PRIMS Full-text transcription (HTML)
Titan
Erſter Band.
Berlin, 1800.In der Buchhandlung des Commerzien-Raths Matzdorff.

Den vier ſchönen und edeln Schweſtern auf dem Thron.

Der Traum der Wahrheit.

Aphrodite, Aglaja, Euphroſyne und Thalia ſahen einſt in das irdiſche Hell¬ dunkel hernieder und, müde des ewig heitern, aber kalten Olympos, ſehnten ſie ſich herein unter die Wolken unſe¬ rer Erde, wo die Seele mehr liebt weil ſie mehr leidet und wo ſie trüber, aber wärmer iſt. Sie hörten die heili¬ gen Töne heraufſteigen, mit welchen Polyhymnia unſichtbar die tiefe bange Erde durchwandelt, um uns zu erquik¬ ken und zu erheben; und ſie trauerten, daß ihr Thron ſo weit abſtehe von den Seufzern der Hülfloſen.

Da beſchloſſen ſie, den Erdenſchleier zu nehmen und ſich einzukleiden in un¬ ſere Geſtalt. Sie giengen von dem Olympos herab; Amor und Amorinen und kleine Genien flogen ihnen ſpielend nach und unſere Nachtigallen flatterten ihnen aus dem Mai entgegen.

Aber als ſie die erſten Blumen der Erde berührten und nur Stralen und keine Schatten warfen: ſo hob die ernſte Königin der Götter und Men¬ ſchen, das Schickſal, den ewigen Zep¬ ter auf und ſagte: der Unſterbliche wird ſterblich auf der Erde und jeder Geiſt wird ein Menſch!

Da wurden ſie Menſchen und Schweſtern und nannten ſich Luiſe, Charlotte, Thereſe, Friederike; die Genien und Amorinen verwandel¬ ten ſich in ihre Kinder und flogen ih¬ nen in die Mutterarme und die müt¬ terlichen und ſchweſterlichen Herzen ſchlugen voll neuer Liebe in einer gro¬ ßen Umarmung. Und als die weiße Fahne des blühenden Frühlings flat¬ terte und menſchlichere Thronen vor ihnen ſtanden und als ſie, von der Liebe, der Harmonika des Lebens, ſee¬ lig-erweicht, ſich und die glücklichen Kin¬ der anblickten und verſtummten vor Lieb 'und Seeligkeit: ſo ſchwebte unſichtbar Po¬ lyhymnia vorüber und erkannte ſie und gab ihnen die Töne, womit das Herz Lieb' und Freude ſagt und giebt ......

Und der Traum war geen¬ digt und erfüllt; er hatte, wie immer, nach der Wirklichkeit und dem Wa¬ chen ſich gebildet. Darum ſei er den vier ſchönen und edeln Schweſtern ge¬ weiht, und alles, was ihm im Titan ähnlich iſt, ſei es auch!

Jean Paul Fr. Richter. Druck¬

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  • 382 11 ſtatt Bande, lies: Band (Und ſo überall, wo das träge Schlepp - E des Dativs den Wohlklang nimmt.)
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  • 394 v. u. 4 ſt. Schmücken, l. Schminken.
  • 405 v. u. 2 ſt. Rieſenſchlangen, l. Rieſen¬ ſchlange.
  • 406 5 nach Oſten fehlt über.
  • 409 4 ſt. Raſen, l. Roſen.
  • 505 10 nach Sterne fehlt um.

Ueberall wo kömmt, frägt, Philantropia ſteht: muß es kommt, fragt, Philanthropia heißen.

Inhalt des Erſten Bandes.

Erſte Jobelperiode. 1 9. Zykel.
  • Fahrt nach Isola bella der erſte Freu¬ dentag im Titan der Pasquinos-Gö¬ tzendiener Lob der Reichsintegrität das Mouſſiren der Jugend ſüßes Blutvergießen die Erkennung eines Vaters groteskes Teſtament deutſche Vorliebe für Gedichte und Künſte der Vater des Todes Geiſter-Akt der blutige Traum die Schaukel der Phan¬ taſie. Seite 1
Zweite Jobelperiode. 10 16. Zykel.
  • Die beiden biographiſchen Höfe die Sennen-Hütte das Fliegen der Haar-Verſchleiß die gefährliche Vo¬ gelſtange das in eine Kutſche geſperr¬ te Gewitter leiſe Bergmuſik das Kind voll Liebe H. von Falterle aus Wien Torturſoupé das zerſplit¬ terte Herz Werther ohne Bart mit einem Schuſſe die Verſöhnung. Seite 118
Dritte Jobelperiode. 17 20. Zykel.
  • Methoden der beiden Kunſtgärtner in ihrer pädagogiſchen Pelzſchule Schutzſchrift für die Eitelkeit Morgenroth der Freundſchaft Morgenſtern der Liebe 185
Vierte Jobelperiode. 21 27. Zykel.
  • Hoher Styl der Liebe der gothaiſche Taſchenkalender Träume auf dem Thurme das Abendmahl und das Donnerwetter die Nachtreiſe ins Ely¬ ſium neue Akteurs und Bühnen und das Ultimatum der Schuljahre. 215
Fünfte Jobelperiode. 28 33. Zykel.
  • Prunkeinzug D. Sphex der trom¬ melnde Kadaver der Brief des Rit¬ ters Retrogradazion des Sterbetags Julienne der ſtille Charfreitag des Alters der geſunde und verſchämte Erbprinz Roquairol das Erblin¬ den Sphexens Liebhaberei für Thrä¬ nen das fatale Gaſtgebot das do¬ loroso der LiebeSeite 269
Sechſte Jobelperiode. 34 35. Zykel.
  • Die zehn Verfolgungen des Leſers Lia¬ nens Morgenzimmer Diſputazion über die Geduld die maleriſche Kur 328
Siebente Jobelperiode. 36 40. Zykel.
  • Albano's Eigenheit das Neſtelknüpfen der Politik der Heroſtrat der Spiel¬ tiſche väterliches mandatum sine clau¬ sula gute Geſellſchaft H. von Bouverot Lianens Gegenwart des Geiſtes und Körpers. Seite 358
Achte Jobelperiode. 41 45. Zykel.
  • Le petit lever des D. Sphex Steig nach Lilar Waldbrücke der Morgen in Arkadien Chariton Lianens Brief und Dankpſalm empfindſame Reiſen durch einen Garten das Flö¬ tenthal über die Realität des Ideals. 396
Neunte Jobelperiode. 46 52. Zykel.
  • Luſt der Hoftrauer das Begräbniß Roquairol Brief an ihn die ſie¬ ben letzten Worte im Waſſer die Hul¬ digung Retude Puppenretude der Kopf in der Luft, der Tartarus, die Geiſterſtimme, der Freund, die Katakom¬ be und die vereinigten Menſchen. 446
Erſte[1]

Erſte Jobelperiode.

Fahrt nach Isola bella der erſte Freudentag im Titan der Paſquinos-Götzendiener Lob der Reichsintegrität das Mouſſieren der Jugend ſüßes Blutvergieſſen die Erkennung eines Va¬ ters groteskes Teſtament deutſche Vorliebe für Gedichte und Künſte der Vater des Todes Geiſter-Akt der blutige Traum die Schaukel der Phantaſie.

1. Zykel.

An einem ſchönen Frühlingsabend kam der junge Spaniſche Graf von Ceſara mit ſeinen Begleitern Schoppe und Dian nach Seſto, um den andern Morgen nach der borromäi¬ ſchen Inſel Isola bella im Lago maggiore überzufahren. Der[ſtolz-aufblühende] Jüng¬ ling glühte von der Reiſe und von dem Ge¬ danken an den künftigen Morgen, wo erTitan. I. A2die Inſel, dieſen geſchmückten Thron des Früh¬ lings, und auf ihr einen Menſchen ſehen ſollte, der ihm zwanzig Jahre lang verſprochen wor¬ den. Dieſe zweifache Gluth hob den maleri¬ ſchen Heros zur Geſtalt eines zürnenden Mu¬ ſengottes empor. In die welſchen Augen zog ſeine Schönheit mit einem größern Triumphe ein als in die engen nördlichen, wovon er her¬ kam; in Mailand hatten viele gewünſcht, er wäre von Marmor und ſtände mit ältern ver¬ ſteinerten Göttern entweder im farneſiſchen Pallaſt oder im klementiniſchen Muſeum oder in der Villa Albani; ja hatte nicht der Biſchof von Novara mit ſeinem Degen an der Seite vor wenigen Stunden bei Schoppen, der zuletzt ritt, nachgefragt, wer es ſei? Und hatte nicht dieſer mit einer närriſchen Quadratur ſeines Runzeln-Zirkels um weitläuftig Lippen verſetzt, (um dem geiſtlichen Herrn Licht zu ge¬ ben): mein Telemach iſts und ich mache den Mentor dabei ich bin die Rändelmaſchine und der Prägſtok, der ihn münzt der Glätt¬ zahn und die Plattmühle, die ihn bohnt der Mann, der ihn regelt?

3

Die jugendlich warme Geſtalt Ceſara's wur¬ de durch den Ernſt eines nur in die Zukunft vertieften Auges und eines[ männlich -] feſtge¬ ſchloſſenen Mundes und durch die trotzige Entſchloſſenheit junger friſcher Kräfte noch mehr veredelt; er ſchien noch ein Brennſpiegel im Mondlicht, oder ein dunkler Edelſtein von zu vieler Farbe zu ſeyn, den die Welt, wie andere Juwelen, erſt durch Hohlſchleifen lichtet und beſſert.

In dieſer Nähe zog ihn die Inſel, wie ei¬ ne Welt die andere, immer heftiger an. Seine innere Unruhe ſtieg durch die äuſſere Ruhe. Noch dazu ſtellte Dian, ein Grieche von Geburt und ein Künſtler, welcher Isola bella und Iſo¬ la madre öfters umſchifft und nachgezeichnet hatte, ihm dieſe Prachtkegel der Natur in feu¬ rigen Gemälden näher vor die Seele; und Schoppe gedachte des wichtigen Menſchen öf¬ ters, den der Jüngling morgen zum erſtenmale ſehen ſollte. Als man unten auf der Gaſſe ei¬ nen feſtſchlafenden Greis vorübertrug, dem die untergehende Sonne Feuer und Leben in das markige ſtarkgegliederte Angeſicht warf und derA 24eine nach italieniſcher Sitte aufgedekt getragne Leiche war: ſo fragt 'er erſchrocken und ſchnell die Freunde: ſieht mein Vater ſo aus?

Was ihn nämlich mit ſo heftigen Bewe¬ gungen der Inſel zutreibt, iſt Folgendes: Auf Isola bella hatt 'er die drei erſten irrdiſchen Jah¬ re mit ſeiner Schweſter, die nach Spanien, und neben ſeiner Mutter, die unter die Erde gieng, mitten in den hohen Blumen der Natur liegend ſüß vertändelt und verträumt die Inſel war für den Morgenſchlummer des Lebens, für ſei¬ ne Kindheit, Raphaels übermaltes Schlafge¬ mach geweſen. Aber er hatte nichts davon im Kopfe und Herzen behalten als in dieſem ein ſchmerzlich ſüßes tiefes Aufwallen bei dem Na¬ men, und in jenem das Eichhorn, das als Familienwappen der Borromäer auf der ober¬ ſten Terraſſe der Inſel ſteht.

Nach dem Tode der Mutter verſetzte ihn ſein Vater aus der welſchen Blumenerde ei¬ nige blieb an den Pfahlwurzeln hängen in den deutſchen Reichsforſt, nämlich nach Blu¬ menbühl im Fürſtenthum Hohenflies, das den Deutſchen ſo gut wie unbekannt iſt ;5 hier ließ er ihn im Hauſe eines biedern Edel[¬]mannes ſo lange erziehen, oder deutlicher und allegoriſcher, er ließ hier die pädagogiſchen Kunſtgärtner ſo lange mit Gießkannen, Inoku¬ liermeſſern und Gartenſcheeren um ihn laufen, bis ſie an den hohen ſchlanken Palmbaum voll Sagomark und Schirmſtacheln mit ihren Kan¬ nen und Scheeren nicht mehr langen konnten.

Jetzt ſoll er nach der Rückreiſe von der In¬ ſel, aus dem Feldbeete des Landes in den Loh - und Treibkübel der Stadt und auf das Geſtelle des Hofgartens kommen, mit einem Worte nach Peſtiz, der Univerſität und Reſidenzſtadt von Hohenflies, deren Anblick ſogar bisher ſein Va¬ ter ihm hart verboten hatte.

Und morgen ſieht er dieſen Vater zum erſtenmal! Er mußte brennen vor Verlan¬ gen, da ſein ganzes Leben eine Anſtalt zu die¬ ſer gemeinſchaftlichen Landung war, und ſeine Pflegeeltern und Lehrer eine chalkographiſche Geſellſchaft waren, die den Autor ſeines Lebens¬ buches ſo herrlich vor das Titelblatt in Kupfer ſtach. Sein Vater, Gaſpard de Ceſara, Rit¬ ter des goldnen[Vlieſes] (ob ſpaniſcher oder6 öſterreichiſcher, wünſcht 'ich ſelber genauer zu wiſſen), ein vom Schickſal dreiſchneidig und glän¬ zend geſchliffner Geiſt, hatte in der Jugend wil¬ de Kräfte, zu deren Spiel nur ein Schlachtfeld oder Königreich geräumig geweſen wäre und die ſich im vornehmen Leben ſo wenig bewegen konnten als ein Seekraken im Hafen er ſtillte ſie durch Gaſtrollen in allen Ständen, und Luſt - und Trauerſpielen, durch das Treiben aller Wis¬ ſenſchaften und durch eine ewige Reiſe er wurde mit großen und kleinen Menſchen und Höfen vertraut und oft verflochten, zog aber immer als ein Strom mit eignen Wellen durchs Weltmeer. Und jetzt, nachdem er die Land - und Seereiſe um das Leben, um deſſen Freuden und Kräfte und Syſteme gemacht, fährt er (beſonders da ihm der Affe der Vergangenheit, die Gegenwart immer nachläuft) in ſeinem Stu¬ diren und im geographiſchen Reiſen fort, aber ſtets für wiſſenſchaftliche Zwecke, wie er denn eben die europäiſchen Schlachtfelder bereiſet. Übrigens iſt er gar nicht[betrübt], noch weniger froh, ſondern geſetzt, auch haſſet und liebt, oder tadelt und lobt er die Menſchen ſo wenig wie7 ſich, ſondern ſchätzet jeden in ſeiner Art, die Tau¬ be in ihrer und den Tyger in ſeiner. Was oft Rache ſcheint, iſt blos das harte kriegeriſche Durchſchreiten, womit ein Mann Lercheneier und Aehren ertritt, der nie fliehen und fürchten kann, ſondern nur anrücken und ſtehen.

Ich denke, die Ecke iſt breit genug, die ich hier aus der Whiſthonſchen Kometenkarte von dieſem Schwanzſterne, für die Menſchen abge¬ ſchnitten. Ausbedingen will ich, eh 'ich weiter rede, mir dieſes, daß ich Don Gaſpard auch zu¬ weilen den Ritter heißen dürfe, ohne das gold¬ ne Vlies anzuhängen; und daß ich, zwei¬ tens, nicht von meiner Höflichkeit gegen die kurze Leſer-Memorie genöthigt werde, ſeinem Sohne Ceſara (unter dieſem Namen ſoll der Al¬ te nie auftreten) den Taufnamen abzuzwicken, der doch Albano heißet.

Da jetzt Don Gaſpard aus Italien nach Spanien gieng: ſo hatt 'er durch Schoppe un¬ ſern Albano oder Ceſara aus Blumenbühl hier¬ her führen laſſen; ohne daß man weiß, warum ſo ſpät. Wollt' er in den vollen Frühling der jungen Zweige ſchauen? Wollt 'er dem Jüng¬8 ling einige Bauernregeln im hundertjährigen Kalender des Hoflebens aufſchlagen? Wollt' ers den alten Galliern oder den jetzigen Kap¬ bewohnern nachmachen, die ihre Söhne nur waffenfähig und erwachſen vor ſich lieſſen? Wollt 'er nichts weniger als das? Nur ſo viel begreif' ich, daß ich ein gutwilliger Narr wäre, wenn ich mir im Vorhofe des Werks die Laſt aufbürden lieſſe, von einem ſo ſonderbaren Manne mit einer um ſo viele Grade dekliniren¬ den Magnetnadel, ſchon aus ſo wenigen Da¬ tis eine Wilkeſche magnetiſche Neigungskarte zu zeichnen und zu ſtechen; er, aber nicht ich bin ja der Vater ſeines Sohns und er ſoll wiſ¬ ſen, warum er ihn erſt bärtig vorbeſchieden.

Als es 23 Uhr (die Stunde vor Sonnen¬ untergang) ſchlug und Albano die langweiligen Schläge addiren wollte: war er ſo aufgeregt, daß er nicht im Stande war, die lange Ton¬ leiter zu erſteigen; er mußte hinaus ans Ufer des Lago, in welchem die aufgethürmten In¬ ſeln wie Meergötter aufſtehen und herrſchen. Hier ſtand der edle Jüngling, das beſeelte Angeſicht voll Abendroth, mit edeln Bewegun¬9 gen des Herzens und ſeufzete nach dem ver¬ hüllten Vater, der ihm bisher mit Sonnen¬ kraft wie hinter einer Nebelbank, den Tag des Lebens warm und licht gemacht. Dieſes Sehnen war nicht kindliche Liebe dieſe ge¬ hörte ſeinen Pflegeeltern an, weil kindliche nur gegen ein Herz entſteht, woran wir lange la¬ gen, und das uns gleichſam mit den erſten Herzblättern gegen kalte Nächte und heiße Tage beſchirmte ſeine Liebe war höher oder ſeltener. Über ſeine Seele war der Rieſenſchat¬ ten des väterlichen Bildes geworfen, der durch Gaſpards Kälte nichts verlohr; Dian verglich ſie mit der Ruhe auf dem erhabenen Angeſichte der Juno Ludovici; und der warme Sohn ver¬ glich ſie mit einer andern ſchnellen Kälte, die im Herzen oft neben zu großer fremder Wär¬ me einfällt, wie Brennſpiegel gerade in den heißern Tagen matter brennen. Ja er hoffte ſogar, er vermöge vielleicht dieſes ſo quälend ans Eisfeld des Lebens angefrorne Vaterherz durch ſeine Liebe abzulöſen; der Jüngling be¬ griff nicht, wie einem treuen warmen Herzen zu widerſtehen ſey, wenigſtens ſeinem.

10

Dieſer Heros, in der ländlichen Karthauſe und mehr unter der Vorwelt als Mitwelt auf¬ gewachſen, legte an alles antediluvianiſche Rie¬ ſenellen; die Unſichtbarkeit des Ritters machte einen Theil von deſſen Größe aus, und die Moſisdecke verdoppelte den Glanz,[indem] ſie ihn verhieng. Überhaupt zog unſern Jüngling ein ſonderbarer Hang zu übermäßi¬ gen Menſchen hin, wovor ſich andere entſetzen. Er las die Lobreden auf jeden großen Men¬ ſchen mit Wolluſt, als wären ſie auf ihn; und wenn das Volk ungewöhnliche Geiſter eben darum für ſchlimme hält wie es alle ſeltene Petrefakta für Teufelsglieder nimmt ſo wohnte umgekehrt in ihm immer neben der Bewunderung die Liebe an und ſeine Bruſt wurde immer zugleich weit und warm. Freilich hält jeder Jüngling und jeder große Menſch, der einen andern für groß anſieht, ihn eben darum für zu groß. Aber in je¬ dem edeln Herzen brennt ein ewiger Durſt nach einem edlern, im ſchönen nach einem ſchö¬ nern; es will ſein Ideal außer ſich in körper¬ licher Gegenwart, mit verklärtem oder ange¬11 nommenem Leibe erblicken, um es leichter zu erſtreben, weil der hohe Menſch nur an einem hohen reift, wie man Diamanten nur an Dia¬ manten glänzend macht. Will hingegen ein Litterator, ein Kleinſtädter, ein Zeitungsträ¬ ger oder Zeitungsſchreiber einen großen Kopf zu Geſicht bekommen und iſt er auf einen gros¬ ſen Kopf eben ſo[verſeſſen] wie auf eine Mi߬ geburt mit drei Köpfen oder auf einen Pabſt mit eben ſo viel Mützen oder auf einen aus¬ geſtopften Haifiſch oder auf eine Sprach - und Buttermaſchine: ſo thut ers nicht, weil ein warmes, ſeinen innern Menſchen beſee¬ lendes Ideal von einem großen Manne, Pab¬ ſte, Haifiſche, Dreikopfe und Buttermodelle ihn drängt und treibt, ſondern weil er früh morgens denkt: es ſoll mich doch wundern, wie der Kauz ausſieht und weil ers abends bei einem Glaſe Bier berichten will.

Albano blickte am Ufer mit ſteigender Unruhe über das glänzende Waſſer nach dem heiligen Wohnplatze der vergangnen Kindheit, der ver¬ gangnen Mutter, der weggezognen Schweſter hin die Freudenlieder ſchwammen auf den12 fernen Barken her und berauſchten ihn jede laufende Welle, die ſchäumende Brandung trieb eine höhere in ſeinem Buſen auf die Rieſen¬ ſtatue des h. Borromäus,*)Dieſe 35 Ellen hohe Statue auf einem Geſtelle von 25 Ellen, in deren Kopfe 12 Menſchen Raum antreffen, ſteht bei Arona und hält ge¬ rade mit der gegenüberſtehenden Isola bella, die mit 10 auf einander gebaueten Gärten oder Terraſſen aufſteigt, einerlei Höhe. Keyslers Reiſen ꝛc. B. I. die über die Städ¬ te wegſah, verkörperte den Erhabnen (ſeinen Vater), der ſich in ſeinem Herzen aufrichtete und die blühende Pyramide, die Inſel, wurde der väterliche Thron die funkelnde Berg - und Gletſcherkette wand ſich feſt um ſeinen Geiſt und zog ihn empor zu hohen Weſen und hohen Gedanken.

Die erſte Reiſe, zumal wenn die Natur nichts als weißen Glanz und Orangeblüten und Kaſtanienſchatten auf die lange Straße wirft, beſchert dem Jüngling das, was oft die letzte dem Mann 'entführt ein träumen¬13 des Herz, Flügel über die Eisſpalten des Le¬ bens und weit offne Arme für jede Men¬ ſchenbruſt.

Er gieng zurück und bat ſeine Freunde mit ſeinem ſiegenden Auge, noch dieſen Abend ab¬ zuſchiffen, wiewohl Don Gaſpard erſt morgen auf die Inſel kam. Was er oft nach einer Woche thun wollte, nahm er ſich auf den nächſten Tag vor und endlich that ers ſogleich. Dian klopfte dem eiligen Boreas voll Liebe auf den Kopf, und ſagte: ungeduldiges Weſen! Du haſt hier die Flügel vom Götterboten, und da unten auch (auf die Füße zeigend)! Aber glühe dich nur ab! In der ſchönen Nachmitter¬ nacht ſteigen wir ein und wenn die Morgen¬ röthe am Himmel leuchtet, landen wir an. Dian hatte nicht blos eine artiſtiſche Auf¬ merkſamkeit für den wohlgeſtalteten Liebling, ſondern auch eine zärtliche, weil er in Blu¬ menbühl, wo er als Landbaumeiſter zu thun hatte, oft ſein bildender Kinder - und Ju¬ gendfreund geweſen war, und weil er jetzt auf der Inſel für einige Zeit aus ſeinen Armen nach Rom entwich. Da der Landbaumeiſter14 daſſelbe Überſtrömen im Jüngling für keines hielt, das er im Greiſe ſchalt, eine Überſchwem¬ mung für keine in Ägypten; obwohl für eine in Holland; und da er für jedes Individuum, Alter und Volk eine andere gleichſchwebende Temperatur annahm, und in der heiligen Men¬ ſchennatur keine Saite zu zerſchneiden, ſon¬ dern nur zu ſtimmen fand: ſo mußte wohl Ceſara am heitern duldenden Lehrer, auf deſ¬ ſen beiden Geſetztafeln nur ſtand: Freude und Maaß!, recht innig hängen, noch inniger als an den Tafeln ſelber.

Die Bilder der Gegenwart und der nahen Zukunft und des Vaters hatten die Bruſt des Grafen ſo ſehr mit Größe und Un¬ ſterblichkeit gefüllt, daß er gar nicht begriff, wie jemand ſich könne begraben laſſen, ohne beide errungen zu haben und daß er den Wirth, ſo oft er etwas brachte zumal da er immer ſang und wie Neapolitaner und Ruſſen in Moltönen bedauerte, weil der Mann nie etwas wurde, geſchweige unſterblich. Das letztere iſt Irrthum; denn hier be[kommt] er ſei¬ ne Fortdauer, und ich nenne und belebe gern15 ſeinen Namen Pippo (der abbrevirte Filippo). Als ſie endlich giengen und bezahlten, und Pip¬ po einen Kremnitzer Dukaten küßte mit den Worten: gelobt ſey die h. Jungfrau mit dem Kinde auf dem rechten Arm: ſo erfreuete ſich Albano, daß der Vater dem frommen Töch¬ terlein nachſchlage, das den ganzen Abend ein Jeſuskind wiegte und fütterte. Freilich merk¬ te Schoppe an: auf dem linken Arme trage ſie das Kindlein leichter;*)Die alten Kremnitzer haben das Chriſtuskind auf dem rechten Arm; die neuen und leich¬ tern auf dem linken. aber der Irr¬ thum des guten Jünglings iſt ein Verdienſt wie die Wahrheit.

Unter dem Glanze des Vollmondes beſtie¬ gen ſie die Barke und glitten über die leuchten¬ den Wellen dahin. Schoppe ſchiffte einige Wei¬ ne mit ein, weniger, ſagt 'er, weil auf der Inſel nichts zu haben ſey, als weil er, wenn das Fahrzeug leck würde, dann nichts aus¬16 zupumpen brauchte als die Flaſchen*)Franklin rieth das Aufbewahren und Bouchi¬ ren ausgetrunkener Gefäße an, um das Schiff dadurch oben zu erhalten. ; dann höb 'es ſich wieder.

Ceſara ſank ſchweigend immer tiefer in die dämmernden Schönheiten des Ufers und der Nacht. Die Nachtigallen ſchlugen begeiſtert auf dem[Triumphthore] des Frühlings. Sein Herz wuchs in der Bruſt wie eine Melone un¬ ter der Glocke und er hob ſie immer höher über der ſchwellenden Frucht. Auf einmal be¬ dacht 'er, daß er ſo den Tulpenbaum des pran¬ genden Morgens und die Kränze der Inſel nur wie eine italieniſche Seidenblume Staub¬ faden für Staubfaden, Blatt für Blatt zuſam¬ menlegen ſehe: da befiel ihn ſein alter Durſt nach einem einzigen erſchütternden Guß aus dem Füllhorn der Natur; er verſchloß die Augen, um ſie nicht eher zu öffnen als oben auf der höchſten Terraſſe der Inſel vor der Morgenſonne. Schoppe dachte, er ſchlafe; aber der Grieche errieth lächelnd die Schwelge¬rei17rei dieſer künſtlichen Blindheit und band ſelber vor die großen unerſättlichen Augen das breite ſchwarze Taftband, das als eine weibliche Bin¬ de und Spitzenmaske ſonderbar und lieblich gegen das blühende aber männliche Geſicht abſtach.

Nun neckten ihn beide freundlich mit münd¬ lichen Nachtſtücken von den herrlichen Ufer - Ornamenten, zwiſchen denen ſie zogen. Wie ſtolz (ſagte Dian zu Schoppen) richtet ſich dort das Schloß Lizanza und ſein Berg gleich einem Herkules, mit zwölffachen Gürteln aus Weinlaub in die Höhe! Den Grafen (ſagte Schoppe leiſer zu Dian) bringt der Augen-Schmachtriemen um viel. Seht Ihr nicht, Baumeiſter, poetiſch zu reden, den Glimmer von Aronens Stadt? Wie ſchön legt ſie Lunens blanc d'Espagne auf und ſcheint ſich im umgeworfnen Pudermantel des Mond¬ ſcheins für[morgen] aufzuſetzen und zu pu¬ tzen! Doch iſt das wenig, ſieht man dort den heiligen Borromäus, der den Mond als eine friſchgewaſchene Nachtmütze aufhat, beſ¬ ſer an: ſteht der Gigant nicht wie der Mi¬Titan. I. B18 kromegas des deutſchen Staatskörpers dort, eben ſo hoch, eben ſo ſtarr und ſo ſteif?

Der Glückliche ſchwieg und gab ſtatt der Antwort einen Handdruk der Liebe er träum¬ te nur die Gegenwart und zeigte, er könne warten und entbehren. Wie ein Kinderherz, dem die Vorhänge und die Nachmitternacht das nahe Weihnachtsgeſchenk verdecken, zog er auf dem Luftſchiffe mit feſter Binde dem na¬ hen Himmelreiche entgegen. Dian trug, ſo weit es das Doppellicht des Mondſcheins und der nachhelfenden Aurora zuließ, eine Zeichnung von dem verhüllten Träumer in ſein Studienbuch. Ich wollt ', ich hätte ſie da, und ſäh' es wie mein Liebling mit dem unterbundenen Seh¬ nerven, auf ihr zugleich das gegen die innere Welt gerichtete Auge des Traumes und das ge¬ gen die äuſſere Welt geſpitzte Ohr der Aufmerk¬ ſamkeit anſtrengt. Wie ſchön iſt ſo etwas, ge¬ malt wie viel ſchöner, erlebt!

Der Mantel der Nacht wurde dünner und kühler die Morgenluft wehte lebendig an die Bruſt die Lerchen mengten ſich unter die Nachtigallen und unter die ſingenden Ruderleu¬19 te und er hörte hinter ſeiner lichtern Binde die frohen Entdeckungen der Freunde, die in den offnen Städten der Ufer das Menſchenge¬ wühl aufleben und an den Waſſerfällen der Berge bald Himmelsroth bald Nebel wechſeln ſahen. Endlich hieng die zerlegte Mor¬ genröthe als eine Fruchtſchnur von Heſperiden¬ äpfeln, um die fernen Kaſtaniengipfel; und jetzt ſtiegen ſie auf Isola bella aus.

Der verhangne Träumer hörte, als ſie mit ihm die zehen Terraſſen des Gartens hinaufgien¬ gen, neben ſich den einathmenden Seufzer des Freudenſchauders und alle ſchnelle Gebete des Staunens; aber er behielt ſtandhaft die Binde und ſtieg blind von Terraſſe zu Terraſſe, von Orangendüften durchzogen, von höhern freiern Winden erfriſcht, von Lorbeerzweigen umflat¬ tert und als ſie endlich die höchſte Terraſſe erſtiegen hatten, unter der der See 60 Ellen tief ſeine grünen Wellen ſchlägt, ſo ſagte Schop¬ pe: jetzt! jetzt! Aber Ceſara ſagte: Nein! Erſt die Sonne! Und der Morgenwind warf die Sonne leuchtend durchs dunkle Gezweig em¬ por und ſie flammte frei auf den Gipfeln B 220und Dian zerriß kräftig die Binde und ſagte:[ ] ſchau 'umher! O Gott! rief er ſeelig erſchrocken, als alle Thüren des neuen Him¬ mels aufſprangen und der Olymp der Natur mit ſeinen tauſend ruhenden Göttern um ihn ſtand. Welch eine Welt! Die Alpen ſtanden wie verbrüderte Rieſen der Vorwelt, fern in der Vergangenheit verbunden beiſammen und hielten hoch der Sonne die glänzenden Schilde der Eisberge entgegen die Rieſen trugen blaue Gürtel aus Wäldern und zu ihren Füßen lagen Hügel und Weinberge und zwiſchen den Gewölben aus Reben ſpielten die Morgenwinde mit Kaskaden wie mit waſſer¬ taftnen Bändern und an den Bändern hieng der überfüllte Waſſerſpiegel des Sees von den Bergen nieder und ſie flatterten in den Spiegel, und ein Laubwerk aus Kaſtanienwäldern faßte ihn ein ..... Albano drehte ſich lang¬ ſam im Kreiſe um und blickte in die Höhe, in die Tiefe, in die Sonne, in die Blüthen; und auf allen Höhen brannten Lärmfeuer der ge¬ waltigen Natur und in allen Tiefen ihr Wie¬ derſchein ein ſchöpferiſches Erdbeben ſchlug21 wie ein Herz unter der Erde und trieb Gebir¬ ge und Meere hervor. O als er dann ne¬ ben der unendlichen Mutter die kleinen wimmeln¬ den Kinder ſah, die unter der Welle und unter der Wolke flogen und als der Morgenwind ferne Schiffe zwiſchen die Alpen hinein jagte und als Isola madre gegenüber, ſieben Gärten aufthürmte und ihn von ſeinem Gipfel zu ih¬ rem im wagrechten wiegenden Fluge hinüber lockte und als ſich Faſanen von der Madre - Inſel in die Wellen warfen; ſo ſtand er wie ein Sturmvogel, mit aufgeblättertem Gefieder auf dem blühenden Horſt, ſeine Arme hob der Morgenwind wie Flügel auf und er ſehnte ſich, über die Terraſſe ſich den Faſanen nach¬ zuſtürzen und im Strome der Natur das Herz zu kühlen.

Er nahm, ohne ſich umzuſehen, verſchämt die Hände der Freunde und drückte ſie ihnen, damit er nicht ſprechen müſſe. Das ſtolze Weltall hatte ſeine große Bruſt ſchmerzlich ausgedehnt und dann ſeelig überfüllt; und da er jetzt die Augen wie ein Adler weit und feſt in die Sonne öffnete; und da die Er¬22 blindung und der Glanz die Erde verdeckte und er einſam wurde; und die Erde zum Rauch und die Sonne zu einer weiſſen ſanften Welt, die nur am Rande blitzte: ſo that ſich ſein ganzer voller Geiſt wie eine Gewitterwolke auseinander und brannte und weinte, und aus der reinen blaſſen Sonne ſah ihn ſeine Mutter an und im Feuer und Rauch der Erde ſtand ſein Vater und ſein Leben eingehüllt.

Still gieng er die Terraſſen herunter und fuhr oft über die naſſen Augen, um den feuri¬ gen Schatten wegzuwiſchen, der auf alle Gipfel und alle Stufen hüpfte.

Hohe Natur! wenn wir dich ſehen und lie¬ ben, ſo lieben wir unſere Menſchen wärmer und wenn wir ſie betrauern oder vergeſſen müſſen, ſo bleibſt du bei uns und ruheſt vor dem naſſen Auge wie ein grünendes abendro¬ thes Gebirge. Ach vor der Seele, vor welcher der Morgenthau der Ideale ſich zum grauen kalten Landregen entfärbet hat und vor dem Herzen, dem auf den unterirrdiſchen Gän¬ gen dieſes Lebens die Menſchen nur noch wie dürre gekrümmte Mumien auf Stäben in Ka¬23 takomben begegnen und vor dem Auge, das verarmt und verlaſſen iſt und das kein Menſch mehr erfreuen will und vor dem ſtolzen Götterſohne, den ſein Unglaube und ſeine ein¬ ſame, menſchenleere Bruſt an einen ewigen unverrückten Schmerz anſchmieden vor allen dieſen bleibſt du, erquickende Natur mit deinen Blumen und Gebirgen und Katarakten treu und tröſtend ſtehen, und der blutende Göt¬ terſohn wirft ſtumm und kalt den Tropfen der Pein aus den Augen, damit ſie hell und weit auf deinen Vulkanen und auf deinen Frühlin¬ gen und auf deinen Sonnen liegen!

2. Zykel.

Ich wüßte einem Menſchen, den ich lieb habe, nichts ſchöneres zu wünſchen als eine Mutter eine Schweſter drei Jahre Bei¬ ſammenleben auf Isola bella und dann im zwanzigſten eine Morgenſtunde, wo er auf dem Eden-Eiland ausſteigt und alles dieſes mit dem Auge und der Erinnerung auf einmal, genieſ¬ ſend umfängt und in die offne Seele drückt O du allzuglücklicher Albano auf dem Ro¬24 ſenparterre der Kindheit unter Italiens tief¬ blauem Himmel in den ſchwelgeriſchen Zi¬ tronenlauben voll Blüthen auf dem Schoße der ſchönen Natur, die dich wie eine Mutter liebkoſet und hält und vor dem Angeſichte der erhabnen, die wie ein Vater in der Ferne ſteht und mit einem Herzen, das heute den ſeinigen erwartet!

Die drei Menſchen durchirrten jetzt lang¬ ſam und wankend das ſchwimmende Paradies. Obgleich die beiden andern es öfters betreten hatten: ſo wurde doch aus ihrem ſilbernen Zeit¬ alter durch die Sympathie mit Albano's Tau¬ mel wieder ein goldenes; der Anblick einer fremden Entzückung weckt den alten Eindruck der unſrigen auf. Wie Leute, die an Bran¬ dungen und Waſſerfällen wohnen, lauter ſpre¬ chen: ſo gab das herrliche Brauſen des aufge¬ regten Lebens-Meeres ihnen allen, ſogar Schop¬ pen, eine ſtärkere Sprache; nur konnte dieſer nie ſo feierliche Worte, wenigſtens Gebehrden treffen wie ein anderer Menſch.

Schoppe, der dem guten Italien den Ab¬ ſchiedskuß zuwerfen mußte, wollte gern noch25 die letzten nur zerſtreuet um den Freudenbecher hängenden Tropfen konſerviren, die ſo ſüß wie italieniſche Weine waren, voll deutſchem Feuer¬ ſtoff ohne deutſchen Sauerſtoff. Unter Sauer¬ ſtoff meint 'er Abſchiednehmen und Rührung: Thut das Schickſal, ſagt' er irgend einen Re¬ traiteſchuß, beim Himmel! ſo wend 'ich ge¬ laſſen den Gaul um und reite pfeifend zurück. Der Henker müßte darin (oder darauf) ſitzen, wenn ein geſchickter Bereiter nicht ſein Trau¬ erroß ſo zureiten wollte, daß es ſich recht gut zu einem Handgaul des Freudenpfer¬ des anſtellte; ich ſchule ſowohl mein Son¬ nenroß als mein Bagageroß viel anders.

Vor allen Dingen nahmen ſie jetzt die Otaheiti-Inſel durch Märſche ein und jede Provinz derſelben mußte ihnen wie eine perſi¬ ſche dem Kaiſer ein anderes Vergnügen ent¬ richten. Die untern Terraſſen (ſagte Schop¬ pe) müſſen uns Majoratsherren den Obſt - und Sackzehend in Zitronen - und Orangendüften abliefern die oberſte trägt die Reichsſteuer in Ausſichten ab die Grotte drunten zah¬ let hoff 'ich Judenſchutz in Wellen-Gemur¬26 mel und der Zypreſſenwald drüben ſeine Prin¬ zeſſinſteuer in Kühle die Schiffe werden ihren Rhein - und Neckarzoll nicht defraudiren ſondern ihn dadurch erlegen, daß ſie ſich von weitem zeigen.

Es wird mir nicht ſchwer zu merken, daß Schoppe durch dieſe ſcherzhaften Vexierzüge die heftigen Bewegungen in Ceſarens Kopf und Herzen brechen wollte; denn noch immer gieng der Glanz der Morgenentzückung, wiewohl der Jüngling über kleinere Dinge unbefangen ſprach, nicht von deſſen Geſicht. In ihm zit¬ terte jede Erſchütterung lange und eine am Morgen den ganzen Tag und zwar darum nach, weswegen eine Sturmglocke länger nach¬ ſummt als eine Schafglocke; gleichwohl konn¬ te ein ſolcher Nachklang weder ſeine Aufmerk¬ ſamkeit noch ſeine Werke und Geſpräche ſtören.

Mittags wollte der Ritter kommen. Bis dahin ſchwärmten und ſumſeten ſie ſtiller-genies¬ ſend mit Bienenflügeln und Bienenrüſſeln durch die honigreiche Flora der Inſel; und ſie hatten jene heitere Unbefangenheit der Kinder, der Künſt¬ ler, und der ſüdlichen Völker, die nur den Ho¬27 nigbehälter der Minute ausnaſcht; und daher fanden ſie an jeder anfallenden Welle, an je¬ dem Zitronenſpalier, an jeder Statue unter Blüthen, an jedem rückenden Wiederſchein, an jedem fliehenden Schiffe mehr als eine Blume, die den gefüllten Kelch weiter unter dem war¬ men Himmel aufmachte, anſtatt daß es uns unter unſerm kalten, wie den Bienen geht, vor denen Maifröſte die Blumen verſchließen. O die Inſulaner thun Recht. Unſer größter und längſter Irrthum iſt, daß wir das Leben, d. h. ſeinen Genuß, wie die Materialiſten das Ich, in ſeiner Zuſammenſetzung ſuchen, als könnte das Ganze oder das Verhältniß der Beſtandtheile uns etwas geben, das nicht jeder einzelne Theil ſchon hätte. Beſteht denn der Himmel unſers Daſeyns wie der blaue über uns, aus öder matter Luft, die in der Nähe und im Kleinen nur ein durchſichtiges Nichts iſt und die erſt in der Ferne und im Großen blauer Aether wird? Das Jahrhundert wirft den Blumenſaamen deiner Freude nur aus der poröſen Säemaſchine von Minuten; oder viel¬ mehr an der ſeeligen Ewigkeit ſelber iſt keine28 andere Handhabe als der Augenblick. Das Leben beſteht nicht aus 70 Jahren, ſondern die 70 Jahre beſtehen aus einem fortwehenden Le¬ ben und man hat allemal gelebt und genug gelebt, man ſterbe wenn man will.

3. Zykel.

Endlich als die drei Frohen ſich in die Ta¬ felſtube eines Lorbeerwaldes vor ihre Speis - und Trankopfer, die Schoppe zu Seſto ins Proviantſchiff eingepackt hatte, niederſetzen woll¬ ten: gieng durch die Zweige ein feiner, elegant und einfarbig gekleideter Fremder mit langſa¬ men feſten Schritten auf die liegende Tiſchge¬ ſellſchaft zu und wandte ſich, ohne zu fragen, ſofort an Ceſara mit der deutſchen, langſam, leiſe und beſtimmt prononcirten Anrede: ich habe dem H. Grafen Ceſara eine Entſchuldi¬ gung zu bringen. Von meinem Vater? fragt 'er ſchnell. Um Verzeihung, von meinem Prinzen; (verſetzte der Fremde) er verhinderte Ihren H. Vater, der kränklich aufſtand, in der Morgenkühle zu reiſen, aber gegen Abend wird er eintreffen. Indeß bring' ich (ſetzte29 er mit einem wohlwollenden Lächeln und mit einer leichten Verbeugung hinzu) dem H. Ritter ein Opfer, daß ich den Anfang des Glücks, künftig länger bei Ihnen zu ſeyn, H. Graf, mit einer Nachricht Ihres Verluſtes mache. Schoppe, der fein errieth, ohne fein zu ſprechen, fuhr ſofort heraus weil er ſich von keinem Menſchen imponiren ließ : ſo¬ nach ſind wir pädagogiſche Maskopiſten und Unioten. Willkommen, lieber Grau-Bünd¬ ner! Es freuet mich, ſagte kalt der Fremde, der grau angezogen war.

Aber errathen hatt 'es Schoppe; der Frem¬ de ſollte künftig das Oberhofmeiſterthum bei Ceſara bekleiden und Schoppe war Kollabora¬ tor. Mir[kommt] es vernünftig vor; der elek¬ triſche funkelnde Schoppe konnte das Katzenfell, der Fuchsſchwanz, die Glasſcheibe ſeyn, die un¬ ſern aus Leiter und Nichtleiter gebaueten Jüng¬ ling volllud, der Oberhofmeiſter konnte als Lei¬ ter der Funkenzieher ſeyn, der ihn mit feinen Franklin'ſchen Spitzen auslud.

Der Mann hieß von Auguſti, war Lek¬ tor bei dem Prinzen und hatte viel in der30 großen Welt gelebt; er ſchien wie dieſer ganze Hof-Schlag, zehen Jahre älter zu ſeyn, denn er war wirklich erſt 37 Jahre.

Man hätt 'es auszubaden unter dem um¬ gekehrten Dintentopf rezenſirender Xantippen, wenn man die Rezenſenten oder Xantippen in der Unwiſſenheit ließe, wer der Prinz eigentlich war, deſſen wir alle oben erwähnten. Es war der Erbprinz von Hohenflies, in deſſen Dor¬ fe Blumenbühl der Graf erzogen war und in deſſen Hauptſtadt er nun ziehen ſollte. Der Hohenflieſſiſche Infant jagte aus Italien, wor¬ in er viele Nothmünzen und Territorial¬ mandate nachgelaſſen hatte, ſtäubend und keuchend nach Deutſchland zurück, um da auf ſich Huldigungsmünzen auszuprägen, weil ſein regierender Vater die Treppe in das Erb¬ begräbniß hinabgieng und nur noch einige Stu¬ fen zum Sarge hatte.

Unter dem Eſſen ſprach der Lektor Auguſti mit wahrem Geſchmack über die liebliche Ge¬ gend, aber mit wenig Sturm und Drang, und31 zog ſie einigen Tempeſta's*)Gemälde von Peter Molyn, den man wegen ſeiner guten Gewitter nur Tempeſta nannte. im borromäiſchen Pallaſte bei Weitem vor. Dann gieng er um des Ritters öfter zu gedenken zu den Perſo¬ nalien des Hofes über und geſtand, daß der deutſche Herr, Mr. de Bouverot in beſonderer Gnade ſtehe denn bei Hofleuten und Heili¬ gen thut die Gnade alles und daß der Prinz ungemein an Nerven leide u. ſ. w.. Die Hofleute, die ſonſt ihr Ich nach dem fremden zuſchneiden, faſſen doch für einen, der nicht am Hofe lebt, ihre miniſteriellen Blätter dar¬ über ſo ausführlich und ernſthaft ab, daß ihr Zeitungsleſer dabei entweder lacht oder ein¬ ſchläft; ein Hofmann und das Buch des er¬ reurs et de la verité nennen den Jeſuitergeneral Gott die Jeſuiten Menſchen und die Nichtjeſuiten Thiere. Schoppe horchte mit einem fatalen Kräuſel - und Schnörkelwerke auf dem Geſichte zu; er haſſete Höfe bitter. Der Jüngling Albano dachte nicht viel beſſer; ja da er gern wagte, lieber mit dem Arm des32 innern Menſchen als mit den Fingern deſſel¬ ben arbeitete und anpackte, und vor den Schneepflug und die Egge - und Säemaſchine des Lebens gern Streit - und Donnerroſſe vor¬ ſpannte, anſtatt eines Zugs tüchtiger Filial - und Ackerpferde: ſo konnt 'er Leute, die vor¬ ſichtig und bedächtig zu Werke giengen und die lieber lackirte Arbeit und leichte Frauenzim¬ merarbeit machten als Herkulesarbeiten, nicht ſonderlich leiden. Gleichwohl mußt' er für die auf einer ſchönen Selbſtſtändigkeit ruhende Be¬ ſcheidenheit Auguſti's, der kein Wort von ſich ſelber ſprach, ſo wie für ſeine Reiſekenntniſſe, Achtung tragen.

Ceſara beiläufig, in dieſem Zykel will ich ihn noch mit C, der ſpaniſchen Orthogra¬ phie zu Gefallen ſchreiben; aber vom vierten an wird er, weil ich in meiner keines gewohnt bin und mich im langen Buche nicht ewig verſchreiben kann, mit einem Z geſchrieben Ceſara konnte den Lektor nicht genug über ſei¬ nen Vater abhören. Er erzählte ihm die letzte Handlung des Ritters in Rom, aber mit einer irreligiöſen Kälte, die im Jüngling eine anderewur¬33wurde. Don Gaſpard wettete nämlich mit einem deutſchen Nunzius Gemälde gegen Ge¬ mälde, daß er einen gewiſſen Deutſchen, (Au¬ guſti wollt 'ihn nicht nennen) deſſen Leben nur ein längerer moraliſcher Kothmonat in Epi¬ kurs Marſtalle war, in zwei Tagen ohne ihn zu ſehen, auf ſo lange bekehren wollte, als der Nunzius verlangen würde. Dieſer wettete, ließ aber den Deutſchen heimlich umſtellen. Nach zwei Tagen ſperrte ſich der Deutſche ein, wur¬ de andächtig, bleich, ſtill, bettlägerig und kam im Handeln einem wahren Chriſten nahe. Der Nunzius ſah dem Übel eine Woche lang zu, dann verlangt' er ſchleunige Verwandlung oder den Zirze's-Stab, der die thieriſche Geſtalt wieder herſtellte. Der Ritter berührte den Deutſchen mit dem Stabe und das epikureiſche Schwein ſtand geneſen da. Ich weiß nicht, was unerklärlicher iſt, das Wunderwerk oder die Härte. Aber der Lektor konnte nicht ſagen mit welchen Menſtruis Gaſpard dieſe ſchnellen Auflöſungen und Wolken und Präzipitazionen erzwang.

Nun kam der Lektor, den ſchon lange dieTitan. I. C34Vokation und das Kollaborat des ſonderbaren Schoppe frappirt hatte, auf verbindlichen Um¬ wegen endlich auf die Frage, wie ihn der Rit¬ ter kennen lernen. Durch den Paſquino! (verſetzt 'er.) Er trat eben um die Ecke des Palazzo degli Ursini, als er einige Römer und unſern Erbprinzen um einen Menſchen ſtehen ſah, der zu den Statuen des Paſquino und Marforio folgendes Gebet auf den Knien es waren meine that: lieber Kaſtor und Pollux, warum ſäkulariſiret ihr euch nicht aus dem Kirchenſtaat und bereiſet mein Deutſchland als Biſchöfe in partibus infi¬ delium, oder als zwei arbeitſame Vikarien? Könntet ihr denn nicht als Geſandtſchaftspre¬ diger und Referendarien in den Reichsſtädten herumgehen, oder euch als Chevaliers d'hon¬ neur und Wappenhalter auf beide Seiten ei¬ nes Throns poſtiren? Wollte Gott, man könnte wenigſtens dich Paſquino als Ober¬ hofprediger und Konduitenmeiſter in Hofka¬ pellen voziren oder doch darein als Taufen¬ gel zum Namengeben an einem Strick herun¬ ter laſſen! Sprecht, könnt ihr Zwillinge35 denn nicht einmal als Landrequetenmeiſter in Landtagsſälen auftreten und ſprechen, oder als magistri sententiarum in Univerſitätsge¬ bäuden unter dem Promoviren opponi¬ ren? Paſquino, biſt du durch keinen Della Porta*)Der Paſquino iſt bekanntlich verſtümmelt. Della Porta war ein großer Ergänzer alter Statuen. nur ſo weit herzuſtellen, daß du bei Kongreſſen und Verträgen des diplomatiſchen corps wenigſtens als Ofenaufſatz den Sil¬ houetteur machen könnteſt, ſondern taugt ihr höchſtens nur in Univerſitätsbibliotheken zu Bruſtbildern kritiſcher Redakteurs? Ach, munteres Paar, möchte nur Chigi, der da neben mir ſteht, dich modelliren zu einer trag¬ baren Taſchenausgabe für Damen: ich ſteckte dich bei und zöge dich erſt in Deutſchland aus der Taſche. Ich kanns aber auch hier auf der Inſel thun. Und hier bracht 'er das ſpöttiſche Kunſtwerk heraus; denn der be¬ rühmte Architekt und Modellirer Chigi, der ihm zuhörte, hatt' es wirklich nachgebacken. C 236Schoppe erzählte weiter, daß Don Gaſpard alsdann ernſthaft an ihn trat und ihn ſpaniſch fragte, wer er ſey. Ich bin, verſetzt 'er, auch ſpaniſch, wirklicher Titularbibliothekar des Großmeiſters zu Malta und ein Ab¬ kömmling des ſogenannten grammatikaliſchen Hundes, des gezähnten Humaniſten Sciop¬ pius (deutſch Schoppe) mein Taufname iſt Pero, Piero, Piètro (Peter). Aber hier nen¬ nen mich viele aus Verſehen Sciupio oder Sciopio (Vergeudung).

Gaſpard hatte ein partheiloſes tiefreichen¬ des Auge für jede, ſogar die fremdeſte Bruſt und ſuchte am wenigſten ſein Ebenbild. Er zog daher den Bibliothekar in ſein Haus. Da nun dieſer nur vom Portraitmalen zu leben ſchien und jetzt ohnehin nach Deutſchland zu¬ rück wollte: ſo trug er, hoffend, dieſem reichen, vieläugigen, ſtrengen Geiſte Albanos Geſell¬ ſchaft an, die blos der gegenwärtige Mitar¬ beiter Auguſti mit ihm theilen ſollte. Aber der Bibliothekar verlangte vorher vier Dinge voraus, die Schilderung des Grafen, die Silhouet¬ te deſſelben, und als beides gegeben war ,37 noch das dritte und vierte ſo: ſoll ich von den drei Ständen kalandert*)D. h. zwiſchen zwei hölzernen Walzen und Einer metallenen gepreſſet werden. werden und mich glatt und polirt drücken laſſen von Glanzpreſſen? Ich will nicht; überall hin, in den Himmel und in die Hölle will ich Ih¬ ren Sohn begleiten, aber nicht in die Poch - Waſch - Röſt - Schmelz - und Treibwerke vor¬ nehmer Häuſer. Das wurd 'am leichteſten zugeſtanden; dazu war ohnehin der zweite Reichsvikarius des väterlichen Oberhaupts, Auguſti, beſtimmt. Aber über den vierten Punkt zerfielen ſie faſt. Schoppe, der lieber vogelfrei als nicht - frei oder freigelaſſen ſeyn wollte, und deſſen eben ſo reichsunmittelbarer als fruchtbarer Boden keine Zäune litt, konnte ſich nur zu zufälligen unbeſtimmten Dienſten bequemen und mußte das Fixum eines Lohns ablehnen: ich will Ihm, ſagt' er, Kaſualpre¬ digten halten, aber keine Wochenpredigten; ja es kann ſeyn, daß ich oft ein halbes Jahr gar nicht auf die Kanzel ſteige. Der Ritter38 fand es unter ſich, Verbindlichkeiten ſchuldig zu ſeyn und zog zurück; bis Schoppe den Dia¬ gonalweg ausmittelte, er gebe ſeine Geſellſchaft als don gratuit, und erwarte daher auch vom Ritter von Zeit zu Zeit ein don gratuit von Belang. Übrigens war dem Ritter jetzt Schoppe gerade ſo lieb wie der erſte beſte Hoftürke, der ihm auf den Wagenfußtritt geholfen; ſeine Prüfung eines Menſchen war eine kalte Tod¬ tenbeſchau und nach dem Prüfen liebt 'er nicht ſtärker und haßt' er nicht ſtärker; für ihn waren im Spektakelſtück des polternden Lebens der Regiſſeur und die erſten und zwei¬ ten Liebhaberinnen und die Lears und Iphi¬ genien und Helden weder Freunde, noch die Kaſperls und die Tyrannen und Figuranten Feinde, ſondern es waren verſchiedene Akteurs in verſchiedenen Rollen. O Gaſpard, ſteheſt denn du in der Frontloge und nicht auch auf dem Theater? Und ſieheſt du nicht wie Hamlet, im großen Schauſpiele einem klei¬ nern zu? Ja ſetzet nicht jede Bühne am Ende ein doppeltes Leben voraus, ein kopirendes und ein kopirtes?

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Entweder die wenigen Paar Gläſer Wein oder auch ſein verdrüßlicher Abſtand vom zier¬ lichen gehaltenen Lektor ſetzten Schoppe's Fege¬ mühle mit allen Rädern in Gang, ſo wenig dieſer Humor auf der glänzenden Inſel eine vortheilhafte Stelle fand ; und als Auguſti wünſchte, Schoppe möchte froher als andere Maler nach Deutſchland gehen: ſo zog dieſer ein Päckchen vergoldeter Heiligenbilder deutſcher Schutzpatrone heraus und ſagte Karten-mi¬ ſchend: mancher würde hier ein päbſtliches Miſerere aufs Pult legen und abſingen, zu¬ mal wenn er mitten im Frühling das Win¬ terquartier, die deutſche Eis - und Nebelbank beziehen muß wie ich; und ungern, das ſag 'ich frei, laſſ' ich den Arlechino und den Pulcinella und den Scapin und die ganze Comedia dell 'Arte dahinten. Aber die heiligen Herren, die ich hier taillire, haben ihre Patronatsländer aufs Trockne gebracht; und man paſſirt ſie gern. Baumeiſter, Ihr lacht, aber Ihr wiſſet im Ganzen zu wenig von dem, was dieſe gemalten himmliſchen Schirmvögte für deutſche Kreiſe ſtündlich un¬40 ternehmen. Baumeiſter, ſucht mir überhaupt ein Land, worin ſo viele Prügel, Program¬ men, Profeſſoren, Allongeperücken, gelehrte Anzeigen, Reichsanzeigen, Klein - und Vor¬ ſtädter, Zeremonien, Krönungen und Heidel¬ berger Fäſſer, aber ohne inwohnende Dioge¬ neſſe aufzutreiben ſind als im gedachten? Oder[ ] ſuchen Sie es, mein Hr. v. Auguſti! Weiſet mir doch nur überhaupt ein Territorium auf, dem ein eben ſo langes Parliament, nämlich ein längſter Reichstag beſcheret iſt, gleich¬ ſam eine außerordentlich heilſame pillula per¬ petua*)Dieſe Pille beſteht aus Spiesglaskönig und wird ihrer Feſtigkeit wegen ſtets von neuem mit altem Erfolge gebraucht: man ſchüttet bloß vor¬ her einen Aufguß von Wein darüber. , die der Pazient unaufhörlich ein¬ nimmt und die ihn unaufhörlich ausreinigt; und wem fällt dabei nicht eben ſo gut wie mir die capitulatio perpetua und überhaupt das Reichs-corpus als perpetuum immo¬ bile aus Gründen ein? (Hier trank Schoppe.) Dabei iſt der Reichskörper wie das erſte41 Princip der Moral oder wie Jungfernerde ſehr unauflöslich; ja geſetzt, einer von uns nähme ein Churſchwerdt und ſchnitte ihn da¬ mit wie einen Ohrwurm entzwei, ſo würde ſich die gezähnte Hälfte eben wie der geſpal¬ tene Ohrwurm umkehren und den Hinterreſt rein aufſpeiſen und dann wäre ja der ge¬ ſammte verknüpfte Ohrwurm wieder da und ſatt dazu. Es iſt keine ſchädliche Folge die¬ ſes feſten Reichsnexus, daß das corpus ſeine eignen Glieder wie der Bachkrebs ſeinen Ma¬ gen verzehren und verdauen ohne wahren Schaden, ſo daß einer das corpus wie einen homeriſchen Gott nur verwunden, aber nicht ertödten kann: reibe, ſag 'ich oft, dieſen Fe¬ derbuſchpolypenſtamm mit Röſel zu Brei ſtülp' ihn um wie einen Handſchuh ſchneide den Polypen wie Lichtenberg geſchickt mit ei¬ nem Haare entzwei ſtecke wie Trembley mehrere abgeſchnittene Glieder ineinander und verleibe wie andere Naturforſcher, Reichs¬ ſtädte, Abteien, kleine Länder größern ein oder umgekehrt und ſchaue nach eini¬ gen Tagen darnach: wahrhaftig herrlich und42 ganz und geneſen ſitzt dein Polype wieder dort, oder ich will nicht Schoppe heiſſen.

Der Graf hörte ihn ſchon länger und konn¬ te alſo leichter und beſſer lächeln; der Lektor mußt 'es erſt lernen, da ſogar der komiſche Akteur für ſeinen neuen Zuhörer noch keiner iſt. Aber unter allen dieſen Zerſtreuungen dau¬ erte in Albanos Seele ein verwirrter Tumult, gleichſam das Rauſchen vom Waſſerfalle der kommenden Zeiten fort. Er blickte ſehnend durch die wankenden Fugen der Lorbeerzweige nach den glänzenden Hügeln drauſſen, da Dian in ſeiner Malerſprache ſagte: iſt es nicht als wenn alle Götter mit tauſend Fruchthörnern auf den Bergen um den Lago maggiore ſtän¬ den und Wein und Kaskaden niedergöſſen, damit nur der See wie ein Freudenpokal üp¬ pig überlaufe und herunterſchäume? Schoppe verſetzte: Freuden von ausnehmen¬ dem Geſchmack wie Ananas haben das Schlim¬ me, daß ſie wie Ananas das Zahnfleiſch bluten machen. Ich glaube, ſagte Auguſti, man muß über die Freuden des Lebens nicht viel reflektiren, ſo wie über die Schönheiten eines43 guten Gedichts, man genießet beide beſſer, ohne ſie zu zählen oder zu zergliedern. Und ich, ſagte Ceſara, würde zählen und zer¬ gliedern ſchon aus Stolz; was herauskäme, ertrüg' ich und ich würde mich ſchämen, un¬ glücklich zu ſeyn. Iſt das Leben wie eine Olive eine bittere Frucht, ſo greife nur beide ſcharf mit der Preſſe an, ſie liefern das ſüs¬ ſeſte Oel. Hier ſtand er auf, um bis abends in der Inſel allein zu bleiben; er bat um Nachſicht, machte aber keinen Vorwand. Seine hohe ehrgeizige Seele war unfähig, ſich zur kleinſten Lüge niederzubücken; nicht einmal gegen Vieh. Er lockte in Blumenbühl Flug¬ tauben täglich durch Futter näher, und ſeine Pflegeſchweſter bat ihn oft, eine zu ergreifen; aber er ſagte immer Nein, weil er ſogar ein thieri¬ ſches Vertrauen nicht belügen wollte.

Als ſie ihm nachſahen, da er langſam mit nachſpringenden Schatten und mit den an ihm herabſchlüpfenden Sonnenblitzen durch die Lor¬ beerbäume gieng und wie in einem Traume die Zweige mit vorausgehaltenen Händen ſanft auseinanderbog: ſo brach Dian aus: welche44 Jupiters-Statue! Und die Alten, fiel Schoppe ein, glaubten noch dazu, daß je¬ der Gott in ſeiner Statue hauſe. Eine herrliche dreifache Breite der Stirn, der Naſen¬ wurzel und der Bruſt! (fuhr Dian fort.) Ein Herkules, der auf dem Olympus Oelbäu¬ me pflanzt Es frappirte mich ſehr (ſagte der Lektor), daß ich durch langes An¬ ſchauen auf ſeinem Geſichte leſen konnte was ich wollte und was ſich widerſprach, Kälte Wärme Unſchuld und Sanfmuth am leichteſten Trotz und Kraft. Schoppe ſetzte dazu: ihm ſelber mag es noch ſchwe¬ rer werden, einen ſolchen Kongreß kriegfüh¬ render Mächte in ſich zu einem Friedenskon¬ greß zuſammen zu zwingen. Wie ſchön, (ſagte der menſchlich-fühlende Dian) muß einer ſo kräftigen Geſtalt die Liebe anſtehen und wie erhaben der Zorn! Das ſind zwei male¬ riſche Schönheiten, (verſetzte Schoppe) woraus ſich zwei Pädagogiarchen und Xenophone wie wir wenig bei ihrem Zyrus machen in ihrer Zyropädie.

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4. Zykel.

Zeſara hatte blos drei Gläſer Wein geko¬ ſtet; aber der Moſt ſeines heißen dichten Blu¬ tes gohr davon ſtärker. Der Tag erwuchs im¬ mer mehr zu einem daphniſchen und delphi¬ ſchen Hain, in deſſen flüſterndes und dampfen¬ des Dickicht er ſich tiefer verlor die Sonne hieng wie eine weiſſe blitzende Schneekugel im Blau die Eisberge warfen ihren Silberblick in das Grün herein aus fernen Wolken donnerte es zuweilen*)Tirare di prima vere nennts das Volk und Peter Schoppe überſetzt es erhaben genug: elek¬ triſches Piſtolenzeug des Lenzes. als rolle der Frühling in ſeinem Triumphwagen daher und weiter zu uns die Lebenswärme des Klima's und der Tagszeit, das h. Feuer zweier Entzückungen, (der erinnerten und der gehoften) brüteten alle ſeine Kräfte an. Jetzt ergriff ihn jenes Fieber der jungen Geſundheit, worin ihm allemal war, als ſchlage in jedem Gliede ein beſonde¬ res Herz die Lunge und das Herz ſind von Blute ſchwer und voll der Athem iſt heiß46 wie ein Harmattanwind und das Auge trü¬ be in ſeiner eignen Lohe und die Glieder ſind müde vor Kraft. In dieſer Überfüllung der elektriſchen Wolke, hatt 'er einen beſondern Trieb nach Zertrümmern. Er half ſich jünger oft, daß er Felſenſtücke an den Gipfel wälz¬ te und niederrollen ließ; oder daß er im Gal¬ lopp ſo lange lief bis der Athem länger wurde, oder am gewiſſeſten dadurch, daß er ſich (wie er von Kardan gehört hatte) mit ei¬ nem Federmeſſer Schmerzen und ſogar kleine Verblutungen erregte. Selten gewinnen ge¬ wöhnliche, und noch ſeltener ungewöhnliche Menſchen die volle mit allen Zweigen blühen¬ de Jugend des Leibes und Geiſtes; aber deſto prangender trägt dann Eine Wurzel einen gan¬ zen Blumengarten.

Mit dieſen Wallungen ſtand Albano jetzt hinter dem Pallaſt einſam gegen Süden, als ihm ein Spiel ſeiner Knabenjahre einfiel.

Er war nämlich oft im Mai auf einen ſäulendicken Apfelbaum der ein ganzes hän¬ gendes grünes Kabinet erhob, bei heftigem Wind geſtiegen und hatte ſich in die Arme ſei¬47 nes Gezweigs gelegt. Wenn ihn nun ſo die ſchwankende Luſthecke zwiſchen dem Gau¬ keln der Lilienſchmetterlinge und dem Summen der Bienen und Mücken und dem Nebeln der Blüthen ſchaukelte und wenn ihn der aufge¬ blähte Wipfel bald unter fettes Grün verſenk¬ te, bald vor tiefes Blau und bald vor Son¬ nenblitze drehte: dann zog ſeine Phantaſie den Baum rieſenhaft empor, er wuchs allein im Univerſum gleichſam als ſey er der Baum des unendlichen Lebens, ſeine Wurzeln ſtiegen in den Abgrund, die weiſſen und rothen Wolken hiengen als Blüthen in ihm, der Mond als eine Frucht, die kleinen Sterne blitzten wie Thau und Albano ruhte in ſeinem unendlichen Gipfel und ein Sturm bog den Gipfel aus dem Tag in die Nacht, und aus der Nacht in den Tag.

Er ſah jetzt zu einer hohen Zypreſſe empor. In Rom war aus dem Mittags-Schlaf ein Südoſtwehen aufgeſtanden und hatte ſich un¬ terwegs fliegend in Limoniengipfeln und in tauſend Bächen und Schatten gekühlt und lag nun gewiegt auf Zypreſſenarmen. Da erklet¬48 terte er den Baum, um ſich wenigſtens zu er¬ müden. Aber wie dehnte ſich die Welt vor ihm aus mit Bergen, mit Inſeln und Wäl¬ dern, da er das donnernde Gewölke über Roms ſieben Hügeln liegen ſah, gleichſam als rede aus dem Dunkel noch der alte Geiſt, der in den Hügeln wie in ſieben Veſuven gearbeitet hatte, welche vor der Erde ſo viele Jahrhun¬ derte lang mit feurigen Säulen, mit aufge¬ richteten Gewittern ſtanden und ſie mit glühen¬ den Strömen, mit Aſchenwolken und mit Fruchtbarkeit übergoſſen, bis ſie ſich ſelber zer¬ ſprengten! Die Spiegelwand der Gletſcher ſtand wie[ſein] Vater unzerrüttet vor der Wär¬ me des Himmels und wurde nur glänzend und nicht warm und nicht weich aus dem weiten See ſchienen überall die warmen Hügel wie aus ihrem Bade auszuſteigen und die kleinen Schiffe der Menſchen ſchienen in der Ferne ſtrandend zu ſtocken und im weiten Wehen um ihn giengen die großen Geiſter der Vergan¬ genheit vorüber und unter ihren unſichtbaren Tritten bogen ſich nur die Wälder nieder, aber die Blumenbeete wenig. Da wurdein49in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬ nen Zukunft keine Wehmuth, ſondern ein Durſt nach allem Großen, was den Geiſt be¬ wohnt und hebt, und ein Schauder vor den ſchmutzigen Ködern der Zukunft, zogen ſein Auge recht ſchmerzlich zuſammen und ſchwere Tropfen fielen daraus. Er ſtieg herab, weil das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde. Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den gehaltenen Gang der Natur verehrte,[hatten] den Knoſpengarten ſeiner Kräfte vor frühzeitiger Morgenſonne und ſchnellem Aufſpringen be¬ wahret; aber durch die Erwartung des Abends und durch die Reiſe wurde der Tag ſeines Le¬ bens jetzt zu warm und zu treibend.

Zufällig und träumend verlor er ſich unter Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein ſüßes Wühlen im innerſten Herzen dieſes be¬ klemmend weit und leer und wieder voll. Ach er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er hier in ſeiner Kindheit ſo oft in die Bruſt ge¬ ſogen, und welche nun jede Phantaſie und Er¬ innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬ waltſam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬Titan. I. D50gleich den abgenützten Merkmalen des Auges und des Ohres, ſeltener kommen und alſo leich¬ ter und heftiger die verblichene Empfindung er¬ neuern. Aber als er in eine Arkade des Pal¬ laſtes, welche bunte Steine und Muſcheln ſtik¬ kend färbten, gerieth, und als er die Wogen ſpielend auf die Schwelle der Grotte hüpfen ſah: ſo deckte ſich ihm auf einmal eine bemoo¬ ſete Vergangenheit auf er durchſuchte ſeine Erinnerungen die Farbenſteine der Grotte lagen gleichſam voll Inſchriften der vorigen Zeit vor ſeinem Gedächtniß. Ach hier war er ja tauſendmal mit ſeiner Mutter geweſen, ſie hatte ihm die Muſcheln gezeigt und die Nähe der Wellen verboten, und einmal, da die Sonne aufgieng und da der durchwehte See und alle Steinchen glänzten, war er auf ihrem Schooße mitten unter den Lichtern auf¬ gewacht.

O war denn nun die Stelle nicht geheiligt und auf ihr ſeine überwältigende Sehnſucht nicht entſchuldigt, die er heute ſo lange gehabt, die ſchöne Armwunde dem tobenden und quä¬ lenden Blute aufzumachen?

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Er ritzte ſich, aber zufällig zu tief; und mit einem ſchönen kühlen Heben ſeines leichter ath¬ menden Weſens ſah er der rothen Quelle ſeines Armes in der Abendſonne zu, und wurde wie nach abgefallnen Bürden leichter nüchtern ſtill und weich. Er dachte an die verſchwund¬ ne Mutter, deren Liebe nun ewig unvergolten blieb ach er hätte dieſes Blut gern für ſie vergoſſen und nun quoll heißer als je in ſeiner Bruſt die Liebe für den kränklichen Va¬ ter auf: o komme bald, ſagte ſein Herz, ich will dich ſo unausſprechlich lieben, du lieber Vater!

Die Sonne erkaltete an der feuchten Erde nur noch die zackige Mauerkrone aus den Goldſtufen der Gletſcherſpitzen glühte über aus¬ gelöſchten Wolken und die Zauberlaterne der Natur warf ihre Bilder nur noch gezogner und matter: da gieng eine lange Geſtalt in einem offnen rothen Mantel langſam um die Zedratobäume auf ihn zu, rieb mit der Rech¬ ten an der Stelle des Herzens, woran kleine Funken verglommen, und zerdrückte mit der halb erhobnen Linken eine Wachslarve zumD 252Klumpen und blickte in die eigne Bruſt. Plötz¬ lich erſtarrete ſie an der Wand des Pallaſtes in verſteinerter Stellung. Albano drückte die Hand auf die kleine Wunde und gieng nahe zu dem Verſteinerten Welche Geſtalt! Aus einem vertrockneten hagern Angeſicht erhob ſich zwiſchen Augen, die halb unter den Augen¬ knochen fortbrannten, eine verachtende Naſe mit ſtolzem Wurf ein Cherub mit dem Keime des Abfalls, ein verſchmähender gebietender Geiſt ſtand da, der nichts lieben konnte, nicht ſein eignes Herz, kaum ein höheres, einer von jenen Fürchterlichen, die ſich über die Menſchen, über das Unglück, über die Erde und über das Gewiſſen erheben, und denen es gleich gilt, welches Menſchenblut ſie hingießen, ob fremdes oder ihres.

Es war Don Gaſpard.

Die Funken-werfende Ordenskette aus Stahl und Edelſteinen verrieth ihn. Die Starrſucht, ſeine alte Krankheit, hatt 'ihn ergriffen. O Vater! ſagte Albano erſchrocken und umfaßte die unbewegliche Geſtalt, aber er drückte gleich¬ ſam den kalten Tod ans Herz. Er ſchmeckte53 die Bitterkeit einer Hölle er küßte die ſtarre Lippe und rief lauter endlich trat er vor ihm mit fallenden Armen zurück und die aufgedeckte Wunde blutete ungefühlt nieder und er blickte, zähneknirſchend vor wilder junger Liebe und vor Schmerz, und mit großen Eistropfen in den Augen, den Stummen an und riß ihm die Hand vom Herzen. Hier ſchlug erwachend Gaſ¬ pard die Augen auf und ſagte: willkommen, mein lieber Sohn! Da ſank ihm mit unüber¬ ſchwenglicher Seeligkeit und Liebe das Kind ans Vaterherz und weinte und ſchwieg. Du bluteſt, Albano, ſagte Gaſpard ihn ſanft zu¬ rückſtemmend, verbinde dich! Laß mich blu¬ ten, ich will mit dir ſterben wenn du ſtirbſt o wie hab' ich ſo lange nach dir geſchmach¬ tet, mein guter Vater! ſagte Albano, noch tiefer erſchüttert von dem kranken väterlichen Herzen, das er jetzt an ſeinem heftiger ſchlagen fühlte.

Recht gut, verbinde dich aber! ſagt 'er; und als der Sohn es that und während des ſchnellſten Umwickelns mit unerſättlicher Liebe in das väterliche Auge ſchauete, und als das54 Auge nur kalte Blitze warf wie ſein Ring-Ju¬ wel ſo ſchlug auf den Kaſtaniengipfeln, dem heutigen Throne der Morgenſonne, der leiſe Mond ſein frommes Auge ſtillend auf und dem entflammten Albano war es an dieſem kindli¬ chen und mütterlichen Wohnplatze, als ſchaue der Geiſt ſeiner Mutter vom Himmel und rufe, ich werde weinen, wenn ihr euch nicht liebt. Sein wallendes Herz zerfloß, und er ſagte ſanft zu dem im Mondlicht bleichern Vater: liebſt du mich denn nicht? Lieber Alban, ver¬ ſetzte der Vater, man kann dir nicht genug antworten du biſt recht gut es iſt recht gut. Aber mit dem Stolze der Liebe, die ſich kühn mit der väterlichen maß, ergriff er feſt die Hand mit der Larve, und ſah den Ritter mit feurigen Thränen an: mein Sohn, ver¬ ſetzte der Müde, ich habe dir heute noch viel zu ſagen und wenig Zeit, weil ich morgen reiſe und ich weiß nicht, wie lange mein Herzklopfen mich ſprechen läſſet. Ach alſo war das vorige Zeichen einer gerührten Seele nur ein Zeichen eines nervenkranken Pulſes ge¬ weſen .... Du armer Sohn, wie mußte vor55 dieſer ſcharfen Luft dein bewegtes Meer erſtar¬ ren ach wie an einem eiskalten Metall mußte deine warme Hand ankleben und davon ſich wundgeſchält abziehen!

Aber guter Jüngling! Wer von uns könnte dich tadeln, daß Wunden dich gleichſam mit Blut an deinen wahren oder falſchen Halbgott binden wiewohl ein Halbgott ſich öfter mit einem Halbthier als mit einem Halb¬ menſchen ſchließet und daß du ſo ſchmerz¬ lich liebſt? Ach welche warme Seele ſprach nicht einmal die Bitte der Liebe vergeblich aus und konnte dann, gelähmt vom erkaltenden Gifte, gleich andern Vergifteten, die ſchwere Zunge und das ſchwere Herz nicht mehr bewegen? Aber liebe fort, du warme Seele; gleich Früh¬ lingsblumen, gleich Nachtſchmetterlingen durch¬ bricht die zarte Liebe zuletzt doch den hart-ge¬ frornen Boden und jedes Herz, das nichts an¬ deres verlangt, als ein Herz, findet endlich ſeine Bruſt!

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5. Zykel.

Der Ritter nahm ihn auf eine über ſtei¬ nerne Säulen geführte Gallerie hinauf, die überall Limonienbäume mit Düften und kleinen regen vom Monde ſilbern geränderten Schat¬ ten vollſtreueten. Er zog zwei Medaillons aus ſeiner Brieftaſche, das eine bildete ein ſonder¬ bar - jugendlich ausſehendes weibliches Ge¬ ſichtchen vor, mit der Umſchrift: Nous ne nous verrons jamais, mon fils. *)Wir ſehen uns nie mein Sohn. Hier iſt deine Mutter, (ſagte Gaſpard und gab es ihm,) und hier deine Schweſter, und reichte ihm das zweite, deſſen Züge zu einer unkenntlichen veralteten Geſtalt einliefen mit der Umſchrift: Nous nous verrons un jour, mon frère. **)Wir ſehen uns einſt, mein Bruder. Er fieng nun ſeine Rede an, die er in ſo vie¬ len zwangloſen Heften (das eine Komma oft am einen Ende der Gallerie, das andere am andern) und ſo leiſe und in einem ſolchen Wech¬ ſel von ſchnellem und trägem Gehen lieferte,57 daß in das Ohr eines unter der Gallerie mit¬ laufenden Viſitators fremder Geſpräche, wenn einer drunten ſtand, nicht drei zuſammengehö¬ rende Laute tropfen konnten. Deine Aufmerk¬ ſamkeit, lieber Alban, fuhr er fort, nicht deine Phantaſie ſollte jetzt geſpannt ſeyn; Du biſt leider heute zu romantiſch bei dem Ro¬ mantiſchen, was du hören ſollſt. Die Grä¬ finn von Zeſara liebte das Feierliche von je¬ her; du wirſt es aus dem Auftrage ſehen, den ſie mir wenige Tage vor ihrem Tode gab, und den ich gerade an dieſem Charfreitage auszu¬ richten verſprechen mußte.

Er ſagte noch, bevor er anfieng, daß er, da ſeine Katalepſie und ſein Herzklopfen be¬ denklich ſtiegen, nach Spanien eilen müſſe, ſeine Sachen und noch mehr die ſeiner Mündel der Gräfinn von Romeiro zu ordnen. Al¬ ban that noch eine Bruderfrage über ſeine liebe ſo lang 'entrückte Schweſter; der Vater lies ihn hoffen, daß er ſie bald ſehen werde, da ſie mit der Gräfinn die Schweiz beſuchen wolle.

Da ich nicht abſehe was die Menſchen davon haben, wenn ich die mir beſchwerlichen Gän¬58 ſefüße ſammt dem ewigen er ſagte herſetze: ſo will ich den Auftrag in Perſon erzählen. Es werden einmal (ſagte der Ritter) drei Unbekannte, einer am Morgen, einer Mittags und einer Abends zu ihm kommen und jeder wird ihm ein eingeſiegeltes Kartenblatt zuſtel¬ len, worauf blos der Name der Stadt und des Hauſes ſteht, worin das Bilderkabinet, das Al¬ bano noch dieſelbe Nacht beſuchen muß, zu fin¬ den iſt. Im Kabinet ſoll er alle Nägel der Bilder durchtaſten und drücken, bis er auf einen[kommt], hinter welchem der Druck eine in die Wand eingebauete Repetiruhr zwölf zu ſchlagen nöthigt. Hier findet er unter dem Bilde eine geheime Tapetenthür, hinter welcher eine weibliche Geſtalt mit einem offnen Souve¬ nir und mit drei Ringen an der Linken, und mit einem Crayon in der Rechten ſitzt. Drückt er den Ring des Mittelfingers, ſo richtet ſich die Geſtalt unter dem Rollen des innern Ge¬ triebes auf, tritt in das Zimmer und das aus¬ laufende Gehwerk ſtockt mit ihr an einer Wand, woran ſie mit dem Crayon ein verſtecktes Fach bezeichnet, in welchem ein Taſchenperſpektiv59 und der wächſerne Abdruck eines Sargſchlüs¬ ſels liegen. Das Okularglas des Perſpektivs ordnet durch eine optiſche Anamorphoſe den Wirwarr alternder Linien auf dein heute em¬ pfangenen Medaillon der Schweſter zu einer holden jungen Geſtalt, und das Objektivglas giebt dem unreifen Bilde der Mutter die Merk¬ male des längern reifern Lebens zurück. Dann drücket er den Ringfinger und ſogleich fängt die ſtumme kalte Figur mit dem Crayon in das Souvenir zu ſchreiben an und bezeich¬ net ihm mit einigen Worten den Ort des Sar¬ ges, von deſſen Schlüſſel er den wächſernen Abdruck hat. Im Sarge liegt eine ſchwarze Marmorſtufe, in Geſtalt einer ſchwarzen Bibel; und wenn er ſie zerſchlagen hat, trift er einen Kern darin, aus dem der Chriſtbaum ſeines ganzen Lebens wachſen ſoll. Iſt die Stufe nicht im Sarge, ſo giebt er dem letzten Ringe des Ohrfingers einen Druck was aber dann dieſes hölzerne Guerike's Wettermännchen ſeines Schickſals beginne, wußte der Ritter ſelber nicht vorauszuſagen.

Ich bin völlig der Meinung, daß man60 dem bizarren Teſtamente leicht das Repetir - und das halbe Räderwerk ſo wie man jetzt in Londen Uhren blos aus zwei Rädern bauet ausbrechen könnte, ohne das Vorlege - oder Zeigerwerk zu beſchädigen.

Auf Alban wirkte das teſtamentariſche Ge¬ triebe und Gebläſe wider meine Erwartung faſt nichts; ausgenommen eine weichere Liebe gegen die gute Mutter, welche ſo ſorgend, da ſie unten im Strome des Lebens das fliegende Bild vom niederfallenden Habicht des Todes erblickte, nur den Sohn bedachte. Seinem Va¬ ter ſchauete er unter dem Berichte, mit zärt¬ lichem Danke für dieſe Mühe des Gedächtniſſes und der Erzählung, faſt auf Koſten ſeiner Auf¬ merkſamkeit, in das befeſtigte eiſerne Angeſicht; und im Mondſchein und vor ſeiner Phantaſie, wuchs der Ritter zu einem rhodiſchen die halbe Gegenwart verdeckenden Koloſſus auf, für wel¬ chen ihm dieſes teſtamentariſche Memorienwerk faſt zu kleinlich ſchien.

Bisher hatte Don Gaſpard blos als ächter Weltmann geſprochen, der von ſeinem Geſpräche (ohne beſondere nähere Verhältniſſe) ſtets jede61 Erwähnung oder Schmeichelei eines Ichs, des fremden ſo gut wie des eignen ausſchlieſſet, und ſogar hiſtoriſcher Perſonen nur als Be¬ dingungen von Sachen gedenkt ſo daß zwei ſolche Nicht-Ichs mit ihrer grimmigen Kälte, nur zwei ſprechende Logiken oder Wiſ¬ ſenſchaften zu ſeyn ſcheinen, aber keine Weſen mit ſchlagenden Herzen: o! wie ſanft floß es, wie eine weiche Tonart in Albanos liebewun¬ des Herz, das der hellere und lauere Mond und der inſulariſche dämmernde Kindergarten ſeiner erſten Vorzeit, und die in ſeiner Seele laut fort - und nachklingende Stimme ſeiner Mutter gewaltſam auflöſeten, als nun der Vater ſagte: Das hab 'ich von der Gräfinn zu ſagen. Von mir hab' ich dir nichts zu ſa¬ gen, als meine bisherige Zufriedenheit mit deinem bisherigen Leben. O geben Sie, theuerſter Vater, meinem künftigen Gebote, Lehre und Rath ſagte der begeiſterte Menſch, und Gaſpards rechter Hand, die nach dem ſchnellern Herzen zuckte, folgt 'er mit ſeiner Linken an die ſieche Stelle und drückte heftig das hyſteriſche Herz, als könn' er dieſem berg¬62 ab umkreiſenden Lebensrade in die Speiche grei¬ fen. Der Ritter verſetzte: ich habe dir wei¬ ter nichts zu ſagen. Die Lindenſtadt (Peſtiz) iſt dir nun geöffnet; deine Mutter hatte ſie dir verſchloſſen. Der Erbprinz, der bald Fürſt ſeyn wird, und der Miniſter von Fraulay, der mein Freund iſt, werden die deinigen ſeyn; ich glaub ', es wird dir nützen, ihre Be¬ kanntſchaft zu kultiviren.

Der ſcharfblickende Gaſpard ſah hier plötz¬ lich über des Jünglings reine offne Geſtalt wunderbare Bewegungen und heiße Roſen fliegen, die aus der Gegenwart mit nichts zu erklären waren und die ſogleich wie getödtet vergiengen, als er ſo fortfuhr: für einen Mann von Stande ſind gelehrte und ſchöne Wiſſenſchaften, die für andre Endzweck ſind, nur Mittel und Erhohlung; und ſo groß deine Neigung dafür ſeyn mag: ſo wirſt du doch am Ende Handlungen den Vorzug vor Ge¬ nüſſen geben; du wirſt dich nicht gebohren füh¬ len, die Menſchen bloß zu belehren oder zu beluſtigen, ſondern zu behandeln und zu be¬ herrſchen.

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Es wäre gut, wenn du den Miniſter ge¬ wänneſt und dadurch die Kenntniſſe des Re¬ gierungs - und Kammerweſens, die er dir ge¬ ben kann; denn in dem Abriſſe Eines Landes, ſo wie Eines Hofes, beſitzeſt du die Grund¬ züge eines jeden größern, wozu du auch ge¬ langen und dich bilden ſollſt. Es iſt mein Wunſch, daß du ſogar dem Fürſten und dem Hofe lieb wirſt, weniger weil du Konnexionen als weil du Erfahrungen brauchſt. Nur durch Menſchen beſiegt und überſteigt man Men¬ ſchen, nicht durch Bücher und Vorzüge. Man muß nicht ſeinen Werth auslegen, um die Menſchen zu gewinnen, ſondern man muß ſie gewinnen, und dann erſt jenen zeigen. Un¬ glück iſt nichts wie Unverſtand und nicht ſo¬ wohl durch Tugend als durch Verſtand, wird man furchtbar und glücklich. Du haſt höch¬ ſtens die Menſchen zu fliehen, die dir zu ähn¬ lich ſind, beſonders die ädeln. Das ätzen¬ de Sublimat ſeines Spottes, beſtand hier nicht darin, daß er ädel mit einem accentuirten iro¬ niſchen Tone ſagte, ſondern daß ers wider Er¬ warten kalt ohne einen ſagte. Albanos Hand64 war in ſeiner ſchon längſt vom Herzen an der ſtählernen eckigen Ordenskette herabgeglitten auf das goldene metalliſch-kalte Lamm daran. Der Jüngling hatte, wie alle Jünglinge und Ein¬ ſiedler, zu harte Begriffe von Hof - und Welt¬ leuten, er hielt ſie für ausgemachte Baſiliſken und Drachen wiewohl ich das noch entſchul¬ digen will, wenn er nur mit den Naturforſchern unter den Baſiliſken nichts verſteht, als unge¬ flügelte Eidexen, und unter den Drachen nichts als geflügelte, ſo daß er ſie für nichts als für kalte faſt ſo fatale Amphibien, wie Linnée ſolche definirt, anſieht ; ferner hegt 'er (ſo leicht wird Plutarch der Verführer von Jüng¬ lingen, deren Biograph er hätte ſeyn können wie ich) mehr Grimm als Achtung gegen die Artolatrie (den Broddienſt) unſers Zeitalters, das aber umgekehrt immer den Gott ins Brod verwandeln will, gegen die beſten Brodſtudien oder Brodwagen, gegen das Machen einer Carrière, gegen jeden, der kein Waghals war und der ſtatt der Sturmbalken und Kriegsma¬ ſchinen etwa unſichtbare Magnetſtäbe, Saug¬ werke und Schröpfköpfe anſetzte und damitetwas65etwas zog. Jeder Jüngling hat ein ſchönes Zeitalter, wo er kein Amt, und jede Jungfrau eines, wo ſie keinen Mann annehmen will; dann ändern ſich beide und nehmen oft ſich einander noch dazu.

Als der Ritter die obigen gewiß keinem Weltmanne anſtößigen Sätze vorbrachte: ſo ſtieg in ſeinem Sohne ein heiliger menſchenfreund¬ licher Stolz empor es war dieſem, als werde von einem ſteigenden Genius ſein Herz und ſo¬ gar ſein Körper, wie der eines betenden Heili¬ gen, gehoben über die Laufbahnen einer gieri¬ gen kriechenden Zeit die großen Menſchen einer größern traten unter ihre Triumphbogen und winkten ihn, näher zu ihnen zu kommen in Oſten lag Rom und der Mond und vor ihm der Alpen-Zirkus, eine große Vergangen¬ heit neben einer großen Gegenwart er er¬ griff mit dem liebend-ſtolzen Gefühl, daß es noch etwas Göttlicheres in uns gebe als Klugheit und Verſtand, den Vater und ſagte: der ganze heutige Tag, lieber Vater, war eine zunehmende Erſchütterung meines Her¬ zens ich kann vor Bewegung nicht ſpre¬Titan. I. E66 chen und nichts recht bedenken Vater, ich beſuche alle ich werde mich über die Men¬ ſchen hinausreißen aber ich verſchmähe den ſchmutzigen Weg des Ziels ich will im Welt¬ meer wie ein Lebendiger durch Schwimmen aufſteigen, aber nicht wie ein Ertrunkner durch Verweſen Ja Vater, das Schick¬ ſal werfe einen Grabſtein auf dieſe Bruſt und zermalme ſie, wenn ſie die Tugend und die Gottheit und ihr Herz verloren hat.

Albano ſprach darum ſo warm, weil er einer unausſprechlichen Verehrung für die kraft¬ volle Seele des Ritters nicht entſagen konnte; er ſtellte ſich immer die Qualen und das lange Sterben eines ſo ſtarken Lebens, den ſcharfen Rauch eines ſo großen, kalt ausgegoſſenen Feuers vor, und ſchloß aus den Regungen ſei¬ ner eignen lebendigen Seele auf die der väter¬ lichen, die nach ſeiner Meinung nur langſam auf einer breiten Unterlage ſchwarzer kalter Menſchen ſo zerfallen war, wie man Diaman¬ ten nicht anders verflüchtigt als auf einer Un¬ terlage von ausgebrannten todten Schmiedte¬ kohlen.

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Don Gaſpard, der die Menſchen ſelten und nur gelinde tadelte nicht aus Liebe, ſondern aus Gleichgültigkeit antwortete dem Jüng¬ linge geduldig: Deine Wärme iſt zu loben. Mit der Zeit wird ſich alles geben. Jetzt lass 'uns eſſen.

6. Zykel.

Der Speiſeſaal unſerer Eiländer war im reichen Pallaſte der abweſenden borromäiſchen Familie. Man gab der ſchönen Inſel den Pa¬ risapfel und Lorbeerkranz. Auguſti und Gas¬ pard ſchrieben ihr das Belobungsſchreiben in einem leichten klaren Stil, nur Gaſpard mit mehr Antitheſen. Albanos Bruſt war mit einer neuen Welt gefüllt, ſein Auge mit einem Schim¬ mer, ſeine Wangen mit freudigem Blut. Der Baumeiſter erhob ſowohl den Geſchmack als den Kammerbeutel des Erbprinzen, der durch beide zwar nicht artiſtiſche Meiſter, aber doch Meiſterſtücke in ſein Land mitbrachte und auf deſſen Veranlaſſung eben dieſer Dian nach Ita¬ lien gieng, um für ihn Abgüſſe von den Anti¬ ken dazu nehmen. Schoppe verſetzte: ich hoffe,E 268 der Deutſche iſt ſo gut mit Malerakademien und mit Malerkoliken verſehen als irgend ein Volk; unſere Ballenbilder unſere Theſes¬ bilder in Augspurg unſere Leiſten über Zei¬ tungsblättern und unſere Buchdruckerſtöcke in jedem dramatiſchen Werke, durch die wir eine frühere Shakespeare Gallery beſaßen als Lon¬ don unſere[ Effigie -] Gehangnen am Galgen ſind jedem bekannt, und zeigen am erſten, wie weit wirs treiben. Aber ich will auch zulaſſen, daß Griechen und Welſche ſo malen wie wir; ſo ragen wir doch dadurch über ſie hinweg, daß wir gleich der Natur und den adelichen Sponſirern, nie die Schönheit iſo¬ lirt ohne angebognen Vortheil ſuchen. Eine Schönheit, die wir nicht nebenher braten, ver¬ aukzioniren, anziehen oder heirathen können, gilt bei uns nur das, was ſie werth iſt; Schönheit iſt bei uns (hoff ich) nie etwas an¬ ders als Anſchrot und Beiwerk des Vortheils, ſo wie auch auf dem Reichstage nicht die an¬ geſtoßenen Konfekttiſchchen, ſondern die Ses¬ ſionstafeln die eigentlichen Arbeitstiſche des Reichs-corpus ſind. Ächte Schönheit und69 Kunſt wird daher bei uns nur auf Sachen geſetzt, gemalt, geprägt, welche dabei nützen und abwerfen: z. B. gute Madonnen nur ins Modejournal radirte Blätter nur auf Briefe voll Tabacksblätter Kammeen auf Tabacksköpfe Gemmen auf Pitſchafte und Holzſchnitte auf Kerbhölzer Blumenſtücke werden geſucht, aber auf Schachteln treue Wouwermanne, aber zwiſchen Pferdeſtänden neben Beſcheelern*)Ein guter Wouwermann heißet in der Maler¬ ſprache ein gut gemaltes Pferd, deſſen Beſchauen auf die Schönheit des künftigen Füllen einfließet. erhobenes Bildwerk von Prinzenköpfen, entweder auf Thalern oder auf Baierſchen Bierkrug-Deckeln, beide nicht ohne reines Zinn Roſen - und Lilienſtücke aber an tättauwierten Weibern. Auf ähn¬ liche Weiſe war in Baſedows Erziehungsan¬ ſtalt ſtets das ſchöne Gemälde und das latei¬ niſche Vokabulum verknüpft: weil das Phi¬ lanthropin dieſes leichter unter jenem behielt. So malte Van der Kabel nie einen Haſen auf Beſtellung, ohne ein friſch geſchoſſenes70 Model nach dem andern ſich zum Eſſen und Kopiren auszubitten. So malte der Ma¬ ler Calkar ſchöne Strümpfe, aber unmittel¬ bar an ſeine eignen Beine.

Der Ritter hörte ſo etwas mit Vergnügen an, ob ers gleich weder belächelte noch nach¬ ahmte; ihm waren alle Farben im genialiſchen Priſma erfreulich. Nur für den Baumeiſter wars nicht genug im griechiſchen Geſchmack, und für den Lektor nicht genug im höflichen. Letzterer kehrte ſich, während Schoppe neuen Athem zu unſerer Verkleinerung holte, wie ſchmei¬ chelnd zum abreiſenden Dian und ſagte: früher nahm Rom andern Ländern nur die Kunſt¬ werke hinweg, aber jetzt die Künſtler.

Schoppe verfolgte: Eben ſo ſind unſere Statuen keine müßigen Staatsbürger auf der Bärenhaut, ſondern ſie treiben alle ein Hand¬ werk; was Karyatiden ſind, tragen Häuſer, was Engel ſind, halten Taufſchüſſeln, und heidniſche Waſſergötter arbeiten in Spring¬ brunnen und gießen den Mägden das Waſſer in die Scheffel zu.

Der Graf ſprach warm für uns, der Lek¬71 tor hell: der Ritter bemerkte, daß der deutſche Geſchmack und das deutſche Talent für dichte¬ riſche Schönheiten den Mangel an beiden für andere Schönheiten vergüte und erkläre. (aus Klima, Regierungsform, Armuth ꝛc.) Der Rit¬ ter glich den Himmelsſehröhren, hinter denen die Erden größer erſcheinen und die Sonnen kleiner, er nahm wie jene den Sonnen den ge¬ borgten Schimmer ab, ohne ihnen den wahren größern zurückzugeben; er ſchnitt zwar einem Judas den Strick entzwei, aber einem Chriſtus¬ kopfe goß er den Heiligenſchein aus, und ſuchte überhaupt eine Parität und Gleichheit der Schwärze und des Lichts zu erkünſteln.

Schoppe verſtummte nie; ich ſorge, in ſei¬ nem Toleranzmandat für Europa waren die deutſchen Kreiſe ausgelaſſen, erhob wieder an: Das Wenige, was ich eben zum Lobe der nützen¬ den Deutſchen vorbrachte, hat mir wie es ſcheint Widerſpruch zugezogen. Aber die kleine Lor¬ beerkrone, die ich dem h. Reichskörper aufſetze, ſoll mich nie abhalten die Stellen gewahr zu wer¬ den wo er kahl iſt. Ich lobt 'es oft an Sokrates und Chriſtus, daß ſie nicht in Hamburg, in72 Wien, oder gar in einer brandenburgiſchen Stadt dozirten und mit ihren Philanthro¬ piſten gaſſatim giengen; von Magiſtrats we¬ gen würde man ſie haben befragen laſſen, ob ſie nicht arbeiten könnten; und wären beide mit Familie in Wezlar geweſen, ſo hätte man dieſer die Neglektengelder*)So heißet das Quantum, daß man den Bei¬ ſitzern des Kammergerichts, wenn ſie nicht ge¬ nug gearbeitet haben, vorenthält. abgezogen. Anlangend die Dichtkunſt, H. Ritter, ſo kannt ' ich manchen Reichsbürger, der aus einem Karmen wenns nicht auf ihn ſelber war wenig machte; er glaubte die Eingriffe der poetiſchen Freiheit in die Reichsfreiheit zu ken¬ nen; ihn, der gewiß überall ordentlich, ge¬ ſetzt, bedächtig, in ſächſiſchen Friſten zu Werke ſchritt, quälten und ſtörten poetiſche Schwin¬ gen ſehr. Und iſts denn ſo unerklärlich und ſo ſchlimm? der gute Reichsſtädter bindet eine Serviette vor, wenn er weinen will, damit er die Atlasweſte nicht betropft, und die Thräne, die ihm aufs Kondolenzſchreiben entfallen, ſtip¬73 pet er wie jede dunklere Interpunktion: was Wunder, wenn er gleich dem Wildmeiſter keine ſchönere Blume kennt als die hinten am Hirſche, und wenn ihn die poetiſchen Veilchen gleich den botaniſchen*)Die Ipecacuanha gehört zum Veilchengeſchlechte. mit gelinden Brechkräften angreifen .... Das wäre meines Bedünkens wenigſtens Eine Art, den Tadel abzulehnen, womit man uns Deutſche anſchmitzt.

7. Zykel.

Welche ſonderbare Nacht folgte auf dieſen ſonderbaren Tag! Alle giengen, vom Rei¬ ſen ſchläfrig, der Ruhe zu; blos Albano, in welchem der heiße volle Tag nachbrannte, ſagte dem Ritter, daß er heute mit ſeiner Bruſt voll Feuer nirgends Kühlung und Ruhe finde, als unter den kalten Sternen und unter den Blü¬ then des welſchen Frühlings. Er lehnte ſich auf der oberſten Terraſſe an eine Statue neben einem blühenden Dockengeländer aus Zitronen an, um die Augen unter dem Sternenhimmel ſchön zu ſchließen, und noch ſchöner zu öffnen. 74Schon in ſeiner frühern Jugend hatt 'er ſich, ſo gut wie ich, auf die welſchen Dächer war¬ mer Länder gewünſcht, nicht um als Nacht¬ wandler, ſondern um als ein Schläfer darauf zu erwachen.

Wie herrlich fällt das aufgehende Auge in den erleuchteten hängenden Garten voll ewi¬ ger Blüthen über dir, anſtatt daß du in deinem deutſchen ſchwülen Federpfuhl nichts vor dir haſt, wenn du aufblickſt, als den Bettzopf!

Als Zeſara ſo Wellen und Berge und Ster¬ ne mit ſtillerer Seele durchkreuzte und als Gar¬ ten und Himmel und See endlich zu Einem dun¬ keln Koloſſe zuſammenſchwammen, und er wehmüthig an ſeine bleiche Mutter und an ſeine Schweſter und an die verkündigten Wunder ſeiner Zukunft dachte: ſo ſtieg hinter ihm eine ganz ſchwarz gekleidete Geſtalt mit abgebilde¬ tem Todtenkopfe auf der Bruſt mühſam und mit zitterndem Athem die Terraſſen hinauf Gedenke des Todes! (ſagte ſie) Du biſt Al¬ bano de Zeſara? Ja (ſagte Zeſara) wer biſt du? Ich bin (ſagte ſie) ein Vater75 des Todes. *)Aus dem Orden des h. Pauls oder memento mori, der in Frankreich im 17ten Jahrhundert erloſch. Die obige Anrede iſt ihr gewöhnlicher Gruß. Ich zittere, nicht aus Furcht, ſondern aus Gewohnheit ſo.

Die Glieder des Mannes blieben auf eine grauſende Art in einem allgemeinen Erbeben, das man zu hören glaubte. Zeſara hatte oft ſeiner müßigen Kühnheit ein Abentheuer ge¬ wünſcht; jetzt hatt 'ers vor ſich; indeß wachte er doch behutſam mit dem Auge, und da der Mönch ſagte: ſchaue zum Abendſtern hinauf und ſage mir, wenn er untergeht, denn mein Geſicht iſt ſchwach, ſo warf er nur einen eilenden Blick dahin: noch drei Sterne (ſagt' er) ſind zwiſchen ihm und der Alpe. Wenn er untergeht (fuhr der Vater fort) ſo giebt deine Schweſter in Spanien den Geiſt auf, und darauf redet ſie dich hier aus dem Him¬ mel an. Zeſara wurde kaum von einem Finger der kalten Hand des Schauders berührt, blos weil er in keinem Zimmer war, ſondern76 in der jungen Natur, die um den zagenden Geiſt ihre Berge und Sterne als Hüter ſtellt, oder auch, weil die weite dichte Körperwelt ſo nahe vor uns die Geiſterwelt verdrängt und verbauet; er fragte mit Entrüſtung: wer biſt du? was weißt du? was wilſt du? und griff nach den zuſammengefalteten Händen des Mönchs und hielt beide mit Einer gefangen. Du kennſt mich nicht, mein Sohn! (ſagte ruhig der Va¬ ter des Todes) Ich bin ein Zahuri,*)Den Zahuri's in Spanien wird bekanntlich die Kraft zugetrauet, Leichname, Metalladern ꝛc. in der tiefen Erde zu erblicken. und komme aus Spanien von deiner Schweſter; ich ſehe die Todten unten in der Erde und weiß es voraus, wenn ſie erſcheinen und re¬ den. Ich aber ſehe ihr Erſcheinen über der Erde nicht und hör 'ihr Reden nicht.

Hier blickte er den Jüngling ſcharf an, deſſen Züge plötzlich ſtarrer und länger wur¬ den; denn eine Stimme, wie eine weibliche be¬ kannte, fieng über ſeinem Haupte langſam an: nimm die Krone, nimm die Krone ich helfe77 dir: Der Mönch fragte: iſt der Abendſtern ſchon hinunter? Spricht es mit dir? Ze¬ ſara blickte in die Höhe und konnte nicht ant¬ worten; die Stimme aus dem Himmel ſprach wieder und daſſelbe. Der Mönch errieth es und ſagte: So hat dein Vater deine Mutter aus der Höhe gehöret, als er in Deutſchland war; aber er ließ mich lange in Feſſeln le¬ gen, weil er dachte, ich täuſche ihn. Beim Worte Vater, deſſen Geiſterunglauben Zeſa¬ ra kannte, riß er den Mönch an den beiden Händen mit der feſthaltenden ſtarken die Ter¬ raſſen hinunter, um zu hören, wo jetzt die Stimme ſtehe. Der Alte lächelte ſanft, die Stimme ſprach wieder über ihm, aber ſo: liebe die Schöne, liebe die Schöne, ich helfe dir. Am Ufer hieng ein Fahrzeug, das er am Tage ſchon geſehen. Der Mönch, der ihm ver¬ muthlich den Argwohn einer irgendwo verbor¬ genen Stimme nehmen wollte, ſtieg in die Gondel und winkte ihm nachzufolgen. Der Jüngling im Vertrauen auf ſeine körperliche und geiſtige Macht, und auf ſeine Schwimm¬ kunſt, entfernte ſich mit dem Mönche kühn von78 der Inſel; aber wie griff der Schauder in ſeine innerſten Fibern, da nicht nur die Stimme über ihm wieder rief: liebe die Schöne, die ich dir zeige, ich helfe dir , ſondern da er auch ge¬ gen die Terraſſe hin eine weibliche Geſtalt ſich bis an das Herz aus den tiefſten Wellen mit langen kaſtanienbraunen Haaren und ſchwar¬ zen Augen, und mit einem glänzenden Schwa¬ nenhals und mit der Farbe und Kraft des reich¬ ſten Klimas, wie eine höhere Aphrodite heben ſah. Aber in wenig Sekunden ſank die Göt¬ tinn wieder in die Wogen zurück, und die Gei¬ ſterſtimme liſpelte oben fort: liebe die Schöne, die ich dir zeigte. Der Mönch betete kalt und ſchweigend unter der Szene und ſah und hörte nichts, endlich ſagte er: am künftigen Himmelfahrtstage in deiner Geburtsſtunde wirſt du neben einem Herzen ſtehen, daß in keiner Bruſt iſt, und deine Schweſter wird dir vom Himmel den Namen deiner Braut verkündigen.

Wenn vor uns flüſſigen ſchwachen Geſtal¬ ten, die gleich Polypen und Blumen, das Licht eines höhern Elementes nur fühlen und ſu¬79 chen, aber nicht ſehen, in der Totalfinſterniß unſers Lebens ein Blitz durch den erdigten Klumpen ſchlägt, der vor unſere höhere Sonne gehangen iſt:*)Anſpielung auf die Erzählung einiger Aſtrono¬ men, daß die verfinſterte Sonne zuweilen durch eine Oeffnung des Mondes geblitzet habe, wie es z. B. Ulloa einmal geſehen zu haben ver¬ ſichert. ſo zerſchneidet der Strahl den Sehnerven, der nur Geſtalten, nicht Licht verträgt; kein heißes Erſchrecken beflügelt das Herz und das Blut, ſondern ein kaltes Erſtarren vor unſern Gedanken und vor einer neuen unfaßlichen Welt ſperrt den warmen Strom und das Leben wird Eis.

Albano, aus deſſen voller Phantaſie eben ſo leicht ein Chaos als ein Univerſum ſprang, wurde bleich, aber ihm war als verlier 'er nicht ſowohl den Muth als den Verſtand; er ruderte ungeſtüm, beinahe bewußtloß ans Ufer er konnte dem Vater des Todes nicht ins Geſicht ſchauen, weil ſeine unbändige alles auseinanderreißende Phantaſie alle Geſtalten80 gleich Wolken zu gräßlichen umwälzte und ausdehnte er hört' es kaum, als der Mönch zum Abſchiede ſagte: vielleicht komm 'ich am nächſten Charfreitage wieder . Der Mönch beſtieg einen Kahn, der von ſelber dahinfuhr, (wahrſcheinlich durch ein unter dem Waſſer umtreibendes Rad) und verſchwand bald hin¬ ter oder in der kleinen Fiſcherinſel (Isola pe¬ schiere).

Eine Minute lang taumelte Alban und ihm kam es vor, als ſey der Garten und der Himmel und alles eine weichende aufgelöſete Nebelbank, als geb 'es nichts, als hab' er nicht gelebt. Dieſen arſenikaliſchen Qualm blies auf einmal von der erſtickenden Bruſt der Athem des Bibliothekar Schoppe, der luſtig zum Schlaffenſter herauspfiff; jetzt wurde ſein Leben wieder warm, die Erde kam zurück, und das Daſeyn war. Schoppe, der vor Wärme nicht ſchlafen konnte, ſtieg herunter: um ſich auch auf die zehnte Terraſſe zu betten. Er ſah an Zeſara ein heftiges inneres Wogen, aber er war ſchon daran gewöhnt und forſchte nicht.

8. Zy¬81

8. Zykel.

Nicht von Vernünfteleien ſondern von Scherzen ſchmilzt leicht das Eis in unſerem ſtockenden Räderwerke. Nach einer geſprächi¬ gen Stunde war dem Jünglinge nicht viel mehr davon übrig als eine ärgerliche Empfin¬ dung und eine frohe; jene darüber, daß er den Mönch nicht bei der Kutte genommen und dem Ritter vorgeführt; und die frohe über die hohe weibliche Geſtalt und ſelber über die Ausſicht in ein Leben voll Abentheuer, Gleich¬ wohl fuhren, wenn er die Augen ſchloß, Un¬ geheuer voll Flügel, Welten voll Flammen und ein tiefes wogendes Chaos um ſeine Seele.

Endlich giengen in der Kühle der Nachmit¬ ternacht ſeine müden Sinnen näher fortgezo¬ gen und auseinanderfallend dem Magnet¬ berg des Schlummers zu; aber welcher Traum kam ihm auf dieſem ſtillen Berge nach! Er lag (ſo träumte ihm) auf dem Krater des Hekla. Eine aufdringende Waſſersäule hob ihn mit ſich empor und hielt ihn auf heißen Wellen mitten im Himmel feſt. Hoch in der Aethernacht über ihm ſtreckte ſich ein finſte¬Titan. l. F82 res Gewitter, wie ein langer Drache, von ver¬ ſchlungnen Sternbildern aufgeſchwollen aus; nahe darunter hieng ein helles Wölkchen vom Gewitter gezogen durch den lichten Nebel des Wölkchens quoll ein dunkles Roth entwe¬ der von zwei Roſenknoſpen oder von zwei Lippen und ein grüner Streif von einem Schleier oder von einem Oelzweige und ein Ring von milchblauen Perlen, oder von Ver¬ gißmeinnicht endlich zerfloß ein wenig Duft über dem Roth, und blos ein off¬ nes blaues Auge blickte unendlich mild und flehend auf Albano nieder; und er ſtreckte die Hände aus nach der umwölkten Geſtalt, aber die Waſſerſäule war zu niedrig. Da warf das ſchwarze Gewitter Hagelkörner, aber ſie wurden im Fallen Schnee und dann Thau¬ tropfen und endlich im Wölkchen ſilbernes Licht, und der grüne Schleier wallte erleuch¬ tet im Dunſt. Da rief Albano: ich will alle meine Thränen vergießen und die Säule auf¬ ſchwellen, damit ich dich erreiche, ſchönes Au¬ ge! Und das blaue Auge wurde feucht von Sehnen, und ſank vor Liebe zu. Die Säule83 wuchs brauſend, das Gewitter ſenkte ſich und drückte das Wölkchen voraus, aber er konnt ' es nicht berühren. Da riß er ſeine Adern auf und rief: ich habe keine Thränen mehr, Ge¬ liebte, aber all' mein Blut will ich für dich vergießen, damit ich dein Herz erreiche. Un¬ ter dem Bluten drang die Säule höher und ſchneller auf der weite blaue Aether wehte und das Gewitter verſtäubte und alle ver¬ ſchlungnen Sterne traten mit lebendigen Blik¬ ken heraus das flatternde freie Wölkchen ſchwebte blitzend zur Säule nieder das blaue Auge that ſich in der Nähe langſam auf und ſchneller zu und hüllte ſich tiefer in ſein Licht; aber ein leiſer Seufzer ſagte in der Wolke: zieh mich in dein Herz! O da ſchlang er die Arme durch die Blitze und ſchlug den Nebel weg, und riß eine weiße Geſtalt wie aus Mondlicht gebildet an die Bruſt voll Gluth Aber ach der zerrinnende Lichtſchnee entwich den heißen Armen die Geliebte ver¬ gieng und wurde eine Thräne und die war¬ me Thräne drang durch ſeine Bruſt und ſank in ſein Herz und brannte darin und es rannF 284 auseinander und wollte vergehen .... Da ſchlug er die Augen auf.

Aber welches überirrdiſche Erwachen! Das weiße ausgeleerte Wölkchen mit Gewitter¬ tropfen befleckt, hieng, auf ihn hereingebückt, noch am Himmel es war der helle, liebend-nahe über ihn hereingeſunkne, Mond. Er hatte ſich im Schlafe verblutet, weil ſich dar¬ in die Binde von der Wunde des Armes durch das heftige Bewegen deſſelben verſchoben hatte. Die Entzückungen hatten den Nachtfroſt des Geiſterſchreckens zerſchmolzen. In einem ver¬ klärenden Erſterben flatterte aufgebunden ſein ſo feſtes Daſeyn umher wie ein beweglicher Traum in den geſtirnten Himmel war er wiegend aufgeſchwebt wie an eine Mutterbruſt und alle Sterne waren in den Mond gefloſſen und dehnten ſeinen Schimmer aus ſein Herz, in eine warme Thräne geworfen, gieng ſanft darin auseinander außer ihm ſchattete es nur, in ihm ſtrahlte es blendend der Flug der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme ſeines Ichs vorbei und bog ſie nicht um. Ach ſeine Pſyche glitt mit ſcharfen ungeregten un¬85 gehörten Falkenſchwingen entzückt und ſtill durch das dünne Leben ....

Ihm kam es vor als ſterbe er, denn ſpät war er die ſteigende Erwärmung des linken ver¬ blutenden Armes innen geworden, der ihn ins lange Elyſium, das aus dem Traume ins Wachen reichte, gehoben hatte. Er legte ihm die Binde feſter um.

Auf einmal hört 'er unter dem Verbinden ein lauteres Plätſchern unter ſich als bloße Wellen machen konnten. Er ſchauete über das Geländer und ſah ſeinen Vater mit Dian ohne Abſchied der für Gaſpard nur die gif¬ tige Herbſtblume in der Herbſtminute einer Ab¬ reiſe war wie ausgefallne Blüthenblätter aus der Blumenkrone ſeines Lebens über die Wel¬ len fliehen unter dem Schwanenliede der Nachti¬ gallen! ... Guter Menſch, wie oft hat dich dieſe Nacht bethöret und beraubt! Er brei¬ tete die Arme ihnen nach der Schmerz des Traums fuhr fort und begeiſterte ihn der fliehende Vater ſchien ihm wieder liebender ſchmerzlich rief er hinab: Vater, ſieh dich um nach mir! Ach wie kannſt du mich ſo ſtumm86 verlaſſen? Und du auch, Dian! O trö¬ ſtet mich wenn ihr mich hört! Dian warf ihm Küſſe zu und Gaſpard legte die Hand auf das ſieche Herz. Albano dachte an die Kopiſtin des Todes, an die Starrſucht, und hätte gern den verletzten Arm über die Wellen gehalten und das warme Leben als eine Libazion für den Vater vergoſſen; und rief nach: lebt wohl, lebt wohl! Schmachtend drückt' er die kal¬ ten ſteinernen Glieder einer koloſſaliſchen Sta¬ tue an ſeine brennenden Adern an und Thrä¬ nen der vergeblichen Sehnſucht überquollen ſein ſchönes Angeſicht, während die warmen Töne der welſchen Nachtigallen, die von dem Ufer und der Inſel gegeneinanderſchlugen, mit lin¬ den Vampyrenzungen das Herz wundſogen. Ach wenn du einmal geliebt wirſt, glühen¬ der Jüngling, wie wirſt du lieben! Er weckte, im Durſte nach einer warmen ſprechenden Seele, ſeinen Schoppe auf und zeigte ihm die Flucht. Aber indem dieſer irgend etwas Tröſtendes ſagte, ſchauete Albano unverwandt dem grauen Punkte des Fahrzeugs nach und hörte nichts.

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9. Zykel.

Beide blieben auf und erfriſchten ſich durch die Streiferei in der bethaueten Inſel; und ſie wurden durch den Anblick, wie das erhobene Bildwer des Tages farbig-gleißend aus den erlöſchenden Kreidenzeichnungen des Mondlichts heraustrat, lebendig und wach. Auguſti kam auch und ſchlug ihnen die halbſtündige Fahrt nach Isola madre vor. Albano flehte beide herz¬ lich an, allein hinzufahren, ihn aber hier in ſeinen einſamen Spaziergängen zu laſſen. Der Lektor faßte jetzt die Spuren der nächtlichen Angriffe ſchärfer ins Auge wie ſchön hatte der Traum, der Mönch, die Schlafloſigkeit, die Verblutung die tapfere kecke Geſtalt ge¬ mildert und jeden Laut erweicht und die Kraft war jetzt nur ein zauberiſcher Waſſerfall im Mondenlicht. Auguſti nahm es für Eigenſinn und fuhr allein mit Schoppe; aber die wenig¬ ſten Menſchen begreifen, daß man nur mit den wenigſten Menſchen (mit keiner Viſiten-Ar¬ mee), eigentlich nur mit zweien, mit dem in¬ nigſten und ähnlichſten Freunde und mit der Geliebten ſpazieren gehen könne. Wahrlich ich88 will eben ſo gern im Angeſichte des Hofes am Geburtstage der Fürſtinn zu einer Liebeserklä¬ rung öffentlich niederknieen als denn man zeige mir doch den Unterſchied zwiſchen einem langen Vor - und Nachtrabe das trunkne Auge auf dich, Natur, meine Geliebte heften.

Wie glücklich wurde durch die Einſamkeit Alba¬ no, deſſen Herz und Augen voll Thränen ſtanden, die er ſchamhaft verbarg und die ihn doch vor ſei¬ nem eignen Urtheile ſo rechtfertigten und erho¬ ben! Er trug ſich nämlich mit dem ſonder¬ baren Irrthume feuriger und ſtarker Jünglinge, er habe kein weiches Herz, zu wenig Gefühl und ſey ſchwer zu rühren. Aber jetzt gab ihm die Entkräftung einen dichteriſchen weichen Vor¬ mittag wie er noch keinen gehabt, wo er alles weinend umarmen wollte, was er je geliebt ſeine guten fernen Pflegeeltern in Blumenbühl ſeinen kranken Vater, der's gerade im Frühling war, wo immer der Tod ſein blumiggeſchmück¬ tes Opferthor aufbauet und ſeine in die Vergangenheit gehüllte Schweſter, deren Bild er bekommen, deren After-Stimme er dieſe Nacht gehört und deren letzte Stunde ihm der89 nächtliche Lügner näher gemalt. Sogar das nächtliche noch in ſeinem Herzen verſchloſſene Schattenſpiel machte ihn durch die Unerklärlich¬ keit da ers keinem bekannten Menſchen zu¬ zuſchreiben wußte und durch die Weiſſagung beklommen, daß er an ſeiner Geburtsſtunde und dieſe ſtand ſo nahe, am Himmelfahrtstage den Namen ſeiner Braut vernehmen würde. Der lachende Tag nahm zwar den Geiſterſze¬ nen die Todtenfarbe, gab aber der Krone und der Waſſergöttinn friſchen Glanz.

Er durchſchwankte alle heilige Stätten in dieſem gelobten Lande Er gieng in die dunkle Arkade, wo er die Reliquien ſeiner Kindheit und ſeinen Vater gefunden hatte, und nahm mit einem bangen Gefühle die auf den Boden entfallne zerquetſche Larve zu ſich. Er beſtieg die von Limonien mit Sonnenſchein beſprengte Gallerie und ſah nach den hohen Zypreſſen und den Kaſtaniengipfeln im weiten Blau, wo ihm der Mond wie das aufgegangne Mutter-Auge erſchienen war. Er trat nahe vor eine Kas¬ kade hinter dem Lorbeerwalde, die ſich in 20 Abſätze wie er in 20 Jahre zertheilte, und er90 fühlte auf den heißen Wangen ihren dünnen Regen nicht.

Er ſtieg nun auf die hohe Terraſſe zurück, um ſeinen Freunden entgegen zu ſehen. Wie gebrochen und magiſch ſtahl ſich der Sonnen¬ ſchein der äußern Welt in den heiligen dunkeln Irrhain der innern! Die Natur, die geſtern ein flammender Sonnenball geweſen, war heute ein Abendſtern voll Dämmerlicht die Welt und die Zukunft lagen ſo groß um ihn und doch ſo nahe und berührend, wie vor dem Re¬ gen Eisberge naher