PRIMS Full-text transcription (HTML)
Flegeljahre.
Eine Biographie
Erſtes Baͤndgen.
Tuͤbingen,in der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1804.

Druckfehler des I. Baͤndgens.

Seite Zeile

31 9 ſtatt derſelbe lies der ſelber

57 10 ſt. Territorine l. Territorien

79 12 ſt. Poſtſtraſſen l. Poſtſtraſſe

17 ſt. ihn l. daſſelbe 96 6 ſt. Haͤnde l. Haͤndel

9 ſt. gewoͤlkte l. gewoͤlbte 98 11 ſt. ſind l. ſeynd

100 18 ſt. jeder l. in jede

19 ſt. verſtehe l. erſtehe 101 _ _ v. 5 ſt. und l. um

112 v. u. 2 ſt. Thuͤren l. Thurme

119 6 ſt. verbluͤht l. verbluͤft

121 2 ſt. iezt l. jez

138 _ _ v. u. 5 nach fehlt ſich

147 v. u. 6 ſtreiche H. weg.

155 v. u. 9 ſtatt wol l. voll

167 4 ſt. ſchreibe l. ſchreiben

173 2 ſt. ſchreiben l. ſchrieben

204 10 ſtatt ein l. im

[1]

Nro. I. Bleiglanz.

Teſtament das Weinhaus.

So lange Haslau eine Reſidenz iſt, wußte man ſich nicht zu erinnern, daß man darin auf etwas mit ſolcher Neugier gewartet haͤtte die Geburt des Erbprinzen ausgenommen als auf die Eroͤfnung des Van der Kabelſchen Teſtaments. Van der Kabel konnte der Haslauer Kroͤſus und ſein Leben eine Muͤnzbeluſtigung heißen oder eine Goldwaͤſche unter einem goldnen Regen oder wie ſonſt der Witz wollte. Sieben noch lebende weitlaͤuftige Anverwandten von ſieben verſtorbenen weitlaͤuftigen Anverwandten Kabels machten ſich zwar einige Hofnung auf Plaͤze im Vermaͤchtnis, weil der Kroͤſus ihnen geſchworen, ihrer da zu gedenken; aber die Hofnungen blieben zu matt,Flegeljahre I. Bd. 12weil man ihm nicht ſonderlich trauen wollte, da er nicht nur ſo muͤrriſchſittlich und uneigennuͤzig uͤberall wirthſchaftete in der Sittlichkeit aber wa¬ ren die 7 Anverwandten noch Anfaͤnger ſon¬ dern auch immer ſo ſpoͤttiſch darein grif und mit einem ſolchen Herzen voll Streiche und Fallſtricke, daß ſich auf ihn nicht fußen lies. Das fortſtrah¬ lende Laͤcheln um ſeine Schlaͤfe und Wulſtlippen und die hoͤhniſche Fiſtel-Stimme ſchwaͤchten den guten Eindruck, den ſein edel gebautes Geſicht und ein Paar große Haͤnde, aus denen jeden Tag Neujahrsgeſchenke und Benefiz-Komoͤdien und Graziale fielen, haͤtten machen koͤnnen; deswegen gab das Zug-Gevoͤgel den Mann, dieſen leben¬ digen Vogelbeerbaum, worauf es as und niſtete, fuͤr eine heimliche Schneus aus und konnte die ſicht¬ baren Beere vor unſichtbaren Haarſchlingen kaum ſehen.

Zwiſchen zwei Schlagfluͤſſen hatt 'er ſein Te¬ ſtament aufgeſezt und dem Magiſtrate anvertraut. Noch als er den Depoſizionsſchein den 7 Praͤſum¬ tiv-Erben halbſterbend uͤbergab: ſagt' er mit al¬ tem Tone, er wolle nicht hoffen, daß dieſes Zei¬3 chen ſeines Ablebens geſezte Maͤnner niederſchlage, die er ſich viel lieber als lachende Erben denke, denn als weinende; und nur einer davon, der kalte Ironiker, der Polizei-Inſpektor Harprecht, erwie¬ derte dem warmen: ihr ſaͤmtlicher Antheil an ei¬ nem ſolchen Verluſte ſiehe wohl nicht in ihrer Gewalt.

Endlich erſchienen die 7 Erben mit ihrem Depoſizions-Schein auf dem Rathhauſe, nament¬ lich der Kirchenrath Glanz, der Polizei-Inſpek¬ tor, der Hofagent Neupeter, der Hoffiskal Knoll, der Buchhaͤndler Pasvogel, der Fruͤhprediger Flachs und Flitte aus Elſas. Sie drangen bei dem Ma¬ giſtrate auf die vom ſeel. Kabel inſinuirte Charte und die Oefnung des Teſtaments ordentlich und geziemend. Der Ober-Exekutor des leztern war der regierende Buͤrgermeiſter ſelber, die Unter - Exekutores der reſtierende Stadt-Rath. Sofort wurden Charte und Teſtament aus der Raths - Kammer vorgeholt in die Rathsſtube ſaͤmtli¬ chen Raths - und Erbherrn herumgezeigt, damit ſie das darauf bedrukte Stadt-Sekret beſaͤhen die auf die Charte geſchriebenen Inſinuazions-Re¬4 giſtratur vom Stadtſchreiber den 7 Erben laut vorgeleſen, und ihnen dadurch bekannt gemacht, daß der Seelige die Charte dem Magiſtrate wirk¬ lich inſinuirt und scrinio rei publicæ anvertraut, und daß er am Tage der Inſinuazion noch ver¬ nuͤnftig geweſen endlich wurden die ſieben Sie¬ gel, die er ſelber darauf geſezt, ganz befunden. Izt konte das Teſtament nachdem der Stadt¬ ſchreiber wieder uͤber dieſes alles eine kurze Regi¬ ſtratur abgefaſſet in Gottes Namen aufge¬ macht und vom regierenden Buͤrgermeiſter ſo vor¬ geleſen werden, wie folgt:

Ich Van der Kabel teſtire 179* den 7. Mai hier in meinem Hauſe in Haslau in der Hund¬ gaſſe ohne viele Millionen Worte, ob ich gleich ein deutſcher Notarius und ein hollaͤndiſcher Do¬ miné geweſen. Doch glaub 'ich, werd' ich in der Notariatskunſt noch ſo zu Hauſe ſeyn, daß ich als ordentlicher Teſtator und Erblaſſer auf¬ treten kann.

Teſtatoren ſtellen die bewegenden Urſachen ih¬ rer Teſtamente voran. Dieſe ſind bei mir, wie gewoͤhnlich, der ſeelige Hintritt und die Verlaſ¬5 ſenſchaft, welche von vielen gewuͤnſcht wird. Ue¬ ber Begraben und dergleichen zu reden, iſt zu weich und dumm. Das aber, als was Ich uͤbrig bleibe, ſeze die ewige Sonne droben in einen ihrer gruͤnen Fruͤhlinge, in keinen duͤſtern Winter.

Die milden Geſtifte, nach denen Notarien zu fragen haben, mach 'ich ſo, daß ich fuͤr drei Tauſend hieſige Stadtarmen jeder Staͤnde eben ſo viele leichte Gulden ausſeze, wofuͤr ſie an mei¬ nem Todes-Tage im kuͤnftigen Jahre auf der Gemeinhut, wenn nicht gerade das Revuͤe-Lager da ſteht, ihres aufſchlagen und beziehen, das Geld froh verſpeißen, und dann in die Zelte ſich klei¬ den koͤnnen. Auch vermach' ich allen Schulmei¬ ſtern unſers Fuͤrſtenthums, dem Mann einen Au¬ guſtd'or, ſo wie hieſiger Judenſchaft meinen Kir¬ chenſtand in der Hofkirche. Da ich mein Teſta¬ ment in Klauſeln eingetheilt haben will, ſo iſt die¬ ſe die erſte.

2te Klauſel.

Allgemein wird Erbſazung und Enterbung unter die weſentlichſten Teſtamentsſtuͤke gezaͤhlt. Dem zu Folge vermach 'ich denn dem Hrn. Kirchen¬6 rath Glanz, dem Hrn. Hoffiskal Knol, dem Hrn. Hofagent Peter Neupeter, dem Hrn. Poli¬ zei - Direktor Harprecht, dem Hrn. Fruͤhpredi¬ ger Flachs und dem Hrn. Hofbuchhaͤndler Pas¬ vogel und Hrn. Flitten vor der Hand nichts, weniger weil ihnen als den weitlaͤuftigſten An¬ verwandten keine Trebellianica gebuͤhrt, oder weil die meiſten ſelber genug zu vererben haben, als weil ich aus ihrem eigenen Munde weis, daß ſie meine geringe Perſon lieber haben als mein großes Vermoͤgen, bei welcher ich ſie denn laſſe, ſo wenig auch an ihr zu holen iſt.

Sieben lange Geſichtslaͤngen fuhren hier wie Siebenſchlaͤfer auf. Am meiſten fand ſich der Kirchenrath, ein noch junger, aber durch geſpro¬ chene und gedrukte Kanzelreden in ganz Deutſch¬ land beruͤhmter Mann, durch ſolche Stiche be¬ leidigt dem Elſaßer Flitte entgieng im Seſſions¬ zimmer ein leicht geſchnalzter Fluch Flachſen, dem Fruͤhprediger, wuchs das Kinn zu einem Bart abwaͤrts mehrere leiſe Stos-Nachrufe an den ſeeligen Kabel, mit Namen Schubjak, Narr, Un¬ chriſt u. ſ. w. konnte der Stadtrath hoͤren. Aber7 der regierende Buͤrgermeiſter Kuhnold winkte mit der Hand, der Hoffiskal und der Buchhaͤndler ſpannten alle Spring - und Schlagfedern an ihren Geſichtern wie an Fallen wieder an und jener las fort, obwohl mit erzwungenem Ernſte.

3te Klauſel.

Ausgenommen, gegenwaͤrtiges Haus in der Hundsgaſſe, als welches nach dieſer meiner dritten Klauſel ganz ſo wie es ſteht und geht, demjenigen von meinen ſieben genannten Hrn. An¬ verwandten anfallen und zugehoͤren ſoll, welcher in einer halben Stunde (von der Vorleſung der Klauſel an gerechnet) fruͤher als die uͤbrigen ſechs Nebenbuhler eine oder ein Paar Thraͤnen uͤber mich, ſeinen dahin gegangenen Onkel, vergießen kann vor einem loͤblichen Magiſtrate, der es protokol¬ liert. Bleibt aber alles trocken, ſo mus das Haus gleichfalls dem Univerſalerben verfallen, den ich ſogleich nennen werde.

Hier machte der Buͤrgermeiſter das Teſta¬ ment zu, merkte an, die Bedingung ſei wohl un¬ gewoͤhnlich, aber doch nicht geſezwidrig, ſondern das Gericht muͤſſe dem erſten, der weine, das Haus8 zuſprechen, legte ſeine Uhr auf den Seſſionstiſch, welche auf 11½ Uhr zeigte und ſezte ſich ruhig nieder, um als Teſtaments-Vollſtreker, ſo gut wie das ganze Gericht aufzumerken, wer zuerſt die begehrten Thraͤnen uͤber den Teſtator vergoͤße.

Daß es, ſo lange die Erde geht und ſteht, je auf ihr einen betruͤbtern und krauſern Kongreß gegeben, als dieſen von ſieben gleichſam zum Wei¬ nen vereinigten troknen Provinzen, kan wohl oh¬ ne Partheilichkeit nicht angenommen werden. An¬ fangs wurde noch koſtbare Minuten hindurch blos verwirrt, geſtaunt und gelaͤchelt, der Kongreß ſah ſich zu ploͤzlich in jenen Hund umgeſezt, dem mitten im zornigſten Losrennen der Feind zurief: wart auf! und der ploͤzlich auf die Hinterfuͤſ¬ ſe ſtieg und Zaͤhnebloͤckend aufwartete vom Verwuͤnſchen wurde man zu ſchnell ins Beweinen emporgeriſſen.

An reine Ruͤhrung konnte das ſah jeder keiner denken, ſo im Gallop an Plazregen, an Jagdtaufe der Augen, doch konnte in 26 Mi¬ nuten etwas geſchehen.

Der Kaufmann Neupeter fragte: ob das9 nicht ein verfluchter Handel und Narrenspoſſe ſei fuͤr einen verſtaͤndigen Mann, und verſtand ſich zu nichts; doch verſpuͤrt 'er bei dem Gedanken, daß ihm ein Haus auf Einer Zaͤhre in den Beu¬ tel ſchwimmen koͤnnte, ſonderbaren Druͤſen - Reiz und ſah wie eine kranke Lerche aus, die man mit einem eingeoͤlten Steknadelknopfe das Haus war der Knopf klyſtiert.

Der Hoffiskal Knol verzog ſein Geſicht wie ein armer Handwerksmann, den ein Geſell Sonnabend - Abends bei einem Schuſterlicht raſiert und ra¬ diert; er war fuͤrchterlich erboßet auf den Mis¬ brauch des Titels von Teſtamenten und nahe ge¬ nug an Thraͤnen des Grimms.

Der liſtige Buchhaͤndler Pasvogel machte ſich ſogleich ſtill an die Sache ſelber und durch¬ gieng fluͤchtig alles Ruͤhrende, was er theils im Verlage hatte, theils in Kommiſſion; und hofte etwas zu brauen; noch ſah er dabei aus wie ein Hund, der das Brechmittel, das ihm der Pari¬ ſer Hundarzt Demet auf die Naſe geſtrichen, langſam ableckt; es war durchaus Zeit erforder¬ lich zum Effekt.

10

Flitte aus Elſaß tanzte grade zu im Seſſions¬ zimmer, beſah lachend alle Ernſte, und ſchwur, er ſei nicht der Reichſte unter ihnen, aber, fuͤr ganz Strasburg und Elſas dazu, waͤr 'er nicht im Stande bei einem ſolchen Spas zu weinen.

Zulezt ſah ihn der Polizei-Inſpektor Har¬ precht ſehr bedeutend an, und verſicherte: falls Monsieur etwan hoffe, durch Gelaͤchter aus den ſehr bekannten Druͤſen, und aus den Meibomi¬ ſchen und der Karunkel und andern die begehrten Tropfen zu erpreſſen und ſich diebiſch mit dieſem Fenſterſchweis zu beſchlagen, ſo wolle er ihn er¬ innern, daß er damit ſo wenig gewinnen koͤnne als wenn er die Naſe ſchnaͤuzen und davon profi¬ tieren wolte, indem in leztere wie bekannt, durch den ductus nasalis mehr aus den Augen fließe, als in jeden Kirchenſtuhl hinein unter einer Lei¬ chenpredigt. Aber der Elſaßer verſicherte, er lache nur zum Spas, nicht aus ernſtern Abſichten.

Der Inſpektor ſeiner ſeits, bekannt mit ſei¬ nem dephlegmierten Herzen, ſuchte dadurch et¬ was Paſſendes in die Augen zu treiben, daß er mit ihnen ſehr ſtarr und weit offen blikte.

11

Der Fruͤhprediger Flachs ſah aus wie ein rei¬ tender Betteljude, mit welchem ein Hengſt durch¬ geht; indes haͤtt 'er mit ſeinem Herzen, das durch Haus - und Kirchenjammer ſchon die beſten ſchwuͤl¬ ſten Wolken um ſich hatte, leicht wie eine Sonne vor elendem Wetter auf der Stelle das noͤthigſte Waſſer aufgezogen, waͤr' ihm nur nicht das her¬ ſchiffende Floͤs - Haus immer dazwiſchen gekom¬ men als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.

Der Kirchenrath, der ſeine Natur kannte aus Neujahrs - und Leichenpredigten, und der gewis wußte, daß er ſich ſelber zuerſt erweiche, ſobald er nur an andere Erweichungs - Reden halte, ſtand auf da er ſich und andere ſo lang am Trockenſeile haͤngen ſah und ſagte mit Wuͤr¬ de, jeder, der ſeine gedrukten Werke geleſen, wiſſe gewis, daß er ein Herz im Buſen trage, das ſo heilige Zeichen, wie Thraͤnen ſind, eher zuruͤk zu draͤngen, um keinem Nebenmenſchen damit etwas zu entziehen, als muͤhſam hervorzureizen noͤthig habe aus Nebenabſichten Dies Herz hat ſie ſchon vergoſſen, aber heimlich, denn Kabel war ja mein Freund ſagt 'er und ſah umher.

12

Mit Vergnuͤgen bemerkte er, daß alle noch ſo trocken da ſaßen wie Korkhoͤlzer; beſonders jezt konnten Krokodille, Hirſche, Elephanten, Hexen, Reben leichter weinen als die Erben, von Glan¬ zen ſo geſtoͤrt, und grimmig gemacht. Blos Flachſen ſchlugs heimlich zu; dieſer hielt ſich Ka¬ bels Wohlthaten und die ſchlechten Roͤcke und grauen Haare ſeiner Zuhoͤrerinnen des Fruͤhgot¬ tesdienſtes, den Lazarus mit ſeinen Hunden und ſeinen eigenen langen Sarg in der Eile vor, fer¬ ner das Koͤpfen ſo mancher Menſchen, Werthers Leiden, ein kleines Schlachtfeld, und ſich ſelber, wie er ſich da ſo erbaͤrmlich um den Teſtaments - Artikel in ſeinen jungen Jahren abquaͤle und ab¬ ringe noch drei Stoͤße hat er zu thun mit dem Pumpenſtiefel, ſo hatte er ſein Waſſer und Haus.

O Kabel, mein Kabel fuhr Glanz fort, faſt vor Freude uͤber nahe Trauerthraͤnen weinend einſt wenn neben deine mit Erde bedekte Bruſt voll Liebe auch die meinige zum Vermod

Ich glaube, meine verehrteſten Herren ſagte Flachs, betruͤbt aufſtehend und uͤberflieſ¬ ſend umher ſehend ich weine ſezte ſich dar¬13 auf nieder, und lies es vergnuͤgter laufen; er war nun auf dem Troknen; vor den Akzeſſit-Au¬ gen hatt 'er Glanzen das Preis-Haus wegge¬ fiſcht, den jezt ſeine Anſtrengung ungemein ver¬ dros, weil er ſich ohne Nutzen den halben Ap¬ petit weggeſprochen hatte. Die Ruͤhrung Flach¬ ſens wurde zu Protokoll gebracht und ihm das Haus in der Hundsgaſſe auf immer zugeſchlagen. Der Buͤrgermeiſter goͤnnt' es dem armen Teufel von Herzen; es war das erſtemal im Fuͤrſtenthum Haslau, daß Schul - und Kirchenlehrers Thraͤ¬ nen ſich, nicht wie die der Heliaden in leichten Bernſtein, der ein Inſekt einſchlieſſet, ſondern, wie die der Goͤttin Freia, in Gold verwandelten. Glanz gratulierte Flachſen ſehr, und machte ihm froh bemerklich, vielleicht hab 'er ſelber ihn ruͤh¬ ren helfen. Die uͤbrigen trennten ſich, durch ihre Scheidung auf dem trokenen Weg von der Flachſiſchen auf dem naſſen ſichtbar, blieben aber noch auf das reſtierende Teſtament erpicht.

Nun wurd 'es weiter verleſen.

4te Klauſel.

Von jeher habe ich zu einem Univerſalerben14 meiner Activa alſo meines Gartens vor dem Schafthore, meines Waͤldleins auf dem Berge und der 11000 Georgd'or in der Suͤdſeehandlung in Berlin, und endlich der beiden Frohnbauern im Dorf Elterlein und der dazu gehoͤrigen Grundſtuͤken ſehr viel gefodert, viel leibliche Armuth und geiſtlichen Reichthum. Endlich ha¬ be ich in meiner lezten Krankheit in Elterlein ein ſolches Subjekt aufgetrieben. Ich glaubte nicht, daß es in einem Duzend - und Taſchenfuͤrſten¬ thuͤmlein einen blutarmen grund-guten herzlich frohen Menſchen gebe, der vielleicht unter allen, die je den Menſchen geliebt, es am ſtaͤrkſten thut. Er hat einmal zu mir ein Paar Worte geſagt, und zweimal im Dunkeln eine That gethan, daß ich nun auf den Juͤngling baue, faſt auf ewig. Ja ich weiß, dieſes Univerſalerben thaͤt 'ihm ſogar wehe, wenn er nicht arme Eltern haͤtte. Ob er gleich ein juriſtiſcher Kandidat iſt, ſo iſt er doch kindlich, ohne Falſch, rein, naiv und zart, or¬ dentlich ein frommer Juͤngling aus der alten Vaͤ¬ terzeit und hat dreyßigmal mehr Kopf als er denkt. Nur hat er das Boͤſe, daß er erſtlich ein etwas15 elaſtiſcher Poet iſt, und daß er zweitens, wie viele Staaten von einer Bekanntſchaft bei Sitten-An¬ ſtalten gern das Pulver auf die Kugel laͤdt, auch am Stundenzeiger ſchiebt, um den Minutenzeiger zu drehen. Es iſt nicht glaublich, daß er je eine Studenten-Mausfalle aufſtellen lernt; und wie gewis ihm ein Reiſekoffer, den man ihm abge¬ ſchnitten, auf ewig aus den Haͤnden waͤre, erhel¬ let daraus, daß er durchaus nicht zu ſpezifizie¬ ren wuͤßte, was darin geweſen und wie er aus¬ geſehen.

Dieſer Univerſalerbe iſt der Schulzen Sohn in Elterlein, Namens Gottwalt Peter Har¬ niſch, ein recht feines blondes liebes Buͤrſch¬ gen

Die ſieben Praͤſumtiv-Erben wollten fragen und außer ſich ſeyn; aber ſie mußten forthoͤren.

5te Klauſel.

Allein er hat Nuͤſſe vorher aufzubeißen. Be¬ kanntlich erbte ich ſeine Erbſchaft ſelber erſt von meinem unvergeßlichen Adoptivvater Van der Ka¬ bel in Broek im Waterland, dem ich faſt nichts16 dafuͤr geben konnte als zwei elende Worte, Friedrich Richter, meinen Namen. Harniſch ſoll ſie wieder erben, wenn er mein Leben wie folgt, wieder nach - und durchlebt.

6te Klauſel.

Spashaft und leicht mags dem leichten poe¬ tiſchen Hoſpes duͤnken, wenn er hoͤrt, daß ich deshalb blos fordere und verordne, er ſoll denn alles das lebt 'ich eben ſelber durch, nur laͤnger weiter nichts thun als:

  • a) Einen Tag lang Klavierſtimmer ſeyn ferner
  • b) Einen Monat lang mein Gaͤrtgen als Ober¬ gaͤrtner beſtellen ferner
  • c) Ein Vierteljahr Notarius ferner
  • d) ſo lange bei einem Jaͤger ſeyn, bis er einen Haſen erlegt, es dauere nun 2 Stunden oder 2 Jahre
  • e) er ſoll als Korrektor 12 Bogen gut durch¬ ſehen
  • f) er ſoll eine Buchhaͤndleriſche Meßwoche mit H. Pasvogel beziehen, wenn dieſer will
  • g) er ſoll bei jedem der Hrn. Akzeſſit-Erben eine17 Woche lang wohnen (der Erbe muͤßt 'es ſich denn verbitten) und alle Wuͤnſche des zei¬ tigen Miethsherren, die ſich mit der Ehre vertragen, gut erfuͤllen
  • h) er ſoll ein Paar Wochen lang auf dem Lan¬ de Schul halten endlich
  • i) ſoll er ein Pfarrer werden; dann erhaͤlt er mit der Vokazion die Erbſchaft. Das ſind ſeine neun Erb-Aemter.

7te Klauſel.

Spashaft, ſagt 'ich in der vorigen, wird ihm das vorkommen, beſonders da ich ihm verſtatte, meine Lebens-Rollen zu verſezen, und z. B. fruͤ¬ her die Schulſtube als die Meſſe zu beziehen blos mit dem Pfarrer muß er ſchlieſſen; aber, Freund Harniſch, dem Teſtament bieg ich zu jeder Rolle einen verſiegelten Regulier-Tarif, genannt die geheimen Artikel bei, worin ich Euch in den Faͤllen, wo ihr das Pulver auf die Kugel ladet, z. B. in Notariatsinſtrumenten, kurz ge¬ rade fuͤr eben die Fehler, die ich ſonſt ſelber be¬ gangen, entweder um einen Abzug von der Erb¬ ſchaft abſtrafe, oder mit dem Aufſchube ihrerAus¬Flegeljahre l. Bd. 218lieferung. Seid klug, Poet, und bedenkt Euren Vater, der ſo manchem Edelmann im a n gleicht, deſſen Vermoͤgen wie das eines ruſſiſchen zwar in Bauern beſteht, aber doch nur in einem einzigen, welches er ſelber iſt. Bedenkt Euren vagabunden Bruder, der vielleicht, eh 'ihrs denkt, aus ſeinen Wanderjahren mit einem halben Rocke vor Eure Thuͤre kommen und ſagen kann: Haſt du nichts Altes fuͤr deinen Bruder? Sieh dieſe Schuhe an! Habt alſo Einſichten, Univer¬ ſal-Erbe!

8te Klauſel.

Den H. Kirchenrath Glanz und alle bis zu Hrn. Buchhaͤndler Pasvogel und Flitte (inclusive) mach 'ich aufmerkſam darauf, wie ſchwer Harniſch die ganze Erbſchaft erobern wird, wenn ſie auch nichts erwaͤgen als das einzige hier an den Rand genaͤhte Blatt, worauf der Poet fluͤchtig einen Lieb¬ lings-Wunſch ausgemalt, naͤmlich den, Pfar¬ rer in Schweden zu werden. (Herr Buͤrgermei¬ ſter Kuhnold fragte hier, ob ers mit leſen ſolle; aber alle ſchnappten nach mehreren Klauſeln und er fuhr fort) Meine T. H. Anverwandten fleh'19 ich daher wofuͤr ich freilich wenig thue, wenn ich nur zu einiger Erkenntlichkeit ihnen zu gleichen Theilen hier ſo wohl jaͤhrlich zehn Prozent aller Ka¬ pitalien als die Nuznieſſung meines Immobiliar - Vermoͤgens, wie es auch heiſſe, ſo lange zuſpre¬ che, als beſagter Harniſch noch nicht die Erbſchaft nach der ſechſten Klauſel hat antretten koͤnnen ſolche fleh 'ich als ein Chriſt die Chriſten an, gleichſam als 7 Weiſe, dem jungen moͤglichen Univerſalerben ſcharf aufzupaſſen, und ihm nicht den kleinſten Fehltritt, womit er den Aufſchub oder Abzug der Erbſchaft verſchulden mag, unbemerkt nachzuſehen, ſondern vielmehr jeden gerichtlich zu beſcheinigen. Das kann den leichten Poeten vor¬ waͤrts bringen, und ihn ſchleiffen und abwezen. Wenn es wahr iſt, ihr ſieben Verwandten, daß Ihr nur meine Perſon geliebt, ſo zeigt es dadurch, daß Ihr das Ebenbild derſelben recht ſchuͤttelt (den Nuzen hat das Ebenbild), und ordentlich, obwohl chriſtlich, chikaniert und verirt, und ſein Regen - und Siebengeſtirn ſeid und ſeine boͤſe Sie¬ ben. Muß er recht buͤſſen, naͤmlich paſſen, de¬ ſto erſprieslicher fuͤr ihn und fuͤr Euch.

20

9te Klauſel.

Ritte der Teufel meinen Univerſalerben ſo, daß er die Ehe braͤche, ſo verlor 'er die Viertels - Erbſchaft ſie fiele den ſieben Anverwandten heim; ein Sechstel aber nur, wenn er ein Maͤdgen verfuͤhrte. Tagreiſen und Sizen im Kerker koͤnnen nicht zur Erwerbzeit der Erbſchaft geſchlagen werden, wohl aber Liegen auf dem Kranken - und Todtenbette.

10te Klauſel.

Stirbt der junge Harniſch innerhalb 20 Jah¬ ren, ſo verfaͤllet die Erbſchaft den hieſigen cor¬ poribus piis. Iſt er als chriſtlicher Kandidat examinirt und beſtanden: ſo zieht er, bis man ihn voziert, zehn p. c. mit den uͤbrigen Hrn. Er¬ ben, damit er nicht verhungere.

11te Klauſel.

Harniſch muß an Eidesſtatt geloben, nichts auf die kuͤnftige Erbſchaft zu borgen.

12te Klauſel.

Es iſt nur mein lezter Wunſch, obwohl nicht eben mein lezter Wille, daß wie ich den Van der Kabelſchen Namen, er ſo den Richterſchen bei21 Antritt der Erbſchaft annehme und fortfuͤhre; es kommt aber ſehr auf ſeine Eltern an.

13te Klauſel.

Ließe ſich ein habiler dazu geſattelter Schrift¬ ſteller von Gaben auftreiben und gewinnen, der in Bibliotheken wohl gelitten waͤre: ſo ſoll man dem venerabeln Mann den Antrag thun, die Ge¬ ſchichte und Erwerbzeit meines moͤglichen Univer¬ ſalerben und Adoptivſohnes ſo gut er kann, zu ſchreiben. Das wird nicht nur dieſem, ſondern auch dem Erblaſſer weil er auf allen Blaͤttern vorkommt Anſehen geben. Der trefliche, mir zur Zeit noch unbekannte, Hiſtoriker aber nehme von mir als ſchwaches Andenken fuͤr jedes Kapi¬ tel Eine Nummer aus meinem Kunſt - und Na¬ turalienkabinet an. Man ſoll den Mann reichlich mit Notizen verſorgen.

14te Klauſel.

Schlaͤgt aber Harniſch die ganze Erbſchaft aus, ſo iſts ſo viel als haͤtt 'er zugleich die Ehe gebrochen, und waͤre Todes verfahren; und die 9te und 10te Klauſel treten mit vollen Kraͤften ein.

22

15te Klauſel.

Zu Exekutoren des Teſtaments ernenn 'ich dieſelben hochedlen Perſonen, denen oblatio te¬ stamenti geſchehen, indes iſt der regierende Buͤr¬ germeiſter, Hr. Kuhnold, der Ober-Vollſtrecker. Nur er allein eroͤfnet ſtets denjenigen unter den geheimen Artikeln des Reguliertarifs vorher, wel¬ cher fuͤr das jedesmalige gerade von Harniſch ge¬ waͤhlte Erb-Amt uͤberſchrieben iſt. In die¬ ſem Tarif iſt es auf das Genaueſte beſtimmt, wie viel Harniſchen z. B. fuͤr das Notarius wer¬ den beizuſchieſſen iſt denn was hat er? und wie viel jedem Akzeſſit-Erben zu geben, der ge¬ rade ins Erbamt verwickelt iſt, z. B. Hrn. Pas¬ vogel fuͤr die Buchhaͤndler-Woche, oder fuͤr 7taͤ¬ gigen Hauszins. Man wird allgemein zufrie¬ den ſeyn.

16te Klauſel.

Folioſeite 276 ſeiner vierten Auflage fodert Volkmannus emendatus von Erblaſſern die providentia oder zeitige Fuͤrſehung, ſo daß ich alſo in dieſer Klauſel feſtzuſezen habe, daß je¬ der der ſieben Akzeſſit-Erben oder alle, die mein23 Teſtament gerichtlich anzufechten oder zu rumpie¬ ren ſuchen, waͤhrend des Prozeſſes keinen Heller Zinſen erhalten, als welche den andern oder ſtreiten ſie alle dem Univerſalerben zuflieſſen.

17te und lezte Klauſel.

Ein jeder Wille darf toll und halb und we¬ der gehauen noch geſtochen ſeyn, nur aber der lezte nicht, ſondern dieſer muß, um ſich zum zweiten-dritten-viertenmal zu ruͤnden, alſo konzentriſch, wie uͤberall bei den Juriſten, Clausula salutaris, zur donatio mortis caussa und zur reservatio ambulatoriæ voluntatis grei¬ fen. So will ich denn hiemit darzu gegriffen haben, mit kurzen und vorigen Worten. Weiter brauch 'ich mich der Welt nicht aufzuthun, vor der mich die nahe Stunde bald zuſperren wird. Son¬ ſtiger Fr. Richter, jetziger Van der Kabel.

So weit das Teſtament. Alle Formalien des Unterzeichnens und Unterſiegelns ꝛc. ꝛc. fan¬ den die 7 Erben richtig beobachtet.

24

Nro. 2. Kazenſilber aus Thuͤringen.

J. P. F. Rs Brief an den Stadtrath.

Der Verfaſſer dieſer Geſchichte wurde von der Teſtaments-Exekuzion, beſonders vom treflichen Kuhnold zum Verfaſſer gewaͤhlt. Auf einen ſol¬ chen ehrenvollen Antrag gab er folgende Antwort.

P. P.

Einem hochedlen Stadtrath oder einer trefli¬ chen Teſtaments-Exekuzion die Freude zu ma¬ len, daß Sie und die Klauſel: Ließe ſich ein habiler, dazu geſattelter Schriftſtel¬ ler ꝛc. mich aus 55,000 zeitigen Autoren zum Ge¬ ſchichtſchreiber eines Harniſch ausgeleſen; Ihnen mit bunten Farben das Vergnuͤgen zu ſchildern, daß ich mit ſolchen Arbeiten und Mitarbeitern beehrt worden: dazu hatt 'ich vorgeſtern, da ich mit Weib und Kind und allem von Meinungen nach Koburg zog und unzaͤhlige Dinge auf - und abzuladen hatte, ganz natuͤrlich keine Zeit. Ja, kaum war ich zum Stadt-Thore und zur Haus - Thuͤre hinein, ſo gieng ich wieder heraus auf die Berge, wo eine Menge ſchoͤner Gegenden neben25 und hintereinander wohnen: wie oft, ſagt' ich droben, wirſt du dich nicht kuͤnftig auf dieſen Thabors verklaͤren?

Hier ſend 'ich dem ꝛc. ꝛc. Stadtrathe die er¬ ſte Nummer, Bleiglanz uͤberſchrieben, ganz ausgearbeitet; ich bitte aber die treflichen Exekuto¬ ren zu bedenken, daß die kuͤnftigen Nummern rei¬ cher und feiner ausfallen, und ich mich darin mehr werde zeigen koͤnnen, als in der erſten, wo ich faſt nichts zu machen hatte als die Abſchrift der er¬ haltenen Teſtaments-Kopie. Das Kazenſil¬ ber aus Thuͤringen habe ganz erhalten; naͤchſtens laͤuft das Kapitel dafuͤr ein, das aus einer Kopie des gegenwaͤrtigen Briefes, fuͤr die Leſer, beſtehen ſoll. Ein weder zu barocker noch zu verbrauchter Titel fuͤr das Werk iſt auch ſchon fertig, Flegeljahre iſt er betitelt.

So hat denn die Maſchine ihren ordentlichen Muͤhlengang. Wenn die Van der Kabelſche Kunſt - und Naturalien-Sammlung ſieben Tauſend und zwei hundert und drei Stuͤcke und Nummern ſtark iſt, wie ich aus dem Inventarium erſehe: ſo werden wir wohl, da der Seelige fuͤr jedes Stuͤk26 ſein ganzes Kapitel haben will, die Kapitel etwas einlaufen laſſen muͤſſen, weil ſonſt ein Werk her¬ aus kaͤme, das ſich laͤnger ausſtrekte als alle meine opera omnia (inclusive dieſes) zuſam¬ mengenommen. In der gelehrten Welt ſind ja alle Kapitel erlaubt, Kapitel von Einem Alpha¬ beth bis zu Capiteln von Einer Zeile.

Was die Arbeit ſelber anlangt, ſo verpfaͤn¬ det ſich der Meiſter einem hochedlen Stadtrathe dafuͤr, daß er eine liefern will, die man kek je¬ dem Mitmeiſter, er ſei Stadt - oder Frei - und Gnadenmeiſter, zu beſchauen geben kann, beſon¬ ders da ich vielleicht mit dem ſeel. Van der Ka¬ bel, ſonſt Richter, ſelber verwandt bin. Das Werk um nur einiges vorauszuſagen ſoll alles befaſſen, was man in Bibliotheken viel zu zerſtreut antrift; denn es ſoll ein kleiner Supple¬ mentband zum Buche der Natur werden und ein Vorbericht und Bogen A. zum Buche der See¬ ligen

Dienſtboten, angehenden Knaben und er¬ wachſenen Toͤchtern wie auch Landmaͤnnern und27 Fuͤrſten werden darin die Collegia conduitica geleſen

Ein Stylisticum lieſet das Ganze

Fuͤr den Geſchmak der fernſten, ſelber der geſchmakloſeſten Voͤlker wird darin geſorgt; die Nachwelt ſoll darin ihre Rechnung nicht mehr fin¬ den, als Mit - und Vorwelt.

Ich beruͤhre darin die Vaccine, den Buch - und Wollenhandel die Monatsſchriftſteller Schellings magnetiſche Metapher oder Doppelſy¬ ſtem die neuen Territorialpfaͤhle die Schwaͤnzelpfenninge die Feldmaͤuſe ſamt den Fichtenraupen und Bonaparten, das beruͤhr 'ich, freilich fluͤchtig als Poet.

Ueber das Weimarſche Theater aͤußer 'ich meine Gedanken, auch uͤber das nicht kleinere der Welt und des Lebens

Wahrer Scherz und wahre Religion kommen hinein, obwohl dieſe jezt ſo ſelten iſt, als ein Fluch in Herrenhut oder ein Bart am Hof.

Boͤſe Karaktere, ſo mir der hochedle Rath hoffentlich zufertigt, werden tapfer gehandhabt,28 doch ohne Perſoͤnlichkeiten und Anzuͤglichkeiten; denn ſchwarze Herzen und ſchwarze Augen ſind ja naͤher in leztere gefaſſet nur braun; und ein Halbgott und ein Halbvieh koͤnnen ſehr gut dieſelbe zweite Haͤlfte haben, naͤmlich die menſch¬ liche und darf die Peitſche wohl je ſo dik ſeyn als die Haut?

Trokne Rezenſenten werden ergriffen, und (unter Einſchraͤnkung) durch Erinnerungen an ihre goldne Jugend und an ſo manchen Verluſt bis zu Thraͤnen geruͤhrt, wie man muͤrbe Reli¬ quien ausſtellt, damit es regne

Ueber das ſiebzehnte Jahrhundert wird frei geſprochen, und uͤber das achtzehnte human, uͤber das neueſte wird gedacht, aber ſehr frei

Das Schaf, das eine Chreſtomathie oder Jean Pauls Geiſt aus meinen Werken auszog mit den Zaͤhnen, bekommt aus jedem Bande ei¬ nen Band zu extrahieren in die Hand, ſo daß be¬ ſagtes gar keine Ausleſe, ſondern nur eine Abſchrift zu machen braucht, ſamt den einfaͤltigſten Noten und Praͤfazionen

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Gleich dem Noth - und Huͤlfs-Buͤchlein muß das Buch Arzneimittel, Rathſchlaͤge, Karaktere, Dialogen und Hiſtorien liefern, aber ſo viele, daß es jenem Noth-Buͤchlein koͤnnte beigebunden werden als Huͤlfs-Buch, als weitlaͤuftiger Aus¬ zug und Anhang, weil jedes Werk der Darſtel¬ lung ſo gut aus einem Spiegel in eine Bril¬ le muß umzuſchleifen ſeyn, als venezianiſche Spie¬ gelſcherben zu wirklichen Brillenglaͤſern genommen werden

In jeden Drukfehler ſoll ſich Verſtand ver¬ ſtecken und in die errata Wahrheiten

Taͤglich wird das Werkgen hoͤher klettern, aus Leſebibliotheken in Leihbibliotheken, aus dieſen in Rathbibliotheken, die ſchoͤnſten Ehren - und Parade-Betten und Wittwenſize der Mu¬ ſen

Aber ich kann leichter halten als verſprechen. Denn ein Opus wirds ...

O hochedler Stadt-Rath! Exekutoren des Teſtaments! ſollt 'es mir einſt vergoͤnnet werden, in meinem Alter alle Baͤnde der Flegeljahre ganz30 fertig abgedrukt, in hohen aus Tuͤbingen abge¬ ſchikten Ballen um mich ſtehen zu ſehen

Bis dahin aber erharr 'ich mit ſonderbarer Hochachtung Ew. Wohlgeb.

Koburg den 6. Juny 1803.

ꝛc. ꝛc. ꝛc. J. P. F. Richter Legaz.

Die im Briefe an die Exekutoren verſproche¬ ne Kopie deſſelben fuͤr den Leſer iſt wohl jetzt nicht mehr noͤthig, da er ihn eben geleſen. Auf aͤhn¬ liche Weiſe ſezen uneigennuͤzige Advokaten in ih¬ ren Koſtenzetteln nur das Macherlohn fuͤr die Zet¬ tel ſelber an, ſezen aber nachher, wie wohl ſie ins Unendliche fort koͤnnten, nichts weiter fuͤr das Anſezen des Anſezens an.

Ob aber der Verfaſſer der Flegeljahre nicht noch viel naͤhere hiſtoriſche Leithaͤmmel und Leit¬ hunde zu einer ſo wichtigen Geſchichte vorzutrei¬ ben und zu verwenden habe als blos einen trefli¬ chen Stadtrath; und wer beſonders ſein herrlich¬ ſter Hund und Hammel darunter ſei daruͤber wuͤrde man jezt die Leſer mit dem groͤßten Ver¬31 gnuͤgen beruhigen, wenn man ſich uͤberzeugen koͤnnte, es ſei ſachdienlich, es ſey prudentis.

Nro. 3. Terra miraculosa Saxoniæ.

Die Akzeſſit-Erben der ſchwediſche Pfarrer.

Nach Ableſung des Teſtaments verwunderten ſich die ſieben Erben unbeſchreiblich auf ſieben Wei¬ ſen im Geſicht. Viele ſagten gar nichts. Alle fragten, wer von ihnen den jungen Burſchen ken¬ ne, ausgenommen der Hoffiskal Knol, derſelbe gefragt wurde, weil er in Elterlein Gerichtshal¬ ter eines polniſchen Generals war. Es ſei nichts beſonderes am jungen Hæredipeta, verſezte Knol, ſein Vater aber wollte den Juriſten ſpielen und ſei ihm und der Welt ſchuldig. Vergeblich umrangen die Erben den einſylbigen Fiskal, eben ſo Raths - als neubegierig.

Er erbat ſich vom Gerichte eine Kopie des Teſtaments und Inventars, andere vornehme Er¬ ben wandten gleichfalls die Kopialien auf. Der Buͤrgermeiſter erklaͤrte den Erben, man werde den jungen Menſchen und ſeinen Vater auf den Sonn¬ abend vorbeſcheiden. Knol erwiederte: da er uͤber¬32 morgen, das heiſſet den 13ten hujus, naͤmlich Donnerſtags in Gerichts-Geſchaͤften nach ſeiner Gerichtshalterei Elterlein gehe: ſo ſei er im Stan¬ de, dem jungen Peter Gottwalt Harniſch die Zi¬ tazion zu inſinuiren. Es wurde bewilligt.

Izt ſuchte der Kirchenrath Glanz nur auf ei¬ ne kurze Leſe-Minute um das Blaͤtgen nach, worauf Harniſch den Wunſch einer ſchwediſchen Pfarrei ſollte ausgemalet haben. Er bekams. Drei Schritte hinter ihm ſtand der Buchhaͤndler Pasvogel, und las ſchnell die Seite zweimal herunter, eh 'ſie der Kirchenrath umkehrte; zu¬ lezt ſtellten ſich alle Erben hinter ihn, er ſah ſich um und ſagte, es ſei wohl beſſer, wenn ers gar vorleſe:

Das Gluͤck eines ſchwediſchen Pfarrers.

So will ich mir denn dieſe Wonne ohne al¬ len Ruͤkhalt recht gros hermalen, und mich ſel¬ ber unter dem Pfarrer meinen, damit mich die Schilderung, wenn ich ſie nach einem Jahre wie¬ der uͤberleſe, ganz beſonders auswaͤrme. Schon ein Pfarrer an ſich iſt ſeelig, geſchweige in Schwe¬33 den. Er genieſſet da Sommer und Winter rein, ohne lange verdruͤßliche Unterbrechungen, z. B. in ſeinen ſpaͤten Fruͤhling faͤllt ſtatt des Nachwin¬ ters ſogleich der ganze reife Vorſommer ein, wei߬ roth und Bluͤthenſchwer, ſo daß man in einer Sommernacht das halbe Italien, und in einer Winter-Nacht die halbe zweite Welt haben kann.

Ich will aber bei dem Winter anfangen, und das Chriſtfeſt nehmen.

Der Pfarrer, der aus Deutſchland, aus Has¬ lau in ein ſehr noͤrdlich-polariſches Doͤrflein vo¬ ziert worden, ſteht heiter um 7 Uhr auf, und brennt bis Uhr ſein duͤnnes Licht. Noch um 9 Uhr ſcheinen Sterne, der helle Mond noch laͤn¬ ger. Aber dieſes Hereinlangen des Sternen-Him¬ mels in den Vormittag giebt ihm liebe Empfin¬ dungen, weil er ein Deutſcher iſt, und uͤber ei¬ nen geſtirnten Vormittag erſtaunt. Ich ſehe den Pfarrer und andere Kirchengaͤnger mit Laternen in die Kirche gehen; die vielen Lichtergen machen die Gemeinde zu einer Familie und ſezen den Pfar¬ rer in ſeine Kinderjahre, in die Winterſtunden und Weihnachtsmetten zuruͤk, wo jeder ſein Licht¬Flegeljahre I. Bd. 334gen mit hatte. Auf der Kanzel ſagt er ſeinen lie¬ ben Zuhoͤrern lauter Sachen vor, deren Worte gerade ſo in der Bibel ſtehen; vor Gott bleibt doch keine Vernunft vernuͤnftig, aber wohl ein red¬ liches Gemuͤth. Darauf theilt er mit heimlicher Freude uͤber die Gelegenheit, jeder Perſon ſo nahe ins Geſicht zu ſehen, und ihr wie einem Kinde, Trank und Speiſe einzugeben, das heil. Nachtmahl aus, und genießet es jeden Sonntag ſelber mit, weil er ſich nach dem nahen Liebesmahl in den Haͤnden ja ſehnen mus. Ich glaube, es muͤßt 'ihm erlaubt ſeyn.

Hier ſah der Kirchenrath mit einem fragenden Ruͤge-Blik unter den Zuhoͤrern umher, und Flachs nikte mit dem Kopfe; er hatte aber wenig vernom¬ men, ſondern nur an ſein Haus gedacht.

Wenn er dann mit den Seinigen aus der Kirche tritt, geht gerade die helle Chriſt - und Morgenſonne auf, und leuchtet ihnen allen ins Geſicht entgegen. Die vielen ſchwediſchen Greiſe werden ordentlich jung vom Sonnenroth gefaͤrbt. Der Pfarrer koͤnnte dann, wenn er auf die tod¬ te Mutter-Erde und den Gottesaker hinſaͤhe,35 worin die Blumen wie die Menſchen begraben lie¬ gen, wohl dieſen Polymeter dichten:

Auf der todten Mutter ruhen die todten Kin¬ der in dunkler Stille. Endlich erſcheint die ewige Sonne, und die Mutter ſteht wieder bluͤhend auf, aber ſpaͤter alle ihre Kinder.

Zu Hauſe lezt ihn ein warmes Muſeum ſamt einem langen Sonnenſtreif an der Buͤcherwand.

Den Nachmittag verbringt er ſchoͤn, weil er vor einem ganzen Blumen-Geſtelle von Freuden kaum weis, wo er anhalten ſoll. Iſts am heil. Chriſtfeſt, ſo predigt er wieder, vom ſchoͤnen Morgenlande oder von der Ewigkeit; dabei wirds ganz daͤmmernd im Tempel; nur zwei Altar - Kerzen werfen wunderbare lange Schatten umher durch die Kirche; der oben herabhaͤngende Tauf¬ engel belebt ſich ordentlich und fliegt beinahe; draußen ſcheinen die Sterne oder der Mond her¬ ein der feurige Pfarrer oben im Finſtern auf ſeiner Kanzel bekuͤmmert ſich nun um nichts, ſon¬ dern donnert aus der Nacht herab, mit Thraͤnen und Stuͤrmen, von Welten und Himmeln und al¬ lem, was Bruſt und Herz gewaltig bewegt.

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Kommt er flammend herunter: ſo kann er um 4 Uhr vielleicht ſchon unter einem am Him¬ mel wallenden Nordſchein ſpazieren gehen, der fuͤr ihn gewiß eine aus dem ewigen Suͤdmorgen heruͤber ſchlagende Aurora iſt, oder ein Wald aus heiligen feurigen Moſis Buͤſchen um Gottes Thron.

Iſts ein anderer Nachmittag, ſo fahren Gaͤ¬ ſte mit erwachſenen Toͤchtern von Betragen an; wie die groſe Welt, diniert er mit ihnen bei Son¬ nenuntergang um 2 Uhr, und trinkt den Kaffee bei Mondſchein, das ganze Pfarrhaus iſt ein daͤmmernder Zauberpallaſt. Oder er geht auch hinuͤber zum Schulmeiſter in die Nachmittags¬ ſchule, und hat alle Kinder ſeiner Pfarrkinder gleichſam als Enkel bei Licht um ſein Grosvater - Knie, und ergoͤzet und belehret ſie.

Iſt aber das alles nicht: ſo kann er ja ſchon von drei Uhr an in der warmen Daͤmmerung durch den ſtarken Mondſchein in der Stube auf und ab watten und etwas Orangenzucker dazu beißen, um das ſchoͤne Welſchland mit ſeinen Gaͤrten auf die Zunge und vor alle Sinne zu bekommen. Kann37 er nicht bei dem Monde denken, daß dieſelbe Sil¬ berſcheibe jezt in Italien zwiſchen Lorbeer-Baͤu¬ men haͤnge? Kann er nicht erwaͤgen, daß die Aeolsharfe und die Lerche und die ganze Muſik und die Sterne und die Kinder in heiſſen und kalten Laͤndern dieſelben ſind? Wenn nun gar die reiten¬ de Poſt, die aus Italien kommt, durchs Dorf blaͤſet und ihm auf wenigen Toͤnen blumige Laͤn¬ der an das gefrorne Muſeums-Fenſter hebt; wenn er alte Roſen - und Lilienblaͤtter aus dem vori¬ gen Sommer in die Hand nimmt, wohl auch eine geſchenkte Schwanzfeder von einem Paradiesvo¬ gel; wenn dabei die praͤchtigen Klaͤnge: Salat¬ zeit, Kirſchenzeit, Trinitatisſonntage, Roſenbluͤ¬ the, Marientage das Herz anruͤhren: ſo wird er kaum mehr wiſſen, daß er in Schweden iſt, wenn Licht gebracht wird, und er verduzt die fremde Stube anſieht. Will ers noch weiter treiben, ſo kann er ſich daran ein Wachskerzen-Endgen an¬ zuͤnden, um den ganzen Abend in die große Welt hinein zu ſehen, aus der ers her hat. Denn ich ſollte glauben, daß am Stockholmer Hofe wie an¬ derwaͤrts, von den Hofbedienten Endgen von38 Wachskerzen, die auf Silber gebrannt hatten, fuͤr Geld zu haben waͤren.

Aber nun nach Verlaufe eines halben Jahres klopft auf einmal etwas ſchoͤners als Italien, wo die Sonne viel fruͤher als in Haslau untergeht, naͤmlich der herrlich beladne laͤngſte Tag an ſeine Bruſt an, und haͤlt die Morgenroͤthe voll Ler¬ chengeſang ſchon um 1 Uhr Nachts in der Hand. Ein wenig vor 2 Uhr, oder Sonnenaufgang trift die oben gedachte niedliche, bunte Reihe im Pfarr¬ hauſe ein, weil ſie mit dem Pfarrer eine kleine Luſt¬ reiſe vor hat. Sie ziehen nach 2 Uhr, wenn alle Blumen blizen und die Waͤlder ſchimmern. Die warme Sonne droht kein Gewitter und keinen Plaz¬ regen, weil beide ſelten ſind in Schweden. Der Pfarrer geht ſo gut in ſchwediſcher Tracht einher wie jeder er traͤgt ſein kurzes Wamms mit breiter Schaͤrpe, ſein kurzes Maͤntelgen daruͤber, ſeinen Rundhut mit wehenden Federn und Schuhe mit hellen Baͤndern; natuͤrlich ſieht er, wie die andern auch, wie ein ſpaniſcher Ritter, wie ein Provenzale oder ſonſt ein ſuͤdlicher Menſch aus, zumal da er und die muntere Geſellſchaft39 durch die in wenigen Wochen aus Beeten und Ae¬ ſten hervorgezogne hohe Bluͤten - und Blaͤtterfuͤl¬ le fliegen.

Daß ein ſolcher laͤngſter Tag noch kuͤrzer als ein kuͤrzeſter verfliege, iſt leicht zu denken, bei ſo viel Sonne, Aether, Bluͤthe und Muße. Schon nach 8 Uhr Abends bricht die Geſellſchaft auf die Sonne brennt ſanfter uͤber den halb geſchloſſenen ſchlaͤfrigen Blumen um 9 Uhr hat ſie ihre Strahlen abgenommen, und badet nakt im Blau gegen 10 Uhr, wo die Geſellſchaft im Pfarr¬ dorfe wieder ankommt, wird der Pfarrer ſeltſam bewegt und weich gemacht, weil im Dorfe, ob gleich die tiefe laue Sonne noch ein muͤdes Roth um die Haͤuſer und an die Scheiben legt, alles ſchon ſtill und in tiefem Schlafe liegt, ſo wie auch die Voͤgel in den gelb - daͤmmernden Gipfeln ſchlummern, bis zulezt die Sonne ſelber, wie ein Mond, einſam untergeht in der Stille der Welt. Dem romantiſch bekleideten Pfarrer iſt, als ſei jezt ein roſenfarbnes Reich aufgethan, worin Feen und Geiſter herum gehen, und ihn wuͤrd 'es wenig wundern, wenn in dieſer goldnen Gei¬ ſterſtunde auf einmal ſein in der Kindheit entlauf¬40 ner Bruder heran traͤte, wie vom bluͤhenden Zau¬ ber-Himmel gefallen.

Der Pfarrer laͤſſet aber ſeine Reiſegeſellſchaft nicht fort, er haͤlt ſie im Pfarrgarten feſt, wo jeder, wer will, ſagt 'er, in ſchoͤnen Lauben die kurze laue Stunde bis zu Sonnen-Aufgang ver¬ ſchlummern kann.

Es wird allgemein angenommen, und der Garten beſezt; manches ſchoͤne Paar thut viel¬ leicht nur als ſchlaf 'es, haͤlt ſich aber wirklich an der Hand. Der gluͤkliche Pfarrer geht ein¬ ſam in den Beeten auf und ab. Kuͤhle und we¬ nige Sterne kommen. Seine Nachtviolen und Levkoien thun ſich auf und duften ſtark, ſo hell es auch iſt. In Norden raucht vom ewigen Morgen des Pols eine goldhelle Daͤmmerung auf. Der Pfarrer denkt an ſein fernes Kindheitsdoͤrfgen und an das Leben und Sehnen der Menſchen, und wird ſtill und voll genug. Da greift die friſche Morgen-Sonne wieder in die Welt. Man¬ cher, der ſie mit der Abend-Sonne vermengen will, thut die Augen wieder zu; aber die Lerchen erklaͤren alles, und wecken die Lauben.

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Dann geht Luſt und Morgen gewaltig wie¬ der an; und es fehlt wenig, ſo ſchilder 'ich mir dieſen Tag ebenfalls, ob er gleich vom vorigen vielleicht um kein Bluͤthenblatt verſchie¬ den iſt.

Glanz, deſſen Geſicht die guͤnſtigſte Selbſt¬ rezenſion ſeiner geſchriebenen Werke war, ſah mit einigem Triumphe uͤber ein ſolches Werk, unter den Erben umher; nur der Polizeiinſpektor Har¬ precht verſezte mit einem ganzen Swift auf dem Geſicht: Dieſer Nebenbuhler kann uns mit ſei¬ nem Verſtande noch zu ſchaffen machen. Der Hoffiskal Knol und der Hofagent Neupeter und Flitte waren laͤngſt aus Ekel vor der Lektuͤre weg und ans Fenſter gegangen, um etwas vernuͤnfti¬ ges zu ſprechen.

Sie verließen die Gerichtsſtuben. Unterwe¬ ges aͤußerte der Kaufmann Neupeter:

Das verſteh 'ich noch nicht, wie ein ſo ge¬ ſezter Mann als unſer ſeel. Vetter noch am Ran¬ de des Grabes ſolche Schnurren treiben kann. Vielleicht aber ſagte Flachs, der Hausbeſi¬42 zer, um die andern zu troͤſten nimmt der jun¬ ge Menſch die Erbſchaft gar nicht an, wegen der ſchweren Bedingungen. Knol fuhr den Haus¬ beſizer an: geradeſo ſchwere, wie heute eine. Sehr dumm waͤr's von ihm und fuͤr uns. Denn nach Clausul. IX. Schlaͤgt aber Harniſch fie¬ len ja den corporibus piis drei Viertel zu. Wenn er ſie aber antritt und lauter Boͤcke ſchieſſet

Das gebe doch Gott ſagte Harprecht.

Schieſſet, fuhr jener fort, ſo haben wir doch die Klauſeln: Spashaft ſagt 'ich in der vorigen und Ritte der Teufel und den Hrn. Kirchenrath Glanz und alle, fuͤr uns und koͤnnen viel thun. Sie er¬ waͤhlten ihn ſaͤmtlich zum Schirmherrn ihrer Rech¬ te, und ruͤhmten ſein Gedaͤchtnis Ich er¬ innere mich noch, ſagte der Kirchenrath, daß er nach der Klauſel der Erb-Aemter vorher zu einem geiſtlichen Amte gelangen ſoll, wie wohl er jezt nur Juriſt iſt

Da wollt ihr naͤmlich, verſezte Knol ge¬ ſchwind, Ihr geiſtlichen Herren und Narren dem Examinanden ſchon ſo einheizen, ſo zwiken 43 wahrhaftig das glaub 'ich und der Polizei - Inſpektor fuͤgte bei, er hoffe das ſelber. Da aber der Kirchenrath, dem beide ſchon als alte Kan¬ zel-Stuͤrmer, als Baumſchaͤnder kanoniſcher Haine bekannt waren, noch vergnuͤgt einen Reſt von Eß-Luſt verſpuͤrte, der ihm zu theuer war, um ihn weg zu diſputiren: ſo ſuchte er ſich nicht recht ſonderlich zu aͤrgern, ſondern ſah nach.

Man trennte ſich. Der Hoffiskal begleitete den Hofagenten, deſſen Gerichtsagent er war, nach Hauſe, und eroͤfnete ihm, daß der junge Harniſch ſchon laͤngſt habe als riech 'er etwas vom Teſtamente, das dergleichen auch fordere Notarius werden und nachher in die Stadt ziehen wollen, und daß er am Donnerſtag nach Elter¬ lein gehe, um ihn dazu zu kreiren. (Knol war Pfalzgraf.) So moͤg' er doch machen, bat der Agent, daß der Menſch bei ihm logiere, da er eben ein ſchlechtes unbrauchbares Dachſtuͤbgen fuͤr ihn leer habe. Sehr leicht verſezte Knol.

Das erſte, was dieſer zu Hauſe und in der ganzen Sache machte, war ein Billet an den alten Schulz in Elterlein, worin er ihm bedeutete er44 werde uͤbermorgen Donnerſtags durch und retour paſſieren, und unterwegs, gegen Abend, ſeinen Sohn zum Notarius kreiren; auch hab 'er ein trefliches, aber wohlfeiles Quartier fuͤr ſolchen bei einem vornehmen Freunde beſtanden. Vor dem regierenden Buͤrgermeiſter hatt' er dem¬ nach eine Verabredung, die er jezt erſt traf, ſchon fuͤr eine getrofne ausgegeben, um wie es ſcheint, das Macherlohn fuͤr einen Notar, das ihm der Teſtator auszahlte, vorher auch von den Eltern zu erheben.

In allen Erzaͤhlungen und Aeußerungen blieb er aͤußerſt wahrhaft, ſo lange ſie nur nicht in die Praxis einſchlugen; denn alsdann trug er (da Raubthiere nur in der Nacht ziehen) ſein noͤthiges Stuͤkgen Nacht bei ſich, das er entweder aus blauem Dunſt verfertigte als Advokat, oder aus arſenikeliſchen Daͤmpfen als Fiskal.

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Nro. 4. Mammuthtsknochen aus Aſtrakan.

Das Zauberprisma.

Der alte beerdigte Kabel war ein Erdbeben unter dem Meere von Haslau, ſo unruhig liefen die Seelen wie Wellen untereinander, um etwas vom jungen Harniſch zu erfahren. Eine kleine Stadt iſt ein großes Haus, die Gaſſen ſind nur Treppen. Mancher junge Herr nahm ſogar ein Pferd, und ſtieg in Elterlein ab, um nur den Erben zu ſehen; er war aber immer auf die Ber¬ ge und Felder gelaufen. Der General Zablocki, der ein Rittergut im Dorfe hatte, beſchied ſeinen Verwalter in die Stadt, um zu fragen. Manche halfen ſich damit, daß ſie einen eben angekom¬ menen Floͤten-Virtuoſen, Van der Harniſch, fuͤr den gleichnamigen Erben nahmen, und davon ſprachen; beſonders thatens einhoͤrige Leute, die, dabei taub auf dem zweiten Ohre, alles nur mit halbem hoͤrten. Erſt Mittwochs Abends am Dienſttage war Teſtaments - Oefnung geweſen bekam die Stadt Licht, in der Vorſtadt bei dem Wirth zum weichen Krebs.

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Anſehnliche Glieder aus Collegien goßen da gewoͤhnlich in die Dinte ihres Schreib-Tages ei¬ niges Abendbier, um die ſchwarze Farbe des Le¬ bens zu verduͤnnen. Da bei dem weichen Krebs¬ wirthe der alte Schultheis Harniſch ſeit 20 Jah¬ ren einkehrte: ſo war er im Stande, wenigſtens vom Vater ihnen zu erzaͤhlen, daß er jede Woche Regierung und Kammer anlaufe mit leeren Fra¬ gen, und daß er jedesmal unter vielen Worten die alten Hiſtorien von ſeinem ſchweren Amte, ſeinen vielen juriſtiſchen Einſichten und Buͤchern, und ſeiner zweiherrigen Wirthſchaft und ſeinen Zwillingsſoͤhnen Abende lang vorſinge, ohne doch je in ſeinem Leben mehr dabei zu verzehren als Ei¬ nen Hering und ſeinen Krug Es fuͤhre zwar, fuhr der Wirth fort, der Schulz ſehr ſtarke hoch¬ trabende Worte, ſei aber ein Haſe, der ſeine Frau ſchikte bei handfeſten Vorfaͤllen, oder er reiche ei¬ ne lange Schreiberei ein; hab 'auch ein zu nobles Naturell, und koͤnne ſich uͤber eine krumme Mie¬ ne zu Tagen kraͤnken, und habe noch unverdauete Naſen, die er im Winter von der Regierung be¬ kommen, im Magen.

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Nur von der Hauptſache, beſchlos er, von den Soͤhnen, wiß 'er nichts, als daß der eine, der Spizbube, der Floͤtenpfeiffer Vult im 14½ Jahre mit einem ſolchen Herrn er zeigte auf Hrn. van der Harniſch durchgegangen; und vom andern, der der Erbe ſei, koͤnne gewis der Herr unten mit den ſchwarzen Knopfloͤchern die beſte Auskunft geben, denn es ſei der Hr. Kandi¬ dat und Schulmeiſter Schomaker aus Elterlein, ſein geweſener Praͤzeptor.

Der Kandidat Schomaker hatte eben in ei¬ nem Makulaturbogen einen Drukfehler mit Blei¬ ſtift korrigiert, eh 'er ihn dik um ein halbes Loth Arſenik wikelte. Er antwortete nicht, ſondern wikelte wieder weiſſes Papier uͤber das bedrukte, ſiegelte es ein und ſchrieb an alle Ecken: Gift darauf uͤberwickelte und uͤberſchrieb er wieder, und ließ nicht nach, bis ers ſiebenmal gethan, und ein dikes Oktav-Paquet vor ſich hatte.

Jzt ſtand er auf, ein breiter, ſtarker Mann, und ſagte ſehr furchtſam, indem er Kommata und andere Interpunktionen ſo deutlich im Sprechen abſezte als jeder im Schreiben: Ganz wahr,48 daß er mein Schuͤler, und hinlaͤnglich, erſtlich, daß er ſo aͤdel iſt, zweitens, daß er trefliche Ge¬ dichte, nach einem neuen Metrum, machet, ſo er den Strekvers nennet, ich einen Polymeter.

Bei dieſen Worten fieng der Floͤten-Virtuoſe van der Harniſch der bisher kalt die Runde um die Stube gemacht, ploͤzlich Feuer. Wie andere Virtuoſen hatt 'er aus großen Staͤdten die Ver¬ achtung kleiner mitgebracht, ein Dorf ſchaͤzen ſie wieder weil in kleinen das Rathhaus kein Odeum, die Privathaͤuſer keine Bilderkabinette, die Kirchen keine Antiken-Tempel ſind. Er bat verbindlich den Kandidaten um Ausfuͤhrlichkeit. Fodert meine Pflicht ſchon verſezte dieſer, daß ich morgen, bei der Heimkunft, dem Erben ſel¬ ber, die Eroͤfnung eines Vermaͤchtniſſes noch nicht eroͤffne, weil es erſt die Obrigkeit, am Sonnabend, thuet, wie vielmehr, daß ich die ganze Geſchichte eines lebenden Menſchen, nie ohne ſeine Erlaub¬ nis, kund thue, wie vielmehr Aber Gott, wer von uns wird die Leiche ſeyn! ſezt er dazu, da er die Stundengloke ins Gebetlaͤuten toͤnen hoͤr¬ te; und grif ſogleich zu einer darneben liegenden49 Schlacht in der Zeitung, um dreiſt zu werden, weil wohl nichts den Menſchen ſo ſehr zum kal¬ ten Waghalſe gegen ſein Todtenbette macht, als ein oder ein Paar Quadratmeilen, worauf un¬ zaͤhlige rothe Glieder und ein Tod nach dem an¬ dern liegt.

Ueber dieſen religioͤſen SkrupelLuxus zog der Floͤteniſt ein ſehr veraͤchtliches Geſicht und ſagte, indem er ein Prisma aus der Taſche holte und vier Lichter verlangte verdruͤßlich: ich koͤnnte es bald wiſſen, wer die Leiche ſeyn wird; aber ich will Ihnen, Hr. Kandidat, lieber alles erzaͤh¬ len aus dieſem Zauber-Prisma, was Sie mir nicht erzaͤhlen wollen. Er ſagte, das Prisma verſchließe die viererlei Waſſer, welche man aus den vier WeltEcken ſammle, man reib 'es am Herzen warm, fordere leiſe, was man in der Ver¬ gangenheit oder Zukunft zu ſehen wuͤnſche, und wenn man vorher etwas vorgenommen, was er ohne TodesGefahr nicht ſagen duͤrfte daher das Geheimnis immer nur von Sterbenden mitgethei¬ let werde, oder auch von Selbſtmoͤrdern als¬ dann entſtehe in den viererlei Waſſern ein Nebel,Flegeljahre I. Bd. 450dieſer ringe und arbeite, bis er ſich in helle Men¬ ſchengeſtalten zuſammengezogen, welche nun ihre Vergangenheit wiederholen oder in ihrer Zukunft oder auch Gegenwart ſpielen, wie man es eben gefordert.

Der Schulmeiſter Schomaker erhielt ſich noch ziemlich gleichguͤltig und feſt gegen das Prisma, weil er wuſte, ihm habe, wenn er bete, kein Teufel viel an. Van der Harniſch zog ſeine Tauf¬ decke aus der Taſche und ſie ſich uͤber den Kopf, und war darunter rege und leiſe; endlich hoͤrte man das Wort: Schomakers Stube. Izt warf er ſie zuruͤk, ſtarrete erſchrocken in das Prisma hinein und beſchrieb laut und eintoͤnig jede Klei¬ nigkeit, die in deſſen ſtillem ZoͤlibatsZimmer war, von einer Druckerpreſſe an bis auf die Voͤgel hin¬ ter dem Ofen, ja ſo gar bis auf die Maus, die eben darin umherlief.

Noch immer ſtiegen dem Kandidaten wenig oder keine Haare zu Berge; als aber der Seher ſagte:

irgend ein GeiſterSchatte in der leeren Stu¬ be hat Ihren Schlafrok an und ſpielt Sie51 nach und legt ſich in Ihr Bette ſo uͤberlief es ihn ſehr kalt. Das war etwas Gegenwart von Ihnen, ſagte der Virtuoſe; nun einige wenige Vergangenheit, und dann ſoviel Zukunft, als man braucht, um zu ſehen, ob Sie etwan die diesjaͤh¬ rige Leiche werden.

Umſonſt ſtellte ihm der Kandidat das Unmo¬ raliſche der Ruͤk - und VorSeherei entgegen; er verſezte, er halte ſich ganz an die Geiſter, die es ausbaden moͤchten, und fieng ſchon an, im Pris¬ ma zu ſehen, daß der Kandidat als junger Menſch eine Fruͤhpredigers-Stelle und eine Ehe ausſchlug, blos aus 11000 Gewiſſensſkrupeln.

Der Wirth ſagte dem gepeinigten Schulmann etwas ins Ohr, wovon das Wort Schlaͤgerei vor¬ klang. Schomaker, der noch mehr ſeine Zukunft als ſeine Vergangenheit zu hoͤren mied, ſchlug auf moraliſche Unkoſten der Geiſter den Ausweg vor, er wolle ſelber lieber die Geſchichte der jezt durch Vermaͤchtniſſe ſo intereßanten Harniſchiſchen Familie geben, H. v. d. Harniſch moͤge dabei ins Prisma ſehen und ihm einhelfen.

Das hatte der quaͤlende Virtuoſe gewollt. 52Beide arbeiteten nun mit einander eine kurze Vor - Geſchichte des Teſtamentes-Helden aus, welche man um ſo lieber im Vogtlaͤndiſchen Mar¬ mor mit maͤuſefahlen Adern denn ſo heißet die folgende Nummer finden wird, da ſich nach ſo vielen Drukbogen wohl jeder ſehnt, auf den Helden naͤher zu ſtoßen, waͤrs auch nur im Hintergrunde. Der Verfaſſer wird dabei die Pflicht beobachten, beide Eutrope zu verſchmel¬ zen zu einem Livius und dieſen noch dadurch aus¬ zuglaͤtten, daß er ihm Patavinitaͤten ausſtreicht und etwas GlanzStil an.

Nro. 5. Vogtlaͤndiſcher Marmor mit maͤu¬ ſefahlen Adern.

Vorgeſchichte.

Der Schultheis Harniſch der Vater des Univerſalerben hatte ſich in ſeiner Jugend ſchon zum Maurergeſellen aufgeſchwungen und waͤre bei ſeinen Anlagen zu Mathematik und Stubenſi¬ zen denn er las Sonntage lang drauſſen im Reiche weit gekommen, haͤtt 'er ſich nicht an53 einem frohen Marientage in einem Wirthshauſe in das Fliegenglas der Werber zu tief verflogen, in die Flaſche. Vergeblich wollt' er am andern Mor¬ gen aus dem engen Hals wieder heraus; ſie hat¬ ten ihn feſt und darin. Er war unſchluͤſſig, ſollt 'er hinaus ſchleichen, und ſich in der Kuͤche die Vorderzaͤhne ausſchlagen, um keine fuͤr die Pa¬ tronen zum Regimente zu bringen, oder ſollt' er lieber denn es konnt 'ihn doch die Artillerie als Stuͤckknecht faſſen vor den Fenſtern des Werb - und Wirthshauſes einen Dachsſchliefer niedermachen, um unehrlich zu werden und da¬ durch nach damaliger Sitte Kantonfrei. Er zog die Unehrlichkeit und das Gebis vor. Allein der erlegte Dachs machte ihn zwar aus den Werber - Haͤnden los, aber er biß ihn wie ein Zerberus aus ſeiner Gewerkſchaft aus.

Nu nu, ſagte Lukas in ſeinen LandBildern, lieber einen Schliz in dem Strumpf aufgeriſſen als einen in der Wade zugenaͤht. So ſehr floh er, wie ein Gelehrter, den Wehrſtand.

Damals ſtarb ſein Vater, auch Schultheis; er kam nach Hauſe und war der Erbe des Hau¬54 ſes wie der Kronerbe des Amts; obwohl ſeine Kronguͤter in KronSchulden beſtanden. In kur¬ zem vermehrte er dieſe Kronguͤter betraͤchtlich. Er warf ſich mit Leib und Seele auf das Jus ver¬ ſaß ſeine kanoniſchen Stunden an angeborgten Akten und gekauften Buͤchern, theilte auf alle Seiten umſonſt responsa aus, ganze Bogen und Tagelang jeden SchulzenAktus berichtete er ſchriftlich, und konzipierte und mundierte das Schreiben mit ſchoͤner gebrochener Fraktur und ſchiefer Kurrent, wobei ers noch fuͤr ſich ſelber ko¬ pierte ſchauete als Schulz uͤberall nach, lief uͤberall hin, und regierte den ganzen Tag. Durch alles dieſes bluͤhte wenigſtens das Dorf mehr als ſeine Aecker und Wieſen, und das Amt lebte von ihm, nicht er vom Amte. Er konnte gleich den beſten Staͤdtern, die ein gutes Haus machen, ſich nun wie die Sorbonne, als das aͤrmſte un¬ terſchreiben (pauperrima domus). Alle ver¬ ſtaͤndige Elterleiner traten darin einander bei, daß er ohne ſein handthierendes Weib eine ge¬ ſunde Vernunft in corpore das an Einem Morgen fuͤr Vieh und Menſchen kochte, graſete,55 maͤhte, laͤngſt mit dem Schulzenzepter in der ei¬ nen Hand und mit dem Bettelſtabe in der andern, haͤtte von ſeinem regierenden Haus und Hof zie¬ hen muͤßen, wovon er eigentlich nur der Paͤchter ſeiner Glaͤubiger war.

Nur eine Arzenei gabs fuͤr ihn, naͤmlich den Entſchlus das Haus und dadurch die Schultheiſ¬ ſerei wegzugeben. Aber er ließ ſich eben ſo gerne koͤpfen, als er dieſe Arzenei nur roch, oder ein¬ nahm, einen Gifttrunk ſeiner ganzen Zukunft.

Erſtlich war die Dorfſchulzenſchaft ſeit un¬ denklichen Zeiten bei ſeiner Familie geweſen, wie die Regentengeſchichte derſelben beweiſet, ſein Jus und Herz hieng daran, ja ſeine ewige Seligkeit, weil er wuſte, daß im ganzen Dorfe kein ſo gu¬ ter Juriſt fuͤr dieſen Poſten zu finden war als er, wiewol Sachverſtaͤndige erklaͤrten, es werde zu dieſem Poſten nicht mehr gefordert als zu einem roͤmiſchen Kaiſer nach der goldnen Bulle*)Aur. bull. II. r. homo justus, bonus et utilis. , naͤm¬ lich ein gerechter, guter und brauchbarer Mann. Sein Haus anlangend, ſo trat vollends fol¬ gender frappanter Jammer ein.

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Elterlein war zweiherrig; am rechten Bach¬ ufer lagen die Lehnmaͤnner des Fuͤrſten, am linken die Einſaßen des Edelmanns; wiewol ſie einander im gemeinen Leben nur ſchlecht die Rech¬ ten und die Linken hießen. Nun lief nach al¬ len Flurbuͤchern und Graͤnzrezeßen in alten Zei¬ ten die Demarkazionslinie, der Bach, dicht an des Schulzen Hauſe vorbei. Nachher veraͤnderte der Bach ſein Bette oder ein duͤrrer Sommer nahm ihn gen Himmel; kurz Harniſchens Wohnung wurde ſo weit hinuͤber gebaut, daß nicht nur Ein Dachſtuhl auf zwei Territorien ſtand, ſondern auch Eine Stubendecke, und wenn man ihn hin¬ ſezte, Ein Kruͤpelſtuhl.

Aber ſo wurde dieſes Haus des alten Schul¬ zen juriſtiſcher Vorhimmel, ſo wie zugleich ſeine kameraliſtiſche Vorhoͤlle. Mit unſaͤglichem Ver¬ gnuͤgen ſah er oft in ſeiner Wohnſtube die an der Wand ein fuͤrſtlicher Graͤnz - und Wap¬ penpfahl abmarkte ſich um, und warf publi¬ ziſtiſche Blicke bald auf Landesherrliche, bald auf Ritterſchaͤftliche Stubenbretter und Gerechtſame und bedachte, daß er Nachts ein Rechter waͤre 57 weil er fuͤrſtlich ſchlief und nur am Tage ein Linker, weil Tiſch und Ofen geadelt waren. Es war ſeinen Soͤhnen nichts ſeltenes, daß er Sonn¬ tags vor dem AbendEſſen, wenn er viel gedacht hatte, mehrmals heiter und haſtig den Kopf ſchuͤttelte und dabei murmelte: mein Haus iſt einem redlichen Iktus*)Juriſten. , ſag 'ich, ordentlich wie auf den Leib gemacht ein jeder anderer Mann wuͤrde die beſten importanteſten Gerechtſame und Territorine darinn verſchleudern, weil er gar nicht der Mann dazu waͤre denn er waͤre in der Sache gar nicht zu Hauſe und ich alter verſtaͤndiger Iktus ſoll heraus, ſolls losſchlagen, hoͤre Vronel? Erſt nach langer Zeit antwor¬ tete er ſich ſelber: nun und nimmermehr , oh¬ ne die Antwort Veronika's, ſeiner Frau, zu hoͤren.

Freilich wenn er ſich taͤglich gegen ſeine Glau¬ biger mehr in die Zitadelle ſeines Hauſes zuruͤkzog und ihnen dabei wie andere Kommendanten die Vorſtaͤdte, naͤmlich das Feld, d. h. die Felder raͤumte und ſo gut er konnte, mit dem Hauſe zu¬ gleich ſeinen Schulzenpoſten, den Spielraum ſei¬ ner Kenntniſſe, zu verſteigern aufſchob, ſtatt ſol¬58 chen zu ſteigern gleichſam ſein ſchlagendes Herz, den Saitenſteg ſeines lauten Lebens, wenn er das that: ſo hatt 'er noch vier von ihm ſelber gezeug¬ te Haͤnde im Auge, die ihm helfen und den Steg ſeiner hellſten Toͤne und Mistoͤne wieder ſtellen ſollten; naͤmlich ſeine Zwillingsſoͤhne.

Als Veronika mit dieſen niederkommen woll¬ te, hielt 'er, als ſei ſie eine ſizilianiſche oder eng¬ liſche Koͤnigin, hinlaͤngliche Geburtszeugen be¬ reit, die nachher ſich in Taufzeugen eintheilten. Das Kindbette hatt' er ins ritterſchaftliche Ter¬ ritorium geſchoben, weil es einen Sohn geben konnte, dem man durch dieſe Bett'ſtelle der Bett'¬ ſtelle den Landesherrlichen Haͤnden entzog, die ihm eine Soldatenbinde umlegen konnten, ſtatt der ſchon beſtimmten Themisbinde. In der That trat auch der Held dieſes Werkes, Peter Gott¬ walt ans Licht.

Aber die Kreiſende fuhr fort; der Vater hielt es fuͤr Pflicht und Vorſicht, das Bette dem Fuͤr¬ ſten zuzuſchieben, damit jeder ſein Recht bekom¬ me. Hoͤchſtens giebts ein Maͤdchen, ſagte er, oder was Gott will. Es war keines, ſon¬59 dern das leztere; daher der Knabe nach des Kan¬ didaten Schomakers Ueberſezung den Namen des Biſchofs von Karthago unter Geiſerich, naͤmlich Quod Deus vult, oder Vult im Alltagsweſen bekam.

Izt wurden in der Stube ſcharfe Markungen, Einhegungen und TheilungsTraktate gemacht, Wiegen und alles wurde geſchieden. Gottwalt ſchlief und wachte und trank als Linker, Vult als Rechter; ſpaͤterhin als beide ein wenig kriechen konnten, wurde Gottwalten, dem adelichen Saſ¬ ſen, das fuͤrſtliche Gebiet durch ein kleines Git¬ terwerk das man blos aus Huͤhner - und an¬ dern Staͤllen auszuheben brauchte leicht zuge¬ ſperrt; und eben ſo ſprang der wilde Vult hin¬ ter ſeinem Pfahlwerk, der dadurch faſt das Anſe¬ hen eines auf - und ablaufenden Leoparden im Kaͤ¬ fig gewann.

Erſt mit langer Muͤhe und Strenge ſchaffte Veronika die laͤcherliche Ab - und Erbſonderung ab; denn der alte Lukas hatte, wie jeder Gelehr¬ te, eine beſondere Hartnaͤckigkeit der Meinungen und bei aller Ehrliebe ſteifen Kaltſinn gegen das Laͤcherlich werden.

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Bald wurde deutlich, daß wiſſenſchaftliche Faͤcher kuͤnftig Gottwalt's Fach ſeyn wuͤrden; oh¬ ne alle elterliche Vorliebe war leicht zu bemerken, daß er weislockig, duͤnnarmig, zartſtaͤmmig und, wenn er einen ganzen Sommer Schafhirtlein ge¬ weſen, noch ſchnee - lilienweis in ſolchem Grade war, daß der Vater ſagte: einen Stiefel woll 'er mit einem EiweisHaͤutgen, ſtatt Pfund¬ leder ebenſo gut beſohlen als den Jungen zum Bauersmann einrichten. Dabei hatte der Kna¬ be ein ſo glaͤubiges, verſchaͤmtes, uͤberzartes, frommes, gelehriges, traͤumeriſches Weſen, und war zugleich bis zum Laͤcherlichen ſo eckig und elaſtiſch-aufſpringend, daß zum Verdruſſe des Vaters der ſich einen Juriſten nachziehen woll¬ te jedermann im Dorfe, ſelber der Pfarrer, ſagte, er muͤße, wie Zaͤſar, der erſte im Dorfe werden, naͤhmlich der Pfarrer. Denn wie? fragte man Gottwalt, der blauaͤugige Blon¬ din mit aſchgrauem Haar und feiner Schneehaut, wie? dieſer ſoll einmal ein Kriminaliſt werden und unter dem großen Triumphator Carpzov die¬ nen, welcher blos mit ſeinem Federmeſſer, wozu61 er das ThemisSchwert ausgeſchliffen, an zwan¬ zigtauſend Mann niedergehauen? So ſchikt ihn doch, fuhr man fort, nur VerſuchsWeiſe mit ei¬ nem Gerichtsſiegel zu einer blaſſen Wittwe, die mit gefalteten Haͤnden auf dem Seſſel ſizt und die ſchwach und leiſe ihre Effekten anzeigt, und laſ¬ ſet ihn den Auftrag, unbehindert alle ihre alten Thuͤren und Schraͤnke und des Mannes lezte An¬ denken gerichtlich zu verpetſchieren, vollziehen und ſeht zu, ob ers kann, vor Herzklopfen und Mit¬ leiden!

Aber der juͤngere Zwilling, Vult, ſagte man in froherem Tone, der ſchwarzhaarige, pocken¬ narbige, ſtaͤmmige Spizbube, der ſich mit dem hal¬ ben Dorfe rauft und immer umher ſtreift, und ein wahres tragbares theatre aux Italiens iſt, das jede Phyſiognomie und Stimme nachſpielt dieſer iſt ein anderer Menſch, dem gebt Akten un¬ ter den Arm, oder einen Schoͤppenſtuhl unter den Steis. Wenn Walt am Faſtnachtstage in der tanzenden Schulſtube den Kandidaten und deſſen Geige mit dem Baͤßlein unterſtuͤzte und mit nichts huͤpfte als mit ungemein freudigen Blicken und62 mit dem Bogen: ſo ſprang Vult zugleich allein tanzend und mit einer Groſchenfloͤte im Maule herum und fand noch Zeit und Glieder zu vielem Schabernack Sollen ſolche Talente nicht fuͤr das Jus benuzt werden, Herr Schulz, beſchlos man

Sie ſollen's, ſagt 'er. Alſo Gottwalt wur¬ de auf die Himmelsleiter geſezt als zukuͤnf¬ tiger Pfarrer und Konſiſtorialvogel; Vult aber muſte ſich die Grubenleiter in die delphi¬ ſche Rechtshoͤhle zimmern, damit er ein juriſti¬ ſcher Steiger wuͤrde, von welchem der Schult¬ heis alle Ausbeuten ſeiner Zukunft erwartete, und der ihn aus der giftigen Grube ziehen ſollte, zu¬ gleich mit Gold - und SilberGeaͤder umwunden, es ſei nun, daß der Sohn Prozeße fuͤr ihn fuͤhrte, oder ſchwere ihm erſparte, oder Gerichtshalter im Orte wurde, oder Regierungsrath, oder wie es etwa gienge, oder daß er ihm jeden Quatember viel ſchenkte.

Allein Vult hatte außerdem, daß er bei dem Schulmeiſter und Kandidaten Schomaker nichts lernen wollte, noch das Verdruͤßliche an ſich,63 daß er ewig blies auf einer Bazenfloͤte, und daß er ſich im 14. Jahr bei der Kirms unten vor die ſpielende FloͤtenUhr des Schloßes hinſtellte, um bei ihr als ſeiner erſten Lehrerin, wenn nicht Stun¬ den zu nehmen, doch Viertelſtunden. Hier ſollte Zeit ſeyn, das Axiom einzuſchichten, daß uͤberhaupt die Menſchen mehr in Viertelſtunden, als in Stunden gelernt. Kurz, an einem Tage, wo Lukas ihn in die Stadt und unter das Rekru¬ tenmaas gefuͤhret (Scheines und Ordnung hal¬ ber), lief er mit einem betrunkenen Muſikus, der nur noch ſein Inſtrument, aber nicht mehr ſich und die Zunge regieren konnte, in die weite breite Welt hinein. Er blieb dann weg.

Izt mußte Gottwalt Peter daran, ans Jus. Aber er wollte auf keine Weiſe. Da er ſtets las, was das Volk beten heiſet, wie Zizero re¬ ligio von relegere, oft leſen, ableitet ſo lief er dem Dorfe ſchon als Pfarrherrlein durch die Finger, ja ein Mezger aus Tyrol nannte ihn bald den Pfarbuben, bald den Pfarknecht*)Jener bedeutet in Tyrol den Pfarrer, dieſer den Diakonus. ,64 weil er in der That ein kleiner Kaplan und Kuͤſter, naͤmlich deſſen Koadjutorie war, inſofern er die ſchwarze Bibel gern auf die Kanzel truͤg, das Kommunikantentuͤchlein am Altare den Oblaten und dem Kelche unterhielt, allein den Nachmit¬ tagsgottesdienſt, wenn Schomaker ſich nach Hau¬ ſe geſchlichen, hinausorgelte und ein fleiſſiger Kir¬ chengaͤnger bei Wochentaufen war. Ja, ſah bends der Pfarrer nach dem Studieren mit Muͤ¬ ze und Pfeife aus dem Fenſter, ſo hofft 'er nicht zuruͤck zu bleiben, wenn er ſich mit einer leeren kalten Pfeife und weiſſen Muͤze an ſeines legte, welche leztere dem Knabengeſicht ein zu altvaͤteri¬ ſches Anſehen gab. Nahm er nicht einmal an ei¬ nem Winterabend ein Geſangbuch unter den Arm und ſtattete, wie der Pfarrer, bei einer ihm ganz gleichguͤltigen, arthritiſchen, ſteinalten Schnei¬ dersfrau einen ordentlichen Krankenbeſuch ab und fieng an, aus dem Liede: O Ewigkeit, du Freu¬ denwort, ihr vorzuleſen? Und muſt' er nicht ſchon bei dem zweiten Verſe den Aktus einſtellen, weil ihn Thraͤnen uͤbermannten, nicht uͤber die taube, trokne Frau, ſondern uͤber den Aktus?

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Schomaker nahm ſich ſeines Lieblings ſo ſehr an, daß er eines Abends vor dem Gerichts¬ mann ſo hoͤr 'ich mich lieber nennen als Schulz ſagte Lukas frei erklaͤrte, er glaubte, im geiſtlichen Stande komme man beſſer fort, beſonders zarte Naturelle.

Da nun der Kandidat ſelber nichts geworden war, als ſein eignes Minus und ſeine eigne Va¬ kanzſtelle, ſo beantwortete der Gerichtsmann die Rede blos mit einem hoͤflichen Gemurmel und fuͤhrte nur ſeine ſchimliche Geſchichte wieder auf, daß einmal ein juriſtiſcher Profeſſor ſeine Studen¬ ten ſo angeredet habe: meine Hochzuverehrende Herren Juſtizminiſter, geheime Kabinetsraͤthe, wirkliche Geheime Raͤthe, Praͤſidenten, Finanz - Staats - und andere Raͤthe und Syndikus, denn man weis ja noch nicht, was aus Ihnen allen wird! Er fuͤhrte noch an, im Preuſſi¬ ſchen werde die Stunde eines Advokaten auf 45 Kreuzer von den Geſezen ſelber taxirt und bat, man ſolle das nur einmal fuͤr ein Jahr ausſchla¬ gen ferner einem rechten Juriſten komme der Teufel ſelber nicht bei und er wolle eben ſo gutFlegeljahre I. Bd. 566ein Ferkel am eingeſeiften Schwanz feſt halten, als einen Advokaten am jus (welches wohl im edlern Stile heißen wuͤrde: Kenntnis des Rechts iſt die um einen Mann geſchriebene Muͤnz - Legende, und verwehrt das Beſchneiden des Stuͤks) und Heeringe wie ſein Peter Walt, waͤren eben die ganzen Hechte; je duͤnner der Meſ¬ ſerruͤcken, deſto ſchaͤrfer die Schneide; und er kenne Iktuße, die durch Nadeloͤhre zu faͤdeln wa¬ ren, die aber ungemein zuſtachen.

Wie immer, halfen ſeine Reden nichts: aber die verſtaͤndige Veronika, ſeine Frau, wollte ge¬ gen die Sitte der Weiber, die im haͤuslichen Kon¬ ſiſtorium immer als geiſtliche Raͤthe gegen die weltlichen ſtimmen, den Sohn aus dem geiſtli¬ chen Schafſtall in die juriſtiſche Fleiſchſcharre treiben; und das blos, weil ſie einmal bei einem Stadtpfarrer gekocht habe und das Weſen kenne, wie ſie ſagte.

Dieſe hielt, als ſie einſt allein mit dem Soh¬ ne war, der mehr an ihr als am Vater hieng, ihm blos ſo viel vor: mein Gottwalt, ich kann dich nicht zwingen, daß du dem Vater folgſt;67 aber hoͤre mich an: das erſtemal, wo du pre¬ digſt, ſo thue ich meinen Trauerrok an, und die weiſſen Tuͤcher um, und gehe in die Kirche, und buͤcke mich unter der ganzen Predigt wie bei einer Leichenpredigt mit dem Kopfe nieder und weine, und wenn mich die Weiber fragen, ſo zeig 'ich auf dich. Dieſes Bild pakte ſeine Phanta¬ ſie ſo gewaltſam an, daß er weinend Nein Nein ſchrie womit er Trauer-Verhuͤllen mein¬ te und Ja Ja zum Advozieren ſagte.

So werden uns die LebensBahnen, wie die Ideen, vom Zufall angewieſen; nur das Fort - und Abſezen der einen wie der andern, bleibt der Willkuͤr freigeſtellt.

Walt erlernte nun, wie Voͤlker, Sprachen faſt von ſelber. Er warf dadurch den Vater in ein FreudenMeer; denn Dorfleute finden, wie die Schulleute, faſt blos auf der Zunge den Un¬ terſchied des Lehr - und des Naͤhrſtandes. Der ErMaͤuerer bauete daher in einem trocknen Fruͤh¬ jahr ohne allen Widerſpruch des todten Dachs¬ hundes und des Gewerks ein eignes Studierſtuͤb¬ gen fuͤr ſeinen Iktus. Dieſer frequentierte das68 Lyzeum (illustre) Johanneum; darauf wurd 'er ins Gymnaſium (illustre) Alexan¬ drinum geſchikt; welches beides niemand war, als in kollegialiſcher Eintracht der Kandi¬ dat Schomaker allein, der Johann Alexan¬ der hies. Anfangs hatte Walt noch mit Vulten, eh' er davon gelaufen, die Kleintertia und dar¬ auf die Grostertia ſowohl beſucht, als repraͤſen¬ tiert; aber nachher mußt 'er ohne den Pfeifer die ganze Sekunda und Prima allein ausmachen, worinn er das Hebraͤiſche, das in beiden Klaſſen die Theologen trieben, wie gewoͤhnlich auch mit aufſchnappte. Im zwanzigſten Jahre war er vom Gymnaſium oder Gymnaſiarchen unmittelbar als Abiturient abgegangen auf die hohe Schule Leip¬ zig, in welche er aus Mangel einer hoͤhern ſo lange taͤglich gieng, als er es vor Hunger aus¬ halten konnte. Seit Oſtern ſizt er bei den El¬ tern, und wird morgen Abendes zum Notarius reiieret, um zu leben beſchlos der Kandidat Schomaker die artige Hiſtorie.

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Nro. 6. Kupfernickel.

Quod Deus Vultiana.

Nach dem Ende der Geſchichte trat der Floͤ¬ teniſt mit grimmigem Geſicht an den betruͤbten Schulmeiſter fragend: waͤret ihr nicht werth, daß ich ſogleich ins Prisma ſaͤhe und Euch dar¬ inn als lange Leiche antraͤfe? Wie, Ihr mora¬ liſcher Mikrolog, Ihr moraliſcher esprit de ba¬ gatelle, Ihr konntet Euch aus Furcht vor ſchaͤz¬ baren Weiſſagungen erfrechen, gegen Euer Gewiſ¬ ſen die Geheimniſſe zweier bedeutender Bruͤder und Eltern aus dem Laub heraus zu ziehen? Es ſoll Euch gereuen, wenn ich Euch entdecke, daß ich kein wahres Wort geſagt und daß ich die Geheim¬ niſſe nicht vom Prisma, ſondern von dem davon gelaufenen Floͤteniſten Vult ſelber erfahren, der ein ganz anderer Menſch iſt. Ich habe mit dem Manne im andern Elterlein, naͤmlich im Bergſtaͤdtlein bei Annaberg, vereint geblaſen. Da¬ mit ich aber nach dem bisherigen Weismachen, der Geſellſchaft glaubhaft werde, ſo will ichs ihr ſo beſchwoͤren: ewig verdammt will ich ſeyn, kenn 'ich ihn nicht und habe ich nicht alles von ihm. 70Es war kein Meineid; denn er war jener entlaufne Vult ſelber, aber ein ſtarker Schelm.

Der Kandidat nahm alles friedlich hin, weil ihn eine neue Lage, in welche er ſich immer ſo ſchnell geworfen fuͤhlte, daß er keine Sekunde Zeit zum Ausarbeiten eines moraliſchen Models und Lineals bekam, uͤber alles abſties. Es gab wenige Kaſuiſten und Paſtoraltheologen, die er nicht geleſen, ſogar den Talmud, blos um ſee¬ lig zu werden.

Er hielt mit jedem Steckbrief ſeine eigne Per¬ ſon zuſammen, um, im Falle ſie zufaͤllig der be¬ gehrten gleich ſaͤhe, ſo fort juriſtiſch und ſittlich geſattelt zu ſeyn, ſo wie er ſich haͤufig des Mords, der Nothzucht und anderer Fraiſchfaͤlle heimlich aus Spas anklagte, um ſich darein zu finden, falls ein Boͤſewicht oͤffentlich daſſelbe thaͤte im Ernſt.

Er verſezte daher nur, daß er dem Bruder Gottwalt keine frohere Nachricht bringen koͤnne, als die von Vults Leben, da er den Fluͤchtling unendlich liebe. So, lebt die Fliege noch? fiel der Wirth ein. Wir hielten ſie ſaͤmmtlich fuͤr krepirt. Wie ſah er denn aus, gnaͤdiger Herr? 71 Sehr wie ich, (verſezte Vult und ſah be¬ deutende trinkende Dikaſterianten an,) falls nicht das Geſchlecht einen Unterſchied macht; denn ich koͤnnte wohl eben ſo gut eine verkleidete Ritterin d'Eon ſeyn, als dieſe bekannte Frau, Messieurs, ob wir gleich davon abbrechen wollen. Vult ſelber iſt wohl der artigſte Mann und der ſchoͤn¬ ſte, ohne es aber zu wiſſen, dem ich je ins Ge¬ ſicht geſehen, nur zu ernſt und zu gelehrt, naͤm¬ lich fuͤr einen Muſikus. Sie alle ſollten ihn ſe¬ hen, das heiſſet hoͤren. Und doch ſo beſchei¬ den, wie ſchon geſagt. Der Muſikdirektor der Sphaͤrenmuſik werd 'ich doch nie, ſagt er einſt, ſich verbeugend die Floͤte weglegend, und meinte wahrſcheinlich Gott. Jeder konnte mit ihm ſo frei reden, wie mit einem ruſſiſchen Kaiſer, der in Kaiſerspracht in die Kuliſſe von der Buͤhne kommt und fuͤhlt, daß ihn Kozebue geſchaffen und er dieſen. Er war Herzensgut und voll Liebe, nur aber zu aufgebracht auf ſaͤmmtliche Menſchen. Ich weis, daß er Fliegen, die ihn plagten, Einen Fluͤgel auszupfte und ſie auf die Stube warf mit den Worten:72 kriecht, die Stube iſt fuͤr euch und mich weit ge¬ nug indes er gleichwohl mehreren aͤltlichen Her¬ ren ins Geſicht ſagte, ſie waͤren ſiebenfache Spizbu¬ ben, alte obwohl in Milch eingeweichte Heeringe, die ſich dadurch fuͤr friſche gaͤben; inzwiſchen, ſezt' er ſogleich dazu, er hoffe, ſie deuteten ihn nicht falſch, und bewies ihnen jede Artigkeit. Unſere erſte Bekanntſchaft machte ſich, als er von einer fuͤrſtlichen Verſteigerung herkam und einen erſtandenen Nachttopf aus Silber oͤffentlich ſo naͤrriſch vor ſich her - und heim trug, daß je¬ de Gaſſe ſtuzig wurde, wodurch er gieng. Ich wollte, er waͤre mit hier und beſuchte die Seini¬ gen. Ich habe eine ſo beſondere Liebhaberei fuͤr die Harniſche, als meine Namensvettern, daß ich ſogar im Leipziger ReichsAnzeiger mir ihren Stammbaum und Stammwald beſtimmt aus¬ bat ohne Effekt.

Jzt ſchied er kurz und hoͤflich und gieng auf ſein Zimmer, nachdem er bei allem milden Schei¬ ne eines Mannes von Welt den ganzen Tag al¬ les gethan, was er gewollt. Er roch ohne An¬ ſtand an Fenſterblumen voruͤbergehend; er73 ruͤkte auf dem Markte einem bettelnden Judenjun¬ gen ſeinen ſchlechten BettelStil vor und zeigte ihm oͤffentlich, wie er anzuhalten habe er ſez¬ te ſeinen franzoͤſiſchen Paß in keinen deutſchen um, blos deshalb, um unter dem Stadtthore die ſaͤmmtliche Thorſchreiberei dadurch in Zank und Buchſtabieren zu verflechten, indes er ſtill dabei wartete und ſagte, er ſteife ſich auf ſeinen Paß und am erſten Tage machte er den Scherz der Zauberſchlaͤgerei, von welcher oben der Wirth dem Kandidaten ins Ohr erzaͤhlt hatte. Er wuſte naͤmlich ganz allein in ſeinem Zimmer ein ſolches KunſtGeraͤuſch zu erregen, daß es die voruͤbergehen¬ de Schaarwache hoͤrte und ſchwur, eine Schlaͤge¬ rei zwiſchen fuͤnf Mann falle im zweiten Stocke vor; als ſie ſtraffertig hinauf eilte und die Thuͤ¬ re aufris, drehte ſich Quod deus Vult vor dem RaſierSpiegel mit eingeſeiftem Geſichte ganz ver¬ wundert halb um, und fragte, indem er das Meſſer hoch hielt, verdruͤslich, ob man etwas ſuche; ja Nachts repetierte er die akuſtiſche Schlaͤgerei, und fuhr die hineinguckende Obrig¬ keit aus dem Bette ſchlaftrunken mit den Worten74 an: wer Henker ſteht draußen und ſtoͤrt die Men¬ ſchen im erſten Schlafe?

Dies alles kam daher, daß er in jeder klei¬ nen Stadt zuerſt den Regimentsſtab wenig ſchaͤz¬ te, dann Obrigkeit und Hof, etwa Buͤrger aber mehr. Bei einer ſolchen in Luſtigkeit eingekleide¬ ten Verachtung konnt 'ers nicht von ſich erhal¬ ten, ſich den Kleinſtaͤdtern, die ihn in ſeinen glaͤn¬ zenden Tagen unter Grosſtaͤdtern nicht geſehen, in dieſen uͤberwoͤlkten als Bauersſohn aus Elter¬ lein zu zeigen; lieber adelte er ſich ſelber eigen¬ haͤndig.

Nach Haslau war er nur gekommen, um ein Konzert zu geben, dann nach Elterlein zu laufen, und Eltern und Geſchwiſter inkognito zu ſehen, aber durchaus ungeſehen. Unmoͤglich wars ihm, daß er nach einem Dezennium Abweſenheit, worinn er uͤber ſo viele europaͤiſche Staͤdte wie ei¬ ne elektriſche Korkſpinne, ohne zu ſpinnen und zu fangen, geſprungen war, wieder vor ſeinen duͤrf¬ tigen Eltern erſcheinen ſollte, aber naͤmlich, o Himmel, als was?

Als duͤrftiger Querpfeifer in langer Strumpf¬75 hoſe, gelbem Studentenkollet und gruͤnem Reiſe¬ hut, und mit nichts in der Taſche (wenige Spe¬ zies ausgenommen) als mit einem Spiel geſiegel¬ ter EntréeKarten fuͤr kuͤnftige Floͤtenkonzerte? Nein, ſagt 'er, eh' ich das thaͤte, lieber wollt 'ich taͤglich Eſſig aus Kupfer trinken, oder eine Fiſchotter an meiner Bruſt gros ſaͤugen, oder eine kantianiſche Meſſe leſen oder hoͤren, eine ſtermeſſe. Denn wenn er auch zulezt den phan¬ taſtiſchen Vater endlich zu uͤberwaͤltigen hoffen konnte durch einige MuſikStunden und durch Er¬ zaͤhlungen aus fremdern Laͤndern: ſo blieb doch die unbeſtechliche Mutter unveraͤndert uͤbrig mit ihren kalten hellen Augen, mit ihren eindringen¬ den Fragen, die ſeine Vergangenheit ſammt ſei¬ ner Zukunft unerbittlich zergliederten.

Aber jezt ſeit dem Abend und hundert an¬ dern Stunden hatte ſich alles in ihm veraͤndert aus dem fremden Zimmer brachte er die ru¬ hige Oberflaͤche und eine bewegte Tiefe in das ſei¬ nige hinauf. Walts Liebe gegen ihn hatt 'ihn ordentlich angegriffen deſſen poetiſche Morgen¬ ſonne wollt' er ganz nahe beſehen und drehen und76 an ihre Axe Erddiameter und an ihre Kraft Licht - und WaͤrmeMeſſer anlegen Kabels Teſtament gab dem Poeten noch mehr Gewicht Kurz Vult konnte kaum den kuͤnftigen Tag erwarten, um nach Elterlein zu laufen, heimlich Walts NotariatsExamen zu behorchen und alle zu be¬ ſchauen und am Ende ſich dem Bruder zu ent¬ decken, wenn ers verdiente. Mit welcher Unge¬ duld der gegenwaͤrtige Schreiber auf den offiziel¬ len, den Helden endlich aus ſeinen tiefen Spie¬ geln hervorziehenden, Bericht des folgenden Ka¬ pitels mag gepaſſet haben, ermeſſe die Welt aus ihrer

Nro. 7. Violenſtein.

KindheitsDoͤrfchen der große Mann.

Vult van der Harniſch reiſete aus der Has¬ lauer Vorſtadt nach Elterlein aus, als die halbe Sonne noch friſch und wagrecht uͤber die thauige FlurenWelt hinblizte. Die Sonne war aus den Zwillingen in den Krebs getreten; er fand Aehn¬ lichkeiten und dachte, er ſei unter den vieren der Zwilling, der am ſtaͤrkſten gluͤhe, desgleichen77 der zweite Krebs. In der That hatte ſchon in der Bergſtadt Elterlein bei Annaberg ſeine Sehn¬ ſucht nach dem gleichnahmigen Geburtsdorf an¬ gefangen und zugenommen auf allen Gaſſen; ſchon ein gleichnamiger Menſch, wie vielmehr ein gleichnamiger Ort draͤngt ſich warm ins Herz. Auf der lebendigen Haslauer Straße die ein verlaͤngerter Markt ſchien nahm er ſeine Floͤte heraus und warf allen Paſſagiers durch Floͤten¬ anſaͤze Konzertanſaͤze entgegen und nach, ſchnapp¬ te aber haͤufig in guten Koloraturen und in boͤ¬ ſen Diſſonanzen ab und ſuchte ſein Schnupftuch, oder ſah ſich ruhig um. Die Landſchaft ſtieg bald ruͤſtig auf und ab, bald zerlief ſie in ein breites ebenes Grasmeer, worinn Kornfluren und Raine die Wellen vorſtellten und Baumklumpen die Schiffe. Rechts in Oſten lief wie eine hohe Nebelkuͤſte, die ferne Bergkette von Peſtiz mit, links in Abend flos die Welt eben hinab, gleich¬ ſam den Abendroͤthen nach.

Da Vult erſt Nachts anzulangen brauchte, ſo hielt er ſich uͤberall auf. Seine Sanduhr der JuliusTagszeiten waren die gemaͤhten Wieſen,78 eine Linnaͤiſche Blumenuhr ans Gras; ſtehendes zeigte auf 4 Uhr Morgens liegendes auf 5 bis 7 zuſammen geharkte Ameishaufen daraus auf 10 Uhr Huͤgel aus Heu auf 3 Berge auf den Abend. Aber er ſah auf dieſes Ziffer¬ blatt der ArbeitsIdylle an dieſem Tage zum er¬ ſtenmal, ſo ſehr hatten bisher die langen Fusrei¬ ſen das uͤberſaͤttigte Auge blind gemacht.

Eben da der Huͤgel in dieſer Sanduhr am hoͤchſten anlief: ſo zogen ſich die Kirſch - und Apfelbaͤume wie die AbendSchatten lang dahin runde gruͤne Obſtfolgen wurden haͤufiger in einem Thale lief ſchon als dunkle Linie das Baͤchlein, das durch Elterlein huͤpft vor ihm gruͤnte auf einem Huͤgel von der Abendſonne gol¬ den durchſchlagen das runde duͤnne FichtenGe¬ hoͤlz, woraus die Bretter ſeiner Wiege geſchnitten waren, und worinn man oben gerade in das Dorf hinunter ſah.

Er lief ins Gehoͤlz und deſſen ſchwimmendes SonnenGold hinein, fuͤr ihn eine KinderAurora. Izt ſchlug die wohlbekannte kleinliche Dorfglocke aus, und der Stundenton fuhr ſo tief in die79 Zeit und in ſeine Seele hinunter, daß ihm war, als ſei er ein Knabe, und jezt ſei Feierabend; und noch ſchoͤner laͤuteten ihn die Viehglocken in ein Roſenfeſt.

Die einzelnen rothweißen Haͤuſer ſchwankten durch die beſonnten Baumſtaͤmme. Endlich ſah er draußen das traute Elterlein dem Huͤgel zu Fuͤßen liegen ihm gegen uͤber ſtanden die Glo¬ ken des weißen Schieferthurms, und die Fahne des Maienbaums und das hohe Schloß auf dem runden Wall voll Baͤume unten liefen die Poſtſtraßen und der Bach breit durchs ofne Dorf auf beiden Seiten ſtanden die Haͤuſer einzeln, jedes mit ſeiner Ehrenwache von Fruchtſtaͤmmen um das Doͤrfchen ſchlang ſich ein Luſtlager von HeuHuͤgeln wie von Zelten und von Wagen und Leuten herum, und uͤber ihn hinaus brannten fettgelbe Ruͤbſenflaͤchen fuͤr Bienen und Oel, hei¬ ter dem Auge entgegen.

Als er von dieſem Graͤnzhuͤgel des gelobten Kinderlandes, hinunterſtieg, hoͤrt er hinter den Stauden in einer Wieſe eine bekannte Stimme ſa¬ gen: Leute, Leute ſponſelt doch euer Vieh; hab '80ichs nicht ſchon ſo Millionenmal anbefohlen? Bube, ſage zu Hauſe, der Gerichtsmann hat ge¬ ſagt, morgen wird ungeſaͤumt mit zwei Mann gefrohnt, auf der Kloſterwieſe. Es war ein Vater; der mattaͤugige, ſchmaͤchtige, bleichfarbi¬ ge Mann (in deſſen Geſicht der warme HeuTag noch einige weiße Farbenkoͤrner mehr geſaͤet) ſchritt mit einer leuchtenden Senſe auf der Achſel aus den Rainen in die Straße herein. Vult mußte umblicken, um nicht erblickt zu werden, und ließ den Vater voraus. Dann fiel er ihm mit einigen klingenden Paradieſen der Floͤte, und zwar weil er wuſte, wie ihm Chorale ſchmekten mit dieſen in den Ruͤcken.

Lukas ſchritt noch traͤger fort, um laͤnger zuruͤkzuhoͤren und die ganze Welt war huͤbſch. Braune Dirnen mit ſchwarzen Augen und weiſ¬ ſen Zaͤhnen ſezten die Grasſicheln an die Augen¬ braunen, um den vorbeipfeifenden Studenten un¬ geblendet zu ſehen die Viehhirtinnen zogen mit ihren WandelGloͤkchen auf beiden Seiten mit Lukas ſchnaͤuzte ſich, weil ihn der Choral be¬ wegte, und ſah ein ungeſponſeltes WeidePferd81 nur ernſthaft an aus den Schornſteinen des Schloſſes und Pfarrhauſes und des vaͤterlichen hoben ſich vergoldete Rauchſaͤulen ins windſtille kuͤhle Blau

Und ſo kam Vult ins uͤberſchattete Elterlein hinab, wo er das naͤrriſche verhuͤllte traͤumende Ding, das bekannte Leben, den langen Traum, angehoben und wo er im Bette zu dieſem Traum, weil er erſt ein kurzer Knabe war, ſich noch nicht hatte zu kruͤmmen gebraucht.

Im Dorfe war das Alte das Alte. Das große Haus der Eltern ſtand jenſeits des Bachs unveraͤndert mit der weiſſen Jahrszahl 1784 auf dem DachSchiefer da. Er lehnte ſich mit dem Floͤtenliede: wer nur den lieben Gott laͤßt wal¬ ten an den glatten Maienbaum und blies ins Gebetlaͤuten hinein. Der Vater gieng, ſehr lang¬ ſam unter dem Scheine des Umſehens, uͤber den Bachſteg in ſein Haus und henkte die Senſe an den hoͤlzernen Pflok an der Treppe. Die ruͤſtige Mutter trat aus der Thuͤre in einem Manns - Wamſe, und ſchuͤttete, ohne aufs Floͤten zu hoͤ¬ ren, das abgeblattete Unkraut des Salats ausFlegeljahre I. Bd. 682einem Scheffel, und beide ſagten zu einander wie LandGatten pflegen nichts.

Vult gieng ins nachbarliche Wirthshaus. Von dem Wirthe erfuhr er, daß der Pfalzgraf Knol mit dem jungen Harniſch Felder beſchaue, weil die Notariusmacherei erſt Abends angehe. Treflich, dachte Vult, ſo wirds immer dunkler, und ich ſtelle mich ans BakofenFenſter und ſehe ihrem Kreiren drinnen zu. Der alte Lukas trat jezt ſchon gepudert in einer grosblumigen DamaſtWeſte an die Thuͤre heraus, und wezte in Hemdaͤrmeln an der Schwelle das Meſſer fuͤr das Souper des NotariusSchoͤpfers ab. Aber das Puͤrſchlein ſoll's auch nicht herausreiſſen, ſezte der Wirth hinzu, der ein Linker war; der Alte hat mir ſeine ſchoͤne Brantweinsgerechtigkeit verkauft, und der Sohn hat von der Blaſe ſtu¬ diert. Aber lieber das Haus ſollt 'er weggeben, und zwar an einen geſcheuten Schenkwirth; ſap¬ perment! Dem wuͤrden Biergaͤſte zufliegen, der Bierhahn waͤre Hahn im Korbe, aber ganz na¬ tuͤrlich. Denn die Stube hat zweierlei Graͤnzen, und man koͤnnte darinn zupruͤgeln und kontreban¬ dieren und bliebe doch ein gedekter Mann.

83

Vult nahm keinen ſo ſpaßhaften Antheil am Wirthe als er ſonſt gethan haͤtte; er erſtaunte ganz, daß er unter der Hand ordentlich in eine heftige Sehnſucht nach Eltern und Bruder, be¬ ſonders nach der Mutter hineingerathen war, was doch, ſagt 'er, auf der ganzen Reiſe gar nicht mein Fall geweſen. Es war ihm er¬ wuͤnſcht, daß ihn der Wirth beim Aermel ergrif, um ihm den Pfalzgrafen zu zeigen, der eben in des Schulzen Haus, aber ohne Gottwalt gieng; Vult eilte aus ſeinem, um druͤben alles zu ſehen.

Drauſſen fand er das Dorf ſo voll Daͤmme¬ rung, daß ihm war als ſtek 'er ſelber wieder in der helldunkeln Kinderzeit, und die aͤlteſten Ge¬ fuͤhle flatterten unter den Nachtſchmetterlingen. Hart am Stege watete er durch den alten lieben Bach, worinn er ſonſt breite Steine aufgezogen, um eine Grundel zu greifen. Er machte einen BogenUmweg durch ferne Bauernhoͤfe, um hin¬ ter den Gaͤrten dem Hauſe in den Ruͤken zu kom¬ men. Endlich kam er ans Bakofenfenſter und blikte in die breite zweiherrige Graͤnzſtube keine Seele war darinn, die einer ſchreienden Grille84 ausgenommen, Thuͤren und Fenſter ſtanden of¬ fen; aber alles war in den Stein der Ewigkeit gehauen; der rothe Tiſch, die rothen Wandbaͤnke, die runden Loͤffel in der hoͤlzernen WandLeiſte, um den Ofen das TrokenGeruͤſte, der tiefe Stuben¬ balken mit herunterhaͤngenden Kalendern und Hee¬ ringsKoͤpfen, alles war uͤber das Meer der lan¬ gen Zeit, gut eingepakt, ganz und wie neu her¬ uͤbergefuͤhrt, auch die alte Duͤrftigkeit.

Er wollte am Fenſter laͤnger empfinden, als er uͤber ſich Leute hoͤrte, und am Apfelbaum den Lichtſchimmer der obern Stube erblikte. Er lief auf den Baum, woran der Vater Treppe und Altan gebaut: und ſah nun gerade in die Stube hinein, und hatte das ganze Neſt.

Darinn ſah er ſeine Mutter Veronika, mit einer weißen Kuͤchenſchuͤrze ſtehend, eine ſtarke, etwas breite geſund nachbluͤhende Frau, das ſtille ſcharfe, aber hoͤfliche Weiberauge auf den Hof¬ fiſkal gelegt dieſer ruhig ſizend und an ſeinem breiten Kopfe das NabelGehenke eines Pfeifen¬ kopfes befeſtigend der Vater gepudert, und im heiligen AbendmahlsRok unruhig laufend,85 halb aus achtender Angſt vor dem großen einge¬ fleiſchten corpus juris neben ihm, das gegen Fuͤrſten und alle Welt gerade ſo kek war, als er ſelber ſcheu, halb aus ſorgender, das corpus nehm 'es uͤbel, daß Walt noch fehlte. Am Fen¬ ſter, das dem Baum und Vulten am naͤchſten war, ſaß Goldine, eine bildſchoͤne, aber buk¬ lige Juͤdin, auf ihr rothes Knaͤul niederſehend, woraus ſie einen ſchafwollenen Rothſtrumpf ſtrik¬ te; Veronika ernaͤhrte die blutarme, aber fein-ge¬ ſchikte Waiſe, weil Gottwalt ſie ungemein liebte und lobte, und ſie einen kleinen Edelſtein hieß, der Faſſung brauchte, um nicht verlohren zu gehen.

Der Knecht iſt nach dem Spizbuben aus¬ geſchikt, verſezte Lukas, als der Fiſkal unwillig erzaͤhlte, Walt habe nicht einmal ſeine eignen Felder, geſchweige des ſeel. Van der Kabels ſeine ihm zu zeigen gewußt, ſondern ihm einen Frohn¬ bauern Kabels dazu hergeholt, und ſei wie ein Grobian weggeblieben. Vom erfreulichen Teſta¬ mente, ſah Vult, hatte der Fiſkal noch kein Wort geſagt.

86

Auf einmal fuhr Gottwalt in einem Schanz¬ looper herein, verbeugte ſich ekig und eilig vor dem Fiſkal und ſtand ſtumm da, und helle Freu¬ denThraͤnen liefen aus den blauen Augen uͤber ſein gluͤhendes Geſicht.

Was iſt Dir? fragte die Mutter. O meine liebe Mutter, (ſagt 'er ſanft,) gar nichts. Ich kan mich gleich examiniren laſſen.

Und dazu heulſt du? fragte Lukas. Jezt ſtieg ſein Auge und ſein Ton: Vater, ich habe, ſagte er, heute einen großen Mann geſe¬ hen. So? verſezte Lukas kuͤhn Und haſt dich vom großen Kerl wamſen laſſen und zudeken? Gut!

Ach Gott, rief er; und wandte ſich an die aufmerkſame Goldine, um es ſo dem Examinator mit zu erzaͤhlen. Er hatte naͤmlich oben im Fich¬ tenwaͤldgen eine haltende Kutſche gefunden, und unweit davon am Waldhuͤgel einen bejahrten Mann mit kranken Augen, der die ſchoͤne Gegend im Sonnenuntergange anſah. Gottwalt erkannte leicht zwiſchen dem Manne und dem Kupferſtiche eines großen deutſchen Schriftſtellers deſſen87 deutſcher Name hier blos griechiſch uͤberſezt wer¬ de, in den des Plato die Aehnlichkeit. Ich that fuhr er feurig fort meinen Hut ab, ſah ihn ſtill immerfort an, bis ich vor Entzuͤckung und Liebe weinen muſte. Haͤtt 'er mich angefah¬ ren, ſo haͤtte ich doch mit ſeinem Bedienten uͤber ihn viel geſprochen und gefragt. Aber er war ganz ſanft, und redete mit der ſuͤßeſten Stimme mich an, ja er fragte nach mir und meinem Leben, ihr Eltern; ich wollt', ich haͤtt 'ein laͤn¬ geres gehabt, um es ihm aufzuthun. Aber ich macht' es ganz kurz, um ihn mehr zu vernehmen. Worte, wie ſuͤße Bienen, flogen dann von ſei¬ nen BlumenLippen, ſie ſtachen mein Herz mit Amors Pfeilen wund, ſie fuͤllten wieder die Wun¬ den mit Honig aus: O der Liebliche! Ich fuͤhlt 'es ordentlich, wie er Gott liebt und jedes Kind. Ach ich moͤcht' ihn wohl heimlich ſehen, wenn er betete, und auch, wenn er ſelber weinen muͤſte in einem großen Gluͤk. Ich fahre ſogleich fort, unterbrach ſich Walt, weil er vor Ruͤhrung nicht fortfahren konnte; bezwang ſie aber etwas leichter, als er umher ſah, und gar keine ſonderliche Frem¬ de fand.

88

Er ſagte fuhr er fort die beſten Sachen. Gott, ſagt 'er, giebt in der Natur wie die Ora¬ kel die Antwort, eh die Frage gethan iſt des¬ gleichen, Goldine: was uns Schwefelregen der Strafe und Hoͤlle daͤucht, offenbart ſich zu¬ lezt, als bloßer gelber Blumenſtaub eines zu¬ kuͤnftigen Flors. Und einen ſehr guten Ausſpruch hab' ich ganz vergeſſen, weil ich meine Augen zu ſehr auf ſeine richtete. Ja da war die Welt rings umher voll Zauberſpiegel geſtellt, und uͤberall ſtand eine Sonne, und auf der Erde gab es fuͤr mich keine Schmerzen, als die ſeiner lieben Augen. Liebe Goldine, ich machte auf der Stelle, ſo be¬ geiſtert war ich, den Polymeter: doppelte Sterne erſcheinen am Himmel als einer, aber o Einziger, du zergeheſt in einen ganzen Himmel voll Sterne. Dann nahm er meine Hand mit ſeiner ſehr weichen zarten, und ich muſte ihm unſer Dorf zeigen; da ſagt 'ich kuͤhn den Polymeter: ſehet wie ſich alles ſchoͤn verkehrt, die Sonne folgt der Sonneblume. Da ſagt' er, das thue nur Gott gegen die Men¬ ſchen, der ſich mehr ihnen zuwende als ſie ihm. Darauf ermunterte er mich zur Poeſie, ſcherzte89 aber artig uͤber ein gewiſſes Feuer, was ich mir auch morgen abgewoͤhne; Gefuͤhle, ſagt 'er, ſind Sterne, die blos bei hellem Himmel leiten, aber die Vernunft iſt eine Magnetnadel, die das Schif noch ferner fuͤhrt, wenn jene auch verborgen ſind und nicht mehr leuchten. So mag gewiß der lezte Saz geheißen haben; denn ich hoͤrte nur den erſten, weil es mich erſchrekte, daß er an den Wagen gieng und ſcheiden wollte.

Da ſah er mich ſehr freundlich an, gleich¬ ſam zum Troſte, daß mir war als klaͤngen aus den Abendroͤthen Floͤtentoͤne.

Ich blies in die Roͤthen hinein , ſagte Vult, war aber etwas bewegt.

Ja endlich glaubt mirs, Eltern, druͤkt 'er mich an ſeine Bruſt und an den lieblichen Mund, und der Wagen rollte mit dem Himmli¬ ſchen dahin.

Und fragte der alte Lukas, der bisher, zumal wegen Plato's vornehmen Amtsnamen, jede Minute gewaͤrtig geweſen, daß der Sohn ei¬ nen betraͤchtlichen Beutel vorzoͤge, den ihm der groſe Mann in die Hand gedruͤkt er iſt wegge¬90 fahren und hat dir keinen Pfennig geſchenkt? O wie denn das, Vater? fragte Walt. Ihr kennt ja ſein weiches Gemuͤth , ſagte die Mut¬ ter. Ich kenne dieſen Skribenten nicht, ſagte der Pfalzgraf; aber ich daͤchte, ſtatt ſolcher lee¬ rer Hiſtorien, die zu nichts fuͤhren, fiengen wir einmal das Examen an, das ich anſtellen muß, eh 'ich jemand zum Notarius kreiren will.

Hier ſteh ich , ſagte Walt, im Schanz¬ looper hin, und von Goldinen weg, fahrend, deren Hand er fuͤr ihre Theilnahme an ſeiner See¬ ligkeit oͤffentlich genommen hatte.

Nro. 8. Koboldbluͤthe.

Das NotariatsExamen.

Wie heißet Herr Notariand fieng Knol an Alles war naͤmlich ſo, erſtlich daß Knol als ein zuſammengewachſenes verknoͤchertes Revolu¬ zionstribunal das Vorhaͤngſchlos des PfeifenKo¬ pfes am eignen hatte und zu allem ſas ferner, daß Lukas ſeinen auf zwei Ellenbogen wie auf Ka¬ ryatiden geſtuͤzten Kopf auf den Tiſch ſezte, jeder Frage nachſinnend, eine Stellung, die ſeine matten91 grauen Augen und ſein blutloſes GelehrtenGeſicht, zumal unter dem Leichenpuder auf der gebraͤunten Haut ſehr ins nahe Licht ſezte, ſo wie ſeinen ewi¬ gen regneriſchen Feldzug gegen das Geſchik fer¬ ner, daß Veronika dicht neben dem Sohne, mit den Haͤnden auf dem Magen betend, ſtand und das ſtille WeiberAuge, das in die naͤrriſchen Ar¬ beitsLogen der Maͤnner dringen will, zwiſchen Examinator und Examinanden hin und wieder gleiten ließ und zulezt, daß Vult mit ſeinen leiſen Fluͤchen zwiſchen den unreifen Pelzaͤpfeln ſas und neben ihm da ja alle Leſer durch ein Fenſter in die Stube ſehen auf den benachbar¬ ten Aeſten ſaͤmtliche 10 deutſche Reichs - und Le¬ ſeKreiſe oder LeſeZirkel; ſo viele tauſend Leſer und Seelen von jedem Stande, was in dieſer Zuſam¬ menſtellung auf dem Baume laͤcherlich genug wird. Alles iſt in der groͤßten Erwartung uͤber den Ablauf des Examens, Knol in der al¬ lergroͤſten, weil er nicht wuſte, ob nicht viel¬ leicht manche moͤgliche Ignoranzen den Notarian¬ dus nach den geheimen Artikeln des Teſtaments auf mehrere Monate zuruͤkſchoͤben oder ſonſt be¬ ſchaͤdigten.

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Wie heißet Hr. Notariand, fieng er bekannt¬ lich an.

Peter Gottwalt, verſezte der ſonſt bloͤde Walt auffallend frei und laut. Der geliebte entflogne Goͤttermenſch hob noch ſeine Bruſt; nach einem ſolchen Anblicke werden, wie in der erſten Liebe, uns alle Menſchen zwar naͤher und lieber, aber kleiner. Er dachte mehr an Plato als an Knol und ſich, und traͤumte ſich blos in die Stunde, wo er recht lange daruͤber mit Gol¬ dinen ſprechen koͤnnte. Peter Gottwalt hatt 'er geantwortet:

Harniſch muß noch bei ſagte ſein Vater.

Deſſen ſelben Eltern und Wohnort? fragte Knol Walt hatte die beſten Antworten bei der Hand.

Iſt Hr. Harniſch ehelich geboren? fragte Knol Gottwalt konnte ſchamhaft nicht ant¬ worten. Das Taufzeugnis iſt geloͤſet, ſagte der Schulz. Es iſt nur um Ordnung willen, ſagte Knol, und fragte weiter:

Wie alt?

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So alt als mein Bruder Vult, (ſagte Walt), vier und zwanzig Jahre naͤmlich, ſagte der Vater.

Was Religion? Wo ſtudirt? u. ſ. w.

Gute Antworten fehlten nicht.

Wen hat H. H. von den Kontrakten gele¬ ſen? Wie viele Perſonen ſind zu einem Ge¬ richte erforderlich? Wie viel weſentliche Stuͤk¬ ke gehoͤren zu einem ordentlichen Prozeſſe? Der Notariand nannte ſehr noͤthige, ſchlug aber die UngehorſamsBeſchuldigung nicht an. Nein, Herr, 13 ſinds ſchon nach Beieri Volkmanno emendato , ſagte der Pfalzgraf heftig.

Hat man Kaiſer Maximilians Notariats - Ordnung von anno 1512 zu Coͤlln aufgerichtet nicht nur oft, ſondern auch recht geleſen? fragt er weiter.

Sauberer und eigenhaͤndiger konnte mans ihm nicht abſchreiben, als ich, H. Hofpfalzgraf! ſagte der Schulz.

Was ſind Lytae? fragte der Knol.

Lytae oder litones oder Leute, (antwor¬ tete freudig Walt, und Knol rauchte ruhig zu94 ſeiner Vermengung fort) waren bei den alten Sachſen Knechte, die noch ein Drittel Eigenthum beſaßen und daher Kontrakte ſchließen konnten.

Eine Zitazion dazu! ſagte der Pfalzgraf.

Moͤſer , verſezte Walt.

Sehr wohl antwortete der Fiſkal ſpaͤt und ruͤkte die Pfeife in die Ecke des formloſen Mundes, der nur einer aufgeſchlizten Wunde glich, die man ihm ins Siberien des Lebens mit gegeben ſehr wohl! Aber lytae ſind ſehr verſchieden von li¬ tonibus; lytæ ſind die jungen Juriſten, die zu Juſtinianus Zeiten im vierten Jahre ihres Kur¬ ſes den Reſt der Pandekten abſolvierten*)Heinecc. hist. jur. civ. stud. Ritter. L. I. § 393. ; und die Antwort war eine Ignoranz.

Gottwalt antwortete gutmuͤthig: wahrhaf¬ tig, das hab 'ich nicht gewuſt.

So wird man wohl auch nicht wiſſen, was auf den Struͤmpfen, die der Kaiſer bei der Kroͤ¬ nung in Frankfurt anhat, ſteht? Ein Zwik¬ kel, Gottwalt, ſouflirte hinter ihm Goldine. Natuͤrlich, fuhr Knol fort; H. Tychſen hat es uns folgender Geſtalt ins Deutſche uͤberſezt aus95 dem arabiſchen Texte: ein praͤchtiges koͤnigli¬ ches Strumpfband. Daruͤber, uͤber den Text und Ueberſezer der Struͤmpfe, fuhr das Maͤd¬ chen in ein freies Gelaͤchter aus; aber Vater und Sohn nikten ehrerbietig.

Unmittelbar nachdem Walt aus der durch¬ loͤcherten Fiſchwage des Examens bloͤde und ſtumm geſtiegen war, gieng der Pfalzgraf ans Kreiren. Er ſprach mit der Pfeife und auf dem Seſſel Wal¬ ten den NotariatsEid auswendig zum Erſtaunen aller vor; und Walt ſagte ihn mit geruͤhrter Stimme nach. Der Vater nahm die Muͤze ab; Goldine hielt ihre Strumpfwirkerei innen. Der erſte Eid macht den Menſchen ernſt; denn der Meineid iſt die Suͤnde gegen den h. Geiſt, weil er mit der hoͤchſten Beſonnenheit und Frechheit ganz dicht vor dem Throne des moraliſchen Geſe¬ zes begangen wird.

Jezt wurde der Notarius bis auf das lezte Glied, auf die Ferſen gar ausgeſchaffen. Dinte, Feder und Papier wurden ihm von Knolen uͤberreicht und dabei geſagt, man inveſtire ihn hiemit. Ein goldner Ring wurde ſeinem Finger96 angeſtekt und ſogleich wieder abgezogen. Endlich brachte der Comes palatinus ein rundes Kaͤp¬ chen (Baretlein hies ers) aus der Taſche und ſezte es dem Notarius mit dem Beifuͤgen auf den Kopf, eben ſo ohne Falten und rund ſollen ſeine Nota¬ rienHaͤnde ſeyn.

Goldine rief ihm zu, ſich umzudrehen; er drehte ihr und Vulten ein paar große blaue un¬ ſchuldige Augen zu, eine hochgewoͤlkte Stirne und ein einfaches beſeeltes durchſichtiges mehr von der innern als von der aͤußern Welt, ausgebilde¬ tes Geſicht mit einem feinen Munde, welches auf einem etwas ſchiefen Torſo ſtand, der wieder ſeiner Seits auf eingeklapten KnieWinkeln ruhte; aber Goldinen kam er laͤcherlich und dem Bruder wie ein ruͤhrendes Luſtſpiel vor, und im Schanz¬ looper wie ein Meiſterſaͤnger aus Nuͤrnberg. Noch wurd 'ſein NotariatsSignet und das in Haslau verfaßte Diplom dieſer Wuͤrde uͤbergeben; und ſo hatte Knol in ſeiner Glashuͤtte mit ſeiner Pfeife den Notarius fertig und rund geblaſen oder blos in einer andern Metapher, er brachte aus dem Bakofen einen ausgebaknen ofnen ge¬ ſchwornen Notaris auf der Schaufel heraus.

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Hierauf gieng dieſer zum Vater, und ſagte geruͤhrt mit HaͤndeDruͤcken: wahrhaftig, Vater, ihr ſollet ſehen, welche Wogen auch ..... Mehr konnt 'er nicht vor Ruͤhrung oder Beſcheidenheit ſagen. Konſideriere beſonders, Perer, daß du Gott und dem Kaiſer geſchworen, bei Teſtamenten abſonderlich derer Hoſpitaͤler und anderer noth¬ duͤrftiger Perſonen, desgleichen gemeine Wege befoͤrdern zu helfen. Du weiſt, wie ſchlecht die Wege ums Dorf ſind, und unter den noth¬ duͤrftigen Perſonen biſt du die allererſte. Nein ich will die lezte ſeyn, verſezte der Sohn. Die Mutter gab dem Vater einen ſilberhaltigen Papier - Wickel denn die Menſchen verſilbern, ſo zu ſagen, die Pille des rohen Geldes einander durch Papier, erſtlich aus feiner Schonung des fremden Eigennu¬ zes, und zweitens um es zu verſtecken, wenn es zu wenig ſeyn ſollte ; der Vater druͤkt' es hoͤflich in die Fiſkaliſche lang gedehnte haarige Hand mit den Worten: pro rata, H. HofFiſkalis! Es iſt das SchwanzGeld von unſerer Kuh und etwas dar¬ uͤber. Vom Kaufſchilling des Viehs ſoll der No¬ tarius auskommen in der Stadt. Morgen reitetFlegeljahre I. Bd. 798er das Pferd des Fleiſchers hinein, der ſie uns abge¬ kauft. Es iſt blutwenig, aber aller Anfang iſt ſchwer; beim Aufgehen der Jagd hinken die Hunde noch; ich habe manchen gelehrten Hungerleider ge¬ ſehen, der Anfangs von nichts lebte. Sei nur beſonders vigilant, Peter, denn ſobald der Menſch auf der Welt einmal etwas Braves gelernt

Ein Notarius fieng heiter Knol, unter dem GeldEinſtecken, an, und hielt die Pfeife lan¬ ge ans Licht, eh 'er fortfuhr iſt zwar nichts Sonderliches, im Reiche ſind viel, naͤmlich No¬ tarii, ſagt' der ReichsAbſchied von 1500 Art. XIV, wiewohl ich ſelber meines Orts nur Notarien ma¬ chen kann, und doch kein Inſtrument.

Wie mancher Pfalzgraf und mancher Vater ſagte leiſe Goldine keine Gedichte, aber doch einen Dichter.

Indes iſt in Haslau fuhr er fort ſo oft bald ein Teſtament, bald ein Interrogatorium, bald ein Vidimus, zuweilen, aber hoͤchſt ſelten eine donatio inter vivos zu machen; falls nun der junge Menſch advoziert

Das muß mein Peter, ſagte Lukas

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Falls ers aber fuhr er fort recht macht, anfangs ſchlechte, zweideutige Prozeſſe mit Freuden annimmt, weil große Advokaten ſie von der Hand weiſen, leztere haͤufig konſultiert, ſich windet und buͤkt und dreht

So kann er ein rechtes Waſſer auf desjenigen Muͤhle werden, der ſein Vater iſt, ja eine ganze Muͤhlwelle; er kann ihm ja nach Gelegenheit von Zeit zu Zeit ein betraͤchtliches Stuͤk Geld zufertigen ſagte der Vater

O meine Eltern, wenn ich das einmal koͤnn¬ te! ſagte leiſe Walt entzuͤkt.

O Gott, ſteh 'mir bei, ſagte Lukas zornig, wer denn ſonſt? Etwan dein Spizbube, dein Land¬ laͤufer und Queerpfeifer, der Vult?

Dieſer ſchwur auf ſeinem Baume, vor einem ſolchen Vater ſich ewig zu verkappen.

Falls nun fuhr Knol lauter und unwillig uͤber das Stoͤren fort der junge Anfaͤnger kein eingebildeter Narr oder Neuling iſt, ſondern ein Menſch, der blos im juriſtiſchen Fache lebt und webt, wie hier ſein vernuͤnftiger Vater, der viel¬ leicht mehr vom Jus verſteht .....

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Nun konnte Lukas ſich nicht mehr halten: H. HofFiſkalis! Peter hat ſeines Vaters Sinn nicht; mich haͤtte man jura laſſen ſollen. Gott! ich hatte Gaben und mein Pferdgedaͤchtniß und Sizfleiſch. Es iſt nur ein ſchlechter Gerichtsmann, der nicht zugleich ein Ziviliſt ein Kameraliſt ein Kriminaliſt ein Feudaliſt ein Kanoliſt ein Publiſt iſt, ſo weit er kann. Laͤngſt haͤtt 'ich dieſes mein Amt niedergelegt denn was zieh' ich weiter davon, als jaͤhrlich 3 Scheffel Beſoldung und die FasKanne und viel Verſaͤumnis und Ver¬ druͤßlichkeit waͤr 'im ganzen Dorf ein Menſch zu haben, ders wieder naͤhme und ſcharmant ver¬ ſaͤhe. Wo ſind denn die vielen Schulzen hier zu Lande, die vier Schulzenordnungen im Hauſe ha¬ ben wie ich, naͤmlich die alte gothaiſche, die chur¬ ſaͤchſiſche, die wuͤrtembergiſche und die Haarhaa¬ riſche? Und ſez' ich nicht jede Buͤcherlotterie und verſtehe die geſcheuteſten Sachen, unter an¬ dern: Julii Bernhards von Rohr vollſtaͤndi¬ ges HaushaltungsRecht, in welchem die nuͤz¬ lichſten Rechtslehren, welche ſowohl bei den Landguͤtern uͤberhaupt, derſelben Kauffung,101 Verkauffung und Verpachtung als inſonderheit bei dem Ackerbau, ꝛc. ꝛc. und an¬ dern oͤkonomiſchen Materien vorkommen, der geſunden Vernunft, denen roͤmiſch - und teut¬ ſchen Geſezen nach ordentlich abgehandelt wer¬ den, allen denenjenigen, ſo Landguͤter beſizen, oder dieſelben zu administriren haben, hoͤchſt nuͤzlich und ohnentbehrlich. Die andere Auf¬ lage. Leipzig, 1738 verlegts J. Ch. Martini, Buchhaͤndler in der Grimmiſchen Straße.

Es macht aber zwei Baͤnde, ſehen Sie! Ich habe ſie ſelber, ſagte Knol. Nun wohl! (ſchlos der Vater daraus weiter fort). Muß ein Gerichtsmann nicht wie ein Hufſchmidt, die Ta¬ ſchen ſchon im Schurzfell bei der Hand haben, nicht erſt in den Hoſen? O du lieber Gott, H. Fiſkalis, wo zu pfaͤnden iſt zu taxieren zu einquartieren muͤndlich und ſchriftlich Unzaͤhliges anzuzeigen wo Kraͤnze und Brunnen zu machen, Zigaͤuner aus dem Lande zu jagen, auf Straßen und Feuer¬ ſchau zu ſchauen wo in Doͤrfern Peſten, Exzeſ¬ ſe, Spizbuͤbereien ſind: da iſt ja ein Gerichts¬ mann der erſte dabei, und zeigt die Sachen an, ſo¬102 wohl bei loͤblicher Landeshauptmannſchaft, als, wenn der Fall, bei der Ritterſchaft. Was Wetter! da kann er nicht wie eine Kanzeluhr, die Woche nur einmal gehen, Tag fuͤr Tag laͤuft er zum groͤſten Schaden ſeiner Wirthſchaft in alle Loͤcher in alle Felder und Waͤlder in alle Haͤuſer und nachher in die Stadt und rapportierts muͤndlich, worauf ers ſchriftlich aus der Taſche zieht. Es ſollen mir Pferdner und Anſpaͤnner oder Hinterſaͤttler hertre¬ ten und ſagen: Lukas, laſſe die Flauſen! Du biſt auch da und da fahrlaͤßig geweſen! O ſolche große Verlaͤumder! ſehen Sie dann nicht, daß ich mich daruͤber Klaftertief in Schulden ſteke, und waͤre kuͤnftig der Notarius und Tabellio nicht ....

Hoͤr 'einmal auf, Gerichtsmann, ſagte Veronika, und wandte ſich an den Fiſkal, deſ¬ ſen Schuldner ihr Mann war H. Fiſkal, er ſagt das nur ſo, um etwas zu ſagen. Begehren Sie nichts? Und ich habe nachher eine große Frage zu thun.

Lukas ſchwieg ſehr willig und ſchon gewohnt, daß in ſeiner EheSonatine die linke Hand, die Frau, weit uͤber die rechte herauf grif in die hoͤch¬ ſten Toͤne zum harmoniſchen Vortheil.

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Er ſchnapſe gern vor dem Eſſen (verſezte Knol zu Walts Erſtaunen uͤber ein ſolches Poſtil¬ lonsZeitwort von einem Stadt - und Hofmann.)

Die Mutter gieng, und brachte in der einen Hand das ExtrapoſtBlut und Elementarfeuer, aber in der andern ein dickes Manuſkript. Walt nahm es ihr blutroth weg. Goldinens Augen ſchimmerten entzuͤkt. Du muſt aus dem Lieder¬ buch leſen, ſagte die Mutter, der gelehrte Herr ſollen ſagen, ob es taugt. H. Kandidat Scho¬ naker will es ſehr loben.

Und ich lob 'es wirklich, ſagte Goldine. Da trit der Kandidat ſelber herein, warf ſich blos vor dem Fiſkale krumm, und ſalutirte mit blizen¬ denAugen. Er ſah aus allen, daß Freuden - Poſ[t]des Teſtaments noch nicht in der Stube erſchollen war. Sehr ſpaͤt, ſagte Lukas, der exzelente Aktus iſt ganz vorbei. Ausfuͤhrlich betheuerte der Kandidat, er ſei erſt gegen Veſper¬ zeit ais der Stadt gekommen; ich ſteh 'auch ſagte er, und ſah gern den Schulzen an, vergnuͤgt, daß er nicht einen ſo vornehmen und bedenklichen Herrn, wie Knol, beſchauen muſte ſchon ſeit104 einer geraumen Viertheil Stunde unten im Hofe, habe mich aber vor fuͤnf Gaͤnſen, welche vor der Thuͤre Fluͤgel und Schnabel gegen mich aufge¬ machet, nicht hereingetraut. Nein, ſechs warens, ſagte die ſatiriſche Juͤdin. Oder auch ſechs, verſezte er; genung, eine iſt genung, we ich geleſen, um einen Menſchen durch einen wuͤ¬ thigen Biß ganz toll und waſſerſcheu zu machen.'

Ah ça! wandt 'er ſich zu Walten (mehr franzoͤſiſch konnt' er nicht), Ihre Polymeter! Was ſinds? fragte Knol trinkend. Herr Grai, (ſagte Schomaker, und lies die Pfalz weg) in der That eine neue Erfindung des jungen Kand¬ daten, meines Schuͤlers, er machet Gedichte nach einem freien Metrum, ſo nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben ver¬ laͤngert, ſeiten-bogenlang; was er den St〈…〉〈…〉 ek¬ vers nennt, ich einen Polymeter.

Vult fluchte aus Ungeduld zwiſchen den Ae¬ pfeln. Walt ſtellte ſich endlich mit dem Nanu¬ ſkripte und mit dem Profil ſeiner Bogenſtim und ſeiner graden Naſe vor das Licht blaͤtterte uͤber alle Beſchreibung lange und bloͤde nach dem Fron¬105 tiſpiz ſeines Muſentempels der Kandidat that mit der einen Hand in der Weſte, mit der andern in der Hoſe drei StrekSchritte nach Vults Fenſter, um hinaus zu ſpuken. Stotternd, aber mit ſchreiender ungebildeter Stimme fieng der Dich¬ ter an:

Nro. 9. Schwefelblumen.

Strekverſe.

Ich weis nicht, ich finde jezt kein rechtes Gedicht, ich muß auf gerathewohl ausheben: Der Wiederſchein des Veſuvs im Meer.

Seht, wie fliegen drunten die Flammen un¬ ter die Sterne, rothe Stroͤme waͤlzen ſich ſchwer um den Berg der Tiefe, und freſſen die ſchoͤnen Gaͤrten. Aber unverſehrt gleiten wir uͤber die kuͤhlen Flammen, und unſere Bilder laͤcheln aus brennender Woge. Das ſagte der Schiffer er¬ freut, und blikte beſorgt nach dem donnernden Berg 'auf. Aber ich ſagte: ſiehe, ſo traͤgt die Muſe leicht im ewigen Spiegel den ſchweren Jammer der Welt, und die Ungluͤklichen blicken hinein, aber auch ſie erfreuet der Schmerz.

106

Was weint denn der wunderliche Menſch, da er ja alles ſelber ſich ausgeſonnen? rief Lukas. Weil er ſelig iſt, ſagte Goldine, ohne es zu treffen; es war blos das Weinen der Bewegung, die weder eine entzuͤkte, noch betruͤbte, ſondern nur eine Bewegung zu ſeyn braucht. Er las jezt:

Der Kinderſarg in den Armen.

Wie ſchoͤn, nicht nur das Kind wird leicht in den Armen gewiegt, auch die Wiege. Die Kinder.

Ihr Kleinen ſteht nahe bei Gott, die kleinſte Erde iſt ja der Sonne am naͤchſten.

Der Tod unter dem Erdbeben. *)Bekanntlich iſt vor dem Erdbeben meiſt die Luft ſtill, nur das Meer woget.

Der Juͤngling ſtand neben der ſchlummern¬ den Geliebten im Myrtenhaine, um ſie ſchlief der Himmel und die Erde war leiſe die Voͤgel ſchwiegen der Zephyr ſchlummerte in den Ro¬ ſen ihres Haars und ruͤkte kein Loͤkgen. Aber das Meer ſtieg lebendig auf, und die Wellen zogen107 in Heerden heran. Aphrodite, betete der Juͤng¬ ling, du biſt nahe, dein Meer bewegt ſich ge¬ waltig, und die Erde iſt furchtſam, erhoͤre mich herrliche Goͤttin, verbinde den Liebenden ewig mit ſeiner Geliebten. Da umflocht ihm mit unſicht¬ barem Neze den Fuß der heilige Boden, die Myrten bogen ſich zu ihm, und die Erde donnerte, und ihre Thore ſprangen ihm auf. Und drunten im Elyſium erwachte die Geliebte, und der ſeelige Juͤngling ſtand bei ihr, denn die Goͤttin hatte ſein Gebet gehoͤrt.

Vult fluchte gewaltig im Laube vor lauter Jubel, ſeine ſonſt leicht zufallende Seele ſtand weit den Muſen offen: liebes Gottwaͤltlein! Du allein ſollſt mich kennen lernen; ja bei Gott, das geht an, das muß er mit ausfuͤhren Him¬ mel! wie wird der bloͤde goͤttliche Narr erſtaunen, wenn ichs ihm vorlege, ſagte er, und hatte einen neugebornen Plan im Sinne.

Ich ſollte meynen, (ſagte Schomaker), daß er die Auktoren der Anthologie nicht ohne Nuz unter mir ſtudieret.

108

Da Knol nicht antwortete, ſagte der Vater: lies weiter. Mit ſchwaͤcherer Stimme las Walt.

Bei einem brennenden Theater¬ vorhang.

Neue erfreuliche Spiele zeigteſt du ſonſt, ſtiegſt du langſam hinauf. Jzt verſchlingt dich ſchnell die hungrige Flamme, und verworren, unſeelig und dampfend erſcheint die Buͤhne der Freude. Leiſe ſteige und falle der Vorhang der Liebe, aber nie ſink 'er als feurige Aſche auf immer darnieder. Die naͤchſte Sonne.

Hinter den Sonnen ruhen Sonnen im lezten Blau, ihr fremder Strahl fliegt ſeit Jahrtauſen¬ den auf dem Wege zur kleinen Erde, aber er kommt nicht an. O du ſanfter, naher Gott, kaum thut ja der Menſchengeiſt ſein kleines, jun¬ ges Aug auf, ſo ſtrahlſt du ſchon hinein, o Sonne der Sonnen und Geiſter!

Der Tod eines Bettlers.

Einſt ſchlief ein alter Bettler neben einem ar¬ men Mann und ſtoͤhnte ſehr im Schlaf. Da rief der Arme laut, um den Greis aus einem boͤſen Traum aufzuwecken, damit den matten Buſen109 nicht die Nacht noch druͤcke. Der Bettler wurde nicht wach, aber ein Schimmer flog uͤber das Stroh; da ſah der Arme ihn an, und er war jezt geſtorben; denn Gott hatt 'ihn aus einem laͤngern Traum aufgewekt.

Die alten Menſchen.

Wohl ſind ſie lange Schatten, und ihre Abend¬ ſonne liegt kalt auf der Erde; aber ſie zeigen alle nach Morgen.

Der Schluͤſſel zum Sarge.

O ſchoͤnſtes, liebſtes Kind, feſt hinunter geſperrt ins tiefe dunkle Haus, ewig halt 'ich den Schluͤſſel deiner Huͤtte, und niemals, niemals thut er ſie auf! Da zog vor der jammern¬ den Mutter die Tochter bluͤhend und glaͤnzend die Sterne hinan, und rief herunter: Mutter, wirf den Schluͤſſel weg, ich bin droben und nicht drunten.

Nro. 10. Stinkholz.

Das Kapaunengefecht der Proſaiſten.

O Himmel, waͤrs nur Morgen, Bruͤder¬ lein! Es iſt verdammt, man ſollte nie paſſen110 muͤſſen, ſagte Vult. Ich habe genug, ſagte Knol, der bisher die eine Tabakswolke gerade ſo gros und ſo langſam geſchaffen hatte, wie die andere. Ich meines Parts, ſagte Lukas, kann mir nichts rechts daraus nehmen, und den Verſen fehlt auch der rechte Schwanz, aber gieb her. Fromme und traurige Sachen ſtehen wohl darinn, ſagte die Mutter. Gottwalt hatte Kopf und Ohren noch in der goldnen Morgen¬ wolke der Dichtkunſt, und außen vor der Wolke ſtehe, kam es ihm vor, der ferne Plato als Son¬ nenball und durchgluͤhe ſie. Der Kandidat Scho¬ maker ſah ſcharf auf den Pfalzgrafen und paſſete auf Entſcheidungen. Aus religioͤſer Freiheit glaub¬ te er, uͤberall zu ſuͤndigen, wo er eilen ſollte und wagen. Daher hatt 'er nicht den chirurgiſchen Muth, ſeine Schulkinder ordentlich zu pruͤgeln er aͤngſtigte ſich vor moͤglichen Frakturen, Wundfiebern und dergleichen ſondern er ſuchte ſie von weitem zu zuͤchtigen, indem er in einer Nebenkammer dem Zuͤchtling entſezliche Zerrge¬ ſichter vorſchnitt.

Meine Meinung, fieng Knol mit boͤ¬111 ſem Niederzug ſeiner ſchwarzwaldigen Augenbrau¬ nen an iſt ganz kurz dieſe: Dergleichen iſt wahrlich rechter Zeitverderb. Ich verachte einen Vers nicht, wenn er lateiniſch iſt, oder doch ge¬ reimt. Ich machte ſelber ſonſt als junger Gelb¬ ſchnabel dergleichen Poſſen und ſchmeichl 'ich mir nicht , etwas andere als dieſe. Ja als comes palatinus kreier' ich ja eigenhaͤndig Poe¬ ten, und kann ſie alſo am wenigſten ganz verwer¬ fen. Kapitaliſten oder Rittergutsbeſizer, die nichts zu thun und genug zu leben haben, koͤnnen in der That Gedichte machen und leſen, ſo viele ſie wol¬ len; aber nur kein geſezter Menſch, der ſein gutes ſolides Fach hat und einen vernuͤnftigen Juriſten vorſtellen will der ſoll es verachten, beſonders Verſe ohne allen Reim und Metrum, dergleichen ich 1000 in einer Stunde hecke, wenn's ſeyn mus

Vult genos ſtill den Gedanken, daß er in Haslau ſchon Zeit und Ort finden werde, dem Pfalzgrafen durch Oel ins Feuer und durch Waſ¬ ſer ins brennende Oel zur Belohnung irgend ein Bad zu bereiten und zu geſegnen. Und doch112 konnt 'ers vor Zorn kaum aushalten, wenn er bedachte, daß der Kandidat und der Pfalzgraf ſo lange da ſtanden, ohne des erfreuenden Teſta¬ ments zu gedenken. Haͤtt' er ſehen und ſchreiben koͤnnen, er haͤtte einen Stein mit einem Rapport - Wickel als ſanfte Taubenpoſt durchs Fenſter flie¬ gen laſſen.

Hoͤrſt du? ſagte Lukas. Sie ſind auch eben nicht ſchoͤn geſchrieben, wie ich ſehe und machte blaͤtternd einen Verſuch, das Manuſkript ins Licht hinein zu halten. Aber der bisher halbgeſenkt in die Flamme blickende Dichter entris es ihm ploͤz¬ lich mit greifender Fauſt. In den Nebenſtun¬ den aber denn doch ſo etwa? fragte Schomaker, fuͤr welchen der einzige Titel HofFiskal einen RuprechtsZwilling und Doppelhaken in ſich fa¬ ſte; denn ſchon, wo einem Worte Hof oder Leib zum Vorſprung anhieng und wars an einem Hofpauker oder Leibvorreiter : da ſah er in eine gehelmte Vorrede (præfatio galeata) und hatte ſeine Schauer; wie vielmehr bei dem Worte Fis¬ kal, das jeden auf Pfaͤhle oder in Thuͤren zu ſtecken drohte.

113

In meinen Nebenſtunden, verſezte Knol, las ich alle moͤgliche auftreibliche Aktenſtuͤcke und wurde vielleicht das, was ich bin. Ueberſpannte Floskeln hingegen greifen zulezt in dem Geſchaͤfts¬ ſtil Plaz und vergiften ihn ganz; ein Gericht wei¬ ſet dergleichen dann zuruͤck als inept. Natuͤr¬ lich denn und verzeihlich daher, (fieng Schoma¬ ker als Selbſtkrumſchließer an) daß ich aus Un¬ kunde der Rechtskunde, dieſe mit der Poeſie ver¬ einbaren wollen; aber ganz wahrſcheinlich deshalb, daß H. Harniſch, ſeinem alleinigen Fache heißer ſich weihend, nun ganz vom poetiſchen abſteht: nicht gewis, gewis H. Notar?

Da fuhr und ſchnaubte der bisher ſanfte Menſch den Abfall des ſonſt lobenden Lehrers fuͤr eine Hofmaͤnnerei anſehend, die gleich einem Balbiermeſſer ſich vor - und ruͤkwaͤrts beugt, obgleich Schomaker blos nicht faͤhig war, ſo auf der Stelle, in der Schnelle, einem ThronDiener gegenuͤber, und bei der Liebe fuͤr den Schuͤler im Herzen ſogleich das Jus auszufinden, ſondern immer zu leicht fuͤrchtete, unter der Hand gegen ſeinen Fuͤrſten zu rebellieren, indes er ſonſt bei demFlegeljahre I. Bd. 8114Bewuſtſeyn des Rechts jeder Noth und Gewalt entgegengezogen waͤre da ſchnaubte der ſanfte Walt wie ein getroffener Loͤwe empor, ſprang vor den Kandidaten, und ergrif deſſen Achſeln mit beiden Haͤnden und ſchrie aus lang gemarter¬ ter Bruſt ſo heftig auf, daß der Kandidat wie vor nahem Todtſchlag aufhuͤpfte: Kandidat! bei Gott, ich werde ein guter Juriſt von fleißiger Praxis, meiner armen Eltern wegen. Aber Kan¬ didat, ein Donnerkeil ſpalte mein Herz, der Ewige werfe mich dem gluͤhendſten Teufel zu, wenn ich je den Strekvers laſſe und die himmliſche Dicht¬ kunſt.

Hier ſah er wild ausfordernd umher und ſag¬ te wichtig: ich dichte fort alle ſchwiegen erſtaunt in Schomaker hielt noch halbes Leben Knol allein zeigte ein grimmiges eiſernes Laͤcheln auch Vult wurde auf ſeinem Aſte wild, ſchrie: recht, recht und grif blindlings nach un¬ reifen Pelzaͤpfeln, um eine Handvoll gegen die proſaiſche Seſſion zu ſchleudern. Darauf gieng der Notar als Sieger hinaus, und Goldine gieng ihm mit dem Murmeln nach: es geſchieht Euch recht, Ihr Proſaner!

115

Wider Vults Erwarten ſtellte der Notarius ſich unter ſeinen Apfelbaum, und hob nach der Sternenſeite des Lebens, nach dem Himmel, das beſeelte Antliz, auf welchem alle ſeine Gedichte und Traͤume zu zaͤhlen waren. Beinahe waͤre der Floͤtenſpieler auf die verlezte Bruſt als ein weicher Pfuͤhl herabgefallen; er haͤtte gern den naſſen guten Sangvogel, dem es wie der Lerche gegangen, die auf das todte Meer, als waͤre es bluͤhendes Land, herunterſtuͤrzt und darinn erſaͤuft, hoch unter die troknende Sonne gehalten; aber Goldinens Ankunft verbot die ſchoͤne Erken¬ nung, ſie nahm Walts Hand, aber er ſchaute noch immer mit tauben Augen nach der Hoͤhe, wo nur helle Sterne, keine truͤbe Erde ſtanden: H. Gottwalt, ſagte ſie, denken Sie nicht mehr uͤber die proſaiſchen Pinſel. Sie haben ſie abge¬ trumpft. Dem Juriſten ſtreu ich heute noch Pfeffer in den Tabak und dem Kandidaten Tabak in den Pfeffer. Nein liebe Goldine, fieng er mit ſchmerzlich ſanfter Stimme an, nein, ich war es heute nicht werth, daß mich der große, Plato kuͤſſe. War es denn moͤglich? Gott!116 es ſollte ein froher lezter Abend werden. Theuere Eltern geben ſchwer erdarbtes Geld zum Notariate her der arme Kandidat giebt mir von Kindes¬ beinen an Lehrſtunden faſt in allem Gott ſegnet mich mit dem Himmel an Platos Herzen und ich Satan fahre ſo hoͤllisch auf! O Gott, o Gott! Aber mein alter Glaube, Goldine, wie trift er immer ein: nach jeder rechter inniger Seeligkeit des Herzens folgt ein ſchweres Ungluͤk.

Das dacht 'ich gleich, ſagte Goldine zornig, man ſchlage Sie ans Kreuz, ſo werden Sie eine feſt¬ genagelte Hand vom Queerbalken losarbeiten, um damit einem Kriegsknecht ſeine zu druͤcken. Haben denn Sie oder die Strohkoͤpfe droben den heutigen Weinmonat, ich moͤchte ſagen zum Wein¬ eſſigmonat, verſaͤuert? Ich kenne, verſezte er, keine andere Ungerechtigkeiten gewis und genau, als die ich an andern veruͤbe; die ſo andere an mir begehen, koͤnnen mir wegen der Ungewi߬ heit der Geſinnungen nie ganz klar und entſchie¬ den ſeyn. Ach es giebt ja mehr Irthuͤmer des Haſſes als der Liebe. Wenn nun einmal eine Natur, welche die Antitheſe und Diſſonanz der117 meinigen iſt, exiſtiren ſollte, wie von allem die Antitheſen: ſo koͤnnte ſie mir ja leicht begegnen; und da ich eben ſo wohl ihre Diſſonanz bin, als ſie meine, ſo hab' ich nicht mehr uͤber ſie zu kla¬ gen, als ſie uͤber mich.

Goldine konnte, wie Vult, nichts gegen dieſe Denkweiſe einwenden, aber beiden war ſie aͤuſſerſt verdruͤslich. Da rief ſanft die Mutter den Sohn und heftig der Vater: renne, Peter, renne, wir ſtehen im Teſtament, und werden vorbeſchie¬ den auf den 13ten hujus.

Nro. II. Fiſetholz.

Luſt Chaos.

Der Pfalzgraf hatte das Erſtarren uͤber Walts Sturmlaufen mit der Bemerkung fluͤſſiger gemacht, daß der Sansfaçon es nicht verdie¬ ne, in einem wichtigen Teſtament zu ſtehen, zu deſſen Eroͤfnung er ihn vorzuladen habe, und deſſen Bedingungen ſich eben nicht ſehr mit der Reimerei vertruͤgen. Da war das Anſchlagerad und der Daͤmpfer gerichtlich von des Schulmei¬ ſters ton - und wortvoller Seele abgehoben, und118 er konnte nun alle Glocken laͤuten er wuſte und gab die angenehmſten Artikel des Teſtaments, welche der Fiſkal durch die unangenehmen ganz beſtaͤtigte. Der Kandidat handelte ſolange unge¬ woͤhnlich ſauft nach einer Beleidigung, bis man ihn erſuchte, ſie zu vergeben. Lukas rief ſchon im halben Hoͤren Walten wie toll hinein, um nur etwas zu reden.

Von zarter Schamroͤthe durchdrungen er¬ ſchien dieſer niemand gab auf ihn Acht man ſtekte im Teſtamente, ausgenommen Knol. Dieſer hatte gegen den Juͤngling ſeit deſſen Vor¬ leſen einen ordentlichen Haß gefaßt ſo wie die Muſik zwar Nachtigallen zum Schlagen reizt, aber Hunde zum Heulen weil ihm der eine Umſtand, daß ein ſo ſchlechter poetiſcher Juriſt mehr als er erben ſollte, (was ſeinen Fiſkaliſchen Kern anfras) mehr wehe that, als der andere ſuͤs, daß ſein Eigennuz ſelber keinen Erben haͤtte ausleſen koͤnnen, der geſchikter waͤre, die Erb¬ ſchaft zu verſcherzen.

Walt hoͤrte geruͤhrt der Wiederholung und Forterzaͤhlung der ErbAemter und der Erbſtuͤcke119 zu. Als um Lukas Ohren jezt die Worte 11000 Georgd'ors in der SuͤdſeeHandlung und zwey Frohnbauern ſamt Feldern in Elterlein flatterten, ſtand ſein Geſicht, das der ploͤzliche warme Suͤd - Zephyr des Gluͤckes umſpuͤhlte, wie zergangen und verbluͤht da, und er fragte: den 15ten? 11000? Darauf warf er ſeine Muͤze, die er in der Hand hatte, weit uͤber die Stube weg ſagte: den hujus dieſes? Darauf ſchleuderte er ein Bierglas gegen die Stubenthuͤre uͤber Schoma¬ kern weg: Gerichtsmann, rief die Frau, was iſt Euch? Ich habe ſo mein Gaudium, ſagte er. Nun aber komme mir der erſte beſte Hund aus der Stadt, ich will ihn lauſen, breit tret ich das Vieh. Und wir werden alle geadelt, wie wir hier ſizen, und ich bleibe der adeliche Gerichtsherr oder ich werde der Gerichthalter und ſtudiere. Und auf meine Kabelſchen Grund¬ ſtuͤcke ſaͤe ich nichts als Reps.

Mein Freund, ſagte verdruͤslich der Fiſkal, Sein poetiſcher Sohn hat noch vorher einige Nuͤſſe aufzubeiſſen, dann iſt der der Erbe. Mit FreudenThraͤnen trat der Notar zum enterbten120 Fiſkal, und zog deſſen zaͤhe Haͤnde mit der Ver¬ ſicherung an ſich: glauben Sie mir, Freuden - Bote und Evangeliſt, ich werde alles thun, um die Erbſchaft zu erringen, alles was Sie gefodert haben (Was wollt Ihr mit mir, ſagte Knol die Haͤnde wegziehend) denn ich thue es ja fuͤr Menſchen, (fuhr Walt fort, alle andere anſe¬ hend) die noch mehr fuͤr mich gethan, vielleicht fuͤr den Bruder, wenn er noch lebt. Sind denn die Bedingungen nicht ſo leicht, und die lezte ſo ſchoͤn, die vom Pfarrer werden? Der gute Van der Kabel! Warum iſt er denn ſo gut gegen uns? Ich entſinne mich ſeiner lebhaft, aber ich dachte, er liebte mich nicht. Doch muſt 'ich ihm meine Strekverſe vorleſen. Kann man denn zu gut von den Menſchen denken?

Vult lachte, und ſagte: kaum!

Ganz bloͤde und ſchamhaft trat Walt zu Schomaker mit den Worten: vielleicht verdanke ich der Dichtkunſt die Erbſchaft, und gewis die Dichtkunſt dem Lehrer, der mir die vorige Minute vergebe!

So ſei vergeſſen, verſezte dieſer, daß man121 mich vorhin nicht einmal mehr Herr genannt, was doch ſo allgemein. Wonne herrſche jezt! Aber Ihr H. Bruder, deſſen Sie gedachten, lebt noch und im Flore. Ein lebhafter H. Van der Harniſch vergewiſſerte mich deſſen, zohe mich aber in eine unerlaubte Ausſchwazung Ihres Hauſes hinein, fuͤr die mir Ihre Verzeihung ſo wenig entſtehe, als Ihnen die meine!

Der Notar rief es durch das Zimmer, der Bruder lebe noch. Im erzgebuͤrgiſchen Elter¬ lein traf ihn der Herr in der Stadt, ſagte Scho¬ macker. O Gott, er kommt gewis heut oder morgen, beſte Eltern, rief Walt entzuͤkt. 'Soll mir lieb ſeyn, ſagte der Schulz, ich werd' ihm unter der Hausthuͤre mit der HabernSenſe die Beine abmaͤhen, und ihn mit einem Holz¬ apfel erſtecken, einen ſolchen Vagabunden! Gottwalt aber trat zu Goldinen, die er weinen ſah, und ſagte: o ich weis es woruͤber, Gute und ſezte leiſe hinzu: uͤber das Gluͤk Ihres Freun¬ des. Ja bei Gott! antwortete ſie, und ſah ihn entzuͤkter an.

Die Mutter warf nur die Bemerkung, wie122 oft ihr Gemuͤth durch aͤhnliche Sagen von ihres guten Kindes Wiederkunft betrogen worden, fluͤch¬ tig unter die Maͤnner, um ſich blos mit dem verdruͤslichen Fiſkale abzugeben, welchem ſie freundlich alle boͤſen Klauſeln des Teſtaments deutlich abfragte. Den Pfalzgrafen aber verdros das von ſeiner Erbporzion beſtrittene Freudenfeſt am Ende dermaſſen, daß er haſtig aufſtand, die Zitazionsgebuͤhren im Namen des Rathsdieners forderte, und den maͤnnlichen Jubelkoͤpfen die Hofnung aufſagte, ihn am Abendtiſche unter ſich zu haben, weil er lieber, gab er vor, bei dem Wirthe druͤben ſpeiſe, der ſchon ſeinem Vater ein Darlehn ſchuldig ſei, wovon er ſeit ſo vielen Jahren, ſo oft er Gericht halte, etwas abeſſe und abtrinke, um zu dem Seinigen zu kommen.

Als er fort war, ſtieg Veronika auf ihre weibliche Kanzel, und hielt ihre Brandpredigten und Inſpekzionsreden an die Maͤnner: ſie muͤſten's haben, wenn der Fiſkal ihnen das Kapital auf¬ kuͤndigte; ihr Frohthun habe ihn als einen aus¬ geſchloſſenen Erben ja verſchnupfen muͤſſen. Zieht denn aber Er oder ich die Intereſſen fuͤr123 jezt, he? Er! ſagte Lukas. Schomacker fuͤgte noch den Bericht bei, daß ſchon der Fruͤh¬ prediger Flachs das Kabelſche ganze Haus in der Hundsgaſſe durch weniges Weinen erſtanden. Der Schulz fuhr klagend auf und verſicherte, das Haus ſei ſeinem Sohne ſo gut wie geſtohlen; denn weinen koͤnne jeder; dieſer aber ſagte, es troͤſt 'ihn ordentlich uͤber ſein Gluͤk, daß ein anderer armer Erbe auch etwas habe. Veronika verſezte: du haſt noch nichts. Ich bin nur eine Frau, aber im ganzen Teſtamente merk' ich eine Parti¬ tenmacherei. Seit vorgeſtern wurde ſchon im Dorfe von Erbſchaften gemunkelt von fremden Stadtherren, ich ſagte aber gern meinem Ge¬ richtsmanne nichts. Du, Walt, haſt gar kein Geſchik zu Welthaͤndeln; und ſo koͤnnen leicht 10 Jahre verſtreichen, und du haſt nichts, und biſt doch auch nichts; wie dann, Gerichtsmann! So ſchlag 'ich ihn, ſagte dieſer, todt, wenn er nicht ſo viel Verſtand zeigt, wie ein Vieh; und von Dir, Vronel, wars auch keiner, mich nicht zu avertieren.

Ich verpfaͤnde mich, ſagte Schomacker, fuͤr124 H. Notars Fineſſe. Poeten ſind durchtriebene Fuͤchſe, und haben Wind von allem. Ein Gro¬ tius, der Humaniſt, war ein Geſandter ein Dante, der Dichter, ein Staatsmann, ein Vol¬ taire, der beides, auch beides.

Vult lachte, nicht uͤber den Schulmann, aber uͤber den gutherzigen Walt, als dieſer ſanft bei¬ fuͤgte: ich habe vielleicht aus Buͤchern mehr Weltklugheit geſchoͤpft, als Ihr denkt, liebe Mut¬ ter. Aber nun nach 2 Jahren, allguͤtiger Gott! Wenigſtens malen wollen wir uns heu¬ te die glaͤnzende Zeit, wo alle hier frei und freu¬ dig leben, und ich nichts von allem brauche und wuͤnſche, weil ich zu gluͤklich auf zwei alten hei¬ ligen Hoͤhen wohne, auf der Kanzel und dem Muſenberg Du ſollſt dann auch, ſagte Lu¬ kas, ſtrekverſen den ganzen Tag, weil du doch ein Narr darauf biſt, wie dein Vater aufs Jus. Jezt aber werd 'ich ſehr aufmerkſam, ſagte Walt, das Notarienweſen treiben, beſonders da ich es als mein erſtes vorgeſchriebenes Erbamt verſehe; das Advozieren kann nun wohl weg¬ bleiben.

125

Seht Ihr, rief die Mutter, er will nur wieder recht uͤber ſeine langen Verſe her, denn er hats ja vorhin ſo gotteslaͤſterlich beſchworen ich hab 'es nicht vergeſſen, Walt!

So wollt 'ich doch, daß Donner und Teu¬ fel rief Lukas, der rein - froh ſeyn wollte muß man denn aus jedem Thurmknopf einen Nadelknopf machen wie du? Er wollte gerade das Umgekehrte vorbringen. Er zog den Ehe¬ manns Vexierzug: ſchweig! Sie thats immer ſogleich, wiewohl mit dem Entſchluß, etwas ſpaͤ¬ ter erſt recht anzufangen.

Man ſchritt zur AbendTafel wie man da ſtand, Walt im Schanzlooper, obgleich in der Heu-Erndte, weil er ſein Nanking-Roͤkgen ſchonte. Goldinens Freudenwein war mit vielen Thraͤnen uͤber die Trennung des Morgens gewaͤſſert. Der Notar war unendlich entzuͤkt uͤber die Entzuͤckung des Vaters, welcher allmaͤhlig, da er ſie ein wenig verdauet hatte, nun milder wurde und an¬ fieng, mit Trenchiermeſſer und Gabel der noch fliegenden gebratenen Taube der Erbſchaft entge¬ gen zu gehen, und dem Sohne zum erſtenmal126 in ſeinem Leben zu ſagen: du biſt mein Gluͤk. So lange verharrte Vult auf dem Baume. Als aber die Mutter nun erſt die ausfuͤhrlichen Be¬ richte Schomackers uͤber den Floͤtenſpieler um ihr warmes Herz verſammlen wollte, ſtieg er, um nichts zu hoͤren, weil ihm der Tadel bitterer war als das Lob ſuͤs, vom Baume herunter, ſchon begluͤkt genug durch den Bruder, deſſen Unſchuld und Dichtkunſt ihn ſo liebend - eng umſtrikten, daß er gern die Nacht im Abendroth erſaͤuft haͤt¬ te, um nur den Tag zu haben, und den Poeten an der Bruſt.

Nro. 12. Unaͤchte Wendeltreppe.

Reiterſtuͤk.

Fruͤh am bethaueten blauen Morgen ſtand der Notar ſchon unter der Hausthuͤre reit - und reiſefertig. Er hatte ſtatt des Schanzloopers den guten gelbenSommer - und Fruͤhlings - Roke von Nanking am Leibe, weil er als UniverſalErbe mehr aufwenden konnte, einen runden weiſſen braungeflammten Hut auf dem Kopf, die Reit - Gerte in der Hand, und Kindesthraͤnen in den127 Augen. Der Schulz rief halt, ſprang zuruͤk, und ſogleich wieder her mit Kaiſer Maximilians Notariatsordnung, die er ihm in die Taſche ſtekte. Druͤben vor dem Wirthshauſe ſtand der knappe flinke Student Vult im gruͤnen Reiſehut, und der Wirth, welcher der Familien-Antichriſt und ein Linker war. Das Dorf wuſte alles und paßte. Es war des Univerſalerben erſter Ritt in ſeinem Leben. Veronika die ihm den ganzen Morgen Lebensregeln fuͤr Eroͤfnung und Erfuͤllung des Teſtaments vorgezeichnet hatte zerrete den Schimmel am langen Zuͤgel aus dem Stall. Walt ſollte hinauf.

Ueber den Rit und Gaul wurde von der Welt ſchon viel geſprochen mehr als ein El¬ terleiner verſuchte davon ein leidliches Reiter¬ ſtuͤk zu geben, lieferte aber freilich mehr die rohen Farbhoͤlzer auf die Leinwand als deren feinſten Abſud auch iſt das mein erſtes Thierſtuͤk, von Belang, das ich in die Gaͤnge dieſes Werks aufhaͤnge und feſtmache : ich werde dem¬ nach einige Muͤhe daran wenden, und die groͤſte Wahrheit und Pracht.

128

In der Apokalypſis ſtand ſo lang ein alter verſchimmelter Schimmel, bis ihn der Fleiſcher beſtieg, und aus ihr in der Zeit heruͤberritt. Der poetiſche Lenz liegt weit hinter dem Gaul, wo er eignes Fleiſch ſtatt des fremden trug, und mit eignen Haaren den Sattel auspolſterte; er hat das Leben und den Menſchen dieſes reitende Folterpferd der wunden Natur zu lange ge¬ tragen. Der aus zitternden Fuͤhlfaden geſponne¬ ne Notar, der den Tag vorher im Stalle, um deſſen Keilſchrift der Zeit, um die Stigmen von Sporen, Sattel und Stangengebiß herum gieng, haͤtte fuͤr Geld keinen Finger in die Narben legen koͤnnen, geſchweige am Tage darauf die Knuten - Schneide oder den Sporendolch. Haͤtte doch der Himmel dem Konfoͤderazions-Thiere des Menſchen nur irgend einen Schmerzenslaut beſcheert, damit der Menſch, dem das Herz nur in den Ohren ſizt, ſich ſeiner erbarmte. Jeder Thierwaͤrter iſt der Plagegeiſt ſeines Thiers; indes er gegen ein an¬ deres, z. B. der Jaͤger gegen das Pferd, der Fuhr¬ mann gegen den Jagdhund, der Offizier gegen Leute auſſer dem Soldatenſtande, ein wahres weichwolliges Lamm iſt.

129

Dieſer Schimmel betrat am Morgen die Buͤhne. Der Notar hatte den Tag vorher den Gaul an eine ſeiner Gehirnwaͤnde feſtgebunden und wie die rechte Seite des Konvents und des Rheins ſich immer die linke vor¬ geſtellt, um daran aufzuſteigen; in alle Stel¬ lungen hatt 'er in ſeinen 4 Gehirnkammern das Schulroß gedreht, geſchwind es links beſtiegen, und ſo ſich ſelber voͤllig zugeritten fuͤr den Gaul. Dieſer wurde gebracht und gewandt. Gottwalts Auge blieb feſt an den linken Steigbuͤgel gepicht aber ſein Ich wurd' ihm unter den Haͤnden zu gros fuͤr ſein Ich ſeine Thraͤnen zu dunkel fuͤr ſein Auge er beſteige, merkt 'er, mehr einen Thron als einen Sattel die linke Roß - Seite hielt er noch feſt; nur kam jezt die neue Aufgabe, wie er die eigne linke ſo damit verknuͤ¬ pfen koͤnnte, daß beide die Geſichter vorwaͤrts kehrten.

Wozu die teufliſche Quaal! Er probierte, wie ein preuſſiſcher Kavalleriſt, rechts aufzu¬ ſpringen. Pfiffen Leute, wie Vult und der Wirth, ſeine Probe aus, ſo zeigten ſie weiterFlegeljahre I. Bd. 5130nichts, als daß ſie nie geſehen hatten, wie aͤmſig preuſſiſche Kavalleriſten auf dem rechten Buͤgel aufſizen lernen, um geſattelt zu ſeyn, falls ein¬ mal der linke entzweigeſchoſſen wird.

Auf dem Sattel hatte nun Walt als Selbſt - Quartiermeiſter das Seinige zu thun, alles zu ſezen ſich gerade und ſattelfeſt , auszubrei¬ ten die Finger in die Zuͤgel, die Rokſchoͤſſe uͤber den Pferderuͤken , einzuſchichten die Stiefel in die Steigeiſen ; und anzufangen den Abſchied und Ausritt.

An leztern wollte der geſezte Schimmel nicht gerne gehen. Walts delikates Ruͤkwaͤrtsſchnalzen mit der Gerte war dem Gaule ſo viel, als wixe man ihn mit einem PferdeHaar. Ein Paar muͤtterliche Handſchlaͤge auf den Nacken nahm er fuͤr Streicheln. Endlich kehrte der Gerichts¬ mann eine Heugabel um, und gab ihm mit dem Stiel auf den Hinterbacken einen ſchwachen Rit¬ terſchlag, um damit ſeinen Sohn, als Reiter aus dem Dorfe in die Welt zu ſchicken, ſowohl in die gelehrte als ſchoͤne. Das war dem Thier ein Wink, bis an den Bach vorzuſchreiten; hier131 ſtand es vor dem Bilde des Reiters feſt, kredenzte den Spiegel, und als der Notar droben mit un¬ ſaͤglicher Syſtole und Diaſtole der Fuͤße und Buͤgel arbeitete, weil das halbe Dorf lachte, und der Wirth ohnehin, glaubte der Harttraber ſeinen Irrthum des Stehens einzuſehen, und trug Walten von der Traͤnke wieder vor die Stallthuͤre hin, ſtoͤrt 'aber die Ruͤhrungen des Reiters be¬ deutend.

Wart nur! ſagte ins Haus laufend der Vater, kam wieder und langte ihm eine Buͤch¬ ſenkugel zu: ſez 'ihm die ins Ohr, ſagt' er, ſo will ich kavieren, er zieht aus, weil doch das Blei die Beſtie kuͤhlen muß, glaub ich.

Kaum war das Rennpferd, wie ein Geſchuͤz, mit dem Kopf gegen das Thor gerichtet, und das Ohr mit der Schnellkugel geladen: ſo fuhr es durchs Thor und davon; und durch das mit Augen beſtellte Dorf und vor des Kandidaten Gluͤkwunſch flog der Notarius voruͤber, oben ſizend, mit dem Giesbukel des erſten Verſuchs, als ein gebogenes Komma. Weg iſt er! ſagte Lukas, und gieng zu den Heuſchobern hinaus. 132Still wiſchte die Mutter mit der Schuͤrze das Auge und fragte den Grosknecht, worauf er noch warte und gaffe. Nur Ein weinendes Auge hatte Goldine mit dem Tuche bedekt, um mit dem andern nachzublicken, und ſagte: es geh Ihm gut, und gieng langſam in ſein leeres Studier¬ ſtuͤbgen hinauf.

Vult eilte dem reitenden Bruder nach. Als er aber vor dem Maienbaume des Dorfs voruͤber gieng, und am Fenſter die ſchoͤnaͤugige Goldine und im Hausgaͤrtgen die einſame Mutter erblikte, die mit tropfenden Augen, noch im Sizen gebuͤkt, große Bohnen ſtekte und Knoblauch band: ſo uͤberſtroͤmte ſeines Bruders warmes mildes Blut ploͤzlich ſein Herz, und er lehnte ſich an den Baum und blies einen Kirchenchoral, damit bei¬ der Augen ſich ſuͤßer loͤſeten, und ihr Gemuͤth aufgienge; denn er hatte an beiden den keken ſcharfen Seelen-Umriß innigſt werth gewonnen.

Es war Schade, daß der Notarius, der ſamt dem Schimmel auf Wieſenflaͤchen zwiſchen gruͤn¬ ſchimmernden Huͤgeln, im blauen wehenden Tage flog, es nicht wuſte, daß hinter ihm ſein Bruder133 ſein fernes Doͤrfchen und geruͤhrte liebe Herzen mit Echos erfuͤlle. Oben auf einem Berge legte Walt ſich auf den Hals des Flugpferds, um aus dem Ohr die Drukkugel zu graben. Da er ſie erwiſcht hatte: ſo trat das Thier wieder geſez¬ ter einher, als ein Menſch hinter einer Leiche; und nur der Berg ſchob es herunter, und in der Ebene gieng es, wie ein ſilberner glatter Fluß, unmerklich weiter.

Izt genos der zur Ruhe geſezte Notarius ganz ſeine ſizende Lebensart auf dem Sattel, und den weiten ſingenden Tag. Sein hoher Aufent¬ halt auf der Sattelwarte ſtellte ihm, dieſem ewi¬ gen Fusgaͤnger, alle Berge und Auen unter ihn, und er regierte die glaͤnzende Gegend. An einer neuen Anhoͤhe ſtieg ein Wagenzug von ſieben Fuhrleuten auf, den er gern zu Pferde eingeholt und uͤberritten haͤtte, um nicht in ſeinen Traͤu¬ men durch ihr Umſchauen geſtoͤrt zu werden; aber am Huͤgel-Fuße wollte der gerittene Blon¬ din ſo gut die Natur genießen die fuͤr ihn in Gras beſtand als der reitende, und ſtand ſehr feſt. Walt ſezte ſich zwar anfangs dargegen134 und ſtark, wirkte auf viele Seiten des Viehs vor - und ruͤkwaͤrts; aber da es auf dem Feſtſtehen beſtand, lies ers freſſen und ſezte ſich ſelber herum auf dem Sattel, um die ausgedehnte Natur hin¬ ter ſich mit ſeeligen Blicken auszumeſſen und gelegentlich dieſe ſieben ſpoͤttiſchen Fuhr-Hemden ſo weit vorauszulaſſen, daß ihnen nicht mehr unter die Augen nachzureiten war.

Am Ende kommt doch eines, ein Ende , der Bereiter wuͤnſchte am Huͤgelfuße, als er ſich wieder vorwaͤrts geſezt, ſich herzlich von der Stelle, und etwa hinauf; denn die ſieben Pleja¬ den muſten nun laͤngſt untergegangen ſeyn. Auch ſah er den netten Studenten nachkommen, der das Beſteigen geſehen. Aber ſezte irgend jemand beſondern Werth auf Erndte-Ferien, ſo thats der Schimmel , vor ſolcher Anhoͤhe vollends ſtand er im Drachenſchwanz, im aufſteigenden Knoten die Zaͤume, die Fusbaͤlle auf der Erde, alle brachten ihn nicht vorwaͤrts. Da nun der No¬ tar auch die lebendige Quekſilberkugel jezt nicht wie¬ der mit dieſem fixierten weiſſen Merkurius verqui¬ ken wollte wegen der unglaublichen Muͤhe, ſie135 aus dem Ohr zu fiſchen : ſo ſas er lieber ab, und ſpannte ſich ſeiner eigenen Vorſpan vor, in¬ dem er ſie durch den Flaſchenzug des Zuͤgels wirk¬ lich hinauf wand. Oben bluͤhte friſche Noth; hinter ſich ſah er eine lange katholiſche Wallfarth nachſchleichen, gerade vor ſich unten im langen Dorfe die boͤſe Fuhr-Sieben trinken und traͤnken, die er einholen muſte, er mochte wollen oder nicht.

Es gruͤnte ihm auf der andern Seite Hofnung, aber fruchtlos; er hatte Ausſichten, durch des Kleppers Allegro ma non troppo den haltenden Fuhrleuten ziemlich vorzuſprengen; er ritt erheitert in ſtarkem Schritt den Berg hinab, ins Dorf hinein; aber da kehrte das Filial-Pferd ohne ſonderliches Diſputieren ein, es kannte den Wirth, jeder Krug war ſeine Tochter -, jeder Gaſthof ſeine Mutterkirche: gut, gut, ſagte der Notar, an¬ fangs wars ja ſelber mein Gedanke und be¬ fahl unbeſtimmt einem Unbeſtimmten, dem Gau¬ le etwas zu geben. Jzt kam auch der flinke Gruͤnhut nach. Vults Herz wallete auf vor Liebe, da er ſah ', wie der erhizte ſchoͤne Bruder136 von der ſchneeweißen Bogenſtirn den Hut luͤftete, und wie im Morgenwehen ſeine Locken das zarte mit Roſenblute durchgoſſene kindliche Geſicht an¬ flatterten, und wie ſeine Augen ſo liebend und anſpruchlos auf alle Menſchen ſanken, ſogar auf das Siebengeſtirn. Gleichwohl konnte Vult den Spott uͤber das Pferd nicht laſſen: der Gaul, ſagt' er mit ſeinen ſchwarzen Augen auf den Bru¬ der blizend und die Maͤhne ſtreichelnd, geht beſ¬ ſer, als er ausſieht; wie ein Muſenpferd ſchwang er ſich uͤber das Dorf. Ach das arme Thier! ſagte Walt mitleidig, und entwafnete Vulten.

Saͤmmtliche Paſſagiere tranken im Freien die Pilgrimme giengen ſingend durchs Dorf alle Thiere auf dem Dorfe und in der Luft wie¬ herten und kraͤheten vor Luſt der kuͤhlende Nord-Oſt durchblaͤtterte den Obſtgarten, und rauſchte allen geſunden Herzen zu: weiter hinaus ins freie weite Leben! Ein ſehr goͤttlicher Tag, ſagte Vult, verzeihen Sie, mein Herr! Walt ſah ihn bloͤde an, und ſagte doch heftig: o gewis mein Herr! Die ganze Natur ſtimmt ordentlich ein jubelndes Herzerfriſchendes Jagd¬137 lied an, und aus den blauen Hoͤhen toͤnen doch auch ſanfte Alphoͤrner herunter.

Da hiengen die Fuhrleute die Gebiſſe wieder ein. Er zahlte ſchnell, nahm den Ueberſchuß nicht an, und ſaß im Wirrwarr auf, willens, allen vorzufliegen. Es iſt ein Grundſaz der Pferde, gleich den Planeten, nur in der Sonnen-Naͤhe eines Wirthshauſes ſchnell zu gehen; aber langſam daraus weg ins Aphe¬ lium; der Schimmel heftete ſeine vier Fus-Wur¬ zeln als Stifte eines Nuͤrnberger Spielpferdes feſt ins lakierte Bret der Erde, und behauptete ſeinen Ankerplaz. Der bewegte Zaum war nur ſein Ankertau fremde leidenſchaftliche Bewe¬ gung ſezt 'ihn in eigne nicht umſonſt ſchnalzte der leichte Reiter in gruͤn-atlaſſener Weſte und mit braunen Hutflammen, er konnte eben ſo gut den Sattel uͤber einen Bergruͤcken geſchnallet ha¬ ben und dieſen ſpornen.

Einige der ſanfteſten Fuhrleute beſtrichen die Hinterbeine des Quietiſten; er hob ſie, aber aber ohne vordere. Lange genug hatte nun Walt auf ſein Mitleiden gegen das Vieh gehoͤrt; jezt138 warf er ohne Weiters dem Trauerpferd den Schuſ¬ ſer ins Ohr die Kugel konnte die Maſſa, den Que'er fortſtoßen ins gruͤne Billard. Walt flog. Er rauſchte ſchnell dicht hinter der Huͤhner-Kette von Pilgern, die ſcheu auseinander ſprizte, bis leider auf eine an der Spize gehende Vorſaͤngerin, die Reiten und Warnen nicht vernahm um¬ ſonſt zupften ſeine ſterbenden Finger voll Todes¬ noth im Ohr, und wollten Kugelzieher ſeyn ſeine fliegende Knieſcheibe rannte an ihr Schulter¬ blatt und warf ſie um ſie erſtand ſchleunigſt, um fruͤhe genug, unterſtuͤzt von allen ihren Kon¬ feſſions-Verwandten, ihm uͤber alle Beſchreibung nachzufluchen. Weit hinter dem Fluchen bracht 'er nach langer Ballotage die Gluͤks - und Ungluͤks¬ kugel zwiſchen dem Daumen und Zeigefinger her¬ aus, theuer ſchwoͤrend, nie dieſes Oberons Horn mehr anzuſezen.

Wenn freilich jezt die Beſtie wie eine Har¬ monika traktierte, naͤmlich langſam ſo daß jeder die groͤſten Schulden auf ihr abſizen konn¬ te, ſogar ein Staat, wenns anders fuͤr dieſen einen andern Schuldthurm geben koͤnnte, außer139 dem Babelthurm : ſo waͤr 'es wohl ge¬ gangen, haͤtt' er ſich nicht umgedreht und geſe¬ hen, was hinter ſeiner Statua equestris und curulis zog; ein Heer ſah er, ſez 'ihm hizig mit und ohne Wagen nach, Pilger voll Fluͤche, ſieben weiſſe Weiſen voll Spas, und der Student. Der menſchliche Verſtand muß ſehr irren, oder an dem, was er nachher that, hatte die Vermu¬ thung aus dem vorigen großen Theil, daß der nachſchwimmende Hintergrund nicht nur ſeinen Durchgang durch ein rothes Meer erzwingen, ſon¬ dern daß ſogar das Meer ſelber mit ihm gehen wuͤrde; weil er auf ſeinem lebendigen Laufſtuhl niemand zu entrinnen vermochte. Schon das bloße Zuruͤkdenken an den Nachtrab muſte wie Laͤrmtrommeln, in die ſchoͤnſten leiſen Klaͤnge fahren, die er jezt am blaueſten Tage aus den Himmels-Sphaͤren ſeiner Phantaſie leicht herun¬ ter hoͤren konnte.

Deshalb ritt er geradezu aus der Landſtraße uͤber Wieſen in eine Schaͤferei hinein, wo er halb gleichguͤltig gegen laͤcherlichen Schein, halb mit erroͤthender Ruhmliebe fuͤr Geld, gute Worte140 und ſanfte Augen es ſich von der Schaͤferin erbat, daß dem Schimmel ſo lange denn er verſtand nichts von Roß-Diaͤtetik Heu vor¬ geſezet wuͤrde, bis etwan die Feinde ſich eine Stunde voraus - und ihn mathematiſch gewis gemacht hatten, daß ſie nicht zu ereilen waͤren, geſezt auch, ſie fuͤtterten zwei Stunden.

So neu-ſeelig und erloͤſet ſezt 'er ſich hin¬ ter das Haus unter eine ſchwarzgruͤne Linde in den friſchen Schatten-Winter, und tauchte ſein Auge ſtill in den Glanz der gruͤnen Berge, in die Nacht des tiefen Aethers, und in den Schnee der Silberwoͤlkgen. Darauf ſtieg er nach ſeiner alten Weiſe uͤber die Gartenmauer der Zukunft, und ſchauete in ſein Paradies hinein: welche volle rothe Blumen, und welches weiße Bluͤthenge¬ ſtoͤber fuͤllte den Garten!

Endlich nach einer und der andern Him¬ melfahrt machte er 3 Strekverſe, einen uͤber den Tod, einen uͤber einen Kinderball, und einen uͤber eine Sonnenblume und Nachtviole. Kaum wollte er, da das Pferd Heu genug hatte, von der kuͤhlen Linde fort; er entſchlos ſich heute nicht141 weiter zu reiſen, als nach dem ſogenannten Wirths¬ haus zum Wirthshaus, eine kleine Meile von der Stadt. Indes eben in dieſem Wirthshaus hatten alle ſeine Feinde um 1 Uhr Halt und Mittag gemacht; und ſein Bruder war da ge¬ blieben, um ihn zu erwarten, weil er wuſte, daß die Landſtraße und der Schimmel und Bruder durch den Hof liefen. Vult muſte lange paſſen, und ſeine Gedanken uͤber die naͤchſten Gegenſtaͤnde haben z. B. uͤber den Wirth, einen Herrnhuter, der auf ſein Schild nichts weiter mahlen laſſen, als wieder ein Wirthshausſchild mit einem aͤhn¬ lichen Schild, auf dem wieder das Gleiche ſtand; es iſt das die jezige Philoſophie des Wizes, die, wenn der aͤhnliche Wiz der Philoſophie das Ich - Subjekt zum Objekt und umgekehrt macht, eben ſo deſſen Ideen ſub-objektiv wiederſcheinen laͤſſet; z. B. Ich bin tiefſinnig und ſchwer, wenn ich ſage: Ich rezenſiere die Rezenſion einer Rezenſion vom Rezenſieren des Rezenſierens, oder ich re¬ flektiere auf das Reflektieren auf die Reflexion einer Reflexion uͤber eine Buͤrſte. Lauter ſchwere Saͤze von einem Wiederſchein ins Unendliche, und142 eine Tiefe, die wohl nicht jedermanns Gabe iſt; ja vielleicht darf nur einer, der im Stande iſt, denſelben Infinitiv von welchem Zeitwort man will, im Genitiv mehrmals hintereinander zu ſchreiben, zu ſich ſagen: ich philoſophire.

Endlich um 6 Uhr hoͤrte Vult, der aus ſei¬ ner Stube ſah, den Wirth oben aus dem Dach¬ fenſter rufen: he, Patron, ſcheer 'er ſich droben weg! Will Er ins Guguks Namen wegreiten? Das Wirthshaus ſtand auf einem Birken - Huͤgel. Gottwalt war ſeitwaͤrts aus dem Wege an den Herrnhutiſchen Gottesacker hinaufgeritten, aus welchem der Schimmel Schoten aus den Staketen zog, waͤhrend der Herr das dichteriſche Auge in den zierlichen Garten voll geſaͤeter Gaͤrt¬ ner irren lies. Wiewohl er den Kalkanten der groben Pedalſtimme nicht durch die Birken ſehen konnte: ſo zog er doch da den Menſchen uͤber¬ haupt nach einer Grobheit feinſtes Empfinden ſchwer verfolgt ſogleich den rupfenden Ruͤſſel aus dem Spaliere auf, und gelangte bald mit den Schoten im naſſen Gebiſſe vor der Stall - Thuͤr' an.

143

Er that an den ſehr ernſt unter ſeiner Thuͤre ſte¬ henden Wirth von Fernen umſonſt wollt 'er gar vor ihn hinreiten barhaupt am Stalle die Frage, ob er hier mit ſeinem Gaul logieren koͤnne.

Ein ganzer heller Sternenhimmel fuhr Vul¬ ten durch die Bruſt und brannte nach.

Auch der Wirth wurde ſternig und ſonnig; aber wie waͤr 'er ſonſt haͤtt' er hoͤflicher aus dem Dache geſprochen darauf gekommen, daß ein Paſſagier zu Pferde in dieſer Naͤhe der Stadt und Ferne der Nacht ihn mit einem Stilllager beehren werde . Als er wahr nahm, daß der Paſſagier ein beſonderes Vielek oder Dreiek mit dem rechten Beine uͤber dem Gaule, abſizend be¬ ſchrieb, und daß er die ſchweren mit einem orga¬ niſierten Sattel behangenen Schenkel ins Haus trug, ohne weiter nach dem Thiere oder Stalle zu ſehen: ſo wuſte der Schelm ſehr gut, wen er vor ſich habe; und lachte zwar nicht mit den Lippen, aber mit den Augen den Gaſt aus, ganz verwundert, daß dieſer ihn fuͤr ehrlich, und es fuͤr moͤglich hielt, er werde den Hafer, den er144 morgen in die Rechnung eintragen konnte, ſchon heute dem Schimmel vorſezen.

Nun geht, ſagte Vult bildlich, der mit Herzklopfen die Treppe hinab dem Bruder entge¬ gen gieng, ein ganz neues Kapitel an. Un¬ bildlich geſchiehts ohnehin.

Nro. 13. Berliner Marmor mit glaͤnzenden Flecken.

Ver - und Erkennung.

Unten im Korrelazionsſaal und Simultan¬ zimmer der Gaͤſte forderte der Notar nach Art der Reiſe-Neulinge ſchnell einen Trunk, eine einmaͤnnige Stube und dergleichen Abendmahl¬ zeit, damit der Wirth nicht denken ſollte, er verzehre wenig. Der luſtige Vult trat ein, that mit Welt-Manier ganz vertraulich, und freute ſich ſehr des gemeinſchaftlichen Uebernachtens: wenn Ihr Schimmel zu haben iſt, ſagt 'er, ſo hab ich Auftrag ihn fuͤr jemand zu einem Schieſpferd zu kaufen, denn ich glaube, daß er ſteht. Es iſt nicht der meinige, ſagte Walt. 145Er friſſet aber brav, ſagte der Wirth, der ihn bat nachzufolgen in ſein Zimmer. Als ers auf¬ ſchlos, war die Abendwand nicht ſowohl ganz zerſtoͤrt denn ſie lag ein Stokwerk tiefer un¬ ten in ziemlichen Stuͤcken als wahrhaft ver¬ doppelt denn die neue lag als Stein und Kalk unten darneben . Weiter, fuͤgte der Herrn¬ huter ſeelenruhig bei, als der Gaſt ein wenig erſtaunt mit dem großen Auge durch das ſieben Schritt breite Luftfenſter durchfuhr, weiter hab' ich im ganzen Hauſe nichts leer und jezt iſts Sommer. Gut, ſagte Walt ſtark und ſuch¬ te zu befehlen; aber einen Beſen! Der Wirth lief demuͤthig und gehorchend hinab.

Iſt unſer Wirth nicht ein wahrer Filon? ſagte Vult. Im Grunde, mein Herr ver¬ ſezte jener freudig iſt das fuͤr mich ſchoͤner. Welcher herrliche lange Strom von Feldern und Doͤrfern, der herein glaͤnzt und das Auge traͤgt und zieht; und die Abendſonne und Roͤthe und den Mond hat man ganz vor ſich, ſogar im Bette die ganze Nacht! Dieſe Einſtimmung ins Geſchik und ins Wirthshaus kam aber nichtFlegeljahre I. Bd. 10146blos von ſeiner angebornen Milde, uͤberall nur die uͤbermahlte nicht die leere Seite der Menſchen und des Lebens vorzudrehen, ſondern auch von jener goͤttlichen Entzuͤckung und Berauſchung her, womit beſonders Dichter, die nie auf Reiſen wa¬ ren, einen von Traͤumen und Gegenden nachbli¬ zenden Reiſetag beſchließen; die proſaiſchen Felder des Lebens werden ihnen, wie in Italien die wirklichen, von poetiſchen Myrten umkraͤnzt, und die leeren Pappeln von Trauben erſtiegen.

Vult lobte ihn wegen der Gemſenartigkeit, wo¬ mit er, wie er ſehe, von Gipfeln zu Gipfeln ſeze uͤber Abgruͤnde. Der Menſch ſoll, verſezte Walt, das Leben wie einen hizigen Falken auf der Hand forttragen, ihn in den Aether auflaſ¬ ſen und wieder herunter rufen koͤnnen, wie es noͤthig iſt, ſo denk 'ich. Der Mars, der Saturn, der Mond und die Kometen ohne Zahl ſtoͤren, (antwortete Vult,) unſere Erde bekannt¬ lich ſehr im Laufe; aber die Erdkugel in uns, ſehr gut das Herz genannt, ſollte beim Henker ſich von keiner fremden laufenden Welt aus der Bahn bringen laſſen, wenns nicht etwa eine ſol¬147 che thut, wie die weiſe Pallas oder die reiche Zeres und die ſchoͤne Venus, die als Heſper und als Luzifer die Erdbewohner ſchoͤn mit dem lebendigen Merkur verbindet. Und erlauben Sie es, mein Herr, ſo werfen wir heute unſere Soupe'es zuſammen, und ich ſpeiſe mit hier vor der Breche, wo das Mondsviertel in der Suppe ſchwimmen, und die Abendroͤthe den Braten uͤber¬ golden kann.

Walt ſagte heiter Ja. Auf Reiſen macht man Abends lieber romantiſche Bekanntſchaften als Morgens. Auch trachtete er, wie alle Juͤng¬ linge, ſtark, viele zu machen, beſonders vorneh¬ me, unter welche er den luſtigen Kauz mit ſei¬ nem gruͤnen Reiſe-Hute rechnete, dieſem Gegen¬ hut eines Biſchofs, der einen nur innen gruͤnen und außen ſchwarzen traͤgt.

Da kam der〈…〉〈…〉 Wirth und der Beſen, um den Bau-Abhub und Bodenſaz uͤber die Stube hinaus zu fegen; in den linken Fingern hieng ihm ein breiter in Holz eingerahmter Schie¬ fer. Er zeigte an, ſie muͤſten ihre Namen dar¬ auf ſezen, weil es hier zu Lande wie im Gothai¬148 ſchen waͤre, wo jeder Dorfwirth den Schiefer am Tage darauf mit den Namen aller derer, die Nachts bei ihm logieret haͤtten, in die Stadt an die Behoͤrde tragen muͤſte.

O man kennt euch Wirthe ſagte Vult, und faſte die ganze Tafel Ihr ſeid wohl eben ſo begierig darhinter her, was euer Gaſt fuͤr ein Vogel iſt, als irgend ein regierender Hof in Deutſchland, der gleich Abends nach dem Thor - und Nachtzettel aller Einpaſſanten greift, weil er keinen beſſern Index Autorum kennt, als dieſen.

Vult ſezte mit einem angeketteten Schiefer - Stift auf den Schiefer mit Schiefer ſo wie unſer Fichtiſches Ich zugleich Schreiber, Papier, Feder, Dinte, Buchſtaben und Leſer iſt ſei¬ nen Namen ſo: Peter Gottwalt Harniſch, K. K. ofner geſchworner Notarius und Tabellio, geht nach Haslau. Darauf nahm ihn Walt, um ſich auch als Notarius ſelber zu verhoͤren, und ſeinen Namen und Karakter zu Protokoll und zu Papier zu bringen.

Erſtaunt ſah er ſich ſchon darauf und ſchauete149 den Gruͤnhut an, dann den Wirth, welcher wartete, bis Vult den Schiefer nahm, und dem Wirthe mit den Worten gab: nachher Freund! ce n'est qu'un petit tour que je joue à notre hôte ſagt 'er mit ſo ſchneller Ausſprache, daß Walt kein Wort verſtand, und daher erwiederte: Oui. Aber durch ſeinen verwirrten Rauch ſchlu¬ gen die freudigſten Funken; alles verhies, glaub¬ te er, eines der ſchoͤnſten Abentheuer; denn er war dermaſſen mit Erwartungen ganz romanti¬ ſcher Naturſpiele des Schikſals, frappanter Meer¬ wunder zu Lande ausgefuͤllet, daß er es eben nicht uͤber ſein Vermuthen gefunden haͤtte bei aller Achtung eines Stubengelehrten und Schul¬ zenſohns fuͤr hoͤhere Staͤnde , falls ihm etwa eine Fuͤrſtentochter einmal ans Herz gefallen waͤ¬ re, oder der fuͤrſtliche Hut ihres H. Vaters auf den Kopf. Man weis ſo wenig, wie die Menſchen wachen, noch weniger, wie ſie traͤumen, nicht ihre groͤſte Furcht, geſchweige ihre groͤſte Hofnung. Der Schiefer war ihm eine Kometenkarte, die ihm Gott weis welchen neuen feurigen Bartſtern anſag¬ te, der durch ſeinen einfoͤrmigen Lebens-Himmel150 fahren wuͤrde. H. Wirth, ſagte Vult freu¬ dig, dem ſeine beherrſchende Rolle ſo wohl that, wie ſein ſanfter Bruder ohne Stolz ſervier' Er hier ein reiches Souper, und trag 'Er uns ein paar Flaſchen vom beſten aufrichtigſten Kraͤzer auf, den er auf dem Lager haͤlt.

Walten ſchlug er einen Spaziergang auf den benachbarten Herrnhuter Gottesacker vor, waͤh¬ rend man fege; ich ziehe droben, fuͤgt 'er bei, mein Flauto traverso heraus, und blaſe ein wenig in die Abend-Sonne und uͤber die todten Herrnhuter hinuͤber: lieben Sie das Flauto? O wie ſehr gut ſind Sie gegen einen fremden Menſchen! antwortete Walt mit Augen voll Liebe; denn das Ganze des Floͤtenſpielers verkuͤndigte bei allem Muthwillen des Bliks und Mundes heimliche Treue, Liebe und Rechtlichkeit. Wohl lieb' ich, fuhr er fort, die Floͤte, den Zauberſtab, der die innere Welt verwandelt, wenn er ſie beruͤhrt, eine Wuͤnſchelruthe, vor der die innere Tiefe aufgeht. Die wahre Mondare des innern Monds, ſagte Vult. Ach ſie iſt mir noch ſonſt theuer, ſagte Walt, und erzaͤhlte nun, wie er durch ſie151 oder an ihr einen geliebten Bruder verloren, und welchen Schmerz er und die Eltern bisher getragen, da es ein kleinerer ſei, einen Verwand¬ ten im Grabe zu haben, als in jeder frohen Stunde ſich zu fragen, mit welcher dunklen, kalten, mag jezt der Fluͤchtling auf ſeinem Bret im Weltmeer ringen. Da aber Ihr Hr. Bru¬ der ein Mann von muſikaliſchem Gewicht ſein ſoll, ſo kann er ja eben ſo gut im Ueberfluſſe ſchwim¬ men als im Weltmeer ſagte er ſelber.

Ich meine, verſezte Walt, ſonſt dachten wir ſo traurig, jezt nicht mehr; und da war es kein Wunder, wenn man jede Floͤte fuͤr ein Stum¬ mengloͤkgen hielt, das der in Nacht hinaus ver¬ lorne Bruder hoͤren lies, weil er nicht zu uns reden konnte. Unwillkuͤrlich fuhr Vult nach deſſen Hand, gab ſie eben ſo ſchnell zuruͤk, ſag¬ te: genug! Mich ruͤhren 100 Sachen zu ſtark Himmel, die ganze Landſchaft haͤngt ja voll Duft und Gold!

Aber nun vermochte ſein entbranntes Herz keine halbe Stunde laͤnger den Kuß des bruͤder¬ lichen aufzuſchieben; ſo ſehr hatte die vertrauen¬152 de unbefangene Bruderſeele heute und geſtern in ſeiner Bruſt, aus welcher die Winde der Reiſen eine Liebes-Kohle nach andern verweht hatten, ein neues Feuer der Bruderflammen angezuͤndet, welche frei und hoch aufſchlugen ohne das kleinſte Hindernis. Stiller giengen jezt beide im ſchoͤnen Abend. Als ſie den Gottesacker oͤfneten, ſchwamm er flammig im Schmelz und Brand der Abend¬ ſonne. Haͤtte Vult zehn Meilen umher nach ei¬ nem ſchoͤnen Poſtamente fuͤr eine Gruppe zwil¬ lings-bruͤderlicher Erkennung geſucht, ein beſſe¬ res haͤtt 'er ſchwerlich aufgetrieben als der Herrn¬ huter Todtengarten war mit ſeinen flachen Bee¬ ten, worinn Gaͤrtner aus Amerika, Aſia und Bar¬ by geſaͤet waren, die ſich alle auf einander mit dem ſchoͤnen Lebens-Endreim heimgegan¬ gen reimten. Wie ſchoͤn war hier der Knochen¬ bau des Todes in Jugend-Fleiſch gekleidet, und der lezte blaſſe Schlaf mit Bluͤthen und Blaͤttern zugedekt! Um jedes ſtille Beet mit ſeinem Saat - Herzen lebten treue Baͤume und die ganze leben¬ dige Natur ſah mit ihrem jungen Angeſicht herein.

153

Vult, der jezt noch ernſter geworden, freue¬ te ſich, daß er aller Wahrſcheinlichkeit nach vor keinem Kenner zu blaſen habe, weil ſeine Bruſt, ſolcher Erſchuͤtterungen ungewohnt, heute nicht genug Athem fuͤr ſein Spiel behielt. Er ſtellte ſich weg vom Bruder, gegenuͤber der ſtrahlenlo¬ ſen Abendſonne an einen Kirſchbaum, aus wel¬ chem das Bruſt - und Halsgeſchmeide eines bluͤ¬ henden Jelaͤngerjelieber, wie eigne Bluͤthe hieng; und blies ſtatt der ſchwerſten Floͤten-Paſſaden, nur ſolche einfache Arioſo's nebſt einigen einge¬ ſtreueten Echos ab, wovon er glauben durfte, daß ſie ins unerzogne Ohr eines juriſtiſchen Kan¬ didaten mit dem groͤſten Glanz und Freuden-Ge¬ folge ziehen wuͤrden.

Sie thatens auch. Immer langſamer gieng Gottwalt, mit einem langen Kirſchzweige in der Hand, zwiſchen der Morgen - und der Abend - Gegend auf und nieder. Seeliger als nie in ſeinem troknen Leben war er, als er auf die liebaͤugelnde Roſen-Sonne losgieng, und uͤber ein breites goldgruͤnes Land mit Thurmſpizen in Obſtwaͤl¬ dern und in das glatte weiſſe Mutterdorf der154 ſchlafenden ſtummen Koloniſten im Garten hin¬ ein ſah, und wenn dann die Zephyre der Melo¬ dien die duftige Landſchaft wehend aufzublaͤttern und zu bewegen ſchienen. Kehrt 'er ſich um, mit gefaͤrbtem Blik, nach dem Oſthimmel und ſah die Ebene voll gruͤner auf - und ablaufender Huͤ¬ gel wie Landhaͤuſer und Rotunden ſtehen und den Schwung der Laubholzwaͤlder auf den fer¬ nen Bergen und den Himmel in ihre Windungen eingeſenckt: ſo lagen und ſpielten die Toͤne wie¬ der druͤben auf den rothen Hoͤhen und zukten in den vergoldeten Voͤgeln, die wie Aurorens Flo¬ ken umher ſchwammen, und wekten an einer duͤſtern ſchlafenden Morgenwolke die lebendigen Blicke aufgehender Blitze auf. Vom Gewitter wandt' er ſich wieder gegen das vielfarbige Son¬ nenland ein Wehen von Oſten trug die Toͤ¬ ne ſchwamm mit ihnen an die Sonne auf den bluͤhenden Abendwolcken ſang das kleine Echo, das liebliche Kind, die Spiele leiſe nach. Die Lieder der Lerchen flogen gaukelnd dazwiſchen und ſtoͤrten nichts.

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Jzt brannte und zitterte in zartem Umris eine Obſtallee durchſichtig und rieſenhaft in der Abendgluth ſchwer und ſchlummernd ſchwamm die Sonne auf ihrem Meer es zog ſie hinun¬ ter ihr goldner Heiligenſchein gluͤhte fort im leeren Blau und die Echotoͤne ſchwebten und ſtarben auf dem Glanz: Da kehrte ſich jezt Vult, mit der Floͤte am Munde, nach dem Bruder um, und ſah es, wie er hinter ihm ſtand, von den Scharlachfluͤgeln der Abendroͤthe und der geruͤhrten Entzuͤckung uͤberdekt, und mit bloͤdem ſtillen Weinen im blauen Auge. Die heilige Muſik zeigt den Menſchen eine Vergangenheit und eine Zukunft, die ſie nie erleben. Auch dem Floͤtenſpieler quoll jezt die Bruſt wol von unge¬ ſtuͤmer Liebe. Walt ſchrieb ſie blos den Toͤnen zu, druͤkte aber wild und voll lauterer Liebe die ſchoͤpferiſche Hand. Vult ſah ihn ſcharf an, wie fragend. Auch an meinen Bruder denk 'ich, ſagte Walt; und wie ſollt' ich mich jezt nicht nach ihm ſehnen?

Nun warf Vult Kopf-ſchuͤttelnd die Floͤte weg ergrif ihn hielt ihn von ſich, da er156 ihn umarmen wollte ſah ihm brennend ins fromme Geſicht und ſagte: Gottwalt, kennſt du mich nicht mehr? Ich bin ja der Bruder. Du? O ſchoͤner Himmel! Und du biſt mein Bruder Vult? ſchrie Walt und ſtuͤrzte an ihn. Sie weinten lange. Es donnerte ſanft im Mor¬ gen. Hoͤre unſern guten Allguͤtigen! ſagte Walt. Der Bruder antwortete nichts. Ohne weitere Worte giengen beide langſam Hand in Hand aus dem Gottesacker.

Nro. 14. Model eines Hebammenſtuhls.

Projekt der Gether-Muͤhle. Der Zauber-Abend.

Fuͤr zwei luftige Komoͤdianten, die den Oreſt und Pylades ſich einander abhoͤren, muſte jeder beide halten, der ihnen aus dem Wirths¬ haus nachſah, wie ſie unten in einer abgemaͤh¬ ten Wieſe ſich in Lauf-Zirkeln umtrieben mit langen Zweigen in der Hand, um ihre Vergan¬ genheiten gegen einander auszutauſchen. Aber der Tauſch war zu ſchwer. Der Floͤtenſpieler verſicherte, ſein Reiſeroman ſo kuͤnſtlich ge¬157 ſpielt auf dem breiten Europa ſo niedlich durchflochten mit den ſeltenſten confeſſions ſtets von neuem gehoben durch die Windlade und Hebemaſchine der Flûte de travers waͤre zwar fuͤr die Magdeburger Zenturiatoren, wenn ſie ihm nachſchreibend nachgezogen waͤren, ein Stoff und Fund geweſen, aber nicht fuͤr ihn jezt, der dem Bruder andere Sachen zu ſagen habe, beſonders zu fragen, beſonders uͤber deſſen Leben. Etwas von dieſer Kuͤrze mocht 'ihm auch der Gedancke diktieren, daß in ſeiner Geſchichte Kapitel vorkaͤ¬ men, welche die herzliche Zuneigung, womit der unſchuldige ihn freudig beſchauende Juͤngling ſeine erwiederte, in einem ſo weltunerfahrnen rei¬ nen Gemuͤthe eben nicht vermehren koͤnnten; er merkte an ſich da man auf Reiſen unver¬ ſchaͤmt iſt er ſei faſt zu Hauſe.

Walts Lebens-Roman hingegen waͤre ſchnell in einen Univerſitaͤtsroman zuſammen ge¬ ſchrumpft, den er zu Hauſe auf dem Seſſel ſpiel¬ te durch Leſen der Romane, und ſeine Acta eruditorum in den Gang eingelaufen, den er in den Hoͤrſal machte und zuruͤck in ſein viertes158 Stockwerk wenn nicht das Van der Kabel¬ ſche Teſtament geweſen waͤre; aber durch dieſes hob ſich der Notar mit ſeiner Geſchichte.

Er wollte den Bruder mit den Notizen da¬ von uͤberraſchen; aber dieſer verſicherte, er wiſſe ſchon alles, ſei geſtern beim Examen geweſen, und unter dem Zanke auf dem Pelzapfelbaum geſeſſen.

Der Notar gluͤhte ſchamroth, daß Vult ſeinen Zorn-Kaſkatellen und ſeinen Verſen zuge¬ horcht; er ſei wohl, fragt 'er verwirrt, ſchon mit dem H. van der Harniſch angekommen, der mit dem Kandidaten von ihm geſprochen. Ja wohl, ſagte Vult, denn ich bin jener Edel¬ mann ſelber. Walt muſte fortſtaunen und fortfragen, wer ihm denn dem Adel gegeben. Ich an Kaiſersſtatt, verſezte dieſer, gleichſam ſo als augenblicklicher ſaͤchſiſcher Reichsvikarius des guten Kaiſers, es iſt freilich nur Vikariats - Adel. Walt ſchuͤttelte moraliſch den Kopf. Und nicht einmal der, ſagte Vult, ſondern et¬ was ganz erlaubtes nach Wiarda*)Wiarda uͤber deutſche Vor - und Geſchlechtsnamen S. 216. 221. , welcher159 ſagt, man koͤnne ohne Bedenken ein von ent¬ weder vor den Ort oder auch vor den Vater ſezen, von welchem man komme; ich konnte mich nach ihm eben ſo gut Herr von Elterlein umtau¬ fen als Herr von Harniſch. Nennt mich einer gnaͤdiger Herr, ſo weis ich ſchon, daß ich einen Wiener hoͤre, der jeden buͤrgerlichen Gentleman ſo anſpricht und laſſ 'ihm gern ſeine ſo unſchul¬ dige Sitte.

Aber du konnteſt es geſtern aushalten, ſag¬ te Walt, die Eltern zu ſehen und den Jammer der Mutter unter dem Eſſen uͤber dein Schickſal zu hoͤren, ohne herab und hinein an die beſorg¬ ten Herzen zu ſtuͤrzen?

So lange ſas ich nicht auf dem Baume Walt, ſagt 'er ploͤzlich vor ihn vorſprin¬ gend Sieh mich an! Wie Leute gewoͤhnlich ſonſt aus ihren Noth - und Ehrenzuͤgen durch Euro¬ pa, heimkommen, beſonders wie morſch, wie zerſchabt, wie zerſchoſſen gleich Fahnen, braucht dir wohl niemand bei deiner ausgedehnten Lektuͤ¬ re lange zu ſagen; ob es gleich ſehr erlaͤu¬ tert wuͤrde, wenn man dir dazu einen Fahnen¬160 traͤger dieſer Art dir unbekannt, aber aus ei¬ nem altgraͤflichen Hauſe gebuͤrtig, und deſſen Ahnenbilderſaal mit ſich als Hogarths Schwanz¬ ſtuͤck und Finalſtock beſchlieſſend, wenn man dir jenen Grafen vorhalten koͤnnte, der eben jezt vollends in London verſiert und einſt nie mehr Arbeit vor ſich finden wird, als wenn er von den Todten auferſtehen will, und ſich ſeine Glieder, wie ein Fruͤhſtuͤck in Paris, in der halben alten Welt zuſammenklauben muß, die Wirbelhaare auf den Straſſendaͤmmen nach Wien die Stimme in den Konſervatorien zu Rom ſei¬ ne erſte Naſe in Neapel, wo ſich mehrere Sta¬ tuen mit zweiten ergaͤnzen ſeine anus cerebri (dieſe Gedaͤchtnis-Size nach Hoobocken) und ſeine Zirbeldruͤſe und mehrere Sachen in der Propaganda des Todes mehr als des Lebens Kurz der Tropf (er hat mir den Redefa¬ den verworren) findet nichts auf dem Kirchhof neben ſich als das, worein er jezt, wie andere Leichen auf dem St. Innozenz-Kirchhof in Pa¬ ris, ganz verwandelt iſt, das Fet Nun aber beſchau' mich, und die Juͤnglingsroſen 161 das Maͤnnermark die Reiſebraͤune die Augenflammen das volle Leben: was fehlt mir? Was dir fehlet etwas zu leben. No¬ tar, ich bin nicht ſehr bei Geld.

Deſto beſſer verſezte Walt ſo gleichguͤl¬ tig, als kenn 'er das Schoͤpfrad aller Virtuo¬ ſen ganz gut, das ſich immer zu fuͤllen und zu leeren, eigentlich aber nur durch beides umzu¬ ſchwingen ſucht ich habe auch nichts, doch haben wir beide die Erbſchaft ... Er woll¬ te noch etwas freigebiges ſagen, aber Vult un¬ terfuhr ihn: ich wollte vorhin nur andeuten, Freund, daß ich mithin in Ewigkeit nie mich in verlorner Sohnes-Geſtalt vor die Mutter ſtelle, und vollends vor den Vater! Freilich koͤnnt' ich mit einer langen Stange von Gold in die Hausthuͤre einſchreiten! Bei Gott, ich wollte ſie oft beſchenken ich nahm einmal abſichtlich Extrapoſt, um ihnen eine erklekliche Spiel-Summe (nicht auf der Floͤte, ſondern auf der Karte erſpielt) zugleich mit meiner Perſon ſchneller zu uͤberreichen; leider aber zehr 'ichs gerade durch die Schnelle ſelber auf und mußFlegeljahre I. Bd. II. 162auf halbem Weg leer umwenden. Glaub 'es mir, guter Bruder, ob ichs gleich ſage. So oft ich auch nachher gieng und floͤtete, das Geld gieng auch floͤten.

Immer das Geld ſagte Walt die Eltern geht nur ihr Kind, nicht deſſen Gaben an; koͤnnteſt du ſo ſcheiden und zumal die lie¬ be Mutter, in der langen nagenden Sorge laſ¬ ſen, woraus du mich erloͤſet? Gut? ſagt 'er. So moͤg' ihnen denn durch irgend einen glaubwuͤrdigen Mann aus Amſterdam oder Haag, etwan durch einen H. von der Harniſch geſchrie¬ ben werden, ihr ſchaͤzbarer Sohn, den er per¬ ſoͤnlich kenne und ſchaͤze, emergiere mehr, habe jezt Mittel und vor tauſenden das Praͤ und lange kuͤnftig an, ſo wie jezt aus. Ach was! Ich koͤnnte ſelber nach Elterlein hinaus reiten, Vults Geſchichte erzaͤhlen und beſchwoͤren und falſche Briefe von ihm an mich vorzeigen die noch dazu wahre waͤren naͤmlich dem Vater; die Mutter, glaub 'ich, erriethe mich oder ſie bewegte mich, denn ich liebe ſie wohl kindlich! Schei¬ den, ſagteſt du? Ich bleibe ja bei dir, Bruder! 163Das uͤberfiel den Notarius wie eine verſtek¬ te Muſik, die an einem Geburtstage heraus bricht. Er konnte nicht aufhoͤren, zu jubeln und zu loben. Vult aber eroͤfnete, warum er da bleibe, naͤhmlich erſtlich und hauptſaͤchlich, um ihm als einem argloſen Singvogel, der beſſer oben fliegen als unten ſcharren koͤnne, unter dem adelichen Inkognito gegen die 7 Spizbuben bei¬ zuſtehen; denn, wie geſagt, er glaube nicht ſon¬ derlich an deſſen Sieg.

Du biſt freilich, verſezte Walt betroffen, ein gereiſeter Weltmann, und ich haͤtte zu wenig geleſen und geſehen, wollt 'ich das nicht merken; aber ich hoffe doch, daß ich, wenn ich mir im¬ mer meine Eltern vorhalte, wie ſie ſo lange an¬ gekettet auf dem dunſtigen Ruderſchiffe der Schul¬ den ein bitteres Leben befahren, und wenn ich alle meine Kraͤfte zur Erfuͤllung der Teſtaments - Bedingungen zuſammen nehme, ich hoffe wohl, daß ich dann die Stunde erzwinge, wo ihnen die Ketten entzwei geſchlagen, und ſie auf ein gruͤnes Ufer einer Zuckerinſel ausgeſchift ſind, und wir uns alle frei unter dem Himmel umar¬164 men. Ja ich hatte bisher gerade die umgekehr¬ te Sorge fuͤr die armen Erben ſelber, an deren Stelle ich mich dachte, wenn ich ſie um alles braͤchte; und nur die Betrachtung machte mich ruhig, daß ſie doch die Erbſchaft, ſchluͤg' ich ſie auch aus, nicht bekaͤmen und daß ja meine El¬ tern weit aͤrmer ſind und mir naͤher.

Der zweite Grund verſezte Vult warum ich in Haslau verbleibe, hat mit dem erſten nichts zu thun, ſondern alles blos mit einer goͤttlichen Windmuͤhle, die der blaue Aether treibt, und auf welcher wir beide Brod du erbſt indes immer fort ſoviel wir brauchen, mahlen koͤnnen. Ich weis nicht, ob es ſonſt nicht noch fuͤr uns beide etwas ſo angenehmes oder nuͤzliches giebt, als eben die Aethermuͤhle, die ich projektieren will; die Friſiermuͤhlen der Tuchſcheerer, die Bandmuͤhlen der Berner, die Molae aſinariae oder Eſelsmuͤhlen der Roͤmer kommen nicht in Betracht gegen meine.

Walt war in groͤſter Spannung und bat ſehr darum. Droben bei einem Glas Kraͤzer, verſezte der Vult. Sie eilten den Huͤgel auf zum165 Wirthshaus. Drinnen thaten ſich ſchon an ei¬ nem Tiſche, der die Marſchalls - Pagen - und Lakaientafel war, ſchnelle Freszangen auf und zu. Der Wein wurde auf einen Stuhl geſezt ins Freie. Das weiſſe Tiſchtuch ihres verſchobenen Soupers glaͤnzte ſchon aus der wandloſen Stu¬ be herab. Vult fieng damit an, daß er dem Modelle der kuͤnftigen Aethermuͤhle das Lob von Walts geſtrigen Strekverſen voraus ſchickte daß er ſein Erſtaunen bezeugte, wie Walt bei ſonſtigem Ueberwallen im Leben, doch jene Ru¬ he im Dichten habe, durch welche ein Dichter es dem Waſſer-Rennen der Bayerinnen gleich thut, welche mit einem Scheffel Waſſer oder Hippokre¬ ne auf dem Kopfe unter der Bedingung wettlau¬ fen, nichts zu verſchuͤtten, und daß er fragte, wie er als Juriſt zu dieſer poetiſchen Ausbildung gekommen.

Der Notarius trank mit Geſchmack den Kraͤ¬ zer, und ſagte zweifelnd vor Freude: wenn wuͤrk¬ lich etwas poetiſches an ihm waͤre, auch nur der Flaum einer Dichterſchwinge, ſo kaͤme es freilich von ſeinem ewigen Beſtreben in Leipzig166 her, in allen vom Jus freigelaſſenen Stunden an gar nichts zu hangen, an gar nichts aufzu¬ klettern, als am hohen Olymp der Muſen, dem Goͤtterſize des Herzens, wiewohl ihm noch nie¬ mand recht gegeben, als Goldine und der Kandi¬ dat; aber, guter Vult, ſcherze hier nicht mit mir. Die Mutter nannte dich ſchon fruͤh den Spaſſer. Iſt dein Urtheil Ernſt? Ich will hier den Hals brechen, Tabellio, verſezte Vult, bewunder 'ich nicht dich und deine Verſe aus voller Kunſt-Seele. Hoͤr' erſt weiter!

Ach warum werd ich denn ſo uͤbergluͤcklich, (unterbrach ihn Walt und trank)? Geſtern find ich den Plato, heute dich, gerade zwei Num¬ mern nach meinem Aberglauben. Du hoͤrteſt geſtern alle Verſe? Mitten unter dem hef¬ tigen Auf - und Abſchreiten ſuchte er immer das Wirthskind, das im Hofe unter der Baute von Kartoffeln-Samenkapſeln furchtſam aufgukte, jedesmal ſehr anzulaͤcheln, damit es nicht er¬ ſchraͤcke.

Vult fieng, ohne ihm zu antworten, ſein Muͤhlen-Model folgendermaaßen vorzulegen an,167 ſehr unbeſorgt, wie jeder Reiſende, uͤber ein zu¬ faͤlliges fuͤnftes Ohr:

Andaͤchtiger Mitbruder und Zwilling! Es giebt Deutſche. Fuͤr ſie ſchreibe dergleichen. Jene faſſen es nicht ganz, ſondern rezenſieren es, beſonders exzellenten Spas. Sie wollen der poe¬ tiſchen Schoͤnheitslinie ein Linienblatt unterlegen; dabei ſoll der Autor noch nebenher ein Amt ha¬ ben, was aber ſo ſchlimm iſt als wenn eine Schwangere die Pocken zugleich hat. Die Kunſt ſei ihr Weg und Ziel zugleich. Durch den juͤdi¬ ſchen Tempel durfte man nach Lightfoote nicht gehen, um blos nach einem andern Orte zu ge¬ langen; ſo iſt auch ein bloßer Durchgang durch den Muſentempel verboten. Man darf nicht den Parnas paſſieren, um in ein fettes Thal zu laufen. Verdammt! Laſſ 'mich anders an¬ fangen! zanke nicht! Trinke! Jezt: Walt!

Ich habe naͤmlich auf meinen Floͤtenreiſen ein ſatiriſches Werk in den Druck gegeben als Manuſkripte, die groͤnlaͤndiſchen Pro¬ zeſſe in zwei Baͤnden anno 1783 bei Voß und168 Sohn in Berlin. (Ich erſtaune ganz, ſagte Walt verehrend.) Ich wuͤrde dich inzwiſchen ohne Grund mit Luͤgen beſezen, wenn ich dir verkuͤndigen wollte, die Bekanntmachung dieſer Baͤnde haͤtte etwan mich oder die Sachen ſelber im Geringſten bekannt gemacht. Nimmt man ſechs oder ſieben Schergen, zugleich Schaͤcher und Schaͤchter aus und hier fallen zwei auf die Allg. deutſche Bibliothek, die alſo wohl ei¬ ner ſind ſo hat leider keine Seele die Scripta getadelt und gekannt. Es iſt hier wegen dei¬ ner Ungeduld nach der verſprochenen Aethermuͤh¬ le wohl nicht der Ort, es gluͤcklich ausein¬ ander zu ſetzen warum; habe genug, wenn ich dir ſchwoͤre, daß die Rezenſenten Suͤnder ſind, aber arme, aͤchte Gurkenmaler, die ſich daher Gurken herausnehmen, Graͤnzgoͤtter ohne Arme und Beine auf den Graͤnzhuͤgeln der Wiſ¬ ſenſchaften, und daß wir alle hinauf und hinab florieren wuͤrden, gaͤb 'es nur ſo viele gute Kunſt¬ richter als Zeitungen, fuͤr jede einen, ſo wie es wirklich ſo viele meiſterhafte Schauſpieler giebt als eine in die andere uͤbergerechnet Truppen.

169

Es iſt eine der verwuͤnſchteſten Sachen. Oft rezenſirt die Jugend das Alter, noch oͤfter das Alter die Jugend, eine Rektors-Schlafhaube kaͤmpfet gegen eine Juͤnglings-Sturmhaube

Wie Kochbuͤcher, arbeiten ſie fuͤr den Ge¬ ſchmack, ohne ihn zu haben

Solchen Sekanten, Koſekanten, Tangen¬ ten, Kotangenten kommt alles exzentriſch vor, beſonders das Zentrum; der Kurzſichtige findet nach Lambert*)Lamberts Beitraͤge zur Mathematik III. B. v. 236 den Kometenſchwanz viel laͤn¬ ger als der Weitſichtige

Sie wollen den Schiefskiel des Autors len¬ ken, naͤmlich den ordentlichen Schreib-Kiel, ſie wollen den Autor mit ihrem Richterſtabe, wie Minerva mit ihrem Zauber-Stabe den Ulyſſes, in einen Bettler und Greis verkehren

Sie wollen die erbaͤrmlichſten Dinge bei Gott (Des Notars Geſicht zog ſich dabei ſichtlich ins lange, weil er wie jeder, der nur gelehrte Zeitungen haͤlt, aber nicht macht und kennt, von einer gewiſſen Achtung fuͤr ſie, viel¬170 leicht gar einer hoffenden, nicht frei war.)

Indes jeder Menſch, fuhr jener fort ſei billig; denn ich darf nicht uͤberſehen, daß es mit Buͤchern iſt wie mit Poͤkelfleiſch, von wel¬ chem Hurham darthat, daß es zwar durch maͤſ¬ ſiges Salz ſich lange halte, aber auch durch zu vieles ſogleich faule und ſtincke Notarius, ich machte das Buch zu gut, mithin zu ſchlecht.

Du wimmelſt von Einfaͤllen, (verſezte Walt); ſcherzhaft zu reden, haſt du ſo vie¬ le Windungen und Koͤpfe wie die lernaͤiſche Schlange.

Ich bin nicht ohne Wiz erwiederte Vult in vergeblicher Abſicht, daß der Bruder lache aber du reiſſeſt mich aus dem Zuſammenhang. Was kann ich nun dabei machen? Ich allein Nichts; aber mit dir viel, naͤmlich ein Werk; Ein Paar Zwillinge muͤſſen, als ihr eigenes Widerſpiel, zuſammen einen Einling, Ein Buch zeugen, einen treflichen Doppel-Roman. Ich lache darinn, du weinſt dabei oder fliegſt doch Du biſt der Evangeliſt, ich das Vieh dar¬ hinter jeder hebt den andern alle Par¬171 theien werden befriedigt, Mann und Weib, Hof und Haus, ich und Du. Wirth, mehr Kraͤ¬ zer, aber aufrichtigen! Und was ſagſt du nun zu dieſem Projekt und Muͤhlengang wo¬ durch wir beide herrlich den Mahlgaͤſten Him¬ melsbrod verſchaffen koͤnnen, und uns Er¬ denbrod, was ſagſt du zu dieſer Muſenros - Muͤhle?

Aber der Notar konnte nichts ſagen, er fuhr blos mit einer Umhalſung an den Projektma¬ cher. Nichts erſchuͤttert den Menſchen mehr zumal den beleſenen als der erſte Gedancke ſeines Drucks. Alte tiefe Wuͤnſche der Bruſt ſtanden auf einmal aufgewachſen in Walten da und bluͤhten voll; wie in einem ſuͤdlichen Klima, fuhr in ihm jedes nordiſche Strauchwerk zum Palmenhain auf; er ſah ſich bereichert und be¬ ruͤhmt und Wochenlang auf dem poetiſchen Ge¬ burtsſtuhl. Er zweifelte in der Entzuͤckung an nichts als an der Moͤglichkeit und fragte, wie zwei Menſchen ſchreiben koͤnnten, und woher ein romantiſcher Plan zu nehmen ſei?

Geſchichten, Walt, hab 'ich auf meinen172 Reiſen an 1001 erlebt, nicht einmal gehoͤrt; die¬ ſe werden ſaͤmmtlich genommen, ſehr gut ver¬ ſchnitten und verkleidet. Wie Zwillinge in ein Dintenfas tunken? Beaumont und Fletſcher, ſich Hundsfremd, naͤhten an Einem gemeinſchaft¬ lichen Schneider-Tiſche Schauſpiele, nach de¬ ren Naht und Suturen noch bis heute die Kriti¬ ker fuͤhlen und taſten. Bei den ſpaniſchen Dichtern hatte oft ein Kind an neun Vaͤter, naͤmlich eine Ko¬ moͤdie, naͤmlich Autoren. Und im 1ſten Buch Moſis kannſt du es am allererſten leſen, wenn du den Pro¬ feſſor Eichhorn dazu lieſeſt, der allein in der Suͤnd¬ fluht drei Autoren annimmt, auſſer dem vier¬ ten im Himmel. Es giebt in jedem epiſchen Werke Kapitel, woruͤber der Menſch lachen muß, Ausſchweifungen, die das Leben des Hel¬ den unterbrechen; dieſe kann, denk' ich, der Bru¬ der machen und liefern, der die Floͤte blaͤſet. Freilich Paritaͤt, wie in Reichsſtaͤdten, muß ſein, die eine Parthei muß ſo viele Zenſoren, Buͤttel, Nachtwaͤchter haben als die andere. Geſchieht nun das mit Verſtand, ſo mag wohl ein Werk zu hecken ſein, ein Leda's Ei, das ſich ſogar173 vom Wolfiſchen Homer unterſcheidet, an dem ſo viele Homeriden ſchreiben und vielleicht Homer ſelber.

Genug, genug rief Walt. Betrachte lie¬ ber den himmliſchen Abend um uns her! In der That bluͤhten Luſt und Lebens-Lob in allen Augen. Mehrere Gaͤſte, die ſchon abgegeſſen, tranken ihren Krug im Freien, alle Staͤnde ſtan¬ den untereinander, die Autoren mitten im tièrs¬ état. Die Fledermaͤuſe ſchoſſen als Tropikvoͤ¬ gel eines ſchoͤnen Morgens um die Koͤpfe. An einer Roſen-Staude krochen die Funken der Jo¬ hanniswuͤrmlein. Die fernen Dorfglocken riefen wie ſchoͤne verhallende Zeiten heruͤber und ins dunkle Hirtengeſchrei auf den Feldern hinein. Man brauchte ſo ſpaͤt auf allen Wegen, nicht einmal in dem Gehoͤlze, Lichter, und man konn¬ te bei dem Schein der Abendroͤthe die hellen Koͤpfe deutlich durch das hohe Getraide waten ſehen. Die Daͤmmerung lagerte ſich weit und breit nach Weſten hinein, mit der ſcharfen Mond-Krone von Silber auf dem Kopfe; nur hinter dem Hauſe ſchlich ſich, aber ungeſehen, die große hohle Nacht aus174 Oſten heran. In Mitternacht glomm es leiſe wie Apfelbluͤthe an und liebliche Blize aus Mor¬ gen ſpielten heruͤber in das junge Roth. Die nahen Birken dufteten zu den Bruͤdern hinab, die Heu-Berge unten dufteten hinauf. Mancher Stern half ſich heraus in die Daͤmmerung und wurde eine Flug-Maſchine der Seele.

Vult vergabs dem Notar, daß er kaum zu bleiben wuſte. Er hatte ſo viele Dinge, und unter ihnen den Kraͤzer im Kopfe; denn in die¬ ſem entſezlichen Weine, wahrem Weinbergs-Un¬ kraut fuͤr Vult, hatte ſich der arme Teufel dem Wein ſo hoch klang wie Aether immer tiefer in ſeine Jahre zuruͤckgetrunken, ins 20te, ins 18te und leztlich ins 15te.

Auf Reiſen trift man Leute an, die darauf zuruͤckſchwimmen bis ins 1te Jahr, bis an die Quelle. Vormittags predigen es die Aebte in ihren Viſitazionspredigten: werdet wie die Kinder! Und Abends werden ſie es ſammt dem Kloſter und beide lallen kindlich.

Warum ſiehſt du mich ſo an, geliebter Vult? ſagte Walt. Ich denke an die ver¬175 gangenen Zeiten, verſezte jener, wo wir uns ſo oft gepruͤgelt haben; wie Familienſtuͤcke haͤngen die Bataillenſtuͤcke in meiner Bruſt ich aͤr¬ gerte mich damals, daß ich ſtaͤrker und zorniger war und Du mich doch durch Deine elaſtiſche wuͤthige Schnelle aller Glieder haͤufig unter be¬ kamſt. Die unſchuldigen Kinderfreuden kommen nie wieder, Walt!

Aber der Notar hoͤrte und ſah nichts als Apollos flammenden Sonnenwagen in ſich rol¬ len, worauf ſchon die Geſtalten ſeines kuͤnftigen Doppelromans koloſſaliſch ſtanden und kamen; unwillkuͤhrlich macht 'er große Stuͤcke vom Buche fertig, und konnte ſie dem verwunderten Bruder zuwerfen. Dieſer wollte endlich davon aufhoͤren, aber der Notar drang noch auf den Titel ihres Buchs. Vult ſchlug Flegeljahre vor; der Notar ſagte offen heraus, wie ihm ein Titel widerſtehe, der theils ſo auffallend ſei, theils ſo wild. Gut, ſo mag denn die Duplizitaͤt der Arbeit ſchon auf dem erſten Blatte bezeichnet werden, wie es auch ein neuerer beliebter Autor thut, etwan: Hoppelpoppel oder das Herz. 176Bei dieſem Titel muſte es bleiben.

Beide mengten ſich wieder in die Gegen¬ wart ein.

Der Notar nahm ein Glas und drehte ſich von der Geſellſchaft ab, und ſagte mit tropfen¬ den Augen zu Vult: auf das Gluͤck unſerer Eltern und auch der armen Goldine! Sie ſizen jezt gewiß ohne Licht in der Stube und reden von uns. Hierauf zog der Floͤteniſt ſein In¬ ſtrument hervor,[und] blies der Geſellſchaft einige gemeine Schleifer vor. Der lange Wirth tanzte darnach langſam und zerrend mit dem ſchlaͤfri¬ gen Knaben; manche Gaͤſte regten den Takt - Schenkel; der Notarius weinte dazu ſeelig, und ſah ins Abendroth. Ich moͤchte wohl, ſagt 'er dem Bruder ins Ohr die armen Fuhrleute ſaͤmmtlich in Bier freihalten. Wahrſchein¬ lich, ſagte Vult, wuͤrfen ſie dich dann aus point d'honneur den Huͤgel hinunter. Himmel! ſie ſind ja Kroͤſi gegen uns und ſehen herab. Vult lies den Wirth ploͤzlich, ſtatt zu tanzen, ſervie¬ ren; ſo ungern der Notarius in ſeine Entzuͤckung hinein eſſen und kaͤuen wollte.

177

Ich dencke roher, ſagte Vult, ich reſpek¬ tiere alles was zum Magen gehoͤrt, dieſe Mont¬ golfiere des Menſchen-Zentaurs, der Realiſmus iſt der Sancho Panſa des Idealiſmus. Aber oft geh 'ich weit und mache in mir edle Seelen, z. B. weibliche zum Theil laͤcherlich, indem ich ſie eſſen und als Selbſt-Futterbaͤnke ihre untern Kinnbacken ſo bewegen laſſe, daß ſie dem Thier vorſchneiden.

Walt unterdruͤckte ſein Misfallen an der Re¬ de. Begluͤckt aßen ſie oben vor der ausgebroche¬ nen Wand; die Abendroͤthe war das Tafellicht. Auf einmal rauſchte mit verlornem Donnern eine friſche Fruͤhlingswolke auf Laub und Graͤſer her¬ unter, der helle goldne Abendſaum blikte durch die herabtropfende Nacht, die Natur wurde eine einzige Blume und duftete herein und die erquick¬ te gebadete Nachtigall zog wie einen langen Strahl einen heiſſen langen Schlag durch die kuͤhle Luft. Vermiſſeſt du jezt ſonderlich, frag¬ te Vult, die Park-Baͤume, den Parukenbaum, den Gerberbaum oder hier oben die Bedien¬ ten, die Servicen, den Goldteller mit ſeinemFlegeljahre I. Bd. 12178Spiegel, damit darauf die Porzion mit falſchen Farben ſchwimme? Warlich nicht, ſagte Walt; ſieh, die ſchoͤnſten Edelſteine ſezt die Na¬ tur auf den Ring unſeres Bundes, und mein¬ te die Blize. Die Luftſchloͤſſer ſeiner Zukunft waren golden erleuchtet. Er wollte wieder vom Doppel-Romane und dem Stoff dazu anfan¬ gen und ſagte, er habe hinter der Schaͤferei heute drei hineinpaſſende Strekverſe gemacht. Aber der Floͤteniſt einer und derſelben Materie bald uͤberdruͤßig und nach Ruͤhrungen ordentlich des Spaſſes beduͤrftig, fragte ihn: warum er zu Pferde gegangen? Ich und der Vater, ſag¬ te Walt ernſt, dachten, eh wir von der Erbſchaft wuſten, ich wuͤrde dadurch der Stadt und den Kunden bekannter, weil man unter dem Thore, wie du weiſt, nur die Reiter ins Intelligenz¬ blatt ſezt. Da brachte der Floͤteniſt wieder den alten Reiterſcherz auf die Bahn und ſagte: der Schimmel gehe, wie nach Winkelmann die groſ¬ ſen Griechen, ſtets langſam und geſezt er habe nicht den Fehler der Uhren, die immer ſchneller gehen, je aͤlter ſie werden ja vielleicht179 ſei er nicht aͤlter als Walt, wiewohl ein Pferd ſtets etwas juͤnger ſein ſollte als der Reiter, ſo wie die Frau juͤnger als der Mann ein ſchoͤ¬ nes roͤmiſches Sta Viator, Steh 'Weg-Machen¬ der, bleibe der Gaul fuͤr den, ſo darauf ſize ....

O Lieber Bruder ſagte Walt ſanft, aber mit der Roͤthe der Empfindlichkeit und Vults Laune noch wenig faſſend und belachend zieh mich damit nicht mehr auf, was kann ich dafuͤr? Nu, nu, warmer Aſchgrau¬ kopf ſagte Vult und fuhr mit der Hand uͤber den Tiſch und unter alle ſeine weiche Locken, ſtreichelnd Haar und Stirn lies mir denn deine drei Polymeter vor, die du hinter der Schaͤ¬ ferei gelammet.

Er las folgende

Das ofne Auge des Todten

Blick 'mich nicht an, kaltes ſtarres, blin¬ des Auge, du biſt ein Todter, ja der Tod. O druͤcket das Auge zu, ihr Freunde, dann es iſt nur Schlummer.

Warſt du ſo truͤbe geſtimmt an einem ſo ſchoͤnen Tage. fragte Vult. Seelig war ich180 wie jezt ſagte Walt. Da druͤkte ihm Vult die Hand und ſagte bedeutend: dann gefaͤllts mir, das iſt der Dichter. Weiter!

Der Kinderball.

Wie laͤchelt, wie huͤpfet ihr blumige Genien, kaum von der Wolke geſtiegen! der Kunſt-Tanz und der Wahn ſchlept euch nicht und ihr huͤp¬ fet uͤber die Regel hinweg. Wie es tritt die Zeit herein und beruͤhrt ſie? Große Maͤnner und Frauen ſtehen da? Der kleine Tanz iſt er¬ ſtarrt, ſie heben ſich zum Gang und ſchauen einander ernſt ins ſchwere Geſicht? Nein, nein, ſpielet ihr Kinder, gaukelt nur fort in eurem Traum, es war nur einer von mir.

Die Sonnenblume und die Nachtviole.

Am Tage ſprach die volle Sonnenblume: Apollo ſtrahlt und ich breite mich aus, er wandelt uͤber die Welt und ich folge ihm nach. In der Nacht ſagte die Viole: niedrig ſteh 'ich und ver¬ borgen und bluͤhe in kurzer Nacht; zuweilen ſchimmert Phoͤbus milde Schweſter auf mich, da werd' ich geſehen und gebrochen, und ſterbe an der Bruſt.

181

Die Nachtviole bleibe die lezte Blume im heutigen Kranz! ſagte Vult geruͤhrt, weil die Kunſt gerade ſo leicht ihm ſpielen konnte, als er mit der Natur, und er ſchied mit einer Umar¬ mung. In Walts Nacht wurden lange Violen¬ beete geſaͤet an das Kopfkiſſen kamen durch die ofne Wand die Duͤfte der erquikten Landſchaft heran, und die hellen Morgentoͤne der Lerche ſo oft er das Auge aufthat, fiel es in den blauen vollgeſtirnten Weſten, an welchem die ſpaͤten Sternbilder nach einander hinunterzogen als Vor¬ laͤufer des ſchoͤnen Morgens.

Nro. 15. Rieſenmuſchel.

Die Stadt chambre garnie

Walt ſtand mit einem Kopfe voll Morgen¬ roth auf und ſuchte den bruͤderlichen, als er ſei¬ nen Vater, der ſich ſchon um 1 Uhr auf ſeine langen Beine gemacht, mit weiten Schritten und Reiſebleich durch den Hof laufen ſah. Er hielt ihn an. Er muſte lange gegen den Strafpredi¬ ger ſeine Gegenwart durch die ausgebrochene182 Mauer herunter vertheidigen. Darauf bat er den muͤden Vater, zu reiten, indes er zu Fuße ne¬ ben ihm laufe. Lukas nahm es ohne Dank an. Sehnſuͤchtig nach dem Bruder, der ſich nicht zei¬ gen durfte, verlies Walt die Buͤhne eines ſo hol¬ den Spielabends.

Auf dem wagrechten Wege, der keinen Waſ¬ ſertropfen rollen lies, bewegte ſich das Pferd oh¬ ne Tadel und hielt Schritt mit dem tauben Sohne, dem der Vater von der Sattel-Kanzel unzaͤhlige Rechts - und Lebensregeln herab warf. Was konnte Gottwalt hoͤren? Er ſah nur in - und auſſer ſich, glaͤnzende Morgenwieſen des Ju¬ gendlebens, ferner die Landſchaft auf beiden Seiten der Chauſſée, ferner die dunklen Blumen¬ gaͤrten der Liebe, den hohen hellen Muſenberg und endlich die Thuͤrme und Rauchſaͤulen der ausgebreiteten Stadt. Izt ſaß der Vater mit dem Befehle an den Notarius ab, durchs Thor zum Fleiſcher zu reiten, in ſein Logis, und um 10 Uhr in den weichen Krebs zu gehen, wo man auf ihn warten wolle, um mit ihm ge¬ hoͤrig vor dem Magiſtrate zu erſcheinen.

183

Walt ſaß auf und flog wie ein Cherub durch den Himmel. Die Zeit war ſo anmuthig; an den Haͤuſer-Reihen glaͤnzte weiſſer Tag; in den gruͤnen thauigen Gaͤrten bunter Morgen, ſelber ſein Vieh wurde poetiſch und trabte ungeheiſſen, weil es ſeinem Stall nahe und aus dem Herrn¬ hutiſchen hungrig kam. Der Notarius ſang laut im Fluge des Schimmels. Im ganzen Fuͤr¬ ſtenthum ſtand kein Ich auf einem ſo hohen Ge¬ hirnhuͤgel als ſein eigenes, welches daran herab wie von einem Aetna in ein ſo weites Leben voll morganiſcher Feen hineinſah, daß die blizenden Saͤulen, die umgekehrten Staͤdte und Schiffe den ganzen Tag haͤngen blieben in der Spie¬ gelluft.

Unter dem Thore befragte man ihn, woher. Von Haslau verſezte er entzuͤckt, bis er den laͤcherlichen Irrthum eilig umbeſſerte und ſagte: nach Haslau. Das Pferd regierte wie ein Wei¬ ſer ſich ſelber und brachte ihn leicht durch die bevoͤlkerten Gaſſen an den Stall, wo er mit Dank und in Eile abſtieg, um ſo fort ſeine chambre garnie zu beziehen. Auf den hellen184 Gaſſen voll Feldgeſchrei, gleichſam Kompagnie¬ gaſſen eines Luſtlagers, ſah ers gern, daß er ſeinen Hausherrn, den Hofagent Neupeter kaum finden konnte. Er gewann damit die Zeit, die verſchuͤttete Gottes-Stadt der Kindheit auszu¬ ſcharren und den Schutt weg zu fahren, ſo daß zulezt voͤllig dieſelben Gaſſen ans Sonnenlicht kamen, eben ſo praͤchtig, ſo breit, und voll Pallaͤſte und Damen, wie die waren, durch wel¬ che er einmal als Kind gegangen. Ganz wie zum erſtenmale, faſte ihn die Pracht des ewigen Getoͤſes, die ſchnellen Wagen, die hohen Haͤuſer mit ihren Statuen darauf und die flitternen Opern - und Gallakleider mancher Perſon. Er konnte kaum annehmen, daß es in einer Stadt einen Mittwoch, einen Sonnabend und andere platte Bauerntage gebe, und nicht jede Woche ein hohes Feſt von ſieben Feiertagen. Auch ſehr ſauer wurd 'es ihm zu glauben ſehen muſt' ers freilich, daß ſo gemeine Leute wie Schuh¬ flicker, Schneidermeiſter, Schmide und andere Ackerpferde des Staats, die auf die Doͤrfer ge¬ hoͤrten, mitten unter den feinſten Leuten wohnten und giengen.

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Er erſtaunte uͤber jeden Werkeltagshabit weil er ſelber mitten in der Woche den Sonntag anhabend den Nanking gekommen war; alle groſſe Haͤuſer fuͤllte er mit gepuzten Gaͤſten, und ſehr artigen Herren und Damen an, die je¬ ne liebe - winkend bewirtheten, und er ſah nach ihnen an alle Balkons und Erker hinauf. Er warf helle Augen auf jeden voruͤbergehenden lakierten Wagen, und auf jeden rothen Schaul, auf jeden Friſeur, der ſogar Werkeltags arbeitete und tafelfaͤhig machte und auf den Kopfſallat, der im Springbrunnen ſchon Vormittags gewaſchen wurde, anſtatt in Elterlein nur Sonntagsabends.

Endlich ſties er auf die lakirte Thuͤre mit dem goldgelben Titelblatt: Material - Hand¬ lung von Peter Neupeter et Compagnie und gieng durch die Ladenthuͤre ein. Im Gewoͤlbe wartete er es ab, bis die hin - und herſpringen¬ den Ladenſchuͤrzen alle Welt abgefertigt haͤtten. Zulezt, da endlich nach der Ancienneté der Mahlgaͤſte auch ſeine Reihe kam, fragte ihn ein freundliches Puͤrſchgen, was ihm beliebe: Nichts verſezte er ſo ſanft als es ſeine Stim¬186 me nur vermochte ich bekomme hier eine chambre garnie, und wuͤnſche dem Hrn. Hof¬ agenten mich zu zeigen. Man wies ihn an die Glasthuͤre der Schreibſtube. Der Agent mehr Seide im Schlafrock tragend als die Ge¬ richtsmaͤnnin im Sonntagspuz ſchrieb den Brief-Perioden gar aus und empfieng mit ei¬ nem Apfel-rothen und runden Geſichte den Miethsmann.

Der Notarius gedachte wahrſcheinlich, mit ſeinem Rosgeruch und ſeiner Spiesgerte zu im¬ ponieren als Reiter, aber fuͤr den Agenten den woͤchentlichen Lieferanten der groͤſten Leute und den jaͤhrlichen Glaͤubiger derſelben war ein Schock berittener Notarien von keiner ſonder¬ lichen Importanz.

Er rief ganz kurz einem Laden-Pagen her¬ riſch zu, den Herrn anzuweiſen. Der Page rief wieder auf der erſten Treppe ein bildſchoͤnes net¬ tes, ſehr verdruͤsliches Maͤdgen heraus, damit ſie den Herrn mit der Spiesgerte bis zur vierten braͤchte. Die Treppen waren breit und glaͤnzend, die Gelaͤnder figurierte Eiſen-Guirlanden, alles187 froh erhellt, die Thuͤr-Schloͤſſer und Leiſten ſchienen vergoldet, an den Schwellen lagen lan¬ ge bunte Teppiche. Unterwegs ſuchte er die Stumme dadurch zu erfreuen und zu belohnen, daß er ſanft ihren Namen zu wiſſen wuͤnſchte. Flora heiſſet der Name, womit das ſchoͤne muͤr¬ riſche Ding auf die Nachwelt uͤbergeht.

Die Chambre garnie gieng auf. Frei¬ lich nicht fuͤr jeden waͤre ſie geweſen, ausgenom¬ men als chambre ardente; mancher, der im rothen Hauſe zu Frankfurt oder im Egalitaͤts - Pallaſte geſchlafen, haͤtte an dieſem langen Men¬ ſchen-Koben voll Ururur-Moͤbeln, die man vor dem glaͤnzenden Hauſe hier zu verſtecken ſuchte, vieles freimuͤthig ausgeſezt. Aber ein Polymetri¬ ker im Goͤttermonat der Jugend, ein ewig ent¬ zuͤckter Menſch, der das harte Leben ſtets, wie Kenner die harten Cartons von Raphael, blos im (poetiſchen) Spiegel beſchauet und mildert der an einer Fiſcher-Hunds - und jeder Huͤtte ein Fenſter aufmacht und ruft: iſt das nicht praͤch¬ tig drauſſen? der uͤberall, er ſei im Eſkurial, das wie ein Roſt, oder in Carlsruh, das wie188 ein Faͤcher, oder in Meinungen, das wie eine Harfe, oder in einem Seewurm-Gehaͤuſe, das wie eine Pfeife gebauet iſt, die Sommerſeite fin¬ det und dem Roſte Feuerung abgewinnet, dem Faͤcher Kuͤhlung, der Harfen Toͤne, der See - Pfeife desfalls Ich meine uͤberhaupt, ein Menſch, wie der Notarius, der mit einem ſol¬ chen Kopfe voll Ausſichten uͤber die weite Bie¬ nenflora ſeiner Zukunft hin in den Bienenkorb einfliegt und einen fluͤchtigen Ueberſchlag des Ho¬ nigs macht, den er darinn aus tauſend Blu¬ men tragen wird, ein ſolcher Menſch darf uns weiter nicht ſehr in Verwunderung ſezen, wenn er ſogleich ans Abend-Fenſter ſchreitet, es auf¬ reiſſet und vor Floren entzuͤckt ausruft: goͤtt¬ liche Ausſicht! Da unten der Park ein Ab¬ ſchnitt Marktplaz dort die zwei Kirchthuͤrme druͤben die Berge Warlich ſehr ſchoͤn! Denn dem Maͤdchen wollt 'er auch eine kleine Freude zuwenden durch die Zeichen der ſeinigen.

Er warf jezt ſein gelbes Roͤckgen ab, um als Selbſtquartiermeiſter in Hemdaͤrmeln alles ſo zu ordnen, daß, wenn er von der verdruͤßli¬189 chen Erſcheinung vor dem Stadtrathe nach Hau¬ ſe kaͤme, er ſogleich ganz wie zu Hauſe ſein koͤnn¬ te, und nichts zu machen brauchte als die Fort¬ ſezung ſeines Himmels und ſeinen Strekvers und etwas von dem abgekarteten Doppelroman. Den Abhub der Zeit, den Bodenſaz der Mode, den der Agent im Zimmer fallen laſſen, nahm er fuͤr ſchoͤne Handelszeichen, womit der Handelsmann eine beſondere Sorgfalt fuͤr ihn offenbaren wol¬ len. Mit Freuden trug er von 12 gruͤnen in Tuch und Kuhhaar gekleideten Seſſeln die Haͤlf¬ te man konnte ſonſt vor Sitzen nicht ſte¬ hen ins Schlafgemach zu einem lakirten Re¬ genſchirm von Wachstuch und einem Ofenſchirm mit einem Frauen-Schattenris. Aus einer Kom¬ mode einem Haͤusgen im Haus zog er mit beiden Haͤnden ein Stockwerk nach dem an¬ dern aus, um ſeine nachgefahrne fahrende Habe darein zu ſchaffen. Auf einem Theetiſchgen von Zinn konnte alles Kalte und das Heiße getrun¬ ken werden, da es beides ſo kuͤhlte. Er erſtaunte uͤber den Ueberfluß, worinn er kuͤnftig ſchwimmen ſollte. Denn es war noch eine Paphoſe da, (er190 wuſte gar nicht was es war) ein Buͤcher¬ ſchrank mit Glasthuͤren, deren Rahmen und Schloͤſſer ihm, weil die Glaͤſer fehlten, ganz unbegreiflich waren, und worein er oben die Buͤ¬ cher ſchickte, unten die Notariats-Haͤndel ein blau angeſtrichener Tiſch mit Schubfach, worauf ausgeſchnittene bunte Bilder, Jagd - Blumen - und andere Stuͤcke zerſtreuet aufgepap¬ pet waren, und auf welchem er dichten konnte, wenn ers nicht lieber auf einem Arbeitstiſchgen mit Rehfuͤſſen und einem Einſaz von lakiertem Blech thun wollte endlich ein Kammerdiener oder eine Servante, die er als Sekretair an den Schreibtiſch drehte, um auf ihre Scheiben Pa¬ pier, eine feine Feder zur Poeſie, eine grobe zum Jus zu legen. Das ſind vielleicht die wichtigern Pertinenzſtuͤcke ſeiner Stube, wobei man Lappa¬ lien, leere Markenkaͤſtgen, ein Naͤhpult, einen ſchwarzen baſaltenen Kaligula, der aus Bruſt - Mangel nicht mehr ſtehen konnte, ein Wand¬ ſchraͤncklein u. ſ. w. nicht anſchlagen wollte.

Nachdem er noch einmal ſeine Stiftshuͤtte und deren Ordnung vergnuͤgt uͤberſchauet, und191 ſich zum Fenſter hinaus gelegt, und unten die weiſſen Kiesgaͤnge und dunckeln vollaubigen Baͤu¬ me beſehen hatte: machte er ſich auf den Weg zum Vater und freuete ſich auf den Treppen, daß er in einem ſo koſtbaren Hauſe ein elendes Wohn-Neſt beſize. Auf der Treppe wurde er von einem hellblauen Couvert an die Hofagentin feſt gehalten. Es roch wie ein Garten, ſo daß er bald auf der Duft-Wolke mitten in die niedlichſten Schreibzimmer der ſchoͤnſten Koͤniginnen und Herzoginnen und Landgraͤfinnen hinein ſchwamm: indes hielt ers fuͤr Pflicht, durch das Ladenge¬ woͤlbe zu gehen, und das Couvert redlich mit den Worten abzugeben: hier ſei etwas an Ma¬ dam. Hinter ſeinem Ruͤcken lachte ſaͤmmtliche Handels Pagerie ungewoͤhnlich.

Er traf ſeinen Vater in hiſtoriſcher Arbeit und Freude an. Dieſer ſtellte ihn als Univer¬ ſalerben ſaͤmmtlichen Gaͤſten vor. Er ſchaͤmte ſich als eine Merkwuͤrdigkeit dieſer Art lange dem Beſchauen blos zuſtehen, und beſchleunigte die Erſcheinung vor dem Stadtrath. Verſchaͤmt und bange trat er in die Rathsſtube, wo er ge¬192 gen ſeine Natur als ein hoher Saitenſteg da ſte¬ hen ſollte, auf welchen andere Menſchen wie Saiten geſpannt waren; er ſchlug die Augen vor den Akzeſſit-Erben nieder, die gekommen wa¬ ren, ihren Broddieb abzuwaͤgen. Blos der ſtol¬ ze Neupeter fehlte ſammt dem Kirchenrath Glanz, der ein viel zu beruͤhmter Prediger auf dem Kan¬ zel - und dem Schreibpulte war, um zur Schau eines ungedruckten Menſchen nur drei Schritte zu thun, von dem er die groͤſte Begierde forder¬ te, vielmehr Glanzen aufzuſuchen.

Der regierende Burgermeiſter und Exekutor Kuhnold wurde mit Einem Blick der heimliche Freund des Juͤnglings, der mit ſo erroͤthendem Schmerz ſich allein, vor den Augen ſtehender gefraͤßiger Zuſchauer an die gedeckte Gluͤckstafel ſezte. Lukas aber beſichtigte jeden ſehr ſcharf.

Das Teſtament wurde verleſen. Nach dem Ende der 3ten Klauſel zeigte Kuhnold auf den Fruͤhprediger Flachs, als den redlichen Finder und Gewinner des Kabelſchen Hauſes; und Walt warf ſchnell die Augen auf ihn und ſie ſtanden voll Gluͤckwuͤnſche und Goͤnnen.

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Als er in der 4ten Klauſel ſich anreden hoͤr¬ te vom todten Wohlthaͤter: ſo waͤre er den Thraͤ¬ nen, deren er ſich in der Rathsſtube ſchaͤmte, zu nahe gekommen, wenn er nicht uͤber Lob und Tadel wechſelnd haͤtte erroͤthen muͤſſen. Der Lor¬ beerkranz, und die Zaͤrtlichkeit, womit Kabel ihm jenen aufſezte, begeiſterte ihn mit einer ganz andern heiſſern Liebe als das Fuͤllhorn, das er uͤber ſeine Zukunft ausſchuͤttete. Die darauf folgenden Stellen, welche fuͤr den Vortheil der 7 Erben allerlei ausſprachen, verſezten dem Schultheis den Athem, indem ſie dem Sohne einen freiern gaben. Nur bei der 14ten Klauſel, die ſeiner unbefleckten Schwanenbruſt den Schand¬ flek einer weiblichen Verfuͤhrung zutrauete oder verbot, wurde ſein Geſicht eine rothe Flamme; wie konnte, dachte er, ein ſterbender Menſchen¬ freund ſo oft ſo unzart ſchreiben?

Nach der Ableſung des Teſtaments begehr¬ te Knoll nach der 11ten Klauſel Harniſch muß einen Eid von ihm, nichts auf das Teſta¬ ment zu entlehnen. Kuhnold ſagte, er ſei nur an Eides ſtatt es zu geloben ſchuldig. IchFlegeljahre. I. Bd. 13194kann ja zweierlei thun; denn es iſt ja einerlei, Eid und an Eidesſtatt und jedes bloße Wort ſagte Walt; aber der biedere Kuhnold ließ es nicht zu. Es wurde protokolliert, daß Walt den Notarius zum erſten Erbamt auswaͤhle Der Vater erbat ſich Teſtaments-Kopie, um davon eine fuͤr den Sohn zu nehmen, welche die¬ ſer taͤglich als ſein altes und neues Teſtament leſen und befolgen ſollte. Der Buchhaͤndler Pasvogel beſah und ſtudierte den Geſammt-Er¬ ben nicht ohne Vergnuͤgen und verbarg ihm ſei¬ ne Sehnſucht nach den Gedichten nicht, deren das Teſtament, ſagt 'er, fluͤchtig erwaͤhne Der Polizeiinſpektor Harprecht nahm ihn bei der Hand und ſagte: Wir muͤſſen uns oͤfters ſu¬ chen, Sie werden kein Erb-Feind von mir ſein und ich bin ein Erbfreund; man ge¬ woͤhnt ſich zuſammen und kann ſich dann ſo we¬ nig entbehren, wie einen alten Pfahl vor ſeinem Fenſter, den man, wie Le Vayer ſagt, nie ohne Empfindung ausreiſſen ſieht. Wir wollen ein¬ ander dann wechſelſeitig mit Worten verkleinern; denn die Liebe ſpricht gern mit Verkleinerungs¬195 woͤrtern. Walt ſah ihm arglos ins Auge, aber Harprecht hielt es lange aus.

Ohne Umſtaͤnde ſchied Lukas vom geruͤhrten Sohne, um die Kabelſchen Erbſtuͤcke, den Gar¬ ten und das Waͤldgen vor dem Thore und das verlorne Haus in der Hundsgaſſe ſo lange zu be¬ ſehen, bis der Rathsſchreiber den lezten Willen mochte abgeſchrieben haben.

Gottwalt ſchoͤpfte wieder Fruͤhlings-Athem, als er die Rathsſtube wie ein enges dumpfiges Winterhaus voll finſterer Blumen aus Eis ver¬ laſſen hatte; ſo vieles hatt 'ihn bedraͤngt; er hat¬ te der unreinen Mimik des Hunds - und Heishun¬ gers gemeiner Welt-Herzen zuſchauen und ſich verhaſt und verworren ſehen muͤſſen die Erbſchaft hatte, wie ein Berg, die bisher von der Ferne und der Phantaſie verſtekten und ge¬ fuͤllten Graͤben und Thaͤler jezt in der Naͤhe auf¬ gedeckt und ſich ſelber weiter hinausgeruͤckt der Bruder und der Doppelroman hatten unauf¬ hoͤrlich ihm in die enge Welt hinein, die Zeichen einer unendlichen gegeben und ihn gelockt, wie den Gefangnen bluͤhende Zweige und Schmet¬196 terlinge, die ſich auſſen vor ſeinen Gittern be¬ wegen.

Der liebliche Jeſuiterrauſch, den jeder den ganzen erſten Tag in einer neuen groſſen Stadt im Kopfe hat, war in der Rathsſtube meiſtens verraucht. An der Wirthstafel, an der er ſich einmiethete, kam unter der rauhen eheloſen Zi¬ vil-Kaſerne von Sachwaltern und Kanzelliſten uͤber ſeine Zunge, auſſer etwas weniges von einer geraͤucherten, nichts, kein warmer Bruder-Laut, den er haͤtte ausſprechen oder erwiedern koͤnnen. Den Bruder Vult wuſt 'er nicht zu finden; und am ſchoͤnſten Tage blieb er daheim, damit ihn dieſer nicht fehl gienge. In der Einſamkeit ſezte er ein kleines Inſerat fuͤr den Haslauer Kriegs - und Friedens-Boten auf, worinn er als Nota¬ rius anzeigte, wer und wo er ſei; ferner einen kurzen anomymen Strekvers fuͤr den Poeten - Winkel des Blattes Poets corner uͤber¬ ſchrieben der Fremde.

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Gemein und dunkel wird oft die Seele ver¬ huͤllt, die ſo rein und offen iſt; ſo deckt graue Rinde das Eis, das zerſchlagen, innen licht und hell und blau wie Aether erſcheint. Bleib 'euch ſtets die Huͤlle fremd, bleib' es euch nur der Verhuͤllte nicht.

Schwerlich werden einem Haslauer Ohre von einiger Zaͤrte die Haͤrten dieſes Verſes z. B. der Proceleusmatikus: kel wird oft die der zweite Paͤon: die Huͤlle fremd der Moloſ¬ ſus: bleib 'euch ſtets entwiſchen; durfte aber nicht der Dichter ſeine Ideen-Kuͤrze durch einige metriſche Rauhheit erkaufen? Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit, daß es dem Dichter keinen Vortheil ſchaft, daß man ſeine Strek - und Ein¬ verſe nicht als Eine Zeile drucken laſten kann; und es waͤre zu wuͤnſchen, es gaͤbe dem Werke keinen laͤcherlichen Anſtrich, wenn man aus dem¬ ſelben arm lange Papierwickel wie Flughaͤute flattern ließe, die herausgeſchlagen dem Kinde etwan wie ein Segelwerk von Wickelbaͤndern ſaͤſ¬198 ſen; aber ich glaube nicht, daß es Gluͤck machte.

Darauf kaufte ſich der Notar im Laden drei unbedeutende Viſitenkarten, weil er glaubte, er muͤſſe auf ihnen an die beiden Toͤchter und die Frau des Hauſes ſeinen Namen abgeben; und gab ſie ab. Als er eilig ſeine Inſerate in der nahen Zeitungsdruckerei ablieferte: fiel ſein Auge erſchreckend auf das neueſte Wochenblatt, worinn noch mit naſſen Buchſtaben ſtand:

Das Floͤtenkonzert muß ich noch immer verſchieben, weil ein ſchnell wachſendes Augen - Uebel mir verbietet, Noten anzuſehen.

J. van der Harniſch.

Welch 'einen ſchweren Kummer trug er aus der Druckerei in ſein Stuͤbgen zuruͤck! Auf den ganzen Fruͤhling ſeiner Zukunft war tiefer Schnee gefallen, ſo bald ſein freudiger Bruder die freu¬ digen Augen verloren, die er an ſeiner Seite darauf werfen ſollte. Er lief muͤſſig im Zimmer auf und ab, und dachte nur an ihn. Die Son¬ ne ſtand ſchon gerade auf den Abendbergen und fuͤllte das Zimmer mit Goldſtaub; noch war der199 Geliebte unſichtbar, den er geſtern von derſelben Sonnenzeit erſt wieder bekommen. Zulezt fieng er wie ein Kind zu weinen an, aus ſtuͤrmiſchem Heimwehe nach ihm, zumal da er nicht einmal am Morgen hatte ſagen koͤnnen: guten Morgen und lebe wohl Vult!

Da gieng die Thuͤre auf und der feſtlich ge¬ kleidete Floͤteniſt herein. O mein Bruder! rief Walt ſchmerzlich freudig. Donner! leiſe, fluch¬ te Vult leiſe, es geht hinter mir nenne mich Sie! Flora kam nach. Morgen Vormit¬ tags demnach, H. Notarius, fuhr Vult fort, wuͤnſche ich, daß ſie den Miethkontrakt zu Pa¬ pier braͤchten. Tu parles françois, Mon¬ ſieur? Miſérablement, verſezte Walt, ou non. Darum, Monſieur, komme ich ſo ſpaͤt, erwiederte Vult, weil ich erſtlich meine eigne Wohnung ſuchte und bezog und zweitens in einer und der andern fremden einſprach; denn wer in einer Stadt viele Bekanntſchaften machen will, der thue es in den erſten Tagen, wo er einpaßirt; da ſucht man noch die ſeinige, um ihn nur uͤberhaupt zu ſehen; ſpaͤter, wenn man200 ihn hundertmal geſehen, iſt man ein alter Hering, der zu lange in der aufgeſchlagenen Tonne auf dem Markte blos geſtanden.

Gut, ſagte Walt, aber mein ganzer Him¬ mel fiel mir aus dem Herzen heraus, da ich vor¬ hin in dem Wochenblatte die Augenkrankheit las und zog leiſe die Thuͤre des Schlafkaͤmmer¬ gens zu, worinn Flora bettete. Die Sache bleibt wohl die fieng Vult an und ſties Kopfſchuͤttelnd die Pforte wieder auf pu¬ doris gratia factum eſt atque formoſita¬ tis*) Es geſchah der Schamhaftigkeit und Wohlgeſtalt zu Liebe. , erwiederte Walt auf das Schuͤtteln bleibt wohl die, ſag 'ich, was Sie auch moͤgen hier eingewendet haben, die daß das deutſche Kunſtpublikum ſich in nichts inniger verbeiſſet als in Wunden oder in Metaſtaſen. Ich meine aber weiter nichts als ſoviel: daß das Publikum z. B. einen Maler ſehr gut bezahlt und rekom¬ mandirt, der aber etwan mit dem lincken Fuße pinſelte oder einen Horniſten, der aber mit der Naſe blieſe desgleichen einen Harfenierer,201 der mit beiden Zahnreihen griffe, auch einen Poeten, der Verſe machte, aber im Schlafe und ſo demnach auch in etwas einen Flantotra¬ verſiſten, der ſonſt gut pfiffe, aber doch den zwei¬ ten Vorzug Duͤlons haͤtte, ſtockblind zu ſein. Ich ſagte noch Metaſtaſen, naͤmlich muſikali¬ ſche. Ich gab einmal einem Fagotiſten, und ei¬ nem Bratſchiſten, dir zuſammen reiſeten, den Rath, ihr Gluͤck dadurch zu machen, daß der Fagotiſt ſich auf dem Zettel anheiſchig machte, auf dem Fagot etwas Bratſchen-Gleiches zu ge¬ ben, und der andere, auf der Bratſche ſo etwas vom Fagot. Ihr machts nur ſo, ſagt' ich, daß ihr euch ein finſteres Zimmer wie die Mund - Harmoniker oder Lolli bedingt; da ſpiele denn jeder ſein Inſtrument und geb 'es fuͤr das frem¬ de, ſo wie jener ein Pferd, das er mit dem Schwanze an die Krippe gebunden, als eine be¬ ſondere Merkwuͤrdigkeit ſehen lies, die den Kopf hinten trage. Ich weis aber nicht, ob ſie es gethan.

Flora gieng; und Vult fragte ihn, was er mit der Thuͤrſchlieſſerei und dem Latein gewollt.

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Gottwalt umarmte ihn erſt recht als Bru¬ der, und ſagte dann, er ſei nun ſo, daß er ſich ſchaͤme und quaͤle, wenn er eine Schoͤnheit wie Flora in die knechtiſchen Verhaͤltniſſe der Arbeit geſtuͤrzt und vergraben ſehe; eine niedrig hand¬ thierende Schoͤnheit ſei ihm eine welſche Madon¬ na mitten auf einem niederlaͤndiſchen Gemaͤl¬ de. Oder jener Correggio, den man in Schwe¬ den an die koͤniglichen Stallfenſter annagelte als Stall-Gardine*)Winkelmann von der Nachahmung ꝛc. ſagte Vult aber erzaͤh¬ le das Teſtament!

Walt thats und vergaß etwan ein Drittel: ſeit die poetiſchen Aethermuͤhlfluͤgel, die du Muͤh¬ lenbaumeiſter angegeben, ſich vor mir auf ihren Hoͤhen regen, iſt mir die Teſtaments-Sache ſchon ſehr unſcheinbar geworden ſezte er dazu.

Das iſt mir gar nicht recht verſezte Vult. Ich habe den ganzen heutigen Nachmittag auf ei¬ ne ennuyante Weis lange ſchwere Dollonds und Reflektors gehalten, um die H. Akzeſſit-Erben von weitem zu ſehen ſo die meiſten davon ver¬203 dienen den Galgenſtrang als Nabelſchnur der zweiten Welt. Du bekommſt wahrlich ſchwere Aufgaben durch ſie. Walt ſah ſehr ernſthaft aus. Denn, fuhr jener luſtiger fort, erwaͤgt man dein liebliches Nein und Adio, als Flora vorhin nach Befehlen fragte und ihr belvedere d. h. ihre belle-vue von ſchoͤnem Geſicht und dazu das enterbte Diebs - und Siebengeſtirn, das dir vielleicht blos wegen der Klauſel, die dich um ein Sechſtel puncto Sexti zu ſtrafen droht, eine Flora ſo nahe mag hergeſezt haben, die zu deflorieren

Bruder unterbrach ihn der zorn - und ſchamrothe Juͤngling und hofte, eine ironiſche Frage zu thun iſt das die Sprache eines Welt¬ manns wie du? Auch wollt 'ich effleurer ſagen ſtatt déflorer, ſagte Vult. O, reiner ſtarker Freund, die Poeſie iſt ja doch ein paar Schlittſchuh, womit man auf dem glatten reinen kryſtallenen Boden des Ideals leicht fliegt, aber miſerabel forthumpelt auf gemeiner Gaſſe. Er brach ab und fragte nach der Urſache, warum er ihn vorhin ſo traurend gefunden. Walt, jezt204 zu verſchaͤmt, ſein Sehnen zu bekennen, ſagte blos, wie es geſtern ſo ſchoͤn geweſen und wie immer, ſo wie in andere Feſte Krankheiten*)Weil die meiſten Feſte in große Wetter-Kriſen treffen. fallen, ſo in die heiligſten der Menſchen Schmer¬ zen, und wie ihm das Augen - Uebel in der Zei¬ tung wehe gethan, das er noch nicht recht ver¬ ſtehe.

Vult entdeckt 'ihm den Plan, daß er naͤm¬ lich vorhabe, ſo geſund auch ſein Auge ſei, es jeden Markttag ein Wochenblatt fuͤr kraͤnker und zulezt fuͤr ſtockblind auszurufen, und als ein blinder Mann ein Floͤtenkonzert zu geben, das eben ſo viele Zuſchauer als Zuhoͤrer anziehe. Ich ſehe, ſagte Vult, du willſt jezt auf die Kanzel¬ treppe hinauf; aber predige nicht; die Menſchen verdienen Betrug Gegen dich hingegen bin ich rein und offen, und deine Liebe gegen den Menſchen lieb' ich etwas mehr als den Menſchen ſelber. O wie darf denn ein Menſch ſo ſtolz ſein und ſich fuͤr den einzigen halten, dem allein die volle Wahrheit zufließe? fragte Walt 205 Einen Menſchen, verſezte Vult, muß jeder, der auf den Reſt Dampf und Nebel loslaͤſſet, beſizen, einen Auserwaͤhlten, vor dem er Panzer und Bruſt aufmacht und ſagt: guck 'hinein. Der Gluͤckliche biſt nun du; blos weil du ſo viel du auch, merk' ich, Welt haſt, doch im Ganzen ein frommer, feſter Geſelle biſt, ein reiner Dichter und dabei mein Bruder, ja Zwil¬ ling und ſo laſſ 'es dabei!

Walt wuſte ſich in keine Stelle ſo leicht und gut zu ſezen als in die fremde; er ſah der ſchoͤ¬ nen Geſtalt des Geliebten dieſe Sommerſproſſen und Hizblattern des Reiſelebens nach und glaub¬ te, ein Schattenleben wie ſeines haͤtte Vulten die¬ ſe vielfaͤrbige moraliſche Neſſelſucht gewiß er¬ ſpart. Bis tief in die Nacht, brachten beide ſie mit friedlichen Entwuͤrfen und Graͤnzrezeſſen ihres Doppelromans zu und das ganze hiſtori¬ ſche erſte Viertel ihrer romantiſchen Himmels¬ kugel ſtieg ſo hell am Horizonte empor, daß Walt den andern Tag weiter nichts brauchte, als Stuhl und Dinte und Papier und anzufan¬ gen. Froh ſah er dem morgenden Sonntag ent¬206 gegen; der Floͤteniſt aber jenem Abend, wo er, wie er ſagte, wie ein Finke geblendet pfeife.

Nro. 16. Bergguhr.

Sonntag eines Dichters.

Walt ſezte ſich ſchon im Bette auf, als die Spizen der Abendberge und der Thuͤrme dunkel¬ roth vor der fruͤhen July-Sonne ſtanden, und verrichtete ſein Morgengebet, worinn er Gott fuͤr ſeine Zukunft dankte. Die Welt war noch leiſe, an den Gebuͤrgen verlief das Nachtmeer ſtill, ferne Entzuͤckungen oder Paradiesvoͤgel flogen ſtumm auf den Sonntag zu. Walt haͤt¬ te ſich gefuͤrchtet, ſeine namenloſe Wonne laut zu machen, wenn's nicht vor Gott geweſen waͤre. Er begann nun den Doppelroman. Es iſt bekannt genug, daß unter allen Kapiteln keine ſeeliger geſchrieben werden (auch oft ge¬ leſen) als das erſte und dann das lezte, gleich¬ ſam auch ein Sonntag und ein Sonnabend. Be¬ ſonders erfriſcht 'es ihn, daß er nun einmal oh¬ ne allen juriſtiſchen Gewiſſens - biß auf dem207 Parnas ſpazieren gehen durfte, und oben mit einer Muſe ſpielen; indem er, hoft' er, ge¬ ſtern im juriſtiſchen Fache das Seinige gearbeitet, naͤmlich das Teſtament vernommen und erwogen. Da den Abend vorher war ausgemacht worden, daß der Held des Doppelromans einen langen Band hindurch ſich nach nichts ſehnen ſollte, als blos nach einem Freunde, nicht nach einer Hel¬ din: ſo ließ er ihn es zwei Stunden, oder im Bu¬ che ſelber ſo viele Jahre lang, wirklich thun; er ſelber aber ſehnte ſich auch mit und uͤber die Maſ¬ ſen. Das Schmachten nach Freundſchaft, dieſer Doppelfloͤte des Lebens, holt 'er ganz aus eigner Bruſt; denn der geliebte Bruder konnte ihm ſo wenig wie der geliebte Vater, einen Freund erſpa¬ ren.

Oft ſprang er auf, beſchauete den duftigen goldhellen Morgen, oͤfnete das Fenſter und ſeg¬ nete die ganze frohe Welt, vom Maͤdchen am Springbrunnen an bis zur luſtigen Schwalbe im blauen Himmel. So ruͤkt die Bergluft der eig¬ nen Dichtung alle Weſen naͤher an das Herz des Dichters und ihm, erhoben uͤber das Leben, naͤ¬208 hern die Lebendigen ſich mehr und das Groͤſte in ſeiner Bruſt befreundet ihn mit dem Kleinſten in der fremden. Fremde Dichtungen hingegen er¬ heben den Leſer allein, aber den Boden und die Nachbarſchaft nicht mit.

Allmaͤhlig ließ ihn der Sonntag mit ſeinem Schwalbengeſchrei, Kirchengelaͤute, ſeinen Laden¬ diener-Klopfwerken und Nach-Walkmuͤhlen an Sonntagsroͤcken in allen Korridoren ſchwer mehr ſizen; er ſehnte ſich nach einem und dem andern leibhaften Strahl der Morgenſonne, von welcher ihm in ſeinem Abendſtuͤbchen nichts zu Geſichte kam als der Tag. Nachdem lange der Schreib¬ tiſch und die ſonnenhelle Natur ihre magnetiſchen Staͤbe an ihn gehalten und er ſich vergeblich zwei Ichs gewuͤnſcht, um mit dem einen ſpazieren zu gehen, waͤhrend das andere mit der Feder ſas: ſo verkehrte er dieſes in jenes und trug die Bruſt voll Himmelsluft und den Kopf voll Landſchaf¬ ten (Aurorens Gold-Woͤlkgen ſpielten ihm auf der Gaße noch um die Augen) uͤber den frohen lauten Markt, und zog mit dem Viertels-Fluͤgel der Fuͤrſtlichen Kriegsmacht fort, welcher blies209 und trommelte, und der Nikolaithurm warf dazu ſeine Blaſemuſik in die unters hinein, die mit ihr im verbotenen Grade der Sekunde verwandt wur¬ de. Drauſſen vor dem Thore hoͤrte er, daß das magiſche wie von Fernen kommende Freudenge¬ ſchrei in ſeinem Innern von einem ſchwarzen flie¬ genden Corps oder Chor Kurrentſchuͤler ausge¬ ſprochen wurde, das in der Vorſtadt fugierte und ſchrie. Herrlich wiegte ſich in bunter Fuͤlle der van der Kabelſche Garten vor ihm, den er ein¬ mal erben konnte, wenn ers recht anfieng und recht ausmachte; er gieng aber verſchaͤmt nicht hinein, weil Menſchen darin ſaſſen, ſondern er¬ ſtieg das nahe Kabelſche Waͤldgen auf dem Huͤ¬ gel.

Darinn ſas er denn entzuͤkt auf Glanz und Thau, und ſah gen Himmel und uͤber die Erde. Allmaͤhlig ſank er ins Vortraͤumen hinein was ſo verſchieden vom engern Nachtraͤumen iſt, da die Wirklichkeit dieſes einzaͤunt, indeß der Spielplaz der Moͤglichkeit jenem frei liegt. Auf dieſem heitern Spielplaze beſchlos er das groſſe Goͤtterbild eines Freundes aufzurichten undFlegeljahre I. Bd. 14210ſolches ganz ſo zu meiſeln was er im Romane nicht gedurft wie ers fuͤr ſich brauchte. Mein ewig theurer Freund, den ich einmal gewis be¬ komme ſagt 'er zu ſich iſt goͤttlich, ein ſchoͤner Juͤngling und dabei von Stande, etwa ein Erbprinz oder Graf; und eben dadurch ſo zart ausgebildet fuͤr das Zarte. Im Geſicht hat er viel Roͤmiſches und Griechiſches, eine klaſſiſche Naſe aus deutſcher Erde gegraben; aber er iſt doch die mildeſte Seele, nicht blos die feurigſte, die ich je gefunden, weil er in der Eiſen-Bruſt zur Wehre, ein Wachs-Herz zur Liebe traͤgt. So treuen, unbeflekten, ſtarken Gemuͤths, mit groſ¬ ſen Felſen-Kraͤften, gleich einer Bergreihe, nur gerade gehend ein wahres philoſophiſches Genie oder auch ein militairiſches oder ein diplo¬ matiſches daher ſezt er mich und viele eben in ein wahres Staunen, daß ihn Gedichte und Ton¬ kunſt entzuͤcken bis zu Thraͤnen. Anfangs ſcheue¬ te ich ordentlich den geruͤſteten Kriegsgott; aber endlich einmal in einem Garten in der Fruͤhlings - Daͤmmerung oder weil er ein Gedicht uͤber die Freundſchaft der zuruͤkgetretenen Zeiten hoͤrte,211 uͤber den griechiſchen Phalanx, der bis in den Tod kaͤmpfte und liebte, uͤber das deutſche Schuz - und Truzbuͤndnis befreundeter Maͤnner; da greift ihm das Verlangen nach der Freundſchaft wie ein Schmerz nach dem Herzen und er traͤumt ſich ſeufzend eine Seele, die ſich ſehnet wie er. Wenn dieſe Seele das Schikſal will, daß ichs ſei endlich neben ſeinen ſchoͤnen Augen voll Thraͤnen ſteht, alles recht gut erraͤth, ihm offen entgegenkommt, ihn ihre Liebe, ihre Wuͤnſche, ihren guten Willen, wie klare Quellen durch¬ ſchauen laͤſſet, gleichſam als wollte ſie fragen, iſt dir weniges genug: ſo koͤnnt' es wohl ein zweites gutes Schickſal fuͤgen, daß der Graf, gleich Gott alle Seelen liebend, auch wie ein Gott ſich meine zum Sohne des Herzens er¬ waͤhlte, der dem Gotte dann gleich werden kann daß dann wir beide in der hellſten Le¬ bensſtunde einen Bund ewiger, ſtarker, unver¬ faͤlſchter Liebe beſchwuͤren .....

Den Traum durchriß ein ſchoͤner langer Juͤngling, der in rother Uniform auf einem Eng¬ laͤnder unten auf der Heerſtraße voruͤberflog,212 dem Stadtthore zu. Ein gut gekleideter Bettler lief mit dem ofnen Hute ihm entgegen dann ihm nach, dann voraus der Juͤngling kehr¬ te das Roß um der Bettler ſich und jezt hielt jener in den Taſchen ſuchend, den ſtolzen Waffentanz des ſchoͤnen Roſſes ſo lange auf, daß Walt ziemlich leicht die Melancholie auf dem prangenden Geſicht, wie Mondſchein auf einem Fruͤhling, bemerken konnte, ſo wie einen ſolchen Stolz der Naſe und der Augen, als koͤnn 'er die Siegszeichen des Lebens verſchencken. Der Juͤngling warf dem Manne ſeine Uhr in den Hut, welche dieſer lang an der Kette trug, indem er mit dem Dancke dem Galoppe nachzukommen ſuchte.

Jzt war der Notarius nicht mehr im Stan¬ de, eine Minute aus der Stadt zu bleiben, wo¬ hin der Reiter geflogen war, der ihm faſt als der Freund, naͤmlich als der Gott vorkam, den er vorher im Traume mit den Abzeichen aller uͤbrigen Goͤtter (ſignis Pantheis) gepuzet hat¬ te. Befreunden ſagt 'er zu ſich, in ſeinem romantiſchen durch das Teſtament noch geſtaͤrkten213 Muthe, und auf ſein liebe-quellendes Herz ver¬ trauend wollten wir uns leicht, falls wir uns erſt haͤtten. Er waͤre gern zu ſeinem Bruder gegangen, um ſowohl das duͤrſtende Herz an deſſen Bruſt zu kuͤhlen, als ihn uͤber den ſchoͤ¬ nen Juͤngling auszufragen; aber Vult hatte ihn gebeten, der Spionen wegen und beſonders vor dem Blinden - Konzert den Beſuch viel lieber an¬ zunehmen als abzuſtatten.

Mitten aus dem heiligen Opferfeuer rief ihn der Hofagent Neupeter in ſeine dunkle Schreib - Stube hinein, damit er darin vor dem Eſſen einige Wechſel proteſtierte. Wie an einem Kaͤfer, der erſt vom Fluge gekommen, hiengen an ihm die Fluͤgel noch lang unter den Fluͤgeldecken her¬ aus; aber er proteſtierte doch mit wahrer Luſt, es war ſein erſter Notariats - Aktus; und was ihm noch mehr galt ſeine erſte Dank¬ handlung gegen den Agenten. Nichts wurde ihm laͤnger und laͤſtiger als das erſte Vier¬ teljahr, worinn ein Menſch ihn beherbergte, oder bediente, oder bekoͤſtigte, blos weil ihm der Menſch ſo viele Dienſte und Muͤhen vorſchos,214 ohne von ihm noch das Geringſte zu ziehen. Er proteſtierte gut und ſehr, muſte ſich aber vom laͤchelnden Kaufmann den Monatstag ausbit¬ ten, und war uͤberhaupt kaum bei ſich; denn immerhin komme ein Menſch mit der poetiſchen Luftkugel, die er durch Adler in alle helle Aether¬ raͤume hat reiſſen laſſen, ploͤzlich unten auf der Erde an, ſo haͤngt er doch noch entzuͤckt unter dem Glob 'und ſieht verbluͤft umher.

Das war der Sonntags-Vormittag. Der Nachmittag ſchien ſich anders anzufangen. Walt war von der hellen Wirthstafel wo er mit ſeinem Puder und Nanking zwiſchen Atlas, Mancheſter, Lockzoͤpfen, Degen, Battiſt, Rin¬ gen und Federbuͤſchen wettgeeifert und geſpeiſet hatte in ſeine Schattenſtube im voͤlligen Sonn¬ tagspuz zuruͤckgegangen, den er nicht ausziehen konnte, weil eben der Puz in nichts als in eini¬ gem Puder beſtand, womit er ſich ſonntaͤglich beſaͤete. Sah er ſo weiß aus, ſo ſchmeckt 'er freilich ſo gut als der Fuͤrſt, was ſowohl Sonn¬ tage heiſſen als Puz. Sogar dem Bettler bleibt ſtets der Himmel des Puzwerkes offen; denn215 das Gluͤck weht ihm irgend einen Lappen zu, wo¬ mit er ſein groͤßtes Loch zuflickt; dann ſchauet er neugeboren und aufgeblaſen umher und bietet es ſtill ſchlechtem poroͤſen Bettel-Volk. Nur aber war der frohe Vorſaz, den ganzen Nach¬ mittag ſeinem Kopfe und ſeinem Romane dich¬ tend zu leben, jezt uͤber ſeine Kraͤfte, blos wegen des Sonntags-Schmucks; ein gepuderter Kopf arbeitet ſchwer. So muͤſte zum Beiſpiel gegen¬ waͤrtiger Verfaſſer ſtekte man ihn in dieſer Minute zur Probe in Koͤnigsmaͤntel, in Kroͤ¬ nungsſtruͤmpfe, in Sporenſtiefel, unter Chur¬ huͤte auf ſolche Weiſe verziert, die Feder weglegen und verſtopft aufſtehen, ohne den Nach¬ mittag zu Ende gemalt zu haben; denn es geht gar nicht im herrlichſten Anzug; ausgenom¬ men allein bei dem verſtorbenen Buͤffon, von welchem Madame Necker berichtet, daß er zuerſt ſich wie zur Galla und darauf erſt ſeine Bemer¬ kungen eingekleidet, um welche er als ein gepuz¬ ter und puzender Kammerdiener herum gieng, indem er ihnen Vormittags die Nennwoͤrter an¬ zog, und Nachmittags die Beiwoͤrter.

216

Den Notar ſtoͤrte auſſer dem Puder noch das Herz. Die Nachmittags-Sonne glitt jezt herein und ihre Blicke ſogen und zogen hinaus in die helle Welt, ins Freie; er bekam das Sonn¬ tags-Heimweh, was faſt armen Teufeln mehr bekannt und beſchwerlich iſt, als reichen. Wie oft trug er in Leipzig an ſchoͤnen Sonntagen die Veſper-Wehmuth durch die entvoͤlkerten Al¬ leen um die Stadt! Nur erſt Abends, wenn die Sonne und die Luſt-Gaͤſte heimgiengen, wurd 'ihm wieder beſſer. Ich habe geplagte Kammer¬ jungfern gekannt, welche im Stande waren, woͤchentlich ſiebenthalbe Tage zu lachen und zu ſpringen, nur aber Sonntags nach dem Eſſen unmoͤglich; das Herz und das Leben wurd' ih¬ nen Nachmittags zu ſchwer, ſie ſtrichen ſo lan¬ ge in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit herum, bis ſie darinn auf irgend ein dunkles Plaͤzgen ſtießen, etwan auf ein altes niedriges Grab, worauf ſie ſich ſezten, um ſich auszuwei¬ nen, bis die Herrſchaft wieder kam. Graͤfin, Baroneſſe, Fuͤrſtin, Mulattin, Hollaͤnderin, oder Freiin, oie du nach weiblicher Weiſe immer217 noch herriſcher gegen die Sklavin biſt als gegen den Sklaven ſei das doch Sonntags nach dem Eſſen nicht! Die Leute in deinem Dienſte ſind arme Landteufel, fuͤr welche der Sonntag, der in großen Staͤdten, in der großen Welt und auf großen Reiſen gar nicht zu haben iſt, ſonſt ein Ruhe-Tag war, als ſie noch gluͤcklicher wa¬ ren, naͤmlich noch Kinder. Gern werden ſie, ohne etwas zu wuͤnſchen, leer und trocken bei deinen Hoffeſten, Hochzeit - und Leichenfeſten ſte¬ hen, und die Teller und die Kleider halten; aber an dem Sonntage, dem Volks - und Menſchen¬ feſt, auf das alle Wochen-Hoffnungen zielen, glauben die Armen, daß ihnen irgend eine Freu¬ de der Erde gebuͤhre, da ihnen zumal die Kin¬ derzeit einfallen muß, wo ſie an dieſem Bundes - Feſte der Luſt wirklich etwas hatten, keine Schul¬ ſtunde ſchoͤne Kleider ſpaßhafte Eltern Spielkinder Abendbraten gruͤnende Wieſen und einen Spaziergang, wo geſellige Freiheit dem friſchen Herzen die friſche Welt ausſchmuͤckte. Liebe Freiin! wenn dann am Sonntage, wo ge¬ dachte Perſon weniger in der Arbeit, der Lethe218 des Lebens, watet, das jezige dumpfe Leben ſie erſtickend umfaͤngt, und ihr uͤber die Unfrucht¬ barkeit der tauben Gegenwart die helle Kin¬ derzeit, die ja allen Menſchen einerlei Eden verheiſſet, mit ſuͤſſen Klaͤngen wie neu her¬ uͤber kommt: dann ſtrafe die armen Thraͤnen nicht, ſondern entlaſſe die Sehnſuͤchtige etwan bis Sonnen-Untergang aus deinem Schloſſe!

Als der Notar ſich noch ſehnte, ſtuͤrmte luſtig Vult herein, den Mittagswein im Kopf, ein ſchwarzes Seidenband um Ein Auge, mit offenem Hals und loſem Haar und fragte, warum er noch zu Hauſe ſize, und wie viel er Vormit¬ tags geſchrieben? Walt gab es ihm. Als ers durch hatte, ſagte er: Du biſt ja des Teufels, Goͤttergen, und ein Engel im Schreiben. So fahre fort! Ich habe auch, (fuhr er mit kaͤl¬ terer Stimme fort und zog das Manuſkript aus der Taſche) dieſen Morgen in unſern Hoppel¬ poppel oder das Herz gearbeitet, und darinn ausgeſchweift, ſo viel als noͤthig fuͤr ein erſtes Kapitel. Ich will dir den Schwanzſtern (ſo nenn 'ich jede Digreſſion) halb vorſagen wenn du mich nur, o Gott, mehr zu goutieren219 wuͤßteſt! nicht vorleſen, denn eben darum! Ich fahre im Schwanzſtern beſonders wild auf die jungen Schreiber los, die von dir abweichen und in ihren Romanen die arme Freundſchaft nur als Thuͤr - und Degengriff der Liebe vornen an dieſe ſo unnuͤz anbringen, wie den Kalender und das genealogiſche Verzeichnis der regieren¬ den Haͤupter vornen an die Blumenleſen. Der Spizbube, der Kraͤnkling von Schwaͤchling von Helden will naͤmlich auf den erſten Paar Bogen ſich ſtellen, als ſeufz' er ziemlich nach einem Freunde als klaffe auf ſein Herz nach einer Un¬ endlichkeit ſchreibt ſogar das Sehnen nach ei¬ nem Freund, wenns Werk in Briefen iſt, an einen, denn er ſchon hat zum Epiſtolieren ja er verraͤth noch Schmachtungen nach der zwei¬ ten Welt und Kunſt; kaum aber erſieht und erwiſcht die Beſtie ihr Maͤdgen (der Operngucker ſieht immer nach dem Freunde hin) ſo hat ſie ſatt und das Ihrige; wiewohl der Freund noch elendiglich mehrere Bogen nebenher mitſtapeln muß bis zu dem Bogen Ix, auf welchem dem geliebten Freunde wegen einer Treuloſigkeit des220 Maͤdgens frei geſagt wird, es gebe auf der Er¬ de kein Herz, keine Tugend und gar nichts. Hier ſpei 'ich, Bruder, auf das ſchreibende Pu¬ blikum Feuer; Spizbube, ſo rede ich im Schwanz¬ ſtern an, Walt, Spizbube, ſei wenigſtens ehr¬ lich und thue dann, was du willſt; da doch dein Unterſchied zwiſchen einem Freund und einem Liebhaber nur der zwiſchen einem Sau - und ei¬ nem Hunds-Igel iſt.

Hier ſah Vult lange das Papier, dann Walten an. Der iſt aber? fragte dieſer. So fragt auch mein Schwanzſtern, ſagte je¬ ner. Keiner naͤmlich Denn es giebt eben keine Schwein-Igel nach Bechſtein*)Deſſen Naturgeſchichte Deutſchlands I. B. 2te Auflage. , ſondern, was man dafuͤr nahm, waren Weibgen oder Jungen. Mit den Schweins-Daͤchſen iſts eben ſo. Was hilfts, ihr romantiſchen Autoren, (las Vult weiter und ſah immer vom Papier weg, um das Komiſche mehr zu ſagen als, weil ers we¬ nig konnte, vorzuleſen) daß ihr euere unterirdi¬ ſche Blattſeite gegen den Himmel aufſtuͤlpet? 221Sie dreht ſich wieder um; wie an Glastafeln, wird nur euere, der Erde zugekehrte Seite be¬ thauet; wie an elektriſchen Kazen, muͤſſet ihr vorher aus eurem Buͤrzel einen Funken locken, bevor ihr einen aus dem Kopfe wieder bekommt und vice verſa. Seid des Teufels lebendig; aber nur offen; liebt entſezlich, denn das kann jedes Thier und jedes Maͤdgen, das ſich deshalb fuͤr eine Edle, eine Dichterin und einen Welt - Solitaire anſieht aber befreundet euch nicht, was ja an liebendem Vieh ſo ſelten iſt wie bei euch. Denn ihr habt nie aus Johann Muͤllers Briefen oder aus dem alten Teſtament oder aus den Alten gelernt, was heilige Freundſchaft iſt und ihr hoher Unterſchied von Liebe, und daß es das Trachten nicht eines Halbgeiſtes nach ei¬ ner ehelichen oder ſonſtigen Haͤlfte ſondern eines Ganzen nach einem Ganzen, eines Bru¬ ders nach einem Bruder, eines Gottes nach ei¬ nem Univerſum iſt, mehr um zu ſchaffen und dann zu lieben, als um zu lieben und dann zu ſchaffen. .... Und ſo geht denn der Schwanzſtern weiter beſchloß Vult, der ſich nicht erwehren konnte, ein wenig die Hand des222 Bruders zu druͤcken, deſſen voriges Freundſchafts - Kapitel ordentlich wie helles warmes angebor¬ nes Blut in ſein Herz gelaufen war.

Walt ſchien davon entzuͤckt zu ſein, fragte aber, ob nicht auch oft die Freundſchaft nach der Liebe und Ehe komme oft ſogar fuͤr dieſelbe Perſon ob nicht der treueſte Liebhaber eben darum der treueſte Freund ſei ob nicht die Liebe mehr romantiſche Poeſie habe als die Freund¬ ſchaft ob jene am Ende nicht in die gegen Kinder uͤbergehe ob er nicht faſt hart mit ſeinen Bildern ſei; und noch mehr wollte Gottwalt lindern und ſchlichten. Aber Vult fuhr auf ſowohl aus voriger Ruͤhrung als aus Er¬ wartung eines viel weniger bedingten Lobes, hielt ſich die Ohren vor Rechtfertigungen der Menſchen zu und klagte: er ſehe nun gar zu gut voraus, wie ihm kuͤnftig Walt eine Erboſſung nach der andern verſalzen werde durch ſein Ueberzuckern; beifuͤgend, in ihrem Hoppelpoppel oder das Herz gewaͤnnen ja eben die ſuͤſſen Darſtellun¬ gen am meiſten durch die ſchaͤrfſten, und gerade hinter dem ſcharfen Fingernagel liege das weich¬223 ſie empfindſamſte Fleiſch; aber, fuhr er fort, von etwas angenehmerem, von den 7 Erb-Die¬ ben, wobei ich mir wieder deinetwegen Muͤhe gegeben! Ich muß etwas bei dir ſizen.

Noch etwas angenehmes vorher verſezte Walt und ſchilderte ihm den rothen goͤtterſchoͤnen Juͤngling, und daß ſolcher wie ein Donnergott auf einem Sturmvogel, zwiſchen Aurora und Iris gezogen, und unter dem blauen Himmel wie durch eine Ehrenpforte geritten waͤre. Ach nur ſeine Hand, endigte er, wenn ich ſie je anruͤh¬ ren koͤnnte, dacht 'ich heute zumal nach dem Freundſchaftskapitel. O kennſt du ihn?

Kenn 'ihn ſo nicht, deinen Donner - und Wetter Gott (ſagte Vult kuͤhl und nahm Stock und Hut). Verſchimmle nur nicht in dei¬ nem Storchneſt lauf hinaus ins Roſen¬ thal wie ich, wo du alle Haslauer beau monde's-Rudel mit Einem Sau-Garn uͤber¬ ziehen und fangen kannſt, und ihn mit. Viel¬ leicht jag' ich darunter den gedachten Donnergott auf moͤglich iſts der Graf Klothar Nein Freund, ich gehe abſichtlich ohne dich;224 auch thu 'uͤberhaupt nicht drauſſen, als ob du mich ſonderlich kennteſt, falls ich etwa zu nahe vor dir voruͤber gehen ſollte vor Augen-Schwaͤ¬ che; denn nach gerade muß ich mich blind ma¬ chen, ich meine die Leute. Adio!

Nro. 17. Roſenholz.

Roſenthal.

In drei Minuten ſtand der Notar, dem Vults Verſtimmung entgangen war, freudig auf dem gruͤnen Wege nach dem Haslauer Ro¬ ſenthale, das ſich vom ſchoͤnen Leipziger beſon¬ ders dadurch unterſcheidet, daß es ſo wohl Ro¬ ſen hat als auch ein Thal und daher mehr der Fantaiſie bei Bayreuth aͤhnlich iſt, die blos die Zuckerbaͤcker-Arabeſken und Phantaſie - Blumen und Prunk-Pfaͤhle vor ihm voraus hat. Aus der Stadt zog er eigentlich kaum, denn er fand die halbe unterwegs; und alle ſei¬ ne Seelen-Winkel wurden voll Sonnenlicht bei dem Gedanken, ſo mit zu gehen unter Leuten, die mitgehen, mitfahren, mitreiten. Rechts225 und links ſtanden die Wieſen, die wallenden Fel¬ der und der Sommer. Aus der Stadt lief das Nachmittags-Gelaͤute der Kirche in die gruͤne warme Welt heraus, und er dachte ſich hinein, wie jezt die Kirchengaͤnger ſich heraus dencken und ihn und das freie luftige Leben goͤttlich fin¬ den wuͤrden in den ſchmalen, kalten, ſteinernen Kirchen auf langen leeren Baͤnken einzeln ſchrei¬ end, mit ſchoͤnen breiten Sonnenſtreifen auf den Schenkeln und mit der Hoffnung, nach der Kirche nachzumarſchieren ſo ſchnell als moͤglich.

Die Zugheerings-Heerde von Menſchen leg¬ te ſich in die Bucht des Roſenthals an. Die Laubbaͤume thaten ſich auf und zeigten ihm die glaͤnzende offne Tafel des July Sonntags, die aus einbeinigen Taͤfelgen unter Baͤumen be¬ ſtand koͤſtlich, ſagte der Notar zu ſich, iſt doch warlich das allgemeine Seſſelholen, Zelt¬ aufſchlagen, Rennen gruͤner Lauferſchuͤrzen, Weg¬ legen der Schauls und Stoͤcke, Ausziehen der Koͤrke, und Waͤhlen eines Tiſchgens, die ſtolzen Federhuͤte zwiſchen durch, die Kinder im Graſe, die Muſikanten hinten, die gewiß gleich anfan¬Flegeljahre I. Bd. 15226gen, die warmbluͤhenden Maͤdgen-Stirnen, die durchſchimmernde Gartenroſen unter den weiſſen Schleiern, die Arbeitsbeutel, die Goldanker und Kreuze und andere Gehenke auf ihren Haͤlſen, und die Pracht und die Hoffnung und daß noch im¬ mer mehr Leute nachſtroͤhmen O ihr lieben Menſchen, macht euch nur recht viel Luſt, wuͤnſch 'ich!

Er ſelber ſezte ſich an ein einſames Tiſch¬ gen, um kein geſelliges zu ſtoͤren. Vom Zucker¬ gus ſeines ſtillen Vergnuͤgtſeins feſt uͤberlegt ſaß er daran, ſich erfreuend, daß jezt faſt in ganz Europa Sonn - und Luſttag ſei, und nichts begehrend als neue Koͤpfe, weil er jeden zwiſchen die Augen nahm, um auszufuͤhlen, ob er dem rothen Juͤngling angehoͤre, wornach ſeiner Seele alle ihre Bluͤtenblaͤtter ſtanden.

Ein Geiſtlicher ſpazierte voruͤber, vor dem er ſizend den Hut abnahm, weil er glaubte, daß Prieſter, gewohnt durch ihre Rockfarbe jeden Hut zu bewegen auf dem Lande, jedesmal Schmer¬ zen in der Stadt empfinden muͤſten, wenn ein ganz feſter vorbei gienge. Der Geiſtliche ſah ihn227 ſcharf an, fand aber, daß er ihn nicht kenne. Jzt trabten zwei Reiter heran, von welchen der eine wenig zu leben hatte, der andere aber nichts, Vult und Flitte.

Der Elſaſſer tanzte reichgekleidet und luſtig obgleich ſeine te deum laudamus in laus deo beſtanden nach ſeinem eignen Geſang vom Steigbuͤgel unter ſeine Bekanntſchaften, d. h. ſaͤmmtliche Anweſende hinein; geliebt von jedem, dem er nichts ſchuldig war. Er uͤberſtand luſtig eine kurze Aufmerkſamkeit auf ſich als den Men¬ ſchen, der die Kabelſche Erbporzion eingebuͤſſet, welche er ſchon als Fauſtpfand ſo oft wie den Reliquienkopf eines Heiligen vervielfacht unter ſeine Glaͤubiger vertheilt hatte, weil das mar¬ ſeilliſche Schif, worauf er eine große eben ſo oft verpfaͤndete Dividende hatte, jedem zu lange aus¬ blieb. Walt wunderte und freute ſich, daß der ſingende Taͤnzer, der alle Weiber gruͤſte, der kuͤhn ihre Faͤcher und Sonnenſchirme und Arm¬ bands-Medaillons handhabte und kuͤhner die Haͤng-Medaillen und Haͤng-Uhren von jeder weiſſen Bruſt mit den Fingern ans Auge erhob,228 ſich grade vor den Tiſch der drei haͤßlichſten po¬ ſtierte, denen er Waſſer und Aufwaͤrter holte, ſogar ſchoͤne Geſpielinnen. Es waren die 3 Neu¬ peteriſchen Damen, bei welchen Gottwalt geſtern drei Viſiten-Karten abgegeben. Der Elſaſſer machte in kurzem umherlaufend das ganze Roſen¬ thal mit dem dort ſizenden Nanking bekannt, der den alten Kabel beerbte; aber Walt, zu auf¬ merkſam auf andere und zu wenig ſich voraus¬ ſezend, entgieng durch ſein menſchenfreundliches Traͤumen dem Misvergnuͤgen, das allgemeine Schielen zu ſehen. Zulezt trat Flitte gar zu ihm, und verrieth durch einen Gruß ihn der Kaufmannſchaft. Unter allen 7 Erben ſchien der luſtige Bettler gerade am wenigſten erbittert auf Walten zu ſein; auch dieſer gewann ihn herzlich lieb, da er zuerſt den Spielteller der Muſikan¬ ten nahm, belegte und herum trug, und gern haͤtt 'er ihm ein großes Stuͤck der Erbporzion oder des Teſtaments zum Lohne mit darauf ge¬ worfen.

Der Notar war beſonders auf die feinſte Lebensart ſeines Bruders neugierig. Dieſe be¬229 ſtand aber darinn, daß er ſich um nichts be¬ kuͤmmerte, ſondern auswaͤrts that, als ſiz 'er warm zu Hauſe, und es gebe keine Fremden auf der Welt. Sollt' es nicht einige Verachtung oder Haͤrte anzeigen, dachte Walt, durchaus keine fremde erſte Stunde anzuerkennen, ſondern nur eine vertraute zweite, zehnte ꝛc. ? Dabei mach¬ te Vult das ruhigſte Geſicht von der Welt vor je dem ſchoͤnſten, trat ſehr nahe an dieſes, klagte, ſein Auge komme taͤglich mehr herunter und blik¬ te (als Schein-Myops) unbeſchreiblich kalt an, und weg, als ſize die Phyſiognomie verblaſen zu einem geſtaltloſen Nebel an einer Bergſpize haͤngend vor ihm da. Sehr fiel dem Notarius welcher glaubte, auch geſehen zu haben in Leipzig in Rudolphs Garten, was feinſte Sit¬ ten und Menſchen ſind, und mit welchen forcier¬ ten Maͤrſchen junge maͤnnliche Kaufmannſchaft weibliche bedient und bezaubert, gleichſam wil¬ lige Karteſianiſche Taͤucherlein, die der Damen¬ finger auf und nieder ſpringen laͤſſet ſehr fiel ihm Vults maͤnnliche Ruhe auf, bis er zulezt gar ſeine Definizion des Anſtands aͤnderte und230 ſich folgende fuͤr den Hoppelpoppel aus dem weltgewandten Bruder abzog: Koͤrperlicher Anſtand iſt kleinſte Bewegung; naͤmlich ein hal¬ ber Schritt oder ſchwacher Ausbug ſtatt eines Gemſenſprunges ein maͤßiger Bogen des El¬ lenbogens ſtatt einer ausgereckten ſpitzen Fechter - Tangente, das iſt die Manier, woran ich den Weltmann erprobe.

Zulezt wurde der Notar auch keck, und voll Welt und Lebensart und ſtand auf mit dem Vorſaz, wacker hin und her zu ſpazieren. Er konnte ſo zuweilen ein Wort ſeines Bruders von der Seite wegſchnappen; und beſonders irgend¬ wo den rothen Liebling des Morgens auffiſchen. Die Muſik, welche die Dienſte des Vogelgeſangs that eben durch Unbedeutſamkeit, ſchwemmte ihn uͤber manche Klippe hinuͤber. Aber welche Flo¬ ra von Honorazioren! Er genoß jezt das ſtille Gluͤck, das er oft gewuͤnſcht, den Hut abzuzie¬ hen vor mehr als einem Bekannten, vor Neupe¬ ter et Compagnie, die ihm kaum dankten; und er konnte ſich nicht enthalten, manche frohe Ver¬ gleichungen ſeiner jezigen lachenden Lage im Has¬231 lauer Roſenthal mit ſeiner ſonſtigen anonymen im Leipziger anzuſtellen, wo ihn auſſer den we¬ nigen, die er nicht richtig bezahlen konnte, faſt keine Kaze kannte. Wie oft war er in jener un¬ bekannten Zeit verſucht, oͤffentlich auf Einem Beine zu tanzen, oder auch mit zwei zinnernen Kaffeekannen in der Hand, oder gerade zu eine Flammen-Rede uͤber Himmel und Erde zu hal¬ ten, um nur Seelen-Bekannte ſich ans Herz zu holen! So ſehr ſezt der Menſch der aͤlter kaum bedeutenden Menſchen und Buͤchern zulaͤuft juͤnger ſchon blos neuen Leuten und Werken feurig nach.

Mit Freuden bemerkt 'er im Gehen, wie Vult in ſeine Ruhe und Wuͤrde ſo viel inſinuan¬ te Verbindlichkeit, und in ſein Geſpraͤch ſo viele ſelber an Ort und Stelle geerntete Kenntniſſe von Europens Bilderkabinetten, Kuͤnſtlern, beruͤhm¬ ten Leuten und oͤffentlichen Plaͤzen zu legen wuſte, daß er wirklich bezauberte; worinn ihn freilich ſeine Verbindung mit ſeinen ſchwarzen Augen (darinn beſtand beſonders ſeine ſchwarze Kunſt bei Weibern) und wieder die Kaͤlte, welche impo¬232 niert (Waſſer gefriert ſich immer erhoben) ſichtbar unterſtuͤzte. Eine alte Hofdame des regierenden Haͤusgens von Haslau wollte ſchwer von ihm weg; und bedeutende Herrn befragten ihn. Aber er hatte den Fehler, nichts ſo ſehr zu lieben das Bezaubern ausgenommen als Entzaubern darauf, und beſonders die Sucht. Weiber, wie ein elektriſierter Koͤrper leichte Sa¬ chen, anzuziehen, um ſie abzuſtoßen. Walt muſte uͤber Vults Einfaͤlle uͤber Weiber bei Weibern ſelber erſtaunen; denn er konnte in Voruͤbergehen recht gut vernehmen, daß Vilt ſagte: ſie kehrten ſtets im Leben und ſonſt, vie an ihren Faͤchern, gerade die reichſte bemohlte Flaͤche andern zu und behielten die leere und mehr dergleichen, als z. B.: ſie machten, wie man die Coeurs auf Karten zu Geſichtern mit maleriſcher Spielerei umgewandelt, wieder leicht aus ihrem und einem fremden Geſicht ein Coeur oder auch: die rechte poetiſche, aber ſpizbuͤ¬ biſche Art der Maͤnner, ſie zu intereſſieren, ſei, ihnen immer die geiſtige Vergangenheit, ihre Lieb¬ lingin, vortoͤnen zu laſſen, als z. B. welche233 Traͤume vergangen, und wie ſich ſonſt das Herz geſehnt u. ſ. w., das ſei die kleine Sourdine, die man in die Weite des Waldhorns ſtecke, deſ¬ ſen nahes Blaſen dann wie fernes Echo klinge.

Sie pfeifen auf der Floͤte? ſagte die Hof¬ agentin Neupeter. Er zog die Anſaͤze und Mit¬ telſtuͤcke aus der Taſche und wies alles vor. Ih¬ re beiden haͤslichen Toͤchter, und fremde ſchoͤne baten um einige Stuͤcke und Griffe. Er ſteckte aber die Anſaͤze kalt ein und verwies bittend auf ſein Konzert. Sie geben wohl Stunden? fragte die Agentin. Nur ſchriftliche verſezt 'er, da ich bald da bald dort bin. Denn laͤngſt lies ich in den Reichs-Anzeiger folgendes ſezen:

Endes Unterſchriebener kuͤndigt an, daß er in portofreien Briefen die ausgenommen die er ſelber ſchreibt allen, die ſich darin an ihn wenden, Unterricht auf der herrlichen Fluͤte traverfière (ſie hier zu loben, iſt wohl un¬ noͤthig) zu geben verſpricht. Wie die Finger zu ſezen, die Loͤcher zu greifen, die Noten zu leſen, die Toͤne zu halten, will er brieflich poſttaͤglich234.[234] mittheilen. Fehler, die man ihm ſchreibt, wird er im naͤchſten Briefe verbeſſern.

Unten ſtand mein Name. Gleicher Weiſe kegle ich auch in Briefen mit einem ſehr einge¬ zognen Biſchoff (ich wollt ', ich koͤnnt' ihn nen¬ nen); wir ſchreiben uns, redlicher vielleicht als Forſtbeamte, wie viel Holz jeder gemacht; der andere ſtellt und legt ſeine Kegel genau nach dem Briefe und ſchiebt dann ſeiner Seits.

Die Haslauer muſten lachen, ob ſie gleich ihm glaubten; aber die Agentin ſtrich ſich mit innerer Hand ſo roth als einen Poſtwagen, deſ¬ ſen Stoͤße Hr. Peter Neupeter am beſten kannte, an und fragte die Toͤchter nach Thée. Das Kirwanenthee-Kaͤſtgen war vergeſſen. Flitte war froh, ſagte, er ſize auf nach dem Kaͤſtgen, hoffe es in fuͤnf Minuten aus der Stadt herzureiten und ſollte ſein Gaul fallen d. h. der geborgte, denn ſein Zutritt in allen Haͤuſern war auch ei¬ ner in allen Staͤllen und er denke ſogar noch dem H. van der Harniſch eine bewaͤhrte Staar¬ brille mit zubringen. Vult behandelte, glaubte Walt, das Anerbieten und das Maͤnngen etwas zu ſtolz.

235

Wirklich kam Flitte nach 7 Minuten zuruͤck¬ geſprengt, ohne Staarbrille denn er hatte ſie nur verſprochen aber mit dem Neupeteri¬ ſchen Thee-Kaͤſtgen von Mahagony, deſſen De¬ ckel einen Spiegel mit der Thee-Doublette aufſchlug.

Ploͤzlich fuhr Vult, als aus dem ſoge¬ nannten Poetengange des Roſenthals, eine reiche rothe Uniform mit rundem Hut heraustrat, auf den ſpazierenden Notarius los that kurzſich¬ tig, als glaub 'er ihn zu kennen fragte ihn unter vielen Komplimenten leiſe, ob jener rothe Bediente des Grafen von Klothar der bewuſte ſei entſchuldigte ſich nach dem Kopfſchuͤtteln des beſtuͤrzten Notars laut mit ſeinem Kurzblicke der jezt Bekannte und Unbekannte durch einander werfe und ſezte hinzu: verzeihen Sie einem Halbblinden, ich hielt Sie fuͤr den Herrn Wald¬ hern Pamſen aus Hamburg, meinen Intimen und lies ihn in Bewuſtſein einer Verlegenheit, deren Quelle der redliche Notar nicht in ſeiner Wahrhaftigkeit ſuchte, ſondern in ſeinem Man¬ gel an Reiſen, die immer das Hoͤlzerne aus den236 Menſchen nehmen, wie die Verſezungen das Holzi¬ ge aus den Kohlruͤben.

Izt trat nach dem dieneriſchen Abendrothe der Aurora, hinter welcher der Notar ſeine Le¬ bens - Sonne finden wollte, wirklich der Reiter des Morgens im blauen Ueberrock, aber mit Fe¬ derbuſch und Ordensſtern aus dem dichten Laub¬ holze heraus ſammt Geſpraͤchen mit einem frem¬ den Herrn. Der Floͤtenſpieler brauchte blos auf einen brennenden Blick des Notars ſeinen kalten zu werfen, um feſt zu wiſſen, daß der Morgen - Mann dem Feuer-Herzen des Bruders wieder erſchiene, den er nur aus Ironie mit der Ver¬ wechslung des rothen Bedienten mit dem blauen Herrn geneckt. Walt gieng ihm entgegen; in der Naͤhe erſchien dieſem der Muſengott ſeiner Ge¬ fuͤhle noch laͤnger, bluͤhender, edler. Unwillkuͤhr¬ lich nahm er den Hut ab; der vornehme Juͤng¬ ling dankte ſtumm fragend und ſezte ſich ans er¬ ſte beſte Tiſchgen, ohne durch den Sprungfer¬ tigen Roth-Rock etwas zu fodern. Der Notar gieng auf und ab, um, wie er hofte, vielleicht unter das Fuͤllhorn der Reden zu kommen, das der237 ſchoͤne Juͤngling uͤber den Begleiter goß. Wenn auch .... (fieng der Juͤngling an, und der Wind wehte das Hauptwort Buͤcher weg,) nicht gut oder ſchlecht machen, beſſer oder ſchlech¬ ter machen ſie doch. Wie ruͤhrend und nur aus dem Innerſten in das Innerſte dringend, klang ihm dieſe Stimme, welche des ſchoͤnen weh¬ muͤthigen Flors um das Angeſicht wuͤrdig waͤr! Darauf verſezte der andere Herr: die Dicht¬ kunſt fuͤhrt ihre Innhaber zu keinem beſtimmten menſchlichen Karakter; wie Kunſtpferde machen ſie Kuͤſſen und Todtſtellen und Complimentieren und andere fremde Kuͤnſte nach; ſind aber nicht die dauerhafteſten Pferde zum Marſch Das Geſpraͤch war offenbar im Poetengange aufge¬ wachſen.

Ich bin gar nicht in Abrede verſezte der blaue Juͤngling ruhig ohne alle Geſtus und Gottwalt gieng immer ſchneller und oͤfter vor¬ uͤber, um ihn zu hoͤren ſondern vielmehr in der Meinung, daß jede, auch willkuͤhrliche Wiſ¬ ſenſchaft, dergleichen Theologie, Jurisprudenz, Wappenkunde und andere ſind, eine ganz neue238 aber feſte Seite an den Menſchen oder der Menſch¬ heit nicht nur zeige, auch wirklich hervor bringe. Aber deſto beſſer! Der Staat macht den Men¬ ſchen nur einſeitig und folglich einfoͤrmig. Der Dichter ſollte alſo, wenn er koͤnnte, alle Wiſſen¬ ſchaften d. h. alle Einſeitigkeiten in ſich ſenden; alle ſind dann Vielſeitigkeit; denn er allein iſt ja der einzige im Staat, der die Einſeitigkeiten un¬ ter Einen Geſichtspunkt zu faſſen Ruf und Kraͤf¬ te hat, und ſie hoͤher verknuͤpfen und durch loſes Schweben alles uͤberblicken kann.

Ganz evident, ſagte der Fremde, iſt mir das nicht. Ich will ein Beiſpiel geben, verſezte der Graf Klothar. Im ganzen minera¬ logiſchen, atomiſtiſchen oder todten Reiche der Kryſtalliſazion herrſchet nur die gerade Linie, der ſcharfe Winkel, das Eck; hingegen im dy¬ namiſchen Reiche von den Pflanzen bis zu den Menſchen regiert der Zirkel, die Kugel, die Walze, die Schoͤnheitswelle! Der Staat, Sir, und die poſitive Wiſſenſchaft wollen nur, daß ſein Arſenik, ſeine Salze, ſein Demant, ſein Uranmetall in platten Tafeln, Prismen, lang¬239 rautigen Parallelepipedis u. ſ. w. anſchieſſen, um leichter eingemauert zu werden. Hingegen die organiſirende Kraft, eben darum die iſoli¬ rende, will das nicht, das ganze Weſen will kein Stuͤck ſein; es lebt von ſich und von der ganzen Welt. So iſt die Kunſt; ſie ſucht die beweglichſte und vollſte Form und iſt, wie ſonſt Gott, nur wie ein Zirkel oder ein Augapfel ab¬ zubilden.

Aber der Notar zwang ihn aufzuhoͤren. Er hatte ſich daruͤber Skrupel gemacht, daß er ſo im Auf - und Abſchleichen die obwohl lauten Meinungen des edeln Juͤnglings heimlich weg¬ horche; daher lehnt 'er ſich aus Gewiſſen an ei¬ nen Baum, und ſah unter dem Hoͤren dem Blau¬ rock deutlich ins Geſicht, um ihm anzuzeigen, daß er aufpaſſe. Aber den Juͤngling verdroß es und er verlies den Tiſch.

Herzlich wuͤnſchte der nachgehende Notar den Floͤteniſten herbei, um durch ihn mehr hin¬ ter den Donnergott zu kommen. Zum Gluͤcke theilte und durchſchritt der Graf einen bunten Menſchen-Klumpen, der ſich um ein Kunſtwerk240 anſezte. Es war ein Knabenhohes und langes Kauffartheiſchiff, womit ein armer Kerl auf der Achſe zu Lande gieng, um mit dieſem Weber¬ ſchiffgen die Faͤden ſeines hungrigen Lebens zu durchſchieſſen und zuſammen zu halten. Als der Notar ſah, daß der Juͤngling ſich ans Fahr¬ zeug und Nothruder des Menſchen ſtellte, drang er ihm nach, um dicht neben ihm zu halten. Der Schiffspatron ſang ſein altes Lied von den Schiffstheilen, den Maſten, Stengen, Reen, Segeln und Touw-Werk ab. Das muß ihm Hundslangweilig werden, es taͤglich wieder¬ holen ſagte der Herr zum Grafen.

Es folgen ſich, verſezte dieſer mit einigem Lehrtone, in jeder Sache, die man taͤglich treibt, drei Perioden, in der erſten iſt ſie neu, in der naͤchſten alt und langweilig, in der dritten keines von beiden, ſondern gewohnt.

Hier kam Vult. Der Notar gab ihm durch Winke die entbehrliche Nachricht des Funds. Aber, Patron, ſagte der Graf zum Schiffs¬ herrn, die Braſſen der Fock-Ree muͤſſen ja mit¬ ten von dem großen Stag an nach den Schin¬241 kel Blocken laufen, dann ſieben oder ſechs Fuß tiefer nach dem großen Stag durch die Blocke und ſo weiter nach dem Verdeck. Und wo habt Ihr denn den Vor-Teckel, die Schoten des Vor - Mars-Segels, die Cy-Touwen des Bezaans - Segels und das Fall von dem Seyn? Hier ließ der Graf verachtend den Schiffer, der ſeinen Mangel durch Bewunderung fremder Kenntnis verkleiſtern wollte in einer zweiten aufrichtigern uͤber eine Geld-Fracht ſtehen, dergleichen ihm ſein Proviantſchiff und Brodwagen noch nie aus den beiden Indien des Adels - und des Buͤrger¬ ſtandes zugefahren.

Walt auch in einem ſuͤſſen Erſtaunen uͤber die nautiſchen Einſichten bei ſo viel philoſophi¬ ſchen lies den blauen ſtolzen Juͤngling ſchwer durchpaßieren und ſich von ihm ſtatt an die Bruſt doch recht an die Seite ſo lange druͤcken, daß der Blaurock ziemlich ernſthaft ihn anſah. Vult war verſchwunden. Der Juͤngling flog bald mit ſeinem Bedienten auf ſchoͤnen Pferden davon. Aber der Notarius blieb als ein Seeliger in die¬Flegeljahre I. Bd. 6242ſem Joſaphats-Thal zuruͤck, ein geheimer ſtiller Bacchant des Herzens. Das iſt ja gerade der Menſch, ſagt 'er heftig, den du feurig wollteſt, ſo jung, ſo bluͤhend, ſo edel, ſo ſtolz hoͤchſt wahrſcheinlich ein Englaͤnder, weil er Philoſo¬ phie und Schiffsbau und Poeſie wie drei Kro¬ nen traͤgt. Lieber Juͤngling, wie kannſt du nicht geliebt werden, wenn du es ver¬ ſtatteſt!

Jezt verſchuͤttete die Abendſonne unter ih¬ re Roſen das Thal. Die Muſikanten ſchwie¬ gen, von dem Spielteller das Silber ſpeiſend, der umgelaufen war. Die Menſchen zogen nach Hauſe. Der Notarius gieng noch eilig um vier leere Tiſche, woran holde Maͤdgen geſeſſen, blos um die Freude einer ſolchen Tiſchnachbar¬ ſchaft mitzunehmen. Er wurde nun im lang¬ ſamen Strome ein Tropfen, aber ein roſenro¬ ther heller, der ein Abendroth und eine Sonne auffaſte und trug. Bald, ſagt 'er ſich, als er die drei Stadtthuͤrme ſah, an welchen das Abendgold herunter ſchmolz, erfahr' ich von meinem Vult, wer er iſt und wo und dann243 wird mir ihn Gott wohl ſchenken. Wie liebt 'er alle Juͤnglinge auf dem Wege, blos des blauen wegen! Warum liebt man, ſagt' er zu ſich, nur Kinder, nicht Juͤnglinge, gleichſam als waͤren dieſe nicht eben ſo unſchuldig? Un¬ gemein gefiel ihm der Sonntag, worin jeder ſich ſchon durch den Anzug poetiſch fuͤhlte. Die erhizten Herren trugen Huͤte in Haͤnden und ſprachen laut. Die Hunde liefen luſtig und oh¬ ne ſcharfe Befehle. Ein Poſtzug Kinder hatte ſich vor eine volle Kinderkutſche geſpannt und Pferde und Paſſagiere waren ſehr gut angezogen. Ein Soldat mit dem Gewehr auf der Achſel fuͤhrte ſein Soͤhngen nach Hauſe. Einer fuͤhrte ſeinen Hund an ſeinem rothſeidnen Halstuch. Viele Menſchen giengen Hand in Hand und Walt begrif nicht, wie manche Fusgaͤnger ſolche Finger-Paare und Liebes-Ketten trennen konn¬ ten, um nur gerade zu gehen; denn er gieng gern herum. Sehr erfreuet 'es ihn, daß ſogar gemeine Maͤgde etwas vom Jahrhundert hat¬ ten und ihre Schuͤrzen ſoweit und griechiſch in die Hoͤhe banden, daß ein geringer Unterſchied244 zwiſchen ihnen und den vornehmſten Herrſchaf¬ ten verblieb. Nahe um die Stadt unter dem erſten Thore raſete die Schuljugend, ja ein ge¬ dachtes Maͤdgen gab der herriſchen Schildwache einen Blumenſtraus keck neben das Gewehr und ſo ſchien dem Notar die ganze Welt ſo tief in die Abendroͤthe geworfen, daß die Roſen¬ wolken herrlich wie Blumen und Wogen in die Welt hineinſchlugen.

Ende des erſten Baͤndgens.

About this transcription

TextFlegeljahre
Author Jean Paul
Extent257 images; 38284 tokens; 9590 types; 265819 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationFlegeljahre Eine Biographie Erstes Bändgen Jean PaulRichter, Johann Paul Friedrich. . 244 S. CottaTübingen1804.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yw 1472-1<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=430628447

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:37Z
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