfang des Getreideverkehrs zeigt die folgende Tabelle:

〈…〉〈…〉

Ueber die Marseiller Bahnhöfe wurden 1888 5,362.700 q, 1887 3,505.130 q Getreide befördert.

51*404Das Mittelmeerbecken.

Marseille hat in seinen Docks und Entrepôts immer grosse Bestände von Getreide, so am 31. December 1889 276.948 q, 31. December 1888 965.000 q.

Die Einfuhr von Getreide ohne Mehl erreichte 1888 einen Werth von 196,236.502 Francs, 1887 von 166,148.190 Francs; die Ausfuhr von Getreide 1888 20 Millionen Francs, 1887 18 Millionen Francs, die von Weizenmehl 1888 28·4, 1887 18·6 Millionen Francs.

Weizen vom Schwarzen und Asowschen Meere, also aus Russland und Rumänien, bildet von jeher die Grundlage des Getreidehandels von Marseille; an diesen reihen sich die Zufuhren aus Ostindien und der Türkei, die aus Algier und der Union sind unter dem Drucke des russischen Weizens zurückgegangen. In den Wintermonaten, wo die Häfen des wichtigsten Anfuhrgebietes geschlossen sind, ist auch der Getreidehandel von Marseille etwas flau.

Regelmässige Abnehmer sind das Innere Frankreichs, die Mühlenindustrie von Marseille, die Schweiz und Spanien. In der Schweiz tritt Ungarn in guten Erntejahren auf dem Wege über den Arlberg in Concurrenz, so 1888, wo sogar die Müller auf der Linie Belfort, Dijon, Nancy ungarischen Weizen vermahlten.

Jedoch die Kunstmühlen Marseilles, welche vom Systeme der Steine zu dem der Walzen übergehen, verwenden für die feinsten Mehlsorten nur ameri - kanischen Weizen. Wie die oben angeführten Ziffern zeigen, ist diese blühende Mühlenindustrie eine Hauptstütze des Getreideverkehres von Marseille. Die Aus - fuhr von Mehl ist von 1887 auf 1888 bedeutend gestiegen, ein glänzendes Zeug - niss für die Energie der Müller Marseilles, und für die Umsicht der französischen Zollbehörde; denn das Mehl wird aus ausländischem Weizen hergestellt und dieser zahlt bei der Einfuhr in Frankreich 5 Francs für 100 kg Zoll, die bei der Aus - fuhr des Mehles, sofern es nicht in die internationale Durchfuhr gehört, rückver gütet werden muss. Spanien (1888 mit 256.119 q), Algier (81.576 q), die Türkei, Tunis, Schweiz, Tripolis sind die Käufer des Mehles von Marseille.

Ausser Mehl wird ausgeführt Gries 1888 302.366 q, 1887 215.757 q, davon 1888 116.739 q nach Tunis, 57.159 q nach Algier, 50.954 q nach der Schweiz und 21.544 q nach Spanien, ansehnliche Mengen auch nach Deutschland.

Die Ausfuhr von Nudeln erreichte 1888 42.142 q, 1887 35.592 q, Algier, das sich früher mit 30.000 q ausschliesslich von hier versorgte, deckt den Bedarf selbst; Hauptabnehmer sind die Union (1888 11.347 q), Grossbritannien, die Schweiz, Belgien u. a.

Der Markt von Marseille bevorzugt den Mais und Cinquantine von Odessa vor allen anderen Sorten; Gerste wird aus Russland (1888 190.929 q), Rumänien

Legende zum Hafen von Marseille. A Rhede von Marseille, B Vorhafen im Süden (Avant-Port Sud), C Bassin de la Joliette, D Bassin du Lazarêt, E Bassin d’Arenc, F Leuchtfeuer, G Bassin des Hafenbahnhofes (Gare maritime), H Bassin national, J Bassin de Radoub (Docks), K Vorhafen im Norden (Avant-Port Nord), L projectirter Petroleum - hafen, M Traverse de la Penède, N Molo D, O Molo C, P Molo B, R Traverse de l’abattoir, S Molo A, T Mole d’Arenc, U Mole du Lazaret, V Traverse de la Joliette, W Traverse de la Douane, X Wellen - brecher und Batterien, Y Bassin de Carénage, Z Canal de Communication. 1 Kathedrale und bischöfliche Residenz, 2 Hôtel Dieu, 3 Place d’Aix mit Triumphbogen, 4 Place Pentagone, 5 Boulevard de Paris, 6 Rue Cannebière, 7 Börse und Handelsgericht, 8 Chateau du Pharo, 9 Boulevard de la Corderie, 10 Rue d’Aix, 11 Cours Belsunce, 12 Rue de Rome, 13 Le Prado, 14 Rue Noailles, 15 Allée de Meilhan, 16 Allée de Capucines, 17 Präfectur, 18 Justizpalast, 19 Promenade de la Corniche, 20 Rue de la République, 21 Hafenstation der Paris-Lyon-Marseille-Eisenbahn, 22 Waarenbahnhof. 23 Personenbahnhof Marseille-Avignon, 24 Lyceum, 25 Place St. Michel, 26 Militär-Spital, 27 Cours du Chapitre und Boulevard Longchamp, 28 Palais des Arts de Longchamp, 29 Boulevard Baille, 30 Ge - fängniss und Spital, 31 Prado-Bahnhof (Gare du Prado). 32 Cours Pierre Puget, 33 Seilerei, 34 Bucht, Pharo und Werften.

[405]

Hafen von Marseille (Massstab 1: 33.400; Sonden und Höhen in Metern).

(Legende siehe auf Seite 404.)

406Das Mittelmeerbecken.und der Türkei zugeführt. Aus Russland stammt auch der grösste Theil des Hafers.

Die Einfuhr von Reis steht weit zurück hinter der des Getreides; es wurden 1888 361.088 q (Werth 18·6 Millionen Francs), 1887 267.856 q eingeführt. Auch hier ist die Industrie Trägerin einer bedeutenden Einfuhr, denn 120.000 q fanden 1888 Verwendung in den Brennereien, welche in Marseille allein 93.315 hl Alkohol erzeugten. Aus Piemont kamen 1888 15.000 q, gegen 29.000 q im Jahre 1887, weil 1888 ein Einfuhrzoll von 8 Francs für 100 kg erhoben wurde. Dafür aus Japan 1888 80.000 q, gegen 17.000 q in 1887. Indien lieferte 1888 95.000 q, Batum 5000.

Marseille ist ferner ein wichtiger Markt für Bohnen, welche von der Donau stammen; am 31. December 1889 erreichte der Stock 50.000 q. Kicher - erbsen werden aus Marokko, Linsen aus Egypten zugeführt. Kanariensaat kommt aus der Türkei und Algier, Hanfsaat vom Schwarzen Meere.

Die Einfuhr frischer Gemüse ist erheblich gestiegen, sie erreichte 1888 65.724 q, gegen 30.000 q im Jahre 1887. Italiens Zufuhr ist infolge des Erlöschens des Handelsvertrages sehr zurückgegangen, so dass jetzt Algier fast ausschliess - lich die Versorgung von Marseille auf sich genommen hat; auch Egypten und die Türkei benützen die Conjunctur. Marseille ist zugleich Transitoplatz für Paris, Lyon und die grossen Städte Mitteleuropas.

Pflanzenöl aller Gattungen ist einer der ersten Handelsartikel Marseilles. Von Olivenöl gingen hier 1888 124.353 q (Werth 12·4 Millionen Francs), 1887 135.471 q ein. Etwas mehr als die Hälfte davon sind Speiseöle (1888 73.000 q), aus Tunis (40.000 q), Italien, Spanien, der Provence und Algier, der Rest Oliven - brennöl aus Algier und der Provence und Oel zur Seifenfabrication. Man ver - arbeitete hier auch Oelsaat (1888 1,955.369 q, Werth 38·9 Millionen Francs) aus Indien, Erdnüsse (1888 898.399 q, Werth 24·3 Millionen Francs) aus Senegam - bien und Indien, in steigenden Mengen Palmkrone und Copra, Palmöl, Se - samöl aus der Levante und Afrika, und Baumwollsamenöl.

Marseille ist ferner einer der grossen Märkte Europas für Kaffee, der nach dem Beispiele der nördlichen Plätze im März 1888 auch den Terminhandel einführen musste. Die Grundlage der Speculation ist auch hier Riokaffee, die feineren Sorten, die hier besonders lebhaft gehandelt werden, kommen aus Nieder - ländisch-Indien, Haïti und Centralamerika. Einfuhr 1887 124.086 q, 1888 158.491 q (Werth 39·6 Millionen Francs), das ist die grösste Ziffer seit den 246.910 q des Jahres 1883.

Von anderen Colonialwaaren sind in der Einfuhr Marseilles von Wichtig - keit: Pfeffer 1888 15.740 q gegen 27.370 1887 aus Niederländisch - und Britisch - Indien; Cacao aus Bahia, Caracas, Guadeloupe, Peru wird im Lande selbst con - sumirt. Einfuhr 1888 551.700 kg.

Marseille versorgt Italien mit Pfeffer.

Sehr bedeutend ist die Rohzucker-Einfuhr Marseilles.

Die Einfuhr betrug 1888 90.728 q, 1887 82.940 q und 1886 81.180 q. Die schon früher unbedeutende Einfuhr von raffinirtem Zucker ist 1888 auf 8990 q gesunken.

Der grösste Theil der Zufuhren erfolgt zur See. Ihren Hauptstock bildet der Zucker Réunions, auf französischen Schiffen eingebracht. Unter den fremden407Marseille.Ländern spielt Java die erste Rolle. Die steigende Zufuhr von Zucker ist ein Be - weis der Blüthe der Raffinerien Marseilles.

Die Einfuhr von Wein in Fässern hat sich innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt; sie betrug 1884 603.751 hl, 1887 bereits 1,105.694 hl, 1888 1,282.944 hl. Spanien war von Anfang an sehr wichtig für Marseille, seine An - fuhren und die von Algier sind seit 1888 auf Kosten Italiens gewaltig gestiegen. Auch Griechenland und Portugal sind dabei betheiligt und in kleinem Masse Oesterreich-Ungarn.

Von süssem Wein wurden 1888 40.667 hl, 1887 34.638 hl besonders aus Spanien und Samos zugeführt.

Der Erzeugung von Wein dient ein grosser Theil der eingeführten Ro - sinen 1888 836.000 q, 1887 993.200 q.

Von Getränken werden ausser Wein eingeführt Branntwein, Alkohol und Spirituosen (1888 52.000 hl) und Bier aus Deutschland, Belgien und Grossbritan - nien 7000 8000 hl.

Die Einfuhr von Orangen und Citronen aus Italien, Spanien und Nord - afrika erreichte 1888 92.285 q, 1887 98.103 q.

In Marseille hat auch der Handel mit Droguen, Gewürznelken und Gerbe - mitteln grosse Bedeutung. In diesen Artikeln wie in Kautschuk sind die Ur - sprungsländer der Senegal, Madagaskar und die diesen benachbarten Küsten Afrikas, mit denen Marseille in directer Dampferverbindung steht. Aus diesen Ländern und der Levante kommt auch Wachs 1888 37.740 q. Die Einfuhr von Farbhölzern nimmt zu.

Die Zufuhren von Blättertabak aus der Union, Ungarn, Kleinasien, Su - matra und Griechenland erreichten zusammen 1888 64.231 q (Werth 9·6 Millionen Francs), 1887 69.864 q.

In Böttcher -, Tischler - und Bauholz stehen adriatische Fassdauben (1888 ungefähr 5 Millionen Stück) an der Spitze der Einfuhr.

Der Markt ist seit 1889 mit Fassdauben überfüllt, dagegen kann auch die Fiumaner Creditbank, welche hier ein Entrepôt hat, nichts ausrichten.

Vom adriatischen Meere kommen auch Tannenwerkholz, Balken und Bretter, vom Schwarzen Meere Eichen -, Eschen - und Ulmenholz, Fichten und Tannen von der Ostsee, und 1888 sind hier auch aus Canada Balken von Pitch-Pineholz einge - führt worden.

Für diese grossen Holzmassen, die jetzt ihren Weg nach Marseille neh - men, reichen die Quais nicht mehr aus.

Marseille versorgt mit Baumwolle Frankreich an der Rhône hinauf bis Belfort ausschliesslich; dort begegnet es aber der Concurrenz von Antwerpen und Bremen, die Marseille vom elsässischen Markt abzudrängen suchen. Marseille ist auch ein Centralmarkt für Italien und Spanien.

Dem inländischen Consum dienen vor Allem die levantinischen (Jumel, Sa - lonich, Tarsus, Idelep) und indischen Sorten. Letztere gehen auch nach dem Elsass, egyptische und amerikanische ausschliesslich dahin.

Einfuhr 1888 152.552 q (22·8 Millionen Francs), 1887 149.474 q.

Marseille als Hafen von Lyon, dem ersten Platze für Seidenindustrie in der Welt, hat einen sehr bedeutenden Seidenhandel. Die französischen Filanden und Filatorien in Syrien schicken ihr ganzes Erzeugniss hieher, ferner China und Griechenland, zusammen 1888 2768 Ballen, 1887 2679 Ballen. Cocons kamen408Das Mittelmeerbecken.an 1888 298.000 kg, 1887 441.000 kg; auf dem Markte von Marseille verschwinden immer mehr die Cocons der Levante, sie werden jetzt direct nach Mailand ge - schickt. Der Vorrath von Seidenabfällen betrug am 31. December 1888 601.100 kg, 31. December 1887 584.500 kg.

Als Markt für Schafwolle geht Marseille zurück; 1888 kamen 187.773 q, 1887 214.599 q. Der Sitz der Schafwollindustrie Frankreichs liegt im Norden des Landes, und jetzt werden die Wolle Marokkos und der Häfen des Schwarzen Meeres direct nach Dünkirchen gesendet, um die hohe Eisenbahnfracht zu er - sparen. Von Bedeutung sind hier die Wollen von Tunis, Tripolis, Algier; die aus Chorassan und Mesopotamien gehen im Transito durch.

Ungewaschene Hammel - und Lammfelle von Buenos Aires und Monte - video kommen nur im Transit nach Marseille und gehen in die grossen Gerbereien nach dem Languedoc und Mazamet. Die beiden grossen Gerbereien Marseilles ver - arbeiten meist inländische Lammfelle. Von Ziegenfellen kamen 1888 31.834, 1887 37.580 Ballen aus Marocco, Algier, Tunis, Levante, Neapel, Sardinien und Triest.

Kuh - und andere Häute wurden aus Algier, Singapore, China, La Plata zugeführt: 1888 167.400 Stück, 1887 227.800 Stück.

Der Viehhandel Marseilles ist von 783.998 Stück im Jahre 1887 auf 1,099.123 Stück im Jahre 1888 gestiegen. Davon kommen zur See 1887 415.721 Stück, 1888 706.067 Stück. Die grösste Zahl entfällt auf Schafe, von denen 1887 566.811, 1888 852.878 Stück zugeführt wurden; von den letzteren kamen 683.387 Stück aus Algier und 627.981 Stück gingen zu Lande weiter. Algier muss den Abgang ersetzen, der in Frankreich durch die Verminderung der Einfuhr aus Ungarn eingetreten ist. Sie war eine Folge der Erhöhung des Einfuhrzolles, 1889 wurde die Einfuhr lebenden Viehes ganz verboten und die Ziffer Algiers stieg um fast ¼ Million Stück. In diesem Jahre kamen auch aus Russland Hammel, die aber sofort bei der Ankunft geschlachtet werden müssen.

Die Vieheinfuhr Italiens ist seit 1889 sehr zurückgegangen.

Der Localverbrauch Marseilles an Fleisch ohne Pferde - und Eselfleisch be - lief sich 1888 auf 303.775 q.

Die Hühnerzucht und der Eierhandel Frankreichs haben während der letzten Jahre einen erheblichen Aufschwung genommen, der aber in den Departements, die ans Mittelmeer grenzen, noch nicht ausreichend ist, die Einfuhr aus dem Auslande überflüssig zu machen. Marseille führte 1888 10.393 q, 1887 11.833 q Eier ein. Die Einfuhr Italiens sank von 8255 q im Jahre 1887 auf 4500 q. Dafür stieg die Einfuhr aus der Türkei, weniger die aus Tunis, Tripolis und Marokko. Der Haupt - absatz findet in das Innere Frankreichs und im Transito nach Spanien und Afrika statt.

Wie überall am Mittelmeere müssen wir auch bei Marseille vom Stock - fisch reden, der in dem Neufoundlandbecken gefangen und auf den Trocken - plätzen Frankreichs in Port de Boue und auch in Marseille weiter bearbeitet wird. Einfuhr 1888 bei 90.000 q.

Die Einfuhr von Talg und Speck ist gegen die früheren Jahre zurück - gegangen, Amerika betheiligt sich jetzt in geringerem Masse daran. Es wurden 1888 82.700 q eingeführt, davon 41.950 q Talg aus Australien, Argentinien, Uruguay und der Union, Schmalz (1888 40.747 q) kam aus der Union und auch409Marseille.aus Griechenland. In diesen Artikeln ist Marseille Depotplatz für Spanien, Algier und Italien.

In Marseille ist die Einfuhr von Mineralien von besonders grosser Be - deutung, weil die reichen Erzlager an den Küsten des Mittelländischen Meeres, die den Rohstoff für die metallurgische Industrie Frankreichs bis hinauf nach lo Creuzot liefern.

Es wurden von Eisenerzen und eisenhaltigen Mangan - und Chromerzen eingeführt 1888 274.424 q, 1888 273.499 q aus Spanien, Algier, Italien, Griechen - land, der asiatischen Türkei. 213.260 q erhielt das Hüttenwerk in St. Louis, das einzige an der Mittelmerküste Frankreichs, das die Stahl - und Eisenfabriken Frankreichs und zum Theile auch des Auslandes versorgt.

Die Zufuhren von Roheisen betrugen 1888 31.118, 1887 98.839 q.

Von Blei in Blöcken wurden 1888 15.312 q, 1887 137.448 q aus Spanien und Italien eingeführt, Bleierze 1617 q aus Spanien, der Türkei, Italien, Neu - Caledonien und Australien. Verschifft wurden nur 27.680 q nach Italien und Russland.

Kupfererz wurde eingeführt 1888 1299 t, Kupferbarren wurden 1888 402.800 gegen 80.700 im Jahre 1887 eingeführt. Die umfangreiche Steigerung der Zufuhren aus Australien und Japan war die Folge des 1889 zusammengebro - chenen Kupferringes, der in Paris seinen Sitz hatte.

Ansehnlich ist hier auch die Einfuhr von Zinn.

Für die grossen chemischen Fabriken an der unteren Rhône wird Schwefel aus Sicilien eingeführt; die Einfuhr (1888 31.357 q) sinkt, weil Italien seinen Be - darf an chemischen Producten nicht mehr aus Frankreich, sondern aus Deutsch - land und England deckt.

Die rege Fabriksthätigkeit Marseilles, sein starker Schiffsverkehr bedingen eine bedeutende Zufuhr von Kohlen. Es kamen hier an zur See 1889 2·9 Mil - lionen q, 1888 3·5 Millionen q, 1887 3·2 Millionen q englischer Kohlen. Mit den Zufuhren zu Lande stieg 1888 die Kohleneinfuhr von Marseille auf 9·5 Millionen q. Es ist zu bemerken, dass sich in grosser Nähe von Marseille, im Departement Bouches du Rhône grosse Steinkohlenlager befinden, deren Ausbeute 1889 unver - hofft stark gestiegen ist.

Wir schliessen die Reihe der Einfuhrartikel mit Petroleum, von welchem 1888 262.583 q, 1887 175.792 q gebracht wurden. Der grösste Theil desselben war nicht gereinigt und stammte aus der Union.

Wir hatten schon wiederholt auf die zahlreichen Exportindustrien Mar - seilles hingewiesen, die meist fremde Rohproducte verarbeiten und so veredelt wieder ausführen. Auch die Ausfuhr Marseilles hängt zum grossen Theile von der Industrie der Stadt ab. Die Mühlen - und Teigwaarenindustrie wurden des genaueren bereits erwähnt. Nach ihr sind von höchster Wichtigkeit die Oel - fabriken, welche aus Samen und Früchten 1888 344.000 q Speiseöle und 871.000 q nicht essbare Oele herstellten.

Ausgeführt wurden 1888 299.020 q, 1887 250.960 q nach Grossbritannien, Spanien, Italien, Algier, Oesterreich-Ungarn und den Niederlanden.

Nebenproducte sind Oelkuchen, die vor Allem in der Landwirthschaft Frankreichs ihre Verwendung finden; Production 1888 1,701.200 q, davon gingen 551.000 nach Deutschland, Grossbritannien und Belgien.

Bedeutende Mengen von Oel werden in den 97 Seifenfabriken von Mar -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 52410Das Mittelmeerbecken.seille verbraucht. Die Production des Departements erreichte 1888 1,003.840 q im Werthe von 44 Millionen Francs. Zur See wurden 83.490 q (Werth 5 Millionen Francs) ausgeführt; mehr als die Hälfte nahm Algier, den Rest Belgien und die Union. In der Küstenfahrt wurden 237.280 q, mit der Eisenbahn 651.070 q aus - geführt.

Wir fügen hier gleich die Ausfuhr von Wachskerzen an, 1888 35.445 q, 1887 39.672 q, deren Hauptabnehmer Algier-Tunis, die Türkei und Egypten sind.

Nicht minder nähren die Zuckerraffinerien von Marseille seinen Handel. Im Jahre 1888 467.584 q (Werth 46·8 Millionen Francs), 1887 305.914 q raffi - nirten Zuckers von hier in die Levante, nach Algier, Marokko, Tunis und Argentinien. Zucker ist dem Werthe nach der zweite Ausfuhrartikel von Marseille, auf den Handelsplätzen der Levante hat es durch seine guten und billigen Schiffs - verbindungen eine gewichtige Stellung.

Exportartikel Marseilles sind ferner reiner Alkohol, Weingeist aller Art u. s. w. (Ausfuhr 1888 98.000 hl), Biere, von welchen hier 1888 58.772 hl gebraut wurden. Die Ausfuhr (1888 26.403 hl, davon 13.500 Marseiller Bier) ist nach Algier, Spanien und Cochinchina gerichtet.

Wir schliessen die Reihe der Exportindustrien mit den Thonwaaren; Mauer - steine, Dachziegel und Steinfliessen von Marseille, welche hier von den Schiffen als Ballast aufgenommen werden, finden wir in allen Küstenstädten des Mittel - ländischen und Schwarzen Meeres, in Mexico und am Rio de la Plata. Ausfuhr 1888 1,158.874 q, Werth 5·8 Millionen Francs.

Bedeutend ist auch Marseilles Ausfuhr an solchen Artikeln, welche aus - ländischen Ursprungs sind und über Marseille gehandelt werden. Wir haben schon bei der Einfuhr den ganzen Getreidehandel dargestellt, hier genügt der Hinweis, dass 1888 allein zur See Weizen und Gerste um 18 Millionen Francs ausgeführt wurden; Schafwolle in Ballen 1888 68.400 q (Werth 13·7 Millionen Francs), 1887 89.751 q, Kaffee 1888 97.428 q (Werth 19·5 Millionen Lire), 1887 81.229 q und Sämereien, Steinkohle.

Zum grossen Theile französischen Ursprungs sind Weine, deren Haupt - absatzgebiet Südamerika, Algier, die Union, Italien und die Schweiz sind. Ausfuhr 1888 227.560 hl, 1887 199.131 hl. Ziemlich bedeutend ist in Marseille die Ausfuhr von Kartoffeln; die Herstellung von Conserven von Tomaten und anderen Früchten dürfte in kurzer Zeit den Charakter einer Exportindustrie gewinnen und die Ausfuhr von Seesalz, welches in der Nähe von Marseille gewonnen wird, erreichte 1888 227.885 q (Werth 3·4 Millionen Lire), 1887 406.605 q.

Aber dem Werthe nach sind Marseilles wichtigste Exportartikel Gewebe, 1888 zusammen 180.000 q, 1887 155.000 q, davon sind zwei Drittel bis die Hälfte französischen Ursprungs. Französische Tuche werden nach Italien infolge Er - löschens des Handelsvertrages mit diesem Lande weniger dahin ausgeführt. Haupt - abnehmer der Merinogewebe und wollenen Decken sind Algier, Argentina und Brasilien. Auch für Baumwollgewebe (1888 110.000 q) ist Algier von besonderer Wichtigkeit. Von glatten Seidenstoffen wurden 1888 1600 q, davon 52 % franzö - sische exportirt.

Der Waarenumsatz, also Einfuhr und Ausfuhr des Hafens von Marseille, wird für 1888 mit 9,244.355 t, für 1887 mit 8,324.331 t, für 1886 mit 8,175.211 t Schiffstragfähigkeit angegeben. Aber die Höhe des Waarenbetrages blieb hinter dieser Ziffer weit zurück; sie erreichte 1888 in der Einfuhr 2,838.204 t, in der411Marseille.Ausfuhr 1,786.746 t, 1887 in der Einfuhr 2,590.725 t, in der Ausfuhr 1,675.879 t. Der Werth der Einfuhr wird für 1888 mit 991·1 Millionen Francs, für 1887 mit 904·4 Millionen Francs, der der Ausfuhr für 1888 mit 758·9, für 1887 mit 728·1 Millionen Francs angegeben. Die Durchfuhr wird für 1888 mit 4,624.950 t angegeben.

Der gesammte Schiffsverkehr von Marseille umfasste:

〈…〉〈…〉

Von dem Verkehre des Jahres 1888 entfielen auf die

〈…〉〈…〉

Dem internationalen Handel dienten:

〈…〉〈…〉

Aus diesen Tabellen ersieht man, dass auch in Ansehung des Schiffverkehrs Marseille ein französischer Hafen und dass es ein internationaler Handelsplatz ist. Marseille hat eine selten grosse Zahl von regelmässigen Dampfschiffsverbindungen, die hauptsächlich dem internationalen Verkehre dienen, weil für die Küstenschiff - fahrt an der Mittelmeerküste Frankreichs nicht viel zu holen ist.

Marseille besitzt (1889) eine Marine von 240 Dampfschiffen und 53 Segel - schiffen. Von den Dampfern gehören 62 mit 108.538 t den Messageries mari - times, 30 mit 25.216 t der Compagnie générale transatlantique, 25 mit 21.336 t der Compagnie Marseillaise (Fraissinet & Co.), 17 mit 21.239 t der Société géné - rale de transports maritimes, 13 mit 16.389 t der Compagnie Française (Cypr. Fabre & Co.) und 8 mit 21.126 t der Compagnie Nationale.

Wenn wir nun eine übersichtliche Darstellung der wichtigsten Schiffscurse, deren Ausgangspunkt Marseille ist, geben wollen, so tritt uns Marseille als der Aus - gangspunkt eines wirklichen Weltverkehres, der von New-York und London bis La Plata, Yokohama und Australien reicht, entgegen. Nicht wenig zu dieser Entwicklung der französischen Rhederei trugen das Bestreben der Regierung, alle Colonien mit Post-Dampferlinien zu versehen, und die damit zusammenhängenden hohen Subventionen bei. Da der Verkehr in die Levante die uralte Grundlage des Verkehrs von Marseille ist, so stellen wir diesen an die Spitze. Dorthin gehen die Messageries Maritimes mit einer Linie über Smyrna, Salonichi nach Constanti - nopel, wo die Linien des Schwarzen Meeres ihren Anfang nehmen. Dieselben Linien befährt die Compagnie Fraissinet, und die Compagnie de Navigation maro - caine et arménienne (P. Paquet & Co.) geht ins Schwarze Meer. Caillol et52*412Das Mittelmeerbecken.H. Saintpierre haben Linien im Mittelmeer und einen Correspondenzdienst mit der Russischen Dampfschiffahrts - und Handelsgesellschaft und den südrussischen Eisenbahnen.

Eine zweite Linie der Messageries Maritimes geht über Piräus, Salonich, Smyrna an der Küste Kleinasiens und Syriens bis Alexandria. Für den Verkehr mit Syrien ist noch wichtig Cypr. Fabre & Co. Den Verkehr mit Malta, Tripolis, Tunis und Algier besorgt die Compagnie générale transatlantique, die Société générale de transports maritimes, Compagnie de Navigation mixte, Cypr. Fabre & Co.

Zahlreich sind die Verbindungen mit den Plätzen des Languedoc, mit der Ostküste Spaniens, mit Marokko, auf diesen Linien verkehren einige spanische Gesellschaften; der Verkehr mit den Plätzen Italiens ist sehr eingeschränkt, seit die französischen Schiffe dort nicht mehr die Küstenschiffahrt treiben dürfen.

Dem historischen Zuge nach dem Osten folgend, unterhalten die Messageries maritimes regelmässige Curse über Alexandria und Port Saïd mit den Plätzen Vorderindiens, mit Singapore, Batavia, Saigon, Tonking, Manilla und den grossen Seeplätzen Chinas und Japans hinauf bis Yokohama. Nach Tonking geht auch die Compagnie Nationale, nach Java der Rotterdam’sche Lloyd, an den persischen Meerbusen the Persian Gulf Steamship Cy via Marseille. Eine zweite Linie der Messageries maritimes leitet den Verkehr von Sansibar, den Seychellen, Masca - renen, Madagascar, Australien und Neu-Caledonien (Noumea) nach Marseille.

Eine dritte Linie der Messageries, nämlich die nach Südamerika, warf in den letzten Jahren ein gutes Erträgniss ab. Aut der Fahrt dahin wird Dakar in Französisch-Senegambien angelaufen.

Auch die Transports Maritimes, die Compagnie Fraissinet, Cypr. Fabre & Co. und die Compagnie Nationale gehen mit Gewinn bis Buenos Aires.

Nach Marokko und den canarischen Inseln geht die Compagnie Paquet, und die Compagnie Fraissinet läuft alle Hafenplätze an der Westküste Afrikas bis Loango hinunter an.

Aber Marseille hat auch Schiffahrtsverbindungen nach dem äussersten Westen, wenn man hier diesen Ausdruck gebrauchen darf. Es geht nämlich von Marseille eine Linie der Compagnie générale transatlantique über Barcelona, St Thomas, die kleinen Antillen und die Nordküste Südamerikas nach Colon-Aspin - wall an der Landenge von Panama. Directe Fahrten nach New-York unterhalten Cypr. Fabre & Co. und die Compagnie Nationale, der Hauptverkehr dahin aber geht über Hâvre, wohin die Messageries maritimes und die Compagnie Hâvraise Peninsulaire fahren. Die Messageries maritimes verbinden Marseille auch mit London, spanische Gesellschaften gehen nach Sevilla und bis Bilbao, die Linie der Compagnie générale des bateaux à vapeur à helice du Nord nach Dünkirchen und die Linie Slomann nach Hamburg.

Wie sich wohl von selbst versteht, blüht in einem so bedeutenden Hafen, wie Marseille das Assecuranz -, Bank - und Speditionswesen. In Wirklichkeit haben dort eine Reihe grosser und bedeutender Agentien für Seetransporte ihren Sitz, wir finden Vertretungen von 58 Versicherungs-Gesellschaften, von denen 16 mit der Seeversicherung sich befassen.

Marseille besitzt eine Börse, eine Succursale der Banque de France und sechs andere Banken und Bankfilialen.

413Marseille.

Den Linien der Eisenbahnen folgen die telegraphischen Verbin - dungen Marseilles. Hier knüpfen auch sechs Kabel an; davon führen drei, die dem französischen Staate gehören, nach Algier, zwei der Eastern Telegraph Cy. nach Bona und das der Direct Spanish Telegraph Cy. nach Barcelona.

Consulate haben in Marseille folgende Staaten: Argentina, Belgien (G. -C. ), Bolivia, Brasilien, Chile, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Ecuador, Griechenland (G. -C. ), Grossbritannien, Guatemala, Haïti, Hawaii, Honduras, Italien (G. -C. ), Japan, Liberia, Mexico, Monaco (G. -C. ), Niederlande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay, Persien, Peru, Portugal, Ru - mänien, Russland (G. -C. ), Salvator, San Marino, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

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Cette.

Im nordwestlichsten Theile der Flachküste des Golfe du Lion, den, wie bereits erwähnt, eine Kette von Küstenseen (Étangs) von den Rhône-Mündungen an bis zum Fuss der Pyrenäen umschliesst, lagert am Ausflusse des Étang de Thau die bedeutende Industrie - und Handelsstadt Cette, eine altrömische Colonie, die aber erst im XVII. Jahrhundert, seitdem der grosse Schiffahrtscanal (Canal du Midi, Canal du Languedoc), welcher die Garonne bei Toulouse mit dem Mittelmeere verbindet und in den Étang du Thau einmündet, ausge - baut war, zu einem wichtigen Platz aufgeblüht ist.

Ebenso haben die vorzüglichen Eisenbahnverbindungen des Platzes und der ostwärts längs der Étangs bis zur Rhône bei Beau - caire geführte Schiffahrtscanal zur Hebung des Verkehrs und zur Ent - wicklung einer leistungsfähigen Industrie mächtig beigetragen, so dass Cette gegenwärtig neben Marseille der lebhafteste und wichtigste Handelsplatz des südlichen Frankreichs geworden ist.

Die Stadt bietet aber nur in der ebengedachten Hinsicht ein Interesse, denn sie entbehrt nicht nur landschaftlicher Reize und jener Wohnlichkeit und Behaglichkeit, die nur selten einem grösseren Orte abgehen, sondern gilt sogar als die unreinste und zu jeder Jahreszeit unangenehmste im ganzen Gebiete des Golfes.

Cette liegt, von Canälen und Hafenbassins durchzogen, am Fusse eines aus der Nehrung emporsteigenden, völlig isolirten, 180 m hohen Berges, Mt. Cette, auch Mt. St. -Clair, dessen kahle Abhänge nur eine geringe Bewegung aufweisen und mit Landhäusern bedeckt sind. Ein Thurm krönt die Höhe, von der aus ein lohnender Ausblick über die ganze Umgebung gewonnen werden kann. An einer südöstlich vor - springenden Terrainwelle beherrscht das alterthümliche von Thürmen flankirte befestigte Schloss Richelieu die Stadt und den Hafen.

Der äussere Anblik von Cette ist ein durchaus nüchterner. Der Cette-Canal, welcher den Hafen mit dem Étang du Thau verbindet,415Cette.scheidet die Stadt in die westlich gelegene Altstadt und die östlich von dieser befindliche Neustadt.

Die älteren geschichtlichen Aufzeichnungen über die Stadt sind sehr spär - lich. Zur Zeit der Massilier hiess das von dem Mont Saint-Clair zum Meere ab - fallende höchst markante und weit sichtbare Vorgebirge Σίτιον; an der Nordseite desselben gründeten die Römer 113 v. Chr. eine Colonie, die aber zu keiner Be - deutung gelangte. Im Mittelalter wurde der kleine Ort Seta oder Sète und in der Folge Sette genannt, welchen Namen er noch 1790 in den officiellen Listen führte. Die Halbinsel Cette wurde im XII. Jahrhundert, nachdem sie vorher der Abtei von Aniane gehörte, ein Lehen, welches die Mönche von Saint-Ruf 1187 ankauften, aber 1247 dem Bischof von Agde cedirten. Im XVI. Jahrhundert gelangte Cette durch Kauf in den Besitz des Sohnes des Connétable Montmorency, welcher auf den Abhängen des Berges einige Befestigungen erbauen liess. In der Folge ge - hörte die Halbinsel bis zum Jahre 1790 den Bischöfen von Agde.

Heinrich IV. gebührt das Verdienst, die erste Idee zum Bau eines Hafens bei Cette (1598) gefasst zu haben. Er beabsichtigte, den Schiffen an der schutzlosen und durch heftige Stürme gefährlichen Küste des Golfes von Lion eine sichere Zufluchtstätte zu schaffen.

Ebenso liess dieser Monarch die Studien zum Bau des gross - artigen Canal du Midi, der auch den Namen Canal des Deux Mers führte und bei Cette ausmünden sollte, bewerkstelligen. Aber erst Pierre-Paul de Riquet gelang es, dieselben Gedanken auszuführen. 1666 wurden seine Projecte von Ludwig XIV. angenommen. Riquet liess den Canal auf eigene Kosten mit einem Aufwande von 17 Millionen Francs erbauen, ohne dass er die Vollendung seines Werkes erlebt hätte. Sechs Monate nach seinem Tode (1680) wurde die neue 241 km lange Wasserstrasse dem Verkehr übergeben. Durch 99 Schleusen übersetzt der Canal die bedeutendeste von irgend einem europäischen Canale überwundene Höhe von 189 m, und eine Baum - allee von Pappeln und Platanen (an der Mittelmeerseite von Cy - pressen) begleitet denselben längs des ganzen Laufes.

Der Canal hatte den Zweck, Frankreich von der Unsicherheit, der Verzögerung und von den Gefahren des Verkehrs auf der Route durch die Enge von Gibraltar zu befreien. Was würden Riquet und dessen Zeitgenossen zu unseren Schiffskolossen sagen! Mit dem Bau des Canales begann 1666 auch die Construction des Kunsthafens von Cette. Zuerst entstanden dort die beiden Dämme Saint-Louis von mehr als 600 m Länge und nordöstlich desselben der 400 m lange Frontignan - Damm. Seitdem entstand unter Louis-Philippe noch der äussere etwas gekrümmte Wellenbrecher, der gegenwärtig an beiden Enden durch geradelaufende Arme verlängert wurde, und, wie unser Plan zeigt,416Das Mittelmeerbecken.die Hafenbassins sehr gut gegen den hohen Seegang der äusseren Winde abschliesst.

Am Kopfende des Saint-Louis-Dammes erhebt sich der unter 43° 24′ nördl. Breite und 42′ östl. Länge v. Gr. liegende 32 m hohe Leuchtthurm.

Hinsichtlich der Canäle und Bassins im Weichbilde der Stadt verweisen wir auf unseren Plan, der alle Details mit Deutlichkeit verauschaulicht.

Cette.

Nach dem Ausbaue der Hafendämme Riquets ward an die Gründung des heutigen Cette geschritten. Mit vielen Privilegien von Ludwig XIV. ausgestattet, bildeten sich hier Handelsgesellschaften, die weitläufige Magazine erbauten, aber zu Grunde gingen. Spätere Unternehmungen glückten jedoch, und seitdem nahm die Entwicklung des Platzes einen stetigen und ununterbrochen steigenden Verlauf.

Cette bildet für sich einen Bezirk des Arrondissement Ment - pellier und zählt 35.517 Einwohner. Ausser ihren grossartigen Hafen - anlagen und Fabriken besitzt die Stadt keinerlei Sehenswürdigkeiten.

Seit dem Jahre 1851 besteht dort eine Schiffahrt-Schule.

417Cette.

Für Cette, den Hafen des Departements Herault, welches mit dem benach - barten Departement Gard vor den Verwüstungen der Phyloxera allein halb so viel Wein erzeugte, als heute ganz Frankreich, ist Wein der wichtigste Handelsartikel.

Cette (Massstab 1: 25.700; Sonden in Metern).

A Rhede von Cette, B Vorhafen (Avant-Port), C altes Bassin, D neues Bassin, E Canal maritime, F Leuchtfeuer, G Bassin de la Comp. du Midi, H Canal Latéral, J Canal de Cette, K Darse de la Peyrade, L Canal de la Peyrade, M Eisenbahn nach Montbazin, N Waarenbahnhof der Comp. du Midi, O Bahnhof, P Richelieu-Dock, Q Lazareth, R Petroleum-Bassin, S Hospital, T Bauplatz für B-tonblöcke, U Avenue de la Gare, V Brücke St. Pierre, W Zollamt, X neue E-planade, Y Chateau d’Eau, Z Bade - strand. 1 Quai de l’avenir, 2 Quai Paul Riquet, 3 Esplanade, 4 Arsenal.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 53418Das Mittelmeerbecken.

In den ausgedehnten Depots der Stadt sammeln sich ungeheuere Mengen inländischer und ausländischer Weine. Ende Juli 1889, also zu einer Zeit, wo die Bestände schon reducirt sind, lagerten in Cette 876.000 hl Wein. Sie werden von hier in ihrem ursprünglichen Zustande versendet oder durch Verschneiden, Sprit - zusätze u. A. mundgerecht gemacht. Mit einem Worte, Cette ist auch einer der Hauptsitze der französischen Weinfabrication.

Daher ist nach Hamm der Eindruck, welchen seine Weinmagazine machen ein durchaus kosmopolitischer; da liegen in langen Reihen aufgestapelt die Fass - formen aller Weinländer: portugiesische Almudas, Madeiraguartes, spanische Bottas, italienische Barilli, die länglichen Fässer Dalmatiens, Bordeaux-Oxhofts, rheinische Stückfässer, gezeichnet mit jeder Marke und jedem Brande, die sich nur denken lassen, so dass jeder die Wahl hat und auch der grösste Weinhändler binnen einer Stunde sich mit allen Gewächsen des Erdbodens versorgen kann. Cette könnte man auch Frankreichs, vielleicht Europas, erste Binderstadt nennen, denn jähr - lich werden 200.000 bis 300.000 Fässer in allen Formen und Grössen gearbeitet.

Im Jahre 1888 wurden 3,840.371 hl, 1887 3,585.612 hl Wein zugeführt, nämlich aus Spanien (1888 3,189.520 hl), Italien (1888 282.904 hl) 1887 517.014 hl), Algier (190.140 hl) und Oesterreich-Ungarn (51.622 hl), das heisst aus Dalmatien.

In Cette werden auch Kunstweine bereitet; dies ist die Erklärung für die starke Einfuhr von Rosinen, Feigen und Caruben. Rosinen kommen aus Griechenland und Smyrna theils direct, theils über Marseille (1888 39.081 q, 1887 43.960 q), Feigen (1888 10.598 q, 1887 14.168 q aus Smyrna), Caruben aus Cypern und Candia (1888 15.585 q).

Der grösste Theil der eingeführten Weine geht ins Innere Frankreichs. Nun klagt man in Cette, dass wegen der Transito-Tarife für einen Binnenort der directe Bezug ausländischen Weines billiger zu stehen komme als der durch die Vermittlung von Cette. Immer grössere Mengen werden daher direct bezogen, und das Platzgeschäft von Cette sinkt. Auch die Erhöhung des Einfuhrzolles auf Rosinen 1888, um so die französischen Weinbauern zu schützen, das Gesetz, dass Wein aus Rosinen, Zucker und Trestern dargestellt und auch Naturwein, wenn er nur die geringste Beimischung solcher künstlicher Weine enthalte, unbedingt als Kunstwein bezeichnet werden müsse, hat den Weinhandel von Cette sehr ge - schädigt.

Die Einfuhr von Alkohol, Fassdauben, Schwefel steht ebenfalls mit dem Weinbaue und Weinhandel in Zusammenhang.

Von spanischem und deutschem Alkohol wurden 1888 10.446 hl, 1887 7329 hl eingeführt, Fassdauben aus Fiume (hier Entrepôt der Fiumaner Cre - ditbank), in kleineren Mengen aus Italien und vom Schwarzen Meere 1888 19,473.796 Stück, 1887 20,960.789 Stück, Schwefel 1888 98.165 q, 1887 194.481 q, Schwefelsublimat 1888 2500 q.

Wichtig sind die Einfuhr von Holz und Korkholz (1888 9626 q).

Getreide ist nach Wein der wichtigste Einfuhrartikel.

Im Jahre 1888 694.531 q, 1887 543.458 q Getreide meist vom Schwarzen und Asow’schen Meere, von Salonich und aus Algier zugeführt. Die Sendungen bestanden überwiegend aus Weizen.

Andere Artikel der Einfuhr sind Früchte (1888 57.150 q), Gemüse (1888 104.264, 1887 19.617 q); dann aus dem Thierreiche Seefische, Schafe, Häute und419Cette.Wolle (1888 51.449 q), und aus dem Mineralreiche Erdpech 436.048 q, Erze aller Art 334.758 q, englische Steinkohlen 216.300 q und Petroleum 179.736 q.

Klein ist die Reihe der Artikel der Ausfuhr.

Von Wein wurden ins Ausland geschickt 1888 172.135 hl, 1887 282.640 hl; Alkohol 1888 7453 hl, Seesalz (1888 190.677 q), das hier an der Küste in einer Menge von 1·2 Millionen t gewonnen wird und nach Nordeuropa geht, Stein - kohlen und Coaks (1888 731.138 q, 1887 930.166 q), und Eisen in Stangen und als Schienen (1888 34.176 q, 1887 148.489).

In Cette überwiegt weitaus die Einfuhr, da 1888 715.673 t Waaren einge - führt und nur 159.187 t ausgeführt wurden.

Cette hat auch eine ganz ansehnliche Industrie.

Es liegt an der Küstenbahn zwischen Marseille und Barcelona; durch diese verkehrt es über Narbonne mit Spanien und mit dem Thale der Garonne und über Nîmes mit jenen Gebieten, welche Marseille zugänglich sind; in das Centrum Frankreichs führen zwei Linien.

Es hat lebhaften Küstenverkehr mit den französischen und spanischen Plätzen, die spanischen Linien, welche nach Marseille gehen, laufen meist auch Cette an.

Sein gesammter Schiffsverkehr erreichte

〈…〉〈…〉

Im Jahre 1888 entfielen von der Hauptsumme 1,365.361 t (davon Küsten - verkehr 727.777 t) auf die französische Flagge, neben welcher die spanische, nor - wegische und englische Flagge die grösste Bedeutung haben.

Consulate haben hier: Argentina, Belgien, Chile, Dänemark, Dominikani - sche Republik, Liberia, Monaco, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Spanien, Türkei, Uruguay.

Der französische Hafen Port Vendres in der nächsten Nähe der spanischen Grenze ist mit Marseille und Cette im Bunde die dritte Handelsstadt für Wein an der Mittelmeerküste Frankreichs; hier befinden sich die berühmten Cuves, gemauerte Fässer oder viel - mehr Weinbehälter, von welchen ein jeder 48.000 l fasst. Der An - blick ist nach W. Hamm ein eigenthümlicher, von oben hinab in die tiefe, dunkle Weinflut, welche das Erzeugniss der verschiedenartigsten Weinberge zu einem homogenen Ganzen vereinigt. Ist dies geschehen, so wird der klar gewordene Wein in die grossen Magazinbehälter abgeleitet, welche je 12.000 18.000 l halten.

Von Port Vendres, das Eisenbahnstation ist, geht die kürzeste Seelinie von Frankreich nach Algier, 351 Seemeilen, und nach Oran; beide Linien besorgt die Cie. Générale Transatlantique.

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Algier.

Kaum irgendwo anders stossen die Bestrebungen für die Ent - wicklung eines Landes auf härteren Widerstand als gerade in jenen Gebieten, auf welchen schon im Alterthume Stätten der Cultur er - blühten.

Das heutige Algerien, welches die drei französischen Provinzen Constantine, Algier und Oran umfasst, zählt zu diesen nur nach langen und blutigen Kämpfen der modernen Cultur gewonnenen Län - dern. Frankreich leistete dort im feindselig gehüteten Küstengebiete sowohl wie in den düsteren Schluchten des Atlas und am unwirth - lichen Wüstenrande ein bewunderungswürdiges Colonisationswerk, das bereits jetzt Früchte zu reifen beginnt.

Nach der Eroberung durch die Römer bildete Algier die Provinzen Numidien und Mauretania Caesariensis, verfiel aber nach dem Einfall der Vandalen und Araber wieder in vollständige Barbarei. Erst im X. Jahrhundert unserer Zeitrechnung wurde unter dem arabischen Fürsten Zeiri an Stelle des alten Icosiums die Stadt Al-Dschesaïr (die Siegreiche) das heutige Algier gegründet. Die Provinz gerieth jedoch im XII. Jahrhundert für mehr als 100 Jahre unter marokkanische Herr - schaft, zerfiel alsdann in verschiedene Gebiete, wobei Algier unter den Ziganiden zu dem bedeutendsten derselben, dem Königreiche Tlemsen, gehörte.

Die Entwicklung und Befestigung geordneter Verhältnisse wurde aber wieder durch die im Jahre 1492 erfolgte Vertreibung der Mauren und Juden aus Spanien zur Unmöglichkeit gemacht, denn diese gährenden Elemente siedelten sich an den Küstengebieten Afrikas an und überboten sich gegenseitig in Anfeindung der Christenheit. Ihr Hauptgewerbe war die Seeräuberei.

Von den christlichen Staaten darob bedrängt, suchte und fand Algier 1516 die Hilfe der Piraten unter deren Häuptling Horuk Barbarossa gegen die Spanier. Es fiel jedoch, nachdem dessen Emir ermordet, eben in die Hände dieser Piraten. Dem Horuk Barbarossa, den die Spanier enthaupteten, folgte sein Bruder Dschereddin Barbarossa, welcher sich als Sultan ausrufen liess, allein seine Selb - ständigkeit war von geringer Dauer. Bereits 1520 ward er unter die Lehenshoheit der Pforte gestellt.

Dschereddin, welchem zwar das Verdienst zukommt, durch die Verbindung des vor Algier gelegenen Inselchens mit dem Festlande der Begründer des Hafens geworden zu sein, wurde auch der eigentliche Begründer der berüchtigten algeri -421Algier.schen Seeräuberei, nachdem es ihm mittelst türkischer Hilfstruppen gelungen war, durch die Vertreibung der Spanier aus dem Inselfort jede Schranke gegen die Piraterie zu beseitigen.

Die unter Kaiser Karl V. 1541 unternommene grossartige Expedition zur Er - oberung von Algier und Unterdrückung des Seeraubes im Mittelmeere scheiterte vollkommen, und die Raubzüge der Piraten währten fort, welche ihre Macht auch im Innern Algeriens erweiterten und an der Küste, das spanische Oran ausgenom - men, bis an die Grenze von Marokko ausdehnten.

Als 1600 die Janitscharen das Recht erlangten, einen Dey zu wählen, der dem Pascha zur Seite ihr erkorener Gebieter war, vermehrten sich die Kämpfe im Innern des Landes, riefen jedoch bei Fortbestand des Piratenwesens zu wieder - holtenmalen Anstrengungen europäischer Staaten hervor, diesem Unwesen ein Ende zu bereiten.

Doch hatten weder die Bemühungen der Engländer 1655, noch jene Eng - lands im Vereine mit den Holländern 1669 Erfolg, und selbst die späteren und wiederholt von Engländern und Franzosen angestellten Bombardements, wobei Algier 1687 durch die Geschütze französischer Schiffe in Asche gelegt wurde, konnten die Piraterie nicht brechen. Diese war zu einer staatlichen Institution geworden, welche dem Dey reiche Einkünfte an Gold und Sclaven einbrachte.

Oran, die letzte Besitzung der Spanier, ging denselben sogar im Jahre 1708 verloren und wurde erst 1732 zurückerobert und dann bis 179: gehalten.

Das Wiederaufleben der Piraterie, welche nur während der Kriege zwischen Frankreich und England zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts durch die Anwesenheit grosser Flotten im Mittelmeere an Intensität eingebüsst hatte, zwang schliesslich zu einem energischeren Vorgehen gegen die Barbaresken - staaten.

Am 28. August 1816 wurde die Stadt Algier von einer englischen Flotte unter Lord Exmouth bei Mitwirkung einer holländischen Escadre bombardirt. Alle abgerungenen Zugeständnisse fruchteten jedoch wenig, und die Tributpflichtigkeit der europäischen Staaten, selbst Dänemarks, endete nur mit dem Aufhören des moslemischen Regimentes in Algerien.

Erst Frankreich war es vorbehalten, den Barbareskenstaaten ein Ende zu bereiten. Die Beleidigung des französischen Consuls durch den Dey Hussein bot eine bequeme äussere Veranlassung für Karl X., der durch diese Expedition die Aufmerksamkeit des gährenden Frankreich nach aussen ablenken wollte. Die im Juni 1830 mit grosser Macht inscenirte Occupation Algeriens wurde durch die Einnahme der Stadt Algier am 5. Juli eingeleitet, für Karl X. leider zu spät, als dass sie die Fluten der Julirevolution von seinem Throne abgehalten hätte. Er hatte seinen gehassten Vettern vorgearbeitet, diesen selbst aber in Algier genug Arbeit zurückgelassen.

Mit der Entsendung einer imposanten Flotte unter Admiral Duperré und der 40.000 Mann starken Armee unter General Graf von Bourmont nach Algerien, selbst mit dem Falle der Hauptstadt und der Capitulation des feigen Dey war es nicht abgethan, sondern es bedurfte grosser und consequenter Anstrengungen, um die feste Wurzelung der französischen Herrschaft, die Organisation der Ver - waltung und endliche Besänftigung der Bevölkerung, welche sich wiederholt gegen die neue Herrschaft erhob und schliesslich theilweise emigrirte, zu erzielen.

Zu wiederholtenmalen fielen die Araber über die europäischen Nieder -422Das Mittelmeerbecken.lassungen her und drängten die Herrschaft der Franzosen vom platten Lande in die festen Plätze und Lager zurück. Jeder Zoll des Landes musste den braunen Söhnen der Wüste abgerungen werden.

Wohl der gefährlichste und ausdauerndste Feind der französischen Cultur - Mission war Abd-el-Kader, dessen Verbindungen mit Marokko auch Conflicte mit letzterem Staaten hervorriefen, und die Erbitterung der Kämpfe zwischen den Ein - geborenen und den französischen Invasionstruppen erhält durch die bekannte Ausräucherung eines Kabylen-Stammes in den Höhlen von Dahra und die Erinnerung an den damaligen französischen Oberst Pélissier, späteren Herzog von Malakow, die grauenvollste Illustration. Erst die Gefangennahme Abd-el-Kader’s bedeutete den Beginn einer ruhigen Verwaltung.

Auf einer Küstenstrecke von 1000 km bespülen die herrlichen Fluten des Mittelmeeres das algierische Gebiet, das seit mehreren Jahrzehnten den Segen einer ruhigen Entwicklung geniesst. Algier, die Hauptstadt dieser Colonie, zugleich Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, ist zu einem jener wohlthuenden Ruhepunkte europäischer Cultur geworden, in welchem man kaum mehr an dessen nächste Ver - gangenheit gemahnt wird.

Algier ist ein beredtes Zeugniss für die Colonialpolitik der Franzosen, welche darin gipfelt, dass der Staat die junge Colonie so lange mit allen Mitteln unterstützt, bis sie lebensfähig geworden, und in der Zeit der nun folgenden Blüthe Zinsen und Zinseszinsen dieses Anlagecapitales sich zurückzahlen lässt.

Die fast Ost-West laufende, meist steil und felsig abfallende Küstenlinie Algeriens weist wenig Buchten und noch weniger natür - liche gute Häfen auf. Die bedeutendste, jene von Algier, ist indes keine vorzügliche Rhede, denn sie ist insbesondere gegen Norden zu ungeschützt.

Dem unternehmenden Geiste der Franzosen, welche durch civili - satorische Bestrebungen eine tausendjährige Geschichte des Landes zu verdunkeln bemüht sind, verdankt die Stadt Algier einen der herr - lichsten künstlichen Häfen.

Die Neubauten bildeten eigentlich den Anschluss an den schon im X. Jahrhundert gegründeten Hafen, auf den sie sich stützen, während sie ihn gleichzeitig in sich aufnahmen.

Geräumig und tief genug, um den bedeutendsten Schiffen die Zufahrt zu gestatten, entspricht die Anlage des Hafens zur Noth den Bedürfnissen der Schiffahrt, die sich hauptsächlich nach den im Norden liegenden Küsten der europäischen Uferstaaten, insbesondere nach Frankreich richtet.

Neuestens wird die Erweiterung des Hafens gegen Süden zu423Algier.geplant, und wir haben das neue Project in unseren Plan von Algier aufgenommen.

Gewährt schon das Bild seines Hafens einen überraschend schönen Anblick, und erfreut es den Besuch er dieser Stadt, nach un - ruhiger Seefahrt in einem aus herrlichen freistehenden Dämmen ge - formten Wasserbecken die azurblaue See in vollster Ruhe zu be - schauen, so überrascht es nicht minder, über den monumentalen und äusserst effectvollen Quaimagazinen und breiten, aufwärts führenden Verkehrsstrassen die ununterbrochene Reihe imposanter Gebäude zu sehen, welche dem neuen Theile der Stadt ein vollkommen euro - päisches Gepräge verleiht.

Nur gegen Norden und auf den steileren Höhen wird das kleine Paris überragt von den schneeweiss getünchten, dicht anein - ander gedrängten Häusern der alten maurisch-türkischen Stadt, die ihrerseits von der in 124 m Höhe gelegenen Kasbah, dem Castelle und Refugium ihrer einstigen Gebieter, beherrscht wird.

Der Hafen ist von einigen formidablen Werken beschützt, zu welchen auch noch die älteste, von den Spaniern erbaute, in un - mittelbarer Nähe des Leuchtthurmes befindliche Citadelle gehört.

Seinen Abschluss im Norden erhält das Hafenbecken durch einen aus dem X. Jahrhunderte stammenden Vertheidigungsdamm, welcher, wie erwähnt, die Insel und Citadelle mit Algier verbindet.

Derzeit befindet sich in jenem alten Hafentheile die französische Admiralität in eben demselben Pavillon, welcher einst der Sitz der Capudan Paschas war.

Von der Insel ausgehend, in einer Curve nach Südost verlau - fend, zieht sich der eigentliche Wellenbrecher hin.

Die Nord-Süd laufenden, tief unter der Stadt liegenden Quais sind so breit, dass selbst der Bahnhof auf denselben angelegt werden konnte.

Der steile Abhang vor der Stadt ist durch mehrfache Reihen gewölbter Magazine und Depots, welche commerciellen Zwecken dienen, ganz unterbaut. Ueber die einzelnen Etagen führen fahrbare Strassen, welche den Wagenverkehr nach der Stadt ermöglichen, während für den Fussgänger schöne breite Treppen durch die einge - bauten Schachte hinanführen.

Das Bild der gesammten Hafenanlage ist, wenn man die von einem Gitter eingefasste Terrasse erreicht hat, ein überraschend schönes und in keinem Widerspruche hiezu zeigen sich die impo - santen Façaden der Gebäude, welche den Boulevard de la Republique424Das Mittelmeerbecken.bilden. Zumeist sind dies prächtige Hôtels, eines so gut und stark be - sucht wie das andere, und insbesondere zeigt nach Schluss des Tage - werkes die bedeutende Frequenz der zahlreichen Cafés und Restau - rants, dass man hier wie in allen südlichen Klimaten gerne den Ge - nüssen des erquickenden Abendlebens sich hingibt; zeigt aber auch, dass Algier zu der Zeit, die wir Winter nennen, eine Fremdenstadt ist.

Unter zahllosen Lichtern wogt dann die promenirende Volks - Menge vorüber und nur einzelne zudringliche Verkäufer erscheinen, die uns meist gefälschte Strausseier und andere Exotica Algeriens aufzuhalsen versuchen.

Die neue Stadt, welche die ganze Seefront von einem Ende zum anderen einnimmt und sich hauptsächlich gegen Süden erweitert, hat zumeist prächtige breite und luftige Strassen, zum Theile mit Ar - cadengängen.

Es dürfte kaum einen Artikel französischer Industrie geben, der hier nicht anzutreffen wäre, so dass selbst das verwöhnteste Men - schenkind in jeder Richtung befriedigt werden kann. Zudem sind die Waarenhäuser nicht nur schön, sondern hinsichtlich der Preise jeden - falls mässig und empfehlenswerth.

Manche Strassen führen uralte Namen, die meisten der neuen Stadt jedoch erhielten moderne Benennungen. Wenn man die Stadt vom Südende bis zum nördlichsten Thore Bab el Oued durchschreitet, ist es fast unmöglich, den Place du Gouvernement, den wichtigsten Platz Algiers, zu übersehen. Er ist der interessanteste und wird in seiner östlichen Front durch eine der grösseren Moscheen Dschama Dschedid, durch das Regierungspalais und mehrere der hervorragendsten Privat - bauten umschlossen. Dort steht die Reiterstatue des Herzogs von Orleans. Der Schmuck schön entwickelter Platanen, seine centrale Lage sowie die vielen Cafés, welche die Lieblingsbörsen für den orientalischen Geschäftsverkehr sind, machen diesen Platz zum Glanz - punkte des Stadtgetriebes.

Ein reiches Feld für physiognomische und Racenstudien ent - faltet sich dem Beschauer der verschiedenartigsten Volksgruppen, die hier stets anzutreffen sind.

Die Anhänger des Islam, für deren Seelenheil noch heutzutage in 22 Moscheen und kleineren Bethäusern gesorgt wird, treten hier ungescheut mit den Giaurs in Beziehungen und Verkehr, und die auf den Fremden so viel Anziehungskraft ausübenden Seidenstoffe, Schätze orientalischer Teppichweberei, kabylischen und anderen Kunsterzeug - nisse der Landeskinder scheuen keinen Vergleich, sondern wetteifern[425]

Algier.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 54426Das Mittelmeerbecken.mit den Producten der europäischen Industrie in nicht minder ge - schmackvollen Auslagen und Schaufenstern.

Die eigentliche Maurenstadt tritt in den Hintergrund; würde sie nicht vorwitzig ihr weisses Haupt erheben und über die Dächer der Neustadt hinüberragen, so würde man sie kaum gewahr werden. Ein Gang durch die steilen, öden, schmalen und finsteren Gässchen, welche sie wie ein Labyrinth ganz durchziehen, lohnt kaum der Mühe und Anstrengung, es wäre denn, man wollte von den Höhen der Kasbah die Fernsicht geniessen.

Lohnender ist es, den auch schon hoch gelegenen Markt Place de Chartres zu besuchen. Nicht nur das Volk der Verkäufer fesselt unser Interesse, sondern auch die mannigfaltigen Waaren, die alles umfassen, was Algerien an Reichthum und Abwechslung hervorzu - bringen im Stande ist; überrascht bewundert man die Fülle unge - wohnter Früchte und herrlicher Blumen. Unter den nahezu 75.000 Einwohnern Algiers repräsentiren die Eingeborenen des Landes, circa 17.000, nur mehr einen geringen Theil, während das französische Bevölkerungselement mit circa 24.000 den ersteren bereits weit über - flügelte. Den Rest der Bewohner bilden 8500 naturalisirte Juden und 25.000 Angehörige vieler Länder und Stämme, unter denen die Mal - teser neben den Juden als besonders rührige Geschäftsleute gelten.

Während für die Bekenner des Islam gesonderte Obrigkeiten bestehen, die einer behördlichen Controle unterliegen, herrscht für alle übrigen Bewohner nur das französische Staatsrecht, deshalb ist auch Algier durch sechs Abgeordnete in der Deputirtenkammer Frank - reichs vertreten.

Die Zunahme der europäischen Bevölkerung, welche zu nicht geringem Theile dem Umstande zuzuschreiben ist, dass Algier eine Militärcolonie darstellt, hat die Errichtung zahlreicher höherer Lehr - anstalten hervorgerufen.

Algier besitzt eine Militärakademie, vier Hochschulen, nämlich je eine für die Rechte, für Medicin und Pharmacie, für mathemati - sche und Naturwissenschaften, für die Literatur mit einer orientali - schen Section und einem öffentlichen Curse für die arabische Sprache. Für die Muhamedaner besteht hier eine Medrassa.

Die Stadt hat zwei Theater, und viele französische und auch arabische Journale erscheinen hier.

Auch die wohleingerichteten und in reicher Zahl vorhandenen Bäder verdienen der Erwähnung.

427Algier.

In unmittelbarer Nähe der Stadt gewahrt man militärische Etablissements und auf allen Häfen fortificatorische Anlagen.

Die Umgebung der Stadt entbehrt keineswegs der Reize: schöne Gärten, Gelände und Villen, unter welch letzteren die Sommerresi - denz des Gouverneurs die prächtigste, locken den Fussgänger nach dankbaren Zielen, die er zwischen den rebenberankten Hügeln der Metidscha auf breiten Fahrstrassen und wohlgebahnten Nebenpfaden erreichen kann.

Hat auch die Cultur der Rebe schon eine gewisse Eintönigkeit in das Bild der Vegetation gebracht, so sieht man doch in allen Mulden grössere Anpflanzungen exotischer Gewächse und es dürfte kaum ein besseres Klima, besseren Boden als den algerischen für die üppige Entfaltung des Orangenbaumes, der Banane und der Dattel - palme geben.

Algier geniesst den Ruf eines klimatischen Curortes. Die Alles ausgleichende See lindert die Hitze des Hochsommers, die in 28 bis 30°C. ihren Höhepunkt erreicht, und die niedrigste Durchschnitts - temperatur im Winter beträgt noch immer + 12°C.

Nicht nur Kranke, welche den Winter unter diesem milden Himmelsstriche zubringen wollen und hiebei nichts vom gewohnten Comfort einzubüssen brauchen, sondern auch unzählige Touristen, welche das Land kennen zu lernen wünschen, dessen Reize ihnen bishin verschlossen blieben, besuchen Algier. Mittelst Eisenbahn ge - langt man durch die schönsten Gebiete der algerischen Colonie, von den Grenzen Marokkos bis Tunis, und verschiedene Zweige dieser Bahn winden sich südwärts durch die Thäler des kleinen Atlas - gebirges bis in das hinterliegende Hochplateau und die Steppen. Es wäre nur zu wünschen, dass die persönliche Sicherheit jener Reisenden, welche gezwungen sind, ihre Wege auf dem Rücken des prächtigen algerischen Pferdes oder Maulthieres, ja sogar auf Kameelen zurück - zulegen, bald bis an die südlichsten Grenzen der Colonie erzielt werden möchte.

In Algier haben ihren Sitz der Generalgouverneur und ein Prä - fect, ein katholischer Erzbischof und ein Grossrabbiner, das Com - mando des 19. Armeecorps, ein Appellhof und eine Handelskammer.

Frankreich hat sich in Algier ein äusserst wichtiges Absatz - gebiet für seine Producte und ein weites Operationsgebiet für seine Handelsmarine geschaffen. Man kann sich dieser Thatsache nicht verschliesssn, wenn man in Betracht zieht, dass 1831 unmittelbar nach der Eroberung der gesammte Aussenhandel des Landes kaum54*428Das Mittelmeerbecken.8 Millionen Francs betrug, und dass er im Jahre 1850 auf 12·9 Mil - lionen, 1860 auf 157 Millionen, 1870 auf 300 Millionen und 1888 auf 432·6 Millionen Francs gestiegen, von denen nicht weniger als 333 Millionen Francs auf den Verkehr mit Frankreich entfielen.

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Die Franzosen verschafften dem Lande die Ruhe und Ordnung, deren es bedurfte, um wieder jenem hohen Grade der Blüthe sich zu nähern, welchen es unter der Herrschaft der Römer besessen hatte und der seinen natürlichen Reichthümern entspricht. Nur sehr schwer gewöhnte sich die eingeborne Bevölkerung dieses alten Herdes der Barbarei, Seeräuberei und zahlreichen Verbrechen an die neuen Zustände.

Wie oft wurde gegen die Franzosen der heilige Krieg ge - predigt und deren Culturarbeit unterbrochen!

Aber ihre rastlose Energie siegte immer, man glaubte allmälig an die Beständigkeit der Verhältnisse, und die Einwanderung aus Europa nahm seit dem Decrete vom 20. September 1878, welches den Ankömmlingen sehr günstig ist, allmälig zu, wenn sie auch noch sehr weit zurückbleibt hinter dem Strome arbeitsfähiger Men - schen, welcher sich alljährlich in die Union und an die Südostküste von Südamerika ergiesst.

Heute ist das Land nach jeder Richtung von Strassen durch - zogen, eine Eisenbahnlinie von 1500 km Länge durchschneidet Algier parallel mit der Küste, sie verbindet die Grenze Marokkos mit Goletta, dem Hafen von Tunis, und ihre Abzweigungen dringen nach Süden vor bis an den Rand der Wüste und führen die Producte des Innern den Hafenplätzen der Küste zu.

Ackerbau und Viehzucht sind vielleicht für immer die Quellen des Wohlstandes von Algier, die warmen Striche an der Küste und die Region der Berge, welche die Eingebornen Tell nennen, er - freuen sich im Winter reichlicher Niederschläge. Hier wird auf eine Länge von etwa 1200 km und eine Breite von 100 bis 150 km der Ackerbau mit grossem Erfolge betrieben und gegen die Grenze von429Algier.Tunis erstrecken sich ausgedehnte Waldungen der Korkeiche. Hinter diesen beiden Zonen erheben sich in einer Breite von 200 bis 300 km weite Hochebenen mit einer bedeutenden Höhe über See, die an den Grenzen Marokkos 1350 m, an denen von Tunis nur noch 900 m beträgt. Hier sind die Winter kalt, sogar Schneefälle kommen vor, und die Regenmenge ist zu gering, um noch den Ackerbau zu ge - statten. In diesen Steppenlandschaften werden Halfa und Crin végé - tal geschnitten, hier ist der Sitz der Viehzucht. Dann senkt sich das Land nach Süden zu, im Osten sogar bis unter den Spiegel des Meeres. Dies ist die algerische Sahara; an den wasserführendenStellen gedeiht in grosser Ueppigkeit die Dattelpalme und liefert schmackhaftere Früchte als in dem vom schlammigen Nilwasser gedüngten Egypten.

Die von der Natur gegebenen Verhältnisse des Landes zu ver - bessern, ist seit 1856 die Hauptsorge der Franzosen, und sie haben wahrhaft Grossartiges geleistet.

Sie setzten die Wasserleitungen des Alterthums wieder in Stand, bauten mächtige Dämme quer durch die Betten der Flüsse, um die Regenmengen des Winters zu sammeln, um damit in der regenlosen Zeit die Gefilde zu befruchten; an den Flussläufen wurden ausge - dehnte Anlagen zum Zwecke der Berieselung errichtet und in der Sahara und auf den Abhängen der Plateaus folgten die Franzosen dem Beispiele, welches die Eingebornen seit uralten Zeiten üben, und bohrten, unterstützt von den Hilfsmitteln der modernen Technik, Hunderte von artesischen Brunnen, welche zu Mittelpunkten von eben so viel Oasen mit zusammen 3 Millionen Stück Bäumen wurden, die einen Ertrag von 60 Millionen Francs abwerfen. Und um die sum - pfigen Stellen der abflusslosen Gebiete des Innern von der Malaria zu befreien, wurden Hunderttausende von Eucalyptus-Bäumen, diesen Wohlthätern der warmen Länder, gepflanzt, welche ihre Wurzeln in ungewöhnliche Tiefen hinabtreiben und das Grundwasser aufsaugen. Préparer le pays nennen die Franzosen in ihrer präcisen Sprache diese bewunderungswürdige Thätigkeit.

Da nun Algier handelspolitisch nicht eine Colonie von Frank - reich, sondern ein Theil des grossen Vaterlandes ist, zahlen die Waaren Frankreichs in Algier und die Algiers in Frankreich (mit ganz wenigen Ausnahmen, die in den Monopolen Frankreichs be - gründet sind) keinen Zoll.

Der ungewöhnlich grosse Antheil Frankreichs an dem Aussen - handel von Algier, den wir oben nachgewiesen haben, erklärt sich aus dieser zollpolitischen Massregel.

430Das Mittelmeerbecken.

Leider sind wir nicht im Stande, die Vertheilung des Handels des Jahres 1888 auf die einzelnen Häfen nachzuweisen; wir besitzen ins Einzelne gehende Angaben nur für 1887, und die beziehen sich nach dem Stande der Statistik Algiers auch nicht auf die Hafenplätze, sondern auf die drei Departements Algier, Con - stantine und Bona.

Die Zölle, welche Frankreich seit einigen Jahren von fremdem Getreide und fremdem Vieh erhebt, sind ein bedeutender Vortheil für die Ausfuhr dieser Artikel aus Algier. Doch hat das Land, zumal die Provinz Constantine, furchtbar vor den Verheerungen der Wanderheuschrecken zu leiden. Der Schade, welchen diese gefrässigen Thiere angerichtet haben, wird für das Jahr 1887 auf 8 Millionen Francs, für 1888 gar auf 25 Millionen Francs geschätzt. Im Departe - ment Constantine haben sie alle Pflanzungen vernichtet und die Bevölkerung ge - zwungen, das Vieh zu verkaufen, um es nicht Hungers sterben lassen zu müssen.

Endlich 1889 wurde diese Plage mit einigem Erfolge bekämpft; man schaffte 6000 Vertilgungsmaschinen nach dem Systeme an, das auf Cypern ge - bräuchlich ist, 170.750 doppelte Hektoliter Eier, deren Zahl man auf 1193 Mil - liarden berechnete, wurden eingeliefert. Im Ganzen mussten Soldaten, Arbeiter und Bauern 2,190.544 Arbeitstage leisten, um das Uebel einzudämmen.

Durch die Heuschreckenplage, die schon seit 1887 dauert, ist die Ausfuhr von Getreide und Mehl nach Frankreich 1888 auf 1,521.006 q (Werth 32 Millionen Francs), die ins Ausland auf 45.218 q Getreide und 14.883 q Weizenmehl gesunken.

Von Hülsenfrüchten (légumes secs) wurden 1888 72.217 q, fast alles nach Frankreich ausgeführt.

Gemüse (primeurs) werden in steigenden Mengen in den warmen Küsten - strichen für den Bedarf Europas gebaut, weil immer mehr Boden der künstlichen Bewässerung unterworfen wird. Ihre Saison dauert vom 15. December bis Ende Mai.

Die besten Gemüse werden in den Umgebungen der Städte Algier, Philippe - ville, Bona, Mostaganem und Misserghin erzeugt. Sie sind ein wichtiger Fracht - artikel der Compagnie générale transatlantique, welche durch die Schnelligkeit, mit der sie die Früchte übers Meer nach Marseille bringt, die Ausfuhr in erster Linie gefördert hat. Rechnen wir die normale Zeit der Ueberfahrt, wie sie bis jetzt eingehalten wurde, aber bald noch weiter verkürzt sein wird, auf 24 bis 27 Stunden, so verlassen die Gemüse beispielsweise Montag Mittags den Hafen von Algier, kommen am Dienstag Nachmittags nach Marseille und gehen mit den Abendzügen weiter nach Lyon und Genf. Sie kommen 36 40 Stunden nach ihrer Absendung aus Afrika in Paris zum Verkaufe. Jede Woche gehen vier Schnell - dampfer von Algier nach Marseille, und jeder nimmt in der Saison 2 3000 Körbe mit Gemüsen und Früchten mit. Es wurden ausgeführt von frischen Gemüsen 1888 36.187 q, 1887 36.832 q, von Kartoffeln 1888 26.652 q, 1887 51.885 q, von Tafel - früchten 1888 107.498 q, 1887 110.544 q.

Mit Recht setzt man in Frankreich und in Algier grosse Hoffnungen auf die Weinpflanzungen an den Abhängen des Atlas, die 1888 schon 97.000 ha er - reicht hatten und sich meist in den Departements Constantine und Oran finden. Man glaubt, Wein werde als Exportartikel die Verminderung des Werthes anderer Erzeugnisse compensiren. Die Qualität der Weine hat sich in den letzten Jahren sehr verbessert; sie ertragen sehr gut den Transport. Es wurden 1888 nach Frankreich 1,235.114 hl (Werth 43·3 Millionen Francs), ins Ausland 24.228 hl431Algier.(Werth 0·8 Millionen Francs) verschickt. Die Gesammtausfuhr von 1887 erreicht 779.278 hl, die gewaltige Zunahme des Jahres 1888 ist auf Rechnung des Ver - kehres mit Frankreich zu setzen.

Ansehnlich ist die Production von feinem Olivenöl, aber 1888 war die Ausfuhr ungewöhnlich klein, 10.660 q gegen 45.855 q im Jahre 1887. Im Jahre 1888 ging Alles nach Frankreich, unter normalen Verhältnissen wird ein Drittel der Ausfuhr ins Ausland verschifft.

Da Frankreich nicht den Bedarf an Tabak im eigenen Lande decken kann, so trachtete es, denn seit Alters in Algier einheimischen Tabakbau zu fördern. Auch heute noch liefern die Eingebornen den grössten Theil der Production, die Frankreich den Bezug des Tabaks aus Ungarn zum grösseren Theile entbehrlich macht. Es gingen dahin 1888 20.942 q Blättertabak im Werthe von 2·6 Millionen Francs, ins Ausland 9375 q, vor Allem nach Tunis.

Tabakfabricate, und zwar meist Schnupftabak und Carotten, gehen meist ins Ausland; 1888 7836 q und 5,583.400 Stück Cigarren.

Die Cultur der Baumwolle, welche zur Zeit des amerikanischen Sclaven - krieges stark in Aufnahme kam, ist nicht mehr rentabel, dagegen betreibt man in neuerer Zeit den Anbau der Nesselfaser oder Ramié in Gebieten mit milder Temperatur und constanter Bewässerung. Von Phormium tenax, Abaca und anderen Faserpflanzen wurden 1888 53.676 q, und zwar nach Frankreich ausgeführt. Die ausgedehnten Hochflächen des Südens liefern sehr grosse Mengen von Espartogras (Halfa) und Crin végétal. Die Hauptmasse des Esparto oder Halfa, 1888 748.058 q (Werth 7,358.300 Francs), 1887 818.212 q, geht nach England, einiges auch nach Spanien und Belgien, das Crin d’Afrique, 1888 105.068 q (Werth 1,576.020 Francs), 1887 81.334 q, nach Belgien, Union, Oesterreich-Ungarn.

Der neu angelegten Eucalyptuspflanzungen haben wir schon Erwähnung gethan. Die alten Waldbestände, die vom Departement Constantine nach Tunis sich hinziehen, werden leider durch die Sorglosigkeit der Araber von Bränden heimgesucht, die auch die Cedern zerstören, deren hartes Holz durch die Werk - zeuge der Araber nicht angegriffen wird. Das werthvollste Product der Wälder Algiers ist Korkholz, von welchem 1888 43.384 q (Werth 3·1 Millionen Francs) nach Frankreich, 28.787 q nach Russland, England, Spanien gingen.

Von Gerbrinden wurden 1888 55.976 q nach Frankreich, 59.819 q nach Italien, Belgien und Portugal ausgeführt.

Auch für die Producte der Viehzucht ist Frankreich der Hauptabnehmer Algiers. Es wurden 1888 735.487 Stück Hammel nach Frankreich. 7485 Stück nach Spanien gesendet; Gesammtwerth 27·5 Millionen Francs. Algerische Schafe zahlen nicht die 5 Francs Zoll, welche solche aus anderen Staaten in Francs büssen müssen, und die Ausfuhr nach Frankreich ist 1889 auf fast 1 Million Stück gestiegen.

Von Schafwolle wurden 1888 108.904 q (Werth 21·2 Millionen Francs) ausgeführt, davon das Meiste nach Frankreich für den Verbrauch der Fabriken von Elboeuf, Louviers, Evreux.

Rinder gingen 1888 17.986 Stück nach Frankreich, 1730 Stück nach Spanien. Von rohen Häuten wurden 1888 18.025 q (Werth 5·1 Millionen Francs) nach Frankreich, 2461 q ins Ausland gesendet.

Sehr ergiebig ist an den Küsten Algiers der Fischfang, an dem mit 50 %432Das Mittelmeerbecken.Italiener, mit 30 % Eingeborne, mit 15 % Spanier betheiligt waren. Jetzt ist der Fischfang Franzosen und Algierern vorbehalten. Vier Fünftel des Ertrages (1888 70.039 q im Werthe von 3·5 Millionen Francs) werden im Lande verbraucht, der Rest ausgeführt. Die Ausfuhr von Fischen überwiegt weitaus die Einfuhr, und da zwei Dampfer, die nach Marseille gehen, Eiskästen haben, wird die Ausfuhr sich noch weiter entwickeln. Dafür ist der Ertrag der Korallenfischerei 1888 auf 265.550 Francs gesunken.

Geradezu kolossal ist in den letzten Jahren die Ausfuhr von Erzen ge - stiegen, und doch ist die entsprechende Ausbeutung der im Boden liegenden un - ermesslichen Reichthümer noch erst eine Sache der Zukunft. Wir nennen hier nur die grossen Lager von phosphorfreiem Eisen zu Beni Saff und Camerata in West-Algier, für die 1879 ein eigener Hafen, Mersa Si Ahmed, gebaut wurde, der Schiffe bis zu 2000 t Gehalt aufnehmen kann.

Bei Bona sind die Eisenwerke von Ain Mokra, im Gebiete von Oran die ungemein ergiebigen silberhältigen Bleierze von R’ar-Rubban, bei Kleber in Oran Marmorlager, wo der berühmte Giallo antico gebrochen wird, in Dahra zwischen Oran und Algier sind Erdölquellen. Im Jahre 1888 wurden 250.480 q Eisenerze nach Frankreich, 2,825.000 q nach England, Belgien ausgeführt, Bleierze 439.892 q nach England, Zinkerze 113.880 q nach Belgien.

Auch in der Einfuhr ist Algier wesentlich von Frankreich abhängig; zu der anfangs ausgewiesenen Ziffer kamen 1888 noch Waaren im Werthe von 18,309.967 Francs aus den französischen Entrepôts.

Von Producten des Pflanzenreiches sind in der Einfuhr wichtig Getreide 1888 572.629 q, davon das meiste aus Tunis und vom Schwarzen Meere, und Mehl, dann Gries (57.159 q) aus Marseille. Reis meist aus Frankreich und den fran - zösischen Entrepôts 33.779 q.

Wein (135.485 hl) meist aus Spanien und Frankreich.

Oele (64.257 q), und zwar meist Olivenöl aus Frankreich und Spanien. Südfrüchte aus Frankreich, Spanien und der Türkei.

Blättertabak (14.125 q) kommt meist aus den französischen Entrepôts. Tabakfabricate, namentlich Cigarren, aus England und den englischen Besitzungen im Mittelmeere; die Holzeinfuhr deckt Frankreich (2 Millionen Francs), neben ihm sind Oesterreich-Ungarn, Schweden und Norwegen und Italien ohne Bedeutung.

Kaffee (1888 41.054 q) wird aus den Entrepôts Marseilles zugeführt, von Frankreich kommt raffinirter Zucker 128.281 q (5·4 Millionen Francs), Melasse zumeist aus Egypten 14.760 q.

Die Einfuhr von Thieren und thierischen Producten, soweit sie über die Landesgrenzen von Marokko und Tunis erfolgt, und die eine ansehnliche Grösse erreicht, können wir hier übergehen. Wir erwähnen hier die fortsteigende Ein - fuhr von Käse aus Frankreich und den dortigen Entrepôts, welche 1888 25.722 q (Werth 3·6 Millionen Francs) erreichte, und die von Butter (10.204 q).

Steinkohlen wurden 1889 1,491.000 q eingeführt. Rohpetroleum ameri - kanischen Ursprungs (1888) 1,446.777 q über England, raffinirtes 62.600 q vom Schwarzen Meere.

Die Hauptziffer der Einfuhr von Fabricaten entfällt auf Baumwollstoffe; neben Frankreich, das 1888 70.144 q im Werthe von 26·9 Millionen Francs schickte, ist von den fremden Staaten (Einfuhr 24.839 q) besonders wichtig England mit 15.940 q im Werthe von 6,241.119 Francs.

[433]
Algier (Massstab 1: 26.500; Sonden in Metern).

A Rhede von Algier, A1 innerer Hafen, B Marine-Bassin Darse, C Magazine, D Docks, E Project des neuen Hafens, F Leuchtfeuer, G nördlicher Wellenbrecher, H südlicher Wellenbrecher, J pro - jectirte Verlängerung desselben, K Art. -Arsenal, L Admiralität, M Quai, N Bahnhof, O Citadelle Kasbah, P Fort und Batterie Bab Azoun, Q Gaswerke, R venetianische Bäder, R1 Agha-Bäder, R2 Fa - milienbäder, R3 Tivoli-Bäder, S Exercierplatz (Champ de Manoeuvres), T Civil-Hospital, U Saliel - Thor, V Bab-el-Oued-Thor, W Lyceum, X Orleans-Kaserne, Y Araberstadt, Z Train-Quartiere. 1 Place du Gouvernement, 2 Place Bresson, 3 Boulevard de la République, 4 Rue de la Liberté 5 Rue de Constantine, 6 Rue d’Isly, 7 Place Bugeaud, 8 Schiessplatz, 9 Sacré-Coeur.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 55434Das Mittelmeerbecken.

Schafwollwaaren liefert Frankreich (4341 q, Werth 5·5 Millionen Francs), aber auch Marokko, Tunis und die Türkei. Jutegewebe und Seidenstoffe Frank - reich. Metallwaaren, Maschinen und Werkzeuge kamen vor Allem aus Frank - reich (Werth 13 Millionen Francs), einiges auch aus England und Belgien. Por - zellan und Thonwaaren überwiegend aus Frankreich; von dort auch Papier (121.700 q) und Spiel - und Galanteriewaaren um 3·4 Millionen Francs.

Seife (20.440 q, Werth 2·8 Millionen Francs) und Kerzen, Sprit und Liqueure (46.584 q, Werth 3·5 Millionen Francs). Bearbeitete Felle und Häute, Leder und Fabricate aus Leder (Werth aller 5·5 Millionen Francs).

Man sieht, dass in einer Reihe höchst wichtiger Waaren Frankreich auf dem Markte von Algier beinahe ein Monopol hat. Jeder Franzose, der auswandert, vergrössert Frankreich durch die glühende Anhänglichkeit an sein Vaterland und Alles, was von dort stammt, für die Industrie und den Handel.

Die wichtigsten Länder, welche nach Algier einführen, sind neben Frank - reich und den französischen Entrepôts England (1888 9·7 Millionen Francs), die englischen Besitzungen im Mittelmeere (2·1 Millionen Francs), Spanien (8·7 Mil - lionen Francs), Russland (5·6 Millionen Francs), Italien (2·1 Millionen Francs), endlich Tunis und Marokko, deren Verkehr meist zu Lande vermittelt wird.

Die Ausfuhr ist, ausser nach Frankreich, gerichtet nach England (10·4 Millionen Francs), englische Besitzungen im Mittelmeere (2·8 Millionen Francs), Belgien (8·1 Millionen Francs), Spanien (4 Millionen Francs), Portugal und Italien.

Wenn wir nun Algier im Besonderen betrachten, so ergibt sich, dass es der erste Ausfuhrplatz des Landes für grüne Gemüse, Blättertabak, Flachs, Wein, Kartoffeln und Schafe ist; den zweiten Rang behauptet es in Schafwolle, Hörnern und Klauen, frischen und getrockneten Früchten und Crin d’Afrique. Hier sind grosse Viehmärkte und ausgedehnte Entrepôts. Der Küstenverkehr erreichte 1888 36.422 t in der Ausfuhr, welche meist nach Dellys im Osten und nach Cherchell im Westen von Algier gingen; diese beiden Häfen sind noch nicht durch eine Eisenbahn mit dem Innern verbunden. In der Einfuhr kamen 19.313 t nach Algier.

Im Verkehre mit dem Auslande, für welchen England besonders wichtig ist, dominiren weitaus fremde Flaggen; der Verkehr mit Frankreich ist seit 2. April 1889 der französischen vorbehalten, das trifft aber nicht die Staaten, welche in ihren Verträgen die Clausel der Meistbegünstigung haben.

Algiers Schiffsverkehr betrug:

〈…〉〈…〉

Algiers Schiffsverkehr ist ebenfalls in erster Linie nach Frankreich gerichtet und wird zumeist durch die Compagnie générale transatlantique besorgt.

Dieselbe ist bestrebt, den Verkehr immer mehr zu vervollkommnen, und es ist ihr durch Inbetriebsetzung kräftiger Dampfer gelungen, bei dem Eildienste eine Fahrtdauer von 24 Stunden für die Strecke Marseille-Algier (417 Seemeilen) 435Algier.zur normalen bei günstigem Wetter zu machen. Jetzt werden auf der Werfte von Penhoët neue Dampfer gebaut, die eine Geschwindigkeit von 18 Knoten erreichen und den Weg nach Marseille in 22 Stunden zurücklegen sollen.

Algier hat durch die Compagnie générale transatlantique mit Marseille täglich Postverbindung, mit Port Vendres und den Küstenplätzen bis Tunis ein - mal in der Woche.

Nach Algier kommen ferner die Compagnie anonyme de navigation mixte von Marseille, die Messageries maritimes, die Compagnie générale de bateaux à vapeur à helice du Nord, die Compagnie Havraise, die Compagnie Havraise Pen - insulaire Algérienne. Den Verkehr über Oran und Cette nach Marseille richtet die Dampfschiffahrts-Gesellschaft E. Collal et A. Saintpierre ein.

Seit 1889 ist, wie schon erwähnt, die Schiffahrt zwischen Frankreich und den Häfen Algiers französischen Schiffen vorbehalten und dadurch eine Ver - theuerung des Transportes eingetreten.

Von Algier führen die Eisenbahnzüge den Reisenden zweimal täglich in 13 Stunden nach Oran (421 km), einmal täglich in 19 Stunden nach Constantine (464 km).

Algier ist mit Marseille durch drei Kabel verbunden, welche der franzö - sischen Regierung gehören.

In Algier haben die Bank von Algier (la Banque d’Algérie), die Compagnie Algérienne, die Credit foncier et agricole d’Algérie, die Compagnie Algérienne und eine Succursale des Credit Lyonnais ihren Sitz. Zahlreich sind die Wechselstuben, dafür gibt es hier nur wenige Banquiers.

Consulate haben in Algier: Argentinien, Belgien, Bolivia, Brasilien, Co - lumbia, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Griechenland, Grossbritannien, Haïti, Italien, Monaco, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Peru, Portugal, Russland, Schweden-Norwegen, Schweiz, Spanien, Uruguay, Vene - zuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

Kein zweiter grösserer Hafen Algiers liegt dem europäischen Continente so nahe wie Oran, aber die Verbindungen mit Marseille und Port Vendres durch die Cie générale transatlantique und mit Carta - gena durch E. Collal et A. Saintpierre gehören nicht zu den Eil - linien.

Der Hafen von Oran bildet ein grossartiges Panorama. Seine Bucht wird im Westen durch den mehr als 400 m hohen Dschebel Murdschadocho, im Osten durch den Dschebel Khar oder Löwenberg abgeschlossen, und in dem Thale des zwischen diesen Schutzwehren mündenden Ued er Rehhi und an den Abhängen der Berge erstreckt sich weit nach Süden hin die Hauptstadt des westlichen Departe - ments von Algier.

Oran ist viel mehr europäische Stadt als Algier, denn es war seit Jahrhunderten wiederholt längere Zeit von den Spaniern besetzt. Hier tritt der Orient in den Hintergrund und das ganze Leben erinnert an das nahe Cartagena, weil von den 67.681 Einwohnern55*436Das Mittelmeerbecken.zwei Fünftel Spanier und ihnen gegenüber die Franzosen weit in der Minderzahl sind. Oft hört man die Stadt Corte chica , die kleine Residenz nennen, weil sie unter spanischer Herrschaft so hiess, und die Spanier haben hier ihre nationale Tracht bewahrt. Sie sind die Träger des Gemüse - und Gartenbaues und arbeiten auch gerne in den Minendistricten.

Den Franzosen ist die Ansammlung des spanischen Elementes an den Grenzen Marokkos nicht angenehm. Denn auf dem Boden dieses dem Handel noch so wenig erschlossenen Sultanates kreuzen sich die Interessen Spaniens, Frankreichs und Grossbritanniens; Spanien will von Ceuta, Frankreich von Algier und England von Gibraltar aus seinen Einfluss ausbreiten.

Die Einrichtungen des Hafens von Oran entsprechen nicht mehr seiner Be - deutung. Oran ist Algiers erster Ausfuhrhafen für Halfa, Crin d’Afrique, Gerb - rinden, Getreide und getrocknete Gemüse, ein sehr wichtiger Platz für Wein, Heu, Schafwolle, Häute und Hörner und Eisenerze. Hier werden unter allen Häfen Algiers die grössten Mengen Mehl, Zucker, Pflanzenöle, Schafwollwaaren, gearbeitete Häute und Seife eingeführt. Sein Küstenverkehr erreichte 1888 im Ausgange 11.845 t, die nach Philippeville und Algier bestimmt waren, 15.329 t im Eingange.

Der Schiffsverkehr von Oran betrug:

〈…〉〈…〉

An Schiffsverbindungen besitzt der Hafen ausser den oben genannten eine französische Linie nach Bordeaux, Hâvre, Rouen, Dünkirchen, eine spanische nach Marokko, Cádiz und Gibraltar und ist Station der Gesellschaft E. Collal et A. Saintpierre.

Oran hat Eisenbahnverbindung mit dem Innern, telegraphischen Anschluss zu Lande.

Im Osten Algiers sind besonders wichtig die Häfen Philippe - ville mit 22.171 Einwohnern und Bona mit 29.640 Einwohnern.

Der Schiffsverkehr von Bona und Philippeville betrug:

〈…〉〈…〉

Ueber diese Häfen, von deren jedem eine Eisenbahn ausgeht, die im Innern zu einem Strange sich vereinigen, kommen ins Ausland die Hälfte der Woll -437Algier.ausfuhr Algiers und mehr als die Hälfte der Fische, der frischen und getrock - neten Früchte, der grösste Theil des Olivenöls und Korkholzes, sehr viel Heu, Gerbrinde, eichene Schwellen und Eisenerze ins Ausland. Bemerkenswerth ist, dass über sie die grössten Mengen von Baumwollstoffen, von Metallwaaren und Wein ins Land kommen. Der Küstenverkehr von Philippeville umfasste 1888 9565 t im Ausgange und 11.339 t im Eingange.

Philippeville hat Eisenbahn - und Telegraphenverbindung mit dem Innern über Constantine, dessen Hafen es ist. Die Bahn geht von hier bis in die Sahara in die Oase Biskra (120 m Meereshöhe), die gegenwärtig mit ihrem Hotel Sahara ein Hauptziel europäischer Touristen ist, welches von Philippeville in einem Tage erreicht werden kann.

Der Küstenverkehr von Bona erreichte 1888 6959 t im Ausgange, 11.269 t im Eingange.

Von Bona gehen zwei Kabel der Eastern Telegraph Company nach Mar - seille, zwei nach Malta, ein Kabel des französischen Staates nach Biserta.

[438]

Barcelona.

Die West - und Südküste der pyrenäischen Halbinsel zählen zu jenen Gebieten, wohin schon frühzeitig die hohe Cultur des Ostens verpflanzt worden war. Es ist ein ebenso classischer Boden wie jener von Phönikien, Griechenland, Karthago und Rom, und auch hier brandeten die vernichtenden Wogen, welche die Kämpfe um die Welt - und Seeherrschaft der grossen und mächtigen Reiche aufge - wühlt haben, auch an den gesegneten Gestaden der Hesperia blühten im Alterthume volkreiche Städte, in welchen wie zu Rom, Athen und Korinth die Kunst der Alten prächtige Tempel und Bauten schuf. Scheu und verwundert mögen die Ureinwohner des Landes, die Iberer und die aus dem rauhen Norden eingedrungenen Kelten, das niemals zuvor gesehene Schaffen der Fremden angestaunt haben.

Das ferne Tarschisch der Bibel, ein Land, das in der Folge Tartessus genannt wurde, ist das heutige Andalusien, dessen Besied - lung durch die Phönikier, daher in vorhistorischer Zeit stattgefunden haben musste. Ebenso war das ausserhalb der Säulen des Herkules gegründete Gades, an der Stätte des heutigen Cádiz, eine der ältesten phönikischen Colonien. Aber auch die Griechen waren an den ver - lockenden Gestaden Westspaniens beizeiten erschienen und machten sich dort sesshaft. Viele der Colonien sind in den Kämpfen der Zeiten spurlos verschwunden, andere wieder sanken von stolzer Höhe zur Bedeutungslosigkeit herab, und wieder andere feiern nach einstiger Blüthe und langem Siechthum erst in der Neuzeit wieder unerwartete Triumphe. In den Schicksalen von Sagunt, Tarraco und Barcino sind diese Wandlungen am deutlichsten ausgeprägt.

Nach Strabo wurde Sagunt (Saguntum der Römer) 1384 v. Chr. durch Griechen aus Zante gegründet und war eine der wenigen Colonien, welche die eifersüchtigen Phönikier den kühnen Rivalen an der iberischen Halbinsel anzulegen gestatteten. Kaum eine andere439Barcelona.Stadt jenes Gebietes beanspruchte in der Geschichte mehr Beachtung als die Seestadt Saguntum und deren heroisches Ende.

Die ungeheuren Reichthümer, die hier sich angesammelt hatten, reizten endlich die Habgier der Karthager, welche seit 238 v. Chr., um welche Zeit Karthago nova (Cartagena) entstand, ihre Macht in Hispania begründeten. Ein Hauptstrom der karthagischen Invasion wälzte sich gegen Sagunt, das mit Rom verbündet dem Ansturm Hannibals mit Heldenmuth begegnete. Der Widerstand und die Schrecken der denkwürdigen Vertheidigung (218 v. Chr.) wurden kaum von der Todesverachtung der Helden von Numantia überboten. Sagunt fiel, erzählt Florus, der römische Geschichtsschreiber, als ein grossartiges, aber trauervolles Denkmal der Treue zu Rom, aber auch des Versäumnisses Roms, das in zaudernder Berathung den richtigen Zeitpunkt für den rettenden. Entschluss nicht zu finden gewusst und seinem Verbündeten in der Noth zu helfen unterlassen hatte. Roma deliberante Saguntum periit!

Sagunt wurde indes gerächt, denn sein Schicksal gab mit die Veranlassung zum zweiten punischen Kriege und in der Folge zur Vertreibung der Karthager aus Hispanien. Die Trümmerstätte von Sagunt war Jahrhunderte hindurch für die Gothen, Mauren und Spanier ein unerschöpflicher Steinbruch. Gegenwärtig liegt in der Nähe das Städtchen Murviedro, drei Meilen von der Küste entfernt.

Das Schicksal von Tarraco, dem heutigen Tarragona, zeigt ein anderes Bild. Das scheinbar uralte Felsennest gelangte im römischen Kriegszuge in die Gewalt der Brüder Publius und Cneius Scipio, worauf Augustus, der hier (26 v. Chr.) überwinterte, die Stadt (Julia Victrix) an Stelle von Carthago Nova (Carthagena) zur Hauptstadt der diesseitigen hispanischen Provinz erhob, es mit vielen Prachtbauten schmückte und durch Kunstbauten einen Hafen schuf. Hier erliess der Imperator das Decret, welches die Schliessung des Janustempels anordnete.

Tarraco blühte unter der Gunst der Römer zu grossem Glanze auf und soll über eine Million Einwohner gezählt haben. Die einge - fallenen Gothen und nach ihnen die Araber machten der stolzen Pracht ein Ende. Die Stadt erholte sich nicht mehr zur Bedeutung. Heute zählt Tarragona nur etwa 27.000 Einwohner und ist Sitz eines Erzbischofs und des Gouverneurs der Provinz.

Im Gegensatze zu den beiden erwähnten uralten Cultur - und Handelsstätten schreitet ihre ehrwürdige Schwesterstadt Barcino, das heutige Barcelona, erst in der Neuzeit dem Höhepunkte des Ansehens440Das Mittelmeerbecken.und Reichthums entgegen, nachdem sie Jahrtausende hindurch eine mehr bescheidene Rolle gespielt hatte. Die Legende nennt Herakles ihren Gründer und verlegt die erste Ansiedlung auf 400 Jahre vor die Gründung Roms. Jedenfalls haben wir es hier mit einer der ältesten griechischen Schöpfungen auf hispanischem Boden zu thun, zu deren Entstehung die günstigen orographischen Verhältnisse der dortigen Küste (Hafenbucht und isolirter Berg) frühzeitig eingeladen haben mochten.

Erst als die Karthager auch hieher vorgedrungen waren, wird der Name Barcino genannt. Barca, Hannibal’s Vater soll die Stadt 225 v. Chr. umgebaut und zu seinen Ehren ihr den erwähnten Namen gegeben haben; sie wurde, obgleich nicht ausgedehnt, das Neukarthago der nördlichen Küste. Damals lag die Stadt auf der flachen Erhöhung Taber, dort wo gegenwärtig die Kathedrale steht.

Die Römer besetzen sie 206 v. Chr. und nannten sie Favienta Julia Augusta Pio Barcino , doch war die Stadt von Tarraco, ja selbst von der heute verschwundenen massilianischen Colonie Emporiae (Golf von Rosas nächst der französischen Grenze) verdunkelt.

Unter den Alanen, welche um das Jahr 409 Barcino besetzten, begann der Wohlstand der Stadt sich zu heben, noch mehr aber, als die Westgothen Barcino zur Hauptstadt erhoben. Diese durfte Münzen prägen, welche die Legende Barcinona trugen.

In der Folge wurde Toletum die Königsstadt. Das Christenthum fand in Barcino bald eine gesicherte Stätte, Zeuge dessen sind die zwei in den Jahren 540 und 599 dort abgehaltenen Kirchenconcilien.

Spanien war aber nicht das Land, die Eigenart der Westgothen auf die Dauer der Zeit zu erhalten. Nicht nur die Einflüsse des heissen Klimas und der angesessenen Bevölkerung, sondern auch innere Zwistigkeiten zehrten am Marke der Gothen, so dass die Araber, welche bereits die ganze Nordküste Afrikas be - völkert hatten, zum Einfall in das blühende Spanien ermuthigt wurden.

Unter ihrem Heerführer Tarek Abu Zara, dem Begründer der Feste Gi - braltar, überfluteten sie alsbald die Halbinsel. In der siebentägigen Schlacht bei Jeres de la Frontera 711 sank das Reich der Westgothen in Trümmer, und es erhob sich die Glanzperiode des unabhängigen Khalifats von Cordoba, dessen prunk - volles Hofleben mit der Prachtentfaltung der römischen Imperatoren wetteiferte. Wohlstand, ja Reichthum erfüllte das Land, und Kunst und Wissenschaft fanden unablässige Pflege.

Aber auch das machtbewusste Khalifat unterlag schon im X. Jahrhundert der zersetzenden Thätigkeit einzelner kriegerischer Vezire, und beim Erlöschen des omajadischen Khalifengeschlechtes (1038) zersplitterte das Reich in kleine Emirate, wie Toledo, Granada, Sevilla, Lisboa, Murcia und Valencia, welche rivalisirend nebeneinander standen. Nachdem der Versuch der Sarazenen, den Halbmond auch nördlich von den Pyrenäen aufzupflanzen, von den Merovingern blutig abgewiesen[441]

Barcelona.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 56442Das Mittelmeerbecken.worden, war auch die Zeit gekommen, in welcher das Christenthum Spaniens zum Kampfe um das verlorene Gebiet vorstürmte.

Ein wahres Heldenzeitalter brach auf der Halbinsel an. Die Geschichte dieser Zeit berichtet von einer Fülle der kühnsten Kriegsthaten und verherrlicht die Helden - gestalt des Cid als Vorbild gottbegeisterter Ritterlichkeit. In zahllosen Liedern und Poemen besungen, erscheint Cid (Don Roderigo de Vivar) als der leuchtende Mittelpunkt des damaligen Vernichtungskampfes gegen die heidnischen Mauren.

Unterdessen organisirten sich die vordringenden Christen zu staatlichen Ordnungen. Im Norden entstand das Königreich Castilien, im Osten das König - reich Aragonien und im Westen Portugal.

Seit 1238 auf Alicante und Granada beschränkt, hielten sich die Mauren dennoch bis 1492, in welchem Jahre Ferdinand und Isabella, welche die Kronen Castiliens und Aragoniens vereinigt hatten, der Maurenherrschaft den Todesstoss versetzten. Im selben Jahre als Columbus der spanischen Krone die neue Welt entdeckte, fiel Granada, der letzte Hort des letzten Maurenkönigs Bobadilla.

Von dieser Zeit an beginnt die ungeheure Machtentfaltung Spaniens eines - theils durch kluge Heiratspolitik, wodurch der Habsburger Philipp die spanische Königs - und die deutsche Kaiserkrone auf seinem Haupte vereinigte, andererseits aber durch den weltbewegenden Erfolg der grossen Idee Colon’s, welcher Spanien in der Folge ein weites Machtgebiet in der neuen Welt einbrachte und durch deren Ueberfluss an Edelmetallen den Nationalreichthum des Mutterlandes wesent - lich steigerte.

Spanien wurde zur tonangebenden Macht auf der Erde und spanische Sitte und Tracht galten ebenso unbestritten wie spanisches Geld und spanische Kriegs - kunst. Bekannt ist der stolze Spruch Karl I. von Spanien (Kaiser Karl V.): In meinem Reiche geht die Sonne nicht unter.

Ebenso schnell wie Spaniens Machtfülle angewachsen war, vollzog sich die Abbröcklung der zahlreichen Besitzungen, und in wirthschaftlicher Beziehung war der Staat nur das Sieb , welches die amerikanischen Silberströme nach dem übrigen Europa leitete. Nach dem spanischen Erbfolgekriege (1701 1714), welcher die Herrschaft der Bourbonen in Spanien befestigte, war das Reich in Europa bereits auf den heutigen Umfang eingeschränkt.

Die französische Revolution, noch mehr aber die napoleonische Kaiserzeit griffen tief in die Schicksale des Landes. Napoleon zwang den König Karl IV. und dessen Thronerben Ferdinand (1807) zur Thronentsagung und erhob seinen älteren Bruder Josef Bonaparte zum König von Spanien. Das war das Signal zu einem mit unerhörter Erbitterung geführten Kampfe des ganzen Volkes gegen die aufgedrungene Fremdherrschaft. Alle Macht des Imperators reichte nicht aus, Spanien zu behaupten. In den durch ein englisches Corps unter Wellington unter - stützten Kämpfen blieben die Vortheile auf Seiten Spaniens, und mit Wellingtons entscheidendem Siege bei Vittoria (21. Juni 1813) war das napoleonische König - reich gefallen.

Nun kehrten die legitimen Bourbonen zurück, aber das Land wurde durch häufige Revolutionen, die sogar zu einer vorübergegangenen republikanischen Staatsform geführt hatten, und durch die Aufstände der Carlisten tief erschüttert. Erst seit der Regierung Alphons XII. begannen ruhigere Verhältnisse einzu - ziehen, welche die gegenwärtige Königin-Regentin Maria Christine im Namen443Barcelona.ihres Sohnes des Königs Alphons XIII. mit weiser Kraft und seltener Ausdauer zu befestigen trachtet.

Catalonien, gegenwärtig die reichste Provinz Spaniens, bildet ebenso die Kraft wie die Schwäche dieses Königreiches; es ist der classische Boden der Re - volten, Aufstände und republikanischen Erhebungen, wie kein anderes Land der Erde in solcher Zahl sie aufzuweisen vermag. In seiner Bevölkerung scheinen die Charaktereigenschaften der Keltiberer vererbt zu sein, vor allem Ehrgeiz, Tapfer - keit und Kriegslust, aber auch List und Grausamkeit.

Barcelona spielte unter der Maurenherrschaft keine Rolle und gelangte schon 878 unter einen unabhängigen christlichen Regenten, dessen zwölfter Nach - folger den Titel eines Grafen von Barcelona und dann jenen eines Königs von Aragon annahm.

Im Mittelalter theilte Barcelona mit den italienischen Emporien den ge - winnbringenden Seehandel im Mittelmeere und gelangte zu grossen Reichthümern, auf deren Bestand die kostbaren Kirchenbauten der Stadt hinweisen.

Barcelona ist auch mit den Schicksalen des grossen Colon verknüpft, denn hier wurde der grosse Entdecker im April 1493 von dem Königspaare Ferdinand und Isabella empfangen, nachdem er diesen die neue Welt geschenkt hatte. Be - reits unter Karl V. trat infolge der allgemeinen Missherrschaft und der Gegen - wehr der Catalonier der Verfall von Barcelona ein. In der Folge theilte die Stadt die Schicksale Cataloniens. Im Erbfolgekrieg die Sache Habsburg verfechtend, ward Barcelona von den Franzosen unter Berwick gestürmt und arg verwüstet. Während der napoleonischen Invasion gelangten die Franzosen durch List in den Besitz der Stadt.

Wie früherer Zeit war Barcelona auch im Laufe des gegenwärtigen Jahr - hundertes der Schauplatz zahlreicher Aufstände, die in der sehr angewachsenen Arbeiterbevölkerung eine stets bereitwillige Unterstützung fanden.

Barcelona liegt an einer Flachküste, an der nur hie und da mässig hohe Hügel emporsteigen. Der bedeutendste derselben ist die im Süden knapp an der Stadt auf 228 m Höhe ansteigende, ziemlich steile und isolirte Kuppe des Montjuich, dessen Spitze das gleich - namige starke Fort oder Castell krönt. Der Besitzer dieses Berges ist der Beherrscher der Stadt. Montjuich war der Mons Jovis der Römer; im Mittelalter hiess er Mons Judaicus, weil er die Behausungen der Juden trug. Lord Peterborough erstürmte die scheinbar uner - steigbare und tapfer vertheidigte Höhe am 14. September 1705 (Erbfolgekrieg) in einer höchst brillanten Affaire. Während des Auf - standes im Jahre 1842 liess Espartero die Stadt aus den Batterien der Castells bombardiren, ein Gleiches geschah anlässlich des Pro - nunciamentos im darauffolgenden Jahre.

Montjuich, der starke Wächter von Barcelona, erwidert auch die friedlichen Geschützsalute der ankommenden fremden Kriegsschiffe und nimmt überhaupt an allen Festlichkeiten, die tief unten zu seinen Füssen stattfinden, regen Antheil. Von seiner Höhe geniesst man ein56*444Das Mittelmeerbecken.grossartiges Panorama über die weit ausgreifende Stadt und ihre schöne Umgebung.

Im Süden mündet an einem flachen Strande der in den Pyrenäen entspringende Llobregatfluss; ein dickleibiger Leuchtthurm markirt diesen Ort. Einwärts breitet sich eine liebliche Landschaft aus, in welche die unzähligen Verkehrswege Barcelonas strahlenförmig aus - laufen. Villen, Gärten, lachende Ortschaften und Fabriken haben dort beneidenswerthe Punkte eingenommen. Nächst dem Llobregat gewahrt man die Baulichkeiten des Rennplatzes und des ausgedehnten Irren - hauses. Der nördliche Küstenstrand bietet ein Bild malerisch bewegten Lebens dar. Eine Reihe anmuthiger Hafenstädte lagert dort in fried - licher Ruhe am Abhange eines die Küste begleitenden Höhenzuges; zunächst der beliebte Ausflugsort Badalena mit seinem herrlichen Strand, den zahlreichen Fabriken für Zucker - und Petroleum-Raffinerie, für Glas und chemische Producte. Unter den Villeggiaturen von Badalena hat die prachtvolle Quinta des reichen Bankiers und geschätzten Philantropen Sr. Arnou’s eine locale Berühmtheit erlangt. Weiter folgen, sämmtlich durch eine längs des Strandes führende Eisenbahn und durch Dampfer verbunden, die kleinen Orte Tiana, Premia de Mar, S. Juan de Vilasar, dann die über 18.000 Einwohner zählende Stadt Mataró. In weiter Ferne schimmert der Ort Arenys de Mar.

Von der Höhe des Montjuich zeigt sich uns die Physiognomie des Häusermeeres von Barcelona mit der Deutlichkeit eines Planes. Man vermag die grossen Verkehrsadern der anwachsenden Stadt mit Leichtigkeit zu verfolgen, man erkennt auf den ersten Blick die Altstadt von Barcelona, welche durch die breite Ramblastrasse in zwei fast gleich grosse Theile geschnitten wird, man sieht den äusseren Boule - vard den alten Kern umspannen und beobachtet mit einiger Ver - wunderung die seltsame Anordnung der neuen Stadt mit ihren breiten Strassen, Alleen und den zahllosen achteckigen Plätzen. In seiner Originalität trägt der Stadterweiterungsplan einen entschieden genialen Zug an sich und scheint auch den hygienischen Anforderungen besser zu entsprechen, als die meisten und selbst neuesten amerikanischen Stadtbauprojecte.

Seitdem im Jahre 1868 die Wälle von Barcelona geschleift wurden, erhielt die Stadt eine prächtige Ringstrasse (Ronda), an welche sich gegen aussen die Neustadt anschliesst.

Zwischen den normalen Strassenzügen sind dort breite Avenuen eingeschaltet, welche beiderseits mit Alleen und weiten Trottoirs aus - gestattet, die Pulsadern für die grössten Bevölkerungsmassen bilden. 445Barcelona.Eine der imposantesten Avenuen ist der Paseo de Gracia, welcher die Vorstadt Gracia mit der Altstadt verbindet, dann die Rambla de Cataluna, die Fortsetzung der eigentlichen Rambla, ferner die Calle de las Cortes mit dem Tetuanplatze, die vom Hafen nach der Vor - stadt Hostafranchs führende Calle Marques del Duero, die Calle del Paseo de S. Juan u. a. Die letztgenannte Avenue führt am Bahnhof der Eisenbahn nach Zaragoza vorbei und mündet dann als breite Allee (Salon de S. Juan) in den prächtigen Park (Parque), der im Jahre 1888 das glänzende Schauspiel einer reich beschickten Welt - ausstellung geboten. Die Anwesenheit der Königin-Regentin mit ihrem Sohne, dem damals zweijährigen König Alphons XIII., dann die grossartige Vereinigung von Flotten und Schiffen aller Seestaaten der Erde gab zu vielerlei glanzvollen Festlichkeiten und Kundgebungen die Veranlassung, so dass diese Zeit, die auch die Enthüllung des äusserst prunkvollen Columbus-Denkmals gesehen, von einere pochalen Bedeutung für Barcelona geworden ist.

An der Stelle des Parque erhob sich bis in die jüngste Zeit die Citadelle, welche seit Philipp V. im Verein mit dem Castell von Montjuich die Stadt im Zaume hielt.

Die Stadt hat in den letzten Jahren durch eine rastlose Bau - thätigkeit sich verjüngt und enorm vergrössert; sie bietet mit ihren neuen Anlagen, ihren herrlichen Monumentalbauten und den ausge - dehnten Hafenarbeiten das Bild eines energisch aufstrebenden Ge - meindewesens, dessen Ziele auf die grösste Erweiterung der indu - striellen und Handelsstellung der catalonischen Metropole gerichtet sind. Catalonien ist ja das Lancashire von Spanien, und Barcelona, das jährlich unter anderem über 250.000 Ballen Baumwolle verarbeitet, ist sein Manchester. Von dem fabelhaften Aufschwung der Stadt wird man sich eine Vorstellung bilden können, wenn man bedenkt, dass seit 1870 eine grössere Terrainfläche verbaut wurde, als die alte Stadt einnimmt. Wenn der Reichthum der Stadt und die Be - völkerungszahl in demselben Verhältnisse wie bisher zunehmen sollten, dann würde Barcelona bald alle Städte verdunkeln, an deren Quais die Wellen des Mittelmeeres rauschen.

Deshalb stieg auch die Frequenz ihres Seeverkehrs und machte die Erweiterung des Hafens und dessen Ausstattung nothwendig. Der ursprüngliche Hafen wurde 1474 angelegt und erst 1880 schritt man zu dessen Umwandlung in einen Kunsthafen nach modernen Begriffen.

Aus unserem Plane sind die Details und die gegenwärtigen Tiefenverhältnisse sowie das Project für eine in Aussicht genommene446Das Mittelmeerbecken.Erweiterung zu entnehmen, und wir haben nur beizufügen, dass der Ausbau der verschiedenen Dämme und der auf diesen projectirten Lagerhäuser noch im Zuge ist. Aber die Vertiefung der inneren Hafenpartien ist theilweise schon durchgeführt.

Die äussere Rhede von Barcelona ist besonders zur Winterszeit unverlässlich. Eine schwere See wälzt sich dann ununterbrochen daher und beim Nahen von Stürmen sind die dort geankerten Schiffe ge - zwungen, in See zu stechen.

Eine schöne Freitreppe vor dem Columbus-Denkmal bildet den vornehmsten Landungsplatz am Paseo de Colon, dem schönen Quai des Hafens. Von hier aus gelangt man zur berühmten Ramblastrasse, der fashionablesten Promenade der Stadt, die über einen Kilometer lang und von einer doppelten Allee eingefasst, so recht ein nach Spanien versetztes Unter den Linden ist. Hier wogt zu jeder Tages - stunde und bis tief in die Nacht hinein ein äusserst bewegtes, mit - unter sehr lärmendes Volksleben. Während des Sommers flutet das Treiben der Nacht in die Werkthätigkeit des Tages ohne Unter - brechung hinüber. Die Rambla (vom arabischen Rambl, Sand, also Flussbett) führt in ihrem Verlaufe mehrere Namen, wie R. de Sta. Monica, R. del Centro, R. de San José, wo die Zauberpracht des Blumenmarktes sich entfaltet, R. Estudios, R. Canaletas und R. Isa - bella II. Die grossen Theater, wie das Gran teatro del Liceo und Teatro Principal, Kaffeehäuser, vornehme Hotels und Restaurants, glänzende Waarenmagazine und schöne Privathäuser liegen an der Rambla. Hier mündet die schöne Calle Ferdinando mit reichen, sehens - werthen Waarenhäusern und reizenden Auslagen. Man gelangt dort zur Plaza de la Constitucion, wo das aus dem XIV. Jahrhundert stammende Stadthaus (Casa Consistorial) und das Parlamentsgebäude (Casa de la Diputacion) sich erheben.

In nächster Nähe steht der ehrwürdige von geheimnissvollem Düster erfüllte Bau der uralten Kathedrale La Seu oder Seo.

An der Stätte eines heidnischen Tempels erbaut, wurde die ursprüngliche Kirche von den Mauren in eine Moschee verwandelt, dann erweitert, diente sie seit 1058 wieder den Christen. Mit Be - nützung einzelner Theile entstand dann 1329 nach 31jährigem Baue die heutige Kathedrale, welche dem Catalonien eigenthümlichen Kirchenstyl angehört. Der mit schönen Glasmalereien und Sculpturen geschmückte und vielerlei Reliquien enthaltende Dom hat zwei sehr hohe Thürme, ist aber in seiner äusseren Gestaltung nicht voll - endet worden.

447Barcelona.

In Barcelona haben sich auch sehenswerthe Kirchen aus dem X. Jahrhunderte erhalten, wie San Pablo del Campo im Westend der Stadt und San Pedro de las Puellas; überhaupt besitzt die Stadt viele religiöse Bauwerke aus weit zurückreichenden Perioden, die viel Interesse bieten.

Unter den neueren Profanbauten ist das erst vor einigen Jahren vollendete Universitätsgebäude, das 2000 Studenten besuchen, er - wähnenswerth. Seine enorm weite und prunkvolle, im maurischen Styl gehaltene Halle ist dort sehenswerth. Einen heiteren Anblik gewährt die Plaza Real nächst der Rambla. Der mit Gartenanlagen und einer schönen Graziengruppe gezierte Platz ist eine Nachahmung des Palais Royal in Paris.

Zu einer Merkwürdigkeit war das anlässlich der Weltausstellung nächst dem Hafenquai auf einer Grundfläche von 5250 m2 in staunens - werth kurzer Zeit erbaute Grand Hotel Internacional geworden. Dieses mehr als 1000 Appartements, zahlreiche Salons, Bäder u. dgl. ent - haltende Gebäude wurde in der Zeit vom 5. December 1887 bis zum 10. März 1888, also in 94 Tagen von den Grundmauern bis zur Vollendung aller luxuriösen Ausschmückungen hergestellt. Heute ist es wieder verschwunden, und an dessen Stelle lagern jetzt Baumwolle, Holz und Getreide.

Das geistige Leben der Stadt ist sehr entwickelt; es bestehen viele gelehrte Gesellschaften und höhere Unterrichtsanstalten für Künste und Wissenschaften, wie die Universität, Architektenschule, die Schule für Industrieingenieure, Schule der schönen Künste, nauti - sche Lehranstalt, Handelsakademie u. s. w.

Barcelona (41° 22′ N. und 11′ w. v. G.), die Hauptstadt der Provinz zählte nach dem Census von Ende 1887 bereits 272.481 Ein - wohner, hat aber gegenwärtig deren fast 300.000.

Die Stadt, Sitz eines Bischofs und Residenz des Gouverneurs (Capitan General), erfreut sich eines sehr milden Klimas. Der Winter ist dort wärmer als in Neapel oder Rom. Zum Winteraufenthalt ist daher die Stadt, welche allen Comfort und jede Art von Vergnü - gung in reichem Masse bietet, wie geschaffen.

Nordwestlich von Barcelona hat das auf der Höhe des Mons Serratus (1210 m über dem Meere) liegende berühmte uralte Benedic - tiner Kloster Montserrat als Wallfahrtsort einen weit über die Grenzen Spaniens reichenden Ruf erlangt.

Die wildromantische Umgebung desselben, der herrliche Aus - blick auf ganz Catalonien und die furchtbaren Abgründe im Vorder -448Das Mittelmeerbecken.grund, noch mehr aber die Erinnerungen, welche an den Ort sich knüpfen, sicherten der heiligen Stätte seit Jahrhunderten den zahl - reichen Besuch, der gegenwärtig bis zu 100.000 Personen im Jahre angestiegen ist.

Die Legende besagt, dass der Apostel Lucas ein Bild der heiligen Jung - frau herstellte, welches Apostel Petrus im Jahre 50 nach Barcelona brachte. Dort verblieb das Bild, bis die Mauren gegen die Stadt heranzogen. Die Gothen ver - steckten nun dasselbe in dem Gebirgsstocke des Montserrat, wo es 880 durch den Bischof Gondemar unter wunderbaren Erscheinungen aufgefunden wurde. Als dieser das Bildniss nach Barcelona bringen wollte, da geschah es, dass die heilige Jung - frau sich hartnäckig weigerte, den Weg fortzusetzen. Es wurde daher vor Allem eine Kapelle, errichtet und in der Folge entstand dort das berühmte Kloster, dessen Kirche das Gnadenbild enthält.

Gegenwärtig leben dort 19 Mönche, welche unter anderem einen wohlschmeckenden Liqueur (Montserrat) erzeugen.

Man nennt die bedürfnisslosen Spanier, in deren Lande die Lebensmittel billig sind, das mañana - Volk, weil sie alle Arbeiten gern auf spätere Zeit, auf morgen (manñana) verschieben.

Diese Charakteristik hat viele Berechtigung gegenüber dem An - dalusier und Castilianer; aber für den Catalonier und den Basken trifft das nicht zu; denn bei ihnen waren Handel und Gewerbe niemals eine entehrende Beschäftigung, wie bei den stolzen Castiliern.

In Catalonien findet man nicht wüste Strecken, wie im übrigen Spanien, mit unsäglicher Mühe wird der Boden in den Dienst des Menschen gestellt.

Die Catalonier sind auch die Träger des Handels und der Indu - strie von Spanien, ja man kann geradezu sagen, sie beherrschen dieselben.

Ihre Hauptstadt ist die erste Fabriksstadt, der wichtigste Han - delshafen des Reiches; sie spielen eine hervorragende Rolle in der Pflege und Ausübung der Localindustrie der verschiedenen Provinzen Spaniens, und in ihren Händen befinden sich in Madrid und den übrigen Städten der Kleinvertrieb der Waaren und der Grossverkehr.

Legende zum Plan von Barcelona. A Rhede von Barcelona, B Vorhafen (projectirter), C Vorhafen gegenwärtig, D Kohlenhafen, E innerer Hafen, F Leuchtfeuer, G Liegeplatz für Kriegsschiffe, H Trockendocks, J proj. ctirte Dämme, K Lazareth - Molo, L Parque de la Ciudadela, M Muelle de Cataluña, N Muelle de Capitania, O M. de España. P M. de Pescadores, R M. de la Esperanza, S M. de la Fortuna, T M. de Barcelona, U Werfte und Aufzug, V Eisenbahnstation (n. Villanueva), W Eisenbahnstation (n. Frankreich). X Columbus-Denkmal, Y Gran Hotel Internacional, Z Castillo de Monjuich. 1 Rambla de Sta. Monica, 2 R. del Centro, 3 R. de San José, 4 R. d’Estudios, 5 Plaza de Cataluña, 6 Universität, 7 Mercado de S. José, 8 Plaza Real, 9 Kathedrale, 10 Plaza Oriol mit Marienkirche, 11 Plaza Constitucion und Calle fernando, 12 Plaza de Palacio, 13 Stierkampf-Arena, 14 Maria del Mar-Kirche, 15 S. Pedro de las Puellas Kirche, 16 Eisenbahnstation (n. Zaragoza), 17 Gran Via Diagonal, 18 Calle de las Cortes, 19 Plaza de Tetuan, 20 Paseo de S. Juan, 21 Calle Meridiana, 22 Paseo de Gracia, 23 Gran-Via circumvalacion (Rondo), 24 Gran-via del Marquesdel Duero, 25 Paseo de Colon, 26 Gasanstalten.

[449]

Barcelona (Massstab 1: 30.400; Sonden und Höhen in Metern).

(Legende siehe auf Seite 448).

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 57450Das Mittelmeerbecken.Und da die Catalonier bei ihrem lebhaften Streben nach Erwerb schon seit Jahrhunderten nicht ungern auswandern, so gebieten sie auch von überseeischen Ländern aus über einen grossen Theil des Aussenhandels Spaniens.

Die Bürger von Barcelona, schon frühzeitig befreit von der Herrschaft der Mauren, zogen Nutzen von der Lage ihrer Stadt an der Grenze der christlichen und mahommedanischen Welt.

Im friedlichen Verkehre mit den seekundigen und fleissigen Mauren von Tortosa, Valencia und Almeria entwickelten sich früh - zeitig ihre volkswirthschaftlichen, im Kampfe mit diesen ihre kriege - rischen Tugenden.

Die Kreuzzüge führten sie mit ihren alten Bundesgenossen, den Provençalen und Genuesen, in die Levante, und sie errichteten dort Gemeinden.

Damals waren in Barcelona noch wenig Gewerbe, aber die Stadt war hauptsächlich wegen der vielen persönlichen Beziehungen ihrer Bewohner zu den Mohammedanern im südlichen Spanien ein wichtiger Platz für die Einfuhr orientalischer und die Ausfuhr euro - päischer Güter. Der jüdische Reisende Benjamin von Tudela (1159 1173) erzählt, dass zu seiner Zeit die Kaufleute aus allen Theilen der Welt dort zusammenkamen.

Unter Jayme I. von Aragonien (1213 1276) griff Barcelona schon selbständig in den Welthandel ein, und erlebte seine schönste Blüthe. Nicht bevormundend, nur schützend und ordnend griff Jayme I. ein und liess die wichtigsten Angelegenheiten in den Händen der Bürgerschaft, in der die Kaufleute sehr wichtige Personen waren. Unter ihm wurde Barcelona eine Fabriksstadt, und unterstützt von der Tüchtigkeit des dortigen Handelsstandes, der Geschicklichkeit der Handwerker und der Kühnheit der Rheder, war bald das Ziel er - reicht, dass der Handel Barcelonas durchaus in den Händen ein - heimischer Kaufleute sich befand, auf die heimische Industrie sich stützte und einheimischer Beförderungsmittel sich bediente. Kein Wunder, dass hier 1279 ein tüchtiges Handelsgesetz entstand, El Consolade del mar de Barcelona, welches später dieselbe Geltung erlangte, wie die Leges Rhodiae bei den Alten.

Als Erbe der Hohenstaufen blieb Jayme I. auch auf gutem Fusse mit den Sultanen Egyptens, die Bürger Barcelonas liessen sich nur von kaufmännischen Interessen leiten und lieferten, trotz des Ver - botes des Königs und des päpstlichen Bannes, wiederholt Bauholz, Theer, Waffen nach Alexandria; ja im XV. Jahrhundert waren sie451Barcelona.sogar als Piraten im Mittelmeere gefürchtet, und überfielen Chios, Alexandria und Beirut. Doch wird uns aus dieser Zeit auch gemeldet, dass Barcelonesen die Banquiers des auf Rhodos residirenden Johanniterordens und die gewichtigsten Kaufleute in Damaskus waren.

Sie halfen 1453 auch ehrlich mit bei der Vertheidigung Con - stantinopels, und ihr Consul wurde daher am 30. Mai enthauptet.

Der Anbruch der Neuzeit brachte Venedig und Genua den Niedergang, dem gewerbfleissigen Barcelona aber ein sicheres Absatz - gebiet in Amerika, jedoch keine Vergrösserung seiner Schiffahrt, da der Handel nach Amerika in Sevilla concentrirt blieb.

Seit Philipp II. verfiel Spanien, damit Barcelona, und wir finden dort Fremde als Fabriksarbeiter, denn 1609 waren die fleissigen Morisken zur Auswanderung in die Barbareskenstaaten gezwungen worden, ihre Fabriken blieben gesperrt und die bisher blühende Bank von Barcelona fallirte. Erst im Zeitalter Karl III. nahm die Industrie Cataloniens einen Aufschwung, der sogar Engländer in Staunen ver - setzte. Doch die lang andauernden Kriege zwischen Napoleon und den Spaniern, welche sich gegen die Fremdherrschaft erhoben hatten, ver - nichteten neuerdings beinahe die letzten Reste der industriellen und commerciellen Thätigkeit Barcelonas.

Es kam die Restauration der Bourbons, aber damit noch lange nicht die Erneuerung des Wohlstandes.

Bei der exorbitanten Höhe der Zölle blühte der Schmuggel, und gleichzeitig hatte die Quadalquivir-Compagnie das Recht, Baumwoll - waaren zollfrei einzuführen.

Der Verlust der Colonien in Amerika war ein neuer, doch nicht vernichtender Schlag, denn diese Länder wurden von Spaniern und solchen bewohnt, die als Spanier gelten wollen, und daher mit dem Mutterlande in Verbindung blieben.

Die Zähigkeit der Catalonen und die verhältnissmässige Ruhe der letzten Jahrzehnte hat die Stadt wieder gehoben. Aber die Abnei - gung der Einwohner Cataloniens gegen die Spanier besteht trotzdem fort; sie können nicht vergessen, dass die Tage ihrer höchsten Blüthe in die Zeit der Selbständigkeit der Krone Aragoniens fallen.

Ja selbst die spanische Sprache ist verbannt, man spricht im Privatverkehre meist lemusinisch (catalonisch), eine Abart des alten Provençalischen, der Sprache der Troubadours.

Die Ausfuhr Barcelonas in fremde Staaten ist beschränkt; sie erreicht kaum zwei Fünftel des Gesammtverkehres, und richtet sich in erster Linie nach57*452Das Mittelmeerbecken.Frankreich, Uruguay, Argentinien und den spanischen Colonien. Bodenproducte, ins - besondere Wein, liefern den weitaus grössten Theil des Werthes. Industrieartikel gehen nur in die von den Spaniern colonisirten Länder von Central - und Süd - amerika, deren Cultur sich im Anschlusse an das Mutterland entwickeln musste, und die auch heute noch von Spaniens erstem Industriegebiete, von Catalonien, mit den nöthigsten Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens versehen werden. Aber unter dem Einflusse einer stärkeren Einwanderung aus Europa, an der auch die industriellen Provinzen Spaniens hervorragend betheiligt sind, nimmt gerade in der reicheren dieser Länder die Industrie einen grossen Aufschwung und der Absatz spanischer Fabricate dahin wird allmälig zurückgehen. Auch muss Barcelonas Industrie noch grosse Verbesserungen erfahren, wenn es daran denken will, mit den Erzeugnissen seiner Industrie in nichtspanischen Ländern zu er - scheinen.

Mehr als drei Fünftel der gesammten Ausfuhr Barcelonas nehmen ihren Weg durch den Küstenhandel in die zahlreichen Häfen Spaniens. Der Werth der in diese gesendeten Gewebe allein erreichte 1888 beinahe die Höhe des Exportes Barcelonas ins Ausland.

Trotz dieses Uebergewichtes, welches in der Ausfuhr Barcelonas der Küsten - verkehr gegenüber dem mit dem Auslande ausübt, werden wir im Folgenden das Hauptgewicht auf den internationalen Verkehr legen, und den Küstenhandel nur insoweit näher betrachten, als er die Ergänzung des auswärtigen Verkehres bildet.

In Catalonien hat der Export von süssem Rothwein, der verstärkt und be - reitet ist wie der Portwein, einen grossen Umfang angenommenen, und bei stei - genden Preisen hat sich die Qualität durch Wahl passender Traubengattungen bedeutend gebessert. Daher ist Barcelona mit seinen zahlreichen Schiffsverbin - dungen der zweite Ausfuhrhafen Spaniens für gewöhnliche Weine. Im Jahre 1888 gingen von hier 929.523 hl (Werth 29,230.913 Pesetas) ins Ausland, meist Mittel - sorten. Ausfuhr 1887 1,111.084 hl, welche Höhe 1889 wieder erreicht wurde. Drei Viertel consumiren die La Platastaaten, Mexico und die spanischen Colonien; die Ausfuhr nach Frankreich geht zurück. Abnehmer sind ferner England, Holland und Nordeuropa.

Catalonien producirt ferner Traubenbranntwein, gewöhnlichen Sprit und Anisbranntwein.

Auch für Olivenöl ist Barcelona der zweite Ausfuhrhafen Spaniens (1888 23.566 q). Absatz nach Südamerika, Marseille und Genua. Die Zufuhr im Wege des Küstenhandels (1888 31.129 q) ist grösser als die Ausfuhr ins Ausland.

Andere wichtige Ausfuhrartikel der Gruppe XII (Nahrungsmittel) des spa - nischen Zolltarifes sind Knoblauch (1888 6748 q, Werth fast eine halbe Million Pesetas), Mandeln (6707 q, Werth 1·1 Million Pesetas), Haselnüsse, Safran (1888 13.442 kg) und spanischer Pfeffer. Orangen (1889 350.000 q) gehen mit der Eisenbahn nach Paris.

Wichtige Posten der Ausfuhr ins Ausland sind conservirte Nahrungs - mittel und eingemachte Früchte (1888 um 1 Million Pesetas), Confituren und Hülsenfrüchte. Weizenmehl spanischen Ursprungs wird im Küstenverkehre (1888 169.675 q, 1887 188.078 q) versendet, Korkholz mit der Eisenbahn nach Frankreich.

Von thierischen Erzeugnissen, die in den Gewerben Verwendung finden, sind nur die Producte der altberühmten spanischen Schafzucht zu nennen, die freilich in der Entwicklung der Volkswirthschaft Spaniens durch die zu grosse453Barcelona.Begünstigung, welche ihr zutheil wurde, eine traurige Rolle spielt. Es wurden 1888 ins Ausland ausgeführt Schaffelle 2079 q und Schafwolle 5516 q. Im Küsten - verkehre wurden 11.890 q Schafwolle ein - und 4392 q ausgeführt.

Entsprechend dem hohen Range, welchen Barcelona als Fabriksort einnimmt, ist die Ausfuhr von Erzeugnissen der Industrie ins Ausland und in die spanischen Küstenplätze.

Im Jahre 1888 wurden 19.637 q (Werth 9·8 Millionen Pesetas) weisse Baumwollstoffe meist nach Marokko, 6350 q (Werth 4·4 Millionen Pesetas) gefärbte und bedruckte Baumwollstoffe über Frankreich, Italien und England nach Süd - amerika, 4390 q (Werth 2·6 Millionen Pesetas) Häkelgewebe und Wirkwaaren nach Nordafrika, den Philippinen und Mexico, und 108.178 q (Werth 65 Millionen Pesetas) Baumwollgewebe, ferner 18.061 q (Werth 90 Millionen Pesetas) Baum - wollgarne im Wege des Küstenhandels versendet. Im Jahre 1889 ist die Ausfuhr nach Marokko so gestiegen, dass Lopez & Cie. eine regelmässige Dampfschiffver - bindung zwischen Barcelona und Marokko eingerichtet haben.

Dagegen ist die Ausfuhr von Leinen - und Hanfwaaren ins Ausland klein, und nur in Tauwerk nach England oder leeren Säcken und ordinärer Waare nach den Canarischen Inseln und Gibraltar von einiger Bedeutung. Hieher gehört auch die sehr ansehnliche Ausfuhr von Spagatschuhen (1888 57.347 Dutzend, Werth 688.164 Pesetas). Im Küstenverkehre wurden 4767 q (Werth 4·8 Millionen Pesetas), Leinen und Hanfgewebe, 1962 q Garne und 13.516 q Abaca und Jutegarne, 5598 q Bindfaden und Seide ausgeführt.

Von Schafwollwaaren gingen Tuche (1888 522 q, Werth 1 Million Pesetas) über England, und Bayetas (1888 528 q, Werth 0·7 Millionen Pesetas) direct nach Mexiko und Südamerika.

In den Küstenverkehr kamen von Barcelona 1888 15.014 q Schafwollgarne und - Stoffe (Werth 20·8 Millionen Pesetas), 365 q (Werth 3·5 Millionen Pesetas) Seidenstoffe, in den auswärtigen Verkehr letztere nur um 420.000 Francs.

Posamentirarbeiten werden fast nur im Küstenhandel abgesetzt.

Die bedeutende Lederindustrie Cataloniens versendet ins Ausland Sohlen - leder und Kalbleder (660 q um 326.178 Pesetas) und alaungares Leder, wie Saffian - und Corduanleder (1888 1859 q, Werth 1·1 Millionen Pesetas), nach Frankreich, Deutschland, Dänemark und Italien. Im Küstenhandel wurden 6439 q Leder aus - geführt.

Aber die Ausfuhr von Schuhwaaren, die hier gefertigt sind, nach Süd - amerika, Italien und Frankreich 1888 mit 8033 q, (Werth 12,852.800 Pesetas), ist für Barcelona von hoher Bedeutung.

Interessant ist, dass grosse Mengen von Schuhwaaren im Küstenhandel zu - geführt werden, so 1888 6197 q (Werth fast 10 Millionen Pesetas). Barcelona ist also für Schuhwaaren als Fabriksplatz weniger wichtig als für Leder.

Der Menge nach führt Barcelona circa doppelt so viel Papier aus (1888 24.610 q, Werth 7·7 Millionen Pesetas) als ein, und ist, Santander etwa abgerech - net, der einzige Ausfuhrplatz Spaniens für diesen Artikel. Die wichtigsten Sorten sind geschöpftes Papier (7511 q), das meist nach Frankreich verladen wird, Cigarettenpapier (9220 q), Bücher (Werth 1·6 Millionen Pesetas) für Mexiko und die spanischen Colonien, endlich Bilder, Kupferstiche und Karten (Werth 2 Millionen Pesetas) für Brasilien. Die Ausfuhr von Papier durch den Küstenhandel erreichte 9228 q (Werth 0·8 Mill. Pesctas).

454Das Mittelmeerbecken.

Ins Ausland gehen auch Spielkarten (1888 967 q, Werth 0·6 Millionen Pesetas).

Böttcherwaaren, für die der Rohstoff meist aus dem Auslande kommt, wurden 1888 43.243 q (Werth 1·7 Millionen Pesetas) ins Ausland, 34.094 q durch den Küstenhandel und 12.843 q im Reexporte, dann Korkstöpsel ins Ausland um 643.000 Pesetas versendet.

Auch von Glas - und Thonwaaren wird manches ins Ausland geschickt; meist ordinäre Glaswaaren (1888 2421 q) nach Marokko, Cuba, Mexiko, Uru - guay und den Philippinen, billige Thonwaaren (1888 22.442 q) nach den Phi - lippinen, Marokko und Dänemark, und buntglasirte (Azulejos) und andere Thon - platten in die spanisch redenden Länder jenseits des Oceans. Im Küstenhandel wurden 25.527 q ganz ordinäre Thonwaaren ausgeführt.

Allgemeine Beachtung und Anerkennung finden die Chamottewaaren Bar - celonas.

Barcelona ist Spaniens einziger nennenswerther Ausfuhrplatz für Seife (1888 69.395 q, Werth 4·5 Millionen Pesetas), die im Orte zum Theile auch aus ausländischen Oelen und Fetten erzeugt wird, ferner für pharmaceutische und chemische Producte, Weinstein ausgenommen, für Wachs - und Stearinkerzen (1888 8159 q, Werth 1·4 Millionen Pesetas), Stearin in Masse (1888 3385 q) wird im Küstenhandel ausgeführt.

Zum Schlusse nennen wir Fächer (1888 für 378.075 Pesetas), Regen - und Sonnenschirme (77.124 Stück, Werth 347.059 Pesetas), die ins Ausland gehen, Quincaillerien, von denen das Meiste im Küstenhandel exportirt wird, und musi - kalische Instrumente, von welchen 1888 116 Stück (Werth 101.500 Pesetas) ins Ausland, 201 Stück (Werth 48.268 Pesetas) im Küstenhandel ausgeführt wurden. Die Gesammtausfuhr von Maschinen hat einen nur etwas höheren Werth als die von Pianinos.

Im Einfuhrhandel Barcelonas überwiegt der Verkehr mit dem Auslande; auf den mit den Küsten Spaniens entfallen nur ein Fünftel bis ein Viertel der Gesammtsumme, doch muss gleich hervorgehoben werden, dass an dieser Einfuhr aus dem Auslande die spanischen Colonien, die auch durch den Zolltarif be - günstigt sind, in hervorragendem Masse betheiligt sind. Barcelona führt von allen Gütern und aus allen Ländern ein, theils für den unmittelbaren Bedarf seiner zahlreichen Bevölkerung, theils für die Bedürfnisse seiner ausgedehnten Industrien, theils als Hauptmarkt Spaniens überhaupt.

Auch die Einfuhr über Port-Bou, die Einbruchstation der Eisenbahn aus Frankreich in die Provinz Gerona, muss hieher gerechnet werden, weil man an - nehmen kann, dass etwa drei Fünftel derselben für den Consum von Barcelona und seines Rayons bestimmt sind.

Der Menge nach sind die wichtigsten Staaten für die Einfuhr in Barcelona Grossbritannien und dessen Colonien, Russland, die Vereinigten Staaten, die Türkei, Frankreich, Italien und das Deutsche Reich.

Von der Einfuhr über Port-Bou kommt mehr als die Hälfte auf Frankreich, der Rest entfällt auf Belgien, Deutschland, die Schweiz und Oesterreich-Ungarn.

Wir haben die Industrien Barcelonas bei der Ausfuhr des Hafens schon kennen gelernt, die Grösse der Einfuhr von Rohproducten, welche sie verarbeiten, wird uns ihre Bedeutung noch mehr klar machen, weil ja manche dieser Industrie -455Barcelona.zweige nur für das Inland arbeiten und auf dem Weltmarkte nicht concurrenz - fähig sind.

Beginnen wir also mit den Rohproducten der Textilindustrie. Von den 424.016 q Rohbaumwolle, welche 1888 Spanien einführte, gingen 383.505 q (1887 399.264 q) nach Barcelona, wo sich Fabriken mit mehr als 2000 Arbeiten finden. Im Jahre 1889 ist die Einfuhr britischer Garne sehr zurückgegangen, dafür die Einfuhr von Rohbaumwolle stark gestiegen. In den Fabriken wurden die neuesten Maschinen aufgestellt. Doch stehen Spaniens Textilindustrie vielleicht arge Zeiten bevor; denn am 1. Februar 1892 erlischt der Handelsvertrag mit Frankreich, dem Hauptabnehmer des wichtigsten Ausfuhrartikels Spaniens (1888 2,075.128 hl, 303·6 Millionen Pesetas), des Weines, am 30. Juni desselben Jahres der mit England. Beide Staaten werden als Compensation für die Rohproducte, welche sie aus Spanien beziehen, einen grösseren Absatz ihrer Industrieartikel in Spanien durch das Herabdrücken der dortigen Einfuhrzölle zu erreichen suchen.

Rohbaumwolle, meist amerikanischen Ursprungs, kommt nur auf englischen Schiffen zur Einfuhr, ebenso englische Baumwollgarne (1888 1640 q, Werth 0·8 Millionen Pesetas, 1887 2329 q).

Hanf wird aus Russland und Marokko gebracht (1888 30.171 q, 1887 29.395 q), die Einfuhr von Flachs ist klein.

Die Hanf - und Leinenspinnerei Barcelonas ist nicht so entwickelt wie die der Baumwolle, daher sind Leinen - und Hanfgarne als Einfuhrartikel Barcelonas sehr wichtig (Einfuhr 1888 10.337 q, Werth 4·1 Millionen Pesetas).

Die Steigerung der Einfuhrziffer von Jute aus Indien, Abacca, Pita (1888 66.331 q, 1887 20.773 q) beweist die Zunahme der Juteindustrie Barcelonas.

Die Einfuhr von Jutegarnen aus dem Auslande erreichte 1888 9577 q, die von verarbeitetem Esparto durch den Küstenhandel 16.086 q.

Die Einfuhr von Schafwolle aus dem Auslande hält sich in dem gute Wolle producirenden Spanien in bescheidenen Grenzen. Sie umfasste in Barcelona 1888 2754 q (Werth 0·6 Millionen Pesetas) ungewaschene, 2741 q (Werth 1·2 Mil - lionen Pesetas) gewaschene und 1157 q Kammzug.

Durch den Küstenhandel wird nur ungewaschene Schafwolle (11.890 q) zugeführt. Wir müssen aber auch die gewaschene Wolle für Barcelona bestimmt rechnen, welche zu Lande über Port-Bou (1888 8092 q) eingeht. Kammzug kommt direct (1888 1157 q) und über Port-Bou (826 q) ein.

Die Einfuhren von Garnen erreichte 1888 531 q (Werth 0·5 Millionen Pesetas).

Rohseide kommt zum grössten Theile über Port-Bou nach Barcelona, ge - zwirnte Seide aber auf dem Land - und auf dem Seewege.

Durch die Textilindustrie erklärt sich auch die bedeutende Einfuhr von Indigo und Cochenille, von Farbeextracten, von Farben aus England und Frank - reich (Werth 6 Millionen Pesetas), und von Chemikalien, die zumeist aus Deutsch - land stammen.

Stärke, Dextrin und Glykose (1888 82.404 q, Werth 2·7 Millionen Pesetas) kommen meist aus Deutschland, Paraffin und Stearin (7132 q) wird meist in un - verarbeitetem Zustande eingeführt.

Für die Oel - und Seifenfabriken werden Cocos -, Palmöl (1888 59.869 q) und Oelsämereien (31.075 q) eingeführt.

456Das Mittelmeerbecken.

Als Rohmateriale für die Holzindustrie dienen Fassdauben (1888 1885 Tausend, Werth 1·8 Millionen Pesetas) aus der Union und Oesterreich-Ungarn, für die Bauthätigkeit gemeines Holz (1888 62.463 m3, Werth 3·1 Millionen Pesetas) aus Schweden, Norwegen und Oesterreich-Ungarn, letzteres über Galatz; Holz für Kunsttischler kommt über Deutschland herein.

Barcelona ist der erste Stapelplatz Spaniens für rohe Häute und Felle, die meist vom La Plata und aus Marokko einlangen (1888 27.544 q, Werth 4·8 Mil - lionen Pesetas, 1887 38.347 q), und zum Theile im Wege des Küstenhandels wieder ausgeführt werden (1888 6816 q).

Die directe Einfuhr von Därmen (1888 für 321.846 Pesetas) hat einen grösseren Werth als die von Leder und Lederwaaren.

Mit Vieh wird Barcelona aus den Pyräneen zu Lande und im Wege des Küsten - handels versorgt; auf dem letzteren kamen 1888 16.115 Schweine (Werth 3·2 Mil - lionen Pesetas), dann Ziegen, Schafe und Kühe. Von der starken Einfuhr von Kühen (1888 18.520 Stück) und Schweinen (33.604 Stück), die aus dem Auslande über Port-Bou erfolgt, ist viel für die Bedürfnisse dieser grossen Industriestadt bestimmt; die Einfuhr über die Landgrenze ist jetzt an die Stelle der zur See erfolgenden getreten, die nur für den Schweinehandel grössere Bedeutung hat.

Von den thierischen Fetten, die Spanien aus dem Auslande bezieht, wurden etwa zwei Fünftel (1888 62.714 q, Werth 5·3 Millionen Pesetas) über Bar - celona aus Amerika über englische und deutsche Häfen eingeführt, dazu kommen Schweineschmalz und Speck (5624 q, Werth 0·7 Millionen Pesetas), ferner Butter.

Sehr umfangreich ist die Einfuhr von Stockfisch aus dem Auslande (1888 62.187 q, Werth 3·9 Millionen Pesetas, 1887 67.335 q) aus England, Schweden, Norwegen und den französischen Inseln bei Neufoundland.

Auch durch den Küstenhandel werden grosse Mengen conservirter Fische nach Barcelona gebracht, so 1888 38.794 q, und der Fang der Sardinen wird an den Küsten von Barcelona bis Malgrat lebhaft betrieben.

In der Einfuhr von Getreide und Hülsenfrüchten steht Barcelona an der Spitze aller Zollämter Spaniens.

Altcastilien und die Mancha, die Centren des spanischen Getreidebaues, waren bis 1889 nicht im Stande, in Barcelona und Tarragona mit den Zufuhren aus Russ - land zu concurriren. Dies ist jetzt durch sehr niedrig gestellte Eisenbahntarife möglich gemacht worden.

Die Getreideeinfuhr Barcelonas erreichte 1888 1,508.530 q (davon 1,339.780 q Weizen) im Werthe von 26,140.986 Pesetas (1887 1,139.411 q).

An der Getreideeinfuhr sind neben Russland die Union, Argentina, Marokko und die Türkei betheiligt. Im Küstenhandel wurden 1888 46.712 q Weizen und 12.217 q andere Getreidegattungen zugeführt, denen nur eine kleine Ausfuhr gegenüber steht.

Die Einfuhr von Weizenmehl, meist aus Marseille stammend, hat sich 1888 auf 27.510 q gegen 12.755 q im Jahre 1887 gesteigert, was grosse Aufregung unter den Müllern Barcelonas erregte. Im Jahre 1889 hat auch eine grosse Budapester Firma daselbst ein Mehldepot eingerichtet.

Die Einfuhr von trockenen Hülsenfrüchten erreichte 1888 68.096 q, 1887 75.832 q.

Die Einfuhr von conservirten Nahrungsmitteln geschieht zum grössten Theile durch den Küstenhandel, Teigwaaren (1888 14.990 q) kommen aus dem Auslande.

457Barcelona.

Die grosse Spriteinfuhr Barcelonas, welche beinahe derjenigen von Valencia gleich ist, dient in erster Linie den Bedürfnissen des Weinhandels. An den 94.039 hl (Werth 4·8 Millionen Pesetas), welche 1888, und den 155.596 hl, die 1887 eingeführt wurden, sind in erster Reihe Deutschland und Schweden be - theiligt. Der Rückgang der Einfuhr des Jahres 1888 ist die Folge neuer lästiger Steuergesetze.

In Colonialwaaren hat Barcelona in Zucker und Kaffee eine führende Stel - lung, in dem für Spanien so wichtigen Cacao steht es weit hinter Santander zurück.

Der in Barcelona vom Auslande eingeführte Zucker und Kaffee stammen bis auf ganz kleine Mengen aus den überseeischen Besitzungen Spaniens.

Von Zucker wurden 1888 216.808 q (Werth 13,3014.307 Pesetas) meist aus Cuba eingeführt.

Barcelona ist in Zucker disponirender Platz für andere Küstenplätze Spaniens, in die 1888 97.955 q abgingen, während von dort nur 8008 q hier ankamen.

Die Kaffee-Einfuhr Barcelonas erreichte 1888 25.808 q im Werthe von 5,034.283 Pesetas und erfolgte von den Philippinen, von Portorico und Mexico. Ungefähr der vierte Theil dieses Kaffees wird wieder im Küstenhandel verschifft.

Gacao wurde 1888 in der Menge von 11.960 q (Werth 2·4 Millionen Pesetas) eingeführt.

Die Einfuhr von Tabakfabricaten erreichte 1888 1094 q (Werth 1·5 Millionen Pesetas); im Wege des Küstenhandels wurden 13.187 q (Werth 24·4 Millionen Pesetas) Fabricate eingeführt und 16.532 q Blättertabak ausgeführt.

Vom höchsten Interesse ist bei dem Industrieplatze Barcelona die Frage nach der Einfuhr von Webewaaren.

Es wurden hier 1888 2384 q Baumwollstoffe im Werthe von 1·6 Mil - lionen Pesetas, eingeführt; die Hauptsumme enfällt auf Gewebe bis einschliesslich 25 Fäden. Die Zufuhr im Wege des Küstenhandels betrug 3378 q (Werth 2·4 Mil - lionen Pesetas).

Von Geweben aus Flachs, Hanf und Jute kommen hier aus dem Auslande 822 q (Werth 0·7 Millionen Pesetas), im Wege des Küstenhandels 2500 q (Werth 1 Million Pesetas).

Die Einfuhr von Geweben aus Schafwolle und von gemischten Stoffen aus dem Auslande ist wichtiger als die derjenigen aus Baumwolle. Sie erreichte 1888 einen Werth von 3 Millionen Pesetas. Zu nennen sind Teppiche und Tuche. Be - merkenswerth ist, dass die englischen Schafwollstoffe nicht dem spanischen Ge - schmacke entsprechen. Auf dem Wege des Küstenhandels wurden 15.958 q Schaf - woll - und gemischte Stoffe eingeführt.

Die Einfuhr von Seidenstoffen mit einem Werthe von 630.000 Pesetas ist ganz ansehnlich.

Fertige Kleider aus dem Auslande finden in Barcelona keinen günstigen Markt.

Für die Einfuhr der Waaren der Textilindustrie ist zu beachten, dass Schundwaare in Barcelona keinen Absatz findet; minderwerthige Waare wird im Lande selbst erzeugt. Dass hier mit England und Frankreich auf dem Gebiete der Manufacturwaaren zu concurriren ist, zeigen die Fortschritte, welche Deutsch - land macht.

Papier gehört unter die wichtigeren Einfuhrartikel Barcelonas, denn 1888 wurden 13.821 q (Werth 1·1 Million Pesetas) Papier ohne Ende zumeist ausDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 58458Das Mittelmeerbecken.Belgien eingeführt; von ordinärem Packpapier gingen 6000 q ein, von Pappen - deckel 5500 q. Auch für Kupferstiche, Karten und Zeichnungen ist Barcelona ziemlich wichtig.

Die Einfuhr von Glas erreichte 1888 22.410 q im Werthe von 1·4 Million Pesetas. Der wichtigste Artikel dieser Gruppe ist Tafelglas (11.354 q) aus Deutschland, Belgien und England, und gemeines Hohlglas aus Frankreich.

Weit weniger Bedeutung hat die Einfuhr von Thonwaaren; Ziegel und Fliese (1888 19.107 q) sind der Menge, feine Thonwaaren (186.788 Peseta) dem Werthe nach hervorzuheben.

Die Einfuhr von Eisenwaaren nach Barcelona war wegen der grossen Bau - thätigkeit 1888 besonders gross.

Nach den Sätzen des allgemeinen Zolltarifes wurden 160.000 q von den Unternehmungen der Eisenbahnen 20.354 q eingeführt. Von der allgemeinen Ein - fuhr kommen auf Gusseisen in Barren und auf Fabricate aus Gusseisen 34.722 q (Belgien und England). Die Gesammteinfuhr von Schienen erreichte 18.973 q. Roheisen und Stahl (38.171 q) aus England. In Messerschmiedwaaren muss Eng - land einen heftigen Concurrenzkampf mit Deutschland bestehen. Im Jahre 1889 war die Einfuhr von Roheisen aus dem Auslande viel kleiner, weil die Nordküste Spaniens stärker als bisher Barcelona versorgte.

Auch für die Einfuhr von Kupfer und Messing aus dem Auslande ist Barcelona Spaniens erster Hafenort (Werth 1888 fast 1 Million Pesetas).

Im Wege des Küstenhandels wurden 1888 97.385 q. Eisen aus Bilbao, 45.514 q Kupfer, 25.306 q Blei eingeführt. Zink sendet Santander.

Da die Maschinenindustrie Barcelonas noch lange nicht auf eigenen Füssen steht, müssen Maschinen aller Art importirt werden.

Für Motoren (Werth 1888 1 Million Pesetas) und andere Maschinen (Werth 3·4 Millionen Pesetas) englischer, französischer und belgischer Herkunft ist Bar - celona Spaniens wichtigster Einfuhrplatz. Landwirthschaftliche Maschinen liefert die hiesige Industrie in genügender Menge.

Für Waaren aus Bernstein, Korallen, Perlmutter, für Knöpfe, Spielwaaren und Hüte ist Barcelona nicht gerade unwichtig, für Böttcherwaaren, die von hier, wie schon erwähnt, wieder ausgeführt werden, sehr wichtig.

Die Steinkohlengruben von S. Juan de Abadesas in der Nähe Barcelonas, deren Betrieb übrigens blühend ist, liefern viel zu wenig, so dass der Kohlen - import sehr bedeutend erscheint.

England brachte 1888 3,638.570 q (Werth 7·6 Millionen Pesetas), 1887 3,334.460 q Steinkohlen, das ist den dritten Theil der ganzen Einfuhr Spaniens. Im Jahre 1889 wurden in Barcelona Steinkohlen auch aus Frankreich und, was viel interessanter ist, Gaskohlen (30.000 q) sogar aus Australien zugeführt, letztere dürften auch in Zukunft den Markt behaupten. Holzkohlen (1888 261,900 q) kommen aus Italien, rohes Petroleum (1888 57.982 q, 1887 41.955 q) direct aus Amerika, Schiffstheer (1888 91.596 q) aus Frankreich und Amerika.

Guano wird zum grösseren Theile direct aus Amerika gebracht (1888 22.208 q, 1887 30.397 q).

Ueber die Grösse des Handels von Barcelona liegen uns folgende An - gaben vor:

459Barcelona.
〈…〉〈…〉

Der Lagerhausverkehr erreichte 1888 einen Werth von 6,068.158 Pesetas.

Der Schiffsverkehr von Barcelona entwickelt sich gewaltig:

〈…〉〈…〉

Nach der Zahl der Schiffe folgt auf die spanische Flagge die englische, nach der Zahl der Tonnen aber ist dieser die italienische überlegen.

A. & L. Fraissinet & Cie unterhalten eine directe Verbindung Barcelonas mit Marseille in 19 Stunden, und ebenso die Cie. Générale transatlantique über Cette.

Barcelona ist Station der Slomann’schen Dampfer auf der Küstentour von Hamburg nach Palermo, der Marc Andrew’schen (Roca) Dampferunternehmung, der Adria aus Fiume, und mehrerer Gesellschaften, welche Linien um die iberische Halbinsel bis Marseille unterhalten.

Die Verbindung mit Manila unterhalten einmal im Monate spanische Dampfer über Port Saïd, Colombo und Singapore.

Nach Marokko geht seit 1889 monatlich ein Dampfer der Gesellschaft Lopez & Cie.

Barcelona ist auch Station der Linie Marseille Colon der Cie. générale transatlantique. Hier laufen auf ihren Fahrten nach dem La Plata die Dampfer der Navigazione generale und der Veloce aus Genua an.

Von Barcelona gehen 5 Eisenbahnlinien aus, die wichtigsten sind die mit Schnellzügen befahrenen nach Port Bou und die über Lérida und Zaragoza nach Madrid. Eine kürzere Verbindung nach Madrid ist südlich vom Ebro im Baue. Die übrigen 3 Linien verlaufen längs der Küste. Barcelona ist Endpunkt des Kabels Marseille-Barcelona der Direct Spanish Telegraph Cy. Die Stadt ist Sitz einer Börse, mehrerer spanischer Banken, von Succursalen ausländischer Banken und einer Handelskammer.

Consulate haben in Barcelona: Argentinien (G. -C. ), Belgien, Bolivia, Bra - silien (G. -C. ), Columbia (G. -C. ), Dänemark, Deutsches Reich (G. -C. ), Dominikanische Republik, Frankreich (G. -C. ), Griechenland, Grossbritannien, Guatemala, Havaii (G. -C. ), Honduras, Italien (G. -C. ), Liberia, Mexico (G. -C. ), Monaco, Niederlande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay, Portugal, Russland, Salvador (G. -C. ), Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz, Türkei (G. -C. ), Uruguay, Vene - zuela (G. -C. ), Vereinigte Staaten.

58*460Das Mittelmeerbecken.

Ungefähr 82 km südlich von Barcelona lagert Tarragona, eine der interessantesten und ältesten Städte Spaniens, an einem kleinen Kunsthafen. Die einstige Blüthe dieser Stadt haben wir bereits hervor - gehoben und obwohl die Kunstschätze aus der römischen Glanzzeit seit mehr als hundert Jahren in ganzen Schiffsladungen entführt wur - den und überdies das Materiale für das heutige Tarragona liefern mussten, besitzt die einstige römische Millionenstadt noch wahre Schätze an Alterthümern: Ruinen von Tempeln, Thermen, Palästen und Theatern.

Das römische Tarraco mit seinem prächtigen Tempelkranze be - gruben die eingefallenen Gothen unter Trümmern, die vier Jahr - hunderte lang unberührt verblieben.

Die Stadt liegt höchst malerisch am Abhange und zu Füssen eines 230 m hohen Hügels und erfreut sich eines sehr milden und gesunden Klimas, welche Eigenschaft in Verbindung mit der wald - reichen und romantischen Umgebung und der Gastfreundlichkeit der Bewohner die ehrwürdige Stadt zu einem beliebten Zielpunkt der Fremden erhoben hat.

Unter den mittelalterlichen Kirchenbauten von Tarragona ist die zu den interessantesten Arten der gothischen Architektur in Spanien zählende Kathedrale, deren Bau von 1089 bis 1131 entstanden war, hervorzuheben. Das Innere des Domes ist indes im romanischen Styl gehalten, mit einer Anordnung kurzer und massiger Säulen. Im Baptisterium ist aus einem römischen Sarkophag das Taufbecken hergestellt worden. Die Kathedrale enthält viele Kunstschätze, und Kostbarkeiten und in ihren herrlichen Gemälden, Fresken und Sculp - turen ist die Geschichte vieler Jahrhunderte verewigt.

Nächst der Kathedrale erheben sich noch die Kirchen San Pablo und Santa Tecla la Vieja, beide höchst sehenswerthe Zeugen mittelalterlicher-Prunkbauten.

In einem wohlgefüllten Antiquitätenmuseum hat man eine grosse Menge altrömischer Statuen (meist Fragmente), gothischer Sculpturen und maurischer Erinnerungen gesammelt und geordnet.

Tarragona zählt gegenwärtig über 27.000 Einwohner.

Der grosse Damm seines sicheren Hafens entstand 1491 meist aus dem Materiale der Ruinen des römischen Amphitheaters, von welchem gegenwärtig nur einzelne Wölbungsbogen erhalten sind.

Ausserhalb der Stadt sind noch 39 Bogen der römischen Wasser - leitung, die hier ein Thal überspannte, zu sehen.

461Barcelona.

Tarragona ist eines der grossartigsten Trümmer der gestürzten römischen Weltmacht.

Tarragona, das an der Küstenbahn des mittelländischen Meeres liegt, und über Reno bei Lérida Anschluss an die Linie Barcelona-Madrid hat, gehört nach dem Werthe seines Waarenumsatzes mit dem Auslande zu den wichtigeren Handelsplätzen Spaniens, hat aber nur geringen Küstenverkehr, und dabei ist noch zu bemerken, dass 1888 von der Küstenhandels-Einfuhr 3·6 Millionen Pesetas auf Tabak entfallen, der in Spanien Gegenstand eines Staatsmonopols ist.

〈…〉〈…〉

Hauptartikel der Ausfuhr ist Wein, der nach England, Frankreich, den La Platastaaten und den spanischen Colonien geht. Ausfuhr ins Ausland 1888 658.141 hl (Werth 19·7 Millionen Pesetas, 1887 586.885 hl).

Tarragona ist der erste Ausfuhrhafen Spaniens für Weinsprit (1888 8528 hl ins Ausland); 1889 wurde wegen des geringen Ertrages der Weinlese wenig erzeugt.

Von den 63.613 q Haselnüssen, welche ganz Spanien 1888 ausführte, entfielen 53.047 (Werth 2·7 Millionen Pesetas) auf Tarragona.

Mandeln wurden 1888 12.257 q (Werth 1·1 Millionen Pesetas) ins Aus - land versendet.

Die Ausfuhr von Böttcherwaaren erreichte 1888 67.390 q (Werth 2·7 Mil - lionen Lire).

Diese Waaren werden auch im Küstenhandel verschickt, ausser ihnen noch Oel, Papier und raffinirtes Petroleum.

Bei der Einfuhr Tarragonas, die ausser seinem eigenen Bedarf auch den der Provinz Lérida umfasst, ist in erster Reihe Getreide, und zwar Weizen zu nennen, weil in dieser Provinz der Boden zu höherwerthigen Culturen verwendet wird. Es wurden 1888 576.719 q (Werth 10 Millionen Pesetas), 1887 606.446 q zum grössten Theile vom Schwarzen Meere eingeführt.

Die Weinproduction ist die Ursache der grossen Einfuhr von Kartoffel - sprit aus Deutschland und Schweden; 1888 58.363 hl (Werth 2·3 Millionen Pesetas), 1887 116.811 q. Die Einfuhr ist im Jahre 1889 trotz Missernte des Weines wieder gestiegen.

Von Stockfischen wurden 1888 20.112 q (Werth 1·3 Millionen Pesetas) aus dem Auslande, 23.194 q im Küstenhandel eingeführt.

Die Einfuhr von ordinärem (meist nordischem) Holze erreichte 1888 einen Werth von 306.450 Pesetas, die von Fasstauben (898 Tausende) 853.100 Pesetas.

Wichtigere Einfuhrartikel sind auch Hanf, Cocos - und Palmöl, Eisen und Eisenwaaren.

An amerikanischem Rohpetroleum wurden 1888 35.764 q (Werth 0·8 Mil - lionen Pesetas), an Steinkohlen und Cokes 355.150 q zugeführt.

462Das Mittelmeerbecken.

Der Schiffsverkehr Tarragonas betrug:

〈…〉〈…〉

Neben der spanischen Flagge hat nur die britische einige Bedeutung.

Consulate haben hier: Argentinien, Costarica, Deutsches Reich, Honduras, Uruguay, Venezuela.

[463]

Valencia.

Man nennt die Ebenen der Provinzen Valencia und Murcia mit Recht die Gärten (Huertas) von Spanien. In stille Pracht hat sie Natur und fleissige Culturarbeit gekleidet, und mit hundertfachem Erntesegen lohnt der fruchtbare Boden die Thätigkeit des Menschen.

Der hochgesteigerte Ackerbau mit seinen ausgebreiteten Be - wässerungsanlagen ist das Erbe der maurischen Cultur, das herrliche Klima mit seinen weichen und wohligen Lüften aber ist die Bedin - gung der staunenswerthen Fruchtbarkeit. Drei, ja vier Ernten im Jahre gewährt hier der Boden, den meilenweite Orangen - und Citronen - wälder, Zuckerrohrpflanzungen, Olivenhaine und üppige Maisfelder bedecken, über welche die traubenschwere Rebe ihre Guirlanden schlingt; ein verlockendes Paradies, über dem ein ewiger Frühling zu schweben scheint!

Dieser Reiz wirft seine Lichtstrahlen auf die blühenden Städte, die in den herrlichen Fruchtgegenden entstanden. Allen voran steht das volkreiche Valencia, die vielbesungene Stadt des Cid Campeador und Hauptstadt des Königreichs Valencia.

Seitdem 1871 die Umwallungen der einstigen Festung gefallen sind, drängt die Stadt mit verjüngter Kraft hinaus ins Freie, wachsend und sich entfaltend. Ursprünglich am rechten Ufer des Turiaflusses (Guadalaviar) gelegen, dehnen sich gegenwärtig ihre Bauten bereits auf die andere Flussseite aus in die bezaubernde Huerta, mit ihren zahllosen Alquerias, Farmhäusern und Villen, die uns wie in kost - bare Smaragden gefasste Perlen entgegenschimmern. Ueber 3 km vom sonnigen Strande des Mittelmeeres entfernt, steht Valencia durch den Puerto del Gráo, den Hafen, mit dem grossen Seeverkehr in Verbindung. Eine breite schattige Alameda, Eisenbahn und Tramway führen hinaus und erheben die dort entstandene Hafenstadt Villanueva del Gráo zu einer Vorstadt von Valencia. Wie unser Plan zeigt, ist der Seehafen von Gráo nördlich der Mündung des Turiaflusses angelegt.

464Das Mittelmeerbecken.

Längs den gemauerten Dämmen und Quais laufen Schienenstränge und gestatten die directe Verladung der Waaren aus den Schiffen in die Waggons und umgekehrt. Obwohl nicht sehr geräumig, entspricht die Anlage vollkommen dem Bedürfnisse.

Das innere Bassin ist durch zwei Molen fast gänzlich geschlossen und für Schiffe bis zu 6·5 m gut praktikabel; auch der äussere Theil des Hafens, der sich zwischen den nach See ragenden Dämmen bei 7 bis 8 m Tiefe erstreckt, gewährt unter fast allen Verhältnissen den Schiffen sichere Liegeplätze.

Die Verbesserungen und Neubauten haben seit dem Jahre 1792 ungeheuere Summen verschlungen. Gegenwärtig plant man einen Zubau, um den Hafen gegen Süd - und Südweststürme zu decken, denen er vorläufig sehr ausgesetzt ist, aber der tückische Turiafluss, dessen Hochwässer sehr oft Schrecken und Verwüstung über Stadt und Land brachten, stemmt sich als gewaltiges Hinderniss gegen die Durch - führung des Projectes.

Selbstverständlich hatte die wachsende Frequenz des Hafens auch die Entwicklung des Städtchens Villanueva del Gráo zur Folge gehabt.

Die Hafenstadt ist ein beliebter Ausflugsort der Valencianer, welche in stolzer Betrachtung ihres schönen Hafens keinen Wider - spruch erheben, wenn man sie die Athener des Turia nennt. Der Verkehr zwischen beiden Städten ist ein sehr reger, besonders wäh - rend des Sommers, wenn die herrlichen Strandbäder von Gráo und Cabañal zu erquickender Kühlung einladen. Die Badesaison mit ihren Lustbarkeiten und Spielen bringt denn auch in die rastlose Thätig - keit der Geschäfte eine wohlthuende Abwechslung.

Wie Saguntum einst am Meere lag, ebenso umspülten die Wogen des Mittel - meeres vor Jahrhunderten einst direct die Mauern von Valencia. Von Decimus Junius Brutus um 140 v. Chr. gegründet, ward die Stadt durch Pompejus zerstört. Wieder aufgebaut wurde sie die Hauptstadt der Provinz Edetani. Die Gothen besetzten die Stadt im Jahre 413, und 712 stürmten die Mauren hinein und pflanzten die Herrschaft des Khalifats von Cordoba auf. Als die omajadische Dynastie erlosch (1038), wurde Valencia ein Emirat, dessen erster Herrscher schon unter Mörder - hand fiel.

Alsbald fand Aragonien die Handhabe, um mit Waffengewalt einzuschreiten, und da war es, dass der berühmte Guerrillaro, der Cid, dessen wir bei Barcelona erwähnten, gegen Valencia zog und die Festung nach einer Belagerung von 20 Mo - naten (1094 bis 1095) zur Uebergabe zwang.

In den Annalen der arabischen Chronisten sind die List und Grausamkeit des Cid ebenso verewigt, wie seine Tapferkeit und begeisterte Hingebung in den Poesien und Erzählungen der Christen.

Nach Cid’s Tode (1099) wurde des Helden Gattin von den Mauren ver -465Valencia.trieben (1101) und Valencia verblieb in der letzteren Gewalt, bis 1238 Jayme I. von Aragon die Herrschaft denselben endgiltig entriss.

Die weiteren Schicksale der Stadt hängen mit jenen Aragoniens innig zu - sammen. Hervorzuheben wäre nur die von Philipp III. verfügte barbarische Aus - weisung von 200.000 fleissigen Mauren, wodurch die beginnende Entwicklung der Provinz jäh unterbrochen worden ist.

Valencia, die Stadt der Blumen, hat in einen immensen Garten sich gebettet; und die Promenade entlang der Ufer des Turia, der Blick auf die fünf Brücken, die ihn überspannen, und nach dem

Valencia.

prächtigen Grün der Landschaft, gehören zu den höchsten Genüssen, welche der Aufenthalt in der schönen eleganten Stadt zu bieten vermag.

Einst eine gewaltige Festung, trägt Valencia heute im lieblichen Friedenskleide die Friedenspalme. Die innere Stadt ist unregelmässig angelegt, hat enge, gewundene Gassen und unbedeutende Plätze.

Der maurische Styl herrscht vor. Auf den flachen Hausdächern gewahrt man zahlreiche Rohrkäfige für Tauben, welche hier sehr beliebt sind, jedoch auch gejagt werden.

Dagegen ist der im Ausbau begriffene neue Stadttheil denDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 59466Das Mittelmeerbecken.modernen Anforderungen des grosstädtischen Lebens angepasst. Von den einst bestandenen 12 mittelalterlichen Thoren sind noch einige mit ihren Thürmen, Scharten und Erkern erhalten.

Aeusserst angenehm berührt die Lebens - und Schaffensfreudig - keit der liebenswürdigen Bevölkerung.

Die Stadt hat nebst der interessanten Kathedrale noch 14 Pfarr - kirchen, die reich an Kunstschätzen sind, und auch in architektonischer Hinsicht sehenswerthe Denkmale aus dem Mittelalter, an die manch pietätvolle Erinnerung sich knüpft, darstellen.

Die Kathedrale La Seo (la See) erhebt sich an der Stelle eines Dianatempels. Die christlichen Gothen, die Mauren und nach ihnen die Spanier hatten dort ihr Gotteshaus. 1492 erhob Papst Innocent VIII. die Kirche zum Metropolitanenrange.

In ihrer heutigen Gestaltung ist die Kathedrale das Resultat vielerlei Um - und Zubauten. Im Jahre 1262 im gothischen Style be - gonnen, erhielt sie im Laufe der Jahrhunderte, besonders aber 1760 korinthische Zuthaten. Der Kirchenschatz birgt reiche Reliquien.

Der Thurm ist unvollendet geblieben; er sollte bis zu einer Höhe von 110 m aufgeführt werden, gedieh jedoch nur bis 50 m und erhielt eine ganz moderne Spitze. Von El Miguelete, so heisst der Thurm, geniesst man einen herrlichen Ueberblick auf Stadt, Land und Meer.

Zu den ältesten christlichen Denkmälern zählt die Kirche von San Estéban, errichtet im Jahre 1087 noch zu Zeiten des Cid.

Die Calle de Caballeros ist, wie der Name besagt, die aristo - kratische Strasse von Valencia. Sie mündet am Kathedralplatz aus und führt zu den interessanten Thürmen der Puerta del Cuarto und zum schönen botanischen Garten. Die schönen Künste und Wissen - schaften haben in der Stadt des Cid seit Langem eine freundliche Stätte gefunden. Die Universität ist eine der angeschensten in Spanien, und in der reichen Bildergallerie des Museums sind manch prächtige Meisterwerke gesammelt worden.

Aber auch für das solide Vergnügen ist durch fünf Theater und wir sind in Spanien durch eine schöne Arena für Stier - kämpfe bestens gesorgt. Valencia zählt einschliesslich der Vorstädte 171.000 Einwohner und ist der Sitz eines Erzbischofs, der Provincial - behörden und einer Universität.

Die Huertas und Campas von Valencia mit ihrem weitver - zweigten Systeme zum Theile unterirdischer Canäle, deren erste An - lage von den Phönikiern herrührt, welche aber wohl als das bewun - derungswürdigste Erbtheil aus der Sarazenenzeit auf uns gekommen467Valencia.sind, gewähren wie früher erwähnt dem Fleisse des Acker - bauers drei Ernten im Jahre, und mit seltener Fülle treibt das Ge - treide in die Körner. Wo findet man Reisfelder, so reich wie der von Succa und Cubra, Orangenhaine, wie die von Carcagente und Alcira, Weingärten, wie die von Requena und Utiel? Und in der Einfuhr von Guano und anderen Dungmitteln stehen Valencia und das benachbarte Cullera an der Spitze aller spanischen Häfen. Trotzdem ist der Preis des Ackerlandes in den letzten fünf Jahren um ein Viertel seines früheren Werthes gefallen. Nicht schlechte Ernten, nicht die Phylloxera sind die Ursache dieses Niederganges, sondern die hohen Arbeitslöhne und der Mangel an Käufern, wenn die Bodégas und die Kornkammern gefüllt sind. Die Bauern sind arm inmitten ihrer reichen Ernten, Bettler in ihrem Ueberflusse. Die Verhältnisse sind schlecht für die besseren Classen, noch schlechter für die ländlichen Arbeiter und die Kleinbauern, und man darf sich nicht wundern, wenn die Menschen, welche arbeiten und leben wollen und in dem reichen Fruchtlande von Valencia nichts zum Leben fin - den, nach Südamerika auswandern.

Noch vor etwa einem Vierteljahrhundert genoss die Provinz Valencia den ungemeinen Vortheil, dass ihre Erzeugnisse überall be - gehrt waren. Alles, Städter und Landbewohner, Bauern, Industrielle, Kaufleute, Aerzte und Advocaten legten ihr Geld in Ackerland an. Dieses Privilegium Valencias ist erloschen. Die Eröffnung des Suezcanals, die Entwicklung des Dampferverkehrs nach allen Theilen der Erde, die Schutzzollpolitik der europäischen Staaten und der Union haben Valencia auf allen Seiten Concurrenten geschaffen und den Absatz seiner Producte gehemmt.

Die wichtigsten Artikel der Ausfuhr sind Wein, Rosinen, Oel, Reis, Orangen und Safran.

Die Weinproduction von Valencia und ganz Spanien erfuhr durch die Ver - wüstungen, welche die Phylloxera in Frankreich angerichtet hatte, einen gross - artigen Aufschwung.

Im Jahre 1888 wurden ins Ausland 1,792.601 hl (Werth 53·7 Millionen Pesetas), 1887 1,558.828 hl Wein, davon zwei Drittel nach Frankreich, der Rest nach dem La Plata ausgeführt. Im Küstenverkehre wurden 1888 34.676 q versendet.

Die Ausfuhr von Weinstein erreichte 1888 6388 q im Werthe von 1·4 Millionen Pesetas.

Die für die Erzeugung von Rosinen so wichtige Muscatellertraube wird um den kleinen Hafenplatz Denia gepflanzt, der 75 km südlich von Valencia liegt und jetzt Kopfstation einer Eisenbahnlinie ist. Ausgeführt wurden 1888 über Va - lencia 4834 q, über Gandia 6239 q und über Denia 223.876 q, zusammen im Werthe59*468Das Mittelmeerbecken.von 12·9 Millionen Pesetas; sie gingen nach Grossbritannien, der Union und auch nach Frankreich, wo aus den schlechteren Sorten Branntwein erzeugt wird.

Auch frische Trauben wurden ausgeführt.

Orangen werden wurden früher in kleineren Küstenschiffen nach den fran - zösischen Mittelmeerhäfen und seit der Mitte der Fünfzigerjahre in Dampfern bis Amerika verschickt. Trotz grosser Ernten im Inlande kauft die Union seit 1889 wieder in Valencia; in Europa sind nur Grossbritannien, Antwerpen und Hamburg wichtig. Ausfuhr 1888 255.348 q im Werthe von 5·1 Millionen Pesetas. Hinzu - rechnen müssen wir die Ausfuhr der im Norden Valencias gelegenen Plätze Buriana und Castellon: 1888 306.372 q im Werthe von 6·1 Millionen Pesetas.

Auf dem bergigen Terrain Valencias wachsen vorzügliche Feigen, ein wichtiges Nahrungsmittel für die einheimische Bevöikerung, insbesondere für die Heimat Don Quixotes, die Mancha. Seit einigen Jahren nun kommen grosse Dat - teln aus Nordafrika zu billigen Preisen in solchen Mengen auf den Markt, dass die einheimische Feige als Nahrungsmittel verdrängt wird. Ausgeführt werden ferner Pistazien (1888 5504 q).

Ganz langsam entwickelt sich die Ausfuhr von Süssholz in die Union, rascher die von Zwiebeln (1888 5876 q, Werth 881.462 Pesetas) und Knoblauch nach England und der Union.

Olivenöl wird meist im Lande, dann in den baskischen Provinzen zum Einlegen der Fische verwendet.

Der schwere Weizen Valencias erzielt keinen lohnenden Preis, und der vorzügliche Reis Valencias wird vom billigen Producte Rangoons aus so manchen Reisschälmühlen Spaniens verdrängt. Im Jahre 1888 wurden aus Valencia 5436 q Reis ins Ausland, 120.212 q im Küstenhandel versendet; ausserdem noch Reis - und Weizenmehl. Gesammtwerth 6·3 Millionen Pesetas.

Fast die ganze Welt deckt heute ihren Bedarf an Safran aus Spanien und der Exporthandel concentrirt sich ausschliesslich in Valencia, aber die Haupt - verschiffungsplätze sind Alicante und Barcelona. Die Hauptkäufer sind in Mann - heim, Frankfurt, Hanau und Würzburg ansässig.

Von Producten des Thierreiches wurden (1888) Rohseide, Seidenabfälle und Cocons im Werthe von etwa 400.000 Pesetas, von Industrieartikeln um 222.825 Pesetas Fächer ins Ausland und 7584 q (Werth 371.198 Pesetas) Thon - fliese, 3108 q ordinäre Thonwaaren im Küstenhandel ausgeführt.

Auch auf diesem Platze ist die Einfuhr von Sprit zurückgegangen. Es wurden 1887 179.937 hl, 1888 89.888 hl Spiritus deutschen und schwedischen Ursprungs zugeführt.

Weizen kommt je nach dem Ausfalle der Ernte in den benachbarten Pro - vinzen Spaniens in grösseren oder geringeren Mengen aus Südrussland und Ame - rika. Ein Theil der verminderten Einfuhr der letzten Jahre ist auch auf Rech - nung der vermehrten Einfuhr von Mehl aus Marseille und deutschen Häfen zu setzen.

Um dieser unliebsamen Concurrenz zu begegnen, haben zehn Mühlen der Stadt ihre Werke in Walzenmühlen nach ungarischem Systeme umgebaut. Damit erreichte auch die Einfuhr von ostindischem Weizen ihr Ende.

Im Jahre 1888 wurden in Valencia eingeführt 114.828 q Weizen, 81.793 q Weizenmehl aus dem Auslande, 79.210 q auf dem Wege des Küstenhandels.

469Valencia.

Bei den Colonialwaaren ist nur die Einfuhr von Cacao (375.113 kg) zur Bereitung der Chocolade, des Lieblingsgetränkes der Spanier, wichtig.

Bauholz muss aus Russland, Schweden, der Union, und Buchenholz aus Oesterreich-Ungarn eingeführt werden. Einfuhr 1888 nur 36.796 m3 aus dem Aus - lande und 26.118 q im Küstenverkehr, weil wegen der nicht lohnenden Weinausfuhr die Baulust vollständig stockte.

Villanueva de Gráo (Hafen von Valencia; Massstab 1: 25.300; Sonden in Metern).

A äusserer Hafen, B innerer Hafen, C Zollamt, D Bahnhof der Valencia-Eisenbahn, E Pfeiler für astronomische Beobachtungen, F Leuchtfeuer, G Hafenamt, H Kirche von Gráo, J Kirche Ermita del Rosario, K Kirche de los Angelos, L Playa del Cabanal (Strand), M Calle de la Reina, N Calle de San Andres.

Für Fassdauben (1888 1·65 Millionen Stück, Werth 1·6 Millionen Pesetas) ist Valencia der dritte Platz Spaniens, ebenso für gewöhnliches Holz (1888 36.796 m3, Werth 1·8 Millionen Pesetas), für Holzkohle und Brennholz der zweite.

Die Einfuhr der Phosphate und des salpetersauren Natrons (1888 57.817 q, Werth 1·7 Millionen Pesetas) aus England, Deutschland und Frankreich steigt unausgesetzt, stationär bleibt die von Peru-Guano (56.018 q).

470Das Mittelmeerbecken.

Von Producten des Thierreiches werden in grösseren Mengen eingeführt Häute und Felle, von diesen viele aus Hamburg, ferner thierische Fette, Schweine - fleisch und Därme. Die Einfuhr von Stockfischen aus dem Auslande betrug 1888 24.850 q, die von gesalzenen Fischen im Küstenhandel 30.933 q.

Zu nennen sind noch Kohlen und Coaks aus England (1881 681.069 q) und Petroleum aus Amerika (1888 36.725 q Rohöl und 21.933 q raffinirtes aus dem Auslande und 7577 q im Küstenverkehre) für den Localbedarf.

Von Industrieartikeln werden ausser Sprit eingeführt Papier aus Frank - reich und Deutschland, Glaswaaren aus Frankreich, einiges auch aus Böhmen, Webwaaren aus Deutschland und fertige Kleider aus Wien.

Bei der Gruppe der Textilindustrie ist zu bemerken, dass 1888 um 600.000 Pesetas Baumwollwaaren, mehr als 5000 q Hanf und Jute, um mehr als 1 Million Pesetas Hanf -, Leinen - und Jutegarne, aber um nur 100.000 Pesetas dergleichen Gewebe eingeführt wurden. Die Einfuhr von Schafwollwaaren erreicht 800.000 bis 900.000 Pesetas; von ihnen sind Wirkwaaren und Tuch besonders hervorzuheben.

Für seine Seidenindustrie führt Valencia Rohseide ein (1888 6723 kg) und ausserdem um eine halbe Million Pesetas Seiden - und Sammtwaaren.

Galanteriewaaren kommen aus Paris und Berlin.

Möbel werden eingeführt aus Böhmen und Wien, Maschinen und Eisen - bahnmaterial aus Deutschland, Schneidewaaren und Kleinzeug aus Stahl und Eisen von Solingen und Remscheid.

Die Einfuhr von Eisen - und Eisenwaaren erreichte 1888 einen Werth von 2,400.000 Pesetas.

Wichtig ist auch die Einfuhr von Kupfer und Zinn und den daraus herge - stellten Fabricaten.

Der Handelsumsatz Valencias erreichte in Pesetas:

〈…〉〈…〉

Es nahm somit 1888 Valencia im auswärtigen Verkehre in der Einfuhr und der Ausfuhr die vierte Stelle unter den Häfen Spaniens ein.

Bei der Einfuhr sind deutsche Industrieerzeugnisse mit französischen und englischen hervorragend betheiligt, bei der Ausfuhr in erster Linie England und Frankreich.

Die früher wichtige Fabrication von Seidenstoffen, besonders von Bändern in Valencia scheint dem Untergange verfallen zu sein und die Arbeiter wenden sich nach Barcelona; wir finden hier noch Mühlen, Oel -, Seifen - und Chocoladen - bereitung, Spiritusbrennereien, Seilereien, eine Schwefelsäurefabrik, Böttcherwaaren und die Erzeugung von bemalten und unbemalten Thonfliesen und ordinärem Geschirr.

Der Schiffsverkehr von Valencia betrug:

〈…〉〈…〉

Der Schiffsverkehr ist 1889 abermals zurückgegangen.

471Valencia.

Die nationale Flagge hat im internationalen Verkehre das Uebergewicht; an sie reihen sich die von Grossbritannien, Frankreich, Schweden und Norwegen, Dänemark. Im Küstenverkehre finden nur spanische Schiffe Verwendung.

Valencia steht mit Marseille durch die Cie. Fraissinet in regelmässiger Dampfschiffsverbindung.

Die Eisenbahnverbindungen beschränkten sich bisher auf die Küstenbahn, die Verbindung mit Madrid schliesst erst 113 km südlich von Valencia bei La Encina an die Linie Alicante-Madrid an. Durch die im Bau begriffenen Linien Valencia-Cuenca (- Madrid) und Valencia-Teruel-Zaragoza werden sie ausreichend vervollständigt.

Consuln haben in Valencia: Argentinien, Belgien, Bolivia, Columbia, Costarica, Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien (V. C.), Guatemala, Hawaii, Honduras, Italien, Liberia, Mexico, Monaco, Niederlande, Paraguay, Peru, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

Südlich des weit nach Osten vorspringenden Cap Nao liegt unter 38° 20′ nördl. Breite die freundliche Stadt Alicante an einer flachen Einbuchtung der Küste. Weisse Häuser umsäumen den Strand der Rhede, aber die Umgebung ist kahl und wenig einladend. Auf einer 120 m hohen Felskuppe thront das Castell Santa Barbara. Noch gewahrt man die schwarze Felswand, welche von der furcht - baren Mine herrührt, welche die Franzosen 1707 nach der Schlacht bei Almansa entzündeten, wodurch sie die gesammte Garnison der Feste vernichteten. Im Norden dominirt das Castell San Ferdinando die Stadt.

Alicante zählt 40.000 Einwohner und bietet nur geringe ge - schichtliche Erinnerungen; es ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und Sitz der Provincialbehörden.

Unter seinen Kirchen sind die aus dem Jahre 1616 stammende, im griechisch-romanischen Styl erbaute, allein nicht in allen Theilen vollendete Kirche San Nicolas de Barg sowie die Santa Clara-Kirche bemerkenswerth.

Die Bildergallerie des Marquis de Algorfa enthält gegen 1000 Ge - mälde der spanischen und niederländischen Schule. Erwähnung ver - dient die grosse Tabakfabrik, in welcher 4500 Frauen und Mädchen Beschäftigung finden.

Im Centrum der Stadt liegt die bezaubernd schöne, maurisch angehauchte Alameda. Alicante ist der schönen Frauen und Mädchen wegen, die eine der reizendsten Zierden der Stadt bilden, berühmt. Dadurch gewinnen die stets belebten Promenaden eine höchst wirk - same Anziehungskraft.

Am Hafenquai fesseln uns zahllose mit Esparto beladene Fahr -472Das Mittelmeerbecken.zeuge, denn der Export dieser zu Flechtarbeiten aller Art, zu Seilen, Matten, ja selbst zur Papierfabrication verwendeten Nutzpflanze bildet die Hauptthätigkeit des hiesigen Handels. Enorme Quantitäten verlassen in durch Dampfkraft gepressten Ballen den Hafen.

In der nördlich der Stadt gelegenen blühenden Huerta haben sich wie bei Valencia grosse Bewässerungsanlagen aus maurischer Zeit erhalten.

Ein wunderbares Klima lässt in dieser Huerta eine völlig un - unterbrochene Folge von Ernten gedeihen. In diesem Paradiese der Ceres und Pomona kennt man keinen Winter.

Unter den zahlreichen Häfen Spaniens ist das 191 km südlich von Valencia gelegene Alicante in Bezug auf den Handelsverkehr einer der wichtigsten.

Die Ausfuhr beruht auf den in der Umgebung gewonnenen Feldfrüchten, unter denen für den Localconsum Gerste sehr wichtig ist.

Der Hauptartikel der Ausfuhr ist Wein; es wurden 1888 1,467.654 hl (Werth 14·4 Millionen Pesetas) ins Ausland, und zwar nach Cette, Hâvre und Rouen, 34.145 q im Küstenhandel versendet.

Von Weinstein wurden 14.965 q ausgeführt.

Alicante ist Spaniens erster Ausfuhrhafen für Safran (1888 14.294 kg), für Anis und Anisbranntwein nach Frankreich und England, für getrocknete Feigen und Mandeln (1888 8335 q).

Es werden ferner ausgeführt Olivenöl (1888 13.436 q) und Süssholz, nach Amerika.

Aus den Minen der Umgebung kommt Blei (1888 9700 t, 1887 16.200 t) nach England und Italien zur Ausfuhr, ferner Böttcherwaaren um 4·8 Millionen Pesetas und Hanfschuhe. Der Reexport in Böttcherwaaren erreichte 1888 5·3 Mil - lionen Pesetas und um 2 Millionen Pesetas kamen leere Fässer zurück.

Die Einfuhr umfasst Expartogras und Jute (1888 12.808 q), Zucker (im Küstenhandel), Cacao, Sprit aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich (1888 21.500 hl, 1887 31.309 hl), Fassdauben 953.000 Stück, Bauholz aus Schweden, Norwegen und Russland ungefähr 22.000 m3.

Zur Verarbeitung in der hiesigen grossen Tabakfabrik wird Tabak von den Philippinen eingeführt.

Von Weizen kamen 1888 84.457 q, von Weizenmehl 11.156 q an.

Die Einfuhr von Stockfischen, die zum grössten Theile England von Neufoundland sendet, ist 1888 auf 42.304 q gesunken; durch den Küstenhandel kommen 48.789 q gesalzener Fische. Ferner werden eingeführt Holzkohlen; Stein - kohlen durchschnittlich 25.000 t, Petroleum (1888 100.000 q), das zum Theile im Küstenhandel weiter geht. Eisen und Eisenwaaren durch den Küstenhandel und Schafwollstoffe.

Der Handel Alicantes erreichte 1888: Einfuhr aus dem Auslande 26,057.065 Pesetas, durch den Küstenhandel 26,233.478 Pesetas, zusammen 52,290.543 Pe - setas; Ausfuhr ins Ausland 64,852.072 Pesetas, durch den Küstenhandel 24,072.437 Pesetas, zusammen 88,924.509 Pesetas.

473Valencia.

Der Schiffsverkehr von Alicante betrug:

〈…〉〈…〉

Den Küstenhandel besorgt die spanische Flagge allein, den überseeischen Verkehr zur Hälfte.

Alicante steht mit Madrid in directer Eisenbahnverbindung.

Consuln haben in Alicante: Belgien, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Niederlande, Schweden und Norwegen, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 60[474]

Málaga.

Ein seltsamer Zauber umfängt uns beim Anblicke Málagas, der uralten phönikischen Colonie, deren Entstehung weit zurück in un - denkliche Zeit verlegt werden muss. Jahrtausende sind vergangen, zahllose Völkerkämpfe wurden ausgefochten, und auf den Trümmern alter Gesittung erblühten neue Culturen, aber immer hatte sich an den Ufern des Gebirgsflusses Guadalmedina (Fluss der Stadt) eine be - vorzugte Wohnstätte arbeitsamer Menschen erhalten.

Der Name Málaga ist phönikischen Ursprungs und wird von Malch (die Saline) abgeleitet.

Weder aus der phönikischen Zeit noch aus jener der römischen Herrschaft, die Scipio hier einsetzte, haben sich Denkmale auf die Gegenwart vererbt. Nur die Epoche der Mauren, die mit Tarik’s Erscheinen (710) begann, hinterliess die beiden aus dem XIII. Jahrhundert stammenden Castelle Gibralfaro und Alcazar, auf die wir noch zurückkommen werden. Erst nach der Eroberung Málagas durch das Christenheer unter König Ferdinand I. (1487) entstanden jene denkwürdigen Bauten in der Stadt, die heute unsere Aufmerksamkeit fesseln. Viele derselben wurden an der Stelle maurischer Bauwerke errichtet. So wurden die Spuren der 700jährigen Herrschaft der Mauren fast ganz verwischt.

Nachdem die streitenden Anhänger der Christenheit die Stadt am 18. August 1487 dem letzten ungläubigen Gouverneur Hames el Tegri entrungen hatten, wurde auf den Zinnen der Feste Alcazaba das Symbol des Christenglaubens, ein Kreuz aus Gold und Silber, und das Banner Castiliens aufgepflanzt.

Mit angeborener Tapferkeit erwehrte sich Málaga in unserem Jahrhun - dert der französischen Invasion, sah aber am 5. Februar 1810 mit Entsetzen die plündernden Franzosen unter Sebastiani innerhalb seiner Mauern.

Trotz öfter wiederkehrenden Unruhen nahm in der Folge die Pflege der Wissenschaften und Künste und die Entwicklung der Stadt einen ungestörten Fortgang. Ebenso wurde im Gegensatze zu der maurischen Regierung den See - handelsinteressen der Stadt beizeiten eine entsprechende Würdigung zutheil.

Dem im Jahre 1588 angelegten Hafen, welcher 1622 durch die Verlängerung des alten Molos erweitert wurde, wendet man in neuester Zeit eine besondere Aufmerksamkeit zu.

Das in Ausführung begriffene Hafenbauproject bezweckt die475Málaga.Schaffung eines durch zwei lange Dämme abgeschlossenen geräumigen Hafenbassins und die Anschüttung des seichten Ufergebietes nebst der Herstellung gemauerter Quais. Auf unserem Hafenplane haben wir das Project in seinem ganzen Umfange einschliesslich der Stadter - weiterung auf der angeschütteten Fläche dargestellt.

Nach Vollendung der Bauten wird Málaga, dessen Bedeutung im Handel und in der Industrie sichtlich wächst, einen gesicherten Hafen für 400 Schiffe besitzen.

Die grossartigen Anschüttungen, welche der Herstellung der neuen Quais und Molen vorangingen, haben auch zur Entwicklung der Stadt nach dem Seeufer hin wesentlich beigetragen, und ent - stehen dort Reihen prächtiger Gebäude und schöne Anlagen.

Der Anblick der Stadt, deren Häusermasse von der hochauf - ragenden Kathedrale beherrscht wird, ist ein fesselnder. Die zumeist in tiefes[Immergrün] gekleideten Berge und Hügel an ihrer Ostseite bilden eine effectvolle Ausstattung des Bildes.

Westlich der Stadt breitet die fruchtbare Thalsohle des Guadal - medina sich aus. Dort gewahrt man als Zeichen der neuen Zeit die hohen Schlote von Fabriken und den qualmenden Rauch der Loco - motive, während auf der anderen Seite das ausgedehnte Castell Gibralfaro von stolzer Höhe die Erinnerung an das Mittelalter wachruft.

Die erste Anlage dieser Befestigung wird sogar den Phönikiern zugeschrieben, welche dort auf einem Thurme eine Seeleuchte (Pharo) unterhalten haben sollen. Innerhalb der Mauern ist die Capelle des heiligen Louis eingebaut worden.

Minder erhalten ist die Alcazaba, gleichfalls ein Castell, welches 1279 von den Arabern erbaut wurde und mit dem früher genannten durch einen unterirdischen Gang in Verbindung gestanden hatte.

Dem Vandalismus sind eben viele alten Bauten zum Opfer ge - fallen, doch können als schön und wohlerhalten die Puerta de las Atrazanas, derzeit das Eingangsthor zu einer Markthalle, sowie die Torre de Santiago hervorgehoben werden.

Nicht minderes Interesse beanspruchen die Bauwerke aus dem christlichen Zeitalter, insbesondere die Kathedrale von Málaga, deren grandioser Bau von 1538 bis 1719 dauerte.

Sie erhebt sich an der Stelle einer maurischen Moschee, welche nach der Flucht der Mauren in eine Kirche verwandelt worden war. Von dieser Reconstruction wurde ein gothisches Portal in den Neubau übernommen.

60*476Das Mittelmeerbecken.

Von den beiden Thürmen ist nur einer bis zu 90 m Höhe ausgebaut.

Auch das nächst der Kathedrale erbaute bischöfliche Palais ist in architektonischer Hinsicht erwähnenswerth; überhaupt bildet der schöne Domplatz das Centrum der Stadt, nächst welchem die be - suchtesten Strassen, Plätze und Promenaden, so der mit Baumalleen gezierte Paseo de la Alameda und die Plaza de la Constitution liegen.

Letztere schmückt ein schöner in Erz ausgeführter Brunnen von grossen Dimensionen. Auch die Plaza de Riego, in deren Mitte das Monument eines Märtyrers der Freiheit, des im Jahre 1831 erschossenen Generals Torrijos, sich erhebt, sei hier genannt.

Eine Lieblingspromenade ist insbesondere an Frühlingsabenden der herrliche Quai, jedoch bei hereinbrechender Dunkelheit ziehen sich die Städter nach der Alameda zurück, um den öffentlichen Productionen von Militärcapellen zu lauschen, oder in eleganten Cafés und Restaurants Erfrischung zu suchen, hier spielt sich das öffentliche Leben Málagas ab.

Nord-Süd durchläuft sanft der Rio Gadalmedina die Stadt, deren älterer Theil sich an der linken, östlichen Uferseite hinstreckt. Dieser Stadttheil ist, die Seeseite ausgenommen, uneben und hügelig, die Strassen sind unregelmässig, mitunter sehr enge, dennoch ist gerade dieser an den Hafen anstossende Theil der weitaus belebtere und bevorzugte. Alle wichtigeren Staats - und Stadtämter, zumeist in dem mächtigen Zollgebäude (Aduana) untergebracht, befinden sich hier, doch entwickelt und dehnt sich die Stadt schon mächtig in der Ebene am westlichen Flussufer aus, und reihen sich in den neu an - gelegten Strassen immer mehr und schönere Wohngebäude aneinander.

An der rechten Uferseite des Guadalmedina liegen die Baulichkeiten des Bahnhofs, aus dessen Hallen die Schienen via Cordoba nach dem Reiche führen. Südlich der Station gewahrt man die bis zum Quai reichenden grossartigen industriellen Anstalten, deren Gedeihen im Vereine mit der Thätigkeit der anderen zahlreichen Fabriken der Stadt den Aufschwung Málagas herbeigeführt hat.

Die Eisengewerkschaften der Constantia , die Industria Mala - gueña und La Aurora verdienen ganz besondere Beachtung.

Abseits der hohen industriellen Thätigkeit ist Málaga auch in seinen humanitären Bestrebungen anderen Städten vielleicht mehr als ebenbürtig und nimmt ebenso auf dem Gebiete der Geistespflege einen ehrenvollen Platz zur Ehre seiner lebhaften und ritterlichen Söhne ein.

Gesellschaftliche Vereine, Theater und Badeanstalten, vornehme477Málaga.Hôtels und Kaufläden sind reichlich vorhanden. Die Arena für Stier - kämpfe, die Plaza de Toros ist aber der nationalste aller Sportplätze für alle Gesellschafts - und Volksclassen.

Die Umgebung Málagas ist reizend; östlich und nördlich breitet sich Hügel - und Hochland aus, das unter einem herrlichen halb tropi - schen Klima eine Hülle von schönen und edlen Früchten zeitigt, die nicht nur auf den Marktplätzen der Stadt reissenden Abgang finden, sondern auch einen Hauptexportartikel ausmachen.

In den Niederungen gedeiht das Zuckerrohr zu üppigem Wuchse; anmuthig fügt sich das frische Grün der ausgedehnten Plantagen in

Málaga.

die Farbenpracht der Orangenhaine und der mannigfachen Anpflanzungen europäischer und tropischer Bodencultur.

Fast zu allen Jahreszeiten wird Málaga von zahlreichen Frem - den besucht, welche die Gunst des Klimas, der Ausblick nach der See und die herrliche Lage hieherführen.

Der Winter ist hier nur dem Namen nach bekannt, denn in manchen Jahren sinkt die Temperatur der Luft nicht einmal zur Nachtzeit unter + 10°C.

Málaga liegt unter 36° 42′ nördl. Breite und 24′ westl. Länge v. Gr. (Leuchthurm) und ist als Hauptstadt der Provinz der Sitz eines Civil - und Militärgouverneurs, eines Bischofs, einer Handels -478Das Mittelmeerbecken.kammer. Die Bevölkerung, welche am 31. December 1887 die Zahl 134.016 erreichte, hat sich seitdem durch Auswanderung bedeutend vermindert, denn der wirtschaftliche Niedergang der Stadt und Provinz Málaga, die Tyrannei der in den kleinen Gemeinden gewählten Vorsteher, welche officiell Alcalden, von dem Volke aber Caziken, wie die Häuptlinge des alten Mexico genannt werden, treibt die städtischen und ländlichen Arbeiter aus dem fruchtbaren Spanien nach Argentinien, Südbrasilien und Venezuela, deren Regierungen freie Ueberfahrt anbieten. Durch grossartige öffentliche Arbeiten sucht man zunächst in der Stadt Málaga Gelegenheit zum Verdienen zu geben. Eine breite Strasse, die Avenida de Larios tritt in die Nähe des Hafens an die Stelle alter, enger und winkeliger Strassen; im Osten der Stadt wird der Camino Nuevo angelegt; Señor Garcia, wie die Fabriksbesitzer D. Heredia, D. M. und D. C. Lários ein grosser Wohlthäter der Stadt, hat eine grosse Geld - summe gespendet, um den Arbeitern Beschäftigung zu geben. Aber die grösste Hoffnung für die Wiedergeburt der Stadt setzt man auf den Plan der Ablenkung des Guadalmedina, der die beiden volk - reichen Vorstädte Perchel und La Trinidad von der eigentlichen Stadt trennt. Meist sehr wasserarm, verwandelt sich der Fluss in der Regen - zeit in einen furchtbaren Torrento, der mit seinen Ablagerungen den Hafen blockirt, und zur Zeit seines trägen Laufes verschlechtert er die Luft gerade des gesündesten Theiles einer Stadt, welche durch ihr Klima berühmt ist. Die Regierung hat bereits dem Plane zugestimmt, den Guadalmedina, der heute im Osten der genannten Vorstädte fliesst, an deren Westseite zu verlegen und ihn 3 km von dem Hafen ins Meer münden zu lassen. Auf dem so gewonnenen Lande soll sich eine neue Villenstadt erheben, ähnlich der schon bestehenden von der Ostseite Málagas an der Strasse nach Velez-Málaga.

Schon sehen sanguinische Verehrer ihre Vaterstadt Málaga als Rivalin von Nizza und Monte Carlo, deren Klima gewiss für Kranke weniger günstig ist.

Und in der That beruht die Zukunft Málagas auf der Möglich - keit, aus ihm einen klimatischen Curort von europäischer Berühmtheit zu machen. Dies würde nicht allein unmittelbar Geld nach Málaga bringen und die Einfuhr von Luxusartikeln heben, sondern auch fremdes Capital und fremde Arbeitskraft in ein von der Natur so reich gesegnetes Land bringen, wo noch wenig Unternehmungsgeist herrscht; die Eingebornen nennen diese Eigenschaft so treffend anemia .

479Málaga.

Der Handel Málagas ist in den letzten Jahren gewaltig gesunken, weil Missernten und der Mitbewerb fremder Staaten den Export der Producte des Ackerbaues der Provinz Málaga herabgedrückt haben. Den grössten Rückgang weisen Rosinen, der wichtigste Stapelartikel Málagas, aus.

Die Weine und Rosinen Málagas geniessen Weltruf, und seine Reben - pflanzungen erstrecken sich nördlich bis Antequera, östlich bis Mortil und west - lich bis Ronda. Hier werden die edelsten Weine gewonnen, das meiste von Mos - catelreben, der Vino tierno de Málaga und der berühmte Petro-Jimen aber, wel - cher unter dem Namen Málaga par excellence nach allen Weltgegenden ver - sendet wird, von der Jimenicia-Rebe. Diese köstliche Rebe stammt von der Insel Madeira, von wo sie zunächst an die Ufer des Rheines und der Mosel verpflanzt wurde. Von dort brachte sie im XVI. Jahrhunderte ein deutscher Weinbauer, Peter Simon (also nicht der berühmte Cardinal Pedro Ximenez), nach Málaga, woselbst man die Rebe nach ersterem benannte, indem man seinen Zunamen in J (X) imenez corrumpirte.

Leider hat neuestens die Phylloxera einen grossen Theil dieses Weinge - bietes vernichtet, und wo noch vor wenigen Jahren die edelsten Reben standen, baut man heute Mais.

Die hohe Consumsteuer, welche 1888 auf Sprit gelegt wurde macht die Einfuhr des hier sehr beliebten deutschen Productes nahezu unmöglich und das leistete den namentlich in Cette, dann in Montpellier, Marseille und Bordeaux erzeugten billigen Nachahmungen hiesiger Weine Vorschub.

Der Absatz der Weine Málagas nach Frankreich, in die Schweiz und nach Italien ging 1889 sehr zurück. Ausgeführt wurden 1888 136.341 hl ins Ausland und 2973 q durch die Küstenschiff fahrt. Drei Fünftel gingen nach Frankreich, England, in die Union.

Die Ausfuhr von Rosinen leidet durch die Rosinen Californiens.

Der Rosinenexport ist von 1,412.000 q im Jahre 1886, 1887 auf 993.000 q, 1888 gar auf 52.547 q heruntergegangen. Die Hälfte derselben, die billigeren Sorten, gehen nach Amerika, die besseren nach Frankreich, dann nach England Deutschland und Nordeuropa.

Auch die Ausfuhr von Olivenöl hat 1888 nur 41.401 q erreicht, war aber 1889 sehr gross. Die Ausfuhr geht nach Hamburg, Grossbritannien und Frank - reich. Im Küstenhandel wurden 1888 26.402 q verschifft. Die Güte des hier ge - wonnenen Oeles lässt viel zu wünschen übrig.

Die Preise der Orangen und Citronen sind durch die grosse Concurrenz von Italien, Portugal, Brasilien, Mexico und Florida gedrückt. Ausfuhr 1888 von Orangen 30.704 q, von Citronen 43.086 q. Diese Früchte sowie Mandeln und Feigen gehen vornehmlich nach Amerika und England.

Durch die Fröste des Winters von 1888, welche die Pflanzungen hart mitnahmen, ist die hier meist so wichtige Erzeugung von Rohrzucker sehr zurück - gedrängt. Sie genügt kaum dem localen Bedürfnisse. Es wird wohl im Küsten - verkehre mehr ausgeführt (1888 43.214 q, Werth 4·7 Millionen Pesetas) als ein - geführt, aber Málaga führt auch aus dem Auslande ein.

Nur der Getreidebau, welcher sich auf Kosten der anderen Culturen aus - gedehnt, liefert reichlichen Ertrag.

Im Küstenhandel wurden 1888 27.240 q Weizenmehl ausgeführt.

480Das Mittelmeerbecken.

Die Producte des Thierreiches spielten in der Ausfuhr von Málaga nie eine Rolle, nur hat sich in den letzten Jahren die Verschickung frischer Fische in Eiswaggons nach Madrid zu einer lohnenden Quelle des Erwerbes entwickelt.

Málaga ist Spaniens erster Ausfuhrplatz für reines Blei (1888 157.312 q, Werth 5·2 Millionen Pesetas), wie Cartagena, das den schönsten Hafen an der spanischen Mittelmeerküste besitzt, für silberhältiges Blei (Ausfuhr 1888 350.975 q, Werth 12·3 Millionen Pesetas).

Unter diesen trostlosen Verhältnissen der Ausfuhr leidet selbstverständlich die Einfuhr.

Von Sprit, meist deutschen Ursprungs, wurden 1888 18.963 hl aus dem Auslande und 2005 q durch den Küstenhandel eingeführt. Die Einfuhr von Bau - holz erreichte 1888 nur 8825 m3.

Von thierischen Nahrungsmitteln wurden aus dem Auslande eingeführt Klippfisch 1888 nur 19.640 q.

Holzkohlen kommen meist aus Sardinien (1888 2502 t), Steinkohlen und Coaks aus England (1888 31.013 t, 1887 44.733 t).

Petroleum (33.620 q) aus Amerika und Cement aus Deutschland.

Von Metallwaaren kamen aus England, Belgien, Frankreich und Deutsch - land eiserne Fassreifen 716 t, Draht 329 t, Gusseisen 407 t, Stahl 194 t, Maschinen und Maschinentheile 850 t zur Einfuhr; bei letzteren gegen 1721 und 4179 t in den Jahren 1887 und 1886.

Im Jahre 1888 führte man in Málaga aus dem Auslande ein: Baumwoll - gewebe um 355.000 Pesetas, Hanf und Leinengarne 3327 q (Werth 1·3 Millionen Pesetas), Jutegarne 2215 q, dann Schafwollstoffe, gemischte Stoffe und Wirk - waaren um 958.329 Pesetas und Seidenwaaren um 349.174 Pesetas.

Also im Ganzen ist die directe Einfuhr aus dem Auslande klein, dagegen wurden im Wege des Küstenhandels um 26·5 Millionen Pesetas Baumwollstoffe, um 2·7 Millionen Pesetas Schafwollstoffe eingeführt, um 11·5 Millionen Pesetas Gewebe aller Art ausgeführt.

Für die Einfuhr von roher Baumwolle ist Málaga (1888 22.478 q) der erste Platz Spaniens nach Barcelona, und Baumwollspinnerei und Weberei, welche 4400 Arbeiter beschäftigen, blühen in der Umgebung.

Auch in Thonwaaren will man sich durch die in Santa Inez neuerrichtete Fabrik vom Auslande befreien.

In Málaga selbst beschäftigen sich vier grosse Etablissements mit dem Bau von Maschinen, und Engländer haben 1888 eine Fassfabrik errichtet.

Die zahlreichen Mühlen von Málaga und Umgebung werden langsam nach dem ungarischen Walzensysteme umgebaut. Zu nennen sind noch die zahlreichen Etablissements für Herrichtung des Weines, für Erzeugung von Sprit und Essig, die vielen Oelpressen und die 20 Seifenfabriken. Aber unter der Abgabe auf Oel und dem Mitbewerb der Fabriken Cataloniens hat die Ausfuhr von Seife so ziemlich aufgehört.

Der Handel Málagas erreichte in Pesetas:

〈…〉〈…〉
481Málaga.

Der Schiffsverkehr Málagas betrug:

〈…〉〈…〉
Málaga (Massstab 1: 27.000; Sonden und Höhen in Metern).

A Winter-Ankerplatz auf der Rhede, A1 Sommer-Ankerplatz, B innerer Hafen, B1 neue Hafendämme, C neuer Stadttheil (nach Ausbau des Hafens), D Zollamt, E Station der Bahn nach Cordoba F Leucht - feuer, F1 alter Leuchtthurm, G Batterie S. Carlos, H Strand Malagueta, J Arena für Stierkämpfe, K Kathedrale, L Playa de St. Andres, M Eisenfabrik Constancia, N Gaswerke, O Aurora (Kleiderfabrik), P Civil-Hospital, R Plaza de Riego, S Calle la Victoria, T Plaza de la Constitucion, U Castell di Gibralfaro, V Zuckerfabrik, W Kupferhammerwerk, X englischer Friedhof, Y Alcazaba-Platz, Z Calle de Torrijos, 1 Calle de Alamos, 2 Calle de la Trinidad, 3 Paseo del Coto, 4 Arroyo de los Angeles, 5 neue Strasse Avenida de Larios, 6 Alameda de los Tristes, 7 Hospital der Armen, 8 Hafen-Capitanat, 9 Mercado de Alfonso XII, 10 Waisen-Asyl, 11 Calle Cuarteles, 12 Calle del Salitre, 13 Batterie San S. Felipe, 14 Merino-Garten, 15 Tacon-Garten, 16 Militär-Spital, 17 S. Rafael-Batterie.

In diesem Hafen treibt in der Regel nur die spanische Flagge die Küsten - schiffahrt; von dem internationalen Verkehre besorgt sie die Hälfte; an sie reihen sich die englische, französische und italienische Flagge.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 61482Das Mittelmeerbecken.

Regelmässige Verbindungen bestehen nach Marseille durch die Gesellschaft Fraissinet et Co., durch die Cie. générale transatlantique mit Gibraltar, Tanger, Oran und durch spanische Gesellschaften mit den Häfen der Halbinsel; Málaga ist Station der Slomann’schen Dampfer und der Linie Roca aus Hamburg, ferner der Cie. générale transatlantique auf ihrer Linie Marseille-Colon Aspinwall.

Durch die Linie Málaga-Bobadilla-Cordoba ist der Hafen an das Eisen - bahnnetz Spaniens angeschlossen und der vermittelnde Platz für den Handel der Provinzen Málaga und Granada geworden.

Consuln haben in Málaga: Argentinien, Columbia, Costariea, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Frankreich, Griechenland, Gross - britannien, Guatemala, Hawaii, Honduras, Italien, Liberia, Mexico, Monaco, Nieder - lande, Oesterreich-Ungarn, Russland, Schweden und Norwegen, Türkei, Uruguay (G. -C. ), Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

[483]

Gibraltar.

Vor kaum zwei Jahrzehnten war die Wasserstrasse, die sich zwischen den Säulen des Hercules dahinzieht, die einzige Passage, welche das hochwichtige Becken des Mittelmeeres mit dem Ocean verband. Erst mit der Verwirklichung des grossartigen Gedankens, in seinem äussersten Osten ein künstliches Thor zu erschliessen, wurde das Mittelmeer zum Bindegliede der Oceane und zu einer Durchzugsstrasse für den Weltverkehr. Tausende von Meilen See - weges werden dem Zuge der Schiffahrt nach dem fernen Osten und Westen erspart, und nicht nur das Mittelmeer selbst, sondern auch dessen erste und einzige natürliche Zufahrt hat seither riesig an Be - deutung zugenommen.

Gibraltars isolirte Lage liess den Platz zwar nicht zu einem grossen Hadelscentrum anwachsen, aber durch den Umstand, dass ein grosser Theil der die Enge passirenden Schiffe den Hafen als erste oder letzte europäische Etape zur Approvisionirung anlaufen muss, geniesst Gibraltar eine nicht zu unterschätzende mercantile Bedeutung.

Wer immer die verhältnissmässig schmale Verkehrsstrasse, welche hier Europa vom dunklen Erdtheile trennt, befuhr und in der Betrachtung der sich auf 13 km nahe rückenden Küsten die wunder - same Form des Felsens von Gibraltar erblickt hat, dem dürfte kaum ein seltsameres Bild die Erinnerung daran verdunkeln.

Abgerissen vom spanischen Festlande, gänzlich isolirt und nur mittelst eines schmalen Landstreifens seine topographische Zusammen - gehörigkeit mit dem schönen Andalusien herstellend, scheint es, als ob der Berg einst nach der Länge seines Kammes gespalten und die eine Hälfte in die Tiefen des Meeres versenkt worden wäre.

Am imposantesten repräsentirt sich daher der Berg, dessen Kammlinie Nord-Süd läuft, gegen Osten, gegen das Mittelmeer zu.

Auf dieser Seite erheben sich die dunklen Wände fast senk - recht bis zu 425 m Höhe über das Niveau des Meeres, welches mit61*484Das Mittelmeerbecken.mächtigem Wogenschlag deren Fundamente umtost, während tödt - liche Starre und Oede aus den nackten Felswänden blickt.

Das Terrain an der südlichsten Spitze sowie der westliche Ab - hang des Berges verlaufen jedoch allmälig, und wenn man, westlich steuernd, die Punta Europa, welche auf hohem Thurme eine der schönsten Seeleuchten trägt, passirt hat und in die mächtige Bai von Gibraltar einfährt, bietet sich, wie im Gegensatze zur Starrheit der östlichen Wand, das anmuthige Bild der stets belebten Rhede und der malerisch an die sanfte Wand des Berges gelehnten Stadt dar.

Die Bai von Gibraltar, nach dem an ihrer Westseite liegen - den spanischen Städtchen Algeciras Bahia de Algeciras genannt, ist von fast unübersehbarer Ausdehnung, denn sie misst 8 Seemeilen von Ost nach West und 11 von Nord nach Süd. Grosse Tiefe, unguter Ankergrund lassen es kaum zu, die Bai als eine besonders gesicherte zu bezeichnen, und nur der Umstand, dass der km lange Felsen von Gibraltar wie ein schützender Arm ihren östlichen Abschluss bildet und die Macht der vorherrschend östlichen Stürme, insbeson - dere aber die des hohen Seeganges bricht, sichert der Rhede von Gibraltar den Vorzug vor allen anderen Punkten der Bai.

An die Südspitze des Berges, nächst dem Leuchtthurme, lehnen sich gewaltige moderne fortificatorische Bauten an, die auch längs des ganzen Westsaumes weiter geführt sind und in den grandiosen in Felsen ausgehauenen hochsituirten Gallerien an der Nordseite einen Ab - schluss finden. Das englische Gebiet reicht noch auf den flachen Grund nördlich des Felsens etwa 800 m hinaus. Von da an beginnt der 600 m breite neutrale Grund, der Gibraltar vom spanischen Ge - biete trennt.

Ein niedriger Erdwall, la Linea , der quer über die Landzunge läuft, bildet im Norden die Grenze des neutralen Bodens .

Ein unbedeutendes, durch einen langen Molo geschütztes Re - gierungsarsenal mit Anlagen für militär-maritime Zwecke, und höher hinauf prächtige Regierungsgebäude für militärische und humanitäre Dienste nehmen den südlichen Theil der Uferlände in Anspruch, während die Stadt mehr an dem nördlichen sich entwickelt hat.

Gibraltar, unter 36° 7′ nördl. B. und 21′ westl. L. v. Gr. (Arsenals-Molo), geniesst nicht das Glück, einen eigentlichen Hafen zu besitzen, und es ist fast zu wundern, wie der nicht unbedeutende Geschäftsverkehr auf der Rhede bewältigt werden kann, da gar keine Einrichtungen bestehen, die denselben erleichtern können.

Ueberdies ist dieser Verkehr dem strengen Festungsreglement485Gibraltar.gemäss nur auf die Tageszeit und auf ein einziges Thor beschränkt, welches durch die umzwingenden Wälle der Stadt führt.

Der Raummangel für grosse Depots am Lande hat auch be - stimmend dafür gewirkt, dass die hauptsächlichsten Lager von Kohlen Gibraltars wichtigstem Handelsartikel sich schwimmend, d. h. auf grossen Lichterschiffen befinden, die auf der Rhede stabil ver - ankert bleiben. Letztere vertreten gleichzeitig die Stelle der Anlege - plätze für die grosse Zahl der periodisch wiederkehrenden Dampfer,

Gibraltar.

die sich hier mit Heizmaterial versorgen. Die schwimmenden Kohlen - depots besetzen die besten Liegeplätze der Rhede und verleihen ihr auch ein charakteristisches Merkmal. Ihre Anzahl (35) darf wegen Platzmangels nicht mehr vergrössert werden.

Der Mangel an Docks wird empfindlich gefühlt, worunter die in den letzten Jahren sich immer mehr ausbreitende Localschiffahrt zu leiden hat, da die Reparaturen der Schiffe auf fremden Werften ausgeführt werden müssen. Wie so mancherlei andere Uebelstände dieses Seeplatzes schon behoben wurden, so ist man in neuester Zeit auch endlich daran gegangen, mit dem Bau von grossen Docks zu be -486Das Mittelmeerbecken.ginnen. Der praktische Sinn der Briten einerseits, die gänzlich ver - änderte Vertheidigungsart der Festung andererseits liessen die Be - deutung des Handelsplatzes gegenüber den Forderungen des Militärs zur Geltung kommen.

Die höchst reizvoll und malerisch gelegene Stadt ist terrassen - förmig angelegt, so dass ein grosser Theil derselben von der Rhede aus übersehen werden kann. Einschliesslich der Garnison von 6003 Mann zählt Gibraltar (1888) 24.467 Einwohner, unter welchen das spanische Element vorherrschend ist. Dessenungeachtet trägt Alles das Gepräge einer englischen Colonie.

Die reinlichen, wohlbemalten Häuser sind zumeist im englischen Style erbaut, die Strassen geräumig und sauber. Die dominirenden Artikel der Kaufläden, soferne sie nicht die Raritäten abendländischer Nachbarvölker zur Schau stellen, sind vorzugsweise englischer Pro - venienz, und die reichhaltigen Geschäftslocale verrathen sofort, dass man es hier mit Leuten zu thun hat, welche Alles an sich vorüber - ziehen gesehen, was die Welt an Bedürfnissen und Luxus erzeugt und von Land zu Land versendet.

Der Umstand, dass Gibraltar Freihafen ist (seit 1706), in welchem nur Spirituosen, Liqueure, Bier und Wein einem besonderen Zolle unterworfen sind, lässt die Station geradezu als ein Eldorado für den Kleinhandel mit Seefahrern erscheinen.

Das eintönige Leben gemahnt allerdings beständig an den Cha - rakter Gibraltars als Festung; überall begegnet man den schmucken englischen Soldaten, und ein wärmerer Pulsschlag in der Hauptader des Stadtverkehrs tritt nur dann ein, wenn beim Spiele der militäri - schen Retraite auch die geschäftsmüde Menschheit den Heimweg antritt.

Mit unsäglicher Mühe wurden dem sterilen Terrain, den Berg - länden Plätzchen abgerungen, auf welchen herrliche Oasen erblühen und zum Besuche einladen. Die lohnendste Partie ist jedoch ein Auf - stieg nach der Signalstation am Kamme des Berges in 392 m Höhe.

Von dort aus geniesst man eine prächtige Fernsicht über die weite Bai und das nette spanische Städtchen Algeciras, sieht den Grund des Meeres zu seinen Füssen und überblickt, die nächsten Gebiete zweier Welttheile die südlichen Gebirgszüge Andalusiens bis Malaga einerseits, und jenseits der hier 20 km breiten Wasserstrasse die spanische Colonie Ceuta, das marokkanische Tanger und einen Theil des Atlasgebirges.

Die Signalstation, eine der musterhaftesten, die es gibt, dient nicht nur militärischen Zwecken, sondern jedes hier vorüberfahrende487Gibraltar.Schiff kann sich durch internationale Flaggensignale verständigen und seine Nachrichten befördern lassen, von welcher Wohlthat durch die Interessenten der Schiffahrt und des Handels auch ausgiebig Gebrauch gemacht wird.

Südlich der Signalstation erhebt sich die Felsspitze Breakneck - Stairs bis zur Höhe von 425 m, die bedeutendste des Felsens.

Hier und auf den steilen Klüftungen des östlichen Abfalles haust eine besondere Gattung schwanzloser Affen, die einzigen frei lebenden Vertreter dieser possierlichen Vierhänder in Europa, welche übrigens nebenbei bemerkt durch strenge Gesetze gegen jewede Ver - folgung geschützt sind.

Unwillkürlich zieht bei Betrachtung des seltsamen Berges und seiner An - lagen ein Stück Weltgeschichte in das Gedächtniss des Beschauers. Die Merk - male, dass Gibraltar, der Mons Calpe der Alten, einst eine römische Colonie gewesen, sind allerdings verwischt, aber noch heute besteht über der Stadt das von Tarik (710) erbaute maurische Castell, nach welchem auch der jetzige Name Dschebel al Tarik (Berg des Tarik) als maurische Bezeichnung für Gibraltar ent - standen ist.

Der Ausblick von der beherrschenden Höhe ist geradezu überzeugend von dem dominirenden Einflusse, den ihr Besitz auf die Verhältnisse der Meerenge und die umliegenden Gebiete zu üben berufen ist.

Es ist erklärlich, dass die Mauren, welche mit kurzen Unterbrechungen fast sieben Jahrhunderte Gibraltar inne hatten, nur nach erbitterten Kämpfen gegen die Spanier den Stützpunkt für ihre Expansion in Europa aufgaben.

Ebenso lag es im Drange der Zeiten, dass erbitterte Kämpfe zwischen den Culturstaaten um den Besitz dieses Schlüsselpunktes für die Beherrschung der Strasse von Gibraltar ausgefochten werden mussten.

Gibraltar gelangte im spanischen Erbfolgekriege am 17. Juli 1704 in eng - lischen Besitz, und die Briten wussten denselben trotz der Anfechtungen Spaniens und Frankreichs zu behaupten. Denkwürdig ist die grosse, aber erfolglose Bela - gerung der Felsenfeste durch die Flotten der genannten Gegner während der Jahre 1779 bis 1781.

Finster blicken mächtige Geschütze aus den dunklen Höhlen der berühmten Felsengallerien oder hinter Panzerwehren gegen Land und See. Noli me tangere scheinen sie drohend zu rufen.

Aber fast ein Jahrhundert ist verflossen, seit die ehernen Schlünde schweigen, und wie immer man heutzutage über den strategischen Werth des Besitzes von Gibraltar denken mag eines bleibt gewiss die unschätzbare Bedeutung wird diesem Platze auch in kom - menden Zeiten gewahrt bleiben als erster und letzter Etape für den stets zunehmenden Seeverkehr zwischen dem Mittelmeere und dem Atlantischen Ocean, als Handelsplatz nach Südspanien und Marokko, und als Station der Engländer auf dem Wege nach Indien.

488Das Mittelmeerbecken.

Gibraltar bewacht den Eingang, Malta die Mitte und Cypern die Osthälfte des Mittelmeeres, und Egypten ist der Schlüssel des Hauptthores von Indien.

Das Klima Gibraltars muss zwar als ein günstiges bezeichnet werden, aber die sanitären Verhältnisse sind nicht gerade befriedigend. Die Canalisirung der Stadt lässt viel zu wünschen übrig und die Wasser - versorgung liegt im Argen. Wohl reicht die jährliche Regenmenge aus für den Bedarf der Bevölkerung, aber die unteren Schichten der Bevölkerung gehen mit dieser Gabe des Himmels nicht sorgsam um und lassen in die Cisternen auch das Wasser eindringen, welches von schmutzigen Dächern und noch mehr schmutzigen Terrassen abläuft.

Gibraltars Tonnenverkehr, der sich seit Eröffnung des Suezcanals (1869) vervielfacht, seit 1879 verdoppelt hat, erreichte im Einlaufe:

〈…〉〈…〉

doch sind dabei nur die Küstenfahrer der spanischen und portugiesischen Flagge eingerechnet.

Die britische Flagge nimmt den ersten Platz ein (1887 mit 4,278.313 t), fast nur auf sie allein entfällt die Zunahme des Tonnenverkehrs des Hafens. Es liefen hier ferner 1887 ein 667 spanische Schiffe mit 205.363 t, 253 französische mit 209.586 t, 100 italienische mit 110.143 t, 246 norwegische mit 111.791 t und 111 deutsche mit 81.120 t.

Da in der Meerenge Schiffsunfälle nicht selten sind, hat der Nordische Bergungsverein zu Hamburg einen Dampfer hieher gesendet.

Mit dem Schiffsverkehre steigt auch der Kohlenhandel (Einfuhr 1888 500.000 t), den England fast ausschliesslich versorgt.

Aber in allen Artikeln ist die Bedeutung Gibraltars als Handelsplatz in den letzten Jahren stark gesunken. Gibraltar ist nicht mehr der grosse Depotplatz für Südspanien und Marokko. Die directen Verbindungen der Häfen dieser Staaten mit dem Auslande mehren sich auf Kosten von Gibraltar.

Die Bestimmung der spanischen Finanzbehörde, dass Spiritus nur über be - stimmte Häfen eingeführt werden darf, von denen Cádiz am nächsten bei Gibraltar liegt, hat ihm 1888 auch noch seine Bedeutung als Spiritusdepot für Spanien geraubt. Doch klagte man, wie es scheint, nicht mit Unrecht in Spanien und Ma - rokko, dass von dem Freihafen Gibraltar aus, wo mit Ausnahme der geistigen Getränke der Handel von jeder Controle befreit ist, ein grosser Schmuggel in ihre Zollgebiete betrieben wird. Namentlich dem Ertrage des spanischen Tabak - monopols wird durch die Tabakhändler und die zahlreichen Tabakfabriken Gibral - tars grosser Abbruch gethan.

Nur eine Eisenbahnverbindung Gibraltars mit Spanien könnte dem Platze seine alte Stellung wiedergeben. Aber England wird eine solche unter keiner Be - dingung gestatten, und so erwartet die Handelskammer Gibraltars alles Heil von der bevorstehenden Vollendung der Strecke Bobadilla-Algeciras. Bobadilla liegt an der Linie Cordoba-Málaga.

489Gibraltar.

Zur See nach Gibraltar zu kommen, ist leicht; wer aber zu Lande hin will, musste bisher auf den nicht guten spanischen Strassen eine langwierige Wagenfahrt in der mit Recht berüchtigten Dilegencias nach Algeciras unternehmen.

Gibraltar führte 1887 Waaren um 947.129 , 1888 nur um 763.408 ein und von diesen kamen 670.195 aus England, so dass wir das Ursprungsland nur

Gibraltar (Sonden und Höhen in Metern).

A Ankerplatz auf der Rhede, A1 temporärer Ankerplatz, B Kohlenschiffe, C Landungsplatz, D Landthor, E neutraler Grund, F Leuchtfeuer, G englische Grenzlinien, H Rennplatz, I Gallerie-Batterien, J Fried - höfe, K maurisches Castell, L Gouverneurs-Palais, M Börse, N Kloster, O Südthor, P Grand Parade Gärten, R Marine-Spital, S Kasernen, T North Front-Camp, U Giesserei, V Schiffswerkplatz, W Vieh - stallungen, X Arsenals-Gebäude, Y Windmill-Kasernen, Z Meerenge von Gibraltar.

bei jenen Waaren nennen werden, an deren Einfuhr auch andere Länder sich be - theiligen. Der grösste Theil dieser Waaren geht hier nur durch, denn der Consum Gibraltars ist ja nach der Grösse seiner Bevölkerung nur ein beschränkter.

Ausser Kohle wurden hier namentlich Baumwollwaaren, darunter auch aus Deutschland, eingeführt 1888 12,237.100 Yards (Werth 133.244 ) gegen 17,319.700 Yards im Jahre 1887.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 62490Das Mittelmeerbecken.

Bier sendet meist London; Einfuhr 1888 15.439 Barrels; Weizen und Mehl (1888 31.095 q) kommen auch über Hamburg, Marseille und Fiume.

Raffinirten Zucker schickt neben England meist Oesterreich-Ungarn; Ein - fuhr 1888 36.036 q. Dafür hat letzteres seine frühere dominirende Stellung in Tabak aus Ungarn an Deutschland und England abgegeben.

Thierische Nahrungsmittel (Provisions), die theilweise auch zur Versorgung der Schiffe dienen, schickt England, lebendes Rindvieh für den Bedarf der Garnison Marokko, und Gemüse und Früchte bringen die spanischen Nachbarn aus dem Städtchen San Roque an die Linea , und rächen sich durch hohe Preise an den Briten, die noch immer diesen Theil des Bodens Spaniens besetzt halten.

Als Importartikel sind noch zu nennen Kaffee, Thee, Tabakfabricafe und Korkholz für die ansehnliche Stöpselindustrie des Platzes. Ueber Gibraltar kommen ausser den eigentlich nur transitirenden Artikeln der Einfuhr noch Mandeln, Süd - früchte und Wein aus Südspanien zur Ausfuhr nach London.

Der regelmässigen Schiffahrtslinien, die Gibraltar berühren, sind mehr als 20, ihre Namen haben wir bei Egypten und den Plätzen Italiens angeführt.

Mit London und Málaga besitzt Gibraltar auch eine eigene Verbindung durch die Hall Line, die Compagnie Paquet verbindet es mit Marseille, Ceuta, Tanger und den anderen Häfen Marokkos, die Cie. Générale Transatlantique mit Oran und Tanger, und von Algeciras geht täglich ein spanischer Dampfer nach Ceuta.

Gibraltar hat über Spanien und Frankreich eine tägliche Postverbin - dung mit England, eine Landtelegraphenlinie nach Spanien und Kabel der Eastern Telegraph Cy. nach Lissabon, nach Villa Real de Santo Antonio in Portugal, nach Cádiz, Malta und Tanger.

Im Jahre 1888 wurde hier eine Niederlassung der Anglo-Egyptian-Bank errichtet. Legale Münze ist in Gibraltar die spanische Peseta, daher ist Gold hier sehr selten, und man sieht nur das minderwerthige 5 Peseta-Stück. In englischem Gelde werden nur Geldanweisungen und Postaufträge ausgedrückt.

Consulate haben in Gibraltar: Argentina, Belgien, Bolivia, Brasilien, Columbia (G. -C. ), Dänemark, Deutsches Reich, Grossbritannien (G. -C. ), Monaco, Nicaragua, Niederlande, Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Peru, Portugal (G. -C. ), Schweiz, Spanien (G. -C. ), Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

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Der atlantische Ocean.

Die Geschichte des atlantischen Meeres taucht in schwer unterscheidbaren Umrissen aus dem Nebel von Mythen und Sagen empor, in den es nicht bloss die unwillkürlich dichtende Phantasie junger Völker, sondern auch die absichtsvolle Fabelei gewitzter Kaufleute gehüllt hat.

Jenseits der Säulen des Hercules wollte eben der Phönikier durchaus keinen Concurrenten oder auch nur Beobachter seines Thuns und Treibens aufkommen lassen. Infolge dessen ist alles, was uns die Alten von den Küstenfahrten nach den Zinn - und Bernstein - ländern oder von den Unternehmungen der Carthager an der west - afrikanischen Küste berichten, dem kritischen Zweifel in höherem Masse ausgesetzt, als was uns sonst über die maritimen Thaten der vorchristlichen Völker erzählt wird.

Als die Römer bis zum atlantischen Meere vordrangen, fanden sie zwar die keltischen Völker an der Küste im Besitze einer Marine, indessen haben weder die Gallier, noch die Römer sich weiter in den Ocean hinausgewagt; über ihm schwebten auch weiter die Geister der Sagen und des Geheimnisses. Zwar wurde es im Norden Europas immer lebendiger; die Binnenmeere waren der Schauplatz grosser Wanderungen, kriegerischer Wagnisse, so auch eines regelmässigen friedlichen Verkehres; aber es verging beinahe das erste Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung, bevor die Vikinger zum erstenmale mit unzulänglichen Mitteln die endlose Wasserwüste durchschnitten62*492Der atlantische Ocean.und an den Küsten Grönlands sowie der Neu-England-Staaten ver - gängliche Ansiedlungen gründeten. Den Handel treibenden Cultur - völkern jener Zeit und ihren Nachkommen blieben diese Thaten der kühnen Normänner unbekannt, den praktischen Erfolgen nach waren sie für die Menschheit so gut wie nie gethan.

Während des ganzen Mittelalters war die Lage am atlantischen Gestade für die Anwohner kein Vortheil, keine Schicksalsgunst, sondern eine Erschwerung ihrer Existenz, sie lagen eben abseits von der Heerstrasse des damaligen Welthandels. Erst im Zeitalter der Entdeckungen, seit dem XIV. Jahrhundert also wichen Scheu und Unkenntniss von dem Unternehmungsgeiste der Italiener, Portugiesen und Spanier.

Südeuropäische Seefahrer entdeckten die canarischen Inseln. Madeira, die Azoren, der Infant Heinrich der Seefahrer regte die Erforschung der Westküsten Afrikas an, und schon beschäftigten sich Theoretiker wie Praktiker mit den zwei grössten Problemen der Nautik: mit der Umschiffung Afrikas und der Möglichkeit, die Ost - küsten Asiens, der allein bekannten alten Welt, direct vom atlan - tischen Ocean aus zu erreichen.

Die Lösung des ersten Problems, für welches der atlantische Ocean eben eine unvermeidliche Passage war, und die Ueberraschun - gen, welche das zweite Problem mit sich brachte, bewirkten die ungeheuere Schicksalswende nicht allein in der Geschichte des Welt - handels, sondern ganz besonders in der Geschichte des atlantischen Meeres und seiner Uferstaaten.

Die grossen Namen Christoforo Colombo, Vasco de Gama Cabral, Cabot, Magelhaens u. s. w. mögen hier für ihre Thaten stehen.

Mit dem XVI. Jahrhundert tritt der atlantische Ocean aus seiner Vorgeschichte in seine geschichtliche Zeit ein, die den er - freulichen Anblick eines ununterbrochenen Fortschrittes darbietet; der Schwerpunkt seiner Bedeutung liegt seit jeher im Norden, wo er die cultivirtesten Erdtheile der alten und neuen Welt verbindet. Jedes Schiff, das von Europa abfährt oder nach Europa segelt, muss ihn passiren; drei Viertheile von Europa, die Nil -, Niger - und Congo - länder in Afrika und die Länder am Lorenzo, Mississippi, Orinoco, Amazonas und la Plata sind durch die gleichnamigen Flüsse vom atlantischen Oceane aus in der mannigfachsten Verzweigung auf Tau - sende von Meilen zugänglich. Auf Grund dieser geographischen Vor - züge gegenüber dem Indischen oder Stillen hat sich der buchten -493Der atlantische Ocean.reiche atlantische Ocean zu dem für Handel und Schiffahrt wich - tigsten Theile des Weltmeeres emporgearbeitet, und nur auf dem Wege über den atlantischen Ocean hat sich der Europäer zum Herrn der Erde emporgeschwungen; wo er auf den Thron verzichten musste, wie in Amerika, da geschah es zu Gunsten seiner eigenen Abkömm - linge, welch jüngere Vettern bereits vielfach als gefährliche Rivalen für die älteren Linien auf dem Felde der Weltconcurrenz auftreten.

Fluch und Segen mengen sich aber in die grossen Umgestal - tungs - und Erneuerungsprocesse der Geschichte.

Wenn der eine triumphirt, muss der andere zu Grunde gehen; was dem einen Gewinn und Lebensfreude schafft, kostet dem anderen Freiheit und Eigenthum. So recht mit den Händen können wir zu beiden Seiten des atlantischen Oceans die belegenden Beispiele für die Richtigkeit dieses Satzes greifen. Die romanischen und später auch die germanischen Völker Europas erwarben ein ungeheures Colonisationsgebiet voll der mannigfaltigsten Erwerbsquellen jenseits des Oceans aber die rothe und schwarze Spielart des Menschen - geschlechtes muss es büssen, dass die Bleichgesichter besser, freier und energischer leben wollen als bisher. Heute ist die Zeit vorüber, wo Europa in Behaglichkeit oder auch, wie es zuletzt war, in ner - vöser Empfindlichkeit dem Kampfe zusehen kann, wie die Weissen die inferioren Racen unterdrücken oder ausrotten, heute ist der vorerst wirthschaftliche Kampf zwischen den Weissen Amerikas und den Weissen Europas ein Programmpunkt im politischen Völker - concerte geworden.

Gerade der Umstand, dass der atlantische Ocean von verhält - nissmässig geringer Breite ist, wirkt auf die heutigen Bewohner der alten und neuen Welt wie das unabwendbare Fatum ein.

Die alte und die neue Welt sind auf einander angewiesen, seit - dem sie in Verkehr getreten sind und die ersten Producte mit einander ausgetauscht haben. Am Ausgange des XVIII. und an der Schwelle des XIX. Jahrhunderts vollzog sich der Process, durch welchen die transatlantischen Colonialländer zuerst die englischen, dann die spani - schen sich vom Mutterlande unabhängig machten und ein verant - wortliches Einzeldasein auf eigene Rechnung und Gefahr begannen. Allerdings ward damals bloss das politische Band zerschnitten, aber die Bande der Natur, der Interessen, der Bedürfnisse hielten stand, der Verkehr zwischen Europa und Amerika hat sich in den letzten fünfzig Jahren verhundertfacht: Dampf und Elektricität haben mittler - weile die Entfernungen beider Landfesten auf einen Bruchtheil des494Der atlantische Ocean.früheren Zeitaufwandes reducirt, völkerwanderungsartige Auswanderer - ströme führen den jungen Staaten nicht nur die unschätzbaren Ar - beitskräfte, sondern auch die europäische Sitte zu.

Die Gegensätze früherer Epochen haben sich infolge dessen abgestumpft oder selbst verloren; und doch gelten alte und neue Welt zu beiden Seiten des intercontinentalen Meeres als Zweierlei.

Der Europäer wie der Amerikaner trägt das lebendige Gefühl dieser nationalen, politischen Verschiedenheit, namentlich aber das Gefühl der wirtschaftlichen Rivalität mit sich herum.

Bis jetzt überwiegt noch die Expansion auf der einen und die Reception auf der anderen Seite. Europa gibt noch immer seinen Menschenüberschuss und die Erzeugnisse seiner Ueberproduction an Amerika ab, das eben auch noch in der Lage ist, aufzunehmen und zu verdauen.

Wenn aber relativ oder gar absolut einmal der Sättigungspunkt eingetreten ist? Wenn Amerika aus der Reception selbst in die Phase der Expansion eintritt? Dann dürfte wohl auch der atlantische Ocean in eine neue Phase seiner Geschichte treten, dürfte er der Schauplatz von Weltkämpfen werden, welche die Frage entscheiden sollen, ob die alte und neue Welt wie bisher neben einander leben können oder die eine ihre Herrschaft auf den Trümmern der anderen wird begründen müssen.

[495]

Cádiz.

Die oceanische Küste des vielbesungenen Andalusien bildet im Südwesten der iberischen Halbinsel den weiten und kühn geschwun - genen Golf von Cádiz, in welchen zwei der mächtigsten Ströme: Guadalquivir und Guadiana sowie einige andere Flüsse von Wasser - mächtigkeit ausmünden. Zu letzteren gehören der Rio Tinto und der Rio Odiel, an deren gemeinsamer Mündung Huelva liegt, sowie der Rio Guadalete, welcher in die Bai von Cádiz sich ergiesst.

Eine über 10 km lange und schmale Halbinsel, deren nörd - lichstes Felsplateau die Stadt Cádiz trägt, schützt die weite und reichgegliederte Bai vor dem Ansturm der oceanischen Wogen. Diese Landzunge gehört zur Isla de Léon, welcher der schmale Canal Pun - tale, auch San Pedro genannt, vom Festlande trennt.

Für die grosse Schiffahrt ist aber bloss der nördliche Theil der Bai be - nutzbar, während im Süden ausgedehnte Lagunengebiete nur den Verkehr kleiner Fahrzeuge zulassen. Versandete Canäle führen nach Puerto de Sta. Maria und nach Puerto Real. Tiefer ist der zum Arsenale La Carraca und weiterhin zu dem lieblichen Städtchen San Ferdinando führende Puntale-Canal, dessen wir soeben gedachten.

Wie unser Plan zeigt, bietet die Einfahrt nach Cádiz vielerlei Fährlich - keiten, und wenngleich der Ankergrund ein vorzüglicher ist, so ist die Bai doch bereits so versandet, dass für grosse Schiffe ein im Verhältniss zur Ausdehnung der ganzen Hafenfläche nur sehr beschränkter Raum erübrigt. Diese Sachlage entspricht daher keinesfalls mehr dem einstigen Ruf von Cádiz, dass alle Flotten der Welt im dortigen Hafen vor Anker liegen könnten.

Cádiz, das berühmte, der Volkssage nach von Hercules ge - gründete Gadîr (römisch Gades), einst der am westlichsten vorge - schobene Posten der Phönikier, ist zwar eine der ältesten Städte Europas, trägt aber einen durchaus modernen Charakter, weil sie im Jahre 1596 von den Engländern fast gänzlich verbrannt und hierauf nach einem neuen Plane aufgebaut worden ist. Deshalb hat nur der damals intact verbliebene älteste Theil schmale krumme Gässchen mit alterthümlichen Häusern.

496Der atlantische Ocean.

Die Erinnerung an die einstige Bedeutung der Stadt ist nur mehr im Stadtwappen erhalten, welches das classische Bild des mit zwei Löwen kämpfenden Hercules enthält, ihn als Gründer und Be - herrscher von Gades bezeichnet und so auf den erlauchten Ursprung der Stadt hinweist.

Die heutige Bewohnerschaft von Cádiz vergleicht die wohlge - baute, hübsch gepflasterte, reine und gut beleuchtete Stadt mit einer taza de plata , einer Silbertasse.

Und doch, wie fordert schon die Lage der Stadt zu rühm - licheren Vergleichen völlig auf!

In der That ist ein grandioser Zug der Felsplatte eigen, auf welcher Cádiz, die edelste, die loyalste und heldenmüthigste Stadt diese Titel verlieh ihr Karl V. 1524 thront. Ueber senkrechten Klüften, an deren Fuss die Brandung tost, gewahrt man die von zahlreichen Thürmen und Hunderten von miradores oder Aussichts - thürmchen überragten, hellschimmernden Baulichkeiten der Stadt. Westwärts schiebt sich ein wildzerklüftetes Felsrevier weit hinaus in See. Darüber rast im ewigen Kampfe die wilde Jagd der oceanischen Wogen, die in weissen Schaum zerstoben die steilen Wände erklimmen, um mit furchtbarem Gedröhne wieder zurückzustürzen und neuer - dings aufzustürmen.

Aus den Schaummassen ragt von mächtigen Festungswerken umgeben 44 m hoch die gedrungene Säule des Leuchtthurmes von San Sebastian empor, dessen rothaufblitzendes Licht auf 20 Seemeilen in der Runde sichtbar ist.

Seit unvordenklichen Zeiten stand hier stets ein Leuchtthurm. Im Alterthum hiess das Felscap, welches heute das Castillo San Sebastian trägt, Promontorio Cronio, vermuthlich weil dort ein Sa - turnus-Tempel stand.

Fast gänzlich von der See umspült, geniesst die Stadt im Hoch - sommer die Wohlthat erfrischender Brisen, die regelmässig einsetzen, sobald die Sonne unter die Linie des Gesichtskreises taucht. Wie diese Erscheinung, so bietet auch der Wechsel der Gezeiten hier ein erwähnenswerthes Schauspiel, denn die Springflut erhebt das Meeres - niveau um fast 4 m. Ueberhaupt waren in alter Zeit die Sonne und die Gezeiten die Wunderobjecte der Stadt, und Philosophen wall - fahrteten hieher, die Phänomene zu studiren. Die Beobachtung des Sonnenunterganges, wie des zu - und abströmenden Gezeitenwassers er - schöpfte die Einbildungskraft der Weisesten jener Zeit. Apollonius vermuthete, dass die Gewässer bei Ebbe durch unterseeische Gewalten497Cádiz.eingesaugt werden, und Solinus meinte, dass riesige Ungeheuer die Arbeit besorgen. Die spanischen Gothen stellten sich vor, dass die an der fernen geheimnissvollen Linie des westlichen Horizontes ent - schwindende Sonne durch unbekannte unterirdische Räume nach Osten zurückkehre.

Aber die philosophische Grübelei konnte das poesieerfüllte Räthsel der erhabenen Natur nicht lüften; erst die schrittweise Ent - wicklung der Naturwissenschaften erhellte das den Alten undurch -

Cȧdiz.

dringlich geschienene Dunkel und zerstörte die wundersamen Gebilde ihrer Vorstellungskraft.

Seit jeher war indes Cádiz durch geistige Bestrebungen hervor - ragend, und auch heute, obgleich der Stern seiner commerziellen Be - deutung den Culminationspunkt überschritten hat, geniessen dort Künste und Wissenschaften eine gastliche, zum Schaffen ermunternde Freistatt. Aus der reichen Zahl der höheren Lehranstalten seien hier genannt die Facultät für Medicin und Chirurgie der Universität von Sevilla, die Akademie der schönen Künste mit reichen Sammlungen,Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 63498Der atlantische Ocean.die Specialschule der schönen Künste, das Istituto Provincial, in welchem die ehemalige Industrie - und Handelsschule mit einer nautischen Schule verbunden wurde, die neue Handelsschule u. a. Nicht minder erwähnens - werth sind die öffentlichen Sammlungen, von welchen die Gemälde - gallerie, das naturhistorische Museum, die Bibliothek erwähnt seien.

Auch auf dem Gebiete der Wohlthätigkeit nimmt Cádiz durch seine humanitären Anstalten und Gesellschaften einen ehrenvollen Rang ein, wie er der hervorragenden geschichtlichen Rolle entspricht, welche der Stadt in den wichtigsten Epochen der iberischen Halb - insel zugefallen war.

So weit in das Dunkel der Vergangenheit reicht die Gründung von Gadir zurück, dass diese merkwürdige Colonie der Phönikier bereits 700 Jahre vor der Entstehung Roms durch ihren Glanz und Reichthum in der alten Welt bekannt geworden war. Massilia, Carthago und andere mächtige Städte des Alterthums sind viel jüngeren Ursprungs als Gȧdîr, für dessen Begründer Hercules gehalten wird, eine Annahme, die indes sehr anfechtbar ist, da sie sich zumeist auf das vorne erwähnte Stadtwappen bezieht, dessen Motiv jedoch erst der Römerzeit ent - stammt zu sein scheint.

Gadîr (die Festung ) war der Markt für Zinn aus Britannien und für das baltische Ambra, Ausfuhrplatz für die Silberschätze der Baetica . Die ihr Handelsmonopol eifersüchtig schützenden Phönikier gestatteten keinem Fremden, über Gadîr hinaus vorzudringen. Aber je mehr die Colonie aufblühte, desto mehr wuchs der Neid Carthagos und Roms, der beiden mächtigen Rivalen, die beide sich bekämpfend den Besitz des andalusischen Juwels anstrebten. Aus Handels eifersucht auf das jüngere Carthago trat Gades im zweiten punischen Kriege so - fort auf römische Seite. Carthago unterlag und die Macht Roms breitete sich in Hispanien aus. Cäsar, anfangs Quästor daselbst, erkannte die Wichtigkeit von Gades und befestigte die Stadt durch starke Werke; er gab ihr in der Folge den Namen Julia Augusta gaditana . In der Stadt häuften sich enorme Reichthümer auf, da es den gewiegten Gaditanern unter anderem gelungen war, in Rom den Handel mit gesalzenen und geräucherten Fischen an sich zu reissen. Sie brachten nach Ostia auch Getreide, Wein, Oel, Honig und feine Wolle. Die Kaufleute von Gades waren Fürsten, ihre Stadt in der Kaiserzeit die vierte des römischen Weltreiches.

Balbus, der berühmte Gaditaner, der einzige Fremde, den Rom mit der Würde eines Consuls bekleidete, der Günstling Cäsar’s und Freund und Ver - traute Cicero’s, schmückte seine Vaterstadt mit kostbaren Marmorbauten, die selbst jene des Augustus in Rom übertrafen.

Aber neben manch Gutem bescherte Gades den Römern auch jene im - probae Gaditanae, deren lascive, dem Orient entstammende Tänze noch heute von den Romalis der andalusischen Zigeuner aufgeführt werden.

Die Blüthezeit von Gades sank mit jener von Rom; beiden versetzte die Erhebung Constantinopels zur Kaiserresidenz den ersten Stoss zum Niedergange. Nun kamen die Gothen und zerstörten die Stadt; im VIII. Jahrhunderte fiel sie nach der unglücklichen Schlacht am Rio Guadalete (Jerez) in die Hände der Mauren, welche sie Djecira Cades nannten und mehr als fünf Jahrhundert be - herrschten. Von den Normanen 844 geplündert, von den Skandinaviern 859 be -499Cádiz.droht, sah Cades seinen Handel vernichtet, seine Schätze vergeudet, und als Alfonso X. el Sabio die Stadt am 14. September 1262 von den Mauren befreite, war ihre Existenz nahezu völlig zerstört.

Wiederholt sah Cádiz den berühmten Genuesen Christof Colon innerhalb seinen Mauern. Seine zweite Reise nach der neuen Welt trat er von hier aus an Bord der Carraca Marigalante in Begleitung von 16 anderen Schiffen am 25. September 1493 an, hieher kehrte er dann am 11. Juni 1496 zurück. Der Hafen von Cádiz sah den unsterblichen Entdecker am 20. November 1499 an Bord der Karavele Gorda in Ketten geschlagen und von seinen beiden ebenfalls gefesselten Brüdern Bartolomeo und Diego begleitet, von der dritten Reise zurückkehren. Hier wurden die Gefangenen auf Befehl der Königin sogleich in Freiheit gesetzt. Auch die vierte Reise Colon’s hatte am 9. Mai 1502 Cádiz zum Ausgangsgunkt.

Die Erwerbungen der Spanier in der Neuen Welt liessen Reichthümer nach Cádiz fliessen; der Handel und die Bevölkerungszahl der Stadt hoben sich rapid. Diese Blüthe, der schlechte Zustand der Befestigungen von Cádiz und der Mangel an Kriegsschiffen reizten die Engländer und Holländer zu einem Handstreich. Am 30. Juni 1596 erschien eine grosse Flotte unter Admiral Lord Effingham mit 15.000 Mann Landungstruppen unter Gl. Lord Essex und bemächtigte sich der Stadt, die geplündert wurde. Die Expedition war so geheimnissvoll betrieben worden, dass ausschliesslich der genannten Lords Niemand von dem Zwecke der - selben Kenntniss hatte. Die Beute der Eroberer war enorm. Zwei andere Ueberfälle der Engländer (1625 und 1702) schlugen indes fehl, weil schon Philipp II. die Stadt durch starke Befestigungen gegen alle Zwischenfälle zu schützen sich beeilt hatte.

Während aller Kriege Spaniens war Cádiz eine wichtige Rolle zugefallen, aber die glänzendste Seite seiner Geschichte fällt der heroischen Vertheidigung der Stadt gegen die Franzosen zu, welche sie vom 6. Februar 1810 bis 25. August 1812 vergebens belagerten, und seit der Zeit spielt Cádiz eine hervorragende Rolle im politischen Leben Spaniens.

Hier tagte seit 1808 die Centraljunta der Insurrection gegen die Fran - zosen und hier wurde am 18. März 1812 von den dorthin berufenen Cortez jene radicale Constitution verkündet, deren Ausführung 1823 zum Einmarsche der Franzosen unter dem Herzog von Angoulême führte, die im Auftrage des Con - gresses von Verona (1822) Spanien besetzten und Cádiz am 3. October nach viermonatlicher Belagerung eroberten.

Cádiz war der Ausgangspunkt der Revolution von 1868, durch welche Isabella II. vom Thron gestürzt wurde, und im Jahre 1873 stand die Stadt eine Zeitlang unter der Herrschaft einer Commune.

Die Stadt ist Sitz des Weihbischofs von Sevilla und einer starken Militär-Garnison. Die in den letzten Jahren erbauten, mit schweren Geschützen armirten Befestigungen haben Cádiz zu einer starken Vor - festung umgestaltet.

Einige der 26 Kirchen und Capellen enthalten sehenswerthe Kunstobjecte. Als Bauwerke interessant sind die beiden knapp an einander erbauten Kathedralen. La Vieja , die alte Kathedrale, ent - stammt dem XIII. Jahrhunderte, wurde aber während der Attaque des Lord Essex zerstört und 1597 wieder hergestellt. Im Jahre 172063*500Der atlantische Ocean.beschloss die Stadt, die neue Kathedrale La Nueva zu erbauen; der Bau wurde indes 1769 eingestellt und erst 1832 wieder aufgenommen. Die innere Einrichtung ist prächtig und soll über drei Millionen Gulden gekostet haben. Der Hochaltar wurde 1866 aus weissem Marmor auf Kosten der Königin Isabella II. errichtet. Ihre Krypta birgt den ein - zigen Brunnen guten Wassers, den die Stadt aufzuweisen hat.

Die Kirche Santa Catalina (h. Katharina), gewöhnlich Capuchi - nos genannt, welche zu dem seither aufgehobenem Kloster San Fran - cisco gehörte, enthält das letzte Werk des grossen Meisters Murillo, welches den Hauptaltar schmückt und die Vermählung der h. Katha - rina mit dem Jesuskinde darstellt. Das Werk war nahezu vollendet, als Murillo von der Höhe der Staffelei hinabstürzte und so schwere Verletzungen erlitt, dass er, in seine Vaterstadt Sevilla zurückgekehrt, daselbst am 3. April 1682 starb.

Es wird erzählt, dass einer der grössten Wohlthäter des Klosters der Jude Pierre Isaac gewesen sei, welcher, um der Verfolgung durch die Inquisition zu entgehen, die Hälfte seiner Einnahmen dem Kloster gewidmet hatte.

Im Kloster Capuchinos schlug Lord Essex sein Hauptquartier auf. Auch die Kirche San Felipe Neri enthält neben anderen Meistern einen Murillo.

Die Calle Aucha ist die einzige Strasse der Stadt und zugleich die Hauptverkehrsader derselben. Dort befinden sich die besten und elegantesten Verkaufsgeschäfte.

Cádiz besitzt keinen jener grossartigen Gärten, die man in an - deren Städten, wo mehr Raum hiefür vorhanden ist, vorfindet, aber seine schöne Alameda, welche sich längs des äussersten Absturzes der Felsplatte hinzieht, entschädigt die lebensfrohen Gaditaner durch den herrlichen Fernblick auf den unendlichen Ocean, für den Mangel eines schattigen Bosquets. An derselben Alameda mag Christobal Colon oft geweilt haben, sinnend über den grossen Plan, dessen Verwirklichung seinen Namen mit unvergänglichem Ruhm bedeckte.

Auf der Alameda erhebt sich das Standbild des mit zwei Löwen kämpfenden Hercules. Beachtenswerth ist an der Alameda de Apodaca die Kirche Nostra Sra. del Carmen, in welcher der unglückliche Ad - miral Gravina begraben liegt, der bei Trafalgar 1805 die spanische Flotte befehligte und in dieser Seeschlacht tödtlich verwundet wurde.

Im Centrum der Stadt erhebt sich der Signalthurm (Torre de Vegia) 34 m über das Strassenpflaster. Der Thurm ist auch unter dem Namen Tavira bekannt. Von hier aus werden die in Sicht kommenden501Cádiz.oder einlaufenden Schiffe signalisirt. Die Aussicht von der Plattform des Thurmes ist eine sehr lohnende. Eigenthümlich ist das Bild, welches die flachen Dächer der Häuser mit ihren Gärtchen und den schon er - wähnten eleganten Miradores oder Aussichtsthürmchen darbieten, von wo aus die Handelsherren ehemals die Ankunft ihrer Galeonen signalisirten.

Cȧdiz (Massstab 1: 49000; Sonden in Metern).

A Einfahrtslinie, A1 Rhede von Cádiz, B Hafen für kleine Schiffe, C El Carmen, D Tavira-Thurm, E Eisenbahnstation, F Leuchtfeuer, F1 grosser Leuchtthurm, G Seemarke. H Kathedrale, J neuer Hafen - damm, K Arena für Stierkämpfe, L Directions-Bojen.

Das gesellige Leben ist auch hier wie in den meisten spanischen Städten wohl entwickelt. Die Stadt verfügt über mehrere Theater, unter welchen das Teatro Principal das älteste und grösste ist. Selbst - verständlich besteht auch eine Arena für Stierkämpfe, allerdings erst seit dem Jahre 1862. Das grösstentheils aus Holz construirte Gebäude502Der atlantische Ocean.wurde damals in der Zeit von 28 Tagen fertiggestellt, und hat einen Fassungsraum für 11.000 Personen.

Cádiz besitzt eine grosse Tabakfabrik, in welcher 2700 Arbeiter beiderlei Geschlechtes thätig sind, die Zahl kann aber bis auf 4000 gesteigert werden.

An der Festlandsküste gegenüber von Cádiz sowie auf der Insel Leon entstanden schon im Alterthume einige Städtchen, welche einen regen Verkehr mit unserer Hafenstadt unterhalten und durch gemein - same Interessen mit derselben verbunden sind. Unter diesen bereits Eingangs erwähnten Ortschaften ist San Fernando auf der Insel Leon hauptsächlich in maritimer Beziehung die wichtigste.

Elf Kilometer südöstlich von Cádiz gelegen, zählt die Stadt 26.300 Einwohner.

Sie lagert von einzelnen niedrigen Flügeln flankirt recht freund - lich auf dem flachen von zahlreichen Canälen durchzogenen Salinen - plan, aus welchem die weissglänzenden Salzpyramiden wie Zelte eines Kriegslagers hervorleuchten. Salz ist denn auch der Haupthandels - artikel von San Fernando.

San Fernando ist der Sitz des ersten Seedepartements, dessen Capitán General dort residirt.

Von hervorragender wissenschaftlicher Bedeutung ist die mit den neuesten Instrumenten reich ausgestattete Sternwarte, welche dort seit 1798 besteht und 1862 sehr erweitert wurde. Die Anstalt, in welcher ein Curs für spanische Seeofficiere besteht, verfügt über eine vorzüg - liche Bibliothek.

In der Vorstadt San Carlo ist seit 1868 in einem imposanten Gebäude die Marine-Akademie (Colegio Naval militare) untergebracht. Sehenswerth sind die Ruhmeshalle der berühmten Seeleute (Pantéon de Marinos Illustres) und die Akademie-Capelle, die u. a. auch jenes Madonnenbild enthält, welches der glanzvolle Don Juan d’Austria auf seiner Galeere in der Seeschlacht bei Lepanto mit sich führte.

Im Norden von San Carlo, etwa 700 m von diesem entfernt, liegt das ausgedehnte königliche See-Arsenal La Carraca, welches an der Stelle eines uralten Werftplatzes im Jahre 1760 durch Karl III., der hier ein spanisches Portsmouth und Woolwich plante, gegründet wurde und drei Trockendocks und zahlreiche dem Kriegsschiff - und Maschinenbau sowie der Ausrüstung dienende Werften, Ateliers und Magazine besitzt. Der Name des Arsenals, von Carracas, Galeonen abgeleitet, ist uralt.

Reiche geschichtliche Erinnerungen knüpfen sich an diese Stelle503Cádiz.der spanischen Küste. Hier ankerte im Alterthum Mago mit seiner Flotte und Cäsar mit seinen langen Triremen, hier landeten in unge - heuren Schiffen (Karaken) die plündernden Normannen, hier lagen die Zwölf Apostel , jene Silbergaleonen Philipp’s, welche Lord Essex erbeutete, hier endlich vernichtete Drake (1587) die spanisch-fran - zösische Flotte.

Im Norden des Seearsenals breitet sich am Fusse grüner Hügel das 1488 von der Königin Isabella, der Beschützerin Colons, ge - gründete Städtchen Puerto Real (9000 Einwohner) aus, zu welchem ein Arm des Petera-Canals führt.

Zahlreiche Villen inmitten einladender Gärten umgeben den an - muthigen Ort, der eine beliebte Sommerfrische der Gaditaner ist.

Noch weiter nördlich an der Mündung des Rio Guadalete, des - selben Flusses, an dessen Ufern nächst Jerez der Sieg der Mauren (711) deren Herrschaft in Spanien besiegelte, liegt die räumlich zwar ausgedehnte, aber nur von 19.500 Seelen bewohnte Stadt Puerto de Sta. Maria, der Portus Menesthei der Alten, welche durch Local - dampfer mit Cádiz verbunden ist.

Der heutige Handel von Cádiz ist kaum mehr als eine Er - innerung an die Zeiten, wo die Stadt, gestützt auf das Privilegium von 1720, an Stelle von Sevilla allein den Handel mit dem spanischen Amerika vermittelte. Wenn auch seit 1765 dieses grosse Handels - gebiet allmälig noch 11 anderen Hafenplätzen des Königreiches zu - gänglich gemacht wurde, so behauptetete sich doch Cádiz durch seine günstige Lage zu dem damals spanischen Südamerika noch lange als Emporium des Handels des ganzen Staates und wusste bis zum An - fange der Fünfzigerjahre wenigstens eine gewisse Wichtigkeit als Transitoplatz aufrecht zu erhalten.

Aber seit der Entwicklung der Verkehrsmittel der Halbinsel ent - standen auf Kosten von Cádiz eine Reihe kleinerer Handelscentren, und selbst Andalusien wird jetzt über Sevilla, Huelva und Málaga versorgt.

Der Bau neuer Docks in Gibraltar und die Vollendung der Eisenbahn Bobadilla Algeciras würden seinen Handel neuerdings em - pfindlich schädigen.

Durch eigene Kraft aber kann eine Stadt nicht bestehen, deren Hafen versandet, deren topographische Lage das Aufblühen von Fabriken nicht zulässt, und der Segelboote und Dampfer täglich aus Puerto de Sta. Maria das Trinkwasser zuführen müssen.

Naturgemäss nimmt die Bevölkerung stetig ab (1860 75.000504Der atlantische Ocean.Einwohner, 1887 62.531 Einwohner), die liegenden Gründe sind in ganz ungeahnter Weise in ihrem Werthe gesunken und die Kaufkraft der Bevölkerung erheblich zurückgegangen.

Vom industriellen Aufschwunge, welcher in vielen anderen spani - schen Städten während der letzten fünfzehn Jahre tiefen Friedens bemerkbar ist, fühlt man in Cádiz nichts, nur eine einzige Schiffs - werfte wurde gebaut. Cádiz ist eben eine im Rückschritt begriffene Stadt.

Den wichtigsten Theil der Ausfuhr bildet Wein, und zwar meist von der Sorte Jerez, welche die Engländer, die ein bekanntes Geschick haben, Worte zu verstümmeln, Sherry nennen. Diese Sorte führt ihren Namen von der Stadt Jerez de la Fronterra, einer der reichsten des Landes.

In Jerez und Puerto de Santa Maria sind die grossen Weinlager, von hier aus treiben Geschäfte, deren Chefs meist Engländer oder deren Nachkommen sind, und von denen eine Anzahl seit Generationen besteht, den Exporthandel; Cádiz ist nur Transitoplatz.

Guten Sherry können nur Bodégas liefern, welche grosse und mannigfaltige Lager von Mutterweinen (Soléras) haben, von welchen den jungen Weinen ½ 1 % zugesetzt werden, um ihnen Geschmack, Gehalt und Duft zu verleihen.

In den Bodégas mancher Weinzüchter, so bei der berühmten Firma Byar und Gonzalez, lagern tausende Hektoliter von Mutterweinen, deren Basis über ein Jahrhundert oder nahe daran alt ist. Diese Keller sind über der Erde gebaut, lassen Licht und Luft frei ein und haben ihrer Höhe wegen Winter und Sommer gleiche Temperatur. Auch in den Fässern lässt man ein Zehntel des Inhalts leer, damit bei stetem Zufluss des Sauerstoffes der Wein sich entwickle.

Ueber Cádiz wurden 1888 22.138 hl gewöhnliche Weine, 217.542 hl Jerez und 2212 hl andere feine Weine, zusammen im Werthe von 29·1 Millionen Pesetas; 1887 insgesammt 242.507 hl Wein nach England, Frankreich, Deutschland, Cuba und Mexiko ausgeführt. Die Ausfuhr nach England nimmt stetig ab.

Bedeutend ist die Ausfuhr von Weinstein (1888 5095 q, Werth 1·1 Mil - lionen Pesetas).

Für Olivenöl ist Cádiz Spaniens erster Ausfuhrplatz; Ausfuhr 1888 49.142 q (4·2 Millionen Pesetas), 1887 41.686 q, welche zum weitaus grössten Theile nach Amerika geht.

Ein wichtiger Ausfuhrartikel, bestimmt für die La Platastaaten und Bra - silien, wohin mehr als drei Viertel gehen, dann für Neufoundland, Norwegen und Russland ist das in der Nähe von Cádiz in den Strandsümpfen gewonnene Seesalz; 1888 1,771.398 q (2·6 Millionen Pesetas), 1887 1,865.001 q.

Ferner sind zu nennen silberhältiger Bleiglanz 1888 25.795 q (Werth 1·4 Millionen Pesetas), 1887 52.336 q und silberhältiges Blei 1888 58.361 q (Werth 2 Millionen Pesetas), 1887 52.336 q.

Von Industrieerzeugnissen werden nur ausgeführt Korkstöpsel (1888 46,318.000 Stück), Teigwaaren (10.052 q), Fächer (16.694 kg), für welche Cádiz der wichtigste Hafen Spaniens ist, und Spielkarten (56.998 kg); Bestimmungsland all dieser Artikel ist Südamerika.

Mit den wichtigen Artikeln der Einfuhr sind wir bald fertig. Diese sind505Cádiz.Sprit (1888 42.061 hl, 1887 51.637 hl) aus Deutschland und Schweden, beschränkte Mengen von Getreide, und zwar Gerste; dann Zucker (1888 23.776 q, Werth 1·4 Millionen Pesetas, 1887 18.538 q) und Kaffee 1888 9119 q, beide meist aus den Colonien des Mutterlandes stammend.

Ordinäres Holz kommt aus Russland, Schweden und Norwegen, von Fass - dauben sind nach Dimension und Preis nur die von New-York kommenden gangbar; 1888 3,091.000, Werth 2,936.480 Pesetas.

In Cádiz kommt sogar Stockfisch nur auf dem Wege des Küstenhandels an, Tabak von Cuba, Virginia und Kentuky-Tabak (1888 22.236 q) und Schnupf - tabak aus Brasilien; der Hauptverkehr in Tabak aber wird im Wege des Küsten - handels durchgeführt, auf ihn entfallen zwei Drittel der Ausfuhr desselben.

Auf diesem Wege erfolgt auch die Einfuhr von Geweben 1888 11.897 q, Werth 8,050.337 Millionen Pesetas.

Für Cádiz ist die Einfuhr von Maschinen nicht unwichtig.

Steinkohlen kommen aus England 1888 494.976 q (1 Million Pesetas), 1887 421.680 q.

Grösse des Handels in Pesetas:

〈…〉〈…〉

Das einzige Geschäft, welches hier noch Aussicht auf Bestand hat, ist das Schiffsgeschäft. Der eigentliche, aber seichte Hafen wimmelt von kleineren Fahrzeugen, welche täglich in erstaunlicher Menge ankommen, um die Stadt mit Lebensmitteln, insbesondere mit Fischen zu versorgen, an welchen die Bai selten reich ist, und auf der weiten Rhede schaukeln sich immer Schiffe verschiedener Nationen.

Aber hier sind sie allen heftigen Winden ausgesetzt. Die Entladung und Beladung derselben geschieht durch Lichterfahrzeuge. Bei einigermassen heftigem Winde aber können die Lichterfahrzeuge nicht zum Schiffe gelangen und müssen die Arbeit einstellen. Wäre der Hafen leistungsfähig, so könnte er einen grossen Theil des Schiffsverkehrs an sich ziehen, den heute Lissabon hat.

Der Schiffsverkehr von Cádiz betrug:

〈…〉〈…〉

Der stärkste Küstenverkehr findet statt mit Barcelona, Sevilla, Santander und Bilbao.

Die meisten Schiffe führten die spanische Flagge, neben der noch die britische, französische, italienische und dänische zu nennen sind.

Cádiz hat regelmässige Dampferverbindungen durch französische Dampfer mit Hâvre, Lissabon und Málaga, durch die englische Hall-Line mit London, Lissabon, Gibraltar und Málaga, durch deutsche Dampfer mit Bremen, durchDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 64506Der atlandische Ocean.spanische Schiffe dreimal in der Woche mit Tanger (7 10 Stunden), ferner mit den Häfen an der Westküste Marokkos, mit Santa Cruz auf Teneriffa und ist Station der Compañia transatlantica auf ihrer Linie von Santander nach West - indien. Die neueste Errungenschaft des Hafens bildet die Errichtung einer Dampferlinie von den baltischen Häfen Russlands nach Frankreich und Spanien.

Cádiz ist eine wichtige Station des Welttelegraphen, denn von hier geht ein Kabel der Spanisch National Submarine Telegraph Cy (London) über die Canarischen Inseln nach St. Louis am Senegal und hat Anschluss nach Pernam - buco und Capstadt.

Consulate haben hier: Argentinien, Bolivia, Columbia, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Guatemala, Honduras, Italien, Mexico, Monaco, Niederlande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn, Paraguay (G. -C. ), Peru, Portugal, Russland (G. -C. ), Salvador, Schweden-Norwegen, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

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Sevilla.

Weitab von der atlantischen Küste entstand am Ufer des schlammigen Guadalquivir in herrlicher Fruchtebene schon in vor - historischer Zeit ein reiches und blühendes Gemeinwesen der Phö - nikier. Sie gründeten diesen Ort, dessen Namen man nicht mehr sicher kennt, offenbar an dieser Stelle, weil nur bis dorthin die oceanische Flut ihre Seeschiffe trug. An derselben Stelle erblicken wir heute Sevilla, eine der interessantesten und bedeutendsten Städte Spaniens, den bewährten Hort der katholischen Kirche und zugleich die nie ver - siegende Quelle lebensfroher Freude. In dieser uralten Stadt vermuthet man das Tartessus der heiligen Schrift, welches dem südlichen Theil der iberischen Halbinsel einst den Namen gab. Nach anderen Deutungen soll dort das phönikische Sephela, auch Spela (Ebene) gelegen sein, aus welchen Namen die Römer Hispalis, die Mauren aber Ischbiliah machten, woraus dann Sibilia und Sevilla entstand.

In ihrer heutigen Gestaltung erinnert die Stadt mit keiner Spur mehr an die älteste Periode ihres Bestandes; erst aus der Römerzeit finden sich Monumente der damaligen Baukunst und Baulust vor. So die grossartige Wasserleitung mit ihren 410 gewaltigen Bogen, auf welchen das Wasser von Alcala de Guadaira nach Sevilla zu fliesst. Ein Theil dieses Bauwerkes das hier Caños de Carmona genannt wird stammt von Julius Cäsar her.

Allein kein Zeitabschnitt hat der Stadt ein so specifisches und unverwüstliches Gepräge zu ertheilen vermocht wie die Glanzperiode der Maurenherrschaft, die hier einen ihrer wichtigsten Stützpunkte gefunden hatte.

Viele der grössten Bauwerke Sevillas zeigen noch heute die charakteristischen Merkmale des Styles dieser Zeit ebenso wie das Innere der Privathäuser mit ihren marmorgetäfelten, blumenge - schmückten Höfen (patio) und der leise plätschernden Fontaine.

Jahrhunderte hindurch war hier die katholische Kirche bestrebt,64*508Der atlantische Ocean.die Erinnerung an die maurische Cultur zu verwischen, ihre Merk - male zu beseitigen und den Sieg des Kreuzes über den Halbmond durch zahllose religiöse Bauwerke zur Ehre Gottes zu verkünden, aber das orientalische Wesen hatte in der Seele der Andalusier, in deren Adern nun einmal viel semitisches Blut, das durch die Taufe der Verbannung oder dem Scheiterhaufen entging, fliesst, zu tiefe Wurzeln geschlagen, war zu sehr in das Getriebe des Lebens einge - treten, um noch unterliegen zu können.

Der erste Anblick der Stadt, wenn man am Guadalquivir der - selben sich nähert, zeigt das reizvolle Bild der Verschmelzung der beiden erwähnten Culturen.

Da lagert am linken Ufer die eigentliche Stadt und ihr gegen - über die neuentstandene Vorstadt Triana. Ein dichter Wall üppig gedeihender Bäume verdeckt uns die Hauptmasse der Gebäude. Wir sehen indes über ihn ein förmliches Gewirre der verschiedenst ge - formten Kirchthurmspitzen, aus welchem die imposante Giralda, der mächtige Thurm der Kathedrale, ein maurisches Werk (Mueddin - Thurm), auffallend hervortritt. Im Vordergrunde zieht der edelgeformte Bau des Gold-Thurmes (Torre del Oro) die Aufmerksamkeit auf sich. Er entstand unter der Maurenherrschaft und bildet das Schlussobject des Stadtwalles, welches noch 1820 mit dem ehrwürdigen Alcazra, der einstigen Residenz der maurischen Könige in Verbindung war. La Torre del Oro (Borju-d-dahab) war damals der Aufbewahrungs - ort des Staatsschatzes. Peter der Grausame verwendete den Thurm als Gefängniss für seine Feinde und Maitresssen. Ein anderer näher an der Münze gelegener Thurm, gleichfalls maurischen Ursprunges, führt den Namen La torre de Plata (Silberthurm).

Nächst dem Torre del Oro ist der Anlegeplatz der Seedampfer, längs welchem der liebliche Passo de Cristina zum Palais San Telmo führt. In diesem 1682 erbauten ausgedehnten Gebäude wurde jenes nautische Collegium, welches Ferdinando Colon, der Sohn des grossen Entdeckers, zu Sevilla gegründet hatte, untergebracht. Das mit einer herrlichen Façade im maurischen Styl gezierte Palais ge - hörte dem Herzog von Montpensier, welcher dort u. a. eine kostbare Gemäldegallerie und eine sehenswerthe Antikensammlung aufbewahrte. Grossartig ist der Reichthum des Parkes an seltenen Pflanzen, Pal - men und Orangen; die letzteren sollen einen Jahresertrag von 6000 bis 8000 fl. liefern.

An diese Anlagen schliessen sich die prachtvollen Promenaden Las Delicias an, eine Folge poetisch angehauchter reizender Anlagen509Sevilla.mit Palmen -, Orangen - und Granatbaumalleen, duftenden Rosenbou - quets und reichen Blumenparketen. Hier entfaltet sich in lauen Früh - lings - und Sommernächten der fashionable Corso von Sevilla ein märchenhaftes Schauspiel. Es sind nächtliche Feste mit allen Reizen ausgestattet, die Natur und Empfindung zu bieten vermögen.

Schon die Nacht selbst ist köstlich, wenn das geheimnissvolle bläuliche Licht des Mondes über die Gegend flutet, wenn die kühlende Brise uns mit einer Fülle der wunderbarsten Wohlgerüche

Sevilla.

umschmeichelt und von Liebe flüstert! Wie funkelt dann das dunkle Gazellenauge der graziösen Andalusierin. Kein Stern am Himmelszelt, kein Edelstein entsendet so feuriges, zum Herzen dringendes Licht.

Nur hier hat die Poesie des Guadalquivir das Hauptquartier, sonst nirgends, weder gegen See, noch landeinwärts seines Laufes.

Doch kehren wir nach dem Hafen zurück. Eine Eisenbrücke (Puente de Triana) von beachtenswerther Schönheit verbindet hier beide Ufer und einen halben Kilometer stromaufwärts von ihr über - quert die Eisenbahnbrücke den Fluss.

510Der atlantische Ocean.

Bis zu den Ufern von Sevilla ist der Pulsschlag der Meeres, die Ebbe und Flut, fühlbar, und beträgt der Niveau-Unterschied des Wassers 1·7 bis 2 m, während er an der Mündung des Guadal - quivir 3·7 bis 4 m erreicht. Die nach je 6 Stunden wechselnde Gezeitenströmung erleichtert die Schiffahrt auf der über 85 km langen Flussstrecke sehr wesentlich.

Aber so friedlich und malerisch das Hafenbild unter gewöhn - lichen Verhältnissen erscheint, ebenso düster wird es bei Hochwässern, die jährlich im Herbste einzutreten pflegen und die Quais und An - lagen überschwemmen. Gegen die Wuth des daherstürzenden Wassers vermögen die Schiffe kaum sich zu erhalten. Eine der furchtbarsten Ueberschwemmungen, welche die ganze Umgebung von Sevilla ver - wüstete, war jene des Jahres 1876, wobei der Fluss 9 m über den höchsten Stand der Springflut aufschwoll und viele Schiffe strandeten.

Als Julius Cäsar am 9. August 45 v. Chr. Herr von Sevilla geworden war. verpflanzte er das römische Leben dahin, und kann als zweiter Begründer der Stadt angesehen werden, wenngleich er das punische Wesen der Bevölkerung nicht zu verwischen vermochte. Er nannte die Stadt Julia Romula, das heisst Klein-Rom und machte sie zum Sitze der Gerichtsbarkeit.

Aber der Glanz wurde in der Kaiserzeit verdunkelt durch das benachbarte Itálica, die Geburtsstadt der Kaiser Trajan, Hadrian und Theodosius.

Später machten die Gothen Sevilla zum Hauptort ihrer Herrschaft, bis im VI. Jahrhundert Leovigild seine Residenz in dem centraler gelegenen Toledo aufschlug. In den Religionskriegen jener fernen Zeit waren die Brüder San Laureano und San Isidoro nach einander Erzbischöfe von Sevilla und kriegs - kundige Heerführer. Heute werden sie als Schutzpatrone der Stadt verehrt.

Schon in uralter Zeit mit Wällen umgeben, die noch heute einen festen Gürtel bilden, fiel die Stadt dennoch rasch in die Hände der Mauren, als Don Rodrick am Guadalete geschlagen war. Die Witwe des enthronten Monarchen heiratete bald darauf den Sohn Abdul Aziz, des Eroberers Musa-Ibn-Nosseir. Sevilla blieb bis 756 unter dem Khalifen von Damaskus, und als die Omajaden das glanzvolle Khalifat von Cordoba errichteten, war es diesem unterthan, bis die Dynastie 1009 erlosch. Als hier seit 1091 die Almoraviden und die Almohaden residirten, wurde Sevilla die blühendste und reichste Stadt der Halbinsel und zählte 400.000 Einwohner. Doch am 28. November 1248 wurde die Capitulation unterzeichnet, durch welche die Christen unter St. Ferdinand, dem König von Bon und Castilien, in den Besitz der Stadt kamen.

Der letzte Sultan Sidi Abdul Hassan schiffte sich nach Afrika ein, und bei 300.000 maurische Einwohner verliessen die Stadt und siedelten sich in Granada an. So verödete die Stadt, trotzdem sie Alonso el Sabio, der Sohn des Eroberers, mit Privilegien bedachte und wieder zur Residenz machte, was sie blieb, bis Karl V. den Hof nach Valladolid verlegte. Erst die Entdeckung Amerikas erfüllte Sevilla wieder mit Glanz und Reichthum.

511Sevilla.

Wie unser Plan zeigt, ist die Stadt von einem Netze enger, oft gewundener Strassen und Gässchen durchzogen, welche im Sommer durch Ausschliessung der Sonnenstrahlen eine angenehme Kühle be - wahren. Hohe weissgetünchte Häuserfronten, meist vergitterte Fenster, über welchen im Sommer luftige Zelte flattern, bilden die Charakteristik der Gassen.

Das Klima ist so trocken und conservirend, dass noch heute die besten maurischen Bauten, darunter viele Wohnhäuser, von der Zeit fast unberührt geblieben sind. Ihre Einrichtung ist reizend und überging deshalb in den Baustyl der später entstandenen Häuser. Diese haben einen offenen, schöngepflasterten Hofraum (patio), den gedeckte Säulengänge (corredores) einfassen und Blumen und ein Springbrunnen (fuente) zieren. Im Sommer ist dieser Raum durch ein Zeltdach (toldo) geschützt und bildet das Wohngemach der Familie.

Häufig findet man an Gebäuden die alte Stadtmarke von Se - villa theils eingemeisselt, gemalt oder erhaben ausgeführt. Sie war eine sinnreiche Auszeichnung der Stadt und ist als handelsgeschicht - liche Erinnerung auch heute noch nicht uninteressant.

Als St. Ferdinand der Eroberer gestorben war, brach ein Bürger - krieg in Spanien aus, indem das Land gegen Alonso el Sabio, den Sohn und Nachfolger Ferdinands, sich erklärte. Von allen Städten war nur Sevilla dem neuen Herrscher treu geblieben. Zu den Privilegien, welche Alonso der Stadt als Anerkennung für ihre Treue gewährte, zählte auch die erwähnte Marke, welche durch NO 8 DO dargestellt, ge - wöhnlich El Nodo (der Knoten) genannt wird. Die Zeichen bedeuten indes: No m’ha dexado das heisst: Sie (die Stadt) hat mich nicht verlassen. Madexa, vom gothischen Madaxa abgeleitet, hiess nämlich im Altspanischen der Knoten (nodo), welcher in der Marke durch 8 dargestellt erscheint.

Interessant ist, dass Alonso, gewiss ohne es beabsichtigt zu haben, die uralte phönikische Handelsmarke 8 nodus Herculis welche die Echtheit des Inhaltes jedes Waarenballens ausdrückte, als Auszeichnung für die Stadt gewählt hatte. Die phönikische Marke 8 war auch das Symbol des Friedens, des Handels und des Gottes der Diebe. Die Griechen vereinigten sie bekanntlich in dem heral - dischen Doppelornament des Mercurstabes.

Sevilla zählte beim letzten Census (31. December 1887) 143.182 Einwohner. Die Stadt ist der Sitz eines Erzbisthumes mit Weih - bischöfen in Cádiz, Málaga, Ceuta und auf den canarischen Inseln512Der atlantische Ocean.(Teneriffa). Hier residiren auch der Generalcapitän und die Provin - cialbehörden und Vertretungen.

Die katholische Kirche entfaltet in Sevilla zur Zeit der Kirchen - feste, besonders während der Charwoche und am Johannestage (24. Juni), einen überaus prunkvollen Glanz, welcher kaum von jenem übertroffen wird, der die berühmten Festlichkeiten in Rom auszeichnet. Das Gepräge der feierlichen Procession, die Ausschmückung des heiligen Grabes in den zahlreichen Kirchen sind vielleicht einzig in ihrer Art.

Die Kirchenfeste sind stets von Lustbarkeiten aller Art be - gleitet. Andacht und Vergnügen, Religiosität und höchste, wenn auch anständige Ausgelassenheit reichen sich hier freundschaftlich die Hände, und diese frohe Harmonie ist es, welche der Stadt einen eigenthümlichen Zauber verleiht und ganze Wanderzüge von Fremden aus allen Theilen der Erde dahin in Bewegung setzt. Am Johannes - tage, an welchem das magische Eisenkraut (verbena) von beiden Geschlechtern gepflückt zu werden pflegt, ist die Lustbarkeit sprich - wörtlich geworden:

La de San Juan en Sevilla
Es alegre a maravilla.

Ein Hauptobject des Vergnügungsprogrammes der Festlichkeiten bilden bekanntlich die Stierkämpfe, und in dieser Hinsicht ist Se - villa die wahrhafte Alma mater der Matadoren dieses seltsamen nationalen Sportes, welcher in der für 12.000 Zuschauer ausreichen - den Arena (Plaza de Toros) den berühmtesten Tempel in Spanien gefunden hat.

Die Eleganz und Behendigkeit der Kämpfer versteht es meister - haft, das aufgeregte Publicum über die eminente Gefahr, in welcher sie sich gegenüber der Wildheit der Stiere befinden, hinwegzutäuschen; das ist der eigentliche Kern der Tauromachie. Die Stierkämpfe werden hier von der 1526 gegründeten Gesellschaft Maestranza de Sevilla

Legende zum Plan von Sevilla und Mündung des Guadalquivir. A Einfahrt nach Sevilla, A, Mündung des Guadalquivir, B eiserne Brücke, C Eisenbahnbrücke, D Torre del Oro (Goldthurm), E Tabakfabrik, F Leuchtfeuer, G Palais San Telmo, H Zollamt und Maestranza, J Arena für Stierkämpfe, K Kathedrale, L Eisenbahnstation, M Bd de la Cesteria, N Eisenbahnstation, O Kirche S. Jacinto, P Gemälde-Gallerie, Q Alameda del Hercules, R Sta. Clara-Kirche, S S. Clemente - Kirche, T Plaza de Vib-Arragel, U Eisenbahnwerkstätten, V Hospital, W Kapuzinerkloster, X Trinidad - Kirche, Y Artillerie-Kaserne, Z Gefängniss. 1 S. Martin-Kirche, 2 Juan de la Palma-Kirche, 3 Espirito Santo-Kirche, 4 Kornbörse, 5 S. Pedro-Kirche, 6 Markthallen, 7 S. Lorenzo-Kirche, 8 S. Vicente-Kirche, 9 ärztliches Collegium, 10 Theater, 11 Madre de Dios-Kirche, 12 S. Maria la Blanca-Kirche, 13 Cavallerie-Caserne, 14 S. Salvator-Kirche, 15 Rathhaus an der Plaza de la Consti - tucion, 16 Calle de las armas, 17 Universität, 18 Muro de S. Antonio, 19 Calle de S. Pablo, 20 Calle de Vicente, 21 Calle de Resolana, 22 Puerta de la Macarena, 23 Pt. de Cordoba, 24 Pt. del Sol, 25 Pt. del Osario, 26 Pt. de Carmona, 27 Pt. de la Carue, 28 Pt. de Jerez, 29 Gaswerke, 30 Calle de la Mar.

[513]

Sevilla und Mündung des Guadalquivir (Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 512).

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 65514Der antlantische Ocean.geleitet, einer Reiter-Vereinigung, welche ehemals die Pflege der Turniere und der Ritterlichkeit auf ihr Banner geschrieben hatte.

Sevilla ist aber nicht nur eine Stätte des Vergnügens, sondern auch einer der bedeutendsten geistigen Vororte des lieblichen Spa - niens. Die Universität, 1565 1579 von den Jesuiten gegründet, zählt zu den angesehensten des Landes; in mehr als 40 prunkvollen Kirchen zeigen Kunstschätze von unberechenbarem Werthe, welche Sevilla seit Jahrhunderten geschaffen und gesammelt hatte, von der lebhaften idealen Richtung der Bevölkerung. Murillo, ein Bürger von Sevilla, beschenkte seine Vaterstadt mit unsterblichen Werken, von welchen. obwohl General Soult viele nach Frankreich entführte, doch noch zahlreiche in Kirchen und Gallerien vorhanden sind.

Die andalusische Malerschule prunkt mit ihren Meisterwerken in der städtischen Gemäldegallerie, welche u. a. 24 Murillo, 19 Zuba - ran, 12 Herrera, 7 Juan de Castillo (Lehrer Murillo’s, Vos, Cano etc.), die zu den Perlen dieser Meister zählen, enthält.

Der Triumph von Sevilla ist aber die imposante Kathedrale, eines der grössten und schönsten religiösen Bauwerke von Spanien und der zweitgrösste Dom der Erde, an Flächenmass zweimal so gross als der Kölner Dom. Gleichwie die Eleganz des Domes von Leon, die Kraft und Stärke der Kathedrale von Santiago und der Reichthum des Domes von Toledo die Merkzeichen dieser berühmten Bauwerke sind, so ist der herrlichen, in ihren Riesendimensionen so hehr harmonischen Kathedrale von Sevilla der Ausdruck des würdevollen Ernstes, der echten Grandezza eigen.

An der Stelle einer grossen, 1172 erbauten Moschee, welche nach der Vertreibung der Mauren bis zum Jahre 1401 als Kathedrale diente, sollte nach der Absicht des Capitels ein neues, im gothischen Styl gehaltenes Gotteshaus erstehen, von einer Grösse und Schön - heit, wie ein solches niemals zuvor gesehen worden war .

Der Bau begann 1403 und währte bis 1519. Aussen und innen überaus reich ornamentirt und geschmückt, stellt der mit Kunst - schätzen erfüllte Dom ein förmliches Museum der schönen Künste dar; prächtig ist der aus weissen und schwarzen Marmortafeln gebildete Boden, dessen Herstellung im Jahre 1793 die damals enorme Summe von 155.000 Dollars gekostet hat.

Berühmt ist die ungemein grosse Orgel mit ihren 5000 Pfeifen und ihren bizarren Ornamenten.

In der Kathedrale hat Ferdinando Colon, der Sohn des grossen Entdeckers, die letzte Ruhestätte gefunden.

515Sevilla.

Eine mächtige Steinplatte mit der Inschrift:

A Castilla y á León
Nuevo Mundo dió Colón

bezeichnet den Eingang in die Gruft.

Im Jahre 1889 zeigten sich an zwei Pfeilern der Vierung dieses wunderbaren fünfschiffigen Domes schwere bauliche Gebrechen.

Das Domcapitel bestand vormals aus mehr denn 130 Priestern aller Grade und hatte reiche Einkünfte.

Mehr als 900 Häuser in Sevilla waren einst Eigenthum der Kathedrale. Aber seit 1836 trat durch Confiscation eine bedeutende Verminderung ein.

Anstossend an die Ostseite der Kathedrale strebt der etwa 100 m hohe gewaltige Glockenthurm La Giralda , das Wahrzeichen von Sevilla, empor. Seinen Namen erhielt er von der eigenthümlichen Wetterfahne, welche die Spitze ziert. Diese Wetterfahne stellt eigenthümlich genug eine den Glauben symbolisirende Figur dar, que gira (welche sich dreht). Der Unterbau des Thurmes ist mauri - schen Ursprungs (1171). In ihrem oberen Theile zeigt die Giralda herrliche gothische Ornamente; sie trägt 21 Glocken, deren grösste Santa Maria oder La Gorda heisst. 1884 wurde die Giralda durch einen Blitzschlag arg beschädigt, doch wurde der Schade zum grossen Theil gutgemacht.

Von der Höhe des Thurmes geniesst man einen prachtvollen Ausblick auf Stadt und Land. Man sieht die von 66 Thürmen ge - krönten antiken Umwallungen der inneren Stadt, aus deren Thoren die Strassenzüge hinaus durch die zahlreichen Vorstädte in die üppig gedeihenden Gärten und Felder führen, und kann das glitzernde Band des Guadalquivir mit seinen zahllosen Windungen weit verfolgen durch die endlos scheinende Küstenebene.

Wie die Kathedrale enthalten auch die anderen Kirchen von Sevilla sehenswerthe Kunstobjecte und bieten Kennern und Laien gleiche geistige Anregung.

Der Reichthum an religiösen Bauwerken ist staunenswerth; 48 Kirchen und viele Capellen (zu meist Familiengrabstätten) von welch letzteren einige historischen und Kunstwerth besitzen, liegen im Weichbilde der Stadt.

Auf dem Platze vor der Südfront der Kathedrale erhebt sich in classischem Styl die herrliche Lonja, das Börsengebäude, welches 1598 dem Verkehr übergeben wurde.

An der Plaza de S. Tomas, die nächst der Börse liegt, soll der65*516Der atlantische Ocean.zur Unsterblichkeit gelangte Figaro, der Barbier von Sevilla, seines heiteren Amtes gewaltet haben. Leider hat Figaro zum Verdrusse der Fremden an jener Stelle keinen Nachfolger gefunden.

Ein Gebäude von kunstvoller Architektonik ist das an der Ost - seite der Kathedrale (1697) erbaute erzbischöfliche Palais. Alle er - wähnten Bauten übertrifft aber an Ausdehnung der berühmte Alcazar, das einstige Schloss der maurischen Könige von Sevilla. Diese Resi - denz al Kasr, Haus des Cäsar erhebt sich an derselben Stelle, wo einstens der Palast des römischen Prätors stand. Obgleich seit dem X. Jahrhundert wiederholt umgebaut und mit verschiedenen Stylarten angehörenden Zuthaten versehen, ist der Alcazar mit seinen reichbewegten Umrissen, seinem prächtigen architektonischen Schmuck und den seltsamen Cinquecentogärten dennoch ein Bauwerk von hoher Bedeutung und erinnert in vielen seiner Theile an die berühmte Al - hambra von Granada.

Peter der Grausame war es, welcher durch maurische Arbeiter die bewunderungswürdigen Motive dieser grandiosen Königsburg nach Sevilla verpflanzte.

All die herrlichen Bauten, deren wir bisher gedachten, sind denk - würdige Monumente eines geistigen Aufwandes von ungewöhnlicher Aus - dehnung und Dauer und sie rechtfertigen das volksthümliche Sprichwort:

Quien no ha visto á Sevilla
No ha visto maravilla.

(Wer Sevilla nicht sah, Hat kein Wunderding gesehen.)

Wie die nächste Umgebung der Kathedrale an den Kunstsinn weit entfernter Zeitepochen erinnert, so knüpft sich an diese Gegend auch das Gedenken an eine der grössten Verirrungen des Menschen - geschlechtes, mit welchen der Fanatismus des Glaubens die Mensch - heit Jahrhunderte hindurch zu geisseln wusste die erschütternde Tragödie des Autodafé! Ausserhalb der Porta S. Fernando lag der grauenvolle Quemadero, der Platz, auf dem die Märtyrer der Inqui - sition den Feuertod erlitten. Die Steinplattform, welche einstens die lodernden Scheiterhaufen trug, ist noch heute sichtbar.

Zu den grössten Gebäuden von Sevilla zählt die bei der letzt - genannten Porta liegende Tabakfabrik, welche 1757 erbaut, nicht weniger als 28 Höfe besitzt und 5000 Frauen und Mädchen be - schäftigt. Hier soll jährlich über eine Million Kilogramm Tabak zu Cigarren, Cigaretten und Schnupftabak verarbeitet werden. Von letzterem gelangte der Spaniol zur Berühmtheit.

517Sevilla.

In der Vorstadt S. Fernando liegt die grosse Geschützgiesserei (Fundición de artilleria), welche zu den hervorragendsten des König - reiches zählt, und in der Nähe des Goldthurmes ist die Maestranza de Artilleria mit bedeutenden Waffensälen und grossem Geschützpark.

Die Schiffahrtsverhältnisse des Guadalquivir sind nicht die gün - stigsten. Die Fahrt nach Sevilla ist für Seeschiffe recht beschwerlich, denn ausser der bedeutenden Entfernung der Flussmündung zur Stadt (100 km), sind die Tiefenverhältnisse auf einzelnen Punkten dieser Strecke ungenügend, so dass die Schiffe nur bei Flut die seichtesten Stellen passiren können, daher viel Zeitverlust erleiden.

Der Guadalquivir, der grosse Strom , der Wada-l-Kebir oder Wada-l-adhem der Mauren, wälzt sich bei geringem Fall in vielen Windungen dem Meere zu. Die spanischen Zigeuner nennen ihn Len Baro, also auch den grossen Fluss; bei den Iberiern hiess er Certis, bei den Römern Baetis.

An seinen fruchtbaren Ufern abwärts von Sevilla lagern von üppigem Grün umgeben einige kleine Ortschaften, von welchen Corcia (4576 Einwohner) unter den Römern wegen der dort erzeugten Ziegel und Erdwaaren viel genannt wurde. Noch heute werden dort jene riesigen Gefässe (tinajas) erzeugt, welche, zur Aufbewahrung des Oels und der Oliven verwendet, genau die Form der antiken Amphora aufweisen.

Bei Puebla spaltet sich der Fluss in drei Arme und bildet die beiden Inseln Isla Mayor und Menor. Erstere, die Kaptal-Insel der Mauren, wurde durch eine Gesellschaft mit Baumwolle bepflanzt; ein von derselben Unternehmung angelegter Canal La Corta nueva von 6 km Länge kürzt die Flussfahrt für kleine Fahrzeuge um 12 km ab.

Nach der Wiedervereinigung seiner Arme wälzt der Guadal - quivir als breiter Fluss seine trüben Wässer durch ein von Wasser - und Sumpfvögeln äusserst belebtes Alluvialterrain, dessen Miriaden von Mücken und Schnacken zur Plage von Mensch und Vieh ge - worden sind. Das ist die Fiebergegend La Marisma, wo ungeheure Rinderherden grasen.

Bei Bonanza erblickt man die offene See. Der niedliche Ort, welcher mit Jerez und Sanlucar de Barrameda durch eine Eisenbahn verbunden ist, besitzt ein Zollamt und eine Lootsenstation für die Schiffahrt auf dem Guadalquivir.

Die Mündung des Flusses ist zwar breit, aber, wie aus unserem Plan zu ersehen, von zahlreichen Bänken und Sandbarren sehr eingeengt, so dass beim Ein - und Auslaufen der Schiffe die518Der atlantische Ocean.höchste Vorsicht geboten ist. Die bedeutende Höhe der Flut (2·4 m bei gewöhnlicher Flut und 3·7 m bei Springflut) kommt dabei sehr zu statten. Die Beleuchtung der Flussmündung durch weit sichtbare Leuchtfeuer ist vorzüglich.

Südlich von Bonanza breitet sich in einer baumlosen sandigen Gegend die alte Stadt Sanlucar de Barrameda aus, deren einstige Bedeutung für die transoceanische Schiffahrt seither verloren ging. Philipp IV. erhob die Stadt 1645 sogar zum Sitz des Generalcapitäns von Andalusien. Gegenwärtig zählt sie 21.918 Einwohner.

Die Sommertemperatur ist zwar sehr hoch, aber dessenunge - achtet ist die Stadt während der Badesaison ein sehr beliebter Auf - enthaltsort; denn selbst der reiche Spanier reist nicht gerne und findet sich lieber mit einer Sommertemperatur, welche die von Habana übertrifft, ab, als dass er z. B. die Hochthäler der Pyrenäen oder Alpen aufsuchen würde.

Von hier aus hatte der kühne Ferdinando Magalhaens am 10. August 1519 die denkwürdige erste Weltumseglung angetreten, von der er nicht mehr zurückkehren sollte. Von seinen Schiffen hat bekanntlich nur ein einziges, von dem Basken Elcaro geführt, die Heimat wieder erblickt.

Sevilla wurde bald nach der Entdeckung Amerikas Mittelpunkt der Unternehmungen zur weiteren Erforschung, hier war der Sitz des Rathes der beiden Indien, des spanischen Colonialministeriums, dessen reiches Archiv alle Acten von Columbus bis zum Abfall des spani - schen Amerika umfasst. Die Stadt hatte ferner vom Jahre 1501 bis 1720 das Monopol des transantlantischen Handels. Sie entsendete jährlich 12 Galeonen nach Portobello und (seit 1547) 15 nach Vera Cruz. In Sevilla landeten die Silberflotten und luden ihre Schätze aus, die im Torre del Oro aufgespeichert wurden. Die Stadt wurde reich auf Kosten des übrigen Spaniens.

Aber im Laufe der Zeit versandete leider der Guadalquivir im selben Masse als die Schiffe grösser geworden waren.

Das Monopol des indischen Handels ging 1720 auf Cádiz über, und immer tiefer sank Sevilla.

Erst in den letzten Jahrzehnten trat Sevilla zum Theile wieder an die Stelle von Cádiz, vor dem es heute wieder viel voraus hat.

Die nächste Umgebung Sevillas zeichnet sich durch eine grosse Productionsfähigkeit aus. Hier blühen Acker - und Obstbau und eine lebhafte Fabriksindustrie. Von diesem Mittelpunkte der südspanischen Eisenbahnen gehen Linien nach Madrid, Mérida, Málaga, Cádiz und519Sevilla.Huelva; die Canalisation des Guadalquivir gestattet das Einlaufen grösserer Schiffe bis in das Herz der Stadt hinein.

So wurde Sevilla das Handelscentrum Andalusiens und als Stadt des heiteren Lebensgenusses und reicher Kunstschätze auch das Ziel zahlreicher Reisenden, die erst in Sevilla das Spanien wirklich finden, das ihnen die Phantasie in ihrer nordischen Heimat als Gesammt - bild von Spanien vorgaukelt.

Aber trotz Allem ist der auswärtige Handel Sevillas nicht sehr umfang - reich, denn die Dampfer berechnen für die Fahrt aufwärts nach Sevilla höhere Frachten als nach anderen spanischen Häfen; so berechnen die Hamburger einen Zuschlag von 25 %. Das Schwergewicht des Verkehres liegt im Küstenhandel, wie die folgenden Zahlen (Pesetas) zeigen:

〈…〉〈…〉

Die Ausfuhr ist der minder wichtige Theil des auswärtigen Handels und 1889 noch weiter zurückgegangen.

Von hier geht Wein (1888 83.118 q, Werth 2·5 Millionen Pesetas) nach England, Frankreich, Amerika und im Küstenhandel nach Nordspanien (28. 391q), Olivenöl (1888 7143 q) nach England und dem spanischen Amerika. Für Oel ist Sevilla einer der wichtigsten Plätze Spaniens, und im April 1889 lagerten hier 110.000 q dieser Waare; die Sendungen nach Nordspanien sind sehr bedeutend.

Ein beliebter Artikel Sevillas sind frische und eingelegte Oliven, aus - ländisches Absatzgebiet New-York, Südamerika und Frankreich (1888 7961 q).

Korkholz und Korkstöpsel werden nach Amerika, England und Russland gesendet, Organen nach Amerika und England.

Grössere Werthe repräsentirt die Ausfuhr von Mineralien, als Bleiglanz (1888 13.495 q), Kupferblüthe (93.088 q), Quecksilber (2211 q, Werth 1·2 Mil - lionen Pesetas) und Blei (97.199 q, Werth 3·2 Millionen Pesetas). Im Jahre 1889 aber wurde das Quecksilber über Huelva, ein ansehnlicher Theil der Bleierze, die bis dahin Sevilla verschifft hatte, über Málaga und Alicante ins Ausland gesendet.

Knochen und Hadern gehen auf Segelschiffen nach Frankreich.

Hauptartikel der Ausfuhr im Küstenhandel sind neben Wein Getreide und Hülsenfrüchte, Schafwolle, Bleiglanz, Seife und Droguen.

Mannigfaltiger sind die Artikel der Einfuhr Sevillas aus dem Auslande.

Von Nahrungsmitteln sind zu nennen Stockfische (1888 20.111 q), thierische Fette, Butter und Reis, von Genussmitteln Zucker (1888 16.640 q, Werth 1 Mil - lion Pesetas) und Kaffee (5881 q) aus den spanischen Colonien, Spiritus aus Deutschland (1888 27.745 hl, 1887 45.973 hl).

Für die grossartige Tabakfabrik gelangt Philippinentabak zur Einfuhr.

Holz wird aus Russland, Schweden und Norwegen zugeführt (1888 16.168 m3), Fassdauben aus Amerika.

Von Industrieartikeln sind hervorzuheben: Glaswaaren 1888 um 321.685 Pesetas aus dem Auslande, um 892.220 Pesetas durch den Küstenhandel, ferner Eisen und Eisenwaaren, namentlich Nägel, Weissblech (6489 q), Ma -520Der atlantische Ocean.schinen, und zwar Motoren (5109 q) und Maschinen für industrielle Zwecke (9105 q) aus dem Auslande.

Dem Reichthume Sevillas entspricht die recht ansehnliche Einfuhr von Ge - weben aus Baumwolle (1888 für 0·7 Millionen Pesetas), aus Schafwolle (für 1·3 Millionen Pesetas) und aus Seide.

Die Einfuhr von Hanf, Flachs, Jute und daraus gefertigten Garnen (letztere 1888 für 877.851 Pesetas) dient der Versorgung der einheimischen Industrie.

Dieser directen Einfuhr von Geweben und Garnen steht gegenüber die durch den Küstenhandel, welche 1888 einen Werth von 16·6 Millionen Pesetas erreichte.

Steinkohlen (1888 563.557 q) werden aus Cardiff und Newcastle eingeführt, Rohpetroleum (1888 71.628 q, 1887 37.144 q) direct aus Amerika; raffinirtes Petroleum kommt im Küstenhandel ein (1888 21.864 q).

Nicht unwichtig ist die Einfuhr von Cement und Marmor.

Zu bemerken wäre noch, dass die einst reiche deutsch-böhmische Colonie von Glashändlern, nach denen noch heute die Calle des allemanos benannt ist, wegen Mangels an Nachschub aus der Heimat im Aussterben begriffen ist.

Ausser den schon erwähnten Industrien für Hanfwaaren und Tabak sind noch anzuführen Fabriken für Seife, für Fayence, für Leder und für ganz billige Ledergalanteriewaaren.

Der Schiffsverkehr von Sevilla betrug:

〈…〉〈…〉

Mit der Verminderung des Ausfuhrhandels sank 1889 auch die Schiffsfre - quenz des Hafens.

Den Küstenverkehr beherrscht die spanische Flagge, im Einlaufe ragen hervor die Verbindungen mit Barcelona und Cádiz, im Auslaufe die mit Barcelona, Bilbao und Cádiz.

Im ausländischen Verkehre sind neben der spanischen Flagge die englische, die deutsche (Hamburg und Bremen), die schwedische und norwegische zu nennen.

Consulate haben hier: Argentinien, Belgien (G. -C. ), Bolivia, Columbia, Costarica, Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien, Guatemala, Mexico, Monaco, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Russland, Salvator, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

[521]

Huelva.

Wo immer wir bisher das Gestade des herrlichen Spaniens be - treten, überall weht uns inmitten der gegenwärtigen Regsamkeit der Hauch einer bedeutenden, ja grossen Vergangenheit entgegen. Eine ungeheuere Culturarbeit wurde seit uralter Zeit auf spanischem Boden geleistet, auf dem jedes der grossen Völker, die Iberien beherrschten, in kurzer Zeit zu Kraft und Wohlstand gedieh.

Die brutale Gewalt des Stärkeren unterbrach unzähligemale die ruhige Betriebsamkeit der intelligenten Bevölkerung und vernichtete die errungenen Vortheile.

Dem unerschöpflichen Bodenreichthum Spaniens ist es zu danken, dass das Land alle Krisen, selbst die grossen Fehler der Regierung während der letzten Jahrhunderte, welche mit Entvölkerung und Ver - armung drohten, verhältnissmässig gut überstehen konnte. Spanien besitzt in der That in höherem Masse als viele andere Länder die Fähigkeit, sich rasch aufzurichten. Die ruhige und glückliche Ent - wicklung seiner inneren Verhältnisse während der letzten Jahre, welche schweren politischen Stürmen gefolgt waren, zeigt von der bedeutenden Kraft seines Stabilitätvermögens.

Handel, Industrie und Verkehr haben sich allerwärts zusehends gehoben; der Stern Spaniens strebt entschieden aufwärts.

Zu den Punkten, welche in letzter Zeit einen rapiden Auf - schwung nahmen, dessen Bedeutung selbst über die Grenzen Spaniens weit hinaus reicht, gehört Huelva; den Ruhm von einem weltver - gessenen kleinen Hafen zu einem Minenverschiffungsplatze ersten Ranges emporgestiegen zu sein, verdankt Huelva den Kupferminen am Rio Tinto, um sie dreht sich, seit fremde Unternehmer sie in würdiger Weise betreiben, alles Sinnen und Trachten. Huelva selbst ist unbedeutend. Die heute weltberühmten Rio Tinto-Minen mit ihren 12.000 Arbeitern gehören dem technischen Betriebe nach zu den gross - artigst eingerichteten Bergbetrieben überhaupt, welche ihrem Ergeb -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 66522Der atlantische Ocean.nisse nach nur von den nordamerikanischen Kupferminen übertroffen werden. Der commerzielle Stützpunkt dieses gewaltigen Unternehmens ist Huelva.

Das Städtchen lagert etwa 5·5 km im Norden des Zusammen - flusses des Rio Odiel und Rio Tinto am linken Ufer des erstgenannten Flusses zu Füssen zweier anmuthiger Höhenzüge, welche hier durch ein enges Thal geschieden sind.

Die Umgebung entbehrt nicht des Reizes und das Klima ist äusserst milde. Schon im Februar prangt die Gegend im herrlichsten Blüthenschmuck und die überall in Spanien gerne gepflegte Rose ent - faltet um jene Zeit ihre volle Pracht.

Huelva, früher kaum 6000 Einwohner zählend, hatte bei der letzten Volkszählung (Ende 1887) schon 18.200 Einwohner.

Wie unser Plan zeigt, haben die beiden erwähnten Flüsse an der gemeinsamen Mündung bedeutende Sandmassen abgelagert. Der Banco del Manto ist mehrere Kilometer lang, bleibt aber selbst bei tiefster Ebbe noch vom Meere bedeckt. An der südlich des - selben gelegenen Haupteinfahrt, Canal del Padre santo (Canal des heiligen Vaters), bildete sich wie bei allen Flussmündungen eine Sandbarre, welche bei tiefster Ebbe nur 4·3 m Wassertiefe besitzt. Da aber die Flut hier 4 m erreicht, so können bei Hochwasser selbst Schiffe von bedeutendem Tonnengehalt einlaufen. Innerhalb der Barre ist der Fluss sehr tief, am tiefsten nächst der Gabelung, dann nimmt die Wassermenge ab, jedoch können Schiffe bis zu 7 m Tauchung vor Huelva ankern. Am dortigen Quai wurde ein 700 m langes Rostwerk in Eisenconstruction gebaut, auf welchem das mittelst Bahn aus den Minendistricten kommende Kupfer und Erz zu den Schiffen geführt wird.

In stiller Verborgenheit liegt am linken Ufer des Rio Tinto am Eingange eines Thales das denkwürdige Städtchen Palos.

Der Name Porto Palos ist mit der Erinnerung an das Jahrhundert der grossen Entdeckungen innig verknüpft, denn hier wohnte die einflussreiche und wohlhabende Schifferfamilie der Pinzone, welche mit ihren Mitteln Colon unter - stützte und sich erbot in ihren Hauptträgern die kühne Fahrt mitzumachen; von hier aus setzte Colon am 3. August 1492 mit seinen drei kleinen Fahrzeugen unter Segel, um eine neue Welt zu entdecken, und hieher kehrte er am 15. März 1493 nach 7 Monaten und 11 Tagen nach Durchführung seines grossen Gedan - kens zurück.

In Palos landete auch Cortez, der tollkühne Eroberer von Mexico, im Mai 1528. Der Zufall wollte, dass er hier mit Pizarro, dem Conquistador von Peru, zusammentraf, der eben im Begriffe stand, jene Laufbahn voll Abenteuer, Blut - vergiessen und Raublust anzutreten, die Cortez zu jener Zeit nahezu abge - schlossen hatte.

523Huelva.

Der Rio Tinto hat bei Palos nur 3 m Wassertiefe (Ebbestand); grössere Schiffe ankern deshalb ungefähr 3 km stromabwärts des Städtchens.

Nächst der Ausmündung des Rio Tinto lagert auf einer Anhöhe das imposante, von zwei Thürmen überragte Kloster Santa Maria de Rábida, einst das Asyl des grossen Colon und im Besitze des Her - zogs von Montpensier. Zu Colon’s Zeit war das Kloster befestigt und von den Ráditos, kriegerischen Mönchen, vertheidigt. Der Name Rábida ist maurischen Ursprungs und bedeutet: Grenze oder exponirte Gegend. Hieher hatten Colon und sein jugendlicher Sohn sich 1484 um Schutz und Unterkunft gewendet. Es wird erzählt, dass der Prior Juan Perez de Marchena die beiden Fremden liebreich empfing, und von dem grossen Gedanken Colon’s begeistert, entgegen der Meinung der weisesten Könige und Rathbeschlüsse, welche ihn als Traumgebilde bezeichneten, der Ausführbarkeit zustimmte. Er hatte den Muth, das Project zu unterstützen, und die Macht, dasselbe vorzubereiten, und im Kloster von Rábida wartete Colon auch auf die Ausrüstung seiner erfolgreichen Expedition. So gebührt denn diesem weisen und uner - schrockenen Mönche ein redlicher Antheil an dem Ruhme, welcher so viel Glanz über Spanien ergossen hat.

Huelva hat Glück. Durch ihre Raubfischerei waren seine Ein - wohner in der höchsten Gefahr, den Fischfang, die Hauptquelle ihres Unterhaltes, zu verlieren, als fremdes Capital sich daran machte, die uralten Bergwerke an den Ausläufern der Sierra Morena wieder aus - zubeuten.

Da die Gesellschaft der benachbarten Grube Tarsis 1872 40 % Dividende zahlte und der Staat aus seinen Werken fast gar keine Erträgnisse erzielen konnte, so verkaufte er seinen Besitz 1873 an ein Syndicat von Bremer und Londoner Firmen um 38·4 Millionen Gulden.

Die mächtigsten Minen sind jene von Rio Tinto (Minas de Rio Tinto), einem von 3300 Einwohnern bewohnten Orte, der ungefähr 70 km nordöstlich von Huelva in einer wildromantischen Gegend liegt. Die Bergwerke waren schon der antiken Welt bekannt, Phönikier, Römer und Mauren bearbeiteten sie, welche Thatsache aus den fortwährenden Entdeckungen uralter Schachte und Gallerien sich ergibt.

Während der französischen Invasion in Spanien kam der Betrieb der Minen ins Stocken, bis er 1829 von der Regierung verpachtet wurde.

Seither hat der Betrieb grosse Dimensionen angenommen und beschäftigt viele tausend Arbeiter. Das reinste Kupfer wird indes aus dem Wasser des Rio Tinto, welches ausserordentlich kupferhältig und deshalb tödtlich giftig ist, ge - wonnen.

Die Minen von Tarsis gehören einer französischen Gesellschaft und sind66*524Der atlantische Ocean.gleichfalls phönikischen Ursprungs. Man entdeckte dort Gänge mit geraden und gewölbten Wänden; erstere werden den Phönikiern, letztere den Römern zuge - schrieben.

Tarsis gilt als das Tarschisch der Bibel; seine Bedeutung und die Schätze, welche der Boden barg, waren gänzlich in Vergessenheit gerathen, bis Anfangs der Sechzigerjahre die Aufmerksamkeit der Localität sich zugewendet hatte. Inter - essant ist die Thatsache, dass in der uralten Schlackenablagerung nicht der ge - ringste Kupfergehalt vorgefunden wurde, was beweist, dass die Alten das Extrac - tionsverfahren vollkommen beherrscht haben.

Huelva.

Englischen Gesellschaften gehören die Minen von Buitron, Lapilla, Con - cepcion und Poderosa, wohingegen die Minen von Carpio, Caronada, Sotice, San Miguel und Saluco in spanischen Händen sich befinden. Endlich werden die Minen von Lagunago und Targa von Gesellschaften betrieben, deren Mitglieder verschie - denen Staaten entstammen.

Die hier gegrabenen Pyrite enthalten etwa 3 % Kupfer, 48 50 % Schwefel, und 42 43 % Eisen. Sie werden pyramidenförmig, zu sogenannten Teleras auf - gehäuft, in freier Luft geröstet und das Kupfer wird durch Wasser auf Eisen - barren zum Niederschlag geleitet. Die Schwefelgase, welche sich beim Rösten entwickeln, werden neuester Zeit aufgefangen und in Schwefelsäure verwandelt; deren Ertrag ist allein grösser als früher der Gesammtertrag aller Minenproducte für die Spanier gewesen ist. Viele schädliche Gase entweichen naturgemäss aber525Huelva.immerhin in die Luft und zerstören die Vegetation, wie die gebrauchten Wässer die Bäche untauglich für Bodencultur, Vieh - und Fischzucht machen. Eine heftige Agita - tion der ackerbauenden Bevölkerung der Provinz hat in der That erreicht, dass der Gesellschaft das Rösten der Erze im Freien von der Regierung verboten wurde.

Huelva (Massstab 1: 151.200; Sonden in Metern).

A äussere Boje an der Einfahrt, A1 innere Boje, B Canal del Padre Santo, B1 Zufahrt nach Palos und Huelva, C Ankerplatz bei Huelva, D Canal Estero del Burro, E Canal Est. del Burrillo, F Leuchtfeuer, G Mühlen, H Canal Estero del Molino del Pasage, J Canal Est. de las Metas, K Bank la Balena.

Damit aber werden ihre Betriebskosten erhöht und sie remonstrirt gegen das Verbot, weil es im Widerspruch mit ihrem Kaufvertrage stehe. Es muss zu dieser Streitfrage ausdrücklich bemerkt werden, dass der eigentliche Minendistrict von526Der atlantische Ocean.Natur für die Landwirthschaft ungeeignet ist. Viele dieser Klagen entstammen bloss der Missgunst, welche Fremden einen Gewinn nicht gönnt, den die Ein - heimischen nicht zu heben verstehen. Die Blüthe Huelvas ist schon durch die enorm steigende Nachfrage nach Kupfer, welches an wenigen Plätzen der Erde so nahe am Meere liegt wie hier, gesichert, allein seine Hoffnungen können höher ge - spannt werden.

Um die Ausfuhr der Bergproducte zu erleichtern, baute man von Huelva aus Eisenbahnen in die Minendistricte, verfolgte 1878 die Bahnverbindung nach Sevilla und erreichte am 1. Jänner 1889 die Vollendung der Eisenbahn Huelva-Zafra.

Durch diese Linie wurde die Lage der Provinz und des Hafens Huelva gänzlich verändert. Bisher ausschliesslich Hafen für einen be - schränkten Verkehr mit den tief liegenden Bergbauregionen, ist Huelva jetzt Haupthafen für die Einfuhr und Ausfuhr von Estremadura. Für Handel und Industrie eröffnet sich ein vielseitiges Feld. Ausser - dem ist dadurch das Bergbaugebiet des Hochgebirges der Sierra Morena, die von der Bahn in ihrer ganzen Breite (90 km) durch - schnitten wird, zugänglich gemacht.

Grosse Brüche auf weissen und bunten Marmor liefern das Roh - materiale für die Sägewerke und Schleifereien von Huelva, die später als die grossen Ziegelwerke der Stadt entstanden.

Da die Bergwerke die Grundlage des Handels von Huelva sind, so über - wiegt natürlich die Ausfuhr bedeutend gegenüber der Einfuhr und viele Schiffe laufen in Ballast ein.

Der Handel Huelvas betrug in Pesetas:

〈…〉〈…〉

In diesen Ziffern kommen die Folgen der Eröffnung der Bahn nach Zafra noch nicht zum Ausdrucke.

Es wurden 1888 7,981.417 q (Werth 31·9 Millionen Pesetas), 1887 7,196.898 q Kupfererze nach England, Frankreich und Deutschland ausgeführt.

Dem Werth nach folgt Cementkupfer 1888 289.523 q (Werth 25·5 Millionen Pesetas), 1887 298.900 q.

Geringer ist die Ausfuhr von Kupfer (1888 43.622 q), von Eisenerzen (1888 451.677 q), Manganeisen, bedeutend die von Quecksilber 1888 7846 q (Werth 4·3 Millionen Pesetas), 1887 7377 q; letztere ist 1889 sehr gestiegen.

Auch der Weinbau hat von der Verbesserung der Verkehrswege Nutzen gezogen und wird immer weiter ausgedehnt. Ausgeführt wurden 1888 255.942 hl (Werth 7·7 Millionen Pesetas), 1887 230.396 hl, meist nach Frankreich.

Die Hauptartikel der Einfuhr aus dem Auslande sind Steinkohlen und Coaks (1888 948.676 q, 1887 884.290 q) aus England, Gusseisen in Barren für527Huelva.die Zwecke der Kupfergewinnung aus England mit 200.264 q im Jahre 1888 (das ist der grösste Theil der Einfuhr Spaniens), ferner Roheisen und Schmiedeisen.

Noch sind zu nennen Sprit (1888 8938 hl) aus Deutschland und Schweden, Holz aus Nordeuropa und Böttcherwaaren zum Reexport. Im Wege des Küsten - handels werden Wein, Weizenmehl und Eisen zugeführt.

Der Schiffsverkehr von Huelva erreichte:

〈…〉〈…〉

Die wichtigste Flagge ist die englische, neben ihr sind noch zu nennen die spanische, französische, deutsche, die schwedische und norwegische.

[528]

Lissabon.

Ein Bild von seltener Schönheit entrollt sich an der breiten Mündung des vielbesungenen Tejoflusses, welcher einst den unsterb - lichen Vasco da Gama nie welkendem Ruhme entgegengetragen und dem Dichterfürsten Camoëns den letzten Gruss geboten, als er ver - bannt das heissgeliebte Vaterland verliess.

Weit im Landesinnern hat der Tejo die Zaubergärten von Aranjuez umspült und mit den Fluten des Manzanares auch dessen Poesienschatz empfangen, er sah die alte und glänzende Königstadt Lisboa in einer der furchtbarsten Katastrophen in Trümmer sinken und wälzt nun sein Gewässer an dem herrlichen Gebilde des ver - jüngten Lissabon vorbei dem Meere zu.

Auf sieben Hügeln hingestreckt entfaltet die Stadt über der prächtigen Quaifront das Heer ihrer formenreichen Bauten. Im Osten ist um das Castell S. Georg das Gewirre der alten Stadt gelagert, hieran schliesst sich westwärts die in edler Regelmässigkeit angelegte Neustadt, und als deren Glanzpunkt der herrliche Quaiplatz Praça de Commercio mit seiner monumentalen durch zwei Säulen geschmückten Anlegetreppe (Caes das Columnas), seinem stylvollen Triumphbogen, den prächtigen Arcaden, welche entlang den drei von schönen Ge - bäuden eingefassten Seiten des Platzes führen.

Die Mitte der Praça de Commercio nimmt die mit allegorischen Figuren reich gezierte gewaltige Reiterstatue des König Dom José I. ein, welche 1775 von den Einwohnern als Zeichen der Dankbarkeit für den raschen Wiederaufbau der Stadt nach dem furchtbaren Erd - beben (1755) errichtet worden war.

Auf diesem grossen Platze, der heute ein Bild der erhabensten Ruhe bietet, hatte während des Erdbebens eine grosse Menge Volkes aller Schichten vor den zusammenstürzenden Gebäuden Rettung ge - sucht; da öffnete sich plötzlich die Erde und Tausende Menschen verschwanden spurlos in einem gähnenden Schlund über dem alsbald529Lissabon.die herangebrauste Sturmflut zusammenschlug. Einige Jahre später, als die Arbeiten dort aufgenommen wurden, fand man nicht eine Spur der früheren Fundamente, nicht ein Zeichen der ungezählten Opfer jener entsetzlichen Katastrophe.

Ostwärts begrenzt den Platz das grosse Zollamt (Alfandega), im Westen aber das Seearsenal der Kriegsmarine, wo auch das Co - lonialmuseum Platz gefunden hat.

Längs des nördlichen Tejostrandes dehnen sich die Häuser - massen in regelmässiger Anordnung über die Abhänge der Höhen oder an der Sohle von Thälern; Gärten und Anlagen mit frischem Baumschmucke bilden eine wohlthuende Unterbrechung des endlos scheinenden Häusermeeres, in welchem zahlreiche Klöster und Kirchen durch Form und Grösse hervortreten. Charakteristisch im Gesammt - bilde der Stadt ist das fast gänzliche Fehlen bedeutender Thürme, denn die Furcht vor einer Wiederholung des Erdbebens hat seit mehr als einem Jahrhundert von der Erbauung höherer Thürme ab - gehalten.

Indes scheint man doch dem Wagnisse zuzuneigen und begann einzelne Kirchen, wie die weit sichtbare Egreja da Estrella und andere mit mässig hohen Thürmen, ja sogar mit Kuppeln zu schmücken.

Auf einer flachen Landzunge im Westen erhebt sich S. Vicente de Belem mit dem gewaltigen Thurme eines der malerischesten Ob - jecte an den Ufern des Tejo. Einst im Flusse selbst erbaut, gehört Belem infolge massenhafter Anschwemmung nun dem Festlande an. Es wurde während der Regierung Dom Manoel’s erbaut und diente ehemals als Staatsgefängniss. Heute aber enthält das umfangreiche, im maurisch-gothischen Style gebaute feste Schloss die Bureaux einiger Departements des Seedienstes, dann eine Marineschule, Maga - zine u. dgl.

Auf seiner Plattform, welche als Aussichtspunkt genannt zu werden verdient, ist ein herrlicher Leuchtapparat installirt.

In der Nähe der Belemspitze hat sich die Vorstadt Belem an - gesiedelt, über welcher der imposante königliche Marmorpalast (Paço Real d’Adjuda) inmitten prächtiger Anlagen erglänzt. Eine breite Strasse führt von dort herab zu der am Strande schön gelegenen Praça de D. Fernando, in deren Nähe das königliche Lustschloss Quinta de Baixo in einem Parke sich erhebt, in welchem einstens eine Mena - gerie unterhalten wurde.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 67530Der atlantische Ocean.

Ein zweites Lustschloss der königlichen Familie, die Quinta de Cima, liegt nördlich von Baixo.

Zwischen Belem und Lissabon hat an den Ufern des Flüsschens Alcantara die gleichnamige Vorstadt Raum gefunden. Das königliche Palais, das Necessidades , die ständige Residenz der königlichen Familie, erhebt sich dort auf stolzer Höhe und blickt herab auf den von Schiffen und Fahrzeugen belebten Tejo und auf dessen linkes Ufer, hier Outra Banda (andere Seite) genannt, wo über den see - artig erweiterten Strom hinweg die Städtchen Almada und Trafaria und zahlreiche Villen auf grünen Höhen schimmern, ohne im Detail erkennbar zu erscheinen.

Das von Dom Joao V. erbaute Palais verdankt seine Entstehung einem wunderthätigen Madonnenbilde und war ursprünglich der Annex eines Nonnenklosters, das dieser Regent zur Ehre des Gnadenbildes gegründet hatte. Nach Aufhebung des Klosters wurde letzteres um - gebaut und dem Schlosse einverleibt.

Längs der ganzen Küste zwischen Belem bis ostwärts der vorne erwähnten Praça de Commercio sind ausgedehnte Hafenbauten im Zuge, die wir auf unserem Plane angedeutet haben. Den Handels - operationen werden hier alle Bequemlichkeiten und Erleichterungen geboten werden, welche der moderne Verkehr erfordert. Geräumige Bassins, Docks und Schleusenwerke werden die Schiffe vor den vielen Unannehmlichkeiten schützen, welche die Ankerplätze im Strome mit sich bringen.

Die Tiefe des Tejo, welcher, wie erwähnt, östlich von Lissabon eine seeartige Ausweitung bildet, variirt, wie unser Plan zeigt, sehr bedeutend. Zwischen Belem und Trafaria liegt eine Einsenkung des Bodens bis zu 47 m Tiefe und ost - und westwärts derselben nimmt die Wassertiefe ab, ohne dass sie jedoch dem Anlaufen des Hafens irgend welche Schwierigkeit bieten würde.

Selbst an der äussersten Mündung des Tejo, wo bedeutende Ablagerungsbänke an beiden Flussseiten sich gebildet haben, ist eine breite Fahrstrasse offen, welche bei jedem Wetter die Zufahrt ge - stattet.

So erscheint Lissabon vom rein maritimem Standpunkte als einer der geräumigsten, sichersten und bequemsten Häfen von ganz Europa, aber auch hinsichtlich seiner landschaftlichen Schönheit und der Ueppigkeit des Pflanzenwuchses wetteifert die Stadt in jeder Weise mit den herrlichsten Punkten Europas und darf ohne weiteres an die Seite Constantinopels und Neapels gestellt werden.

531Lissabon.

Ihre geographische Lage unter 38° 42′ nördl. Breite und 5′ westl. Länge von Greenwich sichert der Stadt ein mildes Winterklima (+ 8°C. Jännertemperatur); dagegen ist der Hochsommer heiss (40°C.).

Nach der allgemeinen Gepflogenheit der Geschichtsschreiber Iberiens, haben einige Historiker von Lissabon die Entstehung der Stadt weit in das graueste Alterthum zurückverlegt und lassen einen Urenkel Abraham’s die ersten Funda - mente zu derselben in dem mit wundersamer Gründlichkeit berechneten Jahre 3259 v. Chr. legen. Andere sind genügsamer und erklärten Ulysses als den Gründer der Stadt, indem sie aus dem Namen Olisippo durch Corruption Lisboa ent - stehen lassen.

Als ursprüngliche Bewohner werden die Lusitanier genannt, welche unter Viriathus (150 140 v. Chr.) das mächtigste Volk der ganzen Halbinsel waren; ihre alte Hauptstadt war Olisippo. Julius Cäsar erhob die Stadt zu einem Muni - cipium und gab ihr den Namen Felicitas Julia , aber Provinzialhauptstadt blieb Emerita Augusta (Mérida).

Die Zeit der Völkerwanderung bereitete der römischen Herrschaft mit dem Erscheinen der Alanen (409), Vandalen und Anderer ein rasches Ende. Unter den Gothen bildete Portugal einen Theil ihres Reiches, fiel jedoch 713 in die Gewalt der Mauren, welche Lissabon befestigten. Wiederholt wurde die Stadt im XI. und XII. Jahrhunderte von den Spaniern genommen und wieder verloren, bis Alfonso Henriques, der erste König von Portugal, sie 1147 endgiltig errang. Aber erst unter Dom Joao I. wurde Lissabon an Stelle von Coimbra die Hauptstadt des Königreiches. 1394 ward sie zum Range eines Erzbisthums erhoben. Seitdem nahm die Stadt an Reichthum und Glanz zu und zählte zu den prächtigsten Städten Europas.

Von hier segelte 1497 Vasco da Gama zu seiner Ruhmesfahrt aus, die die Portugiesen zur ersten seefahrenden Nation und Lissabon zum ersten Markte von Europa erhob.

Während der spanischen Occupation sank Lissabon zum Range einer Pro - vinzialstadt herab und erlangte erst 1640 als Residenz der neu eingesetzten Könige von Portugal die frühere Würde, und Dom Joao V. schmückte die Stadt mit einer Reihe herrlicher öffentlicher Gebäude. Um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts hatte Lissabon die Höhe seines Glanzes erreicht, als das bereits Eingangs er - wähnte schreckliche Erdbeben in der Zeit von wenigen Minuten der ganzen Herr - lichkeit ein furchtbares Ende bereitete.

Die Gegend um Lissabon war früher schon wiederholten Erderschütterungen ausgesetzt gewesen. Die Chronik berichtet von Erdstössen in den Jahren 1069, 1117, 1146, 1356, 1531, 1579, in welchem Jahre drei Strassenzüge zerstört wurden, 1699 und 1722.

Nun folgte das Erdbeben von 1755, welches die Stadt vollkommen zer - störte und zahllose Menschenopfer forderte. Die Schätzungen dieses Verlustes schwanken zwischen 80.000 und 100.000 Todten. Das Erdbeben erstreckte sich über halb Europa, und wurden die Stösse im Norden auf den Orkney-Inseln, im Westen auf Jamaica gefühlt.

Die trostlose Lage der in Trümmer gelegten Stadt wurde durch das Treiben zahlloser Räuberbanden noch unseliger gestaltet, jedoch gelang es der Energie Carvalho’s durch eiserne Strenge bald Ordnung zu schaffen.

67*532Der atlantische Ocean.

In kurzer Zeit erhob sich durch die Energie Pombal’s aus den Ruinen eine neue glänzende Stadt, aber noch heute erblickt man manche aus jenen Tagen des Unglücks herstammende Ruine. Seither wurde die Stadt noch in den Jahren 1761, 1796, 1807 und 1858 durch starke Erdstösse heimgesucht.

Lissabon zählt 243.000 Einwohner und ist in vier Districte (bairros) eingetheilt, deren erster den östlichsten und ältesten Theil der Stadt, in welchem das Castell St. Georg und die Kathedrale liegen, in sich begreift.

Westlich des ersten Districtes breitet sich die neue Stadt mit ihren regelmässigen Strassenzügen, schönen Plätzen und der prächtigen Avenide (S) aus. Das ist jener Stadttheil, welcher bei dem grossen Erdbeben am härtesten mitgenommen worden war.

Hieran schliesst sich der dritte District, in welchem die fashio - nableste Strasse Rua Chiado, die National-Bibliothek, die N. S. de Loreto, die beliebteste aller Kirchen der Stadt, einige der ersten Hotels, die königliche Akademie der Wissenschaften u. a. sich be - finden.

Noch weiter westlich ist der District Buenos Ayres mit den Residenzen der Gesandten, der englischen Estrellakirche, dem Parla - mentsgebäude (São Bento) und dem Palais Necessidades, welches nächst dem Bahnhofe von Alcantara gelegen dem westlichsten Theile des Districtes angehört.

Lissabon bietet durch den amphitheatralischen Aufbau der über - einander liegenden Strassen nicht nur ein sehr malerisches Bild von aussen, die Stadt ist auch im Innern sehr schön und freundlich. Auf - fallend sind die vielfach mit glasirten Ziegeln belegten Häuser, an denen jedes Thor, auch jeder Eingang in ein Magazin die fortlau - fende Nummer trägt, so dass manches Haus 20 Nummern hat. Die Steilheit mancher Strassen zwingt die Tramway bergan mit 8 Maul - thieren zu fahren, während bergab die Thiere freigehen und die Wa - gen durch die mittelst Bremsen regulirte eigene Schwere laufen.

Lissabon besitzt zahlreiche geräumige Kirchen, von welchen aber nur wenige von Interesse sind.

Die Vermeidung von Säulen, das Fehlen von Sitzbänken, das System der eigenthümlichen Anordnung der Seitencapellen, geben den Kirchen ein meist nüchternes, wenig zur Andacht stimmendes Aus - sehen.

Weitaus zu den sehenswerthesten Gotteshäusern zählt die Ka - thedrale oder Basilica de Santa Maria, obgleich sie in beschei - denen Dimensionen gehalten ist und mit ihren massigen unausgebauten[533]

Lissabon.

534Der atlantische Ocean.Thürmen und der nüchternen Façade den Eindruck des Unfertigen ausübt. Die Kirche wurde an Stelle einer noch vor der arabischen Domination dort erbauten durch Alfonso Henriques errichtet, erlitt aber im Laufe der Jahrhunderte mancherlei Modificationen.

Von der Höhe des einen der Thürme wurde 1383 der Bischof D. Martinho, weil er die Partei der Castilianer begünstigte, durch den aufgeregten Pöbel herabgestürzt und sein Leichnam durch die Strassen geschleift.

In der werden die Reliquien des heiligen Vincenz, welcher bei dem nach ihm genannten Cap den Märtyrertod erlitt, aufbe - wahrt. An diesen Heiligen knüpft sich die Legende, dass eine Zahl von Raben seinen Leichnam am Cap bewachte, und als Alfonso Henriques diesen nach Lissabon überführen liess, hätten diese Thiere das Schiff begleitet. Seither werden in den Cloisters der Kathedrale zwei Raben unterhalten. Die beiden Raben im Stadtwappen beziehen sich ebenfalls auf obgedachte Legende.

Die Igreja de S. Roque, 1567 durch die Gesellschaft Jesu er - baut, enthält die von Joao V. errichtete sehenswerthe Capelle des heiligen Johannes des Täufers, welche vermöge ihres Reichthums an Kunstwerken und kostbarem Marmor mit der Sixtinischen Capelle in Rom wetteifert.

Die Perle unter allen Bauten der Stadt durch Schönheit des Styles und Reichthum an Ausschmückung ist jedoch die Kirche und das Kloster des Jeronymos von Belem, welches der König D. Manuel in dankbarer Erinnerung an die Entdeckung Ostindiens durch Vasco da Gama nach den Plänen des Italieners Potassi (1500) erbauen liess.

Weit reicher als die religiösen Bauten der Stadt sind die der Wissenschaft geweihten Stätten. Lissabon besitzt viele Sammlungen und Gallerien mit Objecten von unschätzbarem Werth. Die Bibliotheca Nacional, eine Schöpfung der Königin D. Maria I. (1776) ist in dem aufgelassenen Kloster S. Francisco untergebracht und zählt über 200.000 Bände, 38.200 Medaillen, zahlreiche Manuscripte, Bibeln, darunter eine von Gutenberg gedruckte. In demselben Gebäude hat auch die Bibliotheca da Academia das Bellas Artes mit 12.000 Bän - den Kunstliteratur eine Unterkunft gefunden.

Von Bedeutung ist die Bibliotheca da Academia im Terceira - Kloster, welche über 80.000 Bände zählt und kostbare altarabische und persische Manuscripte besitzt. Sehenswerthe Kunstobjecte und Seltenheiten werden in der Bibliotheca da Ajuda im gleichnamigen königlichen Palais aufbewahrt.

535Lissabon.

Im Nationalarchiv (Archivo da Torre do Tombo) sind die wich - tigsten Documente, welche bis zur Zeit der Begründung des portu - giesischen Königreiches zurückreichen, aufbewahrt.

Zahlreiche Museen und Bildergallerien sowie gelehrte Gesell - schaften zeigen von dem lebhaften Interesse, welches die Dynastie und die Einwohnerschaft Lissabons der Pflege der Wissenschaft und Kunst entgegenbringen.

Bei den lebhaften geistigen Bestrebungen ist indes der Anfor - derung des Vergnügens nicht vergessen worden, und verfügt die Stadt über eine Reihe hübscher Theater, von welchen das Theatro de São Carlos (italienisches Opernhaus) das grösste und vornehmste ist.

Dass es in Lissabon auch eine Arena für Stierkämpfe (Circo dos Touros) gibt, ist selbstverständlich. Die portugiesischen Kämpfe unterscheiden sich jedoch wesentlich von den spanischen dadurch, dass die Hörnerspitzen der Stiere mit grossen Holzkugeln verkleidet sind, durch welchen Schutz weder die kämpfenden Männer noch die Pferde und Stiere in besondere Lebensgefahr gerathen; dafür bietet der portugiesische Stierkampf keine jener abstossenden Scenen, wie sie der spanischen Arena eigen sind. Interessant, aber auch beunruhi - gend ist für den Fremden der ganz aus Holz erbaute Circus, welcher mehrere tausend Zuseher fasst, von denen mindestens die Hälfte Ciga - retten raucht und dabei die allgemein benützten Wachszünder herum - wirft, als ob noch nie in der Welt ein Theater abgebrannt wäre.

Wohlthätigkeitsanstalten, Spitäler und Asyle sind reichlich vor - handen. Dem Seeverkehr dient ein grossartiges Lazareth, das am linken Tejoufer gegenüber der Belemspitze gelegen Raum für 1000 Passagiere bietet.

Von seiner Terrasse ist ein herrliches Panorama über die ganze Ausdehnung von Lissabon und über die Höhen von Cintra zu ge - niessen.

Führwahr ein Anblick, holder nicht zu träumen, Was Gott für dieses schöne Land gethan!

singt Lord Byron.

Die Ausflüge in die paradiesische Umgebung machen für die Reisenden das Verweilen in Lissabon zum höchsten Genusse. Die entzückenden Höhen am Tejoufer, die Höhen von Cacilhas mit ihrer unvergleichlichen Aussicht, der Gebirgszug von Cintra mit seinen phantastischen Schlössern, dem alten Kloster und den märchenhaften Kameliengärten; auf der anderen Seite der Bai das kleine Setubal, das Caetobriga der Römer, heute das Prototyp einer altportugiesischen536Der atlantische Ocean.Stadt, und das Alles in wenigen Stunden zu erreichen: Fürwahr keine andere Stadt Europas kann sich mit der alten Königin der iberischen Halbinsel messen, von der Philipp III., der König Spaniens und Portugals, 1619 sagte, nur in Lissabon habe er empfunden, dass er König von Hesperien sei .

Dieses Paradies ist den weniger bemittelten Reisenden aus Mitteleuropa noch halb verschlossen, weil es von Wien und Berlin selbst mit dem Schnellzuge nicht unter dreimal 24 Stunden ununter - brochener Fahrt zu erreichen ist. Nichtsdestoweniger wird Lissabon mit jedem Jahre von mehr Fremden, zumeist Engländern, besucht, welche sehr gut gehaltene Hotels sowie andere den Fremdenverkehr belebende Einrichtungen finden. Freilich für den grossen Fremden - verkehr liegt Lissabon mehr seitwärts als Norwegen.

Man spricht daher bei uns weniger von der landschaftlichen Schönheit Lissabons als von seiner günstigen Weltstellung. An seinen Gestaden ziehen alle Schiffe aus dem Westen und Norden Europas vorüber, welche den indischen Ocean aufsuchen, ob sie den neuen Weg durch den Suezcanal einschlagen oder die Strasse Vasco da Gamas um das Cap der guten Hoffnung verfolgen; wie für die West - küste Afrikas ist Lissabon auch für Südamerika und den Verkehr nach Westindien der am weitesten nach dem Westen vorgeschobene Platz Europas.

Die hohen Gipfel des Cabo da Roca (des Vorgebirges des Felsens) im Norden und das Cabo de Espichel (des Vorgebirges des Zapfens) sind natürliche weithin sichtbare Landmarken der Entrada do Tajo . Aber der vielgefeierte König der Flüsse, o rey dos rios , wie die Portugiesen den Tejo nennen, dessen waldumgebene Ufer den grössten Haupttheil des Holzes zum Bau der grossen spanisch-portu - giesischen Armada lieferten, die 1588 England bedrohte, ist oberhalb Lissabon nur 74 km weit, bis Santarem für grosse Dampfer und bis Abrántes für kleine Schiffe regelmässig fahrbar und führt überdies nur in das Innere der pyrenäischen Halbinsel. Lissabon hat daher kein grosses Hinterland und ist weit abseits von dem Herzen Eu - ropas.

Seine Lage sichert Lissabon wohl für immer eine bedeutsame Stel - lung selbst in den Dampfschiffahrtslinien der Erde, im internationalen Verkehr der Posten und Telegraphen, aber nicht im Handel mit den Massengütern, welche den Welthandel bestimmen.

Diese Behauptung wird durch den Verlauf der Geschichte des Handels von Lissabon bestätigt, sie beweist aber auch, dass ein537Lissabon.so kleines Volk, wie die Portugiesen, nicht nur nicht im Stande sei, den Welthandel zu monopolisiren, wie man dieses in Lissabon so lange anstrebte, sondern nicht einmal seine wirtschaftliche Unab - hängigkeit behaupten kann.

Mit Hilfe bewaffneter Kriegsscharen aus Niederland, Westfalen, Friesland und den Rheingegenden, die in Verbindung mit britischen Kreuzrittern auf eng - lischen und flandrischen Schiffen nach Palästina zogen, um dort die Ungläubigen zu bekriegen, wurde die Stadt 1147 den Mauren entrissen. Seitdem blieb sie eine wichtige Etape für den Verkehr der Segelschiffe zwischen den Niederlanden und Venedig, und unter dem strengen und gerechten Dom Pedro I. (1357 1367) zählte man nicht selten im Hafen von Lissabon 400 500 ausländische und inländische Kauffahrteischiffe, welche die Landesproducte, besonders Wein, Oel und Salz, und den überaus reichen Ertrag des Küstenfischfanges nach allen Weltgegenden aus - führten und Gold und Silber in Menge einbrachten.

Dann kam das Jahrhundert der grossen Entdeckungen, das Heldenzeitalter des portugiesischen Volkes, dem Camoens in den Lusiaden ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat.

Die Portugiesen waren damals noch nicht besonders seetüchtig, sie über - liessen noch immer den Verkehr nach dem Norden und dem Osten fremden Schiffen. Nur auf Marokko und die südwärts gelegenen Küstenländer richteten sie aus religiösen Beweggründen ihr Augenmerk.

Erst 1434 brachte der beharrliche Infant Heinrich (Dom Enrique) der Seefahrer seine Portugiesen über das berüchtigte Cap Bojador hinaus. Nun wurden Schritt für Schritt die Gestade Afrikas enthüllt, der Seeweg nach Indien 1498) und (1500) die waldigen Küsten Brasiliens entdeckt.

Als dann im Anfange des XVI. Jahrhunderts durch die Besetzung des Zuganges in das Rothe Meer der alte Verkehr zwischen Malabar und Egypten ver - nichtet war, wurde Lissabon der Sitz eines unermesslichen Waarenumsatzes, die Niederlage und der Stapelplatz mehrerer Welttheile, den die orientalischen Völker Pae takht Frang, die Residenz von Europa nannten. Hier mussten alle Nationen des Abendlandes ihre Gewürze holen, denn die Portugiesen verschmähten es, die Gewürze von Lissabon weiter zu führen.

Rasch sank jedoch die Macht des kleinen Portugal. Die unglückselige Ver - einigung mit Spanien (1584) beschleunigte den Verfall, weil Philipp II. die Handelsschiffe der Niederländer, welche seit Jahrzehnten gegen ihn im Aufstande waren, von dem Markte Lissabons ausschloss und dadurch diese unternehmenden Seeleute zwang, direct nach Indien zu segeln und ein holländisches Colonialreich auf dem Boden des alten portugiesischen zu errichten.

Das seit 1640 wieder selbständige Portugal gab im Osten den Koloss, der keinen Nutzen gewährte , auf und vereinigte seine ganze Kraft auf Brasilien, das 1654 den eingedrungenen Holländern entrissen wurde. Bald entstanden dort grosse Zuckerplantagen, deren Ernten über Lissabon nach dem übrigen Europa gelangten der Verkehr mit Westafrika stieg durch den Sclavenhandel nach Brasilien, und die Entdeckung von Goldlagern und Diamantenlagern machten den Ausspruch Joao IV. wahr, welcher Brasilien seine Melkkuh nannte.

Grosse Reichthümer gingen seit 1700 alljährlich nach Lissabon, sie wan -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 68538Der atlantische Ocean.derten aber sofort nach England und die Nation verarmte. Denn durch den Methuen-Vertrag von 1703 war bestimmt worden, dass portugiesische Weine in England ein Drittel weniger Zoll zahlen sollten als französische, und dass dafür englische Wolle in Portugal zu dem Zollsatze von 15 % eingeführt werde. Infolge dieses Vertrages entwickelte sich übermässig die Weincultur im Norden Portugals zur Plantagenwirtschaft, die den kleinen Grundbesitzer auskaufte, und bald deckte das Land nicht mehr seinen eigenen Bedarf an Fleisch und Brot, und die Erzeugnisse der englischen Industrie überschwemmten Portugal und vernichteten seine Industrie.

An den Zuständen, die dieser Vertrag geschaffen, krankt Portugal heute noch, und nur unter dem Minister Pombal (1750 1777), der mit starker Hand England zurückdrängte, hoben sich wieder Handel, Industrie und Reichthum des Landes und Lissabons.

Aber als 1807 die königliche Familie vor Napoleon nach Rio Janeiro flüchtete, von wo sie erst 1821 zurückkehrte, und Portugal in der Zeit unter einem englischen Landstatthalter stand, wurde das Land neuerdings den englischen Inter - essen dienstbar gemacht. Im Jahre 1822 riss sich Brasilien vom Mutterlande los und fügte dadurch dem Handel Lissabons unendlichen Schaden zu, der erst seit einigen Jahren durch den gesteigerten Verkehr gut gemacht wird, den die Ent - wicklung der portugiesischen Besitzungen in Westafrika mit sich bringt. Denn die Portugiesen erinnern sich wieder der Thaten ihrer Vorfahren und bemühen sich, die wirtschaftlichen Folgen des Methuen-Vertrages zu verwischen. Bei jedem Handelsartikel Lissabons und Oportos ist man gezwungen, den einen oder den anderen dieser beiden Sätze zu berücksichtigen. Aber man darf nicht vergessen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen Portugals und England so zahlreich sind, dass eine rasche Aenderung der heutigen Verhältnisse einfach unmöglich ist.

Lissabon ist Portugals erster Hafenplatz; es vermittelt gut die Hälfte des Verkehres des Königreiches und den ganzen Waarenumsatz nach den portugiesischen Colonien. Mehr als zwei Fünftel der Einfuhr, ein Viertel der Ausfuhr fallen auf den Verkehr mit England.

Frankreich behauptet nur in der Ausfuhr den Vorrang vor Deutschland, und das auch nur dann, wenn es viel Wein braucht. In der Einfuhr ist es aber bereits von Deutschland geschlagen, das tüchtige Vertreter in Portugal hat und die Dampferverbindungen da - hin vermehrt, um von dem Streite, der zwischen Portugal und Eng - land wegen der portugiesischen Ansprüche auf das Land am Shire in Ostafrika entbrannt ist, mehr Nutzen zu ziehen als Frankreich. Bedeutend ist auch der Handelsverkehr mit Spanien.

Auch von fremden Ländern ausser Europa sind die Union und das stammverwandte Brasilien hervorzuheben, wohin zahlreiche Portu - giesen auswandern, um dann mit den dort gemachten Ersparnissen in der Heimat ein Weingut zu kaufen.

Der Handel Lissabons (Münzen ausgenommen) betrug in Milreïs (1 Mil - reïs = fl. 2·225 = 4·45 Reichsmark):

539Lissabon.
〈…〉〈…〉

Das ist Alles, was die officielle Statistik Portugals über den Verkehr des Hafens bringt, daher werden wir im Folgenden bei den einzelnen Waaren nur Schätzungen geben können.

Bei der Beschreibung des Handels Lissabons halten wir uns an die An - ordnung der officiellen Statistik und behandeln zunächst die Ausfuhr einheimischer Producte.

Portugal hat nur wenige, aber werthvolle Artikel der Ausfuhr.

Bei der unnatürlichen Begünstigung, deren sich in Portugal der Weinbau seit Jahrhunderten zu erfreuen hat, ist Wein der wichtigste derselben, trotzdem der portugiesische Bauer zu jeder Tageszeit Wein trinkt und Kaffee erst Abends geniesst. Für den Export kommt Estremadura, das Land zu beiden Seiten des unteren Tejo mit seinem Hafen Lissabon besonders in Betracht. Ueber diesen Hafen wurden beiläufig 1888 1·3 und 1887 1 Million hl Wein nach Frankreich und Brasilien ausgeführt.

Dem Werthe nach folgen in der Ausfuhr Portugals Kork und Kork waaren, für welche Lissabon der Haupthafen ist, weil die grössten Bestände der Korkeiche im Süden Portugals sich finden.

Im Jahre 1887 führte das Land 235.979 q Kork (Werth 2·1 Millionen Milreïs) und 28.585 q Korkfabricate (Werth 0·5 Millionen Milreïs) aus. Man nimmt an, dass der angegebene Werth um die Hälfte zu niedrig ist. Die Ausfuhr geht nach Deutschland und England, in die Union und nach Russland. Dieser Zweig der Ausfuhr hat 1888 und 1889 ansehnliche Fortschritte gemacht.

Ueber Lissabon gehen ferner ein Theil der Ausfuhr getrockneter Feigen, Zwiebel nach England, frische Trauben, Ananas und frühreife Kartoffel.

Das im Inlande in Menge erzeugte Oel ist nicht gut und wenig geeignet zum Einlegen der Sardinen, wofür in Setubal und Algarve grosse Etablissements bestehen.

Ueber Lissabon geht auch viel von dem ausgezeichneten Seesalze, das in den Marinqas von Setubal, dem St. Yves der Engländer, gewonnen wird, nach Nordeuropa und Brasilien. Nur dieses Salz verwenden die Holländer zum Ein - pökeln der Häringe.

Von den Erzeugnissen der Industrie Portugals, wie Hüten und Schuh - waaren, gehen nur mehr kleine Mengen nach Brasilien, weil jetzt in diesen Ar - tikeln Deutschland den Markt beherrscht.

In der Einfuhr Portugals und daher auch Lissabons zum Verbrauche nehmen Nahrungs - und Genussmittel die erste Stelle ein, denn fast die Hälfte des Landes ist unbebaut; weit verbreitet ist noch der zur Römerzeit üblich gewesene Pflug, das Korn lässt man durch Pferde und Ochsen ausstampfen, und das Land wird in der Dreifelderwirthschaft unter Cultur genommen.

Das Hauptbezugsland für Weizen ist die Union (Einfuhr Portugals 1888 1,008.707 q, 1887 1,253.920 q), für Mais Rumänien und Marokko (Einfuhr 1888 125.896 q).

Man verwendet jetzt zum Transporte des Getreides aus Amerika meist nur68*540Der atlantische Ocean.Dampfer. Durch hohe Einfuhrzölle fördert man den Anbau des Weizens in Por - tugal und will die Müller zwingen, portugiesischen Weizen zu vermahlen, der sich aber nicht für die Verarbeitung auf den modern eingerichteten Mühlen Portugals eignet. Diese müssen oft den Betrieb einstellen, weil ihnen das Arbeitsmateriale fehlt, und so ist es zu erklären, dass die Einfuhr von Weizenmehl in Portugal 1888 wieder auf 47.369 q gestiegen ist. Herkunftland ist die Union. Von der Ein - fuhr von Getreide und Mehl kommen etwa vier Fünftel über Lissabon ins Land.

Grosse Bedeutung hat die Einfuhr von Zucker, der aus England, Deutsch - land, Brasilien und Egypten kommt; von der Gesammteinfuhr (1887 257.333 q) gehen drei Viertel nach Lissabon.

Die Einfuhr von Thee (1887 2810 q, Werth 0·5 Millionen Milreïs) aus England und China ist wichtiger als die von Kaffee (1887 21.444 q), welchen meist die portugiesischen Inseln S. Thomé und Principe liefern.

Da der Anbau des Tabaks, welcher seit 1888 Gegenstand eines Staats - monopols ist, in Traz oz montes sich fortdauernd ausbreitet (1887 1,501.903, 1888 2,238.810 Pflanzen), so muss die Einfuhr sinken.

Bauholz kommt zu drei Vierteln aus Schweden und Norwegen, zu einem Viertel aus Canada und Mobile, und war 1889 ziemlich theuer. Die meisten Fass - dauben schickt Nordamerika; Einfuhr Portugals 1887 3·2 Millionen Stück.

Von thierischen Nahrungsmitteln sind in erster Linie Stockfische aus England, Schweden und Norwegen zu nennen (1887 214.680 q, Werth 3·6 Millionen Milreïs), ferner Butter aus Irland und Holland (1887 12.793 q), dessen Einfuhr jedoch stetig sinkt.

Lissabon ist ein wichtiger Platz für die Einfuhr von rohen Fellen und Häuten aus Brasilien und vom La Plata, für Baumwolle und für Flachs aus Russland.

Cement kommt aus Frankreich, England und Deutschland, Petroleum aus der Union, Steinkohle (1887 3·3 Millionen q) meist aus England.

Der Anlauf, den jetzt Portugal nimmt, um zu einer Industrie zu gelangen, wird nicht so bald die Einfuhr ausländischer Industrieartikel besonders herab - drücken.

Baumwollgarne und Stoffe sendet England, mit dem nur Frankreich und Deutschland concurriren (Einfuhr in Portugal 1887 für 7·4 Millionen Gulden).

Auch in Schafwollstoffen dominirt Grossbritannien, nur in Shawls und Wirkwaaren ist Deutschland voraus.

Seidenstoffe kommen aus Frankreich, Leder aus Deutschland und Frankreich. Deutschlands Antheil an diesen Artikeln steigt.

Glas wird aus Deutschland, Frankreich und England eingeführt, mit Thon - und Porzellanwaaren versorgen Frankreich, England und Deutschland den Markt Portugals, so weit ihn nicht die Industrie Lissabons deckt.

Dass England hier auch in Eisen - und Eisenwaaren die erste Rolle spielt, versteht sich von selbst, doch treten in Roheisen auch Schweden, Belgien und Spanien, Deutschland in Eisendraht und Stahl in Mitbewerb.

Im Jahre 1887 wurden in Portugal 505.447 q Roheisen, 9447 q Stahl, 153.000 q Fabricate eingeführt, auch die Einfuhr von Industriemaschinen aus England, Frankreich, Deutschland und Belgien ist ansehnlich.

Ueber Lissabon geht fast der ganze Reexport Portugals, den in die portugiesischen Colonien ausschliesslich die nationale Flagge vermittelt. Der wich -[541]

Lissabon (Massstab 1: 64.400; Sonden und Höhen in Metern).

A Ankerplätze, B Zollamtsgebiet, C gemessene Seemeile, D Seearsenal, E Zollamt, F Leuchtfeuer, G Praça do Commercio, H Kathedrale, J Akademie der schönen Künste, K Kirche S. Roque, L Kloster, M Eisenbahnstation, N Tabakfabrik, O Hospital Estephania, P Schlachthaus, Q Ost-Friedhof, R West-Friedhof, S Avenua da Liberdade, T Arena, U Praça D. Pedro IV., V Palacio das Cortes, W Kirche von Estrella, X Augusta-Strasse, 1, 3, 4 Docka de Mares (Bassin), 2 D. de Fluctuacion.

542Der atlantische Ocean.tigste Artikel dieses Handels sind Baumwollgewebe, meist englischen Ursprungs, bestimmt für Angola und die portugiesischen Inseln im Westen Afrikas. Diese Wiederausfuhr des Königreiches erreichte 1887 17.153 q, Werth 1·9 Millionen Gulden.

Grössere Werthe repräsentiren noch englische Steinkohlen, Cement und rohe Metalle.

Von Nahrungsmitteln sind hervorzuheben Stockfische, die von hier nach Brasilien und Westafrika gehen, umgekehrt gehen aus den westafrikanischen Besitzungen über Lissabon nach Deutschland und England: Cacao (1886 16.619 q) von S. Thomé und Principe, Kaffee (1887 36.751 q) von Angola, Borracha (1887 7318 q, Werth 1·6 Millionen Gulden) und Wachs (7166 q, Werth 0·6 Mil - lionen Gulden).

In Lissabon werden Reis und Fischöle umgeschifft, im internationalen Transito sind Barrensilber (1887 22.455 kg), Schafwoll - und Baumwollstoffe aus England, und deutsche Glaswaaren, alle nach Spanien bestimmt, die wichtigsten Artikel.

Für diesen Theil des Handels sind Porto, Huelva und Cádiz als Con - currenten für Lissabon nicht ungefährlich.

Bei der günstigen Weltstellung Lissabons ist der Schiffsverkehr verhältnissmässig viel bedeutender als der Handel. Lissabon ist aber der am meisten gegen Südwest vorgeschobene grössere Hafen, welcher die Schiffe aller Nationen zwingt, hier die letzte europäische Post einzunehmen, oder wenn sie gegen Europa steuern, abzugeben. Man braucht nur in Lissabon spazieren zu gehen und alle die Papageien und Affen zu sehen, die an den Fenstern der Privatwohnungen spielen, man braucht nur die vielen sonnverbrannten Creolen und die Neger zu betrachten, um zu erkennen, dass man sich in einem Hafen bewegt, dessen nächste Station jenseits des Weltmeeres liegt.

Schiffsverkehr Lissabons:

〈…〉〈…〉

Der Gesammtverkehr des Jahres 1888 war etwas grösser als der von 1887. Die Küstenfahrt beider Kategorien ist den portugiesischen Schiffen vorbehalten. Im auswärtigen Verkehr spielt sie nur eine kleine Rolle; hier ist die wichtigste Flagge die englische, auf sie folgen die deutsche, die französische, dann die Schwedens und Norwegens. Im auswärtigen Verkehr ist auch die Schiffahrt der delegaçoes von Lissabon enthalten, auf die etwa 160.000 Tons entfallen.

Als die für den überseeischen Verkehr wichtigsten Dampfschiffslinien sind folgende zu nennen:

Die Empresa Insulana de Navegaçao verbindet Lissabon mit den Azoren und mit Madeira.

543Lissabon.

Die Empresa nacional besorgt über Madeira die Verbindung Lissabons mit den portugiesischen Besitzungen an der Westküste Afrikas bis Mossamedes.

Der gesteigerte Verkehr mit Portugiesisch-Westafrika führte 1889 zur Er - richtung einer neuen Linie, der von der Regierung subventionirten Mala Real Portuguesa , die ihre Fahrten um die Südspitze Afrikas herum über Laurenço Marques hinaus auf das ganze portugiesische Ostatrika ausdehnt.

Auch eine französische Gesellschaft, die Chargeurs réunis, geht von Bor - deaux über Dakar längs der Westküste Afrikas bis Mossamedes.

In Lissabon laufen die Union Steam Ship Cy. und die Castle Mail Packets Cy. auf ihren Fahrten von England nach dem Caplande an, wie auch die in Hamburg neu errichtete Deutsche Ostafrikalinie .

Die zahlreichsten Verbindungen bestehen mit Brasilien. Seit 4. März 1890 geht Mala Real Portuguesa von Lissabon nach Brasilien. Lissabon ist ferner Station der Messageries maritimes auf ihren Linien von Bordeaux über Dakar in Senegambien nach Brasilien und an den La Plata, der Royal Mail Steam Packets Cy. (Southampton Buenos Ayres), der Hamburg-südamerikanischen Dampfschiffahrts - Gesellschaft und des Norddeutschen Lloyd (Bremerhaven Antwerpen Santos) und endlich der Chargeurs réunis (Hâvre Santos).

Mit der Ost - und Westküste Südamerikas endlich ist Lissabon durch die Pacific Steam Navigation Cy. (Liverpool Bordeaux Callao) verbunden.

Neben diesen Linien besorgen den Verkehr mit europäischen Hafenplätzen noch die Linie Slomann (Hamburg Messina), der Atlas (Hamburg Marokko), die Oldenburg-portugiesische Dampfschiffs-Rhederei (Hamburg-Brake), der Neptun , die Hall-Line (London Malaga) und eine Reihe französischer Unter - nehmungen.

Lissabon ist Endpunkt einer wichtigen internationalen Schnellzugslinie Euro - pas, welche die Post des nördlichen Europas über Bordeaux, Medina, Madrid nach Lissabon bringt, eine zweite kürzere Verbindung besteht über Coimbra Salamanca. Diese letztere vermittelt neben einer zweiten Linie den Verkehr Lissabons mit dem Norden Portugals, und von Barreiro, auf der Südseite des Tejo, geht eine Eissenbahn nach Faro.

Auch eine der wichtigsten Kabelstationen Europas ist Lissabon, weil hier die Eastern Telegraph Cy. landet, welche über Egypten den englisch-indischen Verkehr besorgt, und die zwei Kabel der Brazilian Submarine Telegraph Cy. über Madeira und St. Vincent nach Pernambuco ihren Ausgang nehmen. In St. Vincent ist Anschluss mit der Westküste Afrikas.

Lissabon ist Sitz einer Börse und der erste Bankplatz Portugals.

Consulate haben in Lissabon: Argentinien (G. -C. ), Belgien, Bolivia (G. -C. ), Brasilien (G. -C. ), Chile, Columbia, Costarica (G. -C. ), Dänemark (G. -C. ), Deutsches Reich, Dominikanische Republik (G. -C. ), Ecuador, Frankreich (G. -C. ), Griechen - land (G. -C. ), Grossbritannien, Guatemala (G. -C. ), Hawaï, Italien, Liberia, Mexiko (V. -C. ), Monaco (G. -C. ), Niederlande (G. -C. ), Nicaragua (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Peru (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Salvador, Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz (G. -C. ), Siam, Spanien (G. -C. ), Südafrikanische Republik (G. -C. ), Türkei, Uruguay (G. -C. ), Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

[544]

Porto.

Während der maurischen Herrschaft hatte sich Porto, auch Oporto genannt, zu grosser Wichtigkeit erhoben, als Almansor von Cordoba die Stadt im Jahre 820 zerstörte.

Erst 999 wurde sie durch eine gallische Expedition wieder auf - gebaut und bevölkert. Portus Gallorum ward die neue Gründung ge - nannt, von welchem Namen einige Historiker jenen Portugals ableiten wollen.

Porto führt übrigens den officiellen Beinamen: Leal e invicta cidade (loyale und unbesiegte Stadt) und könnte wegen seiner vielen mit Kamelien geschmückten Gärten die Kamelienstadt heissen. Mit seinen 120.000 Einwohnern ist es die zweitgrösste Stadt Portugals.

Seine Lage ist überaus malerisch. An den steilen Abhängen eines Höhenzuges baut sich am rechten Ufer des Douroflusses die Häuser - masse bis zu einer Höhe von nahezu 100 m sehr effectvoll auf. Zahl - reiche Kirchen, darunter die Kathedrale, dann auch der 64 m hohe Torre dos Cleriges, der zweithöchste Thurm Portugals, treten beson - ders hervor. Letzterer wurde 1779 auf Kosten der portugiesischen Geistlichkeit aufgeführt und bietet als kostspielige Landmarke gewiss mehr Interesse, als er es vermöge seiner architektonischen Gestaltung beanspruchen könnte.

Das Hafenbild erhält durch den pittoresken Hintergrund der formreichen Bauwerke der Stadt einen ganz besonderen Reiz.

Beiderseits von steilen Höhen begleitet, windet sich tief unten der mit Schiffen aller Nationen und Booten jeder Grösse bedeckte Douro dem Meere zu. Ostwärts schwingt sich der wundervolle Bau der Brücke Dom Luiz I. 60 m hoch über dem Ebbestande des Flusses von der Stadt zum gegenüberliegenden Kloster da Serra de Pilar (N), und 1300 m flussaufwärts überquert ihn eine imposante Eisenbahn - brücke.

Die Luiz-Brücke wurde am 1. November 1886 dem Verkehr545Porto.übergeben, nachdem ihr Bau eine Zeit von fünf Jahren beansprucht hatte. Die Brücke hat ein Doppelniveau. Oberhalb verkehren die Tramway und Fussgänger, 10 m tiefer nur Fussgänger. Zum Baue wurden 3300 t Eisen und Metall verwendet.

Wenngleich Porto einen durchwegs commerciellen Charakter be - sitzt, so ist es doch auch vermöge seiner lebhaften geistigen Bestrebun - gen und historischen Erinnerungen eine sehr interessante Stadt, die

Porto.

über sehenswerthe Sammlungen, wissenschaftliche Anstalten und eine reichhaltige Bibliothek verfügt.

Ebenso ist dem edleren Vergnügen durch den Bestand einiger guten Theater und hübschen Promenaden Rechnung getragen. Zu den besuchtesten der letzteren zählen die schönen, mit subtropischen Pflanzen gezierten Anlagen, welche den Krystallpalast umgeben. Von der Terrasse des Parks geniesst man einen prächtigen Ausblick auf die reizende Scenerie, welche die Umgebung bietet.

Westlich des Parkes und von diesem durch einen tiefen Einriss, Entre Quintas genannt, getrennt, schimmern im dunklen Grün zauber -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 69546Der atlantische Ocean.voller Gärten einladende Landhäuser und Villen. Riesige Magnolien und Tulpenbäume streben hier mit mächtigen Kronen empor.

In einer dieser Villen starb der unglückliche König Karl Albert von Sardinien, dessen Andenken seine Schwester, die Prinzessin von Montlear, durch Errichtung einer kleinen Capelle im Parke des Kry - stallpalastes geehrt hat.

In vergangener Zeit zählte Porto bei 80 Kirchen und Klöster; seither büsste die Stadt den ausgeprägt kirchlichen Charakter ein, und es bestehen heute nur mehr verhältnissmässig wenige Kirchen. Sehenswerth ist die aus Granit aufgeführte Kathedrale, ein ehrwür - diges Bauwerk, welches, mehreren Stylarten angehörend, an der Stelle eines antiken Castells der Sueven entstanden ist und manche Sehens - würdigkeiten enthält.

Einzelne Kirchen, wie die dem S. Martinho de Codofeita geweihte (XII. Jahrhundert), entstammen weit vergangenen Zeiten und sind be - sonders für Architekten sehenswerth.

Das prächtigste Gebäude der Stadt ist der Börsepalast (Palacio da Bolsa), welcher über Räumlichkeiten von solcher Ausdehnung verfügt, dass in demselben 1861 die grosse Ausstellung abgehalten werden konnte. Der schöne Ballsaal ist im Style der berühmten Al - hambra decorirt.

Die Strassen und Gassen der Stadt sind meist steil und vielfach gewunden, die Anlage von Treppenfluchten ist des Terrains wegen an vielen Stellen nicht zu umgehen gewesen. Indes verdienen ein - zelne in neuerer Zeit regulirte Strassen das Interesse des Besuchers, so die hübsche von palastartigen Häusern mit vergoldeten Balconen ein - gefasste Rua Infante D. Henrique, gewöhnlich als Rua dos Inglezes bekannt, eine der Hauptverkehrsadern der Stadt. In der breiten Rua das Flores, die eigentlich Goldschmiedgasse heissen sollte, haben sich ausschliesslich nur Goldarbeiter angesiedelt, welche die berühmten Goldfiligranarbeiten von Porto erzeugen und in reicher Auswahl in den Schaukästen exponiren.

Gegenüber von Porto ist die Vorstadt Villa Nova de Gaya ent - standen, wo die Weinhändler ihre grossartigen Lager und Kellereien erbaut haben. Mindestens 200 grosse Weingeschäfte, darunter 50 englische Häuser, besorgen von hier aus den Vertrieb der Weine vom oberen Douro (circa 300.000 hl). Zumeist geht derselbe nach Eng - land und Brasilien. Dort liegt auch das uralte Gaya, die Pflanzstadt von Porto mit 8000 Einwohnern, eine schmutzige Vorstadt, welche die Ehre in Anspruch nimmt, Portugal den Namen gegeben zu haben. 547Porto.Allerdings konnte aus Portus Cales leicht Portugal entstehen, doch ist die Ableitung aus Portus Gallorum, deren wir Eingangs Erwähnung thaten, ebenso berechtigt.

Ganz an der Mündung des Douro liegt am rechten Ufer die Hafenstadt S. Joao de Foz, welche mit Porto durch eine Dampf - tramway verbunden ist und sich als herrlicher Badeort grosser Be - liebtheit erfreut.

Vom Hafen aus überblickt man die ausgedehnte Sandbarre des Douro (Banco da Barra), auf welcher schon so manches Menschen - leben verloren ging. Eine der entsetzlichsten Katastrophen ereilte am 29. März 1852 einen der zwischen Porto und Lissabon verkehrenden Dampfer, welcher, auf die nahen Riffe geschleudert, mit 60 Personen vor den Augen der entsetzten Zuschauer am Lande förmlich zertrüm - mert worden war. Seit diesem Unglücksfalle organisirte sich in Foz eine Rettungsgesellschaft. Die Barre, auf welcher man oft fünf bis sechs Schiffe gestrandet erblickt, hat nur 3·6 m Wassertiefe im Ma - ximum und bei Springflut ungefähr 6·3 m, sie kann daher nur von kleinen Schiffen bis zu 600 Tonnen Gehalt übersetzt werden. Bei stürmischer Witterung und Seegang bildet die Barre aber ein ernstes Hinderniss, welches den Seeverkehr vollends unterbindet. Es ereignet sich oft, dass angekommene Schiffe tagelang die See halten müssen, bevor selbe die Bank übersetzen und einlaufen können.

Eine Flussregulirung durch den Bau parallel laufender Dämme ist projectirt. Man beabsichtigt, durch die Eindämmung des Douro eine schärfere Strömung zu erzielen, durch welche die Barre mit der Zeit entweder beseitigt oder doch bedeutend vertieft werden würde.

Neuestens hat der 5 km nördlich von Foz gelegene Hafenort Mathosinhos die Aufmerksamkeit der portugiesischen Regierung auf sich gezogen, und ist dort ein grosser Kunsthafen im Baue, welcher bei Benützung einer parallel zur Küste laufenden Kette von Riffen durch den Zubau von langen Wellenbrechern einer der grössten Eu - ropas zu werden verspricht.

Französische und belgische Ingenieure sind die Erbauer, und wird der Bau, welcher 1890 beendigt sein soll, mehr als 40 Millionen Gulden an Baukosten erfordern.

Der Hafen, dessen officieller Name Leixões ist, wird den grössten Seeschiffen Zugang gewähren und dürfte in kurzer Zeit die Bedeutung von Porto herabdrücken. Mit Mathosinhos wird das Hafengebiet durch einen Canal und eine Eisenbahn verbunden werden

69*548Der atlantische Ocean.

Mathosinhos besitzt ein wunderthätiges Madonnenbild, zu dem jährlich bei 30.000 Pilger wallfahren.

Porto ist der zweite Handelsplatz von Portugal und der Aus - fuhrhafen des weltberühmten Portweines, dessen Heimat etwa 80 km stromaufwärts von der Stadt, an den felsigen Ufern des Douro, in der Landschaft Paiz do Vinho, mit dem Mittelpunkte Villa Real liegt. Den meisten Portwein produciren Grossgrundbesitzer, wie die Vicom - tesse d’Alpendura, der Vicomte de Villaverda u. A.

Nachdem der Wein zwei Gährungen durchgemacht hat, führt man ihn auf Barken den Douro hinab in die hohe Schule der Weinhändler von Porto und Villa - Nova, die ihn nicht etwa in Kellern, sondern in langen, aus Backsteinen erbauten und mit Dachpappe gedeckten luftigen Schuppen aufbewahren. Hier, wo selbst bei der grössten Hitze die Temperatur nicht über 19°C. steigt, empfängt der Portwein seine eigentliche Ausbildung, welche grosse Sorgfalt und Sachkenntniss verlangt. Denn der junge Wein, der in den Niederlagen ankommt, ist fast ge - schmacklos und mehr einem Beerensafte als einem Weine, ähnlich. Erst nach fünf Jahren wird er trinkbar und erreicht im 50. Jahre seinen Höhepunkt. In den Nieder - lagen von Porto sind 100 - und 120jährige Weine keine Seltenheit.

Die erste Pipe (à 500 l) Portwein soll ihm Jahre 1678 ins Ausland verschifft worden sein, den Höhepunkt aber erreichte die Ausfuhr erst 1799 mit 57.000 Pipen durch die Thätigkeit der von Pombal 1757 gegründeten Alto Duoro Cie., welche bis 1833 bestand.

In unserem Jahrhunderte sank die Ausfuhr beständig. Man half sich 1833 1843 ohne Compagnie und liess sie in den Jahren 1843 1867 wieder auf - leben, ohne einen besonderen Erfolg zu erzielen. Die Compagnie hatte das Ver - dienst, dass nur guter Wein ausgeführt worden, weil ohne ein Bilhete der Gesell - schaft, das heisst ohne eine Bescheinigung der Güte des Weines, kein Tropfen ins Ausland geführt werden durfte. Aber jeder Weinbauer war auch ohne Gnade der Gewalt dieser Gesellschaft ausgeliefert und mit den Bilheten wurde in Oporto Handel getrieben, wie mit Eisenbahnactien an der Börse. Die im Jahre 1889 von Seite der Regierung an eine neue Compagnie ertheilte Concession begegnete dem heftigsten Widerstande in Porto.

Die Ausfuhr hat sich unter der Freiheit des Handels seit 1867 neuerdings gehoben und erreichte in den-letzten Jahren folgende Höhe: 1888 269.277 hl, 1887 281.320 hl (Werth 5·2 Millionen Milreïs), 1886 401.400 hl.

Ausser Portwein gehen über Porto noch 100.000 130.000 hl gewöhnlicher Weine nach Brasilien und Frankreich.

Der Portwein ist ein Weltwein im wahren Sinne des Wortes. In England war die Vorliebe für ihn ehedem so gross, dass man unter einem Glase Wein nur Port verstand; die Engländer kauften die schönsten Weinlagen am Douro auf und bis jetzt war auch das ganze Weingeschäft in englischen Händen; neuer - dings machen ihnen deutsche Firmen erfolgreiche Concurrenz. Mit den Engländern ist er über die ganze Welt verbreitet und überall zu finden, wo sie anzu - treffen sind.

London ist daher noch heute der bedeutendste Markt für Portwein. Grössere Mengen gehen auch nach Brasilien (1887 65.269 hl) und Deutschland (27.290 hl),

[549]
Porto (Barra da Porto, Massstab 1: 11700; Sonden in Metern auf den tiefsten Stand der Ebbe reducirt).

A Vorhafen, B B1 neue Hafendämme, C Wasserstrasse, D Contareirastrasse, E Sobreirasstrasse, F Leuchtfeuer, G Rettungsbootstation, H Praia da Fonte Nova, J Kathedrale, K Krystall - palast, L Eisenbahn-Station, M Friedhof, N Serra-Kloster. Leuchtfeuer Folgueiras: 41° 9′ n. und 40′ w. v. Gr.

550Der atlantische Ocean.

Porto verschickt Erdbeeren in ganzen Ladungen nach Lissabon und Eng - land, Hollunderbeeren in die Centren des französischen Weinhandels und andere Gartenfrüchte.

Viel wichtiger sind aber die Ochsen, welche von hier nach England gehen, und Schafwolle, denn in Entre Douro e Minho finden sich reich bewässerte Weide - gebiete, und die Einwohner sind ein fleissiger Menschenschlag. Bedeutend ist auch die Ausfuhr von Korkholz, Stöpseln und Erzen.

In der Einfuhr sind hervorzuheben Zucker (ein Drittel der Einfuhr Portugals), Weizen für die Dampfmühlen der Stadt, Mehl, dann Reis, der fast nur über Porto nach Portugal gelangt. Bedeutend ist auch die Einfuhr von Thee, dann von Tabak, für die grosse Tabakfabrik in Porto bestimmt; Fassdauben kommen zum Theile über Lissabon, die sehr grosse Einfuhr von Stockfischen findet aber direct statt.

In Porto und Umgebung bestehen vier Baumwollfabriken, daher landet hier der grössere Theil der etwa 50.000 q betragenden Einfuhr Portugals an Baum - wolle; der industriellen Bedeutung der Stadt entsprechend erreicht die Kohlen - einfuhr mehr als 1·1 Million q.

In Porto erwartet man als Folge der Bahnverbindung mit Spanien eine Steigerung der internationalen Durchfuhr nach diesem Lande.

Der Handel Portos betrug in Milreïs:

〈…〉〈…〉

Der Schiffsverkehr von Oporto betrug:

〈…〉〈…〉

Im auswärtigen Verkehre ist auch die unbedeutende Schiffsbewegung der delegaçoes von Porto enthalten.

Die portugiesische Flagge besorgt fast nur den geringen Küstenverkehr; den auswärtigen Verkehr beherrschen die englische, die deutsche, die französische, die schwedische und norwegische Flagge. Regelmässige Verbindungen mit Porto unterhalten der Neptun aus Bremen, die Oldenburg-portugiesische Dampfschiff - Rhederei aus Hamburg und Brake, der Atlas mit Hamburg, Antwerpen und Marokko und die Gesellschaft Coverley und Westray.

Porto ist Station der Eisenbahn, welche das nördliche Portugal mit Lissabon verknüpft, und besitzt nach Osten über Medina Anschluss an die grosse internationale Linie Irun Madrid Lissabon.

In Porto besteht eine Börse.

Consulate haben hier: Argentinien, Belgien, Bolivia, Brasilien (G. -C. ), Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Ecuador, Grossbritannien, Guatemala, Hawaii, Italien, Mexiko (V. -C. ), Nicaragua, Paraguay, Peru, Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

551Porto.

An der Westküste der iberischen Halbinsel muss unter den durch herrliche Lage und Reichthum an Naturproducten ausgezeich - neten Orten Spaniens die anmuthig an einem tief ins Land reichenden Fjord unter 42° 12′ nördl. Breite gelegene Stadt Vigo genannt werden.

Obgleich sie nur 13.200 Einwohner zählt, hat ihr Handel in der letzten Zeit einen namhaften Aufschwung genommen. Gleich wie Coruña ist sie einer der Hauptpunkte der spanischen Viehausfuhr nach London, die stark unter der Concurrenz der Union zu leiden hat.

Vigo, ein uralter Hafenplatz und Endpunkt einer Eisenbahn - linie, breitet sich zwischen blumengeschmückten Gärten und Bosquets höchst effectvoll am Südufer des Rias (Fjord) aus.

Zu Füssen der hochgelegenen Altstadt ist eine neue Stadt mit hübschen Häusern und Strassen entstanden. Die Kastelle San Se - bastian und Del Castro krönen die Höhen im Rücken der Stadt. Von den Wällen des letztgenannten ist ein prächtiges Panorama über die weite Einbuchtung mit ihrem fruchtbaren, malerisch bewegten Küsten - saum, an welchem allenthalben Ortschaften und Gehöfte uns entgegen - schimmern, zu geniessen.

Im Hafen von Vigo haben die Engländer mit 25 Schiffen die spanische Silberflotte angegriffen und zerstört (1585). Acht mit Silberbarren geladene Galeonen und 12 französische Schiffe gingen bei dem Kampfe unter, und andere 11 Schiffe wurden erbeutet. Viele Abenteurer versuchten, nach den versenkten Schätzen zu tauchen, ja selbst ganze Unternehmungen wurden organisirt, aber die purpurne Tiefe verwahrt noch heute und wohl für alle Ewigkeit das kost - bare Gut.

Im nordwestlichsten Theile der spanischen Küste haben drei tief eingerissene Rias eine herrliche Bai gebildet, der es jedoch an einem gemeinsamen Namen gebricht. Gegen Süden dehnt sich der Ria von Coruña, gegen Südosten das weite Wasserbecken des Ria von Betanzo, endlich gegen Osten der Ria von Ferrol. Von den Städten, welche den erwähnten Rias die Namen geben, beansprucht Coruña das meiste Interesse.

Die Stadt ist eine phönikische Gründung, die in der Folge unter die Herrschaft der Römer gerieth und unter dem Namen Ardobicum Corunium bekannt geworden war. Den heutigen Namen leiten einige von Columna ab, das ist der phönikische Leuchtthurm, der jetzt Herculesthurm genannt wird und am Eingang zum Hafen sich erhebt. Trajan liess das Bauwerk ausbessern.

Die Stadt liegt malerisch an der herrlichen Bucht, deren Ein - gang (Boca del Porto) die Forts San Anton und Santa Cruz be - herrschen; andere Befestigungen nehmen die Seefront der Stadt ein. Coruña besitzt einige sehenswerthe Kirchen, unter welchen jene von552Der atlantische Ocean.Santiago aus dem XII. Jahrhundert, die Colegiata de la Santa Maria del Campo aus dem XIII. Jahrhundert stammen.

Man unterscheidet die obere und die untere, die alte und die neue Stadt. Die letztgenannte, La Pescaderia, einst ein von Fischern bewohnter Vorort, ist gegenwärtig das elegante Quartier von Coruña, dessen schönste Strasse, die Calle Real, und baumgezierte Marina zu den beliebtesten Promenaden der liebenswürdigen Bevölkerung zählen.

Coruña war im Laufe der Zeit manch hervorragende geschichtliche Rolle zugefallen. Von hier segelte die unbesiegbare Armada am 26. Juli 1588 zur Er - oberung und Romanisirung Englands ab, um grösstentheils in sturmbewegten Fluten ein jähes Ende zu finden.

Im April 1589 bemächtigten sich Drake und Norris mit einer englischen Flottenabtheilung und 1200 Mann Landungstruppen der Stadt.

Während der französischen Occupationen von Spanien erschienen hingegen die Engländer (October 1809) unter Sir David Baird, 6000 Mann stark, zur Unter - stützung der spanischen Sache. In einer brillanten Affaire auf den Höhen von Elvira nächst Coruña wurde Soult’s mit überlegenen Kräften geführter Angriff durch Moore abgewiesen (16. Jänner 1809). Es war der letzte harte Kampf zwischen Engländern und Franzosen auf der iberischen Halbinsel.

Coruña, die Hauptstadt der Provinz Galicia, zählt 37.000 Ein - wohner.

Eine grosse Tabakfabrik (La Palloza), in welcher mehr als 300 Frauen und Mädchen beschäftigt werden, liegt in der Vorstadt Santa Lucia.

Coruñas Handel ist für spanische Verhältnisse bedeutend, denn 1888 wurden im auswärtigen Handel wohl nur um 10,397.417 Pesetas Waaren eingeführt und um 6,657·874 Pesetas ausgeführt, aber im Wege des Küstenhandels erreichte die Einfuhr 23,932.140, die Ausfuhr 20,892.027 Pesetas.

Lebendes Vieh, bestimmt für England, und Spitzen sind die Hauptartikel der Ausfuhr ins Ausland. An der Einfuhr aus dem Auslande sind gesalzene und Stockfische, Zucker, rohe Häute aus Südamerika, Steinkohlen, Petroleum und englische Baumwollwaaren am stärksten betheiligt.

Der Schiffsverkehr umfasst etwa eine Million Tons, weil diesen günstig gelegenen Platz die Cie. Générale Transatlantique auf ihrer Linie Havre-Bordeaux - Havaña und die Compañia transatlantica auf der Linie Santander-Havaña anlaufen, während der Norddeutsche Lloyd und die Messageries maritimes auf ihren La Plata-Fahrten abwechselnd hier und in Vigo anlegen. Diese Gesellschaften, zu denen noch die Royal Mail kommt, verdienen viel durch die starke Auswande - rung, welche von Galicien an den La Plata, nach Brasilien und Havaña gerichtet ist. Im Jahre 1889 zählte Coruña allein 19.254 Auswanderer, ungerechnet die Plätze Vigo und Carril.

El Ferrol, eine Schöpfung Karl III., hat als Kriegshafen nur militärische Bedeutung. Die in reizender Umgebung gelegene Stadt hat 22.500 Einwohner.

[553]

Santander.

Gewaltig brandet die oceanische See an der nördlichen Steil - küste Spaniens, die in wildromantischer Gliederung zu dem gewal - tigen Randgebirge der cantabrischen Kette aufsteigt, deren im Sonnen - glanze leuchtende Schneehäupter dem Seemanne schon von weiter Ferne sichtbar werden.

Die Küstenformation, die wenigen, aber bei Sturm schwer anzu - laufenden Häfen, dann die ebenfalls hafenlose Flachküste von Frank - reich, welche im östlichsten Theile des Golfes von Viscaya senkrecht abbiegt, gestalten die Navigationsverhältnisse im Cantabrischen Meere sehr ungünstig. Die hier mit ungeheurer Gewalt wüthenden West - und Nordweststürme wälzen enorm hohe oceanische Wogen vor sich her und zwingen jene Schiffe, welche die See nicht mehr zu halten vermögen, in einem der wenigen Häfen an dieser 550 km langen Küstenstrecke Schutz zu suchen, ein Unternehmen, welches Segel - schiffen schon oft den Untergang brachte.

Von Ferrol bis zur französischen Grenze gibt es eigentlich nur die Häfen von Santander, Santona und Passages (östlich von San Sebastian), welche Schiffen in solchen Fällen Zuflucht gewähren.

Nach Ausbau der äusseren Wellenbrecher bei Portugalette (Bilbao) wird auch dort ein gesicherter Hafen entstanden sein. Ein Blick auf die Karte sagt uns aber, dass die genannten Häfen nur im östlichsten Theile des Cantabrischen Meeres auf einer Strecke von 170 km liegen, während der ganze westliche Verlauf von Santander an bis Cap Ortegal (380 km) hafenlos verlauft. Diese Umstände machen es wohl klar, warum die Nordküste von Spanien besonders bei der Segelschiffahrt arg verrufen ist.

Bei Santander ebenso wie bei den anderen Häfen bricht die See bei West - und Nordweststürmen mit solcher Gewalt an der Einfahrt, dass Segelschiffe oft die Steuerkraft einbüssen und schliess - lich stranden.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 70554Der atlantische Ocean.

Deshalb ist es in solchen Fällen rathsam, die See zu halten bis das Wetter ausgetobt hat.

Muss aber ein Segler um jeden Preis einlaufen, weil er dem Sturme nicht mehr zu widerstehen vermag, so wählt er bei San - tander die schmale Einfahrt zwischen der Felseninsel Mouro und dem Festlande, luvt knapp unter Pt. del Puerto an und ankert so - gleich, wenn er aus den Bereich der brechenden Wellen gekommen ist. Bei solchen Gelegenheiten soll mit dem günstigen Flutstrom eingelaufen werden, denn der hinausführende Ebbestrom würde das Schiff unfehlbar auf die gefährliche Quebrantas-Bank (siehe unseren Plan) treiben.

Von der Gewalt der furchtbaren Roller auf dieser Bank zeugt die Thatsache, dass ein daselbst gestrandetes Schiff, die italienische Bark La Pace von 900 t Gehalt in der Zeit von einer Stunde gänz - lich zertrümmert war und nur einzelne Spantengruppen von dem Schiffe sichtbar blieben. Von der Bemannung konnten nur zwei Mann gerettet werden.

Jeder Winter häuft an dieser Küste eine beträchtliche Zahl von Schiffsverlusten und tausende braver Seeleute haben hier das nasse Grab gefunden. Der Hafen selbst gehört aber seiner Grösse und Sicherheit wegen zu den spanischen Häfen erster Classe.

Santander, in welcher Stadt man den Portus Blendium der Römer vermuthet, ist sowohl der herrlichen Lage wegen als auch seiner modernen schönen Anlage nach eine der schönsten Städte Spaniens, wobei nicht unerwähnt bleiben kann, dass Santander, ähn - lich wie Barcelona, gerade durch die modernen Bauten, wie die ganze Quaifront, weit mehr das Aussehen einer französischen als einer spanischen Stadt hat. Santander lagert anmuthig an der Süd - seite einer Halbinsel, welche den fjordartig eingerissenen, aber ver - sandeten und nur von Wasseradern durchzogenen Ria (Fjörd) gleichen Namens bildet. Ein etwa 70 m hoher Hügelzug dessen gartenbedeckte Abhänge reizende Villen zieren, deckt Stadt und Hafen gegen die ge - fürchteten Nordwest - und Weststürme. Von jenen Höhen aus über - blickt man den von steilen Ufern eingefassten Plan des Ria in seiner ganzer Ausdehnug.

Im Nordosten schimmert die helle Sandfläche der Playa del Sardiniero, ein köstlicher Badestrand mit kräftigstem Wellenschlag. Dort entstand eine ganze Colonie von Hôtels, Badehäusern und an - deren dem Comfort dienenden Gebäuden. Hieher und zum Leucht - feuer an den Pt. del Puerto führen hübsche Promenaden, welche555Santander.im Vereine mit der Alameda primera nnd secunda die beliebtesten und besuchtesten der Stadt sind. Die letztere bietet eine grossartige Aussicht über die Bay, das Meer und die abgrenzende Gebirgskette gegen Süden.

Ein zweiter Badestrand besteht an der Playa Magdalena west - lich der Puerto-Spitze, jedoch ist dieser Platz bestimmt, einen Theil der Hafenanlagen aufzunehmen, welche zum Schutze und zur Be - quemlichkeit der ladenden und löschenden Schiffe in Ausführung be - griffen sind. Von diesen Bauten gibt unser Plan eine übersichtliche Darstellung.

Die Stadt liegt unter 43° 38′ nördl. Br. und 48′ w. v. Gr., es gedeihen hier die Orange und Limonie äusserst üppig im Freien und bilden einen immergrünen Schmuck der anmuthigen Umgebung der Stadt.

Santander zählt 42.000 Einwohner und ist der Sitz der Pro - vincialbehörden, eines Weihbischofs von Burgos und einer Schif - fahrtsschule.

Von hier aus segelte die Flotte des heiligen Ferdinand (1248) zur Blockade von Sevilla ab, hier landete Karl V. am 16. Juli 1522, um von Spanien Besitz zu ergreifen, von diesem Hafen aus kehrte Karl I. von England nach seinem roman - tischen Besuche von Madrid in seine Heimat zurück. Bei seiner Einschiffung (1623) entging er mit knapper Noth dem Tode des Ertrinkens.

Im Jahre 1753 wurde Santander zu einem puerto habilitado, das ist einem für den Handel mit Südamerika befugten Hafen ernannt, und zwei Jahre später erhielt es den Titel einer Stadt (ciudad).

Ueber die Stadt selbst ist nicht viel zu berichten, doch ist die in gothischem Style aufgeführte Kathedrale, namentlich deren effect - voll ornamentirte Krypta sehenswerth. Dort werden die Häupter der beiden um das Jahr 300 n. Ch. enthaupteten Märtyrer S. Emeterio und S. Celedonio als kostbare Reliquien aufbewahrt. Das Baptisterium ist arabischen Ursprunges und dürfte von Andalusien, vielleicht von Sevilla herrühren.

In dem aufgelassenen Kloster de Santa Cruz ist gegenwärtig eine Tabakfabrik eingerichtet, welche 1000 Arbeiter beschäftigt.

Wichtig sind hier die Dampfmühlen, die Wollfabriken, die Papierfabriken, Erzeugung von Hanfschuhen und die in der Nähe ge - legenen Schiffswerften und Eisengiessereien.

Der Hafen der Stadt Santander ist der wichtigste der Halbinsel für den Verkehr Nordspaniens mit Nordeuropa, speciell für die Ver - sorgung der Hauptstadt Madrid, mit der ihn eine 503 km lange Eisen - bahnlinie verbindet.

70*556Der atlantische Ocean.

Nach Santander geht der grösste Theil der für Madrid be - stimmten Frachten aus England, Belgien und Deutschland.

Ueber Hamburg, Bremen und Antwerpen treten auch die Er - zeugnisse des nördlichen Böhmens via Santander in Spanien ein. Es ist ferner Haupteinfuhrplatz für Waaren aus Westindien, welche zwei Fünftel der Einfuhr aus dem Auslande umfassen. Frankreich benützt für alle werthvolleren Artikel den Eisenbahnweg über Irun.

Santander.

Von der Ausfuhr ins Ausland entfallen fünfzehn Sechzentel auf Cuba, Portorico und Südamerika.

Hauptartikel der Ausfuhr sind Producte des Ackerbaues, denn in den baskischen Provinzen und in Altcastilien wird von altersher der Getreidebau in ausgedehntem Masse betrieben und das Land kann Brotfrüchte an die anderen Provinzen Spaniens und an das Ausland abgeben.

In Santander bestehen grosse Mühlen, und Weizenmehl geht einerseits nach Cuba und Portorico und andererseits im Wege des Küstenhandels in die spanischen Häfen. Ausfuhr ins Ausland 1888 176.169 q (Werth 5·6 Millionen Pe - setas), 1887 158.371 q; Ausfuhr im Küstenhandel 1888 156.455 q (Werth 5·3 Mil - lionen Pesetas).

[557]
Santander (Massstab 1: 47.000; Sonden und Höhen in Metern).

A äusserer Hafen von Santander, B innere Hafen C Signalstation am Cast. S. Ano, D Puorto Chico, E Darsena, F Leuchtfeuer, G H Eisenbahnstationen, J projectirte Docks, K bei Hochwasser überschwemmtes Terrain, L Schutzdämme Maliano, M Wachethurm, N Stierkampf-Arena, O Kastell S. Martin, P Pulvermagazin, Q Castella de Cerda.

558Der atlantische Ocean.

Bis zu dem Vertrage vom 27. October 1886 zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten von Amerika, durch welchen die spanischen Erzeugnisse und die spanische Flagge die Begünstigungen verloren, welche sie bis dahin in Cuba und Portorico genossen hatten, war der Export Santanders dahin weitaus grösser als heute.

Andere wichtige Ausfuhrartikel sind Wein (1888 32.540 hl) und conservirte Nahrungsmittel, welche im Wege des Küstenhandels zugeführt werden.

In zweiter Linie sind zu nennen Mineralien, wie Eisenerze (1888 495.100 q), altes Eisen (78.424 q) und Quecksilber. Eisen bildet auch einen wichtigen Gegen - stand des Küstenhandels.

Unter den ausgeführten Industrieartikeln ragen hervor Feuerwaffen (1888 293 q, Werth 0·9 Millionen Pesetas), leere Säcke, Spagatschuhe (Alpargatas 1888 für 0·5 Millionen Pesetas), und Papier, namentlich Cigarettenpapier, ferner Bücher und Musikalien, zusammen im Werthe von 0·6 Millionen Pesetas.

Absatzgebiet all der Waaren, welche ins Ausland gehen, sind die spanischen Colonien.

Wir müssen bemerken, dass 1888 von der Ausfuhr durch den Küstenhandel 10·4 Millionen Pesetas, also zwei Fünftel des Gesammtwerthes auf Tabak entfallen.

Der Schwerpunkt des Handels von Santander ist die Einfuhr aus dem Auslande, der Werthziffer nach ist dieselbe recht bedeutend, aber sie setzt sich aus einer Unzahl kleiner Posten zusammen. Nur Nahrungs - und Genussmittel, ferner Steinkohlen und Petroleum ragen durch grössere Mengen und Werthe hervor.

Für die Einfuhr von Cacao (1888 25.862 q, Werth 5·2 Millionen Pesetas), aus welchem Chocolade, das Nationalgetränke der Spanier, bereitet wird, ist San - tander der erste, für Zucker (1888 75.887 q, Werth 4·5 Millionen Pesetas) und Kaffee (1888 12.726 q), die aus den nationalen Colonien stammen, der zweite Platz Spaniens.

Von allen drei Artikeln gehen grössere Mengen im Wege des Küstenhandels wieder hinaus. Auch Reis und Weizenmehl gelangen zur Einfuhr.

Für unbearbeitetes, gewöhnliches Holz ist Santander nicht unwichtig; Ein - fuhr 1888 22.819 m3, Werth 1·1 Million Pesetas.

In der Gruppe der Textilindustrie sind besonders hervorzuheben Schaf - wollwaaren (1888 für 1·2 Millionen Pesetas) und Baumwollstoffe mit der Hälfte des Werthes der ersteren.

Die Einfuhr von Papier erreichte 1888 knapp 300.000 Pesetas.

Hervorzuheben sind Pflanzenöle, ausgenommen Olivenöl, das im Küsten - handel zugeführt wird, dann Stärke und Dextrin.

Von thierischen Nahrungsmitteln sind hervorzuheben Fette, Schwein - schmalz und Fleisch, vor allem aber Stockfische (1888 44.865 q) aus Norwegen.

Sardinen kommen im Wege des Küstenhandels.

Für Tabak und Tabakfabricate ist Santander der wichtigste aller spanischen Häfen. Im Jahre 1888 wurden 49.805 q (Werth 7·1 Millionen Pesetas), Blättertabak von Habana und den Philippinnen eingeführt, die Einfuhr von Fabricaten erreichte einen Werth von beinahe 4 Millionen Pesetas.

Die Einfuhr von Eisen, Stahl und aus diesen gefertigten Waaren über - steigt nicht den Werth von 2 Millionen Pesetas; Nägel, Weissblech und Eisen - bahnschienen sind die wichtigsten Einfuhrartikel dieser Gruppe.

559Santander.

Die Einfuhr von Thon - und Glaswaaren ist ziemlich beschränkt.

Von englischer Kohle wurden 1888 668.138 q eingeführt, von amerika - nischem Petroleum 55.168 q.

Aus dem Auslande kommt meist Rohpetroleum, im Küstenhandel wird raffinirtes versendet.

Handel in Pesetas:

〈…〉〈…〉

Der Schiffsverkehr erreichte folgende Höhe:

〈…〉〈…〉

Nach der spanischen sind die französische und die englische die wichtigsten Flaggen.

Da Santander der erste spanische Hafen ist, welchen Echelleslinien, deren Kopfstation im nördlichen Europa liegt, anlaufen, so wird eine Reihe von Dampfern, welche im internationalen Verkehre einlaufen, beim Auslaufen beim Küstenverkehre verzeichnet.

Santander steht in regelmässiger Dampfschiffsverbindung mit Hamburg, Bremen, französischen und englischen Häfen, ist ferner Station der Linie Hâvre Bordeaux Habana Veracruz der Compagnie générale transatlantique und Kopf - station der Compañia transatlantica, welche von hier über Coruña und Vigo nach Portorico und Habana geht.

Santander ist Landungsstelle von zwei Kabeln der Direct Spanish Tele - graph Cy., welche von Falmouth in England ausgehen.

Consulate haben in Santander: Argentinien, Belgien, Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien, Guatemala, Italien, Mexico, Niederlande, Peru, Sal - vador, Türkei, Venezuela.

[560]

Bilbao.

Zu den bedeutendsten Einrissen der nordspanischen Küste zählt der Ria (Fjord) von Bilbao, in welchen der Gebirgsfluss Nervion, auch Ausa genannt, einmündet. In vielfach gewundenem Laufe und von fruchtbaren Vegas begleitet durchfliesst dieser ein blühendes, stellen - weise schluchtartig eingeengtes Thal, welches vermöge seiner gross - artigen und wechselvollen Naturscenerien zu den landschaftlich schönsten Gebieten Spaniens gezählt werden kann. Dort thront, 12 km von der Mündung bei Portugalete entfernt, in reizender Umgebung und male - risch zu beiden Seiten des Flusses aufgebaut, die Stadt Bilbao, die Unbesiegte, deren Bedeutung als wichtigster Exportplatz Spaniens für Eisenerze, bearbeitetes Eisen und Stahl in der letzten Zeit wesent - lich zugenommen hat.

Der Hafen wird durch die Berge d’Orchanda im Norden, de Morro im Osten und Maravilla im Süden geschützt; gegen Nordosten, woher eben die meisten Winde und eisigen Stürme kommen, ist er ganz offen. Diese ursprünglichen Verhältnisse waren der Schiffahrt durch - aus abträglich gewesen, aber seit dem Jahre 1878 hat die spanische Regierung durch kostspielige Kunstbauten zahlreiche Verbesserungen geschaffen und andere in Aussicht genommen, so dass der Seeverkehr hier binnen Kurzem die weitesten Erleichterungen finden wird. Die Flussregulirung, der Bau des neuen Dammes (Eisenrostwerk) bei Por - tugalette, die Baggerungen an der Flussbarre daselbst, die Errichtung von Bassins am Flusslaufe, die prächtige elektrische Beleuchtung durch eine grosse Zahl von Bogenlichtern, welche das linke Ufer des Rio bis Desierto markiren, all diese Werke haben Bilbao erst den Charakter eines modernen Seehafens aufgeprägt. Neuestens wird an die Abschliessung eines äusseren Hafens durch den Bau zweier mächtiger Dämme, und zwar des Rompeolas (Wellenbrecher) im Süden und des Contramuelle (Gegendamm) im Norden geschritten, wodurch ein gross - artiges gegen den Ansturm der hohen See geschütztes Becken ge -561Bilbao.wonnen werden wird, wie ein solches in dieser Ausdehnung kein anderer Kunsthafen der atlantischen Küste aufweist.

Auf unserem Hafenplane haben wir die Strecke von Portugalete bis einschliesslich Desierto, dann den projectirten Vorhafen und end - lich die Stadt und Umgebung von Bilbao dargestellt, so dass wir uns in der nachfolgenden Schilderung hierauf beziehen können.

Bilbao (baskisch Ibaizabel) entstand um das Jahr 1300 n. Chr., ist also im Vergleiche zu den bisher besprochenen Handelsplätzen

Bilbao.

eine jüngere Schöpfung, welche erst während der letzten Jahrzehnte die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat.

Durchaus Handelsstadt, besitzt sie nur wenige Objecte von wahrem Kunstinteresse; mehrere ihrer älteren Kirchen und Klöster gingen während des Carlistenkrieges zu Grunde oder wurden aufge - hoben, so dass gegenwärtig nur die drei Kirchen: Santiago, San Antonio und Arrichinaga, sämmtlich dem XIV. Jahrhundert entstam - mend, einen Besuch lohnen. Dagegen muss erwähnt werden, dass Bilbao vielleicht die regelmässigst gebaute, reinlichst gehaltene, best gepflasterte Stadt von ganz Spanien ist.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 71562Der atlantische Ocean.

Höchst effectvoll ist das Bild der Stadt von einer der vier Brücken, welche hier den Nervion übersetzen. Steile Abhänge, mit reichem Pflanzenwuchs bedeckt, blühende Promenadengärten bilden die anziehende Umgebung der Stadt, deren einfach, aber fest gebaute Häuser hinabblicken auf den in scharfen Windungen dem Meere zu - eilenden Fluss. Dampfer qualmen und Schiffe lüften die Segel, wäh - rend Eisenbahnzüge das schwere Erz herbeibringen, damit es durch die mächtigen Krahne, welche hier in grosser Zahl vorhanden sind, rasch eingeladen werde.

So ist denn Bilbao, dem einst die Rolle einer stillen Fluss - sperre zugefallen war, zu frischem Leben erwacht und betrat mit seinem materiellen Aufschwung die Bahn einer unabsehbaren Ent - wicklung.

Die unerschöpflichen Erzlager in der Nähe des linken Flussufers waren die Wünschelruthe, welche die Stadt aus langem Schlummer erweckte und welche der Stadt eine glänzende Zukunft sichert. Bilbao, welches 1870 erst 20.000 Einwohner hatte und gegenwärtig bereits 53.000 zählt, nimmt an Ausdehnung rasch zu; neue Stadttheile mit hübschen breiten Strassen sind vornehmlich am linken Nervionufer entstanden, eine katholische Universität erhebt sich am rechten Strande und schattige Promenaden begleiten den Flusslauf. Was aber der Stadt und ihrer Umgebung so recht den Charakter eines modernen Handelsgebietes aufprägt, das ist der Reichthum an Eisenbahnen. Ausser den nach Durango und in das Ebrothal führenden Schienen - strängen, ist Bilbao durch beiderseits des Flusses laufende Linien mit dem Seehafen verbunden und fünf Bergwerksbahnen, welche die ausgedehnten Minendistricte durchziehen, münden an den Quais im Unterlaufe des Nervions.

Dort haben sich knapp am linken Ufer grosse Hüttenwerke, Fabriken und Ladestationen installirt, in welchen ein Theil des Erzes verarbeitet, der Ueberschuss aber exportirt wird: zunächst an Bilbao die Giesserei El Nervion , dann weiter gegen El Desierto die Lade - quais und Magazine der Minen von Orconera und Luchana, dann jene der Compania Franco-Belga, woran die grossartigen Etablissements der Eisen - und Stahlfabrik der Gesellschaft Altos Hornos grenzen. Zu Füssen der Höhe von El Desierto rauchen die Hohöfen von S. Francisco, und Schienenstränge laufen zu weiten Quais; weiter gegen See hat sich die Giesserei D. Fernando Alonso und nächst derselben auf der Fläche der Playa de Lestao die Eisengewerkschaft der Sociedad-Vizcaya , welche auch ein weitläufiges Bassin für eine563Bilbao.grosse Zahl von Seeschiffen erbaut, angesiedelt; endlich zunächst des Ortes Portugalete mündet die Bahn der Minen von Galdames zur gleichnamigen Ladestation, welche auch mit dem Schienenstrange der Bahn nach Bilbao in Verbindung steht.

Bei Portugalete steht das grosse Maschinenhaus, in welchem die Dynamos zur Erzeugung des elektrischen Lichtes für die splendide Hafenbeleuchtung betrieben werden.

Man kann sich bei der sonst in Spanien selten anzutreffenden lebhaften industriellen und Handelsthätigkeit das bewegte Treiben an den Ufern des Nervion wohl vergegenwärtigen. Allmälig beginnen denn auch die beiden Städtchen Portugalete und Las Arenas, besonders letzteres, an Umfang zuzunehmen und werden als die eigent - lichen Hafenplätze von Bilbao gewiss zur Blüthe gelangen.

Portugalete wurde während des Carlistenkrieges in den Jahren 1873 bis 1876 durch ein Bombardement (1874) hart mitgenommen, worauf die Carlisten capitulirten. Beachtenswerth ist die im gothischen Style erbaute Kirche Sta. Maria.

Las Arenas ist die Villenstadt von Bilbao und ein beliebter Badeort, der über einen prächtigen sandigen Badestrand verfügt.

Die beiden Hafenorte sind durch Tramwaylinien mit Bilbao und durch Ferryboote miteinander verbunden.

Bilbao wurde während des Carlistenkrieges viel genannt, und aus jener Zeit stammt der Beiname la invicta , die Unbesiegte, her. Von 10.000 Mann Miliztruppen vertheidigt, hielt die Stadt eine Be - lagerung durch das Carlistenheer standhaft aus, bis am 2. Mai 1874 ein spanisches Corps nach dem Siege bei La Muñecao zum Entsatz herbeieilte und die Carlisten zum Rückzug zwang.

Bilbao war in früherer Zeit ein wichtiger Werftenplatz, und um das Jahr 1500 muss der Handel hier sehr lebhaft gewesen sein, weil damals ein eigenes Handels - amt (Consulado de Comercio) zur Regelung der Handelsoperationen durch den König eingesetzt worden war, welches bis 1844 existirte und dann den Titel Junta de Comercio annahm.

Die Weisungen (Ordonanzes) des Consulado scheinen wohl erwogen gewesen zu sein, denn nach deren Sanction durch den Habsburger Philipp II. (15. Decem - ber 1560) wurden sie zu Vorbildern für die Handelsgesetze und Verfügungen der wichtigsten Seehäfen des Auslandes.

All dieser alte Glanz ist aber nicht zu vergleichen mit der Entwicklung in unseren Tagen, welche Blüthe, wie schon erwähnt, mit der Nachfrage nach den reichen Lagern chemisch reiner Eisen - erze, die in nächster Nähe von Bilbao schlummerten, zusammenhängt. Wesentlich gefördert wurde dieser Aufschwung durch den Umstand,71*564Der atlantische Ocean.dass Bilbao inmitten der fleissigen baskischen Bevölkerung liegt, wie denn überhaupt der Nordspanier, ähnlich wie der Norditaliener, an Energie und Arbeitskraft seinen südlichen Compatrioten weitaus überragt.

Im Nordwesten in Galicien wohnen die ernsten Gallegos, die wir in ganz Spanien als Lastträger, Dienstmänner, Wasserträger un - ermüdlich thätig finden. Sie suchen zu ersparen, was nothwendig ist, um sich in ihrer Heimat ein kleines Stück Land zu kaufen und dann in verhältnissmässiger Ruhe die Früchte der schweren Arbeit zu geniessen.

Fleissig sind auch die Bewohner von Asturien und der Provinz Santander, aber allen voran gehen die Basken, in deren Lande Bilbao liegt. Ihre schlanken, wohlproportionirten grossen Gestalten bekunden in ihren Gesichtszügen die zähe Willenskraft, die Verschmitztheit und Schlauheit, welche sie befähigt hat, selbst mit den Catalonen in der Pflege des Handels und der Industrie mit dem besten Erfolge zu wetteifern. Ihrer Arbeitslust und Energie verdanken sie auch das An - sehen, das sie im Auslande, besonders in Argentinien geniessen, wo - hin sie, unzufrieden mit der Regierung Spaniens, zahlreich ausge - wandert sind. Ihre dortigen Landsleute gehören zu den einflussreichsten und am meisten begüterten der spanischen Colonie.

Die Basken sind seit urdenklichen Zeiten befähigte Arbeiter in Eisen, denn ihr Land ist ein Eisenland, und seine unerschöpflichen Schätze werden nirgends stärker ausgebeutet als bei Bilbao.

Der Schiffsverkehr Bilbaos ist daher grösser als der irgend eines spanischen Hafens, ganze Flotten sind dem Transporte des Eisens gewidmet.

Mit Vollendung des neuen Hafens wird Bilbao auf der ganzen Strecke von Cherbourg bis Vigo an der Nordwestspitze Spaniens der einzige Zufluchtshafen sein, der diesen Namen wirklich verdient. Dann ist die Möglichkeit gegeben, dass Bilbao an Stelle von Santander ein wichtiger Einfuhrhafen Spaniens, der Ausgangspunkt der trans - atlantischen Dampfer werde. Jetzt aber ist Bilbaos gesammter Ver - kehr vollständig abhängig von der Gewinnung des Eisens.

Anfangs der Siebzigerjahre lenkte der grosse Eisenbedarf in England die Aufmerksamkeit der Eisenwerksbesitzer auf die Production des Auslandes hin, um den bedeutenden Engagements nachkommen zu können. Da war es denn, dass Krupp in Essen, John Brown, die Dowlais Iron Co., Messrs. Bolkow & Vanghan, die Societé Montataire und andere englische und französische Firmen, auf die reichen Erzlager von Sommorostro aufmerksam geworden, in Gemeinschaft mit der Firma Ibarra in Bilbao und anderen localen Firmen daselbst eine Reihe von[565]

Bilbao (Massstab 1: 33.800; Sonden und Höhen in Metern).

A Bay von Bilbao, A1 projectirter Aussenhafen, B Südwest - oder Portugalete-Molo, C Mojajonera-Steinwurf, D Bäder, Eisenbahnstation, E Station der Galdames-Bahn, F elektrische Geleitfeuer, F1 grosses elektrisches Leuchtfeuer, F2 äussere elektrische Leitfeuer zur Hochwassermarkirung, G projectirtes Bassin La Vizcaya, H projectirte Bauten, J Darsena de Axpe, K Kloster S. Nicola, L Eisengiesserei N. S. del Carmen, M Darsena (Bassin), N Ria de Galindo, O Eisenbahn Bilbao-Portugalete, P Triano - Eisenbahn, Q Mallona-Friedhof, R projectirte Station der Bahn nach Portugalete, S Abando-Kirche, T Eisenbahnstation, U Arena, V Arenal-Brücke, W Achuri-Brücke, X Calle de la Ribera, Y Gefängniss, Z Passeo del Campo del Volantin. 1 Paseo de lo Caños, 2 Wehrdämme im Rio Nervino, 3 Portlandcement-Fabrik, 4 Miravilla-Tunnel 5 Eisenbahnstation nach Arenas, 6 projectirte Bahn nach Lezama, 7 8 9 Batterie.

566Der atlantische Ocean.Bergwerksgesellschaften gründeten. Diese Gesellschaften statteten das Minengebiet mit Eisen - und Drahtseilbahnen aus. Die beiden Qualitäten: billige Herstellungs - kosten und vorzüglichc Eignung zur Stahlbereitung liessen immer mehr Con - currenten um die überaus reichen Minen erstehen.

Manche Minen, wie die von Galdames, Gallarta und Sommorostro, sind in - folge der starken Ausbeute fast erschöpft, ihr Inhalt ist in den Werken von Middlesborough, Cardiff, Glasgow, Newcastle, Sunderland, in Seraing und von Krupp in Essen verarbeitet worden, und selbst die Union tritt hier als Käufer auf.

Nun kommt der Sopuerta-District an die Reihe, und Bilbao, das heute durch eine Zweigbahn nach Miranda an die Schnellzugslinie Bayonne-Madrid angeschlossen ist, will durch das Sopuerto-Thal einen neuen Anschluss an die Bahn Santander - Valladolid gewinnen.

Die drei grössten Gesellschaften, welche Roheisen produciren, heissen Vizcaya, San Francisco und Altos Hornos. Sie beziehen Kohlen und Coaks aus England, und Kohlen in steigenden Mengen aus den Bergwerken Asturiens, von wo 1889 schon 360.000 q kamen. Sobald die im Bau begriffene schmalspurige Bahn von Bilbao nach Asturien (200 km) fertig sein wird, hofft man, aus Asturien und Palencia 4,000.000 q Kohlen beziehen zu können. Die Vizcaya hat jetzt 144 Oefen zum Vercoaksen von Steinkohlen aufgestellt und eine Reihe ist im Bau.

Als die grössten Eisen - und Stahlwerke Europas einmal Käufer baskischer Erze waren, lag es diesen Leuten nahe, an Ort und Stelle grossartige Fabriken zur technologischen Verarbeitung der Erze in Stahl, Bleche, Schienen etc. anzu - legen und so mindestens Transportkosten zu ersparen.

Die industrielle Thätigkeit Bilbaos umfasst denn nun auch eine ganze Reihe von Zweigen der Eisenindustrie. Ausser Roheisen wird Stahl dargestellt und anfangs 1889 erschien eine kleine Sendung desselben sogar auf dem englischen Markte. Es wird wohl bei diesem Versuche bleiben, weil die englischen Kohlen in Bilbao theuer sind. Für den spanischen Markt erzeugt man hier seit 1887 Stahlschienen, Stahlblech und Weissblech unter Leitung englischer Ingenieure.

Englisches Capital hat daselbst die Naval Construction and Armament Cy ins Leben gerufen, welche eiserne Schiffe baut und den lange schon erloschenen Ruf von Bilbao als Werftenplatz, der es in früheren Jahrhunderten war, wieder er - neuert. Eine spanische Compagnie will Waffen erzeugen.

Eisen und eine kleine Menge Wein sind die einzigen Artikel, welche Bilbao ins Ausland führt.

Es wurden ausgeführt Eisenerze 1889 ungefähr 39,000.000 q, 1888 36,305.330 q (Werth 36·3 Millionen Pesetas), 1887 41,022.206 q, Roheisen 1888 732.679 q (Werth 4·8 Millionen Pesetas), 1887 1,141.426 q.

Für Eisenerze sind noch zu nennen der kleine Flusshafen Poveña und Castro Urdiales, das wohl schon in der Provinz Santander, aber nahe bei Bilbao liegt. Ausfuhr des letzteren 1888 2,781.210 q.

Die Ausfuhr Bilbaos im Wege des Küstenhandels erreichte in Roheisen 1888 668.135 q, in Stahl 88.704 q, in Eisenfabricaten 3352 q.

Der Gesammtverkehr dieser Producte betrug 1888 14·8 Millionen Pesetas.

Ins Ausland wurden 1888 35.757 hl, im Küstenverkehre 38.084 q Wein ausgeführt. Der Haupthafen für den Weinexport dieser Gegend ist das östlich von Bilbao gelegene Pasajes (Ausfuhr 1888 642.882 hl). Die Ausfuhr von Schaf - wolle ins Ausland betrug 1888 6182 q.

567Bilbao.

Wichtige Ausfuhrartikel des Küstenverkehres sind ferner Weizenmehl, Seife, Sardinen, die seit einigen Jahren in bedeutenden Mengen an der Nordküste Spaniens gefangen werden, Dynamit, raffinirtes Petroleum und Schafwollstoffe.

Die Einfuhr Bilbaos dient nur der Versorgung der Umgebung.

Bilbao hat wegen seiner Eisenindustrie unter allen spanischen Häfen die grösste Einfuhr von Cement (1888 74.153 q), von feuerfesten Ziegeln (58.740 q), von Steinkohlen (1888 1,211.583 q, 1887 1,213.280 q) und von Coaks (1888 2,182.916 q, 1887 1,611.030 q).

Im Wege des Küstenhandels wurden 1888 299.561 q spanischer Kohlen und 107.224 q Cement zugeführt. Nicht minder wichtig ist Bilbao für die Einfuhr von Eisen und Eisenwaaren. Nach dem allgemeinen Zolltarife gingen 1888 besonders Stangeneisen, Röhren, Weissblech (14.444 q) und andere Eisenwaaren (15.136 q) ein für die Zwecke der Eisenbahnen, im Ganzen 52.240 q im Werthe von 1 Million Pesetas.

Zu nennen ist noch die Einfuhr von Zinn und Zink aus dem Auslande, von Zink und Blei durch den Küstenhandel.

Den Zwecken des Ackerbaues dient die Einfuhr von salpetersaurem Natron (1888 57.817 q), denen der Industrie die von Pulver, chemischen Producten, Paraffin, Palm - und Cocosnussöl (1888 10.498 q), ferner die von Rohjute, von Hanf - und Leinengarnen (1888 14.061 q). Wir heben hervor, dass Alpargatas (Hanfschuhe) auch in den baskischen Provinzen mit Vorliebe getragen werden.

Von Geweben sind zu nennen Baumwollstoffe, besonders aber Schafwoll - stoffe, letztere 1888 um 968.000 Pesetas. Glaswaaren, feine Thonwaaren und flache Gläser kommen meist im Wege des Küstenhandels ein.

Der Industriebezirk von Bilbao muss viele Nahrungsmittel einführen. Es ist im ausländischen Handel Spaniens erster Einfuhrplatz für Stockfische aus Schweden und Französisch-Neufoundland, von denen grosse Quantitäten im Wege des Küstenhandels umgesetzt werden (1888 94.583 q, Werth 6 Millionen Pesetas).

Bilbao ist ein wichtiger Ort für Reis, Weizen und Hülsenfrüchte (Einfuhr der letzteren 1888 62.305 q aus Rumänien, Italien, Marokko und Frankreich), für Zucker (18.020 q), Cacao (1888 7322 q), Kaffee, Sprit (17.701 hl), für Schwein - fleisch und thierisches Fett. Im Wege des Küstenhandels werden Hülsenfrüchte und Sardinen eingeführt.

Holz schickt meist Schweden; die Einfuhr geht zurück.

Wir schliessen mit der Einfuhr von Petroleum; rohes kommt aus Amerika (1888 75.224 q), raffinirtes im Wege des Küstenhandels.

Der Handel von Bilbao betrug in Pesetas:

〈…〉〈…〉

Schiffsverkehr von Bilbao:

〈…〉〈…〉
568Der atlantische Ocean.

Der stärkste Küstenverkehr findet statt mit Barcelona, Santander, Gijón und Sevilla.

Im auswärtigen Verkehr herrscht die englische Flagge vor, welche das baskische Eisen nicht allein nach England bringt, sondern auch einen grossen Theil desselben nach den anderen Ländern.

Auf die englische Flagge folgt die spanische, welche überwiegend den Küstenverkehr besorgt, hierauf die französische, dann die deutsche, meist reprä - sentirt durch Dampfer der Firma Krupp und durch die Linie Roca aus Ham - burg, endlich die niederländische und die belgische.

Durch die günstigen Verhältnisse ist der Reichthum der Provinz Viscaya gestiegen, den Beweis dafür gibt der Ausweis der Bank von Bilbao für das Jahr 1888, nach welchem sie 100 Millionen Gulden Depositen verwahrt. Nicht zum kleinsten Theile verdankt sie diese Blüthe der Freundschaft, die sie dem ausländischen Capitale entgegenbringt, welches hier eine Anlage in industriellen Unternehmun - gen sucht.

Aber auch die Energie der Bevölkerung ist nochmals rühmend hervorzu - heben. Um ihre überschüssigen Capitalien anzulegen, gründet sie Papier -, chemi - sche und Waffenfabriken und schafft normal - und schmalspurige Eisenbahnverbin - dungen.

Consulate haben hier: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien, Mexico, Niederlande, Nicaragua, Paraguay, Peru, Salvador, Schweden-Norwegen, Türkei, Uruguay, Venezuela.

[569]

Bordeaux.

Von der Höhe der imposanten Steinbrücke Pont de Bordeaux, welche mit 17 elegant geführten Bögen die Garonne übersetzt, erhält der Beschauer wie von keinem anderen Punkte der Stadt aus einen herrlichen Ueberblick über das reiche Gemeinwesen von Bordeaux, das unter dem Segen eines blühenden Seehandels 100 km von der oceanischen Küste entfernt an den rebenumsäumten Ufern des mäch - tigen Stromes entstanden ist.

Die glänzende Häuserfront des 7 km langen Quais ist das Spie - gelbild des gediegenen Welthandels, welcher Bordeaux zur einer der schönsten und prächtigsten aller Städte Frankreichs emporgehoben hat. In der That gestattete der in Bordeaux zusammenfliessende Reichthum, die Stadt durch prunkvolle Kunstbauten und Anlagen zu schmücken, welche, mit unvergänglicher Anziehungskraft bestechend, der Welt - handelsstadt einen vornehmen Charakter aufprägen. Eine Zahl breiter, schnurgerader Strassenzüge, von hohen palastartigen Gebäuden mit mehrfachen Balconreihen und platten Dächern eingefasst und schön gepflastert, münden am Quai aus, den sie mit den öffentlichen Plätzen im Innern der Stadt verbinden.

Meist sind es die Pulsadern des grossen Verkehrs, wo der Glanz reicher Kaufhallen in verschwenderischer Pracht uns fesselt. Herr - liche Kirchen, Theater, Triumphbögen, Statuen und Bildsäulen, Wasser - werke, stylvolle Anlagen und Prunkbauten zieren allenthalben Plätze und Strassen. Der Gesammteindruck ist in hohem Grade bezaubernd.

Ausserhalb der alten Stadt sind die Häuser meist einstöckig und besitzen fast durchwegs kleine Gärten, wodurch die Stadt eine verhält - nissmässig bedeutende Ausdehnung gewonnen hat.

Die Stadt ist auf flachem Terrain erbaut, welches von 7 m Höhe am Quai bis 23 m am Boulevard Tondu am westlichen Stadt - ende aufsteigt.

Gegen Norden des Pont de Bordeaux liegt das eigentliche Hafen -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 72570Der atlantische Ocean.gebiet der Stadt. Hunderte von Schiffen beleben die Ufer oder sind im Flusse selbst vertäut. Hier herrscht ein lebhaftes Treiben, ein reger Verkehr, denn hier laufen die Handelswege aus allen über - seeischen Ländern, aus allen Meeren zusammen. Die Schätze aller Welttheile und die Erzeugnisse der eigenen Landesindustrie lagern in ambulanten Waarendepôts auf den breiten Quaiflächen, über welche der Schienenstrang führt.

Ort, Inhalt und Form häufig wechselnd, sind diese fliegenden Depôts eine malerische Staffage des Quaibildes, dessen Effecte durch das Zusammenströmen der verschiedenartigsten Volkstypen zu eigen - artigem Interesse gesteigert werden.

Ueber die Brücke selbst wogt der rege Verkehr, der zwischen der Vorstadt La Bastide und Bordeaux sich entwickelt hat. Die breite Avenue Thiers, welche die genannte Vorstadt in einer Länge von mehr als einem Kilometer durchschneidet, stellt sich von der Brücke aus in schöner Perspective dar. Der Thurm der sehenswerthen Marien - kirche, eines erst 1886 beendigten stylvollen Bauwerkes von Abadie, ist über der nördlichen Häuserzeile sichtbar.

Gegen Westen in der Verlängerung der Brücke öffnet sich der breite und glänzende Cours Victor Hugo, an dessen Eingange ein an Stelle der bestandenen Porte de Bourgogne errichteter Triumphbogen sich erhebt; Napoleon I. liess denselben für den feierlichen Durchzug der zur Occupation von Spanien bestimmten Truppen erbauen.

Solcher Triumphbögen besitzt die Stadt mehrere, und deren Anlage war durch die herrlichen Strassenzüge begünstigt, welche durch ihre reizenden perspectivischen Fernsichten so trefflich die Grösse und den Prunk Bordeaux zur Anschauung bringen.

Die Ausmündung der prächtigen Avenue Alsace-Lorraine am Quai liegt, wie unser Plan zeigt, etwas nördlich der Brücke. Die Avenue führt in einer Länge von etwa 1 km zur Kathedrale, deren gothische Thürme hoch über das Stadtniveau emporragen.

Einen prächtigen Anblick gewährt die Place de la Bourse, die, von der Douane und dem mit herrlichem plastischen Schmuck ge - zierten Börsengebäude flankirt, sich gegen den Quai öffnet. Neben der Börse mündet auf den Richelieu-Platz der Cours du Chapeau - Rouge, eine breite, unter wechselnden Namen (Cours de l’Intendance, Rue Judaïque) gegen West weiterziehende Strasse von fast 3 km Länge. Sie bildet den vornehmsten Zugang zum Geschäftsviertel der Stadt, denn merkwürdigerweise ist der so herrlich gelegene Quai weder das Quartier der vornehmen Welt, noch jenes des Handels von Bordeaux. 571Bordeaux.Das geschäftliche Leben hat sich in der Umgebung des oben er - wähnten Strassenzuges im Innern der Stadt concentrirt und auf dem Gebiete zwischen dem Jardin Public, der Place Gambetta, der Rue Ste. Cathérine gegen den Quai zu, findet man ebenso die ersten Hôtels der Stadt, wie die glänzendsten und am besten ausgestatteten Waarenmagazine. Das ist auch der Stadttheil, den zu gewissen Tages - stunden und bei Nacht das grossstädtische Leben durchflutet.

Noch weiter nordwärts fällt der Blick auf die stylvolle Anlage der Place des Quinconces, die auf den Quai Louis XVIII. mit schönen Monumentaltreppen ausmündet. Es ist der grösste Platz der Stadt. Hier stand einstens das alte Castell Trompette. Von schönen Gebäuden flankirt, die an der Ostseite des Platzes halbkreisförmig zurücktreten und eine reizende Fontaine umschliessen, ist die Anlage von einem Saum schattiger Baumpflanzungen umgeben, wohingegen die höher - liegende Mittelterrasse die Marmorstatuen Montesquieus und Mon - taignes sowie zwei schöne Säulen (Colonnes rostrales) mit den allego - rischen Figuren des Handels und der Schiffahrt trägt.

An der Quaiseite haben zwei hübsche Badehäuser Platz ge - funden.

Die Namen einzelner Theile der Anlage erinnern an das orlea - nische Königthum, so die Allée d’Orléans, die Allée de Chartres, Cours XXX-Juillet u. a.

Auf der Höhe der Place des Quinconces wendet sich die Garonne in leichter Curve gegen Nordost. Hier erstreckt sich nun der Quai des Chartrons, an welchem die Dampfer für den Verkehr auf der Gironde anlegen; weiter folgt der Quai de Bacalan, das Hauptquartier der grossen Dampfschiffahrt-Gesellschaft Messageries maritimes.

In dem hieran grenzenden Stadttheil, also am Nordende von Bordeaux, befinden sich die wunderbarsten Kellereien der Welt, die Depôts der hiesigen Weinfürsten, ebenso berühmt durch Ausdehnung wie durch Einrichtung und enormen Umsatz; in manchem derselben liegen Weine für 2 3 Millionen Francs.

Die Firmen Calvet, Guestier, Crouse, Journu, A. Lalande, Damas et Paris, Eschenauer, Keyl, Blanchy, Johnston, Richard et Muller u. a. zählen zu den bedeutendsten des Weingeschäftes.

Längs des Hafenquais können Schiffe bis zu 2500 Tonnen Ge - halt anlegen, grösseren Schiffen dient das geräumige Bassin à Flot, welches, durch ein Schleusenwerk mit dem Flusse verbunden, das Niveau des Hochwassers behält. Die Gezeiten sind nämlich hier noch sehr fühlbar und bringen im Hafen einen Niveauunterschied bis zu72*572Der atlantische Ocean.4·3 m mit sich. Die wechselnde Stromrichtung ist den ein - und aus - laufenden Schiffen von grossem Nutzen.

Der Hafen ist mit stabilen und laufenden Krahnen von 1·5, 3 und 6 t Tragfähigkeit reichlich versehen. Für sehr schwere Lasten bis zu 50 t dient ein grosser Krahn, im Bassin endlich stehen vier mobile Dampfkrahne mit je 1·5 t Tragfähigkeit zur Verfügung der Schiffe.

Die Navigationsverhältnisse von Bordeaux sind recht ungünstig. Grosse Schiffe haben bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden, bevor sie die herrliche Stadt erreichen, dazu sind die Pilotenge - bühren hoch.

Die Mündung der Gironde ist zwischen den Leuchtfeuern des Städtchens Royan im Norden und der Pointe de Grave im Süden ungefähr 5·5 km breit; von hier aus weitet sie sich gegen den Ocean zu trichterförmig aus. Ausgedehnte Barren und Riffe hat der wasser - mächtige Fluss hier abgelagert, zwischen welchen die Fahrstrassen Passe du Nord mit 8·6 m und Passe de Sud 6·4 m Wassertiefe bei Ebbe hindurchführen. Die ganze Umgebung der Mündung ist durch ge - eignet situirte Leuchtschiffe, Leuchtbojen und Leuchtthürme markirt. Das bedeutendste der Feuer wird auf dem Riff Cordouan 59 m hoch über dem Meere gezeigt und ist auf 39 km sichtbar.

Innerhalb der Barren ist bis zu 30 m tiefes Wasser vorhanden, jedoch schon auf der Höhe von Richard steigt der Grund bedeutend auf. Man findet dort nur mehr 6 m Wassertiefe und weiterhin zwi - schen den Bänken und Inseln der Gironde gegen den Zusammenfluss der Garonne und Dordogne (26 km von Bordeaux entfernt) sinkt die Tiefe des Fahrwassers auf 4, ja selbst auf 3 m herab, so dass grössere Schiffe nur bei Hochwasser vorzudringen vermögen, welches das Niveau des Flusses bei Springflut um 4·3 m erhebt. Doch wurde im Frühjahr 1889 das ärgste Hinderniss, die Ablagerungen im schiff - baren Canal auf der Strecke zwischen Brazil und Pauillac, entfernt. Aber ganz grosse Schiffe, wie die der Pacific Steam Navigation Cy., bleiben draussen im Vorhafen Pauillac, der durch die Médoc - Eisenbahn mit Bordeaux verbunden ist.

Die Entwicklung des Handels von Bordeaux drängt, weil der Hafen im Verhältniss zu seinem Verkehr denn doch zu beschränkt ist, zu vielfachen Ameliorationen. Ausser einer durchgreifenden Bag - gerung, wird die Erweiterung des Bassins à Flot und die Verbindung desselben durch einen Canal und eine Schleuse mit der Einbuchtung von Grattequina geplant, wo die grossen Schiffe eine Wassertiefe[573]

Bordeaux.

574Der atlantische Ocean.von 7·5 bis 8 m finden würden. Neue Quais an beiden Flussufern in der Gesammtlänge von 2·1 km sind im Bau, und man schätzt die Kosten der erwähnten Erweiterungsarbeiten auf 40 Millionen Francs. Es steht zu erwarten, dass die Stadt hiedurch gegen Norden zu an Ausdehnung gewinnen wird.

Wenden wir uns von dem Pont de Bordeaux gegen Süden, so fällt unser Blick vor Allem auf die schöne Eisenbahn-Röhrenbrücke, welche, auf 7 Pfeiler gestützt, mit doppeltem Schienenstrang die Bahnhöfe Gare d’Orléans und Gare du Midi verbindet. Breiter als anderwärts erstreckt sich dort am linken Ufer die Fläche des Quais, dessen weitaus grösster Theil zu beiden Seiten der Eisenbahnbrücke den Namen Quai de Paludate führt.

Nächst dem Quai de la Grave gewahrt man den Prachtbau des isolirt stehenden im gothischen Style aufgeführten Thurmes der Kirche St. Michel, und südwärts bemerkt man die dunklen Umrisse der wegen ihrer sonderbar concipirten Façade berühmt gewordenen Kirche Sainte - Croix, eines dem XII. Jahrhundert entstammenden interessanten Bau - werkes.

Zu den hervorragendsten religiösen Bauten der Stadt zählt die im gothischen Style aufgeführte Kathedrale Saint-André, deren Bau, zu Ende des XI. Jahrhunderts begonnen, im Laufe der Zeit den ein - heitlichen Charakter einbüsste und selbst Renaissance-Zubauten er - hielt. Indes ist der Dom, wie er heute, auf einem geräumigen Platze stehend, mit dem reizenden Motive seiner Façade und dem schönen Doppelthurm an derselben sich darstellt, ein herrliches Denkmal alter Baukunst. An der Ostseite der Kathedrale erhebt sich 30 m von letzterer entfernt der unvollendet gebliebene Thurm Pey-Berland, welcher eine Kolossalstatue der Muttergottes in vergoldeter Bronze auf seiner Höhe führt.

Der nach seinem Erbauer, dem renommirten Erzbischof Pey - Berland (1440), benannte Thurm enthält die 11 t schwere Glocke von Saint-André.

Eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges ist die dem XIII. Jahr - hundert entstammende Kirche Saint-Seurin auf der mit reichen Baum - anlagen geschmückten Place oder Allée Damour. Raymond de Lafont liess den Tempel auf seine Kosten erbauen und mit reichen Sculp - turen verzieren. In der Krypta de Saint-Fort ist das Grab dieses Heiligen, mehrere Sarkophage und ein hübsches zu seiner Erinne - rung im XVII. Jahrhundert aufgeführtes Ehrengrabmal (Cenotaphe). Die Kirche Saint-Seurin war ehemals die erste Kathedrale der Stadt575Bordeauxund ihr Schutzpatron der heilige Seurin oder Severin wirkte im V. Jahrhundert als Bischof von Bordeaux.

Zu dem äusseren Glanz der Stadt trägt die Pracht vieler öffent - lichen Gebäude wesentlich bei. Viele derselben entstammen dem XVIII. Jahrhundert und sind durch stylvolle Architektur ausge - zeichnet. Zu diesen gehören die Präfectur (1775 gebaut); das Hôtel de Ville (1770 1781), in welchem das Museum der schönen Künste untergebracht ist; die Börse (1749) mit reichem plastischen Schmuck auf ihren vier Façaden; das Zollamt (Douane), ein Pendant zum Börse - gebäude und wie dieses reich geziert; das Grand-Théâtre (1773 bis 1780 gebaut) mit 12 korinthischen Säulen und ebensovielen Kolossalstatuen an der Façade und schönem säulengeschmückten Vestibule; vor Erbauung der grossen Oper in Paris galt das Theater in Bordeaux als das schönste Schauspielhaus Europas.

Neueren Ursprungs ist das Justizpalais (1839 1846 gebaut) in dorischem Styl mit Kolossalstatuen der Malesherbes, D’Aquesseau, Montesquieu und L’Hôpital geschmückt.

Das geistige Leben ist in Bordeaux sehr entwickelt, worauf schon der allenthalben zutage tretende Kunstsinn der Bevölkerung hin - weist. Die Stadt verfügt über Facultäten für Medicin, Jurisprudenz, Literatur und Naturwissenschaften, die Museen enthalten kostbare Gemälde und Sculpturen (Musée de peinture et de Sculpture), Anti - quitäten, Waffen und Inschriften (Musée des antiques), naturhistori - sche, ethnographische und vorgeschichtliche Objecte (Musée d’histoire naturelle) von grossem Werth, und die 1738 gegründete Bibliothek besitzt über 170.000 Bände und 1500 kostbare Manuscripte.

Als Handelsplatz ersten Ranges hat Bordeaux auch eine höhere Fachschule für Handel und Industrie.

Aus der Römerzeit hat sich nur die sorgfältig gepflegte Ruine eines Amphitheaters erhalten.

Als die Römer den keltischen Ort Burs-Wall besetzten, erkannten sie sogleich die Gunst seiner Lage und gründeten hier ihr Burdigala, welches bald zu einer der ersten Städte Galliens anwuchs. Im III. und IV. Jahrhundert war Burdigala eine Stätte geistigen Strebens geworden, das Christenthum hatte dort zahlreiche Anhänger gefunden, und Bildungsanstalten blühten, welche nach Rom und Byzanz ihre Meister entsendeten. Schriftsteller und berühmte Dichter, wie Ausone und der Bischof St. -Paulin, hoben das Ansehen der Stadt.

In der Zeit der Völkerwanderung erschienen die überall plündernden Horden der Vandalen (408) und Gothen (413), und 507 wurden die Franken Herren der vielgeprüften Stadt. In der Folge gehörte Bordeaux den Herzogen von Toulouse an, wurde dann von Pipin und Karl dem Grossen beherrscht, von den eingefallenen Normannen geplündert und zerstört, welche hier ihren Haupt -576Der atlantische Ocean.waffenplatz ein halbes Jahrhundert hindurch etablirten. Nach deren Vertreibung erholte sich die Stadt und fiel den Grafen von Poitou zu, deren letzter, Guil - laume X., dieselbe 1137 seiner Tochter Eleonore vermachte, welche im selben Jahre Louis VI., Sohn Louis le Jeune, der im Juli zum König von Frankreich proclamirt wurde, in der Kathedrale Saint-André ehelichte. 1152 von diesem ge - schieden, vermählte sie sich mit Henri Plantagenet, Herzog von Anjou, der König von England wurde und dem das ganze westliche Frankreich als Mitgift zufiel.

Die dreihundertjährige Herrschaft der Engländer und die Kämpfe jener Zeit berührten den Wohlstand der Stadt nur wenig.

Unter Ludwig XI., welcher Bordeaux die alten Rechte verlieh, begann ein neuer Aufschwung. Er setzte ein Parlament ein und stellte die 1441 ge - gründete Universität wieder her, aber erst unter Franz I. erhob sich die Stadt zu ihrem früheren Glanz.

Die Reformationszeit sah die grausamste Verfolgung der Calvinisten (1548 und 1572), und während der Regierungsperiode Ludwig XIII. und der Unmündig - keit Ludwig XIV. war Bordeaux der Schauplatz verheerender Bürgerkriege, die bis 1653 währten.

Unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. schuf Louis-Urbain Aubert, Marquis de Tourny, dessen Namen ein Platz und ein Cours in der Stadt führen, aus Bor - deaux in wenigen Jahren eine der prächtigsten Städte Frankreichs und begründete deren Handelsblüthe.

Als Hauptstützpunkt der heldenmüthigen Girondisten hatte das besiegte Bordeaux während der grossen französischen Revolution die ganze Härte und Grausamkeit des Nationalconvents zu erleiden.

Das napoleonische Kaiserreich untergrub den Seehandel, raubte der Stadt die Stütze ihres Wohlstandes, weshalb sich die Sympathien derselben dem König - thum zuwendeten und geheime Conspirationen der eigenthümlichsten Art gegen Napoleon I. und die Officiere seiner Armee dort entstanden.

Am 9. December 1870 wurde Bordeaux der Sitz der Delegation der pro - visorischen Regierung. Am 12. Februar 1871 versammelte sich dort die National Assemblée, welche M. Thiers zum Präsidenten der Republik erhob und am 1. März die Präliminarien des Friedens mit Deutschland votirte.

Bordeaux unter 44° 50′ nördl. Breite und 35′ westl. Länge von Greenwich (Kathedrale Saint-André) gelegen, ist die Hauptstadt des Departement der Gironde, der Sitz eines Erzbischofs, eines Appella - tionsgerichtshofes und des Generalcommandos des 18. Armeecorps sowie einer Handelskammer.

Die Stadt zählt 240.600 Einwohner. Das Klima ist oceanisch, der Winter so milde (+ 6°C. Jännertemperatur), dass im Jardin public grosse Palmenanlagen im Freien gedeihen.

Zu den Zeiten des Augustus und gewiss schon weit früher war Burdigala, das heutige Bordeaux, der grösste Handelsplatz der ganzen oceanischen Küste Galliens als End - und Umladepunkt für die Fluss - schiffahrt und den Verkehr über den Isthmus zum Mittelmeere. Der unter Ludwig XIV. vollendete Canal du Midi, der in Cette endet,577Bordeaux.belebte den Handel von Neuem. Aber diese Wasserstrasse genügt schon lange nicht mehr den gesteigerten Anforderungen des modernen Verkehres, und der Canal des Deux Mers , ein Seeschiffahrtscanal zwischen Bordeaux und Narbonne, mit welchem man sich besonders stark zu der Zeit beschäftigte, als die Deutschen an den Bau ihres Nord-Ostsee-Canales gingen, wurde als Project schon ziemlich bald begraben. Das heutige Handelsgebiet Bordeaux ist gegen das Land hin hauptsächlich auf den Südwesten Frankreichs beschränkt.

Im überseeischen Verkehre bestehen die lebhaftesten Handels - beziehungen mit Grossbritannien, Spanien, Senegambien, den La Plata-Staaten, Westindien, Mexico und den Ländern, welche das caraibische Meer begrenzen. Den Küstenhandel endlich beschäftigt der Verkehr mit den grossen Häfen Nordfrankreichs, mit Nantes, Marseille und selbstverständlich mit den benachbarten Plätzen.

Bordeaux ist heute dem Werthe und dem Umfange seines Ver - kehres nach der dritte Hafen Frankreichs; vier Fünftel seiner Ausfuhr sind französischen Ursprungs, und ein ebenso grosser Theil seiner Einfuhr ist für den Verbrauch in Frankreich bestimmt.

Die Grundlage seines Handels ist der Weinbau an der Gironde.

Schon die gallischen Biturger haben den Weinbau betrieben, und als ihn dann am Ende des III. Jahrhunderts Kaiser Probus überall ausserhalb Italien gestattete, nahm er sofort einen neuen Aufschwung.

Im Laufe des Mittelalters entwickelte er sich derart, dass man schon im Jahre 1372 im Hafen von Bordeaux 200 Schiffe mit Weingebinden befrachtete. Heute geht über Bordeaux weit mehr als die Hälfte der Weinausfuhr Frankreichs, und Frankreich ist doch für Wein der erste Ausfuhrstaat der Welt. Hier wachsen aber auch im Médoc, der Landspitze zwischen dem linken Ufer der Gironde und dem Golfe de Gascogne, die berühmten Rothweine: Chateau Lafitte, Chateau Mar - gaux, Chateau Latour und Haut-Brion, und in Bordeaux steht die Kellerwirth - schaft auf einer selbst für Frankreich selten hohen Stufe.

Der Ertrag der Ernte des südwestlichen Frankreichs entscheidet in viel - facher Beziehung den Gang des Handels von Bordeaux für das nächste Jahr.

Der Weinhandel Bordeaux betrug:

〈…〉〈…〉

Vorrath am 1. Januar 1888 2,017.116 hl, am 31. December 1888 1,715.624 hl.

Für das Jahr 1889 wird die Weinausfuhr ins Ausland mit 1,105.911 hl in Fässern und 79.408 hl in Flaschen, die Einfuhr mit 1,763.260 hl angegeben.

Es ist bekannt, dass seit den Verwüstungen der Phylloxera der Wein - handel von Bordeaux nicht mehr im Stande ist, aus dem Inlande jene Menge von Rothwein zu beziehen, welche seine Abnehmer in allen Theilen der Erde bei ihm bestellen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 73578Der atlantische Ocean.

So bezog man 1889 aus Spanien 675.318 hl, aus Portugal 622.390 hl, aus Algier 259.300 hl, aus Italien 14.523 hl und aus allen übrigen Ländern 191.729 hl; von diesen ist der wichtigste Staat Oesterreich-Ungarn, woher 1888 175.915 hl kommen.

Aus den wohlfeilsten Gattungen französischer, spanischer, portugiesischer und früher auch italienischer Weine werden die sogenannten Vins de Cargaison bereitet, die nach Argentina und Uruguay, aber auch in die europäischen Staaten gehen. Die Engländer, welche doch die besseren Sorten von Bordeaux-Wein be - ziehen, dem sie den Namen Claret geben, rechnen, dass nur 50 60 % der in ihren Häfen eingeführten Menge im Weingebiete von Bordeaux gewachsen seien. Unausgesetzt steigt in England der Verbrauch von Bordeauxwein, der den Sherry und den Portwein verdrängt.

Im Jahre 1889 gingen von Bordeaux nach England 188.198 hl, nach Deutschland 191.530 hl, aber minder werthvolle Weine, nach den Niederlanden 72.482 hl, nach Belgien 67.045 hl.

Die Ausfuhr in die europäischen Staaten steigt, aber nicht in dem Masse, als die nach Südamerika gesunken ist, denn 1887 führte man nach Argentinien 471.713 hl, nach Uruguay 91.058 hl aus, 1889 nach Argentinien 385.510 hl, nach Uruguay 73.084 hl, 1888 war der Ausfall gegen das vorhergehende Jahr sogar viel grösser. Die Erklärung dafür liegt darin, dass infolge des Zollkrieges mit Italien den Weinen derselben Frankreich fast verschlossen wurde, und dass daher Italien seine Weine direct an den La Plata führt. Auch entwickelt sich die Wein - production Argentiniens durch eingewanderte Italiener und Basken.

Einen grossen Werth erreicht auch die Ausfuhr von Branntwein, aus Wein hergestellt, als Cognac, Armagnac und Weinsprit, ferner die von Industriesprit und von Liqueuren.

Die Ausfuhr aller Sorten zusammen erreichte 1889 175.321 q, 1888 171.173 q (im Werthe von 20,083.586 Francs), 1887 197.110 q.

Weinsprit geht in erster Reihe nach den Niederlanden, nach England, Deutschland, Schweden, Argentinien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Däne - mark, Norwegen und Belgien.

Von Tafelfrüchten wurden 1888 210.000 q im Werthe von 15,058.879 Francs, 1887 174.252 q ausgeführt.

In diese Gruppe gehören Wallnüsse (1888 45.267 q), und getrocknete Pflaumen, die seit 1887 ihr Absatzgebiet in der Union zum grossen Theile an die bosnischen Pflaumen verloren und daher 1889 im Preise stark herunter - gehen mussten. Ausfuhr 1886 112.036 q, 1888 63.875 q; von den letzteren ging die Hälfte nach Grossbritannien.

Von Nahrungs - und Genussmitteln sind ferner zu nennen grüne Gemüse (1888 95.186 q, Werth 4,831.947 Francs, 1887 141.410 q), Kartoffel und Hülsen - früchte (1888 100.792 q) und raffinirtes Oel (1888 66.107 q, Werth 5,402.533 Francs, 1887 72.864 q).

Die Ausfuhr von Olivenöl ist zurückgegangen, weil die Einfuhr des Oeles aus Italien gesunken ist; Erdnussöl, auf welches mehr als die Hälfte obiger Ziffer entfällt, geht in die Niederlande, die Erdnusskuchen, ein Nebenproduct der hiesigen Fabriken, übernimmt zum grössten Theile Deutschland.

Wichtige Exportartikel von ausschliesslich ausländischer Herkunft sind Kaffee, dessen Menge 1888 auf 3886 q gesunken ist, dann roher und raffinirter579Bordeaux.Zucker (1888 69.193 q, Werth 2,781.722 Francs, 1887 40.233 q), der seinen stärksten Abnehmer in Chile findet, Cacao (1888 11.719 q, Werth 2,039.063 Francs) in erster Linie für die Schweiz bestimmt, und Vanille nach Belgien und Deutschland und nach dem Senegal, ferner Getreide und Mehl.

Von den thierischen Nahrungsmitteln erreichten im Exporte Fische den höchsten Werth, denn 1889 wurden 487.391 q, 1888 167.217 q (Werth 17,707.939 Francs), 1887 172.342 q ins Ausland versendet.

Bordeaux versorgt Spanien und Italien mit Stockfischen aus Neufundland und Island (Ausfuhr 1888 110.486 q); im Lande bereitet ist der weitaus grösste Theil der ausgeführten Sardinen in Oel eingelegt (1888 53.088 q), von denen das meiste nach Grossbritannien, Deutschland, Argentinien und den Vereinigten Staaten von Amerika geht.

Ausser dem Fange von Sardinen wird von La Teste und Arcachon aus auch eine bedeutende Hochseefischerei an der Küste von dem Ausflusse der Gi - ronde bis zur spanischen Grenze betrieben; weit wichtiger aber sind die grossen Austernbänke in der Bai von Arcachon, in welche auch eine Zweigbahn der Linie Bordeaux-Bayonne führt. In diesem seichten Bassin, dessen Wasserfläche bei der Flut dreimal so gross ist als bei der Ebbe, sind die grössten Austern - bänke Europas, welche 1881 mit 268,082.500 Stück die stärkste Ergiebigkeit zeigten; 1888 wurden nur 203.279.000 Stück zum Durchschnittswerthe von 22 Francs für das Tausend gefischt.

Ins Ausland gingen über Bordeaux 1888 22·2 (1887 31·2) Millionen Stück, und zwar nach England und Spanien. Die letzteren dienten zur Besetzung der von Züchtern Arcachons an der spanischen Küste angelegten Bänke.

Die planmässige Bepflanzung der ausgedehnten Dünenlandschaften (les lan - des) im Süden der Mündung der Gironde mit Strandkiefern und Strandföhren bleibt ein unauslöschliches Verdienst Napoleon III. und der folgenden Regierungen Frankreichs. Ein wenig ergiebiges Land wirft heute an Holztheer, Terpentinöl und Harzkolophonium einen Ertrag von 30 Millionen Francs ab.

Ueber Bordeaux wurden 1888 46.803 q einheimischer Harze nach den Niederlanden, Belgien und Grossbritannien verschifft, von Terpentinöl 16.162 q, von Holztheer 2907 q.

Im Jahre 1889 war die Ausfuhr grösser, hatte aber mehr zu leiden unter dem Mitbewerb der südöstlichen Staaten der Union.

Ueber Bordeaux werden auch exotische Gummisorten, meist Senegalgummi (1888 6928 q, Werth 2,826.432 Francs, 1887 12.109 q) nach Grossbritannien und der Union gesendet.

Die Ausfuhr von gemeinem Holz stammt ebenfalls meist aus dem Lande; sie wird für 1888 mit 2,230.280 q (Werth 5,870.647 Francs), für 1887 mit 2,546.015 q angegeben. Ihren Haupttheil bildete Grubenholz für die Kohlenplätze Grossbritanniens, Fichtenschwellen für Spanien, Algier und Columbien, Eichen - schwellen, endlich Fassreifen, von welchen 1888 10,396.089 Stück nach Gross - britannien und Guadeloupe versendet wurden.

Die Ausfuhr von rohen Fellen und Häuten. die überwiegend vom La Plata stammen, erreichte 1888 44.977 q im Werthe von 9,082.703 Francs, 1887 31.814 q und geht nach Grossbritannien, Deutschland und Belgien.

Ein Product der grossartigen Leder - und Fellbereitung und die Erzeugung von Schuhwaaren des südwestlichen Frankreich ist die Ausfuhr dieser Artikel73*580Der atlantische Ocean.über Bordeaux. welche 1888 8173 q im Werthe von 12,968.327 Francs, 1887 7545 q betrug, deren Hauptabsatzgebiet Südamerika und Westindien mit Mexico sind.

Denselben Weg nehmen Kleider und Wäschwaaren (1888 3599 q, Werth 6,420.879 Francs, 1887 7490 q), Baumwollgewebe (1888 35.224 q, Werth 19,937.920 Francs, 1887 31.921 q), Wollwaaren (1888 5528 q, Werth 8,009.388 Francs, 1887 9266 q) und Seidenwaaren (1888 142 q) und gemischte Stoffe. Ein grosser Theil der Baumwollwaaren ist ausländischer Herkunft.

Andere Artikel sind chemische Producte (1888 116.857 q, Werth 9,236.844 Francs), darunter Weinstein, ferner Glas - und Thonwaren (1888 211.388 q, Werth 4,985.953 Francs), von welchen weisses Porzellan nach den Vereinigten Staaten, Grossbritannien, Südamerika und Mexico, decorirtes Porzellan vor Allem nach Chile, Fayence in das ganze romanische Amerika, nach Algier, Martinique und Guadeloupe geht.

Für Flaschen sind die ersten Absatzländer Argentinien, Chile und Spanien.

Bedeutende Artikel der Ausfuhr sind noch Papier und Papierwaaren (1888 32.748 q, Werth 2,670.052 Francs), Korbwaren (1888 95.186 q, Werth 4,831.947 Francs), Möbel 1888 53.401 q, Werth 2 Millionen Francs), Kurzwaaren (1888 44.977 q, Werth 9,082.703 Francs) und Hüte.

Bearbeitetes Korkholz, das unter der Concurrenz Spaniens leidet, geht nach Grossbritannien und den Vereinigten Staaten (1888 5358 q, Werth 3,214.728 Francs).

Einer der wichtigsten Artikel sind auch Kupfer, Metallwaaren (1888 48.490 q, Werth 5,307.637 Francs), ferner Stahl und Eisen.

Die zweite Stelle in der Ausfuhr von Bordeaux nehmen Juwelierarbeiten ein (1888 140 q, Werth 37,420.867 Francs), diese sind aber zu 16 / 17 ausländischer Herkunft; ebenso wie Schirme (1888 6928 q, Werth 2,826.432 Francs), und finden Absatz in Mexico, Westindien und Südamerika.

Die Ausfuhr im Wege des Küstenhandels umfasste vornehmlich Wein, gemeines Holz, Kohle, Getreide und Mehl, Harze, Salz, von Industrieartikeln in erster Linie Glas - und Porzellanwaaren.

Die Betrachtung der Einfuhr zeigt uns Wein, den wir schon behandelt haben, als den wichtigsten Einfuhrartikel von Bordeaux.

Von Nahrungs - und Genussmitteln sind noch hervorzuheben Getreide und Mehl (1888 1,534.140 q. Werth 28,823.785 Francs, 1887 1,499.385 q), aus den Ver - einigten Staaten und vom Schwarzen Meere her, Reis (1888 207.584 q) und Tafelfrüchte (1888 120.965 q, Werth 5 Millionen Francs) aus Spanien und Por -

Legende zum Plan von Bordeaux. A Bojen für Schiffe, A1 Dampfer-Quai des Gironde-Dienstes, B Hafenstation der Pariser-Bahn, C Pont de Bordeaux, D Pont Métallique, E Hafenstation (Gare Maritime) v. Brienne, G Flut-Bassin, H Bassin d’Alimentation, J Messagerie Marit. (Quai de Bacalan), K Quai des Chartrons, L Place des Quinconces, M Jardin public, N Banque de France, O Börse, P Zollamt, Q Grand Théâtre, R Quai de Gueyries, S Quai Dechamps, T Eisenbahnstation de la Sauve, U Quai de Paludate, V Place de Pont, X Avenue Thiers, Y Kaserne Maréchal Niel, Z Place de Bourgogne. 1 Kathedrale Saint-André, 2 Hôtel de Ville und Museum, 3 Justiz-Palais. 4 Hospital St. André, 5 Faculté de Droit, 6 Cours Victor Hugo, 7 Cours d’Alsace-Lorraine, 8 Rue St. Project, 9 Route de Toulouse, 10 Cours St. Louis, 11 Station der Bahn du Medoc, 12 Cours de Tornay, 13 Place Gambetta, 14 Tabakfabrik, 15 katholischer Friedhof, 16 Taubstummen-Institut, 17 Reservoir der Wasserleitung Paulin, 18 Kirche St. Seurin, 19 Faculté des lettres et des sciences, 20 Lyceum, 21 Faculté de Médecine, 22 Cours St. Jean, 23 Petit Seminaire, 24 Eisenbahnstation du Midi, 25 jüdischer Friedhof, 26 Boulevard de Talence, 27 Boulevard, 28 College Tivoli, 29 Kirche St. Michel, 30 Kirche Notre Dame, 31 Allée de Boutaut.

[581]

Bordeaux (Massstab 1: 37.900; Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 580.)

582Der atlantische Ocean.tugal, bis auf den dritten Theil von Reis alles bestimmt für den Consum in Frankreich.

Die Einfuhr von Sprit (1888 146.465 q, Werth 6,513.338 Francs) ist unter dem Einflusse der hohen Zölle gesunken. Die Hauptbezugsländer sind für Industriesprit Deutschland und Schweden, für reinen Alkohol Algier, Spanien, Rumänien, Oesterreich-Ungarn.

Die ganze Physiognomie des Hafens verräth aber den intensiven Handel dieses Platzes mit den Tropenlandschaften, speciell Westafrika und Centralamerika; Neger tummeln sich auf den Quais, und Dampfkrahne entnehmen den tiefen Schiffs - körpern tropische Producte. Die wichtigsten Stapelartikel dieser Provenienz sind:

Kaffee (1888 43.192 q, Werth 8,379.248 Francs) aus Brasilien, Rohr - zucker (1888 254.472 q, Werth 9,424.197 Francs) aus Martinique, Guadeloupe und Réunion; auch Melasse (1888 155.123 q) wird zur Verarbeitung in den hiesigen Destillerien eingeführt.

Bordeaux ist ein Hauptplatz für Cacao von der Nordküste Südamerikas und aus Westindien (Einfuhr 1888 32.842 q), wovon nur ein Drittel zum Consum für Frankreich bestimmt ist, für Vanille von den Mascarenen und Mexico und für Blättertabak (1888 35.407 q), zum Verbrauch in Frankreich; die eingehenden Tabakfabricate sind für Südamerika bestimmt.

Die Einfuhr von Oel (1888 25.786 q), umfasst Palmöl vom Senegal und Olivenöl; umfangreicher aber ist die Einfuhr von Erdnüssen und ölhältigen Samen (1888 238.898 q), welche in Bordeaux verarbeitet werden.

Die Indigoeinfuhr (1888 37.318 q) ist ganz für Frankreich bestimmt.

Exotische Gummen und Harze wurden 1888 in der Menge von 23.377 q (Werth 9,537.820 Francs) zumeist vom Senegal eingeführt.

Von thierischen Nahrungsmitteln sind vor Allem Fische (1888 294.285 q. Werth 21,569.409 Francs) zu nennen, denn für den Stockfischfang bei Neufund - land ist jetzt Bordeaux der wichtigste Hafen Frankreichs.

Schweineschmalz kommt direct und über England aus den Vereinigten Staaten nach Bordeaux, Speck aus Liverpool, Oesterreich-Ungarn und Dänemark. Die Einfuhr von Fett, ausgenommen Fischthran, erreichte 1888 64.685 q, Werth 5,623.417 Francs.

Auch die Einfuhr von Fleisch in Büchsen und von gesalzenem Fleisch (1888 29.147 q, Werth 3,829.274 Francs) sowie die von Käse (1888 15.761 q) ist ansehnlich.

Die Einfuhr von gemeinem Holz, und zwar von Bauholz bestimmt für den Consum in Frankreich, ist vielmal grösser als die oben angegebene Ausfuhr. Sie betrug 1888 1.534.140 q im Werthe von 28,823.785 Francs, 1887 1,540.882 q, und war 1889 um ein Drittel kleiner als 1888. Weitaus das meiste von gesägtem Fichten - und Tannenholz kommt aus Schweden, ferner aus Russland, den Ver - einigten Staaten, Neu-Braunschweig und Norwegen, gehobelte Fussbodendielen sendet Norwegen, Stabholz Oesterreich-Ungarn, und zwar 1888 19,684.265 Stück bei einer Gesammteinfuhr von 22,683.331 Stück.

Die Einfuhr von unbearbeitetem Kork aus Spanien und Portugal, von be - arbeitetem aus Spanien übersteigt die Ausfuhr Bordeaux, wie sich das bei dem starken Bedarfe des dortigen Weinhandels an Stöpseln von selbst versteht.

Bedeutend ist auch die Einfuhr Bordeaux an Farbhölzern, besonders von Campêcheholz von den Antillen und von Gelbholz aus Maracaibo; doch in583Bordeaux.letzterem hat Bordeaux seine früher führende Stellung an Hâvre und Rouen ab - getreten.

Die zahlreichen Dampfschiffverbindungen mit den La Platastaaten haben die Folge, dass ungefähr 60 % der Ausfuhr dieser Gebiete an Schaffellen nach Europa in Bordeaux gelandet werden. Früher waren Liverpool und Antwerpen die wichtigsten Empfangshäfen. Da Südamerika den Bedürfnissen der Fabriken Frank - reichs nicht mehr genügen kann, so zieht man auch Schaffelle aus Australien heran. Von Häuten und Fellen wurden 1888 193.145 q (Werth 34,776.494 Francs), 1887 195.973 q eingeführt.

Für La Plata-Wolle (1888 9807 q) vermochte Bordeaux keine grössere Be - deutung zu erlangen.

In Bordeaux als einem Ausgangshafen nicht nur Frankreichs, sondern auch Mitteleuropas für Westindien und Südamerika wurden eingeführt 1888 20.278 q (Werth 10,762.607 Francs), 1887 22.972 q Baumwollfabricate, ferner Juwelen (1888 124 q, Werth 35,529.740 Francs), und Uhren (1888 153 q, Werth 2,961.596 Francs). Dagegen sind Rohjute und Jutestoffe fast ausschliesslich für den französischen Markt bestimmt. Dasselbe gilt von Maschinen, eisernen Schiffen und von Metallarbeiten.

Die ganz bedeutende Einfuhr chemischer Producte (1888 369.308 q, Werth 8,768.097 Francs) und von Schwefel umfasst in der Hauptsache Mittel zur Be - kämpfung von Phylloxera und anderer Feinde des Weinstockes.

In den Consum Frankreichs gehen auch über die eingeführten Mengen von Blei, Zink, Kupfer (1888 49.791 q, Werth 9,211.317 Francs), dann drei Viertel der Einfuhr von Kohlen (1888 4,283.211 q, 1887 3,978.530 q).

Von der Einfuhr im Wege des Küstenhandels kommen zwei Fünftel der Menge auf Baumaterialien; wichtig sind noch Eisen und Stahl, Getreide, Wein, Sprit, endlich Seife von Marseille.

In Bordeaux tritt die Industrie gegen den Handel, speciell gegen das Weingeschäft ganz zurück.

In drei grossen Etablissements werden Thonwaaren erzeugt, es bestehen ferner eine Staatsfabrik für Tabak, mehrere chemische und Maschinenfabriken, drei Schiffbauanstalten, Oelraffinerien, Biscuitfabriken.

In zahlreichen kleineren Unternehmungen werden besorgt das Conserviren von Gemüsen, Früchten, Fische und Fleisch, die Erzeugung von geschätzten Liqueuren, von Seidenwaaren und jene anderen Industrien, die mit dem Wein - handel im Zusammenhang stehen.

Somit erfährt durch die einheimische Industrie der Handel Bordeaux keine besondere Förderung, dafür der Schiffsverkehr durch die Auswanderung, welche 1887 11.802, 1888 18.719 und 1889 28.905 Menschen umfasste und nur nach Südamerika, vornehmlich nach Argentinien gerichtet war. Die stärkste Zunahme entfällt auf Franzosen, den Rest bilden Spanier (1889 7459) und Italiener (1233).

Der Handel von Bordeaux ohne Edelmetalle betrug:

〈…〉〈…〉
584Der atlantische Ocean.

Ueber Bordeaux findet auch ein nicht unbedeutender Verkehr in Edel - metallen statt, welcher 1888 10,684.047 Francs in der Ausfuhr und 5,945.168 Francs in der Einfuhr umfasste.

In den Entrepôts von Bordeaux lagerten 1888 mit Einschluss des Stockes, der vom Jahre 1887 herübergenommen wurde, 2,482.900 q ausländische Waaren im Werthe von 74,114.600 Francs.

Der Schiffsverkehr von Bordeaux betrug:

〈…〉〈…〉

Ueberraschend gross ist der Antheil der britischen Flagge an dem Ver - kehre Bordeaux mit dem Auslande, da sie mehr als die Hälfte der ganzen Tonnen - zahl stellt, und 31 % Schiffe, welche den Hafen besuchen, vermitteln den Verkehr mit England. Immer stärker wird das Uebergewicht der englischen Schiffe, heute erreicht im Auslandsverkehre die französische Flagge nur mehr zwei Drittel der Tonnenzahl der englischen.

In geringem Masse sind betheiligt die Flaggen von Schweden, Norwegen, Deutschland, Spanien und Dänemark.

Mit dieser Zunahme der englischen Flagge steht im Zusammenhang der Rückgang der Marine der Stadt, die am 31. December 1888 54 Dampfer mit 26.778 t und 101 Segelschiffe mit 44.357 t zählte.

Die Postdampferverbindungen von Bordeaux sind der Lage des Hafens entsprechend nach Westafrika, Südamerika und Westindien gerichtet. Die Chargeurs réunis besuchen die Plätze Westafrikas bis Loango hinunter; die Messageries maritimes gehen über Dakar in Senegambien und Brasilien bis Buenos Ayres; die Pacific Steam Navigation Cy. kommt aus Liverpool, läuft Lissabon, die Häfen Brasiliens und Montevideo an und endet ihre Fahrt auf der Westküste Südamerikas in Callao; auch die Chargeurs réunis aus Hâvre berühren Bordeaux.

Die Compagnie Générale Transatlantique lässt in drei Linien ihre Schiffe aus Hâvre über Bordeaux nach Westindien verkehren; eine Linie verfolgt die Nord - küste Südamerikas und endet in Colon-Aspinwall an der Landenge von Panama, die zweite geht über St. Thomas nach Haïti und die dritte über Habana nach Vera-Cruz.

Nach Colon und Vera-Cruz fahren ferner von hier die West India and Pacific Steam Ship Gy. und die Harrison Line aus Liverpool.

Andere Schiffahrtsgesellschaften sind die Compagnie bordelaise de naviga - tion à vapeur, welche nach New-York fährt, die Compagnie générale des bateaux à vapeur à hélice du nord, welche nach Nordfrankreich, dann nach Marseille geht und Güter in Durchfracht für die Messageries maritimes aufnimmt. Ferner be - stehen Dampfschiffsverbindungen nach Spanien, Portugal, Algier, Italien, Gross - britannien, Antwerpen, Amsterdam, Bremen, Hamburg und Canada. Eine neue Linie ins Mittelmeer mit der Endstation Fiume wird errichtet.

Flussdampfer fahren die Gironde-Garonne aufwärts, der Binnenhandel aber stützt sich zumeist auf die Eisenbahnlinien, welche den Hafen mit Nantes,585Bordeaux.Tours, Orléans, Clermont, St. Etienne, Toulouse und Bayonne verbinden, und die linke Seite der Mündung des Flusses begleitet bis Le Verdon eine siebente Linie, die Médoc-Eisenbahn, welche auch Pauillac, den Vorhafen von Bordeaux, berührt, wo ganz grosse Schiffe, wie die der Pacific Steam Navigation Cy., das Ende ihrer Fahrt erreichen.

Bordeaux ist ein wichtiger Platz für Nordspanien, eine wichtige Station des internationalen Schnellzuges Paris-Bayonne-Madrid-Lissabon, und mit der Aus - führung von Bahnen über die Pyrenäen, von denen zwei durch Staatsverträge zwischen Frankreich und Spanien genauer bestimmt sind, würde seine Bedeutung für den Norden und Südosten des Nachbarlandes ungemein steigen, und durch die Linie Noguera-Pallaresa werden Calais und Cartagena die Endpunkte der Ueberlandroute zwischen England und Algier werden.

In Bordeaux bestehen 23 Schiffsagenturen und Seeassecuranzen, hier hat die Bank von Frankreich eine Succursale, neben der 4 andere Banken und zahl - reiche Privatgeschäfte dem Verkehr dienen.

Es entspricht der Bedeutung des Verkehres mit Spanien, dass hier ausser einer nationalen auch eine spanische Handelskammer besteht.

Consulate haben in Bordeaux: Argentinien, Belgien, Bolivia, Brasilien (V. -C. ), Chile, Columbia, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik (G. -C. ), Ecuador (V. -C. ), Griechenland, Grossbritannien, Guatemala, Haïti, Havaii, Honduras, Italien, Liberia, Mexico, Monaco, Nicaragua, Niederlande, Oester - reich-Ungarn, Paraguay (G. -C. ), Persien, Peru, Portugal, Russland (G. -C. ), San Marino, Schweiz, Serbien, Spanien, Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 74[586]

Nantes.

Wir stehen Nantes gegenüber mit theilnahmsvollem Blicke voi einer gefallenen Grösse. Die Stadt hat ihre Bedeutung als Seehandels - platz durch die Ungunst der hydrographischen Verhältnisse völlig eingebüsst, und wenn die Stadt heute noch genannt wird, so dankt sie es ihrer Transformation in eine Industriestadt. Wenn es eine Ironie des Schicksals gibt, so hat sie sich hier bethätigt.

Dasselbe unternehmende Nantes, welches heute durch die ver - sandete Loire von dem Meere fast abgeschnitten ist, hatte, in der Meinung, dass Saint-Nazaire sein natürlicher Hafenplatz werden könne, die Gründung desselben lebhaft begünstigt, bald aber musste man zugeben, dass man eine gefährliche Nebenbuhlerin grossgezogen hatte. Für die modernen Schiffe ist der seichte Hafen von Nantes un - nahbar geworden, während sie in Saint-Nazaire bequem ankern können.

Nantes liegt ungefähr 53 km flussaufwärts von Saint-Nazaire und ist nur für Schiffe bis 3 m Tauchung ohne Gefahr erreichbar; grössere Schiffe dagegen finden in den zahllosen Sandbänken des Flusses ernstliche und gefährliche Verkehrshindernisse.

Einst die viertgrösste Seehandelsstadt Frankreichs, rangirt Nantes gegenwärtig ungefähr auf dem achtzehnten Platz.

Auch der grosse Passagierverkehr nach Amerika hat die Stadt umgangen und Saint-Nazaire zur Kopfstation erwählt, wo die mäch - tigen Postdampfer der Compagnie Transatlantique anlegen.

Dessenungeachtet besitzt Nantes noch immer eine beträchtliche Rhederei, allein der Schiffsverkehr hat bedenklich abgenommen.

Die Hauptmasse der Stadt liegt am rechten Ufer der Loire, während auf den vorliegenden Flussinseln und am linken Ufer, wie unser Plan zeigt, einzelne Stadttheile und Vorstädte lagern, die durch zahlreiche Brücken, meist Steinbauten, untereinander verbunden sind. Von einem Punkte des Hafens nördlich der kleinen Insel Lemaire aus gesehen, bietet Nantes ein recht malerisches Bild. Rechter Hand587Nantes.liegen die Schiffsbauwerften der Insel Prairie du Duc, vor uns das Quartier der Insel Madeleine mit ihren effectvollen Brücken, daneben die kleine Insel Feydeau mit alterthümlichen Gebäuden, dann wieder die regelmässigen Bogenreihen der Brücken, welche zum herrlichen Quai führen, der in einer Erstreckung von 4 km durch seine pracht - volle Häuserfront die Aufmerksamkeit fesselt. Eine reiche architekto - nische Ausstattung mit figuralem Schmuck ist den meisten Gebäuden der Quaifront eigen. Im XVIII. Jahrhundert entstanden, als der Handel der Stadt den Höhepunkt erreichte, ist der Quai noch heute das her - vorragendste und interessanteste Gebiet von Nantes.

Eisenbahn und Tramways (mit comprimirter Luft betrieben) führen längs demselben und tragen sehr viel zu seiner Belebung bei.

Im nördlichen Theile des Quais erhebt sich am Ufer des Canals St. Felix das von tiefen Gräben umgebene alterthümliche Schloss, eigentlich die Burg von Nantes, gewöhnlich Le Château genannt, ein düsteres Bauwerk, das robuste Vertheidigungsthürme flankiren. Seine Entstehung wird in das IX. oder X. Jahrhundert verlegt. Die Herzoge von Bretagne residirten hier wiederholt, und Duc François liess 1466 das Schloss umbauen. Der Bau der noch heute bestehen - den drei Thürme wird der Herzogin Anna, der letzten Beherrscherin der Bretagne, zugeschrieben. Im Innern des Château erhebt sich das stylvolle Gebäude des Grand logis, die eigentliche Residenz, mit hübschen Giebelfenstern und Zierwerk. Viele Erinnerungen knüpfen sich an diesen Bau. Zwei vielgenannte Damen beherbergte derselbe: Madame de Sevigné wohnte hier 1675, und die Herzogin von Berry ward 1832 hier in Gewahrsam gehalten, bevor man sie in die Cita - delle von Blaye abführte. Auch andere Staatsgefangene, wie Floquet, der Cardinal de Retz, weilten in dem Schlosse.

Anstossend an dasselbe eröffnet sich mit wirksamem Contrast die einladende Promenade Cours Saint-Pierre und in ihrer Verlänge - rung der Cours Saint-André; zwischen beiden liegt der Platz Louis XVI. Die Standbilder Anna von Bretagne, Arthur III., du Guesclin und Olivier de Clisson zieren die schönen Baum - und Blu - menanlagen, im Centrum des Platzes aber erhebt sich eine 28 m hohe Säule mit der Statue des unglücklichen Königs Ludwig XVI.

Nächst dem Platze gewahrt man den hohen Bau der gothischen Kathedrale mit den beiden massigen Thürmen von 63 m Höhe. Das interessante Gebäude ruht auf alten Fundamenten. Schon gegen Ende des III. Jahrhunderts stand dort die erste Kathedrale von Nantes, welche um das Jahr 570 durch den heil. Felix in eine Basilica um -74*588Der atlantische Ocean.gebaut und mit einem Thurme geschmückt wurde. Im XII. Jahrhun - dert trat an ihre Stelle ein romanischer Bau, bis auch dieser 1434 zum grossen Theil demolirt werden musste, um der heutigen Kathe - drale Raum zu geben.

Die Kirche besitzt mehrere geschätzte Bilder, sehenswerthe Bas - reliefs und plastische Werke. Unter letzteren sind das 1507 von Michel Colomb geschaffene, in edelstem Styl gehaltene Grabmal Franz II. Herzog von Bretagne und jenes des zu Nantes geborenen Generals Lamoricière, ein Werk Paul Dubois (1879), würdig, beson - ders hervorgehoben zu werden.

Ausser der Kathedrale und der 1469 erbauten Kirche der un - befleckten Empfängniss sind die zwölf anderen katholischen Kirchen, der protestantische Tempel und die Synagoge im Laufe der letzten 50 Jahre entstanden.

Eine Sehenswürdigkeit der Stadt ist die monumental angelegte Passage Pommeraye, welche die beiden Gassen Rue Fosse und Rue Santeuil nächst der Rue Crébillon durch drei Gallerien miteinander verbindet. Die oberste der letzteren zieren die Medaillonbilder be - rühmter Bretonen. Von der zweiten, Galerie des Statues genannt, führt eine Treppe von 52 Stufen hinab zur Galerie de la Fosse. Das ganze Bauwerk ist sehr effectvoll durchgeführt.

Die Geschichte der Stadt führt zurück in die Zeit der Römerherrschaft. Condivicuum war, nach der Darstellung Joannes, der vornéhmste Ort der Nam - neten, er lag aber ferne von der Loire. An dieser dagegen war der Portus Nam - netum entstanden und zu Bedeutung gelangt. Die beiden Orte verbanden sich in der Folge, und wurde Nantes der Mittelpunkt der römischen Verwaltung jenes Gebietes, bis die Uebergriffe der letzteren die Vertreibung der Römer (407) her - beiführte. Nantes gelangte nun unter die Herrschaft der Bretonen, deren Regenten die Stadt zu ihrer Residenz erwählten. Schon damals hatte das Christenthum dort feste Wurzel gefasst, nachdem der h. Clarus um die Mitte des III. Jahr - hunderts die neue Lehre dort verkündete und die beiden Brüder Donatin und Rogatin (299) den Märtyrertod erleiden mussten.

Nantes hatte ebenfalls die Schrecken der Völkerwanderung zu erdulden.

In den Kämpfen der späteren Zeit war Nantes unter den Königen und Herzogen von Bretagne eine wichtige Rolle zugefallen. Während des Krieges zwischen Jean de Montfort gegen Charles de Blois im XIV. Jahrhundert hatte die Stadt für ersteren Partei ergriffen, fiel jedoch (1342) in die Gewalt der Gegner.

Als Montforts Sohn endlich siegte und Herzog von Bretagne wurde, ver - band er sich mit England, aber Nantes verwehrte letzterem den Einzug.

Von den Engländern angegriffen, widerstand die Stadt heroisch, nachdem sie schon 1345 erfolglos von Eduard III. belagert worden war.

Die letzte Herzogin von Bretagne, Anna, ehelichte Karl VIII. von Frank - reich (1491) und brachte ihm die Bretagne als Mitgift zu.

589Nantes.

Im Jahre 1598 unterzeichnete hier Heinrich IV. das für die Rechte der Evangelischen so wichtige Edict.

Die französische Revolution am Ende des vergangenen Jahrhunderts er - füllte Nantes mit Schrecken und Elend. Die Stadt wurde eine der am ärgsten heimgesuchten Gegenden Frankreichs. Hier mordete 1793 der berüchtigte Carrier, welchen der Pariser Wohlfahrtsausschuss nach Nantes delegirt hatte, mit Guillo - tine und den barbarischen Noyaden oder sogenannten republikanischen Hochzeiten (mariages républicaines).

Die Schiffe konnten damals keinen Anker lichten, ohne dass ein Leichnam

Nantes.

am selben heraufbefördert wurde. Vier Monate währte die Infamie des Carrier, bis auch diesen die Willkür des Convents ereilte.

Das Kaiserreich brachte Nantes, wie allen Seestädten Frankreichs, den Ruin seines Seehandels, und es scheint, dass die Anlage des grossartigen Canals, der die Stadt mit dem Hafen von Brest verbindet (Canal de Bretagne), als Ent - schädigung für die Verluste gelten sollte, welche sie erlitten hatte.

Nantes unter 47° 13′ nördl. Breite und 33′ westl. Länge von Greenwich gelegen, zählt (1886) 127.500 Einwohner und zeichnet sich durch eine für eine Seestadt auffallende Nettigkeit und Sauber - keit der Strassen und Plätze aus.

590Der atlantische Ocean.

Die Stadt besitzt werthvolle Sammlungen, unter welchen das Musée de Tableaux et de Sculptures durch eine reiche Zahl von Kunstwerken, die Bibliothèque publique (100.000 Bände) durch seltene Manuscripte, das Musée d’histoire naturelle und das Musée archéolo - gique durch sehenswerthe Objecte sich auszeichnen.

Nantes verfügt über ein Lyceum, eine École de médecine et de pharmacie, eine hydrographische Schule, dann über Gewerbe - und Zeichenschulen u. dgl.

Zu erwähnen wäre noch der landschaftlich schön angelegte Jardin des Plantes am Nordende der Stadt, der herrliche Bäume, namentlich Magnolien, schattige Wege, Teiche, Cascaden und male - rische Grotten enthält, überhaupt einer der prächtigsten öffentlichen Gärten Frankreichs ist.

Wie bereits erwähnt ist die commercielle Situation von Nantes durch die veränderten Navigationsverhältnisse von Jahr zu Jahr eine misslichere geworden. Es mangelte deshalb nicht an Projecten, die - selbe zu bessern. Alle drehen sich darum, die grosse Schiffahrt bis Nantes zu ermöglichen. Ausser verschiedenen projectirten Strom - regulirungsarbeiten, die allmälig durchgeführt werden, verspricht man sich durch die Herstellung eines Schiffscanals, der zwischen La Martinière und Paimboeuf längs dem linken Ufer der Loire ausge - hoben werden soll und auf 14 km Länge projectirt ist, eine kräftige Abhilfe. Der Canal, dessen Bau 1882 begann, soll 4·4 m Tiefe erhalten.

Die Gezeiten sind bis oberhalb Nantes fühlbar; im letztgenannten Hafen steigt die Springflut 5·9 m. Die Flutwelle legt den Weg von Saint-Nazaire bis Nantes in 2 Stunden 45 Minuten (5 m in der Se - cunde) zurück.

Nantes, der alte Sammelplatz und Ausfuhrhafen für das frucht - bare und reiche Becken der Loire, hat seit der Schaffung seines Vorhafens St. Nazaire jede Bedeutung für die Ausfuhr ins Ausland verloren, weil dieser Theil des Verkehres durch grosse Schiffe ver - mittelt wird; nur die Ausfuhr im Küstenhandel, vorab nach Bordeaux und Bayonne belebt seinen Hafen.

Dafür ist die Einfuhr aus dem Auslande, zumal aus Westindien, wohl nicht auf der alten Höhe geblieben, aber sie übertrifft die Ein - fuhr dem Werthe nach um das Vierfache, und alle diese Waaren sind für den Verbrauch in Frankreich und nicht zum kleinsten Theile für die Bedürfnisse der ausgebreiteten und mannigfaltigen Industrie von Nantes bestimmt.

591Nantes.

Auf seiner commerciellen und seiner Fabriksthätigkeit, der auch die bedeutende Einfuhr im Wege des Küstenhandels dient, und auf den Capitalien und Verbindungen seiner alten Kaufmannshäuser be - ruht das Uebergewicht von Nantes gegenüber dem jungen Saint - Nazaire. Denn die Kaufleute, die Agenten der Seeassecuranzen, alle jene Einrichtungen, welche zum Wesen einer Handelsstadt gehören, befinden sich in Nantes und fehlen in St. Nazaire; dieses ist die richtige Succursale, der Hilfsplatz der Mutterstadt, die ihn ja ge - schaffen hat.

Nantes erwartet sogar von der oben angeführten Vertiefung der Unter-Loire eine Steigerung seines Handels auf Kosten von Saint - Nazaire; doch diese dürfte sich kaum bei der Ausfuhr ins fern gelegene Ausland geltend machen, dafür aber um so kräftiger für den Küsten - verkehr und die Ausfuhr von Nahrungsmitteln nach England, die heute über St. Nazaire hinausgehen.

Den werthvollsten Theil der Ausfuhr ins Ausland bilden die Erzeugnisse der Industrie, und zwar Farbholzextracte (1888 10.127 q, Werth 1,286.118 Francs) französischen Ursprungs, dann Maschinen (8566 q, Werth 1,134.850 Francs) und Metallwaaren (33.314 q, Werth 1,017.184 Francs), beide zum grösseren Theile aus - ländischer Herkunft.

Die übrigen Artikel der Ausfuhr sind nationalen Ursprungs. Wir nennen als solche zunächst Getreide und Mehl, gewöhnliche Hölzer und Möbel sowie andere Arbeiten aus Holz.

Auch die in Nantes conservirten Nahrungsmittel, dann Düngemittel bilden einen ansehnlichen Posten der Ausfuhr.

Die Ausfuhr im Wege des Küstenhandels übertrifft der Menge nach die Ausfuhr ins Ausland um die Hälfte; ihre wichtigsten Artikel sind Getreide und Mehl, Baumaterialien, Zucker und Düngemittel.

Nantes ist im Stande, auch neben St. Nazaire seine Stellung als Entrepôt für den Eintritt der Colonialwaaren in das Loirebecken zu behaupten; das beweist die Zunahme der Einfuhr von westindischem Rohrzucker, dem wichtigsten Ar - tikel der Einfuhr unseres Hafens (1888 401.737 q, Werth 14,864.260 Francs, 1887 343.205 q).

Aus Westindien kommen auch Cacao (1888 40.678 q, Werth 7,078.007 Francs) und Kaffee.

Wichtige Einfuhrartikel sind ferner Wein aus Portugal und Spanien (1888 126.926 q, Werth 4,077.554 Francs), Tafelfrüchte (1888 56.625 q, Werth 1,866.552 Francs), Olivenöl (1888 14.610 q), ölhältige Samen, Fette und Fische.

Zu nennen sind noch gewöhnliche Hölzer (1888 247.017 q, Werth 2,262.057 Francs) aus Nordeuropa und Nordamerika, dann für die Verarbeitung in den Fabriken von Nantes Hanf (1888 29.012 q, Werth 2,249.762 Francs, 1887 42.780 q) aus Russland, Hadern, Gusseisen und Stahl (1888 130.237 q), Kupfer und Blei.

592Der atlantische Ocean.

Die Einfuhr im Wege des Küstenhandels kommt zumeist aus Dünkirchen und Boulogne, dann aus Bordeaux und Marseille und umfasst Steine und Erde zum Verbrauche in der Industrie, Eisen und Stahl, Baumaterialien, Fette und Weine.

Die Bedeutung der Industrie für den Handel von Nantes wurde bereits hervorgehoben.

In der Stadt selbst und in dem benachbarten Chantenay sind grosse me - tallurgische Fabriken, Giessereien für Blei, Eisen und Kupfer, Fabriken für Ackerbaumaschinen, Schiffsbauanstalten und ein grosses Etablissement für Glas - malerei.

Hier werden Baumwoll -, Schafwoll - und Leinenwaaren, besonders Netze und Segeltuch, Seidenwaaren, ferner Leder und Möbel erzeugt; aber die Textil - industrie wird von der Uebermacht der in der Normandie angesiedelten zurück - gedrängt.

Bedeutend ist die Fabrication von Seife, Oel und Oelkuchen, dann die Tabakfabrik, welche 1800 Arbeiter beschäftigt.

Für die Versorgung der Schiffe bestehen grosse Anstalten zur Conservi - rung von Gemüse und Fleisch; hochberühmt sind endlich die Sardinen von Nantes .

Seit der Stockfischfang auf der Neufundlandbank betrieben wird, streichen an den südwestlichen Küsten die Sardinen. Ihr Fang bildet die Grundlage einer einträglichen Industrie, und nirgends versteht man sich besser darauf, die kleinen zarten Fische in Oel einzulegen, als in Nantes.

Aber seit 1879 sind die Sardinen den Gestaden untreu geworden, die sie seit Jahrhunderten aufgesucht haben, sie weilen mit Vorliebe an den Küsten von Portugal und Spanien, und erst 1888 erschien wieder der Fisch in grossen Mengen an der Mündung der Loire.

Man nimmt an, dass der Golfstrom, der die Abfälle der gefangenen Fische von Neufundland an die Küsten Frankreichs bringt, seinen Lauf geändert habe und dass mit ihm die Sardinen dem Futter nachziehen.

Bis 1878 blühten in Nantes die Raffinerien des westindischen Rohrzuckers, man nannte es mit Recht die Zuckerstadt .

Aenderungen des Steuersystems haben den Schwerpunkt der Raffinerien nach Paris verlegt.

Legende zum Hafen von Nantes. A Einfahrt nach Nantes, B Seehafen, C Insel Feydeau, D Flusshafen (Port fluvial) E Bras de l’Hopita F Leuchtfeuer, G Pont de la Rotonde, H Bras de la Bourse, I Pont de la Belle-Croix. J Pont d’Aiguillon K Docks, L Pont Mandit, M Pont de la Bourse, N Pont Haudaudine, O Pont de la Madeleine, P Eisen bahnbrücke, Q Pont de Pirmil, R Canal Cadet-Dubois, S Canal de Chantenay, T Canal Nord-Sud U Canal Est-Ouest, V Canal Pelloutier, W Canal Blanchard, X Dämme (Digues submersibles) Y Cana von Nantes nach Brest, Z Pont de Trachtir am Malakoff-Quai. 1 Château (Burg), 2 Kathedrale 3 Ronde de la Duchesse Anne, 4 Cours St. Pierre, 5 Place Louis XVI., 6 Lyceum, 7 Friedhof, 8 Boule - vard Sébastopol, 9 Personenbahnhof der Comp. d’Orleans, 10 Tabakfabrik, 11 Hôtel Dieu, 12 Chaussée de la Madeleine, 13 Kirche St. Croix, 14 Hôtel de Ville, 15 Préfecture, 16 Gaswerke, 17 Kirche St. Similien, 18 Theater de la Renaissance, 19 Justiz-Palais, 20 Gefängniss, 21 Boulevard Delorme, 22 Kirche St. Nicolas, 23 Grand Théâtre in der Place Graslin, 24 naturhistorisches Museum, 25 Börse, 26 Hallen, 27 Place Royale und Rue Crébillon mit Gallerien der Passage Pommeraye, 28 Rue Voltaire, 29 Cours Cambronne, 30 Zollamt, 31 Station de la Bourse, 32 Notre-Dame de Bon-Port (Place du Sanitat), 33 Place Launay, 24 Avenue Launay, 35 Rue Jean Jacques Rousseau, 36 Banque de France, 37 Boule - vard St. Aignan, 38 Place Canelaux, 39 Friedhof Ste. Anne, 40 Station von Chantenay, 41 allgemeines Hospital de St. Jacques, 42 Friedhof St. Jacques, 43 Schiffswerften, 44 Steinbruch von Mizery.

[593]
Nantes (Massstab 1: 41.100; Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 592.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 75594Der atlantische Ocean.

Der Waarenhandel von Nantes betrug:

〈…〉〈…〉

Schiffsverkehr:

〈…〉〈…〉

Nantes steht in Dampfschiffsverbindung mit Hâvre, mit England, den spanischen Plätzen, Marseille, Algier, Smyrna und den Mascarenen.

Den Dienst auf der Loire besorgen 4 Unternehmungen.

Eisenbahnverbindungen besitzt Nantes mit St. Nazaire, seinem Vorhafen auf dem rechten Ufer der Loire und mit Paimboeuf auf dem linken. Diese sind Flügel von zwei der sieben Bahnen, welche von Nantes in das Innere des Landes führen. In die Bretagne besteht überdies die bereits erwähnte Canalver - bindung bis Brest.

In Nantes bestehen Succursalen der Bank von Frankreich und von drei anderen Banken.

Nantes ist Sitz einer Handelskammer und eines Handelsgerichtes.

In Nantes bestehen Consulate folgender Staaten: Argentinien, Belgien, Chile, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Grossbritannien, Haïti, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Peru, Schweden und Norwegen, Schweiz, Türkei, Uruguay, Venezuela.

[595]

Saint-Nazaire.

Wie die meisten atlantischen Häfen Frankreichs, leiden auch jene des Gebietes der Loire unter der Calamität eines geringen Wasserstandes, ein Uebelstand, der mit der wachsenden Grösse der Seeschiffe und der fortschreitenden Versandung sozusagen im qua - dratischen Verhältnisse wächst. Nantes und sein einstiger Vorhafen Paimboeuf büssten durch die gedachten ungünstigen Verhältnisse ihre Stellung als grosse Hafenplätze vollständig ein, wohingegen Saint - Nazaire mit seinem geräumigen Kunsthafen zu dem Range einer für Frankreich höchst wichtigen Echelle emporgestiegen ist.

Indes sind die Schiffahrtsverhältnisse für grosse Seedampfer auch dort nicht günstig zu nennen, denn die ausgedehnte Versandung an der Mündung der Loire liess nur längs des nördlichen Ufers eine schmale Wasserstrasse von 7 bis 11 m Tiefe offen, allein um in die - selbe zu gelangen, müssen die Schiffe nächst dem Cap Chemoulin eine Barre übersetzen, welche bei tiefstem Ebbestande nur 3·4 m Wasser hat, daher von grossen Schiffen nur bei Hochwasser, welches hier 4·1 bis 6·1 m (Springflut) ansteigt, zu passiren ist.

Die Loire-Mündung hat an ihrer äussersten Erstreckung zwi - schen Cap Chemoulin im Norden und der Pointe de Saint-Gildas eine Breite von 12 km. Mehrere Riffe, wie die beiden Charpentier, le Vert, les Jardinets, la Truie und der Fels des Morées entsteigen aus den sandigen Ablagerungen. Man hat die meisten der Riffe mit Leucht - feuern ausgestattet. In das Labyrinth der Sandbänke führen zwei Fahrstrassen: im Norden der Grand Chenal du Nord, der nach Saint-Nazaire geleitet, und südlich desselben der Grand Chenal de la Loire, auch Chenal du Sud genannt.

Saint-Nazaire ist eine Schöpfung der neuesten Zeit. Noch zu Beginn der Fünfzigerjahre war der Hafen ein bescheidener Zu - fluchtsort für Fischerbarken und Lootsenboote, dem jede Handels - bedeutung abging, heute dagegen ist der mit ausgedehnten Flut -75*596Der atlantische Ocean.bassins von mehr als 33 ha Oberfläche ausgestattete Platz einer der wichtigsten Verschiffungshäfen Frankreichs, insbesondere einer der bedeutendsten Ausgangspunkte des grossartigen Passagierverkehrs zwischen Europa und Nordamerika geworden. Ein so rascher Auf - schwung ist sonst nirgends an der französischen Küste vorgekommen*)Bei der nachfolgenden Schilderung haben wir das grosse officielle Werk Port maritimes de la France, insbesondere die interessante Arbeit des Ingenieur en Chef des Ponts et Chaussées M. René Pocard Kerviler benützt..

Die grossartigen Hafenbauten in Saint-Nazaire und die umfas - sendsten Vorstudien für dieselben, welche von berufenen Persönlich - keiten ein halbes Jahrhundert lang gepflogen wurden, haben in oro -

Saint-Nazaire.

graphischer und ethnographischer Hinsicht äusserst werthvolle Re - sultate geliefert. Es wurde dadurch festgestellt, dass der Boden, auf dem Saint-Nazaire steht, zu den ältesten cultivirten Plätzen von ganz Europa gehört, indem das Gebiet, auf dem der südliche Theil der Stadt heute sich befindet, schon in der Bronzezeit besiedelt war, und es konnte durch scharfsinnige Beobachtungen ermittelt werden, dass die[597]

Saint-Nazaire (Massstab 1: 15.500; Sonden in Metern).

A grosse Rhede, B kleine Rhede, C Einfahrt zu den Bassins (Chenal d’accès), D Bassin à flot de Saint-Nazaire, E Schleussen in der Einfahrt, F Leuchtfeuer, G Schleusse von Penhouët, H Drehbrücke, J Bassin à flot de Penhouët, K Zufluss, L Trockendocks, M Ebbestrand, N Port d'échouage, O Schutz - damm (Cavalier d’abri), P Wertten der Comp. Transatlantique, Q Werften der Loire, R Gürteldamm (Digue de ceinture), S Personenbahnhof, T Waarenbahnhof, U Hafenbahnhof und Zollamt, V Bureaux und Werkstätten der Comp. Transatlantique, W Kaserne der Zollwächter, X Waarenbahnhof des Local - verkehrs, Y Boulevard Leferme, Z Hafenamt. 1 Boulevard de l’Océan, 2 Stadthaus (Mairie), 3 Jardin public, 4 Gebäude der Comp. Transatlantique, 5 Place Marceau, 6 St. Godard-Kirche, 7 Justiz-Palais, 8 Gefängniss, 9 Post und Telegraph, 10 Rue de haute, 11 Préfecture, 12 Holzpark.

598Der atlantische Ocean.durchschnittliche Zunahme der Anschwemmungsschichte im Laufe eines Jahrhunderts nur 0·33 m betragen hat. Wir müssen hier beifügen, dass zwischen den Hügeln, die im Terrain der Stadt aufragen, damals ein vielfach verzweigter Hafen mit einzelnen Inseln sich befand.

Die Römerzeit war auch hier eine Periode der Blüthe, und es darf ange - nommen werden, dass die Ansiedlung Brivates Portus mit dem Orte des heutigen Saint-Nazaire identisch ist. Die Versandung machte hier rapide Fortschritte. Im III. Jahrhundert hatte Brivates nur mehr 1·5 m Wassertiefe und zu Ende der Römerherrschaft (V. Jahrhundert) war von einem Hafen keine Rede mehr. Das heutige Brivetflüsschen, welches nördlich von Saint-Nazaire mündet, hatte seinen Namen ohne Zweifel dem römischen Hafen entlehnt.

Das Christenthum fand noch während des letzten Abschnittes der Römer - herrschaft in Brivates Eingang, und schon damals ward die Pfarre Saint-Nazaire gegründet, die bald zu Ansehen und Bedeutung gelangte.

Der Graf von Vannes (Waroch), ein gallisch-romanischer Führer, erbaute dort Befestigungen und hob Schiffahrtszölle ein. Doch wurde der Ort in der Folge mehrmals durch die Normannen geplündert und stellte sich schliesslich unter den Schutz der Herzoge von Bretagne, welche Saint-Nazaire durch Ertheilung von Pri - vilegien zu unterstützen trachteten.

Im Jahre 1375 wehrte der Ort den Angriff der Spanier heldenmüthig ab. Bis in die neueste Zeit hatte Saint-Nazaire die Rolle eines militärischen Schlüssel - punktes der Loire innegehabt die Stadt führt vielleicht deshalb einen Schlüssel im Wappen und niemals erwähnt die Geschichte von handelsmaritimen An - stalten, welche dort frühererzeit gegründet worden wären, wohingegen die 12 km flussaufwärts am linken Ufer liegende Stadt Paimboeuf, weil weniger den Raub - zügen der Piraten und in Kriegszeiten den Angriffen feindlicher Flotten ausgesetzt, bis in unser Jahrhundert hinein ihre Stellung als Vorhafen von Nantes behaupten konnte.

Erst im Jahre 1802 wurden die ersten Vorerhebungen zur Schaffung eines Hafens in Saint-Nazaire gepflogen. Dort sollte ein Waffenplatz entstehen, allein das betreffende Project der Ingenieure Groleau und Goury wurde nicht ausgeführt. Es ist begreiflich, dass auch Napoleon I. derselben Frage sich bemächtigte; der Kaiser soll im August 1808 nach Nantes gekommen sein und hätte die Loire bis Saint-Nazaire befahren. Bei dieser Gelegenheit habe er den Minister Decrès beauf - tragt, die Schiffahrtsverhältnisse der Loire und die Anlage eines befestigten See - hafens durch die begabten Ingenieure Sganzin und Prony studiren zu lassen. Diese erklärten, dass man auf eine Melioration der Loire zwischen Nantes und Saint - Nazaire wohl verzichten müsse, ferner dass Paimboeuf nur mit einem Quai aus - zustatten wäre, endlich dass der einzige Ort, wo ein grosses Etablissement errichtet werden sollte, Saint-Nazaire sei. Dort projectirten sie ein grosses Bassin mit Schleussen, dessen Herstellung im Vereine mit jener der Dämme und Schutz - bauten 8 Millionen Francs gekostet haben würde. Der Kaiser erkannte, dass Saint-Nazaire nicht die strategische Bedeutung habe, welche er hinter dem Platze vermuthete, und unterliess es deshalb in gewohnter Weise, grosse Opfer für einen halben Zweck zu bringen.

Vom Jahre 1822 bis in die Fünfzigerjahre jagte ein Project das andere bis am 25. December 1856 das erste grosse Flutbassin599Saint-Nazaire.(Bassin à Flot) bei 10 ha Wasserfläche und 25 m Weite der Schleusse thatsächlich eröffnet werden konnte.

Mit der Eröffnung der Eisenbahn nach Nantes (10. August 1857) war die Zukunft von Saint-Nazaire gesichert. Der Schiffahrtsverkehr hatte übrigens zur Zeit, als das Bassin noch nicht ganz vollendet war, so zugenommen, dass der Bau eines zweiten Beckens in Aus - sicht genommen werden musste. Die Initiative hiezu ging von der Eisenbahngesellschaft Nantes-Saint-Nazaire aus, welcher es daran ge - legen war, einen günstig situirten und möglichst frequentirten Hafen - bahnhof zu erlangen. So entstand das grosse Bassin von Penhouët mit seinen Trockendocks, Krahnen und Magazinen.

Die Comp. Maritime hatte in Saint-Nazaire sich etablirt, und am 14. April 1862 lief unter grossen Festlichkeiten das erste Paketboot La Louisiane nach Mexico aus.

Als dann dieselbe Gesellschaft in die grosse Cie. Générale Transatlantique umgewandelt war und die Verpflichtung hatte, die Hälfte ihres schwimmenden Flottenmaterials in Frankreich zu er - bauen, schuf sie in Saint-Nazaire ihre grossartigen Werften und Werkstätten, welcher Umstand den schnellen Aufschwung des Städt - chens sehr begünstigte.

Ueber die Hafenanlagen gibt unser Plan ausreichende Details. es sei nur beigefügt, dass das grösste der im Bassin de Penhouët erbauten Trockendocks 150 m Länge, 18 m Breite und 7·3 m Tiefe besitzt, daher für die grössten Seedampfer ausreicht. Das zweit - grösste Dock hat 140 m Länge, 25 m Breite und 7·3 m Tiefe.

Die Gesammtkosten des Hafens beliefen sich bis zum Jahre 1882 auf 37·7 Millionen Francs.

Saint-Nazaire zählte 1837 nur 3800 Einwohner, 1866 schon deren 18.879 und 1886 bereits 25.575.

Ueber die Stadt selbst ist wenig zu berichten, sie ist, wie ihr Hafen, eine neue Schöpfung, mit rein mercantilem Ausdruck.

Unter 47° 16′ nördl. Breite und 12′ westl. Länge von Green - wich gelegen, kann die Stadt keinen Anspruch auf besonders günstige klimatische Verhältnisse erheben.

Saint-Nazaire ist Sitz eines Unterpräfecten, eines Gerichtshofes erster Instanz und einer Handelskammer; die Stadt verfügt über eine hydrographische Schule, ein städtisches Collegium und ein Handels - museum.

Der Werth des Handels von Saint-Nazaire, das 60 km von Nantes und 466 km von Paris entfernt ist, hat den von Nantes, namentlich in der Ausfuhr,600Der atlantische Ocean.schon lange überflügelt. Aber Saint-Nazaire ist doch bis heute nur der Vorhafen von Nantes geblieben, in welchem sich der Waaren - und der Schiffsverkehr, aber nicht der Handel vollziehen. Beweis dafür ist die geringe Ausdehnung des Entre - pôtverkehres.

Die Ausfuhr beruht auf dem Reichthum der Umgebung der unteren Loire an Producten des Ackerbaues und der Viehzucht, welche meist auf Schiffen der Cie. Générale Transatlantique nach England geschickt werden, und auf der Aus - fuhr von Industrieerzeugnissen Frankreichs und anderer Staaten Europas nach Westindien und den angrenzenden Theilen des romanischen Amerikas, die mit Saint - Nazaire in regelmässiger Dampfschiffahrtsverbindung stehen. Der Küstenhandel spielt in Saint-Nazaire keine grosse Rolle.

Die Producte der Viehzucht und des Fischfangs, nämlich gesalzene Butter, Eier und Fische zusammen bildeten 1888 mehr als den fünften Theil der Aus - fuhr von Saint-Nazaire ins Ausland. Die Ausfuhr von gesalzener Butter er - reichte 1888 27.144 q (Werth 7,193.094 Francs), 1887 25.426 q, die der Eier, von Geflügel und Wildpret 1888 53.914 q (Werth 6,469.633 Francs), 1887 58.311 q.

Für die berühmten Sardinen von Nantes ist Saint-Nazaire der Ausfuhrplatz, denn von marinirten oder in Oel eingelegten Fischen wurden 1888 33.977 q (Werth 3,788.871 Francs), 1887 17.360 q ausgeführt. Ein regelmässiger Ausfuhr - artikel von Saint-Nazaire sind Austern für Brutzwecke (1888 2818 q, Werth 3,100.108 Francs).

Von Producten des Ackerbaues sind zu nennen Wein, der auch im Wege des Küstenhandels zugeführt wird (1888 33.977 q, Werth 3,788.871 Francs) und der aus Wein dargestellte Cognac (1888 9197 q), dazu Tafelfrüchte (23.814 q).

Nicht französischen Ursprungs sind Getreide und Mehl, Tabakfabricate (1888 23.814 q), Cacao und Kaffee.

Im Jahre 1888 erscheint Saint-Nazaire auch als wichtiger Durchfuhrhafen für Schwämme mit 762 q (Werth 1,528.812 Francs).

Auch die Ausfuhr von Kohlen (1888 645.475 q) ist erwähnenswerth.

Die Ausfuhr von Erzeugnissen der Textilindustrie hat 1888 einen höheren Werth erreicht als in früheren Jahren. Es wurden 18.437 q (Werth 9,136.784 Francs), 1887 11.625 q Baumwollstoffe ausgeführt; die Steigerung des Werthes um 3 Millionen Francs entfällt ausschliesslich auf französische Erzeugnisse.

Auch die Ausfuhr von Schafwollwaaren ist von 2196 q im Jahre 1887 auf 5517 q im Jahre 1888 gestiegen; die von Kleidern und Wäsche erreichte 1888 2293 q (Werth 3,135.080 Francs), die von Modewaaren 2159 q (Werth 2,170.204 Francs).

Diese Waaren sind fast alle französische Erzeugnisse, wie auch Arbeiten aus Fellen und Leder (1888 2878 q, Werth 6,490.270 Francs), zubereitete Felle, Papier (9418 q, Werth 1,631.122 Francs), Kurzwaaren (1943 q, Werth 1,399.212 Francs), Farbholzextracte (12.488 q), Medicamente (4241 q), endlich Glas und Porzellan.

Nicht französischer Herkunft sind der weitaus grösste Theil der Gold - und Silberwaaren (1888 9 q, Werth 1,614.703 Francs), die Uhren und ein Theil der Metallwaaren und Maschinen, welche den Hafen von Saint-Nazaire verlassen.

Die Ausfuhr im Wege des Küstenhandels umfasste 1888 266.328 q; Metall - arbeiten, Kohle, Getreide und Mehl bildeten den Haupttheil derselben. Fast die Hälfte des Verkehres ging nach Hâvre.

601Saint-Nazaire.

Den Hauptstock der Einfuhr von Saint-Nazaire bilden Nahrungs - und Genuss - mittel, vor Allem Getreide und Mehl (1888 330.376 q, Werth 6,574.041 Francs, 1887 486.073 q), dann Reis und Hülsenfrüchte, Tabakfabricate aus Westindien (1888 1807 q, Werth 2,127.027 Francs), Wein (1888 38.741 q) aus Spanien und Portugal, Cacao und Kaffee aus Westindien. Wichtig sind ferner ölhaltige Pflanzen; Bauholz kommt aus Nordeuropa und Nordamerika (1888 209.360 q, Werth 1,562.186 Francs).

Erheblich ist auch die Einfuhr von Jute (1888 16.541 q) und neuseelän - dischem Hanf, ferner die von neuseeländischem Flachs und Manilahanf.

Aus dem Thierreiche sind zu nennen Fettwaaren nordamerikanischer Pro - venienz und von Mineralien englische Kohlen, der erste Artikel der Einfuhr von Saint-Nazaire (1888 5,810.652 q, Werth 8,715.978 Francs, 1887 5,291.539 q) für die Versorgung der von hier ausgehenden Dampfer und Blei (1888 35.437 q).

Man erkennt in der Einfuhr den Einfluss der Industrien von Nantes.

Unter den eingeführten Erzeugnissen der Industrie sind die für das Aus - land bestimmten die wichtigeren. Dahin gehören Baumwollwaaren (1888 7875 q, Werth 4,024.542 Francs, 1887 6859 q), Schafwollwaaren, Schwämme, Gold - und Silberwaaren, Metalle und Metallarbeiten. Für den Verbrauch in Frankreich sind bestimmt Garne und eiserne Schiffe, beide Erzeugnisse Grossbritanniens.

Die Einfuhr im Wege des Küstenhandels (1888 153.992 q) umfasst fast nur Rohproducte, von welchen Baumaterialien, Wein, Salz, Stahl und Eisen die wich - tigsten sind.

Der auswärtige Waarenhandel von Saint-Nazaire betrug:

〈…〉〈…〉

In Saint-Nazaire, als einem wichtigen Einschiffungsorte der Weltpost, ist auch der Verkehr mit Edelmetallen von einem grossen Umfange; er erreichte 1888 die auffallende Höhe von 36,220.078 Francs in der Ausfuhr und von 45,217.049 Francs in der Einfuhr.

Der Schiffsverkehr betrug:

〈…〉〈…〉

Von dem auswärtigen Schiffsverkehre entfällt der Haupttheil beim Einlauf auf Grossbritannien, beim Auslauf auf Grossbritannien und Spanien. Die britische Flagge stellt dazu eine grössere Zahl von Tonnen als die französische.

Saint-Nazaire ist Frankreichs Haupthafen für den Postverkehr mit Westindien, welchen die Cie. Générale Transatlantique vermittelt. Eine Linie geht über Guadeloupe und Martinique und die Nordküste Südamerikas nach Colon; in Martinique schliesst eine Zweiglinie nach Cayenne an. Die zweite Linie führt über Santander und Habana nach Veracruz, und auch die Linie Hâvre-Bordeaux - St. Thomas-Haïti landet in Nantes.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 76602Der atlantische Ocean.

Die Cie. Générale Transatlantique unterhält aber auch Fahrten an die Westküste von Südamerika.

Saint-Nazaire ist ferner Station der Cie. Hâvraise Péninsulaire de Naviga - tion à vapeur, welche regelmässige Fahrten nach Hâvre, Belgien, Portugal, Spanien und Algier, ferner nach Mauritius, Réunion und Madagaskar unternimmt.

Die Häfen Europas von Belgien bis Marseille besucht die Société Navale de l’Ouest.

Die eigene Marine von Saint-Nazaire umfasste Ende 1888 23 Dampfer mit 17.243 Tons und 71 Segelschiffe mit 5344 Tons.

In Saint-Nazaire besitzt die Bank von Frankreich eine Nebenstelle (bureau auxiliaire).

Consulate haben an diesem Platze folgende Staaten: Belgien, Chile, Columbia, Deutsches Reich (V. -C. ), Dominikanische Republik, Ecuador, Gross - britannien (V. -C. ), Guatemala, Haïti, Honduras, Mexico, Nicaragua, Niederlande (V. -C. ), Peru (V. -C. ), Russland (V. -C. ), S. Domingo, S. Salvador, Schweden und Norwegen (V. -C. ), Spanien, Uruguay (V. -C. ), Venezuela.

[603]

Le Hâvre.

Mit unübertrefflichem Scharfblick und Geist charakterisirte Na - poleon I. die wirthschaftliche Situation des Gebietes der unteren Seine. Paris, Rouen und Hâvre bilden nur eine Stadt, deren Haupt - strasse die Seine ist , war sein Ausspruch, und wenn wir die seither eingetretenen grossartigen Veränderungen an den Ufern der Seine, den Aufschwung des Verkehrs, das Anwachsen der Städte und das leb - hafte Drängen nach Schaffung eines Seehafens in Paris beachten, so muthet es uns heute an, als ob der gewaltige Mensch, vor dem Europa erbebte, einen prophetischen Blick in eine glänzende Zukunft geworfen hätte, allerdings in eine Zukunft der friedlichen Arbeit und Entwicklung, die sein Unstern dem französischen Kaiserreiche nicht gegönnt hatte.

Die Dampfschiffahrt und der Eisenbahnbau, die Zeit und Weg abkürzenden Elemente des heutigen Verkehrs, haben denn auch die Bedeutung von Hâvre rasch gehoben und die glücklich gelegene Stadt zu einem Welthandelsplatz erster Ordnung umgeschaffen.

Am westlichen Ende des tief eingeschnittenen Limans der Seine breitet sich am Nordufer unter 49° 29′ nördl. Breite und 7′ östl. Länge v. Gr., zu Füssen einer mässig hohen Terrainwelle, die von schönen Boulevards und breiten Strassen durchzogene Stadt Le Hâvre aus. Ein grossartiges System von geräumigen Bassins, in welchen ein äusserst lebhafter Verkehr pulsirt, ist tief in das Weichbild hin - eingeführt; es ist ihr Herz, dessen Thätigkeit das Leben der Stadt bedeutet.

Breite Quais, meist von Schienenwegen durchschnitten, führen längs der Bassinufer hin und gestatten den Einblick in das vielfache und fesselnde Getriebe eines lebensvollen Handelsplatzes. Wo immer hin wir die Schritte lenken, überall zeigt uns das Hafenbild neue Reize, gewährt es dem Geiste neue Anregungen.

Sehr besucht sind die beiden Schutzdämme der etwa 75 m76*604Der atlantische Ocean.schmalen Hafeneinfahrt, namentlich die weit in See geführte Jetée du Nord, zu deren Leuchtthurm bei jeder Tageszeit die schaulustige Menge wogt.

Auf hohen Masten werden die gesichteten Schiffe signalisirt, der Stand der Gezeiten durch Flaggensignale bekanntgegeben und herannahende Stürme angezeigt. Hier defiliren alle die vielen an - kommenden nnd auslaufenden Schiffe und wechseln den ersten oder letzten Gruss.

Der nördliche Damm gewährt auch einen lohnenden Blick auf die Rhede von Hâvre, mit der Fernsicht gegen die offene See; in maleri - scher Perspective entwickelt sich die Westseite der Stadt zur Seite der hellen Strandfläche, auf welcher die schäumenden Wogen in ewigem Spiele sich brechen. Das ist der Boulevard maritime, der hinausführt nach der Villenstadt Sainte-Adresse, einem sehr beliebten Ausflugsorte der grossen und kleinen Welt. Im Hintergrund zeigen das Cap la Hève, die Hügel von Sainte-Adresse und der langgestreckte Rücken von Ingonville mit ihren Villen und Gärten hübsche Contouren, und im Vordergrunde entsteigt neben den gewaltigen Erdwällen einer Batterie der weitläufige Palast des grossartigen Hôtels Frascati dem sandigen Strande. Eine luftige Brücke verbindet das Gebäude mit der in See erbauten Badeanstalt.

Gegen die Stadt zu fällt der Blick auf den sehr belebten Grand Quai, welcher die Nordseite des Vorhafens einnimmt. Die Häuser - front zeigt meist hohe, schmucklose Gebäude, und nur das Museum, welches die glänzende Rue de Paris flankirt, zeigt mit seinem plasti - schen Schmuck, seinen Säulen und breiten Fenstern einen ausge - sprochenen Styl.

Am Grand Quai haben die nach Trouville, Honfleur und Caen verkehrenden Dampfer den Anlegeplatz. Der Menschenstrom flutet von hier grösstentheils in die oben erwähnte Rue de Paris, die schönste und belebteste Verkehrsader von Hâvre, wo die elegantesten und grössten Verkaufsmagazine zu finden sind. Man überblickt die Strasse ihrer ganzen Länge nach bis zu den prächtigen Parkanlagen der Place de l’Hôtel de Ville. Der schöne Renaissancebau des Stadt - hauses entstand in den Jahren 1855 bis 1859; er kehrt seine durch plastischen Schmuck gezierte Hauptfront dem Parke zu. Ein 42 m hoher Thurm krönt den Mittelpavillon des Gebäudes.

Durch die Rue de Paris gelangt man zu der Place Gambetta, welche sich gegen die weite Wasserfläche des Bassins du Commerce öffnet. Der Platz ist von stattlichen Gebäuden mit Laubengängen und von[605]

Le Hâvre.

606Der atlantische Ocean.Baumanlagen eingefasst, unter welchen der Blumenmarkt abgehalten wird. Das Hauptgebäude ist hier das Grand Théâtre, welches, 1825 errichtet, im Jahre 1843 niederbrannte und hierauf reconstruirt wurde.

Wie unser Plan zeigt, durchschneidet der mit breiten Baum - alleen gezierte Boulevard de Strassbourg die Stadt von der Rhede bis zur Passagierstation der Eisenbahn nach Paris. Diese mehr als 2 km lange Strasse schliesst sich an der Seeküste an den Boulevard maritime, im Osten aber an den Cours de la Republique an. Zum Vor - hafen zweigt noch der Boulevard François I. ab. Alle diese Strassen sind imposante Verkehrswege, die man am liebsten Völkerstrassen für den Massenverkehr nennen möchte, wenn diese Bezeichnung hier zu - lässig wäre. Sie prägen Hâvre einen gewissen grossstädtischen Zug auf. Am Boulevard de Strassbourg liegt der reizende Square Saint-Roch mit prächtigen Gartenanlagen; dort sind in einem hübschen Gebäude das Aquarium und eine maritim-physiologische Versuchsstation unter - gebracht. Ein Theil des Parkes ist in einen botanischen Garten um - gewandelt, ein anderer in einen jardin ornithologique d’acclimatation, der eine hübsche Volière, Fasanerie u. dgl. enthält.

Im östlichen Theile desselben Boulevards liegt das im Styl Ludwig XIII. erbaute Palais der Sous-Préfecture, und vor der Front desselben öffnet sich die mit Baumanlagen ausgestattete Place de la Sous-Préfecture und deren Fortsetzung die Place du Commerce, welche am gleichnamigen Bassin ausmündet. In der Mitte hat man das frei - stehende Börsengebäude, einen 1878 bis 1880 entstandenen Monu - mentalbau mit zwei Hauptfaçaden errichtet. Es ist ein imposantes Gebäude mit geschmackvollen architektonischen Details und plasti - schen Allegorien. Die beiden Haupteingänge im Norden und Süden führen durch Säulenhallen. Hohe Dome krönen den Bau.

Im Gebäude der Börse haben unter anderem die Gesellschaft für Handelsgeographie, die Handelskammer, die Mustersammlung, das Handelsmuseum, Gallerien und Bibliotheken u. dgl. Platz gefunden.

Ein sehenswerthes Gebäude ist das erst 1876 fertiggestellte Palais de Justice, das seine in griechischem Styl gehaltene Haupt - front dem Boulevard zuwendet. Die monumentale, zum Atrium führende Treppenflucht bewachen zwei gewaltige decorative Löwen.

Hâvre ist im Allgemeinen eine neue Stadt, und was sie an Bau - werken für den bürgerlichen Dienst und zu wissenschaftlichem Zwecke besitzt, ist, wie wir gesehen haben, in den letzten Jahrzehnten ent - standen. Darin liegt ein untrügliches Zeugniss ihrer Kraft und Energie und ihres Wohlstandes.

607Le Hâvre.

Aus älterer Zeit stammt die Kathedrale Notre-Dame, welche in der Zeit von 1574 bis 1636 in einem aus Gothik und Re - naissance gemischten Styl nach den Plänen des Nicolas Duchemin aufgeführt wurde. Sie wendet das Hauptportal gegen die Rue de Paris. Die Kirche enthält einige sehenswerthe ältere Bilder und Sculpturen, ihre Glasmalereien, welche unter anderem Episoden aus der Geschichte Hâvres darstellen, sind jedoch Werke der neuesten Zeit.

Aelterer Zeit gehören ferner die Kirche Saint-François (XVI. und XVII. Jahrhundert), Saint-Michel (XVII. Jahrhundert) und die 1856 im romanischen Styl reconstruirte Kirche Saint-Nicolas an Letztere entstand an der Stelle der alten Église de Leure. Alle an - deren Gotteshäuser der Stadt, einschliesslich der protestantischen und amerikanischen Kirchen, der anglikanischen und skandinavi - schen Tempel und der Synagoge wurden in der neueren Zeit erbaut.

Erwähnt sei noch die in Sainte-Adresse 1857 durch Fräulein Hélène Marquis aus Paris gestiftete Chapelle de Notre-Dame des Flots, die zu einem vielbesuchten Wallfahrtsort für Seeleute ge - worden ist und von der Höhe hinausblickt weit in die unendliche See. In der Nähe des schmucken Kirchleins errichtete die Gattin des auf der See gestorbenen Generals Lefévre-Desnouettes demselben ein weit sichtbares Denkmal, welches seiner Form wegen Pain de Sucre (Zuckerhut) genannt wird und abseits des pietätvollen Ge - dankens auch bestimmt gewesen sein soll, den Seefahrern als Leit - marke zu dienen. So haben zwei Frauen in Saint-Adresse ihren edlen Herzensregungen bleibend Ausdruck zu geben gewusst.

Unter den wissenschaftlichen Sammlungen wäre noch das natur - historische Museum zu nennen, welches im alten Justizpalaste (gebaut 1758) untergebracht wurde und nebst anderem eine sehr reiche Muschelsammlung besitzt.

Die 40.000 Bände und seltene Manuscripte sowie eine reiche Medaillensammlung enthaltende Bibliothek, das städtische Museum und dessen Bildergallerie und die bereits vorne erwähnten wissen - schaftlichen Anstalten zeigen, dass die emporblühende Stadt auf dem Gebiete der geistigen Bestrebungen ebenso vorwärts schreitet, wie auf jenem der materiellen Entwicklung.

Die ersten Anläufe zur Errichtung eines Hafens in Hâvre de Grâce so hiess ehemals der unbedeutende Ort an der Seinemündung, an dessen Stelle die heutige Stadt entstanden ist erfolgten 1517 unter König Franz I., welcher der Stadt zahlreiche Privilegien gewährte. Die Bevölkerungszahl hob sich dadurch zusehends. Der damals entstandene Hafen wurde in der Folge immer mehr er - weitert und befestigt; namentlich waren es Richelieu und Colbert, welche zur608Der atlantische Ocean.Hebung des Verkehrs sehr viel beitrugen. Das dieserwegen eifersüchtige England entsendete 1694 eine Flotte von 24 Linienschiffen, 12 Fregatten und 13 Bom - bardièren und versuchte sich der Stadt zu bemächtigen. 800 Bomben wurden in die Stadt geworfen, viele Gebäude zerstört, aber die vorzügliche Haltung der Bevölkerung zwang die Engländer zum Abzug.

Hundert Jahre vorher, während der Religionskriege (1562), waren die Engländer, von den Protestanten gerufen, in Hâvre erschienen, aber der Conne - table Montmorency, Brissac und andere Heerführer zwangen sie im folgenden Jahre zur Capitulation.

Der unglückliche Ludwig XVI. war der Stadt sehr zugeneigt und trug auch viel zu ihrer Hebung bei, allein die Revolution unterbrach plötzlich die damals wieder aufgegriffenen Erweiterungsarbeiten des Hafens und der Befestigungen.

Gegenwärtig zählt Hâvre bereits 120.000 Einwohner und ist Sitz eines Civiltribunals und eines Handelstribunals, einer Handels - kammer und einer höheren Handelslehranstalt.

Wenn wir einen Blick auf unseren Plan werfen, so sehen wir die weitläufige Verzweigung der 10 Hafenbassins, welche unter - einander und mit dem der Ebbe und Flut ausgesetzten Vorhafen durch 13 kunstvolle Schleussen verbunden sind. Die Flut erreicht hier eine Höhe von 6·15 bis 7·85 m (Springflut), wodurch das Ein - laufen in den bei Ebbe sehr seichten Einfahrtscanal selbst für die grössten Schiffe ermöglicht wird. Selbstverständlich werden die ange - kommenen Schiffe sogleich in die Bassins aufgenommen und es müssen noch vor dem Beginne der Ebbe die Schleussen geschlossen werden. Die ankommenden und die zur Abfahrt bereiten Schiffe sind deshalb genöthigt, den Eintritt des Hochwassers abzuwarten, welcher Umstand natürlich den eigentlichen Schiffsverkehr immer auf einige Stunden der Hochfluthen zusammendrängt.

Die grossen prächtigen Dampfer der Cie. Générale Transatlantique landen im Bassin de L’Eure, an dessen Ostseite drei gewaltige Trocken - docks für Reparaturen u. dgl. erbaut wurden. Drei andere Docks be - finden sich im Bassin de la Citadelle, welches die Mitte des Hafen - systems einnimmt.

Grossartig sind die Waarendépôts (Magasins généraux) nächst dem Bassin Vauban und Bassin Dock, deren Baulichkeiten eine Fläche von 23 ha einnehmen und Raum für die Unterbringung von 130.000 t Handelsgüter bieten.

Seinen inneren Einrichtungen nach gehört Hâvre heute zu den ersten Häfen Europas, wo der Seemann wie der Kaufmann jede mögliche Bequemlichkeit findet. Doch diese Sicherheit und Bequem - lichkeit müssen sich die Schiffe mühsam erkämpfen. Die ungünstigen Tiefenverhältnisse an der Seinemündung sind natürlich dem An -609Le Hâvre.laufen von Hâvre sehr abträglich. Eine Kette von Sandbarren umschliesst vom Cap de la Hève längs der West - und Südseite der Stadt bis zum linken Seine-Ufer, ein weites Gebiet, welches grosse Schiffe nur bei Hochwasser zu durchschneiden vermögen. Die Barren reichen bis auf eine Entfernung von 3·7 km von der Küste, und ist die äussere Contour im Westen durch zwei grosse Gaslichtbojen markirt, welche in 10 m Wassertiefe (Ebbestand) ver - ankert liegen. Ein anderes Gaslicht zeigt eine südwest der Einfahrt nach Hâvre in 3·5 m Tiefe vertäute Boje. Eine Zahl grosser Mark - bojen, die weiteste 8 km von der Küste entfernt, bezeichnen die günstigsten Zufahrten in das Labyrinth der Barren. Einige der ge - nannten Bojen haben Läutewerke oder Nebelpfeifen, welche als Er - kennungsignale, wie auch als Warnzeichen den Seefahrern dienen.

Von der Höhe des Cap de la Hève zeigen zwei Thürme je ein auf 50 km Entfernung sichtbares Leuchtfeuer. Die Deckungslinie dieser Feuer ist eine wichtige Route für das Anlaufen des Barren - gebietes.

Der Handel war schon im vorigen Jahrhundert nicht unbe - deutend, aber die Kriege Napoleon’s mit England unterbrachen die Entwicklung. Besonders verderblich wurde für die Stadt der Krieg von 1805; viele Kaufleute verliessen den Ort und siedelten sich in Nantes an.

Erst mit der Wiederkehr des Friedens hob sich der Verkehr allmälig und wurde mit der Eröffnung der Eisenbahn über Rouen nach Paris (1847) und durch die Gründung des grossen Schifffahrts - unternehmens der Cie. Générale Transatlantique in die modernen Bahnen geleitet.

Das Ende Jänner 1881 verkündete Gesetz über die Handels - marine, welches den Schiffen, die lange Seereisen machen, für 10 Jahre eine Prämie gewährte, begünstigte die Entstehung neuer Dampfschiffslinien. In Hâvre wurde auf dieser Basis die Gesellschaft der Chargeurs Réunis gebildet, welche den Verkehr von Südamerika nach Hâvre lenkt.

Da aber in letzterer Zeit diese staatliche Fürsorge etwas abge - nommen hat, ist der Handelsstand von Hâvre vielfach unzufrieden. Man findet, dass auf die Verbesserung anderer Häfen des nördlichen Frankreich mehr verwendet wurde als auf Hâvre. Man wehrt sich mit Recht dagegen, dass die Kosten der Ausführung neuer Hafen - bauten durch die Erhöhung der Hafengebühren ausgeglichen werden, denn schon jetzt kommt im Allgemeinen die Benützung des HafensDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 77610Der atlantische Ocean.von Hâvre durch hohe Hafen - und Schiffahrtsgebühren, durch hohe Maklergebühren theurer zu stehen, als die der Concurrenzplätze Dün - kirchen, Antwerpen und Hamburg.

Die französische Westbahn, in deren Gebiet Hâvre liegt, hat hohe Frachtentarife, und eine Reihe für Hâvre wichtiger Einfuhrartikel sucht die für sie günstigeren Verbindungen über Dünkirchen und Antwerpen auf. Ueberdies sind auch die Eisenbahnverbindungen Hâvres ungenügend, denn der Stadt stehen nur zwei Verbindungen mit Paris und eine nach Amiens zur Verfügung.

Es fehlt sogar noch eine kurze Verbindung mit Dieppe, und das südliche Ufer der Seine ist mit der Eisenbahn erst oberhalb Rouen zu erreichen.

Etwas mehr ist in den letzten Jahren auf dem Gebiete der Wasserstrassen geschehen, da der Canal von Tancarville, welcher Hâvre nach Osten hin mit der Seine verbindet, entsprechend vertieft wurde. Sollte der Plan, die Tiefenverhältnisse der Seine, welche jetzt schon bis Rouen mit kleinen Seeschiffen befahren wird, für den grossen Seeverkehr fahrbar zu machen, zur Ausführung kommen, so hätte der Handel von Hâvre unter der Concurrenz von Rouen schwer zu leiden, noch mehr aber, wenn die Franzosen wirklich daran gingen, den Seecanal bis Paris zu verlängern, wodurch diese Stadt zum Theile auf Kosten von Hâvre zu einem Marktplatze ohne Gleichen ge - macht würde.

Am meisten hat aber Hâvre dadurch gelitten, dass viele deutsche Chefs, welche halbnaturalisirt und vielfach mit Französinnen ver - heiratet, nach dem Jahre 1871, um dem wüthenden Deutschenhasse der Franzosen zu entgehen, ihre Comptoirs nach Antwerpen verlegten und so ein gutes Stück französischen Handels nach Belgien ver - pflanzten.

Aber trotz allem dem ist Hâvre der zweite Hafen Frankreichs.

Es ist im wesentlichen Einfuhrplatz, beziehungsweise Markt für überseeische Producte und Ausfuhrhafen für die reich entwickelte Industrie des Nordens und der Hauptstadt, wie auch für Nahrungs - mittel, welche in diesem Theile Frankreichs in solchen Mengen er - zeugt werden, dass trotz der grossen Nähe von Paris noch eine starke Ausfuhr nach England stattfinden kann.

Im Export ist Hâvre im Wesentlichen nur Speditionsplatz, so dass die Hauptelemente des hiesigen Platzes Importhandel und Schiffahrt sind und mit letzterem im Zusammenhang die Beförderung von Rei - senden nach England, von Auswanderern und Passagieren I. Classe,611Le Hâvre.welche die relativ gefährliche Fahrt durch den Canal vermeiden wollen, an die jenseitigen Gestade des atlantischen Oceans.

Die locale Industrie ist verhältnissmässig wenig entwickelt und tritt mehr in den Hintergrund.

Die Stellung Hâvres im Ausfuhrhandel Europas und insbesondere Frankreichs wird klar bezeichnet durch die Thatsache, dass von hier 1888 nur an Erzeugnissen der Textilindustrie, an Kleidern, Wäsche, künstlichen Blumen, Schmuckfedern und Hüten ein Werth von 437,781.052 Francs ausgeführt wurde, wovon 235,258.206 Francs französischen Ursprungs waren. Also die Industrie - artikel liefern die grössten Ziffern zur Ausfuhr und mit ihnen muss daher die Be - schreibung anheben.

Die Seidenindustrie, der Glanzpunkt der gewerblichen Thätigkeit Frank - reichs hat den Löwenantheil an der Ausfuhr von Hâvre, denn 1888 wurden von Seidenstoffen, Bändern und Passementerien 18.669 q im Werthe von 105,608.908 Francs ausgeführt, 12.074 q im Werthe von 61,493.510 Francs waren französi - scher Herkunft, der Rest kam aus Rheinpreussen und der Schweiz.

Die Ziffern des Jahres 1887 sind 18.066 q im Werthe von 107,737.600 Francs für die allgemeine Ausfuhr und 11.783 q im Werthe von 62,454.331 Francs für die nationale Ausfuhr.

An dem Werthe der Ausfuhr von Baumwollstoffen über Hâvre ist Frankreich ungefähr in demselben Verhältnisse betheiligt, wie an dem der Seiden - stoffe. Es waren nämlich im Jahre 1888 von 106.798 q im Werthe von 87,785.273 Francs, 62.994 q im Werthe von 31,830.486 Francs französischer Her - kunft; 1887 erreichte die allgemeine Ausfuhr 117.697 q (Werth 90,963.277 Francs), die französische 75.203 q (Werth 32,613.787 Francs).

An der dritten Stelle stehen 1888 Schafwollwaaren, die manchmal auch die zweite Stelle einnehmen und ebenso wie die gemischten Stoffe zu weitaus grösstem Theile in Frankreich gearbeitet wurden. Die Ausfuhr der Schafwoll - waaren erreichte 1888 91.557 q (Werth 86,221.543 Francs), 1887 93.010 q (Werth 95,491.054 Francs).

Gegen die eben genannten Artikel steht weit zurück die Ausfuhr der be - rühmten Leinenwaaren Frankreichs, deren Erzeugungsgebiet in den Land - schaften am Canale liegt; sie betrug 1888 7757 q (Werth 3,994.931 Francs), 1887 6755 q (Werth 3,432.174 Francs).

Da Hâvre der Hafen von Paris ist, so versteht sich von selbst, dass der grösste Theil der Ausfuhr von Kleidern und Wäsche, und die ganze Ausfuhr von Modewaaren und künstlichen Blumen und Schmuckfedern aus Frank - reich stammt.

Von den ersteren Artikeln wurden 1888 16.529 q (Werth 32,360.456 Francs), 1887 19.089 q (Werth 35,235.557 Francs); von den Modes und künstlichen Blumen 1888 6909 q (Werth 7,002.631 Francs), 1887 6310 q (Werth 6,066.182 Francs) und von Schmuckfedern 1888 2669 q (Werth 4,985.295 Francs) ausgeführt.

Die Ausfuhr von Garnen wird für 1888 mit 6048 q (Werth 2,068.290 Francs), die von Jutesäcken mit 12.606 q angegeben.

Die Ausfuhr von Hüten reiht sich an die schon genannten Artikel; sie erreichte 1885 für Stroh - und Basthüte 2371 q (Werth 3,653.894 Francs), von77*612Der atlantische Ocean.denen kaum die Hälfte französische Erzeugnisse waren, und betrug für die Filz - hüte 1382 q (Werth 2,591.719 Francs).

In der Verarbeitung von Fellen und Pelzen, in Leder, besonders in den vielen Gattungen des Luxusleders, in Lederarbeiten, unter denen Damen - schuhe nicht zuletzt angeführt werden, nimmt Frankreich den ersten Rang in der Welt ein. Hâvre führte von all diesen Waaren 1888 36.185 q (Werth 68,784.720 Francs), 1887 37.474 q aus. die bis auf einen Werthantheil von etwa 4 Millionen Francs von der französischen Industrie stammten.

Von den ausgeführten Kurzwaaren, Knöpfen. feinen Tischler - und Drechslerarbeiten, Fächern und Bürsten entfielen 1888 etwa fünf Siebentel auf französische Erzeugnisse; die allgemeine Ausfuhr dieser Gruppe wird für 1888 mit 41.042 q (Werth 36,717.896 Francs), für 1887 mit 40.319 q (Werth 27,950.382 Francs) angegeben. Die ansehnliche Steigerung des Werthes im Jahre 1888 gegen das Vorjahr entfällt ausschliesslich auf ausländische Waaren.

Wir fügen hier die Ausfuhr von Möbeln und anderen Holzarbeiten, also von Erzeugnissen der Pariser Kunstindustrie bei, die 1888 38.025 q (Werth 6,592.548 Francs) erreichte. Die ausgeführten Flechtwaaren sind ausländischer Herkunft.

Von Metallarbeiten und Werkzeugen wurden auch 1888 135.989 q im Werthe von 17,462.456 Francs, 1887 100.311 q im Werthe von 14,203.440 Francs ausgeführt. Die Zunahme der schon früher sehr bedeutenden Ausfuhr französischer Waaren ist die Ursache der Steigerung des Werthes im Jahre 1880.

Auch von den über Hâvre ausgeführten Bijouterien aus unedlen Metallen sind elf Zwölftel französischer Arbeit. Ausfuhr 1888 892 q, Werth 11,949.852 Francs

Aehnlich günstig für Frankreich ist das Verhältniss bei Maschinen (1888 71.578 q, Werth 10,777.581 Francs), bei Waffen und Munition (1888 4035 q, Werth 4,112.448 Francs), bei Glas - und Thonwaaren (1888 136.435 q, Werth 7,236.922 Francs), bei Waaren aus Kautschuk und endlich bei Papier und Papier - waaren (1888 63.587 q, Werth 12,247.930 Francs).

Ausschliesslich von Frankreich stammen folgende Artikel des Exportes: optische Instrumente (1888 2384 q, Werth 2,288.246 Francs), musikalische In - strumente (1888 2373 q, Werth 2,499.775 Francs), und Wagen (16.611 q, Werth 2,307.096 Francs).

Von Bijouterien aus Edelmetallen (1888 14 q, Werth 2,164.451 Francs), wird mehr als die Hälfte von Frankreich geliefert.

Legende zum Plan von Le Hâvre. A La Petite Rade, A1 Strandlinie bei tiefster Ebbe, B Einfahrt in den Hafen, C Vorhafen (Avant-Port) C1 Anlegeplätze der Dampfer nach Honfleur, Trouville und Caen, D Bassin de la Citadelle, E Bassin Vauban, F Leuchtfeuer, G Bassin Dock, H Bassin du Commerce, J Bassin du Roi, K Bassin de la Barre, L Annexe de l’Avant-Port, M Bassin de Mi-Marée, M1 Schleuse St Jean (Écluse), N Bassin de L’Eure, N1 Quais des Transatlantiques, O Bassin Bellot, P Trockendocks, Q Schwimmdock. R Bassin Sas, S Dock-Lagerhäuser (Entrepôt), U General-Magazin, V Écluse de Chasses, V1 Écl. de la Barre, W Écl. de la Floride, W1 Écl. des Transatlantiques, X Écl. Notre-Dame, X1 Écl. Lamblandie, Y Écl. d’Augoulême. Y1 Écl. Vanban, Z Écl. de la Citadelle, Z1 Écl. du Dock, Z2 Écl. de l’Eure. 1 Hafenbahnhof (Gare Marit. ), 2 Waarenbahnhof (Gare des Marchandises). 3 Personenbahnhof, 4 Kirche Notre-Dame, 5 St. François-Kirche, 6 St. Joseph-Kirche, 7 St. Michel-Kirche, 8 St. Marie-Kirche, 9 St. Nicolas-Kirche, 10 St. Vincent de Paul-Kirche, 11 amerikanische Kirche, 12 Anglik. -Kirche, 13 Protest. K., 14 Synagoge, 15 Arsenal - und Marine-Hôtel, 16 Börse, 17 Hôtel de Ville und Square, 18 Liceum, 19 Hospital, 20 Kaserne der Zollwächter, 21 Gefängniss, 22 Tabakfabrik, 23 Museum und Bibliothek, 24 Justizpalast und Handelsgericht, 25 Préfectur, 26 Boulevard de Strassbourg, 27 Post und Telegraph, 28 Place Gambetta, 29 Boulevard François I., 30 Seebäder, 31 Cours de la République 32 Quai d’Orléans, 33 Rue Thiers, 34 Rue de Paris, 35 Aquarium und Square St. Roch, 36 Rue de St. Quintin.

[613]
Le Hâvre (Massstab 1: 26.800; Sonden in Metern auf den tiefsten Stand der Ebbe reducirt).

(Legende siehe auf Seite 612.)

614Der atlantische Ocean.

Interessant ist die Ausfuhr der Uhren; es gingen 1888 über Hâvre 4195 q derselben im Werthe von 14,925.457 Francs ins Ausland, von diesen waren 3081 q, die aber nur einen Werth von 2,635.672 Francs hatten, französischen Ursprungs. Frankreich exportirt eben überwiegend Standuhren.

Wenden wir uns nun zur Gruppe der chemischen Erzeugnisse, so sehen wir, dass auf den Luxusartikel Parfumerien mit (1888) 14.263 q ein Werth von 4,872.045 Francs entfällt.

Farbholzextracte erreichten 1888 84.888 q (Werth 10,782.112 Francs), 1887 89.090 q, Farben 1888 30.049 q, Medicamente 1888 31.872 q (Werth 9,491.351 Francs), 1887 26.212 q, chemische Producte 1888 60.501 q (Werth 4,179.562 Francs).

Von Getränken sind zu nennen Wein 1888 106.100 q (Werth 13,536.579 Francs), 1887 94.447 q, dann Cognac und Liqueure.

Raffinirter Zucker aus französischer Herkunft wurde 1888 in der Menge von 113.253 q (Werth 4,767.946 Francs), 1887 in der von 138.286 q ausgeführt.

Die Ausfuhr von Kaffee erreichte 1888 408.967 q (79,339.604 Francs), 1887 425.038 Francs. Die Bedeutung von Hâvre als Kaffeeplatz wollen wir bei der Einfuhr besprechen.

Die Ausfuhr von Cacao wird 1888 mit 34.978 q (Werth 6,086.217 Francs) angegeben.

Als Umschiffungsplatz für Baumwolle versendete Hâvre von dieser 1888 128.788 q (Werth 15,840.915 Francs), 1887 139.852 q.

Von Producten des Thierreiches sind hervorzuheben Seide und Seiden - abfälle (1888 2807 q, Werth 9,169.587 Francs), dann rohe Felle und Häute mit 129.380 q (Werth 22,542.447 Francs) im Jahre 1888 und 106.805 q im Jahre 1887.

Die Normandie als werthvolles Gebiet der französischen Viehzucht, schickte 1888 über Hâvre meist nach England die gewiss bedeutende Menge Butter von 41.071 q (Werth 10,884.030 Francs), 1887 32.811 q.

Auch die Ausfuhr von Käse (1888 35.884 q, Werth 5,025,118 Francs) ist sehr bemerkenswerth.

Der Werth der ausgeführten Pferde erreichte 1888 4,401.250 Francs, die Menge der Schafwolle 22.381 q (Werth 4,588.210 Francs).

Eine auffallende Angabe der Ausfuhr lautet: Haare jeder Sorte 1888 10.435 q (Werth 6,092.696 Francs), fast ganz französischer Herkunft.

Hâvre ist nicht mehr Hauptsitz des französischen Walfisch - und des Stock - fischfanges an den Küsten von Neufundland und sogar in dem Consum der frischen Fische abhängig von Honfleur, Trouville und Fécamp. Doch wurden von hier aus 1888 Fische im Werthe von 2,641.331 Francs versendet.

Hâvre ist endlich ein wichtiger Versandtplatz für englische Kohlen (1888 2,348.172 q, 1887 2,207.764 q), war es 1888 auch für Kupfer; Ausfuhr 28.960 q.

Die Hauptartikel der Ausfuhr im Wege des Küstenhandels sind Weizen und Weizenmehl, Wein, exotische Hölzer, Oel und ölhältige Früchte, und Baum - wolle, also zum Theile Artikel, die nach Hâvre von dem Auslande eingeführt werden.

In der Einfuhr von Hâvre treten die Rohproducte in den Vordergrund. Gleich an der Spitze der Liste finden wir 1888 Kaffee mit 834.291 q (Werth 161,833.062 Francs), 1887 mit 754.085 q.

In diesem Artikel hat Hâvre in den letzten Jahren die führende Stellung auf dem Continente Europas übernommen und die grossen Kaffeeplätze Europas615Le Hâvre.gezwungen, ihren Kaffeehandel so zu organisiren wie Hâvre, um ihre alte Bedeu - tung in diesem Zweige des Welthandels behaupten zu können. Und diesen Ein - fluss auf den Kaffeehandel verdankt Hâvre der Initiative seiner Kaufleute.

Wir geben im Folgenden die Darstellung der Organisirung des Kaffee - handels von Hâvre nach Dr. R. Sonndorfer’s Technik des Welthandels .

Als im Jahre 1882 die Kaffeepreise auf die Hälfte der Höhe von 1877 gesunken waren und in Hâvre sich ein Stock angesammelt hatte, welcher den Consum von Frankreich auf 14 Monate decken konnte, gingen die grossen Kaffee - häuser von Hâvre an eine neuartige Reorganisirung des bisher üblichen Kaffee - handels.

Die Hâvreser Kaufleute begnügten sich nämlich nicht damit, für Kaffee das börsemässige Termingeschäft einzuführen, bei welchem die Schlüsse durch Vermittlung eines Maklers gemacht werden, aber der dabei gewinnende Theil nicht in den Besitz des rechnungsmässigen Ueberschusses gelangt, wenn die verlierende Partei nicht zahlt. Um dies zu vermeiden, gründete man in Hâvre die Caisse de liquidation des affaires en marchandises , eine Actiengesellschaft mit einem Capital von 4 Millionen Francs, von welchem zunächst nur die Hälfte ausge - geben wurde.

Termingeschäfte in Kaffee dürfen nur bei dieser Casse abgeschlossen werden, und jeder der beiden Contrahenten, also der Käufer und der Verkäufer, müssen zur[Sicherung] für die der Casse ihnen gegenüber etwa erwachsenden An - sprüche zugleich mit der Uebergabe der Schlussnoten für jeden Sack (60 kg) Kaffee einen Betrag in barem Gelde oder in anderen Sicherheiten leisten, der von 3 bis 12 Francs variirt. Ueberdies muss jede Veränderung des Preises, wenn sie mindestens 1 Franc pro 60 kg beträgt, von demjenigen Contrahenten, zu dessen Ungunsten dieselbe ausgefallen ist, innerhalb 24 Stunden ausgeglichen, beziehungs - weise nachgeschossen werden.

Mit dieser Einrichtung ist dem Termingeschäfte eine möglichst reelle Basis gegeben, die dem fremden Capitalisten und Speculanten alle wünschenswerthe Sicherheit bietet, so dass heute nicht nur französisches, sondern auch englisches Geld in hervorragender Weise an dem Markte von Hâvre betheiligt ist.

Die Grundlage des Termingeschäftes bildete bis anfangs 1889 Santos-Kaffee, gute Durchschnittsqualität, und ist jetzt auch die Lieferung anderer Kaffeesorten gestattet, von welchen in Hâvre besonders die Gattungen Haïti, Puerto Cabello, Nicaragua und Malabar gehandelt werden.

Auch für Cacao ist Hâvre disponirender Platz; über diesen Hafen bezieht die berühmte Pariser Chocoladen-Industrie ihr Rohproduct, die Fabrikanten lassen den Cacao in den hiesigen Entrepôts lagern. Einfuhr 1888 505.315 q im Werthe von 18,843.239 Francs, 1887 93.786 q.

Die Einfuhr von Zucker (1888 40.883 q) geht zurück, weil Martinique und Guadeloupe ihren Zucker lieber in die Union als nach Frankreich schicken.

Zum Nachtheile von Bordeaux nimmt die Einfuhr von Pfeffer in Hâvre zu.

Getreide und Mehl meist nordamerikanischen, aber auch rumänischen (Mais) und russischen Ursprungs und für die grossen Mühlen von Corbeil und den Consum des industriellen Nordfrankreichs bestimmt, nahmen 1888 in der Einfuhr von Hâvre mit 1,546.518 q (Werth 28,868.448 Francs) die sechste Stelle ein.

Einfuhr 1887 1,929.836 q im Werthe von 35,976.543 Francs.

Zu nennen sind ferner die Einfuhr von Reis und von Tapioca.

616Der atlantische Ocean.

Von Wein, aus Spanien und Portugal stammend und für den einheimischen Consum bestimmt, wurden 1885 505.315 q (Werth 18,843.239 Francs), 1887 328.703 q, von norddeutschem und schwedischem Spiritus 1888 81.867 q (Werth 3,465.287 Francs) eingeführt.

Eine wichtige Rolle spielen ölhaltige Samen und Palmöl, von welchen 1888 552.762 q (Werth 15,023.254 Francs), 1887 501.422 q eingeführt wurden. Die Ein - fuhr von Oel erreichte 1888 166.538 q (Werth 10,618.585 Francs), die von Blättertabak 96.346 q (Werth 12,043.309 Francs).

Von thierischen Nahrungsmitteln müssen wir hier anführen Fette und Speck aus der Union (1888 164.968 q im Werthe von 15,076.731 Francs, 1887 215.256 Francs), Käse (1888 32.636 q), der hier nur transitirt, frisches und con - servirtes Fleisch (1888 30.141 q), für den Consum in Frankreich bestimmt, Hummern und Fische.

Schon seit mehr als 10 Jahren verlässt der Handel mit Schafwolle den hiesigen Platz, weil die Wollindustrie des nördlichen Frankreichs sich lieber über Dünkirchen versorgt, denn die hohen Eisenbahntarife der Westbahn entziehen dem Hafen sein natürliches Absatzgebiet. In Hâvre besteht für Schafwolle das Termingeschäft und es werden grosse Wollauctionen gehalten, auf denen ein - heimische, spanische, levantinische und russische Wollen, dann solche von La Plata, von Chile und Peru zum Verkaufe kommen. Einfuhr aus dem Auslande 1888 141.102 q (Werth 27,514.974 Francs), 1887 129.124 q.

Auch in Baumwolle vermag der hiesige Markt wegen der hohen Eisenbahn - tarife nur mit Mühe seine alte Stellung als erster Baumwollhafen Frankreichs zu behaupten; das südwestliche Deutschland und die Schweiz sind dem hiesigen Markte bereits zumeist an Antwerpen, Hamburg und Bremen verloren gegangen.

Baumwolle, deren Einfuhr 1888 973.527 q im Werthe von 126,558.216 Francs erreichte und die somit der zweite Einfuhrartikel Hâvres war, wird meist auf britischen Schiffen aus Indien und der Union gebracht.

Im Jahre 1887 betrug die Einfuhr 1,287.913 q und stand an der Spitze der Einfuhr dieses Hafens, die eine Baumwollbörse besitzt.

Die Einfuhr von Phormium, Abaca und anderen Faserstoffen erreichte 1888 24.443 q, die von Seide 1750 q (Werth 5·5 Millionen Francs).

Piassava, die ursprünglich als Verpackung des Zuckers aus Brasilien kam, wird jetzt für die Bastindustrie eingeführt.

Die Einfuhr von Faserstoffen erreicht in Hâvre einen sehr grossen Um - fang, gibt aber trotzdem zu denken.

In der Einfuhr von rohen Fellen und Häuten ist wieder Antwerpen ein gefährlicher Concurrent, 1888 wurden aus den La Platastaaten, aus Rio grande Mexico 211.835 q (Werth 26,398.299 Francs), 1887 232.118 q eingeführt.

Die eben genannten Länder liefern auch Hörner, Klauen und Knochen, so 1888 40.883 q.

Die Einfuhr von Perlmutterschalen und Muscheln wird für 1888 mit 13.471 q (Werth 3·7 Millionen Francs) angegeben.

Indigo wurde 1888 in der Menge von 8340 q (Werth 10 Millionen Francs) eingeführt und war für den inländischen Verbrauch bestimmt. Die wichtigsten Sorten sind Guatemala und Nicaragua und erst in zweiter Linie ostindischer Indigo.

Auch der eingeführte Kautschuk (1888 13.585 q, Werth 7,770.586 Francs) bleibt in Frankreich, ebenso die hereingebrachten exotischen Hölzer. Im ein -617Le Hâvre.zelnen sind zu nennen Blauholz (Campêche) aus Haïti, Gelbholz und Rothholz, die in Frankreich auf Farben verarbeitet werden, ferner feine Hölzer für Tischler und Drechsler, wie Mahagoni aus Westindien, Palissander aus Südbrasilien, Cedern - holz aus Westindien und Mexico, davon manches für die Bleistiftfabriken Deutsch - lands bestimmt; ferner Ebenholz aus Ceylon und von Gabon, Guayakholz, Rosenholz, Buchsbaumholz und Ahornholz. Einfuhr 1888 1,002.220 q (Werth 20,014.128 Francs), 1887 964.412 q. Gewöhnliches Holz (1888 678.714 q) kommt aus Nordeuropa und Nordamerika.

Einen auffallend hohen Antheil an dem Einfuhrhandel von Hâvre haben Metalle, vor Allem Kupfer mit 399.566 q (Werth 73,919.682 Francs) im Jahre 1888, wo es als Folge der Wirksamkeit des Pariser Kupfersyndicats der dritt - wichtigste Einfuhrartikel wurde und von dem zwei Fünftel in Frankreich blieben; 1887 war die Einfuhr nicht grösser als 114.983 q. Dann folgen Rohzinn (1888 22.352 q), Blei (1888 93.207 q) und Zink.

Die Einfuhr von Kohlen aus England betrug 1888 5,062.180 q, 1887 4,706.083 q, die von amerikanischem Rohpetroleum 1888 272.757 q, 1887 285.960 q. Hâvre ist der erste Platz Europas für die Einfuhr dieses Artikels.

Die Einfuhr von Industrieartikeln ist zum grössten Theile nicht für Frankreich bestimmt, sondern für jene Länder, mit denen Hâvre in regelmässiger Verbindung steht.

Dies gilt von Baumwollwaaren (1888 52.255 q, Werth 59,756.129 Francs, 1887 43.656 q), Seidenwaaren (1888 6700 q, Werth 43,801.165 Francs, 1887 6358 q) und Schafwollstoffen (1888 7091 q, Werth 7,206.647 Francs), ferner von Uhren (1888 1248 q, Werth 12,797.142 Francs), Stroh - und Basthüten, Flecht - waaren, bearbeiteten Fellen und Lederarbeiten.

Von den eingeführten Fahrzeugen (Werth 1888 4 Millionen Francs) blieben alle, von den chemischen Producten vier Fünftel, von Maschinen und Metall - arbeiten etwa die Hälfte in Frankreich.

Von der Industrie Hâvres empfängt der Handel der Stadt keine besondere Förderung. Die wichtigsten grössten Unternehmungen sind zwei Schiffbauanstalten, Maschinenfabriken, die etwa 1200 Arbeiter beschäftigen, Mühlen für Mehl, Fabriken für Gewinnung von Farbholzextracten, eine Petroleumraffinerie, eine Zucker - raffinerie und eine grosse staatliche Tabakfabrik.

Der Waarenhandel von Hâvre betrug:

〈…〉〈…〉

Diese Ziffern sind wahrhaft imponirend. Sie finden ihre Ergänzung durch die Feststellung des Entrepôtsverkehres, der im Eingange 1888 eine Höhe von 313,102.800 Francs, 1887 von 303,009.200 Francs umfasste. Der Stock hatte am 31. December 1888 einen Werth von 100,949.600 Francs und am 31. December 1887 einen solchen von 81,191.700 Francs.

Als Kopfstation vieler Postlinien hat Hâvre auch einen bedeutenden Verkehr in Edelmetallen, der 1888 42,087.310 Francs in der allgemeinen Ausfuhr und 8,088.947 Francs in der Einfuhr erreichte.

Die Grösse des Schiffsverkehres von Hâvre ist in erster Linie durch dieDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 78618Der atlantische Ocean.Höhe des Importes bedingt, denn dieser umfasst Güter, welche Raum einnehmen, wie Petroleum, Hölzer, Getreide.

Am Ende des Jahres 1888 besass Hâvre eine eigene Marine von 169 Dampfern mit 153.477 Tons und von 167 Segelschiffen mit 31.808 Tons.

Die Schiffahrt von Hâvre weist folgende Ziffern aus:

〈…〉〈…〉

1889 erreichte der Gesammtverkehr etwa 5·6 Millionen Tons.

Im auswärtigen Verkehr entfällt die grösste Zahl der Tonnen auf England (1888 1,455.993 Tons), dann folgen die Vereinigten Staaten (862.777 Tons) und Deutschland (416.545 Tons).

Die wichtigsten Flaggen sind die französische, knapp auf sie folgt die englische, dann die deutsche, die spanische, die norwegische.

Hâvre ist Ausgangspunkt einer so grossen Reihe von Dampferlinien, dass wir uns mit einer kurzen Auswahl derselben und ihrer Schiffscurse begnügen müssen.

Von Hâvre gehen dreimal in der Woche Postschiffe nach Southampton (110 Seemeilen) an der Küste Englands in 8 Stunden, und von hier bestehen directe Verbindungen fast mit allen grösseren Häfen des britischen Reiches. Zahl - reiche Linien knüpfen die französischen Häfen, wie Bordeaux, Bayonne, Nantes, Brest, Dünkirchen und andere, an Hâvre. Hervorzuheben sind die Cie. Générale des bateaux à vapeur à hélice du Nord aus Dünkirchen; die Sociéte Navale de l’Ouest geht nach den französischen Häfen bis Marseille, dann nach Antwerpen, Portugal, Spanien und Marokko; die Cie. Hâvraise Péninsulaire de Navigation à Vapeur führt nach der pyrenäischen Halbinsel bis Málaga, nach Algier, Italien und der Levante; die General Steam Navigation Cy. vermittelt den Verkehr mit Porto, Edinbourg, Stettin, die Adria aus Fiume mit dem adriatischen Meere. Andere Gesell - schaften laufen Italien an, eine alle grösseren Häfen des Schwarzen und des Asow’schen Meeres.

Nach Nordeuropa führen die Cie. det Forende Dampskibsselskab aus Kopen - hagen, die Cie. Gothenburg, die Cie. der Sonendenfjelds Norske Dampskibsselskab aus Christiania und andere.

Wir wenden uns nun zu den Verbindungen mit den fremden Continenten und sehen von Nordafrika ab, dessen Hafenplätze schon genannt wurden.

Von besonderer Bedeutung ist der Verkehr mit New-York. Diesen ver - mittelt zunächst eine nationale Gesellschaft, die Cie. Générale Transatlantique welche in 7 8 Tagen den Weg nach New-York (3187 Seemeilen) zurücklegt, und jeden Dienstag die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actiengesellschaft auf ihrer Linie Hamburg-New-York. Auch die anderen Häfen der Union und Canada haben Verkehr mit Hâvre.

Besonders zahlreich sind die Verbindungen mit Westindien.

Hâvre ist Kopfstation von drei Linien der Cie. Générale Transatlantique; die eine geht über Bordeaux und Port de France (franz. West-Indien) nach Colon,619Le Hâvre.die zweite über St. -Nazaire und Bordeaux nach St. -Thomas, Portorico und Haïti, die dritte über Bordeaux nach Cuba und Vera-Cruz.

Hier laufen die Dampfer der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien - Gesellschaft auf ihren Linien nach St. -Thomas-Cartagena und St. -Thomas-Colon an und andere Hamburger Dampfer auf ihren Linien nach Habana Vera-Cruz und Progresso.

Auch der Koninklijke-West-Indische Maildienst, der von Amsterdam nach Niederländisch-Guyana, La Guayna und New-York geht, berührt Hâvre.

Auch die Atlas-Linie geht über New-York nach den Antillen, ebenso be - stehen über Liverpool Verbindungen.

Auch an französischen Verbindungen mit Guyana ist kein Mangel.

Interessant ist übrigens die grosse Anzahl von Segelcursen, welche Hâvre mit Westindien unterhält.

Den Verkehr Hâvres mit den Häfen Brasiliens und dem La Plata beherr - schen zumeist mit drei Linien die Chargeurs réunis.

In Hâvre hält auch die deutsche Linie nach Westafrika Woermann aus Hamburg zweimal im Monate an, und nach Mauritius und Madagaskar fährt die Compagnie Hâvraise Péninsularie de Navigation à Vapeur.

Auch mit Indien, China und Australien bestehen Verbindungen zunächst durch die Messageries maritimes, welche die Schiffe der Linie Marseille-London in Hâvre anlaufen lässt.

Wir haben oben gesehen, dass die Küstenschiffahrt in Hâvre recht an - sehnlich ist, vielfach wohl deshalb, weil Hâvre einer jener der Häfen ist, welche ungenügende Eisenbahnverbindungen haben. Tarif-Herabsetzungen der mäch - tigen Westbahn sowie der Ausbau einiger Linien sind in Wahrheit Lebensfragen für die künftige Blüthe Hâvres geworden.

Wegen seiner guten Dampfschiffverbindungen wird Hâvre auch von Aus - wanderern und Reisenden stark benützt. Im Jahre 1888 gingen 38.525, 1889 38.665 Emigranten aus Frankreich, Italien, der Schweiz und Elsass-Lothringen über den Ocean, davon drei Viertel nach New-York, ein Viertel nach Argentinien. Die Cie. Générale Transatlantique unternahm 1889 52 Fahrten nach New-York und beförderte 33.228 Passagiere, darunter 9835 der ersten Classe.

Die wichtigsten Banken sind eine Succursale der von Frankreich und Agenturen des Crédit Lyonnais, des Crédit Foncier de France, der Société Générale pour favoriser le Développement du Commerce et de l’Industrie en France und die bei Kaffee genannte Caisse de liquidation des affaires en marchandises.

Die Zahl der in Hâvre ansässigen Gesellschaften für Seeversicherungen allein beträgt 36.

In Le Hâvre haben Consulate: Argentinien, Belgien, Columbia, Costarica, Deutsches Reich (G. -C. ), Ecuador, Griechenland, Grossbritannien (G. -C. ), Guatemala, Hatïi, Hawai, Italien, Mexiko, Monaco, Niederlande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn, Paraguay, Persien, Peru (G. -C. ), Portugal, Russland, Salvador, San Marino, Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz, Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

78*620Der atlantische Ocean.

Wie schon erwähnt, war Hâvre früher nur Vorhafen für Rouen, welches die kleinen, nicht tief gehenden Schiffe der früheren Jahr - hunderte ganz bequem anlaufen konnten.

Das grosse und reiche Rouen, erbaut in günstiger Lage am rechten Ufer der unteren Seine, war einst nicht nur die Hauptstadt, sondern auch die Handelsmetropole der Normandie.

Seine alte Handelsstellung als Hafen des Seinegebietes hat es an das jüngere Hâvre abgetreten. Aber bei dem Reichthume dieses Theiles von Frankreich hat sich Rouen nach der Tonnenzahl der hier ver - kehrenden Seeschiffe doch noch immer in dem Range des fünften Hafens Frankreichs, nach dem Werthe seines Handels als sechster Platz (1888) behauptet.

In der Hauptsache beruht die Bedeutung der Stadt auf ihrer Stellung als einer der ersten Fabriksstädte Frankreichs, an die sich bis Paris hin (126 km) Fabriksgebiete an Fabriksgebiete reihen.

Der stärkste Verkehr des in jeder Weise gut eingerichteten Hafens, der ein eigenes Holz - und ein Petroleumbassin besitzt, geht nach den englischen Häfen London, Hull, Goole und Liverpool; England legt ein grosses Gewicht auf den Markt von Rouen. Ferner bestehen Linien nach Bordeaux und den nordspanischen Plätzen.

Selbstverständlich geniesst Rouen auch die Vortheile der Nähe von Hâvre, von wo so viele überseeische Linien ausgehen. Dies er - klärt auch die grosse Bedeutung des Absatzgebietes von Indochina für Rouen.

Die Tiefeverhältnisse der Seine sind einer weiteren Entwicklung des Seeverkehres nicht besonders günstig, dafür gehen Flussdampfer aufwärts bis Paris. Paris als Seehafen, was einflussreiche Kreise an - streben, würde den Handel von Rouen zu einem reinen Localhandel herab - drücken. Von Rouen und Umgebung gehen fünf Eisenbahnlinien aus, die wichtigsten führen nach Hâvre, Amiens und Paris.

Beginnen wir mit einer kurzen Darlegung der Industrie von Rouen.

Rouen nimmt heute in allen Zweigen der Baumwollindustrie Frank - reichs dieselbe Stellung ein, die früher Mühlhausen hatte. Die feinen Baumwoll - stoffe dieses Platzes werden geradezu Rouennerien genannt. Eine Specialität sind die Taschentücher.

Wichtig ist die Lederindustrie, grossartig die Spiritusindustrie, welche auf der Einfuhr von Mais beruht. Man begreift daher die Aufregung, welche jede Nachricht auf die Einführung eines Zolles auf Mais in Rouen hervorruft.

Zu nennen sind ferner die Industrien in Seifen, in Chemikalien und in Maschinen. In der letzteren sind erwähnenswerth die Construction von Gaskraft - maschinen und Schiffsmaschinen.

621Le Hâvre.

Der Handel Rouens ist, wie der von Nantes, wesentlich Einfuhrhandel, welcher die sechsfache Höhe des Werthes der Ausfuhr erreicht. Sein Umfang wird bestimmt durch die Getreideeinfuhr, also mittelbar durch die Ernte Frank - reichs.

Die Einfuhr von Getreide, welche 1888 etwa zwei Drittel der von Marseille erreichte, betrug in diesem Jahre 5,350.747 q (Werth 91,249.607 Francs), 1887 aber nur 2,565.029 q.

Von Reis wurden 1888 99.716 q, Hülsenfrüchte 92.641 q eingeführt.

Sehr wichtig ist auch Wein, 1888 mit 1,336.153 q (Werth 40,884.381 Francs), 1887 mit 1,140.413 q.

Die Einfuhr gemeiner Hölzer wird für 1888 mit 735.939 q (Werth 7,231.760 Francs) angegeben, die von Holzstoff mit 233.123 q (4,679.241 Francs).

Rouen ist schon seit langem ein wichtiger Einfuhrplatz für Kupfer; natür - lich sind die Ziffern für 1888 von besonderer Höhe. Einfuhr 1888 204.115 q (Werth 40,884.381 Francs), 1887 103.448 q.

Auch Blei (1888 71.007 q), Schwefel (83.210 q) und Zink werden in grös - seren Mengen eingeführt.

Die Einfuhr von bituminösen Mineralien weist 1888 die Höhe von 380.170 q (4,844.776 Francs), 1887 von 419.821 q aus. Für die Einfuhr von amerikani - schem Rohpetroleum ist Rouen der dritte Hafen Frankreichs.

Kohlen wurden 1888 3,080.030 q, 1887 3,108.244 q über Rouen ins Land gebracht.

Die eingeführten Industrieartikel, meist englischer Herkunft, sind aus - schliesslich für den Verbrauch in Frankreich bestimmt. Dahin gehören Garne (1888 21.691 q, Werth 9,424.269 Francs), Schafwollgewebe (9420 q, Werth 7,895.735 Francs), Baumwollwaaren (5444 q), Leder und Felle, chemische Producte (1888 122.367 q, Werth 3,180.262 Francs) und Maschinen (17.005 q).

Dass im Wege des Küstenhandels aus Hâvre allein 1,248.384 q Waaren zu - geführt werden, unter denen Getreide, Wein, Taue und Hadern, Baumwolle und exotische Hölzer die hervorragendsten sind, zeigt, in welchem Grade Rouen im auswärtigen Handel von Hâvre abhängig ist.

Aus der Ausfuhr französischer Artikel sind hervorzuheben Zucker (1888 190.258 q, Werth 7,574.619 Francs), Möbel und Holzarbeiten (164.132 q, Werth 3,375.564 Francs), chemische Producte, Kautschukwaaren, rohe Felle (1888 18.243 q) und Hadern (56.279 q, Werth 3,386.677 Francs).

Unter den Waaren, welche überwiegend aus dem Auslande stammen, sind die wichtigsten Kupfer (1888 20.568 q) und Maschinen.

Baumaterialien, chemische Producte und Getreide sind die Hauptartikel der Ausfuhr des Küstenhandels, der hauptsächlich mit Hâvre und Bordeaux be - trieben wird.

〈…〉〈…〉
622Der atlantische Ocean.

Die Seeschiffahrt von Rouen betrug:

〈…〉〈…〉

Hiebei ist der sehr lebhafte Flussverkehr nicht eingerechnet.

Von der Tonnenzahl der im auswärtigen Handel beschäftigten Schiffe sind 50 60 % englische.

Rouen ist Sitz einer Handelskammer und ein wichtiger Bankplatz. Hier bestehen eine Succursale der Bank von Frankreich, Agenturen des Crédit Lyonnais und der Société Générale pour favoriser le Développement du Commerce et de l’Industrie en France, ausserdem zwei Localbanken.

In Rouen haben Consulate: Belgien, Costarica, Griechenland, Gross - britannien, Haïti, Hawai, Monaco, Paraguay, Russland, San Marino, Türkei, Vene - zuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

[623]

Boulogne-sur-Mer.

Die Küste zwischen Cap Gris-Nez und der Mündung des Somme - Flusses, der, wie alle Wasserläufe dieser Gegend, das Hügelland des Departements Pas-de-Calais entwässert, verläuft ohne nennenswerthe Einbuchtungen in nord-südlicher Richtung und senkrecht gegen dieselbe wüthen die häufigen Weststürme des Canals mit ihren ver - heerenden Wogen. Ein Saum von Sandbarren ist der Küste vorge - gelagert, wodurch das Anlaufen derselben sehr erschwert, bei stürmi - scher Witterung sogar höchst gefährlich wird. So ist die äussere Situation von Boulogne-sur-Mer, dieser uralten Hafenstadt, beschaffen, und es ist begreiflich, dass zu verschiedenen Zeiten grossartige An - strengungen gemacht wurden, die Zufahrt zu verbessern und geschützte Hafenbecken zu schaffen, denn Boulogne hat im Gegensatz zu vielen anderen Verkehrsplätzen niemals seine Handelswichtigkeit eingebüsst. Zu jeder Zeit war sein Hafen eines der grossen Ausfallsthore des europäischen Continentes für den Wanderzug der Menschen und für den Handelsverkehr nach England gewesen. 127.000 Reisende durchziehen alljährlich die Stadt. Der Menschenstrom wogt hier zu - meist über den Canal hinüber zu den grossbritannischen Häfen und von dort zurück. Dieser Verkehrsrichtung sowohl wie nicht minder den alten Coalitionen mit Albion, ist es wohl zuzuschreiben, dass eine starke englische Colonie in Boulogne den Sitz aufgeschlagen hat. Gegenwärtig zählt dieselbe 6000 Personen, welche zumeist die untere Stadt bewohnen und englische Sprache, Sitte und Lebensweise in der ganzen Stadt verbreiteten.

Die Wichtigkeit von Boulogne wies der Stadt in früheren Zeiten eine bedeutende militärische Rolle zu, die nicht ohne Einfluss auf die Erweiterung des Hafens geblieben war. Boulogne erhielt auch fortifica - torischen Schutz.

Die Stadt breitet sich am rechten Ufer des Liane-Flusses, der südlich des Cap Gris-Nez in den Canal einmündet, auf hügeligem624Der atlantische Ocean.Terrain unter 50° 43′ nördl. Br. und 37′ östl. L. v. Gr. aus. Der Fluss ist hier, wie unser Plan zeigt, durch Kunstbauten in einen geräumigen Hafen mit Bassins und Schleussen verwandelt worden und steht durch den zwischen zwei langen Wellenbrechern geführten so - genannten Chenal mit der offenen See in Verbindung. Die grossen Schleussen des Arrière-Port bilden zwei Communicationen über den Fluss und die grosse Eisenbahnbrücke Pont de la Liane überquert denselben in einer schönen Bogenlinie.

Es ist ein anziehendes Bild, das vom Hafen aus die Stadt bietet. Längs des Quai Gambetta liegen theils in tieferem Wasser ge - ankert, theils am trockenen Strand aufgefahren zahlreiche Fischer - barken in jener malerischen Unordnung, welche, so ganz der Pedanterie entkleidet dem Künstler reiche Motive zu Studien bietet. Die Fischer - barken bilden hier eine bleibende Staffage, denn das Küstengebiet von Boulogne bis einschliesslich Dünkirchen zählt nicht weniger als 358 Fischerfahrzeuge jeder Grösse, mit 4852 Mann Bemannung, welche die Hochsee - und Küstenfischerei sowie den Häringfang be - treiben.

Im Hafen sieht man auch die Dampfer, welche den täglichen Verkehr mit Folkstone und London vermitteln, während im Flut - hafen die Frachtschiffe löschen und laden. Am linken Ufer der Liane führt der Schienenstrang längs des ganzen Quais vorbei, von der Passagierstation bis zum Hafenbahnhof. Dort hat denn auch der ge - sammte Waarenverkehr sein bewegtes Hauptquartier aufgeschlagen.

Ueber dem Hafen baut sich die Stadt auf, aus deren obersten Partien Thürme und die hohe Kuppel der Notre Dame-Kirche sehr effectvoll emporragen.

Boulogne wird durch eine etwa 100 m hohe Terrainwelle, an deren Fusse und Gelände die Stadt sich gebettet hat, in zwei mar - kante Theile geschieden, und zwar in die untere (Ville basse) und in die obere Stadt (Ville haute).

Die erstere ist zunächst von regelmässig angelegten Strassen - zügen durchschnitten, und haben dort die Comptoirs, grossen Hôtels, Kaffeehäuser und hübsche Waarenmagazine Platz gefunden. Auch die nicht unbedeutende Industrie von Boulogne hat zumeist in der unteren Stadt sich etablirt. Im nördlichen Theile derselben liegt das Quartier der Seeleute (Quartier des marins), in dessen Mitte die Kirche Saint-Pierre des Marins, ein 1850 vollendeter Bau, auf Stadt und Hafen blickt. Alljährlich am ersten Sonntage des Monats Juli pilgert von der Kirche aus eine feierliche Procession hinab zum Meeres -625Boulogne-sur-Merstrand; der Priester segnet das Meer, damit der Fischfang gut gedeihe.

Die Hauptverkehrsstrasse Rue Faidherbe führt von der Place Frédéric-Sauvage (an der Schleussenbrücke Marguet) in das Innere der unteren Stadt.

Frankreich errichtete dem in Boulogne geborenen genialen Sauvage, welcher in seinem Vaterlande den Ruhm des Erfinders der Schiffsschraube genoss, auf dem erwähnten Platze ein Marmorstandbild.

Die obere Stadt ist in eine aus dem XIII. Jahrhundert stam - mende Umwallung, welche die Höhe eines Hügels krönt, eingebaut.

Boulogne-sur-Mer.

Auf dem 17 m hohen gemauerten und von halbrunden Bastionen flankirten Wallgang hat man eine hübsche Baumanlage gepflanzt, von der aus ein lohnender Ausblick auf Boulogne und seinen Hafen zu geniessen ist.

Das Hauptgebäude der oberen Stadt ist die massige, im griechisch - romanischen Styl gehaltene Notre Dame-Kirche deren hohe, säulen - geschmückte Kuppel weithin sichtbar ist. Der Bau entstammt dem Jahre 1827, wurde aber erst 1866 beendigt.

In der oberen Stadt liegen ferner das Justizpalais, das Hôtel de Ville, dann ein Kloster der Ursulinerinnen, die Josefskirche undDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 79626Der atlantische Ocean.das sogenannte Château, eine 1231 von dem Grafen Philippe de Bou - logne erbaute Burg, die gegenwärtig als Artilleriemagazin und Kaserne verwendet wird. Louis Napoleon wurde hier nach seinem verfehlten Putsch im August 1840 einige Tage hindurch detenirt.

Als interessantestes Bauwerk darf der hinter dem Stadthaus stehende 47 m hohe, massige Thurm Le Beffroi, ein aus dem XIII. Jahr - hundert stammender Bau, bezeichnet werden. Sein oberer, in einer ge - räumigen Plattform endigender Theil rührt indes aus einer späteren Zeit her.

Boulogne war zu Römerzeiten als Stützpunkt der Herrschaft in Britannien der wichtigste Hafen Nord-Galliens. Hier lag das alte Caesariacum; hier liess Caligula im Jahre 40 n. Chr. einen Leuchtthurm errichten, der bis ins XVII. Jahr - hundert hinein verwendet wurde. Claudius schiffte sich (46) im Hafen ein und errichtete der Stadt einen Triumphbogen, und Hadrian schmückte sie mit schönen Monumenten.

In späterer Zeit herrschten dort nach mancherlei Wandlungen die Grafen von Boulogne. Die Stadt hatte bereits unter Karl dem Grossen Befestigungen erhalten. Im Jahre 1339 wehrte sie sich erfolgreich gegen die Engländer, zwei Jahrhunderte später fiel sie aber dennoch nach heldenmüthiger Vertheidigung in die Gewalt des Königs Heinrich VIII. von England, der die Stadt mit 30.000 Mann belagert hatte (1544). Heinrich II. von Frankreich erwarb hierauf 1550 die Stadt für einen Kaufschilling von 400.000 Ducaten wieder zurück.

Eine hervorragende Rolle spielte der Hafen während der Revolutionskriege gegen England, und es wird berechnet, dass vom 4. bis zum 9. Jahre der fran - zösischen Republik die Corsaren von Boulogne englische Handelsschiffe und Ladungen im Werthe von 13 Millionen Francs gekapert und 2000 Gefangene gemacht haben.

Bekanntlich hatte der erste Consul Bonaparte (1801) Boulogne zum Aus - gangspunkt der Unternehmung gegen England, wozu der Hafen vorzüglich sich eignete, erwählt. Mittelst einer grossartigen Flotille von mehr als 2000 armirten Fahrzeugen sollte eine Landung auf der englischen Küste durchgeführt werden. Marschall Soult und Viceadmiral Bruix waren die Führer der Expedition. Als Vorbereitung für dieselbe liess Bonaparte den Hafen erweitern und durch starke Befestigungen schützen. Dreimal inspicirte Napoleon das dortige Feldlager. Die Expedition unterblieb aber infolge des englischen Seesieges bei Trafalgar (1805) und der neuen Coalition, die gegen Napoleon sich gebildet hatte.

Boulogne zählt gegenwärtig 45.916 Einwohner, wovon 6000 englischer Nationalität.

Die Stadt besitzt prächtige Seebäder am offenen Strande, die ihr viele Gäste zuführen.

Auch verfügt sie über hübsche öffentliche Sammlungen, wie das Museum, das Industrie-Museum, die Bibliothek u. a.

Auf unserem Plane haben wir das neue in der Ausführung be - griffene Project eingezeichnet, welches, wenn verwirklicht, die Stadt627Boulogne-sur-Mer.mit einem ausserordentlich geräumigen äusseren Hafen bereichern, und dessen breite Einfahrt die Gefahr beseitigen wird, welche bisher das Anlaufen des alten Hafens begleitete. Die Tiefe des neuen Hafens wird durch Baggerungen auf 5 bis 8 m gebracht werden.

Der Wohlstand von Boulogne hängt ab von der Fischerei, der Localindustrie, den im Sommer stark besuchten Seebädern und end - lich vom Localverkehre mit England. Der Verkehr ist nur Transito - verkehr und selbst von diesem geht nach und nach manches auf Dünkirchen über.

Der grösste Theil des Verkehres ist nach England gerichtet.

Boulognes erste Ausfuhrartikel sind Schafwollgewebe, fast ausschliesslich französischen Ursprungs, ferner Seidenstoffe, von denen aber manchmal die Hälfte auf deutsche und schweizerische Erzeugnisse entfällt. Die Ausfuhr erreichte bei Schafwollstoffen 1888 66.097 q (Werth 72,085.169 Francs), 1887 58.917 q, bei Seidenstoffen 1888 6393 q (Werth 39,856.899 Francs), 1887 4164 q.

Grössere Werthziffern weisen noch auf bearbeitete Felle und Lederarbeiten (1888 12.773 q, Werth 14,133.164 Francs), Kleider und Wäsche (1888 1301 q, Werth 7,050.866 Francs), Garne jeder Gattung (1888 8314 q, Werth 5,929.345 Francs), Knöpfe und Kurzwaaren, Glas und Porzellan, endlich Bijouterien aus edlen Me - tallen, Alles Artikel französischer Provenienz.

Zum grossen Theile ausländischer Herkunft sind Uhren (1888 4905 q, Werth 11,674.944 Francs), Seide und Seidenabfälle (1888 4608 q, Werth 6,577.909 Francs), ganz aus dem Auslande stammt bearbeitetes Korkholz.

Alle diese Waaren kommen auch, soweit sie französischen Ursprungs sind, aus einer grösseren Entfernung nach Boulogne. Aus der Nähe wird hieher gebracht Portland-Cement, dessen Ausfuhr 1888 mit 368.734 q (Werth 1,585.556 Francs) angegeben wird und 1889 weit über diese Ziffer hinausging.

Das Eisenwerk zu Marquise bringt gusseiserne Röhren und Candelaber nach Portugal und den Niederlanden zur Ausfuhr.

Auch Korbweiden und Bastgeflechte sind nicht unwichtige Ausfuhrartikel.

Die zweite grosse Gruppe der Ausfuhrartikel bilden Producte des Acker - baues und der Viehzucht. Die grössten Ziffern entfallen auf Wein mit 84.110 q) (Werth 15,356.720 Francs) im Jahre 1888 und 76.092 q im Jahre 1887. Die Aus - fuhr des Jahres 1889 bleibt weit hinter diesen Mengen zurück.

Zu nennen sind noch Tafelfrüchte (1888 51.879 q), condensirte Milch (9910 q), die aber hier nur in der Durchfuhr vorkommt, und Eier (1888 10.301 q) für den Markt von England.

Im Wege des Küstenhandels werden in grossen Mengen ausgeführt Bau - materialien, Steine für industrielle Zwecke.

Sowohl im Wege des Küstenhandels als im ausländischen Verkehr werden Seefische ausgeführt, aber unter der Concurrenz der englischen Fischerei, die zu gewissen Zeiten des Jahres den hiesigen Markt ganz beherrscht, geht dieser Zweig des Handels zurück.

Boulogne ist einer der wichtigsten Fischereihäfen Europas; der Werth des Fischfanges dieser Stadt und ihrer Nebenplätze umfasst den dritten Theil dieses Zwei - ges der Urproduction von Frankreich. Die Fischereiflotte von Boulogne erzielte 188879*628Der atlantische Ocean.einen Fang von 326.737 q Fischen im Werthe von 12·1 Millionen Francs, gegen 365.695 q im Jahre 1886. Bedeutende Mengen Fische gehen täglich als billig befördertes Eilgut nach Paris.

Betrachten wir nun jene Einfuhrartikel, welche den Hauptheil der ansehn - lichen Einfuhr bilden, so müssen wir merkwürdigerweise wieder zuerst Schafwoll - stoffe nennen, die meist für den Consum in Frankreich bestimmt sind (1888 34.956 q, Werth 29,683.524 Francs, 1887 34.945 q), dann Seidenstoffe (1888 3633 q, Werth 23,169.563 Francs), von denen etwa der vierte Theil für Frankreich be - stimmt ist.

In früheren Jahren war Schafwolle der zweite Einfuhrartikel, 1888 aber nur der dritte mit 109.655 q (Werth 21,745.811 Francs), und der Rückgang dürfte andauern. Die Zufuhr der Schafwolle besorgt die Niederländisch-amerikanische Dampfschiffahrts-Gesellschaft, die auf ihrer Linie Amsterdam-La Plata Boulogne anläuft.

An der vierten Stelle in der Einfuhr stehen Baumwollstoffe (1888 13.685 q, Werth 14,484.517 Francs), zu einem Drittel für Frankreich bestimmt, und dann folgen englische Garne (1888 16.200 q, Werth 9,444.095 Francs), welche fast alle in Frankreich verarbeitet werden.

Für Frankreich sind ferner bestimmt der grösste Theil der bearbeiteten Felle und Lederarbeiten und der Leinengewebe.

Die Einfuhr von Jute aus Indien (1888 42.856 q) steigt seit Jahren.

Zur Verarbeitung in Frankreich sind bestimmt Elfenbein, Perlmutterschalen, Kautschuk und Guttapercha.

Um wieder ausgeführt zu werden, erscheinen hier condensirte Milch, Kork - waaren, Steinkohlen aus England, Rohseide und Uhren.

Die Einfuhr von Eisenerzen aus Bilbao, die in den Stahlwerken zu Isbergues verarbeitet werden, hat sich nach dem Hafen Dünkirchen gewendet; auch die Einfuhr von Roheisen ist in den letzten Jahren bedeutend gefallen.

Bauholz (1888 279.012 q) wird von der Ostsee und von Norwegen zu - geführt.

In neuerer Zeit hat auch die Industrie in Boulogne an Ausdehnung ge - wonnen. In der Stadt und deren nächster Umgebung bestehen gegen 50 Fabriken für Conservirung von Lebensmitteln, Werften für Bau, Reparatur und Ausrüstung von Schiffen, eine grosse Böttcherei, 2 Hohöfen und Giessereien, 3 Baumwoll - Schafwolle - und Jutespinnereien, davon eine mit Segeltuchweberei, 3 Dampfholz - sägen, mehrere Marmorbearbeitungswerkstätten, 3 Stahlfederfabriken, die 2·5 bis 3 Millionen Gros Stahlfedern im Jahre produciren, 3 Wagenfabriken, 3 Schuh - fabriken, 3 Cementfabriken, 3 Oelfabriken und Fabriken für Seife, Fayence, che - mische Producte, Papier, Zucker, Seilereien etc.

Der allgemeine Waarenverkehr von Boulogne betrug:

〈…〉〈…〉

Der Menge nach bedeutend ist auch die Ausfuhr Boulognes im Küsten - handel, sie betrug 1888 816.869 q.

Die Schiffahrt von Boulogne weist eine ansehnliche Zahl von Tonnen auf,629Boulogne-sur-Mer.aber nur deshalb, weil der Localverkehr mit England sehr stark ist. Ihm gehört der grösste Theil der 127.430 Passagiere, welche 1889 über Boulogne gingen.

Die Endpunkte dieses Verkehres mit England sind Folkestone, London und Goole. Für den überseeischen Verkehr ist besonders wichtig die Niederländisch - amerikanische Dampfschiffahrts-Gesellschaft, welche hier ihre Linie Rotterdam - New-York landen lässt, um Passagiere und Auswanderer aus der Schweiz und Italien in die Union zu bringen; auch die Linie Amsterdam-La Plata läuft hier aus.

Boulogne-sur-Mer (Massstab 1: 36.600).

A Hafen (project. ), B Digue Sud-Ouest (SW), B1 projectirte Molen, C Traverse, D Strand bei Ebbe, E Strand bei Flut, F Leuchtfeuer, G Arsenal d’Artillerie, H Gaswerke, J Casino, K Friedhöfe, L Hôtel Imperial, M la Liane-Fluss, N Quai des Paquebots, O Quai de la Douane, P Arriére-port, Q Hopital Duflos, R Rue Faidherbe, S Grande Rue, T Boulevard Auguste Mariette, U Notre Dame de Boulogne, V Château, W Kirche St. Vincent de Paul, X Waarenmagazine, Y Pont de la Liane.

Der Schiffsverkehr von Boulogne betrug:

〈…〉〈…〉

Die Marine von Boulogne umfasste am 31. December 1888 317 Schiffe mit 10.384 Tons, fast nur Segler.

Boulogne ist Sitz einer Handelskammer und einer Succursale der Bank von Frankreich.

In Boulogne-sur-Mer haben Consulate: Belgien, Deutschland, Gross - britannien, Niederlande, Türkei und Venezuela.

[630]

Calais.

Seitdem Grossbritannien zur ersten Handelsmacht der Erde emporgestiegen ist, zählt die Enge von Calais zu den am meisten be - fahrenen Wasserstrassen. Der enorme Seeverkehr von London, von der Ostküste Englands und Schottlands, dann fast dem gesammten nordeuropäischen Küstengebiete nimmt seinen Weg durch den Pas - de-Calais (Strait of Dover). Senkrecht auf seine Richtung überquert ihn der bedeutende englisch-französische Verkehr in mehreren Linien. Zu jeder Tageszeit sind dort hunderte von Schiffen aller Nationen unterwegs, und verriethen auch die Kreidefelsen Dovers, die Dünen von Calais nicht die Nähe zweier Welthandelsstaaten, so vermöchte man aus der ungeheueren Frequenz der Meerenge auf den ersten Blick die grossartigste Völkerstrasse der Gegenwart zu erkennen, die nirgends sonst ihres Gleichen hat.

An dieser wichtigen Communication gelegen erlangte Calais be - reits im Mittelalter eine grosse Bedeutung und ward von den Eng - ländern als einer der Schlüsselpunkte Frankreichs angesehen, den sie bis 1558 zu behaupten wussten.

Calais liegt an einem flachen und morastigen Dünenstrande nächst der Mündung der Verzweigungen des Saint-Omer-Canales und der Rivière-Neuve. Starke Befestigungen umschliessen die Stadt: das älteste Bollwerk, das Fort Risban, welches den Hafen und die Küste beherrscht, stammt aus dem Jahre 1231, die Citadelle aber aus dem Jahre 1560. In neuerer Zeit hat man Calais und die Schwesterstadt Saint-Pierre-les-Calais mit einem Gürtel von Forts umgeben, dafür aber einen Theil der ursprünglichen Umwallung aufgelassen, wodurch Calais sich etwas, wenngleich nur unbedeutend, ausbreiten konnte.

Ueberhaupt hatte der Festungsgürtel die Stadt seit jeher in der räumlichen Entwicklung sehr gehindert, so dass Calais nicht emporwachsen konnte. Dagegen begann das im Süden der Stadt ge - legene einstmalige Dorf Saint-Pierre-les-Calais, ein in alter Zeit Pe -631Calais.tressa oder Peternesse genannter Ort, der noch im Jahre 1800 nicht mehr als 2600 Bewohner hatte, immer mehr sich auszubreiten. Bald war Calais durch die neue Schwesterstadt, die zu imposanter Grösse anwuchs, weit überflügelt, und da die Stadt auf einem ausgedehnten Gebiete angelegt worden, welches ihrer Ausbreitung kein Hinderniss entgegensetzt, so ist unter dem günstigen Einflusse ihrer Lage eine weitere Entwicklung mit Bestimmtheit zu erwarten.

Die Gründung von Calais erfolgte in einer nicht bestimmbaren Zeitperiode. Die geographische Lage der Stadt erklärt es, dass hier die Grafen von Flandern und von Boulogne nacheinander die Herrschaft ausübten. Unter den letzteren er hielt Calais im XII. Jahrhundert die ersten Communalrechte und trat 1303 dem grossen Hansa-Bund bei.

Zu Handelsbedeutung emporgeblüht, lenkte die wichtige Stadt alsbald die begehrlichen Blicke der Engländer auf sich.

Als Eduard III. die französische Armee bei Crécy vernichtet hatte, schritt er zur Belagerung von Calais, während gleichzeitig eine Flotte von 700 Fahr - zeugen der Stadt jede Verbindung mit der See abschnitt. Ein volles Jahr wiesen die Vertheidiger die Angriffe der Engländer heroisch zurück, wurden aber schliess - lich durch die äusserste Noth zur Capitulation gezwungen. Eduard III. begnadigte Calais auf die Fürbitte seiner Frau, doch mussten die Bewohner der Stadt aus - wandern. Englische Colonisten wurden statt ihrer angesiedelt. Eduard III. errichtete in Calais die Etape des laines, ein Entrepôt, welches den Wohlstand der Stadt mächtig gefördert hat.

In die Zeit der englischen Herrschaft fällt 1436 der missglückte Versuch des Herzogs Philipp des Kühnen von Burgund, sich der Stadt zu bemeistern. Mehr als ein Jahrhundert später (1558) büssten die Engländer Calais, ihren letzten Besitz auf französischem Boden, wieder ein.

Für kurze Zeit (1596) bemächtigten sich die Spanier der Stadt, bis der Friede von Verviers dieselbe Heinrich IV. zurückgab. In Calais hatte sich am 15. August 1560 Maria Stuart nach dem Tode ihres Bräutigams des Königs Franz II. eingeschifft, um nach Schottland zurückzukehren.

Calais besitzt mit Ausnahme einzelner ehrwürdiger Bauwerke, die in architektonischer Hinsicht von Interesse sind, keine hervor - ragenden Sehenswürdigkeiten. Die Notre Dame-Kirche nächst dem Cours Berthois, der älteste Bau der Stadt, entstand in der Zeit von 1180 1224, wurde aber im XIV. Jahrhundert durch die Engländer einem gründlichen Umbau unterzogen, und trägt noch heute das robuste Gepräge jener Bauperiode zur Schau. Einige Kunstobjecte zieren das Innere der Kirche.

Das Stadthaus an der Place d’Armes ist im Jahre 1740 durch Reconstruction eines 1295 gegründeten Gebäudes entstanden und be - sitzt am rechtsseitigen Ende der Façade einen Uhr - und Glocken - thurm (Beffroi), dessen Obertheil aus einem System von drei über - einander liegenden Ausbauchungen und zahlreichen Seitenthürmchen632Der atlantische Ocean.besteht. Das Glockenspiel desselben ist eines der berühmtesten und ältesten des französischen Flandern.

Im Stadthaus ist die öffentliche Bibliothek mit 10.000 Bänden und kostbaren Manuscripten untergebracht.

Ein ehrwürdiges Bauwerk ist auch der Wachtthurm (tour du Guet) von Calais, von welchem es heisst, dass er unter Karl dem Grossen (810) zur Bewachung der Küste gegen die Normanen ent - standen sei; doch dürfte sein Bau in eine spätere Zeit, etwa zu Be -

Calais.

ginn des XIII. Jahrhunderts, mit mehr Wahrscheinlichkeit zu verlegen sein. Im Jahre 1580 durch ein Erdbeben zerstört, lag er Jahrhunderte lang als Ruine da, wurde aber 1806 wieder aufgebaut und diente bis zum Jahre 1848 als Leuchtthurm. Der jetzige Hauptleuchtthurm von Calais erhebt sich von der Höhe einer Bastion (58 m über dem Meere) und zeigt ein prächtiges elektrisches Licht erster Ordnung.

Noch sei das alterthümliche Hôtel de Guise erwähnt, welches ehemals unter dem Namen Pilori oder Etape des laines (Wollnieder - lage) durch Eduard III. für die Zwecke des Handels gegründet wurde.

[633]
Calais (Massstab 1: 24.700; Sonden in Metern).

A Rhede von Calais, A1 Signalstation, A2 Küstenlinie bei tiefster Ebbe, A2 Küstenlinie bei höchstem Wasserstand, B B1 Wellenbrecher (Digues basses), C Piloten-Station, C1 Schleusse (Écluse) Raffeneau, D Bassin des Chasses, D1 Wasserarm des Fort Nieulay, E Port d’échouage, E1 Fluthafen, F Leucht - feuer an der Einfahrt, F1 grosser Leuchtthurm, G Schleusse, G1 Schleusse der Citadelle, H Eisenbahn - Hauptstation, J Bassin du Petit Paradis, K Säule Ludwig XVIII., L Schleusse von Courgain, M neues Bassin im Bau, N Dock, O inneres Bassin, P alter Flussarm (Crucifix), Q Friedhof, R Eisenbahn - stationen, S grosses Bassin im Bau, T Place d’Armes, U Kathedrale, V Hospital, W Promenade, X Cours Berthois, Y Esplanade, Z Bade-Etablissements, Z1 Rettungsboot-Station.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 80634Der atlantische Ocean.

Unter den Neubauten von Calais und der aufblühenden Schwester - stadt beansprucht keine eine höhere Beachtung. Beide Städte be - sitzen hübsche, gerade laufende Strassen mit anmuthigen Prome - naden.

Auf dem Strande zwischen der See und dem grossen Bassin des Chasses, welches im Nordosten von Calais erbaut wurde, liegen die eleganten Gebäude der Seebäder, welche viel und gerne besucht der Vereinigungsort der schönen Welt zur Zeit der Saison gewor - den sind.

Der Hafen hat sehr viel durch die Versandung gelitten. Aus unserem Hafenplan ist seine Situation und Eintheilung zu ersehen. Neuester Zeit wurde der Hafen durch das grosse Bassin, dessen wir bereits erwähnten, erweitert.

Calais liegt nur 40·7 km von Dover, dessen Kreidefelsen an hellen Tagen sichtbar sind, entfernt, ist daher der am nächsten gegen die englische Küste vorgeschobene Hafen des französischen Gebietes und des europäischen Continentes überhaupt. Dieser Umstand erklärt die bedeutende Frequenz von Calais durch den Personenverkehr zwischen England und Frankreich. Interessant ist, dass der Passagierverkehr von und nach England ab Dieppe, Hâvre und Dünkirchen zusammenge - nommen kaum den fünften Theil desjenigen ausmacht, welcher durch Calais und Boulogne den Weg zu nehmen pflegt. So lange man kein Remedium gegen die Seekrankheit hat, wird wohl dieses Verhältnis sich erhalten.

Die Schiffahrt an der französischen Küste des Canals begegnet vielerlei Beschwerlichkeiten. Der flachen Dünenküste sind langgestreckte Hochgründe mit zahlreichen Sandbänken vorgelagert und bilden gegen Osten eine sehr gefährliche Barrière, durch welche hindurch nur mit grösster Vorsicht das Fahrwasser aufgefunden werden kann. Leucht - schiffe und grosse Bojen, die bis auf 37 km in See vertäut sind, markiren den Lauf der Durchfahrten oder die Position von besonders gefährlichen Untiefen.

Aber auch das nächste Seegebiet an der Küste weist infolge der Gezeiten, die Niveauunterschiede bis zu 6·5 m herbeiführen, eigen - thümliche Erscheinungen auf.

Zur Zeit der Ebbe liegt ein breiter Strandsaum trocken; bei Calais erreicht derselbe 1·4 km Breite, und eine starke Gezeitenströ - mung macht sich bis weit in See fühlbar.

Die sandige Beschaffenheit der Küste machte es nothwendig, die Häfen durch lange Dämme zu schützen, deshalb haben alle Häfen635Calais.der Flachküste, wie Calais, Gravelines, Dünkirchen, Nieuport, Ost - ende etc., sehr schmale, durch Dämme eingeengte Zufahrten, ein Um - stand, welcher die Schiffahrt vielen Gefahren aussetzt.

Die französische Regierung hat viel Geld auf den neuen Hafen von Calais verwendet und ihn mit allen modernen Hilfsmitteln ausgestattet, aber der Handel nimmt trotz alledem nicht den erwarteten Aufschwung, denn Dünkirchen übt ein zu grosses Uebergewicht aus.

Aber als Fabriksplatz sind Calais Saint-Pierre gross, und in Maschinspitzen bestimmen sie mit Nottingham in England den Weltmarktpreis.

Die Hauptindustrie von St. -Pierre-les-Calais ist die Tullefabrication. Man erzeugt Woll - und Seidentulle, welche mit den Maschinspitzen lebhaft rivalisiren; 1600 Werkstühle, von 80 Dampfmaschinen und 12.000 Arbeitern beiderlei Ge - schlecht betrieben und 390 Fabrikanten gehörend, repräsentiren 40 Millionen en - gagirtes Material und 60 Millionen Francs jährlicher Tulleproduction.

In St. -Pierre sind ferner: 12 Maschinen-Constructionswerkstätten, 3 Dampf - sägen, 2 Eisen - und Kupfergiessereien, 1 grosse Biscuitfabrik (300 400 Arbeiter), grossartige Holzdépôts (aus Schweden und Norwegen).

Für die arbeitende Bevölkerung von Calais sind Schiffbau, Fischerei und die Bereitung von eingesalzenen Lebensmitteln (Salaison) die Hauptbeschäfti - gungen.

Die Zahl der Reisenden, welche Calais auf dem Wege nach England oder von dort her passirten, stieg 1889 unter dem Einflusse der Weltausstellung von Paris auf 346.934 gegen 248.001 im unmittelbar vorangehenden Jahre. Doch auch abgesehen von dem Einflusse der Ausstellung ist im Allgemeinen in Calais die Zahl der Reisenden in Zunahme begriffen. Den Reisenden stehen täglich in jeder Richtung drei mit allem Comfort ausgestattete Linien zur Verfügung, die nach allen Richtungen des Continentes und Englands Anschlüsse haben.

Im Sommer 1889 wurde dazu noch der sogenannte Clubtrain als tägliche Verbindung eingerichtet; nur Sonntag geht er nicht von London, Samstag nicht von Paris ab.

Von den Artikeln der allgemeinen Ausfuhr von Calais entfielen 1888 auf die Erzeugnisse der Textilindustrie über 60 Millionen Francs oder sieben Zehntel der ganzen Summe.

Die Schafwollwaaren (1888 18.566 q) und die Garne (8793 q) sind aus - schliesslich, die Seidenwaaren (4640 q) zu zwei Dritteln französischer Herkunft, die Baumwollwaaren (3393 q) aber ausländischen Ursprungs. Das letztere gilt auch von einem grossen Theile der ausgeführten Seide (1888 1669 q). Auch die Ausfuhr bearbeiteter Felle ist zu erwähnen.

Auch an der seit 1871 rapid steigenden nordfranzösischen Bierproduction hat Calais seinen bedeutenden Antheil. Die im Departement Pas-de-Calais be - stehenden Brauereien haben 1888 gegen 1 Million hl Bier producirt. Das erklärt, dass Calais 1888 21.226 q (Werth 1.913.967 Francs) Hefe ausführte.

Von Nahrungs - und Genussmitteln französischen Ursprungs, bestimmt für England, erreichte Wein 1888 28.554 q (Werth 5,198.494 Francs), 1887 26.859 q, frisches und gesalzenes Fleisch zusammen 1888 5407 q und Eier 6341 q.

Nun wollen wir die Einfuhr betrachten, die für den Consum in Frank - reich bestimmt ist. Hier erscheint rohe Schafwolle 1888 mit 201.224 q (Werth80*636Der atlantische Ocean.39,247.077 Francs), 1887 mit 167.440 q als der wichtigste Artikel von Calais überhaupt. Die grossen Schafwollfabriken von Roubaix und Tourcoing beschäftigen also auch den Hafen von Calais.

Von der Menge der eingeführten Rohseide (1888 2763 q, Werth 8,438.125 Francs) bleibt mehr als die Hälfte in Frankreich, von Jute (1888 45.740 q), Phor - mium und von Garnen Alles.

Das gilt auch von gewöhnlichem Holz (1888 790.704 q, Werth 6,282.224 Francs); dieses umfasst viel Grubenholz, auf englischen Dampfern von Skandi - navien gebracht für die zahlreichen Kohlenbergwerke des Pas-de-Calais und des Departements du Nord .

Es wurden 1888 in Calais 740.963 q Steinkohlen eingeführt.

Die eingeführten Maschinen und Fahrzeuge sind für Frankreich bestimmt, ebenso der grössere Theil von Stahl und Eisen, dafür werden die aus der Fremde kommenden Baumwollgewebe (1888 3685 q, Werth 8,621.442 Francs) und Seiden - stoffe (1457 q, Werth 9,128.441 Francs) wieder ausgeführt.

Der auswärtige Waarenhandel von Calais betrug:

〈…〉〈…〉

Der Schiffsverkehr findet wegen des starken Localverkehrs mit England, der hauptsächlich nach Dover, doch auch nach London und Goole geht, über - wiegend unter englischer Flagge statt, auf welche die französische folgt. Er umfasste:

〈…〉〈…〉

Der Küstenverkehr von Calais ist unbedeutend.

Von Calais geht ein Kabel der Submarine Telegraph Cy. nach Dover und ein Kabel der Great Northern Telegraph Cy. über die Insel Farö nach Jütland.

Calais ist Sitz einer Handelskammer und einer Succursale der Bank von Frankreich.

In Calais haben folgende Staaten Consulate: Belgien, Brasilien (V. -C. ), Niederlande (V. -C. ), Oesterreich-Ungarn (V. -C. ), Portugal (V. -C. ), Türkei, Vene - zuela, Vereinigte Staaten (C. -A.).

[637]

Dünkirchen.

Jahrhunderte hindurch war Dünkirchen die Rolle eines wich - tigen Waffenplatzes zugefallen. Auf einem exponirten Gebiete nächst des Pas-des-Calais entstanden, war die Stadt das Angriffsobject der Franzosen, Engländer und Holländer, und so tüchtig, heldenmüthig und ausdauernd die Bewohnerschaft sich stets bewährte, war ihr doch ein dauernder Wohlstand nicht beschieden. Erst in der neuesten Zeit sehen wir die Stadt zu einem bedeutenden Seehandelsplatz er - blühen.

Was die Befestigungskunst des berühmten Vauban, welcher Dünkirchen mit einem Gürtel unbezwingbarer Fortificationen umgab, nicht zustande bringen konnte, hat die Friedensarbeit der modernen Technik erzielt. Durch die grossartigen Hafenbauten und durch den Ausbau der Communicationen wurde der Platz weit angesehener und mächtiger, als er es jemals durch seine Wälle geworden, die immer nur Unglück und Niedergang herbeiführten.

In der That setzt sich die Geschichte von Dünkirchen aus einer langen Reihe von Plünderungen, Ueberfällen, Brandschatzungen, Belagerungen und anderen kriegerischen Actionen zusammen. Sie nennt berühmte Seeleute und Generale, aber keine Millionäre!

Noch heute ist indes Dünkirchen als Festung beachtenswerth, obgleich weniger durch seine Wälle und Forts als durch die Ein - richtung, dass ein weites Gebiet ausserhalb des Platzes bis nach Bergues mit 1·5 m tiefen Wasser überschwemmt werden kann.

Uns interessirt aber vornehmlich der reich ausgestattete Hafen, zu dessen Ausbau die französische Regierung grossartige Mittel ver - wendet hat.

Wie unser Plan zeigt, besitzt der Hafen eine zwischen sehr langen Wellenbrechern geführte, nur 80 m breite Einfahrt (chenal), wie wir ähnliche in Boulogne und Calais angetroffen haben.

Hieran schliesst sich ein lang gestreckter Vorhafen, welcher638Der atlantische Ocean.durch kostspielige Schleussenwerke mit den Bassins de l’Est, dem Bassin de Freycinet und dem System des Bassin du Commerce in Verbindung steht. Die beiden erstgenannten Becken sind neuesten Ursprungs, während das letzterwähnte System das Centralgebiet des alten Hafens bildet, welcher an der Westseite der Stadt sich hin - zieht.

Man unterscheidet dort das Bassin du Commerce, den Arrière - Port und das Bassin de la Marine, längs welchem grossartige Maga - zine angelegt wurden. Der Arrière-Port steht mit den bei Dünkirchen sich vereinigenden Binnen-Canälen durch die Schleusse von Bergues in Verbindung. Diese Canäle sind: Canal de Mardick, de Bourbourg, de Bergues, de Moëres und de Furnes. Dieselben sind wichtige Ver - kehrsadern für Massenartikel und speisen nicht nur die vorne er - wähnten Bassins, sondern auch die ausgedehnten Wassergräben der Befestigungen.

Ueber die Stadt selbst ist nur wenig zu bemerken, ihre Aus - breitung hat die Umwallung, durch welche neun Thore ins Freie führen, gehindert. So besteht Dünkirchen, wie alle alten Festungs - städte, deren Wälle jetzt hinausrücken, aus einer alten engen, den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügenden und einer neuen Stadt. Im Allgemeinen bietet Dünkirchen einen freundlichen Anblick, die meist gerade geführten Strassen sind rein gehalten und von hüb - schen Häusern flankirt.

Man unterscheidet die eigentliche Ville, das ist der nördlich der Canäle Mardick und Furnes liegende Theil, dann die Basse ville, welche südlich dieser Canäle liegt und endlich das kleine Quartier de la Citadelle auf der Halbinsel im Westen des Bassin du Com - merce, wo ehemals die Citadelle von Dünkirchen sich erhob. Die Basse ville ist der Sitz der vornehmsten Industrie-Etablissements und hat breite und gerade Strassen, wo hingegen das dürftig aussehende Quartier de la Citadelle der Wohnplatz der Arbeiterschaft und der Matrosen ist.

Sämmtliche Quais sind durch mehrfache Schienenstränge mit dem grossen Bahnhof der Eisenbahn nach Lille verbunden und mit Krahnen ausgestattet. Ausgedehnte Magazine, welche auf den breiten Molen des Bassin de Freycinet errichtet werden, sind projectirt; über - haupt ist Dünkirchen für seinen grossartig angewachsenen See - verkehr vollkommen gerüstet.

Allerdings theilt auch dieser Hafen den Mangel an genügender Wassertiefe mit den französischen Seeplätzen der atlantischen Küste,639Dünkirchen.welcher Umstand den Verkehr grösserer Oceandampfer nur auf die Zeit des Hochwassers beschränkt, das hier bei Springflut 5 m über den Ebbestand ansteigt. Doch sind Baggerungen und der Bau einer neuen Schleusse für tiefgehende Schiffe im Zuge.

Auch die äussere Zufahrt zum Hafen ist durch die der Flach - küste vorgelagerten, weit ausgedehnten Sandbänke sehr umständlich und namentlich bei bedecktem und stürmischem Wetter mit Gefahr verbunden, obgleich alle Hilfsmittel angewendet wurden, um den Seefahrern das Erkennen und Anlaufen des Hafens zu erleichtern. 20 km nordwestlich liegt das auf hoher See verankerte Leuchtschiff Ruytingen; dieses und zwei andere Leuchtschiffe: Snow und Dyck, beleuchten die von Westen zur Hafeneinfahrt führende Wasserstrasse; sie trotzen allen Stürmen, widerstehen dem furchtbaren Andrang der wild bewegten See.

Welche Erlebnisse vor der Seele der Feuerwächter, deren Leben an einer Ankerkette hängt, während eines Jahres vorüberziehen und wie überhaupt die Welt dieser wetterharten Menschen mit den ehernen Zügen aussieht, mag sich die Phantasie leicht ausmalen.

Der Hafen selbst ist durch vier Leuchtfeuer, wovon jenes nächst dem Bassin Freycinet auf einem 59 m hohen Thurme gezeigte, ein elektrisches ist, beleuchtet. Ausserdem bestehen Nebelglocken, Nebel - hörner zur Warnung und Leitung der Schiffe bei trübem Wetter.

Die flache Dünenküste, die ost - und westwärts der Stadt in grandioser Trostlosigkeit sich dehnt, haben die Sturmfluten ange - schwemmt, und die heulende Windsbraut bedeckte sie mit regellosen Sandhügeln; eine tiefe Melancholie lagert über der Gegend. Man ge - wahrt an diesem öden Strande nur die Häuschen der Küstenwache, hie und da die geometrische Figur irgend einer Marke für Küsten - fahrzeuge, die gespensterhafte Silhouette einer Windmühle oder die Spitze eines weit im Binnenlande stehenden Kirchthurmes. Wenn neue Stürme losbrechen, geräth der Sandboden in Bewegung, ein un - heimliches Treiben beginnt, die furchtbaren Roller der Brandung mengen den Gischt mit den emporgerissenen Sandmassen, neue Hügel entstehen, um beim nächsten Anprall des Sturmes wieder entführt zu werden.

Wehe dem Schiffe, das hier bei Sturm auf Grund geräth; es ist verloren. Die längs der Küste eingerichteten Rettungsbootstationen haben indes die Aufgabe, die Gestrandeten dem Tode zu entreissen. Mit antiker Seelenstärke folgen beherzte Männer diesem edlen Berufe, das eigene Leben für fremdes gefährdend.

640Der atlantische Ocean.

Dünkirchen wird bereits zur Zeit der Kreuzzüge genannt. Philipp von Elsass rüstete hier im XII. Jahrhundert eine Flotte zum Transport seines Heeres nach Palästina aus. Schon damals besass die Stadt einige Befestigungen.

Unter der Oberhoheit der Grafen von Flandern stehend, gehörte Dünkirchen nacheinander verschiedenen Adelsfamilien an. Philipp der Schöne hielt den Platz von 1299 1305 besetzt, und in den Jahren 1325 und 1357 plünderten die Vlämen die Stadt. 1488 kamen die Franzosen neuerdings und belagerten dieselbe, obzwar erfolglos, aber 1558 fiel sie in die Hände des Marschalls Termes, dessen Truppen während der Plünderung die grässlichsten Grausamkeiten begingen und die Stadt niederbrannten. Graf Egmont übte hiefür nach seinem Siege bei Gravelines an den gefangenen Franzosen furchtbare Vergeltung. Kaum war die Stadt wieder er - standen, ward sie von dem Herzog von Alençon überfallen und besetzt; gleich darauf bemächtigte sich ihrer der Herzog von Parma. Während der Regierungs - zeit Ludwig XIV. spielte Dünkirchen eine wichtige Rolle und manch glänzendes Blatt seiner Geschichte erzählt von den ruhmvollen Thaten der Bewohnerschaft.

Zuerst kam 1646 der Prinz von Condé und belagerte die Stadt, und Ad - miral Tromp blockirte sie mit einer holländischen Flotte. Nach heldenmüthiger Gegenwehr fiel die Festung. Sechs Jahre später bemeisterten die Spanier sich derselben, und 1658 bezwang sie Turenne nach der berühmten Dünenschlacht, in welcher der Prinz Condé die Partei der Spanier verfocht.

Ludwig XIV. kam persönlich, um die Stadt in Besitz zu nehmen. Er musste sie aber sogleich an Cromwell übergeben, weil ihm dieser ein Corps von 10.000 Mann unter der Bedingung beigestellt hatte, dass der König die erste von den Franzosen eroberte Stadt an England abtrete. Die Engländer befestigten Dünkirchen noch mehr, verkauften es aber (Karl II. ) um fünf Millionen Livres an Ludwig XIV.

Nun umgürtete der berühmte Vauban die Stadt mit unbezwingbaren Be - festigungen, der Hafen wurde vertieft und mit Bassins versehen und Dünkirchen erhob sich bald zu einem der wichtigsten Plätze Frankreichs. In dem darauf - folgenden Kriege gegen England und Holland zeichneten sich die Dünkirchener Corsaren, an deren Spitze der heldenmüthige Jean Bart glänzte, durch Tollkühn - heit und Unternehmungslust aus. Es wird berichtet, dass sie in den Jahren 1688 bis 1697 den feindlichen Handel völlig lahm legten und für 22 Millionen Livres Schiffe und Waaren kaperten. Während dieser Zeit bombardirten die Engländer die Stadt zweimal erfolglos (1694 und 1695).

Der Frieden von Utrecht (1712) enthielt die demüthigende Bestimmung, dass die Stadt desarmirt, die Bassins, Schleussen, Dämme und alle Fortificationen demolirt werden müssen. Ludwig XIV. schuf nun einen Hafen in Mardick und verband ihn durch einen Canal mit Dünkirchen, doch mussten auch diese Werke infolge des Protestes Englands 1717 zerstört werden.

Erst 1741 zu Beginn des neuen Krieges liess Ludwig XV. die Befesti - gungen und den Hafen wieder herstellen. Nach dem Friedensschlusse sollte Dün - kirchen neuerdings desarmirt und seine Werke zerstört werden, und auch im Pariser Tractat 1763 forderten die Engländer, welche in dem Platze einen gefährlichen Rivalen ihres Verkehrs erblickten, die Schleifung der Wälle.

Die Regierungszeit Ludwig XVI., besonders nach dem amerikanischen Kriege, wurde für die Stadt zu einer Periode des Aufschwunges und der Blüthe, allein die französische Revolution vernichtete nur gar zu rasch den glänzenden641Dünkirchen.Aufschwung. Auch in jener Kriegsepoche zeichnete sich die Seemannschaft Dün - kirchens durch beherzte Thaten aus. 1793 belagerte der Herzog von York die Stadt, als aber die Franzosen bei Hondschoote siegten, musste er abziehen.

Der neue Aufschwung des Platzes datirt seit den Sechzigerjahren unseres Jahrhunderts, zu welcher Zeit die grossen Hafenbauten begannen. Einen rascheren Flug hat aber die Entwicklung erst in den jüngst verflossenen Jahren genommen.

Dünkirchen liegt unter 51° 15′ nördl. Breite und 23′ östl. Länge von Greenwich und zählt ungefähr 38.000 Einwohner.

Die Stadt besitzt nur wenige öffentliche Plätze, unter welchen

Dünkirchen.

die Place Jean Bart, auf welcher sich das Standbild des vorne ge - nannten Seehelden erhebt, das Centrum der eigentlichen Ville ein - nimmt.

Unter den öffentlichen Bauwerken verdient die Kirche Saint - Eloi, welche im XVI. Jahrhundert umgebaut wurde und einige sehens - werthe Kunstwerke und Denkmäler, worunter das Grabmal Jean Bart’s, enthält, genannt zu werden.

Der westliche Theil der Kirche wurde im XVIII. Jahrhundert abgetragen, um Raum für die Gasse Rue de l’Église zu gewinnen,Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 81642Der atlantische Ocean.infolge dessen der zur Kirche gehörende Glockenthurm (Beffroi) jetzt isolirt steht. Dieser ist ein imposanter Bau von 90 m Höhe, welcher ein Glockenspiel enthält, das sich durch die unter dessen Namen (Carillon) volksthümlich gewordene Arie einer gewissen Berühmtheit erfreut.

Von Interesse ist auch die Capelle Notre-Dame des Dunes am nördlichsten Ende der Stadt. Dieselbe stammt aus dem Beginn des XV. Jahrhunderts, als im Sande der Dünen eine Statuette der Mutter Gottes an der Küste aufgefunden worden war. Die Capelle ist seit - her ein sehr besuchter Andachtsort, besonders für Fischer, welche dort einen reichen Stockfischfang erflehen, und für Seeleute. Zahlreiche Votivgaben, bestehend aus Schiffsmodellen, Bildern, Kerzen, bedecken die Wände oder hängen an Schnüren befestigt von der Decke herab.

Das Musée communal enthält gegen 250 Oelgemälde und einige Sculpturen, eine Medaillensammlung, verschiedene Antiquitäten und eine naturhistorische Sammlung. Im Museumsgebäude ist auch die 20.000 Bände zählende städtische Bibliothek untergebracht.

In der nächsten Umgebung der Stadt entstanden einige öffent - liche Gärten, und nächst der Villenstadt Rosendaël wurde eine präch - tige und mit allem Comfort ausgestattete Badeanstalt errichtet, welche unter dem Namen Casino-Hôtel de Rosendaël in bestem Rufe steht. In dem nächstliegenden schönen Cursaale werden Concerte, Bälle und sonstige Unterhaltungen gegeben, überhaupt ist Rosendaël mit seinen malerischen Villen und Gärten, seinem herrlichen Badestrand und dem animirten Leben, das sich dorthin verpflanzt, ein sehr be - suchter und beliebter Ausflugsort für Einheimische und Fremde.

Dünkirchen hat letzterer Zeit auch als Industrieplatz einen be - deutenden Aufschwung genommen. Es besitzt Spinnereien und Webe - reien, eine Dampfmühle, Werften, Schmieden und Giessereien, Seile - reien, Brauereien, Oel - und Seifenfabriken.

Dünkirchens Einfuhr hat sich in den letzten Jahren derart ge - steigert, dass ihr Werth achtmal so gross ist als der Werth der Ausfuhr. Als Einfuhrplatz hat Dünkirchen bereits Bordeaux über - flügelt. Diesen Aufschwung als Importplatz verdankt Dünkirchen in erster Linie seiner günstigen geographischen Lage gegenüber den Hinterländern, deren guten Binnenverbindungen und endlich der Rührigkeit seiner durch Staatshülfe unterstützten Kaufleute.

Leider machte 1889 der Bau der neuen Schleusse, welche Schiffen, die bis 10·4 m tauchen, den Zugang sichern soll, nur wenig Fortschritte, und die Erfüllung des Traumes der Handelskammer von643Dünkirchen.Dünkirchen, welche in der Zukunft ihren Hafen als das Liverpool von Frankreich sieht, ist dadurch unangenehm verzögert.

Der Vorrang, welchen in Dünkirchen die Einfuhr gegenüber der Ausfuhr besitzt, zwingt uns, die Einfuhr vor der Ausfuhr zu behandeln.

Es fällt uns dabei sofort auf, dass dieselbe bis auf ein Zwanzigstel ihres Werthes für den Verbrauch des industriereichen Nordfrankreichs bestimmt ist. In immer weitere Kreise dehnt sich hier das Handelsgebiet von Dünkirchen auf Kosten der anderen französischen Häfen bis Hâvre hinab aus, wie wir bereits ge - sehen haben, weil Dünkirchen von dem Eisenbahnknotenpunkte Hazebrouck, diesem wichtigen Vorwerke der Industriemetropole Lille nur 40 km entfernt ist.

Die Einfuhr von Schafwolle, für welche Dünkirchen sich zum ersten Hafen des Landes entwickelt hat, betrug 1888 671.417 q (Werth 130,526.514 Francs), 1887 663.347 q und ist 1889 gegen das Vorjahr neuerdings gestiegen.

In immer grösseren Mengen landet hier La Platawolle in directem Ver - kehre. Die australischen und Capwollen gehen aber zunächst nach London und kommen von dort, zum grossen Schaden der französischen Häfen, über Antwerpen, Terneuzen und Gent in das nördliche Frankreich.

Für die französische Textilindustrie sind ferner bestimmt Flachs und Werg aus Russland, 1888 mit einer Einfuhr von 363.099 q (Werth 30,474.947 Francs), 1887 221.310 q. Baumwolle aus Egypten, der Union und Indien mit 84.984 q (Werth 11,047.863 Francs) im Jahre 1888 und 98.199 q im Jahre 1887. Jute, 1888 mit 145.004 q (Werth 6,235.166 Francs) und Hanf 1888 mit 10.625 q.

Von Cerealien wurden 1888 3,810.429 q (Werth 64,371.068 Francs), 1887 3,240.171 q eingeführt. Weizen und Mais kommen aus der Union, aus Rumänien und Argentinien, Gerste aus Algier. Viel Mais findet Verwendung in den Spiritus - brennereien.

Die Einfuhr von Hülsenfrüchten betrug 1888 109.195 q.

Leinsaat und Raps werden aus Indien, Russland und Argentinien zuge - führt. Die Einfuhr Dünkirchens erreichte in diesen Waaren 1888 schon die Hälfte der entsprechenden Einfuhr Marseilles. Einfuhr 1888 1,474.252 q (Werth 40,411.524 Francs), 1887 1,088.581 q.

Für Melasse, die im Lande auf Spiritus verarbeitet wird, ist Dünkirchen der erste Einfuhrhafen Frankreichs; auf ihn entfällt gut die Hälfte der Einfuhr des ganzen Landes. Melasse kommt aus Deutschland und Dänemark.

Die Einfuhr von Oel betrug 1888 78.129 q (Werth 5,050.795 Francs), die von Fett ausser Fischöl 63.886 q (Werth 4,825.286 Francs), die von Fischöl 13.490 q.

Bauholz und Grubenpfähle kommen aus Schweden, Norwegen und Finn - land; Einfuhr 1888 676.574 q (6,384.322 Francs), 1887 689.728 q, die Einfuhr exotischer Hölzer wird für 1888 mit 54.355 q angegeben.

Von Producten des Thierreiches sind noch anzuführen Fische (1888 67.267 q, Werth 4,409.669 Francs), weil Dünkirchen für die grosse Fischerei bei Island und auf der Doggerbank der Nordsee ein wichtiger Platz ist, und rohe Hänte und Felle aus Südamerika (1888 17.393 q, Werth 3,246.358 Francs).

Seit Jahren steigt in Dünkirchen die Einfuhr von Salpeter aus Chile, der in Nordfrankreich bei dem Baue der Zuckerrüben Verwendung findet, und erreichte so die Einfuhr 1889 die enorme Höhe von 1,600.000 q, 1888 die von 1,439.936 q (Werth 33,118.524 Francs), das ist mehr als Grossbritannien und Irland aufnehmen.

81*644Der atlantische Ocean.

Als Dungmittel finden ferner Verwendung ammoniaksaure Salze (Einfuhr 1888 66.063 q) und Oelkuchen (194.011 q).

Die grossartigen Operationen des französischen Kupferringes werden durch die Thatsache illustrirt, dass in Dünkirchen 1887 1144 q, 1888 aber 56.793 q Rohkupfer im Werthe von 10,506.633 Francs eingeführt wurden.

Von Blei kamen hier 1888 46.554 q, von spanischen Eisenpyriten 226.959 q, von bituminosen Mineralien, Erdpech, Petroleum u. s. w. 604.788 q (Werth 4,744.301 Francs), für Steinkohle 805.569 q aus England und von Mine - ralien ohne nähere Bezeichnung 2,162.262 q (Werth 6,009.780 Francs) zur Einfuhr.

Dünkirchen ist nach Hâvre Frankreichs wichtigster Hafen für die Einfuhr von amerikanischem Rohpetroleum.

Es charakterisirt den Hafen Dünkirchen, dass die Einfuhr von Industrie - artikeln beschränkt ist auf Eisen und Stahl (1888 173.147 q), die wieder ausge - führt werden, dann auf Maschinen (1888 30.505 q, Werth 3,221.690 Francs), Garne (10.365 q) und auf Leinen und Hanfgewebe, die für den französischen Markt bestimmt sind. In der Einfuhr des Küstenhandels sind Getreide und Wein die wichtigsten Artikel.

Wie schon erwähnt, tritt in Dünkirchen die Ausfuhr völlig in den Hintergrund.

Von den Artikeln der Ausfuhr sind Zucker, Heu, Garne, Schafwollstoffe und Schafwolle fast ausschliesslich, Oel und Maschinen je zu einem Drittel, Eisen und Stahl nur zu einem Fünftel französischer Herkunft, Cerealien fast durch - gehends ausländischen Ursprungs.

Die Ausfuhr von Zucker ins Ausland betrug 1888 176.434 q (Werth 6,571.980 Francs), 1887 188.082 q und ist abhängig von dem Ertrage der ein - heimischen Rübenernte, deren Hauptsitz das nördliche Frankreich ist. Absatz - gebiete sind England und Italien.

Die Ausfuhr von Garnen, von welchen Jutegarne für Dundee die wich - tigsten sind, hat sich in den letzten Jahren gehoben. Nach England gehen auch Leinengarne und Schafwollgewebe. Ausfuhr 1888 32.377 q (Werth 4,611.958 Francs), 1887 26.016 q.

Heu und Stroh gingen 1888 in einer Menge von 227.590 q (Werth 1,559.241 Francs) nach England.

Natürliche Phosphate, welche aus dem Departement de la Somme stam - men, werden in immer grösseren Mengen nach England und Deutschland ausge - führt, so 1888 schon 238.025 q.

Stahlschienen, zum Theil belgischer Erzeugung und nach Argentinien be - stimmt, haben den Hauptantheil an dem Posten Eisen und Stahl, von welchem 1889 232.422 q (Werth 7,218.235 Francs), 1887 188.082 q ausgeführt wurden.

Die Ausfuhr von Oel erreichte 1888 33.768 q und ging nach England und den Niederlanden, die der Fette betrug in demselben Jahre 24.487 q, endlich die von Cerealien 125.940 q.

Ausfuhrartikel französischen Ursprungs sind Schafwolle (1888 7383 q), Flachs und Pottasche (34.899 q).

Eine nothwendige Ergänzung bildet die sehr umfangreiche Ausfuhr im Wege des Küstenhandels, deren wichtigste Bestimmungsorte Bordeaux, Nantes, Mar - seille, Brest, Lorient und Cherbourg sind; er beförderte 1888 418.938 q Stahl und Eisen, 148.629 q Gusseisen, 407.556 q Kohle und 272.397 q Branntwein.

[645]
Dünkirchen (Massstab 1: 24.000; Sonden in Metern).

A Einfahrtscanal, A1 Küstenlinie bei tiefster Ebbe, B Vorhafen (Avant-Port, project. ), C Ost-Bassin (project), C1 Erweiterung des Ost-Bassins (project. ), D Port d’Échouage, D1 Darse Nr. 1, D2 Darse Nr. 2, D4 Darse Nr. 3, D4 Darse Nr. 4, E Bassin Freycinet, F Leuchtfeuer, G Bassin de la Marine, H Bassin du Commerce, J Bassin de l’arrière Port, K Platz Jean Bart, L Kirche St. Eloi, M Parc de la Marine, N Kirche St. Jean, O Canal de Mardyk, P Jonction des Canaux, Q Gefängniss, R Eisenbahnhof (v. Lille), S Palais de Justice, T Arrière Bassin de L’Est, U Hôtel de Ville, V Theater, W Place Calonne, X Badestrand und Casino de la Ville des Dunes, Y Friedhof, Z Kursaal.

646Der atlantische Ocean.

Die recht ansehnliche Industrie Dünkirchens bilden Spinnereien für Leinen, Hanf, Jute und Baumwolle, die Erzeugung von Spitzen, Seilereien, Oel - und Seifenfabriken, Giessereien, Schiffswerften.

Der Waarenhandel von Dünkirchen umfasste:

〈…〉〈…〉

Der Schiffsverkehr von Dünkirchen betrug:

〈…〉〈…〉

Die Handelsflotte von Dünkirchen zählte am 31. December 1888 168 Segel - schiffe mit 17.025 Tons und 47 Dampfer mit 12.667 Tons.

Im Einlaufe sehen wir die stärkste Tonnenzahl im Verkehre mit England (1888 158.750 Tons), Argentinien, Spanien, den russischen Häfen des Schwarzen und des Baltischen Meeres, mit Schweden, Peru und Englisch-Indien.

Im Auslaufe überwiegt der Verkehr mit England (1888 744.234 Tons) alle anderen Beziehungen.

Selbst wenn man den Küstenhandel einrechnet, der den französischen Schiffen vorbehalten ist, so zeigt sich, dass in Dünkirchen die Frequenz der bri - tischen Flagge grösser ist als die der französischen. Eine geringe Tonnenzahl entfällt auf die anderen Flaggen, von denen nur die deutsche Erwähnung verdient.

Der regelmässige Küstenverkehr erstreckt sich über alle französischen Häfen bis Marseille und Algier und wird in erster Linie durch die Cie. Générale des Bateaux à Vapeur à Helice du Nord vermittelt.

Von Dünkirchen gehen wöchentlich dreimal Dampfer nach London (115 See - meilen).

Auch mit den anderen Häfen von England, Spanien, Portugal, wie mit denen Nordeuropas bestehen lebhafte Verbindungen. Für diesen Dienst ist die Cie. Hâvraise péninsulaire de Navigation à Vapeur das wichtigste Unternehmen.

Den Verkehr mit Brasilien und dem La Plata vermitteln die Chargeurs Réunis, die Allan-Line.

Dünkirchen ist Station der Küstenbahn, welche die Nordwestküste Frank - reichs bis Dieppe herab begleitet, und hat über den Knotenpunkt Hazebrouck zahl - reiche Verbindungen nach dem Südosten.

Hier treffen die Canäle von Bergues, Furnes und Saint-Omer zusammen und ermöglichen einen billigen Verkehr mit Massenartikeln.

Dünkirchen ist Sitz einer Handelskammer, einer Bourse de commerce.

Hier haben die Bank von Frankreich, der Crédit Lyonnais und die Société Générale pour favoriser le Développement du Commerce et de l’Industrie en France Succursalen und 30 Seeassecuranzgesellschaften ihre Vertretungen.

In Dünkirchen haben Consulate: Argentinien, Belgien, Chile, Costa - rica, Dänemark, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich - Ungarn, Peru, Schweden und Norwegen, Türkei, Uruguay, Venezuela.

[647]

Antwerpen.

Nach einer Sage soll in grauer Vorzeit an der Stelle des heutigen Antwerpen eine Burg gestanden sein, welche der ebenso grausame wie habgierige Riese Druon Antigon bewohnte. Dieser behob von allen die Schelde flussauf - oder abwärts passirenden Waaren einen Zoll. Wehe dem Handelsmanne, der zu zahlen sich weigerte; ihm hieb der Riese die rechte Hand ab und warf diese in den Fluss. So trieb er es lange Zeit, bis Salvius Brabo, ein Statthalter Caesars, erschien, die Burg erstürmte und den Riesen enthauptete. Obgleich in dieser Legende eigentlich das Sinnbild der schon im Alterthume ganz besonders wichtigen Lage Antwerpens zu suchen ist, welche den Besitzer zum Herrn und Gebieter eines ganzen Landes machte, so fehlte es nicht an Versuchen, die Entstehung des Namens Antwerpen aus der Sage selbst ableiten zu wollen, denn die Worte Hand und werpen , d. i. werfen, waren aus der Erzählung leicht herauszufinden, und ebenso schienen die Burg und die Hände des Stadtwappens von Antwerpen auf die Grausamkeit des mythischen Riesen hinzuweisen.

Mit grösserer Berechtigung darf indess die Ableitung des Namens von Werf oder Werp, d. i. Anlegeplatz und im weitern Sinne Hafen, geltend gemacht werden, denn die Ansiedlung an der Scheldemündung am Ende des grossartigen, tief eingeschnittenen Golfes, den seither die massenhaften Ablagerungen der Schelde und ihrer Nebenflüsse einengten, bedurfte offenbar, weil weit und breit ein ähnlich wichtiger Hafenort nicht bestand, keiner anderen Bezeichnung als der Worte ane de werp , d. i. am Hafen, woraus der Name Antwerpen ent - standen sein mochte.

Unter allen Emporien der Nordsee, selbst Hamburg inbegriffen, besitzt Antwerpen als Welthandelsplatz die günstigste geographische Lage; vermöge ihrer Verbindung mit dem grossartigen Netze der schiffbaren Wasserstrassen, welche Belgien durchziehen und das Land mit Frankreich, Holland und Deutschland verbinden, sowie als hervor -648Der atlantische Ocean.ragender Eisenbahnknotenpunkt erfreut sich die Stadt der glücklichsten Verkehrsverhältnisse, wie solche kaum ein anderes See-Emporium des europäischen Festlandes aufzuweisen hat. Dazu tritt der höchst wichtige Umstand, dass der ausserordentliche Wasserreichthum der unteren Schelde und namentlich ihrer breiten Mündungen die Entwicklung des Schiffahrtverkehres begünstigt, im Gegensatz zu vielen anderen an Flüssen liegenden Seehäfen, wo die Schwierigkeit der Zufahrt dem Aufblühen oft unüberwindliche Hindernisse entgegensetzt.

Das gewaltige Delta der Schelde (Escaut), welches mit dem System der Rheinmündungen in natürlicher und künstlicher Verbindung steht, setzt sich, wie unser Plan zeigt, aus zwei tief in das Land gerissenen breiten Armen zusammen, die jeder für sich das Ansehen und für die Schiffahrt auch die Bedeutung von Meerbusen haben. Weist doch der südliche Arm, die West-Schelde, eine Mündungsbreite von nahezu 14 km und an der Verengung bei Vlissingen von 4·6 km auf. Der nördliche Arm, die Ost-Schelde, weitet sich an der Mündung bis zu einer Breite von nahezu 8 km aus. Beide Scheldearme stehen durch natürliche Wasserrisse in Verbindung, wodurch die drei be - deutenden Flachinseln Walcheren, Nord - und Süd-Beveland gebildet werden. Für die Schiffahrt günstig sind die Verhältnisse an der im - posanten West-Schelde, in welche die drei Zufahrten: Ost-Gat (Galgen - put) mit durchwegs mehr als 8 m Tiefe bei Ebbe; Beurloo mit 5 bis 8 m und im Süden der 2 bis 4 km breite Wielingen-Canal mit Tiefen von 9 bis 30 m bei tiefster Ebbe für die Seeschiffahrt in Betracht kommen.

Innerhalb der Mündungsbarren senkt sich der Boden zu nicht unbedeutenden Tiefen herab (45 m im Maximum).

Der Wielingen-Canal bildet die Hauptzufahrt in die Schelde und nach Antwerpen (Anvers, spanisch Ambéres), welches unter 51° 14′ nördl. Breite und 24′ östl. Länge von Greenwich (Kathedrale) liegend, ungefähr 80 km flusseinwärts von Vlissingen entfernt ist Die Zufahrt wird durch das 78 km westwärts der Mündung verankerte grosse Leuchtschiff Westhinder markirt, welches ein auf 12 Seemeilen (22 km) sichtbares Blinkfeuer zeigt; dann folgen gegen die Mündung zu noch die beiden Leuchtschiffe Wandelaar und Wielingen, worauf die Leucht - feuer von Vlissingen und des gegenüberliegenden Schelde-Ufers in Sicht gelangen. Grosse Bojen markiren überdies an einzelnen Punkten die Grenzen der Sandbänke.

Gegen Antwerpen zu beschreibt die Schelde mehrfache Windungen; das Fahrwasser ist gut markirt und auf allen Punkten für die grössten Oceandampfer navigabel. Eine Unterbrechung der Schiffahrt durch[649]

Antwerpen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 82650Der atlantische Ocean.die Eisverhältnisse kommt nur selten vor. In den letzten 35 Jahren war der Schiffsverkehr im Ganzen nur während 135 Tagen infolge Eises gesperrt. Es müssen eben ausserordentlich rauhe Winter und ungewöhnlich lange andauernde Fröste eintreten, um eine Störung der Schiffahrt zu verursachen.

Die Scheldemündungen und das nächstgelegene Terrain gehören einschliesslich der Inseln zur holländischen Provinz Seeland. Eine endlose Flachküste erblickt der in die Schelde Einfahrende vor sich. Es ist die grossartige charakteristische Tiefebene der Niederlande mit ihren Canälen, stehenden Gewässern, Dämmen, ihrem fruchtbaren Marschland, wo üppige Weizenfelder und saftiges Wiesenland mit sumpfigen Strichen abwechseln.

Einzelne Häuschen, Baumgruppen, besonders aber zahlreiche Windmühlen, hin und wieder ein Kirchthurm, die geometrische Figur einer Landmarke, oder die Umwallungen eines Forts sind von See aus erkennbar, während die bekannten Staffagen der holländischen Landschaft: die weidenden Rinder, die künstlichen Hügel, auf welchen die einladenden Gehöfte der Bewohner sich erheben, dem Blicke entzogen bleiben. Erst an Stellen des Flusslaufes, wo das Fahrwasser ganz nahe am Ufer vorbeiführt, erhalten wir in die Details des land - schaftlichen Zubehörs einen tieferen Einblick. Wir sehen die mitunter kunstvollen Schleussenwerke, welche theils den Einlass der Fahrzeuge in die Canäle vermitteln, theils die Entwässerung bewirken. Manchmal gewahrt man über Land die geschwellten Segel von Schiffen, oder die qualmenden Schlote kleiner Dampfer, denn auf den breiteren Canälen besorgen neben Segelfahrzeugen auch Dampfer den Binnen - verkehr. Das Hinzutreten der auf Beveland dahinbrausenden Eisen - bahnzüge steigert wesentlich den eigenthümlichen Charakter der vor uns liegenden Landschaft. Zugleich ist die Schelde als Zufahrtsstrasse nach der verkehrsreichen Handelsmetropole Belgiens von Schiffen jeder Art und Grösse belebt. Auf ihrem mächtigen Gewässer kreuzen sich die prächtigen Oceandampfer mit den stolzesten Seglern der Weltmeere, ganze Flotten von Fischerfahrzeugen, Frachtbarken, von Luxusbooten und Localdampfern scheinen sich hier ein Rendezvous gegeben zu haben, und je näher man nach Zurücklegung der Fluss - windungen gegen Antwerpen vordringt, desto lebhafter wird das Getriebe auf dem immer mehr eingeengten, aber noch genügend tiefen Strome. Immer deutlicher erkennt der Fremde, dass er sich einem Welthandelsplatze nähert. Indes erblicken wir schon von grosser Entfernung aus weit über die Ebene die Thürme und Hochbauten der651Antwerpen.berühmten Vaterstadt der unsterblichen Rubens und Van Dyck, deren Namen nicht wenig dazu beitrugen, Antwerpen mit blendendem Glanze zu erfüllen.

Als aufstrebende Erbin des einst mächtigen Brügge sah Antwerpen mit dem Wohlstande auch die Kunstliebe bei sich einziehen und ward während seiner ersten Glanzperiode (XV. XVII. Jahrhundert) der Vereinigungspunkt des industriellen und künstlerischen Lebens der Niederlande. Die jener Zeit entstammenden Meisterwerke der Bau - kunst: die herrliche gothische Kathedrale mit dem kühn aufragenden Thurm, der Renaissancebau des Rathhauses, die St. Paulskirche, die Fleischhalle, die Jakobskirche und viele andere Baudenkmäler, dann die in den Museen überreich aufgestapelten Kunstwerke der Malerei und Plastik erregen die Bewunderung des Beschauers. Antwerpen konnte damals als industrielle Hochschule für ganz Europa gelten, hier blühten die Diamantschleiferei, die Glasmalerei, die Spitzen - und Teppichweberei, die Schönfärberei, die Druckerei und andere Industrien. Antwerpen versorgte die Niederlande und andere Länder mit berühmten Glockenspielen; seine Erzeugnisse in Stoffen, Gold - und Silberwaaren fanden den Weg nach Arabien, Persien und Indien.

Die damalige Herrlichkeit Antwerpens fand ihr jähes Ende durch den Abfall der nördlichen Niederlande. Die Mündungen der Schelde fielen den Holländern zu und wurden von diesem kalt be - rechnenden Handelsvolke für Antwerpen bis zu Anfang unseres Jahr - hunderts auf das strengste gesperrt. Damit war die nährende Ader unterbunden, und die 100.000 Einwohner zählende Stadt verfiel zu einer Provinzstadt mit kaum 40.000 Bewohnern (1800).

Länger als seine Handelsblüthe hatte sich jedoch Antwerpens Bedeutung in der Kunst erhalten, die in neuerer Zeit aus dem Nieder - gange, welchem sie ausgesetzt war, wieder zu neuer Kraft auflebte.

Auch der riesige Wiederaufschwung seines Handels ist eine Er - scheinung der neueren Zeit, eine Erscheinung, welche das äussere Bild der Stadt und des Hafens in überraschendster Weise veränderte.

Welch herrliches Bild kraftvollsten Lebens entrollt sich vor uns, wenn wir an der letzten scharfen Biegung der Schelde, die nördlichsten Bastionen der Befestigung zur Linken lassend, dem Hafen uns nähern. Eine endlos scheinende Masse von Schiffen aller Nationen der Erde nimmt die Quais ein; der traditionelle Mastenwald liegt vor uns, wir sehen sein Gewirre über Wällen und Häusern aus dem Labyrinth der weitläufigen Bassins im Nordtheile der Stadt empor - ragen, wir erblicken ihn längs der fast 4 km langen Quaifront wie82*652Der atlantische Ocean.einen aus wirren Fäden gewobenen Schleier, das prächtige Bild der Stadt geheimnissvoll verschliessend; kurz, Schiffe und Masten überall, so weit das Auge reicht. Den schönen Strom durcheilen Dampfer und Segler, Trajectboote und Flussfahrzeuge aller Art, das Spiegelbild von Arbeit und Leben. Die Hochbauten der Stadt, ihre Thürme und Dome, ihre Paläste und monumentalen Quais, Treppen und Rampen ergänzen die malerische Wirkung des Ganzen.

Antwerpens jüngster Aufschwung datirt vom Jahre 1803, als Napoleon I., die äusserst günstige Weltlage der Stadt erfassend, in Antwerpen ein London des Continentes und einen Haupt - stützpunkt für sein System der Continentalsperre schaffen wollte. Vor Allem erklärte er Rhein und Schelde zu freien offenen Strömen, dann legte er ein grosses See-Arsenal und Werften für die Flotte an. Er liess die prächtigen gemauerten Quais Jordaens und Van Dyck (nächst der Kathedrale) und die zwei älteren Bassins, die lange Zeit seinen Namen führten, ausheben; er war es auch, der den Plan fasste, das linke Ufer mit der Stadt durch eine Brücke zu verbinden und dort eine neue befestigte Stadt zu erbauen, er plante endlich auch die Verbindung des Hafens mit dem Rhein und jene des Rheins mit der Maas und Schelde, sowie mit der Rhone durch navigable Wasserstrassen, wodurch die Nordsee mit dem Mittelmeere verbunden sein würde. Wenn auch viele dieser Projecte durch den Sturz des Eroberers damals nicht ausgeführt wurden, so blieb für Antwerpen doch die wichtigste Errungenschaft der napoleonischen Zeit, die freie Schiffahrt auf der Schelde, erhalten.

In eine neue Phase trat Antwerpen nach der Revolution des Jahres 1830. Es entstanden weitere Bassins an der Nordseite der Stadt, die Quais wurden ausgebaut, Eisenbahnverbindungen mit Frankreich und Deutschland geschaffen, und die Bevölkerung stieg bis 1860 auf 112.000 Einwohner.

Im Jahre 1866 wurden die beengenden alten Umwallungen geschleift und weit hinausgelegt, wodurch die Fläche des Weich - bildes mit einem Schlage eine fünffache Vergrösserung erlangte. Die Stadt begann sich nun auszudehnen, neue Stadttheile mit schönen Strassenzügen und öffentlichen Gärten entstanden, maritime Etablisse - ments, Magazine und Dépôts, neue Bassins wurden geschaffen (1881 jene im Süden, 1887 Bassin Amerika und Afrika im Norden), und bis 1885 war die Bevölkerung auf 201.000 Einwohner angewachsen. Gegenwärtig kann sie mit 250.000 Einwohnern nicht zu hoch veranschlagt werden. Die Stadterweiterung regte die Baulust bedeutend an. Auch die älteren653Antwerpen.Theile der Stadt verjüngten sich, und es schien, als ob eines zweiten Haussmann energische Hand gewaltet hätte. So wurden 1877 bis 1881 mehr als 700 Häuser demolirt, um die neue Rue Nationale durch das Quartier südlich der Kathedrale durchzubrechen, und ebenso mussten zur Erweiterung der Quais etwa 650 Gebäude expropriirt werden.

Die erweiterte Stadt bot nun auch den Communicationen den genügenden Raum; es entstanden grossartige Bahnhofanlagen, die sämmtlich unter einander und mit allen Bassins in Verbindung stehen. Der Hafenquai erhielt eine ununterbrochene Reihe von Hangars, längs der Bassins schuf man Magazine und stattete alle Anlegeplätze mit starken, auf Schienen laufenden hydraulischen Krahnen behufs Ein - und Ausladens schwerer Güter aus; die Benützung eines Krahnes kostet 20 Francs den Tag. Die grössten derselben haben eine Trag - fähigkeit von 40 Tonnen, und ein fixer Krahn von riesigen Dimensionen vermag Lasten bis zu 140 Tonnen zu heben. Dampfgangspille und andere Apparate und Maschinen vervollständigen die Ausstattung. Dadurch gewann der Handelsverkehr alle möglichen Hilfsmittel, und muss der Hafen zu den am besten eingerichteten der Erde ge - zählt werden. In Transit an - und abgehende Waggonladungen lagern in den Hangars längs der Quais unter Controle der Zoll - behörde, so dass die Platzkosten auf ein Minimum beschränkt sind.

Selbstverständlich verjüngte und verschönerte sich die Stadt, und in der neuen Umgebung erhöhte sich umsomehr der Glanz ihrer alten Kunstdenkmäler.

Das grösste Interesse beansprucht vor Allem die berühmte Kathedrale Liebfraukirche (7), die imposanteste und schönste Kirche in Belgien und vermöge des Adels ihrer Ausführung und der prächtigen inneren Ausstattung eines der bedeutendsten Denkmäler kirchlicher Baukunst in Europa überhaupt. Ihr Bau wurde 1352 begonnen und währte bis 1616. Von den beiden Thürmen verblieb der südliche unvollendet, der nördliche misst aber 123 m in der Höhe. Dessen Schönheit und Zierlichkeit lobend, meinte Karl V., der Thurm ver - diene in ein Schmuckkästchen gestellt zu werden. Die siebenschiffige Basilika bietet durch die Grossartigkeit ihrer Verhältnisse wie nicht minder durch die höchst malerische Perspective der 125 die Gewölbe stützenden Säulen einen selten schönen Anblick. Unter der reichen Zahl von Kunstwerken, welche die Kathedrale birgt, nehmen die drei Meisterwerke von Rubens: die Abnahme vom Kreuz, die Auf - richtung des Kreuzes und Himmelfahrt Mariae den ersten Rang ein. 654Der atlantische Ocean.Das Glockenspiel des Thurmes ist das berühmteste in den Nieder - landen.

Auf dem nächst der Kathedrale gelegenen Groenplaats (9) erhebt sich inmitten von Gartenanlagen das Standbild Rubens.

Im Norden des Domes weitet sich der Groote Markt, dessen grösste Zierde das 1561 1565 entstandene, in streng classischem Renaissancestyl gehaltene Rathhaus bildet. Das seit 1882 in Restan - rirung begriffene Innere desselben enthält reichen figuralen Schmuck und herrliche Gemälde. Am grossen Platze liegen auch viele der ehe - maligen Gildenhäuser, welche dem XVI. und XVII. Jahrhunderte ent - stammen und durch malerische Architektur ausgezeichnet sind. Hervor - ragend ist das Gildenhaus der Schützen (Oude Kolveniersgilde).

Erwähnt sei auch der dem Jahre 1501 entstammende spät - gothische Bau der ehemaligen Fleischhalle, den vier sechseckige Thürmchen zieren.

Ausser der Kathedrale gereichen der Stadt auch noch andere ältere kirchliche Bauten zur Zierde.

Der schöne spätgothische Bau der Jakobskirche entstand 1491: er birgt die Familiengruft der Rubens. Die einige Kunstwerke ent - haltende Andreaskirche wurde 1523 vollendet; die kleine Kapuziner - kirche (St. Antoniuskirche) entstand 1589. Die prachtvoll mit Marmor und Kunstwerken gezierte Jesuitenkirche wurde 1614 bis 1621 nach Plänen von Rubens erbaut, welcher dem Werke 39 seiner Bilder weihte; der Bau brannte leider 1718 infolge eines Blitz - schlages ab und wurde im gleichen Style, aber minder luxuriös wieder reconstruirt.

Zu den älteren Bauten zählt auch die 1615 erbaute Augustiner - kirche, wohingegen die St. Georgskirche mit ihren beiden spitzen Thürmen der neuesten Zeit (1853) angehört und durch prächtige Wandgemälde von Guffens und Swerts ausgezeichnet ist.

Den Hauptstolz der Antwerpner bildet aber das Museum mit seiner grossartigen Sammlung niederländischer Meister, voran Quintin Massys, Rubens, Van Dyck’s, Rembrandt’s herrliche Werke, dann Schöpfungen der neueren Zeit.

Das Museum ist in einem ehemaligen Franziskanerkloster unter - gebracht, in welchem sich auch die im XVII. Jahrhundert gegründete berühmte Akademie der schönen Künste und das moderne Museum befinden.

Eine hervorragende Sehenswürdigkeit ist auch das 1875 von der Stadt angekaufte Haus und Museum Plantin-Moretus mit 14 Porträts von655Antwerpen.Rubens. Das Haus ist heute noch in demselben Zustande, in welchem es sich im XVI. Jahrhunderte befand, die berühmte Druckerei dieser Zeit kann jeden Augenblick die Arbeit, der Laden den Verkauf be - ginnen.

Nennen wir noch den Königspalast (ein im Rococostyl 1755 erbautes Patricierhaus), die prächtige neue Börse, welche an Stelle des 1858 abgebrannten alten herrlichen Baues sich erhebt, die Nationalbank, das neue Justizpalais, die französische Oper, das niederländische Schauspielhaus, so haben wir die Aufzählung der sehenswerthesten Gebäude noch nicht erschöpft.

Weisen die vorne genannten Kunstdenkmäler auf die grosse Vergangenheit Antwerpens hin, so bekunden andere Werke der Neuzeit das rege Interesse der Stadt für Kunst und Wissenschaft.

Reich ist denn auch die Zahl der Standbilder, welche hervor - ragenden Söhnen Antwerpens und anderen um ihr Aufblühen verdienten Persönlichkeiten von dem dankbaren Gemeinwesen errichtet wurden. Von Interesse ist das Leopold I., dem ersten Könige von Belgien, 1868 gesetzte Reiterstandbild.

Mit seinen Parkanlagen, worunter der zoologische Garten, der herrliche, an malerischen Partien reiche Park, endlich der Park des Neijverheidspaleis hervorgehoben werden müssen, durch seine schönen Avenuen und Strassen ist Antwerpen eine ebenso elegante und an - genehme Stadt, wie es durch den seltenen Reichthum seiner Kunst - schätze eine der interessantesten, als Rivalin von Liverpool und Hamburg einer der wichtigsten Handelsplätze der Erde ist.

Die wunderbare Handelslage der Niederlande an der Stelle, wo die Rhein - strasse, die nach England weist, gekreuzt wird von der Verbindung der Nordsee mit dem Canal la Manche, wurde bald von den Flamändern benützt, und deren Vorort Brügge wird schon 1042 Famosissimum genannt.

Im Hafen von Damme, eine Stunde nordöstlich von Brügge, sammelten sich die Schiffe der nördlichen Staaten und die des Mittelmeeres. Aus dem grossen Dammer Zolltarife von 1252 sowie aus einem ungefähr gleichzeitigen Waaren - verzeichnisse erkennt man hier den Sitz eines wahren Welthandels, und Flandern bleibt bis in das XV. Jahrhundert der Mittelpunkt alles Handels zwischen Gibraltar und Finnland, Sitz der vlämischen Hansa und zahlreicher Factoreien aus siebzehn Königreichen, der Kaufleute von 32 Städten.

Seine Kaufleute durften frei den Rhein hinauffahren, und seine Seefahrer entdeckten die Azoren.

Früh schon sehen wir hier eine Waarenbörse und den Gebrauch von Wechselbriefen. Reichthum und Luxus seiner Bürger waren so gross, dass Jo - hanna von Navarra, die Gemahlin Philipp IV. von Frankreich, 1301 daselbst klagte: Ich glaubte allein Königin zu sein, hier aber sehe ich sechshunderte wie mich.

656Der atlantische Ocean.

Die höchste Blüthe in Handel und Industrie erreichten die Niederlande, als sie 1384 unter das Haus Burgund kamen, weil eine kräftige landesfürstliche Gewalt den Kriegen der Städte unter einander steuerte.

Als aber nach dem Tode Karl des Kühnen die jugendschwachen Hände der schönen Maria von Burgund, der Braut Maximilian’s, des letzten Ritters, das Scepter führte, da brach der Uebermuth der Bürger, vorab jener von Brügge, rück - sichtslos hervor.

Viele Kaufleute verliessen 1488 die wegen ihrer beständigen Bürgerkämpfe ungastliche Stadt und zogen nach dem an der tiefen Schelde gelegenen Antwerpen.

Schon 1490 finden wir hier einen portugiesischen Handelsconsul, 1503 er - scheinen an seinem Gestade portugiesische Schiffe mit indischen Specereien, welche der Antwerpener Nicolau’s Rechtergem der Erste nach Deutschland weiter spedirte und die an den reichen Augsburger Häusern Fugger und Höchstetter, welche Filialen in Antwerpen hatten, ihre Hauptabnehmer fanden. Den Portugiesen folgten die Italiener und die Ostseekaufleute.

Unter Karl V., der sich bekanntlich als Niederländer fühlte, sehen wir Antwerpens glänzendste Periode.

Damals nannte man die Stadt das Tyrus des Nordens , die Welt einen Ring und Antwerpen den Edelstein darin .

Es lagen oft 2500 Schiffe in der Schelde, und fast alle Zweige des Gewerbe - fleisses waren hier eingebürgert. Bei dem Florentiner Guicciardini erscheint Ant - werpen 1566 nicht nur als die erste Handelsstadt der Niederlande, sondern Europas, charakterisirt durch die Theuerung der Wohnungen, die unvergleichliche Freiheit, deren die Fremden genossen, die fast beliebige Zinshöhe und den Ruhm, keine Aufstände und Plünderungen erlebt zu haben.

Doch bald hörte dies Alles auf. Unter Philipp II., dem sein Vater Karl V. erst in der letzten Stunde vor seiner Abreise die Niederlande übergeben hatte, be - gannen die Kriege zwischen den Spaniern und den Protestanten des Landes, zwischen dem Könige, der nach absoluter Gewalt strebte, und dem selbstbewussten Bürgerthume, das nichts mehr hasste als Auflagen auf Handel und Verkehr, wie Philipp II. sie einführte, wohl in der Absicht, dadurch die Niederländer zahm zu machen.

Schon damals verliessen viele Kaufleute die Stadt, welche 1576 von den Spaniern erobert und durch drei Tage geplündert wurde, wobei 7000 Menschen das Leben einbüssten. Und im August 1585 fiel nach einer 14 Monate währenden ruhmwürdigen Vertheidigung und Belagerung, welche als die hohe Schule für die Militärs aller Völker betrachtet wurde, die Stadt durch Capitulation in die Hände des Alexander Farnese (Herzog von Parma). Damit war entschieden, dass Ant - werpen unter den Spaniern verbleibe.

Alexander Farnese zeigte sich wohl mild und grossmüthig gegen die Unter - worfenen, aber die katholische Religion wurde zur ausschliesslichen in Antwerpen erklärt und allen Ketzern eine gewisse Frist gesetzt, bis zu welcher sie die Stadt verlassen haben müssten. Diese Bestimmung war nach Dr. Martin Philippson (Westeuropa im Zeitalter Philipp II. ), dem wir hier folgen, das Todesurtheil für die reichste und lebhafteste Stadt Europas. Die thätigsten und begütertsten Handelsherren und mit ihnen 19.000 Andere wanderten nach Amsterdam und den übrigen Handelsstädten des protestantischen Holland aus, andere Flüchtlinge gingen nach England.

[657]
Die Schelde-Mündungen (Massstab 1: 494.400; Sonden in Metern).

A Nordsee, B Canal und Eisenbahn nach Middelburg, C Middelburg-Haven, D Süd-Beveland-Canal, E Hooge Springer-Bank, F Leuchtfeuer, F1 Leuchtschiff Wielingen, G Telegraph, H Galgenput-Canal, J Fransche Pass, K Roompot-Pass, L Terneuse-Canal, M Baarland-Canal, N Middel-Canal, O Waarde-Canal.

Die Seehäfen des Weltverkehrs I. Band. 83658Der atlantische Ocean.

Die norddeutschen, englischen und hugenottischen Kaufleute gaben den Verkehr mit Antwerpen auf, um ihn gleichfalls nach Holland zu verlegen. Mehr und mehr verödeten der Hafen, die Strassen und Häuser von Antwerpen, das, wie schon erwähnt, im XVII. Jahrhunderte statt der früheren 100.000 nur 40.000 Einwohner zählte.

Jede Hoffnung auf Besserung blieb geschwunden, weil die Holländer die Lebensader Antwerpens, die Schelde, geschlossen hielten und diese durch den westfälischen Frieden (1648) beschlossene Sperre 1713 in Utrecht wiederholt wurde.

Handel und Industrie blühten nur mehr im Andenken. Bis zur Zeit Joseph II. wagte es Niemand, dieses Recht der Niederländer anzutasten.

Auf seinen Befehl wurde 1783 zu Antwerpen ein Schiff ausgerüstet und fuhr mit der kaiserlichen Flagge die Schelde hinab. Aber es wurde von den Hol - ländern beschossen und aufgebracht, und da Joseph II. Frankreich, England und Preussen auf Seite der Holländer fand, musste er nachgeben.

Den Jahrhunderte langen Druck lösten erst die Kriege, welche auf die französische Revolution folgten, Napoleon I. verdankt die Stadt den Anfang ihres heutigen Reichthums. Er hatte Verständniss für die Wichtigkeit der Lage Ant - werpens, und seinem Urtheile: Hier ist noch Alles zu thun folgte der Bau von zwei grossen Docks und zwei Quais.

Carnot vertheidigte die Stadt (1814) gegen die Alliirten.

Als dann nach dem Sturze des gewaltigen Mannes Belgien mit den Nieder - landen vereinigt wurde (1815), um so einen grösseren Staat an Frankreichs Grenzen zu schaffen, wurden die Arbeiten von den Niederländern nicht fortgesetzt, und erst nach der 1831 erfolgten Trennung Belgiens von Holland (Londoner Ver - trag vom 15. November 1831) konnte Antwerpen als Rivale der holländischen Seestädte, namentlich Rotterdams, auftreten, und zwar hauptsächlich dadurch, dass König Leopold I. 1835 mit dem Eisenbahnbau begann und so durch die be - queme moderne Verbindung mit Frankreich und Deutschland Antwerpen ein ge - waltiges Hinterland schuf, während Holland immer an seiner theuren, langsam arbeitenden Canalschiffahrt festhielt.

Doch noch immer führte Antwerpen ein kleinliches Dasein bis zur Ab - lösung des Scheldezolles (1863), weil bis dahin die Schiffahrt für jede Tonne stromaufgehender Waare mit 2·20 Francs, für jede Tonne stromabgehender Waare mit 0·80 Francs belastet war.

Nach dem Aufhören des Scheldezolles entwickelte sich Ant - werpens Handel in einer ähnlichen sprunghaften Weise wie in unseren Tagen der von Hamburg.

Belgien allein konnte nicht die Güter schaffen für einen neuen grossen Verkehr. Denn Belgien ist klein, aber die Welt ist gross; es war, wies ich immer deutlicher herausstellte, vor Allem der Durchgangs - verkehr, dessen Beherrschung die Lebensfrage für die alte Handels - stadt bildete. Um diesem nun die erforderlichen Vorbedingungen für be - quemes Laden, Löschen, Bergen und Versenden zu bieten und ihn damit von Rotterdam und Amsterdam abzulenken, dazu reichten die Capitals - kräfte der Stadt Antwerpen nicht aus.

659Antwerpen.

Der Staat übernahm die neuen Bauten am Ufer der Schelde, die Stadt die nöthigen Einrichtungen an hydraulischen Werken, Krahnen u. s. w. und die Hochbauten.

Seit 1870 wurden jene herrlichen Hafenbauten geschaffen, die wir oben geschildert haben.

In Antwerpen finden die grossen überseeischen Dampfer, wie unser Plan zeigt, so tiefes Wasser, dass sie bei Flut wie bei Ebbe sofort nach dem Eintreffen an den Schelde-Quais anlegen und mit dem Entladen beginnen können. Kein Hafen des Festlandes bot seit 1880 für transatlantische Verbindungen dieselben Vortheile wie Ant - werpen, das dadurch einer der wichtigsten Commissionsplätze, einer der ersten Transitohäfen Europas wurde.

Die Rheinprovinz, Westfalen, Süddeutschland mit Einschluss von Elsass-Lothringen, die Schweiz und das nördliche und östliche Frank - reich benützten den Hafen von Antwerpen. Die Jahre 1883 und 1884 bezeichnen den Höhepunkt Antwerpens, der nur mit grösster Mühe erhalten wird, denn Hâvre, Hamburg, Rotterdam und Dünkirchen setzen Alles daran, eine Reihe von Waaren von Antwerpen ab in ihre Häfen zu ziehen. In vielen Artikeln, wie Schafwolle und Petroleum, macht Ant - werpen seit Jahren keine nennenswerthen Fortschritte. Insbesondere nützt Rotterdam seine günstige Lage als Rheinhafen gegen Ant - werpen aus.

Und schon droht eine neue Gefahr, die Ausführung des Planes, durch Verbreiterung und Vertiefung des jetzigen Willebrouk - Canals, der unmittelbar mit der Mündung der Schelde verbunden werden soll, aus Brüssel einen Seehafen zu machen.

Dieser Canal soll 5⅓ m tief werden, so dass er für Schiffe von 2000 t zugänglich sein wird.

Dem sucht Antwerpen durch eine neue Vergrösserung seiner Hafenanlagen entgegenzuwirken, die Quais sollen noch um die Hälfte ihrer jetzigen Ausdehnung, also auf zwei Wegstunden verlängert werden.

Aber der Krebsschaden Antwerpens sind die hohen Schiffs - gebühren. Ein Dampfer von 1800 Registertons und 21 englischen Fuss Tauchung zahlt in Antwerpen bei der Ankunft und Abfahrt zusammen 3446 Francs, in Rotterdam 1562 Francs, in Hamburg 1022 Francs. Diese Hafengebühren müssen zunächst erniedrigt werden, und sie werden auch schon herabgesetzt, wie man sie den Schiffen des Nord - deutschen Lloyd sogar ganz erlassen hat, damit sie auf ihren ostasiati - schen und australischen Fahrten in Antwerpen anlegen.

83*660Der atlantische Ocean.

Man kann sicher hoffen, dass es der Einsicht vorurtheilsfreier staatlicher und communaler Behörden gelingen werde, die Einflüsse zu bannen, welche sich den nothwendigen Aenderungen entgegenstellen, damit die Arbeitskraft dieser geschäftstüchtigen Bevölkerung wieder so voll zur Geltung komme wie jene des ganzen Landes.

Ueberall sehen wir ja Belgien durch sein Handelsmuseum, durch Musterlager, die in fremden Städten errichtet sind, durch besondere Agenten an der Arbeit, sein Handelsgebiet und damit das seines einzigen bedeutenden Hafens zu vergrössern. Wie intensiv dieses Streben ist, beweist die Thatsache, dass Belgien auf den Zufahrts - linien zur Gotthardbahn eigene Agenten aufgestellt hat, damit diese über alle Tarifänderungen berichten.

Die Verbindung Antwerpens mit der See wurde schon beschrieben. Für die Verbindung mit dem Innern ist zunächst die Schelde hervor - zuheben, welche bis nach dem 87 km oberhalb Antwerpen liegenden Gent direct für Flussschiffe fahrbar ist. Bei Gent beträgt die Fluthöhe noch 1·40 m, und hier ist die Schelde durch eine Schleusse abgesperrt. Die aufgestaute Schelde und ihre canalisirten Nebenflüsse stellen hier die Verbindung mit dem französischen Canalnetz her. Nach dem westlichen Belgien führt von Antwerpen aus der von Gent über Brügge nach Ostende gehende Canal. Mit dem südlichen Holland endlich steht Antwerpen durch die Kempische Vaart (Canal de la Campine), welche die Maas mit der Schelde vereinigt, und durch den Sud - Beveland’schen Canal, welcher etwa 38 km unterhalb Antwerpen von der West-Schelde abzweigt (s. Plan) und in die Ost-Schelde führt, in Verbindung.

Durch die Annexe des erstgenannten Canals ist auch eine Ver - bindung mit dem Rheine erzielt.

Ebenso steht die Schelde durch den Meercanal von Gent nach Brügge und den Anschluss nach Ostende mit dem westlichen

Legende zum Plan von Antwerpen. A Einfahrt, B Hangars am Quai, C Bassin Afrika, D Bassin Amerika, E Bassin Katendyk, F Leucht - feuer, G Trockendocks, H Bassin Sas, J Holzbassin, K Bassin Asia, L Bassin de la Campine, M Grand Bassin. N Petit Bassin, O Canal de la Campine, P Bassin de Battelage (Nord), Q Kohlen - bassin, R Bassin des Bateliers, S Bassin aux Briques, T Bassin d’echouages, U Hansa-Haus, V Regierungsmagazin (Entrepôt Royal), W projectirte Brücke, X Schleussen, Y Eisenbahnstation du Sud, Z Station Principal. 1 Station du Stuivenberg, 2 Gare de Transbordement, 3 Station der Vicinalbahn gegen Brasschact und Holland, 4 Petroleummagazin, 5 Staatsbahnhof, 6 Waas-Bahnhof, 7 Liebfraukirche, 8 Stadthaus, 9 Groenplaats, 10 Börse, 11 Kirche St. Jakob, 12 Gefängniss, 13 königliches Theater, 14 königliches Palais, 15 Nationaltheater, 16 Athenäum, 17 Kirche St. Paul, 18 Akademie, 19 Kaserne Falcon, 20 zoologischer Garten, 21 Gaswerk, 22 Justizpalast, 23 Museum, 24 Industriepalais, 25 Place Marnix, 26 Place S. Jean, 27 Place de la Commune, 28 Avenue du Commerce, 29 Avenue des Arts, 30 Avenue de l’Industrie, 31 Avenue du Sud, 32 Nationalbank, 33 Boulevard Leopold, 34 Chaussée des Malines, 35 Bäder, 36 Ferry-Boote, 37 Constructionsarsenal, 38 Elisabeth - hospital, 39 Kriegsarsenal, 40 Pépinière (Baumschule).

[661]

Antwerpen (Massstab 1: 36.900; Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 660).

662Der atlantische Ocean.Belgien, und durch die Einmündung des Veurne-Canals in das Canalsystem mit Dünkirchen in Verbindung.

Die Gesammtlänge der belgischen Schiffahrtscanäle beträgt nahezu 2100 km.

Bisher ist noch immer keine geeignete Wasserstrasse für die directe Verbindung des rheinisch-westfälischen Industriebezirkes mit dem belgischen Canalnetze vorhanden, welche die Concurrenz mit Rotterdam erleichtern würde.

Antwerpen ist ferner das Centrum von fünf Hauptbahnen und einer Nebenlinie, welche im Vereine mit den Canälen den Hafen mit dem grössten Theile von Mitteleuropa direct verbinden. Man plant schon seit längerer Zeit eine Abkürzung der Eisenbahnverbindungen gegen den Gotthard hin, um theilweise den verloren gegangenen Verkehr zwischen England und Oberitalien via Gotthard wieder zu gewinnen.

Die Seele des Handels von Antwerpen ist die Einfuhr, die wir daher auch an die Spitze stellen.

In der Einfuhr von Cerealien, die sich im Laufe der Zeit gewaltig ge - steigert hat, besonders infolge der grossen Ausdehnung der Branntweinbrennereien, hat Amerika gegen früher seinen führenden Platz an Europa wieder überlassen müssen, und zwar stehen in der Einfuhr von Weizen zur See mit 9,325.307 hl im Jahre 1889 gegen 10,192.013 hl im Jahre 1888, die Donaufürstenthümer mit einer Einfuhr von 5,204.852 hl an erster Stelle, dann folgen Südrussland, Britisch-Indien und die Union.

Roggen liefern Russland und Rumänien, es kamen 1889 1,484.381 hl nach Antwerpen, 1888 2,126.846 hl.

Dieselben Länder lieferten auch Gerste, und zwar 1889 2,125.443 hl, 1888 2,636.756 hl, während die Hafereinfuhr allein auf Russland entfiel mit 1,880.588 hl im Jahre 1889, 3,347.975 hl im Jahre 1888.

Die Einfuhr von Mais aus den Vereinigten Staaten, aus Südrussland und Uruguay betrug 1889 2,185.657 hl, 1888 893.547 hl.

Alles in Allem betrug die durchschnittliche Einfuhr an allen Cerealien 1849 1853 1,052.174 hl, 1870 1879 8,540.080 hl, 1888 19,197.177 hl und 1889 17,003.376 hl.

Die Zufuhr von Mehl betrug 1887 330.641, 1888 280.063 und 1889 261.828 Säcke. Die Hauptlieferanten sind die Union und Deutschland.

Die Zufuhr von Reis erreichte 1888 mit 1,031.165 Säcken ihren Höhe - punkt, 1889 wurden nur 519.646 Säcke zugeführt. Hauptimportland ist Birma, gegen dieses steht Siam weit zurück, 1860 betrug die Zufuhr nur 184.664 Ballen. Die Steigerung hängt mit der Errichtung einer Anzahl von Reisschälmühlen und Reisstärkemehlfabriken in Antwerpen zusammen.

Von Genussmitteln werden in Antwerpen in grösseren Mengen Kaffee, Cacao, Zucker und Tabak eingeführt.

Antwerpen ist einer der wichtigten Plätze Europas für Brasilkaffee und hat nach dem Beispiele von Hâvre in diesem Artikel auch das Termingeschäft663Antwerpen.eingeführt und zur Abwicklung der Geschäfte eine Caisse de liquidation er - richtet. Es wurden hier 1888 3,216.500 Säcke Santoskaffee umgesetzt, das entspricht etwa dem fünften Theile des Geschäftes von Hamburg und dem vierten Theile desjenigen von Hâvre.

Eingeführt wurden in Antwerpen 1889 616.347 Säcke, 1888 624.241 Säcke und 1887 428.809 Säcke. Die Hauptsorte war Santoskaffee, auf welche 1889 285.266 Säcke entfielen, seit 1888 gewinnt Riokaffee seine alte Stellung wieder. Andere Sorten des hiesigen Platzes sind Bahia, Domingo und afrikanische Kaffees.

Cacao ist fast ausschliesslich Transitartikel. Selbst die belgischen Fabri - kanten kaufen nicht in Antwerpen, sondern in London, Hâvre und Bordeaux. Im Jahre 1889 wurden hier 14.771 Ballen eingeführt, davon 7345 Ballen aus Frankreich.

In Antwerpen wird Rohrzucker aus Habana und Java eingeführt, Rüben - zucker ausgeführt. Die Einfuhr findet meist über England statt. Die Einfuhr be - trug 1888 35.929 Säcke und 30.383 Kisten.

Für Tabak ist Antwerpens Bedeutung seit 1887 stark zurückgegangen, ebenso für Hopfen; Belgien besitzt selbst ausgebreitete Hopfenanlagen. Von Tabak wurden früher nur nordamerikanische Sorten gehandelt, welche die Schiffe der Red Star Line als Rückfracht bringen. Durch den Norddeutschen Lloyd kommen Java - und Sumatra-Tabak auf den hiesigen Markt.

Olivenöl kommt meist direct aus Marseille, Leinsamen senden Nord - russland und der La Plata, Raps und Rübensamen Ostindien und die Länder an der unteren Donau.

Im Ganzen kommen hier von ölhältigen Samen 1889 2·7 Millionen Säcke zur See an.

Wegen seiner Verbindungen mit dem La Plata wurde Antwerpen das Haupt - dépôt Europas für Liebig’schen Fleischextract aus Fray Bentos.

Antwerpen hat sich zum bedeutendsten Platz Europas für raffinirtes Schweineschmalz emporgearbeitet, von welchem 1889 86.155 grosse Fässer und 170.174 kleine Collis eingeführt wurden. Von amerikanischem Pökelfleisch kamen 1889 61.549 Kisten und 1349 Fässer nach Antwerpen, die Einfuhr steigt seit Jahren.

Unter den Rohstoffen, die nach Antwerpen eingeführt werden, spielt Holz eine grosse Rolle, aber der Handel sinkt andauernd; dagegen entwickelt er sich in Gent, wo er allein von 1887 auf 1888 um 40 % zugenommen hat. Es fehlt eben in Antwerpen an geeigneten Vorrichtungen zum Abladen von Balken. Das Holz, russischer Provenienz, kommt theils direct, theils über Danzig, Memel, Königs - berg und Stettin; auserdem sind an der Holzeinfuhr betheiligt Norwegen, Schweden und Finland. Es gingen 1889 im Ganzen ein 279.499 m3.

Von Tischlerhölzern sind Cedern - und Ebenholz für Antwerpen besonders wichtig.

Was die Einfuhr von Farbhölzern betrifft, so ist an die Stelle der Ein - fuhr von Campêcheholz die von Campêcheholzextract aus Frankreich und Amerika getreten; Campêcheholz hat sich nach Rotterdam gewendet. Aehnlich sieht es in den anderen Zweigen des Handels mit Farbhölzern aus.

So versorgt sich der Platz mit Rothholz vorzugsweise in Hamburg und London. Die Einfuhr aller Gattungen ist in den letzten Jahren gestiegen.

664Der atlantische Ocean.

Von Gerbstoffen erschienen in der Einfuhr afrikanische Rinden, soge - nannte Garouille, 1888 2000 3000 q, 1887 19.100 q, dann Smyrnaer Valonea 1888 7500 q, Quebrachoholz 66.100 q und besonders Eichenholzextract, der eine immer grössere Ausdehnung gewinnt, Einfuhr des letzteren 1888 28.400 q.

Antwerpen ist der wichtigste Platz Europas für südamerika - nische, insbesondere für La Plata-Wolle, die dort in Auctionen umgesetzt wird, welche von englischen, französischen, deutschen und österreichischen Käufern besucht werden.

Im Terminhandel in Kammzug aus La Plata-Wolle wurden hier 56.240.000 kg umgesetzt.

Der Wollhandel Antwerpens zeigt seit 1886, in welchem Jahre für Wolle, die über Antwerpen nach Nordfrankreich transitirt, seitens der französischen Re - gierung eine hohe taxe d’entrepôt eingehoben wird, eine Abnahme.

Jetzt kommt fast nur noch ein Drittel der früheren Quantität auf den Ant - werpener Markt; das Meiste geht direct über Dünkirchen nach Frankreich. Die Einfuhr Antwerpens betrug 1889 244.066, 1888 213.256 Ballen. Versorgt wird der Antwerpener Platz vom La Plata; ferner von Australien über London und direct durch die Dampfer des Norddeutschen Lloyd.

Als Handelsplatz für Häute und Felle sowie für Hörner behauptet Antwerpen selbst Hâvre und Liverpool gegenüber siegreich seinen Rang und ver - anstaltet häufig Auctionen. Nur 300.000 Stück sind directes Transitogut.

Im Jahre 1889 sandten die La Plata-Staaten 1,263.868 Stück Häute und Felle, gegen 1,246.182 im Jahre 1888, dann Hörner schweren Gewichts 1889 1,506.000 Stück gegen 1,610.000 Stück im Jahre 1888 nach Antwerpen, allerdings weniger als 1880, wo 2,058.000 Stück hier ausgeschifft wurden.

Im Jahre 1889 fanden fünf grosse Auctionen für Häute statt.

In einem Lande mit so hoch entwickeltem Bau von Zuckerrüben wie Belgien steigt unausgesetzt die Einfuhr von Düngmitteln, besonders die von Chilesalpeter. Die Einfuhr erreichte 1889 87.000 t gegen nur 9000 t im Jahre 1880.

Auch für Guano ist Antwerpen sehr wichtig, es befinden sich hier eine der vier Niederlagen der Anglo-continentalen (vormals Ohlendorff’schen) Guanowerke und zahlreiche Düngerfabriken.

Die Gründung des Congostaates durch Leopold II., den König der Belgier, dessen ganzes Sinnen und Trachten darauf gerichtet ist, die Bedeutung seines Vaterlandes für den Welthandel zu befestigen und zu erweitern, hatte die Folge, dass seit 30. Juli 1889 in Antwerpen umfangreiche Auctionen von Elfenbein, und zwar von Congo-Elfenbein, veranstaltet werden. Jetzt sendet auch die London Royal Niger Cy. ihr Elfenbein nach Antwerpen. Damit ist dieser Hafen von den grossen Elfenbeinmärkten in London und Liverpool emancipirt. Die Einfuhr betrug 1889 50.600 kg gegen 6377 kg im Jahre 1888.

Antwerpen ist ferner ein wichtiger Hafen für Congo-Kautschuk.

Die Einfuhr von Hanf schwankt zwischen 27.000 (1888) und 34.000 (1889) Ballen und erfolgt meist aus Russland und Bombay; Jute (1889 7362 Ballen) wird über England gebracht.

Antwerpen war früher ein bedeutender Baumwollhafen. Das Meiste geht jetzt in transito nach Deutschland und der Schweiz. Die Einfuhr erreichte 1888 354.048 Ballen, 1889 390.574 Ballen. Von den letzteren kamen 51.000 Ballen über England; 52 % der gesammten Einfuhr stammten aus Britisch-Indien.

665Antwerpen.

Petroleum kommt zumeist aus Nordamerika und meist in kleineren Mengen aus dem Kaukasus. Im Jahre 1889 sendete die Union 855.273, in 1887 852.239 in 1888 793.054 Barrels raffinirten Petroleums nach Antwerpen. Die Einfuhr mittelst sogenannter Tankschiffe nimmt langsam, aber stetig zu.

Naphtha wurde aus Amerika eingeführt, 1889 8577 und 1888 12.250 Barrels.

Antwerpen ist endlich einer der wichtigsten Einfuhrhäfen Europas für Erze aus Nordspanien.

Die Ausfuhr Antwerpens setzt sich zusammen aus den belgischen Pro - ducten und den grossen Massen reiner Transitogüter, zu denen zum Beispiele Baum - wolle und andere bereits behandelte Artikel gehören.

Einer der wichtigsten Artikel der Ausfuhr ist Zucker.

Von Rübenrohzucker wurden 1889 bis 30. November zur See und zu Lande 624.290 q exportirt; im selben Zeitraume des Jahres 1888 368.598 q. Es gingen 1889 391.042 q nach England, das Uebrige nach Nordamerika, den Niederlanden, Chile, Argentinien, Marokko, Italien. Die Ausfuhr von raffinirtem Zucker erreichte 1. Jänner bis 30. November 1889 164.990 q, 1888 198.380 q. Belgien ist bekannt - lich einer der wichtigsten Zuckerstaaten Europas.

Sehr ansehnlich sind noch immer trotz des allmäligen Rückganges die Pro - duction und Ausfuhr Antwerpens an Branntwein. Die Ausfuhr betrug 1886 noch 24.814 hl zu 50 %, 1887 nur noch 19.496 und 1888 gar nur 17.045 hl; die deutsche und schwedische Concurrenz drückt zu stark auf Belgien. Die Provinz Antwerpen mit ihren 11 Brennereien liefert etwa ein Drittel des ganzen Erzeugnisses von Belgien, das fast ausschliesslich aus Genever, Kornbranntwein besteht; nämlich 1888 820.696 hl von der Totalsumme von 2,739.515 hl.

Unter den weiteren Industrien Antwerpens, deren Producte zur Ausfuhr ge - langen, sind noch Diamantschleifereien zu nennen. Jetzt ist diese Industrie hier wie in Amsterdam nothleidend.

Die Tabakfabricate Antwerpens finden Absatz in Argentinien und Chile.

Bei der ausgedehnten Textilindustrie Belgiens und seines Hinterlandes ist natürlich auch der Export an Textilartikeln nach dem Auslande sehr ansehnlich.

Die grosse Wollwäscherei in Schooten arbeitet meist auf Bestellungen aus Deutschland, Frankreich, England, Italien, Schweiz und den Niederlanden.

Tuchwaaren und Kammgarne sind die wichtigsten Artikel.

Die Teppichfabrication wurde in Antwerpen fast aufgegeben, dafür nimmt die Ausfuhr von Wachsleinwand von Jahr zu Jahr zu; die Holzschneide - werke Antwerpens behaupten sich, die Ziegeleien, welche längs der Schelde er - richtet sind, exportiren nach den Niederlanden.

Die Ausfuhr von Portlandcement nach Südeuropa ist sehr bedeutend.

Die Schwefelraffinerie Antwerpens bezieht das Rohmaterial (7000 t) direct aus Sicilien. Der grösste Theil der Ausfuhr geht nach Indien und Amerika zu pharmaceutischen Zwecken und zur Bereitung von vulcanisirtem Kautschuk; ein kleiner Theil, Sublimatschwefel, nach Deutschland und nach französischen Märkten, wo er zur Behandlung des Weinstocks und Hopfens sehr gesucht ist.

Dynamit geht nach England, Griechenland, Sardinien und nach Panama.

Selbstverständlich ist die Ausfuhr von Maschinen, Eisenbahnschienen und Werkeisen, von Glaswaaren, besonders Spiegeln, von Thon - und Porzellanwaaren, in denen Belgien, Nordfrankreich, die Rheinlande und Westfalen MusterhaftesDie Seehäfen des Weltverkehrs I. Band. 84666Der atlantische Ocean.leisten, eine sehr bedeutende und nach den Gebieten gerichtet, die mit Antwerpen in Dampferverbindung stehen.

Auch die neu errichtete Schiffbauanstalt der Gebrüder Cockerill in Hoboken, die sich älteren solchen Etablissements anreiht, arbeitet bereits für das Ausland, ebenso wie die Eisenwerke und Maschinenfabriken Antwerpens.

Der Handel von Antwerpen betrug in 1000 von Francs:

〈…〉〈…〉

Heute ist Antwerpens Schiffsverkehr der Hauptsache nach gleich dem Belgiens, denn Ostende kommt nur in Betracht für den Personenverkehr mit England und für die Fischerboote, und Gent, das man wieder zu einem Seehafen umgestaltet hat, erreichte 1888 erst einen Verkehr von 364.252 t.

Der Schiffsverkehr Antwerpens mit dem Auslande betrug:

*)Das ist so ziemlich dieselbe Tonnenzahl, wie sie Hamburg aufweist, wobei jedoch nicht zu vergessen ist, dass Antwerpen viel transitirt, während Hamburg eine Kopfstation ist.
*)

Die Durchschnittsgrösse der hier verkehrenden Dampfer ist 1889 auf 1040 t gestiegen.

Zu diesem bedeutenden Schiffsverkehr zur See muss man noch die Schiffe, die auf den Canälen und Flüssen nach Antwerpen gelangen, hinzurechnen, da ihre Bedeutung für den Handel Antwerpens nicht zu unterschätzen ist. Es liefen an kleineren und grösseren Fahrzeugen aller Art aus dem Innern, aus Holland, Deutschland und Frankreich 1889 nicht weniger als 29.003 Schiffe mit einem Gehalt von 2,745.389 t ein und 30.165 Schiffe mit 2,963.023 t aus.

Die Handelsmarine Antwerpens selbst belief sich 1889 nur auf 39 Dampfer und 5 Segelschiffe von zusammen 69.644 t.

An der Spitze des auswärtigen Verkehres steht, wie in den meisten Häfen Westeuropas, die britische Flagge, mit der 1889 2545 Schiffe mit 2,357.839 t in den Hafen von Antwerpen einliefen, das sind mal so viel Tonnen als solche belgischer Flagge.

Und da muss man noch beachten, dass die Red Star Line und die Firma Lamport und Holt englisch sind und vertragsmässig unter belgischer Flagge fahren.

Dank den grossen Dampfern des Norddeutschen Lloyd steht 1889 das erstemal die deutsche Flagge mit 617.755 t der einlaufenden Schiffe an der zweiten Stelle, dann folgen die belgische, norwegische, französische und dänische Flagge.

Antwerpen hat auch grosse Bedeutung als Auswanderungshafen. 1889 wan - derten hier 39.298 Personen direct, 1518 indirect, 1888 36.098 Personen direct667Antwerpen.und 3425 indirect aus; jene, welche aus Deutschland und der Schweiz stammten, meist auf den Schiffen der Red Star Line nach New-York.

Das Jahr 1888 zeigte zum erstenmale das Beispiel einer sehr starken Aus - wanderung von Belgiern, die an den La Plata gingen. Doch die ungünstigen Verhältnisse daselbst lenken den Zug wieder nach den Vereinigten Staaten.

Antwerpen unterhält lebhafte regelmässige Verbindungen mit England, und zwar die stärksten mit dem Hafen Harwich, der nur 122 Seemeilen entfernt ist; die Schiffe gehören der englischen Great Eastern Railway. Ausserdem gehen Schiffe nach London (General Steam Navigation Cy. ), Hull, Grimsby, Newcastle, Leith, Plymouth, Bristol, Dublin, Belfast, Greenock und Glasgow, dann nach Rotterdam, Rouen-Paris, Hâvre, Bordeaux und Bayonne.

Nach Quebeck und Montreal gehen die Hansa aus Hamburg und Bossière frères et Cie. aus Hâvre, nach New-York die Red Star Line (3343 Seemeilen) in 12 13 Tagen, nach New-Orleans eine französische Gesellschaft, nach Montevideo und der Westküste von Südamerika der Kosmos und die Hamburg-Pacific - Dampfschiffslinie aus Hamburg.

Den starken Verkehr mit Brasilien und dem La Plata vermitteln der Nord - deutsche Lloyd aus Bremerhaven und die Liverpool-Brazil and River-Plate Steamers (Lamport und Holt) von Antwerpen als Kopfstation und mit Nordbrasilien über Lissabon die Red Cross Line.

Antwerpen ist Station der Neptunlinie und der Société navale de l’Ouest, die nach Portugal und Spanien, ferner der Atlaslinie aus Hamburg, die nach Por - tugal und Marokko geht; portugiesische Dampfer fahren an den Congo, die So - ciété maritime algérienne nach Algier, die Johnston-Line nach dem Pyräus, Sa - lonich, Galatz und Braila. Die ostasiatischen und australischen Linien des Nord - deutschen Lloyd, ferner der Deutsch-Australischen Dampfschiffsgesellschaft in Hamburg laufen gleichfalls Antwerpen an.

Zwei regelmässige Linien führen nach Indien, China und Japan, und ab - wechselnd mit Rotterdam besteht von hier eine Verbindung nach Java mit Escalen in Southampton und Marseille.

In Antwerpen bestehen eine Handelskammer und ein bekanntes Institut su̇périeur de commerce.

Grosse Bedeutung hat die hiesige Börse; ferner ist Antwerpen Sitz einer Succursale der Banque Nationale von Brüssel und von sieben Banken.

Consulate haben in Antwerpen. Argentinien (G. -C. ), Bolivia, Brasilien (G. -C. ), Chile, Costarica, Dänemark (G. -C. ), Deutsches Reich (G. -C. ), Dominicani - sche Republik (G. -C. ), Ecuador (G. -C. ), Frankreich (G. -C. ), Griechenland (V. -C. ), Grossbritannien (G. -C. ), Guatemala (V. -C. ), Haïti (G. -C. ), Hawaii (G. -C. ), Italien (G. -C. ), Japan, Liberia (G. -C. ), Mexico, Monaco, Niederlande (G. -C. ), Nicaragua, Oesterreich-Ungarn, Paraguay (G. -C. ), Persien, Peru, Portugal (G. -C. ), Rumänien, Russland, Salvador, Schweden und Norwegen (G. -C. ), Siam, Spanien, Türkei, Uruguay (G. -C. ), Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

Am Südufer der Insel Walcheren, dort wo die Scheldemündung sich gegen die See zu trichterförmig auszuweiten beginnt, liegt die früherer Zeit stark befestigt gewesene Stadt Vlissingen (franz. Flessingue, engl. Flushing), die Geburtsstadt des berühmten hollän -84*668Der atlantische Ocean.dischen Admirals de Ruyter. Mit dem am gegenüberliegenden Ufer gelegenen starken Fort Frederik Hendrik bildete Vlissingen die haupt - sächlichste militärische Sperre der Schelde. Gegenwärtig überwiegt aber bei weitem das Handelsinteresse, und hat die Stadt dieser Rück - sicht wegen ihre an der Nordostseite nächst dem Bahnhofe gelegenen Hafenbassins wesentlich erweitert und vermehrt, wodurch sie in den Besitz eines der besten Seehäfen Hollands und prächtiger Hafenwerke kam, die nicht nur gestatten, bei jeder Zeit und Witterung die grössten Seedampfer aufzunehmen, sondern auch im Winter bei stärkstem Eis - gange für die Schiffahrt offen bleiben. Vlissingen ist der einzige eis - freie Hafen an der belgisch-holländischen Küste.

Die Schelde hat bei Vlissingen 4·6 km Gesammtbreite, ein Fahr - wasser von 3 km Breite und eine Tiefe von 14 m bei niedrigem und 17 m bei hohem Wasser, ein Vorzug, welchen wenige Häfen dieser Küste aufweisen, und welcher der Schiffahrt zu grossem Vor - theile gereicht, weil die tiefstgehenden Schiffe unmittelbar an den Hafenquais anlegen können, um ihre Ladung zu löschen, respective einzunehmen.

Den Haupthandel und Verkehr von Vlissingen vermitteln die Dampferlinien Zeeland (Verbindung zwischen England und dem Continent) und die Castleline (Verbindung zwischen England, Holland und den ostafrikanischen Häfen), von welchen Linien die Direction der Dampfschiffahrtsgesellschaft Zeeland die Hauptagentur in Vlissingen unterhält. Die Dampferlinie Zeeland , welche im Jahre 1875 unter dem Protectorate seiner kgl. Hoheit des Prinzen Heinrich der Niederlande eröffnet wurde, hat in der kurzen Zeit ihres Be - stehens einen Weltruf erlangt, und wird diese Linie mit Recht als die sicherste, comfortabelste und schnellste Verbindung zwischen Eng - land und dem Continent gerühmt; ihre nach den neuesten Principien der Technik gebauten Dampfer können an Schnelligkeit den besten Dampfern dieser Art gleichgestellt werden und gelten, was Einrichtung und Comfort anbelangt, als Muster. In der That trifft man solch pompöse Schiffseinrichtung und Bequemlichkeit für eine so kurze Seefahrt nirgendwo anders an.

Ein neuerdings errichteter Dienst ab diesem Hafen ist der der Woermannlinie, welche regelmässig bei ihren Reisen nach dem Congo im hiesigen Hafen anlegt, um die hier zu verschiffenden Sendungen aufzunehmen.

Gegenwärtig zählt die Stadt ungefähr 12.000 Einwohner.

669Antwerpen.

Vlissingen spielte wiederholt eine wichtige Rolle in der Geschichte; die Stadt war die erste der Niederlande, welche 1572 den freiheitlichen Ideen sich anschloss.

Im dortigen Hafen hatten sich 1556 Karl V. und 1559 Philipp II. ein - geschifft, um die Niederlande nie mehr zu betreten. 1809 wurde die Festung von den Engländern beschossen und zur Capitulation gezwungen.

Ueber die Stadt ist nicht viel zu berichten. Sehenswerth sind jedoch die aus dem XV. Jahrhundert stammende St. Jakobskirche und die im Rathhause aufbewahrten Antiquitäten.

De Ruyter wurde 1841 nächst dem Hafen ein Erzstandbild ge - setzt. Auch die Erinnerung an die holländischen Dichterinnen El. Wolff - Becker und Ag. Becker und den zu Vlissingen 1757 geborenen Dichter Jac. Bellamy ist durch Monumente geehrt.

Der Hafen von Vlissingen steht mit Middelburg, der Haupt - stadt der Provinz Zeeland, durch einen 1872 vollendeten Schiffahrts - canal in Verbindung, längs welchem, wie unser Plan der Schelde - mündung zeigt, die Eisenbahn fährt. Middelburg besitzt ausserdem eine Seeverbindung nach Nordosten, den sogenannten Middelburg - Haven.

Mehrere sehenswerthe Baudenkmale und Sammlungen bilden eine Zierde der Stadt. Zu erwähnen ist die grosse Schiffswerfte De Schelde , von welcher mehrere grosse Seedampfer vom Stapel liefen, während andere dort noch im Bau begriffen sind.

Vlissingen dürfte bald als Badeort eine nicht geringe Stellung einnehmen; schon vor einigen Jahren wurde ein prächtiges Badehôtel in unmittelbarer Nähe der Stadt am Strande eröffnet, dessen ausge - dehnte Räumlichkeiten einer grossen Zahl von Badegästen Unterkunft zu bieten vermögen. Die Aussicht auf die See von diesem prächtig gelegenen Punkte ist eine überaus fesselnde.

Um einen Theil des Handels von Antwerpen auf holländisches Gebiet abzulenken, bauten die Niederländer eine Eisenbahn nach Vlissingen, ihren am weitesten nach West vorgeschobenen Hafen an der Schelde. Zwei breite Arme des Mündungsgebietes dieses Flusses mussten auf hohen Dämmen überschritten und grossartige Hafenan - lagen, welche 1873 dem Verkehre übergeben wurden, errichtet werden.

Die Bassins von Vlissingen sind belebt, sein Schiffsverkehr steigt ungewöhnlich rasch, weil Vlissingen als Platz für die Ueber - fahrt nach London immer mehr in Aufnahme kommt.

Die Benützung der Route Vlissingen-Queenborough (108 Seemeilen) bietet die kürzeste Fahrt auf den Strecken Berlin-London (24 Stunden) und Wien - London (33 Stunden). Es gelang der niederländischen Gesellschaft Zeeland mit670Der atlantische Ocean.ihren kräftigen Schiffsmaschinen, welche das pünktliche Eintreffen sichern, die deutsch-englische Post von dem Hafen Ostende abzulenken, und da überdies ab Vlissingen der kaiserlich deutsche ambulante Postwagen mit den deutschen Be - amten verkehrt, die während der 4 Stunden, die der Schnellzug auf niederländi - schem Gebiete zurücklegt, die Poststücke bearbeiten, so wird Ostende nicht so - bald die alte Stellung zurückgewinnen.

Mit Queenborough besteht täglich zweimal Verbindung. Die günstige Lage Vlissingens in Bezug auf das mittlere Europa ist auch entscheidend dafür, dass die Castle Mail Packets Cy. hier zweimal im Monate landet, auf ihren Linien London-Capstadt-Delagoa-Bai-Madagaskar-Mauritius, und als die ostasiatische und australische Linie des Norddeutschen Lloyd eingerichtet wurde, trat Vlissingen als Anlaufshafen für Westdeutschland mit Antwerpen in Mitbewerb, ohne jedoch sein Ziel zu erreichen.

Der Petroleumhandel nimmt hier immer mehr Bedeutung an; an dem am weitesten nördlich gelegenen Hafentheile ist bereits ein Petroleumbassin vollendet und ein zweites ist im Bau begriffen. Die Anlagen sind gross und ausgedehnt und mit den neuesten Einrichtungen für die gefahrlose Ausladung des Steinöls ausgestattet. Die in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe gelegenen, mit Schienen - strängen versehenen Anlagen gestatten ein Aus - und Einladen der Waaren in der kürzest möglichen Zeit, wobei die Zufuhr, respective der Abgang, meistens zu Wasser, mit speciell zu solchen Zwecken erbauten Schiffen stattfindet.

Der Schiffsverkehr von Vlissingen betrug:

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Die niederländische Flagge beherrscht diesen Verkehr.

Folgende Staaten sind durch Consulate in Vlissingen vertreten: Deutsches Reich, Frankreich (V. -C. ), Belgien (V. -C. ), Russland (V. -C. ), Vereinigte Staaten von Nordamerika (V. -C. ), Venezuela (V. -C. ), Italien (V. -C. ), England (V. -C. ), Oesterreich-Ungarn (V. -C. ), Spanien (V. -C. ), Portugal (V. -C.).

[671]

Rotterdam.

Der weitgedehnten holländischen Tiefebene hat die Natur den Reiz der Abwechslung versagt. Wie die bestrickende Schönheit des Golfes von Neapel, das grossartige Bild Constantinopels, die gewal - tige Natur des Hochgebirges oder die Herrlichkeit von Rio Janeiro in unserer Vorstellung leben, ebenso ist uns die völlig heroische Ein - tönigkeit der holländischen Landschaft bekannt. Hier scheint die Natur sich Enthaltsamkeit auferlegt zu haben, aber Fleiss und Künstler - hand haben gleichwohl den Boden mit dem Reize der Poesie geziert, und holländische Art hat ihn geadelt.

So klein das Land, so gross ist seine Geschichte, so bedeu - tend seine Stellung auf allen Gebieten des menschlichen Schaffens.

Holland ist nicht allein das Land der Tulpen und der Häringe, sondern auch des Fleisses und der zähen Ausdauer, und die lebens - frohen Söhne dieses den Wellen abgerungenen Bodens sind ebenso tüchtig am Pfluge wie auf hoher See, ebenso gross als Entdecker wie als Seehelden. Ihr Handel war Welthandel, ihre Kunst ein Ele - ment des Glanzes wie ihre Leistung auf rein wissenschaftlichem Gebiete.

Mit bewunderungswürdiger Zähigkeit vertheidigt der Holländer die Deiche und Polder seines geliebten Vaterlandes gegen die zer - störende Gewalt des Meeres, und mit Stolz gedenkt er des althollän - dischen Spruches: Gott hat die See, wir die Küsten geschaffen.

Wie frivol musste Napoleon I. dem tüchtigen Volke erscheinen als er Holland für eine Anschwemmung der französischen Flüsse erklärte und der ehrwürdigen Tradition spottend das Land mit seinem Reiche vereinigte!

In seinen Schutzbauten und Canälen hat Holland eine enorme Arbeit aufgespeichert. Namentlich ist der Reichthum an Canälen be - wunderungswürdig. Was die alte Republik Venedig auf dem Gebiete der künstlichen Wasserstrassen geleistet hat, erscheint mit dem hol -672Der atlantische Ocean.ländischen Canalnetze verglichen unbedeutend. Freilich zwang die Natur des Bodens in Holland zur Schaffung von Canälen, und so finden wir das Land von Wasserwegen nach allen Richtungen durch - zogen. Die Canäle sind theils Schiffahrtstrassen, theils Ableitungen des überflüssigen Wassers, oder auch nehmen sie die Stelle von Ein - friedungen von Feldern und Gehöften ein, sind also Wasserzäune . Am hervorragendsten durch seine Wichtigkeit für den Seeverkehr von Amsterdam ist der neue Nordseecanal, die eigentliche Lebensader des holländischen Venedigs. Bedeutend sind auch der nordholländische Canal, der neue in Bau stehende Rheincanal (Merwede), der grosse Wilhelmcanal in Nordbrabant u. a.

Wichtige Communicationen bilden nach Durchführung gross - artiger Regulirungsarbeiten die der Nordsee zuströmenden Flüsse, welchen vorzugsweise Rotterdam seine mächtige Anziehungskraft ver - dankt, denn nächst dieser aufstrebenden Stadt vereinigen sich die Gewässer der Maas, Waal, der westlichen Yssel und des Leck, wo - durch Rotterdam zur eigentlichen Rheinmündungsstadt und zum ersten Hafenplatze Hollands geworden ist.

Ein Schiffsverkehr von mehr als 16 Millionen Tonnen im Ein - und Auslauf bewegt sich alljährlich durch das West-Gat und Brielle - Gat in die Maasmündungen von und nach Rotterdam. Fürwahr eine grossartige Schiffahrtsbewegung!

Wie unser Plan der neuen Maas zeigt, liegt Rotterdam unter 51° 55′ nördl. Breite und 29′ Ost von Greenwich und ungefähr 36 km flussaufwärts der Maasmündungen an beiden Ufern der neuen Maas. Die letztere empfängt nächst Vlaardingen die Oude-Maas (alte Maas) und theilt sich in zwei Arme, zwischen welchen die langge - streckte Insel Rozenburg liegt. Beide Wasserwege sind für Seeschiffe praktikabel, jedoch hat die Nieuwe Maas (neue Maas), auch Nieuwe Waterweg genannt, durchwegs tieferes Fahrwasser (im Minimum 6·5 m) welches bei Hochwasser (die Flut steigt im Durchschnitte 1·7 m) selbst für die grössten Handelsschiffe ausreicht.

Die Schiffbarmachung des neuen Wasserweges von Rotterdam zur See kostete mit Schluss des Jahres 1887 bereits 27·7 Millionen holländische Gulden. Es muss hier bemerkt werden, dass das West - Gat ein künstlich hergestellter Durchbruch des Gebietes bei Hoek van Holland, somit eine Ableitung der Maas ist.

Nächst der Gabelung der beiden Maasarme, und zwar westlich von Wel Plaat, mündet der breite und schnurgerade Voorne-Canal (H), welcher die gleichnamige Insel durchschneidend, nach der am[673]

Rotterdam.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 85674Der atlantische Ocean.Südufer derselben liegenden Festung Hellevoetsluis führt, wo sich die Reichsmagazine, grosse Schiffswerften und Docks befinden.

Die Uferlandschaften der Maas gleichen im Allgemeinen jenen, welche wir an der Schelde gemustert haben, jedoch herrscht auf erst - genannter mehr Leben und Abwechslung, denn am Nordufer haben sich mehrere Städtchen angesiedelt, deren Thürme und Häusergruppen über den Deichen sichtbar sind. Maassluis, Vlaardingen und Schiedam liegen am nächsten und stehen durch Canäle mit dem Flusse in directer Verbindung. In weiter Ferne glänzen die Baulichkeiten der auf dem flachen Plan zerstreuten Gehöfte und Ortschaften, von welch letzteren das freundliche, nordwestlich von Rotterdam liegende Delft wegen seiner Porzellanindustrie eines guten Rufes sich erfreut und gegenwärtig etwa 28.000 Einwohner zählt. Eine Ufereisenbahn, welche längs des Nordufers der Maas von Rotterdam bis zur Mündung bei Hoek van Holland in Ausführung begriffen ist, wird die Uferstädte mit einander verbinden und einen Anschluss an die nach Haag, Leiden und Amsterdam führende Bahn herstellen.

Ein schöner Canal verbindet Delft mit der Maas und sendet Abzweigungen nach Schiedam, Rotterdam und nach Delfshaven, einem Städtchen von etwa 14.000 Einwohnern, welches seit 30. Jänner 1886 mit Rotterdam zu einer Communität vereinigt ist und bedeutende Hafenanlagen besitzt. Durch die Einbeziehung von Delfshaven hat Rotterdam die Ausdehnung seines Hafens und der nutzbaren Quai - flächen ausserordentlich erweitert und wird nach Ausbau der projec - tirten neuen Bauten einen der grossartigsten Häfen der Erde besitzen, dessen Quais und Bassins längs beider Ufer der Maas auf einer Länge von 7 km sich erstrecken.

Während die Regulirung der Maas die Stadt Rotterdam nur mit 10 % des aufzuwendenden Baucapitales belasten wird, ist die Her - stellung und Verbesserung des eigentlichen Hafens grösstentheils ihrer Initiative und Opferwilligkeit überlassen, und es muss anerkannt werden, dass die Gemeinde hierin in grossartiger Weise thätig war, was aus der Betrachtung hervorgeht, dass die Stadt 1852 nur Bassins mit einer Fläche von 27·7 ha und eine Quai-Entwicklung von 10·3 km besass, gegenwärtig aber

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dem Verkehr zur Verfügung zu stellen vermag.

675Rotterdam.

Das ganze System der Hafenbassins ist aus unserem Stadtplan von Rotterdam zu ersehen.

Die grosse Entwicklung der Hafenanlagen datirt aus der Zeit, in welcher die Staatseisenbahnlinie von Dortrecht nordwärts mitten durch Rotterdam hindurch geführt und mit den nordholländischen Bahnen verbunden worden war. Der Staat war dadurch gezwungen, die Maas zu überbrücken (Legende V) und infolge dieses Baues wieder genöthigt, für jene Schiffe, welche keine umlegbaren Masten haben, einen neuen Wasserweg, den Koningshaven, zu schaffen. Der Koningshaven ist ein grandioser 150 m breiter Durchstich der Insel Feijenoord, wodurch in der Maas die Insel Noordereiland entstan - den ist.

Die über den Koningshaven führenden Brücken haben in der Mitte zum Oeffnen eingerichtete Constructionen (Drehbrücken). An der Seite der Eisenbahnbrücken erbaute Rotterdam die stabile Willems - brug und die Koningsbrug; die Stadt durchbrach Strassen, errichtete Quaimauern und Magazine. Unterdessen hatte die Staatseisenbahn den mächtigen, die Stadt hoch über dem Strassenpflaster in einer Länge von 1·5 km durchschneidenden Eisenbahnviaduct errichtet, und all - mälig wurden (1879) die grossen Bassins Spoorweghaven (Eisenbahn - hafen) und Binnenhaven mit ausgedehnten Magazinen und Schienen - wegen durch die Rotterdam’sche Handelsvereinigung mit einem Auf - wande von 13 Millionen Gulden erbaut, gelangten aber 1882 bei dem Zusammenbruche derselben um 4 Millionen Gulden in den Be - sitz der Stadt.

Auch die rheinische Eisenbahn hat die Linie nach Rotterdam ver - längert und die Communicationsmittel der Stadt wesentlich erweitert.

Zu Gunsten des Petroleumhandels wurde bereits 1874 am linken Maasufer gegenüber von Delfshaven ein Petroleumhafen gebaut, wel - cher über 6 Reservoirs in Eisenconstruction (19 m Durchmesser und 10 m Höhe) verfügt, deren jedes 2·8 Millionen Liter fasst. Drei dieser Tanks sind in den Boden eingesenkt, die anderen aber oberirdisch.

Eines der grössten noch gegenwärtig in Ausführung begriffenen Werke ist der neue Rijnhaven (Rheinhafen, R), dessen Bau 1884 begonnen hat. Dieses grossgeplante Bassin ist dazu bestimmt, um den zahlreichen Rheinfahrzeugen einen geschützten Winterhafen zu bieten. Bis jetzt mussten jene Fahrzeuge, welche in Rotterdam Ladung suchten oder durch die Eisbildung an der Rückfahrt verhindert wurden, im offenen Hafen, wo sie allen Gefahren des Eisganges aus - gesetzt waren, verweilen.

85*676Der atlantische Ocean.

Der Rijnhaven, von welchem gegenwärtig mehr als 11 ha mit 3 m Tiefe ausgehoben sind, kann bis zu einer Wasserfläche von 30 ha erweitert werden. Es liegt aber ein Project vor, welches den Ausbau auf 14 ha Fläche bei 7 m Wassertiefe zum Gegenstande hat, wodurch das geräumige Bassin auch für grosse Seeschiffe prakti - kabel wäre. So drängt ein Project das andere, jedes grösser als sein Vorgänger.

Der Grossartigkeit der Hafenanlagen entsprechend ist auch der Reichthum an Maschinen und sonstigen Hilfsmitteln für den Handels - verkehr. Nächst der rheinischen Eisenbahnstation sind 10 Krahne thätig, davon drei mit einer Hebefähigkeit von 10, 20 und 25 t; am linken Ufer bestehen 43 Dampfkrahne, von welchen der grösste 30 t zu heben vermag, und 8 Dampfgangspille.

Die Werfte und Maschinenfabrik der 1823 gegründeten Neder - landsche Stoomboot-Maatschappij (X) besitzt auf Feijenoord einen Dampfkrahn für 60 t, und die Gesellschaft zur Hebung gesunkener Schiffe einen solchen für 20 t Last.

Im Jahre 1886 liess die Stadt einen hydraulischen Kohlenele - vator im Binnenhafen erbauen, mittelst welchem die Seedampfer 200 t Steinkohle in einer Stunde einzuladen vermögen, auch besteht ein Waggonhebewerk (Tragfähigkeit 15 t) zur schnellen Einschiffung des Oels in die Flussdampfer.

Dagegen bestehen am rechten Ufer der Maas keine öffentlichen Waarenmagazine, jedoch besitzen die Kaufherren von Rotterdam theils private Magazine längs der älteren Bassins der Stadt, theils lassen sie ihre Waaren an den Quais unter freiem Himmel lagern.

Am linken Ufer hingegen bestehen Hangars mit einer Gesammt - bodenfläche von 56.367 m2, von welcher 16.800 m2 der Staatsbahn, der Rest aber der Stadt gehören.

Für die Vertäuung der Schiffe sind auf der Maas 56 Bojen verankert worden. Eine eigene Gesellschaft (Berging-Maatschappij) befasst sich wie der 1886 gegründete Nordische Bergungsverein in Hamburg mit der Hebung der an der holländischen und belgischen Küste oder in den Flüssen gesunkenen Schiffe und Bergung der Ladungen.

Die Stadt besitzt zwei eiserne Schwimmdocks, eines von 90 m und eines von 48 m Länge; diese können auch für die Benützung durch grössere Schiffe vereinigt werden und haben dann eine Ge - sammtlänge von 138 m. Ein drittes Dock von 110 m Länge ist im Bau begriffen. In Privatbesitz stehen ein schwimmendes Holzdock, eine Aufholwerfte und mehrere Bauwerften.

677Rotterdam.

Für den Piloten - und Schleppdienst ist bestens vorgesorgt, und seit 1824 besteht eine Rettungsgesellschaft, welche eine Zahl von Rettungsbootstationen an der Küste unterhält, die unter einander in telegraphischer Verbindung stehen und eine segensreiche Wirksamkeit entfalten.

Aus der Aufzählung der enormen Hilfsmittel, über welche der Hafen von Rotterdam verfügt, welche Hilfsmittel das Werk eines verhältnissmässig kurzen Zeitabschnittes sind, ist das zielbewusste Streben der leitenden Persönlichkeiten seines Gemeinwesens zu ersehen. Aber aus all dem vermag man sich auch einen Begriff von

Nieuwe Maas (Massstab 1: 294.400; Sonden in Metern).

A Norddamm, B Süddamm, C Pan-Arm, D Bank-Arm, E Bassin, F Leuchtfeuer, G Rettungsbootstation Langedoen, H Vornecanal und neue Schleusse, J Oude Maas, K Wracks gestrandeter Schiffe.

dem kräftigen Pulsschlag des Verkehres zu bilden, welcher in Rotterdam concentrirt ist.

Eine Promenade längs der Bassins und Canäle, welche die ganze Stadt durchziehen, dann an den breiten Quais der imposanten Wasserfläche der Maas, auf welcher Schiffe jeder Grösse und allen Nationen angehörend sich zusammengefunden haben, ist ein ab - wechslungsreicher und anregender Zeitvertreib. Durch die Grösse der Dampfer, die dort anlegen, ist hauptsächlich der Quai zwischen dem Westerhaven (B) zur Willemsbrug sehr interessant, und zwar legen am Willemskade die nach Bordeaux und Liverpool verkehren - den Dampfer, am Boompjesquai die nach Hull, Hâvre und London bestimmten an. Die Dampfer für Antwerpen haben den Anlegeplatz am Eingange zum Oude Haven (H), wovon sich gegen den Bahnhof678Der atlantische Ocean.der rheinischen Eisenbahn jene für den Verkehr mit Brielle, Middel - burg, Dortrecht und Gouda anreihen.

Die grossen Auswandererschiffe kann man an der Südseite von Noordereiland nächst dem Gebäude der Niederländisch-Amerikanischen Schiffahrtsgesellschaft sehen, und in den verschiedenen Hafenbassins liegen die West - und Ostindienfahrer, welche die reichen Producte dieser Gebiete, Thee, Gewürze, Kaffee, Reis, Tabak u. a. nach Hol - land bringen.

Im Hafen herrscht ein ausserordentlich reges Treiben; die an - kommenden und abfahrenden Schiffe, die Dampfer des Localverkehres, Fluss - und Seefahrzeuge jeder Art kreuzen sich hier unausgesetzt, und mitten durch verfolgt das Auge die ebenmässigen Formen der den Fluss überspannenden Eisenbrücken, die an die malerische Quai - front der alten Stadt sich anschliessen.

Rotterdam ist vielfach von Canälen durchzogen, in welche das Rotteflüsschen einmündet. Schleussen und zahlreiche Drehbrücken und Ueberwölbungen vermitteln den Verkehr auf dem Wasser und zu Lande. Die Strassen sind gerade geführt und manche, wie z. B. die prächtige Hoogstraat, von imponirender Länge. Im westlichen Theile derselben befindet sich die im Renaissancestyl 1879 erbaute reizende Passage.

Eine eigentliche Charakteristik erhält das Bild der Stadt durch den genial angelegten Viaduct der Staatsbahn, dessen wir oben be - reits gedachten. Die Hauptstation dieser Bahn liegt nächst der Börse, die, 1722 erbaut und 1868 reconstruirt, eines der vornehmsten Ge - bäude von Rotterdam ist. In der Nähe befindet sich das grosse freistehende Post - und Telegraphengebäude und nächst des Blaak - havens (E) erhebt sich der sehenswerthe, mit Bronzereliefs gezierte Seefischmarkt.

Unter den 18 Kirchen der Stadt ist die Groote-Kirche (Lauren - tius-Kirche) die grösste und sehenswertheste. Dieselbe ist ein gothi - scher Ziegelbau, der 1477 vollendet wurde. Von der Höhe des 64 m hohen unvollendeten Thurmes geniesst man eine Fernsicht in die holländische Ebene bis Leiden, Haag und Dortrecht. Im Inneren der Kirche befinden sich die marmornen Grabmäler einiger holländischer Seehelden, wie des Viceadmirals Witte Cornelisz van de Witte (gest. 1658), Cortenaer (gest. 1665), des Contreadmirals van Brakel (gest. 1690) u. a. m. Berühmt ist die grosse Orgel, welche 72 Register und 4782 Pfeifen bei drei Claviaturen zählt und an Umfang und Ton jener zu Haarlem gleicht.

679Rotterdam.

Eine Sehenswürdigkeit der Stadt ist auch das Museum Boymans (17), welches eine sehr interessante Bildergallerie meist niederländi - scher Meister enthält.

Das alte Gebäude wurde 1864 durch eine Feuersbrunst einge - äschert, wobei nur 163 Gemälde gerettet wurden. Seither ist die Gallerie durch Schenkungen auf 350 Nummern bereichert worden.

Im Museum voor Geschiedenis en Kunst ist eine werthvolle Antiquitätensammlung untergebracht, und das maritime Museum im ehemaligen Gebäude des Yachtclub enthält eine reiche ethnogra - phische Sammlung und eine Collection die Entwicklung der Schiffahrt betreffender Objecte.

Ein malerisch angelegter zoologischer Garten (Diergaarde), dann der grosse mit Restaurationen, Cafés und Pavillons ausgestattete Park, endlich im Osten der Stadt die neue Plantage sind die beliebtesten Versammlungsorte der lebensfrohen Bevölkerung und der zahlreichen Fremden. Im Parke wurde 1860 dem Liebling des Landes, dem Dichter Henrik Tollens ein Marmorstandbild errichtet. Das Andenken an Erasmus von Rotterdam, den berühmten Humanisten, einen Sohn dieser Stadt (geb. 23. October 1466 und gestorben zu Basel 12. Juli 1536) ist durch das am Grossen Markt 1622 errichtete Bronzestand - bild des Gelehrten in dankbarer Erinnerung gehalten.

Rotterdam hatte am 1. Jänner 1889 eine Bevölkerung von 197.722 Einwohnern. Neue Stadttheile und ein reizendes Villenviertel entstehen, und keine fortificatorischen oder Terrainhindernisse stehen der fortschreitenden Erweiterung entgegen. Entsprechend der rapiden maritimen und commerciellen Entwicklung des Platzes schreitet auch die räumliche Entfaltung der eigentlichen Stadt selbst voran.

Die Geschichte Rotterdams lässt sich bis in das XI. Jahrhundert zurück - führen, in welchem die Stadt zum erstenmale genannt wird. Im Jahre 1272 mit Mauern umgürtet, erhielt sie die Stadtrechte und stieg von da ab bald zu An - sehen auf. 1480 eroberte sie Franz von Brederode und vertheidigte sie gegen den Erzherzog Maximilian von Oesterreich. Nun gerieth Rotterdam 1572 für kurze Zeit in die Gewalt Spaniens, schloss sich hierauf den Generalstaaten an, welche ihr 1580 Sitz und Stimme im Senat verliehen.

Rotterdam ist ein alter Handelsplatz der Niederlande, der aber im Mittelalter von Dortrecht und seit der Unabhängigkeit der Nieder - lande von Amsterdam gedrückt wurde; nur ein Sechzehntel des Ca - pitales der holländisch-ostindischen Cie. von 1602 war den Kauf - leuten von Rotterdam vorbehalten.

Der Aufschwung des Rotterdamer Hafens begann in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts nach einer langen Zeit des Stillstandes,680Der atlantische Ocean.welchen Antwerpen zur Begründung seines neuerlichen Glanzes ge - schickt benützte. Die riesigen Anstrengungen der Rotterdamer Kauf - leute, durch Verbesserung des Fahrwassers des Rhein-Maas-Stromes und Schaffung wohldurchdachter Eisenbahnverbindungen der Nieder - lande mit den Nachbarstaaten die geographische Lage ihrer Vater - stadt voll und ganz auszunützen und Rotterdam zum Hamburg am Rhein zu erheben, haben einen offensiven Charakter gegenüber Amsterdam, der alten Capitale des holländischen Handels, und einen defensiven gegenüber dem jüngeren Rivalen Antwerpen. Heute ent - fallen auf Rotterdam 54 %, also mehr als die Hälfte des Schiffsver - kehres, und 42 % der Einfuhr des ganzen Staates.

Von Rotterdam, dem Mündungshafen der Maas und des Rheines, fahren die Dampfschiffe auf dem letzteren aufwärts bis Mannheim, und wenn das Project, die Erbauung eines Seitencanales von Lud - wigshafen bis Strassburg, zur Ausführung kommt, wird Strassburg das Ende der Dampfschiffahrt auf dem Rheine sein, und Strassburg ist von der schweizerischen Einbruchstation Basel nur mehr 141 km entfernt und der Ausgangspunkt des Rhein-Rhône - und des Rhein - Marne-Canales.

In kurzer Zeit werden drei Eisenbahnlinien parallel mit den Mündungsarmen des Rheines nach Osten führen, eine vierte und fünfte Linie machen die Gebiete im Norden und Süden Rotterdams diesem dienstbar.

In der nächsten Zeit können nur die Bemühungen Amsterdams, das 1891 eine gute Canalverbindung zur Merwede bei Dortrecht er - hält, und die weitere Entwicklung der directen Seeschiffahrt aufwärts bis Köln dem Handel Rotterdams Eintrag thun, der nach der Union, nach Westafrika und vor allem nach Niederländisch-Indien ge - richtet ist.

Wir werden nun die einzelnen Handelsartikel durchgehen und auch die Stellung Rotterdams zu Amsterdam genauer ins Auge fassen.

Bei der Einfuhr müssen wir in erster Linie die Colonialwaaren nennen besonders Kaffee, für welchen Artikel Rotterdam einer der Hauptstapelplätze Europas und wichtiger als Amsterdam ist. Derselbe stammt zum Theile aus den niederländischen Colonien, besonders aus Java.

Seit der Einführung des Termingeschäftes wird auch etwas Santoskaffee gehandelt, was um so nothwendiger ist, als die Ernten auf Java besonders seit 1886 nicht mehr so viel liefern, um die Märkte der Niederlande zu versorgen.

Die Niederländische Handelsgesellschaft (Nederlandsch Handel-Matschappij) besorgt den Verkauf der Regierungsernten Javas und bringt vertragsmässig 15 / 42 derselben nach Rotterdam, 2 / 42 in das benachbarte Schiedam. Sie veranstaltete in Amsterdam und Rotterdam Auctionen, brachte aber 1888 in letzterem nur 332.001[681]

Rotterdam (Massstab 1: 28.600; Sonden in Metern auf die tiefste Ebbe redu - cirt; 2·2 m Hochwasser).

A Ankerbojen, B Westerhaven, C Zalmhaven, D Leuvehaven, E Blaakhaven, F Leuchtfeuer, G Wijn - haven, H Oude Haven (alter Hafen), J Scheepmakershaven, K Nieuwe-Haven, L Haringvliet, M Boerengat, N Buizengat, O Entrepôthaven, P Binnenhaven, Q Waarenbahnhof der Staatsbahn, R Rijnhaven, S Eisenbahn (project. ), T Canäle und Brücken (project), U Koninginnenbrug, V Eisenbahnbrücke, W Willemsbrug, X Werfte der Nederlandsche Stoomboot-Maatschappij, Y Goudschevert-Can., Z De Rotte, Z1 Cool Vest, Z2 Schiedamsche Vest 1 Willemskade, 2 Park, 3 Diergaarde (Thiergarten), 4 Central - eisenbahnstation, 5 Station der rheinischen Eisenbahn, 6 Boompjesquai, 7 Oosterkade (Quai), 8 Börse, 9 Hoogstraat, 10 deutsche Kirche, 11 Groote K., 12 Prinsen K., 13 Schutsche K., 14 Wester K., 15 S. Anthonius K., 16 Het Heilige Hart K., 17 Museum Boymans, 18 Museum v. Onderw. en kunst, 19 Nederl. Bank, 20 Academie v. beeld. Kunsten, 21 Schouwburg (Theater), 22 Weeshuis, 23 Yachtclub, 24 Nieuwe Plantage, 25 Gasfabrik, 26 Groot Zickenhuis (Siechenhaus).

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 86682Der atlantische Ocean.Ballen, die Privaten in erster Hand auch nur 363.061 Ballen, also zusammen 695.062 Ballen zum Verkaufe gegen 1,507.457 Ballen im Jahre 1883.

Man sieht, Rotterdams Bedeutung als Kaffeeplatz ist in den letzten Jahren stark gesunken. Die Errichtung einer Dampferlinie nach Buenos Ayres mit Sta - tionen in Brasilien im December 1888 wird vielleicht den Kaffeehandel auf Basis brasilianischer Lieferungen neu beleben.

In Rotterdam erscheinen ferner die Kaffeesorten von Macassar, Afrika und La Guayra.

Die Kaffee-Einfuhr von Rotterdam betrug 1889 405.904 q, 1888 423.760 q, 1887 419.920 q, 1886 464.131 q.

Ueber Rotterdam erfolgt die Hälfte der Gesammteinfuhr von Thee mit 2,932.000 kg im Jahre 1888.

Die Einfuhr aus Java ist doppelt so gross wie die aus China.

In Rohzucker ist Rotterdam weniger wichtig als Amsterdam, in Raffi - nade geht es diesem voran.

Die Einfuhr von Rohzucker belief sich 1889 auf 394.256 q, 1888 auf 568.420 q, 1887 auf 377.220 q und die von Raffinade 1888 auf 174.380 q, 1887 auf 164.620 q, die erstere kam aus Deutschland und Belgien, letztere fast aus - schliesslich aus Deutschland.

Die Einfuhr von Tabak und Cigarren ist in Rotterdam ungefähr der Amsterdams gleich; sie betrug 1889 213.142 q, 1888 204.100 q, 1887 223.760 q und erfolgte aus Java, Sumatra und Nordamerika. Grosse Mengen Java - und Sumatratabak werden in Rotterdam verarbeitet.

Die Einfuhr von Gewürzen betrug 1888 2,255.000 kg und stammte aus Englisch - und Niederländisch-Hinterindien; die wichtigsten Artikel sind Muscat - nüsse und Blüthen, Gewürznelken und Pfeffer.

Rotterdam ist der erste Platz der Niederlande für Droguen mit einer Einfuhr von 1,438.620 q im Jahre 1888 und 1.469.710 q im Jahre 1887.

Aus dieser Gruppe sind besonders hervorzuheben Cajaputiöl, Cassia vera aus Sumatra, Benzoë, Copalgummi von Macassar und Portugiesisch-Westafrika, Damargummi aus Niederländisch-Indien und Gummi elasticum aus Westafrika und Nicaragua.

Zu nennen ist endlich Indigo aus Java (Einfuhr 1888 11.240 q).

Sehr bedeutend ist die Einfuhr von Cerealien aus dem Auslande, da Holland seinen eigenen Bedarf nicht decken kann; der grössere Theil der Einfuhr geht aber weiter nach Deutschland. Rotterdam erhielt an Weizen 1888 4,077.050 q, 1887 4,472.100 q aus Südrussland und von der unteren Donau, Nordrussland und die deutschen Häfen treten ganz zurück.

Aus denselben Ländern kommen auch Roggen 1889 3,367.971 q, 1888 4,157.470 q und Gerste 1889 4,282.447 q, 1888 1,500.250 q.

Hafer (1889 1.151.167 q, 1888 1,709.270 q) wird fast nur über Rotterdam in die Niederlande eingeführt. Viel Hafer kommt aus Libau und Riga.

Rotterdam führt nicht mehr Reis ein als Zaandam. Bezugsländer sind Englisch-Hinterindien, dann Japan und Java. Die Einfuhr erreichte 1888 489.360 q, 1887 359.680 q.

Auf die übrigen Getreidegattungen entfielen 1888 434.370 q, das ist wie bei Mehl die Hälfte der Einfuhr der Niederlande. Mehl wird aus Deutschland über Hamburg, aus Nordamerika, Belgien gebracht. Einfuhr 1888 590.530 q.

683Rotterdam.

Von der Einfuhr der Niederlande an frischen wie getrockneten Früch - ten aller Art entfällt auf Rotterdam ungefähr ein Drittel. Frisches Tafelobst liefert besonders Preussen, Südfrüchte Italien, und viel davon kommt über Belgien und Grossbritannien ins Land; Columbia und Venezuela sind betheiligt an der Ein - fuhr von 84.660 q. Getrocknete Früchte senden die Türkei und die jonischen Inseln, ferner Belgien, Deutschland und England. Einfuhr 1888 102.130 q.

Von Wein in Fässern gingen 1888 170.310 q über Rotterdam nach Holland; sie stammten aus Frankreich, Deutschland, Portugal, Spanien und Italien, Flaschen - weine (1888 54.800 q) liefert fast ausschliesslich Deutschland vom Rheine her.

Auch vegetabilische Oele, besonders Palmöl, sind ein wichtiger Artikel Rotterdams. Ein grosser Theil des eingeführten Palmöls (1888 12.857 t) wird in den benachbarten Fabriken von Schiedam und Gouda verarbeitet.

Von Spinnstoffen ist nordamerikanische Baumwolle zu nennen, deren Einfuhr seit 1886 um die Hälfte gestiegen ist und 1888 151.940 q erreicht.

Rotterdam ist der erste Einfuhrplatz der Niederlande für Flachs und Hanf mit 64.680 q im Jahre 1888 und für Schafwolle mit 101.900 q.

Verhältnissmässig bedeutend (93.320 q) ist auch die Einfuhr von Lumpen aus Preussen, Belgien und England.

An Saaten und Sämereien führte Rotterdam 1888 834.310 q, etwa 30 % der Gesammteinfuhr, ein, den Haupttheil bilden Lein - und Hanfsamen aus Russland.

Die Einfuhr von Kartoffelmehl und Stärke aus Deutschland erreichte die Höhe von 91.870 q, gleich der Hälfte der Gesammteinfuhr des Landes.

An Schiffbau - und Zimmerholz etc. kommt über Rotterdam nur die Hälfte dessen zur Einfuhr, was über Amsterdam geht, 1888 841.800 q, welche aus Schweden, Russland, Norwegen und Deutschland stammten. In feinem Werkholz aber ist Rotterdam der erste Platz der Niederlande, 1888 mit 55.660 q aus Belgien und Nordamerika. Die Einfuhr von Farbhölzern aus Haïti und Mexiko entfällt fast allein auf Rotterdam, das den Handel Antwerpens in Campecheholz an sich gezogen hat. Einfuhr 1888 253.650 q.

Auch die Einfuhr von Harzen aus Nordamerika entfiel fast ganz auf Rotter - dam, 1888 218.220 q.

Terebinthenöl kommt aus der Union, Theer und Pech aus demselben Lande über England und aus Russland.

Dagegen entfällt von Stuhlrohr aus Java und Sumatra auf diesen Hafen die Hälfte der Einfuhr des Reiches, 1888 15.160 q.

Von thierischen Producten sind bemerkenswerth Fischöl, Thran (1888 160.030 q) und Fische (55.220 q), besonders Stockfische aus Norwegen.

Die Einfuhr von Margarin, das nur theilweise auf dem Seewege nach Rotterdam gelangt, weist eine stetige Steigerung auf. Die Union allein sendete 1889 368.000 q, 1888 259.500 q hieher; an sie reihen sich Frankreich und Oester - reich-Ungarn.

Die Einfuhr von Schmalz amerikanischer Provenienz, von Talg und anderen Fetten ist eine beträchtliche, mit 415.530 q im Jahre 1888 und 477.840 q im Jahre 1887, also mit mehr als der Hälfte der Gesammteinfuhr. Häringe und Stock - fische aus Norwegen, Grossbritannien und Deutschland. Auch von der Einfuhr von Schlachtvieh aus Belgien, Dänemark und von conservirtem Fleisch aus Nord - amerika entfällt die Hälfte der Gesammteinfuhr auf Rotterdam.

86*684Der atlantische Ocean.

Häute, Felle und Leder aus Belgien, Grossbritannien, Marokko und Russland erscheinen 1888 in der Einfuhr mit 146.670 q, 1887 mit 153.220 q.

Rotterdam ist auch der erste Ort Hollands für Düngmittel; Einfuhr 1888 270.450 q.

Steinkohlen (1888 2,326.370 q, 1887 2,178.130 q) kommen aus England und Deutschland. Für Petroleum ist Rotterdam wichtiger als Amsterdam, da 1888 381.650 q zum Verbrauch eingeführt wurden, also fast so viel wie in Amsterdam; ausserdem war aber hier die Durchfuhr nach Deutschland 1888 nur um ein Viertel kleiner als die für den Consum bestimmte Menge. Durch Errichtung passender Hafeneinrichtungen für den Petroleumverkehr und die Einführung von Tankschiffen auf dem Rheine wird die Einfuhr weiter steigen.

Der Salzhandel der Niederlande concentrirt sich am Rheine und an der Maas, vorab in Rotterdam, das 1888 205,680 q und 1887 152.440 q einführte.

Wenige Kilometer stromabwärts liegt Vlaardingen mit einer Einfuhr von 161.680 q im Jahre 1888. Das hier eingeführte Salz stammt aus Südeuropa und aus Preussen.

Als Rheinhafen ist Rotterdam das Eingangsthor für die grossen Mengen nordspanischer Eisenerze, welche zumeist von Krupp in Essen verarbeitet werden. Deren Einfuhr betrug 7,969.234 q, 1888 7,418.930 q, 1887 6,834.760 q.

Auch für unbearbeitete Metalle, unter denen Eisen und Stahl hervor - ragen, für Metallarbeiten und Maschinen ist Rotterdam ungemein wichtig.

Unbearbeitete Metalle werden aus Deutschland, Grossbritannien und Belgien zugeführt, Zinn aus Niederländisch-Indien; Einfuhr 1888 2,677.130 q, 1887 1,884.880 q.

Die Einfuhr von verarbeitetem Eisen betrug 1888 1,003.090 q, 1887 762.300 q, die von Maschinen 1888 120 180 q, 1887 105.840 q.

An der Einfuhr des Jahres 1888 an Porzellan und Thonwaaren aus Bel - gien und Deutschland von 1,265.354 q hatte Rotterdam nur einen Antheil von 210.330 q, an Glas und Glaswaaren, aus denselben Ländern stammend, einen solchen von 77.820 q.

Mehr als die Hälfte der Einfuhr der Niederlande an Garnen (1888 221.530 q), fast ein Drittel der von Manufacturen (1888 138.360 q) und zwei Fünftel der Kurzwaaren (93.510 q), in Holland Kramerij genannt, entfallen auf Rotterdam. Das meiste kommt aus Deutschland und England.

Bedeutend ist die Einfuhr von Tauen aus Grossbritannien und Deutsch - land (19.590 q), auch für Papier (110.560 q) muss man Rotterdam an erster Stelle nennen.

Dasselbe gilt für Spirituosen (1888 141.600 q, 1887 114.740 q) aus Deutsch - land, aber nicht für Bier (1888 33.410 q).

Die Gesammteinfuhr Rotterdams wird für das Jahr 1889 mit 3,880.107 t, für 1888 mit 3,703.956 t angegeben.

Gehen wir nun zum Ausfuhrhandel Rotterdams über, so spielen natürlich auch hier die Colonialwaaren eine grosse Rolle, von Kaffee wurden 1888 356.960 q, 1887 320.160 q nach Deutschland und Belgien, einiges auch nach Nordamerika, Dänemark, Oesterreich-Ungarn und Schweden versendet.

In der Ausfuhr von Tabak und Cigarren, welche 1888 104.790 q betrug, steht Rotterdam Amsterdem nach. Die Absatzgebiete sind dieselben wie für Kaffee.

685Rotterdam.

Auch im Export von raffinirtem Zucker bleibt Rotterdam hinter Amster - dam mit einer Ausfuhr von nur 284.750 q im Jahre 1888 und 282.140 q im Jahre 1887 zurück, dafür ist es im Exporte des Rohzuckers (1888 172.980 q, 1887 237.640 q) weit voraus. Die ganze Ausfuhr geht nach den drei Nachbarländern.

Gewürze (1888 19.570 q) exportirt Rotterdam fast nur nach Deutschland und England.

Unter den Nahrungsmitteln steht im Export Butter in erster Linie mit 380.310 q im Jahre 1888 und 504.840 q im Jahre 1887.

Auch für Käse ist Rotterdam weit wichtiger als Amsterdam, Ausfuhr 1888 170.400 q.

Dasselbe gilt für die Ausfuhr von Fischen (1888 286.170 q); man muss be - denken, dass das Fischerdorf Vlaardingen in der Nähe liegt und Scheveningen nicht gerade weit von hier entfernt ist.

Der Hauptabnehmer für holländisches Vieh, besonders Schlachtvieh, ist England, daher Rotterdam (1888) an der Ausfuhr von 220.074 q mit 149.420 q den Löwenantheil hat.

An der ziemlich ansehnlichen Ausfuhr Hollands von frischem Obst war Rotterdam 1888 mit 169.200 q, an getrocknetem Obst 1888 mit 64.100 q be - theiligt. Das erstere geht fast ausschliesslich nach England und Preussen, das letztere findet in Deutschland seinen Abnehmer.

Der Export von Bier und Malzextract erreichte 1888 47.310 q und war nach Belgien, England, besonders aber nach Java und den anderen holländischen Besitzungen gerichtet.

Den zahlreichen überseeischen Verbindungen Rotterdams entspricht die Grösse der Ausfuhr von Spirituosen. Arac und Rum gehen nach Belgien, Eng - land, Preussen und Nordamerika, während Branntwein aller Art, darunter besonders viel Genever, nach der Westküste von Afrika, nach Java und Canada geführt wird. Schiedam, der erste Ort der Niederlande für Branntweinbrennerei, ist keine 5 km von Rotterdam entfernt. Von der Gesammtausfuhr Hollands im Jahre 1888 mit 487.918 q versandte Rotterdam 231.850 q, im Jahre 1887 222.380 q.

Auch die Weinausfuhr, die nach den eben genannten Ländern, dann auch nach Deutschland gerichtet ist, bildet beinahe Monopol des Rotterdamer Handels. Von Fassweinen gingen 1888 125.060 q, von Flaschenweinen 52.760 q über Rotter - ins Ausland.

Sehr bedeutend ist auch die Ausfuhr von verschiedenen Mineralwässern Deutschlands nach Belgien, Grossbritannien, Java neben Nordamerika mit 84.390 q im Jahre 1888.

Die Ausfuhr von Petroleum nach Deutschland wurde schon bei der Ein - fuhr angeführt.

Die Ausfuhr der Niederlande an Thran, besonders an norwegischem Leber - thran, entfällt fast ganz auf Rotterdam, nämlich Ausfuhr 1888 47.480 q.

Auch geschälter Reis wird mit nur 135.504 q angegeben.

Von der Mehlausfuhr der Niederlande geht fast ein Drittel über Rotter - dam, so 1888 333.160 q, 1887 231.010 q. Dieser Hafen versorgt ausser Preussen und Belgien noch England, Java und die Straits Settlements, auch Finnland und Schweden.

Samen und Sämereien sind Gegenstand der Durchfuhr nach den Nachbar - ländern, 1888 175.660 q.

686Der atlantische Ocean.

Rohbaumwolle, Flachs und Hanf, endlich Schafwolle werden in der Aus - fuhr Rotterdams mit nicht sehr hohen Ziffern genannt. Bedeutender war die Ausfuhr von Lumpen (1888 130.210 q).

Wie Getreide geht auch Holz an Rotterdam einfach vorbei; die Ausfuhr von Holz ist in der Station Lobith vereinigt. Nur für Farbholz, nach Preussen bestimmt, kommt Rotterdam als Handelsplatz zur Geltung. Ausfuhr 1888 115.320 q. Stuhlrohr (1888 12.620 q) verschickt Rotterdam fast nur nach Hamburg.

Rohe Häute, Felle getrocknet und gesalzen sowie Leder und Lederwaaren aller Art versandte Rotterdam 1888 109.720 q, 1887 125.130 q nach den Nachbar - staaten. Mit Rotterdam concurrirt in diesem Artikel Hansweert an der Schelde.

Die Ausfuhr von Schmalz, Talg und thierischen Fetten 1888 mit 172.930 q ist hier die stärkste unter den Zollämtern der Niederlande.

Dasselbe gilt für Droguen, Farbwaaren und Chemikalien (1888 mit 1,031.130 q), die, ausser in die Grenzstaaten, ihren Weg auch nach Russland, Java und Frankreich finden; ferner für Harze (209.360 q).

Die Ausfuhr von Steinkohlen beschränkt sich auf die Versorgung der Schiffe.

Für die Wiederausfuhr von unbearbeiteten Metallen ist Rotterdam nicht so wichtig wie für die von Metallwaaren, weil von den ersteren viel im Lande verarbeitet wird. Die Ausfuhrziffer für das Jahr 1888 umfasst 1,050.460 q für un - verarbeitete Metalle, die zumeist, wie die Eisenbahnschienen und Baueisenwaaren ausser nach den Nachbarstaaten auch nach Italien, Russland, Frankreich, Nord - amerika und Java gingen, für Metallwaaren 1,126.160 q.

Auch für Maschinen (1888 72.240 q) ist Rotterdam ein sehr wichtiger Durchfuhrhafen.

Beiläufig ebenso gross (78.020 q) ist das Gewicht der exportirten Thon - und Porzellanwaaren, bestimmt für die Nachbarreiche, für Java, Russland und Nord - amerika, wohin auch (1888 85.740 q) Glas und Glaswaaren gehen. Für Papier ist Harlingen wichtiger als Rotterdam.

Für Kurzwaaren (1888 77.720 q, 4887 95.710 q) und Manufactur - waaren (139.130 q) ist Rotterdam Hauptausfuhrplatz der Niederlande.

Daneben wollen wir noch die Ausfuhr der (1888 21.610 q) Tauwerke nach Deutschland und England erwähnen und die der Garne (156.370 q) nach Deutschland.

Die wichtigsten Fabriken Rotterdams sind Schiffswerften, Branntwein - brennereien und Brauereien, eine Zuckerraffinerie, zahlreiche Tabakfabriken, che - mische und Lederfabriken, Erzeugung von Thonwaaren, Kattundruckereien, Tauereien und in der Umgebung Oelfabriken.

Die rasch steigende Bedeutung Rotterdams, seit 1886 die Einfahrt ver - bessert wurde, spiegelt sich deutlich wieder in seinem Schiffsverkehr.

Der Seeschiffsverkehr von Rotterdam betrug in Cubikmeter (2·83 m3 = 1 Reg. -Ton. ):

〈…〉〈…〉

Im Jahre 1889 liefen von der See 4547 Schiffe mit 7,950.044 m3 ein.

Auffallend stark ist die Abnahme der Segelschiffahrt.

687Rotterdam.

Wie in fast allen Häfen Westeuropas nimmt England auch in Rotter - dam die erste Stelle ein, 1888 mit 9,965.608 m3, dann folgt die holländische Flagge mit 2,333.784 m3. An dritter Stelle steht die deutsche Flagge mit 1,591.300 m3. Grössere Wichtigkeit besitzen noch die dänische, norwegische und spanische Flagge.

Die wichtigsten Schiffahrtsgesellschaften auf dem Rhein sind die Köln-Düsseldorfer und die Niederländische Rhederei.

Zahlreiche Seeverbindungen bestehen nach den übrigen niederländischen, nach englischen und deutschen Häfen.

Als Reiselinie wird die Verbindung Rotterdam-Harwich (- London) stark benützt.

In England werden ausserdem regelmässig angelaufen London, Grimsby, Hull, Goole, Newcastle, Leith, Glasgow, Grangemouth, Liverpool, Southampton, Plymouth und Bristol, in den übrigen Ländern Europas Bergen, Christiania, Hamburg, Bremen, Dünkirchen, Hâvre, Bordeaux, Oporto und Genua.

Abwechselnd mit Amsterdam gehen von hier die Schiffe der Nieder - ländisch-Amerikanischen Dampfschiffahrt-Gesellschaft nach New-York (3407 Seemeilen) und nach Brasilien, Montevideo und Buenos Ayres.

Die Verbindung mit Java unterhält hauptsächlich der Rotterdamsche Lloyd über Southampton und Marseille. Im Jahre 1889 wurden 15.252 Aus - wanderer über Rotterdam nach der Union und Buenos Ayres (2420) befördert.

Die Zahl der hier verkehrenden Flussschiffe lässt sich nicht genau er - mitteln, weil diese Fahrzeuge seit 1866 das Hafengeld im Jahresabonnement be - zahlen dürfen. Man nimmt an, dass in Rotterdam 1889 72.351 Schiffe mit 6,695.556 m3 Gehalt auf den Binnengewässern angekommen sind; diese Ziffern wundern Einen nicht mehr, wenn man hört, dass Rotterdam mit 65 Plätzen des Inlandes regel - mässige Dampferverbindungen hat.

Die wichtigsten Banken sind die Bijbank der Nederlandsche Bank und die Rotterdamsche Bank.

Am 1. Januar 1890 besass Rotterdam eine Seehandelsmarine von 52 Dampfern mit 88.191 Reg. -Tonnen und von 34 Segelschiffen mit 23.042 Reg. -Tonnen, zu - sammen 86 Schiffe mit 111.233 Reg. -Tonnen.

Consulate haben in Rotterdam: Argentinien, Belgien, Bolivia, Brasilien (G. -C. ), Chile, Columbia, Dänemark (G. -C. ), Deutschland, Dominik. Republik, Frank - reich (G. -C. ), Griechenland, Grossbritannien, Guatemala, Honduras (G. -C. ), Italien, Congo-Staat, Liberia (G. -C. ), Mexico, Monaco, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn, Ru - mänien, Russland, Salvador, Schweiz, Siam, Spanien, Türkei, Uruguay (G. -C. ), Venezuela, Vereinigte Staaten.

[688]

Amsterdam.

Im grossen Festsaale des königlichen Palastes von Amsterdam sieht man die allegorische Gestalt der Stadt umgeben von der Kraft, der Weisheit und dem Ueberflusse. Besser konnte die Bedeutung Amsterdams im Culturleben der Gegenwart kaum dargestellt werden, denn Kraft und Weisheit schufen hier Reichthum und häuften ihn zu Ueberfluss.

Obgleich fernab von der offenen See gelegen, ist Amsterdam doch eine glänzende Königin der Meere; durch den Hafen, durch die ruhigen Grachten, ja durch die entlegensten Gässchen streicht der unendliche Hauch der Oceane, und der geheimnissvolle Geist Neptuns scheint Stadt und Hafen in ewiger Gunst zu umschlingen.

Das goldene Schiff auf der Spitze des Palastthurmes verkörpert keine Künstlerlaune, sondern symbolisirt die weltumfassende Handels - thätigkeit Amsterdams.

Weit mehr verdient die Stadt ihres commerciellen Geistes wegen mit Alt-Venedig verglichen zu werden, als wegen ihrer zahlreichen Inseln, Canäle und Brücken, welche sie gleich wie die Dogenstadt an der Adria besitzt. Auf Schritt und Tritt begegnen wir den glor - reichen Traditionen der einstigen Heldenzeit Hollands und seiner reichen Hauptstadt, wir sehen die Grabstätten der berühmten Admi - rale, worunter de Ruyter, dessen Grabschrift ihn immensi tremor Oceani nennt; wir betrachten die Monumente der grossen Meister und Gelehrten des Landes, und die Namen der Strassen und Plätze verherrlichen die ruhmvollsten Bürger der merkwürdigen Niederlande.

Das Leben der Gegenwart, Amsterdams commercielle Macht, tritt uns aber in der Lebhaftigkeit des Verkehres entgegen, welcher in den grandiosen Hafenanlagen pulsirt. Zwischen einst und jetzt liegt ein langer Weg der Entwicklung und des Fortschrittes.

Im XII. und XIII. Jahrhunderte noch ein armes Fischerdorf, hat Amsterdam sich zu einem der ersten Handelsplätze der Erde auf - geschwungen.

[689]

Amsterdam.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 87690Der atlantische Ocean.

Die Stadt breitet sich am Südufer des Y (Het I J) halbkreis - förmig aus und wird durch das Flüsschen Amstel in einen östlichen und westlichen Theil geschieden.

Die Amstel steht mit dem vielverzweigten Canalsysteme in Ver - bindung, welches die Stadt nach allen Richtungen durchzieht und in die Hafenbassins ausmündet.

Wie unser Stadtplan zeigt, treten unter den Canälen, welche hier Grachten genannt werden, jene hervor, welche den Stadtkern, d. i. die alte Stadt, in sechs regelmässigen polygonalen Ringen um - spannen und unter einander durch andere Grachten in Verbindung stehen. Auf diese Weise entstanden die 90 Inseln, welche die Häuser - masse von Amsterdam tragen, und etwa 300 Brücken mussten für den Verkehr hergestellt werden.

Unter den Grachten sind die Heerengracht, Keizersgracht und Prinsengracht, dann der breite äusserste Wasserring, die Singelgracht, die hervorragendsten.

Meist von Ulmenalleen eingefasst, gewähren die Grachten einen freundlichen Anblick und bieten recht malerische Effecte, besonders dort, wo der Verkehr der Lastfahrzeuge zu den Waarenmagazinen die spiegelglatte Wasserfläche belebt. Doch auch tiefe Melancholie ruht auf manchen dieser Wasserläufe.

Das gesammte System der Grachten wird durch die Amstel und das Y gespeist und durchgeschwemmt, wodurch man die Bil - dung von miasmatischen Ausdünstungen thunlichst zu verhindern trachtet.

Die Keizers - und Heerengracht ziert manch ansehnliches, dem sogenannten holländischen Backsteinstyl des XVII. und XVIII. Jahr - hunderts angehörendes Haus. Im allgemeinen sind jedoch die Häuser schmale mit der Giebelseite der Strasse zugewendete Backsteinbauten mit weiss gehaltenen Fugen. Dieselbe Phantasie, welche die hohen Giebeldächer, wunderlich geformten Schornsteine und das meist barock gehaltene Zierwerk der Häuser schuf, hat auch die Kirchthürme der Stadt mit allen erdenklichen architektonischen Zuthaten ausgestattet. Da sieht man Spitzchen und Säulchen, Kuppelchen und Erkerchen wie eine duftig leichte Filigranarbeit am Thurme emporranken, alles vergoldet und niedlich, wie das Spielzeug der Prinzessin in einem Kindermärchen. Die in den Niederlanden so beliebten Glockenspiele sind hier sehr zahlreich anzutreffen.

Ausserhalb der oben genannten etwa 10 km langen Singelgracht ist Neu-Amsterdam im Entstehen begriffen, dort liegt das Terrain,691Amsterdam.auf welchem die Stadt sich zu erweitern, zu dehnen beginnt, dort wurden auch schöne Parkanlagen geschaffen, unter welchen der an hübschen Partien reiche, etwa 2 km lange Vondels-Park der be - suchteste ist. Ein 1867 dem bedeutendsten niederländischen Dichter Joost van den Vondel (gest. 1679) errichtetes Denkmal ziert den schönen Park.

Der durchsumpfte Moorboden, auf welchem Amsterdam erbaut wurde, legt jedem Bau grosse Hindernisse in den Weg. Noch mehr als in Venedig, wo eine starke Anschwemmungsschicht den Boden der Lagune bildet, häufen sich beim Bau der Häuser die Schwierig - keiten. In Amsterdam muss der schlammige Boden ausgehoben werden, bis man die Sandunterlage erreicht. In diese werden nun etwa 8 m lange Pfähle eingerammt und schliesslich zu einem Rost verbunden, auf dem erst die Fundamente des aufzuführenden Baues zu liegen kommen. So steht der königliche Palast, einst das Stadt - haus Amsterdams, auf einer gewaltigen Pilotenterrasse von 14.000 Pfählen. Die Rostwerke haben sich aber nicht immer als genügend widerstandsfähig erwiesen; wiederholt kamen Senkungen und Zu - sammenbrüche vor, und 1822 versank ein grosser Kornspeicher gänz - lich in dem Schlamm, nachdem das Rostwerk nachgegeben hatte. Es ist begreiflich, dass unter diesen Verhältnissen schwere Bauten sehr ge - fährliche Unternehmungen sind. Ein gefürchteter Schädling von Amsterdam ist der Holzwurm, der schon oft viele Gebäude gefährdet hat. Bei der erwähnten Bodenbeschaffenheit verschlingen der Bau, die Erhaltung und Beaufsichtigung der Brücken, Canäle, Deiche und Hafenbauten enorme Summen.

Zur Beurtheilung der äusseren Lage von Amsterdam, die bei der Schaffung der grossartigen Hafenanlagen bestimmend einwirkte, ist es nothwendig, einen Blick auf dieselbe zu werfen.

Die Stadt liegt, wie unser Uebersichtskärtchen von Ymuiden zeigt, an der Mündung des Y und des Amstelflusses in die Zuider - see. Da nun diese letztere auf weite Strecken versandet ist und grösseren Schiffen die Zufahrt nicht gestattet, so mussten künstliche Wasserwege geschaffen werden, da anderenfalls Amsterdam vom See - verkehre ausgeschlossen geblieben wäre. Zuerst wurde zwischen 1819 und 1825 der grosse, 80·4 km lange Nord-Holland’sche Canal mit einem Kostenaufwande von 8 Millionen Gulden geschaffen. Derselbe verbindet den Hafen von Helder mit Amsterdam und mündet, nachdem er die ganze Provinz Nord-Holland durchzogen, mittelst des gross - artigen Kunstbaues der Willemsschleusse gegenüber dem Central -87*692Der atlantische Ocean.bahnhofe in das Y. Der Canal ist durchwegs 5·5 m tief und oben 35 40 m, an der Sohle aber nur 10 m breit.

Am nördlichen Ende dieses Canals liegt bei Helder der Hafen - platz Nieuwe-Diep (Willemsoord) mit dem Seearsenale und der Ca - dettenschule der holländischen Kriegsmarine.

Der wachsende Verkehr von Amsterdam, die zunehmende Grösse der Schiffe und die Nothwendigkeit einer Abkürzung der Canalfahrt führten bald zur Verwirklichung des alten Projectes eines Durchstiches der schmalsten Stelle der nordholländischen Halbinsel. So entstand, nachdem die Arbeiten im Jahre 1865 begonnen hatten, der ungefähr 27 km lange Noordzee-Canal, welcher am 1. November 1876 dem Verkehre übergeben wurde. Wie unser Plan von Ymuiden zeigt, hat der Canal eine Breite von 68 bis 125 m, vor Amsterdam von 275 bis 1100 m; die Tiefe unter Canalwasser ist wenigstens 7·70 m zwischen Amsterdam und Ymuiden und 4 m zwischen Am - sterdam und Schellingwoude. Zwischen Amsterdam und Ymuiden wird als grösste Tauchung der Schiffe bei dem gewöhnlichen Canalstande 7 m zugelassen.

Zum Schutze der Canalmündung an der Nordseeküste wurde gleichzeitig ein grosser Kunsthafen geschaffen, dessen beide Wellen - brecher je 1880 m Länge haben und eine Einfahrtsöffnung von 260 m bilden, welche durch zwei Leuchtfeuer markirt ist.

In das 100 ha grosse Bassin dieses Hafens mündet der Caual.

Drei Kunstschleussen, wovon zwei Schiffschleussen sind, sperren denselben ab, und zwar eine grosse von 18 m und eine kleine von 12 m Durchlassbreite, bei 7·40 m und 4·45 m Tiefe unter Canalstand. An den Schleussen ist der Ort Ymuiden, der gegenwärtig etwa 1500 Einwohner zählt, entstanden, und wurde derselbe mit der Eisen - bahnstation Velzen der holländischen Bahn in Verbindung gebracht. Ebenso verkehrt zwei - bis dreimal im Tage eine Dampfschiffahrts - unternehmung nach Amsterdam.

Bald zeigte sich infolge des Anwachsens der Dimensionen der Seeschiffe die grosse Schleusse von Ymuiden und die Wassertiefe des ganzen Canals für die Bedürfnisse der Schiffahrt ungenügend, und es musste zum Bau einer grösseren Schleusse geschritten werden. Um aber durch das neue Werk den Canalverkehr nicht zu unterbrechen, war man gezwungen, nächst Ymuiden eine Abzweigung des beste - henden Canals in einer Erstreckung von 2000 m herzustellen und auf dieser die neue Schleusse zu errichten. Dieselbe wird bei 9·2 m Tiefe unter dem gewöhnlichen Ebbestande und 9·50 m unter dem693Amsterdam.Canalstande eine Breite von 25 m und eine Schleussenkammer von 225 m Länge erhalten. Der Canal soll auf 8·5 m Wassertiefe unter Canalstand und der Hafen von Ymuiden auf 8·70 m unter dem ge - wöhnlichen Ebbestande gebracht werden. Zugleich ist bei Ymuiden der Bau eines Fischerhafens mit 4·20 m Tiefe unter dem gewöhn -

Amsterdam-Nordseecanal und Ymuiden (Sonden in Metern).

A Zufahrt zum Ymuidenhafen, A1 nördl. Wellenbrecher, A2 südlicher Wellenbrecher, B Nord-Crib. B1 Süd-Crib, C Dükdalben, D Nordseeschleusse des Canals, D1 Caualabzweigung zur neuen Schleusse, D2 projectirter Fischerhafen, E Gaswerk, F Leuchtfeuer, G Zollamt, H Rettungsbootstation, J Land - marken, K Amsterdam-Nordseecanal, L Nord-Holland-Canal, M weissschwarze Boje, M1 Boje mit Pfeife, N Wrack.

lichen Ebbestande projectirt. Die erwähnten Arbeiten bei Ymuiden sind gegenwärtig in Ausführung begriffen, werden eine Summe von mehr als fünf Millionen Gulden erfordern und, wie man hofft, 1892 beendigt sein.

Durch den Noordzee-Canal hat die Lage Amsterdams als See -694Der atlantische Ocean.handelsplatz wesentlich gewonnen, welche Thatsache aus dem Ver - gleiche mit anderen Häfen der Nordsee am besten hervorgeht. Es liegen Amsterdam 25 km, Rotterdam 31, Antwerpen 75, Bremen 75 und Hamburg 112 km vom Meere entfernt. Am günstigsten ist Bre - merhaven an der Wesermündung situirt.

Wenden wir uns nun zu den grossartigen Hafenanlagen von Amsterdam, welche theils durch den Staat, theils durch die Gemeinde mit grossen Kosten hergestellt worden sind.

Das Centrum der Anlagen bilden die drei hergestellten Stations - eilande (D, E, G), auf deren mittlerem die Centralstation (Cen - traal-Spoorweg-Station) errichtet wurde. Am nördlichen Quai (De Ruyter Kade) dieser Insel befinden sich die Anlegeplätze der auf der Zuidersee nach Ymuiden und Nordholland, ferner nach Hull und Leith verkehrenden Dampfer. Die östliche Insel ist auch der End - punkt des königlich westindischen Maildienstes. Beiderseits der Sta - tionseilande liegen die Oster - und Westerdocks (K, H), welche für die Umladeoperationen der minder grossen Seeschiffe in die Fahr - zeuge des Binnengewässerverkehres dienen und durch eine günstige Lage sich auszeichnen.

Gegen Osten liegt der grosse neue Handelsquai (C) mit dem Binnenhafen für die Lastfahrzeuge, der seit 1885 mit hydraulischen Lademechanismen und einem fixen Krahn von 30 t Hebekraft ausge - stattet und zum grössten Theile dem Betriebe übergeben ist. Der Handelsquai ist für die grossen Ostindiendampfer etc. bestimmt und wurde 1881 eröffnet. Hieran schliesst sich die geräumige Dijks - gracht (L) und dann das grosse Bassin der Kriegsmarine mit dem Arsenal (M). Südlich desselben sind die beiden Kattenburger - und Wittenburgergrachten (L1, L2) und das langgestreckte Bassin der Nieuwe Vaart (Neue Fahrt) (N) entstanden, welch letzteres an der Nordseite mit hydraulischen Krahnen, Waarenmagazinen u. dgl. durch die holländische Eisenbahn - und die königliche Dampfschiffahrts - Gesellschaft eingerichtet wurde, woraus diese für ihre europäischen Linien Nutzen zieht. Die Südostseite der Vaart hat die Niederlän - disch-rheinische Eisenbahn-Gesellschaft mit allen erforderlichen Me - chanismen ausgestattet. Seit 1874 wurde dieses Bassin durch die Gemeinde vertieft und für Seeschiffe eingerichtet. In Verbindung mit der Vaart steht das dem Staate gehörende Entrepôtdock (O) mit ausgedehnten Speichern. Dieses Entrepôt hat 14·6 ha Fläche, bei 4 ha Bassinoberfläche, 1·7 km Quaientwicklung und 140.000 m2 Speicherfläche.

695Amsterdam.

Ostwärts des Handelsquais liegt der Eisenbahnhafen (siehe den Plan des östlichen Hafentheiles) Spoorwegbassin mit 7·5 m Tiefe, welcher, für die Erz - und Kohlenumladung und Rohstoffe bestimmt, an der Nordseite der ganzen Länge nach, an der Südseite aber nur auf 200 m Länge mit einer Quaimauer versehen ist. Seit 16. April 1880 wird die Nordseite von der holländischen, die Südseite aber von der Niederländisch-rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft verwaltet. Das Bassin ist mit Dampfkrahnen und Dépôts ausgestattet und durch Schienenwege mit allen einmündenden Bahnen verbunden. Bereits 1879 konnten die Schiffe der Dampfschiffahrtsgesellschaft Neder - land von hier aus nach Indien abdampfen.

Nächst der Einmündung des Spoorwegbassin läuft die grandiose Abdämmung des hier 1 km breiten Y gegen die Sturmfluten der Zuidersee. Der Damm enthält nächst Schellingwoude die schönen Oranienschleussen (Oranjesluizen), wovon die grosse bei 18 m Breite auf 4·2 m unter den Ebbestand geführt ist und Kammern von 96 m Länge enthält. Die beiden kleinen Schleussen sind 14 m weit, 4·2 m unter dem Ebbestand und haben Kammern von 73 m Länge. Durch diese Schleusse verkehren die Zuiderseedampfer und kleinen See - schiffe. Eine Entwässerungsschleusse dient zur Regulirung des Wasser - standes. Die Schleussenanlagen beanspruchten mehr als 5 Millionen Gulden an Bauauslagen.

An der Ostseite des Dammes ist das Bassin des neuen Merwede - canales im Bau begriffen. Dieser Canal wird Amsterdam mit Utrecht und dadurch mit dem Rhein verbinden.

Im Westen der Stationseilande liegen die Suezcanal-Ladeplätze (H1), welche, 1877 erbaut, seit 1880 von der Niederländisch-rheini - schen Eisenbahn-Gesellschaft betrieben werden. Hievon hat einen dermalen die Niederländisch-amerikanische Dampfschiffahrts-Gesell - schaft in Gebrauch.

Hieran schliesst sich (siehe Plan des westlichen Hafentheiles von Amsterdam) der grosse Holzhafen (Hout-Haven), dessen östliche Bassins auch für die Umladung von sonstigen Waaren, hauptsäch - lich der nach Nordholland bestimmten, dient, sowie auch für die Ein - lagerung der Waaren in die an der Westseite der Stadt gelegenen Speicher, oder Ueberschiffung in die Fahrzeuge der Binnengewässer verwendet wird. Der Holzhafen wurde 1873 bis 1876 erbaut und 1878 bis 1883 erweitert. Mit dem zugehörigen Terrain nimmt er eine Fläche von 126 ha ein.

Noch weiter im Westen wurde von 1885 bis 1889 der geräu -696Der atlantische Ocean.mige Petroleumhafen erbaut, in welchem 14 transatlantische Dampfer Platz finden. Tiefe 8·2 m.

Noch verfügt Amsterdam über die grosse Wasserfläche des Y (Gesammtfläche des Y 645 ha), von welcher 42 ha nördlich des Handelsquai auf 7 m und östlich davon 16 ha auf 5 m Wassertiefe ausgebaggert wurden und als Umladeplätze für an Bojen vertäute Schiffe verwendet werden.

Betrachtet man nun die gesammte Entwicklung der Hafen - installationen, so ergibt sich, dass Amsterdam ohne Einbeziehung der Brouwers -, Prinsen - und Singelgrachten und der Amstelquais, welche dem binnenländischen Verkehre dienen, dann der Dijk -, Kattenburger - und Wittenburgergrachten und anderer, welche den Fabriken und Werften dienen, 137 ha taugliche Bassinoberfläche für die grosse und kleine Seeschiffahrt besitzt. Rotterdam hat (ohne Rheinhafen) 69·6 ha, Antwerpen 71 ha, Bremerhaven 22 ha, Hamburg 139 ha Bassin - fläche, wobei die Rheden in den Flüssen nicht einbezogen sind. Davon entfallen für die grosse Schiffahrt in Amsterdam mit Aus - schluss des Entrepôtdocks 105 ha und 2·6 km Quais, Rotterdam 49·5 ha und 7·6 km, Antwerpen 65 ha und 7·6 km, Bremerhaven 22 ha und 4·3 km, Hamburg 156·7 ha und 11·4 km Quais. Rechnet man die Wall - oder Dammböschungen, insoweit diese als Landungsplätze verwendbar sind, hinzu, so vergrössert sich die Quaislänge in Amster - dam um 1·5 km.

Der grossen Schiffahrt dienen in Amsterdam die Oster - und Westerdocks, die Nieuwe Vaart, das Eisenbahnbassin, die Liegeplätze östlich vom Holzhafen, die westlichen Bassins desselben und der Petroleumhafen.

Es gibt übrigens nur wenige Bassins für die grosse Schiffahrt, welche mit Quais oder Rostwerken für das Laden und Löschen aus - gestattet sind. Einige derselben haben Wälle in Böschung, welche Form gewöhnlich bei den Holz - und Petroleumhäfen vorkommt, aber auch für jene Bassins gewählt wurde, die ausschliesslich für die Um - ladung der Waaren in Lichter - und Flussfahrzeuge dienen, wo acco - stable Wälle entbehrt werden können.

Amsterdam besitzt ferner an Quais und Ladeplätzen längs der Canal - und Flussufer 3 km Länge, Rotterdam 6·1, Antwerpen 3·5 und Hamburg 1·8 km Länge. Dazu kommen in Amsterdam noch 4 km Länge an der offenen Hafenfront für den Verkehr auf den Binnen - gewässern.

Wie sehr der Verkehr von Amsterdam durch die Herstellung[697]

Hauptplan von Amsterdam (Massstab 1: 32.800; Sonden in Metern).

A Zufahrt zum Nordseecanal, A1 Petroleum - hafen, B Zufahrt zur Zuidersee, B1 Nord - Holland-Canal, C Handelsquai, D östliche Stationsinsel, D1 Anlegeplätze der Dampfer, E Central - (Eisenbahn -) Stationsinsel, G westliche Stationsinsel, H Westerdock, H1 Suezcanal-Anlegeplätze, J Damrak, K Osterdock, L Dijks Gracht, L1 Katten - burger G., L2 Wittenburger Gracht, M Rijks - arsenal (Kriegsmarine), N Nieuwe Vaart, O Entrepôtdock, P Kloveniersburgwal, Q Binnenamstel, R Heerengracht, S Kei - zersgracht, T Prinsengracht, U Lijngbaans - gracht, V Singelgracht, W Gedempte Voor - burgwal, X Paleis voor Volksvlijt, Y Station der rheinischen Eisenbahn, Z Kwakers Poel. 1 Königl. Palais, 2 Regynhof, 3 Athenäum (Univers. -Bibl. ), 4 Börse, 5 Bank, 6 Uni - versitätsgebäude, 7 Justizpalast, 8 Staats - bibliothek, 9 Leesmuseum, 10 Reichs - museum, 11 gr. Theater, 12 Post - und Telegraphenamt, 13 Zeemanshoop. 14 Ka - valleriekaserne, 15 Oranje Nassau-Kaserne, 16 Kweekschool v. d. Zeevart, 17 Reichs - entrepôt, 18 Hospital, 19 Zellen-Ge - fängniss, 20 Schreyerstoren, 21 Schleussen - brücke, 22 Geschut. Werf der Marine, 23 Diamantschleiferei, 24 neue Kirche, 25 alte Kirche, 26 Amstelkirche, 27 Inselkirche, 28 Nordkirche, 29 Ostkirche, 30 Westkirche, 31 Zuiderkirche, 32 Walenkirche (alt), 33 Walenkirche (neu), 34 Englsch. Episcop. - K., 35 Ev. Luth. K. (neu), 36 Remonstranten K. 37 Chr. Afgescheiden-K., 38 H. Antonius v. Padua, 39 H. Ignatius, 40 H. Joseph, 41 Onze Lieve Vrouwe-K., 42 H. Thomas v. Aquinem, 43 Jansenisten-K., 44 armenische K., 45 griechische K., 46 hochdeutsche Syna - goge, 47 portugiesische Synagoge, 48 Ge - dempt Damrak, 49 Waterlooplatz, 50 Fried - richsplatz, 51 Rembrandtplatz, 52 neuer Markt, 53 Marnixstrasse, 54 Kerkstrasse, 55 Weesperstrasse, 56 Westerstrasse, 57 Bloemstrasse, 59 Muiderthor, 60 Weesper - thor und - Platz, 61 Weteringthor, 62 Zaag - thor, 63 Wilhelmsthor, 64 Kettenbrücke, 65 neue Brücke, 66 zoologischer Garten, 67 Park, 68 Vondelpark, 69 Buitengasthaus, 70 Gaswerke, 71 östl. Friedhof, 72 westl. Friedhof.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 88698Der atlantische Ocean.des Nordseecanals und durch die grossen Hafenbauten zugenommen hat, erhellt aus nachfolgender Zusammenstellung:

Vor Eröffnung des Canales liefen in Amsterdam im Mittel jährlich 4000 Schiffe mit ungefähr 4·6 Millionen Cubikmeter ein und aus. Dagegen passirten die Schleusse von Ymuiden

  • im Jahre 1883 .... 5594 Schiffe mit 5,437.291 m3
  • 1886 .... 5942 6,253.125
  • 1887 .... 6256 8,214.732
  • 1888 .... 6859 8,653.521
  • 1889 .... 6794 8,891.011

In diesen Zahlen sind auch die Fischerfahrzeuge einbegriffen.

Durch die Oranienschleusse verkehrten nach beiden Richtungen

  • im Jahre 1884 .... 120 Seeschiffe mit 56.451 m3
  • 1886 .... 67 38.170
  • 1887 .... 56 27.260

Dieselbe Schleusse passirten nach beiden Richtungen

  • im Jahre 1883 .... 91.216 untergeordnete Fahrzeuge
  • 1886 .... 85.207
  • 1887 .... 89.406
  • 1888 .... 77.546

Die Seeschiffe für sich betrachtet, liefen in Amsterdam ein:

  • im Jahre 1877 ...... 1540 Schiffe mit 1,768.520 Netto-Tonnen
  • 1880 ...... 1614 2,143.392
  • 1883 ...... 1607 2,635.806
  • 1886 ...... 1576 2,692.162
  • 1887 ...... 1600 2,686.330
  • 1888 ...... 1576 2,779.200
  • 1889 ...... 1642 2,833.000

Seit dem Jahre 1886 wird der Netto-Tonnengehalt gewonnen, wenn man die Brutto-Tonnen durch 1·375 dividirt. Dieser Coëfficient bildet die Grundlage für die Gebührenbemessungen des Staates und der Gemeinde.

Am Nordufer des Y liegt das grosse schwimmende Dock, welches zu Ehren der Königin Emma 1·879 den Namen Koninginnen - dock erhalten hat und der Amsterdamer Dockgesellschaft gehört.

Dasselbe hat 122 m Länge, 28 m Breite und kann Schiffe bis zu 5·2 m Tauchung und bis zu einem Gehalte von 4000 t aufnehmen. Vier andere Docks befinden sich in der Dijksgracht und im Wester - dock.

Für die holländische Kriegsmarine dienen die Docks und Werften699Amsterdam.des Seearsenals. Dieses Etablissement gehörte einstens der ostindi - schen Compagnie; dort rüsteten im XVII. Jahrhundert die berühmten Admirale de Ruyter und de Tromp die siegreichen Flotten aus.

Die Handelsthätigkeit des nördlichen Theiles der Niederlande setzt etwas später ein als die des heutigen Belgien.

So entstand auch Amsterdam erst um 1204, und der damals angelegte Damm (niederländisch Dam) gab der Stadt den Namen und bildet auch in der Gegenwart noch ihren Mittelpunkt.

Gysbrecht II., Herr von Amstel, erbaute damals ein festes Schloss am Dam. Um 1275 erlangte Amsterdam die Zollfreiheit für Holland und Zeeland und im XIV. Jahrhundert nahm es, nachdem 1311 die Vereinigung mit Holland voll - zogen war, viele Brabanter Kaufleute auf.

Und zweihundert Jahre später, 1411, verliessen die Häringe die Küste Schoonens und zogen sich nach der holländischen Küste; die deutsche Hansa war dadurch schwer geschädigt, die Grundlage der Blüthe der an dem Zuider-See ge - legenen Städte Nordhollands gesichert.

Kaiser Maximilian I. verlieh 1490 der Stadt die kaiserliche Krone als Helmschmuck des Stadtwappens. Damals, in der Zeit der grossen Entdeckungen, da die Welt vertheilt wurde, wussten die Holländer zuzugreifen, damals legte Amsterdam den Grund zu seiner nachherigen Bedeutung für den europäischen Handel, und seine Verhältnisse wurden nach der Losreissung Nordhollands von dem niederländischen Reiche der Habsburger so gut entwickelt, dass die Stadt 1585 unvermittelt an Stelle Antwerpens die Leitung des Welthandels antreten konnte. Von Moriz von Oranien begünstigt, dehnte sich Amsterdam von 1585 1595 fast um das Doppelte aus.

Durch die rücksichtslose Sperrung der Schelde sicherte man sich vor dem Wiederaufleben des nun spanischen Antwerpen, dessen reichste und tüchtigste Kaufleute nach Amsterdam zogen. In wenigen Jahren war die Handelssuprematie der Generalstaaten organisirt und durch die Gründung der holländisch-ostindischen Compagnie am 20. März 1602 besiegelt; die Hälfte der Antheile der Gesellschaft blieb Amsterdam vorbehalten.

Durch Philipp II. von dem Besuche des Gewürzmarktes von Lissabon aus - geschlossen, gründeten die Holländer mit Hilfe dieser Compagnie ein eigenes Colonialreich in Indien, das in verkleinertem Umfange heute noch fortblüht, einen grossen Theil des holländischen Handels nährt und, Dank einer musterhaften Ver - waltung seit jenen Tagen Holland ungezählte Millionen eingetragen hat.

Die niederländisch-westindische Compagnie von 1621 regelte den Verkehr mit Westafrika, den in der Gegenwart noch zahlreiche holländische Factoreien betreiben und der durch die Gründung der Neuen afrikanischen Handelsgesell - schaft weiter entwickelt wird.

Von dem grossen Reich der Compagnie in Amerika sind nur Surinam und einige Inselgruppen im Besitze der Holländer geblieben.

Auch in England, in Nordeuropa, in der Levante und im Gebiete des Rheins und Mains dominirte der Einfluss der Holländer.

Amsterdam war der Mittelpunkt dieses Welthandels, der Sitz zahlreicher Fabriken, Assecuranzen und Geldinstitute, unter denen die 1609 gegründete Giro - bank hervorragte.

88*700Der atlantische Ocean.

Die Stadt bereicherte sich durch einen ausgebildeten Commissionshandel, durch ein weitverzweigtes Frachtengeschäft, das seine zahlreichen Handelsschiffe vermittelten.

Reiche Ausländer übertrugen ihr Vermögen nach Holland, weil die Am - sterdamer Bankeinlagen arrestfrei waren.

Die Vorherrschaft im Handel, in erster Linie im Zwischenhandel, verlor das menschenarme Holland seit der Navigationsacte Cromwell’s allmälig an Eng - land, aber ein hervorragender internationaler Geld - und Diamantenmarkt ist Amsterdam noch in unseren Tagen, obwohl die französische Revolution seinem Reichthume und jenem des Landes schwere Wunden geschlagen hat.

Nach dem Sturze der batavischen Republik (1806) wurde Amsterdam 1808 die Residenz des Königs Ludwig Napoleon.

Westlicher Theil des Hafens von Amsterdam (Massstab 1: 43.100; Sonden in Metern).

A Zufahrt zum Nordseecanal, B Zufahrt nach Amsterdam, C Zijcanal, D Petroleumhafen, E Scheepslig - plaats (Liegeplätze) für Schiffe, G Fluthafen, H Westerdock, H1 Suezcanal-Anlegeplätze, J Holz - hafen (Hout H.), K Königsdock, L Westercanal, M Realengracht, N Eilandsgracht, O Brouwersgracht, P Inselkirche, Q westl. Friedhof, R Wilhelmsthor, S westl. Stationsinsel.

Als 1815 der Weltfriede hergestellt war, wurde Amsterdam durch den Bau des grossen nordholländischen Canals und später des Nordseecanals mit grossen Geldopfern vor dem Schicksale bewahrt, ebenfalls eine der todten Städte an der Zuidersee zu werden, wie Hoorn oder Enkhuizen.

Die Abschaffung der Gebühren auf dem Nordseecanal hat den Hafen sehr billig gemacht, die 1892 zu erhoffende Vollendung des sogenannten Merwedecanals von Amsterdam südwärts über Utrecht zum Leck und zur Merwede sichert ihm eine bequeme Wasserstrasse zum Rhein und damit eine wohlfeilere Verbindung zu einem grossen Theile seines Handelsgebietes, als die Eisenbahnen sind. Mit stolzen Hoff - nungen mag die Hauptstadt der Niederlande der Zukunft ihres Handels entgegen - sehen, der in der Hauptsache auf den niederländischen Colonien in Ostindien und auf dem deutschen Hinterlande beruht. Die Vermehrung der regelmässigen Dampfschiffsverbindungen Amsterdams zeigt, dass man dem neuen Wasserweg zum701Amsterdam.Rheine grössere Mengen von Gütern zuführen will, als heute Amsterdam zur Ver - fügung stehen.

Amsterdam zählte am 1. Jänner 1890 eine Bevölkerung von 406.300 Einwohnern, worunter etwa 80.000 Katholiken und 34.000 Juden. Die Stadt nimmt einen Flächenraum von 3262 ha ein.

Gross ist die Zahl ihrer öffentlichen Gebäude und Kirchen, und berühmt ist die Stadt wegen der bedeutenden Menge ihrer Wohlthätig - keitsanstalten und Kunstsammlungen, die Schätze von unberechen - barem Werthe bergen.

Oestlicher Theil des Hafens von Amsterdam (Massstab 1: 43.800).

A Zufahrt nach Amsterdam, B Oranjeschleusse (Zufahrt zur Zuidersee), C Handelsquai. D Dijksgracht, E Wittenburgergracht, G Oostenburgergracht, H Eisenbahnbassin, J Nieuwe Vaart, K Loozingscanal, L Merwedecanal, M russisches Petroleumentrepôt, N Oranje-Nassaukaserne, O Dapperstrasse, P Ost - friedhof, Q Ostpark, R Gaswerk, S Ringstoot, T project. Rheincanal n. Utrecht, U Hydraulik, V Exercir - platz, W Militärschiessplatz, X israelit. Friedhof, Y Viehmarkt, Z Ostbahn.

Der Centralpunkt des sehr animirten städtischen Lebens ist der sogenannte Dam, ein weiter Platz, welchen das königliche Palais (1), die neue Kirche (Nieuwe Kerk, 24), die Börse (4) und andere Gebäude umgeben.

Der Platz bildet die Fortsetzung des 1880 verschütteten Theiles der Damrakgracht (Gedempte Damrak, 48), auf dem der Bau einer neuen Börse im Zuge ist. Das ist derselbe Dam, an dessen Stelle die ersten Bauten von Amsterdam entstanden waren.

702Der atlantische Ocean.

Das älteste Gebäude am Dam ist die neue Kirche, welche zu den schönsten Kirchen von Holland zählt und in der Zeit von 1408 bis 1470 im spätgothischen Style entstanden ist. Wiederholten Bränden und Zerstörungen ausgesetzt gewesen, wurde die Kirche stets wieder hergestellt.

Das Innere derselben enthält vielerlei Kostbarkeiten und besitzt in mehreren Denkmälern einen hervorragenden Schmuck. Unter den letzteren sind die Denkmäler de Ruyter’s, der 1676 an den in der Schlacht bei Syracus erhaltenen Wunden starb, des Viceadmirals W. Bentinck, welcher 1781 in der Schlacht an der Doggersbank gefallen ist, und andere bemerkenswerth.

Das königliche Palais stammt aus der Zeit 1648 bis 1655 und wurde gleich nach Abschluss des westfälischen Friedens als Rath - haus erbaut. Es ist ein hervorragender Bau mit reichem plastischen Schmuck. 1808 wurde das Gebäude die Residenz des Königs Ludwig. Der volle Glanz des reichen Gemeinwesens, welches das Bauwerk errichtet und geschmückt, kommt im Innern desselben zum Vorschein.

Von der Höhe des Thurmes, den, wie bereits erwähnt, ein goldenes Schiff ziert, geniesst man einen herrlichen Ausblick auf Stadt, Land und See.

Man gewahrt auch das freundliche Städtchen Zaandam im Nordwesten von Amsterdam, wo der Czar Peter der Grosse 1697 auf der Werfte des Mynheer Kalf als Zimmermann arbeitete und die Schiffbaukunst erlernte. Das vom Czar damals bewohnte Holzhaus ist noch erhalten und bildet einen Attractionspunkt von Zaandam, welches Städtchen übrigens auch den Ruf besitzt, unter seinen 13.000 Einwohnern viele Millionäre zu zählen.

Vor dem königlichen Palais erhebt sich am Dam das hohe 1856 vollendete Denkmal zur Erinnerung an die während des belgi - schen Aufstandes 1830 1831 bewiesene Treue des holländischen Volkes.

Das gegenwärtige Rathhaus wurde aus dem ehemaligen Admi - ralitätshof geschaffen.

Die Börse wurde 1845 vollendet und ist ein ansehnliches säulengeschmücktes Gebäude, welches auf einem Rostwerk von 3470 Pfählen ruht. Eine eigenthümliche Sitte ist es, dass alljährlich wäh - rend einer Woche die Börse den Kindern als Spielplatz freigegeben wird. Der Gebrauch soll daran erinnern, dass 1622 ein geplanter Ueberfall der Spanier durch Knabenspiel beizeiten entdeckt und ver - eitelt wurde.

703Amsterdam.

Eines der ältesten Bauwerke von Amsterdam ist die alte Kirche (Oude Kerk, 25), welche im Jahre 1300 im gothischen Style erbaut wurde. Sie birgt unter anderem Schmuck die Denkmäler der Admirale Heemskerck (berühmter Seefahrer, gest. 1607 in der Seeschlacht bei Gibraltar), van der Hulst (gest. 1666), Sweers (gest. 1673), van der Zaan (gest. 1669), Cornelis Jansz (gest. 1633) und jene anderer be - rühmter Männer und Frauen.

Von höchstem Interesse sind die wissenschaftlichen Anstalten und Kunstsammlungen. Einen ehrenvollen Platz nimmt die von 600 Studirenden besuchte Universität ein, die über reich dotirte natur - wissenschaftliche Anstalten verfügt, von welchen der prächtige bota - nische Garten (67) seiner herrlichen Palmen und seines Victoria Regia-Hauses wegen eine Sehenswürdigkeit Amsterdams ist. Die Uni - versitätsbibliothek besitzt neben 100.000 Bänden auch eine Samm - lung werthvoller Handschriften, und wurde ihr anlässlich der 1881 erfolgten Neuordnung die berühmte Rosenthal’sche Bibliothek mit mehr als 8000 Bänden über indische Literatur geschenkt und einver - leibt. Der 11 ha weite zoologische Garten (66) ist einer der bedeu - tendsten von Europa. Er wurde 1836 angelegt und galt lange Zeit seiner seltenen Thierexemplare wegen als der berühmteste seiner Art auf dem Continente; er enthält auch gegenwärtig noch eine reiche Sammlung lebender Thiere aller Classen, sowie interessante Präparate, ein ethnographisches Museum, Aquarium u. a.

Bedeutend und sehenswerth ist die Salmen - und Forellenzucht des zoologischen Gartens. Alljährlich werden hunderttausende der jungen Fische in den Flüssen Hollands in Freiheit gesetzt.

Wahre Glanzpunkte Amsterdams sind die Museen, vor allem das in altholländischem Renaissancestyl 1877 1885 erbaute imposante Rijksmuseum (11), welches mit reichem plastischen und Mosaik - schmuck ausgestattet und von Gartenanlagen umgeben ist. Dasselbe enthält höchst interessante und kostbare Sammlungen aus allen Ge - bieten der darstellenden Kunst, des Waffenwesens, der Marine u. dgl. Besonders reich ist die Gemäldegallerie, die hervorragendste von Holland.

Das Kupferstichcabinet enthält eine Sammlung von 150.000 Kupferstichen, 400 Sammelwerke, viele Handzeichnungen, eine grosse Porträtsammlung u. a.

Auch das Museum Fodor, die Stiftung des 1860 verstorbenen Kaufherrn Ch. Jos. Fodor, ist durch eine schöne Collection meist moderner Werke ausgezeichnet, und nicht minder interessant ist die704Der atlantische Ocean.grosse Sammlung kostbarer Gemälde im Hause des Herrn J. P. Six, welche 1618 durch Jan Six, den Gönner und Freund Rembrandt’s, angelegt wurde.

Beachtenswerth ist die historische Gallerie des Malervereines Arti et Amicitiae.

Ein in seiner Art hervorragendes Gebäude ist das Paleis voor Volksvlijt (X), ein 1855 1864 entstandener Bau in Eisen - und Glas - construction, dessen Hallen für Concerte, Theater, Ausstellungen u. dgl. Verwendung finden. Der grosse Saal fasst 12.000 Personen. Die zugehörigen Parkanlagen, an deren Südseite die gedeckten Gallerien mit Kaufläden und Restaurants sich befinden, sind ein beliebter Pro - menadeort geworden. Vor dem Hauptgebäude breiten sich die An - lagen des Friedrichsplatzes (Fredericksplein, 50) aus.

Zu den grösseren Plätzen der Stadt zählt der Rembrandtsplein (51), welchen das 1852 errichtete Erzstandbild Rembrandt’s ziert.

Der Waterlooplatz (49) liegt im Judenviertel von Amsterdam, einem gegen die sprichwörtliche holländische Sauberkeit sehr ab - stechenden, höchst unsauberen Stadttheil. Man unterscheidet dort por - tugiesische Juden (4000) und deutsche Juden (30.000), welchen zehn Synagogen zur Verfügung stehen. Die grösste derselben gehört den portugiesischen Juden und wurde als Nachbildung des salomonischen Tempels 1670 erbaut und reich ausgestattet. Es gab eine Zeit, wo die Juden, in Amsterdam tolerant aufgenommen, die Stadt als zweites Jerusalem priesen. Bekannt ist, dass einer der schärfsten Denker, Baruch Spinoza, der Philosoph, 1632 zu Amsterdam geboren, der Sohn eines portugiesischen Juden war. Die Juden besassen in alter Zeit das Geheimniss der Diamantschleiferei, und heute noch gebieten sie über die bedeutendsten Anstalten dieser Art (23).

Wie bereits erwähnt, ist Amsterdam durch die Hochherzigkeit und den Edelsinn der Bürgerschaft mit einer grossen Zahl von milden Anstalten ausgestattet worden. Man zählt deren mehr als 100, welche den Kranken, Siechen, Armen, Waisen, Witwen, Findlingen etc. zu Gute kommen. Hervorragend ist die 1784 gegründete und über ganz Holland verbreitete Gesellschaft zur Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt (Maatschappij tot Nut van ’t Algemeen), welche über 17.400 Mitglieder zählt und sich durch segensreiche Wirksamkeit auszeichnet.

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun der nährenden Ader Amsterdams, dem Handel zu, so müssen wir vor allem feststellen, dass wir nach der Natur des Handels von Amsterdam mit der Einfuhr beginnen müssen.

705Amsterdam.

Für den Amsterdamer Markt sind Colonialwaaren ostindischer Herkunft von ausschlaggebender Bedeutung. Die Nederlandsche Handels-Maatschappij bringt auf holländischen Schiffen 21 / 42 der Regierungsproducte von Niederländisch-Indien auf den Markt von Amsterdam, ohne dass die Kaufleute Hollands sich deshalb irgend - wie zu bemühen brauchen.

Unter den Colonialwaaren muss wieder in erster Linie Kaffee genannt werden. Es wurden eingeführt 1888 304.490 q gegen 383.230 q im Jahre 1887, wäh - rend Rotterdam 1888 um etwa 120.000 q mehr einführte. Den Stock der Amsterdamer Lager bildete früher ausschliesslich Kaffee von Java und Celebes. Aber der Rückgang der Kaffeecultur auf Java und die Einführung des Terminge - schäftes wie eines Clearinghouse in Amsterdam hatten die Folge, dass jetzt auch Brasilkaffee, speciell die Sorte Santos für Amsterdam wichtig ist. Die Auctionen von Javakaffee in Amsterdam und Rotterdam sind bei der secundären Bedeutung des Anbaugebietes von Java nur mehr für Javakaffee von entscheidendem Einflusse.

Thee aus Java, wo man glückliche Versuche mit der Anpflanzung dieses Strauches gemacht hat, kommt direct, indischer und kleine Mengen chinesischen Thees gelangen über London nach Amsterdam, wo in diesem Artikel Auctionen veranstaltet werden. Einfuhr 1888 23.610 q, 1887 23.560 q.

Mehr als die Hälfte des hier eingeführten Rohtabaks kommt aus Java und Sumatra, zum Theile auch über die englischen Besitzungen an der Malakka - strasse; ferner wird Tabak direct aus der Union, endlich über Grossbritannien, Deutschland und Belgien, Tabakfabricate von und über Bremen und Grossbritannien eingeführt. Die Einfuhr betrug 1888 206.870 q, 1887 216.290 q.

Für Rohzucker ist Amsterdam der erste Einfuhrplatz der Niederlande mit 766.280 q im Jahre 1888. Von dem eingeführten Zucker ist viel für die Raffinerien Amsterdams bestimmt. Am 15. Februar 1889 lagerten in Amsterdam 4399 q Colonialzucker, 209.036 q ausländischer und 160.532 q inländischer Rüben - zucker. Die Niederlande gehören zu den sechs grossen Producenten von Rüben - zucker in Europa.

Hier wurden 1888 ferner 26.410 q raffinirter Zucker und 26.950 q Melasse eingeführt.

Die Einfuhr von Droguen, Farbwaaren und Chemikalien erreichte 1888 258.300 q, 1887 212.160 q.

In diese Gruppe gehören Chinarinde aus Niederländisch-Indien und Gross - britannien, ferner Opium, Kautschuk und auch Alaun.

Die Einfuhr von Spezereien belief sich 1888 auf 14.540 q.

Hievon kommt Cacao aus Java und Gayaquil zur Einfuhr. Ostindischer Pfeffer und andere Gewürze des indischen Archipels sind ebenfalls wichtige Handelsartikel für den Amsterdamer Markt.

Harze, besonders Kopalharze, kamen aus Nordamerika, Belgien und Frankreich; 1888 25.430 q.

Theer und Pech bringt man aus Russland, Schweden und Grossbritannien, 1888 28.070 q.

Für Baumwolle ist Amsterdam kein hervorragender Platz. Es wurden hier 1888 81.640 q eingeführt gegen 128.570 q im Vorjahre, davon kam das Meiste aus England, kleinere Mengen direct aus Amerika.

Auch Flachs und russischen Hanf schicken die englischen Häfen. EinfuhrDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 89706Der atlantische Ocean.1888 47.650 q gegen 27.130 q 1887. Wolle hat sich stark von Amsterdam nach Rotterdam gewendet.

Die Niederlande gehören unter die Staaten, welche regelmässig Getreide einführen müssen. Die wichtigste Frucht ist Roggen, der zum Theil in den Brennereien verarbeitet wird. Von diesem wurden 1888 1,293.890 q, 1887 832.270 q eingeführt, von Weizen 1888 476.711 q, 1887 598.910 q, Gerste 1888 114.900 q, 1887 129.920 q und Buchweizen 1887 noch 33.690 q aus Deutschland. Die Hauptbezugsländer für Getreide sind Russland, die Donaufürstenthümer und Amerika. Die Einfuhr aus Deutschland ist ebenfalls russischen Ursprungs.

Die Mehleinfuhr Amsterdams mit 333.510 q 1888 und 273.160 q 1887 ist bedeutend. Das Meiste kommt aus der Union und aus dem Deutschen Reiche. Im Jahre 1890 wurde hier eine Mühle nach dem Systeme von Budapest errichtet, deren Product in Ungarn mit Nr. 7 bezeichnet würde.

In Amsterdam wird Reis von Java, Japan und Rangoon gehandelt; die Einfuhr erreichte 1888 300.430 q, 1887 353.910 q. Viel grösser ist die Zufuhr in Zaandam, wo die Reismühlen als Industriezweig noch wichtiger sind als in Amsterdam, es wurden dort 1888 498.180 q eingeführt.

Sämereien und Saaten wurden 1888 733.680 q, 1887 699.010 q einge - führt. Leinsaat kommt aus Russland und Ostindien, letztere meist über England.

Wir fügen hier gleich die Einfuhr von Oel an, weil Rapsöl und Leinsaatöl aus Russland, Preussen, Belgien und Grossbritannien wichtige Artikel von Amster - dam sind.

Ueber Amsterdam geht die Hälfte der Einfuhr des Staates an frischen Früchten ins Land. Nur aus Italien findet eine stärkere directe Zufuhr statt. Einfurh 1888 91.750 q, 1887 96.160 q.

Für getrocknete Früchte ist Amsterdam der erste Platz der Niederlande mit einer Einfuhr von 213.030 q im Jahre 1888 und 270.350 q im Jahre 1887. Der grösste Theil kommt aus der Türkei, da in Smyrna eine ansehnliche hol - ländische Colonie ist, und von den jonischen Inseln.

Wein in Fässern kam 1888 in der Menge von 115.400 q aus Frankreich, Deutschland, Spanien nach Amsterdam, von Wein in Flaschen wurden 1888 12.330 q, 1887 13.290 q zugeführt, davon war der grössere Theil aus Deutsch - land; es war viel künstlicher Schaumwein darunter.

Für die Einfuhr von Schiffsbau - und Zimmerholz sind die Nieder - lande einer der wichtigsten Staaten der Erde. Denn zunächst fehlen dem Lande grössere Wälder, und dann werden bei der wenig festen Beschaffenheit des Grundes in dem überwiegenden Theile des Landes sämmtliche Hauptmauern der Gebäude auf Piloten gestellt und Stiegen und Zwischenwände von Holz auf - geführt.

Für die Holzimporte ist das 9 km nordwestlich liegende Zaandam ein Hilfshafen Amsterdams. Beide zusammen führen den dritten Theil des Holzes ein, welches die Niederlande verbrauchen. 1888 wurden in Amsterdam 1,656.150 q, in Zaandam 1,059.580 q Holz eingeführt, 1887 in Amsterdam 1,723.230 q.

Das meiste Holz kommt aus Russland und Finnland, von wo auch ein grosser Theil der Einfuhr aus Preussen stammt, dann sind zu nennen Schweden und Norwegen mit halb bearbeiteten Waaren und endlich die Vereinigten Staaten mit pitch pine Holz.

707Amsterdam.

Feines Werkholz, 1888 28.360 q, 1887 47.250 q, kommt meist indirect über Grossbritannien, Bremen und Hamburg.

Der Import von Stuhlrohr erfolgt meist direct aus Sumatra und den englischen Besitzungen an der Malakkastrasse, ferner aus Ostindien und erreichte 1888 12.930 q gegen 16.610 q im Jahre 1887.

Die Einfuhr von Fellen, Häuten, Leder und Lederwaaren betrug 1888 nur mehr 26.640 q. Rohhäute kommen aus Indien und Belgien.

Von Schmalz, Talg und Fett wurden 1888 192.450 q, 1887 170.200 q ein - geführt. In dieser Summe sind auch ansehnliche Mengen Margarin aus Oesterreich - Ungarn und den Vereinigten Staaten enthalten.

Einfuhrartikel des Mineralreiches sind Salz aus England, Portugal, Preussen (1888 57.120 q), Schwefel aus Italien und Belgien (44.707 q).

Petroleum kommt zumeist aus der Union, zum kleineren Theile auch aus Russland, Einfuhr zum Verbrauch 1888 394.960 q. In der allgemeinen Einfuhr steht Amsterdam hinter Rotterdam zurück.

Durch die Vollendung des neuen Petroleumhafens am Nordseecanal, der mit Amsterdam durch eine Eisenbahn verbunden ist und wo man Tanks miethen kann, wird der Petroleumhandel von Amsterdam sicher bald aufblühen.

Von Steinkohlen wurden aus England und auf den Binnengewässern aus Deutschland 1888 2,233.920 q zum Verbrauche eingeführt.

Erze führte Amsterdam 1888 1,466.710 q meist aus Spanien ein.

Von Metallen wurden besonders Stab - und Roh - und Schmiedeisen, ferner Banca - und Biliton-Zinn eingeführt, und zwar[zusammen] 1888 615.030 q, 1887 476.260 q, und zwar das Eisen direct aus Deutschland und aus Schweden über Deutschland, ferner aus England und Belgien.

Bearbeitete Metalle lieferten dieselben Länder, zusammen 1888 495.090 q gegen 418.710 q im Jahre 1887.

Werkzeuge und Maschinen werden aus dem Deutschen Reiche, Gross - britannien und Belgien eingeführt, 1888 58.960 q und 1887 40.740 q.

Glas und Glaswaaren kommen aus Deutschland und Belgien; Einfuhr 1888 52.360 q, 1887 48.900 q.

Papier (1888 71.620 q) senden Deutschland und Belgien.

Manufacturwaaren aller Art kamen 1888 73.030 q nach Amsterdam gegen 71.230 q im vergangenen Jahre. Deutschland lieferte davon ungefähr zwei Drittel, England und Belgien den Rest.

Die Garneinfuhr erreichte 1888 55.470 q und stammte überwiegend aus Grossbritannien.

Ebenso vertheilt sich auch die Einfuhr von Kurzwaaren auf dieselben Staaten; Einfuhr 1888 34.070 q, 1887 31.190 q.

Von geistigen Getränken sind zu nennen Bier und Malzextracte aus Preussen, 1888 43.220 q, 1887 43.200 q, Kornbranntwein, Arac, Rum etc. aus Norddeutschland (Hamburg) und den aussereuropäischen Ländern, mit 44.280 q im Jahre 1888 und 39.870 q im Jahre 1887.

Ein grosser Theil der eingeführten Rohstoffe passirt Amsterdam als Tran - sitogut, zumeist mit der Bestimmung nach Deutschland. Viele werden im Lande, zu dessen ersten Industrieplätzen Amsterdam zählt, verarbeitet. Deutsche, schweize - rische und österreichische Industrieartikel gehen in die überseeischen Länder, be - sonders in die niederländischen Besitzungen.

89*708Der atlantische Ocean.

Zu den Ausfuhrgütern der ersten Gattung gehören rohe Baumwolle (1888 36.890 q), Stuhlrohr, feine Hölzer nach Deutschland, gewöhnliche Chemikalien und Farbwaaren.

Unter den Colonialwaaren nimmt der Kaffee die bedeutendste Stelle ein mit einer Ausfuhrziffer für 1888 von 239.730 q, für 1887 184.620 q. Diese Ziffer entspricht ungefähr einem Drittel des Gesammtexports Hollands in diesem Ar - tikel. Die Ausfuhr ist nach Deutschland, den Vereinigten Staaten und nach Däne - mark gerichtet.

Für die Ausfuhr von Thee ist Amsterdam erster Platz mit einem Export von 16.640 q im Jahre 1888 gegen 12.880 q im Jahre 1887.

Ebenso entfällt von Tabak und Cigarren mehr als die Hälfte von der hollän - dischen Gesammtausfuhr auf Amsterdam, nämlich 1888 157.540 q gegen 158.210 q im Vorjahre. Diese Artikel gehen fast ausnahmslos nach Deutschland und Nord - amerika, nur geringe Quantitäten nach England und Belgien. In diesen Artikeln steht Amsterdam über Rotterdam.

Zu beachten ist ferner, dass auch grosse Mengen von Cigarren, die in Amsterdam erzeugt wurden, ausgeführt werden.

Für den Export von Zucker, der in Holland raffinirt worden ist, steht Amsterdam mit einer Ausfuhrziffer von 713.850 q im Jahre 1888 gegen 734.970 q im Jahre 1887 an der Spitze der Ausfuhr des Landes, während Rotterdam unge - fähr nur ein Drittel dieser Quantität ausführt. Dieser Zucker geht nach England, Skandinavien, an den La Plata und nach Deutschland.

Rohzucker wird weniger über Amsterdam exportirt, so 1888 nur 48.850 q.

Auch die Producte der Amsterdamer Chocoladefabriken finden Absatz auf der ganzen Welt. Ebenso sind in den Niederlanden erzeugte Oele, wie Raps - und Leinsaatöl zu nennen.

Ansehnlich ist die Ausfuhr von Gewürzen.

Die Ausfuhr von Cerealien umfasst fast ausschliesslich Reis, von der ungefähr die Hälfte der Gesammtausfuhr des Landes über Amsterdam geht, 1888 233.060 q, 1887 175.490 q. Fast der ganze Reis ist geschält und geht nach Deutschland, England und Belgien.

Bedeutender ist dafür Amsterdams Antheil an der Mehlausfuhr, da 1888 86.610 q, 1887 68.970 q nach den obengenannten Ländern gingen.

Von Saaten und Sämereien, besonders Oelsaaten, Lein - und Hanfsaat, gingen nur 53.070 q über Amsterdam ins Ausland, während 1887 der Verkehr in diesen Artikeln gleich Null war.

Frische Früchte, besonders Obst und Weintrauben, gingen 1888 28.050 q und getrocknete Früchte 92.900 q nach den obengenannten Bestimmungsländern des Mehls.

Wein in Gebinden und Fässern wurde von Amsterdam 1888 51.760 q gegen 47.270 q im Jahre 1887 und in Flaschen 1888 12.200 q gegen 12.350 q im Jahre 1887 vorab nach Niederländisch-Indien und Südamerika verschifft.

Von Getränken kommen noch zur Ausfuhr Rum, Arac, Branntwein 1888 48.810 q gegen 48.370 q im Jahre 1887 nach den Nachbarländern Belgien, Deutschland und Grossbritannien. Ein Drittel der Ausfuhr ist niederländisches Er - zeugniss.

Unter diesem ragen hervor Genever, ein Wachholderbranntwein, und Amster - damer Liqueure der dortigen weltberühmten Firmen.

709Amsterdam.

Bier und Malzextract wurden 1888 55.630 q gegen 53.440 q im Jahre 1887 nach Belgien, Niederländisch-Indien und Frankreich ausgeführt. Von der Aus - fuhr war mehr als die Hälfte deutscher Provenienz.

Die Ausfuhr von thierischen Nahrungsmitteln, deren Hauptabnehmer die Fünfmillionenstadt London ist, hat bei der ausgedehnten Viehzucht Hollands von jeher grosse Bedeutung.

So wurden noch 1887 23.000 q Butter nach England und Indien ausge - führt. 1888 gehört aber Amsterdam nicht mehr zu den wichtigeren Ausfuhrhäfen.

Dagegen ist die Ausfuhr von Käse, besonders die von Eidamer Kugelkäse, sehr umfangreich, sie betrug 75.510 q im Jahre 1888 und 76.510 q im Jahre 1887.

Aus Amsterdam wurden 1889 9505, 1888 8772 Kälber, ferner 1889 83.059, 1888 129.587 Schafe nach England gesendet.

Sonst ist noch die Ausfuhr von Häringen, Anchovis und Austern nach England mit 81.280 q 1888 und 56.820 q 1887 erwähnenswerth.

Die Ausfuhr von Industrieartikeln ist recht ansehnlich, aber nur zum Theile holländischer Herkunft.

Manufacturwaaren exportirte man 1888 61.750 q gegen 74.060 q 1887 nach Niederländisch - und Britisch-Indien und nach England.

Von der Summe des Jahres 1888 waren 38.780 q Baumwollstoffe holländische Fabricate.

Die Ausfuhr von Glas und Glaswaaren, die meist nach den niederländisch - indischen Colonien gerichtet ist, betrug 1888 nur 25.760 q und stammte nur zu einem kleinen Theile aus Holland.

Die Ausfuhr von irdenem Geschirr meist geringer Gattung und von billigem Porzellan belief sich 1888 auf 37.260 q gegen 45.360 q im Jahre 1887 und war hauptsächlich nach Niederländisch-Indien gerichtet. Auch hier ist wie in Glas Amsterdams Antheil an der Gesammtausfuhr unbedeutend.

Etwas beträchtlicher ist die Ausfuhr von Papier, besonders von Schreib - papier nach England, Belgien und Deutschland, nämlich mit 41.970 q im Jahre 1888 gegen 38.040 q im Jahre 1887, so dass hieraus eine Steigerung zu consta - tiren ist. Aber nur ein Theil stammt aus den Niederlanden.

Häute, Felle und Leder finden wir 1888 mit einem Export von 26.650 q.

Von Rohmetallen wurden Schmiede -, Stab - und Stangeneisen 1888 in der Menge von 400.200 q gegen 883.700 q im Jahre 1887 nach Belgien, England und Deutschland durchgeführt.

Die Ausfuhr von Rohzinn wird 1888 mit 20.330 q angegeben.

Bearbeitete Metalle gingen 1888 330.020 q, 1887 305.070 q zumeist nach England und den Colonien der Niederlande.

Erze kamen nur 301.230 q nach Preussen und Belgien zur Ausfuhr oder besser gesagt zur Durchfuhr.

Maschinen für die Landwirthschaft, Locomotiven und Maschinenbestandtheile gelangten 1888 nur mit 36.990 q meist nach Java und den anderen niederlän - dischen Colonien zur Ausfuhr.

Die allgemeine Einfuhr von Amsterdam erreichte 1889 975.940 t, 1888 946.544 t, die allgemeine Ausfuhr 1889 441.856 t, 1888 386.233 t.

Die Darstellung des Handels wollen wir mit der Aufzählung der Industrie - zweige Amsterdams abschliessen.

710Der atlantische Ocean.

Die Zuckerraffinerien, Chocolade -, Liqueur -, Tabak - und Cigarrenfabriken haben wir bereits genannt. Ausser ihnen sind dort eine Borax - und eine Kampher - raffinerie, Oel - und Kerzenfabriken, Bierbrauereien, Mühlen und Brotfabriken; letztere sind eine Specialität Hollands; ferner Fabriken für Segeltuch, für Gold - und Silberwaaren, Eisengiessereien, eine Reihe grosser Maschinenfabriken und Schiffbauanstalten und endlich die berühmten Diamantenschleifereien. Diese beschäftigten noch 1886 7000 8000 Arbeiter, denen an Löhnen über sechs Mil - lionen Gulden ausbezahlt wurden. Kaum der sechste Theil derselben findet momentan Arbeit, weil ein Ring der Besitzer der Diamantengruben im Caplande die Preise des Rohmateriales sehr hoch hält. Diese Krisis trifft hart die Colonie portugiesi - scher Juden in Amsterdam, die dort seit Jahrhunderten Schutz und Freiheit der Religion gefunden haben, welche ihnen in Portugal versagt waren; dafür ver - pflanzten sie die Fertigkeit, Diamanten zu schleifen, in die neue Heimat; sie wird nur noch in Antwerpen, London und New-York in grossem Style betrieben. Doch steht Amsterdam noch immer an der Spitze dieses Industriezweiges.

Der Schiffsverkehr von Amsterdam betrug:

〈…〉〈…〉

Auch im Hafen von Amsterdam entfällt der grösste Antheil an der Tonnen - zahl auf die englische Flagge (1888) mit 41 %, während die niederländische Flagge kaum 39 % erreicht und auf die nächststehende deutsche Flagge nur mehr 7·6 % entfallen; ihnen reihen sich an die norwegische und die spanische Flagge.

Amsterdam ist auch ein bekannter Auswandererhafen. Im Jahre 1889 gingen ihrer 5058 nach New-York und 2024 nach Südamerika.

Die Marine von Amsterdam bestand Ende 1889 aus 50 Segelschiffen mit 41.041 m3 und 62 Dampfschiffen mit 93.136 m3, zusammen aus 112 Seeschiffen mit 134.177 m3.

Amsterdam hat eine Reihe von regelmässigen Postverbindungen im Inlande, so nach Harlingen und Zwolle. Ebenso wichtig ist die Einrichtung einer regel - mässigen Verbindung auf Flüssen und Canälen von Amsterdam zum Oberrhein durch die Amsterdamer Reijnbeurtvaart und die Amstel-Reijn-Main - Dampf - schiffgesellschaft.

Nach New-York (3428 Seemeilen), Montevideo und Buenos-Ayres gehen von hier abwechselnd mit Rotterdam Schiffe der Niederländisch-amerikanischen Dampf - schiffahrts-Gesellschaft, nach Westindien und New-York der Koninklijke West - indische Maildienst, nach Java die Stoomvart-Maatschappij Nederland , die letztere läuft Southampton und Genua an.

Nach Niederländisch-Indien gehen ferner die Gesellschaften Java und Insulinde .

Von den zahlreichen anderen Verbindungen Amsterdams heben wir hier die mit den englischen, deutschen und nordischen Plätzen, mit Hâvre, der py - renäischen Halbinsel und der Levante hervor.

Unter den Gesellschaften, welche diesen Verkehr vermitteln, ist die wich - tigste die Koninklijke Nederlandsche Stoomboot-Maatschappij, den Verkehr mit London insbesondere vermittelt die Hollandsche Stoomboot-Maatschappij.

Amsterdam ist Knotenpunkt von fünf Eisenbahnlinien.

711Amsterdam.

Von dem Seebade Zandvort, das 27 km westlich von Amsterdam liegt, gehen zwei Kabel der Submarine Telegraph Cy. nach dem englischen Fischerei - platz Lowestof.

In Amsterdam haben sieben Banken ihren Sitz; unter diesen die Neder - landsche Bank, die Nederland-Indische Handelsbank und die Surinamsche Bank.

Consulate haben in Amsterdam folgende Staaten: Argentinien, Belgien (G. -C. ), Chile, Columbia, Dänemark, Deutsches Reich (G. -C. ), Dominikanische Re - publik, Frankreich (G. -C. ), Griechenland, Grossbritannien, Guatemala, Haïti, Italien (G. -C. ), Kongostaat, Liberia, Mexico, Monaco, Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay (G. -C. ), Persien (G. -C. ), Peru, Portugal (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz, Siam, Spanien, Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten.

[712]

Bremen.

Mit dem Namen Bremen verknüpft sich die Erinnerung an den gewaltigen Städtebund der deutschen Hansa, eine der bedeutendsten und wichtigsten Erscheinungen in der Geschichte Deutschlands. Während mehr als 400 Jahren übte der Bund der freien Hanse - städte einen gewaltigen Einfluss in commercieller und auch in poli - tischer Hinsicht in Nordeuropa aus. Als 1669 die von den Zeitver - hältnissen überholte Hansa sich auflöste, blieben als eine Art Reliquie die drei Hauptstädte als souveräne Reichsstädte übrig. Anfangs lebten sie in treuer Bundesgenossenschaft, zu welchem Verhältnisse allerdings die gemeinschaftliche freie reichsstädtische Stellung dieselben hinge - drängt hatte. Mit der Gewalt ihrer Sonderinteressen hatte die neue Zeit das Freundschaftsband der drei Städte zerrissen und verwies jede derselben, auf eigenen Wegen zu wandeln.

Doch die Geschichte hat die Rollen unter den Hauptstädten neu vertheilt. Nicht mehr die Ostsee, sondern die Nordsee und der Atlantische Ocean sind die Hauptschaubühne des Weltverkehrs, darum musste das alte Haupt der Hansa, Lübeck, sinken, und dem geographisch so ausserordentlich günstig gelegenen Hamburg fiel die commercielle Führerrolle in Deutschland zu. Bremen und das junge Bremerhaven, durch die natürliche Lage minder begünstigt, folgten am zweiten Ehrenplatz.

Da es ein Flusshafen wie die anderen Handelsmetropolen an der südöstlichen Küste der Nordsee ist, beruht die Handelsstellung Bremens auf seiner Lage an der schiffbaren Weser. Aber eingekeilt zwischen Rhein und Elbe, diesen beiden prachtvollen, bis weit ins Innere des Continentes schiffbaren Strömen, welche unter allen Ge - wässern Mitteleuropas den grössten Waarenverkehr aufweisen, kann die verhältnissmässig kurze Weser nicht recht zur Geltung kommen, sie leidet vorab im Westen unter der Concurrenz des Rheines. Was die713Bremen.Natur Bremen gegen die Landseite hin versagt hatte, ersetzte die Energie seiner Bürger doppelt gegen die See hin. Man errichtete 1827 den Vorhafen Bremerhaven für die neuen grossen Seeschiffe, die Bremen nicht mehr erreichen konnten, pflegte den Verkehr nach Nordamerika und lenkte schon früh den Strom der deutschen Auswanderung in die Union über Bremen. Als Rückfracht verlud man um billiges Geld Tabak und machte so Bremen zum ersten Tabakmarkte des Conti - nentes. Es folgten in späterer Zeit Getreide, dann Baumwolle, Reis und Petroleum. Der Norddeutsche Lloyd gab dem Verkehre nach Nord - amerika einen grossen Aufschwung, durch seine Fahrten nach Süd - amerika wurde Schafwolle für den Markt Bremen als Stapelartikel gewonnen. Die Thätigkeit von Bremer Häusern in Westafrika zog diese Länder in das Handelsgebiet von Bremen, die Errichtung der subventionirten Linien des Lloyd nach Ostasien und Australien ent - wickelte den Verkehr nach diesen entfernten Welttheilen. Neue Linien nach Vorderindien folgten, der Aufschwung, welchen Russland als Aus - fuhrland für Getreide gewonnen, förderte den Verkehr mit dem Schwarzen Meere, und eine regelmässige Verbindung Bremens mit Westindien ist schon seit Jahren ein Bedürfniss. Aber trotz Allem ist die Hauptstütze des überseeischen Handels der Verkehr mit den Vereinigten Staaten, nur tritt dieser für die Ausfuhr etwas zurück, in demselben Masse, als diese in jene europäischen Staaten grösser wird, für die Bremen disponi - render Markt ist. Dass es Bremen verstanden hat, den nordamerikani - schen Verkehr bis Oesterreich-Ungarn und Russland auf dem Wege der Eisenbahnen, die bereits 1847 eröffnet wurden, an sich zu fesseln, zeugt für die gute kaufmännische Leitung des Platzes.

Die Vereinigung mit dem deutschen Zollgebiete (15. October 1888), dem ursprünglichen und wichtigsten Handelsgebiete Bremens, muss dessen Bedeutung als Handelsplatz, noch mehr aber als Indu - strieplatz heben, die Vertiefung der Weser und die Anlage eines grossartigen Hafens seine Concurrenzfähigkeit gegenüber Hamburg im europäischen Verkehre stärken, weil sie die natürliche Ungunst der Lage Bremens beseitigt.

Die Zeit der Gründung von Bremen ist durchaus unbekannt. Die Geschichte der Stadt reicht nur bis zum Jahre 788 zurück, in welchem Karl der Grosse dort ein Erzbisthum errichtete, unter dessen Schutze Bremen in den folgenden Jahr - hunderten zu Ansehen gelangte; aber im XIII. und XIV. Jahrhundert wusste es sich der geistlichen Gewalt immer mehr zu entziehen. Unterdessen war 1241 der Hansa-Bund entstanden, welchem Bremen zwar beitrat, aber von welchem es schon 1285 ausgeschlossen und erst 1385 wieder aufgenommen wurde. Auch später musste die Stadt ihrer spröden Haltung wegen wiederholt verhanst werden. Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 90714Der atlantische Ocean.Indes ward Bremen durch die Hansa auf den Weg der politischen Freiheit und materiellen Entwicklung gelenkt und erhob sich zu grosser Bedeutung.

1522 trat die Stadt der Reformation bei, ward 1547 von einem kaiser - lichen Heer erfolglos belagert, erwehrte sich 1666 tapfer gegen die Schweden, welche seit 1648 (westfälischer Friede) das Bisthum innehatten.

1640 als freie Reichsstadt anerkannt, wusste Bremen das hohe Gut durch Klugheit und Ausdauer zu behaupten. Viel hatte die Stadt während der napo - leonischen Kriege und der Franzosenherrschaft zu leiden, doch wurde sie dadurch nicht so hart wie Hamburg betroffen.

Der gegenwärtige Aufschwung Bremens wurde durch die Gründung der rasch emporgeblühten Hafenstadt Bremerhaven eingeleitet. Das Gebiet, auf welchem dieselbe entstanden war, hatte der weitblickende Bremer Bürgermeister Smidt im Jahre 1827 von Hannover erworben. Das Gebiet von Bremerhaven bildet eine Exclave des deutschen Freistaates Bremen, welch letzterer in das Land - und Stadtgebiet zerfällt. Seit 1888 gehört Bremen dem Zollvereine an.

Bremen zählt gegenwärtig 122.000 Einwohner und breitet sich unter 53° 6′ nördl. Breite und 43′ östl. Länge von Greenwich an beiden Seiten der Weser aus.

Ein Blick auf unseren Plan zeigt uns den ehemals befestigten, von breiten gewundenen Wassergräben umgebenen Kern des älteren Bremen. Am rechten Ufer liegt innerhalb der Umwallungen die Alt - stadt mit ihren prächtigen alten Gebäuden, welche die Blüthe der Stadt im Mittelalter bezeugen; gegenüber am linken Weserufer dehnt sich die Neustadt aus. Ein Kranz belebter Vorstädte mit hübschen Neubauten hat sich namentlich um die Altstadt gelagert, und im Westen der Stadt ist der Glanzpunkt des materiellen Lebens, der schöne und geräumige Kunsthafen, entstanden.

Bremen hat seit langer Zeit die Kriegsrüstung abgelegt und tritt uns verjüngt und geschmückt wie wenige andere Städte ent - gegen. Die herrlichen Wallanlagen mit ihren landschaftlich schönen Partien, prächtigen Blumenbeeten, Monumenten und plastischen Gruppen und ihren schattigen Promenaden, die längs des Silber - bandes der von Wasservögeln belebten Gräben die ganze innere Stadt umgeben, sind in der That unvergleichlich. Die Windungen der Wassergräben zeigen die Contouren der ehemaligen Befestigung an. Sechs Uebergänge führen aus der Altstadt in die von breiten Strassenzügen durchschnittenen Vorstädte. Die wichtigsten dieser Passagen, welchen man die Namen der dort gestandenen Thore ge - geben hatte, sind: im Westen das Doventhor, nächst dem die Büste Altmann’s, dessen Werk die Wallanlagen sind, errichtet wurde; das Ansgariithor, zu welchem von der Kaiserbrücke die schöne breite Kaiserstrasse führt. Nächst dem Ansgariithore erhebt sich seit 1871715Bremen.das prächtig ausgeführte Bronzedenkmal für die 1870 und 1871 ge - fallenen Bremer von Professor Keil, ein sehenswerthes und bedeu - tendes Werk.

Weiter ostwärts liegt in der Verlängerung der Sögestrasse das Heerdenthor, durch welches man zum Centralbahnhofe gelangt. Zu - nächst ist das Bischofsthor mit dem inmitten der Anlagen freistehen - den Stadttheater, und am östlichsten liegt das Osterthor mit der Kunsthalle.

Während den Vorstädten ein durchaus moderner Charakter auf - geprägt ist, hat die Altstadt die ursprüngliche bremische Eigenart sich bewahrt. Hier stehen sie, die berühmten Geschlechterhäuser der alten Hansestadt, hochaufragend mit ihren verzierten Giebeln, und er - zählen von tüchtigem Bürgersinn und Beharrlichkeit.

In der Altstadt sind denn auch jene denkwürdigen Monumente alter Baukunst, deren Namen die Runde um die Erde machten; voran das ehrwürdige Rathhaus am Marktplatz, ein Bauwerk, welches selbst der glänzendsten der modernen Städte zur Zierde gereichen würde.

In seinem Kerne als gothischer Bau von 1405 bis 1410 er - richtet, erhielt das Rathhaus 1609 bis 1612 an der Südwestseite einen Vorbau in Renaissancestyl. Diese neuere Façade ruht auf 12 dorischen Säulen und weist einen hochaufragenden Hauptgiebel und reichgeschmückten Erker auf. Seine statuengezierten, reich durchbro - chenen Fensterfronten und die prächtige Arcadenreihe des Erdge - schosses geben dem Gebäude den Ausdruck würdigen Ernstes.

In der grossen Halle des Rathhauses wurde das Marmorstand - bild des um Bremens Blüthe hochverdienten Bürgermeisters Smidt errichtet, und Gemälde und Medaillons zieren die Wände und die Decke des weiten Raumes.

Zu einem Weltruf ist der vielbesungene Rathskeller gelangt, in welchem nur Rhein - und Moselweine Eingang finden. Hauff’s wein - duftige Phantasien im Bremer Rathskeller haben in der Reihe un - zähliger Gedichte und Lieder den Ruf der unterirdischen Räume be - gründet. Ein eigenartiges Relief bilden die prächtigen Fresken des geschätzten Bremer Malers und Dichters Arthur Fitger.

In besonderen Abtheilungen des Kellers liegen die zwölf Apostel , dickleibige, mit altem Weine gefüllte Fässer. Hauff nennt diesen Raum das unterirdische Himmelsgewölbe, den Sitz der Selig - keit, wo die Zwölfe hausen. Was seid ihr Trauergewölbe und Grüfte alter Königshäuser gegen diese Katakomben! Da liegen90*716Der atlantische Ocean.sie in ihren dunkelbraunen Särgen, schmucklos, ohne Glanz und Flitter. Kein Marmor rühmt ihr stilles Verdienst, ihre anspruchslose Tugend, ihren vortrefflichen Charakter. Dort Andreas, hier Johannes, in jener Ecke Judas, in dieser Petrus. Wen rührt es nicht, wenn er dann hört: Dort liegt der Edle von Nierenstein, geboren 1718, hier der von Rüdesheim, geboren 1726. Rechts Paulus, links Jakob, der gute Jakob! Das älteste edle Nass (vom Jahre 1615) enthält aber die Rose , welche in einem separaten Gewölbe, dessen Decke das Bild einer Rose ziert, untergebracht ist. In dem Raume wurden ehe - mals die Geheimsitzungen des edlen Stadtsenates abgehalten; daher noch heute die Bezeichnung sub rosa .

Von der Rose singt Hauff:

Vor allen Schlössern dieser Zeit
Lob ich ein Schloss zu Bremen,
An seinen Hallen hoch und weit
Darf sich kein Kaiser schämen;
Gar seltsam ist es ausstaffirt,
Mit schmuckem Hausrath ausgeziert,
Doch hat daselbst vor Allen
Eine Jungfrau mir gefallen.
*
Ihr Auge blinkt wie klarer Wein,
Ihre Wangen sind nicht bleiche,
Wie prächtig ihre Kleider sein,
Von lauter schwerem Zeuche;
Von Eichenholz ist ihr Gewand,
Von Birkenreifen ihr Band,
Das Mieder, das sie zieret,
Mit Eisen ist geschnüret.
Nur einmal, Rosamunde,
Küss mich, dass es gesunde.

Vor dem alten Rathhause erhebt sich die aus dem Beginne des XV. Jahrhunderts stammende steinerne, 5·6 m hohe Bildsäule Roland’s, das Sinnbild der städtischen Freiheit und das älteste Monument dieser Art in Deutschland.

An der Nordseite des Rathhauses wurde das grosse neue Stadthaus angebaut. Vor demselben liegt die aus dem XII. und XIII. Jahrhundert stammende Liebfrauenkirche.

Der Marktplatz besitzt in dem Wunderbau der prächtigen Börse einen herrlichen Schmuck.

Nach Heinrich Müller’s Plänen 1861 bis 1862 erbaut, ist die Börse ein reicher modern-gothischer Prachtbau mit geschmackvollen717Bremen.allegorischen Figuren. Die imposante, reich ausgestattete und mit herrlichen Wandgemälden und der Statue der Brema gezierte Börsen - halle ist höchst sehenswerth.

Zu den ältesten Bauwerken der Stadt zählt der Dom, dessen Kern, eine romanische Pfeilerbasilika, aus dem XI. Jahrhundert stammt. Die Kirche wurde durch Zubauten und Reconstructionen im Style sehr verunstaltet. Die beiden Thürme, von welchen der süd - liche 1638 einstürzte, der andere aber 1767 abbrannte, werden seit 1888 wieder aufgebaut.

Bremen.

Der Dom besitzt mancherlei sehenswerthe Ausstattung in seinem Innern, so eine schöne Kanzel, welche die viel verlästerte Königin Christine von Schweden 1654 gespendet, ein bronzenes Taufbecken aus dem XI. Jahrhundert u. a.

Interessant ist der Bleikeller, welcher die Eigenschaft besitzt, die dort beigesetzten Leichen unverwest zu erhalten. Man zeigt dort einige lederartig vertrocknete Leichname, von welchen der älteste 400, der jüngste 100 Jahre alt ist.

Der Centralpunkt des städtischen Lebens liegt im Umkreise des Marktplatzes, von wo aus die vielbegangenen Verkehrswege: die718Der atlantische Ocean.Langenstrasse gegen Stephanikirche und die die Obernstrasse zur Ansgariikirche führen. Letztere Kirche entstammt dem XIII. Jahr - hundert und wurde neuester Zeit restaurirt. Ein Altarbild von Tisch - bein und neue Glasmalereien zieren sie. Von dem 94 m hohen Thurme geniesst man eine lohnende Fernsicht.

Nächst dem Marktplatz öffnet sich der weite Platz des Doms - hof, welchen einige schöne Gebäude flankiren. Durch inneren Schmuck ausgezeichnet ist dagegen das sehenswerthe Museum.

Der dritte der belebtesten Plätze Bremens ist die Domshaide, welche das 1856 errichtete Bronzestandbild Gustav Adolf’s ziert. Das Hauptobject ist dort das stattliche, im Renaissancestyle erbaute, 1878 vollendete Postgebäude.

Die Altstadt erhält durch ihre vielen alterthümlichen Gebäude, welche zwischen modernen Prachtbauten sich erheben, eine reiche Abwechslung, und wenn man der zahlreichen Monumente gedenkt, mit welchen Bremen sich schmückte und in welchen uns der Edel - sinn seiner Bewohner entgegenleuchtet, so wird man die Stadt nicht allein bewundern, sondern auch liebgewinnen.

Vereine und Sammlungen tragen bei, das geistige Leben zu kräftigen. Der Künstlerverein hat sich ein im gothischen Style ge - haltenes Heim aufgeführt, in welchem sehenswerthe naturhistorische Sammlungen untergebracht sind; die Kunsthalle nächst dem Oster - thore enthält unter andern eine ansehnliche Gemäldegallerie und Handzeichnungen Dürer’s, das Kunstgewerbemuseum; die städtische Bibliothek erreichte einen Bestand von mehr als 100.000 Bänden u. s. w.

Einen hervorragenden und in Handels - und maritimen Ange - legenheiten massgebenden Platz im Reiche der deutschen Presse hat die Bremer Journalistik sich errungen, wie dies der Bedeutung Bremens als Welthandelsstadt entspricht.

Wir haben bereits die Ursachen berührt, welche den com - merciellen Aufschwung Bremens lange Zeit gehindert hatten, und gedachten auch der erfolgreichen Energie und des Unternehmungs - geistes der Bremer Kaufherren, welchen es gelang, die Nachtheile der ungünstigen Lage abzuwenden.

Es sind hauptsächlich drei grosse Werke, welche Bremen geschaffen hat, und zwar die Anlage von Bremerhaven, die Regu - lirung der unteren Weser zwischen Bremen und der Mündung derselben und die Errichtung eines neuen Hafens für Seeschiffe in Bremen selbst. Wenden wir uns im Anschlusse an die Schil - derung der Stadt vorerst der letztgenannten grandiosen Schöpfung zu.

719Bremen.

Der am 15. October 1888 erfolgte Anschluss Bremens an das deutsche Zollgebiet bedingte zunächst die Auflassung des Freihafens; um aber den Transitoverkehr zu erleichtern, wurde ein besonderes Freihafengebiet geschaffen, innerhalb welchem die Waaren der zoll - ämtlichen Behandlung nicht unterworfen sind. Dieses Gebiet, von ungefähr 100 ha Fläche, befindet sich, wie unser Plan zeigt, im Westen der Stadt nächst der Eisenbahnbrücke und dehnt sich westwärts bis unterhalb des Winterhafens aus (die Grenzlinien haben wir mit N bezeichnet), die Wesser nicht inbegriffen.

Auf diesem Terrain, von welchem die Stadt 55 ha angekauft hatte, wurde das neue Hafenbassin ausgehoben. Dasselbe hat, der geometrischen Form des Terrains entsprechend, eine Länge von 2 km bei einer durchschnittlichen Breite von 120 m und einer Tiefe von 6·8 m, welch letztere aber auf 7·8 m gebracht werden kann. An der Einfahrt, welche 70 m Weite hat, wurde wegen der grossen Niveauschwankungen der Weser (7 m) und angesichts der Schwierigkeit, ein so grosses Bassin zu speisen, keine Schleusse errichtet.

Beiderseits der Langseiten des Bassins wurden Hangars mit 46.600 m2 Grundfläche zur Aufnahme der Transitowaaren und hinter diesen Bauten erst die Kornspeicher und Magazine mit 14.000 m2 Grundfläche erbaut. Die Hangars haben an den vorderen und hinteren Fronten breite Perrons in Eisenconstruction, auf welchen Dampf - krahne in grosser Zahl in Betrieb gesetzt sind. Die Drehkrahne sind so eingerichtet, dass sie die Waaren aus dem Schiffsraum entweder direct in die Hangars oder in die Waggons zu schaffen vermögen.

Mit ähnlichen Krahnen werden die Waaren bis in das zweite Stockwerk der Magazine gehoben. Mehrfache Eisenbahngeleise laufen längs der genannten Bauten, und wir sehen in der ganzen Anlage ein eben so grosses wie sinnreich erdachtes und solid durchgeführtes Werk vor uns.

Der Anschluss des Schienennetzes im Freihafengebiet an die in Bremen einmündenden Eisenbahnen hat bedeutende Schwierigkeiten geboten; man musste im westlichen Stadttheile Strassen verlegen, über - setzen und theilweise sogar abbrechen.

Der hafenbau verursachte eine Materialbewegung von 2·5 Mil - lionen Cubikmetern; die Arbeiten begannen im Juli 1885 und bereits im August 1887 konnte der Schutzdamm nächst der jetzigen Ein - fahrt durchstochen werden. Bis zum October 1887 hatte die Stadt720Der atlantische Ocean.Bremen die Summe von ungefähr 25 Millionen Mark für den Hafen verausgabt.

Das grosse Bassin bietet, vom östlichsten Ende aus betrachtet, ein imposantes Bild mit prächtiger Perspective dar.

Eine Erweiterung der Hafenanlagen ist projectirt, und zwar soll westwärts des grossen Bassins an der Stelle des Winterhafens ein zweites grosses Bassin (C) erbaut werden. Ein anderes Project (D) ist bereits ausgeführt und zwar in Form eines Holz - und Fabrikshafens, der 1890 dem Verkehre übergeben wurde. Seine Länge beträgt 1500 m, die Breite 80 m und die Tiefe 6 m. Ferner besteht die Ab - sicht, die grossen Etablissements im Westen von Bremen durch einen Canal mit der Weser zu verbinden. Von den projectirten Bauten würde nur das zweite Bassin in das bisherige Freihafengebiet fallen.

Am linken Ufer der Weser mündet dort, wo die grosse und kleine Weser sich scheiden, der sogenannte Canal von Woltmers - hausen, welcher den Sicherheitshafen (K) abzweigt und dann, von der Eisenbahn übersetzt, zum Stadtgraben der Neustadt wird.

Ein schöner Anblick bietet sich dem Beschauer von einer der beiden schönen Brücken, welche die Weser zwischen der Alt - und Neustadt überspannen. Malerisch liegen die Häuserfronten, überragt von Thürmen und Hochbauten, längs der beiden Ufer, und davor regt sich die lebhafte Bewegung des Flussverkehres.

Gegenwärtig ist das grosse Werk der Vertiefung der unteren Weser in einer Ausdehnung von mehr als 60 km noch im Zuge; es wird eine Vertiefung angestrebt, welche es gestattet, den grösseren Seeschiffen mit einem Tiefgang bis zu 5 m die Zufahrt nach Bremen zu ermöglichen, ein Unternehmen, welches bei der bedeutenden Ent - fernung Bremens von dem südlich von Bremerhaven beginnenden Gebiete des tieferen Wasserlaufes der Weser mit grossen Kosten ver - bunden sein wird.

Vorderhand ist Bremerhaven noch immer die eigentliche Hafenstadt Bremens für den Verkehr der grössten Oceandampfer. Die Zufahrt von See aus bietet bei normalem Wetter keinerlei Schwierig - keiten, denn das Fahrwasser ist durch Leuchtschiffe, Leuchtthürme, Tonnen und Marken vorzüglich geklart.

Die Wesermündung liegt nächst dem Jadebusen, von welchem sie nur durch eine Barrière von Sandbänken getrennt ist. Ausserhalb der Mündung trotzt das drei Leuchtfeuer tragende Leuchtschiff Weser und 18 km östlich desselben der Leuchtthurm Rother Sand (Signalstation) den Stürmen, und 7·5 km südöstlich ist das Leucht -721Bremen.schiff Bremen , welches die eigentliche Mündung der Weser be - zeichnet, verankert. Von hier aus führt das Fahrwasser in einer Tiefe von 7 bis 16 m bei Ebbestand nach dem noch 42 km entfernten Bremerhaven. Auch diese Route ist durch Leuchtfeuer, Marken und

Neuer Hafen von Bremen.

A Winterhafen, B grosses Hafenbassin, C zweites Bassin (project. ), D drittes Bassin (vollendet), E Canal zu den Werkstätten (project. ), G Schwimmdock, H Landungsplatz, J Eisenbahnbrücke, K Zufluchtshafen, L Woltmerschausen-Can., M project. Verbindungsbahn, N Grenze des Freihafengebietes, O Waaren - magazine und Speicher, P Weserbahnhof, Q Neustadtbahnhof.

Tonnen sehr gut kenntlich gemacht. Die meisten Leuchtfeuer sind mit Nebelhorn und Nebelglocke versehen. Das tiefe Fahrwasser er - streckt sich noch bis auf etwa 15 km flussaufwärts von Bremerhaven.

An dem letzten Buge der Weser liegt unter 53° 33′ nördl. Br. Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 91722Der atlantische Ocean.und 35′ östl. Länge von Greenwich die zusehends aufblühende Stadt Bremerhaven, welche gegenwärtig bereits 16.000 Einwohner zählt; sie ist die Hauptstation der grossen Dampfschiffahrtsgesellschaft des Norddeutschen Lloyd, welcher hier seine sehenswerthen Etablisse - ments, Werkstätten und Trockendocks errichtet hat.

Das Gebiet von Bremerhaven wurde, wie erwähnt, im Jahre 1827 durch die Initiative des Bürgermeisters Smidt von Bremen käuflich erworben, und alsbald ward mit dem Baue des Hafens be - gonnen. Gegenwärtig verfügt Bremerhaven, wie unser Plan zeigt, über drei grosse Bassins, die mit schönen Kunstschleussen geschlossen sind. Der 1827 bis 1830 erbaute alte Hafen besitzt bei 730 m Länge eine Breite von 84 bis 115 m; der neue Hafen entstand in den Jahren 1847 bis 1851 und hat 840 m Länge bei 87 bis 115 m Breite; das neueste Bassin ist der Kaiserhafen , welcher 600 m Länge und 115 142 m Breite besitzt. Die Tiefe beträgt 7·6 m. Die Bassins werden für den Durchlass der Schiffe nur bei Flut geöffnet und sogleich wieder geschlossen, denn der Unterschied der Niveau - höhe der Gezeiten beträgt hier 3·6 m. Die Erweiterung des Kaiser - hafens und die Anlage einer neuen tiefen Hafeneinfahrt ist in der Ausführung begriffen.

Auch Bremerhaven erhielt ein besonderes Freihafengebiet, wel - ches die Mündung der Geeste und die vorne genannten Bassins in sich schliesst.

Ueber die Stadt Bremerhaven ist nicht viel zu berichten; sie liegt auf ebenem Terrain hinter dem hohen Damme, welcher längs des Flussufers aufgeführt wurde. Der weit sichtbare durchbrochene Thurm der Kirche der unirten Gemeinde ist das höchste Bauwerk des durch seine Sauberkeit und die fast holländische Nettigkeit seiner Häuser und Strassen ausgezeichneten Städtchens; einen schönen Anblick gewähren die beiden Leuchtthürme. Am belebtesten ist die längs des Hafens laufende Hauptstrasse, welche der Zusammenkunfts - ort der Seeleute aus allen Theilen der Erde, der von Hoffnung er - füllten Auswanderer u. dgl. ist.

Dem um die Gründung von Bremerhaven hochverdienten Bürger - meister Smidt wurde 1888 auch hier ein Denkmal errichtet.

Südwärts der Stadt gründete am linken Ufer der Geeste die ehemalige hannoveranische Regierung den Concurrenzplatz Geeste - münde und stattete selben mit einem Hafen aus, der 1863 voll - endet wurde.

Obgleich dieser mit vorzüglichen Anstalten versehen ist und723Bremen.auch ein Petroleumbassin besitzt, so hat er doch nicht jenen Auf - schwung nehmen können, dessen Bremerhaven sich erfreut. Geeste - münde ist hingegen durch seine Hochseefischerei und seinen Fisch - handel zu Bedeutung gelangt. Jüngster Zeit wurde Geestemünde mit dem nahen Geestendorf zu einer Gemeinde vereinigt, die ungefähr 15.000 Einwohner zählt.

Der Handel Bremens ist in weit grösserem Umfange Einfuhr - als Aus - fuhrhandel. Sein Einfuhrhandel beschränkt sich nur auf wenige Artikel, in diesen aber nimmt er eine Stellung ersten Ranges ein. In zwei Artikeln ist Bremen der grösste Markt der Welt, in Reis und Tabak; für Baumwolle und Indigo stellt unser Platz den ersten Markt des europäischen Festlandes dar; in Schafwolle und Petroleum rivalisirt er erfolgreich mit Antwerpen und Hamburg.

Die Gesammteinfuhr von Getreide und Hülsenfrüchten erreichte 1889 2,210.578 q (Werth 23·7 Millionen Mark). Bis auf Malz kommt fast Alles auf dem Seewege herein. Der Markt wird mit Roggen, Gerste, Hafer und Weizen zumeist von Russland versorgt, mit Mais von den Vereinigten Staaten. Ausser diesen sendet Rumänien Roggen, die europäische Türkei Weizen.

Es wurden eingeführt Gerste 1889 522.143 q, 1888 472.835 q, Hafer 1889 171.455 q, Mais 1889 497.940 q, 1888 179.266 q, Roggen 1889 803.680 q, 1888 1,077.218 q, Weizen 1889 129.243 q, 1888 nur 62.984 q. Getreide blieb früher meist in Bremerhaven, seit Vertiefung des Fahrwassers der Weser kommen aber die Schiffe nach Bremen hinauf.

Die Mehleinfuhr, welche 1889 einen Werth von 4,466.800 Mark hatte stammt aus Norddeutschland, Weizenmehl kommt auch aus Oesterreich-Ungarn und der Union. Einfuhr von Roggenmehl 1889 56.335 q, von Weizenmehl 1889 123.739 q, 1888 135.862 q.

Die Einfuhr von ostindischem, japanischem und Siam-Reis betrug 1889 2,433.570 q (Werth 36,186.424 Mark), 1888 2,511.913 q. Diese Steigerung verdankt Bremen seinen grossen Reisschälfabriken, in welchen gegenwärtig so viel Reis polirt wird, wie in London und Liverpool zusammen.

Von thierischen Nahrungsmitteln sind zu nennen Butter (1889 25.924 q) aus Norddeutschland, Käse aus Holland und der Schweiz und Schmalz aus der Union (1888 54.905 q, 1887 83.539 q).

Die Einfuhr von Fischen ist nicht bedeutend. Es mag hier erwähnt werden, dass dieselbe an der Weser über Geestemünde stattfindet, welches eine Reihe von Fischdampfern aussendet, die nach achttägigen Reisen ganz bedeutende Mengen von Speisefischen bringen, so dass von Geestemünde 1889 60.000 q frische Fische ins Inland exportirt wurden. In Geestemünde ist eine Fischauctionshalle.

Die Einfuhr von Schlachtvieh, das nach England transitirt, hat sich von einem Werthe von 6·4 Millionen Mark im Jahre 1887 auf fast 12 Millionen Mark im Jahre 1889 gehoben, die von Ochsenfleisch 1889 auf 22.406 q.

Unter den Colonialwaaren müssen wir in erster Linie Kaffee aus Brasilien (1889 43.722 q) und Centralamerika nennen. Kleine Posten kommen auch aus Domingo, Haïti, Columbien, bedeutende indirecte Zufuhren über Hamburg und Portugal, Alles zusammen 92.285 q (Werth 17,397.442 Mark) gegen 126.468 q im Jahre 1886.

91*724Der atlantische Ocean.

Die Einfuhr von Thee und Gewürzen (1889 9100 q) ist klein, viel wich - tiger die von Hopfen aus Bayern und Preussen; Einfuhr 1889 7125 q.

Von Spirituosen wurden 1889 42.728 hl (Werth 3,431.601 Mark) einge - führt. Die langsam steigende Einfuhr von Bier erreichte 1889 68.122 hl.

Von Rübenzucker wurden 1889 164.252 q (Werth 6,359.426 Mark), 1888 148.694 q, von raffinirtem 1889 55.343 q aus Norddeutschland zugeführt.

Mit der Vertiefung des Fahrwassers dürfte es möglich sein, einen Theil des Hamburger Zuckerhandels nach Bremen zu ziehen.

Wein kommt aus Frankreich (1889 44.231 hl), aus Spanien, Portugal, Oesterreich-Ungarn und Italien, zusammen 1889 81.771 hl (Werth 5,470.252 Mark), 1886 63.773 hl; der deutsche Wein (1889 10.943 hl) umfasst meist Rhein - und Frankenweine.

Tabak und Tabakstengel sind die wichtigsten Handelsartikel von Bremen.

Den Markt beherrschen durch ihre Menge noch immer die nordameri - kanischen Sorten, insbesondere Kentucky (1889 82.111 q, 1886 197.903 q), Seed - leaf (1889 53.015 q, 1888 29.624 q) und Virginia (1889 26.687 q, 1886 80.219 q), welche wie Habana -, Cuba - und Columbiatabake direct gebracht werden.

Domingotabak kommt meist über Hamburg.

Es wurden eingeführt von Habanatabak 1889 18.789 q (Werth über fünf Millionen Mark), von Domingotabak 1889 25.291 q, 1887 66.238 q.

Steigende Bedeutung gewinnen Java (1889 25.829 q), vor Allem aber das durch seine leichten Deckblätter berühmte Sumatra (1889 30.655 q, Werth 11·5 Millionen Mark).

Die Gesammteinfuhr von Rohtabak betrug 1889 406.242 q (Werth 47,261.209 Mark).

Viel davon wird in Bremen und den von ihm abhängigen Tabakfabriken verarbeitet, das Meiste jedoch wieder ausgeführt.

Die Einfuhr von Cigarren stieg 1889 bis auf 106.586 Mille (Werth 5·4 Mil - lionen Mark) gegen 50. 312·2 Mille im Jahre 1885. Die grösste Anzahl kommt aus Preussen und Baden, die werthvollsten aus Spanisch-Westindien.

Rohe Droguen kamen 1889 in der Menge von 44.211 q im Werthe von 4,665.988 Mark nach Bremen, darunter ist hervorzuheben das Gummi elasticum mit 5378 q (Werth 1,572.874 Mark).

Präparirte Droguen weist die Statistik 1889 mit 158.765 q (Werth 12,199.347 Mark) in der Einfuhr aus, darunter Borax und andere Salze 114.226 q, Chinin 1017 q (Werth 8,607.150 Mark).

Die Einfuhr der Düngesalze aus Preussen steigt.

Legende zum Bremerhaven mit Bremen. A Neuer Hafen, B Alter Hafen, C Kaiserhafen, D Hafenbassin, E Freigebietsgrenze, F Leuchtfeuer, G Bahnhof, H Centralbahnhof, J Venlo-Hamburger Bahnhof, K Weserbahnhof, L Neustadtbahnhof, M Stephanithor, N Doventhor, O Ansgariithor, P Heerdenthor, Q Bischofsthor, R Osterthor, S Werder - thor, T Buntethor, U Hohe Thorstrasse, V Grüne Strasse, W Kaiserstrasse, X Georgsstrasse, Y Düstern - strasse, Z Falkenstrasse. 1 Birkenstrasse, 2 Bismarckstrasse, 3 Feldstrasse, 4 Humboldtstrasse, 5 Nordstrasse, 6 Olbersstrasse, 7 Langenstrasse, 8 Rembertistrasse, 9 Meinkenstrasse, 10 Kohlhökerstrasse, 11 Kreuzen - strasse, 12 Prangenstrasse, 13 Sielwallstrasse, 14 Am Doben, 15 Auf der Haferkamp, 16 Hollerallee, 17 Grosse Allee, 18 Am Deich, 19 Osterdeich, 20 Am Wall, 21 Contrescarpe, 22 Osterthorsteinweg, 23 Kaiserbrücke, 24 grosse Brücke, 25 kleine Brücke, 26 Holzhafen, 27 Neustadtgraben, 28 Bade - anstalten, 29 Stephanikirche, 30 St. Ansgariikirche, 31 Liebfrauenkirche, 32 Domkirche, 33 Friedhöfe, 34 Seefahrt, 35 Stadtbibliothek, 36 Casino, 37 Börse, 38 Rathhaus.

[725]

Bremerhaven und Bremen (Sonden in Metern).

726Der atlantische Ocean.

Färbestoffe erhielt Bremen 1889 23.778 q (Werth 4,769.301 Mark). Der einzige wichtige Artikel dieser Gruppe ist Indigo, der direct aus Ostindien und über England und Hamburg kommt. Einfuhr 1889 4.179 q (Werth 4,113.707 Mark), 1888 472.990 q.

Die Einfuhr von Farbwaaren belief sich 1888 auf 55.203 q (Werth 7,248.583 Mark).

Felle und Häute kommen auch vielfach in den Bremer Handel; gesalzene Häute aus den La Platastaaten 1889 19.529 q, getrocknete aus Ostindien und Bra - silien 13.864 q, ferner rohes Pelzwerk 4631 q (Werth 3,633.724 Mark) aus Nord - amerika und Sachsen.

Holz, Bau - und Nutzholz wurden 1889 für 9,194.530 Mark aus Russland, Schweden und Norwegen eingeführt, besonders Dielen, Planken und Tischlerhölzer. Korkholz kommt aus Portugal 33.184 q (Werth 2,118.805 Mark).

Der wichtigste Zweig der Einfuhr von Rohöl (1889 1,849.192 q, Werth 22,759.761 Mark) ist Petroleum. Dieses gehört unter die ersten Stapel - artikel Bremens, welches eine eigene Petroleumbörse und ein Testbureau be - sitzt. Die Petroleumeinfuhr Bremens sank 1886 bis auf 1,005.344 q herab, und es ist wohl nur der Einführung des Transportes mit Tankschiffen und Tankwaggons durch hiesige Firmen zu danken, dass sie sich 1888 auf 1,465.054 q, 1889 auf 1,769.705 q hob.

Die Standard Oil Cy. in New-York misst Bremen eine grosse Bedeutung zu; sie gründete 1890 eine deutsch-amerikanische Petroleum-Gesellschaft mit dem Hauptsitze in Bremen und Zweigniederlassungen in Harburg und Geestemünde und erwarb die Anlagen und Schiffe der zwei grossen deutschen Firmen, welche den Tanktransport hier eingeführt haben.

Von russischem Petroleum kamen hier 1889 34.709 q zur Einfuhr.

Von Pflanzenölen sind anzuführen Leinöl englischer und holländischer Proveniez (1889 13.852 q), Palmöl, Cocosnussöl, Baumöl und ätherische Oele; aller Art, letztere kommen aus Sachsen und China. Ferner müssen wir die Einfuhr von Maschinenfetten (35.798 q) und Oelkuchen (130.271 q) erwähnen.

Kleesamen werden aus den Vereinigten Staaten eingeführt und Stuhlrohr direct aus Ostindien und über England und Holland.

An Gespinnststoffen aller Art erhielt Bremen 1889 1,946.446 q im Werthe von 224,822.791 Mark.

Bremen hat sich bereits zu einem ansehnlichen Baumwollmarkte ent - wickelt, der den Bedarf Rheinpreussens, Westfalens und des Elsasses, der Schweiz und der nördlichen Theile Böhmens an sich gezogen und von Liverpool theilweise unabhängig gemacht hat. Ja, es tritt sogar in West-Russland mit Odessa in Concurrenz.

Die Bemühungen der Bremer Baumwollbörse, deren zuverlässige Classifi - cirung der Baumwolle allgemein angenommen wurde, sind mit Glück auf die Er - mässigung der Eisenbahntarife gerichtet.

Schon geht Baumwolle consignationsweise nach Bremen, die 1890 eröffnete Linie der Hansa, welche in den fünf Monaten der Baumwollsaison von hier aus Bombay besucht, wird auch die ostindische Baumwolle auf den hiesigen Markt bringen, den die nordamerikanische Baumwolle beherrscht.

Die Einfuhr erreichte 1889 1,329.174 q (Werth 136,750.130 Mark), ist aber727Bremen.grossen Schwankungen unterworfen; sie umfasste 1885 938.415 q, 1886 896.158 q, 1887 1,345.010 q, 1888 912.400 q.

Aehnlich schwankte die Hanfeinfuhr aus Russland, welche 1889 wieder 14.654 q erreichte.

Die Einfuhr von Jute hat bedeutend abgenommen, weil die Fabriken diesen Artikel der niedrigen Seefrachten wegen über Hamburg beziehen. Sie betrug 1886 166.542 q, 1889 nur 78.118 q im Werthe von 4,330.091 Mark. Ein Drittel geht direct aus Ostindien ein, zwei Drittel kommen über Grossbritannien.

Durch die Verbindung mit China und Japan steigt die Einfuhr von Roh - seide, 1887 42.098 kg, 1889 74.657 kg.

Die directe Einfuhr von Schafwolle aus den La Platastaaten (1889 die Hälfte der ganzen Einfuhr), der Capcolonie und Australien, die indirecte über England und Belgien zeigt seit 1883 stetig wachsende Ziffern. 1885 betrug diese Einfuhr 273.166 q, 1888 schon 337.536 q und 1889 510.293 q im Werthe von 81,787.741 Mark.

Seit der Norddeutsche Lloyd nach Australien geht, treten die directen Zufuhren von dort allmälig an die Stelle der indirecten über London.

Von den mineralischen Rohstoffen ist die Einfuhr von Roheisen 1889 mit 63.972 q, die von Erzen aller Art mit ungefähr 75.000 q, von Schwer - spath, Thon und Porzellanerde und die von Zinn (6661 q) zu nennen.

Die Einfuhr von Halbfabricaten aus Eisen umfasste 1889 einen Werth von 5,736.135 Mark gegen 3,958.105 Mark im Jahre 1888; darunter befanden sich Eisendraht 1889 173.253 q (Werth 2,646.657 Mark), 1888 120.068 q, Stangen - eisen 1889 106.044 q, 1888 119.366 q, Eisenblech 1889 27.947 q und Stahl 1889 60.790 q, 1888 39.973 q, Alles aus Preussen mit Ausnahme von (1889) 12.738 q Stahl, die Grossbritannien lieferte. Alle diese Posten zeigen seit 1885 eine be - deutende Steigerung, die bis über 50 % ausmacht. Von anderen Metallhalbfabri - caten nennen wir nur noch Kupfer und Kupferdraht aus Australien, 1889 7384 q.

Unter den Rohstoffen erscheinen 1889 Baumaterialien mit 4,625.886 Mark in der Gesammteinfuhr, darunter Cement aus Pommern und England (333.899 q), Asphalt (156.056 q) und Ziegeln.

Steinkohlen importirte Bremen 1889 6,066.708 hl, 1888 5,522.797 hl zu zwei Drittel aus Westfalen und zu einem Drittel aus Grossbritannien.

Bremen liegt dem westfälischen Kohlengebiete viel näher als Hamburg, deshalb treten die englischen Kohlen mehr zurück. Von der Vollendung des Ruhr - Ems-Canales, an den Verbindungen nach Bremen anschliessen, werden die deutschen Kohlen grossen Vortheil ziehen.

Unter den Halbfabricaten stehen Garne und Twists mit einer Import - ziffer von 33.798 q (Werth 10,850.897 Mark) an der Spitze. Es entfielen auf Wollengarn aus England, Sachsen und Preussen 1889 13.162 q (Werth 5,163.261 Mark), 1886 17.774 q. Auch die Einfuhr von Baumwollengarn und Twists, die fast allein aus Grossbritannien erfolgt, zeigt einen bedeutenden Rückgang seit 1886, von 26.410 q auf 17.748 q (Werth 3,925.117 Mark).

Unter den Ganzfabricaten nehmen Manufacturwaaren den ersten Platz ein. Wollen und Halbwollenwaaren wurden 1889 38.059 q (Werth 21,471.324 Mark), 1888 37.329 q, 1885 18.641 q aus Sachsen, Preussen und Thüringen eingeführt. Tuch lieferte Preussen 1889 3619 q (Werth 3·3 Millionen Mark), 1888 6275 q.

728Der atlantische Ocean.

Baumwollenwaaren, etwa drei Viertel der ganzen Einfuhr, liefert Sachsen, neben ihm Preussen, 1889 im Ganzen 57.017 q (Werth 16,911.502 Mark). Dieser Artikel zeigt gegen alle Vorjahre, besonders gegen 1886 mit einer Einfuhr von 71.850 q einen bedeutenden Rückgang, ebenso wie Seiden - und Halbseidenwaaren, die von 7369 q (Werth 12,067.431 Mark) im Jahre 1885 auf 5549 q (Werth 8,668.123 Mark) im Jahre 1889 gesunken sind. Dieselben liefern Rheinpreussen (Krefeld), Oesterreich-Ungarn und Sachsen.

Dagegen hat sich die Einfuhr von Leinen und Leinenwaaren seit 1885 von 12.041 q bis 1889 auf 22.384 q (Werth 5,355.697 Mark) stetig gehoben. Diese Waaren sind vorzugsweise preussischer, sächsischer und auch englischer Pro - venienz.

Die Gruppe der anderen Manufacturwaaren weist 1889 eine Import - ziffer von 5007 q (Werth 2,484.726 Mark) auf, oder einen Zuwachs von 100 % gegen 1885. Sachsen und Preussen sind die Absender.

Die Einfuhr von gewöhnlichem und lackirtem Leder betrug 1889 9519 q (Werth 3,599.513 Mark). Dasselbe wird von Preussen, Belgien und Eng - land geliefert. 1885 betrug die Gesammteinfuhr nur 3.232 q.

Im Handel von Hamburg und von Bremen spielt die Einfuhr von Papier - waaren, Büchern, Gemälden eine grosse Rolle. Sie belief sich für Papier 1889 auf circa 46.232 q, die aus Norddeutschland und Bayern kommen, für Drucksachen auf 14.749 q (Werth 3,322.135 Mark), 1885 auf 11.468 q, welche Sachsen, Preussen und Württemberg sendeten.

Unter den Metallfabricaten sind erstlich Eisenwaaren, 1889 zusammen für 11,760.668 Mark gegen 14,166.931 Mark im Jahre 1888 zu nennen, Nägel wurden 71.560 q aus Preussen zugeführt; 1885 betrug die Einfuhr nur ungefähr ein Siebentel der von 1889.

Stahlwaaren 1889 32.014 q (Werth 4,337.845 Mark) kamen ebenfalls aus Preussen und zeigen in der Quantität eine Zunahme von circa 150 %, im Werthe von mehr als 100 % gegen das Jahr 1885.

Auch die Einfuhr von Gusseisen, aus Preussen zumeist, hat sich von 18.801 q im Jahre 1885 auf 24.448 q im Jahre 1889 gehoben, die von Eisenbahn - schienen (1889 43.435 q) bleibt mehr stationär.

Von Maschinen wurden aus England etwa 70 % der Einfuhr, der Rest aus Preussen, Sachsen, Bayern, Hamburg und der Union gebracht; 1889 74.310 q (Werth 5,548.829 Mark) gegen 50.471 q im Jahre 1885.

Ebenso ist die Einfuhr von Messingwaaren im Jahre 1889 seit 1885 auf das Vierfache und die anderer Metallwaaren in demselben Zeitraume auf das Dreifache, bis auf 8990 q (Werth 2,911.922 Mark) gestiegen. Dieselben waren vornehmlich preussischer, dann bayrischer, englischer und amerikanischer Pro - venienz.

Glaswaaren erreichten 1889 in der Gesammteinfuhr 4,101.271 Mark, darunter Flaschen aus Preussen, Oldenburg und Norddeutschland 1,827.653 Mark, ferner sind zu nennen Spiegel und alle anderen Glaswaaren, letztere mit 1,514.740 Mark.

Porzellanwaaren sandten Thüringen, Bayern, Preussen 1889 26.114 q (Werth 1,677.239 Mark), 1885 17.868 q, ferner Steingut aus Preussen 1889 12.143 q (Werth 504.168 Mark).

Schliesslich sei noch der Einfuhr von Kleidern 1889 5039 q (Werth 3,065.145 Mark) gedacht.

729Bremen.

Handschuhe kamen aus Preussen, Sachsen und Oesterreich (1889 3458 q, Werth 5,670.679 Mark, 1885 1141 q) und andere Lederwaaren aus Oesterreich, Preussen, der Schweiz und Hessen-Darmstadt; Einfuhr 1889 5667 q (Werth 2,270.368 Mark), 1888 1978 q.

Auch Galanterie - und Kurzwaaren sind in der Einfuhr bedeutend ge - stiegen, 1889 bis auf 30.976 q (Werth 6,624.843 Mark) gegen 17.419 q im Jahre 1885. Die Herkunftsländer waren der Reihe nach Oesterreich, Preussen, Hamburg, Japan, Thüringen, Bayern und Sachsen.

Die Einfuhr von Gummiwaaren erreichte 1889 5162 q (Werth 1,479.461 Mark), die von Spielwaaren aus Thüringen (Sonneberg) 1889 38.314 q (Werth 3,942.286 Mark).

Grössere Werthe zeigen auch Holzwaaren und musikalische Instru - mente aus Sachsen und Hamburg, 1889 3740 q, Werth 1,578.280 Mark.

Wir schliessen die Einfuhr Bremens mit einer Uebersicht der Waaren nach ihren Hauptgruppen. Es entfielen 1889 auf Verzehrungssteuergegenstände 6,754.398 q, Werth 190,575.147 Mark, auf Rohstoffe 14,686.745 q, Werth 322,954.243 Mark, auf alle Halbfabricate und Fabricate zusammen 1,479.614 q im Werthe von 142,010.249 Mark.

Der Bremer Handel mit Verzehrungssteuergegenständen und Rohstoffen ist nun vorwiegend Eigenhandel, also der werthvollste Theil des Handels unseres Hafens.

Wir stellen sie daher auch bei der Ausfuhr Bremens an die Spitze.

Die Ausfuhr von Stärke erreichte 1889 47.191 q (Werth 1,871.028 Mark), die von Bier 141.309 hl (Werth 6,535.616 Mark); der grösste Theil des Bieres ist deutsches Bier, viel davon in Bremen selbst gebraut. 1885 wurden 93.683 hl, 1889 schon 137.222 hl deutschen Bieres ausgeführt; von letzterem nach Britisch - Ostindien 23.649 hl, über 34.000 hl nach Südamerika, grössere Mengen auch nach Grossbritannien, den Vereinigten Staaten, Niederländisch-Indien, kurz, in alle Theile der Welt.

Von Hopfen gingen 1889 noch 5964 q (Werth 1,590.908 Mark) nach Eng - land, Australien und den Vereinigten Staaten.

Die Ausfuhr von Gewürzen (1889 10.378 q) ist seewärts bedeutender als landwärts.

Deutschen Rübenzucker beziehen die La Platastaaten, Ostindien, Schweden, zusammen 1889 32.887 q, Rohzucker wurde in der Menge von 164.013 q nach Grossbritannien und Nordamerika ausgeführt.

Die Gesammtausfuhr von Rohtabak betrug 1889 457.009 q (Werth 57,693.489 Mark). Hievon ging die Hauptmasse nach Deutschland und Oesterreich - Ungarn, grössere Quantitäten auch in folgende Länder: Sumatratabak nach Hol - land und den Vereinigten Staaten; Habana nach Portugal; Domingo nach der Schweiz und Holland; Brasil nach Holland und Portugal; Kentucky nach der Schweiz, Skandinavien, Italien, Portugal; Maryland und Seedleaf nach Holland und Dänemark; Virginia nach Skandinavien, der Schweiz, La Plata, Belgien. Fremde Cigarren (15 Millionen Stück) gingen nach Deutschland und den La Platastaaten, deutsches Fabricat (86,735.500 Stück) nach allen europäischen Ländern, der Rest (15,892.500 Stück) nach Australien, an den La Plata, nach dem Cap, Ostindien, den Vereinigten Staaten und Brasilien.

Für Deutschland und dessen Hinterländer, dann für Nordeuropa sind be -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 92730Der atlantische Ocean.stimmt Kaffee, Ausfuhr 1889 80.225, 1886 113.623 q, ebendahin gehen Thee und die verschiedenen Gattungen von Spirituosen, deren Ausfuhr 1889 28.401 hl (Werth 3·1 Millionen Mark) erreichte, endlich Gewürze.

Das Deutsche Reich ist das Hauptbestimmungsland für Getreide und Hül - senfrüchte, 1889 im Ganzen 1,912.634 q (Werth 21 Millionen Mark), für Kleie und Mehl (1889 18.922 q), für die Reisabfälle (359.655 q) und für fremde Weine (1889 59.295 hl). Deutsche Weine werden vorzugsweise in die Union ausgeführt.

Dorthin ging auch der grössere Theil der Anilinfarben (1889 11.965 q, Werth 2,810.802 Mark), Ultramarin nach Ostasien und Ostindien.

Trockene Früchte (1889 21.313 q) gehen meist nach Deutschland.

Für Reis, der hier erst geschält wird, ist Bremen ein disponirender Platz. Von der Ausfuhr des Jahres 1889 (2,045.495 q) gingen 221.067 q in die Union, 129.882 q nach Brasilien, 129.598 q nach Portugal, 100.187 q an den La Plata, grössere Mengen nach Nordeuropa, Westindien und Spanien. Auf dem Landwege werden Deutschland, Oesterreich und die Schweiz versorgt.

Ueberwiegend zur See gehen ferner aus: Schlachtvieh nach England, 1889 mit Dampfern des Norddeutschen Lloyd 134.612 lebende und 18.159 geschlachtete Hammel; Ochsenfleisch und Schmalz, von letzterem 1889 45,118 q, 1887 81.655 q nach Hamburg.

In der Ausfuhr von Rohstoffen nennen wir zuerst Baumaterialien für 2,112.837 Mark, darunter Asphalt 151.246 q, Cement 198.887 q und Dachschiefer, ferner Holz für 5,538.047 Mark, darunter besonders Dielen, Planken und Cedernholz.

Deutsche Steinkohlen 1,943.752 hl (Werth 1,908.039 Mark) für den Schiffsbedarf.

Droguen 41.526 q (Werth 4,833.881 Mark) folgen, darunter Gummi elasticum 5337 q (Werth 1,604.188 Mark) nach Norddeutschland und den Ver - einigten Staaten, dann Schellak, Weinstein und Pottasche.

Von präparirten Droguen gingen ins Ausland 164.250 q (Werth 12,567.343 Mark), darunter 10.943 q Salze und für 8,607.160 Mark Chinin.

Düngesalze wurden 88.866 q ausgeführt, meist nach Nordeuropa, Russland und Norddeutschland, daneben 124.067 q anderer Dünger, auch Chilisalpeter, Schwerspath, Thonerde und Porzellanerde.

Farbhölzer und Farbstoffe führte Bremen 23.081 q (Werth 4,749.254 Mark) aus, darunter besonders Indigo 4002 q (Werth 4,115.011 Mark) nach Deutschland, Oesterreich, Schweden, Frankreich, Italien.

Korkholz wurde für 2,114.456 Mark nach Norddeutschland und Russland, Harze 50.774 q nach Hamburg, Lumpen zur Papierbereitung 73.217 q exportirt.

Die Oelausfuhr 1,473.225 q im Werthe von 21,993.895 Mark entfiel fast ganz auf Petroleum (1,411.928 q) nach Deutschland, der Schweiz und Skan - dinavien.

In der Ausfuhr von Fellen ist die von Pelzwerk 4592 q (Werth 3,618.441 Mark) nach Sachsen und den Vereinigten Staaten und die von gesalzenen Häuten (25.435 q, Werth 2,044.267 Mark) nach Deutschland und Belgien, und von ge - trockneten (14.344 q) nach Thüringen zu bemerken.

Die Ausfuhr von Spinnstoffen umfasste 1,835.819 q im Werthe von 218,439.623 Mark; davon gingen 1,256.913 q Baumwolle nach Deutschland, Oester - reich, Russland; Schafwolle 497.181 q (Werth 82,761.490 Mark) fast nur nach731Bremen.Norddeutschland, Jute und Hanf, zusammen etwa 60.000 q, ebendahin, sowie die ganze Einfuhr von Rohseide.

Die ganze oben genannte Einfuhr von Oelkuchen und Kleesamen, dann von Rohzinn war für Deutschland bestimmt.

Unter den Halbfabricaten der Ausfuhr ist zu nennen Eisen 1889 für 3,833.075 Mark, der grösste Theil entfällt auf Eisendraht, 1889 169.242 q (Werth 2,549.164 Mark), 1888 117.900 q, nach den La Platastaaten, Portugal, China und Australien bis zu den Sandwichinseln in immer steigenden Quantitäten.

Von Garnen und Twisten gingen 1889 43.193 q (Werth 11,036.170 Mark) ins Ausland, darunter Baumwollengarne 1889 17.445 q (Werth 3,843.479 Mark), 1888 13.187 q und Wollengarne 12.643 q (Werth 4,939.585 Mark), hauptsächlich nach Sachsen. Der bei weitem grössere Theil ist fremdes Product.

Die Lederausfuhr umfasste 1889 7819 q (Werth 3,014.955 Mark). Die aus - ländische Waare geht nach Deutschland, die deutscher Provenienz nach den Ver - einigten Staaten.

Unter den Ganzfabricaten nennen wir zuerst Baumwollenwaaren 1889 49.723 q (Werth 14,924.788 Mark), 1888 55.543 q nach den Vereinigten Staaten, Ostindien, Ostasien, Leinenwaaren 1889 32.151 q (Werth 5,408.390 Mark), 1888 32.251 q nach Deutschland, den Vereinigten Staaten und dem La Plata, Seiden - waaren 1889 5478 q (Werth 8,533.822 Mark), ebenfalls nach den Vereinigten Staaten, Wollentuche 1889 2716 q (Werth 2,563.348 Mark), nach demselben Lande und China, Wollen und Halbwollenwaaren 34.269 q (Werth 19,577.520 Mark), 1888 4156 q nach denselben Ländern, besonders in die Union.

Bücher und Drucksachen gingen von Bremen aus 1889 13.735 q (Werth 3,105.215 Mark) in die Union; Papier 21.989 q (Werth 1,001.406 Mark) nach England, Ostindien, La Plata, Australien und den Sundainseln.

Auch die Ausfuhr von Galanterie - und Kurzwaaren ist bedeutend, 1889 29.312 q (Werth 6,369.518 Mark), denen wir gleich Gemälde hinzuziehen, die 1889 im Werthe von 1,030.864 Mark ebenfalls meist nach der Union und den La Platastaaten gingen.

Glaswaaren wurden 1889 für 2,251.524 Mark ausgeführt; Bouteillen nach Portugal, Grossbritannien und den Vereinigten Staaten, fremde Glaswaaren nach den Vereinigten Staaten und Britisch-Ostindien.

Porzellanwaaren 1889 22.420 q (Werth 1,451.327 Mark) und Stein - waaren gehen besonders nach England und der Union.

Gummiwaaren 1889 circa 4760 q (Werth 1,360.000 Mark) und Leder - waaren, darunter namentlich Handschuhe deutschen Fabricats für ungefähr Millionen Mark und andere Lederwaaren für circa 2 Millionen Mark gehen nach der Union und Australien in steigenden Quantitäten.

Auch die Ausfuhr von Maschinen, die aber nur zu einem Drittel deutscher Provenienz sind, ist im Steigen und erreichte 1889 4,157.224 Mark; sie gehen nach der Union, nach Hamburg, Südamerika, Norddeutschland, Russland und Australien, die Metallwaaren (Werth 1889 3,053.606 Mark) fast ausnahmslos nach den Ver - einigten Staaten.

Die bremische Grossindustrie war bisher in den meisten Fällen auf die Verarbeitung von Rohproducten gegründet, welche dem bremischen Grosshandel angehören und von demselben eingeführt werden.

Die Grundlage dieser Industrie bildete früher die Verarbeitung von Tabak92*732Der atlantische Ocean.doch geht die Cigarrenfabrication seit 1852 beständig zurück. Wer ihren Umfang richtig beurtheilen will, muss die zahlreichen über ganz Deutschland verbreiteten Filialen berücksichtigen, in denen Bremer Häuser arbeiten lassen. Sehr wichtig sind Reismühlen und im Zusammenhang mit ihnen die Erzeugung von Stärke und die Verwendung der Reisabfälle als Viehfutter; ferner die Bier - brauereien.

Zu nennen sind die Wollkämmereien und Kammgarnspinnereien, die Jute - spinnerei und Weberei der Umgebung.

Die grosse Petroleumraffinerie hat zur Folge die Erzeugung von Fässern, die Tabak - und Cigarrenfabriken brauchen gewöhnliche Kistchen aus Cedernholz. Man verarbeitet hier Farbhölzer, Indigo und Schellack.

Im Zusammenhang mit dem Rhedereigeschäfte stehen die Tauwerk - fabriken hier und in Vegesack, die Erzeugung von Segeltuch, der Schiffbau, die Herstellung von Giessereiproducten, von Maschinen und Werkzeugen.

In dieser reichen Stadt blüht auch seit alters die Gold - und Silber - schmiedekunst.

Der Waarenhandel von Bremen betrug in Tausenden von Metercentnern und Mark:

〈…〉〈…〉

Den Schiffsverkehr Bremens für die Jahre 1889, 1888 und 1887 zeigen die folgenden Tabellen, wobei zu bemerken ist, dass hier der Verkehr der zum Ge - biete Bremens gehörigen kleineren Hafenplätze Vegesack, Bremerhaven und auch der Hafenorte Geestemünde, Braake, Elsfleth, Nordehamm etc. einbezogen ist, welche zur Provinz Hannover und zu Oldenburg gehören.

Der Seeschiffsverkehr Bremens und seiner Beihäfen betrug im Ein - und Auslauf:

〈…〉〈…〉

Die Weserschiffahrt umfasste 1889:

〈…〉〈…〉

Der Haupttheil des Seeverkehres entfällt auf Bremerhaven, denn im ganzen Handelsgebiete Bremens liefen 1889 2883 Schiffe mit 1,682.726 Reg. -Tons ein, davon kamen auf Bremerhaven 1357 Schiffe mit 1,209.515 Tons, auf Vegesack 53 Schiffe mit 5851 Tons, auf Geestemünde 275 Schiffe mit 214.361 Tons, auf733Bremen.Braake 109 Schiffe mit 59.500 Tons, auf Nordenhamm 69 Schiffe mit 55.148 Tons und auf Bremen selbst 1889 1020 Schiffe mit 138.351 Tons, 1888 910 Schiffe mit 113.247 Tons. Der Schiffsverkehr, der an die Stadt Bremen selbst herankommt, steigt in gleichem Masse mit der Verbesserung des Fahrwassers der Unterweser, denn eine Reihe von Artikeln sucht immer den am weitesten gegen das Innere zu gelegenen Platz auf.

Einen grossen Aufschwung wird auch das oldenburgische Nordenhamm nehmen, welches der Norddeutsche Lloyd zum Ausgangspunkte seines überseeischen Schnellverkehres macht.

Nach Flaggen geordnet stellt sich die Reihenfolge der Nationen im See - verkehr Bremens mit seinen Vorhäfen folgendermassen dar: Im Hafen von Bremen selbst verkehren fast nur deutsche Schiffe; im bremischen Seehandelsgebiete, wie wir es oben beschrieben haben, steht die deutsche Flagge an der Spitze 1889 mit 4216 Schiffen und 2,183.739 Registertonnen.

Die Schiffe Bremens nehmen mit circa 900.000 Registertonnen den Haupt - platz ein. Es folgen die britische mit 917 Schiffen und 938.275 Tonnen, dann Norwegen, Dänemark und Holland. Zu bemerken ist, dass fast die ganze englische Bremen anlaufende Handelsflotte in Ballast ausgeht.

Die stärkste Tonnenzahl der einlaufenden Schiffe kommt aus der nord - amerikanischen Union (1889 344 Schiffe mit 694.582 t), und zwar die meisten aus dem Hafen New-York. Im Auslaufe sehen wir die stärkste Tonnenzahl nach Gross - britannien (593.501 t) und dann erst nach der Union gehen.

Regelmässige Verbindungen bestehen nach den englischen Häfen Hull, London und Southampton. Die Gesellschaft Neptun betreibt regelmässige Fahrten nach Amsterdam, Portugal, Spanien, geht nach Köln am Rhein und will auch Kopenhagen und Stockholm in ihren Fahrplan aufnehmen. Sie besitzt 16 Dampfer, 2 sind im Bau.

Der Hauptträger des transatlantischen Handels von Bremen ist der Nord - deutsche Lloyd ; er wurde im Jahre 1857 gegründet, und im Juni 1858 trat sein Dampfer Bremen die erste Reise nach New-York an; am 31. December 1889 besass er 40 grosse transatlantische Dampfer mit 148.342 Registertonnen, im Ganzen 146 Fahrzeuge mit 182.817 t; sechs grosse Dampfer waren im Bau. Mit dieser mächtigen Flotte und ihren gewaltigen Leistungen steht der Norddeutsche Lloyd an zweiter Stelle unter allen Dampfschiffrhedereien der Welt, allein an Umfang übertroffen von der Peninsular and Oriental Company .

Er unterhält ohne die Extrafahrten regelmässig zwei - bis dreimal in der Woche Verbindungen von Bremerhaven über Southampton nach New-York (3558 See - meilen) fahrplanmässig in 9 10 Tagen, einmal in der Woche nach Baltimore. Auf beiden Linien zusammen beförderte er 1889 138.075 Personen und überflügelte im Verkehre mit New-York die ältesten englischen Gesellschaften. Eine directe Verbindung Bremen-New-York dient Frachtzwecken. Nach Südamerika bestehen Postlinien über Antwerpen an den La Plata und über Antwerpen und Lissabon nach Bahia, Rio und Santos. Der Personenverkehr stieg 1889 auf 49.681 Personen.

Für die Fahrten nach Ostasien und Australien geniesst der Norddeutsche Lloyd eine bedeutende Subvention des Deutschen Reiches.

Die ostasiatische Linie berührt Antwerpen, Southampton, Genua und Port Saïd, geht durch den Suezcanal und über Colombo, Singapore, Hongkong nach734Der atlantische Ocean.Shanghai, wo eine Seitenlinie nach Yokohama anschliesst. Stationsdampfer ver mitteln den Verkehr zwischen Singapore und Sumatra.

Bis Colombo hält die australische Linie denselben Curs ein, um über Ade - laide, Melbourne nach Sydney zu gehen, von wo eine Zweiglinie nach Samoa geht. Der ostasiatischen und australischen Linie führt eine Nebenlinie Brindisi-Port Saïd die Post zu.

Im Verkehr mit Ostasien und Australien befördert der Lloyd die Güter von und nach Hamburg zu denselben Frachtsätzen wie für Bremen.

Die Dampfer der transatlantischen Fahrt des Lloyd durchliefen 1889 im Ganzen 2,380.067 Seemeilen oder rund 110 mal den Umfang der Erde.

Die deutsche Dampfschiffahrts-Gesellschaft Hansa unterhält eine regel - mässige Fahrt zwischen Bremen-Calcutta via Madras und Bremen-Bombay.

Die Handelsflotte Bremens umfasste:

〈…〉〈…〉

Leichterfahrzeuge besass Bremen 1889 127 mit 15.567 t.

Rechnen wir zur Flotte Bremens noch die der anderen Häfen der Unter - weser, so erhalten wir eine Seeflotte von 513 Schiffen mit 459.505 t und 260 Leichterschiffe mit 22.178 t. Die rasche Zunahme der Handelsflotte Bremens muss besonders hervorgehoben werden.

Bremen ist der wichtigste Auswandererhafen des Deutschen Reiches. Im Jahre 1889 wurden 48.622 Passagiere aus dem Deutschen Reiche, 54.301 aus anderen Ländern, zusammen 102.923 Passagiere auf 207 Schiffen direct und 1142 indirect über englische Häfen befördert. 1888 erreichte die directe Auswanderung 95.270, 1887 99.350 Personen.

Die Auswanderung deutscher Unterthanen weist über Bremen allein für den Zeitraum 1851 1889 1,569.718 Personen aus.

Von Bremen gehen fünf Eisenbahnen ab, und zwar nach Geestemünde, nach Oldenburg-Leer mit einer Abzweigung nach Nordenhamm, nach Osnabrück - Münster-Duisburg, über Langwedel nach Berlin mit einer Abzweigung von Lang - wedel nach Hannover und nach Minden und endlich die Bahn über Harburg nach Hamburg.

In Bremen finden wir zahlreiche Assecuranzen für jeden Geschäftszweig Im Seeversicherungsgeschäfte waren 1888 403,287.000 Mark versichert, davon 103,893.900 Mark bei den vier bremischen Assecuranzcompagnien, 197,855.500 Mark bei den 44 Agenturen fremder Gesellschaften, der Rest bei bremischen Privat - Assecuradeurs.

Die Börse von Bremen vereinigt alle Gattungen von Börsegeschäften, cul - tivirt aber seit Jahren mit Glück die Bildung von Specialbörsen, wie die für Pe - troleum, Baumwolle und Tabak.

Bremen ist Sitz einer Reichsbankhauptstelle; ausserdem haben ihren Sitz in Bremen die Bremer Bank, die deutsche Nationalbank, die bremische Hypothe - kenbank und die Gewerbebank. Ferner sind zu nennen die Filiale der Deutschen Bank aus Berlin und die der Niederländischen Bank.

735Bremen.

In Bremerhaven bestehen der Bremer Bankverein und die Bremerhavner Bankfiliale der Geestemündner Bank.

In Bremen sind Consulate folgender Staaten: Argentinien, Baden, Bayern (G. -C. ), Belgien, Bolivia, Braunschweig, Chile, Columbia, Costarica, Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Griechenland, Guatemala (G. -C. ), Haïti, Hawaiï, Hessen, Honduras, Italien, Liberia, Lippe-Detmold, Mecklenburg - Schwerin, Niederlande, Nicaragua, Oldenburg, Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay, Preussen (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Sachsen, Salvador, Schaumburg-Lippe, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika, Württemberg.

[736]

Hamburg.

Als Karl der Grosse zu Beginn des IX. Jahrhunderts an der Stelle des heutigen Hamburg ein festes Schloss erbaute, leiteten ihn hauptsächlich militärische Gründe. Durch eine Reihe längs der Elbe angelegter Befestigungen sollte den Raubzügen der Wenden begegnet werden. Von einem Handelsverkehr im grossen Style, oder gar von einem Weltverkehr, wie die Neuzeit ihn geschaffen, konnte damals, wo die Ostsee und das Mittelmeer den europäischen Handel be - herrschten, und selbst viele Jahrhunderte später natürlich nicht die Rede sein. Selbst in der Blüthezeit der Hansa konnten die weitest - blickenden Kaufherren Hamburgs nicht ahnen, dass einstens die Stadt an der Elbemündung einen völlig fabelhaften Aufschwung nehmen und zu einem der mächtigsten Thore des europäischen Con - tinentes anwachsen solle, durch welches Güter und Menschen in buntem Gedränge in enormen Massen aus - und einströmen werden. Die Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Indien war das Morgenroth für Hamburgs Grösse, und wirklich ist das heutige Ham - burg eine der grossartigsten Werkstätten moderner Arbeit und Thätig - keit, eine der imposantesten Metropolen des Welthandels geworden.

Das Walten des schöpferischen Geistes begegnet man auf Schritt und Tritt, im Weichbilde der Stadt ebenso wie in ihrer reizvollen Umgebung, vornehmlich aber in den ausgedehnten, mit Schiffen und Fahrzeugen jeder Art erfüllten Hafenbassins.

Im Hafen wird vor aller Augen unschätzbare Arbeit in Reich - thum umgesetzt, der in tausend Formen zur Geltung kommt.

Ein Wohlstand, ein Reichthum, der völlig an Ueberfluss grenzt, erfüllt die äusserst belebte Stadt, die sich wie eine jugendliche Braut zu zieren, zu schmücken versteht und mit ihren prächtig malerischen Villen, Gärten und Anlagen sich einen der herrlichsten Myrthenkränze um den Scheitel wand. Nichts Reizenderes in der That als das breite, grüne Land, welches Hamburg umgibt und das weite Becken der[737]

Hamburg (Sandthor-Hafen).

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 93738Der atlantische Ocean.Alster so verführerisch umsäumt. Paradiesische Musseplätze sind dort entstanden, jeder ein kleines Sanssouci, ein Aufenthalt für träumende Philosophen und Dichter, aber auch für reichgewordene Kaufherren, welche in Hamburg, wie in wenigen Plätzen, es verstehen, nach des Tages Müh und Lasten sich behaglich auszurasten .

Der grandiose Hafen mit seiner lärmenden Wirklichkeit, seiner rastlosen Bewegung, mit seinem ganzen ausgedehnten Apparat an baulichen und mechanischen Hilfsmitteln bleibt aber als Quelle des Guten und Schönen, welches Hamburg zu schaffen verstand, doch der interessanteste Theil des Gebietes der freien Stadt.

Wie unser Plan zeigt, erstreckt sich der Hafen auf beiden Ufern der Elbe zwischen Altona im Westen bis über Rothenburgsort im Osten in einer Ausdehnung von mehr als 7 km.

Wie in anderen Häfen wurde zur Erleichterung des Handels auch in Hamburg ein ausgedehntes Freihafengebiet geschaffen, dessen Be - grenzung wir durch den Legendebuchstaben A anzeigen.

Im äussersten Westen des Hafens ankern die Kohlenschiffe aus England, welche ungeheure Mengen der schwarzen Diamanten für den Bedarf der Schiffahrt und den Stadtconsum einführen.

Zunächst liegt innerhalb des Freihafengebietes das gegen den Eisgang der Elbe geschützte, 10 ha umfassende Gebiet des Nieder - hafens (B) mit seinen Abtheilungen: Jonas -, Hull -, Brandenburger - und Blockhaus-Hafen, die sämmtlich 5 m Wassertiefe bei Ebbe be - sitzen.

In den Niederhafen münden die sogenannten Flethe , das sind Canäle, auf welchen die Waaren mittelst flachgebauten Schuten zu den Magazinen und Speichern gebracht werden. Am Kehrwieder - fleth und Brooksfleth (C), welche 2 m Wassertiefe haben, liegen zu beiden Seiten die grossen Lagerhäuser (Blöcke genannt) der Ham - burger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft. Auch der Staat erbaute dort einige Speicher, in welchen auch das Postamt und die Maschinen - station für den hydraulischen und elektrischen Betrieb untergebracht wurden.

Hieran schliesst sich südwärts der 10 ha grosse Sandthorhafen (D), ein 5·6 m tiefes Bassin von 116·5 m grösster Breite und einer Quaientwicklung von 2058 m Länge mit Speichern von 27.360 m2 Fläche an den beiden Langquais (Sandthor - und Kaiserquai). Der Sandthorhafen ist für Dampfschiffe bestimmt. Südlich desselben ist das 6·5 ha grosse Bassin des Grasbrookhafens (G) mit 6 m Tiefe und an dessen Eingang der Schiffbauerhafen (E), an dessen739Hamburg.nördlichen und südlichen Quais (Dalmann-Quai und Hübner-Quai) hauptsächlich die transatlantischen Dampfer anlegen, welchen Speicher von 27.132 m2 Fläche zur Verfügung stehen. An der Spitze beim Schiffbauerhafen erhebt sich das gewaltige rothe Gebäude des vom Staate verwalteten Quaispeichers mit hohem Thurme. Einschliess - lich der Kellerräume hat das riesige Bauwerk sechs Geschosse mit 18.972 m2 Grundfläche und vermag eine Waarenbelastung von mehr als 30.000 t auszuhalten.

Acht hydraulische Hebevorrichtungen stehen dort zur Ver - fügung.

Weit sichtbar und von jedem Punkte des Hafens zu beobachten ist der am Thurme des Speichers functionirende Zeitball. Unter 53° 32′ 32″ nördl. Br. und 58′ 57″ östl. L. v. Gr. gelegen, wird derselbe von der Sternwarte (9) aus auf elektrischem Wege täglich um 12 Uhr Greenwicher Zeit (12h 39m 54s Hamburger Ortszeit) fallen gelassen und dient auf diese Art den Schiffen zu Zeitvergleichen.

Ausserhalb des Grasbrookhafens liegt der Strandhafen (H) mit 530 m Quailänge und Speichern von 9786 m2 Fläche. Er ist 6 m tief.

Oestlich der grossen Bassins liegt der 5 m tiefe Magdeburger Hafen (J) mit 2·4 ha Fläche und Magazinen von 10.000 m2 über - dachter Lagerfläche.

An das System der bis jetzt genannten Häfen reiht sich der 17·7 ha grosse und 6 m tiefe Baakenhafen (K), dessen nördlicher Quai (Baakenquai) erst 1888 eröffnet wurde; der südliche (Petersen - Quai) mit 1220 m Länge sowie der äussere 1205 m lange Kirchen - pauer-Quai sind bereits seit 1886, beziehungsweise 1887 dem Betriebe übergeben.

Am linken Elbeufer liegt gegenüber den vorgenannten Bassins der ausgedehnte, 26·5 ha messende Oberländer Hafen (L), vorläufig nur 2·3 m tief und in den äusseren und inneren Hafen unterschieden. Mit letzterem steht der Veddelcanal (W) mit 13·1 ha Fläche in Verbindung, der seinerseits wieder in den der Elbe zufliessenden Reiherstieg (V) einmündet.

Einen grossartigen Umfang hat das 34·6 ha messende Bassin des Segelschiffhafens (M), welcher, 6·3 m tief, eine Quaientwicklung von 3199 m Länge aufweist und an der Einfahrt 160 m breit ist. Dieser Hafen ist für eine Flotte von 100 bis 110 grossen Ocean - fahrern bestimmt und wurde 1887 eröffnet. Seine Speicheranlagen sind erst zum Theil vollendet.

93*740Der atlantische Ocean.

An diesen schliesst sich der 13·4 ha grosse Petroleumhafen (N) an, welcher, 6·3 m tief, im Jahre 1887 umgebaut wurde und grosse Lagerräume und Tanks besitzt.

Weiter nach Westen sind auf dem Kleinen Grasbrook die grossen Holzhäfen und zu Steinwärder noch eine Zahl von Flethscanälen für kleinere Schiffe.

Die Gesammtlänge der für die Seeschiffahrt bestimmten Ham - burger Quais beträgt 11.456 m, jene der Quai-Schuppen und Speicher 4690 m und die Gesammtwasserfläche der Häfen und Canäle des hamburgischen Freihafengebietes 156·7 ha.

Die hier gegebenen Daten über die Eintheilung und Grösse des Hafens beziehen sich auf den Stand der Arbeiten zu Ende des Jahres 1889. Es ist selbstverständlich, dass bei dem regen Schaffenstriebe der Hamburger und infolge des riesigen Aufschwunges des Verkehrs ein Stillstand in den Hafenarbeiten nicht eintreten kann und fort - währende Veränderungen stattfinden. So sind im Laufe des Jahres 1890 zwei neue Bassins zwischen dem Segelschiffhafen und dem Petroleumhafen in Ausführung begriffen, welche grösstentheils für Seeschiffe bestimmt sind.

Das Freihafengebiet umfasst circa 1000 ha, wovon etwa 300 ha Wasser und 700 ha Landfläche sind.

Ausserhalb des Freihafengebietes münden in die Elbe aus dem Stadtcentrum kommend eine Zahl von Canälen, darunter die Alster - arme, deren System mit dem sogenannten Oberhafen (R, S) in Ver - bindung steht und vornehmlich für Flussfahrzeuge bestimmt ist. Ein zweites System von Canälen, welches ebenfalls mit dem Ober - hafen communicirt, ist jenes des Bille-Flüsschens. Bei Rothenburgsort ist das 2 m tiefe Bassin des Zollhafens (Y).

Der Hafen von Hamburg ist selbstverständlich mit allen Hilfs - mitteln ausgestattet, welche die Schiffahrt an ein so gewaltiges Ver - kehrsemporium zu stellen berechtigt ist. Eisenbahnschienen führen an alle Quais und an den Speichern vorbei; sie sind untereinander und mit den acht Bahnhöfen der Stadt in Verbindung. Eine 1887 dem Betrieb übergebene 600 m lange Brücke (13) und neben derselben die Eisenbahnbrücke (12) überschreiten ausserhalb des Freihafen - gebietes die Elbe. Gross ist die Zahl der vorhandenen Docks, deren grösstes bei 167·5 m Länge Schiffe von 5000 t Gehalt aufzunehmen vermag.

Sechs Aufholspligs für Schiffe bis zu 1150 t Gehalt, dann Dampf - krahne und hydraulische Hebevorrichtungen stehen zur Verfügung. 741Hamburg.Der riesige, 31 m über dem Quai hohe Dampfkrahn auf der Land - spitze zwischen dem Oberländer und dem Segelschiff-Hafen besitzt eine Tragfähigkeit von 150 t und ist der grösste der Erde.

Der Bedeutung Hamburgs und dem gerühmten Unternehmungs - geiste seiner Söhne entsprechend ist auch die Ausdehnung seiner Rhe - derei und seines Schiffbaues. Beachtet man, dass in Hamburg 11 Schiffs - werften für Stahl -, Eisen -, Holzschiffbau mit Maschinenfabriken und zahllose Werkstätten für Schiffsreparaturen bestehen, so erkennt man erst, welch ungeheurer Apparat zur Bewältigung des angewachsenen Verkehres zu Hamburg in Betrieb gesetzt werden muss.

Hamburg (Alster).

Welch grossartiger Schauplatz voller Thätigkeit und voll des buntesten Lebens ist dieser Hafen!

Feenhaft erglänzt er des Nachts, wenn ihn das elektrische Licht aus zahllosen Sonnen überflutet.

Gegenüber der Fülle des Sehenswerthen im Hafen und der Aus - dehnung desselben tritt die Bedeutung der Stadt Hamburg, in welcher sich trotz ihres hohen Alters nur wenige Erinnerungen aus vergan - genen Jahrhunderten erhalten haben, erheblich weit zurück.

Der Umgestaltungstrieb der Hamburger, dann auch der furcht - bare Brand im Jahre 1842, welcher nahezu ein Viertel der Stadt742Der atlantische Ocean.verwüstete und zu Neubauten trieb, wirkten als verjüngende Elemente, wodurch die Handelsmetropole an der Elbe ein völlig modernes Aussehen gewonnen hat. In der That haben sich nur hie und da einzelne Bürgerhäuser aus dem XVII. und XVIII. Jahrhundert er - halten.

Um die einst mit Befestigungen umgürtet gewesene Alt - und Neustadt lagern am rechten Ufer im Nordosten die ehemalige Vor - stadt St. Georg und im Westen die Vorstadt St. Pauli, welche wie ein zwischen Hamburg und Altona eingetriebener Keil betrachtet werden kann. Gegen Norden aber liegt das Doppelbassin des Alster - Flüsschens, deren südliches Becken Binnenalster weit in die Stadt hineinreicht und einen höchst malerischen Schmuck derselben bildet. 15 andere Vororte lagern um die erwähnten Vorstädte.

Am linken Elbeufer sind in Steinwärder und Kleiner Grasbrook innerhalb des Freihafengebietes ansehnliche Fabriksdistricte mit aller - hand industriellen Etablissements entstanden. Ausser Schiffswerften und Maschinenfabriken findet man dort Guano -, Kerzen -, Spiritus -, Butter - fabriken, Reismühlen, Oelraffinerien, Brauereien, Kupferhütten u. dgl.

Die Gründung Hamburgs reicht weit in das Mittelalter zurück, doch fehlt es an urkundlichen Nachrichten über dieselbe. Gewiss ist, dass, wie eingangs erwähnt, Karl der Grosse in der Hamma, einem Walde nächst des heutigen Ham - burg, eine feste Burg erbaute, die, von Sachsen vertheidigt, sich mannhaft gegen die anstürmenden Wenden hielt, so dass der eifrige Christenbote St. Ansgar schon im Jahre 833 den Hauptsitz der skandinavischen Mission nach Hamburg verlegte.

So entstand dort ein Erzbisthum mit einer Kirche; als 1223 an Stelle Ham - burgs die Stadt Bremen zum Sitz des Erzbisthums gewählt wurde, erlosch der kirchliche Glanz der Elbestadt.

Das erstarkende Dänemark hatte unterdessen Holstein genommen, 1201 Hamburg erobert und die Stadt 1216 an den Grafen Schaumburg Orlemünde ab - getreten. Doch kaufte sich Hamburg gegen eine Summe von 15.000 Mark Silber frei, und Kaiser Otto IV. bestätigte die Reichsfreiheit.

Die Grafen von Holstein, besonders Adolf III. und Adolf IV., unter deren Oberherrlichkeit Hamburg stand, verliehen derselben namhafte Privilegien, die Anfänge ihrer Selbständigkeit. Die Einwohnerzahl vermehrte sich zusehends. Vor - her war Bardowiek, die stolze Handelsstadt, durch den geächteten Heinrich den Löwen (1189) gestürmt und zerstört worden, wodurch der Bestand einer wichtigen Nebenbuhlerin Hamburgs aufhörte und infolge des Zuzuges von Niederländern die Betriebsamkeit der Stadt rasch zunehmen konnte.

Beizeiten war Hamburg der Hansa beigetreten und nahm in der Folge an den gegen Dänemark im XIII. und XIV. Jahrhundert geführten Kämpfen der Handelsverbindung und an der Bekämpfung der Piraterie rühmlichen Antheil.

In dem Zeitpunkte aber, als die Bedeutung der Hansa zu sinken begann, brachten die Entdeckung von Amerika und des Seeweges nach Ostindien dem Handel der Stadt einen neuen Aufschwung.

743Hamburg.

Die Reformation wurde 1529 eingeführt, und bevor das wirre Kämpfen des 30jährigen Krieges begann, hat sich Hamburg mit starken Festungswerken um - geben, welchem Umstande die Stadt es dankte, dass sie von jedem Ungemach verschont blieb.

Nach einem Stillstand in der Entwicklung hob sich infolge der mit Amerika im XVIII. Jahrhundert angeknüpften Verbindungen der Wohlstand der Stadt, wozu auch die Kriege in den Niederlanden und am Rhein beitrugen, welche den Handel nach dem neutralen Hamburg, dessen vorzügliche geographische Lage an der Mündung der Elbe immer mehr zur Geltung kam, abgelenkt hatten. Da - mals erhob es sich zur ersten Seehandelsstadt Deutschlands.

Die napoleonische Zeit zu Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts brachte der Stadt harte Schläge, grossen Schaden. 1803 blockirten die Engländer die Elbe, 1810 wurde Hamburg dem französischen Kaiserreich einverleibt. Der Handel sank herab, und man schätzt den Verlust der Stadt während der Zeit von 1806 bis 1814 auf mehr als 250 Millionen Mark. 1813 hatte sich Hamburg vorzeitig von der Gewaltherrschaft befreit; Davoust kam und ahndete es mit entsetzlicher Grau - samkeit.

Noch einmal ward die Stadt von einem schweren Unfall betroffen. Es war der furchtbare Brand im Jahre 1842, welcher den Stadttheil nächst dem Bassin der Binnenalster eingeäschert hatte. Wie ein Phönix entstieg ein neues glän - zendes Hamburg der Asche und vergass bald, zu Grösse und Reichthum gedeihend, die Wunden früherer Zeiten.

Politisch ist Hamburg sammt Gebiet eine souveräne Freistadt, seit 1870 wurden aber der deutschen Einheitsidee viele altüberkommene Freiheiten geopfert.

Das Gebiet von Hamburg zählte 1885 518.620 Einwohner, von welchen auf Stadt, Vorstadt, Vororte und Häfen, also auf städtisches Gebiet 471.427 kamen. Seither ist die Bevölkerung auf 580.000 ge - stiegen.

Der Mittelpunkt des städtischen Lebens ist die Gegend nächst dem Alsterbassin (Binnenalster), dessen südwestlicher Quai, der herr - liche Jungfernstieg, den Glanzpunkt Hamburgs bildet. Dort sind die Anlegeplätze der Localdampfer, dort wogt das Getriebe der lebens - frohen Bevölkerung, und dorthin lenkt der Fremde vor Allem seine Schritte. Einen prächtigen Anblick bietet die weite Wasserfläche des Bassins, welche Ruder - und Segelboote, Dampfer und Barken nach allen Richtungen durchschneiden. Schattige Baumalleen umsäumen das Becken, und schöne Häuserfronten erheben sich an den Quais. Im Norden begrenzen, von der Eisenbahn durchschnitten, hübsche Garten - anlagen das Bassin, und die breite Lombardsbrücke überwölbt mit malerischem Effect den Wasserdurchlass in das Becken der Aussen - alster. Von hier aus geniesst man einen herrlichen Ausblick auf die Villenstadt von Uhlenhorst und den gerne besuchten Vergnügungsort Alsterlust, wie auf das thürmegeschmückte Hamburg.

In diesen Anlagen erhebt sich das Schiller-Denkmal und der744Der atlantische Ocean.imposante Renaissancebau der an Kunstsammlungen und Gemälden reichen Kunsthalle (25).

Das commercielle Leben hat nächst der stattlichen Börse (4) das Hauptquartier aufgeschlagen. Das Gebäude der Börse wurde kurz vor dem Brande 1842 beendigt, blieb aber von demselben verschont. Jüngst durch Zubauten erweitert, ist das Gebäude reich mit plasti - schem Schmuck geziert.

Dort versammelt sich zwischen und 3 Uhr Nachmittags die Handelswelt von Hamburg. Die dort untergebrachte äusserst werth - volle Commerzbibliothek zählt an 50.000 Bände. An die Börse ist der Palast der Bürgerschaft, das schöne Rathhaus, angebaut. Das alte Stadthaus (14) liegt weiter im Südwesten am westlichsten der Alster - canäle.

Ein besonderer Schmuck Hamburgs sind seine Kirchen. Im Südwesten erhebt sich der kühn gedachte Bau der Michaeliskirche (21), welche, in der Zeit von 1750 bis 1752 erbaut, 6000 Personen zu fassen vermag und von einem 131 m hohen Thurm überragt ist. In diesem Thurme stellte Benzenberg seine berühmten Fallversuche an.

Die äusserlich und im Innern prächtig geschmückte Nicolai - kirche (20) wurde an Stelle der 1842 verbrannten im gothischen Styl des XIII. Jahrhunderts neu aufgebaut, und zählt ihr 1874 voll - endeter Westthurm bei 144 m Höhe zu den höchsten Bauwerken der Erde. Die Kirche ist eines der edelsten Gotteshäuser des nördlichen Deutschland.

Durch alte Bilder und Sculpturen ausgezeichnet ist die beim Brande von Hamburg verschont gebliebene Katharinenkirche.

Sehenswerth ist die im gothischen Styl erbaute St. Petrikirche nächst dem Johanneum (22), in welch letzterem die 1529 gegründete Gelehrtenschule ein Heim gefunden hat. Im Hofe wurde 1885 Joh. Bugenhagen, dem Hamburger Reformator, ein Standbild errichtet. Im südlichen Hauptflügel ist die Stadtbibliothek mit 300.000 Bänden und 5000 Handschriften und eine Sammlung Hamburger Alterthümer auf - bewahrt.

Die an Stelle der geschleiften Festungswerke angelegten Garten - anlagen umschliessen in weitem Bogen die ganze Stadt und bieten herrliche und vielbesuchte Promenaden. An der Ostseite hat man dort nächst dem Steinthor das durch seine grosse Conchyliensammlung ausgezeichnete naturhistorische Museum (26) und das grosse Bauwerk der Gewerbe - und Realschule mit dem Museum für Kunst und Ge - werbe (27) erbaut, allwo auch die prähistorische Sammlung und das745Hamburg.Museum für Völkerkunde sich befinden. In der Nähe ist der 1878 errichtete, 20 m hohe monumentale Hansa-Brunnen am gleichnamigen Platz der Vorstadt St. Georg. Die östlichen Anlagen werden von der Eisenbahn durchschnitten, welche zum Berliner Bahnhof (5) führt und von da in das Hafengebiet sich verzweigt.

An der Westseite der Stadt liegt der Gartengürtel der Wall - anlagen, zn welchen der grosse, unter Brehm’s Leitung angelegte und reich ausgestattete zoologische Garten gehört. Hieran reihen sich die als Gärten angelegten Begräbnissplätze, wo 1138 Hamburger, welche, mit vielen Tausenden Mitbürgern von dem französischen Marschall Davoust im härtesten Winter 1813 auf 1814 aus dem belagerten Hamburg vertrieben, ein Opfer ihres Kummers und ansteckender Seuchen wurden , begraben sind.

An die gedachte Erinnerungsstätte stösst der schöne botanische Garten mit einem Victoria Regia-Haus, und weiter südwärts erhebt sich das Postgebäude und der Justizpalast für das Oberlandesgericht der Hansastädte; man gelangt hierauf zu dem prächtigen, Elbhöhe ge - nannten Aussichtspunkt, der meist Stintfang genannt wird, und gewahrt jenseits des Wassergrabens auf der Höhe das Seemannshaus (15), das Gebäude der zur Berühmtheit gelangten deutschen Seewarte (11) und nördlich der beiden die reich ausgestattete Sternwarte (9).

Hamburg ehrte manche deutsche Geistesgrösse durch die Er - richtung von Denkmälern, wie der Stadt überhaupt ein nicht geringer Antheil an Deutschlands literarischem Rufe zugeschrieben werden muss, denn hier lebten und wirkten Lessing, Klopstock, Reimers, Busch, Schröder u. a. um die deutsche Literatur hochverdiente Männer.

In der Vorstadt St. Pauli hat sich das Matrosenleben ange - siedelt. Hier gibt es namentlich auf dem Spielbudenplatz eine schwere Menge von Schaubuden, Volkstheatern, Circus, Verkaufsbuden, Schän - ken u. dgl. Ein grosses Panorama erhebt sich am ausgedehnten Hei - ligengeistfeld, und Tanzböden für Matrosen sind in den Seitenstrassen vertheilt.

Altona schliesst unmittelbar an St. Pauli an, besitzt aber gegen den Glanz Hamburgs nur ein bescheidenes Interesse. Der ältere Theil der Stadt weist schmale und gewundene Gässchen auf, doch sind auch lange gerade Strassenzüge vorhanden, so die grosse Elbstrasse, die mit ihr parallel laufende, auf der schroff ansteigenden Höhe ge - führte Palmaille und nördlich derselben die Königsstrasse. Die Stadt besitzt ein Museum, Gemäldegallerie, eine Kunst - und Gewerbehalle und mehrerere hübsche Monumente. Unter den religiösen Bauten ver -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 94746Der atlantische Ocean.dienen die 1718 erbaute katholische Kirche und die 1873 erbaute zierliche gothische St. Johanniskirche genannt zu werden.

Das Matrosenleben entfaltet sich vornehmlich an den Vorsetzen und in den anstossenden Strassen, wo sich Verkaufsgeschäfte und Tabagien für die Bedürfnisse der Matrosen ununterbrochen aneinander - reihen. Auch im Altonaer Hafen herrscht reges Treiben, auch dort widerhallt wie in Hamburg der die schwere Arbeit begleitende Ma - trosengesang, wogt das ewige Getriebe des rastlosen Verkehrs.

Wenden wir uns nun der riesigen Schiffahrtstrasse zu, welche von Hamburg in die Nordsee führt. Dieser Theil der Elbe führt den Namen Norder - oder Unterelbe, und hat das Fahrwasser von Cux - haven bis Hamburg eine Erstreckung von 103 km und von der Insel Neuwerk eine solche von 118 km.

In Böhmen entspringend, wird die Elbe nach Aufnahme der wasserreichen Moldau, der Eger, Mulde, Saale u. a. Zuflüsse zu einem mächtigen Strom, welcher sich in nordwestlicher Hauptrichtung der Nordsee zuwälzt. Auf dem grössten Theile ihres Laufes wird die Elbe von Dampfern befahren und ist durch den Plauen’schen Canal mit Berlin und durch den Stecknitz-Canal mit Lübeck verbunden. Von Hamburg aus, wo der Schienenstrang sie überbrückt, ist die Elbe für Seeschiffe jeder Grösse praktikabel.

Das Fahrwasser ist, wie unser Plan der unteren Elbe zeigt, vortrefflich betonnt und mit Hinzurechnung des Wasserweges nach Hamburg durch 32 Leuchtfeuer grösster und mittlerer Gattung be - leuchtet; auch dienen den Schiffen namentlich nächst der Mündung zahlreiche gut sichtbare Landmarken von mitunter bedeutender Grösse zur Orientirung. Ein vorzüglich geschultes Lootsencorps trägt sehr zur Sicherheit des Verkehres bei.

Auf dem ganzen Unterlaufe der Elbe hat das Fahrwasser kurze Strecken ausgenommen keine geringere Tiefe als 7 m und erreicht bei St. Margarethen sogar 22 m und bei der an Ablagerungen reichen Mündung 16 18 m. Hiezu tritt nun die Höhe der Flut, welche bei Cuxhaven im Mittel 3·3 m, bei Brunsbüttel 2·7 m, bei Glückstadt 2·8 m und bei Hamburg 3·6 m beträgt. Ein so hoher Wasserstand gestattet daher den Verkehr der tiefstgehenden Ocean - schiffe selbst über die seichtesten Stellen des Fahrwassers.

Die Zufahrt zur Elbemündung ist von See aus durch 5 grosse Leuchtschiffe markirt. Das äusserste derselben, Gustav Heinrich oder äusseres Leuchtschiff Nr. 1 genannt, ist 7·5 km ausserhalb des weit nach West vorgeschobenen Neuwerker Walls verankert. OzS747Hamburg.davon liegt 9 km entfernt das Pilotenschiff mit einem Leuchtfeuer, hierauf folgt 1·9 km flussaufwärts in gleicher Richtung das Leuchtschiff Nr. 2, dann weiter 8·2 km das Hauptschiff Nr. 3 und 9·2 km von diesem das fünfte und innerste der Elbeleuchtschiffe.

Zwischen den Leuchtschiffen Nr. 2 und Nr. 3 liegt noch ein Pilotenschiff (Winterstation) verankert. Zur weiteren Orientirung bei Nacht dient das prächtige Leuchtfeuer auf der Insel Neuwerk, welches auf der Spitze eines 40 m hohen Thurmes erglänzt und 28 km weit sichtbar ist.

30·5 km nordwestlich des äussersten Leuchtschiffes der Elbe taucht der steile, 63 m hohe Fels von Helgoland, die jüngste Er - werbung des Deutschen Reiches, aus dem Meere empor. Das Eiland hat die Gestalt eines Dreiecks und misst 1·8 km Länge bei einer grössten Breite von nur 700 m. Das obere Plateau (Oberland), über welches die vielgelästerte Kartoffelallee führt, trägt grünen Pflanzen - schmuck, und die senkrechten Abstürze der aus hartem Thon und Mergel bestehenden Insel, die nur an der Südostseite einen schmalen Sandstrand, das Unterland, besitzt, zeigen eine auffällige Färbung. Deshalb der bekannte Spruch: Grün ist das Land, roth ist die Kant, weiss ist der Sand, das sind die Farben von Helgoland.

An den steilen Klippen der Insel nagen die sturmbewegten Wellen der Nordsee, und Stück für Stück brechen Felsen und Klippen und sinken in die Tiefe, bis einmal über den letzten zerbröckelnden Fels die Wogen rauschend sich schliessen, ein zweites Vineta! Wie trefflich wusste Anastasius Grün dem geheimnissvoll-schwermüthigen Zauber des Eilandes, dieses umflorten Sarges , ergreifende Worte zu leihen:

Vom Felsen rieseln rothe Steinchen leise,
Als rinne Blut vom Eiland in die Fluten,
Es stirbt langsamen Tod, wie jener Weise,
Im Bad aus off’nen Adern zu verbluten.

An der Südostseite hat sich das als Seebad rühmlichst bekannte Städtchen, das etwa 2000 Einwohner zählt, angesiedelt. Die Bevöl - kerung ist ein in Sitte und Tracht eigenartiger Menschenschlag friesi - scher Abstammung und Sprache; die Männer markige Gestalten mit Augen blau und tief wie die Nordsee , die Frauen reizend und schlank, wie von Thorwaldsen gemeisselt mit Schwind’schen Augen .

Ungefähr 1400 m im Osten des Unterlandes liegt die Düne, welche im Jahre 1720 eine Sturmflut von der Insel abtrennte. Die Düne ist mit ihrem herrlichen Badestrand die eigentliche Badeinsel. 94*748Der atlantische Ocean.In den letzten Jahren zählte man jährlich über 10.000 Badegäste und mehr als 4000 Touristen.

Helgoland wird schon frühzeitig in der Geschichte genannt.

Es ist das altheidnische Fosilesland, welches nach der Christianisirung den Namen Heiligland und hierauf Insel der heiligen Ursula und der 11.000 Jung - frauen erhielt.

Sturmfluten rüttelten an dem Felsen, so dass 1216 von neun Kirchspiele, so 1030 darauf waren, nur zwei übrig blieben . Seit dem XIV. Jahrhundert ge - hörte die Insel den Herzogen von Schleswig Holstein-Gottorp und wurde 1714 im Kampfe der königlichen Linie gegen die herzogliche von den Dänen erobert.

1807 bemächtigten sich die Engländer der Insel, deren Besitzrecht im Frieden von 1814 bestätigt ward.

Während der napoleonischen Continentalsperre war Helgoland ein Haupt - platz des Schmuggels.

Das ausgezeichnete Seebad wurde dort 1826 gegründet.

Am 9. Mai 1864 kämpfte im Angesichte der Insel die österreichisch - preussische Schiffsdivision unter Wilhelm von Tegetthoff gegen eine dänische unter Svensen.

Mittelst des zwischen dem Deutschen Reiche und Grossbritannien am 17. Juli 1890 abgeschlossenen Vertrages, welcher die Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Afrika betraf, wurde die Insel an das Deutsche Reich abgetreten und von diesem am 9. August 1890 in solenner Weise übernommen. Tags darauf besuchte Kaiser Wilhelm II. das Eiland, welches vermuthlich durch starke Befesti - gungen zu einem Stützpunkt der deutschen Flotte und zu einem Boll - werke für die früher ziemlich wehrlosen beiden Hafenstädte Bremen und Hamburg umgestaltet werden dürfte.

Die Insel unterhält mit Cuxhaven-Hamburg und Bremerhaven - Geestemünde einen regelmässigen Dampferverkehr.

Noch bevor man in die Elbe einlaufend das Innerste der Leucht - schiffe passirt, gelangt man in Sicht der beiden Leuchtfeuer von Döse - Cuxhaven.

Cuxhaven ist der wichtigste Hafenplatz an der Elbemündung. Das seit 1872 mit dem nahen Ritzebüttel zu einer Gemeinde ver - einigte Städtchen gehört nebst dem Gebiete von Döse und der Insel Neuwerk zu Hamburg.

Die Exclave von Cuxhaven ist ein liebliches Stück Landes, das eine gastfreundliche Bevölkerung bewohnt.

Einiges Interesse beansprucht das aus dem XIV. Jahrhundert stammende Schloss von Ritzebüttel, welches zu den ältesten derartigen Bauwerken Norddeutschlands zählt. Es war das Raubschloss derer von Lappe.

Freundlich schimmern zwischen dunklem Grün die Häuser von[749]

Elbe, Weser, Jade (Massstab 1: 813.300; Sonden in Metern).

A Nordsee, B Haupteinfahrt in die Weser, C Haupteinfahrt in die Elbe, D Pilotenschiff, E Medem-Sand, F Leuchtfeuer, F1 Leuchtschiffe, G Signalstation und Leuchtfeuer Rother Sand.

750Der atlantische Ocean.Cuxhaven über den hohen Deichen und senden die ersten Grüsse den zur See Ankommenden entgegen, wie sie auch den Scheidenden das letzte Lebewohl entbieten.

Die Strecke zwischen Cuxhaven und Hamburg bietet nur am rechten Ufer der Elbe in der Nähe von Hamburg, wo leichte Terrain - wellen dicht an den Fluss treten, eine Reihe malerischer Landschafts - bilder. Hier haben sich anschliessend an Altona die Vororte Ottensen, wo Klopstock begraben liegt, Nienstedten und weiter westlich Blan - kenese-Dockenhuden als herrliche Sommerfrischen der Hamburger vornehmen Welt angesiedelt.

Der übrige Theil der Elbeufer ist reizlos.

Brunsbüttel, in dessen Nähe der im Bau befindliche Nordostsee - canal in die Elbe ausmünden wird, und das in morastiger Gegend 1616 gegründete Glückstadt, welches einst zur Hauptstadt von Schles - wig und zu einem Emporium für den Elbehandel bestimmt war, sind die wichtigsten Orte am rechten Elbeufer.

Das seit 1755 befestigte Städtchen Stade (10.000 Einwohner) liegt 4 km vom linken Elbeufer entfernt. Hier wurde von Schweden und dann von Hannover der Stader Elbzoll behoben, bis dieses Recht 1861 durch Ablösung erlosch. Stade war im Mittelalter seines lebhaften Handels nach England wegen viel genannt, aber das Aufblühen von Hamburg brachte dem Städtchen den Niedergang.

Hamburg ist Deutschlands grösster Seehandelsplatz und einer der grössten der Welt. Hier begegnen sich die oberländische und die Seeschiffahrt als in ihrem Endpunkte, hier ist der Haupt - stapelplatz überseeischer Rohproducte und der Hauptausgangspunkt des bis ins Herz von Böhmen reichenden Elbeverkehrs, des wirth - schaftlich am stärksten ausgenützten Flussgebietes des Deutschen Reiches und Oesterreich-Ungarns.

Durch die Elbe ist Hamburg das natürliche Emporium für Mittel - und Ostdeutschland, selbst für Nordböhmen, geworden, und trotz der Eisenbahnen, die mit der Elbe und ihren Nebenflüssen con - curriren, hat dieses System von Wasserstrassen seine Bedeutung für den Verkehr der schweren und billigen Massengüter behauptet, ja Hamburg gravitirt durch den billigen Wasserweg derartig nach Oesterreich, dass zu Gunsten von Triest von der österreichischen Re - gierung ein Differentialzoll aufgestellt werden musste.

Die Elbe von dem Feinde des Hamburgischen Handels , von751Hamburg.den Elbezöllen zu befreien, war von jeher das Ziel der Bürger Ham - burgs, das erst 1870 vollständig erreicht wurde.

In unseren Tagen hat eine neue Agitation begonnen für die Vertiefung der Elbe. Es soll eine Fahrrinne hergestellt werden, die bei niedrigstem Wasserstande 2 m Tiefe hat.

Denn die 1844 von den Uferstaaten festgesetzte Mindesttauch - tiefe der Elbe bei niedrigster Wassertiefe von 0·835 m entspricht längst nicht mehr den Bedürfnissen der jetzigen Schiffahrt. Schon mit einer vorläufigen Vertiefung von 0·835 m auf 1·25 m auf der Strecke Melnik-Hamburg könnten die Flussschiffahrer der Elbe ihre Kähne weit ergiebiger ausnützen.

Die baldig zu erwartende Vollendung der neuen Canalverbindung zwischen Oder und Elbe über Berlin erheischt sogar gebieterisch als Ergänzung die neue Correction der Elbe, auf der von Lauenburg bis Leitmeritz die Kettenschleppschiffahrt betrieben wird. Die Vollendung der Regulirung der Elbe-Moldaustrasse bis Prag wird die Ausdeh - nung der Kette bis zu dieser Stadt zur Folge haben.

Den Schiffen, welche von der See heraufkommen, bietet Ham - burg den unschätzbaren Vorzug, dass es weit im Innern des Conti - nentes liegt, wodurch die auch heute noch verhältnissmässig theuere Landfracht möglichst verringert wird.

Wohl meiden manche Schiffe in den Wintermonaten den Hafen Hamburg, weil die Schiffahrt auf der Unterelbe manchen Fährlich - keiten unterworfen ist. Am meisten leidet darunter der Schnelldampfer - verkehr, den vor Kurzem die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt - Actien-Gesellschaft eingerichtet hat.

Denn es fehlt bis heute noch an der Mündung des wichtigsten deutschen Stromes ein zu jeder Zeit erreichbarer genügender Zufluchts - hafen. Doch hat bereits der Senat bei der Bürgerschaft die Bewilli - gung der Kosten für die Erbauung eines tiefen Hafens in Cuxhaven beantragt, und die Bürgerschaft hat sie bewilligt.

Hamburg braucht nicht zu fürchten, dass Cuxhaven seinen Handel schädigen werde.

Niemand wird dort löschen oder laden, wenn man dies weiter landeinwärts thun kann, nur ein Mangel, welcher von Natur aus der Lage Hamburgs anhaftet, wird für die Schiffahrt dieser alten und grossen Handelsstadt beseitigt werden.

Auch der Vorhafen des im Bau begriffenen Nord-Ostseecanals bei Brunsbüttel wird Hamburg gegenüber kaum zu einer selbständigen Handelsbedeutung erwachsen.

752Der atlantische Ocean.

Die geographische Lage macht Hamburg unangreifbar. Niemals haben derartige Widerwärtigkeiten die Kraft Hamburgs gebrochen, das schon 1558 eine Börse erhielt; ja gerade aus solchen Kämpfen ging Hamburg immer kräftiger hervor, weil da manches Veraltete gestürzt wurde.

Die Politik der Dänen, welche aus Neid auf die reiche und unabhängige Hansastadt 1664 den benachbarten Flecken Altona zur Stadt und zum Freihafen erhoben, brachte Hamburg dahin, den so lange festgehaltenen Stapelzwang aufzugeben und als Kampfmittel seit 1713 schrittweise die Zollfreiheit einzuführen.

Allmälig traten an die Stelle des altgewohnten Proprehandels der Commissionshandel und das Speditionsgeschäft, und Altona wurde dadurch von der Stelle eines Concurrenten zu einem Anhängsel Ham - burgs herabgedrückt, das es heute noch ist.

In ähnlicher Weise und nach langem Erwägen vollzog sich vor unseren Augen am 15. October 1888 die Aufhebung, oder besser gesagt Beschränkung des Freihafens, der jetzt statt eines Wohnplatzes von fast 600.000 Einwohnern eine kleine Stadt von Waarenhäusern und Fabriken derjenigen Exportindustrien Hamburgs umfasst, welche zu ihrer Entwicklung unbedingt frei sein müssen von Zollplackereien.

Man erhielt dadurch den alten charakteristischen Verkehr Ham - burgs, die für das Ausland und die Versorgung der Schiffe berechnete Fabriksthätigkeit, und gab der fleissigen Bevölkerung die Möglich - keit, Hamburg eine Industriestadt für das grosse Absatzgebiet des Deutschen Reiches werden zu sehen.

Der beispiellose Aufschwung, den Hamburg in der letzten Zeit genommen hat, beweist, dass man das Richtige getroffen.

Wie überall treibt auch hier der Aufschwung zu neuen Ver - besserungen, zu neuen Opfern, so fehlt auch heute in Hamburg schon wieder so manches an den Hafeneinrichtungen. Die Quaianlagen genügen nicht mehr dem so riesig anwachsenden Frachtenverkehre, es fehlen Vorrichtungen zum Löschen der Tankschiffe, weshalb sich diese Petroleumfahrzeuge jetzt nach Harburg wenden.

Die Bahnhofsanlagen im Freihafen bedürfen einer Erweiterung, die Errichtung eines Centralbahnhofes wird mit Recht gewünscht.

Man wird diese Hindernisse gewiss beseitigen, und der für den Augenblick von Hamburg abgelenkte Theil des Verkehres wird den günstigen Hafen sofort wieder aufsuchen, so wie Krupp aus Essen seine schweren Schiffsgeschütze nicht mehr über Antwerpen versendet,753Hamburg.seit Hamburg den bereits erwähnten Dampfkrahn von 150.000 kg Tragfähigkeit besitzt.

Denn die Grösse Hamburgs ist nicht allein die nothwendige Folge der glücklichen geographischen Lage, sondern ebenso einer langen und mühevollen Entwicklung durch eigene Kraft und nicht zum kleinsten Theile der sprichwörtlichen Solidität der Hamburger Kaufherren.

Nur einmal war Hamburg politisch grossartig vom Glücke be - günstigt, als 1795 die Franzosen Holland überwältigten und mit einem Schlage der ganze Handel der Niederlande nach Hamburg versetzt wurde.

Die Entwicklung Hamburgs von diesem Zeitpunkte bis zur Auf - hebung des Freihafens in Zusammenhang mit den Fortschritten der Technik und den politischen Ereignissen zu verfolgen, dazu fehlt es uns an Raum, nicht an Willen.

Wir begnügen uns hier mit den Angaben, dass 1818 die erste regelmässige Dampfschiffahrt auf der Elbe eingeführt wurde, 1828 das erste Dampfschiff aus England im Hamburger Hafen einlief, 1846 die Eisenbahn Berlin-Hamburg vollendet wurde, und dass die 1847 gegründete Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft 1856 die erste regelmässige transoceanische Dampfschiffverbindung Deutschlands und 1889 einen Schnellverkehr nach Amerika eröffnete, der schon so beliebt ist, dass berühmte amerikanische und englische Familien der altrenommirten Cunard-Line untreu geworden sind.

Zum Schlusse sei wenigstens des hervorragenden Antheils flüchtig gedacht, den der Unternehmungsgeist der Hamburger Kaufherren an der Einführung neuer Waaren auf dem europäischen Markte und an der colonialen Bewegung des Deutschen Reiches genommen hat.

Die ersten Plantagen errichtete das hochverdiente Hamburger Haus J. C. Godeffroy & Sohn auf den Samoa-Inseln und brachte Koprah nach Hamburg; ihre Rechtsnachfolgerin ist die Deutsche Plantagen - und Handelsgesellschaft der Südsee .

Die Hamburger Firma Robertson und Hernsheim operirt in den westlichen Inselgruppen der Südsee, die Jaluit-Gesellschaft auf den Marschalls-Inseln und das Hamburger Haus C. Woerman organisirte den so erfolgreichen Handel Deutschlands mit Westafrika.

Kurz gesagt, seit mehr als hundert Jahren marschiren die Hamburger Kaufherren als echte Weltkaufleute, deren Blick auf das Grosse und in die weite Ferne ebenso gerichtet ist wie auf das Nächstliegende, an der Spitze in einer Linie mit den Briten, Ameri -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 95754Der atlantische Ocean.kanern, Franzosen, und ihnen verdankt Deutschland nicht zum ge - ringen Theile den Ruhm, die zweite Handelsmacht zu sein.

Wir wollen nun versuchen, ein Bild des Handels von Hamburg zu geben, den der Unternehmungsgeist, die gewaltige Capitalskraft, das imposante Rhedereigeschäft, die Verkehrs - und Lagereinrichtungen und die Banken Hamburgs vermitteln.

Ueber den Umfang dieses Handels gibt folgende Tabelle Auskunft.

Waarenhandel von Hamburg in Tausenden von Metercentnern und Mark:

〈…〉〈…〉

Diese Tabellen geben aber kein vollständiges Bild des Handels von Ham - burg, denn sie enthalten nicht die Einfuhr in Hamburg von Altona mit der Altona-Kieler Eisenbahn, von und über Harburg, von der Niederelbe, mittelst der Post und auf den Landwegen aus der nächsten Umgebung Hamburgs.

Die Einfuhr von Contanten erreichte in der Einfuhr seewärts 1887 70,909.000, 1888 41,690.000 Mark, landwärts 1887 113.000, 1888 14,465.000 Mark, die Ausfuhr seewärts 1887 15,655.000, 1888 36,300.000 Mark, landwärts 1887 1,802.000, 1888 1,643.000 Mark.

In der That ein Riesenverkehr, und doch hat er seine Schattenseite, die wir sofort hervorheben wollen.

Die Grundlage des Seehandels von Hamburg ist der Verkehr mit Gross - britannien, auf welchen 1888 421·3 Millionen Mark oder fast 38 % des Werthes, und 19,315.179 q oder 42 % der Menge der Einfuhr entfielen. An der Ausfuhr war Grossbritannien mit 8,812.659 q oder mehr als 36 % der Gesammtmenge be - theiligt.

England vermittelt noch einen grossen Theil des Handels Hamburgs mit nichtenglischen Staaten, und diesen indirecten Verkehr über England soweit wie möglich in einen directen Verkehr zu verwandeln, ist die grosse Aufgabe, die dem Hamburger Handelsstande gestellt ist.

Es fehlt uns hier an Raum, den Handel nach allen vier Richtungen zu besprechen; wir legen der Darstellung die Einfuhr zur See und die Ausfuhr zur See zu Grunde und ordnen sämmtliche Waaren in zwei Gruppen, in jene, bei welchen die Einfuhr zur See überwiegt, und in jene, bei welchen die Ausfuhr zur See wichtiger ist.

Beginnen wir nun mit der Einfuhr von der Seeseite.

Hamburg ist der erste Kaffeemarkt Europas. Die Einführung des Termin - geschäftes in Verbindung mit einer Waarenliquidationscasse nach dem Beispiele755Hamburg.Hâvres und New-Yorks am 11. Juni 1887 hat Hamburg die Superiorität gegen - über Hâvre gesichert, und das hiesige Kaffeegeschäft dehnte sich derart aus, dass grössere Häuser von Hâvre und London hier Niederlassungen gründeten.

Die Hauptsorte ist Santos-Kaffee, ausserdem erscheinen hier die Sorten von Bahia, Ceará, Victoria, La Guayra, Maracaibo, Domingo, Portorico, Ceylon und afrikanische. Steigen wird die Bedeutung des Guatemala-Kaffees, da Deutschland durch seine Dampferlinien die Einfuhr dieses Landes beherrscht und so Kaffee im Austausch als Zahlung für die dorthin gesandten Erzeugnisse hieher gelangt.

Seewärts wurden 1888 926.207 q (Werth 124,853.990 Mark), 1887 834.440 q Kaffee eingeführt; ausgeführt dagegen mit den in Hamburg mündenden Eisen bahnen und nach der Oberelbe 1888 594.876 q, 1887 475.505 q; nach deutschen Häfen 1888 44.000 q, nach fremden 281.275 q; Dänemark, Norwegen, Schweden und Russland werden zum Theile von Hamburg aus versorgt.

Hamburg hat immer die grössten Kaffeevorräthe Europas, so lagerten in Hamburg-Altona am 1. Januar 1890 1·27 Millionen Metercentner.

Die Kaffeeniederlagen befinden sich am Sandthorquai in der nächsten Nähe des Hafens.

Für den Hamburger Markt besteht die Nothwendigkeit, mit allen Thee - sorten gut versehen zu sein; am wichtigsten aber ist Souchong. Die Zufuhr aus England ist 1888 noch doppelt so gross wie die aus China. Seewärts wurden in diesem Jahre 14.470 q Thee gebracht und 7089 q nach Grossbritannien, Oester - reich-Ungarn ausgeführt.

Bei Cacao erregt das Hauptinteresse die Sorte Guayaquil, weil sie wegen der Menge, in der sie eingeführt wird, den Preis bestimmt. Die wichtigsten an - deren Sorten sind Cap Haïti, Jeremie, Samaná und St. Thomé. Die Einfuhr erfolgt meist direct, zu einem Fünftel aber noch über London. Der Umfang des Geschäftes pro 1889 ergibt sich aus der folgenden Aufstellung: Die Einfuhr auf dem Seewege erreichte 1889 61.833 q, 1888 79.866 q (Werth 10,919.130 Mark), 1887 64.662 q. Ende December 1889 besass Hamburg einen Vorrath von 13.571 q Cacao. Etwa 35.000 q gehen in den Consum Deutschlands und seiner Hinterlän - der über. Im Jahre 1888 wurden 31.814 q auf dem Seewege nach Grossbritannien, den Niederlanden und Norwegen wieder ausgeführt.

Den Stock des hiesigen Tabakmarktes bilden die westindischen Sorten, allen voran Habana und Domingo, ferner Brasilblätter und Tabak der Union. Java -, besonders aber Sumatra-Tabak, dann Seedleaf gewinnt erhöhte Bedeutung für den hiesigen Markt. Grosse Mengen verarbeiten die Tabakfabriken der Stadt und selbst solche weit von hier entfernter Gegenden, die ihre Fabricate an Ham - wieder abliefern.

Die Zufuhr von rohem Tabak erreichte 1888 seewärts 288.172 q, landwärts 48.108 q (Gesammtwerth 38·5 Millionen Mark), 1887 zusammen 426.126 q; die Ausfuhr 1888 seewärts 163.203 q, landwärts 165.272 q, 1887 zusammen 394.127 q.

Tabakfabricate, unter welchen Cigarren, die direct aus Cuba kommen, dann solche aus den Niederlanden und Belgien die höchsten Werthe repräsentiren, wurden 1888 auf dem Seewege um 9,589.170 Mark, auf dem Landwege um burg 2,810.250 Mark ausgeführt.

Der Handel Hamburgs mit Getreide und Hülsenfrüchten ist umfassend, denn 1888 erscheinen davon 2,630.266 q (Werth 28,516.000 Mark) in der Seeeinfuhr, 1,841.115 q in der Landeinfuhr. Für 1887 erreichten diese Ziffern 2,413.742 q und95*756Der atlantische Ocean.1,074.770 q. Die Ausfuhr seewärts hatte 1888 eine Grösse von 1,052.693 q, 1887 von 644.699 q, die zu Lande 1888 von 1,907.139 q, 1887 1,935.950 q.

Russland und Argentinien lieferten 1888 seewärts den Bedarf an Weizen, Russland und die Donauländer an Roggen und Russland und Oesterreich-Ungarn an Gerste; Mais kam aus der Union, vom La Plata und vom Schwarzen Meere.

Den Haupttheil der Seeausfuhr bildet Gerste für Grossbritannien.

Für den Handel mit dem Innern Deutschlands wird hauptsächlich die Elbe benützt.

Es wird sehr viel roher Reis eingeführt und in den Hamburger Reisschäl - mühlen für den Export hergerichtet.

Im Jahre 1888 gingen seewärts 1,146.466 q, 1887 962.446 q ein, dagegen in derselben Richtung 1888 618.837 q, 1887 546.461 q ins Ausland. Die Ausfuhr nach der Landseite hin erhebt sich nicht viel über 300.000 q.

Die Zufuhr von Gewürzen aller Art findet noch zum grossen Theile über Grossbritannien statt.

Südfrüchte werden meist direct aus Südeuropa eingeführt, nur Rosinen kommen über die Niederlande. Die grössten Werthe repräsentiren Korinthen, Mandeln, Orangen und Rosinen.

Mit der Zunahme des directen Verkehres in die Levante wird auch die Bedeutung von Korinthen und Rosinen für den Hamburger Markt steigen.

Im Handel mit Harzen erscheinen zwei Sorten, die amerikanische 1889 mit 129.926 Fässern Einfuhr und mit 128.755 Fässern Ausfuhr und die französische mit einer Einfuhr von 8440 und einer Ausfuhr von 9317 Fässern.

Dieselben Sorten finden wir bei Terpentinöl.

In Hamburg befindet sich eine Reihe der grössten Weinhandlungen Deutschlands.

In ältester Zeit hielt man nur Rheinweine, und der Rathsweinkeller von Hamburg hat eine nicht weniger interessante Geschichte als der von Bremen.

Im XVI. Jahrhunderte finden wir hier deutschen Landwein und spanische Weine, seit der Mitte des XVII. Jahrhunderts immer mehr die französischen, neben diesen Sorten noch portugiesische und italienische.

Die Einfuhr zur See betrug ohne Champagner 1888 300.208 hl (Werth 22,801.140 Mark), 1887 266.597 hl; die zu Lande bewegt sich um 30.000 hl.

Seewärts erreichte die Ausfuhr 1888 128.251 q, 1887 110.877 q, landwärts 1888 199.503 q, 1887 183.207 q.

Legende zum Plan von Hamburg. A Grenze des Freihafengebiets, B Niederhafen, C Kehrwiederfleth und Brooksfleth, D Sandthorhafen, E Schiffbauerhafen, F Leuchtfeuer, G Grasbrookhafen, H Strandhafen, J Magdeburger Hafen, K Baaken - hafen, L Oberländer Hafen, M Segelschiffhafen, N Petroleumhafen, O Binnenhafen, P Zollcanal, Q Brookthor - hafen, R Oberhafen, S Oberhafencanal, T Binnenalster, U Schanzengraben, V Reiherstieg, W Veddelcanal, X Billhafen, Y Zollhafen, Z Haken. 1 Schleusse, 2 Zollämter, 3 Schiffswerften und Docks, 4 Börse, 5 Berlin-Hamburg-Bahnhof, 6 Klosterthorbahnhof, 7 Lübeckerthorbahnhof, 8 Venloer Bahnhof, 9 Stern - warte und Chronometerprüfungsinstitut, 10 deutsche Seemannsschule, 11 deutsche Seewarte, 12 Eisen - bahn-Elbebrücke, 13 neue Elbebrücke, 14 Rathhaus, 15 Seemannshaus, 16 Rathhausmarkt, 17 Jungfern - stieg, 18 Alsterdamm, 19 grosser Neumarkt, 20 Nicolaikirche, 21 St. Michaeliskirche, 22 Johanneum, 23 Stadttheater, 24 Thaliatheater, 25 Kunsthalle, 26 naturhistorisches Museum, 27 Gewerbemuseum, 28 Landungsbrücke für oberelbische Schiffe, 29 Oesterreichische Nordwestdampfschiffahrtgesellschaft, 30 Bäder, 31 Hamburg-Amerika-Packetfahrt-Actiengesellschaft, 32 Gasanstalt, 33 Abfahrt transatlant. Passagiere, 34 grosser Krahn, 35 engl. reform. Kirche, 36 St. Paulikirche, 37 Altonaer Hauptkirche, 38 Kaltenkirchner Bahnhof.

[757]
Hamburg (Massstab 1: 38.400; Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 756.)

758Der atlantische Ocean.

Von Schmalz wurden seewärts 1888 136.523 q (Werth 11,651.400 Mark), 1887 156.373 q zugeführt, drei Fünftel kommen direct aus der Union, ein Drittel über Bremen und die Weser und wurden in Deutschland und dessen Hinterländern verbraucht.

Fische, frische, gesalzene, geräucherte und getrocknete, wurden seewärts 1888 482.142 q, 1887 413.782 eingeführt.

Die Ausfuhr erreichte seewärts 1888 118.340 q, landwärts 357.074 q. Die Einfuhr besteht aus Häringen, besonders aus schottischen, und aus Stockfischen.

Den Bedarf an frischen Fischen decken in erster Linie die Fischer von der Unterelbe; die von Blankenese und Finkenwärder sind an dem Frischfischfang mit rund 300 Kuttern und Ewern, Blankenese auch bei dem Fange ausserhalb der Küstengewässer stark betheiligt.

Neuerdings haben sich Gesellschaften gebildet, welche den Fischfang durch eigens dafür gebaute Dampfer betreiben und gute Erfolge erzielen.

Fleischextract wird über Belgien eingeführt.

Käse senden die Niederlande, Einfuhr 1888 auf dem Seewege 24.390 q, auf dem Landwege 13.766 q.

Die Ausfuhr ist nach Westindien gerichtet.

Die Vereinigten Staaten senden direct und auf dem Umwege über Bremen Schmalz. Einfuhr 1888 136.523 q (Werth 11,651.400 Mark), 1887 156.373 q. Die Ausfuhr ist landwärts gerichtet und benützt stark den Elbeweg.

Trotz aller Bemühungen der Deutschen können Kohlen und Coaks aus Westfalen in Hamburg die englischen nicht verdrängen; denn diese repräsentiren in der Einfuhr seewärts 1889 16,058.350 q, 1888 13,707.965 q, 1887 12,386.438 q; die Einfuhr landwärts erreichte 1889 etwa 5,670.000 q, 1888 4,770.519 q, 1887 4,878.097 q, aber wie die vorstehenden Ziffern zeigen, wird der einmal aufge - nommene Kampf mit Erfolg geführt.

Von raffinirtem Petroleum zum überwiegenden Theil nordamerikanischen Ursprungs wurden auf dem Seewege 1888 1,569.086, 1887 1,471.448 q nach Ham - burg zugeführt.

In das Innere Deutschlands wurden landwärts 1888 1,280.220 q, seewärts 49.495 q ausgeführt.

Um aber die volle Bedeutung des Artikels für den Hamburger Markt zu würdigen, muss in der Einfuhr wie im Versandt Harburg mit eingerechnet werden, dessen Umsatz steigt, während der Hamburger Verkehr sinkt. In Harburg sind 1889 für Hamburger Rechnung 369.907 Barrels, für Bremer Rechnung 133.410 Barrels angekommen und zusammen 504.365 Barrels versendet worden. Die Einfuhr von Hamburg erreicht 739.134 Barrels, der Versandt 799.106 Barrels.

Harburg wird von den Tankdampfern lieber aufgesucht als Hamburg, wo Tankeinrichtungen zum Entlöschen fehlen.

Seit dem 24. Mai 1882 findet in Hamburg eine amtliche Petroleumcon - trole statt.

In der Einfuhr von der See her finden wir grosse Quantitäten von Dünge - mitteln, wie Chilesalpeter 1888 mit 2,665.137 q, 1887 mit 1,789.830 q, Guano 1888 mit 187.569 q, phosphorsauren Kalk aus Frankreich mit 281.036 q und schwefelsaures Ammoniak aus England mit 318.438 q verzeichnet.

Hamburg ist der Hauptsitz der Anglo-Continentalen (vorm. Ohlendorff’schen) Guanowerke.

759Hamburg.

In Häuten zeigt der Hamburger Markt eine Vielseitigkeit, durch welche er alle anderen überflügelt, namentlich die Concurrenzplätze Hâvre und Antwerpen.

Argentinien, Brasilien, Uruguay liefern direct und über Grossbritannien, Frankreich, unter Umständen selbst über New-York und Bosten den Haupttheil der Einfuhr zur See, welche 1888 79.140 q rohe Rosshäute und 270.810 q trockene und gesalzene Rindshäute zusammen im Werthe von 32·9 Millionen Mark für den Bedarf der deutschen Gerbereien umfasste.

Bei Schaf -, Ziegen - und Lammfellen ist auch die Einfuhr zu Lande schon recht ansehnlich, bei Kalbfellen überwiegt sie sogar dem Werthe, aber nicht der Menge nach.

Von Sohlen - und anderem Leder wurden 1888 seewärts 51.140 q (Werth 12 Millionen Mark), landwärts nur 12.554 q (Werth 7,547.780 Mark), meist aus Chile und den Vereinigten Staaten direct und über Grossbritannien zugeführt.

Die Ausfuhr ist überwiegend landeinwärts gerichtet.

Elfenbein und Perlmutterschalen kommen über Grossbritannien zur Einfuhr.

Thran wird zum grössten Theile direct aus Norwegen gebracht; Einfuhr seewärts 1888 81.652 q.

Olivenöl wird direct aus Italien und Frankreich zugeführt.

Leinöl über Grossbritannien.

Leinsaat aus Britisch-Ostindien und Argentina, Kleesaat aus den Ver - einigten Staaten.

Palmöl aus Westafrika zum grösseren Theile direct, zum kleineren über Grossbritannien.

Aus denselben Ländern kommen Palmkerne nach Hamburg 1888 568.424 q, Werth 10,887.140 Mark.

Die Einfuhr von Oelkuchen zur See aus den Vereinigten Staaten und Frankreich stieg 1888 bis auf 817.649 q (Werth 9,835.660 Mark).

In Hamburg, wo bekanntlich die Société commerciale de l’Océanie ihren Sitz hat, wird Koprah (Einfuhr 1888 78.898 q) verarbeitet.

Die Einfuhr von Stuhlrohr aus Singapore ist von 1887 auf 1888 auf das Doppelte gestiegen und wird sich weiter entwickeln.

Eine Specialität von Hamburg ist die steigende Einfuhr von Stein - und Drechslernüssen aus Ecuador und Columbia, 1888 mit 194.151 q. Es wird fast Alles in Deutschland und Oesterreich-Ungarn verarbeitet.

Viele Farbhölzer finden Verwendung in den hiesigen Farbholzextract - fabriken; auch nach Deutschland und auswärtigen Hafenplätzen besteht von hier ein grosser Absatz.

Es werden eingeführt Blauholz, ferner Rothhölzer und Gelbhölzer und Quebrachoholz, das immer grössere Verwendung in den hiesigen Gerbereien findet.

Die Einfuhr von Farbhölzern und Farbenextracten wird seewärts für 1888 mit 480.369 q (Werth 10,299.170 Mark), 1887 mit 486.800 Mark angegeben.

Indigo kommt direct aus Indien, Java und Guatemala. Indigo gehört in die Gruppe der anderen Farbstoffe und Farben, von welchen 1888 313.231 q seewärts und 131.467 q landwärts eingeführt und 264.366 q seewärts ausgeführt wurden.

Von den hier gehandelten Nutzhölzern sind die wichtigsten Mahagoniholz und Nussbaumholz aus den Vereinigten Staaten.

760Der atlantische Ocean.

Korkholz wird aus Portugal zugeführt.

Infolge seiner zahlreichen Dampferverbindungen ist Hamburg heute ein wichtiger Hafen für überseeische Schafwolle, der sich mit Glück von Gross - britannien zu emancipiren versucht.

Die Einfuhr betrug seewärts 1888 631.647 q (Werth 96 Millionen Mark), 1887 399.349 q. Diese Steigerung ist auf die Vermehrung der Einfuhr vom La Plata zurückzuführen. Die Zufuhr aus Grossbritannien (1888 280.805 q) umfasst meist Capwolle.

Auch von der Einfuhr der Baumwolle kommt ein Theil durch Vermittlung von Grossbritannien; Einfuhr seewärts 1888 650.601 q, 1887 706.827 q. Dasselbe gilt für Jute, welche im August 1882 zuerst direct nach Hamburg kam; Einfuhr seewärts 1888 496.686 q, 1887 484.010 q.

Von den Hanfsorten ist am wichtigsten russischer Hanf. Die hiesigen Taufabriken consumiren viel davon.

Auch Istle, Piassava werden in Hamburg eingeführt.

Hamburg ist der wichtigste Hafen Deutschlands für englische Garne und Gewebe, welche den weitaus grössten Theil der Gesammteinfuhr von der Seeseite her bilden.

Auf diesem Wege wurden eingeführt:

Baumwollgarne 1888 120.402 q (Werth 43 Millionen Mark), 1887 127.258 q; Wollen - und Halbwollgarne 1888 93.710 q (Werth 37,639.780 Mark), 1887 91.764 q; Leinen - und Jutegarne 1888 18.856 q.

Die Einfuhr von Fabricaten ist kleiner; Baumwollwaaren 1888 52.321 q (Werth 18,108.850 Mark), 1887 61.972 q.

Seiden - und Halbseidenwaaren 1888 496 q, Wollen - und Halbwollenwaaren 1888 20.119 q (Werth 14·5 Millionen Mark), 1887 88.129 q, Leinen - und Hanf - waaren, aber ohne Tauwerk 1888 78.924 q.

Von Metallen sind in der Einfuhr von der See her besonders wichtig Kupfererze aus Spanien und Chile; ein grosser Theil ist silberhältig und wird hauptsächlich in Freiberg in Sachsen ausgeschmolzen; doch verarbeitet die Hamburger Norddeutsche Affinerie in ihren beiden grossen Etablissements eben - falls grosse Quantitäten. Einfuhr 1888 36.807 q.

Unter den Halbfabricaten nimmt die Einfuhr von Roh - und Schmelzeisen aus Grossbritannien und Belgien 1888 mit 1,324.414 q die erste Stelle ein.

Stahl in Stangen und Blöcken zeigt 1888 die Einfuhr von 27.363 q, Kupfer aus Grossbritannien und den Vereinigten Staaten 40.973 q und Zinn aus Gross - britannien 23.845 q.

Die Einfuhr von Nähmaschinen seewärts aus Amerika (ein Drittel) und Grossbritannien (zwei Drittel) steht hinter der Ausfuhr zurück, dagegen ist die von anderen Maschinen 1888 mit 226.421 q (Werth 17,453.960 Mark) stärker geworden als die Ausfuhr. Den grössten Theil derselben bilden landwirthschaftliche Maschinen.

Bei der Ausfuhr Hamburgs nach der Seeseite sind folgende Thatsachen zu beachten:

Von Rübenzucker wurden in Hamburg 1889 in der bei Kaffee genannten Waarenliquidationscasse 9,129.500, 1888 nur 4,362.500 Säcke gebucht.

Auch das Geschäft in effectiver Waare entwickelt sich günstig nach Amerika, England, Schweden und Holland. Raffinirte Waare geht nach Südamerika. 761Hamburg.Das Hamburger Geschäft wird mit Rübenzucker zum grössten Theile auf der Oberelbe über Magdeburg aus den Fabriken der Provinz Sachsen versorgt und lehnt sich im Exporte an England, denn dorthin geht weit über die Hälfte der Ausfuhr.

Im Jahre 1888 wurden aus den hier einmündenden Eisenbahnen und auf der Oberelbe 4,276.302 q (Werth 118,866.790 Mark), 1887 4,166.419 q eingeführt, und seewärts ausgeführt 1888 4,438.038 q (Werth 126,129.000 Mark), 1887 4,774.563 q.

Die Zufuhr auf dem Seewege, die Abfuhr auf dem Landwege sind dagegen ganz klein.

Von Syrup und Melasse kamen 1888 41.702 q auf dem Seewege und 192.204 q landwärts an. Die Ausfuhr erfolgt überwiegend seewärts nach Hâvre.

Von Mehl und Mühlenfabricaten gibt Deutschland durch Vermittlung Hamburgs weit mehr an das Ausland ab, als er von dort erhält, denn seewärts betrug die Einfuhr 140.343 q, die Ausfuhr 1,383.217 q, landwärts die Einfuhr 1,387.092 q, die Ausfuhr 329.625 q.

Getrocknete Pflaumen und Zwetschken kommen aus Slavonien, Bosnien, Serbien und Frankreich. Letztere auf dem Seewege. Gesammteinfuhr 1888 2,452.770 q.

Von Spirituosen wurden 1888 nach Hamburg 520.381 hl im Werthe von 14,054.760 Mark eingeführt. Ueberwiegend ist die Einfuhr minderwerthiger Pro - ducte auf dem Landwege bis von Posen her.

Eine wichtige Industrie des freien Gebietes von Hamburg, die vom Zoll - inlande vielfach und heftig angefochten wird, ist die Raffinirung von russischem Sprit zur Wiederausfuhr.

Hauptabsatzgebiet für Kartoffelsprit ist Südeuropa, vor Allem Spanien, dann Italien, Nordafrika, die La Platastaaten und Centralamerika, für Genever Westafrika, wo er mit dem englischen Erzeugniss in Wettbetrieb tritt.

Die Philanthropen beider Staaten streiten sich, ob der hamburgische oder der englische Genever der Gesundheit der Neger abträglicher ist.

Auch in Bier überwiegt die deutsche Ausfuhr, Hamburg selbst trägt zu der - selben viel bei.

Zugeführt wurden 1888 meist von der Landseite und von Bremen her 271.896 hl, ausgeführt seewärts 457.885 q. Die stets steigende Ausfuhr geht nach Brasilien, Argentina, Columbia, Venezuela, Japan, Chile.

Kartoffel, Kartoffelmehl und Stärke aller Art kommen aus Deutschland nach Hamburg, und zwar meist auf der Elbe.

Die Bestimmungsländer der 1888 ausgeführten 316.731 q Kartoffelmehl und Kartoffelstärke sind Grossbritannien, Spanien und Frankreich.

Butter wird aus dem Binnenlande zugeführt und nach Grossbritannien ausgeführt.

Grossartig entwickelt ist die Zufuhr von Eiern aus Russland, Galizien und Deutschland, die ihren Absatz in England finden; auf den Eisenbahnen kamen 1888 610.823 Tausend Stück (Werth 22,784.540 Mark), 1887 520.351 Tausend an, seewärts gingen 1888 286.590 q, 1887 251.772 q hinaus.

Auch Rauchfleisch, darunter viel in Hamburg selbst bereitet, gelangt seewärts zur Ausfuhr.

Die Kalisalzlager von Stassfurth und Leopoldshall sind hervorragend anDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 96762Der atlantische Ocean.der Ausfuhr von Hamburg betheiligt mit 2,440.553 q im Jahre 1888 und 1,750.782 q im Jahre 1887, welche nach den Vereinigten Staaten, nach Grossbritannien und Schweden gehen. Hamburgisches Capital betreibt die Erschliessung für Hamburg günstiger gelegener Lagerstätten von Kalium - und Natrium-Steinsalz in den Pro - vinzen Hannover und Schleswig-Holstein.

Ein wichtiger Artikel der Ausfuhr Hamburgs nach der Seeseite sind Mo - bilien (1888 83.739 q) nach Australien, Argentina, Brasilien und Uruguay, der Union und Chile; feine Holzwaaren (112.261 q) ebendahin und Lederwaaren (26.193 q) nach den Vereinigten Staaten.

Von Papier wurden 1888 465.130 q, von Papier und Pappwaaren 46.507 q ausgeführt direct nach Südamerika und den Vereinigten Staaten, sehr viel geht indirect über Grossbritannien in die überseeischen Länder.

Die Ausfuhr von Büchern und Musikalien ist sehr bedeutend.

In Tafelglas überwiegt die Einfuhr seewärts nur in Spiegelglas, von dem das meiste aus Belgien kommt, dafür erreichte die Ausfuhr in Hohlglas 1888 478.317 q, 1887 422.567 q, die meist in die Union, nach Südamerika und Gross - britannien gingen.

Von Porzellan wurden 1888 133.785 q, von Steinzeug und feinen Thon - waaren 124.996 q meist nach Südamerika und Westindien ausgeführt.

Auch in Metallwaaren ist der Handel Deutschlands über Hamburg activ. Wir nennen eiserne Nägel mit 132.550 q im Jahre 1888, für Japan, Brasilien und Australien bestimmt, Nadeln (5336 q) für China und Südamerika, Eisenbahn - schienen für Argentinien und Chile, Draht und Blech für die Union.

In Hamburg ist eine der grössten Fabriken der Welt für Näh - maschinen, daher betrug die überseeische Ausfuhr nach Südamerika, Australien, Portugal, Spanien, Norwegen und Grossbritannien 1888 48.221 q, 1887 48.006 q, die zu Lande 1888 26.879 q, 1887 22.755 q.

Von anderen Maschinen und Maschinentheilen wurden 1888 seewärts 145.649 q, landwärts 213.335 q, 1887 seewärts 122.064 q, landwärts 166.105 q aus - geführt. Wieder stehen Argentina, Grossbritannien, Spanien, Chile an der Spitze.

Von den 65.561 q Fortepianos und Claviaturen der Ausfuhr von 1888 gingen 31.579 nach Grossbritannien, 15.213 nach dem Festlande von Australien.

Für andere Musikinstrumente sind die Vereinigten Staaten, Grossbritannien, und Brasilien besonders zu nennen; Ausfuhr seewärts 1888 39.436 q.

Die überseeische Ausfuhr mathematischer und optischer Instrumente er - reichte 1888 4856 q.

Wir erwähnen endlich die überseeische Ausfuhr von Knöpfen 1888 18.073 q im Werthe von 7 Millionen Mark, und die von Spielwaaren, meist aus Thüringen stammend, mit 94.666 q.

Stellen wir nun die Zufuhr von Producten der Textilindustrie aus Deutsch - land und dessen Hinterländern zusammen, so erhalten wir für Baumwollgarne 1888 40.209 q, 1887 36.023 q, für Wollen - und Halbwollgarne 1888 17.530 q, 1887 16.935 q, für Leinen - und Jutegarne 1888 13.218 q, 1887 18.578 q. In Garnfabri - caten ist die Einfuhr zu Land und somit der Export viel wichtiger als die Ein - fuhr zur See. Für Baumwollwaaren 1888 97.450 q (Werth 37·9 Millionen Mark), 1887 94.903 q, für Seidenwaaren 1888 3877 q, 1887 3786 q, für Wollwaaren, den wichtigsten Zweig der Ausfuhr der Textilproducte, 1888 103.184 q (Werth763Hamburg.77,504.130 Mark), 1887 102.978 q und für Leinenwaaren 1888 44.542 q (Werth 16,890.710 Mark).

Der Zufuhr zu Lande von 41.096 q (Werth 25,208.700 Mark) des Jahres 1888 steht nur eine geringe Menge von Einfuhr von der Seeseite entgegen.

Die Ausfuhr zur See ist immer etwas grösser als die Einfuhr zu Lande, weil ein Theil der zur See eingeführten Waaren in Hamburg umgeschifft wird.

Baumwollgarne gehen nach Grossbritannien, Wollengarne nach Grossbritan - nien und in die Union, Seidenwaaren nach Südamerika, eben dahin Baumwoll - waaren, vorab nach Brasilien, an den La Plata und nach Chile, Leinenwaaren nach Brasilien, Argentina und in die Union, Wirkwaaren in die Union. Der Ham - burger Handel in Manufacturen entwickelt sich für Deutschland günstig, es steigt die Betheiligung des Inlandes im Kampfe mit den britischen Erzeugnissen.

Deutschland ist gegenwärtig in der Erzeugung von Spreng - mitteln entschieden der erste Staat der Welt, und die Hamburg-Rott - weiler Gesellschaft die erste Deutschlands.

Seewärts wurden 1888 15.379, 1887 12.626 q Dynamit nach dem Caplande, Mexico und Australien ausgeführt, also nach Ländern, deren Bergbau auf Edel - metalle sich mächtig entwickelt.

Für Schiesspulver ist wie für Genever Westafrika der wichtigste Abnehmer. Ausfuhr seewärts 1888 38.467 q, 1887 33.126 q.

Zündhölzer gehen in mächtig steigenden Quantitäten nach China und Bra - silien; Ausfuhr seewärts 1888 122.332 q, 1887 105.280 q.

Stearin - und Paraffinlichte werden seewärts nach Chile, Australien, dem Caplande und dem nördlichen Theile Südamerikas ausgeführt; grössere Mengen gehen auch über Grossbritannien hinaus. Ausfuhr seewärts 1888 40.029 q, 1887 38.115 q.

Ueber Hamburg wurden seewärts 1888 922.955 q, 1887 963.754 q Cement nach der Union, Brasilien und dem übrigen Südamerika ausgeführt.

Bauholz kommt auf den Eisenbahnen und der Oberelbe nach Hamburg, in kleineren Mengen aus Schweden, Norwegen und Russland.

Die wichtige Stellung Englands in der Einfuhr Hamburgs allein ist Ursache, dass der Werth des Seeverkehres mit den europäischen Ländern um ein Drittel grösser ist als der mit den aussereuropäischen. Von diesen sind die wichtigsten die Vereinigten Staaten (1888 105 Millionen Mark), Brasilien (83 Millionen Mark), Chile (66·3 Millionen Mark), Argentina und Uruguay (47·2 Mil - lionen Mark), dann Britisch-Ostindien, Afrikas Westküste, Centralamerika, Mexico und Columbia. In Europa erscheinen Frankreich (58·5 Millionen Mark), die deutschen Häfen, die Niederlande, die russischen Häfen am Schwarzen Meere, Belgien, Norwegen, Portugal, Spanien als die wichtigeren.

Die Ausfuhr seewärts erreichte 1888 in Millionen Metercentner nach Grossbritannien 8·8, nach den Vereinigten Staaten am Atlantischen Ocean 3·4, nach den Niederlanden 1·1, nach Argentina und Uruguay je 0·7, nach Frankreich 0·66, nach Afrika am Atlantischen Ocean 0·57, nach Chile 0·56.

An die Beschreibung des Handels knüpfen wir eine Skizzirung der In - dustrie, die in Hamburg so vielfach in engster Verbindung mit ersterem steht, was wir schon wiederholt bemerkt haben.

96*764Der atlantische Ocean.

Unter den sogenannten Exportindustrien nimmt die Erzeugung von Nah - rungs - und Genussmitteln den ersten Rang ein, weil hier und in den Nachbarorten Altona, Harburg, Ottensen und anderen ungefähr 10.000 Menschen in ihr Be - schäftigung finden.

Es bestehen in diesem Industriegebiete grosse Mühlen für Weizen - und Roggenmehl und Reisschälmühlen, für die Verproviantirung der Schiffe Schiffsbrot. und Bisquit - (Cakes -) Fabriken, Chocolade -, Cichorien - und Margarinfabriken.

Die Exportschlachtindustrie Hamburgs wird von Schleswig-Holstein und Dänemark mit Schweinen versorgt; auch stellt man hier Fischconserven her.

Eine der ältesten Industrien Hamburgs sind die Bierbrauereien, jünger die Spiritusfabriken und Raffinerien, die Tabak - und Cigarrenfabriken.

Hamburg ist ein Hauptsitz der chemischen Grossindustrie Deutsch - lands. Vier grosse Fabriken verwenden Kalisalze von Stassfurth, um Natronsalpeter aus Chilę umzusetzen.

Die Anglo-Continentalen Guanowerke haben wir schon genannt. Wichtig sind hier auch die Superphosphatindustrie, die Schwefelsäure - und Boraxfabriken, die Pulverfabrik und die Dynamitfabrik in Düneberg an der Elbe.

Grossen Umfang hat die Herstellung von Farbholzextracten, sehr be - merkenswerth ist die Norddeutsche Raffinerie , eine Scheideanstalt.

In Ottensen finden wir grosse Glashütten.

Von hoher Bedeutung sind die Jutespinnerei und Weberei in Schiffbeck und Harburg, die Hanfgarnspinnereien, die Wollspinnereien und Färbe - reien, die grosse Wollkämmerei in Hamburg und die Kammgarnspinnerei in Blankenese. Auch die hiesige Wäschindustrie hat einen bedeutenden Umfang.

Die Verarbeitung überseeischer Hölzer zu Fournieren, die Erzeugung von Goldleisten in Ottensen, von Möbeln und Stöcken, von Elfenbein - und Fischbeinarbeiten in Hamburg haben grosse Bedeutung.

Sehr alt ist hier die Erzeugung von Oelen aus Pflanzensamen und Früchten. Rüböl wird in Hamburg, Palmöl und Palmkernöl in Harburg erzeugt. Man ver - arbeitet Koprah, raffinirt Schmalz und erzeugt Kerzen und Seifen und Lack - waaren.

Die Kautschukindustrie von Harburg hat Weltruf.

In Hamburg bestehen, wie schon erwähnt, viele Eisengiessereien, Ma - schinenfabriken, eine grosse Nähmaschinenfabrik, 2 Hufnagelfabriken, die schwedisches Holzkohleneisen verarbeiten, und eine sehr bedeutende Schiff - bauindustrie.

Seit der Mitte des Jahres 1890 steht Hamburg mit fast allen Küsten der Erde in directer regelmässiger Dampfschiffsverbindung. Gegen 60 regelmässige Dampferlinien mit etwa 80 Dampfern gehen monat - lich von hier aus, und den grössten Theil bilden Dampfer von Hamburger Gesell - schaften.

Die Hamburger Kauffahrteiflotte umfasste:

〈…〉〈…〉

Am 1. Januar 1890 waren noch im Bau begriffen 33 Dampfer mit circa 82.000 Register-Tons und 4 Segelschiffe mit circa 6700 Register-Tons.

765Hamburg.

Die Dampferflotte vermehrte sich in den letzten Jahren geradezu sprung - haft, so dass man behaupten kann, den grösseren Theil der Dampfer der Hamburger Schiffahrtsunternehmungen bilde verhältnissmässig nur neues Schiffsmaterial.

Die erste unter den zahlreichen Hamburger Schiffahrtsunternehmungen ist die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz H. A. P. A. G. genannt, welche Ende 1889 37 Seedampfer zählte. Im Mai 1889 eröffnete sie mit der Victoria Augusta einen Schnelldampferdienst nach Nordamerika.

Zwei - bis dreimal in der Woche gehen Dampfer nach New-York. Die Schnelldampfer laufen auf der Aus - und Rückreise Southampton an, die Sonntags von Hamburg abgehenden Dampfer auf der Ausreise Hâvre, auf der Rückreise Plymouth und Cherbourg. Die Oceanfahrt auf den directen Linien dauert unge - fähr sieben Tage. Die H. A P. A. G. unterhält ferner Verbindungen von Ham - burg mit Philadelphia und Baltimore, mit Westindien und New-York via Hâvre, mit Westindien via Hâvre bis Colon und mit Westindien und dem Golf von Mexico via Hâvre bis Veracruz.

Die Gesellschaft fährt auch zweimal im Monate von Stettin nach New-York.

Nach Canada verkehrt mit Subvention der Dominion of Canada die Dampf - schiffrhederei Hansa .

Das günstigste Ergebniss hatte in den letzten Jahren (1889 14 %) die Hamburg-Südamerikanische Dampfschiffahrts-Gesellschaft (gegründet 1871) aufzuweisen, welche Ende 1889 26 Seedampfer besass. Sie fährt über Lissa - bon nach Brasilien bis Santos hinunter und direct an den La Plata.

Die deutsche Dampfschiffahrts-Gesellschaft Kosmos (gegründet 1872) geht über Antwerpen und Montevideo an die Westküste Südamerikas bis Callao und Centralamerika.

Sie und ihre Concurrenzgesellschaft, die Hamburg-Pacific-Dampf - schiffslinie (gegründet 1886, 10 Seedampfer) erzielen gute Resultate.

Nach Portugal und Marocco fährt die Atlaslinie, nach Westafrika bis S. Paul de Loanda hinunter die Afrikanische Dampfschiffs-Actien-Gesell schaft (Woermann-Linie) mit 10 Seedampfern; sie läuft seit 1890 auch Marocco an.

Der Verkehr mit dem westlichen Becken des Mittelmeeres wird zumeist durch die Linie Rob. M. Sloman und Co. vermittelt, und für die Levante und das Schwarze Meer wurde im Juli 1890 die Deutsche Levante-Linie eröffnet.

Die Deutsche Ostafrika-Linie zu Hamburg fährt mit Subvention der Regierung des Reiches durch den Suezcanal nach Ostafrika; ihre Hauptlinie endet in die Delagoa-Bai, die Post wird in Neapel aufgenommen.

Neue Gründungen sind auch die Calcutta-Linie und die Deutsch - Australische Dampfschiff-Gesellschaft; die Deutsche Dampfschiffsrhederei (Kingsin - Linie, gegründet 1871) fügte 1890 zu ihren alten Cursen nach Ostindien, China und Japan einen neuen nach Java und Sumatra.

Nach Ostsibirien endlich fährt die Dampfschiffahrts-Gesellschaft Swatow , welche ebenso wie die Ende Juni 1890 gegründete Asiatische Küstenfahrt - Gesellschaft in China Küstenschiffahrt treibt.

Wir haben hier nur die wichtigsten überseeischen Dampfschiffahrtsunter - nehmungen aufgeführt, deren Sitz Hamburg ist, und nennen von den ausländi - schen nur C. Furness in Hartlepool, die Booth Line und die Red Cross Line.

766Der atlantische Ocean.

Auch bei den directen Verbindungen Hamburgs mit den europäischen Plätzen müssen wir uns auf eine kleine Auswahl beschränken. Die neugegründete Deutsche Küsten-Dampfschiffahrts-Gesellschaft verkehrt zwischen den deutschen Küstenplätzen, die Koninglijke Nederlandsche Stoomboot - Maatschappij nach Amsterdam, zahlreiche Unternehmungen nach Grossbritan - nien und den nordischen Hafenplätzen. Durch seine Fahrten zum Nordcap unter - hält Hamburg ebenso den nördlichsten Dampfercurs der Erde, wie durch die Fahrten ums Cap Horn den südlichsten.

Ausser den directen regelmässigen und unregelmässigen Dampferlinien be - sitzt Hamburg noch ganz ausserordentliche Verbindungen zum indirecten Versandt von Waaren nach allen Häfen des Erdballes.

Für minderwerthige Güter bilden die vielen erstclassigen Segelschiffe, die Hamburg alljährlich in Ladung legt, die Ergänzung und Vervollständigung der Dampferlinien.

Segler vermitteln beispielsweise den Getreideverkehr mit S. Francisco.

Die Seeschiffahrt von Hamburg umfasste:

〈…〉〈…〉

Zur Vervollständigung müssen wir hinzufügen, dass 1888 in Altona 498 Seeschiffe mit 149.656 Reg. -Tons, in Harburg 431 Seeschiffe mit 66.060 Reg. - Tons und in Cuxhaven 1025 Schiffe mit 102.061 Tons angekommen sind.

Im Jahre 1888 entfiel die Hälfte der Tonnenzahl von Hamburg auf den Verkehr mit England, mehr als ein Drittel auf den mit transatlantischen Häfen, der Rest auf die übrigen Plätze Europas.

Von den in Hamburg angekommenen Seeschiffen führten 5218 mit 2,357.261 t die deutsche Flagge, und davon waren 1770 Schiffe mit 1,505.887 t aus dem Hamburger Rhedereibezirke.

Am nächsten kommt ihr die englische Flagge mit 2885 Schiffen und 1,988.500 Tons, die norwegische zählte nur mehr 339 Schiffe mit 168.201 Tons, die niederländische 400 Schiffe mit 103.842 Tons.

Die Tragfähigkeit der angekommenen und abgegangenen Schiffe zusammen ist 1888 gegen 1876 80 für Dampfschiffe um 98 %, für Segelschiffe um 3·33 % gestiegen.

Hamburg hat neben dem Frachtenverkehre auch einen starken Personen - verkehr, es ist nach Bremen der wichtigste Auswandererhafen des Deutschen Reiches, und seine Rhederei zieht einen gewaltigen Nutzen aus diesem Geschäfte. Wie das längst in Liverpool geschehen, trennt man seit 1890 auch in Hamburg den Personenverkehr, wenigstens theilweise, vom Frachtenver - kehr, man hat für den letzteren im diesseitigen Freihafengebiete, auf dem kleinen Grasbrook, eine transatlantische Passagierhalle errichtet.

Die starke Auswanderung ging bis 1886 fast nur in die Union, 1888 schon mit 3236 Personnen direct nach Brasilien und den La Plata-Staaten.

767Hamburg.

Auswanderung über Hamburg:

〈…〉〈…〉

Auf Segelschiffen wurden 1888 nur mehr 0·01 % der Passagiere befördert.

An die Seeschiffahrt schliessen sich in Hamburg-Altona die Flussschiffahrt auf der Oberelbe und die Eisenbahnen an. Der Waarenverkehr ist stromabwärts um etwa ein Viertel grösser als stromaufwärts. Fast ein Drittel der jetzt in Ver - wendung stehenden Fahrzeuge sind Dampfer.

Der Schiff - und Flossverkehr zwischen Hamburg-Altona und der Oberelbe zeigt für das Jahr 1888 in der Thalfahrt 10.812 Fahrzeuge mit einer Ladungs - fähigkeit von 2,006.968 t und 15,792.850 q Ladung, in der Bergfahrt 10.467 Fahr - zeuge mit einer Ladungsfähigkeit von 1,929.944 t und 12,232.796 q Ladung.

Von Hamburg-Altona gehen, abgesehen von zwei Locallinien, vier Eisen - bahnen aus. Von den drei auf dem rechten Elbeufer liegenden führt eine nach Kiel und hat zahlreiche Verzweigungen in Holstein, die zweite verbindet Ham - burg mit Lübeck (Lübeck-Hamburger Eisenbahn), die dritte mit der Oberelbe und mit Berlin (Berlin-Hamburger Eisenbahn). Durch die Bahn, welche von Hamburg nach Harburg auf der anderen Seite der Elbe geht, wird Hamburg mit Cuxhaven, Bremen und Hannover verbunden (Venlo-Hamburger Eisenbahn). Die Berlin - Hamburger und Venlo-Hamburger Eisenbahn sind die Hauptträger des Bahn - verkehres.

Im Jahre 1888 gab es 11 Hamburger Seeversicherungsgesellschaften, welche 1888 eine Summe von 1.412,041.430 Mark, 1887 von 1.204,896.100 Mark versicherten. Mit Einschluss der Betheiligung der Privatassecurateure und der Agenturen auswärtiger Gesellschaften belief sich 1887 die versicherte Summe auf 2.029,416.000 Mark.

Die wichtigsten Banken Hamburgs sind die Reichsbankhauptstelle in Ham - burg, die Nachfolgerin der Hamburger Bank, die Norddeutsche Bank, die Vereins - bank, die Commerz - und Discontobank und die Filiale der Deutschen Bank.

Dazu kommen andere Banken, unter diesen die Waarenliquidationscasse, welche bis jetzt nur Kaffee und Zucker in ihren Wirkungskreis gezogen hat, und hervorragende Bankgeschäfte.

Die im hamburgischen Staatsgebiete verkauften Wechselstempel und Wechselblanquets entsprachen 1888 einem Wechselwerthe von 1.341,752.800 Mark, der Geschäftsumsatz der Reichsbankhauptstelle erreichte im selben Jahre 8.455,017.800 Mark.

Der Mittelpunkt des Handelsbetriebes ist die Börse. Hier finden wir vereinigt eine Getreide - und eine Fondsbörse, eine Kaffee -, Tabak -, eine Waaren - börse, eine Abtheilung, wo die Speditionshäuser stehen, eine andere für die Ex - porteure. Unter den Arcaden der einen Seite ist die Assecuranzbörse. Auch die Advocaten besuchen täglich die Börse und haben zum Theile feste Plätze. Hier finden sich die Schiffscapitäne ein, wenn sie von ihrer weiten Fahrt kommen, und die Flussschiffer versammeln sich auf dem Plateau vor der Getreidebörse.

Und rings um alle Börsesäle ziehen sich die Comptoire der Makler, die Zweigbureaus vieler Handelsfirmen, Spediteure, Rheder und Gesellschaften. Das768Der atlantische Ocean.Exporthandbuch der Börsehalle, dem wir diese Schilderung entnommen haben, hat Recht, wenn es sagt, die hamburgische Börse bildet eine in allen ihren Einrichtungen zweckmässige Institution, deren Grossartigkeit und praktisches Ineinandergreifen wohl von keiner Handelsstadt übertroffen wird, weil hier die Gesammtheit des Handelsverkehres von Hamburg vereinigt ist .

Consulate haben in Hamburg: Anhalt, Argentinien (G. -C. ), Baden (G. -C), Bayern (G. -C. ), Belgien (G. -C. ), Bolivia (G. -C. ), Brasilien (G. -C. ), Chile, Colum - bia (G. -C. ), Costarica, Dänemark (G. -C. ), Ecuador, Frankreich (G. -C. ), Griechen - land (G - C.), Grossbritannien (G. -C. ), Guatemala, Haïti (G. -C. ), Hawaiï, Hessen (G. -C. ), Honduras, Italien, Japan, Korea, Liberia (G. -C. ), Mecklenburg-Schwerin, Mexico, Niederlande (G. -C. ), Nicaragua (G. -C. ), Oldenburg (G. -C. ), Oranje-Freistaat, Oester - reich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay (G. -C. ), Persien (G. -C. ), Peru (G. -C. ), Portugal (G. -C. ), Rumänien (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Sachsen, Salvador, Sansibar (G. -C. ), Schaumburg-Lippe, Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz, Serbien (G. -C. ), Siam (G. -C. ), Spanien (G. C.), Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela (G. -C. ), Vereinigte Staaten (G. -C. ), Württemberg.

[769]

Der Nord-Ostseecanal.

Die Schaffung neuer Communicationen ist ein Charakterzug der Gegenwart. Dem rastlosen Baue der Eisenbahnen folgte die Vermeh - rung der Wasserstrassen. Gewiss haben die Entwicklung der tech - nischen Hilfsmittel und namentlich die Association des Capitales die Schwierigkeiten wesentlich gemindert, welche nun einmal mit allen Canalbauten verbunden sind, aber der menschliche Geist übersprang in schöpferischem Drange wiederholt scheinbar unüberwindliche Hinder - nisse, welche die Natur seinem Streben entgegensetzte, und verwirk - lichte Ideen, die den Triumph unseres Jahrhunderts begründeten.

Unsere schnellschaffende Zeit sah das Riesenwerk des Suez - Canals, welches den Welthandel in neue Bahnen lenkte, vollenden und verfolgte mit grossem Interesse die Entwicklung des ins Stocken gerathenen Ausbaues der neuen Wasserstrasse im Panama, jener genialen Verbindung der grössten Oceane der Erde, eines Werkes, das ebenso wie der unterbrochene Bau des Canals von Korinth nun an schweren finanziellen Calamitäten krankt.

Zu den erwähnten Durchstichen gesellt sich nun das Unter - nehmen des Baues eines Marine - und Schiffahrts-Canals quer durch die schleswig-holsteinische Landenge, ein Werk, dessen militärische Bedeutung heute, wo Europa in Waffen starrt, gewiss weit mehr als die Aussicht auf commerziellen Nutzen die Ausführung sichert.

Der Nord-Ostseecanal, ungeachtet seiner Kostspieligkeit be - reits seit dem Jahre 1887 im Bau begriffen, ist der strategischen Wichtigkeit wegen den grossen Schwankungen, welchen ähnliche grosse Projecte ausgesetzt zu sein pflegen, völlig entrückt.

Solcher Projecte gab es sehr viele in Europa wie in anderen Erdtheilen. Wir erinnern an die kürzlich aufgetauchte Idee eines Durchstiches der italienischen Halbinsel in der Erstreckung von 130 km mit ungeheuerlichen Schleussenanlagen, wir erwähnen weiters die Umwandlung des 450 km langen, für kleine Fahrzeuge bestimmten Canal du Midi, welcher Bordeaux mit dem Mittelmeer verbindet, in einen Seeschiffahrtscanal, weiters die Schaffung eines Seehafens in Paris durch dieDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 97770Der atlantische Ocean.Canalisirung der Seine, eines Werkes, welches zwei Milliarden Francs verschlingen würde; dann sei auch des grossartigen Planes Dr. Strousberg’s gedacht, welcher den Bau eines breiten und tiefen Seecanais von Berlin nach der unteren Elbe betraf.

Man sieht aus diesen Projecten, dass der Canalbau, der durch die Eisen - bahnen einige Zeit vollständig überwunden schien, neuerlich in Europa viele Geister in Bewegung setzt und der geniale Lesseps eine ganze Generation von Concurrenten geschaffen hat, die sich aber erst den Lorbeer zu verdienen trachten muss.

Der Canalbau hat übrigens zu allen Zeiten eine gewisse Anziehungskraft auf die Machthaber auszuüben vermocht, und wir haben gelegentlich der Darstel - lung der Canäle von Korinth und Suez die Bestrebungen des Alterthums an jenen berühmten Stätten hervorgehoben.

Dass die wichtige Verbindung der Nord - und Ostsee gleichfalls als ein Glied in der Kette einer historischen Entwicklung erscheint, ist nun natürlich, denn wenn es gemeinsame, die Menschheit umfassende Ideen gibt, so mussten sie auf allen durch schmale Landmassen getrennten Meerestheilen zum Ausdruck ge - langen und so auch an der Halbinsel Jütland.

Im Mittelalter handelte es sich nicht allein um Wegersparniss wie heute, sondern um die Vermeidung der gefährlichen Umschiffung von Skagen, dann aber auch darum, der Bedrückung zu entgehen, welche das mächtige Dänenreich der Schiffahrt auferlegte (Sundzoll!).

Unter diesen Verhältnissen war in den Jahren 1391 bis 1398 der Stecknitz - Canal zwischen Lauenburg an der Elbe und Lübeck an der Trave enstanden, der, obgleich für die Seeschiffahrt nicht verwendbar, doch die erste Wasserverbindung der Nord - mit der Ostsee bildete. Die Urheberschaft der Hansa ist dem noch heute bestehenden, für Fahrzeuge von ganz geringem Tiefgange benutzbaren Canal aufgeprägt, denn er verband zunächst Lübeck mit Hamburg.

Die beiden früheren Hansastädte waren es auch, welche zu Anfang des XVI. Jahrhunderts den sogenannten Alster-Trave-Canal in Angriff nahmen, jedoch wurde dieses Werk 1550 zerstört.

Um dieselbe Zeit plante Christian III. von Dänemark eine Durchstechung auf den Linien Ribe und Kolding, Ribe und Hadersleben oder Ballum-Apenrade. Diese Projecte blieben ebenso unausgeführt wie jene Wallenstein’s, welcher als kaiserlicher Generalissimus und Grossadmiral im Jahre 1628 den Befehl zum Bau eines Nord-Ostseecanals von jetzt unbekannter Richtung ertheilte.

Auch Cromwell, der berühmte Lord-Protector von England, entwarf ein Canal - bauproject, welches dahin zielte, von der Elbe aus mit Benützung des Schweriner Sees einen Canal nach Wismar zu führen und letzteren Hafen für England zu erwerben.

Erst dem Könige Christian VII. von Dänemark war es gelungen, von 1777 bis 1785 den Eider-Canal auszuführen, welcher von der Kieler Bucht bei Holtenau ausgehend das wasserreiche Eider-Flüsschen erreicht und dessen Lauf bis Rends - burg folgt. Bei etwa 3 m Tiefe und 30 m Breite genügte er den Anforderungen der damaligen Zeit hinreichend, heute jedoch entspricht er dem Verkehre keineswegs mehr. Auch ist der Eider-Canal seiner geringen Tiefe wegen kein eigentlicher See - schifffahrts-Canal, obwohl er zu regelmässigen Dampfschiffs-Verbindungen zwischen Kiel und Bremen, Flensburg und Hamburg benützt wird ..

Von Zeit zu Zeit tauchten immer neue Projecte auf, so auch nach den Frei - heitskriegen, wo man sich Friedenswerken zuzuwenden begann. Nach den Revolu -771Der Nord-Ostseecanal.tionsjahren 1848 und 1849 kamen die Projecte der Linien Eckernförde-Husum und Eckernförde-Rendsburg-Brunsbüttel zur Sprache, aber erst mit der Besetzung von Schleswig-Holstein im Jahre 1864 nimmt die Canalangelegenheit einen ernsteren Charakter an.

Nach dem Projecte des Geheimen Oberbaurathes Lentze, welcher schon damals einen Marinecanal von 68 m Breite und ungefähr 10 m Tiefe plante, sollte der neue Wasserweg von St. Margarethen an der Elbe über Rendsburg nach Eckern - förde führen und eine Abzweigung nach der Kieler Bucht bei Verwendung des Eider-Canals erhalten.

Immer mehr kam die Ausmündung des Canals an der Elbe zur Geltung, da nur dort eine jederzeit sichere Ausfahrt vorhanden ist. Das Project wurde 1873 im Reichstage verhandelt, dann aber beiseite gelegt.

Im Jahre 1878 trat der Hamburger Kaufmann H. Dahlström mit einem Plane auf, der sich im Allgemeinen an das Project Lentze anschloss, und beabsichtigte unter Betheiligung Preussens oder des Reiches ein Privatunternehmen zu gründen. Er liess die östliche Ausmündung des Canals bei Eckernförde fallen und behielt bloss jene bei Holtenau in der Kieler Bucht. Die westliche Ausfahrt verlegte Dahl - ström in die Bucht von Brunsbüttel. Ein grosser Theil des Eider-Canals sollte für die neue Wasserstrasse benützt werden. Die Sache konnte erst in Fluss kommen, als Deutschland infolge seiner politischen Einigung eine Seemacht ersten Ranges wurde, welche aber an der Nordsee keinen günstigen Kriegshafen hat, und deren ganzes Ostseegebiet unter der Controle Dänemarks stand. Dem musste um jeden Preis abgeholfen werden, und aus diesen politisch-strategischen Gründen hat am 3. Juni 1887 Kaiser Wilhelm I. den Grundstein zu dem neuen Wasserweg in Holtenau gelegt.

Seitdem werden die Arbeiten, die an einzelne grosse Unternehmer vergeben sind, an dem Riesenwerke emsig fortgeführt.

Der Nord-Ostseecanal ist, geradeso wie jener von Suez, ein Durchstich in der Horizontalen, also kein Treppenschleussencanal.

Zieht man seine Länge in Betracht, so zeigt sich, dass er bei 98·7 km Länge ungefähr die Mitte zwischen dem Suezcanal (160 km) und dem Panamacanal (75 km) einhält. Indes bleiben die letztge - nannten Durchstiche gegen unseren Canal, was Breite und Tiefe an - belangt, erheblich zurück, denn dieser wird 9 m Wassertiefe erhalten und seine Spiegelbreite wird 66 m und die Sohlenbreite 22 m be - tragen, so dass überall zwei Schiffe an einander vorbeizufahren im Stande sein werden, was selbst beim Suez-Canal nicht der Fall ist. Nur für ganz schwere Kriegsschiffe werden eigene Ausweichestellen geschaffen.

Die beiden Endpunkte des Canals werden durch riesige Schleus - senthore geschützt, von welchen jenes bei Brunsbüttel die Bestimmung hat, den Canal und das von ihm durchschnittene Gebiet gegen das denkbar und erfahrungsmässig schwerste Hochwasser bei stürmender Nordsee, das bis zu 6 m Höhe über den mittleren Wasserstand der Ostsee ansteigen kann, abzusperren. Die Brunsbüttel-Schleusse wird97*772Der atlantische Ocean.daher nur immer zwischen Ebbe und Flut auf etwa 4 Stunden ge - öffnet bleiben und geschlossen werden müssen, wenn die Ebbe zu tief oder die Flut zu hoch wird. Die Verwüstungen, welche die Sturmfluten der Nordsee in den Kirchspielen von Brunsbüttel und Büsum anrichteten, mahnen zur Vorsicht. Zweimal schon wurden Bruns - büttel und Büsum von den heranstürmenden Hochfluten verschlungen.

Die Schleussenanlagen an den Endpunkten des Canals werden gewaltige Werke sein, welche Kammern von 360 m Länge und 60 m Breite erhalten sollen.

Auch die Schleusse bei Holtenau ist ein bedeutender Kunstbau, der im Stande sein muss, die Wassermassen einer Sturmflut abzu - halten, denn auch die Ostsee hat, wie der November 1872 besonders in Erinnerung brachte, ihre verheerenden Hochfluten. Nach den Auf - zeichnungen der Wasserstände in Holtenau wird die Schleusse dort nur etwa 25 Tage im Jahre geschlossen bleiben, so oft nämlich der Wasserstand einen halben Meter über oder unter den mittleren Wasser - stand steigt oder fällt.

Von der Grossartigkeit der Schleussen wird man sich eine Vor - stellung bilden, wenn wir erwähnen, dass zur Auf - und Ausmauerung der Schleussenkammer rund 50 Millionen Ziegel erforderlich sind.

Vor den Schleussen werden durch Dammbauten geeignete Vor - häfen gebaut.

Die Kosten des Canals sind mit 156 Millionen Mark veran - schlagt, welche der Reichstag bereits bewilligte. Hievon übernahm Preussen 50 Millionen, weil der Canal durch sein Gebiet geht.

Gegenwärtig wird auf der ganzen Linie rüstig gearbeitet, und ist Hoffnung vorhanden, den Canal, eines der grossartigsten Culturwerke des Deutschen Reiches, im Jahre 1895 zu vollenden. Den Lauf des Canals haben wir auf unserem Plane eingezeichnet.

Der Nord-Ostseecanal wird jedoch, wie so manches Verkehrsmittel, welches seine Entstehung dem Gotte Mars verdankt, auch dem Gotte Mercur dienen, denn der Canal wird die Fahrt von Kiel nach Hamburg um 425 Seemeilen, nach London aber um 239 Seemeilen abkürzen. Gegenüber den nördlichen Nordseehäfen Englands ist jedoch der Vor - theil der neuen Wasserstrasse kein erheblicher.

Es wird erwartet, dass der ganze Verkehr nach den nord - deutschen Küsten, nach Holland, Belgien und dem englischen Canal den Weg durch den Nord-Ostseecanal nehmen werde. Wir haben bereits bei Korinth und Suez erwähnt, dass ausser der Zeitersparniss auch die Verminderung des Risicos und die geringere Versicherungs -773Der Nord-Ostseecanal.gebühr für Schiffe als Vortheile der neuen Wasserwege in Anschlag gebracht werden müssen. Dasselbe trifft nun auch hier ein. Für den zukünftigen Canalverkehr wird angenommen, dass etwas mehr als der dritte Theil aller bisher durch den Sund steuernden Schiffe, nämlich ungefähr 18.000 Schiffe jährlich, die zusammen etwa vier Millionen Mark entrichten dürften, den Weg durch den Nord-Ostseecanal nehmen werden.

Bei der Rentabilitätsberechnung wird angenommen, dass 51 Mill. Mark, die zu Zwecken der Kriegführung gerechnet werden, und

Nord-Ostseecanal (Massstab 1: 1,190.000).

50 Millionen, welche Preussen beisteuert, vom Gesammtbaucapital abgezogen werden müssen, so dass nur 55 Millionen zu verzinsen erübrigen. Wenn nun von den Einnahmen ungefähr 2 Millionen Mark an Unterhaltungskosten des Canals in Abzug gebracht werden, so würde sich bei einem Ueberschuss von 2 Millionen Mark eine Ver - zinsung von circa 4 % ergeben. Derartige Ziffern sind übrigens bei Canälen, welche den Schiffen so geringe Zeitersparniss geben wie der Nord-Ostseecanal (namentlich in der guten Jahreszeit), nur pro - blematisch, so dass die strategische Bedeutung des Canales doch in den Vordergrund gerückt bleibt.

Allerdings sind die militärischen Vortheile des Canals sehr be -774Der atlantische Ocean.deutend, nachdem er gestatten wird, die Seestreitkräfte Deutschlands völlig unbemerkt vom Feinde in der Nordsee oder in der Ostsee zu concentriren. Allein selbst Moltke war angesichts der riesigen Kosten des Canals nicht frei von Bedenken und fasste sie 1872 im Reichstage in den Worten zusammen: Wenn wir geneigt sind, für maritime mili - tärische Zwecke eine Summe von 40 bis 50 Millionen Thalern auszu - geben, dann würde ich Ihnen vorschlagen, statt eines Canals für die Flotte eine zweite Flotte zu bauen.

Das mächtige Deutschland that in seinem Kraftbewusstsein mehr noch als Moltke meinte: es steht im Begriffe, den Canal und die Flotte zu schaffen.

Wenn nach wenig Jahren die Gewässer der Nord - und der Ostsee zusammenfliessen werden, wird auch die mächtige Flotte des deutschen Kaiserreiches zu imposanter Stärke angewachsen sein.

[775]

Kopenhagen.

Kopenhagen (dänisch Kjöbenhavn, Kaufhafen) liegt, wie unser Plan zeigt, beiderseits des nördlichen Ausganges des Kalvebod-Strands, eines schmalen Armes des Sundes, der Seeland von der kleinen Insel Amager scheidet und den vortrefflichen Hafen der Reichshaupt - und Residenzstadt Dänemarks bildet.

Für grosse Seeschiffe ist nur der Nordeingang des Hafens prakti - kabel, da der südliche der Trestee-Canal nur Wasser für kleine Fahrzeuge führt. Die vollständige Umsäumung des langgestreckten Sundes in der ganzen Ausdehnung des Hafengebietes mit Molen und Quaimauern lässt den oberflächlichen Beschauer vermuthen, weit eher ein künstlich ausgehobenes Bassin als einen von der Natur geschaffenen Meeresarm vor sich zu haben.

Die Verbindung der beiden Längsseiten des Hafens geschieht durch drei Brücken, von denen die Zollhausbrücke mit ihrem schwimmenden Durchlassglied Bommen am nördlichen, die Langebro am südlichen Eingang förmliche Hafenthore bilden, während der Knippelsbro die Verbindung des eigentlichen Kopenhagen mit der auf Amager gelegenen Vorstadt Christianshavn zukömmt.

Dampferkolosse, die unter den Flaggen aller Länder den grössten dänischen Hafen, der naturgemäss auch das Handelscentrum des Landes bildet, anlaufen, vereinzelte Segelschiffe und eine grosse Zahl von Küstenfahrern althergebrachten und modernen Typs bevölkern den Hafen und drängen sich an einzelnen Theilen des westlichen Strandes so eng aneinander, dass sie vor dem Quai einen geschlos - senen Wall bilden. Hier herrscht von Schiff zu Land und umgekehrt ein ständiges Herüber und Hinüber, ein Schieben und Drängen von Menschen und Waaren. Es wechseln die einzelnen Glieder in stetiger Folge; das Bild der rastlosen Thätigkeit aber bleibt unver - ändert wie das Getöse, das aus dem Getriebe erwächst.

Am gegenüberliegenden Strande spricht sich grösserer Ernst in776Der atlantische Ocean.der Situation aus; die Thätigkeit, die hier herrscht und die kaum geringer sein dürfte als diesseits, verzichtet gerne auf die Erzeugung der Aufmerksamkeit von aussen. Die Anerkennung der Leistungen des Schiffsparkes und der Anlagen, welche hier in dem durch Pfahl - werke abgeschlossenen Orlogshavn beisammen liegen, ist späteren Tagen vorbehalten. Hier hat die Kriegsflotte ihre Heimstätte gefunden, ein Heim im wahren Sinne des Wortes.

An diesem Strande netzen die Kriegsschiffe zum erstenmale ihre mächtigen Körper mit dem salzigen Nass, hier finden sie ständige Pflege und Sicherung vor der Wuth der Elemente, Zurüstung zum Kampfe gegen diese und sonstige Feinde, liebreiche Aufnahme bei Rückkehr aus fremden Gewässern, Heilung aller jener Gebrechen und Narben, die sie als Denkzettel ehrenvoller Kämpfe seien diese mit den Ele - menten oder in ernster Zeit mit Angreifern ihrer Rechte ausgefochten worden heimgebracht haben.

Vor der nördlichen Einfahrt in den Innenhafen breitet sich die Rhede aus; die vielen, theils an Seeland anlandenden, theils von Amager seewärts verlaufenden Untiefen und Bänke, welch letztere zum Theil die Fundamente der starken Seeforts Tre Kroner und Lynetten bilden, beschränken wohl deren Raum in nicht unbedeu - tendem Masse, sind aber durch ausreichende Betonnung, Bemarkung und Beleuchtung derart gekennzeichnet, dass sie der Zufahrt keine Schwierigkeiten entgegenstellen und in keiner Weise dem Rufe Kopen - hagens als eines der besten und sichersten Häfen der Ostsee und des Kattegats, welcher Eigenschaft es zweifelsohne sowohl seine Anlage als die nunmehrige Bedeutung für den Weltverkehr verdankt, abträglich wirken.

Kopenhagen wird in der dänischen Geschichte das erstemal im Jahre 1043 als Fischerdorf unter dem Namen Havn (der Hafen) genannt.

Die Gründung der eigentlichen Stadt Kopenhagen ist das Verdienst des rührigen Bischofs Absalom, des Ministers König Waldemar I. (1157 1182), der die Wichtigkeit der Position Havns erkannte und im Jahre 1168 zum Schutze des Hafens gegen Seeräuber eine feste Burg auf derselben Stelle erbaute, wo jetzt die Ruinen der Christiansborg stehen. Rasch blühte der Ort als Handelsplatz auf; um 1200 wird er bereits Portus mercatorum , auf dänisch Kjöbmanhafn (Kaufmannshafen) genannt, und allmälig setzt sich die Form Kjöben-Havn (Kauf - Hafen) fest, wie der Ort bis heute genannt wird. Sein erstes Stadtrecht erhielt Kopenhagen 1254. Die Geschichte erzählt von vielfachen Kämpfen um den Besitz der Stadt; insbesondere waren es die Hanseaten, die seit der Mitte des XIV. Jahr - hunderts in mehreren Kriegszügen gegen Kopenhagen feindlich auftraten und sich durch Wegnahme und Plünderung der Stadt für die von den Dänen geübten Ueberfälle der eigenen Territorien schadlos hielten.

[777]

Kopenhagen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 98778Der atlantische Ocean.

Prinz Christoph von Bayern, der nach seinem Onkel Erich den Thron Däne - marks bestieg, verlegte 1443 seine Residenz von Roeskilde nach Kopenhagen, Christian I. gründete 1478 daselbst die dänische Universität, und 1537 wurde auch der Bischofsstuhl von Roeskilde nach Dänemark verlegt. In diesen Zeiten führten die dänischen Könige erbitterte Kämpfe gegen die Schweden für die Erhaltung der kalmarischen Union der drei nordischen Reiche Schweden, Norwegen und Dänemark, und dadurch erwuchs die Stadt von selbst zum Hauptwaffenplatz des Landes, zur Hauptstation der dänischen Kriegsflotte. Vom XVI. Jahrhundert an ist das Schick - sal des gesammten Reiches fast ganz abhängig von dem Schicksale der Hauptstadt. Sie hat daher wiederholt langwährende Belagerungen zu erdulden; so im Jahre 1523, als König Christian II. verjagt und von seinem als Gegenkönig aufgestellten Oheim Friedrich I. bekriegt wurde, und weiters 1535 und 1536, als nach dem Tode Friedrich’s I. Christian II., gestützt auf sein vermeintliches Recht, mit Hilfe Englands und der Hanseaten erneuert versuchte, die ihm entrissene Krone an sich zu bringen.

Christian IV., einer der hervorragendsten Regenten Europas in jenen Tagen, erweiterte Kopenhagen um ein Bedeutendes und verstärkte, gezwungen durch die unsicheren Zustände, wie sie der dreissigjährige Krieg mit sich brachte, die Befesti - gungen; schon in der Regierung seines Nachfolgers Friedrich III. (1648 1670) zeigte sich die Erspriesslichkeit dieser Vorkehrungen, da Kopenhagens Bürger da - durch in den Stand gesetzt waren, mit ihrer Stadt das Vaterland zu retten vor dem Schwedenkönig Karl X., der, auf dem Eise von Insel zu Insel marschirend, bereits das übrige Dänemark erobert hatte. Auch das Bombardement der ver - einigten englisch-holländisch-schwedischen Flotte im Jahre 1700 konnte die Stadt über sich ergehen lassen, ohne dessen Folgen sonderlich fürchten zu müssen.

Das XVIII. Jahrhundert war für Kopenhagen eine Zeit der freien Ent - wicklung und des wirtschaftlichen Aufschwunges; während der französischen Re - volution hielt Dänemark eine strenge Neutralität und erreichte, begünstigt durch den Umstand, dass das kaufmännische Gut unter den anderen europäischen Flaggen nur wenig Schutz genoss, eine bedeutende Erweiterung seines Seehandels. Der Reichthum vieler Kopenhagener Kaufhäuser und insbesondere der Rheder datirt aus jener Zeit.

1799 und 1800 schonten die Engländer auch die neutrale Flagge nicht, so dass Dänemark gezwungen war, der von Russland 1801 gegen die Uebergriffe dieser Macht gestifteten bewaffneten Neutralität beizutreten, was von Seite Englands als Kriegs - erklärung aufgefasst und als Grund vorgeschoben wurde, eine Flotte unter dem Admiral Lord Parker und dem Viceadmiral Nelson nach Kopenhagen zu ent - senden, welche unter Nelson’s Führung am 2. April die zur Vertheidigung der Stadt ausserhalb der Batterie im Königstief verankerte dänische Flotte völlig ver - nichtete. Die Annalen der Geschichte zählen diese That zu den kühnsten Nelson’s, und auch Napoleon I. beurtheilte sie derart.

Im Jahre 1807, als Napoleon I. auf der Höhe seiner Macht stand und es nicht sicher war, ob er die langgehegte Absicht einer Landung am Inselreiche trotz der sich bietenden Schwierigkeiten nicht dennoch zur Ausführung bringen würde, erwachten in England Bedenken gegen die dänische Flotte. Ohne jedwede Kriegserklärung erschien vor Kopenhagen ein englisches Geschwader und forderte unter Androhung von Gewaltmassregeln die Schliessung eines Allianzvertrages und eröffnete nach Verweigerung der Erfüllung dieses Ansinnens die Feindselig -779Kopenhagen.keiten; Kopenhagen wurde bombardirt und in Brand geschossen, die dänische Flotte als Beute weggeführt.

Die rege, vom Glücke begünstigte Handelsthätigkeit Kopenhagens liess auch bald diesen schweren Schlag, den das Reich und in erster Linie dessen Haupt - stadt erlitten hatte, vergessen und bezwang alle Hindernisse, welche der infolge ihrer günstigen Handelslage am Sund sich vollziehenden Entwicklung entgegen - standen, und Kopenhagen hob sich bis in unsere Tage ununterbrochen, so dass es heute unter den Residenzstädten Europas eine hervorragende Stellung einnimmt.

Kopenhagen, unter 55° 41′ nördl. Br. und 12° 35′ östl. L. v. Greenwich gelegen, ist Residenz, Sitz der Ministerien, des Reichs - tages und aller höchsten Behörden, Station der Kriegsflotte und der Mittelpunkt des Handels, der Industrie und des Verkehrs sowie die Centrale der Wissenschaft, Literatur und Kunst des Landes, kurz das Herz Dänemarks.

Nach der Zählung vom 1. Februar 1890 beträgt die Ein - wohnerzahl der Stadt mit Vorstädten 375.800 Seelen, also 17 % der Gesammtbevölkerung Dänemarks.

Die Stadt macht im Allgemeinen einen äusserst freundlichen, distinguirten Eindruck; Wohlhabenheit, Lebensfreude bis an die Grenze der Genusssucht und stark entwickelter Kunstsinn der Be - wohner bringt sich in der ganzen Stadtanlage zum Ausdruck.

Am Quai stehen dicht aneinandergereiht die Paläste der erb - gesessenen Kaufherren und alle jene grösseren Gebäude von Ge - sellschaften und Privaten, deren Interessen an den Seeverkehr gebunden sind; gedeckt durch diese breitet sich die Stadt im ge - schlossenen Halbzirkel über die Reihe langgestreckter Wasserbecken, die durch Abschliessung eines Sundarmes entstanden sind und ihrer regelmässigen Form halber als breite künstlich angelegte Wasser - gräben erscheinen. Sie liegen ausserhalb der alten Befestigungswerke, die Kopenhagen einst gegen die Landseite umgürteten und von wel - chen gegenwärtig nur mehr drei Bastionen im Anschluss an die Citadelle (Kastellet) im Norden erhalten sind.

Das Strassennetz ist mit Ausnahme der kleinen Stadttheile, die sich um die Schlossinsel gruppiren, im ganzen nördlichen Stadt - theil, der fast durchgehends aus palastartigen Bauten besteht und von den Mitgliedern des königlichen Hauses, der Aristokratie, den Ge - sandtschaften und hohen Würdenträgern bewohnt wird, regelmässig angelegt. Die neu angelegten, ausserhalb der angrenzenden Teiche gelegenen Vorstädte Osterbro, Norrebro und Westerbro, das sich an letztere immer enger anschliessende Kirchdorf Frederiksberg und nicht98*780Der atlantische Ocean.minder der auf Amager gelegene Stadttheil Christianshavn sind be - sonders erwähnenswerth.

Die Regelmässigkeit der Strassenzüge und die nahezu voll - kommene Ebenheit des Terrains, auf dem die Stadt steht, ermöglichten den bedeutenden Anforderungen des Verkehrs durch Anlage ausge - breiteter, vielverzweigter Strassenbahnen volle Rechnung zu tragen.

Kopenhagen ist sehr reich an hervorragenden Bauten, die theils durch architektonischen, theils durch historischen Werth und nicht zumindest durch die Reichhaltigkeit der Kunstschätze, die sie bergen, ein bedeutendes Interesse wachrufen.

Christiansborg, auf der von Canälen umfangenen Schlossinsel von Christian VI. an Stelle des alten Residenzschlosses erbaut und nach Zerstörung durch eine Feuersbrunst im Jahre 1794 erneuert herge - stellt, wurde, wie noch erinnerlich, am 3. October 1884 abermals ein Raub der Flammen.

Die Brandruine mit den fünf Stockwerke aufweisenden Fronten, den das Mittelgiebelfeld tragenden Pilastern an der Hauptfaçade und der von 36 dorischen Säulen gebildeten Colonnade an der Rückfront zeigen die grossen Verhältnisse, in denen das Schloss gehalten, und die aussergewöhnliche Formenschönheit, mit der es ausgestattet war.

Theilweise gedeckt von der an den linken Flügel der Ruine angereihten Schlosskirche steht das so sinnreich angelegte Mausoleum Thorwaldsen’s, des grössten Plastikers seit Phidias, dessen Meissel es in seltener Begabung gelang, die edle Reinheit griechischer Formen - schönheit, wie sie die Antike in ihren mythologischen Gestalten schuf, in neuen Formen wieder aufleben zu lassen.

Das Gebäude, das gleichzeitig als Museum der Werke des Meisters dient und dessen Mausoleum bildet, ist an sich eine Sehens - würdigkeit, die Architektur ist griechischen und etruskischen Grab - bauten entlehnt und trägt den Stempel schwermüthigen Ernstes.

Das Museum, welches nebst einer grossen Zahl der eigenen Schöpfungen Thorwaldsen’s, die schon allein durch die vielfältige Nachbildung, welche sie erfuhren, ihren wahren Werth documentiren, auch Bilder und Statuen anderer hervorragender Meister, insbesondere aber sehr werthvolle Antiken birgt, wird dadurch zu einer der her - vorragendsten Kunstsammlungen der Welt.

An den rechten Flügel des ehemaligen Schlosses schliesst eine Gruppe umfangreicher Gebäude an, in welcher die Ministerien, die königliche Bibliothek, das Zeughaus und ähnliche dem öffentlichen Interesse gewidmete Institutionen untergebracht sind. Dieser gegenüber781Kopenhagen.steht die Börse, mit ihrer Hauptfront hart an den Canal herantretend; ein origineller Barockstylbau, der durch die abenteuerliche Form des ihn krönenden Thurmes vier auf dem Bauche liegende Drachen, deren Schwänze in inniger Verschlingung himmelanstreben be - sonders auffällt.

Vor dem Haupteingange der Schlossruine auf dem geräumigen Platze, der sich bis an den die Insel umfangenden Canal ausdehnt, steht das Reiterstandbild Friedrich’s VII., des Vaters des Volkes , wie ihn die Geschichte nennt.

Südwestlich des Schlosses liegt jenseits des Frederiksholm - canals das höchst interessante Prindsens-Palais, welches gegenwärtig ausschliesslich als Museum dient. In diesem Gebäude sind fünf be - deutende Sammlungen untergebracht, von welchen insbesondere das Museum nordischer Alterthümer (Nordiske Oldsager) eines der umfangreichsten ist, welche für die skandinavische und altgermanische Culturgeschichte existiren, und etwa 40.000 Objecte von unschätz - barem Werthe enthält. Die Sammlung ist für die prähistorische Zeit die bedeutendste der Erde.

Von ausserordentlichem Interesse ist das ethnographische Museum, eines der grossartigsten in Europa; es füllt nicht weniger als 35 Säle und verdankt seine Entstehung dem 1865 gestorbenen Conferenzrathe Thomsen. Auch bei dieser Sammlung sind die nordi - schen Länder, selbst Grönland, besonders vertreten. Im selben Palais ist ferner die etwa 80.000 Blätter zählende königliche Kupfer - stichsammlung, dann das Kunstmuseum oder Antikencabinet mit Sculpturen und Baufragmenten aus der alten Welt, endlich das 30.000 Objecte enthaltende Münz - und Medaillen-Cabinet unter - gebracht, alles Sammlungen allerersten Ranges.

Von dem vorerwähnten Schlossplatz der Christiansborg führt eine breite Strasse über die Knippelsbro nach Christianshavn, dem auf Amager liegenden Stadttheil, der durch die grosse Zahl privater Schiffswerften und Docks, die im engen Anschluss an die ähnlichen Etablissements der Kriegsmarine stehen, besonders ausgezeichnet ist.

Als Wahrzeichen des Stadttheiles erhebt sich aus dessen Mitte der Thurm der Frelsers-Kirche, der Form nach einzig in seiner Art. Eine Wendeltreppe führt aussen rund um den Thurm zu dem 90 m hohen Belvedere, von welchem aus der Rundblick über die ganze Stadt bis weit hinein in das Gebiet Seelands, über Aecker und Wiesen zu den den Horizont gegen Nordwest abschliessenden Buchen - wäldern, deren Schönheit von allen Naturfreunden in den über -782Der atlantische Ocean.schwänglichsten Worten geschildert wird, und über die hundertfältig parcellirten Gefilde der Insel Amager, des Nutzgartens von Kopenhagen, ermöglicht ist.

Den Mittelpunkt der Stadt, sowohl der örtlichen Lage nach als auch betreffs des Umstandes, dass sämmtliche Verkehrslinien sich daselbst kreuzen, bildet Kongens-Nytoro (Königs-Neumarkt), in welchen 13 Strassen einmünden. Wenn ihm auch die geometrische Regelmässigkeit mangelt, so kann er schon der räumlichen Aus - dehnung halber und nicht minder der prächtigen Gebäude wegen, die ihn umschliessen, unter die stattlichsten Plätze der europäischen Grossstädte eingereiht werden.

Das an einer Seite des Platzes frei hervortretende königliche Theater ist ein bedeutender, im reinen Renaissancestyl durchge - führter Bau.

Die in den Giebelfeldern eingefügten von Meisterhand model - lirten plastischen Gruppen Apollo’s und der Musen, die Reichhaltig - keit an sonstigen Sculpturen sowie nicht minder die zu Seiten des Haupteinganges postirten Monumente der heimatlichen Dichter Ludwig Hollberg und Adam Oehlenschläger bringen die Schönheit der architektonischen Formen zu erhöhter Geltung.

Die dem Theater nächstliegende Ecke des Platzes wird vom Schlosse Charlottenborg eingenommen; das Gebäude ist nur durch seine räumliche Ausdehnung auffallend, es ist seiner eigentlichen Be - stimmung seit Langem entfremdet und beherbergt dermalen die Kunstakademie und die königliche Gemäldegallerie, insoweit dieselbe beim Brande Christiansborgs gerettet wurde.

Orientirt zum Schlosse steht in der Mitte des Platzes das Reiterstandbild Christian V., um dasselbe breitet sich eine hübsch gruppirte Gartenanlage aus, die aber die Aufgabe, welche ihr der kunstverständige Kritiker geben möchte die Statue möglichst zu verdecken nur theilweise löst.

Wie vorne erwähnt, münden auf den Platz die Hauptverkehrs - strassen der Stadt. Folgen wir der bedeutendsten, der Östergade, welche den ständigen Corso der eleganten Welt bildet, so kommen wir vorüber an der Heiligen Geist-Kirche über die zwei vereinigten Plätze, den Gammel-Toro (Altmarkt) und Nytoro, in deren Mitte ein von Christian IV. errichteter Springbrunnen seine Wasser spielen lässt, zu jenem Theile der Stadt, den kaum ein Kopenhagener Kind, sei es noch in den ersten Schuhen oder trüge es ergrautes Haar, ohne gewisse Befriedigung nennen wird.

783Kopenhagen.

Es ist Tivoli mit seinen ungezählten Schaubuden, Sommer - theatern, Concertlocalen, Rutschbahnen, Bazars, Caroussels, Bierhallen, Theepavillons, Cafés Chantants und allen sonstigen erdenklichen Vergnügungslocalen, die durch das nun schon lang in aller Welt populär gewordene Nur hereinspaziert, meine Herrschaften am besten gekennzeichnet sind.

Bei Tivoli die Strasse überquerend, gelangt man in den Theil der Stadt, der sich auf den Gründen der alten Festungswerke erhebt und sich bis an die Kopenhagen umschliessenden Teiche ausdehnt. Hier steht der Bahnhof, und weiter nordwärts, jenseits breiter Boule - vards, erheben sich regelmässige Gruppen von Zierhäusern, zwischen welchen sich wohlgepflegte Gärten und Parkanlagen ausdehnen.

Der Örsted-Park, so genannt nach dem berühmten Naturforscher, dessen Statue inmitten desselben steht, und der botanische Garten, der sich durch die Reichhaltigkeit von Pflanzen, die theils im Freien, theils in sehr gut angelegten Treibhäusern gezogen werden, aus - zeichnet, werden von der Bevölkerung mit Vorliebe besucht. Dem botanischen Garten gegenüber breitet sich der Park des Schlosses Rosenborg aus, das bis in die Mitte des XVIII. Jahrhunderts mehr - fach die Residenz dänischer Herrscher war und nun durch die Reichhaltigkeit der darin bewahrten historischen Sammlungen von hohem Interesse ist, aus.

Ueber Tivoli hinaus liegt die Vorstadt Vesterbro und an - schliessend an diese Frederiksberg mit dem gleichnamigen Schloss, das seinerzeit ein Sommeraufenthalt dänischer Könige gewesen sein mag; zumindest lässt der sehr bedeutende Park, inmitten dessen es auf einer Anhöhe liegt, darauf schliessen.

Wenig nordwärts des Gammel-Toro steht die Frauenkirche, die, abgesehen davon, dass sie die Metropolitankirche des Reiches ist, dadurch zu Bedeutung kam, dass sie mehrere Meisterwerke Thorwaldsen’s, so die neutestamentliche Gruppe, den segnenden Christus, den Schutzengel eines Kindes im Originale birgt. Nächst der Frauenkirche befinden sich die Universität, die Universitäts - bibliothek, das mineralogische und zoologische Museum und die poly - technische Akademie, lauter Anstalten, die in hervorragender Weise auf die Bildung des Volkes Bedacht nehmen.

Als Curiosum unter den Bauwerken Kopenhagens gilt der an die Trinitatis-Kirche stossende Runde Thurm , die ehemalige Stern - warte; eine gepflasterte schiefe Ebene führt derart bequem zu der 36 m hohen Plattform, dass Peter der Grosse zu Pferde und seine784Der atlantische Ocean.Gemahlin in einem vierspännigen Wagen den Aufstieg unternehmen konnten.

Der nördliche Theil Kopenhagens, der durch die vom Platze Kongens-Nytoro ausgehende prächtige Gothersgade vom südlichen Theile getrennt ist, verräth durch die peinliche Regelmässigkeit seiner Anlage, dass er in der Neuzeit entstanden ist.

Grosse palastartige Gebäude bilden aneinanderschliessend regel - mässige Häuserblöcke, zwischen welchen breite, sich in rechten Winkeln schneidende Strassenzüge laufen. Hier vermisst man das geschäftliche Getriebe, das sich über die übrigen Stadttheile ausbreitet. Ernst und Ruhe, wie sie den oberen Zehntausend, die hier hausen, sicherlich nicht unerwünscht sind, beherrschen hier den Gang der Dinge. Als Centrum dieses Stadttheiles kann die Amalienburg, dermalige Residenz der Herrscherfamilie, angesehen werden.

Sie wird von vier in der Architektur ganz gleichmässig ge - haltenen Gebäuden gebildet, welche das regelmässige Oktogon des Burgplatzes, in dessen Mitte sich die Reiterstatue Friedrich V. erhebt, umschliessen. Die Citadelle Frederikshavn schliesst die Stadt im Norden gegen den Sund ab, sie ist ein altes Festungswerk mit doppeltem Wall und Wassergräben, das seinerzeit manchem Angriff Trotz bieten konnte und sicherlich kein harmloser Gegner war.

Der äussere Damm, der das Fort an der Seeseite umläuft, ist einer der beliebtesten Spaziergänge Kopenhagens. Alt und Jung der Bevölkerung ergeht sich hier während der Abendstunden in dem er - hebenden Anblick des vollen Treibens auf der Rhede und lauscht dem Rauschen der Wellen, die eine leichte Brise an den Strand treibt.

Weiter nördlich haben am herrlichen Strande einige grosse Badeanstalten sich etablirt, welche viel von Einheimischen und Fremden besucht werden.

Ueberhaupt bietet der langgestreckte Strand im Norden der Stadt bis hinauf zur Enge des Sundes Brittelsingör Gelegenheit zu lohnenswerthen Ausflügen.

Legende zu Kopenhagen und Umgebung. A nördliche Einfahrt, B innerer Hafen, C Ueberreste des alten Dreikronenforts, D neuer Hafen im Bau (7·3 m Tiefe), E Dockinsel, F Leuchtfeuer, G Torpedogrund, H Eisenbahnstation, J Bahnhof, K Rosen - borgpalaispark, L botanischer Garten, M Sternwarte, N Gemeindehospital, O Citadellkirche, P Zollamt, Q Quarantäne, R Friedrichsspital, S Marmorkirche, T Statue Friedrich V., U St. Paulskirche, V königl. Theater, W Dreifaltigkeitskirche, X Fruekirche, Y Petruskirche, Z Christianborgpalais, 1 Holmens - kirche, 2 Börse, 3 Frelserskirche, 4 Friedrichskirche, 5 altes Dock, 6 Blindeninstitut, 7 Hospital, 8 eingestürzter Damm.

[785]
Kopenhagen und Umgebung (Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 784.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 99786Der atlantische Ocean.

Zahlreiche Ortschaften, Landhäuser und Gärten, darunter das reizende Charlottenlund, der Sommerwohnsitz des Kronprinzen, dann das hübsch gelegene Seebad Klampenborg mit grossem Thiergarten und andere liegen hier an der Küste, welche durch anmuthige Wald - partien, besonders aber durch den Ausblick auf das schwedische Ufer, wie durch die inmitten des Sundes aus den Fluten steigende Insel Hven manchen malerischen Reiz besitzt.

Kopenhagen ist eine ebenso interessante wie höchst sympathi - sche Stadt.

Und wenn die letzten Blicke, mit denen die scheidende Sonne die starren Formen der jenseitigen Küste vergoldete, die ersten Sterne erglänzen und der Mond über Stadt und Land einen magischen Zauber giesst, dann trennt man sich nur schwer von dem herrlichen Anblick des erhabenen Bildes. Aber nicht die Natur allein macht Kopenhagen jedem Fremden unvergesslich, auch die hohe Bildung seiner Bewohner. Welcher Gebildete könnte einem Lande seine Sym - pathien entziehen, wo jeder Erwachsene lesen und schreiben kann, tausende den Mittelständen Angehörige ausser Dänisch eine oder zwei Weltsprachen verstehen, und die höheren Stände vor Kunst und Wissen - schaft eine Achtung haben, welche den Südländern vielfach ganz unverständlich ist!

Betrachten wir nun die Handelslage von Kopenhagen.

Durch seinen geradlinigen, nordsüdlichen Verlauf bildet der Öre-Sund oder Sund die sicherste und bequemste Verbindung zwischen dem Kattegat und der Ostsee, und die in diesen Gegenden vorherrschenden Westwinde ermöglichen die schnelle Durchsegelung der ganzen Meerenge in beiden Richtungen.

Es ist daher kein Wunder, dass es von den drei Meerengen, welche aus der Ostsee in den Kattegat führen, nur der Sund zu einer historischen Bedeutung gebracht hat, dass er der eigentliche Verbindungsweg zwischen Ost - und Nordsee, das Hauptthor und die grosse Handelsstrasse dieser Meere geworden ist.

Auf der Seite Seelands ist das bessere Fahrwasser, sind gute Rheden und Ankerplätze. Hier entwickelte sich nach dem berühmten Marktplatze Halseiri , dem heutigen Helsingör , das die ältesten Sagen der Dänen kennen, Kopenhagen als grosser Handelsplatz. Von der Festung Kronborg bei Helsingör aber erhob später Däne - mark von allen den Sund passirenden fremden Schiffen den soge - nannten Sundzoll als Zeichen seiner Herrschaft über die Ostsee. Erst am 1. April 1857 wurde diese Abgabe aufgehoben, wofür787Kopenhagen.Dänemark von den seefahrenden Nationen, welche die Ostsee besuchten, eine Entschädigung von 30½ Millionen Reichsthaler empfing.

Seit dem XIII. Jahrhundert entwickelte sich der Handel Kopen - hagens immer günstiger, aber er befand sich nicht in den Händen der Dänen, sondern der Hanseaten, und das änderte sich auch dann nicht, als die dänische Königin Margarethe am Ende des XIV. Jahr - hunderts für einige Zeit wenigstens Kopenhagen zur Hauptstadt der drei skandinavischen Staaten machte. Erst Christian II. kämpfte mit Glück gegen die monopolistischen Privilegien der Hanseaten, er erzog durch seine Verordnung über die Verbesserung des städtischen Wesens in Dänemark von 1522 die Dänen zum Eigenhandel. Jetzt gelangte Kopenhagen allmälig in den Besitz aller Vortheile, welche ihm durch die Beherrschung des Sundes, durch die centrale Lage zwischen Dänemark, Südschweden und Norwegen, die unter dem Scepter der dänischen Könige standen, gebührten, und errichtete die Stadt eine nationale Marine.

Am Ende des XVIII. Jahrhunderts handelte Kopenhagen mit Island und Grönland, mit Ostindien und der dänischen Colonie St. Thomas in Westindien, mit dem spanischen Südamerika, mit Gross - britannien und Westeuropa. Als Holland von den Franzosen besetzt wurde, riss Kopenhagen einen nicht geringen Theil des holländisch - ostindischen Handels an sich.

Doch 1807 nahmen die Engländer in Kopenhagen die dänische Flotte weg und vernichteten mit einem Schlage die so mühsam er - rungene maritime Stellung.

Mit der Abtretung Norwegens, 14. Jänner 1817, verlor Kopen - hagen den grössten Theil des Handels mit Colonial - und anderen Manufacturwaaren dorthin, seine Börse die Geldumsätze für Nor - wegen. Aus dem Handel nach Ostasien und nach Südamerika wurden die Dänen von den Engländern verdrängt.

Mit der Entwicklung des grossen Weltverkehres, wie ihn das XIX. Jahrhundert schuf, erfuhr das schwach bevölkerte Dänemark das Schicksal vieler anderer Kleinstaaten, von einer dominirenden in eine secundäre Stellung im Weltgetriebe gedrängt zu werden. Aber selbst in dieser secundären Stellung wussten die Dänen sich derart zu behaupten, dass in Ziffern ausgedrückt ihr heutiger Handel ihrem ehemaligen Welthandel nichts nachgibt.

So geht heute der Handel Dänemarks und Kopenhagens vor Allem nach Grossbritannien, Deutschland und Schweden. In zweiter Linie stehen Russland und Finnland.

99*788Der atlantische Ocean.

Die Faröer, Island und Grönland bringen die nordischen Pro - ducte nach Kopenhagen und versorgen sich dort mit Getreide und Mehl. Der Verkehr mit Dänisch-Westindien hat keine besondere Be - deutung mehr, dafür schickt die grosse Gesellschaft Forenede Dampskibsselskab aus Kopenhagen ihre Dampfer nicht nur in die umliegenden Staaten, sondern bis in die Levante, wo sie den briti - schen Frachtdampfern erfolgreiche Concurrenz machen.

So sehen wir die Dänen auf dem Gebiete des Seewesens und des Handels in derselben Weise thätig, wie es ihre Vorfahren waren.

Die Dänen, welche in ihrem Patriotismus durch Schenkungen und Arbeit so viel für ihr Vaterland und ihre Hauptstadt thun, sehen leider die heutige Handelsstellung Kopenhagens durch den im Bau begriffenen Nord-Ostseecanal bedroht. Nach Vollendung dieses Canals werden wahrscheinlich nur die von und nach Nordengland und Schott - land bestimmten Schiffe und während der Sommermonate ein Theil der von und nach Nordamerika kommenden Dampfer den Sund passiren, eventuell in Kopenhagen anlegen; dadurch wird der Handel dieser Stadt und vor Allem werden die mit der Schiffahrt im Zusammenhange stehenden Gewerbe eine erhebliche Einbusse erleiden.

Um dieser Gefahr zu begegnen, soll in Kopenhagen ein Freihafen errichtet werden.

Mit grossen Kosten will man an der Westseite der inneren Rhede von Kopenhagen, nördlich von der Castellspitze, ein grosses aus Land und Wasserfläche gebildetes Areal herstellen, dessen süd - licher Theil den eigentlichen Handelsfreihafen , der nördliche den Industriehafen nebst dem dazu gehörigen Freiterritorium bilden soll, während zwischen beiden ein Dampffährthaven für die pro - jectirte Dampffähre zwischen Kopenhagen und Malmö angelegt werden soll. Eisenbahngeleise und Dampfkrahne werden die Aus - gestaltung Kopenhagens zu einem modernen Hafen vollenden. Die projectirten Hafenanlagen haben wir auf unserem Plane angedeutet.

Betrachten wir nun den Waarenumsatz Dänemarks mit dem Auslande, zu dem hier auch die Faröer, Island, Grönland und Dänisch-Westindien gerechnet werden, so sehen wir, dass Kopenhagen Dänemarks erster Einfuhrhafen ist, indem hier zwei Drittel der ganzen Zolleinnahme des Staates erlegt werden.

Als Ackerbaustaat führt Dänemark sehr viel Dünger und Futterstoffe ein.

Nach Kopenhagen wurden von natürlichem thierischen und Pflanzen - dünger aus Südamerika und den Vereinigten Staaten von Nordamerika 1888 69.025 q gebracht, von Kunstdünger aus Grossbritannien, Norwegen, Schweden und Spanien 1888 86.140 q.

Kleie kommt aus Deutschland, Russland und Schweden, 1889 aus Belgien, Frankreich und Grossbritannien. Einfuhr 1888 171.655 q, 1887 227.963 q.

789Kopenhagen.

Oelkuchen senden Russland, die Vereinigten Staaten, Frankreich und Gross - britannien; 1888 149.990 q.

Das in Kopenhagen aus dem Auslande eingeführte Getreide und Mehl ist zum Consum bestimmt.

Roggen wird am stärksten aus Russland eingeführt, die Zufuhren aus Deutschland sind zum Theile auch russischen Ursprungs. Einfuhr 1888 530.982 q, 1887 343.076 q.

Weizen kam 1888 (386.036 q) nur aus Russland und über Deutschland, 1887 (417.491 q) noch in grossen Mengen aus der Union. Letztere versorgt Kopenhagen mit Mais (1888 223.411 q). Schweden, Russland und Deutschland mit Hafer und Gerste (1888 69.489 q).

Die Einfuhr von Weizenmehl aus Deutschland (Kiel) und Schweden betrug 1888 26.602 q. Ungeschälten (1888 59.333 q, 1887 65.874 q) und geschälten Reis (1889 99.324 q) sendet Ostindien, von letzterem einiges auch Deutschland.

Getrocknete Früchte werden zum Theil über Hamburg, zum Theil direct aus Südeuropa eingeführt.

Aus Deutschland, Russland, Belgien und Frankreich kommen Sämereien (1888 71.948 q).

Mit Farbhölzern und Farben aller Art versorgen Kopenhagen Deutsch - land und Grossbritannien, mit Gerbstoffen (1888 26.183 q) Schweden und Gross - britannien.

Cacao wird meist über Hamburg eingeführt (1888 3542 q), Kaffee (1888 68.907 q) aus Hamburg, den Niederlanden und Belgien, Thee aus England.

Zucker muss importirt werden, da die einheimische Production weitaus nicht genügt. Raffinirter Zucker (1888 22.502 q, 1887 25.755 q) wird aus Deutschland und Belgien bezogen. Rohzucker (1888 99.148 q) aus Grossbritannien, von den nichtdänischen und den dänischen Antillen, Melasse aus Grossbritannien. Rohtabak und Tabakfabricate kommen aus Deutschland.

Flaschenweine werden aus Frankreich zugeführt, Fassweine (1888 23.436 q) aus Frankreich, Spanien, Portugal und Deutschland.

Da Dänemark wenig Holz hat, so wird dieses in grossen Mengen und in allen Dimensionen aus Schweden, aus Russland direct und über Deutschland, dann aus Finnland zugeführt.

Unverarbeitetes Korkholz (1888 13.234 q) kommt direct aus Portugal, die Hauptmenge aber über Grossbritannien und Deutschland.

Kartoffeln und Kartoffelmehl liefert Schleswig-Holstein.

Frische Fische (1888 21.203 q) senden Schweden, Austern Grossbritannien, Häringe (1888 86.898 q, 1887 68.517 q) Norwegen, Stockfische (1888 38.482 q) Island und die Faröer.

Aus Schweden werden Schafe (1888 29.028 Stück), Rinder (14.894 Stück) und Pferde eingeführt.

Aus Schweden stammt auch der grösste Theil der Einfuhr von Speck und Schinken, Butter ebenfalls aus Schweden, Finnland und Deutschland. Einfuhr von Butter 1888 52.237 q.

Fette (1888 38.781 q) kommen meist aus den Vereinigten Staaten, Thran (17.835 q) von Grönland und Island.

790Der atlantische Ocean.

Die Einfuhr von Dunen aus Island erreichte 1888 12.981 kg, die aus Grönland 7213 kg, die von den Faröern 5535 kg.

Klein ist die Einfuhr von Baumwolle, Hanf, Jute und Schafwolle.

Rohe Häute werden aus Frankreich, Deutschland, Schweden, Norwegen und Island zugeführt; 1888 23.048 q.

Die Einfuhr von Steinkohlen besorgt meist Grossbritannien; 1888 9695 Commerzlasten und 470.871 q, 1887 228.528 Commerzlasten und 410.722 q.

Petroleum ist in der Gruppe alle anderen Oele (1880 154.580 q) enthalten.

Sein Kochsalz bezieht Dänemark aus Grossbritannien, kleinere Mengen aus Lübeck und Portugal; 1888 118.725 q.

Steine, die Dänemark nur auf der Insel Bornholm gewinnen kann, kommen aus Deutschland und Schweden.

Apothekerwaaren wurden 1888 19.880 q aus Grossbritannien und Deutschland, Chlorkalk (16.022) aus England, Soda (46.620 q) aus England, Deutschland und Belgien, Säuren aus Deutschland eingeführt.

Das Hauptland für die Einfuhr von Webe - und Wirkwaaren ist Gross - britannien. Deutschland liefert auch viele Leinenwaaren, fast alle Seidenwaaren, es kommt Grossbritannien nahe in der Einfuhr von Schafwollwaaren, in denen auch Belgien bedeutend ist. Es wurden eingeführt Leinen - und Baumwollgarne 1888 16.340 q, Leinen -, Hanf - und Baumwollwaaren 38.917 q, Seidenwaaren 1258 q, 7503 q Schafwollgarne und 17.800 q Schafwollwaaren.

Die Einfuhr von Papier und Papierwaaren aus Deutschland, Schweden, Belgien und Finnland betrug 1888 21.958 q.

Die Einfuhr von ungeschliffenem und unbelegtem Glas (1888 15.819 q) be - sorgten Belgien und Grossbritannien, die der anderen Sorten Deutschland und Grossbritannien. Ziegel kommen aus Schweden, Thon - und Porzellanwaaren (1888 12.880 q) meist aus Deutschland.

Rohe Metalle (1888 86.418 q) kommen meist aus Grossbritannien und auch aus Schweden und Deutschland, Band - und Stangeneisen (139.602 q) aus Deutschland, Schweden und England, Stahl in Stäben aus England und Schweden, rohes verarbeitetes Eisen (32.057 q) aus Grossbritannien und Belgien, Eisen - röhren (33.568 q), dann Platten und Bleche (92.752 q) aus Grossbritannien und Deutschland.

In gewöhnlichen Eisenwaaren (48.995 q) und in anderen Waaren aus Eisen und Stahl steht Deutschland vor Grossbritannien. Deutschland liefert auch den grösseren Theil der Zink -, Messing -, Kupfer - und Gürtlerwaaren.

Der Menge nach steht die Ausfuhr Kopenhagens weit hinter der Einfuhr zurück, denn Butter und Schinken, die Hauptausfuhrartikel Däne - marks und daher auch Kopenhagens, nehmen nicht den Raum ein wie Kohle und Holz, die in grossen Mengen eingeführt werden.

An die Spitze stellen wir jene Artikel, welche, aus dem Auslande stammend, in erster Linie nach Schweden, dann nach Russland-Finnland und auch nach Nordostdeutschland wieder ausgeführt werden. Sie sind dem Gewichte nach wich - tiger als die nationalen Erzeugnisse.

Aus der Gruppe der Nahrungs - und Genussmittel sind zu nennen die Aus -791Kopenhagen.fuhr von geschältem Reis (1888 105.750 q, 1887 92.977 q) nach Deutschland, Schweden, in die Union und nach den Faröern, Island und Grönland.

Fassweine gehen nach Schweden, Rosinen nach Schweden und Nor - wegen, getrocknete Pflaumen nach Schweden, Kaffee (1888 24.586 q) und raffinirter Zucker (11.351 q) nach Schweden und den nordischen Besitzungen der Dänen.

Häringe (1888 334.566) werden nach Schweden und Deutschland, Stock - fische nach Italien, Spanien und Grossbritannien und Fette nach Deutschland versendet.

Kopenhagen sendet Spezereien, Gewürze und Baumwolle nach Schweden, Hanf und Jute nach Schweden und Norwegen, Korkholz nach Schweden.

Die Ausfuhr von Steinkohlen (1888 641.028 q) dient der Versorgung der Dampfschiffe; Kochsalz und Oele, darunter Petroleum, werden nach Schweden und den nordischen Besitzungen der Dänen ausgeführt.

Die Ausfuhr Kopenhagens an Eisen und Eisenwaaren erreichte 1888 42.431 q und ist ebenfalls fremden Ursprungs.

Roheisen geht nach Schweden und Norwegen, alle anderen Gattungen nach Schweden und Russland.

Von den einheimischen Waaren sind am wichtigsten die Pro - ducte des Thierreiches. So wurden 1888 193.742 q, 1887 115.496 q Schinken meist nach Grossbritannien und auch nach Norwegen; 1888 4772 q Würste und Zungen nach Norwegen und anderen Ländern ausgeführt.

Nach England geht der grösste Theil der Ausfuhr von Butter (1888 145.284 q, 1887 126.202 q).

Rohe Felle (1888 30.269 q) werden meist nach Deutschland gesendet.

Von Kopenhagen gingen 1888 190.345 q, 1887 190.920 q Gerste nach Gross - britannien, den Vereinigten Staaten, Belgien, Norwegen und den drei nordischen Gebieten Dänemarks.

Malz wird nach Island, den Faröern und Schweden, Weizen (1888 31.372 q) nach Schweden, Roggen (47.722 q) nach Island und Schweden abgesetzt.

Sehr bedeutend ist die Mehlausfuhr Kopenhagens.

Gerstenmehl kauft Island, Weizenmehl (211.719 q) Schweden, Nor - wegen, Grossbritannien und die nordischen Gebiete der Dänen; relativ gross ist die Einfuhr der Faröer. Roggenmehl geht nach dem dänischen Norden, nach Schweden und Norwegen.

Die gesammte Mehlausfuhr Kopenhagens erreichte 1888 269.655 q, 1887 239.297 q.

Grösseren Umfang erreicht die Ausfuhr von eingesalzenen und eingelegten Feldfrüchten nach den Vereinigten Staaten und Grossbritannien (1888 25.166 q) und die von ölhältigen Samen nach Schweden.

Bier und Branntwein sind Producte nationaler Industrien Dänemarks. Das gute dänische Bier gewinnt langsam Boden auf überseeischen Märkten.

Aus Kopenhagen werden endlich feinere Holzarbeiten nach Grossbritannien, Deutschland und den nordischen Besitzungen, Kleider nach Norwegen und Garne und Gewebe ausgeführt; von letzteren 1888 9387 q.

792Der atlantische Ocean.

Der Waarenhandel Kopenhagens betrug in Tausenden von Metercentnern:

〈…〉〈…〉

Der Schiffsverkehr von Kopenhagen umfasste:

〈…〉〈…〉

Die Bestauung erreichte 1888 im ausländischen Verkehre 1,297.890 Reg. - Tons, im Küstenverkehre 346.082 Reg. -Tons, im Ganzen also 1,643.972 Reg. -Tons, gegen 1,560.489 Reg. -Tons im Jahre 1887.

Die Handelsflotte Kopenhagens hatte ohne die 616 Barken mit weniger als 4 Reg. -Tons Grösse Ende 1888 einen Stand von 156 Dampfern mit 76.462 Reg. - Tons und von 275 Seglern mit 19.283 Reg. -Tons, somit im Ganzen von 431 Schiffen mit 95.745 Reg. -Tons; sie bildete somit 36·5 % der gesammten Handelsflotte und 80 % der Dampfflotte des eigentlichen Dänemark.

In Kopenhagen hat die grösste dänische Dampfschiffsgesellschaft, die Forenede Dampskibsselskab ihren Sitz.

Den stärksten Verkehr hat Kopenhagen mit Schweden (1888 1·1 Mil - lionen Tons), nicht viel geringer ist der mit Grossbritannien, es folgen Deutschland (649.000 Tons), das Baltische Meer und Russland.

Die dänische Flagge besorgt mehr als die Hälfte (2·2 Millionen Tons) der ganzen Leistung, an sie reihten sich die englische (761.000 Tons), die deutsche, die norwegische, die niederländische und die russische Flagge.

Im Küstenverkehre sind neben der dänischen Flagge in ganz geringem Masse die deutsche und die schwedische Flagge betheiligt. Kopenhagen steht, so lange die Eisverhältnisse die Schiffahrt gestatten, in regelmässiger Dampfschiffs - verbindung mit den deutschen Häfen Lübeck (271 km), mit Stralsund über Malmö (201 km) und mit Stettin über Swinemünde (316 km).

Die kürzeste Route von Deutschland her geht über (Rostock) Warnemünde nach Gjedser (50 km) an der Südspitze der Insel Falster und von dort mit der Eisenbahn nach Kopenhagen. Neben ihr bestehen Verbindungen über Kiel-Korsör und die über Jütland, bei welcher der kleine Belt zwischen Fridericia und Strib, der grosse Belt zwischen Nyborg und Korsör gekreuzt wird.

Zahlreich sind die Verbindungen mit dem nahezu gegenüberliegenden Malmö (34 km), einer Hauptstation der schwedischen Eisenbahnen.

Ferner gehen regelmässig Dampfer nach Stockholm, Frederikshavn, Gothen - burg, Christiania und nach den Faröern und Island über Leith in Schottland. Nach Grönland gehen nur im Sommer Schiffe.

Endlich hat Kopenhagen durch deutsche Dampfer seine regelmässige Ver - bindung mit New-York, welche einen grossen Theil der Auswanderung Dänemarks nach den Vereinigten Staaten vermittelt.

793Kopenhagen.

Kopenhagen ist Centrum einer Reihe telegraphischer Verbindungen und Sitz der Great Northern Telegraph Cy., welche Kabel in der Nord - und Ostsee, in den Meeren Japans und Chinas besitzt und die grossen telegraphischen Landver - bindungen Chinas eingerichtet hat und betreibt.

In Kopenhagens Börse und seinen Banken concentrirt sich das ganze Ge - schäftsleben Dänemarks.

In Kopenhagen bestehen Consulate folgender Staaten: Argentinien (G. -C. ), Belgien (G. -C. ), Brasilien, Chile, Columbia (G. -C. ), Costarica (G. -C. ), Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Griechenland (G. -C.) Grossbritannien, Guatemala, Hawaii (G. -C. ), Italien, Liberia, Niederlande (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Peru, Portugal (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz, Spanien, Türkei, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten.

Die Seehäfen des Weltverkehrs I. Band. 100[794]

Kiel.

Tief und breit eingerissen, mit klarer Zufahrt und gegen alle Winde vorzüglich geschützt, führt die Kieler Bucht mit Recht den stolzen Beinamen Königin der Ostseehäfen . Ihre starken Fortifi - cationen, welche im Norden von Friedrichsort, an beiden Ufern der auch durch landschaftliche Reize ausgezeichneten Bucht bis südlich der Stadt in zwei gewaltigen Linien herabreichen, erheben den Platz einerseits zu dem besten Hafen an der Ostsee, andererseits aber auch zu einem sehr starken Bollwerke, welches bestimmt ist, der deutschen Flotte als Stützpunkt zu dienen.

Kiel beherrscht durch seine Lage die beiden Belte und ist vermöge der Eigenschaften der heutigen Kriegsschiffe geeignet, selbst den Sund, daher alle Zufahrten in die Ostsee zu bewachen. Diese Lage sprach nach der Erwerbung Schleswig-Holsteins durch Preussen für die Wahl von Kiel zum Kriegshafen des Deutschen Reiches. Dort entstanden denn seit 1867 gegenüber der Stadt Kiel die grossartigen Werften und Docks der deutschen Marine, und neues Leben pulsirte alsbald auf und an der herrlichen Föhrde.

Die vorzüglichen Eigenschaften der Kieler Bucht begünstigten frühzeitig den Handelsverkehr der Stadt, welche im XIV. Jahrhundert der Hansa angehörte und der Stapelplatz für den Verkehr mit den dänischen Inseln war, welche Stel - lung sie auch heute noch durch die Gunst ihrer Lage einnimmt. Kiel und Itzehoe zählen zu den ältesten Städten Holsteins, und manch sehenswerthes Bauwerk hat sich aus früheren Jahrhunderten erhalten. Der Nord-Ostseecanal wird die stra - tegische und commercielle Bedeutung der Bucht noch wesentlich erhöhen.

Nahezu am äussersten Ende der sich verengenden Bucht auf den Uferhügeln aufgebaut, bieten Kiel und seine freundlichen und belebten Ufer mit ihren Gärten, Gehöften und anmuthigen Ortschaften und dem schimmernden Gewässer ein äusserst malerisches Landschafts - bild mit reizender Perspective. Coulissenartig treten in mannigfachsten Formen die waldigen Landspitzen beiderseits in den leicht gewun - denen Fjord heraus und schliessen ihn im Hintergrunde scheinbar ab. Dort glänzen uns die Gebäude der Feste Friedrichsort entgegen.

795Kiel.

Man unterscheidet die auf einer Halbinsel angelegte Altstadt, welche durch Brücken und Dämme mit der ehemaligen Vorstadt Kuh - berg verbunden ist. Die letztere und der nördlich gelegene Ort Bruns - wick sind schon lange mit einander verschmolzen und bilden nun, den alten Stadtkern umschliessend, den Haupttheil des Weichbildes von Kiel.

Kiel hat in den letzten Jahren einen grossen Aufschwung ge - nommen. Im Jahre 1855 zählte es 16.270 Einwohner, 1871 schon 31.750, und bis zur Gegenwart hob sich die Bevölkerungszahl (ohne die Vororte) auf ungefähr 70.000; sie hat sich daher innerhalb 35 Jahren auf mehr als das Vierfache vermehrt.

Den Mittelpunkt der alten Stadt nimmt die im Jahre 1241 erbaute St. Nicolai-Kirche ein, welche kürzlich einer umfassenden Restaurirung unterzogen wurde.

Von dort gelangt man durch die dänische Strasse zu dem nord - östlich der Kirche gelegenen alten Residenzschloss der Herzoge von Holstein-Glücksburg, welches, 1838 nach der Zerstörung durch einen verheerenden Brand neuhergestellt, gegenwärtig der Wohnsitz des in der deutschen Marine dienenden Prinzen Heinrich von Preussen ist. Weiter nordwärts erhebt sich das Gebäude der alten, 1665 gegrün - deten Universität, die seit 1876 ein neues, schön ausgestattetes Heim nächst dem prächtigen Schlossgarten erhalten hat.

Kiel besitzt noch einige schätzenswerthe Sammlungen, welche die lebhaften geistigen Bestrebungen seiner Bürgerschaft bezeugen. Hervorragend ist das mit Sculpturen gezierte, gegenüber dem Bahn - hofe am Sophienblatt erbaute Thaulow-Museum, welches die im Jahre 1875 von dem seither verstorbenen Professor Thaulow in Kiel der Provinz gewidmete kostbare Sammlung schleswig-holsteinischer Holzschnitzwerke aus dem XVI. und XVII. Jahrhundert aufbewahrt.

In der dänischen Strasse ist die Gemäldesammlung des schleswig - holsteinischen Kunstvereins untergebracht, und in dem ebendaselbst sich erhebenden Museum für Völkerkunde sind reiche ethnographische Sammlungen vorhanden. Noch sei des im Schlosse befindlichen Kunst - museums und des im alten Universitätsgebäude untergebrachten Museums vaterländischer Alterthümer Erwähnung gethan. Von Interesse ist die Sammlung prähistorischer Gegenstände, worunter das aus dem Schau - byer-Moor gehobene Fahrzeug.

Kiel ist überdies Sitz des Marinecommandos für die Ostsee, der Marineakademie (seit 1875), einer Seecadetenschule, eines Gymna - siums, des Oberlandesgerichtes, des Landesdirectorats, der Oberpost -100*796Der atlantische Ocean.direction, der Handelskammer für Kiel und Umgebung, der Gewerbe - kammer für die Provinz und anderer Behörden und Anstalten.

Die Stadt ist auch durch ihre Industrie hervorragend. Maschinen - fabriken, Werften, Giessereien, Mühlen, Bierbrauereien und Dampf - sägen sind dort entstanden. Die Rhederei ist blühend.

Zu den bedeutendsten wissenschaftlichen Anstalten Deutschlands zählt die Kieler Sternwarte, welche unter 54° 20′ 29. 7 nördl. Breite und 10° 8′ 56. 5 östl. Länge von Greenwich liegt.

Gegenüber der Stadt am Ostufer der Bucht liegen am äussersten Ende der letzteren die grossen Schlachthofanlagen, kleinere Schiff -

Kiel.

bauanstalten und die Etablissements der Germania - Werft; an diese schliessen sich die ausgedehnten Marineanlagen und an diese das durch die Erzeugung der berühmten Kieler Sprotten bekannte Fischer - dorf Ellerbek mit sehenswerthen Räuchereien.

An der malerischen Mündung des Flüsschens Schwentine haben sich die Ortschaften Wellingdorf und Neumühlen in hübsches Grün gelagert. Dort erhebt sich die riesige Anlage der Baltischen Mühlen - gesellschaft, angeblich die grösste auf dem europäischen Festlande. Auch die grosse Maschinenfabrik und Eisengiesserei sowie die be - deutende Schiffswerfte, welche jetzt vereinigt den Namen Howaldts - werke führen, liegen daselbst. Am westlichen Ufer der Bucht zählt797Kiel.die herrliche Promenade vom Schlosse längs des Ufers zur Ortschaft Wiek zu den reizendsten Partien der mit landschaftlichen Schönheiten reich begnadeten Umgebung.

Kiel ist der wichtigste Ausfuhrhafen der Osthälfte des durch Ackerbau und Viehzucht berühmten Holstein. Der Kieler Umschlag , der im Januar abgehalten wird, bildete früher mehr noch wie jetzt

Kiel (Massstab 1: 57.600; Sonden und Höhen in Metern).

A Einfahrt, B Seearsenal, C k. Werkstätten, D Schiessstätten, E St. Nikolaus-Kirche, F Leuchtfeuer, G Schwimmdock H Eisenbahnstation, J Sternwarte, K Torpedogrund.

den Mittelpunkt im Geldverkehr, namentlich im Hypothekengeschäft eines grossen Theiles der Provinz. Kiel zählt in der 1796 seitens der einige Jahre früher entstandenen und noch heute wirkenden Gesell - schaft freiwilliger Armenfreunde gegründeten Spar - und Leihcasse die erste dieser Anstalten in Preussen und eines der ältesten Institute dieser Art in Deutschland.

798Der atlantische Ocean.

Erst die Vollendung der Eisenbahnen Kiel-Altona 1844 und Kopenhagen-Korsör 1856 machte Kiel zu einem wichtigen Ueber - gangspunkte des Postverkehres zwischen den zum deutschen Bunde gehörigen Ländern und den drei nordischen Königreichen.

Später erhielt Kiel durch eine Nebenbahn Verbindung mit Flensburg und durch eine Vollbahn über Schwarzenbek mit Berlin; das wichtige Stück Oldesloe-Hagenow der directen Linie Kiel-Berlin ist im Bau, und es fehlen nur noch die Strecke Kiel-Segeberg, die Eisen - bahnlinie Kiel-Rendsburg und die Linien Kiel-Holtenau sowie Kiel - Schönburg-Oldenburg, damit die Eisenbahnverbindungen der Haupt - station der Kriegsflotte des Deutschen Reiches und des Eingangsthors des Nord-Ostseecanals würdig vollendet seien.

Kiel, welches die östliche Mündung dieser neuen Welthandels - strasse besetzt hält, rüstet sich, die Arbeiten auszuführen, welche die Canalmündung bei Holtenau mit der Stadt selbst in Verbindung setzen werden, deren bisherige Entwicklung schon den Zug nach Norden zeigte. Man wird in der Wieker Bucht von Holtenau bis Bellevue grossartige Hafenanlagen schaffen, welche im Vereine mit den oben genannten künftigen Eisenbahnlinien Kiel zum Knotenpunkte eines selbständigen Verkehres am Nord-Ostseecanal machen werden, wäh - rend jetzt Kiels Handel vielfach von Hamburg abhängig ist, unter dessen Concurrenz auch der Seehandel Kiels sehr leidet. Diese An - lagen sind im Interesse der Heranziehung einer starken Frequenz des Canals ebenso geboten wie in demjenigen der Stadt.

Heute überwiegt im Kieler Verkehre wie in allen Plätzen an der Süd - seite der Ostsee einschliesslich Stettin-Swinemünde der Menge nach die Einfuhr weit die Ausfuhr. Es wurden seewärts 1889 978.653 m3, 1888 861.045 m3, 1887 699.566 m3 Güter gebracht, während die Ausfuhr 1889 nur 116.982 m3 umfasste.

Wir nehmen als Grundlage der folgenden Darstellung den Seeverkehr, der auch die Durchfuhr einschliesst.

In der Einfuhr stehen an der Spitze Steinkohlen und Cokes, aus Schott - land zumeist, 1889 in Kiel mit 2,019.783, in Neumühlen mit 132.777 q, 1888 in Kiel mit 1,731.082 q. Deutsche Kohlen wurden in Kiel 1888 342.249, 1889 420.245 q eingeführt.

Der Canalbau und die Bauthätigkeit von Kiel steigerte die Einfuhr von Bau - und Nutzholz ohne Eisenbahnschwellen aus Schweden, Ost - und Westpreussen und Russland 1889 auf 162.531 m3, 1888 auf 136.063 m3, gegen 118.655 m3 im Jahre 1887. Grössere Holzmengen gehen von hier transito nach Hamburg und Altona.

Auch die Einfuhr von Steinen aus Lübeck und Schweden, von Ziegeln und Dachschiefer ist 1888 und 1889 bedeutend gestiegen. Die Baltische Mühlengesell - schaft und die Kieler Mühle verarbeiten grosse Mengen von Weizen und Roggen.

Von Weizen wurden 1889 185.975 q, 1888 128.834 q, von Roggen 1889 41.577 q, 1888 123.161 q, Gerste 1889 92.645 q, 1888 108.446 q seewärts eingeführt. 799Kiel.Das benachbarte Neumühlen führte 1889 338.249 q Weizen und 42.009 q Roggen ein. Dazu kamen in Kiel 1889 149.694 q, 1888 127.073 q Grützen, Graupen und Mehl.

Von anderen Artikeln der Einfuhr wäre noch zu nennen etwa Spiritus aus Ost - und Westpreussen über Königsberg und Danzig 1889 40.946 q, 1888 90.424 q, 1887 146.811 q; er ist meist russischen Ursprungs.

Von lebendem Vieh wurden eingeführt Rindvieh 1889 13.623 Stück, 1888 9.450 Stück, 1887 12.171 Stück und Schweine 1889 14.791 Stück, 1887 83.996 Stück. Dieser Rückgang in der Einfuhr von Schweinen ist darauf zurückzuführen, dass seit 29. November 1887 die Einfuhr von Schweinen und Schweinefleisch dänischen, schwedischen und norwegischen Ursprungs verboten war und erst neuerdings wieder zugelassen ist. Der grösste Theil der Schweine ging weiter nach Hamburg.

Der Hauptausfuhrartikel von Schleswig-Holstein ist Butter. Kieler Butter leidet aber jetzt auf dem englischen Markte stark unter der Concurrenz der französischen, dänischen und schwedischen Butter. 1889 wurden in Kiel see - wärts 12.913 q eingeführt und 181 q ausgeführt. Der Hauptversandt von Kiel wie von der ganzen Provinz geschieht über Hamburg, wird also durch diese Ziffern nicht nachgewiesen.

Die Ausfuhr von Weizen zur See erreichte 1889 110.475 q, 1888 111.465 q, die von Graupen, Grütze, Mehl 57.759 q. Das benachbarte Neumühlen führte 1889 268.182 q Mehl aus.

Ferner gelangten seewärts zur Ausfuhr 1889 255.919 q Steinkohlen und Cokes und 64.229 q, 1888 38.034 q Eisen und Eisenwaaren.

Der Schiffsverkehr im engeren Hafengebiete von Kiel umfasste:

〈…〉〈…〉

Viele Schiffe gehen in Ballast aus. Der Personenverkehr auf der hiesigen Föhrde gewinnt entsprechend dem Aufschwunge Kiels und der Umgegend als Anziehungspunkten für den Fremdenverkehr fortgesetzt an Ausdehnung. Die deutsche Flagge und nach ihr die dänische besorgen den grössten Theil des Verkehrs, denen sich die britische, schwedische und russische anschliessen.

Der stärkste Verkehr findet statt mit Dänemark, Grossbritannien, den deutschen Häfen in der Ostsee und Russland. In Kiel hat die Neue Dampfer-Compagnie ihren Sitz. Die weitaus bedeutendste private Rhederei Kiels ist diejenige der Firma Sartori & Berger daselbst.

Die Handelsflotte Kiels zählte 1. Jänner 1890 95 Seeschiffe mit 99.522 m3 netto Tragfähigkeit, davon 89 Dampfer mit 98.311 m3 netto.

Regelmässige Verbindungen unterhalten täglich von und nach Korsör die kaiserlich deutschen und die königlich dänischen Postdampfer.

Frachtdampfer gehen nach den dänischen Inseln, nach Kopenhagen, Gothen - burg, den preussischen Ostseehäfen und Bremen.

In Kiel bestehen eine Reichsbankstelle und vier grössere Geldinstitute.

In Kiel haben Consularvertretungen: Grossbritannien, Italien, die Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Russland, Schweden-Norwegen, Spanien und die Vereinigten Staaten von Nordamerika.

[800]

Lübeck.

Die moderne Zeit mit ihren Ansprüchen und Veränderungen vermochte nur in geringem Masse die Erinnerungen an die alte Herrlichkeit der freien Hansastadt Lübeck zu verwischen. Noch stehen sie in manchen Strassen da in wohlgeschlossenen Reihen, die alters - grauen Patrizierhäuser, jedes für sich eine abgeschlossene, mit maleri - schen Giebeln, Treppen und Figuren geschmückte Burg des freien Bürgerstandes; überragt von den schlanken Thürmen ehrwürdiger Kirchen und gleichsam als Wächter über Stadt und Gebiet und als wollte er Alles um sich verdunkeln, streckt der gothische Bau des mittelalterlichen Rathhauses seine riesigen Giebel und fünf eigen - thümlich geformten Thurmspitzen himmelwärts. Der Hauch uralter Zeit scheint über der von barock gekrümmten Wasserläufen doppelt umschlossenen Stadt zu schweben. Von ihren ehemaligen Wällen und Bastionen, welche die Stadt enge umgaben, hat sie die neue Bürger - generation befreit und an deren Stelle anmuthige Parkanlagen gesetzt, aber noch mancher Trutzbau, wie das Holstenthor mit seinen runden Thürmen und hochragenden Zinken oder der massige Backsteinbau des Burgthores am nördlichen Stadtende erinnern an die Kraftepoche der Hansazeit. So bietet Lübeck noch heute in einigen Theilen ein treues Bild einer mittelalterlichen freien Reichsstadt.

Lübeck, die dritte der freien Hansastädte des Deutschen Reiches, zählt gegenwärtig 60.000 Einwohner und liegt unter 53° 52′ nördl. Breite und 10° 42′ östl. Länge von Greenwich an der Vereinigung der gegen die Ostsee fliessenden Trave mit der zu breitem Wasser - becken sich erweiternden Wakenitz.

Durch umfassende Stromarbeiten wurde die Trave soweit ver - tieft, dass Seeschiffe bis zu 5 m Tauchung an den Quais anlegen können, welche im Nordwesten die Stadt begrenzen. Dort ist die Trave in zwei Arme gespalten, welche die langgestreckte Insel mit den Bahnhofsanlagen, Schiffswerften, Kohlenplätzen u. dgl. einschliessen. 801Lübeck.Zwischen Stadt und Insel und jenseits derselben, sowie nördlich von der Stadt liegt, wie unser Plan zeigt, der Hafen von Lübeck, in welchem Dampfer und Segelschiffe besondere Liegeplätze angewiesen haben. Ein reges Verkehrsleben entfaltet sich auf beiden Uferseiten; Schienenstränge umklammern die Stadt, und der schrille Pfiff der Locomotive verkündet laut, dass eine neue Zeit angebrochen ist mit verlockenderen Hoffnun - gen, als das finstere Mittelalter sie jemals zu erwecken vermochte.

Lübeck.

Viel später als der Westen und Süden Deutschlands, die vielfach auf den Resten der Römerzeit aufbauten, trat dessen Norden in den Kreis der Cultur des Mittelalters. Als im Anfange des XII. Jahrhunderts 17 flandrische Städte die Vlämische Hansa gründeten, welche als einzige Compagnie Grosshandel nach England trieb, war Lübeck, das spätere Haupt der Gemeinen deutschen Hansa erst eine enge, winkelige, hölzerne Stadt.

Dreimal wurde Lübeck vergeblich gegründet.

Die älteste Schöpfung, die des hochsinnigen Adalbert, Erzbischofs von Bremen und Erziehers Kaiser Heinrich IV., an der Trave und das spätere Lübeck an der Schwartau (1106 1139) wurden von den Feinden zerstört; die Stadt, welche der Graf von Schauenburg 1143 auf dem Werder Buku, dem Standorte der ersten Niederlassung errichtete, erlag schon 1157 einer vernichtenden Feuersbrunst. Voll Verzweiflung wendeten sich ihre Bürger an Heinrich den Löwen, den genialen Städtegründer, mit der Bitte, ihnen auf seinem unmittelbaren Gebiete den Platz zu einer neuen Ansiedlung anzuweisen. Er liess ihnen die Löwenstadt an derDie Seehäfen des Weltverkehrs I. Band. 101802Der atlantische Ocean.Steckenitz erbauen, aber schon 1158 kehrten sie an ihre alte Brandstätte zurück, die der Graf von Schauenburg seinem Herzoge abgetreten hatte. Wunderbar schnell erhob sich nun das neue welfische, das vierte Lübeck, von Heinrich dem Löwen gleich bei der Gründung mit Münzstätte und Zoll begabt und mit einer freien Verfassung ausgestattet, welche nur die Kaufleute als vollberechtigte Bürgerschaft erkannte und die gemeinheitliche Verwaltung und Polizei einem Stadtrath übertrug. Bald eigneten sich die Bürger auch die richterliche Gewalt des herzoglichen Vogtes bei und bildeten auf Grundlage des Soester Rechtes das lübische Recht aus, dessen Einfluss sich sittigend über alle Ostseeländer erstreckte.

Der weitaussehende Welfe verlegte 1163 den Sitz des Bischofs von Eutin nach Lübeck und förderte mit Umsicht und Vorliebe auch die Handelsverbin - dungen seines Lübeck, daher bewahrte die Stadt dem milden Fürsten die Treue, als er von Friedrich Barbarossa in Acht und Bann gethan wurde.

Der Kaiser bestätigte trotzdem noch 1180 ihre Freiheiten und Rechte und gab seinen treuen Bürgern im Herbste 1188 fast reichsstädtische Privilegien, Freiheit von Zoll und allen Handelsabgaben im Herzogthume Sachsen. Doch musste die Stadt noch vierzigjährige Kämpfe mit den angrenzenden Landes - herren bestehen, bis ihre Freiheit gesichert war.

Die Zertrümmerung des sächsischen Herzogthums seit dem Sturze Heinrich des Löwen zerstörte die öffentliche Ordnung in dem weiten Gebiete zwischen Rhein und Ostsee. Die Bauern und Insassen binnenländischer Städte wanderten in Schaaren nach den fernsten baltischen Gestaden aus, um dem Drucke und den Fehden der kleineren Landgebieter zu entgehen und gründeten deutsche Städte in slavischen Landen; das Bürgerthum der Städte musste seine erlangten Rechte gegen die landesherrliche Gewalt vertheidigen, seine Wohlfahrt, die Sicherheit seiner Handelsstrassen zu Lande und zur See einzeln oder im Bunde mit Nach - bargemeinden schützen, selbständig mit auswärtigen Gewalten Handelsverträge schliessen. Auf diesem Boden erwuchs der Städtebund der Hansa als Ausdruck der Nothwehr.

Ohne Schutz des Reiches, auf eigene Tüchtigkeit angewiesen, mussten sich die zahlreichen deutschen Städte, welche seit dem Ende des XII. Jahr - hunderts an den südlichen Gestaden der Ostsee auf slavischem Boden entstanden waren, selber helfen gegen die Angriffe der Wenden und Dänen. Ganz allmälig schlossen sich diese Sitze deutscher Cultur, ferner das livländische Riga, die ge - treueste Tochter Bremens, und das uralte Handelscentrum Wisby auf Gothland unter der Führung von Lübeck an einander. Die Osterlinge verbanden sich mit den Städten des Hinterlandes, mit den rheinischen Handelsplätzen und den Wester - lingen Flanderns, erklärten alle See - und Strassenräuber für friedlos, vogelfrei und in allen Kaufstädten verhaftet, ihre Hehler und Helfer mit dem Banne der lübischen Gemeinwesen bedroht, sie säuberten auf gemeinsame Kosten durch Reisige die Landstrassen, die gemeine deutsche Hansa schloss Verträge mit auswärtigen Mächten, besass in Nowgorod, am Wolchow, in Wisby auf Gothland, in Falsterbo in Schonen, dem Hauptsitze des damaligen Häringfanges, im norwegi - schen Bergen, in Brügge und in London ihre Kaufhöfe mit strengen Satzungen, kleine Staaten im fremden Staatsgebiete, und vermittelte durch sie den Handel der Ostseeküsten Dänemarks, Schwedens und Norwegens. Durch meist glückliche Kriege und durch Handelssperre wusste die Hansa alle selbständigen Regungen803Lübeck.dieser Länder lange zurück zu drängen. Oft kämpften ihre Orlogschiffe auf der ganzen Strecke vom einheimischen Meerbusen bis Portugal, und überall war der Gang des Handels, der Antheil der einzelnen Städte an demselben genau festge - stellt: Niemand durfte sich ein Abweichen davon gestatten.

Und all das leistete eine freie Vereinigung, ein politisch-frei organisirtes, un - abhängiges Gemeinwesen unter der Oberleitung, aber nicht unter der Suprematie Lübecks, und dieses mischte sich nicht in die besonderen Händel, welche jede einzelne Stadt oder kleinere Städtegruppe zur Wahrung ihrer engeren Interessen auszufechten beliebte.

Gemeinsame Unternehmungen wurden auf Hansetagen beschlossen; diese wurden in älterer Zeit an verschiedenen Orten abgehalten, aber meist von Lübeck ausgeschrieben, das später auch zum Oberhof für Rechtsstreitigkeiten sich herausbildete. Widerspenstige Glieder, die dem Interesse dieser losen Gliederung entgegenarbeiteten, etwa verbotene Schiffahrt trieben, wurden zur Strafe ver - hanset , aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, jeder Handel mit ihnen untersagt, so dass der Ort durch Verkehrslosigkeit in kurzer Zeit verarmte und das gemeine Volk sich in andere Städte verzog.

Diese Vereinigung städtischer Gemeinwesen war die einzige Hilfe für den Handel in der damals schweren Zeit, und kluge, begabte Staatsmänner Lübecks gaben in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts diesen Gedanken die Form, welche den Verhältnissen des Mittelalters vollkommen entsprach.

Im Jahre 1226 wurde Lübeck zur reichsfreien Stadt erhoben, und so - fort offenbarte sich ihre stille, aber ausdauernde Wirksamkeit.

Unter dem Schrecken der Welt vor den Mongolen wurde 1241 mit Ham - burg der erste urkundliche Vertrag zur gemeinschaftlichen Sicherstellung der Wege zwischen Elbe und Trave geschlossen, bald darauf sehen wir die wendischen Seestädte um Lübeck geschaart, welche 1285 den Feind ihrer Handelsvorrechte, König Erich Priesterfeind von Norwegen, zum Nachgeben zwingen. Seit dem Ende des XIII. Jahrhunderts wird Lübeck zuerst neben Wisby, dann allein Oberhof auch für die Streitigkeiten am Komptor in Nowgorod, welche Stelle es in bürger - lichen Streitigkeiten unter den Töchtern lübischen Rechtes längst besessen.

Immer fester gliederte sich die Hansa der Deutschen , welche urkundlich unter diesem Namen zum erstenmale 1343 erwähnt wird. Auf dem Gürzenich (einer Kaufhalle) zu Köln finden wir vom 11. bis zum 19. November die Send - boten aller Mitglieder derselben, von der Ostsee, der Nordsee und aus dem Innern des Reiches versammelt, um den nationalen Kaufmannskrieg gegen die vertragsbrüchigen Könige des Nordens, namentlich den Dänenkönig, in Gang zu setzen; der Krieg endete 1370 mit dem Frieden von Stralsund, und dieser be - zeichnete den Höhepunkt der Hansa, von dem sie bald hinabsank.

Dieser ewig denkwürdige Friede besiegelte die Suprematie der Hansa über das Reich Waldemar III., dieses durfte keinen König empfangen, als mit dem Rathe der Städte und mit Besieglung ihrer Freiheiten .

Aber unmittelbar auf den schwer errungenen Sieg folgte der Verfall Lübecks und des ganzen Bundes. In dem Vororte wogte unaufhörlich der Kampf zwischen den Geschlechtern, welche geschäftslos von ihren Renten lebten, im Rathe mächtig waren, die Geldmittel der Stadt angeblich schlecht verwalteten, einerseits, und den wirklichen Kaufleuten, denen sich die Zünfte anschlossen, anderseits.

101*804Der atlantische Ocean.

Das Patriciat dachte nur an die Befestigung seiner Herrschaft in der Heimat, dafür war es nachgiebig gegen die Seeräuber, unschlüssig gegen die nordischen Königreiche, welche die Kahnarische Union von 1397 zu einigen suchte. Die Herrschaft des burgundischen Hauses am Niederrhein (seit 1385) führte zur Loslösung der westlichen Städte von der Hansa, deren Tage, trotz der dringendsten Ausschreibungen, immer schwächer besucht wurden. Als seit dem Anfange des XV. Jahrhunderts die Häringszüge bleibend die Gestade der Ostsee mieden, war eine Hauptquelle des Reichthums der östlichen Hansestädte versiegt, und die Entdeckung Amerikas drückte die Bedeutung der Ostsee für den Handel vollends herab, der übrigens den Hansen langsam in demselben Masse aus der Hand ge - nommen wurde, als seit der Reformation in Schweden, Dänemark und England das Königthum erstarkte, welches die Handelsvortheile der Fremden als schädlich be - trachtete und den nationalen Eigenhandel beförderte.

Noch einmal entwickelte sich unter Jürgen Wullenweber, dem Vorkämpfer der Reformation und Führer der Zünfte gegen die Geschlechter, die Hansa schein - bar zu alter Machtfülle; mit seinem Sturze (26. August 1531) sank sie ohn - mächtig danieder. Ohne Gründungstag hatte sich die Hansa im Stillen schritt - weise, entwickelt, und ebenso unmerklich zerrann sie. Sie hatte aufgehört eine politische Nothwendigkeit zu sein. Durch die Entdeckung der Seewege nach Ost und West war der Welthandel von den Binnenmeeren, der Ostsee und dem Mittelmeere, an den atlantischen Ocean verlegt worden. Durch die Aufrichtung des Landfriedens war dem Handel von Staatswegen die vollste Sicherheit gegeben, unter solchen Verhältnissen hatte sich die Hansa überlebt und musste wie alles historisch Ueberlebte absterben.

Im Juni 1669 wurde in Lübeck die letzte, schwach besuchte allgemeine Versammlung gehalten, die nach vielem Streit einen inhaltslosen Regress zu Stande brachte, das letzte Lebenszeichen der Gemeinen deutschen Hanse , an deren Stelle der engere Bund der Anseestädte trat, der, wahrscheinlich 1630 bei der Vertagung der Hanse aufgerichtet, 1641 erneuert worden war.

Der materielle Verfall der Stadt Lübeck trat nun rasch ein, aber dennoch glückte es ihr während verschiedener Mediatisirungsepochen (1648 und 1803), ihre staatliche Freiheit aufrecht zu erhalten und bis heutigentags zu bewahren. Im Jahre 1815 zählte Lübeck nur 23.667 Einwohner. Sein Stern strebt gegen - wärtig wieder aufwärts!

Der wichtigste Zugang in die Stadt führt durch das bereits vorne erwähnte mittelalterliche Holstenthor, welches 1477 ausgebaut und 1871 restaurirt wurde. Die gleichnamige Strasse leitet zum Herzen der Stadt, auf den Markt, dessen Hauptschmuck das Rathhaus und die nördlich desselben gelegene Marienkirche bilden.

In seiner jetzigen Gestalt um 1442 vollendet, ist das Rathhaus ein stattlicher gothischer Bau aus schwarzem und rothem Backstein, mit einer um 1570 entstandenen Vorhalle und einem 1594 gegen die Breite Strasse zu gebauten Treppenhaus, beide in reichstem Renaissance - styl gehalten. Die riesigen Giebel und die eigenthümlich geformten Spitzen der fünf Thürme haben wir bereits erwähnt. Jedoch schwä -[805]

Lübeck (Massstab 1: 17.800; Sonden in Metern).

A Ostsee, B Pötenitzer Wick, C Himmelsdorfsee, D Stadtgraben, E Mühlenteich, F Leuchtfeuer, G Hafen für Stecknitzcanalschiffe, H Burgthor, J Holstenthor, K Mühlenthor, L Hüxterthor, M Mühlenbrücke, N Wielandsbrücke, O Eisenbahnbrücke, P Puppenbrücke, Q Dankwartsbrücke, R Holstenbrücke, S project. Eisenbahnbrücke, T project. Eisenbahnanlage, U project. Hafenanlagen, V Roeckstrasse, W grosse Burg - strasse, X Königstrasse, Y Breite Strasse, Z Mühlenstrasse. 1 Annenstrasse, 2 Katharinenstrasse, 3 Hansastrasse, 4 Lindenstrasse, 5 Dornestrasse, 6 Maierstrasse, 7 Glockengiesserstrasse, 8 Johannis - strasse, 9 Mengstrasse, 10 Fleischhauerstrasse, 11 Fischstrasse, 12 Holstenstrasse, 13 Hüxstrasse, 14 Wahmstrasse, 15 Moisliager Allee, 16 Lachswehrallee, 17 Fackenburger Allee, 18 Schwartauer Allee, 19 Hüxterthorallee, 20 Engelsgrube, 21 Fischergrube, 22 Beckergrube, 23 Marlesgrube, 24 Dankwarts - grube, 25 Hartengrube, 26 Paradegrube, 27 Holstenthorthürme, 28 Domkirche, 29 St. Aegidienkirche, 30 Petrikirche, 31 St. Marienkirche, 32 Katharinenkirche, 33 Jacobikirche, 34 reformirte Kirche, 35 Synagoge, 36 Burg, 37 Spital, 38 Schiffswerft, 39 Bahnhof, 40 Navigationsschule, 41 Conserven - fabrik, 42 Börse und Rathhaus, 43 Post, 44 Klöster, 45 Hauptzollamt, 46 Badeanstalten.

806Der atlantische Ocean.chen die verschiedenen Zubauten den Gesammteindruck des Baues. Das Innere des Gebäudes enthält sehenswerthe Kunstobjecte aus alter und neuerer Zeit. Der ehemalige Hansasaal, in welchem die Hansa - tage abgehalten wurden, ist gegenwärtig in mehrere Zimmer getheilt. Das Archiv der alten Hansa ist jetzt in das Haus der ehemaligen Cirkel - oder Junker-Compagnie verlegt.

Von Interesse ist der unter dem nördlichen Flügel liegende, aus dem Jahre 1443 stammende, neuestens zu einem besuchten Weinkeller modernisirte Rathskeller mit mancherlei Erinnerungen an die alte Hansazeit. Der dort befindliche Admiralstisch soll aus den Planken des letzten lübischen Admiralschiffes um 1570 hergestellt worden sein.

Am Markte erhebt sich vor der südlichen Ecke desselben der aus dem XV. Jahrhundert stammende gothische Backsteinbau des ehemaligen Prangers (niederdeutsch Kaak), auch Butterbude genannt, gegenwärtig zu Marktzwecken verwendet.

Als Vertreter der Neuzeit flankirt das neue Post - und Tele - graphengebäude den geräumigen Platz.

Unter den vielen hervorragenden religiösen Bauwerken der Stadt behauptet die in majestätischen Formen gehaltene Marienkirche den ersten Rang und zählt zu den schönsten Denkmälern Lübecks.

In der Zeit von 1276 bis 1310 in gothischem Styl aufgeführt, erhält die Kirche durch ihre beiden 124 m hohen Thürme einen imposanten Schmuck. Das Innere entfaltet einen seltenen Reichthum an alten werthvollen Sculpturen in Stein und Holz, schönen Altar - gemälden, darunter Schöpfungen des Lübeckers Overbeck, prächtigen Grabdenkmälern und Glasmalereien. Berühmt ist die grösste der drei Orgeln, die 81 Register und 5134 Pfeifen zählt und durch eine wundervolle spätgothische Prachtfaçade geziert ist.

Südwestlich des Marktes erhebt sich der ehrwürdige Bau der Petrikirche, welche in ihrer jetzigen Gestalt etwa um das Jahr 1300 aus einem 1170 errichteten romanischen Bau entstanden ist.

Dem romanischen Styl gehört die 1173 von Heinrich dem Löwen gegründete Domkirche an, welche trotz schmuckloser Einfachheit des Aeussern durch die Grossartigkeit ihrer Verhältnisse imponirt. Der von zwei 120 m hohen Thürmen überragte Dom wurde 1276 erwei - tert und der hohe Chor 1335 vollendet. In seinem Inneren durch kostbare Kunstschätze ausgestattet, enthält der Dom in einer Grab - capelle die Ruhestätte der lübischen Bischöfe.

Bemerkenswerth ist die gothische Katharinenkirche, welche aus807Lübeck.der Mitte des XIV. Jahrhunderts stammt und ebenfalls reiche Kunst - objecte einschliesst, aber nicht mehr zum Gottesdienste verwendet wird. An die Südseite der Kirche grenzen die Baulichkeiten eines ehemaligen Minoritenklosters, welches gegenwärtig das Katharineum genannte Gymnasium und Realgymnasium sowie die 1620 gegründete Stadtbibliothek beherbergt; letztere enthält gegen 110.000 Bände, zahlreiche Handschriften und Porträts.

Dem XIV. Jahrhunderte enstammen die Aegidienkirche und die Jakobikirche; an das XIII. Jahrhundert erinnert die gegenwärtig als Eingangshalle des musterhaft geleiteten Hospitals zum heiligen Geist verwendete frühgothische Capelle.

Im ehemaligen Burgkloster, an dessen Stelle die 1229 von den Dominikanern besiedelte alte Burg stand, sind jetzt eine gewerbliche Mustersammlung, dann das sehenswerthe Handelsmuseum und eine Sammlung von Gypsabdrücken nach der Antike untergebracht.

Lübeck verfügt weiters über ein naturhistorisches Museum, und die dortige Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Thätigkeit besitzt sehenswerthe culturhistorische Sammlungen. Sehr geschätzt ist die ansehnliche Privatsammlung älterer holländischer und neuerer Gemälde des Herrn Consuls Harms.

An die alte Zeit erinnern unter andern das Haus der Schiffer - gesellschaft, welches die alten Compagniehäuser Lübecks veranschau - licht, und das Haus der Kaufleutecompagnie mit prächtigen Holz - schnitzarbeiten, worunter das dorthin übertragene, aus dem Jahre 1585 stammende Fredenhagen’sche Zimmer.

Am nördlichen Ende der Stadt gelangt man durch den im Jahre 1444 entstandenen Bau des Burgthores in die gartengeschmückte Umgebung. Unweit des Thores kämpfte Blücher am 6. November 1806 mit den Trümmern des bei Jena geschlagenen Heeres gegen die ihn verfolgenden französischen Marschälle Murat, Bernadotte und Soult.

Eine breite schöne Lindenallee durchschneidet heute das Schlacht - feld. Dort liegt der stille Friedhof, wo der Dichter Emanuel Geibel, ein Lübecker Kind, 1884 zur Ruhe bestattet wurde.

Die Trave windet sich in zahlreichen Krümmungen und im Unterlaufe einen ansehnlichen Küstensee bildend, in nordöstlicher Richtung dem Meere zu. Der kleine Ort Travemünde von etwa 2000 Einwohnern liegt an ihrer Mündung in der imposanten Lübecker Bucht. Das Fahrwasser von Lübeck nach Travemünde besitzt eine Längs - erstreckung von 22 km. Die Wassertiefe wurde durch Baggerung ver - grössert und beträgt auf der ganzen Strecke nirgends weniger als808Der atlantische Ocean.5·2 m, nächst Travemünde erreicht sie 6 m und darüber. Die Zufahrt von See aus ist durch Betonnung gut markirt.

Travemünde, auf dessen Rhede die Schiffe ankern und, falls sie tiefer als 5 m gehen, einen Theil ihrer Ladung löschen können, hat am linken Ufer einen 31 m hohen Leuchtthurm, welcher ein Doppelfeuer zeigt; am anderen Ufer markiren zwei rothe Leuchtfeuer, in Deckung gebracht, die Zufahrt, und am Quai von Travemünde werden zwei grüne Feuer gezeigt.

Das Städtchen ist auch als Seebad bekannt geworden.

Im Seehandel Lübecks überwiegt in bedeutendem Masse die Einfuhr, die sich allmälig, wenn auch nicht ohne Unterbrechungen entwickelt, während die Ausfuhr zur See der Menge und dem Werthe nach im Grossen und Ganzen sich wenig hebt.

Lübeck leidet im Verkehre mit der Ostsee unter der Concurrenz Hamburgs, das seine directen Verbindungen dahin ständig vermehrt. Die Vollendung des Nord-Ostseecanals wird Hamburgs Stellung in der Ostsee wahrscheinlich weiter befestigen.

Nur die Errichtung eines leistungsfähigen Canals von der Trave zur Elbe als Ersatz für den jetzt ungenügenden und verlassenen Stecknitzcanal, den ältesten Canal Deutschlands, der 1398 vollendet wurde, könnte Abhilfe schaffen.

Da jetzt viele Schiffe in Ballast auslaufen, so würden die auf dem Canale von der Elbe ankommenden Waaren billige Frachtgelegenheit nach den Ostsee - häfen finden.

Auch im Eisenbahnverkehre, der sich in der Ein - und Ausfuhr verheissungs - voll entwickelt, fällt die grosse Abhängigkeit Lübecks von Hamburg auf.

Wir gehen nun zur Darstellung des Seehandels von Lübeck über.

Unter den Gegenständen der Einfuhr sind als nunmehr wichtigste Artikel Holz und Holzwaaren, vor Allem Bauholz zu erwähnen. Die Einfuhr zur See erreichte 1889 2,259.578 q, 1888 2,182.514 q, 1887 1,488.747 q. Die Hauptländer der Einfuhr von unbearbeitetem Holz sind Russland (St. Petersburg und Riga), Finnland, Schweden und die ostpreussischen Häfen; Tischlerarbeiten, namentlich Thüren kommen aus Schweden.

Von Getreide und Hülsenfrüchten wurden 1889 745.045 q, 1888 785.337 q eingeführt. Der grösste Theil kommt aus Russland und Finnland, Gerste auch aus Dänemark. An der Spitze der Getreidegattungen steht 1889 Hafer mit 334.630 q, 1888 mit 270.532 q; Roggen wurden 1889 128.491 q, 1888 231.309 q, Weizen 1889 65.213 q, 1888 102.616 q, Erbsen 1889 81.924 q eingeführt.

Russland und Finnland senden ferner den grössten Theil von Hanf und Hanfheede, von Flachs (1889 17.916 q), von Oelsaaten, Fellen und Häuten, von Butter (1889 16.866 q) und von Eiern.

Häringe kommen meist über Hamburg, Kopenhagen und Stettin, dafür ist die Einfuhr frischer Fische aus Schweden, Dänemark und Norwegen für den Bedarf der Räuchereien von Lübeck und Schlutup von 3571 q im Jahre 1855 auf 104.797 q im Jahre 1889 gestiegen.

Die früher ziemlich wichtige Einfuhr von Schweinen aus Dänemark war in den letzten Jahren durch Einfuhrverbote gehindert.

809Lübeck.

Aus Schweden werden Eisen (1888 90.680 q) und Zündhölzer (55.990 q), aus Russland Spirituosen, aus Finnland und Russland Papier und Pappe zugeführt. Diese Artikel sind zur Weiterbeförderung nach Hamburg bestimmt.

Lübeck führt hauptsächlich russisches Petroleum ein (1889 100.894 q, amerikanisches 1889 55.344 q), Steinkohlen 1889 599.584 q, 1888 488.354 q meist aus Grossbritannien.

Die Ausfuhr zur See ist dem Umfange nach kleiner, dem Werthe nach grösser als die Einfuhr, weil Kohle, Holz und ähnliche Massenartikel von hier nur in der Wiederausfuhr weggehen.

Bedeutend ist die Ausfuhr von Getreide, dann von Bau - und Nutzholz, Baumwolle geht nach Russland, Droguen und Kochsalz (1888 53.723 q) nach Dänemark und Schweden, Zucker und Kaffee, die mit der Bahn einlaufen, nach Finnland.

Ziemlich ansehnlich ist die Ausfuhr von Kurz - und Manufacturwaaren nach Schweden und die von Eisenwaaren und Maschinen in die deutschen Häfen an der Ostsee, nach Schweden und Russland.

Der Handel von Lübeck zeigt folgenden Umfang:

〈…〉〈…〉

Von der Einfuhr zur See des Jahres 1889 kamen 48·3 Millionen Mark auf Russland, 6·2 Millionen Mark auf Finnland, 15·1 Millionen Mark auf Schweden, 3·7 auf Dänemark, von der Ausfuhr zur See 34·7 Millionen Mark auf Russland, 10·7 auf Finnland, 38·4 Millionen Mark auf Schweden, 13·4 Millionen Mark auf Däne - mark. Bedeutend ist noch der Verkehr mit Deutschland, wenig umfangreich mit Westeuropa und Nordamerika, weil von dort Vieles nicht direct, sondern über Hamburg und Bremen mit der Bahn anlangt.

Viele Ostseeplätze, mit denen Lübeck vor Allem Handel treibt, sind einen Theil des Winters durch Eis geschlossen, wenn auch Lübeck selbst durch Hilfe von Eisbrechern oft das ganze Jahr hindurch zugänglich ist. Daher herrscht etwa von Neujahr bis ins Frühjahr hinauf in Lübeck grosse geschäftliche Stille.

Der Seeschiffsverkehr von Lübeck betrug:

〈…〉〈…〉

Die Lübeck’sche Rhederei zählte 1889 3 Segelschiffe mit 2092 m3 und 27 Dampfschiffe mit 27.266 m3, zusammen 30 Schiffe mit 29.360 m3 (1 Reg. - Ton = 2·83 m3).

Der Verkehr der Flussschiffe erreichte 1888 3600 Dampfer und Fahr - zeuge mit 330.210 m3.

Den Hauptantheil an dem Hafenverkehre von Lübeck-Travemünde hat seit 1886 die schwedische Flagge, hinter der die deutsche um ein Viertel der Tonnen - zahl zurückbleibt; es folgen der Reihe nach die britischen, dänischen und russischen Schiffe.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 102810Der atlantische Ocean

Lübeck hat nach allen Plätzen der Ostsee von Hernösand und Kask süd - wärts regelmässige Dampfschiffsverbindungen.

Die Linie Lübeck-Kopenhagen (271 km) befördert vom 1. April bis 30. Sep - tember die Post; sie findet in Kopenhagen Anschluss durch Schiffe nach Göte - borg und Christiania.

Von Lübeck gehen Eisenbahnen nach Travemünde, Kiel, Hamburg, Büchen und Stettin.

Das wichtigste Geldinstitut ist die Reichsbankstelle, neben ihr bestehen zwei Banken und zwei grössere Sparcassen. Zu nennen sind überdies die Lübecker Feuerversicherungs-Gesellschaft und die Deutsche Lebensversicherungs-Gesellschaft.

In Lübeck haben Consulate: Chile, Dänemark, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Russland, Schweden und Norwegen, Venezuela.

Im Osten von Lübeck finden wir Rostock, die älteste Tochter des lübischen Rechtes, welche unter allen deutschen Hafenplätzen an der Ostsee die grösste Handelsmarine besitzt, so Anfang 1889 210 Seeschiffe mit 78.468 Reg. -Tons, davon waren aber nur 18 Dampfer mit 5947 Reg. -Tons.

Rostock, die bedeutendste Stadt Mecklenburgs, ist eine alte slavische An - siedlung, welche der Obotritenfürst Heinrich Borwin I. bereits 1218 mit dem Stadtrechte auszeichnete. Der Hansa bis zu deren Auflösung angehörend, kam die Stadt 1323 unter die Herrschaft Mecklenburgs.

Die etwa 40.000 Einwohner zählende Stadt liegt ungefähr 10 km vom Meere entfernt an der unteren Warnow, welche, durch Baggerungen auf 5 m Tiefe gebracht, kleineren Seeschiffen am Stadt - quai (der Strand) anzulegen gestattet.

Rostock besitzt mehrere bedeutende Denkmale mittelalterlicher Baukunst und bewahrte sich gleich wie Lübeck das Gepräge weit vergangener Zeiten. Das 1265 erbaute Rathhaus mit gothischer Façade; die aus dem Jahre 1398 in grossen Verhältnissen aufge - führte Marienkirche; die 1400 erbaute Petrikirche mit 132 m hohem Thurme; die Jakobikirche (XIV. Jahrhundert) und Nicolaikirche (XIII. Jahrhundert) sind die vornehmsten Erinnerungen an die rühm - liche Vergangenheit der Stadt.

Den Blücherplatz ziert ein schönes, 1818 von den mecklenbur - gischen Ständen errichtetes Blücher-Standbild. Der ruhmgekrönte Blücher war ein geborener Rostocker (1742).

Schöne Neubauten sind die 1867 bis 1870 entstandene neue Universität, an Stelle der alten 1419 gestifteten, deren Bibliothek 150.000 Bände zählt. Wie die meisten Städte Deutschlands, errichtete auch Rostock seinen im Kriege 1870 / 71 gefallenen Söhnen ein schönes Denkmal.

Die ehemaligen Befestigungen, welche die Stadt einengten, sind811Lübeck.neuerer Zeit gefallen und geben zur Herstellung hübscher Gartenan - lagen den Raum.

Der Hafen besitzt am Stadtquai gute Anlegeplätze für Schiffe; der eigentliche Seehafen ist aber Warnemünde an der Mündung der Warnow, welche zwischen Rostock und der Flachküste sich seeartig ausbreitet.

Warnemünde ist durch Dammbauten gegen See geschützt, grosse Oceanschiffe müssen jedoch auf der Rhede ankern.

Als sehr besuchtes Seebad (jährlich 7000 Gäste) ist das Städt - chen neuestens im Emporblühen begriffen.

Ueber Warnemünde und das dänische Gjedser gelangt man in 11 Stunden 15 Minuten von Berlin nach Kopenhagen.

Rostocks Seeschiffsverkehr betrug 1888 2246 Seeschiffe mit 375.167 Reg. - Tons, davon 1295 Dampfer mit 307.961 Reg. -Tons.

Für Rostock ist der Verkehr mit Schweden von besonderer Bedeutung.

102*[812]

Stettin.

Ueber dem mit anmuthigen Ortschaften, mit sanftgeböschten Hügeln, dunklem Wald und Wiesengrund gezierten Strandgebiet der pommerischen Bucht tönt in das frohe Treiben der Gegenwart aus uralter Zeit her die geheimnissvolle Klage der Vineta, jener spurlos im Meere versunkenen üppigen und sündhaften Stadt, von der es heisst, dass sie im V. Jahrhundert die grösste Nordeuropas gewesen sei. Aber Niemand weiss, wo sie einst gestanden, was ihre Bewohner verbrochen. Armes sagenhaftes Vineta, dessen Trümmer der Fischer nächst der Insel Usedom in der trügerischen Tiefe zu erblicken ver - meint, während der Historiker dich auf die Nachbarinsel Wollin verpflanzt und deine Existenz an die alte Meeresfeste und Handels - stadt der Wenden Julin kettet, welche im XII. Jahrhundert von den Dänen und vermuthlich auch durch Seesturm und Hochflut zerstört wurde.

Gewiss ist, dass die Mündung der Oder, wo die genannten Inseln die schützende Nehrung des ausgebreiteten Stettiner Haffs bilden, seit ältester Zeit zur Anlage von Städten und Handelsplätzen einlud. Als die Inseln sich bevölkerten, war an der Oder selbst schon frühzeitig Stettin entstanden, und Otto von Bamberg, der Apostel der Pommern, fand die Stadt bereits im Anfange des XII. Jahrhun - derts als volkreichen Platz und Hauptsitz des heidnischen Triglaw - cultes der Wenden.

Im XII. Jahrhunderte trat Stettin der Hansa bei und blühte, an einer schiff - baren Wasserstrasse gelegen, rasch auf. Seine Handelsbedeutung als des einzigen Durchgangspunktes des Handels zwischen den märkischen Plätzen und der Ostsee bewog die Herzoge von Pommern, ihre Residenz dahin zu verlegen.

Im Jahre 1648 gelangte die Stadt in schwedischen Besitz und entfaltete sich zu einem wichtigen Stapelplatz für den schwedischen Handel; 1678 eroberte sie der grosse Kurfürst und 1720 kam sie in preussischen Besitz.

Seither erhob sich Stettin zum bedeutendsten Seehandelsplatz Preussens und gleichzeitig zu einer der hervorragendsten Industriestädte des Deutschen Reiches.

813Stettin.

Die Stadt liegt in sehr anmuthiger Umgebung zu beiden Seiten der Oder, welche hier die Seitenarme Parnitz und Dunzig von der Hauptwasserstrasse zu dem nördlich gebildeten Damm’schen See abscheidet.

Ueber die Hügel des linken Ufers breitet sich der alte Stadt - kern aus, den bis 1873 die Umwallung der Fortificationen einschloss. Das rechte Oderufer ist dagegen flach und mit ausgedehnten saftig - grünen Wiesen und Baumanlagen bedeckt.

Stettin.

Eine Eisenbahn - und drei andere Brücken überwölben die Oder, an deren rechtem Ufer die meist von der Arbeiterclasse bewohnte Vorstadt Lastadie und südlich von dieser auf einer Insel die neue Vorstadt Silberwiese entstanden sind. Um die Altstadt gruppiren sich seit 1850 zunächst die Neustadt und seit Aufhebung der Festung die westlich und nördlich derselben vor dem Berliner und Königsthor entstandenen Vorstädte, die, wie unser Plan zeigt, von stattlichen Strassenzügen durchschnitten werden.

An Stelle der Fortificationen breiten sich nun hübsche Garten - anlagen aus.

814Der atlantische Ocean.

Von der südlichen Brücke (Neue Brücke) aus betrachtet, biete Stettin ein malerisch bewegtes Bild dar. Genau unterscheidet man die beiden Haupthügel der Altstadt, auf deren nördlichem der massige Bau des alten Herzogschlosses, auf dem südlichen aber die im XIII. Jahrhundert erbaute Jakobikirche ehrwürdig thronen.

Das alte Schloss mit seiner eigenthümlichen Uhr am südlichen Thurme entstand in der Zeit von 1503 bis 1577, wurde aber im Laufe des XVIII. Jahrhunderts und neuester Zeit umgebaut. Gegen - wärtig haben darin das Oberpräsidium, die Regierung und das Oberlandesgericht ihre Bureaux, und ist das antiquarische Museum dortselbst untergebracht.

Die Gruft der Schlosskirche enthält die Gräber der Herzoge von Pommern. Von Interesse ist die Erzbüste des grossen Kurfürsten im Schlosshofe.

Die Stadt bietet im Grunde genommen nur wenig Sehenswür - digkeiten. Die Kirchen, anderwärts meist imposante Bauwerke und durch Werke der Kunst geziert, entbehren hier der künstlerischen Bedeutung, sie sind einfache Backsteinbauten ohne hochaufragende Thürme.

Am berühmtesten ist die 1124 durch Bischof Otto von Bamberg erbaute Peter-Paulkirche als ältestes religiöses Bauwerk Pommerns. Die Kirche wurde während der Belagerung von 1677 zerstört, durch den Krieg 1806 verwüstet und 1816 und 1817 wieder hergestellt.

In der Altstadt folgen die Strassen der Terrainform und fallen gegen die Oder meist steil ab. Manch altes Haus steht hier mit seiner Giebelseite an der Gassenfront.

Am Königsplatz erhebt sich das Erzstandbild Friedrichs des Grossen und vor dem Theater das 1849 errichtete Marmorbild Fried - rich Wilhelm III.

Unter den Profanbauten verdienen das neue Rathhaus und das 1884 vollendete Concerthaus, die Hauptwache, das Amtsgericht und andere genannt zu werden.

Die Strassen der Neustadt zeichnen sich durch eine stattliche Breite, viele aber auch durch grosse Länge aus, und wird das neue Stettin, wenn einmal ausgebaut, durch den grossen Zug seiner Anlage vortheilhaft zur Geltung kommen.

Grossartig geplant ist die Kaiser Wilhelmstrasse, eine wahre Riesin unter den anderen Verkehrsadern, und prächtig gedacht ist der gleichnamige Platz, von welchem aus acht Strassen radial auslaufen. 815Stettin.Der Paradeplatz und die schöne Lindenstrasse sind vielbesuchte Pro - menaden.

Stettin, welches im Jahre 1858 nur 58.000 Einwohner hatte, gegenwärtig aber bereits gegen 100.000 zählt, ist die Hauptstadt der preussischen Provinz Pommern.

Aber nicht als Regierungsstadt, sondern als Industriestadt hat sich Stettin in den letzten Jahren so rasch entwickelt. Vor Allem haben der Schiff - und Maschinenbau und die Hilfsindustrien des - selben einen ungeheuren Aufschwung genommen. Anfang 1889 lagen auf Stettiner Werften 18 Dampfer für Hamburger Rechnung im Bau, darunter die grossen Dampfer Augusta Victoria , Dania und Skandinavia für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Ge - sellschaft auf der Weltruf geniessenden Werfte Vulcan zu Bredow, welche seither auch für den Bremer Lloyd den Schnelldampfer Spree geliefert hat. Die Vulcanwerfte gehört zu den grossartigst einge - richteten Europas; seit sie besteht, kann sich Deutschlands Mercan - tilflotte allmälig von dem Zwange, grosse Dampfer in England bauen zu lassen, befreien.

Das Hafenleben ist nächst dem Landungsplatze der grossen Seeschiffe am regsten entwickelt.

Die Seeverbindung von Stettin vollzieht sich auf der Wasser - strasse nach Swinemünde, welche durch das Stettiner Haff und dessen bedeutendsten Abfluss, die Swine, führt, aber nur für Schiffe bis zu 5 m Tauchung praktikabel ist.

Grössere Schiffe müssen in Swinemünde löschen, ableichten oder die Ladung completiren. Aus diesem Grunde blühte dieses erst seit 1740 bestehende Städtchen als Vorhafen von Stettin rasch auf und zählt gegenwärtig 9000 Einwohner.

Die Mündung ist durch zwei mächtige über ein Kilometer weit in See geführte Molen aus Quadersteinen vor Versandung geschützt und gegen feindliche Angriffe wohl vertheidigt. Innerhalb der Molen sind geräumige Anlegeplätze geschaffen worden. Am östlichen Ufer erhebt sich der gewaltige, 70 m hohe Leuchtthurm, von dessen Höhe eine lohnende Aussicht über die ganze herrliche Umgebung zu ge - niessen ist.

Swinemünde, noch mehr aber das reizend am waldigen Strande der Insel Usedom liegende Heringsdorf sind geschätzte Badeorte, letzteres zählt sogar zu den elegantesten der Ostseebäder und wird jährlich von etwa 6000 Badegästen besucht.

Auch die Strandorte der Insel Wollin besitzen gut besuchte816Der atlantische Ocean.Seebäder. Der grössten Frequenz erfreut sich das zwischen zwei be - waldeten Hügeln malerisch gelegene Städtchen Misdroy, wo sich jähr - lich gegen 6000 Fremde einzufinden pflegen und wo vortreffliche Badeeinrichtungen bestehen. Dort wird auch die Bernsteinfischerei betrieben.

In Swinemünde haben ganz städtische Verhältnisse Platz gefunden; das Städtchen hat unter Anderem die elektrische Beleuchtung einge - führt, besitzt aber meist nur einstöckige, von Bäumen umsäumte Häuser.

Eine Fahrt mit dem Dampfer von Swinemünde nach Stettin zählt zu den reizendsten Genüssen.

Am waldigen Strande vorbei wird durch den künstlichen Durch - stich, Kaiserfahrt genannt, das Stettiner Haff erreicht; Feuerschiffe und Marken bezeichnen dort das Fahrwasser. Das Haff ist das grosse Küstenreservoir der Oder, welches durch die Abflüsse der Peene im Nordwesten, der Swine im Centrum und der Dievenow im Osten mit der See in Verbindung steht, wodurch die Inseln Usedom und Wollin gebildet werden. Durch das breite Papenwasser wird die eigentliche Oder erreicht. Städtchen und Ortschaften drängen sich nun malerisch an den grünen Ufern, in der Ferne gewahrt man die formenreichen Hügel in der Umgebung von Stettin. Man berührt nun den weiten Damm’schen See, zieht an Gotzlow mit seinem bewaldeten, als Ver - gnügungsort sehr besuchten Julo vorbei, sieht das anmuthig zwischen Grün gebettete Frauendorf und weiterhin die grossen Fabriken von Züllchow. Nun erscheinen Bredow und Grabow, gegenwärtig beide mit Stettin verwachsen und durch geschäftliche Bande enge verbunden. Hier liegen die grossartigen Etablissements der Werfte und Maschinen - fabrik Vulcan und jener von vormals Möller & Hollberg. Unter - dessen sind die malerischen Contouren der Altstadt zur Geltung ge - langt und bilden einen höchst effectvollen Hintergrund des reich bewegten Hafens, den wir endlich erreichen.

Legende zum Plan von Stettin. A pommer’sche Bucht, A1 Kaiserwasser, B Achterwasser, C Kleines Haff, D Grosses Haff, E Damm’scher See, F Leuchtfeuer, F1 Leuchtschiff, G Oder Dunzig-Canal, H Kaiser Wilhelmstrasse, J Friedrich Karl - strasse, K Turnerstrasse, L Augustastrasse, M Bismarckstrasse, N Hohenzollernstrasse, O Friedrich - strasse, P Bellevue, Q Barnimstrasse, R Bogislawstrasse, S Elisabethstrasse, T Lindenstrasse, U Breite - strasse, V Rossmarktstrasse, W Kurfürstenstrasse, X Moltkestrasse, Y Deutsche Strasse, Z Pölitzer - strasse. 1 Wrangelstrasse, 2 Falkenwalderstrasse, 3 Frauenstrasse, 4 Oberwickstrasse, 5 Wasser - strasse, 6 Holzstrasse 7 Eisenbahnstrasse, 8 Parnitzstrasse, 9 Speicherstrasse, 10 Altdammerstrasse, 11 Breslauerstrasse, 12 Danzig-Fahrstrasse, 13 Birkenallee, 14 Kaiser Wilhelmplatz, 15 Königsplatz, 16 Paradeplatz, 17 Hohenzollernplatz, 18 Exercirplatz, 19 Victoriaplatz, 20 Kirchplatz, 21 Marktplätze, 22 Personenbahnhöfe, 23 Güterbahnhöfe, 24 Hafenbahnhöfe, 25 neue Brücke, 26 Langebrücke, 27 Baum - brücke, 28 königl. Schloss, 29 Kasernen, 30 Artilleriedepot, 31 Post, 32 Landgericht, 33 Jakobikirche, 34 Krankenhäuser, 35 Friedhöfe, 36 Badeanstalten.

[817]
Stettin (Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 816.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 103818Der atlantische Ocean.

Stettin ist durch seine Lage an der Oder und die Nähe der Reichshauptstadt Berlin (134 km) der bedeutendste Hafen Preussens, der auch über die Ostsee hinaus lebhaften Handel treibt. Er leidet aber schon heute unter dem Mitbewerbe von Hamburg, das nach Vollendung der neuen Canalbauten zwischen Elbe und Oder noch mehr auf Stettin drücken wird.

Je grösser die Schiffe werden, desto mehr bleiben ihrer in Swinemünde, und eine Vertiefung des Fahrwassers in dem Haff und der Oder zunächst auf 6 m und später auf 7 m ist ebenso dringend, wie eine Beleuchtung desselben, damit die Schiffe auch bei einbrechender Dunkelheit nach Stettin hinauffahren und so den Vortheil, welchen die Beleuchtung des Sundes bietet, voll ausnützen können.

Dem Mangel an Quaianlagen wird die Ausführung des Dunzig - Parnitz-Canales abhelfen, und damit ist auch die Möglichkeit geboten, in Stettin ein Freihafengebiet zu errichten, wie es heute Hamburg und Bremen haben. Im Besitze dieser Anlagen kann Stettin mit Ruhe dem Zeitpunkte entgegensehen, welcher vielleicht die Vollendung des projectirten Canals Stettin-Berlin bringen wird.

Der Stettiner Hafen wird jetzt durch drei Eisbrechdampfschiffe auch im Winter für Dampfer zugänglich erhalten und steht deshalb während des ganzen Jahres mit den eisfreien Häfen in ununter - brochenem Verkehre.

Als Handelsplatz hat Stettin in den letzten dreissig Jahren, freilich vielfach auf Kosten der kleineren Ostseehäfen, zugenommen; möglich dass der Zenith erreicht ist. Im Seehandel Stettins überwiegt die Einfuhr bedeutend, wie die folgende Tabelle zeigt:

Der Seehandel von Stettin umfasste in Tonnen:

〈…〉〈…〉

Da Swinemünde im Wesentlichen nur als Umladeplatz Bedeutung für den Handel hat und die Einfuhr der Hauptsache nach aus englischen Steinkohlen, die Ausfuhr aus Zink besteht, so ziehen wir im Folgenden den Seeverkehr beider Städte zusammen.

Stettin-Swinemünde haben durchschnittlich eine Getreideeinfuhr von mehr als 2 Millionen q. Wenn die Roggenernte in Nordrussland günstig ausfällt, ist Roggen an der Spitze der Einfuhr, so 1888 mit 1,723.390 q; muss aber Roggen aus Südrussland und von der Donau bezogen werden, so kommt er zum grossen Theile über Hamburg und Binnenwasserstrassen nach Berlin und selbst nach Stettin. Deshalb erreichte die Roggeneinfuhr von 1889 nur 717.840 q. Aus Russ - land kommt auch Weizen, Hafer (1889 849.380 q, 1888 351.220 q) und Gerste (1889 216.420 q, 1888 69.460 q), aus der Union Mais (1889 227.860 q, 1888 142.100 q).

819Stettin.

Hülsenfrüchte (1889 74.020 q) und Mehl (81.320 q) werden aus deutschen Häfen, Kleie (164.850 q) aus Russland und deutschen Häfen, endlich Reis (1889 110.550 q), Kaffee (1889 61.530 q, 1888 77.880 q) aus deutschen Häfen und Däne - mark zugeführt.

Stettin ist ein Haupthandelsplatz für Oelsamen, die hier in steigenden Mengen verarbeitet werden. Man führt ein Raps und Rübsen (1889 239.380 q, 1888 90.160 q) meist aus Ostindien über Belgien und Grossbritannien, Leinsamen (1889 147.810 q, 1888 82.960 q) aus Russland, dann Oelkuchen (1889 116.430 q).

Die Einfuhr von Wein erreichte 1889 41.280 q, 1888 45.700 q, und erfolgte direct aus Bordeaux und über Kopenhagen.

Russisches Bau - und Nutzholz kommt aus Königsberg und Danzig (1889 1,346.920 q, 1888 1,095.000 q), zum Theile auch von der Weichsel her durch den Bromberger Canal und die Netze in die Oder. Netze und Bromberger Canal sind leider nicht besonders leistungsfähig.

Rohe Baumwolle (1889 21.280 q) kommt über Grossbritannien.

Bedeutend ist auch die Einfuhr von Harzen, von Terpentin und Theer (1889 28.490 q).

Stettin ist einer der vier Haupteinfuhrplätze Deutschlands für Häringe aus Schottland und Norwegen; in neuester Zeit ist auch in Schweden der Härings - fang wieder wichtiger geworden. Einfuhr 1889 990.860 q, 1888 683.220 q.

Unter den Fettwaaren (1889 256.310 q, 1888 208.310 q) sind die wich - tigsten Schweinefett direct aus der Union und über Grossbritannien, Thran aus Norwegen, ferner Baumöl.

Chemikalien und Droguen erreichten 1889 eine Einfuhr von 399.080 q, 1888 von 269.089 q, Guano wird aus Australien gebracht.

Petroleum (1889 489.870 q, 1888 556.580 q) liefert die Union direct und über Bremen, Trottoirplatten und Pflastersteine (1889 1,041.710 q) Schweden, Dach - schiefer (92.860 q), dann Steinkohlen und Coaks (1889 5,010.390 q, 1888 4,850.010 q) Grossbritannien. Mit der Eisenbahn wurden 1888 1,220.850 q hieher gebracht.

Eisen und Eisenwaaren (1889 1,548.550 q, 1888 1,128.290 q) senden Grossbritannien, Belgien und Schweden. Die Einfuhr von Erden und Erzen wird für 1889 mit 2·7 Millionen q angegeben und umfasst Eisenerze und Kiese aus Schweden, Schlacken aus Grossbritannien, dann Kalk und Kaolin.

Von der Ausfuhr Stettin-Swinemündes sind folgende Waaren hervor - zuheben:

Gewöhnlich ist Gerste (1889 132.900 q, 1888 192.220 q) der wichtigste Theil der Getreideausfuhr Stettins, die nach deutschen Häfen geht.

Von Malz, das aus Oesterreich-Ungarn stammt, wurden 1889 69.780 q, 1888 37.040 q nach deutschen Häfen, Dänemark und Norwegen ausgeführt.

Mehl aus den grossen Mühlen Stettins geht nach Schweden, Norwegen und den Niederlanden: 1889 50.733 q, 1888 51.283 q.

Die Ausfuhr von Kartoffelstärke und Kartoffelmehl nach den Nieder - landen, deutschen Häfen und Grossbritannien erreichte 1889 226.990 q, 1888 214.750 q.

Gebrannte Cichorien (1889 50.720 q) und Obst (50.340 q) gehen nach Königs - berg und Danzig.

Ein Hauptartikel der Ausfuhr Stettins ist Zucker, der nach Grossbritannien und den Niederlanden geht; 1889 663.250 q, 1888 828.181 q. Von Melasse wurden 1889 44.200 q, von Kartoffelzucker und Glykose 102.320 q ausgeführt.

103*820Der atlantische Ocean.

Von Wein wurden 1889 19.430 q, von Sprit 132.410 q, 1888 124.450 q nach Spanien, Lübeck und den Niederlanden ausgeführt.

Stettin hat ausgedehnte Fabriken für Rüböl und führte 1889 57.650 q, 1888 86.440 q nach England und Belgien, dann Oelkuchen nach Dänemark und Schweden aus.

Die Ausfuhr der anderen Fettwaaren erreichte 1889 43.940 q.

Die Ausfuhr von Bau - und Nutzholz (1889 781.320 q, 1888 817.850 q) geht nach Grossbritannien und Frankreich, eichene Fassdauben in steigenden Mengen nach Schweden, wogegen die Ausfuhr von Fässern stark zurückgegangen ist.

Häringe (1889 85.350 q, 1888 107.860 q) kommen nach West - und Ost - preussen und Russland zur Wiederausfuhr.

Steinkohlen gingen (1889 177.430 q) nach Skandinavien und Russland, Kochsalz 82.980 q nach Schweden, von Metallen werden Blei und Zink in grösseren Mengen nach England und Russland versendet: rohes Blei und Glätte 1889 60.380 q, Zink 1889 312.490 q, 1888 280.900 q. Eisen und Eisenwaaren gehen nach Däne - mark, Russland, Schweden, Ost - und Westpreussen 1889 181.120 q, 1888 280.900 q.

Die Cementfabriken von Stettin und Umgebung exportirten nach Preussen, Dänemark und Amerika 1889 541.890 q, 1888 574.960 q. Nicht unwichtig ist die Ausfuhr von Mauersteinen und Chamottewaaren.

Chemikalien und Droguen werden meist nach Schweden und Russland verschickt (1889 314.480 q, 1888 333.640 q).

Ziemlich bedeutend ist die Ausfuhr von Papier und Pappwaaren, Holz - stoff (1889 165.590 q, 1888 129.520 q) nach Grossbritannien und deutschen Häfen, die von Maschinen und Maschinentheilen (1889 38.540 q), von Eisen und Eisen - waaren (181.120 q) nach Russland und Schweden und endlich die von Hüten nach Dänemark und Norwegen.

Die wichtigsten Länder sind (1889) für die Einfuhr Grossbritannien, das Deutsche Reich, Russland, Schweden und die Union; für die Ausfuhr Grossbri - tannien, das Deutsche Reich, Schweden, Dänemark, die Niederlande, Russland und die Vereinigten Staaten.

Die wichtigste Industrie Stettins und der Umgebung ist der Bau von Schiffen und Maschinen, betrieben durch die vorerwähnte weltberühmte Stettiner Maschinenbau-Actien-Gesellschaft Vulcan (1889 4014 Arbeiter). Die Stettiner Maschinenbau-Gesellschaft baut vornehmlich Flussschiffe. Ferner bestehen hier Cement -, Ziegel - und Chamottefabriken, eine Dachpappenfabrik, Getreidemühlen, welche 1889 850.450 q Getreide vermahlten, Oelmühlen, eine Zuckerfabrik, Cicho - rien - und chemische Fabriken, Brauereien und eine ziemlich umfangreiche Er - zeugung von Kleidern.

Der Schiffsverkehr von Stettin betrug:

〈…〉〈…〉

Der Schiffsverkehr von Swinemünde, in welchem auch alle Schiffe erscheinen, welche nach Stettin weitergehen, ist bei dem gegenwärtigen Stande des Fahr - wassers zwischen Swinemünde und Stettin ungefähr um ein Viertel grösser als der Verkehr Stettins. Der Verkehr der Küsten - und Binnen-Fahrzeuge, der Fluss -821Stettin.dampfer und Kähne, ungerechnet diejenigen, welche nur durchfahren, ohne zu löschen, erreichte 1889 im Stettiner Hafen 24.779 Fahrzeuge mit einem Gehalte von 2,771.448 m3.

Im Verkehre von Stettin nimmt die deutsche Flagge mit etwa der Hälfte des gesammten Tonnengehaltes die erste Stelle ein, dann folgen die britische Flagge mit einem Viertel und die dänische mit einem Achtel des gesammten Tonnengehaltes. Der Rest vertheilt sich auf die schwedische, norwegische, fran - zösische, holländische und andere Flaggen.

Aus der Gütermenge, welche sich von und nach Stettin seewärts bewegt, folgt, dass viele Schiffe in Ballast ausgehen. Die von England kommenden Dampfer suchen auf der Heimfahrt russische, schwedische, französische und niederländische Häfen auf, um die Ladung zu vervollständigen.

Die Stettiner Rhederei hatte am 31. December 1889 einen Bestand von 193 Schiffen mit 41.856 Tonnen, davon waren 71 Seedampfer mit 29.007 Tonnen, 30 Segelschiffe von mehr als je 30 Tonnen, zusammen mit 10.078 Tonnen, der Rest Küstendampfer, Bugsir - und Flussschiffe.

Stettin hat lebhaften Dampfschiffverkehr aufwärts auf der Oder, ins Haff und nach Rügen. Hier haben ihren Sitz die Neue Dampfer-Compagnie, welche regelmässige Linien in der Ost - und Nordsee und unregelmässige zwischen Nord - und Ostsee unterhält. Ferner sechs kleinere Dampfschiffahrtsgesellschaften und eine Vertretung der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, welche alle 2 3 Wochen einen Dampfer von Stettin nach New-York abgehen lässt und einen Theil der deutschen Auswanderung nach Amerika vermittelt. Andere wichtige Linien sind die nach Kopenhagen (316 km), Gothenburg und nach Stockholm.

Dampfer gehen in der Ostsee nach Danzig, Königsberg, Riga, St. Peters - burg, den schwedischen Häfen und den Kohlenhäfen Ostenglands, dann nach London, Hull, Leith, Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen.

Von Stettin gehen Eisenbahnen nach Swinemünde, nach Lübeck-Hamburg, nach Berlin, nach Breslau und nach Danzig-Königsberg.

Stettin ist Sitz einer Reichsbankhauptstelle und mehrerer Versicherungs - gesellschaften.

In Stettin bestehen Consulate folgender Staaten: Chile, Columbia, Costa - rica, Dänemark (G. -C. ), Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Nieder - lande, Oesterreich-Ungarn, Portugal (G. -C. ), Russland, Salvador, Schweden und Norwegen (G. -C. ), Spanien, Venezuela, Vereinigte Staaten.

[822]

Danzig.

Zu den ältesten deutschen Städten im Weichsellande gehörend, darf Danzig (polnisch Gdańsk) den Ruf beanspruchen, ein bestimmtes historisches Gepräge sich bewahrt zu haben, wie ein solches unter den grösseren Städten Norddeutschlands nur noch Lübeck in gleichem Masse besitzt. Es haben sich hier Baudenkmale der verschiedensten Art aus allen Perioden seiner Geschichte in grosser Zahl erhalten, wo - durch die interessante Stadt mit ihren überwiegenden Renaissance - und Barockbauten ein getreues Bild der Entwicklung der Baukunst von der Mitte des XVI. Jahrhunderts an bis zur Gegenwart darbietet. Aus ihrer Bauart spricht der Geist kräftigen, selbstbewussten Bürgerthums, welcher ihre einstige Grösse begründete. Deshalb wird Danzig auch das nordische Nürnberg genannt, wie es seiner reizvollen Umgebung wegen den Beinamen das nordische Neapel und im weiteren Ver - gleiche der die Stadt durchfliessende Gewässer halber das nordische Venedig erhalten hatte. An der Mottlau, nicht weit von der Mündung der Weichsel gelegen, ist die Stadt der Hauptstapelplatz für West - preussen und Polen, zugleich aber der Sitz einer bedeutenden Industrie.

Hier ist die Wiege der deutschen Flotte, denn bis zum Jahre 1865 war Danzig die einzige Marinestation Preussens.

Diese Stadt, wenn man solchen Namen für die Niederlassung von 997 gelten lassen will, ward von grösserer Bedeutung, als die Herzoge von Pomerellen, die sich von Polen unabhängig gemacht hatten, in ihr ihre Residenz aufschlugen und Kaufleute Lübecks ihren Wohnsitz in ihr nahmen, um von hier aus ihre Waaren weiter ins Land hineinzuführen und zu vertreiben. Um 1263 1265 hat die deutsche Ansiedlung bereits so zahlreiche Bevölkerung und so gewichtvolles Ansehen, dass sie vom Herzoge lübisches Recht erhält und damit zur Stadt wird die Altstadt, wie sie späterhin hiess und noch heute heisst. Sie ging 1308 bis 1310 in den Besitz des Deutschen Ordens über, der, in dem Streite des polnischen Königs und brandenburgischen Markgrafen um das Erbe der ausgestorbenen pome - rellischen Herzoge von jenem zu Hilfe gerufen, zwar die Brandenburger, aber auch bald danach die Polen ebenfalls aus Schloss und Stadt vertrieb. Neben der alten823Danzig.Stadtanlage hatte sich auf den Erhöhungen des Mottlauufers eine neue Ansiedlung um 1330 gebildet, die, von dem Orden besonders gefördert, bereits 1343 soweit sich entwickelt hatte, dass sie ein Privileg und das Culmische Recht als Stadtrecht empfing, Mauern erbaute und den Grundstein zu ihrer Pfarrkirche, der Marien - kirche legte. Sie ward die Rechte Stadt , civitas primaria, und ist es auch immer geblieben. Sie ist es auch, deren Rathssendeten 1361 zum erstenmale auf einem Hansatag, und deren Bürger wie Mittel an dem Kriege gegen Waldemar Attertag von Dänemark betheiligt erscheinen, und die seit dem Ende des XIV. Jahr - hunderts der Vorort der preussischen Städte im Hansabunde wurde. So rasch blühte sie empor, dass der Orden der Ansicht war, eine noch näher der Weichsel liegende Ansiedlung würde noch mehr gedeihen, und so gab er 1380 ein Privileg zur Anlage einer dritten Ansiedlung am Ufer der Weichsel aus, welche den Namen der Neuen oder Jungstadt trug. Diese drei Städte Danzig blieben nur bis 1454 gesondert. Als die Stände und Städte des Ordenslandes infolge der Missregierung des Ordens und der Missstände in ihm von demselben in bewaffnetem Aufstande abfielen und dafür den Rückhalt an dem polnischen Könige suchten und fanden, war die Rechtstadt Danzig das bedeutendste Mitglied des Bundes und erhielt ein Privileg, das ihrem Rathe die Oberhoheit über die übrigen Stadtanlagen ver - lieh. 1455 ward ausserdem die Jungstadt aus strategischen Rücksichten abge - brochen. Seitdem hat die Rechtstadt Danzig und ihr Rath die ganze Stadt regiert und repräsentirt. Durch den Frieden von Thorn (1466) musste der Deutsche Orden fast die Hälfte seines Landes an den König von Polen abtreten und die darin eingeführten Verhältnisse anerkennen. Danzig, mit neuen Privilegien be - lohnt und mit einem grossen Landgebiet bedacht, brachte seinen Handel zu grosser Blüthe und gewann grosse Macht, die es in Stand setzte, seinen Feinden, selbst dem englischen Könige, kraftvoll entgegenzutreten.

Hatte es nun auch durch die Verbindung mit Polen ein weites offenes Hinter - land zum Absatz seiner Einfuhr und ein Gebiet, das ihm eine reiche Ausfuhr sicherte, sich verschafft, so gerieth es doch durch eben diese Verbindung in die Kriege und Wirren jenes Reiches hinein, die von 1570 an zwei Jahrhunderte hindurch dauernd, der Stadt viele schwere Mühewaltung zur Erhaltung ihrer poli - tischen wie religiösen Freiheit und ihres Deutschthums kosteten und nicht geringe pecuniäre Opfer erheischten. Den grössten Verlust an Menschen und Geld führte für sie die russische Belagerung von 1734 herbei, die sie für den von ihr er - wählten König Stanislaus Leszynski ertrug. Aus dem Verfall des polnischen Reiches ward sie errettet, als sie 1793 Preussen einverleibt wurde. Die städtischen Verhältnisse verbesserten sich sofort, die Bevölkerung wuchs und der Handel er - blühte wieder. Doch es war nur eine kurze Blüthe; denn in den napoleonischen Kriegen hatte es 1807 eine Belagerung durch ein französisches Corps, dem auch die Eroberung gelang, auszuhalten und dann, durch den Tilsiter Frieden eine freie Stadt unter französischem Schutz geworden, eine französische Besatzung sieben Jahre zu erhalten, endlich mit dem Beginn der Freiheitskriege während des Jahres 1813 eine zweite Belagerung zu erdulden, durch die es zwar 1814 für Preussen wieder gewonnen ward, aber in der es für die französische Besatzung Alles auf - opfern musste, abgesehen von der Hungersnoth und der Feuersbrunst, welche die Belagerung im Gefolge hatte. Der öffentliche wie der private Wohlstand war durch die französische Zeit fast völlig vernichtet. Im Wiener Frieden ward die Stadt dem Königreiche Preussen wieder zugesprochen.

824Der atlantische Ocean.

Unter 54° 21′ nördl. Breite und 18° 39′ östl. Länge von Green - wich und 7 km einwärts der Weichselmündung gelegen, ist Danzig die Hauptstadt der Proyinz Westpreussen und zugleich Festung. Die Einwohnerzahl hob sich von 57.500 im Jahre 1831 auf die gegen - wärtige Höhe von 120.539 Bewohnern (einschliesslich der Garnison).

Die Stadt breitet sich am Fusse des Hügellandes aus, welches reich an malerischen Reizen knapp an das linke Weichselufer tritt. Der wasserreiche Mottlaufluss durchzieht die Stadt in zwei Armen, auf welchen Seeschiffe bis zu 5 m Tauchung verkehren können.

Danzig.

Wie unser Stadtplan zeigt, ist Danzig von ausgedehnten Wasser - gräben (Stadtgraben) umgeben und im nördlichen Theile von dem kleinen Flüsschen Radaune, welches in die Mottlau mündet, durch - schnitten. Die Radaune durchfliesst die Altstadt, an diese reiht sich die Rechtstadt und südlich von dieser die Vorstadt . Die beiden Arme der Mottlau umschliessen die Speicherinsel, auf welcher sich die hohen Gebäude der Kornspeicher mit einem Fassungsraum von 2·6 Millionen Scheffeln erheben. Am rechten Ufer der Mottlau liegen die Stadttheile[825]

Golf von Danzig (Massstab 1: 981.000; Sonden in Metern).

A Ankerplatz Neufahrwasser, B Frische Nehrung, C Putziger Wiek, D Frisches Haff, E Kurisches Haff, F Leuchtfeuer.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 104826Der atlantische Ocean.Langgarten, Schäferei im Norden und Niederstadt im Süden. An der Westseite der Stadt sind neue Stadttheile entstanden.

Die Befestigungen bestehen aus einem Kranz von Bastionen und vorgeschobenen Forts. Auch kann ein grosses Gebiet der Umgebung von Danzig unter Wasser gesetzt werden.

Die interessanteste Partie der Stadt ist die zwischen dem grünen Thor an der Mottlau und dem Honen Thor im Westen sich erstreckende Lange Gasse mit dem Langen Markt. Hier ist es, wo die Eigenart Danzigs zum glänzenden Ausdrucke gelangt, hier stehen in langer Reihe die berühmten Giebelhäuser aus dem XVI., XVII. und XVIII. Jahrhundert mit ihren hübsch durchbrochenen Façaden, ihren hoch aufstrebenden, zierlich ornamentirten Giebeln, die an der Spitze in eine Figur oder eine riesige Wetterfahne auslaufen. Es sind meist Prachtbauten ehrwürdigen Charakters. Die früher vor den Häusern bestandenen Beischläge sind grösstentheils verschwunden. Die Bei - schläge sind Vorplätze, welche mit der Strasse durch Freitreppen verbunden und mit Geländern eingefasst sind. Man sass dort im Freien und überblickte den Verkehr auf der Strasse.

Mehr noch als die Lange Gasse hat die zwei Strassen nörd - licher gelegene Frauengasse die bauliche Eigenart des alten Danzig bewahrt.

Der reichsstädtische Charakter zeigt sich bei vielen öffentlichen Gebäuden der Stadt. Imposant tritt er bei dem im unteren Theile aus dem XIV. Jahrhunderte stammenden Rathhause hervor, welches ein von 1559 bis 1561 gebauter schlanker Thurm um 45 m überragt, dessen gerühmte Renaissancespitze die aus getriebenem Kupfer gebildete Figur des Polenkönigs Sigismund August einnimmt.

Die Einrichtung und Ausstattung des Rathhauses enthält viele sehenswerthe Kunstobjecte vergangener Jahrhunderte. Den Langen Markt ziert der 1620 21 in Holland gegossene schöne Neptunsbrunnen, welcher vor dem Artus - oder Junkerhof sich erhebt, einem Baue mit Spitzbogenfenstern, der einst als Versammlungsort der Kaufmanns - bruderschaften diente, seit mehr als hundert Jahren aber als Börse verwendet wird. Medaillons mit den Bildnissen Kaiser Karl V. und seines Sohnes Don Juan d’Austria zieren die 1552 aufgeführte Façade des viele Sehenswürdigkeiten bergenden alten Baues.

Unter den kirchlichen Bauwerken beansprucht die in riesigen Verhältnissen angelegte Oberpfarrkirche zu St. Marien als eines der hervorragendsten Denkmäler der baltischen Gegenden die vornehmste Aufmerksamkeit. Im Jahre 1343 angefangen, wurde die Kirche all -827Danzig.mälig bis zum Jahre 1502 vollendet. Obgleich in einfachen Formen aufgeführt, ist sie von imponirender Würde. Mit ihrem 76 m hohen Westthurm und zehn schlanken Giebelthürmchen überragt sie weit sichtbar die Stadt. Viele Kunstschätze aus dem Gebiete der Sculptur, Malerei, Goldschmiedekunst u. dgl. sind in ihrem Innern gesammelt.

Die Stadt besitzt noch mehrere alte Kirchen, so die im XIII. Jahr - hundert gegründete Katharinenkirche, die Johanneskirche aus dem XV. Jahrhundert, die Trinitatiskirche (1514) mit reichgegliedertem dreifachen Westgiebel u. a., allein all diese Kirchen sind gothische Backsteinbauten, welche mit der Marienkirche keinen Vergleich aus - halten.

In dem aus dem XV. und XVI. Jahrhundert stammenden ehe - maligen Franziskanerkloster, welches 1872 restaurirt wurde, ist das höchst interessante Stadtmuseum untergebracht, welches neben der reichen städtischen Gemäldegallerie und einer kostbaren Sammlung von Kupferstichen, Holzschnitten, Aquarellen und Handzeichnungen auch die kunstgewerblichen Sammlungen des Provinzial-Gewerbe - museums enthält.

Die Stadtbibliothek ist in der ehemaligen, am äussersten Nord - ende der Stadt liegenden Jakobskirche untergebracht.

Die Umgebung Danzigs ist reizend und reich an Abwechslung. Die nahen Höhen, der nahe Wald laden zu angenehmen Partien ein, und auf der breiten Niederung des Ostseestrandes wechseln wogende Aehrenfelder mit bunten Wiesen ab.

Im Osten sind bei dem Dorfe Heubude die Rieselfelder, wohin der Inhalt der sämmtliche Strassen durchziehenden Abzugscanäle ver - mittelst der grossen Werke der Pumpstation geleitet wird.

Der eigentliche Seehafen von Danzig ist an der ehemaligen Weichselmündung bei der Vorstadt Neufahrwasser entstanden. Dort liegen an der von starken Steinmolen eingefassten Hafeneinfahrt der 1600 m lange Hafencanal und das 700 m lange neue Hafenbassin.

Wie unser Plan zeigt, besitzt der 1871 durch das neue Bassin vergrösserte Hafen keine grössere Tiefe als 7 m; Schiffe von mehr als 6 m Tiefgang müssen jedoch an der Ostmole ableichtern und grössere Schiffe auf der Rhede ankern, wo selbe in etwa 12 m Wassertiefe guten Ankergrund finden.

Auf dem Kopfe der 830 m langen Ostmole steht ein 13·5 m hoher Leuchthurm mit rothem Feuer und weiter oberhalb am west - lichen Ufer des Hafencanals ein 23·5 m hoher Leuchtthurm mit weissem elektrischen Licht, das circa 16 Seemeilen weit sichtbar ist.

104*828Der atlantische Ocean.

Reizend sind die bewaldeten Strandpartien östlich und westlich der früheren Weichselmündung, prächtig die dort befindlichen Strandbäder, welche während der Saison von zahlreichen Badegästen besucht werden.

Unmittelbar an den Hafencanal von Neufahrwasser schliesst sich der nach dem Durchbruch der Weichsel bei Neufähr im Jahre 1840 coupirte Arm der Weichsel, welcher bis hinauf zur Mottlaumündung in rund 5·5 km Länge und mit einer Fahrtiefe bis 7 m gleichfalls als Seehafen, in seinem oberen, noch circa 8 km langen Theile bis aufwärts zur Plehnendorfer Schleusse an der Mündung der lebendigen Weichsel bei dem Fischerdorfe Neufähr als Holzhafen Verwendung findet. Zahlreiche Weidalben und Gordungsmünde bieten Liegestellen für die Seeschiffe zur Beladung mit Holz und Getreide. Oberhalb Neufahrwasser ist am westlichen Ufer der todten Weichsel ein neuer Hafenquai gebaut worden (Weichselbahnhof). Weiter aufwärts liegen mehrere an die Eisenbahn angeschlossene Fabriken, Holzschneide - mühlen und Lagerhöfe, ferner die Baulichkeiten der kaiserlichen Schiffswerfte und die neue Schichau’sche Werfte für Panzerschiffe.

Die letztgenannte unternehmende Firma besitzt bereits zu Elbing ein grosses, hauptsächlich für den Bau von schnellfahrenden Torpedo - booten und Fahrzeugen eingerichtetes Etablissement, welches durch seine vortrefflichen Leistungen auf schiffbaulichem Gebiete einen Weltruf geniesst und nahezu von allen Seestaaten in Anspruch ge - nommen wird.

Wie unser Plan des Golfes von Danzig zeigt, hat Elbing nur eine Zufahrt durch das Frische Haff, welches in seinem westlichen Theile von Fahrzeugen mit mehr als 2 m Tiefgang nicht mehr be - fahren werden kann.

Der Golf von Danzig ist eine gewaltige Einbuchtung, welche zwischen den durch weit sichtbare Leuchtfeuer markirten Caps Rix - höft und Brüsterort 56 Seemeilen Breite besitzt. Die grösste Wasser - tiefe beträgt auf dieser Linie 104 m.

Von derselben Linie aus buchtet sich der Golf bis zum kreis - förmigen Strand der Nehrung des Frischen Haff 28 Seemeilen gegen Südost aus.

Legende zu Neufahrwasser und Danzig. A Golf von Danzig, B Signalmarken, C Badeanstalten, D Rettungsbootstation, E Weichselfluss, F Leucht - feuer, G Jakobsthor, H Hohes Thor, J Langgartenthor, K Werftthor, L Altstädter Graben, M Vorstädter Graben, N Breite Gasse, O Lange Gasse, P Hundegasse, Q Fleischergasse, R Hopfengasse, S Weidengasse, T Winterplatz, U Langer Markt, V Kohlenmarkt, W Holzmarkt, X Kasernen, Y Zeughäuser, Z Lazareth. 1 kaiserl. Schiffswerfte, 2 Ostbahnhof, 3 pommer’scher Bahnhof, 4 Post, 5 Gasanstalt, 6 städtische Bibliothek, 7 königl. Gymnasium, 8 Synagoge, 9 Franziskanerkloster, 10 Marienkirche, 11 Bartholomäi - kirche, 12 Brigittakirche, 13 Landesgericht, 14 Theater, 15 Commandantur, 16 Stadtgraben, 17 Mottlau, 18 Kielgraben, 19 Bassin, 20 Radaune, 21 Promenade, 22 Stockthurm.

[829]
Neufahrwasser und Danzig (Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 828.)

830Der atlantische Ocean.

An der Nordwestseite des Golfes springt die Halbinsel Hela mit den Leuchtfeuern von Heisternest und Hela vor und bildet die gut geschützte, durch das Leuchtfeuer von Oxhöft beleuchtete Putziger Wiek.

Im östlichen Theile des Golfes mündet bei Pillau, dem Vor - hafen der alten Königsstadt Königsberg, der Ausfluss des Frischen Haffs.

Danzigs Handelsstellung beruht auf seiner Lage an einer sehr geschützten, auch im Winter meist eisfreien Rhede (innerhalb der Hafengewässer wird in strengen Wintern die Fahrt durch Eisbrecher offengehalten) und an der Mündung der schiffbaren Weichsel, die etwa 200 km oberhalb bei Thorn aus dem russischen Gebiete in das preussische eintritt und ihre grossen Nebenflüsse in Russland hat.

Das Hinterland Danzigs liegt also in weit grösserem Masse in Russland als in Preussen, und so lange der Wasserweg für den Handel dieser Gegenden entscheidend war, vermittelte Danzig auch den aus - wärtigen Handel derselben. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes gibt aber der russischen Regierung das Mittel in die Hand, durch Tarifmass - regeln die Ausfuhr aller werthvolleren Artikel, vom Getreide ange - fangen, möglichst von den deutschen Häfen abzulenken und nach den eigenen Häfen an der Ostsee und am Schwarzen Meere zu leiten. Nur Holz, für welches die Wasserfracht unentbehrlich ist, bleibt Danzig bisher noch ganz erhalten. Die Einfuhr mancher Waaren, wie der Baumwolle, über Danzig wird durch Differentialzölle, die auf den Transport über die Landesgrenze gelegt sind, unterbunden.

Durch diese Verkehrspolitik des russischen Nachbarreiches gehen Danzig jene Einfuhrartikel grossentheils verloren, welche als Rück - fracht der von Danzig mit Getreide, Holz, Zucker, Spiritus u. s. w. ausgehenden Schiffe nicht nur für die Seeschiffahrt, den Stromschiff - fahrtsbetrieb auf der Weichsel und den Verkehr auf den nach Danzig führenden Eisenbahnen von erheblicher Bedeutung sind.

Durch diese Veränderungen im Verkehre der russischen Export - artikel ist aber dem Danziger wie dem Königsberger Hafen sein früheres Gepräge genommen worden. Wie ganz anders sah es da vor dreissig Jahren aus, als Sommers über hunderte von ganz originell gebauten russischen Schiffen kamen, auf denen alle Abende die polnisch-russische Bemannung ihre melancholischen Lieder sang, end - lich wenn Waaren und Schiffe verkaufte und ausbezahlt waren, die verschiedensten Gegenstände einkaufte und schwer beladen längs der Weichsel zu Fuss ihren Heimweg antrat, um nach Wochen die Städte und Dörfer, aus denen sie gekommen waren, wieder zu erreichen.

831Danzig.

Danzig ist überwiegend Ausfuhrhafen; sein Verkehr umfasste seewärts in der Ausfuhr 1889 5,627.495 q, im Werthe von 84,153.000 Mark, 1888 6,899.070 q, im Werthe von 97,826.000 Mark, in der Einfuhr 1889 4,642.544 q, im Werthe von 58,229.000 Mark, 1888 4,341.900 q, im Werthe von 46,749.500 Mark.

Die vornehmsten Gattungen des Danziger Getreidehandels sind Weizen und Roggen. Leider ist der Verkehr durch die Identitätscontrole im Transitolager sehr erschwert.

Zur See wurden ausgeführt Weizen 1889 1,116.700 q, 1888 1,583.882 q nach Grossbritannien, den Niederlanden, Schweden und Dänemark, Roggen 1889 135.290 q, 1888 362.600 q nach Skandinavien und England, Gerste 1889 272.220 q, 1888 534.480 q nach Grossbritannien und den deutschen Häfen, Hafer nach den Niederlanden, Hülsenfrüchte, und zwar Erbsen und dann Bohnen 1889 95.180 q, 1888 271.400 q nach Grossbritannien, endlich Oelsaaten 1889 106.320 q nach Frankreich und den Niederlanden.

Das seewärts verladene Mehl stammt aus den hiesigen Fabriken; Ausfuhr 1889 224.059 q, 1888 249.829 q nach holländischen und belgischen Häfen, nach Stettin, Skandinavien und England.

Kleie führte die russische Südwestbahn zu, sie wird nach Dänemark ver - schifft, 1889 300.743 q, 1888 497.080 q.

Das über Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen nach dem Rhein und Elsass, ferner nach England ausgeführte Rüböl (1889 55.517 q), dann die Oel - kuchen, welche vor Allem Dänemark aufnimmt, stammen aus der Danziger Oel - mühle. Das Rohproduct liefert das Hinterland Danzigs.

Danzig ist ein wichtiger Ort für die Ausfuhr von Spiritus und Sprit (1889 132.884 q, 1888 173.813 q, 1887 244.993 q).

Ueber den Hafen kommt neben der bedeutenden Menge von deutschem Zucker (1889 522.000 q, 1888 674.643 q), auch russischer (1889 88.672 q) zur Ausfuhr nach Grossbritannien, den Niederlanden, Skandinavien, den Vereinigten Staaten und Hamburg. Auch die nach Frankreich versendete Melasse (1889 143.020 q) ist russischer Herkunft.

Die grossen Mengen von Bau - und Nutzholz, welche in Danzig jährlich aus dem Innern zugeführt werden, haben einen Einkaufswerth von 8 12 Millionen Mark. Von der seewärts gerichteten Ausfuhr (1889 370.735 m3, 1088 294.222 m3), die meist aus Kieferhölzern besteht, geht über die Hälfte nach Grossbritannien, das Uebrige nach Belgien, Frankreich, Algier, nach deutschen Häfen, Dänemark und den Niederlanden. Die ausgeführten Fassdauben stammen grossentheils aus Oesterreich-Ungarn.

Zum Schlusse sind als Ausfuhrartikel von Danzig noch zu nennen Papier, Cellulose und Goldleisten nach England, chemische Fabricate nach Russland, England und Schweden.

Betrachten wir nun die Einfuhr.

Von Nahrungs - und Genussmitteln spielen die Hauptrolle schottische und englische Häringe 1889 mit 268.860 q, 1888 mit 167.900 q.

Von amerikanischem Schmalz gingen 1889 24.494 q ein. Ferner wurden eingeführt Wein, meist französischen Ursprungs 1889 24.494 q, Kaffee aus Hamburg und England 1889 25.223 q, 1888 25.432 q, Reis aus Lübeck und Bremen 1889 52.792 q, 1888 50.771 q, endlich Gewürze und Südfrüchte, dann Fichtenharz aus Nordamerika, zum grössten Theile transito nach Russisch-Polen.

832Der atlantische Ocean.

Die Einfuhr von Mineralöl erfolgt meist direct aus der Union (1889 140.721 q, 1888 148.847 q), Kochsalz (1889 93.343 q), Steinkohlen und Coaks (1889 2,353.629 q, 1888 2,387.130 q) sendet Grossbritannien, die Ergänzung kommt aus Oberschlesien bahnwärts (1889 circa 775.000 q).

Die Einfuhr von Baumwolle für russische Rechnung hat infolge der Differentialzölle an der russischen Landgrenze nahezu aufgehört, die von englischem Roheisen (1889 212.344 q, 1884 690.755 q) und belgischem Schmiedeisen hat sich riesig vermindert. Von verarbeitetem Eisen und Eisenwaaren wurden 1889 132.457 q eingeführt. Auch von der Einfuhr von Baumaterialien gehört ein grosser Theil dem Speditionshandel an. Diese sind Cement aus Stettin, Mauersteine aus Belgien, Falzziegel aus Schweden, feuerfeste Steine aus Grossbritannien, Steine aus Schweden und Norwegen, Theer und Pech aus Grossbritannien.

Wir fügen hier die Zufuhr von rohem Bernstein an, obwohl sie nicht seewärts erfolgt; sie betrug 1889 59.773 q.

Die wichtigsten Industrien von Danzig und Umgebung, zugleich die Träger eines guten Theiles der Ausfuhr sind die Mühlenindustrie, Fabriken für Oel - und Oelkuchen, Weizenstärke, Spiritus - und Zucker-Raffinerien (Neufahrwasser), Holzschneidemühlen, Bierbrauereien, die Fabrication von Cement, Cellulose, Chemikalien, Bernsteinlack und Firniss, Erzeugung von Maschinen und der Bau von Schiffen.

Der Seeschiffverkehr von Danzig-Neufahrwasser betrug:

〈…〉〈…〉

Danzig selbst hatte Ende 1889 eine Marine von 44 Segelschiffen von 21.612 Reg. -Tons und 26 Schraubendampfern von 13.209 Reg. -Tons, zusammen 70 Segelschiffe von 34.821 Reg. -Tons.

Am Hafenverkehr Danzigs ist die deutsche Flagge mit mehr als der Hälfte der Tonnenzahl betheiligt, ihr folgen die britische, dänische, schwedische, nor - wegische und niederländische. Der stärkste Verkehr findet mit den britischen und deutschen Häfen statt.

Der Weichselverkehr einschliesslich der Haff-Fahrt nach Elbing und Königs - berg umfasste vom 5. April bis 6. December 1889 20.452 Schiffsgefässe und 752 Holztrafften, welche zusammen 6.8 Millionen Metercentner Waaren beförderten.

Danzig hat Bahnverbindungen nach Neufahrwasser, nach Stettin, nach Dirschau-Marienburg-Königsberg; von Dirschau gehen Zweige nach Berlin und Bromberg, von Marienburg die für seinen Handel wichtigste Linie über Illowo - Mlawa nach Warschau.

Danzig ist Sitz einer Reichsbankhauptstelle.

Consulate unterhalten hier: Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Russland (G. -C. ), Schweden und Norwegen, Spanien, Türkei (G. -C. ), die Vereinigten Staaten von Amerika.

[833]

Königsberg.

Zur geschichtlichen und geistigen Bedeutung der interessanten Königstadt am Pregel haben die Geographen auch ihre topographi - sche Merkwürdigkeit hinzugefügt, indem sie die Universalität der Terrainformen in und bei Königsberg hervorhoben.

Die Stadt liegt nämlich in einem mehrfach coupirten Terrain, an einem schiffbaren Fluss, der eine nicht unbedeutende Insel bildet; in der Nähe sind ein Küstensee, eine Flussmündung und ein Seehafen, also genügende Elemente für eine topographische Specialität.

Königsberg, die zweite Haupt - und Residenzstadt des König - reiches Preussen, ist eine der bedeutendsten geistigen Hochwarten Deutschlands und der wichtigste Vorort deutschen Wesens gegen den Osten zu.

An der 1545 dort gegründeten Universität wirkte Kant, der Weise von Königsberg , den man mit Recht den geistigen Vertreter der Stadt genannt hat, und scharfe Beobachter wollen bemerkt haben, dass die Deutlichkeit der Begriffe, die Klarheit der Urtheile und die scharfe, kalte Verständigkeit des grossen Philosophen jedem Königsberger mehr oder weniger angeerbt sei. In jedem Falle ist Königsberg von grosser geistiger Bedeutung.

Die Stadt zählt einschliesslich einer Garnison von etwa 7000 Mann mehr als 150.000 Einwohner, gegen 112.000 im Jahre 1871. Das Anwachsen ihrer Bevölkerung ist daher sehr beachtenswerth.

Seit der 1843 erfolgten Befestigung durch starke Umwallungen und durch die spätere Hinzufügung eines Aussenforts ist Königsberg zu einem Waffenplatze ersten Ranges geworden. Der Pregel durch - fliesst, wie unser Plan zeigt, die Stadt in nahezu Ost-Westrichtung, nachdem sich die beiden Wasserarme des neuen und alten Pregel im Weichbilde vereinigen und die Insel Kneiphof, die einen markanten Stadttheil bildet, umschliessen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 105834Der atlantische Ocean.

Der nördlich liegende weit gedehnte prächtige Schlossteich von mehr als einem Kilometer Länge tritt mit dem Pregel als eine natür - liche Begrenzung der Stadttheile auf. Südlich vom Schlossteich, zwischen diesem und dem nördlichem Pregelarm, liegt die Altstadt; östlich von dieser, gleichfalls am rechten Ufer des nördlichen Pregel - arms, der Löbenicht, während sich auf der Insel zwischen dem südlichen und nördlichen Pregelarm der bereits erwähnte Kneiphof ausdehnt. Diese drei Stadttheile bildeten bis zum Jahre 1724 drei gesonderte Städte mit eigenen Verwaltungen, seitdem sind sie zu einer Stadtgemeinde verbunden, welche im Laufe der Zeit eine grössere Zahl von Aussengemeinden sowie die Burgfreiheit in sich aufge - nommen hat.

Königsberg verdankt seine Gründung vornehmlich militärischen Rück - sichten, und war es König Ottokar von Böhmen, welcher den Anstoss hiezu ge - geben hat. Ursprünglich eine vorgeschobene Feste des deutschen Ordens, wurde die Stadt zu Ehren Ottokars 1255 Königsberg (poln. Krolewiez) genannt. Um jene Zeit war bereits die jetzige Altstadt entstanden, 1300 wurde der Stadttheil Löbenicht und 1324 der Kneiphof gegründet.

Im XV. Jahrhundert trat Königsberg, nachdem die feste Marienburg des deutschen Ordens 1457 gefallen war, als Sitz des Hochmeisters in die Stellung derselben und wurde für kurze Zeit der Centralpunkt dieses Ordens. Unterdessen der Hansa beigetreten, war Königsberg zu einem wichtigen Handelsplatz auf - geblüht.

In der Folge wurde die Stadt von 1525 bis 1618 die Residenz der Herzoge von Preussen; allein auch nach dieser Periode, als Königsberg wieder in die Stellung einer Provinzialhauptstadt zurückgetreten war, blieb es als Handels - platz von Bedeutung.

Eine der wichtigsten Episoden aus der Geschichte Preussens ist mit der Stadt enge verknüpft, denn hier setzte sich der erste Preussenkönig, der Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, dem nur für seinen ausserdeutschen Besitz die Königswürde gestattet war, am 18. Jänner 1701, die Königskrone auf; König Wilhelm wiederholte im Jahre 1861 die Selbstkrönung.

Zu Königsberg war es auch, wo nach den furchtbaren Niederlagen des Jahres 1806 am bescheidenen Hofe Friedrich Wilhelm’s III. die Gedanken, Pläne und Thaten für die Wiedergeburt Preussens und Deutschlands keimten. Männer wie York, Stein, Scharnhorst, W. v. Humboldt waren die Träger derselben ge - wesen. So wurde Königsberg zur ruhmvollen Stätte, auf welcher zur Zeit des Befreiungskrieges 1813 der Funke vaterländischer Begeisterung verbreitete Nah - rung fand und zu hellen Flammen aufloderte.

Die bereits hervorgehobene geistige Bedeutung der Stadt ist durch die Namen Kant, Herder, Hamann u. A. glänzend dargethan.

Die verschiedenen Stadttheile tragen den Charakter ihrer Bau - zeit an sich. In den alten Stadttheilen, namentlich in der Altstadt und im Löbenicht, herrschen enge Gassen mit hohen Giebelhäusern835Königsberg.vor, auch im Kneiphof sind die Strassen enge, doch hat die Haupt - strasse desselben, die Kneiphöf’sche Langgasse, eine ansehnliche Breite und gewährt mit ihren aus den früheren Jahrhunderten stammenden Patrizierhäusern einen malerischen Anblick. In ihrer Verlängerung liegt der aus der vorderen Vorstadt und hinteren Vorstadt mit der Kronen - strasse bestehende breite Strassenzug, der mit der Kneiphöf’schen Langgasse und der Kantstrasse eine Länge von km hat und die stattlichste Strasse der Unterstadt bildet. Das Südende desselben wird durch die Thurmsilhouette der Halerberger Kirche, das Nordende durch den malerischen, in gothischen Formen erbauten Schlossthurm abgeschlossen. In der Oberstadt, welche durchschnittlich 16 m über der Unterstadt liegt, bilden der Steindamm und die über 1 km lange Königsstrasse die hervorragendsten Strassenzüge.

Das äusserlich wenig bedeutende königliche Schloss bildet sowohl den Centralpunkt der Stadt, wie es auch in historischer Be - ziehung das hervorragendste Bauwerk derselben ist. Das massige Gebäude war die Ordensburg der deutschen Ritter und entstammt verschiedenen Bauperioden. Der Bau wurde 1255 von den deutschen Ordensrittern mit der Nordfront begonnen und schloss sich durch Zubauten im XVI. und XVIII. Jahrhundert zu dem grossen Viereck seiner heutigen Form. Der schon oben erwähnte imposante gothische Thurm hat 77 m Höhe und befindet sich an der Südfront des Ge - bäudes.

An der Westseite liegt die Schlosskirche, in welcher die Krö - nungen der preussischen Könige stattfanden, und über derselben der grosse Moskowitersaal, welcher Zeuge von prunkvollen Hoffestlich - keiten war.

Gegenwärtig wird noch eine Reihe königlicher Gemächer unter - halten, sonst aber dienen die Räumlichkeiten des Schlosses ver - schiedenen Verwaltungs - und Gerichtsbehörden der Provinz.

Vor der östlichen Schlossfront auf dem Schlossplatze erhebt sich das von Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1801 errichtete lebens - grosse Standbild Friedrichs I.

In der nächsten Nähe des Schlosses, und zwar in der nord - westlich desselben gelegenen Prinzessinstrasse wohnte in einem be - scheidenen Hause der geniale Kant. Eine Inschrift besagt, dass Immanuel Kant hier von 1793 bis 1. Februar 1804 wohnte und lebte. Der Erinnerung an den grossen Philosophen ist auch das 1864 errichtete Kant-Denkmal im Königsgarten gewidmet, welcher mit dem anstossenden Paradeplatze einer der Glanzpunkte der Stadt ist. Dort105*836Der atlantische Ocean.erhebt sich vor der Front der Universität das 1851 enthüllte, mit prächtigen Reliefbildern gezierte Reiterstandbild Friedrich Wilhelm III., von Kiss modellirt.

Das 1862 vollendete Universitätsgebäude zählt zu den schönsten Bauten der Stadt. Den Renaissancebau zieren Reliefbilder, Statuen und Medaillons, welche an Herzog Albrecht von Preussen, den Stifter der Hochschule, an Luther und Melanchthon und an berühmte Lehrer der Universität erinnern.

Die Nordostseite desselben Platzes wird von dem städtischen Theater eingenommen, einem der wenigen Theater, welche, obschon seit mehr als 80 Jahren in fortwährender Benützung, bisher von Brand - unglück verschont geblieben sind.

Höchst anmuthige Partien ziehen sich beiderseits des etwa 13 ha Fläche umfassenden Schlossteiches hin, den die Schlossteich - brücke malerisch übersetzt. Die Parkanlagen und Gärten sind eine Zierde der Stadt.

Der Schlossteich, 12 m über dem Pregel gelegen, wird aus dem um 10 m höher gelegenen Oberteich gespeist.

Eine der elegantesten Strassen von Königsberg ist die vorne erwähnte Königsstrasse, in welcher die Malerakademie mit dem städtischen Museum und weiter östlich des letzteren die 220.000 Bände und interessante Handschriften, namentlich solche Luther’s, um - fassende königliche und Universitätsbibliothek sich befinden.

Vor dem Museum erhebt sich seit 1843 das Denkmal des Staatsministers v. Schön, eine schön gedachte hohe Spitzsäule.

Das schöne Königsthor mit den Standbildern König Ottokar’s von Böhmen, Herzog Albrecht’s von Preussen und König Friedrich I. bildet den künstlerischen Abschluss der imposanten Strasse. Am rechten Pregelufer liegen innerhalb der westlichen Befestigungswerke nächst dem Ausfallthore der mit dem Kriegerdenkmal gezierte Volks - garten, der botanische Garten, die von Bessel eingerichtete Stern - warte, das zoologische Museum und das chemische Laboratorium der Universität. Zu erwähnen wären noch das nächst dem Heumarkt er - baute Gebäude der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft mit sehens - werthen Sammlungen, ferner das an der Mitteltragheimstrasse 1882 im italienischen Renaissancestyl aufgeführte grosse Regierungsgebäude, welches die Büsten Herzog Albrecht’s I. und Kaiser Wilhelm’s I. zieren, sowie die in Vollendung befindliche elektrische Centrale, welche im Mittelpunkt der Stadt in der Nähe des königlichen Schlosses ge -837Königsberg.legen, im Stande ist, elektrischen Strom für die Bespeisung von 10.000 Glühlampen zu liefern.

In der Nähe des mit dem Standbilde Friedrich Wilhelm’s IV. geschmückten Steindammerthores erhebt sich das neue physikalische Institut. Von historischem Interesse ist die ausserhalb desselben Thores gelegene die Hufen genannte hübsche Promenade; denn hier bewohnte die Königin Louise mit ihren Kindern, darunter Prinz Wilhelm, der nachmalige Kaiser, während der napoleonischen Herr - schaft ein Landhaus. Gegenüber dem letzteren erinnert am Ende der Hufen im sogenannten Louisenwahlparke die in einer Halbrotunde

Königsberg.

angebrachte Medaillonbüste der Königin Louise an die hochherzige Fürstin.

Einer Stadt für sich gleichend und ebenso interessant wie die Stadttheile, welche wir bisher durchwanderten, ist die Insel Kneip - hof, zu welcher fünf Brücken führen, die sämmtlich bewegliche Oeffnungen haben, um die See - und Flussschiffe durchlassen zu können. Zwei dieser Brücken (die Honig - und die Köttelbrücke) sind aus Stein und Eisen erbaut und insofern bemerkenswerth, als ihre Bewegung auf hydraulischem Wege in wenigen Secunden erfolgt.

Auf dem Kneiphof steht der ehrwürdige gothische Bau der Dom - kirche, welcher, 1333 begonnen, bis in die Mitte des XVI. Jahr -838Der atlantische Ocean.hunderts weitergeführt wurde; doch ist von den beiden Westthürmen nur einer mit 57 m Höhe vollendet. Der Dom enthält sehenswerthe Alterthümer und viele Grabdenkmäler, darunter das durch seine Grösse ausgezeichnete des 1588 verstorbenen Herzogs Albrecht I. von Preussen.

In der Gruft ruhen die irdischen Ueberreste des Weisen von Königsberg; die Marmorbüste Kant’s und die hehren Worte der In - schrift: Der bestirnte Himmel über mir, das moralische Gesetz in mir und dessen Werke Kritik der praktischen Vernunft erfüllen den Raum oberhalb der Gruft mit besonderer Weihe.

Oestlich des Domes liegt am alten Pregel das alte Universitäts - gebäude, worin gegenwärtig die Stadtbibliothek untergebracht ist.

Am linken Pregelufer zieht zwischen der Grünen - und der Köttelbrücke das 1875 vollendete Gebäude der Börse die Aufmerk - samkeit auf sich. Der stattliche, im Style der italienischen Renaissance von dem Bremer Architekten Müller errichtete, in Sandstein ausge - führte und mit allegorischen Figuren geschmückte Bau hat die Haupt - front gegen Westen gerichtet.

Der Pregel ist wegen seiner erheblichen Tiefe (5 6 m oberhalb östlich der Stadt, innerhalb der Stadt und unterhalb derselben bis zu 10 m) sowohl für den Verkehr von Flussfahrzeugen wie von Seeschiffen geeignet; doch herrscht oberhalb der Stadt der Verkehr mit Flussschiffen und Holzflössen vor. Innerhalb der Stadt gewinnt der Verkehr der von Pillau kommenden Seeschiffe die Oberhand. Dieselben können freilich wegen der Seichtigkeit des Frischen Haffs nur mit etwa 4 m Tauchtiefe in Königsberg ein - und auslaufen; tiefergehende Schiffe müssen demnach zur Fahrt von Königsberg nach Pillau und umgekehrt entsprechend leichtern. So lange nicht die Schiffahrt auf dem Haff durch Eis geschlossen ist und dies ist infolge des seit einigen Jahren thätigen Eisbrechers nur auf wenige strenge Wintermonate beschränkt kommen alle im Vorhafen Pillau seewärts einlaufenden Schiffe mit wenigen Ausnahmen nach Königsberg, weil trotz der durch die Leichterung entstehenden Kosten der Transport der Waare auf dem Wasserwege von Pillau durch das Haff nach Königsberg und umgekehrt sich billiger stellt als auf dem Bahnwege, und weil auch in Pillau infolge räumlicher Beschränkung die Errichtung ausreichender Handelsanlagen nicht möglich ist. Während des Schlusses der Schiffahrt ist der Seeverkehr auf den Vorhafen Pillau beschränkt, der während des ganzen Winters eisfrei gehalten wird. Mit Schiffahrtsanlagen ist Pillau, wie unser Plan zeigt, aus - reichend ausgestattet.

839Königsberg.

Der Pregel ergiesst sich 8·6 km unterhalb Königsberg in das Frische Haff, welches im nordöstlichen Theil den einzigen Ausfluss bei Pillau besitzt. Dort ist dann an der Ostseite die durch starke Befestigungen geschützte Hafenstadt entstanden.

Lange Molen schützen die etwa 480 m breite und etwa 7 m tiefe Haffmündung, das Königstief , von welcher aus der unter 54° 39′ nördl. B. und 19° 54′ östl. L. v. Gr. gelegene Hafen ostwärts abzweigt.

Am Quai des durch den Verbindungsbahndamm gegen alle Winde wohlgeschützten Hinterhafens sind die ausgedehnten Bahnhof - anlagen, welche mit Königsberg in Verbindung stehen.

Der Handel von Königsberg ist nach der geographischen Lage der Stadt mehr auf das grosse russische als auf das recht schmale deutsche Hinterland angewiesen.

Gerade darum mussten die Eisenbahntarif - und Zollmassregeln, die Russland in den letzten Jahren im Interesse seiner eigenen Häfen an der Ostsee und am Schwarzen Meere getroffen hat, den ganzen Transitohandel von Königsberg so schwer schädigen.

Die schiffbaren Binnengewässer, die nach Königsberg führen, und beson - ders die sehr wichtige Wasserstrasse von Königsberg über die Deime, den Fried - richsgraben, die Nebencanäle, die Gilge und die Memel nach Russland ist trotz Verbesserungen in den letzten Jahren wegen ihrer nicht hinreichenden und gleichmässigen Tiefe nicht in der Lage, ihre Aufgabe voll zu erfüllen.

Noch schwerer aber wiegt der Umstand, dass das Frische Haff zu seicht ist und grössere Schiffe zur Fahrt durch dasselbe leichtern müssen. Die Herstellung des Königsberg er Seecanals , d. i. einer Fahrrinne von einstweilen 5 m Tiefe zwischen Pillau und Königsberg ist im Zuge, doch ist eine weitere Vertiefung derselben auf m unabweislich und auch wahrscheinlich.

Mit der Vollendung dieses Werkes ist wenigstens der Grund zu einem neuen Aufschwunge und Emporblühen des Königsberger Handels gelegt, der ohne - dies immer darunter leidet, dass trotz Eisbrecher die Schiffahrt von Königsberg nach dem stets eisfreien Pillau einen Theil des Winters über gesperrt ist, wo dann die Frachten sich der Eisenbahn bedienen müssen.

Bei dem Mangel einer ausgedehnten Industrie bildet die Landwirtschaft den Haupterwerbszweig der Provinz Ostpreussen und der Handel mit Erzeugnissen der Landwirtschaft dieser Provinz und Russlands den hauptsächlichsten Geschäfts - zweig Königsbergs, und daraus folgt, dass der Seehandel des Platzes über - wiegend Ausfuhrhandel ist.

Getreide ist der Haupthandelsartikel von Königsberg und gibt weiten Schichten der Bevölkerung Erwerb. Von Getreide, Kleien, Saaten und Sämereien wurden 1889 3,503.020 q, 1888 6,076.560 q zum grössten Theile aus Russland zugeführt und seewärts 1889 3,348.470 q, 1888 5,852.270 q verschifft.

Es wurden ausgeführt Weizen 1889 1,767.100 q (Werth 31 Millionen Mark), 1888 2,114.700 q, hauptsächlich nach Grossbritannien und Holland, Roggen 1889 457.880 q, 1888 1,596.450 q nach Schweden und deutschen Häfen, Hafer 1889 156.080 q, 1888 729.000 q nach Grossbritannien, deutschen Häfen, ebendahin und nach Dänemark und Belgien Gerste 1889 273.890 q, 1888 445.210 q, Erbsen840Der atlantische Ocean.1889 179.260 q, 1888 358.370 q nach deutschen Häfen, Grossbritannien und Frankreich, ferner Bohnen (1889 47.800 q) und Wicken.

Die Ausfuhr von Saaten erreichte bei Hanfsaat 1889 38.230, 1888 66.650. q, bei Leinsaat 1889 116.410 q, bei Rüben und Raps 1889 32.230 q, bei Kleesaat u. A. 1889 58.990 q, 1888 131.570 q; die Hauptabnehmer sind Frank - reich, Grossbritannien und die Niederlande.

Von Mehl wurden 1889 58.806 q seewärts versendet.

Königsberg ist für den Export von russischem Hanf tonangebend; es exportirte 1889 den grössten Theil der Ankünfte zur See, 1888 zu Lande. Aus - fuhr zur See 1889 264.100 q (Werth 15·8 Millionen Mark), 1888 75.450 q.

Flachs führte Königsberg 1889 26.560 q zur See, 335.400 q zu Lande, 1888 190.120 q zur See, 277.540 q zu Lande aus, Heede zur See 1889 33.644 q.

Der dritte wichtige Artikel der Ausfuhr zur See sind Holz und Holz - waaren nach Kiel, Grossbritannien und Frankreich, Fassdauben nur nach Frankreich, 1889 281.482 Festmeter und 3726 q (Werth 8·8 Millionen Mark), 1888 178.958 Festmeter und 651 q.

Von Zucker gingen 1889 108.508 q, 1888 143.041 q meist nach Gross - britannien, von Spiritus 1889 31.194 q nach Hamburg.

Die Ausfuhr von Producten der Textilindustrie und Manufactur - waaren zur See erreichte 1889 einen Werth von 5·2 Millionen Mark. Leinen - garne (16.976 q) und Lumpen (891.519 q) waren der wichtigste Theil derselben.

In der Einfuhr zur See sind besonders hervorzuheben Häringe aus Schottland, Norwegen und Schweden 1889 454.540 q, 1888 320.530 q; zur Hälfte für Russland bestimmt.

Von Kaffee kamen meist über Rotterdam 1889 16.287 q zur Einfuhr, Cichorien über Stettin, Reis über Lübeck und Zucker (1889 45.619 q, 1888 190.788 q).

Thee wurden zur See 1889 nur 44.420 q, 1888 55.695 q über London ein - geführt, während die Hauptmasse dieses Grosshandelsartikels, der Specialität von Königsberg, den Weg nach Russland direct über Odessa auf hiesige Rechnung nimmt.

Die Einfuhr von Spiritus aus Westpreussen und Pommern betrug 1889 25.902 q, die von Wein, meist französischem Rothwein, 39.354 q, 1888 34.430 q.

Von englischen Steinkohlen und Coaks wurden 1889 1,680.083 q, 1888 1,807.521 q zugeführt, während die Zufuhr schlesischer Kohlen etwa den zehnten Theil dieser Höhe erreicht.

Von englischem Kochsalz und portugiesischem Seesalz kamen 1889

Legende zum Plan von Königsberg. A Hafen, B Friedrichsburg mit Zeughaus, C königl. Schloss, D Königsgarten und Paradeplatz, E Regierungsgebäude, G medicin. Institut, H Post, J Universität, K Stadttheater, L Generalcommando, M Rathhaus, N Landeshaus, O Bibliothek, P Malerakademie und städtisches Museum, Q Börse, R Reichs - bank, S Sternwarte, T Kaserne, U Hospital, V Lazareth, W städtisches Krankenhaus, X Festungswerke, Y Bad, Z Gasanstalt. 1 Dom und alte Universität. 2 Tragheimer Kirche und Platz, 3 deutsche reform. Kirche, 4 franz. reform. Kirche, 5 kathol. Kirche, 6 Baptist-Kirche, 7 Synagoge, 8 Gesecusplatz. 9 Münzplatz, 10 Bergplatz, 11 Jahrmarktplatz, 12 Fleischmarkt, 13 Neuer Markt, 14 Krauseneck’sche Wallstrasse, 15 Steindamm, 16 Tragheimer Kirchenstrasse, 17 Rossgartenstrasse, 18 Königsstrasse, 19 Litthauer Wallstrasse, 20 Altstädtische Holzwiesenstrasse, 21 Vorstadtstrasse, 22 Knochenstrasse, 23 Ausfallthor, 24 Brandenburgerthor, 25 Krämerbrücke, 26 Pillauer Bahnhof, 27 Ostbahnhof, 28 Süd - bahnhof, 29 Packhof, 30 Neurossgärtner Kirchhof, 31 polnisch. Kirchhof, 32 Altrossgärtner Kirchhof, 33 Volksgarten, 34 botan. Garten und chem. Laboratorium.

[841]

Pillau und Königsberg (Sonden in Metern).

Legende zum Plan von Pillau. A Zufahrt. A1 Nordermole, A2 Südermole, B Hafen, C Graben, D neuer Lootsenhafen, E Petroleum - hafen, F Leuchtfeuer, G project. Holzhafen, H Vorhafendamm. J russischer Damm, K Kielgraben, L Schiffsbauplatz, M Bahnhof, N Chaussée nach Königsberg, O Exercirplatz, P neues Inspections - gebäude, Q Navigationsschule, R Damenbad, S Moderbank, T Jagdrayon, U Terrain der Hafenbau - verwaltung, V Fortificationsterrain, Baaken. (Legende von Königsberg siehe Seite 836.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 106842Der atlantische Ocean.78.377 q an, von Petroleum aus Amerika 128.120 q, von Soda, Pottasche u. a. 27.850 q, von Droguen, Apotheker - und Farbwaaren 10.225 q, von Oelen aller Art, auch Terpentin 29.853 q.

Die Einfuhr von Eisen aller Art findet besonders von Rheinland und Westfalen zum grossen Theil über Lübeck, Hamburg und Altona statt, Roheisen wird in den grösseren Eisengiessereien Königsbergs selbst verarbeitet, andere Gattungen kommen auf dem Bahnwege nach Südrussland zur Wiederausfuhr; Einfuhr 1889 98.793 q, 1888 151.952 q.

Von bearbeiteten feineren Eisenwaaren sind vor Allem Eisenbahnrequi - siten zu nennen, wie Federn, Achsen etc., die in den grossen Waggonfabriken der Ostbahn und einiger grösserer Actiengesellschaften verbraucht werden. Die Einfuhr von Metallen, Maschinen und Instrumenten zur See betrug 1889 193.136 q (Werth 5·7 Millionen Mark), 1888 246.808 q.

Von Baumaterialien ist die Einfuhr von Cement und Gyps, ferner die von Ziegeln und Steinen aus Schweden zu nennen.

Von sonstigen Waaren sind noch zu nennen Baumwollgarne (1889 7966 q, 1888 14.447 q), Baumwollwaaren (1889 14.886 q, 1888 12.974 q), Leinwand und Packleinwand (1889 6545 q, 1888 8260 q), amerikanisches Sohlenleder und Papier, Papierwaaren, Bücher (1889 22.188 q).

Der Handel von Königsberg betrug:

〈…〉〈…〉

Die Industrie von Königsberg ist bedeutend, namentlich nach ostpreussi - schen Begriffen, sie weist Etablissements für Eisenguss, Schiffbau, Waggons und Maschinen, Holzschneide -, Oel - und Mehlmühlen, Spiritusraffinerien, Fabriken für Cigarren und Tabak, für Zündhölzer, Reisstärke, Knochenmehl und Wollwäsche - reien auf.

Auf der Frischen Nehrung wird bei Palmnicken und Kraxtepellen Bern - stein bergmännisch gewonnen, bei Schwarzort gebaggert.

Der Schiffsverkehr von Pillau betrug:

〈…〉〈…〉

Den Hauptantheil an dem Verkehre hat die deutsche Marine (1889 1·3 Millionen m3), dann folgen die englische, dänische, die norwegische, die schwedische, die holländische, die belgische Flagge.

Der Seeverkehr geht zumeist nach Deutschland (Stettin), Grossbritannien und Schweden und Norwegen, minder wichtig sind Frankreich, die Niederlande, Russland und Dänemark.

Der Schiffsverkehr von Königsberg erreichte 1889 3587 Schiffe mit 2,303.223 m3, 1888 3906 Schiffe mit 2,784.872 m3, immer ohne die Schiffe, welche in Pillau ihre ganze Ladung gelöscht hatten.

843Königsberg.

Königsberg ist Ausgangspunkt von Eisenbahnlinien nach Pillau, nach Dirschau-Berlin, nach Postken-Bialystok und nach Eydtkuhnen-Wirballen-Petersburg, sowie zweier Linien von localer Bedeutung.

Königsberg ist Sitz einer Reichsbankhauptstelle.

Consulate unterhalten hier: Belgien, Dänemark, Griechenland, Grossbri - tannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Russland, Schweden und Norwegen.

Memel, am Eingange ins Kurische Haff gelegen, in das von Osten her aus Russland die für Dampfer fahrbare Memel oder Niemen einfliesst, ist die nordöstlichste Eisenbahnstation des Deutschen Reiches.

Die Stadt zählt 18.700 Einwohner und verfügt über einen ge - räumigen Hafen mit einer 5·7 m tiefen Einfahrt. Mehrfache und gute Quaianlagen sowie ein geschützter Winterhafen sind vorhanden. Von Bedeutung sind die Bauholzbassins nächst der alten Citadelle, welche den Hafen beherrschte. Das Flüsschen Dange durchschneidet die Stadt und sondert die südlich gelegene Altstadt von der Neustadt.

Der Hafen hat 7 bis 8·7 m Tiefe und ist zugleich die einzige Ausmündung des Kurischen Haffs. Durch Dämme wurde die äusserste Mündung regulirt.

Durch seine[Wasserverbindung] ist Memel ein wichtiger Handelsplatz ge - worden, dessen Verkehr 1888 seewärts in der Ausfuhr 3,064.626 q, in der Einfuhr 1,009.751 q umfasste.

Das Aufblühen von Königsberg und noch mehr das von Libau haben Memels Handel gedrückt, das Holz, Getreide, Leinsaat und Flachs ausführt, Heringe, Salz und Steinkohlen einführt.

Der Seeschiffsverkehr betrug 1888 2022 Schiffe mit 520.816 Reg. - Tons, davon 862 Dampfer mit 346.284 Reg. -Tons.

Memel hat regelmässige Dampfschiffsverbindung nach Stettin, Königsberg und Tilsit.

Besonders stark ist der Seeverkehr mit Grossbritannien, Pommern, Däne - mark und Schweden.

106*[844]

Libau.

Auf einer schmalen sandigen Nehrung zwischen der Ostsee und der sogenannten Kleinen See liegt zu beiden Seiten des Seeabflusses die wichtigste Handelsstadt Kurlands, Libau. Die Bedeutung dieser Stadt als Handelsplatzes ist neuesten Datums, obwohl dieselbe schon im XIV. Jahrhundert als Hafen in Urkunden erwähnt wird. Den grossen Aufschwung, der sie zu einem bedeutenden Exporthafen in Getreide und Mehl machte, hat sie nämlich erst durch ihre Hafen - bauten und durch die Herstellung von Eisenbahnverbindungen einer - seits mit Polen und dem Inneren des Reiches, andererseits mit Peters - burg und den nördlichen Gouvernements und durch die protectio - nistische russische Politik genommen. Dadurch hat sich Libau ins - besondere auf Kosten Königsbergs entwickelt.

Die Stadt zählt 27.000 Einwohner und zeigt in ihren Bauten deutlich den raschen Uebergang, der sich seit wenigen Jahren in ihrer wirthschaftlichen Bedeutung vollzieht. Es überwiegen zwar noch die alten einstöckigen Holzhäuser, meist sauber und freundlich; aber zwischen ihnen erheben sich bereits grosse, schöne Neubauten, welche der Stadt einen durchaus modernen Charakter verleihen.

Im Norden der anspruchslosen Stadt dehnt sich eine endlose, kahle, sandige Ebene aus, das Kurische Sibirien . Interessanter als durch die Scenerie ist das Land durch seine Bewohner, welche, so lange vom Weltverkehre abgeschlossen, noch zum grössten Theile die Sitten und Gebräuche einer längst verflossenen Zeit beibehalten haben.

Der beste Beweis für den Aufschwung Libaus ist wohl die Thatsache, dass die Stadt heute der Sitz einer Navigationsschule, eines Realgymnasiums, einer Stadtbank, Commerzbank und einer Filiale der Reichsbank ist.

Die Stadt zeichnet sich ausserdem durch mehrere gut geleitete Wohlthätigkeitsanstalten aus. Auch die Industrie beginnt sich zu845Libau.entwickeln, und bestehen hier unter anderen eine chemische Fabrik und eine Dampfsäge.

Libau ist ausserdem als Seebad bekannt; zwischen der Stadt und dem Meeresstrande befinden sich zahlreiche Villen, die im Sommer von Curgästen bewohnt werden. Das Klima ist nämlich in Libau (56° 31′ nördl. Br. und 20° 59′ östl. L. v. Gr.) bedeutend milder als in den anderen russischen Ostseestädten, wo das Eis um drei Wochen später schmilzt als in Libau. Einen bedeutenden Erwerbszweig der Bewohner bildet seit alter Zeit der Fischfang.

Libau.

Libau wurde 1560 preussisch und kam 1609 an Kurland; mit diesem wurde es 1795 nach einem Aufstande des Adels, der den Herzog Peter Biron zum Rück - tritt zwang, russisch und wieder mit Esthland und Livland, wie unter der Herr - schaft der Ordensritter, vereinigt.

Der Ausfluss des kleinen Sees in das Meer wurde durch Ufer - bauten und Regulirungen zum Seehafen von Libau umgestaltet. Der - selbe bildet einen 1·6 km langen und etwa 100 m breiten Canal mit durchschnittlich 5·3 m Wassertiefe (an der Stadtfront 5·7 m). Gegen die See sind zwei Wellenbrecher geführt und durch Leuchtfeuer markirt. Es besteht das Project, durch grosse Wellenbrecher einen846Der atlantische Ocean.Vorhafen zu schaffen, wie wir es auf unserem Plane angedeutet haben. Ein 32 m hoher Leuchtthurm bezeichnet am Südufer die Position, sein Licht ist auf 22 km sichtbar. Nächst der Mündung des Hafens wurde ein geräumiges Bassin als Winterhafen angelegt. Im Osten wird der Hafen von Libau durch die neue Stadtbrücke abgegrenzt, und 400 m aufwärts dieser überquert die Eisenbahnbrücke den Fluss - lauf. Die ausgedehnten Bahnhofsanlagen gruppiren sich um den Stadtpark des nördlichen Stadttheiles; doch hat auch der südliche einen Bahnhof.

Unter den Ostseehäfen wird Libau nach St. Petersburg am meisten begünstigt, und sein Handel breitet sich auf Kosten von Riga und Königsberg aus. Es hat günstige Eisenbahntarife, ausreichende Getreidespeicher, mit Elevatoren und anderen mechanischen Vorrich - tungen ausgerüstet, und sein Hafen und Seecanal ist für kleinere Seeschiffe genügend tief ausgebaggert.

All diese Sorgfalt erklärt sich daraus, dass der Hafen und das Meer in der Regel das ganze Jahr hindurch eisfrei und für Dampfer zugänglich sind, während oft alle übrigen Ostseehäfen durch Eis blockirt werden.

Aus diesem Grunde droht auch dem Hafen die Gefahr, wie Sebastopol am Schwarzen Meere, zu einem Kriegshafen erhoben zu werden; den Handelshafen Kurlands soll das nördlich gelegene Windau erhalten, das bereits auch an das russische Eisenbahnnetz angeschlossen ist.

Den Haupttheil der Ausfuhr, welche die Einfuhr weit übertrifft, bilden Erzeugnisse des Ackerbaues.

An der Spitze steht Getreide.

〈…〉〈…〉

Als Ersatz für die Verringerung der Ausfuhr von Roggenmehl ins Ausland stieg die in das russische Reich und nach Finnland: 1889 65.520 q, 1888 35.381 q.

Die ausgeführte Kleie (1889 214.250 q) stammte 1889 schon zu drei Fünfteln aus dem Innern von Russland.

Es wurden ausgeführt Hülsenfrüchte 1889 506.100, 1888 564.900 hl, Oelsamen 1889 772.800 hl, 1888 850.500 hl, Oelkuchen 1889 253.235 q, 1888 257.494 q.

Die Ausfuhr von Flachs (1889 259.950 q, 1888 196.232 q) und Hanf (1889 28.665 q) hat für Libau noch grösstentheils den Charakter der Spedition.

Die Ausfuhr von Spiritus ist seit 1886, wo sie 169.000 hl erreichte, bis 1889 auf 71.460 hl gesunken, die von Petroleum (1889 178.890 q, 1888 351.679 q) geht ebenfalls zurück.

847Libau.

Seit 1885 steigert sich beständig die Ausfuhr von Nutzholz (1889 808.000, 1885 269.000 Cubikfuss), die von Sleepers (1889 38.000 Stück) sinkt, auch die von Eiern ist 1889 (15½ Millionen Stück) gegen 1888 (18¾ Millionen Stück) etwas zurückgegangen. Nur Wild und Geflügel wird seit Jahren in immer steigenden Mengen (1889 11.957 q) ins Ausland versendet.

Von Industrieartikeln kommen nur Matten zur Ausfuhr, 1889 247.000 Stück, 1888 832.000 Stück.

Das Steigen des Rubelcourses seit 1888 und die Erhebung des Libau’schen Zollamtes zu einem Haupt - und Lagerzollamt ist Ursache, dass die Einfuhr Libaus,

Libau (Massstab 1: 38.300; Sonden in Metern).

A Projectirte Rhede, B nördl. Molo, B1 südl. Molo, C projectirter nördl. Molo, C1 projectirte Ver - längerung des südl. Molo, D Winterhafen, E Hafen, F Leuchtfeuer, G der See, H projectirte Hafen - anlagen, J projectirte Eisenbahnanlage, K Personenbahnhof, L Friedhöfe, M Stadtpark, N Güterbahn - hof, O Chaussée, P Alexanderstrasse, Q Suworowstrasse, R Bahnhofstrasse, S Pavillonstrasse, T Michael - strasse, U die Reeperbahn.

die 1887 auf 10 Millionen Rubel herabgesunken war, sich 1889 auf 27¾ Millionen Rubel steigerte.

Die Entwicklung der örtlichen Industrie verursacht ein beständiges Steigen der Einfuhr von Steinkohle und Coaks aus Grossbritannien: 1889 787.570 q, 1888 596.363 q.

Die hohen Zölle haben 1888 die Einfuhr von Gusseisen auf 17.854 q, die von Eisen auf 20.803 q herabgedrückt. Mit dem steigenden Rubelcourse er - reichte 1889 die Einfuhr von Gusseisen 123.014 q, die von Eisen 42.097 q. Ausser - dem wurden 1889 eingeführt 27.033 q Eisen in Platten, 20.650 q Maschinen.

Nur ganz allmälig vergrössert sich die Einfuhr von Düngestoffen, insbeson - dere von Superphosphat: 1889 110.401 q.

848Der atlantische Ocean.

Die Einfuhr von Kopra erreichte 1889 29.255 q, 1888 22.604 q, die von Wein 1889 1190 q und 17.714 Flaschen, die von Farbholz sank von 73.710 q in den Jahren 1886 und 1887 auf 53.490 q im Jahre 1889; das Korkholz (1889 9926 q) verbraucht die hiesige Korkfabrik.

Dass die Einfuhr von Baumwolle von 170.680 q im Jahre 1888 auf 224.242 q im Jahre 1889 stieg, verdankt Libau dem Umstande, dass der Haupt - einfuhrhafen Reval 1889 zugefroren war.

Trotz der Zölle entwickelte sich die Einfuhr von Häringen bis weit ins russische Reich hinein: 1889 164.947 t, 1888 109.678 t.

Die wichtigsten Artikel der einheimischen Einfuhr sind Salz aus der Krim (1889 118.652 q) und Ziegel.

Der Seehandel Libaus mit dem Auslande betrug:

〈…〉〈…〉

Ausserdem wurden 1889 um Millionen Rubel Transitwaaren eingeführt, und die einheimische Einfuhr und Ausfuhr wird auf Millionen Rubel geschätzt, so dass der Libauische Seehandel 1889 einen Gesammtumsatz von 90 Millionen Rubel zeigt. Es muss bemerkt werden, dass 1888 und 1889 für den Handel sehr günstige Jahre waren.

Libau hat den Hauptverkehr mit Grossbritannien, das 1889 zwei Fünftel der Ausfuhr aufnahm und mehr als die Hälfte der Einfuhr lieferte. Im Jahre 1880 war Englands Verkehr mit Libau erst etwa halb so gross wie der Deutschlands, heute ist das Verhältniss umgekehrt. Auf diese beiden Staaten folgen in der Ausfuhr der Reihe nach Belgien, Frankreich, Dänemark, die Niederlande, Schweden und Nor - wegen, in der Einfuhr Belgien, Schweden, Dänemark, die Niederlande und Frank - reich, doch muss bemerkt werden, dass ein grosser Theil des Handels von Libau mit den Niederlanden thatsächlich auf die Rechnung der Rheingegenden Deutsch - lands gehört.

Leider ist Libau noch immer nur ein Speditions - und kein Handelsplatz. Dafür blüht die Fabriksthätigkeit des Ortes auf.

Der Schiffsverkehr von Libau umfasste:

〈…〉〈…〉

Den grössten Antheil an diesem Verkehre hat die deutsche Flagge (1889) mit weit mehr als einem Drittel der Tonnenzahl; an sie reihen sich die britische, die dänische und die schwedische Flagge, in minder guten Ausfuhrjahren kommt ihr die russische in der Tonnenzahl ziemlich nahe, sonst steht sie weit hinter ihr zurück. Eine regelmässige Dampfschiffverbindung besteht mit Lübeck.

Für Libau ist die wichtigste Eisenbahnlinie (Libau-Romny) die über Wilna und Minsk nach Krementschug am Dnjepr, deren Anschlüsse die Verbindung nach Königsberg, Warschau, Moskau und Petersburg vermitteln.

Libau ist Landungsstelle des wichtigsten Ostseekabels der Great Northern Telegraph Cy. aus Kopenhagen.

In Libau besteht eine Börse.

Hier haben Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Grossbri - tannien (V. -C. ), Niederlande, Oesterreich-Ungarn.

[849]

Riga.

Ausgedehnte Heideflächen ziehen sich an beiden Ufern der Düna (Dvina) nahe ihrer Mündung hin, nur unterbrochen durch Sandhügel und Sümpfe und kleine Anpflanzungen, die dem öden Charakter der Gegend nur wenig Reiz zu verleihen vermögen. In dieser eintönig trostlosen Gegend, die durch die Kunst der Menschen bisher nur mit geringem Erfolge zu verschönern versucht wurde, liegt Riga, die nach St. Petersburg bedeutendste russische Handels - stadt am Baltischen Meere, die Hauptstadt des Gouvernements Liv - land. Die Stadt breitet sich 13 km von der Mündung der Dvina, die dort etwa 600 m breit ist, an beiden Ufern des Stromes aus. An der Mündung befindet sich unter 57° 3′ nördl. Br. und 24° 2′ östl. L. v. Gr. die Festung und der Hafen Dünamünde; kleinere Seeschiffe können aber bis Riga selbst gelangen. Zu den beiden Uferorten an der Mündung, Bolderaa und Mühlgraben, führt von Riga die Eisen - bahn. Die Düna bietet in Riga ein grossartiges Bild, dem aber leider der innere Werth des Flusses als Schiffahrtsstrom nicht entspricht. Trotz ihrer mächtigen Breite und ihres Wasserreichthums sie besitzt dort eine Tiefe von 4 bis 5 m bereitet die Düna doch der Schiff - fahrt grosse Schwierigkeiten. Das Eis weicht erst mehrere Wochen später als in Libau, und der Eisgang bewirkt in jedem Jahre eine völlige Veränderung des Flussbettes. Deshalb bedürfen die stromauf - wärts fahrenden Frachtschiffe auf der Fahrt von Dünamünde nach Riga eines Lootsen, und der Fluss wird jedes Jahr auf Kosten der Regierung neu ausgelothet.

Riga war ehemals eine Festung, deren Umwallungen im Jahre 1858 geschleift wurden. Jetzt bilden prächtige Boulevards einen breiten Ring um die alte Stadt mit ihren gothischen Bauten, ihren engen, finsteren Gassen. Ausserhalb der Boulevards sind die drei Vorstädte: Petersburg (nördlich und östlich der alten Stadt), Moskau (südlich) und die Mitauervorstadt, theils auf dem linken Dünaufer, theils auf den Dünainseln.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 107850Der atlantische Ocean.

Im Jahre 1158 entdeckten durch Zufall bremische Kaufleute die Mündung der Düna und erkannten alsbald den Productenreichthum des neuentdeckten Landes, das ein günstiges Feld für den Fleiss der Kaufleute und den Bekehrungs - eifer der Geistlichkeit von Bremen bot.

Der hier auf einer Insel der Düna 1186 errichtete Bischofssitz Ykeskola musste 1199 von den Feinden durch Kreuzfahrer aus Lübeck errettet werden. Viele blieben ihrer hier, und 1201 entstand bei jener Riege (Schuppen zur Trocknung und Lagerung des Getreides) am Strome die Stadt Riga. Die dankbare Tochter deutscher Pflege, welche Bremen heraldisch als Mutter bekannte, bürger - lich dagegen Lübeck zum Vorbilde nahm, wurde von Bischof Albrecht, dem Stifter des Ordens der Schwertbrüder, im Jahre 1201 an einem jetzt vertrock - neten Arme der Düna, Riga genannt, gegründet. Die ersten Ansiedler kamen aus Bremen und Lübeck. Die Stadt erhielt wichtige Privilegien und Besitzungen und erwarb sich infolge dessen bald eine hervorragende Bedeutung als Handelsplatz. Schon im XIII. Jahrhundert schloss sich Riga der deutschen Hansa an. Im XIV. Jahrhundert entstanden die grosse Gilde (Verein der Kaufleute) und die kleine Gilde (Verein der Handwerkerzünfte).

Im Jahre 1237 vereinigte sich der Orden der Schwertbrüder, der seinen Sitz in Wenden hatte, mit dem deutschen Ritterorden in Preussen, wodurch Riga zu einer erhöhten Bedeutung gelangte, indem nun die Schwertbrüder durch einen in Riga residirenden Landmeister (magister provincialis) geleitet wurden, der, obwohl er dem Heermeister des deutschen Ordens unterstand, doch ziemlich selb - ständig war. Jedoch fanden in der Folgezeit fortdauernd Streitigkeiten zwischen den Bischöfen, dem Orden der Schwertbrüder und der Bürgerschaft statt.

Später litt Riga durch die Kriege zwischen dem Orden, den Russen, Polen und Schweden um den Besitz des Landes sehr und musste manche Belagerung aushalten, sah auch oft den Feind als Sieger einziehen. Im Jahre 1581 bemäch - tigte sich Stephan Báthory der Stadt, am 15. September 1621 eroberte sie Gustav Adolf nach langer Belagerung, und 1710 musste sie sich nach vielen Drangsalen Peter dem Grossen ergeben. Durch den Frieden von Nystädt 1721 gelangte Riga mit ganz Livland an Russland. Seit dem Krimkriege erfreut sich Riga eines un - gestörten Friedens und hat sich ungemein rasch entwickelt.

Riga hat 170.000 Einwohner, wovon gegen 67.000 Deutsche, 32.000 Russen, 50.000 Letten. Sie ist unter den russischen Städten der Einwohnerzahl nach die fünfte. Was Riga an Sehenswürdig - keiten besitzt, befindet sich in der alten durch die Boulevards von den Vorstädten geschiedenen inneren Stadt. Dort wohnten auch früher die Patrizierfamilien, auch war die Bevölkerung der Alt - stadt überwiegend deutsch, während sich in den meist aus Holz - bauten bestehenden Vorstädten die Russen, Esthen und Letten, die weniger Bemittelten, ansiedelten.

Die nennenswürdigen Bauten Rigas sind fast alle in der kleinen Altstadt zusammengedrängt. Eines der ältesten Gebäude ist das kaiserliche Schloss, welches, im gothischen Style gehalten, 1515 vollendet wurde; im XVIII. Jahrhundert gänzlich umgebaut,851Riga.ist es jetzt ein massives Gebäude mit zwei Thürmen. Früher Re - sidenz der Ordensmeister, wird es nun vom Gouverneur bewohnt. Auf dem Platze vor dem Schlosse, dem schönsten und grössten der Altstadt, ist im Jahre 1817 von der Kaufmannschaft dem siegreich aus dem Kriege gegen Napoleon I. heimkehrenden Kaiser Alexander I. ein Denkmal errichtet worden: eine Victoria mit dem Lorbeerkranze steht auf einer 8 m hohen Granitsäule.

Durch die grosse Schlossstrasse fortschreitend gelangen wir an der Ecke der Jakobsstrasse zur Börse, einem mächtigen Bau im italienischen Renaissancestyl. In der Jakobsstrasse erhebt sich im Style des Palazzo Strozzi in Florenz das Ritterhaus, wo früher der livländische Adel seine Versammlungen hielt. Die Wappen sämmt - licher adeligen Familien Livlands befinden sich noch an den Wänden des grossen Rittersaales, in dem gegenwärtig der Provinziallandtag seine Versammlungen hält.

Von der grossen Schlossstrasse vor der Börse rechts abbiegend gelangen wir zur Dom - oder Marienkirche, deren Bau schon 1215 nach der Gründung der Stadt begonnen wurde. Die neue Orgel in der Kirche ist eine der grössten der Welt. An die Domkirche grenzt der Herderplatz, in dessen Mitte eine Nachahmung der Wei - mar’schen Herderbüste steht. In dem schönen Kreuzgange des Domes ist die Stadtbibliothek untergebracht, die interessante Merkwürdig - keiten aus der Geschichte Rigas, darunter auch einige Autographen von Herder besitzt.

Nach wenigen Schritten erreicht man den Rathhausplatz, an dessen einer Seite sich das Rathhaus, diesem gegenüber das Schwarz - häupterhaus aus dem XIV. Jahrhundert befindet. Dieses letztere Ge - bäude enthält mancherlei Erinnerungen aus der Zeit der Ordensherr - schaft und ist auch durch seine altfränkische Façade interessant. Das Haus führt seinen Namen von den Schwarzhäuptern, einer Waffenbrüderschaft unverheirateter Bürger, die sich einst über das ganze Land ausdehnte und die Wahrung städtischer Interessen zum Zwecke hatte. Da ihr Schutzpatron, der heilige Mauritius, ein Mohr war, hiessen sie Schwarzhäupter.

Vom Rathhausplatze gelangt man durch die Herrengasse auf den Petriplatz, wo sich die älteste Kirche Rigas, die St. Petrikirche, befindet. Der 140 m hohe Thurm soll der zweithöchste Russlands sein. Zahlreiche Wappenschilder alter Riga’scher Familien hängen an den Wänden der Kirche, und die Einrichtung der Sitzreihen ist noch dieselbe wie im Mittelalter. Die Rathsherren haben ihre eigenen107*852Der atlantische Ocean.Sitze, ebenso die Mitglieder der grossen und der kleinen Gilde, und schwarze Statuen zeigen an, wo die Sitze für die Schwarzhäupter stehen. Die Kirche wurde schon im Jahre 1209 erbaut.

Eines der sehenswerthesten Gebäude Rigas ist das Haus der grossen oder St. Marien-Gilde in der Gildstubenstrasse, in gothischem Styl. Dasselbe stammt schon aus der frühesten Zeit Rigas, ist aber unter Beibehaltung seines alterthümlichen Charakters in den Jahren 1853 1858 umgebaut worden. Besonders hervorzuheben ist die Stube der grossen Gilde, ein gothischer Saal, dessen gewölbte Decke von schlanken Säulen getragen wird; eine derselben trägt eine Marienstatue mit dem Christuskind, welche die Docke (hoch - deutsch die Puppe) genannt wird. Weil der Vorsteher der Gilde bei diesem Pfeiler seinen Platz in den Versammlungen der grossen Gilde hat, führt er den Namen Dockmann . Neben dem Hause der grossen Gilde steht das der kleinen oder Johannes-Gilde, ebenfalls im gothi - schen Style neu erbaut, wo sich unter einem Thurmausbau an der Frontseite eine Bildsäule des heiligen Johannes als Gegenstück zur Docke der grossen Gilde befindet.

Die Moskauer und die Petersburger Vorstadt sind reich an Park - anlagen und Boulevards. Auf dem grossen Thronfolgerboulevard liegt das Polytechnicum, hinter demselben der Wöhrmann’sche Park, eine Anlage im englischen Styl. Von dort gelangt man an dem grossen Exercirplatz, der Esplanade vorbei, wo die neue russische Kathe - drale gebaut wird, zum Schützengarten und von diesem zum kaiser - lichen Garten, einem schönen Park mit alten Bäumen. Peter der Grosse pflanzte hier mit eigenen Händen eine Ulme, die jetzt mit einem Geländer umgeben und einer Inschrift versehen ist.

In der Nähe des kaiserlichen Gartens befindet sich der Zoll - hafen. Hier breitet sich in mächtiger Breite die Düna aus. Zwei Brücken führen über den Strom: eine eigenthümlich construirte Floss - brücke, welche Mittags geöffnet wird, um Schiffe durchzulassen, und die Eisenbahnbrücke, welche in die Mitauervorstadt führt. Einen so unbedeutenden Eindruck die unansehnlichen Häuser an den Ufern machen, so imposant ist das lebhaft bewegte Leben auf dem Strome selbst: Dampfschiffe kommen und gehen, grosse Segelschiffe löschen ihre Frachten bei den Ambarren (Waarenmagazinen), und dazwischen bewegen sich schwerfällig die Strusen, kiellose, vorne und hinten mit einem Steuer versehene Flussbarken, wie schwimmende Hütten aussehend.

853Riga.

Der Lauf der Düna wurde durch kostspielige Uferbauten, worunter Dämme und Buhnen von grosser Ausdehnung, regulirt. Man trachtete die Abzweigung von Wasserarmen zu verhindern und den Fluss in einem Rinnsal einzuschliessen, wodurch dessen Schiffbarkeit selbst für grössere Oceanschiffe erzielt werden kann.

Bisher ist dies aber noch nicht gelungen und Riga sieht von der Stadtfront nur kleinere Schiffe bis zu 5 m Tauchung. Grosse Seeschiffe müssen daher auf der Rhede von Dünamünd umladen.

Riga.

Dort entstand nördlich der Festung der 6 m tiefe Hafen Bolderaa, von welchem aus die Zufahrt in den Winterhafen führt. Letzterer hat jedoch kaum 5 m Wassertiefe.

Zwei lange Dämme führen an der Mündung in den Golf von Riga und bilden eine 350 m breite Einfahrt, welche durch zwei kleine Leuchtfeuer gekennzeichnet ist. Ein 32 m hoher Leuchtthurm erhebt sich am linken Ufer des Festlandes und sendet sein Licht auf 22 km in See.

854Der atlantische Ocean.

Vor der Einfahrt haben sich Barren gebildet, zwischen wel - chen hindurch eine 6 m tiefe, mittelst Tonnen gut markirte Wasser - strasse führt.

Die Zufahrt aus der Ostsee in den Golf von Riga bietet infolge der zahlreichen Bänke, welche zwischen der Insel Oesel und der Nordküste von Kurland liegen, besonders bei unklarem Wetter vielerlei Schwierigkeiten.

Die durch das Untiefenlabyrinth hindurchführenden Wasserwege sind jedoch durch gute Marken bezeichnet. Hat man diese passirt, so bietet die Navigation in dem weiten, etwa 50 m tiefen Golf keine Gefahren.

Riga hat ein weiteres Hinterland, als es auf den ersten Blick scheint, es ist der Ausfuhr - und Einfuhrplatz der fruchtbaren Land - striche zu beiden Seiten der Düna, welche durch den Beresinacanal mit dem Dnjepr in Verbindung steht. Seit dem Ausbaue des russi - schen Eisenbahnnetzes wird ihm allerdings durch künstliche Tarif - bildungen dieses sein natürliches Handelsgebiet ohne Unterlass be - stritten. Bedeutet anderswo die Eröffnung neuer Bahnen im Verkehrs - gebiete eines Hafens Steigerung der Handelsthätigkeit, so ist sie für Riga und manchen anderen russischen Hafen das beinahe un - trügliche Vorzeichen neuer Verluste.

Obwohl ein Haupthafen für die Ausfuhr des Getreides, hat Riga heute noch kein Lagerhaus für Getreide mit Silo. Da darf man sich wohl nicht wundern, wenn jahraus jahrein Klagen über den Rückgang des Seehandels laut werden, von welchem die Einfuhr überdies durch hohe Zölle bedrückt ist.

Der wesentlichste Artikel des Ausfuhrhandels von Riga zur See ist Ge - treide. Es wurden ausgeführt in q:

〈…〉〈…〉

vornehmlich nach Grossbritannien, Schweden und Deutschland. Von Hülsenfrüchten sind Erbsen hervorzuheben.

Sehr wichtig ist die Ausfuhr von Flachs, bestimmt für Grossbritannien und Königsberg: 1889 433.967 q, 1888 404.211 q. Der Flachsbau rentirt übrigens bei den heutigen Preisen nicht mehr, die Livländer gehen zu dem mehr lohnenden Kartoffelbau über.

Die Ausfuhr von Hanf (1889 114.612 q, 1887 176.330 q) geht zurück, weil diese Waare auffallenderweise von der Speculation auf der Eisenbahn nach Königs - berg geschickt wird.

Auch die Ausfuhr von Oelsaaten ist von Bedeutung für den internatio - nalen Handel. Von Schlagleinsaat wurden nach Grossbritannien und den deutschen Ostseehäfen ausgeführt 1889 580.491 q, 1888 533.942 q. Die Ausfuhr steigt unaus - gesetzt, dagegen geht die von Säeleinsaat infolge geringerer Nachfrage des Aus -855Riga.landes zurück; Ausfuhr 1889 101.367 q, 1887 123.673 q. Von Hanfsaat wurden 1889 63.363 q, 1888 100.262 q seewärts ausgeführt.

Oelkuchen (1889 177.015 q) wenden sich immer mehr dem Landwege zu.

Holz und Holzwaaren sind dem Werthe nach der zweite Ausfuhrartikel Rigas. Das Holzgeschäft, das Jahre lang daniederlag, hat sich seit 1888 nach seinen Hauptausfuhrländern Grossbritannien, Deutschland, Belgien und Frankreich ansehnlich gesteigert. Es erreichte im Ganzen 1889 44 Millionen englische Cubikfuss (Werth 13,603.930 Rubel), 1888 39·1 Millionen Cubikfuss (Werth 13,687.547 Rubel), 1887 33·8 Millionen Cubikfuss (Werth 11,192.592 Rubel). Die Werthziffer für 1889 ist eine provisorische und wahrscheinlich um 700.000 Rubel zu niedrig.

Im Allgemeinen ist zu bemerken, dass die Dimensionen der Hölzer be - ständig schwächer werden.

Die Hauptzweige der Ausfuhr sind kantige und runde Balken (meist grähnene und fichtene), 1889 395.922 Stück, Mauerlatten, Sleepers nach Gross - britannien 2,841.277 Stück, Planken und Bretter 13,291.060 Stück nach Deutsch - land und Belgien und Pitprops (Grubenstützen) nach Grossbritannien.

Von den übrigen Waaren sind nur hervorzuheben Eier, von welchen 1889 ungefähr 57 Millionen Stück oder sechsmal so viel wie 1886 nach Grossbritannien und Deutschland ausgeführt wurden, ferner Häute und Felle (1888 für 1·4 Mil - lionen Rubel), Schafwolle und Kameelhaare, endlich Bakuine.

Die Ausfuhr von Mineralöl über Riga ist bescheiden (1889 65.896 q).

Die Einfuhr von Riga zur See ist in den letzten Jahren in fast allen Artikeln, Steinkohlen und Düngemittel und Farbhölzer etwa ausgenommen, gesunken.

Von Steinkohlen aus Grossbritannien wurden trotz des Zolles 1889 2,098.839 q, 1888 1,804.394 q eingeführt.

Der Handel mit ausländischen Häringen ist in Riga wegen des hohen Zolles, der auf ihnen lastet, um den Consum des Härings von Astrachan zu för - dern, 1889 auf 68.642 t zurückgegangen.

Die Einfuhr von Steinsalz aus Liverpool hat keine Bedeutung mehr, die von Guano und künstlichem Dünger ist 1889 auf 170.240 q gestiegen.

Das Harzgeschäft nach der Wolga hat Riga zum grössten Theil an St. Petersburg, Libau und Rostow am Don verloren; Einfuhr 1889 57.714 q, 1887 92.579 q.

Die Einfuhr Rigas an Korkholz (1889 29.256 q) stützt sich ebenso wie die von Farbholz (1889 106.650 q, 1888 172.844 q) auf den Verbrauch der dortigen Fabriken.

Die Einfuhr von Kaffee ist unter der Einfuhr von Reval 1889 auf 3640 q gesunken, die von Wein (auch Champagner) steigt langsam, aber andauernd.

Die Einfuhr von Oel nimmt stetig ab, die von Kopra (1889 13.719 q, 1888 65.960 q) ist bis 1888 gestiegen, 1889 gesunken, weil der Absatz von Cocos - nussöl allgemein abgenommen hat. Reval drückt auch in Baumwolle Riga herab (1889 18.416 q).

Wegen des Zolles nimmt auch die Einfuhr von Roheisen (1889 71.770 q) beständig ab. Ausserdem werden eingeführt unverarbeitetes Gusseisen (1888 160.514 q), Stahl und Maschinen (1888 für 1,128.500 Rubel).

856Der atlantische Ocean.

Der Werth des Seehandels von Riga erreichte:

〈…〉〈…〉

Die Ziffern des Jahres 1889 sind nur vorläufige und wahrscheinlich in der Einfuhr zu niedrig, in der Ausfuhr zu hoch angesetzt.

Von der Einfuhr kommen (1889) zwei Fünftel aus Grossbritannien, ein Fünftel aus Deutschland, von der Ausfuhr geht die Hälfte nach England, je ein Zehntel nach Deutschland, Belgien und Frankreich, das übrige nach Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen.

Infolge seiner günstigen Lage hat sich Riga zu einem bedeutenden In - dustriecentrum entwickelt. Wir finden hier Flachs -, Jute - und Baumwollspinnereien, Webereien, Bänder - und Lampendochtfabriken, Fabriken für Korkbearbeitung, für Oelsaaten, Soda, Farbholzextracte, Draht und Maschinen.

Der Schiffsverkehr von Riga betrug:

〈…〉〈…〉

Die wichtigste Flagge ist für Riga die britische mit fast zwei Fünfteln der Tonnenzahl, auf sie folgt die deutsche mit etwa einem Fünftel der Tonnen - zahl, dann erst die russische, an die sich Dänemark, Schweden, Norwegen und die Niederlande reihen.

Von Riga bestehen regelmässige Dampfschiffahrtsverbindungen nach St. Pe - tersburg, Stettin und Lübeck. Der Verkehr mit russischen Häfen hat wenig Be - deutung.

Von Riga gehen Eisenbahnen zu den Vorhäfen Mühlgraben und Düna - münde, ferner über Walk nach Reval und St. Petersburg, über Dünaburg nach Smolensk, nach Windau und Libau.

In Riga haben Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich (G. -C. ), Frankreich, Grossbritannien, Italien, Niederlande, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Schweden und Norwegen, Schweiz, Spanien, Vereinigte Staaten.

Wenn man von Riga kommend den Golf von Finnland erreicht und bei der Insel Nargö vorbeifährt, wo während des Krimkrieges die Flotten der Verbündeten sich zu dem misslungenen Angriff auf Kronstadt sammelten, dann seinen Curs nach Süden richtet, sieht man bereits mit dem Fernrohre am Horizont den Olaithurm von Reval auftauchen. Nähert man sich der Stadt im Sommer, wenn die ganze Bucht, an der die Stadt unter 59° 29′ nördl. Br. und 24° 47′ östl. L. v. Gr. liegt, vom hellen Sonnenlicht übergossen, die glänzende Wasser - fläche mit blinkenden Segeln bedeckt ist und ein wolkenloser Himmel

Legende zum Plan von Riga. A Golf von Riga, B Winterhafen, C Hafen von Bolderaa, D Villen, E Generalinsel, F Leuchtfeuer, G Insel ohne Namen, H Insel Gross-Schusterholm, J Insel Gross-Hkenesch, K Insel Serdeholm, L Insel Fogelholm, M Insel Pt. Vegesackholm, N Insel Andreasholm, O Insel Hasenholm, P Insel Muckenholm, Q Insel Lutzausholm, R Insel Svirdzenholm, S Insel Granenholm, T Insel Libetsholm, U Friedhöfe, V Rettungsboote, W Küstenwache, X Zollamt, Y Bahnhof, Z Kathedrale.

[857]

Riga (Massstab 1: 111.000; Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 856.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 108858Der atlantische Ocean.sich über der Landschaft wölbt, erinnert das Bild an Neapel. Aber auch nur im Sommer. Denn in der rauheren Jahreszeit thürmen sich die Eisschollen im Hafen übereinander, und ein winterlicher Schleier bedeckt das im Sommer so reizende Bild. Im Sommer ist Reval auch seiner herrlichen Lage wegen ein vielbesuchtes Seebad.

Reval, die Hauptstadt des Gouvernements Esthland, ist der Ein - wohnerzahl nach 50.500 die zweite Stadt der Ostseepro - vinzen. Der Kern ihrer Bevölkerung ist ebenso wie in Riga deutsch, der Zahl nach überwiegen aber die Esthen. Die Stadt zerfällt von Alters her in den oberen Theil, den sogenannten Dom, auf dem hohen Saum der Felsenküste, dem Schlossberge liegend, in die eigentliche oder Unterstadt an dem niedrigen sandigen Ufer des Hafens und in die ausgedehnten an der Bucht sich hinziehenden Vorstädte.

Reval entstand als Stadt um eine 1219 von den Dänen, den Verbündeten der Schwertbrüder, erbaute Festung herum, welche an Stelle der zerstörten Festung der Esthen, Lindanissa, errichtet worden war. Die Stadt erhielt schon 1248 vom dänischen König lübisches Recht und lübische Verfassung. Das Deutschthum er - starkte immer mehr, und die dänische Bevölkerung wurde allmälig in die Festung, den Dom, zurückgedrängt.

Auch in Reval theilte sich wie in Riga das Bürgerthum in zwei Gilden und bestanden die Schwarzhäupter. Die Stadt musste mit Esthland gemeinsam wieder - holt ihre Herrscher wechseln, bis sie nach vielen Stürmen endlich durch den Nystädter Frieden 1721 an Russland gelangte. Obwohl unter diesem eine Zeit - lang durch die Concurrenz St. Petersburgs in ihrer Entwicklung gehemmt, hat sie doch in neuerer Zeit infolge der Eisenbahnverbindungen mit den beiden Haupt - städten des Reiches und durch die Verbesserung des Hafens einen bedeutenden Aufschwung genommen.

Der obere Theil der Stadt, der Dom, wird meist vom esthlän - dischen Adel und den kaiserlichen Oberbehörden bewohnt. An den Schlossberg selbst knüpfen sich manche esthnische Sagen. In diesem Theile der Stadt befindet sich die Domkirche mit den Grabdenk - mälern vieler berühmter Männer, das Schloss, jetzt die Residenz des Gouverneurs, und das Ritterhaus, in welchem alle drei Jahre der Landtag des Herzogthumes abgehalten wird.

Von den in der Unterstadt gelegenen Bauten ist vor Allem die 1329 erbaute St. Clauskirche zu erwähnen, welche den höchsten Thurm in ganz Russland besitzt (145 m hoch). Die Kirche ist im gothischen Style erbaut und wohl eine der schönsten in den Ostsee - provinzen. Die Nikolauskirche besitzt am Eingange einen Todtentanz, ähnlich dem in der St. Marienkirche zu Lübeck. Die älteste Kirche ist die Heiligengeistkirche, die bereits im Jahre 1284 erwähnt wird. Sie ist ebenfalls im gothischen Style aufgeführt. Das Rathhaus zeichnet859Riga.sich durch einen hübschen schlanken Thurm aus. Bemerkenswerth ist auch das Schwarzhäupterhaus mit dem Mohrenkopf an der Façade.

Während die Unterstadt den Sitz der städtischen Behörden, des Handels und der Industrie bildet, werden die Vorstädte meist von russischen Kaufleuten und dem ärmeren Theile der Bevölkerung bewohnt. Hier befinden sich die für die esthnische Gemeinde neu er - bauten Kirchen, die Johanneskirche, ein grosser Bau mit drei Schiffen, und die Karlskirche.

Der Hafen von Reval bietet bei 10 bis 20 m Tiefe Schiffen jeder Grösse gute Ankerplätze, jedoch können nur kleine Fahrzeuge am Quai anlegen. Die durch einzelne Riffe und Bänke etwas unklare Bucht bietet dessenungeachtet eine gefahrlose Zufahrt, welche durch die Deckung von Leuchtfeuern erkannt wird, die im Osten der Stadt gezeigt werden.

Der Hafen von Reval, das am Südufer des finnischen Meer - busens, an der Eisenbahnlinie St. Petersburg-Baltischport liegt, ist viel kürzere Zeit vom Eise verschlossen als der Hafen der Haupt - stadt. Ueber diesen Platz bewegt sich daher im Wege der Spedition ein guter Theil der für St. Petersburg und Moskau bestimmten Ein - fuhr, und die von der Hauptlinie bei Taps nach Süden abzweigende Eisenbahn führt ihm die Naturproducte der benachbarten baltischen Landschaften zu, welche im Eigenhandel nach den Häfen an der Ostsee und Nordsee ausgeführt werden.

Der Hafen wurde in den letzten Jahren bedeutend verbessert, ist aber manchmal sehr lange vereist, so 1889 vom 16. Jänner bis zum 15. April, so dass er seine Stellung als Vorhafen von Petersburg nicht regelmässig erfüllen kann. In dieser Zeit nimmt der Handel, so lange es möglich ist, den Weg über Baltischport.

Wir stellen die Einfuhr voran, weil sie der wichtigere Theil des See - handels von Reval ist. Der an Werth bedeutendste Artikel der Gesammteinfuhr ist Baumwolle: 1889 484.438 q, dazu über Baltischport während der Eis - sperre 27.474 q, 1888 366.476 q, 1887 683.470 q; sie wird meist direct aus der Union, aber auch über deutsche Häfen bezogen.

Die Einfuhr von Steinkohle aus Grossbritannien betrug 1889 622.688 q, dazu über Baltischport 27.459 q, 1888 550.034 q.

Demnächst kommen Droguen (1889 52.395 q, 1888 70.339 q), welche meist aus Deutschland in immer kleineren Mengen bezogen werden. Aus dieser Gruppe sind hervorzuheben Farbmaterialien, Gummi und Harze, Kopra, Chlorkalk, Soda und Pottasche; letztere werden jetzt meist aus Südruss - land bezogen.

Aus der Gruppe der Nahrungs - und Genussmittel sind Häringe hervor - zuheben, deren Einfuhr beständig steigt: 1889 38.840 q, 1887 24.143 q.

108*860Der atlantische Ocean.

Die Einfuhr von Olivenöl geht langsam zurück und erreichte 1889 5696 q, die von Wein 20.204 Flaschen und 1729 q.

Den gewaltigsten Rückgang unter allen Einfuhrartikeln erfuhr infolge der hohen Zölle englisches Eisen aus Grossbritannien, Deutschland und Schweden: 1889 40.809 q, 1887 121.481 q. Von Stahl wurden 1889 15.059 q, von Kupfer und Compositionsmetall die ungewöhnlich grosse Menge von 5412 q einge - führt. Salz kommt jetzt fast nur mehr aus der Krim (1889 255.435 q). Bemer - kenswerth ist die Steigerung der Einfuhr von Superphosphat und anderen Düngstoffen für den Verbrauch in Esthland: 1889 28.231 q, 1887 10.508 q.

Aus Deutschland kommen Ziegel, der grössere Theil der leeren Gebinde (1889 26.478 q, 1887 41.992 q).

Andere Industrieartikel sind Garne (1889 7826 q, 1887 15.120 q). Eisen - und Stahlfabricate (1889 14.181 q), Maschinen und Apparate (37.232 q) und Glas.

Bei der Ausfuhr muss vor Allem Spiritus genannt werden, weil Esthland in der Spiritusproduction mit seinen 164 Branntweinbrennereien und 3 Sprit - fabriken und Reval in der Ausfuhr von Spiritus die erste Stelle im Reiche ein - nehmen; es wurden 1889 148.421 hl (zu 100°), dazu 9791 hl über Baltischport, 1888 84.316 hl zum grössten Theile nach Deutschland ausgeführt.

Von Producten des Ackerbaues sind zu nennen Hafer (1889 2,682.322 hl, dazu über Baltischport 100.800 hl, 1888 3,136.577 hl), Roggen (1889 246.075 hl), Weizen (286.358 hl), Gerste (267.414 hl) und Leinsaat (266.128 hl) nach Königsberg.

Auch für Flachs ist Reval ein sehr wichtiger Ausfuhrhafen: 1889 mit 133.468 q, 1888 mit 170.761 q, dann Hanf, Heede, Oelkuchen und Kleie.

Bretter (1889 140.564 Stück) gehen ausschliesslich nach Deutschland.

Eier wurden 1889 1,252.400 Stück, also doppelt soviel wie 1888 ausgeführt.

Von Industrieartikeln ist nur die Ausfuhr von Matten (1889 233.010), einem Erzeugnisse des esthnischen Landvolkes, anzuführen.

Der Seehandel von Reval erreichte 1889 in der Einfuhr 47,440.402 Rubel, in der Ausfuhr 17,982.532 Rubel, 1888 in der Einfuhr 42,817.986 Rubel, in der Ausfuhr 20,330.743 Rubel.

An der Spitze der Einfuhr stehen die Vereinigten Staaten und Grossbri - tannien, dann folgen Deutschland, Frankreich, Dänemark und die Niederlande. Von der Ausfuhr geht mehr als die Hälfte nach Grossbritannien, das Uebrige nach Deutschland, Frankreich, Schweden und den Niederlanden.

Die Industrie nimmt in Reval eine untergeordnete Stellung ein, denn hier bestehen nur zwei Spiritusraffinerien, eine Presshefenfabrik, 2 Eisengiessereien und Maschinenfabriken und eine Papierfabrik.

Der Schiffsverkehr von Reval betrug 1889 1112 Schiffe mit 599.284 Reg. - Tons, 1888 1297 Schiffe mit 683.663 Reg. -Tons. Von der Tonnenzahl entfielen 1889 zwei Fünftel auf die englische Flagge; an diese reihten sich die deutsche, russische und schwedische Flagge.

Reval hat regelmässige Dampfschiffverbindung mit Lübeck, St. Petersburg, Helsingfors und Hangö.

In Reval sind Consulate folgender Staaten: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Niederlande, Portugal, Schweden und Norwegen, Vereinigte Staaten.

[861]

St. Petersburg.

Nicht durch landschaftliche Schönheit bezaubert die Residenz - stadt der russischen Czaren das Auge des Beschauers; die vollkom - mene Ebene, auf der sich die Stadt ausbreitet, ruft im Gegentheile den Eindruck der Oede und Nüchternheit hervor. Wenn St. Peters - burg dennoch durch seine Schönheit unter den Grossstädten Europas unstreitig eine hervorragende Stelle einnimmt, so ist dies eine Wir - kung menschlicher Kunst, das Ergebniss der systematischen Anlage und des Ausbaues der Stadt. Das harmonische Verhältniss zwischen Strom, Strassen und Plätzen, die grossartige Raumverschwendung bei der Anlage der Plätze, wodurch die riesigen Paläste und Monumente, an denen Petersburg so reich ist, erst ihre Bedeutung für die ästhetische Betrachtung gewinnen, machen die kaiserliche Residenz des russischen Reiches zu einer wahrhaft schönen Stadt. Die Strassen sind ohne Ausnahme breit, einzelne darunter durch die herrlichen öffentlichen und Privatbauten, welche sie auf beiden Seiten umrahmen, von gross - artiger Schönheit. Unter den öffentlichen Plätzen, deren St. Petersburg im Ganzen 64 besitzt, gibt es mehrere, auf welchen 60.000 100.000 Menschen sich bewegen können.

St. Petersburg liegt an der Mündung der Newa in den Finni - schen Meerbusen; die Newa theilt sich innerhalb der Hauptstadt in mehrere Arme, die Grosse Newa (Bolschaja), Kleine Newa (Malaja) und die Newka. Der Haupttheil Petersburgs liegt auf dem linken Ufer des Stromes, die anderen Stadttheile sind auf den Inseln, welche sich zwischen den Flussarmen befinden, zerstreut. In den Stadttheilen auf dem linken Newaufer concentrirt sich das geschäftliche und ge - sellige Leben, dort sind die verkehrsreichsten Strassen, Prospecte ge - nannt, mit glänzenden Läden, dort befinden sich auch die kaiserlichen Paläste und Theater.

Petersburg gehört zu den wasserreichsten Städten Europas. Fast ein Viertel der Stadt zieht sich am Finnischen Meerbusen hin, und862Der atlantische Ocean.nicht weniger als 14 Flüsse und Flussarme und 8 Canäle durch - schneiden das Weichbild, indem sie zahlreiche grosse und kleine Inseln bilden. Zunächst zweigt sich vom Hauptstrom die Newka ab, die sich weiterhin in die Kleine und die Grosse Newka theilt, welch letztere wieder die Mittlere Newka von sich abtrennt und mit ihr die Jelagininsel bildet. Ausser dieser bilden die verschiedenen Arme der Newka noch drei Inseln, den Kamennij und Krestowskij Ostrow und die sogenannte Petersburger Seite (Peterburgskaja), von welcher letzteren das Karpowkaflüsschen die Apothekerinsel (Aptekarskij) ab - schneidet und an deren Südufer der Hauptstrom sich abermals theilt, um als Grosse Newa gegen Südwest, als Kleine Newa gegen Nord - west zu fliessen. Der Shdanowkaarm verbindet die Kleine Newa mit der Kleinen Newka und trennt von der Petersburger Seite die Insel Petrowsky; die von der Kleinen Newa sich abzweigende Schwarze Newa (Tschornaja) schneidet von dem durch die Kleine und Grosse Newa gebildeten Wassily-Ostrow (Basiliusinsel) die Golodajinsel ab. Zu diesen grösseren Inseln kommt noch ein halbes Hundert kleinerer.

Ausserdem ist die eigentliche, am linken Newaufer gelegene Stadt durch ein viel verzweigtes Canalnetz in eine grosse Zahl künstlicher Inseln getheilt. In vier concentrischen Bögen, die wieder durch Seitencanäle mit einander verbunden sind, zieht sich das Netz der Canäle durch das Häusermeer hindurch. Der grösste dieser Ca - näle ist der neue Umfassungsgraben C (Nowo obwodniy canal); dann folgen die mit Quais eingefasste Fontanka D, der Katharinencanal E, der vom Nordende der Fontanka zu ihrem Südende führt, und das Flüsschen Moika G, welches die City von Petersburg umschliesst, den sogenannten Admiralitätsstadttheil (Admiralteiskaja), in dem auch der kaiserliche Winterpalast (14) steht. Die Canäle wurden von Peter dem Grossen gebaut, um das tiefliegende Terrain, auf dem er die Stadt anlegte, zu entsumpfen und dem Verkehre zugänglich zu machen.

Petersburg zerfällt jetzt in 13 Stadttheile, die in 38 Polizei - bezirke getheilt sind. Das ganze Gebiet der Stadt umfasst einen Flächenraum von 90 Quadratwerst (circa 2 geographische Quadrat - meilen); die grösste Länge beträgt ungefähr 12 km, die grösste Breite 11 km. Für den Verkehr über die Newa, ihre Seitenarme und die 21 Canäle bestehen 150 Brücken; von den Flussbrücken sind jedoch nur zwei (Nikolajewsky 55 und Alexanderbrücke 56), welche das ganze Jahr hindurch passirbar sind, die übrigen sind Schiffbrücken, welche während des Eisganges abgenommen werden. Das Zufrieren des Flusses Anfang November erfolgt sehr rasch, und dann863St. Petersburg.dient die Eisfläche als die bequemste Verbindung zwischen den ein - zelnen Stadttheilen. Ueber die Canäle führen meist Granit - und Eisen - brücken.

St. Petersburg liegt unter dem 59° 56′ 29·7″ nördl. Br. und 30° 18′ 22·2″ östl. L. v. Gr. (Akademie der Wissenschaften) in etwa 15 m Meereshöhe und ist trotz der Anlage herrlicher Parks und breiter luftiger Strassen, trotz der ausserordentlichen Reinlich - keit, auf welche die Behörden ihre volle Aufmerksamkeit richten, eine ungesunde Sumpfstadt geblieben. Die Zahl der Sterbefälle übersteigt alljährlich die Zahl der Geburten und wenn nicht eine fortdauernde starke Zuwanderung stattfände, würde Petersburg bereits aufgehört haben, eine Grossstadt zu sein. Da durch die Einwanderung der Stadt meist Männer zugeführt werden, überwiegt die männliche Bevöl - kerung über die weibliche in dem Verhältnisse von 4: 3. Fast alle Volksstämme des europäischen Russland sind in der jährlichen Ein - wanderung vertreten, am zahlreichsten sind darunter Russen und Deutsche.

Der Boden, auf dem St. Petersburg, die jüngste Hauptstadt Europas, sich erhebt, ist uralter russischer Besitz. Ingermanland, früher Ingrien genannt, zwischen dem Peipussee, der Narowa und dem Ladogasee war von der reichen Handelsstadt Nowgorod, nach deren Unterwerfung durch Iwan IV. von den Moskowitern ab - hängig und fiel dann an Schweden. Im Jahre 1702 wurde es von Peter dem Grossen zurückerobert, aber erst im Frieden zu Nystadt 1721 definitiv mit Russ - land vereinigt. Am 16. Mai 1703 legte Peter eigenhändig auf einer der vielen Newa-Inseln, der sogenannten Haseninsel, den Grundstein zu einer neuen Festung, welche zu Ehren der Apostel Petrus und Paulus den Namen Peter-Pauls-Festung erhielt. Während dieses Baues fasste der geniale Czar den Plan, hier eine neue Hauptstadt des Reiches zu erbauen, die Schutz gegen die Feinde im Norden bieten und im Gegensatz zur bisherigen Hauptstadt Moskau Vermittlerin der westeuropäischen Civilisation für Russland sein sollte. Diese Jugend der russi - schen Hauptstadt erklärt es auch, dass sie, verglichen mit den meisten Capitalen der anderen Staaten, keine Geschichte hat.

Dass der Boden, auf welchem die neue Stadt erstehen sollte, sumpfig und mit Urwald bedeckt war, hinderte Peter an der Ausführung seines Planes nicht. Mehr als 40.000 Menschen aus allen Theilen des Reiches waren in den folgenden Jahren mit der Trockenlegung der Sümpfe, dem Ausroden der Wälder und dem Aufbau der Häuser beschäftigt. Da die Arbeiter ausser Leibeigenen und Sträf - lingen auch gefangene Schweden durch die Ausdünstungen der Sümpfe zahl - reich erkrankten und hinstarben, mussten immer neue Arbeiter aus dem Innern des Reiches herangezogen werden. Jeder Fussbreit festen Landes wurde geradezu mit einem Menschenleben erkauft.

Um alle vorhandenen Maurer für den Aufbau der neuen Hauptstadt zur Verfügung zu haben, wurde der Bau steinerner Gebäude für das ganze Reich mit Ausnahme der neuen Stadt verboten. Alle zwei Jahre fand eine Aushebung von Arbeitern wie zum Kriegsdienste statt, die mit Werkzeugen versehen an die Newa864Der atlantische Ocean.gesandt wurden. Erst später zwang die grosse Sterblichkeit unter den Leibeigenen Peter, die Arbeiten Unternehmern zu überlassen, welche bezahlte Arbeiter be - schäftigten.

Da die Bevölkerung der Stadt sich anfangs nur wenig vermehrte, verord - nete Peter im Jahre 1712 eine allgemeine Aushebung zu ständiger Ansiedlung in der neuen Residenz. Die Stadt erhielt den Namen ihres Gründers, doch sonder - barerweise in holländischer Sprache, Piterburg , zur Erinnerung an den Namen, unter welchem der Czar auf der Schiffswerfte zu Zaandam als schlichter Zimmer - mann die Schiffbaukunst erlernt hatte. Bis auf den heutigen Tag hat sich im Volksmunde neben dem officiellen Namen St. Petersburg die Bezeichnung Piter erhalten. Den Grossen des Reiches befahl Peter, in der neuen Residenzstadt steinerne Häuser und Paläste zu bauen; je nach der Anzahl der Seelen, über die die Adeligen geboten, bestimmte er selbst die Grösse der Häuser. Ferner verlegte er die höchsten Reichsbehörden nach Petersburg.

Nach dem Tode Peters des Grossen trat ein kurzer Stillstand in der Ent - wicklung der Stadt ein; Katharina I. und Peter II. wohnten wieder grösstentheils in Moskau, aber ihre Nachfolger wählten neuerdings Petersburg zur Residenz.

St. Petersburg zählte im December 1888 bereits 978.309 Ein - wohner.

Vor 100 Jahren hatte die Stadt 218.000 Einwohner, anfangs dieses Jahrhunderts 227.700, um die Mitte desselben 501.000 Ein - wohner und 1860 noch immer nicht mehr als 513.000 Einwohner. Daraus ist zu ersehen, dass der Hauptzuwachs auf das letzte Viertel - jahrhundert, die Zeit der grossen Reformen in Russland entfällt. Es zeigt sich, dass während der ersten 50 Jahre unseres Jahrhunderts die Bevölkerung nur um 274.000 Einwohner stieg, wohingegen die Zunahme in den letzten 40 Jahren 466.000 Einwohner, also fast das Doppelte betrug. Jedoch entfallen als Steigerung in den letzten 10 Jahren nur 50.000 Einwohner.

In Petersburg muss man eine Unterscheidung zwischen der eigentlichen Stadt und ihren Vorstädten machen. Auf letztere ent - fielen von der Gesammtbewohnerzahl am Schlusse des Jahres 1888 nur 76.280 Einwohner. Das Wachsthum der Stadt ergab von 1867 bis 1881 nicht weniger als 35 %, von 1881 bis 1888 aber nur 4·7 %. Während die Stadt fast stationär bleibt, wachsen die Vor - städte an. Der Hauptgrund liegt wohl in der Billigkeit des gewöhn - lichen Lebens in diesen Vorstädten, zumal sie über gute Verbin - dungen mit dem Centrum der Stadt verfügen.

Die Zahl der Gebäude von Petersburg hat sich in der letzt - erwähnten Periode um 8 % vermehrt; sie betrug Ende 1888 108.492 bewohnte Gebäude und 4323 Läden - und Waarenhäuser und 9382 leerstehende Wohnungen. Die grosse Zinsentwerthung der Häuser hat die Baulust sehr herabgedrückt. So wurde im Winter 1889 das[865]

Petersburg.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 109866Der atlantische Ocean.Panaïewtheater, welches mit 900.000 Rubel bewerthet war, nur um 150.000 Rubel verkauft.

Die Stadt ist nicht nur Residenzstadt und Sitz der höchsten Behörden, sie ist auch eine der wichtigsten Fabriksstädte des Reiches. Der Handel ist jedoch seit einigen Jahren im Rückgange begriffen.

Der älteste Theil von Petersburg befindet sich auf dem nörd - lichen Ufer der Newa, noch jetzt Alt-Petersburg genannt, aber schon im Jahre 1705 wurden deutsche Colonisten auf dem linken Newa - ufer angesiedelt, und auch auf der Wassili-Insel entstand eine Nieder - lassung (Wassiljewskaja). Heute bewegt sich, wie gesagt, der Haupt - verkehr in den Stadttheilen des linken Newaufers, wohin Peter der Grosse die kaiserlichen Paläste bauen liess, da sie dort durch die Höhe des Terrains besser gegen Ueberschwemmungen geschützt sind.

Im Mittelpunkte der Stadt auf dem linken Ufer der Newa be - findet sich das kolossale Gebäude der Hauptadmiralität (P) auf der Nordseite des Admiralitätsplatzes. Das Gebäude bildet ein Parallelo - gramm von 420 m Länge und 180 m Breite, die Front nach der Newa gerichtet, und macht trotz seiner gewaltigen Dimensionen einen ausserordentlich leichten gefälligen Eindruck. In dem Gebäude, das bereits durch Peter den Grossen gegründet wurde, befinden sich jetzt das Marineministerium, die Seecadettenschule, das Marinemuseum und eine 30.000 Bände zählende Bibliothek. Der Admiralitätsplatz ist durch prachtvolle Gartenanlagen, den neuen Alexandergarten, ver - schönert worden und bildet mit dem Petersplatze sowie mit dem östlich angrenzenden Raswodnyplatz und Palastplatz ein Ganzes, das an Schönheit in Europa seinesgleichen sucht. An der Westseite der Admiralität erhebt sich in den Anlagen des Petersplatzes eine Reiter - statue Peter des Grossen. Dieselbe stellt den Czaren mit dem Lor - beerkranze geschmückt dar, wie er einen Felsen hinansprengt, mit der erhobenen Rechten nach der Newa hinzeigend. Die ganze Statue ist 5 m hoch, die Gestalt des Kaisers 3 m. Das Denkmal wurde nach einem Modell des französischen Bildhauers Falconet gegossen und 1782 enthüllt. Auf der Westseite des Denkmals erhebt sich am Newaufer das Senatsgebäude, der Sitz des Senates, des obersten Gerichtshofes des Reiches, und durch einen Bogengang mit demselben verbunden die heilige Synode , der Sitz des obersten geistlichen Ge - richtshofes.

Im Süden stösst an den Alexandergarten der Isaaksplatz, dessen Mitte die berühmte Isaakskathedrale (24) einnimmt, die grösste und prachtvollste Kirche Petersburgs. Schon Peter der Grosse hatte an867St. Petersburg.dieser Stelle den Bau einer hölzernen Kirche begonnen, der Grund - stein zur jetzigen Prachtkirche wurde aber von Alexander I. am 26. Juni 1819 gelegt. Der Bau nach den Plänen des französischen Baumeisters Bicard de Monferrand wurde erst 1858 vollendet. Die Kathedrale ist in Form eines griechischen Kreuzes gebaut und wird von einer riesigen Kuppel überragt, welche 26·6 m im Durchmesser misst. Vom Boden bis zur Spitze des Kreuzes ist die Kathedrale 102 m hoch. Eine bequeme Treppe führt zur Kuppel, von wo man eine herrliche Aussicht über die Stadt und die Newa geniesst. Das Innere der Kirche ist mit verschwenderischer Pracht ausgeschmückt, die Wände sind mit den schönsten Marmorarten geziert, und an 200 Gemälde russischer Maler begrüssen den Beschauer.

Von der Südseite der Kathedrale gelangt man durch den Isaaks - garten auf den Marienplatz, wo sich das im Jahre 1859 errichtete Denkmal Nikolaus I. befindet. Auf einem hohen mit Basreliefs ge - schmückten Sockel ist der Czar in der Uniform der Chevaliergarde auf einem sich bäumenden, feurigen Rosse dargestellt.

Im Osten stösst an den Admiralitätsplatz der Palastplatz, in dessen Mitte die zum Gedächtniss Alexander I. im Jahre 1834 er - richtete Alexandersäule steht. Nördlich der Admiralität, unmittelbar am Ufer der Newa, erhebt sich der Winterpalast (14), die Residenz des kaiserlichen Hofes während der Winterzeit. Derselbe bildet ein Rechteck von 137 m Länge und 106 m Breite und richtet seine nord - westliche Front gegen die Newa dort, wo sie ihre grösste Breite erreicht hat. Der jetzige Palast ist erst unter Kaiser Nikolaus erbaut worden. Er enthält eine Zahl herrlicher Säle: den Alexandersaal, ebenso wie die folgenden sieben Zimmer mit Schlachtenbildern ge - schmückt, den weissen Saal mit Marmorstatuen, den goldenen Saal im byzantinischen Styl, das Pompejanische Zimmer, den riesigen Nikolaisaal, wo die grossen Hofbälle stattfinden, den Feldmarschall - saal mit den lebensgrossen Porträts berühmter russischer Marschälle, den Thronsaal Peter des Grossen, in welchem die rothen Sammt - wände mit goldgewebten russischen Adlern übersäet sind, den grossen Wappensaal, den St. Georgssaal, in dem alljährlich das Georgenfest am 26. November / 8. December gefeiert wird. Den Glanzpunkt des Palastes bildet die Schatzkammer, welche einen Saal im zweiten Stockwerke einnimmt. Hier befinden sich die bei den Kaiserkrönungen zur Verwendung kommenden Kroninsignien. Am werthvollsten darunter ist das Scepter mit dem berühmten Diamanten Orloff, der 185 Karat wiegt und der grösste Diamant in Europa ist.

109*868Der atlantische Ocean.

Dem Winterpalaste gegenüber an der Südostseite des Palast - platzes befindet sich das riesige Generalstabsgebäude mit einer Front von 768 Fenstern in drei Stockwerken.

Oestlich vom Winterpalast sind die beiden Eremitagen der Kaiserin Katharina II., die alte und die neue (21), welche die kaiser - lichen Kunstsammlungen enthalten. Die alte Eremitage, welche die neue mit dem Winterpalast verbindet, enthält an Kostbarkeiten Alles, was seit fast 200 Jahren an Gold - und Silbergeschirr, Juwelen und Kunstgegenständen aller Art in den Besitz der kaiserlichen Familie gelangt ist. Die angrenzende neue, auch die grosse genannte Ere - mitage enthält in ihren 14 Zimmern und Sälen Gemälde von franzö - sischen und namentlich niederländischen Meistern, welche zumeist durch die Kaiserin Josephine, Gemalin Napoleon I., nach Russland gebracht wurden. Die neue Eremitage bildet ein Rechteck von 156 m Länge und 113·7 m Breite. Besonders prachtvoll ist das Treppenhaus.

Wenn man die Millionnajastrasse, der die Südfaçade der neuen Eremitage zugekehrt ist, bis an das Ende durchschreitet, gelangt man auf das weite Marsfeld (37), wo die grossen Paraden abgehalten werden. Oestlich vom Marsfelde dehnt sich der kaiserliche Sommer - garten (20) aus, der besuchteste der Gärten Petersburgs. Er wurde im Jahre 1711 von Peter dem Grossen im französisch-holländischen Geschmack angelegt und seitdem bedeutend verschönert. Er bildet ein längliches Rechteck von circa 300 ha Flächeninhalt. In den Alleen und inmitten der vielen Rondelle und Blumenbeete stehen zahlreiche Marmorstatuen und Vasen. Beim Haupteingange des Gar -

Legende zu St. Petersburg. A Hafen, B Jekateringowskij-Canal, C Novo Obwodnij-Canal (Umfassungscanal), D Fontanka-Canal, E Katharinencanal, G Moikacanal, H Zarskoje Selo-Bahnhof, J Peterhof - (baltisch.) Bahnhof, K War - schauer Bahnhof, L finnländischer Bahnhof, M Nikolai - (Moskauer) Bahnhof, N Börse, O neue Admiralität, P Hauptadmiralität, Q neues Arsenal, Q1 altes Arsenal und Artilleriedepartement, R Akademie der Künste, S Akademie der Wissenschaften, Museum und Bibliothek, T Generalstabsakademie (Nikolaus - Akademie), U kais. Bank, V Gostinnij Dwor (Bazar), W Werft, X kais. Glasfabrik, Y Gasanstalt, Z altes Zollamt. 1 Newskij Prospect, 2 Wosnessenskij Prospect, 3 Litciny Prospect, 4 Wlademirski Pro - spect, 5 Zagorodnij Prospect, 6 Sabalkanskij Ulica (Strasse), 7 Seedowaja Ulica, 8 Offizerskaja Ulica, 9 Gorochowaja Ulica, 10 Ramenno-Ostrowskij Prospect, 11 Bolschoj Prospect auf Peterburgskaja, 12 Bolschoj Prospect auf Wassilewskaja, 13 Simburgskaja Strasse, 14 Winterpalast, 15 Antischkow - Palast, 16 Peter d. Gr. Haus, 17 Taurischer Palast, 18 Stallhof und Marstall, 19 Michailowskij-Palast, 20 Sommergarten, 21 Eremitage, 22 Denkmal Peter I., 23 Narwa’sche Triumphpforte, 24 Isaaks - Kathedrale, 25 Kasan-Kathedrale, 26 Alexander Newski-Kathedrale und Kloster, 27 Andreas-Kathedrale, 28 Preobrazenskij-Kathedrale (Erlöser), 29 Nikolaus-Kathedrale, 30 Troitskij (Dreifaltigkeit), 31 Himmel - fahrtskirche, 32 Maria-Verkündigungs-Kirche, 33 Smolij-Kirche, 34 Nowo Dewitschi-Kirche, 35 Zollhof, 36 Stadthaus (Duma), 37 Marsfeld, 38 Seemenowskij Exercirplatz und Kasernen, 39 Alexanderplatz, 40 Preobrazenskij-Kaserne, 41 Ismailow-Kaserne, 42 Araktschejewsche-Kaserne, 43 Kaserne des Leib - garde-Grenadiere-Rgts., 44 Marinecadettenschule, 45 Universität, 46 Bergakademie, 47 Alexandra - Theater, 48 grosses Theater, 49 Wasserthurm, 50 Irrenhaus, 51 Obuchow-Stadthospital, 52 städtisches Spital, 53 Marien - und Alexander-Krankenhaus, 54 Militärlandesspital, Klinik und thierärztliches Institut, 55 Nikolajewskij-Brücke, 56 Alexander-Brücke, 57 Troitskij-Brücke, 58 Dwortzowij-Brücke, 59 Egipetskij (Egypt. ), 60 Friedhof v. Smolenst, 61 Mitrofan-Friedhof, 62 Wolkowskij-Friedhof, 63 Vieh - hof, 64 Botanischer Garten auf der Apothekerinsel, 65 Alexandrowski-Park mit zoologischem Garten.

[869]

St. Petersburg (Massstab 1: 40.800; Sonden in Metern)

(Legende siehe auf Seite 868.)

870Der atlantische Ocean.tens steht eine mit grosser Pracht ausgestattete Kapelle zur Erinne - rung an die glückliche Errettung Alexander II. bei dem Attentate Karakassoff’s (4. / 16. April 1866).

Dem Sommergarten schräg gegenüber liegt jenseits der Moika an der Südwestseite des Marsfeldes der grosse Michailow’sche Garten, der zum neuen Michailow’schen Palais (19), einem der schönsten Petersburgs, gehört. Das alte Michailow’sche Palais, jetzt Ingenieur - schule, befindet sich an der Ostseite des Michailowsky-Gartens, auf dem Platze hinter demselben ein Denkmal Peter des Grossen von Rustrelli, das aber künstlerisch dem auf dem Petersplatze weit nachsteht.

An die dem Michailowsky-Garten gegenüberliegende Schmalseite des Marsfeldes grenzt vor der Troitskybrücke (57) der Suwaroffplatz, dessen Mitte das Denkmal Suwaroff’s einnimmt. Die Strecke vom Suwaroffplatze bis zum kaiserlichen Winterpalaste längs der Newa ist der vornehmste Theil der Stadt und der Lage nach der schönste; wunderbar ist im Sommer die Aussicht auf die hier seeartig sich erweiternde Newa mit dem lebhaften Verkehr; im Winter bieten wieder die Vergnügungen auf der Eisfläche ein buntes, lebendiges Bild. Eine Reihe imposanter Paläste zieht sich an der Newa hin, worunter besonders das am Suwaroffplatze liegende, nur aus Stein und Metall aufgeführte Marmorpalais des Grossfürsten Konstantin Nikolajewitsch hervorzuheben ist.

Die Hauptverkehrsader der Stadt ist jedoch der Newsky-Prospect (1), der vom Admiralitätsplatz ostwärts ausläuft. Die Strasse ist 35 m breit und fast 5 km lang. Sie ist fast so alt als Petersburg selbst, aber die Häuser an ihren beiden Seiten wurden später gebaut. Wenn man den grossartigen Wagenverkehr Petersburgs kennen lernen, die ausserordentliche Schnelligkeit der Pferde bewundern will, muss man den Newsky-Prospect durchwandern. Alle Arten von Wagen und dazwischen zahlreiche Reiter durchfliegen die Strasse. Keine Stadt der Welt besitzt so viele öffentliche Fuhrwerke wie Petersburg, weil die grossen Entfernungen die Menschen zwingen, Fuhrwerke zu benützen. Die Zahl derselben Iswostschiks genannt wird auf 25.000 ange - geben. Trotz dieser grossen Menge von Fahrzeugen, die wegen ihrer ausserordentlichen Billigkeit und der grossen Entfernungen der Stadt stark benützt werden, wogt auf den Trottoirs des Newsky-Prospect ein zahlreiches Publicum von Fussgängern aller Nationalitäten des ungeheuren Reiches. Ein farbenprächtiges Bild. Die grosse Mehrzahl der Fussgänger bewegt sich auf der Nordseite der Strasse, wo die871St. Petersburg.schönsten Verkaufsläden sind. Palastartige Privatgebäude wechseln mit Kirchen und kaiserlichen Gebäuden. Neben der Kasanbrücke ragt der herrliche Bau der Kasan’schen Kathedrale (25) hervor; eine Colonnade von 132 korinthischen Säulen umsäumt im Halbkreis den Platz, in dessen Hintergrund die Kathedrale steht. Im Innern derselben hängt in der Mitte das berühmte Muttergottesbild, das im Jahre 1579 von Kasan nach Moskau und 1721 nach Petersburg gebracht wurde. Die Edelsteine, welche das Bild schmücken, sind fast unschätzbar. Auf dem Platze vor der Kathedrale sind die Denkmäler der Marschälle Kutusoff und Barclay de Tolly errichtet.

Ueber den Alexandraplatz, auf dem sich das Denkmal Katha - rina II. erhebt, steht die kaiserliche öffentliche Bibliothek mit mehr als einer Million Bänden.

An der Fontanka befindet sich das Anitschkoff - oder Nikolai - Palais (15), an der Ostseite des Palastes führt die Anitschkoffbrücke über die Fontanka.

Die Vorstadt Wassiljewskaja ist seit dem Ausbau des Stadt - theiles an der Fontanka in den Hintergrund getreten, aber auch dort befindet sich eine Zahl wichtiger Bauten. Vom Palastplatz kommt man über die Schloss - oder Dworzowij-Brücke (58) zur Ostspitze von Wassily-Ostrow, wo die sogenannte holländische Börse (Birska) N, ein griechischer Bau, sich erhebt. Auf dem Platze vor der Börse stehen zwei Säulen aus rothem Granit, von dem Punkte zwischen ihnen ge - niesst man eine entzückende Aussicht: vor sich den gewaltigen Strom, links die Peter-Pauls-Festung, rechts die Quais der Newa mit der grossartigen Reihe von Palästen.

Wenn man an dem Börsengebäude vorbei den Quai an der Grossen Newa entlang geht, gelangt man zu einer Reihe palastartiger öffentlicher Gebäude: zuerst zur Akademie der Wissenschaften (S) mit dem Museum und der Bibliothek. Die Akademie wurde von Peter dem Grossen nach einem unter Mitwirkung von Chr. v. Wolff und Leibnitz entworfenen Plane 1724 gegründet. Sie begann aber erst nach dem Tode des Czaren unter Katharina I. ihre Wirksamkeit. Die Akademie besteht aus drei Classen, für mathematische Wissenschaften, russische Sprache und Literatur, dann Geschichte und Philologie. Sie erhält jährlich eine Dotation von 300.000 Rubel. Die mit ihr ver - bundene Bibliothek besitzt etwa 300.000 Bände. Das zoologische Museum ist besonders reich an vorweltlichen Thieren, ausserdem sind mit der Akademie verbunden das ethnographische Museum, welches alle Trachten und Costüme des russischen Reiches enthält, die bota -872Der atlantische Ocean.nische Sammlung, das anatomische Museum, das mineralogische Cabinet. Einige Schritte von der Akademie entfernt ist die Univer - sität (45), von Alexander I. 1819 gegründet.

Einer der schönsten Paläste Petersburgs ist die Akademie der Künste (R), welche wir auf unserer weiteren Wanderung längs des Ufers der Newa erreichen. Das Gebäude wurde in den Jahren 1765 68 nach den Plänen von de la Mothe und Velten gebaut und bildet ein Quadrat, dessen Seiten 150 m lang sind. Von der der Newa zuge - kehrten Hauptfaçade führt eine Freitreppe herab, die von zwei riesigen, im Jahre 1832 aus dem alten egyptischen Theben hieher ge - brachten Sphinxen flankirt ist. Ausser der Sammlung der Akademie der Künste besitzt Wassiljewskaja noch eine interessante Gemälde - gallerie in dem Hause des Geh. Raths Peter von Semenoff, die nament - lich für das Studium der vlämischen und holländischen Malerei wichtig ist, während die Sammlung der Akademie vorwiegend russische Original - gemälde enthält.

Am Ende des Newaquais befindet sich die Bergakademie, ein Gebäude mit 12.000 m2 Fläche. In derselben ist besonders bemerkens - werth das mineralogische Museum, eine der bedeutendsten Samm - lungen dieser Art.

Vom Suwaroffplatz führt die Troizkij - oder Petersburger Brücke über die Newa zum Troizkajaplatz auf dem Petersburger Stadttheil, von wo eine Holzbrücke über den Kronwerkcanal zur Peter-Pauls - Festung leitet. Die Festung wurde bald nach dem ersten Seesiege über die Schweden von Peter dem Grossen gegründet und bedeckt die Petersinsel und zwei kleinere Inseln. Auf ihr befinden sich die Staatsgefängnisse, die Militärverwaltung, die Münze, das Arsenal, das Artilleriemuseum und die Peter-Pauls-Kathedrale, welche in einem Anbaue die Gruft der russischen Czaren aus dem Hause Romanoff seit Peter dem Grossen, mit Ausnahme Peter II., enthält.

Etwa 25 km westlich von der Mündung der Newa verengt sich der 65 km lange Golf von St. Petersburg, welcher das östlichste Ende des Finnischen Meerbusens bildet, zur Kronstädter Bucht; fast in der Mitte zwischen dem nördlichen finnländischen und dem südlichen ingermanländischen Ufer, wo dieselben sich näher rücken, liegt die 11 km lange und schmale Insel Kotlina, auf ihr Kronstadt, das Bollwerk von St. Petersburg. Die Stadt hat 48.000 Einwohner und besteht aus zwei Theilen dem Admiralitäts - und dem Gouverneurs - theil. Ersterer ist weitaus interessanter, er enthält das grosse Admi - ralitätsgebäude, Arsenale, Schiffswerften, Kasernen, Vorrathshäuser[873]

St. Petersburg-Bay (Massstab 1: 281.000; Sonden in Metern).

A Canal von St. Petersburg-Kronstadt, B Hafen für Ankunft, C Hafen für Abfahrt, D Galeerenhafen, E Newa-Fluss, F Leuchtfeuer, F1 Leuchtfeuer, G Wrack, H Rettungs - boote, J kais. Palais und Oranienbaum, K Fort Constantin, L Fort St. Peter, M Kathedrale und Peterhof, N Palais im Peterhof, O Palais und Strielna, P Pulvermagazin, Q See.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 110874Der atlantische Ocean.aller Art, Spitäler, Laboratorien und Schulen dicht zusammengedrängt. Kronstadt besitzt am Südostende der Insel ein grosses in drei Ab - theilungen gesondertes Hafenbassin von 2 km Länge und 600 m Breite, an welches das 800 m lange Bassin des Kriegshafens grenzt.

Der mittlere Theil des grossen Bassins enthält Schiffswerften und Werkstätten, wo hingegen der westliche Theil den Handelshafen bildet, welcher bei 500 m Breite und 600 m Länge nur für eine be - schränkte Zahl von Handelsschiffen Raum bietet. Aber selbst wenn in allen Abtheilungen des durch starke Befestigungen eingeschlossenen Beckens Handelsschiffe zugelassen würden, so würde der vorhandene Raum für einen grossen Verkehr nicht ausreichen, und es müssten die kostspieligsten Arbeiten vorgenommen werden, um den Schiffen ge - sicherte Liegeplätze zu bieten.

Die Festungswerke von Kronstadt sind seit Peter dem Grossen durch fast alle Herrscher Russlands verstärkt worden.

Das Meiste dazu hat Nikolaus I. beigetragen. Die Kosten der Werke wurden beim Regierungsantritt Alexander II. bereits auf 200 Millionen Rubel angegeben; seitdem wurden die Befestigungen durch Totleben noch weiter verstärkt.

Kronstadt und seine Werke sperren die Zufahrt zur Newa - mündung vollständig ab. Das nördliche Fahrwasser besitzt kaum 3·7 m Tiefe und ist überdies durch Sprengungen unpassirbar gemacht. Die südliche durch das Leuchtschiff London markirte Zufahrt führt bei 8 m Tiefe directe unter den Batterien von Kronstadt vorbei.

Für den Nationalökonomen war es wohl immer ganz ausser - ordentlich auffallend, dass St. Petersburg, durch dessen Gründung Peter I. sich doch einen Antheil an der Ostsee erstritten hatte, eigentlich keinen Hafen besass, denn wie St. Petersburg durch seine gewaltige Ausdehnung und durch verschwenderische Pracht seiner Bauwerke ausgezeichnet ist, ebenso fällt dieser wichtige Seeplatz durch seine höchst unbedeutenden Hafenanlagen auf, und wenn man auch die Versandung der Kronstädter Bucht in Betracht zieht, so muss man doch zugeben, dass der Schaffung von Hafenanlagen lange Zeit hindurch eine durchaus ungenügende Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Man steht erst jetzt im Begriffe, einen Hafen zu erbauen.

Wie unsere Pläne zeigen, wird im südwestlichen Theile von Petersburg nächst der Mündung der Grossen Newa in die Kronstädter Bucht ein Hafenbassin von 700 m Länge und 200 m Breite gebaut, und werden dessen Quais mit Lagerhäusern und Schienenwegen aus - gestattet werden.

875St. Petersburg.

In dieses Bassin wird der Morskoicanal einmünden, welcher, in einer Länge von 28 k m den seichten Grund der Bucht durchschnei - dend, Kronstadt mit Petersburg verbindet. Der Canal wird nächst Petersburg durch Dämme geschützt werden. Südlich des Hafenbassins dürfte ein weites Becken zur Aufnahme einer grossen Zahl von Schiffen geschaffen werden.

Gegenwärtig ist jedoch nur ein Theil der Arbeiten durchgeführt. Wie aus dem Plane ersichtlich, ist der Canal, damit er dem Wasser - strome der Grossen Newa nicht ausgesetzt werde, 2 km südlich der Mündung derselben angelegt worden.

Sämmtliche Newamündungen sind durch Barrenbildungen unklar und besitzen etwa 2 m Wassertiefe. Innerhalb derselben wäre aber in der Grossen Newa selbst für die grössten Oceanschiffe genügend Wasser vorhanden.

Die Newa ist der Ausfluss des Ladogasees, des Sammel - beckens eines grossen Süsswassersystems, das nur flache Boden - senkungen, Woloks genannt, von den umliegenden Flussgebieten trennen. Die Natur hat hier bequeme und billige Verbindungen ange - bahnt, die von dem innersten Winkel des Finnischen Meerbusens durch die Dwina bis in das nördliche Eismeer, durch die Wolga bis an die nördlichen Gestade Persiens reichen.

Betrachten wir nun die natürlichen Verbindungen der Seehandels - stadt St. Petersburg mit dem Innern Russlands, die Peter den Grossen bewogen, statt des heiligen Moskau gerade hier eine neue Haupt - stadt zu gründen, nicht zu weit entfernt von der Stelle, wo am Wolchow durch Jahrhunderte die Vorgängerin von St. Petersburg, das grosse Nowgorod, der Sitz eines Kaufhofes der Hansa, geblüht und den Verkehr der Russen mit dem Westen und seiner Cultur ver - mittelt hatte.

Alle Verbindungen laufen im Ladogasee zusammen. Von Nord - westen kommt aus den grossen Felsenkammern Finnlands die Woxen herab, der Ausfluss zahlreicher Wasserbecken; aus Nordosten strömt der Abfluss des grossen Onegasees, der tiefe, schiffbare Swir herbei und aus dem Süden bringt die Wolchow die Gewässer des Ilmen - sees und der Waldaihöhe.

Drei Canalverbindungen sind für den Binnenhandel von St. Pe - tersburg besonders wichtig geworden, die Linie vom Ilmensee über die Senke von Wischnii Wolotschok nach Twer an der Wolga, ferner der Mariencanal, welcher den Ladogasee mit der Wolga bei Rybinsk110*876Der atlantische Ocean.verbindet, und endlich eine Abzweigung dieses Canalsystems zur Suchona, dem linken Quellarm der Dwina.

Das sind die Wege, welche jährlich Tausende von Schiffen aus der Wolga und Dwina nach St. Petersburg bringen. Die flachen Fahrzeuge nimmt auf dem letzten Theile ihres Weges ein breiter Canal auf, durch welchen sie das klippenreiche Südufer des stürmi - schen Ladogasees umgehen. Bei der ungewöhnlich grossen Bedeutung, welche in Russland, trotz der klimatischen Widerwärtigkeiten, die Wasserstrassen gegenüber den Eisenbahnen besitzen, wird es begreiflich, dass man sich dort unaufhörlich mit neuen Canalverbindungen be - fasst, welche die Handelsstellung von St. Petersburg befestigen sollen. Man plant eine leicht herzustellende Verbindung zum Peipussee und wendet 12½ Millionen Rubel an die Verbreiterung und Vertiefung des oben genannten Mariensystems, so dass dieses in Zukunft jährlich nicht 10 Millionen q, sondern das Doppelte an Frachten wird St. Petersburg zuführen können. Man berechnet, dass durch die Ver - wendung grosser Schiffe die Fracht für 1 Pud von Rybinsk nach St. Petersburg auf 3 Kopeken sinken werde.

Der Handel von St. Petersburg hat seit Vollendung des Putilofcanales den grössten Theil des Handels von Kronstadt an sich gezogen, dem fast nur der Verkehr in Kohle und Holz geblieben ist.

Die Gesammtausfuhr beider Plätze bildete 1883 noch 17·7 % der Ausfuhr des russischen Reiches, 1889 nur 10·3 %; dafür hat sich das Verhältniss der Be - theiligung an der Einfuhr in demselben Zeitraume von 13·0 % auf 19·1 % ge - hoben. Die Bevölkerung der grossen und reichen Hauptstadt hat Bedürfnisse, welche die stetig steigende Höhe der russischen Zölle nicht einzuschränken ver - mag, und die wachsende Industrie von St. Petersburg und Umgebung muss einen grossen Theil der nothwendigen Rohstoffe aus dem Auslande beziehen.

In St. Petersburg ist wie in den anderen Häfen Russlands Getreide ein Hauptartikel der Ausfuhr. An der Spitze steht Hafer (1889 8,100.000 q, 1888 4,297.293 q), geht nach Grossbritannien, den Niederlanden, Belgien, Deutschland und Frankreich. Weizen (1889 365.000 q, 1888 452.580 q), geht nach Schweden, Deutschland und Grossbritannien, Roggen (1889 552.800 q, 1888 3,257.900 q) nach Deutschland und den drei nordischen Königreichen. Die Ausfuhr von Gerste ist gering, wichtiger die von Erbsen (1889 42.363 hl) und von Buchweizen (1888 339.100 q).

Um den Getreidehandel von St. Petersburg zu fördern, wurde Ende 1889 ein riesiger Elevator eröffnet; sechs Thürme sind dem Ufer, zwei dem Seecanale zugewendet, um direct auf die Seeschiffe verladen zu können. Der Elevator ist im Stande, 213.000 q zu fassen, und zwar 163.800 q in den Getreidebehältern, das Uebrige in Säcken. Im Laufe einer Stunde können 900 t bewegt werden.

Von Mehl wurden 1888 68.800 q, von Kleie 1889 597.600 hl ausgeführt.

Ziemlich rasch entwickelte sich die Ausfuhr von Spiritus und von Holz. Es gingen 1889 1,264.609 Standard Dutzend Bretter nach Grossbritannien, den877St. Petersburg.Niederlanden, Deutschland, Frankreich und selbst bis Afrika und Australien, dann 459.901 Cubikfuss Eschenholz nach den drei nordischen Königreichen, endlich 835.503 Stück Splittholz nach Grossbritannien.

Auch an der Ausfuhr von Leinsaat war St. Petersburg 1889 mit 1,384.850 hl betheiligt, die nach Grossbritannien, den Niederlanden und Belgien verschickt wurden.

Oelkuchen, deren Ausfuhr sich 1889 auf 312.460 q steigerte, gehen nach Dänemark, Schweden, Grossbritannien und Deutschland.

Flachs (1889 131.297 q) und Heede (1889 70.466 q, 1888 168.224 q) ver - sendet St. Petersburg nach Frankreich, Grossbritannien und Deutschland.

Von den Producten des Thierreiches ist zunächst die langsam steigende Ausfuhr von Butter (1889 11.918 q) hervorzuheben, ferner die von Talg (11.959 q). Die Ausfuhr von frisch geschlachtetem Fleisch nach London soll in kurzer Zeit durch englische Stahldampfer in Gang gebracht werden; nach London gehen ferner Eier und Wildpret.

An die Stelle der Ausfuhr von Knochen tritt allmälig Knochenkohle; Summe der Ausfuhr 1889 115.416 q.

Die Ausfuhr von Schafwolle ist 1888 auf 10.057 q gefallen.

Anzuführen sind ferner Margarin, Oleïn, Glycerin, Därme und Borsten.

Mineralöl (1889 83.315 q) geht nach den drei nordischen Königreichen.

Von Industrieartikeln gehen über St. Petersburg Tauwerk (1889 9758 q) und Leinwand (1889 2,769.700 m) nach den Niederlanden, Deutschland, Gross - britannien und Dänemark, Juften nach Deutschland und Grossbritannien, und Matten (1889 441.725 Stück) nach Grossbritannien, den Niederlanden und Dänemark.

Die Ausfuhr von uralischem Eisen, das auf den Wasserstrassen nach St. Petersburg gelangt, dürfte bald ganz aufhören.

Unter den Einfuhrartikeln von St. Petersburg nehmen Nahrungs - und Genussmittel eine hervorragende Stellung ein. Es importirt Früchte, Beeren und Nüsse aus Deutschland, Schweden und Südeuropa (1888 21.622 q), Kaffee über Deutschland und England, 1888 82.720 q, das ist die Hälfte der Einfuhr von ganz Russland, während die Einfuhr von Thee (1888 7700 q) im Verhältnisse zu dem Consume Russlands klein ist.

Ueber St. Petersburg gelangten direct aus Frankreich und über Deutsch - land ein Drittel der Einfuhr von Fassweinen (1888 23.915 q) und zwei Fünftel der von Flaschenweinen nach Russland.

Wichtig ist auch die Einfuhr von Tabak.

Schweden, Norwegen, Schottland und England liefern Häringe (1888 82.720 q), Frankreich marinirte und in Oel eingelegte Fische.

Von den Spinnstoffen ist die Einfuhr von Baumwolle über England be - sonders hervorzuheben, sie betrug 1887 251.270 q, 1888 165.600 q und ist 1889 neuerdings gestiegen.

Die Einfuhr von Wolle erreichte etwa 10.000 q, die von Häuten und Leder 12.000 q, und die von Talg (1888 15.561 q) ist etwas grösser als die Ausfuhr.

St. Petersburg verbraucht den vierten Theil des ganzen aus Deutschland und England nach Russland eingeführten Cementes (1888 59.623 q).

878Der atlantische Ocean.

Die Versorgung der Stadt mit Steinkohlen und Coaks leitet Eng - land trotz der verhältnissmässig hohen Zölle, welche auf dem ausländischen Pro - ducte lasten, weil die Kohlenlager Südrusslands zu weit von hier entfernt sind. Die Einfuhr stieg 1889 bis auf 10,714.580 q.

Die Einfuhr von Gusseisen aus Deutschland, Grossbritannien, Schweden und Frankreich, von Stangeneisen und Trägern aus Belgien und von Eisen - blech erreichte zusammen 1888 wegen der hohen Zölle nur mehr 303.120 q. In Maschinen und Werkzeugen aus Eisen und Stahl hat Deutschland Gross - britannien überflügelt.

Kupfer wird aus Schweden eingeführt, Zinn aus Grossbritannien, Blei in Blöcken aus England und über Frankreich aus Spanien (1888 102.866 q), Blei in Rollen und Zink in Blöcken und Tafeln, zur Verwendung bei den Bauten der Stadt, aus Deutschland.

In Farbwaaren, Droguen und Chemikalien ist St. Petersburg noch immer zu einem ansehnlichen Theile auf Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Oesterreich-Ungarn angewiesen. Die Hauptartikel sind Indigo, calcinirte Soda (1888 21.460 q), Aetzsoda (74.370 q), Salpeter und Salpetersäure.

Zu erwähnen sind ferner Olivenöl aus Südeuropa (1888 29.500 q) und Cocosnussöl für Moskau bestimmt.

Der Seehandel von St. Petersburg und Kronstadt betrug in Tausenden von Papierrubeln:

〈…〉〈…〉

Das Gouvernement St. Petersburg ist mit seiner Hauptstadt eines der drei ersten Industriecentren von Russland.

Wir finden hier Schafwollspinnerei, Tuchfabrication, Baumwollspinnerei und Weberei, Erzeugung von Posamentir - und Wirkwaaren, Hanffabriken, Färbe - reien, Fabriken für Papiere und Tapeten, Sägewerke, Möbelfabriken.

An die Erzeugung chemischer Fabricate schliessen sich Ziegelbrennereien. Glas - und Porzellanfabriken.

Wichtig sind die Tabakindustrie und die Erzeugung von Leder und Leder - waaren. Die Metallindustrie umfasst Maschinen aller Art, Eisengiessereien, Schienen - walzwerke, Fabriken für Gussstahl, Draht und Nägel, Schlosserwaaren, Gewehre, Fabricate aus Kupfer und Messing und endlich eine hochentwickelte Industrie in Gold - und Silberwaaren.

In St. Petersburg und Kronstadt liefen aus dem Auslande ein:

〈…〉〈…〉

Ausserdem verkehrten 1889 in St. Petersburg und Kronstadt 640 Küsten - fahrer, darunter 417 Dampfer.

Mit der Verbesserung des Fahrwassers steigt natürlich die Zahl der Schiffe, welche bis St. Petersburg hinaufgehen.

879St. Petersburg.

Am auswärtigen Verkehre hat den stärksten Antheil die britische Flagge, 1889 mit 58 % des Tonnengehaltes, auf sie folgen die dänische, die deutsche, die norwegische und die schwedische Flagge; die russische nimmt erst die sechste Stelle ein.

In den Wintermonaten, wenn Eis den Hafen unzugänglich macht, ist Reval, und wenn auch dies verschlossen sein sollte, Baltischport der Hafen von St. Petersburg.

St. Petersburg hat regelmässige Dampfschiffsverbindung über Reval nach Lübeck und über Helsingfors und Hangö nach Stockholm.

Die Hauptstadt ist zugleich einer der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte von Russland Von hier gehen zwei Hauptbahnen mit Schnellzugsverbindung aus; die eine führt nach Moskau, von welchem sechs Eisenbahnen ausstrahlen, die andere über Wilna nach Warschau, sie vermittelt durch ihre Anschlüsse den Landver - kehr Russlands mit dem westlichen Europa.

In den Wintermonaten, wenn St. Petersburg von der See her nicht zu - gänglich ist, werden auch die Nebenlinien über Reval nach Baltischport am süd - lichen und die nach Hangö am nördlichen Gestade des Finnischen Meerbusens sehr wichtig für den Verkehr der Metropole.

St. Petersburg ist Sitz einer Börse und der wichtigsten Banken von Russland, unter welchen die Reichsbank obenan steht.

In St. Petersburg unterhalten Consulate: Argentinien (G. -C. ), Belgien, Brasilien (G. -C. ), Dänemark (G. -C. ), Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Kongostaat, Monaco (G. -C. ), Niederlande (G. -C. ), Oester - reich-Ungarn (G. -C. ), Persien (G. -C. ), Portugal (G. -C. ), Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz (G. -C. ), Spanien (G. -C. ), Türkei, Venezuela und Vereinigte Staaten (G. -C.).

Finnland, welches ein eigenes Zoll - und Handelsgebiet bildet und eine eigene Münze (die finnische Mark) hat, besitzt drei Häfen von einiger Handelswichtigkeit. Im Osten Wiborg, am Eingang in den Finnischen Meerbusen Helsingfors und am Eingang in den Bott - nischen Busen Åbo. Diese Städte sind einerseits mit Petersburg, andererseits mit den nördlichen Gebieten durch Eisenbahnen verbunden.

Wiborg ist die alte Hauptstadt von Karelien und liegt an der tief eingeschnittenen gleichnamigen Bucht, in welche der zum Saima - see führende Saimacanal ausmündet. Wiborg ist Station der russisch - baltischen Flotte und zählt ungefähr 17.000 Einwohner. Die Stadt hat mehrere Fabriken, worunter Giessereien und Maschinenbau-Etablis - sements. Beträchtlich ist der Holzhandel, hauptsächlich in Brettern, welche von den Sägemühlen in Knopio-Län zugeführt und nach Frank - reich, Grossbritannien und Deutschland ausgeführt werden.

Wiborg ist der erste Einfuhrhafen des Landes für Salz, Mehl und Grütze.

Sein Schiffsverkehr erreichte 1888 832 Schiffe mit 442.868 t.

Helsingfors ist die Hauptstadt von Finnland und zählt 56.000 Einwohner, meist Schweden.

880Der atlantische Ocean.

Die Stadt ist Sitz des Generalgouverneurs, des Senats und aller Centralbehörden; seit 1828 besteht dort die Alexander-Universität, welche von Åbo dahin verlegt wurde.

Der Hafen liegt innerhalb eines Kranzes von Schären-Inseln und Riffen, welcher für grössere Schiffe nur die schmale Passage des Gustafs-Svärds-Sund offen lässt.

Auf einigen der südlich gelegenen Schären breiten sich die Be - festigungen der starken Festung Sveaborg aus, welche 1855 durch die englisch-französische Flotte erfolglos angegriffen wurde.

Das heutige Helsingfors ist eine Gründung der Königin Christine von Schweden, welche 1639 die ungünstig gelegene, von Gustav Wasa 1550 an den Ufern des Wandaflusses gegründete alte Stadt an die Estnäss-Spitze verlegen liess. In der Nähe der Stadt musste sich 1742 der schwedische General Löwenhaupt mit 12.000 Mann den Russen ergeben. Die Stadt gelangte 1809 an Russland und ist seit 1812 die Hauptstadt von Finnland.

Helsingfors bedeckt ein buchtenreiches Terrain und hat in den Häfen Nocahamnen und Södrahamnen schöne Quaianlagen und Bassins für kleinere Schiffe.

Die erst in der neueren Zeit emporgeblühte Stadt hat gerade und breite Strassen und stattliche Häuser, ihre Kirchen, Monumente, öffentlichen Gebäude, das Theater sind prächtig, so dass Helsingfors in jeder Beziehung eine schöne Stadt genannt zu werden verdient.

In ihr concentrirt sich auch das geistige Leben Finnlands. Ausser der Universität und ihren Nebeninstituten bestehen dort ein Polytechnicum, mehrere Lyceen, eine Navigations - und Handelsschule, eine Irrenanstalt, ein Blindenasyl u. dgl.

Die Industrie ist in der Entwicklung begriffen.

Helsingfors ist der erste Einfuhrhafen von Finnland.

Es ist wichtig für die Einfuhr von Getreide und Mehl (1889 für 2·7 Mil - lionen Mark), Tabak, Maschinen, der wichtigste Platz für Kaffee (2·3 Millionen Mark), Zucker (4·6 Millionen Mark), Spiritus, Cognac, Wein, Eisen - und Eisen - waaren (2·8 Millionen Mark), Webewaaren (3·4 Millionen Mark).

Die Einfuhr aus dem Auslande erreichte 1889 32,620.965 Mark, 1888 27,264.795 Mark.

In den hervorragenden Ausfuhrartikeln Finnlands, Holz, Butter, Fische, steht es manchem einheimischen Hafen nach, an der Ausfuhr von Hafer ist es fast gar nicht betheiligt.

Der Schiffsverkehr von Helsingfors erreichte 1888 2568 Schiffe mit 442.252 Reg. -Tons; von diesen waren 1008 Dampfer mit 335.681 Reg. -Tons.

Den ersten Rang nimmt die heimische Flagge ein, der Verkehr ist zumeist nach finnischen Häfen, nach Russland, Schweden und Norwegen, Grossbritannien und dem Deutschen Reiche gerichtet.

Regelmässige Dampferverbindungen gehen nach St. Petersburg, den fin - nischen Plätzen und Lübeck.

881St. Petersburg.

In Helsingfors unterhalten Consulate: Belgien, Brasilien, Deutsches Reich, Frankreich, Grossbritannien (V. -C. ), Niederlande, Oesterreich-Ungarn (V. -C. ), Por - tugal, Schweden und Norwegen (G. -C. ), Spanien (V. -C.).

In neuerer Zeit gewinnt Hangö an der Südwestspitze Finn - lands, dessen Hafen im Winter eisfrei bleibt, steigende Bedeutung. Von hier geht auch im Winter eine Dampferlinie in 19 Stunden nach Stockholm. Es ist Finnlands erster Ausfuhrhafen für Butter und Fische.

Åbo war ehemals die Hauptstadt von Finnland und ist die älteste und geschichtlich merkwürdigste Stadt Finnlands. Am Schloss - fjord gelegen, zählt sie 27.300 Einwohner und ist Sitz des Erz - bischofs von Finnland. Der Hafenort von Åbo liegt auf der Insel Hirvensalo, wo grössere Schiffe ankern können. Die Stadt besitzt einen lebhaften Schiffbau.

1888 erreichte die Einfuhr Åbos 19,850.876, die Ausfuhr 8,806.869 finnische Mark, sein Schiffsverkehr 1413 Schiffe mit 390.654 Reg. -Tons.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 111[882]

Stockholm.

Mitten in dem Fluss, welcher den Ausgang des Mälarsees in die Ostsee bildet, zum Theile auf acht durch Brücken mit einander verbundenen Inseln erbaut, ringsum von Wasser umgeben und durch - flutet, ein nordisches Venedig, liegt die Hauptstadt Schwedens. Sie taucht allmälig vor unseren Augen auf, wenn wir auf dem Dampf - schiffe den reizenden Mälarsee durchfahrend uns seiner Vereinigung mit der Ostsee nähern. Zuerst sehen wir die grossen und harmoni - schen Massen des königlichen Schlosses mit der alten Stadt. Immer reicher tauchen die wunderbaren landschaftlichen Reize der Umgebung der Stadt auf; kahle Felsen und belaubte Hügel, fruchtbare Felder, üppige Wiesen, schattige Wälder, liebliche Landhäuser wechseln in erquickender Mannigfaltigkeit mit einander ab. Die prächtigen Quais, an welchen grosse Mengen von Schiffen laden und löschen, die zahl - reichen niedlichen Dampfer, welche Passagiere von einer Insel zur anderen oder nach dem Festlande befördern, verleihen der Stadt Leben und Bewegung südlicher Art.

Stockholm liegt unter 59° 29′ nördl. Br. und 18° 2′ östl. L. v. Gr. (Sternwarte) und besitzt ein echt nordisches, aber nicht sehr rauhes Klima. Obgleich es südlicher gelegen ist als St. Petersburg, ist hier die Temperatur doch im Sommer um etwa 4 R. kühler, dagegen im Winter um 6 wärmer als dort. Die kältere Tem - peratur Stockholms im Sommer wird durch die Lage der Stadt zwischen Mälar - und Ostsee bedingt. Sehr selten nur steigt das Thermometer in Stockholm über 25° R. oder fällt bis zu R. unter O. Einen wun - derbaren Eindruck machen auf den Fremden die hellen Sommer - nächte oder richtiger das fast völlige Fehlen der Nacht im Juni und Juli. In der zweiten Hälfte des Juni tritt überhaupt keine Dunkel - heit ein, sondern nur eine etwa drei Stunden währende Dämmerung. Im Sommer herrscht auf den Strassen und Quais bis Mitternacht das regste Leben: im Hafen wird ein - und ausgeladen und in den Parks883Stockholm.und Vergnügungslocalen unterhält man sich bei Musik und Tanz. Die Winter sind ausgezeichnet durch eine monatelang anhaltende, ruhige und erträgliche Kälte. Die Schweden verstehen es ganz gut auch die Reize des Winters in frohen Festen, im Eissporte, in Schlittenfahrten und dergleichen mehr zu geniessen.

Als im Jahre 1187 die Esthen in Schweden einfielen, erbaute der König Knut Erikson dort, wo jetzt der alte Theil von Stockholm steht, zum Schutze gegen die Räuber ein Schloss, um das sich allmälig friedliche Bürger ansiedelten. Birger Jarl, der später die Regierung übernahm, erhob diese Ansiedlung zur Stadt und wurde so der Gründer Stockholms. Ursprünglich war die Stadt nur auf der im Ausflusse des Mälarsees liegenden grossen Insel (eigentliche Stadt) und auf den daran grenzenden kleineren Inseln Helgeandsholm und Riddarholm gelegen. In der Nähe Stockholms erfochten am 14. October 1471 die Schweden unter Sten Sture den entscheidenden Sieg über die Dänen, durch welchen Schweden von der dänischen Herrschaft frei wurde.

Im Jahre 1520 nahm der dänische König Christian II. nach zweimaliger Belagerung die Stadt ein und veranstaltete nach der Uebergabe das berüchtigte Stockholmer Blutbad, indem er 94 der angesehensten Männer der Stadt, welche Gegner der dänischen Herrschaft waren, im Widerspruch mit dem Vertrag hin - richten liess.

Stockholm besitzt im Verhältnisse zu seiner Einwohnerzahl eine ausserordentliche Ausdehnung, die durch die Scheidung der Stadt - theile durch das rasch fliessende Wasser, durch grosse Parkanlagen und breite Quais hervorgebracht wird. Der Durchmesser der Stadt beträgt etwa 6 km und der Umfang 20 km. Viele Strassen in dem alten Theile der Stadt sind eng, ohne Trottoirs, die meisten Häuser sind hoch und einfach. Wenn also auch die Lage Stockholms im Sommer an die alte Dogenstadt erinnert, so steht es doch in Bezug auf die Schönheit der Privatbauten weit hinter derselben zurück.

Stockholm, Haupt - und Residenzstadt Schwedens, mit einer Bevölkerung von 235.000 Einwohnern, ist in seinem Kern und seinen wesentlichen Theilen eine alte, zum Theile noch mittelalterlichen Charakter tragende Stadt. Das eigentliche alte Stockholm, Staden genannt, liegt in der Mitte, wie bereits erwähnt, auf der im Ausfluss des Mälar liegenden Insel. Der hervorragendste und interessanteste Bau der Altstadt und ganz Stockholms ist das königliche Schloss, das mitten in der Stadt auf einer Anhöhe nahe am Hafen gelegen ist und durch seine Lage und Grösse die Stadt beherrscht. An der - selben Stelle stand früher das von Birger Jarl erbaute Schloss, das zugleich als Staatsgefängniss diente. Im Jahre 1697 wurde das alte Schloss sammt einem neuen Flügel ein Raub der Flammen, und Nicodemus Tessin erhielt den Auftrag, ein neues zu bauen. Das111*884Der atlantische Ocean.jetzige Schloss wurde mit vielen Unterbrechungen, die durch Kriege und Geldmangel herbeigeführt waren, gebaut. Erst im Jahre 1754 konnte der Hof einziehen, und auch seitdem sind viele Veränderungen und Neubauten vorgenommen worden. Das Schloss ist aus Back - steinen aufgeführt und aussen mit Sandstein verkleidet, es bildet ein fast quadratisches Viereck von 116 m von Osten gegen Westen und 124 m von Süden nach Norden. Im Osten und Westen befinden sich je zwei Flügel gegen Norden und Süden, die in der Höhe bis zum Mezzanin reichen. An der Westseite sind auch noch zwei freistehende, halbrunde Flügelgebäude, welche den kleinen, äusseren Schlosshof einschliessen, wo die Hauptwache sich befindet. Der grosse Hof in der Mitte des Schlosses dient zur Abhaltung der Truppenrevuen durch den König. Das Hauptgebäude besteht nach aussen aus einem hohen Erdgeschosse, einem Mezzanin und zwei hohen Stockwerken. Am imposantesten erscheint das Schloss von der Nordbrücke. Zur nördlichen Façade führt eine aus Granitquadern im Zickzack aus - geführte Rampe bis zum Eingangsthore des Schlosses. Die Rampe hat von zwei in gleicher Höhe auf Piedestalen aufgestellten kolossalen Löwen den Namen Lejonbacken (Löwenterrasse). Die Aussicht von dieser Rampe ist wunderbar: zur Rechten hat man das unabsehbar weite Labyrinth der Schären, welches hier die Ost - seeküste umsäumt; zahlreiche Segel - und Dampfschiffe steuern durch die engen Fahrstrassen. Jenseits des Stromes erheben sich majestä - tisch das Nationalmuseum und das Grand Hôtel; auf der Nordbrücke wogt ein beständiger Strom von Fuhrwerken aller Art und Fuss - gängern; zur Linken sieht man einen blauen Streifen des Mälarsees mit der Eisenbahnbrücke und den übrigen Palästen. In dem nörd - lichen Flügel des Schlosses wohnt das Königspaar und dort sind auch die grossen Festsäle. Auf der Westseite führt eine pracht - volle Marmortreppe mit Säulen, Perspectivgemälden, Medaillons und bronzene Laternen tragenden Genien in die königlichen Gemächer. Auf der Südseite führen schöne Treppen von schwedischem Marmor in die Schlosscapelle und den sogenannten Reichssaal (Rikssalen); letzterer wird bei Eröffnung des Reichstages und grossen Hoffest - lichkeiten benützt. Auf der Ostseite befindet sich der Treppe ge - genüber eine kolossale Gypsgruppe, Axel Oxenstjerna darstellend, wie er der Muse der Geschichte die Thaten Gustav Adolf’s die - tirt. Im nordöstlichen Flügel des Schlosses ist die Nationalbib - liothek untergebracht.

An der Südseite des königlichen Schlosses ist ein grosser,[885]

Stockholm.

886Der atlantische Ocean.gegen den Hafen zu sich sanft senkender Berg, Slottsbacken (Schloss - berg). Auf demselben befindet sich eine Bronzestatue des Königs Gustav III. und ein zur Erinnerung an die im letzten russischen Kriege (1788 1790) bewiesene Treue der Bürger vom König ge - widmeter Obelisk.

Ebenfalls dem Südeingang des Schlosses gegenüber an dem Slottsbacken steht das Palais des Oberstatthalters von Stockholm, ursprünglich das Haus des berühmten Architekten Tessin. Hinter dem Obelisk steht die älteste Kirche Stockholms, die Nikolaikirche, ge - wöhnlich Storkyrkan (grosse Kirche) genannt; sie stammt aus der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts, wurde aber 1736 1743 gänzlich ungebaut und erhielt dabei den jetzigen zu ihrem Styl gar nicht passenden Thurm. Sie enthält zahlreiche werthvolle Alterthümer. In dieser Kirche werden die Könige gekrönt.

Mit dem Slottsbacken ist durch eine kleine Gasse der alte Markt - platz der Stadt, Stortorget, verbunden, auf dem das Stockholmer Blutbad stattfand, jene Massenhinrichtung am 10. und 11. November 1520, durch welche Christian II. von Dänemark die Vertreibung der Dänen herbeiführte. An der Stelle des alten Rathhauses, wo Christian II. dem Blutbade zusah, steht jetzt die Börse. Unweit des alten Markt - platzes befindet sich die deutsche oder Gertrudkirche und in deren Nähe die alte Synagoge der Juden. Weiter südlich erreicht man den Jantorg, an dem die schwedische Reichsbank, von Tessin erbaut, liegt. Durch eine kleine Strasse gelangt man von da zum Skeppsbrou (Schiffsbrücke), einer breiten Hafenstrasse, die gegen die See von einem Granitquai eingefasst ist, gegen die Stadt durch die Gross - handlungshäuser begrenzt wird. Mehrere Treppen führen zum Wasser hinab, wo Schiffe aller Nationen den Handelsverkehr Stockholms ver - mitteln. Hier herrscht das grösste Geschäftsleben, und die zahlreichen engen Gassen, in denen sich die Packhäuser der Kaufleute befinden, verleihen diesem Theile der Stadt einen eigenthümlichen und inter - essanten Charakter. Hier sind das Zollhaus und die beiden Häuser der Nationalbank.

Wenn man das Schloss zur Rechten lässt, gelangt man hinab zum Münzplatz Mynttorget das einstmalige Münzhaus, das hier steht, ist jetzt für die Bureaus der meisten Ministerien bestimmt und führt den Namen Kanzleihaus. Durch die Münzstrasse gelangt man zum Riddarhustorget (Ritterhausplatz), wo vor dem Ritterhaus das Standbild Gustav I. Erikson Wasa steht. Das Ritterhaus, eines der bedeutendsten Gebäude der Stadt, ist aus rothen Backsteinen erbaut887Stockholm.und war früher Versammlungsort der ständischen Reichstage. Der grosse Saal, der mit den Wappen der adeligen Geschlechter ge - schmückt ist, dient noch als Versammlungsort der Ritterschaft. Auf demselben Platz steht das Rathhaus, in italienischen Formen aus - geführt.

Westlich vom Ritterhausplatz führt die Riddarholmsbrücke zur kleinen Insel Riddarholm (Ritterinsel). Der kleine Marktplatz auf der Insel ist mit dem Standbild Birger Jarl’s, des Gründers von Stock - holm, geschmückt und von einer Reihe öffentlicher Gebäude einge - säumt, darunter das Reichsarchiv, das schwedische Hofgericht, das Kammergericht und das Haus des Reichstags, aus zwei älteren Ge - bäuden gebildet. Das hervorragendste Gebäude der Insel ist aber die Riddarholmskirche, im XIII. Jahrhundert als Franziskanerkirche ge - baut, jetzt als Mausoleum für die Königsfamilie und die hohen Adels - familien des Landes verwendet. Hier werden auch unter Anderem die Trophäen der schwedischen Heere und Flotten (gegen 6000 Fahnen und Flaggen) aufbewahrt. Der ganz aus Eisen construirte hohe Thurm - helm ist ein Unicum in seiner Art.

Wenn wir über den Münzplatz zur Nordbrücke zurückkehren, der schönsten und belebtesten Brücke Stockholms, und dieselbe über - schreiten, gelangen wir nach Norrmalm (Nordvorstadt), das die schönsten Strassen besitzt. Zunächst betreten wir den Gustav Adolf - Platz mit dem Reiterstandbild Gustav II. Adolf. Von diesem Platz hat man eine wundervolle Aussicht auf das königliche Schloss. Oest - lich befindet sich das grosse königliche Theater oder Opernhaus, westlich das Palais des Erbprinzen ', im Aeussern ein Gegenstück zum Theater. Vom Gustav Adolf-Platz gelangt man östlich zu dem Königsgarten (Kungsträdgarden), dem grössten und schönsten Platz Stockholms, mit Gartenanlagen geschmückt, in denen sich elegante Kaffeehäuser und Restaurationen befinden. In der Mitte des Platzes steht das Standbild Karl XIII., südlich davon eine herrliche Fontaine von Malin mit plastischen Götterfiguren aus der nordischen Mytho - logie, noch weiter südlich das Standbild Karl XII.

Der vornehmste Theil von Norrmalm ist Blasieholm, früher eine eigene kleine Insel. Dieser Stadttheil hat schöne Palais. In der Mitte liegt der Blasiiplatz. Wendet man sich gegen den Norrstrom, welcher den Mälarsee mit der Ostsee verbindet, so gelangt man zum Stadt - theile Blasieholmen mit prachtvollen Palais, öffentlichen Gebäuden, darunter das berühmte Grand Hôtel mit einer herrlichen Rundsicht über die Stadt. Das östliche Ende des Holms nimmt das Nationalmuseum888Der atlantische Ocean.ein, nach dem königlichen Schloss das schönste Gebäude der Stadt. Es ist in venetianischem Renaissancestyl aufgeführt, besonders schön ist das Vestibul, welches bis zum zweiten Stockwerk hinaufreicht und mit den Statuen der nordischen Götter Odin, Thor und Baldur geschmückt ist. Im Kellergeschoss sind die egyptischen Alterthümer, im Erdgeschoss das historische Museum, eine der grössten Samm - lungen dieser Art und besonders reich an Erinnerungen an die glor - reichen Zeiten der schwedischen Geschichte. Im ersten Stock ist eine Sammlung von Fayencen, Majoliken und Porzellanen und ein Sculp - turenmuseum, im zweiten Stock die Gemäldegallerie. An der Nordseite des Museums befindet sich eine von Molin modellirte Bronzegruppe: Bältespännare (Gürtelspanner), die Darstellung eines mittelalterlichen Zweikampfes in Schweden, wobei die Kämpfenden durch einen Gürtel an einander befestigt waren.

Von Blasieholm gelangt man auf einer eisernen Brücke südwärts nach der Insel Skeppsholm (Schiffsinsel), welche wieder durch eine Zugbrücke mit der kleinen Insel Kastellholm verbunden ist.

Vom Gustav Adolf-Platz westlich gelangt man in die Drottning - gata (Königinstrasse), die längste und schönste Strasse Stockholms mit vielen Kaufläden. Hier befindet sich das von Hazelius gegrün - dete nordische Museum. An der Ostseite der Strasse erhebt sich das Gebäude der Akademie der Wissenschaften, eines der grössten Gebäude der Stadt.

Die Südvorstadt Södermalm die mit der Stadt durch die grossartige Königsschleusse, von Erikson erbaut, in Verbindung gesetzt ist, bietet von einem Elevator aus, Hissen genannt, die schönste Rundsicht über ganz Stockholm.

Die nautischen Verhältnisse des Hafens von Stockholm gebieten die grösste Vorsicht beim Anlaufen desselben. Der über 36 km in engen zahlreichen Windungen in das Land eingerissene Fjord ist see - wärts durch eine gegen 40 km breite Barrière unzähliger Inseln, Felsen und Bänke, die sogenannten Schären, völlig abgesperrt.

Legende zum Plan von Stockholm. A Zufahrt, B Hafen von Lilla-Värtan, C Lidingsbrücke, D Castell, E Centralbahnhof, G Kasernen, H Museen, J Theater, K Reichsbibliothek, L technologisches Institut, M Observatorium, N Telegraphen - tation, O optischer Telegraph, P königl. Schloss, Q königl. Garten, R Kurhaus, S Rathhaus, T Börse, U Reichsbank, V Badeanstalt, W Gasanstalt, X Lazareth, Y Schleusse, Z Friedhof. 1 Skeppsholm - brücke, 2 Norrbrücke, 3 Wasabrücke, 4 Djurgardsbrücke, 5 Nybrostrasse (gatan), 6 Quarnstrasse, 7 Grefstrasse, 8 Gref-Thurestrasse, 9 Sturestrasse, 10 Norrlandstrasse, 11 Regeringsstrasse, 12 Malms - killnadsstrasse, 13 Tullportsstrasse, 14 Badstugustrasse, 15 Drottningstrasse, 16 Stora-Grabergsstrasse, 17 Dalastrasse, 18 Flemingsstrasse, 19 Handwerkerstrasse, 20 Kamakarestrasse, 21 Kungstrasse, 22 Sermuelsstrasse, 23 Hamnstrasse, 24 Jakobsstrasse, 25 Riddarestrasse, 26 Humlegardsstrasse, 27 Linastrasse, 28 Stora Nystrasse, 29 Bevarsstrasse, 30 Hornsstrasse, 31 Stöda Mälastrand, 32 Ladu - gards Strandgata, 33 Karlo Vägen.

[889]
Stockholm (Sonden und Höhen in Metern).

(Legende siehe auf Seite 888.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 112890Der atlantische Ocean.

Nur wenige Fahrstrassen führen durch dieselbe, und diese sind durch Leuchtfeuer und Marken vorzüglich gekennzeichnet und für die grössten Oceandampfer praktikabel. Die wichtigsten dieser Zufahrten sind von Süden her der Dalarocanal, welchen man bei der Insel Natäro unter 58° 52′ nördl. Br. erreicht. Derselbe windet sich in einer Gesammtlänge von 126 km durch die Barrière bis Stockholm. Von Osten her ist unter 59° 16′ nördl. Br. der Sandöcanal mit 74 km Weglänge, und im Norden liegt unter 59° 52′ nördl. Br. der Norr - canal mit 102 km Weglänge nach Stockholm.

Endlich besteht noch eine Zufahrt durch den südlich von Stock - holm in das Land ziehenden Himmerfjord, an dessen nördlichstem Ende der 1806 1819 angelegte 2 km lange Södercanal eine Verbin - dung mit dem Mälarsee und durch diesen mit Stockholm herstellt.

Wie unser Plan zeigt, wurden nordöstlich von Stockholm am Meeresarm Lilla-Värtan Hafenanlagen geschaffen und durch eine Eisen - bahn mit Stockholm verbunden. Dort dürfte das Gros des Schiffsver - kehres mit der Zeit sich hinziehen, weil daselbst genügender Raum für alle Bedürfnisse des Handels und der Schiffahrt zur Verfügung steht.

Die herrliche Handelslage Stockholms am Eingange in den ge - räumigsten Naturhafen Schwedens haben zuerst die Hanseaten er - kannt und nach ihnen Gustav Wasa, welcher alle Mittel anwendete, die Stadt zum Stapelplatze des schwedischen Activhandels in der Ost - see zu machen. Um sie von dem Drucke zu befreien, welchen Däne - mark als Beherrscherin des Sundes und des Beltes auf alle Handels - plätze an der Ostsee ausübte, fasste er schon 1526 den Plan, eine schiffbare Verbindung von der Ostsee her zum Wettersee und Wener - see herzustellen und durch den Göta-Elf die Nordsee zu erreichen.

Das Ungeschick der schwedischen Bürger widersetzte sich dem Riesengedanken des schöpferischen Königs, und erst in unserem Jahr - hundert gelangte der Götacanal zur Ausführung. Von Stockholm gehen heute die Dampfer durch den früher erwähnten Canal, welcher den Mälarsee direct mit einem von Süden her weit eingreifenden Fjord verbindet, in die Ostsee und längs der Küste nach Söder-Köping am östlichen Anfange des Götacanals. Nach Westen hin ist das 134 km weit ins Innere Schwedens greifende Becken des Mälarsees durch einen Canal mit dem Hjälmarsee verbunden.

Auch die erste Chaussee und die erste Eisenbahn Schwedens gingen von Mälar aus nach Südwesten durch die ausgedehnte Land - senke, in welche die genannten Seen eingebettet sind.

Die grosse schwedische Stammeisenbahn führt von Stockholm891Stockholm.zwischen dem Wener - und Wettersee nach Gotenburg (Göteborg). An sie schliessen sich rechts und links zahlreiche Zweige, von welchen die nach Malmö und Christiania die wichtigsten sind.

Jünger ist die Bahn nach Norden, welche über Upsala und Östersund Drontheim (Throndhjem) in Norwegen mit Stockholm verbindet.

Als Hauptstadt des Landes ist Stockholm Schwedens erster Einfuhrplatz, hier wird mehr als ein Drittel der Eingangszölle des ganzen Reiches erlegt, so 1888 12,548.005 Kronen. Der Ausfuhrhandel tritt dagegen stark in den Hinter - grund; denn die Production des Holzes und zum Theile auch die des Eisens haben ihren Sitz in den nördlich von Stockholm gelegenen Landschaften, welche diese schweren Massenartikel über die ihnen zunächst gelegenen Häfen Gefle, Söder - hamm, Hudiksvall, Sundsvall, Hörnesand und die anderen Küstenplätze bis Hapa - randa hinauf ins Ausland verschicken.

Unter den Colonialwaaren nimmt Kaffee die erste Stelle ein; es wurden 1889 50.762 q, 1888 34.961 q eingeführt.

Bei Zucker überwiegt die Einfuhr des unraffinirten 1889 mit 64.958, 1888 mit 63.769 q, die des raffinirten 1889 41.024, 1888 34.585 q. Von Syrup wurden 1889 26.616 q eingeführt.

Ueber Stockholm kommt fast die Hälfte der Weineinfuhr Schwedens ins Land, 1889 13.588 hl, 1888 12.025 hl.

Stockholm ist Schwedens erster Einfuhrplatz für Getreide und Mehl, es importirte Weizen 1889 125.104 q, 1888 143.686 q, Roggen 1889 396.534 q, 1888 454.545 q, Weizenmehl 1889 84.726 q, 1888 66.692 q, Roggenmehl 1889 16.317 q.

Sämereien kommen aus Russland und Deutschland.

Von thierischen Nahrungsmitteln sind am wichtigsten Fische, besonders Häringe aus Norwegen (1889 65.929 q, 1888 45.455 q), dann Speck, Butter aus Finnland (1889 8922 q), deren Zufuhr beständig sinkt, und Eier.

Die Einfuhr von Oelen ausser Mineralöl betrug 1889 25.709 q, 1888 26.191 q.

Von Spinnstoffen sind nur Baumwolle (1889 5349 q) und Hanf zu erwähnen.

Korkrinde wurde 1889 auf englischen Schiffen aus Portugal in der Menge von 11.726 q eingeführt.

Es wurden eingeführt Kochsalz 1889 176.093 hl, 1888 146.386 hl; Petro - leum, zum grössten Theil raffinirtes aus Nordamerika und Russland, 1889 151.759 q, Steinkohlen und Coaks 1889 4,768.934 hl, 1888 4,157.019 hl.

Die Einfuhr von Stassfurter Kalisalzen ist ansehnlich, die von Cement sinkt wegen der fortschreitenden Entwicklung der schwedischen Fabriken.

Stockholm ist der zweite Platz Schwedens für die Einfuhr von Eisen, welche 1889 81.914 q, 1888 53.620 q Roheisen, 1889 42.949 q, 1888 20.780 q Eisenbahnschienen, 1889 39.028 q Stangen - und Manufactureisen und 10.709 geschmiedete Platten umfasste.

Maschinen wurden 1888 um 2,682.637 Kronen, 1887 um 1,496.300 Kronen eingeführt.

112*892Der atlantische Ocean.

Wichtig ist die Einfuhr von Leder, besonders von Sohlenleder (1889 10.255 q).

Für Producte der Textilindustrie ist Stockholm der wichtigste Platz Schwedens. Die Einfuhr von Garnen ist nur bei solchen von Schafwolle etwas grösser; von Seiden - und Halbseidenstoffen wurden 1888 531 q, von Baum - wollstoffen 1888 4245 q, 1887 4356 q, von Schafwollstoffen 1888 8684 q, 1887 7592 q, von Leinen -, Hanf - und Jutewaaren 1888 3463 q eingeführt.

Die Einfuhr von Kleidern erreichte 1888 2,043.337 Kronen, 1887 1,794.721 Kronen.

Chemikalien sind ein wichtiger Posten der Einfuhr Stockholms. Von Papier wurden 1889 7180 q, von Glas 1889 5886 q, von Porzellan 1889 1568 q eingeführt. In diesen Artikeln hat die Industrie Schwedens bedeutende Erfolge aufzuweisen.

Noch einfacher gestaltet sich die Ausfuhr von Stockholm. Ihr werthvollster Theil sind Eisen und Eisenwaaren, 1889 mit 966.271 q, 1888 mit 769.415 q. Stangeneisen und Roheisen sind die wichtigsten Theile dieser Ausfuhr. Von Feldspat wurden 1889 11.720 q ausgeführt.

Von den Getreidegattungen ragt Hafer hervor, für welchen Stock - holm der erste Ausfuhrplatz Schwedens ist, 1889 84.041 q, 1888 323.029 q.

Planken und Bretter sind in der Ausfuhr 1889 mit 52.528 m3, 1888 mit 35.869 m3, Grubenstützen 1889 mit 4132 m3, 1888 mit 19.701 m3 ange - geben. Der Absatz ist nach Frankreich, Belgien, Spanien und Portugal gerichtet.

Unter den Industrieartikeln ragen nur Zündhölzer (1889 2147 q, 1888 1666 q) und Geräthschaften (Werth 1889 1,094.673 Kronen) hervor.

Stockholm ist die erste Fabriksstadt des Landes, welche fast ein Fünftel (1887 34 Millionen Kronen) des Werthes der schwedischen Industrie pro - ducirt. Die wichtigsten Fabricationszweige sind: Baumwollgarne, Seidenstoffe, Tischler - und Binderarbeiten, Maschinen, Metall - und Bronzearbeiten, Schiffe, Por - zellan, Chemikalien, Stearinkerzen, Seife, Oelfabriken, Bier, Tabakfabricate und raffinirter Zucker.

Der Schiffsverkehr Stockholms mit dem Auslande umfasste:

〈…〉〈…〉

Für 1889 wird der ausländische Verkehr auf 2375 Dampfer und 1203 Segel - schiffe, zusammen auf 3578 Schiffe mit 1,347.240 Reg. -Tons angegeben.

Der Inlandsverkehr ist zwei - bis dreimal so gross wie der auswärtige, denn er brachte 1889 10.194 Dampfer mit 1,071.003 Reg. -Tons und 12.249 Segel - schiffe mit 535.998 Reg. -Tons, zusammen 22.443 Schiffe mit 1,607.001 Reg. -Tons nach Stockholm.

Dieser starke Schiffsverkehr erklärt sich ganz einfach dadurch, dass in Schweden, ähnlich wie in Norwegen, fast alle bedeutenden Städte am Meere liegen und so der Löwenantheil des inneren Verkehres der Küstenschiffahrt zufällt.

Die handelsflotte Stockholms bestand am Schlusse des Jahres 1889 aus 143 Dampfschiffen mit 27.643 Reg. -Tons und aus 32 Segelschiffen mit 8809 Reg. - Tons. Von den Dampfschiffen wurden 85 auf dem Mälarsee und in der Umgebung Stockholms verwendet.

893Stockholm.

Im ausländischen Verkehre ist die wichtigste Flagge die schwedische, ihr reihen sich an die englische, die finnländische, die deutsche und die norwegische, letztere fast nur mit Segelschiffen. Auch dänische, niederländische, französische, spanische und russische Schiffe laufen Stockholm an.

Etwa zwei Fünftel der ganzen Tonnenzahl entfallen auf den Verkehr mit Grossbritannien, in welchem fast alle Schiffe beladen sind, während im Verkehre mit Finnland und Russland viele Schiffe unbeladen auslaufen. Günstiger sind die Verhältnisse im Verkehre mit Preussen, sehr gut in dem mit Hamburg und Lübeck. Im Handel mit Frankreich und Belgien überwiegt weitaus die Ausfuhr Stockholms.

Stockholm hat regelmässige Dampfschiffahrtsverbindungen mit Kopenhagen, mit Lübeck über Kalmar, mit Stettin über Wisby, mit Riga und mit Åbo, Hangö, Helsingfors und St. Petersburg.

Endlich gehen Dampfer in 54 Stunden von hier durch den Götacanal nach Göteborg.

Stockholm ist der Sitz der Reichsbank, der wichtigsten Geldinstitute Schwedens und einer Börse.

Der Verkehr in Wechseln mit ausländischer Valuta geht auf der Börse von Stockholm beständig zurück; er betrug 1884 63,722.907 Kronen, 1888 30,931.733 Kronen.

Consulate haben in Stockholm: Argentinien (G. -C. ), Belgien (G. -C. ), Chile, Columbia (G. -C. ), Dänemark (G. -C. ), Deutschland (G. -C. ), Ecuador, Griechen - land (G. -C. ), Grossbritannien, Italien, Liberia (G. -C. ), Mexico, Monaco (G. -C. ), Niederlande (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Paraguay, Peru (G. -C. ), Portugal (G. -C. ), Rumänien (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Schweiz, Siam, Türkei (G. -C. ), Uru - guay, Vereinigte Staaten.

An der schwedischen Küste gegenüber von Kopenhagen liegt Malmö, welches dem Gebiete des Sundes angehört. Die Stadt ver - fügt über einen Kunsthafen, welcher für Schiffe bis zu 6·5 m Tiefgang benützbar ist.

Die ehemaligen Festungswerke wurden geschleift, und nur das Gemäuer des im XVI. Jahrhundert aus Backsteinen erbauten Mal - möhnsschlosses erinnert an die bewegte Vergangenheit der Stadt.

Malmö spielte bereits im Mittelalter eine wichtige politische und commer - zielle Rolle und zog aus dem Häringsfang im Sunde bedeutende Vortheile.

Zur Zeit der Grafenfehde hatte die Stadt die Partei des gefangenen Chri - stian II. mit Ausdauer ergriffen, ward von Christian III. belagert und fiel nach harter Gegenwehr. Als dann die östlichen Provinzen Dänemarks 1658 1660 an Schweden abgetreten wurden, begann der Wohlstand der Stadt zu sinken; er hoh sich aber wieder, als zu Ende des XVIII. Jahrhunderts durch die Energie des ver - dienstvollen Kaufmanns Franz Suell die Schaffung von Hafenanlagen erzielt wurde.

Malmö nahm in der letzten Zeit einen bedeutenden Auf - schwung und zählt gegenwärtig über 46.000 Einwohner.

Das älteste Bauwerk der Stadt ist das vorerwähnte Mal - möhnsschloss, die ehemalige Residenz der dänischen Thronfolger. 894Der atlantische Ocean.Bothwoll, der Gemahl der unglücklichen Maria Stuart, wurde hier von 1568 bis 1573 gefangen gehalten. Bemerkenswerth sind auch das 1546 erbaute Rathhaus, welches eine Zierde des grossen und schönen Marktplatzes ist, und die Residenz des Gouverneurs (Landshöfding), in welcher König Karl XV. am 18. September 1872 starb.

Auch über sehenswerthe Kirchen, worunter die gothische, aus dem Mittelalter stammende St. Petrikirche, verfügt die Stadt.

Malmö ist der drittgrösste Industrieplatz Schwedens, sein Schiffsverkehr mit dem Auslande übertrifft sogar den Stockholms, weil es im Vereine mit Kopenhagen einen grossen Theil des in neuerer Zeit auch nach Nordeuropa gerichteten internationalen Reise - verkehres vermittelt, der sich natürlich in den Sommermonaten con - centrirt. Durch Errichtung einer Dampffähre zwischen Malmö und Göteborg soll dieser Verkehr neue Förderung erhalten.

Das südliche Schweden gehört zu den fruchtbarsten Theilen des Landes, daher gehen über Malmö und die benachbarten Häfen, wie Helsingborg und Lands - krona, Getreide und Producte der Viehzucht ins Ausland. So führte Malmö 1889 aus 18.010 Stück Rindvieh, 2385 Stück Pferde, dann Schafe und Schweine. Von Fleisch und Speck wurden in demselben Jahre 26.301 q, von Natur - butter 45.763 q, 1888 52.789 q, von Eiern 1889 schon 2·2 Millionen Stück ausgeführt.

Der grösste Theil dieses Zweiges der Ausfuhr ist nach England und Kopenhagen gerichtet.

Andere Ausfuhrartikel sind Gerste (1889 16.405 q, 1888 67.796), Hafer (1889 29.160 q, 1888 50.096 q) und Mehl (1889 21.467 q), insbesondere Weizenmehl.

Auch die Ausfuhr von rothen Heidelbeeren nach Stralsund und Lübeck, vornehmlich für Dresden, Chemnitz und Frankfurt zur Herstellung von Heidel - beerwein bestimmt, ist nicht gering und im Steigen.

Die Ausfuhr von Balken, Brettern, Planken und Sparren erreichte 1889 17,752.543 m3, die von Dachspänen und Holzdraht 1,358.952 m3, die von Holzmasse 31.941 q und die von Brennholz 8,250.600 q. Von Cement wurden in demselben Jahre 30.794 q, von Kreide 56.476 q ausgeführt.

Die einzigen Industrieartikel von grösserer Wichtigkeit sind Zündhölzchen (1889 35.427 q, 1888 28.060), ferner Porzellan und Ziegel.

Die wichtigsten Artikel der Einfuhr aus dem Auslande sind Weizen (1889 114.523 q, 1888 106.434 q), Roggen (1889 322.607 q, 1888 86.785 q), Reis und Futterstoffe (1889 43.565 q).

Kaffee brachte man 1889 11.086 q, Zucker, und zwar meist unraffinirten 29.808, 1888 15.931 q, über Malmö ins Land, das für Cacao der wichtigste Ein - fuhrhafen Schwedens. Die Einfuhr von Mineralöl betrug 1889 19.958 q, 1888 12.016 q.

Ansehnlich ist die Einfuhr von Eisen, besonders von Schmiedeisen, und die von Steinkohlen und Coaks aus England (1889 171.625 t). Von Industrie -895Stockholm.artikeln werden Geräthe und Maschinen (1889 16.914 q), dann Webwaaren, Kleider und Glaswaaren eingeführt.

Die wichtigsten Industrien von Malmö und Umgebung sind: Woll - webereien, Kleiderfabriken, mechanische Werkstätten, Rübenzuckerraffinerien, Mühlen, Tabakfabriken, Schweineschlächtereien, eine grosse Chocoladefabrik u. a.

Malmös Schiffsverkehr zeigte:

〈…〉〈…〉

Für das Jahr 1889 wird der Schiffsverkehr mit 1·3 Millionen Tons an - gegeben.

Der Verkehr mit dem Inlande erreichte 1888 9307 Fahrzeuge mit 1,760.050 t.

Den stärksten Antheil am Schiffsverkehr von Malmö hat die dänische Flagge, dann folgen die schwedische und die deutsche. Der Verkehr ist in der Hauptsache nach Dänemark und den deutschen Küsten der Ostsee gerichtet.

Die häufigsten Verbindungen bestehen zwischen Malmö und Kopenhagen, dann zwischen Malmö und Lübeck.

Ferner hat Malmö regelmässige Dampferverbindungen mit Kopenhagen - Helsingör, mit Stralsund-Stettin-Rostock, mit Newcastle on Tyne-London-Amster - dam, mit Hâvre-Bordeaux-Hull-Grimsby, dann über Kopenhagen mit den meisten Häfen Europas, mit New-York, den norwegischen Küstenplätzen bis Drontheim und den schwedischen von Gothenburg bis Sundsvall. Selbstverständlich ist der Küstenverkehr im Winter sehr reducirt.

Die Eisenbahnlinie von Malmö nach Katrineholm, wo der Anschluss an die Hauptlinie Stockholm-Christiania stattfindet, gehört zu den wichtigsten Eisen - bahnen Schwedens.

Consulate haben in Malmö: Belgien, Dänemark, das Deutsche Reich und Grossbritannien (V. -C.).

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Göteborg.

An der östlichen Mündung des Göta-Elf in das Kattegat dehnt sich in einem Halbkreise die Stadt Göteborg (Gotenburg), in kahler, felsiger, aber romantischer Gegend gelegen, aus. Die Stadt ist nach Stockholm die bevölkertste Schwedens und zählt 100.000 Einwohner. Das Erste, was an ihr auffällt, ist ihre ausser - ordentliche Reinlichkeit, die an niederländische Städte erinnert; ihre Strassen sind, wie unser Plan zeigt, gerade und breit und ihre Anlage regelmässig. Auch die Canäle, welche die Strassen in der Mitte durchschneiden, verleihen Göteborg den Charakter einer holländischen Stadt. Von den mehr als 20 Brücken, welche über die Canäle führen, ist hervorzuheben die grosse eiserne Drehbrücke über den Göta-Elf, welche die Stadt mit der Insel Hisingen verbindet.

Der Hauptcanal, der mitten durch die Stadt führt, Stora Hamn - canalen, wird auf seinen beiden Ufern von den zwei schönsten Strassen Göteborgs begrenzt, der Norra - und Södra-Hamngatan. In der letzteren liegen die schönen Bauten der Freimaurerloge und der skandinavischen Creditbank. Durch die Norra Hamngatan gelangen wir zu dem in der Mitte der Stadt gelegenen Gustav Adolf-Platz, der nördlich von der Börse, westlich vom Rathhaus begrenzt wird. Auf dem Platze steht ein Standbild Gustav Adolf’s. Westlich vom Rath - haus erhebt sich die Christina -, auch deutsche Kirche genannt, in der abwechselnd deutscher und schwedischer Gottesdienst abgehalten wird. Noch weiter westlich steht das Museum, früher das Haus der Ostindischen Compagnie. Am anderen Ufer des Canals befindet sich die Landshöfdingeresidens, wo die Provinzialregierung von Bohuslän ihren Sitz hat. Westlich und südlich ist die eigentliche Stadt vom Wallgraben umgeben, ausserhalb desselben, im Süden, dehnen sich aber noch vor - nehme und mit hübschen Parkanlagen geschmückte Stadtviertel aus: Trädgardsföreningen (Gartenverein), ein schöner Park, weiter westlich897Göteborg.das Nya Teatern (neues Theater) und der Kungspark. Oestlich und südlich von der Stadt befinden sich zahlreiche Villen der reichen Kaufleute.

Der Göta-Elf, dessen Verlauf von Göteborg bis zur Mündung wir auf unserem Plane darstellen, ist ein für Schiffe jeder Grösse befahrbarer Fluss, welcher der Navigation keine Schwierigkeiten bietet. Die Einfahrt führt von Südwest her durch den malerischen Winga - Sund, welcher gut beleuchtet und tief ist; man durchschneidet dann

Göteborg.

mit östlichem Curse den Hake - und Rifö-Fjord und gelangt bei der neuen Ansiedlung von Nya Warfvet in den Göta-Elf, welcher ein 6 m tiefes, gut markirtes Fahrwasser hat. Die Schiffe haben von der Einfahrt in den Winga-Sund bis zum Hafen von Göteborg eine Strecke von nur 20 km zu durchlaufen. Am Stadtquai von Göteborg sind grössere Hafenanlagen in Bau, und zwar wird dort ein geschlossenes Bassin mit Magazinen und Dépôts hergestellt werden.

Zu den commerziellen Massregeln, welche Gustav Wasa ergriff, um den schwedischen Handel von den Hanseaten unabhängig zuDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 113898Der atlantische Ocean.machen, gehört auch die Gründung des Stapelplatzes Ny-Lödese an der Stelle, wo der von diesem Könige 1526 projectirte Götacanal sein westliches Ende erreichen sollte. Die Vollendung des Canals war unserem Jahrhunderte vorbehalten, und Ny-Lödese blieb ungeachtet aller Aufmerksamkeit des Königs eine bedeutungslose Landstadt, weil seine Einwohner bäuerische Krämer waren, die wie ein Haufen Schweine schnüffelnd über die einkommenden Waaren herfielen .

Erst spätere Zeiten schufen hier die Handelsstadt Göteborg und lieferten den Beweis, dass Gustav Wasa mit seiner Gründung keinen Fehlgriff gethan hatte. Seine heutigen Bewohner sind tüchtige Kauf - leute und energische Socialpolitiker, die sich seit 31. Mai 1864, durch die Ausbildung des sogenannten Gothenburger Systems , welches wirksam der Trunksucht steuert, die Anerkennung der Menschen - freunde der ganzen Welt erworben haben.

Göteborg ist im Jahre 1610 vom König gegründet und mit Niederländern besiedelt worden. Die Stadt war früher befestigt, die Festungswerke sind jedoch seit 1806 aufgelassen. Göteborg entwickelte sich rasch zu einer hervorragenden Handelsstadt und besass von 1731 bis 1809 eine ostindische Compagnie; während der Continentalsperre durch Napoleon I. nahm es einen besonderen Aufschwung. Der Hafen hielt sich als Kaufplatz auch in schlechten Zeiten auf der einmal erreichten Höhe.

Die Lage Göteborgs an der Nordsee und an dem westlichen Ende des Götacanals ist weit günstiger als die Stockholms an der entlegenen Ostsee. Ferner ist der Hafen viel eisfreier als der von Stockholm. Auf Grund dieser geographischen Vorzüge, welche von einem energischen Kaufmannsstande nach jeder Richtung ausgebeutet werden, entwickelte sich Göteborg für den ausländischen Schiffsverkehr und für die Ausfuhr zum wichtigsten Hafen Schwedens.

Der Verkehr in Wechseln ausländischer Valuta zeigt auf der Börse von Göteborg auch nicht den andauernden Rückgang, wie der zu Stockholm, sondern erhält sich wenigstens auf seiner Durchschnitts - höhe von 24 Millionen Kronen jährlich.

Nur die ernstlich ins Auge gefasste Erbauung eines westlichen Parallelcanals des Göta-Elf von Wenersborg am Wenernsee nach Udde - valla am Kattegat, der 15 km lang und 7 m tief werden soll, so dass er Schiffe bis zu 3000 Tonnen tragen könnte, wäre geeignet, min - destens den Verkehr in Eisen und Holz von Göteborg abzulenken.

Neuestens zeigen Handel und Schiffahrt Göteborgs besonders seit 1888 einen kräftigen Aufschwung, eine Anzahl neuer industrieller Unternehmungen ist seit diesem Zeitpunkte ins Leben gerufen worden.

Göteborg ist der erste Hafen Schwedens für die Ausfuhr von Eisen und Stahl, welche 1889 1,329.722 q, 1888 1,166.996 q, 1887 1,125.692 q erreichte,899Göteborg.also endlich nach einer langen Depression ein steigender Absatz. Die Hauptsorten sind gewalzte und geschmiedete Stangen (1889 894.124 q, 1888 854.382 q), Roh - eisen (1889 262.722 q, 1888 173.129 q), Schmelzstücke und Rohstangen, Gusseisen, Eisen - und Stahlplatten und Nägel.

Die Hauptbestimmungsländer sind England (1889 988.686 q, 1888 836.489 q) Deutschland, und zwar in erster Linie Hamburg (1889 143.317 q, 1888 134.105 q), Belgien, die Niederlande, Frankreich und Dänemark.

Unter den Erzen sind Zinkblende (1889 200.069 q), Manganerz (1889 76.149 q, 1888 55.525 q), Bleierz (1889 35.865 q, 1888 26.491 q) und Kobalt - erz für die Ausfuhr von Wichtigkeit.

Als zweiter Hauptartikel der Ausfuhr ist Holz zu nennen; 1889 wurden 236.923 m3 Planken, Battens und Bretter gegen 240.891 m3 im Jahre 1888 aus - geführt, an Grubenstützen 1889 304.280 m3 gegen 231.283 m3 im Jahre 1888. Dazu kamen 1889 13.628 m3 Sleepers, dann Latten im Werthe von 427.863 Kronen und Tischlerarbeiten im Werthe von 1,494.486 Kronen.

Die Hauptabnehmer von Planken und Brettern waren 1889 England, Argen - tinien, Frankreich, die Niederlande, Australien, Capland, Spanien, Port Natal, kurz die Küsten aller Länder, welche im Holzhandel nicht activ sind.

Grubenstützen gehen nach England, Nordfrankreich und Belgien. Das Steigen des Rubelcourses in Russland erhöht die Chancen Schwedens im Holz - handel.

Den dritten Hauptartikel der Ausfuhr bilden Getreide und Hülsen - früchte. 1889 wurden 351.534 q, 1888 34.914 q ausgeführt; davon waren 1889 344.025 q Hafer. Bestimmungsländer sind England (1889 223.485 q), Dänemark (84.641 q) und Frankreich (34.000 q).

Von frischen Fischen gingen 1889 186.113 q, 1888 189.079 q ins Ausland; es waren dies meist Häringe, von welchen 1889 nach England 87.579 q, nach Frederikshaven 45.092 q, der Rest nach den deutschen Ostseehäfen und Kopen - hagen gingen.

Die Ausfuhr ins Innere des Landes mit der Eisenbahn ist ungefähr gleich gross der ins Ausland gerichteten.

Von sonstigen Artikeln der Ausfuhr sind zu nennen trockene und gesal - zene Häringe, Schweinefleisch 1889 80.269 q, 1888 15.393 q, Rinder 1889 3802 Stück, Bretter 1889 74.072 q, 1888 68.942 q und rohe Häute.

Von Geweben wurden 1889 3625 q baumwollene ausgeführt, ferner 1889 101.643 q, 1888 101.406 q Papiere, 1889 72.219 q, 1888 77.668 q Zündhölzchen und endlich Maschinen.

Die Ausfuhr Schwedens von Holzstoff für Papierfabrication erfolgt zum grössten Theile über Göteborg: 1889 374.239 q, 1888 296.100 q.

In der Einfuhr von Göteborg sind besonders wichtig Getreide und Hülsenfrüchte: 1889 225.857 q, 1888 122.728 q. Die wichtigste Getreidegattung ist Roggen (1889 130.290 q); die Einfuhr von Mais wechselt sehr stark (1889 64.468 q, 1888 289 q), etwas gleichmässiger ist die von Weizen und Gerste.

Die Einfuhr von Weizenmehl geht infolge der Entwicklung der einhei - mischen Müllerei zurück; sie betrug 1889 51.144 q, 1887 111.256 q, von Roggen - mehl wurden 1889 44.968 q eingeführt.

113*900Der atlantische Ocean.

Es wurden ferner eingeführt roher Zucker 1889 60.583 q, raffinirter Zucker 17.530 q, Syrup 34.242 q; Kaffee in steigenden Mengen 1889 54.013 q, 1887 35.703 q, Tabakblätter und Stengel 1889 6020 q und Oele ausser Mineral - ölen 1889 23.264 q.

Die Einfuhr von Häringen geht zurück (1889 27.803 q, 1887 37.792), ebenso wie die von Schweinefleisch.

Die Einfuhr von rohen Häuten erreichte 1889 12.003 q, die von Baum - wolle 1889 70.764 q, 1888 76.818 q, die von Baumwollgarnen 1889 16.099 q, 1888 14.805 q, die von Wollgarnen 1889 13.469 q, 1888 11.044 q.

Unter den Geweben sind die aus Wolle die wichtigsten, 1889 mit 5070 q, 1888 mit 4168 q; Baumwollgewebe wurden 1889 2111 q, Seidenstoffe 141 q eingeführt. Die Papiereinfuhr wird für 1889 mit 5075 q angegeben.

Bedeutend ist die Einfuhr von Eisen 1889 mit 218.869 q, 1888 mit 196.565 q; in diesen Ziffern waren 1889 130.555 q Eisenbahnschienen, 1888 135.344 q Roheisen enthalten.

Von Petroleum wurden 1889 73.641 q, 1888 56.333 q eingeführt, englische Steinkohlen und Coaks 1889 5,286.109 hl, 1888 4,488.748 hl und Salz 1889 258.230 hl, 1888 210.190 hl.

Bedeutend ist auch die Einfuhr von chemischen Präparaten und von Dungmitteln.

Es ist ein Beweis für das Wiederaufleben der Fabriksthätigkeit, dass der Werth der Einfuhr von Geräthschaften und Maschinen von 2,570.253 Kronen im Jahre 1887 auf 4,261.186 Kronen im Jahre 1889 gestiegen ist.

Ausgebreitet und mannigfaltig ist die Industrie von Göteborg, sie hatte 1887, also vor dem Aufschwunge, schon einen Werth von 16·5 Millionen Kronen.

In Göteborg bestehenden Schiffsbauanstalten, liefern die grössten Schiffe, welche in Schweden überhaupt hergestellt werden; zu erwähnen sind ferner: Ma - schinenfabriken, Baumwollspinnereien und Webereien, eine Jutespinnerei, Tisch - lereien, Schweineschlächtereien, eine Biscuitfabrik, Bierbrauereien, Zuckerraffinerien, Tabakfabriken.

Der Schiffsverkehr Göteborgs mit dem Auslande umfasste:

〈…〉〈…〉

Der inländische Binnenverkehr Göteborgs erreichte 1888 10.939 Schiffe mit 2,294.327 t.

Göteborgs Rhedereien besassen Ende 1889 98 Segelschiffe von 43.286 Reg. -Tons und 127 Dampfer von 52.603 Reg. -Tons, zusammen 225 Schiffe von 95.889 Reg. -Tons.

Am auswärtigen Verkehre war 1889 die schwedische Marine mit 1,278.160 Tons, die britische mit 443.783 Tons, die dänische mit 233.486 Tons betheiligt; ihnen reihten sich an die norwegische, deutsche, russische und finnische Marine.

Der stärkste Verkehr findet mit Grossbritannien statt, dann folgen Däne - mark, das Deutsche Reich, Norwegen und Russland. Der Lage Göteborgs ent - sprechend ist auch der Verkehr mit dem Festlande von Westeuropa, mit der Union, mit Westindien, Südamerika und Afrika recht ansehnlich.

[901]
Göta-Elf und Göteborg (Sonden in Metern).

A Zufahrt, B Göta-Elf, C Dückdalben, D Nya Warfvet, E Signalmast, F Leuchtfeuer, G project. Molo mit Eisenbahnanlage. G1 project. neuer Hafen, H Drehbrücke, J Lila Bommenshamn, K Bahnhof, L Zoll - haus, M Post, N Navigationsschule, O Zellengefängniss, P Artilleriezeughaus, Q Hospital, R Artillerie - kaserne, S Theater, T Börse, U Rathhaus. V Dom, W Synagoge, X Museum, Y Kungspark, Z Träd - gards Förening. 1 Mya Alléen, 2 Pusterviksplatz, 3 Masthuggsväg, 4 Hastbacken Kungsstrasse, 5 Drottningstrasse, 6 Södra Stora Hamnstrasse, 7 Norra Stora Hamnstrasse, 8 Sillstrasse, 9 Spräng - kullsstrasse, 10 Oefvra Magasstrasse, 11 Magasstrasse, 12 Korsstrasse, 13 Oestra Hamnstrasse, 14 Kungsport Avenue.

902Der atlantische Ocean.

Göteborg steht in regelmässiger Dampfschiffsverbindung mit Kopenhagen-Stettin, Kopenhagen-Lübeck, Kiel, Frederikshaven, Christiania und eng - lischen Häfen.

Durch den Götacanal gelangen Dampfer in 54 Stunden nach Stockholm, in 35 Stunden nach Jönköping.

Die Linie Frederikshaven-Göteborg vermittelt einen Theil des Personenver - kehres zwischen Mitteleuropa und Skandinavien.

Göteborg ist Ausgangspunkt der drei wichtigen Eisenbahnlinien nach Stock - holm, Christiania und Malmö.

In Göteborg haben eine Börse und mehrere Banken ihren Sitz.

Daselbst bestehen Consulate folgender Staaten: Belgien, Bolivia, Columbia, Costarica, Dänemark (G. -C. ), Deutschland, Grossbritannien, Guatemala, Hawaii (G. -C. ), Honduras (G. -C. ), Italien, Mexico, Oesterreich-Ungarn, Türkei, Venezuela, Vereinigte Staaten.

[903]

Christiania.

Im Hintergrunde des weit ins Land sich erstreckenden, maleri - schen Christiania-Fjords, am Fusse des Ekebergs in einem lieblichen und fruchtbaren Thale liegt die Haupt - und Residenzstadt Norwegens. Die reichen Kornfelder und üppigen Wiesen, die waldbedeckten Höhen mit Villen und Bauernhöfen übersäet, in der Mitte der Meeres - spiegel mit zahlreichen Inseln und Schiffen bilden zusammen ein harmonisches Landschaftsbild von unvergesslichem Reize. Die Umge - bung Christianias ist reich an schönen Ausblicken und mannigfaltigen landschaftlichen Schönheiten. Die Stadt selbst aber ist arm an archi - tektonisch hervorragenden Bauwerken, sie ist unregelmässig angelegt und entbehrt des weltstädtischen Charakters. Die Strassen sind zwar in der eigentlichen Stadt breit und gerade und die Häuser infolge der wiederholten Feuersbrünste, welche die Stadt stark mitnahmen, meist von Stein, aber die Vorstädte haben durch ihre vielen unregel - mässigen Gassen und ihre armseligen Hütten ein trauriges Aussehen.

Auf einer vorspringenden Landzunge befindet sich die alte Festung Akershus. Das Stadtgebiet wird von dem Flüsschen Akers-Elv durchflossen und umfasst ausser der eigentlichen Stadt noch Oslo (Altstadt) und mehrere in rascher Entwicklung begriffene Vorstädte. Die Einwohnerzahl Christianias beträgt 135.000, gegen 8931 im Jahre 1801. Das Klima ist ein sehr mildes, obwohl die Stadt unter 59° 55′ 40″ nördl. Br. und 10° 43′ 23″ östl. L. v. Gr. (Observa - torium) liegt.

An der Stelle des heutigen Christiania stand einst am Fusse des Eke - berges die Stadt Oslo (der Strand), deren Gründung um das Jahr 1050 erfolgte. Frühzeitig der Sitz eines Bischofs, wurde Oslo im späteren Mittelalter, als Nor wegen mit Dänemark verbunden war, die eigentliche Hauptstadt Norwegens. Allmälig hatten deutsche Kaufleute sich fast des gesammten Handels der Stadt bemächtigt, bis mit dem Niedergange der Hansa auch der Handel sich wieder in den Händen der einheimischen Bürger zu vereinigen begann. Da aber im XVI. und XVII. Jahr - hundert die Stadt durch Feuersbrunst zerstört wurde, liess König Christian IV. 904Der atlantische Ocean.im Jahre 1624 die Stadt auf der anderen Seite des Fjords aufbauen. Von ihrem Gründer erhielt die neue Stadt den Namen Christiania. Im Jahre 1716 wurde sie durch einen Monat von den Schweden unter Karl XII. belagert und erlitt dabei grossen Schaden. Im XVIII. Jahrhundert folgte noch eine Periode blühenden Han - dels mit England, der aber durch die folgenden Kriege grosse Einbusse erlitt. Erst in der neuesten Zeit hat Christiania einen ganz gewaltigen Aufschwung genommen.

Die Hauptstrasse der Stadt, der Mittelpunkt des Geschäftslebens, ist die Karl Johann-Gade, welche die ganze Stadt vom Ostbahn - hofe bis zum königlichen Schlosse durchschneidet. Das königliche Schloss liegt im Westen der Stadt auf dem geebneten Gipfel eines Berges, welcher das ganze Thal beherrscht. Es ist von einem offenen Garten umgeben und kehrt seine Hauptfaçade der Stadt zu. Der mächtige, 100 m lange Bau ist sehr einfach gehalten. Vor dem Schlosse steht die Reiterstatue Karl Johann’s. Oestlich des Schlosses liegt die Universität, ein classischer, aus mehreren Objecten beste - hender Bau, wo auch die Sammlungen und die Bibliothek unter - gebracht sind. Nördlich von der Universität befindet sich das Kunst - museum im Renaissancestyl mit einem Sculpturenmuseum im Erdge - schosse und einer Nationalgallerie im ersten Stockwerke.

Südöstlich von der Universität ist der bepflanzte Eidsvoldsplatz, an dessen östlichem Ende sich das Storthingshaus befindet, in bi - zarren Formen aufgeführt, mit dem Storthingssaal als Mittelpunkt. Vom Storthingshaus aus die Akersgade südwärts kommt man zu der schönen Johanneskirche; östlich davon ist der alte Marktplatz, wo das älteste Haus der Stadt vom Jahre 1606 zu sehen ist.

Vom Ostbahnhofe, dem Anfange der Karl Johann-Gade, südlich liegt der Hafen von Björviken und das Zollhaus mit den Magazinen. Von den Hafenbrücken ist durch einen Garten geschieden das alte einstöckige königliche Palais, wo König Johann wohnte, wenn er in Christiania war. Um die Mündung des Akers-Elv herum befinden sich die grossen Holzniederlagen Christianias.

Am südlichen Theile der Halbinsel ist das alte Schloss Akershus mit einer wundervollen Aussicht über die Stadt und den Fjord. Es sind nur noch wenige Reste der mittelalterlichen Bauten dort vor - handen. Aus der Umgebung Christianias sind besonders hervorzu - heben: Oskarshall, ein im englisch-gothischen Style erbautes könig - liches Lustschloss mit herrlicher Rundsicht; Frognersätren, ein 400 m hoher, 9 km im Nordwesten der Stadt gelegener Aussichtspunkt mit einem Landhaus im norwegischen Holzstyle, der einen wunderbaren Ueberblick auf die Stadt und den ganzen Fjord mit den zahlreichen Inseln gewährt; endlich der Ekeberg im Südosten der Stadt.

[905]

Christiania.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 114906Der atlantische Ocean.

Der Christiania-Fjord mündet in den nördlichsten Theil des Skager Rak und ist in nördlicher Richtung 104 km weit in das Land einge - rissen. Seine gewaltige Mündung hat eine Breite von 22 km; der Fjord verengt sich aber bei Carljohansvaeren bis auf 5 km, um sich dann wieder zu einem Becken zu erweitern, aus welchem der 28 km lange Dramsfjord, welcher sich bei Svelik bis auf 100 m verengt, nordwest - lich abzweigt. An seinem äussersten Ende liegt das Städtchen Dramen.

Der Hauptfjord führt indessen weiter nordwärts und ist bei Dröbak durch eine Insel bis auf 1·5 km eingeengt.

Vor Christiania lagern der reichgegliederten Küste zahlreiche Inseln vor. Hier wendet der Fjord in scharfer Biegung südwärts und bildet den 17 km langen Bunde-Fjord.

Das Gewässer ist allerwärts tief (bis zu 200 m) und bietet der Schiffahrt keinerlei Schwierigkeiten.

Der Hafen von Christiania besitzt guten Ankergrund, und findet man in den Buchten Piperviken und Björviken 14 20 m Wasser - tiefe. Auch das geräumige Bassin Osla-Haven nächst der Mündung des Akers-Elv hat eine genügende Tiefe. Der ganze Hafen von Chri - stiania ist durch die vorgelagerten Inseln gegen alle Winde geschützt und ist einer der vorzüglichsten des europäischen Nordens.

Die Umgebung Christianias war und ist der producten - und volksreichste Theil von ganz Norwegen. Zu dem Christiania-Fjord laufen fünf grosse Flussthäler des südlichen Norwegens, unter ihnen die Glommen mit den Longen; in diesen setzt sich die Richtung des Christiania-Fjords nach Norden zu gegen den grossen Fjord von Dront - heim hin fort. Diese Senke bildet die älteste Völkerstrasse und Han - delsbahn Norwegens, sie verbindet die alte Hauptstadt Norwegens, Drontheim, mit der neuen, Christiania, an diesem Fjord concentrirt sich am stärksten der Handel Norwegens. Drei grosse Eisenbahn - linien gehen von der Hauptstadt aus, die nach Drontheim, die nach Südosten über Göteborg nach Malmö und die nach Stockholm. Eine vierte kurze Linie führt nach Südosten über Dramen, den dritten Handelsplatz Norwegens, nur bis Skien (204 km).

Ueber Christiania, die Hauptstadt Norwegens, bewegt sich die Hälfte der Einfuhr des ganzen Landes, aber wenig mehr als ein Viertel der Ausfuhr ein - heimischer und die Hälfte der fremden Waaren, welche fast nur Getreide und Colonialwaaren umfassen.

Der Gesammthandel von Christiania betrug in Kronen:

〈…〉〈…〉
907Christiania.

Die Hauptartikel der Einfuhr Christianias sind: Fleisch, Vieh, Fette und Oele (1888 12·5 Millionen Kronen), Getreide und Mehl (8 Millionen Kronen), Colonialwaaren (11 Millionen Kronen), Gespinnststoffe, Garne und Gewebe (18 Millionen Kronen), Häute, Felle und Arbeiten daraus (3·4 Millionen Kronen) rohe Mineralien, Metalle und Metallarbeiten (14 Millionen Kronen), dann Schiffe und Maschinen aller Art ( Millionen Kronen).

Im Einzelnen heben wir hervor Speck (1888 40.306 q) aus Amerika und den nordeuropäischen Ländern, Butter (17.810) aus Schweden und Deutschland, Fleisch (19.250 q) aus Amerika und Eier (3857 q) aus Schweden.

Für Getreide ist Christiania nach Bergen der stärkste Einfuhrplatz Nor - wegens. Die Hauptrolle spielt Roggen (506.830 q) aus Russland, Finnland und Deutschland, ausserdem sind zu nennen Gerste, Hafer und Bohnen.

Mehl wurden 1888 129.699 q eingeführt, darunter 81.723 q Weizenmehl aus Deutschland und Dänemark. Die Einfuhr von Reis ist hier wie in ganz Nord - europa klein (14.930 q), Leinsaat (33.090 q) kommt aus Russland und Deutschland.

Bei den Colonialwaaren ist zuerst Syrup zu nennen (27.077 q) aus England und Amerika, Zucker (80.961 q) aus Holland, England und Deutschland, Kaffee (46.694 q) ebendaher; Tabakblätter (8116 q) kommen über Hamburg und Bremen.

Von Südfrüchten und anderem Obst wurden 1888 ungefähr 17.000 q eingeführt, davon sind Rosinen und Pflaumen hervorzuheben.

Branntwein und Spiritus sendet besonders Frankreich (4150 q), Wein (7244 q) kommt über deutsche Häfen und aus Frankreich.

Wolle (3803 q), Baumwolle (18.740 q), Flachs, Hanf und Jute werden aus England, die letzteren überwiegend aus Deutschland gebracht.

In der Garneinfuhr (10.515 q) sind Baumwoll - und Schafwollgarne beson - ders wichtig.

Webwaaren wurden 1888 23.572 q eingeführt. Davon Schafwollwaaren 7336 q und Baumwollwaaren 10.114 q. Die Einfuhrländer für Garne sind England und Schweden, für Webwaaren Grossbritannien, Deutschland, Schweden, in Schaf - wollwaaren ist Deutschland allen anderen Staaten voraus.

Unzubereitete Felle (4438 q) kommen aus Frankreich, Deutschland, Schweden, bearbeitete (11.733 q) fast allein aus Amerika.

Stearin, Margarin und Talg werden aus Holland, Schweden, Frankreich, Leinöl (30.965 q) aus England und Petroleum (66.345 q) aus Amerika und Russland eingeführt, Stearinkerzen und Seifen kommen aus Schweden.

Bedeutend ist auch die Einfuhr von Papieren, Schreib - und Zeichenpapier, Dachpappe etc. (24.000 q) aus Schweden, die feineren Sorten liefern Deutsch - land und Belgien.

Steinkohlen (1888 3,284.456 hl gegen 2,668.766 hl im Jahre 1887) sandte England, Kochsalz (1888 80.423 hl), Salpeter und Soda England und Deutschland.

Auch Holz und Holzwaaren wurden 1888 um 2,092.700 Kronen ein - geführt.

Die Einfuhr von Eisen und Stahl erreichte 1888 333.087 q, davon waren 169.483 q Stangen - und Bandeisen, die von Eisenfabricaten 62.256 q. Grossbritan - nien und Schweden liefern den Haupttheil dieser Einfuhr. Zum Schlusse seien noch Kupfer und Zink, dann Maschinen aus England und Deutschland an - geführt.

114*908Der atlantische Ocean.

In der Ausfuhr Christianias erscheinen meist nur einheimische Waaren, die fremden lieferten 1888 etwa den zehnten Theil des Gesammtwerthes. Wir geben in Folgendem nur die Ausfuhr einheimischer Waaren.

Unter den Lebensmitteln aus dem Thierreiche nehmen die erste Stelle Häringe ein, die gesalzen und frisch fast ausschliesslich nach Schweden und Dänemark zur Ausfuhr kamen. Die Ausfuhr frischer Häringe (1888 47.000 q) nimmt rasch zu. Ebenso gehen die getrockneten Fische, Anchovis und Hum - mern nach Schweden.

Die Ausfuhr von Margarin nimmt ab, denn 1888 betrug sie nur 8287 q, gegen 12.376 im Jahre 1887, dagegen hat sich die Ausfuhr von condensirter Milch nach England von 17.352 q auf 21.410 q im Jahre 1888 erhöht.

Hafer wird nach England und Dänemark, Kümmel (2010 q) nach Däne - mark ausgeführt.

Von Spirituosen geht Bier 1888 12.530 gegen 10.407 hl im Jahre 1887 nach Deutschland und England.

Von Gespinnststoffen und Geweben daraus gingen 1888 Hadern und Shoddy, zusammen 8737 q, nach England, Schweden und Deutschland, Wollen - waaren (3662 q) und Baumwollenwaaren (2444 q), Leinwand und Säcke aus grober Leinwand nach Schweden; alle zusammen hatten einen Werth von etwa 3 Millionen Kronen.

In der Ausfuhr nehmen ferner auch Häute und Felle im Werthe von 1·6 Millionen Kronen einen der Hauptplätze ein, darunter gehen Rindshäute nach Schweden, Kalbfelle nach Frankreich, Deutschland, Holland, Dänemark und Seehundsfelle (1888 3373 q, 1887 2800 q) ausschliesslich nach England.

Die Ausfuhr von Thierknochen, Walfischbarten, Knochenmehl, Walfischthran und Fett hat bedeutend abgenommen, dagegen hob sich die Ausfuhr von Medicinalthran seit Errichtung einiger Fabriken zur Herstellung des - selben 1888 auf 1774 hl. Anderer Thran wurden 1888 13.680 gegen 10.829 hl im Jahre 1887 nach den nordeuropäischen Ländern verschifft.

Der Hauptexportartikel Christianias ist Bau - und Nutzholz, wovon 1888 an unverarbeitetem Material um 3,371.500 Kronen, von bearbeitetem um 4,852.100 Kronen ausgeführt wurde. Davon entfielen auf gehobeltes Holz nach England, Australien, Afrika, Spanien, Belgien, Frankreich etc. 61.867 m3, auf anderes Holz 133.757 m3, wovon 84.347 m3 nach England, der Rest ebenfalls nach den eben genannten Ländern gingen. Am bedeutendsten aber war die Ausfuhr von Holzstoff und Cellulose nach England, Amerika, Australien, Deutschland, Frankreich, sie erreichte 1888 501.830 q. Anschliessend hieran sei des Exports von Zündhölzchen nach England gedacht, 46.027 q.

Die Ausfuhr von grobem Papier, besonders aus Holzstoff gearbeitetem Packpapier hebt sich gleichfalls jährlich (1888 46.828 q); sie geht nach England und Deutschland und hat einen Werth von 1 Million Kronen.

Auch Eis registrirt unter den bedeutenderen Ausfuhrartikeln für Eng - land (58.519 t).

Flaschen aus gewöhnlichem Glase (1889 1,503.619, 1887 1,248.804 Stück) gingen nach Deutschland und England.

Von Mineralien, Metallen und Metallarbeiten werden zumeist Eisen und Kupfer ausgeführt, Alles zusammen im Werthe von ungefähr 3·2 Millionen Kronen. Unter den Eisenwaaren sind besonders Schiffsnägel zu nennen. Die[909]

Christiania (Sonden und Höhen in Metern).

A Einfahrt, B Bunde Fjord, C Observatorium, D Palast, E Gefängniss, F Leuchtfeuer, G Oslohafen, H Bahnhöfe, J Palast, K Schloss, L Rathhaus, M Post, N Arsenal, O Börse, P Badhaus, Q Militär - badhaus, R botanischer Garten, S Freimaurerloge, T Zellengefängniss, U Karl Johann-Gasse, V Rath - hausgasse. W Hausmannsgasse. X Grönlandsgasse, Y Klostergasse, Z Olafsgasse. 1 Torvgasse, 2 Storgasse, 3 Töjengasse, 4 Rosenkranzgasse, 5 Möllersgasse, 6 Ljabrochaussée, 7 Trondbjemsvejen - strasse, 8 Drammensvejenstrasse, 9 Munkedamsvejenstrasse.

910Der atlantische Ocean.Ausfuhr von Schiffen und Maschinen hatte 1888 einen Werth von 0·9 Millionen Kronen, die von Webwaaren einen solchen von 2·3 Millionen Kronen.

Christiania ist auch Norwegens bedeutendster Industrieplatz; wir finden hier Schiffswerften, Fabriken für Maschinen und Nägel, für Holzstoff und Papier, Zündhölzchen, ferner Spinnereien, Webereien und in der Umgebung Sägewerke.

Der Schiffsverkehr Christianias mit dem Auslande umfasste:

〈…〉〈…〉

Christiania hatte Ende 1888 eine Marine von 72 Dampfern mit 17.559 t und 284 Segelschiffen mit 138.374 t, zusammen 354 Schiffe mit 155.933 t.

Die Küstenschiffahrt nimmt bei dem physikalischen Baue des Landes und dem Umstande, dass von 67 Städten Norwegens nur 7 im Innern des Landes, 60 am Meere liegen, wenigstens des inneren Verkehres auf sich.

Von dem auswärtigen Verkehre ist zu bemerken, dass viele Schiffe von Christiania nach den anderen Häfen am Fjord gehen, um dort Ladung für die Ausfahrt zu suchen, welche in der obigen Tabelle nicht enthalten sind.

Die grösste Zahl der Tonnen entfällt auf die norwegische Flagge (1888 364.748 t von 771.350 t des Eingangs), ihr folgen die dänische, die britische und die schwedische. Der lebhafteste Verkehr findet mit den Häfen an der Ostküste Grossbritanniens statt; an diese reihen sich in absteigender Ordnung Deutschland, Dänemark, Russland, Schweden, die Niederlande, Frankreich und Belgien.

Von Christiania bestehen folgende regelmässige Dampferverbindungen: Unter norwegischer Flagge nach Göteborg, London, Newcastle, Middlesborough, Grange - mouth, Hamburg, Bremen, Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen, Hâvre, Bordeaux, unter schwedischer Flagge nach Göteborg, Malmö, Stockholm, unter dänischer nach New-York, Fredrikshavn, Kopenhagen und Stettin.

Jede dieser Linien läuft auch andere Plätze im südlichen Norwegen an; den inländischen Verkehr besorgen aber zumeist eigene Dampfer, die im Sommer jeden Tag der Woche, ausgenommen Sonntag, alle Küstenplätze von Christiania bis Bergen verbinden und in Bergen Anschluss bis Vadsö jenseits des Nordcaps finden.

Christiania ist Sitz einer Börse und der wichtigsten Geldinstitute des Königreiches.

Hier bestehen Consulate folgender Staaten: Argentinien, Belgien, Chile, Columbia, Dänemark (G. -C. ), Deutschland (G. -C. ), Dominikanische Republik, Frank - reich, Griechenland, Grossbritannien (G. -C. ), Hawaii, Italien, Liberia (G. -C. ), Niederlande (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Portugal, Rumänien (G. -C. ), Russ - land (G. -C. ), Salvador (G. -C. ), Schweiz, Uruguay (G. -C. ), Venezuela, Vereinigte Staaten.

Den Fjord von Christiania umsäumt noch ausser Christiania eine ganze Reihe anderer Häfen, von welchen Fredrikstad und Drammen, ein Hauptsitz der norwegischen Holzindustrie, die wich - tigsten sind. Der Schwerpunkt ihres Verkehres liegt im Holzhandel.

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Bergen.

Die Lage Bergens ist von der Seeseite aus betrachtet sehr malerisch. Links eine Reihe nackter, grauer Hügel, an deren Seiten - wand ein Theil der Stadt in Form eines Amphitheaters hinansteigt, während der andere Theil sich tief in einem Kessel verliert; ein hoher Hügel, auf dessen Spitze sich Schloss Bergenhus erhebt, trennt einen Theil der Stadt von einer anderen kleinen Bucht. Der Hafen ist schmal, zu beiden Seiten von Waarenhäusern umgeben und tief.

Bergen ist nach 1070 von König Olaf Kyrre gegründet worden. Im XIII. Jahrhundert verdrängte bereits der Handel der Hansa den der einheimischen Bürger; um 1340 bildete sich auf der östlichen Seite des Hafens eine eigene deutsche Handelsfactorei, die bald den ganzen Handel beherrschte. Das Stadt - viertel, das die deutschen Kaufleute bewohnten, ist noch heute der Mittelpunkt des Handels. Als die Befreiung von der Herrschaft der Hansa begann, wurden die Handelsprivilegien derselben eingeschränkt, und nach Auflösung der Hansa gingen die deutschen Besitzungen in Bergen an die Norweger über. Bergen war früher die erste Handelsstadt Norwegens und verlor erst in neuester Zeit seinen Vorrang an Christiania.

Bergen, die Hauptstadt des gleichnamigen Stifts, ist nach Christiania die wichtigste Handelsstadt Norwegens und beherbergt über 47.000 Einwohner. Unter 60° 24′ nördl. Br. und 19′ östl. L. v. Gr. gelegen, hat es unter dem Einfluss des Golfstromes ein ausserordent - lich mildes Klima die mittlere Jahrestemperatur beträgt 8·12°C., während sie in dem ein wenig südlicheren Christiania nur 5·3° be - trägt; Bergen weist aber auch die grösste Regenmenge unter allen skandinavischen Küstenstädten auf. Die Stadt liegt, wie unser Plan zeigt, auf einem Vorgebirge, ganz von Wasser umgeben, und besitzt jetzt bedeutungslos gewordene Festungswerke. Ihren Namen hat sie von den hohen kahlen Bergen, welche den Hafen überragen. Die Stadt zeigt ein reges Verkehrsleben, dessen Mittelpunkt der Fisch - handel bildet. Die Strassen sind eng und unregelmässig, die meisten Häuser von Holz.

912Der atlantische Ocean.

An der Nordwestseite des Hafens liegt der Stadttheil Nordräs auf einer Halbinsel, von ihm aus geht die Strandgaden (Gasse) den Hafen entlang. Auf der Halbinsel befindet sich die Anhöhe Hougen mit einer schönen Aussicht über die Stadt und den Hafen. Die Strandgade und die mit ihr parallel laufende Strasse Markevejen werden häufig von Plätzen mit Anlagen Almenningen unter - brochen. Im Süden des Hafens befinden sich drei grosse Plätze, hier sind die neuen, seit dem Brande von 1855 aufgeführten Stadttheile. Vor der Börse auf dem Vaags-Almenning steht das Standbild des Dichters Ludwig Holberg, der in Bergen geboren wurde. Weiter südlich erhebt sich auf einem kleinen Hügel das schöne, neue Museumsgebäude mit werthvollen Sammlungen. Hinter dem Museum ist der neue Stadtpark.

Von der König Oskar-Strasse gelangt man durch die Stadtpforte links zur Domkirche mit einem schönen Thurm. Nördlich davon, im Osten des Hafens, liegt das alte hanseatische Kontor, Bryggen oder Tydskebryggen (deutsche Brücke) genannt. Hier wohnten zur Zeit der Hansaherrschaft die deutschen Kaufleute. Die Häuser in diesem Viertel sind trotz wiederholter Feuersbrünste nach Art der alten norwegi - schen Stadthäuser aufgebaut. Nördlich erhebt sich die Marienkirche, welche den Hanseaten gehörte.

Den interessantesten Anblick bietet Bergen zur Zeit der Fisch - messe, da wimmelt der Hafen von Fahrzeugen, welche mit den Fisch - ladungen von Norden kommen, und in der Stadt bewegt sich Schiffer - volk aller Nationen. Am inneren Hafen ist der Fischmarkt, wo an Markttagen das lebhafteste Treiben und Feilschen vor sich geht. Ausserhalb der Brücke ist die Festung Bergenhus, wo sich die Königs - halle, der Festsaal der alten Könige, befindet.

Der Hafen von Bergen bildet das südliche Ende des By-Fjords, welchem seewärts eine Barrière von Inseln (Askö, Soträ u. a.) vor - lagert. Der Fjord, welcher mit vielen Abzweigungen tief ins Land greift, hat die bedeutende Wassertiefe von mehr als 4 m und bietet der Schiffahrt keine Hindernisse.

Die Bergen anlaufenden Schiffe wählen die Zufahrt im Süden der Insel Soträ durch den Kors-Fjord, welcher durch Leuchtfeuer gut gekennzeichnet ist.

Für den Handel bestehen keine völlig geschlossenen Becken oder Docks. Die Eisenbahn durchschneidet die Stadt und führt bis zum östlichen Quai der Hafenbucht (Vaagen), deren Eingang durch einen Wellenbrecher geschützt ist. Die Flut erreicht hier eine Höhe von[913]

Bergen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 115914Der atlantische Ocean.1·2 m. In den schmalen Einlässen zum Lungegaards-Vand im Osten der Stadt wird die kräftige Gezeitenströmung sogar zum Treiben von Mühlen benützt.

Von den 50 Häfen, welche Norwegen zählt, ist für den Welthandel ausser Christiania nur noch Bergen als erster Ausfuhrplatz für Fischerei - producte von eminenter Bedeutung. Sie lieferten zu der Gesammtausfuhr des Jahres 1888 von 20,467.500 Kronen nicht weniger als 17,264.500 Kronen.

Gehen wir die einzelnen Gattungen der Fische durch, so finden wir, dass 1888 nur 9138 q frischer Fische, dagegen 123.340 q Stockfische nach Italien, Schweden, den Niederlanden, Grossbritannien, Deutschland, Russland und Finn - land, Belgien, 134.507 q Klippfisch nach Spanien, Deutschland, Italien, Schweden, Grossbritannien und Portugal, 380.843 hl gesalzene Häringe nach Deutschland, Schweden und Dänemark ausgeführt werden.

Bergen hat in Norwegen die stärkste Ausfuhr von Thran, 1888 73.803 hl, davon 22.334 hl Medicinalthran, dann sind noch zu nennen Holzstoff und Cellulose (35.436 q), Garkupfer (2580 q).

In der Einfuhr spielen Nahrungs - und Genussmittel, dann Stein - kohlen die Hauptrolle.

Bergen führt mehr Getreide ein als irgend ein anderer Hafen des König - reiches, so 1888 Roggen 781.176 q, Gerste 403.543 q, Reis 5211 q; ferner wurden in diesem Jahre eingeführt Kaffee 9099 q, Zucker 23.678 q, Syrup 23.029 q und Tabak 3286 q.

Auch die Einfuhr von Obst und Südfrüchten ist mit 5000 q ziemlich ansehnlich, darunter sind 1094 q Rosinen.

Von Spirituosen wurden bei 8700 q, von Wein 2846 q gegen 3046 q im Jahre 1887 eingeführt.

Auch Gespinnststoffe führt Bergen ein, und zwar Rohwolle (3531 q), Rohbaumwolle (3002 q), Leinen, Hanf, Jute (1311 q).

Die Einfuhr von Manufacturen erreichte 1888 4400 q; nur wenig um - fangreicher war die Einfuhr von Fellen und Häuten.

Petroleum kommt aus Amerika (33.659 q), Steinkohlen (1,279.661 hl) aus Grossbritannien, Kochsalz (393.802 hl), von dem viel beim Einsalzen der Fische verwendet wird, aus Grossbritannien und Südeuropa.

Erwähnenswerth ist die Einfuhr von Farbwaaren und Droguen (5000 q),

Von Roheisen wurden 1888 28.692 q, von Eisenwaaren 22.459 q ein - geführt. Ketten und bearbeitete Platten bilden den Haupttheil derselben. Bezugs - länder sind England, Deutschland, Schweden und Belgien.

Schiffe wurden 1888 um 2,141.400 Kronen, Maschinen und Maschinen - bestandtheile um 303.700 Kronen eingeführt.

Die Ausfuhr Bergens erreichte 1888 29,212.800 Kronen, 1887 23,497.000 Kronen, die Einfuhr 1888 20,647.500 Kronen, 1887 19,079.200 Kronen.

Bergen hatte Ende 1888 eine eigene Handelsflotte von 151 Dampfern mit 69.447 t und von 201 Segelschiffen mit 29.215 t, zusammen 352 Schiffe mit 98.662 t.

Der Schiffsverkehr Bergens mit dem Auslande umfasste:

〈…〉〈…〉
915Bergen.

Die wichtigste Flagge ist die norwegische mit etwa der Hälfte des Tonnen - gehaltes, ihr folgen die englische, dänische und deutsche.

Bergen hat regelmässige Verbindungen durch norwegische Dampfer nach Newcastle, Leith und Hamburg, durch britische nach Hull, durch schwedische nach Hamburg und holländische nach Rotterdam und Bremen. Bergen steht durch Linien von Küstendampfern in Verkehr mit allen Häfen Norwegens.

Bergen (Massstab 22.800; Sonden in Metern).

A Zufahrt nach Bergen, A1 Store Lungegaards Vand, B Lille Lungegaards Vand, C Marine-Etablissement, D Bahnhof, E Militärbadehaus, F Leuchtfeuer, G Domkirche, H Mariakirche, J Museum, K Börse, L Rathhaus, M Theater, N Jodfabrik, O Friedhöfe.

115*916Der atlantische Ocean.

Eine 108 km lange Eisenbahnlinie führt von Bergen nach Voss.

In Bergen sind Consulate folgender Staaten: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Oesterreich-Ungarn, Spanien, Uruguay, Vereinigte Staaten von Amerika.

Trondhjem (Drontheim), die Krönungsstadt Norwegens, von der aus mehrere Thäler in das Massiv des skandinavischen Hoch - landes einschneiden, hat seit Eröffnung der Eisenbahnen nach Christiania und über Östersund nach Stockholm erhöhte Bedeutung für den Handel gewonnen, da es als eisfreier Platz Winterhafen für Stock - holm geworden. Ausserdem gewann es an Bedeutung für den inter - nationalen Reiseverkehr, da es zugleich Ausgangsstation der Küsten - dampfer ist, welche jährlich Tausende von Touristen ins Land der Mitternachtssonne bis Vadsö bringen.

Der Handelsverkehr des Hafens ist natürlich bei dem geringen Umfange des productiven Hinterlandes beschränkt, die Hauptquelle des Ausfuhrhandels sind Fischfang und Holz, verhältnissmässig be - deutend ist auch die Ausfuhr fremder Waaren.

Im Jahre 1888 wurden von norwegischen Erzeugnissen um 2·5 Millionen Kronen Fischereiproducte, und zwar meist Stockfische (21.849 q), dann um 2·5 Millionen Kronen Holz und Holzwaaren ausgeführt.

Ausser diesen sind zu nennen Schwefelkies und Kupfererze.

Die Einfuhr, welche an Werth die Ausfuhr übersteigt, besteht zumeist aus Nahrungs - und Genussmitteln. Man führte hier 1888 93.518 q Roggen, 52.369 q Gerste, 14.631 q Kaffee, 11.639 q Zucker und 11.645 q Syrup ein.

Die Einfuhr von Manufacturen erreichte einen Werth von 1·2 Millionen Kronen, die von rohem und halbverarbeitetem Holz 1·5 Millionen Kronen.

Von Petroleum wurden 11.588 q, von Steinkohlen 554.974 hl, von Salz 100.931 hl, von Roheisen 15.000 q eingeführt, auch die Einfuhr der Eisen - fabricate ist recht ansehnlich. Schiffe, Maschinen und Maschinenbestandtheile hatten 1888 einen Werth von 516.200 Kronen.

Im Jahre 1888 wurden Waaren um 11,752.100 Kronen eingeführt und um 9,007.900 Kronen ausgeführt.

Der Schiffsverkehr mit dem Auslande erreichte 1888 496 Fahrzeuge mit 240.858 t, davon waren 391 Dampfer mit 215.621 t.

Sehr lebhaft ist der Küstenverkehr, denn Drontheim ist Station der zwischen Bergen und Vadsö verkehrenden Dampfer und hat überdies regelmässige Verbindungen mit Christiania und den ausländischen Häfen Kopenhagen, Stettin, Hamburg und Hull.

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London.

Der bedeutendste Seehandelsplatz der Welt, London, besitzt keinen von der Natur geschaffenen Hafen, ja er steht nicht einmal in unmittelbarer Berührung mit dem Meere, sondern entwickelte sich an einem Flusse, welcher erst eine ansehuliche Strecke unterhalb in das Meer mündet und an dessen Ufern künstlich das erforderliche Terrain für maritime Zwecke gewonnen und adaptirt werden musste. Aber die ausserordentlich günstige Lage des Punktes überhaupt war es, welche trotz dieser Schwierigkeiten denselben in jene Entwicklung hineintrieb, die er im Laufe der Jahrhunderte genommen und durch die er sich zu seiner heutigen universalen Bedeutung im Weltverkehre emporgeschwungen hat. London ist durch die von diesem Punkte an für alle Schiffe zugängliche Themse mit dem Meere in naher Ver - bindung, es liegt nahe zu allen Küsten des nordwestlichen und westlichen Europa, an der grossen Wasserstrasse des Canales und am Wege, der vom Ocean nach den nordischen Gewässern und zur Ostsee führt, es hat durch den Canal freie Verbindung über den Atlantischen Ocean, sowohl in westlicher Richtung gegen Amerika, als in südlicher und östlicher nach den Küsten Afrikas, an denen, so lange der Isthmus von Suez noch nicht durchstochen war, der Weg nach Indien führte. Dabei wurde London eben wegen seiner Position im Süden der britischen Insel und wegen seiner maritimen Zugänglichkeit die natürliche Hauptstadt des unter einem Herrscher vereinigten Landes, dessen geschichtliche Entwicklung schon deshalb einen östlich gelegenen Hafenplatz als politisches Centrum erheischte, weil lange Zeit viele Interessen seiner Herrscher jenseits des Canales, auf dem Continente gelegen waren und es sich daher als eine Noth - wendigkeit darstellte, stets nach beiden Richtungen hin über eine möglichst sichere Verbindung zu verfügen.

Wir erinnern nur daran, dass die eigentlichen Begründer des britischen Reiches, die Normannenkönige, noch lange Zeit hindurch ihr Stammland, die918Der atlantische Ocean.Normandie, als eine wichtige Stütze ihrer Macht betrachteten und sehr ungern allzusehr von derselben getrennt gewesen wären. Kein anderer Punkt aber als gerade London bot so viele Vortheile. Wilhelm der Eroberer war zur See herüber - gekommen, als er dem Sachsenkönig Harald das angetretene Erbe entriss, und es wird gemeldet, dass er nach der Landung die Schiffe verbrennen liess, damit seine Ritter und Knechte zum Siege gezwungen seien. Als aber das Land unter - worfen war, da sorgte er für die unmittelbare Verbindung mit der See und als ein kundiger Kriegsmann auch für eine sichere Verbindung mit seinem Stamm - lande, und unter den damaligen Verhältnissen konnte beides kein Platz besser bieten als die Stadt an der Themse. Wie richtig der Eroberer dies erkannte, beweist, dass er den weissen Tower daselbst erbaute, einen Theil jenes festungs - artigen Bauwerkes, in welchem der Besucher Londons manche tragische Epoche britischer Geschichte an seinem geistigen Auge vorüberziehen sieht.

Es ist nicht möglich, der Entstehung Londons auf den Grund zu gehen. Die Ansiedlung ist älter als die Quellen, welche von derselben berichten. Lange vor dem Einfall der Römer bestand bereits eine von den alten Briten bewohnte Stadt, deren damaliger Name von einem Könige Lud herrühren sollte und Llun - dain lautete, aus welcher Bezeichnung dann das römische Londinium hervorging. Die Römer, welche unter Caesar zum erstenmal den Boden der Insel, wenn auch nur vorübergehend, betraten, aber erst in der zweiten Hälfte des I. Jahrhunderts n. Chr. davon Besitz nahmen, fanden London schon sehr berühmt durch die Fülle seiner Kaufleute und Waarenzufuhren , wie uns Tacitus berichtet. Die Stadt wurde jedoch von den Römern nicht zum Hauptorte der Provinz Britannien ge - macht, erhielt aber die Stellung einer Colonie. Soweit sich heute urtheilen lässt, umfasste diese römische Colonie die Strecke am linken Themseufer vom Tower bis Ludgate und nördlich bis Finsbury und Moorfield.

Als die Römer den Inselbesitz aufgaben, brach eine lange schwere Zeit für ganz England herein, welches zum Zielpunkte fremder Eroberer und dadurch in vielfache Kämpfe verwickelt ward. Grosse Bedrängniss kam von der See her durch die Nordmänner, und gerade das so leicht zugängliche London mag unter dieser Plage nicht wenig gelitten haben, da es ob seines alten Verkehres den seekundigen Nachbarn wohl bekannt gewesen sein muss. Es kam ferner der starke Zug der Angeln und Sachsen von den germanischen Uferländern her, welche allmälig mit der alten Bevölkerung sich vermischten und das Reich neu besiedelten, denen aber in den Dänen grimmige Feinde entstanden. Diese dehnten ihre Raubzüge nach England aus und eroberten im IX. Jahrhunderte den grössten Theil des Landes, welches ihnen botmässig ward. Alfred der Grosse errang den Angelsachsen wieder ihre nationale Unabhängigkeit und that den dänischen Be - drängern Einhalt, so dass für einige Zeit wenigstens ruhigere Verhältnisse platz - griffen. Aber ganz gaben die Dänen ihre Pläne nicht auf, immer wieder machten sie Versuche, die volle Herrschaft zu erlangen, und als unter König Ethelred der grosse Massenmord der auf der Insel wohnhaften Dänen geschehen war, kam furcht - bare Vergeltung. Stärker denn je erschienen die alten Feinde und unterwarfen sich das angelsächsische Reich, welches allmälig aus sieben einzelnen Königreichen zu einem Ganzen verschmolzen worden war.

London spielte damals schon eine ansehnliche Rolle und behauptete sich darin auch unter den beiden gewaltigen dänischen Herrschern Sven und Knut im XI. Jahrhunderte. Nach dem Tode Knut’s gelang es jedoch der alten Sachsen -919London.dynastie wieder die Herrschaft an sich zu reissen, und König Eduard der Bekenner, welcher zu London residirte, regierte im ganzen Lande. Aber mit seinem Tode trat jene Wendung ein, welche grundlegend für die ganze fernere Entwicklung und die heutige Gestaltung Englands war. Eduards Neffe Harald fand an dem Herzoge der Normandie einen Gegner, welcher ihm sein Thronrecht bestritt und selbst Ansprüche erhob. Der Normanne Wilhelm hatte ein starkes Heer und war ein gewaltiger Krieger. Bei Hastings 1066 errang er mit dem blutigen Siege die Krone des Landes. Es kam eine harte Zeit über letzteres, denn die Normannen waren harte und rücksichtslose Herren, viel bedacht auf Gewinn und materiellen Vortheil. Nur schwer fügten sich die Sachsen unter das neue Joch. Aber mit fester Hand hielten die Normannenkönige, die in ihrem Stammlande eine gute Verwaltung besassen, das Regiment und waren eifrigst bemüht, überall strenge Ordnung einzurichten. Sie waren aber auch kluge Leute und rührten an Gewohn - heiten nicht, welche ihren Interessen nicht entgegenstanden, und so ward auch London von ihnen in seinen alten Rechten erhalten, wenngleich schon der Eroberer durch die vorher erwähnte Erbauung des weissen Towers auch Sorge trug, dass ihm der Unabhängigkeitssinn der Londoner Bürger nicht lästig werden könne.

Gerade für London war die normännische Zeit ein wesentlicher Vortheil, denn es erweiterten sich die Beziehungen der Stadt zu den schon damals in Handel und Gewerbe aufblühenden Gebieten des nördlichen Frankreichs und Flanderns. Andererseits aber ward die Stadt auch in die vielfachen inneren Kämpfe hineingezogen, welche unter den ersten normännischen Herrschern und den ihnen folgenden, stammverwandten Plantagenets England in vielfache Auf - regung brachten.

Immer galt aber London als das Centrum des Landes, und wenn auch die Könige viel im Lande herumzogen und sich nicht dauernd an einem Sitze auf - hielten, die Verwaltungsmaschine, welche der Eroberer eingerichtet hatte und aus der sich mit einer merkwürdigen Continuität der ganze Organismus des britischen Staatswesens weiter entwickelte, hatte ihren festen Centralpunkt in London, trotz des mannigfaltigen Wechsels der Zeiten und der vielen Stürme, welche die Stadt er - leben musste und unter denen namentlich die Kämpfe zwischen den beiden Rosen im XV. Jahrhunderte, dem Hause Lancaster und dem Hause York um den Königs - thron ganz besonders furchtbar waren. Im Tower war es, wo Richard III. die unglücklichen Kinder Eduard’s IV. ermorden liess. Als Richard III. bei Bosworth Thron und Leben verloren hatte und sein Gegner Heinrich VII. Tudor die Krone errang, brach für England eine neue Zeit an, und das schwergeprüfte Land konnte von den harten Tagen sich erholen.

Von jetzt an geht Londons Stern stetig nach aufwärts. Schon der zweite Tudor, Heinrich VIII., zielte darauf hin, England auch nach aussen hin eine mächtige Stellung zu sichern und namentlich dessen commerzielle Beziehungen zu mehren. Unter diesem Könige ward die Reformation durchgeführt, welche wohl auch wiederum den Anlass zu mancherlei Irrungen gab. Eine kurze Zeit schienen die Erfolge der Reformation bedroht, als Heinrich’s VIII. Tochter, die blutige Maria, mit Gewalt die katholische Religion wieder herstellen wollte und die protestantischen Ketzer mit Feuer und Schwert verfolgte, aber das englische Wesen sträubte sich bereits gegen diese Aenderung, umsomehr als man den verderblichen spanischen Einfluss infolge der Verbindung Maria’s mit Philipp II. fürchtete. Der kurzen Regierung Maria’s folgte die staatskluge Elisabeth, welche ihr Reich auf920Der atlantische Ocean.den von ihrem Vater betretenen Pfaden weiter führte und insbesondere viel für die Entwicklung des Seewesens that, welches infolge der Entdeckung neuer, aus - gedehnter Welttheile erhöhte Bedeutung gewann. Jetzt begannen die Beziehungen Englands zur neuen Welt, vornehmlich zu Nordamerika, und deren Colonisirung. Anfangs des 16. Jahrhunderts war durch die Entdeckung Amerikas die Weltlage Englands vollkommen verschoben worden. Bis dahin lag es am Ende der be - kannten Welt. Nach der Fahrt des Columbus bildeten die britischen Inseln das natürliche Bindeglied zwischen der alten und der neuen Welt. Diese historische Thatsache begriffen zu haben, bleibt das grosse Verdienst der jungfräulichen Königin, welche auch 1571 persönlich die Londoner Börse einweihte und ihr den Titel Royal Exchange verlieh.

Angstvoll waren die Tage, in denen man die Landung der grossen spanischen Armada fürchtete, und damals gingen Londons Bürger in Patriotismus und Opfer - willigkeit allen Landsleuten mit glänzendem Beispiele voran. Unter Elisabeth nahm diese Stadt, wohin sich immer mehr der Adel zog, auch bedeutend zu. Viel - fache Neubauten entstanden, und Handel und Wandel belebten sich in steigendem Masse. Aufwärts ging die Linie auch im XVII. Jahrhundert, wenngleich im Laufe desselben noch einmal gewaltiger Umsturz das Innere des Landes erschütterte. Die Eingriffe des Stuart Karl I. in die Verfassung des Landes im Zusammenhange mit religiösen Differenzen riefen jene Revolution hervor, in welcher Oliver Cromwell mit dem Parlamente Sieger über das Königthum blieb und London, welches im Laufe der Jahrhunderte schon manche Executionen geschaut hatte, auch das Schauspiel erlebte, dass sein eigener König das Haupt auf dem Schaffote verlor. Es geschah dies 1649 vor dem Palaste Whitehall, welcher seit Heinrich VIII. oftmals als königliche Residenz gedient und von Karl’s Vater Jakob I. wesentlich erweitert und erneuert worden war. Cromwell zeigte sich nicht nur als Soldat, sondern auch als Staatsmann tüchtig und festigte die Stellung Englands, welches von nun an als Grossmacht in Europa galt. Er hatte viel Verständniss für die wirth - schaftlichen Interessen seines Landes und förderte namentlich auch durch die Navigationsacte dessen Handelsmarine, weil er kraft jener Acte den Schiffen nationaler Flagge grosse Vorrechte im Verkehre mit britischen Häfen und Colo - nien gegenüber den fremden Flaggen einräumte.

Nach Cromwell’s Tode wurde die Dynastie der Stuarts wiederhergestellt, und wenn auch Karl II. durch die Unverlässlichkeit seines Charakters und die grosse Leichtfertigkeit seines Lebenswandels namentlich in der guten Stadt London viel Aergerniss bereitete, so war doch die Restauration des Königthums unter Bedingungen erfolgt, welche die Grundlagen der Verfassung sicherstellten. Schon stand aber auch Londons Bedeutung so gesichert aufrecht, dass es bereits allwärts als mächtiger Concurrent galt und der Londoner Platz Ansehen genoss, wie wenige Plätze des Continents.

Wenn man erwägt, dass London zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts bereits 700.000 Einwohner hatte, eine für die damaligen Bevölkerungsverhältnisse kolos - sale Zahl, so wird man daraus allein schon einen Schluss auf die Wichtigkeit dieser Stadt ziehen können. Derselben kam aber nun die innere Ruhe wesentlich zu Gute, deren sich England nunmehr ununterbrochen erfreuen konnte. Die Stürme auf dem Continente berührten das innere Leben der Insel nicht; dank seiner Seemacht behauptete England auf allen Meeren eine hervorragende Position, und sein wach - sender Colonialbesitz ward zu einer ergiebigen Quelle des Reichthums, zu einem[921]

London-Bridge.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 116922Der atlantische Ocean.steten Förderer seines Handels. Zu Amerika gesellte sich auch der grosse Besitz, welchen die Indische Compagnie am Ganges erwarb. Der kluge Sinn der eng - lischen Geschäftsleute verstand es vortrefflich, alle Beziehungen zu den fernen Niederlassungen in England selbst und dort wieder in erster Linie in London zu vereinigen und der eigenen Heimat die Vortheile voll und ganz zu sichern, welche in diesen Verhältnissen gelegen waren. Mit Eifersucht wachte man darüber, dass das Mutterland nicht übergangen werden konnte, und dass die Schätze, welche auswärts gewonnen wurden, dorthin ihren Weg nahmen. Da die Colonien wesentlich Rohproducte lieferten, so war man in London namentlich bemüht, einerseits die Consumenten der übrigen Welt zu zwingen, sich ihren bezüglichen Bedarf auf dem britischen Markt zu holen, andererseits aber die Fabricate, zu welchen jene Rohproducte dienten, in England selbst herzustellen, damit dann die Colonien ihren Bedarf wieder von dort beziehen mussten.

Das XVIII. Jahrhundert ward für London von grosser Wichtigkeit. Es erweiterte fort und fort dessen commerzielle und maritime Stellung, ermöglichte dadurch die Ansammlung von mächtigen Capitalien und gestattete andererseits auch die Besserung der städtischen Verhältnisse, in denen noch viele, ja fast die meisten Uebelstände der vergangenen Zeiten sich empfindlich geltend machten. Freilich auch anderwärts sah es nicht besser aus. Das London des vorigen Jahr - hunderts war immer noch eine enge, düstere, unebene, schmutzige Stadt, in welcher neben den prächtigen Palästen des Adels elende Häuser in Fülle zu schauen waren, Holz vielfach als Baumaterial verwendet war und Reinlichkeit und Bequemlichkeit zu den Seltenheiten gehörten. Allmälig brach sich freilich die Erkenntniss von der Nothwendigkeit gründlicher Reformen Bahn, aber die Durchführung war damals weit schwieriger als die Erkenntniss, und so ging die Verschönerung Londons nur langsam vor sich. Immerhin aber war namentlich die zweite Hälfte des XVIII. Jahrhunderts in dieser Beziehung schon bemerkenswerth.

Die den Colonien gegenüber befolgte sehr rücksichtslose Politik führte zum Abfalle Nordamerikas und zur selbständigen Constituirung dieses Gebietes, ohne dass jedoch England hiedurch einen empfindlichen Schaden erlitt, zunächst aus dem Grunde, weil die neuen Freistaaten nicht in der Lage waren, sich wirth - schaftlich auf eigene Füsse zu stellen und daher der Beziel ungen zum einstigen Mutterlande nicht entrathen konnten. Andererseits fand England durch seine in den anderen Continenten mit eiserner Consequenz betriebene coloniale Politik reichlichen Ersatz, und eine Reihe genialer Erfindungen auf dem Gebiete der Ge - werbe und Maschinen bereiteten seine Uebermacht auf dem Gebiete der Industrie vor. Auch die Kämpfe der französischen Revolution und die erbitterte Gegner - schaft zu Napoleon I. wirkten auf England, welches die Freiheit der Meere sich zu behaupten wusste, nur soweit störend, als Europa in seiner Consumtionsfähig - keit erschöpft ward. Als aber der Frieden wieder hergestellt war, da begann die volle Glanzzeit Londons, welches im Laufe dieses Jahrhunderts eine Entwicklung nahm, wie keine andere europäische Stadt und wie auch nur wenige amerikanische Städte.

Um sich nun einen Begriff von der Entwicklung Londons zu machen, sei bloss erwähnt, dass die Stadt, deren Bevölkerung im Jahre 1800 auf 900.000 Einwohner veranschlagt wurde, im Jahre 1888 deren 4,282.000 zählte und sich allein in den letzten 50 Jahren923London.um das Doppelte vergrösserte, heute also einen Flächenraum von mehr als 300 Quadratkilometern einnimmt.

Aber nicht nur riesig ist diese Stadt gewachsen, sie hat auch eine gewaltige Umgestaltung in jeder Beziehung durchgemacht, freilich am wenigsten vielleicht in der Richtung, dass sie eine besonders schöne Stadt geworden wäre, wie man mit so vielem Rechte von Paris sagen kann, welches namentlich unter dem Regime Napoleon III. nicht nur an Grösse und Bedeutung, sondern auch vom ästhetischen Standpunkte so viel gewonnen hat. In London war es aber nicht leicht, mit jener einheitlichen Energie und oft nicht geringen Rück - sichtslosigkeit vorzugehen, welche jenseits des Canales denjenigen gestattet war, welche die napoleonischen Umgestaltungspläne zur Ausführung zu bringen hatten. Und dann überwiegt in der Natur des Briten der Sinn für das Praktische und Nützliche weit über die Liebe zum Schönen. Dagegen ist man in London niemals vor gross - artigen Plänen und gewaltigem Geldaufwande zurückgeschreckt, wenn es sich um Vorkehrungen handelte, von deren Zweckmässigkeit man überzeugt war.

Das heutige London ist ein ungeheuerer Complex auf beiden Ufern der Themse. Der Schwerpunkt der Stadt liegt am linken Ufer; dort, entwickelte sich das alte London, wuchs allgemach aus seiner engen Umwallung hinaus, nahm die flussaufwärts gelegene, einst selbst - ständige Stadt Westminster in sich auf und dehnte sich fort und fort nach allen Richtungen aus. Es war natürlich, dass bei der Noth - wendigkeit dieses Wachsthums man auch auf das andere Ufer hinübergriff, da der Verkehr zwang, die Flussufer selbst möglichst auszunützen. Hiebei ergab sich eine eigenthümliche Erscheinung, welche für London geradezu charakteristisch genannt werden kann. Je grösser die Stadt und je intensiver deren geschäftliches Leben ward, desto stärker wurde eine gewisse centrifugale Tendenz in der Bevölkerung. Das alte London fiel so ziemlich mit jenem Theile zusammen, der heute City genannt wird. Dort ist das Herz der Stadt. Aber der Bewohner überliess die City immer mehr nur dem geschäft - lichen Leben und suchte sich ferne von ihr seinen Wohnsitz, gegen die Peripherie zu, wo er bequemer, luftiger, behaglicher seine Existenz sich einrichten konnte. Von Jahr zu Jahr ward der Exodus aus der City grösser, und endlich kam es dahin, dass man diesen ganzen engen Stadttheil überhaupt nicht mehr als ein bewohnbares Viertel betrachtete, sondern es einzig und allein dem Geschäfte überliess. In der City wohnt und lebt man nicht, dort wird nur gearbeitet und116*924Der atlantische Ocean.geschafft. Und so geschah es denn, dass London ein Stadtquartier hat, an Umfang manche ganz ansehnliche Stadt übertreffend, in welchem Nachts über fast nur einzelne Wächter sich aufhalten, Gassen entlang die Häuser leer stehen und in den Häusern vom Fussboden bis hinauf zur Mansarde Alles nur Comptoirs und sonstige Geschäftszimmer auf - weist. Diese City ist ungefähr jener auf unserem Stadtplan mit West - City und East-City bezeichnete Theil der Stadt, welcher am linken Ufer der Themse vom Tower bis zum Temple sich erstreckt und landeinwärts bis zu einer Linie reicht, welche ungefähr von Holborn über Finsbury Circus bis Aldgate gezogen werden kann. Sie umfasst über 6000 Häuser, von denen 4000 gar nicht bewohnt werden. Aber die City bildet einen für sich geschlossenen administrativen Bezirk mit besonderen Rechten. Sie ist das Gebiet des Lord-Mayors, der jährlich neu gewählt wird und am Tage seines Amtsantrittes seinen feierlichen Umzug daselbst unter Beobachtung des altherkömmlichen Gepränges hält. Dieser Theil der Stadt ist zumeist enge, düster, jeg - licher Raum bis auf das äusserste ausgenützt. Alles trägt das Gepräge des Geschäftes. Man hat in der City keine Zeit zu verlieren, keine Lust für irgend etwas, was abhält, stört, zerstreut. Time is money , lautet die Losung, und man sieht es den geschäftig eilenden Menschen daselbst an, dass sie dieses Spruches jederzeit eingedenk sind. Die City hält den Handel Englands in ihren Händen, und dort laufen die Fäden zusammen, welche die ganze Welt umspinnen. Was in der City nicht mehr Platz finden konnte, das suchte wenigstens in deren Nähe und an den Ufern des Flusses unterzukommen, und so bergen beide Ufer abwärts der City alles dasjenige, was zum Hafen gehört oder eine unmittelbare Beziehung zu demselben hat, inbesondere also die grossartigen Dockanlagen.

Im Westen, flussaufwärts, suchten die Einwohner dagegen ihre neuen Wohnsitze auf, und fand man da Raum für alle Anlagen, welche mehr dem Genusse des Lebens dienen. Insbesondere war es das eigentliche Westend, jenseits des Temple, welches dadurch an Bedeutung gewann, weil dort der Hof und die tonangebende Aristo - kratie ihre Paläste bauten. Einstens lag das Westend an der Peri - pherie der Stadt, heute ist es schon ringsum von immer mehr um sich greifenden neuen Anlagen und Niederlassungen umsponnen, immer aber noch der fashionable Theil der ganzen Riesenstadt. Ueberblickt man die Ausdehnung dieser letzteren, so beträgt die Distanz von Ost nach West 22 und jene von Süd nach Nord über 8 Kilometer.

925London.

Wenn wir es nun zunächst versuchen wollen, einen Ueberblick über dieses Meer von Häusern, in denen einige Millionen von Menschen ihr Leben hinbringen, zu gewinnen, uns eine Art von Gerippe des - selben zu vergegenwärtigen, so müssen wir uns vor Allem den Lauf der Themse betrachten. Dieser Fluss durchzieht London in mehrfachen Krümmungen; zuerst fast nördlicher Richtung folgend, biegt er bei Waterloo-Bridge ziemlich rasch gegen Ost, behält diese Direction ziemlich gleichmässig, abgesehen von einer geringen Krümmung in der Nähe der am Nordufer gelegenen London-Docks bei, wendet sich hierauf nach Süden bis Greenwich und dann wieder gegen Norden, derart dass er eine Halbinsel, die sogenannte Isle of Dogs bildet, und nimmt hierauf endlich wieder eine Richtung gegen Osten, wobei er jedoch schon das Weichbild der Stadt verlassen hat. Durch diesen Lauf der Themse stellt sich die Strecke von Waterloo-Bridge bis zu den London-Docks als die Basislinie dar; in der Mitte dieser Linie liegt der Tower, nahe dem westlichen Endpunkte der Temple, der östliche Endpunkt fällt in die Dockanlagen hinein. Nördlich parallel mit dieser Basis liegt aufwärts des Tower die City, abwärts desselben das sogenannte East-End mit seinen durch verschiedene Namen be - zeichneten einzelnen Theilen, welche allmälig aus isolirten Anfängen in die Metropole hineingewachsen sind und allwo sich mehr die fabriksmässige Thätigkeit und die minderen Volksclassen niedergelassen haben. Denkt man sich nun diese Basislinie geradlinig über den Flusskrümmungspunkt hinaus verlängert, so würde dieselbe das West - end, insbesondere die grosse und bekannte Piccadilly-Street, den Hydepark und Kensingtongarden durchschneiden. Südlich dieser Linie käme dann der eigentliche Kernpunkt des Westend mit den könig - lichen Palästen, St. James-Palace, Westminster, den Parlaments - gebäuden zu liegen, und dieser Abschnitt grenzt östlich an die Themse, welche dort von Vauxhall-Bridge bis Waterloo-Bridge ihren nördlichen Lauf durchfliesst.

Der Stadttheil am rechten Ufer ragt infolge der Themsekrüm - mungen wie eine breite, aber nicht tiefe Halbinsel in den nördlichen Stadttheil hinein. Er bleibt aber an Bedeutung weit hinter diesem zurück, nicht so sehr was Ausdehnung anbelangt, als weil der Schwer - punkt sowohl in baulicher Beziehung als was die verschiedenen öffent - lichen Anstalten und bemerkenswerthen Einrichtungen betrifft, immer am linksseitigen Ufer, dem Stammsitze des alten Londons verblieb.

Was die Orientirung in London sehr erschwert, ist der Mangel an grossen, geradlinigen Strassenzügen, an festen Richtungslinien;926Der atlantische Ocean.schliesslich muss immer wieder die Themse als Anhalt dienen. Eben - sowenig lässt sich eine scharfe Unterscheidung der einzelnen Stadt - theile erkennen. Es ist eine ohne Plan im Laufe einer endlos langen Entwicklung mehr nach Willen und Drang der Einzelnen empor - gewachsene Stadt, in welcher dem Selbstbestimmungsrechte, wie überall im Lande, weiter Spielraum gewahrt blieb, insoweit dessen Bethäti - gung nicht feste Rechte entgegenstanden, und wo man erst in aller - jüngster Zeit die Zweckmässigkeit erkannte, durch Schaffung einer eigenen Behörde, des London County Council, wenigstens einiger - massen diejenigen Interessen einheitlich und mehr systematisch zu be - handeln, welche das für ein so kolossales Menschencentrum höchst wichtige Verkehrs - und Sanitätswesen betreffen.

Der Eindruck, welchen London im Allgemeinen macht, ist kein überaus günstiger, vor Allem schon aus dem Grunde, weil dieser Stadt Licht und Sonne mangelt. Der an sich nebelige Charakter der Atmo - sphäre Englands, gefördert durch die Nähe des Meeres, steigert sich in ganz erheblicher Weise durch die Ansammlung einer so grossen Menschen - und Häusermasse auf engem Raume und durch den ge - waltigen Verbrauch von Kohle für alle Zwecke des häuslichen und industriellen Lebens. Nebel ist die Signatur Londons, feucht dessen Luft, und Alles erscheint den grössten Theil des Jahres hindurch in Grau gehüllt. Dazu kommt das hastige Treiben allwärts, ein Verkehr auf allen Strassen, den man gesehen haben muss, um sich davon eine richtige Vorstellung zu machen. Dazwischen verkehren ununterbrochen hohe Omnibusse, von deren Deck zahlreiche Passagiere über die Fussgänger hinwegblicken und fast ausnahmslos, um ja keine Zeit zu verlieren, die Fahrt zur Lectüre der Tagesblätter benützen, ungestört durch das Getriebe ringsum. Nebenher rollen die Cabs (Handsoms), jene in London mit Vorliebe seit langer Zeit festgehaltenen zweirädrigen Ein - spänner, deren Kutscher, der Cabman, sein Pferd von einem rückwärts angebrachten Sitze über das Dach seines Fuhrwerkes hinweg lenkt, Colporteure drängen sich allwärts eilfertig umher, die Züge der Stadt - bahn brausen vorbei, und man hat überall den Eindruck, dass man sich inmitten einer fast tollen Bewegung befinde, dass alle diese Leute von ihren Geschäften förmlich gehetzt seien.

Manchmal wird es dem Fremdling freilich zu viel, er sehnt sich nach einer Pause der Sammlung, nach einem Ruhepunkte bei der Fülle der Eindrücke, die von allen Seiten an ihn herandrängen, und froh ist er, wenn er in einen jener Parks sich flüchten kann, welche der Stadt zur Zierde gereichen und deren es mehrere von927London.sehr bedeutender Ausdehnung inmitten Londons gibt, so insbesondere den so viel genannten Hydepark, welcher auch gerne zu Volksver - sammlungen Meetings benützt wird, den Regentspark im Nord - osten der Stadt, St. James Park in der Nähe des königlichen Palastes und noch andere, auf deren Herstellung man in jüngster Zeit namentlich Bedacht genommen hat, um dem niederen Volke auch mehr Luft zur Erholung zu schaffen. Eine andere günstige Eigenthümlichkeit Londons sind auch die sogenannten Squares, nämlich Plätze, meist von qua - dratischer Form, in deren Mitte sich nette Gartenanlagen befinden. Der Engländer, wenn auch ein Geschäftsmann tüchtigen und nüch - ternen Schlages, liebt doch das Grüne, und wie Jeder, dessen Mittel es nur halbwegs erlauben, nicht im Centrum der Stadt seine Wohn - stätte aufschlägt, sondern draussen an der Peripherie dieselbe sucht, weil er dort leichter einen freien Fleck finden kann, oder gar ausserhalb der Stadt haust und täglich nach seiner Arbeitsstelle hinein sich begibt, so freut er sich auch stets über einen bescheidenen grünen Fleck.

Der Umstand, dass ein grosser Theil der Londoner die Arbeits - stätte weit getrennt von der Wohnstätte hat, beeinflusst in doppelter Beziehung das Leben in dieser Stadt; zunächst in Bezug auf die Eintheilung des Tagewerkes und dann in Bezug auf den Verkehr. In ersterer Beziehung beginnt das eigentliche Geschäft in den Comp - toirs und Aemtern zu einer vorgerückteren Stunde, weil man ja früher eine gute Strecke zurücklegen muss, um an Ort und Stelle vom eigenen Heim zu gelangen. Dafür zerreisst der Londoner auch niemals seine Arbeitszeit, sondern arbeitet durch eine kurze Frühstückpause kaum unterbrochen durch bis in den späten Nachmittag, um dann heimzukehren und den Abend beim Diner und im Kreise seiner Fa - milie zu verbringen.

Was aber den Verkehr anbelangt, so erheischt diese gross - artige Wanderung, welche Hunderttausende täglich durchmachen, allein schon sehr bedeutende Vorkehrungen. Omnibusse, die einstigen Mittel der Bewegung für die grosse Menge, genügen lange nicht. Zu weit sind die Strecken, welche man zurücklegen muss, und zu gross wäre der Verlust an Zeit. Und so hat man zur Eisenbahn gegriffen, welche in vielfacher Ausdehnung ober der Erde und unter der Erde den Verkehr in der Stadt vermittelt, abgesehen von den zahlreichen Dampfern, welche auf der Themse sich bewegen, die aber doch weit - aus nicht jene Erleichterung gewähren wie die Stadtbahnen.

Vor Allem münden, wie unsere Eisenbahnkarte der Stadt zeigt, nicht weniger als fünfzehn Eisenbahn-Hauptlinien in London, und928Der atlantische Ocean.zwar liegen dreizehn Bahnhöfe auf dem linken und zwei Bahnhöfe auf dem rechten Ufer. Diese Bahnhöfe bieten zum Theil den grossen Vortheil, dass sie nicht an der Peripherie liegen, sondern sich mitten in der Stadt befinden und daher allen jenen, welche längs der be - treffenden Bahnstrecke ihren Wohnsitz haben, es ermöglichen, ihrem Bestimmungsorte möglichst nahe im Waggon zu kommen, oder doch von der Station aus in Kürze denselben mit Omnibus oder Metropo - litan Railway zu erreichen. So liegt die sehr bedeutende Charing Cross-Station knapp an der Themse bei der gleichnamigen Brücke, nahe dem westlichen Ende der City, Cannon Street-Station mitten in der City nahe der St. Pauls-Kathedrale, Victoria-Station unmittelbar südlich vom Buckingham-Palace, der heutigen königlichen Residenz, ferner Fenchurch Street - und Ludgate Hill-Station, beide mitten in der City u. s. w. Alle diese einzelnen Stationen sind nun unter sich durch die grosse Metropolitan Railway in Verbindung gebracht. Diese Bahn bildet einen grossen, langegezogenen Kreis, welcher den Haupt - theil Londons derart umschliesst, dass dadurch die ausserhalb des Kreises gelegenen Stadttheile sich in einer ebenso günstigen Lage zur Bahn befinden, wie jene, welche innerhalb des Kreises gelegen sind. Dieser Kreis zieht sich vom Tower längs des Ufers bis Westminster, durchschneidet den südlichen Theil des Westend bis Kensington, wendet sich dann nördlich um den Kensingtongarden und Hyde - park herum, geht in östlicher Richtung südlich am Regentspark vorbei, berührt die im Norden der Metropole gelegenen drei grossen Bahnhöfe von Eustone Square, St. Pankras und Kings Cross, durch - schneidet dann die City und biegt endlich von dem östlichsten Punkt bei Aldgate wieder nach dem Tower zurück. Von dieser Haupttrace zweigt in Westen ein kleinerer Ring mit einigen Ausläufern zur Ver - vollständigung des ganzen Netzes ab.

Die Metropolitan - (oder Underground -) Bahn ist zum grössten Theile eine unterirdische Anlage durch Tunnels, welche unterhalb der Häuser gezogen wurden, nur zum geringeren Theile läuft sie auch in Einschnitten oberhalb der Erde. Die zahlreichen Stationen, welche längs derselben in allen Theilen der Stadt angelegt sind, befinden sich durch - wegs auf der Oberfläche und man steigt dann über Treppen hinab in den Tunnel, um in die Waggons zu gelangen. Die Züge verkehren in kurzen Zwischenräumen in beiden Richtungen von früher Morgen - stunde bis um Mitternacht.

Da die Züge theils nur den früher beschriebenen Hauptring, theils aber auch die Abzweigungen desselben befahren, so ist jeder929London.einzelne durch besondere Abzeichen Lichter kenntlich gemacht, damit der Passagier sofort erkennen kann, ob der betreffende Zug seinem Fahrziele entspreche; denn auf dieser Bahn gilt auch die allgemeine Parole Londons, dass man keine unnütze Zeit zu verlieren habe, die Züge halten kaum eine Minute bei jeder Station, und es ist Sache des Passagiers, sich hiebei zurecht zu finden. Der unter - irdische Theil der Bahn ist auf einigen Strecken mit elektrischem Licht erleuchtet. Ebenso brennen Flammen in den Waggons, die durch

East Indien Docks.

ein auf der Locomotive bereitetes Gas genährt werden. Die Fahrpreise sind billig bemessen und überschreiten selbst bei der längsten Tour niemals den Betrag eines Schillings. Der Verkehr auf dieser Bahn ist aber auch ein ganz gewaltiger. Es werden in der Woche durch - schnittlich über Millionen Personen befördert, und auf der Strecke von Kings Cross bis Moorgate Street, der stärkst besuchten Strecke in der City, verkehren im Tage über 200 Trains; dort liegen aber auch statt der sonst überall befindlichen Doppelgeleise vier Geleis - stränge neben einander.

Endlich entbehrt auch London nicht der Tramways, wenn die -Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 117930Der atlantische Ocean.selben auch infolge der zweckmässigen Eisenbahnverbindungen inner - halb der Stadt nicht jene Rolle spielen wie in anderen Städten. Es bestehen fünf Gesellschaften, welche den Betrieb dieses Verkehrs - mittels besorgen und deren Linien nach verschiedenen Richtungen hin die Stadt durchqueren.

Die Verbindung zwischen den beiden Flussufern wird zunächst durch Brücken hergestellt; ausserdem übersetzen an einigen Stellen Fährboote die Themse, und endlich hat man auch noch einen grossen Tunnel unter der Themse gegraben. Dieser Tunnel führt von Wapping bei den London-Docks nach Rotherhithe am rechten Ufer in der Nähe der grossen Surrey - und Commercial-Docks, hat eine Länge von 396 m, ist in zwei Gallerien getheilt und wird jetzt zum Verkehr per Eisen - bahn benützt. Dieser Tunnel wurde in den Jahren 1825 bis 1843 mit einem sehr bedeutenden Kostenaufwande hergestellt und galt damals als ein Weltwunder. Er erwies sich aber für die unternehmende Ge - sellschaft als ein durchaus nicht günstiges Geschäft; erst als er in die Hände einer Bahn überging und von derselben zum Eisenbahn - verkehr adaptirt ward, hob sich dessen Rentabilität. Immerhin ist dieser Tunnel mehr als Beweis technischer Leistungsfähigkeit, denn als unentbehrliches Mittel der Communication zu betrachten.

Wenn wir uns nun die Aufgabe stellen wollen, die wichtigsten Punkte der Stadt kennen zu lernen, ehe wir jenen Theil des Näheren ins Auge fassen, welcher uns am meisten interessirt den Hafen und dessen Anlagen so werden wir am besten thun, dem Laufe der Themse von Westen her zu folgen und je nach Bedarf von den Ufern hinweg landeinwärts kleine Abstecher zu machen. Dieser Vorgang führt uns von selbst endlich zu dem wichtigsten Gegenstande unserer Darstellung und erleichtert zugleich die Orientirung. In ihrem oberen Laufe, von Windsor, der prachtvollen königlichen Residenz aus, fliesst die Themse in einem höchst belebten Landstriche, der eigentlich durchwegs als grosser Vorort der Metropole betrachtet werden kann und wo in zahlreichen Niederlassungen aller Art jene begünstigten Leute wohnen, denen die Verhältnisse es gestatten, ihre Heimstätte in freierer Luft aufzuschlagen und die Atmosphäre Londons nur wäh - rend einiger Stunden des Tages zu athmen. Zwischen Battersea und Chelsea erreicht man das eigentliche Stadtgebiet, fährt unter einer Eisenbahnbrücke, erreicht dann, nachdem der Fluss eine kleine Bie - gung gemacht hat, rasch nach einander die Battersea - und die Albert - brücke. Hinter letzterer Brücke zieht sich dann zur Rechten längs des Flusses der grosse und breite Battersea-Park in einem Umfange von931London.75 ha mit schönen Anlagen und gelungenen Bosquets hin. Am linken Ufer liegt der Stadtheil Chelsea mit dem grossen Hospital, einer Kaserne der Garden Barracks, wie Kasernen in England gemeinig - lich genannt werden. Nördlich von Chelsea zieht sich Kensington hin. Hier stossen wir zunächst auf zwei grosse Gartenanlagen, den Kensington Garden und östlich von demselben in geringer Entfernung den schon vorher erwähnten Hydepark. Kensington Garden ist ein gerne besuchter Erholungsplatz und beliebt wegen seiner schattigen Alleen von alten Bäumen. In der Nähe dieses Gartens liegen die grossen Gewächshäuser der Gartenbaugesellschaft (Horticultural Society), das grosse naturhistorische Museum und das South-Kensington-Museum, welches zur Förderung der Künste und Kunstindustrie bestimmt ist und reiche Sammlungen sowie eine grosse Bibliothek mit verschie - denen Fachschulen verbindet, in denen in den einzelnen Zweigen Unterricht ertheilt wird. Dieses Museum birgt grosse Schätze in sich, von denen man wohl sagen kann, dass sie in allen Theilen der Welt gesammelt worden sind, und hat auf die Besserung des Geschmackes in England einen nicht zu unterschätzenden Einfluss geübt. Es ver - dankt, wie so viele gemeinnützige und höchst erspriessliche Einrich - tungen, seine Entstehung einer Anregung des um sein Adoptivvater - land so hochverdienten Prinzen Albert, des Gemahls der Königin Victoria. In demselben Gebäudecomplex ist auch das India-Museum untergebracht, allwo indische Producte, dann aber auch namentlich historische und ethnographische Gegenstände, Waffen und sonstige besondere Sehenswürdigkeiten aus den indischen Besitzungen zusammen - gestellt sind und dem Beschauer ein buntes und höchst anregendes Bild jenes grossen und eigenthümlichen Gebietes gewähren, dessen Besitz nicht wenig zu dem Reichthume und der wirthschaftlichen Be - deutung Englands beigetragen hat.

Verlässt man Kensington-Garden gegen Westen, so gelangt man in den grossen Hydepark. Dieser Park war einstens im klöster - lichen Besitze. Nach Aufhebung der Klöster durch die Reformation liess König Heinrich VIII. dort einen Wildgarten anlegen, in welchem noch seine Tochter Elisabeth der Jagd oblag. Erst unter Karl II. wurde der Park dem allgemeinen Zutritt eröffnet. Heute zählt er zu den belebtesten Anlagen von London. Er umfasst 150 ha, einen grossen künstlichen Teich Serpentine River welcher von der Königin Anna hergestellt worden ist, ist ringsum von einem Gitter umgeben und ist in der Saison zu gewissen Stunden des Tages ein Sammelpunkt der eleganten Welt, welche daselbst mit glänzenden117*932Der atlantische Ocean.Equipagen und schönen Toiletteu ihren Prunk zu entfalten sich be - müht. Im Hydepark finden auch gelegentlich die Revuen der Truppen und Volonteers statt, und ebenso war derselbe auch schon oftmals Schauplatz bewegter Volksversammlungen. Er gehört jedenfalls zu den charakteristischen Punkten des Londoner Lebens.

Kehren wir nunmehr wiederum zur Themse zurück und setzen wir die Fahrt von Albert-Bridge fort, so erreichen wir dicht nach einander folgend die Chelsea - und die Victoria-Brücke letztere für die Eisenbahn , dann nimmt der Fluss bei der Vauxhall-Brücke die Richtung gegen Norden, wird von der Lambeth-Brücke übersetzt, führt an Westminster-Hall und dem prachtvollen Parlamentsgebäude vor - bei und erreicht sodann die Westminster-Brücke. Betreten wir hier das linke Ufer, so befinden wir uns in jenem Theile der Stadt, in welchem sich das politische Leben wie jenes der besten Gesellschaft am meisten bewegt.

Das Parlamentsgebäude zeigt seine Front dem Flusse. Es ist ein gewaltiger, im späteren Tudorstyl errichteter Bau, der an die Stelle des im Jahre 1834 abgebrannten alten Hauses gesetzt worden ist. Drei grosse Thürme, an beiden Ecken und in der Mitte, überragen diesen Palast, welcher elf grosse Höfe in sich schliesst und 1100 Zimmer aufweist. Die Façade längs des Flusses hat eine Länge von 275 m. Der linke Flügel des Gebäudes ist für das Haus der Ge - meinen, der rechte für das Haus der Lords bestimmt. Ausserdem sind verschiedene für Repräsentationszwecke dienliche Räume vorhanden, und ist das ganze Gebäude auch in seiner Einrichtung und Ausschmückung in einer Weise gehalten, welche der grossen Bedeutung entspricht, die den parlamentarischen Körperschaften Englands im ganzen Leben dieses Staates zukommt. In Verbindung mit dem Parlamentsgebäude ist die Westminsterhalle gebracht, derart dass sie als ein Theil desselben sich darstellt. Diese Halle ist eigentlich ein Theil des alten Westminsterpalastes, der in der englischen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Der erste Palast dieses Namens wurde noch unter den normannischen Königen begonnen, brannte jedoch am Ende des XIII. Jahrhunderts gänzlich nieder. Erst unter Eduard II. begann man mit dem Neubau. Jetzt dient Westminster Hall als die grosse Vor - halle des Parlamentes und zeichnet sich durch ihre Dimensionen namentlich deshalb aus, weil die ganze Halle trotzdem nicht durch Säulen unterstützt wird. Hier fanden in alten Zeiten häufige Parla - mentssitzungen statt, hier wurde König Karl I. zum Tode verurtheilt und Oliver Cromwell als Lord-Protector begrüsst, hier feierte man933London.die Krönungsbankette, bei denen heute noch zu Recht besteht, dass der Champion des neuen Herrschers in voller Rüstung erscheinen und jeden zum Kampfe herausfordern darf, der es wagen sollte, das Thronrecht des eben gekrönten Souverains zu bestreiten. Er wirft mit dieser Herausforderung seinen ehernen Handschuh auf den Banketttisch und erhält vom Könige sodann für seine ritterliche Treue einen goldenen Ehrenpreis. So geschah es noch, als Königin Victoria den Thron bestieg.

Dicht hinter dem Parlamente befindet sich die Westminster - Abtei, eine ehrwürdige Gedenkstätte, deren Geschichte weit zurück in die Epoche der angelsächsischen Herrschaft reicht. Wie wir schon früher erwähnt haben, war Westminster einstens ein Städtchen für sich. Wohl älter noch als dieses Städtchen war das Kloster, das nach mehrfachen baulichen Wandlungen von Heinrich III. und Eduard I. so ziemlich in seiner heutigen äusseren Gestaltung hergestellt worden ist.

Nach Aufhebung der Klöster wurde diese Abtei der Sitz eines Bisthums der anglicanischen Kirche. Die Bedeutung dieser Abtei liegt darin, dass dort die meisten englischen Könige ihre letzte Ruhe - stätte fanden und dass sich allmälig auch der Brauch herausbildete, um das Land in irgend einer Weise verdiente Männer gleichfalls an dieser hervorragenden Stelle beizusetzen. So wurde die West - minster-Abtei mit der Zeit zum Pantheon Grossbritanniens erhoben und es gilt als höchste Ehre, welche England seinen Söhnen noch im Tode erweisen kann, wenn ein Grabmal im Dome von Westminster zuerkannt wird; eine Wanderung durch die weitläufigen Hallen der Abtei bringt die ganze politische, militärische, geistige und wirth - schaftliche Geschichte Englands in Erinnerung. Neben den Herrschern des Landes ruhen hier seine Staatsmänner und Helden, seine Dichter und Gelehrten, seine Künstler und Ingenieure, fast alle, deren Name ruhmreich mit den Geschicken des Landes verwoben ist. Westminster - Abtei ist das Mausoleum und die Ehrenhalle des vergangenen England.

Wendet man sich von Westminster stadteinwärts, so durchquert man die mit der Themse parallel führende breite Strasse Whitehall, welche ihren Namen dem Palaste verdankt, der sich einstens in dieser Gegend befand. In diesem alten Palaste residirten die Erz - bischöfe von York und darunter auch Heinrich’s VIII. mächtiger Günstling Wolsey. Als dieser aber in Ungnade gefallen war, ging der Palast in das Eigenthum der Krone über, erhielt seinen späteren Namen, wurde bedeutend erweitert und auch als Residenz be -934Der atlantische Ocean.nützt. Whitehall wurde wiederholt durch Feuer heimgesucht, und nach einer derartigen grossen Katastrophe Ende des XVII. Jahr - hunderts blieb nur mehr die noch heute bestehende Banketthalle übrig, die jetzt als Capelle eingerichtet ist. Bei Whitehall liegt ein grosser Gebäudecomplex, in welchem das Schatzamt, das Ober - commando der Armee als Horse Guard ist dieses Gebäude be - kannt und noch verschiedene andere Regierungsämter untergebracht sind. Zwischen diesen Gebäuden und dem königlichen Palaste zieht sich der St. James-Park hin, welcher ebenso wie die schon früher erwähnten Parks seine Entstehung der Vorliebe englischer Könige für Wildhegung verdankt, unter Karl II. aber in einen Garten nach dem damals herrschenden französischen Geschmack umgestaltet und unter Georg IV. in seine heutige Form gebracht wurde. St. James-Park hat gleichfalls den grossen unvermeidlichen Teich und gilt mit seinen herrlichen Baumgruppen und Prospecten als der schönste von allen Londoner Parks. Auf der Nordwestseite dieses Parkes liegt der St. James-Palast, allwo nach dem Niederbrande von Whitehall die englischen Herrscher vom Ende des XVII. Jahrhunderts angefangen bis zum Regierungsantritt Victoria’s ihre städtische Residenz hielten. Dieser Palast stammt aus den Zeiten Heinrich’s VIII., wurde unter Karl I. erweitert, ist sehr schön eingerichtet, wenn er auch nach aussen einen mehr unregelmässigen Eindruck macht, und wird gegen - wärtig noch bei gewissen Feierlichkeiten benützt. Dieser Palast ward Anlass zu dem heute noch üblichen Brauche, die britische Regierung als das Cabinet von St. James zu bezeichnen.

Am westlichen Ende des St. James-Parkes liegt die jetzige Stadt - residenz der Königin, der Buckingham-Palast, so genannt nach dem früheren Besitzer eines seither auch schon umgebauten Palastes. Dieses Palais ist fast durchwegs von Gartenanlagen umgeben und macht durch seine Façade einen sehr stattlichen Eindruck. Nördlich von Buckingham Palace zieht sich der Greenpark, eine andere Gartenanlage, hin; hinter dem Greenpark geht in östlicher Richtung eine der bekanntesten Strassen Londons, Piccadilly, in der sich neben schönen Schau - läden mehrere aristokratische Paläste und die Locale hervorragender Clubs befinden. Die mit Piccadilly fast parallel laufende Pall-Mall - Street ist eine andere besonders fashionable Strasse, welche nament - lich auch durch Clubhäuser sich auszeichnet. In dieser Strasse hat auch der Prinz von Wales seinen Wohnsitz, genannt Marlborough House. Hinter dem Buckingham-Palast und namentlich westlich dehnt sich ein vorwiegend aristokratisches Viertel aus, mit zahlreichen935London.adeligen Wohnsitzen und einem von dem Treiben und Drängen der City abstechenden Stillleben.

Wir kehren aber wieder zur Westminsterbrücke zurück und folgen dem weiteren Laufe der Themse. Zunächst zeigt sich die grosse Eisenbahnbrücke von Charing Cross und die am linken Ufer dicht daran gelegene gleichnamige[Bahnstation], ein Hauptpunkt des Londoner Eisenbahnlebens. Geht man an dieser Station vorbei, so erreicht man Trafalgar Square, einen der schönsten und besuchtesten Plätze von London, auf welchem eine hohe Denksäule an Nelson’s Siege über die französische Flotte und an seinen Heldentod erinnert. Auf dem Platze befindet sich auch die grosse Gemäldesammlung der Natio - nalgallerie.

Unter der Charing Cross-Brücke macht die Themse die schon vorher erwähnte Biegung gegen Osten, welche sie eine gute Strecke hindurch gleichsam als die Hauptlinie der ganzen Stadt festhält. So ziemlich den Biegungspunkt bezeichnet die Waterloobrücke, in deren Nähe am linken Ufer das Coventgarden-Theater, eines der ersten Londons, gelegen ist. Unterhalb der Waterloobrücke folgt dann bald der sogenannte Temple, und damit erreichen wir das Gebiet der City, welche den nahe am Flusse gelegenen Stadt - theil bis zum Tower in sich begreift. Der Temple hat seinen Namen von einem alten Ordenshause der Templer-Ritter, ist aber heute ein grosser Complex, welcher das Eigenthum einer eigenen juridischen Corporation bildet. Ein Theil der Gebäude beherbergt eine Rechts - schule, andere Theile dienen zu anderen juristischen Zwecken, da ja in England die Rechtsgelehrten überhaupt gewisse engere, corporative Verbände bilden. Gegenüber dem Temple ist auch das Gebäude der obersten Justizhöfe gelegen, in dessen Nähe sich einige andere juristi - sche Corporationen niedergelassen haben, so insbesondere in dem grossen Lincoln’s Inn. Nach dem Temple gelangt man zur Blackfriars - brücke. Am linken Ufer ist Ludgate Hill, der westliche Endpunkt der einstigen römischen Colonie, und östlich dann die St. Pauls-Kathe - drale, ein Wahrzeichen Londons, gelegen. Dieselbe liegt weithin sichtbar auf einem Hügel, hat in ihrer ganzen Gestaltung eine gewisse Aehnlichkeit mit der Peterskirche in Rom und wurde gegen Ende des XVII. Jahrhunderts begonnen, jedoch erst 1710 vollendet. St. Paul gilt als die erste Kirche der Metropole und enthält in ihrem Innern eine Anzahl von Denkmälern berühmter britischer Männer, so dass an dieser Stätte zugleich die neuere Geschichte des Landes eine zweite, wenn auch weniger leuchtende Ruhmeshalle besitzt. St. Paul sieht936Der atlantische Ocean.von seiner Höhe auf das rege Treiben der City herab und bildet ganz unzweifelhaft einen eigenthümlichen Gegensatz zu der fieberhaften Thätigkeit, welche sich da ringsum abspielt.

Die City enthält wenig bemerkenswerthe Gebäude, und es ist überhaupt nicht ihre Eigenthümlichkeit, einen schönen Eindruck zu machen. Die Strassen sind enge, die Häuser hoch, und Licht und Luft gerade nicht im Ueberflusse vorhanden. In der City befindet sich die Amtswohnung des Lord-Mayor, das Mansion House, dann der grosse Complex der Bank von England, jenes Centralpunktes des britischen Geldverkehres, in dessen Gewölben grosse Schätze an Gold und Silber deponirt liegen. Die Bank von England vermittelt das ganze Zahlungs - wesen des Staates, der keine eigenen Zahlstellen und Cassen unter - hält, sondern sämmtliche darauf bezüglichen Agenden durch die Bank vermitteln lässt, welcher dafür die Einnahmen des Staates überwiesen werden. Ueberhaupt ist in England der Brauch fast allgemein und selbst bei Privatpersonen üblich, nur die unbedingt erforderliche Bar - schaft in eigener Hand zu haben, dagegen alles Uebrige einem Banquier zu übermachen und alle Zahlungen durch Anweisungen auf denselben zu bewerkstelligen. Die Bank von England beschäftigt an tausend Beamte und besitzt grosse technische Einrichtungen für die Bank - notenfabrication.

In der Nähe der Bank ist auch die Börse, Royal Exchange, gelegen, ein aus den Vierzigerjahren stammendes Gebäude. Die Börse von London hat eine geradezu grossartige Bedeutung und ist wohl der wichtigste Punkt für den ganzen Weltverkehr. Dort laufen die Fäden eines den Erdball umspannenden Geschäftslebens zusammen, und die dort gegebenen Impulse sind allüberall massgebend. Im Börsengebäude befinden sich die Lloyd-Rooms, in denen eine für die Schiffahrt höchst wichtige Institution ihren Sitz hat. Die Insti - tution des Lloyd ist eine alte, ebenso der Name, welcher von einem Café herrührt, in dem jene Institution ihre ersten Anfänge fand. Schon im XVII. Jahrhundert hatte sich nämlich das Bedürfniss geltend ge - macht, die Schiffsinteressenten in eine nähere Verbindung zu einander zu bringen, die Nachrichten über den Seeverkehr gegenseitig auszu - tauschen und dadurch das geschäftliche Leben zu erleichtern. Damals war ja das Nachrichtenwesen noch nicht organisirt und man wesent - lich auf jene Mittheilungen angewiesen, welche den Einzelnen von ihren Capitänen, Agenten oder von den mit ihnen in Verkehr stehenden Kaufleuten zugingen. Es entwickelte sich die Gewohnheit, dass die betreffenden Rheder oder wer überhaupt an Handelsschiffen937London.Interesse hatte, sich in jenem Café zusammenfanden und dort ihre verschiedenen Nachrichten austauschten, Anfragen stellten, Nach - forschungen hielten. Diese zwanglose Vereinigung gab zunächst auch Anlass zur besseren Entwicklung des Seeversicherungswesens. Man suchte nämlich bei den erwähnten Zusammenkünften Personen, welche gegen Erhalt eines gewissen Betrages der Prämie sich zur Ueber - nahme des Risicos für eine Seefahrt, beziehungsweise für eine Ladung oder einen Theil einer solchen verpflichteten. Gemeiniglich legte man

Greenwich.

einen Antrag hiezu schriftlich auf und forderte zur Betheiligung durch Unterschrift auf. So entstanden fallweise Versicherungsverträge, und die Versicherer wurden, weil sie durch erwähnte Unterschrift den Vertrag annahmen, Underwriters genannt. Letzteres Wort ist dann für Seeversicherer auch noch in Gebrauch geblieben, nachdem schon das Versicherungswesen eine ganz feste Organisation erhalten hatte. Aus dem Café Lloyd sind aber allmälig zwei grosse Institutionen her - vorgegangen, welche massgebend für analoge Einrichtungen in anderen Ländern geworden sind, einerseits die Seeassecuranz, welche an StelleDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 118938Der atlantische Ocean.von Fall zu Fall eintretender Personen eigene, zumeist auf Actien begründete Anstalten übernahmen, deren Zahl natürlich immer mehr sich steigerte, und andererseits das sogenannte Lloyd-Register, in dem alle Handelsschiffe auf Grund einer technischen Begutachtung nach gewissen Grundsätzen classificirt werden, welche Classification wieder als Grundlage für die Versicherung dient. In Verbindung mit dem Register steht dann auch die Sammlung aller Nachrichten über die Bewegungen und Schicksale der einzelnen Fahrzeuge. Die vom Lloyd eingenommenen Räume in der Börse sind daher der Ort, wo die maritimen Interessen Englands zum täglichen Ausdrucke gelangen. Hieher lenkt der Kaufmann, welcher eine gute Schiffsgelegenheit sucht, der Rheder, welcher Nachrichten holen will, der Capitän wie der Versicherer seine Schritte, und hier wird lebhaft über die Schick - sale eines Fahrzeuges verhandelt, welches auf fernem Ocean die Wellen durchschneidet. In Lloyds Rooms gewinnt man einen lebhaften Eindruck von dem engen Zusammenhange der einzelnen Theile des Seeverkehres.

Wenden wir uns von der Börse wieder zur Themse, so erreichen wir die Southwark-Bridge, die nächste nach Blackfriars, dann folgt wieder eine Eisenbahnbrücke und hierauf eine der besuchtesten Brücken der Stadt, die London-Bridge. Es ist dies die älteste Brücke über den Fluss, bis vor hundert Jahren auch die einzige. Die Geschichte dieser wiederholt umgebauten Brücke reicht bis in das XII. Jahrhun - dert zurück. In alten Zeiten standen auf beiden Seiten der Brücke Häuser, so dass dieselbe wie eine geschlossene Strasse erschien, welche an beiden Enden mit Gittern abgesperrt werden konnte. Auf den Stäben dieser Gitter pflegte man die Köpfe enthaupteter Hoch - verräther aufzustecken. London-Bridge verbindet die City unmittelbar mit dem am rechten Ufer gelegenen, sehr bevölkerten und industriellen Stadttheil, dem sogenannten Borough, und man hat berechnet, dass täglich über 100.000 Menschen und 15 000 Fuhrwerke die Themse an dieser Stelle passiren. London-Bridge ist aber auch darum von besonderer Wichtigkeit, weil unterhalb derselben der eigentliche Hafen beginnt. Bis hinauf zur London-Bridge ist die Themse für die meisten Seeschiffe zugänglich. Unterhalb der Brücke liegen an beiden Ufern Schiff an Schiff, man überblickt einen wahren Wald von Masten und Schloten. Zugleich geniesst man von der Brücke einen guten Ueber - blick über einen Theil der Stadt auf - und abwärts und kann das unendliche Treiben auf der Themse und über der Themse beobachten. Hier steht man an der stärksten Pulsader des Verkehres und em -939London.pfindet vielleicht am besten die ungeheure Bedeutung von London. Unterhalb London-Bridge steht am linken Ufer das Zollamt und flussabwärts folgt bald ein anderes berühmtes Wahrzeichen der Stadt, der altersgraue Tower. Wir haben schon an einer früheren Stelle erwähnt, dass bereits Wilhelm der Eroberer den weissen Tower bauen liess, zur Sicherung seiner Verbindung auf der Themse und auch als Zwingburg gegen die Bürger von London, denen der Nor - manne doch kein rechtes Vertrauen entgegenbrachte, wenn er auch ihre städtischen Freiheiten bestätigt hatte. Um den weissen Tower herum wurde dann allmälig im Laufe des Mittelalters eine Reihe von starken Werken mit vielen Thürmen angelegt, welche im Ganzen die Form eines unregelmässigen Fünfeckes zeigen und mit einem breiten Graben nach aussen versehen waren. Heute dient der Tower theils als Arsenal, theils als Sammelstelle verschiedener historischer Denk - würdigkeiten, auch garnisonirt in demselben ein Theil der königlichen Fussgarden; einstens aber war der Tower ein fester Stützpunkt der königlichen Macht und zugleich das düstere Staatsgefängniss, in dem sich manche Tragödie der englischen Geschichte abspielte. Im Tower wurden die jugendlichen Söhne Eduard’s IV. auf Befehl Richard’s von York, des nachherigen Richard III. erwürgt; im Tower verbrachte Königin Elisabeth ihre Jugendjahre, gefangengehalten durch ihre Stief - schwester Maria; hier wurde Eduard’s IV. Bruder, der Herzog von Clarence, in einem Fass Malvasier ersäuft, welche Todesart er selbst sich erwählen durfte; ebenso fand König Heinrich VI. daselbst seinen Tod. Im Tower sass König Johann von Frankreich lange gefangen, wurde Lord Strafford enthauptet, welcher König Karl I. in den Con - flict mit dem Parlamente gebracht hatte und von jenem der Bestra - fung durch das Parlament überlassen werden musste, und so liesse sich noch eine lange Reihe von Persönlichkeiten aufzählen, die ein trauriges, wenn auch nicht immer unverschuldetes Geschick mit dieser Burg in Verbindung brachte. Düster und unheimlich sind die Ein - drücke, welche man beim Besuche des Tower sammelt, und es thut der Gegensatz fast wohl, welchen die nächste Umgebung dieser Feste darbietet, allwo überall das friedliche Treiben der Gegenwart zum Ausdrucke gelangt. So steht nördlich vom Tower Trinityhouse und das Gebäude der königlichen Münze, östlich desselben beginnt mit den St. Katharines Docks die Reihe der grossartigen Dockanlagen im Londoner Hafen.

Trinityhouse beherbergt auch eine eigenthümliche britische Institution, nämlich die Corporation von Trinityhouse, welche unter118*940Der atlantische Ocean.König Heinrich VIII. bereits gegründet worden war, um namentlich die Sicherheit der Schiffahrt zu fördern, und welche sich seither mit der Errichtung von Leuchtfeuern und der Bemarkung der Küsten und Flussmündungen beschäftigt hat. Heute hat noch Trinityhouse die Verwaltung aller dieser Vorkehrungen und ist überhaupt die Central - stelle für die Massregeln zur Förderung der maritimen Sicherheit. Der Anstalt, welche immer noch commissarisch geführt wird, wenn - gleich dieselbe mit den betreffenden staatlichen Organen, namentlich der Admiralität und dem Board of Trade in Verbindung steht, sind bestimmte Einkünfte gesichert, mit denen sie die Erhaltung der von ihr abhängigen Anstalten besorgt und von denen sie auch einen Theil zur Unterstützung hilfsbedürftiger Seeleute verwendet. Trinity - house hat auch die oberste Leitung des Rettungswesens an der bri - tischen Küste.

Nun aber gelangen wir nach unserer Wanderung durch die Stadt zum Hafen selbst, der unsere vollste Aufmerksamkeit in An - spruch nimmt. Der Hafen von London ist ein Flusshafen; ein grosser Theil der Schiffe muss im Flusse selbst liegen, und nur durch die weit ausgedehnten Docks hat man auf künstlichem Wege dem Be - dürfnisse nach guten und sicheren Liegeplätzen und nach besserer Manipulation abhelfen können. Der Hafen (siehe unseren Plan Thames River) hat dadurch eine ungeheure Ausdehnung in die Länge er - halten, indem er sich von der London-Bridge 10·5 km abwärts erstreckt. Es ist jedenfalls ein Beweis von der überaus günstigen Lage Londons, dass trotz dieser Verhältnisse sich ein so riesiger Ver - kehr entwickeln konnte, denn in den vergangenen Jahrhunderten war eigentlich gar keine Vorkehrung von irgend welcher Bedeutung ge - troffen. Die Schiffe lagen recht und schlecht längs des Strandes und führten ihre verschiedenen Manipulationen unter schwierigen Verhält - nissen aus. Dabei darf man nicht vergessen, dass damals der ganze Verkehr durch Segler bewerkstelligt werden musste, denen es nicht gerade leicht ward, gegen die Strömung den Fluss hinauf zu ge - langen. Die einzigen halbwegs entsprechenden Liegeplätze waren die sogenannten Legal Wharves, von London-Bridge abwärts bis zum Tower gelegen, in einer Ausdehnung von 460 m. Diese Stellen waren aber in privatem Besitze, und die Besitzer nützten das ihnen dadurch gewordene Monopol reichlich aus. Trotz aller Bemühungen der Rheder und Kaufleute konnte man sich nicht von jenem Monopol freimachen oder die Erlaubniss zu anderen Anlagen erzielen, und erst am Schlusse des XVIII. Jahrhunderts gelang es den nach Westindien941London.handelnden Kaufleuten, einen künstlichen Hafen, die West-India-Docks, zu schaffen, und nachdem einmal ein Anfang gemacht, folgten bald andere ähnliche Einrichtungen nach; nur verfiel man sofort in den Fehler, den jetzt entstehenden Docks abermals gewisse Vorrechte, und zwar auf bestimmte Zeit einzuräumen, so dass trotz des steigenden Bedürfnisses ein Stillstand eintreten musste und erst nach Ablauf jener Frist eine Reihe weiterer Institutionen ins Leben gerufen werden konnte.

Heute verfügt man über eine nicht geringe Zahl solcher Docks, in denen sich der ganze grosse Verkehr abspielt. Unter Dock ver - steht man in England nicht nur künstliche Hafenbassins, in denen die Schiffe sicher liegen und die meist durch Schleussen geschlossen werden, sondern auch grosse damit in unmittelbarem Zusammenhang befindliche Waarenmagazine, in welche die Waaren möglichst direct vom Schiffe gelangen, aufgespeichert werden, und über welche auf Grund der ganzen Dock-Organisation von den Eigenthümern verfügt werden kann, bis diese Waaren ihrer weiteren Bestimmung zugeführt, beziehungsweise neuerlich verschifft werden. Die Docks sind eine un - geheure Erleichterung für den ganzen Verkehr, sie ersparen viel Zeit und Arbeit und entheben den einzelnen Kaufmann von der Sorge für eine Menge von Manipulationen, welche für ihn und auf seine Rech - nung die Dockverwaltung vornimmt. Es entwickelt sich derart das eigenthümliche Verhältniss, dass der betreffende Kaufmann ein grosses Geschäft mit seinen Waaren durchführen kann, ohne dass er auch dieselben nur ein einzigesmal flüchtig zu Gesichte bekommen hat. Die Dockverwaltung übernimmt die Waaren, lagert sie ein, besorgt Alles, was auf deren Instandhaltung Bezug nimmt, liefert dieselben wieder aus oder veranlasst nach Auftrag deren Verschiffung; ferner ist durch das sehr ausgebildete Warrantsystem Sorge getragen, dass das Eigenthum leicht übertragen werden kann und dass auch Vor - schüsse auf den Werth der eingelagerten Waaren gegeben werden können. In den Docks concentrirt sich also der grosse Handel und dabei haben es die Verhältnisse mit sich gebracht, dass die Docks wenigstens zum Theil bestimmten Artikeln gewidmet sind, und sich daher dadurch grosse Centralpunkte für einzelne Artikel herausgebildet haben, was abermals eine Erleichterung des Geschäftes in denselben bedeutet.

Man darf aber trotz der grossen Entwicklung des Dockwesens in London nicht glauben, dass die bezüglichen Anlagen durchaus mustergiltig seien. Sie zeigen mehr oder minder verschiedene Uebelstände,942Der atlantische Ocean.in Bezug namentlich auf die Verbindung zwischen Schiff und Land und die glatte Umladung, dann auch weil nicht durchwegs die un - mittelbare Communication mit der Eisenbahn erzielt wird, endlich weil die innere Einrichtung der Magazine auch bisweilen mancherlei Unbequemlichkeiten aufweist. Es haben sich eben seit Errichtung einzelner Docks erst Neuerungen auf Grund gemachter Erfahrungen ergeben, denen man in den alten Gebäuden nicht mehr Rechnung tragen konnte.

Betrachten wir nunmehr die einzelnen Anlagen vom oberen Laufe des Flusses aus, so stossen wir auf dem linken Ufer, allwo sich mit einer einzigen Ausnahme alle Docks befinden, zunächst auf St. Katherines Dock, zwar das kleinste, aber wegen seiner Nähe zur City überaus bequem gelegen und darum auch gerne besucht. Es besteht aus zwei Bassins mit einer Art von kleinem Vor - hafen und hat 4 ha Wasser - und 5 ha Landfläche. An den Ufern befinden sich hohe Waarenlager, die jedoch so knapp an der Kante stehen, dass nicht einmal für einen Fusssteig davor Raum vorhanden ist, eine durchaus nicht praktische Einrichtung. Ebenso besteht ein grosser Mangel dieser Docks in dem Umstande, dass es an einer directen Bahnverbindung gebricht. Die Magazine sind untereinander mit Brücken verbunden, welche in bedeutender Höhe quer durch den Luftraum geführt wurden. Die Magazine haben grosse Kellerräume, in denen bedeutende Quantitäten von Wein, Spirituosen und Oel eingelagert werden. Die Wassertiefe beträgt 8·5 m bei Springflut. An St. Katherines Dock reihen sich die London-Docks an, welche um das Jahr 1800 hergestellt wurden und die zweitälteste derartige Anlage bilden. Diese Docks haben drei Bassins, das Ostbassin, das Westbassin und das Wappingbassin. Diese ebenfalls 8·5 m tiefen Bassins stehen unter - einander durch Canäle in Verbindung und gewähren den grössten Schiffen Zugang und Liegeplatz. Im Westbassin hat man einen Molo, einen sogenannten Jetty später eingebaut, um mehr Anlegeraum zu gewinnen. Im Ganzen sind 16 ha Wasser - und 24 ha Landfläche vor - handen. Die Gebäude am Lande sind theils förmliche Magazine (Speicher), theils nur Schuppen (Hangars). Hier ist die Situation eine verschiedene, indem man die Baulichkeiten theils dicht am Wasser errichtet hat, theils aber einen Raum zur Verbindung frei liess. Auch hier ist die Bahnverbindung noch eine sehr knappe und beschränkt sich eigentlich nur auf einen einzigen Schienenstrang längs eines Theiles der Ufer. Einen sehr bedeutenden Eindruck machen die Magazine und deren weitausgedehnte Kellerräume. In den Kellern943London.liegt auch hier ein ganz gewaltiger Vorrath von Wein, Spirituosen und Oel. Die Keller können 50.000 Pipen Wein, 50.000 Oxhoft Cognac, 8000 Puncheons Rum und 2500 Tons Oel fassen. In den oberen Räumen lagern dann hauptsächlich Wolle, Thee, Zucker, Ge - würze. Diese Stockwerke haben gutes Licht und sind mit hydraulischen Aufzügen versehen. An Wolle können allein 100.000 Ballen einge - bracht werden. Endlich gibt es sehr helle und luftige Dachräume für jene Waaren, welche deren vornehmlich bedürfen. Auf den Dach - räumen der London Docks findet man viel Gewürze aller Art und kann sich daselbst eines höchst aromatischen Duftes erfreuen. Die London Docks sind Eigenthum einer Actiengesellschaft, welche oft - mals bis zu 10.000 Arbeiter beschäftigt.

Nun gelangen wir auf das rechte Ufer der Themse zu jener Stelle, wo diese letztere die schon erwähnte starke Biegung nach Süden macht, und treffen auf die Surrey - und Commercial-Docks Diese Docks gingen aus einer alten Anlage, den Grönland-Docks her - vor und sind hauptsächlich der Lagerung von Holz und Getreide ge - widmet. Sie haben sich allmälig zu einem Complex von 15 Bassins erweitert, von denen jedoch nur acht für Seeschiffe zugänglich, während die sieben anderen nur mit einer Cunette für solche Fahr - zeuge versehen sind. Vom Flusse führen vier verschiedene Einfahrten in diese Docks, welche untereinander mit Canälen und Schleussen verbunden sind. An Wasserfläche sind 32½ ha vorhanden, an Quai - länge verfügt man über 7300 m, an Landfläche endlich über 136 ha. Magazine sind, mit Ausnahme eines grossen Getreidespeichers, keine vorhanden, sondern nur einfache Schuppen. Zum Theil lagert das Holz auch im Freien. Denn in diesen Docks concentrirt sich der Holz - handel von London. Der Getreidespeicher fasst 16.000 t und ist mit einem gewaltigen Elevator ausgerüstet, der die Ladung und Löschung besorgt. Die Einrichtung dieses Speichers ist überhaupt eine sehr zweckmässige und namentlich ist für gute Lichtung des Lagervor - rathes vollauf gesorgt. Der ganze Betrieb geschieht nun fast in allen Docks durch hydraulische Vorrichtungen.

Kehren wir auf das linke Ufer zurück, so finden wir uns auf der Isle of Dogs, an deren Nordende die West-India-Docks gelegen sind, welche noch vor den London-Docks in Angriff genommen wurden und daher die ältesten dieser Art darstellen. Die Westindia Docks bilden drei von Nord nach Süden folgende, mit einander parallele Bassins, das Import -, das Export - und das Südbassin, welch letzteres erst in den Jahren 1866 1870 aus einem Canale in ein944Der atlantische Ocean.Dock umgestaltet wurde. Diese Docks haben zwei Einfahrten mit 6·6 m und 7 m Tiefe am oberen und zwei Einfahrten mit den kleinen Vorhäfen am unteren Flusslaufe. Das 8 m tiefe Importdock umfasst 8 ha und bildet ein rechtwinkeliges langes Viereck. Die nördliche Längsseite und die beiden Kurzseiten sind mit Speichern und Schuppen versehen. Hier hat man aber eine zweckmässigere Anlage gewählt, indem zwischen Speicher und Quaikante eine Fahrstrecke eingefügt ist und dann auch seewärts ein offener Hangar folgt, welcher ge - stattet, die Ladungen geschützt vorzunehmen. An der Südseite des Importdock, zwischen diesem und dem Exportdock sind grosse Magazine errichtet, in denen namentlich Farbehölzer, Mahagoni und Rum lagern. Durchwegs sind hydraulische Krähne vorhanden. Dieser Platz ist für den grossen westindischen Holzhandel von besonderer Wichtigkeit. Auch concentrirt sich hier das Rumgeschäft und sind für die Lagerung dieses Artikels besondere den Eigenthümlichkeiten ent - sprechende Vorkehrungen getroffen. Hier wird auch die Appretur des Rums vorgenommen, von welchem im Ganzen 58.000 Gallons aufge - nommen werden können.

Das nun südlich folgende 7·2 m (an der Einfahrt nur 6·6 m) tiefe Exportdock ist seiner Construction nach dem Importdock ähnlich, steht demselben jedoch an Bedeutung des Betriebes wesentlich nach. Sein Uebelstand liegt in einer nicht genügenden Tiefe der Einfahrt. Darin unterscheidet sich von demselben sehr günstig das Süd - bassin (South-Dock). Dieses 8·2 m tiefe Bassin hat eine Anzahl kleiner Molen (Jetties), ist als eine moderne Anlage mit Schienensträngen genügend ausgestattet, zeigt an der Südseite zunächst Schuppen mit zwei Stockwerken, hinter denen eine Fahrstrasse und dann drei Stockwerk hohe Magazine liegen, welche mit vorigen Schuppen durch

Legende zum Plan von London. A West-India-Docks, B Millwall-Docks, C East-India-Docks, D London-Docks, E Commercial-Docks, G Regents-Canal, H Grand Surrey-Canal, J Battersea-Brücke, K Albert-Brücke, L Chelsea Suspension - Brücke, M Victoria-Brücke, N Vauxhall-Brücke, O Lambeth-Brücke. P Westminster-Brücke, Q Charing Cross-Brücke, R Waterloo-Brücke, S Blackfriars-Brücke, T Southwark-Brücke, U London-Brücke, V Buckingham Palace, W St. James Palace, X Westminster-Abtei, Y Parlament, Z Horticultural Soc., naturwissenschaftliches Museum und South Kensington-Museum. 1 Kensington Palace, 2 Kensington Union House, 3 British Museum, 4 National-Gallerie, 5 Covent Garden Market, 6 Somerset House, 7 The Temple, 8 St. Paul-Kathedrale, 9 Bank von England, 10 Gray’s Inn, 11 Lincoln’s Inn, 12 Courts of Justice, 13 St. Thomas-Hospital, 14 Bethlehem-Irren-Asyl, 15 Zollamt, 16 The Tower, 17 London Hospital, 18 Guild Hall, 19 Universität und königl. Akademie, 20 Chelsea Hospital, 21 Strafhaus, 22 Greenwich Hospital, 23 Royal Naval Asylum, 24 königl. Sternwarte, 25 West London-Westminster Friedhof, 26 Victoria-Friedhof, 27 Oxford Street, 28 Uxbridge Road, 29 Edgware Road, 30 Horrow Road, 31 Piccadilly, 32 Old Street, 33 Gray’s Inn, 34 Seymour Street, 35 High Street, 36 Camden Road, 37 Caledonia Rd., 38 York Rd., 39 Liverpool Rd., 40 Essex Rd., 41 City Rd., 42 Kings Canal Rd., 43 Queens Rd., 44 Grove Rd., 45 Hackney Rd., 46 Cambridge Rd., 47 Whitchapel Rd., 48 Mile End Rd., 49 Old Ford Rd., 50 Commercial Rd., 51 Deptford Lower Rd., 52 Grt. Dower Street, 53 Old Kent Rd., 54 Waterloo Rd., 55 Blackfriars Rd., 56 Kensington Park Rd., 57 Clapham Rd., 58 Belgrave Rd., 59 Battersea Rd, 60 Fulham Rd., 61 Kings Rd., 62 Old Brompton Rd., 63 Kensington Rd., 64 Knights Bridge, 65 Marylebone Rd., 66 Eustone Rd., 67 Pentonville Rd., 68 Gaswerke.

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London (Massstab 1: 90.600).

(Legende siehe auf Seite 944)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 119946Der atlantische Ocean.Brücken verbunden sind. In den Magazinen sind vornehmlich grosse Wolllager.

Auf der Isle of Dogs südlich von den West-India-Docks be - findet sich zunächst eine ganz eigenthümliche Einrichtung, nämlich ein ausgedehntes und weitverzweigtes Areal von Geleisen, welche einer Gesellschaft gehören, die auf diesen Geleisen Waggons mit Getreide placirt, statt letzteres einzulagern, und dadurch eine Art von Magazin hält. Ein Theil der Geleise ist mit einem grossen offenen Schuppen überdeckt, um die Waggons besser zu sichern. Nahe an dieser Wagenburg sind die Millwall-Docks gelegen. Die Millwall - Compagnie wurde 1868 gegründet und widmet sich vorzugsweise dem Korn - und Wollhandel. Es sind zwei mit einander ver - bundene Bassins vorhanden, welche durch eine 8·5 m tiefe Schleusse mit der Themse verbunden sind und eine Wasserfläche von 14 ha umfassen. Die Quais haben eine Längenausdehnung von 2800 m und sind mit doppelten Schienengeleisen ausgerüstet. Ueberhaupt besitzen diese Docks, deren weitere Ausdehnung an der südlichen Stelle der mehrgenannten Halbinsel geplant wird, sehr gute maschinelle Ein - richtungen.

Hat man den durch jene Halbinsel formirten grossen Bogen der Themse umschifft, so gelangt man dort wo der Strom wieder in öst - licher Richtung einlenkt, zu den East-India-Docks, welche mit den West-India-Docks Eigenthum derselben Gesellschaft sind. Diese Docks stammen gleichfalls aus dem Anfange dieses Jahrhunderts und sind ihrer Einrichtung nach veraltet. Sie haben drei Bassins, das Import - Dock (7·3 m tief), das Export-Dock (8·1 m tief) und das Dock - bassin (7·5 m tief), zusammen mit einer Wasserfläche von 12 ha. Nur am Import-Dock bestehen eigentliche Lagerhäuser, die Schienen - verbindungen sind weder in genügender Zahl vorhanden, noch prak - tisch angelegt, eine begreifliche Folge des Umstandes, dass diese Docks zu einer Zeit entstanden, wo man an Eisenbahnen noch nicht dachte.

Eine weit modernere Anlage sind dagegen die Victoria-Docks. In der Entwicklungsgeschichte der Londoner Docks kennzeichnet sich ein Moment, nämlich die Tendenz, immer mehr stromabwärts zu gehen, weil man die Meinung hegte, dass je näher man der Mündung liege, desto lieber die heraufkommenden Schiffe das ihnen zuerst er - reichbare Dock benützen würden. Da nun die in einer Hand befindlichen West - und East-India-Docks sich in einer günstigeren Lage in dieser Beziehung befanden, so entschloss sich die Gesellschaft, welche die947London.St. Katharines und London Docks in ihrem Besitze vereinigt hatte, zu einer neuen mehr abwärts gelegenen Anlage und richtete das Victoria-Dock ein. Der Bau dieses Docks erfolgte um 1880.

Das Victoria-Dock liegt von Osten nach Westen und steht mit dem später angelegten Albert-Dock in Verbindung. Die Ein - fahrt in das Victoria-Dock geschieht durch einen kleinen 8·5 m tiefen Vorhafen westlich, doch ist das Dock auch vom Albert-Dock zu - gänglich. Es hat 36 ha Wasserfläche und 6200 m Quailänge, was jedoch nur dadurch erreicht wurde, dass man dreizehn kleinere Molen eingeschoben hat. Auf diesen Molen stehen zweistöckige Schuppen mit einer schmalen überdeckten Strasse davor. Ausser diesen Schuppen besitzt genanntes Dock vier grosse Speicher für Getreide, zwei solche für Tabak und dann noch eigene Magazine für andere Artikel, da - runter namentlich Guano, Jute u. dgl. Die Bahneinrichtungen sind gut, aber auch hier hat man nicht überall die unmittelbare Verbin - dung zwischen Schiff und Bahn erzielt. An der Südseite sind in einem gemeinsamen Bassin 8 Trockendocks. Bemerkenswerth sind die unter einigen Hangars befindlichen Keller, in denen eine Temperatur von Reaumur ständig erhalten wird, und allwo man gefrorene Schafe (bis zu 40.000 Stück) einlagert, die auf Schiffen, welche mit Re - frigerationsmaschinen versehen sind, aus Australien eingeführt wurden. Oestlich vom Victoria-Dock wurde von derselben Gesellschaft das 9·1 m tiefe Albert-Dock errichtet. Dieses Dock ist seiner ganzen Einrichtung nach am gelungensten. Hier ist zunächst am Quai ein doppeltes Schienengeleise und dann noch ein Geleise für hydraulische Laufkrähne angelegt. Nach diesen Geleisen folgen Hangars, deren es im Ganzen nicht weniger als 35 gibt. Diese dienen für die Mani - pulation der Waaren, sind von Holz, mit gutem Lichte. Hinter den Hangars liegen abermals mehrere Schienenstränge. Es sind hier 45 hydraulische Laufkrähne vorhanden. Ausserdem verfügt man über vier schwimmende Pontons mit Krähnen von einer Hebekraft bis zu 60 t. Eine fernere Vorkehrung ist auch in der Richtung getroffen, dass man durch eine Pumpenanlage den Wasserstand in den Bassins für den Fall erhöhen kann, dass wegen Mangel an Flut sich dies er - spriesslich erweisen sollte. Ausser der alten 9·1 m tiefen Einfahrt wurde eine neue 10·9 m tiefe letzter Zeit erbaut. Die Dockeigenthümer ver - fügen über eine grosse Landfläche, deren Ausnützung jedoch erst zum Theil geschehen ist. So zweckmässig, nämlich im Vergleiche mit den flussaufwärts gelegenen Docks, auch die beiden eben betrachteten Anlagen sind, so gereicht denselben doch die bedeutende Entfernung119*948Der atlantische Ocean.von der Stadt und dem Sitz des eigentlichen Verkehres, der City, zum Nachtheile, und dieser Nachtheil betrifft auch die jüngste Dock - anlage, nämlich Tilbury-Docks. Als nämlich Victoria - und Albert - Docks gebaut wurden, beschloss die East - und West-India-Docks - gesellschaft noch mehr flussabwärts ein Dock auf ihre Rechnung zu bauen und wählte zu diesem Zwecke eine ziemlich gegenüber Gravesend gelegene Stelle bei der Ortschaft Tilbury. Tilbury-Docks sind 37 km von London Bridge entfernt, und daraus kann man wohl beurtheilen, dass diese Entfernung einigermassen zu Ungunsten des Docks ins Gewicht fällt. Im Tilbury-Dock ist für sehr grosse Tiefen (10·6 m bei Springflut) gesorgt, und hat dasselbe ausser einem bei Ebbe 8 m, bei Springflut 13·3 m tiefen Vorhafen ein sehr grosses Operations - bassin mit drei sich daran rechtwinkelig anschliessenden Querdocks. Hier ist das System der Geleiseverbindungen in glücklicher Weise gelöst, so dass der Verkehr per Bahn durchwegs ohne viel Störung oder Verzögerung möglich erscheint. In diesem Dock können 42 grosse Dampfer gleichzeitig operiren. Die Uferlänge beträgt 4000 m. Die Hangars sind hier auch aus Holz construirt und mit stählernen Jalousien versehen, so dass man allseits einen Ausgang nach Bedarf herstellen kann. Ueberall kann man hydraulische Hebevorrichtungen zur Verwendung bringen. In Verbindung mit Tilbury-Dock sind auch zwei Trockendocks (dry docks), welche je nach Bedarf an Schiff - bauer vermiethet werden. Diese Docksanlage wurde erst 1886 vollendet.

Wenn wir nun alle diese Docksanlagen überblicken, so lässt sich deren Grossartigkeit ebenso wenig verkennen, als ihre Bedeutung für den ganzen Verkehr, welcher schlechthin gar nicht überwältigt werden könnte, wenn nicht für die Bedürfnisse der Schiffahrt in so umfassender Weise vorgesorgt worden wäre Trotz des grossen Ver - kehres kann man aber nicht sagen, dass im Ganzen die Docksgesell - schaften besondere Geschäfte machen. Der Grund dieser Erscheinung liegt zum wesentlichen Theil darin, dass die Herstellung der Bau - lichkeiten grosse Capitalien erheischte und man andererseits die Lagerzinsen nicht hoch halten kann. Die neuesten Anlagen leiden durch die schon erwähnten Umstände und werden wohl erst dann günstigere Erträgnisse abwerfen können, wenn der stets steigende Verkehr von London gezwungen sein wird, die Annehmlichkeit einer nahen Situation zur City minder hoch anzuschlagen, beziehungsweise sich zum Theil wenigstens von dem traditionellen Festhalten an jenem Stadttheil zu emancipiren. Heute ist das geschäftliche Centrum949London.eigentlich dort, wo der langgestreckte Flusshafen erst seinen Anfang nimmt, ja im Grunde noch oberhalb dieses Anfanges, nämlich jenseits von London Bridge.

Um die Docksanlagen geschlossen zu betrachten, haben wir in unserer Betrachtung der Themse einen Sprung gemacht und müssen nunmehr, zur Vervollständigung des Bildes, zu jener Stelle, wo sich das Südende der Isle of Dogs befindet, zurückkehren. Diesem Ende gegenüber liegt Greenwich, einstmals ein Ort für sich, heute mit der Metropole bereits verschmolzen. Greenwich ist weltbekannt zunächst seiner Sternwarte wegen, nach deren Meridian alle englischen See - karten projicirt sind, dann aber auch wegen des grossen Hospitales zur Aufnahme dienstuntauglicher Seeleute. Dieses Hospital verdankt seine Gründung König Wilhelm III. im Jahre 1824. Das Hospital ist mit sehr bedeutenden Einkünften dotirt und kann 2700 Pensionäre er - halten, von denen jedoch heute nur der geringere Theil in dem Ge - bäude selbst untergebracht ist, während die übrigen nur laufende Pensionen in Geld beziehen. In der Nähe des Hospitales ist die Royal Naval School zur Erziehung hinterlassener Kinder von Seeleuten der königlichen Flotte. Südlich von Greenwich zieht sich ein grosser Park hin, der durch schöne Baumschläge und zahmes Damwild sich aus - zeichnet. In diesem Park steht das königliche Observatorium mit der be - rühmten britischen Sternwarte (54° 36′ nördl. Br. und 0·0″ östl. L.), an welcher die Normalzeit für ganz England bestimmt wird, deren Mittheilung jeden Tag um 1 Uhr telegraphisch an alle wichtigeren Punkte des Königreiches erfolgt. Greenwicher Zeit hat bekanntlich auch im Seeverkehr grosse Bedeutung. Ebenso dürfte der Meridian von Greenwich zum Ausgangsmeridian für die projectirte Weltzeit werden.

Nachdem die Themse von Greenwich her den östlichen Theil der Isle of Dogs umspült hat, wendet sie sich wieder östlich und läuft zwischen den Victoria - und Albert-Docks zur linken und Wool - wich zur rechten Hand. In Woolwich liegt das grosse königliche Arsenal, in welchem der grösste Theil des Heerbedarfes an Waffen und Rüstungssachen hergestellt wird. Insbesondere ist die Geschützgiesserei von Bedeutung und erheblicher Ausdehnung. In Woolwich sind ferner Kasernen für Land - und Seetruppen, dann die königliche Militäraka - demie zur Heranbildung von Officieren des Artillerie - und Geniecorps. In älteren Zeiten waren in Woolwich auch Marineetablissements mit einer grossen Schiffswerfte, doch sind dieselben heute, wo die An - forderungen an derartige Anstalten ganz andere geworden sind, nicht mehr in Thätigkeit.

950Der atlantische Ocean.

Hat man Woolwich passirt, dann hört der städtische Charakter auf, man hat London hinter sich und geniesst den freieren Anblick der reichen Landschaften, welche sich auf beiden Ufern hinziehen und mit Städtchen und Ortschaften sowie mit einzelnen Nieder - lassungen reich besäet sind. Der Fluss selbst hat keinen geraden Lauf, sondern schlängelt sich in sanften Windungen, breit und statt - lich dahin, und wenn der Wind von Osten kommt, so fühlt man auch schon den kräftigeren Gehalt der Seeluft. So erreicht man Gravesend, dem gegenüber an der Nordseite die Tilbury-Docks liegen. Jetzt erweitert sich die Themse zu imposanter Breite, die Wogen der Nordsee rauschen heran und vereinigen sich mit dem Gewässer des Flusses. Segel auf Segel zieht vorbei, Dampfer pusten und schnauben von der See hinein oder bereiten sich zur weiten Fahrt vor. Noch einige Meilen, dann hat man im Süden den Kriegs - hafen Sheerness, im Norden Shoeburyness, beide durch Leucht - feuer bezeichnet, die wichtigen Marken zum Einlaufen in die Themse, die hier bereits 9·4 km breit ist. Nördlich von Sheerness mündet der Medwayfluss, an welchem Chatam, das grosse britische See-Arsenal sich befindet.

Ist man beim innersten Leuchtschiffe der Themse vorbei, dann tritt auch das nördliche Ufer von Essex zurück, während im Süden die Grafschaft Kent noch 44 km weit sich ostwärts bis zum Cap Nord-Foreland zieht, aber der Fluss ist hinter uns und der Lauf geht hinaus in die Nordsee. Diesen Weg machen Jahr um Jahr viele tausende von Schiffen jeglicher Grösse und jeglicher Herkunft.

Zwischen Sheerness und dem Cap Nord-Foreland liegen zahl - reiche Ortschaften am Strande, von welchen Whitstable seiner vor - züglichen Austern wegen und das nächst dem Cap gelegene Städtchen Margate als vielbesuchtes Seebad europäischen Ruf geniessen. Die Zufahrt in die Themse ist wegen der zahlreichen weit in See liegen - den Bänke und Barren eine umständliche und schwierige. Auch die Gezeitenströmung ist sehr kräftig, und wenn sie auch von den Schiffen mit Vortheil ausgenützt wird, so erfordert sie dennoch die grösste Auf - merksamkeit und Vorsicht. Die Springflut erzeugt in London eine Niveauerhöhung des Wassers um 6·1 m. Die Schiffe laufen in der Regel mit der beginnenden Flut ein und mit der beginnenden Ebbe aus, so dass sie den Strom stets mit sich haben. Die Zufahrt zur Themsemündung ist schon weit in See markirt. Die zwei Leucht - schiffe Galloper-Bank und Sunk sind 50 km ausserhalb des Cap Nord-Foreland in hoher See verankert und bilden mit dem 46 km951London.OSO derselben gelegenen, die Einfahrt in den Canal markirenden Leuchtschiffe North-Hinder die äusserste Kennzeichnung der Zufahrt. Innerhalb dieser Reihen liegen zwischen den langgestreckten Sand - barren von Kentish Knock, Long Sand und Sunk breite und tiefe Wasserstrassen für von Norden her kommende Schiffe, und im Süden der Bänke öffnen sich ebenfalls zwischen Bänken die Zufahrten des Princess-Channel für Schiffe, die von Osten oder Süden anlangen. Sämmtliche Bänke und Barren, Fahrstrassen nnd Canäle sind durch zahlreiche, gut situirte Leuchtschiffe, Tonnen und Marken vorzüglich gekennzeichnet. Dessenungeachtet ereignen sich alljährlich entsetzlich viele Seeunfälle, besonders bei stürmischem Wetter oder einsetzendem Nebel, welch letzterer häufig einzutreten pflegt.

Wenden wir nun nochmals unseren Blick von dieser Mündung nach der Metropole zurück, so erscheint uns dieses London als ein grossartiges Gebilde, in dem sich eine Unmasse von Culturelementen und commerciellen Interessen zusammendrängt, in dem zahllose Fäden zusammenlaufen, von dem nach allen Richtungen hin Antrieb und Gedanken ausgehen, in dem über vier Millionen Menschen aller Schichten und Classen dicht nebeneinander leben, wo sich die ganze Stufenleiter von dem höchsten Glanze bis zum tiefsten Elende vor - findet, wo neben einer im gesellschaftlichen und politischen Leben tonangebenden Aristokratie, neben handelsmächtigen Millionären ein verkommenes Proletariat in elenden Unterkünften sich enge zusammen - drängt, wo alle Glanzseiten grosser Centren mit allen Nachtheilen solcher Massenansiedlungen zusammentreffen, wo viel Gemeinsinn und namentlich in neuester Zeit ein warmer humanitärer Sinn neben dem kalt berechnenden Geschäftsgeist sich bethätigt, wo das Bewusstsein, das Herz Britanniens zu sein, in allen Herzen lebendig ist und ein starkes Gefühl für Freiheit und Selbstbestimmung zum Ausdrucke ge - langt, ein Gefühl, von dem man weiss, dass es nicht am wenigsten dazu beigetragen hat, aus London das zu machen, was es heute ist.

Und fragen wir uns, wo denn eigentlich dieses London sein Ende hat, so können wir darauf keine sichere und bestimmte Antwort geben. Denn London ist heute kaum mehr eine gewöhnliche Stadt zu nennen, es ist schon eine weit über die Grenzen einer solchen hinausgewachsene städtische Landschaft mit einem stetigen Expansions - streben, in welcher beispielsweise 1887 12.478 neue Häuser gebaut und 166 neue Strassen mit einer Gesammtlänge von 37 km eröffnet wurden. Wie ein gewaltiger Polyp streckt dieses London seine Fänge nach allen Seiten aus und zieht einen weiten Kreis ringsum in seine952Der atlantische Ocean.Abhängigkeit. Rings um London hausen Londoner, die in der Stadt nur ihren Geschäften obliegen, die sich aber draussen ausserhalb des eigentlichen Weichbildes als Angehörige dieser Stadt fühlen und be - trachten. Und je mehr die Stadt selbst Raum für das geschäftliche Leben braucht, desto mehr drängt sie die Insassen nach der Peripherie. Der Umwandlungsprocess der benachbarten Grafschaften zu eigentlichen Stadttheilen bleibt niemals stille stehen, und wenn das Wachsthum der Bevölkerung und des Verkehres jene Intensität beibehält, welche es namentlich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhundertes gezeigt hat, dann kann man wohl sagen, wird auch das heutige Londen viel zu enge werden, und es wird manche gründliche Umgestaltung platz - greifen müssen, um die Einrichtung mit dem actuellen Bedürfniss in Einklang zu bringen. Es wird aber keine leichte Sache sein, diese im Ganzen so planlos emporgewachsene Stadt den immer sich ver - ändernden Anforderungen anzupassen, und der Engländer, welcher mit einem grossen praktischen Sinne doch wieder eine stark conservative Tendenz verbindet, versteht sich schwerer als der Angehörige manchen anderen Landes zu gründlichen Reformen seiner Stadt.

So erhielten die vielen Gemeinden, die früher zusammen den Wohnplatz London bildeten, erst mit dem 1. Jänner 1889 eine ge - meinsame Verwaltung, sie bilden seitdem die County of London , die man auch kurz Metropolis nennt, und innerhalb der die City of London , wie schon erwähnt wurde, eine sehr weitgehende Selb - ständigkeit geniesst. Diese Metropolis umfasst 305·4 km2, von denen auf die City allein 2·63 km2 entfallen; der Polizeidistrict von London erstreckt sich sogar über 1827·42 km2. In der Metropolis wohnen,

Legende zur Eisenbahnkarte von London. Stationen: 1 King’s Cross, 2 Farringdon Street, 3 Holborn Viaduct, 4 Ludgate Hill, 5 St. Paul’s 6 Blackfriars Bridge, 7 Boro Road, 8 Elephant and Castle, 9 Walworth Road, 10 Camberwell New Road, 11 Temple, 12 Charing Cross, 13 Westminster Bridge, 14 St. James Park, 15 Victoria, 16 Sloane, Square, 17 South-Kensington, 18 Brompton Glester Rd., 19 Kensington, 20 Notting Hill Gate, 21 Bays - water Queens Road, 22 Praed Street, 23 Edgware Road, 24 Baker Street, 25 Port and Road, 26 Gower Street, 27 Midl Road, 28 Great North Cementy, 29 Camden Road, 30 Camden (N. W. Ry), 31 St. Johns Wood Rd, 32 Marlborough Road, 33 Swiss Cottage, 34. 35 Finchley Road, 36 West End, 37 West Hampsead, 38 Kilburn und Maidavale, 39 London Road, 40 Chalk Farm, 41 High Street, 42 Kentisch Town, 43 Barns - bury, 44 Islington und Highbury, 45 Canonbury, 46 Hackny, 47 Homerton, 48 Victoria Park, 49 Old Ford, 50 Bow Ry., 51 Poplar, 52 Willwall Dock, 53 Engine, 54 Poplar Ry, 55 West India Dock, 56 Limehouse Ry., 57 Stepney Ry., 58 Shadwell, 59 Leman Street 60 Aldgate East, 61 St. Mary Whitechapel, 62 Shoreditch, 63 Bethnal Green Junction, 64 Cambridge Heath, 65 London Fields, 66 Hackney Downs Junction, 67 Shoreditch, 68 Haggerston, 69 Dalston Junction, 70 Old Ford, 71, 72 Stratford, 73 Stratford Bridge, 74 Bromley, 75 Burdett Road, 76 Maze Hill, 77 Greenwich, 78 Deptford, 79 Spa Road, 80, 81 Cannon Street, 82 Mansion H., 83 Monum, 84 Mark Lane, 85 Ald - gate, 86 Bishopsgate, 87 Moorgate Street, 88 Aldersgate Street, 89 South Bermondsey, 90 Old Kent Road, 91 Peckham Rye, 92 Wandsworth Rd., 93 York Road, 94 Battersea Park, 95 Grosvenor Road, 96 York Road, 97 Queens Road, 98 Queens Road, 99 Vauxhall, 100 Waterloo Junction, 101 Battersea, 102 Chelsea, 103 West Brompton, 104 Earl’s Court, 105 Walham Green, 106 Parson’s Green, 107 Big - hops Road, 108 Royal Oak, 109 Westbourne Park, 110 Shadwell, 111 Wapping, 112 Rotherhithe, 113 Deptford Road, 114, 115, 116 New Cross.

[953]

Eisenbahnkarte von London (Massstab 1: 90.600).

(Legende siehe auf Seite 952.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 120954Der atlantische Ocean.wie schon erwähnt, 4,282.000 Menschen, und auf das Aussengebiet des Polizeidistrictes, also auf die Landschaft ausser der County of London muss man noch eine Million Einwohner rechnen, so dass London im weitesten Sinne die Grenzen einer Fünfmillionenstadt be - reits überschritten hat.

Nur an einem Orte, welcher seit Langem schon das Herz des Welthandels ist, konnte eine solche Menge von Menschen sich an - siedeln. In London befindet sich der Sitz der ältesten und mächtigsten Kaufhäuser, welche in allen Welttheilen Niederlassungen unterhalten, durch welche die wichtigsten Stapelartikel des Weltverkehres nach der Themsestadt dirigirt werden, damit man dagegen die Erzeugnisse moderner Erfindungen des Gewerbe - und Industriefleisses nicht allein Englands, sondern ganz Europas eintausche; über London geht daher noch immer der grösste Theil der Zahlungen des internationalen Ver - kehres, so sehr sich auch die bedeutenderen Handelsvölker von dieser Controle loszumachen suchen.

London bildet den Hauptmarkt für eine Reihe von Colonial - waaren und ausländischen Producten, wie Wolle, Thee, Pfeffer, Zimmt, Indigo, Cacao, Rosinen, Jute, Zinn, Häute, Pelze, Elfenbein, Edel - steine, Petroleum, Spirituosen, es steht nur in wenigen Artikeln, wie Baumwolle, Reis und Tabak, Liverpool nach und ist höchst wichtig für Kaffee. Wiewohl nun London vorwiegend Handelsstadt ist, verfügt es andererseits über eine hochentwickelte Industrie, in deren einzelnen Zweigen es an der Spitze aller anderen englischen Städte steht. Nicht weniger als 904.000 Menschen sind in den verschiedenen Industrie - und Gewerbezweigen beschäftigt. Der Maschinenbau allein gibt 17.800 Menschen Arbeit, in der Möbelindustrie sind 22.000 Arbeiter thätig. London, welches die grössten Druckereien der Welt besitzt, bietet in diesen 25.600 Menschen Beschäftigung, 71.800 Arbeiter zählt die Industrie der Kleiderconfection, mehr als 6000 Arbeiter obliegen der Seidenweberei. Tapeten und Glas werden in grossartigem Masse herge - stellt, und die Erzeugung von musikalischen und chirurgischen In - strumenten, von Uhren und Goldschmiedearbeiten steht auf einer hohen Stufe. Daneben liefert London Sattler - und Lederwaaren in vorzüg - licher Qualität und besitzt eine erstaunliche Anzahl an Bierbrauereien (172), von welchen das bekannte englische schwarze Bier (stout) erzeugt wird.

Der Handel Londons hat ausserordentliche Dimensionen angenommen. Von dem gesammten Importe des Vereinigten Königreiches, der 1889 mit 427,637.595 bewerthet wird, entfallen 144,711.517, also mehr als ein Drittheil955London.auf London. Im Reexporte ausländischer Producte, der sich im selben Jahre auf 66,657.484 für das ganze Land belief, entfallen rund 60 % auf London, und nur in der Ausfuhr englischer Fabricate und Erzeugnisse muss London die Führung an Liverpool abtreten.

Den bedeutendsten Importartikel Londons bildet Wolle, welche aus den australischen Colonien und dem Cap direct nach London, dem eigentlichen Wollmarkte, verschifft wird, um hier auf Auctionen verkauft und nach den Ver - arbeitungsplätzen dirigirt zu werden. Die Interessenten des Wollhandels finden sich wohl durch das ganze Jahr in einem eigenen Gebäude, der Wool exchange zusammen, woselbst die laufenden Transactionen von geringerem Umfange regel - mässig ihren Abschluss finden. Das grosse Geschäft jedoch ist an bestimmte Tage und Oertlichkeiten gebunden. Die aus den Colonien für den Londoner Markt bestimmten Wollquantitäten werden nämlich dortigen Firmen zum Zwecke öffentlicher Versteigerung consignirt. Die Consignatare nun publiciren je nach Ankunft der Schiffe in der Wool exchange den Tag der Auction. Jeder von ihnen besitzt ein eigenes Gebäude Auctioneer Room , wohin einige hundert Ballen Wolle, die als Muster eine bestimmte Ladung in ihrer Qualität repräsentiren, gebracht werden. Nach diesen Mustern werden die Preise bestimmt und die Verkäufe abgeschlossen. Oft kommt es natürlich vor, dass eine Partie unter mehrere Käufer vertheilt wird, weil sich für die ganze[Quantität] kein Abnehmer findet. Auf der Auction erfolgt gleichzeitig die Registrirung der Verkäufe, die direct aus den Lagerhäusern in den Docks ausgeführt werden. Die Auctionen finden beinahe regelmässig alle sechs Wochen statt. Einen Ueberblick über die in den Auctionen umgesetzten Mengen geben folgende Ziffern: Im Jahre 1887 betrug der Gesammtimport an Wolle nach England 1,351.342 Ballen, hievon kamen nach London 1,274.103 und aus erster Hand wurden auf den Auctionen verkauft 1,180.000 Ballen. Im Jahre 1888 stieg der Import auf 1,533.520 Ballen, hievon entfielen auf London 1,343.231, von denen 1,255.000 im Auctionswege ver - kauft wurden. Von diesen gingen 900.000 Ballen nach dem Continent (Europa), 44.000 nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika, der Rest blieb zur Ver - arbeitung im Lande. Nach der Gewichtsmenge betrug der Wollimport Londons in den letzten drei Jahren:

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Die Zahl der im vorigen Jahre eingeführten Schaf - und Lammfelle be - lief sich auf 6,799.172 Stück gegen 5,304.428 im Vorjahre, und das Gewicht der importirten rohen Häute wird mit 321.300 q als Durchschnittsziffer der letzten drei Jahre angegeben.

In London gibt es einen eigenen En gros-Markt für rohe Häute und Schaffelle.

Angesichts der Unzulänglichkeit der Bodenproduction Englands im Ver - gleiche zu dem Bedarfe der Bevölkerung ist es natürlich, dass die Einfuhr von Getreide, speciell von Brotfrüchten eine wichtige Rolle spielt. In der Einfuhr dieser Producte rivalisirt Liverpool mit London, doch behauptet letzteres, wenn auch nicht in bedeutendem Masse, noch immer den Vorrang. Nachstehende Tabelle zeigt die Getreideeinfuhr Londons nach den verschiedenen Sorten:

120*956Der atlantische Ocean.
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Die Einfuhr von Reis hielt sich in den beiden letzten Jahren auf gleicher Höhe mit rund 1,525.000 q.

Die für den Getreidehandel der Welt so wichtige London Produce Exchange Association, limited hat am 1. März 1887 das Termingeschäft in Weizen ein - geführt.

Die nun folgende Gruppe von Importproducten, die Provisions dienen der Approvisionirung Londons und der Tausende von Seefahrzeugen, welche in jedem Jahre diesen Welthafen verlassen. Da nun der auf den einzelnen öffentlichen Märkten Londons erzielte Jahresumsatz unverhältnissmässig höher ist als die Einfuhr aus dem Auslande, so ergibt sich, dass die Zufuhr aus dem Lande selbst den Import wesentlich übertrifft. Der Verbrauch einer immer steigenden Be - völkerung, welche derzeit mehr als 4 Millionen Seelen umfasst, stellt natürlich an den Verkehr entsprechende Anforderungen, und immer weiter zieht sich der Kreis der Länder und Welttheile, die dazu beitragen müssen, die Ansprüche der Millionenstadt zu befriedigen. Die eingeführten Mengen an wichtigeren Nahrungs - mitteln beliefen sich im Fiscaljahre 1889 auf 1,651.894 q gegen 1,651.852 q des Vorjahres und 1,671.383 q des Jahres 1887. Auf die einzelnen Gattungen vertheilt sich diese Summe in folgender Weise:

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Ausserdem wurden im Jahre 1889 246.357 hl Zwiebeln und verschiedene Gemüse im Werthe von 172.496 eingeführt.

Die Einfuhr von Eiern, welche aus verschiedenen Ländern des Continentes gebracht werden, hat sich in den letzten Jahren erheblich gesteigert. Im Jahre 1887 betrug dieselbe Gt. Hunds. 366.521, war 1888 beinahe auf das Dreifache gestiegen und weist im Jahre 1889 die Ziffer von Gt. Hunds. 700.120 auf. In den Wintermonaten werden sogar aus dem südöstlichen Russland Eier zugeführt.

London ist der lohnendste, aber anspruchsvollste Eiermarkt Europas.

957London

Hieran reiht sich die Gruppe der Früchte mit:

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Des Ueberblickes halber ist hier die nächste der Approvisionirung Londons gewidmete Importgruppe Lebende Thiere anzuführen. Im Jahre 1889 wurden 159.336 Stück Ochsen und Kühe gegen 130.501 Stück des Vorjahres importirt, die Zahl der eingeführten Schafe und Lämmer belief sich auf 343.987 Stück, im Jahre 1889 gegen 742.162 Stück des Jahres 1888.

Die Versorgung von 4 Millionen Menschen mit ihrem täglichen Bedarfe an Lebensmitteln erfordert eine einheitliche Organisation. Dies ist denn auch in London der Fall. Jeder Artikel hat seinen speciellen Verkaufsort, welcher die Zufuhr gleichartiger Producte nach einem bestimmtem Punkte centralisirt. Diese Centralpunkte, Markets (Märkte) genannt, stehen zum grossen Theile unter Ueberwachung, respective in der Verwaltung der städtischen Behörde, welche durch eigene Organe den Verkauf zumeist im Wege der Versteigerung regelt. Von den Märkten aus nehmen die Nahrungsmittel durch die Vermittlung der verschiedenen Händler ihren Weg zu den Consumenten. Die wichtigsten der Londoner Märkte sollen hier eine kurze Besprechung finden, weil nur aus den auf denselben erzielten Umsätzen eine annäherungsweise Vorstellung über die Grossartigkeit des Verkehres sich ergeben kann.

Vor allen anderen ist der Londoner Centralmarkt für Fleisch, Geflügel und Victualien hervorzuheben. Derselbe liegt in Smithfield bei Farringdon Street, ist Eigenthum der Stadt und wird von der Behörde verwaltet. Es wird meist im Grossen verkauft. Die jährlich auf diesem Markte allein zugeführten Waaren be - tragen 270.000 t. Der Markt ist täglich geöffnet, doch ist im Winter an Freitagen, im Sommer an Samstagen der stärkste Verkehr. Die aus den Mauthen, Standgebühren und Waggeldern resultirenden Einnahmen betrugen im Jahre 1888 89.000 , an Verwaltungskosten wurden 72.000 ausgegeben.

Die grossen Viehmärkte in Islington und Deptford mit ihren Schlacht - häusern und ausgedehnten Gebäuden (Magazinen und Stallungen) stehen gleich - falls unter städtischer Controle. Ersterer umfasst eine Fläche von 75 Acres (30·4 hu), Markttage sind Montag und Donnerstag für Schlachtvieh, Schafe und Schweine, Freitag für Pferde und Maulthiere. Nahezu 1 Million Thiere passiren jährlich diesen Markt. Für die Erhaltung desselben wurden 1888 nicht weniger als 38.232 ausgegeben. Auf den Deptfordmarkt (Dock street) kommen jährlich circa 800.000 900.000 Stück Vieh zum Auftrieb.

Billingsgate (Lower Thames street), Eigenthum der Stadt, ist der wichtigste Londoner Fischmarkt, welcher nach einer Schätzung circa 140.000 t Fische jährlich aufnimmt. Drei Viertel der gesammten Zufuhr werden im Auctionswege verkauft. 80.000 t Fische werden auf dem Landtransporte zugeführt, der Rest kommt zur See. Von geringerer Bedeutung ist der Shadwell-Fischmarkt, Eigenthum der London Riverside Fish Market Company, Meilen unterhalb London bridge gelegen. Die Zufuhr betrug im letzten Jahre 18.000 t im Werthe von958Der atlantische Ocean. 168.000, die im Wege öffentlicher Auction gelöst wurden. Als Detailfisch - markt wäre noch der London Central market in Smithfield zu erwähnen.

Einer der grössten En gros-Verkaufsmärkte Londons ist der Obst - und Gemüsemarkt in Borough, der von städtischen Administratoren verwaltet wird und einen Jahresgewinn von 7 8000 aufweist. Die Träger werden von den Administratoren angestellt und bezahlt. Andere Gemüse - und Obstmärkte sind allerdings von geringerer Ausdehnung, wie die in Covent Garden, Farringdon, Spitalsfield und Stratford.

Specialmärkte für den Verkauf von Heu und Stroh sind der Cumberland market (Ernest str. ), der Markt in Smithfield und der in Whitechapel.

Eine wichtige Rolle in der Einfuhr Londons spielt die Gruppe der Metalle zumeist in rohem Zustande aus überseeischen Colonien. Die unmittelbar folgende Tabelle beleuchtet die Einfuhrsmengen der verschiedenen Metallarten während der letzten drei Jahre:

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Die Metallbörse von London hat seit Neujahr 1890 auch Transactionen in schottischen und Cleveländer Roheisen-Warrants sowie in Haematite-Warrants eingeführt und macht dadurch der Metallbörse von Glasgow wirksame Concurrenz.

Eine hervorragende Stellung in den Einfuhrsartikeln nach London nimmt Thee ein. Derselbe ist seit einigen Jahren zumeist indischer Provenienz und wird durch eigene Reisende Londoner Firmen, welche die Theeplantagenbesitzer im Innern des Landes aufsuchen, zur Zeit der Ernte aufgekauft. Thee ist das bevor - zugte Getränk der Engländer, so zwar, dass circa 84 % der Gesammteinfuhr zur Deckung des Bedarfes im Inland dienen und nur 16 % wieder exportirt werden. Der Theeimport Londons erreichte.

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Nach der Grösse der Zufuhren ist London der dritte Kaffeeplatz der Welt; hier sind alle Sorten reich vertreten, ausgenommen etwa die Provenienzen von Niederländisch-Indien. Die öffentlichen Kaffee-Auctionen finden jeden Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag statt.

Die Einfuhr erreichte 1889 467.882 q, 1888 416.700 q, 1887 474.200 q.

An Cacao wurden 1889 101.685 q eingeführt.

Bei weiterer Betrachtung der Importartikel findet sich zunächst Zucker der Quantität nach als der bedeutendste. Im Jahre 1889 wurden an raffinirtem Zucker 1,642.775 q, an unraffinirtem 3,258.995 q eingeführt. London ist der eigent - liche Weltmarkt sowohl für Colonial - als für Rüben-Rohzucker. Das Termin - geschäft in Zucker wurde von dem London Produce Clearing House Limited eingeführt.

959London.

Die Importmenge von Wein und Spirituosen ist eine so bedeutende und variirende, dass sie nach den Ausweisen der letzten drei Fiscaljahre angeführt werden soll. Es belief sich die Einfuhr von:

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Spirituosen haben als Artikel, welche nicht allein einen Einfuhrzoll, sondern noch specielle städtische Steuern zu entrichten haben, für London eine erhöhte Bedeutung.

Für die starke Bierproduction Englands wurde 1889 Hopfen in der Menge von 43.860 q zugeführt.

Tabak (unverarbeitet) erreichte 1889 die Einfuhrsziffer von 123.387 q gegen 75.660 q des Vorjahres, während an verarbeitetem Tabak 10.325 q im Jahre 1889 importirt wurden.

Die Einfuhr von Pfeffer erreichte 1889 132.532 q.

Droguen bilden einen nicht unbedeutenden Einfuhrartikel, der durch folgende Tabelle illustrirt wird:

〈…〉〈…〉

Oele gelangen in verschiedenen Sorten zur Einfuhr. Die wichtigsten der - selben sind laut der Statistik vom Jahre 1889 Oel aus Samen mit 5909 t, Olivenöl mit 3417 t und Palmöl mit 1647 t, endlich Thran und Walrath mit 5145 t. Diesen schliessen sich noch Oelkuchen mit der beträchtlichen Menge von 75.376 t an, Kautschuk mit 16.830 q.

Die Einfuhr von Düngemitteln befindet sich in einer ganz ausser - ordentlichen Steigerung. So stieg der Import von Guano:

  • von ............... 8.472 t im Jahre 1888 auf 15.048 t im Jahre 1889
  • Phosphaten ........ 81.638 t 309.833 t
  • von untaxirten Düngemitteln 14.067 t 90.159 t

Salpeter erscheint 1889 mit 380.413 q.

Die Einfuhr von Baumwolle wird mit 523.833 q für das Jahr 1889 veranschlagt, Rohseide mit 11.409 q, Hanf mit 461.436 q, Flachs mit 43.860 q.

Hervorzuheben wäre noch der Import von Lumpen und anderen Materialien für die Papierfabrication, darunter Esparto mit 75.153 t im Jahre 1889, ferner von Knochen mit 13.268 t.

Für den grössten Theil der Fabricate, welche London importirt, sind keine Gewichtsmengen, sondern nur Werthangaben vorhanden. Die wichtigsten derselben sind nach den Angaben vom Jahre 1889: Baumwollfabricate im Werthe von 613.058, Wollfabricate für 94.059, Farben im Werthe von 416.442 und chemische Erzeugnisse für 583.734.

Papier figurirt im Fiscaljahre 1889 mit der Einfuhrsziffer von 643.539 q, Glas aller Gattungen mit 455.665 q.

Einen wichtigen Artikel bildet auch Leder mit der Durchschnittsziffer von 236.000 q während der letzten drei Jahre.

960Der atlantische Ocean.

Im Jahre 1889 wurden ferner nach London importirt an Strohgeflechten 39.516 q und an Seidenfabricaten 10.557 q.

Einer besonderen Besprechung vorbehalten sind die Importe von Petro - leum, Holz und Kohle, mit deren Beleuchtung die Einfuhrsliste Londons ihren Abschluss finden soll.

Die Einfuhr von Petroleum belief sich im Jahre 1889 auf 2,030.629 hl gegen 1,953.617 hl im Jahre 1888 und 1,535.057 hl im Jahre 1887. Von der Einfuhr des Jahres 1888 stammten etwa drei Fünftel aus der Union, zwei Fünftel aus Russland; das ist wohl der schlagendste Beweis für das sieghafte Vordringen des kaukasischen Petroleums.

Der Import von Holz ist dem Verbrauche entsprechend ein sehr beträcht - licher. Es gelangten zur Einfuhr:

〈…〉〈…〉

In Stückzahl ausgedrückt, belief sich der Import von Brettern, Latten und Dielen 1888 auf 29,988.000 Stück, von denen 27,550.000 im Lande verbraucht wurden. Die grösste Quantität lieferte Norwegen mit Stück 13,791.000, diesem zunächst stand Schweden mit Stück 8,257.000, der Rest kam aus Russland, Canada und den Colonien. In gefälltem Holz (Eisenbahnschwellen und Balken) lieferten Russland und Deutschland drei Viertel des Londoner Bedarfes.

Wir schliessen an die Einfuhr Londons aus dem Auslande die Kohlen an, welche wie bekannt aus Northumberland und Durham, also aus dem Inlande hieher gebracht werden.

Der stetig steigende Kohlenverbrauch wird aus nachfolgender Auf - stellung ersichtlich. Es betrug die Einfuhr in den Jahren:

〈…〉〈…〉

Legende zu den Dockanlagen an der Themse. Thames River: A Zufahrt nach London, B Tilbury-Fort, C Tilbury-Docks, D Portland-Cement-Werk, E Gray’s Kreidesteinbruch, F Leuchtfeuer, G Gaswerke, H Schloss Belmont, J Ammoniakwerk, K Maga - zine, L Papiermühle, M Asyl für arme Geisteskranke der Stadt London, N Eisenbahnstationen, O Bel - vedere, P Vitriolwerk, Q Dagenham Breach, R Lawe’s chemische Fabrik, S Hauptentwässerung (nördl. Abfluss), S1 Hauptentwässerung (südl. Abfluss), T Petroleumwerke, U König Albert-Dock, V Königin Victoria-Dock, W Ostindische Docks, X Westindische Docks, Y Millwall-Docks, Z Limehouse-Dock. 1 St. Katherine Docks, 2 London-Docks, 3 Surrey-Commercial-Dock, 4 Surreycaual, 5 Deptford-Creek, 6 Bow-Creek, 7 Barking-Creek, 8 Arsenal, 9 Sternwarte und Park, 10 Hospital, 11 Tunnels, 12 Der Tower, 13 Saint Pauls-Kirche, 14 Westminster-Abtei und Parlament, 15 St. Thomas-Hospital, 16 Towerbrücke, 17 Southwarsbrücke, 18 Blackfriarsbrücke, 19 Waterloobrücke, 20 Charing Cross-Eisenbahn - und Fusssteig - brücke, 21 Westminsterbrücke, 22 Cannon St. Station, 23 London-Bridge-Station, 24 Ludgate Hill - Station, 25 Charing Cross-Station, 26 Waterloo-Station, 27 Tramway. Surrey-Docks: A Lime - house Dock, B Globe Pond, C Lavender Dock, D Acorn Pond, E Stave Dock, G Russia Dock, H Albion Dock, J Canada Dock, K Canada Pond, L Centre Pond, M Quebec Pond, N Lady Dock, O Norway Dock P Greenland Dock, Q South Dock, R Commercial Bassin, S Bassin.

[961]
Die Dockanlagen an der Themse.

(Legende siehe auf Seite 960.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 121962Der atlantische Ocean.

Die Gesammt-Einfuhr von London betrug:

〈…〉〈…〉

Bei den Zolleinnahmen ist zu bemerken, dass nur wenige Artikel der Ver - zollung unterliegen.

Die Ausfuhr Londons theilt sich in zwei grosse Gruppen: 1. in den Re - export von Colonial - und fremden, also zugeführten Producten, und 2. in den Export von Erzeugnissen des Vereinigten Königreiches.

In der ersten Gruppe steht gleichwie bei der Einfuhr der Quantität nach Wolle an der Spitze. Es wurden an Schaf - und Lammwolle im Jahre 1889 1,091.733 q gegen 865.178 q im Vorjahre und 866.803 q im Jahre 1887 exportirt. An zweiter Stelle steht Baumwolle mit 389.785 q im Jahre 1889 und 339.746 q 1888.

Die Ausfuhr von Seide spielt weniger dem Gewichte als dem Werthe nach eine Rolle. Im Jahre 1889 wurden 540 q an roher und 123 q an gedrehter Seide exportirt.

An diese schliessen sich Hanf mit 234.095 q und Flachs mit 27.188 q während des Jahres 1889.

Jute weist in demselben Jahre einen Export von 105.341 t auf.

Der Export an Tabak betrug:

〈…〉〈…〉

Sehr beträchtlich ist die Ausfuhr an Thee, welche 1889 161.639 q, 1888 172.483 q und 1887 158.596 q aufweist.

Diesem zunächst ist der Export an Gewürzen hervorzuheben; als deren wichtigste Arten erscheinen Pfeffer 1889 mit 96.592 q, 1888 mit 79.152 q und 1887 mit 88.471 q und Zimmt mit einer jährlichen Durchschnittsmenge von 4.100 q.

Brotfrüchte spielen in der Ausfuhr keine bedeutende Rolle. Der Export an Weizen und Weizenmehl beläuft sich auf circa 150.000 q jährlich.

Dagegen bilden Reis und Kaffee wichtige Verkehrsartikel. Reis erreichte im Jahre 1888 die ansehnliche Exportziffer von 516.529 q, um im folgenden Jahre auf 431.972 q zu sinken. Ebenso weist auch Kaffee im Jahre 1888 eine grössere Exportmenge, nämlich 351.045 q gegen 298.269 q des Jahres 1889 auf.

Von Cacao wurden 1889 40.217 q ausgeführt.

Der Zuckerexport ist von erheblichem Belang und findet in folgender Tabelle Ausdruck:

〈…〉〈…〉
963London.

Provisions , Früchte, Wein und Spirituosen nehmen auch einen wesentlichen Theil der Ausfuhr für sich in Anspruch. Die Exportmengen der ein - zelnen Gruppen gehen aus nachstehenden Tabellen hervor:

〈…〉〈…〉

Ein weiterer nicht unbedeutender Ausfuhrartikel sind Metalle. Es wurden

〈…〉〈…〉

Die Ausfuhr von Quecksilber erreichte 1889 14.180 q.

Hervorzuheben sind ferner:

Leder mit 61.996 q im Jahre 1889 gegen 68.356 q im Vorjahre, rohe Häute mit 180.545 q im Jahre 1889 gegen 196.703 q im Vorjahre;

Talg und Stearin mit 112.126 q im Jahre 1889 gegen 136.996 q im Jahre 1888 und 122.854 q im Jahre 1887;

Droguen mit der Durchschnittsziffer von 6375 q, und

Farben und Farbstoffe mit einer solchen von 25.500 q während der letzten drei Jahre. An diversen Oelen wurden 1889 42.493 q ausgeführt.

Der Werth der ausgeführten Seidenfabricate belief sich auf 519.296 .

Der Export Londons an Erzeugnissen des Vereinigten König - reichs macht erst recht die Bedeutung dieser Stadt als Handels - und Hafen - platz klar. Bei Gegenüberstellung der Ausfuhr Londons zu dem Gesammtexporte Englands, Schottlands und Irlands findet man, dass derselbe dem Werthe nach mehr als den fünften Theil aller ausgeführten Waaren umfasst, wobei zu bemerken ist, dass Liverpool in der Ausfuhr englischer Producte weitaus den ersten Platz einnimmt.

Von dem Reexporte, d. h. der Ausfuhr aus dem Auslande und den Colonien importirter Producte abgesehen, belief sich der Werth aller aus dem Vereinigten Königreiche ausgeführten Waaren

  • im Jahre 1888 auf 233,733.937
  • 1887 221,414.186
121*964Der atlantische Ocean.

Dagegen repräsentirte der Werth der Londoner Ausfuhr allein an englischen Er - zeugnissen

  • im Jahre 1889 48,251.282
  • 1888 50,221.258
  • 1887 46,023.152

Dem Wesen nach umfasst diese Gruppe weit mehr Erzeugnisse des In - dustrie - und Gewerbefleisses, Fabricate aller Art, als Natur - und Bodenproducte.

Bei der hochentwickelten englischen Textilindustrie ist es denn auch be - greiflich, dass die in derselben verarbeiteten Waaren dem Werthe nach an der Spitze stehen. Unter diesen wieder nehmen Baumwollfabricate den ersten Rang ein. Die Ausfuhr derselben belief sich an Stückwaare

  • im Jahre 1889 auf 265.429 m im Werthe von 3,725.867
  • 1888 3,210.940 4,616.158
  • 1887 3,680.755 4,913.391

Dazu kommen noch Kleidungsstücke im Werthe von 3,010.607 im Jahre 1889, gegen 3,091.589 im Jahre 1888 und 2,489.886 im Jahre 1887, ferner diverse andere Baumwollwaaren im Werthe von über 1 Million jährlich. Schliess - lich ist noch der Export an Baumwollgarnen hervorzuheben, welcher, wie aus folgender Tabelle ersichtlich, während des letzten Trienniums sich in ausserordent - licher Weise verminderte. Derselbe betrug:

  • 1889 18.025 q im Werthe von 171.949
  • 1888 65.430 581.628
  • 1887 90.590 767.931

Es folgen nun Schafwollfabricate in nachstehender Zusammenstellung:

  • Streichgarnstoffe
    • 1889 12,022.610 m im Werthe von 1,107.426
    • 1888 19,274.400 1,638.050
    • 1887 18,442.800 1,755.700
  • Kammgarnstoffe
    • 1889 21,830.400 1,470.084
    • 1888 25,226.600 1,486.281
    • 1887 21,915.600 1,148.639
  • Flanelle und Teppiche
    • 1889 9,069.700 545.153
    • 1888 11,719.400 693.657
    • 1887 8,121.700 516.459
  • Weisswollene Bettdecken
    • 1889 790.849 Paar 308.722
    • 1888 716.788 266.612
    • 1887 862.804 305.409
  • Streich - und Kammgarne
    • 1889 2.634 q 69.665
    • 1888 4.164 108.455
    • 1887 3.705 102.007

Diverse im Werthe von 484.628 im Jahre 1889, 476.290 im Jahre 1888 und 377.892 im Jahre 1887. Gesammtwerth der in den letzten 3 Fiscal - jahren exportirten Wollwaaren 1889 3,985.678 , 1888 4,669.345 , 1887 4,206.106 .

Die nächst wichtige Abtheilung der Textilwaaren bilden die Erzeugnisse us Jute, wovon ausgeführt wurden an:

  • Stückwaaren
    • 1889 49,110.682 m für 560.164
    • 1888 43,759.669 434.008
    • 1887 68,541.774 613.590
  • 965
  • Garnen ....
    • 1889 26.111 q für 72.433
    • 1888 28.822 64.009
    • 1887 19.411 42.304
  • Säcken ....
    • 1889 1,019.751 Dtzd. 235.679
    • 1888 1,267.432 246.798
    • 1887 1,186.544 214.790

Der Menge sowohl wie dem Werthe nach geringer ist die Ausfuhr an Leinenwaaren deren Höhe an nachstehenden Ziffern ersichtlich wird. Die Ausfuhr erreichte an:

  • Stückwaaren
    • 1889 15,191.045 m im Werthe von 480.729
    • 1888 18,469.015 552.580
    • 1887 15,513.870 484.079
  • Leinengarn ..
    • 1889 2.994 q 22.505
    • 1888 2.891 21.362
    • 1887 2.804 22.678

Dazu kommt noch Leinenzwirn und Diverses im Durchschnittswerthe von 130.000 während der letzten 3 Jahre.

Den Schluss bilden Seide (gedreht und gesponnen) und Seidenfabricate aller Art für 420.535 im Jahre 1889, gegen 506.982 im vorhergehenden Jahre.

Die zweitwichtigste Gruppe im Exporte Londons für englische Waaren ist die der Metalle und Metallwaaren, wobei erwähnt zu werden verdient, dass sowohl hier wie bei Textilwaaren der Export Liverpools ungleich grösser ist. Aus folgender Tabelle geht die Exportziffer der einzelnen Metallarten hervor:

〈…〉〈…〉

In Livres-Sterling ausgedrückt betrug der Werth dieser Waaren in den Jahren:

〈…〉〈…〉
966Der atlantische Ocean.

An Papier aller Art finden nahezu zwei Drittel der gesammten englischen Ausfuhr ihren Weg über London. Von 504.500 q, die das britische Reich im Jahre 1889 exportirte, kamen auf London 316.000 q im Werthe von 1,087.916 .

Noch viel günstiger gestaltet sich das Verhältniss der Ausfuhr Londons zu der des ganzen Reiches in Cement. Von 641.766 t, die im Jahre 1889 englische Häfen verliessen, entfielen 562.975 t im Werthe von 1,076.191 auf London.

Von Kerzen besorgt London mehr als die Hälfte des gesammten briti - schen Exportes. Letzterer umfasste 1889 57.653 q, hievon verliessen den Londoner Hafen 34.084 q für 138.296 .

An Leder und Lederwaaren exportirte London in den Jahren

〈…〉〈…〉

Ziemlich bedeutend ist die Ausfuhr an Bier (Ale), welches im Jahre 1889 die Ziffer von 38.272 t im Werthe von 815.529 erreichte gegen 44.664 t für 902.591 des vorhergehenden Jahres.

Die Ausfuhr von Oelsamen belief sich in den letzten Jahren auf

  • 1889 347.708 hl für 846.824
  • 1888 347.925 830.332
  • 1887 362.693 850.593

Den vorbenannten Artikeln schliesst sich eine Reihe verschiedener Fabricate und Erzeugnisse an, deren Ausfuhrsziffern nach dem Werthe der letzten drei Jahre nachstehende Tabelle beleuchtet:

〈…〉〈…〉

Die Bewältigung eines so grossartigen Waarenverkehres, wie er in den vor - stehenden Zusammenstellungen seinen Ausdruck findet, erfordert naturgemäss ein Aufgebot entsprechender Verkehrsmittel. So weist denn auch London den grössten Schiffsverkehr unter allen Häfen der Welt auf. Nach der officiellen Statistik liefen hier im Jahre 1889 53.535 Schiffe mit 12,882.271 Tons ein und nur 24.512 Schiffe mit 7,560.636 Tons aus, weil bei London jene Schiffe, welche im Küsten - handel in Ballast auslaufen, nicht verzeichnet werden. Das sind eben meist die Schiffe, welche Kohlen nach London gebracht haben. Wir geben daher im Folgenden nur den Verkehr der hier einlaufenden Schiffe:

967London.
〈…〉〈…〉

Es ist selbstverständlich, dass man annähernd den gesammten Schiffsver - kehr Londons erhält, wenn man die Angaben über die Hauptsumme des Schiffs - verkehres der einzelnen Jahre verdoppelt.

Nach der englischen Flagge waren 1889 bei den aus dem Auslande und den britischen Besitzungen einlaufenden Schiffen besonders wichtig folgende Flaggen: Die niederländische, 1102 Schiffe mit 693.948 Tons, die deutsche, 931 Schiffe mit 528.980 Tons, die norwegische, 848 Schiffe mit 391.370 Tons, die schwedische, 275 Schiffe mit 179.091 Tons, die dänische, 277 Schiffe mit 115.360 Tons, und die französische, 99 Schiffe mit 103.063 Tons.

Die Handelsmarine von London zählte Ende 1889 1360 Dampfer mit 971.453 Netto-Tons und 1217 Segelschiffe mit 356.273 Netto-Tons, zusammen also 2577 Schiffe mit 1,327.826 Netto-Tons.

Unter den zahlreichen Dampferlinien, deren Station London bildet, sind die wichtigsten: der Norddeutsche Lloyd, die Nederland-Dampfschiffrhederei, die Nederland Stoomboot Matschappy, die Britisch African Steamship Co., die Anchor, die Westcotts und die Halb-Line Hamburg-Londoner Dampfschiffs - Linie A. Kirsten, ferner die in London selbst domicilirten Anglo Australasian Steam Navigation Lim., British India Steam Navigation Co., Cape of good Hope Steamship Co., China Shippers Mutual Steam Navigation, Commercial Steamship, General Steam Navigation, New Zealand Shipping, Orient Steam Navigation, Oriental Steamship Co., Peninsular and Oriental Steam Navigation, Royal Mail Steam Packet Union Steamship Co., Union Steamship of New Zea - land etc. etc.

Den Verkehr Londons mit allen Theilen Englands und Schottlands ver - mitteln 11 Eisenbahnlinien, deren Knotenpunkt die Hauptstadt bildet. Die grösseren dieser Linien sind: die Great Eastern, Great Northern, Great Western, London and North Western, London and South Western, London Brighton and South Coast, London Chatham and Dover, die South Eastern - und die Mid - land Railway.

Entsprechend der Handelsbewegung Londons ist auch sein Geldverkehr. Mit der Besorgung desselben befassen sich 97 grosse registrirte Bankinstitute und 69 Bankiers. Die grössere Anzahl der Banken sind der Pflege des Exportes und Importes mit einem bestimmten Lande gewidmet.

Nirgends hat das Bankwesen eine grössere Ausdehnung erfahren als in England. Der Grund hiefür mag in dem ausgebildeten Checkwesen liegen, welches jedem, selbst dem kleinsten Kaufmanne die Verbindung mit einer Bank noth -968Der atlantische Ocean.wendig macht. An der Spitze aller Banken steht die Bank of England, welche im Jahre 1694 mit einem Grundcapital von 1,200.000 errichtet wurde. Gegen - wärtig beträgt das Capital 14,553.000 nebst einem Reservefonds von 3,000.000 . Die Bank of England besorgt die Verwaltung der Staatseinnahmen und Staats - ausgaben, also auch die Zinszahlung der Staatsschuld, ferner die Prägung der Goldmünzen; ihre Operationen bestehen in der Discontirung, Annahme von Depositen in Girogeschäften und dem Ein - und Verkauf von Gold. Ferner seien hier hervor - gehoben: die London and South Westernbank, mit einem eingezahlten Capital von 400.000 , hat in London nicht weniger als 65 Filialen; die London and County - bank hat ein eingezahltes Capital von 2,000.000 und einen Reservefonds von 1,000.000 , mit 39 Londoner Filialen; die London and Westminsterbank mit einem Capital von 2,800.000 ; die London Joint Stockbank (1,800.000 ), die Nationalbank (1,500.000 ) und National Provincial Bank of London (2,277.000 ).

Eine eigenartige und wichtige Institution bildet das London Bankers Clearing House , gegründet zum Zwecke der bequemeren und rascheren Liqui - dation der wechselseitig auf die Banken gezogenen Checks. Ein Vertreter jeder der Gesellschaft angehörigen Bankfirmen findet sich daselbst täglich mit den Checks ein, die seine Bank besitzt und die auf andere Banken gezogen sind. Die Listen dieser Checks sind bereits angefertigt, werden rasch collationirt, die Checks werden wechselseitig ausgetauscht und die restlichen Summen durch Anweisungen auf die Bank of England im Clearingverkehre beglichen. Die solchermassen im Clearing House liquidirten oder ausgeglichenen Beträge beliefen sich im Jahre 1889 auf 7,619.000.000 . Wechselcourse notirt London auf fast alle bedeutenden Handels - und Bankplätze von Deutschland, Frankreich, Italien, Holland, Oester - reich, der Schweiz, Spanien, Portugal, Dänemark, Russland, ferner auf Calcutta, Madras, Bombay, Hongkong und Shanghai. Wechseltage für das Ausland sind Dienstag und Freitag (foreign post days).

In London unterhalten Consulate: Argentinien (G. -C. ), Belgien (G. -C. ), Bolivia (G. -C. ), Brasilien (G. -C. ), Chile (G. -C. ), Columbia (G. -C. ), Costarica (G. -C. ), Dänemark (G. -C. ), Deutsches Reich (G. -C. ), Dominikanische Republik (G. -C. ), Ecuador, Frankreich (G. -C. ), Griechenland (G. -C. ), Guatemala (G. -C. ), Haïti, Hawaii, Honduras (G. -C. ), Italien (G. -C. ), Japan, Liberia (G. -C. ), Madagaskar, Mexico, Niederlande (G. -C. ), Monaco (G. -C. ), Nicaragua (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Oranje-Freistaat, Paraguay (G. -C. ), Persien (G. -C. ), Peru, Portugal (G. -C. ), Rumänien (G. -C. ), Russland (G. -C. ), Salvador (G. -C. ), Schweden und Norwegen (G. -C. ), Schweiz (G. -C. ), Serbien (G. -C. ), Siam (G. -C. ), Spanien (G. -C. ), Süd - afrikanische Republik (G. -C. ), Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela (G. -C. ), Vereinigte Staaten von Amerika (G. -C.).

[969]

Dover.

An der engsten Stelle des englischen Canales, dort wo die Küsten von England und Frankreich so nahe aneinandertreten, dass man bei hellem Lichte von der einen aus die andere erblickt, liegt auf den scharfen, kreidigen Formationen der englischen Küste die Stadt Dover. Sie ist von altersher berühmt, weil der kürzeste Weg vom Festlande über Calais nach England führt und man bei gutem Wetter mittelst moderner Dampfer in einer Stunde die Ueberfahrt zurücklegen kann. Freilich ist diese Ueberfahrt trotz ihrer Kürze doch auch übel berufen, denn an jener engen Stelle drängen die Wellen des Canales gewaltig der Nordsee zu und setzen das Schiff, welches sie durchqueren muss, in oft gar arge Bewegung. Glücklich darum der Reisende, welcher ohne dem Meeresgotte seinen Tribut entrichtet zu haben, wieder festen Boden unter seinen Füssen fühlt. Wie ein rettender Hort erscheint jedem von der Seekrankheit Gepeinigten der Landungsdamm von Dover, allwo der Dampfer anlegt und die Passagiere ausschifft.

Dovers Bedeutung beruht heute nicht so sehr in seiner Handels - thätigkeit, als in der Vermittlung der grossen Passage von Reisenden. Dann hat der Punkt bis heute seine strategische Wichtigkeit nicht nur nicht eingebüsst, sondern er hat eher an Bedeutung gewonnen, seit die Ausführbarkeit eines Tunnels durch den bausicheren Meeres - grund nach den Resultaten der Probebohrung über alle Zweifel erhaben ist und der Ausführung dieses commerziell so wichtigen Bauwerkes nur militärische Bedenken der Engländer im Wege stehen.

Hier wollte Cäsar, als er im Jahre 54 v. Chr. seine erste Expedition gegen Britannien unternahm, landen, musste jedoch, weil die Briten in starker Wehr dort versammelt waren, davon abstehen und eine andere Stelle, bei Deal, zur Ausschiffung wählen. Daraus folgt, dass schon damals Dover ein bekannter Ort war. Die Römer erkannten auch sofort nach Eroberung der Insel die WichtigkeitDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 122970Der atlantische Ocean.dieses Punktes und legten daselbst Befestigungswerke an, um sich die Verbindung mit Gallien zu sichern.

Unter den Angelsachsen wuchs Dover zu weiterer Bedeutung empor, und das römische Castell erweiterte sich durch neue Werke. Das damalige Dover betrieb schon fleissig Schiffahrt und seine Einwohner waren verpflichtet, dem Könige über Verlangen Kriegsfahrzeuge zu stellen. Die Normannen legten nicht minder Wichtigkeit auf den Besitz von Dover und machten aus dessen Schlosse einen ganz besonders festen Punkt. Von hier aus trat Richard Löwenherz seinen Kreuzzug an.

Dover ward naturgemäss in die späteren Kriege mit Frankreich vielfach verwickelt, und seine Fahrzeuge haben in den königlichen Flotten manchen harten Dienst zu leisten gehabt. Dafür genoss die Stadt aber auch stets der königlichen Gnade und erwarb sich allerlei Privilegien. Von Dover aus konnte man auch einen Theil der Kämpfe, welche der stolzen spanischen Armada ihr furchtbares Ende bereiteten, übersehen und die Stadt hatte auch damals zur Rüstung des Landes das Ihrige eifrigst beigetragen. Während des grossen Bürger - krieges im XVII. Jahrhunderte wurde Dover von den Truppen des Parlamentes behauptet und in seinem Hafen stieg der restaurirte König Karl II. ans Land, um vom Throne seiner Väter Besitz zu nehmen, hier wurde er vom General Monk feierlich empfangen.

Dovers Bedeutung als Handelsstadt sank jedoch einerseits durch die Aenderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, welche eine Verlegung der grossen Centren mit sich brachten, hauptsächlich aber dadurch, dass der Hafen für die grossen modernen Schiffe zu klein ist, immer mehr, und seine Bedeutung be - schränkte sich zuletzt darauf, dass es auf dem nächsten Wege vom Festlande nach London lag, eine Bedeutung, die freilich bei dem im Laufe unseres Jahrhunderts so ungeheuer gestiegenen Verkehre mit dem Continente kein geringes Gewicht hat.

Betrachten wir nunmehr die Stadt selbst, so muss man den Hafen, die theilweise auf der Höhe sich hinziehende eigentliche Stadt und das dieselbe überragende Castell unterscheiden.

Dover besitzt nur einen Fluthafen, d. i. einen Hafen, der nur bei Hochwasser erreichbar ist. Die Einfahrt in denselben wird durch den 670 m langen Admiralitätsdamm (Admiralty-Pier) gegen Süd und West geschützt.

An diesem Damme legen die Postdampfer an besonderen Landungsstellen an, wo sie von den Gezeiten unabhängig sind.

Zwischen zwei kleineren Dämmen gelangt man von der See her zunächst in den Aussenhafen (Tidal-Harbour), ein geräumiges, bei Ebbe äusserst seichtes, fast trocken liegendes Bassin, aus welchem man durch überbrückte Schleussen-Canäle auf der einen Seite das bei Fluth 7 m tiefen Granville-Dock, auf der anderen Seite ein eben - falls ganz geschlossenes Bassin erreicht, welches früher the Pent genannt wurde, heute aber Wellington-Dock heisst und bei Flut 4·5 m Wassertiefe besitzt.

971Dover.

Die Wasserfläche des letzteren beträgt 4·65, jene des Granville Docks 2·4 ha.

Die Eisenbahnanlagen befinden sich unmittelbar an den Docks, so dass man vom Schiffe aus sofort die Bahn betreten kann. An der Aussenseite von Wellington-Dock zieht sich die Esplanade hin, über welche der Weg zu den höher gelegenen Stadttheilen führt. Der Admiralty Pier zählt zu den Berühmtheiten von Dover, nicht nur wegen seiner Construction, sondern auch weil durch denselben das Landen der Schiffe zu jeder Zeit ermöglicht ist und überdies auf demselben sich dem Spaziergänger ein ganz wundervolles Bild dar - bietet. Der Strand von Dover bietet auch gute Seebäder. Die Stadt zeichnet sich durch ihr gutes Klima aus, welches im Winter weni - ger rauh und im Sommer frischer als jenes von London ist.

Die Stadt selbst, welche 35.000 Einwohner zählt, hat eine un - regelmässige Form, bietet jedoch gegen die See zu, wo viele moderne Häuser entstanden sind, einen ganz stattlichen Anblick dar, während namentlich im Innern manches Bauwerk aus alter Zeit das Interesse des Forschers erregt. Meist sind es Kirchen, so die S. Martin’s le Grand, eine angelsächsische Stiftung, die aber heute nur mehr Reste aus normannischer Zeit aufzuweisen vermag, ferner S. Martin’s Priory, gegründet im XII. Jahrhundert durch König Heinrich I. Alt ist auch die St. Mary-Kirche, deren schon im Domesdaybook gedacht sein soll; auch noch einige andere Kirchen führen ihre Stiftung in ver - gangene Jahrhunderte zurück.

Unter den öffentlichen Gebäuden sind das neue, im gothischen Style gehaltene Stadthaus, das mit guten Sammlungen versehene Museum sowie das für schiffbrüchige Matrosen gewidmete Seemanns - haus zu nennen. Dass neugebaute Hôtels vorhanden sind, versteht sich bei dem Charakter des heutigen Dover als eines der grössten inter - nationalen Passageplätze von selbst.

Imposant auf den Höhen über der Stadt liegt das alte Castell mit seinem Mauergürtel und vielen Thürmen, ein Denkmal der Be - festigungskunst verschiedener Epochen. Massiv hebt sich namentlich der unter Heinrich II. erbaute Thurm, der sogenannte Keep hervor, in dem eine interessante Waffensammlung aufgestellt ist. Das Castell dient auch heute noch zur Vertheidigung von Dover, doch sind in Verbindung damit und auf noch höher gelegenen Stellen, den soge - nannten Western Heights, eine Anzahl von modernen Werken angelegt, welche ihren Ursprung den grossen Franzosenkriegen im Anfange unseres Jahrhundertes verdanken, die aber auch seither, wo man auf122*972Der atlantische Ocean.die Befestigung der britischen Küsten immer mehr Bedacht nahm, wesentlich verstärkt worden sind und zu den stärksten Positionen im Königreiche zählen. Von den Western Heights aus beherrscht man weithin Land und See und geniesst einen schönen Blick auf das bewegte Bild in der Meerenge, welche das am stärksten befahrene Gewässer Europas repräsentirt und durch welche sich Tag und Nacht mehr Schiffe bewegen, als in irgend einer anderen Meeresstrasse der Welt. Dabei den häufigen Nebeln der Canal eben der starken Frequenz wegen zugleich eine der gefährlichsten Wasserstrassen der Erde ist, denkt man daran, besondere internationale seepolizeiliche Vorschriften für die Durchfahrt zu entwerfen. Im Interesse der Schiffahrt wäre die baldigste Durchführung dieser Verordnung dringend zu wünschen.

Wenden wir uns der Handelsbewegung Dovers zu, so finden wir, dass der ganze Handel Dovers für englische Begriffe ein sehr geringer ist und der Import den Export um ein Bedeutendes überragt

〈…〉〈…〉

Die Getreideeinfuhr Dovers ist, wenn sie auch der Quantität nach alle übrigen Artikel übertrifft, eine im Verhältnisse zu anderen Häfen ziemlich geringe. Man importirte 1889 55.200 q Gerste, 19.300 q Hafer, 4080 q Bohnen und 18.400 q Mais.

Die Einfuhr von Obstsorten umfasste 4287 hl, die von Eiern Gt. Hunds 72014. Unter den Getränken behauptet Wein mit 20.012 hl die erste Stelle.

Die dem Werth nach bedeutendsten Importartikel Dovers sind Woll - und Seidenfabricate (fast alles aus Frankreich). An ersteren wurden im letzten Jahre für 1,301.853 , an letzteren für 1,082.321 eingeführt. Desgleichen er - zielten Wollgarne einen lebhaften Import, der sich auf 9337 q belief. Schaf - und Lammwolle verzeichnet eine Einfuhr von 4376 q, Leder eine solche von 3354 q.

In der Ausfuhr Dovers, für welche nur das Jahr 1889 als Massstab ge - nommen wird, behaupten dem Werthe nach Textilwaaren den Vorrang. Unter diesen selbst wieder stehen Seide (gesponnen und gedreht) und Seidenfabri - cate mit einem Werthe von 230.127 an der Spitze. Es folgen dann die mannig - faltigen Fabricate der Wollfabrication in einem Gesammtwerthe von 79.468 , die Erzeugnisse der Baumwollindustrie inclusive Baumwollgarn im Werthe von 31.710 , und den Schluss machen Leinenwaaren und Garne im Werthe von 11.330 . Die ausgeführten Kleidungsstücke verzeichnen einen Werth von 71.600 .

Unter den anderen Erzeugnissen, die über Dover zur Ausfuhr gelangen, sind hervorzuheben: Maschinen aller Art (82.577 ), Werkzeuge und Messer - waaren (20.664 ), Waffen (12.847 ), Putz - und Kurzwaaren (58.452 ), Leder - und Sattlerwaaren (16.250 ), Kautschukfabricate (11.960 ), Papierwaaren aller Art (25.797 ), gedruckte Bücher (30.713 ), Thon - und973Dover.Porzellanwaaren (26.262 ) und alle übrigen Artikel im Gesammtwerthe von etwa 420.000 .

Der Export Dovers in fremden Producten beschränkt sich der Hauptsache nach auf Schaf - und Lammwolle, die mit der stattlichen Ziffer von 95.678 q erscheinen und neben denen nur noch Wein (2801 hl), rohe Seide (136 q) und Seidenfabricate im Werthe von 20.893 zu nennen sind.

Dieser geringe Handelsumsatz Dovers zeigt aber, dass der grosse englisch - französische Handel bequemere Häfen als die ungenügenden Kunsthäfen von Dover und Calais benützt.

Die Industrie Dovers beschränkt sich auf den Schiffbau.

Dover.

Den Schiffsverkehr Dovers illustrirt folgende Tabelle:

〈…〉〈…〉

Neben der englischen Flagge ist die französische etwa mit einem Fünftel der Tonnenzahl an dem Verkehre Dovers betheiligt.

974Der atlantische Ocean.

Die Banken von Dover sind die London and County Bank, National and Provincial B. of England.

In Dover bestehen Consulate folgender Staaten: Belgien, Columbia, Ha - waii, Liberia.

Westlich von Dover und mit diesem durch den Schienenstrang verbunden liegt die gegenwärtig 19.000 Einwohner zählende alte Stadt Folkstone, mit geschütztem Fluthafen und wachsendem See - verkehr.

Wie nach Margate, Ramsgate und Dover, so richtet sich wäh - rend der Sommersaison (Juli und August) auch nach Folkstone, der ungeheure Zug der Londoner Ausflügler und verlondonert die Gegend; man könnte daher auch auf Folkstone anwenden, was George Elias von Ramsgate sagt, dass es nämlich ein zum Luftschöpfen heraus - gekommener Streifen Londons sei .

Folkstone wird denn auch als Seebad viel besucht.

Von hier aus verkehren täglich Postdampfer nach Boulogne.

Auch hier zählt der Pier zu den beliebtesten Promenaden, und gerne werden auch die Lees, die Rasenflächen auf den Kreideklippen, wegen der prächtigen dort auf die Enge von Dover sich darbietenden Aussicht besucht.

Nachstehende Tabelle bietet eine Uebersicht über die Handelsbewegung Folkstones in den abgelaufenen drei Jahren:

〈…〉〈…〉

Folkstone ist der einzige unter allen englischen Häfen, welcher keine Ge - treideeinfuhr besitzt. Seine Stärke liegt in der Einfuhr von französischen Seiden - und Wollfabricaten, welche ihrem Werthe nach mehr als die Hälfte des Ge - sammtimportes repräsentiren.

Im Jahre 1889 importirte Folkstone Seidenfabricate im Werthe von 2,884.650 , Wollfabricate im Werthe von 4,053.011 , Baumwollfabricate im Werthe von 444.889 , ausserdem 6541 q Wollgarne und 1477 q roher Seide.

Hervorzuheben ist ferner die Einfuhr von Stroh für die Erzeugung von Hüten und die von Leder.

Nennenswerthe Importartikel sind auch Glaswaaren mit 6796 q und Papier.

Es wurden 1889 22.196 hl Wein bezogen, ferner grössere Mengen von Fischen, Käse und (Gt. Hunds. 117.505) Eiern.

Der Import von rohem Obste belief sich 1889 auf 35.255 hl.

Der Export Folkstones findet sein Schwergewicht in den Textilerzeug - nissen, unter denen die Wollfabricate allein mit 1,042.878 mehr als die Hälfte des Gesammtwerthes der Ausfuhr von 1889 repräsentirten. Es entfallen während dieses Jahres auf Wollstoffe 159.925 , auf Kammgarnstoffe 815.504 und auf Flanelle und Teppiche 64.197 .

975Dover.

Die exportirten Baumwollwaaren und - Garne beziffern sich auf 48.415 , der Werth der ausgeführten Leinenfabricate und Garne auf 113.144 . An verschiedenen Garnsorten wurden ausgeführt für 11.932 .

Unter den übrigen Exportartikeln sind für das Jahr 1889 hervorzuheben Felle und Pelzwaaren 90.218 , Leder und Lederwaaren 50.062 , Ma - schinen aller Art 61.255 , Werkzeuge und Messerschmiedwaaren 14.272 , Kautschukfabricate 12.953 , Papierwaaren aller Art 19.289 , Maler - farben und Materialien 12.106 , Hüte aller Art 18.025 , verschiedene Klei - dungsstücke 11.871 ; ferner Nahrungsmittel aller Art für 40.084 und alle übrigen Artikel im Gesammtwerthe von circa 335.000 .

Folkstones Schiffsverkehr erklärt folgende Tabelle:

〈…〉〈…〉

Fast den ganzen Seeverkehr von Folkestone besorgen englische Schiffe.

Unter den nördlich der Themse-Mündung gelegenen Küstenorten der Grafschaft Suffolk sei hier des etwa 8000 Einwohner zählenden Städtchens Harwich Erwähnung gethan. Dasselbe liegt an der Aus - mündung des tief ins Land eingerissenen Stour-Flüsschens und besitzt einen gut geschützten Kunsthafen, welcher als Kopfstation der täglich (mit Ausnahme der Sonntage) von Antwerpen und Rotterdam, zweimal in der Woche von Hamburg anlangenden und dahin abgehenden Postdampfer von Bedeutung für den grossen Verkehr geworden ist. Die Route wird nach Antwerpen in 12, nach Rotterdam in 10 11 Stunden zurückgelegt und hat unmittelbar Eisenbahnanschluss nach London. Harwich ist auch als Seebad viel besucht.

Der Aussenhandel von Harwich wird durch nachfolgende Tabelle ver - anschaulicht:

〈…〉〈…〉

Dem Werthe nach der bedeutendste Importartikel sind Seidenfabricate, deren Einfuhr sich im Jahre 1889 auf 2,268.807 bezifferte. Diesen zunächst stehen Wollfabricate im Werthe von 1,459.166 und Baumwollfabricate im Werthe von 890.390 .

Die nächstwichtige Importgruppe ist die der Nahrungsmittel, deren einzelne wichtigere Artikel während der letzten drei Jahre folgende Mengen aufweisen:

976Der atlantische Ocean.
〈…〉〈…〉

Die Einfuhr der verschiedenen Getreidearten umfasste im Jahre 1889 31.649 q Weizen, 62.319 q Gerste und 182.866 q Mais.

Der Import von Früchten belief sich im gleichen Jahre auf 91.190 hl roher Obstsorten incl. Aepfel.

Aus der Liste der übrigen Importartikel des Jahres 1889 sind noch zu nennen 557.936 Dtzd. Paar Handschuhe und 55.079 q Glaswaaren.

In der Ausfuhr nationaler Erzeugnisse umfassen auch hier Textilwaaren mehr als ein Dritttheil des Gesammtwerthes. Im Jahre 1889 wurden aus Harwich exportirt:

  • Wollfabricate und Garne ..... im Werthe von 936.785
  • Baumwollwaaren und Garne ... 508.033
  • Seidenfabricate ........... 17.243

Im Anschlusse hieran ist zu erwähnen der Export von Kleidungsstücken im Werthe von 55.024 und von Hüten aller Art im Werthe von 71.546 .

Einen lebhaften Export verzeichnen Leder und Lederwaaren, und zwar Leder in unverarbeitetem Zustande im Werthe von 179.828 , Schuhwaaren im Werthe von 41.883 und Sattlerwaaren im Werthe von 8512 .

Maschinen bilden einen wichtigen Artikel für den Export. Ihr Werth be lief sich 1889 auf 117.977 . Die Ausfuhr von Metallwaaren aller Art erreichte die Summe von 68.885 und die exportirten Werkzeuge und Messerschmiedwaaren 84.315 .

Unter den übrigen im letzten Jahre exportirten Artikeln seien in der Reihenfolge ihres Werthes hervorgehoben:

Kautschukfabricate für 107.061 , Malerfarben und Materialien für 29.184 , gedruckte Bücher für 23.172 , Papier aller Art für 28.509 , chemische Fabricate für 22.176 , Thon - und Porzellanwaaren für 19.437 , Kurz - und Putzwaaren für 18.420 ; ferner Fische und Häringe im Werthe von 38.805 und Oelsamen im Werthe von 26.765 ; alle anderen nicht speciell benannten Artikel erreichten zusammen einen Werth von circa 670.000 .

In der Ausfuhr der ausländischen Producte ist Wolle der weitaus bedeu - tendste Exportartikel, so 1889 mit der beträchtlichen Menge von 77.643 q.

Der Schiffsverkehr von Harwich hat sich in den letzten Jahren wegen des starken Reiseverkehres riesig gehoben und betrug:

〈…〉〈…〉
[977]
Dover (Massstab 1: 15.300; Sonden und Höhen in Metern).

A Einfahrt. B Südford Battery, C Imperial-Hôtel, D Castle-Street, E St. Mariakirche, F Leucht - feuer, G Market-Platz, H Townwall Street, J Gasometer, K Northampton Street, L Drop Battery, M Wellington, N Granville, O Eisenbahn-Sta., P Lord Warden-Hôtel, Q Eisenbahn-Station, R Kent Artillerie, S Hospital, T Capelle, U North Military-Road, V Christkirche, W St. John’s Thurm, X St. James-Kirche, Z Officiersquartier.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 123978Der atlantische Ocean.

Im Innern der Einbuchtung hat sich an der Mündung des Orwell - flüsschens die Stadt Ipswich, Hauptstadt von Suffolk gelagert, die (1881) 51.000 Einwohner zählte, aber im Seeverkehre eine nur secundäre Rolle spielt.

Wichtiger ist das an der Ostspitze von Norfolk gelegene Yarmouth, an der Mündung der Yare, ein aufblühender Hafenplatz mit 40.000 Einwohnern und Knotenpunkt mehrerer Eisenbahnen.

Bedeutend ist die dort und in dem benachbarten Lowestoft be - triebene Häringfischerei, und es geniessen die Yarmouth Bloaters oder Bücklinge eines guten Rufes.

Auch als Seebad ist die Stadt viel besucht.

[979]

Hull.

Am Zusammenflusse von Humber und Hull unter 53° 45′ nördl. Br. und 18′ westl. L. v. Gr. liegt die Stadt Kingston upon Hull, kurzweg Hull genannt, welche in Beziehung auf ihre commerziell - maritime Bedeutung zu den ersten Plätzen des Vereinigten Königreiches zählt. Der Humber ist ein kurzer, aber sehr ansehnlicher Fluss, welcher aus der allmäligen Vereinigung vieler Gewässer entsteht und sich dann majestätisch in die Nordsee ergiesst. Flussaufwärts ungefähr 30 km ober der Mündung kommt von Norden der Fluss Hull, und in dem Winkel, welchen dieser viel kleinere Fluss mit dem Humber bildet, lag schon von altersher eine ansehnliche städtische Siedelung, der Kern des heutigen Hull.

Die Geschichte von Hull reicht weit zurück ins ferne Mittelalter. Jeden - falls wird dieser Stadt als eines organisirten und mit municipalen Rechten ausgestatteten Gemeinwesens unter König Eduard I. sichere Erwähnung gethan. Seither hat Hull, in der Grafschaft York gelegen, eine ziemlich bedeutende Rolle in der Geschichte des Landes gespielt und galt bis zum Ende des XVII. Jahr - hunderts als fester, schwer bezwingbarer Platz, dessen Besitz für die Herrschaft im nordöstlichen England stets von Wichtigkeit war.

Namentlich im Kriege der beiden Rosen hatte Hull manche Stürme zu be - stehen, und nicht minder war es lebhaft an dem grossen Kampfe zwischen Karl I. und dem Parlamente betheiligt, in welchem es fest auf Seite des letzteren stand. Zum letztenmale spielte sich noch im Jahre 1688 in dieser Stadt eine historische Tragödie ab. Der katholisch gesinnte Gouverneur, welcher Jakob II. anhing, wurde von den protestantischen Officieren und ihren gesinnungsverwandten Bürgern über - wältigt, um die Stadt für Wilhelm von Oranien zu sichern.

War Hull aber auch ein fester Platz, so hinderte dies doch keineswegs, dass dessen Bewohner die Gunst ihrer Lage wohl ausnützten und sich stets dem Handel und der Schiffahrt mit Eifer widmeten. Der Hullfluss gewährte den Schiffen eine sichere Liegestätte und diente Jahrhunderte als Hafen. Die alte Stadt ward im Osten durch diesen Fluss begrenzt, während ringsum starke Mauern mit einzelnen Kernvesten sich ausdehnten, welche die Stadt gegen Westen in jener Strecke begrenzten, wo sich heute der Queen-Dock und dessen beide süd - lichen Nachbarn befinden.

123*980Der atlantische Ocean.

Es war also eine enge, düstere Stadt wie die meisten britischen Orte früherer Zeit. Erst der grosse Aufschwung, welchen Hull seit dem Beginn des XVII. Jahrhunderts nahm, der durch die andauernd friedlichen Verhältnisse im Innern des Landes unterstützt wurde, trieb von selbst nach einer Erweiterung des Weichbildes, und diese Erweiterung vollzog sich ausserhalb der Stadtmauern in der Richtung gegen Westen und Nordosten und ward um so intensiver, als man endlich auch die letzten Reste der alten Umwallung beseitigte.

Heute stellt sich Hull mit mehr als 160.000 Einwohnern als eine ganz moderne, stattliche Stadt dar, welche in zwei Theile zerfällt, nämlich in die alte Stadt zwischen dem Flusse Hull auf der einen und den früher erwähnten Docks auf der anderen Seite, dann in die viel grösseren neuen Quartiere, welche sich in weitem Bogen um jenen alten Kern vom Hull bis an das Ufer des Humber erstrecken, und endlich haben wir die Uferstrecke am Humber selbst, wo namentlich eine Reihe von Docksanlagen unsere Aufmerksamkeit fesselt.

In Hull spielt das Seewesen eine sehr grosse Rolle, nicht allein durch den Betrieb der Schiffahrt, sondern auch durch die Schiffbauin - dustrie. Man war hier schon gegen den Ausgang des vorigen Jahrhunderts zu eifrigst bemüht, jene Anlagen zu schaffen, welche für den leichteren Betrieb der Schiffahrt sich als wichtig darstellten. Heute besitzt Hull, wie unser Plan zeigt, nicht weniger als neun Docks mit einem Areal von 59 ha. Das älteste Dock, heute Queens-Dock genannt, stammt aus dem Jahre 1779. Bis dahin gab es, ähnlich wie in London, einige Quais am Hull, während die meisten Schiffe ihre Ladung auf Lichtern löschen mussten und im Flusse selbst lagen. Trotz allen Drängens der Zollverwaltung auf Besserung dieser Verhältnisse konnte man sich in der Stadt doch nicht zu einer Reform entschliessen, zum Theil aus ähnlichen Gründen wie in London, weil man in dem rechts - starren England eben an gewissen Monopolen zu rütteln nicht Muth und Lust hatte. Erst nach langen Differenzen gelang die Gründung einer Dockgesellschaft, welche das vorher erwähnte Dock im Westen der alten Stadt anlegte, das seine Zufahrt vom Hullflusse aus hat. Dreissig Jahre später erbaute man sodann ebenfalls an Stelle der alten Wälle, jedoch näher dem Humber zu, das Humber-Dock, welches von jenem grösseren Flusse aus zugänglich ist, und wieder nach zwanzig Jahren schob man zwischen diese beiden Anlagen ein drittes, das Prince-Dock ein, durch welches die Umgürtung der alten Stadt mit Docks ihren Abschluss fand. Vom Humber-Dock und senk - recht zu demselben zieht sich westlich das Eisenbahn-Dock hin, welches man errichtete, um die Verbindung der Schiffe mit dem Eisenbahnnetze zu erleichtern.

981Hull.

Die neueren Docks ziehen sich durchwegs längs des linken Humberufers selbst hin und sind, vom Oberlaufe des Flusses an gerechnet, zunächst das St. Andrews-Docks, dann das William-Wright - Dock, welches eigentlich eine Art von Annex zu dem grossen, lang - gestreckten Albert-Dock bildet. Unterhalb der Mündung des Hull in den Humber liegt das Victoria-Dock, zu dem zwei kleinere Vorhäfen führen und welches tiefer im Lande gelegen ist; in Verbindung mit diesem stehen zwei Trockendocks. Endlich noch weiter abwärts finden

Hull.

wir das erst 1885 vollendete, jüngste und grösste, das Alexandra-Dock mit einer Wasserfläche von 18 ha und 8·2 m Tiefe der Einfahrt bei Hochwasser.

Das Alexandra-Dock hat eine ganz regelmässige Form, und sind in demselben vier Molen behufs Vermehrung der Liegeplätze eingebaut. Die Docks sind mit grossen Magazinen in Verbindung und namentlich jene, welche in jüngerer Zeit errichtet wurden, mit den heute unent - behrlichen maschinellen Einrichtungen, hydraulischen Krahnen u. dgl. versehen.

982Der atlantische Ocean.

Auch verfügt es über zwei Trockendocks für Ausbesserung von Schiffen.

Es ist sicher ein Vortheil für Hull, dass seine Docks durch die topographische Situation der Stadt sich so günstig entwickeln konnten und dass man namentlich in der Lage war, längs des Humbers den Schiffen gute und gesicherte Plätze zu bieten.

Was nun die Waaren anbelangt, welche in den Docks von Hull manipulirt werden, so ist das St. Andrews-Dock für den Fischhandel bestimmt, welcher in Hull im grössten Style betrieben wird. In diesem Dock geschieht die weitere Zubereitung und Verpackung der Fischerei - producte, und die in der Nähe befindliche grosse Fabrik künstlichen Eises liefert hiezu ihr Materiale. Das William-Wright-Dock dient für Getreide. Dasselbe ist zunächst auch im Albert-Dock der Fall, welches für diesen Zweck auch Speicher besitzt. Auch befindet sich an diesem Dock ein grosser Viehhof, da Hull starken Import von Vieh aus dem nördlichen Europa betreibt. Im Victoria-Dock laufen hauptsäch - lich Schiffe ein, die Bauholz, Salpeter und Guano geladen haben. Sehr bedeutend sind daselbst die Räumlichkeiten für die Lagerung von Guano. Auch in Verbindung mit dem Victoria-Dock steht ein sehr grosser Viehhof mit Schlächterei.

Was die älteren Docks anbelangt, so wird Queens-Dock vor - zugsweise für Holzladungen und für Dampfer mit gemischter Ladung verwendet; im Prince-Dock liegen meist Schiffe, welche im Verkehr mit Deutschland, Holland und im Küstenhandel beschäftigt sind; das Eisenbahn-Dock dient namentlich den nach dem Nordwesten Europas verkehrenden Dampfern der Wilson-Linie, deren Rheder zu den ersten von Hull zählen und über eine grosse auf mehrfachen Linien verwendete Flotte verfügen. Was endlich das Humber-Dock anbelangt, so wird dieses vor Allem für den Verkehr mit den holländischen Häfen benützt, und kommen dort auch grosse Quantitäten von fremden Früchten, einem starken Zweige des Huller Handels, zur Lagerung.

Hull ist also ein sehr gut ausgerüsteter Seeplatz, in dem der Handel des nordöstlichen England sein hauptsächlichstes Thor zur See besitzt. Die Stadt nimmt an demselben mit einer eigenen ansehn - lichen Handelsflotte von 835 Schiffen mit zusammen 220.923 Netto - Tons (1889) theil. Mit den übrigen Theilen des Landes ist Hull durch drei Eisenbahnlinien in guter und reger Verbindung.

Werfen wir nun einen Blick in das Innere der Stadt, so finden wir zwar nichts von sonderlicher Bedeutung, aber immerhin einige ganz statt - liche Bauten, welche öffentlichen oder gemeinnützigen Zwecken dienen.

983Hull.

Bemerkenswerth sind in der alten Stadt die Dreifaltigkeitskirche, von welcher einzelne Theile dem XIII. Jahrhundert entstammen, das Börsegebäude und eine sehr grosse und schöne Markthalle neben einigen anderen Gebäuden, die nur ihrer geschichtlichen Vergangenheit wegen Interesse besitzen. In den neuen Stadttheilen fällt uns neben mehreren Kirchenbauten namentlich das grosse Seemannshaus, das Waisenhaus, welches zum grossen Theile gleichfalls den Hinterlassenen von Seeleuten gewidmet ist, dann das erst in den letzten Jahren voll - endete grossartige Bauwerk des Royal Infirmary sowie das ebenfalls neue Royal Theatre ins Auge. Hull verfügt auch, namentlich an seiner Peripherie, über einige ausgedehnte Parkanlagen. Im Ganzen gewinnt man den Eindruck, dass man sich in einer Stadt von grosser Reg - samkeit befindet, deren wirtschaftliches Leben auf einer festen und breiten Unterlage steht und welche über Bedingungen verfügt, die noch einer grossen Entwicklung fähig sind und eine glänzende Zukunft im Anschlusse an eine rastlos thätige Vergangenheit ver - sprechen.

Die Zufahrt nach Hull bietet unter normalen Verhältnissen keinerlei Schwierigkeiten, zumal die Gezeiten eine kräftige Ebb - und Flutströmung hervorbringen. Die Springflut erhebt den Wasserstand an der Mündung bei Spurn Point um 5·6 m und in Hull sogar um 6·3 m über den Ebbstand.

Vor der buchtenartig eingerissenen 8 km breiten Humber-Mündung ist das Leuchtschiff Spurn verankert, und zwei andere Leuchtschiffe liegen im Flusse selbst, dessen Fahrwasser gut betonnt wurde.

Wenden wir uns dem eigentlichen Handel zu, so müssen wir vor Allem erwähnen, dass Hull der Haupthafen des nordöstlichen England ist und nament - lich den Verkehr mit dem Norden Europas vermittelt. Dem Werthe der Einfuhr und Ausfuhr nach ist es der drittgrösste Hafenplatz Englands. Der Import und Export Hulls während der letzten fünf Jahre geht aus nachstehender Tabelle hervor:

〈…〉〈…〉

Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, dass der Importwerth Hulls seit zwei Jahren um mehr als 6 Millionen Livres Sterling zugenommen hat.

Den bedeutendsten Importartikel bildet Getreide, dessen Einfuhr seit dem Jahre 1887 erhebliche Steigerung aufweist. Die Getreideeinfuhr Hulls während der letzten drei Jahre war folgende:

984Der atlantische Ocean.
〈…〉〈…〉

Eine wichtige Rolle in der Einfuhr Hulls spielen ferner Provisions , deren Menge folgende Tabelle enthält:

〈…〉〈…〉

Hieran reiht sich die Einfuhr von Eiern mit 338.025 Gt. Hunds. im letzten Jahre. In der gleichen Periode wurden ferner importirt 10.100 q Korinthen, 2.200 q Rosinen, 231.107 hl Orangen und Citronen, 132.306 hl roher Aepfel und 54.487 hl diversen Obstes.

Der zweitwichtigste Artikel ist Zucker mit einer Einfuhrsmenge von 559.200 q im Jahre 1889, gegen 461.100 q des Vorjahres.

Die Einfuhr von Wein und Spirituosen weist im Fiscaljahre 1889 folgende Mengen auf: Wein 9561 hl, Rum 609 hl, Branntwein 1625 hl, Wachholder - branntwein 283 hl und andere unversüsste Spirituosen 680 hl.

Aus der Importliste des Jahres 1889 verdient noch hervorgehoben zu werden die Einfuhr der verschiedenen Oele, und zwar Thran mit 2199 t, Olivenöl mit 6194 t, Palmöl mit 665 q und Oelsamen mit 4399 t. Den Oelen reihen sich Oelsamenkuchen mit 21.158 t an.

Talg und Stearin wird mit 34.827 q veranschlagt.

Die Einfuhr an Wolle hat sich während der letzten Jahre mehr als ver - doppelt. Sie betrug 1887 97.477 q, 1888 schon 110.254 q und hob sich im Jahre 1889 auf 202.691 q. Hier sei gleich der Import an Wollgarn in der Höhe von 12.559 q im Jahre 1889 angeführt.

An roher Baumwolle wurden eingeführt 1889 237.800 q, 1888 194.200 q, 1887 174.500 q.

Der Import an Flachs beziffert sich für das Jahr 1889 auf 39.800 q, der an Hanf auf 132.400 q, Flachs und Leinsamen auf 104.095 q und Rübsen auf 20.299 q.

Eine Erhöhung machte sich während des letzten Trienniums bei der Ein - fuhr von Holz bemerkbar. Während 1887 an gefälltem Holz 171.500 m3 und an zersägtem und gespaltenem 506.800 m3 eingeführt wurden, zeigt der Import des[985]

Kingston upon Hull (Massstab 1: 30.900; Sonden in Metern).

A Einfahrt, B Anlegeplatz, C Rhede von Hull, D Prince-Dock, E Humber-Dock, G Albert-Dock, H Wm. Wright-Dock, J St. Andrews-Dock, K Hessle-Road, L Anlaby Rd., M botanischer Garten, N Friedhof, O Bahnhof, P Prospect St, Q Town-Hall, R Old Harbour, S South Bridge Road, T Hedon Rd., U Holderness Rd., V Beverley Rd., W Waterloo Street, X Gefängniss, Y Bauholz Bassin Nr. 1, Z Bauholz-Bassin Nr. 2. 1 heilige Dreieinigkeitskirche, 2 St. James-Kirche, 3 St. Stephans-Kirche, 4 St. Peters-Kirche.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 124986Der atlantische Ocean.Jahres 1889 in den respectiven Gruppen 229.500 m3 und 650.100 m3. Mahagoni - holz stieg von 193 t im Jahre 1887 auf 1005 t im vorigen Jahre.

Die Einfuhr von Lumpen und anderen Materialien zur Papierfabrication beläuft sich auf 54.706 t.

Unter den Düngemitteln stehen Phosphate von Kalk mit 15.339 t an der Spitze, während diverse andere sich in die Ziffer von 9968 t theilen.

Salpeter erreichte im Vorjahre die Importziffer von 65.600 q.

Leder verzeichnet einen Import von 15.652 q gegen 12.650 q im vorher - gehenden Jahre.

Einen hohen Antheil an der Einfuhrsbewegung Hulls nehmen Metalle. Die wichtigsten derselben sind nach der Statistik der letzten drei Jahre:

〈…〉〈…〉

Betrachten wir nun den Export englischer Erzeugnisse, so finden wir die Fabricate der Textilwaarenindustrie in hervorragender Weise vertreten. An erster Stelle sowohl der Quantität als dem Werthe nach stehen die Erzeugnisse der Baumwollindustrie, dann folgen die Woll - und Kammgarnfabricate und an diese reiht sich die Jute - und Leinenindustrie. Die Exportbewegung der wich - tigsten Abtheilungen der ganzen Gruppe während der beiden letzten Jahre soll in nachstehender Tabelle veranschaulicht werden:

〈…〉〈…〉

987Hull.Ferner belief sich der Export an Wolle 1889 auf 18.400 q im Werthe von 221.642 und 1888 auf 17.900 q für 213.133 .

Die nächstwichtige und umfangreiche Exportgruppe sind Maschinen und Metalle. An Maschinen exportirte Hull im Jahre 1889 für 2,674.420 , im Jahre 1888 für 2,224.201 und 1887 für 1,881.613 .

〈…〉〈…〉

Von Bedeutung ist noch der Export von Steinkohle und Coaks, welcher sich 1889 auf 1,002.993 t im Werthe von 489.744 und 1888 auf 821.320 t im Werthe von 367.017 belief.

Alkalien exportirte Hull im Jahre 1889 85.900 q für 51.919 , ferner chemische Erzeugnisse inclusive Farbstoffe für 223.008 , Malerfarben für 100.967 , chemische Düngmittel für 173.955 , Oelsamen für 275.609 , Kautschuk für 132.000 , Leder unverarbeitet für 205.194 .

Unter den verschiedenen Fabricaten sind noch hervorzuheben: Steingut und Porzellanwaaren für 52.803 , Putz - und Modewaaren für 35.492 , Glas für 23.563 , Hüte für 29.735 , Pelzwaaren im Werthe von 36.771 und Kleider im Werthe von 18.716 . Die nicht namentlich angeführten Artikel repräsentirten einen Werth von circa 1,800.000 .

Hiemit wäre die Exportliste der inländischen Erzeugnisse erschöpft, und wir wenden uns nunmehr dem Reexporte, der Ausfuhr importirter Producte zu. Der Quantität nach die wichtigsten sind Baumwolle, Wolle, Zucker und Leder.

So belief sich der Export von roher Baumwolle im Jahre 1889 auf 401.000 q gegen 307.800 q des vorhergehenden Jahres.

An Wolle exportirte Hull 1889 60.600 q, 1888 40.100 q, an Flachs 1889 10.200 q und an Hanf 8700 q.

Der Export von Zucker erreichte 1889 die Ziffer von 74.000 q Melasse, 3400 q raffinirtem Zucker und Candis und 1100 q unraffinirtem.

Hervorzuheben sind ferner noch aus den Exportlisten des Jahres 1889: Talg und Stearin mit 26.600 q, Schinken und Speck mit 53.900 q, Butter mit 5638 q und Schmalz mit 37.900 q.

Das Gewicht der ausgeführten rohen Häute belief sich auf 11.700 q, das des Leders auf 14.600 q.

Rohmetalle spielen in der Ausfuhr keine Rolle, zu erwähnen ist nur Kupfer mit 25.800 t.

Hull besitzt grössere industrielle Anstalten, namentlich für Maschinenbau und Schiffsbau. Die Herstellung von Oel und Oelkuchen wird fabriksmässig be - trieben und beschäftigt nahezu 1200 Arbeiter. Es bestehen daselbst ferner mehrere Baumwollfabriken und Eisenwerke.

Die Schiffahrtsbewegung Hulls, und zwar Ein - und Auslauf zusammenge - nommen, geht aus folgender Zusammenstellung hervor.

124*988Der atlantische Ocean.
〈…〉〈…〉

Neben der britischen Flagge sind nur die deutsche, die norwegische und die schwedische von einiger Wichtigkeit.

Hull hat regelmässige Dampfschiffsverbindung mit Antwerpen, Rotterdam, Bremerhaven und Hamburg. Im auswärtigen Handel hat es den stärksten Verkehr nach New-York, auf dieses folgen Hamburg und Odessa. Die Handelsmarine von Hull umfasste Ende 1889 835 Schiffe mit 220.923 Netto-Tons und eine Fischerflotte von 34.850 Tons.

An Bankinstituten sind hervorzuheben: die Filiale der Bank of England, die Hull Banking Co. und die London and Yorkshire Banking Co.

In Hull unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Costarica, Däne - mark (G. -C. ), Deutsches Reich, Ecuador, Hawaii, Liberia, Niederlande, Russland, Vereinigte Staaten von Amerika.

In demselben Verkehrsgebiete wie Hull liegen Grimsby, im Südosten von Hull am rechten Ufer des Humber, und Goole, westlich von Hull an der Ouse. In ihrer Ein - und Ausfuhr finden wir daher genau dieselben Waaren wie in Hull.

Der Handel von Grimsby erreichte 1889 in der Einfuhr 5,774.833 , in der Ausfuhr einheimischer Erzeugnisse 7,492.169 und in der Ausfuhr fremder Waaren 79.893 .

Der Hafen hat regelmässige Dampfschiffverbindungen nach Antwerpen, Rotterdam und Hamburg, auch läuft ihn die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt - Actiengesellschaft auf ihrer Linie nach Colon an. Der Seeverkehr erreichte 1889 3449 Schiffe mit 1,404.704 Tons. Die Fischerflotte dieses Hafens (55.755 t) ist nahezu so gross wie seine Handelsflotte.

Für Goole wird 1889 die Einfuhr mit 4,803.911 , die Ausfuhr ein - heimischer Waaren mit 7,492.169 , die fremder Waaren mit 260.256 angegeben. Der Seeverkehr betrug in demselben Jahre 4955 Schiffe mit 1,216.218 Tons. Der Platz hat regelmässige Dampferverbindung nach Antwerpen.

[989]

Newcastle.

An der Tynemündung liegt der grosse Kohlenhafen Newcastle, welcher einen Centralpunkt nicht nur für den grossartig betriebenen Kohlenhandel, sondern auch für die eben auf den Kohlenreichthum der Gegend basirte Industrie bildet. Längs des ganzen Tyneflusses hat sich auf einer Erstreckung von 30 km ein unendlich reges gewerb - liches Leben entwickelt, welches den Fluss als Hauptader des Ver - kehres benützt.

Der Tyne spielt in der englischen Geschichte eine grosse Rolle, und ebenso reicht der Name von Newcastle weit in die Zeiten des Mittelalters zurück. Die Römer legten im I. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine Reihe von Befesti - gungen von der Tynemündung bis zu jener des Solway an, und ein derartiges Castell befand sich an Stelle unserer heutigen Stadt. Es führte den Namen Pons Aelii, weil es unter dem Schutze einer Brücke über den Fluss lag. Dort war da - mals die Grenze zwischen dem römischen Britannien und dem Lande der Scoten. Nach dem Abzuge der Römer kam es an jener Grenze zu mannigfachen Kämpfen zwischen den Briten und ihren Nachbarn, und auch die[angelsächsischen] Herrscher mussten oftmals am Tyne im Heereszuge erscheinen. Pons Aelii scheint verfallen zu sein, doch wird von einer römischen Siedelung in der Nähe berichtet. Die Normannen haben die Wichtigkeit des Tyneflusses richtig erkannt, und des Eroberers Sohn Robert, Rufus zubenannt, legte ein festes Castell am linken Ufer an, welches zum Grenzschutze diente. Unter König Heinrich II. ward dieses Castell umge - baut oder durch ein neues ersetzt, und von diesem Neubau rührt der Name der heutigen Stadt her. Anlehnend an dieses Normannencastell, welches in seinem Donjon heute noch erhalten ist, entstand eine städtische Niederlassung, der jedoch wenig freundliche Tage beschieden waren. In den vielen Schottenkriegen unter den drei ersten Eduards gab es um Newcastle kriegerisches Getümmel mehr als genug, und auch im XVII. Jahrhunderte, während der Parlamentskriege, sah die in - zwischen angewachsene Stadt viele schwere Kämpfe. Aber trotz dieser Stürme lenkte sich doch die Aufmerksamkeit der Bürger auf die Schätze, die von der Natur in ihrer Landschaft geboten waren, und Kohlen wie Eisen gaben ihnen Be - schäftigung und ihrem Handel Nahrung. Dass die Verhältnisse unseres Jahrhun - derts gerade für diese Artikel den Antrieb zu einem besonderen Aufschwunge dar - boten, liegt auf der Hand und bedarf keiner besonderen Nachweisung.

990Der atlantische Ocean.

Newcastle als Stadt war lange Zeit durch enge Mauern einge - engt, die freilich einstens zur ofterprobten Schutzwehr gedient hatten, jedoch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts dem nothwendigen Drange nach Expansion weichen mussten. Um den alten Kern setzte sich eine neue Stadt an, welche an Ausdehnung bald ihre ältere Schwester übertraf. Newcastle, welches im Ausgange des vorigen Jahrhundert nicht viel über 30.000 Einwohner zählte, hat nunmehr mit Einschluss von Gateshead, der auf dem südlichen Ufer des Flusses gelegenen, be - deutenden Vorstadt, die stattliche Ziffer von 230.000 erreicht.

Newcastle verdankt diese unerhörte Blüthe, wie so viele andere Städte Englands, der Kohle. Obwohl schon im Jahre 1325 von einem Schiffe berichtet wird, welches Kohlenhandel nach Frankreich getrieben hat, und dann wieder aus dem Jahre 1600, dass zahlreiche Schiffe nach London abgingen, um die Metropole mit diesem Brennstoffe zu versehen, so fällt die grosse Entwicklung doch erst in das laufende Jahr - hundert, wo die wahre Bedeutung der schwarzen Diamanten für In - dustrie, Schiffahrt, Handel und Technik zum Durchbruche kam. Hier wie in ganz Britannien begegnen wir überall, wo Grosses ge - schaffen wird, der Kohle. Am Tyne hat sich ein mächtiges industrielles Leben entwickelt, welches nicht nur in Newcastle selbst, sondern auch in den beiden an der Mündung gelegenen Orten North - und South - Shields reich pulsirt und auch noch bei Tynemouth, zugleich einem gut besuchten Badeorte, zur Erscheinung gelangt.

Die Stadt Newcastle selbst weist, wie wir schon erwähnt haben, zunächst als besondere Sehenswürdigkeit das alte Normannenschloss auf, das noch gut erhalten ist und als Typus damaliger Bauart gelten kann. Freilich bietet heute der Ausblick von dessen Thurme ein ganz anderes Bild als in den Zeiten, wo man von dort aus den oft be - drohten Uebergang über den Tyne bewachte. Ueberall, soweit das Auge reicht, Bilder der regsten friedlichen Thätigkeit, Häuser, indu - strielle Anlagen und Schiffahrt. Kriegslärm und Angst vor räuberischen Nachbarn ist längst dem Pusten der Maschinen gewichen. In dem alten Stadttheile finden wir auch noch manche Gebäude, die uns wenigstens gestatten, ein Bild zu entwerfen, wie es wohl in der Ver - gangenheit hier ausgesehen haben mag, so die aus dem XIV. Jahr - hundert stammende St. Nikolauskirche, deren Anfänge jedoch in ältere Zeiten zurückreichen, ohne dass darüber volle Bestimmtheit herrscht, ferner das Gebäude, welches noch vom Kloster der Black Friars erhalten ist, Cunningham House u. dgl. Dagegen haben die neuen Stadttheile einen ganz modernen Anstrich. Es sei hier erwähnt,991Newcastle.dass sich namentlich um die bauliche Entwicklung Newcastles der Ingenieur Richard Grainger grosse Verdienste erwarb, welcher von den Dreissigerjahren an eine eifrige Bauthätigkeit als Unternehmer entfaltete und durch seine Energie und unermüdliches Streben im Interesse seiner Vaterstadt nicht wenig zu deren entsprechender Er - weiterung beitrug. Von ihm wurden auch mehrere öffentliche Bau - werke von Bedeutung zur Ausführung gebracht, so das Theatre Royal, die öffentliche Bibliothek, das Gebäude der naturwissenschaftlichen Gesellschaft, die Town Hall (Stadthaus), dann die Central-Eisenbahn - station. Einen recht stattlichen Anblick gewähren ferner die durch viele hübsche Privathäuser gezierte Gray-Street und die Grainger-Street, letz - tere zur Erinnerung an den vielverdienten Baumeister so benannt. New - castle besitzt auch eine Reihe von wohlthätigen Anstalten, namentlich auf dem Gebiete des Krankenwesens, wie dort auch nicht minder wissenschaft - liche Bestrebungen trotz der vorwiegend commerziellen und industriellen Interessen platzgegriffen und zur Errichtung einiger bemerkenswerther Institute geführt haben, von denen wir nur die Alterthumsgesellschaft erwähnen, welcher die Stadt und Umgebung erwünschten Stoff zu Forschungen darbietet.

Die Hauptlebensader der Stadt bildet jedoch ganz unstreitig der Fluss; am Tyne, woselbst sich in ununterbrochener Reihe Anlagen hinziehen, welche der Industrie und dem Verkehre dienen, pulsirt das geschäftliche Leben des Platzes. Der Tyne, welcher durch den Zu - sammenfluss des North-Tyne und des South-Tyne bei Hexham sich bildet, hat lange Zeit durch seine natürliche Beschaffenheit der Schiffahrt viel Schwierigkeiten geboten, bis man durch eine im gross - artigen Style angelegte Regulirung desselben dieser Umstände Herr wurde und den Fluss den Anforderungen des Verkehres vollkommen dienstbar machte. Die Tyne-Regulirung zählt zu den bedeutendsten Wasserbauten in England und wurde, wie es bei ähnlichen solchen Arbeiten auch sonst in England beliebt ist, durch eine eigene mit administrativen Rechten ausgestattete Commission (board) zu Wege gebracht, der auch die Verwaltung des Hafens übertragen ist.

Eigentliche Hafenanlagen finden sich der felsigen Ufer wegen verhältnissmässig wenige, und diese sind zusammengedrängt. Unterhalb der über den Fluss führenden Brücken befindet sich der einzige Quai, über den man verfügt. Er ist 1355 m lang und mit Krahnen, Eisenbahn - geleisen und einigen Schuppen ausgestattet. Auch befindet sich nahe demselben ein grosser Getreidespeicher. Der Transport des Getreides geschieht mittelst zweier Elevatoren, so dass es über die Strasse und992Der atlantische Ocean.Eisenbahn hinweggehoben werden kann. In den drei Docksanlagen, welche jedoch unterhalb der Stadt näher zur Flussmündung gelegen sind, vollzieht sich der grossartige Kohlenexport von Newcastle, auf welchen wir zurückkommen werden.

Werfen wir nun einen Blick auf den Tyne am westlichen Ende der Stadt und verfolgen wir dessen Lauf abwärts, so finden wir vor Allem noch oberhalb der über den Fluss führenden drei Brücken, am linken Ufer die grossen Etablissements von Armstrong, Mitchell & Comp., welche einen Weltruf erlangt haben und in denen ausser Eisenconstructionen aller Art auch Geschütze vom leichtesten Kaliber bis zu den schwersten Schiffsstücken erzeugt werden. Der Haupt - erzeugungsort für letztere ist in dem nahen Elswick, wo ebenso wie in Low-Walker die Firma auch über Werften verfügt, die für den Bau grosser Panzerschiffe eingerichtet sind.

Von den erwähnten Brücken ist die niedrigere eine Drehbrücke; die beiden anderen überspannen den Fluss aber in Höhen von 26·5 m und 36·5 m, so dass sie der Schiffahrt nicht hinderlich sind.

An beiden Ufern, auch unterhalb der eigentlichen Stadt, folgen nun verschiedene andere Etablissements für Maschinen - und Schiffbau, von denen wir nur die Werke von Stephenson & Comp., Howthorn, Leslie & Comp., Wood & Skinner, Wigham, Richardson & Son, Palmer hervorheben; das letztere erzeugt jetzt auch schwere Geschütze. Diese Etablissements, dann Fabriken für Glas, Chamottesteine und Chemikalien beleben die Ufer des Flusses, auf welchem selbst fort und fort Schiffe verkehren oder ihre Operationen vornehmen. Unter - halb der Stadt gelangen wir sodann zu den drei vorhandenen Docks - anlagen.

Von diesen Docks liegen zwei (das Northumberland - und das Albert Eduard-Dock) am Nordufer und gehören der schon vorher erwähnten Tyne-Commission, während das am Südufer befindliche Tyne-Dock Eigenthum der North Eastern Railway ist. Das Northum - berland-Dock wurde in den Fünfzigerjahren aus einer Einbuch - tung des Flusses hergestellt, hat eine Wasserfläche von 22 ha und eine Quailänge von 1150 m. Die Tiefe im grossen Bassin beträgt 8·2 m, an der Einfahrt aber nur 7·3 m. In dem Dock befinden sich einige kleinere Molen. Kleiner an Umfang, nämlich nur 9·6 ha gross, jedoch für Schiffe von grösstem Tiefgange (9·1 m Wassertiefe) zugäng - lich, ist das 1885 vollendete Albert Eduard-Dock, an das sich Lager - plätze, namentlich für Holz und Erze, in ziemlich bedeutender Aus - dehnung anschliessen. Das am Südufer befindliche Tyne-Dock mit993Newcastle.7·3 m Wassertiefe ist mit ausserordentlich vollkommenen Einrichtungen zur Kohlenverladung versehen. Es kommen verschiedene Systeme zur Anwendung, einmal jenes der sogenannten spouts , Schuttrinnen, wobei die Kohlen aus dem Boden der Waggons in eine geneigte Schuttrinne fallen und von dieser direct in die Schiffslucke geleitet werden, ferner die sogenannten tips , d. i. Kipprinnen, indem der Wagen, welcher auf einer Plattform steht, gehoben, um eine horizontale Achse gekippt und aus der Kopfklappe entleert wird. Ferner wendet man das

Newcastle.

Krahnsystem, drops , an, bei welchem die Wagen durch einen Krahn oder krahnartigen Ausleger vom Ufer bis über die Luke des Schiffes geschwenkt und dort entweder mit ihren Bodenklappen direct oder mit Kopfklappen nach vorherigem Kippen entleert werden, und endlich gibt es die sogenannten boxes , bei denen die Kohlen in besonderen, auf Wagengestellen befindlichen Kasten herangefahren und diese mit Bodenklappen versehenen Kasten in die Schiffsluke gesenkt werden.

Im Tyne-Dock ist namentlich das Spoutsystem hochentwickelt. Es sind im Ganzen 40 Spouts vorhanden, die auf 4 Molen angebracht sind und durch welche in der Woche 100.000 120.000 t Kohle zur Verschiffung gelangen können. Durch das Spoutssystem kann ein Schiff binnen zwei Stunden 1000 t Kohle einnehmen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 125994Der atlantische Ocean.

Ausser den Kohlenvorkehrungen verfügt man im genannten Dock auch über zwei sehr grosse und zweckmässig eingerichtete Getreide - speicher.

Die beiden nahe der Flussmündung gelegenen Orte North - Shields und South-Shields, jener nördlich, dieser südlich des Flusses, in denen der Schiffbau auch viele Hände beschäftigt, haben ihrer hohen Lage wegen keinerlei Quaianlagen. Unmittelbar an der Mündung befindet sich das als Badeort beliebte Tynemouth, welches, wie unser Plan zeigt, durch zwei gewaltige Molen geschützt wird. Die Zufahrt von der See aus bietet heute keinerlei Schwierig - keiten mehr. Die einstens vor der Mündung gelegene Barre wurde, wie erwähnt, durch die Flussregulirung beseitigt, und das 4·2 m an - steigende Hochwasser gestattet selbst den grössten Schiffen die Navigation im Fluss. Die Tynemündung besitzt weit sichtbare Leucht - feuer, von welchen das eigentliche Tynefeuer unter 55° 1′ nördl. Br. und 25′ westl. L. v. Gr. liegt.

So stellt sich uns der Tynefluss als einer jener kurzen an der Mündung wasserreichen Flüsse dar, mit welchen das wirtschaftliche Leben Englands enge verknüpft ist und von denen aus nach allen Seiten Verbindungen regster Art ausgehen. Newcastle und Cardiff stehen unter dem Zeichen der Kohle, und bei dem Umstande, dass sie nicht nur mit den reichsten, sondern auch mit den qualitativ besten Kohlenlagern gesegnet sind, dürfte ihre Bedeutung und fernere Ent - wicklung solange gesichert sein, als überhaupt dieser Brennstoff eine Grundbedingung unseres ganzen heutigen ökonomischen Lebens bildet.

Bevor wir auf die einzelnen Phasen der Handelsbewegung Newcastles eingehen, wollen wir dessen Gesammtverkehr der letzten drei Jahre tabellarisch darstellen. Import sowohl wie Export haben während dieses Zeitraumes eine erhebliche Steigerung erfahren. So belief sich der

〈…〉〈…〉

Den grössten Theil des Importes nimmt die reichhaltige Gruppe der verschie - denen Nahrungsmittel in Anspruch. Innerhalb dieser selbst stehen die Getreide - arten an der Spitze, diesen folgen die mannigfaltigen Provisions und Früchte.

〈…〉〈…〉
995Newcastle.

An anderen Lebensmitteln importirte Newcastle

〈…〉〈…〉

Den Provisions schliesst sich an der Import an Zwiebeln mit 51.927 hl im Jahre 1889 und der von rohen Gemüsen im Werthe von 10.537 .

An diversen Früchten importirte Newcastle 1889 4500 q Korinthen, ferner 13.519 hl Orangen und Citronen, 65.888 hl roher Aepfel und 42.455 hl anderer Obstsorten.

Die Einfuhr lebender Thiere aus Norwegen, Schweden und Dänemark zeigt eine ziemliche Steigerung gegen die früheren Jahre. Sie belief sich 1889 auf 84.539 Stück Ochsen, Kühe und Kälber, gegen 71.517 Stück des Jahres 1888; ferner 1889 auf 104.682 Schafe und Lämmer gegen 57.196 Stück im Vorjahre.

Der Import von Zucker belief sich 1889 auf 116.100 q, 1888 auf 79.900 q, 1887 auf 67.100 q.

Wichtig und von grosser Bedeutung ist der Import an Metallen, von denen besonders hervorzuheben sind:

〈…〉〈…〉

Ansehnliche Importziffern weist Petroleum auf mit 54.284 hl im Jahre 1889, 45.427 hl im vorhergehenden und 53.079 hl im Jahre 1887.

Hervorzuheben ist ferner die Einfuhr von Düngemitteln und Salpeter, letztere in der Höhe von 31.100 q. Die Einfuhr von Glas jeder Art erreichte 8900 q.

Am Schlusse der Importliste Newcastles ist Holz und Bauholz anzuführen, dessen Import während der abgelaufenen drei Jahre folgender war:

〈…〉〈…〉

Bei Betrachtung der Ausfuhr Newcastles finden wir, dass der Werth eines einzigen Exportartikels dem aller übrigen zusammengenommen gleichkommt. Es ist dies Kohle, welche auch Newcastle den Charakter als Kohlenausfuhrshafen aufprägt. In dem Exporte von Kohle, der sich übrigens von Jahr zu Jahr erheb - lich steigert wird Newcastle nur von Cardiff übertroffen. Die Ausfuhr belief sich:

  • 1889 auf 5,174.273 t im Werthe von 2,246.825 (Ges. -Ausfuhrw. 4,560.000 )
  • 1888 4,860.113 t 1,776.782
  • 1887 3,904.889 t 1,437.114
125*996Der atlantische Ocean.

Newcastle versorgt ausser Nordeuropa auch London mit Kohlen, so dass die Gesammtausfuhr des Hafens 1889 9,222.000 t erreichte.

Dieser zunächst steht die Ausfuhr an Metallen und Metallwaaren, von welchen die wichtigsten die nachstehende Tabelle aufzählt:

〈…〉〈…〉

Dazu kommen Maschinen im Werthe von 175.843 1889 und von 293.139 1888, ferner Waffen und Munition für 248.538 im Jahre 1889 gegen 262.781 im Jahre 1888.

Alkali bildet einen wichtigen Exportartikel Newcastles, welches 1889 711.460 t im Werthe von 147.609 , 1888 921.923 t im Werthe von 164.574 und im Jahre 1887 sogar 1,198.547 t im Werthe von 199.905 ausführte.

Cement erreichte im letzten Jahre die Ausfuhrsmenge von 30.029 t für 57.013 gegen 40.888 t im Werthe von 71.680 des Jahres 1888.

Ferner wurden im Fiscaljahre 1889 exportirt 15.749 q chemische Dünge - mittel im Werthe von 56.037 , chemische Producte und Präparate für 40.204 und Malerfarben für 80.644 .

Der Export an verschiedenen Erzeugnissen der Textilwaarenindustrie ist ein verhältnissmässig nicht umfangreicher; zu nennen sind Baumwollgarne für 56.617 , Baumwollfabricate für 35.494 und Woll - und Kammgarne für 24.998 .

Der Werth der im vorigen Jahre exportirten Pelzwaaren belief sich auf 22.633 , der von Leder und Lederwaaren auf 15.462 .

Zu erwähnen sind schliesslich noch Steingut - und Porzellanwaaren für 15.074 und Glaswaaren für 12.711 .

Als Ergänzung des Handels von Newcastle sei hier kurz der ganz gleich - artige Gesammtverkehr North-Shields und South-Shields erwähnt, welche 1889 in der Einfuhr 908.485 und in der Ausfuhr nationaler Producte 1,300.939 betrug.

Da von der Industrie der Tyne-Häfen, so nennt man Newcastle, North - Shields und South-Shields zusammen, der Schiffbau von hervorragender inter - nationaler Bedeutung ist, so sei ihm auch hier eine besondere Betrachtung ge - widmet. Es wurden 1889 auf den Werften dieses Districtes vier Segelschiffe mit zusammen 811 Netto-Tons und 152 Dampfer mit zusammen 177.644 Netto-Tons oder 275.824 Brutto-Tons gebaut.

Ende 1889 besassen die Tyne-Häfen zusammen eine Handelsflotte von 825 Schiffen, meist Dampfern, mit zusammen 399.206 Netto-Tons.

Legende zum Plan von Newcastle. A Einfahrt, B Castell, C spanische Batterie, D Collingwood-Monument, E Percy Square, F Leuchtfeuer, G Master Mariners Asyl, H Fort Cliftord, J Dockwray Square, K Northumberland Square, L Shipping Jetties (Molo), M Lead-Works, N Bassin, O Schleussenkammer (Bassin), O1 Tyne Commissioners - Eisenbahn, P Landungsplatz, R Market-Platz, S Union-Arbeitshaus, T Küstenwache-Station, U Master Mariners Asyl, V Correctionshaus, W Ballast-Quai, X Einfahrtsschleusse, Y Waggoustand, Z Werfte, Z1 Whitehill-Spitze. 1 Trinity-Kirche. 2 St. Stephens-Kirche, 3 St. Hilda-Kirche, 4 St. Hilda-Collegium 5 Trinity-Kirche, 6 Eisenbahnstation.

[997]
Newcastle upon Tyne (Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 996.)

998Der atlantische Ocean.

Der Schiffsverkehr der Tyne-Häfen hatte folgenden Umfang:

〈…〉〈…〉

Regelmässige Dampferlinien bestehen nach Antwerpen, Rotterdam und Hamburg.

Neben der britischen Flagge sind im Auslandsverkehre der Tyne-Häfen (1889) besonders wichtig die norwegische (587.929 t), die deutsche (551.071 t), die dänische (467.641 t), die schwedische (273.111 t) und die spanische Flagge (121.650 t).

An Banken sind zu nennen die Filiale der Bank of England, die National Provincial Bank of England und die Northern Counties Bank.

In Newcastle unterhalten Consulate: Argentinien, Deutsches Reich, Frankreich, Hawaii, Liberia, Niederlande, Portugal, Spanien, Türkei, Vereinigte Staaten von Amerika.

Kohle, Eisen und Schiffbau sind auch die charakteristischen Merkmale von Sunderland, Hartlepool und Middlesborough, die im Süden von Newcastle liegen.

Zunächst treffen wir an der Mündung des Wear-River die Stadt Sunder - land, deren Werften 1869 4 Segelschiffe mit zusammen 4467 Netto-Tons und 96 Dampfer mit zusammen 133.352 Netto-Tons oder 204.088 Brutto-Tons ver - liessen. Auch die Maschinenindustrie ist bedeutend.

Von hier wurden 1889 im Ganzen 4,187.200 t Kohle und ferner grössere Mengen von Kalk, Cement, Eisen und Flaschen verschifft, Getreide, Holz und Erze eingeführt.

In diesem Hafen waren Ende 1889 309 Fahrzeuge, meist Dampfer, mit 142.471 Netto-Tons registrirt, und der Schiffsverkehr erreichte 1889 16.450 Fahr - zeage mit 5,307.308 t.

In Hartlepool, das 1889 eine Einfuhr von 1,997.299 , eine nationale Ausfuhr von 1,003.799 ausweist, wurden in demselben Jahre 40 Dampfer mit 53.682 Netto-Tons oder 84.219 Brutto-Tons erbaut.

Die Hauptartikel der Einfuhr sind Getreide (244.046 q), Früchte, Eier, raffinirter Zucker (75.600 q) und Hölzer (589.754 m3), die der Ausfuhr Kohle und Eisen. Der Schiffsverkehr umfasste 1889 6067 Fahrzeuge mit 1,750.341 Tons, die Handelsmarine Ende 1889 290 Schiffe mit 288.051 Netto-Tons.

Middlesborough, an der Mündung des Tens, ist der Hafen des North - Riding von Yorkshire, der die berühmten Clevenland-Erze liefert, und der Mittel - punkt einer grossen Anzahl von Bergwerken, Eisen - und Stahlwerken, Giessereien, Maschinenbauanstalten und einer ansehnlichen Salzindustrie.

Verarbeitetes Eisen und Stahl bilden den Haupttheil der Ausfuhr, die 1889 3,422.024 erreichte, Eisenerze die Hauptmenge der Einfuhr von 988.337 .

Der Schiffsverkehr desselben Jahres betrug 7023 Fahrzeuge mit 2,906.760 Tons.

[999]

Edinburgh-Leith.

Ein romantischer Schimmer ruht auf Schottland, das sich vor uns jetzt mit seinen tiefeingeschnittenen Buchten, seinen pittoresken Bergformen, mit seinen Denkmälern und altehrwürdigen Gebräuchen erhebt, wo Sage und Geschichte von buntbewegten, oftmals auch recht wilden Zeitläuften erzählen und das durch die meisterhaften Erzählungen Walter Scott’s, des grossen Lobredners seines Vaterlandes, uns mehr als durch irgend einen anderen Umstand nahe gebracht wurde. Freilich im heutigen Schottland merkt man kaum mehr etwas von der originellen Nationaltracht in Kilt und Plaid, man wird nur mehr durch einzelne Namen an die einst so strenge und stramme Clan - Organisation, an jene in Leid und Freud opfervoll und treu zu einander haltenden Geschlechter erinnert, und man findet sich auch hier umgeben von einer hochentwickelten, im steten Fortschritte begriffenen Cultur. Nur oben im Hochlande kann man noch für Augenblicke vergessen, dass die Zeiten der Romantik vorbei sind.

Schottland ist trotz seines gebirgigen Charakters ein von der Natur schon an die See gewiesenes Land. Ueberall drängt sich die See tief herein, so dass es keinen Fluss im Lande gibt, dessen Quelle mehr als 100 km vom Meere entfernt wäre. Der felsige und schroffe Charakter des Gebirges veranlasst jene schönen scharfeingerahmten, meist langgezogenen Buchten, welche so viel Aehnlichkeit mit den norwegischen Fjorden haben und der Landschaft einen ebenso eigen - thümlichen als reizvollen Charakter verleihen, einen Charakter aber, bei dem ein ernstes und bisweilen sogar düsteres Wesen überwiegt. Eine der bedeutendsten dieser Buchten, für welche der Name Firth landläufig ist und die, an der Südostküste gelegen, weniger noch das Hochlandsgepräge tragen, ist der Firth of Forth, in dessen west - lichem Hintergrunde die Hauptstadt Schottlands, Edinburgh, und deren Hafen Leith liegen. Beide Orte sind zwar selbständige Muni - cipien, hängen jedoch untereinander schon durch den Umstand enge1000Der atlantische Ocean.zusammen, dass Edinburgh nur durch die Vermittlung von Leith den Verkehr mit der See erhalten kann.

Der Firth of Forth ist an seiner östlichen Einfahrt, von der See her, zwischen Cap Fifeness und dem Leuchtfeuer von North Beowick von stattlicher Breite (26 km). An der Einfahrt liegt die felsige May-Insel, welche ein Leuchtfeuer trägt. Gegen Westen verengt sich der Firth allmälig, so dass er dort, wo Leith am süd - lichen Ufer sich befindet, kaum mehr 10 km Breite besitzt. Um den ganzen Firth ziehen sich viele Niederlassungen hin, auch wird der - selbe in seiner ganzen Ausdehnung von Eisenbahnlinien umsäumt; ja im Hintergrunde der Bucht erregt ein Wunderwerk moderner Technik, die grosse Eisenbahn-Forthbrücke, unsere ganz besondere Aufmerksamkeit. Diese Brücke gehört der North-British-Bahn; sie übersetzt die Bucht 13 km westlich von Leith bei Newhalls nächst Queensferry, wurde von den Ingenieuren Fowler und Baker erbaut und im Frühjahr 1890 mit besonderer Feierlichkeit eröffnet. Die den Firth überspannende Brücke hat die Länge von etwa 2 km und ist an beiden Enden und in der Mitte von gewaltigen Pfeilern getragen, welche 520 m von einander abstehen und so hoch sind, dass unter dieser gewaltigen Spannung der Schiffsverkehr unbeanständet statt - finden kann. Es wurden zu deren Construction, welche 3 Millionen Livres Sterling kostete, 50.000 t Stahl verwendet, und man arbeitete im Ganzen volle sieben Jahre, ehe sie dem Verkehre übergeben werden konnte. Durch diese Brücke wird eine bedeutende Wegabkürzung erzielt, weil die Bahn den Umweg um den Hintergrund des Firth herum in Ersparung bringt.

Wenn man von der See kommt, so fesselt zunächst Leith, heute der wichtigste Hafen an der Ostküste von Schottland, unsere Aufmerksamkeit.

Die Geschichte von Leith reicht ins frühe Mittelalter zurück, das noch ältere Edinburgh hatte eben das Bedürfniss nach einem Hafen. Schon im XI. Jahr - hundert wird des Ortes Erwähnung gethan, im XIV. Jahrhundert wird schon dessen Hafen in Urkunden hervorgehoben, und seither hat sich derselbe stets in bedeutender Stellung erhalten. In den Zeiten des grossen Krieges mit Karl I. war Leith auch stark befestigt gewesen, nachdem es schon früher unter der katholischen Maria eine mehrmonatliche Belagerung seitens der protestantischen Schotten hatte aushalten müssen.

Leith ist heute als Hafen sehr gut ausgestattet, besitzt, wie unser Plan zeigt, zwei den Hafen umschliessende lange Dämme, von denen der eine 1070 m, der andere 946 m lang ist und welche den Einwohnern ausser zu commerziellen Zwecken auch als beliebte1001Edinburgh-Leith.Promenaden dienen. Ferner sind mehrere Docks vorhanden, worunter das Victoria -, das Albert - und das Edinburgh-Dock besonders er - wähnenswerth sind; das letzte Dock wurde erst in allerjüngster Zeit vollendet und weist zwei sehr schöne Bassins von 11, beziehungsweise 16 ha Wasserfläche auf. Westlich von Leith wurden, wie unser Plan zeigt, mehrere Hafenanlagen geschaffen, welche untereinander und mit Edinburgh durch Eisenbahnen verbunden sind. Die bedeutendste und die Docks von Leith weit an Flächenraum überbietende Anlage ist jene von Granton.

Leith.

Die Navigationsverhältnisse von Leith sind nicht ungünstig, wenngleich der Firth of Forth durch ausgedehnte Barrenbildungen eingeengt wird. Doch führen tiefe Fahrstrassen hindurch. Die Springflut erreicht bei Leith 5 m Höhe und gestattet daher die Zufahrt selbst grosser Schiffe in die Docks.

Der Verkehr von Leith dreht sich hauptsächlich um Stahl, Kohlen, Spirituosen, Gewebe und Garne in der Ausfuhr, und Getreide, Holz und Zucker in der Einfuhr. Auch wird von Leith aus ein ansehn - licher Küstenhandel betrieben und ebenso ist man daselbst immerDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1261002Der atlantische Ocean.noch rüstig im Schiffbau. Die Stadt selbst, welche 77.000 Einwohner zählt, scheidet sich, wie so viele Städte des Vereinigten Königreiches, in den alten und den neuen Theil. Ersterer ist eng und düster, während die neuen Stadtquartiere einen freundlichen Eindruck machen und zumeist breit gehalten sind.

Zu den Sehenswürdigkeiten von Leith zählt die aus dem XV. Jahrhundert stammende Kirche von St. Mary, die Kornbörse, ein grosses Clublocale und das Zollamt. Nahe bei Leith liegt die alte Kirche von Restalrig mit vielen werthvollen Antiquitäten.

Von Leith nach Edinburgh gelangt man auf der Eisenbahn in einigen Minuten.

Ist nun Leith der eigentliche Geschäftsort, so vereinigt Edin - burgh durch seine Lage, durch seine Bauten, durch den ganzen Charakter seiner Anlage so viele Reize in sich, dass man es schon oftmals mit Athen verglichen hat. Edinburgh, in der Grafschaft Midlo - thian, liegt auf einem hügeligen Terrain und entwickelt sich, hiedurch begünstigt, in malerischer Anlage, der die bergige Umgebung als weiterer Hintergrund dient. Auch diese Stadt zerfällt in zwei von einander wesentlich abweichende Theile, von denen die alte Stadt ebenso pittoresk als regellos erscheint, wie die neue Stadt breit und gleichmässig angelegt ist. Die alte Stadt nimmt den südlichen Theil ein und kennzeichnet sich durch drei besonders hervorragende Punkte, nämlich durch das alte Schloss, The Castle schlechthin, durch Calton Hill und durch Holyrood. Die Scheidelinie zwischen der alten und der neuen Stadt bildet die Princes-Street.

Wenden wir uns nun zunächst in die alte Stadt, so drängt sich uns eine Fülle historischer Erinnerungen auf. Denn ihr Bestand reicht in altersgraue Zeiten zurück. Sie gehörte einst zu dem Königreiche Northumbria und fiel erst im XI. Jahrhundert an das schottische Reich. Die schottischen Könige verlegten dann bald ihre Residenz dahin, da schon die fortwährenden Differenzen mit England diesen Punkt als besonders geeignet gelegen erscheinen liessen. In den vielfachen inneren und äusseren Kämpfen, welche das ganze Mittelalter hindurch Schottland mehr oder minder in Athem hielten, war Edinburgh oftmals betheiligt und sah in seinen Mauern stolze Könige und übermüthige Vasallen und auch die siegreichen Engländer. Namentlich unter den späteren Stuarts stieg Edinburghs Bedeutung als Königssitz, und als die Schotten sich mit vollem Eifer in die Reformation stürzten, da ging von dieser Stadt die strenge Richtung der Puritaner aus, und dort war deren festeste Burg. In Edinburgh hat Maria Stuart ihre besten Zeiten verbracht, aber auch die Wende ihres Schicksales anbrechen sehen, in Edinburgh ward der Covenant gebildet, welcher nicht am wenigsten dazu beitrug, um einem anderen Stuart, Karl I., Thron und Leben zu rauben, und so rollen sich bewegte Bilder bei Betrachtung dieser Stadt auf. War deren Geschichte bis zur Mitte des1003Edinburgh-Leith.XVII. Jahrhunderts stürmisch und oft auch blutig, so erfreut es sich seither einer ruhigen und gesegneten Entwicklung.

Heute ist Edinburgh eine Stadt, welche sich namentlich auch durch viele wissenschaftliche und Unterrichts-Anstalten auszeichnet, weil das geistige Leben in Edinburgh ein sehr bedeutendes ist, weshalb auch der Buchhandel mit allen ihm verwandten Industrien hier eine grosse Rolle spielt. Wie in ganz Schottland, so äussert sich in Edinburgh auch der tüchtige, praktische Sinn der Schotten ge - paart mit den idealen Bestrebungen, welchem ein strenger kirchlicher, aus den Anschauungen des Puritanismus hervorgewachsener Geist entspricht.

Im Osten der alten Stadt fesselt uns das schon erwähnte alte Schloss, welches auf einer von drei Seiten unzugänglichen Anhöhe liegt. Hier war eine Burg der northumbrischen Könige; heute ist es ein Bauwerk, welches aus verschiedenen Epochen stammt und sich als ein formloser Complex darstellt, zu dem man über enge Zug - brücken und durch einen runden plumpen Thurm gelangt. Im Innern umfasst das Edinburgher Schloss den eigentlichen Palast mit der Parlamentshalle, Kasernen für Truppen und Magazine. Im Palaste werden noch heute in einem eigenen Raume die Kroninsignien von Schottland aufbewahrt. Von den Wällen des alten Schlosses geniesst man schöne Ausblicke auf die Stadt. Von der Höhe, welche das Schloss trägt, führt abwärts die in alten Zeiten hauptsächlich von schottischen Adeligen bewohnte High-Street und in deren Verlängerung Canon-Gate in ziemlich gerader Linie bis zu dem im Osten der alten Stadt gelegenen Holyrood, dem namentlich seit Schiller und Scott weltbekannten königlichen Schlosse. Holyrood ward ursprünglich vom Könige David I. anlässlich seiner Lebensrettung auf der Jagd als Abtei gegründet, in welcher jedoch schon vorübergehend die Herrscher ihre Residenz nahmen. In den Kriegen mit den Engländern im XVI. Jahrhundert wurde bei einer Landung der letzteren Holyrood grösstentheils verbrannt, infolge dieser Katastrophe jedoch neu her - gestellt. Später hatte das Schloss noch einmal die Schrecknisse einer grossen Feuersbrunst zu bestehen, so dass dessen heutige Gestalt aus der Zeit Karl’s II. stammt. Es sind jedoch viele der älteren Theile wohl erhalten, und gilt dies namentlich auch von jenen Gemächern, die von Maria Stuart bewohnt waren und in denen sich einige be - sonders ergreifende Episoden schottischer Geschichte abspielten. Holyrood hat eine sehr regelmässige Form mit einem grossen Hofe im Innern und einer an der einen Ecke angebauten Kirche. In dem126*1004Der atlantische Ocean.thurmartigen Vorsprunge zur linken Hand vom Haupteingange befinden sich die Appartements der Königin Maria Stuart, heute noch auch ihrer Einrichtung nach unversehrt erhalten. Hier zeigt man uns den Raum, wo ihr Secretär Rizzio ermordet wurde, die Stiege, über welche die Verschworenen zu diesem Ende in das Gemach der Königin drangen, ja, es mangelt sogar der Stein nicht, an dem man noch Flecken von Rizzio’s Blut sehen will. In diesen Gemächern führte Maria Stuart unter Intriguen und Schwierigkeiten aller Art das Scepter von Schottland und genoss neben manchen übermüthig frohen Tagen auch die volle Bitterkeit, welche ihr der rohe Uebermuth des auf seine Selbständigkeit pochenden Adels des Landes bereitete. Heute enthält Holyrood eine sehenswerthe Bildersammlung und eine Reihe von Gemächern für festliche Gelegenheiten. Hinter Holyrood zieht sich eine grosse Parkanlage und ein angrenzendes Baracken - lager hin.

Was südlich der Linie liegt, welche vom alten Schloss nach Holyrood streicht, gehört ganz zur alten Stadt, wenngleich daselbst auch manches neuere Bauwerk unsere Aufmerksamkeit fesselt, so vor Allem die Universität mit dem Museum und dem Parlamentsgebäude, in welchem seit Aufhören des selbständigen schottischen Parlamentes die obersten Justizbehörden des Landes untergebracht sind. Die Edinburgher Universität ist eine aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts stammende Gründung, die sich stets guten und verdienten Rufes erfreute.

Wenden wir uns nunmehr nördlich der vorerwähnten Linie und besteigen wir die nordwestlich von Holyrood gelegene Anhöhe von Calton Hill, den früher schon von uns erwähnten dritten bemerkens - werthen Markpunkt von Edinburgh, so gewinnen wir sofort einen Ueberblick über die neue Stadt, welche sich parallel und nördlich der alten ausdehnt. Calton Hill erhebt sich 350 englische Fuss über dem Meeresspiegel und ist vom Waterlooplatze her über eine lange Reihe von Stufen am besten zugänglich. Auf dieser Höhe befindet sich die königliche Sternwarte, dann ein Lord Nelson, dem Sieger von Trafalgar, gewidmetes Monument, und endlich erhebt sich dort das grosse, dem Pantheon von Athen zum Theil nachgebildete National - denkmal, welches als Erinnerung an die bei Waterloo gefallenen Krieger dient. Dieses Monument wurde im Wege einer allgemeinen Sammlung im Lande hergestellt, fand jedoch wegen Mangel an Fonds nicht seinen planmässigen, sehr kostspieligen Abschluss.

Wendet man von Calton Hill aus das Antlitz gegen West, so sieht man die grosse Princes-Street entlang, welche eine Hauptader[1005]

Edinburgh (Massstab 1: 49.000, Sonden in Metern).

A Narrow Deep, B Telegraphenkabel, B1 Telegraphenboje, C Victoria-Dock, D Old-Dock, E Albert - Dock, F Leuchtfeuer, G Fort, H Bahnhöfe, J Observatorium, K Castell, L Spitäler, M St. Marys-Kathe - drale, N Friedhöfe, O Holyrood-Palast, P Post, Q Commercialbank, R West-Princes-Gärten, S Queen - Street-Gärten, S1 königlich botanischer Garten, T Princes Street, U George Str., V Queen Str., W Great King Str., X East Loudon Str., Y E. Claremonth Str., Z Leith Str. 1 Broughton Str., 2 Pitt Str., 3 Dundas Str., 4 Hannover Str., 5 Howe Str., 6 Frederick Str., 7 Melville Str., 8 Queens - ferry Str., 9 South Bridge Str., 10 South Back of Canongate, 11 Canongate, 12 North Back of Cang., 13 London Road, 14 Queensferry Rd, 15 Fettes College, 16 Edinburgh, Perth & Dundee-Eisenbahn.

1006Der atlantische Ocean.und ziemlich auch die Scheidelinie der neuen Stadt gegen die alte bildet. Zur Anlage der neuen Stadt gab der stetige Zuwachs der Bevölkerung Anlass, welche in den engen Strassen des alten Edinburgh weder Platz fand, noch auch Lust hatte, sich dort einzu - schliessen. Dieser Stadttheil zählt auch nicht viel über hundert Jahre. Es wurde bei dessen Anlage mit grosser Planmässigkeit vorgegangen, und wenn hier auch der eigenthümliche Reiz, die historische Patina des alten Edinburgh mangelt, so wird man durch den Anblick breiter Strassen, schöner Häuser und durch eine grosse Regelmässigkeit und Nettigkeit angenehm berührt. Hier befinden sich mehrere grosse, wohl bepflanzte Squares und schattige Parkanlagen von ganz ansehnli - chem Umfange. In der Nähe der Waverley-Station in East Princes Street Gardens erhebt sich das prachtvolle Scott-Monument (Pl. E. 3), nach Kemp’s Entwurf 1840 errichtet, mit dem Marmorstandbilde Sir Walter Scott’s ( 1832) von Steel. In diesem Stadttheil liegen die beiden Theater, welche Edinburgh sein eigen nennt, die National - gallerie und ein sehr grosser Circus, nicht zu vergessen einiger Kirchen, deren Besuch bei den frommen Puritanern Schottlands eine wichtige Rolle spielt.

Eine grosse Annehmlichkeit von Edinburgh ist seine schöne Umgebung, die, dank den guten Eisenbahnverbindungen, auch leicht zu erreichen ist; ausserdem bietet die Nähe des Forth ebenso die Möglichkeit, die maritimen Vergnügungen zu geniessen, für welche auch die seetüchtigen Schotten grosse Vorliebe besitzen.

Edinburgh zählte nach der neuesten Schätzung 267.000 Ein - wohner.

Wenden wir uns nun der Betrachtung des Handels des schottischen Seeplatzes zu, so ergibt sich folgendes Resultat: Leith weist nächst Glasgow den grössten Handelsverkehr unter den schottischen Häfen auf. Der Import ist von weit grösserer Bedeutung als der Export:

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Es ist wie ersichtlich in sämmtlichen Theilen der Handelsbewegung in den letzten Jahren eine Steigerung zu verzeichnen, welche beim Importe ganz besonders zu Tage tritt.

Beim Importe spielt auch hier die Getreideeinfuhr die Hauptrolle. Die Importmengen der einzelnen Sorten während der letzten drei Jahre waren:

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1007Edinburgh-Leith.
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Diesem der Quantität nach zunächst steht die Gruppe der Provisions , und zwar nach der Statistik von 1889: Schinken und Schinkenspeck 9.600 q, gesalzenes und frisches Schweinefleisch 4799 q, conservirtes Fleisch 1270 q, Butter mit der verhältnissmässig hohen Ziffer von 59.300 q, Margarine 47.400 q, Käse mit 25.500 q, Fische im Gewichte von 23.500 q, Reis mit 48.300 q, endlich Eier in der Anzahl von 444.700 Gt. Hunds.

An Früchten importirte Leith 9232 hl Orangen und Citronen, 77.823 hl roher Aepfel und 33.515 hl anderer Obstsorten; Zwiebel erreichten 70.377 hl.

Der Import von Getränken umfasste-17. 277 hl Wein und 12.457 hl ver - schiedener Spirituosen, unter denen Branntwein an erster Stelle steht.

Die Einfuhr von Zucker ist ziemlich bedeutend und belief sich 1889 auf 44.447 q raffinirten und 487.703 q unraffinirten Zucker.

Recht bedeutend ist ferner die Einfuhr von Tabak.

Oelsamenkuchen verzeichnet die hohe Einfuhrsziffer von 15.819 t, und unter den importirten Oelen steht Sameöl mit 1662 t an der Spitze.

An Flachs importirte Leith im letzten Jahre 94.435 q, an roher Baum - wolle 32.266 q, an Hanf 96.221 q.

Eine nennenswerthe Einfuhr wiesen 1889 Düngemittel auf, dann Salpeter mit 129.700 q und Knochen.

Der Import von Metallen ist von keiner grossen Bedeutung. Er ist auf 30.900 q Stahlfabricate, 29.700 q Zinn (roh und verarbeitet), 7028 t Pyrite und 2229 t Blei beschränkt.

Ein wichtiger Einfuhrsartikel ist Petroleum mit 18.107 hl im Jahre 1889.

Hervorzuheben ist ferner der Import von Leinengarn mit 42.347 q, dann Wollgarne mit 29.026 q, ferner die Einfuhr von chemischen Producten im Werthe von 66.686 , Farben und Farbstoffe im Werthe von 58.553 , mehlhaltigen Substanzen für 40.665 .

Zum Schluss nennen wir die verschiedenen Hölzer mit zusammen 168.258 m3.

In der Ausfuhr nationaler Waaren stehen nach den Ausweisen des Jahres 1889 die Erzeugnisse der Baumwollindustrie im Gesammtwerthe von 468.654 an der Spitze; diesen folgen Leinenfabricate, Garne und Zwirne im Total - werthe von 418.188 ; ferner Wollfabricate inclusive Wollgarnen im Werthe von 212.062 und Jutefabricate für 84.790 .

Die nächstbedeutende Gruppe in der Ausfuhr sind die verschiedenen Er - zeugnisse der Metallverarbeitung mit einer Werthziffer von 324.247 und Maschinen aller Art im Werthe von 268.821 .

Die Ausfuhr von Düngemitteln (chemischen) betrug 30.296 t im Werthe von 296.680 , die von Kohlen und Coaks 281.373 t im Werthe von 156.776 .

Die stattliche Ziffer von 125.150 bildet den Werth der im letzten Jahre ausgeführten Häringe.

Leith exportirte ferner im selben Jahre für 98.371 Zucker, für 62.279 Spirituosen und für 37.994 Oelsamen.

1008Der atlantische Ocean.

An sonstigen Artikeln sind zu erwähnen:

  • Säcke ........... für 30.222
  • Kautschukfabricate ... 57.453
  • Chemische Fabricate .. 75.150
  • Lederwaaren ....... für 14.593
  • Pelzwaaren ........ 12.519
  • Bier ........... 16.638

und diverse andere Waaren im Gesammtwerthe circa 566.000 .

Wir müssen noch erwähnen, dass die umfangreiche Kohlenausfuhr der gesammten Firth of Forth-Häfen zum grössten Theile von hiesigen Firmen ge - handhabt wird.

Der Export ausländischer Producte ist von geringerem Umfange und nur in Thee, Spirituosen und Rohtabak von einiger Wichtigkeit.

Die Industrie von Leith erstreckt sich auf den Bau von Maschinen und Schiffen, die Fabrication von Gummi - und Guttaperchawaaren, Chemikalien und Seidenwaaren, endlich auf Mahlmühlen.

Die Schiffahrtsbewegung von Leith findet in nachstehender Tabelle ihren Ausdruck. Es liefen ein und aus:

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Im Verkehre mit dem Auslande sind von den fremden Flaggen (1889) besonders wichtig die niederländische (121.460 t), die norwegische (87.117 t), die dänische (34.370 t) und die deutsche (34.325 t).

Leith hat regelmässige Dampferverbindungen mit Antwerpen, Rotterdam und Hamburg und ist Station der Postdampfschiffe, welche Kopenhagen über die Faröer mit Reykjavik auf Island verbinden.

Unser Hafen hatte Ende 1889 eine Handelsmarine von 90.756 Netto-Tons.

Bedeutendere Bankinstitute sind: Bank of Scotland, Royal Bank of Scotland, Union Bank of Scotland.

In Leith haben Consulate: Argentinien, Belgien, Bolivia, Chile, Deutsches Reich (auch für Edinburgh), Niederlande, Schweden und Norwegen, Vereinigte Staaten von Amerika.

Unter den übrigen Firth of Forth-Häfen blüht Grangemouth, das an der Mündung des Canals liegt, der die Nordsee mit dem Clyde verbindet, in letzten Jahren als Industrie - und Handelsplatz kräftig auf.

Die Schiffbauwerften, die Sägemühlen, die Eisengiesserei und die Kohlen - gruben haben immer zu thun, und die Einfuhr ist 1889 auf 2,465.548 gestiegen. Ihren Haupttheil bilden Holzladungen aus Norwegen, Schweden und Russland (1889 279.565 m3), und Grangemouth nimmt im Holzgeschäfte die erste Stelle in Schottland ein. In der Ausfuhr nationaler Producte (1889 866.161 ) steht1009Edinburgh-Leith.Kohle obenan; die wichtigsten Abnehmer sind Hamburg und nach diesem Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam, Bremerhaven und Christiania. Der Seeverkehr hat sich 1889 auf 3880 Schiffe mit 1,460.304 Tons gehoben.

An der Ostküste von Schottland liegen noch zwei Häfen von Bedeutung, Dundee und Aberdeen.

Dundee zunächst befindet sich ähnlich wie Edinburgh an einem Firth, jenem des Tay, in welchen der gleichnamige Fluss mündet. Dieser Firth ist jedoch weitaus nicht so grossartig wie der des Forth es ist, er ist mehr lang und schmal, so dass er dort, wo Dundee sich befindet, einem grossen Canale ähnelt. Vor der Einfahrt in den Tay haben sich weitläufige Barren abgelagert, zwischen welchen aber ein Fahrwasser von 7·3 m Tiefe bei Ebbe und 11·7 m bei Springflut hindurchführt, welches daher für die grössten Seeschiffe ausreicht. Im Innern des Flusses findet man übrigens weite Gebiete mit 16 bis 20 m Wassertiefe bei Ebbe. Direct vor der Stadt Dundee liegen noch be - deutende Sandbänke, jedoch gestattet der 4·4 m betragende Niveau - unterschied der Fluth das Einlaufen der grössten Oceanschiffe in die Docks der Stadt.

Dundee, in der Grafschaft Forfar unter 56° 28′ nördl. Br. und 58′ westl. L. v. Gr. gelegen, ist seiner Einwohnerzahl nach die dritte Stadt von Schottland und zählt 140.000 Einwohner. Dundee ist keine schöne, aber eine sehr industriereiche und handels - thätige Stadt. Hier ist das Centrum des Leinen - und Jutehandels von Grossbritannien, und zahlreiche Fabriken sind in diesen Zweigen vielfach beschäftigt, von denen namentlich einige Spinnereien durch ihre Leistungsfähigkeit weltberühmt sind. Die Stadt verfügt über bedeutende Docksanlagen, welche sich meist längs des Tay hinziehen und recht gut und praktisch eingerichtet sind. Andere Merkwürdig - keiten als Hafen und Fabriken kann Dundee nicht aufweisen.

Dundee ist seinem Handelsverkehre nach der drittgrösste schottische Hafen - platz. Sein Import übersteigt den Export um das Dreifache.

〈…〉〈…〉

Der wichtigste Importartikel Dundees, welcher auf die hohe Entwicklung der dortigen einschlägigen Industrie schliessen lässt, ist rohe Jute. Dundee bezieht von dem Gesammtimporte Englands, der sich im letzten Jahre auf 389.588 t belief, nahezu 60 Procent.

〈…〉〈…〉
Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1271010Der atlantische Ocean.

Die nächste Stelle in der Einfuhr nehmen Flachs und Hanf ein:

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Erst an dritter Stelle steht der Import von Getreide und Mehl mit einer Gesammtmenge von 97.800 q im Jahre 1889, davon waren 42.300 q Weizen und 42.100 q Weizen - und Roggenmehl.

Zucker verzeichnet einen Import von 33.900 q im Jahre 1889.

Eine hervorragende Stelle in der Einfuhr Dundees nehmen Lumpen und andere Materialien für die Papierfabrication ein: 1889 12.257 t, 1888 14.613 t.

Verhältnissmässig stark ist die Einfuhr von Düngemitteln, die sich 1889 auf 4962 t belief, und die von Salpeter mit 25.400 q.

Der Holzimport ist ziemlich umfangreich:

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Die wichtigsten Exportartikel sind Erzeugnisse aus Jute, Flachs sowie Leinenfabricate.

Dundee ist der Hauptsitz der englischen Leinen -, Jute - und Flachs - industrie, welche weit über 50.000 Menschen beschäftigt. Wichtig sind ausserdem der Schiffs - und Maschinenbau, die Fabrication landwirtschaftlicher Geräthe und die Zubereitung von Marmelade.

Der Schiffsverkehr des Hafens wird für 1889 auf 2401 Schiffe mit 961.889 Tons angegeben; zwei Drittel der Tonnenzahl entfallen auf den Küsten - handel. Dundee hat (Ende 1889) eine Handelsmarine von 179 Schiffen mit 116.840 Netto-Tons.

In Dundee haben Consulate: Argentinien, Deutsches Reich, Hawaïi, Liberia, Venezuela, die Vereinigten Staaten von Amerika.

Mehr Interesse bietet Aberdeen, die Granitstadt, nördlicher als Dundee, am Flusse Dee unter 57° 9′ nördl. Br. und 5′ westl. L. v. Gr. gelegen, von dem es auch seinen Namen hat. Auch hier scheidet sich die alte Stadt von der neuen, jene gehört nur der viel bewegten Geschichte dieses Gemeinwesens an, in der neuen vereinigt sich das ganze geschäftliche Leben. Aberdeen zählt 105.000 Einwohner und hat eine pittoreske Lage, sowie in seinen neuen Theilen schöne breite Strassen und einige stattliche öffentliche Bauwerke. Trefflich ist der Hafen, welcher durch zwei lange Dämme geschützt wird, in dem namentlich das geräumige und durch Schleusen geschlossene Victoria-Dock den Schiffen gute Unterkunft bietet. Der Handel von Aberdeen bezieht sich hauptsächlich auf Granit und Vieh. Die Industrie der Stadt beschäftigt sich mit Wollen - und Leinenwaaren, Teppichen, Seifen, Kautschukwaaren und Maschinen. Auch der Schiffbau wird seit Alters mit Vorliebe gepflegt. Berühmt sind seine grossartigen Granit - und Marmorschleifereien. Aberdeen ist der Hauptort des ganzen nördlichen Schottlands.

1011Edinburgh-Leith.

Den Handelsverkehr Aberdeens zeigt nachstehende Tabelle:

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Unter den einzelnen Artikeln, welche Aberdeen importirt, ist Getreide der weitaus bedeutendste.

Das Gesammtgewicht aller im Jahre 1889 eingeführten Sorten belief sich auf 327.400 q, davon Weizen 107.900 q, Hafer 106.200 q, Mais 52.400 q und Weizen - und Kornmehl 28.632 q.

Von Bedeutung ist der Import von Zucker, der im letzten Jahre 40.600 q erreichte.

Unter den verschiedenen Samensorten, die zur Einfuhr gelangen, haben nur Flachs - und Leinsamen mit 195.500 hl Bedeutung.

In der Reihe der Importartikel sind nach der Liste des Jahres 1889 noch hervorzuheben: Düngemittel 6649 t, Knochen 6828 t, Lumpen und andere Materialien für Papiererzeugung mit 12.257 t, Salpeter 29.700 t.

Von Fabricaten sind zu erwähnen: Glaswaaren aller Art mit 2684 q.

Die Einfuhr der diversen Hölzer umfasste 20.466 m3 gefälltes und 39.700 m3 gesägtes und gespaltenes Holz.

Den Schluss der Importliste macht die Einfuhr lebender Thiere mit 9890 Ochsen, Kühen und Kälbern und 1689 Schafen und Lämmern. Man führt aus Canada mageres Rindvieh ein, um es hier aufzumästen.

Exportirt werden ausser den industriellen Erzeugnissen der Stadt namentlich Häringe und andere Fische, ferner Vieh, Eier, Butter, Gemüse.

Die Schiffsbewegung Aberdeens zeigt folgende Tabelle. Es liefen ein und aus:

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Sieben Achtel dieses Verkehres entfallen auf die Küstenschiffahrt.

Aberdeen hat (Ende 1889) eine Handelsmarine von 166 Fahrzeugen mit 97.873 Netto-Tons.

Den inländischen Verkehr vermitteln die Caledonian-Bahn, die Great North of Scotland und die North British-Bahn, deren Kopfstation Aberdeen bildet.

Eine Sacklinie führt den Dee aufwärts gegen Balmoral hin, den Lieblings - sitz der Königin Victoria von Grossbritannien und Irland.

An Bankinstituten sind zu nennen: die Aberdeen Town and County Bank, Bank of Scotland, Commercial Bank of Scotland, National Bank of Scotland, Royal Bank of Scotland und Union Bank of Scotland.

127*[1012]

Glasgow.

Glasgow, die grösste Stadt Schottlands und der erste Hafen des Landes, ist an der Westküste unter 55° 51′ nördl. Br. und 16′ westl. L. v. Gr. gelegen, in einem in landschaftlicher Be - ziehung besonders schön gestalteten Fjord, welcher seinen Namen von dem Flusse Clyde trägt, der in denselben mündet, und an dessen beiden Ufern die Stadt selbst sich erstreckt. Der Clyde-Fjord mündet in den schmalen North-Channel, welcher Irland von der schottischen Küste trennt, und verläuft, in mehrere Arme gespalten, in einer Erstreckung von 122 km zunächst in der Richtung von Süd nach Nord. Mehrere grosse Inseln, wie Arran-Island und Bute-Island lagern in dem wassereichen Firth, dessen westlicher Hauptarm den Namen Loch Fyne führt, während der östliche als Firth of Clyde den Clyde-Fluss aufnimmt.

Die ganze Bucht ist ein breites, stattliches Wasserbecken, von gebirgigen Ufern, welche mehr oder minder schroff sich erheben, umsäumt und reich an seitlichen Einbuchtungen, welche den Reiz des ganzen Bildes noch erhöhen. Ueberhaupt zeigt dieser ganze Theil der schottischen Küste entgegen der östlichen des Landes eine Neigung zur Bildung von dem Festlande vorliegenden Inseln und Riffen, trägt überhaupt den mehr zerrissenen und zerklüfteten Charakter einer Fjordlandschaft. Der Clyde-Fjord bietet der Schiffahrt so grosse Vor - theile, dass sobald einmal die ersten Anstösse gegeben waren, an seinen Ufern sich ein in jeder Beziehung hervorragender Centralpunkt maritimer, industrieller und commerzieller Thätigkeit entwickeln musste.

Wir wollen uns aber zunächst der Stadt Glasgow selbst zu - wenden und sodann flussabwärts bis an die See hin die sonstigen bemerkenswerthen Punkte betrachten.

Glasgow ist eigentlich eine moderne Stadt, obwohl dessen An - fänge weit ins Mittelalter zurückreichen.

[1013]

Glasgow.

1014Der atlantische Ocean.

Es knüpfen sich an dessen Geschichte keine bemerkenswerthen Ereig - nisse, vielmehr schleppte Glasgow durch viele Jahrhunderte seine Existenz als ein kleines, unansehnliches Städtchen hin, dessen in den viel bewegten Stürmen der Vergangenheit nur vorübergehend Erwähnung gethan wird. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts tritt Glasgow aus seinem Stillleben hervor und nimmt dann rasch unter dem Einflusse günstiger Momente eine staunenswerthe Entwicklung. Noch im Anfange des XVIII. Jahrhunderts zählte Glasgow nicht viel über 10.000 Einwohner, am Ausgange waren sie schon auf 71.000 gestiegen und heute weist es mit Einrechnung der Vororte 760.000 auf. Für das Aufblühen von Glasgow war zunächst der Handel mit den nordamerikanischen Colonien von Wichtigkeit, namentlich waren Tabak und Zucker jene Artikel, welchen sich die Kaufleute der Stadt mit Vorliebe zuwendeten und in denen es denselben auch gelang, einen recht starken Handel zu treiben. Der Abfall jener Colonien blieb zwar nicht ohne Rückwirkung auf den Platz, aber schon hatte dessen Einwohner - schaft jenen Unternehmungsgeist gewonnen, der sie nicht ruhen, sondern nach stets neuen Quellen des Erwerbes suchen liess.

Und in dieser Beziehung wurde Glasgow von der Natur trefflich unterstützt und durch die Entwicklung der Technik gefördert. Hatte dort schon früher noch als in Lancashire eine rege Manufactur in Leinen und Calicostoffen platzgegriffen, so kam der Stadt der Reichthum an Kohlen und Eisen in deren Nähe von dem Augenblick an zu Gute, als der Dampf seine Macht zur Geltung brachte und das Zeitalter der Maschinen begann. Und dabei wollte es ein günstiges Geschick, dass der eigentliche Erfinder der Dampfmaschine, James Watt, gerade in Glasgow seine Versuche machte und dass auf dem Clyde das erste Dampfboot, der kleine Komet zu Fahrten zwischen dieser Stadt und dem benachbarten Greenock ver - wendet wurde. Dieser Komet war 1812 in Europa das erste durch die Er - findung Watt’s betriebene Schiff. In Glasgow behielt man die neue Erfindung sofort im Auge und verstand bald ihren vollen Werth, und es ist wohl natürlich, dass man dort, wo Dampfschiffahrt und Maschinenwesen eine solche Heimstätte ge - funden und so ungeheuer zur allgemeinen Förderung beigetragen haben, auch das Andenken jenes Mannes sonderlich hochhält und ihn sowohl als den Eigen - thümer des Komet , Mr. Henry Bell, durch Monumente ehrte.

Glasgow stellt sich uns heute als eine schöne, regelmässige, meist aus gutem Sandstein gebaute Stadt modernen Charakters dar.

Es liegt mit dem grösseren Theile auf dem rechten, mit dem kleineren Theile auf dem linken Ufer des Flusses und weist viele rechtwinkelig sich schneidende Strassen mit ganz stattlichen Bau - werken auf. Das Terrain ist nicht eben, sondern erhebt sich stellen - weise zu Hügelkuppen. Unter den Baulichkeiten der Stadt verdienen insbesondere die aus dem XII. Jahrhundert stammende, im XV. Jahr - hundert in ihre heutige Form gebrachte Kathedrale, die Universität, deren Stiftung bereits in das Jahr 1450 fällt, dann die Börse, das Postamt, die Bank of Scotland Erwähnung. Auch Glasgow verfügt wie viele andere britische und schottische Städte über ausgedehnte Parkanlagen, unter denen jene am Clyde gelegene von Glasgow1015Glasgow.Green die bedeutendste ist und einen Flächenraum von 44·5 ha einnimmt. Dort erhebt sich das schöne Nelson-Monument.

In Glasgow Green betreten wir das Flussufer in seinem oberen Laufe und am östlichen Ende der Stadt. Der Fluss wird von fünf Pfeiler -, zwei Hänge - und drei Eisenbahnbrücken übersetzt. Die be - deutendste ist die Glasgow-Brücke. Von derselben stromabwärts beginnt der Hafen, innerhalb welchem der Fluss keine weiteren Brücken aufweist, sondern der Verkehr zwischen beiden Ufern nur durch Fährboote vermittelt wird. Knapp an der letzten Brücke be - ginnt der etwa 640 m lange Broomielaw-Quai an der Nordseite des Clyde, wo der Hauptverkehr der Dampfer stattfindet.

Den Hafen von Glasgow bildet, wie schon erwähnt, der Clydefluss welcher mit grosser technischer Geschicklichkeit regulirt worden ist, so dass derselbe in der ganzen, 29 km langen Strecke von Glasgow bis Port Glasgow etwas oberhalb von Greenock den Eindruck eines grossartigen Canales macht. Vor 50 Jahren hatte der Clyde bei Glasgow nur 60 m Breite und 1 m Tiefe, gegenwärtig ist er aber durch die Benützung der lebendigen Kraft der Gezeitenströmung bei den Regulirungsarbeiten zu einer 140 m breiten und bei Hochwasser 7·5 m tiefen Wasserstrasse geworden. Die Flut erhebt hier das Wasserniveau um 2·7 m über den Ebbestand.

Längs des ganzen Flusses bis hinab zu der am rechten Ufer im Westend erfolgenden Einmündung des Kelvin-Flüsschens dehnen sich stattliche Quais aus, welche mit Eisenbahngeleisen versehen und mit Speichern und Schuppen ausgerüstet sind. 58 Krahne be - sorgen längs dieser Quais die erforderlichen Manipulationen. Ge - schlossene Dockbassins sind, wie unser Plan zeigt, nur zwei vorhan - den, das Queen-Dock am rechten Ufer nahe der Kelvin-Mündung, und das kleine Kingston-Dock am linken Ufer, 600 m unterhalb der Glasgow-Brücke. Ersteres ist durch einen Molo (Centre Quay) in zwei Bassins getheilt und wurde erst in jüngster Zeit erbaut. Dieses Dock hat nur Hangars. Aelter, aber weit kleiner ist das andere erwähnte Dock. Die bedeutende Quaientwicklung von beiläufig 9·65 km Länge, zum anderen Theil auch die Art des Glasgower Verkehres macht die Anlage von Docks weniger erforderlich. Wie sehr man aber in Glasgow den Interessen des Verkehres grosse Opfer zu bringen versteht, zeigt sich aus dem einzigen Umstande, dass die Regulirung des Clyde, durch welche erst die grossartige Entwicklung des Handels und namentlich der Schiffbauindustrie wegen der gewonnenen Tiefen möglich ward, über Millionen kostete. Neuester Zeit besteht1016Der atlantische Ocean.das Project, am linken Clyde-Ufer gegenüber dem Queensdock eine neue Dockanlage zu schaffen, und haben wir dieselbe auf unserem Plane skizzirt.

Am linken Ufer, dort wo die Quais aufhören, liegen Schiffs - werften bis hinab nach Greenock. Diese Werftanlagen machen einen grossartigen Eindruck. Hier werden namentlich viele Dampfer gebaut, zu denen die Umgebung von Glasgow das erforderliche Material, be - sonders Stahl und Eisen, liefert. Der Schiffbau am Clyde ist welt - berühmt und nicht bloss für die nationale Marine wird daselbst gebaut, sondern auch viele fremde Rheder, namentlich die ver - schiedenen Postdampfer-Compagnien Europas erwerben dort ihre Prachtschiffe. Zwei Drittel sämmtlicher Dampfer Grossbritanniens sind am Clyde gebaut worden oder bezogen ihre Dampfmaschinen von hier. So ist der Clyde mit Recht die grossartigste Schiffswerfte der Erde zu nennen.

Ausser den Werften begegnet man an beiden Ufern grossartigen Maschinenfabriken sowie Zuckerraffinerien. Dabei muss man sich erinnern, dass diese ganze Strecke noch zu Lebzeiten älterer Leute vielfach sehr ungünstige Flussverhältnisse zeigte und mehrere Stellen bei Ebbe fast trocken lagen, während heute durchwegs ein breiter, selbst für die grössten Schiffe zugänglicher Wasserweg hergestellt ist. Gegen die See zu folgen kleine und liebliche Landschaftspartien und pittoreske Felsformationen, welche den breiten Strom einrahmen, während im Hintergrund die Spitzen der eigentlichen Hochlandberge sichtbar werden.

Zu den besonders bemerkenswerthen Orten am Clyde unterhalb Glasgow gehört zunächst Govan und dann Dumbarton.

Govan liegt am linken Ufer, 1·6 km unterhalb Glasgow, so dass es fast als ein Vorort desselben betrachtet werden kann. Hier haben

Legende zum Plan von Glasgow. A Byars Road, B Great Western Rd., C New City Rd., D St. Georges Rd., E Craighall Rd., G Garn - gad Rd., H Castle Street, J Parliamentary Road, K Duke Street, L High Str., M Port Dundas Road, M1 Dobbies Loan, N Cowcaddens, O Gallowgate, P Gr. Clyde Street, Q Dumbarton Road, R Janchiehall Street, S Main-Str., S1 St. Vincent Str., T Argyle Str., U Trongate, V Govan Road, W Crown Street, X West Str., Y Eglinton Str, Z Main Str. 1 Caledonian, Central-Stat., 2 Caledonian-Station, 3 North. Brit. -Station, 4 College-Stat., 5 Belgrove-Stat., 6 Bridge Street-Stat., 7 St. Enoch-Stat., 8 Gallow - gate-Stat., 9 Pollokshields-St., 10 Partick-St., 11 St. Rollox-St., 12 Govan-St., 13 Caledonia, J. W. Waarenbahnhof, 14 botanischer Garten, 15 Universität, 16 Werfte und Dock, 17 Ausstellungsgebäude, 18 Observatorium, 19 Akademie, 20 Western Hospital, 21 Museum, 22 Grand-Hotel, 23 Grand-Theater, 24 Corporation Hall, 25 städtisches Armenhaus, 26 Sightsill Friedhof, 27 Blindenasyl, 28 Royal Hospital, 29 Kathedrale, 30 North Prison, 31 Bäder, 32 Andersonian Univ., 33 Municipalgebäude, 34 Postamt, 35 City Hall, 36 Albert Hall, 37 Königl. Börse und Royal und Nat. -Bank, 38 Theat. -Royal, 39 Gefängniss und Gerichtsgebäude, 40 Nelsons-Monument, 41 Zollamt, 42 Andrews Hall, 43 Grafschafts - gebäude, 44 Queens-Dock, 45 Project. neues Dock, 46 Kingston-Dock, 47 Bellahouston-Academy, 48 Glasgow-Brücke, 49 Suspens-Br., 50 Victoria-Br., 51 Albert-Br., 52 St. Andrews-Br.

[1017]

Glasgow (Massstab 1: 33.900, Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 1016.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1281018Der atlantische Ocean.mehrere der wichtigsten Werftetablissements, so jene von Napier & Son, John Eldir & Comp., Stephen etc. ihren Sitz. Ein ähnlicher, fast ganz dem Schiffbau gewidmeter Ort ist Dumbarton, an der Mündung des vom See Loch Lomond kommenden Flüsschens Leven in den Clyde und 20 km von Glasgow entfernt. Es wird von einem gewaltigen Felsen überragt, auf welchem ein altes Schloss sich be - findet, letzteres mehr durch seine pittoreske Lage, als durch seine Baulichkeit bemerkenswerth. Dieses Schloss spielte in der schottischen Geschichte wegen seiner günstigen Position an der See eine Rolle. Dumbarton, gegenwärtig von 14.000 Einwohnern bevölkert, verdankt seinen wirtschaftlichen Aufschwung wesentlich der Energie und Um - sicht der Familie Denny, welche seit längerer Zeit den Schiffbau be - treibt. Ein ganzer von Werftarbeitern bewohnter Stadttheil führt auch den Namen Dennystown. Bei Bowling, 5·5 km aufwärts von Dumbarton, mündet in den Clyde der Clyde-Forth-Canal, welcher ganz Schottland durchquert und im Firth of Forth endet.

7 km abwärts von Dumbarton folgt am linken Ufer dann Port Glasgow, wo die Glasgower sich einen Hafen gebaut hatten, ehe der Clyde so regulirt war, dass man mit allen Schiffen bis zur Stadt gelangen konnte. Heute ist Port Glasgow von keiner Bedeutung mehr, dagegen hat sich das 32 km unterhalb von Glasgow gelegene Greenock trotz der Concurrenz von Glasgow zu einer ansehnlichen Stellung emporgehoben. Dieses Greenock ist eine Stadt neuerer Schöpfung, die erst im XVIII. Jahrhundert an der Stelle eines kleinen Weilers entstand.

Greenock ist dem Aufschwunge von Glasgow immer auch mit Rührigkeit gefolgt und gewann bei der Entwicklung der Schiffahrt auch eine Art von Vorsprung, weil in Greenock der Clyde von Natur aus viel zugänglicher war als in der rivalisirenden Stadt. Da in Greenock sonst in jeder Beziehung dieselben Verhältnisse herrschten wie in Glasgow, so warf man sich daselbst ebenfalls auf die Eisen - industrie, den Schiffbau und in jüngerer Zeit auf die Zuckerraffinerien. Vor einigen Jahren wurde daselbst auch ein grosses, im modernen Style eingerichtetes Dock, das James Watt-Dock, vollendet, welches, mit der Eisenbahn verbunden, dem Verkehre der Schiffe grosse Dienste leistet und manches derselben von der Fahrt nach Glasgow abhält. Die Lage von Greenock, welches 68.897 Einwohner zählt, ist eine sehr freundliche; die Stadt selbst aber bietet neben ihren industriellen Anlagen keine sonderlichen Sehenswürdigkeiten.

Hinter Greenock wendet sich der Clyde scharf gegen Süden und1019Glasgow.mündet in den Fjord, welcher sich in südlicher Richtung bis zur See hinzieht und der mit seinen Buchten und felsigen Ufern ein grosses landschaftlich schönes Bassin zeigt. An der Mündung dieses Fjord, ziemlich in der Mitte, befinden sich die Inseln Great Cumbray mit dem Hafenplatz Mill Port und Little Cumbray. Dann passirt man im Westen die aus rothem Sandstein formirte, vorne bereits er - wähnte, ziemlich bedeutende Insel Arran und erreicht sodann die offene See.

Wir ersehen aus diesem Ueberblicke, dass Glasgow mit dem Clyde alle natürlichen Vorbedingungen besitzt, um die Basis für die commerzielle Entwicklung von ganz Schottland abzugeben. Eisen, Kohle und die moderne Technik boten sich die Hand, um eine von der Natur gebotene günstige Lage an der See zur vollen Blüthe zu ent - falten. Der rüstige und ausdauernde Charakter der Bevölkerung darf aber dabei nicht ganz ausser Acht gelassen werden. Die Leute am Clyde verstehen zu arbeiten und ihren Vortheil zu finden, sie besitzen aber auch jenen corporativen Sinn, mit welchem man gerade in Grossbritannien so erhebliche Dinge zu leisten verstand. Zufolge dieses innigen Zusammenwirkens der Natur und der menschlichen Intelligenz ruht auch die Zukunft Glasgows, der Rivalin Liverpools, die heute nach allen Richtungen hin einen lebhaften Handel treibt und in deren Hafen Schiffe aller Flaggen verkehren, auf sicherer Grundlage.

Glasgow steht dem Werthe seiner Handelsbewegung nach unter den Hafen - plätzen des Vereinigten Königreiches an vierter Stelle. Der Handelsverkehr Glasgows während der letzten fünf Jahre wird aus nachstehender Tabelle ersichtlich.

〈…〉〈…〉

Der Export inländischer Erzeugnisse hat somit seit zwei Jahren um mehr als zwei Millionen Sterling zugenommen, während der Import des letzten Jahres gegen 1887 nur um 1,300.000 gestiegen ist.

Wie bei den meisten englischen Häfen nehmen auch in der Einfuhr Glasgows Getreide, Hülsenfrüchte und Mehl den ersten Rang ein. Die Einfuhrmenge ist im Verhältnisse zu allen anderen importirten Producten eine so bedeutende, dass die Bewegung derselben während der letzten drei Jahre veranschaulicht werden soll. Es wurden eingeführt:

〈…〉〈…〉
128*1020Der atlantische Ocean.
〈…〉〈…〉

Glasgow hat nächst London die stärkste Mehleinfuhr unter allen engli - schen Häfen, wiewohl dieselbe sich im Verhältnisse zum Jahre 1887 um 500.000 q verminderte.

Den Brotfrüchten reihen sich die anderen Nahrungsmittel an. Die wichtigsten derselben nach ihrer Einfuhr vom Jahre 1889 sind Schinken und Schinkenspeck mit 136.500 q, gesalzenes und frisches Rindfleisch mit 111.200 q, frisches Hammelfleisch 10.200 q, conservirtes Fleisch 45.500 q, Butter 10.600 q, Käse mit der ziemlich bedeutenden Quantität von 73.600 q, ferner Schmalz in der Höhe von 65.000 q.

In der Importliste der Früchte stehen Orangen, Citronen mit 123.915 hl, rohe Aepfel mit 117.067 hl voran, die Menge aller anderen Obstsorten erreichte 27.721 hl. Die Einfuhr von Zwiebeln betrug 42.469 hl.

Ziemlich bedeutend ist die Einfuhr von Tabak, welche im Jahre 1889 34.600 q gegen 13.800 q des Jahres 1888 und 32.600 q des Jahres 1887 betrug.

Von lebenden Thieren wurden eingeführt 61.438 Ochsen, Kühe und Kälber und 4868 Schafe und Lämmer.

Die Einfuhr von rohen Häuten bezifferte sich auf 24.500 q.

Wein und Spirituosen weisen folgende Importziffern während des Jahres 1889 auf: Wein 20.929 hl, Rum 5152 hl, Branntwein 5992 hl und andere unversüsste Spirituosen 13.493 hl.

Die Einfuhr von Zucker war eine nicht besonders belangreiche mit 28.800 q an raffinirtem und 3800 q an unraffinirtem Zucker. Dagegen verzeichnet Thee die verhältnissmässig günstige Importziffer von 1700 q.

Verschiedene Oele werden in der Quantität von 7443 t bezogen.

Die in Glasgow in hoher Entwicklung stehende Eisenindustrie, namentlich der Maschinenbau und Schiffsbau machen es begreiflich, dass der Import an Metallen mit einem hohen Percentsatze an der Gesammteinfuhr betheiligt ist. Die folgende Zusammenstellung bietet ein Bild des Importes dieser Gruppe während der letzten drei Jahre:

〈…〉〈…〉

Hervorzuheben ist ferner die Einfuhr von Düngemitteln, Salpeter weist die Einfuhrsziffer von 68.100 q im Jahre 1889 auf.

Wenn wir noch den Import von Petroleum, der 1889 die Höhe von 28.325 hl erreichte, speciell bezeichnen, so haben wir bis auf einige der Menge nach nicht Ausschlag gebende Artikel die Einfuhrliste Glasgows erschöpft.

An Leder wurden 1889 1042 q importirt und an Wollgarn 19.322 q.

Bei Betrachtung der Ausfuhr Glasgows findet man, dass die Erzeugnisse der einheimischen Textilindustrie sowie die der Eisenindustrie alle anderen Artikel1021Glasgow.um ein Bedeutendes überragen. Der Grund hiefür liegt in der hohen Entwicklung beider Industriezweige, welche daselbst ebenso rationell wie schwunghaft be - trieben werden.

In den verschiedenen Zweigen der Textilwaarenerzeugung, insbesondere in den grossen Baumwollspinnereien und Webereien, in den Tuch - und Teppich - fabriken sind mehr als 25.000 Arbeiter beschäftigt, während in den Eisen - und Stahlhütten circa 14.000 und in den Maschinenbauwerkstätten nahezu 10.000 Menschen arbeiten. Ausserdem vermittelt Glasgow einen Theil des irischen Handels, dessen Leinenwaaren es nach dem Auslande verführt. Die Ausfuhr der Textilwaaren der letzten drei Jahre illustrirt folgende Zusammenstellung:

〈…〉〈…〉

Die Mengen und Werthe der in der gleichen Zeitperiode ausgeführten wichtigeren Metallwaaren sind:

〈…〉〈…〉

Die Eisenbörse von Glasgow ist von höchster Wichtigkeit für die Preis - bewegung von Eisen und Eisenwaaren.

1022Der atlantische Ocean.

Auch die chemischen Fabriken, von denen einzelne zu den grössten der Welt gehören, dann die Porzellan - und Glasfabriken versorgen die Ausfuhr von Glasgow, während die Tabaksmanufacturen und Zuckerraffinerien nur dem inländi - schen Verbrauch dienen.

Glasgow führte Maschinen aller Art im Werthe von 1,451.388 im Jahre 1889, für 1,131.586 im Jahre 1888 und für 959.871 im Jahre 1887 aus.

Der Werth der ausgeführten chemischen Producte und Präparate belief sich auf 221.725 , der der chemischen Düngemittel auf 124.230 und an Kerzen wurden exportirt 2500 q im Werthe von 9758 .

Einen beachtenswerthen Exportartikel bildet ferner Bier, wovon 1889 225.120 hl im Werthe von 491.340 ausgeführt wurden.

Noch bedeutender ist die Ausfuhr von Spirituosen zum Theile irischer Provenienz. Dieselbe belief sich 1889 auf 80.894 hl im Werthe 643.338 und im Jahre 1888 auf 73.883 hl im Werthe von 571.730 .

Unter den verschiedenen Fabricaten, welche die Ausfuhr Glasgows im Jahre 1889 noch aufweist, sind zu nennen: Glaswaaren aller Art im Werthe von 81.874 , Papierwaaren im Gewichte von 68.600 q für 202.291 , Kurz - und Putzwaaren im Werthe von 92.964 , Thon - und Porzellanwaaren für 105.165 , Malerfarben im Werthe von 80.504 , ferner Kautschukfabricate im Werthe von 21.055 und verschiedene Apparate im Werthe von 112.803 .

Gedruckte Bücher exportirte Glasgow 1889 für 48.558 .

Von einiger Bedeutung ist auch der Export an Schaf - und Lammwolle, welcher im letzten Jahre die Höhe von 23.160 q für 142.450 erreichte.

Glasgow ist Ausfuhrshafen für Kohle, es exportirte im Jahre 1889 698.934 t, im Werthe von 300.833 gegen 686.677 t für 267.717 im Vorjahre.

Von Leder (unverarbeitet) wurde um 16.828 , von Schuhen um 11.468 ausgeführt.

Die wichtigsten Artikel des Reexportes sind Thee (1889 1095 q), Tabak und Wolle, ferner Spirituosen und Wein.

Wir haben gesehen, wie die Ausfuhr von Glasgow in erster Linie auf die reiche Industrie des Platzes gegründet ist, und wollen schliesslich noch die Ge - sammtthätigkeit der Clyde-Schiffswerften von Glasgow, Port Glasgow und Greenock anführen, die meist Stahlschiffe bauen. Auf ihnen wurden 1889 62 Segel - schiffe mit zusammen 79.574 Netto-Tons und 195 Dampfer mit zusammen 146.389 Netto-Tons oder 237.453 Brutto-Tons gebaut.

Sehr ansehnlich ist die Handelsmarine der drei Clyde-Häfen; denn Ende 1889 besass Glasgow 1549 Schiffe mit 1.224.022 Netto-Tons, Greenock 326 Schiffe mit 231.900 Netto-Tons und Port Glasgow 29 Schiffe mit 13.722 Netto-Tons. Die Segelflotte ist hier auffallend stark vertreten.

Den Schiffsverkehr Glasgows zeigt folgende Tabelle:

〈…〉〈…〉
1023Glasgow.

Von Glasgow besteht eine regelmässige Dampferverbindung über Grange - mouth nach Rotterdam und die Anchor Line sendet jede Woche einen Dampfer über Moville nach New-York.

Glasgow ist Knotenpunkt für neun Eisenbahnen, welche den in - ländischen Verkehr vermitteln.

Die wichtigsten Banken Glasgows sind: Die Bank of Scotland, Commercial - bank of Scotland, Royalbank of Scotland und die Unionbank of Scotland.

In Glasgow haben Consulate: Argentinien (G. -C. ), Belgien, Bolivia, Co - lumbia, Costarica, Deutsches Reich, Frankreich, Guatemala, Hawaii, Italien, Liberia, Mexiko, Niederlande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn (V. -C. ), Paraguay (G. -C. ), Peru, Salvador, Spanien, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

Und nun wollen wir noch einige Worte über den Verkehr Greenock’s hinzufügen, das 1889 eine Einfuhr von 3,879.804 , eine Ausfuhr englischer Waaren von 271.798 und eine Wiederausfuhr von 45.702 ausweist. Die wichtigsten Artikel der Einfuhr sind Eisenerze (1889 136.515 t), Holz (219.566 m3) und Zucker (110.630 q raffinirt und 1,676.992 q roh).

In der Ausfuhr einheimischer Waaren repräsentiren Kohlen (1889 151.308 q) mehr als den fünften Theil des Gesammtwerthes.

Der gesammte Schiffsverkehr erreichte 1889 15.313 Schiffe mit 3,255.891 Tons.

[1024]

Liverpool.

Nächst London ist Liverpool am Mersey die bedeutendste Stadt Englands, der zweite Hafen Europas. Hier concentrirt sich der Verkehr des westlichen Englands und von hier aus werden nach allen Richtungen der Welt Verbindungen mit Dampf und Segel unterhalten. Liverpool verdankt diese Stellung in erster Linie der günstigen Lage Amerika gegenüber. Darum beginnt sein Stern auch erst im XVIII. Jahrhundert zu leuchten, als der europäisch-amerikanische Handel Bedeutung gewonnen hatte.

Kurz vor der Eroberung durch die Normannen wird zwar schon dieses Ortes in einem angelsächsischen Documente Erwähnung gethan, aber zu irgend einer Bedeutung konnte sich derselbe bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts nicht emporringen. Es war und blieb ein kleines Städtchen, das auch in der Geschichte seines Landes keine Rolle spielte. Die Leute von Liverpool betrieben den kleinen Küstenhandel mit dem benachbarten Irland und der Insel Man, führten später auch Salz aus Cheshire aus und schlugen sich derart gut und schlecht, wie es eben kam, durch. Eine wesentliche Aenderung trat erst durch die Entwicklung der amerikanischen Colonien ein, da Liverpool eine für den Handel mit denselben günstige Lage besass. Anfangs war das wichtigste Handelsobject, mit welchem die Liverpooler Kaufleute ihren Reichthum begründeten, Sclaven . Sie brachten mit ihren Schiffen gewisse gangbare Waaren nach der Westküste von Afrika und führten von dort Sclaven nach Nordamerika und Westindien, um amerikanische Producte als Rückfracht nach England zu schaffen. Diese Art des Handels er - wies sich als eine vortreffliche Quelle des Erwerbes, und man kann den Liver - poolern damaliger Zeit nicht nachrühmen, dass sie bei dem Sclavengeschäfte mit besonderer Rücksicht vorgegangen wären, vielmehr bemühten sie sich, ihre Con - currenten in diesem Zweige, die Kaufleute von Bristol, noch an Energie zu über - treffen. Unter dem Zeichen dieses wenig erbaulichen Geschäftes blühte die Stadt auf und erreichte schon im Laufe des XVIII. Jahrhunderts eine ganz ansehnliche Bedeutung. Sie zählte am Ausgange 77.000 Einwohner, während sie zu Beginn desselben nur 6000 beherbergte und der Hafen Alles in Allem nur über 84 eigene Schiffe verfügte. Als dann zu Anfang unseres Jahrhunderts der Sclaven - handel in England und seinen Colonien verboten ward, war Liverpools Stellung so gefestigt, dass es für den Entgang seiner bisherigen wesentlichen Gewinn - quelle reichlichen Ersatz in dem lange angebahnten und immer mehr aufblühenden[1025]

Liverpool.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band 1291026Der atlantische Ocean.den Handel namentlich mit Nordamerika finden konnte. Jetzt wurde Baumwolle ein Hauptartikel des Importes, und seither ist auch Liverpool der erste Stapel - platz hiefür geblieben. Dazu kam dann noch die Entwicklung der Dampf - schiffahrt, welche der Stadt die Ausnützung ihrer günstigen Position im Zusammen - hange mit dem industriellen Aufschwunge im Westen Englands wesentlich er - leichterte. So hat vor Allem die grosse Baumwollstadt Manchester in Liverpool das Thor zur See gefunden. Die Bevölkerung ist auf fast 700.000 Seelen gestiegen, hat sich also in unserem Jahrhundert verzehnfacht.

Betrachten wir nunmehr die in Lancashire unter 53° 24′ nördl. Br. und 57′ westl. L. v. Gr. gelegene Stadt, so finden wir sofort einen wichtigen Umstand in der Gestaltung der maritimen Verhält - nisse. Liverpool liegt an dem Mersey, welcher sich zu einem grossen breiten Becken erweitert, das sich dann dort, wo am rechten Ufer Liverpool und ihm gegenüber am anderen Ufer heute Birkenhead sich befindet, wieder einigermassen verengt, um dann unterhalb dieser beiden Punkte in die See zu münden. Der Mersey hat gute Tiefe, wenn auch ein schwaches Gefälle und starke Unterschiede in Ebbe und Flut. Die Stadt zieht sich am rechten Ufer hin, ist vom Flusse jedoch heute durch eine ununterbrochene Reihe von Dock - anlagen geschieden, die für die ganze Schiffsbewegung von der grössten Bedeutung sind. Es ist übrigens das Eigenthümliche aller englischen und schottischen Häfen, dass sie fast durchwegs an Flüssen gelegen sind, und dass ihre Hafenanlagen durch den Lauf dieser Flüsse vorgezeichnet und zu einer Ausdehnung in die Länge gezwungen werden.

Die Stadt Liverpool ist durchaus modern angelegt, da ja fast Alles in unserem Jahrhunderte gebaut wurde. Man kann aber der Stadt, welche einen ziemlich regelmässigen Charakter ihres Planes aufweist, nicht nachrühmen, dass sie wesentlich Interessantes bietet, wenn auch einzelne Baulichkeiten von stattlichem Umfange und architektonischer Ausbildung vorhanden sind. Den eigentlichen Centralpunkt bildet die St. Georges Hall, ein im Jahre 1854 vollendetes, in Form eines korinthischen Tempels gehaltenes Gebäude, welches einen grossen Raum für öffentliche Versammlungen und eine nicht minder ansehn - liche Musikhalle enthält, und in dem auch die Localitäten für die öffentlichen Gerichtssitzungen untergebracht sind. St. Georges Hall, mit einem Kostenaufwande von Millionen Gulden hergestellt und mit verschiedenen Sculpturwerken äusserlich geziert, steht in Mitte eines breiten Platzes, auf welchem Reiterstatuen der Königin Victoria und ihres Gemahls, des Prinzen Albert, sowie des Lord Beaconsfield sich befinden. Gegenüber der Halle liegt das Alexandertheater, auf1027Liverpool.der einen Seite die Volksbibliothek im eigenen Gebäude untergebracht, dann auch der grosse Lime Street-Bahnhof. Von St. Georges Hall laufen nach verschiedenen Richtungen grosse Strassenzüge aus. Ueber - haupt zeigt Liverpool vielfach gerade und lange Strassen, was der Stadt unstreitig einen stattlichen, aber auch monotonen Charakter verleiht.

Das älteste von den öffentlichen Bauwerken Liverpools ist das Stadthaus, Town-Hall, welches aus dem Jahre 1749 herrührt. Dasselbe ist zwar einfach gehalten, birgt aber in seinem Innern einige hübsche Repräsentationsräume. Dem commerziellen Charakter der Stadt ent - spricht das stattliche Börsengebäude (Liverpool Exchange), ein Neu - bau aus den Sechzigerjahren, allwo das geschäftliche Treiben der ganzen Stadt seinen impulsgebenden Mittelpunkt findet. Bemerkens - werth ist ferner die Kunstgallerie (Walker Art Gallery), welche einer grossen Schenkung des Mayors der Stadt, Brauereibesitzer Andreas Barcley Walker, ihren Ursprung verdankt, eine auf hoher Stein - säule stehenden Statue des Herzogs von Wellington und die in London Road befindliche Reiterstatue Georgs III. Erwähnen wir noch des Liverpool College, des nun vollendeten allgemeinen Krankenhauses, eines der grössten der Welt, des Armenhauses, allwo 5000 Personen Unterkunft finden können, und einiger aus neuester Zeit stammender grossartiger Hôtels, so haben wir so ziemlich erschöpft, was im Inneren der Stadt den Besucher anziehen kann. Selbstverständlich mangelt es auch hier nicht an einigen hübschen Parkanlagen, welche etwas Erfrischung in dem grossen, durch Kohlenstaub und Rauch belästigten Häusermeere darbieten.

Liverpool ist vor Allem grosser Seeplatz, und deshalb concentrirt sich auch all unsere Aufmerksamkeit auf jene Stellen, wo der Ver - kehr sich entwickelt, auf die Ufer des Mersey.

Sämmtliche Anlagen, welche sich daselbst befinden, stehen unter der Verwaltung einer eigenthümlichen Körperschaft, wie solche in England gerade für grosse öffentliche Unternehmungen häufig zur Anwendung gelangen. Diese Körperschaft führt den Titel The Mersey Dock & Harbour Board . Dieser Board hat das Recht, Anlehen auf - zunehmen, verwaltet die errichteten Anlagen und ist verpflichtet, die erzielten Ueberschüsse zur Tilgung der Anleihen zu verwenden. Seine Befugnisse sind durch Parlamentsacte normirt, innerhalb derselben hat er aber freie Hand. Der Board besteht aus 28 Mitgliedern, von denen die Regierung 4 ernennt; die anderen 24 werden von jenen Kaufleuten erwählt, welche wenigstens 10 £ jährlich an Hafen - und Magazins -129*1028Der atlantische Ocean.gebühren an den Dock-Board entrichten. Die Amtsdauer währt vier Jahre. Wählbar sind nur jene Kaufleute, welche wenigstens 25 an Gebühren zahlen.

Die Docks von Liverpool bilden, wie schon erwähnt, eine am rechten Flussufer gelegene geschlossene Reihe, derart, dass am Ufer keine Stelle freibleibt. Unterbrochen wird diese Reihe nur durch den sogenannten Landing Stage, einen grossen schwimmenden Ponton, welcher für das Anlegen jener Dampfer dient, die nicht in ein Dock gehen. Zugleich wird dieser Platz auch als beliebte Promenade von den Liverpoolern benützt, die ja eigentlich nirgends recht unbehindert an das Ufer ihres Flusses gelangen können.

Die Herstellung der Docks war keine leichte Aufgabe, weil die Stadt meist auf hartem Felsen von rothem Sandstein ruht und man die Bassins daher in Felsen hauen musste. Andererseits bot durch diese Bodenconfiguration die Herstellung von Quaimauern weniger Schwierig - keiten dar. Der Landstrich längs des rechten Mersey-Ufers, auf welchem die Docks liegen, ist 200 600 m breit, aber 9560 m lang und birgt über 50 Docks, natürlich verschiedenen Alters und wechselnder Grösse. Die Liverpooler Docks leiden vielfach unter einem grossen Nachtheil, dem Mangel an directer Eisenbahnverbindung, so dass der Landverkehr vom und zum Dock mit gewöhnlichen Fuhrwerken geschehen muss. Ferner hat man in Liverpool es nicht für noth - wendig erachtet, mit den Docks grosse Speicher in Zusammenhang zu bringen, sondern begnügte sich meist mit Hangars, in denen die Güter nur drei Tage belassen werden dürfen. In den Hangars sind circa 38 ha Lagerfläche vorhanden, die gesammten Dockanlagen um - fassen eine Lagerfläche von 430 ha. Die meisten Kaufleute haben ihre eigenen Speicher, in welche sie die Güter aus den Hangars zur Einlagerung überführen; der Board selbst verfügt hauptsächlich nur über mehrere, freilich sechs Stockwerke hohe Getreidespeicher.

Begeben wir uns nun an dem Mersey hinauf zu jener Stelle, wo die Docks ihren Anfang nehmen, so treffen wir zunächst das Harrington - und das Brunswick -, und das dahinter gelegene kleinere Carriers-Dock. Ersteres dient hauptsächlich für Bauholz aus Centralamerika und Neuschottland. Südlich dieser Dockgruppe ist die Anlage drei neuer Bassins (Importdocks) mit vier grossen Trocken - docks projectirt. Diese Bassins sollen Schleussenverbindungen mit dem Fluss und mit dem Brunswick-Dock erhalten. Flussabwärts, also nördlich des letztgenannten reiht sich das Coburg-Dock an, welches die Schmalseite dem Flusse zuwendet. Dann folgt eines der1029Liverpool.ältesten, das Queens-Dock, welches durch das Queens-Bassin mit dem Flusse communicirt. Hier wird vor Allem mit Baumwolle und Getreide manipulirt. Nun schieben sich hintereinander ein das Wapping - Bassin und das ihm flussvorwärts liegende Kings-Dock. Zwischen Kings-Dock und dem Fluss ist noch eine breite, für ein grosses Tabaksmagazin verwendete Fläche. Hinter dem Wapping-Dock und durch die Strasse getrennt erheben sich die grossen Wapping-Speicher, in denen namentlich Baumwolle und Jute als Massenartikel erscheinen. Kings-Dock ist dem Tabakshandel gewidmet.

Nun folgen abermals zwei Docks hintereinander, vorne das Albert - und rückwärts das Salthouse-Dock. Letzteres gehört zu den ältesten Anlagen und wurde schon 1753 erbaut, jedoch in der Mitte unseres Jahrhunderts umgestaltet. Das erstere dagegen ist neuer und verfügt über grosse Waarenhäuser. Nahe beim Salthouse-Dock liegt das Zollamts - und Postgebäude. Dann erreicht man das Canning-Dock, das vom Fluss durch eine Art Vorbassin und Trockendock geschieden ist. Hierauf folgt dicht am Flusse das kleine Manchester-Dock und innenwärts das St. Georges-Dock, welches auch noch zum Theil aus dem vorigen Jahrhundert stammt und 1871 bedeutend erweitert worden ist. Dieses Dock zählt zu den bedeutendsten und dient für Ladungen aller Art. Nach diesem Dock findet eine Unterbrechung statt, zunächst durch eine grosse Badeanlage, welche zwischen dem letztgenannten Dock und dem Flusse liegt, und dann durch den schon erwähnten Landing Stage mit einer Länge von 700 m, welcher auf schwimmenden Pontons ruht und durch acht Brücken mit dem Ufer in Verbindung steht. Er zieht sich noch bis vor das Princes-Dock hin. Letzteres hat allein einen Kostenaufwand von fast sechs Millionen Gulden verursacht und dient hauptsächlich dem Verkehre mit Amerika und China. Hierauf folgt das Waterloo-Dock mit zwei Bassins, von denen das eine dem Kornhandel ausschliesslich dient, dann die wieder mit der Schmalseite dem Flusse zugewendeten Victoria - und Trafalgar - Docks, sonach das Clarence-Dock mit Vorhafen, hierauf noch einige Trockendocks, das Salisbury-Dock, dahinter landwärts das Colling - wood - und endlich noch mehr landeinwärts das Stanley-Dock. An der Einfahrt in das erstgenannte Dock, durch welches auch der Zugang zu den beiden anderen führt, erhebt sich auf kleiner, insel - artiger Unterlage ein Uhrthurm. In das Collingwood-Dock gehen zumeist Dampfer, welche nach Irland verkehren, während das Stanley - Dock grosse Segelschiffe aufnimmt. Letzteres hat auch einige Speicher zur Verfügung. Nun folgen nacheinander das Nelson -, Bramley-Moore -1030Der atlantische Ocean.und das Wellington-Dock, letzteres mit einem Vorbassin. Ersteres benützen Dampfer, welche nach Westindien und der Südsee ver - kehren, Bramley-Dock dient hauptsächlich dem Handel mit Brasilien und Argentinien, das Wellington-Dock endlich wird für den Verkehr nach Canada verwendet. Mit dem London-Dock schliesst hierauf die Reihe zunächst hier ab. Dieses Dock besitzt den tragfähigsten Krahn Europas.

Stromabwärts kommen hierauf noch das Huskisson-Dock, in welchem die im Mittelmeerdienste verwendeten Dampfer ihre Operationen vornehmen, und an dasselbe mittels eines Canales anschliessend das Canada-Dock, welches dem Holzhandel dient und auch mit einem grossen Holzlagerplatze versehen ist. Im Zusammenhange mit dem Canada-Dock steht auch das demselben Zwecke gewidmete Herculanum - Dock. Endlich sei noch des Langton - und Alexandra-Docks Erwähnung gethan, beide erst im Jahre 1881 dem Verkehre übergeben. Diese beiden Docks befinden sich auf der Höhe moderner Construction, ihre Ufer sind mit Hangars und Speichern wohl besorgt und verfügen über gute Geleiseanlagen. Im Alexandra-Dock können allein 22 Dampfer grösster Gattung Unterkunft finden. Das Langton-Dock hat eine Fläche von 8·5 ha, das Alexandra-Dock eine solche von 8 ha. Diese beiden Docks bieten der Schiffahrt und dem Handel ganz wesentliche Vortheile und werden darum auch mit Vorliebe besucht. Die Baulichkeiten dieser Anlagen sind in einer Art von gothischem Style gehalten und durch einen 36 m hohen Uhrthurm geziert.

Diese ganze hier skizzirte Dockreihe steht in ihren beiden Hauptgruppen fast durchgängig untereinander in Verbindung, was den Verkehr der Schiffe wesentlich erleichtert. In Bezug auf die Ausstattung der Docks weicht dieselbe mannigfach von jener in London und Hull ab. In Liverpool, wo, wie wir gesehen haben, nicht grosse Actiengesellschaften, sondern der sogenannte Board die Docks unter sich hat, stellt die Verwaltung den Schiffen meist nur den Landungsplatz und einen entsprechenden Hangarraum zur Verfügung. Das Laden ist dann zumeist Sache des Schiffers oder der Be - frachter. Man benützt daher viel die Tackel und eigenen Dampfwinden der Schiffe. Will man Krahne haben, so müssen sie eigens gemiethet werden. Es stehen deren wohl eine Anzahl zur Verfügung, jedoch nur zum Theil solche mit hydraulischer Einrichtung.

Eine grosse Schwierigkeit bei Anlage der Docks verursachten die Verhältnisse von Flut und Strömung, aber es gelang, durch An - wendung geschickter Schleussensysteme dieselben zu bewältigen. Im1031Liverpool.Zusammenhange mit den Dockanlagen stehen im Ganzen 25 Trocken - docks, welche gleichfalls vom Board hergestellt wurden und nach Bedarf verwendet werden. Ihre Grösse variirt von 10 bis 25 m Breite und 87 bis 233 m Länge. Mustert man die einzelnen Docks im Detail, so findet man wesentliche, durch die Verschiedenheit der Bau - zeit veranlasste Unterschiede in Bezug auf deren Arrangement. In einigen stehen die Hangars noch in wenig zweckmässiger Weise fast am Wasser, so dass zwischen ihnen und der Uferkante kaum 1 m Raum bleibt, dagegen war man in den neueren Anlagen immer mehr darauf bedacht, dem durch die Erfahrung bewährten Principe, wo - nach längs des Ufers vor Allem für eine gute und zugängliche Längen - verbindung gesorgt werden soll, zu entsprechen. Ebenso zeigt sich in den jüngeren Anlagen immer mehr das Bestreben nach besserer und directerer Verbindung zur Bahn.

Eine unstreitig grossartige Einrichtung ist auch der beim Alexandra-Dock errichtete Getreide-Silo, der 50.000 Tons Getreide aufzunehmen vermag und dessen Elevatoren per Stunde 75 Tons be - wältigen können.

Längs dieses ganzen Docksystems bewegt sich ununterbrochen ein ganz gewaltiger Verkehr, dem leider die Breite der Strassen, auf die er angewiesen ist, nicht entspricht. Es hat sich daher 1888 eine Gesellschaft gebildet, um längs der Docks eine Overhead oder Elevated railway, d. h. einen auf hohen Säulen ruhenden Schienenweg zu bauen, wodurch der gegenwärtige Verkehr der Fussgänger und jener der Fuhrwerke ungestört statthaben kann. Nachdem die Ge - sellschaft 1889 die hiezu erforderliche Ermächtigung des Parlamentes erhalten hatte, schloss sie einen Vertrag mit einem Bauunternehmer ab, welcher sofort Hand ans Werk legte, und man hofft 1891 die Bahn eröffnen zu können. Dieser Schienenweg ist für den Personen - transport bestimmt, wird 10·5 km lang sein und auf 5·5 m hohen Säulen ruhen, die aus zwei Schaftrinnen und zwei Platten zusammen - genietet sind; die Träger wiegen je etwa 25 t und haben eine normale Spannung von 15·3 m, an einigen Stellen jedoch auch von 23 bis 30·5 m. Der Quere nach wird der obere Theil mit Hobsons patentirtem Boden, d. i. mit halbrund gebogenen Platten bedeckt sein, auf diese legt man hölzerne Schwellen und auf diese die stählernen Schienen. Nach je einer halben Meile (0·8 km) wird die Linie eine Halte - stelle besitzen. Als Bewegkraft der Waggons ist Elektricität in Aus - sicht genommen. Auch der Mersey bietet ein höchst belebtes Bild dar, welches durch die Bedürfnisse des localen Verkehres, dem1032Der atlantische Ocean.zahlreiche kleine Dampfboote dienen, nur noch gehoben wird. Eine Schwierigkeit lag lange darin, dass man für den Verkehr zwischen den beiden Ufern des Flusses nur auf Fähren angewiesen war, weil eine Ueberbrückung, ohne die Schiffahrt zu stören, nicht ausführbar schien. Aber auch da wusste die Energie und der Unter - nehmungsgeist moderner Techniker Abhilfe zu schaffen. Man führte einen Tunnel unterhalb der Sohle des Mersey von Liverpool hinüber nach Birkenhead. Dieser im Jahre 1886 feierlich eröffnete Tunnel ist grossartig angelegt, er geht von St. James-Street aus, endet in Hamilton Square zu Birkenhead und hat eine Länge von 1144 m, einen lichten Raum von 8 m in der Breite und in der Höhe von 6 bis 7 m. Die Ventilation dieses Tunnels wird durch gewaltige Maschinerien besorgt, welche per Minute 600.000 Cubikfuss Luft einzupumpen vermögen. Durch den Tunnel führt eine Eisenbahn, welche mit den unterirdischen Bahnen in Verbindung gebracht werden soll. Das Traject von der einen Seite des Tunnels nach der anderen wird infolge der zur Verwendung kommenden sehr starken Maschinen in vier Minuten zurückgelegt. Ausser dieser jüngsten Tunnelbahn verfügt die Stadt Liverpool aber auch über eine unter der halben Stadt durch - gehende unterirdische Personeneisenbahn, und zwei Eisenbahngesell - schaften haben lange Tunnels bauen müssen, um ihre Güterzüge zu den Docks bringen zu können, deren ältere Anlage auf den Zugang per Bahn nicht Bedacht genommen hat, ein Uebelstand, dem man später kaum mehr abhelfen konnte. Liverpool ist einer der wichtigsten Eisen - bahnknotenpunkte von ganz Europa. In Liverpool münden die London - und Nordwest -, die Midland -, die Great Northern -, die Manchester - Sheffield-Lincoln -, dann die Lancashire - und Yorkshire-Eisenbahn, während die Great Western ihren Endpunkt in Birkenhead hat. Diese Bahnen haben vollauf zu thun, um den Bedürfnissen des riesigen Verkehres, der sich in stets steigendem Masse abwickelt, zu ent - sprechen.

Legende zum Stadtplan von Liverpool. A Sandon-Dock, B Wellington-Dock, C Bramley-Moore-Dock, D Nelson-Dock, E Salisbury-Dock, G Collingwood-Dock, H Stanley-Dock, J Clarence-Dock, K Trafalgar-Dock, L Victoria-Dock, M Waterloo - Dock, N Princes Half tite-Dock, O Princes-Dock, P Georges-Dock, Q Canning-Dock, R Albert-Dock, S Salthouse-Dock, T Kings-Dock, U Wapping-Dock, V Queens-Dock, W Coburg-Dock, X Brunswick-Dock, Y Carriers-Dock, Z projectirte Importdocks. 1 Leeds - und Liverpool-Canal, 2 Centralstation (Cheshire Lines Ry. ), 3 London - und N. W. R. Lime Street-Stat., 4 Exchange-Station, 5 North Dock-Station, 6 Güterbahnhöfe der London N. W. -Bahn, 7 Güterbahnhöfe der Cheshire-Bahn, 8 Mersey-Tunnel, 9 Zollamt und Post, 10 Börse, 11 Town Hall, 12 Municipalämter, 13 St. Georges Hall, 14 St. Geor - ge’s Kirche, 15 St. Peters-Kathedrale, 16 St. Thomas-Kirche, 17 St. Michaels-Kirche, 18 Theatre Royal, 19 Vauxhall Road, 20 Byron Street, 21 Lime Street, 22 Islington, 23 London Road, 24 Brownlow Hill, 25 Mount Pleasant, 26 Duke Street, 27 Canning Street, 28 Parliaments Street, 29 Park Road, 30 Princes Road. Birkenhead: A Alfred-Dock, B Wallasey-Dock, C Morpeth-Dock, D Egerton - Dock, E Schiffswerften, G Station der Roylax-Ry.

[1033]
Stadtplan von Liverpool (Sonden in Metern, auf den Ebbestand reducirt).

(Legende siehe auf Seite 1032.)

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1301034Der atlantische Ocean.

Werfen wir noch einen Blick auf das Leben in Liverpool, so sehen wir eine Stadt vor uns, in welcher die geschäftlichen Interessen Alles überwiegen und Anderes nur in zweiter Linie in Betracht kommt. Liverpool ist nicht wie London zugleich das politische Centrum des Landes, der Sitz des Hofes und einer überreichen Aristokratie, wo sich auch die Fäden des geistigen Lebens enge verknüpfen, Liverpool ist Handelsstadt par excellence. Es besitzt trotzdem wissenschaftliche Etablissements und Einrichtungen, welche dem Vergnügen gewidmet sind, und seine Einwohner verstehen auch das Leben zu geniessen, namentlich jene, welche sich schöne Capitalien bereits erworben haben; aber des Geschäftes wird man nicht los, und selbst in der Atmosphäre der Stadt mahnen Staub und Kohlenruss an die Dinge, denen das Tageswerk gewidmet ist.

Dafür hat Liverpool aber jederzeit die lebhafteste Theilnahme für alle commerziellen und wirtschaftlichen Interessen bethätigt, und es ist ganz insbesondere bemerkenswerth, dass die grosse gegen die Kornzölle gerichtete Bewegung, welche von freihändlerischen Tendenzen getragen war, von Liverpool ihren Ausgang nahm, und dass in dieser Stadt der berühmte Cobden die Agitation leitete.

Die Schwesterstadt von Liverpool, Birkenhead, verdankt ihr Entstehen ihrer ausserordentlich günstigen Lage, welche es zu einer Art Ergänzung von Liverpool bestimmte. In der Grafschaft Cheshire gelegen, war es ein kleiner Flecken von keiner Bedeutung. Es ent - wickelte sich erst, als man daran ging, auch dort Dockanlagen sammt Zugehör herzustellen. Auf der Birkenheadseite des Mersey waren die Tiefenverhältnisse günstiger als jenseits, und dies erleichterte maritime Bauten. Im Jahre 1844 begann man mit der Einrichtung eines Docks an Stelle eines grossen Sumpfes. Der Bau kam jedoch erst nach mancherlei Zwischenfällen zu Stande, als der Mersey-Dock and Harbour Board auch die Anlagen von Birkenhead seiner Competenz überwiesen er - hielt (1855). Seither hat sich die Zahl der Docks auf fünf vermehrt, welche über eine Quailänge von 12.000 m und über eine Wasserfläche von 202 ha disponiren. Die Birkenheader Anlagen haben entgegen jenen von Liverpool durchwegs den grossen Vorzug, dass sie schon im Zeitalter der Eisenbahnen ins Leben gerufen wurden und man daher bei ihrer Einrichtung auf die bezüglichen Erfordernisse vollauf Bedacht nehmen konnte. Jene fünf Docks sind das Morpeth - und Egerton-Dock, dann das Great-Float mit zwei durch einen Canal verbundenen selb - ständigen Bassins (East-Float und West-Float) und einem Vorhafen (Alfred-Dock), endlich das Wallasey-Dock. Hier gelangen zunächst1035Liverpool.grosse Kohlenquantitäten aus Wales zur Verschiffung, und darum sind die Docks mit Vorrichtungen zur Kohlenschüttung versehen. Es wird der mit circa 10 t Kohle beladene Waggon mit hydraulischer Kraft gehoben, mittelst einer abermaligen Anwendung hydraulischer Kraft schräge über eine Kante gestellt und in die zum Boden des Schiffes hinabführende Schüttrinne umgestürzt. Mit dieser Vorrichtung vermag man bis zu 100 t per Stunde zu bewältigen. Neben der Kohle spielt in Birkenhead auch das Getreide eine grosse Rolle. Es sind grosse Getreidespeicher mit sechs Stockwerken Höhe vorhanden, welche 65.000 70.000 Tons einlagern können. Diese Speicher bestehen aus einer Reihe getrennter, jedoch unter einander in Verbindung stehender Gebäude. Vor diesen Speichern liegt immer ein Quai, welcher Platz für eine Fahrstrasse und Schienengeleise hat und der vollkommen überdacht ist.

Auch Birkenhead verfügt wie Liverpool über schwimmende Landungs - (Ponton -) Plateaux, die Landing Stages, welche den Schiffen ein gutes Anlegen gestatten. Es bestehen deren zwei, welche mit dem Festlande durch mehrere Brücken für Fussgänger und für schweres Fuhrwerk verbunden sind. Die Stadt selbst, welche gegenwärtig 100.000 Einwohner zählt, macht den Eindruck grosser Regelmässigkeit. Die Strassen sind breit und kreuzen sich meist im rechten Winkel. Die fünf hauptsächlichsten Strassen laufen durchwegs vom Flusse aus landeinwärts. Birkenhead besitzt eine weitverzweigte Pferde - Tramway, die deshalb bemerkenswerth ist, weil sie die erste ihrer Gattung in England war.

Hamilton Square bildet eine Art von Centralpunkt der Stadt. Dort mündet auch der Mersey-Tunnel vorläufig in einen Schacht, von dem ein Dampfaufzug zur Oberwelt führt. Auf diesem Square liegt auch das Stadthaus. In der Nähe steht eine ansehnliche Markt - halle. Die Stadt besitzt fernerhin ein grosses Theater, eine Musikhalle und mehrere gut eingerichtete Unterrichtsanstalten. Eine besondere Zierde Birkenheads bildet der grosse Park, welcher mit seinen Teichen, seiner reichen, vielfach exotischen Flora, schönen Sommerpartien und anziehenden Durchsichten zu den reizendsten derartigen Anlagen in England zählt. Dieser Park ist auch für die Liverpooler ein beliebter Ausflugsort.

In Birkenhead hat sich die Schiffbauindustrie wohl einge - richtet und verfügt über eine Anzahl stattlicher Werften, welche vielfach beschäftigt sind, wie nicht minder in der Stadt selbst mehrere Maschinenfabriken von Bedeutung existiren.

130*1036Der atlantische Ocean.

Birkenhead bildet sonach, trotz seiner emancipirten Selbständig - keit, eine Ergänzung von Liverpool, mit welchem es die gleichen Interessen enge verbinden.

Aber heute droht den beiden Seeplätzen eine sehr ernstliche Concurrenz von anderer Seite, und wir können nicht umhin, eines wenn auch noch nicht vollendeten Unternehmens zu gedenken, welches in sehr einschneidender Weise auf die Sachlage am Mersey zurück - wirken wird, nämlich des grossen Canales, welcher im Bau und bestimmt ist, die gewaltige Industriestadt Manchester und mehrere andere gleichfalls bedeutsame industrielle Emporien von Lancashire mit der See direct zu verbinden und derart von der Abhängigkeit von Liverpool zu emancipiren. Den Anlass zu diesem Unternehmen gab der Umstand, dass man in Liverpool mit theuren Platzspesen arbeitet und doch wieder nicht im Stande ist, diese Spesen in erheb - licher Weise zu erniedrigen. Da entstand nun in Manchester, welches stark über Liverpool arbeitet, der Gedanke, sich einen directen und unabhängigen Seeweg zu eröffnen, und zwar durch den Bau eines Canales. Das Unternehmen fand Anklang, eine Parlamentsacte setzte, ähnlich wie es in Liverpool der Fall, einen eigenen Board ein und gab demselben das Recht zum Baue und Betriebe. Man veranschlagte die Kosten auf 10 Millionen Pfund Sterling. Dieser Canal nimmt bei Manchester seinen Anfang, wo drei grosse, mit allen modernen An - forderungen ausgestattete Docks errichtet werden. Sodann benützt der Canal zunächst den Fluss Irwell, den er jedoch zum Theil durch Durchstiche abkürzt, um hierauf unter Benützung des Mersey weiter zu gehen. Der Canal berührt die Städte Salford, Warrington, wo auch ein Dock angelegt wird, Runcorn und mündet unterhalb des letzteren bei Eastham in das grosse Becken des Mersey, also eine gute Strecke oberhalb Liverpools. Die ganze Länge des Canals ist auf 56 km veranschlagt. Die Sohlenbreite wird 36 (zwischen Barton und Manchester 52 m), die geringste Wassertiefe 8 m (die Schleussensohlen 8·8 m Tiefe) betragen. Am Ausgange des Canales sind auch Dock - anlagen projectirt. Der grosse Bau wurde im Jahre 1886 begonnen, und man hoffte in vier Jahren mit demselben zu Ende zu kommen. Doch konnte diese Bauzeit nicht eingehalten werden, was bei der Gross - artigkeit des Werkes nicht in Erstaunen setzen darf. Trotzdem ist Hoff - nung vorhanden, dass keine wesentliche Ueberschreitung des Termines stattfinden werde. Das Grossartige des Unternehmens erhellt aus der Thatsache, dass die Herstellung des Canals und der Docks eine Materialbewegurg von 38·5 Millionen Cubikmeter, worunter 8 Millionen1037Liverpool.Fels, erfordert. Diese Massenbewegung wird mit Hilfe von 194 Dampf - krahnen, 182 Locomobilen und anderen Dampfmaschinen, sowie von 200 Dampfpumpen bewältigt. Sämmtliche Arbeitsmaschinen verbrau - chen monatlich 10.000 t Kohle für ihren Betrieb.

Der Manchestercanal wird jedenfalls einen guten Theil des Verkehres an sich ziehen und nicht nur Liverpool, sondern auch die betheiligten Eisenbahnen beeinträchtigen. Freilich bei der kolossalen stetigen Steigerung der wirtschaftlichen Bewegung namentlich in den fraglichen Theilen von England darf man annehmen, dass schliesslich trotz des Manchestercanales immer noch die Quelle des Erwerbes für Liverpool-Birkenhead reichlich genug fliessen werde. Interessant ist, dass zur Anlage dieses Seeschiffahrtscanales dieselbe Ursache treibt, welche 1827 zur Errichtung der ersten Eisenbahn trieb, nämlich die Umgehung der theueren Transportspesen zwischen Liverpool und Manchester.

Betrachten wir nun die maritime Lage Liverpools, so finden wir dieselbe für die Schiffahrt sehr günstig. Zwar hat der Mersey an seiner Mündung, wie die meisten Flüsse, eine Barre angesetzt, allein nachdem die Flut die gewaltige Höhe von 7·5 m erreicht, so bietet die Ueberschreitung der bei Ebbe nur 3·6 m Wasser führenden Barre selbst für die grössten Schiffe keine Schwierigkeit. Ueberhaupt sind hier der reissende Flutstrom und der Ebbestrom die beiden gross - artigen treibenden Gewalten, welche bei der Schiffahrt und bei der Dockmanipulation ausserordentlich zur Geltung kommen.

Unser Uebersichtsplan zeigt den ganzen Verlauf des nach Liver - pool-Birkenhead führenden Fahrwassers. Der durch Leuchtschiffe und Tonnen gut markirte Queen-Channel bildet die wichtigste Zufahrt - strasse nach Liverpool, welche innerhalb der Barre selbst bei tiefster Ebbe nirgends weniger als 8 m Wassertiefe aufweist. Die Barre zwingt aber grössere Schiffe zum Abwarten des Hochwassers. Ausgedehnte Sandbänke liegen auf der Westseite des Canales, und ein breiter Ebb - strand zieht sich längs des Festlandes hin, welchen die Flut mit tiefem Wasser bedeckt. Man ersieht aus dem Plane, dass auch längs der Dockanlagen die Anschwemmung von Sinkstoffen stattgefunden hat. Zu ihrer Beseitigung hat man äusserst sinnreiche Einrichtungen am nördlichen Ende bei der Canada-Dock-Einfahrt gemacht. In den beiden Seitenwänden des Langton-Docks wurden mächtige Canäle (3·7 m breit, 3·7 m hoch und 9·3 m unter dem Niveau der ge - wöhnlichen Flut) geführt und ein dritter Canal von einer anderen Seite zugeleitet. Diese Canäle sind gewöhnlich[abgesperrt]. Will man1038Der atlantische Ocean.nun die Anschwemmungen durch Wassergewalt wegreissen, so öffnet man die Canäle bei Ebbe, und nun schiesst das Wasser aus den gefüllten Bassins mit Riesengewalt gegen die schlammige Sohle des Vorhafens und reinigt sie. Um dies gründlich zu erzielen, wurden auch vier Canäle von 2·4 m Durchmesser in die Mitte des Vorhafens geführt. Werden alle Canäle in Thätigkeit gesetzt, was nicht immer nothwendig ist, so stürzen 1·7 Millionen Cubikfuss (64.000 m3) Wasser in der Minute hervor und verrichten die Wegräumung der Sinkstoffe in kürzester Zeit.

Nördlich und südlich von Queen-Channel führt gleichfalls zwischen weitläufigen Bänken je ein Wasserweg für kleine Schiffe nach Liverpool, und zwar der Old Formby-Channel im Norden und der Horse-Channel im Süden. Schwierig ist die Schiffahrt bei Nebel, aber gerade da zeigt sich die Vollkommenheit der Liverpooler Hafen - einrichtungen. In keinem zweiten Hafen der Welt haben wir ein so präcis arbeitendes System von Lichtern, Bojen, Nebelhörnern u. dgl.

Werfen wir nun einen Blick auf die Handelsbewegung dieses Hafens, so zeigt sich uns folgendes Bild:

Wiewohl Liverpool dem Schiffsverkehr und dem Gesammtwerthe seiner Handelsbewegung im Allgemeinen noch hinter London zurücksteht, muss es dagegen als der erste Ausfuhrhafen Englands für inländische Erzeugnisse betrachtet werden. Der Importwerth Liverpools weist gegenüber dem Londons vom Jahre 1889 111 Millionen gegen 144 Millionen, also ein Minus von 33 Millionen auf, dagegen beziffert sich im selben Jahre die Ausfuhr Liverpools an Erzeug - nissen des vereinigten Königreiches auf 102 Millionen gegen 48 Millionen, die aus London ausgeführt wurden. In dem Exporte fremder Producte behauptet allerdings London wieder den Vorrang.

Bei der Gegenüberstellung der Werthe des Totalverkehres beider Städte, der bei London rund 232 Millionen, bei Liverpool rund 226 Millionen beträgt, sieht man die Differenz eine sehr geringe werden.

Die Handelsbewegung Liverpools während der letzten fünf Jahre geht aus nachstehender Zusammenstellung hervor:

〈…〉〈…〉

Aus dieser Tabelle wird ersichtlich, dass sowohl die Ein - wie die Ausfuhr Liverpools von Jahr zu Jahr erhebliche Fortschritte machen, während letztere in den Ausweisen Londons während der gleichen Zeitperiode sich kaum auf der alten Höhe behauptet.

Bei näherer Betrachtung des Importes muss der Menge wegen die Einfuhr von Getreide an die Spitze gestellt werden. Der Uebersicht halber mögen die1039Liverpool.Importmengen der letzten drei Jahre hier verzeichnet werden. Es wurden einge - führt in Metercentnern:

〈…〉〈…〉

In enger Verbindung mit den Brotfrüchten steht die Gruppe der übrigen Nahrungsmittel, deren Einfuhr daher gleich an dieser Stelle beleuchtet werden soll. Dieselbe betrug in Metercentnern:

〈…〉〈…〉

Hieran reiht sich die Einfuhr von Reis mit 1,627.000 q des Jahres 1889 gegen 1,594.000 q des Jahres 1888 und 1,157.000 q des Jahres 1887.

Die Reihe der Nahrungsmittel beschliessen Früchte und Gemüse, an denen Liverpool im Fiscaljahre 1889 einführte: 200.000 q Korinthen, 86.000 q Trauben, 992.475 hl Orangen und Citronen, 434.528 hl rohe Aepfel, 158.899 hl andere Obstsorten, ferner an Zwiebeln 336.341 hl und diverse Gemüse im Werthe von 75.608 .

Von einiger Bedeutung ist ferner der Import von Zucker, der sich im Jahre 1889 auf 3,061.000 q gegen 3,463.000 q des vorhergehenden Jahres belief.

Merkwürdig unbedeutend ist der Import an Thee, der sich über 681 q nicht erhebt, dagegen ist die Einfuhr von Cacao 1889 mit 10.989 q eine erhebliche zu nennen.

Liverpool bezieht ansehnliche Quantitäten von Wein und Spirituosen, deren Importmengen während der letzten drei Jahre hier verzeichnet werden sollen. Es wurden eingeführt:

〈…〉〈…〉

Die grösste Einfuhr unter allen englischen Häfen hat Liverpool an Tabak, für welchen es auch den Hauptmarkt bildet. Es bezog im Jahre 1889 167.200 q gegen 106.100 q des vorhergehenden Jahres an unverarbeitetem Tabak, während die1040Der atlantische Ocean.Einfuhr von verarbeitetem Tabak in den letzten drei Jahren über die Menge von 7073 q nicht hinausging.

Ein sehr wichtiger Artikel, von welchem weit über 90 Percent der ge - sammten englischen Einfuhr ihren Weg über Liverpool nehmen, ist Baumwolle. Liverpool ist nämlich der erste Baumwollenmarkt der Welt für effective Waare, wiewohl der continentale Baumwollimport sich seit den letzten zehn Jahren von den englischen Plätzen zu emancipiren sucht. Liverpool notirt und handelt alle Provenienzen Baumwolle. Der Löwenantheil des Importes mit circa 75 Percent entfällt auf amerikanische, 10 Percent auf Brasil -, 7 Percent auf egyptische und circa 8 Percent auf ostindische Baumwolle. Die Einfuhr bezifferte sich in den Jahren 1889 auf 7,979.000 q, 1888 auf 7,177.000 q und 1887 auf 7,293.000 q.

An der Liverpooler Baumwollbörse können folgende Geschäfte abgeschlossen werden: 1. Termingeschäfte (welche zumeist in nordamerikanischer Baumwolle stattfinden), 2. Verkäufe von in Liverpool lagernder Baumwolle, 3. Verkäufe von Baumwolle auf Ankunft, 4. Cost-Fracht - (cf) und Cost-Fracht-Assecuranz - (cif.) Verkäufe.

Jute weist im Jahre 1889 einen Import von 17.729 t auf, Hanf einen solchen von 242.347 q und Flachs von 58.503 q.

Die verschiedenen Oele weisen gleichfalls einen ansehnlichen Import auf; an der Spitze steht (1889) Palmöl mit 510.924 q, Thran und Walrath mit 2665 t, Olivenöl mit 4521 t und Samenöl mit 2099 t. Der Import von Oelkuchen belief sich im selben Jahre auf 77.263 t.

In der Einfuhr von Sämereien sind hervorzuheben Baumwollsamen mit 31.443 t, Klee - und Grassamen mit 9399 q, Flachs - und Leinsamen mit 674.500 hl und Rübsensamen mit 3657 hl.

An Kautschuk wurden im letzten Jahre 96.200 q importirt, an Droguen (Rinde und Peruvian) 784 q, an Farbstoffen (Indigo incl.) 3800 q und Farben im Werthe von 117.975 .

Die Menge der nach Liverpool importirten Wolle weist, wenn sie auch mit der Einfuhrsmenge Londons nicht in Vergleich gezogen werden kann, immer - hin die stattliche Ziffer von 328.730 q an Schaf - und Lammwolle und 45.357 q an Ziegenhaar für das Jahr 1889 auf.

Dem gleichen Zwecke dient der grösste Theil der importirten Bauhölzer. Die Holzeinfuhr umfasste während der letzten drei Jahre:

〈…〉〈…〉

Die Einfuhr lebender Thiere belief sich im letzten Jahre auf 169.450 Ochsen, Kühe und Kälber, 52.659 Schafe und Lämmer und 236 Pferde.

Eine bedeutende Rolle spielt ferner die Einfuhr von Petroleum in der Höhe von 1,072.613 hl im Jahre 1889 gegen 1,155.540 hl des vorhergehenden Jahres und 966.184 hl des Jahres 1887.

[1041]
Liverpool-Bay (Massstab 1: 291.000; Sonden in Metern).

A Directionslinien der Zufahrten, B Rettungsboote, C Küstenwache, D Fort, E Tunnel, F Leuchtfeuer, F1 Leuchtschiffe.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1311042Der atlantische Ocean.

Wir gelangen nunmehr zu der Einfuhr der verschiedenen Metalle, welche einen stattlichen Theil des Gesammtimportes Liverpools repräsentiren.

Es wurden bezogen in den Jahren

〈…〉〈…〉

Der Bezug an Metallen dient in erster Linie dazu, um den Bedarf der in Liverpool bestehenden grossen Schiffswerften zu decken.

Eine nennenswerthe Einfuhr verzeichnen die Düngemittel aller Art mit 61.438 t im Jahre 1889 gegen 53.174 des vorhergehenden Jahres.

Ebenso beträchtlich ist der Import von Salpeter, der sich im Jahre 1889 auf 400.900 q, im Jahre 1888 auf 336.300 q und 1887 auf 315.900 belief.

Talg und Stearin stehen in Bezug auf die eingeführten Mengen nicht viel nach und verzeichneten im Jahre 1889 eine Einfuhr von 260.000 q.

Als Importartikel von einiger Bedeutung sind noch Leder, Felle und Häute hervorzuheben. Die Einfuhr von Leder bezifferte sich 1889 auf 149.855 q, 1888 auf 110.028 und 1887 auf 103.787 q, weist also innerhalb dieses Zeitraumes eine Steigerung von rund 50 Percent auf. An rohen Häuten importirte Liverpool 1889 127.400 q gegen 124.000 q des Jahres 1888 und 105.200 q des Jahres 1887. Der Import an Schaf - und Lammfellen endlich betrug 1889 1,804.890 Stück gegen 1,277.112 Stück des Jahres 1888.

Die Importliste beschliessen verschiedene Fabricate, unter denen als die wichtigeren des letzten Jahres hervorzuheben sind: Papier aller Art (Tapeten aus - geschlossen) mit 39.000 q, Glas aller Gattungen mit 51.134 q, Leinengarne mit 9356 q und Wollfabricate im Werthe von 94.059 .

Den Export Liverpools theilen wir wie bei der Behandlung aller englischen Häfen in den inländischer Fabricate und den ausländischer Producte. Wir beginnen, mit ersterem als den ungleich wichtigeren und verweisen auf die obige Zusammen - stellung der Gesammtwerthe, welche klarlegt, dass in diesem Theile der Handels - bewegung die eigentliche Bedeutung und Stärke Liverpools als Hafenplatz liegt. Es bildet den Speditionsplatz für die vielen Güter, welche aus den fabriksreichen Grafschaften Lancashire und Yorkshire zur Verschiffung nach allen Welttheilen hieher gelangen.

So ist es denn auch begreiflich, dass die Erzeugnisse der Textilindustrie in dem Exporte Liverpools die erste Stellung einnehmen, so zwar, dass Baum - wollfabricate allein dem Werthe nach 46 Percent der Gesammtausfuhr ausmachen und Wollfabricate den zehnten Theil des Totalexportes repräsentiren. Die Mengen und Werthe der in den letzten drei Jahren exportirten Textilwaaren veranschau - licht folgende Tabelle:

1043Liverpool.
〈…〉〈…〉

Der Export an Kleidungsstücken repräsentirte im letzten Jahre einen Werth von 784.078 , der an Kurz - und Putzwaaren einen solchen von 798.777 , während der Werth der ausgeführten Hüte sich auf 442.158 belief.

An zweiter Stelle steht der Export von Metallen und Metallwaaren, welcher, von Maschinen abgesehen, circa 12 Percent der Gesammtausfuhr beträgt. Wir geben hier die Bewegung der Ausfuhr dieser Gruppe während der letzten drei Jahre:

131*1044Der atlantische Ocean.
〈…〉〈…〉

Im Anschlusse an diese Gruppe sind noch Maschinen aller Art zu nennen, deren Exportwerth sich im Jahre 1889 auf 5,431.847 , im Jahre 1888 auf 4,502.689 und im Jahre 1887 auf 3,693.322 belief.

Einen wichtigen Ausfuhrartikel Liverpools bildet Alkali mit folgenden Ziffern:

  • 1889 ... 2,480.000 q im Werthe von 1,303.219
  • 1888 ... 2,540.000 1,376.734
  • 1887 ... 2,300.000 1,428.590

Unter den übrigen Fabricaten, welche die Ausfuhrlisten aufweisen, folgen chemische Producte und Präparate im Werthe von 1,037.297 des Jahres 1889. Der Werth der Steingut - und Porzellanwaaren belief sich 1889 auf 1,556.295, 1888 auf 1,462.741 und 1887 auf 1,385.812 .

An anderen Fabricaten wurden im Jahre 1889 über Liverpool ausgeführt:

  • Glaswaaren aller Art ......... im Werthe von 548.303
  • Pelzwaaren ......... 629.391
  • Gedruckte Bücher .......... 398.633
  • Kautschukfabricate .......... 231.925
  • Schuhwaaren aller Art ........ 410.562
  • Sattlerwaaren ............. 149.273
  • Chemische Düngemittel ....... 316.804
  • Malerfarben und Materialien .... 243.112
  • Papierfabricate ............ 207.107
  • Feuerwaffen aller Art ........ 340.712 und
  • Kerzen aller Art ........... 47.678

Es wären nun noch zu erwähnen die Ausfuhr von Zucker mit 200.000 q im Werthe von 320.419 und der ziemlich erhebliche Export an Salz, welches im letzten Jahre 592 231 t im Werthe von 462.313 umfasste.

An Bier wurden im Jahre 1889 174.665 hl im Werthe von 389.982 , an Spirituosen 15.168 hl im Werthe von 90.532 ausgeführt.

Der Export von Fischen namentlich Häringen belief sich auf 154.806 hl im Werthe von 103.678 , der von diversen Provisions auf 363.614 .

Den Schluss der Exportliste inländischer Erzeugnisse machen Kohle und Coaks, wovon Liverpool im letzten Jahre 558.189 t im Werthe von 348.474 ausführte.

Der Werth aller übrigen im Jahre 1889 zur Ausfuhr gelangten, hier nicht speciell benannten Artikel inländischen Ursprunges belief sich auf 7,561.286 .

1045Liverpool.

Wir gelangen nunmehr zur Besprechung des Reexportes ausländischer und colonialer Producte.

In dieser Kategorie spielt die Ausfuhr von Reis, welcher Artikel bekannt - lich in Liverpool einen seiner Hauptmärkte findet, die erste Rolle. Die ausge - führte Menge betrug im Jahre 1889 1,083.000 q gegen 942.442 q des vorher - gehenden und 788.900 q des Jahres 1887.

Der nächstwichtige Artikel ist Wolle (Schaf - und Lammwolle) deren Aus - fuhr sich im Jahre 1889 auf 163.300 q gegen 173.900 q des Jahres 1888 und 152.700 q des Jahres 1887 belief.

Aus den Ziffern der ausgeführten Baumwolle (roh), welche kaum 5 Per - cent der importirten Menge ausmacht und für das letzte Jahr auf 357.000 q ver - anschlagt wird, gewinnt man erst einen Ueberblick über die Leistungsfähigkeit einer Industrie, welche im Stande ist, so ungeheure Mengen rohen Materials all - jährlich zu verarbeiten.

Der Export an Hanf ist ziemlich erheblich und betrug im Jahre 1889 107.500 q, wogegen Flachs nur in der Höhe von 7500 q ausgeführt wurde.

Der Getreideexport Liverpools ist im Verhältniss zu den eingeführten Quantitäten ein geringer und beschränkt sich nur auf Weizen und Mehl. Es wurden ausgeführt:

〈…〉〈…〉

und sieht man an dieser Zusammenstellung, dass auch der Export von Weizen stetig abnimmt.

Von den importirten Victualien gibt Liverpool gleichfalls nur geringe Quan - titäten ab, der Export beschränkt sich auf Schinken und Speck, Käse, Schmalz und Butter. Die ausgeführten Quantitäten dieser Artikel während des Jahres 1889 waren: Schinken und Speck 66.200 q, Käse 9800 q, Schmalz (Schweinefett) 10.900 q.

In der Ausfuhr von Zucker ist während der letzten zwei Jahre ein Rück - schritt zu verzeichnen, denn während die Menge des ausgeführten unraffinirten Zuckers sich 1888 noch auf 346.700 q belief, sank sie 1889 auf 153.900 q und in gleicher Weise bei raffinirtem Zucker von 21.300 q des Jahres 1888 auf 12.100 q des folgenden Jahres.

Die Ausfuhr in Tabak, für welchen Artikel Liverpool gleichfalls ein her - vorragender Markt ist, war während der letzten drei Jahre folgende:

〈…〉〈…〉

Liverpool gibt annähernd den fünften Theil seiner importirten Spirituosen wieder ab. Die ausgeführten Mengen des letzten Jahres, welche Rum, Wachholder, Branntwein und andere Sorten umfassen, beliefen sich auf 15.000 hl.

Die Ausfuhr von rohen Häuten betrug 1889 14.500 q gegen 23.300 q des Jahres 1888. Leder wies im letzten Jahre einen Export von 14.500 q auf.

Nennenswerth erscheint noch die Ausfuhr von Metallen, die, wie aus nachstehender Aufstellung ersichtlich, in den letzten Jahren lebhaften Schwan - kungen unterworfen war.

1046Der atlantische Ocean.

Liverpool exportirte:

〈…〉〈…〉

Unter den übrigen Artikeln sind als von einiger Bedeutung noch hervor - zuheben der Export an Oelen, und zwar Palmöl, wovon 1889 297.000 q gegen 337.200 q des Jahres 1888, und Cocosnussöl, wovon im letzten Jahre 253 q gegen 4257 q des Jahres 1888 und 3823 q des Jahres 1887 ausgeführt wurden.

Unter den Farben und Farbstoffen verzeichnet Indigo den stärksten Ex - port mit 2353 q im letzten Jahre, hierauf folgt Cochenille mit 440 q in demselben Zeitraume. Dagegen ist der Export von Droguen ein ziemlich unbedeutender.

Die Ausfuhr von Gewürzen und Thee ist eine so geringe, dass eine spe - cielle Besprechung derselben überflüssig erscheint; dagegen ist der Vollständigkeit halber noch zu erwähnen der Export von

  • Kaffee ....... mit 22.094 q im Jahre 1889 gegen 27.129 q des Jahres 1888
  • Kautschuk .... 44.170 1889 38.263 1888
  • Talg und Stearin 11.777 1889 10.947 1888
  • Jute ........ 968 t 1889 790 t 1888
  • Wein ....... 2.980 hl 1889 3.392 hl 1888

ferner der Export von Früchten, und zwar Korinthen mit 3057 q und Weintrauben (getrocknet) mit 5937 q des Jahres 1889.

Mit der Anführung des Exportes roher Seide in der Höhe von 98 q (1889) und der Seidenwaaren im Werthe von 175.876 ist auch die Liste der aus - ländischen Exportartikel erschöpft.

Die bedeutende Industrie von Liverpool steht in engster Verbindung mit dem Betriebe des Handels. Daher sind hervorzuheben die Werften, auf welchen 1889 29 Schiffe mit 26.283 Netto-Tons gebaut wurden, die grossen Maschinen - fabriken, Eisengiessereien, Dampfkessel - und Messingfabriken, ferner Zucker - siedereien, Brauereien u. a. m.

Der Schiffahrtsverkehr Liverpools ist seinem enormen Handelsverkehre entsprechend ein sehr bedeutender. Es liefen daselbst aus und ein im Jahre:

〈…〉〈…〉

Unter den Schiffen fremder Nationen sind 1889 im auswärtigen Verkehre Liverpools von hervorragender Wichtigkeit: die spanischen (684.702 T), die norwegi - schen (381.875 T), die der Vereinigten Staaten (202.267 T), die deutschen (119.574 T) und die französischen (103.542 T).

Es kann nicht überraschen, dass den stärksten Verkehr Liverpool selbstver - ständlich mit den Vereinigten Staaten von Amerika hat, von wo 1889 1353 Schiffe1047Liverpool.mit 2,772.975 T ankamen und wohin 825 Schiffe mit 2,039.912 T abgingen, an diese reihen sich die Dominion of Canada (918.125 T), Spanien, Brasilien, Argen - tinien, Chile, Frankreich und gegen Osten hin Britisch-Indien (654.625 T) und Egypten.

Mannigfaltig ist die Zahl der regelmässigen Dampferverbindungen. Von hier gehen die White Star, die Cunard-Guion (seit 1840) und die Inman - Line (seit 1850) über Queenstown nach New-York (3028 Seemeilen), eine Linie nach Philadelphia, die Cunard-Line nach Boston, die Allan - und die Dominion - Line nach Canada, Neufundland und Baltimore, die West-India and Pacific Steam Ship Cy. und die Harrison-Line nach Westindien, Colon und Mexico, die Pacific Steam Navigation Cy. über Bordeaux, Lissabon nach Brasilien, La Plata, Chile und Peru, die Liverpool-Brazil and River-Plate Steamers (Lamport & Holt) nach Brasilien und La Plata, Booth Steam Ship Cy und Red Cross-Line nach Brasilien, die British and African Steam Navigation Cy. und die African Steam Ship Cy. nach Westafrika.

Liverpool ist ferner Station der Dampferlinien Nederlandsche Stoomboot - matschappy, der Union Steamship Co., der Beaver -, Leyland - und Warrenlinien, der Yorkshire Coal and Steamship Co., Alano Larrinage Co. u. a.

In Europa sind besonders wichtig die Verbindung mit Antwerpen und Rotterdam.

Nach dem bisher Gesagten wird es nicht gerade überraschen, dass Liverpool unter allen Städten Englands die grösste Handelmarine besitzt, welche die Londons beinahe um ein Drittel übertrifft, denn es besass Ende 1889 1378 Segelschiffe mit 930.841 Netto-Tons und 935 Dampfer mit 951.021 Netto-Tons, also im Ganzen 2313 Seeschiffe mit 1,881.862 Netto-Tons. Im Jahre 1846 besass die Stadt erst 1461 Seeschiffe (darunter 55 Dampfer) mit 387.000 Tons Gehalt.

Für den inländischen Verkehr von Bedeutung sind neben den zahl - reichen Eisenbahnverbindungen, wie schon erwähnt, die verschiedenen Canäle, welche Liverpool mit den grössten englischen Industriestädten verbinden und entschieden dazu beitragen, Liverpools Stellung als grössten Ausfuhrhafens zu begründen. Es sei hier nur der Liverpool-Leeds-Canal hervorgehoben, welcher den Mersey mit dem der Nordsee zufliessenden Aire verbindet. Derselbe bildet eine der grossartigsten Canalanlagen Englands, wurde vom Jahre 1770 1816 mit einem Kostenaufwande von 2 Millionen Pfund Sterling erbaut und hat eine Länge von 208 km bei einer Breite von 12 m und einer Tiefe von 1·5 m. Der neue grosse Canal für Seeschiffe, der Liverpool mit Manchester verbinden soll (Manchester - canal), wie oben erwähnt, ist im Bau begriffen.

Unter den Banken sind hervorzuheben die Bank of England, Manchester and Liverpool Dist. Banking Co., Liverpool Union Bank, North and South Wales Bank.

In Liverpool unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Brasilien (G. -C. ), Chile, Columbia, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Griechenland, Guatemala, Haïti, Hawaii, Italien, Japan, Liberia, Mexico (G. -C. ), Niederlande, Nicaragua (G. -C. ), Oesterreich-Ungarn (G. -C. ), Peru (G. -C. ), Portugal, Russland, Salvador, Schweiz, Serbien, Spanien, Türkei (G. -C. ), Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

[1048]

Cardiff.

Zwischen der Südküste von Wales und dem südöstlichen Theile von England öffnet sich der breite Bristol-Canal, im Norden von Milford Haven, im Süden an der Seite von Cornwall durch Hartland Houd markirt. Es ist ein breiter Meerbusen, dessen nördliche, die Walliser Seite, mehrere grosse, für Schiffe sichere Buchten, namentlich Milford Haven und die Buchten von Caermaerthen, Swansea und Cardiff aufweist. Im Hintergrund des Canales noch im südlichen Wales liegt etwa 3 km aufwärts des Taff-Flüsschens Cardiff, die Kohlenstadt. Hier haben die ausgezeichneten, mächtigen Gruben von Glamorganshire ihren Exporthafen, und von hier aus werden die von der Schiffahrt allüberall wegen ihrer besonderen Güte mit Vorliebe gesuchten Cardiff-Kohlen nach allen Theilen der Welt versendet. Cardiff verdankt Alles der Kohle und dem durch den Dampfbetrieb so ungeheuer gesteigerten Bedarf nach diesem Brennstoffe. Noch im Jahre 1830 zählte Cardiff rund 6000 Einwohner, zu Anfang des Jahrhunderts waren deren gar nur 1000 vorhanden. Heute ist Cardiff der erste Kohlenhafen der Welt, seine Bevölkerung auf 130.000 Seelen angewachsen.

Cardiff (das Caer , oder Schloss, am Taff) ist ein alter Ort, insoferne als sich daselbst seit undenklichen Zeiten eine Siedelung befand und man sogar von einer römischen Station daselbst wissen will. Die Geschichte der Stadt und ihr Name knüpft an das Cardiff Castle an, welches lange vor der Normannenzeit bestand und als Besitz ansehnlicher Feudalherren auch heftige Kämpfe um seine Mauern und nicht minder gewaltsame Scenen innerhalb derselben sah. Das Schloss ist heute Eigenthum des Lord Bute und wurde im Laufe dieses Jahrhunderts einer gründlichen Restaurirung unterzogen.

Die Stadt Cardiff hat selbstverständlich einen modernen Charakter, aber was der Annehmlichkeit der Stadt Abbruch thut, ist eben das - jenige, wovon sie lebt, die Kohle. Man könnte Cardiff auch die schwarze Stadt nennen; man sieht nichts als Kohle, Kohlenstaub oder kohlengeschwärzte Gesichter und spricht von nichts als von der Kohle. 1049Cardiff.Dies schliesst natürlich nicht aus, dass Cardiff eine Anzahl ansehn - licher öffentlicher Gebäude besitzt. Der Schwerpunkt des öffentlichen Lebens liegt am Hafen und in den Docks, deren es, wie unser Plan zeigt, sieben gibt, zusammen mit einem Areal von 51 ha und einer Quaientwicklung von rund 10·7 km.

Der verstorbene Marquis of Bute, der Besitzer des Bodens von Cardiff, war der Erbauer der Docks und überhaupt der Begründer des heutigen Aufschwunges der Stadt.

Cardiff.

Die Docks sind mit allen für das Laden von Kohlen erforder - lichen Einrichtungen bestens versehen.

Für die Vortrefflichkeit der Einrichtungen spricht die That - sache, dass ein Schiff von 2000 T Gehalt, mit Hochwasser einlaufend, nur 24 Stunden benöthigt, um den Ballast zu löschen und Kohlen - ladung einzunehmen, so dass dasselbe schon am folgenden Tage mit Hochwasser wieder in See gehen kann.

Ausser Kohle gelangt in denselben namentlich noch Eisen zur Verschiffung. Seiner Natur nach ist Cardiff ein Exporthafen, in wel - chem viele Schiffe, die anderswo ihre Ladung löschten, leer ein - laufen, um Kohlen zu nehmen, und dieser Umstand trägt natürlichDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1321050Der atlantische Ocean.das Seinige dazu bei, dass auch in der Einrichtung der Docks auf die Bedürfnisse dieses Exportartikels vorwiegend Rücksicht ge - nommen ist.

Die Zufahrt nach Cardiff ist für grössere Schiffe sowohl über die seichte Rhede wie aufwärts am Taff-Flüsschen nur bei Hochwasser möglich. Dieses erreicht hier aber die enorme Höhe von 11·4 m über dem Ebbestand, gestattet daher den Verkehr der grössten Ocean - dampfer. Doch ist die Zufahrt nicht ohne Gefahren.

Die Bedeutung von Cardiff steht in engem Zusammenhange mit den Gruben von Wales, jede Fluctuation in denselben wirkt auf den Verkehr der Stadt zurück, und der günstigste Umstand, dessen man bisher sich immer noch erfreuen konnte, liegt in der noch un - übertroffenen Qualität der Cardiffer Kohle. Würde hierin anderswo eine bedenkliche Concurrenz entstehen, dann könnte freilich Cardiff seinen heutigen Rang nicht mehr so aufrecht behaupten.

Neuestens wird nächst der 15 km südwestlich von Cardiff ent - fernten Küsteninsel Barry eine weitere Hafenanlage gebaut, weil der in Cardiff riesig anwachsende Verkehr nicht mehr in einem Hafen bewältigt werden kann.

Die Barry-Docks, welche mit 40 ha Fläche zu den grössten in England gerechnet werden, sind die Unternehmung einer Privat - gesellschaft, Barry Dock and Railway-Company , welche auch den Bau einer 27 km langen Eisenbahn zur Verbindung des neuen Hafens mit dem Kohlendistricte in Angriff genommen hat. Die Ein - fahrt in die Barry-Docks liegt an der Ostseite der Barry-Insel und wird durch zwei Wellenbrecher geschützt, welche einen Canal von 107 m Breite und 443 m Länge bis zum eigentlichen Fluthafen (Dock) bilden. Schleussen werden das grosse Bassin und die Vor - kammer desselben abschliessen. Die Baukosten dürften etwa 9 Millionen Gulden betragen. Die Dockbauten wurden im November 1884 be - gonnen und waren 1889 nahezu vollendet.

Die Barry-Docks haben gegenüber Cardiff den Vortheil, dass die Zufahrt mit geringeren Schwierigkeiten verbunden ist, deshalb steht zu erwarten, dass die neue Anlage für die alte Rivalin eine gefährliche Concurrentin werden wird.

Die folgende Tabelle stellt die Handelsbewegung Cardiffs von 1887 bis 1889 dar:

〈…〉〈…〉
1051Cardiff.

Cardiff ist der erste Kohlenausfuhrhafen Englands. 86 Percent des Gesammtwerthes der Ausfuhr inländischer Erzeugnisse entfallen auf Kohle. Es wurden von hier im Jahre 1889 9,482.380 t im Werthe von 5,615.810 ausgeführt. Vergleicht man diese Zahlen mit dem Kohlenexport des ganzen Vereinigten König - reiches, welcher 1889 auf 27,944.989 t veranschlagt wird, so findet man, dass Cardiff den dritten Theil desselben allein besorgt. Im Jahre 1888 wurden 8,883.568 t, 1887 7,789.266 t Kohlen ins Ausland verschifft. Nach britischen Häfen gingen 1889 1,220.500 t.

In der Einfuhr Cardiffs ist Getreide der vorherrschende Artikel. Es importirte:

〈…〉〈…〉

Zu bemerken ist, dass die Einfuhr von Mehl, die bei anderen Häfen eine beträchtliche Summe aufweist, in der Importliste Cardiffs ganz unbedeutend ist.

Auch der Import von Provisions ist ein nicht bedeutender und findet sein Schwergewicht in der Einfuhr von Kartoffeln mit 87.600 q im Jahre 1889 gegen 109.300 q des vorhergehenden Jahres.

Dagegen steht Cardiff unter allen englischen Häfen in der Einfuhr von Eisenerz unerreicht da. Von der gesammten englischen Einfuhr, die sich in diesem Artikel auf 4 Millionen t beläuft, entfiel auf Cardiff im Jahre 1889 der sechste Theil mit 643.430 t. Cardiff ist eben einer der ersten Plätze der Erde, wo Erze den billigen Brennstoff aufsuchen, um verhüttet zu werden. Nach Cardiff kommen nicht nur Erze aus dem kohlenarmen Schweden, sondern ebenso aus dem Caplande, Chile und Australien.

An anderen Metallen importirte Cardiff im letzten Jahre 2516 t Kupfer, 6738 t Pyrite von Eisen und Kupfer.

Die Einfuhr der verschiedenen Düngemittel belief sich 1889 auf 1026 t, die von diversen für die Papierfabrication nothwendigen Materialien auf 24.614 t.

Einen wichtigen Theil des Importes bildet Petroleum mit 42.887 hl.

An Bau - und Brennholz importirte Cardiff 816.380 m3 (1889).

Nächst Kohle sind die verschiedenen Erzeugnisse der Metallindustrie in der Ausfuhr von massgebender Bedeutung, weil in der Nähe und bei Merthyr Tydfeil grosse Eisenwerke sind. Es belief sich im letzten Jahre der Export von Eisen in verschiedener Bearbeitung auf 15.691 t im Werthe von 71.780 , von Eisenbahnschienen auf 50.205 t im Werthe von 256.341 , von unverarbeitetem Stahl auf 3665 t im Werthe von 16.164 , der von Eisen - und Stahlfabricaten auf 6703 t im Werthe von 75.467 , von unverarbeitetem Kupfer auf 4930 q im Werthe von 25.362 und der von verarbeitetem Kupfer auf 4190 q im Werthe von 21.220 . Der Werth der exportirten Maschinen belief sich auf 25.830 und der der Werkzeuge auf 2207 .

Die Erzeugnisse der Textilindustrie sind in der Ausfuhr Cardiffs 1889 am stärksten vertreten durch Baumwollfabricate mit 23,034.036 m im Werthe von 286.944 .

132*1052Der atlantische Ocean.

Unter allen anderen Ausfuhrsartikeln des Jahres 1889 ist die von Feuer - waffen aller Art, deren Werth auf 35.742 veranschlagt wird, die grösste.

Nachstehend geben wir eine Zusammenstellung von Cardiffs Schiffs - verkehr.

〈…〉〈…〉

Neben der englischen Flagge sind (1889) im auswärtigen Verkehre be - sonders wichtig die norwegische (572.413 T), die französische (480.134 T), die deutsche (255.174 T) und die italienische (216.523 T) Flagge.

Durch seine Kohlenausfuhr unterhält Cardiff einen directen Schiffsverkehr mit allen Welttheilen. Es besitzt selbst eine ziemlich grosse Flotte (Ende 1889) von 161.436 Netto-Tons.

Ausser Cardiff sind an der Südküste von Wales noch zu nennen Milford Haven an der Südwestspitze des Landes, über den viel - leicht in Zukunft die englisch-nordamerikanische Post geleitet werden dürfte, die jetzt über Holyhead-Dublin-Queenstown geht. Weiter gegen Osten folgt Swansea (1889) mit einem Exporte einheimischer Pro - ducte von 3,545.710 .

Dieser berühmte Sitz der Weiss - und Schwarzblecherzeugung, der Kupfer - und chemischen Industrie sendet (1889) ins Ausland allein 86.940 q Eisen - und Stahlwaaren, 92.184 q unverarbeitetes und 2.872 q verarbeitetes Kupfer, für 146.607 chemische Producte und 1,276.300 t Kohlen.

Die Einfuhr besteht aus Kupfer -, Zink - und Eisenerzen, dann aus Pyriten von Spanien und Algier, ferner aus Getreide und Mehl. Aus dem Inlande stammen Eisen und Maschinen. Die Ausfuhr im Küstenhandel betrug 1889 2,580.000 .

Der Schiffsverkehr erreichte 1889 12.798 Schiffe mit 2.782.045 t.

Im östlichen Theile des Canals von Bristol mündet an der Nordseite das vielfach gewundene Flüsschen Usk, an dessen rechtem Ufer etwa 4 km von der See entfernt der aufblühende Seehafen Newport mit 35.385 Einwohnern liegt.

Legende zum Plan von Cardiff. A Zufahrt nach Cardiff, B Ebbestrand, C Glamorganshire-Canal, D Bute West-Dock, E Rosth-Bassin, F Leuchtfeuer, G Dowlais Stahlwerke, H Castell, J Gefängniss, K Schulschiff Havannah , L Eisen - bahnstation, M Gaswerk, N Eisenwerk, O Wasserwerke und Reservoir, P Polizeistation, Q Werfte, R Zollamt, S Royal-Hôtel, T Kettenbrücke, U Ueberfuhr, V Steinbruch, W Maschinenhaus, X Dockhôtel, Y Rettungsboothaus, Z Küstenwache. 1 Krankenhaus, 2 Wellington Street, 3 St. Mary Street, 4 Queen Street, 5 Kupferwerke, 6 Batterie.

[1053]
Cardiff (Massstab 1: 36.600; Sonden in Metern bei Ebbe).

(Legende siehe auf Seite 1052.)

1054Der atlantische Ocean.

Der steigende Export namentlich in Eisen und Kohle begünstigte die Anlage von geräumigen Docks, deren grösstes, das Alexandra - Dock, wenn vollendet, eine Erstreckung von fast 2 km aufweisen wird.

Auch hier sind die Gezeiten mit ihren enormen Niveauunter - schieden für die Schiffahrt und den Verkehr mit der offenen See von grossem Vortheil, indem die 10·8 m ansteigende Flut selbst den grössten Oceandampfern die Passage über die längs der Küste ge - legenen Niederungen und die Fahrt auf dem Usk-Flüsschen gestattet.

Newport ist ein wichtiges Eisenbahncentrum des Bergwerk - betriebes von Süd-Wales und steht selbstverständlich mit dem 17 km südwestlich gelegenen Cardiff in Verbindung.

Ueber die Stadt selbst ist nur Weniges zu berichten. Sehens - werth ist die St. Woollos-Kirche mit normannischem Innern, dagegen sind von dem im XI. Jahrhundert erbauten Schlosse nur unbedeutende Ueberreste zu sehen.

Sein Schiffsverkehr war 1889 auf 18.221 Schiffe mit 4,339.290 t gestiegen.

Cardiff ist Station der Great Northwestern und Midland Railway. Es be - sitzt Filialen der London and Provincial Bank und der National Provincial Bank of England.

In Cardiff haben Consulate: Argentinien, Belgien, Costarica, Deutsches Reich, Frankreich, Haïti, Hawaii, Liberia, Mexico, Oesterreich-Ungarn, Peru, Spanien, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

[1055]

Bristol.

Der breite Severnfluss mündet in ein weitgedehntes Wasser - becken, den Canal von Bristol, welcher höchst günstig für die Schiff - fahrt gelegen ist, weil er tief in das südwestliche England hinein - schneidet und dadurch vielfache Punkte dem Seeverkehr zugänglich macht. An der südlichen Seite des Severn, kurz vor seinem Eintritt in den genannten Canal mündet der Avon, und an diesem Flusse wuchs vor Alters die Stadt Bristol empor, um in der maritimen und commerziellen Entwicklung Englands immer eine ansehnliche Rolle zu spielen. Aber diese langgezogene Severnbucht bildet andererseits ein grosses Hinderniss für den directen Landverkehr zwischen London und dem eisen - und kohlenreichen Südwales, welches durch den 1885 eröffneten und 7079 m langen Severn-Tunnel zwischen Portskewet, das östlich von Newport liegt, und Northwick auf der Seite von Bristol zum Theile unschädlich gemacht wurde.

Die Anfänge Bristols reichen weit zurück, und wenn uns auch keine ganz verlässlichen Nachrichten aus den Zeiten vor den Normannen vorliegen, ja wenn sogar im Domesdaybook des Ortes keine Erwähnung geschieht, so steht es doch ausser Zweifel, dass Bristol schon unter den Sachsen bestanden hat und ein nicht unwichtiger Ort war, wie denn auch unter des Eroberers erstem Nachfolger ein heftiger Kampf um Bristol Castle entbrannte, das also schon eine wichtige Po - sition gewesen sein muss. Seither wird Bristol oftmals genannt und erhielt im XIV. Jahrhundert eine eigene Stadtverfassung. König Richard II. hielt dort 1387 grosses Hoflager, was für das Ansehen des Ortes spricht, und um das Jahr 1500 berichtet ein italienischer Reisender, dass Bristol und York nächst London die bedeutendsten Orte des Königreiches seien. Die Leute von Bristol entwickelten grosse Thätigkeit sowohl auf dem Gebiete des Gewerbes als auch des Handels und benützten die durch den Avon gebotene Verbindung mit der See für die An - knüpfung maritimer Verbindungen. Bewegte Tage kamen für Bristol, welches im Mittelalter ganz besonders reich an Kirchen und kirchlichen Niederlassungen ge - wesen ist, in den Zeiten der Reformation, harte Stürme hatte es aber während der grossen Revolution zu bestehen, wo um Bristols Besitz die Königlichen und Parlamentarier im Kampfe lagen und die Stadt eine harte Belagerung zu über - stehen hatte.

1056Der atlantische Ocean.

Im XVII. Jahrhundert aber galt Bristol als erste Seestadt Englands, welche Stellung die Stadt namentlich dem Handel nach dem Westen, mit den neuen amerikanischen Colonien verdankt. Die Leute von Bristol haben noch früher als jene von Liverpool herausgefunden, dass der Handel mit der schwarzen Waare von Afrika sich sehr passend in den Verkehr mit Amerika einschiebe, und haben dabei recht viel Geld ins Verdienen gebracht. So stieg das Ansehen der Stadt durch das ganze XVIII. Jahrhunderte hindurch aufwärts, bis sich seither neben Bristol so manche Concurrenten jüngeren Alters unter zum Theil günstigeren Umständen emporarbeiteten, so dass unsere Stadt, wenn auch nicht zurückgedrängt, doch nicht dasselbe Tempo der Weiterentwicklung einhalten konnte wie früher.

Das alte Bristol schildert man uns als eine fest ummauerte, mit 23 Thürmen bewehrte Stadt, reich an Kirchen innerhalb des Weichbildes, während auch ausserhalb geistliche Herren ihre Sitze hatten; kurz, das alte katholische Bristol war so die richtige Kirchen - und Klosterstadt. Seither ist Bristol weit über die alten Grenzen hinausgewachsen und hat sich gegen die Höhen zu ausgedehnt, welche es umrahmen, so dass die ganze Stadt ein sehr freundliches Bild darbietet. Die Stadtmauern sind längst gefallen und haben modernen Anlagen Platz gemacht, aber die Spuren, dass man sich hier auf historischem Boden bewegt, werden allenthalben sichtbar. Bristol zählt gegenwärtig 230.000 Einwohner und ist durch die glückliche Mischung von Historischem und Modernem eine der interessantesten Städte Grossbritanniens, ja in gewissem Sinne ein Abbild des englischen Nationalcharakters, in dem sich Ueberliefertes und Neues so vielfach harmonisch ausgeglichen finden.

Die eigentliche Stadt liegt am rechten Ufer des Avon unter 51° 27′ nördl. Br. und 36′ östl. L. v. Gr. In seinem alten Laufe machte der Avon ein starkes Knie, welches man mittelst eines Durchstiches regulirt hat; dadurch wurde dem Flusse nun ein mehr gerader Lauf gegeben (Newcut Avon); sein altes Bett wurde aber für Zwecke der Schifffahrt verwendet, so dass daselbst eine Art innerer Flusshafen (Floating Harbour) entstanden ist. Dieser ist abwärts durch das mit Schleussen versehene Cumberland-Bassin geschlossen, während an seinem oberen Theile das Bathurst-Bassin liegt, und hat eine Reihe von guten Anlagestellen für die Schiffe, sowie auch einige kleine Docks von minderer Bedeutung.

Der Umstand, dass die Gezeiten im Canal von Bristol riesige Nievauunterschiede hervorbringen, ist die Ursache, dass der kleine Avonfluss bei Hochwasser selbst für die grössten Oceanschiffe ge - nügendes Wasser führt und auch das Hafenbecken von Bristol tiefes Wasser besitzt. An der Mündung des Avonflusses bei King Road1057Bristol.(Portishead) steigt nämlich die Flut auf die gewaltige Höhe von 12·1 m.

Der eigentliche Hafen von Bristol hört bei Bristol Bridge auf, über welche man in die City, die alte Stadt, gelangt. Hier bilden immer noch vier kreuzweise liegende Strassen High Street und Broad Street, Wine Street und Corn Street den Kernpunkt und bezeichnen zugleich das Gerippe, um welches die alte Stadt gelegen war. Betrachten wir nun die vornehmsten Denkmäler älterer Zeit, so

Bristol.

ist vor Allem der jetzigen Kathedrale zu gedenken, welche ihre Stiftung auf das Jahr 1142 zurückführt und in der man die Grabstätten einer Reihe älterer Barone des Reiches, namentlich aus der Familie der Berkeley findet. Alt sind ferner die Kirchen von St. Marcus und St. Mary, welche beide aus dem XIII. Jahrhundert stammen. Doch müssen wir es uns versagen, auf den Kirchenreichthum Bristols des Näheren einzugehen. Auch viele Privatgebäude weisen ein grosses Alter auf, und an einige knüpft sich besonderes Interesse, so an ein Haus an der Ecke der High und Wine Street, von dem man erzählt, dassDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1331058Der atlantische Ocean.es in einzelnen Stücken aus Amsterdam herübergebracht und an seinem jetzigen Standorte wieder zusammengesetzt worden sei. In der City ist auch das schon 1740 errichtete Börsengebäude gelegen, welches im korinthischen Style gehalten ist, dann die 1846 neu erbaute Guildhall, an Stelle eines alten, demselben Zwecke gewid - meten Gebäudes, welches im XIV. Jahrhundert der Schauplatz eines heftigen, blutigen Zusammenstosses zwischen den Bürgern und Leuten der Stadtbesetzung gewesen war. In King Street liegt das 1764 eröffnete Theater, dessen Bau Garrick überwachte und von welchem er behauptete, dass es in seinen Dimensionen das beste von ganz Europa sei. Und weiter findet der Wanderer, wenn er in Be - gleitung eines der Stadtgeschichte kundigen Mannes die älteren Stadt - theile durchzieht, an vielen Orten Erinnerungen von Interesse, welche es ihm gestatten, sich mit dem Wesen einer englischen Stadt ver - gangener Zeiten mehr als anderswo bekannt zu machen. Aber die Gegenwart hat um all diese Zeichen der Vergangenheit einen weiten und schöneren Kranz gezogen, und nach allen Richtungen breiten sich um die City die Anlagen aus, welche Bristol dank seiner Lage zu einer so überaus freundlichen Stadt gestalten.

Eine regelmässige Form haben die neuen Theile der Stadt nicht, dies war schon mit Hinblick auf die Terrainformation nicht möglich, und ebenso zeichnen sich die neuen Anlagen durch besondere archi - tektonische Punkte nicht sonderlich aus, wenn auch einzelne öffent - liche Gebäude einen ganz guten Eindruck machen. Man hat aber das Gefühl, in einer Stadt zu sein, wo eine gewisse Behäbigkeit und seit altersher Wohlhabenheit herrschen. Reichlich ist auch für Parks, dem allgemeinen Sinn der Engländer für die grüne Natur entsprechend, vorgesorgt, und insbesondere geniesst man die An - nehmlichkeiten derselben rings an der Peripherie der Stadt; wohl fehlen auch in diesem Stadtbilde die hohen Schornsteine nicht, denn Bristol ist auch durch seine sehr entwickelte Industrie von grosser Bedeutung. Sehr bedeutende Werke bestehen für die Erzeugung von Glaswaaren, Tabak, Seife, Wachstuch, Nadeln, Ketten, Nägeln, Maschinen. Eine Specialität sind die Bristoler Diamanten , aus rothem und gelbem, in der Nähe gefundenem Spat gearbeitet.

Wenn wir nun die Schiffahrtsverhältnisse noch einmal ins Auge fassen, so wäre es ganz unstreitig für Bristol günstiger gewesen, wenn die Stadt an der Mündung des Avon selbst angelegt worden wäre, aber durch die oben besprochene Flussregulirung ist dem Uebelstande abgeholfen. Die Zufahrt nach King Road, auch Portishead genannt,1059Bristol.bietet den Schiffen keine Schwierigkeiten, denn der Canal von Bristol ist tief und, wie unser Plan zeigt, gut beleuchtet und betonnt. King Road ist die Rhede von Bristol. Hier ankern die Schiffe im 9 bis 11 m tiefen Wasser, um mit der Flut nach Bristol selbst zu dampfen.

Es wurde schon erwähnt, dass Bristol einst nächst London der grösste englische Hafen war, jedoch heute von mehreren anderen übertroffen wird. Diese Ueberflügelung geschah gewiss ohne Ver - schulden der rührigen Bristoler Kaufleute, welche immer voran waren; so z. B. zeichnet sich Bristol dadurch aus, dass es (1838) den ersten Dampfer von Europa nach Amerika sendete. Der Handel Bristols ist noch immer Welthandel und besonders lebhaft mit Irland, Neufund - land, Westindien, den Vereinigten Staaten, Spanien und Portugal.

Die Bedeutung Bristols als Handelshafens liegt in seinem Importe, während der Export sowohl heimischer als fremder Producte nicht besonders in die Wag - schale fällt. Es geht dies namentlich aus der nachstehenden Zusammenstellung des gesammten Handelsverkehres während der letzten drei Jahre hervor.

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Die erste Stelle in der Einfuhr nimmt Getreide ein, so zwar dass Bristol in Bezug auf die Importmengen dieser Gruppe nur von London, Liverpool und Hull übertroffen wird. Getreideeinfuhr während der letzten drei Jahre:

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Die verschiedenen anderen Nahrungsmittel bilden ferner einen nicht un - wesentlichen Theil des Importes Bristols. Derselbe betrug:

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Der Import lebender Thiere betrug 19.209 Stück Ochsen, Kühe und Kälber und 8160 Schafe und Schweine.

An Früchten importirte Bristol während des letzten Jahres 14.000 q Korinthen, 9600 q Trauben und 56.317 hl Orangen und Citronen. Die Einfuhr von Zwiebeln betrug 22.429 hl.

Ziemlich bedeutend ist der Zuckerimport, welcher im Jahre 1889 393.300 q raffinirten und 167.100 q unraffinirten Zuckers umfasste.

133*1060Der atlantische Ocean.

Hervorzuheben ist ferner der Import von Cacao mit 6258 q.

Die Einfuhr von Tabak in unverarbeitetem Zustande erreichte 1889 3264 q.

Unter den Oelen behauptet Palmöl mit 9260 q die erste Stelle.

Wein und Spirituosen verzeichnen eine lebhafte Einfuhr. Die Menge des bezogenen Weines belief sich 1889 auf 20.314 hl, die der gesammten Spiri - tuosen, unter denen Rum und Branntwein vorherrschen, auf 20.126 hl.

Einen der wichtigsten und quantitativ stärksten Importartikel Bristols bildet Petroleum mit 321.800 hl im Jahre 1889 gegen 323.970 hl des vorher - gehenden und 287.600 hl des Jahres 1887; Salpeter erreichte 1889 26.100 q.

Der Metallimport Bristols kann wohl mit dem anderer englischer Häfen nicht concurriren, ist jedoch immerhin der Berücksichtigung werth. Den stärksten Import dieser Gruppe verzeichnete im letzten Jahre Zink (roh und verarbeitet) mit 76.500 q, an zweiter Stelle stehen Pyrite von Eisen und Kupfer mit 14.300 t, welchen sich verschiedene Eisen - und Stahlfabricate mit 26.500 q an - schliessen.

Bristol importirte ferner 1889 an verschiedenen Düngemitteln 10.990 t. In der gleichen Zeitperiode bezog es 34.600 q roher Häute und 14.146 q Leder.

Glas aller Art erreichte im letzten Jahre die Einfuhrsziffer von 31.840 q, Papier aller Sorten die von 7094 q.

Die Einfuhr von Holz in gefälltem, gesägtem und gespaltenem Zustande wird auf zusammen 184.600 m3 veranschlagt.

Den Ausfuhrhandel Bristols in inländischen Erzeugnissen charakterisirt der Export von Metallen. Derselbe beziffert sich dem Werthe nach auf 860.911 während des Jahres 1889 und umfasst daher rund circa 80 % der Gesammtausfuhr

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Die anderen wichtigeren Exportartikel Bristols waren 1889 Oelsamen mit dem Gewichte von 2310 t im Werthe von 50.576 , chemische Fabricate und Präparate im Werthe von 19.895 , chemische Düngemittel für 18.052 .

Die Wiederausfuhr ausländischer und colonialer Producte findet ihr Schwer - gewicht in dem Exporte von Tabak und von Palmöl, letzteres mit 10.700 q.

Bristol ist Knotenpunkt mehrerer Bahnen.

Legende zum Bristolcanal. A Barry-Dock, B Cardiff Grounds, C English Grounds, D English Stomes, E Blaize Castle, F Leucht - feuer, F1 Leuchtschiff, G Bahnhöfe, H Landungsstege, J Avon-Fluss, K New cut Avon, L Floating Harbour, M Cumberland-Bassin, N Floating-Dock, O Gaswerk, P Spitäler, Q Bradon Hill, R Tyndalls Park, S Queen Square, T Theater, U Pembroke Road, V Queens Road, W Harfield Road, X St. Michaels Hill, Y Cotham Hill, Z Clifton Hill. 1 Regent Street, 2 Park Str., 3 Maudlin Str., 4 Milk Str., 5 Castle Str., 6 West Str., 7 Clare Str., 8 High Str., 9 Victoria, 10 Bath Parade, 11 Broadmead.

[1061]
Bristolcanal und Bristol (Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 1060.)

1062Der atlantische Ocean.

Der Schiffsverkehr Bristols war folgender:

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Die wichtigsten Bankinstitute in Bristol sind: die Bank of England, London and Southwestern Bank, National Provincial Bank of England, Wiltshire and Dorsetshire Banking Co.

In Bristol unterhalten Consulate: Belgien, Hawaii, Liberia, Portugal (G. -C. ), Vereinigte Staaten von Amerika.

[1063]

Southampton.

An der Südküste von England, gedeckt durch die liebliche Insel Wight, den heute bevorzugten Sommeraufenthalt der königlichen Familie und Tausender wohlhabender Leute des Landes*)Der anmuthige Villenort West-Cowes auf der Insel Wight ist das Hauptquartier des grossen englischen Yachtclubs Royal Yacht Squadron , welcher hier seine berühmten Wettfahrten veranstaltet., befinden sich mehrfache Einbuchtungen, welche der Schiffahrt grosse Vortheile gewähren und an denen sich bedeutende Hafenplätze entwickelt haben. In erster Linie steht jener tiefe Einschnitt (Southampton Water), in dessen Hintergrund unter 50° 54′ nördl. Br. und 25′ westl. L. v. Gr. die Stadt Southampton gelegen ist und der schon den Römern als Portus Trisantonis bekannt war. Ostwärts von dieser Bucht liegt heute der grosse Kriegshafen Portsmouth mit der bei Flotten - versammlungen oftmals genannten Rhede von Spithead.

Southampton war stets ein wichtiger Seeplatz, weil es die Verbindung mit der jenseitigen Küste sehr erleichterte. Darum haben die Römer dort ein festes Standquartier errichtet, welches Clausentum benannt war und von dem sich mancherlei Ueberreste in der Umgegend der heutigen Stadt vorfinden. Auch die Angelsachsen, zu deren Reich Westsex der Landstrich zählte, hielten die römische Niederlassung in Stand und hatten in Hamdun einen ansehnlichen Ort, welcher schon sich einer gewissen Handelsthätigkeit erfreute, von ihrem Könige mancherlei Begünstigungen erhielt, der aber auch unter den Einfällen der Dänen mehrmals zu leiden hatte. Der grosse Dänenkönig Knut nahm in Hamdun sogar mit Vorliebe Residenz. Als die Normannen England erobert hatten, ward ihnen der damals bereits unter seinem heutigen Namen erscheinende Platz deshalb von grosser Wichtigkeit, weil sie von dort aus rasch und sicher nach ihren Besitzungen auf der anderen Seite des Canales verkehren konnten. Unter diesen Verhältnissen entwickelte sich daselbst ein reges Leben, welches durch das ganze Mittelalter hindurch bis auf unsere Tage anhielt.

Schon früh wird uns berichtet, dass mit Southampton nicht nur Kaufleute des benachbarten Continentes, sondern auch solche aus Genua und Spanien in Verbindung getreten waren. Freilich hatte die Stadt infolge ihrer Lage auch unter den Kriegen zu leiden, welche England mit Frankreich und Spanien führte.

1064Der atlantische Ocean.

Wie so viele Seeplätze hat auch Southampton neben Zeiten grosser Blüthe Tage des Rückganges gesehen. Die commerzielle Be - deutung Southamptons sank, als der Handel nach Amerika sich ent - wickelte, diesen Liverpool und Bristol an sich rissen und so das maritime Schwergewicht im englischen Handel vom Canale an die Westküste verlegt wurde. Aber die Entwicklung der Dampfschiffahrt und des Eisenbahnwesens hoben Southampton doch wieder zu einer günstigen Stellung empor, weil es am Canal einen guten, mit dem Inlande nach allen Richtungen hin verbundenen Hafen besass und weil von dort aus für viele Schiffahrtslinien sich ein günstiger Aus - gangspunkt eröffnete. Für den Verkehr nach Westen war es immerhin ein Vortheil an Zeit und Sicherheit, wenn man einen Theil der Passage durch den Canal in Ersparung brachte und bei Southampton die See erreichte, beziehungsweise schon das Land gewinnen konnte. Und darum hat sich Southampton zu einem sehr bedeutenden Durch - gangspunkt für die grossen überseeischen Linien entwickelt.

Jene Bucht des Southampton Water, deren wir vorher Er - wähnung gethan haben, theilt sich in ihrem Hintergrunde in zwei Theile, in welche die Stadtanlage scharf vorspringt; der eine östliche wird durch den Ausfluss des Itchen-Flusses, der andere westliche durch jenen des Test-Flusses gebildet. Dadurch gewinnt die ganze Stadt eine halbinselförmige Gestalt, deren südlichster Theil die eigentlichen und wichtigsten Hafenanlagen enthält.

Betrachten wir nun diese Anlagen, so finden wir auf der Test - Seite zunächst den Royal Victoria Pier und dann, mit diesem eine Art von Bassin bildend, den Town Pier; an der Wurzel des letzteren ist das Hafenamt gelegen, und zwischen beiden zieht sich der schon aus alter Zeit her bestehende Town-Quai hin, welcher durch das Prinz Albert-Monument geziert ist. Geht man diesen Quai entlang, so erreicht man die Dockanlagen, welche durch die Canal Road von der Stadt geschieden sind. Verfolgt man die oben erwähnte Strecke weiter, so erreicht man die Bai des Itchen. Die Docks, welche von einer eigenen Gesellschaft verwaltet werden, liegen auf einer Landzunge, deren Basis ungefähr durch eine vom erwähnten Quai und der Canal Road gezogene Linie gebildet wird. Westlich an der Einfahrt von Itchen her ist das sogenannte offene Dock (Open Dock) mit einer Wasserfläche von 6·5 ha und mit 5·6 m Tiefe bei Ebbe und 9·5 m bei Flut in einer ziemlich regelmässigen Form. Das - selbe ist von verschiedenen Schuppen und Magazinen umgeben und mit Krahnen gut ausgestattet. An der Südseite dieses Docks sind1065Southampton.drei grosse Trockendocks für Schiffsreparaturen nebeneinander ange - legt worden. Aus diesem östlichen Dock gelangt man durch eine Kunstschleusse mit Kammer in das vollkommen geschlossene west - liche Dock (Close Dock), welches ein reguläres Viereck bildet und eine Wasserfläche von 4 ha bei 8·5 m Tiefe hat. Dieses Dock ist ebenso wie sein Nachbar ausgestattet, hat aber an der Westseite drei Molen, während jener nur über einen verfügt. Hinter den Molen be - findet sich ein Holzlagerplatz.

Southampton.

Am Südende der Landzunge zeigt sich uns ein drittes Dock mit einer Wasserfläche von 7·3 ha, dessen Ufer gleichfalls grosse Speicher umgeben. Bei diesem Dock, welches auf 15 ha er - weitert werden soll, gibt es auch einen Viehhof für importirtes Vieh mit den nothwendigen Einrichtungen zur Abhaltung der bei Vieh - seuchen etwa erforderlichen Quarantainen. Alle Docks sind mit Schienengeleisen versehen, welche mit der unmittelbar am Canal Road gelegenen Hauptstation der South Western Railway in Ver - bindung stehen.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1341066Der atlantische Ocean.

Verlässt man die Docks auf der Itchen-Seite, so zieht sich das Ufer in nördlicher Richtung entlang, und längs desselben sind zahl - reiche Quais und Anlageplätze für Schiffe vorhanden, sowie einige Werften. Hier wickelt sich ein grosser Theil des Schiffsverkehres, welcher von den Docks allein nicht bewältigt werden kann, ab und herrscht ununterbrochen die regste Thätigkeit. Der schönere Theil des Ufers liegt auf der Test-Seite, wenn man vom Royal Pier sich nördlich wendet. Dort sind auch die Seebäder, welche im Sommer einen An - ziehungspunkt von Southampton bilden.

Die Stadt zählt mit ihren Vororten eine Bevölkerung von 100.000 Seelen. Nicht der Lage, aber der Bedeutung nach bildet High Street die grosse Axe der Stadt, welche von Süd nach Nord, vom Town Quai beim Town Pier bis zum Bar Gate, einem alten Thorweg, zieht und sich dann zum oberen Stadttheile fortsetzt. In dieser sehr hübschen Strasse liegt eine Reihe ansehnlicher Ge - bäude, so das naturwissenschaftlichen Studien gewidmete Hartley - Institute, das Municipalgebäude, das Postamt, die Holyrood-Kirche, welche im XIV. Jahrhundert erbaut ward, angeblich aber an ein angelsächsisches Bauwerk anknüpfte. High Street war auch der Kern der alten Stadt Southampton. Parallel mit High Street zieht sich French Street hin, welche Strasse davon ihren Namen hat, weil sich in derselben einstens zumeist die aus der Normandie gekommenen Kaufleute niedergelassen hatten. Mehrere andere Strassen laufen noch ziemlich parallel mit den beiden genannten von Süd nach Nord und markiren das Hauptgerippe der Stadt, zu deren Wahrzeichen mehrere schöne Parkanlagen gehören, so der durch eine Statue Lord Pal - merston’s gezierte East-Park, dann der Queenpark, nahe dem Town Quai.

Im nördlichen Theile der Stadt befindet sich das grosse Eta - blissement der Ordnance Survey, welches mit der Durchführung und Evidenzhaltung der Landesaufnahme des ganzen Königreiches betraut ist und in dem die verschiedenen Karten hergestellt werden. Es ist eine grosse, mit allen Anforderungen moderner Wissenschaft und Technik ausgerüstete Anstalt, welche früher im Tower zu London ihren Sitz hatte, seit 1841 aber nach Southampton verlegt worden ist. Beim Ordnance Office beginnt die sogenannte Avenue, einst eine Allee herrlicher Ulmen und eine Zierde der Stadt, deren Bäume jedoch grösstentheils durch eine Art von Bohrwurm zerstört worden sind.

Southampton ist heute vor Allem ein Hafen, in welchem einer - seits mehrere grosse Dampferlinien für den indischen, australischen, afrikanischen und südamerikanischen Dienst ihren Ausgangspunkt haben1067Southampton.und woselbst andererseits die nach Amerika gehenden Dampfer deutscher und holländischer Gesellschaften anlegen. Ausserdem ist es der natür - liche Punkt für den Verkehr mit der Insel Wight geworden, welcher zur Sommerszeit eine ganz erstaunliche Lebhaftigkeit aufweist. So erklärt sich die Wichtigkeit Southamptons als Passagier - und Post - station; aber auch in militärischer Beziehung hat die weite Bucht von Southampton eine grosse Bedeutung, weil sie als Ergänzung von Portsmouth dient und eine gesicherte Sammlung der grössten Flotte an jenem Punkte gestattet, welcher für die ganze Vertheidigung des Canales sich als natürliche Centralstellung der britischen Seemacht ergibt.

Nach Southampton führen zwei Zufahrten, und zwar von Osten an Portsmouth vorbei und von Westen her durch den nur 1200 m breiten Solent-Pass; beide Wasserstrassen sind durch starke Befesti - gungen auf der Festlandsseite und auf der Insel Wight geschützt. In den Zufahrten ist eine starke Gezeitenströmung fühlbar, welche be - sonders in der Enge von Solent kräftig ist und eine stündliche Ge - schwindigkeit von mehr als 10 km erreicht.

Das Fahrwasser ist indes tief und sind die vorhandenen Barren durch Bojen gut markirt.

Neuestens wurden die Zufahrten zu den Docks sowie der Hafen am River Test ausgebaggert, damit die grössten Schiffe auch bei Ebbe die Bassins erreichen können, was bis vor Kurzem nicht möglich war. Die Flut erreicht in Southampton eine Höhe von 4 m über dem Ebbestand.

Von Hurst Point am Solent-Pass bis nach Southampton haben die Schiffe eine Strecke von 34 km zurückzelegen.

Wie das bei so gewaltigem Schiffsverkehre gar nicht anders möglich ist, hat sich Southampton auch als eigentlicher Handels - platz bedeutend entwickeln müssen.

Die Handelsbewegung von Southampton hat sich während der letzten Jahre wesentlich gehoben. Sowohl Import als Export haben eine Steigerung erfahren, die bei der Ausfuhr heimischer Erzeugnisse besonders bemerkenswerth ist.

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An der ersten Stelle des Importes steht Getreide, dessen einzelne Arten während des Jahres 1889 folgende Einfuhrmengen aufweisen: Weizen 78.000 q, Gerste 253.800 q, Hafer 126.200 q, Bohnen 1600 q, Mais 91.900 q.

In der Gruppe der übrigen Nahrungsmittel wird 1889 die Einfuhr der verschiedenen Fleischsorten auf rund 5100 q veranschlagt. Dagegen weist Butter die verhältnissmässig hohe Einfuhrsziffer von 213.000 q auf. Ebenso bedeutend ist der Import von Erdäpfeln in der Höhe von 277.900 q. Käse bezog Southampton im gleichen Jahre 10.100 q. Der Import von Eiern erreichte Gt. Hunds. 1,251.145.

134*1068Der atlantische Ocean.

Früchte verzeichnen folgende Einfuhr: Orangen und Citronen 775 hl, rohe Aepfel 9677 hl und alle anderen rohen Obstsorten 46.084 hl.

In beträchlichen Quantitäten wurden 1889 diverse Samensorten eingeführt, und zwar Klee - und Grassamen 20.400 q, Flachs - und Leinsamen 35.085 q.

Der Kaffeeimport belief sich auf 33.300 q, der an Cacao auf 321 q und der an Thee auf 208 q.

Der Import von Zucker belief sich in der gleichen Zeitperiode auf 27.600 q von raffinirtem und 78.800 q von unraffinirtem.

Wein verzeichnet eine Einfuhr von 6222 hl und die verschiedenen Spiri - tuosen zusammen genommen eine solche von 1515 hl.

An lebenden Thieren wurden importirt (1889) 4377 Ochsen, Kühe und Kälber und 1620 Schafe und Lämmer.

Sehr wichtige Importartikel sind Wolle und Felle. In letzteren weist Southampton die zweitgrösste Einfuhr unter allen englischen Häfen auf, die nur der Londons nachsteht und die Liverpools übertrifft. Der Import der genannten Artikel während der letzten drei Jahre wird aus nachstehender Tabelle ersichtlich.

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An anderen Fellen und Häuten importirte man 1889 17.160 q.

Hervorzuheben ist ferner der Bezug roher Seide, der sich im letzten Jahre auf rund 817 q belief.

Von Bedeutung für den Import, wenn auch der Quantität nach hinter dem anderer Hafenplätze weit zurückstehend, ist die Einfuhr an Metallen, und zwar an Zinn 7300 q, Zink 2200 q, Eisen - und Stahlfabricaten 10.500 q, Blei 1530 t.

Wichtig ist ferner der Holzimport, welcher in seiner Gesammtheit (1889) 71.735 m3 umfasste.

Unter den übrigen Importartikeln sind nach der Statistik des Jahres 1889 noch zu nennen: Droguen aller Art 1630 q, Farben und Farbstoffe 2990 q, Flachs 2100 q, Kautschuk 720 q; ferner Glas aller Art 2216 q, Leder 2100 q, Papier aller Art 1879 q und endlich Lumpen und andere Materialien für die Papierfabrication 1942 t.

Bei Betrachtung des Exportes findet man die Erzeugnisse der Textil - industrie an der Spitze. Unter diesen sind es wieder Baumwollfabricate, welche vorherrschen und speciell bei Southampton ihrem Werthe nach 45 % des Gesammtexportes umfassen. Mengen und Werthe der in den letzten zwei Jahren exportirten Textilwaaren führt folgende Tabelle an:

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1069Southampton.
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Southampton (Massstab 1: 37.600; Sonden in Metern).

A Einfahrt, B Town Quai, C Open-Dock, D Dock, E Bauholzbassin, F Leuchtfeuer, F1 Leucht - schiff, G Bahnhof.

Die im Jahre 1889 ausgeführten Kleidungsstücke hatten einen Werth von 740.627 , denen sich Hüte im Werthe von 101.012 anreihten.

Die nächst wichtigsten Exportartikel bildeten Lederwaaren aller Art, und zwar Stiefel und Schuhe für 429.329 und Sattlerwaaren im Werthe von 79.178 .

1070Der atlantische Ocean.

Die Gruppe der verschiedenen Metallwaaren und Fabricate nimmt auch im Exporte Southamptons eine berücksichtigenswerthe Stellung ein. Im Jahre 1889 wurden ausgeführt: Eisen in verschiedener Bearbeitung für 21.839 , Eisen - bahnschienen für 8780 , unverarbeiteter Stahl für 5897 , Eisen und Stahl - fabricate im Werthe von 169.262 , Kupfer und Kupferfabricate für 29.718 , Blei und Zinn für 11.796 , ferner Maschinen aller Art im Werthe von 248.265 und endlich Werkzeuge und Messerschmiedwaaren im Werthe von 89.002 nebst Telegraphendraht und Apparaten für 25.665 .

In der Reihe der übrigen Fabricate, welche die Exportliste von 1889 auf - weist, sind folgende Artikel hervorzuheben: Kurz - und Putzwaaren für 262.917 , gedruckte Bücher für 89.336 , Papierwaaren aller Art für 62.260 , Malerfarben für 24.266 , Kautschukfabricate für 31.080 , Chemische Fabricate für 29.959 , Kerzen aller Art für 17.143 , Waffen aller Art für 36.998 , Thon - und Porzellanwaaren für 22.624 , Glaswaaren für 14.862 .

Die Liste der Exportartikel schliessen Nahrungsmittel (inclusive Fleisch) im Werthe von 90.909 , Bier und Ale im Werthe von 37.842 , ferner alle übrigen nicht speciell benannten Erzeugnisse im Gesammtwerthe von 1,045.346 .

In der Ausfuhr fremdländischer Producte (1889) steht Schaf - und Lammwolle mit 38.837 q an der Spitze. Dieser folgen Gewürze (Pfeffer und Zimmt) mit 867 q, Kaffee mit 24.500 q, Weizen und Weizenmehl im Gewichte von 13.200 q.

Die Ausfuhr verschiedener anderer Nahrungsmittel beziffert sich auf 16.800 q, worunter Käse allein mit 10.500 q figurirt. Zucker weist einen Export von 11.500 q auf und Reis einen solchen von 12.500 q.

Recht ansehnlich ist die Quecksilberausfuhr, die im letzten Jahre auf 708 q veranschlagt wurde.

Die Industrie Southamptons beschränkt sich auf Erzeugung von Maschinen und auf Schiffbau.

Den Schiffsverkehr Southamptons während der letzten drei Jahre illustrirt nachstehende Tabelle:

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Neben der englischen Flagge sind im auswärtigen Verkehre (1889) be - sonders wichtig die niederländische (175.708 T), die belgische (57.840 T), die deutsche und die norwegische Flagge.

Die wichtigsten Schiffahrtslinien, deren Station Southampton bildet, sind: Norddeutscher Lloyd, Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesell - schaft, Red Star Line (Antwerpen), Nederland, Rotterdamsche Lloyd, Peninsular and Oriental Steam Navigation, Royal Mail Steam Packet Co., Union Steam Ship Co. (die drei letzteren hier domicilirt) und Wilson line (Hull). Southampton ist, wie schon erwähnt, Haupthafen für den Postdampferverkehr mit Egypten, ferner1071Southampton.bestehen Verbindungen mit Bremerhaven, Hamburg und Havre, Ostindien, Nieder - ländisch-Indien, Ostasien, Australien, Westafrika, Südamerika und Westindien, der Iberischen Halbinsel und Nordamerika.

Die eigene Rhederei hatte 1889 322 Schiffe (darunter 101 Dampfer) mit 2.582 Tons Gehalt.

Den Verkehr mit dem Inlande vermittelt die London and Southwestern Bahn.

An Banken sind hervorzuheben: die Hampshire Banking Co., National Provincial Bank of England und Wiltshire and Dorset Banking Co.

In Southampton unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Chile, Columbia, Costarica, Deutsches Reich, Dominikanische Republik, Ecuador, Haïti, Liberia, Peru (G. -C), Salvador, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten von Amerika.

Als Einschiffungsplätze für die überseeische Post sind noch hervorzuheben: Dartmouth und Plymouth, die nahe von einander an der Südseite der Halbinsel Cornwall liegen.

Von Dartmouth gehen die Castle Mail Packets Cy. (Colonial Mail Line) über Lissabon und Capstadt zur Delagoa-Bai, und der Kosmus aus Hamburg lässt jährlich einige seine Südamerikafahrer hier anlaufen. Viel wichtiger ist das noch weiter nach Westen vorgeschobene Plymouth. Es ist Station der Peninsular and Oriental Cy. auf der Rückfahrt aus Ostindien und China, der Orient. Line, der British India Steam N. Cy., der New Zealand Shipping Cy. und der Shaw, Savill and Albion Cy., welche nach Australien gehen, der Castle Mail Packets Cy. auf der Rückreise nach Südafrika und der Royal Mail Steam Packet Cy. (Westindien). Plymouth ist aber auch als Handelsplatz wichtig, über den 1889 1,037.690 q Getreide, und zwar Weizen, Gerste, Mais und Hafer für den Bedarf des westlichen Englands zur Einfuhr gelangten; ferner sind zu nennen Zucker (34.673 q), Hanf, Holz, rohe Häute, Petroleum (73,600 hl) und Salpeter (40.073 q).

Für 1889 wird die Einfuhr mit 1,435.294 angegeben.

In der Ausfuhr ist nur Porzellanerde wichtiger.

Der Schiffsverkehr erreichte 1889 1,621.979 T.

In Plymouth haben Consulate: Deutsches Reich, Liberia, Niederlande, Vereinigte Staaten von Amerika.

Im Osten von Southampton ist in dem South-Downs genannten Küstengebiete der Grafschaft Sussex das Küstenstädtchen Newhaven im Aufblühen begriffen. Dasselbe spielte bereits in normannischer Zeit eine Rolle, und seine aus dem XII. Jahrhundert stammende Kirche zählt zu den ältesten und interessantesten Bauwerken an der englischen Küste.

An der Mündung des Orese gelegen und durch ein neuerbautes Fort beschützt, breitet sich das gegen 6000 Einwohner zählende Städtchen malerisch am Fusse der Kreidefelsen aus. Neuestens werden die vorhandenen Hafenanlagen erweitert, wie dies der zunehmende Seeverkehr des Platzes erheischt. Newhaven ist mit Dieppe durch regelmässigen Dampferverkehr verbunden. Auch führt ein eigener Schienenstrang von Newhaven nach London.

1072Der atlantische Ocean.

Die Handelsbewegung von Newhaven weist während der letzten Jahre eine lebhafte Zunahme auf; dies veranschaulicht die folgende Tabelle:

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Da der Handel des Hafens unausgesetzt steigt, so beschränken wir uns im Folgenden auf die Daten des Jahres 1889.

Nahezu den dritten Theil des ganzen Importes repräsentirt dem Werthe nach die Einfuhr von Seidenfabricaten, welche sich 1889 auf 3,164.595 belief.

Dieser zunächst steht der Import von Wollfabriken im Werthe von 809.244 .

Die Getreideeinfuhr ist keine besonders umfangreiche, denn es wurden nur 21.025 q Gerste, 26.690 q Hafer und etwas Weizen - und Kornmehl bezogen.

Dagegen umfasst der Bezug von anderen Nahrungsmitteln grössere Mengen. Er vertheilt sich auf 43.685 q Erdäpfel, 73.526 q Butter, 29.625 q Margarine, 12.498 q Käse, 70.731 q Fische, auf conservirtes Fleisch und Gt. Hunds. 1,251.145 Eier. Unter den Früchten ist der Import roher Obstsorten inclusive Aepfel mit 86.735 hl von Bedeutung. An Zwiebeln wurden bezogen 11.096 hl.

Der Weinimport belief sich auf 24.527 hl und der an diversen Spiri - tuosen auf 6290 hl.

Der Import von Zucker verzeichnet die Menge von 16.612 q.

Hervorzuheben sind ferner noch als für die Einfuhr von einiger Bedeutung Hopfen mit 7140 q, Klee - und Grassamen mit 16.845 q, die verschiedenen Hölzer mit zusammen 27.681 m3.

In der Ausfuhr findet die Textilindustrie die stärkste Vertretung, und zwar Wollfabricate aller Art 612.322 , Seidenfabricate aller Art 144.259 , Baum - wollwaaren aller Art 93.485 , Leinenwaaren 6150 .

Dieser Gruppe dem Werthe nach zunächst steht der Export von Maschinen aller Art für 190.996 . Ferner Metalle und Metallwaaren aller Art im Werthe von 28.147 , dazu Werkzeuge und Messerschmiedwaaren für 25.858 .

Die Bekleidungsindustrie liefert gleichfalls einen nicht geringen Theil der Ausfuhr. Die einzelnen Zweige sind Kleidungsstücke im Werthe von 148.096 , Hüte aller Art für 77.334 und Putzwaaren für 22.816 .

Ansehnlich ist ferner der Export in Leder und Lederwaaren; es betrug der Werth des exportirten Leders 83.682 , der der ausgeführten Schuhwaaren 39.350 und der der Sattlerwaaren 13.042 .

Die noch erwähnenswerthen Exportartikel sind Papierwaaren aller Art für 44.336 , Kautschukfabricate für 29.406 , gedruckte Bücher für 26.840 , Thon - und Porzellanwaaren für 17.996 , Chemische Düngemittel für 14.088 , Maler - farben im Werthe von 11.681 , chemische Fabricate für 8804 , Nahrungsmittel aller Art im Gesammtwerthe von 56.343 und Bier im Werthe von 25.636 , endlich alle übrigen nicht speciell benannten Artikel im Werthe von circa 486.000 .

Im Reexporte ausländischer Producte bilden Wolle, Leder und Quecksilber die wichtigsten Artikel.

Der Schiffsverkehr von Newhaven umfasste 1889 erst 3.633 Schiffe mit 823.818 t. Newhaven steht in regelmässiger Dampferverbindung mit Dieppe.

[1073]

Cork-Queenstown.

Auf der grünen Insel, dem durch Naturschönheiten mancherlei Art interessanten, von einem eigenthümlichen, vom angelsächsischen Wesen ganz verschiedenen Menschenschlage bewohnten Irland be - gegnen wir einer an Buchten und natürlichen Häfen reichen Küsten - entwicklung, welche den Bedürfnissen des Handels und der Schiffahrt zum Vortheile gereicht. Freilich hat sich der Verkehr Irlands in ver - gangenen Zeiten weitaus nicht so entwickelt wie jener Englands, und erst neuerer Zeit war es vorbehalten, an einigen Punkten einen sehr regen Aufschwung zu erwecken. In dieser Beziehung finden wir an der Südküste vor Allem Cork und dessen Hafen Queenstown. Cork selbst liegt, wie unser Plan zeigt, im Hintergrunde einer weit in das Land hineinreichenden, fjordartig eingerissenen Einbuchtung, während Queenstown auf der dem Seeeingange nahen, mit dem Festlande heute durch die Bahn verbundenen Great-Insel sich befindet. Queenstown hiess früher einfach Cove of Cork und erhielt seinen jetzigen Namen erst, als Königin Victoria daselbst im Jahre 1849 zum ersten Besuche Irlands das Land betrat.

Queenstown bietet einen schönen Anblick dar; es liegt an der Südseite der genannten Insel an dem Abhange eines Hügels, an welchem sich die Strassen der Stadt amphitheatralisch hinaufziehen, während zahlreiche Baumgruppen und Gartenanlagen die Häuserreihen anmuthig unterbrechen. Die Stadt hat keine grosse Ausdehnung und die Zahl ihrer Einwohner beträgt kaum 10.000. Abgesehen von der anmuthigen Lage, besitzt Queenstown in seinem Innern an Sehens - würdigkeiten nur eine römisch-katholische Domkirche und zwei Yacht - clubhäuser, von denen das des Royal Cork Yacht Club auch schon deshalb bemerkenswerth ist, weil dieser Club an Alter allen anderen im Vereinigten Königreiche vorangeht. Er wurde nämlich bereits 1720 gegründet, erhielt aber seine jetzige Benennung erst 1828, als König Wilhelm IV. das Protectorat über denselben übernahm. Die von diesemDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1351074Der atlantische Ocean.Club jährlich veranstaltete Regatta gehört jedesmal zu den maritimen Ereignissen, an denen ganz Irland den lebhaftesten Antheil nimmt.

In historischer Beziehung ist nichts Bemerkenswerthes von Queenstown zu berichten, wenngleich die Insel, auf der es gelegen ist, schon im XIV. Jahr - hundert als ein Besitzthum erwähnt wird, um welches verschiedene Feudalherren mit einander im Kampfe lagen. Auch behauptete diese Insel noch lange, nachdem bereits Cork in die Hände der Briten gefallen war, Unabhängigkeit, und der Earl von Orrery bemerkt im Jahre 1666, dass die Insel ihrer Lage nach ganz besonders geeignet sei, als Stützpunkt für eine feindliche Invasion zu dienen.

Der Hafen von Queenstown ist sehr geräumig, von der See her selbst für Schiffe grössten Tiefganges gut zugänglich.

Die Zufahrt in den Fjord, welcher den Namen Cork Harbour führt, ist durch ein 8·5 km im Süden des Einganges verankertes Leuchtschiff gut markirt; ein Leuchtfeuer befindet sich auch an der Ostseite der Hafenmündung. In dieser selbst haben sich zwei Barren von 4·5 und 5·7 m Tiefe bei Ebbe gebildet, aber sie lassen noch ge - nügend tiefe Fahrstrassen für die grössten Oceanschiffe offen. Im Innern weitet sich der Fjord zu einem geräumigen Becken aus, in welchem die Inseln Spike mit dem starken Westmoreland-Fort, dann das Rocky-Eiland und die Insel Haulbowline liegen. An die letzt - genannte schliesst sich gegen Osten die weitgedehnte, bei Ebbe fast trocken liegende Spit-Bank. Dort wurden die Dockanlagen von Queenstown errichtet und auch Trockendocks gebaut. Auch hat man die Inseln Spike und Haulbowline mittelst einer Brücke verbunden. Die Ankerplätze vor dem Städtchen Queenstown sind gut und ohne Fährlichkeit. Alle Liverpooler Postdampfer von und nach New-York sowie viele andere Linien laufen Queenstown für eine bis zwei Stunden an, um die amerikanische Post zu erledigen.

Queenstown hat, abgesehen davon, dass es Vorhafen von Cork ist, dadurch an Bedeutung gewonnen, dass es auf der grossen Route nach Amerika der erste europäische Punkt ist, welcher bequem angelaufen werden kann und an welchem man in telegraphische Verbindung mit dem ganzen übrigen Königreiche, respective ganz Europa, treten kann. Landet man in Queenstown, oder schifft man sich dort ein, so erspart man ein gutes Stück Seereise. Queenstown selbst ist also kein Handelsplatz, aber ein grosser Durchgangspunkt, über welchen auch die Auswanderung der Irländer vielfach ihren Weg nimmt.

Von Queenstown aus kann man auch per Dampfer die Stadt Cork erreichen, wobei die Fahrt manches Interesse bietet. Man passirt den von freundlichen Höhen umgebenen nur 300 bis 500 m breiten1075Cork-Queenstown.Passage-Canal, an dessen beiden Seiten sich Eisenbahnen hinziehen, vorbei an den Orten Passage und Blackrock und gelangt endlich nach der drittgrössten Stadt von Irland und dem Centrum der süd - lichen Landschaften.

Cork liegt unter 51° 54′ nördl. Br. und 28′ westl. L. v. Gr. auf beiden Ufern des Flusses Lee, der zu Hafenzwecken für kleine Schiffe verwendet wird. Der Fluss theilt sich in zwei Arme, und die Stadt lag ursprünglich nur auf dem durch diese Theilung gebildeten Eilande, hat aber seither sich weit über die anderen Ufer des Flusses ausgedehnt.

Queenstown.

Ueber die Gründung von Cork ist nichts Genaues bekannt, und gibt es hierüber verschiedene Versionen, jedenfalls reicht dessen Alter weit zurück. Die irische Sage schreibt die Gründung dem heiligen Finus zu, dessen Kathedrale heute noch vorhanden ist, und erzählt dann von Raubzügen der Dänen, welche durch die Niederlassung des Heiligen angelockt wurden und daselbst sich sesshaft machten, weil der Ort einen guten Punkt für fernere Raubfahrten darbot. Später wird Cork bereits genannt, als die Engländer unter der normannischen Dynastie ihre ersten Feldzüge nach Irland unternahmen. Schon unter Heinrich II. fiel Cork in britischen Besitz. Im Jahre 1600 berichtet ein Augenzeuge, dass Cork ein von Wällen umgebener, am Flusse gelegener Ort sei, der hauptsächlich aus einer135*1076Der atlantische Ocean.breiten Strasse bestünde, Handel treibe, aber viel von seinen rebellischen Nach - barn zu leiden habe. Cromwell hat 1649 Cork besetzt und wegen seiner royalisti - schen Gesinnung recht strenge behandelt. Auch später in demselben Jahrhundert hing Cork an der Sache der Stuarts und bezahlte diese Anhänglichkeit zunächst mit einer Belagerung durch den Herzog von Marlborough und dann mit dem Ver - luste seiner Wälle. Seither war der Stadt friedliche Entwicklung gegönnt.

Cork zählt etwas über 100.000 Einwohner, hat, namentlich in seinen neueren Theilen, breite Strassen, aber infolge seiner durch den Flusslauf vorgezeichneten Entwicklung eine unregelmässige Form. Die Stadt lässt sich heute in drei Theile scheiden, in den Theil auf dem linken Ufer des Lee, in den Theil zwischen dem rechten Ufer des Flusses und dem sogenannten Südcanal, also die eigentliche alte Stadt, und endlich in den Theil am anderen Ufer jenes Süd - Canales.

Die einzelnen Stadttheile sind im Ganzen durch sechs Brücken unter einander verbunden, von denen St. Patricks - und die Parnell - Brücke besonders Erwähnung verdienen. Letztere erhielt bei ihrem 1882 erfolgten Umbau den Namen dieses Führers der irischen Auto - nomistenpartei. Von der St. Patrick-Brücke aus führt die St. Patrick - Strasse in den mittleren Stadttheil, eine der Hauptarterien des Ortes, wenn auch äusserlich wegen ihrer grossen Unregelmässigkeit nicht von sonderlichem Glanze. An diese Strasse schliesst im Winkel die Grand Parade an, welche als Zierde von Cork gilt.

In der ziemlich parallel mit dem Südcanal laufenden South Mall liegen mehrere ansehnliche Gebäude. Unter den Baulichkeiten der Stadt verdienen überhaupt nur Erwähnung St. Fin-Kathedrale mit protestantischem Gottesdienste ein in jüngster Zeit im gothischen Style ausgeführter Umbau, dann die St. Marien-Kirche als katholischer Dom, ferner das Postamt, das an der Spitze des den alten Stadttheil umfassenden Eilandes gelegene Zollamt, ferner Queens College, eine Lehranstalt mit schönem Ausblicke, das im korinthischen Style ge - haltene Gerichtsgebäude in Great Georges Street, das Theater auf dem Lavills-Quai, endlich mehrere Clubhäuser.

Das Strassenleben von Cork zeigt das lebhafte Treiben, welches dem irischen Wesen eigen ist, und die Einwohner sind auf die Schönheit ihrer Stadt ebenso stolz, als sie, und letzteres wohl mit Recht, den Reiz ihrer Umgebungen rühmen. Und in der That kann man von Cork aus eine Reihe der lohnendsten Ausflüge machen. Wir erwähnen von denselben, abgesehen von der schon anregenden Fahrt durch den Canal und die Rhede von Cork, nur die Killarney-See und die tiefe, für die grösste Flotte Raum gewährende Bantrybucht,1077Cork-Queenstown.welcher auch in militärischer Beziehung in jüngster Zeit viel Wichtig - keit beigemessen wird.

Betrachten wir nunmehr die Hafenanlagen, so sind die Ufer sowohl des eigentlichen Lee als auch jene des Südcanales durch - wegs mit Quais eingefasst, an denen die Schiffe ihre Operationen

Hafen von Queenstown-Cork (Massstab 1: 196.000; Sonden in Metern).

A Haulbowline-Insel, F Leuchtfeuer.

vornehmen, insoweit es deren Tauchungsverhältnisse erlauben. Der sehr versandete Leefluss hat bei Ebbe kaum 2 m Tiefe, da aber die Flut den Wasserstand um 4 m hebt, so ist der Verkehr selbst grösserer Seeschiffe ermöglicht. Jene Quaitheile, welche einerseits unter der St. Patrick - und andererseits unter der Parnellbrücke liegen, sind für1078Der atlantische Ocean.den Verkehr aus dem Grunde die wichtigsten, weil hier die grossen Bahnhöfe in der Nähe sich befinden. Dieser eben nicht sehr günstigen Tiefenverhältnisse wegen zieht sich in neuester Zeit der Schiffsverkehr, namentlich der grossen Dampfer, immer mehr nach dem viel günstigeren und bequemeren Hafen von Queenstown. Nichtsdestoweniger ist Cork noch immer eine bedeutende Industrie - und Handelsstadt.

Folgende Ziffern veranschaulichen den Handelsverkehr Corks während der letzten drei Jahre:

〈…〉〈…〉

Auch hier fällt der Löwenantheil des Importes auf Getreide, dessen einzelne Sorten 1889 folgende Ziffern aufweisen: Weizen 730.800 q, Mais 766.409 q und Gerste 36.800 q.

Unter den anderen Nahrungsmitteln ist nur die Einfuhr von Fischen mit 11.200 q von Belang.

Zucker wurde im selben Jahre in der Menge von 31.200 q eingeführt.

Von Wichtigkeit ist ferner die Einfuhr von Petroleum mit 17.981 hl im Jahre 1889, gegen 10.489 hl des vorhergehenden Jahres.

Düngemittel erreichten im letzten Jahre die Einfuhrsmenge von 4133 t.

Der Holzimport umfasste im selben Jahre 3520 m3 Balken, 44.532 m3 ge - sägtes und gespaltenes Holz und 72 m3 Fassdauben.

Der Export Corks ist, wie aus obiger Aufstellung ersichtlich, ein so geringfügiger, dass wir in eine specielle Beleuchtung desselben hier nicht ein - gehen. Wir heben nur Eisenwaaren, Schiesspulver, Schlachtvieh, Butter und Eier als die wichtigeren Ausfuhrsartikel hervor.

Auf dem Gebiete der Industrie sind zu nennen Flachs -, Woll - und Baum - wollspinnereien, Brennereien, Brauereien, Tabak - und Lederfabriken; Cork liefert vorzügliche lederne Handschuhe.

Bei der Betrachtung des Schiffsverkehres Corks ist zu bemerken, dass nur Schiffe bis zu 600 Tons an seinen Quais anlegen können, grössere Schiffe müssen in Queenstown, dem Vorhafen der Stadt, bleiben.

Das Hafengebiet von Cork zeigt folgenden Schiffsverkehr:

〈…〉〈…〉

In Cork, respective seinem Vorhafen Queenstown landen die Dampfer - linien Cunard und Inman, Guion und White Star auf ihren Reisen zwischen1079Cork-Queenstown.Liverpool und New-York, die Cunard-Line auf den Touren zwischen Liverpool und Boston und die Allan Line auf dem Wege von Liverpool nach Canada und nehmen hier die Post ein oder sie liefern dieselbe ab. Denn diese wird mit Eisen - bahn und Schiff über Dublin-Holyhead befördert.

An Banken besitzt Cork: Bank of Ireland, National Bank, Provincial Bank of Ireland; hier bestehen ferner eine Börse und eine Kornbörse.

In Cork unterhalten Consulate: Argentinien, Haïti (auch für Queenstown), Hawaii, Liberia (auch für Queenstown), Portugal, Vereinigte Staaten von Amerika.

In Queenstown bestehen Consulate von Belgien, Chile, Hawaii, Peru, Uruguay.

[1080]

Dublin.

Dublin, Irlands Hauptstadt, beherbergt eine Bevölkerung von 340.000 Seelen und bedeckt ein Areal von circa 1500 ha. Wenn die in einer Ebene erbaute Stadt auch landschaftlich keinen besonderen Eindruck macht, so ist sie doch wegen ihrer Bauwerke, wegen des lebhaften Lebens in derselben und wegen ihrer Bedeutung für Irland an sich wie auch in commerzieller Beziehung von hervorragendem Interesse. In Dublin war allzeit der Mittelpunkt des geistigen wie politischen Lebens der Irländer, welche in so vielfachem Gegensatz zu England stehen. Mögen in manchen anderen Orten die autonomen und nationalen Strebungen schärfer nach aussen hervortreten, die tonangebende Führung in allen politischen Fragen geht von Dublin aus, obwohl sich ebendaselbst der Centralpunkt des britischen Regimentes befindet.

Was die Geschichte Dublins anbelangt, so wird uns von einem Pfahlorte erzählt, dessen Ptolemäus unter dem Namen Eblona Erwähnung thut und welcher an der Stelle des heutigen Dublin gelegen war. Im V. Jahrhundert soll St. Patrick die Einwohner des Ortes zum Christenthume bekehrt haben. Später durch dänische Einfälle oft bedroht, wurde Dublin 851 von den Dänen erobert, welche dort einen festen Stützpunkt sich geschaffen haben, der unter ihrer Herrschaft sich zu einem ganz ansehnlichen Orte erweiterte.

Nach langwierigen Kämpfen gelang es endlich den einheimischen Königen, die Dänen zu verdrängen und sich in den Besitz des Ortes zu setzen, welcher dann im XII. Jahrhundert unter Heinrich II. an die Krone von England fiel und seither bei derselben trotz der vielen Stürme, welche über Irland hinweggegangen sind, und trotz der so oft wiederholten Losreissungsversuche verblieb.

Dublin liegt unter 53° 20′ nördl. Br. und 9′ östl. L. v. Gr. (Hafeneingang) auf beiden Ufern des Liffey; es ist von zwei Hauptarterien durchschnitten, die eine geht von Nord nach Süd, die andere von Ost nach West. Erstere Arterie umfasst Blessington Street im Norden und zieht sich über Rutland Square, Sackville Street, Carlisle-Brücke, Westmoreland und Grafton Street, Stephen’s Green und Harcourt Street bis Rothmines. Die andere Linie1081Dublin.beginnt östlich von der Stadt bei Lower Mount Street und zieht sich über Merrion Square, die elegante Nassau Street, College Green, Cork Hill, bei dem Schlosse von Dublin vorbei, über High Street und durch die älteren Stadttheile bis zur Christuskirche. Parallel un - gefähr mit letzterer Linie läuft der Fluss Liffey, welcher an seinen beiden Ufern von trefflichen Quais eingesäumt ist, die sich vom Phönix - park bis zum Leuchthause von North Wall und dem Ringsend Dock

Kingstown.

an der Dubliner Bucht hinziehen. Die Quais haben eine Längen - entwicklung von mehr als 4 km.

Die wichtigsten Baulichkeiten der Stadt liegen, wie unser Plan nachweist, in der Nähe von College Green, Dame Street und Sack - ville Street. Bei College Green befindet sich die Bank von Irland, früher Sitz des irischen Parlamentes und des Trinity College mit den Statuen von Burke und Goldsmith. Das Gebäude der heutigen Bank wurde 1739 für Parlamentszwecke errichtet und 1794 noch erweitert. Als dann durch die Union die selbständige Vertretung der Insel ihr Ende nahm, wurde das Gebäude auf Grund eines Beschlusses desDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1361082Der atlantische Ocean.britischen Parlamentes seiner jetzigen Bestimmung zugeführt. Das Gebäude ist in der Hauptsache im jonischen Style gehalten. Der grosse Sitzungssaal der irischen Lords ist noch in seiner alten Ein - richtung verblieben, nur hat man an Stelle des Thrones eine Statue Georg’s III. gesetzt. Gegenüber der Bank liegt Trinity College, viel - leicht das schönste Bauwerk von Dublin. Es wurde von der Königin Elisabeth 1591 an Stelle eines alten Klosters errichtet, verfügt über eine überaus reiche Bibliothek und Manuscriptensammlung und ist mit einem freundlichen Parke in Verbindung.

Der amtliche Sitz des Vicekönigs von Irland befindet sich im Dubliner Schloss, dessen Bau 1207 auf Befehl König Johann’s be - gonnen ward und welches lange Zeit einen wichtigen Theil der Stadt - befestigung gebildet hat. Heute ist von dem alten Baue nur noch der sogenannte Wardcote-Thurm erhalten, das übrige Gebäude, in welchem insbesondere die für specielle Festlichkeiten bestimmte St. Patricks - Halle bemerkenswerth erscheint, gehört einer späteren Zeit an. Den Namen dieses ersten Heiligen der Insel führt auch die Kathedrale von Dublin, deren Bau in das Jahr 1190 zurückreicht, die aber in späteren Jahrhunderten wiederholten Restaurationen unterzogen worden ist. Sehr alt ist auch Christ Church in der Nähe des Schlosses, eine ursprüng - lich dänische Gründung. Die Zahl der übrigen Kirchen ist eine sehr grosse, die irische Landeskirche weist 80, die römisch-katholische 25, die Presbyterianer 11, andere Confessionen zusammen 26 auf. Die Hauptkirche der Katholiken liegt in Marlborough Street.

Am Kings Inns Quai finden wir das Gebäude der obersten irischen Gerichtshöfe, the Four Courts, Ende des vorigen Jahrhun - derts erbaut und an einer runden Kuppel erkennbar. Ebenso ist wie in den meisten grösseren Orten des Königreiches das Zollamt in einem sehr stattlichen Gebäude am Flusse untergebracht.

Wir erwähnen fernerhin die Halle der Freimaurer in Moles - worth Street, das Gebäude der Royal Dublin Society, welche 1731 gegründet ward und sich namentlich mit der Förderung der Gewerbe beschäftigt, die irische Nationalgallerie auf Mansion Square, das Mansionhouse, die Amtsresidenz des Lord-Mayors.

Eine Zierde Dublins bilden dessen ausgedehnte Parkanlagen, vor Allem der am westlichen Ende und linken Liffey-Ufer gelegene, nicht weniger als 700 ha umfassende Phönixpark, in dem sich auch die Privatwohnung des Vicekönigs befindet. An denselben schliesst sich gegen Osten der botanische Garten und weiter noch der Eldon -1083Dublin.park. Auch im Süden auf dem anderen Ufer sind hübsche Park - anlagen zu verzeichnen.

Im Phönixpark erhebt sich ein 62 m hoher, der Erinnerung an Herzog von Wellington geweihter Obelisk. An Denkmälern ist Dublin überhaupt nicht arm. Unter diesen ist die Statue von O’Connell, des Führers der Nationalpartei in der Mitte unseres Jahrhunderts, vor Allem bemerkenswerth; sie steht in Sackville Street, nahe der Brücke ihres Namens. In derselben Strasse findet man auch eine Säule mit Lord Nelson’s Standbild. Die Dichter Thomas More, Goldsmith und Burke sind verewigt, Wilhelm III. hat eine Reiterstatue, und neben Anderen ist auch Prinz Albert nicht vergessen, welchem 1872 durch eine allgemeine Subscription ein schönes Denkmal gesetzt worden ist, das sich dieser edle Prinz auch um Irland wohl verdient hat.

Ueber den Liffey führen zehn Brücken, von denen drei Eisen - construction aufweisen, während sieben aus Stein hergestellt sind. Die bedeutendste von diesen Brücken ist die O’Connell -, früher Carlisle - Brücke, von stattlicher Breite. Die aus dem Jahre 1816 stammende Wellington-Brücke, nur für Fussgänger erbaut, hat die für das ver - einigte Königreich höchst seltsam erscheinende Eigenthümlichkeit, dass die Passanten Brückengeld entrichten müssen.

Geht man den Fluss abwärts, so findet man an dessen Quai überall ein lebhaftes Treiben. An beiden Ufern liegen Schiffe und nehmen ihre verschiedenen Operationen in ganz gesicherter Weise vor. Am südlichen Ufer, nahe der Ausmündung des Flusses, befinden sich zu beiden Seiten mehrere in das Land einschneidende Dock - anlagen, worunter die Grand Canal-Docks im Süden die bedeutendsten sind, und deren Bassins gleichfalls für commerzielle Zwecke dienen. An der Nordseite mündet der die ganze Stadt in weitem Bogen umspannende Royal-Canal, der gleichfalls zu Dockanlagen verwendet wurde. Der Royal-Canal verbindet Dublin mit dem Shannonfluss, der wichtigsten Wasserstrasse von Irland, und somit dem grossen irischen Binnen-Canalsysteme. Neueren Ursprungs ist das sogenannte Nordwall - Dock, ein geräumiges Bassin nächst dem innersten der Leuchtfeuer, wo man 7·3 m Wassertiefe bei Ebbe findet und wo auch Trocken - docks erbaut sind. Die Rhede von Dublin ist durch grosse Schutz - bauten gesichert; es erstreckt sich in ziemlich gerader Richtung gegen Osten ein 5 km langer Damm von Ringsend seewärts, während ein zweiter, der 2·7 km lange Bull-Wall, vom nördlichen Ufer der Bucht, östlich von Clontarf ausgehend, in südöstlicher Richtung gegen den Kopf des ersteren, wo das Poolbeg-Leuchtfeuer ist, geführt wurde. 136*1084Der atlantische Ocean.Beide Dämme schützen vor Seegang und Versandung. An beiden Dammenden erheben sich mächtige Leuchthäuser.

Auch Dublin leidet durch die weit vorgeschrittene Versandung seines Hafens. Eine Barre von nur 4·5 m Wassertiefe bei Ebbe erstreckt sich über 2 km ausserhalb der Dammenden, also bis auf etwa 7 km von den Dockanlagen. Grössere Schiffe sind daher gezwungen, wenig - stens 8 9 km weit vom Lande zu ankern. Obgleich nämlich die Flut den Wasserstand hier um 4 m hebt, daher an der Barre bei Hoch - wasser 8·5 m gefunden werden, so können bei hochgehender See doch nur kleinere Schiffe nach Dublin einlaufen, während grössere die Ueberschreitung der Barre nicht wagen dürfen, sondern den Ein - tritt ruhiger See abwarten müssen.

Die Bucht von Dublin ist gegen Nordost - und Ostwinde offen, welche, wenn mit Heftigkeit auftretend, eine sehr hohe See heran - wälzen. Ein mehr als 2 km breiter Sandstrand, der North - und South - Bull, säumen das Ende der Dubliner Bai ein. Diese ungünstigen Tiefenverhältnisse führten in neuester Zeit, wo man mit grossen Schiffen rechnen muss, dahin, dass am Südufer der Bucht der von langen Dämmen eingeschlossene Hafen von Kingstown entstand, welcher über eine grössere Wassertiefe verfügt als Dublin. Die Dublin and Kingstown-Eisenbahn, bis zu den Hafenanlagen geführt, verbindet den Vorhafen mit der irischen Hauptstadt.

Die Verbindung Dublins mit England vollzieht sich am kür - zesten über Kingstown Holyhead auf der Insel Anglesea. bis wohin man per Eisenbahn gelangen kann. Der Weg von Holyhead nach Kingstown per Dampfer wird in 3 4 Stunden zurückgelegt, und ist zwischen Schiff und Eisenbahn ein ausgezeichneter Anschluss her - gestellt sowie in jeder Beziehung für die Bequemlichkeit der Reisenden Sorge getragen. Man kann, von Holyhead kommend, entweder am

Legende zum Plan von Dublin. A Irische See, B Rettungsboote, C Pigeon-Fort, D Küstenwache, E Liffey River, F Leuchtfeuer, G Dublin-Barre, H Bahnhöfe, J Drumcondra Hill, K Dorset Str., L Capel Str., M King Str., N Prussia Str., O Church Str., P Dominik Str., Q Great, Britain Str., R Talbot Str., S Gloucester Str., T Sheriff Str., U Sackville Str., V Blessington Str., W Eccles Str., X Temple Str., Y James Str., Z Thomas Str. 1 Dame Str., 2 Great Brunswick Str., 3 Grand Canal Str., 4 Leinster Str., 5 Lower Mount Str., 6 Upper Mount Str., 7 Lower Baggo Str., 8 Upper Charlemont Str., 9 Richmond Str., 10 Aungier Str., 11 Grafton Str., 12 Harcourt Str., 13 Hanover Str., 14 Mid. Abbey Str., 15 Watlings Str., 16 Cork Str., 17 Lower Coombe Str., 18 St. Patrik Str., 19 New Str., 20 Heytesbury Str., 21 Lower Leeson Str., 22 Donny - brook Road, 23 Pembroke Rd., 24 Northumberland Rd., 25 South Lots Rd., 26 Ringsend Rd., 27 East-Rd., 28 Church Rd., 29 Ballybough Rd., 30 Circular Rd., 31 Phibsborough Rd., 32 Conyngham Rd., 33 Nass Rd., 34 Harolds Cross Rd., 35 Rothmines Rd., 36 Clyde Rd., 37 Bath Avenue, 38 North Strand, 39 Alexander-Bassin, 40 Grand-Canal-Docks, 41 Grand-Canal, 42 City-Bassin, 43 Royal-Canal, 44 Inner-Dock, 45 Kasernen, 46 Spitäler, 47 Irrenhäuser, 48 Werkhäuser, 49 Richmond-Strafhaus, 50 Mountjay-Gefängniss, 51 Klöster, 52 Holycross-Colleg, 53 Rotunde, 54 Linen-Hall, 55 Four Courts, 56 Zollamt, 57 Gaswerk, 58 Royal Dublin Society, 59 Castle, 60 Bank, 61 Trinity-College, 62 Theater, 63 Post, 64 Richmond-Bridewell, 65 Wollspinnerei, 66 katholische Universität.

[1085]

Dublin (Sonden in Metern).

(Legende siehe auf Seite 1084.)

1086Der atlantische Ocean.Nordwall von Dublin landen, von wo Waggons nach allen Rich - tungen von Irland instradirt werden, oder aber zu Kingstown selbst, um dann per Bahn Dublin zu erreichen. Der Weg von London bis Dublin wird auf diese Art in elf Stunden zurückgelegt.

Alle diese kostspieligen Anlagen lohnten sich und tragen reiche Früchte. Dublins Handel zeigt in den letzten Jahren sogar einen Aufschwung, während er ohne diese Verbesserungen sicher weit zurück gegangen wäre.

Dublins Aussenhandel während der letzten drei Jahre geht aus nach - stehender Aufstellung hervor. Es betrug der

〈…〉〈…〉

An der Spitze des Importes steht Getreide, die eingeführten Mengen beliefen sich auf:

〈…〉〈…〉

In der Gruppe der übrigen Nahrungsmittel weisen 1889 die stärkste Ein - fuhr auf: Fische mit 5830 q und Margarin mit 5480 q.

Der Import von Früchten vertheilte sich im selben Jahre auf Korinthen 3120 q, Trauben (getrocknet) 2770 q, rohe Aepfel 1718 hl und andere rohe Obst - sorten 1180 hl. Die Einfuhr von Zwiebeln betrug 11.160 hl.

Wein erreichte die Importziffer von 31.744 hl, Spirituosen 5370 hl.

Die Einfuhr von raffinirtem Zucker betrug 1889 24.000 q.

Oelsamenkuchen weisen im gleichen Jahre einen Import von 1472 t auf.

Sehr bedeutend ist die Einfuhr von Petroleum mit 79.046 hl im Jahre 1889 gegen 78.128 hl des vorhergehenden und 46.584 hl des Jahres 1887.

Erheblich ist ferner der Import von Düngemitteln, welcher im letzten Jahre 14.684 t umfasste.

Einen lebhaften Import weisen Metalle auf. Die grössten Quantitäten von 11.465 t entfallen auf Pyrite von Eisen und Kupfer, 741 t auf Blei, 13.000 q auf Eisen - und Stahlfabricate.

Die Einfuhr von Hölzern ist ebenfalls nicht unbedeutend. Sie verzeichnet für das Jahr 1889 19.642 m3 gefälltes (Balken -) Holz, 105.515 m3 gesägtes und gespaltenes Holz, ferner 878 m3 an Fassdauben und 333 t Mahagoniholz.

An sonstigen Importartikeln sind für das Jahr 1889 noch zu nennen: Glas aller Art mit 18.300 q und Papier aller Art mit 6856 q.

Von den 94.000 , auf welche sich der Gesammtexport Dublins im Jahre 1889 bezifferte, entfallen: 21.210 auf chemische Düngemittel, 10.678 auf Bier und Ale, 21.440 auf Schaf - und Baumwolle und 10.496 auf verschiedene Metallwaaren.

1087Dublin.

Die folgende Zusammenstellung veranschaulicht die Schiffsbewegung Dublins in den letzten Jahren:

〈…〉〈…〉

Der Haupttheil des Verkehres geht nach den Häfen Grossbritanniens, im internationalen Verkehre nach der Union und Canada.

Als Industriestadt kann Dublin mit anderen günstiger gelegenen Städten nur schwer concurriren, weil es ihm an Wasserkraft fehlt und Kohlen aus grösserer Entfernung zugeführt werden müssen. Die industrielle Thätigkeit ist trotzdem eine ziemlich bedeutende. Wichtig sind namentlich die Maschinen - bauwerkstätten, Giessereien, Möbelfabriken, Kutschenfabriken, ferner Tabakfabriken, Glashütten, Brauereien und Whiskeybrennereien. Weltbekannt sind Dubliner Stout (früher Guinness, jetzt Actiengesellschaft) und Whiskey (Kinahaus L. L.).

Besonders lebhaft ist der Localverkehr mit Grossbritannien, nach welchem wöchentlich 56 Passagierdampfer abgehen.

Die wichtigsten Banken von Dublin sind: Bank of Ireland, National Bank, Provincial Bank of Ireland und Royal Bank of Ireland.

In Dublin unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Bolivia, Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Italien, Liberia, Mexico, Niederlande, Spanien, Türkei, Vereinigte Staaten von Amerika.

[1088]

Belfast.

Für den ganzen Norden Irlands ist das in der Landschaft Ulster gelegene Belfast die wichtigste Stadt, nicht nur als ein Industrieort ersten Ranges, sondern auch wegen des lebhaften Verkehres, welcher durch seinen Hafen vermittelt wird.

Die Geschichte der heutigen Stadt Belfast ist keine alte, wenn - gleich an den Punkt, wo heute die Stadt liegt, sich einige Ereig - nisse von Bedeutung für die Localgeschichte von Irland knüpfen.

Vor Allem trafen daselbst wiederholt die Männer von Ulster mit den feind - lichen Picten im heftigen Kampfe zusammen. Als dann später die Engländer den nördlichen Theil der grünen Insel zu besetzen trachteten, scheint bei Belfast von denselben ein Castell angelegt worden zu sein. Dieses Castell fiel jedoch im XIV. Jahrhundert in die Hände der Iren, und damit ging auch ein guter Theil des Besitzes von Ulster wieder für die Engländer vorloren, welche nur in dem am Belfaster Busen gelegenen Carrickfergus sich behaupten konnten. Durch mehrere Jahrhunderte gab es nun Kämpfe zwischen den Briten in Carrickfergus und den Iren in dem um das alte Castell angewachsenen Belfast. 1570 wurde auch jener britische Besitz von den Iren in ihre Gewalt gebracht, und dies veranlasste Königin Elisabeth’s Günstling Lord Essex zu einem Kriegszuge nach Ulster, welcher nach hartem Ringen die britische Herrschaft sicherte. Die wichtige Position von Belfast wurde jetzt durch den Bau einer neuen starken Veste geschützt, und ein Waffengefährte Essex, Lord Arthur Chichester, wurde mit der Veste und deren Weichbild belehnt. Lord Chichester ist der Gründer des heutigen Belfast, indem er eifrigst bemüht war, Einwanderer aus England, namentlich von seinen eigenen Besitzungen heranzuziehen, um dadurch ein Gegengewicht gegen die widerspenstigen einheimischen Leute zu schaffen. In der That wuchs die neue Anlage rasch heran und gewann bald 1613 städtische Privilegien. Schon 1637 nahm man auf die Herstellung eines Hafens Bedacht. Die grosse Revolution ging auch nicht spurlos an der Stadt vorüber. Belfast sah wiederholt Truppen beider Parteien in seinen Mauern, aber es gelang seiner Bürgerschaft doch, jene Gewaltthaten, welche in anderen Theilen von Irland damals fast an der Tagesordnung waren, fern zu halten, obwohl Belfast immer zur königlichen Sache sich neigte. Seither war der Stadt eine friedliche Existenz gegönnt und unter dem Schutze derselben konnte sie sich zur stetigen Blüthe entwickeln.

1089Belfast.

Die Lage von Belfast ist landschaftlich begünstigt, wie dieses bei den meisten irischen Seestädten der Fall ist. Die Scenerie umfasst die grosse 12 Seemeilen tiefe und zumeist 5 Seemeilen breite Bucht, den Belfast Longh, dessen Gewässer durchaus, mit Ausnahme einer ein - zigen Stelle, sicheren felsenfreien Grund haben, umgeben von stattlichen Höhenzügen, an deren Fusse im Hintergrunde die Stadt selbst sich ausdehnt, welche schon beim ersten Anblick ein bewegtes Bild mensch - lischer Thätigkeit zeigt. Die hohen Schornsteine und der intensive Kohlenrauch deuten auf grosse Industrien hin, in den Strassen herrscht

Belfast.

unermüdliches, rastloses Treiben; alle Welt scheint beschäftigt und bestrebt, die Zeit gut zu nützen; kurz, in der Hauptstadt des nörd - lichen Irland fühlt man sich wieder an die Regsamkeit englischer Häfen erinnert. Die Stadt, welche 210.000 Seelen beherbergt, liegt fast ganz am linken Ufer des Flusses Lagen, welcher an dieser Stelle in die Bucht einmündet und für Hafenzwecke gut ausgenutzt ist. Unter 54° 36′ nördl. Br. und 56′ westl. L. v. Gr. gelegen, stellt sich die Stadt, wie unser Plan zeigt, als eine ziemlich regelmässige Anlage dar. Die langen, meist breiten Strassenzüge gewähren einen stattlichenDie Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1371090Der atlantische Ocean.Anblick. Wir erwähnen hier nur die mit einander parallel laufenden Corporation, York und North Queen Street, die sämmtlich durch eine andere Reihe von Parallelstrassen senkrecht durchschnitten werden, May und Chichester Street mit ihren Fortsetzungen. In der Fortsetzung von May Street, auf dem Donegall-Square liegt die sogenannte Leinen - halle, Linenhouse, weniger wegen ihrer Architektonik als wegen ihres Zusammenhanges mit dem Hauptindustriezweig der Stadt von Be - deutung. Die Leinenindustrie nämlich ist das Wahrzeichen von Belfast, die feste Grundlage seiner Entwicklung. Die Leinenhalle wurde 1785 erbaut und diente als eine Art von Börse für diesen Artikel, dessen Pflege in Irland weit zurückreicht, so dass schon in vergangenen Jahrhunderten die irischen Weber eines Weltrufes genossen.

Unter Karl I. hat Lord Strafford, der überhaupt viel Interesse für Belfast zeigte, viel zur Hebung dieses Industriezweiges beigetragen, später brachten hugenottische Flüchtlinge ihre speciellen Fertigkeiten zum Nutzen der Stadt und Industrie nach Belfast, und Königin Anna setzte eine eigene Commission von Vertrauensmännern ein, denen die Pflege der Leinenindustrie besonders überantwortet war. Durch unaus - gesetzte Verbesserungen in den Erzeugungsmethoden, gepaart mit grosser Reellität im Verkaufe, gelang es den Belfaster Fabrikanten, ihr Product zur ersten Marke gegenüber jeder Concurrenz zu erheben. Der erste Börsenplatz der Welt für Linnen ist eben das Linen - house in Belfast. Diese Leinenhalle führte früher den besonderen Namen der weissen Leinenhalle, im Gegensatze zu der braunen Leinenhalle, die heute nicht mehr benützt wird, jedoch der Be - stimmung ihres Stiftbriefes wegen jeden Freitag offen gehalten werden muss.

Zu den schönsten Gebäuden von Belfast zählt das in den Fünf - zigerjahren errichtete, in italienischem Styl gehaltene Zollamt am Donegall Quai. Natürlich mangelt es auch hier nicht an Kirchenbauten beider Confessionen. Belfast ist eigentlich die Metropole der irischen Presbyterianer, und die St. Enochs-Kirche nimmt unter ihren gottes - dienstlichen Häusern den ersten Rang ein. Die irische Kirche weist auch eine stattliche Anzahl von Gebäuden auf, darunter St. Anna in Donegall Street, 1788 gebaut, St. Georg in High Street, die Christus - kirche auf dem College Square. Ebenso sind die in der Stadt ziemlich zahlreichen Methodisten mit einigen Kirchen vertreten. Die Katholiken haben die sehr schöne und imposante St. Patrick-Kirche und nebst anderen auch die zierliche St. Malachias-Kirche.

Die Erziehungs - und Lehranstalten von Belfast haben seit jeher1091Belfast.einen guten Ruf, und man hat diesem Zweige immer viel Aufmerk - samkeit zugewendet. Den ersten Rang nimmt das in einem stattlichen, im Tudorstyle gehaltenen Gebäude untergebrachte Queens-College ein, welches eine Art Filiale der Royal University of Ireland bildet. Es wurde 1849 eröffnet. Grossen Zuspruch geniesst das Collegium der Methodisten im University Road. Bemerkenswerth ist ferner das Belfaster Museum und die Royal Academical Institution.

Zu den erwähnenswerthen öffentlichen Gebäuden zählt auch das Stadthaus in Victoria Street, 1871 erbaut, dann die in sehr elegantem Style gehaltene Ulster-Bank in Waring Street, mit einer dorischen Façade, die zu Bällen und Concerten verwendete Ulster Hall in Bedford Street, deren grosser Saal 4000 Personen aufnehmen kann. Dem Theatre Royal in Arthur Street rühmt man nach, dass kaum eine Provinzstadt des Königreiches ein schöneres aufzuweisen habe. Stolz ist man auch und mit einigem Rechte auf den botanischen Garten, der ein grosses eisernes Pflanzenhaus besitzt und nicht nur ein voll - ständiges Bild der Flora von Irland liefert, sondern auch durch eine besonders reiche Sammlung von Eichen eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Von dem alten Castell ist kein Rest mehr vorhanden als der Namen des Platzes, wo es gelegen war. Es wurde bereits 1708 durch eine Feuersbrunst zerstört.

Wenden wir uns nun dem Flusse zu, auf dessen rechtem Ufer eine Art von Vorstadt gelegen ist; derselbe wird von zwei Brücken, der Albert-Brücke und der stattlichen Queens-Brücke, dann auch noch von einer Eisenbahnbrücke übersetzt. Unterhalb von Queens-Bridge, über welche man sofort in das Herz der Stadt gelangt, erstrecken sich auf beiden Ufern des Flusses Quais. Jene am rechten Ufer sind mit Schienensträngen der Central Railway versehen. Am linken Ufer zieht sich eine Tramway entlang, welche die Verbindung mit der Eisenbahn beim Belfast Northern County Terminus herstellt. Diese Tramway verästelt sich auch in die Docks des linken Ufers. Die vorher erwähnten Quais sind begleitet von einer Reihe stattlicher Docks. Zunächst können wir deren Besprechung beginnen mit dem Clarendon Dock, einem Bassin in reckteckiger Form mit einer Einfahrt aus dem Flusse, welches mit einem kleinen Molo und zwei Trocken - docks sowie auch einer Werfte ausgerüstet ist. Von Clarendon-Dock führt der Princes-Quai zum Princes-Dock, das sich der Länge nach ins Land hineinzieht und mit einigen Speichern ausgestattet ist. Hierauf folgt der Albert-Quai, an dessen Innenseite ein Holzbassin placirt ist. Neben diesem Bassin ist das Dufferin-Dock, welches seinen137*1092Der atlantische Ocean.Zugang durch das grosse viereckige Spencer-Bassin hat. Ausserdem sind auf diesem Ufer mehrere Holzbassins situirt.

Auf dem rechten Ufer des Lagan befindet sich das Abercorn - Bassin, hinter welchem grosse Eisenwerke und Maschinenwerkstätten einen bedeutenden Raum einnehmen. Dann ziehen sich den Fluss entlang eine Anzahl von Schiffswerften hin, welche ihren Abschluss bei dem grossen Alexandra-Trockendock finden. Die eigentlichen Docks haben 39 ha Wasserfläche. Alle diese Anlagen verdanken ihr Ent - stehen der Regulirung des Flusses und den Bemühungen der Harbour - Commission, einer 1831 durch Parlamentsacte eingesetzten Corporation.

Vorher mussten die Schiffe wenigstens vier Meilen unter der Stadt bleiben, und war daher der Verkehr hiedurch äusserst erschwert, da man viel mit Lichterbarken zu arbeiten genöthigt gewesen ist. Heute ist all dem durch obige Arbeiten gründlich abgeholfen, und Belfasts Verkehr kann noch eine erhebliche Steigerung ertragen, ohne in seiner Entwicklung behindert zu werden.

Die Zufahrtsverhältnisse von Belfast sind indes nicht die gün - stigsten, denn viel zu lange liess man die Verschlammung des Lagan - flüsschens anstehen, und erst neuerer Zeit war man gezwungen, um den Hafen für grössere Schiffe praktikabel zu machen, zu grossen Arbeiten zu schreiten. Der nahezu 5 km lange innerste Theil der Bucht war derart versandet, dass sich bei Ebbe durch diese Barrière nur die seichte Wasserader des Laganflüsschens durchgrub. Bei Regulirung des letzteren wurden sowohl Baggerungen vorgenommen wie auch Dammbauten aufgeführt. Man vertiefte das Bett bis auf 3·6 m unter den Ebbestand und erbaute die beiden Dämme West und East Twin Islands, welche zusammen den Victoria-Canal bilden. Da nun die Flut in der Bucht auf 3·4 m ansteigt, so können jetzt aller - dings Schiffe bis zu 7 m Tauchung den inneren Hafen und die Docks erreichen, allein bei der zunehmenden Grösse der Schiffe ist eine weitere Vertiefung für die Dauer wohl unvermeidlich.

Legende zum Plan von Belfast. A Whitehouse-Rhede, B Victoria-Canal, C Alter Lagan-Canal, D Spencer-Dock, E Dafferin-Dock, F Leucht - feuer, G Bauholzbassin, H Princes-Dock, J Clarendon-Dock, K Abercorn-Dock, L Co. Down-Station, M Northern Counties-Station, N Gt. Northern-Station, O Eisenbahnstationen der Centraleisenbahn, P Zollamt, Q Donegall-Quai, Q1 Queens-Quai, R Donegall Str., S York Street, T Queens Bridge, U Albert Bridge, V Ormean Bridge, W Royal Academy, X Linen Hall, Y Smithfield, Z Militärkasernen. 1 Court House, 2 County-Gefängniss, 3 Belfast Union Workhouse, 4 Taubstummeninstitut, 5 Queens College, 6 May Street, 7 St. Annen-Kirche, 8 Christkirche, 9 Docks und Werften, 10 Marine-Schiffbau - werkstätte, 11 Hafenamt, 12 Shankhill Road, 13 Old-Lodge Road, 14 Corporation Str., 15 Royal Avenue 16 University Road.

[1093]
Belfast (Sonden und Höhen in Metern. Die unterstrichenen Sonden bedeuten Tiefe bei Hochwasser).

(Legende siehe auf Seite 1092).

1094Der atlantische Ocean.

Belfast zeigt während der letzten drei Jahre folgende Handels - bewegung:

〈…〉〈…〉

In der Getreideeinfuhr Belfasts, welche den wichtigsten Theil seines Im - portes bildet, sind Weizen und Mais am stärksten vertreten. Es wurden in den letzten drei Jahren eingeführt:

〈…〉〈…〉

Der Import von Provisions und Früchten ist ein ziemlich lebhafter. Die Zwiebeleinfuhr betrug 1889 29.326 hl.

An Getränken bezog Belfast im letzten Jahre 5780 hl Wein und 2902 hl Spirituosen.

Der Import von Zucker belief sich im selben Jahre auf 28.000 q.

Sehr bedeutend ist die Einfuhr von Flachs mit 153.700 q und Hanf mit 22.900 q.

Die Einfuhr von Oel wird durch 431 t Olivenöl repräsentirt. Bedeutender ist die Einfuhr von Oelsamenkuchen mit 2259 t.

Unter den 1889 importirten Samenarten ragen Flachs - und Leinsamen mit 1990 q und Klee - und Grassamen mit 1330 q hervor.

Petroleum bildet einen der wichtigsten Importartikel und weist 1889 89.900 hl, 1888 48.583 hl, 1887 61.395 hl aus.

Einen verhältnissmässig geringen Import verzeichnen Metalle; dieser be - schränkte sich im letzten Jahre in der Hauptsache auf 10.868 q Stahlfabricate.

In der Reihe der übrigen Artikel sind nach den Einfuhrslisten pro 1889 hervorzuheben: Verschiedene Düngemittel mit der Gesammtziffer von 7625 t, Glas aller Art in der Höhe von 13.200 q, Lumpen und andere Materialien für die Papierfabrication mit 7562 t.

Zum Schlusse ist noch die Einfuhr von Holz hervorzuheben, welche in der gleichen Zeitperiode umfasste: 26.500 m3 gefälltes Holz (Balken), 133.000 m3 ge - sägtes und gespaltenes Holz, 1155 m3 Fassdauben und 267 t Mahagoniholz.

In der Ausfuhrsbewegung Belfasts spielt nur der Exportinländischer Erzeugnisse eine Rolle, weshalb wir hier auch nur diesen besprechen.

Bei der hochentwickelten Leinenindustrie ist es denn auch natürlich, dass deren Erzeugnisse in der Ausfuhr überwiegen. Sie nehmen mehr als 60 Per - cent der Gesammtausfuhr für sich in Anspruch und weisen 1889 folgende Ziffern auf: 1889 Leinenstückwaare 11,844.800 m im Werthe von 314.967 , Leinen - zwirne im Werthe von 93.799 .

Den nächstwichtigen Exportartikel bilden irische Spirituosen im Werthe von 79.809 .

Erwähnenswerth ist ferner noch die Ausfuhr von Maschinen im Werthe von1095Belfast.13.036 und die von verschiedenen Metallwaaren im Gesammtwerthe von 31.071 .

Der Werth aller anderen im Jahre 1889 ausgeführten Waaren beziffert sich auf rund 150.000 .

Seine Stellung als bedeutendste Handelsstadt Irlands verdankt, wie schon erwähnt, Belfast der Leinenindustrie und dem durch sie genährten Handel. Neben grossartigen Flachsmühlen und Leinenfabriken besitzt Belfast zahlreiche Webereien und Baumwollfabriken. Daneben werden Seilerei - und Segeltuchfabrication in starkem Masse betrieben. Unter den übrigen in Belfast etablirten Industrien sind zu nennen: Eisengiessereien, Maschinenbau, Werften für den Bau eiserner Schiffe, Buchdruckereien, Brauereien und Brennereien.

Nachstehende Tabelle veranschaulicht den Schiffsverkehr von Belfast

〈…〉〈…〉

Den lebhaftesten Verkehr unterhält Belfast mit Liverpool und Glasgow als den Hauptvermittlern seines Aussenhandels. Es ist auch Station für die Dampfer der Dominionlinie (Liverpool Montreal) und der Statelinie (Glasgow New-York). Von Belfast gehen zwei Eisenbahnlinien nach dem Inlande, drei Kabel nach Stranraer in Schottland.

Die wichtigsten Banken von Belfast sind: Bank of Ireland, Nationalbank, Belfast Banking Co., Provincial Bank of Ireland.

In Belfast unterhalten Consulate: Argentinien, Belgien, Dänemark Deutsches Reich, Hawaii, Liberia, Peru, Vereinigte Staaten von Amerika.

[1096]

Reykjavik.

Im fernen Nordmeere, dort wo Eis und Schnee weithin das Scepter führen und die Natur nur unter schwerer Mühe zu einiger Entfaltung gelangt, liegt Island, das Land des Eises, des feuerspeien - den Hekla und der wunderbaren Geyserquelle, die Ultima Thule alter Geographen. Skandinavische Männer, auf abenteuerlicher und bisweilen auch räuberischer Seefahrt begriffen, haben die Besiedelung dieser grössten europäischen Insel veranlasst, eine Besiedelung, der freilich durch die Beschaffenheit des Bodens enge Grenzen gezogen sind. Kennt man doch auf Island keinen Baumwuchs! Von hier aus ward schon in früher Zeit Grönland entdeckt; von hier aus hat man die Küste Nordamerikas, wenn auch nur vorübergehend, besucht, ehe noch Columbus dahin seine Fahrt mit spanischen Schiffen antrat. Island lag abseits von dem Treiben der übrigen Welt, und nur der Umstand, dass es nach einer mehr als dreihundertjährigen Selbständigkeit in - folge innerer Streitigkeiten fremde Intervention anrief, brachte es unter norwegische Oberhoheit und damit später mit Norwegen unter die dänische Herrschaft. Die Dänen haben die Insel eigentlich bis herauf in die allerjüngsten Tage nicht günstig behandelt, indem sie die Freiheit ihres Handels beschränkten und die Isländer zwangen, ihre Bedürfnisse nur von dänischen Importeuren zu nehmen. Unter König Christian IX. wurden diese Beschränkungen beseitigt und bekam die Insel zugleich mit einer ganz selbständigen Verfassung auch volle Freiheit ihrer commerziellen Bewegung.

Island ist 105.000 km2 gross, zählt aber bloss 72.000 Ein - wohner, welche zumeist an den Küsten in Einzelhäfen leben, darum hat die Insel eigentlich nur einen Ort von Bedeutung, das an der Westküste in dem Faxa-Fjord gelegene Reykjavik.

Diese Stadt schreibt ihre Gründung der Fahrt norwegischer Edlen unter Ingolf zu, welche um das Jahr 874 vor heimischer Bedrückung fliehend sich nach dem bereits durch frühere Fahrten von Landsleuten bekannten Island be - gaben. Ingolf gelobte hiebei, so wird von der Sage erzählt, eine Stadt an jener[1097]

Reykjavik.

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 1381098Der atlantische Ocean.Stelle zu gründen, welche ihm durch seine Hausgötter, deren Denksäulen er mit sich genommen und in der Nähe der Insel in See geworfen hatte, gewiesen werden würde. Diese Säulen verschwanden jedoch zunächst, ehe sie Land erreichten, und die Männer Ingolf’s landeten an der Südküste und blieben dort durch mehrere Jahre, bis man Kunde erhielt, dass jene Götterbilder an einer anderen Stelle ans Land geschwemmt worden seien. Nun zog Ingolf dahin und begründete die obgenannte Stadt, welche seither der Hauptort Islands geblieben ist.

Reykjavik liegt unter 64° 9′ nördl. Br. und 22° westl. L. v. Gr. im Hintergrunde des sehr breiten und gegen Seegang wenig ge - schützten Faxa-Fjordes, ziemlich geschützt. Es hat 1360 Einwohner, meist nur einstöckige Häuser, aus Lavasteinen erbaut, oft mit Holz verkleidet. Die Häuser, unter denen eigentlich nur das Parlamentshaus hervorragt, während sogar das amtliche Wohnhaus des Gouverneurs sich durch bescheidene Einfachheit auszeichnet, haben Holz -, meist aber Grasdächer. Die Strassen sind gut und breit, ein freier Platz ist geschmückt mit einem Monumente Thorwaldsen’s. Die Lebens - ansprüche der Isländer, welche noch die Sprache der Wikinger, das Altnordische, reden und die jeder wenigstens lesen und schreiben können, sind genügsam, wenn auch durch die Verhältnisse vielfach diese Bescheidenheit auferlegt wird. Die Isländer, in deren Volks - charakter sich noch die meisten germanischen Tugenden, besonders die Ehrlichkeit, Treue, Offenheit bewahrt haben, zeigen auch darin eine sehr lobenswerthe Eigenschaft, dass sie in der Art ihres Er - werbes nicht wählerisch sind und sich je nach Umständen auch mit einer Art des Verdienstes begnügen, der ihnen nicht immer gerade der nächstliegende ist. Fischfang und Viehzucht bilden die Haupt - beschäftigungszweige der Isländer. Namentlich sind es die Kabeljaus, Häringe, Robben, Wale und Haifische, denen man besonderes Augenmerk zuwendet. An dem felsigen Gestade von Reykjavik werden überall Dorsche gereinigt, gesalzen und getrocknet. Auf den Inseln und an den einsamen Küsten hausen Eidergänse, deren Nester man der Eiderdunen wegen zweimal jährlich plündert. Die reichen Wiesen des Landes, dem wegen der geringen Sommerwärme der Ackerbau fehlt, nähren Schafe und kleine, aber ausdauernde und flinke Pferde. Der Ausfall der Heuernte ist daher ebenso wichtig für den Wohlstand des Landes, wie das Ergebniss des Fischfanges.

Als Hafen hat natürlich Reykjavik im Weltverkehre keine Stellung, aber als Hauptstadt der in ihrer Art einzig dastehenden Insel, deren Bewohner mit ihrer uralten Sprache, Cultur, ihrer Armut und eigenartigen hohen Bildung wie eine Säule aus den Tagen der Nibelungen in unsere Zeit hereinragen, verdient sie unsere Aufmerk -1099Reykjavik.samkeit. Vor Reykjavik und der westlich gelegenen Bucht Havne - Fjord finden die Schiffe bei gutem Ankergrund gesicherte Liegeplätze.

Eigentliche Hafenanlagen gibt es in Reykjavik nicht. Man operirt dort noch in einfacher Weise. Wohl darf man auch nicht vergessen, dass der Hafen einen Theil des Jahres des Eises wegen nicht zugänglich ist. Den Verkehr mit Island unterhalten haupt - sächlich dänische Postdampfer, deren einer monatlich von Kopen - hagen über Leith in Schottland und Thorshave auf den Faröern ankommt, und englische Dampfer ebenfalls von Leith her. Von Leith

Reykjavik (Massstab 1: 502.000; Sonden in Metern).

F Leuchtfeuer.

aus erreichen diese Dampfer bei gutem Wetter in fünf Tagen den Hafen von Reykjavik. Die englischen Schiffe vermitteln die verhält - nissmässig starke Auswanderung der Isländer nach Canada und der Union, wohin in den letzten Jahren Tausende zogen und noch ziehen und sich eine neue wirtliche Heimat gründen.

Reykjavik ist der wichtigste Handelsplatz der Insel, aber auch hier wird der Handel wie überall sehr primitiv betrieben und ist eigentlich nur ein Tausch - handel. Die Geschäfte werden in den Factoreien abgeschlossen, welche meistens in Kopenhagen wohnenden Kaufleuten gehören. Eine Factorei auf Island muss Alles führen, selbst Apothekerwaaren, weil es auf der ganzen Insel nur vier Apotheken gibt.

138*1100Der atlantische Ocean.

Die Hauptartikel der Einfuhr sind Roggenmehl, Roggen, Tabak, Kaffee, Salz und Spirituosen, die billigsten Sorten Bretter und Steinkohlen; alles gelangt über Kopenhagen und Leith hieher.

Der wichtigste Theil der Ausfuhr Islands, auf welche sich die folgenden Ziffern beziehen, sind Klippfische, in kleinerem Masse Stockfische, zusammen jähr - lich etwa 60 70.000 q, die nach Dänemark, Grossbritannien und Spanien gehen.

Häringe werden meist nach Dänemark versendet, der ausgeführte Thran ist zum grössten Theile Haileberthran, zu einem kleineren Theile Dorschleberthran.

Schafwolle wird nach Dänemark und Grossbritannien ausgeführt, im Ganzen etwa 6 7000 kg, gesalzene Schaffelle, gesalzenes Lammfleisch und Talg gelangen fast nur nach Kopenhagen, wohin auch beinahe alle Eiderdunen gelangen (1888 5000 kg). Dagegen ist die Ausfuhr lebender Pferde und Schafe nicht nach Dänemark gerichtet. Gewiss höchst bemerkenswerth ist, dass dieser ärmste Fleck Landes im Verkehrsorganismus von Europa und Island in seiner Handelsbilanz activ ist.

In Reykjavik unterhält nur Grossbritannien ein Consulat.

Wenn dort jene Zeit herangebrochen ist, in welcher die Sonne nicht vom Horizonte verschwindet und da es zur nächtlichen Stunde auch hell bleibt, wenn man die armselige Vegetation und die eigenthümlichen Gletschergebilde betrachtet und ringsumher das ge - waltige Nordmeer erbraust, dann wähnt man kaum mehr auf Europas Boden zu stehen. Und doch erinnern wieder die Sprache, die Zeichen einer alten und hochentwickelten Cultur, die Beziehungen des Landes an den europäischen Charakter seines Daseins. Aber ist es auch Europa, so fühlt man doch in dessen Ultima Thule zu sein.

Vom hellen, sonnigen, lebenswarmen Süden bis hinauf nach dem strengeren, ernsteren, aber in Thätigkeit hochangespannten Norden, von den gefürchteten Küsten des Euxinus bis zu den Gestaden der Atlantis sind wir gewandert und haben gesehen, wie in einer Reihe grosser Häfen der Antheil am Weltverkehr in den verschiedensten Ge - staltungen und Formen sich bemerkbar macht, und nach der Fülle von gewonnenen Eindrücken halten wir einen Augenblick Rast an Islands Strand, einer zur Sammlung geeigneten Stätte. Einst fuhren dessen Söhne schon nach dem Westen. So wollen wir auch, das alte Europa verlassend, nunmehr eine andere Welt suchen und betrachten, wie die neuen Schöpfungen dieser Welt sich zu jenen verhalten, von denen wir bei Island jetzt Abschied nehmen.

Druck von Johann N. Vernay in Wien.

About this transcription

TextDie Seehäfen des Weltverkehrs
Author Josef von Lehnert
Extent1125 images; 347675 tokens; 43858 types; 2487824 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Seehäfen des Weltverkehrs I. Band. Häfen Europas sowie der asiatischen und afrikanischen Küsten des Mittelmeerbeckens Josef von Lehnert. Alexander Dorn (ed.) . 1100 S. DornWien1891.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Fg 3818-1http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=555264203

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ClassificationFachtext; Ökonomie; Wissenschaft; Ökonomie; Gebrauchsliteratur; core; ready; china

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