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Druck von Johann N. Vernay.
Der Inhalt dieses zweiten, die gesammte Arbeit abschliessenden Bandes ist nach denselben Grundsätzen und in der gleichen Weise verfasst, wie jener des ersten Bandes. Es liegt daher keinerlei Veranlassung vor, den auf Plan und Durchführung be - züglichen Erörterungen, welche in der Vorrede zum ersten Bande enthalten waren, irgend welche sachliche Bemerkungen beizufügen.
Besonders hervorheben will ich nur, dass — wie schon auf dem Titelblatte dieses Bandes ersichtlich — einige neue, werthvolle Kräfte an der Arbeit sich betheiligt haben. Es sind dies die Herren: Director Robert Müller des k. u. k. hydrographischen Amtes in Pola, Linien - schiffs-Lieutenant Friedrich Ritter Müller v. Elblein, Linienschiffs - Lieutenant Eduard Edler v. Friedenfels und Linienschiffs-Fähnrich Alfred Freiherr v. Koudelka.
Sowohl in Bezug auf diese neuen Genossen, als in Bezug auf jene Herren, die schon von früher her mit ihrer Thätigkeit dem Werke angehören, kann ich an dieser Stelle nur dem wärmsten Danke für ihre Hingebung und für die Vortrefflichkeit ihrer Leistungen Ausdruck geben, wie ich dies schon beim Erscheinen des ersten Bandes gethan. Auch im zweiten Bande war es nur durch das Ineinander - greifen und gegenseitige Unterstützen der einzelnen Verfasser möglich, die Gleichmässigkeit von Darstellung und Inhalt der verschiedenen Abschnitte zu bewahren. Es geht daher wohl auch nicht gut an, etwa hier die Antheile der Einzelnen an der Arbeit zu specialisiren; nur soviel mag etwa gesagt sein, dass naturgemäss und ihrem Berufe ent - sprechend Herrn Professor Dr. Zehden, Herrn Professor Dr. Cicalek (Häfen des Mittelmeerbeckens, der West - und Nordküsten des europä - ischen Continentes, ferner Amerikas, Japans und Chinas) und Herrn Secretär Schwarz (Häfen Grossbritanniens, Indiens, Ost -, Süd - und West - Afrikas und der australischen Gewässer), vorzugsweise die Bearbeitung des commerciellen Stoffes — im weitesten Sinne des Wortes — zukam, während die anderen Herren den historischen, beschreibenden und nautischen Theil der einzelnen Darstellungen besorgten. Aber diese Scheidung war keineswegs so strenge, dass nicht häufig gegenseitige Ergänzung platzgegriffen hätte; Jeder gab eben dem gemeinsamen Werke, was er hatte.
Auch der Unterstützung von auswärts will ich hier so wie im ersten Bande dankend gedenken und nur noch beifügen, dass auch die Direction des k. k. österreichischen Handelsmuseums werthvolles Quellenmaterial in zuvorkommendster Weise zur Verfügung gestellt hat.
Dass das Werk ganz frei von Irrthümern oder Lücken sei, kann freilich nicht behauptet werden — es scheint mir jedoch auch ganz un - möglich, alle Mängel gänzlich zu vermeiden. An die Leser, welchen Fehler auffallen, richte ich aber die Bitte, solche nicht nur mit der Schwierigkeit der Arbeit zu entschuldigen, sondern auch gefälligst davon Mittheilung machen zu wollen, damit bei einer zweiten Auflage die entsprechende Verbesserung vorgenommen werden könne.
Wien, im October 1891.
Dorn.
Nicht aus dem nebelhaften Reiche der Sagen und Märchen, sondern mit der nüchternsten Klarheit tritt die atlantische Küste Amerikas in die Geschichte ein. Fünfzig Jahre nach der Fahrt des grossen Columbus hatten die Conquistadores und Piloten des XVI. Jahrhunderts die Umrisse der neuen Welt in den Grundzügen festgestellt, und die Riesenreiche, die sie entdeckten, waren um diese Zeit bereits vertheilt. Den Romanen fiel der Löwenantheil zu; die Ger - manen, von den Tropen sowie den reichen Minen ausgeschlossen, grün - deten im kalten Norden ihre kleinen, auf dem Pfluge und dem Principe der religiösen Duldung aufgebauten Colonien am atlantischen Ocean.
Das unerbittliche Recht des Stärkeren vollzog die furchtbare Enterbung der Urbewohner eines ganzen Welttheiles.
Für die eingebornen Stämme war der Kampf ums Dasein mit dem Sturze der Culturreiche der Montezuma und Inka für ewige Zeiten verloren, und so viel Blut seit Jahrhunderten für das legitimste Interesse, die Selbsterhaltung, auch geflossen ist, es war vergebens geopfert.
In zahllose Stämme gesondert, ohne gemeinsame Sprache und Religion und der geistigen Impulse einer idealen und praktischen Weltanschauung entbehrend, mussten diese Völkerschaften im un - gleichen Kampfe gegen eine übermächtige Cultur unterliegen. Ihr Schicksal lautet: Untergang oder Verschmelzung mit dem Sieger. Von den ursprünglichen Wohnsitzen vertrieben und decimirt, haben deren auch viele der Enterbten heute selbst die Eigenthümlichkeit ihres Stammes grossentheils aufgegeben, andere dagegen eilen im fortge - setzten Kampfe der gänzlichen Vernichtung entgegen.
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 12Die atlantische Küste von Amerika.Wenn aber auch die europäischen Einwanderer in dem einen Er - folge, der siegreichen Zurückdrängung und allmäligen Vernichtung der autochthonen Bewohner, einander glichen, so gab sich doch in der weiteren Entwicklung, im Ausbaue der neuen Ansiedlungen der tief - greifende Unterschied zwischen germanischer und romanischer Ab - stammung deutlich kund, deutlicher selbst als in dem alten Europa, wo doch gemeinsame äussere Cultur und vielfache Berührung stets wenigstens oberflächlich eine gewisse Uebereinstimmung, ein Alle gleich - mässig umfassendes Europäerthum erscheinen liess. Der kräftig aus - gebildete Charakter der Einwanderer, vielfach auch die Entfernung der einzelnen Ansiedlungen von einander liessen Vermischungen und Uebergänge in der neuen Heimat nicht zu, und so blieb die Eigenart der Stämme grösstentheils bis heute gewahrt.
Stets zeigte sich ein Unterschied zwischen dem germanischen und romanischen Amerika. Ersteres griff schon im XVII. Jahrhundert, wenn auch sehr bescheiden, in den europäischen Handel ein; letzteres war seit den Tagen der Besitzergreifung durch die Spanier und Por - tugiesen für die übrige Welt vollkommen abgeschlossen; der ameri - kanische Handel war ein Monopel von Lissabon und Sevilla. Keine fremde Flagge durfte spanisch-amerikanische Häfen aufsuchen, kein Ausländer spanisch-amerikanischen Boden betreten; ja, damit Alexander v. Humboldt noch zu Anfang unseres Jahrhunderts seine berühmte wissenschaftliche Reise machen konnte, bedurfte es eines eigenhändigen Handschreibens des Königs von Preussen an den König von Spanien, der allein diesen unerhörten Ausnahmsfall bewilligen konnte. Unter solchen Umständen ist es gewiss erklärlich, dass Humboldt „ der wissenschaftliche Entdecker “Amerikas wurde. Er wies unter anderem zuerst auf den ganz eigenthümlichen Aufbau des schlanken Continents hin, dessen Rückgrat das längste Gebirge der Erde, die 14.000 km langen Cordilleren vom Feuerlande bis zu den ewigen Eisbergen Nord - west-Canadas, so steil aus dem stillen Ocean aufsteigt, dass auf der ganzen Länge des Continentes diesem Meere kein einziger grösserer schiffbarer Strom zueilt. Die Ostabhänge der riesigen Andes dagegen sammeln die Feuchtigkeitsmassen, welche namentlich die Passate herbeischleppen und werden so die Quellengebiete der amerikanischen Riesenströme. Die Stromgebiete des Lorenz, Mississippi, Orinoco, Ama - zonas und La Plata umfassen vier Fünftel der Oberfläche von ganz Amerika und weisen selbst die Hochthäler der Cordilleren commerciell auf den atlantischen Ocean hin. Auf Grund dieser natürlichen Voraussetzung entwickelten sich alle grossen Emporien des amerikanischen Handels3Die atlantische Küste von Amerika.an der Europa zugewandten atlantischen Küste. Plätzen, wie Montreal, Boston, New-York, Baltimore, New-Orleans, Vera Cruz, Havanna, Para, Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Ayres hat die weltentlegene, vom Innern durch Riesengebirge abgeschiedene Westküste des Erd - theiles nur wenig Aehnliches an die Seite zu stellen.
Die Suprematie ist der Ostküste wohl für ewige Zeiten gewahrt durch die eben angedeutete natürliche Configuration und Bewässerung des Continents, durch die Nähe Europas, welches man von einzelnen atlantischen Häfen heute schon in sechs Tagen erreichen kann, und end - lich durch die ausgezeichnete Küstenentwicklung selbst, welche ihren Glanzpunkt in der ebenso schönen als für den Welthandel günstig gelegenen westindischen See erreicht. Hier liegt auch jene berühmte Stelle bei Panama, wo sich die bis 7000 m hohe und an vielen Stellen mehrere Tausend Kilometer breite Cordillerenkette bis 100 m senkt und auf 40 km Breite zusammenschnürt. Hier dürfte wohl noch in unserem Jahrhundert der schon von Cortez geplante Canal beide Weltmeere verbinden. Dieser Canal wird aber in erster Linie für die Interessen des atlantischen Oceans und speciell für die Ostküste Amerikas arbeiten, welchen er die Häfen am Pacific commerciell viel mehr nähern wird, als dieses die Pacificbahnen vermögen.
Aber nicht nur das inselreiche Westindien, die ganze krause atlan - tische Küste Amerikas besitzt hunderte von Buchten, Baien und Fluss - mündungen, welche ganz dazu berufen wären, statt der Urwälder grosse Handelsstätten in den Fluten zu spiegeln.
Welcher grossartigen und namentlich raschen Entwicklung aber das menschenleere Amerika, das ja erst in unserem Jahrhunderte selbständig in den internationalen Wettbewerb eingetreten ist, fähig ist, zeigt nicht nur der beispiellose Aufschwung Nordamerikas zum zweiten Handelsstaate der Erde, sondern ebenso die neueste Entwick - lung Argentinas.
Beide Beispiele lehren mit der ganzen Rücksichtslosigkeit histo - rischer Wahrheiten, dass alle Entwicklung in Amerika von der Ein - wanderung, und zwar der Einwanderung einer tüchtigen, Ackerbau treibenden Bevölkerung abhängt.
Alle Herrlichkeiten, welche die Spanier auf dem Schwerte auf - gebaut hatten, ihre einst weltberühmten Minen, ihr Plantagenbau, ihre Handelsmonopole und Regalien sind halb oder ganz zerfallen; auf dem reichsten Boden der Erde wohnen ihre Nachkommen vielfach als Bettler in elenden Adobehütten, während die armen germanischen Feldbauern die riesige Union aufbauten und in derselben einen Volks -1*4Die atlantische Küste von Amerika.wohlstand schufen, wie ihn die Welt noch nie gesehen. Der Weizen - bauer besiegte allerorten den Goldgräber.
Diese Einwanderung, die Zukunft Amerikas, kommt vom Osten. Die atlantischen Häfen nehmen die eine neue Heimat Suchenden auf, vertheilen sie über die unermesslichen Gebiete; die atlantischen Häfen werden so auch die natürlichen Brennpunkte der Cultur, welche von hier aus immer weiter über den fernen Westen die segnenden Strahlen von Licht und Wärme ergiesst.
Die grossartige Völkerwanderung über den atlantischen Ocean hat aber auch einen ungeahnten Einfluss auf die Welt der Technik genommen und sie zu bewunderungswürdigen Leistungen ermuntert, die, sämmtlich auf die Bewältigung des kolossalen Personenverkehres zwischen zwei gewaltigen Continenten abzielend, eine völlige Revolution des ganzen Seeverkehres einleiteten.
So ward, gleichwie das schlanke und rohgemeisselte Canoe der Indianer aus dem Bannkreise einer neuen Cultur verschwand, auch das frühere unbehilfliche Segelschiff der Auswanderer durch die Kunst - bauten einer hochentwickelten Technik verdrängt, und an seiner Stelle durchschneidet gegenwärtig der scharfe Bug mächtiger, schneller und prunkvoller Stahldampfer, wahrhafter Paläste der Atlantis, die Wogen des Oceans.
[5]Ein Gebiet von ungeheurer Ausdehnung ist es, das die mächtige Krone Grossbritanniens unter dem stolzen Namen „ Dominion of Canada “durch ebenso kluge, wie ununterbrochene Ausnützung der Verhältnisse allmälig zu erwerben und politisch zu vereinigen verstanden hat. Den ganzen Norden des amerikanischen Welttheiles umfassend, an zwei Oceane gelehnt und im Süden von der hervorragenden Handels - strasse durchzogen, welche der majestätische St. Lorenz-Strom und in dessen Verlängerung die fünf gewaltigen Seen bilden, weist das den europäischen Continent an Flächenraum überragende Reich die glän - zendsten Vorbedingungen für seine Entwicklung auf.
Schon jetzt haben das engere Canada, dann Neu-Braunschweig und Neu-Schottland einen hohen Rang auf der Stufenleiter der cultu - rellen Bestrebungen erreicht und bilden den kräftigen Kern, von dem aus ein frisches Leben befruchtend hinüberquillt in die endlose Wild - niss der westlichen Gebiete des canadischen Reiches.
Der mächtige St. Lorenz-Strom, seine wasserreichen Nebenflüsse und die mit grossen Kosten hergestellten Schiffahrtscanäle sind Ver - kehrsadern erster Ordnung, welche das fruchtbare und an malerischen Effecten reiche Land der tausend Seen mit dem atlantischen Ocean direct verbinden. Gleicherart durchzieht ein von Halifax ausgehendes das ganze Reich bis zum stillen Ocean durchquerendes, gross ge - plantes Eisenbahnnetz die wichtigsten Productionsgebiete und ver - mittelt deren commerciellen Anschluss an die südlichen Nachbarländer der nordamerikanischen Union.
Unermessliche Schätze harren noch der Hebung aus jungfräu - licher Erde.
Das canadische Reich umfasst 8·3 Millionen Quadratkilometer und ist von 5 Millionen Einwohnern bevölkert. Hievon entfallen auf das eigentliche Canada, nämlich die Provinzen:
6Die atlantische Küste von Amerika.Scharf sondern sich in den genannten Provinzen die nationalen und kirchlichen Verhältnisse, und zwar ist die Bevölkerung des im Gebiete der grossen Seen keilförmig eingeschobenen Ontario, früher Ober-Canada genannt, zumeist britischer Abkunft und protestantisch, in Quebec (Unter-Canada) hingegen französisch und katholisch. Die ursprüngliche Indianerbevölkerung hat wie überall in Amerika auch hier der „ weissen Ameise “das Feld geräumt und lebt in einer Zahl von 131.000 (1883) Köpfen und mehreren Stämmen angehörend zer - streut im Lande.
Wenn uns aus der Geschichte der ältesten Culturstätten die glanzvollen Namen grosser Fürsten, Heerführer, Staatsmänner und Heroen des Geistes entgegenleuchten, so gehört in der so treffend be - zeichneten „ neuen “Welt der ganze Ruhm der historischen Vergangen - heit jenen kühnen Seefahrern, die von einem mächtigen Gedanken ge - leitet und allen Gefahren trotzend, als unerschrockene Pionniere der Cultur unbekannten Zielen entgegensteuerten.
In dieser Hinsicht sind an Canada die Namen Caboto und Car - tier gefesselt.
Sebastian Caboto, der Sohn des Genuesen Giovanni Caboto, des Entdeckers von Labrador (1494), betrat 1497 die Insel Neufoundland und befuhr in späteren Jahren die Hudsonsbai-Strasse. Auch ist er als Seefahrer an der atlantischen Küste von Südamerika (1526 bis 1530) zur Berühmtheit gelangt. Jacques Cartier erscheint dagegen nicht nur als eigentlicher Entdecker Canadas, damals „ La nou - velle France “genannt, sondern auch als erfolgreicher Colonisator derselben. Aus St. Malo stammend, trifft er, im Auftrage Franz I. auf der Fahrt nach Labrador begriffen, im Jahre 1534 zum erstenmale an der Mündung des St. Lorenzstromes ein, erwirbt im folgenden Jahre die Freundschaft des mächtigen Indianerhäupt - lings Donnacona, der in Stadacona, einem Orte an der Stätte des heutigen Quebec, residirte, und befährt den Strom bis hinauf nach Montreal (das indianische Hoche - laga). 1541 gewinnt er durch den Bau eines Forts bei Cap Rouge südlich des heutigen Quebec einen festen Stützpunkt. Von hier aus begann das Werk der Colonisation.
1608 gründet S. Champlain, der Entdecker des nach ihm be - nannten grossen Sees, die Stadt Quebec, und am 18. Mai 1642 legt Paul de Chomedey, Sieur de Maisonneuve den Grund zur Ville Marie de Montreal, heute kurzweg Montreal genannt.
Das Emporblühen der französischen Besitzung war geeignet, die Eifersucht Grossbritanniens zu erwecken, und da auch Grenzstreitig - keiten mit den südlichen englischen Colonien ausbrachen, so erdröhnte7Montreal und Quebec.die erhabene Wildniss der Uferlandschaften des Stromes wiederholt vom Donner der Kanonen. Mächtige englische Flotten erschienen da - selbst und bedrohten im Kampfe gegen die französische Militärmacht die hervorragenden Städte. Insbesondere hatte Quebec während dieser Zeit vier feindliche Angriffe durchzuleben, welche den Wohlstand tief erschütterten. Am 18. September 1759 fiel die von Marquis v. Mont - calm tapfer vertheidigte Stadt in die Hände der Engländer unter Ad - miral Sanders und General Wolfe. Die ganze Colonie gelangte aber erst durch den Pariser Frieden von 1763 unter die Herrschaft von Grossbritannien. Ein fünfter Angriff auf Quebec erfolgte 1775 während des Unabhängigkeitskrieges der amerikanischen Union.
An der Entwicklung Canadas war die 1670 gegründete und mit vielen Rechten ausgestattet gewesene Hudsonsbai-Compagnie, obgleich sie der Ein - wanderung aus Rücksichten für den Pelzhandel entgegenarbeitete, dennoch hervor - ragend betheiligt, indem die Gesellschaft als thatkräftige Mitbewerberin bei Hebung der Schätze des Landes auftrat. Ihre Ländereien wurden 1869 von der englischen Krone käuflich erworben.
Den heutigen Aufschwung dankt die Colonie allein der Staats - kunst Englands, welche es verstanden hat, dem Lande die Quellen eines dauernden Wohlstandes zu erschliessen. Wie überall, wo das Banner Englands weht, war auch in Canada die Hebung und wei - teste Ausbildung des Unterrichtswesens die sichere Grundlage für die Erreichung des hohen Zieles. Ausser den Universitäten zu Toronto, Montreal und Quebec bestehen noch zahlreiche höhere Collegien und Akademien sowie über 8000 Gemeindeschulen.
Gegenüber dem, dadurch in den Hintergrund gedrängten, franzö - sischen Colonisationssysteme in Canada, welches auf den im feudalen Kastensystem des Mutterlandes wurzelnden Anschauungen damaliger Zeit beruhte und dessen Träger, die adelstolzen Seigneurs, den Werth der Intelligenz nicht zu schätzen vermochten und das Schulwesen unter - drückten, führen obige Zahlen eine niederschmetternde, aber gleich - zeitig lehrreiche Sprache.
Die Schiffahrtsverhältnisse sind durch die Eigenthümlichkeiten des Lorenz-Stromgebietes und jene des durch die Insel Neufoundland eingeschlossenen St. Lorenz-Golfes bedingt.
Die Hauptzufahrt zum Strome führt im Norden der Insel durch die Meerenge Belle Isle und vorbei an der in der Strommündung gelagerten Insel Anticosti.
Eine zweite Zufahrt ist jene zwischen den Inseln Cap Breton und Neu - foundland.
Beide Routen sind von den erwähnten Engen bis Montreal gerechnet, je ungefähr 1800 km lang.
8Die atlantische Küste von Amerika.Montreal liegt 460 km und Quebec 166 km aufwärts der Strommündung, welche bei einer Breite von 18 bis 55 km allmälig in den tief eingeschnittenen Golf übergeht.
Der enorme Wasserreichthum des herrlichen Stromes gestattet, dass die grössten Oceandampfer bis Montreal verkehren können, und hat die canadische Regierung ausser den Canalbauten und Schleusen auch grossartige Regulirungs - arbeiten, wie z. B. an der Stromausweitung (St. Peter-Seen) zwischen Quebec und Montreal vornehmen lassen.
Die Navigation ist indes nur auf die schöne Jahreszeit beschränkt und muss vom 25. November bis 25. April der Eisverhältnisse wegen auf Strom und Golf ganz eingestellt verbleiben. Oft ist der Lorenz-Golf noch anfangs Mai mit Trifteis bedeckt, das den Schiffen sehr gefährlich wird. Im Herbste ereignete es sich nicht selten, dass Schiffe, welche, um vor Schluss der Navigation hohe Fracht - sätze zu erlangen, sich verspäteten, dann im Golfe vom Eise überrascht, besetzt und erdrückt wurden.
Im Strome und an den Küsten hat die Regierung ein durchaus einheit - liches Markirungs - und Betonnungssystem eingeführt.
Die Strömung ist im ganzen Flusslaufe meist scharf und reissend. Bei Quebec erreicht deren Geschwindigkeit bei 56 m Wassertiefe 7·5 km in der Stunde, bei Montreal aber steigt sie auf 12 km Schnelligkeit.
Die Gezeiten sind stromaufwärts bis zum St. Peter-See, also auf mehr als 300 km fühlbar, doch steigt noch in Quebec die Flut um 5·5 m.
Die Mündung des Ottawa-Flusses, der nach einem Laufe von 1100 km in den Lorenz-Strom sich ergiesst, bildet eine hügelgekrönte Insel, an deren Ostseite, wie unser Plan zeigt, auf terrassenförmig ansteigendem Abhange die prächtige, industriereiche Stadt Montreal unter 45° 30′ nördl. Breite und 73° 33′ westl. Länge von Greenwich (Notre-Dame) immer weiter ausgreifend sich dehnt und streckt. Der 230 m hohe Montreal-Berg (Mount Royal), seit 1874 zu einem herr - lichen Parke umgewandelt, überragt recht malerisch das weite Häuser - gewirre. Von der mit Gartenanlagen ausgestatteten und als Ausflugsort beliebten Insel St. Helen, die kaum 700 m gegenüber dem Stadttheile St. Mary im Strome liegt, geniesst man einen dankbaren Ausblick über Stadt und Hafen. Gegen Süden zu fesselt uns die gewaltige Victoria - Röhrenbrücke (Victoria Tubular Bridge) der Grand Trunk-Eisenbahn, welche auf 24 Steinpfeilern in einer Länge von 2800 m den Strom übersetzt. Mit Recht wird der stolze Bau als ein wunderbarer Triumph der Technik bezeichnet, denn ungewöhnlich waren die zu besiegenden Schwierigkeiten, welche einestheils die reissende Strömung, dann aber[9]
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 210Die atlantische Küste von Amerika.auch die Rücksichten auf die ungeheuren Schwankungen der Luft - temperatur (+ 30 bis — 40°C. ) dem Ingenieur entgegenstellten. Robert Stephenson und A. M. Ross vollendeten 1859 das berühmte Werk, wodurch erst die directe Verbindung zwischen Toronto und Portland hergestellt war.
Vom Westende der Brücke an, dort wo der Lachine-Canal aus - mündet, beginnt nahezu Nord-Süd laufend der 3 km lange, mit Docks, Anlegeplätzen, Molen und Ladevorrichtungen reich ausgestattete Hafen - quai, längs dessen die äusserst belebte River-Street sich hinzieht.
Der Hafen ist das fesselnde Spiegelbild des regen Verkehrs eines der bedeutendsten Handelsemporien Nordamerikas. Ueberall herrscht Arbeit und Bewegung. Die zahlreichen Dampferlinien, welche Montreal berühren, besitzen nördlich der Lachine-Docks eigene Bassins; hieran reihen sich die Anlegeplätze der luxuriösen, nach Quebec verkehrenden Flussdampfer, dann liegt weiter bis zu dem einstigen indianischen Hochelaga, dem ersten französischen Niederlassungsorte, eine ganze Flotte von Segelschiffen und Dampfern jeder Grösse; den Strom durch - eilen nach allen Richtungen Dampfer und Ferryboote, die nach Lon - gueuil und St. Lambert verkehren; kurz, wir sehen das Getriebe einer völlig fieberhaften Thätigkeit blossgelegt.
In stolzer Ruhe zeichnet sich seitlich des bewegten Hafenbildes die herrliche Perspective der Häusermassen, aus welchen neben zahl - reichen Kirchen und öffentlichen Gebäuden besonders die Thürme der majestätischen Notre-Dame-Kirche und die imposante City-Hall hervor - ragen. Der Gesammteindruck ist ein überraschend grossartiger, und wird noch erhöht werden, wenn die gegenwärtig im Bau befindliche Kathedrale von St. Peter, welche dem berühmten römischen Dome nachgebildet ist, als architektonisches Element hinzugetreten sein wird. Montreal ist eine ausgesprochen katholische Stadt, welche durch ihre kirchlichen Bauwerke einen hervorragenden Platz in der neuen Welt einnimmt. Bisher galt die im gothischen Style gehaltene Pfarrkirche von Notre-Dame (nicht Kathedrale, wie sie oft irrthümlich genannt wird) bei einem Fassungsraume von 15.000 Menschen als einer der grössten Dome Amerikas, allein der neue Renaissancebau von St. Peter, dessen Kuppel die Höhe von 80 m erreicht, wird sie an räumlicher Ausdehnung weit übertreffen. Gegenwärtig bestehen acht grosse katho - lische Kirchen in verschiedenen Stylarten, neben 21 kleineren prote - stantischen, welche, den verschiedenen Congregationen und National - kirchen gewidmet, sich durch eine stylvolle Architektonik aus - zeichnen.
11Montreal und Quebec.Noch mehr als durch ihre kirchlichen Bauten glänzt die Stadt durch die ausserordentlich hohe Zahl von Wohlthätigkeitsanstalten, wie Spitäler, Asyle u. dgl.
Imponirend ist gleichfalls die grosse Ausbreitung und Frequenz der Lehranstalten, unter welchen sich nebst zahlreichen Schulen aller Bildungsrichtungen zwei Universitäten und viele höhere Collegien mit Facultäten für alle Wissenschaftszweige befinden.
So ausgestattet gebührt Montreal, wo Künste und Wissenschaften ein gastliches Heim gefunden haben, auch in humanitärer Hinsicht der erste Rang in der ganzen weiten Dominion of Canada.
Aehnlich wie in vielen Handelsplätzen liegen auch in Montreal die Wohnquartiere der Geschäftswelt (Residential-Suburbs) ausserhalb der dem Handel gewidmeten Stadttheile und sind durch imposante palastähnliche Bauten ausgezeichnet. Unter diesen ist das monumentale Windsor-Hotel, das an der Nordseite des Dominion-Square gegenüber der neuen Kathedrale seine vornehme, von einer mächtigen Kuppel überragte Façade entwickelt, sehenswerth. Die mit fürstlicher Pracht ausgestatteten Räume desselben haben dem hauptsächlich von Ameri - kanern aus den Vereinigten Staaten gerne aufgesuchten Gebäude einen Weltruf verschafft.
Der Dominion-Square ist ein Glanzpunkt von Montreal in archi - tektonischem Sinne, wie auch in gesellschaftlicher Hinsicht, namentlich zur Winterszeit, wenn auf seinem Plane in feenhaftem Eispalaste die Wogen des Frohsinnes hoch aufschäumen. Während des sechs Monate andauernden Winters zwingt die unerbittliche Macht der Natur, indem sie Flüsse und Canäle mit starken Eisdecken überzieht, den Handel zum Stillstande. Die rührige Stadtbevölkerung geniesst dann die ihr aufgedrungene Ruhepause in Lust und Freude. Namentlich der Carneval bringt, wie etwa in Rom und Venedig oder in den La Plata - Städten, grossartige Lustbarkeiten. Allein so viel Vergnügungen der Winter auch zuführen mag, er ist doch wie ein Fluch, der auf der schönen Stadt wie auf ganz Canada schwer lastet.
Montreal steht an der Grenze des französischen und des englischen Canadas. Wohl bilden die Franzosen noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Montreal, die für den Jänner 1888 auf 200.000 Seelen geschätzt wurde. Aber die Vorherrschaft im Handel besitzen die Eng - länder; ihre Sprache ist die Geschäftssprache. Der am Fusse des „ Mount Royal “gelegene untere Stadttheil, das alte Hafenviertel, ist französisch; an den Terrassen aufwärts liegt das grossstädtische, das angelsächsische Montreal, dort wohnen die Engländer und Schotten,2*12Die atlantische Küste von Amerika.welche das materielle Leben Montreals leiten. In ihren Händen liegt der grösste Theil des Handels, der Industrie; sie beherrschen das Capital und das ganze Bankwesen. Wie zähe auch der Widerstand der Franzosen ist, Montreal muss doch allmälig seinen französischen Charakter einbüssen, schon weil der kräftige Menschennachschub aus Frankreich fehlt. Es bleibt übrigens immerhin ein Beweis von der nationalen Widerstandskraft der Franzosen, dass man in Ostcanada 130 Jahre nach dem Verluste der politischen Zusammengehörigkeit noch immer französisch spricht und fühlt.
Montreal ist die commercielle Hauptstadt Canadas, eine schöne, wohlhabende Stadt, der Sitz der canadischen Capitalisten, der grossen Dampfer -, Eisenbahn - und Telegraphenverwaltungen und der mächtigsten Bankinstitute. Diese dominirende Stellung Montreals ist begründet in seiner geographischen Lage; hier hat ein weitverzweigtes Netz von Wasserverbindungen (Flüsse und Canäle) seinen Mittelpunkt, bis hieher konnten schon von jeher Seeschiffe den Lorenz befahren.
Allein das System des St. Lorenz, obschon ungleich wasser - reicher, bildet keine leistungsfähige, durchgehende Strasse wie der Mississippi; zahlreiche Stromschnellen, selbst Wasserfälle unterbrechen seinen Lauf und den seiner Nebenflüsse. Namentlich zwischen den grossen Seen und Montreal lagen und liegen die Verhältnisse zum Theil noch sehr schlimm; für die weitgehenden Anforderungen des modernen Verkehres ist der Lorenz erst seit einigen Jahrzehnten erschlossen und die Arbeiten sind noch nicht ganz beendet. Jetzt ist zwischen Montreal und Quebec eine durchgehende Fahrrinne von 8·38 m (27½ Fuss englisch) hergestellt und dadurch die Concurrenzfähigkeit von Montreal als grossem Seehafen dauernd gesichert.
Die Hindernisse, welche sich oberhalb Montreal der Schiffahrt entgegenstellen, werden durch 6 Canäle mit einer Gesammtlänge von 114·24 km (71 Meilen englisch) umgangen, deren Tiefe allmälig von 3·66 m (12′ englisch) auf 4·27 m (14′ englisch) gebracht wird. Diese Canalbauten sind bereits so weit gediehen, dass schon heute See - schiffe von 1500 t von Duluth an der Westspitze des Oberen Sees direct nach Liverpool fahren. In der Regel aber werden die Waaren in Montreal auf die weit grösseren Oceandampfer umgeladen. In wenigen Jahren werden Dampfer von 2000 — 3000 t direct von Europa die 1500 englische Meilen landeinwärts liegenden Häfen am Oberen See aufsuchen. Diese Thatsache muss tief einschneidend auf die Einwanderungs -, aber noch mehr auf die Exporttarife des nordameri - kanischen (auch canadischen) Massenexports (Getreide, Holz) wirken.
13Montreal und Quebec.Unter den seitlich zuströmenden Wasserverbindungen hat für Montreal die grösste Bedeutung der Ottawa-River, welcher oberhalb der Insel von Montreal auf der linken Seite in den St. Lorenzo mündet. Ungeheuere Felder von Baumstämmen schwimmen den Strom hinab, an Ottawa, der herrlich schönen Hauptstadt, vorüber, welche der Mittelpunkt des canadischen Holzhandels und der Holzindustrie
ist, und werden von Montreal oder Quebec aus nach allen Welt - gegenden verschifft.
Eine dritte Wasserverbindung, wichtig für die Versorgung Mont - reals mit Kohlen, führt durch den Champlain-See nach New-York.
Auf diesen billigen Strassen versorgt sich der Handel Montreals, das um 463 km (260 Seemeilen) näher zu Liverpool und um 352 km (190 Seemeilen) näher zu Antwerpen liegt als New-York, die Metropole14Die atlantische Küste von Amerika.des Handels an der atlantischen Küste Nordamerikas. Und doch braucht die „ Empire City “die Rivalität Montreals niemals zu fürchten, denn die äusserst strengen canadischen Winter beschränken seinen See - verkehr auf höchstens 7 Monate im Jahre; im Winter ist Montreal eine Binnenstadt.
New-York und Boston sind in erster, Portland, Halifax und St. John in zweiter Linie die Winterhäfen Montreals. Diesen Verkehr sichern zwei Eisenbahnbrücken zu jeder Jahreszeit dem Platze Montreal. Die Verbindung mit zahlreichen Bahnlinien macht Montreal zum ersten und wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte Canadas. Seit der Eröffnung der Canada-Pacificbahn im Mai 1886 hat es auch an internationaler Bedeutung gewonnen, denn dieselbe verbindet durch einen 4676 km (2·906 englische Meilen) langen und solid gebauten Schienenstrang Montreal mit Port-Moody, respective der Vancouver-Insel am stillen Ocean, und stellt in Verbindung mit der Intercolonial-Eisenbahn Halifax - Montreal (1376 km oder 850 englische Meilen) dermalen die kürzeste Ueberlandsroute zwischen Europa und Ostasien, respective Nordost - Australien her.
Die Linie Halifax-Vancouver, die einen Theil der „ Empire-Route “bildet, so genannt, weil sie ausschliesslich über Gebiet des britischen Reiches geht, bietet dem Handel Englands nach allen Häfen in Japan und China hinab bis Hongkong und dem Verkehre nach dem Nord - osten Australiens einen bedeutend kürzeren Weg als über den Suez - canal. „ Via Montreal “besteht heute schon alle vierzehn Tage eine Postverbindung zwischen England und Ostasien; Briefe und werth - volle Güter, wie der Thee Japans, werden auf ihr versendet und auch die Reisenden bedienen sich ihrer im Sommer gerne, weil ihr Seeweg durch kühle Meere führt.
Die grosse Bedeutung dieser Canada-Pacificbahn liegt aber gar nicht in der Concurrenz im internationalen Verkehre, sondern darin, dass sie ein Pionnier der Cultur für Südcanada ist und dass sie auch den 311,000 km2 grossen „ fruchtbaren Gürtel “Manitobas und die getreidereichen Nordweststaaten der Union dem Einflusse des Handels von Montreal zugeführt.
Allerdings hört man, wenn von Montreals Grösse gesprochen wird, noch ziemlich viel Zukunftsmusik, was der Mangel eines dicht bevölkerten Hinterlandes erklärlich macht, aber auch in Canada lebt man rasch und doppelt rasch, seit die Eisenbahnen das Innere er - schliessen. Die Hauptsache ist, dass alle Zukunftswege über Montreal15Montreal und Quebec.gelenkt sind, dessen Handel übrigens schon heute ein bedeutender ist. Es ist der erste Einfuhrplatz des Landes; von den Summen der Zoll - einnahmen der Dominion, die bis auf eine ganz kleine Ziffer von Ein - fuhrartikeln erhoben wurden, kommen auf Montreal allein fast zwei Fünftel.
Eingeführt werden Erzeugnisse der Industrie Amerikas und Europas, doch nur mehr die besseren Qualitäten.
Von Nahrungs - und Genussmitteln verdienen im Import aus dem Auslande Erwähnung: Reis, Kaffee, Thee und Tabak; Rohzucker (1887 um 3 Millionen Dollars) zum Theile auch aus Europa stammend und Droguen; Salz und Soda werden vornehmlich aus dem Vereinigten Königreiche gebracht. Von dort und aus Deutschland kommen Eisen - und Stahlwaaren (Werth 1887 4 Millionen Dollars). Für die heimische Industrie sind Baumwolle und Jute bestimmt. Mit Steinkohlen versorgt man sich aus den Seeprovinzen der Dominion und aus der Union.
Gewissermassen den Uebergang zum Export bilden die Artikel, welche wie Weizen, Weizenmehl und Mais aus der Union kommen und Montreal im Transito nach dem Osten passiren.
Der wichtigste Stapelartikel Montreals ist lebendes Vieh (1887 für 14·7 Mil - lionen Dollars), welches nach Europa verschifft wird. Darin ist Montreal bahn - brechend aufgetreten; es steht heute in der Ausdehnung seines Exportes von lebendem Rindvieh nur hinter New-York zurück, während es in der Schafausfuhr die führende Stellung behauptet.
In grossen Stock-Yards, d. h. Viehhöfen, die durch Geleise mit der Grand - Trunk-Eisenbahn in Verbindung stehen und 10.000 Stück Rindvieh und ebenso - viel Schafe fassen, erholen sich die Thiere von der Eisenbahnfahrt. Zu 300 bis 600 Stück lebendes Rindvieh werden auf einem Dampfer verladen, statt eines Ochsen können je 8 — 9 Schafe in einem gleichen Raume untergebracht werden. Im Frühjahre geht meist Vieh nach England, welches den Winter über in Brenne - reien gemästet worden. Schafe werden Juni bis August verschifft, nachdem sie die Sommerweide gehabt haben. Die Schiffe, welche Vieh verfrachten, können bei dem geringen Gewichte desselben fast eben so viel Getreide einnehmen, wie ohne Vieh1)Sering. Die landwirtschaftliche Concurrenz Nordamerikas S. 324 ff.. So stützt der Viehhandel den Getreidehandel. Von thierischen Producten werden noch Käse und Eier exportirt. Das Pflanzenreich lieferte Weizen und Weizenmehl, Mais und Hafer (zusammen 4 — 6 Millionen Hektoliter) und Erbsen (0·6 — 1 Million Hektoliter) meist für England; Holz für Grossbritannien und Südamerika zum Exporte; von Producten des Mineralreiches gehen Phosphate nach England und Deutschland.
Der Gesammthandel Montreals erreichte folgende Werthe:
Montreals Schiffsverkehr 1886 / 87 betrug:
Der Verkehr mit der See ist wohl nicht nach Dampfern und Segelschiffen gesondert ausgewiesen, aber wir wissen, dass die Segelschiffe mit kaum 8 Percent des Tonnengehaltes daran betheiligt sind, weil sie sich stromaufwärts bugsiren lassen müssen, was etwa 1 Dollar pro Tonne kostet.
Die englischen Schiffe dominiren nach Zahl und Tonnengehalt im Seever - kehre (1886 / 87 903.818 Tonnen), dann folgen die canadischen (1886 / 87 213.783 Tonnen); unter den Schiffen fremder Flaggen sind die deutschen die wichtigsten, neben ihnen sind noch Schweden und Norwegen zu nennen.
Zwischen Montreal und Europa bestehen 11 regelmässige Dampferlinien, von welchen 9 nach England, 1 nach Antwerpen und 1 nach Hamburg gehen.
Der Verkehr im Löschen und Laden wickelt sich rasch ab; denn den Schiffen steht ein ganz modern eingerichteter Quai in der Länge von 7·6 km (4·7 engl. Meilen) zur Verfügung, an welchem die Dampfer anlegen können. Der Hafen ist des Nachts elektrisch be - leuchtet.
In Montreal bestehen eine Börse für Effecten und Devisen (Stock-Exchange) und eine Getreidebörse.
Consulate haben in Montreal: Argentina, Belgien, Brasilien (G. C.), Chile (G. C.), Deutsches Reich, Frankreich (V. C.), Hawaiï, Italien (G. C.), Liberia, Nieder - lande (V. C.), Oesterreich-Ungarn, Peru, Spanien (V. C.), Schweden und Norwegen (V. C.), Vereinigte Staaten von Amerika (G. C.), Uruguay.
Die malerische Lage von Quebec und der landschaftliche Reiz seiner Umgebung wirken auf jeden Besucher des Lorenz-Stromes völlig überraschend. Diese Thatsache erklärt es zur Genüge, dass der Local - patriotismus der Bewohner diese Eigenschaft der Stadt selbst über den herrlichen Anblick von Constantinopel, Neapel, Rio Janeiro und anderen wegen besonderer Reize berühmten Punkten zu stellen pflegt. 17Montreal und Quebec.Gewiss ist, dass nur sehr wenige Gebiete der Erde das Gesammtbild von Quebec an Herrlichkeit und Reiz zu überbieten vermögen.
Die von der mächtigen und als uneinnehmbar geltenden Citadelle gekrönte Stadt bedeckt, wie aus dem Plane zu ersehen, den Hügel - zug einer Halbinsel, welche durch die Mündung des St. Charles - Flusses gebildet ist. Auf steilen Felsenwänden, zu deren Füssen der
Stadttheil Champlain längs des Ufers entstanden ist, klimmen an der Ostseite die Festungswerke bis zum 106 m hoch gelegenen Niveau der Citadelle hinan. Gegen Westen zu entfaltet das Häusergewirre von Quebec seine malerischen Massen, die hineingreifen in die grüne Uferlandschaft des St. Charles-Flusses.
Ein blendendes Panorama entzückt den Besucher der berühmten Dufferin - und Durham-Terrace, die, 70 m über dem Hafen ge - legen, der fashionabelste Platz von Quebec ist. Majestätisch wälzt zu Füssen des Beschauers der blaue Lorenzstrom seine von zahllosen Schiffen jeder Art belebten Wogen dem Ocean zu. Zwischen Segel -Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 318Die atlantische Küste von Amerika.schiffen und kleineren Fahrzeugen schiessen die grossen palastähnlichen Salondampfer und die prächtigen Könige der Oceane mit voller Kraft daher, und längs der Ufer sind Hunderte von Fahrzeugen in lang - gestreckter Linie mit Laden und Löschen beschäftigt. Besonders an - ziehend und lebhaft ist das Hafenbild, wenn im Frühjahre bei Er - öffnung der Schiffahrt die Frühlingsflotte (spring-fleet, auch fall-fleet) mehrere hundert Schiffe stark, auf einmal im Hafen erscheint, um den durch fünf Monate brach gelegenen Seeverkehr wieder aufzunehmen.
Gegenüber von Quebec erblickt man die an den Abhängen eines grünen Höhenzuges gelagerte Stadt Levis. Zwischen Häusergruppen unterscheidet man Kirchen, Klöster, Schulen und weiter zu gegen Point Levis reizend in Gärten gebettete Villen. Auf der Levis-Höhe sind zum Schutz des Hafens drei starke Forts erbaut. Weiter ostwärts erscheint der grüne Rücken der Insel Orleans (vormals Bacchus-Insel genannt), eines fruchtbaren Eilandes, an dessen Südseite die Schiff - fahrtstrasse vorbeiführt. Prächtig ist auch das Bild des linken Strom - ufers, längs welchem blühende Ortschaften, wie St. Anne, Chateau Richer, L’Ange Gardien und Beauport, vom grünen Hintergrunde rei - zend sich abheben. Dort gewahrt man die Nebelwolke des gewaltigen, über den 80 m hohen Abgrund stürzenden Montmorency-Wasserfalles. Den Horizont endlich begrenzen formenreiche Höhenzüge, deren äusserste im Azur des Firmamentes aufgehen.
Die „ Terrace “ist der Brennpunkt der Gesellschaft von Quebec, die dort während der Sommernachmittage und Abende den Klängen der Musik lauscht. Einen besonderen Reiz gewinnt die mit sechs Kiosken gezierte Promenade durch die anerkannte Schönheit der Frauen - welt und die Eleganz ihrer Haltung. Ueberhaupt hat die innige Durch - dringung der englischen und französischen Bevölkerungselemente in Canada eine liebenswürdige Bevölkerung geschaffen, die ebenso die englische Derbheit wie den leichtfertigen französischen Sinn abge - streift hat.
Am 19. September 1889 ereignete sich in unmittelbarer Nähe der Dufferin-Terrace eine entsetzliche Katastrophe, die ganz Quebec in Trauer und Bestürzung versetzte.
Von dem die Königsbastion der Citadelle tragenden Felsen löste sich Abends 7½ Uhr eine Erd - und Felsmasse im Gewichte von vielen Tausenden von Tonnen und stürzte mit ungeheurer Wucht in die gegen 100 m unterhalb liegende Champlainstrasse, wo sieben Häuser voll - ständig zertrümmert und über einhundert Menschen unter fast acht Meter hohem Gerölle begraben wurden.
19Montreal und Quebec.Aehuliche Katastrophen, die man den Einflüssen von langanhal - tendem Regen zuschreibt, ereigneten sich an demselben steilen Ab - sturze zu wiederholtenmalen, so 1841 und 1852. In beiden Fällen wurden Häuser zermalmt und gingen Menschen zu Grunde.
Auch die Dufferin-Terrace wird nach der neuesten Katastrophe für unsicher gehalten.
Im Jahre 1881 wurden die unterhalb der Felswand gelegenen Häuser weggerückt und ein äusserst starker Schutzdamm, der etwaige Felsstürze aufhalten sollte, errichtet.
An der Nordseite der Terrace vermittelt ein Elevator die Ver - bindung mit der Unterstadt (Lower Town), die von Cap Diamond an gegen den St. Charlesfluss immer mehr an Breite gewinnt. Die Ober - stadt (Upper Town), welche nebst Kirchen grösstentheils öffentliche Gebäude enthält, ist dagegen in den Festungswerken eingeschlossen, deren höchstes Object die vorgenannte Citadelle ist. Das Obser - vatorium der letzteren liegt unter 46° 48′ nördl. Breite und 71° 12′ westl. Länge von Greenvich.
Im Gouverneursgarten der Oberstadt erhebt sich der 20 m hohe Obelisk des 1827 enthüllten Wolfe - und Montcalm-Monumentes.
Gegen Südwest dehnt sich das Hochplateau Abrahamplain, auf welchem General Wolfe das französische Heer von Canada schlug und dadurch das Schicksal der Colonie entschied.
Quebec besitzt einige prächtige Kirchen, wie die französische Basilika, die an Reliquien reiche Kirche der Ursulinerinnen, die eng - lische Kathedrale u.a.m. Bedeutend, wenn auch nicht in dem Masse wie in Montreal, ist die Zahl der Wohlthätigkeits - und Bildungs - anstalten von Quebec, das in jeder Hinsicht den Ruf einer interessanten Stadt rechtfertigt.
Letzter Zeit ist nahe der Mündung des St. Charlesflusses der grossartige neue Hafen entstanden, der zwei Bassins (Docks) von 1200 m Länge und 300 m Breite enthält, die durch einem mit Waarenhäusern versehenen Wellenbrecher geschützt sind und mit dem im dorischen Style aufgeführten Zollgebäude in Verbindung stehen.
Ein ähnliches Hafenbassin ist auch bei Levis-Point vorhanden, wie denn für die Bedürfnisse der Schiffahrt auch noch durch acht Schwimmdocks und Aufholwerften bestens vorgesorgt ist.
Nicht in jedem Winter überzieht die Gewässer des Lorenzstromes eine feste Eiskruste, doch ereignet es sich, dass die reissende Strö - mung den Eisstoss zu einer imposanten Brücke (Ice-Bridge) staut,3*20Die atlantische Küste von Amerika.über welche hinweg das Volk hinüber nach Point Levis und von dort nach der Insel Orleans wallt.
Quebec im Mittelpunkte eines rein französischen Gebietes, hat seinen französischen Charakter noch viel treuer bewahrt als Montreal. Fast der ganze öffentliche Verkehr, alle Aufschriften, Ankündigungen bedienen sich der französischen Sprache. Allerdings hört man dort
nicht das moderne Französisch, sondern die Sprache der Periode Lud - wig XIV., der Zeit der grossen Classiker. Selbstverständlich ist auch in Sitte und Tracht die Vergangenheit vielfach conservirt.
Die Bedeutung des Flusshafens Quebec ist nicht mehr dieselbe, wie im vorigen Jahrhundert, wo er die wirkliche „ Capitale “des französischen Canada gewesen. Es musste dem jüngeren Montreal als Handelsplatz weichen, weil es zu weit entfernt ist von den Quellen des Wohlstandes der Dominion of Canada.
21Montreal und Quebec.Der Hafen zwischen der Stadt und der Insel Orleans ist 50 m tief und bietet der grössten Flotte Raum, allein er ist des Eises halber bloss vom April bis November offen.
Hesse-Wartegg nennt Quebec mit Recht die Portierloge des Continents; denn die Schiffe, welche von und nach Montreal gehen, landen wohl auch zum grossen Theile an den Quais von Quebec, aber sie führen seinem Handel wenig Nahrung zu.
Der Import dient nur der Befriedigung der localen Bedürfnisse.
In Quebec mit Beauce und Rivière du Loup wurden 1886 / 87 686.393 Dollars Zölle erhoben, das sind wenig mehr als 3 Percent des ganzen Zollertrags der Dominion of Canada.
Im Exporthandel steht obenan der Holzhandel. Auch der Walfischfang ist eine wichtige Erwerbsquelle für Quebec.
Der Schiffsverkehr von Quebec erreichte 1886 / 87 folgende Ziffern:
Im Seehandel ist die englische Flagge die wichtigste (1886 / 87 336 Schiffe mit 548.058 Tonnen), dann folgen die fremden Flaggen, unter denen Schweden, Norwegen und Deutschland hervorragen; aber auch holländische, russische, fran - zösische und argentinische Schiffe besuchen Quebec, wohl meist um Holz einzu - nehmen. Die canadische Flagge spielt die kleinste Rolle. Wie sich bei einem Hafen, der Holz exportirt, von selbst versteht, geht ein ansehnlicher Theil der Schiffe in Ballast ein.
Consulate: Vereinigte Staaten von Amerika, Argentina (G. C.), Belgien (G. C.), Chile, Deutsches Reich, Frankreich (G. C.), Portugal, Schweden, Nor - wegen, Spanien (G. C.).
Der allgemeine Charakter der Bodenfläche von Neu-Schottland gleicht vielfach jenem von Canada. Wir finden dasselbe flache von Flüssen und Wasserläufen durchsetzte Hügelland, Seen und Wälder vor, wie in Canada.
Die Südost - oder atlantische Küste ist daher sehr reich an tief eingeschnittenen Buchten und Häfen und nur allmälig senkt das Land sich zu grossen Meerestiefen herab. Im Durchschnitte findet man erst 12 Seemeilen seewärts der Küste eine Wassertiefe von 100 m.
Einer der schönsten Häfen der Erde ist jener von Halifax, der in die Chebucto-Bay einmündet und in dem malerischen „ Bedford - Basin “, einem kleinen Binnenmeere, ausläuft.
Er erstreckt sich 15 Seemeilen weit in nördlicher Richtung und besitzt Raum und Wassertiefe für jede Zahl der grössten Oceanschiffe. Die Hafenzufahrt ist durch fünf prächtige Leuchtthürme markirt und bei Nebelwetter, das die einsetzenden Seebrisen zu begleiten pflegt, werden die Schiffe durch drei Nebelhörner gewarnt.
Es ist keineswegs ein blendendes Bild, das Halifax und seine Umgebung zu bieten vermag — denn es fehlt durchaus an kräftiger Terrainbewegung — und wenngleich einzelne Partien nicht reizlos, ja manche, wie die grüne Pleasantspitze, sogar malerisch uns entgegen - blicken, so ist doch der Gesammteindruck der Gegend ein ausge - sprochen monotoner.
Als Hauptwaffenplatz der englischen Land - und Seestreitkräfte in Amerika hat Halifax eine bedeutende Zahl von Befestigungen er - halten, deren massige Formen auf Hügeln und Inseln zu bemerken sind.
Durch eigenthümliche Verhältnisse ist der Platz viel rascher eine Kriegsstation geworden, als er zu einem Handelsemporium ge - deihen konnte, denn 1749 durch eine Expedition unter Edward Corn - wallis, Gouverneur von Neu-Schottland, gegründet, wurde das kaum23Halifax und St. John.entstehende Halifax sogleich als Sammelpunkt für die gegen Canada aufzubietenden Streitkräfte bestimmt, und eine ähnliche Rolle fiel dem Hafen während des Unabhängigkeitskampfes und in der Zeit der napoleonischen Kriege zu.
Erst nach Aufrichtung der amerikanischen Union ward hier, wie überhaupt in Canada, die commercielle Thätigkeit durch die Einwan - derung vieler Tausende königstreuer Elemente (die exilirten Loyalists) belebt und begann Halifax — seither zur Hauptstadt von Neu-Schott - land erhoben — als Handelsplatz aufzustreben.
Die Stadt bedeckt die flachen Böschungen einer Halbinsel, welche durch den tief eindringenden „ Nordwestarm “gebildet ist. Die breiten, geraden und senkrecht sich kreuzenden Strassenzüge charakterisiren die Stadt als eine neue Schöpfung; noch mehr erwecken diesen Ein - druck aber die mitunter reizend stylisirten hölzernen Häuser, aus welchen das Gros der Baulichkeiten besteht. Im sogenannten „ brick district “(Ziegeldistrict), dem Geschäftstheil der Stadt, dürfen übrigens keine neuen Holzhäuser mehr gebaut werden. Halifax besitzt jedoch auch schöne und imposante Steinbauten, wie die City-Hall, den Bahn - hof, das Post - und Zollamt, mehrere Kirchen u. dgl.
Die unter 44° 39′ nördl. Breite und 63° 34′ westl. von Green - wich und 75 m über dem Meere liegende Citadelle überragt die Stadt und kreuzt das Feuer mit der gewaltigen Redoute der Georgsinsel, welche letztere dem sehr belebten Quai gegenüberliegt.
Längs des Quai führt die langgestreckte Water-Street, die Haupt - handelsstrasse von Halifax, an welcher die Werften und Waaren - häuser liegen und der grosse Seeverkehr pulsirt. Dort sind die Anlege - plätze der Oceandampfer und der Ferryboote, welche die Verbindung mit dem industriellen Vororte Dartmouth besorgen, der gegenüber der Stadt auf der östlichen Hafenseite freundlich an der Küste lagert. Am Quai liegt weiter nördlich das weitläufige 1758 gegründete Seearsenal (Navy Yard) der englischen Flottenstation, das zu den grössten ähn - lichen Etablissements am amerikanischen Continente zählt und neuestens einen Trockendock in Granitbau erhielt, der Schiffe bis zu 170 m Länge aufnehmen kann.
Anschliessend an das Arsenal erblickt man das hübsche Gebäude der Intercolonial-Eisenbahn, deren Endstation Halifax bildet. Der Schienenstrang führt von hier längs der Küste nördlich, übersetzt auf einer Pfeilerbrücke die Enge des Bedford-Basins, berührt Dart - mouth und zieht dann weiter gegen Canada.
24Die atlantische Küste von Amerika.Eine der reizendsten Strassen von Halifax ist die mit hübschen Privathäusern und anmuthigen Gärten gezierte Pleasant Street; sie führt zum ausgedehnten Parke Pleasant Point, einem bevorzugten Vereinigungsorte der Stadtbevölkerung. Der weitläufige Grund ist Eigenthum der Regierung, wird aber von dieser gegen einen Pachtzins von einem Shilling per Jahr der Gemeinde überlassen.
Halifax hat 36.000 Einwohner, es ist eine englische Stadt und seine kräftige Bevölkerung wohl geeignet für Handel und Schiffahrt.
In dem gesegneten Neu-Schottland blühen Ackerbau, Viehzucht und Berg - bau. Die Kohlen, welche meist bei Truro, in der Nähe von Halifax, gewonnen werden, finden ihren Markt in Neufoundland, in der Union und in Westindien. Die Hauptquellen des Wohlstandes sind jedoch die ausgedehnten Waldungen, welche das Innere der Halbinsel bedecken, und der Fischfang in den zahlreichen Seen und deren Abflüssen, sowie an den Küsten und auf der Neufoundland-Bank. Der Werth der Fischereiproducte Neu-Schottlands beträgt jährlich über 8 Millionen Dollars, das sind etwa 45 % des Gesammtertrages der Dominion of Canada; die Fische finden, wie das Holz, Absatz in England, Südamerika und Westindien.
Halifax, welches den grössten Theil dieses Handels besorgt, wäre schon dadurch ein nennenswerther Hafen. Seine von Jahr zu Jahr steigende Bedeutung liegt aber darin, dass es für die ganze Ostküste Canadas der Winterhafen ist.
25Halifax und St. John.Im Gegensatze zu Quebec und Montreal, mit denen er in Eisenbahnverbin - dung steht, wird dieser Hafen auch während der kalten Wintermonate nicht zu oft vom Eise gesperrt. Alle grossen überseeischen Dampferlinien, die im Sommer Montreal besuchen, laufen im Winter Halifax an; für die grossen Fischerflotten Neu Schott -
lands, welche alljährlich die Küsten Neufoundlands und Labradors besuchen, ist Halifax eine Hauptstation. Von hier aus wird auch St. Johns, die Fischermetropole des verarmenden Neufoundlands mit Lebensmitteln versorgt; ausserdem ist Halifax der einzige Punkt der Dominion, in welchem England eine Garnison (1480 Mann) hält. All das vereinigt sich, um Halifax viel Leben und grossen Reichthum zu -Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 426Die atlantische Küste von Amerika.zuführen. Heute verräth schon der erste Blick auf die regelmässig gebaute Stadt mit ihren grossen Docks, dass man sich in einem der grössten Handelshäfen Ostcanadas befindet.
Der Schiffsverkehr von Halifax betrug 1886 / 87:
Die britische Flagge hat im Verkehre von Halifax das Uebergewicht; die canadische aber auch eine viel grössere Bedeutung als die fremden Flaggen. Unter den letzteren ragen hervor die der Vereinigten Staaten von Amerika, von Schweden und Norwegen und des Deutschen Reiches.
Ein Viertel des gesammten Tonnengehaltes der einlaufenden Schiffe kommt in Ballast.
Halifax ist der Ausgangspunkt (vom atlantischen Ocean gerechnet) der ausschliesslich britischen Eisenbahnlinie, welche durch den Continent von Nord - amerika führt.
In demselben Masse als dieser grosse „ Cultur-Pionnier “das Hinterland bis Columbia hebt, in demselben Masse steigt Halifax an Bedeutung. Schon heute ist es End - oder doch Anlaufstation für zahlreiche Dampferlinien.
Die Verbindung mit Europa besorgt neben den Linien, die nur im Winter Halifax anlaufen, die Allan-Line, die jeden zweiten Dienstag von Liverpool über Queenstown, St. Johns (Neufoundland) nach Halifax und Baltimore geht. Halifax liegt für den Verkehr mit Europa günstig, da seine Entfernung vom St. Georgs - Canal um 800 Seemeilen kleiner ist als die New-Yorks. Daher landen auch nicht weit von ihm im Nordwesten fünf von den zehn transatlantischen Kabeln, die für den telegraphischen Verkehr Europas mit Nordamerika bestimmt sind. Drei Kabelleitungen gehen von dort weiter nach den Vereinigten Staaten.
Consulate: Belgien, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich (V. C.), Hawaiï, Italien, Niederlande (V. C.), Oesterreich-Ungarn, Portugal, Schweden und Norwegen (V. C.), Vereinigte Staaten von Nordamerika (G. C.), Uruguay.
Wir schliessen hier, wie wir glauben ganz naturgerecht, die Beschreibung von St. John in Neubraunschweig an, das berufen scheint, einen Theil des Exportes aus dem Innern Canadas, soweit er heute über Halifax geht, an sich zu ziehen.
St. John hat 26.127 Einwohner (1881); es liegt an der Fundy - Bai und an der linken Seite der Mündung des St. John River, der bis Fredericktown aufwärts von Seedampfern befahren wird.
Neu-Braunschweig ist ein Land der Zukunft; heute ist sein In - neres fast zu vier Fünftel von Urwald bedeckt, der nur durch die Läufe der Flüsse und zahlreiche Seen unterbrochen wird. Auf diese27Halifax und St. John.Art ist es wohl sehr erklärlich, dass sich das ganze Geschäftsleben dieses Platzes um die zwei Artikel Holz und Fische dreht.
Die kolossalen Holzmassen, welche im Frühjahre und Herbst den St. John River herabschwimmen, werden theils hier schon zum Schiffbau benützt oder in alle Welt, vor allem nach Grossbritannien verschifft. Hier werden auch grossartige Flosse, „ Ocean Timber Rafts “zusammengestellt, die ein Gewicht von 7000 bis 8000 Tonnen haben und von Dampfern geleitet, auf dem Meere nach New-York gehen.
Im Jahre 1888 wurde dort ein Holzlager von 32 Millionen Quadratfuss über - wintert, die Verschiffungen von Dielen und Brettern beliefen sich auf 156,035.720 Qua - dratfuss, von Fichtenholz wurden 457 Tons ausgeführt, von Birkenholz 5221 Tons.
In Neu-Braunschweig erreicht der Werth aller Fischereiproducte 3¼ bis 4 Millionen Dollars. Geradezu unglaublich ist der Fischreichthum der Flüsse und Seen, namentlich an Lachsen und Lachsforellen.
Der Schiffverkehr von St. John betrug 1886 / 87:
Die Summe der Tonnenzahl der englischen und canadischen Schiffe erreicht nicht die der fremden Flaggen, von denen die der Vereinigten Staaten neun Zehntel umfasst. Neben ihnen sind noch erwähnenswerth die Schiffe unter norwegischer, schwedischer und spanischer Flagge.
Aehnlich wie in Halifax verspürt man auch bereits in St. John die Wir - kungen der allgemeinen Entwicklung Canadas und sucht die günstige Position durch künstliche Nachhilfe so weit als möglich auszunützen.
Zu dem alten Anschlusse an die nach Halifax führende Intercolonialbahn bei Moncton, das an dem Nordende der Fundy-Bay liegt, erhielt St. John 1889 eine kürzere Verbindung nach Quebec und Montreal durch eine Bahn, die, das Gebiet der Union durchschneidend, längs des Flusses St. John nach Norden führt.
Man erwartet, dass ein beträchtlicher Theil der bisher über die Vereinigten Staaten eingeführten Waaren direct nach Canada über St. John verschifft werden wird, dessen Hafen nie zufriert.
Als Importplatz war St. John schon vor Eröffnung dieser neuen Eisenbahn - linie ziemlich wichtig, seit ihrer Eröffnung steigert sich seine Bedeutung entschieden.
Canada macht sich aber in Bezug auf jede Art des eigentlichen Verkehres in demselben Masse von der Union unabhängig, als die Chancen seiner eigenen Entwicklung durch die Einwanderung steigen.
Consulate: Chile (V. C.), Deutsches Reich, Frankreich (C. A.), Hawaiï, Niederlande (V. C.), Spanien (V. C.), Schweden und Norwegen (V. C.), Uruguay, Vereinigte Staaten.
Durch die Fährlichkeiten der Einfahrt sind wir in den ge - schützten Bereich des inneren Hafens vorgedrungen. Meilenlang, un - absehbar liegt von Thürmen und hohen Schloten überragt die Häuser - masse von Boston vor unserem Blick. Von zahllosen Schiffen sind die Quais und Ankerplätze besetzt und reges Treiben belebt die Hafenfläche.
Der gewaltige Kern von Boston, das ursprüngliche Tremont, bedeckt den hügelförmig gekrümmten Rücken einer Halbinsel; er tritt aus dem Häusermeer scharf und symmetrisch hervor.
Wie es jetzt dort am höchsten Punkte glitzert, ja zu hellem Glanze aufflammt, als ergösse von dort aus die warme Glut des Lebens sich über Stadt und Land! Der magische Lichtquell, der seine Strahlen weit und breit entsendet, ist die mächtige goldene Kuppel des Repräsentantenhauses (State-House) von Massachusetts. So dominirend strebt das Bauwerk auf, so hervorragend ist seine Lage, dass es von jedem Punkte des vielgewundenen Hafens stets als ein auffallendes und bestechendes Hauptobject im Stadtbild erscheint. Die gleissende Kuppel ist so recht das Wahrzeichen Bostons, ja selbst des ge - waltigen Reiches der nordamerikanischen Union, und der Glanz, den ihre kühn gewölbte Fläche auf das reiche Emporium zu ihren Füssen ausstrahlt, ist dem Glanze jener Freiheit vergleichbar, die weite Rechte verleiht, aber auch ernste Pflichten auferlegt. Unter ihrer Herrschaft allein konnte die überschäumende Flut eines kraftvollen Lebens bis tief in die weitesten Bevölkerungsschichten eindringen und, in tausend Formen beglückend, den Aufbau der grossartigen Ver - hältnisse begünstigen, die unter dem Sternenbanner der Union so un - geahnt, so völlig wunderbar sich ausgestaltet haben.
Das freiheitliche Selbstbestimmungsrecht schuf dort eine neue Gesellschaft, welche durch Intelligenz, tüchtige Lebensanschauung,29Boston.Selbständigkeit, Streben nach höherer geistiger Bildung, durch Fleiss und Beharrlichkeit, wie nicht minder durch Unternehmungsgeist und ernste humanitäre Gesinnung ausgezeichnet ist.
Solche in der Majorität eines grossen Volkes wirkende Eigen - schaften müssen den Rahmen seiner Entwicklung immer mehr aus - weiten, und so gewaltig ist der Triumphzug der letzteren, dass es gegenwärtig keines Menschen geistigem Blicke noch vergönnt ist, die endlichen Ziele, welchen die neue Gesellschaft mit ihrem socialistischen Drängen, ihrer Frauenemancipation zustrebt, auch nur zu ahnen.
Die weiteste Ausbildung und Verwerthung der Geistesgaben und der Arbeitskraft ist aber der Angelpunkt aller Bestrebungen in der Union. Jede Beschränkung in dieser Hinsicht hätte den Gang der Dinge unnachsichtlich in kleinliche Verhältnisse zurückgedrängt und die Bevölkerung unfähig gemacht, den reichen Segen, mit dem die Natur die unermesslichen Strecken des Reiches überhäufte, einstmals in vollwerthige, geistige und materielle Wohlfahrt umzusetzen.
Allerdings steht heutzutage die Bewältigung der Natur und die Ausbeutung der Bodenschätze noch im Vordergrund der Volksthätig - keit, wodurch der Kampf ums Dasein zu grosser Schärfe zugespitzt wurde, aber gleichwie diese Richtung zu den staunenswerthen Leistungen der Union auf den Gebieten der Production und Technik geführt hat, ebenso lässt sich zuversichtlich erwarten, dass auch die höhere Geistesthätigkeit, die in den mächtig angewachsenen Gross - städten der Union lebhaft zu Tage tritt, für Kunst und Wissenschaft immer breitere Grundlagen schaffen und in nicht ferner Zeit den gleichen Bestrebungen der alten Welt ebenbürtig zur Seite stehen wird.
Angesichts der enormen Ausbreitung von Boston, dessen Gebiet heute eine Fläche von 9564 Hektaren oder zwei geographischen Qua - dratmeilen einnimmt, vermag der Beschauer nur schwer mit der That - sache sich abzufinden, dass hier, wie allwärts in den gottgesegneten Ländereien der Union, vor 260 Jahren tiefer Urwald, in dem der barbarische Ruf des Indianers mit dem Gebrülle des Raubthieres sich mengte, den Boden bedeckte. Welche vereinigte Kraft und Ausdauer musste aufgeboten werden, um in so kurzer Zeit aus dem Nichts einen der gewaltigsten Brennpunkte des Weltverkehres und einen geistigen Vorposten der Union zu schaffen!
Der Massenzuwachs der Entwicklung fällt jedoch erst in die Zeit der Eisenbahnen, also in die Periode des Dampfes.
Versenken wir uns nun in die Vergangenheit, um eine Vor - stellung des interessanten Werdeprocesses von Boston zu gewinnen
30Die atlantische Küste von Amerika.Bald nach Gründung der niederländischen Colonie Novum Bel - gium (New-York) erschienen an vielen Küstenpunkten Neu-Englands (gegenwärtig die Staaten Maine, New-Hampshire, Vermont, Massa - chusetts, Rhode Island und Conecticut) die Colonnen der ersten An - siedler aus Grossbritannien.
Bei Plymonth, in einer Bucht südlich von Boston, wohin gegen - wärtig die Old Colonial-Eisenbahn führt, landete im Jahre 1620 die zu historischer Berühmtheit gelangte Schar der Puritaner, der Stamm - väter einer Aristokratie nach amerikanischem Zuschnitt, die heute mit Stolz auf die Thaten ihrer Vorfahren, der „ Pilgerväter “, zurückblickt.
In Salem, 20 km nördlich des heutigen Boston, entstand gleich - falls eine Colonie, die aber 1630 verlassen und nach Charlestown verlegt ward. Auch letzter Punkt entsprach nicht, weil dort gutes Trinkwasser fehlte, und so wanderte man am 17. September 1630 nach der knapp anliegenden Halbinsel Trimountain, später Tremont (von den Indianern Shawmutt) genannt, deren drei Hügel ihr den Namen gaben. Dort entstand die Niederlassung Boston, das an die gleichnamige Stadt in England erinnern sollte, von wo viele der Co - lonisten — und unter diesen neben dem Gouverneur Winthrop ihr be - deutendster Mann, Isaac Johnston — herstammten.
Boston ward infolge seiner günstigen Lage alsbald zum Cen - trum der Colonie Massachusetts, ein Name indianischer Abstammung, gewählt. Rasch waren andere Küstenorte angesiedelt und in den ersten zehn Jahren kamen 20.000 Einwanderer nach Boston. Die Stadt besass 1639 bereits eine bewaffnete Macht von 1000 Mann, und die Colonie Neu-England zählte 1674 schon 120.000 Einwohner.
Während der Befreiungskämpfe spielte Boston, wo die repu - blikanische Strömung der Geister gegen die Bedrückung der Colonie durch die englische Regierung zum Durchbruch kam, eine wichtige Rolle.
1770 geschah in der jetzigen State-Street (damals King Str.) ein Angriff des Volkes gegen englische Soldaten, andere blutige De - monstrationen folgten und die Vernichtung der ungeheuren Thee - ladungen im Hafen zeigte die ganze Erbitterung der Bevölkerung gegen die ausbeutende Gesetzgebung Englands. Die Theeschiffe waren Ende November und anfangs December 1773 angekommen, und als am 16. December die Regierung auf der unerschwinglichen Besteuerung der tiefgehassten Theeladungen verharrte, wurden die Schiffe von be - waffneten Volkshaufen gestürmt und sämmtlicher Thee in das Meer geworfen. Diese Ereignisse, deren Eindruck die freiheitlich gesinnte31Boston.Majorität der Colonisten zum Opfermuth entflammte, waren die Ein - leitung der grossen Unabhängigkeitskämpfe, welche den unsterblichen Ruhm Washingtons begründeten.
Am 3. Juli 1775 übernahm General Washington in Cambridge (der Vorstadt Bostons) das Commando über die republikanischen Streitkräfte, konnte aber erst im März 1776 die Operationen gegen Boston beginnen. In der Nacht zum 4. März besetzte er die Höhen von Dorchester und liess dort sogleich Erdwerke aufrichten und diese armiren. Bei Morgengrauen erblickten die Engländer ihre Gegner in wohlverschanzten festen Positionen. Ein Sturm verhinderte den in Boston commandirenden General Howe, die Amerikaner zu vertreiben; dadurch wurde seine Lage immer kritischer und war am 17. März geradezu unhaltbar geworden. Vor Einbruch der Nacht segelte die Besatzung an Bord der englischen Flotte ab, und Washington zog triumphirend in Boston ein.
Die Engländer versuchten nicht mehr, die Stadt zu bezwingen, und nach der Unabhängigkeitserklärung war Boston, wenn auch nicht die erste Stadt der Union mit Hinblick auf die Einwohnerzahl, so doch die einflussreichste derselben und betrat den Weg der Ent - wicklung und Blüthe, den sie bis heute verfolgt.
Die Leistungen in letzterer Richtung sind grossartig zu nennen.
Im Jahre 1804 wurde South-Boston (das alte Dorchester Neck), dann das 1830 auf der Insel Noddle entstandene East-Boston, in späteren Jahren Charlestown, Roxbury, Cambridge und das südwest - lich davon am rechten Charlesufer entstandene Brighton in das Ge - meindegebiet von Boston einbezogen.
Bald genügte die von der Natur angewiesene Fläche des an der Vereinigung dreier Flüsse gelegenen inselförmigen Terrains nicht mehr den enorm gesteigerten Bedürfnissen. Man entschloss sich daher, „ Land zu machen “, um Raum für die Erweiterung der Stadt und der Vororte zu gewinnen.
Die diesbetreffenden Fortschritte im Laufe dieses Jahrhundertes können geradezu als immens bezeichnet werden. Die Anschüttungen im Hafen und an den Flussufern betragen allein im älteren Boston ungefähr 1200 ha. Auf diesem Terrain erhebt sich gegenwärtig unter anderem das fashionable West-End, das auf unserem Hafenplane mit D bezeichnet ist.
Das Anschüttungsmaterial wurde durch Abtragung von Hügeln gewonnen. Die Stadterweiterung ging mit einer Stadtregulirung Hand in Hand, und da war dem amerikanischen Unternehmungsgeiste ein32Die atlantische Küste von Amerika.unbegrenzter Spielraum gegeben. Hier entstand die haarsträubende Operation der house-mover, die mit unglaublicher Kühnheit und Sicher - heit ganze Gebäude auf Stahlrollen in Bewegung setzten und ver - schoben.
In dieser Weise wurden auch ganze Stadt-Districte mit allen ihren Steinbauwerken um mehrere Fuss gehoben und einzelne Strassen durch Verrückung der Häuserzeilen breiter gemacht.
Während auf diese Weise die Stadt an Ausdehnung und Com - fort gewann, wurde durch die rapide Steigerung der Eisenbahnver - bindungen von Boston ein anderes Element des Aufschwunges ge - schaffen, das der Entwicklung der Stadt eine neue Richtung gegeben hat. Die vielen radialen Bahnen, die auf 50 km hinaus jede Ortschaft der Umgebung mit dem Centrum verbinden, ermöglichten, abseits der commerciellen Vortheile, dass die Geschäftswelt das eigene Heim weit weg vom Schauplatze der Berufsthätigkeit sich einrichten konnte. So entstanden Vorstädte und Villeggiaturen, die an Ausdehnung und Schönheit völlig unvergleichlich genannt werden können. Diese Anla - gen, welche die Vorzüge einer Stadt mit der Annehmlichkeit des Landlebens reizend verbinden, stehen mit Boston in commercieller und gesellschaftlicher Hinsicht in engsten Beziehungen, ja gehören im Grunde genommen zur Stadt.
Auch hier bereitet sich dieselbe Entwicklung vor, welche seiner - zeit zur Verschmelzung der früher erwähnten fünf vorstädtischen Municipalitäten mit Boston geführt hat, weshalb anzunehmen ist, dass in nicht ferner Zeit noch andere umliegende Ortschaften von der Grosscommune absorbirt werden dürften. Der grossartige Auf - schwung der Stadt und ihrer Umgebung hat selbstverständlich den Werth des Eigenthums im östlichen Theile des Staates Massachusetts ausserordentlich gehoben.
Bevor wir eine Wanderung durch die Stadt antreten, seien dem Hafen von Boston und dessen Zufahrten einige Worte gewidmet.
Die grosse, im Süden durch das weit in See vorspringende Cap Cod gebildete Massachusetts-Bay besitzt an der westlichen Küsten - erstreckung die Einbuchtungen des Broad-Sound im Norden und der Boston-Bay im Süden. Zwischen beiden windet sich durch ein Ge - wirre von Fährlichkeiten aller Art die Einfahrt nach Boston. Bis auf 15 km hinaus reichen die Untiefen und Riffe.
Die Hauptzufahrtsstrasse ist der in den Broad-Sound-Canal ein - mündende South-Channel. Das durch Leuchtfeuer und Bojen aus - reichend markirte Fahrwasser führt auf die Präsident-Rhede (Presi -[33]
Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 534Die atlantische Küste von Amerika.dent-Road) und von da durch den engen Pass zwischen dem Palmyra - Riff (N) und dem durch das starke Fort Independance vertheidigten Castle-Eilande, dann vorbei an der gleichfalls befestigten Governor - Insel in den inneren Hafen von Boston. Die letztgenannte Insel ist als Geburtsort des berühmten Staatsmannes Benjamin Franklin, der hier 1706 das Licht der Welt erblickte, von historischem Interesse.
Eine zweite Zufahrt zur Präsident-Rhede, der Main-Ship-Canal, ist nur für Schiffe bis 7 m Tauchung bei ruhiger See navigabel. Das ungeheure Fort Warren auf der Georg-Insel dominirt diesen Canal.
Weit ausgedehnte lagunenartige Niederungen (Flats), über welche nur einzelne Hügel von geringer Höhe emporragen, bilden den Ab - schluss des Hafens gegen die Seeseite. In das Hafenbecken münden in breiten Ausweitungen die drei Flüsse Charles, Mystic und Chelsea, welche eine natürliche Scheidung der Stadttheile von Boston voll - ziehen, gleichzeitig aber dem Hafen sehr bewegte Contouren von grosser Quai-Entwicklung geben. Diese Eigenthümlichkeit gestattete die Anlage ausgedehnter Landungsbassins (Wharfs) an den Quais von Alt-Boston, Charlestown und East-Boston für Schiffe jeder Grösse. So haben denn auch die nach Boston verkehrenden grossen Dampf - schiffahrts-Unternehmungen dort eigene Warfs, und der lebhafte Local - verkehr zu Wasser konnte die herrlichsten Anlegeplätze in allen Theilen des Hafens gewinnen. Ebenso entstanden dort Waarenmaga - zine in grossem Style, und die Schiffahrt erhielt in ausreichendstem Masse alle Hilfsmittel zur schnellen Bewältigung der Lade - und Lösch - Operationen. Auch für die Behebung von Havarien jeder Art ist durch den Bestand zahlreicher technischer Etablissements vorgesorgt.
In Charlestown besitzt die Kriegsmarine der Vereinigten Staaten ein ausgedehntes Seearsenal (X), das, 1800 gegründet, der ameri - kanischen Flotte zahlreiche, auf seinen Werften erbaute Schiffe zu - führte. Das Arsenal verfügt über ein Trockendock von 112 m Länge, und die grosse Seilerei ist die bedeutendste in Amerika.
Charlestown ist durch den riesigen Bunkerhill-Obelisken, ein Denkmal zur Erinnerung an das dort am 17. Juni 1843 vorgefallene Gefecht scharf gekennzeichnet. Von der Höhe des Bauwerkes bietet sich ein herrlicher Rundblick über den Hafen dar.
Wie sehr die Stadtgemeinde und Regierung bestrebt sind, dem äusserst angewachsenen Verkehr die weitesten Erleichterungen zu bieten, und wie sehr sie dadurch den Aufschwung der Stadt zu för - dern wissen, zeigt ein Blick auf den Hafenplan. Die Zahl der stabilen Brücken, welche die verschiedenen Stadttheile über die Flussläufe35Boston.hinweg untereinander und mit dem Hinterlande verbinden, ist in der That bedeutend zu nennen. Aus diesem Reichthum an Verbindungen, von denen viele von ansehnlicher Länge, spricht dieselbe kraftvolle und zielbewusste Energie, welche allein dem amerikanischen Leben die angestaunte Intensität gegeben hat.
Der natürliche Centralpunkt von Boston ist der Hay Market - Square (Heumarktplatz), dessen Nordseite der im Verkehr nach Port - land sehr besuchte Bahnhof der Maine-Eisenbahn einnimmt. Dort und in nächster Nähe münden viele der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt. Zur Charles-River-Bridge zieht nordwärts die Charlestown - Street nach dem Stadttheil dieses Namens, und etwas südlich des Hay Market führt die Hannover-Street zum nördlichsten Punkt des Hafen-Quais.
Die wichtigste und ausgedehnteste Strasse ist aber Washington - Street, die in einer Länge von 4 km die ganze Stadt in der Rich - tung gegen Roxbury durchzieht. In ihrem Namen spiegelt sich die unendliche Verehrung, welche den Manen Washington’s gezollt wird.
Die Strasse durchschneidet mehrere Plätze, deren bedeutendster im südwestlichen Theile der mit anmuthigen Gartenanlagen gezierte Franklin-Square ist.
Hervorragende und zahlreiche Monumentalbauten zeichnen diese belebte Pulsader aus. An ihr liegen grosse Hôtels, wie Continental, Adams und Metropolitan, dann Theater (Globe, Park u. a.), Kirchen, worunter die imposante katholische Kathedrale, die Gebäude der Journalistik, wie Herald-Building, Journal-Building u. a.
Die Journalistik von Boston hat einen enormen Aufschwung genommen und behauptet einen hervorragenden Rang in den Ver - einigten Staaten. Im Jahre 1704, also 74 Jahre nach der Gründung der Stadt, erschien das erste Blatt, die „ Boston New Letters “. Ge - genwärtig besteht eine grosse Zahl von Zeitungen mit sehr hohen Auflagen. So erscheint der „ Herald “täglich in 100.000 Exemplaren, erlebte aber schon Tagesauflagen bis zu 302.030 Exemplaren, eine gewiss interessante Erscheinung in der Geschichte der Journalistik.
Durch die grosse Zahl und vortreffliche Einrichtung der Schulen, deren mehr als 400 bestehen, durch seine Hochschulen und Collegien, durch die Menge der gelehrten Gesellschaften, seine wissenschaftlichen und Kunstsammlungen, Museen, Bibliotheken, von welchen die Boston public library mehr als 450.000 Bände und über 200.000 Flug - schriften zählt, wie überhaupt durch die geistigen Bestrebungen der Bevölkerung und die dort angesammelten Reichthümer nimmt Boston5*36Die atlantische Küste von Amerika.eine glanzvolle Stellung ein und verdient mit Recht den stolzen Bei - namen: das amerikanische Athen.
Das geistige Leben ist daher dort sehr entwickelt und der Buchhandel florirt.
Längs der Bassins und Docks des Hafenquais führt, Boston umklammernd, die breite, ihres Namens würdige Atlantic-Avenue, ein grossartiger Verkehrsweg, dessen Besuch uns den Mechanismus des gewaltigen Seeverkehres überblicken lässt.
Die Avenue steht mit der nach South-Boston laufenden Federal - Avenue in Verbindung.
In dem ehemaligen Boston Neck sind prächtige, mit der Washing - ton-Street parallel laufende Strassen entstanden, wie Albany-Street, Harrison-Avenue, Columbus-Avenue und Shawmutt-Avenue, welch letztere in die schöne Tremont-Avenue einmündet; an diese grenzt der ebenso ausgedehnte wie prächtige Common-Park, gewöhnlich Common genannt, in dessen Anlage landschaftlicher Reiz mit Kunst - geschmack vereinigt wurde. Er ist daher der Focus des fashionablen Lebens von Boston. Dort liess an den Ufern lieblicher Teiche, auf grünen Hügeln und in schattigen Boschetts der ausgesprochene Sinn der Bevölkerung für die Pflege geschichtlicher Erinnerungen eine Fülle von Denkmälern entstehen, wie man sie selbst in manchen ehrwür - digen Metropolen der alten Welt, die weitaus reicher an Ereignissen, in solcher Zahl nicht vorfindet.
Die Monumente sind zumeist hervorragenden Männern der Revo - lutionszeit gewidmet, einer Periode, in der alle früheren Erinnerungen an das verhasste Königthum der Zerstörung anheimfielen, so dass kaum mehr die Tradition von ihrem einstigen Bestande Kunde zu geben vermag.
Auch die alten Friedhöfe, die inmitten der Stadt, obgleich auf - gelassen, als Andenken erhalten bleiben, geben von der Verehrung für die Vorkämpfer der Freiheit ein beredtes Zeugniss. Einzelne In - schriften sind der heutigen Generation allerdings nicht mehr recht verständlich. So trägt der Stein, welcher den Capitän Malcolm am Old North-Buryal-Ground deckt, die Worte: „ Ein wahrer Sohn der Freiheit, ein Freund des Volkes, ein Feind der Bedrückung, und einer der vordersten Gegner der Revenue-Acte von Amerika. “ Die Veranlassung zu seinem Lobe war ein kühner Streich, den der Capitän 1768 vollführte, indem er eine Ladung Wein landete, ohne dass er den Zoll für selbe entrichtet hätte. Heute würde man die Affaire als Schmuggel bezeichnen, damals galt sie aber als eine patriotische That, weil der Zoll als ungerecht und illegal angesehen wurde.
37Boston.Auf den Common-Park blickt der Renaissancebau des State - House, dessen goldene Kuppel eingangs erwähnt wurde. Letztere liegt unter 42° 21′5 nördl. Breite und 71° 4′ westl. Länge von Green - wich. In der überaus prächtigen Commonwealth-Avenue (D) erhält der Park eine originelle Fortsetzung nach West-Boston. Diese Avenue ist die breiteste der Stadt; ihren mittleren Theil nehmen in der ganzen Länge von zwei Kilometern Parkanlagen ein, an deren Seiten die Fahrwege führen. Durch den Luxus der dortigen Paläste und Prunk - bauten präsentirt die Avenue sich als eine sehenswerthe Weltstrasse von seltener Grossartigkeit. Die Haupt-Strassenzüge von West-Boston laufen mit der erwähnten Avenue parallel und bilden das glanzvolle Hauptquartier der Aristokratie der Stadt.
Der Gesammteindruck von Boston ist ein durchaus angenehmer und äusserst fesselnder.
Nach der Grösse seiner Bevölkerung ist Boston die vierte Stadt der Vereinigten Staaten von Amerika. Es hatte nach dem allge - meinen Census vom 1. Juni 1880 437.290 Einwohner. Für 1889 wird die Bevölkerung auf 542.000 Seelen geschätzt. Der tonange - bende Theil der Bevölkerung der Stadt verleugnet ebensowenig, wie die der Neuengland-Staaten überhaupt, den Charakter seines Ursprungs. Bibelfeste Puritaner, die man in England als Dissenters und Non - conformisten bedrückte, weil sie mit den Satzungen der bischöf - lichen Staatskirche nicht übereinstimmten, hatten dieses bewaldete Land zu ihrer neuen Heimat erwählt.
Hier sind, unter der Breite von Rom, die Winter so kalt, wie die von Memel an der Nordspitze Ostpreussens, die Sommer so heiss, wie die von Budapest. Nur durch angestrengte Arbeit und unermüdlichen Fleiss konnten die Colonisten dem Boden die nöthigen Bedürfnisse abringen. Dieselbe Hand, welche den Pflug lenkte, musste aber auch gewöhnt sein, den Carabiner zu führen, denn Tag und Nacht galt es, das dem Boden Abgewonnene gegen die räuberischen Indianer zu vertheidigen. Dieser schwere Kampf gegen Natur und Menschen erzog ein hartes, kühnes, unternehmendes, aber auch freiheitliebendes Volk. Seine Verfassung und Gemeinde - ordnung war eine demokratische, denn alle waren auf Arbeit ange - wiesen und von gemeinsamen Gefahren umgeben. In religiösen Fragen war man tolerant, hatte man doch zumeist aus Gründen religiöser Verfolgung die Heimat verlassen, aber in der Ausübung der eigenen Religion fanatisch streng. In Allen lebte die Ueberzeugung, dass sie von der Hand der Vorsehung zu Besonderem auserwählt seien. Diese38Die atlantische Küste von Amerika.zähe und hartköpfige Race, welche Musik und Tanz für Sünde hielt, bildete den Grundstock der grossen demokratischen Republik, deren Geburtsstadt Boston ist. Wenn auch zwischen dem Denken und Fühlen der heutigen Amerikaner und jenem der alten Puritaner ein him - melweiter Unterschied ist, so ist doch nicht zu verkennen, dass ihr Geist dem ganzen Culturleben der Union gewissermassen die Grund - farbe gibt; ja die Neuengland-Staaten haben für alle Staaten bis an den stillen Ocean bis heute und wohl noch für lange entschieden die geistige Führerschaft.
Der Einwanderer englischer Abstammung fügt sich diesem Geiste leicht, die anderen Nationen dürfen sich gegen die herrschende Sitte nicht auflehnen.
Ein sichtbares Zeichen dieser Macht ist die Heiligung des Sonn - tags nach der strengen Weise der Puritaner. Selbst die katholische Kirche, die ihren Gläubigen in anderen Ländern am Tage des Herrn die Aeusserung heiteren Frohsinnes nicht verwehrt, musste sich in der Union dem heimischen Gebrauche anbequemen.
Von den Neuengland-Staaten geht die Temperenz-Bewegung in der Union aus, welche gegen den Genuss geistiger Getränke, selbst gegen den des Bieres, gerichtet ist. In Maine, das im äusser - sten Nordwesten der Union liegt und eine Bevölkerung von 649.000 Seelen hat, dürfen nach einem Gesetze vom Jahre 1851 geistige Ge - tränke weder erzeugt noch verkauft werden. Nur in den Apotheken kann man sich solche verschaffen.
Auch die Agitation gegen die starke Einwanderung der letzten zwanzig Jahre in die Union hat hier ihren Sitz.
In den Neuengland-Staaten verwandelten sich die aristokratisch angehauchten Briten in die „ Yankees “, jenen originalen Menschen - typus, welcher der so heterogenen Bevölkerung Nordamerikas den geistigen Stempel aufdrückt und die Söhne der verschiedensten Völker und Racen zu einem neuen Volke amalgamirt.
Für den richtigen Nordamerikaner ist Boston die Stadt der freien Sitte, ebenso wie für den Romanen Paris. Boston ist für die Amerikaner viel mehr eine echt amerikanische Stadt, als New-York. Boston ist in gewisser Weise die geistige Capitale der Union.
Hier in Boston bildet ein reiches erbgesessenes Bürgerthum den Grundstock der Gesellschaft; unter ihnen bewegen sich Nachkommen der berühmten „ Mayflower “- Einwanderer aus dem XVII. Jahrhunderte, fast mit aristokratischen Alluren. Diesem gebildeten, soliden Reich - thume verdankt Boston seine vielen wissenschaftlichen und künst -39Boston.lerischen Institute, welche selbst von denen New-Yorks den Leistungen nach nicht übertroffen werden. Es wäre aber ganz falsch, Boston als eine Stadt aufzufassen, wohin sich bloss reiche Amerikaner zurück - ziehen, um die erworbenen Vermögen mit Geist zu geniessen; das „ ameri - kanische Athen “ist vielmehr im tiefsten Kerne noch immer, was es von Anfang war, eine Kaufmannstadt.
Die Bostoner Kaufleute hatten schon im XVIII. Jahrhunderte den Ruf grosser Tüchtigkeit und Schlauheit, doch herrscht hier im Ge - schäftsleben ein vornehmerer Ton als anderswo. Wenn die Capita - listen Bostons für ein Unternehmen eintreten, so wird es auf solider Basis durchgeführt. Sie haben in kurzer Zeit das imposante Eisenbahnnetz von Mexico geschaffen, um die romanische Nachbar - republik wirthschaftlich an die Vereinigten Staaten zu ketten und der hochentwickelten Industrie der Neuengland-Staaten ein unbestrittenes Absatzfeld zu sichern.
Sie betheiligten sich im Westen des eigenen Landes in aus - gedehntem Masse am Baue der Eisenbahnen, an Industrie - und Ackerbauunternehmungen. Da nun die gesteigerte Concurrenz auch dort schon den Gewinn gegen frühere Jahre bedeutend geschmälert hat, so werfen sie jetzt ein grösseres Augenmerk auf den lang ver - nachlässigten Süden der Vereinigten Staaten, der in der That einer raschen Blüthe auf allen Gebieten der Production entgegenzugehen scheint.
Boston ist aber auch eine hervorragende Industriestadt, für Lederindustrie wohl der erste Platz der Union. Sehr ansehnlich ist die Fabrication von Metallwaaren, Maschinen, Glas, Zucker, Wolle, Baumwolle, Bier.
Die Bedürfnisse dieser Industrien Bostons und seiner Hinterländer einerseits, die natürliche Production dieser Hinterländer andererseits spiegeln sich in dem Handel dieser Hafenstadt ab.
Als Handelsplatz ist Boston der wichtigste Ort der Neu-Englandstaaten, einer der vier Welthäfen der Union am atlantischen Ocean, der nur von New-York an Bedeutung übertroffen wird und Philadelphia und Baltimore vorangeht.
Die geschäftliche Thätigkeit von Boston ist in erster Linie auf das ameri - kanische Binnenland gerichtet; und zwar bildet das Hinterland von Boston nicht allein der Nordosten der Union, sondern auch der reiche Süden von Canada. Für letzteren war Boston bis zur Eröffnung der kürzeren Verbindung zwischen Montreal und St. John (Neubraunschweig) der einzige Winterhafen, über welchen der Ver - kehr lohnend war. Von Südcanada und aus Chicago kommt der grösste Theil des lebenden Rindviehes, das über Boston nach den englischen Häfen Liverpool, London und Glasgow gesendet wird. Die Ausfuhr erreichte 1888 54.115 Stück im Werthe von 4·7 Millionen Dollars, 1887 43.660 Stück, 1886 45.215 Stück. Ueberdies40Die atlantische Küste von Amerika.wird in den Bostoner Schlächtereien „ Dressed Beef “hergestellt und nach Liver - pool verschifft. Die Ausfuhr von Producten der Schweinezucht stammt aus Chicago.
Ausfuhr von „ Provisions “1888:
Boston ist einer der grössten Butter märkte der Union.
Boston ist ferner ein wichtiger Exportplatz für Getreide, und zwar in erster Linie für Mais; für Weizenmehl ist es ein disponirender Platz. Ausgeführt wurden 1888 1,170.508 hl Mais, 231.141 hl Weizen, 100.832 q Maismehl, 1,327.738 q Weizenmehl, zusammen im Werthe von 10,751.851 Dollars; Exportwerth 1887 14,008.907 Dollars; 1886 14,044.441 Dollars.
Einer der wichtigsten Ausfuhrartikel ist rohe Baumwolle sowohl der Menge als dem Werthe nach. Ausfuhr 1888 547.799 q im Werthe von 12,596.990 Dollars; 1887 9,680.600 Dollars; 1886 10.520.797 Dollars. Blättertabak wurde 1888 (Fiscaljahr) in der Menge von 31.820 q (Werth 862.646 Dollars), 1887 in der Menge von 92.062 q (Werth 2,296.225 Dollars) ausgeführt. Das Jahr 1888 zeigt gegen das Vorjahr einen ähnlichen Rückschlag in der Tabakausfuhr Bostons, wie das Jahr 1880 gegen 1879. Erdöl wurde 1888 in der Menge von 203.100 hl (Werth 539.674 Dollars) ausgeführt.
Im Verkehre mit Südamerika spielen neben Mehl und Provisionen auch Bauhölzer eine grosse Rolle. Sie stammen zum Theile aus den Küstenprovinzen von Canada. Die rege Baulust, die seit einigen Jahren in Buenos Ayres, der Gross - stadt am La Plata, herrscht, hat den Handel sehr gefördert. Andere wichtige Be - stimmungsorte sind Rosario, Montevideo und die Südstaaten der Union. Diesem lebhaften südamerikanischen Verkehr dient seit 1888 auch einer der grössten Schooner der Welt mit fünf Masten, der die umfangreichste Ladung von Bauholz führte, die bis jetzt in einem Fahrzeuge verladen wurde. Alle diese Artikel sind in fremden Staaten erzeugt; aus Massachusetts selbst kommen nur Aepfel in steigenden Mengen nach Europa zur Ausfuhr.
Aus Boston und seiner Umgebung aber stammen die ausgeführten Industrie - producte, wie Baumwollfabricate. Diese werden in den benachbarten Orten Lowell, welches man das amerikanische Manchester nennt, in Fallriver, Lawrence und New-Bedford erzeugt; der Absatz nach Südamerika und Afrika steigt unaus - gesetzt.
In den Neu-Englandstaaten werden etwa 25 % alles Sohlenleders und 75 % alles Oberleders fabricirt; doch kommt fast sämmtliches in anderen Staaten gefertigtes Leder in Boston zum Verkauf. Die Erzeugung von Leder und Schuhwaaren ist die vornehmste Exportindustrie Bostons, in diesem Zweige geht die Stadt allen anderen Orten der Union voran.
Die Lederfabriken sind in und um Boston. Auch an den grossen Gerbereien im Conemaughthale des Districtes Cambria-Pennsylvania sind Bostoner Häuser be - theiligt. Durch die furchtbaren Ueberschwemmungen, welche im Mai 1889 dort Tausende von Menschenleben, Millionen Dollars Eigenthum vernichtet haben, ist dieses Thal in der ganzen Welt bekannt geworden.
[41]Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 642Die atlantische Küste von Amerika.Die niedrigen Preise der Häute, welche jetzt um 35 % billiger sind als vor 10 Jahren und mit denen zugleich das Leder billiger wurde, haben wieder die Fabri - cation der Schuhwaaren auf die heutige Höhe gebracht. Sie lässt grossen Gewinn, weil die Preise des Schuhzeugs in der Zeit fast unverändert geblieben sind. Die Ausfuhr von Leder ist in steter Zunahme begriffen, sie umfasst jedoch bisher nur die geringeren Gattungen des Artikels. Der Versandt von Schuhwaaren aus Boston belief sich 1888 auf 3,276.344 Kisten zu je 24 Paaren, gegen 3,074.534 Kisten im Jahre 1887 und 2,874.172 Kisten 1886. Von den benachbarten Orten Brock - ton, Lynn, Haverhill und Milford wurden 1888 in Summe 1,044.478 Kisten Schuh - waaren verschickt. Die Lederfabrikanten beklagen sich, dass die Schuhe immer mehr an Stelle der Stiefel treten und dass der Lederconsum dadurch sich ver - mindere. Die Zufuhr von Häuten erfolgt zum Theile aus Montevideo, Buenos Ayres, Rio grande do Sul und erreicht jährlich 5 Millionen Dollars.
Andere Artikel der Einfuhr sind India Rubber, ferner Schafwolle für die Bedürfnisse der Fabriksstadt Lowell. Einfuhr von Schafwolle: 1888 (Fiscaljahr 1. Juli 1887 bis 30. Juni 1888) 221.800 q im Werthe von 7,653.244 Dollars, 1887 185.630 q im Werthe von 6,555.802 Dollars. Sie wird von den grossen Märkten in Antwerpen und London bezogen und stammt aus Australien und Südamerika, Carpet - wolle aus Brasilien und Aleppo. Da die Schafwollproduction der Union sinkt, weil auch sie mit den grossen Gebieten der Schafzucht auf der südlichen Erdhälfte nicht concurriren kann, so steigt der Verbrauch fremder Wollen. Wir ersehen dies auch aus der Grösse des Stocks von Schafwolle in dem Industriegebiete von Boston und Lowell. Ende 1887 waren von 137.336 q Wolle überhaupt 7058 q fremder Wollen, 1888 von 86.030 q schon 8011 q. Die Baumwoll - und Schafwollfabriken dieses Bezirkes beschicken die grossen Auctionen, die immer Ende Mai in New - York abgehalten werden. Man versucht, solche Auctionen auch in Boston einzu - führen.
Von Zucker wurden 1888 (Fiscaljahr 1. Juli 1887 bis 30. Juni 1888) 1,894.580 q im Werthe von 11,069.885 Dollars, 1887 2,006.940 q im Werthe von 11,065.487 Dollars eingeführt. Die Einfuhr Melasse erreichte 1888 230.637 hl im Werthe von 1,060.854 Dollars, 1887 227.360 hl im Werthe von 1,028.750 Dollars. Zucker und Melasse bilden den ersten Einfuhrartikel des Platzes. Das Geschäft für Rohzucker zerfällt der Zeit nach in zwei Theile; bis September beherrschen die Zufuhren aus Westindien, das ist aus Cuba und Portorico den Markt, von da bis zum Frühjahr die Sendungen aus Brasilien, Java, Manilla und die von Rübenzucker aus Europa, vornehmlich aus Deutschland. Die Ernte Westindiens entscheidet die Preise. In Boston sind immer grosse Vorräthe von Zucker, die in den dortigen grossen Raffinerien weiter verarbeitet werden. Von raffinirtem Zucker gelangen pulverisirter und granulirter zur Einfuhr.
Die Einfuhr von Kaffee steigt, weil in den letzten Jahren die Verbindungen mit Brasilien zahlreicher geworden sind: 1888 (Fiscaljahr) wurden 8.943 q im Werthe von 335.450 Dollars, 1887 5.669 q im Werthe von 202.715 Dollars ein - geführt.
Auch die Zufuhr von Orangen aus Florida ist durch häufige Dampfer - verbindungen und eine kürzere Eisenbahnverbindung, die 1888 hergestellt wurde, reichlicher geworden. Es kamen 1888 von dort 250.000 Kisten (zu je 20 Pfund englisch = 9·072 kg) an. Ist die Saison der Florida-Orangen zu Ende, so beginnt die Einfuhr der Südfrüchte vom Mittelmeere her, namentlich aus Sicilien. Von43Boston.dort wurden 1888 ungefähr 215.000 Kistchen Orangen und 70.000 Kistchen Citronen direct bezogen. Die Dampfer, deren man sich jetzt in diesem Zweige des Handels fast ausschliesslich bedient, laufen auf der Herreise wohl auch spanische Häfen, wie Valencia und Malaga, an, um mit der dortigen Frucht die Ladung zu vervollständigen. Der Verkauf geschieht auf öffentlichen Auctionen gleich nach Ankunft der Dampfer.
Aus Grossbritannien und den Niederlanden werden regelmässig Kartoffeln über Hamburg und Bremen, Bohnen aus Deutschland und Oesterreich eingeführt, wenn die Ernte der kleinen, weissen Gattung, die in der Union gebaut wird, misslingt.
Man führt ferner ein: Eier (1888 um 257.274 Dollars), Speiseöle aus Süd - europa, Wein, Bier und Spirituosen (1888 um 677.568 Dollars). Einen Haupttheil des Importes bilden jedoch die Producte der europäischen Textilindustrie, nament - lich Schafwollwaaren (Fiscaljahr 1888 3·3 Millionen Dollars), Leinenwaaren (1888 1·7 Millionen Dollars) und Baumwollwaaren (1888 1·6 Millionen Dollars), dann Chemikalien, Eisen und Stahl (Fiscaljahr 1888 5·6 Millionen Dollars), Papier, Glas - und Porzellanwaaren.
Bei Eisen ist zu bemerken, dass das aus Europa bezogene Eisen nicht mehr wie früher in den Neu-Englandstaaten verarbeitet wird, sondern direct nach Penn - sylvanien geht, wo es mit dem einheimischen Eisen vermischt wird. Die Eisen - industrie der Neu-Englandstaaten geht eben zurück, und namentlich die Nägel - fabriken, welche ehedem das ganze Land versorgten, müssen der Concurrenz der westlichen Staaten weichen.
Die Seefischerei war für Boston von jeher ein bedeutender Factor des Wohlstandes.
Der Hafen ist ein Ausgangspunkt für den Walfischfang. Von den 106 Schiffen, welche die Vereinigten Staaten darin beschäftigen, gehören 83 dem Staate Massa - chusetts an. Die reichsten „ Walfischwiesen “und das wichtigste Gebiet für den Fang der Stockfische und Robben sind die Gewässer im Süden von Neufoundland.
An den Küsten der Neu-Englandstaaten ist jedoch seit einigen Jahren der Betrieb der Fischerei sehr wenig ergiebig; die Fischer müssen nördliche Gewässer aufsuchen, die Preise für alle Fischgattungen sind gestiegen. Den grössten Rück - gang weist der Fang von Makrelen aus, dieser ergab 1885 330.033 Fässer, 1886 89.315, 1887 78.000 und 1888 gar nur 40.769 Fässer; man führt jetzt diesen Fisch aus England und Irland zu. Die Makrelen meiden die Nähe von Massa - chusetts und streichen an den Küsten der britischen Besitzungen. Von besonderer Wichtigkeit für den Markt sind Häringe und Stockfische.
Der Schiffbau, einst in Boston so bedeutend, bildet ein vernachlässigtes Gebiet der Industrie; man baut hier nur mehr kleine Küstenschooner und kleine Dampfer für den Localverkehr. Ansehnlicher ist der Schiffbau im Staate Maine, besonders in Portland, dessen wichtigstem Hafen. Die Concurrenz der grossen englischen Werften, wo man Stahlschiffe baut, vernichtet den Schiffbau Amerikas.
Schiffsverkehr Bostons:
Bei diesen Ziffern ist der Küstenhandel nicht eingerechnet; daher sind bei den auslaufenden Schiffen jene weggelassen, welche hier einliefen und dann nach New-York weiterreisten.
In dem hier ausgewiesenen Verkehre dominirt die englische Flagge mit drei Vierteln der gesammten Tonnenzahl; die amerikanische liefert nur 16 %; an dem Rest sind zumeist die norwegische, die belgische, die spanische und die deutsche Flagge betheiligt. Wenn wir von den Norwegern, diesen Frachtenführern der Meere, absehen, so erhalten wir im Verein mit den Bemerkungen über die Herkunft des Importes und die Richtung des Exportes ein Bild der Handels - stellung Bostons.
Etwa den vierten Theil des Verkehres vermitteln noch die Segelschiffe; ein Handelsartikel nach dem andern geht diesen verloren und wendet sich den Dampfern zu, so seit Anfang 1888 der ganze Zuckerimport; nur Melasse ist ihnen geblieben.
Die Küstenschiffahrt wird lebhaft mit den Provinzen Canadas und den Südstaaten betrieben; Landesfrüchte, Holz und Eis sind die wichtigsten Fracht - gegenstände. Von fremden Schiffen finden nur Dampfer Verwendung.
Boston liegt um drei Längengrade näher zu Europa als New-York; die Zahl seiner regelmässigen Dampferverbindungen mit Europa, nament - lich mit den englischen Plätzen Liverpool, London, Hull und Glasgow, ist 1888 stark gestiegen; manche reguläre Linien haben ihre Ab - fahrten auf fünf bis sechs im Monate ausgedehnt.
Die directe Post aus Europa kommt mit der Cunard-Line, die jeden Donnerstag von Liverpool über Queenstown nach Boston geht, und von dort jeden Sonnabend zurückkehrt. Boston ist auch ein wich - tiger Hafen für Einwanderer, von denen 1887 hier 46.819 Personen landeten. Die meisten gehen nach dem Westen, dagegen bleiben die zu Lande kommenden Canadier in Massachusetts und Vermont.
Die gegen Europa vorgeschobene Lage Bostons empfahl die Umgebung als Anknüpfungspunkt für transatlantische Kabel. In Boston landet das 1879 gelegte Kabel der Compagnie française du télégraphe de Paris à New-York, das von Brest ausgeht und in St. Pierre eine Zwischenstation macht. Drei weitere Kabel enden nicht weit von Boston.
Acht Eisenbahnen haben in Boston ihren Endpunkt. Die wichtig - sten sind die Küstenbahnen nach Nordosten, nach Portland und darüber hinaus; die Verbindung nach Montreal und Quebec im Norden; die Bahn, welche nach Westen über Albany, Buffalo, Toledo nach Chicago führt, und endlich die Linie über Providence und New-Haven nach New-York.
Der grosse Geldverkehr dieser reichen und unternehmenden Stadt, in der viele Bankinstitute ihren Sitz haben, wird durch ein Clearinghouse geregelt.
45Boston.Der Verkehr im auswärtigen Waarenhandel erreichte folgende Höhe:
An Einfuhrzöllen wurden in Boston 1888 21·2 Millionen Dollars, 1887 22·9 Millionen Dollars und 1886 20·9 Millionen Dollars eingehoben.
Consulate: Argentina, Belgien, Chile, Costarica, Dänemark, Deutsches Reich, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Haïti, Hawaiï, Mexico, Nieder - lande, Nicaragua, Oesterreich-Ungarn, Peru, Spanien, Türkei (G. C.), Venezuela.
Boston hat auch den grösseren Theil des Handels von dem für den auswärtigen Verkehr jetzt in Niedergang begriffenen Portland an sich gezogen, das weiter gegen Nordosten im Staate Maine liegt, 33.810 Einwohner hat und Endpunkt der Grand Trunk Railway ist, welche Montreal mit dem Meere verbindet. Auch wird Portland als Winterhafen für die Dominion of Canada benützt, wenn die aus Europa kommenden Dampfer wegen Eisbildung in Halifax nicht einlaufen können.
Ueber Portland und Falmouth wurden im Fiscaljahre 1888 einheimische Waaren im Werthe von 1,377.680 Dollars ausgeführt, 1885 um 3,883.624 Dollars. Hauptartikel der Ausfuhr ist Holz. Die Einfuhr fremder Waaren erreichte 1888 einen Werth von 1,280.632 Dollars, und dürfte in Zukunft weit kleiner werden, weil wegen des amerikanischen Zuckertrustes die Raffinerie von Portland den Be - trieb eingestellt hat.
Portland ist sehr wichtig für den Bau von Schiffen und für die Küstenschiffahrt. Sein Schiffsverkehr mit dem Auslande erreichte 1888 im Eingange 80.543 Tons, im Ausgange 142.225 Tons.
Mit völlig elementarer Gewalt und viel rascher, wie in der alten Welt, vollzieht sich jenseits des Oceans das Anwachsen der Knoten - punkte des grossen Verkehres zu jenen gewaltigen Emporien, die eine markante Erscheinung der Gegenwart bilden.
Ein solcher Centralpunkt ist New-York, der leuchtendste Stern im Banner der Vereinigten Staaten, die grossartigste und mächtigste Handelsstadt Amerikas und vermöge Ausdehnung und Reichthum die Nebenbuhlerin selbst der hervorragendsten Grossstädte des Erdballs.
Den enormen Aufschwung hat die Stadt hauptsächlich der Gunst ihrer Lage und dem hochentwickelten Unternehmungsgeiste ihrer thätigen Bewohner zu danken. New-York hat mit unwiderstehlicher Ge - walt den directen Schiffsverkehr von den grössten Seeplätzen der Erde an sich gezogen und auf zahllosen Schienensträngen, die dort wie in einem Brennpunkte sich vereinigen, wie auf der herrlichen Wasser - strasse des Hudsonstromes, entsendet es den kräftigen Pulsschlag seines Lebens bis tief in das Herz des Continentes.
Die Stadt ist so recht eine Schöpfung der neuen Zeit; der tiefe Hintergrund einer ereignissreichen, classischen Geschichte mangelt ihr gänzlich.
Im Jahre 1524 soll Verrazzani, ein Florentiner Seefahrer, die Insel Manhattan entdeckt haben, die gegenwärtig das Häusermeer von New-York trägt, allein erst 1609 erscheint der im Dienste der hol - ländisch-ostindischen Gesellschaft stehende Engländer Hudson in dem nach ihm benannten Strome und gründet drei Jahre später die erste holländische Ansiedlung auf der erwähnten Insel, welche 1626 gegen einen Kaufpreis von 24 Dollars (in Waaren) von den Indianern an die Gesellschaft abgetreten wurde.
So entstand die Colonie Neu-Niederland, deren Hauptort Neu - Amsterdam den Keim des heutigen New-York gebildet hatte. Den47New-York.letzteren Namen erhielt die Stadt erst im Jahre 1664, als die Colonie in die Hände Englands fiel und dem Herzog Jakob von York ver - liehen wurde. Damals zählte New-York nur wenige Tausend Ein - wohner.
In der ersten Geschichtsperiode der Stadt ist manches Blatt den Kämpfen gegen die Indianer und den Aufständen der importirten Negersclaven gewidmet. Unter der Bedrückung und Ausbeutung der englischen Regierung hatte auch New-York zu leiden, aber bald brandet der unaufhaltsame Wellenschlag der Freiheitsbewegung auch am Hudson, und 1776 zieht Washington, „ der Vater des Vaterlandes, der Erste im Kriege, der Erste im Frieden, der Erste im Herzen seines Volkes “, als Sieger in der Stadt ein.
Sieben Jahre später erfolgt die Unabhängigkeitserklärung der 13 Frei-Staaten und 1783 der Friedensschluss mit England, ein Er - eigniss von tief eingreifender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Union und deshalb der hervorragendste Markstein ihrer jungen Geschichte. Hiefür hat die vor Kurzem in allen Theilen des Landes mit stolzem Empfinden begangene Centennarfeier den glänzenden Be - weis erbracht.
Aber nicht allein der in freisinnigen Traditionen aufgewachsene Amerikaner, sondern wohl jeder Denkende wird von einem Gefühle der Bewunderung umfangen, wenn er des ungeahnten Aufschwunges aller Verhältnisse durch die Macht der freien Entwicklung gedenkt.
Diese letztere lenkte selbst die Denk - und Anschauungsweise der Bevölkerung in Richtungen, die mehrfach von jenen verschieden sind, die uns Europäer zu beherrschen pflegen. Obwohl Amerikaner vom Scheitel bis zur Sohle, ist der echte Sohn der Union gleichzeitig Weltbürger; die ganze Erde ist das Gebiet seiner Thätigkeit, seines Schaffens.
Die Grossartigkeit der heimatlichen Verhältnisse hat in seiner Vorstellung selbst die weiten Gebiete der Oceane reducirt; die Redens - art: „ J am going on the other side “, ich gehe an die jenseitige Küste, das heisst über den Ocean nach Europa, kennzeichnet das Weltbürger - thum des Amerikaners am besten.
Von der Ausdehnung des Schiffahrtsverkehres in den Gewässern von New-York empfängt man die ersten mächtigen Eindrücke schon vor der Einfahrt in die grosse Bucht bei Sandy-Hook, einer mit Doppelleuchtfeuer markirten sandigen Düne. Die imposantesten Dampfer und zahllose Segler jeder Grösse steuern hier an uns vorbei, New -48Die atlantische Küste von Amerika.York ist das Ziel ihrer Fahrt. Ebenso streben ganze Flotten von beladenen Schiffen der Atlantis zu.
Die Thatsache, dass in New-York jährlich beiläufig 30.000 Schiffe, worunter über 5000 Dampfer, ein - und auslaufen, beleuchtet am besten die Lebhaftigkeit des Verkehres.
Die Zufahrt in die Bai von New-York ist infolge zahlreicher Untiefen, wie auch wegen der Ablagerungen des Hudson, die dort Sandbarren bildeten, von vielerlei Fährlichkeiten begleitet. Durch das Barrenlabyrinth winden sich nur zwei für die grössten Schiffe passir - bare Canäle.
Das bei Sandy-Hook vier Seemeilen weit in See verankerte Leuchtschiff mit rothem Doppelfeuer markirt die Nähe der Einfahrt. Von hier aus ist New-York noch 18 Seemeilen entfernt.
Da nun sowohl Dampf - als Segelschiffe an die Aufnahme von Lootsen gebunden sind, so findet man die Fahrzeuge der letzteren nicht nur bei Sandy-Hook, sondern oft schon im Umkreise von 100, ja sogar von 300 Meilen weit auf hoher