PRIMS Full-text transcription (HTML)
Titan
Erſter Band.
Berlin, 1800.In der Buchhandlung des Commerzien-Raths Matzdorff.

Den vier ſchönen und edeln Schweſtern auf dem Thron.

Der Traum der Wahrheit.

Aphrodite, Aglaja, Euphroſyne und Thalia ſahen einſt in das irdiſche Hell¬ dunkel hernieder und, müde des ewig heitern, aber kalten Olympos, ſehnten ſie ſich herein unter die Wolken unſe¬ rer Erde, wo die Seele mehr liebt weil ſie mehr leidet und wo ſie trüber, aber wärmer iſt. Sie hörten die heili¬ gen Töne heraufſteigen, mit welchen Polyhymnia unſichtbar die tiefe bange Erde durchwandelt, um uns zu erquik¬ ken und zu erheben; und ſie trauerten, daß ihr Thron ſo weit abſtehe von den Seufzern der Hülfloſen.

Da beſchloſſen ſie, den Erdenſchleier zu nehmen und ſich einzukleiden in un¬ ſere Geſtalt. Sie giengen von dem Olympos herab; Amor und Amorinen und kleine Genien flogen ihnen ſpielend nach und unſere Nachtigallen flatterten ihnen aus dem Mai entgegen.

Aber als ſie die erſten Blumen der Erde berührten und nur Stralen und keine Schatten warfen: ſo hob die ernſte Königin der Götter und Men¬ ſchen, das Schickſal, den ewigen Zep¬ ter auf und ſagte: der Unſterbliche wird ſterblich auf der Erde und jeder Geiſt wird ein Menſch!

Da wurden ſie Menſchen und Schweſtern und nannten ſich Luiſe, Charlotte, Thereſe, Friederike; die Genien und Amorinen verwandel¬ ten ſich in ihre Kinder und flogen ih¬ nen in die Mutterarme und die müt¬ terlichen und ſchweſterlichen Herzen ſchlugen voll neuer Liebe in einer gro¬ ßen Umarmung. Und als die weiße Fahne des blühenden Frühlings flat¬ terte und menſchlichere Thronen vor ihnen ſtanden und als ſie, von der Liebe, der Harmonika des Lebens, ſee¬ lig-erweicht, ſich und die glücklichen Kin¬ der anblickten und verſtummten vor Lieb 'und Seeligkeit: ſo ſchwebte unſichtbar Po¬ lyhymnia vorüber und erkannte ſie und gab ihnen die Töne, womit das Herz Lieb' und Freude ſagt und giebt ......

Und der Traum war geen¬ digt und erfüllt; er hatte, wie immer, nach der Wirklichkeit und dem Wa¬ chen ſich gebildet. Darum ſei er den vier ſchönen und edeln Schweſtern ge¬ weiht, und alles, was ihm im Titan ähnlich iſt, ſei es auch!

Jean Paul Fr. Richter. Druck¬

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  • 382 11 ſtatt Bande, lies: Band (Und ſo überall, wo das träge Schlepp - E des Dativs den Wohlklang nimmt.)
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  • 394 v. u. 4 ſt. Schmücken, l. Schminken.
  • 405 v. u. 2 ſt. Rieſenſchlangen, l. Rieſen¬ ſchlange.
  • 406 5 nach Oſten fehlt über.
  • 409 4 ſt. Raſen, l. Roſen.
  • 505 10 nach Sterne fehlt um.

Ueberall wo kömmt, frägt, Philantropia ſteht: muß es kommt, fragt, Philanthropia heißen.

Inhalt des Erſten Bandes.

Erſte Jobelperiode. 1 9. Zykel.
  • Fahrt nach Isola bella der erſte Freu¬ dentag im Titan der Pasquinos-Gö¬ tzendiener Lob der Reichsintegrität das Mouſſiren der Jugend ſüßes Blutvergießen die Erkennung eines Vaters groteskes Teſtament deutſche Vorliebe für Gedichte und Künſte der Vater des Todes Geiſter-Akt der blutige Traum die Schaukel der Phan¬ taſie. Seite 1
Zweite Jobelperiode. 10 16. Zykel.
  • Die beiden biographiſchen Höfe die Sennen-Hütte das Fliegen der Haar-Verſchleiß die gefährliche Vo¬ gelſtange das in eine Kutſche geſperr¬ te Gewitter leiſe Bergmuſik das Kind voll Liebe H. von Falterle aus Wien Torturſoupé das zerſplit¬ terte Herz Werther ohne Bart mit einem Schuſſe die Verſöhnung. Seite 118
Dritte Jobelperiode. 17 20. Zykel.
  • Methoden der beiden Kunſtgärtner in ihrer pädagogiſchen Pelzſchule Schutzſchrift für die Eitelkeit Morgenroth der Freundſchaft Morgenſtern der Liebe 185
Vierte Jobelperiode. 21 27. Zykel.
  • Hoher Styl der Liebe der gothaiſche Taſchenkalender Träume auf dem Thurme das Abendmahl und das Donnerwetter die Nachtreiſe ins Ely¬ ſium neue Akteurs und Bühnen und das Ultimatum der Schuljahre. 215
Fünfte Jobelperiode. 28 33. Zykel.
  • Prunkeinzug D. Sphex der trom¬ melnde Kadaver der Brief des Rit¬ ters Retrogradazion des Sterbetags Julienne der ſtille Charfreitag des Alters der geſunde und verſchämte Erbprinz Roquairol das Erblin¬ den Sphexens Liebhaberei für Thrä¬ nen das fatale Gaſtgebot das do¬ loroso der LiebeSeite 269
Sechſte Jobelperiode. 34 35. Zykel.
  • Die zehn Verfolgungen des Leſers Lia¬ nens Morgenzimmer Diſputazion über die Geduld die maleriſche Kur 328
Siebente Jobelperiode. 36 40. Zykel.
  • Albano's Eigenheit das Neſtelknüpfen der Politik der Heroſtrat der Spiel¬ tiſche väterliches mandatum sine clau¬ sula gute Geſellſchaft H. von Bouverot Lianens Gegenwart des Geiſtes und Körpers. Seite 358
Achte Jobelperiode. 41 45. Zykel.
  • Le petit lever des D. Sphex Steig nach Lilar Waldbrücke der Morgen in Arkadien Chariton Lianens Brief und Dankpſalm empfindſame Reiſen durch einen Garten das Flö¬ tenthal über die Realität des Ideals. 396
Neunte Jobelperiode. 46 52. Zykel.
  • Luſt der Hoftrauer das Begräbniß Roquairol Brief an ihn die ſie¬ ben letzten Worte im Waſſer die Hul¬ digung Retude Puppenretude der Kopf in der Luft, der Tartarus, die Geiſterſtimme, der Freund, die Katakom¬ be und die vereinigten Menſchen. 446
Erſte[1]

Erſte Jobelperiode.

Fahrt nach Isola bella der erſte Freudentag im Titan der Paſquinos-Götzendiener Lob der Reichsintegrität das Mouſſieren der Jugend ſüßes Blutvergieſſen die Erkennung eines Va¬ ters groteskes Teſtament deutſche Vorliebe für Gedichte und Künſte der Vater des Todes Geiſter-Akt der blutige Traum die Schaukel der Phantaſie.

1. Zykel.

An einem ſchönen Frühlingsabend kam der junge Spaniſche Graf von Ceſara mit ſeinen Begleitern Schoppe und Dian nach Seſto, um den andern Morgen nach der borromäi¬ ſchen Inſel Isola bella im Lago maggiore überzufahren. Der[ſtolz-aufblühende] Jüng¬ ling glühte von der Reiſe und von dem Ge¬ danken an den künftigen Morgen, wo erTitan. I. A2die Inſel, dieſen geſchmückten Thron des Früh¬ lings, und auf ihr einen Menſchen ſehen ſollte, der ihm zwanzig Jahre lang verſprochen wor¬ den. Dieſe zweifache Gluth hob den maleri¬ ſchen Heros zur Geſtalt eines zürnenden Mu¬ ſengottes empor. In die welſchen Augen zog ſeine Schönheit mit einem größern Triumphe ein als in die engen nördlichen, wovon er her¬ kam; in Mailand hatten viele gewünſcht, er wäre von Marmor und ſtände mit ältern ver¬ ſteinerten Göttern entweder im farneſiſchen Pallaſt oder im klementiniſchen Muſeum oder in der Villa Albani; ja hatte nicht der Biſchof von Novara mit ſeinem Degen an der Seite vor wenigen Stunden bei Schoppen, der zuletzt ritt, nachgefragt, wer es ſei? Und hatte nicht dieſer mit einer närriſchen Quadratur ſeines Runzeln-Zirkels um weitläuftig Lippen verſetzt, (um dem geiſtlichen Herrn Licht zu ge¬ ben): mein Telemach iſts und ich mache den Mentor dabei ich bin die Rändelmaſchine und der Prägſtok, der ihn münzt der Glätt¬ zahn und die Plattmühle, die ihn bohnt der Mann, der ihn regelt?

3

Die jugendlich warme Geſtalt Ceſara's wur¬ de durch den Ernſt eines nur in die Zukunft vertieften Auges und eines[ männlich -] feſtge¬ ſchloſſenen Mundes und durch die trotzige Entſchloſſenheit junger friſcher Kräfte noch mehr veredelt; er ſchien noch ein Brennſpiegel im Mondlicht, oder ein dunkler Edelſtein von zu vieler Farbe zu ſeyn, den die Welt, wie andere Juwelen, erſt durch Hohlſchleifen lichtet und beſſert.

In dieſer Nähe zog ihn die Inſel, wie ei¬ ne Welt die andere, immer heftiger an. Seine innere Unruhe ſtieg durch die äuſſere Ruhe. Noch dazu ſtellte Dian, ein Grieche von Geburt und ein Künſtler, welcher Isola bella und Iſo¬ la madre öfters umſchifft und nachgezeichnet hatte, ihm dieſe Prachtkegel der Natur in feu¬ rigen Gemälden näher vor die Seele; und Schoppe gedachte des wichtigen Menſchen öf¬ ters, den der Jüngling morgen zum erſtenmale ſehen ſollte. Als man unten auf der Gaſſe ei¬ nen feſtſchlafenden Greis vorübertrug, dem die untergehende Sonne Feuer und Leben in das markige ſtarkgegliederte Angeſicht warf und derA 24eine nach italieniſcher Sitte aufgedekt getragne Leiche war: ſo fragt 'er erſchrocken und ſchnell die Freunde: ſieht mein Vater ſo aus?

Was ihn nämlich mit ſo heftigen Bewe¬ gungen der Inſel zutreibt, iſt Folgendes: Auf Isola bella hatt 'er die drei erſten irrdiſchen Jah¬ re mit ſeiner Schweſter, die nach Spanien, und neben ſeiner Mutter, die unter die Erde gieng, mitten in den hohen Blumen der Natur liegend ſüß vertändelt und verträumt die Inſel war für den Morgenſchlummer des Lebens, für ſei¬ ne Kindheit, Raphaels übermaltes Schlafge¬ mach geweſen. Aber er hatte nichts davon im Kopfe und Herzen behalten als in dieſem ein ſchmerzlich ſüßes tiefes Aufwallen bei dem Na¬ men, und in jenem das Eichhorn, das als Familienwappen der Borromäer auf der ober¬ ſten Terraſſe der Inſel ſteht.

Nach dem Tode der Mutter verſetzte ihn ſein Vater aus der welſchen Blumenerde ei¬ nige blieb an den Pfahlwurzeln hängen in den deutſchen Reichsforſt, nämlich nach Blu¬ menbühl im Fürſtenthum Hohenflies, das den Deutſchen ſo gut wie unbekannt iſt ;5 hier ließ er ihn im Hauſe eines biedern Edel[¬]mannes ſo lange erziehen, oder deutlicher und allegoriſcher, er ließ hier die pädagogiſchen Kunſtgärtner ſo lange mit Gießkannen, Inoku¬ liermeſſern und Gartenſcheeren um ihn laufen, bis ſie an den hohen ſchlanken Palmbaum voll Sagomark und Schirmſtacheln mit ihren Kan¬ nen und Scheeren nicht mehr langen konnten.

Jetzt ſoll er nach der Rückreiſe von der In¬ ſel, aus dem Feldbeete des Landes in den Loh - und Treibkübel der Stadt und auf das Geſtelle des Hofgartens kommen, mit einem Worte nach Peſtiz, der Univerſität und Reſidenzſtadt von Hohenflies, deren Anblick ſogar bisher ſein Va¬ ter ihm hart verboten hatte.

Und morgen ſieht er dieſen Vater zum erſtenmal! Er mußte brennen vor Verlan¬ gen, da ſein ganzes Leben eine Anſtalt zu die¬ ſer gemeinſchaftlichen Landung war, und ſeine Pflegeeltern und Lehrer eine chalkographiſche Geſellſchaft waren, die den Autor ſeines Lebens¬ buches ſo herrlich vor das Titelblatt in Kupfer ſtach. Sein Vater, Gaſpard de Ceſara, Rit¬ ter des goldnen[Vlieſes] (ob ſpaniſcher oder6 öſterreichiſcher, wünſcht 'ich ſelber genauer zu wiſſen), ein vom Schickſal dreiſchneidig und glän¬ zend geſchliffner Geiſt, hatte in der Jugend wil¬ de Kräfte, zu deren Spiel nur ein Schlachtfeld oder Königreich geräumig geweſen wäre und die ſich im vornehmen Leben ſo wenig bewegen konnten als ein Seekraken im Hafen er ſtillte ſie durch Gaſtrollen in allen Ständen, und Luſt - und Trauerſpielen, durch das Treiben aller Wis¬ ſenſchaften und durch eine ewige Reiſe er wurde mit großen und kleinen Menſchen und Höfen vertraut und oft verflochten, zog aber immer als ein Strom mit eignen Wellen durchs Weltmeer. Und jetzt, nachdem er die Land - und Seereiſe um das Leben, um deſſen Freuden und Kräfte und Syſteme gemacht, fährt er (beſonders da ihm der Affe der Vergangenheit, die Gegenwart immer nachläuft) in ſeinem Stu¬ diren und im geographiſchen Reiſen fort, aber ſtets für wiſſenſchaftliche Zwecke, wie er denn eben die europäiſchen Schlachtfelder bereiſet. Übrigens iſt er gar nicht[betrübt], noch weniger froh, ſondern geſetzt, auch haſſet und liebt, oder tadelt und lobt er die Menſchen ſo wenig wie7 ſich, ſondern ſchätzet jeden in ſeiner Art, die Tau¬ be in ihrer und den Tyger in ſeiner. Was oft Rache ſcheint, iſt blos das harte kriegeriſche Durchſchreiten, womit ein Mann Lercheneier und Aehren ertritt, der nie fliehen und fürchten kann, ſondern nur anrücken und ſtehen.

Ich denke, die Ecke iſt breit genug, die ich hier aus der Whiſthonſchen Kometenkarte von dieſem Schwanzſterne, für die Menſchen abge¬ ſchnitten. Ausbedingen will ich, eh 'ich weiter rede, mir dieſes, daß ich Don Gaſpard auch zu¬ weilen den Ritter heißen dürfe, ohne das gold¬ ne Vlies anzuhängen; und daß ich, zwei¬ tens, nicht von meiner Höflichkeit gegen die kurze Leſer-Memorie genöthigt werde, ſeinem Sohne Ceſara (unter dieſem Namen ſoll der Al¬ te nie auftreten) den Taufnamen abzuzwicken, der doch Albano heißet.

Da jetzt Don Gaſpard aus Italien nach Spanien gieng: ſo hatt 'er durch Schoppe un¬ ſern Albano oder Ceſara aus Blumenbühl hier¬ her führen laſſen; ohne daß man weiß, warum ſo ſpät. Wollt' er in den vollen Frühling der jungen Zweige ſchauen? Wollt 'er dem Jüng¬8 ling einige Bauernregeln im hundertjährigen Kalender des Hoflebens aufſchlagen? Wollt' ers den alten Galliern oder den jetzigen Kap¬ bewohnern nachmachen, die ihre Söhne nur waffenfähig und erwachſen vor ſich lieſſen? Wollt 'er nichts weniger als das? Nur ſo viel begreif' ich, daß ich ein gutwilliger Narr wäre, wenn ich mir im Vorhofe des Werks die Laſt aufbürden lieſſe, von einem ſo ſonderbaren Manne mit einer um ſo viele Grade dekliniren¬ den Magnetnadel, ſchon aus ſo wenigen Da¬ tis eine Wilkeſche magnetiſche Neigungskarte zu zeichnen und zu ſtechen; er, aber nicht ich bin ja der Vater ſeines Sohns und er ſoll wiſ¬ ſen, warum er ihn erſt bärtig vorbeſchieden.

Als es 23 Uhr (die Stunde vor Sonnen¬ untergang) ſchlug und Albano die langweiligen Schläge addiren wollte: war er ſo aufgeregt, daß er nicht im Stande war, die lange Ton¬ leiter zu erſteigen; er mußte hinaus ans Ufer des Lago, in welchem die aufgethürmten In¬ ſeln wie Meergötter aufſtehen und herrſchen. Hier ſtand der edle Jüngling, das beſeelte Angeſicht voll Abendroth, mit edeln Bewegun¬9 gen des Herzens und ſeufzete nach dem ver¬ hüllten Vater, der ihm bisher mit Sonnen¬ kraft wie hinter einer Nebelbank, den Tag des Lebens warm und licht gemacht. Dieſes Sehnen war nicht kindliche Liebe dieſe ge¬ hörte ſeinen Pflegeeltern an, weil kindliche nur gegen ein Herz entſteht, woran wir lange la¬ gen, und das uns gleichſam mit den erſten Herzblättern gegen kalte Nächte und heiße Tage beſchirmte ſeine Liebe war höher oder ſeltener. Über ſeine Seele war der Rieſenſchat¬ ten des väterlichen Bildes geworfen, der durch Gaſpards Kälte nichts verlohr; Dian verglich ſie mit der Ruhe auf dem erhabenen Angeſichte der Juno Ludovici; und der warme Sohn ver¬ glich ſie mit einer andern ſchnellen Kälte, die im Herzen oft neben zu großer fremder Wär¬ me einfällt, wie Brennſpiegel gerade in den heißern Tagen matter brennen. Ja er hoffte ſogar, er vermöge vielleicht dieſes ſo quälend ans Eisfeld des Lebens angefrorne Vaterherz durch ſeine Liebe abzulöſen; der Jüngling be¬ griff nicht, wie einem treuen warmen Herzen zu widerſtehen ſey, wenigſtens ſeinem.

10

Dieſer Heros, in der ländlichen Karthauſe und mehr unter der Vorwelt als Mitwelt auf¬ gewachſen, legte an alles antediluvianiſche Rie¬ ſenellen; die Unſichtbarkeit des Ritters machte einen Theil von deſſen Größe aus, und die Moſisdecke verdoppelte den Glanz,[indem] ſie ihn verhieng. Überhaupt zog unſern Jüngling ein ſonderbarer Hang zu übermäßi¬ gen Menſchen hin, wovor ſich andere entſetzen. Er las die Lobreden auf jeden großen Men¬ ſchen mit Wolluſt, als wären ſie auf ihn; und wenn das Volk ungewöhnliche Geiſter eben darum für ſchlimme hält wie es alle ſeltene Petrefakta für Teufelsglieder nimmt ſo wohnte umgekehrt in ihm immer neben der Bewunderung die Liebe an und ſeine Bruſt wurde immer zugleich weit und warm. Freilich hält jeder Jüngling und jeder große Menſch, der einen andern für groß anſieht, ihn eben darum für zu groß. Aber in je¬ dem edeln Herzen brennt ein ewiger Durſt nach einem edlern, im ſchönen nach einem ſchö¬ nern; es will ſein Ideal außer ſich in körper¬ licher Gegenwart, mit verklärtem oder ange¬11 nommenem Leibe erblicken, um es leichter zu erſtreben, weil der hohe Menſch nur an einem hohen reift, wie man Diamanten nur an Dia¬ manten glänzend macht. Will hingegen ein Litterator, ein Kleinſtädter, ein Zeitungsträ¬ ger oder Zeitungsſchreiber einen großen Kopf zu Geſicht bekommen und iſt er auf einen gros¬ ſen Kopf eben ſo[verſeſſen] wie auf eine Mi߬ geburt mit drei Köpfen oder auf einen Pabſt mit eben ſo viel Mützen oder auf einen aus¬ geſtopften Haifiſch oder auf eine Sprach - und Buttermaſchine: ſo thut ers nicht, weil ein warmes, ſeinen innern Menſchen beſee¬ lendes Ideal von einem großen Manne, Pab¬ ſte, Haifiſche, Dreikopfe und Buttermodelle ihn drängt und treibt, ſondern weil er früh morgens denkt: es ſoll mich doch wundern, wie der Kauz ausſieht und weil ers abends bei einem Glaſe Bier berichten will.

Albano blickte am Ufer mit ſteigender Unruhe über das glänzende Waſſer nach dem heiligen Wohnplatze der vergangnen Kindheit, der ver¬ gangnen Mutter, der weggezognen Schweſter hin die Freudenlieder ſchwammen auf den12 fernen Barken her und berauſchten ihn jede laufende Welle, die ſchäumende Brandung trieb eine höhere in ſeinem Buſen auf die Rieſen¬ ſtatue des h. Borromäus,*)Dieſe 35 Ellen hohe Statue auf einem Geſtelle von 25 Ellen, in deren Kopfe 12 Menſchen Raum antreffen, ſteht bei Arona und hält ge¬ rade mit der gegenüberſtehenden Isola bella, die mit 10 auf einander gebaueten Gärten oder Terraſſen aufſteigt, einerlei Höhe. Keyslers Reiſen ꝛc. B. I. die über die Städ¬ te wegſah, verkörperte den Erhabnen (ſeinen Vater), der ſich in ſeinem Herzen aufrichtete und die blühende Pyramide, die Inſel, wurde der väterliche Thron die funkelnde Berg - und Gletſcherkette wand ſich feſt um ſeinen Geiſt und zog ihn empor zu hohen Weſen und hohen Gedanken.

Die erſte Reiſe, zumal wenn die Natur nichts als weißen Glanz und Orangeblüten und Kaſtanienſchatten auf die lange Straße wirft, beſchert dem Jüngling das, was oft die letzte dem Mann 'entführt ein träumen¬13 des Herz, Flügel über die Eisſpalten des Le¬ bens und weit offne Arme für jede Men¬ ſchenbruſt.

Er gieng zurück und bat ſeine Freunde mit ſeinem ſiegenden Auge, noch dieſen Abend ab¬ zuſchiffen, wiewohl Don Gaſpard erſt morgen auf die Inſel kam. Was er oft nach einer Woche thun wollte, nahm er ſich auf den nächſten Tag vor und endlich that ers ſogleich. Dian klopfte dem eiligen Boreas voll Liebe auf den Kopf, und ſagte: ungeduldiges Weſen! Du haſt hier die Flügel vom Götterboten, und da unten auch (auf die Füße zeigend)! Aber glühe dich nur ab! In der ſchönen Nachmitter¬ nacht ſteigen wir ein und wenn die Morgen¬ röthe am Himmel leuchtet, landen wir an. Dian hatte nicht blos eine artiſtiſche Auf¬ merkſamkeit für den wohlgeſtalteten Liebling, ſondern auch eine zärtliche, weil er in Blu¬ menbühl, wo er als Landbaumeiſter zu thun hatte, oft ſein bildender Kinder - und Ju¬ gendfreund geweſen war, und weil er jetzt auf der Inſel für einige Zeit aus ſeinen Armen nach Rom entwich. Da der Landbaumeiſter14 daſſelbe Überſtrömen im Jüngling für keines hielt, das er im Greiſe ſchalt, eine Überſchwem¬ mung für keine in Ägypten; obwohl für eine in Holland; und da er für jedes Individuum, Alter und Volk eine andere gleichſchwebende Temperatur annahm, und in der heiligen Men¬ ſchennatur keine Saite zu zerſchneiden, ſon¬ dern nur zu ſtimmen fand: ſo mußte wohl Ceſara am heitern duldenden Lehrer, auf deſ¬ ſen beiden Geſetztafeln nur ſtand: Freude und Maaß!, recht innig hängen, noch inniger als an den Tafeln ſelber.

Die Bilder der Gegenwart und der nahen Zukunft und des Vaters hatten die Bruſt des Grafen ſo ſehr mit Größe und Un¬ ſterblichkeit gefüllt, daß er gar nicht begriff, wie jemand ſich könne begraben laſſen, ohne beide errungen zu haben und daß er den Wirth, ſo oft er etwas brachte zumal da er immer ſang und wie Neapolitaner und Ruſſen in Moltönen bedauerte, weil der Mann nie etwas wurde, geſchweige unſterblich. Das letztere iſt Irrthum; denn hier be[kommt] er ſei¬ ne Fortdauer, und ich nenne und belebe gern15 ſeinen Namen Pippo (der abbrevirte Filippo). Als ſie endlich giengen und bezahlten, und Pip¬ po einen Kremnitzer Dukaten küßte mit den Worten: gelobt ſey die h. Jungfrau mit dem Kinde auf dem rechten Arm: ſo erfreuete ſich Albano, daß der Vater dem frommen Töch¬ terlein nachſchlage, das den ganzen Abend ein Jeſuskind wiegte und fütterte. Freilich merk¬ te Schoppe an: auf dem linken Arme trage ſie das Kindlein leichter;*)Die alten Kremnitzer haben das Chriſtuskind auf dem rechten Arm; die neuen und leich¬ tern auf dem linken. aber der Irr¬ thum des guten Jünglings iſt ein Verdienſt wie die Wahrheit.

Unter dem Glanze des Vollmondes beſtie¬ gen ſie die Barke und glitten über die leuchten¬ den Wellen dahin. Schoppe ſchiffte einige Wei¬ ne mit ein, weniger, ſagt 'er, weil auf der Inſel nichts zu haben ſey, als weil er, wenn das Fahrzeug leck würde, dann nichts aus¬16 zupumpen brauchte als die Flaſchen*)Franklin rieth das Aufbewahren und Bouchi¬ ren ausgetrunkener Gefäße an, um das Schiff dadurch oben zu erhalten. ; dann höb 'es ſich wieder.

Ceſara ſank ſchweigend immer tiefer in die dämmernden Schönheiten des Ufers und der Nacht. Die Nachtigallen ſchlugen begeiſtert auf dem[Triumphthore] des Frühlings. Sein Herz wuchs in der Bruſt wie eine Melone un¬ ter der Glocke und er hob ſie immer höher über der ſchwellenden Frucht. Auf einmal be¬ dacht 'er, daß er ſo den Tulpenbaum des pran¬ genden Morgens und die Kränze der Inſel nur wie eine italieniſche Seidenblume Staub¬ faden für Staubfaden, Blatt für Blatt zuſam¬ menlegen ſehe: da befiel ihn ſein alter Durſt nach einem einzigen erſchütternden Guß aus dem Füllhorn der Natur; er verſchloß die Augen, um ſie nicht eher zu öffnen als oben auf der höchſten Terraſſe der Inſel vor der Morgenſonne. Schoppe dachte, er ſchlafe; aber der Grieche errieth lächelnd die Schwelge¬rei17rei dieſer künſtlichen Blindheit und band ſelber vor die großen unerſättlichen Augen das breite ſchwarze Taftband, das als eine weibliche Bin¬ de und Spitzenmaske ſonderbar und lieblich gegen das blühende aber männliche Geſicht abſtach.

Nun neckten ihn beide freundlich mit münd¬ lichen Nachtſtücken von den herrlichen Ufer - Ornamenten, zwiſchen denen ſie zogen. Wie ſtolz (ſagte Dian zu Schoppen) richtet ſich dort das Schloß Lizanza und ſein Berg gleich einem Herkules, mit zwölffachen Gürteln aus Weinlaub in die Höhe! Den Grafen (ſagte Schoppe leiſer zu Dian) bringt der Augen-Schmachtriemen um viel. Seht Ihr nicht, Baumeiſter, poetiſch zu reden, den Glimmer von Aronens Stadt? Wie ſchön legt ſie Lunens blanc d'Espagne auf und ſcheint ſich im umgeworfnen Pudermantel des Mond¬ ſcheins für[morgen] aufzuſetzen und zu pu¬ tzen! Doch iſt das wenig, ſieht man dort den heiligen Borromäus, der den Mond als eine friſchgewaſchene Nachtmütze aufhat, beſ¬ ſer an: ſteht der Gigant nicht wie der Mi¬Titan. I. B18 kromegas des deutſchen Staatskörpers dort, eben ſo hoch, eben ſo ſtarr und ſo ſteif?

Der Glückliche ſchwieg und gab ſtatt der Antwort einen Handdruk der Liebe er träum¬ te nur die Gegenwart und zeigte, er könne warten und entbehren. Wie ein Kinderherz, dem die Vorhänge und die Nachmitternacht das nahe Weihnachtsgeſchenk verdecken, zog er auf dem Luftſchiffe mit feſter Binde dem na¬ hen Himmelreiche entgegen. Dian trug, ſo weit es das Doppellicht des Mondſcheins und der nachhelfenden Aurora zuließ, eine Zeichnung von dem verhüllten Träumer in ſein Studienbuch. Ich wollt ', ich hätte ſie da, und ſäh' es wie mein Liebling mit dem unterbundenen Seh¬ nerven, auf ihr zugleich das gegen die innere Welt gerichtete Auge des Traumes und das ge¬ gen die äuſſere Welt geſpitzte Ohr der Aufmerk¬ ſamkeit anſtrengt. Wie ſchön iſt ſo etwas, ge¬ malt wie viel ſchöner, erlebt!

Der Mantel der Nacht wurde dünner und kühler die Morgenluft wehte lebendig an die Bruſt die Lerchen mengten ſich unter die Nachtigallen und unter die ſingenden Ruderleu¬19 te und er hörte hinter ſeiner lichtern Binde die frohen Entdeckungen der Freunde, die in den offnen Städten der Ufer das Menſchenge¬ wühl aufleben und an den Waſſerfällen der Berge bald Himmelsroth bald Nebel wechſeln ſahen. Endlich hieng die zerlegte Mor¬ genröthe als eine Fruchtſchnur von Heſperiden¬ äpfeln, um die fernen Kaſtaniengipfel; und jetzt ſtiegen ſie auf Isola bella aus.

Der verhangne Träumer hörte, als ſie mit ihm die zehen Terraſſen des Gartens hinaufgien¬ gen, neben ſich den einathmenden Seufzer des Freudenſchauders und alle ſchnelle Gebete des Staunens; aber er behielt ſtandhaft die Binde und ſtieg blind von Terraſſe zu Terraſſe, von Orangendüften durchzogen, von höhern freiern Winden erfriſcht, von Lorbeerzweigen umflat¬ tert und als ſie endlich die höchſte Terraſſe erſtiegen hatten, unter der der See 60 Ellen tief ſeine grünen Wellen ſchlägt, ſo ſagte Schop¬ pe: jetzt! jetzt! Aber Ceſara ſagte: Nein! Erſt die Sonne! Und der Morgenwind warf die Sonne leuchtend durchs dunkle Gezweig em¬ por und ſie flammte frei auf den Gipfeln B 220und Dian zerriß kräftig die Binde und ſagte:[ ] ſchau 'umher! O Gott! rief er ſeelig erſchrocken, als alle Thüren des neuen Him¬ mels aufſprangen und der Olymp der Natur mit ſeinen tauſend ruhenden Göttern um ihn ſtand. Welch eine Welt! Die Alpen ſtanden wie verbrüderte Rieſen der Vorwelt, fern in der Vergangenheit verbunden beiſammen und hielten hoch der Sonne die glänzenden Schilde der Eisberge entgegen die Rieſen trugen blaue Gürtel aus Wäldern und zu ihren Füßen lagen Hügel und Weinberge und zwiſchen den Gewölben aus Reben ſpielten die Morgenwinde mit Kaskaden wie mit waſſer¬ taftnen Bändern und an den Bändern hieng der überfüllte Waſſerſpiegel des Sees von den Bergen nieder und ſie flatterten in den Spiegel, und ein Laubwerk aus Kaſtanienwäldern faßte ihn ein ..... Albano drehte ſich lang¬ ſam im Kreiſe um und blickte in die Höhe, in die Tiefe, in die Sonne, in die Blüthen; und auf allen Höhen brannten Lärmfeuer der ge¬ waltigen Natur und in allen Tiefen ihr Wie¬ derſchein ein ſchöpferiſches Erdbeben ſchlug21 wie ein Herz unter der Erde und trieb Gebir¬ ge und Meere hervor. O als er dann ne¬ ben der unendlichen Mutter die kleinen wimmeln¬ den Kinder ſah, die unter der Welle und unter der Wolke flogen und als der Morgenwind ferne Schiffe zwiſchen die Alpen hinein jagte und als Isola madre gegenüber, ſieben Gärten aufthürmte und ihn von ſeinem Gipfel zu ih¬ rem im wagrechten wiegenden Fluge hinüber lockte und als ſich Faſanen von der Madre - Inſel in die Wellen warfen; ſo ſtand er wie ein Sturmvogel, mit aufgeblättertem Gefieder auf dem blühenden Horſt, ſeine Arme hob der Morgenwind wie Flügel auf und er ſehnte ſich, über die Terraſſe ſich den Faſanen nach¬ zuſtürzen und im Strome der Natur das Herz zu kühlen.

Er nahm, ohne ſich umzuſehen, verſchämt die Hände der Freunde und drückte ſie ihnen, damit er nicht ſprechen müſſe. Das ſtolze Weltall hatte ſeine große Bruſt ſchmerzlich ausgedehnt und dann ſeelig überfüllt; und da er jetzt die Augen wie ein Adler weit und feſt in die Sonne öffnete; und da die Er¬22 blindung und der Glanz die Erde verdeckte und er einſam wurde; und die Erde zum Rauch und die Sonne zu einer weiſſen ſanften Welt, die nur am Rande blitzte: ſo that ſich ſein ganzer voller Geiſt wie eine Gewitterwolke auseinander und brannte und weinte, und aus der reinen blaſſen Sonne ſah ihn ſeine Mutter an und im Feuer und Rauch der Erde ſtand ſein Vater und ſein Leben eingehüllt.

Still gieng er die Terraſſen herunter und fuhr oft über die naſſen Augen, um den feuri¬ gen Schatten wegzuwiſchen, der auf alle Gipfel und alle Stufen hüpfte.

Hohe Natur! wenn wir dich ſehen und lie¬ ben, ſo lieben wir unſere Menſchen wärmer und wenn wir ſie betrauern oder vergeſſen müſſen, ſo bleibſt du bei uns und ruheſt vor dem naſſen Auge wie ein grünendes abendro¬ thes Gebirge. Ach vor der Seele, vor welcher der Morgenthau der Ideale ſich zum grauen kalten Landregen entfärbet hat und vor dem Herzen, dem auf den unterirrdiſchen Gän¬ gen dieſes Lebens die Menſchen nur noch wie dürre gekrümmte Mumien auf Stäben in Ka¬23 takomben begegnen und vor dem Auge, das verarmt und verlaſſen iſt und das kein Menſch mehr erfreuen will und vor dem ſtolzen Götterſohne, den ſein Unglaube und ſeine ein¬ ſame, menſchenleere Bruſt an einen ewigen unverrückten Schmerz anſchmieden vor allen dieſen bleibſt du, erquickende Natur mit deinen Blumen und Gebirgen und Katarakten treu und tröſtend ſtehen, und der blutende Göt¬ terſohn wirft ſtumm und kalt den Tropfen der Pein aus den Augen, damit ſie hell und weit auf deinen Vulkanen und auf deinen Frühlin¬ gen und auf deinen Sonnen liegen!

2. Zykel.

Ich wüßte einem Menſchen, den ich lieb habe, nichts ſchöneres zu wünſchen als eine Mutter eine Schweſter drei Jahre Bei¬ ſammenleben auf Isola bella und dann im zwanzigſten eine Morgenſtunde, wo er auf dem Eden-Eiland ausſteigt und alles dieſes mit dem Auge und der Erinnerung auf einmal, genieſ¬ ſend umfängt und in die offne Seele drückt O du allzuglücklicher Albano auf dem Ro¬24 ſenparterre der Kindheit unter Italiens tief¬ blauem Himmel in den ſchwelgeriſchen Zi¬ tronenlauben voll Blüthen auf dem Schoße der ſchönen Natur, die dich wie eine Mutter liebkoſet und hält und vor dem Angeſichte der erhabnen, die wie ein Vater in der Ferne ſteht und mit einem Herzen, das heute den ſeinigen erwartet!

Die drei Menſchen durchirrten jetzt lang¬ ſam und wankend das ſchwimmende Paradies. Obgleich die beiden andern es öfters betreten hatten: ſo wurde doch aus ihrem ſilbernen Zeit¬ alter durch die Sympathie mit Albano's Tau¬ mel wieder ein goldenes; der Anblick einer fremden Entzückung weckt den alten Eindruck der unſrigen auf. Wie Leute, die an Bran¬ dungen und Waſſerfällen wohnen, lauter ſpre¬ chen: ſo gab das herrliche Brauſen des aufge¬ regten Lebens-Meeres ihnen allen, ſogar Schop¬ pen, eine ſtärkere Sprache; nur konnte dieſer nie ſo feierliche Worte, wenigſtens Gebehrden treffen wie ein anderer Menſch.

Schoppe, der dem guten Italien den Ab¬ ſchiedskuß zuwerfen mußte, wollte gern noch25 die letzten nur zerſtreuet um den Freudenbecher hängenden Tropfen konſerviren, die ſo ſüß wie italieniſche Weine waren, voll deutſchem Feuer¬ ſtoff ohne deutſchen Sauerſtoff. Unter Sauer¬ ſtoff meint 'er Abſchiednehmen und Rührung: Thut das Schickſal, ſagt' er irgend einen Re¬ traiteſchuß, beim Himmel! ſo wend 'ich ge¬ laſſen den Gaul um und reite pfeifend zurück. Der Henker müßte darin (oder darauf) ſitzen, wenn ein geſchickter Bereiter nicht ſein Trau¬ erroß ſo zureiten wollte, daß es ſich recht gut zu einem Handgaul des Freudenpfer¬ des anſtellte; ich ſchule ſowohl mein Son¬ nenroß als mein Bagageroß viel anders.

Vor allen Dingen nahmen ſie jetzt die Otaheiti-Inſel durch Märſche ein und jede Provinz derſelben mußte ihnen wie eine perſi¬ ſche dem Kaiſer ein anderes Vergnügen ent¬ richten. Die untern Terraſſen (ſagte Schop¬ pe) müſſen uns Majoratsherren den Obſt - und Sackzehend in Zitronen - und Orangendüften abliefern die oberſte trägt die Reichsſteuer in Ausſichten ab die Grotte drunten zah¬ let hoff 'ich Judenſchutz in Wellen-Gemur¬26 mel und der Zypreſſenwald drüben ſeine Prin¬ zeſſinſteuer in Kühle die Schiffe werden ihren Rhein - und Neckarzoll nicht defraudiren ſondern ihn dadurch erlegen, daß ſie ſich von weitem zeigen.

Es wird mir nicht ſchwer zu merken, daß Schoppe durch dieſe ſcherzhaften Vexierzüge die heftigen Bewegungen in Ceſarens Kopf und Herzen brechen wollte; denn noch immer gieng der Glanz der Morgenentzückung, wiewohl der Jüngling über kleinere Dinge unbefangen ſprach, nicht von deſſen Geſicht. In ihm zit¬ terte jede Erſchütterung lange und eine am Morgen den ganzen Tag und zwar darum nach, weswegen eine Sturmglocke länger nach¬ ſummt als eine Schafglocke; gleichwohl konn¬ te ein ſolcher Nachklang weder ſeine Aufmerk¬ ſamkeit noch ſeine Werke und Geſpräche ſtören.

Mittags wollte der Ritter kommen. Bis dahin ſchwärmten und ſumſeten ſie ſtiller-genies¬ ſend mit Bienenflügeln und Bienenrüſſeln durch die honigreiche Flora der Inſel; und ſie hatten jene heitere Unbefangenheit der Kinder, der Künſt¬ ler, und der ſüdlichen Völker, die nur den Ho¬27 nigbehälter der Minute ausnaſcht; und daher fanden ſie an jeder anfallenden Welle, an je¬ dem Zitronenſpalier, an jeder Statue unter Blüthen, an jedem rückenden Wiederſchein, an jedem fliehenden Schiffe mehr als eine Blume, die den gefüllten Kelch weiter unter dem war¬ men Himmel aufmachte, anſtatt daß es uns unter unſerm kalten, wie den Bienen geht, vor denen Maifröſte die Blumen verſchließen. O die Inſulaner thun Recht. Unſer größter und längſter Irrthum iſt, daß wir das Leben, d. h. ſeinen Genuß, wie die Materialiſten das Ich, in ſeiner Zuſammenſetzung ſuchen, als könnte das Ganze oder das Verhältniß der Beſtandtheile uns etwas geben, das nicht jeder einzelne Theil ſchon hätte. Beſteht denn der Himmel unſers Daſeyns wie der blaue über uns, aus öder matter Luft, die in der Nähe und im Kleinen nur ein durchſichtiges Nichts iſt und die erſt in der Ferne und im Großen blauer Aether wird? Das Jahrhundert wirft den Blumenſaamen deiner Freude nur aus der poröſen Säemaſchine von Minuten; oder viel¬ mehr an der ſeeligen Ewigkeit ſelber iſt keine28 andere Handhabe als der Augenblick. Das Leben beſteht nicht aus 70 Jahren, ſondern die 70 Jahre beſtehen aus einem fortwehenden Le¬ ben und man hat allemal gelebt und genug gelebt, man ſterbe wenn man will.

3. Zykel.

Endlich als die drei Frohen ſich in die Ta¬ felſtube eines Lorbeerwaldes vor ihre Speis - und Trankopfer, die Schoppe zu Seſto ins Proviantſchiff eingepackt hatte, niederſetzen woll¬ ten: gieng durch die Zweige ein feiner, elegant und einfarbig gekleideter Fremder mit langſa¬ men feſten Schritten auf die liegende Tiſchge¬ ſellſchaft zu und wandte ſich, ohne zu fragen, ſofort an Ceſara mit der deutſchen, langſam, leiſe und beſtimmt prononcirten Anrede: ich habe dem H. Grafen Ceſara eine Entſchuldi¬ gung zu bringen. Von meinem Vater? fragt 'er ſchnell. Um Verzeihung, von meinem Prinzen; (verſetzte der Fremde) er verhinderte Ihren H. Vater, der kränklich aufſtand, in der Morgenkühle zu reiſen, aber gegen Abend wird er eintreffen. Indeß bring' ich (ſetzte29 er mit einem wohlwollenden Lächeln und mit einer leichten Verbeugung hinzu) dem H. Ritter ein Opfer, daß ich den Anfang des Glücks, künftig länger bei Ihnen zu ſeyn, H. Graf, mit einer Nachricht Ihres Verluſtes mache. Schoppe, der fein errieth, ohne fein zu ſprechen, fuhr ſofort heraus weil er ſich von keinem Menſchen imponiren ließ : ſo¬ nach ſind wir pädagogiſche Maskopiſten und Unioten. Willkommen, lieber Grau-Bünd¬ ner! Es freuet mich, ſagte kalt der Fremde, der grau angezogen war.

Aber errathen hatt 'es Schoppe; der Frem¬ de ſollte künftig das Oberhofmeiſterthum bei Ceſara bekleiden und Schoppe war Kollabora¬ tor. Mir[kommt] es vernünftig vor; der elek¬ triſche funkelnde Schoppe konnte das Katzenfell, der Fuchsſchwanz, die Glasſcheibe ſeyn, die un¬ ſern aus Leiter und Nichtleiter gebaueten Jüng¬ ling volllud, der Oberhofmeiſter konnte als Lei¬ ter der Funkenzieher ſeyn, der ihn mit feinen Franklin'ſchen Spitzen auslud.

Der Mann hieß von Auguſti, war Lek¬ tor bei dem Prinzen und hatte viel in der30 großen Welt gelebt; er ſchien wie dieſer ganze Hof-Schlag, zehen Jahre älter zu ſeyn, denn er war wirklich erſt 37 Jahre.

Man hätt 'es auszubaden unter dem um¬ gekehrten Dintentopf rezenſirender Xantippen, wenn man die Rezenſenten oder Xantippen in der Unwiſſenheit ließe, wer der Prinz eigentlich war, deſſen wir alle oben erwähnten. Es war der Erbprinz von Hohenflies, in deſſen Dor¬ fe Blumenbühl der Graf erzogen war und in deſſen Hauptſtadt er nun ziehen ſollte. Der Hohenflieſſiſche Infant jagte aus Italien, wor¬ in er viele Nothmünzen und Territorial¬ mandate nachgelaſſen hatte, ſtäubend und keuchend nach Deutſchland zurück, um da auf ſich Huldigungsmünzen auszuprägen, weil ſein regierender Vater die Treppe in das Erb¬ begräbniß hinabgieng und nur noch einige Stu¬ fen zum Sarge hatte.

Unter dem Eſſen ſprach der Lektor Auguſti mit wahrem Geſchmack über die liebliche Ge¬ gend, aber mit wenig Sturm und Drang, und31 zog ſie einigen Tempeſta's*)Gemälde von Peter Molyn, den man wegen ſeiner guten Gewitter nur Tempeſta nannte. im borromäiſchen Pallaſte bei Weitem vor. Dann gieng er um des Ritters öfter zu gedenken zu den Perſo¬ nalien des Hofes über und geſtand, daß der deutſche Herr, Mr. de Bouverot in beſonderer Gnade ſtehe denn bei Hofleuten und Heili¬ gen thut die Gnade alles und daß der Prinz ungemein an Nerven leide u. ſ. w.. Die Hofleute, die ſonſt ihr Ich nach dem fremden zuſchneiden, faſſen doch für einen, der nicht am Hofe lebt, ihre miniſteriellen Blätter dar¬ über ſo ausführlich und ernſthaft ab, daß ihr Zeitungsleſer dabei entweder lacht oder ein¬ ſchläft; ein Hofmann und das Buch des er¬ reurs et de la verité nennen den Jeſuitergeneral Gott die Jeſuiten Menſchen und die Nichtjeſuiten Thiere. Schoppe horchte mit einem fatalen Kräuſel - und Schnörkelwerke auf dem Geſichte zu; er haſſete Höfe bitter. Der Jüngling Albano dachte nicht viel beſſer; ja da er gern wagte, lieber mit dem Arm des32 innern Menſchen als mit den Fingern deſſel¬ ben arbeitete und anpackte, und vor den Schneepflug und die Egge - und Säemaſchine des Lebens gern Streit - und Donnerroſſe vor¬ ſpannte, anſtatt eines Zugs tüchtiger Filial - und Ackerpferde: ſo konnt 'er Leute, die vor¬ ſichtig und bedächtig zu Werke giengen und die lieber lackirte Arbeit und leichte Frauenzim¬ merarbeit machten als Herkulesarbeiten, nicht ſonderlich leiden. Gleichwohl mußt' er für die auf einer ſchönen Selbſtſtändigkeit ruhende Be¬ ſcheidenheit Auguſti's, der kein Wort von ſich ſelber ſprach, ſo wie für ſeine Reiſekenntniſſe, Achtung tragen.

Ceſara beiläufig, in dieſem Zykel will ich ihn noch mit C, der ſpaniſchen Orthogra¬ phie zu Gefallen ſchreiben; aber vom vierten an wird er, weil ich in meiner keines gewohnt bin und mich im langen Buche nicht ewig verſchreiben kann, mit einem Z geſchrieben Ceſara konnte den Lektor nicht genug über ſei¬ nen Vater abhören. Er erzählte ihm die letzte Handlung des Ritters in Rom, aber mit einer irreligiöſen Kälte, die im Jüngling eine anderewur¬33wurde. Don Gaſpard wettete nämlich mit einem deutſchen Nunzius Gemälde gegen Ge¬ mälde, daß er einen gewiſſen Deutſchen, (Au¬ guſti wollt 'ihn nicht nennen) deſſen Leben nur ein längerer moraliſcher Kothmonat in Epi¬ kurs Marſtalle war, in zwei Tagen ohne ihn zu ſehen, auf ſo lange bekehren wollte, als der Nunzius verlangen würde. Dieſer wettete, ließ aber den Deutſchen heimlich umſtellen. Nach zwei Tagen ſperrte ſich der Deutſche ein, wur¬ de andächtig, bleich, ſtill, bettlägerig und kam im Handeln einem wahren Chriſten nahe. Der Nunzius ſah dem Übel eine Woche lang zu, dann verlangt' er ſchleunige Verwandlung oder den Zirze's-Stab, der die thieriſche Geſtalt wieder herſtellte. Der Ritter berührte den Deutſchen mit dem Stabe und das epikureiſche Schwein ſtand geneſen da. Ich weiß nicht, was unerklärlicher iſt, das Wunderwerk oder die Härte. Aber der Lektor konnte nicht ſagen mit welchen Menſtruis Gaſpard dieſe ſchnellen Auflöſungen und Wolken und Präzipitazionen erzwang.

Nun kam der Lektor, den ſchon lange dieTitan. I. C34Vokation und das Kollaborat des ſonderbaren Schoppe frappirt hatte, auf verbindlichen Um¬ wegen endlich auf die Frage, wie ihn der Rit¬ ter kennen lernen. Durch den Paſquino! (verſetzt 'er.) Er trat eben um die Ecke des Palazzo degli Ursini, als er einige Römer und unſern Erbprinzen um einen Menſchen ſtehen ſah, der zu den Statuen des Paſquino und Marforio folgendes Gebet auf den Knien es waren meine that: lieber Kaſtor und Pollux, warum ſäkulariſiret ihr euch nicht aus dem Kirchenſtaat und bereiſet mein Deutſchland als Biſchöfe in partibus infi¬ delium, oder als zwei arbeitſame Vikarien? Könntet ihr denn nicht als Geſandtſchaftspre¬ diger und Referendarien in den Reichsſtädten herumgehen, oder euch als Chevaliers d'hon¬ neur und Wappenhalter auf beide Seiten ei¬ nes Throns poſtiren? Wollte Gott, man könnte wenigſtens dich Paſquino als Ober¬ hofprediger und Konduitenmeiſter in Hofka¬ pellen voziren oder doch darein als Taufen¬ gel zum Namengeben an einem Strick herun¬ ter laſſen! Sprecht, könnt ihr Zwillinge35 denn nicht einmal als Landrequetenmeiſter in Landtagsſälen auftreten und ſprechen, oder als magistri sententiarum in Univerſitätsge¬ bäuden unter dem Promoviren opponi¬ ren? Paſquino, biſt du durch keinen Della Porta*)Der Paſquino iſt bekanntlich verſtümmelt. Della Porta war ein großer Ergänzer alter Statuen. nur ſo weit herzuſtellen, daß du bei Kongreſſen und Verträgen des diplomatiſchen corps wenigſtens als Ofenaufſatz den Sil¬ houetteur machen könnteſt, ſondern taugt ihr höchſtens nur in Univerſitätsbibliotheken zu Bruſtbildern kritiſcher Redakteurs? Ach, munteres Paar, möchte nur Chigi, der da neben mir ſteht, dich modelliren zu einer trag¬ baren Taſchenausgabe für Damen: ich ſteckte dich bei und zöge dich erſt in Deutſchland aus der Taſche. Ich kanns aber auch hier auf der Inſel thun. Und hier bracht 'er das ſpöttiſche Kunſtwerk heraus; denn der be¬ rühmte Architekt und Modellirer Chigi, der ihm zuhörte, hatt' es wirklich nachgebacken. C 236Schoppe erzählte weiter, daß Don Gaſpard alsdann ernſthaft an ihn trat und ihn ſpaniſch fragte, wer er ſey. Ich bin, verſetzt 'er, auch ſpaniſch, wirklicher Titularbibliothekar des Großmeiſters zu Malta und ein Ab¬ kömmling des ſogenannten grammatikaliſchen Hundes, des gezähnten Humaniſten Sciop¬ pius (deutſch Schoppe) mein Taufname iſt Pero, Piero, Piètro (Peter). Aber hier nen¬ nen mich viele aus Verſehen Sciupio oder Sciopio (Vergeudung).

Gaſpard hatte ein partheiloſes tiefreichen¬ des Auge für jede, ſogar die fremdeſte Bruſt und ſuchte am wenigſten ſein Ebenbild. Er zog daher den Bibliothekar in ſein Haus. Da nun dieſer nur vom Portraitmalen zu leben ſchien und jetzt ohnehin nach Deutſchland zu¬ rück wollte: ſo trug er, hoffend, dieſem reichen, vieläugigen, ſtrengen Geiſte Albanos Geſell¬ ſchaft an, die blos der gegenwärtige Mitar¬ beiter Auguſti mit ihm theilen ſollte. Aber der Bibliothekar verlangte vorher vier Dinge voraus, die Schilderung des Grafen, die Silhouet¬ te deſſelben, und als beides gegeben war ,37 noch das dritte und vierte ſo: ſoll ich von den drei Ständen kalandert*)D. h. zwiſchen zwei hölzernen Walzen und Einer metallenen gepreſſet werden. werden und mich glatt und polirt drücken laſſen von Glanzpreſſen? Ich will nicht; überall hin, in den Himmel und in die Hölle will ich Ih¬ ren Sohn begleiten, aber nicht in die Poch - Waſch - Röſt - Schmelz - und Treibwerke vor¬ nehmer Häuſer. Das wurd 'am leichteſten zugeſtanden; dazu war ohnehin der zweite Reichsvikarius des väterlichen Oberhaupts, Auguſti, beſtimmt. Aber über den vierten Punkt zerfielen ſie faſt. Schoppe, der lieber vogelfrei als nicht - frei oder freigelaſſen ſeyn wollte, und deſſen eben ſo reichsunmittelbarer als fruchtbarer Boden keine Zäune litt, konnte ſich nur zu zufälligen unbeſtimmten Dienſten bequemen und mußte das Fixum eines Lohns ablehnen: ich will Ihm, ſagt' er, Kaſualpre¬ digten halten, aber keine Wochenpredigten; ja es kann ſeyn, daß ich oft ein halbes Jahr gar nicht auf die Kanzel ſteige. Der Ritter38 fand es unter ſich, Verbindlichkeiten ſchuldig zu ſeyn und zog zurück; bis Schoppe den Dia¬ gonalweg ausmittelte, er gebe ſeine Geſellſchaft als don gratuit, und erwarte daher auch vom Ritter von Zeit zu Zeit ein don gratuit von Belang. Übrigens war dem Ritter jetzt Schoppe gerade ſo lieb wie der erſte beſte Hoftürke, der ihm auf den Wagenfußtritt geholfen; ſeine Prüfung eines Menſchen war eine kalte Tod¬ tenbeſchau und nach dem Prüfen liebt 'er nicht ſtärker und haßt' er nicht ſtärker; für ihn waren im Spektakelſtück des polternden Lebens der Regiſſeur und die erſten und zwei¬ ten Liebhaberinnen und die Lears und Iphi¬ genien und Helden weder Freunde, noch die Kaſperls und die Tyrannen und Figuranten Feinde, ſondern es waren verſchiedene Akteurs in verſchiedenen Rollen. O Gaſpard, ſteheſt denn du in der Frontloge und nicht auch auf dem Theater? Und ſieheſt du nicht wie Hamlet, im großen Schauſpiele einem klei¬ nern zu? Ja ſetzet nicht jede Bühne am Ende ein doppeltes Leben voraus, ein kopirendes und ein kopirtes?

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Entweder die wenigen Paar Gläſer Wein oder auch ſein verdrüßlicher Abſtand vom zier¬ lichen gehaltenen Lektor ſetzten Schoppe's Fege¬ mühle mit allen Rädern in Gang, ſo wenig dieſer Humor auf der glänzenden Inſel eine vortheilhafte Stelle fand ; und als Auguſti wünſchte, Schoppe möchte froher als andere Maler nach Deutſchland gehen: ſo zog dieſer ein Päckchen vergoldeter Heiligenbilder deutſcher Schutzpatrone heraus und ſagte Karten-mi¬ ſchend: mancher würde hier ein päbſtliches Miſerere aufs Pult legen und abſingen, zu¬ mal wenn er mitten im Frühling das Win¬ terquartier, die deutſche Eis - und Nebelbank beziehen muß wie ich; und ungern, das ſag 'ich frei, laſſ' ich den Arlechino und den Pulcinella und den Scapin und die ganze Comedia dell 'Arte dahinten. Aber die heiligen Herren, die ich hier taillire, haben ihre Patronatsländer aufs Trockne gebracht; und man paſſirt ſie gern. Baumeiſter, Ihr lacht, aber Ihr wiſſet im Ganzen zu wenig von dem, was dieſe gemalten himmliſchen Schirmvögte für deutſche Kreiſe ſtündlich un¬40 ternehmen. Baumeiſter, ſucht mir überhaupt ein Land, worin ſo viele Prügel, Program¬ men, Profeſſoren, Allongeperücken, gelehrte Anzeigen, Reichsanzeigen, Klein - und Vor¬ ſtädter, Zeremonien, Krönungen und Heidel¬ berger Fäſſer, aber ohne inwohnende Dioge¬ neſſe aufzutreiben ſind als im gedachten? Oder[ ] ſuchen Sie es, mein Hr. v. Auguſti! Weiſet mir doch nur überhaupt ein Territorium auf, dem ein eben ſo langes Parliament, nämlich ein längſter Reichstag beſcheret iſt, gleich¬ ſam eine außerordentlich heilſame pillula per¬ petua*)Dieſe Pille beſteht aus Spiesglaskönig und wird ihrer Feſtigkeit wegen ſtets von neuem mit altem Erfolge gebraucht: man ſchüttet bloß vor¬ her einen Aufguß von Wein darüber. , die der Pazient unaufhörlich ein¬ nimmt und die ihn unaufhörlich ausreinigt; und wem fällt dabei nicht eben ſo gut wie mir die capitulatio perpetua und überhaupt das Reichs-corpus als perpetuum immo¬ bile aus Gründen ein? (Hier trank Schoppe.) Dabei iſt der Reichskörper wie das erſte41 Princip der Moral oder wie Jungfernerde ſehr unauflöslich; ja geſetzt, einer von uns nähme ein Churſchwerdt und ſchnitte ihn da¬ mit wie einen Ohrwurm entzwei, ſo würde ſich die gezähnte Hälfte eben wie der geſpal¬ tene Ohrwurm umkehren und den Hinterreſt rein aufſpeiſen und dann wäre ja der ge¬ ſammte verknüpfte Ohrwurm wieder da und ſatt dazu. Es iſt keine ſchädliche Folge die¬ ſes feſten Reichsnexus, daß das corpus ſeine eignen Glieder wie der Bachkrebs ſeinen Ma¬ gen verzehren und verdauen ohne wahren Schaden, ſo daß einer das corpus wie einen homeriſchen Gott nur verwunden, aber nicht ertödten kann: reibe, ſag 'ich oft, dieſen Fe¬ derbuſchpolypenſtamm mit Röſel zu Brei ſtülp' ihn um wie einen Handſchuh ſchneide den Polypen wie Lichtenberg geſchickt mit ei¬ nem Haare entzwei ſtecke wie Trembley mehrere abgeſchnittene Glieder ineinander und verleibe wie andere Naturforſcher, Reichs¬ ſtädte, Abteien, kleine Länder größern ein oder umgekehrt und ſchaue nach eini¬ gen Tagen darnach: wahrhaftig herrlich und42 ganz und geneſen ſitzt dein Polype wieder dort, oder ich will nicht Schoppe heiſſen.

Der Graf hörte ihn ſchon länger und konn¬ te alſo leichter und beſſer lächeln; der Lektor mußt 'es erſt lernen, da ſogar der komiſche Akteur für ſeinen neuen Zuhörer noch keiner iſt. Aber unter allen dieſen Zerſtreuungen dau¬ erte in Albanos Seele ein verwirrter Tumult, gleichſam das Rauſchen vom Waſſerfalle der kommenden Zeiten fort. Er blickte ſehnend durch die wankenden Fugen der Lorbeerzweige nach den glänzenden Hügeln drauſſen, da Dian in ſeiner Malerſprache ſagte: iſt es nicht als wenn alle Götter mit tauſend Fruchthörnern auf den Bergen um den Lago maggiore ſtän¬ den und Wein und Kaskaden niedergöſſen, damit nur der See wie ein Freudenpokal üp¬ pig überlaufe und herunterſchäume? Schoppe verſetzte: Freuden von ausnehmen¬ dem Geſchmack wie Ananas haben das Schlim¬ me, daß ſie wie Ananas das Zahnfleiſch bluten machen. Ich glaube, ſagte Auguſti, man muß über die Freuden des Lebens nicht viel reflektiren, ſo wie über die Schönheiten eines43 guten Gedichts, man genießet beide beſſer, ohne ſie zu zählen oder zu zergliedern. Und ich, ſagte Ceſara, würde zählen und zer¬ gliedern ſchon aus Stolz; was herauskäme, ertrüg' ich und ich würde mich ſchämen, un¬ glücklich zu ſeyn. Iſt das Leben wie eine Olive eine bittere Frucht, ſo greife nur beide ſcharf mit der Preſſe an, ſie liefern das ſüs¬ ſeſte Oel. Hier ſtand er auf, um bis abends in der Inſel allein zu bleiben; er bat um Nachſicht, machte aber keinen Vorwand. Seine hohe ehrgeizige Seele war unfähig, ſich zur kleinſten Lüge niederzubücken; nicht einmal gegen Vieh. Er lockte in Blumenbühl Flug¬ tauben täglich durch Futter näher, und ſeine Pflegeſchweſter bat ihn oft, eine zu ergreifen; aber er ſagte immer Nein, weil er ſogar ein thieri¬ ſches Vertrauen nicht belügen wollte.

Als ſie ihm nachſahen, da er langſam mit nachſpringenden Schatten und mit den an ihm herabſchlüpfenden Sonnenblitzen durch die Lor¬ beerbäume gieng und wie in einem Traume die Zweige mit vorausgehaltenen Händen ſanft auseinanderbog: ſo brach Dian aus: welche44 Jupiters-Statue! Und die Alten, fiel Schoppe ein, glaubten noch dazu, daß je¬ der Gott in ſeiner Statue hauſe. Eine herrliche dreifache Breite der Stirn, der Naſen¬ wurzel und der Bruſt! (fuhr Dian fort.) Ein Herkules, der auf dem Olympus Oelbäu¬ me pflanzt Es frappirte mich ſehr (ſagte der Lektor), daß ich durch langes An¬ ſchauen auf ſeinem Geſichte leſen konnte was ich wollte und was ſich widerſprach, Kälte Wärme Unſchuld und Sanfmuth am leichteſten Trotz und Kraft. Schoppe ſetzte dazu: ihm ſelber mag es noch ſchwe¬ rer werden, einen ſolchen Kongreß kriegfüh¬ render Mächte in ſich zu einem Friedenskon¬ greß zuſammen zu zwingen. Wie ſchön, (ſagte der menſchlich-fühlende Dian) muß einer ſo kräftigen Geſtalt die Liebe anſtehen und wie erhaben der Zorn! Das ſind zwei male¬ riſche Schönheiten, (verſetzte Schoppe) woraus ſich zwei Pädagogiarchen und Xenophone wie wir wenig bei ihrem Zyrus machen in ihrer Zyropädie.

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4. Zykel.

Zeſara hatte blos drei Gläſer Wein geko¬ ſtet; aber der Moſt ſeines heißen dichten Blu¬ tes gohr davon ſtärker. Der Tag erwuchs im¬ mer mehr zu einem daphniſchen und delphi¬ ſchen Hain, in deſſen flüſterndes und dampfen¬ des Dickicht er ſich tiefer verlor die Sonne hieng wie eine weiſſe blitzende Schneekugel im Blau die Eisberge warfen ihren Silberblick in das Grün herein aus fernen Wolken donnerte es zuweilen*)Tirare di prima vere nennts das Volk und Peter Schoppe überſetzt es erhaben genug: elek¬ triſches Piſtolenzeug des Lenzes. als rolle der Frühling in ſeinem Triumphwagen daher und weiter zu uns die Lebenswärme des Klima's und der Tagszeit, das h. Feuer zweier Entzückungen, (der erinnerten und der gehoften) brüteten alle ſeine Kräfte an. Jetzt ergriff ihn jenes Fieber der jungen Geſundheit, worin ihm allemal war, als ſchlage in jedem Gliede ein beſonde¬ res Herz die Lunge und das Herz ſind von Blute ſchwer und voll der Athem iſt heiß46 wie ein Harmattanwind und das Auge trü¬ be in ſeiner eignen Lohe und die Glieder ſind müde vor Kraft. In dieſer Überfüllung der elektriſchen Wolke, hatt 'er einen beſondern Trieb nach Zertrümmern. Er half ſich jünger oft, daß er Felſenſtücke an den Gipfel wälz¬ te und niederrollen ließ; oder daß er im Gal¬ lopp ſo lange lief bis der Athem länger wurde, oder am gewiſſeſten dadurch, daß er ſich (wie er von Kardan gehört hatte) mit ei¬ nem Federmeſſer Schmerzen und ſogar kleine Verblutungen erregte. Selten gewinnen ge¬ wöhnliche, und noch ſeltener ungewöhnliche Menſchen die volle mit allen Zweigen blühen¬ de Jugend des Leibes und Geiſtes; aber deſto prangender trägt dann Eine Wurzel einen gan¬ zen Blumengarten.

Mit dieſen Wallungen ſtand Albano jetzt hinter dem Pallaſt einſam gegen Süden, als ihm ein Spiel ſeiner Knabenjahre einfiel.

Er war nämlich oft im Mai auf einen ſäulendicken Apfelbaum der ein ganzes hän¬ gendes grünes Kabinet erhob, bei heftigem Wind geſtiegen und hatte ſich in die Arme ſei¬47 nes Gezweigs gelegt. Wenn ihn nun ſo die ſchwankende Luſthecke zwiſchen dem Gau¬ keln der Lilienſchmetterlinge und dem Summen der Bienen und Mücken und dem Nebeln der Blüthen ſchaukelte und wenn ihn der aufge¬ blähte Wipfel bald unter fettes Grün verſenk¬ te, bald vor tiefes Blau und bald vor Son¬ nenblitze drehte: dann zog ſeine Phantaſie den Baum rieſenhaft empor, er wuchs allein im Univerſum gleichſam als ſey er der Baum des unendlichen Lebens, ſeine Wurzeln ſtiegen in den Abgrund, die weiſſen und rothen Wolken hiengen als Blüthen in ihm, der Mond als eine Frucht, die kleinen Sterne blitzten wie Thau und Albano ruhte in ſeinem unendlichen Gipfel und ein Sturm bog den Gipfel aus dem Tag in die Nacht, und aus der Nacht in den Tag.

Er ſah jetzt zu einer hohen Zypreſſe empor. In Rom war aus dem Mittags-Schlaf ein Südoſtwehen aufgeſtanden und hatte ſich un¬ terwegs fliegend in Limoniengipfeln und in tauſend Bächen und Schatten gekühlt und lag nun gewiegt auf Zypreſſenarmen. Da erklet¬48 terte er den Baum, um ſich wenigſtens zu er¬ müden. Aber wie dehnte ſich die Welt vor ihm aus mit Bergen, mit Inſeln und Wäl¬ dern, da er das donnernde Gewölke über Roms ſieben Hügeln liegen ſah, gleichſam als rede aus dem Dunkel noch der alte Geiſt, der in den Hügeln wie in ſieben Veſuven gearbeitet hatte, welche vor der Erde ſo viele Jahrhun¬ derte lang mit feurigen Säulen, mit aufge¬ richteten Gewittern ſtanden und ſie mit glühen¬ den Strömen, mit Aſchenwolken und mit Fruchtbarkeit übergoſſen, bis ſie ſich ſelber zer¬ ſprengten! Die Spiegelwand der Gletſcher ſtand wie[ſein] Vater unzerrüttet vor der Wär¬ me des Himmels und wurde nur glänzend und nicht warm und nicht weich aus dem weiten See ſchienen überall die warmen Hügel wie aus ihrem Bade auszuſteigen und die kleinen Schiffe der Menſchen ſchienen in der Ferne ſtrandend zu ſtocken und im weiten Wehen um ihn giengen die großen Geiſter der Vergan¬ genheit vorüber und unter ihren unſichtbaren Tritten bogen ſich nur die Wälder nieder, aber die Blumenbeete wenig. Da wurdein49in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬ nen Zukunft keine Wehmuth, ſondern ein Durſt nach allem Großen, was den Geiſt be¬ wohnt und hebt, und ein Schauder vor den ſchmutzigen Ködern der Zukunft, zogen ſein Auge recht ſchmerzlich zuſammen und ſchwere Tropfen fielen daraus. Er ſtieg herab, weil das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde. Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den gehaltenen Gang der Natur verehrte,[hatten] den Knoſpengarten ſeiner Kräfte vor frühzeitiger Morgenſonne und ſchnellem Aufſpringen be¬ wahret; aber durch die Erwartung des Abends und durch die Reiſe wurde der Tag ſeines Le¬ bens jetzt zu warm und zu treibend.

Zufällig und träumend verlor er ſich unter Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein ſüßes Wühlen im innerſten Herzen dieſes be¬ klemmend weit und leer und wieder voll. Ach er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er hier in ſeiner Kindheit ſo oft in die Bruſt ge¬ ſogen, und welche nun jede Phantaſie und Er¬ innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬ waltſam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬Titan. I. D50gleich den abgenützten Merkmalen des Auges und des Ohres, ſeltener kommen und alſo leich¬ ter und heftiger die verblichene Empfindung er¬ neuern. Aber als er in eine Arkade des Pal¬ laſtes, welche bunte Steine und Muſcheln ſtik¬ kend färbten, gerieth, und als er die Wogen ſpielend auf die Schwelle der Grotte hüpfen ſah: ſo deckte ſich ihm auf einmal eine bemoo¬ ſete Vergangenheit auf er durchſuchte ſeine Erinnerungen die Farbenſteine der Grotte lagen gleichſam voll Inſchriften der vorigen Zeit vor ſeinem Gedächtniß. Ach hier war er ja tauſendmal mit ſeiner Mutter geweſen, ſie hatte ihm die Muſcheln gezeigt und die Nähe der Wellen verboten, und einmal, da die Sonne aufgieng und da der durchwehte See und alle Steinchen glänzten, war er auf ihrem Schooße mitten unter den Lichtern auf¬ gewacht.

O war denn nun die Stelle nicht geheiligt und auf ihr ſeine überwältigende Sehnſucht nicht entſchuldigt, die er heute ſo lange gehabt, die ſchöne Armwunde dem tobenden und quä¬ lenden Blute aufzumachen?

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Er ritzte ſich, aber zufällig zu tief; und mit einem ſchönen kühlen Heben ſeines leichter ath¬ menden Weſens ſah er der rothen Quelle ſeines Armes in der Abendſonne zu, und wurde wie nach abgefallnen Bürden leichter nüchtern ſtill und weich. Er dachte an die verſchwund¬ ne Mutter, deren Liebe nun ewig unvergolten blieb ach er hätte dieſes Blut gern für ſie vergoſſen und nun quoll heißer als je in ſeiner Bruſt die Liebe für den kränklichen Va¬ ter auf: o komme bald, ſagte ſein Herz, ich will dich ſo unausſprechlich lieben, du lieber Vater!

Die Sonne erkaltete an der feuchten Erde nur noch die zackige Mauerkrone aus den Goldſtufen der Gletſcherſpitzen glühte über aus¬ gelöſchten Wolken und die Zauberlaterne der Natur warf ihre Bilder nur noch gezogner und matter: da gieng eine lange Geſtalt in einem offnen rothen Mantel langſam um die Zedratobäume auf ihn zu, rieb mit der Rech¬ ten an der Stelle des Herzens, woran kleine Funken verglommen, und zerdrückte mit der halb erhobnen Linken eine Wachslarve zumD 252Klumpen und blickte in die eigne Bruſt. Plötz¬ lich erſtarrete ſie an der Wand des Pallaſtes in verſteinerter Stellung. Albano drückte die Hand auf die kleine Wunde und gieng nahe zu dem Verſteinerten Welche Geſtalt! Aus einem vertrockneten hagern Angeſicht erhob ſich zwiſchen Augen, die halb unter den Augen¬ knochen fortbrannten, eine verachtende Naſe mit ſtolzem Wurf ein Cherub mit dem Keime des Abfalls, ein verſchmähender gebietender Geiſt ſtand da, der nichts lieben konnte, nicht ſein eignes Herz, kaum ein höheres, einer von jenen Fürchterlichen, die ſich über die Menſchen, über das Unglück, über die Erde und über das Gewiſſen erheben, und denen es gleich gilt, welches Menſchenblut ſie hingießen, ob fremdes oder ihres.

Es war Don Gaſpard.

Die Funken-werfende Ordenskette aus Stahl und Edelſteinen verrieth ihn. Die Starrſucht, ſeine alte Krankheit, hatt 'ihn ergriffen. O Vater! ſagte Albano erſchrocken und umfaßte die unbewegliche Geſtalt, aber er drückte gleich¬ ſam den kalten Tod ans Herz. Er ſchmeckte53 die Bitterkeit einer Hölle er küßte die ſtarre Lippe und rief lauter endlich trat er vor ihm mit fallenden Armen zurück und die aufgedeckte Wunde blutete ungefühlt nieder und er blickte, zähneknirſchend vor wilder junger Liebe und vor Schmerz, und mit großen Eistropfen in den Augen, den Stummen an und riß ihm die Hand vom Herzen. Hier ſchlug erwachend Gaſ¬ pard die Augen auf und ſagte: willkommen, mein lieber Sohn! Da ſank ihm mit unüber¬ ſchwenglicher Seeligkeit und Liebe das Kind ans Vaterherz und weinte und ſchwieg. Du bluteſt, Albano, ſagte Gaſpard ihn ſanft zu¬ rückſtemmend, verbinde dich! Laß mich blu¬ ten, ich will mit dir ſterben wenn du ſtirbſt o wie hab' ich ſo lange nach dir geſchmach¬ tet, mein guter Vater! ſagte Albano, noch tiefer erſchüttert von dem kranken väterlichen Herzen, das er jetzt an ſeinem heftiger ſchlagen fühlte.

Recht gut, verbinde dich aber! ſagt 'er; und als der Sohn es that und während des ſchnellſten Umwickelns mit unerſättlicher Liebe in das väterliche Auge ſchauete, und als das54 Auge nur kalte Blitze warf wie ſein Ring-Ju¬ wel ſo ſchlug auf den Kaſtaniengipfeln, dem heutigen Throne der Morgenſonne, der leiſe Mond ſein frommes Auge ſtillend auf und dem entflammten Albano war es an dieſem kindli¬ chen und mütterlichen Wohnplatze, als ſchaue der Geiſt ſeiner Mutter vom Himmel und rufe, ich werde weinen, wenn ihr euch nicht liebt. Sein wallendes Herz zerfloß, und er ſagte ſanft zu dem im Mondlicht bleichern Vater: liebſt du mich denn nicht? Lieber Alban, ver¬ ſetzte der Vater, man kann dir nicht genug antworten du biſt recht gut es iſt recht gut. Aber mit dem Stolze der Liebe, die ſich kühn mit der väterlichen maß, ergriff er feſt die Hand mit der Larve, und ſah den Ritter mit feurigen Thränen an: mein Sohn, ver¬ ſetzte der Müde, ich habe dir heute noch viel zu ſagen und wenig Zeit, weil ich morgen reiſe und ich weiß nicht, wie lange mein Herzklopfen mich ſprechen läſſet. Ach alſo war das vorige Zeichen einer gerührten Seele nur ein Zeichen eines nervenkranken Pulſes ge¬ weſen .... Du armer Sohn, wie mußte vor55 dieſer ſcharfen Luft dein bewegtes Meer erſtar¬ ren ach wie an einem eiskalten Metall mußte deine warme Hand ankleben und davon ſich wundgeſchält abziehen!

Aber guter Jüngling! Wer von uns könnte dich tadeln, daß Wunden dich gleichſam mit Blut an deinen wahren oder falſchen Halbgott binden wiewohl ein Halbgott ſich öfter mit einem Halbthier als mit einem Halb¬ menſchen ſchließet und daß du ſo ſchmerz¬ lich liebſt? Ach welche warme Seele ſprach nicht einmal die Bitte der Liebe vergeblich aus und konnte dann, gelähmt vom erkaltenden Gifte, gleich andern Vergifteten, die ſchwere Zunge und das ſchwere Herz nicht mehr bewegen? Aber liebe fort, du warme Seele; gleich Früh¬ lingsblumen, gleich Nachtſchmetterlingen durch¬ bricht die zarte Liebe zuletzt doch den hart-ge¬ frornen Boden und jedes Herz, das nichts an¬ deres verlangt, als ein Herz, findet endlich ſeine Bruſt!

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5. Zykel.

Der Ritter nahm ihn auf eine über ſtei¬ nerne Säulen geführte Gallerie hinauf, die überall Limonienbäume mit Düften und kleinen regen vom Monde ſilbern geränderten Schat¬ ten vollſtreueten. Er zog zwei Medaillons aus ſeiner Brieftaſche, das eine bildete ein ſonder¬ bar - jugendlich ausſehendes weibliches Ge¬ ſichtchen vor, mit der Umſchrift: Nous ne nous verrons jamais, mon fils. *)Wir ſehen uns nie mein Sohn. Hier iſt deine Mutter, (ſagte Gaſpard und gab es ihm,) und hier deine Schweſter, und reichte ihm das zweite, deſſen Züge zu einer unkenntlichen veralteten Geſtalt einliefen mit der Umſchrift: Nous nous verrons un jour, mon frère. **)Wir ſehen uns einſt, mein Bruder. Er fieng nun ſeine Rede an, die er in ſo vie¬ len zwangloſen Heften (das eine Komma oft am einen Ende der Gallerie, das andere am andern) und ſo leiſe und in einem ſolchen Wech¬ ſel von ſchnellem und trägem Gehen lieferte,57 daß in das Ohr eines unter der Gallerie mit¬ laufenden Viſitators fremder Geſpräche, wenn einer drunten ſtand, nicht drei zuſammengehö¬ rende Laute tropfen konnten. Deine Aufmerk¬ ſamkeit, lieber Alban, fuhr er fort, nicht deine Phantaſie ſollte jetzt geſpannt ſeyn; Du biſt leider heute zu romantiſch bei dem Ro¬ mantiſchen, was du hören ſollſt. Die Grä¬ finn von Zeſara liebte das Feierliche von je¬ her; du wirſt es aus dem Auftrage ſehen, den ſie mir wenige Tage vor ihrem Tode gab, und den ich gerade an dieſem Charfreitage auszu¬ richten verſprechen mußte.

Er ſagte noch, bevor er anfieng, daß er, da ſeine Katalepſie und ſein Herzklopfen be¬ denklich ſtiegen, nach Spanien eilen müſſe, ſeine Sachen und noch mehr die ſeiner Mündel der Gräfinn von Romeiro zu ordnen. Al¬ ban that noch eine Bruderfrage über ſeine liebe ſo lang 'entrückte Schweſter; der Vater lies ihn hoffen, daß er ſie bald ſehen werde, da ſie mit der Gräfinn die Schweiz beſuchen wolle.

Da ich nicht abſehe was die Menſchen davon haben, wenn ich die mir beſchwerlichen Gän¬58 ſefüße ſammt dem ewigen er ſagte herſetze: ſo will ich den Auftrag in Perſon erzählen. Es werden einmal (ſagte der Ritter) drei Unbekannte, einer am Morgen, einer Mittags und einer Abends zu ihm kommen und jeder wird ihm ein eingeſiegeltes Kartenblatt zuſtel¬ len, worauf blos der Name der Stadt und des Hauſes ſteht, worin das Bilderkabinet, das Al¬ bano noch dieſelbe Nacht beſuchen muß, zu fin¬ den iſt. Im Kabinet ſoll er alle Nägel der Bilder durchtaſten und drücken, bis er auf einen[kommt], hinter welchem der Druck eine in die Wand eingebauete Repetiruhr zwölf zu ſchlagen nöthigt. Hier findet er unter dem Bilde eine geheime Tapetenthür, hinter welcher eine weibliche Geſtalt mit einem offnen Souve¬ nir und mit drei Ringen an der Linken, und mit einem Crayon in der Rechten ſitzt. Drückt er den Ring des Mittelfingers, ſo richtet ſich die Geſtalt unter dem Rollen des innern Ge¬ triebes auf, tritt in das Zimmer und das aus¬ laufende Gehwerk ſtockt mit ihr an einer Wand, woran ſie mit dem Crayon ein verſtecktes Fach bezeichnet, in welchem ein Taſchenperſpektiv59 und der wächſerne Abdruck eines Sargſchlüs¬ ſels liegen. Das Okularglas des Perſpektivs ordnet durch eine optiſche Anamorphoſe den Wirwarr alternder Linien auf dein heute em¬ pfangenen Medaillon der Schweſter zu einer holden jungen Geſtalt, und das Objektivglas giebt dem unreifen Bilde der Mutter die Merk¬ male des längern reifern Lebens zurück. Dann drücket er den Ringfinger und ſogleich fängt die ſtumme kalte Figur mit dem Crayon in das Souvenir zu ſchreiben an und bezeich¬ net ihm mit einigen Worten den Ort des Sar¬ ges, von deſſen Schlüſſel er den wächſernen Abdruck hat. Im Sarge liegt eine ſchwarze Marmorſtufe, in Geſtalt einer ſchwarzen Bibel; und wenn er ſie zerſchlagen hat, trift er einen Kern darin, aus dem der Chriſtbaum ſeines ganzen Lebens wachſen ſoll. Iſt die Stufe nicht im Sarge, ſo giebt er dem letzten Ringe des Ohrfingers einen Druck was aber dann dieſes hölzerne Guerike's Wettermännchen ſeines Schickſals beginne, wußte der Ritter ſelber nicht vorauszuſagen.

Ich bin völlig der Meinung, daß man60 dem bizarren Teſtamente leicht das Repetir - und das halbe Räderwerk ſo wie man jetzt in Londen Uhren blos aus zwei Rädern bauet ausbrechen könnte, ohne das Vorlege - oder Zeigerwerk zu beſchädigen.

Auf Alban wirkte das teſtamentariſche Ge¬ triebe und Gebläſe wider meine Erwartung faſt nichts; ausgenommen eine weichere Liebe gegen die gute Mutter, welche ſo ſorgend, da ſie unten im Strome des Lebens das fliegende Bild vom niederfallenden Habicht des Todes erblickte, nur den Sohn bedachte. Seinem Va¬ ter ſchauete er unter dem Berichte, mit zärt¬ lichem Danke für dieſe Mühe des Gedächtniſſes und der Erzählung, faſt auf Koſten ſeiner Auf¬ merkſamkeit, in das befeſtigte eiſerne Angeſicht; und im Mondſchein und vor ſeiner Phantaſie, wuchs der Ritter zu einem rhodiſchen die halbe Gegenwart verdeckenden Koloſſus auf, für wel¬ chen ihm dieſes teſtamentariſche Memorienwerk faſt zu kleinlich ſchien.

Bisher hatte Don Gaſpard blos als ächter Weltmann geſprochen, der von ſeinem Geſpräche (ohne beſondere nähere Verhältniſſe) ſtets jede61 Erwähnung oder Schmeichelei eines Ichs, des fremden ſo gut wie des eignen ausſchlieſſet, und ſogar hiſtoriſcher Perſonen nur als Be¬ dingungen von Sachen gedenkt ſo daß zwei ſolche Nicht-Ichs mit ihrer grimmigen Kälte, nur zwei ſprechende Logiken oder Wiſ¬ ſenſchaften zu ſeyn ſcheinen, aber keine Weſen mit ſchlagenden Herzen: o! wie ſanft floß es, wie eine weiche Tonart in Albanos liebewun¬ des Herz, das der hellere und lauere Mond und der inſulariſche dämmernde Kindergarten ſeiner erſten Vorzeit, und die in ſeiner Seele laut fort - und nachklingende Stimme ſeiner Mutter gewaltſam auflöſeten, als nun der Vater ſagte: Das hab 'ich von der Gräfinn zu ſagen. Von mir hab' ich dir nichts zu ſa¬ gen, als meine bisherige Zufriedenheit mit deinem bisherigen Leben. O geben Sie, theuerſter Vater, meinem künftigen Gebote, Lehre und Rath ſagte der begeiſterte Menſch, und Gaſpards rechter Hand, die nach dem ſchnellern Herzen zuckte, folgt 'er mit ſeiner Linken an die ſieche Stelle und drückte heftig das hyſteriſche Herz, als könn' er dieſem berg¬62 ab umkreiſenden Lebensrade in die Speiche grei¬ fen. Der Ritter verſetzte: ich habe dir wei¬ ter nichts zu ſagen. Die Lindenſtadt (Peſtiz) iſt dir nun geöffnet; deine Mutter hatte ſie dir verſchloſſen. Der Erbprinz, der bald Fürſt ſeyn wird, und der Miniſter von Fraulay, der mein Freund iſt, werden die deinigen ſeyn; ich glaub ', es wird dir nützen, ihre Be¬ kanntſchaft zu kultiviren.

Der ſcharfblickende Gaſpard ſah hier plötz¬ lich über des Jünglings reine offne Geſtalt wunderbare Bewegungen und heiße Roſen fliegen, die aus der Gegenwart mit nichts zu erklären waren und die ſogleich wie getödtet vergiengen, als er ſo fortfuhr: für einen Mann von Stande ſind gelehrte und ſchöne Wiſſenſchaften, die für andre Endzweck ſind, nur Mittel und Erhohlung; und ſo groß deine Neigung dafür ſeyn mag: ſo wirſt du doch am Ende Handlungen den Vorzug vor Ge¬ nüſſen geben; du wirſt dich nicht gebohren füh¬ len, die Menſchen bloß zu belehren oder zu beluſtigen, ſondern zu behandeln und zu be¬ herrſchen.

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Es wäre gut, wenn du den Miniſter ge¬ wänneſt und dadurch die Kenntniſſe des Re¬ gierungs - und Kammerweſens, die er dir ge¬ ben kann; denn in dem Abriſſe Eines Landes, ſo wie Eines Hofes, beſitzeſt du die Grund¬ züge eines jeden größern, wozu du auch ge¬ langen und dich bilden ſollſt. Es iſt mein Wunſch, daß du ſogar dem Fürſten und dem Hofe lieb wirſt, weniger weil du Konnexionen als weil du Erfahrungen brauchſt. Nur durch Menſchen beſiegt und überſteigt man Men¬ ſchen, nicht durch Bücher und Vorzüge. Man muß nicht ſeinen Werth auslegen, um die Menſchen zu gewinnen, ſondern man muß ſie gewinnen, und dann erſt jenen zeigen. Un¬ glück iſt nichts wie Unverſtand und nicht ſo¬ wohl durch Tugend als durch Verſtand, wird man furchtbar und glücklich. Du haſt höch¬ ſtens die Menſchen zu fliehen, die dir zu ähn¬ lich ſind, beſonders die ädeln. Das ätzen¬ de Sublimat ſeines Spottes, beſtand hier nicht darin, daß er ädel mit einem accentuirten iro¬ niſchen Tone ſagte, ſondern daß ers wider Er¬ warten kalt ohne einen ſagte. Albanos Hand64 war in ſeiner ſchon längſt vom Herzen an der ſtählernen eckigen Ordenskette herabgeglitten auf das goldene metalliſch-kalte Lamm daran. Der Jüngling hatte, wie alle Jünglinge und Ein¬ ſiedler, zu harte Begriffe von Hof - und Welt¬ leuten, er hielt ſie für ausgemachte Baſiliſken und Drachen wiewohl ich das noch entſchul¬ digen will, wenn er nur mit den Naturforſchern unter den Baſiliſken nichts verſteht, als unge¬ flügelte Eidexen, und unter den Drachen nichts als geflügelte, ſo daß er ſie für nichts als für kalte faſt ſo fatale Amphibien, wie Linnée ſolche definirt, anſieht ; ferner hegt 'er (ſo leicht wird Plutarch der Verführer von Jüng¬ lingen, deren Biograph er hätte ſeyn können wie ich) mehr Grimm als Achtung gegen die Artolatrie (den Broddienſt) unſers Zeitalters, das aber umgekehrt immer den Gott ins Brod verwandeln will, gegen die beſten Brodſtudien oder Brodwagen, gegen das Machen einer Carrière, gegen jeden, der kein Waghals war und der ſtatt der Sturmbalken und Kriegsma¬ ſchinen etwa unſichtbare Magnetſtäbe, Saug¬ werke und Schröpfköpfe anſetzte und damitetwas65etwas zog. Jeder Jüngling hat ein ſchönes Zeitalter, wo er kein Amt, und jede Jungfrau eines, wo ſie keinen Mann annehmen will; dann ändern ſich beide und nehmen oft ſich einander noch dazu.

Als der Ritter die obigen gewiß keinem Weltmanne anſtößigen Sätze vorbrachte: ſo ſtieg in ſeinem Sohne ein heiliger menſchenfreund¬ licher Stolz empor es war dieſem, als werde von einem ſteigenden Genius ſein Herz und ſo¬ gar ſein Körper, wie der eines betenden Heili¬ gen, gehoben über die Laufbahnen einer gieri¬ gen kriechenden Zeit die großen Menſchen einer größern traten unter ihre Triumphbogen und winkten ihn, näher zu ihnen zu kommen in Oſten lag Rom und der Mond und vor ihm der Alpen-Zirkus, eine große Vergangen¬ heit neben einer großen Gegenwart er er¬ griff mit dem liebend-ſtolzen Gefühl, daß es noch etwas Göttlicheres in uns gebe als Klugheit und Verſtand, den Vater und ſagte: der ganze heutige Tag, lieber Vater, war eine zunehmende Erſchütterung meines Her¬ zens ich kann vor Bewegung nicht ſpre¬Titan. I. E66 chen und nichts recht bedenken Vater, ich beſuche alle ich werde mich über die Men¬ ſchen hinausreißen aber ich verſchmähe den ſchmutzigen Weg des Ziels ich will im Welt¬ meer wie ein Lebendiger durch Schwimmen aufſteigen, aber nicht wie ein Ertrunkner durch Verweſen Ja Vater, das Schick¬ ſal werfe einen Grabſtein auf dieſe Bruſt und zermalme ſie, wenn ſie die Tugend und die Gottheit und ihr Herz verloren hat.

Albano ſprach darum ſo warm, weil er einer unausſprechlichen Verehrung für die kraft¬ volle Seele des Ritters nicht entſagen konnte; er ſtellte ſich immer die Qualen und das lange Sterben eines ſo ſtarken Lebens, den ſcharfen Rauch eines ſo großen, kalt ausgegoſſenen Feuers vor, und ſchloß aus den Regungen ſei¬ ner eignen lebendigen Seele auf die der väter¬ lichen, die nach ſeiner Meinung nur langſam auf einer breiten Unterlage ſchwarzer kalter Menſchen ſo zerfallen war, wie man Diaman¬ ten nicht anders verflüchtigt als auf einer Un¬ terlage von ausgebrannten todten Schmiedte¬ kohlen.

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Don Gaſpard, der die Menſchen ſelten und nur gelinde tadelte nicht aus Liebe, ſondern aus Gleichgültigkeit antwortete dem Jüng¬ linge geduldig: Deine Wärme iſt zu loben. Mit der Zeit wird ſich alles geben. Jetzt lass 'uns eſſen.

6. Zykel.

Der Speiſeſaal unſerer Eiländer war im reichen Pallaſte der abweſenden borromäiſchen Familie. Man gab der ſchönen Inſel den Pa¬ risapfel und Lorbeerkranz. Auguſti und Gas¬ pard ſchrieben ihr das Belobungsſchreiben in einem leichten klaren Stil, nur Gaſpard mit mehr Antitheſen. Albanos Bruſt war mit einer neuen Welt gefüllt, ſein Auge mit einem Schim¬ mer, ſeine Wangen mit freudigem Blut. Der Baumeiſter erhob ſowohl den Geſchmack als den Kammerbeutel des Erbprinzen, der durch beide zwar nicht artiſtiſche Meiſter, aber doch Meiſterſtücke in ſein Land mitbrachte und auf deſſen Veranlaſſung eben dieſer Dian nach Ita¬ lien gieng, um für ihn Abgüſſe von den Anti¬ ken dazu nehmen. Schoppe verſetzte: ich hoffe,E 268 der Deutſche iſt ſo gut mit Malerakademien und mit Malerkoliken verſehen als irgend ein Volk; unſere Ballenbilder unſere Theſes¬ bilder in Augspurg unſere Leiſten über Zei¬ tungsblättern und unſere Buchdruckerſtöcke in jedem dramatiſchen Werke, durch die wir eine frühere Shakespeare Gallery beſaßen als Lon¬ don unſere[ Effigie -] Gehangnen am Galgen ſind jedem bekannt, und zeigen am erſten, wie weit wirs treiben. Aber ich will auch zulaſſen, daß Griechen und Welſche ſo malen wie wir; ſo ragen wir doch dadurch über ſie hinweg, daß wir gleich der Natur und den adelichen Sponſirern, nie die Schönheit iſo¬ lirt ohne angebognen Vortheil ſuchen. Eine Schönheit, die wir nicht nebenher braten, ver¬ aukzioniren, anziehen oder heirathen können, gilt bei uns nur das, was ſie werth iſt; Schönheit iſt bei uns (hoff ich) nie etwas an¬ ders als Anſchrot und Beiwerk des Vortheils, ſo wie auch auf dem Reichstage nicht die an¬ geſtoßenen Konfekttiſchchen, ſondern die Ses¬ ſionstafeln die eigentlichen Arbeitstiſche des Reichs-corpus ſind. Ächte Schönheit und69 Kunſt wird daher bei uns nur auf Sachen geſetzt, gemalt, geprägt, welche dabei nützen und abwerfen: z. B. gute Madonnen nur ins Modejournal radirte Blätter nur auf Briefe voll Tabacksblätter Kammeen auf Tabacksköpfe Gemmen auf Pitſchafte und Holzſchnitte auf Kerbhölzer Blumenſtücke werden geſucht, aber auf Schachteln treue Wouwermanne, aber zwiſchen Pferdeſtänden neben Beſcheelern*)Ein guter Wouwermann heißet in der Maler¬ ſprache ein gut gemaltes Pferd, deſſen Beſchauen auf die Schönheit des künftigen Füllen einfließet. erhobenes Bildwerk von Prinzenköpfen, entweder auf Thalern oder auf Baierſchen Bierkrug-Deckeln, beide nicht ohne reines Zinn Roſen - und Lilienſtücke aber an tättauwierten Weibern. Auf ähn¬ liche Weiſe war in Baſedows Erziehungsan¬ ſtalt ſtets das ſchöne Gemälde und das latei¬ niſche Vokabulum verknüpft: weil das Phi¬ lanthropin dieſes leichter unter jenem behielt. So malte Van der Kabel nie einen Haſen auf Beſtellung, ohne ein friſch geſchoſſenes70 Model nach dem andern ſich zum Eſſen und Kopiren auszubitten. So malte der Ma¬ ler Calkar ſchöne Strümpfe, aber unmittel¬ bar an ſeine eignen Beine.

Der Ritter hörte ſo etwas mit Vergnügen an, ob ers gleich weder belächelte noch nach¬ ahmte; ihm waren alle Farben im genialiſchen Priſma erfreulich. Nur für den Baumeiſter wars nicht genug im griechiſchen Geſchmack, und für den Lektor nicht genug im höflichen. Letzterer kehrte ſich, während Schoppe neuen Athem zu unſerer Verkleinerung holte, wie ſchmei¬ chelnd zum abreiſenden Dian und ſagte: früher nahm Rom andern Ländern nur die Kunſt¬ werke hinweg, aber jetzt die Künſtler.

Schoppe verfolgte: Eben ſo ſind unſere Statuen keine müßigen Staatsbürger auf der Bärenhaut, ſondern ſie treiben alle ein Hand¬ werk; was Karyatiden ſind, tragen Häuſer, was Engel ſind, halten Taufſchüſſeln, und heidniſche Waſſergötter arbeiten in Spring¬ brunnen und gießen den Mägden das Waſſer in die Scheffel zu.

Der Graf ſprach warm für uns, der Lek¬71 tor hell: der Ritter bemerkte, daß der deutſche Geſchmack und das deutſche Talent für dichte¬ riſche Schönheiten den Mangel an beiden für andere Schönheiten vergüte und erkläre. (aus Klima, Regierungsform, Armuth ꝛc.) Der Rit¬ ter glich den Himmelsſehröhren, hinter denen die Erden größer erſcheinen und die Sonnen kleiner, er nahm wie jene den Sonnen den ge¬ borgten Schimmer ab, ohne ihnen den wahren größern zurückzugeben; er ſchnitt zwar einem Judas den Strick entzwei, aber einem Chriſtus¬ kopfe goß er den Heiligenſchein aus, und ſuchte überhaupt eine Parität und Gleichheit der Schwärze und des Lichts zu erkünſteln.

Schoppe verſtummte nie; ich ſorge, in ſei¬ nem Toleranzmandat für Europa waren die deutſchen Kreiſe ausgelaſſen, erhob wieder an: Das Wenige, was ich eben zum Lobe der nützen¬ den Deutſchen vorbrachte, hat mir wie es ſcheint Widerſpruch zugezogen. Aber die kleine Lor¬ beerkrone, die ich dem h. Reichskörper aufſetze, ſoll mich nie abhalten die Stellen gewahr zu wer¬ den wo er kahl iſt. Ich lobt 'es oft an Sokrates und Chriſtus, daß ſie nicht in Hamburg, in72 Wien, oder gar in einer brandenburgiſchen Stadt dozirten und mit ihren Philanthro¬ piſten gaſſatim giengen; von Magiſtrats we¬ gen würde man ſie haben befragen laſſen, ob ſie nicht arbeiten könnten; und wären beide mit Familie in Wezlar geweſen, ſo hätte man dieſer die Neglektengelder*)So heißet das Quantum, daß man den Bei¬ ſitzern des Kammergerichts, wenn ſie nicht ge¬ nug gearbeitet haben, vorenthält. abgezogen. Anlangend die Dichtkunſt, H. Ritter, ſo kannt ' ich manchen Reichsbürger, der aus einem Karmen wenns nicht auf ihn ſelber war wenig machte; er glaubte die Eingriffe der poetiſchen Freiheit in die Reichsfreiheit zu ken¬ nen; ihn, der gewiß überall ordentlich, ge¬ ſetzt, bedächtig, in ſächſiſchen Friſten zu Werke ſchritt, quälten und ſtörten poetiſche Schwin¬ gen ſehr. Und iſts denn ſo unerklärlich und ſo ſchlimm? der gute Reichsſtädter bindet eine Serviette vor, wenn er weinen will, damit er die Atlasweſte nicht betropft, und die Thräne, die ihm aufs Kondolenzſchreiben entfallen, ſtip¬73 pet er wie jede dunklere Interpunktion: was Wunder, wenn er gleich dem Wildmeiſter keine ſchönere Blume kennt als die hinten am Hirſche, und wenn ihn die poetiſchen Veilchen gleich den botaniſchen*)Die Ipecacuanha gehört zum Veilchengeſchlechte. mit gelinden Brechkräften angreifen .... Das wäre meines Bedünkens wenigſtens Eine Art, den Tadel abzulehnen, womit man uns Deutſche anſchmitzt.

7. Zykel.

Welche ſonderbare Nacht folgte auf dieſen ſonderbaren Tag! Alle giengen, vom Rei¬ ſen ſchläfrig, der Ruhe zu; blos Albano, in welchem der heiße volle Tag nachbrannte, ſagte dem Ritter, daß er heute mit ſeiner Bruſt voll Feuer nirgends Kühlung und Ruhe finde, als unter den kalten Sternen und unter den Blü¬ then des welſchen Frühlings. Er lehnte ſich auf der oberſten Terraſſe an eine Statue neben einem blühenden Dockengeländer aus Zitronen an, um die Augen unter dem Sternenhimmel ſchön zu ſchließen, und noch ſchöner zu öffnen. 74Schon in ſeiner frühern Jugend hatt 'er ſich, ſo gut wie ich, auf die welſchen Dächer war¬ mer Länder gewünſcht, nicht um als Nacht¬ wandler, ſondern um als ein Schläfer darauf zu erwachen.

Wie herrlich fällt das aufgehende Auge in den erleuchteten hängenden Garten voll ewi¬ ger Blüthen über dir, anſtatt daß du in deinem deutſchen ſchwülen Federpfuhl nichts vor dir haſt, wenn du aufblickſt, als den Bettzopf!

Als Zeſara ſo Wellen und Berge und Ster¬ ne mit ſtillerer Seele durchkreuzte und als Gar¬ ten und Himmel und See endlich zu Einem dun¬ keln Koloſſe zuſammenſchwammen, und er wehmüthig an ſeine bleiche Mutter und an ſeine Schweſter und an die verkündigten Wunder ſeiner Zukunft dachte: ſo ſtieg hinter ihm eine ganz ſchwarz gekleidete Geſtalt mit abgebilde¬ tem Todtenkopfe auf der Bruſt mühſam und mit zitterndem Athem die Terraſſen hinauf Gedenke des Todes! (ſagte ſie) Du biſt Al¬ bano de Zeſara? Ja (ſagte Zeſara) wer biſt du? Ich bin (ſagte ſie) ein Vater75 des Todes. *)Aus dem Orden des h. Pauls oder memento mori, der in Frankreich im 17ten Jahrhundert erloſch. Die obige Anrede iſt ihr gewöhnlicher Gruß. Ich zittere, nicht aus Furcht, ſondern aus Gewohnheit ſo.

Die Glieder des Mannes blieben auf eine grauſende Art in einem allgemeinen Erbeben, das man zu hören glaubte. Zeſara hatte oft ſeiner müßigen Kühnheit ein Abentheuer ge¬ wünſcht; jetzt hatt 'ers vor ſich; indeß wachte er doch behutſam mit dem Auge, und da der Mönch ſagte: ſchaue zum Abendſtern hinauf und ſage mir, wenn er untergeht, denn mein Geſicht iſt ſchwach, ſo warf er nur einen eilenden Blick dahin: noch drei Sterne (ſagt' er) ſind zwiſchen ihm und der Alpe. Wenn er untergeht (fuhr der Vater fort) ſo giebt deine Schweſter in Spanien den Geiſt auf, und darauf redet ſie dich hier aus dem Him¬ mel an. Zeſara wurde kaum von einem Finger der kalten Hand des Schauders berührt, blos weil er in keinem Zimmer war, ſondern76 in der jungen Natur, die um den zagenden Geiſt ihre Berge und Sterne als Hüter ſtellt, oder auch, weil die weite dichte Körperwelt ſo nahe vor uns die Geiſterwelt verdrängt und verbauet; er fragte mit Entrüſtung: wer biſt du? was weißt du? was wilſt du? und griff nach den zuſammengefalteten Händen des Mönchs und hielt beide mit Einer gefangen. Du kennſt mich nicht, mein Sohn! (ſagte ruhig der Va¬ ter des Todes) Ich bin ein Zahuri,*)Den Zahuri's in Spanien wird bekanntlich die Kraft zugetrauet, Leichname, Metalladern ꝛc. in der tiefen Erde zu erblicken. und komme aus Spanien von deiner Schweſter; ich ſehe die Todten unten in der Erde und weiß es voraus, wenn ſie erſcheinen und re¬ den. Ich aber ſehe ihr Erſcheinen über der Erde nicht und hör 'ihr Reden nicht.

Hier blickte er den Jüngling ſcharf an, deſſen Züge plötzlich ſtarrer und länger wur¬ den; denn eine Stimme, wie eine weibliche be¬ kannte, fieng über ſeinem Haupte langſam an: nimm die Krone, nimm die Krone ich helfe77 dir: Der Mönch fragte: iſt der Abendſtern ſchon hinunter? Spricht es mit dir? Ze¬ ſara blickte in die Höhe und konnte nicht ant¬ worten; die Stimme aus dem Himmel ſprach wieder und daſſelbe. Der Mönch errieth es und ſagte: So hat dein Vater deine Mutter aus der Höhe gehöret, als er in Deutſchland war; aber er ließ mich lange in Feſſeln le¬ gen, weil er dachte, ich täuſche ihn. Beim Worte Vater, deſſen Geiſterunglauben Zeſa¬ ra kannte, riß er den Mönch an den beiden Händen mit der feſthaltenden ſtarken die Ter¬ raſſen hinunter, um zu hören, wo jetzt die Stimme ſtehe. Der Alte lächelte ſanft, die Stimme ſprach wieder über ihm, aber ſo: liebe die Schöne, liebe die Schöne, ich helfe dir. Am Ufer hieng ein Fahrzeug, das er am Tage ſchon geſehen. Der Mönch, der ihm ver¬ muthlich den Argwohn einer irgendwo verbor¬ genen Stimme nehmen wollte, ſtieg in die Gondel und winkte ihm nachzufolgen. Der Jüngling im Vertrauen auf ſeine körperliche und geiſtige Macht, und auf ſeine Schwimm¬ kunſt, entfernte ſich mit dem Mönche kühn von78 der Inſel; aber wie griff der Schauder in ſeine innerſten Fibern, da nicht nur die Stimme über ihm wieder rief: liebe die Schöne, die ich dir zeige, ich helfe dir , ſondern da er auch ge¬ gen die Terraſſe hin eine weibliche Geſtalt ſich bis an das Herz aus den tiefſten Wellen mit langen kaſtanienbraunen Haaren und ſchwar¬ zen Augen, und mit einem glänzenden Schwa¬ nenhals und mit der Farbe und Kraft des reich¬ ſten Klimas, wie eine höhere Aphrodite heben ſah. Aber in wenig Sekunden ſank die Göt¬ tinn wieder in die Wogen zurück, und die Gei¬ ſterſtimme liſpelte oben fort: liebe die Schöne, die ich dir zeigte. Der Mönch betete kalt und ſchweigend unter der Szene und ſah und hörte nichts, endlich ſagte er: am künftigen Himmelfahrtstage in deiner Geburtsſtunde wirſt du neben einem Herzen ſtehen, daß in keiner Bruſt iſt, und deine Schweſter wird dir vom Himmel den Namen deiner Braut verkündigen.

Wenn vor uns flüſſigen ſchwachen Geſtal¬ ten, die gleich Polypen und Blumen, das Licht eines höhern Elementes nur fühlen und ſu¬79 chen, aber nicht ſehen, in der Totalfinſterniß unſers Lebens ein Blitz durch den erdigten Klumpen ſchlägt, der vor unſere höhere Sonne gehangen iſt:*)Anſpielung auf die Erzählung einiger Aſtrono¬ men, daß die verfinſterte Sonne zuweilen durch eine Oeffnung des Mondes geblitzet habe, wie es z. B. Ulloa einmal geſehen zu haben ver¬ ſichert. ſo zerſchneidet der Strahl den Sehnerven, der nur Geſtalten, nicht Licht verträgt; kein heißes Erſchrecken beflügelt das Herz und das Blut, ſondern ein kaltes Erſtarren vor unſern Gedanken und vor einer neuen unfaßlichen Welt ſperrt den warmen Strom und das Leben wird Eis.

Albano, aus deſſen voller Phantaſie eben ſo leicht ein Chaos als ein Univerſum ſprang, wurde bleich, aber ihm war als verlier 'er nicht ſowohl den Muth als den Verſtand; er ruderte ungeſtüm, beinahe bewußtloß ans Ufer er konnte dem Vater des Todes nicht ins Geſicht ſchauen, weil ſeine unbändige alles auseinanderreißende Phantaſie alle Geſtalten80 gleich Wolken zu gräßlichen umwälzte und ausdehnte er hört' es kaum, als der Mönch zum Abſchiede ſagte: vielleicht komm 'ich am nächſten Charfreitage wieder . Der Mönch beſtieg einen Kahn, der von ſelber dahinfuhr, (wahrſcheinlich durch ein unter dem Waſſer umtreibendes Rad) und verſchwand bald hin¬ ter oder in der kleinen Fiſcherinſel (Isola pe¬ schiere).

Eine Minute lang taumelte Alban und ihm kam es vor, als ſey der Garten und der Himmel und alles eine weichende aufgelöſete Nebelbank, als geb 'es nichts, als hab' er nicht gelebt. Dieſen arſenikaliſchen Qualm blies auf einmal von der erſtickenden Bruſt der Athem des Bibliothekar Schoppe, der luſtig zum Schlaffenſter herauspfiff; jetzt wurde ſein Leben wieder warm, die Erde kam zurück, und das Daſeyn war. Schoppe, der vor Wärme nicht ſchlafen konnte, ſtieg herunter: um ſich auch auf die zehnte Terraſſe zu betten. Er ſah an Zeſara ein heftiges inneres Wogen, aber er war ſchon daran gewöhnt und forſchte nicht.

8. Zy¬81

8. Zykel.

Nicht von Vernünfteleien ſondern von Scherzen ſchmilzt leicht das Eis in unſerem ſtockenden Räderwerke. Nach einer geſprächi¬ gen Stunde war dem Jünglinge nicht viel mehr davon übrig als eine ärgerliche Empfin¬ dung und eine frohe; jene darüber, daß er den Mönch nicht bei der Kutte genommen und dem Ritter vorgeführt; und die frohe über die hohe weibliche Geſtalt und ſelber über die Ausſicht in ein Leben voll Abentheuer, Gleich¬ wohl fuhren, wenn er die Augen ſchloß, Un¬ geheuer voll Flügel, Welten voll Flammen und ein tiefes wogendes Chaos um ſeine Seele.

Endlich giengen in der Kühle der Nachmit¬ ternacht ſeine müden Sinnen näher fortgezo¬ gen und auseinanderfallend dem Magnet¬ berg des Schlummers zu; aber welcher Traum kam ihm auf dieſem ſtillen Berge nach! Er lag (ſo träumte ihm) auf dem Krater des Hekla. Eine aufdringende Waſſersäule hob ihn mit ſich empor und hielt ihn auf heißen Wellen mitten im Himmel feſt. Hoch in der Aethernacht über ihm ſtreckte ſich ein finſte¬Titan. l. F82 res Gewitter, wie ein langer Drache, von ver¬ ſchlungnen Sternbildern aufgeſchwollen aus; nahe darunter hieng ein helles Wölkchen vom Gewitter gezogen durch den lichten Nebel des Wölkchens quoll ein dunkles Roth entwe¬ der von zwei Roſenknoſpen oder von zwei Lippen und ein grüner Streif von einem Schleier oder von einem Oelzweige und ein Ring von milchblauen Perlen, oder von Ver¬ gißmeinnicht endlich zerfloß ein wenig Duft über dem Roth, und blos ein off¬ nes blaues Auge blickte unendlich mild und flehend auf Albano nieder; und er ſtreckte die Hände aus nach der umwölkten Geſtalt, aber die Waſſerſäule war zu niedrig. Da warf das ſchwarze Gewitter Hagelkörner, aber ſie wurden im Fallen Schnee und dann Thau¬ tropfen und endlich im Wölkchen ſilbernes Licht, und der grüne Schleier wallte erleuch¬ tet im Dunſt. Da rief Albano: ich will alle meine Thränen vergießen und die Säule auf¬ ſchwellen, damit ich dich erreiche, ſchönes Au¬ ge! Und das blaue Auge wurde feucht von Sehnen, und ſank vor Liebe zu. Die Säule83 wuchs brauſend, das Gewitter ſenkte ſich und drückte das Wölkchen voraus, aber er konnt ' es nicht berühren. Da riß er ſeine Adern auf und rief: ich habe keine Thränen mehr, Ge¬ liebte, aber all' mein Blut will ich für dich vergießen, damit ich dein Herz erreiche. Un¬ ter dem Bluten drang die Säule höher und ſchneller auf der weite blaue Aether wehte und das Gewitter verſtäubte und alle ver¬ ſchlungnen Sterne traten mit lebendigen Blik¬ ken heraus das flatternde freie Wölkchen ſchwebte blitzend zur Säule nieder das blaue Auge that ſich in der Nähe langſam auf und ſchneller zu und hüllte ſich tiefer in ſein Licht; aber ein leiſer Seufzer ſagte in der Wolke: zieh mich in dein Herz! O da ſchlang er die Arme durch die Blitze und ſchlug den Nebel weg, und riß eine weiße Geſtalt wie aus Mondlicht gebildet an die Bruſt voll Gluth Aber ach der zerrinnende Lichtſchnee entwich den heißen Armen die Geliebte ver¬ gieng und wurde eine Thräne und die war¬ me Thräne drang durch ſeine Bruſt und ſank in ſein Herz und brannte darin und es rannF 284 auseinander und wollte vergehen .... Da ſchlug er die Augen auf.

Aber welches überirrdiſche Erwachen! Das weiße ausgeleerte Wölkchen mit Gewitter¬ tropfen befleckt, hieng, auf ihn hereingebückt, noch am Himmel es war der helle, liebend-nahe über ihn hereingeſunkne, Mond. Er hatte ſich im Schlafe verblutet, weil ſich dar¬ in die Binde von der Wunde des Armes durch das heftige Bewegen deſſelben verſchoben hatte. Die Entzückungen hatten den Nachtfroſt des Geiſterſchreckens zerſchmolzen. In einem ver¬ klärenden Erſterben flatterte aufgebunden ſein ſo feſtes Daſeyn umher wie ein beweglicher Traum in den geſtirnten Himmel war er wiegend aufgeſchwebt wie an eine Mutterbruſt und alle Sterne waren in den Mond gefloſſen und dehnten ſeinen Schimmer aus ſein Herz, in eine warme Thräne geworfen, gieng ſanft darin auseinander außer ihm ſchattete es nur, in ihm ſtrahlte es blendend der Flug der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme ſeines Ichs vorbei und bog ſie nicht um. Ach ſeine Pſyche glitt mit ſcharfen ungeregten un¬85 gehörten Falkenſchwingen entzückt und ſtill durch das dünne Leben ....

Ihm kam es vor als ſterbe er, denn ſpät war er die ſteigende Erwärmung des linken ver¬ blutenden Armes innen geworden, der ihn ins lange Elyſium, das aus dem Traume ins Wachen reichte, gehoben hatte. Er legte ihm die Binde feſter um.

Auf einmal hört 'er unter dem Verbinden ein lauteres Plätſchern unter ſich als bloße Wellen machen konnten. Er ſchauete über das Geländer und ſah ſeinen Vater mit Dian ohne Abſchied der für Gaſpard nur die gif¬ tige Herbſtblume in der Herbſtminute einer Ab¬ reiſe war wie ausgefallne Blüthenblätter aus der Blumenkrone ſeines Lebens über die Wel¬ len fliehen unter dem Schwanenliede der Nachti¬ gallen! ... Guter Menſch, wie oft hat dich dieſe Nacht bethöret und beraubt! Er brei¬ tete die Arme ihnen nach der Schmerz des Traums fuhr fort und begeiſterte ihn der fliehende Vater ſchien ihm wieder liebender ſchmerzlich rief er hinab: Vater, ſieh dich um nach mir! Ach wie kannſt du mich ſo ſtumm86 verlaſſen? Und du auch, Dian! O trö¬ ſtet mich wenn ihr mich hört! Dian warf ihm Küſſe zu und Gaſpard legte die Hand auf das ſieche Herz. Albano dachte an die Kopiſtin des Todes, an die Starrſucht, und hätte gern den verletzten Arm über die Wellen gehalten und das warme Leben als eine Libazion für den Vater vergoſſen; und rief nach: lebt wohl, lebt wohl! Schmachtend drückt' er die kal¬ ten ſteinernen Glieder einer koloſſaliſchen Sta¬ tue an ſeine brennenden Adern an und Thrä¬ nen der vergeblichen Sehnſucht überquollen ſein ſchönes Angeſicht, während die warmen Töne der welſchen Nachtigallen, die von dem Ufer und der Inſel gegeneinanderſchlugen, mit lin¬ den Vampyrenzungen das Herz wundſogen. Ach wenn du einmal geliebt wirſt, glühen¬ der Jüngling, wie wirſt du lieben! Er weckte, im Durſte nach einer warmen ſprechenden Seele, ſeinen Schoppe auf und zeigte ihm die Flucht. Aber indem dieſer irgend etwas Tröſtendes ſagte, ſchauete Albano unverwandt dem grauen Punkte des Fahrzeugs nach und hörte nichts.

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9. Zykel.

Beide blieben auf und erfriſchten ſich durch die Streiferei in der bethaueten Inſel; und ſie wurden durch den Anblick, wie das erhobene Bildwer des Tages farbig-gleißend aus den erlöſchenden Kreidenzeichnungen des Mondlichts heraustrat, lebendig und wach. Auguſti kam auch und ſchlug ihnen die halbſtündige Fahrt nach Isola madre vor. Albano flehte beide herz¬ lich an, allein hinzufahren, ihn aber hier in ſeinen einſamen Spaziergängen zu laſſen. Der Lektor faßte jetzt die Spuren der nächtlichen Angriffe ſchärfer ins Auge wie ſchön hatte der Traum, der Mönch, die Schlafloſigkeit, die Verblutung die tapfere kecke Geſtalt ge¬ mildert und jeden Laut erweicht und die Kraft war jetzt nur ein zauberiſcher Waſſerfall im Mondenlicht. Auguſti nahm es für Eigenſinn und fuhr allein mit Schoppe; aber die wenig¬ ſten Menſchen begreifen, daß man nur mit den wenigſten Menſchen (mit keiner Viſiten-Ar¬ mee), eigentlich nur mit zweien, mit dem in¬ nigſten und ähnlichſten Freunde und mit der Geliebten ſpazieren gehen könne. Wahrlich ich88 will eben ſo gern im Angeſichte des Hofes am Geburtstage der Fürſtinn zu einer Liebeserklä¬ rung öffentlich niederknieen als denn man zeige mir doch den Unterſchied zwiſchen einem langen Vor - und Nachtrabe das trunkne Auge auf dich, Natur, meine Geliebte heften.

Wie glücklich wurde durch die Einſamkeit Alba¬ no, deſſen Herz und Augen voll Thränen ſtanden, die er ſchamhaft verbarg und die ihn doch vor ſei¬ nem eignen Urtheile ſo rechtfertigten und erho¬ ben! Er trug ſich nämlich mit dem ſonder¬ baren Irrthume feuriger und ſtarker Jünglinge, er habe kein weiches Herz, zu wenig Gefühl und ſey ſchwer zu rühren. Aber jetzt gab ihm die Entkräftung einen dichteriſchen weichen Vor¬ mittag wie er noch keinen gehabt, wo er alles weinend umarmen wollte, was er je geliebt ſeine guten fernen Pflegeeltern in Blumenbühl ſeinen kranken Vater, der's gerade im Frühling war, wo immer der Tod ſein blumiggeſchmück¬ tes Opferthor aufbauet und ſeine in die Vergangenheit gehüllte Schweſter, deren Bild er bekommen, deren After-Stimme er dieſe Nacht gehört und deren letzte Stunde ihm der89 nächtliche Lügner näher gemalt. Sogar das nächtliche noch in ſeinem Herzen verſchloſſene Schattenſpiel machte ihn durch die Unerklärlich¬ keit da ers keinem bekannten Menſchen zu¬ zuſchreiben wußte und durch die Weiſſagung beklommen, daß er an ſeiner Geburtsſtunde und dieſe ſtand ſo nahe, am Himmelfahrtstage den Namen ſeiner Braut vernehmen würde. Der lachende Tag nahm zwar den Geiſterſze¬ nen die Todtenfarbe, gab aber der Krone und der Waſſergöttinn friſchen Glanz.

Er durchſchwankte alle heilige Stätten in dieſem gelobten Lande Er gieng in die dunkle Arkade, wo er die Reliquien ſeiner Kindheit und ſeinen Vater gefunden hatte, und nahm mit einem bangen Gefühle die auf den Boden entfallne zerquetſche Larve zu ſich. Er beſtieg die von Limonien mit Sonnenſchein beſprengte Gallerie und ſah nach den hohen Zypreſſen und den Kaſtaniengipfeln im weiten Blau, wo ihm der Mond wie das aufgegangne Mutter-Auge erſchienen war. Er trat nahe vor eine Kas¬ kade hinter dem Lorbeerwalde, die ſich in 20 Abſätze wie er in 20 Jahre zertheilte, und er90 fühlte auf den heißen Wangen ihren dünnen Regen nicht.

Er ſtieg nun auf die hohe Terraſſe zurück, um ſeinen Freunden entgegen zu ſehen. Wie gebrochen und magiſch ſtahl ſich der Sonnen¬ ſchein der äußern Welt in den heiligen dunkeln Irrhain der innern! Die Natur, die geſtern ein flammender Sonnenball geweſen, war heute ein Abendſtern voll Dämmerlicht die Welt und die Zukunft lagen ſo groß um ihn und doch ſo nahe und berührend, wie vor dem Re¬ gen Eisberge naher ſcheinen im tiefern Blau er ſtellte ſich auf das Geländer und hielt ſich an die koloſſaliſche Statue und ſein Auge ſchweifte hinab zu dem See und hinauf zu den Alpen und zu dem Himmel und wieder herab, und unter der freundlichen Luft Heſperiens flatterten leicht bedeckt alle Wellen und alle Blätter auf weiße Thürme blinkten aus dem Ufer-Grün, und Glocken und Vögel klangen im Winde durcheinander. Ein ſchmerzliches Sehnen faßte ihn, da er nach der Bahn ſeines Vaters ſah; ach nach dem wärmern Spanien voll ſchwelgeriſcher Frühlinge, voll lauer Orange¬91 Nächte, voll umhergeworfener Glieder zerſtück¬ ter Rieſengebürge, da wäre er gern durch den ſchönen Himmel hingeflogen! Endlich löſte ſich das Freuen und das Träumen und das Scheiden in jene unnennbare Wehmuth auf, worein das Übermaaß der Wonne den Schmerz der Gränzen kleidet, weil ja unſere Bruſt leich¬ ter zu überfüllen als zu füllen iſt.

Auf einmal wurde Albano gerührt und er¬ griffen, als wenn die Gottheit der Liebe ein Erdbeben in ſeinen innern Tempel ſchickte, um ihn für ihre künftige Erſcheinung einzuweihen, da er an einem indiſchen Bäumchen neben ſich den Zettel mit deſſen Namen Liane las. Er ſah es zärtlich an und ſagte immer: liebe Lia¬ ne! Er wollte ſich einen Zweig abbrechen; da er aber daran dachte, daß dann Waſſer aus ihm rinne, ſo ſagte er: nein, Liane, durch mich ſollſt du nicht weinen und unterließ es, weil in ſeiner Erinnerung das Gewächs auf irgend eine Art mit einem unbekannten theuern We¬ ſen in Verwandtſchaft ſtand. Sich unausſprech¬ lich-hinüberſehnend blickte er jetzt nach den Tempelthoren Deutſchlands, nach den Alpen 92 in einem Frühlingswölkchen ſchien ſich der ſchnee¬ weiße Engel ſeines Traums tief einzuhüllen und nur ſtumm darin dahinzuſchweben und es war ihm als hör 'er von Fernen Harmoni¬ katöne. Er zog, um nur etwas Deutſches zu haben, eine Brieftaſche heraus, worauf ſeine Pflegeſchweſter Rabette die Worte geſtickt: ge¬ denke unſerer; er fühlte ſich allein und war nun erfreuet über die Freunde, welche heiter von Isola madre zurückruderten.

Ach Albano, welch 'ein Morgen wäre die¬ ſer für einen Geiſt wie deinen, zehn Jahre ſpä¬ ter, geweſen, wo ſich die feſte Knoſpe der jun¬ gen Kraft ſchon weiter und weicher und loſer auseinander geblättert hätte! Vor einer Seele wie deiner, wären dann, da die Gegenwart in ihr blaß wurde, zwei Welten zugleich die zwei Ringe um den Saturn der Zeit die der Vergangenheit und die der Zukunft mit¬ einander aufgegangen; du hätteſt nicht bloß über die kurze rückſtändige Laufbahn an das helle weiße Ziel geblickt, ſondern dich umge¬ wandt und die krumme lange durchlaufene über¬ ſchauet. Du hätteſt die tauſend Fehlgriffe des93 Willens, die Fehltritte des Geiſtes zuſammen¬ gerechnet und die unerſetzliche Verſchwendung des Herzens und des Gehirns. Würdeſt du auf den Boden haben ſehen können, ohne dich zu fragen: ach haben die 1004 Erſchütterungen*)In Kalabrien waren im Zeitraume von ¾ Jah¬ ren (1785) tauſend und vier Erſchütterungen. Münters Reiſe ꝛc. die durch mich wie durch das Land hinter mir gegangen ſind, mich eben ſo befruchtet wie die¬ ſes? O da alle Erfahrungen ſo theuer ſind, da ſie uns entweder unſere Tage koſten oder unſere Kräfte oder unſere Irrthümer: o war¬ um muß der Menſch an jedem Morgen vor der Natur, die mit jedem Thautropfen in der Blume wuchert, ſo verarmet über die tauſend vergeblich vertrockneten Thränen erröthen, die er ſchon vergoſſen und gekoſtet hat? Aus Frühlingen zieht dieſe Allmächtige Sommer auf, aus Wintern Frühlinge, aus Vulkanen Wälder und Berge, aus der Hölle einen Him¬ mel, aus dieſem einen größern und wir thörichte Kinder wiſſen uns aus keiner Ver¬94 gangenheit eine Zukunft zu bereiten, die uns ſtillt wir hacken wie die Steindohle nach je¬ dem Glanze und tragen die Glutkohle als Gold¬ ſtück bei Seite und zünden damit Häuſer an ach mehr als eine große ſchöne Welt geht unter in der Bruſt und läßt nichts zurück, und gerade der Strom der höhern Menſchen ver¬ ſpringt, und befruchtet nichts, wie ſich hohe Waſſerfälle zerſplittern und ſchon weit über der Erde verflattern.

Albano empfieng die Freunde mit vergü¬ tender Zärtlichkeit; aber dem Jünglinge wurde mit der Zunahme des Tages ſo öde und bange wie einem, der ſeine Stube im Gaſthofe aus¬ geleeret, der die Rechnung entrichtet und der nur noch einige Minuten in dem rauhen lee¬ ren Stoppelfelde auf - und abzugehen hat, bis die Pferde kommen. Wie fallende Körper, be¬ wegten ſich in ſeiner heftigen Seele Entſchlüſſe in jeder neuen Sekunde ſchneller und ſtärker; er bat mit äußerer Milde aber innerer Heftig¬ keit ſeine Freunde, noch heute mit ihm abzurei¬ ſen. Und ſo gieng er Nachmittags mit ihnen von der ſtillen Kindheits-Inſel ab, um durch95 die Kaſtanienalleen Mailands eilig auf die neue Bühne ſeines Lebens und an die Fallthüre zu kommen, die ſich in den unterirrdiſchen Gang ſo vieler Räthſel öffnet.

Antrittsprogramm des Titans.

Eh 'ich den Titan dem Flachſenfingiſchen geheimen Legazionsrath und Lehnprobſt, H. von Hafenreffer, dedizirte: ſo fragt' ich bei ihm erſt ſo um die Erlaubniß an:

Da Sie weit mehr an dieſer Geſchichte mit arbeiteten als der ruſſiſche Hof an Vol¬ tairens Schöpfungsgeſchichte des großen Pe¬ trus: ſo können Sie meinem dankbegierigen Herzen nichts Schöneres geben als die Erlaub¬ niß, Ihnen wie einem Judengotte das zu opfern und zu dediziren, was Sie geſchaf¬ fen haben.

Aber er ſchrieb mir auf der Stelle zurück:

Aus derſelben Raiſon könnten Sie, wie es Sonnenfels gethan, das Werk noch beſſer ſich ſelber dediziren und in einem richtigern Sinne als andere, den Verfaſſer und Gönner96 deſſelben zugleich vereinen. Laßen Sie mich (auch ſchon des Herrn von ** und der Frau von ** wegen) aus dem Spiele; und ſchrän¬ ken Sie ſich bloß auf die nothwendigſten No¬ tizen ein, die Sie dem Publikum von dem ſehr maſchinenmäßigen Antheil, den ich an Ihrem ſchönen Werke habe, etwa gönnen wollen, aber um der Götter willen hic haec hoc hujus huic hunc hanc hoc hoc hac hoc. v. Hafenreffer.

Die römiſche Zeile iſt eine Chiffre und ſoll dem Publikum dunkel bleiben.

Was daſſelbe vom Antrittsprogramme zu fordern hat, ſind vier Namenerklärungen und Eine Sacherklärung.

Die erſte Namenerklärung, welche die Jo¬ belperiode angeht, treff 'ich ſchon bei dem Stifter der Periode, dem Superintendent Franke an, der ſie für eine von ihm erfundne Aera oder Zeitſumme von 152 Zykeln erklärt, deren jeder ſeine guten 49 tropiſchen Mondſonnen¬ jahre in ſich hält. Das Wort Jobel ſetzt der Superintendent voran, weil in jedem ſiebentenJahre97Jahre ein kleines, und in jedem ſiebenmal 7ten oder 49ſten ein großes Jobel - Schalt - Erlaß - Sabbaths - oder Hall-Jahr anbrach, wo man ohne Schulden, ohne Säen und Arbeiten und ohne Knechtſchaft lebte. Glücklich genug wend 'ich wie es ſcheint dieſen Jobelnamen auf meine hiſtoriſchen Kapitel an, welche den Geſchäfts¬ mann und die Geſchäftsfrau in einem ſanften Zykel voll Frei - Sabbaths - Erlaß - Hall - und Jobelſtunden herumführen, worin beide nicht zu ſäen und zu bezahlen, ſondern nur zu ernd¬ ten und zu ruhen brauchen; denn ich bin der einzige, der als krummgeſchloſſener pflügender Fröhner an dem Schreibtiſche ſteht und welcher Säemaſchinen und Ehrenſchulden und Hand¬ ſchellen vor und an ſich ſieht. Die ſiebentau¬ ſend vier hundert und acht und vierzig tropiſchen Mondſonnenjahre, die eine Frankeſche Jobelpe¬ riode enthält, ſind auch in meiner vorhanden, aber nur dramatiſch, weil ich dem Leſer in je¬ dem Kapitel immer ſo viel Ideen und dieſe ſind ja das Längen - und Kubikmaaß der Zeit vortreiben werde bis ihm die kurze Zeit ſo lang geworden als das Kapitel verlangte.

Titan. I. G98

Ein Zykel, welches der Gegenſtand mei¬ ner zweiten Namenerklärung iſt braucht nun gar keine.

Die dritte Nominaldefinizion hat die obli¬ gaten Blätter zu beſchreiben, die ich in zwangloſen Heften in jeder Jobelperiode her¬ ausgebe. Die obligaten Blätter nehmen durch¬ aus nur reine gleichzeitige mit meinem Helden weniger zuſammenhängende Fakta von ſolchen Leuten auf, die mit ihm deſtomehr zuſammen¬ hängen; auch in den obligaten Blättern iſt nicht das kleinſte nur einer Brandblaſe große ſatiriſche Extravaſat von Ausſchweifung erſicht¬ lich, ſondern der ſeelige Leſer und Lektor wan¬ delt mit den Seinigen frei und aufgeweckt und gerade durch das weite Hoflager und die Reit¬ bahn und Landſchaft eines ganzen langen Ban¬ des zwiſchen lauter hiſtoriſchen Figuren auf allen Seiten von fliegenden Korps, von thäti¬ gen Knapp - und Judenſchaften, anrückenden Marſchſäulen, reitenden Horden und ſpielenden Theatertruppen umzingelt und er kann ſich gar nicht ſatt ſehen.

Iſt aber der Tomus aus: ſo fängt das99 iſt die letzte Nominaldefinizion ſich ein klei¬ ner an, worin ich mache was ich will (nur keine Erzählung) und worin ich mit ſolcher Seelig¬ keit mit meinem langen Bienenſtachel auf und abfliege von einer Blüthen-Nektarie und Ho¬ nigzelle zur andern, daß ich das bloß zum Pri¬ vatvortheile meines Ausſchweifens gebauete Fi¬ lialbändchen recht ſchicklich meine Honigmo¬ nate benenne, weil ich darin Honig weniger mache als eſſe, geſchäftig nicht als eintragende Arbeitsbiene, ſondern als zeidelnder Bienenva¬ ter. Bisher hatt 'ich freilich geglaubt, das Durchfahren meiner ſatiriſchen Schwanzkometen würde jeder Leſer von dem ungeſtörten Gange meines hiſtoriſchen Planetenſyſtems auf der Stelle abſondern und ich hatte mich gefragt: wird denn in einer Monatsſchrift die Einheit einer Geſchichte durch das Abbrechen der letz¬ tern und durch die Erbfolge eines andern Aufſatzes beſchädigt; und haben ſich denn die Leſer darüber beſchweret, wenn z. B. in den Horen-Jahrgängen zuweilen Cellini's Geſchich¬ te abgebrochen und ein ganz anderer Aufſatz eingehoben wurde? Aber was geſchah?

G 2100

Wie im Jahre 1795 eine mediziniſche Geſell¬ ſchaft in Brüſſel den contract ſocial unter ſich machte, daß jeder eine Krone Strafgeld erle¬ gen ſollte, der in der Seſſion einen andern Laut von ſich gäbe als einen mediziniſchen; ſo iſt bekanntlich ein ähnliches Edikt vom 9ten July an alle Biographen erlaſſen, daß wir ſtets bei der Sache welches die Hiſtorie iſt bleiben ſollten, weil man ſonſt mit uns reden würde. Der Sinn des Mandats iſt der, daß wenn ein Biograph in allgemeinen Welthiſto¬ rien von 20 Bänden, ja in noch längern wie z. B. in dieſer ein oder zweimal denkt oder lacht d. h. abſchweift, Inkulpat auf der kriti¬ ſchen Pillory als ſein eigner Paſquino und Marforio ausſtehen ſoll, welches man an mir ſchon mehr als einmal vollſtreckte.

Jetzt aber geb 'ich den Sachen eine andere Geſtalt, indem ich erſtlich Geſchichte und Di¬ greſſion in dieſem Werke ſtrenge auseinander halte wenige Diſpenſationsfälle ausgenom¬ men zweitens indem ich die Freiheiten, die ich mir in meinen vorigen Werken nahm, im jetzigen zu einem Rechte, zu einer Servitut ver¬101 jähre und verſtärke; der Leſer ergiebt ſich, wenn er weiß, nach einem Bande voll Jobelperioden erſcheinet durchaus nie etwas anders als einer voll Honigmonate. Ich ſchäme mich, wenn ich mich erinnere, wie ich ſonſt in frühern Werken mit dem Bettelſtabe vor dem Leſer ſtand und um Ausſchweifungen bat, indeß ich doch wie ich hier thue mir das Anleihen hätte erzwingen können, wie man von Weibern mit Erfolg nicht nur Tribut als Almoſen, ſondern auch das don gratuit als Quatemberſteuer zu begehren hat. So macht es nicht bloß der kultivirte Regent auf dem Landtage, ſondern ſchon der rohe Araber, der dem Paſſagier außer der Baarſchaft noch einen Schenkungsbrief derſel¬ ben abnöthigt.

Ich komme nun auf den geheimen Lega¬ zionsrath von Hafenreffer, welcher der Gegen¬ ſtand meiner verſprochnen Sacherklärung iſt.

Aus dem 45ſten Hundspoſttage ſollt 'es ein¬ mal bekannt ſeyn, wer Flachſenfingen beherrſcht nämlich mein H. Vater. Im Grunde war meine ſo frappante Standeserhöhung mehr ein Schritt als ein Sprung; denn ich war vorher102 ſchon Juriſt, mithin ſchon die Knoſpe, oder das Blütenkätzchen eines noch eingewickelten Doktors utriusque, und folglich ein Edelmann, da im Doktor der ganze Rogen und Dotter zum Ritter ſteckt; daher er auch ſo gut wie die¬ ſer, wenn gerade etwas vorbeigeht, vom Sat¬ tel oder Stegreif lebt, wiewohl weniger in einem Raubſchloſſe als Raub〈…〉〈…〉 immer. Ich habe alſo ſeit dem Avancement weniger mich geän¬ dert als mein Reſidenzſchloß das väterliche in Flachſenfingen iſt gegenwärtig mein eignes.

Ich mag nun nicht gern am Hofe mein Zuckerbrod mit Sünden eſſen wiewohl man gemächlicher Zucker - und Himmelsbrod erwirbt als Schiffsbrod ſondern ich ſtelle, um zu wuchern mit meinem Schiffspfunde, das ganze flachſenfingiſche Departement der auswärtigen Angelegenheiten zu Hauſe im Schloſſe vor ſammt der erforderlichen Entzifferungskanzlei. Das will aber gethan ſeyn: wir haben einen Prokurator in Wien zwei Reſidenten in fünf Reichsſtädten einen Komizialſekretarius in Regensburg unter der Queerbank drei Krais - Kanzliſten und einen bevollmächtigten Envoyé103 an einem bekannten anſehnlichen Hofe unweit Hohenflies, welches eben der obgedachte Herr Lehnprobſt von Hafenreffer iſt. Letzterem hat ſogar mein H. Vater ein vollſtändiges Silber¬ ſervice vorgeſtreckt, das wir ihm laſſen bis er den Rappel erhält, weil es unſer eigner Vor¬ theil iſt, wenn ein Flachſenfingiſcher Bothſchaf¬ ter dem Flachſenfingiſchen Fürſtenhute oder Krönlein auswärts durch Aufwand mehr Ehre macht als gewöhnliche.

Auf einem ſolchen Poſten wie meinem ſteht man nun nicht zum Spaße da; die ganze Lega¬ zions - Schreibe - und Leſegeſellſchaft kouvertirt und ſchreibt an mich, die chiffre banal und die chif¬ fre déchiffrant iſt in meinen Händen und wie es ſcheint, verſteh 'ich den Rummel. Unſäglich iſts, was ich erfahre es wäre nicht zu leſen von Menſchen, noch zu ziehen von Pferden, wollt' ich allen den Seidenwurmſaamen von Nouvellen biographiſch ausbrüten, groß füttern und abhaſpeln, den mir das Geſandten - Corpo poſttäglich in feſten Düten ſchickt. Ja (in einer andern Metapher) das biographiſche Bauholz, das meine Flößinſpekzion für mich bald in die104 Elbe, bald in die Saale, bald in die Donau oben herab wirft, ſteht ſchon ſo hoch vor mir auf dem Zimmerplatze, daß ichs nicht verbauen könnte, geſetzt daß ich die äſthetiſchen Bauten meiner biographiſchen Narrenſchiffe, Redouten¬ ſääle und Zauberſchlöſſer forttriebe Tag und Nacht, Jahr aus Jahr ein und weder mehr tanzte noch ritte noch ſpräche noch nieſete ...,

Wahrlich wenn ich oft ſo meinen ſchrift¬ ſtelleriſchen Eierſtock gegen manchen fremden Rogen abwäge: ſo frag 'ich ordentlich mit einem gewiſſen Unmuth, warum ein Mann einen ſo großen zu tragen bekommen, der ihn aus Man¬ gel an Zeit und Platz nicht von ſich geben kann, in¬ deß ein andrer kaum ein Windei legt und heraus¬ bringt. Wenn ich ein Piquet aus meiner Lega¬ zions-Diviſion den Ritterbüchermachern mit des¬ ſen offiziellen Berichten zuſchicken könnte: würden ſie nicht gern Ruinen gegen Schlöſſer und unter¬ irrdiſche Kloſtergänge gegen Korridore und Gei¬ ſter gegen Körper vertauſchen, anſtatt daß ih¬ nen jetzt aus Mangel an offiziellen Berichten des Piquets die Dirnen die Weltdamen, die Veümer die Juſtizminiſter vertreten müſſen, ſo105 wie die Schalken die Pagen, die Burgpfaffen die Hofprediger und der Raubadel die Poin¬ teurs?

Ich kehre zu meinem Geſandten von Ha¬ fenreffer zurück. Am obgedachten anſehnlichen Hofe ſitzt dieſer trefliche Herr, und fertigt mir ſeinen Nebenarbeiten unbeſchadet von Monat zu Monat ſo viele Perſonalien von meinem Hohenflieſſiſchen Helden zu, als er durch ſieben Legazions-Zeichendeuter oder Clairvoyants erwiſchen kann die kleinſten Lappalien ſind ihm erheblich genug für eine Depeſche. Wahrhaftig eine ganz andre Denk¬ weiſe als die andrer Geſandten, die nur für Ereigniſſe, die nachher in die Univerſalhiſtorie einrücken, Platz in ihren Berichten machen! Hafenreffer hat in jeder Sackgaſſe, Bedienten¬ ſtube und Manſarde, in jedem Schornſtein und Wirthſchaftsgebäude ſeinen Operngucker von Spion, der oft, um Eine Tugend meines Hel¬ den auszumitteln, ſich zehn Sünden unterzie¬ het. Freilich bei ſolchen Hand - und Spanndien¬ ſten des Glücks muß es keinen von uns Wun¬ der nehmen, ich meine nämlich bei einem ſol¬106 chen Schöpfrade, das mir Fortuna ſelber um¬ dreht bei ſolchen Diebsdaumen, die man meinem eignen Schreibdaumen anſchienet bei ſolchen Silhouetteurs eines Helden, die alles machen außer der Farbe kurz bei einer ſo außerordentlichen Vereinigung von Umſtänden oder Montgolfieren kann es freilich nichts als was man erwartet, ſeyn, wenn der Mann, den ſie heben, droben aus ſeiner Berghöhe ein Werk zuſammenbringt und nachher herunter¬ ſchickt, das man (denn es verdients) nach dem jüngſten Tage auf der Sonne, auf dem Ura¬ nus und Sirius frei überſetzt, und auf welches ſogar der glückliche Poſenſchraper, der die Kiele dazu abzog, und der Setzer, der die Errata druckt, ſich mehr einbilden wollen, als der Au¬ tor ſelber, und in welches weder die ſchnelle Senſe noch der träge Zahn der Zeit be¬ ſonders da man dieſes Gebiß nach Erfordern mit der Zahnſäge der kritiſchen Feile entzwei¬ bringen kann einzuſchneiden vermögend ſind. Fügt der Verfaſſer ſolchen Vorzügen noch gar den der Demuth bei: ſo iſt ihm niemand weiter zu vergleichen; aber leider hält jede Na¬107 tur ſich, wie D. Kruſius die Welt, zwar nicht für die beſte, aber doch für ſehr gut.

Der gegenwärtige Titan benutzt noch den andern Vortheil, daß ich gerade den väterli¬ chen Hof bewohne und ſchmücke und mithin als Zeichner gewiſſe Sünden recht glücklicher Weiſe näher und heller vor dem Auge zum Be¬ ſchauen habe, wovon mir wenigſtens der Egois¬ mus, die Libertinage und das Müßiggehen ge¬ wiß bleiben und ſitzen; denn dieſe Schwämme und Mooſe ſäete das Schickſal ſo weit als es konnte in die höhern Stände hinauf, weil ſie in den niedern und breitern zu ſehr ausgegrif¬ fen und ſie ausgeſogen hätten welches das Muſter derſelben Vorſicht geweſen zu ſeyn ſcheint aus der die Schiffe den Teufelsdreck, den ſie aus Perſien holen, ſtets oben an den Maſt¬ baum hängen, damit ſein Geſtank nicht die Fracht des Schiffraums beſudle. Ferner hab 'ich hier oben am Hofe jede neue Mode zur Beobachtung und Verachtung ſchon um mich, eh' ſie drunten nur geläſtert, geſchweige geprieſen worden. Z. B. Die ſchöne Pariſer Mode, daß die Weiber durch einen kleinen Fal¬108 tenwurf ihre Waden vorzeigen, welches ſie in Paris thun, um ſehen zu laſſen, daß ſie nicht unter die Herren gehören, die bekanntlich auf Steckenbeinen gehen dieſe wird (denn auf eine einzige Dame[kommt] es an) morgen oder übermorgen gewißlich eingeführt. Doch ahmen die Flachſenfingerinnen dieſe Mode aus dem ganz andern Grunde nach denn uns Herren fehlet nichts , weil ſie zu beweiſen wünſchen, daß ſie Menſchen und keine Affen (geſchweige weniger) ſind, da nach Camper und andern nur der Menſch allein Waden an¬ hat. Derſelbe Beweis wurde vor einem Jahrzehend, nur mit höhern Gründen geführt. Denn da nach Haller ſich der Menſch in nichts von einem Affen trennt, als durch den Beſitz eines Steiſſes: ſo ſuchten damals die weiblichen Kronbeamten, die Putzjungfern, an ihren Gebieterinnen dieſen Geſchlechtskarakter, der ſie unterſcheidet, durch Kunſt durch den ſogenannten cul de Paris ſo ſehr als mög¬ lich zu vergrößern, und bei einer ſolchen Pe¬ nultima der Ultima war es damals ſchon auf 200 Schritte weit ein Spaß und ein Spiel.109 eine Weltdame von ihrer Äffin abzutrennen, welches jetzt viele, die ihren Büffon auswendig können, in keiner größern Nähe ſich getrauen wollen als in einer zu großen

Ähnliche biographiſche Denunzianten und Familiaren unterhalt 'ich in mehrern deutſchen Städten mein H. Vater bezahlts in den meiſten einen, aber in Leipzig zwei, in Dres¬ den drei, in Berlin ſechſe, in Wien eben ſoviel in jedem Stadtviertel. Maſchinen ſolcher Art, die den Perſpektiven ſo ſehr gleichen, womit man aus ſeinem Bette alles beſchauen kann, was unten auf der Gaſſe vorfällt, machen es freilich einem Autor leicht, hinter ſeinem Din¬ tenfaſſe in dunkle verbauete Haushaltungen in einer 20 Meilen entfernten Winkelgaſſe ge¬ führt hell hinunter zu ſehen. Daher kann mir jede Woche der närriſche Fall begegnen, daß ein geſetzter ſtiller Mann, den niemand kennt als ſein Barbier und deſſen Lebensweg eine dunkle Sackgaſſe iſt dem aber heimlich einer meiner Geſandten und Spione mit einem biographiſchen Hohlſpiegel nachgeht, welcher des Mannes Unterkleider und Schritte in meine, an110 dreißig Meilen abliegende Studierſtube hinein¬ ſpiegelt , es kann mir der Fall aufſtoßen ſag' ich, daß ein ſolcher entlegner Mann zufällig vor den Ladentiſch des Buchhändlers tritt, und in meinem Werke, das rauchend aus dem Back¬ ofen dort liegt, ſich mit ſeinen Haaren, Knöp¬ fen, Schnallen und Warzen ſo deutlich auf der 371. Seite abgebildet findet, als man auf den Steinen in Frankreich die Abdrücke indiſcher Pflanzen antrift. Es thut aber nichts.

Leute hingegen, die mit mir an Einem Orte wohnen, welches ſonſt die Höfer thaten, kom¬ men gut davon; denn neben mir halt 'ich keine Geſandten.

Aber eben dieſer Vorzug, daß ich meine Geſchichten nicht aus der Luft greife ſondern aus Depeſchen, nöthigt mich, mehr Mühe an¬ zuwenden, ſie zu verziffern, als andere hätten, ſie aufzuſchmücken oder auszuſinnen. Kein klei¬ neres Wunder als das, welches das Mauer¬ ſche Geheimniß und die unſichtbare Kirche und die unſichtbare Loge vergittert und verdeckt, ſchien bisher die Entdeckung der wahren Na¬ men meiner Hiſtorien abzuwenden, und zwar111 mit einem ſolchen Glücke, daß von allen bisher an die Verlagshandlungen eingeſchickten mit Muthmaßungen gefüllten Brieffelleiſen keines Mäuſe merkte. (Und recht zum Vortheil der Welt; denn ſobald z. B. einer die in der beſten Verzifferungskanzlei verzognen Namen der er¬ ſten Bände des Titans auseinanderringelt, ſo ſtoß 'ich das Dintenfaß um und gebe nichts mehr heraus. )

Aus den Namen iſt bei mir nichts zu ſchlieſſen, weil ich die Pathen zu meinen Hel¬ den auf den ſonderbarſten Wegen preſſe. Bin ich z. B. nicht oft abends, während dem Ro¬ chiren und Brikoliren der deutſchen Hee¬ re, die ihre Kreuzzüge nach dem heiligen Grabe der Freiheit thaten, in den Zeltgaſſen mit der Schreibtafel in der Hand auf - und abgegan¬ gen und habe die Namen der Gemeinen, die vor dem Bettegehen wie Heiligennamen laut angerufen wurden, ſo wie ſie fielen aufgefan¬ gen und eingetragen, um ſie wieder unter meine biographiſchen Leute auszutheilen? Und avan¬ zirte dabei nicht das Verdienſt und mancher Gemeine ſtieg zum tafel - und turnierfähigen112 Edelmann auf, Profoße zu Juſtizminiſtern, und Rothmäntel zu patribus purpuratis? Und krähte je ein Hahn im ganzen Heere nach die¬ ſem herumſchleichenden auf zwei Füßen mobil¬ gemachten Obſervationskorps?

Für Autoren, die wahre Geſchichten zu¬ gleich erzählen und vermummen wollen, bin ich vielleicht im Ganzen ein Model und Flügel¬ mann. Ich habe länger als andre Geſchichts¬ forſcher jene kleinen unſchuldigen Verrenkungen, die eine Geſchichte dem Helden derſelben ſelber unkenntlich machen können, ſtudirt und imitirt und glaube zu wiſſen, wie man gute Regen¬ tengeſchichten, Protokolle von Majeſtätsverbre¬ chern, Heiligenlegenden und Selbſtbiographien machen müſſe; keine ſtärkere Züge entſcheiden als die kleinen, womit Peter von Cortona (oder Beretino) vor dem Herzoge Ferdinand von Tos¬ kana ein weinendes Kind in ein lachendes um¬ zeichnete, und dieſes in jenes zurück.

Voltaire verlangte mehr als einmal wie bei allen Sachen; denn er gab der Menſchheit wie einer Armee jeden Befehl des Marſches dreimal, und wiederholte ſich und alles unver¬dros¬113droſſen , daß der Hiſtoriker ſeine Geſchichte nach den Geſetztafeln des Schauſpiels ſtellen ſolle, nach einem dramatiſchen Fokalpunkt. Es iſt aber eine der erſten dramatiſchen Regeln, die uns Leſſing, Ariſtoteles und griechiſche Muſter geben, daß der Schauſpieldichter jeder hiſtoriſchen Begebenheit, die er behandelt, alles leihen müſſe, was der poetiſchen Täuſchung zuſchlägt, ſo wie das Entgegengeſetzte entzie¬ hen, und daß er Schönheit nie der Wahrheit opfere, ſondern umgekehrt. Voltaire gab wie bekannt nicht nur die leichte Regel, ſondern auch das ſchwere Muſter und dieſer große Thea¬ terdichter des Welttheaters blieb in ſeinen hi¬ ſtoriſchen Benefiz-Spauſpielen von Peter und Karl nirgends bei der Wahrheit ſtehen, wo er gewiß ſeyn konnte, er gelange eher zur Täu¬ ſchung. Und das iſt eigentlich die ächte, dem hiſtoriſchen Romane entſprechende romantiſche Hiſtorie. Nicht ich, ſondern Andere nämlich der Lehnprobſt und die Legazionsſekretaire können entſcheiden, in wiefern ich eine wahre Geſchichte illuſoriſch behandelt habe. Ein Un¬ glück iſts, daß ſchwerlich je die ächte GeſchichteTitan. I. H114meines Helden zum Vorſcheine[kommt]; ſonſt dürfte mir vielleicht die Gerechtigkeit widerfah¬ ren, daß Kenner meine dichteriſchen Abweichun¬ gen von der Wahrheit mit der Wahrheit kon¬ frontirten und darnach leichter jedem von uns das Seinige geben, ſowohl der Wahrheit als mir. Allein auf dieſen Lohn thun alle könig¬ liche Hiſtoriographen, ſkandalöſe Chroniker nolens volens Verzicht, weil nie die wahre Hi¬ ſtorie zugleich mit ihrer erſcheint.

Aber unter dem Komponiren der Geſchichte muß ein Autor auch darauf auslaufen, daß ſie nicht nur keine wahre Perſonen treffe und ver¬ rathe, ſondern auch keine falſche und gar nie¬ mand. Eh 'ich z. B. für einen ſchlimmen Für¬ ſten einen Namen wähle, ſeh' ich das genealo¬ giſche Verzeichniß aller regierenden und regier¬ ten Häupter durch, um keinen Namen zu brau¬ chen, den ſchon einer führt; ſo werden in Ota¬ heiti ſogar die Wörter, die dem Namen des Königs ähnlich klingen, nach ſeiner Krönung ausgerottet und durch andere vergütet. Da ich ſonſt gar keine jetzt lebende Höfe kannte: ſo war ich nicht im Stande, in den Schlacht¬115 und Nachtſtücken, die ich von den Kabalen, dem Egoiſmus und der Libertinage biographi¬ ſcher Höfe malte, es ſo zu treffen, daß Ähnlich¬ keiten mit wirklichen geſchickt vermieden wur¬ den; ja für einen ſolchen Idioten wie mich war es ſogar ein ſchlechter Behelf, oft den Machia¬ vel vor ſich hinzulegen, um mit Zuziehung der franzöſiſchen Geſchichte durch das Malen nach beiden den Anwendungen wenigſtens auf Länder zu wehren, in denen nie ein Franzos oder ein Welſcher den Einfluß gehabt, den man ſonſt beiden auf andere deutſche beimiſſet; ſo wie Herder gegen die Naturforſcher, welche gewiſſe mißgeſtaltete Völker aus Paarungen mit Affen ableiten, die ſehr gute Bemerkung macht, daß die meiſten Ähnlichkeiten mit Affen, der zurück¬ gehende Schädel der Kalmucken, die abſtehen¬ den Ohren der Pevas, die ſchmalen Hände in Karolina gerade in Ländern erſcheinen, wo es gar keine Affen giebt. Wie geſagt, auffallende Unähnlichkeiten wollten mir nicht gelingen, jetzt hingegen iſt jeder Hof, um welchen meine Le¬ gazions-Flotille ſchifft, mir bekannt und alſo vor Ähnlichkeiten gedeckt, beſonders jeder, denH 2116ich ſchildere, der Flachſenfingiſche, der Hohen¬ flieſſiſche ꝛc. Die Theatermaſke, die ich in meinen Werken vorhabe, iſt nicht die Maſke des griechi¬ ſchen Komödianten, die nach dem Geſichte des ver¬ ſpotteten Individuums geboßelt war,*)Reflexions critiques sur la Poesie etc. de Du¬ bois. T. I. Sect. 42. ſondern die Maſke des Nero, die wenn er eine Göttinn auf dem Theater machte, ſeiner Geliebten ähn¬ lich ſah,**)Sueton. Nero. oder wenn er einen Gott ſpielte, ihm ſelber.

Genug! Dieſes abſchweifende Antrittspro¬ gramm war etwas lang, aber die Jobelperiode wars auch; je länger der Johannistag eines Landes, deſto länger ſeine Thomasnacht. Und nun laſſet uns ſämmtlich ins Buch hineintanzen, in dieſen Freiball der Welt ich als Vortänzer voraus und dann die Leſer als Nachhopstänzer , ſo daß wir unter den läu¬ tenden Tauf - und Todtenglöckchen am ſine¬ ſiſchen Hauſe des Weltgebäudes angeſungen117 von der Singſchule der Muſen angeſpielt von der Guitarre des Phöbus oben mun¬ ter tanzen von Tomus zu Tomus von Zy¬ kel zu Zykel von einer Digreſſion zur an¬ dern von einem Gedankenſtrich zum andern bis entweder das Werk ein Ende hat oder der Werkmeiſter oder jeder!

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Zweite Jobelperiode.

Die beiden biographiſchen Höfe die Sennen¬ hütte das Fliegen der Haar-Verſchleiß die gefährliche Vogelſtange das in eine Kutſche geſperrte Gewitter leiſe Bergmuſik das Kind voll Liebe H. von Falterle aus Wien Tor¬ turſoupé das zerſplitterte Herz Werther ohne Bart mit einem Schuſſe die Verſöhnung.

10. Zykel.

Mit jugendlichen Kräften und Ausſichten flog der Graf zwiſchen ſeinen Begleitern durch das helle volle Mailand zurück, wo die Aehre und die Traube und die Olive oft auf Einer Erd¬ ſcholle zuſammen grünen. Schon der Name Mailand ſchloß ihm einen Frühling auf, weil er wie ich, an allen Mai-Weſen, an Maiblu¬ men, Maikäfern, ſogar an der Maibutter in der Kindheit ſo vielen Zauber fand, wie an der Kind¬119 heit ſelber. Dazu kam, daß er ritt; der Sat¬ tel war für ihn ein Ritterſitz der Seeligen, wie eine Sattelkammer eine Regensburger Grafen¬ bank, und jeder Gaul ſein Pegaſus. Auf der Inſel war ihm in jener geiſtigen und körperli¬ chen Ermattung, worin die Seele ſich lieber in helldunkle Schäferwelten als in heiße ſtaubige Kriegs - und Fechtſchulen begeben will, die Aus¬ ſicht in die nahen Räthſel und Kämpfe ſeines Lebens zuwider geweſen; aber jetzt mit dem Herzen voll Reiſe - und Frühlingsblut ſtreckte er die jungen Arme eben ſo ſehr nach einem Gegner als nach einer Freundinn aus, gleich¬ ſam nach einem Doppelſiege.

Je weiter die Inſel zurücktrat, deſto mehr fiel der Zauberrauch um die nächtliche Erſchei¬ nung zu Boden und hinterließ ihm bloß einen unerklärlichen Gaukler aufgedeckt. Jetzt erſt vertrauete er die Spukgeſchichte ſeinen Gefähr¬ ten. Schoppe und Auguſti ſchüttelten Köpfe voll Gedanken, aber jeder über etwas anders; der Bibliothekar ſuchte eine phyſikaliſche Auflöſung des akuſtiſchen und optiſchen Betrugs; der Lektor ſuchte eine politiſche, er konnte120 gar nicht faſſen, was der Schauſpieldirektor dieſer Todtengräberſzene eigentlich mit allem haben wollen.

Den einzigen Troſt behielt der Bibliothe¬ kar, daß Alban an ſeinem Geburtstage dem Herzen ohne Bruſt eine Viſite abzuſtatten habe, die er nur bleiben laſſen dürfe, um aus dem Seher einen Myopen und Lügner zu fertigen: wollte Gott (ſagt 'er) mir verkündigte einmal ein Ezechiel, daß ich ihn an den, Galgen brin¬ gen würde ich that' es um keinen Preis, ſondern brächte ihn ohne Gnade ſtatt um den Hals um Kredit und Kopf. Auch ſeinem ungläubigen Vater ſchrieb Albano noch unter¬ wegs mit einigem Erröthen die unglaubliche Hiſtorie; denn er hatte zu wenig Jahre und zu viel Kraft und Trotz, um Zurückhaltung an ſich oder andern zu lieben. Nur weiche Blattwick¬ ler - und Igel-Seelen ringeln und krempen ſich vor jedem Finger in ſich zuſammen; unter dem offnen Kopfe hängt gern ein offnes Herz.

Endlich kamen ſie, da helle Berge und ſchattige Wälder genug, wie durchlebte Tage und Nächte hinter ſie zurückgegangen waren,121 nahe vor das Ziel ihrer mit Ländern gefüllten Reitbahn, und das Fürſtenthum Hohenflies lag nur noch ein Fürſtenthum weit von ihnen. Dieſes zweite, das ein Thür - und Wandnach¬ bar des erſtern war und mit dieſem leicht zu Einem Staatsgebäude ausgebrochen werden konnte, hieß, wie geographiſche Leſer wiſſen, Haarhaar. Der Lektor erzählte dem Biblio¬ thekar neben den Gränzwappen und Gränzſtei¬ nen, daß beide Höfe ſich faſt als Blutfeinde anſähen, nicht ſowohl weil ſie diplomatiſche Verwandte wären da unter Fürſten Vetter, Oheim, Bruder nicht mehr bedeuten, wie bei Poſtillionen Schwager und bei alten Branden¬ burgern Vater oder Mutter als weil ſie wirkliche wären und einander beerbten. Es würde mir zu viel Platz wegnehmen, wenn ich die Sippſchaftsbäume beider Höfe die ihre Gift - und Drachenbäume wurden mit allen ihren heraldiſchen Blättern, Waſſerſchößlingen und Flechtmooſen für den Leſer hereinſetzen wollte; das Reſultat kann ihn beruhigen, daß dem Haarhaar'ſchen Fürſtenthume Hohenflieſſiſche Land und Leute zuſtürben, falls der Erbprinz122 Luigi, der letzte hohlröhrige Schuß und Fech¬ ſer des Hohenflieſſer Mannsſtammes, verdorrte. Welche Heerden von venezianiſchen Löwenköpfen Haarhaar ins künftige Erbland treibt, die da nichts verſchlingen ſollen als gelehrte Anzeigen und Wundzettel und welche Spitzbubenban¬ de von politiſchen Mechanikern es da wie in eine Botany-Bay ausſetzt, iſt gar nicht zu ſa¬ gen aus Mangel an Zeit. Doch iſt Haarhaar auf der andern Seite wieder ſo brav, daß es nichts ſo herzlich wünſcht als den höchſten Flor des Hohenflieſſer Finanz-Etats, Handels, Acker - und Seidenbaues und Geſtütes und daß es im höchſten Grade jede öffentliche Verſchwen¬ dung, dieſe Entnervung des großen Interkoſtal - Nervens (des Geldes) als das ſtärkſte ka¬ noniſche Impediment aller Bevölkerung haſſet und verflucht: der Regent (ſagt der ächt men¬ ſchenfreundliche Fürſt von Haarhaar) iſt der Ober-Hirt, nicht der Schächter des Staats, ſogar die Wollenſcheere nehm 'er nicht ſo oft als die Hirtenflöte in die Hand; nicht über fremde Kräfte und Ehen iſt unſer Vetter123 (Luigi) Herr, ſondern über ſeine, dieſe ſoll er ruiniren!

Als ſie ins Hohenflieſſiſche einritten, hät¬ ten ſie einen Abſtecher nach Blumenbühl,*)Ich habe ſchon geſagt, daß er da erzogen wur¬ de bei dem Landſchaftsdirektor von Wehrfriz. das ſeitwärts von Peſtiz liegt, gleichſam in die Kinderſtube Albano's (Isola bella iſt die Wiege) machen können, wenn dieſer nicht fortgeritten wäre aus Heißhunger nach der Stadt und aus Waſſerſcheu vor einem zweiten Abſchiede der ohnehin nur den reinen Nachklang des erſten verwirrt. Die Reiſe, die Reden des Vaters, die Bilder des Gauklers, die Nähe der Akade¬ mie hatten an unſerm Vogel Rok die Flügel¬ federn die in ſeinem Alter zu lang ſind wie die ſteuernden Schwanzfedern zu kurz ſo aufgeſpreizet, daß ſie im enggehäuſigen Blu¬ menbühl ſich nur verſtauchen konnten; beim Himmel, er wollte ja etwas werden im Staate oder auf der Erde, weil ihn ſo tödtlich jene narkotiſche Wüſte des vornehmen Lebens an¬ ekelte, durch deſſen Lilienopium der Luſt man124 ſchläfrig und betrunken wankt, bis man an doppelſeitigen Lähmungen umfällt.

Man wird es aus der erſten Jobelperiode nicht behalten haben weils in einer Note ſtand , daß Alban niemals nach Peſtiz durſte und zwar aus ſehr guten Gründen, die dem Ritter allein bekannt ſind aber nicht mir. Dieſer lange Thorſchluß der Stadt ſchärfte nur ſeine Sehnſucht darnach noch mehr. Sie ſtanden jetzt mit ihren Pfer¬ den auf einer weiten Anhöhe, wo ſie die Peſti¬ zer Kirchthürme in Weſten vor ſich ſahen und wenn ſie ſich umkehrten unten den Blumenbühler Thurm in Morgen; aus jenen und aus dieſem kam zu ihnen ein verwehtes Mittagsgeläute her; Albano hörte ſeine Zukunft und ſeine Vergangenheit zuſammen tönen. Er ſah nieder ins Dorf und hinauf an ein nettes rothes Häuschen auf einem nahen Berge, das ihm wie eine hell bemalte Urne längſt ausge¬ wiſchter Tage nachglänzte; er ſeufzete; er blickte über die weite Bauſtelle ſeines künftigen Lebens und ſprengte nun mit verhängtem Zügel den Lindenſtädter Thürmen wie den Palmen ſeiner Laufbahn zu.

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Aber das nette Häuschen gaukelte ihm wie ein rother Schatten voraus. Ach hatt 'er denn nicht in dieſer Sennenhütte einmal einen träu¬ menden Tag voll Zufälle verlebt, und noch da¬ zu in jener kindlichen Zeit, wo die Seele auf der Regenbogenbrücke der Phantaſie trocknes Fußes über die Lachen und Mauern der untern Erde wegſchreitet? Wir wollen in dieſen lieben Tag, in dieſes kindliche Vorfeſt des Le¬ bens, jetzt mit ihm zurückgehen und die frühern Stunden kennen lernen, die ihm ſo ſchön mit dieſem Kuhreigen der Jugend aus der Sennen¬ hütte nachklingen.

11. Zykel.

Es war nämlich an einem herrlichen Ja¬ kobustage und zugleich am Geburtstage des Landſchaftsdirektors Wehrfriz, der aber damals noch keiner war , als dieſer am Morgen den Wagen herausſchieben ließ, um darin nach Peſtiz zum Miniſter zu fahren und die Dreſch¬ maſchine des Staates als Unterhändler der Landſchaft verſuchsweiſe in eine Säemaſchine126 umzuſtellen. Er war ein rüſtiger Mann, dem ein Ferientag länger wurde als andern ein Exercizientag und dem nichts Langweile machte als Kurzweile: aber Abends (dacht 'er) mach' ich mir einen guten Tag, denn es iſt einmal mein Geburtstag. Sein Angebinde ſollte darin beſtehen, daß er eines machte; er wollte nämlich aus Peſtiz dem kleinen Albano einen Öſterleinſchen Flügel aus ſeinem eignen Beu¬ tel ſo wenig darin war und obendrein einen Muſikmeiſter auf Don Gaſpards Ver¬ langen mitbringen.

Aber warum will man das dem Leſer nicht vorher auf das deutlichſte auseinanderſetzen?

Don Gaſpard hatte nämlich in der Revi¬ ſion des Erziehungsweſens für Albano gewollt, daß auf deſſen körperliche Geſundheit mehr als auf die geiſtige Superfötazion geſehen würde; der Erkenntnißbaum ſollte mit dem Lebensbaume ablaktiret werden. Ach wer der Weisheit die Geſundheit opfert, hat meiſtens die Weisheit auch mitgeopfert; und nur angebohrne, nicht erworbne Kränklichkeit iſt Kopf und Herzen dienlich. Daher hatte Albano in ſeinem Bü¬127 cherriemen nicht die vielbändige Encyklopädie aller Wiſſenſchaften, gebückt zu ſchleppen, ſon¬ dern bloß Sprachlehren. Nach den Schulſtun¬ den der Dorfjugend ſuchte nämlich der Rektor des Orts Namens Wehmeier, bekannter unter dem Titel: Schachtelmagiſter ſeine ſchönſten Struve'ſchen Nebenſtunden, ſeine Otia und noctes[hagianae] darin, daß er ihn unter¬ wies, und in die von innern Strömen ange¬ faßte Mühlwelle des ewig regen Knaben al¬ phabetiſche Stifte zu einer Sprachwalze ein¬ ſchlug. Freilich aber wollte Zeſara bald etwas ſchwerers bewegen, als die Sprach-Taſtatur; ſo wurde z. B. die Sprachwalze, im eigentli¬ chen Sinne zur Spielwalze; denn ſtundenlang verſucht 'er auf der Orgel des Orts ohne ſon¬ derliche Kenntniß des Kontrapunkts (er kannte keine Note und Taſte, und ſtand unter dem Orgelſtücke auf dem fortbrauſenden Pedale feſt) ſich in den entſetzlichſten Mißtönen, wogegen die Enharmonika aller Pizziniſten verſtummen muß, ſenkte ſich aber deſto länger und tiefer in den zufälligen Treffer eines Wohllauts ein. Eben ſo arbeitete ſich die ſaftvolle Seele128 gleichſam in Laubknöpfen, Holztrieben und Ranken aus, und machte Gemälde, Thonge¬ bilde, Sonnenuhren und Plane aller Art, und ſogar in den juriſtiſchen Felſen des Pflegeva¬ ters, z. B. in Fabri's Staatskanzlei trieb ſie wie oft Kräuter in Herbarien, ihre durſtigen Wurzeln herum, und über die dürren Blätter hinaus. O wie ſchmachtete er (ſo wie in der Kindheit von Octav - zu Quart-Büchern, von Quart zu Folio, von Folio bis zu einem Buche ſo groß wie die Welt welches eben die Welt iſt) jetzt nach geahneten Lehren und Leh¬ rern! Aber deſto beſſer! Nur der Hun¬ ger verdauet, nur die Liebe befruchtet, nur der Seufzer der Sehnſucht iſt die belebende aura seminalis für das Orpheus-Ei der Wiſ¬ ſenſchaften. Das bedenket ihr nicht, ihr Flug¬ lehrer, die ihr Kindern den Trank früher gebt als den Durſt, die ihr wie einige Blumi¬ ſten in den geſpaltenen Stängel der Blumen fertige Lackfarben, und in ihren Kelch fremden Biſam legt, anſtatt ihnen bloß Morgenſonne und Blumenerde zu geben und die ihr jun¬ gen Seelen keine ſtille Stunden gönnt, ſon¬dern129dern um ſie unter dem Stäuben ihres blühen¬ den Weins gegen alle Winzer-Regeln mit Be¬ hacken, Bedüngen, Beſchneiden handthiert. O könnt ihr ihnen jemals, wenn ihr ſie vor¬ zeitig und mit unreifen Organen in das große Reich der Wahrheiten und Schönheiten hinein¬ treibt, gerade ſo wie wir alle leider mit dun¬ keln Sinnen in die ſchöne Natur einkriechen, und uns gegen ſie abſtumpfen, könnt ihr ih¬ nen mit irgend etwas das große Jahr vergü¬ ten, das ſie erlebet hätten, wenn ſie ausgewach¬ ſen wie der erſchaffne Adam, mit durſtigen offnen Sinnen in dem herrlichen geiſtigen Univerſum ſich hätten umherdrehen können? Daher gleichen auch euere Eleven den Fu߬ pfaden ſo ſehr, die im Frühling vor allem grü¬ nen, ſpäter aber ſich gelb und eingetreten durch die blühenden Wieſen ziehen.

Wehrfriz erneuerte, da er ſchon auf der Wagentreppe das Geſicht in dieſen kehrte, wie¬ der den Befehl der Aufſicht über den jungen Grafen und machte die Signatur, womit Kaufleute koſtbare Waarenkiſten der Poſt em¬ pfehlen, recht dick auf dieſem: er liebte dasTitan. I. J130feurige Kind wie ſeines (er hatte nur eins, aber keinen Sohn); der Ritter hatte Ver¬ trauen auf ihn, und, um dieſes zu rechtfertigen, würd 'er, da der Ehrenpunkt der Schwerpunkt und die Himmelsaxe aller ſeiner Bewegungen war, ſich ohne Bedenken, wenn der Knabe z. B. den Hals gebrochen hätte, ſeinen abge¬ ſchnitten haben; auch ſollte Albano Abends vor dem neuen Lehrer aus der Stadt auffal¬ lend gut beſtehen.

Albine von Wehrfriz, die Gemahlin, ver¬ ſprach alles hoch und theuer; ſie konnte ſich dem Evangeliſten Markus und Johannes gleich ſetzen, weil ihr heftiger Mann die Geſellſchafts - Thiere beider, die Thierkönige Löwe und Ad¬ ler, öfters repräſentirte, ſo wie ſich manche andere Gattinn in Hinſicht ihrer Begleitung mit dem Lucas vergleichen mag und meine mit dem Matthäus. *)Bekanntlich wird dieſem Evangeliſten ein En¬ gel beigeſellet. Sie hatte ohnehin auf Abends ein kleines Familienfeſt voll ſpielender buntgefärbter Ephemeren der Freude ausge¬ ſchrieben; und zum größten Glück war ſchon131 vor einigen Tagen das Diplom eingelaufen, das unſern Wehrfriz zum Landſchaftsdirektor inſtallirte, und das man als ein Pathenge¬ ſchenk des Geburtstages auf heute aufhob.

Aber kaum fuhr Wehrfriz hinter dem Schloßgarten, ſo trat Alban mit ſeinem Pro¬ jekte hervor, und berichtete, er wolle den gan¬ zen Feiertag droben im einſamen Schießhäus¬ lein verſitzen; denn er ſpielte gern allein, und ein elterlicher Gaſt war ihm lieber, als ein Spielknabe. Die Weiber gleichen dem Pater Lodoli, der (nach Lamberts Tagebuche) nichts ſo mied, als das Wörtchen Ja; wenigſtens ſagen ſie es erſt nach dem Nein. Die Pflege¬ mutter (ich will aber künftig bei ihr und der Pflegeſchweſter Rabette das verdrießliche Pflege wegſtreichen) ſagte ohne Bedenken Nein, ob ſie gleich wußte, daß ſie noch keines gegen den Trotzkopf durchgeſetzt. Dann ent¬ lehnte ſie ſehr gute Dehortatorien vom Willen des Landſchaftsdirektors, und hieß ihn beden¬ ken dann ſchlug ſich die rothbackige gutmei¬ nende Rabette zum Bruder, und bat mit, ohne zu wiſſen warum dann betheuerte AlbineJ 2132wenigſtens das Eſſen ſoll 'er nur nicht auf den Berg nachgeliefert erwarten dann marſchirte er zum Hofe hinaus ..... So ſtand ich ſchon öfters dabei und ſah zu, wie die weiblichen El¬ lenbogen und Knochen unter dem Wegſtemmen allmählig vor meinen Augen Knorpel wurden und ſich umbogen. Nur in Wehrfrizens Bei¬ ſein halte Albine Kraft zum langen Nein.

12. Zykel.

Unſer Held war aus den kindiſchen Jah¬ ren, wo Herkules die Schlangen erdrückte, in die Gottestiſchfähigen getreten, wo er ſie erwärmte unter der Weſte, um ſie in ſpätern wieder zu köpfen. Jubelnd ſchlugen draußen ſie flogen nebeneinander ſein neuer und ſein alter Adam die Flügel auf unter einem blauen Himmel, der gar keinen Ankergrund hatte. Was kümmerte ihn die Mahlzeit? Alle Kinder tragen vor und unter einer Abreiſe kei¬ nen Magen unter ihren Flügeln, wie auch den Schmetterlingen jener einſchrumpft, wenn ihnen dieſe aufgehen. Die oftgedachte Sennenhütte oder das Schieshäuslein war nichts geringers133 als ein Schieshaus mit einer Wachtſtube für eine abgedankte Soldatenfrau, mit einem Schies¬ ſtand im untern Stock, und mit einem Som¬ merſtübchen im obern, worin der alte Wehr¬ friz in jedem Sommer eine Landpartie und ein Vogelſchießen haben wollte, es aber nie hatte, weil der arme Mann ſich in der Arbeitsſtube wie andere im Tafelzimmer, entmaſtete und ab¬ takelte. Denn obgleich der Staat ſeine Diener wie Hunde zum zehntenmal wieder herlockt, um ſie blos zum eilften wieder abzuprügeln; und ob Wehrfriz gleich an jedem Landtage alle Staatsgeſchäfte und Verdienſte verſchwur weil ein redlicher Mann wie er, am Staats¬ körper überall ſo viel wie an denen antiken Statuen zu ergänzen findet, wovon nur noch die ſteinerne Drapperie geblieben : ſo kannt 'er doch kein weicheres Faul - und Lotterbette zum Ausruhen als eine noch höhere Ruderbank, und er ſtrebte jetzt vor allen Dingen, Land¬ ſchaftsdirektor zu werden.

Die deutſchen Höfe werden das Ihrige da¬ bei denken, daß ich ihnen die folgende Knaben - Idylle anbiete. Mein ſchwarzäugiger Schäfer134 lief gegen die Bergfeſtung der Senne Sturm und erhielt von der Soldatenfrau die Thor¬ ſchlüſſel zum weißgrünen Sommerkabinet. Beim Himmel! als alle öſtliche und weſtliche Fenſter¬ laden und Fenſter aufgeſtoßen waren und der Wind von Oſten blätternd durch die Akten und kühlend durch den Stuben-Schwaden ſtrich und als außen Himmel - und Erde um die Fen¬ ſter herumſtanden und nickend hereinſahen als Albano unter dem Fenſter nach Oſten das tiefe breite Thal mit dem ſteinigen ſpringenden Bache beſchauete, auf welchem alle Glimmer¬ ſcheiden, die die Sonne wie Steinchen ſchief anwarf, auf der Bergſeite hinausfuhren als er vor dem weſtlichen Fenſter hinter Hü¬ geln und Wäldchen den Schwibbogen des Him¬ mels, den Berg von der Lindenſtadt ſah, der wie ein krummgeworfner Rieſe auf der Erde ſchlief als er ſich von einem Fenſter zum an¬ dern ſetzte und ſagte! das iſt ſehr prächtig! : ſo wurden ſeine Luſtbarkeiten im Stübchen am Ende ſo glänzend, daß er hinausgieng, um ſie draußen noch höher zu treiben.

Die Göttinn des Friedens ſchien hier ihre135 Kirche und ihre Kirchſtühle zu haben. Die rüſtige Soldatenfrau legte in einem hochſtau¬ digen Gärtlein Früherbſen, und warf zuweilen einen Erdenkloß in den Kirſchbaum unter die geflügelten Obſtdiebe, und begoß wieder un¬ verdroſſen die neue Leinwand und den ver¬ pflanzten Sallat, und lief doch willig zum klei¬ nen zehnjährigen Mädchen, das von Blattern erblindet, auf der Thürſchwelle ſtrickte, und nur bei gefallnen Maſchen ſie als Maſchinen¬ göttinn berief. Albano ſtellte ſich an den äus¬ ſerſten Balkon des ſich lieblich-aufſchließenden Thals, und jeder Windſtoß bließ in ſeinem Herzen die alte kindiſche Sehnſucht an, daß er möchte fliegen können. Ach, welche Wonne, ſo ſich aufzureißen von dem zurückziehenden Er¬ denfußblock, und ſich frei und getragen in den weiten Aether zu werfen und ſo im kühlen durchwehenden Luftbade auf und nieder plät¬ ſchernd, mitten am Tage in die dämmernde Wolke zu fliegen und ungeſehen neben der Lerche, die unter ihr ſchmettert, zu ſchweben oder dem Adler nachzurauſchen, und im Flie¬ gen Städte nur wie figurirte Stufenſammlun¬136 gen, und lange Ströme nur wie graue zwi¬ ſchen ein paar Länder gezogne ſchlaffe Seile und Wieſen und Hügel nur in kleine Farben¬ körner und gefärbte Schatten eingekrochen zu ſehen und endlich auf eine Thurmſpitze her¬ abzufallen, und ſich der brennenden Abend¬ ſonne gegenüberzuſtellen, und dann aufzuflie¬ gen, wenn ſie verſunken iſt und noch einmal zu ihrem in der Gruft der Nacht hell und offen fortblickenden Auge niederzuſchauen, und end¬ lich, wenn ſich der Erdball darüber wirft, trun¬ ken in den Waldbrand aller rothen Wolken hineinzuflattern! ...

Woher[kommt] es, daß dieſe körperlichen Flügel uns wie geiſtige heben? Woher hatte unſer Albano dieſe unbezwingliche Sehnſucht nach Höhen, nach dem Weberſchiffe des Schie¬ ferdeckers, nach Bergſpitzen, nach dem Luft¬ ſchiffe, gleichſam als wären dieſe die Bettaufhel¬ fer vom tiefen Erdenlager? Ach du lieber Be¬ trogener! Deine noch von der Puppenhaut be¬ deckte Seele vermengt noch den Umkreis des Auges mit dem Umkreiſe des Herzens und die äußere Erhebung mit der innern, und ſteigt137 im phyſiſchen Himmel dem idealiſchen nach! Denn dieſelbe Kraft, die vor großen Gedan¬ ken unſer Haupt und unſern Körper erhebt und die Bruſthöle erweitert, richtet auch ſchon mit der dunkeln Sehnſucht nach Größe den Körper auf, und die Puppe ſchwillt von den Schwingen der Pſyche, ja an demſelben Bande, woran die Seele den Leib aufzieht, muß ja auch dieſer jene heben können.

Wenigſtens flog Albano zu Fuß den Berg hinab, um mit dem Bache fortzuwaten, der in die weißgrüne Birken-Holzung, ſich abzuküh¬ len, floß. Schon öfters hatt 'ihn ſeine Robin¬ ſonaden-Sucht nach allen Strichen und Blät¬ tern der Windroſe fortgeweht; und er gieng gern mit einer unbekannten Straße ein hüb¬ ſches Stück Weg, um zu ſehen, welchen ſie ſel¬ ber einſchlage. Er lief am ſilbernen Ariadnens Faden des Baches tief ins grüne Labyrinth und wollte durchaus unter die Hinterthüre des langen Dickigts vor eine weite Perſpektive ge¬ langen er gelangte nicht darunter die Birken wurden bald lichter bald düſterer, der Bach breiter die Lerchen ſchienen draußen138 in hoher Ferne über ihm zu ſingen aber er beſtand auf ſeinem Kopf. Die Extreme hatten für ihn von jeher magnetiſche Polarität wie die Mitte nur Indifferenzpunkte , ſo war ihm z. B. außer dem höchſten Stande des Barome¬ ters keiner ſo lieb als der tiefſte, und der kür¬ zeſte Tag ſo willkommen als der längſte, aber die Tage nach beiden fatal.

Endlich nach dem Fortſchritte einiger Stun¬ den in Zeit und Raum hört 'er hinter den lich¬ tern Birken und hinter einem ſtärkern Rau¬ ſchen als des Baches, ſeinen Namen von zwei weiblichen Stimmen öfters leiſe und lobend nennen. Jetzt galloppirte er, gleichgültig ge¬ gen das[Wagen] der Lunge und des Lebens, keuchend wieder zurück ſein Name wurde lange darnach wieder um ihn genannt, aber ſchreiend ſeine heimliche Schutzheilige, die Kaſtellaninn der Senne that ſeinetwegen dieſe Nothschüſſe unten am Berge.

Er kam hinauf und die runde Tafel der Erde lag hell und ſonderbar-erweichend um ſein durſtiges Auge. Wahrhaftig die weite Ferne ſammt der Müdigkeit mußte den Zugvogel hin¬139 ter dem Sanggitter der Bruſt, an ſeine fernen Länder und Zeiten erinnern, und ihn damit wehmüthig machen, als ſo die mit rothen Dä¬ chern buntgefleckte Landſchaft vor ihm ihre weißen leuchtenden Steine und Teiche wie Licht - Magnete und Sonnenſplitter auslegte als der lange graue Straßendamm nach Linden¬ ſtadt, deren Proſpekte im Sommerſtübchen hiengen und wovon zwei Thurmſpitzen oben aus dem Gebirge keimten, vor ihm die fernen Wanderer hinauftrug in die für ihn geſchlos¬ ſene Stadt und als ja alles nach Weſten flog, die vorbeiziſchenden Tauben, die über die Saaten wogten, und die Wolkenſchatten, die leicht über hohe Gärten wegliefen ..... Ach das jüngſte Herz hat die Wogen des älteſten, nur ohne das Senkblei, das ihre Tiefe miſſet! Das gelehrte Deutſchland macht ſich, merk 'ich, ſeit mehrern Zykeln, auf große Fata und Fatalitäten gefaßt, die dieſem Sonnentage mei¬ nes Helden die nöthige Würde geben; ich, der ſie am erſten wiſſen müßte, weiß gegenwärtig noch von keinen. Aus der Kindheit ach aus jedem Alter bleiben unſerm Herzen oft140 Tage unvergänglich, die jedes andere verges¬ ſen hätte; ſo gieng dieſer nie aus Albano's ſeinem. Zuweilen wird ein kindlicher Tag auf einmal durch ein helleres Aufblicken des Be¬ wußtſeyns verewigt; in Kindern, zumal ſol¬ chen wie Zeſara iſt, dreht ſich das geiſtige Auge weit früher und ſchärfer nach der Welt innerhalb der Bruſt als ſie zeigen und wir denken.

Jetzt ſchlugs Ein Uhr im Schloßthurme. Der geliebte nahe Ton, der ihn an ſeine nahe Pflegemutter und an das verſagte Eſſen erin¬ nerte und der Anblick der kleinen Blinden, die ſchon ihren Holzzweig vom Brodbaum oder ihr dürres Rennthiermoos in Händen hatte und der Gedanke, daß doch heute der Ge¬ burtstag des Pflegevaters ſey und die un¬ ſägliche Liebe für ſeine gekränkte Mutter, der er oft plötzlich einſam an den Hals fiel und ſein von der Natur bethauetes Herz mach¬ ten, daß er zu weinen anfieng. Aber der Trotzkopf gieng darum nicht nach Hauſe; nur die Aelplerinn war ungeheißen fortgelaufen, um der ſuchenden Mutter den Flüchtling zu verrathen.

141

Er wollte in dieſer Mittagsſtille der klei¬ nen blinden Lea, auf deren Geſicht ein ſanftes weiches Zugwerk durch die Punktazion der Blattern leſerlich durchlief einige Worte oder doch den langen Stecken, womit ſie die Tau¬ ben von den Erbſen und die Spatzen von den Kirſchen treiben mußte, mitarbeitend abgewin¬ nen; aber ſie drückte ſchweigend den Arm feſt auf die Augen blöde vor dem vornehmen jun¬ gen Herrn. Endlich brachte die Frau das Ge¬ richt für den verlohrnen Sohn und von Rabet¬ ten noch dazu ein Riechfläſchchen voll Deſſert - Wein.

Albine von Wehrfriz gehörte unter die Weiber, die ungleich den Staaten, nur ihr Verſprechen halten, aber keine Drohung die den Nürnbergiſchen Forſtämtern gleichen, welche auf den kleinſten Waldfrevel eine Strafe von 100 Fl. ſetzen und in derſelben Stunde ſie auf 100 Kreuzer moderiren*)An einen deutſch. Kammerpräſident, I. B. Seite 296. die aber ihre Geſetze, wie Solon ſeine auf 100 Jahre,142 nach Verhältniß ihres kleinern Staats doch auf 100 Sekunden hinaus geben.

13. Zykel.

Ich würde mehr aus Albano's Gedächtni߬ mahl machen, das er wie ein Erwachſener im Stübchen trenchiren und mit ſeiner Hausgenos¬ ſenſchaft theilen und wozu er ſich ſelber ein¬ ſchenken konnte, gieng 'ich nicht wichtigern Be¬ gebniſſen entgegen, die während dem Zurück¬ tragen des Tafelgeſchirres vorfielen. Albano gieng hinaus, indem das ganze Meer ſeines Innern vom Wein und vom Vormittage phos¬ phoreſzirend leuchtete, und der blaue Himmel flatterte heftiger wehend um ihn er hatte das Gefühl als ſey der Morgen ſchon ſeit lan¬ gem vorüber, und er erinnerte ſich deſſelben mit weicher Regung, wie wir uns alle in der Ju¬ gend der Kindheit, im Alter der Jugend, ſogar Abends des Morgens und die Bilder der Natur rückten näher heran und bewegten ihre Augen wie katholiſche. So bringt uns die Gegenwart nur Bilder zu optiſchen Anamor¬ phoſen und erſt unſer Geiſt iſt der erhabne143 Spiegel, der ſie in ſchöne Menſchen-Formen umſtellet. Mit welchem ſüßen Untertauchen in Träume that er, wenn er dem öſtlichen Wehen entgegengieng, die Augen zu, und zog das Getöſe der Landſchaft, das Schreien der Hähne und Vögel und eine Hirtenflöte gleichſam tie¬ fer in die verſchattete Seele hinein! Und wenn er dann am Geſtade des Berges die Augen wieder öffnete, ſo lagen friedlich drunten im Thale die geweideten weißen Lämmer neben dem Flöteniſten und oben am Himmel lager¬ ten ſich die glänzenden Lämmerwolken über ſie hin!

Inzwiſchen mocht 'ers einmal verſehen und blind zu weit in das Gärtchen die Blinde ſah ohnehin nicht tappen, die Arme offen voraushaltend, um ſich nichts auszuſtoßen: als an ſeiner Bruſt eine zweite anlag, und er aufſehend das bebende Mädchen ſo nahe an ſich fand, das ſeitwärts abgebogen ſtammelte: ach nein, ach nein! Ich bins nur (ſagte der Unſchuldige, ſie faſſend), ich thue dir ja nichts Und er hielt ſie, als ſie demüthig¬ furchtſam vertrauete, noch ein wenig feſt und144 ſchauete auf den gebückten Kopf mit ſüßer Re¬ gung nieder.

Herzlich gern hätt 'er der Erſchreckten Schmerzengelder und Benefiziate in dieſer Ko¬ mödie für die Armen gegeben; er hatt' aber nichts bei ſich, bis ihm zum Glück ſeine Schwe¬ ſter Rabette von welcher Bandagiſtin er irrig ſchloß, daß mehrere Mädchen des Teu¬ fels auf Bänder ſind, und ſie wie Taſchenſpie¬ ler verſchlingen aber nicht wiedergeben und ſein neues Zopfband einfiel. Er ſpuhlte freu¬ dig das lange ſeidne Wickelband von ſeinem Kopf an ihren. Aber die liebliche Nachbar¬ ſchaft, das Flechtwerk eines feinern innern Ban¬ des, und die Süßigkeit zu geben, und das Vi¬ vace ſeines angebohrnen Übermaaßes machten, daß er ihr gern das Dresdner grüne Gewölbe in die Schürze gegoſſen hätte; als ein Schnur¬ jude mit ſeinem kleinern ſeidnen auf dem Ma¬ gen und mit einem Sack voll eingekaufter Haare auf dem Rücken die Peſtizer Straße hin¬ zog. Der Jude ließ ſich wohl herrufen, aber nichts ableihen, trotz allen ausgeſtellten Wech¬ ſeln auf Eltern und Taſchengelder. Ach einherrliches145herrliches rothes Haubenband hätte Lea's blinden Augen ſo gut wie eine rothe Aderlaßbinde der Wunde gethan! Denn eine blinde Frau putzet ſich ſo gern als eine ſehende, ſie müßte denn eitel ſeyn und mehr ſich im Spiegel gefallen wollen, als andern außer demſelben. Der Handelsmann ließ gern das Band von ihr befühlen und ſagte, er handle auf den Dörfern Haare ein und geſtern hätten ihm die Wirthskinder durch einen brennenden Schwamm ſeinen ganzen Sack voll Chignons in kurze Wolle verkrüm¬ melt und wenn ihm die junge Herrſchaft ihr braunes Haar bis an das Genicke ablaſſen wolle, ſo ſolle ſie das Band und einen noch ſehr brauchbaren ledernen Zopf aus der Würz¬ burgiſchen Fabrik auf der Stelle dazu haben. Was war zu thun? Das Band war ſehr roth Lea wars vor Hofnungen der Jude ſagte, er packe ein der Haarzopf lief ohne¬ hin bisher wie ein zweites Rükgrat über das ganze erſte hinab, und wurde für Alban durch das langweilige Einwindeln an jedem Morgen ein Sperrſtrick und eine Trenſe ſeines Feuers Kurz der arme Rupfhaſe trat dem JudenTitan. I. K146die königlich-fränkiſche Inſignie ab und ſchnallte die würzburgiſche Scheide an.

Und nun ſchüttelte er ihre Hand recht derb auf und ab und ſagte mit einem ganzen Para¬ dies voll liebender Freudigkeit auf dem Geſicht: das Band iſt dir wohl recht lieb, du armes blindes Ding! Jetzt beſtieg der unaufhör¬ liche Mäzen gar den Kirſchbaum, um droben für Lea als ein lebendiger Popanz den Spa¬ tzen die Kirſchen zu verleiden und ihr als ein Fruchtgott mehrere Paternoſter und Frucht¬ ſchnüre von letztern herunterzuwerfen.

Beim Himmel! droben unter den Herzkir¬ ſchen ſchienen ordentliche Wolfskirſchen auf den Kopf des Knaben zu wirken; wie die Erde ihre finſtern[] Mittelalter hatte, ſo haben oft Kinder finſtere Mitteltage voll lauter Ka¬ puzinaden und Gikſe. Auf den hohen Aeſten ſchimmelten ihn die wachſende Landſchaft und die auf die Berge niederfallende Sonne und be¬ ſonders die Peſtizer Thurmſpitzen ſo himmliſch an, daß er ſich jetzt nichts höheres denken konnte als die Vogelſtange neben ihm, und keinen147 glücklicher-thronenden Kron-Adler, als einen auf der Stange ....

Aber nun bitt 'ich ſämmtliche Leſerinnen entweder in das Schießhaus einzutreten oder ſich mit der Soldatenfrau daraus die fort¬ läuft und den Frevel der gnädigen Frau an¬ zeigt mit wegzumachen, weil wenige von ih¬ nen es neben mir aushalten, daß unſer Held, der Stammhalter des Titans, von einigen Pach¬ ters-Knechten denen noch dazu Albine das Remarſch-Reglement ſeines eiligern Kommens mitgegeben auf ein Queerholz, das unter¬ halb des Hakens der Vogelſtange eingefuget iſt, feſtgeſetzet und, mit dem Unterleibe an dieſe angebunden und ſo in der Luſt wagrecht lie¬ gend, allmälig durch den weiten Bogen aufge¬ hoben und mitten im luftigen Himmel aufge¬ ſtellet wird. Es iſt arg; aber die Knechte konnten den Bitten ſeiner mächtigen Augen, ſeinem maleriſchen Willen und Muthe und den angebotnen Recompenſen und Krönungsmünzen, unmöglich widerſtehen und dabei wog er ja nur halb ſo viel wie der letzte Vogel.

Ich bin dir doch gut, Kleiner, trotz dei¬K 2148nem ſtarren zwiſchen Kopf und Herz gebauten Wagehals! Deine monſtröſen Barok-Perlen von Kräften wird die Zeit, wie im grünen Ge¬ wölbe Künſtler phyſiſche Perlen, ſchon noch zum Bau einer ſchönen Figur verbrauchen!

Die Reichsgeſchichte unſers Reichsadlers auf ſeinem Stativ, die ſich zugleich über die Ereigniſſe ausbreitet, welche auf dem Berge vorfielen, als der Schachtelmagiſter und der Landſchaftsdirektor zufällig zur beſetzten Vo¬ gelſtange kamen, ſoll ungeſäumt gegeben werden, wenn wir den 14ten Zykel haben.

14. Zykel.

Der Magiſter Wehmeier, der ſich von wei¬ tem die Geſtalt und das Bewegen des Vogels nicht erklären konnte, hatte ſich heraufgemacht und ſah nun zur Kreuzeserhöhung des Zög¬ lings hinauf. Er ſtürzte anfangs ins Plon¬ gierbad des Eis-Schauders über die Kühn¬ heit, aber er ſtieg bald aus ihm heraus unter das Tropfbad des Angſtſchweißes, den an ihm der Gedanke anſetzte, in jeder Minute falle der Eleve herab und zerſchelle in 26 Trüm¬149 mer, wie Oſiris, oder in 30 wie die medizei¬ ſche Venus: und das jetzt (dacht 'er hinzu), da ich den jungen Satan in Sprachen ſoweit gebracht und einige Ehre an ihm erlebte. Daher filzte er nur die Hebemaſchiniſten, aber nicht den Hochwächter aus, weil zu beſorgen war, unter dem Verantworten rutſch' er dro¬ ben aus. Den optiſchen Wagen, mit welchen der Teufel den im Angſtkreiſe befeſtigten Ma¬ giſter zu überrennen drohte, kam endlich ein wahrer nachgefahren, worin der künftige Landſchaftsdirektor ſaß. Ach lieber Gott! Der Direktor ſchöpfte ohnehin allezeit beim Miniſter die ganze Gallenblaſe voll bitterer Extrakte ein, bloß weil er dort artigere und ſtillere Kinder vorfand, ohne doch zu beden¬ ken wie hundert Väter, die hier mit ange¬ fahren werden müſſen , daß Kinder wie ihre Eltern ſich Fremden beſſer präſentiren als ſie ſind und daß ihnen überhaupt das Stadtleben ſtatt der höckerigen dicken Borke des Dorfle¬ bens die glatte weiße Birken-Folie überlege, indeß ſie am Ende wie ihre Eltern und Hof¬ leute, nur gleich Kaſtanien an der Außenſchaale150 abgeſchliffen, innen aber verdammt borſtig an¬ zufühlen ſind. So gewiß werden den feinſten Mann vom Lande immer wenigſtens Prinzen und Miniſter überliſten, die zehn Jahr alt ſind, geſetzt auch, er nehm 'es leichter mit ihren Vätern auf.

Als Wehrfriz ſeinen Pflegeſohn auf dem Schreckhorne horſten ſah, und den Schachtelma¬ giſter unten, der hinaufſchauete! ſo bildete er ſich ein, der Inſtruktor hab 'es veranſtaltet; und fieng laut an, ihm aus dem zugeſperrten Wagen einen kleinen Himmel voll Donner¬ wetter und Donnerſchläge auf den Hals zu fluchen. Der verfolgte Wehmeier fieng auf dem Berge auch an, laut zum Schreckhorne hin¬ aufzuzanken, um dem Direktor darzuthun, daß er ſeines Amtes warte und mit dem Hammer des Geſetzes als mit einem bildenden Tiefham¬ mer ſo gut wie einer am Zögling ſchmiede. Die Soldatenfrau rang die Hände die Knechte ſtellten ſich zur Kreuzesabnehmung an der arme glühende Kleine zog ſein Meſſer und rief herab: er ſchneide ſich gleich los und werfe ſich hinab, ſobald einer jetzt die Stange151 niederlaſſe. Er hätt' es auch gethan und ſein Leben und meinen Titan frühzeitig ausgemacht bloß weil er die Schande der väterlichen Real - Verbal-Injurien vor ſo vielen Leuten ja im Wagen ſaß gar ein fremder Herr ärger noch als Selbſtmord und Hölle floh. Allein der Direktor, ſelber voll Tollkühnheit und doch voll Haß derſelben am Kinde, ließ es darauf ankommen und rief entſetzlich nach dem Bedienten, der den Schlüs¬ ſel zur Wagenthüre hatte; er wollte heraus und hinauf. Er war unbeſchreiblich erboßet, erſtlich weil er hinten dem Wagen einen Öſter¬ leinſchen Flügel als Angebinde des heutigen Freudentages aufgebunden ach Albano, warum hören deine Freuden wie die Schleifer eines Bierfiedlers mit einem Mißtone auf? und zweitens, weil er drinnen einen Sing - Tanz - Muſik - und Fecht-Meiſter aus dem po¬ lirten glänzenden Miniſters Hauſe für Albano neben ſich auf dem Polſter als Zuſchauer der Debütrolle ſitzen hatte. Gottlieb ſprang vom Bocke vor die Wagenthüre, fuhr fluchend durch alle Taſchen, der Wagenſchlüſſel war in keiner.

152

Der inkarzerirte Direktor arbeitete im Thier¬ kaſten wie ein wedelnder Leopard und ſein Grimm ſprang, wie ein Löwe, den ein Jäger nach dem andern anſchießet, gegen den dritten an. Alban ſägte auf allen Fall im Stricke hin und her. Der Schachtelmagiſter war am be¬ ſten dran; denn er war halbtodt und vernahm hinter ſeinem in ſaurem Angſtſchweiße geronnenen kalten Körper wenig mehr von der Außenwelt, ſein Ich war feſt und gut wie Schnupftabak, in kühles Blei verpackt.

Ach mit dem geängſtigten Knaben leid 'ich ſtärker, als ſäß' ich mit auf der Stange; ſeinem rührend-edlen Angeſichte mit der feinge¬ bogenen Naſe wirft die weſtliche Aurora und die Schaam den Purpur über und die tiefe Sonne hängt ſich küſſend an ſeine Wangen gleichſam an die letzten und höchſten Roſen der dunkeln Erde; und er muß die trotzig-blickenden Augen von der geliebten Sonne und von dem Tage, der noch auf ihr wohnt, und von den beiden Lindenſtädter Thurmknöpfen, die zu ihren Sei¬ ten glimmen, wegziehen und die kräftig-ge¬ zeichneten und ſcharf-winklichten Augenlieder,153 welche Dian mit den zu heroiſchen und durch¬ greifenden am Chriſtus-Kinde der aufſteigenden Madonna von Raphael verglich, bange auf den ſchwülen Zank des tiefen Bodens nieder¬ ſchlagen.

Gottlieb trieb mit aller Mühe den Wagen¬ ſchlüſſel nicht auf, denn er hatt 'ihn in der Taſche und in der Hand und wollt' ihn aus Schonung für den jungen Herrn, den die ganze Dienerſchaft ſo freßlieb hatte wie den Ke¬ gelplatz, nicht gern herausgeben. Er votirte auf das Herholen des Schloſſers, aber der Kutſcher überſtimmte ihn mit dem Rathe, lie¬ ber gleich vor die Werkſtatt hinzufahren und ſchnauzte die Pferde an und fuhr den inhaftirten Kontroversprediger in ſeiner Kan¬ zel mit dem aufgepackten Öſterleinſchen Flü¬ gel im Trabe davon. Das wenige was der Bombardeur unter Gottlieb's Aufſitzen noch aus dem Wagen werfen konnte, beſtand darin, daß er ein Fenſter einſtieß und aus der Schieß - Scharte noch einige der nöthigſten nachbren¬ nenden Schüſſe zum Unglücks-Vogel auf der Stange hinaufthat.

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Jetzt bekam der Magiſter ſeinen Muth und Aerger wieder und er gebot kühn das Her¬ unternehmen des Abſaloms. Indem das Kind mit der Sitzſtange vor ihm vorüberſank, legte er die fünf Schneidezähne der Finger wie ein Roſtral, in die Kopfhaut und raſtrirte damit am Hinterkopfe herab, in der Abſicht, die krumme Linie des Haars ſpielend dadurch zu rektifiziren, daß ers mit ſeiner Hand wie mit dem Froſch eines Fiedelbogens mäßig anzog, als er zu ſeinem Erſtarren meinem Helden den würzburgiſchen Zopf wie eine Schwanzfeder ausriß.

Wehmeier beſah ſtaunend die cauda pren¬ densilis (den Wickelſchwanz) und durch ſeine auf den kleinern Fehler gelenkte Aufmerkſamkeit gewann Albano dabei ſoviel wie Alzibiades bei dem abgehackten Schweife ſeines Robes¬ pierre. Der Magiſter dankte Gott, daß er heute nicht mit dem alten Wehrfriz ſoupiren durfte und ſchickte verblüfft ihn mit dem Vexier¬ zopfe nach Haus.

155

15. Zykel.

Die gutherzige Albine hatte den ganzen Tag vor dem Ehegemahl allen brennenden Stoff (da die Vitriolnaphta ſeines Nervengei¬ ſtes ſchon von weitem Zornfeuer fieng) wegge¬ räumt, damit nichts ihre Luſtſchlöſſer in Brand¬ ſtätten der Freude umkehrte ja als Vorſtadt des abendlichen himmliſchen Jeruſalems hatte Rabette ein vorbeiziehendes Orcheſter aus Bergknappen ins Kabinet der Tafelſtube ver¬ ſteckt und für Albano hatte Albine ſchon eine heraldiſche Tracht ausgeſonnen, worin er ihm die Vokazion der Landſchaft überreichen ſollte ach was hatte aber die Frau davon als Flammen, die der eintretende Wehrfriz auswarf, indeß er wie ein Kameel in ſeinem Magen noch einen kalten langen Waſſerſtrahl für das Anſpritzen des Magiſters aufhob?

Albine, die wie die meiſten Weiber, das männliche Steinigen mit Gallenſteinen für die 50 Pfd. Paſſirſteine nahm, die einem Paſſa¬ gier auf der Ehepoſt frei paſſiren, gab ihm anfangs, wie immer, heiter Recht und verbarg jede Zähre des Unmuths, weil kaltes Beſpren¬156 gen Männer und Sallat verhärtet dann nahm ſie das Recht ſtufenweiſe zurück macht 'aber den Tadel erſt auf ihrer Zunge mild, wie die Wärterinnen das Waſchwaſſer der Kinder im Munde lau machen und ſagte zuletzt, er ſolle das Kind nur ihr überlaſſen.

Aber ſo ſchwillet uns unter der Hand der alte Wehrfriz zu einem apokalyptiſchen Dra¬ chen, zu einem Thiere von Gevaudan und Wüthriche auf; und er iſt doch nur ein Lamm mit zwei Hörnchen. Hatt 'er nicht an ſeinem Geburtsfeſte im Karrenjahre ſeines fröhnenden Lebens einen Anſpruch auf einen erleichterten Abend, wenigſtens bei einem Kinde, das er ſtärker liebt als ſeines und für das er einen Flügel und Lehrer aufgeladen? Und hatt' er ihm ob er gleich ſelber zuviel wagte und ausdauerte es nicht hundertmal verbo¬ ten, ihm nachzuahmen und ſich auf Pferde oder in Sturmwinde, in Platzregen und Schneegeſtöber zu ſetzen? Und kam er nicht vom pädagogiſchen Knutenmeiſter, dem Mi¬ niſter her deſſen Erziehungsanſtalt nur eine län¬ gere Realterrizion und kürzere Verdammniß war? 157Und macht nicht der Anblick ſtrenger Eltern ſtren¬ ger, der Anblick milder hingegen nicht milder?

Albano begegnete zuerſt Rabetten mit ſei¬ ner ledernen Hinteraxe in der Hand, auf ſei¬ nem trotzigen Wege zum Studirzimmer des Vaters und alſo zur Regimentsſtrafe vom rech¬ ten Revoluzionstribunale. Aber ſie fieng ihn von hinten mit dem engliſchen Gruße: biſt du da Abſalom? und ſetzte ihn gewaltſam nieder und band ihm, nach dem nöthigen Erſtau¬ nen und Erfragen die Hohl-Ader der Haare knapp und unſanft an und zeigte ihm den Stoßwind des väterlichen Zorns im furchtbaren Lichte und die Windſtille des muſikaliſchen Bergdepartements wieder im lächerlichen, das neben der Tafelſtube, dieſer Renn - und Wild¬ bahn des hin - und herlaufenden Direktors, pau¬ ſirend Friedenszeiten abwarte und entließ ihn mit einem Kuſſe, ſagend: du dauerſt mich, Schelm!

Er marſchirte mit einem Trotze, den das ſpannende Haar verſtärkte, ins Tafelzimmer. Aus den Augen! ſagte der funkelnde Sturm¬ läufer. Alban trat ſofort aus der Thüre zurück,158 zornig über den ungerechten Zorn und eben darum weniger betrübt über den ungeſunden, da ſein Wohlthäter heftig an dem für den Geburtstag gedeckten Tiſche auf - und ablief und nach der alten Unart die fertig gebrannte Kalkgrube ſeines Zorns mit Wein ablöſchte.

Wenige Minuten nach ihm kam auch die muſikaliſche Akademie und Knappſchaft mißmu¬ thig und in brummende Kontrabaſſiſten ver¬ wandelt, gegangen. Es war ihnen im trocknen Kabinet die Zeit lang geworden, daher hatten der Baſſoniſt und der Violiniſt ſich durch ein leiſes Stimmen unterhalten wollen. Der Di¬ rektor, der nicht begreifen konnte, was ihn immer für ein verlohrnes Getöne umfliege, nahms lange für melodiſches Ohrenbrauſen, als plötzlich der Hammermeiſter des Hackbrets ſei¬ nen muſikaliſchen Fäuſtel auf die beſaitete Tenne fallen ließ. Wehrfriz riß den Augen¬ blick die Thüre auf und ſah das ganze muſika¬ liſche Neſt und Komplot bewaffnet vor ſich im Zirkel ſitzen und aufpaſſen; er fragte ſie haſtig: was ſie im Kabinet zu ſuchen hätten und befahl ſogleich nach einer flüchtigen Gabe159 der ganzen Beſatzung ohne klingendes Spiel, mit ihren ledernen Tändelſchürzen und culs de Paris abzuziehen.

Albine winkte mit einem ſanften Geſicht den geächteten Liebling ins Nähzimmer, wo ſie ihn recht gelaſſen um die Wahrheit befragte, weil ſie wußte, er lüge nie. Nach der Berichts¬ erſtattung ſtellte ſie ihm wenig ſeinen Fehler (wiewohl ſie dem gegenwärtigen Kinde eben ſo gegen den abweſenden Mann Unrecht gab, wie vorhin dem gegenwärtigen Manne gegen das abweſende Kind) und mehr die Folgen vor ſie zeigte (dabei machte ſie ihm das Halstuch auf und um und einige Weſtenknöpfe zu), wie ſich ihr Mann vor dem mitgebrachten zweiten Schulkonſul mit 24 Faſzibus, dem Mu¬ ſik - und Tanz-Meiſter H. v. Falterle, der ſich droben umkleide, in Albanos Seele ſchäme wie der Tanzmeiſter es wohl gar an Don Gaſpard ſchreiben werde und wie ihrem gu¬ ten Manne der ganze ſüße bemalte Gelée - Apfel der heutigen Freude zu Waſſer gemacht worden, und er ſich gerade an einem ſolchen feierlichen Tage einſam härme, und vielleicht160 den Tod hole vom Trunke auf den Zorn. Die Weiber ſtimmen gewöhnlich wie Harfeniſten, mit geringen Fußtritten die ganzen Töne der Wahrheit unter dem Spielen zu halben um. Nachdem ſie ihm noch die väterlichen Abendge¬ witter vorgerechnet, die er immer durch ſein Reiten und durch ſeine Robinſon'ſchen Entdek¬ kungsreiſen über ſich hergezogen und deren Schläge nur immer den Wetterableiter (ſie ſel¬ ber) zerſchmolzen hätten: ſo ſetzte ſie mit jener rührenden, nicht aus der knöchernen Kehle ſon¬ dern aus dem wallenden Herzen fließenden Stimme dazu: ach Alban, du wirſt einſt an deine Pflegemutter denken, aber zu ſpät und weinte recht ſanft.

Bisher waren in ihm die ſtrengflüſſigen Schlacken und der geſchmolzene Theil ſeines Herzens nebeneinander aufgewallet und der warme Guß war höher und heißer im Buſen emporgedrungen, nur das Geſicht war kalt und hart geblieben denn gewiſſe Menſchen haben gerade im Punkte der Zerfließung den Anſchein und die Anlage der Verhärtung am meiſten, wie der Schnee kurz vor dem Zer¬ſchmelzen161ſchmelzen gefriert aber jetzt riß er ſich durch das Ziehen am zu dicht angegürteten Zopfe, welches das verlegne Zeichen des nahen Durch¬ bruchs war, das würzburgiſche Anhängſel im Krampfe der Ergrimmung über ſich heraus. Eh 'Albine es ſah, hatte ſie ihm die Direkto¬ rats-Beſtallung mit den Worten gereicht: Kaum ſollt' ich; aber brings ihm nur und ſage, es wäre mein Angebinde und du woll¬ teſt künftig ganz anders ſeyn. Allein da ſie ſeine Hand bewaffnet ſah, fragte ſie erſchrocken mit dem tiefen Nachklange einer verſchmerzten Vergangenheit: Alban? und kehrte ſich ſofort vom armen Kinde, deſſen Schmerz ſie mißverſtand, mit zu bittern Thränen weg und ſagte: was iſt denn das wieder? O wie quält ihr heute alle mein Herz! Geh fort! O komm her, (rief ſie ihm nach) und erzähl 'die Umſtände! Und als ers unſchul¬ dig und wahr gethan hatte, ſo konnte ihre von Thränen überwältigte Stimme nicht mehr ta¬ deln, ſondern nur milde ſagen: trage denn das Angebinde hin! Dennoch hatte ſie vor, beim Manne die Abbreviatur des Haars fürTitan I. L162einen Gehorſam gegen ihren Willen und ge¬ gen die Mode der vornehmen Stadtkinder auszugeben.

Alban gieng, aber auf dem harten Wege zerſprangen die gefüllten Thränendrüſen und das angehaltene Herz, und er trat mit fort¬ weinenden Augen vor den einſamen Pflegeva¬ ter, der den müden und ſinnenden Kopf auf¬ ſtützte, und reichte ihm weit voraus das gro߬ geſiegelte Schreiben hin und konnte nur ſagen: das Angebinde und weiter nichts, und Fun¬ ken ſprangen mit den Gewittertropfen aus den heißen Augen. Lege dich, Unſchuldiger, leiſe an des Vaters aufgeknöpfte Bruſt und laſſe dich von ſeiner Linken, indem er den Zauberkelch der Ehre mit der Rechten hält und ſich aus ihm betrinkt, durchaus nicht wegſtemmen! Die ab¬ treibende Hand wird endlich nur ſchlaff und ohne Schwere auf deinen naſſen Feuerwangen und warmen Augen voll Buße zu pulſiren kom¬ men dann wird der Alte das Dekret noch langſamer wieder überleſen, faſt um den erſten Laut zu verſchieben dann wird er, wenn du unbeſchreiblich-ungeſtüm ſeine Hand in dein163 küſſendes Angeſicht eindrückeſt, ſich ſtellen als wach 'er eben auf und wird ſalpeter-kalt ſagen mit Schimmern der Augen: rufe die Mutter und dann wird er, wenn du dein glühendes von Liebe zuckendes Geſicht unter den herübergefallnen Haaren gegen ihn auf¬ hebſt und wenn dieſe ſanft von deinen Kir¬ ſchenwangen zurückſchlagen, ſeinem weglau¬ fenden Lieblinge ziemlich lange nachſchauen und aus ſeinen Augen etwas wegſtreifen, da¬ mit er die Adreſſe des Diploms ſo überlaufen könne wie er will .....

Sag 'Albano, hab' ich recht gerathen?

16. Zykel.

Jede Ehrenſäule erhebt das Herz eines Mannes, den man daraufſtellt, über den Bro¬ dem des Lebens, über die Hagelwolken der Drangſale, über den Froſtnebel der Verdrie߬ lichkeit und über die brennbare Luft des Zorns. Ich will das Zauberblatt einer günſti¬ gen Rezenſion einem knirſchenden Währwolfe vorhalten: ſofort ſteht er als ein leckendes Lamm mit quirlendem Schwänzchen vor mir;L 2164und könnte eine Frau ihrem hitzigen Schrift¬ ſteller jedesmal ein kritiſches Trompeterſtückchen auf Famas Trompete vorblaſen, er würde einem Engel und ſie jenem Bierfiedler gleich, der im Bärenfange den Saul von Pez durch Tanzſtücke beſänftigte.

Wehrfriz kam als ein neugebohrner Seraph Albinen entgegen und erzählte die Ehre. Ja um die Exploſionen ſeines Aetna ihr abzubit¬ ten, ſagte er nicht, wie ſonſt, nolo episcopari, er ſagte nicht, eine unerſteigliche Bergkette von Arbeiten ſetze ſich jetzt um ihn feſt ſon¬ dern ſtatt dieſes verlegnen Zurückziehens der Hand vor dem ausſchüttenden Fruchthorne des Glücks, ſtatt dieſer jungfräulichen Blödigkeit des Entzückens, die Gattinnen gemeiner iſt, legt 'er die Herzhaftigkeit einer Wittwe an den Tag und ſagte Albinen, ihre Wünſche des heutigen Morgens wären ſchon zu Gaben geworden , und fragte, wo denn der verſprochene Abend¬ ſchmaus und die Leute und der Magiſter und der Tanzmeiſter, den jener gar noch nicht geſe¬ hen hätte, und Rabette und alles ſteckte?

Aber Albine hatte dem Magiſter ſchon165 längſt durch Albano die Einladung und das Verziehen aller Gewitter und des neuen Kom¬ mis Ankunft ſagen laſſen. Wehmeier eigent¬ lich mit dem größten Widerwillen bei einem Edelmanne, bloß weil er wie ein ſpeiſender Ak¬ teur des Tiſches mit Reden, savoir vivre, Auf¬ paſſen, Halten aller Gliedmaßen und Spedi¬ ren aller Eßwaaren ſo viel zu thun hatte, daß er aus Mangel an Muße kleine Dinge z. B. Eſſiggurken, Kaſtanien, Krebsſchwänze bloß im Ganzen und ohne Geſchmack ver¬ ſchluckte, ſo daß er nachher das Hartfutter wie einen verſchlungnen Jonas oft drei Tage in der Waidtaſche ſeines Magens herumtragen mußte. Allein dieſesmal zog er ſich gern zum Eſſen an, weil er auf ſeinen pädagogiſchen Nebenmann neugierig und ungehalten war, und das aus Angſt, der neue Mitpäch¬ ter gebe vielleicht die herrliche Winterſaat in Albans beſäetem Lande für ſeine eigne Sommerſaat aus. Er ſchrieb ſeiner abbre¬ virten Lehrmethode alle Wunderkräfte ſeines Lehrlings, d. h. dem Boden aus Waſſer den166 aromatiſchen Geiſt der Pflanze zu, die darin wuchs. *)Denn Boyle fand in ſeinen Verſuchen, daß Ranunkeln, Münze ꝛc., die er im Waſſer gro߬ wachſen laſſen, die gewöhnlichen aromatiſchen Kräfte entwickelten.

Mit größerer nachſichtiger Liebe kam er, den halbierten Liebling eigenhändig führend, vor Rabettens Kabinet in einem ſaftgrünen Flaus mit dreiblättrigem Kragen an. Herr von Falterle hier (ſagte bei ſeinem Eintritt Rabette, nicht aus Neckerei, ſondern aus Unbeſonnenheit ) meinten vorhin, Sie wärens als der Hund hereinwollte. Mein Herr, (verſetzte kalt und ernſt der Pa¬ radeur von Falterle neben unſerm Ackergaule) der Hund kratzte an der Thüre aber ſowol bei dem Miniſter als in allen großen Häu¬ ſern in Paris kratzet jedermann mit dem Fin¬ gernagel, wenn er bloß in ein Kabinet und in kein großes Zimmer will.

Welcher herrliche maleriſche Abſtand beider Amtsbrüder! Der Exerzitienmeiſter mit der bun¬167 ten Flughaut oder Rückenſchürze eines gelben Sommerkleidchens gleichſam mit den gelben Oberflügeln eines Buttervogels, deſſen dunkle Unterflügel das Gillet (wenn ers aufknöpft) vorſtellen; Wehmeier aber im geräumigen ſaftgrünen Flauſe hängend, den ein Zeltſchnei¬ der um ihn geſpannt zu haben ſcheint, und mit Unterleib und Schenkeln in der ſchwarz¬ ſammtnen Halbtrauer der Kandidaten pulſi¬ rend, die ſie anlegen, ehe ſie ſich zur ganzen verkohlen Falterle hat ſein Glatteis von Bein¬ kleidern plattirt um die Beine gegoſſen und jede Falte in dieſen bricht ſich in ſeinem Ge¬ ſichte zu einer, als wäre dieſes das Unterfut¬ ter von jenen; indeß an den Schenkeln des Schachtelmagiſters die Wendeltreppe ſeiner Wickel-Modeſten*)Modeſten wollen einige ſtatt der Beinkleider hören. aufläuft jener in Brautſchuhen, dieſer in Pumpenſtiefeln je¬ ner ſchnalzt als eine weiche ſchleimige Gold¬ ſchleie empor mit den Bauchfloßfedern des Ja¬ bots, mit den Seitenfloßfedern der Manſchet¬168 ten und mit den Schwanzfloßfedern des an drei Hermelin-Schwänzchen hängenden trino¬ miſchen Würzelchens oder Zöpfleins; der Magi¬ ſter ſieht in ſeinem grünen Flauſe bloß wie der grüne Schnäpel (Weißfiſch) oder die Kaul¬ quappe aus herrlicher Abſtich, wieder¬ hol 'ich!

Der Schnäpel hätte die Schleie gern ge¬ freſſen, als der Goldfiſch mit dem rechten Arme Rabetten und mit dem linken Albano zum Eſſen vorausführte. Aber jetzt wurd 'es viel ärger. Alban hatte mit ſeiner gewöhnlichen Heftigkeit die Serviette zuerſt offen; die nun gleichſam das Antrittsprogramm und Dokima¬ ſtikum von Falterle's Lehrart wurde; pose¬ ment, Monsieur (ſagt' er zum Novizen) il est messéant de déplier la serviette avant que les autres ayent dépliér les leurs. *)Gemach, es iſt unſchicklich, wenn man ſeine Serviette früher aufmacht als andre Leute. Nach einigen Minuten gedachte Alban ſeine Suppe es war eine à la Brittannière mit Locken kalt zu blaſen: il est messéant, Monsieur (ſagte der Exerzi¬169 zienmeiſter) de soufler sa soupe*)Es iſt unſchicklich, wenn man auf ſeine Suppe bläſet. . Der Schachtelmagiſter, der ſchon mit dem Gebläſe ſeiner Bruſt zu einem Zugwinde für einen Löf¬ fel voll Locken angeſetzt hatte, ſchnappte er¬ ſchrocken mit einer Windſtille ab.

Als nachher eine farſchirte Weißkohlbombe wie eine Zentralſonne auf das Tiſchtuch nie¬ derfiel: ſchlang der Magiſter den brennenden Kalbfleiſch-Farſch kühn hinein wie ein Taſchen¬ ſpieler oder Vogel Strauß glimmende Kohlen und athmete mehr ein - als auswärts.

Nach der Bombe kam ein Hecht au four herein, dem bekanntlich der Wegſchnitt des Kop¬ fes und Schwanzes und die Verſchloſſenheit des Bauchs die Geſtalt eines Rehzimmers ſchenken. Als Alban ſeinen alten Lehrer fragte, was es wäre, verſetzte ſolcher: ein delikater Rehzim¬ mer. Pardonnés, Monsieur (ſagte der Ge¬ genzüngler) c'est du brochet au four, mon cher comte mais il est messéant de de¬170 mander le nom de quelque mets qu'il soit on feint de le savoir*)Um Verzeihung, es iſt Hecht au four; aber es iſt unſchicklich, nach dem Namen einer Schüs¬ ſel zu fragen man thut als wiſſe man ihn ſchon. .

Es iſt leicht zu zeigen, daß dieſer Kern¬ ſchuß aus einer Doppelbüchſe dem Magiſter durch Mark und Bein, durchfuhr; die Paſſions - Inſtrumente, die im weggeſchnittenen Kopfe des Hechts au four wie in einer Gewehrkam¬ mer lagen, arbeiteten in ſeinem weiter. Wie die meiſten Schullehrer, glaubt 'er ſo lange die feinſte Lebensart zu haben als er ſie dozirte und die gröbſte bekriegte eben ſo lange ſchätzt' er ſie ungemein, ſo wie den Putz : wurd 'er aber in beiden beſiegt, ſo mußt' er ſie von Herzen verachten. Es bracht 'ihn wie¬ der auf die Beine, daß er den Exerzizienmei¬ ſter im Stillen bei ſich gegen beide Kato's und die homeriſchen Heroen hielt, die nicht viel beſſer aßen wie Schweine und daß er ſo den Wiener an einen Schandpfahl anband und ihn171 daran mit der einen Hand wacker draſch, in¬ deß er mit der andern über ihm die Schand¬ glocke läutete. Ja er ſtellte ſich, um den Amts¬ bruder klein zu machen, auf einen fernen Irr¬ ſtern und ſah herunter auf die Bombe und auf den Hecht au four und mußte droben auf ſeinem Planeten ſehr herablachen, als er den gelb¬ ſeidnen Ladenhüter der Natur mit dem Wrak von Gehirn nicht größer befand als einen Klei¬ ſteraal. Dann dauerte ihn der verlaßne Zög¬ ling und er fiel wieder herunter und ſchwur unterweges, aus ihm jeden Tag ſo viel auszu¬ jäten als jener einharke.

Wir werden es noch bald genug erfahren wie Alban's Nerven auf dieſer Drechſelbank unter den Schlichthobeln zuckten. Den Direk¬ tor labte dieſes pädagogiſche Schneiden und Brillantiren eines ſo großen Demants unbe¬ ſchreiblich, wiewohl der Schnitt (nach Jeffe¬ ries) allen Demanten die halbe Schwere nimmt, und wiewohl er ſelber noch die ganze hatte und mehrere Karats als Facetten. Wehrfriz konnte nie eher rein vergeben worauf er jetzt hinarbeitete, weil er dem Kleinen den172 Öſterleinſchen Flügel mitgebracht als bis er wenigſtens mit Einem Worte eine kurze Marter angethan; er theilte alſo blind gegen Alba¬ no's verhülltes blutiges Büßen , den Gäſten mit, wie ſtrenge der Miniſter ſeine Kinder er¬ ziehe, wie ſie z. B. für unwillkührliches Huſten und Lachen an der Tafel, gleich preußiſchen Kavalleriſten, welche ſtürzen oder im Winde den Huth verlieren, Strafen bekommen und wie ſie freilich ſo alt wären wie Albano, aber völlig ſo geſittet wie Erwachſene. Beim Miniſter hatt 'er heute umgekehrt mit den Kenntniſſen des Pflegeſohns geprunkt; aber manche El¬ tern erbauen in jedem fremden Zimmer Rauch¬ opferaltäre für daſſelbe Kind, daß ſie im eig¬ nen wie Wein und Bienen ſchwefeln.

Der Henker hol 'es überhaupt, daß ſie wie Landesväter, gerade dann verdoppelte Forderun¬ gen machen, wenn die Kinder unmäßige befrie¬ digt haben, ſo daß dieſe durch opera superero¬ gationis von majorennen Lernſtunden die Spiel¬ ſtunden mehr verwirken als erringen. Hält man es nicht großen Philoſophen z. B. Male¬ branche, und großen Feldherren z. B. Scipio,173 zu Gute, daß ſie nach den größten Eroberun¬ gen, die ſie im Reiche der Wahrheiten oder in einem geographiſchen gemacht, ſich in die Kin¬ derſtube ſetzten und da wahre Kindereien trie¬ ben, um den Bogen, womit ſie ſo viele Lügen und Menſchen zu Boden gelegt, ſanft zurück¬ zuſpannen? Und warum ſoll dieſes Gleichniß, womit der H. Johannes ſich vertheidigte, wenn er ſich eine Spielſtunde mit ſeinem zahmen Reb¬ huhne erlaubte, nicht Kinder entſchuldigen, daß ſie auch Kinder werden, wenn ſie vorher den noch dünnen Bogen zu krumm angezogen haben?

Aber nun weiter! Der alte Wehrfriz refe¬ rirte Rabetten ganz freundlich, wie er heute die Pupille des Don Zeſara die herrliche Grä¬ fin de Romeiro geſehen, wahrhaftig 12 Jahre alt, aber von einer Conduite wie nur eine Hofdame habe; und der H. Ritter erlebe an ſeiner Mündel mehr Freude als ſonſt. Dieſe harten klirrenden Worte ritzten wie an einem Waſſerſcheuen, die offnen Nerven des ehrgeizigen Knaben, da für ihn der Ritter bis¬ her das Lebensziel, der ewige Wunſch und der174 frère terrible war, womit man ihn bezwang; aber er ſaß ſtill ohne Zeichen da und er¬ ſtickte das ſchreiende Herz. Wehrfriz kannte dieſes ſtumme Verbeißen; gleichwohl handelte er ſo als hab 'ihn Albano nicht verſtanden.

Nun fieng auch der Wiener an, in alle Ecken und Niſchen des miniſterialiſchen Vati¬ kans Leuchtkugeln zu werfen, bloß um ſeine Tanz - und Muſikſchüler darin und ſich ſelber günſtig zu beleuchten. Kann nicht die Tochter des Miniſters, kaum zehn Jahre alt, alle neue Sprachen, und die Harmonika, die Albano noch nicht einmal gehöret, und ſchon vierhän¬ dige Sonaten von Kotzeluch und ſingt wie die Nachtigal ſchon in unbelaubten Aeſten und zwar Opernauszüge, die ihre zarte Nachtigal¬ lenbruſt aushöhlen, daher er fortgemußt? Ja kann der Bruder nicht noch weit mehr und hat alle Leſebibliotheken ausgeleſen, beſonders die Theaterſtücke, die er noch dazu auf Lieb¬ haberbühnen auch ſpielt? Und wird er nicht gerade in dieſer Stunde im heutigen bal mas¬ qué ſeine Sache recht gut machen, wenn er anders da den Gegenſtand antrifft, der ihn be¬175 geiſtert? Wehmeier that Unrecht, daß er unſerm Juwelenkolibri Falterle gegenüberſaß als eine Ohreule oder Vogelſpinne, die bereit iſt, den Kolibri jede Minute zu rupfen und zu freſſen. Wahrlich Falterle ſagte nichts aus Bosheit, er konnte niemand verachten und has¬ ſen, weil ſeine geiſtigen Augen in ſeinem auf¬ geſchwollenen Ich ſo tief ſaßen, daß er damit gar nicht über das geſchwollene Ich heraus¬ ſchauen konnte, er verletzte keine Seele, und umflog die Leute nur wie ein ſtiller Schmet¬ terling, nicht wie eine ſtechende ſumſende Bremſe, und ſog kein Blut ſondern Honig (d. h. ein kleines Lob).

Sollte ſich wohl H. v. Falterle (ſagte Wehrfriz, der alsdann, ſobald er nur dieſen kalten Wetterſtrahl auf Albano herunterge¬ than hatte, dieſen nicht mehr fliehend und kalt anſchielen wollte) der junge Miniſter zu¬ weilen auf eine Vogelſtange ſetzen wie unſer Albano da? Das war zu viel für dich ge¬ quältes Kind! Nein! ſagte Albano ehern und mit der Freundlichkeit eines Leichnams, welche Nachſterben bedeutet, und verließ mit176 einer optiſchen Wolke ſchweifender Farben den unter ſeinen ſtummen Zuckungen knackenden Seſſel und gieng langſam mit eingeklemmten Fingern hinaus.

Der arme junge Menſch hatte heute nach der anſcheinenden Vergebung ſeines adamiti¬ ſchen Falles und nach dem Anblicke des ge¬ ſchmückten neuen Lehrers, auf den er ſich ſchon ſo lange gefreuet und deſſen gravirtes glänzen¬ des Gehäuſe gerade auf ein Kind imponirend wirkte, die letzte Puppenhaut ſeines Innern abgeworfen und ſich viel vorgeſetzt. Irgend eine Hand riß vor einer Stunde ſeinen innern Menſchen aus der engen ſchläfrigen Wiege der Kindheit auf er ſprang auf einmal aus dem Wärmkorbe er warf Fallhut und Flügelkleid weit weg er ſah die weite toga virilis dort hängen und fuhr in ſie hinein und ſagte: kann ich denn nicht auch ein Jüngling ſeyn?

Ach du Lieber, der Menſch, beſonders der roſenwangige, hält betrogen ſo leicht Bereuen für Beſſern, Entſchlüſſe für Thaten, Blüthen für Früchte, wie am nackten Zweige des Feigen¬baums177baums ſcheinbare Früchte ſprießen, die nur die fleiſchigen Hüllen der Blüthen ſind!

Und nun, indeß alle Nerven und Wurzeln ſeiner Seele nackt an der harten Luft bloßla¬ gen, und bei ſo ſchönen friſchen Trieben, wurd 'er jetzt ſo oft beſchämend zertreten. In ſeiner Seele glühte die Ehre durch die künf¬ tigen Jahre wollte ſie wie durch eine weiße Kolonade von Ehrenſäulen gehen ſchon ein bloßer Alumnus aus der Stadt war ſeiner ruhm - und wiſſens-durſtigen Seele ein klaſſi¬ ſcher Autor und ſollt' ers erdulden, daß ihn bei dem Ritter der Direktor verklagte und der Wiener verzeichnete? Harte Thränen wurden wie Funken aus der ſtolzen verletzten Seele geſchlagen und den Kometenkern ſeiner innern Welt zertrieb die Gluth in einen ſchwü¬ len Nebel. Kurz er beſchloß, in der Nacht nach Peſtiz zu rennen vor ſeinen Vater zu ſtürzen, ihm alles zu melden und dann wie¬ der nach Hauſe zu gehen, ohne ein Wort da¬ von zu ſagen. Am Ende des Dorfs fand er einen eiligen Nachtboten, den er nach dem Pe¬Titan. I. M178ſtizer Wege befragte und der ſich wunderte über den kleinen Pilger ohne Hut.

Man ſehe mit mir vorher nach dem Neſte der Tiſchgenoſſenſchaft. Eben dieſer Bote über¬ brachte dem Wiener eine böſe Neuigkeit, die den ſo lange gelobten Miniſters Sohn betraf, der Roquairol hieß.

Die obengedachte Pupille des Ritters, die kleine Gräfinn von Romeiro war ſehr ſchön; Kalte hießen ſie einen Engel und Warme eine Göttinn. Roquairol hatte keine Belgiſche Venen, worin wie im Saturn alle Feuchtigkeiten als feſte gefrorne Körper liegen, ſondern afrikaniſche Arterien, worin wie im Merkur geſchmol¬ zene Metalle umlaufen. Als die Gräfinn bei ſeiner Schweſter war, verſucht 'er, mit der Keckheit vornehmer Knaben, ſein mit einem Geäder von Zündſtricken gefülltes Herz als einen guten Brander auf ihres zuzutreiben; aber ſie ſtellte die Schweſter als Feuermauer vor ſich. Zum Unglück gieng ſie zufällig als Werthers Lotte gekleidet, in die heutige Re¬ tude und die Pracht ihrer deſpotiſchen Reize179 wurde von lauter dunkel-glühenden Augen hin¬ ter Larven verſchlungen und umblitzt; er nahm ſeine innere und äußere ab, drang an ſie und forderte mit einiger Eile weil ſie abzureiſen drohte , und mit einiger Zuverſicht auf dem Liebhabertheater errungen , und mit panto¬ mimiſcher Heftigkeit womit er auf dieſem immer die ſchönſten Nachtmuſiken der klatſchen¬ den Hände gewonnen , nichts vor der Hand als Gegenliebe. Werthers Lotte kehrte ihm ſtolz den prangenden Rücken voll Locken, er lief außer ſich nach Hauſe, nahm Werthers Anzug und Piſtole und kam wieder. Dann trat er mit einem phyſiognomiſchen Orkan des Geſichts vor ſie hin und ſagte das Gewehr vorzei¬ gend er mache ſich hier auf dem Saale todt, falls ſie ihn verſtoße. Sie ſah ihn ein wenig zu vornehm an und fragte: was er wolle. Aber Werther halb trunken von Lottens Reizen, von Werthers Leiden und von Punſch drückte nach dem fünften oder ſechſten Nein (an öffentliches Agiren ſchon gewöhnt) vor der ganzen Maſquerade das Schießgewehr auf ſich ab, lädirte aber glücklicher Weiſe nurM 2180das linke Ohrläppchen ſo daß nichts mehr hineinzuhängen iſt und ſtreifte den Seiten¬ kopf. Sie entfloh plötzlich und reiſete ſogleich ab und er fiel blutend darnieder und wurde heimgetragen.

Dieſe Geſchichte blies viele Lampen an Fal¬ terle's Ehrenpforte aus und an Wehmeiers ſeiner an ; aber ſie ſetzte auf einmal Albinen in Angſt über den eben ſo wilden Tollkopf Al¬ bano. Sie fragte nach ihm in der Domeſtiken¬ ſtube; und der Bote half ihr auf die Spur durch den Knaben ohne Hut. Sie eilte ſelber in ihrem gewöhnlichen Uebermaaße der Angſt durch das Dorf hinaus. Ein guter Genius der Hofhund Melak war da der Muſculus Antagoniſta und Schlagbaum des Flüchtlings geworden. Melak wollte nämlich mit; und Alban wollte einen dem Schloßhofe ſo bedien¬ ten und öfter als der Nachtwächter darin ab¬ rufenden Schirmvoigt und Küſtenbewahrer wie¬ der heim haben. Melak war in ſeinen Sachen feſt; er verlangte Gründe, nämlich nachgewor¬ fene Prügel und Steine allein der weinende181 Knabe, deſſen glühende Hände die kalte Schnauze des gutwilligen Viehes erfriſchte, konnte ihm kein böſes Wort geben, ſondern er drehte bloß den wedelnden Hund um und ſagte leiſe: fort! Aber Melaken waren bloß laute Dekrete etwas; er kehrte immer wieder um; und in dieſen Inverſionen während welchen in Albano's ohnehin immer auf dem Brocken¬ gebirge ſtehenden Geiſt, der im Nebel Rieſen¬ formen ziehend wachſen ſah, ſeine Thränen und jedes unverdiente Wort tiefer einbrannten, fand ihn die unſchuldige Mutter.

Albano, ſagte ſie freundlich-verſtellt, in der kalten Nachtluft biſt du? Von die¬ ſem Nachgehen und Anreden der allein belei¬ digten Seele wurde ſeine volle, der eine Er¬ gießung es ſey durch Thränen oder Galle nö¬ thig war, ſo ſehr ergriffen, daß er mit einem gichteriſchen Reißen des überſpannten Herzens an ihren Hals aufſprang und ſich daran aufgelöſt und weinend hieng. Er konnte ihren Fragen ſeinen harten Entſchluß nicht geſtehen, ſondern drückte ſich bloß ſtärker an ihr Herz. Jetzt182 kam beſorgt auch der bereuende Direktor nach, den die kindliche Stellung umſchmolz und ſagte: närriſcher Teufel, hab 'ich es denn ſo böſe gemeint? und nahm zurückführend die kleine Hand. Wahrſcheinlich war Albanos Zürnen durch die ergoßne Liebe erſchöpft und durch den verſöhnten Ehrgeiz befriedigt; folgſam und ſogar was ſonderbar ſcheint mit größe¬ rer Liebe gegen Wehrfriz als gegen Albine gieng er mit ihnen zurück und weinte unter¬ wegs bloß aus zarter Bewegung.

Als er ins Zimmer trat, war ſein Angeſicht wie verklärt, obwohl ein wenig geſchwollen, die Thränen hatten den Trotz verſchwemmt und alle ſanfte Schönheitslinien ſeines Herzens auf ſein Geſicht gezogen, wie etwa der Regen die Himmelsblume, die in der Sonne nicht erſcheint, in durchſichtigen zitternden Fäden zeigt. Er ſtellte ſich aufmerkend an den Vater und behielt den ganzen Abend deſſen Hand; und Albine genoß in der doppelten Liebe ein doppeltes Glück; und ſogar auf den Geſichtern der Bedienten lagen zerſtreute Stücke von dem183 dritten Nebenregenbogen des häuslichen Frie¬ dens, dem Bundeszeichen der verlaufenen Was¬ ſersnoth.

Wahrlich, ich hab 'oft den Wunſch ge¬ than und nachher ein Gemälde daraus ge¬ macht , ich möchte dabei ſtehen können bei allen Ausſöhnungen in der Welt, weil uns keine Liebe ſo tief bewegt als die wieder¬ kehrende. Es müßte Unſterbliche rühren, wenn ſie die beladnen, vom Schickſal und von der Schuld oft ſo weit auseinandergehaltnen Menſchen ſähen, wie ſie gleich der Valisne¬ rie*)Die weibliche Valisnerie liegt zuſammenge¬ rollt unten im Waſſer, aus welchem ſie mit der Blumenknoſpe aufſteht, um im Freien zu blühen; die männliche macht ſich dann vom zu kurzen Stengel los und ſchwimmt mit ihrem trocknen Blütenſtaube der erſtern zu. , ſich vom ſumpfigen Boden abreißen und aufſteigen in ein ſchöneres Element und wie ſie nun in der freiern Höhe den Zwiſchenraum ih¬ rer Herzen überwinden und zuſammenkommen.

184

Aber es muß auch Unſterbliche ſchmerzen, wenn ſie uns unter dem ſchweren Gewitter des Lebens gegeneinander auf dem Schlacht¬ felde der Feindſchaft ausgerückt erblicken, un¬ ter doppelten Schlägen, und ſo tödtlich getrof¬ fen vom fernen Schickſal und von der nahen Hand, die uns verbinden ſollte!

185

Dritte Jobelperiode.

Methoden der beiden Kunſtgärtner in ihrer pädago¬ giſchen Pelzſchule Schutzſchrift für die Eitel¬ keit Morgenroth der Freundſchaft Morgen¬ ſtern der Liebe.

17. Zykel.

Wenn wir beide Schulſtuben aufmachen, ſo ſehen wir den Schachtelmagiſter Vormittags über den zweidottrigen Eiern des Eleven ſitzen und brüten, und den Exerzitienmeiſter Nach¬ mittags, ſo wie der Tauber das Neſt in jener Tagszeit, die Taube in dieſer hütet.

Wehmeier wollte nun ſo gut wie ſein Ne¬ benrenner, ſich mit ganz neuen Lehren des Zöglings bemeiſtern; aber neue für dieſen wa¬ ren neue für ihn ſelber. Wie die meiſten äl¬ tern Schullehrer wußt 'er von der Sternkunde186 außer dem Wenigen, was im Buch Joſua ſtand, und von der Naturkunde außer den we¬ nigen Irrthümern, die in ſeinen eher vergeſſe¬ nen als zerriſſenen Heften ſtanden, und von der Weltweisheit, außer der Gottſchedianiſchen, für die aber ein reiferer Eleve gehörte, und von andern Realien genau geſprochen nichts, aus¬ genommen etwas Hiſtorie. Kamen ihm zuweilen in ſeiner litterariſchen Sarawüſte, in welche ihn die quälende Schulſtunden-Schraube ohne Ende und die Bettel - oder Kröpelfuhre eines mehr verſchlackten als vererzten Lebens ohne Geld verwieſen hatten, neue Lehrmethoden oder neue Entdeckungen zu Ohren (zu Augen nie): ſo merkt' er den Augenblick, daß es ſeine eignen wären, nur ſchwach abgeändert; und er ver¬ hielt niemand das Plagium. Ich bitte aber alle ſeidene und gepuderte und lockige Prinzen - Inſtruktoren von Herzen, verdenket meinem ar¬ men von den ſchweren dicken Erdlagen des Schickſals tief überbaueten Wehmeier ſeine un¬ terirrdiſche Optik und ſein Krummſtehen nicht zu ſehr, ſondern zählt ſeine acht Kinder und ſeine acht Schulſtunden und ſeine nahen Funf¬187 ziger in ſeiner Lebens-Höhle von Antiparos und entſcheidet dann, ob der Mann damit wie¬ der herauskann ans Licht?

Aber von der Hiſtorie wußt 'er wie geſagt doch etwas; und dieſe ergriff er als pädagogi¬ ſchen Diebsdaumen und Fortunatus Wünſch¬ hut. Hatt' er nicht ſchon mit jener epiſchen ausmalenden Paraphraſe, womit er die kleinſte Marktflecken-Hiſtorie ſo intereſſant und lügen¬ haft erzählte (denn woher will ein guter Er¬ zähler die 1000 kleinern aber nöthigen Züge nehmen als aus der Luft?), ſeinem Albano Hübner's bibliſche äußerſt rührend vorgetra¬ gen? Und wer weinte dabei mehr, der Lehrer oder der Schüler?

Nun hatt 'er drei hiſtoriſche Wege vor ſich offen. Er konnte den geographiſchen ein¬ ſchlagen, der mit der elendeſten Geſchichte von der Welt anfängt, mit der Landesgeſchichte. Aber bloß höchſtens Britten und Gallier kön¬ nen die Geſchichte wie eine epiſche und eine Erdbeſchreibung von hinten anfangen; hinge¬ gen eine Haarhaarſche, eine Bayreuthiſche, eine Meklenburger Landesväter-Patriſtik giebt hoh¬188 len Zähnen hohle Nüſſe aufzubeißen, ohne Kern für Kopf und Herz. Und ſchwellet man nicht dadurch einen Holzzweig der Hiſtorie, auf welchen der Zufall der Geburt den jungen Borkenkäfer abgeſetzt, unverhältnißmäßig zu einem Stammbaume derſelben an? Und was fragt man z. B. in Berlin nach einer Mark¬ grafen -, oder in Hof nach der Hohenzolleriſchen - Regentenlinie?

Die zweite Methode iſt die chronologiſche oder die vornen anſpannende; dieſe hebt vom Geburtstage der Welt an, die nach Petav und den Rabbinen den 22ſten October*)Die vorhergehenden ſchönen Oktobertage ſo wie die Kanikularferien und der April und kurz der Vorreſt des Jahres wurden am gedachten 22ſten Oktober und dieſer ſelber nachgeschaffen. So lehn 'ich leicht die Frage nach der Vorzeit ab. Denn datirt einer die Welt anders, z. B. vom 20ſten März, wie Lipſius und die Patres tha¬ ten: ſo muß er immer zu meinem Nach¬ ſchaffen des Vorjahrs greifen, wenn ich ihm mit ſeiner eignen obigen Frage zu Leibe gehe. Vormit¬189 tags auf die Welt kam, ſchreitet zum 28ſten October, dem erſten Flegel - und Tölpel¬ tage des jungen Adams, dann über den 29ſten, den erſten Sonn - Buß - und Karenztag hinweg und ſo fort bis zum Karenz - und Bußtage des neueſten Adamsſöhnchens, das eben der Sache zuhorchen muß.

Dieſe Milchſtraße war unſerm Magiſter zu lang, zu öde, zu fremd. Er ſchiffte die mittlere Straße zwiſchen den vorigen, die nach den reichen beiden Indien der Geſchichte führt, nach Griechenland und Rom. Die Alten wirken mehr durch ihre Thaten als durch ihre Schriften auf uns, mehr auf das Herz wie auf den Geſchmack; ein gefallenes Jahrhundert um das andere empfängt von ihnen die dop¬ pelte Geſchichte als die zwei Sakramente und Gnadenmittel der moraliſchen Stärkung; und ihre Schriften, an welche ihre ſteinernen Kunſt¬ werke jede Nachwelt heften, ſind die ewige Bi¬ belanſtalt gegen jeden Verfall der Kanſteini¬ ſchen. Aber nun laſſet uns an einem ſchönen Sommermorgen etlichemale vor der Rektorats¬ wohnung vorbeigehen und es außen mit anhö¬190 ren, mit welcher Stimme der Magiſter drinnen obwohl in altväteriſchen Wendungen aus dem Plutarch dem biographiſchen Shakeſpear der Weltgeſchichte nicht die Schattenwelt von Staaten ſondern die darin glänzenden En¬ gel der Gemeine zitirt, die h. Familie großer Menſchen, und werfet im Vorbeigehen einen Blick auf das funkelnde Auge, womit der be¬ geiſterte Knabe an den moraliſchen Antiken hängt, die der Lehrer wie in einem Abgußſaale um ihn verſammlet. O wenn ſo die großen Wetterwolken der heroiſchen Vergangenheit ſich an Zeſarens Seele, wie an ein Gebirge hien¬ gen und daran mit ſtillem Blitzen und Tropfen niedergiengen: wurde da nicht das ganze Ge¬ birge mit himmliſchem Feuer geladen und al¬ les, was darauf grünte und keimte, befruchtet, erquickt und herausgetrieben? Und konnt 'er dann, ſo ſchön bewölkt, wohl in die tiefe Wirklichkeit ſchauen? Ja blieb es nicht dem Lehrer wie dem Schüler unter dem Marktge¬ töſe des römiſchen und des atheniſchen Forums, wo ſie im Gefolge Katos und Sokrates mit herumgiengen, völlig unbekannt, daß die rüſtige191 Magiſterin neben ihnen koche, bette, keife und ſcheuere? von den acht lärmenden Kindern ver¬ nahmen ſie ſchon der Menge wegen nichts, denn nur Eine ſauſende Mücke hält man nicht ohne entſetzliche Anſtrengung im Zimmer aus, leicht aber einen ganzen Schwarm. Eben ſo wurde die Schulſtube, auf deren Boden nichts fehlte was man in Kanarien-Hekkaſten zum Neſtmachen wirft, Heu, Moos, Rehhaar, aus¬ gezauſeter Flanell und fingerlanges Garn, bei¬ den durch den Fußboden der alten (geographi¬ ſchen und hiſtoriſchen) Welt zugedeckt, wel¬ cher, der römiſchen Paulskirche ihrem gleich, aus Marmortrümmern voll abgebrochener In¬ ſchriften beſteht.

18. Zykel.

Der Leſer iſt nun auf den Nachmittag, wo man den Eleven in die Polirmühle des Wie¬ ners ſchickt, begierig, wie er ſich da ſchleifen laſſe. Es muß ihn noch begieriger machen, wenn ich nachhole, daß Wehmeier, der wie an¬ dere Gelehrte dem Elephanten an Verſtand und Plumpheit glich, nichts in der alten192 Geſchichte lieber fand und alſo abmalte , als einen großen Mann, der wenig anhatte, wie z. B. Diogenes, oder der baarfuß gieng, wie Kato, oder unbalbirt wie die Philoſophen; ja er fiel in die Mittelmark ein und holte ſich Friedrichs II Kleider heraus, womit er ſoviel gewann als Mr. Pagé in Paris, und trug deſſen Hemden wie des edlen Saladins ſeines und unter einerlei Ausrufungen, auf Stangen zur Schau und entwarf als ein zweiter Schei¬ ner die beſte Karte, die wir von den Sonnen¬ flecken des Tabacks auf Friedrich haben. Dann nahm er dieſe nackten rauhen Koloſſen und ſchlichtete ſie ſämmtlich in die eine Wagſchaale auf, und in die andere warf er getäfelte leichte Figuren wie Falterle und die Nürnberger ge¬ leckten Kindergärtchen von neuern Höfen und erſuchte den Scholaren, acht zu geben, wohin das wägende Zünglein ſchlage.

Ich bin hier nicht ganz auf deiner Seite, Magiſter, da kraftvolle Jünglinge ohnehin die Folie des Zeremonialgeſetzes zu leicht zerreißen, und oft die Folienſchläger, die Oberzeremonien¬ meiſter, dazu; für Schwache iſt die Methode gut.

Kam193

Kam nun Albano zum Exerzizienmeiſter: ſo konnt 'er vor dem lauten Nachklange der vorigen Stunde weil Kinder von einer ge¬ wiſſen Tiefe, wie Gebäude von einiger Größe ein Echo geben das nur ſchwach verneh¬ men, was Falterle befahl, und nur, wenn er einige Tage ohne die hiſtoriſche Rührung blieb, wurd' er für die kleinern Lehrſtunden weiter offen, wie vergoldete Sachen erſt, wenn das Gold herunter iſt, ſich verſilbern laſſen. Das Unglück war noch, daß er ſeine Frohntänze gerade neben der Schreibſtube des Direktors, der da in eignen[begriffen] war, zu machen hatte. Es traf ſich oft, daß Wehrfriz, wenn Alban ſo zerſtreuet wie eine verliebte Moitiſtin, in der Anglaiſe aufmerkte, drinnen unter dem Diktiren ſchrie: ins drei Teufels Namen, chaſſir '! Eben ſo viele Fälle würde man aufzählen können, wo der Mann, wenn der Muſikmeiſter wie ein Trommelbaß mit ewigem Ermahnen zum Piano unter dem Adagio weg¬ lief, drinnen mit dem erdenklichſten Fortiſſimo rufen mußte: Pianiſſimo, Satan, Pianiſſimo! Einigemale mußt' er von ſeinen ArbeitenTitan. I. N194aufſtehen, wenn in der Fechtſtunde alles Zu¬ reden zur Quarte nichts half, und die Thür 'aufmachen und ergrimmt zum Wiener ſagen: Um Gottes Willen, Herr, ſeyn Sie doch kein Haaſe und ſtoßen Sie ihm derb aufs Leder, wenn er nicht aufpaßt worauf der höf¬ liche Fechtmeiſter nur leiſe zu Quartſtößen an¬ friſchte.

Gleichwohl lernt 'er viel; in ſo frühen Jahren ſetzet man ſich weder über den Putz, noch über die ſchönen Künſte eines Falterle hinweg, der noch dazu mit dem zauberiſchen Vorzuge mächtig war in der verbotnen Haupt¬ ſtadt geglänzt und gelehrt zu haben. Bloß der laute Aufſchritt und die Stiefel waren dem Zöglinge nicht zu nehmen; aber die Achſeln waren im Kurzen wagrecht und der Kopf ſteil¬ recht gedrückt und die oſzillirenden Finger ſammt dem regen Körper mit einem Stahl¬ ſchen Augenhalter feſtgemacht. Ueberhaupt ha¬ ben Menſchen mit einer liberalen Seele in einem ſchöngebauten Körper ſchon ohne Fal¬ terle's Spalierwand und Scheere einen gefälli¬ gen Stand und Wuchs. Dabei hatte er den195 niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬ ligen erſten Menſchenliebe, womit ein Kinderherz ſich an alle Leute des Hauſes und des Dorfes anklammert, ſchon darum lieb, weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬ ger, ja innen um den Goldring ſelber aufwik¬ keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬ nen Vlieſſes wie von einem Könige ſprach und log, und weil er die gefälligſte Haut war, die je über die Erde lief.

Da ich in meinen Biographien Duldung und eine vielſeitige Gerechtigkeit gegen alle Karaktere lehren will: ſo muß ich hier mit meinem Muſter der Toleranz vorangehen, in¬ dem ich von Falterle bemerke, daß ſeine arme dünne Seele ſich ſelber nicht unter den ſteinernen Geſetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬ gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬ was an? Nicht einmal Damen, für welche er zwar gleich einem Kupferſtecher, immer vor dem Spiegel arbeitete an ſeinem Ich, allein nur um mit dieſem Kunſtwerke, gleich andern Figuri¬ ſten reine Schönheiten darzuſtellen, nichtN 2196aber ſolche zu verführen. Das Seewaſſer ſeines Lebens denn er iſt weder ein Millio¬ när noch eben der größte Gelehrte des Säkuls, ob er wohl bei vielen Bücherverleihern herum¬ geleſen, ſüßet er ſich durch das Schönheitswas¬ ſer ab, worin er ſich ſtündlich badet. Er ſäuft und friſſet faſt nichts; flucht und ſchwört er, ſo thut ers in fremden Sprachen wie der Päbſtler darin betet, und ſchmeichelt wenigen außer ſich.

Der Eitle und noch mehr die Eitle has¬ ſen Eitle viel zu ſtark, die doch mehr am Kopfe als am Willen ſiechen. Ich kann mich hier freudig auf jeden denkenden Leſer berufen, ob er ſich je, wenn er eben ungewöhnlich eitel einhertrat, tiefe Gewiſſensbiſſe oder Mißtöne im Ich verſpürt zu haben entſinnt, welche doch niemals fehlten, wenn er ſehr log oder zu hart war; er nahm vielmehr ein ungemein liebliches Schaukeln ſeines innern Menſchen in der Pa¬ radewiege wahr. Daher wird ein Eitler ſo ſchwer wie ein Spieler kurirt. Aber auch noch darum: die meiſten Sünden ſind Kaſualpredig¬ ten und Gelegenheitsgedichte und müſſen häu¬197 fig ausgeſetzet werden, vom 3ten bis 10ten Gebote inclus. Die Ehe, den Sabbath, das Wort kann man nicht zu jeder gegebenen Stunde brechen. Verläumden kann einer ſo wenig als kegeln oder duelliren mit ſich ſelber viele beträchtliche Laſter ſind nur an der Oſtermeſſe oder am Neujahrstage oder im Palais royal oder im Vatikan zu verüben manche königliche, marggräfliche, fürſtliche im ganzen Leben nur einmal manche gar nicht, z. B. die Sünde gegen den h. Geiſt. Hingegen ſich innerlich preiſen und be¬ kränzen kann einer Tag und Nacht, Sommer und Winter, an jedem Orte, auf dem Katheder, im Prater, im Generalszelte, hinten auf der Schlittenpritſche, auf dem Fürſtenſtuhle, in ganz Deutſchland, z. B. in Weimar. Wie? und dieſe perennirende Balſamſtaude, die den innern Menſchen immerwährend anräuchert, ſollte man ſich ausziehen oder beſchneiden laſſen?

19. Zykel.

Alle dieſe Geſchäfte und Dornen waren für Albano recht gute ſpitze Erdbeben-Ableiter, da198 in ſeiner Bruſt ſchon mehr unterirrdiſche Ge¬ wittermaterie umherzog als zum Zerſprengen der dünnen Bruſthöhle eines Menſchen nöthig iſt. Nun kam er immer tiefer in die wilden Donnermonate des Lebens. Die Sehnſucht, Don Zeſara zu ſehen, entflammte ſich an der römiſchen Geſchichte mehr, welche Zäſars kolos¬ ſaliſches Bild vor ihm in die Höhe ſtellte und darunter ſchrieb: Zeſara. Die verhüllte Lindenſtadt wurde von ſeiner Phantaſie auf ſie¬ ben Hügeln getragen und zum Rom erhoben. Ein Poſthorn ſchallte in ſein Innerſtes wie ein Schweizer Kuhreigen, der alle Höhen unſerer Wünſche in langen Bergketten glänzend, in den Aether hinausbauet; und es blies ihm das Zei¬ chen zum Aufbruch und alle Städte der Erde la¬ gen mit offnen Thoren und mit breiten Fuhrſtra¬ ßen um ihn herum. Und wenn er[] in jener Zeit an einem kalten hellen Sommermorgen neben einem nach Peſtiz gehenden Regimente ſo lange metriſch mitzog, als die Trommeln und die Pfeifen lärmten: ſo feierte ſeine Seele ein Händelſches Alexandersfeſt ſie hörte die Vergangenheit das Fahren der Triumphwa¬199 gen das Gehen der ſpartiſchen Heere und ihre Flöten und die helle Trompete der Fama und wie unter den letzten Poſaunen erſtand ſeine Seele unter lauter glänzenden Todten aus der aufgeriegelten Erde und zog mit ihnen weiter.

Wenn die Geſchichte einen edlen Jüngling in die Ebene von Marathon und auf das Ka¬ pitolium führt: ſo will er an ſeiner Seite einen Freund, einen Waffenbruder haben aber auch weiter nichts, keine Waffenſchweſter; denn einem Heros ſchadet eine Heroine ſehr. In den ſtarken Jüngling zieht die Freundſchaft eher als die Liebe ein; jene erſcheint wie die Lerche im Vorfrühlinge des Lebens und geht erſt im ſpäten Herbſte fort; dieſe[kommt] und fliehet wie die Wachtel, mit der warmen Zeit. Albano hörte ſchon dieſe Lerche unſichtbar in den Lüften über ihm ſchmettern; er fand einen Freund, nicht in Blumenbühl, nicht in der Lindenſtadt, an keinem Orte, ſondern in ſeiner Bruſt; aber dieſen hieß er Roquairol.

Die Sache war dieſe: für Leute, wie ich, iſt das Landleben der Honig, worin ſie die200 Pille des Stadtlebens einnehmen; Falterle hin¬ gegen brachte das bittre Landleben nicht ohne die Verſilberung des Stadtlebens hinunter; wöchentlich lief er dreimal nach Peſtiz, entwe¬ der in die Logen der Liebhabertheater als Dra¬ maturg oder auf dieſe ſelber als Akteur. Nun nahm er jedesmal ſein Rollenbüchlein aufs Dorf hinaus und ſtudirte da im Vertrauen auf die Komödienprobe ſeine Rolle inſula¬ riſch ohne die kollegialiſchen ein; ſo wie noch jeder Staatsdiener ſeine ohne einen Blick in die mitſpielenden memorirt; daher jeder von uns nur aus Einer Seelenkraft beſteht, und, wie in der ruſſiſchen Jagdmuſik, nur Einen Ton zu pfeifen weiß und ſeine Stärke ins Pauſiren ſetzen muß. In dieſen von Falterle geliehe¬ nen Bruchſtücken der Bühne gieng nun Albano mit einem Entzücken herum, das jener bald höher zu treiben ſuchte, durch den Tauſch der ganzen dramatiſchen Weltgloben gegen dieſe Kugelſektoren.

Der Wiener hatt 'ihm längſt den ſelbſt¬ mörderiſchen Wildfang Roquairol als ein Ge¬ nie im Lernen beſonders ſich als eines im201 Lehren vorgelobt; jetzt führt' er den Be¬ weis aus den großen Rollen, die der Wildfang immer gut ſpiele, Uebrigens war es nicht ſeine Schuld, daß er den Miniſters Sohn nicht un¬ gemein herunterſetzte, dem er nicht nur die theatraliſchen Siege beneidete, ſondern auch die erotiſchen. Denn der phantaſiereiche Ro¬ quairol hatte mit dem Selbſtſchuſſe des 13ten Jahres das ganze weibliche Geſchlecht ſalutirt und gewonnen und ſich zum Opferprieſter aus einem Opferthiere gemacht und zum Regiſſeur des ans Liebhabertheater geſtoßenen Liebhabe¬ rinnentheater, indeß der ſcheue blöde Falterle mit ſeiner todtgebohrnen Phantaſie keine Schöne zu einem andern Schritte brachte, als zum Rückpas im Menuet, und ſtatt der Setzung ſeines Ichs zu nichts als zur Fingerſetzung. Aber der Eitle kann andern kein Lob verſagen, das ſein eignes wird.

Wie mußte das alles unſern Freund für einen Jüngling gewinnen, den er bald als Karl Moor bald als Hamlet als Kla¬ vigo als Egmont durch ſeine Seele gehen ſah! Was den bekannten Retudenſchuß in202 frühern Jobelperioden anlangt, ſo mußte unſer ſo unerfahrner Herkules, den der blanke Dolch des Kato blendete, einem ſo verwandten Hera¬ kliden den Schuß als eine ſeiner tragiſchen 12 Arbeiten anrechnen. Der Lehnprobſt Ha¬ fenreffer erzählt ſogar, Albano habe einmal mit dem Wiener, der längſt aus einem Schul¬ lehrer zu einem Schulkameraden herunter war, über die ſchönſten Todesarten geſtritten und ſey gegen den ſanften Falterle, der ſich für den Schlaftrunk erklärte, auf Roquairols Seite ge¬ treten, ſogar mit dem ſtärkern Zuſatze: am liebſten ſtieg 'er auf einen Thurm und zöge den Wetterſtrahl auf ſeinen Kopf! Im letztern zeigt er das hohe Gefühl der Alten, die den Donnertod für keine Verdammniß, ſondern für eine Vergötterung hielten; ſollt' aber nicht der Körper etwas dabei thun, da ſeine Ellen¬ bogen und ſeine Haare oft im Finſtern elektri¬ ſches Feuer ausſprühen und ſein Kopf in der Wiege mehrmals einen heiligen Zirkel aus¬ ſtrahlt? Der Lehnprobſt iſt ſehr dafür.

Albano konnte ſein feuriges Herz am Ende nicht anders kühlen als daß er Papier nahm203 und an den Unſichtbaren ſchrieb und es dem Wiener zu beſtellen gab. Falterle, der die Ge¬ fälligkeit ſelber war und dabei auch die Unwahrheit ſelber , nahm trotz ſeiner Abnei¬ gung gegen Roquairol die Briefe herzlich gern mit, ich bin beim Miniſter ja wie zu Hauſe ſagt 'er , beſtellte aber, da er ſo¬ wohl im ſtolzen Froulayſchen Pallaſte als bei dem Sohne wenig galt, keinen einzigen und brachte bloß jedesmal eine neue gültige Urſache mit, warum Roquairol nicht darauf antworten können; er war entweder zu ſehr in der Arbeit oder auf dem Krankenſtuhle oder in Geſell¬ ſchaft jedesmal aber entzückt darüber gewe¬ ſen; und unſer argloſer Jüngling glaubte alles feſt und ſchrieb und hoffte fort. Vom Legazionsrathe wär' es brav geweſen, wenn er mich, falls er anders konnte, ſich verbindlich gemacht und mir Albanos Palm-Blätter eines liebenden Herzens eingeliefert hätte; nicht für das Archiv dieſes Buchs, ſondern bloß für meine Manualakten, für den Blumenblätterka¬ talog, den ich mir zu eignem Gebrauche von Albano's Nelkenflore hefte und leime.

204

20. Zykel.

Plötzlich wurde unſer Zeſara, der in die Jahre trat, wo der Geſang der Dichter und der Nachtigallen tiefer in die aufgeweichte Seele quillt, ein anderer Menſch. Er wurde ſtiller und wilder zugleich, ſanfter und aufbrauſen¬ der, wie er denn einmal einem unter Prügeln ſchreienden Hunde im wildeſten Harniſche zu Hülfe lief Himmel und Erde, die bisher in ihm wie nach dem ägyptiſchen Syſteme, in ein¬ ander gelegen, nämlich das Ideal und die Wirklichkeit, arbeiteten ſich voneinander los und der Himmel ſtieg rein und hoch und glän¬ zend zurück über die innere Welt gieng eine Sonne auf und über die äußere ein Mond, aber beide Welten und Halbkugeln zogen ſich zu einer ganzen an ſein Aufſchritt wurde langſamer, ſein helles Auge träumeriſch, ſeine Athleten-Gymnaſtik ſeltener er mußte jetzt alle Menſchen wärmer lieben und ſie näher fühlen, und er fiel oft ſeiner Pflegemutter mit geſchloſſenen Augen zitternd um den Hals oder nahm draußen im Freien von dem verreiſenden205 Pflegevater einen einſamern und heißern Ab¬ ſchied.

Und nun wurde vor ſolchen reinen und ſcharfen Augen der Ifis-Schleier der Natur durchſichtig und eine lebendige Göttin blickte mit ſeelenvollen Zügen darunter in ſein Herz. Ach als wenn er ſeine Mutter fände, ſo fand er jetzt die Natur jetzt erſt wußt 'er, was der Frühling ſey und der Mond und das Mor¬ genroth und die Sternennacht ..... Ach wir haben es alle einmal gewußt, wir wurden alle einmal von der Morgenröthe des Lebens ge¬ färbt! .... O warum achten wir nicht alle erſten Regungen der menſchlichen Natur für heilig, als Erſtlinge für den göttlichen Altar? Es giebt ja nichts Reineres und Wärmeres als unſere erſte Freundſchaft, unſere erſte Liebe, un¬ ſer erſtes Streben nach Wahrheiten, unſer er¬ ſtes Gefühl für die Natur; wie Adam, werden wir erſt aus Unſterblichen Sterbliche; wie Ägypter werden wir früher von Göttern als Menſchen regiert; und das Ideal eilet der Wirklichkeit wie bei einigen Bäumen, die wei¬ chen Blüthen den breiten rohen Blättern206 vor, damit nicht dieſe ſich vor das Stäuben und Befruchten jener ſtellen.

Wenn oft Albano von ſeinen innern und äußern Irrgängen nach Hauſe kam, zugleich trunken und durſtig zugleich mit geſchlos¬ ſenen Sinnen und mit geſchärften, träu¬ mend aber wie Schläfer, die das Auslöſchen des Lichts herber empfinden : ſo braucht 'es freilich wenige kalte Tropfen von kalten Worten, damit die heiße in Fluß gebrachte Seele von den fremden kalten Körpern in Zick¬ zack und Klumpen zerſchoß, indeß eine warme Form den Guß zur lieblichſten Geſtalt gerün¬ det hätte.

Bei ſo bewandten Umſtänden wird ſich frei¬ lich keiner wundern über das, was ich bald berichten werde. Der Tanz - Muſik - und Fecht - Meiſter, der wenig auf ſeine Pas, Griffe und Stöße großthat, aber deſtomehr auf ſeine (Reichstags -) Litteratur denn die neuen Monatsnamen, die Klopſtockſche Rechtſchrei¬ bung und die lateiniſchen Lettern in deutſchen Briefen hatt 'er früher in ſeinen als einer von uns wollte dem Wehrfriziſchen Hauſe gern207 zeigen, daß er ein wenig mehr von Litteratur verſtehe und da wiſſe wo der Haaſe liegt, als andere Wiener (um ſo mehr, da er gar nichts las, nicht einmal politiſche Zeitungen und Ro¬ mane, weil ihm lebendige wahre Menſchen lie¬ ber waren); er trat daher nie ins Haus, ohne zwei Taſchen voll Romane und Verſe für Ra¬ bette und Albano. Dazu half ſeine unendliche Dienſtbefliſſenheit und ſein kollegialiſches Wettrennen mit Wehmeier im Bilden und ſein Antheilnehmen am verſtummenden Jüng¬ linge, dem er aus den ſüßen Träumen, die der Rubin*)Man glaubte ſonſt, daß ein Rubin ange¬ nehme Träume gebe. des glänzenden jugendlichen Le¬ bens ſchenkt, mit den exegetiſchen Traumbü¬ chern, den Dichterwerken helfen wollte. Die Umwälzung des Jünglings, der nun ganze romantiſche Everdingens Wieſen abmähete und ganze poetiſche Huyſums Blumenrabatten ab¬ pflückte, auch nur leidlich zu ſchildern, hab 'ich jetzt wegen der oben verſprochnen Wunderſache weder Zeit noch Luſt; genug, daß Albano, ſo208 daſitzend der Himmel der Dichtkunſt vor ihm aufgethan, das gelobte Land des Romans vor ihm ausgebreitet einem Erdballe glich, an welchen mehrere Schwanzſterne ſich brauſend anwerfen und der mit ihnen gemeinſchaftlich aufbrennt.

Allein wie weiter? der Wiener, das muß ich noch vorher ſagen, war ein eitler Narr (wenigſtens in Punkten der Demuth, z. B. ſei¬ ner Zwergfüße, ſeiner Litteratur, ſeines Glücks bei Weibern) und ließ beſonders durch ver¬ traute Gemälde von Großen und Damen gern auf ſein Föderativſyſtem mit den Originalen ſchließen. Der arme Teufel war freilich arm und glaubte mit mehrern Autoren, er und dieſe hätten ungleich dem Salomo, der Weisheit erbat und Gold erhielt umgekehrt das Unglück gehabt, nur erſtere zu empfangen, indeß ſie um letzteres geworben. Kurz aus ſolchen Gründen wollt 'er im Vorbeigehen geſagt gern den Glauben im Wehrfrizi¬ ſchen Hauſe ausgebreitet wiſſen, daß er ſehr gut ſtehe bei ſeiner vorigen Schülerinn, der Mi¬ niſters Tochter Liane glaub' ich, wenn ichanders209anders Hafenreffers Hand richtig leſe , und daß er ſie oft genug ſehe und ſpreche bei ihrer Mutter. Dazu kam noch, daß kein wahres Wort daran war; durch den Tempel, worin Liane war, gieng kein Durchgang für ihn. Allein um ſo weniger konnt 'er den Direk¬ tor vorauslaſſen, der ſie öfters ſah und zu Hauſe immer eifriger lobte, bloß um die roh¬ unſchuldige von niemand je erzogne Rabette auszuſchelten. Der Wiener wollte freilich auch noch den Grafen dem er nur die Küſte der Freundſchaftsinſel Roquairols von weitem zeigte, aber keine Anfuhrt zur Landung durch die Schweſter liſtig von dem Bruder ablenken, (er war unvermögend, ihn länger zu belügen und hinzuhalten): denn warum malt' ers ihm ſo lange aus, wie giftig vor einigen Jahren der Nacht - und Todesfroſt über den Retraite¬ ſchuß des Bruders, den ſie zu innig liebe, auf dieſe ſo zarten weißen Herzblätter gefallen ſey?

Oefters hieng er unter dem Eſſen breite von Wehrfriz kontraſignirte Meritentafeln von Lianens muſikaliſchen und maleriſchen Fort¬ ſchritten auf, um ſcheinbar ſeinen Klavier¬Titan. I. D210und Zeichenſchüler zu größern anzutreiben. Denn wär 'es nicht ſcheinbar: warum klebt' er eben ſo lange Altarsblätter von Lianens Reizen bei Rabetten auf, bei dieſer Unpartheiiſchen, die, nur mit Pfarrers - nicht mit Miniſters - Töchtern wettrennend, faſt ſo freudig ſtädti¬ ſche Schönheiten, wie wir Homeriſche, prei¬ ſen hörte und vor der nur ein windiger Tropf, der ſich vor Weibern aufrecht und im Sattel durch Lobgeſänge auf fremde erhalten will, ſeine auf Lianen anſtimmen konnte. Wahrlich, vor einer ſo reſignirten und neidloſen Seele als Rabette war zumal da ihre Geſichtshaut und Hände und Haare nicht am weichſten wa¬ ren wenigſtens härter als die Falterleſchen wär 'ich um keine Medaille in der Welt im Stande geweſen, wie ers doch war , den glücklichen Erfolg näher zu koloriren, womit der Miniſter um Lianens ungewöhnliche Schön¬ heit der jüngern Jahre durch Erziehung in die jetzigen herüberzubringen, das Seinige gethan durch zarte und faſt magere Koſt durch Ein¬ ſchnüren durch Zuſperren ſeines Orangerie¬ hauſes, deſſen Fenſter er ſelten von dieſer211 Blume eines mildern Klimas abhob noch weniger hätt' ich wie er malen können, daß ſie dadurch ein zartes nur aus Paſtelſtaub zuſam¬ mengelegtes Gebilde geworden, das die Wind¬ ſtöße des Schickſals und die Paſſatwinde des Climas faſt zerblaſen können und daß ſie ſich wirklich nur mit Seifenſpiritus waſchen könne und nur mit den weichſten Linnen ohne Schmerzen trocknen und nicht drei Stachelbee¬ ren ohne blutende Finger abnehmen.

Der flache Wiener, der vor keinem auf einer Bergkuppe ſtehenden Manne von Stande unten im Sumpfe den Huth abziehen konnte, ohne leiſe dabei zu ſagen: Ihr ganz unterthä¬ nigſter! und der von vornehmen Leuten höch¬ ſtens nur im vertrauten oder ſatiriſchen Tone (ſeine Konnexion zu zeigen) aber nie im ernſt¬ haft-kritiſchen ſprach, war freilich was doch ſeine Pflicht war nicht im Stande, den al¬ ten Froulay einen feſten ſcharfen Leichenſtein zu heißen, unter welchem zwei ſo weiche Blu¬ men wie ſeine Frau mit dem ihr angeſchlunge¬ nen Epheu, mit Lianen, ſich gebogen und ge¬ drückt ans Licht aufwinden. H. v. HafenrefferO 2212macht hier zu ſeiner Ehre in Betracht, daß er ein Legazionsrath und Lehnprobſt iſt die ganz andere, gefühlvollere Bemerkung, daß die har¬ ten Erdſchichten ſolcher Verhältniſſe wodurch Lianens Lebensquelle dringen und ſikern müſſe, dieſe reiner und heller machen, ſo wie alle harte Schichten Filtrirſteine des Waſſers ſind und alle ihre Reize werden zwar durch ihren Vater Quaalen, aber auch alle ihre Quaalen durch ihr Dulden Reize.

Aber, guter Zeſara! wenn du nun das alles täglich hören mußt, und wenn der Exerzitienmeiſter ohnehin nicht zu ſchildern ver¬ giſſet, wie ſie ihn nie mit einer ungehorſamen Mine, oder einer Zögerung gekränkt, wie froh ſie ihm die papiernen Stundenmarken und am Ende das Schulgeld oder eine Einladung ge¬ bracht und wie beſorgt und mild und höf¬ lich ſie gegen ihre Dienerſchaft geweſen und wie man hätte denken ſollen, ihr Herz könne nicht wärmer werden, als ſchon die Menſchen¬ liebe es mache, hätte man nicht ihre noch hei¬ ßere Tochterliebe gegen die Mutter geſehn guter Zeſara, ſag 'ich, wenn du das alles213 neben deinen Romanen vernimmſt und noch dazu von der Schweſter deines Roquairols, weil jeder, wenn es nur halb praktikabel iſt, ſich gern mit der Schweſter ſeines Freundes einſpinnt in Eine Chryſalide und noch über¬ dieß von einem Mädchen in der geheiligten Lindenſtadt, um welche Don Gaſpard wie die alten Preußen*)Arnolds Kirchengeſchichte von Preußen. 1. B. um ihre Götter-Haine, noch myſtiſche Vorhänge herumzieht und was ärger als alles iſt, gerade nach deinem 16½ Jahre, Zeſara, wo ſchon die Mouſſons und Frühlings¬ winde der Leidenſchaften über die Blutwellen fahren! Denn früher freilich wars allerdings von dir mitten im gelehrten Kränzchen von ſo vielen Linguiſten d. h. von Büchern der Linguiſten von Eklektikern Ober-Ra¬ binern von 10 Weiſen aus Morgen - und aus Griechenland und wegen der unge¬ mein blendenden Epiktetslampen, die das gedachte Weiſen-Dezemvirat Tags-Sterne der Weiſen angezündet hatte, da wars wenig zu vermuthen, daß dir Amors Turiner Licht¬214 chen, das er noch unaufgebrochen in der Taſche hatte, ſehr ins Auge fallen möchte! Aber jetzt, mein Lieber, jetzt ſag ich! Wahrlich nirgends war es uns allen weniger übel zu nehmen, wenn wir ungemein attent darauf ſind, was er im 21ſten Zykel macht, als im zwanzigſten.

215

Vierte Jobelperiode.

Hoher Styl der Liebe der gothaiſche Taſchenkalen¬ der Träume auf dem Thurme das Abend¬ mahl und das Donnerwetter die Nachtreiſe ins Elyſium neue Akteurs und Bühnen und das Ultimatum der Schuljahre.

21. Zykel.

Wie viele ſeelige Adams von 16½ Jahren werden gerade jetzt in ihrer Sieſte im Graſe des Paradieſes liegen und aus Theilen ihres eignen Herzens deſſen künftige Schoßjüngerinn erſchaffen ſehen! Aber ſie ſuchen ſie nicht wie der erſte Adam, neben ſich auf der Bauſtelle ſondern recht weit vom eignen Lager, weil die Ferne des Raums ſo glänzend verherrlicht wie die Ferne der Zeit. Daher ſetzet ſich jeder Jüngling mit dem Glauben auf die Poſt, daß216 in den Städten, wohin er eingeſchrieben iſt, ganz andere und göttlichere Madonnen unter der Hausthüre ſtehen als in ſeiner verdamm¬ ten; und die Jünglinge jener Städte ſitzen wieder ihrer Seits auf dem ankommenden Poſt¬ wagen und fahren hoffend in ſeine hinein.

Ach das klingt für alles, was ich vorhabe, viel zu rauh und roh, und mir iſt als bring 'ich dem Leſer ſtatt des lebendigen fliegenden Roſendufts nur die ſtarre ſchwere dicke Porzel¬ lanroſe! Albano, ich will dein ſtilles, dicht verhangenes Herz aufdecken und aufſchließen, damit wir alle darin Lianens Heiligenbild, die aufſchwebende Raphaels Marie, aber, wie Hei¬ ligengeſtalten in der Leidenswoche, hinter dem Schleier hängen ſehen, den du bebend wegzie¬ heſt, um es anzubeten, wenn du die Andachts¬ bücher die Romane aufſchlägſt und wenn du darin die Gebete antrifſt, die deiner Heili¬ gen gehören. Sogar mir wird es ſchwer, nicht, wie du und die Alten, den Namen deiner Schutzgöttinn zu verheimlichen über innere Geiſtererſcheinungen (denn äußere ſind Körper¬ erſcheinungen) ſchweiget der Seher gern neun217 Tage lang und bei deinem blöden Glauben an einen tauſendmal höhern Tugendgehalt Lia¬ nens als deiner iſt, und bei deiner heiligen Ehr¬ liebe, die über die fremde wacht, iſt dirs frei¬ lich ein Räthſel, wie andere, z. B. der Wiener oder Wehrfriz ohne das geringſte Erröthen ſo laut und lieb von ihr ſprechen konnten, da du ſelber kaum wagſt, vor andern viel von ihr zu träumen. Wahrlich, Albano iſt ein gu¬ ter Menſch! ferner, wie vollends eine ſolche in gediegnen Aether vererzte lichte Pſyche wie Liane, etwa gleich dem auferſtandnen Chriſtus, Karpfen eſſen und ausgräten könne oder mit den langen hölzernen Heugabeln im Klei¬ nen, den Sallatſchober im blauen Napfe umſte¬ chen oder in der Sänfte ein halb Pfund mehr wiegen als ein blauer Schmetterling oder wie ſie laut lachen könne (das that ſie aber auch nie, mein Freund!); alles das und überhaupt der ganze kleine Dienſt des beleib¬ ten Erdenlebens war dem geflügelten Jüng¬ linge ein Räthſel und eine wahre Unmöglichkeit oder die Wirklichkeit davon eine Fixſternbe¬ deckung: was ſoll ichs verhalten, daß er218 über ein Paar in welſche Felſen eingeſtampfte Fußtritte von Engeln ſchwächer erſtaunet wäre als über ein Paar von Lianen in der Erde, und daß er für irgend eine irrdiſche Spur und Reliquie von ihr ich nenne nur einen Zwirn¬ wickler oder eine Tambourblume nichts ge¬ ringeres hingegeben hätte als ganze Klaftern vom h. Kreuze ſammt den Fäſſern der h. Nä¬ gel und mehrere apoſtoliſche Kleiderſchränke ſammt den h. Doubletten-Leibern dazu.

So hab 'ich oft ſehnlich gewünſcht, nur ein Pfund Erde vom Monde, oder nur eine Düte voll Sonnenſtäubchen aus der Sonne, vor mir auf dem Tiſche zu haben und anzu¬ greifen. So ſchweben wir meiſten Autoren von Gewicht einem Leſer außer Landes, als ähnliche feine ätheriſche Gebilde vor, von de¬ nen ſchwer zu faſſen iſt, wie ſie nur einen Schnitt Schinken, oder ein Glas Märzbier oder ein Paar Stiefel gebrauchen können; es iſt als wenn die Leute zuſammenführen, wenn ſie etwas leſen oder ſehen müſſen von Leſſings Raſirmeſſer Shakeſpears engliſchem Sattel Rouſſeau's Bärenmütze des Pſalmodiſten219 Davids Nabel Homers Aermel Gellerts Zopfband Ramlers Schlafmütze und der Glatze unter der meinigen, wiewohl ſie wenig mehr bedeutet.

Der alte Landesdirektor that zur Heilig¬ ſprechung Lianens da eine Jungfrau durch nichts ſo viel bei einem Jünglinge gewinnt als durch Lobreden, die ihr ſeine Eltern geben dadurch anſehnliche Zuſchüſſe, daß er die länd¬ lich - und wie er ſelber lachende Rabette häufig mit jener wog, und ſeine nachgiebige Frau heimlich mit der ſtrengen Miniſterinn; er nahm dann Gelegenheit, auseinander zu ſetzen, nach welchen ſtrengen Regeln des reinen Satzes dieſe Kontrapunktiſtin die melodiſchen Töne Lianens harmoniſch ordne und wie ſie beſonders Roh¬ heit und Gelächter ausmärze. Die weiblichen Seelen ſind Pfauen, deren Juwelen-Gefieder man in reinen und geweißten Wohnungen un¬ terbringen muß, indeß unſere in Entenſtällen ſauber bleiben. Albano zeichnete ſich Mutter und Tochter bloß in den doppelten Geſtalten vor, worin uns Maler die Engel geben, näm¬ lich die verſtändige ſtrenge Mutter als einen220 der in einer langen Wolke ſteckt nur mit dem Kopfe ſichtbar, und Liane als ein verklärtes Kind, das mit den zarten Flügeln eine weiße Wolke umflattert.

Nur etwas, und wär's eine verblichene zerfallne Roſe aus Seide, wünſcht 'er ſich herzlich aus Peſtiz, und konnte doch ver¬ ſchämt den Wiener um nichts erſuchen als ganz zuletzt nach langem Sinnen, obwohl verräthe¬ riſch-erglühend um eine Stunden-Marke; denn er habe noch keine geſehen ſagt' er. Falterle hatte noch eine in der Taſche die Zahl 15, Lianens voriges Alter, ſtand darauf ſie konnte die Zahl recht gut geſchrieben haben etwas wars immer. Ach konnt 'er denn den Direktor nicht lieber um Romane aus der Handbibliothek der Miniſterinn angehen, in welchen die Tochter gewiß geleſen, ja ſogar einige Leſezeichen vergeſſen haben wird? Er thats auch; aber Wehrfriz verwünſchte und verurtheilte zuerſt alle Romane als vergiftete Briefe; auch vergaß ers über fünfmal, einige zu fordern; und endlich bracht' er ihm einen von Mde. Genlis mit, ſammt einem gothaiſchen221 Taſchenkalender. Dieſe Bücher der Seeligen wogegen meine eignen Werke und die Alexan¬ driner Bibliothek und die blaue nur elende re¬ mittenda ſind hatten alle Stempel weibli¬ cher Bücher; denn ſie trugen alle Zierrathen weiblicher Köpfe, nämlich einen Fingerhut voll Puder wie dieſe ſeidne Band-Endchen wie dieſe, als Demarkazionslinien und Gedenkzettel der Lektüre und einen Wohlgeruch wie dieſe, (den Semler auch an alchymiſchen rühmt) welchen ſie aus den Blüthen des Paradieſes an¬ gezogen zu haben ſchienen. Ach ſeeliger Leſer des ſchönſten Buchs, (ich meine den Grafen) willſt du mehr?

Allerdings; und er fand auch mehr, näm¬ lich hinten im gothaiſchen Taſchenkalender auf den beiden Final-Pergamentblättern die Worte: Armenkonzert d. 21. Februar und Schau¬ ſpiel für die Armen d. 1. Nov. Ich habe auf meiner Jagd nach Myſterien oft auf die¬ ſen Blättern die wichtigſten aus dem Buſche ge¬ klopft. Das iſt ja meiner Schülerinn Hand (ſagte Falterle) ſie verſäumt mit ihrer Mutter ſo was ſelten, weils der Miniſter222 nicht leidet, daß ſie ſonſt den Armen viel ge¬ ben. Haltet mich hier nicht mit der Schönheit ihrer Handſchrift auf da man ohnehin auf Pergament und Schiefer ſchöner ſchreibt als auf Papier und da gerade eine Ge¬ lehrte ungleich den Gelehrten, mehr Kallygra¬ phie hat als Ungelehrte ſondern laſſet mich zur Wirkung dieſer Inkunabeln Lianens eilen, deren Sonntags-Buchſtaben einen liebenden Menſchen mit lauter innern hellen Sonntagen bedecken und deren Blätter an Heiligkeit den Briefen gleichen die im Mittelalter vom Him¬ mel auf die Erde fielen. Erſt jetzt war ihm als wenn der fliegende Engel, deſſen Schatten nur vorher über die Erde weglief, die Schwin¬ gen falte und auf der Laufbahn des Schattens nicht weit vom Stande Albanos die Nieder¬ fahrt halte. Er lernte den gothaiſchen Taſchen¬ kalender auswendig,

Da er glaubte, Liane ſey viel ſanfter und beſſer als er und da ſie ihm wie der Heſperus vorkam, der unter allen Planeten mit der klein¬ ſten Exzentrizität um die Sonne geht, und er ſich als der ferne Uranus, ders mit der grö߬223 ten thut; und da er nicht ohne ſchamhafte Wangen-Lohe daran denken konnte, einmal vor der moraliſchen Politur der Tochter und Mutter mit einer kleinern zurückzuſtehen: ſo wurd 'er auf einmal (kein Menſch wußte war¬ um) leiſer, milder, williger, über ſeine Außen¬ ſeite wachſamer, dem Wiener folgſamer denn Liane wars ja auch geweſen , und ſein ganzer Veſuv*)In Catana iſt der Schleier der h. Agatha das einzige Gegengift des Aetna. wurde vom Schleier einer Heiligen gebändigt. Der Nordamerikaner be¬ tet die Geſtalt, die ihm in dem Traume er¬ ſcheint, als ſeinen Schutzgeiſt an: o wird nicht oft eben ſo für den Jüngling ein ſchöner Traum ſein Genius?

22. Zykel.

Ein Pfingſten, wie ichs jetzt beſchreiben will, Albano, trift man außer in der Apoſtelge¬ ſchichte wohl in keiner an, als in deiner!

Er hatte bisher oft Lianens Krankenge¬ ſchichte mit der Taubheit eines markigen feuer¬224 feſten Jünglings angehört, als einmal der Di¬ rektor es nach Hauſe brachte, daß die fromme Miniſterinn die Tochter am erſten Pfingſttage das Abendmahl empfangen laſſe, weil ſie be¬ ſorge, der Tod halte ſolche für eine Erdbeere, die man pflücken müſſe ehe ſie die Sonne be¬ ſchienen. Ach Albano ſah nun ſchon den Tod unter dem Suchen mit der ſteinernen Ferſe auf die bleichrothe Beere tappen und ſie ertre¬ ten. Und dann hatte dieſe Philomele ohne Zunge, weil ſie bisher verſtummen mußte, ihm wie einer Progne, nur die gemalte Geſchichte ihres ſchweren Daſeins geſandt und nur die Pergamentblätter! Alle liebenden Empfin¬ dungen gehen, wie Gewächſe, bei gewitterhaf¬ ter Luft des Lebens ſchneller in die Höhe; Al¬ bano fühlte zugleich ein weites tiefes Weh und eine quälende Fieber-Wärme in ſeinen vom Tode ausgehöhlten Herzen. Auf eine ſonder¬ bare Art mengten ſich bei ſeinem muſikaliſchen und poetiſchen Phantaſiren auf dem Öſterlein¬ ſchen Flügel die geträumten Töne von Lianens Stimme und das tönende Weinen, die Harmo¬ nika, die ſie ſpielen konnte und die er niegehört,225gehört, gleichſam als ihr Schwanengeſang mit ſeinen Harmonien zuſammen. Aber nicht ge¬ nug: er ſchrieb ſogar heimlich ein Trauer¬ ſpiel (du gute Seele!), worin er alle ſeine zar¬ teſten und bitterſten Gefühle mit naſſen Augen auf fremde Lippen legte aber ſie fürchter¬ lich anfachte, indem er ſie ausdrückte. Jeder kann merken, daß er damit dem Schwätzer und Spione, dem Zufalle, entgehen wollte; aber nicht jeder merkt etwas ganz Eigenes; in fremdem Namen dürf 'er, glaubt' er, dem tiefen Schmerze eine heftigere Sprache geben, zu welcher er in ſeinem vor ſo vielen ſtoi¬ ſchen klaſſiſchen Helden verſchämt den Muth nicht hatte. So aber konnten die Klaſſiker nichts anfangen.

Das ſtille warme Schwärmen wuchs unter dieſer bedeckenden heißen Glasglocke noch viel größer; nämlich dergeſtalt, daß er die Pflege¬ eltern rührend bat, ihn am erſten Pfingſttage zum h. Abendmahle zu laſſen. Die Baufällig¬ keit der Dorfkirche, worin man es ſchwerlich ein Jahr ſpäter nehmen konnte, mußte für ihn ſo gut, wie die körperliche für Liane ſprechen. Titan. I. P226Ewig wird den armen durch Leiber und Wü¬ ſten zertheilten Menſchenſeelen die Sehnſucht bleiben, miteinander wenigſtens zu gleicher Zeit daſſelbe zu thun, zu Einer Stunde Blicke an den Mond, oder Gebete über ihn hinauf (wie Addiſon erzählt); und ſo iſt dein Wunſch, Albano, ein menſchlicher, zarter, mit deiner un¬ ſichtbaren Liane zu Einer Stunde an der Al¬ tarſtufe zu knieen und dann feurig und regie¬ rend aufzuſtehen nach der Krönung des innern Menſchen! Er hatte auf dem ſtillen Lande den Altar der Religion in ſeiner Seele hoch und feſt gebauet, wie alle Menſchen von hoher Phantaſie; auf Bergen ſtehen immer Tempel und Kapellen.

Aber ich werde ihn nie früher in die Pfingſtkirche begleiten als auf den Kirchthurm. Giebt es etwas Trunkneres als wenn er damals an ſchönen Sonntagen, ſobald durch den wei¬ ten Himmel nichts als die ſchwere Sonne ſchwamm, zum Glockenſtuhle des Thurms auf¬ ſtieg und überdeckt von den brauſenden Wellen des Geläutes einſam über die tiefe Erde blickte und an die weſtlichen Gränzhügel der227 geliebten Stadt? Wenn alsdann der Sturm des Klanges alles ineinander und zuſammen¬ wehte; und wenn die Juwelenblitze der Teiche und das blumige Luſtlager des hüpfenden Frühlings und die rothen Schlöſſer an den weißen Straßen und die langſamen verſtreue¬ ten Kirchleute zwiſchen dunkelgrünen Saaten, und der um reiche Auen gegürtete Strom und die blauen Berge, dieſe rauchenden Altäre der Morgenopfer, und der ganze ausgedehnte Glanz der Sichtbarkeit ihn dämmernd über¬ füllte und ihm alles wie eine dunkle Traum - Landſchaft erſchien: o dann gieng ſein inneres Koloſſeum voll ſtiller Götterformen der gei¬ ſtigen Antike auf und der Fackelſchein der Phantaſie*)Anſpielung auf die Fackeln, vor denen man das Koloſſeum und die Antiken und die Glet¬ ſcher, die beides ſind magiſcher glänzen ſieht. glitt auf ihnen als ein ſpielendes wandelndes magiſches Leben umher und da ſah 'er unter den Göttern einen Freund und eine Geliebte ruhen und er glühte und zit¬ terte .... Dann ſchwankten die Glocken bang¬P 2228verſtummend aus er trat vom hellen Früh¬ linge in den dunkeln Thurm zurück er heftete das Auge nur an die leere blaue Nacht vor ihm, in welche die ferne Erde nichts her¬ aufwarf, als zuweilen einen verwehten Schmet¬ terling, eine vorbeikreuzende Schwalbe und eine vorüberwogende Taube der blaue Schleier des Aethers*)Wie die Himmelsköniginn, Juno, von den Al¬ ten immer blau verſchleiert wird. Hagedorn über die Malerei. flatterte tauſendfach ge¬ faltet über verhüllten Göttern in der Weite o dann, dann mußte das berückte Herz verlas¬ ſen ausrufen: ach wo ſind 'ich, wo find' ich in den weiten Räumen, in dem kurzen Leben die See¬ len, die ich ewig liebe und ſo innig? Ach du Lieber, was wird denn ſchmerzlicher und länger geſucht als ein Herz? Wenn der Menſch vor dem Meere und auf Gebirgen und vor Pyramiden und Ruinen und vor dem Unglücke ſteht und ſich erhebt, ſo ſtrecket er die Arme nach der großen Freundſchaft aus. Und wenn ihn die Tonkunſt und der Mond und der229 Frühling und die Freudenthränen ſanft bewe¬ gen, ſo zergeht ſein Herz und er will die Liebe. Und wer beide nie ſuchte, iſt tau¬ ſendmal ärmer als wer beide verlor.

Laſſet uns jetzt in die Pfingſtkirche treten, wo der tiefe Strom ſeiner Phantaſie zum er¬ ſtenmale in ſeinem Leben übertrat und ſein Herz weit fortriß und damit in einem neuen Bette brauſete; ein phyſiſches Gewitter hatte ſich in dieſen Strom ergoſſen. Schon am Morgen ſtand der ſchwarze Pulverthurm einer Gewitter¬ wolke ſtumm neben der heißen Sonne und wurde an ihr glühend und nur zuweilen ent¬ fiel einer fernen fremden Wolke unter dem Got¬ tesdienſte ein Schlag auf die Feuertrommel; aber als Albano vor den Altar mit erhobnen ver¬ klärten Gefühlen trat und als er ſeine Liebe für Liane nur in ein inniges Beten für ſie ver¬ kleidete und in ein Gemälde ihrer heutigen An¬ dacht und ihrer blaſſen Geſtalt im frommen dunkeln Braut-Putze und als er ſanft fühlte, jetzt ſey ſeine gereinigte geheiligte Seele dieſer ſchönen werther: ſo rückte das Gewitter mit allen ſeinen ſpielenden Kriegsmaſchinen und230 Todtenorgeln*)Eine alte Maſchine, die viele Schüſſe auf ein¬ mal thut. von der Lindenſtadt herüber und trat bewaffnet und heiß über die Kirche. Aber Albano im Bewußtſeyn einer heiligen Be¬ geiſterung erſchrak nicht, ſondern er dachte, ſchon als er das ferne Rollen der fallenden Lauwine hörte, bloß an Lianen und an das Einſchlagen in die Kirche zu Lindenſtadt und nun als die Sonne den Pulverthurm der Wetterwolke über ihm mit ihren heißen Blicken entzündete und in tauſend Blitze und Schläge zerſprengte: dann jagte ihm ſeine von den Alten genährte Achtung für den Donnertod die ſchreckliche Ver¬ muthung ins Herz, Liane ſey ihm nun geſtor¬ ben in der Glorie der verklärten Frömmigkeit. O dann mußt 'er ja auch glauben, daß ihn jetzt die Schwinge des Blitzes über die Wolken ſchlage. Und als lange Blitze um die Heili¬ gen und die Engel des Altars loderten und als das zitternde ſtärkere Singen und das Wetter¬ läuten der vertrauten Glocken und die vollſtrö¬ mende Orgel ſich mit dem zuſammenbrechenden231 Donner vermiſchte und er im betäubenden Ge¬ töſe einen hohen feinen Orgelton vernahm, den er für den ungehörten der Harmonika hielt: da ſtieg er vergöttert auf dem Triumph - und Don¬ nerwagen neben ſeiner Liane ein der Thea¬ tervorhang des Lebens und die Bühne brann¬ ten unter ihnen ab und ſie flogen verbun¬ den und leuchtend in den kühlen reinen Aether weiter hinauf ....

Aber die zwölfte Stunde vertrieb dieſe Gei¬ ſtererſcheinungen und das Gewitter Albano trat heraus in einen blauern kühlern luftigen Himmel und die glänzende Sonne lachte freundlich die erſchrockene Erde an, der noch die hellen Thränen in allen ihren Blumenaugen zitterten. Da nun Albano Nachmittags noch den friedlichen Durchzug des Donners durch Lianens Stadt vernahm: ſo wurde durch den Glauben an ihr neuverſichertes Leben und durch das ſanfte Mattgold der ausruhenden Phantaſie und durch die heilige Stille der bekehrten Bruſt und durch die innigere Liebe, aus allen Gegenden ſeiner Seele ein abendro¬232 thes magiſches Arkadien und nie betrat ein Menſch ein holderes.

23. Zykel.

Es[ kommt] nicht bloß aus meiner Gefällig¬ keit gegen die Leſe-Nachwelt her, mein lieber Zeſara, ſondern auch aus einer wirklichen ge¬ gen dich, daß ich alle Akte in dieſem Schäfer¬ ſpiele deines Lebens ſo treu nachſchreibe in deinen alten Tagen ſollen dir dieſe melodiſchen labend aus meinem Buche nachklingen und du ſollſt abends nach deinen Arbeiten nichts lieber leſen als meine hier.

Die folgende Nacht verdient ihren Zykel. Bald nach Pfingſten wurd 'er mit wöchentlichen mediziniſchen Bedenken über ein neues Krank¬ ſeyn der armen Liane gequält, das am Abend¬ mahlstage, gleich als hätt' er recht geahnet be¬ gonnen hatte. Er hörte, daß ſie in Lilar, dem Luſt - und Wohngarten des alten Fürſten, nebſt ihrem Bruder lebe oder leide, von deſſen Schweigen jetzt der Wiener an 1001 Urſachen aufgebracht hatte. Um Lilar, obwohl nahe233 an Peſtiz, hatte ſein Vater keine Sperrketten gezogen Lianens Nachtlicht konnt 'ihm viel¬ leicht entgegenſchimmern, oder gar ihre Har¬ monika entgegentönen ja ihr Bruder konnte wohl noch im Garten herumgehen die Ju¬ nius-Nacht war ohnehin hell und herrlich ach kurz er gieng.

Es war ſpät und ſtill, weit außer dem ſchlafenden Dorfe ohne Lichter konnt 'er die Flötenſtücke der Stubenuhr im Schloſſe, noch auf dem Peſtizer Berge vernehmen. Es er¬ quickte ihn, daß ſein Weg eine Strecke lang auf der Lindenſtädter Chauſſée fortlief. Er drückte das Auge an die weſtlichen Berge feſt, wo die Sterne Ihr wie weiße Blüthen zuzu¬ fallen ſchienen. Oben auf der weiten Höhe, dem Herkules Scheidewege lief der rechte Arm hinunter und wand ſich dem blühenden Lilar durch Haine und Auen zu.

Schreite nur freudentrunken voll junger lichter Bilder durch die italieniſche Nacht, die um dich ſchimmert und duftet und die wie über Heſperien nicht weit vom warmen Monde234 einen vergoldeten Abendſtern*)In Italien ſehen die Sterne nicht ſilbern, ſon¬ dern golden aus. im blauen Weſten aufhängt, gleichſam über der Wohnung der geliebten Seele. Dir und deinen jungen Au¬ gen werfen die Sterne nur Hofnungen, noch keine Erinnerungen herunter, du haſt einen ab¬ gebrochenen ſtarren Apfelzweig voll rother Blüthenknoſpen in der Hand, die wie Unglück¬ liche zu blaſſen werden, wenn ſie aufblühen, aber du machſt noch nicht ſolche Anwendungen davon wie wir.

Jetzt ſtand er in einer Thalrinne vor Lilar glühend und bange, das aber ein ſonderbarer runder Wald aus Laubengängen noch verſteckte. Der Wald wuchs in der Mitte zu einem blü¬ henden Berge auf, den breite Sonnenblumen, Fruchtſchnüre von Kirſchen und blinkende Sil¬ berpappeln und Roſenbäume in ſo künſtlicher Verſchränkung einhüllten und umliefen, daß er vor den maleriſchen Irrlichtern des Mondes ein einziger ungeheurer Keſſelbaum voll Früchte und Blüthen zu ſeyn ſchien. Albano wollte ſei¬235 nen Wipfel beſteigen, gleichſam die Stern¬ warte des unten ausgebreiteten Himmels oder Lilars; er fand endlich am Walde einen offnen Laubengang.

Die Lauben drehten ihn in Schraubengän¬ gen in eine immer tiefere Nacht hinein, durch welche nicht der Mond ſondern nur die ſtum¬ men Blitze brechen konnten, von denen der warme Himmel ohne Wolken überſchwoll. Der Berg hob die Zauberkreiſe immer kleiner aus den Blättern in die Blüthen hinauf zwei nackte Kinder hatten unter Myrthen die Arme liebkoſend einander um die zugeneigten Köpfe gelegt, es waren die Statuen von Amor und Pſyche Roſennachtfalter leckten mit kurzen Zungen den Honigthau von den Blättern ab und die Johanniswürmchen, gleichſam abge¬ ſprungene Funken der Abendgluth, wehten wie Goldfaden um die Roſenbüſche er ſtieg zwi¬ ſchen Gipfeln und Wurzeln hinter dem aroma¬ tiſchen Treppengeländer gen Himmel, aber die kleine mit ihm herumlaufende Spiralallee ver¬ hieng die Sterne mit purpurnen Nachtviolen und die tiefen Gärten mit Orangegipfeln 236 endlich ſprang er von der oberſten Sproſſe ſeiner Jakobsleiter mit allen Sinnen in einen unbedeckten lebendigen Himmel hinaus; ein lichter Berggipfel nur von Blumenkelchen bunt¬ geſäumt, empfieng ihn und wiegte ihn unter[den Sternen] und ein weißer Altar leuchtete hell neben ihm im Mondenlichte.

Aber ſchaue hinunter, feuriger Menſch mit deinem friſchen Herzen voll Jugend, auf das herrliche unermeßliche Zauber-Lilar! Eine däm¬ mernde zweite Welt, wie leiſe Töne ſie uns malen, ein offner Morgentraum dehnt ſich vor dir mit hohen Triumphthoren, mit liſpelnden Irrgängen, mit glückſeeligen Inſeln aus der helle Schnee des geſunknen Mondes liegt nur noch auf den Hainen und Triumphbogen und auf dem Silberſtaube der Springwaſſer, und die aus allen Waſſern und Thälern quellende Nacht ſchwimmt über die elyſiſchen Felder des himmliſchen Schattenreichs, in welchem dem irrdiſchen Gedächtniſſe die unbekannten Geſtalten wie hieſige Otaheiti-Ufer, Hirtenländer, daphni¬ ſche Haine und Pappelinſeln erſcheinen ſelt¬ ſame Lichter ſchweifen durch das dunkle Laub237 und alles iſt zauberiſch-verworren was be¬ deuten jene hohen offnen Thore oder Bogen und die durchbrochnen Haine und der röthliche Glanz hinter ihnen und ein weißes Kind unter Orangelilien und Goldblumen ſchlafend, aus deren Kelchen weiche Flammen perlen*)Bei gewitterhafter Luft ſteigen aus Orangeli¬ lien, Goldblumen, Sonnenblumen, indiſchen Nelken ꝛc. kleine Flammen. gleich¬ ſam als wären Engel zu nahe über ſie hinge¬ flogen die Blitze erleuchten Schwanen, die unter[lichttrunkenen] Nebeln auf den Wellen ſchlafen, und ihre Flammen lodern golden nach in den tiefen Bäumen,**)Wahrſcheinlich auf flatternden Goldblechen gegen die Vögel. wie Goldfiſche den brennenden Rücken aus dem Waſſer drehen und ſelber um deine Bergſpitze, Albano, ſchauen dich die großen Augen der Sonnen¬ blumen feurig an, gleichſam von den Funken der Johanniswürmchen entzündet.

Und in dieſem Reiche des Lichts (dachte zitternd Albano) verbirgt ſich der ſtille En¬238 gel meiner Zukunft und verklärt es, wenn er erſcheint. O wo wohneſt du, gute Liane? In jenem weißen Tempel? Oder in der Laube zwiſchen den Roſenfeldern? Oder drüben im grünen arkadiſchen Häuschen? Wenn die Liebe ſchon Schmerzen zu Freuden macht und den Schattenkegel der Erde zum Sternenkegel aufrichtet, o wie wird ſie erſt die Entzückung bezaubern! Albano war in die¬ ſem äußern und innern Glanze unvermögend, ſich Lianen krank zu denken; er dachte ſich jetzt bloß die ſeelige Zukunft und knieete ſehnſüchtig und umfaſſend an dem Altare nieder er blickte nach dem glänzenden Garten und malte es ſich, wie es wäre, wenn er einmal mit Ihr jede Inſel dieſes Edens beträte wenn die heilige Natur ſeine und Ihre Hände auf die¬ ſen Altarſtufen ineinander legte wenn er Ihr unterwegs das Heſperien des Lebens, das Hirtenland der erſten Liebe zeichnete und ihr frommes Jauchzen und ihr ſüßes Weinen und wenn er ſich dann nicht umſehen könnte nach den Augen des weichſten Herzens, weil er ſchon wüßte, daß ſie überfließen vor Seeligkeit. 239 Jetzt ſah er im Mondſcheine über die Triumph¬ bogen zwei beleuchtete Geſtalten wie Geiſter ge¬ hen; aber ſeine brennende Seele fuhr im Ma¬ len fort und er dachte es ſich, wie er vor ihr wenn die Nachtigallen in dieſem Eden ſchlagen, wahnſinnig-liebend ſagen würde: O Liane, ich trug dich früh in meinem Herzen einſt¬ mals droben auf jenem Berge, als du krank warſt.

Hier kam er erſchrocken zu ſich er war ja auf dem Berge aber er hatte die Krank¬ heit vergeſſen. Nun legt 'er knieend die Arme um den kalten Stein und betete für die, die er ſo liebte, und die gewiß auch hier gebe¬ tet; und ihm ſank weinend und verdunkelt das Haupt auf den Altar. Er hörte nähere Men¬ ſchenſchritte unten am Schneckenberge und furchtſam-freudig dachte er daran, es könne ſein Vater ſeyn; aber er blieb kühn auf den Knieen. Endlich trat über den Blumenrand ein großer gebückter Greis herein, ähnlich dem edlen Biſchofe von Spangenberg, das ruhige Angeſicht lächelte voll ewiger Liebe und keine Schmerzen ſtanden darauf und keine ſchien es240 zu fürchten. Der Alte drückte dem Jünglinge ſtumm und erfreut die Hände zum Fortbeten zuſammen, knieete neben ihn hin und jene Ent¬ zückung, zu welcher öfteres Beten verklärt, breitete den Heiligenſchein über die Geſtalt voll Jahre. Sonderbar war dieſe Vereinigung und dieſes Schweigen. Die nur noch aus der Erde ragende Trümmer des Mondes brannte düſterer; endlich ſank ſie ein; da ſtand der Alte auf und that mit der aus Gewohnheit der Andacht kommenden Leichtigkeit des Über¬ gangs Fragen über Albano's Namen und Ort; nach der Antwort ſagt' er bloß: bete un¬ terwegs zu Gott dem Allgütigen, lieber Sohn, und gehe ſchlafen, eh 'das Gewitter [kommt].

Nie kann dieſe Stimme und Geſtalt aus Albano's Herzen weggehen; die Seele des alten Mannes ragte, wie die Sonne bei der ring¬ förmigen Finſterniß, über den dunkeln Körper, der ſie mit ſeiner Moder-Erde überdecken wollte, mit dem ganzen Rande leuchtend hin¬ aus. Tief bis an die Nervenanfänge ge¬ troffen, ſtand Albano auf und die breiternBlitze241Blitze zeigten ihm jetzt drunten neben dem Zaubergarten einen zweiten düſtern, verwickel¬ ten, ſchrecklichen, gleichſam den Tartarus des Elyſiums. Er ſchied mit ſeltſamen gegenein¬ andergehenden Gefühlen die Zukunft und die Menſchen darin ſchienen ihm unterwegs ganz nahe zu ſtehen und hinter dem durchſich¬ tigen Vorhange ſchon als Theaterlichter hin - und herzulaufen und er ſehnte ſich nach ei¬ ner ſchweren That, als nach der Erquickung dieſes entzündeten Herzens; aber er mußte das innere Steppenfeuer auf das Kopfküſſen betten; und in ſein Einträumen miſchte ſich der hohe Donner wie ein Gott der Nacht mit den erſten Schlägen.

24. Zykel.

Der alte unbekannte Mann blieb viele Tage lang in Albanos Seele ſtehen und wollte nicht weichen. Überhaupt war jetzt dem Bette ſeines Lebens eine Krümmung nöthig, die den Zug des Stromes brach. Menſchen wie ihn kann das Schickſal nur durch den Wechſel der Lagen bilden, ſo wie Schwache nur durch denTitan. I. Q242Beſtand derſelben. Denn gieng es länger ſo fort und kam der Kronleuchter in ſeinem Tem¬ pel durch innere Erdſtöße in immer größere Schwankungen: ſo konnt 'am Ende keine Kerze mehr darauf fortbrennen. Welche Reichs¬ tags-Beſchwerden führen nicht ſchon Wehrfriz und Hafenreffer verbunden darüber, daß der Schiffspatron Blanchard in Blumenbühl mit ſeinen äroſtatiſchen Seifenblaſen aufſtieg und daß Zeſara beinahe durch den ganzen Deſpo¬ tismus des Direktors kaum von dem Einſchif¬ fen abzuhalten war? Und wie göttlich ſtellt' er ſich es nicht vor, nicht nur der Erde ihre Eiſenringe und Haftbefehle herunterzuwerfen und über alle ihre Markthaufen und Gränz¬ bäume und Herkulesſäulen ſteilrecht wegzuflie¬ gen und als ein Sternbild um ſie zu ziehen, ſondern auch über dem magiſchen Lilar und der plombirten Lindenſtadt mit verſchlingenden Au¬ gen zu ſchweben und eine ganze ſchwere volle Welt an der Handhabe Eines Blicks zum dur¬ ſtigen Herzen zu heben?

Aber das Schickſal brach den Fall dieſes ſchnellen Stroms. Es wollte nämlich zum243 Glück ſchon lange die Blumenbühler Kirche täg¬ lich einfallen und ich wollte, der Pfingſtdon¬ ner wäre darein gefahren und hätte der Bau¬ direkzion Ohren und Beine gemacht als zu noch größerem Glück der alte Fürſt unpaß wurde. In der Kirche war nun das Erbbe¬ gräbniß des Fürſten, das nicht ſchicklich wieder das Erbbegräbniß der Kirche werden konnte.

Es mußte ſich treffen, daß die alte Für¬ ſtinn mit dem Miniſter Froulay durch das Dorf paſſirte. Beide hatten ſich längſt zu Reichsvikarien und Geſchäfts - und Zepterträ¬ gern des Staates bevogtet, weil der alte matte Herr gern die Spiele und die Bürden, den Glimmer und das Gewicht der Krone wegge¬ geben und jene beiden Lehnsvormünder ins Erbamt des Zepters eingelaſſen hatte. Kurz das Alter der Kirche entſchied neben dem Alter des Fürſtenpaars die Baute einer neuen Dachung und Kapſel für die Gruft.

Der Landſchaftsdirektor beſichtigte mit; und invitirte die vornehme Geſellſchaft in ſein Haus, in welcher aus dem Gefolge beſonders der Landbaumeiſter Dian und der KunſtrathQ 2244Fraiſchdörfer als Kunſtverſtändige, und die kleine Prinzeſſin als Naturverſtändige auszu¬ heben ſind.

Der arme Tanzmeiſter bekam durch ein Sehrohr Wind von dem Zuge, als er die Füße voll Pas eben in ein warmes Fußbad ſtreckte. Es wird niemand vergnügen, daß der Wiener das einzige mit dem Magiſter gemein hatte, was der Teufel mit dem Pferde, nämlich den Fuß, der ſeine guten anderthalb Pariſer Fuß maaß; und daß daher ſein doppelter Wurzelaſt in den engen Treibſcherben von Schuhen zu einem fruchttragenden Knotenſtock voll Okulir - d. h. Hühneraugen ausſchlug. Heute hätt 'er dieſe gordiſchen Knoten im Fußbade zerſchnitten; aber ſo mußt' er bei einer ſolchen Viſite wiewohl er ſie nie ausgezogen ſeine engſten Kinderſchuhe anlegen um Effekt zu thun. So fangen ſich die Menſchen oft mit zu leichten, wie die Affen mit zu ſchweren Schuhen.

Albano hingegen ſtand auf Kothurnen. Jeder überhaupt, der nur aus Peſtiz kam, hatte für ihn geweihte h. Erde an den Sohlen; und hier ſah 'er mit der liebenden Achtung eines245 Dorfjünglings der bejahrten, aber rothwangi¬ gen und hochſtämmigen Fürſtinn auf das von der Zeit aufgebogene Kinn und ins freundliche Geſicht, das ſich in ein ganzes tiefes Hauben¬ gebüſch vielleicht zur Decke der vielen Le¬ benslinien vergrub. Sie wiegte dieſen Kopf lächelnd-vergleichend, im Wahne der Verſchwiſterung, zwiſchen ihm und Rabetten hin und her, weil Mütter immer an Müttern zuerſt nach den Kindern ſehen. Er hätt' es noch wiſſen ſollen, daß er eine Freundinn Lianens an der kleinen krausköpfigen Prinzeſſinn vor ſich hatte, die, wiewohl ſchon in ſeinem Alter, noch mit einer freundlichen Lebhaftigkeit, die nie vom Hofmarſchallamte unterſchrieben wer¬ den kann, an alle hinanſah und ſogar Rabet¬ ten bei der Hand nahm und ihr ein unbeſchreib¬ lich-gutmüthiges und ſteifes Anlachen abzwang. Furchtbar kam ihm der Miniſter vor, ein Mann voll ſtarker Parthien an Leib und Seele, voll reißender würgender nur an Blumenketten liegender Leidenſchaften und von welchem, ob¬ wohl ſein hartes Geſicht erſt höflich mit freundli¬ chen 12 himmliſchen Zeichen von Liebe überſchrie¬246 ben war, doch nicht ſonderlich einleuchten wollte, wie von der nerven-weichen Liane ein Mann der Vater und Führer ſeyn könne, bei welchem die Eiſentheile, deren der Menſch mehrere im Blute trägt, als irgend ein Thier, ſich nicht wie bei Göze, auf die Hand geworfen hatten, ſondern auf die Stirn und das Herz.

Ich gehe über das einzige Glied in der Geſellſchaft, das Albanen unausſtehlich war, nur flüchtig weg, über den Kunſtrath Fraiſch¬ dörfer, der ſein Geſicht wie die Drapperie der Alten, in einfache edle große Falten geworfen hatte. Vor vielen Jahren wollt 'er nämlich unſern verſchämten kleinen Helden bis auf die Herzgrube zum Sitzen haben, um deſſen Ge¬ ſicht und breite hohe, aus der Hemdkrauſe glänzende Platosbruſt ich weiß nicht ob nach¬ zupinſeln oder nachzuboſſiren. Allein das ver¬ ſchämte Kind ſchlug mit Händen und Füßen um ſich und es war ihm nichts nachzumünzen alo das nackte Geſicht ohne das Poſtement, den Thorax. Hingegen vor mir, liebe Aka¬ demie, mußt du nun Jahre lang wie ein Sty¬ lit auf dem Modell-Stative aushalten und mei¬247 ner Reißfeder deinen Kopf und deine Bruſt ſammt ihrem Kubikinhalt bloß ſtellen, der Grup¬ pirungen gar nicht zu gedenken!

Seiner edlen Geſtalt hatt 'er es vielleicht zu danken, daß der ſchöngebildete geradnaſige und herrlich-ſchlanke Grieche Dian mit ſeinem Rabenhaare und ſchwarzen Adlerauge, der in jeder gelenken Bewegung eine höhere Freiheit des Anſtandes zeigte als in Tanz - und Cour - Zimmern gewonnen wird, feurig zu ihm trat und mit wenigen Blicken dem tiefen, aber rei¬ nen Meere des Jünglings auf den grünenden Boden und auf die Perlenbänke ſah. Albano ſtellte mit ſeiner zu lauten heftigen Stimme, mit ſeinen ehrerbietigen, aber ſcharf aufſchla¬ genden Blicken, mit ſeiner eingewurzelten Stellung eine holde Miſchung von inne¬ rer Kultur und Uebermacht mit äußerer länd¬ licher Erröthung und Milde dar, gleichſam einen noch zu keinem Tulpenbeete verſchnit¬ tenen Tulpenbaum, eine ländliche Eremi¬ tage und Waldklafter mit goldner Ausmeu¬ blirung. Er hatte die Fehler der einſied¬ leriſchen Jugend; aber Menſchen und Win¬248 terrettiche muß man weit ſäen, damit ſie groß werden; engſtehende Menſchen und Bäume haben zwar einen ſchlankern Stangen¬ ſchuß, aber keine Wetterfeſtigkeit, keine ſo reiche Krone und Aeſtung wie freiſtehende. Mit der unbefangenſten Herrlichkeit entdeckte der Baumeiſter dem glühenden Jünglinge: ſie wür¬ den ſich von nun an jede Woche ſehen, da er täglich, um den Bau der Kirche zu beſorgen, komme.

Das ganze Wehrfriziſche Haus guckt jetzt dem hohen Zuge bis auf das letzte ver¬ ſchwindende Wagenrad hinterdrein und iſt doch begierig, über das nachduftende Lavendelwaſſer der Freude drei Worte zu ſagen,[das] der Zug in alle Winkel und auf alle Möbeln verſpritzet hatte. Vom Exerzizienmeiſter an, der mit den Kompreſſionsmaſchinen an den Füßen bloß bis an die Knorren im Fegefeuer ſtand und dann bis an den Wirbel im Himmel, weil die geſprächige Prinzeſſinn ſich ſeiner fünf Poſizio¬ nen ſehr gut entſonnen hatte bis zur be¬ ſcheidnen Rabette, der Lobrednerinn ihrer Sie¬ gerinn, und bis zu Albinen, der an einer249 Fürſtinn die warme Mutterliebe gegen die Prinzeſſinn wohlthat und bis zum Direktor, den die ſchönbeſtandne Klingen - und Ankerprobe des Pflegeſohns und die allgemeine Redlichkeit dieſes bekehrten Welttheils der großen Welt nachfreuete, weil der Mann es nie behielt, daß Fürſten und Miniſter, ſo wie ſie in ihrer Garderobe Berghabite zum Einfahren haben, auch Direktoratsanzüge, Juſtiz-Wildſchure, Konſiſtorial-Schaafspelze und Weiber-Opern - Kleider, in der Anziehſtube führen von allen dieſen Menſchen bis zum Direktor wuchs der frohe Nachklang, um in Zeſara mit einer Lärmkanone aufzuhören: ſein Ehrgeiz trat un¬ ter Waffen ſein Freiheitsbaum fuhr in Blü¬ then aus die Standarten ſeiner Jugend - Wünſche wurden eingeweihet und flatterten aufgewickelt im Himmel und auf den Myr¬ tenkranz deckt 'er einen ſchweren Helm mit einem glänzenden hoch-aufwallenden Feder¬ buſche ....

Der folgende Zykel iſt bloß dazu gemacht, um anzugeben, wie man das zu nehmen habe.

250

25. Zykel.

Auch meine Meinung iſts, daß das anti¬ phonirende Doppelchor der beiden Erziehungs - Kollegien, Wehmeier und Falterle, unſern Nor¬ man bisher ſo gut erzog, als zwei ähnliche Gymnaſiarchen, die Gouvernante England und die Hausfranzöſinn Frankreich die Kurrentſchü¬ lerin Deutſchland nach den beſten Schulbüchern wirklich erzogen haben, ſo daß wir nun wie¬ der unſers Orts im Stande ſind, Polacken zu ſchulen und ſolche mit dem Schulbakel aus dem Katheder unſerer Fürſtenſchule herab ſo viel als nöthig zu kantſchuen.

Aber jetzt war zu viel in Albano aufge¬ wacht. Er fühlte überſchwellende Kräfte, die keinen Lehrer fanden ſein in Italien herum¬ ſtreifender Vater ſchien ihn zu verſäumen den Muſenſitz Peſtiz (der noch dazu eine Muſe mehr hatte) ſchien er ihm ungerecht zu verſperren er wußte oft nicht zu blei¬ ben Phantaſie, Herz, Blut und Ehrliebe gohren. In ſolchem Falle iſt wie in jedem gäh¬ renden Faſſe nichts gefährlicher als ein leerer Raum (es ſey an Kenntniß oder Arbeit).

251

Dian füllte das Faß auf.

Er kam in jeder Woche aus der Stadt, als hätt 'er das Einhämmern der Kirche ſo gut nach Riſſen zu ordnen als ihr Aufmauern. Ein Jüngling, der den erſten Griechen ſieht, kanns anfangs gar nicht recht glauben, er hält ihn für klaſſiſch-verklärt und für einen ge¬ druckten Bogen aus dem Plutarch. Wenn ihm nun gar das Herz ſo brennt wie meinem, und wenn ſein Grieche noch dazu ein ſpartiſcher Nachkömmling iſt wie Dian, nämlich ein un¬ beſiegter Mainotte, der im klaſſiſchen Dop¬ pelchore der äſthetiſchen Singſchule, in Ati¬ niah (Athen) und Roma erzogen worden: ſo iſt es natürlich daß der begeiſterte Jüngling jeden Tag in den Staub - und Moder-Wolken des fallenden Kirchengemäuers ſteht und dar¬ auf wartet, ob ſein Heerführer hinter der Wol¬ kenſäule vortrete.

Dian begleitete den Geliebten auf ſeine Spaziergänge las oft halbe Nächte mit ihm und nahm ihn auf die architektoniſchen Landreiſen mit, die er immer zu machen hatte. Er führte ihn mit begeiſterter Ehrfurcht in die252 heilige Welt des Homers und des Sophokles ein; und gieng mit ihm unter die höhern, ganz entwickelten, von einſeitiger ſtändiſcher Kultur noch unverrenkten ſchöngegliederten Menſchen dieſes Zwillings-Prometheus, die wie Salomo für alles Menſchliche, für Lachen, Weinen, Eſſen, Fürchten und Hoffen eine Zeit hatten und die bloß die rohe Gränzenloſigkeit flohen; die auf den Altären aller Götter opferten, aber auf dem der Nemeſis zuerſt. Und Dian deſſen innerer Menſch ein ganzer war, dem kein Glied ausgeriſſen iſt, keines aufgeblaſen und alle großgewachſen gieng ſelber als ein ſolcher Sophokles-Homeriſcher Grieche mit dem Lieblinge um. Er machte ihm indeß Weh¬ meier und die Pflegeeltern ihm überall mit einer Kanzel und einem Kirchenſtuhle nachlie¬ fen, bei jedem heftigen Unwillen oder Wunſche oder Jubel, den er zeigte mit ſchöner libe¬ raler Freiheit Raum, ſich breit und hoch zu entwickeln. Er ehrte am Jünglinge das St. Elms oder Helenen-Feuer, wie am Greiſe das Eis; das Herz kräftiger Menſchen, glaubt 'er, müſſe wie ein Porzellangefäß anfangs zu groß und253 zu weit gedrehet ſeyn, im Brennofen der Welt laufen beide ſchon gehörig ein. Eben ſo fordr' ich von einem Jünglinge erſt Intoleranz, dann nach einigen Jahren Toleranz, jene als die ſteinige ſaure harte Frucht eines kräftigen jungen Herzens, dieſe als das weiche Lager - Obſt eines ältern Kopfes.

Aber indem der Baumeiſter mit ihm zeich¬ nete, mit ihm Abgüſſe der Antiken und Kunſt¬ werke anſchauete: ſo machte er am ſchönſten vor dieſen ſeine Liebe für das artiſtiſche Zeichen der Waage am Menſchen, der ſein eignes Kunſtwerk ſeyn ſoll, und ſeine Ab¬ neigung vor jedem Paroryſmus offenbar, der die äußere Schönheit in Falten bricht wie die innere, und ſeinen Wunſch, ſeine Geſtalt und ſein Herz nach der hohen Stille auf den Anti¬ ken zu ordnen,

Der Baumeiſter bewahrte wie oft der Künſtler und öfter der Schweizer, europäiſche Kultur und ländliche Naivetät und Einfachheit nebeneinander, ſeiner geliebten Baukunſt gleich, worin mehr als in den andern Künſten Schön¬ heit und meſſende Vernunft zuſammengränzen;254 er ließ daher zuerſt Albano in den Hörſaal der Philoſophie, aber im Freien außen am Fenſter ſtehend hineinſehen und hineinhören. Er führte ihn nicht in den Steinbruch, vor die Kalkgrube und auf den Zimmerplatz der Metaphyſik, ſon¬ dern ſogleich in das damit fertig gemachte ſchöne Bethaus, ſonſt die natürliche Theologie genannt. Er ließ ihn keine eiſerne Schlußkette Ring nach Ring ſchmieden und löthen, ſondern er zeigte ſie ihm als hinunterreichende Brun¬ nenkette, woran die auf dem Boden ſitzende Wahrheit herauf, oder als eine vom Himmel hängende Kette, woran von den Untergöttern (den Philoſophen) Jupiter heruntergezogen wer¬ den ſoll. Kurz das Skelett und Muskeln - Präparat der Metaphyſik verſteckt 'er in den Gottmenſch der Religion. Und ſo ſoll es (anfangs) ſeyn; aus der Sprache lernt man die Grammatik leichter als jene aus die¬ ſer, aus den Kunſtwerken leichter die Kritik, aus dem Leibe das Gerippe als umgekehrt, wiewohl man es immer umkehrt. Unglück¬ lich ſind unſere jetzigen Jünglinge, die vom255 Baume des Erkenntniſſes früher die Tropfen und die Käfer ſchütteln müſſen als die Früchte.

Und nun macht 'er ihm kühn alle Stuben¬ thüren der philoſophiſchen Schulen auf, d. h. alle drei Himmel; denn in dieſer Jugendzeit hält man noch den Docht jedes gelehrten Lich¬ tes der Welt für Asbeſt, wie Braminen ſich in Asbeſt kleiden und die Eisſtücke an den Po¬ len unſerer geiſtigen Welt ſtellen noch, wie die der hieſigen, Städte und Tempel auf himmel¬ blauen Säulen vor.

Wenn nun Albano über irgend eine große Idee, über die Unſterblichkeit, über die Gott¬ heit, ſich in Flammen geleſen: ſo mußt 'er dar¬ über ſchreiben, weil der Baumeiſter glaubte und ich auch , daß in der erziehenden Welt nichts über das Schreiben gehe, nicht einmal Leſen und Sprechen, und daß ein Menſch 30 Jahre mit weniger Ertrag ſeiner Bildung leſe als ein halbes ſchreibe. Dadurch ſchwin¬ gen eben wir Autoren uns zu ſolchen Höhen; daher werden ſogar ſchlechte, wenn ſie aus¬ halten, am Ende etwas und ſchreiben ſich von256 Schilda nach Abdera und von da nach Grub¬ ſtreet hinauf.

Allein welche glühende Stunde gieng dann für unſern Liebling an! Was ſind alle ſineſiſche Laternenfeſte gegen das hohe Feſt, wo ein ent¬ flammter Jüngling alle Gehirnkammern erleuch¬ tet und in dieſem Glanze ſeine erſten Aufſätze hinwirft?

Vorn auf der Schwelle des Aufſatzes gieng Albano vielleicht noch Schritt für Schritt und bediente ſich bloß des Kopfes; aber wenn es weiter kam und das Herz mit den Flügeln zuckte und er wie ein Komet vor lauter ſchim¬ mernden Sternbildern großer Wahrheiten vor¬ überfahren mußte konnt 'er ſich da enthal¬ ten dem roſenrothen Flammantvogel nachzuah¬ men, der im Zuge gegen die Sonne ſich zu einem fliegenden Brande anzufärben und ſich mit Doppelflammen zu beſchwingen ſcheint? Kam er vollends auf die Nutzanwendung: wahrhaftig! ſo war jede wie die andere in jeder formte und beſäete er ein Arkadien voll menſchlicher Engel, die in drei Minuten in das ſo nahe ſchwimmende Elyſium ausſteigen konntenauf257auf einem dazu hineingeworfenen Charons Ponton in jeder Nutzanwendung waren alle Menſchen Heilige, alle Heilige Seelige, alle Morgen Blüthen und alle Abende Früchte, Liane geſund und er nicht weit davon ihr Lieb¬ haber alle Völker ſtiegen die Mittagshöhe lichter hinan und er auf ſeiner eignen erblickte, wie Menſchen auf Bergen, alles Gute näher ach die ganze ſumpfige Gegenwart voll Stur¬ zeln und Egeln hatt 'er mit einem Fuße ſeit¬ wärts weggeſtoßen und war nur von den grü¬ nenden Welten voll Auen umflogen, die die Sonnenkugel ſeines Kopfes in den Aether ge¬ worfen hatte.

Seelige, ſeelige Zeit! du biſt ſchon lange vorbei! O die Jahre worin der Menſch ſeine erſten Gedichte und Syſteme lieſet und macht, wo der Geiſt ſeine erſten Welten ſchafft und ſegnet, und wo er voll friſcher Morgengedan¬ ken die erſten Geſtirne der Wahrheit kommen ſieht, tragen einen ewigen Glanz und ſtehen ewig vor dem ſehnenden Herzen, das ſie ge¬ noſſen hat und dem die Zeit nachher nur aſtro¬ nomiſche Ephemeriden und RefrakzionstabellenTitan. I. R258über die Morgengeſtirne reicht, nur veraltete Wahrheiten und verjüngte Lügen! O da¬ mals wurd 'er von der Milch der Wahrheit wie ein friſches durſtiges Kind getränkt und großgezogen, ſpäter wird er von ihr nur als ein welker ſkeptiſcher Hektikus kurirt! Aber du kannſt freilich nicht wiederkommen, herr¬ liche Zeit der erſten Liebe gegen die Wahr¬ heit, und dieſe Seufzer ſollen mir eben nur deine Erinnerung wärmer geben; und kehrſt du wieder, ſo geſchieht es gewiß nicht hier im tiefen niedrigen Grubenbaue des Lebens, wo unſere Morgenröthe in den Goldflämmlein auf dem Goldkieſe beſteht und unſere Sonne im Grubenlicht nein, ſondern dann kann es ge¬ ſchehen, wenn der Tod uns aufdeckt und den Sargdeckel des Schachtes von den tiefen bla߬ gelben Arbeitern wegreißet, und wir nun wie¬ der wie erſte Menſchen, in einer neuen vollen Erde ſtehen und unter einem friſchen unerme߬ lichen Himmel!

In dieſes goldne Zeitalter ſeines Herzens fiel auch ſeine Bekanntſchaft mit Rouſſeau und Shakeſpear; wovon ihn jener über das Jahr¬259 hundert erhob und dieſer über das Leben. Ich will es hier nicht ſagen, wie Shakeſpear in ſeinem Herzen gebietend regierte nicht durch das Athmen der lebendigen Karaktere ſondern durch die Erhebung aus dem irrdiſchen lauten Reiche ins ſtumme unendliche. Wenn man Nachts den Kopf unter das Waſſer taucht: ſo iſt eine fürchterliche Stille um uns her; in eine ähnliche überirrdiſche der Unter¬ welt bringt uns Shakeſpear.

Was viele Schullehrer an Dian tadeln können, iſt, daß er dem Jünglinge alle Bücher untereinander gab, ohne genaue Ordnung der Lektüre. Aber Alban fragte in ſpätern Jahren: iſt eine ſolche Ordnung etwas anders als Narrheit? Iſt ſie möglich? Ordnet denn das Schickſal die Erſcheinung der neuen Bü¬ cher oder Syſteme oder Lehrer oder die äus¬ ſern Begebenheiten oder die Geſpräche je ſo paragraphenmäßig, daß man weiter nichts brauchte, als die Gegenwart abzuſchreiben ins Gedächtniß, um die Ordnung obendrein zu haben? Braucht und macht nicht jeder Kopf ſeine eigne? Und[kommt] es mehrR 2260 auf die Rangfolge der Speiſen oder auf ihre Verdauung an?

26. Zykel.

Während Dian einen ſchönern Tempel in die Höhe ſteigen ließ als den ſteinigten im Dorfe: verſtarb die Fürſtinn, deren castrum do¬ loris dieſer werden ſollte; ſie mußte man alſo vor der Hand in das Abſteigequartier einer Peſtizer Kirche beiſetzen. Das änderte ein Paar tauſend Sachen. Der Hohenflieſſer Kron¬ prinz Luigi ſollte und mußte nun aus Welſch¬ land zum Fürſtenſtuhle zurück, worauf der alte von den Jahren zuſammengewickelte Fürſt win¬ zig und ſprachlos mehr lag als ſaß wie¬ wohl der hinter der Fürſtenſtuhl-Lehne ſtehende Miniſter deſſen Figur und Stimme munter ge¬ nug nachſpielte ; Don Gaſpard, der alle bisherige Briefe Albanos nicht erhöret hatte, fertigte nun dieſem die gleich feurigem Weine die Adern durchbrauſende Ordre zu: auf mei¬ nem Rückwege aus Italien ſehen wir uns in deinem Geburtsorte Isola bella. Man wird dich abholen. Auch Leſer, die noch keine261 Woche lang Briefe eines Geſandten-Perſonale zugeſchnitten und zugeſiegelt haben, merken leicht, daß der Vließ-Ritter gedenkt, ſeinen Sohn mit dem jungen Fürſten und ihre erſten Peſtizer Verhältniſſe zu verknüpfen und zu miſchen.

Ich bitte aber die Welt, nun das Para¬ dies eines Menſchen auszumeſſen, der nach ſo langer Seefahrt endlich die langen Ufer der neuen Welt im Meere hinliegen ſieht. War ihm jetzt nicht das Leben an hundert Ecken aufgethan? Lorbeerkränze Epheukränze Blumenkränze Myrthenkränze Aehren¬ kränze alle dieſe Guirlanden überhiengen das Peſtizer Hauptthor und ſeine Hausthure. Du Bruder, du Schweſter, (ich meine Roquai¬ rol und Liane) welcher volle ſchmachtende Menſch zog euch entgegen! Und welcher träumende und unſchuldige! Homer und So¬ phokles und die alte Geſchichte und Dian und Rouſſeau dieſer Magus der Jünglinge und Shakeſpear und die brittiſchen Wochen¬ ſchriften (worin eine höhere humanere Poeſie ſpricht als in ihren abſtrakten Gedichten) alle262 dieſe hatten im glücklichen Jünglinge ein ewi¬ ges Licht, eine Reinheit ohne Gleichen, Flügel für jeden Thabors-Berg und die ſchönſten aber ſchwierigſten Wünſche zurückgelaſſen. Er glich nicht den bürgerlichen Franzoſen, die wie Teiche die Farbe des nächſten Ufers, ſondern den hö¬ hern Menſchen, die wie Meere die Farbe des unendlichen Himmels tragen.

Überhaupt war jetzt der reifſte beſte Zeit¬ punkt für ſeine Veränderung. Durch Dian und durch deſſen Reiſen war ſogar ſein äuße¬ rer Menſch ſchöner entwickelt in Gaſtzimmern. Die Menſchen gehen wie Schießkugeln weiter, wenn ſie abgeglättet ſind; bei Zeſara blieben ohnehin genug Demant-Spitzen ſtehen, woran ſich das Mittelgut ſtößet und ſticht; und ſel¬ ber ungewöhnlicher Werth iſt ungewöhnlicher Fehler wie hohe Thürme eben darum übergebogen ſcheinen. Zeſara lernte eben außerhalb des ländlichen Junkerzirkels, eine Behendigkeit der Ideen und Worte ein, die ihm ſonſt nur im Enthuſiaſmus zu Gebote ſtand; denn der Witz, ſonſt ein Feind des letztern, war bei ihm bloß ein Diener und Kind davon.

263

Er kokettirte nicht wie witzige Säuglinge, mit allen Ideen, ſondern er wurde von ihnen ent¬ weder angepackt oder gar nicht angeſtreift; da¬ her kam jenes ſtumme, langſame, unſcheinbare Reifen ſeiner Kraft, er glich langſam-aufſtei¬ genden Gebirgen, die ſtets mehr Ausbeute ab¬ werfen als ſchnell-aufſtehende. Bei großen Bäumen iſt der Saame kleiner und im Früh¬ linge die Blüthe ſpäter als bei dem kleinen Ge¬ ſträuche.

Die Zeit, eh 'Gaſpards abholender Bote kam, wurde dem aufgehaltenen Jünglinge eine Ewigkeit und das Dorf ein Kerker, es ſchrumpfte zu den Wirthſchaftsgebäuden eines Kloſters ein. Der bedeckte, aber mit Enkau¬ ſtik in ſein Gehirn geſchriebene Plan des Le¬ bens war (wie bei allen ſolchen Jünglingen) der, nichts größeres zu werden und zu thun als alles, nämlich zugleich ſich und ein Land zu beglücken, zu verherrlichen, zu erleuchten ein Friedrich II auf dem Throne, nämlich eine Gewitterwolke zu ſeyn, welche Bannſtrahlen für den Sünder, elektriſches Licht für Taube und Blinde und Lahme, Güſſe für die Inſek¬264 ten und warme Tropfen für durſtige Blumen, Hagel für Feinde, eine Anziehung für alles, für Blätter und Staub, und einen Regenbo¬ gen für das Ende hat. Da er nun Frie¬ drich II nicht ſuccediren durfte ſo wollt' er künf¬ tig wenigſtens Miniſter werden; zumal da Wehrfriz ſoviel aus der Länge dieſes Neben¬ ſcepters, des Ablegers und Schnittlings vom Mutterſcepter machte und in den Freiſtun¬ den nebenbei ein großer Dichter und Welt¬ weiſer.

Es ſoll mir lieb ſeyn, Graf, wenn du der zweite Friedrich der zweite und einzige wirſt; mein Buch hier wird davon profitiren und ich ſelber pouſſire dadurch mein Glück als ein ſeltener aus Xenophon, Kurtius und Voltaire zuſammengewachſener Hiſtoriograph!

27. Zykel.

Zeſara wird nie den Frühlingsabend ver¬ geſſen, woran er einen Paſſagier im Überrocke ein wenig hinkend und mit brauner Reiſe - Schminke, wogegen die weißen Augäpfel glän¬ zend abſtachen den ſeichten Bach neben dem265 hohen Stege durchwaten ſah, und wie ferner der Paſſagier einen Wächterſpieß, den der zei¬ tige Bettler-Polizei-Lieutenant als ſeinen vika¬ rirenden Mitarbeiter an ſeine Hausthüre ange¬ lehnt, mitnahm und ſolchen unterwegs einem Krüpel mit den Worten reichte: Alter, ich habe nichts Kleineres bei mir als den Spieß. Wenn Ihn jemand[fragt], ſo ſag 'Er nur, Er wach' im Dorfe gegen das verhenkerte Bettelvolk, aber Er habe nicht Augen genug. Dabei ſtreckte der Pilger noch ſein Schnupf¬ tuch einem Rektors-Söhnchen, dems nöthig war, auf 3 Minuten vor.

Natürlich war es unſer alter Titularbiblio¬ thekar Schoppe, den Don Gaſpard mit der Einladungskarte für Isola bella abgeſandt. Albanos Entzückung war ſo groß, daß er erſt einige Tage ſpäter ſich im humoriſtiſchen Son¬ derlinge jugendlich irrte, indeß dieſer ſehr bald den leichten, heißen, ſtillen Wildling richtig aus¬ wog. Gieng es nicht dem alten Landſchafts¬ direktor noch ſchlimmer, welcher, bloß weil er den deutſchen Reichskörper ſo hoch anſchlug als wär 'er die darin eingepfarrte Reichs¬266 ſeele, über Schoppe's Ausfälle gegen die Kon¬ ſtituzion in einen patriotiſchen Harniſch kam: Herr, (ſagt' er aufgebracht) wenns auch wo haperte: ſo muß ein redlicher Deutſcher ſtill dazu ſchweigen, wenn er nicht helfen kann, zumal in ſo verfluchten Zeiten.

Das Schönſte war, daß auf Luigi's Be¬ gehr zugleich der Baumeiſter abzureiſen hatte, um aus Rom Abgüſſe der Antiken zu holen.

Und nun zieht fort, damit ihr wieder¬ kommt und wir endlich einmal einlaufen in Peſtiz! Freilich wirſt du, gutes Kind, (Wald¬ biene ſollt 'ich ſagen) deinen Abflug aus dem ländlichen Honigbaume in den ſtädtiſchen glä¬ ſernen Bienenſtand mit tiefern Schmerzen hal¬ ten als du vorausgeſetzt reiſet nicht ſogar der alte Pflegevater ohne Abſchied fort, um nur dem deinigen zu entfliehen und deiner guten Mutter iſt, als reiße eine zornige Parze ihr einen Sohn von der Bruſt, als lange ſein zartes nur aus der kindlichen Gewohnheit geſpon¬ nenes Liebes-Band nicht hinein in die weite Zukunft und deine Schweſter ſperret ſich in die Manſardenſtube ein mit ihrem ländlichen267 von Feuerfoltern tobenden Herzen und kann dir nichts ſagen und nichts geben als eine von ihr bisher heimlich geſtickte Brieftaſche mit der ſeidnen Umſchrift: gedenke unſerer! und ſelber auf deinen lorbeer-ſüchtigen Kopf wird der Triumph - oder Regenbogen des Abſchiedes, wenn du unter ihm durchſchreiteſt, ſchwere ſchwere Tropfen werfen, (ach an den nachblik¬ kenden Augen werden ſie länger hängen blei¬ ben) dein alter redlicher Lehrer Wehmeier wird an dir den letzten Strom ſeiner Worte und Thränen vergießen und ſagen (und dein weiches Herz wird nicht lächeln): er ſey ein al¬ ter abgeſchabter Kerl und habe nun nichts vor ſich als das Loch (das Grab) du hingegen ſeyeſt ein friſcher blutjunger Mann, voll Sprachen und Alterthümer und herrlicher Ta¬ lente von Gott freilich werd' ers nicht er¬ leben, daß aus dir ein berühmter Mann werde, aber ſeine Kinder wohl; und dieſer Würmer ſolleſt du dich einmal annehmen, junger Herr!

Du reine Seele, an jedem bekannten Hauſe, an jedem theuren Garten und Thale268 wird ja der Schmerz ſein Einlegemeſſer ſchlei¬ fen und damit in dein glühendes zartes Herz leiſe-quellende Wunden ritzen wie? ſogar von deinen befreundeten Abend - und Morgen - Höhen (den Sprachgittern deiner heiligſten Hoffnungen), und von Lianen ſelber wirſt du zu entweichen glauben.

Aber wirf deine weinenden Augen in das offne blaue Italien und trockne ſie an Früh¬ linslüften das Leben hebt an die Signale zu den Waffenübungen und Luſt¬ treffen der rüſtigen Jugend werden gegeben und mitten in den olympiſchen Kampfſpie¬ len wirſt du herrlich von nahen Konzert - und Tanzſäälen umſchmettert.

Was phantaſir 'ich da her? Wie, iſts nicht uns allen mehr als zu wohl bekannt, daß er längſt fort iſt ſchon ſeit der erſten Jobel¬ periode, ja ſogar wieder retour und er hält ſchon ſeit der zweiten jetzt zählen wir die vierte mit dem Bibliothekar und dem Lektor zu Pferde vor Peſtiz und kann nicht hinein wegen der Thorſperre der

269

fünften Jobelperiode?

Prunkeinzug D. Sphex der trommelnde Kada¬ ver der Brief des Ritters Retrogradazion des Sterbetags Julienne der ſtille Charfrei¬ tag des Alters der geſunde und verſchämte Erbprinz Roquairol das Erblinden Sphe¬ xens Liebhaberei für Thränen das fatale Gaſt¬ geboth das doloroso der Liebe.

28. Zykel.

Ueber den Gabelweg, deſſen rechte Zinke nach Lilar geht, ſpornte Albano ſein Pferd bange hinüber und flog den Berg hinauf, bis die helle Stadt wie eine erleuchtete Peterskuppel lang und breit in der Frühlingsnacht ſeiner Phantaſien brannte. Sie legte wie ein Rieſe den Oberleib (die Bergſtadt genannt) auf die Anhöhe und ſtreckte die andre Hälfte (die Thal¬270 ſtadt) in das Thal. Es war Mittag und keine Wolke am Himmel; in der Mittagszeit ſteht eine Stadt mit voller blanker Scheibe da, in¬ deß ein Dörfchen erſt abends aus dem erſten Viertel ins Volllicht tritt. Sie war gut forti¬ fizirt, nicht von Rimpler oder Vauban, ſon¬ dern von einem wachſenden Pfahlwerke aus Linden. Oben leuchtete unſerm Alban die lange Wand der Palläſte der Bergſtadt entgegen und die Statuen auf ihren welſchen Dächern richte¬ ten ſich wie Wegweiſer und Ausrufer der Freude gegen ihn über alle Palläſte zog ſich das eiſerne Gebälke der Ableiter als ein Throngerüſt des Donners mit goldnen Scepter¬ ſpitzen ſeitwärts hinab lagerte ſich die Thal¬ ſtadt neben den Fluß zwiſchen Alleenſchatten, mit den bunten Faſſaden gegen die Gaſſen und mit dem weißen Rücken gegen die Natur ge¬ wandt die Zimmerleute klopften wie Ham¬ merwerke auf dem Anger unter abgeſchäälten Stämmen und die Kinder klatſchten mit den Rinden die Tuchmacher ſpannten grüne Tü¬ cher wie Vogelwände gegen die Sonne aus aus der Ferne zogen weißbedeckte Fuhrmanns¬271 wagen die Landſtraße daher, und an den Sei¬ ten des Weges graſeten geſchorne Schaafe unter dem warmen Schatten der fetten hellen Linden¬ knoſpen und über alle dieſe Maſſen ſchwebte das Mittagsgeläute aus den lieben vertrauten Thürmen, (dieſen Reſten und Leuchtthürmen aus ſeiner dunklern Zeit) gleichſam verknüpfend und beſeelend und rief die Menſchen freundlich zuſammen.

Betrachtet das erhitzte Geſicht meines Helden, der endlich in die offnen aus Sonnentempeln ge¬ baueten Gaſſen einreitet, wo ja vor jedem langen Fenſter, auf jedem Balkon Liane ſtehen kann wo ſich die lügneriſchen oder prophetiſchen Räth¬ ſel von Isola bella entwickeln müſſen wo ſich alle Hausgötter und Hausparzen ſeiner nächſten Zukunft verſtecken wo nun der Montblanc des Hofes und die Alpen des Parnaſſes, die er beide zu beſteigen hat, dicht mit ihrem Fuße an ihm liegen. Mich hätt 'es in etwas beklom¬ men; aber im Jünglinge zumal vor dem Kronleuchter der Sonne loderte ein Leuchtre¬ gen nieder. O wenn der Morgenwind der Jugend weht: ſo ſteht die innere Merkurius¬272 ſäule hoch, geſetzt auch, das äußere Wetter wäre nicht das beſte.

Wenige von uns werden, da ſie die Aka¬ demie bezogen, mit ihren Pferden in ein ſo la¬ bendes Getümmel gerathen ſeyn wie mein Held; Schlotfeger ſangen oben aus ihren Kan¬ zeln und ſchwarzen Höhlen herunter und ein Bauredner auf dem Satteldache eines neuen Hauſes beſprach droben ſehr die künftige Feuers¬ brunſt und dämpfte eine eigne und ſchleuderte den gläſernen Feuereimer weit über das Ge¬ rüſte, ja ſind wir mit ihm auch durch die la¬ chende Kirchengemeinde des Dach-Sprechers geritten und durch die Armreihen blühender Muſenſöhne, worunter Alban das feurige Auge nach ſeinem Roquairol herumdreht: ſo ſtoßen wir doch vor ſeiner künftigen Wohnung auf ein neues Geſchrei.

Es machts der Landphyſikus Sphex, ſein Miethsherr der ihm den halben Pallaſt (denn der Doktor iſt begütert durch Kuren) abſteht, weil das Haus gerade auf der Bergſtadt oder dem Weſtmünſter des Hofes liegt; denn in der Thalſtadt hauſen die Studenten und die city. Der273Der kurze unterſetzte D. Sphex ſtand, als das Kleeblatt anritt, neben einem langen Men¬ ſchen, der auf einer Steinbank ſaß und zwei Klöppel über eine Kindertrommel in Bereit¬ ſchaft hielt. Auf ein Zeichen von Sphex ſchlug der Lange auf ſeiner Trommel einen ſchwachen Wirbel und der Doktor ſagte gelaſſen zu ihm: Strauchdieb! Ob ſich gleich Sphex ein wenig gegen die lauten Reiter umdrehte, ſo ließ er doch bald im Wirbeln fortfahren und ſagte: Range! mußt 'aber unter dem letzten Schlage nur eilig einſchalten: Racker!

Die Reiter ſaßen ab, der Doktor führte ſie ohne Zeremonie ins Haus, nachdem er dem Trommler einen Wink mit der Hand gegeben, ſich nicht zu regen. Er machte ihnen ihre vier oder zwölf Pfähle auf und ſagte kalt: treten Sie in Ihre drei Kavitäten. Albano zog aus dem warmen Glanze des Tages in den kühlen purpurnen Erebus ſeines rothverhang¬ nen Zimmers wie in einen Bilderſaal malen¬ der Träume ein, gleichſam in die Silberhütte für das dunkle Bergwerk des Lebens. Er fand darin die geöffnete Hand ſeines reichen VatersTitan. I. S274von den Bildern des Fußteppichs an bis zu den Alabaſterſtatuen der Wand; und im Ka¬ binet traf er unter den Gaben ſeiner Pflege¬ eltern alle ſeine nachgeſchickten dichteriſchen und philoſophiſchen Studienbücher, holde Re¬ flexe aus der ſtillen ihm durch die Reiſe weit entrückten Jugend, an, in deren Nelkenſcherben nur Konkordien florirt hatten, indeß jetzt Feuer¬ faxe geſäet werden. Da warf, nicht die Göt¬ tinn der Nacht den Mantel, ſondern die Göt¬ tinn der Dämmerung den Schleier über ſein Auge und ließ im Helldunkel die Geſtalten der Zukunft, manche bewaffnet, manche bekränzt, einen Trupp aus Parzen und Grazien an ſei¬ nem Herzen, das bisher ſo ruhig war, Hände und Hebel anſetzen und ſein Herz wurde weich und locker auf drei Minuten: wahrhaf¬ tig ein Jüngling, zumal dieſer, hat die See¬ ſtürme, die dem Maler, die arbeitenden Vul¬ kane, die den Phyſiker, die Kometen, die den Aſtronomen erfreuen in der phyſiſchen Welt, eben ſo lieb in der moraliſchen.

Albano, jetzt von Lianen nur durch Gas¬ ſen und Tage getrennt, fürchtete ſich faſt, daß275 ſeine träumeriſchen Entzückungen ihr Ziel ver¬ riethen. Sind Briefe da? fragte der Lektor nach ſeiner für Bürgerliche abbrevirten kecken Manier. Hol 'ihn herauf, van Swieten! ſagte Sphex zu einem Söhnchen, das mit zwei andern, Boerhave und Galenus genannt, bis¬ her eine korreſpondirende Entzifferungskanzlei der neuen Miethsleute hinter einem Vorhange gemacht hatte. Unſer alter Herr, (ſetzte Sphex auf einmal dazu als häng' es mit dem Briefe zuſammen) hat auch ausgeherret; ſeit 5 Tagen iſt er maustodt wie ich längſt vorausgeſagt. Der alte Fürſt? fragte erſtaunt Auguſti. Aber warum werd 'ich noch nichts von Trauerge¬ läute, ſchwarz-angelaufnen Schnallen, Thrä¬ nentöpfen und Jammer in der Stadt ge¬ wahr? fragte Schoppe.

Das erklärte der Phyſikus. Er hatte näm¬ lich als Leibarzt die Sterbensterzie des alten Fürſten kühn genug geweiſſagt und glücklich getroffen. Allein da gerade einen Tag nach dem Trauerfalle der Erbfolger Luigi in Peſtiz einziehen wollte und da die Publikazion des hohen Todes die ganze für den Sohn einge¬S 2276ölte Illuminazion ausgegoſſen hätte mit Thrä¬ nentöpfen und die geblümten Ehrenpforten ver¬ hangen mit Trauerflor: ſo hatte man, bevor der Nachfahrer empfangen war, obwohl zum größten Schaden des prophetiſchen Sphex, die Sache nicht wollen laut werden laſſen, ſo wie jener Grieche bei der Todespoſt ſeines Sohnes die Trauer erſt auf die Vollendung ſeines fro¬ hen Opferns verſchob. Sphex betheuerte, ſchon vor vielen Jahren hab 'er dem Höchſtſeeligen aus den weißen Zähnen*)Nach Camper haben Hektiker ſehr weiße und ſchöne Zähne. die Nativität der Schwindſucht geſtellt und nie die Todesſtunde beſſer getroffen als dasmal; er laſſe aber jeden ſelber beurtheilen, ob ein Arzt, der ſeine Pro¬ phezeihung überall kund gegeben, viel Seide ſpinne bei einer ſolchen politiſchen Unterſchla¬ gung. Aber (verſetzte Schoppe) wenn man verſtorbene Herren gleich ihren todten Solda¬ ten, noch als lebendige in der Liſte fortführt: ſo kann man faſt nicht anders; denn da es bei Großen überhaupt ſo verdammt ſchwer zu277 erweiſen iſt, daß ſie leben, ſo iſts auch nicht leicht auszumitteln, wenn ſie todt ſind; Kälte und Unbeweglichkeit und Fäulniß beweiſen zu wenig. Doch mag man vielleicht könig¬ liche Sterbebetten wie die Perſer königliche Gräber auch darum verſtecken, um den ar¬ men Landeskindern den herben Zwiſchenraum zwiſchen dem Tode und der neuen Huldigung möglichſt abzukürzen. Ja da nach der Fikzion ein König gar nicht ſtirbt, ſo haben wir Gott zu danken, daß wirs überhaupt erfah¬ ren und daß es nicht mit dem Tode deſſelben wie mit dem Tode des eben ſo unſterblichen Voltaire geht, den die Pariſer Journaliſten gar nicht melden durften.

Van Swieten und Boerhave und Galenus brachten nach langem Ausbleiben einen Brief an Albano mit Gaſpards Siegel; er riß ihn jugendlich-arglos auf ohne einen Blick auf den Umſchlag; aber der Lektor nahm dieſen in die Hand und drehte ihn wie ein Poſtſekretär, Heraldiker und Siegelbewahrer nach ſeiner Ge¬ wohnheit zur Viſitazion ſphragiſtiſcher Wun¬ den herum und ſchüttelte über die ſchlechte Er¬278 neuerung des Briefadels d. h. des Wappens leiſe den Kopf. Haben die Jungen etwas am Siegel verletzt? ſagte Sphex. Mein Va¬ ter, (ſagte leſend Albano, um eine bis nach außen reichende Erſchütterung zu überdecken, worein ein Flug ſchwerer Gedanken plötzlich alle ſeine innern Zweige ſetzte) weiß den Tod des Fürſten auch ſchon. Da ſchüttelte Au¬ guſti noch mehr den Kopf; denn da ſich vorhin Spher vom Briefe auf einmal auf das fürſt¬ liche Sterben verſprang, ſo ſetzte dieſer Sprung faſt die Leſung des erſtern voraus. Der Leſer ziehe ſich hiervon die Regel ab, daß er über die Entfernung zweier Töne, zwiſchen welchen die Leute vor ihm hüpfen, ſtutzen und daraus auf den Leitton zwiſchen beiden rathen müſſe, den ſie verſtecken wollen.

Für den Grafen war es jetzt recht gut, daß der Doktor den Hofmeiſtern ihre Zimmer anwies; ach ſeine vom heutigen Tage ſchon ſchwankende Seele wurde jetzt ſo heftig vom Inhalte des Briefes erſchüttert!

279

29. Zykel.

Als Sphex dem Bibliothekar die Stube aufthat, war ſolche ſchon beſetzt von einer Kiſte (auch aus Italien angelangter) Vipern, von ¾ Zentner Flachs, einem bleichen Reifrocke und von 3 durchbohrten Seidenſchuhen der Dokto¬ rinn ſammt einer Waiſe und einem Vorrathe von Kamillenkraut; das mediziniſche eheliche Paar hatte gedacht, das pädagogiſche niſte bei¬ ſammen. Aber Schoppe verſetzte recht gut und faſt mit einiger Ironie gegen den vornehmer¬ traktirten Auguſti: je kräftiger und geiſtrei¬ cher und größer zwei Menſchen ſind, deſto weniger vertragen ſie ſich unter Einem Dek¬ kenſtück, wie große Inſekten, die von Früch¬ ten leben, ungeſellig ſind (z. B. in jeder Ha¬ ſelnuß ſitzt nur Ein Käfer), indeß die kleinen, die nur von Blättern zehren, z. B. die Blattläuſe neſterweiſe beiſammenkleben. Zeſara hätte allerdings an ſeinem unerſättlichen Herzen den Geliebten, den ihm das Geſchick daran gelegt hätte, unaufhörlich in jeder Lage und Stunde wie einen Waffenbruder behalten wollen; aber Schoppe hat Recht. Freunde,280 Liebende und Eheleute ſollen alles gemein ha¬ ben, nur nicht die Stube; die groben For¬ derungen und die kleinlichen Zufälle der kör¬ perlichen Gegenwart ſammlen ſich als Lampen¬ rauch um die reine weiße Flamme der Liebe. Wie das Echo immer vielſylbiger wird, je wei¬ ter unſer Ruf abſteht, ſo muß die Seele, aus der wir ein ſchöneres begehren, nicht zu nahe an unſrer ſeyn; und daher nimmt mit der Ferne der Leiber die Nähe der Seelen zu.

Der Doktor ließ ſeine lauten Kinder als einen ausräumenden Strom in die Augiasſtube laufen; er aber gieng wieder zum Trommler hinunter, mit dem es nach ſeiner Erzählung dieſe Vewandtniß hatte: Sphex hatte ſchon vor mehrern Jahren beſondere Vermuthungen über die Fett-Abſonderung und den Durchmeſſer der Fett-Zellen in einem Traktate gewagt, den er nicht eher herausgeben wollte, bis er die ana¬ tomiſchen Zeichnungen dazu konnte ſtechen las¬ ſen, mit denen er auf die Sekzion und Aus¬ ſpritzung des daſitzenden Trommlers wartete. Dieſen kranken, einfältigen, ſchlaffen Menſchen, Malz mit Namen, hatt 'er vor einem Jahre,281 als ſich einige Fett-Augen auf ihm anſetzten, un¬ ter der Bedingung in die Koſt genommen, daß er ſich zerlegen ließe, wenn er verſtorben wäre. Zum Unglück findet Sphex ſeit geraumer Zeit, daß der Kadaver täglich abfället und eindor¬ ret aus einem Aale zu einer Hornſchlange; und es iſt ihm unmöglich herauszubringen, was es macht, da er ihm nichts Ausſaugendes zuläſſet, weder Denken noch Mozion noch Paſſionen, Empfindſamkeit, Eſſig noch ſonſt etwas.

Die Trommel muß der Kadaver da er eben ſo harthörig als hartſinnig iſt und ſchon darum keine Vernunft annimmt, weil er keine hört immer umgehangen tragen, weil er unter ihrem Rühren beſſer vernimmt, was ſein Brodherr und Proſektor an ihm ausſetzt. *)Derham (in ſeiner Phyſiko-Theologie 1750) bemerkt, daß Taube unter dem Getöſe am be¬ ſten hören, z. B, ein Harthöriger unter dem Glockengeläute; eine taube Wirthinn unter dem Trommeln des Hausknechts. Daher wird vor Der Doktor filzte ihn nun drunten, Schoppe282 hörte zum Fenſter hinab ſo aus: ich wollte, der Teufel hätte lieber Seinen verdammten ſeeligen Vater geholet als daß er geſtorben wäre. Er ſchießet ja über Sein Lamentiren ein wie Soldatentuch und weckt ihn doch nicht auf, und wenn Er ſich die Naſe wegweinte. Beſſer getrommelt, Kahlmäuſer! Weiß Er denn nicht, Schufft, daß Er mit einem an¬ dern einen Kontrakt gemacht, ins Fett zu wachſen ſo gut Er kann, und daß man den Broddieb koſtbar ernährt, bis er brauchbar wird? Andere würden gern fett, wenn ſie's hätten. Und Ihr! Redet, Strick! Malz ließ die Trommelſtöcke unter die Schenkel niederklappen und ſagte: Sie ha¬ ben recht Seine Noth mit mir es iſt kein rechter Seegen bei unſerm Schmalz und darüber mergelt ſich unſer einer im Stillen ab. Meinen Vater ſeel. ſchlag 'ich mir*)Fürſten und Miniſtern, die meiſtens ſchlecht hö¬ ren, Muſik - Pauken - und Kanonen-Lärm, wenn ſie durchpaſſiren, geſchlagen, damit ſie das Volk leichter hören. 283 wahrhaftig aus dem Kopfe, er mag mir ein¬ fallen wenn er will.

30. Zykel.

Der väterliche Brief, der Albanos Seele in allen ihren Fugen erſchütterte, lautet über¬ ſetzt ſo:

Lieber Albano, im Kampanerthal er¬ hielt ich leider einen Brief über die im¬ mer heftiger wiederkommenden Aphyxien deiner Schweſter, er war am Charfrei¬ tage geſchrieben und ſetzte ihren Tod ſchon als ausgemacht voraus. Auch bin ich darauf gefaſſet. Deſtomehr frappirte mich deine Nachricht vom Gaukler der Inſel, der den Propheten ſpielen wollen. Eine ſolche Weiſſagung ſetzt irgend einen Antheil voraus, dem ich in Spanien nä¬ her nachſpüren muß. Ich glaube den Betrüger ſchon zu kennen. Sey an deinem Geburtstage vorſichtig, bewaff¬ net, kalt und kühn und halte wo mög¬ lich den Jongleur feſt; gieb dir aber kein ridicule durch Sprechen darüber. Dian284 iſt in Rom und arbeitet recht brav. Lege Hoftrauer für den lieben alten Für¬ ſten an aus Gefälligkeit. Addio!

G. de C.

Ach theuere Schweſter! ſeufzete er innig, und zog ihr Medaillon heraus und ſah wei¬ nend die Züge eines ihr verſagten Alters an, und las weinend die widerlegte Unterſchrift: wir ſehen uns wieder. Jetzt da ſich ihm das Leben lachend und weit aufſchließet, gieng es ihm viel näher, daß das Schickſal die Schwe¬ ſter ſo eng bedeckt; ja der harte Gedanke kam dazu, ob er nicht Schuld an ihrem Ver¬ ſchwinden habe, da ſeinetwegen der fürchter¬ liche Zahuri der Inſel vielleicht eine opfernde Gaukelei getrieben: ſogar der Umſtand, daß ſie ſeine ſchwächliche Zwillingsſchweſter war, wurde ein Schmerz. Allein kämpfend ſtan¬ den jetzt die Gefühle in ſeinem Geiſte wie auf einem Schlachtfelde gegeneinander. Welches Schickſal zieht mir entgegen! dacht 'er. Nimm die Krone! hatte jene Stimme geſagt; welche? fragte aufſtehend ſein ruhmdurſtiger Geiſt und u〈…〉〈…〉 erſuchte kühn, ob ſie aus Lorbee¬285 ren oder Dornen oder Metallen beſtehe. Liebe die Schöne! hatte ſie geſagt; aber er fragte nicht: welche? , nur hatt' er, ſeit¬ dem der Vater des Todes ſeinen Namen und ſeine Glaubwürdigkeit fürchterlich zu bewähren ſchien, die Furcht daß die angekündigte Stimme in der Himmelfahrts - und Geburtsnacht einen andern Namen nenne als den geliebteſten.

Abends nachdem die drei Ankömmlinge ihre häuslichen Einrichtungen, die aus dem wellenſchlagenden Albano noch immer nicht den vervielfältigten Zauberglanz der Linden¬ ſtadt wegbrachten, hinter ſich hatten: führte der Lektor den Grafen zum Erbprinzen Luigi. Dieſer kopirte täglich eine halbe Stunde lang im Bilderkabinet; und beſchied beide dahin zum Warten auf ihn. Sie giengen hinein. Ein andrer als ich würde hier der Welt einen räſonnirenden Küchenzettel aller Schaugerichte des Kabinets zuſtellen; aber ich mag ſie nicht einmal mit den 17 Gemälden beſchenken, über deren Reizen jene ſeidnen Tändelſchürzen oder Schleier hiengen, die in Paris eine Dame gern von ihren eignen abheben würde, um nur da¬286 mit verſchämt das Kunſtwerk zu bedecken. Man kann leicht denken, daß unſerm Alban im Bilderkabinet das mütterliche*)In deſſen Wand, die Frau mit dem Souve¬ nir iſt. einfiel und daß er gern an jedem Nagel gerücket hätte, wäre niemand da geweſen.

Aber die Prinzeſſinn Julienne war da, die er (und wir alle) noch recht gut von Blu¬ menbühl her kannte, wie ſie ihn. Sie war zwar voll junger Reize, aber man fand dieſe doch nicht eher als bis man ein Paar Tage vorher ſehr in ſie verliebt geweſen war das machte ſie darauf jede Minute hübſcher, wie denn überhaupt Amor mehr der Vater als der Sohn der Huldgöttinn iſt, und ſein Köcher das beſte Schmuckkäſtchen und die reichſte Toilet¬ tenſchachtel, und ſeine Binde das beſte mou¬ choir de Venus und Schminkläppchen, das ich kenne.

Sie zeichnete gerade den Gypsabguß eines ſchönen alten Kopfs, der dem Grafen gleich¬ ſam aus dem Antikenkabinet ſeiner Erinne¬287 rung geholt zu ſeyn ſchien und dem ſein wal¬ lendes Herz recht liebend entgegenfloß; aber er entſann ſich des Urbilds nicht. Endlich ſagte Julienne, die Etiquette verſchmähend, recht gutmüthig und aufblickend: ach lieber Auguſti, mein Vater iſt verſchieden in Li¬ lar. Das Wort Lilar kolorirte plötzlich in Albano das bleiche Gedächtnißbild völlig wie dieſe blaſſe Büſte ſah im Mondſcheine der alte Mann aus, der in jener dichteriſchen Sommernacht Zeſarens Hände auf dem Berge zum Gebet zuſammenlegte und ſagte: gehe ſchlafen, lieber Sohn, eh 'das Gewitter[kommt]. Ein andrer hätte ſich nun nach dem Namen der Büſte erkundigt und erſt dann die nächt¬ liche Hiſtorie entdeckt; aber der Graf that im Feuer bloß das letztere, nach einem kurzen Warten auf das Auslaufen des Geſprächs, Au¬ guſti wollte ihn, als er die ihm fremde Ge¬ ſchichte der Bekanntſchaft mit dem Urbilde an¬ hob, ſorgend unterbrechen; aber Julienne gab ihm einen Wink, ihn zu laſſen; und der Jüng¬ ling theilte treuherzig der theilnehmenden Seele das ſchöne Zuſammenkommen gerührt und288 brennend mit, und wurde beides noch mehr als ihre Augen überfloſſen in ihr Lächeln. Es war mein Vater, das iſt ſein Abguß! ſagte Julienne weinend und freudig; Albano ſchlug nach ſeiner Art, mit ſeufzender Bruſt die Hände vor der Büſte zuſammen und ſagte: du edle herzlich geliebte Geſtalt! und ſein großes Auge ſchimmerte von Liebe und Trauer.

Die gute weibliche Seele wurde von einer ſo unhöfiſchen Theilnahme fortgeriſſen und ſie überließ ſich ganz ihrem angebornen Feuer. Das weibliche und das höfiſche Leben iſt zwar nur die längere Strafe des Gewehrtragens Oberhofmeiſterinnen ſind, wie es nach dem Modelle der Jaherren Neinherren giebt, wahre Neinfrauen die ſiebenfarbige Kokarde der heitern tanzenden Freiheit wird da abgeriſſen oder läuft ſchwarz an von der Hoftrauer jeder weibliche Luſthain iſt ein unheiliger fataleres kenn 'ich nichts aber die kraushaarige Julienne brach, mir nichts dir nichts, durch das ewige Gefängniß bei ſüßem Brodte und gebranntem Waſſer des Tages wohl 12mal hinaus und lachte den freien Himmelan289an und beleidigte ( ſich und andre nie ) die Oberhofmeiſterinn ſtets. Sie erzählte nun dem Grafen (indem ſie aus Nervenſchwäche und Lebhaftigkeit immer ſtärker lächelte und ſchneller ſprach), wie ihr lieber ſchwacher, mehr kindlicher als kindiſcher Vater deſſen alten Lip¬ pen und entkräfteten Gedanken nur noch nach¬ gelallte Gebete möglich waren, ſich mit einem eisgrauen myſtiſchen Hofprediger in Lilar ins Betzimmer eingeſchloſſen (ein graues Haupt verbirgt ſich gern eh 'es verſchwindet und ſucht wie Vögel einen dunkeln Ort zum Entſchlafen) und wie ſie und das Fräulein von Froulay (Liane) dem halbblinden Manne abwechſelnd Gebete vorgeleſen und gleichſam die Abend¬ glocke der Andacht vor dem müden ſchlaf¬ trunknen Leben angezogen. Sie malte, wie er in dieſem Vorhofe der Gruft alles Geliebte überlebt oder vergeſſen habe, wie er immer nach ihrer Mutter gefragt, deren Sterben ihm ſtets von neuem entfallen und wie das verdun¬ kelte Auge jede Tageszeit für einen Abend und daher jeden Fortgehenden für einen, der ſchla¬ fen gehen wolle, genommen habe.

Titan. I. T290

Wir wollen nicht zu lange auf dieſe ſpäte Zeit des Lebens blicken, wo ſich die Menſchen wie¬ der als Kinder für die längere Wiege des Grabes verkürzen; und wo ſie gleich den Abends ſchla¬ fenden Blumen unkenntlich ſind und einan¬ der früher als im Tode gleich werden.

Beſonders dem Lektor war wie allen Hof¬ leuten ſchlecht mit dieſen Funeralien gedient; auch wollt 'er gern die Hiobskrankheit ihres Klagens durch Verſetzung heilen und führte ſie näher zu Lianen. Aber eben, indem ſie den Antheil und die Opfer dieſer Freundinn beſchrieb und indem ihr wieder die lange weinende Um¬ armung erſchien, worin Liane ſie und den Schmerz gleichſam feſt an ſich geſchloſſen hatte, ſo kehrte jeder dunkle ſchwere Blutstropfe den die kräftigen Pulsadern fortgetrieben hatten, wieder in das Herz zurück und ſie hörte auf, zu malen, ſowohl dieſe Geſchichte als den Kopf.

Die beiden Freundinnen waren keine ſolche, die ſich den Kuß durch zwei Flöre hinauslan¬ gen, oder die einander abzuherzen wiſſen, ohne die kleinſte Quetſchwunde der Friſur, oder de¬ ren Liebesmahl ſich jedes Jahr, wie das Abend¬291 mahlbrod jedes Jahrhundert, leichter und dün¬ ner bricht: ſondern ſie liebten ſich innig mit den Augen, mit den Lippen, mit dem Herzen, wie zwei gute Engel. Und wenn vorher die Freude ihren Ärntekranz nahm und ihn für ſie zum Trauring der Freundſchaft machte: ſo verſuchte jetzt der Gram mit ſeinem Stachelgür¬ tel daſſelbe. Ihr guten Seelen! mir iſt es ganz leicht denklich, wie ein ſo reiner glänzen¬ der Seelenbund das Herz eueres Freundes Al¬ bano zugleich peinlich ausdehnt und ſeelig er¬ hebt, wie die äroſtatiſche Kugel zugleich zer¬ ſtöhrend ſchwillt und ſteigt. Für Lianens Ein¬ zug ſtanden ohnehin ſchon geſchmückte Ehren¬ pforten in ſeinem Innern in die Höhe!

Inzwiſchen hätte ein Fremder ohne dieſe meine Feder, oder auch ich ohne den Lehn¬ probſt Hafenreffer, nichts am ſprechenden Gra¬ fen merken können, als ein irres Glühen im Geſicht und ſchnelle Worte.

31. Zykel.

Auf einmal tritt in dieſe Schilderungen und Genüſſe der Thronfolger, oder vielmehrT 2292der Nachwinter des kalten Greiſes ein, Luigi. Mit einem flachen Schnitzwerke des ſchwammi¬ gen Geſichts, auf dem ſich nichts ausdrückte als der ewige Mißmuth der Lebens-Verſchwen¬ der, und mit einigem reifen Grauwerke auf dem Kopfe (als Vorläufer der Weisheitszähne) und mit der unfruchtbaren Superfötazion eines voluminöſen Unterleibes gieng er mit der grö߬ ten Höflichkeit auf Albano zu, in der ein fla¬ cher Froſt gegen alle Menſchen vorſtand. Er ſtäubte ſogleich mit der Kleie von leeren ſchnel¬ len, unähnlichen Fragen um ſich und eilte ſtets; denn er hatte faſt noch mehrere Langweile als er machte, wie ſich überhaupt für keinen das Leben ſo widrig verlängert, als für den, der es verkürzet. Luigi war durch die Erde ſo ſchnell wie durch ein Puderſtübchen gelaufen und war wie in dieſem, gehörig grau gewor¬ den; die Milchgefäße ſeines äußern und in¬ nern Menſchen hatten ſich, weil ſie Sahne - oder Rahmgefäße ſeyn ſollten, eben deswegen in Giftgefäße und Leidensbecher verkehrt. So oft ich vor einer gemalten Fürſten-Suite in einem Korridor vorbeigehe, ſo verfall 'ich ſtets293 auf mein altes Projekt und ſage ganz über¬ zeugt: vermöchten wir nur wie die Spar¬ ter und alle ältere Völker es durchzuſetzen, daß wir einmal einen Regenten geſund auf den Thron hinaufbrächten; ſo hätten wir ei¬ nen guten obendrein und alles gienge. Aber ich weiß, es ſind die Zeiten nicht dazu. Sünd¬ licher Weiſe aſſiſtiren nur bei der Tortur, nicht bei der Freude, Chirurgen und Aerzte die auf den Grad der Freude wie der Folter und auf die unſchädlichen Stellen genau hin¬ weiſen.

Albano, fremd vor und in dieſer Men¬ ſchenklaſſe, ſah anfänglich die Kluft zwiſchen ſich und Luigi flacher gegraben als ſie war; bloß unbehaglich und drückend wurd 'es ihm, wie gewiſſen Leuten, wenn ohne ihr Wiſſen eine Katze im Zimmer iſt. Die fortgehende moraliſche Entkräftung und Verfeinerung wird alle unſere Außenſeiten noch ſo abſäubern und ausgleichen und zwar nach demſelben Geſetze wornach phyſiſche Schwächung die Hautausſchläge zurückjagt und in die ed¬ lern Theile verweiſet , daß wahrhaftig ein294 Engel und ein Satan zuletzt in nichts zu un¬ terſcheiden ſind als im Herzen. Alban brachte ſchon von Wehrfriz, den er immer die Rechte der Landſchaft gegen den Fürſten ver¬ fechten hörte, Abneigung gegen den Nachfol¬ ger mit; deſto leichter entbrannte in ihm ein moraliſcher Grimm, da Luigi ſich gegen die Bilder kehrte und die Vorhänge oder Bergle¬ der von einigen der indezenteſten wegzog, um ihren artiſtiſchen Gehalt nicht ohne Geſchmack und Kenntniß auszuwägen. Eine kopirte Ve¬ nus von Tizian auf einem weißen Tuche lie¬ gend war nur die Vorläuferinn. Obgleich der unſchuldige Erbprinz die voyage pittoresque durch dieſe Gallerie mit der artiſtiſchen Kälte des Gallerieinſpektors und Anatomikers machte und mehr ſeine Kenntniſſe zu zeigen als zu berei¬ chern ſuchte: ſo nahm doch der unerfahrne Jüng¬ ling alles mit einer tauben und blinden Ent¬ rüſtung auf, die ich mit nichts, nicht einmal mit der Gegenwart der Prinzeſſinn zu verthei¬ digen weiß, um ſo mehr, da erſtlich dieſe ihre Seele nur zwiſchen der Gipsbüſte und deren Kopie, arbeitend theilte und da zweitens in295 unſern Tagen Damenuhren und Fächer (wenn ſie geſchmackvoll ſind), Gemälde tragen, gegen die Albano wieder Fächer nehmen würde. Die zwei Flammen des Zorns und der Schaam überdeckten ſein Angeſicht mit einem glühenden Wiederſcheine; aber ſein unbehülflicher Trotz kontraſtirte gegen die Gewandtheit des Lektors, der mit ſeinem kalten eben ſo beſtimmten als leichten Tone Selbſtſtändigkeit bewahrte und Reinheit ſchützte. Sie gefallen mir alle nicht (ſagt' er barſch) ich gäbe ſie für ein einziges Gewitter von Tempeſta weg. Luigi lä¬ chelte über ſein ſchülerhaftes Auge und Gefühl. Als ſie in das zweite Bilder-Zimmer traten, hörte Albano die Prinzeſſinn fortgehen. Da ihm dieſes Gemach mit noch mehrern zerriſſe¬ nen Vorhängen des Allerunheiligſten drohte: ſo nahm er ſeinen Abſchied ohne ſon¬ derliche Zeremonie und gieng ohne den Lektor zurück, der heute vorzuleſen hatte.

Nie faßte Schoppe ſeine pulſirende Hand herzlicher an als dieſesmal; der Anblick eines verſchämten Jünglings iſt faſt holder (ſelte¬ ner zumal) als der einer verſchämten Jung¬296 frau, jener erſcheint weiblich-ſanfter; wie dieſe männlich-ſtärker durch das zugemiſchte Zürnen der Tugend. Schoppe, der wie Pope, Swift, Boileau Heiligkeit des Geſchlechts mit Zynis¬ mus der Kleidung und Sprache zuſammen¬ zwang, leerte die größten Zornſchaalen über jede Libertinage aus und fiel als eine ſatyriſche Bellona die beſten freien Leute an; dasmal aber nahm er ſie mehr in Schutz und ſagte: die ganze Gattung liebt fremde Schaamröthe entſchieden und bekämpfet ſie lieber als Scham¬ loſigkeit, ſo wie (und aus einerlei Gründen) Blinde die Scharlachfarbe vorziehen. Man kann ſie den Kröten vergleichen, die den koſtbaren Krötenſtein (ihr Herz) auf kein anderes Tuch wie auf ein rothes ſetzen.

Der Lektor der bei aller Reinheit und Zucht doch dem Scarron ohne Bedenken an der Ode auf das Geſäß einer Herzoginn hätte ſchreiben helfen, wußte als er die Flucht des Grafen behandeln wollte gar nicht, wie ihm geſchah, als ihn dieſer mit einigem Roſeneſſig anſprengte und ſagte: der Vater liegt dem297 ſchlechten Menſchen auf dem Brette und ihm liegt eines vor der eiſernen Stirn: o der Schlechte! Allerdings hatte die phy¬ ſiſche und moraliſche Nähe der zwei ſchönen weiblichen Herzen und die Liebe dafür den Grafen am meiſten gegen Luigi's artiſtiſchen Zyniſmus empört. Der Lektor verſetzte bloß: Er werde bei dem Miniſter und überall das¬ ſelbe hören; und ſeine falſche Delikateſſe werde ſich ſchon noch geben. Die Heiligen (fragte Schoppe) wohnen nur auf, nicht in den Palläſten? Froulays ſeiner trug näm¬ lich auf ſeiner Platteforme einen ganzen Kor¬ don von ſteinernen Apoſteln; und auf einer Ecke ſtand eine Marienſtatue, die zwiſchen lau¬ ter Dächern aus Sphexens Hauſe zu ſehen war.

Junger Zeſara! wie jagt dir dieſe mar¬ morne Madonna Blutwellen durchs Geſicht, gleichſam die Schweſter deiner ſchönern, oder die Schutz - und Hausgöttinn derſelben! Aber er beſchleunigte den Eintritt in dieſes Lararium ſeiner Seele, die Abgabe des väterlichen Em¬ pfehlungsſchreibens mit keinem Laute aus Scheu298 des Argwohns: ſo viele Fehltritte thut der Gute ſchon im Heidenvorhofe der Liebe; wie ſoll er im Weibervorhofe beſtehen, oder im finſtern Allerheiligſten fußen?

32. Zykel.

Der Hof ließ jetzt (er konnte vor Schmerz nicht ſprechen) ausſchreiben, daß der todte Ne¬ ſtor mit Tode abgegangen. Ich ſetze hier den Jammer der Stadt ſammt der Freude derſelben über die neue Perſpektive bei Seite. Der Land¬ phyſikus Sphex mußte den Regenten anſtatt daß man uns Unterthanen gleich Schnepfen und Grundeln mit dem ganzen Eingeweide und Geſcheide auf die Tafel des Gewürms ſer¬ virt wie ein großes Thier ausweiden. Abends ruhte der Erblaßte auf ſeinem Parade¬ bette aus der Fürſtenhut und der ganze elektriſche Apparat des Throndonners lag eben ſo ruhig und kalt neben ihm auf einem Ta¬ bouret ; er hatte die gehörigen Kerzen und Leichenwächter um ſich. Dieſe Todten-Schwei¬ zer der Klang frappirt mich und ich ſehe299 jetzt die Freiheit auf dem Paradebette der Al¬ pen liegen und die Schweizer wachen beſte¬ hen bekanntlich aus zwei Regierungsräthen, zwei Kammerräthen und ſo fort. Der eine Kam¬ merrath war der Hauptmann Roquairol. Es kann hier nur einſchaltungsweiſe berührt wer¬ den, wie dieſer Jüngling, der vom Kamerale faſt nicht mehr verſtand als ein Kammerrath im ** hiſchen, doch zu einem Rathe in Kriegs¬ ſachen darin aufſtieg , nämlich wider ſeinen Willen durch den alten Froulay, der (an ſich eben kein ſentimentaliſcher Herr) den alten Fürſten immer die Jugenderinnerungen auf¬ friſchte und auffärbte, weil man in dieſer wei¬ chen Laune von ihm erbetteln konnte was man wollte. Wie häßlich und niedrig! So kann ein armer Fürſt kein Lächeln, keine Thräne, kein freudiges Bild haben, woraus nicht irgend ein Hofpreziſt, ders ſieht, einen Thürgriff arbeitet, ſich etwas zu öffnen, oder einen Degengriff zum Verwunden; keinen Laut kann er von ſich ge¬ ben, den nicht ein Waidmann und Wildruf¬ dreher zum Mundſtück und Wildruf ver¬ brauche.

300

Julienne beſuchte abends um 9 Uhr das einzige Herz, das am Hofe wie ihres und für ihres ſchlug, ihre gute Liane. Dieſe bot gern ihrer anfangenden Migraine die Stirn und ſuchte nur fremde Schmerzen zu fühlen und zu ſtillen. Die Freundinnen, die vor fremden Au¬ gen nur Scherze und voreinander nur einen weichen ſchwärmeriſchen Ernſt entfalteten, ver¬ ſanken immer tiefer in dieſen vor der religiöſen ſtrengen Miniſterinn, die nie an Juliennen ſo viel Seele fand als in dieſer ſanft nachweinen¬ den Stunde, wie Levkoien zu duften anfangen, wenn ſie begoſſen werden. Nicht der käm¬ pfende Schmerz, ſondern der fliehende verſchö¬ nert die Geſtalt; daher verklärt der Todte ſeine, weil die Quaalen erkaltet ſind. Die Mädchen ſtanden ſchwärmeriſch miteinander am Fenſter, das zunehmende Mondenlicht ihrer Phantaſie wurde durch das äußere voll; ſie machten den Nonnen-Plan, auf Lebenslang beiſammen zu leben und zuſammenzuziehen. Es kam ihnen in dieſer ſtillen Rührung oft mit Erſchrecken vor als wehe der klingende Flug abgeſchiede¬ ner Seelen vorüber (bloß ein Paar Fliegen301 hatten auf der Harfe der Miniſterinn mit Füs¬ ſen und Flügeln die Töne gegriffen) ; und Julienne dachte recht ſchmerzlich an ihren tod¬ ten Vater in Lilar.

Endlich bat ſie die Seelenſchweſter, mit ihr heute nach Lilar zu fahren und das letzte und tiefſte Weh einer Waiſe zu theilen und zu mildern. Sie that es willig; aber der Mini¬ ſterinn war das Ja mühſam abzuringen. Ich ſehe die ſanften Geſtalten aus der langen Um¬ armung im Wagen, in das Trauerzimmer in Lilar treten, die kleinere Julienne mit zucken¬ den Augen und wechſelnder Farbe, Liane von Migraine und Trauer bläſſer und milder und über jene durch ihre ſchon vom zwölften Jahre geſchenkte Länge*)Dieſe frühzeitige Vollendung des Wuchſes hab 'ich an mehreren ausgezeichneten Weibern be¬ merkt, gleich als ſollten dieſe Pſychen Schmet¬ terlingen gleichen, die nicht wachſen nach der Entpuppung. erhoben.

Wie überirrdiſche Weſen ſtralten beide die an allen Ecken brennende Seele Roquairols an. 302Ein einziger Thränentropfe konnte in dieſen Kalzinirofen Sieden und Verwüſtung bringen. Schon dieſen ganzen Abend blickte er den Greis mit furchtſamen Schaudern über das kindiſche Ende dieſes gewichnen Geiſtes an, der ſonſt ſo feurig geweſen als ſeiner jetzt; und je länger er hinſah, deſto dickere Rauchwolken ſchwam¬ men vom offnen Krater des Grabes in das grünende Leben herein, und er hörte darin donnern und er ſah darin eine Eiſenfauſt dun¬ kel glühen, die nach unſerm Herzen greift.

Unter dieſen grimmigen Träumen, die je¬ den innern Schmutzflecken beleuchteten und die hart ihm droheten, auch an ſeinem Vulkane werde nichts fruchtbar ſeyn als einſt die Aſche, traten die traurigen Mädchen herein, die unterwegs nur über die erkaltete Geſtalt, und jetzt noch heftiger über die verſchönerte weinten; denn die Hand des Todes hatt 'aus ihr das Linienblatt der letzten Jahre, das vor¬ tretende Kinn, die Feuermäler der Leidenſchaf¬ ten und ſo viele mit Runzeln unterſtrichene Quaalen weggelöſcht und gleichſam auf die Hülle den Wiederſchein des friſchen ſtillen Mor¬303 genlichts gemalt, das jetzt den entkleideten Geiſt umgab. Aber auf Julienne machte ein ſchwarzes Taftpflaſter auf dem Augenknochen, das noch von einem Stoße daraufgeblieben war, dieſes Zeichen der Wunden einen hefti¬ gern Eindruck als alle Zeichen der Heilung; ſie bemerkte nur die Thränen, aber nicht die Worte Lianens: o wie ruht Er ſo ſchön! Aber warum ruht er? (ſagte ihr Bruder mit jener aus dem Innerſten murmelnden Stimme, die ſie von ſeiner Liebhaber-Bühne her kannte; und faßte ihre Hand erſchüttert, weil er und ſie einander innig liebten und ſeine Lava brach nun durch die dünne Rinde) dar¬ um, weil das Herz aus ſeiner Bruſt ge¬ ſchnitten iſt, weil darin das Feuerrad der Entzückung, das Schöpfrad der Thränen nicht mehr geht.

Dieſe tyranniſche Erinnerung an die Lei¬ chenöffnung wirkte fürchterlich auf die kranke Liane und ſie mußte die Augen von der zuge¬ deckten Bruſt abwenden, weil der Schmerz mit einem Lungenkrampfe den Athem ſperrte; und doch fuhr der wilde, andere wie ſich verhee¬304 rende Menſch, der vorher neben der ſteifen Leichengarde geſchwiegen hatte, im doppelten Zertrümmern fort: fühlſt du wie ſich dieſer Fangeball des Schickſals, dieſes Ixionsrad der Wünſche ſo ſchmerzlich in uns bewegt? nur die Bruſt ohne Herz wird ruhig.

Auf einmal ſchauete Liane länger und ſtarrer auf die Leiche eine eiskalte Schneide, wie von der Todesſichel, drückte ſich durch das warme Gehirn die Trauerkerzen brannten (ſchien es ihr) trüber und trüber dann ſah ſie im Winkel des Zimmers eine ſchwarze Wolke ſpielen und aufwachſen dann fieng die Wolke zu fliegen an und ſtürzte voll heraus¬ quellender Nacht über ihre Augen dann ſchlug die dicke Nacht tiefe Wurzeln in den wunden Augen und die erſchrockne Seele konnte nur ſagen: ach Bruder, ich bin blind.

Nur der harte Mann, aber kein Weib wird es faſſen, daß in Roquairols entſetzlichen Schmerz einige äſthetiſche Freude über das mörderiſche Trauerſpiel eindrang. Julienne ſchied vom Todten und von dem alten Schmerze und warf ſich mit dem neuen an ihren Halsund305und klagte: o meine Liane, meine Liane! ſiehſt du noch nicht? Sieh mich doch an! Der zerriſſene und zerreiſſende Bruder führte die Schweſter, der nur einzelne Tropfen als kaltes hartes Waſſer auf die blaſſen Wan¬ gen ſchlugen, mit der ſcharfen Frage fort: ſchwirret kein Würgengel mit rothen Fittigen durch deine Nacht, wirft er keine gelbe Nat¬ tern auf dein Herz und keine Schwerdtfiſche in deine Nervengewebe, damit ſie ſich darin verſtricken und an den Wunden die Sä¬ gezähne wetzen? Mir iſt wohl in mei¬ ner Pein, ſolche Diſteln kratzen uns, nach gu¬ ten Moraliſten, auf*)Mit Diſteln wird das Tuch gerauhet, d. h. aufgekratzt, um es beſſer zu ſcheeren. und bereiten uns zu. Du jammervolle Blinde, was ſagſt du, hab 'ich dich wieder recht elend gemacht? Wahnſinniger, ſagte Julienne, laſſen Sie nach, Sie bringen ſie um. O was kann Er da¬ für (ſagte Liane); die Migraine machte mir es ſchon vorhin neblicht.

Der Abſchied der Freundinnen wurde inTitan. I. U306mehr als einer Finſterniß genommen und dar¬ in will ich ihn mit allen ſeinen Quaalen las¬ ſen. Dann bat Liane ihr Mädchen, es der Mutter ſo kurz vor dem Schlafe zu verſchwei¬ gen, da es ſich vielleicht in der Nacht noch gebe. Aber umſonſt; die Miniſterinn war es gewohnt, ihren Tag an der Bruſt und der Lippe ihrer Tochter zu ſchließen. Nun trat dieſe geleitet herein und ſuchte das Mutterherz irrig ſeitwärts und dem ſanftern Weinen konnte ſie in dieſer geliebten Nähe nicht mehr wehren: da wurde ja alles verrathen und alles geſtan¬ den. Die Mutter ließ erſt den Doktor ru¬ fen, eh 'ſie mit feuchten Augen und mit leiſen Armen an der angedrückten Tochter den Be¬ richt anhörte. Sphex kam, prüfte die Augen und den Puls und machte nichts daraus als ein Nerven-Falliment.

Der Miniſter, der überall im Hauſe Leit¬ hunde mit feinen Ohren hatte, kam, unter¬ richtet, herein und machte in Sphexens Bei¬ ſeyn außer weiten Schritten nichts als die kleine Note: Voyés, Madame, comme307 Votre le Cain*) Sehen Sie wie vortrefflich Ihr Le Cain (ein berühmter Schauſpieler) ſeine (Mord -) Rolle ſpielt. joue son rôle à mer¬ veille.

Sobald Sphex hinaus war, ließ Froulay einige Billionenpfünder und Wachteln (drei¬ pfündige Handgranaten) auf die Gattinn los. Das ſind, notirte er, die Folgen Ihrer viſio¬ nairen Erziehung (freilich ſchlug ſeine eigne am Sohne auch nicht ſonderlich an) War¬ um ließen Sie die kranke Närrinn gehen? (Er hätt 'es ſelber aus höfiſchen Rückſichten noch lieber erlaubt; aber Männer tadeln gern die Fehltritte, die man ihnen erſparte; überhaupt ſetzen ſie wie Köchinnen das Meſſer lieber an Hüner mit weißem Gefieder als an die mit dunkelm). Vous aimés, ce me sem¬ ble, à anticiper le sort de cette Reveuse un peu avant qu'il soit decidé du nôtre**) Sie wollen wie es ſcheint das Schickſal die¬ ſer Seherinn noch eher entſcheiden als das un¬ ſrige entſchieden iſt. Er meint hier die Ehe¬ (IhrU 2308 Schweigen machte ihn immer bitterer) Oh! ce sied si bien à votre art cosmétique que de rendre aveugle et de l'être, le dieu de l'amour, s'y prête de modéle*) So gehört ſichs für Ihre Verſchönerungskunſt, ſowohl blind zu machen als zu ſeyn; der Lie¬ besgott iſt das Modell dazu. . Von dieſer ſchreienden Härte ergriffen beſonders da bloß der Miniſter wider die mütterlichen Wünſche eben dieſe kosmetiſche Erziehung Lianens für ſeine politiſchen gewählt und be¬ fohlen hatte mußte die Mutter das naſſe Auge an der Tochter verbergen und trocknen. Die Ehemänner und die neueſten Litteratoren halten ſich für Feuerſteine, deren Lichtgeben man nach ihren ſcharfen Ecken berechnet. Un¬ ſere Voreltern ſchrieben einem Diamant-Ge¬ henke das Vermögen, Liebe unter Ehegatten anzufachen zu auch find 'ich in der That noch an Juwelen dieſe Kraft ; nur läſſet**)ſcheidung, die zwiſchen beiden nur durch den wech¬ ſelſeitigen Wunſch, Lianen zu behalten, verſcho¬ ben wurde. 309 dieſer zum Kieſel gehörige Stein nach den Ehe¬ pakten ſo kalt und hart als er ſelber iſt. Wahrſcheinlich war Froulays Eheband ein ſol¬ ches edelſteinernes.

Allein die Frau ſagte nur: lieber Mini¬ ſter, laſſen wir das! ; aber ſchonen Sie die Kranke. Voilà précisement ce qui fût vo¬ tre affaire*) Das wäre eben vorher Ihre Sache ge¬ weſen. ſagt 'er hohnlachend. Vergeb¬ lich redete Liane ihn rührend-irrig von der fal¬ ſchen Weltgegend an und ſprach für ihren Bru¬ der welches ewige zu viel beweiſende Defen¬ ſorat aller Leute ihr einziger Fehler war ; vergeblich, denn ſein Mitleiden mit einer Ge¬ peinigten beſtand in nichts als im Grimme ge¬ gen die Peiniger und ſeine Liebe gegen Liane zeigte ſich nur im Haſſen derſelben: ſchweig, Närrinn! Aber Monsieur le Cain ſoll mir nicht ins Haus, Madame, bis auf weitre Ordre! Ich ſage zum alten Ehe-Bra¬ marbas aus Schonung weiter nichts als: geh' zum Teufel, wenigſtens zu Bett '!

310

33. Zykel.

Das deutſche Publikum wird ſich noch der vom Antrittsprogramm verſprochenen obliga¬ ten Blätter erinnern und mich fragen, wo ſie bleiben. Der vorige Zykel war das erſte, beſtes Publikum; aber ſieh 'daraus, wie obli¬ gate Blätter ſind und daß vielleicht ſo viel Ge¬ ſchichte darin ſtecke als in irgend einem Zykel, wie er auch heiße.

Der Graf hatte noch nichts von Lianens Un¬ glück erfahren, als er mit den andern hinunter zum Diner des Doktors gieng, der heute ſehr gaſtfrei war. Sie fanden ihn im heftigſten La¬ chen begriffen, die Hände in die Seiten ge¬ ſtützt und die Augen über zwei Salbennäpf¬ chen auf dem Tiſche gebückt. Er ſtand auf und war ganz ernſthaft. In Reil's Archiv für die Phyſiologie hatt 'er nämlich gefunden, daß nach Fourcroy und Vauquelin die Thränen den Veilſaft grün färben und alſo Laugenſalz enthalten. Um nun den Satz und die Thrä¬ nen zu prüfen, hatt' er ſich hingeſetzt und ernſt¬ haft ſtark gelacht, um zu weinen und einige Tropfen für die Sohlwage des Satzes zu ge¬311 winnen; er hätte ſich gern anders erſchüttert durch Rührung, aber er kannte ſeine Natur und wußte, daß nichts dabei herauskäme, nicht ein Tropfe.

Er ließ die Gäſte ein wenig allein die Frau war auch noch nicht zu ſehen Malz ſaß in einer Ottomanne die Kinder hatten ſatiriſche Minen kurz die Unverſchämtheit wohnte in dieſem Hauſe wie in ihrem Tempel. Auf den Alten wirkte kein Spott und er ordnete nur ab, was ihm, nicht was andern mißfiel.

Endlich ſchwenkte ſich als Voreſſen oder Vorbericht der Suppe die roſabackige Phyſi¬ kuſſin in die Stube herein mit 3 oder 4 Esprits oder Federſtutzen mit einer ſcheckigen Hals - Schürze in einem rothen Ballkleide, dem die Walzer die Farbe ausgezogen, die ſie ihr auf¬ gelegt und mit einem durchbrochnen Putz¬ fächer. Wenn ich wollte, könnt 'ich mich ihrer annehmen; denn anlangend die Esprits (da oft der Esprit wie bei den Embryonen das Gehirn, ſich auf die Gehirnſchaale herausſetzt und da ſonnet), ſo dachte ſie, Weiber und Rebhühner312 würden am beſten mit Federn auf dem Kopfe an der Tafel ſervirt anlangend den Fächer, ſo gab ſie vor, ſie komme von einem Mor¬ genbeſuche (wobei ſie recht deutlich vorausſetzte, daß Damen ſo wenig ohne Fächerſtäbe als Tiſchler ohne Maaßſtab durch die Gaſſe dür¬ fen) anlangend den Reſt, ſo wußte ſie, der Gaſt ſey ein Graf. Sonach ſcheint es, daß ſie unter die Honoraziorinnen gehöre, die (der größern Anzahl nach) gleich den Klap¬ perſchlangen nie beſſer zu genießen ſind als wenn man vorher ihren Kopf beſeitigt; aber das haben wir noch immer Zeit zu glauben, wenn wir beſſer hinter ſie kommen.

Der ſchöne Zeſara war für ſie blind, taub, ſtumm, geruch -, geſchmack -, gefühllos; aber manchen Weibern kann man mit der größten Mühe und Langweile kaum mißfallen; Schoppe vermocht 'es leichter. Sphex machte ſich für ſeine Perſon aus einer Fett-Zelle Malzens mehr als aus dem ganzen Zell - und Florgewebe einer oder ſeiner Frau; gleich allen Geſchäfts¬ leuten hielt er die Weiber für wahre Engel,313 die Gott zum Dienſte der Frommen (der Ge¬ ſchäftsmänner) ausgeſandt.

Der Zug des Eſſens hob an Auguſti, ein feiner Eſſer, freuete ſich auf viel und hielt ſich nicht nur ans feine Service, ſondern auch an die zerriſſenen Servietten, dergleichen er oft an Höfen auf dem Magen gehabt, weil man da in der Moral und im Weißzeuge Wun¬ den lieber hat als Pflaſter. Es traten ſogar ſchon wie gewöhnlich Vorpoſten und erſte Treffen von elenden Speiſen auf, die gewöhn¬ lichen Propheten und Vorläufer des beſten Kerns, wiewohl ich an hundert Tafeln es ver¬ wünſchte, daß ſie nicht wie gute Monatsſchrif¬ ten die beſten Stücke zuerſt und die magerſten zuletzt geben. Der Phyſikus hatte ſchon zu den 3 Knaben geſagt: Galenus! Boerhave! Van Swieten! wie ſitzet man artig? und die 3 Aerzte hatten ſchon 3 rechte Hände zwiſchen die Weſtenknöpfe und drei linke in die Weſtentaſchen[ geſchoben] und paſſeten ſteilrecht als gu¬ ter Schabziger anlangte zum Nachtiſch. Sphex gab theils Luſt zum Käſe theils Abſcheu davor wie ers gerade offizinel fand. Er merkte314 auf der einen Seite an, wie die Tiſchler in ih¬ rem Leimtopfe keinen beſſern Leim hätten als was da vor ihnen ſtehe er binde eben ſo im Menſchen doch würd 'er für ſeine Perſon ihn lieber mit D. Junker wie Arſenik äußerlich überſchlagen; aber er geſtand auch auf der andern Seite, daß der Schabziger für den Lektor Gift ſey. Ich wollte mich dafür ver¬ pfänden, (ſagt' er,) daß Sie, wenn man Sie unterſuchen könnte, hektiſch wären; die lan¬ gen Finger und der lange Hals ſprechen für mich und beſonders ſind die weißen ſchönen Zähne nach Camper ein böſes Zeichen. Perſo¬ nen hingegen, die ein Gebiß haben wie meine Frau da, dürfen ſicher ſeyn.

Auguſti lächelte und fragte bloß die Dok¬ torinn, zu welcher Zeit man am beſten zum Miniſter komme.

Solche vergiftende Reflexionen ſo wie den Mittags-Katzentiſch, gab er nicht aus ſatyri¬ ſcher Bosheit ſondern aus bloßer Gleichgültig¬ keit gegen andre, auf die er gleich einem Rechtſchaffnen, nie unter ſeinem Handeln Rück¬ ſicht nahm. Mit der Freiheitsmütze des Dok¬315 torhuts auf dem Kopfe erhielt er von ſeiner mediziniſchen Unentbehrlichkeit ſo viele akade¬ miſche Freiheiten, daß er zwiſchen ſeinen 4 Pfäh¬ len nicht freier und agirte als zwiſchen dem bunten ſpitzen Pfahlwerke des Hofes. Bracht 'er da jemals das frag' ich einen Tropfen ſüßen Wein über die Lippen, ohne vorher einen Ephraimiten, der ſelber die Proba¬ zionstage nicht überlebte, herauszuziehen und ins Glas zu hängen, bloß um vor dem Hofe zu unterſuchen, ob der Ephraimit darin nicht ſchwarz werde? Und wenns das Silber that, war da nicht das Überſchwefeln des Weins ſo gut als demonſtrirt, und hätte der Phyſikus nicht den Hof, die Süßigkeit, das Schwärzen, Vergiften und Ueberſchwefeln recht artig ap¬ pliziren können, wenn er der Mann dazu ge¬ weſen wäre?

Dem Zufalle, daß der Lektor über die Ein¬ laßzeit bei dem Miniſter für heute nachforſchte, hatt 'es Albano zu danken, daß er den ſchmerz¬ lichen Unfall nicht im Hauſe des Miniſters oder neben der Blinden ſelber erfuhr. Sie können, (antwortete Sara, die Doktorinn,)316 auch den Bedienten hinſchicken; der unter¬ ſchreibt ſich für Sie alle; mich aber dauert niemand wie die Tochter. Nun brach ein Sturm von Fragen nach dem unbekannten Vorfalle los. Es iſt ſo, fieng der Phyſikus mürriſch an, legte ſich aber bald, weil er in einigen Augen Waſſer für ſeine Mühle ſah, und weil er alle mediziniſche Schuld von ſich auf den Hauptmann Roquairol zu wälzen ſuchte ſo gut er konnte, auf pathetiſches Detail und log faſt ſentimental. Er ſchob mit einem unbemerkten Winke der gerührten Frau einen leeren Teller zu als Lakrymatorium, da¬ mit nichts umkäme. Aus den verfinſterten Au¬ gen des vergeblich-kämpfenden Jünglings riß der erſte Lebensſchmerz einige große Tropfen. Iſt wohl eine Herſtellung möglich, fragte Auguſti ſehr bekümmert, wegen ſeiner Verbin¬ dungen mit der Familie.

Wahrlich ein bloßer Nervenzufall iſts (verſetzte Schoppe keck) und weiter nichts; Whytt erzählt, daß eine Frau, die zu viel Säuere im Magen hatte (im Herzen wärs noch ärger) alles umnebelt erblickte, wie317 Mädchen vor naher Migraine. Sphex, der nur des Pathos und Laugenſalzes wegen gelogen hatte und den es ärgerte, daß der Bibliothekar ſeiner heimlichen Meinung gewe¬ ſen, antwortete ſo als hätte dieſer gar nicht geredet: der höchſte Grad der Schwindſucht, H. Lektor, ſchließet ſich oft mit Erblinden; und zu beiden wäre hier wohl Rath. Inzwi¬ ſchen kenn 'ich eine gewiſſe nervöſe periodiſche Blindheit ich hatte den Fall an einer Frau*)Eine nervenſchwache (ich weiß nicht obs die nämliche iſt), welche viel Religion, Phantaſie und Leiden hatte, wurde wie ſie mir erzählt, auf dieſelbe Weiſe blind und auf dieſelbe geheilt. , die ich bloß durch Aderlaſſen, Dampf von gebrannten Kaffeebohnen und die Abenddünſte des Waſſers aufbrachte das wird nun an der Nervenpazientinn wie¬ der verſucht. Ein pflichtmäßiger Arzt wird aber immer wünſchen, daß der Teufel Mut¬ ter und Bruder hole.

Nämlich der Wiederſtrich von Lianens Zug¬ krankheit ſetzte ihn außer ſich. Beleidigungen318 der Ehre, der Liebe, des Mitleidens machten den Phyſikus nie warm und er behielt ſeinen Überzug aus Glatteis an; aber Störungen ſeiner Kuren erhitzten ihn bis zum Zerſpringen; und ſo ſind wir alle Springgläſer, die den Hammer vertragen und nicht eher in tauſend Splitter zerfahren als bis man die kleine Spitze abbricht; bei Achilles wars die Ferſe, bei Sphexen der Arznei-D. Ringfinger, bei mir der Schreib¬ finger. Der Doktor ſchüttete nun ſein Herz aus, wie einige ihre Gallenblaſe nennen; er ſchwur bei allen Teufeln, er habe mehr für ſie gethan als jeder Arzt er hab 'es aber ſchon vorausge¬ wußt, daß eine ſo dumme Erziehung bloß für das Schönausſehen und Beten und Leſen und Singen eine verdammte Wirthſchaft wäre er, hätte gern oft die Harmonikaglocken und Tambournadeln*)Das ewige Prickeln der empfindlichern Finger - Nerven durch Strick - Lambour - u. a. Nadeln macht vielleicht ſo gut wie das Berühren der Harmonikaglocken, durch Reizen nervenſchwach. zerbrochen er habe oft die[Mutter] ohne Schonen auf Lianens ſoge¬319 nannte Reize, und auf die Empfindſamkeit, helle Wangenröthe und ſammet-weiche Haut aufmerkſam genug gemacht, hab 'aber damit faſt mehr zu erfreuen als zu betrüben geſchie¬ nen was ihn allein beluſtige, ſey daß das Mädchen vor einigen Jahren todtkrank ge¬ worden vom erſten h. Abendmahle, wovon er ſie abzuhalten verſucht, weil er ſchon an der vierten Pazientinn die betrübteſten Folgen die¬ ſes h. Aktus kennen lernen.

Zum allgemeinen Erſtaunen ſchlug ſich mein Graf gegen alle auf Roquairols Parthei. Ach deine erſten Frühlingsſtürme zogen jetzt ge¬ fangen in deiner Bruſt umher ohne eine freund¬ ſchaftliche Hand die ihnen einen Ausweg gab, und du wollteſt deinen blutigen Gram bedecken! Und ſuchteſt du nicht einen Geiſt voll Flammen, ein Auge voll Flammen für deine und hätteſt du dich nicht lieber mit einem donnernden Höllengot¬ te verbrüdert als mit einem pietiſtiſchen matten gleich einer Schabe unterhöhlenden Himmelsbür¬ ger? Barſch fragt er den Doktor: wo haben Sie das Herz des Fürſten? Ich hab 'es nicht, ſagte Sphex betroffen, im Tarta¬320 rus*)Der Tartarus iſt die melancholiſche Partie in Lilar. liegts wiewohl's der Wiſſenſchaft profitabler geweſen wäre, hätte man es un¬ ter ſeine Präparate ſtellen dürfen; groß wars und ſehr ſingulair. Er dachte daran, daß er oft wo er konnte wie ein Augur un¬ ter dem Seziren ein oder das andre bedeu¬ tende Glied als ein Prinzen - und Junkern - Räuber à la minutta heimlich bei Seite ge¬ ſchaft für ſein Studium, ein Honig, den er ſich gern mit ſeinem Anatomir - und Zeidelmes¬ ſer ausſchnitt.

Hat ſonach das Fräulein eine unglück¬ liche Liebſchaft oder dergleichen, fragte Schoppe. Mehr als eine (ſagte Sphex) Krü¬ pel Preßhafte Waiſenjungen blinde Methuſalems; alle dieſe Liebſchaften hat ſie. Späße und junge Herren, ſag 'ich oft zur Alten, bekämen ihr geſünder.

Aber darin, in der Forderung der Heiter¬ keit geb 'ich ihm nach Freude iſt die einzigeUniver¬321Univerſaltinktur, die ich präpariren würde ſie wirkt (und ſtets) als antispasmoticum, als glutinans und adstringens. das Freudenöhl dient zur Brand - und Froſt-Salbe zugleich. Der Frühling z. B. iſt eine Frühlingskur, eine Landparthie eine Auſternkur, eine Brunenbe¬ luſtigung eine Maaß Bitterwaſſer, ein Ball eine Mozion, ein Faſching ein mediziniſcher Kur¬ ſus und daher iſt der Sitz der Seeligen zugleich der Sitz der Unſterblichen.

Ja er habe, beſchloß der Doktor, weil's Leute von Stande wären, zuletzt zum Hoch¬ muth gerathen, der alle offizinellen Heil¬ kräfte der Freude zeige; ſehr ſtarker wirke völlig wie dieſe, belebe den Puls, ſtähle die Fibern, ſperre die Poren auf und jage das Blut durchs lange Aderngewinde*)Den Blutumlauf beſchleunigt Hochmuth bis zum Wahnſinn. Übrigens iſt die ganze Bemer¬ kung von dem pharmazevtiſchen Werthe des Hochmuths aus Tiſſots traité sur les Nerfs geholt. . Seiner ſchwächlichen Frau, wie man ſie da ſehe, hab ' Titan. I. X322 er früher durch Kleider und Doktors-Rang dieſes Medikament beigebracht und ihr damit auf die Beine geholfen. Aber er wolle lie¬ ber 60 gemeine Weiber als Eine vornehme kuriren und er bedauere als Hausarzt bloß ſeine Rezepte und mediziniſchen Bedenken, falls einmal, wie er gewiß glaube, die ſchöne Liane von hinnen fahre.

Die erſte Frage, die der nie etwas über¬ hörende Albano auf dem Rückwege vom Dok¬ tor an Auguſti that, war was die Doktorinn mit dem unterſchreibenden Bedienten haben wollen. Er erklärte es. Es iſt nämlich in Pe¬ ſtiz wie in Leipzig die Obſervanz, daß, wenn ein Menſch verſtirbt oder ſonſt verunglückt, deſſen Familie einen leeren Bogen Papier ſammt Dinte und Feder in den Vorſaal legt, damit Perſonen, die nähern Antheil nehmen und zeigen, einen Lakaien dahin ſchicken kön¬ nen, der ihren Namen auf den Bogen ſetzt ſo gut er weiß; dieſes kaufmänniſche Indoſſe¬ ment des nähern Antheils, dieſes niederſteigende repräſentative Syſtem durch Bediente, die über¬ haupt jetzt die Telegraphen unſers Herzens323 ſind, macht beiden Städten großen Schmerz und Antheil[ſüß] und leicht durch Dinte und Feder.

Ach das, o Gott? (ſagte Alban und erzürnte ſich ungewöhnlich, als dringe man ihm Bedienten zu Chryſographen und Geſchäfts¬ trägern ſeiner Gefühle auf) o ihr egoiſti¬ ſchen Gaukler! durch die Feder ſchreibender Lakaien gießet ihr euch aus? Lektor, dem Satan ſelber würd 'ich wärmer kondoliren als ſo!

Warum iſt dieſer verhüllte Geiſt ſo rege und laut? Ach alles hat ihn bewegt. Nicht bloß der Jammer über die, von allen nächtli¬ chen Pfeilen des Verhängniſſes verfolgte Liane trat eiſern in ſein offnes Herz, ſondern auch das Erſtaunen über das dunkle Einmiſchen des Schickſals in ſein junges Leben; Roquairols wiederkommender Ausdruck Bruſt ohne Herz klang ihm als wenn er ihm bekannt ſeyn ſollte; endlich fiel ihm die Umkehrung ein, das Wort der inſulariſchen Sphynx: Herz ohne Bruſt Alſo ſogar dieſes Räthſel war gelöſet, und der Ort beſtimmt, wo er wi¬X 2324der, jede Erwartung die Weiſſagung der Gelieb¬ ten hören ſollte aber wie unbegreiflich, un¬ begreiflich!

O Liane heißet ſie und kein Gott ſoll den Namen ändern ſagte ſeine innerſte Seele. Denn in frühern Jahren hat eben der kräftigſte Jüngling an Mädchen reizende Kränklichkeit und weiche Vollgefühle und naſſe Augen lieber ſo wie man überhaupt in Al¬ banos Jahren die Fluth (ſpäter die Ebbe) der Augen zu hoch anſchlägt, ob ſie gleich oft wie zu reiches Begießen die Saamenkörner der be¬ ſten Entſchlüſſe wegſchwemmen ; indeß er ſpäter (weil er den Eheſtand und die Wirth¬ ſchaft antreten will) ſich mehr nach hellen und ſcharfen Augen als nach feuchten, und mehr nach kaltem und geſundem Blute erkundigt.

Da Alban das Feuer ſeiner innern Wolken meiſtens an den Ausladeketten der Klavierſai¬ ten niedergehen ließ ſeltener in die Hippo¬ krene der Poeſie : ſo macht 'er aus ſeinem innern Charivari unbewußt einen Klavieraus¬ zug. Ich transponire ſeine Fantaisie folgender Maaßen in meine Phantaſie. Auf den weich¬325 ſten Molltönen gieng die Erblindung mit ihren langen Schmerzen vorüber und im Sprachgewölbe der Tonkunſt hört' er alle leiſen Seufzer Lianens laut. Dann führten ihn härtere Molltöne in den Tartarus an das Grab und Herz des alten freundlichen Man¬ nes, der mit ihm einmal gebetet hatte, und da ſank in der Geiſterſtunde leiſe wie ein Thau der Laut vom Himmel: Liane! Mit einem Donnerſchlage des Entzückens fiel er in den Majore-Ton und er fragte ſich: dieſe fromme lichte Seele konnte das Schickſal deinem un¬ vollkommnen Herzen verſprechen? Und da er ſich antwortete, daß ſie ihn vielleicht lie¬ ben werde; weil ſie ihn nicht ſehen könne denn die erſte Liebe iſt nicht eitel und da er ſie von ihrem gigantiſchen Bruder führen ſah und da er an die hohe Freundſchaft dachte, die er ihm geben und abverlangen wollte: ſo giengen ſeine Finger in einer erhebenden Kriegs¬ muſik über die Taſten und es klangen die himmliſchen Stunden vor ihm, die er genießen werde, wenn ſeine zwei ewigen Träume leben¬ dig aus der Nacht in den Tag herübergien¬326 gen, und wenn Ein verſchwiſtertes Paar ſeinem ſo jungen Herzen zugleich den Freund und die Freundinn gäbe. Hier verklang leiſe ſein in¬ neres und ſein äußeres Stürmen und die gleichſchwebende Temperatur des In¬ ſtruments wurde die des Spielers ....

Aber eine Seele wie ſeine wird leichter vom Schmerze befriedigt als vom Glücke. Als wäre die Wirklichkeit da, ſo drang er weiter: unbe¬ ſchreiblich-hold und überirrdiſch ſah er Lianens Bild in ihrem Leidenskelche zittern; denn die Dornenkrone veredelt leicht zum Chriſtuskopfe und das Blut der unverdienten Wunde iſt Wangenroth am innern Menſchen und die Seele, die zu viel gelitten, wird leicht zu viel geliebt. Die zarte Liane ſchien ihm ſchon für die Flora der zweiten Welt in den Lei¬ chenſchleier eingeſponnen, wie die weichen Glie¬ der der Bienennymphe durchſichtig über der kleinen Bruſt gefaltet liegen die weiße Ge¬ ſtalt aus Schnee, die einmal in ſeinem Traume auf ſeinem Herzen zerronnen war, öffnete das helle Wölkchen wieder und ſah blind und wei¬ nend auf die Erde und ſagte: Albano, ich327 werde ſterben, eh 'ich dich geſehen habe. Und wenn du mich auch, ſagte das ſterbende Herz in ſeiner Bruſt, niemals ſiehſt: ſo will ich dich doch lieben. Und wenn du auch bald vergehſt, Liane, ſo erwähl' ich gern den Schmerz und gehe treu mit dir bis du im Himmel biſt. .... Der Himmel und die Hölle hatten vor ihm zugleich ihre Vorhänge aufgezogen nur wenige und dieſelben Töne und höchſte und unterbrochene konnt 'er noch leiſe beſtreifen und endlich ſanken die Hände un¬ ter und er fieng zu weinen an, aber ohne zu harte Schmerzen, wie das Gewitter, das ſeine Blitze und Donner aufgelöſet hat, nur noch mit einem leiſen weiten Regen über der Erde ſteht.

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Sechste Jobelperiode.

Die 10 Verfolgungen des Leſers Lianens Mor¬ genzimmer Diſputazion über die Geduld die maleriſche Kur.

34. Zykel.

Heiſcheſätze Apophthegmen Philoſo¬ pheme Eraſmiſche Adagia Bemerkungen von[Rochefoucauld, La Bruyere], von La¬ vater erſinn 'ich in Einer Woche unzählige und mehrere als ich in ſechs Monaten loszuwerden und als Einſchiebeeſſen in meinen biographi¬ ſchen petits soupées wegzubringen im Stande bin. So läuft der Lotto-Schlagſchatz meiner ungedruckten Manuſkripte täglich höher auf, je mehr ich dem Leſer Auszüge und Ge¬ winnſte gedruckter daraus gönne. Auf dieſe Weiſe ſchleich' ich aus der Welt und habe329 nichts darin geſagt. Lavater nimmt ſich hier¬ in vernünftiger, er läſſet das ganze mit Schätzen gefüllte Lottorad unter dem Titel: Manuſkripte (ſo wie wir umgekehrt Manu¬ ſkripte den Verlegern auf der Poſt unter dem Titel gedruckter Sachen zufertigen), ſelber un¬ ter die Gelehrten laufen.

Aber warum thu 'ichs nicht und laſſe we¬ nigſtens eine oder ein Paar Waſſeradern mei¬ nes Waſſerſchatzes ſpringen und auslaufen? Auf zehn Verfolgungen des Leſers bloß ſo nenn' ich meine zehn Aphorismen, weil ich mir die Leſer als Märtyrer ihrer Meinungen und mich als den Regenten denke, der ſie mit Gewalt bekehrt ſchränk 'ich mich ein. Der folgende Aphoriſmus iſt wenn man den vorhergehenden als die erſte Verfolgung an¬ ſchlägt hoff' ich

die zweite.

Nichts fegt und ſiebt unſre Vorzüge und Liebhabereien beſſer durch als eine fremde Nachahmung derſelben. Für ein Genie ſind keine ſchärfere Polirmaſchinen und Schleif¬ ſcheiben vorhanden als ſeine Affen. Wenn330 ferner jeder von uns neben ſich noch ein Dop¬ pel-Ich, einen vollſtändigen Archimimus*)So hieß bei den Römern ein Mann, der hinter der Leiche gieng und die Gebehrden und das Weſen derſelben im Leben nachäffte. Pers. Sat. 3. und Repetenten im Komplimentiren, Hutab¬ nehmen, Tanzen, Sprechen, Zanken, Prahlen ꝛc. herlaufen ſähe: beim Himmel! ein ſolches ge¬ naues Repetirwerk unſrer Mißtöne würde ganz andre Leute aus mir und andern Leuten machen als wir gegenwärtig ſind. Der erſte und kleinſte Schritt, den wir zur Beſonnenheit und Tugend thäten, wäre ſchon der, daß wir unſre körperliche Methodologie, z. B. unſern Gang, Anzug, Dialekt, unſre Schwüre, Mi¬ nen, Leibgerichte ꝛc. nicht beſſer ſondern gerade ſo befänden als alle fremde. Fürſten haben das Glück, daß ſich alle Hofleute um ſie zu treuen Supranumerarkopiſten und Pfeilerſpiegeln ih¬ res Ichs zuſammenſtellen und ſie durch dieſe Heloten-Mimik beſſern wollen. Aber ſie erreichen ſelten die gute Abſicht, weil der Fürſt331 und das wäre von mir und dem Leſer auch zu befürchten wie der Grundſatz des Nicht¬ zuunterſcheidenden an keine wahre Menäch¬ men glaubt, ſondern ſich einbildet, in der Mo¬ ral wie in der Katoptrik zeige jeder Spiegel und Nebenregenbogen alles verkehrt.

Dritte.

Es iſt dem Menſchen leichter und geläufi¬ ger, zu ſchmeicheln als zu loben.

Vierte.

In den Jahrhunderten vor uns ſcheint uns die Menſchheit heranzuwachſen, in denen nach uns abzuwelken, in unſerm herrlich-blü¬ hend aufzuplatzen: ſo ſcheinen uns nur die Wolken unſers Scheitelpunktes gerade zu ge¬ hen, die einen vor uns ſteigen vom Hori¬ zonte herauf, die andern hinter uns ziehen ge¬ krümmt hinab.

Fünfte.

Das Alter iſt nicht trübe, weil darin un¬ ſre Freuden, ſondern weil unſre Hoffnungen aufhören.

332

Sechste.

Das Alter der Weiber iſt trüber und ein¬ ſamer als das der Männer: darum ſchont in jenen die Jahre, die Schmerzen und das Ge¬ ſchlecht! Überhaupt gleicht das Leben oft dem Fang-Baume mit aufwärtsgerichteten Sta¬ cheln, an welchem der Bär leicht hinauf zum Honig-Köder klettert, wovon er aber unter lauter Stichen wieder zurückrutſchet.

Siebente.

Habt Mitleiden mit der Armuth, aber noch hundertmal mehr mit der Verarmung! Nur jene, nicht dieſe macht Völker und Indivi¬ duen beſſer.

Achte.

Die Liebe vermindert die weibliche Fein¬ heit und verſtärkt die männliche.

Neunte.

Wenn zwei Menſchen im ſchnellen Umwen¬ den mit den Köpfen zuſammenſtoßen: ſo ent¬ ſchuldigt ſich jeder voll Angſt und denkt, nur der andre habe den Schmerz und nur er ſel¬ ber die Schuld. (Nur ich excuſire mich ganz333 unbefangen, eben weil ich aus meinen Ver¬ folgungen weiß, wie der andre denkt). Wollte Gott, wir kehrtens bei moraliſchen Stößen nicht um!

Letzte Verfolgung des Leſers.

Der Hintergangene bedeckte und vom Trauerſchleier zum Leichenſchleier leben¬ de Menſch glaubt, es gebe kein Übel weiter als das, was er zu beſiegen hat; und vergis¬ ſet, daß nach dem Siege die neue Lage das neue mitbringe. Daher geht wie vor ſchnellen Schiffen ein Hügel aus Waſſer vor¬ ſchwimmt und eine nachgleitende Wellengrube hinter ihm zuſchlägt immer vor uns her ein Berg, den wir zu überſteigen hoffen und hinter uns noch eine Tiefe, aus der wir zu kommen glauben.

So verhofft der Leſer, jetzt nach überſtand¬ nen 10 Verfolgungen in den hiſtoriſchen Hafen einzufahren und da ein ruhiges Leben zu füh¬ ren vom unruhigen meines Perſonale; aber kann ihn der geiſt - und weltliche Arm denn decken gegen einzelne Gleichniſſe gegen halb¬334 ſeitige Kopfſchmerzen Waldraupen Rezen¬ ſionen Gardinenpredigten Regenmonate oder gar Honigmonate, die nach dem Ende jedes Bandes einfallen?

Nun zur Hiſtorie! Abends fuhren Albano und Auguſti mit dem väterlichen Kreditbriefe zum Miniſter. Den Froſt und Stolz deſſelben ſuchte der Lektor unterwegs durch das Lob ſei¬ ner Arbeitſamkeit und Einſicht zu überfirniſſen. Mit Herzklopfen faßte der Graf den Thür¬ klopfer am Himmels - oder Höllenthore ſeiner Zukunft an. In der Antichambre dieſem höhern Bedientenzimmer und Limbus infantum et patrum ſtanden noch Leute genug, weil Froulay ein Vorzimmer für eine Bühne hielt, die nie leer ſeyn darf und auf der es, wie im jüdiſchen Tempel nach den Rabbinen, denen die knieen und beten, nie zu enge wird. Die Mi¬ niſterinn war als eine Pazientinn abweſend, bloß weil ſie eine hüten wollte. Der Miniſter war auch nicht da weil er wenig Zeremo¬ nien machte und nur ungemein viel forderte ſondern in ſeinem Arbeitskabinet; er hatte bisher den Kopf unter dem warmen Thron¬335 himmel gehabt und tief in den verbotnen Reichsapfel gebiſſen, daher opferte er willig auf (nicht andern, ſondern andre) und ließ ſich als eine Heiligenſtatue mit Votivglieder behängen, ohne ſeine zu regen, und wie der h. Franziſkus zu Oporto, mit Dank - und Bitt¬ ſchriften, die er niemals erbricht.

Froulay kam und war wie immer, außer den Geſchäften ſo höflich wie ein Perſer. Denn Auguſti war ſein Hausfreund d. h. die Miniſterinn war deſſen Hausfreun¬ dinn und Albano war nicht gut vor den Kopf zu ſtoßen; weil man deſſen Pflegevater in Landſchafts-Votis brauchte und weil Don Gaſpard viel bei dem Fürſten galt und weil der Jüngling durch einen ihm eignen anſtän¬ digen Stolz gebot. Es giebt einen gewiſſen edlen, durch welchen mehr als durch Beſchei¬ denheit Verdienſte heller glänzen. Fronlay hatte für die Zukunft nicht die bequemſte Rolle; denn der Haarhaarſche Hof war dem Vließ-Rit¬ ter ſo ungewogen wie dieſer jenem*)Dieſer hatte früher dem ſpaniſchen Ritter die Prinzeſſinn abgeſchlagen; es ſind mir aber über; Haarhaar336 wurd 'aber ohne Zweifel (allen welſchen chi¬ rurgiſchen Berichten zufolge) und in wenig Jahren (allen noſologiſchen gemäß) der Erbe von deſſen Erbſchaft oder Throne. Nun war das Schlimme dabei, daß der Miniſter, der wie ein Chriſt mehr auf die Zukunft ſah, ſich zwiſchen dem deutſchen Herrn von Bouve¬ rot, der eine Haarharſche Kreatur heimlich war, und zwiſchen der kurzen Gegenwart zu¬ gleich durchzuſchleichen hatte.

Er nahm ſagt 'ich den Grafen ungemein verbindlich auf ſo wie den Lektor; und entdeckte beiden, er müſſe ihnen ſeine Frau vorſtellen, die ihre Bekanntſchaft wünſche. Er ließ es ihr ſagen; führte beide aber, ohne Erwarten der Antwort, in ihr Zimmer. Dem Jünglinge war nun als drehe ſich die ſchwere Thür eines heiligen ſtillen Tempels auf. Sogar ich bin jetzt, während ihres Ziehens durch die Zimmer, mit ſo närriſch, daß ich in eine eben ſo großeAngſt*)dieſen wichtigen Artikel hinlängliche Dokumente verſprochen. 337Angſt gerathe als gieng 'ich mit hintennach. Als wir ins Morgenzimmer, welches Papier¬ tapeten zu einer gegitterten Jelängerjelieber - Laube ausfärbten, eintraten: ſaß bloß die Mi¬ niſterinn da, die uns gefällig aufnahm, mit feſter und kalter Haltung in Mine und Ton. Ihre ſtreng-geſchloſſenen und wenig bezeichne¬ ten Lippen thaten ſtumm einen Ernſt, der die Gabe des frommen Herzens, und eine Stille kund, die der Schmuck der Schönheit iſt wie manche Flügel nur wenn ſie zugefaltet ſind, Pfauenſpiegel gießen und das Auge glänzte im Wohlwollen der Vernunft; aber die Augen¬ lieder waren von harten Jahren tief und kränk¬ lich über die milden Blicke hereingezogen. Ach wie zwiſchen Neuvermählten oft ein Schwerdt trennend lag, ſo[ſchlif] Froulay täglich am dreiſchneidigen, das ihn und ſie abſonderte. Sonderbar ſtach mit dem hellen Nachſommer¬ tage auf ihrem Angeſichte, das unreine Gewühl auf ſeinem ab, wiewohl er vor Zeugen wie es ſchien, ſeiner Höflichkeit gegen ſie die Ironie benahm und den Haß, wie andre die Liebe, nur für die Einſamkeit aufhob.

Titan. I. Y338

Zum Glück verpflanzte ſich dieſer Nu߬ baum der einen ungeſunden froſtigen Nu߬ ſchatten auf den ganzen Nelkenflor der Liebe und der Dichtkunſt warf, bald unter ähnlichere Gäſte zurück. Die Miniſterinn richtete ſich nach den erſten Gaben der Gefälligkeit, mehr an den Lektor, deſſen korrekte bürgerliche Menſur zu ihrer religiöſen ganz ſtimmte; beſonders da nur er über Liane fragen und kondoliren konnte. Sie verſetzte, dieſes Zimmer Lianens ſey gerade ſo gelaſſen wie es am Abend der Erblindung geweſen, damit es, wenn ſie heile eine ſchöne Erinnerung für ſie bleibe, oder eine traurige für andre, wenn ſie nicht geneſe. O bewegter Albano, wenn jede Abweſenheit verklärt, wie muß es erſt eine mit ſo vielen Spuren der Gegenwart thun! Ich bekenne, außer einer Geliebten kenn 'ich nichts ſchöneres als ihr Wohnzimmer in ihrer Abweſenheit.

Auf Lianens Arbeitstiſche lag ein umriſſe¬ ner Chriſtuskopf neben der aufgeſchlagenen Meſſiade ein zuſammengelegter Spatzierflohr nebſt dem grünen Spatzierfächer mit einge¬ ſchriebenen Wünſchen von Freundinnen einige339 aufgeſchnittene Couverts der Gevatterbrief eines Froulayſchen Pachters eine ganze lakirte Schäferei mit Wagen, Stallung und Haus, mit deren lilliputiſchen Arkadien ſie Dians Kin¬ der*)Dians Familie wohnt in Lilar. erfreuen wollen ein aus dem ver¬ fliegenden Stammbüchlein einer Freundinn aus¬ gerupftes Blatt, das ſie mit einer getuſchten Blumenrabatte gerändert und dann mit holden Wünſchen vollgepflanzet hatte, die das Schick¬ ſal aus ihrem eignen Leben weggenommen. Ach ſchönes Herz, wie gern wollt 'ich über alle kleine Rudera deiner lichten Vorzeit etwas Tabellariſches entwerfen und vertheilen, hätte ſich der Lehnprobſt näher darauf eingelaſſen! Was aber mich und den Grafen am tiefſten bewegt, iſt eine aufgeſpannte Stickerei, auf welche ihre Nadel wie ein Inokulirmeſſer an jenem düſtern Tage eine Roſe mit zwei Knos¬ pen geimpfet hatte und woran nichts mehr fehlte als die Dornen o dieſe zog an dei¬ nen Freudenroſen das Verhängniß nur zu weitY 2340hervor und preſſ'te ſie dann ſo tief durch deine Bruſt bis ans Herz!

In keiner Stunde ſeines Lebens war Al¬ bano's Liebe ſo heilig-zart als in dieſer, oder ſein Mitleiden ſo innig. Zum Glück blickte die Miniſterinn immer durch das Fenſter in den Garten und nahm ſeine Rührung nicht wahr. Zuletzt zeigte ſie noch auf Lianens daſtehende Harmonika; nun ward ihm das Herz zu voll und zu ſichtbar, er ſprang auf mit den haſti¬ gen Worten, er habe noch keine gehört und trat davor. Ach er wollte etwas berühren, worauf ſo oft ihre Finger geweſen. Er legte die Hand wie an ein Heiligthum an dieſe Betglocken, die ſo oft unter der ihrigen für fromme Gedanken gezittert hatten; aber ſie ga¬ ben ihm keine Antwort, bis ihm der Lektor, ein Kenner des Abc's wie der Technologie aller Künſte, das Nöthigſte in drei Worten gewie¬ ſen. Jetzt ſog er in die Seele voll Seufzer und Kriege den erſten Dreiklang ein, die erſten Klageſylben dieſer Mutterſprache der lechzen¬ den Bruſt ach dieſer Stummenglocken, die der innere Menſch in der Hand ſchüttelt,341 weil er keine Zunge hat ; und ſeine Adern ſchlugen wild als Flügel, die ihn vom Boden aufwehten und ihn vor eine höhere Ausſicht trugen als die in die letzte Freude oder Mar¬ ter iſt. Denn in ſtarken Menſchen werden große Schmerzen und Freuden zu überſchauen¬ den Anhöhen des ganzen Lebensweges.

Ich weiß nicht, ob viele Leſer den Fehler möglich finden werden, den er jetzt wirklich begieng. Die Miniſterinn war im Geſpräche ſehr natürlich durch Liane und Roquairol auf den Satz gerathen, daß Kindern keine Schule nöthiger ſey als die der Geduld, weil entweder der Wille in der Kindheit gebrochen werde oder im Alter das Herz. Ach ſie und ihre Tochter knieeten ja ſelber voll Geduld vor dem beladenden Schickſale oder auch vor dem bewaffneten; wiewohl die Mutter mit einer frommen, die mehr an den Himmel als auf die Wunde ſah, Liane mit einer liebenden, die ſich in neue Leiden wie in alte Krankheiten er¬ giebt wie eine Königinn am Krönungstage in die Schmerzen und Frikzionen des ſchweren Juwelenputzes, und wie ein Kind, das die342 Wundenmale ſüß verſchläft und ſüßer ver¬ träumt. Aber Zeſara, der gleich dem Wolfe ſchon den Klang einer Kette floh, und erbittert gegen jede, von den leichten Panſter - und Rit¬ terketten an bis zu den ſchweren Hafenketten, die den Jünglingen die Fahrt ins arbeitende Meer verhängen, erbittert anſprengte, konnte ſich nicht halten, zumal mit dieſem Herzen voll Bewegungen, in zu großer zu ſagen: der Menſch ſoll ſich wehren lieber will ich auf dem regen Schlachtfelde freiarbeitend alle Adern ausgießen als einen Tropfen daraus über die Folterleiter angebunden. Die Geduld (ſagte die Miniſterinn voll davon) ſtreitet und ſiegt auch, aber im Herzen. Lie¬ ber Graf, (ſagte Auguſti, nicht bloß auf die Ar¬ ria anſpielend) die Weiber müſſen noch immer zu den Männern ſagen: es ſchmerzet nicht!

Ich hatte nicht eher als jetzt Gelegenheit, den Fehler Albans bekannt zu machen, daß er ſeine Meinung niemals freier und ſtärker ſagte als da, wo er mit ihr gerade einen oder ein Paar Himmel ſeines Lebens zu verſpielen fürch¬ ten konnte: bei geringerer Gefahr konnt 'er343 nachgiebiger ſeyn. Ob er alſo gleich merkte, daß die Miniſterinn dabei an die muſkulöſe aber auch hartgreifende Hand ihres wilden Sohnes mit ſchmerzlichen Erfahrungen denke; oder vielmehr, eben weil ers merkte und weil er für dieſen künftigen Freund gern der Waffenſchmidt und Waffenträger werden woll¬ te : ſo blieb er dabei, warf alles Brechzeug des jungen männlichen Willens aus den Schul¬ ſtuben auf die Gaſſe, und ſagte in ſeiner ab¬ ſtechenden Sprache: die Gothen ſchickten ihre Knaben lieber in keine Schule, damit ſie Lö¬ wen blieben. Wenn man auch Mädchen einen Tag vor dem Pflanzen in die bürger¬ liche Welt in Milch einweichen muß: ſo ſoll man doch Knaben wie Aprikoſen mit der ſtei¬ nernen Schaale in die Erde ſtecken, weil ſie den Stein durch ihr Wurzeln und Wachſen ſchon abwerfen und verlaſſen. Der Lek¬ tor mit ſeiner feinen Offenheit ein kryſtalle¬ nes Gefäß mit goldnem Schnitt bemerkte mit leiſer Rüge von Albans Heftigkeit: wenig¬ ſtens habe ſelber die Art, womit beide ihre Beweiſe geführt, zu den Beweiſen gehört;344 und die Weiber bedürften und bewieſen mehr Geduld bei Perſonen, und wir mehr bei Sachen.

Die Miniſterinn, die mehr ihren Sohn als ſeinen Freund zu hören glaubte, ſchwieg und trat näher ans Fenſter. Unter den Kriegs¬ troublen hatte der Abend ſeinen licht-vollen Mond auf die Morgenberge gewälzt und die Güſſe ſeines Lichts floſſen jetzt von allen Sei¬ ten herein durch den ganzen vor dem Morgen¬ zimmer ausgeſpannten Garten und blieben in ſeinen breiten Alleen und in ſeinen Blumenzir¬ keln ſtehen: als auf einmal ein rundes Häus¬ chen durch aufſchießende vom Mondlicht zu Ehrenbogen entzündete Waſſerſtralen bis an ſein welſches umgittertes Dach umlodert wurde. Stillgerührt ſagte die Miniſterinn: auf je¬ nem Waſſerhäuschen ſteht meine Liane; ſie gebraucht die Ausdünſtung der Fontainen; der Arzt verſpricht ſich viel davon. Und die Vorſicht geb 'es!

Allein der erſchütterte Zeſara konnte mit ſeinen ſo ſcharfen Augen doch mitten im Blend¬ werke des wagrechten Mondenſcheins und hin¬345 ter dem zitternden Nonnengitter aus verſchränk¬ ten Silber - oder Waſſeradern jetzt nichts aus dem dämmernden Eden abſondern als eine un¬ kenntliche ſtille weiße Geſtalt. Aber es war ge¬ nug für ein Herz, das weint und glüht. Du Engel meiner Jugendträume, dacht 'er, wirſt du es ſeyn? Sey du mir gegrüßet mit tauſend Schmerzen und Freuden. Ach kön¬ nen denn Leiden in dir ſeyn, du Himmels¬ ſeele? Und es ergriff ihn, daß ſie mit ihrer gequälten und entzückenden Geſtalt, wenn ſie hier im Zimmer wäre, ſein ganzes Weſen zerknirſchen würde durch Mitleid, und er hätte jetzt die Umarmung des Bruders ver¬ worfen, mit deſſen Hand das Verhängniß die ſanften Augen zum langen Traume zugedrückt.

Die Stickluft des bangſten Mitleids zwang ihn wegzuſehen und ſich umzuwenden und in den aufgeſchlagenen Meſſias die Augen zu hef¬ ten, deren Tropfen er nicht zeigen wollte; aber ſie wurden durch die Erinnerung, daß er ihre letzte Leſe-Freude wiederhole, nur heißer und dichter. Plötzlich richtete etwas Verfinſterndes, das vor dem Fenſter wie ein fallender Rabe346 niederflatterte, ſeinen Blick wieder auf Lianen, über welche ein vollgeſtrahltes Wölkchen ſtand, gleichſam ein aufgezogener oder niederkommen¬ der Heiligenſchein Unſterbliche ſchienen dar¬ auf wie auf Oſſians Wolken zu wohnen und die Schweſter zu erwarten und da ſie end¬ lich ſich bewegte und langſam in das Waſſer¬ häuschen unterſank, ſchien es da nicht, als gehe ihre Hülle in die Erde und ihr ſtiller Geiſt in die Wolke?

Hier gab ihm Auguſti, da die Mutter der zurückkommenden Kranken ins Krankenzimmer folgen mußte, den Wink zum Abſchiede, den er willig nahm; ſeine Liebe befriedigte ſich jetzt mit Einſamkeit und mit der Hoffnung des Wiederſehens: Junge Liebe und junge Vögel haben anfangs nur Wärme durch Bedek¬ ken nöthig, erſt ſpäter Nahrung.

Aber ein Paraklet oder Tröſter ſagte un¬ ter dem Weggehen dem Jünglinge leiſ 'ins Herzohr: morgen ſiehſt du ſie wenige Schritte von dir im Garten! Und das iſt recht leicht zu machen; er darf nur morgen in der Abend¬ dämmerung, wenn die Abendwandlerinn die347 Augenkur gebraucht, ſich in die Allee begeben und aus den Blättern frei hinauf in das zau¬ beriſche Antlitz ſchauen und dann die ganze Glückſeeligkeitslehre in Einem Paragraphen, in Einem Zuge, Athem, Momente verſchlingen aber welche Ausſicht!

Der Graf bat den Lektor nicht lange bei dem beſchäftigten Miniſter zu ſitzen. Als ſie ihn wiederfanden, wußt 'er hinter einem Akten¬ ſtocke kaum nach einigem (vielleicht maſkirten) Beſinnen, daß ſie da geweſen, und bedauert' es innig, daß ſie fortgiengen. Ach der Trö¬ ſter liſpelt den ganzen Abend und die ganze Nacht: morgen, Albano!

35. Zykel.

Da unſern Albano die gaukelnde Nacht von einer Seite und Träumerei auf die andre warf denn nicht die nahe Vergangenheit ſondern die nahe Zukunft mattet uns mit Probekomödien unſrer wachen Akte, mit Träumen, ab , wie war er am Morgen ſo froh, daß die ſchönſte Zukunft noch nicht vorüber war. Im Menſchen hauſen oft zwei348 ſehr eulenſpiegelſche Wünſche; ich thue oft den von ganzem Herzen, daß eine wahre Freude für mich, z. B. ein Meiſterwerk, eine Luftfahrt ꝛc. doch mög 'endlich ein Ende nehmen, und zwei¬ tens den obigen, daß eine und die andre Luft noch wenig außenbleibe.

Der Abend kam mit der größten, wo Ze¬ ſara wie Le Gentil nach Oſtindien nach dem öſtlichen Park des Miniſters abreiſete, um den Durchgang des Heſperus und Venusſter¬ nes, aber nur durch den Mund, zu obſerviren. Vor den erleuchteten Pallaſtfenſtern hielt er mitten unter den Leuten und ſann nach, ob es ſehr laſſe, ſo in den Garten zu laufen; aber wahrhaftig, wär 'er umgekehrt, das dürſtende Herz hatte ihn zurück durch einen ganzen da¬ vor poſtirten Klerus und diplomatiſchen Kon¬ greß hindurch getrieben. Kühn ſchritt er durch den lauten Pallaſt vor einer angeſpannten Wagenburg vorbei, dichte das eiſerne Gatter¬ thor auf und trat haſtig in den nächſten Lau¬ bengang. Hier gieng er von einem Fackeltanze leuchtender Hoffnungen begleitet hin und her, aber ſein Auge war ein Seh - und ſein Ohr ein Hör -349 Rohr. Die Lauben-Allee wuchs oben queer über den Garten in eine andre dem Waſſerhäuschen nahe hinein; in dieſe trat er, um der Blinden oder vielmehr ihrer Leiterinn nicht zu begegnen.

Es kam aber nichts. Freilich war er nicht wie der Mond wie doch zu fordern war um eine halbe Stunde ſpäter gekommen, ſon¬ dern gar um eine früher. Der Mond, dieſer Stern, welcher Weiſe voll Weihrauch zum An¬ beten leitet, ließ endlich breite lange Silber¬ blätter als Feſttapeten an Lianens Morgen¬ zimmer niederfallen die Madonna auf dem Pallaſte war in den Heiligenſchein und Non¬ nenſchleier ſeiner Stralen eingekleidet die Miniſterinn ſtand ſchon am Fenſter die Natur ſpielte das Larghetto eines magiſchen Abends in immer tiefern Tönen als Albano weiter nichts vernahm als ein kleineres bloß aus Klängen gemachtes, das aus dem Waſ¬ ſerhäuschen, dem Luſtſitze aller ſeiner Wünſche kam, und das ſterbend mit dem Frühlingstage vertönen wollte. Aber er konnte nicht erra¬ then, wer es ſpiele; man hätt 'es herausbrin¬ gen können, daß es Roquairol war, bloß weil350 er nachher, wie ich erzählen werde, nach der April-Sitte ſeines muſikaliſchen Gelichters, aus dem Pianiſſimo in ein zu wildes Fortiſſimo hinaufſprang. Der vom Vater relegirte Bru¬ der konnte wenigſtens im Waſſerhäuschen die theuere Schweſter ſehen und tröſten und ihr ſeine Liebe und ſeine Reue zeigen; wiewohl ſeine ſtürmiſche Reue eine zweite nöthig macht und am Ende nur eine frömmere Wiederho¬ lung ſeines Fehlers war.

Obgleich die Phantaſie Albanos eine Re¬ tina des Univerſums war, worauf jede Welt ſich ſcharf abmalte, und ſein Herz der Gang¬ boden jeder Sphärenmuſik, worin eine umlief: ſo konnten doch weder der Abend noch das Larghetto mit ihren Stralen und Klängen durch die hohen Wellen hindurch, die in ihm ſowohl die Erwartung als die Sorge (beide verdunkeln die Natur und die Kunſt) aufwarf. Das Ufer der Fontainen umflocht ein grüner Ring von Orangen, deren Blüthe im Morgen¬ lande nach der[Selam] - Chiffre Hoffnungen anſagt; aber wahrhaftig eine nach der andern wurde flüchtig, wenn er an die kalte helle351 Mutter dachte oder an ſein vielleicht leeres Warten. Die Fontainen ſprangen noch nicht er rupfte wie ein Vorherbſt immer mehr breite Fächerblätter aus ſeiner grünenden ſpa¬ niſchen Wand und ſah doch durch alle weitere Fenſter Lianen nicht über den Kiesweg her¬ kommen (welches ſchon darum unmöglich war, weil ſie längſt im Waſſerhäuschen bei ihrem Bruder ſtand) und er verzagte an ihrer Er¬ ſcheinung: als dieſer plötzlich ins gedachte For¬ tiſſimo ſtürmte und als alle Fontainen vor dem Monde rauſchende Kränze aus Flitterſilber aufwarfen. Albano blickte hinaus ....

Liane ſtand droben im Mondenſchimmer hinter dem flatternden Waſſer. Welche Erſchei¬ nung! Er riß die Laubenzweige an ſeinem Angeſichte auseinander und ſchauete unbedeckt und athemlos an die heilig-ſchöne Geſtalt! Wie griechiſche Götter überirrdiſch vor der Fak¬ kel ſtehen und blicken, ſo glänzte Liane vor dem Monde von dem umherrinnenden Wieder¬ ſcheine der ſilbernen Regenbogen beſchattet und der ſeelige Jüngling ſah die junge offne ſtille Marienſtirn beſtrahlt, auf der noch kein Un¬352 muth und keine Spannung eine Welle gewor¬ fen und die dünne zarte, kaum gebogene Augenbraunen-Linie und das Angeſicht, gleich einer vollendeten Perle oval und weiß und die[loßgeringelte] Locke auf den Maien¬ blümchen an ihrem Herzen liegend und den feinen Grazienwuchs, der wie die weiße Beklei¬ dung die Geſtalt zu erhöhen ſchien und die idealiſche Stille ihres Weſens, mit der ſie ſtatt des Arms nur die Finger auf das Geländer legte, gleichſam als ſchwebe die Pſyche nur über der Lilienglocke des Körpers und erſchüt¬ tere und beuge ſie nie und die großen blauen Augen, die ſich, indeß das Haupt ein wenig ſank, unausſprechlich-ſchön aufſchlugen und ſich in Träume und in ferne unter Abendröthen wiederglänzende Ebenen zu verlieren ſchienen.

Du überglücklicher Menſch! Dir er¬ ſcheint die einzige ſichtbare Göttinn, die Schön¬ heit, ſo plötzlich mit ihrer Allmacht und von allen ihren Himmeln begleitet und die Göttinn giebt dir den Wahnſinn die Gegenwart mit ihren Geſtalten wird dir unbekannt die Vergangenheit vergeht die nahen Töneziehen353ziehen aus tiefer Ferne her die überirrdiſche Erſcheinung überfüllt und überwältigt mit Glanz die ſterbliche Bruſt!

Ach warum durfte durch dieſen hohen rei¬ nen Himmel eine tiefe kalte Wolke ziehen? Ach warum fandeſt du die Himmliſche nicht früher oder ſpäter? Und warum mußte ſie ſelber dich, an ihren Schmerz erinnern?

Denn Liane in deren überflortes Auge nur ein ſtarkes Licht durchſikern konnte ſuchte den Mond, den ſeine eigne Aurora ein wenig verhieng, mit dem wiegenden Kopfe ir¬ rend auf, weil ſie dachte, ein Lindengipfel ver¬ decke ihn; und dieſes Wanken malte ihm ihr Unglück ſo plötzlich mit tauſend Farben! Ein ſchneller Schmerz zertrat ſeine Augen, daß Thränen daraus ſprützten und Funken und das Mitleiden ſchrie in ihm: O du unſchuldiges Auge, warum wirſt du verhüllt? Warum wird dieſer dankbaren frommen Seele der Mai genommen und die ganze Schöpfung? Und ſie wirft vergeblich den Blick der Liebe auf die Mutter und auf die FreundinnTitan. I. Z354 und o Gott! ſie weiß nicht, wo ſie ſtehen.

Aber der Vorhang des Mondes flatterte bald ſeitwärts und ſie lächelte den Schimmer heiter an wie der blinde Milton in ſeinem ewigen Geſange die Sonne oder wie ein Irrdiſcher den erſten Glanz nach dem Leben.

Eine Nachtigall, die bisher zwiſchen wei¬ ten Blumen einem leuchtenden Würmchen nach¬ hüpfend den Tönen im Zimmer nur mit ein¬ zelnen Wildrufen und Nachſchlägen der Freude geantwortet hatte, flog Lianen näher und die geflügelte Zwergorgel riß auf einmal alle Flö¬ tenregiſter heraus, daß Liane im Vergeſſen ihrer Blindheit niederblickte und Albano er¬ ſchrocken zurücktrat als ſehe ſie auf ihn. Da wurde unter den Tönen des Bruders und der Nachtigall ihr blaſſes, gleich der weißen Feder¬ nelke auf den Wangen leicht geröthetes Ange¬ ſicht zart vom matten Blüthenroth der Rüh¬ rung überdeckt die Augenlieder zuckten öf¬ ter über die glänzenden Augen hin und endlich wurde der Glanz eine ruhige Thräne es war keine des Schmerzes noch der Freude355 ſondern jene ſanfte, worein die Sehnſucht des Herzens überquillt, wie im Frühling überfüllte Zweige unverwundet weinen.

Im Menſchen wohnt ein rauher blin¬ der Zyklope, der allemal in unſern Stürmen zu reden anfängt und uns Zertrümmerung an¬ räth; furchtbar regte ſich jetzt in Zeſara die ganze aufgewachte Kraft der Bruſt, der wilde Geiſt, der uns auf Kuntursfittigen vor Ab¬ gründe ſchleppt und der Zyklope rief laut in ihm: ſtürze hinaus knie vor ſie ſag 'ihr dein ganzes Herz was iſt's wenn du dann auf ewig verloren biſt, haſt du nur einen Laut dieſer Seele vernommen und dann kühle und opfere dich in den kalten Quellen zu ihren Füßen. Wahrlich er dürſtete nach dem friſchen Baſſin, worein die Fontainen zurückſprangen Aber ach vor dieſer Sanf¬ ten, vor dieſer Gequälten und Frommen! Nein ſagte der gute Geiſt in ihm, verwunde ſie nicht wieder wie ihr Bruder o ſchone, ſchweige, ehre; dann liebſt du ſie.

Hier trat er heraus in die erleuchtete Erde wie in einen Himmelsſaal und nahm den offnenZ 2356Sonnenweg, aber leiſe, vor den Fontainen vorüber. Als er vor ihr vorbeigieng, brach auf einmal die Arkade aus Tropfen, die ſie halb vergittert hatte, zuſammen, und Liane ſtand wolkenlos wie eine reine Luna ohne Ne¬ bel-Hof im tiefen Himmelsblau; eine glänzende Lilie*)Sonſt glaubte man, daß eine im Chorſtuhle liegende Lilie den Tod deſſen bedeute, dem er gehörte. aus der zweiten Welt, die ſich ſelber das Zeichen iſt, daß ſie bald in dieſe fliehe. O ſein Herz voll Tugend empfand erſchüt¬ tert die Nähe der fremden; und mit allen Zei¬ chen der tiefſten Verehrung gieng er vor dem ruhigen Weſen vorüber, das ſie nicht bemer¬ ken konnte.

Erſt als ihm mit jedem Schritte ein Him¬ mel entfallen war und er endlich keinen mehr hatte als den über ſich: wurd 'er ganz ſanft und freuete ſich, daß er nicht kühner geweſen. Wie glänzt ihm jetzt die Erde, wie nähert ſich ihm der Sonnenhimmel, wie liebt ſein Herz!357 O noch nach vielen Jahren einſt, wenn dieſer glühende Roſengarten der Entzückung ſchon weit hinter deinem Rücken liegt, wie wird er dir, wenn du dich umwendeſt und dar¬ nach blickſt, ſo ſanft und magiſch als ein weis¬ ſes Roſenparterre der Erinnerung nachſchim¬ mern!

358

Siebente Jobelperiode.

Albano's Eigenheit das Neſtelknüpfen der Poli¬ tik der Heroſtrat der Spieltiſche väterliches mandatum sine clausula gute Geſellſchaft H. von Bouverot Lianens Gegenwart des Geiſtes und Körpers.

36. Zykel.

Wäre der Le hn pr ob ſt von Hafenreffer nicht, ſondern nur meine Phantaſie: ſo würd 'ich gewiß in meiner Hiſtorie fortfahren und der Welt als wahr berichten (und das ganze ro¬ mantiſche Schreibgelag ließe ſich darauf todt¬ ſchlagen), Albano ſey am andern Morgen blind und taub hinter der breit vorgebunde¬ nen Binde des Bandagiſten, Amor, dortgeſeſſen er habe nicht mehr über fünf zählen können, außer abends, an der Glocke, um nachher das359 Froulay'ſche Waſſerhäuschen magiſch zu um¬ kreiſen wie einer, der das Feuerbeſprechen will, das ſich ihm nachſchlängelt aus den beiden Blaſelöchern, womit ſentimentale Wall¬ fiſche ſich öffentlich ausweinen in Buchläden, hab' er beträchtliche Ströme aufgeſpritzt übrigens hab 'er kein Buch mehr angeſehen (ausgenommen einige Bogen im Buche der Natur) und keinen Menſchen mehr (einen blin¬ den ausgenommen) und unter dieſen meinen Wundzettel erotiſcher Wundfieber (würd' ich am Schluſſe meiner Lüge ſagen) ſetzt wohl offenbar die Natur ihr Sekrets - Inſiegel.

Das thut ſie nicht, ſagt Hafenreffer; nichts wie verdammte Lügen ſinds; die Sache iſt vielmehr ſo:

Zeſara ſchlich kein zweitesmal mehr in Froulay's Garten; eine ſtolze Schaamröthe überflog ihn ſchon bei dem Gedanken an die peinliche, mit der er das erſtemal einem mi߬ trauiſchen oder fragenden Auge aufgeſtoßen wäre.

Aber auf dieſe Weiſe blieb ihm vor der360 Heilung die liebe Seele verhüllt wie ihr der Mai; und er quälte ſich ſtill mit Berechnun¬ gen ihrer Leiden und mit Zweifeln an ihrer Kur. Er ſchämte ſich der Freude während ih¬ rer Trauerzeit und verbot ſich den Genuß des Frühlings und den Beſuch von Lilar; ach er wußte ja auch, es würde durch den liebenden Frühling und durch das Lilar, wo ſie ſo viele Freuden und die letzte Wunde empfangen, ſein Herz zu unbändig werden und zu voll.

Sein Durſt nach Wiſſen und Werth, ſein Stolz, der ihm bei dem Vater und ſeinen bei¬ den Freunden in einem rühmlichen Lichte zu ſte¬ hen gebot, trieben ihn in ſeine Laufbahn hin¬ ein. Mit allem ihm eignen Feuer warf er ſich über die Jurisprudenz und machte keinen an¬ dern Weg mehr als den zwiſchen dem Hörſaale und dem Studirzimmer. Zu dieſem Eifer zwang ihn ein eigenthümlicher Trieb nach Kompletirung; alles Unvollendete war ihm beinahe ein phyſiſcher Greuel; ihn ſchmerzten defekte Sammlungen abgebrochene Mo¬ natsſchriften eingeſchlafne Prozeſſe Bib¬ liotheken, weil er ſie nie ausleſen konnte 361 Leute die als Aczeſſiſten ſtarben, oder in Bau - Planen, oder ohne ein abgeründetes Denkſyſtem, oder als Geſellen, Tuchknappen und Schuh¬ knechte und ſogar Auguſti's Flötenblaſen, der's ſo beiher mittrieb. Es war dieſelbe Stärke, womit er Pſyche's Flügelpferde den Zü¬ gel ſtraff hielt und womit er ihm das Sporn¬ rad einſtieß; ſchon als Kind hatte er dieſe Stärke an der Zurückhaltung des Athems, oder am peinlichen Preſſen einer wunden Stelle verſucht und beim Himmel! figürlich that er ja nun beides wieder. In ihm wohnte ein mächtiger Wille, der bloß zur Dienerſchaft der Triebe ſagte: es werde! Ein ſolcher iſt nicht der Stoiziſmus, welcher bloß über innere Mis¬ ſethäter oder Hämlinge oder Kriegsge¬ fangene oder Kinder gebeut, ſondern es iſt jener genialiſch-energiſche Geiſt, der die geſun¬ den Wilden unſers Buſens dingt und bän¬ digt, und der königlicher zu ſich, als der ſpa¬ niſche Regent zu andern, ſagt: Ich, der Kö¬ nig!

Ach freilich wie konnte ſeine warme Seele anders? ſtand er oft in der Nachmit¬362 ternacht am luftigen Fenſter und ſchauete voll Thränen auf die weiße Madonna des mini¬ ſterialiſchen Pallaſtes, die der reine Mond ver¬ ſilberte. Ja am Tage zeichnete er oft in ſein Souvenir (zufällig war's ein Springbrunnen und eine Geſtalt dahinter, weiter nichts) oder er las im Meſſias (natürlich fuhr er in dem Geſange fort, den er ſchon bei der Mini¬ ſterinn angefangen) oder er belehrte ſich über Nervenkrankheiten (war er bei ſeinem Studiren dagegen gedeckt?) oder er ließ das Feuer ſeiner Finger über die Saiten laufen ja er hätte nichts als Roſen gepflückt, obwohl mit Dornen, wäre ihre Blüthezeit geweſen.

Und dieſe ſeufzende ſchwüle Seele mußte ſich verſchließen! O er war ſchon in Sorge, jede Taſte werde eine Schriftpunze, das Kla¬ vier ein Letternkaſten, und alle Handlungen verrätheriſch-leſerliche Worte. Denn er mußte ſchweigen. Die erſte junge Liebe hat wie die der Geſchäftsleute (die kurſächſiſchen ausgenom¬ men) keine Sprachwerkzeuge, höchſtens eine tragbare Schreibfeder mit Dinte. Nur die Weltleute, die ihre Liebeserklärungen eben ſo363 wiederholen wie Schauſpieler, ſind im Stande und aus gleichen Gründen ſie eben ſo zu publiziren wie dieſe. Aber in der heiligern Zeit des Lebens wird das Bild der geliebteſten Seele nicht im Sprach - und Vorzimmer ſon¬ dern im dunkeln ſtillen Oratorium aufgehangen; nur mit Geliebten ſpricht man von Geliebten. Ach er hörte über ſeine Himmelsbürgerinn un¬ gern ſogar andre reden; und er entwich oft (mit dem innern Rauchopferaltar in ſich) aus dem Zimmer, worin man für ſie eine Rauch¬ pfanne mehr voll Kohlendampf als Wohlge¬ ruch herumtrug.

37. Zykel.

Man erwartete in Peſtiz jeden Tag die Zurückkunft des deutſchen Herrn, Mr. de Bou¬ verot, der in Haarhaar an die feſt ſkizzirte Vermählung zwiſchen Luigi und einer haar¬ haarſchen Prinzeſſinn, Iſabella, die letzte retou¬ chirende Hand gelegt. Auguſti war ihm nicht gut, und ſagte ſogar, Bouverot habe keine364 honnêteté;*)Honnêteté ſchließet in den höhern Ständen Morden, deshonnêteté, Lügen etc. völlig aus; ausgenommen in einem gewiſſen Grade. und erzählte Folgendes, aber mit der weichen Ironie eines Weltmannes.

Vor einigen Jahren wurde Bouverot in Kapitel-Streitigkeiten vom Haarhaarſchen Hofe**)Dieſer Hof iſt katholiſch, aber das Land lu¬ theriſch, und zu dieſer letztern Konfeſſion be¬ kennt ſich auch der Hohenflieſſer. nach Rom an den Pabſt verſandt; gerade zur Zeit, wo auch Luigi den gewöhn¬ lichen Römerzug der Fürſten that mit ſeinen Römer-Zinszahlen. Nun wollte Haarhaar das eigentlich ſchon chapeaubas geht mit dem Hohenflieſſer Fürſtenhute und das alle mögliche offizinelle Ausſicht hat, ihn aufzuſetzen eben darum nicht gern den Anſchein geben, als ſeh 'es das Erlöſchen des Hohenflieſſer Stammes mit kalten Augen an, um ſo mehr, da eben der Stammhalter Luigi gleich in den erſten Jahren kein Held von nervöſer Bedeutung war. Ja dem Haarhaarer Hofe mußte daran liegen,365 daß der gute dünne Stamm-Herbſtflor wo möglich anders wiederkäme, als er ausgezo¬ gen war; und eben aus ſolchen Gründen war von jenem dem Deutſch-Herrn heimlich aufge¬ tragen, dergeſtalt über alle ſeine Freuden und Leiden als maitre de plaisirs, zumal bei mai¬ tresses de plaisirs zu walten und zu wa¬ chen, daß man damit zufrieden wäre. War inzwiſchen Abiturient ſchon als Fötus eingeſeſſen, ſo wurd' er leider gar zum punctum saliens ausgeſchliffen zurückgefahren, beſonders da er durch mehrere Bocks - und andre Sprünge durch den Reif der Luſt verdorben war zu einem Ritterſprunge. Es kann möglich ſeyn, daß der Deutſch-Herr der Verjüngung des Fürſten zu ſehr entgegengieng; ja er kanns der jungmachenden Wundereſſenz des Marquis d'Aymar*)S. des Grafen Lamberg Tagebuch eines Welt¬ mannes. nachgethan haben, welche eine alte unſchuldige Dame, die vom Elixir mehr verſalbte, als gegen ihre Jahre nöthig war, durch das übermäßige Verjüngen zum kleinen366 Kinde einzog. Kurz durch dieſen Kreuz¬ zug hinter dem Kreuzherrn Bouverot wird ein¬ mal wie öfters durch Kreuzzüge der Ho¬ henflieſſer Fürſtenſeſſel offen zu rechter Zeit und Haarhaar ſetzt ſich darauf.

Ich geſtehe ungern, daß Albano anfangs weil bei aller ſeiner Scharfſicht ſeine Rein¬ heit eben ſo groß war das Faktum nur ver¬ worren faßte, als ers aber begriff, wars für ihn pharmazeutiſches Manna, wie für Schoppe iſraelitiſches. Der Kreuzherr, (ſagte dieſer,) trägt ſein Kreuz nicht umſonſt es thut ihm eben ſo viel Dienſt wie den Häuſern in Italien ein daran geſchmiertes, es darf beide keine Seele anpiſſen, ob mans gleich in Rom vor jedem Vorzimmer mag.

Nicht lange darnach giengen unſre drei Freunde in der Stunde, wo die Wagen lär¬ mend zum Thee und Spiele rollen, auf der Gaſſe, als man vor ihnen eine Sänfte mit dem Sitze rückwärts, worin gleichwohl jemand ſaß, vorübertrug. Du heiliger Vater! (rief Schoppe,) da drinnen ſitzt der leibhafte Ze¬ fiſio aus Rom, der mich irgend einmal367 durchprügeln muß. Leiſe, leiſe! (ſagte Auguſti) das iſt der deutſche Herr; Zeſiſio iſt ſein arkadiſcher Name*)Wer in die Akademie der Akadier tritt, nimmt einen arkadiſchen Namen an. . Nun ſo freu ' ich mich deſtomehr, daß ich mit der Rothnaſe einmal herzlich ſchlecht umſprang ſagt' er und kehrte um und begleitete mit untergeſteck¬ ten Armen die Sänfte faſt zehn Schritte weit, um den Vogel des Bauers beſſer zu beſchauen, bis dieſer die Vorhänge vorriß. Albano er¬ tappte darin im Vorübereilen nur einen ſchar¬ fen gleich einem Dolche gezognen Blick und einen rothglimmenden Naſenknopf.

Schoppe kam wieder und erzählte die Hän¬ del in Rom. Nämlich gegen alle Todſünder, Blutſchuldner und Sündenbälge trug er keinen ſo bittern Ingrimm als gegen Profeſſions-Bank¬ halter, Croupiers und Grecs; er ſagte, hätt er ein Raupeneiſen, womit er dieſes Gewürm von der Erde wegſchaben, oder eine Kochenille - Mühle, worin er es zerknicken könnte, er thät es ganz luſtig; o Himmel, (rief er dann aus),368 hielt 'ich vollends über den ringelnden ver¬ wickelten Wurmſtock gerade meinen ausge¬ ſtreckten Fuß (und wäre auch das Podagra daran) freudig ſtieß ich ihn darein und träte den Bettel aus. Was er aber konnte, that er. Da er ſein eigner Reiſediener und eine in ganz Europa hin - und herfahrende Laufer¬ ſpinne war: ſo hatt' er recht oft die Freude, dieſe Pharao-Blattwickler und Blattminirer unter die Finger zu bekommen ihr Schein - Genoſſe zu werden ihre Kriegsliſten einzu¬ lernen und dann irgend ein Feuerrad in ihre ziſchende Schlangenhöhle zu rollen. Ich bin nicht näher unterrichtet, ob man es in Leipzig weiß, wer der Rädelsführer war, der vor kur¬ zem in der Meſſe eine Vexier-Polizei mit Schein-Stadtknechten ſpielte und eine Bank aufhob; wenigſtens waren die Banquiers darüber irrig, weil ſie den andern Tag der wahren Polizei aufwarteten und um einige Indulgenzen und Un-Rechtswohlthaten anbet¬ telten; aber ich bin hier im Stande, den Diebsfänger zu nennen: Schoppe wars gewe¬ſen. 369ſen. Die Beute legt 'er meiſtens zu neuen Fladderminen unter Pharao-Tiſchen an.

Mit Zefiſio hatt 'er's anders gekartet. Er trat vor deſſen Bank und ſah einige Mi¬ nuten zu und belegte endlich ein Blatt mit einem Schildlouisd'or. Es gewann, und er zeigte hinter der Karte eine lange Rolle von Louis. Bouverot wollte dieſe Rolle nicht be¬ zahlen; er habe (ſagt' er) nichts geſehen. Wozu ſitzt Ihr Croupier denn dort? ſagte Schoppe und erklärte ſie für Betrüger, wenn ſie nicht zahlten. Man zahlte ihm, um grös¬ ſern Schaden zu vermeiden, den Gewinnſt. Er nahm ihn kalt und ſchied mit den Worten an die Pointeurs: meine Herren, Sie ſpielen hier doch mit ausgemachten Betrügern; aber bloß weil ich ſie kenne, haben ſie mich be¬ zahlt. Unter dem Steif - und Blaßwerden der Intereſſenten gieng er langſam mit ſeiner breitſchultrigen gedrungnen Figur und mit ſei¬ nem Knotenprügel unverſehrt davon.

Auguſti, wünſchte von Herzen, der Ver¬ folgung wegen daß Bouverot den Bibliothe¬ kar nicht mehr kenne. Zu Hauſe fanden ſieTitan. I. Aa370eine Einladung vom Miniſter auf Thee und Sou¬ per: die arme Tochter! (ſagte Auguſti) Die¬ ſes Bouverot wegen muß die Halbblinde mor¬ gen an die Tafel. Indeß ſieht ſie doch unſer Jüngling endlich wieder und nur ein Frühlingstag ſondert ihn vom theuerſten Weſen ab! Hat Auguſti Recht: ſo trifft meine Be¬ merkung hier ein, daß ein guter Filou immer der motivirende Hecht wird, der den frommen Karpfenſatz der Stillen im Teiche zum Schwimmen bringt; die verſteckte Blattermate¬ rie, die kalte Kinder auf einmal lebendig macht.

38. Zykel.

Lianens Augen heilten, aber nur langſam; die Natur wollte ſie nicht auf einmal aus ih¬ rem düſtern Kerker in die Sonne führen; jetzt konnte ſie erſt wie die Philoſophen, mehr Licht als Geſtalten erkennen. Gleichwohl gab der Miniſter den Kabinetsbefehl, ſie müſſe über¬ morgen die Harmonika ſpielen, bei dem Sou¬ per erſcheinen und ſogar den Sallat machen und dabei ihre Blindheit maſkiren. Er befahl zuweilen unmögliche Dinge, um ſo viel Unge¬371 horſam zu finden als ſein Zorn zum Beſtrafen brauchte; gewiſſe Leute ſind den ganzen Tag ſchon im Voraus voll Ärger für irgend eine Zukunft, gleich dem Urinphosphor, der immer unter dem Mikroſkope kocht, oder den Eiſen¬ hütten, worin jeden Tag Feuer aus[kommt].

Die Miniſterinn ſagte dazu ein ſanftes feſtes Nein. Über die Harmonika, ſagte ſie, habe ſie in ſeinem Namen den Doktor gefragt, der es ſtreng 'verboten, und das Übrige ſey eine Unmöglichkeit. Hier konnt' er ſchon, ſo gut wurd 'es ihm, über mehrere Dinge unge¬ halten werden, beſonders über das Fragen des Doktors, das aber gar noch nicht geſchehen war; er wurde toll genug und ſchwur, er handle nach ſeinen Prinzipien und frage den Teufel nach fremden.

Dieſes Prinzip war dasmal der deutſche Herr. Die obige Anekdote nämlich Bouve¬ rots Fürſorge für den reiſenden Erbprinzen oder die Abſicht dabei war an beiden Höfen aſſemblée - und tafelfähig, und nur dem Für¬ ſten Luigi verdeckt; denn an Thronen giebt es faſt für niemand Geheimniſſe (kaum für ſeineA a 2372Frau) als für den der darauf ſitzt, wie in Schall¬ gewölben die Leute in fernen Winkeln alles laut vernehmen, nur der nicht, der in der Mitte ſteht. Der deutſche Herr war alſo im Hohenflieſſer Syſteme die wichtige Pfortader und Lungenpulsader, womit auch Froulay ſich wäſſern wollte. Dieſer mußte durchaus der Gegenwart und der Zukunft oder zweien Her¬ ren dienen, von denen der Haarhaarer ſehr bald ſeiner werden konnte.

Bouverot war nicht bloß an Froulay den Miniſter, ſondern auch den Vater geknüpft; ein Mann wie er, der ſich aus Italien ein ganzes Kunſtkabinet nachfahren laſſet und des¬ ſen Kunſt-Kenntniſſe eben ihn und den Fürſten ſo lange verknüpfen, mußte eine Madonna von ſolcher Karnazion wie Liane und aus der römiſchen Schule und die noch dazu von der Leinwand abgelöſet ſich als eine volle ath¬ mende Roſe bewegte, ein ſolcher mußte derglei¬ chen zu ſchätzen wiſſen. Heirathen konnt 'er die Roſe nicht wollen, da er deutſcher Herr war.

Er hatte ſie ſeit ſeiner welſchen Reiſe nicht geſehen der Graf auch nicht beiden wollte373 ſie der Miniſter zeigen als eine Zahlperle von beſonderer Weiße und Figur. Froulay hatte was überhaupt öfter iſt als man denkt gleich viel Eitelkeit und Stolz; dieſen gegen Ta¬ del, jene für das Lob. Aber ich müßte nun ein Turnirbuch ſchreiben, um ſein Toben, Rennen, Lanzenſtoßen in einem Gefechte, wo er unter den Fahnen der Feindſchaft, der Eitelkeit und Hab¬ ſucht diente, nur zum Theil auf die Nachwelt zu bringen. Er war ſo wenig todt zu jagen als ein Wolf. Alle Waffen waren ihm gleich und er nahm immer ſchärfere und giftigere. In den alten gerichtlichen Zweikämpfen zwiſchen Mann und Frau ſtand gewöhnlich der Mann bis an den Magen in einem Loche, um ſeine Stärke zur weiblichen herabzubringen und ſie ſchlug gegen ihn mit einem in einen Schleier gewickelten Stein; in den ehelichen aber ſcheint der Mann im Freien zu ſtehen und die Frau in der Erde und hat oft nur den Schleier ohne den Stein.

In dieſem Gefechte ſtellle ſich ein glän¬ zender Friedensengel zwiſchen beide und fieng die Wunden auf, nämlich Liane. Die Tochter374 die eine ſchwärmeriſche Liebe für die Mutter und die weibliche Achtung des ſtärkern Ge¬ ſchlechts für den Vater hatte, und die ſo un¬ endlich unter dem Zwieſpalte litt, fiel der Mut¬ ter um den Hals und bat ſie, ihr das zu er¬ lauben, was der Vater fordere ſie wolle alles gewiß ſo machen, daß man nichts merke, ſie wolle ſich recht anſtrengen und vorher be¬ ſonders üben ach er werde ſonſt ihrem ar¬ men Bruder nur noch ungewogner dieſe Uneinigkeit bloß ihrentwegen ſey ihr ſo ſchmerz¬ lich, und vielleicht ſchädlicher als das Harmo¬ nika-Spiel.

Mein Kind, du weißt, (ſagte die Mutter, denn hatte ſie gefragt) was geſtern der Arzt gegen die Harmonika geſagt hat; das andre kannſt du wagen! Liane küßte ſie freudig. Man mußte ſie zum Vater führen, damit ſie vor ihm die Freude ihres Gehorſams laut¬ machte. Ich dank 'euchs mit dem Henker, (ſagt' er ſanft,) es iſt eure verfluchte Schuldig¬ keit. Sie gieng mit zerſtobener Freude, aber ohne große Schmerzen, ſie war es ſchon gewohnt.

375

39. Zykel.

Der Lektor bat Albano noch auf dem Wege zum Miniſter, das Feuer ſeiner Behaup¬ tungen und ſeiner Pantomime zu mäßigen. Er machte ihm vom Hauskriege nur ſo viel bekannt, als nöthig war, damit er nicht Lia¬ nen durch den Wahn der Heilung in Verlegen¬ heit ſetze. Als ſie ins Spielzimmer traten, war ſchon alles im Feuer.

Da ihm jetzt niemand präſentirt wird: ſo muß ich es thun; es ſind Jünger (wenigſtens Zwölfte) des Miniſters.

Zuerſt ſtelle ich dir den H. Juſtizpräſiden¬ ten von Landrok vor, eine gute Apothekerwage der Themis, die Skrupel auswägt und worin keine falſche Gewichte liegen, aber, was eben ſo ſchlimm iſt, viel Schmutz, Reſte und Roſt. Die am L'Hombretiſch daneben ſind die Herren und Frauen von Vey, Flöl und Kob, glatte feine Seelen, die wie Mineralien in Kabinet¬ ten auf der Schauſeite abpolirt ſind, nur aber auf der verborgnen Baſis noch eckig und kratzend.

Geh mit mir an den Eingang des andern376 Zimmers; hier hab 'ich dir zu präſentiren den jungen aber fetten Domherrn von Meiler, der, um ſeinen innern Menſchen mit einem dicken warmen äußern zu bekleiden und auszuſchla¬ gen, jährlich nicht mehr Bauern abzurinden braucht als der Ruſſe Lindenſtämme für ſeine Baſtſchuhe abſchindet, nämlich 150.

Das Zimmer, worein du ſiehſt, präſentir 'ich dir als ein Fliegenglas voll Hofbediente, die um ins Himmelreich zu kommen, nicht bloß Kinder, ſondern gar Embryonen von vier Wochen wurden, die bekanntlich ausſehen wie Fliegen; ſie wollen wenn Swift von ſei¬ nen Bedienten nichts begehrt als das Zuma¬ chen der Thüren, nichts von ihrem Brodherrn als das Offenlaſſen derſelben.

Ich habe die Ehre dir dort es iſt der, der nicht ſpielt den H. Kirchenrath Schäpe der Oberhofprediger werden will, vorzuſtellen, einen weichen Hallunken, der die Saamenkörner des göttlichen und menſchlichen Worts wie Melo¬ nenkerne (ſie ſollen dadurch früher in den Herzen aufgehen) ſo lange in gezuckertem Weine einweicht, bis ſie in jenen verfaulen;377 ein geiſtlicher Herr, der in ſeinem Leben nie andre Bitten that als die beiden, die er ſtets abſchlägt, die vierte und die fünfte.

Aber der Lektor wird dir im Fenſter ja alle Herren und Damen kalt, leiſe und ohne Pantomime nennen. Jetzt führt dich der Mi¬ niſter ſelber einem ſpielenden Herrn mit einem Kreuze zu, der Waſſer mit Salpeter trinkt und immer den dürren Mund beleckt; es iſt Bou¬ verot jetzt ſteht er vor dir auf, betrachte das kalte, aber kecke und ſchneidend-geſchliffne Auge, deſſen Winkel eine offne Blechſcheere oder aufgeſtellte Falle ſcheinen die rothe Naſe und den harten lippenloſen Mund, des¬ ſen röthliche Krebsſcheere ſich abgewetzt zuſam¬ menzwickt das aufgeſtülpte Kinn und die ganze ſtämmige feſte Figur. Albano überra¬ ſchet ihn nicht, er hat alle Menſchen ſchon ge¬ ſehen und er[fragt] nach keinem.

Der Miniſter erquickte den in ſich ver¬ worrenen Jüngling mit der Verheißung, bei dem Souper werd 'er ihm ſeine Tochter vor¬ ſtellen. Er bot ihm ein Spiel an; aber Alban378 verſetzte mit einem zu jugendlichen Accent: er ſpiele nie.

Er konnte nun die Spieltiſchgaſſen durch¬ ſtreichen, und alles beſehen was er wollte. In einem ſolchen Falle poſtirt man ſich, wenn man niemand in der Geſellſchaft ausſtehen kann, gerade vor oder neben das Geſicht, das man am meiſten anfeindet, um ſich über jedes Wort und jeden Zug des Geſichts heimlich zu erärgern. Albano hätte viele Geſichter gehabt, die wenigſtens in einem klei¬ nen Grade nicht zu leiden waren und zu de¬ nen er ſich hätte ſtellen können; ja es wä¬ ren keine hinlängliche Gründe anzugeben, warum er nicht einen gewiſſen ausgeſpelzten eingetrockneten Kleiſteraal, einen Schwächling voll Impertinenz in Einem fort angeſehen hätte, da dieſer mit einer Flügelbrille die auf¬ gehenden Kartengeſtirne obſervirte, indeß Al¬ bano die Fühlhörner ſeiner Sehnerven bis zu den Kartenfarben des zweiten Zimmers aus¬ ſtrecken konnte es wären keine Gründe da geweſen, wäre nicht der deutſche Herr da¬ geweſen; vor dieſen mußt 'er ſich ſtellen; von379 dieſem wußt' er das Meiſte und Schlimmſte; dieſer ſtand ja mit Schoppe in weiter Verbin¬ dung, ſogar mit Lianen Verdammt! ne¬ ben gewiſſen Geſichtern krümmen und mauſern ſich die Seelenſchwingen, wie neben Adlerkie¬ len Schwanen - und Taubenfedern zerfallen; allen ſchuldloſen Gefühlen in der ſo geräumigen Bruſt Albanos wurd 'es ſo unruhig und eng wie einem Taubenfluge in deſſen Schlag man einen Iltisſchwanz geworfen.

Ich darf es nicht verhehlen, er murrte und grollte innerlich über alles was der Mann that und hatte dieſer mochte nun Finger tra¬ gen, deren Spitzen feingeſchabet waren für das Pharaoſpiel und deren Nägel von einem ganz noch ſchlimmern Hazardſpiele ſich etwas ab¬ geblättert hatten oder er mochte zuweilen durch die Haare der Augenbraunen blicken oder (nur Einmal) eine Mücke durch ein ſchnel¬ les Schnappen der Lippen erquetſchen wie die Fliegenfalle oder bald eine deutſche bald eine galliſche Zeile ſagen, was ich doch von guten Zirkeln erwarte, indeß nur ſchlechte kein deutſches Wort vorbringen, wenige ſolche wie380 Lansquenet, canif (Kneif), birambrot (Bier am Brod) ausgenommen genug er dachte immer an Schoppe's ſchönen Ausſpruch: es giebt Menſchen und Zeiten, wo einen rechtſchaffenen Mann nichts mehr erquicken könnte als Prügel, die er gäbe. Duelli¬ ren iſt eben ſo gut, meinte der Graf.

Indeß muß er hier entſchuldigt werden durch eine Autorität. Nämlich ſelber Schreiber dieſes ſonſt ein ſo weiches warmes Schwa¬ nenfell wurde immer zu einem völligen Kampfhahne hinter Spiel-Seſſeln und ſpreitzte den kratzenden ſtruppigen Flügel weiter auf, je länger er müßig zuſah; der Grund iſt der, weil man überhaupt nur die Menſchen immer leidlicher und beſſer findet, mit denen man einerlei treibt und will.

Albano wünſchte ſich herzlich ſeinen Waf¬ fenbruder Schoppe her; er gieng zwar oft zu Auguſti, ſich auszuſchütten; aber dieſer linderte ſtets; ja er ſchnitt ihm durch die Verflechtung mit dem Kirchenrathe die Gelegenheit ab, ſeine jugendliche unerfahrne Seele Horchern zu verrathen. Auch wählte der Lektor nachher381 auf eine halbe Stunde was Hausfreunde oft thun in Abweſenheit der Hausfreundinnen letztere (die Abweſenheit).

Der Graf ſtand einige Zeit hinter Bouve¬ rots Seſſel und ſah in einen innen mit grotes¬ ken Bildern lakirten, ſineſiſchen Spiegel, und veränderte ſeine Stellung ſolange bis er darin Zefiſios Geſicht hart neben einem gemalten Dra¬ chen ſtehen hatte zur bloßen Vergleichung; das alles fiel vor, aber mit immer ſtärkern Herzſchlägen für Lianen unterbrochen: als die Bedienten die Thüren öffneten zu dem Speiſeſaale; und ihm nun das Herz bis zum Schmerzen pochte und ſeine ohnehin ſo jugend¬ lich-blühende Geſtalt ganz voll Roſen der fro¬ hen und verſchämten Röthe hieng.

40. Zykel.

Schnellathmend und glühend machte er ſich in die bunte Wandel-Reihe mit irgend einer alten Dame hinein, die ihn eitel mißver¬ ſtand und auf einmal als eine Armſchnalle mit Reſſort an ſeinem Arme hieng und die nichts von ihm erhielt als Antworten. Mit382 durchfliegenden Blicken trat er in den hellen wie aus Licht kryſtalliſirten Saal voll Köpfe. Er antwortete eben, als er im Tumulte hinter ſich das leiſe Wort vernahm: ich höre ja den Bruder und ſogleich die leiſere Widerle¬ gung: es iſt mein Graf. Er drehte ſich um zwiſchen dem Lektor und der Mutter ſtand die liebe Liane, der verſchämte, erſchrockne blaßrothe Engel im ſchwarzen Seidenkleide, das nur der blinkende Frühlingsreif einer ſilbernen Kette überlief, und mit einem leichten[Band] im blonden Haar. Die Mutter ſtellte ſie ihm vor und die zarte Wange blühte röther auf denn ſie hatte ja die gleichen Stimmen des Gaſtes und des Bruders vermengt und ſie ſchlug die ſchönen Augen nieder, die nichts ſe¬ hen konnten. Ach Albano wie zittert dein Herz ſo ſehr, da die Vergangenheit zur Gegenwart, die Mondnacht zum Frühlingsmorgen wird und du dieſe ſtille Geſtalt in der Nähe noch allmächtiger wirkt als in jedem Traume! Sie war ihm zu heilig, als daß er vor ihr über die ſcheinbare Heilung hätte lügen kön¬ nen; er ſchwieg lieber; und ſo kam der383 wärmſte Freund ihres Lebens zum erſtenmale nur verhüllt und ſtumm zu ihr.

Der Lektor führte ſie bald weg an ihren Sitz unter dem zweiten Lüſtre ihr gegen¬ über ſaß die Mutter (wahrſcheinlich darum, damit die gute unwiſſende Tochter, die doch nicht immer die Augenlieder ſenken konnte, dieſe freundlich und mit Anſtand gegen ein ge¬ liebtes Weſen heben durfte) der deutſche Herr, als Bekannter, ſetzte ſich ohne Weiteres zu ihrer Rechten, Auguſti zur Linken Ze¬ ſara als Graf kam oben weit hinauf neben die höchſte Dame.

Der Henker hol's! das iſt leider ſo oft mein eigner Fall! Ich behaupte oben den Eh¬ renplatz und bemerke unten eine Meile von mir die Tochter, aber als Myop nur halb und kann den ganzen Abend nichts machen. Rangirt mich doch ungeſcheuet hinunter zu ihr ihr habt mit nichts weniger als einem auf¬ geblaſenen Manne zu thun warum ſollen denn auch auf der Erde, wie im Himmel, ge¬ rade die größten Wandelſterne am weiteſten von ihrer Sonne abſitzen?

384

Ich ziehe jetzt die Leſer an des Miniſters Tafel, nicht um ihnen die miniſterialiſche auf Habſucht eingeimpfte Pracht oder ſeinen zwi¬ ſchen das Parallellineal der Etiquette einge¬ ſperrten Ehrentanz oder auch deſſen Familien¬ wappen zu zeigen, das auf jedem Wärmteller und Salzfaß und mit dem Eiſe und Senfe her¬ umgegeben wurde uns ſey die Allgegenwart des Wappenwerks auf ſeinen Blumentöpfen, Hemden, Bettſchirmen, Hunds-Kravatten und Gedanken genug ſondern der Leſer ſoll jetzt nur auf meinen Helden ſehn.

Sehr ſticht er hervor. Über einen ſolchen Ankömmling hat man in einer Reſidenzſtadt noch früher als er dem Schwager das Trink¬ geld gegeben, ſchon alles mögliche Licht der Natur und der Offenbarung; 19 Anweſende waren als ſeine moraliſchen Schrittzähler an ihm feſt gemacht. Die Kühnheit ſeines Weſens und ſein Rang erſetzten bei ihm die Welt; und dieſe vermißte man nirgends als darin, daß er keinen andern Antheil nahm als den ſtärk¬ ſten und daß er ſich immer in allgemeine und weltbürgerliche Betrachtungen verlief. Aberſeht385ſeht doch o ich wollte, Liane könnt 'es ſe¬ hen wie die Roſengluth und das friſche Grün ſeiner Geſundheit unter den gelben Maro¬ den des Jahrhunderts glänzt, denen wie Schif¬ fen, an der afrikaniſchen Küſte der Jugend alles zuſammenhaltende Pech abgefloſſen war und wie ihn das Wangenroth der geiſtigen Geſund¬ heit, ein zartes immer wiederkommendes Er¬ röthen (aus Sorge um Lianen) ſchmückt, indeß mehrere Weltleute am Tiſche gleich der Baum¬ wolle alle Farben leichter anzunehmen ſchei¬ nen als die rothe!

Er ſchauete und horchte, wider die Ord¬ nung des Viſiten-Heils, zu ſehr Lianen zu. Sie , unter dem höhern Rothe der Furcht, fehlzugreifen, nur wenig, aber unbefangen; der Lektor ſperrte ihr mit leichter Hand den kleinſten Irrweg zu. Was ihn wunderte war, daß ſie ein ſo empfindliches und ſo leicht wei¬ nendes Herz mit einer ſo unbefangnen Heiter¬ keit des Angeſichts und des Geſprächs bedeckte junger Mann, das iſt bei den weichſten Mäd¬ chen ohne Schmerzen der Liebe, kein Bedecken und Verſtellen, ſondern Genuß des AugenblicksTitan. I. Bb386und gewohnte Gefälligkeit! Sie behielt ſo beſonnen die (wahrſcheinlich vorher gelernte) Rangordnung der bekannten Stimmen, daß ſie ihre Anwort nie gegen eine falſche Stelle richtete. Sie blickte aber oft zu ihrer Mutter mit vollen Augen auf und lächelte dann noch heiterer, aber nicht um zu täuſchen ſondern aus rechter herzlicher Liebe.

Anlangend ihren Sallat, ſo würde die beſte und tafelfähigſte Leſerinn, die ihn miſchen ſe¬ hen, mehrere Gabeln davon nehmen. Unge¬ mein gut ließ es, da ſie ernſter und röther vor der blauen Himmels-Halbkugel aus Glas die Handſchuhe abzog mit weißen Händen und mit geſchmeidigen Armen ohne eine ſeidne Falte, zwiſchen dem gläſernen Blau und ſeide¬ nem Schwarz im Grünen arbeitete bedächt¬ lich nach dem Eſſig - und Oelgeſtelle faſſete und ſo viel zugoß als ihre Übung (und der ver¬ zifferte Rath des Lektors; wenigſtens ſcheint mirs ſo) gebot. Beim Himmel! das Ma¬ chen iſt hier der Sallat; und der eitle Mini¬ ſter, der ſich nicht auf Gemälde verſtand, hatte387 viel Einſichten in Dingen, die zu Gemälden taugten.

Die Mutter ſchien kaum auf die Blätter - Mengerei hinzuſehen. Dem Grafen ſchien heute die Miniſterinn nur Welt und keine fromme Strenge zu haben; aber er kannte noch nicht genug jene hellen Weiber, die Fein¬ heit ohne Witz, Empfindung ohne Feuer, Klar¬ heit ohne Kälte haben; die von den Schnecken die Fühlhörner, die Weichheit, die Kälte und den ſtummen Gang entlehnen und die mehr Vertrauen verdienen und fordern als erhalten.

Nun trat Zefiſio, als ein Engel unter drei Menſchen im feurigen Ofen ein, aber als ein ſchwarzer. Dem Grafen war deſſen Naheſitzen und jedes Wort zu ihr ohnehin eine Kreuzi¬ gung nur von ihr zu ihm mit dem Blicke zu gehen war ſchon ein Jammer, wenig ver¬ ſchieden von dem, den ich haben würde, wenn ich in Dresden einen Tag im Antiken-Olymp der alten Götter zubrächte und dann bei dem Herausgehen in ein Refektorium voll geſchwoll¬ ner Mönche oder in ein Naturalienkabinet voll ausgeſtopfter Malefikanten-Bälge und einma¬B b 2388rinirter Fötus-Kanker geriethe. Indeß wurde er doch dadurch beruhigt nach mei¬ ner Meinung nur getäuſcht , daß der deutſche Herr nicht neben ihr lyriſch loderte, noch im Himmel oder außer ſich war, ſondern bei ſich und ganz geſetzt und ſehr artig. Auf keine Tauben, Graf, frage die Landwirthe, ſchießen die Habichte öfter nieder als auf glänzend-weiße!

Der deutſche Herr brachte jetzt eine Taba¬ tiere hervor mit einem niedlichen Gemälde von Lilar und fragte Lianen, wie es ihr gefalle; ihm gefalle daran das Sentimentaliſche vor¬ züglich.

Der Lektor erſchrak, bog ſich dem Doſen¬ ſtücke entgegen und jagte einige Urtheile vor¬ aus, die die Halbblinde in den ihrigen führen ſollten; aber nachdem ſie damit ein paarmal ſchief gegen die Lichter und nahe vor ihren Au¬ gen vorbeigefahren war, konnte ſie ſelber das eigne fällen, daß das von der halbuntergeſun¬ kenen Sonne angeſtrahlte Kind, das unter dem Triumphbogen eine Blumenkette in die Höhe zieht, nach ihrem Gefühle ſo gar lieblich 389ſey. Hier kam und ich habe denſelben Fall an einer halbblinden Frau von mächtiger Phantaſie und offnem Kunſtſinne bemerkt die Anſtrengung und der Kunſtſinn oder das geiſtige Auge dem leiblichen auf halbem Wege entgegen. Die Doſe wurde wie ihr Taback weiter präſentirt und ſtieg hinab zum Kunſt¬ rath Fraiſchdörfer dem jetzt die Kunſtliebe des neuen Fürſten und die Kunſtgelehrſamkeit des Günſtlings neue Kronen aufſetzen ; er rügte nichts als das Blüthenweiß; der Früh¬ ling (ſagt er,) iſt wegen ſeines verdrüßlichen Weißes ein leeres Monochroma; ich habe Li¬ lar nur im Herbſte beſucht. Wir können ja den Nachtigallengeſang auch nicht malen, und hören ihn doch ſagte Liane heiter: er war ihr Lehrer, und jetzt in der maleriſchen Technologie ſogar ihres Vaters ſeiner. Über allen ihren Kenntniſſen und innern Früchten und Blüthen war die Roſe des Schweigens gemalt; daran hatte ſie der gebieteriſche Vater über¬ haupt gewöhnt, und vor Männern beſonders; in welchen ſie immer kopirte Väter furchtſam ehrte.

390

Als die Landſchaft zu Albano kam und er jene Frühlingsnacht verkleinert vor ſich hielt wo ihm Lilar und der edle Greis ſo zaubernd erſchienen und da er berührte, was die liebe Seele angerührt und da in der ſeinigen alle Wohllaute zitterten: ſo griff wieder der Teufel einen diſſonirenden Septimenakkord:

Der Fürſt, gnädiger Herr (ſagte der Mi¬ niſter zum deutſchen Herrn) wurde geſtern heimlich beigeſetzt; ſchon in acht Tagen ha¬ ben wir das öffentliche Begräbniß. Wir müſſen eilen, weil die Suſpenſion der Hof¬ trauer ſo lange dauert bis die Huldigung am Himmelfahrtstage vorüber iſt. Ich bin zu feurig, mich über den ewigen Zeremo¬ nienmeiſter Froulay auszulaſſen, der auf der Sonne Laternenſteuer eingetrieben hätte und Brückenzoll vor Parks - und Eſelsbrücken; aber Albano, von ſo vielen innern Seiten - und Streiflichtern geblendet erinnert an Lianens Trauer über den alten Mann, an ſeinen Ge¬ burtstag, an das Herz ohne Bruſt und an den Wahnſinn der Welt war nicht im Stande, ſo ſehr er ſich vorgeſetzt, in Sanftmuth und391 Lammskleidern vor Froulay zu erſcheinen, letz¬ tere anzubehalten: ſondern er mußte (und lau¬ ter als er meinte) gegen ſeinen Gegennachbar, den Kirchenrath Schäpe, mit zu großer Jugend - Ergrimmung (die durch das nach der Bru¬ derſtimme ſehnſüchtige Zuhören Lianens nicht kleiner wurde) ſich erklären gegen viel ge¬ gen das ewige todte Vexirleben der Menſchen gegen den zeremoniellen Hohn einer entſeel¬ ten Geſtalt gegen dieſes Darben an Liebe bloß aus Vorſpiegeln derſelben ach ſein ganzes Herz brannt 'auf ſeiner Lippe ....

Der redliche Schäpe, den ich oben einen Hallunken genannt, trat ihm mit mehreren Minen bei. Aber ich gar nicht; Freund Al¬ bano! du mußt erſt noch lernen, daß die Menſchen, in Rückſicht der Zeremonien, Mo¬ den und Geſetze, gleich einem Zug Schaafe, insgeſammt wofern man nur den Leithammel über einen Stecken ſetzen laſſen,[] an der Stelle des Stabes, den man nicht mehr hinhält, noch aus Vorſicht aufſpringen; und die meiſten und höchſten Sprünge im Staate thun wir ohne den Stecken. Aber ein392 Jüngling wäre mittelmäßig, der das bürger¬ liche Leben ſehr zeitig lieb hätte; ſo gewiß auch er und wir alle über die Fehler eines jeden Amtes zu bitter richten, das wir nicht ſelber be¬ kleiden.

Die Geſellſchaft hörte ſchweigend zu und wunderte ſich aus Artigkeit nur innerlich; Auf Lianens Geſtalt trat weicher Ernſt.

Man ſtand auf die Enge verſchwand ſein Eifer auch; aber ich weiß nicht, kam es von der Trunkenheit des Sprechens oder des liebenden Anſchauens, oder von einem jugend¬ lichen Überſpringen der Viſiten-Zäune (von Mangel an Lebensart kams aber nicht her) genug das Faktum iſt nicht zu leugnen (und ich thu 'auch am beſten, es geradezu zu ge¬ ben), daß der Graf die arme alte von ihm hergeführte Dame Hafenreffer weiß ſelber nicht wie ſie heißet ſtehen ließ und ich glaube unbewußt zum Führen Lianen nahm. Ach dieſe! Was ſoll ich ſagen von der ma¬ giſchen Nähe der geträumten Seele vom leichten Aufliegen ihrer Hand, das nur der Arm des innern Menſchen, nicht des äußern393 ſpürte von der Kürze des Himmelsweges, der wenigſtens ſo lang hätte ſeyn ſollen als die Friedrichs-Straße? Wahrhaftig er ſel¬ ber ſagte nichts er dachte bloß ans abſcheu¬ liche Inhibitorial-Zimmer, wo ihre Scheidung vorfallen mußte er zitterte unter dem Su¬ chen eines Lauts. Sie haben wohl (ſagte Liane leicht und offen, die gern die befreun¬ dete Stimme, zumal nach der warmen Rede hörte) unſer Lilar ſchon beſucht? Wahrhaftig nicht, aber Sie? ſagt er zu verwirrt. Ich und meine Mutter wohnten gern in jedem Frühlinge da.

Nun waren ſie im Scheide-Zimmer. Lei¬ der ſtand er ſo mit ihr, die nichts ſah, einige Sekunden feſt und ſah geradeaus willens, et¬ was zu ſagen, bis die Mutter ihn aufweckte, die für ihre, von dem ganzen Abend ſo ge¬ nährte Liebe eifrig eine abgetrennte Stunde am Tochterherzen ſuchte. Und ſo war alles vorbei; denn beide ſchwanden wie Erſcheinun¬ gen weg.

Aber Alban war wie ein Menſch, den ein herrlicher Traum verläſſet und der den ganzen394 Morgen ſo innig-ſeelig iſt, aber ihn nicht mehr weiß. Und wie, ſteht ihm nicht Lilar offen und ſieht ers nicht gewiß, ſobald nur Liane es auch ſehen kann?

Nie war er ſanfter. Der aufmerkſame Lektor legte in dieſer warmen fruchtbaren Säezeit einigen guten Saamen ein. Er ſagte, als ſie miteinander noch in die Mondnacht herausſa¬ hen, Albano habe heute faſt bloß ſtachlichte und ſperrige Wahrheiten vorgebracht; die nur erbittern, nicht erleuchten. Zu einer andern Zeit hätt 'ihn der Graf befragt ob ers wie Froulay und Bouverot hätte machen ſollen, die einander ganz tolerant Theſes und Anti¬ theſes vortrugen wie ein akademiſcher Reſpon¬ dent und Opponent, die vorher bei einander lo¬ giſche Wunden und Pflaſter von gleicher Länge beſtellen ; aber heute war er ihm ſehr gut. Auguſti hatte ſo delikat und liebreich für Mut¬ ter und Tochter geſorgt er hatte ohne Schwärzen und[Schminken] viel Gutes, aber nicht haſtig geſagt und man hatte ſeinem Aus¬ einanderſetzen ruhig zugehört er hatte we¬ der geſchmeichelt noch beleidigt. Albano ver¬395 ſetzte alſo ſanft: aber erbittern iſt doch beſſer, lieber Auguſti, als einwiegen. Und wem ſoll ich denn die Wahrheit ſagen als denen, die ſie nicht haben und nicht glauben? Doch nicht den andern? Man kann jede ſagen, ſagt' er, aber man kann nicht jede Art und Stimmung, womit man ſie ſagt, zur Wahrheit rechnen.

Ach! ſagte Albano und blickte hinauf; unter dem Sternenhimmel ſtand wie eine Schutz¬ heilige die Marmor-Madonna des Pallaſtes ſanft beglänzt und er dachte an ihre Schweſter und an Lilar und an den Frühling und an viele Träume und daß ſein Herz ſo voll ewiger Liebe ſey und daß er doch noch keinen Freund und keine Freundinn habe.

396

Achte Jobelperiode.

Le petit lever des D. Sphex Steig nach Li¬ lar Waldbrücke der Morgen in Arkadien Chariton Lianens Brief und Dankpſalm empfindſame Reiſen durch einen Garten das Flötenthal über die Realität des Ideals,

41. Zykel.

Ich bin in voriger Nacht bis gegen Morgen aufgeſeſſen, denn ich kann keinen fremden Dechiffreur darüber laſſen , um die Jobelpe¬ riode bis zum letzten Worte zu entziffern, ſo feſt hielt mich ihr Reiz; ich hoffe aber, da ſchon das dünne Blätterſkelet aus Haſenreffers Hand ſo viel that, ſo ſoll jetzt das Blatt, wenn ich ſeine Adern mit Saftfarben und gleißendem Grüne durchziehe, vollends Wunder thun.

Mit dem Grafen ſtand es ſeit dem letzten397 Abend betrübt. Denn die duldende beſcheidne Geſtalt, die er geſehen, glänzte wie der Vorſatz einer großen That, allen Bildern ſeiner Seele vor und in ſeinen Träumen und vor dem Ein¬ ſchlafen ward ihre holde Stimme die Philo¬ mele einer Frühlingsnacht. Dabei hört 'er noch immer von ihr ſprechen, beſonders den Phyſikus, der jeden Tag weitere Fort¬ ſchritte der Augenkur verkündigte und zuletzt Lianens Abreiſe nach Lilar immer näher ſtellte (Von einer Geliebten aber hören iſt, ſey es immer etwas Gleichgültiges, weit mächtiger als an ſie denken) Er hörte ferner, daß ihr Bruder ſich ſeit der Ermordung ihrer Augen der ganzen Stadt entzogen, in welcher er nicht wieder erſcheinen will als auf einem ſogenannten Freudenpferde bei der Fürſtenleiche; Und um dieſes Eden, oder vielmehr um die Schöpferinn derſelben, war eine ſo hohe Gar¬ tenmauer gezogen und er gieng um die Mauer und fand kein Thor.

Verhaßteres kenn 'ich nichts als das; aber in welcher Reſidenzſtadt iſts anders? Schrieb' ich jemals einen Roman, (wozu es keinen An¬398 ſchein hat) das betheur 'ich öffentlich, vor nichts würd' ich mich ſo hüten als vor einer Reſidenz¬ ſtadt und vor einer ſtiftsfähigen Heldinn darin. Denn die Konjunkzion der obern Planeten trägt ſich leichter zu als die hoher Amanten. Will Er ein Wort mit Ihr allein reden am Hofe oder beim Thee oder bei ihrer Familie, ſo ſteht der Hof, die Theegeſellſchaft, die Fa¬ milie dabei; will Er Ihr im Park aufſtos¬ ſen, ſo reiſet Sie, wie die ſineſiſchen Kurire, doppelt, weil man den Mädchen gern das Gewiſſen, wie die Natur alle wichtige Glieder, doppelt giebt wie gutem Weine doppelten Bo¬ den; will Er Ihr zufällig wenigſtens auf der Gaſſe begegnen, ſo ſchreitet (wenn dieſe in Dresden liegt) ein ſaurer Bedienter hinter¬ drein als ihr Peſteſſig, Seelenſorger, curator sexus, chevalier d'honneur, Sokrates-Genius, Kontradiktor und Peſtilenziarius Hinge¬ gen auf dem Lande läuft (das iſt alles) die Pfarrtochter, weil der Abend ſo himmliſch iſt, um die Pfarrfelder ſpatzieren und der Kandi¬ dat braucht nun weiter nichts zu thun als Stiefel anzuziehen. Wahrlich unter Leuten399 von Stande ſcheint der Mantel der (erotiſchen) Liebe anfangs ein D. Fauſts Mantel zu ſeyn, der alles zu überfliegen ſchwört, indeß er bloß alles überdeckt; allein am Ende ſteht einem das Schreckhorn, der Pilatusberg und die Jungfrau vor der Naſe.

Seeliger Held! Am Freitage kam der Lek¬ tor und referirte, am Montage werde der Höchſtſeelige nämlich deſſen leere Särge beigeſetzt, und Roquairol reite das Freuden¬ pferd und Liane ſey faſt geneſen, denn ſie gehe mit der Miniſterinn morgen nach Li¬ lar, höchſtvermuthlich um einigen trüben mit einem Trauerrande umfaßten Gedenkzetteln und Leichen-Erinnerungen zu entrinnen und am Himmelfahrtstage darauf ſey Huldigung und Redoute ....

Seeliger Held! wiederhol 'ich. Denn bis¬ her, was beſaßeſt du vom blühenden Tempe - Thal als die dürre Anhöhe, worauf du ſtan¬ deſt und in den Zauber hinunterſaheſt?

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42. Zykel.

Am Mai-Sonnabend ſchwand um 7 Uhr jeder Dunſt aus dem Himmel, und die hell¬ entweichende Sonne zog einem herrlichen Sonn¬ tage entgegen. Albano, der dann endlich das ungeſehene Lilar beſuchen wollte, war abends vorher ſo heilig-froh, als feiere er den Beicht¬ abend vor dem erſten Abendmahle; ſein Schlaf war ein ſtetes Entzücken und Erwachen und in jedem Traume gieng ein bethörender Sonntagsmorgen auf und die Zukunft wurde das dunkle Vorſpiel der Gegenwart.

Sonntags früh wollt 'er fort, als er vor der halben Glasthüre des Phyſikus vorüber¬ mußte: H. Graf, auf einen Augenblick! rief dieſer. Da er eintrat: ſagte der Doktor: gleich lieber H. Graf! und fuhr fort. Den Zeichnern, die in künftigen Jahrhunder¬ ten ſo aus mir ſchöpfen wollen wie bisher aus dem Homer, geb' ich folgende Gruppe des Doktors als einen Schatz: er lag auf der lin¬ ken Seite; Galenus bügelte mit einer kleinen Kratzbürſte den Rücken des Vaters, indeß ne¬ ben ihm Boerhave mit einem weiten Kammeſtand401ſtand und ſolchen unaufhörlich ſteilrecht (nicht ſchief) durch die Haare führte. Er ſagte ſtets, er wüßte nichts was ihn ſo aufheiterte und öffnete als Bürſte und Kamm. Vor dem Bette ſtand van Swieten in einem dicken Pelze, den der Züchtling, bei warmem Wetter und ſchlimmer Aufführung tragen mußte, um darin ſowohl ausgelacht als halb gekocht zu werden.

Zwei Mädchen warteten in voller Sonn¬ tagsgalla da und gedachten aufs Land zu einer Pfarrtochter und in die Dorfkirche; dieſe klopfte er erſt von Glied zu Glied mit dem Hammer des Geſetzes ab. Er ſtellte ſeine Kin¬ der, als Gegenfüßler römiſcher Beklagter in Lumpen, gern in Manſchetten und Quaſten und galonnirt auf die Pillory, beſonders vor Fremden. Der Graf hatte ſich ſchon längſt der rothen Kinder wegen gegen das offne Fen¬ ſter gekehrt; konnte ſich aber doch nicht enthal¬ ten lateiniſch zu ſagen: wär 'er ſein Kind, er hätte ſich längſt umgebracht; er kenne nichts mehr beſchämendes als im Putze ge¬ ſcholten zu werden. Deſto tiefer (ſagte Sphex deutſch) greift es eben ein und holteTitan. I. Cc402bei den Mädchen nur noch dieſes nach: ihr ſeyd ein paar Gänſe und werdet in der Kirche nur von eurem Lumpenkrame ſchnattern warum gebt ihr nicht auf den Pfarrer Acht? Er iſt ein Eſel, aber für euch Eſelinnen pre¬ digt er gut genug; abends ſagt ihr mir die Predigt ganz her.

Hier iſt ein Laxirtrank, Herr Graf, den ich Sie, da Sie nach Lilar gehen, der Land¬ baumeiſterinn zu geben bitte für ihre kleinen Kröten; aber nehmen ſie es nicht übel! Beim Henker! das ſagen gerade die Leute am häufigſten, die ſich nichts übelnehmen. Der Graf der ihm zu andrer Zeit verachtend den Rük¬ ken zugekehrt hätte ſteckt 'es erröthend und ſchweigend vor dem Retter ſeiner Liane zu ſich, auch weil es für die Kinder ſeines geliebten Dians war, an deſſen Gattin er Grüße und Nachrichten bringen wollte.

43. Zykel.

Lilar iſt nicht wie ſo viele Fürſtengärten, ein herausgeriſſenes Blatt aus Hirſchfeld ein todter Landſchafts-Figurant und Vexir - und403 Miniaturpark ein ſchon an jedem Hofe auf¬ geſetztes und abgegriffenes Schaugericht von Ruinen, Wildniſſen und Waldhäuſern: ſondern Lilar iſt das Naturſpiel und bukoliſche Gedicht der romantiſchen und zuweilen gaukelhaften Phantaſie des alten Fürſten. Wir kommen bald insgeſammt hinter dem Helden hinein, aber nur ins Elyſium; der Tartarus iſt ganz etwas anders und Lilars zweiter Theil. Dieſe Abſonderung der Kontraſte lob 'ich noch mehr wie alles; ich wollte ſchon längſt in einen beſſern Garten gehen als die gewöhnlichen chamäleontiſchen ſind, wo man Sina und Ita¬ lien, Luſt - und Gebeinhaus, Einſiedelei und Pallaſt, Armuth und Reichthum, (wie in den Städten und Herzen der Inhaber) auf Einem Teller reicht und wo man den Tag und die Nacht ohne Aurora, ohne Mitteltinte neben einander aufſtellt. Lilar hingegen, wo das Elyſium ſeinen frohen Namen durch verknüpfte Luſtlager und Luſthaine rechtfertigt wie der Tartarus ſeinen düſtern durch einſame über¬ hüllte Schrecken, das iſt mir recht aus der Bruſt gehoben.

C c 2404

Aber wo geht jetzt unſer Jüngling mit ſei¬ nen Träumen? Noch auf der romantiſchen einleitenden Straße nach Lilar, eigentlich dem erſten Gartenwege deſſelben. Er wanderte auf einer belaubten Straße, die ſanft auf Hügel mit offnen Baumgärten und in gelbblühende Gründe ſtieg und die wie der Rhein ſich bald durch grünende Felſen voll Epheu drängte, bald fliehende lachende Ufer hinter den Zwei¬ gen aufthat. Jetzt wurden die weißen Bänke unter Jesminſtauden und die weißen Landhäu¬ ſer vielfältiger, er kam näher und die Nachti¬ gallen und Kanarienvögel*)Sie haben eine ganze Stube zum Winterleben, der man im Sommer bloß die Fenſter aushebt. Lilars ſtreiften ſchon hieher, wie Land anſagende Vögel. Der Morgen wehte friſch durch den Frühling und das zackige Laub hielt noch ſeine leichten äthe¬ riſchen Tropfen feſt. Ein Fuhrmann lag ſchla¬ fend auf ſeinem Leiterwagen, den die rechts und links abrupfenden Thiere ſicher auf dem glatten Wege zogen. Albano hörte am ſtillen Sonntage nicht das Feldgeſchrei der drängen¬405 den Arbeit, ſondern die Ruhe-Glocken der Thürme; im Morgengeläute ſpricht die zu¬ künftige, wie im Abendgeläute die vergangne Zeit; und an dieſem goldnen Alter des Tages ſtand auch eines in ſeiner friſchen Bruſt.

Jetzt zuckten gabelſchwänzige Rauchſchwal¬ ben mit der Purpurbruſt über das Himmel¬ blau des wilden Gamanders und kündigten mit ihren Wohnungen unſre an: als ſeine Straße durch ein zerſtörtes altes offnes, von fetten dicken Blättern wie Schuppen behang¬ nes Schloß durchwollte, an deſſen Ein - oder Ausgange ein wegweiſender rother Arm ſich mit der weißen Aufſchrift: Weg aus dem Tartarus ins Elyſium gegen eine nahe Waldung ausſtreckte.

Sein Herz fuhr auf bei dieſer doppelten Nähe ſo verſchiedener Tage. Mit weiten Schritten drang er gegen den Elyſiums Wald, den ein breiter Graben abzuſchneiden ſchien. Aber er kam bald aus dem Buſchwerke vor eine grüne Brücke, die ſich in den Bogen der[Rieſenſchlange] über den Graben, aber nicht auf die Erde ſondern in die Gipfel ſchwang. 406Sie trug ihn durch dir hereinblühende Wildniß von Eichen - Tannen - Silberpappeln - Frucht - und Linden-Wipfeln. Dann hob ſie ihn hin¬ aus in die freie Gegend und Lilar warf ihm ſchon von Oſten[ über] die weite ſpitzige Gipfel-Saat den Glanz einer hohen Goldkugel entgegen. Die Brücke ſenkte ſich mit ihm wieder ins duf¬ tende dämmernde Geniſte und unter und neben ihm riefen und flatterten die Kanarienvögel, Singdroſſeln, Finken und Nachtigallen und die geätzte Brut ſchlief gedeckt unter der Brücke. Endlich ſtieg dieſe nach einem Bogen¬ gange wieder ans Licht er ſah ſchon die grü¬ nende Bergkuppe mit dem weißen Altar, wor¬ an er in einer jugendlichen Nacht geknieet hatte; und mehr ſüdlich hinter ſich die Decke und Scheidewand des Tartarus, einen hochauf¬ gebäumten Wald und wie er weiter trat, deckte ſich ihm das Elyſium weiter auf eine Gaſſe kleiner Häuſer mit welſchen Dächern voll Bäumchen lachte den Blick freudig und einhei¬ miſch aus der grünen Weltkarte von Tiefen, Hainen, Bahnen, Seen an und in Mor¬ gen ſchloſſen fünf Triumpfthore dem Auge die407 Wege in eine weitausgeſpannte wie ein grü¬ nendes Meer fortwogende Ebene auf und in Abend ſtanden ihnen fünf andre mit geöffne¬ ten Ländern und Bergen entgegen.

So wie Albano die langſam-niederſchwe¬ bende Brücke herabgieng, ſo kamen bald bren¬ nende Springbrunnen, bald rothe Beete, bald neue Gärten im großen entwickelt hervor und jeder Tritt ſchuf das Eden um. Voll Ehr¬ furcht trat er wie auf einen geheiligten Boden heraus, auf die geweihte Erde des alten Für¬ ſten und des frommen Vaters*)So hieß überall der einſiedleriſche Emeritus, der da wohnende Hofprediger Spener, der mit dem edlen alten frommen Spener nicht nur von väterlicher Seite verwandt war, ſon¬ dern auch von geiſtiger. und Dians und Lianens; ſein wilder Gang wurde wie von einem Erdbeben umwickelnd gehalten; das reine Paradies ſchien bloß für Lianens reine Seele gemacht; und jetzt erſt machte ihm die ſcheue Frage über die Schicklichkeit ſeiner haſtigen Nachreiſe und die liebende Furcht, zum408 erſtenmale ihrem geneſenen Auge zu begegnen, den frohen Buſen enge.

Aber wie feſtlich, wie lebendig iſt alles um ihn her! Auf den Waſſern, die durch die Haine glänzen, ziehen Schwanen, in die Büſche ſchreitet der Faſan, Rehe blicken hinter ihm neugierig aus dem Walde, über den er ge¬ gangen war, und weiße und ſchwarze Tauben laufen ämſig unter den Thoren und an den Abendhügeln hängen rufende Schaafe neben liegenden Lämmern; ſogar der Turteltaube zit¬ tert in irgend einem verhüllten Thale die Bruſt vom Languido der Liebe. Er ſchritt durch ein langes hochſtaudiges Roſenfeld, das die Nie¬ derlaſſung und Pflanzſtadt von Grasmücken und Nachtigallen ſchien, die aus den Büſchen auf die wachſenden Grasbänke hüpften und vergeblich ausliefen nach Würmchen; und die Lerche zog oben über dieſe zweite Welt für die frömmern Thiere und fiel hinter den Thoren in die Saaten nieder.

Berauſche dich immer, guter Jüngling, und kette deine Blumen ſo ineinander wie der Knabe, dem du zueilſt! Nämlich oben auf409 dem welſchen Dache, vor deſſen Bruſtgeländer Silberpappeln von breiten Rebenblättern um¬ gürtet ſpielen, und das er in der Frühlings¬ nacht für eine Laube in[Roſen] angeſehen, ſtand ein kerniger herübergebückter Knabe, der eine Dotterblumenkette niederließ und dem zu kur¬ zen grünen Ankerſeile immer neue Ringe ein¬ ſteckte. Pollux heiß 'ich, (verſetzt' er friſch auf Albans ſanfte Frage,) aber meine Schwe¬ ſter heißet Helena*)Sie hatten als Zwillinge dieſe Namen. aber das Brüderchen heißt Echion. Und dein Vater? Er iſt gar nicht da, er iſt weit draußen in Rom; gehe nur hinein zur Mutter Chariton, ich komme gleich. An welchem ſchönern Tage und Orte, mit welchem ſchönern Herzen konnt 'er in des geliebten Dians h. Familie kommen als an dieſem Morgen und mit dieſer Bruſt?

Er gieng ins helle lachende Haus, das voll Fenſter und grüner Jalouſieladen war. Als er in die Frühlingsſtube eintrat: ſo fand er Chariton, ein junges, ſchmächtiges faſt noch jungfräulich-ausſehendes Weib von 17 Jahren410 mit dem kleinen Echion an der ſäugenden Bruſt, ſich wehrend gegen die kränklich-leb¬ hafte Helena, die auf einem Stuhle ſtehend immer aus dem Fenſter eine vielblättrige Re¬ benſchlinge hereinzog und die Hülle um die Augen der Mutter gürten wollte. Mit zaube¬ riſcher Verwirrung, da ſie zugleich aufſtehen, mit der Linken die belaubten Feſſel ohne Zerreis¬ ſen abnehmen und den Säugling tiefer verhüllen wollte, trat ſie dem ſchönen Jünglinge gebückt entgegen, kindlich-freundlich und feurig, aber unendlich ſchüchtern, nicht ſeiner ſtandesmäßi¬ gen Kleidung wegen, ſondern weil er ein Mann war und ſo edel ausſah ſogar ihrem Griechen ähnlich. Er ſagte ihr mit einer zau¬ beriſchen Liebe auf dem kräftigen Angeſichte, die ſie vielleicht nie ſo herrlich geſehen, ſeinen Namen und den Dank, den ſein Herz ihrem Gatten aufbewahre und Nachrichten und Grüße von dieſem. Wie loderte an der furchtſamen Geſtalt das unſchuldige Feuer aus den ſchwar¬ zen Augen! War denn mein Herr (ſo nannte ſie ihren Mann) ſehr geſund und froh? 411Und ſo fieng ſie jetzt unbefangen wie ein Kind, ein langes Verhör bloß über ihren Gatten an.

Pollux ſprang mit ſeiner langen Kette herein Alban nahm den Trank vom Doktor ſcherzend aus der Taſche und ſagte, das ſollſt du einnehmen Soll ichs gleich aus¬ ſaufen, Mutter? ſagte der Heros. Hier erkundigte ſie ſich eben ſo unbefangen nach dem ausführlichen Rezepte des Doktors und ſo lange, bis der kleine Säugling am Buſen re¬ bellirte und ſie in ein Nebenzimmer über die Wiege trieb. Sie entſchuldigte ſich und ſagte, der Kleine müſſe ſchlafen, weil ſie mit Lianen ſpatzieren gehe, auf die ſie jede Minute aufſehe.

Kinder lieben kräftige Geſichter; Alban wurde zugleich von Kindern und von Hunden geſchätzt; nur konnte er auf dem kindlichen Spielplatze nie mit der keinen ſpringenden Truppe agiren, wenn erwachſene Logen da¬ bei waren.

Ich kann ſehr viel ſagte Pollux; ich kann auch leſen, Herr! verſetzte dem Bruder Helena. Aber doch nur deutſch; ich412 aber kann lateiniſche Briefe prächtig herleſen, Du! erwiderte ihr das junge Männlein, und lief in der Stube nach Lektüre und Leſe¬ proben umher, aber umſonſt. Mann! warte ein wenig! ſagte er und lief die Treppe hinauf in Lianens Zimmer und holte einen Brief von Lianen.

43. Zykel.

Albano wußte nicht, daß Liane ordentlich das obere ſo blühend beſchattete Zimmer für ſich innen habe, worin ſie häufig zumal wenn die Mutter in der Stadt zurückblieb zeichnete, ſchrieb und las. Die kindliche Cha¬ riton, vom Liebestranke der Freundſchaft be¬ geiſtert, wußte gar nicht, wie ſie nur der ſchö¬ nen liebreichen Freundinn ihr Feuer ſo recht zeigen konnte; ach was war ein Zimmer? In dieſes immer offne kamen nun die Kinder, die Liane zuweilen leſen ließ; und ſo konnte jetzt Pollux aus dem einſamen den Bogen ho¬ len, den ſie an dieſem Morgen geſchrieben.

Als Albano während des Holens ſo allein im Wohnzimmer des fernen Jugendfreundes413 neben deſſen ſtiller, blaſſer Tochter ſaß, die bald auf ihn bald auf eine ihm noch aus Lia¬ nens Morgenzimmer bekannte Spiel-Schäferei hinſah als das Morgenwehen durchs kühle Fenſter das herrliche Getümmel hereintrieb beſonders als im lichten Ausſchnitte des Fußbo¬ dens die ſineſiſchen Schatten des Wein - und Pappellaubes ſich ineinander kräuſelten und als endlich Chariton den Säugling mit einem eiligern lautern Wiegenliede einſang, das ihm tönte wie ihr nachhallender Seufzer nach dem ſchönen Jugendlande: ſo wurd 'ihm das volle vom ganzen Morgen angeregte Herz ſo wun¬ derbar und beſonders durch das wankende Schattengefecht faſt bis zum Weinen be¬ wegt; und das Kind blickt' ihm immer bedeu¬ tender ins Geſicht.

Da kam Pollux mit ſeinen beiden Quart¬ blättern zurück und ſetzte ſich nun ſelber auf ſeine Leſeprobe. Schon die erſte Seite kompo¬ nirte zu Albans innern Liedern die Melodie; aber er errieth weder die Verfaſſerinn noch das Datum des Briefes, außer ſpäter durch ein hin - und herſpringendes Leſen. Die Blätter414 gehörten zu vorigen nicht einmal Streuſand bezeugte ihre junge Geburt (denn Liane war zu höflich, einen zu brauchen) ferner wa¬ ren alle Namen anders; nämlich Julienne, an die ſie gerichtet waren, hatte leider, in d'Ar¬ genſons bureau décachetage d. h. am Hofe wohnhaft, verzifferte verlangt, und ſie hieß mithin Eliſa, Roquairol Karl und Liane ihre kleine Linda. Linda iſt bekanntlich der Tauf¬ name der jungen Gräfinn von Romeiro, mit welcher die Prinzeſſinn am Tage jener für Ro¬ quairol ſo blutigen Retoude ein ewiges, Her¬ zens - und Korrespondenz-Bündniß aufgerich¬ tet hatte; Liane, vor deren reinen dichteri¬ ſchen Augen ſich jedes edle weibliche Weſen zur Gebenedeieten und Heroine, der undurch¬ ſichtige Edelſtein zum durchſichtigen aufhellte und reinigte, liebte die hohe Gräfinn gleichſam mit dem Herzen ihres Bruders und ihrer Freundinn zugleich, und die ſanfte Seele nannte ſich, ihres Werthes unbewußt, nur die kleine Linda ihrer Eliſa.

Auch die zarte ausgezogene Handſchrift kannte Albano nicht; Julienne liebte die galli¬415 ſche Sprache bis zu den Lettern, aber Lianens ihre glichen nicht den galliſchen Sudel-Proto¬ kollen, ſondern der reinlichen geründeten Handſchrift der Britten.

Hier iſt endlich ihr Blatt du hol¬ des Weſen! wie lange hab 'ich nach den erſten Lauten deiner erquickenden Seele gedürſtet!

Sonntags-Morgen.

Aber heute, Eliſa, bin ich ſo innig¬ froh und der Abendnebel liegt als eine Aurora am Himmel. Ich ſollte dir wohl das Geſtrige gar nicht geben. Ich war zu bekümmert. Konnt 'aber nicht meine liebe Mutter, die doch bloß meinetwegen hierher gegangen war, dadurch noch kränker werden, ſo leidlich ſie auch eben deßwegen ſich gegen mich anſtellte? Und dann kam ja deine Geſtalt, Geliebte, und all dein Schmerz und die harte Nachbar¬ ſchaft*)Der Tartarus mit dem Vaterherzen Julien¬ nens. und unſer letzter Abend hier, o alles das zog ja ſo klagend vor mein banges Herz! 416 Sich, als wir vor dem Hauſe der lieben Cha¬ riton hielten und ſie meiner Mutter die Hand mit freudigen Thränen küßte: ſo war ich ſo ſchwach, daß ich auch abgewandte vergoß, aber andre und über die Frohlockende ſelber, die ja nicht wiſſen konnte, ob nicht in dieſer Stunde ihr theurer Freund in Rom erkranke oder untergehe.

Nun aber iſt der dunkelgraue Nebel auf dem Blumengarten deiner kleinen Linda ganz verweht und alle Blüthen des Lebens glänzen in ihren reinen hohen Farben vor ihr. Nach Mitternacht wich die Migraine meiner Mutter fast ganz und ſie ſchlummerte ſo ſüß noch an dieſem Morgen. O wie war mir da! Nach 5 Uhr ſchon gieng ich in den Garten hinunter und fuhr über den Glanz zuſammen, der im Thaue und zwiſchen den Blättern brannte die Sonne ſah erſt unter den Triumpfthoren herein alle Seen ſprühten in einem breiten Feuer ein glänzender Dampf umfloß wie ein Heiligenſchein den Erdenrand, den der Him¬ mel berührte und ein hohes Wehen und Sin¬ gen ſtrömte durch die Morgenpracht

Und417

Und in dieſe aufgeſchloſſene Welt kam ich geneſen zurück und ſo froh; ich wollte immer rufen: ich habe dich wieder, du helle Sonne, und euch, ihr lieblichen Blumen, und ihr ſtol¬ zen Berge, ihr habt euch nicht verändert, und ihr grünet wieder wie ich, ihr duftenden Bäu¬ me! In einer unendlichen Seeligkeit ſchwebt 'ich wie verklärt, Eliſa, ſchwach aber leicht und frei, ich hatte die drückende Hülle ſo war es mir [unter] die Erde gelegt und nur das pochende Herz behalten und im ent¬ zückten Buſen floſſen warme Thränenquellen gleichſam über Blumen über und bedeckten ſie hell.

Ach Gott, ſagt 'ich in der großen Freude ſchreckhaft, war es denn ein bloßer Schlaf, das unbewegliche Ruhen der Mutter? und ich mußte lächle immer eh' ich weiter gieng, wieder zu ihr hinauf. Ich ſchlich athem¬ los vor das Bette, bog mich horchend über ſie und die gute Mutter ſchloß die immer leiſe ſchlummernden Augen langſam auf, ſah mich müde aber liebreich an und that ſie, ohne ſichTitan. I. Dd418zu regen, wieder zu und gab mir nur die liebe Hand.

Nun durft 'ich recht ſeelig wieder in mei¬ nen Garten gehen; ich brachte aber der immer heitern Chariton den Morgengruß und ſagt' ihr, daß ich auf dem breiten Wege zum Al¬ tare*)So heißet jener Berg, den Albano in der be¬ kannten Frühlingsnacht gefunden. bliebe, ſollt 'ich etwan geſucht werden. Ach Eliſa, wie war mir dann! Und war¬ um hatt' ich dich nicht an meiner Hand und warum ſah mein bekümmerter Karl nicht, daß ſeine Schweſter ſo glücklich war? Wie nach einem warmen Regen das Abendroth und das flüſſige Sonnenlicht von allen goldgrünen Hü¬ geln rinnt: ſo ſtand ein zitternder Glanz über meinem ganzen Innern und über meiner Ver¬ gangenheit und überall lagen helle Freudenzäh¬ ren. Ein ſüßes Nagen nahm mein Herz ausein¬ ander wie zum Sterben, und alles war mir ſo nahe und ſo lieb! Ich hätte der liſpelnden Zitterpappel antworten und den Frühlingslüf¬ ten danken mögen, die ſo kühlend das heiße419 Auge umwehten! Die Sonne hatte ſich mütter¬ lich-warm auf mein Herz gelegt, und pflegte uns alle, die kalte Blume, den jungen nack¬ ten Vogel, den ſtarren Schmetterling, und je¬ des Weſen; ach ſo ſoll der Menſch auch ſeyn, dacht 'ich. Und ich gieng den Sandweg und ſchonte das Leben des armen Gräschens und der liebäugelnden Blume, die ja hauchen und erwachen wie wir ich vertrieb die weißen durſtigen Schmetterlinge und Tauben nicht, die ſich nebeneinander von der naſſen Erdſcholle zum Tranke bückten o ich hätte die Wellen ſtreicheln mögen dieſe Schöpfung iſt ja ſo koſtbar und aus Gottes Hand und das noch ſo klein geſtaltete Herz hat ja doch ſein Blut und eine Sehnſucht und in das Augen-Pünkt¬ chen unter dem Blatte kehrt ja doch die ganze Sonne und ein kleiner Frühling ein.

Ich lehnte mich, ein wenig ermattet, unter den erſten Triumpfbogen, eh 'ich zum Altare aufſtieg; und ſah hinaus in die glimmende Landſchaft voll Dörfer und Baumgärten und Hügel; und der flimmernde Thau und das Läu¬ ten der Dörfer und das Glockenſpiel der Heer¬Dd 2420den und das Schweben der Vögel uber allem füllte mich mit Ruh 'und Licht. Ja, ſo ruhig und unbekannt und heiter will ich mein eilen¬ des Leben führen, dacht' ich: redet mir nicht der Trauermantel zu, der vor mir mit ſeinen vom Herbſte zerriſſenen Schwingen doch wieder um ſeine Blumen flattert; und mahnet mich nicht der Nachtſchmetterling ab, der erkältet an der harten Statue klebt und ſich nicht zu den Blüthen des Tages aufſchwingen kann? Darum will ich nie von meiner Mutter wei¬ chen bleibe nur die theure Eliſa auch ſo lange bei uns als ihre kleine Linda lebt und rufe ſie ihre hohe Freundinn bald,*)Linda de Romeiro. damit ich ſie ſehe und herzlich liebe!

Ich ſtieg den grün-ſchattigen Berg hinan aber mit Mühe; die Freude entkräftet mich ſo ſehr denk 'an mich, Eliſa, ich werde einmal an einer großen ſterben, oder an einem großen allzugroßen Weh. Der Schneckenweg zum Altare war von den Farben des Blüthen¬ ſtaubes gemalt und droben wanden ſich nicht421 gefärbte feſte ſondern rege brennende Regen¬ bogen durch die Zweige des Berges. Warum ſtand ich heute in einem Glanze wie niemals ſonſt? *)Die Urſache iſt, weil ſie nach der Geneſung noch kurzſichtig war, und ein Kurzſichtiger ſieht den Thau glänzender. Und als die Morgenluft mich wie ein Flügel anflatterte und hob und als ich mich tiefer in den blauen Himmel tauchte: ſo ſagt 'ich: nun biſt du in Elyſium. Da war mir als ſage eine Stimme: das iſt das irrdi¬ ſche und du biſt noch nicht geheiligt für das andre. O feurig faßt' ich wieder den Entſchluß, mich von ſo manchen Mängeln loszuwickeln und beſonders dem zu ſchnellen Wahne der Kränkung abzuſagen, den ich andern zwar verhehle womit ich ſie aber doch verletze. Und da betete ich am Altare und ſagte der ewigen Güte Dank und weinte unbewußt vielleicht zu ſehr, aber doch ohne Augenſchmerzen.

Zuletzt ſchrieb ich das hier beigelegte Dank¬ gedicht, das ich in Verſe bringe, wenn es der fromme Vater gutheißet.

422

Dankgedicht.

So ſchau 'ich wieder mit ſeeligen Augen in deine blühende Welt, du Alliebender und weine wieder, weil ich glücklich bin? Warum hab' ich denn gezagt? Da ich unter der Erde gieng in der Finſterniß wie eine Todte und nur von fern die Geliebten und den Früh¬ ling über mir vernahm: warum war das ſchwache Herz in Furcht, es gebe keine Oeff¬ nung mehr zum Leben und zum Lichte? Denn du warſt in der Finſterniß bei mir und führteſt mich aus der Gruft in deinen Früh¬ ling herauf; und um mich ſtanden deine fro¬ hen Kinder und der helle Himmel und alle meine lächelnden Geliebten! O ich will nun feſter hoffen; brich immer der ſiechen Pflanze üppige Blumen ab, damit die andern voller reifen! Du führeſt ja deine Menſchen auf einem langen Berge in deinen Himmel und zu dir und ſie gehen durch die Gewitter des Lebens am Berge nur verſchattet, nicht getroffen hindurch und nur unſer Auge wird naß. Aber, wenn ich zu dir komme, wenn der Tod wieder ſeine dunkle Wolke auf423 mich wirft und mich weg von allen Geliebten in die tiefere Höhle zieht und du mich Allgüti¬ ger noch einmal freimachſt und in deinen Früh¬ ling trägſt, in den noch ſchönern als dieſen herrlichen: wird dann mein ſchwaches Herz ne¬ ben deinem Richterſtuhle ſo freudig ſchlagen wie heute und wird die Menſchenbruſt in dei¬ nem ätheriſchen Frühlinge athmen dürfen? O mache mich rein in dieſem irrdiſchen und laſſe mich hier leben, als wenn ich ſchon in deinem Himmel gienge!

Wenn ſchon euch, ihr Freunde, die dul¬ dende reine Geſtalt ungeſehen lieb und rüh¬ rend wird, die ſich ergeben freuen kann, daß doch die Wetterwolke nur Platz-Tropfen, und keine Schloſſen auf ſie warf: wie mußte ſie erſt das bewegte Herz ihres Freundes erſchüt¬ tern! Er fühlte eine Heiligung ſeines gan¬ zen Weſens; gleichſam als komme die Tugend in dieſe Geſtalt verkörpert vom Himmel nieder, um ihn heiligend anzulächeln, und fliege dann leuchtend zurück und er folg 'ihr begeiſtert und gehoben nach.

424

Er drang eifrig dem Knaben das Zurück¬ tragen der Blätter ab, um ihr und ſich, da ſie jede Minute erſcheinen konnte, die peinlichſte Überraſchung zu erſparen; doch beſchloß er feſt was es auch koſte , wahr zu ſeyn und ihr noch heute ſein Leſen zu beichten.

Der Kleine lief die Treppe hinauf, wieder herab, blieb lange vor der Thüre und kam herein mit Lianen an der Hand, die weiß gekleidet und ſchwarz verſchleiert war. Sie ſah ein wenig betroffen umher als ſie mit bei¬ den Händen den Schleier von ihrem freundli¬ chen Geſichte zurückhob, hörte aber Charitons Wiegenlied. Sie kannt 'ihn nicht, bis er ſprach; und hier erröthete ihr ganzes ſchönes Weſen wie eine beleuchtete Landſchaft nach dem Abendregen; ſie habe die Freude, ſagte ſie, ſeinen Vater zu kennen. Wahrſcheinlich kannte ſie den Sohn durch Juliennens und Auguſti's Malereien noch beſſer und von verwandtern Seiten; auch bewegte ſich gewiß ihr ſchweſter¬ liches Herz von ſeiner Bruderſtimme; denn der Reiz und ſogar Vorzug der Ähnlichkeit und Kopie iſt ſo groß, daß ſogar einer, der425 einem gleichgültigen Weſen ähnlich ſieht, uns lieber wird, wie das Echo eines leeren Rufs, bloß weil hier wie in der nachahmenden Kunſt die Vergangenheit und Abweſenheit eine durch die Phantaſie durſcheinende Gegenwart wird.

Das immer leiſere Einſingen der Mutter ſagte das tiefere Einſchlummern des Säug¬ lings an und endlich verſtummte das dimi¬ nuendo, und Chariton lief mit blitzenden Au¬ gen der Hand Lianens zu. Eine heitere offne Freundſchaft blühte zwiſchen den unſchuldigen Herzen und verſtrickte ſie wie der Wein die na¬ hen Pappeln. Chariton erzählte ihr Albano's Erzählung mit der Vorausſetzung der innig¬ ſten Theilnahme; Liane hörte geſpannt-auf¬ merkend der Freundinn zu; aber das war ja ſo viel als blicke ſie die nahe hiſtoriſche Quelle ſelber an.

44. Zykel.

Endlich reiſete man in den Garten aus; Pollux blieb ungern, und nur auf Lianens Verheißung, ihm heute wieder ein Pferdſtück zu zeichnen, als Schutzheiliger der Wiege zu¬426 rück. Alban ſagte zur höchſten Freude der Baumeiſterinn, die nun alles dem ſchönen Manne zeigen konnte, er habe noch wenig von Lilar geſehen. Wie reizend giengen vor ihm die befreundeten Geſtalten nebeneinander! Chariton, wiewohl eine Frau, doch griechiſch - ſchlank flatterte als die kleinere Schweſter neben der Lilientaille ſeiner ein wenig längern Liane fort, jene ſchien nach der Eintheilung der Landſchaftsmaler, die Natur in Bewegung zu ſeyn, Liane die Natur in Ruhe. Als er wie¬ der neben Liane trat, an deren linken Hand Helena lief zur rechten die Mutter ſo fand er ihr weich-niedergehendes Profil unbe¬ ſchreiblich-rührend und um den Mund Züge, die der Schmerz zeichnet, die Narben wieder¬ kehrender Tage; indeß das ſchöne Mädchen in der Sonnenſeite des Vollgeſichts wie in ih¬ rem leichten Geſpräche, eine unbefangene be¬ glückende Heiterkeit entfaltete, die Albano, der noch an keiner Schulthüre eines weiblichen Philantropins angeklopft, mühſam mit ihrer weinenden Dichtkunſt ausglich. O wenn die weibliche Thräne leicht flieht, ſo entflattert ja427 noch leichter das weibliche Lächeln und dieſes iſt ja noch öfter als jene, nur Schein!

Er ſuchte aus Sehnſucht des durſtigen Herzens das Händchen der Kleinen zu faſſen, allein ſie hieng ſich mit beiden auf Lianens Linke; entlief aber gleich und holte drei Iris¬ blumen wie ſie, den Schmetterlingen ähn¬ lich und theilte der Mutter eine zu und Lianen mit den Worten zwei: gieb dem auch eine! Und Liane reichte ſie ihm freundlich-an¬ ſchauend mit jenem heiligen Mädchenblicke, der hell und aufmerkſam, aber nicht forſchend, kind¬ lich-theilnehmend ohne Geben und Fordern iſt. Gleichwohl ſenkte ſie dieſe heiligen Augen heute mehrmals nieder; aber das zwang ſie dazu auf Zeſaras felſigem, obwohl von der Liebe erweichtem Geſichte ruhte ein phyſiognomiſches Recht des Stärkern, er ſchien eine ſcheue Seele mit hundert Augen anzuſehen und ſeine beiden wahren loderten ſo warm, obwohl eben ſo rein, wie das Sonnenauge im Äther.

Die Irisblumen haben das Sonderbare, daß der eine ſie riecht, der andre aber nicht; nur dieſen dreieinigen Menſchen thaten ſich die428 Kelche gleich weit auf und ſie erfreueten ſich lange über die Gemeinſchaft deſſelben Genus¬ ſes. Helena lief voraus und verſchwand hin¬ ter einem niedrigen Gebüſche; ſie erwartete auf einer Kinderbank neben einem Kindertiſche lächelnd die Erwachſenen. Der gute alte Fürſt hatte überall für Kinder niedrige Moosbänke, kleine Gartenſtühle, Tiſchchen und Scherben - Orangerieen und dergleichen um die Ruheplätze ihrer Eltern geſtellt; denn er trug dieſe erquik¬ kenden offnen Blumen der Menſchheit ſo nah 'an ſeinem Herzen! Man wünſcht ſo oft, (ſagte Liane), in der patriarchaliſchen Zeit, oder in Arkadien und auf Otaheiti zu leben; die Kinder ſind ja glauben Sie es nicht? überall dieſelben und man hat eben an ihnen das, was die fernſte Zeit und die fernſte Ge¬ gend nur gewähren mag. Er glaubt' es wohl und gern; aber er fragte ſich immer, wie wird aus dem todten Meere des Hofes eine ſo unbefleckte Aphrodite geboren, wie aus dem ſalzigen Seewaſſer reiner Thau und Re¬ gen ſteigt? Unter dem Sprechen zog ſie zu¬ weilen ein ungemein holdes wie ſoll ich's429 beziffern Hm nach, das wiewohl ein Cour - Donatſchnitzer, eine unſägliche Gutmüthigkeit verrieth, ich ſchreibe es aber nicht dazu her, damit den nächſten Sonntag alle Leſerinnen dieſen Interpunktzionsreiz hören laſſen.

Das Nämliche, (verſetzte Albano, aber gutmeinend) gilt von den Thieren, der Schwan dort iſt wie der im Paradieſe. Sie nahm es eben ſo auf wie ers meinte: aber die Urſache war der fromme Vater, Spener, ihr Lehrer; denn auf Albans Frage über Lilars Fülle an ſchönen ſanften Thieren antwortete ſie: der alte Herr liebte dieſe Weſen ordentlich zärtlich und ſie konnten ihn oft bis zu Thrä¬ nen bringen. Der fromme Vater denkt auch ſo; er ſagt, da ſie alles auf Gottes Geheiß thun durch den Inſtinkt, ſo ſey ihm, wenn er die elterliche Sorge für ihre Jungen ſehe, ſo als thue der Allgütige alles ſelber. Sie ſtiegen jetzt eine halbbelaubte Brücke über einen langen von Pappeln umflatterten Was¬ ſerſpiegel hinauf, worin Lianens Ebenbild, nämlich ein Schwan auf den Waſſerringen ſchlief, den gebognen Hals ſchön auf den Rük¬430 ken geſchlungen, den Kopf auf dem Flügel, und leiſe mehr von den Lüften gedreht als von den Wellen. So ruht die unſchuldige Seele! ſagte Albano und dachte wohl an Liane, aber ohne Muth zum Bekenntniſſ '. Und ſo erwacht ſie! ſetzte bewegt Liane dazu, als dieſe weiße vergrößerte Taube den Kopf langſam von dem Flügel aufhob; denn ſie dachte an das heutige Erwachen ihrer Mutter.

Chariton wandte ſich wie ganz aus hup¬ fenden Punkten zuſammengeſetzt, immer fra¬ gend an Liane: wollen wir dahin? oder dort¬ hinein? oder hier hinaus? Wäre nur mein Herr da! der kennt alles! Sie hätte ihn gern um jede Quelle und Blume herumgeführt; und blickte dem Jünglinge ſo liebend wie der Freundinn ins Geſicht. Liane ſagte ihr auf dem Kreuzwege an der Brücke: ſie glaube, das Flöthenthal dort mit der leuchtenden Gold¬ kugel ſey vielleicht am ſchönſten, beſonders für einen Freund der Muſik; auch werde man ſie da ſuchen, wenn man ihrer Mutter die Harfe bringe. Sie hatte ihr mit dieſer zu¬431 rückzukommen verſprochen. Sie mied alle Steige nach Süden, wo der Tartarus hinter ſeinem hohen Vorhange drohte.

Liane ſprach jetzt über den Wettſtreit der Malerei und Muſik und über Herders reizen¬ den offiziellen Bericht von dieſem Streite; ſie, wiewohl eine Zeichnerinn, ergab ſich, dem weiblichen und lyriſchen Herzen gemäß, ganz den Tönen, und Albano, obwohl ein guter Kla¬ vieriſt, mehr den Farben. Dieſe herrliche Land¬ ſchaft (ſagte Albano) iſt ja ein Gemälde und jede menſchliche ſchöne Geſtalt. Wär 'ich blind (ſagte Chariton naiv), ſo ſäh' ich ja meine ſchöne Liane nicht. Sie verſetzte: mein Lehrer, der Kunſtrath Fraiſchdörfer ſetzte auch die Malerei über die Muſik hinauf. Mir iſt aber bei ihr als hört 'ich eine laute Vergangenheit oder eine laute Zu¬ kunft. Die Muſik hat etwas Heiliges, ſie kann nichts als das Gute*)Dieſer Satz, daß die reine Muſik ohne Text nichts Unmoraliſches darzuſtellen vermöge, malen, verſchie¬ den von andern Künſten. Wahrlich ſie432 war ſelber eine moraliſche Kirchenmuſik, die Engelſtimme in der Orgel; der reine Albano fühlte neben ihr die Nothwendigkeit und das Daſeyn einer noch zärtern Reinheit; und ihm ſchien als könne ein Mann dieſe Seele, deren Verſtand faſt nur ein feineres Fühlen war, verletzen ohne es ſelber zu wiſſen, wie Fenſter¬ gläſer von reiner Durchſichtigkeit oft zerſtoßen werden, weil ſie unſichtbar erſcheinen. Er drehte ſich, weil er immer um einen Schritt voraus war, mechaniſch um und nicht nur das blühende Lilar, ſondern auch Lianens volle Geſtalt leuchtete ihm auf einmal und neuge¬ ſtaltet in die Seele. Nicht ſie an ſein Herz zu drücken, war jetzt ſein Sehnen, ſon¬ dern dieſes Weſen, das ſo oft gelitten, aus jeder Flamme zu reißen, für ſie mit dem Schwerdte auf ihren Feind zu ſtürzen, ſie durch die tiefen kalten Höllenflüſſe des Lebens mächtig zu tra¬ gen, das hätte ſein Leben erleuchtet.

45. Zy¬
*)verdient von mir mehr unterſucht und ausge¬ führt zu werden.
*)433

45. Zykel.

Sie ſahen ſchon einige naſſe Lichter der hohen oben hereinſpringenden Fontainen des Flötenthals hochſchweben: als Liane wider Charitons Erwartung beide in einen unwegſa¬ men Eichenhain mitzugehen bat ſie ſah ihn ſo vergnügt und offenherzig dabei an und ohne jenen weiblichen Argwohn, mißverſtan¬ den zu werden! Im düſtern Haine ſtand ein wilder Fels auf, mit den Worten: Dem Freunde Zeſara. Die vorige Fürſtinn hatte dieſe erin¬ nernde Alpe Albanos Vater ſetzen laſſen. Ergriffen, erſchüttert, mit Schmerzen in den Augen ſtand der Sohn davor und lehnte ſich daran wie an Gaſpards Bruſt und drückte den Arm an den ſcharfen Stein hinauf: und rief innigſt bewegt: o du guter Vater! Seine ganze Jugend und Isola bella und die Zukunft überfielen auf einmal das vom ganzen Morgen beſtürmte Herz und es konnte ſich der zudringenden Thränen nicht länger er¬ wehren. Chariton wurde ernſthaft, Liane lä¬ chelte weich fort, aber wie ein Engel im Ge¬ bet. Wie oft ihr ſchönen Seelen, hab 'ichTitan. l. Ee434in dieſem Kapitel mein ergriffenes Herz be¬ zwingen müſſen, das euch anreden und ſtören wollte, aber ich will es wieder bezwingen!

Sie traten ſchweigend in den Tag zurück. Aber Albano's Wogen fielen nie ſchnell, ſie dehnten ſich in weite Ringe aus. Sein Auge war noch nicht trocken, als er in das himm¬ liſche Thal kam, in dieſen Ruheplatz der Wün¬ ſche, wo Träume frei, ohne Schlaf, herumgehen konnten. Chariton durch den Ernſt viel ge¬ ſchäftiger war nach einer Augenfrage an Liane ob ſie es ſolle nämlich das Spielen¬ laſſen gewiſſer Maſchinen voraus hineinge¬ eilt. Sie giengen durch den weichenden blü¬ henden Schleier; und Albano erblickte nun vor ſich den jugendlichen Traum von einem be¬ zauberten mit Düften und Schatten umſtricken¬ den Zauberthale in Spanien lebendig auf die Erde herausgeſtellt. An den Bergen blühten Orangengänge, den Unterſatz in die höhere Terraſſe verſteckt alles was große Blüthen auf ſeinen Zweigen trägt, von der Linde bis zur Rebe und zum Apfelbaume ſog unten am Bache oder beſtieg oder bekränzte die zwei lan¬435 gen Berge, die ſich mit ihren Blüthen um die Blumen der Tiefe wanden und ſich miteinan¬ der bogen, um ein unendliches Thal zu ver¬ ſprechen ſchiefgeſtellte Fontainen an den Bergen warfen hintereinander ſilberne Regen¬ bogen über die Bäume in den Bach in Oſten brannte der Goldglobus neben der Sonne, der letzte Spiegel ihres ſterbenden Abendblicks. Habe Dank, du edler Greis! wiederholte Albano immer.

Liane gieng mit ihm am weſtlichen Berge bis zu einer überblühten Bank unter dem her¬ überflatternden Bogen, wo man die erſte und zweite Krümmung des Thals und oben in Nor¬ den hohe Fichten und hinter ihnen eine Kirch¬ thurmſpitze und unten eine Aurikeln-Wieſe über¬ ſchauen kann, indeß Chariton auf dem öſtlichen gegenüber hinter einer Muſen-Statue denn die neun Muſen glänzten aus dem grünen Tempe an Gewichten zu winden und auf Spring¬ federn zu drücken ſchien. Mein Bruder (brach Liane leiſe das Schweigen und ſtrickte die Arbeit fort, die ſie der Freundinn abge¬ nommen) wünſcht recht ſehr, Sie zu ſehen. Ce 2436Die nun mit allen heiligen Kräften aufge¬ wachte Seele Albano's fühlte ſich ihr ganz gleich und ohne Verlegenheit, und er ſagte: ſchon in meiner Kindheit hab 'ich Ihren Karl wie einen Bruder geliebt; ich habe noch keinen Freund. Die bewegten Seelen merkten nicht, daß der Name Karl aus dem Briefe ſey.

Auf einmal flogen einzelne Flötentöne oben auf den Bergen und aus den Lauben auf immer mehrere flogen dazu ſie flatterten ſchön-verworren durcheinander endlich ſtie¬ gen mächtig auf allen Seiten Flötenchöre wie Engel auf und zogen gen Himmel ſie riefen es aus, wie ſüß der Frühling iſt und wie die Freude weint und wie unſer Herz ſich ſehnt und ſchwanden oben im blauen Frühlinge und die Nachtigallen flogen aus den kühlen Blu¬ men auf die hellen Gipfel und ſchrien freudig in die Triumphlieder des Maies und das Morgenwehen wiegte die hohen ſchimmernden Regenbogen hin und her und warf ſie weit in die Blumen hinein.

Lianen entſank die Arbeit in den Schooß und ſie ſchlug nach einer ihr eignen Weiſe, in¬437 deß ſie den Kopf wie eine Muſe vorſenkte, den Blick empor, ihn in eine träumeriſche Weite heftend; ihr blaues Auge ſchimmerte, wie der blaue wolkenloſe Aether in der lauen Sommer¬ nacht blitzend überquillt; aber des Jüng¬ lings Geiſt brannte in der Bewegung auf wie das Meer im Sturme. Sie zog den ſchwarzen Schleier, gewiß nicht allein gegen Sonne und Luft herab; und Albano mit einer in¬ nern Welt auf ſeiner bewegten Geſtalt, ſpielte erhaben mit ſich ſelber kontraſtirend an den Löckchen der hergezogenen Helena und ſah ihr mit großen Thränen in das blöde kleine Geſicht, das ihn nicht verſtand.

Jetzt eilte die Mutter ins Schweigen her¬ über und fragte recht freundlich, wie es ihm gefiele. Seine andern Entzückungen löſeten ſich in ein Lob der Töne auf; und die liebe Grie¬ chinn erhob das, was ſie ſo oft gehört, ſel¬ ber immer ſtärker als wär 'es ihr neu und horchte ſehr mit zu.

Ein Mädchen mit der Harfe blickte durch das Eingangsgeſträuch des Thales herein und Liane ſah den Wink und ſtand auf. In¬438 dem ſie den Schleier heben und ſcheiden wollte: ſo fiel dem großherzigen Jünglinge ſein Be¬ kenntniß ein: ich habe Ihren heutigen Brief geleſen, bei Gott das muß ich jetzo ſagen ſagt 'er. Sie rückte den Schleier nicht höher und ſagte mit zitternder Stimme: Sie haben ihn gewiß nicht geleſen, Sie waren wohl nicht in meinem Zimmer und ſah Chariton an. Er verſetzte, ganz hab' er ihn auch nicht, aber doch viel; und erzählte mit drei Worten eine mildere Geſchichte als Liane ahnen konnte. Der böſe Pollux! ſagte immer Chariton. O Gott, vergeben Sie mir dieſe Sünde der Unwiſſenheit! ſagte Albano; ſie hob den dunkeln Schleier auf eine Terzie lang zurück und ſagte hochroth, mit niedergeſenktem Blicke vielleicht durch die Freude über die Widerle¬ gung der ſchlimmem Erwartung verſöhnt : er gehörte bloß an eine Freundinn und Sie werden wohl, wenn ich Sie bitte, nichts wieder leſen und unter dem Falle des Schleiers gieng das Auge mildernd und ver¬ gebend auf und ſie ſchied langſam mit ihren Geliebten von ihm.

439

O du heilige Seele, liebe meinen Jüng¬ ling! Biſt du nicht die erſte Liebe dieſes Feuerherzens, der Morgenſtern in der däm¬ mernden Frühe ſeines Lebens, Du, dieſe Gute, Reine und Zarte! O die erſte Liebe des Men¬ ſchen, die Philomele unter den Frühlingslau¬ ten des Lebens, wird ohnehin immer, weil wir ſo irren, ſo hart vom Schickſale behandelt und immer getödtet und begraben; aber wenn nun einmal zwei gute Seelen im blüthenweißen Le¬ bens-Mai die ſüßen Frühlingsthränen im Buſen tragend mit den glänzenden Knos¬ pen und Hoffnungen einer ganzen Jugend und mit der erſten unentweihten Sehnſucht und mit dem Erſtlinge des Lebens wie des Jahres, mit dem Vergißmeinnicht der Liebe im Herzen wenn ſolche verwandte Weſen ſich begegnen dürften und ſich vertrauen und im Wonnemonat den Bund auf alle Wintermo¬ nate der Erdenzeit beſchwören und wenn jedes Herz zum andern ſagen könnte: Heil mir, daß ich dich fand in der heiligſten Lebenszeit, eh 'ich geirret hatte; und daß ich ſterben kann und habe niemand ſo geliebt als dich! 440 O Liane, o Zeſaro, ſo glücklich müſſen euere ſchönen Seelen werden!

Der Jüngling blieb noch einige Minuten in der um ihn fortarbeitenden Zauberwelt, deren Töne und Fontainen wie die Waſſer und Maſchinen in dem einſamen Bergwerke rauſch¬ ten; aber am Ende war etwas Gewaltſames im einſamen Forttönen und Schimmern des Thals, worin er ſo allein zurückgelaſſen war. Haſtig ſchritt er auf dem nähern Wege und mit Waſſeradern beworfen, durch den Lauben - Vorhang, und trat wieder in die freie Morgen - Erde Lilars hinaus. Wie ſonderbar! wie fern! wie verändert war alles! In ſeine weit offne innere Welt drang die äußere mit vollen Strö¬ men ein. Er ſelber war verändert; er konnte nicht in die Eichennacht an das felſigte Eben¬ bild des Vaters treten. Als er über die in Zweigen ſtehende Brücke war, ſah er auf dem breiten ſilberweißen Gartenwege die ſanfte Ge¬ ſellſchaft langſam gehen und er pries Lianen ſeelig, die nun an ihr bewegtes Herz das müt¬ terliche drücken konnte. Die Kleine drehte ſich oft tanzend um und ſah ihn vielleicht, aber441 niemand wandte ſich zurück. Durch die nach¬ getragne Harfe riß ſich der Morgenwind und führte von den erregten Saiten Töne wie von Äolsharfen mit ſich weiter; und der Jüngling hörte wehmüthig dem zurückklingenden Flie¬ hen wie von Schwanen zu, die über die Län¬ der eilen, indeß hinter ihm das leere Thal einſam in den flötenden Hirtenliedern der Liebe fortſprach und ihn wehende nachziehende Laute matt und dunkel erreichten. Aber er gieng auf den Berg des Altars zurück; und da er über die helle Gegend ſchauete und noch die fernen weißen Geſtalten gehen ſah, ließ er ſeine ganze ſchöne Seele weinen Und hier ſchließe ſich der reichſte Tag ſeines jungen Lebens!

Aber, ihr guten Menſchen, die ihr ein Herz tragt und keines findet, oder die ihr die ge¬ liebten Weſen nur in und nicht an dem Herzen habt, bild 'ich nicht alle dieſe Gemälde der Wonne, wie die Griechen, gleichſam an den Marmorſär¬ gen euerer umgelegten ſchlafenden Vorzeit ab? Bin ich nicht der Archimimus, der vor euch die zerfallnen Geſtalten nachſpielt, die euere Seele begrub? Und du, jüngerer oder ärmerer442 Menſch, dem die Zeit ſtatt der Vergangenheit erſt eine Zukunft gab, wirſt du mir nicht ein¬ mal ſagen, ich hätte dir manche ſeelige Ge¬ ſtalten wie heilige Leiber verbergen ſollen aus Furcht, du würdeſt ſie anbeten und wirſt du nicht dazuſetzen, du hätteſt ohne dieſe Phönix - Bildniſſe leichtere Wünſche genährt und man¬ che erreicht? Und wie wehe hab' ich dann euch allen gethan! Aber mir auch; denn wie konnt 'es mir beſſer ergehen als euch allen?

Euer Schluß wäre demnach dieſer: Da ihr ſchöne Tage nie ſo ſchön erleben könnt, als ſie nachher in der Erinnerung glänzen oder vorher in der Hoffnung: ſo verlangtet ihr lieber den Tag ohne beide; und da man nur an den beiden Polen des ellyptiſchen Gewöl¬ bes der Zeit die leiſen Sphärenlaute der Mu¬ ſik vernimmt, und in der Mitte der Gegen¬ wart nichts: ſo wollt ihr lieber in der Mitte verharren und aufhorchen, Vergangenheit und Zukunft aber die beide kein Menſch erleben kann, weil ſie nur zwei verſchiedene Dichtungs¬ arten unſers Herzens ſind, eine Ilias und443 Odyſſee, ein verlornes und wiedergefundnes Miltons-Paradies wollt 'ihr gar nicht an¬ hören und heranlaſſen, um nur taubblind in einer thieriſchen Gegenwart zu niſten.

Bei Gott! Lieber gebt mir das feinſte ſtärkſte Gift der Ideale ein, damit ich mei¬ nen Augenblick doch nicht verſchnarche ſon¬ dern verträume und dann daran verſter¬ be! Aber eben das Verſterben wäre mein Fehler; denn wer die poetiſchen Träume ins Wachen*)Es kann mir nicht vorgeworfen werden, daß ja die Szenen meines Buchs wirklich erlebte wären und daß man keine beſſere zu erleben wünſchte; denn in der Darſtellung der Phan¬ taſie nimmt die Wirklichkeit neue Reize an, Reize, mit welchen auch jede andere zurückge¬ wichene Gegenwart magiſch die Erinnerung durchſchimmert. Ich berufe mich hier auf die tragen will, iſt toller als der Nordamerikaner, der die nächtlichen realiſirt; er will wie eine Kleopatra den Glanz der Thauperlen zum Labetrunk, den Regen¬ bogen der Phantaſie zum haltbaren über Re¬444 genwaſſer geführten Schwibbogen verbrau¬ chen. Ja, o Gott, du wirſt und kannſt uns einmal eine Wirklichkeit geben, die unſre hieſigen Ideale verkörpert und verdoppelt und befriedigt wie du es uns ja ſchon in der hieſigen Liebe bewieſen haſt, die uns mit Mi¬ nuten berauſcht, wo das Innere das Äußere wird und das Ideal die Wirklichkeit aber dann nein, über das Dann des Jenſeits hat dieſes kleine Jetzt keine Stimme; aber wenn hienieden ſag 'ich das Dichten Leben würde und unſre Schäferwelt eine Schäferei und jeder Traum ein Tag: o ſo würde das unſere Wünſche nur erhöhen, nicht erfüllen, die höhere Wirklichkeit würde nur eine höhere*)Empfindung des Perſonales ſelber, das im Ti¬ tan handelt, ob es nicht in meinem Buche wenn es anders darüber geräth an den abge¬ malten Szenen, die doch ſeine eignen ſind, einen höhern Zauber findet, der den wirklichen abgieng, und ders freilich machen könnte aber ganz mit Unrecht , daß das Perſonale wünſcht, ſein eignes Leben zu erleben. 445 Dichtkunſt gebären und höhere Erinnerungen und Hoffnungen in Arkadien würden wir nach Utopien ſchmachten und auf jeder Sonne würden wir einen tiefen Sternenhim¬ mel ſich entfernen ſehen und wir würden ſeufzen wie hier!

446

Neunte Jobelperiode.

Luſt der Hoftrauer das Begräbniß Roquai¬ rol Brief an ihn die ſieben letzten Worte im Waſſer die Huldigung Retude Pup¬ penretude der Kopf in der Luft, der Tarta¬ rus, die Geiſterſtimme, der Freund, die Kata¬ kombe und die vereinigten Menſchen.

46. Zykel.

Die werdende Liebe iſt die ſtillſte; die ſchat¬ tigen Blumen in dieſem Frühlinge meiden wie die im andern, das Sonnenlicht. Albano ſpann ſich tief in ſeine Sonntagsträume ein und zog ſo gut er konnte das grüne Wohn-Blatt der Wirklichkeit in ſein Geſpinnſte; nämlich den Montag, der ihm bei dem Paradebegräbniſſe des Fürſten den Bruder ſeiner Freundinn zei¬ gen ſollte.

447

Dieſes Trauerfeſt, wo der dritte, aber größte fürſtliche Sarg ſollte zur Ruhe beſtat¬ tet werden, brach endlich an, und war ſchon durch das Vorfeſt wichtig gemacht, wo man die zwei erſten Särge ſammt dem Greiſe beige¬ ſetzt, wie man etwa Tugenden ſchon im An¬ fange eines Jahrhunderts beerdigt und erſt am Ende deſſelben ihre leeren Namen, Gehäuſe und Franzbände. Am Probe - und Vorbilds¬ begräbniſſe des Höchſtſeeligen war noch dazu der alte fromme Vater, Spener, ſein letzter Freund mit in die Gruft hinabgegangen, um ſich das hölzerne und zinnerne Gehäuſe des ausgelaufenen Gehwerks öffnen zu laſſen und auf die ſtille Bruſt des lieben Schläfers noch deſſen Jugend-Portrait und ſein eignes mit der umgeſtürzten Farbenſeite zu decken, ohne zu reden und zu weinen; und der Hof machte viel aus dieſer Morgen - und Abendgabe der Freundſchaft.

Alles ſchwillt für den Menſchen unge¬ heuer an, wovon ſie lange reden müſſen alle Peſtizer Geſellſchaften waren Sterbebei¬ tragsgeſellſchaften und voll Leichenmarſchalle 448 jedes Gerüſte der benachbarten Zukunft war ein Trauergerüſte und jedes Wort ein Leichen¬ ſermon oder eine Grabſchrift auf den blaſſen Mann Sphex als Leibmedikus freuete ſich auf ſeinen Antheil am Leidtragen und Mitziehen der Lektor hatte ſtatt der verſetzten Winter¬ kleider die Hoftrauer ſchon an - und approbirt der Hofmarſchall hatte keine Minute Raſt und der jüngſte Tag, der die Gräber auf - aber nicht zumacht, wär 'ihm heute ſchief ge¬ kommen der Miniſter von Froulay, den der kalte Luigi willig alles machen ließ, war als Liebhaber alles altfürſtlichen Pompes und als Kreisausſchreibender Direktor des gegen¬ wärtigen ſo gut im Himmel als der Höchſtſee¬ lige die Weiber waren als Hochſeelige aus den Betten geſtiegen, weil für dieſe fleißigen Gewändermalerinnen eine lange Weſen¬ kette von Röcken und von deren Trägern, wohl ſo ſchwer wiegt als für ihre Männer eine ge¬ kuppelte Sippſchaft von Pferden.

Albano harrte ungeduldig am Fenſter auf Lianens Bruder und liebte den Unſichtbaren immer heißer; wie zwei Flügel hoben und regtenFreund¬449Freundſchaft und Liebe in ihm einander ver¬ bunden auf. Die Trauerſpuhle nämlich der leere Sarg war im Tartarus angelegt und wurde allmählig abgeſpuhlet und man konnte das dunkle Trauerband nun bald bis in die Bergſtadt ſpannen. Schon anderthalb Stun¬ den vor Ankunft des Zuges war der Salpeter der weiblichen Volksmenge an den Mauern und Fenſtern angeſchoſſen. Sara, die Frau des Doktors, kam mit den Kindern und dem tauben Kadaver in Schoppe's Zimmer her¬ auf, deſſen zweite Thüre in Albanos ſeines offen ſtand; und ſagte liebäugelnd zum Gra¬ fen hinein: hier oben wäre alles beſſer zu überſehen und Seine Gnaden würden verzei¬ hen. Bleibt nur zuſammen da und mo¬ leſtirt mir den H. Grafen nicht ſagte ſie zurückgewandt zu den Kindern und wollte ins gräfliche Zimmer, auf deſſen Schwelle ſie der von Albano kommende Schoppe auffieng und anhielt.

Sara war nämlich eine jener gemeinen Frauen, die von ihren Reizen mehr ſelber hin¬ geriſſen werden als damit andre hinreißen Titan. I. Ff450ſie ſetzte bloß ihr Geſicht auf den Seſſel und ließ es zünden und ſengen und brennen, indeß ſie ihres Orts (im Vertrauen auf ihren fau¬ len Heinz*)Oder Athanor, ein chemiſcher Ofen, der lange Zeit ohne Nachſchüren fortarbeitet. des Geſichts) ruhig und kalt an¬ dre Dinge machte, entweder einfältiges Zeug oder böſen Leumund; und dann wenn ſie eine Kleidergeißel der Weiber geweſen war, wie Attila eine Göttergeißel der Völker, ſo ſchauete ſie auf und beſah den Feuerſchaden ihres Geſichts in den männlichen Tabaks¬ ſchwämmen umher. Beſonders auf den reichen ſchönen Grafen hatte ſie ein Auge unter der Amors Binde. Ihr Kopf lag voll guter phyſiognomiſcher Fragmente; und Lavaters Vorwurf, daß die meiſten Phyſiognomiſten leider am ganzen Menſchen nichts ſtudirten als das Geſicht, konnte ihren reinen phyſiog¬ nomiſchen Sinn niemals treffen.

Schoppe, leicht errathend, daß bei der Seelen käuferinn der Gang ein Pre߬ gang, das Weißzeug Jagdzeug, der Shawl451 eine Schlagwand ſey und der Hals ein Schwa¬ nenhals für einen nahen Fuchs, faßte ſie auf der Schwelle beider Stuben an der Hand und fragte ſie: nehmen Sie auch ſo viel Antheil an der allgemeinen Landesfreude und er¬ wünſchten Hoftrauer wie ich? Ihre Augen laſſen dergleichen leſen, Frau Landphyſikus¬ ſin. Was für einen Antheil, ſagte die Phyſika ganz dumm gemacht. An der Luſt der Hofleute, die ſich ohnehin wie die Urangutangs dadurch von den Affen unter¬ ſcheiden, daß ſie ſelten Freudenſprünge thun; wenigſtens trommeln ſie wie junge Klavieri¬ ſten ihre traurigſten und ihre luſtigſten Stück¬ chen ungerührt hintereinander weg. Wenn nur dem Hofſtaate nichts Herbes die Trauer verſalzt! Wünſchen Sie, daß die Lieben die ſchwarzen Freudenkleider, worin ſie wie die Nepoten der in der leuktriſchen Schlacht Ge¬ bliebnen, dem Jubel eines neuen Fürſten entgegengehen, umſonſt angezogen haben? Wie? Unglücklicherweiſe verſetzte ſie ſpöt¬ tiſch: Schwarz iſt hier zu Lande Trauerfarbe, H. Schoppe. Schwarz, Frau Doktorinn? F f 2452 (prallt 'er ſtaunend zurück) Schwarz? Schwarz iſt Reiſefarbe und Brautfarbe und Gallafarbe und in Rom Fürſtenkinder¬ farbe und in Spanien iſts ein Reichsgeſetz, daß die Hofleute wie in Marocko die Ju¬ den*)Nach Lempriere. ſchwarz erſcheinen.

Peſtalozzi, Madam aber Malz, ver¬ ſteht Er mich denn? fuhr Schoppe herum und munterte den Menſchen, der ſeine Trom¬ mel anhatte und ſie heimlich unter dem Zuge rühren wollte, um etwas vom gedämpften Lei¬ chentrommeln zu vernehmen, zum Schlägel auf, damit er vom Diskurſe profitirte. Malz, ſagt 'er lauter, Peſtalozzi bemerkt ganz gut, daß die Großen unſrer Zeit ſich in Geſicht, Kleidung, Stellung, Bilderdienſt, Aberglau¬ ben und Liebe zu (Charlatanen den Aſiaten täglich nähern; es ſpricht für Peſtalozzi, daß ſie den Sineſern, die ſich für die Freude ſchwarz und für die Trauer weiß anziehen, nicht bloß Tempel und Gärten und Fratzen¬453 bilder ſondern auch eben dieſes Freuden¬ ſchwarz abborgen.

Unter den Kindern wovon die unerzog¬ nen allein noch nicht ungezogen waren ho¬ ben ſich Boerhave, Galenus und van Swieten am meiſten durch eingelegte Arbeit und Hand¬ zeichnungen, die ſie von den Anweſenden mit den Fingern auf ihr Butterbrodt gravirten und Galenus wies ſeine ſatyriſche Projektion von der Mama ſagend: ſchau't was Ma¬ ma'n für 'ne lange Naſ' an'ſetzt hab '.

Der Bibliothekar, der etwas ähnliches drehte, hielt ſie, als ſie hineinwollte, indem er verſicherte, er laſſe ſie nicht, bis ſie ſich er¬ gebe; die Trauermarſchſäule könne kaum einen Acker lang aus dem Tartarus heraus ſeyn und geb 'ihm Zeit genug. Er fuhr fort:

Ächte Trauer hingegen, Liebe, macht im¬ mer wie der Zorn bunt oder wie der Schrek¬ ken weiß; z. B. die Kreaturen eines todten Pabſtes trauern violet, der franzöſiſche König auch, ſeine Frau kaſtanienbraun, der venezia¬ niſche Senat um den Doge roth. Allein Trauer können Sie ſo gut wie ich keinem454 Regenten verſtatten; dem Hohenprieſter und einem Judenkönige*)Sanhedrin. c. 2. Misch. 3. war ſie ganz verbo¬ ten; warum wollen wir der Dienerſchaft mehr verſtatten als dem Herrn? Und müßte ein Landesherr, Beſte, der die koſtbare Land¬ trauer zuließe, nicht offenbar die abgeſtellte Privattrauer aufwecken? Und könnt 'er, in¬ dem er durch ſein Exilium wie Zizero durch ſeines**)Cic. ad quirit. poft redit. c. 3. , 20,000 Leute in Trauerhabit ſteckte, es verantworten, daß ſein letzter Akt ein droit d'Aubaine, eine Beraubung wäre und daß das Sterbebette, worauf man ſonſt Be¬ dienten und Armen Kleider vermacht, ihnen welche auszöge? Nein, Madam, das ſieht wenigſtens Regenten nicht ähnlich, die ſogar durch ihr Sterben oft wie Marcion***)Seine Sekte ließ durch Chriſti Höllenfahrt alle Böſe aus der Hölle kommen, Abraham, Enoch, die Propheten ꝛc. aber nicht. Tertull. adv. Marcion. 455 von Chriſti Höllenfahrt behauptete, einen Kain, Abſalon und mehrere altteſtamentliche Verdammte aus der Hölle bringen in den Himmel der neuen Regierung.

Sie ergeben ſich noch nicht und der Ka¬ daver ſieht mich an wie ein Vieh; aber be¬ denken Sie das: Perücken - und Zeugmacher haben häufig gekrönte Häupter angefleht ' ihre Produkte zu tragen, damit ſie abgien¬ gen; ein Erb - und Kronprinz zieht ſich gleich am erſten frohen Huldigungs - und Re¬ gierungstage, wo er den Vorfahrer abſetzt d. h. begräbt, kohlenſchwarz an, weil die ſchwarze Wolle wenig taugt und wenig ab¬ geht, und ein ſolches Exempel beſchlägt auf einmal den ganzen Hofſtaat, ſogar Vieh, Pauken, Kanzeln ſchwarz. Nur noch ein Wort, Liebe; wahrlich es[kommt] noch nichts als die Chorſchülerſchaft. Eben deswegen wird der fürſtliche Leichnam, der leicht die ganze Freude des Leichenbegängniſſes ſtören könnte, vorher beſeitigt und nur ein vakan¬ ter Kaſten mitgeführt, damit der Zug keine456 andere pensées habe als anglaises*)So heißen ſchwarze Farben. ... O Traute das letzte Wort; was ſehen Sie denn am Stall - und Pagenkorps? Mei¬ netwegen! auch ich freue mich, auf einmal ſo viele Menſchen und den Fürſten mitten unter ſeinen Kindern ſo froh zu ſehen.

Aber je länger er die Prozeſſion, dieſes ſchlaffe Gauklerſeil, woran man den leeren aber figurirten Cypſelus Kaſten in die Fami¬ liengruft einließ, werden ſah, deſto zorniger wurde ſein Spott. Er paſſete die Hypo¬ theſe jedem beflorten Gliede der ſchwarzen Kette an. Er lobte es, daß man den Bal masqué der neuen Regierung mit dieſen lang¬ ſamen Menuetpas eröffne und ſich auf den Walzer der Vermählung und den Großvater¬ tanz der Huldigung anſchicke. Er ſagte, da man ſich und Thieren an Freudentagen gern alles leicht mache, wie daher die Juden am Schabbes ſich und ihr Vieh nichts, nicht ein¬ mal die Hüner die angehangnen Läppchen tra¬ gen laſſen, ſo ſeh 'ers gern, daß in den Zere¬457 monienwägen und im Paradekaſten und auf den Klagepferden nichts ſäße, ja daß ſogar die Schleppen der Trauermäntel von Pagen und die vier Leichentuchzipfel von vier hand¬ feſten Herren fortgebracht würden. Nur ta¬ delte er es, daß die Soldateska in der Luſt das Gewehr verkehrt ergriffen und daß ſich ge¬ rade die Perſonen vom höchſten Range, Luigi, Froulay), Bouverot, da ſie vom ſchnellen Lei¬ chentrunke auf einmal ins Freie kämen, ſich wankend müßten auf beiden Seiten führen laſſen.

47. Zykel.

In Albano ſprach ein andrer Geiſt als in Schoppe, aber beide begegneten ſich bald. Dem Grafen machten die Nachtgeſtalten aus Flor, die ſtillen Trauerfahnen, der Todten¬ marſch, der ſchleichende Krankengang, das Glok¬ kengetöſe die Todtenhäuſer der Erde weit auf, zumal da vor ſeine blühenden Augen zum er¬ ſtenmale dieſe Todtenſpiele kamen; aber lauter als alles rief vor ihm etwas das man kaum errathen wird die Scheidungen des Lebens458 aus, der vom Leichentuche erſtickte Trommel¬ ſchlag; eine gedämpfte Trommel war ihm ein von allen irrdiſchen Katakomben gebrochener Wiederhall. Er hörte die ſtummen erwürgten Klagen unſrer Herzen; er ſah höhere Weſen oben herunterſchauen auf das dreiſtündige wei¬ nerliche Luſtſpiel unſers Lebens, worin das rothe Kind des erſten Akts im fünften zum Jubelgreiſ 'ermattet und dann erwachſen und gebückt vor dem herablaufenden Vorhange verſchwindet.

Wie wir im Frühlinge mehr an Tod, Herbſt und Winter denken als im Sommer, ſo malet ſich auch der feurigſte kräftigſte Jüng¬ ling öfter und heller in ſeiner Jahreszeit die dunkle entblätterte vor als der Mann in ſei¬ ner nähern; denn in beiden Frühlingen ſchla¬ gen ſich die Flügel des Ideals weit auf und haben nur in einer Zukunft Raum. Aber vor den Jüngling tritt der Tod in blühender grie¬ chiſcher Geſtalt, vor den müden ältern Men¬ ſchen in gothiſcher.

Mit komiſchem Humor fieng Schoppe gewöhnlich an und endigte mit tragiſchem;459 ſo führte auch jetzt der leere Trauerkaſten, die Flöre der Pferde, die Wappen-Schabaracken derſelben, des Fürſten Verachtung des ſchwer¬ fälligen deutſchen Zeremoniels und die ganze herzloſe Mummerei, alles das führte ihn auf eine Anhöhe, wohin ihn immer das Anſchauen vieler Menſchen auf einmal trieb und wo er mit einer ſchwer zu malenden Erhebung Er¬ grimmung und lachenden Kümmerniß anſah den ewigen, zwingenden, kleinlichen, von Zwek¬ ken und Freuden verirrten, betäubten ſchweren Wahnſinn des Menſchengeſchlechts; und ſeinen dazu.

Plötzlich durchbrach die ſchwarze Kette ein bunter glänzender Ritter, Roquairol auf dem paradirenden Freudenpferde und erſchütterte unſre zwei Menſchen, und keinen weiter. Ein blaſſes eingeſtürztes Angeſicht, vom langen in¬ nern Feuer verglaſet, von allen Jugendroſen entblößet, aus den Demantgruben der Augen unter dem ſchwarzen Augenbraunen-Überhange blitzend, ritt in einer tragiſchen Luſtigkeit daher, deren Linien-Geäder ſich unter den frü¬ hen Runzeln der Leidenſchaft verdoppelte. 460Welch 'ein Menſch voll verlebten Lebens! Nur Hofleute oder ſein Vater konnten dieſes tragiſche Frohlocken zu einer ſchmeichleriſchen Freude über die neue Regierung herabſetzen; aber Albano nahm ihn ganz in ſein Herz hin¬ ein und wurde bleich vor inniger Bewegung, und ſagte: ja, Er iſts! O guter Schoppe, er wird gewiß unſer Freund, dieſer zerriſſene Jüngling. Wie ſchmerzlich lacht der Edle über dieſen Ernſt und über Kronen und Grä¬ ber und alles! Ach er ſtarb ja auch ein¬ mal. Daran thut der Reiter recht (ſagte Schoppe mit zuckenden Augen und tippte ſchnell an Albanos Hand und dann an ſeinen eignen Kopf); mir[kommt] ſchon der Schädel da als ein enger bonsoir, als ein Lichttödter vor, den mir der Tod aufge¬ ſetzt wir ſind artige mit Silber überzogne Figuren in einem elektriſchen Tanze begriffen und vom Funken ſpringen wir auf, ich be¬ wege mich zum Glücke doch noch .... und dort ſchleicht unſer guter Lektor auch daher und zieht ſeinen langen Flor wobei freilich Auguſti's bürgerlich-ernſte Stimmung461 ſehr gegen die menſchlich-ernſte des Bibliothe¬ kars abſtach.

Auf einmal ſagte Schoppe verdrüßlich über die Rührung: welche Maſkerade wegen einer Maſke! Lumperei wegen Lumpenpapier! Werft einen Menſchen ſtill in ſein Loch und rufet niemand dazu. Ich lobe mir London und Paris wo man keine Sturmglocken läu¬ tet, und die Nachbarſchaft rege macht, wenn der Undertaker einen Eingeſchlafnen zu Bette bringt. Nein, nein, (ſagte Zeſara, voll Kraft zum Schmerz) ich lob 'es nicht wem die heiligen Todten gleichgültig ſind, dem wer¬ den es die Lebendigen auch nein, ich laſſe gern mein Herz in eine Thräne nach der an¬ dern zerreißen, kann ich nur des lieben We¬ ſens noch gedenken.

O wie traf die Nachbarſchaft mit ſeinem Herzen zuſammen! In einer Ziſterne, wovor der Sarg des Sarges vorübergieng, ſtand der abgebildete Greis auf einem Pferde in Bronze und ſah unter ſich vorübergehen die abgeſat¬ telten Trauerpferde und das berittne Freuden - Roß ein Taubſtummer machte mit ſeiner462 Glocke an den Thüren ein bettelndes Geläute, das er wie der Begrabne nicht vernahm und war nicht der vergeſſene Fürſt ungeſehen und einſamer unter die Erde gelegt als irgend einer ſeiner Unterthanen? O Zeſara, dir fiel es aufs Herz, wie leicht der Menſch ver¬ geſſen wird, er liege in der Urne oder in der Pyramide und wie man unſer unſterbliches Ich wie einen Schauſpieler für abweſend anſieht, ſobald es nur in der Kuliſſe ſteht und nicht auf der Bühne unter den Spielern poltert.

Aber legte nicht der graue Einſiedler Spe¬ ner dem tiefern Einſiedler eine doppelte Ju¬ gend auf die geſunkne Bruſt? O zählet nicht in dieſer froſtigen Stunde des Gepränges die treue Julienne alle Töne des Leichengeläutes an ihren Thränen ab, dieſe arme durch Krank¬ heit nur vom Zeremoniel, nicht vom Schmerze befreiete Tochter die nun den vorletzten, vielleicht den letzten Verwandten verloren, da ihr Bruder kaum einer iſt? Und wird Liane in ihrem Elyſium nicht das Nachſpiel des Schmerzes errathen, das ſo nahe vor ihr463 hinter den hohen Bäumen im Tartarus gege¬ ben wird? Und wenn ſie etwas vermuthet, o wie wird ſie nicht ſo innig trauern?

Dieſes alles hörte der edle Jüngling in ſeiner Seele an und er dürſtete heiß nach der Freundſchaft des Herzens; ihm war als wehe ihre Berg - und Lebensluft aus der Ewig¬ keit herab und treibe den Todtenſtaub weg vom Lebensſteige und er ſehe droben den Ge¬ nius die umgeſtürzte Fackel auf den kalten Bu¬ ſen ſtellen, nicht um das unſterbliche Leben aus¬ zulöſchen, ſondern um die unſterbliche Liebe anzuzünden.

Er konnte nun nicht anders, ſondern mußte ins Freie gehen und unter dem fliegen¬ den Getöne des Frühlings und unter dem dumpf-zurückmurmelnden Todtenmarſche die folgenden Worte an Lianens Bruder ſchreiben, womit er ihm jugendlich ſagte: ſey mein Freund!

464

Zykel.

An Karl.

Fremder! jetzt in der Stunde, wo uns im Todtenmeere und in den Thränen die Siegesſäulen und Thronen der Menſchen und ihre Brückenpfeiler gebrochen er¬ ſcheinen, fragt Dich frei ein wahres Herz und Deines antwort 'ihm treu und gern!

Wurde Dir das längſte Gebet des Men¬ ſchen erhört, Fremder, und haſt Du Deinen Freund? Wachſen Deine Wünſche und Nerven und Tage mit ſeinen zu¬ ſammen wie die vier Zedern auf Liba¬ non, die nichts um ſich dulden als Ad¬ ler? Haſt Du zwei Herzen und vier Arme und lebſt du zweimal wie unſterblich in der kämpfenden Welt? Oder ſtehſt Du einſam auf einer froſtigen verſtumm¬ ten ſchmalen Gletſcherſpitze und haſt kei¬ nen Menſchen, dem Du die Alpen der Schöpfung zeigen könnteſt, und der Him¬ mel wölbt ſich weit von Dir und Klüfte unter Dir? Wenn Dein Geburtstag [kommt], haſt Du kein Weſen, das Deine Hand465 Hand ſchüttelt und Dir ins Auge ſieht und ſagt: wir bleiben noch feſter bei¬ ſammen?

Fremder, wenn Du keinen Freund hät¬ teſt, haſt Du einen verdient? Wenn der Frühling glühte und alle ſeine Ho¬ nigkelche öffnete und ſeinen reinen Him¬ mel und alle hundert Thore an ſeinem Paradieſe: haſt Du da ſchmerzlich aufge¬ blickt wie ich und Gott um ein Herz ge¬ beten für Deines? O wenn abends die Sonne einſank wie ein Berg und ihre Flammen aus der Erde fuhren und nur noch ihr rother Rauch hinanzog an den ſilbernen Sternen: ſaheſt Du aus der Vorwelt die verbrüderten Schatten der Freundſchaft, die auf Schlachtfeldern wie Geſtirne Eines Sternbildes miteinander untergiengen, durch die blutigen Wolken als Rieſen ziehen und dachteſt Du daran, wie ſie ſich unvergänglich liebten und Du warſt allein wie ich? Und, Einſamer, wenn die Nacht, wo der Geiſt des Men¬ ſchen, wie in heißen Ländern, arbeitetTitan. I. Gg466 und reiſet, ihre kalten Sonnen verket¬ tet und aufdeckt und wenn doch unter allen weiten Bildern des Äthers kein ge¬ liebtes theures iſt und die Unermeßlichkeit Dich ſchmerzlich aufzieht und Du auf dem kalten Erdboden fühleſt, daß Dein Herz an keine Bruſt anſchlägt als nur an Deine o Geliebter, weineſt Du dann und recht innig?

Karl, oft zählt 'ich am Geburts¬ tage die wachſenden Jahre ab, die Fe¬ dern im breiten Flügel der Zeit; und be¬ dachte das Verrauſchen der Jugend; da ſtrekt' ich weit die Hand nach einem Freunde aus, der bei mir im Charons Nachen, worin wir geboren werden, ſte¬ hen bliebe, wenn vor mir die Jahreszei¬ ten des Lebens am Ufer vorüberlaufen mit Blumen und Blättern und Früchten und wenn auf dem langen Strome das Menſchengeſchlecht in tauſend Wiegen und Särgen hinunterſchießet.

Ach nicht das bunte Ufer fliehet vor¬ über, ſondern der Menſch und ſein467 Strom; ewig blühen die Jahreszeiten in den Gärten des Geſtades hinauf und hinab, aber nur wir rauſchen einmal vor den Gärten vorbei und kehren nicht um.

Aber der Freund geht mit. O wenn Du in dieſer Stunde der Gaukeleien des Todes den bleichen Fürſten mit den Ju¬ gend-Bildern auf der Bruſt anſiehſt und an den grauen Freund denkſt, der ihn verborgen im Tartarus betrauert: ſo wird Dein Herz zerfließen und in ſanften warmen Flammen in der Bruſt umher¬ rinnen und leiſe ſagen: ich will lieben und dann ſterben und dann lieben: o Allmächtiger, zeige mir die Seele, die ſich ſehnet wie ich!

Wenn Du das ſagſt, wenn Du ſo biſt, ſo komm an mein Herz, ich bin wie Du. Faſſe meine Hand und behalte ſie bis ſie welkt. Ich habe heute Deine Geſtalt ge¬ ſehen und auf ihr die Wunden des Le¬ bens; tritt an mich, ich will neben Dir bluten und ſtreiten. Ich habe Dich ſchon früh geſucht und geliebt. Wie zweiGg 2468 Ströme wollen wir uns vereinigen und miteinander wachſen und tragen und ein¬ trocknen. Wie Silber im Schmelzofen rinnen wir mit glühendem Lichte zuſam¬ men und alle Schlacken liegen ausge¬ ſtoßen um den reinen Schimmer her. Lache dann nicht mehr ſo grimmig, daß die Menſchen Irrlichter ſind; gleich Irr¬ lichtern brennen und fliegen wir fort im regnenden Sturme der Zeit. Und dann, wenn die Zeit vorbei iſt, finden wir uns wie heute und es iſt wieder im Früh¬ linge.

Albano de Ceſara.

48. Zykel.

Wie herrlich eh 'dem innern Menſchen, wie dem äußern im Alter, alle Pulsadern zu Knorpeln erſtarren und alle Gefäße unbiegſam und erdig werden und das moraliſche Herz wie das andre kaum ſechszig Schläge in einer Minute thut und eh' der alte ſcheue Narr ſich bei jeder Rührung ein Stück ſeines Weſens aufhebt, das er kalt und trocken erhält und469 das aufpaſſen ſoll, wie benetzte Himbeerblätter ſtets auf der rauhen Seite trocken bleiben wie herrlich ſag 'ich tritt dagegen vor dieſer Spio¬ nen-Periode ein Jüngling, zumal ein Albano ſeine Bahn daher, wie frei, keck und froh! Und ſucht gleich dreiſt den Freund wie den Feind und tritt dicht an ihn, um zu kämpfen entwe¬ der für ihn oder wider ihn!

Damit entſchuldige man Albano's feurigen Brief! Den andern Tag erhielt er von Roquai¬ rol dieſe Antwort:

Ich bin wie Du. Am Himmelfahrts¬ abende will ich Dich ſuchen unter den Larven.

Karl.

Dem Grafen ſtieg die Röthe der Kränkung über dieſes geſuchte Verſchieben der Bekannt¬ ſchaft ins Geſicht; er wäre fühlt 'er nach einem ſolchen Laute des Herzens, ohne ein tod¬ tes Interim von fünf Tagen und ohne eine Huldigungsretude im doppelten Sinne, ſofort zum Freunde gegangen und ſeiner ge¬ worden. Jetzt aber ſchwor er, ihm nicht wei¬470 ter entgegenzulaufen ſondern ihn nur zu erwar¬ ten. Gleichwohl verflatterte bald das ge¬ rührte Zürnen und er bewilligte dem erſten Blättchen des ſo lange geſuchten Lieblings im¬ mer ſchönere Milderungen: Karl konnte ja z. B. in dieſes huldigende Getöſe nicht gern die heilige Zeit des erſten Erkennens mengen wollen oder die erſte ſelbſt-mörderiſche Re¬ tude machte ihm jede zur begeiſternden Aera eines neuen zweiten Lebens oder er wußte wohl gar um Albanos Geburtstag oder endlich dieſer glühende Menſch gieng oder flog ſeinen eignen Pfad.

Indeß machte deſſen Blatt, daß ſich der Graf ſein eignes vorrückte als eine Sünde ge¬ gen ſeinen Schoppe; er hielt das Sehnen in der Freundſchaft nach der Freundſchaft für Sünde; aber du irreſt, ſchöne Seele! Die Freundſchaft hat Stufen, die am Throne Got¬ tes durch alle Geiſter hinaufſteigen bis zum un¬ endlichen; nur die Liebe iſt erſättlich und immer dieſelbe und wie die Wahrheit ohne drei Verglei¬ chungsgrade und ein einziges Weſen füllet ihr Herz. Auch hatten ſich Albano und Schoppe bei471 einer ſo gegenſeitigen Seelenwanderung ihrer Ideen und einer ſo nahen Verwandtſchaft ihres Trotzes und Adels weit lieber als ſie ſich zeig¬ ten. Denn da Schoppe überhaupt nichts zeigte, ſo konnte man ihn wieder nur mit dem Finger auf der Lippe aber vielleicht deſto ſtär¬ ker lieben. Albano war ein heißbrennender Hohlſpiegel, der ſeinen Gegenſtand nahe hat und ihn aufgerichtet hinter ſich darſtellt, Schoppe einer, der ihn ferne hat und ihn ver¬ kehrt in die Luft wirft.

Abends vor ſeinem Geburts - und dem Huldi¬ gungstage ſtand Albano einſam am Fenſter und wog ſeine Vergangenheit denn ein letzter Tag iſt feierlicher als ein erſter; am 31ſten Dezember überrechn 'ich 365 Tage und deren Fata, am 1ſten Jenner denk' ich an nichts, weil ja die ganze Zukunft durchſichtig iſt oder in fünf Minuten ausſeyn kann ; er maaß, während über ſein zu Ende gehendes zwanzigſtes Jahr die Ves¬ perglocke läutete und die Veſperhora in ihm angieng, die Abſidenlinie*)So heißet die Linie, die man von der Son¬ nenferne zur Sonnennähe zieht. ſeines morali¬472 ſchen Weſens und ſah an den aufgethürmten morgenden Tag hinauf der vollhieng entweder von Frühlingsregen oder von Hagelkörnern. Noch nie hatt 'er ſo weich den Kreis geliebter Menſchen überſchauet oder durch die offnen Thore der Zukunft geblickt als dasmal.

Aber die ſchöne Stunde ſtörte Malz, der mit der Nachricht hereinbrach, der hinkende Herr ſey ins Waſſer geſprungen. Aus dem Dachfenſter ſah man einen zurückkehrenden Dorf-Leichenzug um die Ufer-Stelle gehäuft, wo ſich Schoppe hineingeſtürzt. Mit fürchter¬ licher Wildheit denn Zorn war in Albano der Nachbar des Schreckens und Schmerzes riß er den trägen Landphyſikus zur Hülfe mit fort und ſogar durch harte drohende Worte; denn Sphex wollte auf einen Wagen paſſen, auch mögliche Fälle von zu ſpäten Rettungs¬ anſtalten auseinanderſetzen und hatte über¬ haupt vielleicht die Hoffnung gern, den Biblio¬ thekar auf den Anatomirtiſch als Doktorſchmaus der Wiſſenſchaft aufzutragen.

Der Jüngling rannte mit ihm hinaus durch Kornfelder unter Thränen unter473 Flüchen mit geballter, mit ausgeſpreitzter Fauſt, und immer mehr ſchwindelte ſein Auge und brannte ſein Herz, je näher ſie dem dun¬ keln Zirkel zuliefen. Endlich konnten ſie den Bibliothekar nicht nur ſehen ſondern auch hören; wohlbehalten drehte er ihnen den kraus¬ haarigen Kopf aus dem Schilfrohre entgegen und hob zuweilen, weil er das Trauerkondukt haranguirte, feurig den behaarten Arm über die Waſſerpflanzen.

Freilich wars ſo:

Sein Sorites war ſo lang 'er lebte dieſer: er ſey keine Steiß - ſondern eine Geſichtsge¬ burt und trage mithin Kopf und Naſe hoch und empor*)Ein mit dem Geſichte zuerſt in die Welt tre¬ tendes Kind kann ſpäter den Kopf nicht vor¬ wärts beugen. Hausmutter V. B. weil er müſſe nun kenn 'er keine ächtere Freiheit als Geſundheit jede Krankheit ſchließe die Seele krumm und die Erde ſey bloß darum ein allgemeines Stock¬ haus und eine la Salpetière, weil ſie ein474 Quetſchhaus*)So heißet das Invalidenhoſpital in Koppen¬ hagen. ſey wer eine Auſtern - Schnecken-Vipern-Kur gebrauche, ſey ſelber eine ſchleimige geſchlängelte klebende Viper, Auſter, Schnecke und daher tödteten die ſem¬ perfreien Wilden die Siechlinge, und die kräfti¬ gen Sparter gaben keinem Pazienten ein Amt, geſchweige die Krone beſonders ſey Stärke vonnöthen, um in unſern niedrigen Zeiten qua¬ lifizirte Subjekte auszuprügeln, weil ſeines Wiſſens die Fauſt mit einigem Inhalte die beſte Injurienklage und actio ex lege diffamari ſey, die ein Bürger anſtellen könne.

Darum badete er Sommer und Winter eiskalt, ſo wie er eben darum in allem enthal¬ ſam blieb.

Nun war er bei dem häßlichen Wonnemo¬ natswetter bloß in ſeinem grauen Huſaren¬ mantel daheim ſein Schlafrock und mit niedergetretenen Schuhen ans Waſſer gegan¬ gen; zu Hauſe hatt 'er ſich vorher ordentlich ausgezogen, um am Geſtade ſo gleich fertig zu475 ſeyn. Die Trauerkompagnie, die ihn mit ſei¬ nem ſchnellen Schritte am Waſſer gehen und endlich alles zurückwerfen und hineinſpringen ſah, mußte glauben, der Menſch wolle ſich er¬ tränken und rannte vereinigt ſeinem Badeorte zu um ihn nicht zu laſſen. Erſäuf' Er ſich nicht! ſchrie die Trauer-Negerei von wei¬ tem. Er ließ ſie erſt heran, um mit ihr näher aus der Sache zu reden: Ich nehme noch Vernunft an, ob ich gleich ſchon im Waſſer ſtehe; aber laſſet euch auch bedeuten, lieben Kerſtene insgemein, denn ſo hieß man zu Karls Zeiten die Chriſten! Ich bin ein armer Sakramenter, und erinnere mich kaum wovon ich bisher lebte, ſo blutwenig wars. Was ich in der Welt nur anfieng, dabei war kein Seegen ſondern Krebsgang hinten und vorn. Ich legte in Wien ein hübſches Magazin von Schnepfendreck an, aber ich ſetzte nichts ab, aus Mangel an Schnepfen. Ich griffs am andern Ende an und hauſirte in Karlsbad für große Herren, die ſonſt auf jeden Bettel und Seſſel ein Gemälde ſetzen, mit hübſchen Kupferſtichen für den Abtritt, damit ſie da476 ſtatt des bloßen gedruckten Papiers etwas Geſchmackvolles hätten zum Verbrauche; be¬ hielt aber die ganze Suite auf dem Halſe, weil die Manier zu hart war und nicht idea¬ liſch genug. In London macht 'ich Reden voraus (denn ich bin ein Gelehrter) für Menſchen, die gehangen werden und doch noch etwas ſagen wollen; ich trug ſie den reichſten Parliamentsrednern und ſelber Spitz¬ buben von Buchhändlern an, hätte aber die Reden beinah ſelber gebraucht. Ich hätte mich gern vom Vomiren genährt*)In Darwins Zoonomie I. B. S. 529, wird einer angeführt, der vor Zuſchauern es machte. In Paris that ein andrer daſſelbe durch Luft, die er in den Magen ſchluckte. , aber da¬ zu gehört Fond. Ich ſuchte einmal bei einem gräflichen Regimente als Notenpult unterzu¬ kommen, weils bei der Wachtparade dumm aus¬ ſieht, daß jeder einen muſikaliſchen Lappen auf der Schulter hängen hat, den der andre vom Blatte ſpielt, ich wollte für ein weniges alle Muſikalien an mir tragen und mit den No¬477 ten vor ihnen ſtehen, aber der Premier-Lieu¬ tenant (er ſitzt zugleich in der Regierung und Kammer) glaubte, die Pfeifer würden lachen, wenn ſie blieſen. So gieng mirs von je¬ her, theuere Kerſtene; aber trabt nicht auf meinem theuern Mantel herum! Zum Un¬ glück ſchritt ich gar in die Ehe mit einer mit eingeſchmolzenen Siegeln*)In Wien machte ein Inſtitut aus alten Lack neuen und ſteuerte mit dem Ertrage Arme aus. ausgeſtatteten Wienerinn, Namens Praenumerantia Elemen¬ taria[Philanthropia],**)So geſchmacklos wollte Baſedow eine Toch¬ ter zum Andenken des auf Pränumerazion erſcheinenden Elementarwerks taufen laſſen. S. Schlichtegrolls Nekrolog. ihr wiſſet nicht, was es zu deutſch heißt einem wahren Höllenbeſen, der mich wie einen Parforcehir¬ ſchen hier ins Schilfrohr hereingehetzt. Ker¬ ſtene, ich blamire mich im Waſſer, wenn ich mit unſerm Weheſtande ganz herausgehe; kurz meine[Philanthropia] war vor der Ehe wie die Stacheln eines neugebornen Igels weich, aber in der Ehe, als das Laub herunter war,478 ſah ich wie auf Bäumen im Winter ein Ra¬ ben - und Teufels-Neſt nach andern. Sie zog ſich ſtets ſo lange an bis ſie ſich wie¬ der ausziehen mußte wenn ein Fehler an mir oder den Kindern gehoben war, zankte ſie noch ein wenig fort, wie man ſich noch fort erbricht wenn das emeticum und alles ſchon heraus iſt ſie gönnte mir wenig, und hätt 'ich ein Fontanell gehabt, ſie hätte mir die friſche Erbſe vorgerückt, die ich jeden Tag hätte hineinlegen müſſen kurz wir wollten beide verſchieden hinaus, der Runk¬ nagel der Liebe war ausgezogen und ich fuhr mit den Vorderrädern ins Waſſer her¬ ein und meine Praenumerantia hält mit den Hinterrädern zu Hauſe. Seht, meine Wei¬ ber, darum thu' ich mir mein Leid an, der Atzmann*)So heißt an einigen Orten die Schwindſucht. hätte mich ohnehin bei der Kehle gegriffen ; ſpiegelt euch aber! Denn wenn ein Mann der ein Gelehrter iſt und darum wie Ihr Fichten noch wiſſet, als angeſtellter Aufſeher, Lehrherr und Men¬479 tor des Menſchengeſchlechts herumgeht, vor ſeiner Frau ins Waſſer ſpringt und ſeine Ephorie und Hofmeiſterſtelle fahren läſſet: ſo könnt ihr ſchließen, wozu Eure Männer, die ſich mit mir gar nicht meſſen dürfen in der Gelehrſamkeit, kapabel ſind, falls Ihr ſolche Pränumerantien, Elementarien und Philan¬ thropien ſeyd, wie Ihr leider das Anſehen habt. Aber (beſchloß er plötzlich, da er Albano und den Doktor ſah) ſcheert Euch fort, ich will erſaufen!

Ach lieber Schoppe! ſagte Albano Schoppe erröthete über die Lage Es will ein Hanswurſt ſeyn ſagte das weichende Leichen-Kondukt Was iſt denn das für eine Kinderei? fragte Sphex nachzürnend über Albanos vorige Heftigkeit und über den anatomiſchen Fehlſchuß und nahm ſich Genug¬ thuung durch die Erzählung von deſſen Toben. Schoppe erkannte, wie herzlich ihn der edle Jüngling liebe und er wollte nichts ſagen, weil er ſich ſchämte, aber er ſchwur ſich, ihn nächſtens (nach ſeinem auch im ſtummen Den¬ ken bizarren Ausdrucke) in ſeine Bruſthöhle ein¬480 zulaſſen und ihm darin ein ganzes wildes Herz voll Liebe hängend zu weiſen.

49. Zykel.

Der blaue Tag, wo eine Himmelfahrt, eine Huldigung und ein Geburtstag gefeiert wurde, ſtand ſchon über Peſtiz nach abgelegter Morgen¬ röthe zwei Pferde waren ſchon die Vorläu¬ fer von vieren, der niedrige Kutſchbock vom höch¬ ſten der Landadel gieng ſchon unbequem-fri¬ ſirt in die Wirthsſtuben herab und kränkte ſich über das geſtohlne ſchönſte Wetter zur Birkhahn - Falz und der Stadtadel ſprach noch ungepudert über den Tag, aber ohne wahren Ernſt der Hof-Mikrometer*)Ein Mikrometer beſteht aus feinen in das Seh¬ rohr eingeſpannten Fäden die zum Meſſen der kleinſten Entfernung dienen. , der Hofmarſchall war von allen ſeinen Fouriers umgeben die Hof - Paſſageinſtrumente**)Das Paſſageinſtrument oder Kulminatorium beobachtet es, wenn ein Stern den höchſten Stand in ſeinem Laufe hat. , die Hofleute, hattenſtatt481ſtatt ihres halben Feiertages, wo ſie nur Nach¬ mittags frohnen, einen ganzen Werkeltag und ſtanden ſchon am Waſchtiſche der Huldi¬ gungsprediger Schäpe glaubte faſt alles von ſeiner Rede, weil er ſie zu oft geleſen und die Nähe der Publikazion flößte ihm Rührung ein kein Domino für den Abend war mehr zu haben, außer bei den Juden als ein Mann vor der Hausthüre des Doktors abſtieg, ders unter allen mit der Huldigung am redlich¬ ſten und wärmſten meinte, der Direktor Wehr¬ friz. Es war ein Sohn und ein Vater einan¬ der in den Armen, ein feuriger Jüngling und ein feuriger Mann. Albano ſchien ihm nicht mehr der Alte zu ſeyn, ſondern noch wär¬ mer als ſonſt. Er brachte von ſeinen Wei¬ bern wie er ſie nannte, glückwünſchende Brie¬ fe und Angebinde für den Geburtstag mit; er ſelber machte nicht viel aus dem Tage oder ver¬ gaß ihn, und Albano hatt 'ihn nur nach dem Erwachen ein wenig gefeiert. Dieſe Feſte gehö¬ ren mehr weiblichen Weſen an, die gern mit Zeiten liebend und gebend tändeln.

Der Titularbibliothekar marſchirte auf einTitan. I. Hh482Dorf, Namens Kloſterdorf, hinaus, wo der Schulz mit ſeiner Familie nach einer alten Sitte den Fürſten mit der ſeinigen nachmachen und ſo als Kommiſſionär die Huldigung des benachbarten Umkreiſes eintreiben mußte; dieſe, ſagte Schoppe, laſſ 'er ſich noch gefallen, aber die andre wirke zu fatal auf ſeine Eingeweide. Der vom heutigen Tage geblendete und mit einer Amtsrede vorn an die Ritterſchaft po¬ ſtirte Direktor biß ſich mit Schoppe herum: Die Kammer und der Hof, ſagt' er, ſind frei¬ lich von jeher wie ſie ſind; aber die Fürſten, lieber Herr, ſind gut, ſie werden ſelber ausge¬ ſogen, und dann ſcheinen auszuſaugen. Wie etwan, verſetzte Schoppe, die Leichen¬ Vampyren nur Blut von ſich geben, indeß ſie es zu nehmen ſcheinen; aber das bring 'ich da¬ durch wieder ein, daß ich den Regenten außer den fremden Sünden auch fremde Verdienſte, Siege und Opfer ganz beimeſſe; hier ſind ſie die Pelikane, die ein Blut für ihre Kinder ver¬ gießen, das wirklich ihr eignes zu ſeyn ſcheint von weitem.

Alle giengen; Schoppe aufs Land; Wehr¬483 friz in die Kirche mit der Prozeſſion; Albano in eine Zuſchauer-Loge am Huldigungsſaale; denn er wollte auf keine Weiſe in die Schleppe des Fürſten eingeſtickt ſeyn, nicht einmal als Beſatz. Das Prunk-Getümmel rauſchte bald in den Saal zurück. Die Ritterſchaft, die Geiſtlichkeit und die Städte beſtiegen die Schwurbühne. Im Schloßhofe ſtand ein Fuß auf dem andern und eine Nadel konnte zwar zur Erde kommen, aber kein Menſch, um ſie aufzuheben, jeder ſah auf den Balkon her¬ auf und fluchte früher als er ſchwur. Der Fürſt blieb auch nicht weg der Thron, die¬ ſer graduirte und paraphraſirte Fürſtenſtuhl, ſtand offen und Fraiſchdörfer hatt 'ihn mit ſchönen mythologiſchen und heraldiſchen Ver¬ kröpfungen und Auſſenwerken dekorirt.

Dem Grafen gegenüber blühten die Hof¬ damen und darunter eine Roſe und eine Lilie Julienne und Liane. Wie man das Auge von der froſtigen ſtarren Wintergegend zum blauen wehenden Himmel aufhebt, der unſre Frühlingsabende anſah und worin die leichten Sommerwolken giengen und der RegenbogenH h 2484ſtand: ſo blickte er über das glänzende Schnee¬ licht des Hofes zur lieblichen Grazie des Len¬ zes hin um welche Erinnerungen wie Blumen hiengen, und die nun ſo fern ſtand, ſo abge¬ trennt, ſo eingekerkert in den ſchweren Putz des Hofes! Nur durch die nahe Freundinn wurde ſie leiſe mit der grellen Gegenwart verſchmol¬ zen und verſöhnt.

Nun fiengen ſchöne Amtsreden an, die längſte hielt der alte Miniſter, die kürzeſte Wehrfriz; der Fürſt ließ, an ſeinem Dezember - Geſicht ohne aufzuthauen die warmen Lobre¬ den vorüberſtreichen; eine fehlerhafte Gleichgül¬ tigkeit! Denn das Lob vom Miniſter wie von andern Hof-Bedienten kann ihm noch bei der Nachwelt helfen, da nach Bako keines gültiger iſt als das ſo Bediente geben, weil ſie ja den Herrn am beſten kennen.

Dann las der Oberſekretär Heiderſcheid Luigi's Stammtafel ab und beleuchtete den hohlen Stammbaum ſammt ſeiner Baumtrock¬ niß und dem letzten blaßgrünen Äſtchen; mit geſunknen Augen hörte Julienne dieſes un¬485 ter dem Vivat des Volks an, und Albano, nie von Einem Gedanken allein bezwungen, ſah ihre Augen und konnte, ſo hart auch der Re¬ gent zuhörte, ſich des Leichengemäldes nicht er¬ wehren, wie einmal d. h. ſehr bald dieſer er¬ loſchne Menſch den Namen ſeines ganzen Stammes in die Gruft nachziehen werde; er ſah das Wappen verkehrt einhauen und den Schild verkehrt aufhängen und hörte die Schaufeln, die den Helm zerſtießen und dem Sarge nachwarfen. Düſtre Idee! die weiche Schweſter hätte gewiß geweint, wäre ſie nur allein geweſen!

Zuletzt kam die Reihe auch an die, an welche ſie nie zuerſt kommt, ob ſie gleich die einzigen ſind, die es mit ſolchen Zeremonien herzlich meinen; Heiderſcheid trat auf den Bal¬ kon und ließ die wimmelnde laute Menge die Vorderfinger und den Daum ausſtrecken und den Eid nachſagen. Dieſe immer bezauberte jauchzete Vivat in den geblendeten Augen funkelte die Zuverſicht einer beſſern Regierung und die Liebe für einen Ungekannten. Der486 Graf, den ohnehin eine Menge feurig ſo wie Schoppen trübe machte, glühte begeiſtert von Bruderliebe und Thatendurſt; er ſah die Für¬ ſten wie Allmächtige auf ihren Höhen walten und ſah die blühenden Landſchaften und die heitern Städte eines weiſe regierten Landes aufgedeckt er ſtellte es ſich vor wie er, wär 'er ein Fürſt, mit dem ſchlagenden Funken aus der Zepterſpitze in Millionen verknüpfter Her¬ zen auf einmal belebend und erſchütternd ſtra¬ len könnte, indeß er jetzt ſo mühſam einige nächſte entzünde er ſah ſeinen Thron als einen Berg in Morgenlicht, der ſchiffbare Ströme ſtatt der Lawa in die Länder herab¬ gießet und die Stürme bricht und um deſſen Fuß Ernten und Feſte rauſchen er dachte ſichs, wie weit er von einer ſo hohen Stelle das Licht umherſtreuen könnte, gleichſam ein Mond, der nicht die Sonne am Tage ver¬ bauet ſondern ihr fernes Licht aus ſeiner Höhe der Nacht zuwirft und wie er die Freiheit ſtatt ſie nur zu vertheidigen erſchaffen und erziehen und ein Regent ſeyn wollte, um487 Selbſtregenten*)Avtarchen; denn Monarchen oder Einherr¬ ſcher ſind von Selbſtherrſchern etymologiſch verſchieden. zu bilden; aber warum bin ich keiner? ſagt 'er traurig.

Edler Jüngling! geben denn dir deine Rittergüter keine Unterthanen? Aber eben ſo glaubt der kleinere Fürſt, ein Herzogthum wollt 'er ganz anders regieren, und der höhere glaubt es von einem Königreiche und der höchſte von der Univerſalmonarchie.

Indeß zogen ſich den ganzen ſonderbaren unruhigen Tag wilde Jünglings-Perſpektiven vor ihm hin und her und die alte Geiſter¬ ſtimme, der er heute entgegengieng, wieder¬ holte in ihm den dunkeln Zuruf: nimm die Krone! Wehrfriz kam abends mit rothem Geſichte vom feurigen Huldigungsmale zurück und Albano nahm von ihm einen bewegten Ab¬ ſchied, gleichſam von der Ebbe und Windſtille des Lebens, von der kindlichen Jugend; denn heute tritt er tiefer in die Wellen deſſelben. Schoppe kam zurück und wollte ihn vor das Loch ſeines488 Guckkaſtens haben, worin er die Vikariats - Huldigung in Kloſterdorf in komiſchen Bildern vorbeiſchob; aber dieſe ſtachen zu hart mit hö¬ hern ab und machten wenig Glück.

Nachts legte Albano ſeine ſchöne ernſte Karaktermaſke an, die eines Tempelherrn zu einer komiſchen war ſeine Geſtalt und faſt ſeine Geſinnung zu groß ; die letztere wurde noch feierlicher durch dieſes Todtenkleid eines ganzen ermordeten Ritterordens. Nach¬ dem er ſich noch einmal die ſchauerlichen Gänge des Tartarus und die Begräbnißſtätte des Fürſtenherzens wegen des nächtlichen Verir¬ rens beſchreiben laſſen: ſo gieng er um 10 Uhr fort mit einer hochſchlagenden Bruſt, welche die Nachtlarven der Phantaſie und die Freund¬ ſchaft und die Liebe und die ganze Zukunft vereinigt aufregten.

50. Zykel.

Albano trat zum erſtenmale in die ver¬ kehrte Marionettenwelt einer Retude wie in ein tanzendes Todtenreich. Die ſchwarzen Ge¬ ſtalten die aufgeſchlitzten Larven die dar¬489 hinter wie aus der Nacht blickenden fremden Augen, die wie an jenem zerſtäubten Sultan im Sarge allein lebendig blieben die Ver¬ miſchung und Nachäffung aller Stände das Fliehen und Ringrennen des klingenden Tanzes und ſeine eigne Einſiedelei unter der Larve, das verſetzte ihn mit ſeiner ſhakeſpear¬ ſchen Stimmung in eine Zauber - und Geiſter - Inſel voll Gaukeleien, Schattenbilder und Ver¬ wandlung. Ach das iſt das Blutgerüſte, dacht 'er zuerſt, wo der Bruder deiner Liane ſein jun¬ ges Leben wie ein Trauergewand zerriß; und er ſah bange umher, als fürcht' er, Roquairol verſuche wieder den Tod.

Unter den Maſken fand er keine, worun¬ ter er ihn vermuthen konnte; dieſe geiſtloſe Vetterſchaft von ſtehenden Rollen, die Läufer, die Fleiſcher, die Mohren, die Altvordern ꝛc., dieſe konnten keinen Geliebten Albano's verber¬ gen. Einſam und umherblickend ſchritt er hin¬ ter den Reihen der Anglaiſe auf und ab; und mehr als zehn Augen, die gegenüber in der ringförmigen Finſterniß der Spitzenmaſke blitz¬ ten denn die Weiber lieben aus Offenherzigkeit490 die Maſken nicht, ſondern zeigen ſich gern folgten der kräftig und geſchmeidig gebaueten Geſtalt, die mit dem kühnen Helme und Feder¬ buſche, mit dem bekreuzten weißen Mantel und dem Panzerglanze auf der Bruſt einen Ritter aus der heroiſchen Zeit zu bringen ſchien.

Endlich gieng eine verlarvte Dame, die zwiſchen unverlarvten plauderte, mit großen Schritten und Füßen auf ihn zu und faßte keck wie zum Tanze ſeine Hand. Er war äußerſt verlegen über die Kühnheit der Aufforderung und über die Wahl der Antwort; gerade die Tapferkeit iſt gern mit Galanterie vermählt, wie die Damaſzener Waffe außer der Härte noch einen ewigen parfümirten Geruch beſitzt; aber die Dame ſchrieb nur die Frage nach ſeinem Namen v. C.? in die Hand; und nach dem Ja ſagte die reizende leiſe: kennen Sie mich nicht mehr? den Exerzizienmeiſter von Falterle? Albano bezeugte, ungeachtet ſei¬ nes Widerwillens gegen die Rolle, eine wahre Freude über den Fund eines Jugend-Genoſſen. Er fragte, welche Maſke der Oberſt Roquai¬491 rol ſey; Falterle verſicherte, er ſey noch nicht da.

Nun giengen da die Läufer, die Flei¬ ſcher, Falterle u. ſ. w. nur die Schneeglöckchen dieſes Retudenfrühlings waren ſchon beſſere Blumen, Veilchen, Vergißmeinnicht und Pri¬ meln auf oder herein. Für ein ſolches Vergi߬ meinnicht ſeh 'ich einen hereinkommenden, hin¬ ten und vornen ausgewachſenen und wie ein Brennglas konvexen Kerl an, der bald das Hintergebäude öffnete und Konfekt aus dem Buckel ausſchüttete und dann das Vorderge¬ bäude, und Bratwürſte gebar. Hafenreffer aber ſchreibt, die Invenzion ſey ſchon einmal auf einer Wiener Retude geweſen. Dann kam eine Geſellſchaft deutſcher Spielkarten, die ſich ſelber miſchten und ausſpielten und ſtachen; ein ſchönes Sinnbild des Atheismus, das ihn ganz ohne das Ungereimte darſtellt, womit man ihn ſo gern beſchmitzte! H. von Au¬ guſti erſchien auch, aber im einfachen Kleide und Domino; er wurde (dem Grafen unbe¬ greiflich) ſehr bald der Polarſtern der Tänzer492 und der regierende karteſianiſche Wirbel der Tanzſchule.

Mit welchem elenden ſchwarzen Kommis - und Bettelbrode von Freude dachte Albano, dem den ganzen Tag ſeine Träume, dieſe Tau¬ ben Jupiters, Götterbrod zutrugen kommen dieſe Menſchen aus! Und wie kahl und fahl iſt ihr Feuer, ihre Phantaſie und Sprache, (dacht 'er dazu) ein wahres Leben unten in einer finſtern Gletſcherſpalte! denn er glaubte, jeder müſſe ſo angeſpannt und glühend ſprechen und fühlen wie er.

Jetzt kam ein hinkender Mann mit einem großen Glaskaſten auf dem Bauche; frei¬ lich war der Bibliothekar leicht zu kennen; er hatte entweder weil er zu ſpät nach einem Domino ſchickte oder keinen bezahlen wollte vom Leichenmäntel-Verleiher etwas Schwarzes an und war von der Achſel bis auf das Schien¬ bein mit gräulichen Maſken beſetzt, die er mit vielen Fingerzeigen meiſtens den Leuten antrug, die hinter entgegengeſetzten agirten, z. B. lang¬ naſigen kurznaſige. Er wartete auf den Anfang einer Hopsanglaiſe, deren Noten gerade auf493 der Spielwalze ſeines Kaſtens ſtanden; dann fieng er auch an; er hatte darin eine treffliche von Beſtelmaier gehobelte Puppen-Retude und ließ nun die kleinen Larven hopſen parallel mit den großen. Es war ihm um vergleichende Anatomie beider Maſkeraden zu thun und der Paralleliſmus war betrübt. Dabei hatt 'ers noch mit Beiwerken aufgeputzt kleine Stum¬ men ſchwenkten im Kaſten ihr Glöcklein ein ziemlich erwachſenes Kind ſchüttelte die Wiege eines unbelebten Püppchens, womit das Närr¬ chen noch ſpielte ein Mechanikus arbeitete an ſeiner Sprachmaſchine, durch welche er der Welt zeigen wollte, wie weit bloßer Mechanis¬ mus dem Leben der Puppen nachkommen könne, eine lebendige weiße Maus*)Spielet er damit auf die fürchterliche weiße Geſtalt in meiner Viſion von der Vernich¬ tung an? ſprang an einem Kettchen und hatte viele vom Klub umgeworfen, falls ſie es zerriſſen hätte ein lebendiger eingeſargter Staar, eine wahre erſte494 griechiſche Komödie und Läſterſchule im Klei¬ nen, verübte an der Tanzgeſellſchaft den Zun¬ gentodtſchlag ganz frei und diſtinguirte nicht eine Spiegelwand ahmte die lebendigen Szenen des Kaſtens täuſchend nach ſo daß je¬ der die Bilder für wahre Puppen nahm.

Auf Albano traf die Schneide dieſes ko¬ miſch-tragiſchen Dolches ſenkrecht genug, da ihm ohnehin das hüpfende Wachsfigurenkabi¬ net der großen Retude die Einſamkeit des Menſchen zu verdoppeln und zwei Ichs durch vier Geſichter zu trennen ſchien; aber Schoppe gieng weiter.

In ſeinem Glasſchranke ſtand eine Pha¬ raobank und daneben ein Männchen, das den verlarvten Banquier in ſchwarzes Pappier ausſchnitt, aber dem deutſchen Herrn ähnlich; dieſe Schilderei trug er ins Spielzimmer, wo eine bankhaltende Maſke ganz gewiß Ze¬ ſiſio ihn hören und ſehen mußte. Der Ban¬ quier ſah ihn einigemal fragend an. Daſſelbe that eine ganz ſchwarz gekleidete Maſke mit einer ſterbenden Larve, die das hippokratiſche495 Geſicht vorſtellte*)So heißet die Geſtalt eines Sterbenden. . Albano ſah feurig nach ihr, weil ihm vorkam, es könne Roquairol ſeyn, denn ſie hatte deſſen Wuchs und Fackel¬ auge. Die bleiche Larve verlor viel und ver¬ doppelte immer den Verluſt; dabei trank ſie aus einem Federkiele unmäßig Champagner Wein. Der Lektor kam dazu; Schoppe ſpielte vor den zulaufenden Augen weiter; die bleiche Larve ſah unverrückt und ſtrenge den Grafen an. Schoppe nahm vor Bouverot ſeine eigne herab, aber eine Unterzieh-Maſke ſaß dar¬ unter er zog dieſe aus eine Unterzieh - Maſke der Unterzieh-Maſke erſchien er triebs fort bis zur fünften Potenz endlich fuhr ſein eignes höckeriges Geſicht hervor, aber mit Goldſchlägergold bronzirt und ſich gegen Bouverot faſt fürchterlich-gleiſſend und lä¬ chelnd verziehend.

Die bleiche Larve ſelber ſchien zu ſtutzen und eilte mit weiten Schritten weg in den Tanzſaal; ſie warf ſich wild in den wildeſten Tanz. Auch das bewährte Albano's Vermu¬496 thung ſo wie ihr großer trotzender Hut, der ihm eine Krone ſchien, weil er an dem männ¬ lichen Anzuge nichts höher ſchätzte als Pelz, Mantel und Hut.

Immer mehrere Finger zogen die Lettern v. C. in ſeine Hand und er nickte unbeküm¬ mert. Die Zeit umgab ihn mit vielfachen Dramas und überall ſtand er zwiſchen Theater - Vorhängen. Als er mit dem unruhigen Kopfe und Herzen ins Bogenfenſter trat, um zu ſe¬ hen, ob er bald Mondſchein für ſeinen Nacht¬ gang habe: ſo ſah er über den Markt einen ſchweren Leichenwagen zwiſchen Fackeln ziehen, der einen Rittergutsbeſitzer ſeiner Familien¬ gruft zufuhr; und der ungeſtörte Nachtwächter rief dem ſchleichenden Todten den Anfang der Geiſter - und einer uns theuren Geburtsſtunde nach. Mußte nicht ſein getroffnes Herz es ihm ſagen, wie der harte, feſte, unauflösbare Tod mit ſeiner Gletſcherluft ſo ſcharf durch die warmen Szenen des Lebens rückt und alles, worüber er wegweht, hinter ſich ſtarr läſſet und ſchneeweis? Mußt 'er nicht an die er¬ kaltete junge Schweſter denken, deren Stimmejetzt497jetzt ſeiner im Tartarus wartete? Und als Schoppe mit ſeiner Puppen-Traveſtirung zu ihm kam und er ihm die Gaſſe zeigte und die¬ ſer ſagte: bon! der Freund Hain ſitzt auf ſei¬ nem Pürſchwagen und guckt ruhig herauf als wolle der Freund ſagen: bon! tanzt nur zu, ich fahre retour und bring 'euch auch an Ort und Stelle wie mußt' es ihm ſo enge wer¬ den unter dem ſchwülen Viſier! In dieſer Sekunde kam die bleiche Larve mit andern ins Fenſter er öffnete das glühende Geſicht der Kühlung ein ſchneller Weintrunk und noch mehr ſeine Phantaſie zeigte ihm die Welt in brennenden Oberflächen die Larve beſchauete ihn nahe mit einer ungewiſſen dunkeln Augen - Gluth, die er am Ende nicht länger vertrug, weil ſie eben ſo gut vom Haſſe als von der Liebe angezündet ſeyn konnte, ſo wie Sonnen¬ flecken bald Gruben, bald Gebürgen ähnlich ſchienen.

Eilf Uhr war vorbei, er entwich plötzlich den heißen Blicken und dem kreiſchenden Ge¬ dränge und begab ſich auf den Weg zum Her¬ zen ohne Bruſt.

Titan. I. J i498

51. Zykel.

Indeß er am Thore auf ſeinen Degen wartete: lief eine Gruppe neuer Maſten, (mei¬ ſtens Repräſentanten der Lebloſigkeit, z. B. ein Stiefel, ein Perückenſtock u. ſ. w.) in die Stadt und ſie guckten verwundert den fremden weißen langen Ritter an. Er nahm den De¬ gen mit, aber nicht den Bedienten. Übrigens ließ ihm ſein Karakter bei aller Gefahr, worein der Beſuch eines abgelegnen düſtern Katakom¬ benganges und das fremde Vorauswiſſen die¬ ſes Beſuches ihn ſtürzen konnte, doch keine an¬ dre Wahl als die getroffne; nein, er hätte ſich lieber morden laſſen als vor ſeinem Vater geſchämt.

Wie ſtieg dein Geiſt empor, gleich einem Blitze, der aufwärts gegen den Himmel hinein¬ ſchlägt, als die große Nacht mit ihrem Heili¬ genſcheine aus Steinen aufgerichtet vor dir war! Unter dem Himmel giebt es keine Angſt, nur unter der Erde! Breite Schatten legten ſich ihm in den Weg nach dem Elyſium, den am Sonntage Thautropfen und Schmet¬ terlinge färbten. In der Ferne wuchſen feurige499 Zacken aus der Erde und giengen; es war der Leichenwagen mit den Fackeln in der tiefen Straße. Als er an den Scheideweg kam, der durch die Schloßruinen in den Tartarus führt: ſah er ſich nach dem Zauberhaine um, auf deſſen gewundner Brücke ihm Leben und Freu¬ denlieder begegnet waren; alles war ſtumm darin und nur ein langer grauer Raubvogel (wahrſcheinlich ein papierner Drache) drehte ſich darüber hin und her.

Er kam durch das alte Schloß in einen abgeſägten Baumgarten, gleichſam ein Baum¬ kirchhof; dann in einen bleichen Wald voll ab¬ geſchäälter Maienbäume, die alle mit verblüh¬ ten Bändern und erblaßten Fahnen gegen das Elyſium ſahen; ein verdorrter Luſthain ſo vieler Freudentage. Einige Windmühlen griffen mit langen Schattenarmen dazwiſchen, um im¬ mer zu faſſen und zu ſchwinden.

Ungeſtüm lief Albano eine von Überhän¬ gen verfinſterte Treppe hinab und kam auf ein altes Schlachtfeld, eine dunkle Wüſte mit einer ſchwarzen Mauer, nur von weißen Gyps¬ köpfen durchbrochen, die in der Erde ſtandenJi 2500als wollten ſie verſinken oder auferſtehen ein Thurm voll blinder Thore und blinder Fenſter ſtand in der Mitte und die einſame Uhr darin ſprach mit ſich ſelber und wollte mit der hin - und hergeführten eiſernen Ruthe die immer wiederzuſammenrinnende Welle der Zeit aus¬ einander theilen ſie ſchlug drei Viertel auf 12 Uhr und tief im Walde murmelte der Wie¬ derhall wie im Schlafe und ſagte noch einmal leiſe den entfliegenden Menſchen die fliegende Zeit. Der Weg umlief im ewigen Kreiſe ohne Pforte die Gottesackermauer; Alban mußte, nach der Nachricht, eine Stelle an ihr ſuchen, wo es unter ihm brauſete und ſchwankte.

Endlich trat er auf einen mit ihm ſinken¬ den Stein, da fiel ein Ausſchnitt der Mauer um und ein verſtrickter Wald aus Baumklum¬ pen, deren Stämme ſich in Buſchwerk einwik¬ kelten, war vor jeden Stral des Mondes ge¬ wälzt. Als er unter der Pforte ſich umſah, hieng über der ſchattigen Treppe ein bleicher Kopf gleich einer Büſte des Mordfeldes und gieng ohne Körper herab und die verbluteten Todten ſchienen aufzuwachen und ihm nachzu¬501 laufen der kalte Höllenſtein des Schauders zog ſein Herz zuſammen; er ſtand; der Lei¬ chenkopf ſchwebte unbeweglich über der letzten Staffel.

Auf einmal ſog das Herz wieder warmes Blut, er wandte ſich gegen den unförmlichen Wald mit gezogenem Degen, weil er ſein Leben neben dem bewaffneten Tode vorbeitrug. Er folgte in der Finſterniß der grünenden Thürme dem Getöſe des unterirrdiſchen Fluſſes und dem Wiegen des Bodens. Zum Unglück ſah er ſich wieder um und der Leichenkopf ſtand noch hin¬ ter ihm, aber hoch in den Lüften auf dem Rumpfe eines Rieſen. Der höchſte Schau¬ der trieb ihn allzeit mit zugedrückten Augen auf ein Schreckbild los; er rief zweimal durch den hallenden Wald: wer iſt da? Aber als jetzt auf einmal ein zweiter Kopf neben dem erſten zu ſtehen ſchien: ſo klebte ſeine Hand an dem eiskalten Schloſſe der Pforte der Todten¬ welt gefroren an und er riß ſie blutig ab.

Er floh und ſtürzte durch immer dichtere Zweige endlich hinaus in einen freien Garten und in den Glanz des Mondes; hier, ach502 hier als er den heiligen unſterblichen Himmel und die reichen Sterne im Norden wieder ſchimmern ſah, die nie auf und untergehen, den Pol-Stern, und Friedrichs Ehre, die Bä¬ ren und den Drachen und den Wagen und Kaſſiopeja, die ihn mild wie mit den hellen winkenden Augen ewiger Geiſter anblickten: da fragte der Geiſt ſich ſelber, wer kann mich ergreifen, ich bin ein Geiſt unter Geiſtern; und der Muth der Unſterblichkeit ſchlug wieder in der warmen Bruſt.

Aber welcher ſonderbare Garten! Große und kleine blumenloſe Beete voll Rosmarin, Raute und Taxus zerſtückten ihn ein Kreis von Trauerbirken umgab wie ein Leichenge¬ folge geſenkt den ſtummen Platz unter dem Garten murmelte der begrabne Bach und in der Mitte ſtand ein weißer Altar, neben wel¬ chem ein Menſch lag.

Albano wurde geſtärkt durch die gemeine Kleidung und durch den Handwerksbündel, worauf der Schläfer ausruhte; er trat ganz dicht an ihn, und las die goldne Inſchrift des Altars: nimm mein letztes Opfer, Allgüti¬503 ger! Das Herz des Fürſten ſollte hier zur Aſche werden im Altare.

Ach nach dieſen ſtarren Szenen linderte es ſeine Seele bis zu Thränen, hier Menſchen¬ worte zu finden und einen Menſchenſchlaf und die Erinnerung an Gott; aber als er gerührt dem Schläfer zuſah, ſagte ihm plötzlich die Schweſterſtimme, die er auf Isola bella gehört, leiſe ins Ohr: Linda de Romeiro geb 'ich dir. Ach guter Gott! rief er und fuhr herum und nichts war um ihn und er hielt ſich an die Altarecke Linda de Romeiro geb' ich dir ſagte es wieder fürchterlich packte ihn der Ge¬ danke, der ſchwebende Leichenkopf rede neben ihm und er riß am feſten Schläfer, der nicht erwachte und riß und rief noch gewaltſa¬ mer, als die Stimme zum drittenmale ſprach.

Wie? (ſagte der Schlaftrunkene) Gleich! Was will Er? Sie? und richtete ſich unwillig und gähnend auf, aber er fiel bei dem Anblicke des nackten Degens wieder auf die Kniee und ſagte: Barmherzigkeit! ich will ja alles hergeben!

Zeſara! rief es im Walde, Zeſara, wo504 biſt du? und er hörte ſeine eigne Stimme; aber kühn rief er nun zurück: am Altare! Eine ſchwarze Geſtalt drang heraus mit einer weißen Maſke in der Hand, und ſtockte im Mondlichte vor der bewaffneten; da erkannte endlich Albano den Bruder Lianens, nach dem er ſo lange gelechzet er ſchleuderte den De¬ gen zurück und lief ihm entgegen Roquairol ſtand ſtumm, bleich und mit einer erhabnen Ruhe auf dem Geſichte vor ihm Albano blieb nahe ſtehen und ſagte gerührt: haſt du mich geſucht, Karl? Roquairol nickte ſtumm und hatte Thränen in den Augen und öffnete die Arme. Ach da konnte der ſeelige Menſch mit allen Flammen und Thränen der Liebe an die langgeliebte Seele ſtürzen und er ſagte un¬ aufhörlich: nun haben wir uns, nun haben wir uns! Und immer heftiger umſchlang er ihn wie den Pfeiler ſeiner Zukunft und ſtrömte in Thrä¬ nen hin, weil ja nun die verſchloſſene Liebe ſo langer Jahre, und ſo viele zugedrückte Quellen des armen Herzens auf einmal fließen durf¬ ten Roquairol drückte ihn nur zitternd an ſich und leiſe mit Einem Arme; und ſagte, aber505 ohne Heftigkeit: ich bin ein Sterbender und das iſt mein Geſicht (indem er die gelbe Todtenmaſke emporhielt), aber ich habe mei¬ nen Albano und ich ſterbe an ihm.

Sie verſtrickten ſich wild das Mark des Lebens, die Liebe, durchdrang ſie ſchöpfe¬ riſch der Boden über dem rollenden Erden¬ fluſſe wankte heftiger und der Sternenhim¬ mel zog mit dem weißen Zauberrauche ſeiner zitternden Sterne[ um] die magiſche Gluth

Ach ihr Glücklichen!

52. Zykel.

Einige Menſchen werden verbunden gebo¬ ren, ihr erſtes Finden iſt nur ein zweites und ſie bringen ſich dann als zu lange Getrennte nicht nur eine Zukunft zu, ſondern auch eine Vergangenheit; die letztere forderten einan¬ der die Glücklichen ungeduldig ab. Roquairol antwortete auf Albans Frage, wie er hieher komme, mit Feuer: er ſey ihm dieſen ganzen Abend gefolgt er habe ihn am Fenſter unter dem Leichengepränge ſo peinlich-ſchmach¬ tend angeſchauet und beinahe umarmen müs¬506 ſen er ſey ſchon vorhin dicht an ihm ge¬ ſtanden und habe auf ſeine Frage: wer da, ſogleich die Maſke abgethan. Jetzt griff wieder Albanos gefallner Arm ſtraff durch das dünne Schattenſpiel der Geiſterfurcht, da er nun erfuhr, der zweiköpfige Rieſe ſey bloß vom optiſch-vergrößernden Wahne der Ferne einer ſo nahen Geſtalt erwachſen, und der Lei¬ chenkopf habe auf der Treppe ſeinen Rumpf nur eingebüßt durch die finſtern Überhänge und durch die ſchwarze Bekleidung; ſogar die harte Geiſterſzene am Altare ſchien ihm jetzt bezwing¬ licher durch den reichen Gewinnſt der lebendi¬ gen Liebe.

Roquairol fragte ihn, welche Quaal oder Freude ihn in der Mitternacht hierher auf einen herrnhutiſchen Gottesacker getrieben und wohin er den Menſchen mit dem Degen abgeſchickt. Albano wars unbekannt, daß hier Herrnhuter ruhen; und eben ſo hatt 'er den wahrſcheinlich aus Furcht des Gebrauchs ver¬ übten Diebſtahl des Degens nicht bemerkt. Er antwortete: meine todte Schweſter wollte am Altare mit mir reden; und ſie hat geredet 507aber er fürchtete ſich, mehr davon zu ſprechen. Da änderte ſich plötzlich Roquairols Geſicht er ſtarrte ihn an und forderte Betheuerung und Erklärung unter dieſer ſchauete er in die Luft als wollt' er aus ihr durch Blicke Geſich¬ ter ziehen und ſagte, indem er doch Albano an¬ ſah, eintönig: Todte, Todte, rede wieder! Aber nur der Todtenfluß redete unter ihnen fort und nichts weiter. Aber er warf ſich vor dem Altare auf die Kniee und ſagte vermeſſen und doch mit bebenden Lippen: ſpring′ auf Geiſterpforte und zeige deine durchſichtige Welt ich fürcht 'euch Durchſichtige nicht, ich werde einer von euch, wenn ihr erſcheint, und gehe mit und erſcheine auch. O mein Gu¬ ter, laſſe nach, bat Albano nicht nur aus Got¬ tesfurcht, auch aus Liebe; denn ein Zufall, ein vorüberſchießender Nachtvogel konnte ſie ja durch ein Entſetzen tödten; auch ſtand dieſes Entſetzen nicht weit von ihnen; denn auf der er¬ leuchteten Seite der Trauerbirken trat eine ma¬ jeſtätiſche weiße alte Geſtalt heraus. Aber da Roquairol, durch Wein und Phantaſie wahnſin¬ nig, die ſterbende Larve in die Lüfte reichte und508 gegen das Grab des Herzens ſagte: nimm die¬ ſes Geſicht, wenn du keines haſt, alter Mann, und blicke mich an hinter ihr! ſo riß ihn Albano auf die weiße Geſtalt trat mit ge¬ bücktem Kopfe und gefalteten Händen in die Zweige zurück der runde Thurm auf dem Schlachtfelde ſchlug die Stunde aus und die träumende Gegend ſchlug ſie murmelnd nach.

Komm an mein warmes Herz, du heftige Seele, o daß ich dich gerade an meinem Geburtstage in meiner Geburtsſtunde erhal¬ ten durfte! Dieſer Laut ſchmolz auf ein¬ mal den immer wechſelnden Menſchen und er hieng ſich mit naſſen Freudeuaugen an ihn und ſagte: und bis in unſre Sterbe¬ ſtunden hinein! O ſieh mich nicht an, du Un¬ veränderlicher, weil ich ſo ſchwankend und ge¬ brochen erſcheine in den Wogen des Lebens bricht ſich und ringelt ſich der Menſch wie der Stab im Waſſer flattert, aber das Ich ſteht doch feſt wie der Stab. Ich will dir folgen in andre Orte des Tartarus; aber er¬ zähle auch die Geſchichte.

Dieſe Geſchichte geben, hieß ein Allerheilig¬509 ſtes des Innern oder auch einen Sarg dem Tageslichte öffnen; aber glaubt ihr, daß Al¬ bano ſich eine Minute bedachte? Oder ihr ſel¬ ber? Wir ſind alle beſſere, offnere, wär¬ mere Freunde als wir wiſſen und zeigen; es begegne euch nur der rechte Geiſt wie ihn die dürſtende Liebe ewig fordert, rein, groß, hell, und zart und warm, dann gebt ihr ihm alles und liebt ihn ohne Maaß weil er ohne Fehler iſt. Albano fand in dieſem Fremdlinge den er¬ ſten Menſchen, der ſein ganzes Herz mit glei¬ chen Tönen erwiderte, das erſte Auge, das ſeine ſchüchternen Gefühle nicht flohen, eine Seele, vor deren erſter Thräne aus ſeinem ganzen künftigen Leben Blumen auffuhren wie aus den trocknen Wüſten heißer Länder unter der Regenzeit; daher gab die Liebe ſeinem ſtarken Geiſte nur die gleiche weite Bewegung eines Meeres, indeß der obwohl ältere und länger gebildete Freund ein Strom mit Was¬ ſerfällen war.

Karl führte ihn in die ſogenannte Kata¬ kombe, indeß er der Geiſtergeſchichte von Isola bella zuhörte, aber, von der vorigen erſchöpft,510 mit fallender Furcht. Ein ödes verkohltes Thal voll offner verfallner Schachte ſonnte ſich grau im Mondſcheine; aus dem Walde kroch unter ihren Füßen der Todtenfluß hervor und ſprang auf eine ſteinerne Treppe in die Katakomben hinein; beide folgten ihm auf einer darneben. Der Eingang trug als Stirnblatt ein altes Zifferblatt, wovon einmal der Donner gerade die Stunde Eins weggeſchlagen: Eins? (ſagte Alban) Sonderbar! Gerade unſre künf¬ tige Stunde?

Wie abentheuerlich zieht ſich die Katakombe fort! Der lange Todtenfluß murmelt verfinſtert tief hinein und blitzt zuweilen unter dem ſilbernen Dampfe, den das Mondlicht durch die Schacht¬ löcher hereintreibt feſte Thiere, Pferde, Hunde, Vögel ſtehen ſaufend am finſtern Ufer, näm¬ lich ihre ausgepolſterten Häute ſchmale von der Zeit geſchleifte Leichenſteine mit wenigen Namen und Gliedern ſind das Pflaſter an einer hellern Niſche lieſet man, daß hier eine Nonne eingemauert geweſen in einer an¬ dern ſteht das vererzte Skelet eines verſchütte¬ ten Bergmanns mit vergoldeten Rippen und511 Schenkeln an zerſtreueten Orten waren ſchwarze Papierherzen arquebuſirter Menſchen und Blumenſträußer armer Sünder geſammlet, die Ruthe, die einen Begnadigten durch Be¬ ſtreifen getödtet, eine gläſerne Büſte mit einem Phosphorpunkte im Waſſer, Weſterhemdchen und andre Kinder-Kleider und Spielwaaren und ein Zwergſkelet

Als ihm Roquairols erklärende Worte, deſſen Lebensweg immer in Grüfte hinab und auf Gräber hinauflief, das Leben immer durch¬ ſichtiger und flitterhafter ſchlugen: ſo fuhr Ze¬ ſara nach ſeiner Art auf einmal kopfſchüttelnd, die Bruſt vorhebend, in den Sand einſtam¬ pfend, und fluchend (was er leicht im Erſchrek¬ ken und in großer Rührung that) mit den Worten auf: beim Teufel! Du zerdrückſt mir und dir die Bruſt. Es iſt ja nicht ſo! Sind wir nicht beiſammen? Hab 'ich nicht deine warme lebendige Hand? Brennt in uns nicht das Feuer der Unſterblichkeit? Ausge¬ brannte Kohlen ſind dieſe Gebeine und weiter nichts; und das himmliſche Feuer, das ſie zerlegte, hat wieder andres Brennholz ergriffen512 und lodert fort. O, (ſetzt' er wie getröſtet dazu und trat in den Bach und blickte durch die Schacht-Öffnung zum reichen Monde empor, der vom Himmel herunterſtrömte und ſeine großen Augen ſtanden voll Glanz,) o, es iſt ein Himmel und eine Unſterblichkeit wir bleiben nicht in der dunkeln Höhle des Lebens wir ziehen auch durch den Äther wie du, du glän¬ zende Welt!

Ach du Herrlicher (ſagte Karl, deſſen Seele aus Seelen beſtand) ich will dich nun auch zu einer frohern Stelle bringen. Sie waren kaum acht Schritte weg, als es ſich hinter ihnen verdunkelte und ein oben hereingeworfener Degen aufrecht mit der Spitze in den Sand der Wellen fuhr. O du hölliſcher Teufel dro¬ ben! rief der ergrimmte Roquairol; aber Alban wurde weich über die eiſerne Jungfrau der Sterbensſtunde, die ſo nahe an ihm die ſcharfen Arme zuſammengeſchlagen hatte. Sie faßten ſich wärmer und giengen ſtill und bange einem leiſen Getöne und einem Grabhügel ent¬ gegen. Sie ſetzten ſich auf ihn, gegenüber einem mit der quälenden Katakombe eineneinen513rechten Winkel bildenden Gang, den grünes Moos auslaubte und deſſen Länge die zerbrök¬ kelten Funken von faulem Holze bezeichneten. Er verlor ſich in eine offne Pforte und Aus¬ ſicht ins Elyſium von welchem nur die weis¬ ſen Gipfel einiger Silberpappeln zu erkennen waren und in der Ferne ſah man das Früh¬ lingsroth der Mitternacht am Himmel blühen und zwei Sterne blitzten darüber. Doch wurde die Pforte vergittert und bewacht durch ein Skelet mit einer Äolsharfe in der Hand, das auf ihr die dünnen Moltöne zu greifen ſchien, mit denen jetzt der Zugwind in die Höhle floß.

Erzähle hier (ſagte Karl an der ſchönen Stelle, und neugieriger durch den Mörder¬ wurf von Albans Degen), das heutige aus! Albano berichtete ihm redlich das Wort der Schweſterſtimme: Linda de Romeiro geb 'ich dir. Er dachte im Geräuſche ſeines Innern nicht an die Anekdote, daß ja Karl für eben dieſe als Knabe ſterben wollen. Die Ro¬ meiro? (fuhr dieſer auf) Sey ſtill! O dieſe? Spielender Scharfrichter du Schick¬ ſal! Warum ſie und heute? Ach Albano, für dieſe gieng ich früh dem Tode entgegen514 (fuhr er weinend fort und ſank ihm an die Bruſt); und darauf iſt mein Herz ſo ſchlecht geworden, weil ich ſie verloren habe Nimm ſie nur hin, denn du biſt ein reiner Geiſt die herrliche Geſtalt, die dir auf dem Meere erſchien, ſo ſieht ſie aus, oder jetzt noch ſchöner. Ach Albano! Dieſer edle Menſch erſchrak über die Verwickelung und über das Schickſal und ſagte: nein, nein, du lieber Karl, du denkſt über alles ganz falſch.

Plötzlich war es als tönten alle Geſtirne und ein melodiſches Geiſterchor dränge unſicht¬ bar durch die Pforte herein; Albano war be¬ troffen. Nichts, laſſ 'es, (ſagte Karl.) Es iſt das Skelet nicht; der fromme Vater geht im Flötenthale und zieht jetzt ſeine Flöten, weil er betet Aber wie ſagſt du, ich dächte über alles falſch? Wie? wiederholte Albano und konnte im zauberiſchen Kreiſe dieſer Nachklänge, die den Sonntags¬ morgen allmächtig wiederbrachten, nicht denken und reden. Wehten denn nicht die Silberpap¬ peln an den Sternen hin und her und Roſenwol¬ ken lagerten ſich um den Himmel und das ganze Elyſium zog offen vorüber mit den Lauten, die es515 durchſchwebet, mit den Thränen, die es benetzet hatten und mit den Träumen, die kein Herz ver¬ giſſet und mit der heiligen Geſtalt, die ewig in ſeinem bleibt? Die Hand ihres Bruders hielt er jetzt ſo feſt; der Liebe und der Freundſchaft, die¬ ſen zwei Brennpunkten in der Ellypſe der Lebens¬ bahn, war er ſo nahe; ungeſtüm umfaſſete er den Bruder mit den Worten: bei Gott, ſag' ich dir, die ſo du genannt, geht mich nichts an und ſie wird es nie.

Aber, Albano, du kennſt ſie ja nicht? ſagte Karl viel zu hart fortfragend; denn der edle Jüngling neben ihm war zu blöde und zu feſt, dem Verwandten der Geliebten einem Fremden viel leichter das Heiligthum ſeiner Wünſche auszuſchließen. O martere du mich nicht! (antwortete er empfindlich; aber er ſetzte ſanfter hinzu) glaube mir doch das erſtemal, mein guter Bruder! Karl gab eben ſo ſelten nach wie er und ſagte, obwohl den Fragton verſchluckend und recht liebend, doch dieſes: bei meiner Seeligkeit, ich thu ' es; und mit Freude ein Herz muß herrlich¬ geliebt und göttlich-glücklich ſeyn, das ein ſol¬ ches entbehren kann. Ach weiß denn das516 Albano? Nur ſchweigend lehnt' er ſich mit der Feuerwange voll Roſen an Lianens Bru¬ der, verſchämt das Erforſchen ſcheuend; bloß als die ſchwindenden Rufe des Flötenthals ſich wie Seufzer in ſeiner Bruſt verſammelten und ihn zu oft erinnerten, wie der Sonntagsmor¬ gen ſchloß, wie Liane wich und wie er ihr mit naſſen dunkeln Blicken vom Altare nachſah: ſo brach ſein Auge, obwohl nicht ſein Herz und er weinte heftig, aber ſchweigend an ſeinem erſten Freunde.

Dann kehrten ſie mit ſtummen Seelen nach Hauſe und ſchaueten ſinnend den langen ſchwindenden Wegen der Zukunft nach; und als ſie ſchieden, fühlten ſie wohl, daß ſie ſich recht von Herzen liebten, nämlich recht ſchmerz¬ lich.

Am Morgen darauf lag der fromme Vater an einer Erſchütterung darnieder, die mehr ſeelig als traurig war; denn er ſagte, er habe in der Nacht ſeinen Freund, den ver¬ ſtorbenen Fürſten weißgekleidet im Tartarus gehen ſehen.

Ende des erſten Bandes.

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TextTitan
Author Jean Paul
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationTitan Erster Band Jean Paul. . [7 Bl.], 516 S. MatzdorffBerlin1800.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, III 16207

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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ShelfmarkBerlin ZLB, III 16207
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