§. 1. (Allgemeine Eigenſchaften der Körper.) Wohin wir unſere Blicke wenden, finden wir uns von Dingen umgeben, die auf unſere Sinne einwirken und die wir Körper nennen. Was ſind ſie, woher kommen und worin beſtehen ſie und wie werden wir uns ihres Daſeyns bewußt? — Die Metaphyſiker haben ſich lange darüber geſtritten: ſie ſtreiten noch, und ſie werden es wahr - ſcheinlich immer.
Ohne dieſen Forſchern das Vergnügen, unauflösbare Räthſel löſen zu wollen, zu mißgönnen, werden wir uns damit begnügen, dasjenige, was allein in unſerer Macht iſt: die Wirkungen dieſer Körper auf einander, näher kennen zu lernen.
Unſere erſten Begriffe von den Körpern führen uns auf Eigenſchaften derſelben, die ihnen allen zukommen, an denen wir ſie erkennen und ohne die wir ſie uns nicht zu denken vermöchten. Dieſe ſind Größe, Geſtalt und Undurchdringlichkeit.
§. 2. (Größe, Geſtalt und Undurchdringlichkeit.) Jeder Körper muß einen Raum einnehmen oder ein gewiſſes Volum haben, wie groß oder wie klein auch daſſelbe ſeyn mag. Darin beſteht ſeine Größe. — Jeder Körper muß ferner dieſen ſeinen Raum auf eine beſtimmte Art einnehmen und von dem übrigen Raume durch gewiſſe Gränzen oder Flächen getrennt ſeyn, worin ſeine Form1 *4Eigenſchaften der Körper.oder ſeine Geſtalt beſteht. Endlich können auch zwei oder meh - rere Körper nicht zugleich an demſelben Orte ſeyn. Sie können ſich verdrängen, um die Orte der verdrängten einzu - nehmen; ſie können ſich neben den kleinſten Theilen anderer Körper eindrängen, wie Waſſer in den Schwamm, wie Salz in das Waſſer; aber dieſe kleinſten Theile ſelbſt müſſen unverändert fort - beſtehen und der Ort, den einer dieſer Theile einnimmt, kann nicht zugleich von einem andern eingenommen werden, wenn an - ders unſer Begriff vom Körper nicht ſeine Bedeutung verlieren ſoll. Darin beſteht die Undurchdringlichkeit oder die Impene - trabilität der Körper.
Geſtalt und Volum ſind zwei verſchiedene und von einander unabhängige Eigenſchaften jedes Körpers. Das Volum kann bei derſelben Geſtalt ſehr verſchieden ſeyn und umgekehrt. Das Volum der Sonne iſt Millionenmal größer, als das der Erde, aber die Geſtalt beider iſt gleich, weil beide Kugeln ſind. So können zwei Körper z. B. eine Kugel und ein Würfel ſehr verſchiedene Geſtalten und doch daſſelbe Volum, d. h. denſelben Rauminhalt haben. Eben ſo kann die Oberfläche einer Kugel gleich groß mit der einer ebenen Tafel oder die Länge eines Kreisbogens gleich groß mit der einer geraden Linie ſeyn, während doch die Ge - ſtalten dieſer Flächen oder dieſer Linien ſehr verſchieden ſind.
§. 3. (Beſondere Eigenſchaften der Körper.) Wenn man aber den Begriff eines Körpers, wie er uns durch die Erfahrung gegeben wird, noch näher unterſucht, ſo findet man, außer jenen allgemeinen Eigenſchaften deſſelben, noch mehrere andere, die ihm zwar nicht mehr nothwendig zukommen, die aber, als Reſultate unſerer Beobachtungen und wegen ihrer Anwendbarkeit in der Folge, eine beſondere Betrachtung verdienen.
§. 4. (I. Poroſität.) Das Volum, welches die Körper ein - nehmen, wird, der Erfahrung gemäß, von den Theilen, ſelbſt von den kleinſten Theilen dieſer Körper nicht vollſtändig eingenommen; denn dieſe Theile ſind nicht in abſoluter Berührung unter ein - ander, ſondern ſie ſind durch Zwiſchenräume, Poren, getrennt, deren Inhalt ſelbſt nicht zu dem eigentlichen Körper gehört. Das Volum eines jeden Körpers beſteht alſo aus ſolchen, den Körper conſtituirenden Theilen deſſelben und aus den dieſe Theile tren -5Eigenſchaften der Körper.nenden Poren, die entweder leer oder mit andern Subſtanzen angefüllt ſind.
Wenn die Poren eines der Atmoſphäre ausgeſetzten Körpers größer ſind, als die kleinſten Theile, aus welchen die Atmoſphäre beſteht, ſo dringt die letzte in jene Poren ein. So ſieht man, wenn Holz, Kreide oder Zucker auf den Boden eines mit Waſſer gefüllten Gefäßes gebracht wird, die durch den Druck des Waſſers aus den Poren jener Körper herausgedrängte Luft in der Geſtalt von Blaſen auf die Oberfläche des Waſſers ſteigen. Wenn eine lange, verticale Röhre, deren Boden mit Holz verſchloſſen iſt, mit Queckſilber gefüllt wird, ſo ſieht man das letzte in der Ge - ſtalt eines feinen Silberregens durch den Boden dringen. Unſere gewöhnlichen Filtrationen beruhen ganz auf demſelben Princip, und man wird z. B. das Waſſer von allen fremden Beſtand - theilen reinigen, wenn man es durch ein Filtrum von Papier, von poröſem Stein, von einem Sand - oder Kohlenlager gehen läßt, vorausgeſetzt, daß die Poren des Filtrums kleiner ſind, als die Dimenſionen der fremdartigen Körper, von welchem man das Waſſer befreien will.
Dieſe Poroſität wird, ſo viel uns bekannt, bei allen Körpern, ſelbſt bei den Metallen und Steinen angetroffen. Unter den kieſelartigen Steinen iſt der ſogenannte Hydrophan in ſeinem ge - wöhnlichen Zuſtande nur ſehr wenig durchſichtig, aber er wird vollkommen diaphan, wenn er eine Zeit im Waſſer gelegen hat. Uebrigens darf immer noch bemerkt werden, daß das, was wir Undurchdringlichkeit der Materie nennen, vielleicht den Körpern ſelbſt nicht eben nothwendig zukömmt. Wir ſchließen ihr Daſeyn nur aus Erfahrungen, denen wir dann, durch Induction, eine allgemeine Gültigkeit geben. Aber man könnte vielleicht auch Erfahrungen für das Gegentheil anführen, z. B. die Wirkungen des Lichts, der magnetiſchen und electriſchen Materie u. ſ. w. Zwar ſuchen wir uns hier mit den Poren der Körper zu helfen, aber dieſe ſind doch nur wieder angenommen, weil wir die Ma - terie an ſich, vielleicht mit Unrecht, für undurchdringlich halten. Glücklicher Weiſe hängen von dieſen, nicht ſowohl phyſiſchen als metaphyſiſchen Speculationen unſere Kenntniſſe der äußeren6Eigenſchaften der Körper.Erſcheinungen der Natur nicht ab, und nur mit dieſen letzten be - ſchäftiget ſich der eigentliche Naturforſcher.
§. 5. (II. Compreſſibilität.) Durch Druck oder Schlag können die meiſten Körper in einen engeren Raum gebracht werden. Ihr Volum nimmt ab, ohne daß die Anzahl ihrer kleinſten Theile vermindert wird. Dieſer Druck muß daher die Größe der Poren dieſer Körper vermindern, oder er muß die Theile dieſer Körper einander näher bringen. Wenn ſie, nachdem der Druck aufgehört hat, ihre frühere Geſtalt mit einer gewiſſen Kraft wieder anzu - nehmen ſich beſtreben, ſo nennt man dieſe Kraft Elaſticität. Alle elaſtiſche Körper müſſen daher compreſſibel ſeyn, aber nicht alle compreſſible Körper ſind elaſtiſch.
§. 6. (III. Ausdehnbarkeit.) Beinahe alle Körper nehmen, wenn ſie erwärmt werden, einen größeren Raum ein, als ſie bei einer geringeren Temperatur eingenommen haben. Daſſelbe thun alle luftförmige Körper (Gaſe), wenn ſie von dem auf ſie laſtenden Drucke befreit werden. Durch dieſe Ausdehnung muß daher die Dimenſion der Poren der Körper vergrößert werden. Eine ſchlaffe, beinahe ganz luftleere Blaſe ſchwillt auf, wenn ſie mit wohl verſchloſſener Oeffnung auf einen erwärmten Ofen ge - bracht wird, und ſinkt wieder in ihren vorigen Zuſtand zurück, wenn die in ihr verſchloſſene Luft auskühlt. Die eiſernen Schienen unſerer Wagenräder werden gewöhnlich etwas kleiner, als die Peripherie des Rades von Holz gemacht, aber durch ſtarke Hitze vergrößert, paſſen ſie genau auf das Holz, welches ſie noch nach der Auskühlung ſo ſtark anziehen, daß ſie, ſelbſt ohne Be - feſtigung durch Nägel, lange auf dem Rade feſthalten können. Wenn ſich Flaſchenſtöpſel nicht ohne Gefahr für die Flaſche aus - ziehen laſſen, ſo unwindet man den Hals derſelben mit in heißes Waſſer getauchten Tüchern, wodurch die Oeffnung der Flaſche erweitert und der Kork ohne Mühe herausgebracht wird. Als in dem Gebäude des Conservatoire des Arts zu Paris die beiden gegenüberſtehenden Seitenwände an ihren oberen Stellen auswärts gewichen waren, ließ Molard ſie durch mehrere eiſerne Stangen verbinden, die durch beide Mauern gingen und an ihren äußerſten Enden mit Schrauben verſehen waren. Wenn dieſe Stangen durch untergeſtellte Lampen erhitzt und verlängert waren, wur -7Eigenſchaften der Körper.den die Schrauben näher an die Mauern gedreht, und dadurch die Wände von den bei ihrer Verkühlung ſich wieder verkürzenden Stangen einander näher und durch wiederholte Verſuche endlich ganz in die frühere ſenkrechte Lage gebracht.
§. 7. (IV. Theilbarkeit.) Alle Körper von noch merkbarem Volum, ſelbſt die kleinſten, laſſen ſich, der Erfahrung gemäß, in noch kleinere Theile trennen. Dieſe Theilung geht, unſeren Beobachtungen zu Folge, ungemein weit und vielleicht ſelbſt ins Unendliche. Newton lehrte uns der erſte die ungemein geringe Dicke mancher durchſichtigen Flächen kennen und ſelbſt berechnen, indem er die Farben, welche ſie bei verſchiedenen Dicken zurück - werfen, zu dieſem Zwecke benützte. Eine Seifenblaſe iſt eine hohle Kugelſchaale, die je nach der Dicke ihrer einzelnen Stellen auch in verſchiedenen Farben ſpielt. Kurz vor ihrem Platzen zeigt ſich auf dem höchſten Theile derſelben ein ſchwarzgrauer Punkt und dort iſt die Dicke der Blaſe, nach Newtons Rechnungen, noch nicht der zwei und ein halb millionſte Theil eines Zolles. Die durch - ſichtigen Flügel mancher Inſekten ſind ſo dünn, daß 50000 der - ſelben übereinander gelegt, noch nicht die Dicke des vierten Theils eines Zolls betragen würden. In unſeren vergoldeten Silber - fäden iſt das ſie ringsum bedeckende Gold ſo ausgedehnt, daß daſſelbe bei einem Draht von einem Fuß Länge noch nicht den 1½ millionſten Theil eines Lothes wiegt. Ein Zoll dieſes Sil - berdrabts würde alſo nur den 18 millionſten und der noch immer gut ſichtbare hundertſte Theil dieſes Zolles würde den 1800 mil - lionſten Theil von einem Lothe Goldes enthalten. Daſſelbe Stück, durch ein Mikroſcop mit einer 500maligen Vergrößerung betrachtet, würde 500mal länger und alſo auf dieſem Silber - faden das ihn bedeckende Gold in 900000 Millionen Theile ge - theilt erſcheinen, deren jeder noch alle die Eigenſchaften dieſes Metalls hat, ſeine Farbe, ſeine Dichte, ſeine frühere Verwandt - ſchaft zu den chemiſchen Agentien u. ſ. w.
Noch viel weiter ſcheint dieſe Theilbarkeit bei den organiſchen Körpern zu gehen. Unſer Blut z. B. iſt nicht eine gleichmäßige rothe Flüſſigkeit, ſondern es beſteht aus kleinen rothen Kügelchen, die in einer transparenten Flüſſigkeit, dem Serum, ſchwimmen. Bei den Säugthieren ſind dieſe Kügelchen vollkommen rund, bei8Eigenſchaften der Körper.Vögeln und Fiſchen aber elliptiſch. In dem Blute der Menſchen beträgt der Durchmeſſer dieſer Kügelchen nur den 4000ſten Theil eines Zolls, woraus folgt, daß in einem ſolchen Blutstropfen, der an der Spitze der feinſten Nadel hängen bleibt, wenigſtens eine Million ſolcher Kügelchen enthalten ſeyn muß.
Und doch haben uns die Mikroſcope ſchon Thiere gezeigt, die noch kleiner ſind, als dieſe Kügelchen, von denen Millionen auf einander gehäuft noch keinem Sandkorn gleichen und die zu Tauſenden mit Eins durch die feinſte Oeffnung einer Nadel ſchwimmen; — und doch hat jedes derſelben ſeine Glieder und Eingeweide, ſeine Sinne und ſeinen Inſtinkt, und, wie man aus ihren Bewegungen ſieht, auch ſeinen freien Willen. Aus welchen feinen Theilen muß der Organismus dieſer Weſen zu - ſammen geſetzt ſeyn! Müſſen ſie nicht auch ein Herz, Arterien und Venen, Muskeln und Nerven haben, und von welcher Größe ſollen wir dieſelben annehmen? Wenn die Kügelchen ihres Blutes zu den unſeren daſſelbe Verhältniß haben, wie die Größe ihres ganzen Körpers zu dem unſeren, wer mag den Durchmeſſer der - ſelben berechnen?
(Unſere Sinne ſind die feinſten Inſtrumente zu Unterſuchungen ſolcher Art.) Da uns hier unſere feinſten Inſtrumente verlaſſen und da unſere beſten Mikroſcope nicht mehr bis zu jenen Gränzen vorzu - dringen im Stande ſind, ſo ſcheinen jene unbekannte Gegenden nicht mehr für eigentliche Beobachtungen, ſondern bloß für Muth - maßungen geeignet, mit welchen die Einbildungskraft nach Ge - fallen ſpielen kann. Aber dieſe Muthmaßungen ſind doch ganz anderer Art, als jene, welche unſere hyperphyſiſchen Naturphilo - ſophen ihren Speculationen zu Grunde zu legen pflegen. Sie ſind auf Thatſachen gebaut, auf eine eigene Gattung von Beobach - tungen, mit einem Inſtrumente angeſtellt, das wir in uns ſelbſt tragen und das unendlich feiner gebaut iſt, als alle diejenigen, die bisher aus den Werkſtätten unſerer Künſtler hervorgegangen ſind. Unſer Nervenſyſtem iſt, beſonders im gereizten Zuſtande, von einer Empfindlichkeit, die wir nur fühlen, aber nicht mehr berechnen oder mit dem Verſtande angeben können. Unſere Ge - ruchsnerven z. B. zeigen uns das Daſeyn riechbarer Körper in der Luft, von denen keine chemiſche Analyſe auch nur die geringſte9Eigenſchaften der Körper.Spur auffinden kann. Ein einziger Gran Moſchus verbreitet in einem großen und luftigen Zimmer oft mehrere Jahre durch einen ſtarken Geruch, und Papiere, die neben Moſchus gelegen haben, können die Reiſe nach Oſtindien und zurück machen, ohne ihren Geruch zu verlieren. Bedenkt man nun, wie viele Moſchus - Theilchen ſich von einem ſolchen Körper in jeder Sekunde abſon - dern müſſen, um nach allen Richtungen von ihm durch den Geruch erkannt zu werden, ſo muß man über die Menge, alſo auch über die Kleinheit dieſer Theilchen erſtaunen.
Nicht minder bewunderungswürdig erſcheint uns der Sinn des Geſichts. Das Licht des Mondes, auch viele tauſendmale in unſern Hohlſpiegeln und Brenngläſern verdichtet, zeigt nicht die geringſte Wirkung, weder auf unſere Thermometer, noch auch auf die chemiſchen Erſcheinungen der Körper, die dieſem höchſt conden - ſirten Lichte ausgeſetzt werden. Aber ſo wie auch nur ein Strahl des nicht verdichteten Mondlichts die Pupille unſeres Auges trifft, zieht ſich dieſelbe ſogleich zuſammen, und doch bleibt dieſe Pupille ganz unbeweglich, wenn man ſie mit den Spitzen einer Nadel kratzt, wenn man ſie mit Säuren benetzt, oder wenn man electri - ſche Funken auf die Oberfläche derſelben leitet. Dieſe Beiſpiele mögen uns lehren, mit welcher Behutſamkeit man zu Werke gehen muß, wenn man von Experimenten, an lebloſen Körpern ange - ſtellt, auf jene ſchließen will, die an den mit Leben begabten Subſtanzen ſtatt haben, und ohne Zweifel ſind unſere Phyſiologen beſonders aus dem Grunde noch ſo weit hinter ihren eigenen Wünſchen zurück, weil ſie ihre Beobachtungen an dem thieriſchen Organismus gewöhnlich erſt dann anſtellen können, wenn bereits das Leben aus ihm entflohen iſt.
§. 8. (Kryſtalliſation der Körper.) Durch Bemerkungen dieſer Art, die ſich ſo oft darbieten, wird man verſucht, alle Körper der Natur als ins Unendliche theilbar anzunehmen. Allein die ſon - derbaren Phänomene der Kryſtalliſation ſcheinen dieſer Annahme zu widerſprechen. — Wenn Salz mit Waſſer gemiſcht und das Gemenge einer höheren Temperatur ausgeſetzt wird, ſo verdampft das Waſſer allmählig und wenn einmal ſo viel Waſſer ſich in Dampfgeſtalt entfernt hat, daß der noch übrige Reſt deſſelben nicht mehr im Stande iſt, die ganze Maſſe des Salzes im flüſſigen10Eigenſchaften der Körper.Zuſtande zu erhalten, ſo ſieht man dieſes Salz in regelmäßigen Geſtalten an dem Boden und den Wänden des Gefäßes ſich an - ſetzen, und dieſe Geſtalten ſind durchaus dieſelben für dieſelbe Gattung des Salzes, und verſchieden für verſchiedene Gattungen: Kugel, Würfel, drei - vier und mehrſeitige Pyramiden u. ſ. f. Wenn man dieſe Kryſtalle gehörig ſpaltet, um ſie in immer klei - nere Theile zu theilen, ſo bemerkt man, daß die urſprüngliche Geſtalt derſelben, z. B. die Würfelform, auch bei den kleinſten Theilen dieſer Kryſtalle wieder erſcheint, und daß dieſe kleinſten Theile an ihren Seitenflächen eine ſehr hohe Politur haben, die man durch keine mechaniſche Kunſt erreichen kann. Es ſcheint daher, als ob die letzten Theile der kryſtalliſirten und vielleicht aller Körper der Natur, oder daß die Atome dieſer Körper durchaus eine beſtimmte und für jeden Körper eigenthümliche Ge - ſtalt haben, wie dieſe denn auch ſchon bei den meiſten, ſelbſt bei Steinen und Metallen durch unmittelbare Beobachtungen nachge - wieſen worden iſt. Vielleicht hängen die Eigenſchaften, durch welche ſich dieſe Körper unter einander auszeichnen, nur von dieſen Geſtalten und gegenſeitigen Stellungen ihrer Atome ab. Unſere Flüſſigkeiten kryſtalliſiren alle in der Kälte, und wenn unſere Luft - arten in eine ſo niedere Temperatur gebracht werden könnte, in welcher ſie ebenfalls zu feſten Körpern werden, ſo würden ſie ohne Zweifel dieſelben Erſcheinungen zeigen. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſe letzten Elemente aller Körper ihrer Geſtalt und Natur nach unveränderlich und unzerſtörbar ſind, da wir ſie nach allen, auch den gewaltſamſten Veränderungen wieder finden, welche wir mit dieſen Körpern, durch mechaniſche oder chemiſche Kräfte vor - nehmen, und daß ſie endlich, obſchon ſie ſelbſt, ihrer ungemein geringen Dimenſionen wegen, noch durch keine Kunſt in den Be - reich unſerer Sinne gebracht werden konnten, doch von einer be - ſtimmten, wenn gleich uns unangeblichen Größe ſeyn müſſen.
§. 9. (Bewegung der Körper; Anziehung und Abſtoßung der - ſelben.) Außer dieſen, allen Körpern der Natur gemeinſamen Eigen - ſchaften bemerken wir aber noch eine andere, die in ganz beſonderem Grade unſere nähere Betrachtung verdient. Wir ſehen, daß bei - nahe alle dieſe Körper und ſelbſt die Theile, aus welchen ſie11Eigenſchaften der Körper.beſtehen, ihre Lage gegen einander ändern, oder daß ſie ſich bewegen.
In dieſen Körpern ſelbſt können wir aber nichts finden, was dieſe Bewegung erzeugen ſollte. Wir ſind daher gezwungen, die Urſache derſelben außer ihnen zu ſuchen. In den thieriſchen, be - lebten Körpern ſcheint wohl etwas zu liegen, das eine Bewegung derſelben hervorbringt, aber dieſe dem Willen des Thieres gehor - chende Bewegung ſeiner Glieder kann nicht in dieſen Gliedern ſelbſt, oder in irgend einem andern Theile des Körpers geſucht werden, da wir ſie im Schlafe und noch mehr, nach dem Tode des Thieres, nicht mehr finden, wenn gleich der ganze Körper durch dieſen Tod keine merkbare Veränderung in der Zuſammen - fügung ſeiner Theile erlitten hat. Dieſe freiwillige Bewegung der lebenden Geſchöpfe ſcheint daher auch hier keineswegs eine Wirkung der an ſich todten Materie ſelbſt, ſondern vielmehr ein Reſultat des dieſe Materie belebenden und von ihr ganz verſchie - denen Weſens zu ſeyn, deſſen Natur uns noch in tiefes Dunkel gehüllt iſt.
Was iſt es alſo, was zwei Waſſertropfen einander nähert, was das Eiſen dem Magnete entgegen führt; was den Stein, den wir aus der Hand fallen laſſen, zur Erde fallen macht; was die Planeten um die Sonne und die Satelliten um ihren Haupt - planeten treibt? — Wir wiſſen es nicht. Wir ſehen, daß ſich die Körper bewegen, und da wir die Urſache dieſer Bewegung nicht in den Körpern ſelbſt vorausſetzen können, ſo ſuchen wir ſie außer ihnen, in den andern Körpern, zu oder von denen ſich jene bewegen. Wir ſagen, daß dieſe Körper gegen jene eine Anzie - hung oder Abſtoßung äußern. So kömmt es uns vor, und dieſe beiden Ausdrücke ſind auch nichts weiter, als das Bild, welches wir uns von jenen Erſcheinungen entwerfen. Ob es aber auch in der That der Natur gemäß ſey, ſind wir nicht im Stande, zu entſcheiden. Wenn wir ſagen, der Magnet zieht das Eiſen an, ſo heißt dieß nur, daß dieſe beiden Körper, wenn ſie ſich be - gegnen, einander näher kommen und wenn ſie ſich berühren, an einander feſt halten, ſo daß ein gewiſſer Widerſtand nöthig iſt, ſie zu trennen. Ob aber die Urſache dieſer Annäherung, ob der eigentliche Sitz dieſer Anziehung in dem Magnet, oder in dem12Eigenſchaften der Körper.Eiſen, oder ob er in einem dieſe beiden Körper umgebenden Medium ſey, dieß iſt uns eben ſo[unbekannt], als die Art, auf welche dieſe Anziehung beider Körper bewirkt werden mag. Die Wirkung allein iſt es, die wir kennen, weil wir von ihrem Daſeyn, von ihrer Größe und von ihren Modificationen unmit - telbar durch unſere Sinne belehrt werden. Aus dieſen Wirkungen ſchließen wir, daß es ein allgemeines, alle Körper der Natur um - ſchlingendes, obgleich uns unſichtbares Band geben muß, welches nicht nur dieſe Körper, ſondern auch die kleinſten Theile eines jeden einzelnen Körpers unter ſich verbindet, und ohne welches jeder Körper, jedes Atom des Körpers eine Welt für ſich aus - machen würde, ohne Zuſammenhang und Wechſelwirkung auf andere. Dieſes magiſche Band, dieſes räthſelhafte Weſen, was da macht, daß jedes Atom der Materie, daß jeder Körper alle anderen an ſich zu ziehen ſucht, nennen wir, obſchon wir daſſelbe nicht weiter kennen, der Kürze wegen, die Kraft dieſes Körpers, nicht ſowohl, um dadurch die Sache ſelbſt, als vielmehr nur die uns ſichtbare Wirkung derſelben zu bezeichnen. Wir bemerken eben ſo wenig den unſichtbaren Faden, der den fallenden Stein zur Erde herabzieht, als wir das Seil bemerken, an welchem ſich die Erde um die Sonne, oder der Mond um die Erde ſchwingt, und wir wiſſen eben ſo wenig von dem, was ein Körper, was Materie überhaupt iſt, als wir einſehen, wie dieſe Körper auf einander wirken oder ſich gegenſeitig in Bewegung ſetzen können. Die Entdeckung dieſer Dinge wollen wir nur auch fernerhin dem Scharfſinne unſerer Metaphyſiker überlaſſen, die ohnehin, ſeit die Erde ſteht, noch keine einzige nützliche gemacht haben, und uns dafür begnügen, die Wirkungen dieſer Urſachen näher kennen zu lernen und durch dieſe Kenntniſſe, verbunden mit der allein un - trüglichen mathematiſchen Analyſe, auf dem Wege reiner und vorurtheilsfreier Beobachtungen ſo viel von den Geheimniſſen der Natur zu erforſchen, als ſie eben den menſchlichen Kräften zu gönnen für gut gefunden hat.
§. 10. (Molecular - und allgemeine Anziehung der Körper.) Zuvörderſt wollen wir bemerken, daß dieſe Kräfte, mit welchen die Körper auf einander wirken, zweierlei weſentlich von einander verſchiedener Art zu ſeyn ſcheinen. Die einen wirken nur zwiſchen13Eigenſchaften der Körper.den kleinſten Atomen eines und deſſelben Körpers, ihr Wirkungs - kreis iſt daher, in Beziehung auf ihre Ausdehnung im Raume, ſehr beſchränkt, und ſie erzeugen dadurch das, was wir Zuſammen - hang, Feſtigkeit und Dichte dieſer Körper nennen. Die andern aber wirken von einem Körper zum andern, ſelbſt auf ſehr große Entfernungen und dieſe ſind es, welche die Bewegungen dieſer Körper um und gegen einander, auf der Oberfläche unſerer Erde ſowohl, als auch in jenen Höhen über uns hervorbringen. Jene Kräfte nennt man die Molecular-Anziehung, während dieſe die allgemeine Attraction oder auch die allgemeine Schwere (Gravitation) genannt wird.
§. 11. (Nähere Betrachtung der Molecularkräfte.) Die Mo - lecularkräfte ſind uns, ſelbſt in ihren Wirkungen, noch ſehr wenig bekannt, aber ihr Daſeyn iſt darum nicht weniger gewiß, da wir, ohne ſie, die uns von allen Seiten umgebende Welt nicht ſo ſehen könnten, wie ſie uns in der That erſcheint. Wenn dieſe Kräfte nicht exiſtirten, ſo würde die ganze Natur nur ein verworrenes Aggregat unter einander geworfener Atome, einem Sandhaufen ähnlich, ſeyn, ohne Geſtalt, Zuſammenhang und Bewegung. Es würde keine feſten, keine flüſſigen, keine luftförmigen Körper mehr geben; Licht und Wärme würden nicht mehr die wundervollen Wirkungen auf dieſelbe hervorbringen; alle organiſche Weſen und das Leben ſelbſt, ſo weit es dieſe Weſen beſeelt, würde aus der Natur verſchwinden. Die einzelnen Elemente jenes chaotiſchen Haufens würden in keiner weiteren Beziehung zu einander ſtehen, ihren einmal eingenommenen Ort nicht mehr ändern und an die Stelle des regen Lebens und der immerwährenden Bewegung, die wir jetzt in allen Theilen der Natur bewundern, würde eine öde, allgemeine Ruhe und die Stille des Grabes treten.
Wenn wir daher auch die Art, auf welche dieſe Kräfte wirken, nicht näher angeben können, wie wir es wohl bei der Kraft der allgemeinen Schwere im Stande ſind, ſo ſind wir deſſenungeachtet von der Exiſtenz derſelben nicht weniger überzeugt. Jede Gegend, jeder Punkt des Himmels und der Erde, auf den wir mit unſern Fingern hindeuten, kann als ein Beweis für das Daſeyn dieſer Kräfte dienen und die ganze materielle Welt ſelbſt iſt nur ein14Eigenſchaften der Körper.großes Reſultat der Wirkungen, welche durch dieſe Kräfte erzeugt werden.
Wir haben oben geſehen, daß jeder Körper aus Atomen von beſtimmter Geſtalt beſteht und daß dieſe Atome durch Zwiſchen - räume (Poren) von einander getrennt ſind. Wir kennen weder die Dimenſionen dieſer Atome, noch die ihrer Zwiſchenräume, aber wir wiſſen, daß beide ungemein klein ſeyn müſſen und daß wahr - ſcheinlich die Atome noch viel kleiner ſind, als ihre Entfernungen von einander, ja es iſt möglich, daß bei vielen Körpern das Ver - hältniß der Größe der Atome zu ihren Zwiſchenräumen demjenigen gleich kömmt, das wir bei den Planeten unſeres Sonnenſyſtems und den Räumen bemerken, die ſie von einander trennen. Ohne Zweifel wirken die Kräfte, welche dieſe Atome gegen einander ausüben, nur auf die kleinen Diſtanzen ihrer Zwiſchenräume und ſind in größeren Entfernungen ganz unmerklich. Auch müſſen ſie nicht bloß anziehende, ſondern auch abſtoßende Kräfte ſeyn, indem jene die Cohäſion und dieſe den Widerſtand der Körper bewirken, den ſie alle, wie wir wiſſen, ihrer Compreſſion entgegen ſetzen, während beide zuſammen vielleicht diejenigen Wirkungen hervor - bringen, die wir durch die Bennenung der Affinität und der chemiſchen Erſcheinungen zu bezeichnen pflegen. Es ſcheint, daß die abſtoßende Kraft der Atome in der nächſten Umgegend der - ſelben, die anziehende aber erſt in etwas größern Entfernungen von ihnen wirkſam iſt. Daher widerſtehen, bei den feſten Kör - pern, die Atome derſelben ſowohl der Trennung, als der Com - preſſion, und man muß oft bedeutende Kräfte anwenden, ſie zu brechen, oder auch ſie in einen kleineren Raum zuſammen zu preſſen. Die Intenſität dieſer anziehenden Kraft ſcheint bei allen den Körpern, die wir hart und brüchig nennen, oft ſehr groß zu ſeyn, wenn gleich der Durchmeſſer ihrer Wirkungsſphäre ungemein klein iſt. Dieß iſt z. B. der Fall bei Gußeiſen, bei mehreren Steinen und anderen Subſtanzen, die man mit keiner Gewalt ſtrecken oder ausdehnen kann. Bei dem Bley und bei anderen weichen Metallen ſcheint dieſe Intenſität der Attraction viel ge - ringer und dafür die Wirkungsſphäre derſelben bedeutend größer zu ſeyn.
Bei flüſſigen Körpern aber iſt das Gewicht der einzelnen15Eigenſchaften der Körper.Elemente, aus welchen ſie beſtehen, viel größer, als der gegen - ſeitige Zuſammenhang derſelben durch die Molecularkraft. Wenn daher ein ſolcher Körper an ſeinen Gränzen nicht eingeſchloſſen wird, ſo trennen ſich die Theile deſſelben, oder ſie fließen aus ein - ander. Wird er aber in einem Gefäße feſt gehalten, ſo ſetzt er ſich, durch dieſes Gewicht ſeiner Elemente, in dem unterſten Theile des Gefäßes, deſſen Raum er durchaus gleichförmig erfüllt. Auch ein feſter Körper, in daſſelbe Gefäß gebracht, würde durch das Gewicht ſeiner Elemente daſſelbe thun, wenn er nicht durch die ſtärkere Cohäſion dieſer Elemente daran gehindert würde. Obſchon aber bei den feſten Körpern dieſe Attraction der Atome viel größer iſt, als bei den flüſſigen, ſo iſt ſie doch auch bei den letztern noch bedeutend größer, als bei den luftförmigen Körpern. Wenn das Waſſer erwärmt wird, ſo löst es ſich in noch viel kleinere und noch viel weiter von einander getrennte Theile auf, die in der Geſtalt von Dünſten ſich in die Atmoſpäre erheben, und wenn dann dieſen Dünſten ihre höhere Temperatur wieder entzogen wird, ſo tritt die frühere Cohäſionskraft wieder ein, welche die zerſtreuten Theile des Dunſtes in runde Tropfen ſammelt und ſie in ihrer früheren Geſtalt, als Waſſer, wieder der Erde zuführt. Wenn Flüſſigkeiten in größeren Höhen, z. B. von einer Thurm - ſpitze, ausgegoſſen werden, ſo fallen ſie, nicht in ganzen Maſſen, ſondern wie Sand oder Staub, in runden abgeſonderten Tropfen herab, die deſto größer ſind, je größer die Cohäſionskraft der Flüſ - ſigkeit iſt. So fällt Oel in großen, Aether und Alcohol aber in ſehr kleinen Tropfen zur Erde. Die Regentropfen, die an der Außenſeite unſeres Fenſterglaſes einander näher kommen, vereini - gen ſich und laufen in einander, ſo wie Queckſilbertropfen, die einander auf einer horizontalen Glastafel begegnen, zum Zeichen, daß ſie von einander angezogen werden. Dieſelbe Anziehung der Atome gibt auch den Körnern unſeres Schrotes die kugelförmige Geſtalt. Wenn das geſchmolzene Bley von einer größeren Höhe herabgegoſſen wird, theilt es ſich, wie dort das Waſſer, durch ſeine Cohäſionskraft in runde Tropfen, die, ehe ſie den Boden er - reichen, auskühlen und daher ihre kugelförmige Geſtalt beibe - halten. Dieſelbe Kraft, welche dieſen Tropfen ihre runde Form gibt, hat auch jene großen Körper des Himmels, die Sonne, den16Eigenſchaften der Körper.Mond und die Planeten abgerundet, wenn dieſelben anders, wie es ſehr wahrſcheinlich iſt, zur Zeit ihrer Entſtehung ſich in einem flüſſigen Zuſtande befunden haben.
Dieſelbe Anziehung, welche wir zwiſchen den einzelnen Ele - menten der feſten oder auch der flüſſigen Körper unter ſich bemerken, zeigt ſich zwiſchen den Atomen der feſten und flüſ - ſigen Körper ſelbſt. So fällt ein Waſſertropfen von der untern Seite einer horizontalen Glastafel nicht herab, weil er von der Tafel angezogen wird. Wenn die Spitze einer Nadel in eine Flüſſigkeit getaucht und wieder aus ihr herausgezogen wird, bleibt ein Tropfen derſelben an ihr hängen, und alle feſte, in Flüſſig - keiten eingetauchte Körper, werden naß, wenn anders dieſe beiden Körper ſich gegenſeitig anziehen. Wenn eine Glasröhre in Queckſilber getaucht wird, ſo bleibt ſie trocken, aus derſelben Urſache, aus welcher auch unſere Kleider trocken bleiben würden, wenn es nicht Waſſer, ſondern Queckſilber regnete.
§. 12. (Capillarkraft und Affinität der Körper.) Dieſelbe Molecular-Attraction zeigt ſich auch bei dem Aufſteigen der Flüſ - ſigkeiten in den Poren und Zwiſchenräumen der feſten Körper, wo ſie dann Capillar-Attraction genannt wird. So ſieht man Waſſer oder Oel in den Schwamm und Zucker dringen oder in dem Dochte unſerer Lampen aufſteigen; ſo kann man mit be - netzten Seilen ſehr große Laſten heben und durch dieſelbe Kraft ſteigt auch der größte Theil der Säfte in den Körpern der Pflanzen und Thiere in die Höhe.
Noch auffallender erſcheint dieſe Molecularkraft in unſeren chemiſchen Prozeſſen, wo ſie den Namen der Affinität (Ver - wandtſchaft) erhält. Wenn zwei Flüſſigkeiten unter einander gemengt werden, ſo ſieht man häufig eine dritte entſtehen, deren Eigenſchaften von jenen der beiden erſten völlig verſchieden ſind. Oft iſt das Volum der Miſchung, oft iſt auch die Temperatur, die Farbe, ſelbſt der Zuſtand der Flüſſigkeit ganz anders, als er bei den einzelnen Körpern vor ihrer Vermiſchung geweſen iſt. Ein Quart Waſſer mit eben ſo viel Schwefelſäure gemiſcht, nimmt einen bedeutend geringeren Raum ein, als zwei Quart betragen, weil ſich die Elemente dieſer beiden Flüſſigkeiten inniger anziehen, als die einer jeden derſelben. Auch iſt dieſe Miſchung von einer17Eigenſchaften der Körper.viel höheren Temperatur, als jeder der beiden Körper vor der - ſelben hatte. Wenn die beiden Luftarten, die unter der Benennung des Oxygens und Hydrogens bekannt ſind, in einem beſtimmten Verhältniſſe unter einander gemiſcht werden, ſo entſteht keine neue Luftart, ſondern Waſſer, womit wir das Feuer löſchen, während doch ohne Oxygen kein Feuer unterhalten werden kann und wäh - rend das Hydrogen einer der entzündbarſten Körper der ganzen Natur iſt. Daſſelbe Oxygen, das an ſich farblos iſt, gibt, wenn es mit dem weißen Queckſilber verbunden wird, in einer beſtimm - ten Menge beider Körper ein rothes, und in einer andern Menge ein ſchwarzes Produkt. Die Schwärze unſerer Tinte ver - danken wir zwei Körpern, dem Eiſenvitriol und den Galläpfeln, von welchen der eine grün und der andere gelb iſt.
§. 13. (Intenſität der Molecularkraft.) Noch iſt übrig, etwas über die Intenſität oder über die eigentliche Größe dieſer Molecular-Kräfte zu ſagen. Ohne dieſe Größe in beſtimmten Zahlen angeben zu können, läßt ſich doch leicht zeigen, daß ſie, zuweilen wenigſtens, an das Ungeheure gränzt und daß ſie nicht nur diejenigen Kräfte, welche wir durch unſere Maſchinen, durch Dämpfe und andere Mittel hervorbringen können, ſondern daß ſie ſogar die meiſten übrigen Kräfte der Natur ſelbſt weit hinter ſich zurückläßt. Wenn wir z. B. die Kraft näher betrachten, mit welcher das Licht von den Körpern unſerer Erde gebrochen oder zurück geworfen wird, ſo finden wir ſie in der That von einer erſtaunenswürdigen Größe. Der in gerader Richtung bei einem Körper ankommende Lichtſtrahl, wird von demſelben erſt dann, wenn er dem Körper gleichſam unendlich nahe iſt, angezogen, und zwar ſo ſtark, daß dadurch der früher geradlinige Strahl um dreißig und ſelbſt um mehr Grade gebogen wird. Da aber die Geſchwindigkeit des Lichts ſo ungemein groß iſt, ſo muß auch dieſe Krümmung derſelben in einer beinahe unendlich kleinen Zeit vor ſich gehen. Welche Kraft mag aber dazu erfordert werden, den Weg des mit einer ſo großen Schnelligkeit ſich bewegenden Lichtes in einem beinahe untheilbaren Augenblick, um einen Winkel von vollen dreißig Graden abzulenken?
Um dieſe Frage näher zu betrachten, wollen wir zuerſt be - merken, daß durch die Anziehung unſerer Erde, durch die größteLittrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 218Eigenſchaften der Körper.uns bisher bekannte Kraft, die Körper auf der Oberfläche der - ſelben in einer Sekunde nahe um 15 Fuß von ihrem Laufe abge - lenkt werden. Vergleichen wir damit jene Kraft, welche das Element eines Körpers auf das Licht ausübt. — Da die Zeit, während welcher dieſe Kraft wirkt, gleich derjenigen Zeit iſt, in welcher das Licht die Wirkungsſphäre des körperlichen Elements durchläuft, ſo wollen wir, was gewiß nicht zu wenig iſt, den Durchmeſſer dieſer Wirkungsſphäre gleich dem tauſendſten Theil eines Zolles annehmen. Da aber das Licht in einer Sekunde 42000 Meilen durchläuft, ſo wird es den Raum von 1 / 1000 Zoll ſchon in dem unendlich kleinen Augenblick des 12 billionſten Theils einer Sekunde zurücklegen. Beträgt nun die durch die Brechung des Lichtes hervorgebrachte Ablenkung deſſelben 30 Grade, ſo wird die dazu erforderliche Kraft, ſelbſt wenn ſie eine ganze Sekunde hindurch wirkſam bliebe, die oben erwähnte Kraft unſerer Erde ſchon gegen 32 Millionenmal übertreffen müſſen, da 42000 Sin. 30° (22842) gleich 21000 (22842) oder nahe gleich 15mal 32 Millionen iſt, vorausgeſetzt, daß die deut - ſche Meile 22842 Par. Fuß beträgt. Da aber dieſe Molecular - kraft keineswegs eine ganze Sekunde, ſondern nur den 12 billionſten Theil derſelben, ihre Wirkung auf das Licht äußern kann, ſo muß dieſe Kraft in demjenigen Verhältniß größer ſeyn, in welchem das Quadrat einer Sekunde größer iſt, als das Quadrat dieſes kleinen Theiles einer Sekunde, das heißt, ſie muß nahe 160 Quadrillio - nenmal größer ſeyn, als wir ſo eben gefunden haben, oder mit andern Worten, ſie muß die oben erwähnte Kraft, mit welcher die ganze Erde die Körper auf ihrer Oberfläche anzieht, wenig - ſtens 6720 Quintillionenmal übertreffen, eine Zahl von 34 Ziffern, deren drei erſte 672 ſind, und von deren Größe wir uns keinen auch nur einigermaßen genäherten Begriff mehr machen können.
§. 14. (Unterſchiede der Molecular - und der allgemeinen At - traction.) Dieſe ſo eben erwähnte Kraft der Erde, mit welcher ſie alle Körper auf und über der Oberfläche derſelben an ſich zieht, iſt von allen bisher betrachteten Molecularkräften ſchon da - durch weſentlich verſchieden, daß dieſe letzteren nur auf ſehr kleine, ſelbſt unſerm bewaffneten Auge ganz unmerkbare Diſtanzen wirkſam ſind, während jene ſich auf ſehr große und vielleicht ſelbſt19Eigenſchaften der Körper.auf unendliche Entfernungen von dem anziehenden Körper erſtreckt. Denn dieſe Anziehung der Erde macht nicht bloß die ihrer Ober - fläche zunächſt liegenden Körper, wenn ſie ihrer Unterſtützung be - raubt werden, gegen ſie fallen, ſondern ſie iſt auch, wie wir bald ſehen werden, die Urſache, warum der Mond in einer Entfernung von nahe fünfzig tauſend Meilen ſich um die Erde bewegt.
§. 15. (Augenblicklicher Stoß und immerwährend wirkende Kraft.) Indem wir aber dieſe Kraft der Erde näher unterſuchen wollen, müſſen wir ſie zuerſt wohl von einem Impulſe oder von einem bloßen Stoße unterſcheiden. Wenn wir einen Körper mit der Hand ſtoßen oder werfen, oder wenn wir ihm durch einen Stab, Hammer u. dgl. irgend eine Bewegung beibringen, ſo wirkt dieſe auf den Körper angebrachte Kraft nur einen Augen - blick, nur ſo lange als dieſer Stoß dauert, nach welchem dann der Körper gleichſam ſich ſelbſt überlaſſen bleibt. Die Folge davon iſt, daß der Körper in Folge dieſes Stoßes eine Bewegung annehmen wird, deren Richtung die des Stoßes, und deren Größe immer dieſelbe ſeyn wird, wenn in der That bloß dieſer Stoß und ſonſt keine andere Kraft auf ihn wirkt. Die Bewegung eines auf dieſe Art bewegten Körpers muß alſo erſtens geradlinig und zweitens gleichförmig ſeyn, d. h. er muß ſich mit immer gleicher Geſchwindigkeit in einer geraden Linie und zwar ohne Ende fortbewegen. In der Natur können wir zwar ſolche Bewe - gungen nicht nachweiſen, weil alle Körper, denen wir einen ſolchen augenblicklichen Impuls durch unſere mechaniſchen Kräfte bei - bringen, auch zugleich der Kraft der Erde ausgeſetzt ſind und ſich überdieß in der Luft oder in andern widerſtehenden Mitteln bewegen, daher ſie, außer jenem erſten Impulſe, auch noch dieſen andern Kräften unterworfen ſind. Wenn wir eine Kugel auf einem horizontalen Boden fortſtoßen, wenn wir ein Rad um ſeine Axe ſchwingen, wenn wir eine Kugel aus unſeren Feuerge - wehren abſchießen oder einen Stein in die Höhe werfen, ſo ſehen wir oft, jener Behauptung entgegen, die Kugel und den Stein in einer krummen Linie laufen, ſie und das Rad an der Axe immer langſamer gehen und bald völlig ſtill ſtehen, weil die Reibung der Kugel auf dem nie ganz ebenen Boden, weil die Reibung des2 *20Eigenſchaften der Körper.Rades an ſeiner Axe, weil der Widerſtand, den der Stein in der Luft erleidet, und weil überdieß bei allen dieſen Körpern die An - ziehung der Erde jene erſte durch den Stoß erzeugte Bewegung ändert, hindert und endlich ganz aufhebt. Wenn aber alle dieſe Störungen nicht da wären, ſo würde der Körper bloß dem An - triebe jenes erſten Stoßes folgen, und wir können keine Urſache mehr angeben, warum er den geradlinigen Weg, den er einmal eingeſchlagen, verlaſſen, warum er ſeine anfängliche Geſchwindig - keit verändern, oder warum er nicht ohne Aufhören ſich in derſelben Art fortbewegen ſollte.
Wenn wir alſo einen Körper ſich in gerader Linie und ſo bewe - gen ſähen, daß er in derſelben Zeit, z. B. in einer jeden Sekunde, auch immer denſelben Weg zurücklegte, oder daß ſeine[Geſchwin - digkeit] beſtändig wäre, ſo würden wir daraus ſchließen, daß dieſer Körper ſich in Folge eines erhaltenen Stoßes, eines urſprünglichen Impulſes bewegte. Allein ſolche Bewegungen gibt es, wie ge - ſagt, in der Natur oder auf der Oberfläche unſerer Erde nicht, weil hier immer mehrere Kräfte und zwar vorzüglich die Kraft der Erde ſelbſt auf die Körper einwirken.
§. 16. (Freier Fall der Körper auf der Oberfläche der Erde.) Der einfachſte Fall der Bewegungen, die wir auf der Oberfläche der Erde beobachten, iſt ohne Zweifel der, den ein Stein oder überhaupt jeder Körper annimmt, wenn wir ihn ſeiner Unter - ſtützung berauben. Wir ſehen ihn da ſogleich in einer auf die Erdfläche ſenkrechten, d. h. in einer vertikalen Richtung zur Erde und zwar deſto ſchneller fortgehen, je länger er geht. Hier iſt alſo wohl noch eine geradlinige, aber keine gleichförmige Bewe - gung mehr; der Weg des zur Erde fallenden Körpers iſt noch, wie dort, eine gerade Linie, aber die Geſchwindigkeit des Falls iſt nicht mehr gleichförmig, ſondern ſie wächst mit der Zeit.
Aber in welchem Verhältniſſe nimmt dieſe Geſchwindigkeit mit der Zeit zu? — Dieß iſt Sache der Beobachtung. Allein dieſe Beobachtungen ſind ſchwer mit der hier nothwendigen Ge - nauigkeit anzuſtellen. Wir werden daher, wie dieß ſo oft in den Naturwiſſenſchaften und beſonders in der Aſtronomie geſchieht, irgend eine, dieſen Erſcheinungen frei fallender Körper im Allge - meinen angemeſſene Hypotheſe annehmen und zuſehen, ob dieſe21Eigenſchaften der Körper.Annahme mit jenen beobachteten Erſcheinungen vollkommen über - einſtimmt.
Die einfachſte und natürlichſte Hypotheſe iſt ohne Zweifel die, daß der Mittelpunkt der Erde eine conſtante und immer fortwirkende Kraft beſitzt, mit welcher er die Körper auf und über der Oberfläche der Erde in der Richtung ihres Halbmeſſers, d. h. in einer auf die Erdoberfläche ſenkrechten Richtung an ſich zieht. Dadurch iſt dieſe Kraft der Erde gleichſam auf den oben betrachteten Impuls zurückgeführt, nur mit dem Unterſchiede, daß der letzte nur im Anfange der Bewegung ſich äußert, während jener auch in jedem folgenden Augenblicke noch thätig iſt, ſo daß alſo die Kraft der Erde als ein ſich immer wiederholender und in ſeiner Intenſität immer gleich großer Impuls (Stoß oder Zug) betrachtet werden kann, in deſſen Richtung die frei fallenden Körper ſich der Erde immer mehr nähern.
§. 17. (Erſtes Geſetz dieſer Bewegung.) Nehmen wir alſo an, daß der Körper in einem Augenblicke, in welchem er den erſten Impuls von der Erde erhält, ſich zu bewegen anfange, und daß er am Ende dieſes Augenblicks eine Geſchwindigkeit erhalten habe, vermöge welcher er, wenn nun weiter keine Kraft auf ihn wirkte, in ſeiner einmal angenommenen verticalen Richtung gleich - förmig fortgehen und z. B. in jeder nächſtfolgenden Sekunde g Fuß zurücklegen würde, ſo daß alſo die Geſchwindigkeit deſ - ſelben am Ende der erſten Sekunde g Fuß beträgt. Da er am Ende dieſer erſten, oder im Anfange der zweiten Sekunde von der Kraft der Erde wieder einen, und zwar, weil dieſe Kraft con - ſtant ſeyn ſoll, einen eben ſo großen Impuls erhält, wie im Anfange der erſten Sekunde, ſo wird er auch dadurch, während der ganzen Dauer der zweiten Sekunde ſeine bereits erlangte Geſchwindigkeit in eben dem Maaße vermehren, wie in der erſten, oder er wird am Ende der zweiten Sekunde eine Geſchwindigkeit von 2 g Fuß erhalten. Eben ſo wird am Ende der dritten Sekunde ſeine Ge - ſchwindigkeit 3 g ſeyn u. ſ. w. Nennt man alſo überhaupt v die Geſchwindigkeit (velocitas) und t die Anzahl Sekunden, die ſeit dem Anfange der Bewegung des Körpers verfloſſen ſind, ſo wird man die einfache Gleichung v = gt haben, und dieſe Gleichung drückt den Satz aus, daß, unter der Vorausſetzung einer conſtanten22Eigenſchaften der Körper.Kraft der Erde, die Geſchwindigkeiten der frei fallenden Körper ſich wie die Anzahl der während des Falles verfloſſenen Sekunden verhalten, oder daß dieſe Geſchwindigkeiten den Zeiten proportional ſind. Man nennt dieß eine gleichförmig beſchleunigte Geſchwindigkeit, weil ſie gleichförmig mit der Zeit wächst.
Allein wir ſuchen nicht ſowohl die Geſchwindigkeiten, mit welchen der Körper am Ende einer jeden Sekunde, wenn weiter keine Kraft auf ihn wirkt, in ganz demſelben Verhältniſſe weiter gehen würde, ſondern wir wünſchen vielmehr den Raum zu kennen, welchen er am Ende einer jeden Anzahl von Se - kunden in ſeinem gleichförmig beſchleunigten Falle zurückgelegt haben wird.
§. 18. (Zweites Geſetz dieſer Bewegung.) Zu dieſem Zwecke wollen wir zuerſt bemerken, daß wir die Größe der Zwiſchen - zeiten, in welchen dieſe Impulſe der Erdkraft auf einander folgen, nicht anzugeben im Stande ſind, um ſo weniger, da dieſe Kraft wahrſcheinlich immerwährend und ohne alle Unterbrechung wirk - ſam iſt. Dann wird man aber der Wahrheit deſto näher kommen, je kleiner man dieſe Zwiſchenzeiten annimmt. Wir haben oben dafür die Dauer einer Sekunde gewählt, allein dieſelben Schlüſſe würden auch dann noch gelten, wenn wir für jene Dauer den hundertſten und tauſendſten Theil einer Sekunde angenommen[hätten]. Immer würden wir, wie dort, gefunden haben, daß, wenn die Kraft der Erde beſtändig iſt, auch der Zuwachs der Geſchwindigkeit des fallenden Körpers beſtändig ſeyn oder daß ſich dieſe Geſchwindigkeit wie die Zeit verhalten muß. Je kleiner wir aber dieſe Zwiſchenräume annehmen, deſto mehr wird es uns auch erlaubt ſeyn, die Bewegung des Körpers, während dieſer Zeit, als völlig gleichförmig vorauszuſetzen, und man ſieht, daß man auf dieſe Weiſe überhaupt jede andere Bewegung und zwar deſto genauer darſtellen wird, je kleiner man dieſe Zwiſchenzeiten gewählt hat. Fahren wir daher, der Kürze wegen, fort, dieſe kleinſte Zeiteinheit eine Sekunde zu nennen. Im Anfange der erſten Sekunde hatte der Körper, unſerer Annahme gemäß, gar keine Geſchwindigkeit, da er aus der Ruhe ſeine Bewegung an - gefangen hat. Am Ende derſelben aber hatte er, wie wir oben geſagt haben, die Geſchwindigkeit von g Fuß. Nehmen wir alſo23Eigenſchaften der Körper.an, daß er, während dieſer erſten Sekunde, immer dieſelbe Geſchwindigkeit hatte und mit ihr doch den Raum durchlief, den er während ſeines Falles in der That zurückgelegt hat, ſo muß dieſe gleichförmige Geſchwindigkeit das Mittel aus jenen beiden ſeyn, die er im Anfange und am Ende der erſten Sekunde hatte, d. h. ſie muß gleich ½ g, oder ſo groß geweſen ſeyn, daß er mit dieſer gleichförmigen Geſchwindigkeit während der erſten Sekunde den Raum ½ g durchläuft.
Im Anfange der zweiten Sekunde hatte er die Geſchwindig - keit g und am Ende derſelben, nach dem Vorhergehenden die Geſchwindigkeit 2 g. Er würde alſo denſelben Raum, den er im freien Falle während der zweiten Sekunde zurückgelegt hat, auch mit der mittleren Geſchwindigkeit d. h. mit der Geſchwindigkeit 3 / 2 g in vollkommen gleichförmiger Bewegung zurückgelegt haben. Eben ſo würde er in der dritten Sekunde mit der Geſchwindig - keit 5 / 2 g, die das Mittel aus 2 g und 3 g iſt, denſelben Raum, wie im freien Falle, zurücklegen u. ſ. w. Es iſt daher, in Be - ziehung auf den von dem Körper durchlaufenen Raum, ganz daſſelbe, ob wir annehmen, daß er ihn mit einer gleichförmig be - ſchleunigten Bewegung, wie er in der That thut, oder daß er jeden kleinſten Theil dieſes Raumes immer mit derſelben, aber jeden nächſten Theil deſſelben mit einer gleichförmig größern Ge - ſchwindigkeit zurücklege. In dem letzten Falle geht er aber, wie wir geſehen haben, in
u. ſ. w.
Dieſe kleine Tafel zeigt aber ſchon auf den erſten Blick das Geſetz, nach welchem die letzten Zahlen derſelben, d. h. nach welchem24Eigenſchaften der Körper.die von dem Körper in 1, 2, 3 .. Sekunden durchlaufenen Räu - me fortgehen. Man ſieht nämlich, daß man für jede willkühr - liche Anzahl t Sekunden den ihr entſprechenden Raum durch ½ g tt ausdrücken muß, ſo daß alſo die Räume, welche die Körper in ihrem freien Falle gegen die Erde zurücklegen, ſich wie die Quadrate der Zeiten verhalten, während die am Ende dieſer Zeiten erhaltenen Geſchwindigkeiten dieſen Zeiten ſelbſt proportio - nal ſind. Nehmen wir alſo an, der Körper ſey während der erſten Sekunde durch den Raum 1 gefallen und habe am Ende dieſer Zeit die Geſchwindigkeit 2 erhalten, ſo zeigt die folgende kleine Tafel den Fallraum und die Endgeſchwindigkeit für jede folgende Sekunde.
§. 19. (Anwendung dieſer Geſetze auf ſpecielle Fälle.) Häufige und genaue Verſuche, welche man über den Fall der Körper an - geſtellt hat, ſtimmten mit dieſen beiden Geſetzen ſo vollkommen überein, daß man an der Wahrheit derſelben nicht weiter zweifeln kann.
Bei dem freien Falle der Körper verhalten ſich alſo die Ge - ſchwindigkeiten wie die Zeiten, und die durchlaufenen Räume wie die Quadrate der Zeiten, während welcher der Fall dauert. Behält man daher die vorhergehenden Bezeichnungen von g v und t bei und nennt man x den Raum, welchen der Körper in t Sekunden zurücklegt, ſo hat man die beiden einfachen Ausdrücke v = g t und x = ½ g t t aus welchen man leicht noch den folgenden dritten vv = 2 g x ableiten wird. Mit Hülfe dieſer Ausdrücke kann man ſehr leicht eine Menge intereſſanter Fragen über den freien Fall der Körper25Eigenſchaften der Körper.beantworten, von denen wir hier nur einige kurz anführen wollen. Man vergleiche damit Band I. Kap. I und II.
Das höchſte von Menſchenhänden errichtete Gebäude iſt die große Pyramide bei Cairo, deren Spitze eine Höhe von 450 Par. Fuß über ihrem Boden hat. Nimmt man die Sekunde in dem gewöhnlichen Sinne dieſes Wortes, nämlich für den 86400ſten Theil eines mittleren Tages, ſo beträgt der Fall der Körper während der erſten Sekunde, den darüber angeſtellten Beobach - tungen gemäß, 15,098 Par. Fuß. Dieſe Größe iſt alſo, vermöge der zweiten unſerer Gleichungen, gleich ½ g, ſo daß daher die Größe g ſelbſt 30,198 Par. Fuß beträgt.
Mit dieſem Werthe von g findet man aus derſelben zweiten Gleichung, wenn man in ihr x = 450 ſetzt, daß ein Stein von dem Gipfel dieſer Pyramide bis zu dem Boden derſelben in 5½ Sekunden fallen, und daß er daſelbſt mit einer Geſchwindigkeit ankommen würde, mit welcher er, wenn er nur gleichförmig fort - ginge, in jeder Sekunde einen Weg von 164⅘ Fuß zurücklegen müßte.
Der höchſte Berg der Erde, der Dhawalagiri in Indien, ſoll 24150 Par. Fuß über die Meeresfläche ſich erheben. Von ſeinem Gipfel würde daher ein Stein in vertikaler Richtung erſt nach 40 Sekunden an der Meeresfläche, und zwar mit einer Geſchwin - digkeit von 1520 Fuß ankommen. Dieſe Endgeſchwindigkeit iſt bedeutend größer als die des Schalles, die nur 1038 Fuß in einer Sekunde beträgt und ſie überſteigt die gewöhnliche Geſchwindigkeit einer Kanonenkugel nahe dreimal.
In Norwegen, Diſtrikt Rake bei Friedrichshall, ſoll ein ſenk - rechtes Erdloch ſich befinden, deſſen Tiefe man noch mit keinem Senkbley ergründen konnte. Wenn man aber einen Stein in daſſelbe fallen läßt, ſo hört man den letzten Aufſchlag deſſelben auf den Boden der Höhle erſt nach 90 Sekunden. Nimmt man dabei auf die Verzögerung dieſer Erſcheinung durch den Schall keine Rückſicht, ſo zeigen unſere Gleichungen, daß die ſenkrechte Tiefe dieſer Höhle 122294 Par. Fuß, alſo nahe fünfmal ſo viel, als die Höhe des Dhawalagiri betrage, und daß dieſer Stein an den Boden der Höhle mit der Geſchwindigkeit von 2718 Fuß in einer Sekunde ankommen müßte.
26Eigenſchaften der Körper.Der Mond iſt in ſeiner mittleren Diſtanz 51600 deutſche Meilen oder 1178647000 Par. Fuß von der Erde entfernt. Wenn wir daher die Kraft der Erde auch in dieſer Entfernung noch gleich der an ihrer Oberfläche annehmen und überdieß voraus - ſetzen dürften, daß der Mond nicht eine ähnliche Anziehung, wie unſere Erde, auf die ihn umgebenden Körper ausübe, ſo würde, wie unſere Gleichungen zeigen, ein von dem Monde in gerader Linie zur Erde fallender Stein die letzte erſt in 8835 Sekunden oder in 2 Stunden 27 Minuten 15 Sekunden erreichen, und auf derſelben mit einer Geſchwindigkeit ankommen, vermöge welcher er in einer Sekunde durch 266797 Fuß, das heißt, durch nahe 11¾ d. Meilen geht.
Allein dieſe Vorausſetzungen ſind ſehr gewagt und äußerſt unwahrſcheinlich. In der That, wenn unſere Erde eine Kraft beſitzt, mit welcher ſie alle Körper an ſich zieht, warum ſollten dieſe anderen Körper, warum ſollte der Mond, die Sonne und überhaupt alle Körper der Natur einer ſolchen Kraft beraubt ſeyn? Welche Vorrechte ſoll irgend ein Körper der Natur vor allen andern anſprechen dürfen? Und wenn ſie in der That alle eine ſolche Kraft beſitzen, durch welche ſie ſelbſt auf ſehr entfernte Körper noch eine Wirkung äußern, welchen Grund hat man vor - auszuſetzen, daß dieſe Kraft in allen, in großen und kleinen Ent - fernungen immer dieſelbe bleiben ſoll? Diejenigen Entfernungen von der Erdoberfläche, die Berge und Höhlen derſelben, in wel - chen wir unſere Beobachtungen noch anſtellen können, ſind in der That, gegen den Halbmeſſer der Erde, ſo klein, daß ſie, ohne merklichen Fehler, alle als gleich groß und daß alſo auch die auf ſie wirkende Kraft der Erde durchaus als dieſelbe, oder als eine conſtante Kraft angeſehen werden kann. Und wenn dieß, in viel größern Diſtanzen, wie es ſcheint, nicht der Fall iſt, nach wel - chem Geſetze ändert ſich dann dieſe Kraft in verſchiedenen Ent - fernungen?
§. 20. (Allgemeine Bemerkungen über dieſen Gegenſtand.) Dieſe Frage iſt noch zu beantworten übrig und die Antwort darauf ſoll der Gegenſtand des folgenden Kapitels ſeyn. Ehe wir aber dahin übergehen, wollen wir noch bemerken, daß auch das meiſte von dem, was den Inhalt des gegenwärtigen Kapitels27Eigenſchaften der Körper.ausmacht, auf Sätzen beruht, die wir nicht ſtreng beweiſen, ſon - dern vielmehr nur als Axiome annehmen können, zufrieden, wenn die darauf gebauten Folgerungen den äußern Erſcheinungen der Natur, d. h. unſern Beobachtungen derſelben vollkommen ent - ſprechen. Daß ein Körper ruht, ſo lange keine äußere Kraft auf ihn wirkt, und daß ein Körper, der, auch nur durch einen augen - blicklichen Impuls in Bewegung geſetzt, ſich immerfort gleich - förmig und in einer geraden Linie bewegen muß, ſo lange er durch keine andere Kraft daran gehindert wird — dieſes Axiom, das unter der ſonderbaren Benennung des Princips der Träg - heit der Materie bekannt iſt; daß jede Aenderung einer ſchon ſtatt habenden Bewegung der ſie erzeugenden Kraft proportional iſt; daß bei jeder ſolchen Kraftäußerung zwiſchen zwei Körpern die Wirkung des einen immer der Gegenwirkung des anderen gleich ſeyn ſoll — dieſe und mehrere andere Sätze, welche man als die Grundſätze unſerer Dynamik auſſtellt, ſind, ſo wahr ſie auch an ſich ſeyn mögen, keines eigentlichen Beweiſes fähig und in ſich ſelbſt noch manchen Dunkelheiten unterworfen. Da die Körper, wie wir annehmen, ohne die Wirkung einer äußern Kraft ſich nicht bewegen können, wie ſollen ſie ſich doch, derſelben An - nahme gemäß, ohne äußere Kraft in dieſer Bewegung erhalten? Nehmen wir vielleicht dabei ſtillſchweigend an, daß die Bewe - gung etwas der Materie Eigenthümliches ſey? Es mag ſo ſeyn, immerhin: aber — muß es auch ſo ſeyn? Iſt dieſes auf den Kör - per einwirkende Weſen ſelbſt nichts Körperliches mehr, oder ge - hören beide ihrer innern Natur nach zuſammen, oder iſt das, was dem Körper ſeine Bewegung, gleichſam ſein Leben mittheilt, etwas Analoges mit derjenigen, uns eben ſo wenig bekannten Kraft, die, nur anders modificirt, auch die Urſache des organiſchen Lebens, der Pflanzen und Thiere, die Urſache des Wachsthums und der Gährung und vielleicht ſelbſt die eigentliche[Quelle] aller unſerer geiſtigen Operationen bildet? — Was wiſſen wir von allen dieſen Dingen, über die wir nur noch fragen können, und wie viel mehr mag noch zurück ſeyn, von dem uns unſere Sinne und ſelbſt unſere lebhafteſte Phantaſie gar nichts mehr vorſtellen können? Auch andere Wiſſenſchaften, ja ſelbſt die Mathematik, geht von ſolchen Axiomen, von erſten Grundſätzen aus, über die28Eigenſchaften der Körper.ſich nichts weiter mehr ausmachen läßt und die gleichſam wie Glaubensſachen angenommen werden müſſen, um auf ihnen, als auf einer Baſis, weiter zu bauen. Dieſe Baſis ſelbſt aber iſt kein weiterer Gegenſtand weder der Erfahrung, noch der Ver - nunft, ſie iſt die Gränze oder vielmehr die abſolute Scheide - wand aller unſerer geiſtigen Thätigkeit.
§. 21. (Vorarbeiten Anderer.) Unter allen Entdeckungen in dem weiten Felde der Wiſſenſchaften, iſt wohl die der allgemeinen Schwere, die wir dem großen Newton verdanken, die glänzendſte und einflußreichſte, da ſie das Geſetz enthält, dem alle Himmels - körper unſeres Sonnenſyſtems und, wie es ſcheint, ſelbſt alle Körper des Weltraumes gehorchen.
Es kann nicht anders, als ſehr intereſſant ſeyn, zu ſehen, auf welche Weiſe dieſer ſeltene Geiſt zu jener hohen Idee gekom - men iſt. Selbſt wenn wir ihn kämpfen und ringen, wenn wir ihn fehlen ſehen, kann er nur mit der innigſten Theilnahme und hier insbeſondere mit rein menſchlicher Theilnahme betrachtet werden. Auch ſteht er nicht allein, nicht ohne Hülfe und Beirath von anderen da. Viele treffliche Männer gingen ihm voraus und bahnten ihm den Weg zu ſeinem hohen Ziele. Und doch verfehlte er viele Jahre dieſen Weg, und mühte ſich ab, die kraft - vollſte Zeit ſeines Lebens, die Wahrheit zu finden, die er ahnte, ja die er, aber ohne es zu wiſſen, ſchon als ein Jüngling von kaum zwanzig Jahren gefunden hatte, und zu deren Erkenntniß er erſt durch Andere und durch einen glücklichen Zufall geführt werden mußte. Aber deſſenungeachtet erſcheint er als der Führer dieſer Anderen, als ihr Herr und Meiſter und als der Vorfechter unter den Eliten ſeiner Zeit. Denn Er war es, der ſie leitete in30Allgemeine Schwere.dem großen Kampfe, Er errang den Sieg, und was auch Jene geleiſtet haben mögen, ihm gebührt der Lorbeer. Ein volles Jahr - hundert iſt verfloſſen ſeit der Zeit, da er unter uns gewandelt hat, und noch ſteht er da, unerreicht und unerreichbar, ein Rieſe unter den Pigmäen, und ſein Haupt mit dem Strahlenkranze der Unſterblichkeit umwunden.
§. 22. (Unterſchied der Welt - und Literatur-Geſchichte.) Die ſogenannte Weltgeſchichte, worunter wir gewöhnlich die der Regenten und der von ihnen geführten Kriege verſtehen, iſt in mehr als einer Beziehung ſehr verſchieden von der Geſchichte der menſchlichen Kultur. In jener gehen die großen Epochen der - ſelben gewöhnlich nur von Einem Menſchen aus, und ſie ſind nur zu oft von den heftigſten Erſchütterungen begleitet. Plötzlich erhebt ſich, nicht ſelten aus dem Staube der Unbekanntſchaft, der Friedensſtörer, und ſeiner Zeit und ihren Vorurtheilen, allen göttlichen und menſchlichen Geſetzen trotzend, ſelbſt den Kampf mit den Elementen und den Geiſtern des Schickſals nicht ſcheuend — verbreitet er ſich mit ſeinen Heeren über ganze Länder und Welttheile, und tritt das Glück der Völker unter ſeine Füße, um auf den Trümmern deſſelben ſeiner Dynaſtie einen Thron und ſich ſelbſt, am Ende ſeiner Thaten, die Verwünſchung der Nachwelt, und auf einer wüſten Inſel im Weltmeere, ein enges Grab zu erobern.
Nicht ſo in dem großen Reiche der Wiſſenſchaften, deren Wachsthum nur langſam, und die blutloſen Fehden der Gelehrten etwa ausgenommen, immer friedlich vor ſich geht, und wo nur ſelten oder nie der Einzelne, ohne Hülfe der Anderen, eine neue Epoche begründen kann. Die meiſten großen Conceptionen, deren unſere Kulturgeſchichte erwähnt, ſind nur ſcheinbar von einem einzigen Manne ausgegangen. Denn nicht nur die eigentliche Ausführung, die immer fremder Hände bedarf, ſondern die erſte Idee ſelbſt entſprang gewöhnlich nur aus verwandten Anſichten mehrerer vorhergegangener Geiſter. In der That findet man, daß beinahe jede große Revolution in dem Gebiete der Kultur von einer Art allgemeiner geiſtiger Fermentation eingeleitet worden iſt, die beinahe alle beſſere Köpfe des Jahrhunderts, wie durch einen höhern Inſtinct getrieben, auf denſelben Gegenſtand gerichtet hat. Anfangs klein und unbemerkbar nimmt das Ge -31Allgemeine Schwere.dränge allmählig zu, um jenen Punkt, wo der Schatz begraben liegt; zuerſt Einzelne, dann Mehrere rütteln an dem verſchloſſenen Thore, bis endlich, wenn alle Vorbereitungen erſchöpft ſind, der Sohn des Glücks hervortritt aus der Menge, und mit einem Drucke ſeiner Hand die Riegel ſprengt, und ſofort aus der weit geöffneten Pforte ein Strom von Licht ſich ergießt, der die ganze unbekannte, früher in tiefe Nacht begrabene Gegend mit ſeinen Strahlen, nicht mit jenem verzehrenden Feuer des Ehrgeizes und der Eroberungsſucht, ſondern mit den milden, wohlthätigen Strah - len der Wahrheit und der Erkenntniß erleuchtet.
§. 23. (Vorgänger Newtons.) Nahe zwei Jahrhunderte vor der Entdeckung, von welcher wir hier ſprechen, hatte uns Coper - nicus (geb. 1472, geſt. 1543) die Bewegung der Planeten in Kreiſen gelehrt, deren gemeinſchaftlicher Mittelpunkt die Sonne iſt, und uns dadurch den Weg gezeigt, auf dem allein eine wahre Kenntniß des Himmels und ein Fortſchreiten der Wiſſenſchaft möglich war. Er gab uns das neue Teſtament der Aſtronomie, und Kepler (geb. 1571, geſt. 1630) lieferte uns eine neue, we - ſentlich verbeſſerte Auflage deſſelben, indem er das unnütze Gerüſte der Epicykeln niederriß, mit welchem die Alten unſer Sonnenſyſtem überladen hatten, und welches auch Copernicus noch beizubehalten gezwungen war. Er zeigte uns, daß ſich die Planeten nicht in Kreiſen, ſondern in Ellipſen, in deren einem Brennpunkte die Sonne iſt, bewegen, und er lehrte uns die drei Geſetze kennen, nach welchen dieſe Bewegungen vor ſich gehen. Dadurch erſt ge - wann die Sternkunde eine mathematiſche Unterlage und eine eigentlich ſtreng wiſſenſchaftliche Geſtalt.
Aber noch war der Grund dieſer Geſetze, gleichſam das einzige oberſte Geſetz unbekannt, von welchen jene drei nur ein Ausfluß, eine bloße Folge ſeyn ſollten. Zwar hatte Kepler ſelbſt mehr als eine Muthmaßung darüber aufgeſtellt, aber auch nur Muthmaßungen, durch keine Rechnung unterſtützt und alles eigentlichen Beweiſes entbehrend. An geiſtiger Kraft fehlte es dem ſeltenen Manne nicht, dieſe von ihm geahnte Höhe zu erreichen; aber ſeine kläglichen Lebensverhältniſſe, die Mißgunſt des Glücks, ohne das nichts Großes gedeiht, und vielleicht ſelbſt die zu große Lebhaftigkeit ſeiner Imagination, die ihn nur zu oft32Allgemeine Schwere.auf Irrwegen und grundloſer Spekulation herumführte, hin - derten ihn, ſeinem Haupte die Krone aufzuſetzen, deren er ſo würdig war, und die er, nicht aus Mangel an eigenem Ver - dienſte, einem Andern überlaſſen mußte.
Dieſe beiden Männer gingen Newton in größerer Entfernung voraus. Es fehlte aber auch nicht an anderen, näheren Vorgän - gern, die der großen Entdeckung, durch die Jener ſich unſterblich machte, oft nahe genug kamen. Bouilloud, ein Arzt in Frank - reich, ſtellte in ſeiner Astronomica Philolaica, die im Jahre 1645 erſchien, bereits den Satz auf, daß die Kraft, mit welcher die Sonne auf die Planeten wirkt, ſich verkehrt wie das Quadrat der Entfernung dieſer Planeten von der Sonne verhalte. Dieß war im Grunde Newtons Baſis, aber da es nur als eine Hypotheſe vor - getragen, und durch keine Beweiſe unterſtützt war, ſo blieb es ohne weitere Folgen und wurde bald darauf wieder vergeſſen. — Bo - relli’s Werk über die Satelliten Jupiters, das im Jahre 1666 erſchien, ſtellte ebenfalls die Anſicht auf, „ daß die Bewegungen der Planeten um die Sonne nach denſelben Geſetzen vor ſich[gehen] müſſen, nach welchen ſich dieſe Satelliten in ihren Bahnen um ihren Hauptplaneten bewegen, und nach welchen zugleich der Mond um unſere Erde geht. “ Eine eben ſo wichtige als richtige Bemerkung, die aber, aus derſelben Urſache, ohne Früchte zu tragen, wieder verloren ging.
Noch näher trat der Sache Robert Hooke, Newtons Zeitge - noſſe und Gegner, ein erfindungsreicher Kopf, der ſchon in dem - ſelben Jahre, 1666, der königl. Akademie in London eine Abhand - lung über die Abnahme der Schwere der Körper in verſchiedenen Höhen über der Erde vorgetragen hatte. Im May deſſelben Jahres las er in dieſer Akademie eine Abhandlung über die Bewegung der Planeten um die Sonne, in welcher er die Ent - ſtehung der krummen Bahnen der Planeten durch die Verbindung einer conſtanten Tangentialkraft dieſer Himmelskörper mit einer veränderlichen Centrifugglkraft der Sonne zu erklären ſuchte. In einer im Jahre 1674 von ihm herausgegebenen Schrift ſtellt er die Sätze auf, „ daß alle Himmelskörper eine gegen ihren Mittel - punkt gerichtete Anziehungskraft haben, wodurch ſie nicht nur auf ihre eigenen Elemente, ſondern auch auf alle anderen Körper33Allgemeine Schwere.außer ihnen wirken; daß die anziehenden Kräfte deſto ſtärker ſind, je näher die angezogenen Körper ſtehen “u. ſ. w.
Allein alle dieſe und ähnliche Ideen, die einer genauen und fortgeſetzten Betrachtung würdig geweſen wären, wurden nur eben hingeworfen, ohne ſie weiter zu verfolgen. Dieſes Verfolgen des erſten flüchtigen Gedankens, dieſes Brüten über ihm iſt es aber, was ihn zur Reife bringen, was allein die Wiſſenſchaft wahrhaft fördern konnte. Wußte doch Newton ſelbſt die Anfrage ſeines Freundes Halley, auf welche Weiſe er zu ſeinen großen Entdeckun - gen gekommen ſey, nur mit den wenigen, aber inhaltſchweren Worten zu erwiedern: „ Indem ich unabläßig darüber nachdachte. “
Endlich wurde auch Huygens, Newtons Zeitgenoſſe und Rival, oft auf demſelben Wege mit ihm gefunden. Huygens (geb. 1625, geſt. 1695) war ohne Zweifel einer der größten Geometer und der ſinnreichſten Köpfe ſeiner und ſelbſt aller Zeiten. Seine Theorie der[Evolution], die von ihm entdeckten merkwür - digen Eigenſchaften der Cycloide, ſeine Arbeiten über die Wahr - ſcheinlichkeitsrechnung, ſein erſtes Aufſtellen und Ausbilden der Theorie der Kreisbewegung und des Stoßes der Körper, ſeine Beſtimmung des Schwingungspunkts der Pendel, ſeine weſent - lichen Verbeſſerungen der Gewicht - und Feder-Uhren, ſeine optiſchen Entdeckungen über die Natur des Lichtes, über die Theorie der Fernröhre, über die doppelte Strahlenbrechung des isländiſchen Kryſtalls, ſelbſt ſeine praktiſchen Verbeſſerungen der optiſchen Inſtrumente, mit welchen er den erſten Satelliten Saturns und den Ring dieſes Planeten entdeckte — alle dieſe und noch mehrere andere, große Verdienſte ſichern ihrem Urheber eine der ausge - zeichnetſten Stellen in der Geſchichte der wiſſenſchaftlichen Kultur, und es fehlte vielleicht nur ein Schritt, um ihm ſelbſt die erſte, ſelbſt die vor Newton, anzuweiſen. Denn volle fünfzehn Jahre ſchon vor der Bekanntmachung des Princips der allgemeinen Schwere durch Newton, hatte Huygens bereits die oben erwähnten Eigenſchaften der Centralbewegung der Körper in Kreiſen in drei - zehn Propoſitionen öffentlich vorgetragen, und wenn er den Ein - fall gehabt hätte, nur zwei dieſer Propoſitionen unter ſich zu verbinden, und ſie als ein Beiſpiel auf die Rotation der ErdeLittrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 334Allgemeine Schwere.um ihre Axe und auf die Bewegung des Mondes um die Erde anzuwenden, (was Newton eigentlich ſpäter that, und wo - durch er eben auf ſeine große Entdeckung geführt wurde), ſo würde Er der Schöpfer des neuen Syſtems geworden ſeyn. Aber er verſäumte es, dieſe Anwendung, dieſen letzten Schritt zu machen, und mußte daher die Palme des Ruhmes einem Andern, einem Glücklicheren überlaſſen.
§. 24. (Veranlaſſung zu dieſer Entdeckung Newtons.) Iſaak Newton wurde am 25. Dez. 1642 geboren. In ſeinem 18ten Jahre betrat er die Univerſität zu Cambridge, beinahe ohne alle jene vorbereitende Bildung, welche die Schüler dieſes berühmten Inſtituts bei ihrem Eintritte in daſſelbe mitzubringen pflegten. Vielleicht aber wirkte eben dieſer Mangel vortheilhaft auf ſeinen Geiſt. Er wurde von keinen Vorkenntniſſen unterſtützt, er hatte aber auch keine Vorurtheile zu beſiegen. Er hatte nichts gelernt, er durfte auch nichts verlernen, und ſein jugendlicher Geiſt konnte ungehindert ſeinen eigenthümlichen Gang gehen, den Weg des kleinſten Widerſtandes, ohne ſich von den Gebirgen von Hinder - niſſen irren zu laſſen, die ſich vor ihm aufthürmten, die er aber nicht kannte, und die er bald darauf ſo glorreich beſiegte.
Er wendete ſich, gleich im Anfange ſeiner Studien, zur Ma - thematik. Seine Abſicht dabei ſoll geweſen ſeyn, die Irrthümer der Aſtrologie, die zu jener Zeit noch viele Anhänger zählte, auf geometriſchem Wege zu widerlegen. Euclid’s Werke lernte er nur eben kennen, um ſie ſogleich wieder aus der Hand zu legen. Er fand ſie zu leicht, und betrachtete die meiſten der in ihnen enthaltenen Sätze nur als eben ſo viele Axiome, deren Wahr - heit ſich gleichſam von ſelbſt verſteht. Er wendete ſich daher ſogleich zu der viel ſchwereren Geometrie des Descartes, zu Wallis Arithmetik des Unendlichen und zu Keplers aſtronomiſchen Werken, welche er alle, die Feder in der Hand, las und ſich daraus Auszüge machte, die er bis an das Ende ſeines Lebens bewahrte. Man erkannte bald den Geiſt, der in ihm lebte, und im Jahre 1669, wurde er, an des berühmten Barrow’s Stelle, Profeſſor der Mathematik in Cambridge, eine Stelle, die er bis zu dem Jahre 1695 begleitete, wo er zum Vorſteher der königl. Münze in London mit einem jährlichen Gehalte von 15000 Pf. Sterling35Allgemeine Schwere.berufen ward, welches Amt er bis an ſein Ende beibehielt, das am 20. März 1727 im 85ſten Jahre ſeines Alters erfolgte.
Gegen das Jahr 1662 wendete ſich ſeine ganze Aufmerkſam - keit gegen die Optik, und insbeſondere gegen die Natur des Lichtes, über welche er auch bald darauf die glänzendſten Ent - deckungen machte. Als aber im Jahre 1666 eine peſtartige Krank - heit die Umgegend von Cambridge verheerte, zog er ſich auf einige Monate in ſeinen Geburtsort, Woolſthorpe zurück, ein Dorf in Lincolnſhire, nahe eine deutſche Meile ſüdlich von der Stadt Grantham.
Hier ſaß er eines Tages in ſeinem Garten, als er, wie man erzählt, durch den Fall eines Apfels von einem vor ihm ſtehenden Baume, auf die erſte Idee der allgemeinen Schwere geleitet wurde. Dieſer Baum war lange ein Gegenſtand der beſonderen Beachtung aller Verehrer Newtons. Erſt im Jahre 1826 wurde der morſche Stamm deſſelben von einem Sturme geſtürzt, und aus ſeinem Holze wurde ein Stuhl verfertigt, der den Freunden des hingeſchiedenen großen Mannes, wenn ſie ſeine Geburtsſtätte beſuchen, noch jetzt mit einer Art von Andacht gezeigt zu werden pflegt. Wenn übrigens dieſe Erzählung von dem Apfel, die erſt in den neueſten Zeiten wieder mehrere Vertheidiger gefunden hat, auch nicht ganz verbürgt ſeyn ſollte, ſo iſt ſie doch weder ſehr un - wahrſcheinlich, noch die einzige ihrer Art. Auch Galilei, auf den ſein Vaterland noch jetzt ſtolz iſt, auch er ſoll durch den Anblick einer ſchwingenden Lampe, die von dem Innern des Kir - chendoms zu Piſa herabhing, auf die Theorie des Pendels und dadurch auf die eigentliche Begründung der Mechanik geführt worden ſeyn, eine Wiſſenſchaft, deren Schöpfer er iſt, und von welcher die Alten nicht einmal eine Ahndung hatten.
§. 25. (Fragen, die ſich Newton darboten.) Warum fällt der Apfel, und überhaupt jeder Körper, wenn er nicht gehalten oder unterſtützt wird? Da er immer in einer ſenkrechten Richtung zur Erde hin fällt, ſo ſcheint in dieſer Erde etwas zu ſeyn, das ihn an ſich zieht. Dieſes Etwas, dieſe Kraft, wie wir es nennen wollen, auf welche Weiſe, nach welchem Geſetze wirkt ſie auf den fallenden Körper? Und wie weit erſtreckt ſie ſich von der Erde? 3 *36Allgemeine Schwere.Wenn ſie z. B. bis zu dem Monde reichen ſollte, welche Wirkung äußert ſie auf dieſen Himmelskörper? Er hängt doch offenbar mit der Erde zuſammen, ſo wie jener fallende Stein, da er, wenn er gleich nicht zur Erde fällt, ſich doch in einem Kreiſe um die Erde bewegt. Sollte vielleicht dieſe Bewegung eine Folge jener Kraft der Erde ſeyn, die den Stein zu ihr fallen macht? Und wenn dieß zugegeben werden ſollte, obſchon man eben die Ver - bindung zwiſchen dieſen beiden Erſcheinungen nicht ſieht, dürfte man dann nicht noch weiter gehen, und dieſelben Schlüſſe auch auf dieſe Erde ſelbſt, ja auf alle übrige Planeten unſeres Son - nenſyſtems anwenden? — In der That, die Erde und dieſe Planeten alle bewegen ſich, wie ſchon Copernicus gezeigt hatte, in Kreiſen um die Sonne, ganz ſo, wie ſich der Mond in einem Kreiſe um die Erde bewegt. Wird nun der Mond zu ſeiner Be - wegung durch jene Kraft der Erde gezwungen, könnten nicht auch die Erde und alle Planeten zu ihrer Bewegung um die Sonne durch eine ähnliche, in der Sonne wohnenden Kraft gezwungen werden?
Große Fragen fürwahr, da offenbar von ihnen die ganze Kenntniß der Organiſation unſeres Planetenſyſtems abhängt. Und alles dieß wegen eines Apfels, der zufällig vor uns zur Erde fällt. Wie viele Millionen, ſeit die Erde ſteht, ſahen ſo gut wie Newton die Körper fallen, ohne dadurch auf ſolche Fragen ge - führt zu werden, ja ohne dabei auch nur überhaupt etwas zu denken.
Und doch — es ſind nur Fragen, Meinungen, Hypotheſen, und nichts weiter. Es mag ja doch, in alten und neuen Zeiten, Menſchen gegeben haben, die bei ſolchen Gelegenheiten auf ſolche Fragen kamen. Aber nicht die Frage — die Antwort iſt es, auf die in ſolchen Fällen alles ankömmt. Kepler, Hooke, Huygens waren, nach dem, was wir oben von ihnen gehört haben, Männer, die ſich in der That, wenn auch nicht eben dieſe, doch ihnen ſehr ähnliche Fragen vorgelegt haben müſſen. Aber haben ſie ſie auch beantwortet, auf die einzige Art, wie man ſolche Fragen beantworten ſoll, durch Rechnung, mit dem Griffel in der Hand? Es fiel ihnen nicht ein, oder ſie fanden kein Mittel dazu, dieſe Wahrheit, wenn es eine ſeyn ſollte, näher zu unter -37Allgemeine Schwere.ſuchen, und ſie auf dem allein untrüglichen Probirſtein der Rechentafel abzureiben. Deßhalb blieb die Sache, wie ſie war, eine Mei - nung, eine bloße Hypotheſe, die keine Folgen, keine Früchte hatte.
Die nähere Unterſuchung des Gegenſtandes forderte aber drei Dinge, die zuerſt bekannt ſeyn mußten: I. die Art, auf welche jene Kraft wirkt. II. Die Umlaufszeit des Mondes und III. die wahre Größe der Erde.
§. 26. (I. Wie die Attraction wirkt.) Das erſte, was Newton kennen mußte, war die Art, auf welche dieſe Kraft der Erde, wenn ſie überhaupt exiſtirt, auf nahe und ferne Gegenſtände wirken ſoll. An der Oberfläche der Erde fallen die Körper wie die Beobachtungen zeigen, in der erſten Sekunde durch 15 (genauer durch 15,098) Par. Fuß, und man kann anneh - men, daß dieſe Größe dieſelbe iſt, für alle Orte der Oberfläche der Erde, und ſelbſt für alle Höhen und Tiefen, zu welchen wir noch gelangen können. Dieſe Beſtändigkeit der Kraft der Erde würde einen ſchwächeren Kopf verleitet haben, die ganze Unter - ſuchung gleich anfangs wieder aufzugeben. Wenn dieſe Kraft noch in der Höhe einer deutſchen Meile über der Erde, und ſo hoch ſind beinahe die größten Berge, die wir kennen, noch immer dieſelbe, wie an der Oberfläche der Erde iſt, ſo ſcheint ſie über - haupt in allen Entfernungen dieſelbe zu bleiben. Allein Newton ließ ſich dadurch nicht irre machen, da er zu ſehr davon über - zeugt war, daß dieſe Kraft in größeren Entfernungen immer kleiner werden müſſe. Vielmehr beſtärkte ihn dieß in ſeiner Ver - muthung. Denn wenn die Kraft der Erde, ſelbſt in der Entfer - nung einer Meile noch immer dieſelbe zu ſeyn ſcheint, ſo muß ſie eine ſehr ſtarke Kraft ſeyn, ſo muß ſie, da ſie nun einmal nicht immer dieſelbe bleiben kann, nur ſehr langſam abnehmen, ſo muß ſie am Ende ſelbſt noch in der Gegend des Mondes groß genug ſeyn, um dort, um an dieſem Himmelskörper noch bemerk - bare Veränderungen hervorzubringen, und eben dieſe Verände - rungen waren es, die er ſuchte.
Man kann ſich aber dieſe Anziehungskraft der Erde nicht wohl anders vorſtellen, als durch einen Strahlen - oder Seilenbüſchel, deſſen einzelne Linien alle aus dem Mittelpunkte der Erde aus - laufen, wie etwa die Strahlen eines Lichtes, das in dem Mittel -38Allgemeine Schwere.punkte dieſer Erde ſeinen Sitz hat. Denkt man ſich eine hohle Kugelfläche, deren Halbmeſſer z. B. 100 Fuß beträgt, und deren Mittelpunkt mit jenem der Erde zuſammenfällt, ſo wird die innere Fläche dieſer Kugelſchaale von jenem Lichte mit einer gewiſſen Stärke beleuchtet werden. Wenn aber der Halbmeſſer dieſer Ku - gel noch einmal ſo groß, alſo gleich 200 Fuß wäre, ſo wird dieſe zweite hohle Kugelſchaale in ihrem Innern von demſelben Lichte offen - bar ſchwächer beleuchtet werden. Zwar fällt alles Licht, welches früher die kleinere Kugel beſchien, jetzt auch auf die größere; aber da die Oberfläche der zweiten viel größer iſt, als die der erſten, ſo werden die auf die zweite Kugel fallenden Strahlen, da ſie divergirend von dem Mittelpunkte ausgehen, auch viel weiter von einander entfernt ſeyn, d. h. mit andern Worten, die zweite Kugel wird von demſelben Lichte ſchwächer erleuchtet werden, als die erſte, und zwar genau um ſo viel ſchwächer, als die Oberfläche dieſer zweiten Kugel größer iſt, als die Oberfläche der erſten. Da ſich aber die Oberfläche der Kugeln bekanntlich wie die Quadrate ihrer Halbmeſſer verhalten, ſo wird die Fläche der zweiten Kugel, deren Halbmeſſer 2mal ſo groß iſt, als jener der erſten, auch 2mal 2 oder 4mal ſchwächer erleuchtet werden. Eben ſo wird für eine Kugel von einem 3mal ſo großen Halbmeſſer, als die erſte, die Beleuchtung 3mal 3 oder 9mal ſchwächer ſeyn, für einen 4mal ſo großen Halbmeſſer 16mal ſchwächer u. ſ. w., kurz, die Beleuchtung wird abnehmen, wie das Quadrat der Entfernung zunimmt, oder, was daſſelbe iſt, die Beleuchtung dieſer innern Kugelſchaale, in jedem einzelnen Punkte ihrer Ober - fläche, wird ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfer - nung verhalten.
Daſſelbe wird alſo auch von der Anziehung der Erde auf alle Körper außer ihr gelten, wenn anders die vorhergehende Voraus - ſetzung richtig iſt, daß dieſe beiden Dinge, Licht und Attraction, ſich auf gleiche Weiſe von ihren Centralkörpern aus verbreiten. Die Folge wird uns lehren, ob man ſich dieſe Vorausſetzung er - lauben darf, d. h. ob die auf dieſe Weiſe erhaltenen Erſcheinungen der Attraction auch in der That mit den Beobachtungen über - einſtimmen. Von irgend einer Vorausſetzung über die Wirkungs - art dieſer Kraft muß man ausgehen, wenn man dieſe Wirkungen39Allgemeine Schwere.einer Rechnung unterwerfen will. Die oben angenommene iſt die natürlichſte und einfachſte, die man wählen kann. Der Erfolg wird zeigen, ob ſie auch die wahre iſt.
(Weitere Gründe für dieſe Annahme.) Newton nahm aber dieſe Vorausſetzung nicht auf Gerathewohl, und bloß auf die, übrigens durch nichts bewieſene, Analogie mit dem Lichte geſtützt, an. Er hatte noch einen anderen, beſſeren Grund, und dieſen verdankte er den Vorarbeiten Keplers und Huygens, deren Entdeckungen er nun zu ſeinem Zwecke benutzen konnte.
Kepler hatte nämlich im Jahre 1618 durch ſehr mühſame, und Jahre lang mit ſeltener Ausdauer fortgeführte Rechnungen gefunden, daß die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten um die Sonne ſich wie die Würfel der Halbmeſſer ihrer Bahnen verhalten (I. Kap. IX. 146). Huygens aber hatte unter den oben erwähnten 13 Propoſitionen auch den Satz aufgeſtellt, daß bei den in Kreiſen umlaufenden Körpern die Quadrate ihrer Umlaufszeiten ſich verhalten, wie die Halbmeſſer dieſer Kreiſe, dividirt durch den Druck, welchen dieſe Körper ſenkrecht auf die Peripherie ihrer Bahn ausüben. Dieſer Druck muß aber als die Kraft ange - ſehen werden, welche, indem ſie gegen den Mittelpunkt des Kreiſes gerichtet iſt, eben dieſe Kreisbewegung des Körpers erzeugt. Verbindet man daher dieſe beiden Sätze mit einander, ſo folgt, daß bei allen Kreisbewegungen der Druck der bewegten Körper, d. h. die im Mittelpunkte dieſer Kreiſe wohnende bewegende oder anziehende Kraft ſich verhalten muß, wie verkehrt das Quadrat dieſes Halbmeſſers, d. h. alſo, wie verkehrt das Quadrat der Entfernung des angezogenen Körpers von dem anziehenden Mittelpunkte, und dieß iſt eben der Satz, welchen wir oben für die Attraction der Körper überhaupt, aus der Analogie derſelben mit dem Lichte, abgeleitet haben. Newton kannte dieſe Propoſi - tion, und benutzte ſie auch in der That zu dieſem Zwecke, wie er dieß ſelbſt in einem ſeiner ſpätern Briefe an Halley geſtand. Die Entdeckung Keplers aber war zu jener Zeit, als Newton ſeine Unterſuchungen anſtellte, nicht nur ihm, ſondern der ganzen aſtro - nomiſchen Welt bekannt, und allgemein längſt als eine unbe - ſtreitbare Wahrheit angenommen worden.
40Allgemeine Schwere.§. 27. (II. Umlaufszeit des Mondes um die Erde.) Wenn Newton durch unmittelbare Verſuche, oder auf Beobachtun - gen gegründete Rechnungen entſcheiden wollte, ob es in der That dieſelbe Kraft iſt, die den Stein auf die Erde fallen macht, und die den Mond um dieſelbe bewegt, ſo mußte er zweitens die Zeit, in welcher der Mond ſich um die Erde bewegt, oder er mußte die Revolution des Mondes mit großer Genauigkeit kennen. Wir haben aber bereits oben (I. §. 123) gezeigt, daß man, wenn man zwei in der Zeit ſehr von einander entfernte Beobachtungen des Mondes vergleicht, die wahre Größe dieſer Revolution mit aller nur wünſchenswerthen Schärfe beſtimmen kann, wie denn auch bereits die alten Griechen ſie ſo genau be - ſtimmt hatten, daß die neueren Aſtronomen nur wenig oder nichts mehr hinzufügen konnten. Dieſe Umlaufszeit des Mondes um die Erde, in Beziehung auf die Fixſterne oder die ſogenannte ſideriſche Revolution deſſelben (I. §. 100) beträgt 27,3216614 Tage. Da er in dieſer Zeit volle 360 Grade oder 1296000 Sekunden beſchreibt, ſo findet man leicht durch eine einfache Proportion, daß der Mond in ſeiner Bewegung um die Erde in jeder Zeit - ſekunde den kleinen Winkel von 0,5479 Sekunden zurücklegt. Allein man weiß, daß die halbe Peripherie eines jeden Kreiſes, deſſen Halbmeſſer für die Einheit angenommen wird, 3,1415926 Theile dieſes Halbmeſſers beträgt, daß alſo zu einem Winkel von 648000 Sekunden der Bogen 3,1415926 und daher auch zu einem Winkel von einer einzigen Sekunde der Bogen von 0,0000048481 Halb - meſſern gehört. Multiplicirt man daher die letzte Zahl durch 0,5479, ſo folgt, daß der Bogen der Mondsbahn, der von dieſen Himmelskörpern in jeder Sekunde beſchrieben wird, gleich dem 0,0000026563ſten Theil des Halbmeſſers der Mondsbahn iſt. Es iſt aber aus dem Kap. V. des I. Theiles bekannt, wie man die Entfernung des Mondes von der Erde durch die Beobachtung der Parallaxe dieſes Geſtirns findet. Dieſe Beobachtungen gaben die Entfernung des Mondes von dem Mittelpunkte der Erde, oder den Halbmeſſer der Mondsbahn gleich 60,16 Halbmeſſer der Erde. Multiplicirt man daher die beiden letzten Zahlen durch einander, ſo findet man, daß der Bogen, welchen der Mond in ſeiner41Allgemeine Schwere.Bahn während jeder einzelnen Sekunde zurücklegt, nur 0,0001598 Erdhalbmeſſer beträgt.
§. 28. (III. Beſtimmung des Halbmeſſers der Erde.) Allein dieſe letzte Beſtimmung der Entfernung des Mondes kann noch nicht zu unſerem Zwecke gebraucht werden. Unſere Abſicht iſt nämlich, den Fall der Körper auf die Erde mit der Bewe - gung des Mondes zu vergleichen, um zu ſehen, ob in der That beide aus derſelben Urſache entſpringen. Da aber dieſer Fall in Toiſen oder Fußen ausgedrückt iſt, ſo müſſen wir auch jenen Bogen der Mondsbahn in demſelben Maaße kennen, oder mit andern Worten, wir müſſen wiſſen, wie viel Toiſen der Halb - meſſer der Erde beträgt.
Wir haben oben (I. Kap. I. und II. ) das Vorzüglichſte von dem mitgetheilt, was wir über die Geſtalt und Größe der Erde wiſſen. Allein Newton kannte dieſe Beſtimmungen noch nicht, da die zu dieſem Zwecke angeſtellten Meſſungen der Erde erſt nach ihm unternommen wurden. Die erſte beſſere Gradmeſſung iſt die von Picard in Frankreich, der im Jahre 1669, alſo drei Jahre nach Newtons Aufenthalt in Woolſthorp, den Grad eines Me - ridians oder den Breitengrad der Erde gleich 342360 Fuß gefun - den hat, woraus folgt, daß der Halbmeſſer der Erde 19615780 Par. Fuß beträgt.
Zwar hatte ſchon früher, im Jahre 1615, Snellius in Hol - land durch ſeine mit vieler Umſicht angeſtellte Vermeſſung dieſen Grad gleich 330432 Fuß, alſo zu unſerem Zwecke genau genug, gefunden, aber Newton ſcheint von dieſer Beſtimmung eben ſo wenig, als von der ſeines Landsmanns Norwood, Nachricht er - halten zu haben, welcher letzte im Jahre 1634 den Breitengrad der Erde gleich 343800 Fuß, alſo noch genauer als ſelbſt Picard gefunden hatte. Auch mochte er diejenigen Werke, in welchen von dieſen damals noch neuen Meſſungen geſprochen wurde, in der Zurückgezogenheit ſeines ländlichen Aufenthaltes nicht bei der Hand gehabt, und, einer damals allgemein angenommenen Vorausſetzung gemäß, den Erdgrad in runder Zahl zu 60 eng - liſchen Meilen angenommen haben. Da die engliſche Meile 4954,19 Par. Fuß enthält, ſo betrug alſo, ſeiner Annahme ge -42Allgemeine Schwere.mäß, der Erdgrad nur 297251, und der daraus folgende Halb - meſſer der Erde nur 17031230 Fuß. Man ſieht, daß dieſe beiden Zahlen beträchtlich, nahe um ihr Siebentheil, kleiner ſind, als die oben von Picards Meſſungen angeführten Reſultate. Mul - tiplicirt man die letzte Zahl mit der oben angegebenen 0,0001598, ſo findet man 2721,59 Pariſer Fuß für den Bogen, welchen der Mond in ſeiner Bahn während jeder Zeitſekunde zurück - legt. So hatte nämlich Newton dieſen Bogen gefunden. Allein wenn er, ſtatt ſeiner fehlerhaften Vorausſetzung über die Größe der Erde, denjenigen Halbmeſſer derſelben, nämlich 19615780 Fuß, gebraucht hätte, den Picard aus ſeinen Meſſungen abgeleitet hat, ſo würde er für dieſen Bogen die Größe von 3134,6 Fuß gefunden haben, welche Zahl wieder nahe um ihren Siebentheil größer iſt, als die vorhergehende.
§. 29. (Anziehung der Erde in größeren Entfernungen von ihrem Mittelpunkte.) Auf der Oberfläche der Erde fällt, wie wir geſehen haben, jeder Körper in der erſten Sekunde durch 15 Fuß. Wie tief wird er in einer Entfernung von zehn, hundert, tauſend Meilen von der Oberfläche der Erde, in derſelben Zeit von einer Sekunde fallen?
Die Antwort auf dieſe Frage iſt leicht, wenn man das in I. betrachtete Geſetz der Abnahme der Anziehungskraft der Erde als richtig vorausſetzt. Dieſer ſenkrechte Fall des Körpers zur Erde iſt nämlich die reine Wirkung jener Kraft, und kann ſelbſt für das eigentliche Maaß dieſer Kraft genommen werden. Der Fall wird daher für jede in Halbmeſſern der Erde gegebene Ent - fernung gleich ſeyn der Zahl 15, dividirt durch das Quadrat dieſer Entfernung. Der höchſte Berg, den wir kennen, iſt ein Pic des Himalaja in Tibet, deſſen Höhe 24100 Fuß beträgt. Seine Höhe iſt alſo noch nicht der achthundertſte Theil des Erd - halbmeſſers nach Picard, oder der Gipfel dieſes Berges iſt 1,0012 Erdhalbmeſſer von dem Mittelpunkte der Erde entfernt. Dividirt man die Einheit durch das Quadrat dieſer Zahl, ſo erhält man 0,998, und dieß durch 15 multiplicirt gibt 14,970. Die Körper fallen demnach auf der Spitze dieſes Berges in der erſten Sekunde nur durch 14,97 Fuß oder beinahe um 4 3 / 10 Linien weniger tief, als am Niveau des Meeres, oder endlich, wenn die Kraft der43Allgemeine Schwere.Erde an ihrer Oberfläche zur Einheit genommen wird, ſo iſt ſie auf dem Gipfel jenes Berges nur mehr 0,998, alſo um ihren zweitauſendſten Theil kleiner, als zuvor. Eine ſo geringe Ver - ſchiedenheit konnte allerdings durch unſere Beobachtungen nicht mehr entdeckt werden, daher man auch, zu Newtons Zeiten, die Schwere an allen Orten der Erde gleich groß vorausſetzte.
Wenn aber der Körper um den ganzen Halbmeſſer der Erde über die Oberfläche derſelben gebracht werden könnte, ſo würde er in dieſer Entfernung, die die doppelte von jener an der Ober - fläche iſt, in einer Sekunde nur mehr durch den vierten Theil von 15 oder nur durch 3,75 Fuß fallen. In einer dreimal ſo großen Entfernung, oder in der Diſtanz von drei Erdhalbmeſſern von dem Mittelpunkte der Erde, wird er durch den 9ten Theil jener Größe, oder nur durch 1,67 Fuß, in einer zehnmal größeren Entfernung nur durch den 100ſten Theil, oder durch 0,15 Fuß fallen u. ſ. w.
Wenn alſo endlich derſelbe Körper bis in den Ort, wo der Mond iſt, d. h. wenn er in die Entfernung von 60,16 Erdhalb - meſſern von dem Mittelpunkte der Erde gebracht würde, ſo würde er daſelbſt in der erſten Sekunde durch 15, dividirt durch das Quadrat von 60,16, das heißt, er würde in der Gegend des Mondes nur mehr durch 0,00414 Fuß fallen, oder er würde in der erſten Sekunde ſich nahe 6 / 10 einer Linie der Erde nähern.
Dieß Reſultat iſt, als Ergebniß der Rechnung, völlig gewiß, wenn anders die obige Vorausſetzung, auf welche dieſe Rechnung gegründet iſt, richtig iſt, daß nämlich die Attractionskraft der Erde ſich verkehrt, wie das Quadrat der Entfernung verhält. Allein iſt dieſe Vorausſetzung auch in der That richtig? — Dieß eben ſoll hier entſchieden werden, und zwar durch unmittelbare Beobachtungen, durch Beobachtungen an dem Monde entſchieden werden. Wenn uns dieſe Beobachtungen zeigen könnten, daß der Mond in der That in jeder Sekunde durch 0,00414 Fuß zur Erde fällt, ſo iſt unſere Vorausſetzung richtig, und das Geſetz der Anziehung der Erde, das Geſetz der Schwere iſt durch Experi - mente nachgewieſen, und muß ſonach als wahr anerkannt werden.
Allein wie ſollen uns die Mondsbeobachtungen zeigen, daß dieſer Himmelskörper in der That in jeder Sekunde ſo viel zur44Allgemeine Schwere.Erde fällt? Wir ſehen ihn nicht fallen, und wenn er auch in der That fallen ſollte, ſo haben wir kein Mittel, die Größe dieſes Falls zu meſſen. Alles, was wir von ſeiner Bewegung wiſſen, iſt, daß der Bogen, den er in jeder Sekunde um die Erde be - ſchreibt, 2721,59 oder auch 3134,6 Fuß beträgt, je nachdem wir den Halbmeſſer der Erde nach Newton oder nach Picard anneh - men. Was ſoll aber aus dieſem Bogen für den Fall des Mondes zur Erde folgen?
§. 30. (Wirkung dieſer Attraction der Erde auf ruhende und auf bewegte Körper.) Um die letzte Frage zu beantworten, müſſen wir in unſerer Unterſuchung wieder einige Schritte zurückgehen.
Wenn der Mond durch irgend eine mächtige Hand feſtge - halten, und dann plötzlich ausgelaſſen würde, ſo müßte er ohne Zweifel in einer geraden Linie zur Erde fallen, und ſich ihr, wie wir geſehen haben, in der erſten Sekunde um 0,00414 Fuß nähern, ganz aus demſelben Grunde, wegen welchem der Stein auf der Oberfläche der Erde in derſelben Zeit durch 15 Fuß fällt, wenn die Hand, die ihn hält, ſich wendet, und dadurch den Stein ſei - ner bisherigen Unterſtützung beraubt. Allein jene unſichtbare Hand, die vielleicht auch vor Zeiten den Mond feſtgehalten hat, kann ſich nicht bloß gewendet haben, als ſie den Mond ſich ſelbſt oder vielmehr der Wirkung der Erde überließ, ſondern ſie muß ihn, als ſie ihn ſeinem ferneren Schickſale überlaſſen wollte, mehr als nur ausgelaſſen, ſie muß ihn aus der Hand geworfen haben, und die Richtung dieſes Wurfes muß, nicht auf die Erde zu, ſondern ſeitwärts gegangen ſeyn, weil ſonſt der Mond wieder in einer geraden Linie zur Erde herabgefallen wäre, was er doch nicht gethan hat, da er vielmehr, wie wir ſehen, einen Kreis um die Erde beſchreibt.
Die Exiſtenz dieſer Bahn, die uns vor Augen liegt, führt uns daher auf zwei Vorausſetzungen, ohne welche jene Bahn ſich nicht als möglich denken läßt. Der Mond muß nämlich von zwei verſchiedenen Kräften in Bewegung geſetzt werden, von einer erſten urſprünglichen, von einer Wurfkraft, und von der im Mittelpunkte ſeiner Bahn ruhenden Centralkraft oder von der Anziehungskraft der Erde. Jene iſt eine nur im erſten Augen - blicke wirkende Kraft, gleich der eines Stoßes, dieſe aber eine45Allgemeine Schwere.immerwährend thätige, und noch jetzt in jedem Augenblicke wir - kende Kraft. Jene konnte alle möglichen Richtungen haben, nur nicht die gerade zur Erde hin, weil ſonſt der Mond auf die Erde gefallen wäre; dieſe aber hatte, und hat noch ihre Richtung gegen den Mittelpunkt der Erde. Jene allein würde den Mond in irgend einer geraden Linie im Weltraume fortgeführt, und dieſe allein würde ihn, ebenfalls in einer geraden, aber zur Erde ge - richteten Linie auf dieſe Erde geworfen haben, und beide zuſam - men endlich leiten ihn in der krummen Linie, in dem Kreiſe hin, den er eben, wie wir ſehen, um die Erde beſchreibt.
Die Kraft der Erde alſo erſcheint in ihrer Wirkung bei der Bewegung des Mondes nicht mehr rein, ſondern mit der Wir - kung jener Wurfkraft, jenes Stoßes vermiſcht, welchen der Mond im Anfange ſeiner Bewegung erhalten haben muß, damit er dieſe Bahn, die wir an ihm beobachten, in der That beſchreiben kann, und es wird daher, ehe wir an die eigentliche Auflöſung unſeres Problems gehen, nothwendig ſeyn, dieſe Miſchung wieder aufzu - heben, und aus der ſo zuſammengeſetzten Bewegung des Mondes denjenigen Theil herauszuſuchen, der, ſo wie jener Fall des Stei - nes, bloß der Anziehung der Erde angehört.
Zu dieſem Zwecke werden wir alſo die Wirkung dieſer An - ziehung der Erde, welche ſie auf ſchon bewegte Körper äußert, unterſuchen müſſen. Glücklicher Weiſe können wir dieſe Unter - ſuchung auf der Oberfläche der Erde alle Tage, und ohne viel Mühe anſtellen. Wir ſehen den Stein, und überhaupt jeden Körper, wenn er aus der ruhenden Hand gelaſſen wird, ſenk - recht zur Erde fallen. Allein wenn er von derſelben Hand ge - worfen wird, ſo ſehen wir ihn nicht mehr in gerader Linie ſenkrecht fallen, ſondern, gleich dem Monde, eine krumme Linie beſchreiben, offenbar aus demſelben Grunde, weil hier zwei Kräfte auf ihn wirken, die augenblickliche Kraft des Wurfs oder der erſte Stoß der Hand, und die immer thätige Anziehungs - kraft der Erde. Wir bemerken ferner, daß die krumme Linie, die er auf dieſe Weiſe beſchreibt, deſto länger iſt, je größer jene erſte Kraft iſt, mit welcher ihn die Hand geworfen hat. Die Kugeln unſerer Feuergewehre geben uns davon eben ſo bekannte, als auf - fallende Beiſpiele. Dieſe Maſchinen treiben die von ihnen gewor -46Allgemeine Schwere.fenen Körper oft ſehr weit über die Erde hin, und unſere Kano - nenkugeln beſchreiben, ehe ſie wieder zur Erde fallen, einen deſto längeren Bogen über derſelben, je ſtärker die Ladung iſt, mit welcher ſie abgeſchoſſen wurden. Und was hindert uns, an - zunehmen, daß eine noch viel ſtärkere Ladung ſie noch viel weiter, ſie endlich ganz um die Erde herum treiben würde, ſo wie auch vielleicht der Mond von einer ſolchen erſten hinlänglich ſtarken Kraft um die Erde getrieben wird.
Dieſe beiden Dinge ſind offenbar ſo ähnlich, und einander in einem ſo hohen Grade analog, daß wir nur das eine derſel - ben, den Stein oder die Kugel, deren Spiel in unſerer Nähe vorgeht, näher betrachten dürfen, um das, was wir an ihm ge - funden haben, auch ſogleich auf das zweite, auf den Mond zu übertragen.
§. 31. (Fall der auf der Oberfläche der Erde geworfenen Körper.) Denken wir uns demnach vor einer horizontal aufge - ſtellten Kanone eine vertikale Wand in einer ſolchen Entfernung von der Mündung des Geſchützes, daß die Kugel, wenn ſie dieſe Mündung verläßt, jener Wand genau in der Zeit von einer Se - kunde begegne. Bemerken wir überdieß zuerſt denjenigen Punkt der Wand, der mit dem Mittelpunkte der Mündung in derſelben Höhe liegt, oder den Punkt, welchen die Kugel treffen würde, wenn ſie ſich genau in horizontaler Richtung bewegen, wenn ſie, während ihres Laufes, von der Erde nicht angezogen werden möchte. Bemerken wir dann aber auch, nach dem Schuſſe, den - jenigen Punkt der Wand, wo ſie von der Kugel in der That ge - troffen worden iſt. — Wo wird dieſer zweite Punkt liegen? — Genau 15 Fuß unter dem erſten, wie ſich jeder ſelbſt überzeugen kann, der das Experiment anſtellen will. Alſo genau eben ſo viel, als ſie, in dieſer erſten Sekunde, frei gefallen wäre, wenn man ſie, ſtatt ſie aus der Kanone zu ſchießen, bloß aus der um - gewendeten Hand hätte fallen laſſen.
Was ſollen wir aus dieſer merkwürdigen Uebereinſtimmung ſchließen? — Offenbar, daß, wenn zwei Kräfte auf einen Körper wirken, jede derſelben die gleiche Veränderung in ihm hervorbringt, die ſie hervorgebracht haben würde, wenn ſie allein auf ihn ge - wirkt hätte, und wenn die andere gar nicht da geweſen wäre. 47Allgemeine Schwere.Vermöge des Wurfes der Hand geht der Stein in der Richtung dieſes Wurfs in einer geraden Linie, in derſelben geraden Linie fort, die er beſchreiben würde, wenn die Erde keine anziehende Kraft hätte. Und vermöge dieſer letzten Kraft fällt er ganz eben ſo in ſenkrechter Richtung zur Erde, als er gefallen ſeyn würde, wenn jener Wurf der Hand nicht ſtatt gehabt hätte, ſondern wenn der Stein nur aus der ruhenden Hand gefallen wäre. Beide Kräfte zuſammen aber bewirken die krummlinige Bahn dieſes Steines, deren jedes noch ſo kleine Theilchen, jedes Element, aus dem Elemente dieſer geraden Wurflinie und aus dem Elemente jener ſenkrechten Falllinie zuſammengeſetzt iſt.
Daſſelbe wird alſo auch von dem Monde gelten, und unmit - telbar auf ihn angewendet werden können. Die gerade Linie, in welcher er ſich, vermöge ſeiner urſprünglichen Wurfkraft zu be - wegen ſucht, wird die auf den Halbmeſſer ſeines Kreiſes ſenk - rechte Tangente ſeyn, in welcher er jeden Augenblick von der Erde fortgehen will, und auch in der That fortgehen würde, wenn die Anziehung der Erde ihn nicht zurückhielte. Und dieſe Anziehung der Erde wird wieder die kleine gerade Linie ſeyn, um welche er, indem er die Richtung jener Tangente verläßt, in jeder Sekunde der Erde näher rückt, oder eigentlich zu ihr hinfällt.
Welches iſt aber dieſe letzte gerade Linie, um welche ſich der Mond in jeder Sekunde der Erde nähert? —
§. 32. (Anwendung des Vorhergehenden auf den Mond.) Sey C Fig. I der Mittelpunkt der Erde, und zugleich jener der Mondsbahn AMD. Indem der Mittelpunkt A des Mondes dieſen Punkt A ſeiner Bahn verläßt, um ſeinen Weg fortzuſetzen, wird er, wenn keine andere Kraft auf ihn wirkte, nicht anders, als in der Richtung, die er bei ſeiner Ankunft in A hatte, d. h. er wird in der geradlinigen Tangente AB ſeiner Bahn, die auf ſeiner Entfernung CA ſenkrecht ſteht, fortgehen. Allein da er zugleich von der Erde angezogen wird, ſo kann er, am Ende der erſten Sekunde, nicht in dem Punkte B dieſer Tangente, ſondern er muß in irgend einem der Erde C nähern Punkte, nämlich in dem Punkte M ſeiner kreisförmigen Bahn ſeyn, ganz eben ſo, wie vorhin die Kugel der ihr gegenüber ſtehenden Wand nicht in dem horizontalen Viſirpunkte, ſondern in einem anderen, tieferen48Allgemeine Schwere.Punkte begegnete. Auf dieſelbe Weiſe begegnet alſo auch jetzt der Mond dem ihm gegenüberſtehenden Halbmeſſer CB oder dieſer ſeiner Wand nicht in dem Viſirpunkte B, ſondern in dem der Erde nähern Punkte M, und die Diſtanz dieſer beiden Punkte, das heißt die kleine Linie BM iſt es, um welche der Mond in der erſten Sekunde, ſeit er von A ausging, zur Erde fiel, und um welche er auch in der That ſchon von dem Punkte A aus gefallen ſeyn würde, wenn bloß die Anziehung der Erde, ohne jene Wurfkraft, auf ihn gewirkt hätte.
Dieſe kleine Linie BM alſo, die den eigentlichen Fall des Mondes zur Erde während jeder Sekunde ausdrückt, dieſe iſt es, deren Größe wir nun beſtimmen ſollen, um zu ſehen, ob ſie mit derjenigen übereinſtimmt, die wir oben aus unſerer Vorausſetzung abgeleitet haben, wo wir fanden, daß der Mond in jeder Sekunde um 0,00414 Fuß zur Erde fallen ſoll.
Allein wie ſoll man dieſe Größe BM finden? Wir kennen von der Mondsbahn bloß die Größe des Halbmeſſers CA oder CD und die Größe des Bogens AM ſeiner Bahn, den der Mond in jeder Sekunde zurücklegt.
§. 33. (Berechnung des Falls des Mondes gegen die Erde.) Die erſten und einfachſten Elemente der Geometrie reichen ſchon hin, zu zeigen, daß dieſe Größe BM gleich iſt dem Quadrate des Bogens AM dividirt durch den Durchmeſſer AD des von dem Monde beſchriebenen Kreiſes, d. h. durch die doppelte Entfernung des Mondes von dem Mittelpunkte der Erde.
Nehmen wir nun nach Picards Meſſung den Halbmeſſer der Erdbahn gleich 19615780 Fuß an, ſo iſt, wie wir oben geſehen haben, der Bogen AM gleich 3134,6 Fuß, und da die Entfernung des Mondes von der Erde 60,16 Erdhalbmeſſer beträgt, ſo iſt die geſuchte Linie BM, um welche der Mond in einer Sekunde zur Erde fällt, gleich dem Quadrate von 3134,6, dividirt durch das Produkt von 60,16 in 39231560, das heißt, gleich 0,00416 Fuß, alſo bis auf eine hier ganz unmerkliche Differenz genau ſo groß, als wir ſo eben aus der doppelten Vorausſetzung ge - funden haben, „ daß die Kraft der Erde ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung verhalte, und daß dieſe Kraft, welche49Allgemeine Schwere.die Körper auf der Oberfläche der Erde fallen macht, dieſelbe iſt, welche auch der Mond um ſie bewegt. “
Dieſe Uebereinſtimmung iſt alſo der ſchönſte Beweis für die Richtigkeit der Vorausſetzung, welche auf dieſe Weiſe durch eine unmittelbare Beobachtung der Natur, durch die Beſtimmung der Größe der Erde, und der Umlaufszeit des Mondes, beſtätiget war, und an deren Wahrheit man daher nicht weiter zweifeln konnte. Aber einmal dahin gekommen, war es nun leicht, durch Induction oder nach der Analogie den gefundenen Satz auch auf die übrigen Körper des Himmels auszudehnen und anzunehmen, daß auch die Planeten in ihren Bewegungen um die Sonne durch eine ähnliche, dieſer Sonne inwohnende Kraft, die ſich verkehrt wie das Quadrat der Entfernung verhält, bewegt werden, wie der Mond durch eine ſolche Kraft der Erde um ſie geführt wird. In der That boten ſich auch bald, wie wir weiter unten ſehen werden, Beobachtungen in Menge dar, welche dieſe Erweiterung der durch den Mond gemachten Entdeckung auf die ſchönſte und genügendſte Weiſe beſtätigten.
§. 34. (Newtons Fehler in der Berechnung dieſer Kraft.) Wir haben in dem Vorhergehenden, um den Zuſammenhang nicht zu ſtören, ſogleich den nahe wahren Werth des Erdhalbmeſſers, wie er aus Picards Meſſungen hervorgeht, angenommen, und ſo durch eine ſehr einfache Rechnung die Beſtätigung unſerer frühe - ren Vermuthung gefunden. Wir haben nämlich, um das Ganze noch einmal mit andern Worten darzuſtellen, gefunden, daß man auf zwei ganz verſchiedenen