PRIMS Full-text transcription (HTML)
Lienhard und Gertrud.
Ein Buch fuͤr’s Volk.
Dritter Theil.
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1785. Frankfurt und Leipzig.
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Vorrede.

Ich fahre in meinem Buch, ſo wie in meinem Stillſchweigen uͤber das was es ſeyn ſoll fort.

Zufrieden, das Gefuͤhl rege ge - macht zu haben, daß Volksbuͤ - cher nuͤzlich erwarte ich fruͤher oder ſpaͤther aͤhnliche Verſuche. Dieſe werden dann den Werth des Meini - gen beſtimmen, die Schwierigkeiten deſſelben enthuͤllen, und die Unmoͤg - lichkeit ins Licht ſezen, allen Geſichts -* 2Vorrede.punkten, welche ſich mit einem ſolchen A, B, C Buch der Menſchheit ver - binden laſſen, in ihrer ganzen Ausdeh - nung ein Genuͤge zu leiſten. Ich komme indeſſen, indem ich mich dem Ende des Meinigen naͤhere, in den gewohnten Fall der Schulmeiſter, die erfahren, daß das P, Q den Kindern der Menſchen nicht ſo leicht in den Kopf hinein will, als das A, B, C.

Ich fahre aber in der Ueberzeugung, daß es in dieſer Lage der Sachen nicht um mich, ſondern um die Kinder, die buchſtabieren lernen ſollten, zu thun iſt, in meiner Ordnung fort: willVorrede.auch dem verwoͤhnteſten Kind es nicht bemaͤnteln, daß es mit ſeinem A, B, C nichts thun und nichts machen kann, wenn es nicht bis zum T Z fort lernt.

Ich kann daruͤber den Namen eines guten Schulmeiſters verlieren aber ich hielte es wider meine Pflicht, und meinen erſten Endzwek, darauf zu achten; und habe desnahen, ohne einige Aufmerkſamkeit auf gewiſſe Kinder, die zu glauben geſchienen, ich habe ihnen meine erſten Buch - ſtaben blos zum Guggaus und Gugg - ein damit zu machen, dargeworfen, fortgefahren, mein A, B, C Buch* 3Vorrede.alſo zu ſchreiben, wie es mir gut und brauchbar geſchienen, ſie buchſtabie - ren zu lehren, und nicht ihnen zu helfen, Guggaus und Guggein zu machen.

  • Geſchrieben in meiner Einſamkeit, den 10ten Merz 1785.

Lienhard und Gertrud. Dritter Theil.

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Innhalt.

  • §. Blatt.
  • 1. Ueber das Predigen, aber nicht viel. 1
  • 2. Bauernordnung und Menſchenſinn. 3
  • Schulordnung und Bauernkuͤchlein. 12
  • 3. Ein ſchoͤnes Zeugniß, daß das Mareylj ein braves Menſch iſt. 16
  • 4. Des Menſchen Herz in drey verſchiedenen aber gleich ſchlechten Modeln. 19
  • 5. Weiberjammer und Mutterirrthum. 22
  • 6. Ueberzeugung und Muthwillen in einem Mund. 25
  • 7. Der Feuerheerd und ein gutes Weiber - wort. 28
  • 8. Ein Reyhen ſchlechter Geſichter. 31
  • 9. Vaterfreuden. 37
  • 10. Folgen der Erziehung. 40
  • 11. Eine Art Wiedergeburt. 44
  • Innhalt.§. Blatt.
  • 12. Weiberkuͤnſte gegen ein Weib. 46
  • 13. Ein Lieutenant wird Dorfſchulmeiſter; und einer ſchoͤnen Frauen wird ohnmaͤchtig. 56
  • 14. Ein Großmuttergemaͤhld. 61
  • 15. Das Menſchenherz; und ein Hans, der gut und boͤs iſt. 66
  • 16. Ein Wort daruͤber, was die Bauern ſind wie und wo und wann ſie zeigen, was ſie ſind und was ſie nicht ſeyn doͤrfen. 71
  • 17. Dieſes Gemaͤhld iſt nichts weniger als Spaß, ſondern ganz nach der Natur. 75
  • 18. Worauf eine gute Schule ſich gruͤnde? 79
  • 19. Das Fundament einer guten Schule iſt das gleiche mit dem Fundament alles Men - ſchengluͤks: und nichts anders als wahre Weisheit des Lebens. 82
  • 20. Ein Werberſtuͤk. 88
  • 21. Danken muͤſſen, thut alten Leuten allemal wehe; aber den Kindern iſt es eine Freude. 92
  • 22. Eine Bruderliebe, um die ich, wenn ich Schweſter waͤre, nicht einen Pfifferling geben wuͤrde. 96
  • 22. Was iſt ſuͤſſer, als Kinderfreude, und was iſt reiner als Kinderguͤte? 99
  • Innhalt.§. Blatt.
  • 23. Der Junker thut Vaͤterwerke, und macht Geißhirtenhuͤtten-Ordnungen. 106
  • 24. Von Jugend auf zwey Bazen ſparen. Ein Mittel wider den Urſprung der Verbre - chen, gegen die man ſonſt Galgen und Rad braucht. 114
  • 25. Der Menſch verglichen mit der ſchoͤnen Natur. 120
  • 26. Was iſt Wahrheit, wenn es nicht die Natur iſt? 125
  • 26. Das Andenken an eine Großmutter. 131
  • 27. Das erſte Hinderniß des Wohlſtands und der beſſern Erziehung der armen Kinder, ihre eigne Muͤtter oder ſchlechte Weiber. 133
  • 28. Das zweyte Hinderniß der gleichen Sache; der Neid der Reichen. 135
  • 29. Die Geſchichte der Erloͤſung dieſer Kinder aus der Hand ihrer Feinde, und aus der Hand ihrer Muͤtter. 139
  • 30. Ein gutes Naturmenſch, und ein auf die rechte Art geſchuletes, neben einander, und hinter ihnen das Schikſal der Meiſterka - zen, und ihrer Maͤnner Notharbeit. 143
  • Innhalt.§. Blatt.
  • 31. Es iſt in allem ein Unterſchied. 149
  • 32. Wenn die Milch kochet, und uͤberlaufen will, ſo ſchuͤtten die Weiber nur ein paar Tropfen kaltes Waſſer darein. 153
  • 33. Eine ſonderbare Heyrathsanfrage156
  • 34. Wie ſich der Menſch an Seel und Leib kruͤmmt und windet wenn er etwas will, und meynt er wolle es nicht. 160
  • 35. Die Mitternachtſtunde eines Vaters und eines Sohns. 162
  • 36. Der Anfang der Morgenangſt. 166
  • 37. Ein Schaaf unter viel Boͤken. 169
  • 38. Das reine landesvaͤterliche Herz meines Manns. 171
  • 39. Seine Kraft wider das freche Laſter. 175
  • 40. Bettſchweſterarbeit wird mit Hexenarbeit verglichen. 177
  • 41. Wider die Hoffart und wider die Volksko - moͤdien vor dem Halseiſen (Pranger.) 181
  • 42. Wie, und wie weit Lumpenvolk, wenn es ſich im Vortheil ſpuͤhrt, das Maul braucht? 186
  • 43. Zwey Weiber meſſen ihr Maul mit einan - der, und die Kleine wird Meiſter. 190
  • Innhalt.§. Blatt.
  • 44. Die Ueberwundene meiſtert jezt ihren Mann. 199
  • 45. Folgen der Armuth, und die Ungleich - heit drey gleich guter Weiber. 203
  • 46. Das Kind eines Manns, der ſich ſelbſt er - henkt; und ein Ausfall wider das Taͤndeln. 206
  • 47. Noch einmal das Kind des Erhenkten. 213
  • 48. Wie ein Hund dem Zug das Geleit giebt, und ſich tapfer haltet. 215
  • 49. Wahre Empfindſamkeit iſt auf Seelenſtaͤrke gegruͤndet. 219
  • 50. Der Mittelpunkt deſſen, was Arner iſt. Sein Vaterſinn, ohne den alles, was er thut, nichts anders als Romanenhelden - ſtreiche ſeyn, und in unſerer Welt nicht angehen wuͤrde. 222
  • 51. Wer Kraͤfte hat, wird Meiſter. 225
  • 52. Es iſt im Kleinen, wie im Groſſen. 228
  • 53. Goldapfel, Milchſuppe, Dank - barkeit, und Erziehungsregeln. 230
  • 54. Der Namenstag eines alten Junkers. 235
  • 55. Der Vatername. 240
  • 56. Auch hierinn ſind Grundſaͤze der wahren Volkserziehung. 242
  • Innhalt.§. Blatt.
  • 57. Falſchheit zerreißt alle Bande der Erde. 249
  • 58. Man ſezt Baͤume. 253
  • 59. Von Volksfeſten und vom Holzmangel. 257
  • 60. Man muß im Innern hohen Adel haben, um ohne Gefahr Bauernleute ſo nahe an ſich zu abſizen laſſen zu doͤrfen. 262
  • 61. Scenen beym Mondſchein, die ſich mahlen laſſen; und ein blutiges Uebernacht - beten. 269
  • 62. Der alte Junker will in kein Horniſſenneſt hinein greifen. 274
  • 63. Der neunzigſte Pſalm, und hinten darein ein Schulmeiſter, der ſtolz iſt. 281
  • 64. Schuleinrichtungen. 285
  • 65. Fortſezung der Schuleinrichtung. 289
  • 66. Gottes Wort iſt die Wahrheit. 296
  • 67. Um ſo gut zu ſeyn, als menſchenmoͤglich, muß man boͤs ſcheinen. 301
  • 68. Wer Rechnungsgeiſt und Wahrheitsſinn trennet, der trennet was Gott zuſammen - gefuͤgt. 305
  • 69. Ein bewaͤhrtes Mittel wider boͤſe luͤgen - hafte Nachreden. 310
  • 70. Narrenwort und Schulſtrafen. 313
  • Innhalt.§. Blatt.
  • 71. Das Elend und die Leiden dieſes Narren. 317
  • 72. Allerley wunderliche Wirkungen, die vom Duͤrſten herkommen koͤnnen. 323
  • 73. Hauptſachen fuͤr Leute, die ſich einfallen laſſen, ſie koͤnnten ein Dorf regieren. 328
  • 74. Fortſezung aͤhnlicher Hauptſachen fuͤr die gleichen Leute. 331
  • 75. Ein Schritt zur Volkserleuchtung, die auf Fundamenten ruhet. 338
  • 76. Vom Aendern alter Maſchinen, und vom Aufweken von den Todten. 346
  • 77. Gluͤk und Arbeit wider Teufelskuͤnſte. 356
  • 78. Vom Rathen, Helfen, und Allmoſengeben. 364
  • 79. Von der Wahrheit und vom Irrthum. 368
  • 80. Allerley Narrenlohn. 377
  • 81. Erziehung, und nichts anders, iſt das Ziel der Schul. 385
  • Eine Kinderlehre. 406
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§. 1. Ueber das Predigen, aber nicht viel.

Wer zur Kirchethuͤr hinausgieng, ſagte; das war auch eine Predigt!

Es war naͤmlich eine, wie die ſo predi - gen, keine halten, und keine halten doͤrfen. Denn das was ſie auf der Kanzel ſa - gen, und was man ſie auf der Kanzel ſa - gen laſſen darf, iſt in Formen und Model gegoſſen, in welchen es etwas ganz anders wird als die Lebensbeſchreibung des Hum - mels Ihr werdet vielleicht ſagen; aber etwas beſſers: ich aber will fortfahren.

Es war dem Junker die ganze Zeit uͤber, da der Pfarrer redte, nicht als ob er Wor - te hoͤrte, ſondern als ob ſein Volk und ſein Dorf ihm vor Augen ſtuͤhnde; und mit je - dem Wort, das der Pfarrer mehr ſagte,A2war dem Junker ſchwehrer, denn er ſahe mit jedem Wort mehr, wie alles Boͤſe das da iſt, durch ein tauſendfaches Band, mit allem was im Dorfe ſchwebt und lebt, al - ſo zuſammenhange, daß Er einzeln nichts fruchtbahres dagegen ausrichten koͤnne. Es war ihm wie einem Menſchen der auf einer Leiter ſteht, und fuͤhlt daß der Grund und Boden unter ihm weicht es er - ſchuͤtterte ihn, und darauf vertiefte er ſich in Gedanken, daß er eine Weile nichts mehr hoͤrte, was der Pfarrer ſagte In die - ſem Staunen entwikelte ſich in ihm der Ge - danke, er muͤſſe nothwendig die Umſtaͤnde und Leuthe im Dorf naͤher kennen lehrnen; daͤnn werde es ſich erſt zeigen, was er an - fangen und wen er vielleicht doch noch, zum eint und anderen, was er auszurichten wuͤn - ſche, brauchen koͤnne. Dieſer Gedanke brachte ihn ſo zu ſagen wieder zu ſich ſelber, daß ihm vom uͤbrigen Theil der Predigt kein Wort mehr entgieng.

So bald er dann heim kam, ſagte er dem Pfarrer, wie es ihm in der Kirche ge - gangen; und dieſer fiel im Augenblik auf den Baumwollen Meyer, und ſagte, wann je ein Menſch im Dorf ſey, der zu demje - nigen was er zur Abſicht habe, Hand bie - ten werde und Hand bieten koͤnne, ſo ſey3 es dieſer Mann und ſeine Schweſter, und erzaͤhlte ihm dann uͤber das Eſſen ſoviel von dieſen zwey ſonderbahren Leuthen, daß der Junker vor Sehnſucht, ſie naͤher zu kennen, ſeine Suppe nicht geſchwind genug eſſen konnte; und ſobald ſie vom Tiſch aufſtuhn - den, mit dem Pfarrer zu ihm hingieng.

§. 2. Bauren-Ordnung und Menſchenſinn.

Er ſaß eben mit einem Kind auf der Schoos vor ſeiner Hausthuͤre, ſahe da bey ſeinem Brunnen unter einem bluſtvollen Apfelbaum ſeinen Kindern zu, wie ſie mit andern Kindern aus dem Dorf ſich luſtig mach - ten; aber dachte an nichts weniger als daß die Herren, die er die Kirchgaß hinabkom - men ſahe, zu ihm wollten.

Erſt da ſie vor ſeiner Gartenthuͤr ſtille ſtuhnden, und der Pfarrer die Hand gegen den Riegel zuſtrekte, kam ihm in Sinn, es koͤnnte ſo kommen: da aber ſtellte er ge - ſchwind ſein Kind ab, gieng mit ſeiner ſchnee - weiſſen Sonntagskappe in den Haͤnden, den Herren entgegen; ſie wollten bey ihm auf dem ſchoͤnen Plaz vor dem Haus abſizen er aber ſagte, es ſey doch am Wind,A 24ſie ſollten ſo gut ſeyn, und mit ihm in die Stube kommen.

Seine Schweſter war eben, wie es am Sonntag nach dem Eſſen ihre Gewohnheit iſt, einen Augenblik entnukt (eingeſchlum - mert) und lag mit Kopf und Haͤnden uͤber die Bibel auf dem Tiſch ſie erwachte mit einem lauten Herr Je! da die Thuͤr aufgieng; that aber doch nicht der - gleichen; drukte nur ein wenig ihre Haube wieder zurecht, ehe ſie die Herren gruͤßte; und denn nahm ſie eilend einen Schwamm vom gleiſſenden zinnernen Handbeken, wiſchte die Rechnungen, mit denen ihr Bruder den ganzen Tiſch voll gekreidet, durch, und ſag - te: es iſt eine Ordnung bey uns, daß wir uns ſchaͤmen muͤſſen Ihr Herren! Ich wuͤßte nicht worinn, ſagte der Junker: und ſezte hinzu, ſtreich doch nichts durch; dein Bruder brauchts vielleicht noch.

Das Mareylj erwiederte: er kan’s ja wie - der anderſt machen, und fuhr in ſeiner Ar - beit fort: ſein Bruder aber ſagte auch ſel - ber, es habe recht, er mache manchmal den Tiſch im Tag ſieben mal ſo voll, und ſtreiche alles wieder durch, wenn nur ein Kreuzer fehle, ſo wenig ſey daran gelegen.

Sobald der Tiſch troken war, brachte es dann ein groſſes weiſſes Tuch mit breiten5 Strichen, neue zinnerne Teller und ſilberne Loͤffel, Meſſer und Gablen; dann eine groſſe ſchoͤne Hammen, (Schinken) und Kuͤchlein, ſchneeweiß von Zuker.

Aber was machſt du auch ſo viel Umſtaͤn - de, ſagte der Junker, wir kommen eben vom Eſſen.

Ich glaubs wol, ſagte das Meydlj; aber ihr muͤßt jezt einmal etwas von der Bau - ren Ordnung verſuchen Ihr Herren! warum ſeyt ihr in ein Baurenhaus hinein gegangen.

Das iſt doch keine Bauren Ordnung, ſagte der Junker: und drehete ein ſchweh - res ſilbernes Meſſer in der Hand herum.

Wohl freylich iſt das Bauren Ordnung, wenn’s einer hat und vermag, erwiederte das Mareylj.

Arner laͤchelte und das Mareylj fieng da grad zu erzaͤhlen an:

Jaͤ Junker! es war nicht immer ſo bey uns: da der Herr Pfarrer weißts wohl. Mein Bruder fieng mit 5 Bazen zu hauſen an, und ich mußte, weiß Gott! baͤttlen, bis ich groß genug war, einen Dienſt zu ver - ſehen: ſo erzaͤhlte es ſeine Hiſtorj vom An - fang bis zum Ende.

Sein Bruder wollte ihm’s zuerſt abneh - men, und da er das nicht konnte, entſchul - digte er ihns, daß es ſo ſchwaze; der Jun -A 36ker aber ſagte, er hoͤre nichts lieber als wie es braven Leuthen aufgegangen.

Ich ſah’s euch wohl an, ſagte das Ma - reylj, ſonſt haͤtte ich auch ſchweigen koͤnnen; aber es thut einem auch ſo wohl, wann euer Gattung Leuthe einem auch das Maul goͤnnen moͤgen.

Der Junker laͤchelte und fuͤhrte ihns wie - der drauf, wie es ihnen aufgegangen und wie ſie es haben: und da es lange erzaͤhlt, ſagte er dann: ob bey dem Verdienſt, den die Leuthe jezt mit dem Baumwollen Weſen haben, nicht auch zu machen waͤr, daß ſie auch hauſeten, und es auch ihrer Mehrern ſo aufgieng?

Das Wirthshaus muͤßte einmal aus dem Dorf weg, wenn man nur an das denken wollte, erwiederte haſtig der Meyer.

Seine Schweſter ſagte weitlaͤufiger: Seht Junker, es iſt halt bey uns ſo wenn einer nicht duͤrſtet, ſo hungert er, und wenn er dann in’s Wirthshaus hinein kommt, und s’Kaͤsli und s’Wuͤrſtli ihm vor den Au - gen ligt und in die Naſe riecht, ſo ſizt er in Gotts Namen zu, fangt an zu eſſen; wann er dann gegeſſen, ſo duͤrſtet er eins, und ſo kommt dann eins nach dem andern, bis es morn am Morgen iſt, und er das halbe was ſeine Leuthe die Woche durch ver -7 dient haben, ſizen laſſen; und wann er dann den Rauſch ausgeſchlaffen, ſo will er ent - weder wieder ſauffen, oder am Spinnen von Weib und Kindern wieder erſchinden was er verlumpet; denn gehet’s ſo Junker ich will’s euch zeigen.

Mit dieſen Worten gieng es in ſeine Kam - mer, brachte einen ganzen Arm voll Garn, legt’s auf den Tiſch, und ſagte: Sehet Jun - ker! wie es dann geh’t: wenn die Maͤnner im Haus ſo leben, ſo werden die Weiber daheim und die Kinder bis in die Wiege hin - unter ein Lumpenpak wie ſie betriegen und beſtaͤhlen mit wem ſie zu thun haben, und bringen uns dann dergleichen Garn wie ihr da ſehet, das voll Unrath und naß iſt daß man’s koͤnnte auswinden, damit ſie ei - nige Kreuzer dem Vater ableugnen, und, wie er, im Wirthshaus verthun und ver - ſauffen koͤnnen.

Sein Bruder ſezte mit kurzen Worten hinzu das Uebel iſt, daß die meiſte Leu - the bey uns keinen Anfang haben im Hau - ſen.

Der Junker erwiederte ihm: aber waͤren ſie nicht dazu zu bringen, daß ſie oder ein - mal auch die Jungen trachteten zu ſo einem Anfang im Hauſen zu gelangen

Meyer. Es waͤre vielleicht wohl moͤg -A 48lich, wenigſtens koͤnnten ſie es, wenn ſie nur wollten; ich hab ſchon hundertmal ge - ſagt, es waͤr einem jeden Spinnerkind ſo leicht als nichts moͤglich, auch ſeine 8 oder 10 Dublonen zuſammen zu legen.

Junker. Halteſt du das fuͤr ſo leicht moͤglich?

Meyer. Es braucht nichts anders als daß ein Kind von einem Gulden den es in der Wochen verdient, 6 Kreuzer oder 2 Ba - zen beyſeits lege, und daß ihm jemand dann zu dem Geld Sorg trage, ſo waͤre das in ſeiner Ordnung.

Junker. Aber koͤnnte ich etwas beytra - gen, daß das ſo kaͤme?

Meyer. Ja freylich! wenn ihr ſo gut ſeyn wolltet.

Junker. Wie ſo?

Meyer. Wenn ihr z. E. einem jeden Spinnerkind, das ſo ſeine 10 Dublonen er - ſpahren wuͤrde, eh es ſeine 20 Jahr alt iſt, etwa eine oder nur eine halbe Juchart Land fuͤr ſein Lebtag Zehndenfrey laſſen wuͤrdet, ſo wuͤrdet ihr mehr als etwas dazu beytra - gen.

Der Junker ohne ſich zu beſinnen, ſagte darauf: freylich wenn es damit geholfen, ſo ſoll es an dem nicht fehlen.

Da der Meyer ſo von der Zehend Frey -9 heit redete, ſahe das Mareylj dem Junker auf Maul und Augen; und da er ſo ge - ſchwind ſagte, es ſoll an ihm nicht fehlen, ſtuhnd es vor Freuden hart an ihn zu, zupf - te ihn bey’m Ermel, und ſagte: jaͤ Junker, wenn ihr einmal das thun wollet, ſo thut ihr einen groſſen Gottslohn: aber ihr muͤßt es nicht machen, wie mein Bruder da geſagt hat; es gehet ſonſt zu lang, ehe der Eifer in die Leuthe kommt, und ihr bekommt die aͤltern Kinder auf dieſe Weiſe gar nicht in euere Ordnung: denn die koͤnnen jezt bis ſie 20 Jahr alt ſind, nicht mehr ſoviel Dub - lonen zuſammen bringen, und darum muͤßt ihr denen die den Zwanzigen nahe ſo Ze - hendfreye Aeker geben, wenn ſie nur 2 bis 3 Dublonen zuſammen bringen, und denn ſo ſteigen; je juͤnger ſie ſind je mehr Dublo - nen bis auf die ſo jezt 12 Jahr alt ſind. Die und darunter koͤnnen dann richtig ihre 10 zuſammen bringen.

Der Junker ſtaunte eine Weile uͤber alles was ihm dieſe Leuthe ſagten dann fieng er wieder an und ſagte: aber wann die Leuthe im Dorf auf dieſe Weiſe mit dem Baumwollenweſen in Ordnung kaͤmen, wuͤr - den ſie um deßwillen auch mit ihrem Bau - renweſen in Ordnung ſeyn?

10

Der Meyer erwiederte ihm; einmal mehr als ſonſt.

Junker. Glaubſt du das?

Meyer. Ganz ſicher: denn fuͤr’s erſte, iſt ein jeder Menſch, der fuͤr irgend was in Ordnung kommt, fuͤr alles andere, was er ſonſt unter den Haͤnden hat, auch beſſer in der Ordnung: fuͤr’s andere, muß das Baumwollenſpinner-Kind fuͤr das Bauren - weſen nur ſo weit in Ordnung kommen als es daſſelbe treiben kann; und da wiſſet ihr wohl, das hoͤchſte worauf ſie kommen koͤn - nen, iſt etwa zu einem Kuh-Heuwachs und ein paar Hausaͤker: die meiſten muͤſſen ſich mit einem Garten, oder mit ein oder ein paar Puͤnten behelfen, und es koͤnnte ſie doch nichts ſo ſehr zu der Art Baurenwe - ſen, wie ſie eins treiben koͤnnen, aufmuntern und machen, daß ſie es ſo weit treiben als immer moͤglich, als ſolche Zehendfreye Aeker.

Der Junker erwiederte; noch einmal ſey ihm alles daran gelegen, daß auch die aͤrmſte Haushaltung ſich nie ganz vom Landbau weglaſſe, ſonder alles ſo viel es einem jeden moͤglich iſt, neben ſeinem Hausverdienſt auch noch etwas Herd baue.

Das Mareylj ſagte ihm darauf; wenn euch daran ſo viel liegt, ſo thaͤtet ihr dann gewiß wohl, wenn ihr die Spinnerkinder11 alle Jahr, etwa im Fruͤhling einmal und im Herbſt einmal, mit ihrem Bauren G’ſchirr zu euch in’s Schloß kommen, und ſie euere Puͤndten und Garten umgraben, und darein ſezen, ſteken und austhun lieſſet, was noͤthig: ihr koͤnntet ſie damit und mit einem dozend Brod und ein paar Zuͤbern Milch fuͤr das ganze Jahr, fuͤr das Landweſen, wie ſie es treiben muͤſſen, eifrig machen.

Es nahm den Junker ſo ein, was dieſe Leu - the ſagten; daß er beyde bey der Hand nahm und ihnen ſagte: ich kann euch nicht genug ſagen wie ich euch danke daß ihr mir ſo den Weg zeiget, wie ich eueren Dorfleuthen in Haus und Feld auf eine rechte Art die Hand bieten kann.

Das freute die Leuthe, daß ſie nicht wuß - ten was ſie ſagen wollten, und es gieng wohl ein Vater Unſer lang, ehe ſie ihm ſag - ten: wenn ſie nur etwas wuͤßten und koͤnn - ten, das ihm diente, ſo haͤtten ſie keine groͤſ - ſere Freude als es nicht nur zu ſagen, ſon - dern auch zu thun.

Die Zeit uͤber da ſie nichts ſagten, ſahen ſie ihn unverwandt an, und das ſo innig vergnuͤgt wie nur ein herzlich dankbahres Kind ſeinen Vater anſiehet, wenn es ihm die groͤſte Wohlthat erwieſen.

12

Schul-Ordnung und Bauren-Kuͤchlein.

Nach einer Weile ſagte der Meyer wieder; wenn ich’s voͤllig uͤberlege ſo duͤnkt mich ihr kommet mit allem was ihr thun koͤnnet, doch nicht zu euerem Zwek wenn ihr nicht den Kerl, den man Schulmeiſter heißt, fortja - get, und entweder keine Schul, oder eine ganz neue Einrichtung darinn machet; Se - het Junker! es hat ſich ſint 50 Jahren ſo alles bey uns geaͤndert, daß die alte Schul - ordnung gar nicht mehr auf die Leuthe, und auf das was ſie werden muͤſſen, paßt.

Vor altem war alles gar einfaͤltiger, und es mußte Niemand bey etwas anderm als bey’m Feldbau ſein Brod ſuchen. Bey die - ſem Leben brauchten die Menſchen gar viel weniger geſchulet zu ſeyn der Baur hat im Stall, im Tenn, im Holz und Feld, ſei - ne eigentliche Schul, und findet wo er geht und ſteht, ſo viel zu thun und zu lehrnen, daß er ſo zu reden ohne alle Schul das recht werden kann, was er werden muß Aber mit den Baumwollenſpinner-Kindern, und mit allen Leuthen die ihr Brod bey ſizen - der oder einfoͤrmiger Arbeit verdienen muͤſ - ſen, iſt es ganz anderſt. Sie ſind, wie ich es einmal finde, voͤllig in den gleichen Um - ſtaͤnden wo die gemeinen Stadtleuthe, die13 ihr Brod auch mit Handverdienſt ſuchen muͤſſen, und wenn ſie nicht wie ſolche wohl - erzogene Stadtleuthe auch zu einem bedaͤcht - lichen uͤberlegten Weſen, und zum Ausſpiz - zen und Abtheilen eines jeden Kreuzers, der ihnen durch die Hand geht, angefuͤhrt wer - den, ſo werden die armen Baumwollenleuth, mit allem Verdienſt und mit aller Hilfe die ſie ſonſt haͤtten, in Ewigkeit nichts davon tragen, als einen verderbten Leib und ein elendes Alter und Junker! da man nicht daran ſinnen kann daß die verderbten Spin - ner-Elteren ihre Kinder zu ſo einem ordent - lichen und bedaͤchtlichen Leben anhalten und auferziehen werden, ſo bleibt nichts uͤbrig, als daß das Elend dieſer Haushaltungen fortdauret, ſo lang das Baumwollenſpinnen fortdaurt und ein Bein von ihnen lebt; oder daß man in der Schul Einrichtungen mache, die ihnen das erſezen, was ſie von ihren Elteren nicht bekommen; und doch ſo unum - gaͤnglich noͤthig haben.

Und jezt wiſſet ihr Junker, was fuͤr ei - nen Schulmeiſter wir haben, und wie we - nig er im Stand iſt auch nur ein Quintli wann die armen Kinder gut werden ſollten, in ſie hinein zu bringen.

Er fuhr mit Hize fort zu ſagen:

Der Tropf weis minder als ein Kind in14 der Wiegen, was ein Menſch wiſſen muß, um mit Gott und Ehren durch die Welt zu kommen er kan ja nicht einmal leſen wenn er leſen will, ſo iſt’s wie wann ein al - tes Schaaf bloͤket, und je andaͤchtiger er ſeyn will, je mehr bloͤket er: und in der Schul hat er eine Ordnung, daß einen der Geſtank zuruͤkſchlaͤgt, wenn man eine Thuͤre aufthut. Auch iſt ſicher kein Stall im Dorf, darinn man nicht fuͤr Kaͤlber und Fuͤllen, die man erziehen will, weit beſſer ſorget, daß das aus ihnen werde, was aus ihnen werden muß als in unſrer Schul dafuͤr geſorgt wird, daß das aus unſeren Kinderen werde, was aus ihnen werden ſollte.

So redte der Mann der Erfahrung hatte in ſeinem Dorf.

Seine Schweſter gieng jezt einmal uͤber das ander in die Kuͤche; kam dann wieder in die Stuben, gleich wieder in die Kuͤche, und kaͤute immer an den Naͤgeln; denn ſie hatte Luſt dem Junker auch einen Kram von ihren Bauren Kuͤchlenen heim zu geben, und dorfte es nicht und wollte es doch das machte ſie an den Naͤglen kauen, und wiederkauen, bis ſie endlich fand, ſie doͤrfe es doch; er ſey ja gar nicht wie ein andrer Junker, der es erwann uͤbel nehmen koͤnnte; doch traute ſie ſich nicht voͤllig15 ſie ſtuhnd zu ihm zu und ſagte: wenn ihr einmal nicht der Junker waͤret, ſo muͤßtet ihr mir auch ein paar von meinen Kuͤchlenen eurer Frau zu einem Kram heim nehmen.

Der Junker wußte es ſchon vom Pfarrer daß ſie es allen Leuthen die zu ihr kommen, ſo mache; und ſagte mit Lachen: aber weil ich jezt der Junker bin, ſo gibſt du mir kei - nen?

Herr Jeſus! ihr nehmet es nicht uͤbel, ſagte es da, und konnte ſich faſt nicht hin - terhalten vor Freude zu jauchzen: es ſprang im Augenblik hinter den Ofen, nahm die zwey weiſſen Papier, die es ſchon zum vor - aus darfuͤr verborgen, hervor, pakte ſeine Kuͤchlj alle die auf dem Tiſch ſind, in zwey Kraͤm, einen fuͤr den Junker und einen fuͤr den Pfarrer, trug dann dieſelben in einem neuen ſchoͤnen Koͤrbchen, das es mit einem weiſſen Tuch dekte, den Herren nach bis zum Pfarrhaus: Sie redten den ganzen Weg uͤber mit ihm, und hielten ihn’s noch im Pfarrhaus auf, bis der Junker wegfuhr.

16

§. 3. Ein ſchoͤnes Zeugniß, daß das Mareylj ein braves Menſch iſt.

Denn da es heimgieng, traf es in allen Eken Leuthe an, die ihre Koͤpfe zuſam - menſtieſſen und mit einander Rath hielten; und nahe bey ſeinem Hauſe einen ganzen Hauf - fen Kinder, die auch nicht ſo bey einander ſtuhnden wie Kinder bey einander ſtehen, wenn ihnen wohl ums Herz iſt: und da es merkte was es war, ſchuͤttelte es den Kopf, ſah ih - nen ſteif in die Augen, und ſagte da ſie ihn’s gruͤßten, zu ihnen: habt ihr gut Rath mit einander? Nicht ſo gar gut, antworteten die Kinder, und durften ihns faſt nicht anſehen: ſie waren naͤmlich in Aengſten wegen der Frey - tagsrechnung; denn der Junker hatte am Sonntag nach der Mittagspredigt verleſen laſſen, daß am Donſtag die Gemeindwayd vertheilt und am Freytag Jedermann der dem Vogt ſchuldig, mit ihm unter der Linden rechnen muͤſſe; beyde Punkten machten vielen Leuthen im Dorf den Kopf groß; aber haupt - ſaͤchlich der lezte.

Das Mareylj aber war kaum von den Kin - dern weg, ſo ſagte eines, es ſey doch auch ſonſt ſo gut, und es thuͤe ihnen vielleicht denGefallen,17Gefallen, und rede ihnen daheim zum Beſten. Die anderen waren im Augenblik alle der Meynung, und ſagten, ſie wuͤßten einmal wenn ſie das ganze Dorf ausſinnten, nie - mand der’s eher thaͤte, und es ſey wie wenn es Gottes Wille haͤtte ſeyn muͤſſen, daß es jezt ihnen juſt vor Augen kommen, und ſie an ihn’s ſinnen muͤßten.

Sie machten nicht lang; das Mareylj hatte ſeinen Korb kaum hinter dem Ofen abge - ſtellt, ſo ſtuhnden ſie ihm ſchon in der Stu - be; aber es durfte lang keines ſagen warum ſie da ſeyen; eines ſtupfte das andere und ſagte ihm: brings doch du an: das Ma - reylj that als wann es nichts merkte, und ſagte: was geht ihr guts aus mit einander? Auf das Wort hin zog das Huͤnerbethelj, das bey ihm zu ſtuhnd, ihn’s beym Fuͤrtuch, und ſagte: wir ſind in Gotts Nahmen in einem entſezlichen Kreuz, Mareylj! und er - zaͤhlte ihm denn ihren Jammer; hinter dem erzaͤhlen baten ihn’s denn alle: es ſey doch auch ſeiner Lebtag ſo gut geweſen, und es ſolle doch um tauſend Gottswillen ſie auch jezt nicht verlaſſen, u. ſ. w.

So ſo ihr ſeyt ſchoͤne Jungfern, nein, nein, wenn ihr nichts anders habet ſo koͤnnt ihr nur wieder gehen wo ihr her - gekommen; aus dem gibt’s gar nichts; esB18geſchieht euch nur der verdiente Lohn euere Elteren moͤgen mit euch machen was ſie wollen.

Die Kinder aber bathen, heulten und fie - len faſt vor ihm nieder, daß es doch ſo gut ſey und es thuͤe.

Es aber fuhr fort ihnen zu predigen was ſie vor Leuthe ſeyen. Ihr armen Troͤpf, ſagte es ihnen, in euerem Alter Saufſchulden zu machen; ſinnet ihr nicht daß ihr an Leib und Seel Geſpenſter werdet, und Kupfernaſen und Traͤufaugen bekommt, ehe ihr faſt aus - gewachſen?

Ah! um tauſend Gottswillen, ſagten die Kinder, hilf uns nur auch dies mal, wir wol - lens denn gewiß unſer Lebtag nicht mehr thun:

Es ſagte nicht Ja; aber es fieng doch an zu erzaͤhlen wie es ſeiner Zeit geweſen, wie Toͤchteren von ihrer Gattung auch Ehr im Leib gehabt, und in allem was ſie gethan, Schaam gezeiget, und wie das junge Volk fruͤh und ſpaht war, aber wie jezt alles darauf umgehe, mit aufrechtem Ruͤcken Brodt zu finden, mit muͤſſiggehen und ſtaͤhlen eine glatte Haut davon tragen wolle; aber wie kein Seegen dabey ſeye, und ſo eine Lumpen - und Diebs - haut bald aufhoͤre glatt zu ſeyn und alle Far - ben bekomme.

19

So redte das Menſch wohl eine halbe Stund an einander; am End aber that es was ſie wollten, verſprach ihnen, mit ihren Eltern zu reden, wenn ſie es ihr Lebtag nicht mehr thun wollten; und den Kindern wars nicht anderſt als ob ſie einen Berg ab dem Hals haͤtten, da es ihnen das verſprochen. Sie waren kaum fort, ſo hatte das Mareyli wieder nichts anders als den Junker im Kopf; es konnte ſeit dem er fort war an nichts an - ders denken als an ihn, ſelber da es ins Bett gieng, uͤber Nacht bettete, und mit ſeinem das walt Gott der Vater, der Sohn ꝛc. fertig war, hielt es noch einmal die Haͤnd zuſammen und bettete noch: Mein lieber Gott, hilf auch dem Junker in allem was er vorhat und darauf ſagt es, ich will ihm einmal auch hel - fen ſo viel ich kann und mag; Amen, in Gotts Namen Amen: und mit dieſem Wort legte es ſich auch auf ein Ohr.

§. 4. Des Menſchen Herz in drey verſchiednen aber gleich ſchlechten Modeln.

Aber die Kinder waren nicht allein; es war wohl zwey und drey mal Aeltern eben ſo angſt.

B 220

Eine Menge Maͤnner und Weiber wußten ſeit dieſer Mittagskirche nicht was ſie thaten:

Die Spekmolchin vergaß ihre Suppe zu ſalzen, und ließ das halbe Eſſen die Kaz freſſen ohne daß ſie es wehrte.

Wo fehlts dir aber, daß du wie ein Narr thuſt? ſagte ihr Mann der juſt dazu kam. Sie murrte zuerſt nur, ſtatt zu antworten. Eine Weile darauf beſann ſie ſich, es ſey beſſer, ſie ſag’s dem Ochſen, es muͤſſe doch ſeyn.

Ja, ſagte ſie dann, ich hab das Tuch da dem Vogt verſezt.

Der Spekmolch ſperrte das Maul und Au - gen auf, und ſagte was fuͤr ein Tuch?

Du weiſeſt wohl das an der Woͤſch! ſagte die Frau. Das ganze Stuͤk da, wo an der Woͤſch weggekommen? und wo du alle Dienſt und alle Woͤſchern in die unterſte Hoͤlle hinab verflucht haſt, daß ſie es ſollten geſtoh - len haben; ſagte der Mann, und wollte dann anfangen jammern, es ſeye doch ſchlimm, wenn man in ſeinem Haus ſeiner eignen Frau nicht mehr trauen doͤrfe.

Aber das Weib ſtopfte ihm das Maul bald zu; ſie hielt ihm ſein achtzehnjaͤhriges uneh - liches Kind vor, das ihn manch Hundert mal mehr gekoſtet als das lumpen Stuk Tuch werth ſey?

Es trieb den armen Spekmolch von der21 ungeſalznen Suppe zur Stube hinaus, da ſie ihm ſo kam.

Die Jooßlin war in gleichem Jammer; der elende Mantel ob dem ſie ſo oft mit ihrem lieben Mann gezanket, daß ihn die Baͤttler, die bey ihnen uͤbernacht waren, geſtohlen, war jezt leyder auch beym Vogt, und ſie mußte es bekennen: der Mantel und das Ver - ſauffen und alles thut mir nicht halb ſo weh als daß du alleweil mit mir gezanket und er - zwingen wollen, ich muͤſſe glauben die Baͤtt - ler, die uns unſer Lebtag nichts geſtohlen, haben uns das geſtohlen, ſagte ihr Mann, da ſie jezt ſo bekennte.

Es thut einem auch ſo weh wenn einem ein Mann lieb iſt, und er einen denn fuͤr eine Diebin haͤlt, ſagte die Frau.

Noch groͤſſer als alles war der Jammer der Barbel, die den Nahmen hat, daß ſie eine Fromme ſey; ſie konnte ſint dieſer Mittags - kirchen nicht mehr in der Bibel leſen, und nicht mehr in ihrem liebſten Baͤttbuch baͤtten; die heiligen Papyr lieſſen ſie lange ohne Troſt in ihren Noͤthen, ſo ſehr ſie den Kopf daruͤber haͤngte und ihre Thraͤnen darauf hinabfallen ließ; endlich auf einmal war ſie getroͤſtet, es kam ihr in Sinn, ſie koͤnne es leugnen; und ſobald ſie im Kopfe hatte wie, rief ſie ih - rer Dienſtmagd und Mithalterin ihrer ſtillenB 322ehrbaren Abendtruͤnken, aus der Kuche in die Stuben, wo ſie eben fuͤnf Eyer zum Nacht - eſſen im Nydel ſchwang; und ſagte zu ihr, Gottlob; Gottlob! ich hoffe jezt der liebe Gott wolle die Schand von mir wegnehmen: Denk auch was mir der lieb Gott in Sinn ge - geben, weil ich ihn ſo angeruft hab; das alte Spinnerbabi heißt wie ich und wenn ich ihm das Geld in Sak und einen halben Gulden zum Lohn gebe, ſo gehets gewiß gern fuͤr mich unter die Linden, und ſagt es ſey die ſieben Gulden ſchuldig und der Vogt bringt mirs nicht aus; er hat mir mein Leb - tag nichts ausgebracht und hat gewiß auch nicht ſo ein gar boͤſes Herz wie jezt alle Leuthe thun ich will ſo bald es unter Licht iſt, zu ihm und mit ihm reden.

§. 5. Weiber Jam̃er und ein Mutter Irrthum.

Und morndes am Morgen, da das Mareyli zu den Eltern, deren Kinder geſtern bey ihm geweſen, hinkam, jammerten ihm etli - che Muͤttern gar vielmehr uͤber dieſen Frey - tag als ihre Kinder.

Es hatte die Hauen auf der Achſel und that wie wenn es nur ſonſt ins Feld wollte;23 die meiſten Elteren riefen ihm noch ſelber auf die Gaſſe hinaus, es ſoll auch in die Stube kommen, und es wußte die Sache ſo gut ein - zufaͤdlen daß die meiſten Kinder ohne Ohr - feigen davon kamen.

Aber die Caminfegerin hatte das Waſſer in den Augen, ſo bald es nur das Wort Frey - tag ins Maul nahm und ehe es noch ihres Liſabethlis gedachte, ſieng ſie an zu heulen und ſagte, ſie ſtehe ins Gottsnahmen auch in der erſchreklichen Rechnung und wiſſe ih - res Lebens nicht anzufangen; der Caminfeger ſchlage ſie zu tod, wenn ers vernehme.

Und die Lismer Gritte ſagte faſt die gleichen Wort wo die Caminfegerin; beyde bathen das Mareylj ohngefaͤhr um das gleiche was die Kinder; naͤmlich daß es doch um tauſend Gottswillen mit ihren Maͤnnern rede.

Es gab ihnen zuerſt zur Antwort; das Zuchthaus waͤre beſſer fuͤr ſie als ſein Fuͤrwort; und es ſtehe ihm nicht an mit ſeinem zum Be - ſtenreden Schelmen zu pflanzen; am Ende thats doch was ſie wollten.

Aber zwey Schweſtern die beym Creuzbrun - nen vor einander uͤber wohnen, (die eine hat einen Lindenberger und die andre einen Huͤgj;) ſind bey dieſem Anlaß wie erzgute Muͤtter ob ihren Kindern verirret.

Die Lindenbergerin merkte, daß ihrer Schwe -B 424ſter Kind etwas im Kopf ſtekte und fragte ihns wo es fehle, daß es ſint dem Mittag immer herum ſtehe wie wenn es nicht heim doͤrfe.

Das Kind fieng im Augenblik an zu wei - nen, bekennte alles, und bath ſie dann daß ſie doch auch mit ihrer Mutter rede, es doͤrfe ihr nicht unter die Augen u. ſ. w.

Ich will freylich mit ihr reden und ihr ſagen was du fuͤr ein Menſch biſt, ſagte die Linden - bergerin, ſtuhnd im Augenblik auf, ſagte aber, ehe ſie noch gieng, zum Kind; komm du mir nur nicht mehr ins Haus wann du ſo ein Kind biſt, du koͤnnteſt mir meines auch noch ver - fuͤhren daß es wuͤrde, wie du.

Mit dem gieng ſie zum Haus hinaus und um den Brunnen herum zu ihrer Schweſter da traf ſie, ſo bald ſie die Thuͤre aufthat, ihr eignes Kind an, das voͤllig wie der Schwe - ſter ihres daheim am Ofen ſtand und den Kopf haͤngte: was thuſt du da, du Muͤſ - ſtggaͤngerinn; es iſt gar nicht noͤthig daß du den ganzen Tag da ſteheſt, ſagte ſie im Au - genblik zu ihm, noch ehe ſie nur ihre Schwe - ſter gruͤßte.

Das verdroß dieſe, daß ſie auch vor dem Haus zu ihr ſagte: es iſt doch beſſer, es ſteke bey mir als im Wirthshaus.

Was? ſagte die Lindenbergerin, meynſt du ich habe auch ſo ein Kind, das ins Wirths -25 haus geht und Saufſchulden hat, wie du eins haſt.

Behuͤt mich Gott vor dem, daß ich ſo ein Kind habe; aber du haſt einmal ſo eins, ſagte die Huͤgin.

Und die Lindenbergerin, ha ich komm einmal eben jezt von deinem weg, das da - heim am Ofen ſteht und mich gebetten hat ich ſolle dir ſagen, daß es am Freytag unter die Linde muͤſſe.

Ae mein Gott, ſagte die Huͤgin, und zeigte mit der Hand gegen den Ofen; den Augenblik ſteht deines da zu, und bittet mich, daß ich es dir ſage.

So kamen die zwey Schweſtern faſt bis zum Zanken, ehe ſie merkten, daß ſie beyde wie gute Muͤtter ob ihren Kindern verirret.

Aber ich kan nicht alles erzaͤhlen; es gab faſt in allen Haͤuſeren dergleichen Auftritt, ob der armen Rechnung, die der Pfarrer am Sonntag in der Mittagspredigt verleſen muͤſ - ſen.

§. 6. Ueberzeugung und Muthwillen in einem Mund…

Es war nur Schad um ſeine Morgenpre - digt, die man ob dieſem Mittagszedel26 vergeſſen; wie eine von den andern, die mit dem Woͤrtlin Amen zugleich vergeſſen und be - ſchloſſen werden; und doch gieng am Mor - gen kein Bein zur Kirchenthuͤr hinaus das nicht davon redte; und von der Kirchenthuͤr bis Daheim uͤber das Mittageſſen, bis es wie - der in die Kirche laͤutete, und ſie in den Stuͤh - len ſaſſen, gieng kein Maul davon zu.

Es war alles nur Eine Stimme, es ſey wie wenn der Pfarrer ſint 50 Jahren neben ei - nem jeden geſtanden waͤr und alles geſehen und gehoͤrt, was im hinterſten Winkel vorgefallen, ſo habe er alles ſagen koͤnnen, wie es geweſen.

Graue Maͤnner und graue Weiber wußten nicht genug zu ruͤhmen von der guten Zeit, von der der Pfarrer ſo viel geredt; und er - zaͤhlten hundert Geſchichten vom Nachtſchnei - den, und ſolchen alten Freuden, die jezt ab - gegangen, weil die Leuthe ſo boshaft ſind; und konnten nicht genug ſagen wie gut es ge - weſen, ehe das Baumwollenſpinnen in’s Dorf gekommen, und das Land ſo verſtuͤkelt und mit Leuthen uͤberſezt worden.

Eine junge Renoldin kam ſo in’s Feuer uͤber die Predigt, daß ſie uͤber Tiſch ſagte, ſie wolle, noch ehe die Sonne unter, in’s Pfarrhaus lauffen, und wenn’s ein halb Jahr waͤhre, die Predigt abſchreiben, damit ihre Kind und Kindskinder wiſſen wie es im Dorf27 zugegangen; ſie ſezte hinzu, es ſey ihr die ganze Predigt auf’s Haar geweſen, ſie hoͤre ihren Großvater wieder reden; ſo habe er hundert und hundert mal dieſe Sachen uͤber Tiſch erzaͤhlt; und hundert und hundert mal ob dem brafen Vorgeſezten, der ſich da noch allein dieſen Bosheiten wiederſezt, und aber ins Kayſers Landen ſterben muͤſſen, die hel - len Thraͤnen vergoſſen.

Ihrer viele ſagten, es nehme ſie nur Wun - der daß er uͤber das Schloß und uͤber den alten Junker ſo viel habe reden doͤrfen.

Andere ſagten: der Junker laſſe alles ſa - gen, es moͤge auf Gottes Erdboden ſeyn was es wolle, wenn es nur wahr ſey.

Etliche behaupteten, es ſeye keine Pre - digt geweſen, und b’huͤt uns Gott darvor, es gaͤbe Mord und Todtſchlag, wenn man ſo predigte.

Es weiſt’s einer nicht, ſagten andre; viel - leicht gaͤb’s weniger Mord und Todſchlag und weniger Hurerey und Diebſtahl, wenn man ſo auf der Canzel ſagen doͤrfte, wo Mord und Todſchlag, Hurerey und Diebſtahl in einem jeden Dorf eigentlich hergekommen ſind, noch herkommen und ferner herkommen werden.

Das glaube ich, ſagte ein junger Mann, von dem ich naͤchſtens noch mehr reden werde; ſie iſt ja vom Anfang bis zum Ende nichts als28 eine Jagd auf allerley Gattung Menſchen - woͤlf, die es in der Welt giebt: ihrer etliche pakten das Wort auf, und ſagten, ja, das iſt ſicher wahr, und unſer Lebtag hat niemand ſo viele und gute Huͤnde zu einer Jagd in’s Dorf gebracht; ſie hielten die Naſen keinen Augenblik vom Boden, und ſind immer auf der Spur geblieben, bis an’s Ende.

Verzeihet ihr Leuthe der Bauren-Muth - willen ſie machen es ſo.

§. 7. Der Feuerheerd und ein gutes Weiber - wort.

Die Gertrud ſchlug die Augen nieder und zitterte in der Kirche da der Pfarrer von ihr redte: und da ſie heimkam ſagte ſie, ſie wollte weiß nicht was geben, ſie waͤre nicht in der Kirche geweſen.

Aber warum jezt auch das? ſagte der Ni - klaus.

Haͤ der Herr Pfarrer hat da allerley geſagt das er haͤtte koͤnnen bleiben laſſen, ſagte die Mutter.

Es iſt doch recht geweſen, daß er geſagt, wie es der Hummel uns gemacht, und wie er den Vater und uns geplagt hat, ſagte der Bub.

29

Und Gertrud: Man muß das Boͤſe ver - geſſen, und Gott danken, wann es voruͤber: aber dann iſt es einem am woͤhlſten, wenn Niemand viel von einem redet.

Ich hab jezt gemeynt, es freue dich auch, ſagte der Bub.

Da laͤchlete ſie. Es ſcheint es freue dich doch, ſagte wieder der Bub.

Nein; du freuſt mich, ſagte die Mutter.

Den Lienert hingegen freute es wie ſeinen Buben, daß der Pfarrer ſo viel Gutes von ihr geſagt.

Sie aber gab hieruͤber zur Antwort: Lie - ber! wenn’s Ruͤhmens gebraucht haͤtte, ſo waͤr’s in der alten Zeit geweſen, und da hat’s jedermann bleiben laſſen; jezt mag ich deſſen nichts mehr. Wenn ich nur dir auf meinem Heerd eine Suppe machen kan, wie du ſie gern iſſeſt, und du dann heim kommſt ehe ſie ab dem Feuer iſt, ſo meyn ich, ich hab alles was ich in der Welt wuͤnſchen ſoll.

Glaubet doch nicht ihr Leuthe! es moͤge ſich nicht erleiden ſo etwas zu erzaͤhlen; es hat vielleicht lang kein Mann etwas geſagt, darinn ſo viel liegt, als in dieſen guten Weiber-Wor - ten.

Die Alten hielten den Feuerheerd im Haus fuͤr heilig und ſagten: eine Frau, die bey ih - rem Feuerheerd viel an ihren Mann und an30 ihre Kinder ſinnet, habe nicht leicht ein un - heiliges und ungeſegnetes Haus.

Aber es iſt freylich in unſern Tagen ſehr vergeſſen, was die Alten ſagten:

Wenn Gertrud auch nur Erdapfel hatte, ſo kochte ſie ſo daß ihr Mann es ihnen anſehen mußte, er ſey ihr nicht aus dem Sinn ge - kommen, da ſie ſelbige ob dem Feuer hatte.

Denket, was wird eine Frau uͤber ihren Mann vermoͤgen, der es der Suppe, die ſie kocht, und dem Strumpf, den ſie ſtrikt, anſehen muß, daß er ihr nicht aus dem Sinn kommt, wann ſie ſtrikt und wann ſie kocht.

Der Lienert haͤtte ein Unmenſch ſeyn muͤſ - ſen, wenn er bey einer ſolchen Frau ſo leicht, und noch ſo gar in den erſten 14 Tagen wie einige gemeynt, in ſein altes liederliches Leben wieder gefallen waͤre; er iſt zwar ein ſchwa - cher aber ein guter Menſch und jezt entſezlich froh daß er dem Hummel ab der Ketten, und des Wirthshauſes los iſt.

Er geht euch alle Morgen der erſte an ſeine Arbeit; und noch vor den Sechſen, ehe er auf den Kirchhof muß, macht er eine Stunde oder zwey vorher allerhand in Ordnung, das er ehdem mit keiner Hand angeruͤhrt; er miſtet den Stall, er melket die Kuh, grabt den Gar - ten um, ſpaltet Holz, thut alle ſtarke Haus - werke fuͤr ſeine Frau, und iſt bey dieſer Mor -31 genarbeit noch ſo munter als den Tag uͤber auf dem Kirchhof; ſingt mehrentheils noch mit ſeiner Frau und mit ſeinen Kindern ihre Morgenlieder, und toͤnt oft ihre Weiſe fort, den ganzen Weg uͤber, bis er zu ſeinen Ge - ſellen kommt.

§. 8. Ein Reyhen ſchlechter Geſichter.

Da vergeht ihm aber denn meiſtens das Liederſingen bald; die Menſchen haben uͤberhaupt wenig Tagsarbeit, bey deren man ſo fortſingen kan; und die ſind ſchon gluͤklich die nur am Morgen und Abend mit frohem Herzen ſingen.

Des Lienerts ſein Tagwerk iſt nichts we - niger als leicht: Er hat jezt 9 Geſellen und 8 Tagloͤhner, und mit dieſen leztern faſt alle Stund Verdruß; mit den Geſellen aber die fremd ſind, und wiſſen was im Land der Brauch und Recht iſt, nicht den Zehnden ſo viel.

Aber die Tagloͤhner meynen gar, es ſey alles recht, was ſie thun; da ſie aus ſeinem Dorf ſind, kennen ſie ihn und wiſſen daß er zu mitleidig, ſie ſo leicht aus der Arbeit zu ſchi - ken. Auf dieſe Rechnung hin thun ſie was32 ſie wollen, und machen ihm einen Verdruß nach dem andern; ihrer etliche ſind wie wenn ſie eine Freude daran haͤtten, wenn nur alles viel koſtet, und drauf und druͤber geht was nur moͤglich: dem Kriecher hat er vom er - ſten Tag an einmal uͤber das andere geſagt; er ſolle doch den Kalch ſpahren und das Pfla - ſter nicht ſo fett anmachen; der Grund iſt, weil man den Kalch wohl 7 Stund uͤbers Gebirg herfuͤhren muß, und ein jedes Faͤßlj bis auf 3 Gulden koſtet.

Aber er konnte lang ſagen; der Kerl ar - beitete den Kalch, daß die Maurer alle Au - genblik ganze Schollen, manchmal ſo groß als ein Baumnuß, lautern unvergangnen Kalch darinn fanden.

Der Lienert wußte ſich nicht anderſt zu hel - fen, als ihn und noch einen von dieſer Ar - beit wegzuthun, und an eine andere zu ſtel - len; dafuͤr brauchten ſie dann hinter ihm das Maul, hieſſen ihn Wohldieners-Ungluͤks - ſtifter und Egyptiſchen Treiber; brummten unter einander daruͤber wie Baͤren, und ſag - ten es gehe ihn nichts an, der Junker werde noch Junker bleiben wenn er das Faͤßlj Kalch, das er aus ihnen herausſchinden wolle, ſchon minder habe.

Der Meiſter haͤtte ſie gradzu wegſchiken und nicht an eine andere Arbeit ſtellen ſollendie33die Teufelsbuben verderben jezt ihm aus Raach doppelt ſo viel, und es iſt als ob ſie nicht ab dem Kirchhof wegkoͤnnten, ohne daß ſie einen Laden mit den Schuhen ab einander tretten, oder ein Stuͤk Holz unnuͤz gemacht, oder ſonſt etwas dergleichen gethan.

Aber dann ſind es dieſe noch nicht allein, von denen er Verdruß hat. Der Ruͤtj Marx thut zu allem was er angreifen muß, ſo lahm, daß wenn er etwas in die Hand nimmt, im - mer 3 oder 4 die Haͤnde ſtill halten und den Narren angaffen.

Er und der Kriecher ſind aber doch auch die ſchlimmſten, und glatterdings zu nichts nuz, als etwa einen leeren Korb oder einen Nagel oder ein Seil einem andern zu bringen: der dann den Korb ausfuͤllen, den Nagel ein - ſchlagen und das Seil anbinden kann, wenn er will.

Sie ſperbern auch den ganzen Tag auf ſol - che Gattung Arbeit.

Dann aber uͤbergehet dem Lenk auch ſicher die Galle; wenn er ſie ſo etwas auf den Muͤſ - ſiggang einrichten ſiehet; und es iſt dann noch, wie wenn er allemal dazu kommen muͤßte; und das macht ihn ſo haͤßig, daß er ſelber nicht mehr arbeitet, wie vorher, und daß er erſt neulich zu ein paar andern geſagt: ſie ſeyen wohl Narren, daß ſie ſich ſo angreifen moͤ -C34gen; die ſo an Haͤnd und Fuͤſſen wie lahm und den ganzen Tag herumſtehen und den Maulaffen feil haben, bekommen den gleichen Lohn wo ſie.

Es iſt auch zum Raſend werden wie ſie es machen; vor kurzem rief ein Maurer dem Kriecher vom Geruͤſt herunter, ob er keine Schnur (Bindfaden) bey ſich habe; der Krie - cher ſchlupfte im Augenblik unter den Pfla - ſterkorb, den der ſchon am Buckel hatte, her - vor, ſuchte in allen Saͤken, ob er nicht et - was finden koͤnne das einem Schnuͤrlein gleich ſaͤhe; und das er anſtatt des Pflaſterkorbs die Stege (Treppe) hinauf tragen koͤnnte: Er fand auch wirklich etwas dergleichen, nahm es im Augenblik in beyde Haͤnd und trug es alſo Schritt vor Schritt die Stege hinauf an eben den Ort wo er den Pflaſter - korb hintragen ſollen.

Der Lienert ſtuhnd eben neben ihm zu, da er ſeinen Korb abſtellte und mit dem Schnuͤrli in den Haͤnden fortgieng.

Ohne ein Wort zu ſagen, nahm er den Pflaſterkorb ſelber auf die Achſel, und trug ihn ihm auf dem Fuß nach.

Wer ſeines Wegs fortgieng und nicht der - gleichen that als ob er nur denkte daß je - mand hinter ihm hergieng, das war der Kriecher.

35

Er haͤtte ihn auch ſicher bis an Ort und Stell ſo hinter ihm her fortſpazieren und den Korb nachtragen laſſen, wenn ihm nicht ein Maurer ab dem Geruͤſt zugeruffen haͤtte, ob er ſich nicht ſchaͤme, den Meiſter ſo hin - ter ihm her den Pflaſterkorb hinauftragen zu laſſen, und ihm demſelben nicht abzunehmen; da kehrte er ſich doch nach einigem Brum - men, er habe ihn doch nicht geſehen, und geglaubt es preſſiere mit dem Schnuͤrli, um, und wollte ihm denſelben abnehmen, aber er gab ihn ihm nicht, und ſagte: wenn du nicht ein Muͤſſiggaͤnger waͤreſt, ſo haͤtteſt du ihn unten wieder nehmen und mit ſamt dem Schnuͤrli hinauftragen koͤnnen.

Der Kriecher gab zur Antwort: ich meyn ich thue meine Sache ſo gut als ein andrer, und ſchnurrte von ihm weg.

Auch der Lehmann ſteht die halbe Zeit, herumzuſchauen wo die Voͤgel herumfliegen; und wenn der Sigriſt, oder der Todtengraͤ - ber, oder ſonſt ein altes Weib uͤber den Kirchhof gehet, ſo hat er allemal etwas ganz nothwendiges mit ihnen zu reden.

Der Marx, der ſtihlt gar, und es iſt kein Nagel, kein Seil, und ſonſt nichts bis auf die Spekſchwarten, vor ihm ſicher.

Einmal als er ſein Brod aus ſeinem Schnappſak herausnahm, war es ſchnee -C 236weiß; der Maurer Jakob, der ehrlichſte un - ter des Lienerten G’ſellen, ſaß eben bey ihm zu und ſagte ihm: Marx, Marx, es iſt gar kein gutes Zeichen, wenn einem Maurer das Brod im Sak weiß wird.

Warum, warum? ſagte der Marx.

Haͤ es mahnet einen ſo ſtark an’s Kalch ſtehlen, ſagte der Jakob.

Ich hab einmal keinen geſtohlen, ſagte der Marx, und ward nicht roth; denn was ſchwarz und gelb iſt, wird nie roth.

Der Jakob fuhr fort und ſagte: es wird dir gewiß von den Erdapfeln, die du im Sak haſt, ſo weiß worden ſeyn.

Einmal nicht vom Kalchſtehlen, erwieder - te der Marx

Und der Jakob ſah ihn da nur an, und machte doch daß ihm das Herz klopfte, und er ſichtbahr erſchroken hinzuſezte: es iſt Maͤhl im Sak geweſen; er hatte aber die Hand mit dem Brod noch im Waſſer da er das ſagte, und der Maurer fieng noch einmal an, und ſagte: du muſt doch foͤrchten, der - gleichen Maͤhl brenne uͤber den Magen, daß du es ſo waſcheſt.

Ich mags einmal nicht eſſen wie eine Sau, ſagte der Marx; und der andere, du haſt gar recht, dergleichen Maͤhl koͤnnte wirklich eine Sau toͤden, wenn ſie nur ein wenig zu viel davon eſſen wuͤrde.

37

Solche Leuthe hatte der Lienert den Tag uͤber um ſich; doch auch andre; mit den mei - ſten G’ſellen war er vollkommen zufrieden, und von den Tagloͤhneren machten ihm auch etliche dann und wann Freud.

§. 9. Vater-Freuden ..

Auſſert dem Michel, den er allenthalben brauchen konnte war ihm keiner ſo lieb als der junge Baͤrr; dieſer ſang und pfiff immer bey ſeiner Arbeit, wenn ihm auch der Schweis tropfenweis von der Stirne lief.

Ihrer viele konnten das nicht an ihm lei - den, und der Lenk ſagte einmal beym Abend - brod ihm in’s Geſicht, er koͤnnte mit ſeinem Singen und Pfeiffen wohl warten bis er auch ein ganzes Hembd haͤtte; aber der Baͤrr pfiff ſein Lied nur deſto laͤuter, denn er hatte der - gleichen Sachen nicht gern im Kopf wie der da ſagte: erſt da das Lied aus, brach er noch einen Mundvoll ab, ſagte ihm dann: meyneſt du etwann es mache einem die Hembder ganz, wenn man nicht pfeiffe.

Es ſpahrte keiner wie er, den Taglohn, und keiner ſprang ſo mit ihm heim, ihn ſeiner Frauen zu bringen und zu zeigen.

C 338

Den erſten Samſtag war er auſſer Athem und konnte es faſt nicht zu Worten bringen, da er ihr die Hand aufthate, und den Tha - ler, der von Schweiß ganz naß war, ihr zeigte:

Gaͤll Frau! ſo hundert, dann waͤr ich ein brafer Mann

Wenn nur ſo zehen zu einander kommen, ſo bin ich zufrieden, ſagte die Frau; und er du muſt auch einmal etwas recht gutes hoffen; denn nahm er ihr den Bub ab, den ſie auf dem Schoos hatte, und ritt mit ihm auf allen Vieren in der Stube herum.

Der Lienert ritt mit ſeinem nicht ſo auf allen vieren; er war zu alt dafuͤr; aber er hat eben ſoviel Freud mit ihm. Er zeigte ihm wann er am Abend heim kam allemal etwas von ſeinem Handwerk; jezt machen ſie ſint etlichen Wochen den Thurn zu Babel, wie er in der Mutter ihrer Kinderbibel abge - mahlt iſt, aus einem Haufen Laim mit ein - ander in der Stube es hat ihnen faſt gar nicht gerathen wollen, und ſie mußten manche halbe Nacht daran probieren, wie breit unten die Treppen ſeyn muͤſſe, wenn ſie ſo zwanzig mal um den Leimhaufen her - umgehen und oben ſich mit ihm ausſpizen muͤſſe; und viel anders mehr. Er lehrte ihn rechnen was es zu den Sachen braucht,39 wieviel Kalch und Stein und Sand es zu einem Klafter heiſcht wenn es ſo oder ſo dik iſt. Er lehrte ihn das Bleymaas, das Richtſcheit und das Winkelmaͤß brauchen, und zeigte ihm den Vortheil der Steinen wenn ſie dik oder duͤnn glatt oder hokericht.

Erſt vor kurzem kaufte er ihm eine Pflaſter - kellen, und ein Fuͤrfell ich darf wohl ſa - gen, die Freude eines Koͤnigs Sohns iſt nichts dagegen, wie es Niklaus freute, daß er ein Fuͤrfell und eine Pflaſterkelle bekam. Er nahm einen Gang an, die Stube hinauf und hinunter, wie wenn er ſchon ein Maurergeſell waͤr, und ſprang[dann] im Fell einsmal uͤber das andere zu Vater und Mutter, nahm ſie bey der Hand und Rok, ſagte alle Augenblik, er wolle auf der Welt thun und machen was ſie wollen, wenn ſie ihn nur auch bald auf - dingen; der gute Vater wußte nicht was er machte, ſo nahm ihn das ein, und er konnte ſeine Thraͤnen nicht hinterhalten, da er ihn jezt auf die Schoos nahm und zur Mutter ſagte, wenn ich nur auch noch erlebe, daß er ein rechter Meiſter wird ſo will ich denn gern aus der Welt, wann’s Gottes Wille iſt.

Gertrud drukte dem Vater die Hand und hatte auch Thraͤnen in Augen, da ſie ſagte, er wird’s wills Gott werden.

Aber der Niklaus meynte, das ſollte jeztC 440nicht ſeyn: Er ſaß eben dem Vater auf der Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn und mit der andern die Mutter um den Hals und fieng ſo zwiſchen ihnen beyden auch an zu wainen.

Sie wollten jezt gern aufhoͤren, aber ſie konnten nicht, druͤkten ihn mit ihren Koͤpfen gegen einander und ſagten ihm, ſie wainen nur vor Freuden, und er gebe wills Gott, ein brafer Meiſter. Er aber ward nicht bald wieder froͤlich und nahm ſeine Pflaſterkelle eine Weile nicht mehr vom Boden auf.

§. 10. Folgen der Erziehung.

Sie hat alle Tage faſt bis zu Nacht des Ru - dis Kinder in ihrer Stuben; an den meiſten Abenden trift er, wenn er von der Arbeit heimkommt, ſie noch bey ihr an.

Aber es kann Niemand glauben was ſie fuͤr Muͤhe mit ihnen hat; ſie ſind an gar keine Ordnung und keine anhaltende Anſtrengung gewoͤhnt, und haben ihre Augen, wenn ſie ſie ſollen auf dem Garn halten, immer in den Luͤften; und ſo wird es immer bald zu dik bald zu duͤnn, und nie recht. Es wird auch nie keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen41 nicht ſteif darauf haltet, bis ihm der Griff da - von in die Hand kommt; und dieſer Griff kommt allen Kindern, die nicht wohl erzogen, gar ſchwehr in die Hand.

Und denn fuͤhrt eins zum andern; wenn ſie denn ihr Garn ſo verderbt, zehrten ſie noch ganze Haͤnde voll davon ab, warfen es fort in Bach, zum Fenſter hinaus, und hinter die Haͤaͤg; aber Gertrud, die ihnen alle Tag ihre Arbeit wiegt, fand den Fehler gar bald, und fragte die Kinder wie das komme; ſie woll - ten laͤugnen: Aber der Gertrud Heirlj ſagte dem Liſelj, du mußt jezt nicht laͤugnen; ich hab es ja geſehen, wie du aufgeſtanden, und es zum Fenſter hinaus gethan haſt. Weiſſeſt! ich hab dir ja geſagt, die Mutter merke es aber du haſt mir’s nicht geglaubt.

Dieſes Liſelj war aber auch das unartigſte von allen, es ſagte die ſchlechteſten Worte von der Welt; ſelber uͤber die gute Frau, um ſei - nen Geſchwiſterten die Arbeit und Ordnung, zu der ſie ſie anhielt und die ihm zur Laſt war, auch zu erleiden.

Es war ihm gar nicht zu viel zu ſagen: ſie muͤſſen ſich ja faſt zu tod ſpinnen, und ſie ſeyen doch jezt reich; es wollte gern, ſie haͤtten es nur, wie da ſie noch nichts hatten; ſie haben doch auch koͤnnen ruhig ausſchlafen, und nicht alle Tag ſo muͤſſen angeſpannt ſeyn wie arme42 Huͤnde; und mit der Arbeit war’s immer wie wenn nichts in ihn’s hineinwollte: bald drehete es das Rad ſo lahm, daß der Faden ihm in der Hand von einander fiel; denn einen Au - genblik darauf wieder ſo ſtark, daß das Garn ſo krauß wurde wie geringeltes Roßhaar.

Wenn ihm Gertrud etwas ſagte ſo weinte es ſo lang ſie da ſtuhnd, und murrete wenn ſie den Ruͤken kehrte; und denn that es noch den andern zu leid und verderbte ihnen an ih - rem Garn und an den Raͤderen was es konnte, damit ſie nicht fortkommen wie es.

Kurz, ſie richtete nichts mit ihm aus, bis ſie die Ruthe brauchte, da lehrte es ſizen und ſpinnen, und ſein Garn beſſert ſeitdem in ei - nem Tag mehr als ſonſt in acht.

Ihr Heirlj wollte es dieſen Kindern von Anfang her immer zeigen, wenn ſie es nicht recht machten. Da ſie aber groͤßer waren als er, ſagten ſie ihm zuerſt nur, du kleiner Pfu - ker, was wollteſt du wiſſen: aber ſie nah - men’s doch von ihm an; er war gar gut, und munterte immer wer rechts und links ne - ben ihm ſaß, auf; und wenn eines auch nur ein wenig ſaur drein ſahe oder das Maul haͤng - te, weil es nicht gehen wollte, ſagte er zu ih - nen; ihr muͤßt nicht ſo Augen machen, und nicht ſo ein Maul, ihr lehret es ſonſt noch viel laͤnger nicht.

43

Die Kinder lachten meiſtens wenn er ſo et - was ſagte; dann fuhr er fort; Mey! wenn ihr es dann koͤnnet, ſo iſt es luſtig und geht wie von ihm ſelber.

Ja es wird ſchoͤn von ihm ſelber gehen, ſagten die Kinder und der Heirlj wenn man doch kann die Augen zuthun und fortſpin - nen und recht, ſo meyn ich es gehe denn doch faſt von ihm ſelber.

Aber kannſt du die Augen zuthun und fort - ſpinnen? ſagten die Kinder.

Das kan ich, ſagte der Heirlj, und da ſie es ihm nicht glaubten ſagte er: wartet nur bis die Mutter aus der Kuche im Garten iſt, ſo will ich’s euch denn zeigen dann ſtuhnd er, ſo bald er die Gartenthuͤr gehen hoͤrte, auf, ließ ſich die Augen ſteinhart bey ſeinem Rad verbinden, nahm ſtokblind den Treiber und den Floken in die Hand und trieb das Rad ſo munter, wie wenn er beyde Augen offen haͤtte.

Die Kinder, die um ihn herſtuhnden, ſag - ten alle das iſt doch auch! das iſt doch auch! und haͤtten ihm bis zu Nacht zugeſehen wie er ſo blind ſpinne; aber an 3 Floken ſo wegſpinnen, hatte er genug, und ſchuͤttelte die Binde wieder ab da ſagten die Kinder zu ihm, aber ſag jezt auch, lehrnen wir’s auch ſo?

44

Warum auch das nicht, ſagte der Heirlj; ihr habt ja auch Haͤnde und Augen wie ich; und dann ſezte er hinzu, ich hab zuerſt auch geglaubt, ich koͤnne es faſt nicht lehrnen, aber da iſt es mir einsmals gekommen, ich hab faſt nicht gewußt wie: aber ihr muͤßt mit den Au - gen dazu ſperbern wie wenn ihr Sommervoͤgel fangen wolltet.

Dieſes Spiel, und was er dazu ſagte, machte die Kinder muthiger und eifriger ob ihrer Arbeit.

Ob ſie wollten oder nicht, ſie mußten ſpin - nen lehrnen: Gertrud lieſſe ſich keine Muͤhe dauren; ſie verglich ihr Garn alle Tag vor ihren Augen; zeigte ihnen den Unterſchied vom Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und vom geſtrigen und vom vorgeſtrigen; wenn nur ein Faden darinn ſchlechter war, nahm ſie ihn uͤber den Finger und hielt ihn ihnen vor Augen.

§. 11. Eine Art Wiedergeburth.

So viel thut ſie an den Kindern; aber ſie thut an derſelbigen Vater nicht minder; Tag fuͤr Tag kommt ſie ihm in’s Haus, und wo ſie im Stall, im Tenn oder ſonſt etwas nicht45 in der Ordnug findet, ſo muß es ihr recht ſeyn und in der Ordnung ehe ſie wieder zum Haus hinausgeht; das macht den Rudj ſo eif - rig daß er allemal vor den Neunen, um wel - che Zeit Gertrud mehrentheils ihm in’s Hauß kommt, in allen Eken herumlauft, daß ſie nichts in Unordnung finde. Er thut noch mehr; er macht ſich jezt auch ſelber wieder in die Ordnung, ſtraͤhlt ſich mehr und kleidet ſich beſſer, haut den Bart zu rechter Zeit ab, und ſcheint ſich juͤnger als vor ſechs Wochen: ſeine Stube, die ein ſchwarzes Rauchloch ge - weſen, hat er jezt ganz geweißget und die Loͤcher in der Wand glatt uͤberſtrichen; und am lezten Markt hat er ſo gar 10 kr. Helgen (Bilder) gekauft, alle mit ſchoͤnen Farben: den Heyland am Creuz, die Mutter Gottes mit dem Kindlein Jeſu, den Nepomuk, den Kayſer Joſeph II. und den Koͤnig in Preußen; einen weiſſen und einen ſchwarzen Huſaren, und hat die Helgen am gleichen Abend, da er ſie gekauft, noch aufgekleibt, und den Kindern mit der Ruthe gedrohet, wenn ſie ihm eines mit einer Hand anruͤhren (antaſten) daß es ſchwarz werde. Das gefiel der lieben Ju - gend nicht der Heirlj, der uͤber alles ſo ein Wort findet, ſagte zu ihm: Du kannſt ſie doch auch Jemand nicht verbieten, ſie ſchwarz zu machen.

46

Wem das? ſagte der Vater:

Aeh, den Fliegen, erwiederte der Bub; weiſſeſt du noch, wie ſie der Mutter ſelig ihr groſſes Creuz und ihre Himmels-Leitern ſo ſchwarz gemacht, daß man kein Wort mehr darinn hat leſen koͤnnen?

Es iſt gut, daß ihr keine Fliegen ſeyd, ſagte da der Vater und lachte, man wuͤrde euch auf die Haͤnd geben.

§. 12. Weiber-Kuͤnſte gegen ein Weib.

Aber mehr als die Kinder, freuete es die Gertrud, daß er ſeine Stube und ſich ſel - ber ſo in Ordnung brachte; denn ſie ſuchte ihm eine Frau.

Sie ſtuhnd wohl eine Viertelſtund vor dem neuen Heiland, dem Nepomuk und dem Koͤ - nig in Preuſſen und der Mutter Gottes zu, und ſagte, da ſie jezt lange genug geſehen, wenn ich jezt nur bald die Meyerin in dieſe Stube hinein bringen koͤnnte.

Es gerieth ihr bald; ſchon am Mitwo - chen, da der Rudi am Samſtag die Helgen aufmachte, gieng ſie vor ſeinem Haus vor - bey; Gertrud that im Augenblik das Fenſter auf, rief ihr uͤber die Gaſſe einen guten Tag zu.

47

Die Meyerin dankte ihr lachend und ſag - te: biſt du daheim?

Das bin ich, erwiederte Gertrud, und ich hab’s gar luſtig.

Ich glaub dir’s, ich glaub dir’s, ſagte die Meyerin

Gertrud aber: Komm auch ſchauen ob’s wahr ſey

In einem Sprung war die Meyerin an der Thuͤr, und that Maul und Augen auf, da ſie die neue weiſſe Wand und die ganze Ordnung in der Stube ſahe.

Sie gieng von einem Helgen zum ande - ren, ſchaute in allen Eken alles aus, und ſagte einmal uͤber das andere: da iſt es auch anderſt worden. Gertrud aber fuͤhrte ſie aus der Stube in Stall, zu Arners Kuh, die jezt dem Rudi iſt; die Meyerin aber ſtuhnd der Kuh bald auf die, bald auf dieſe Seite, taͤtſchelte ſie, ſtrich ſie uͤber Ruken, Kopf und Hals, und ſagte da: ſo ſteht einmal ſonſt keine im Dorf; und bald darauf: es muß doch eine Luſt ſeyn, ſo eine zu melchen.

Moͤchteſt du ſo eine melchen, ſagte die Gertrud?

Ja! das moͤchte ich, erwiederte die Meye - rin

Aber die Gertrud konnte das Lachen faſt nicht hinterhalten, da ſie ihr erwiederte: du haſt doch auch zwey ſchoͤne daheim.

48

Sie ſind nichts gegen dieſe, ſagte die Meyerin; und Gertrud: es iſt wahr, es iſt weit und breit keine ſolche; und ruͤhmte dann das Thier, wie ſie ſo viel Milch gebe, und wie gut dieſe ſey, wie ſie Nidle, und viel Anken (Butter) ſie gebe; denn auch, wie treu ſie ſeye, und wie freundlich, und wie ein jedwedes Kind mit ihr machen koͤnne was es wolle.

Die Meyerin hoͤrte ihr zu, wie in einer Predigt; ſagte da: man ſiehet ihr wohl an, daß ſie ein gutes Thier iſt; und erzaͤhlte denn, wie ſie daheim auch eine haben, die ſo gut ſey, und wie die vorige Woche ihres Bru - ders Kind unter ſie herunter gefallen, und mehr als eine Viertelſtund unter ihr auf dem Boden gelegen, ohne daß es jemand gewußt; und die Kuh haͤtte nicht mehr Sorg zu ihm tragen koͤnnen, wenn es ihr Kalb geweſen waͤre, bis jemand dazu gekommen, und ihn’s weggenommen.

Da ſie das erzaͤhlte, lehnte ſie ſich mit dem Arm dem Flek uͤber den Hals, und Gertrud hielte ihr da das Futter faſt vor; da nahm ſie eine Handvoll Salz und Geleck nach der ande - ren, ließ das Thier eine Weile aus der Hand freſſen; und da ſie fortgieng, that ſie noch ſo freundlich mit ihr, daß es nicht anderſt war, wie wenn ſie noch b’huͤte Gott zu ihr ſagte.

Von49

Von da mußte die Meyerin mit ihr in die neue Matte; ſie fuͤhrte ſie vom Haus weg, durch die groſſe Reihe von Fruchtbaͤumen, die alle bluͤhten, bis zu oberſt an den Haag.

Es iſt keine Matte ſo ſchoͤn im ganzen Dorf; und die Meyerin ſagte einmal uͤber das andere, es iſt doch ſchade, daß wir das Gras darinn ſo vertretten.

Das macht jezt nichts, erwiederte ihr dann Gertrud; du muſt doch auch einmal ſehen, wie es dem guten Mann wieder ſo aufgegan - gen.

Ja es muß ihm jezt doch wohl ſeyn, auf alles was er gehabt hat, ſagte die Meyerin, und fragte denn ſelber wo ſeine Kinder ſeyen.

Ich will dir ſie zeigen; Meyn! ſie ſind auch anderſt worden.

Aber der Vater, iſt er auch anderſt worden? erwiederte die Meyerin.

Das glaub ich, du wuͤrdeſt ihn nicht mehr kennen, ſo hat er ſein Haar, ſeinen Bart, und ſeine Kleider in der Ordnung, ſagte Gertrud.

Es wird gut ſeyn, wenn er einmal wieder heyrathen will, ſagte die Meyerin in aller Un - ſchuld.

Gertrud aber fuhr in ihrer Arbeit fort: bey der Kuh, in der Stube und auf der Matten war’s noch nichts; aber nun bey den Kin - dern Meyerin Meyerin, wie wird’sD50dir noch gehen; ſie ſtreicht jezt dem Rudelj ſeine gelben Loken, die uͤber die breite weiſſe Stirne herunter hiengen, zuruͤk: die Loke rollet ſich uͤber ihre Hand; die weiſſe Stirne iſt blos; der Bub liegt zuruͤk in ihren Arm, und thut ſein blaues groſſes Aug weit auf ge - gen die Meyerin, die vor ihm ſteht.

Das Naͤnnlj (Nanette) iſt ſchwaͤchlich, aber ein Blizaug tief im kleinen runden Kopf, und im Haar, fein wie Seiden, ſchwarz wie ſein Aug, und glatt wie ſeine Haut, machte die Meyerin ſelber ſagen, das wird ein Engel.

Vom Liſelj (Liſette) ſagte Gertrud, das wird, wills Gott, auch braf.

Es iſt einmal geſund und ſtark, erwiederte die Meyerin.

Dieſes Kind trieb ſein Rad, wie noch nie; und machte Garn, wie noch nie; Gertrud, die das im Vorbeygehen ſah, bog ſich zu ihm hin - unter, und ſagte ihm in’s Ohr, Augendienſt.

Der Heirlj ſaß mit ſeinem Rad hinter dem Ofen, da ſie ihm rief er ſoll hervor kommen, und ihnen ſein Garn bringen.

Sehet mir jezt den Buben, wie er vor Eifer das Maul zuſammenbeißt, ſein Garn in bey - den Haͤnden vor ſich hertragt und den zwey Weibern kek in die Augen ſieht, was ſie dazu ſagen wollen.

Sie ruͤhmen ihm’s jezt, und der Bub jauch -51 zet, ſpringt uͤber Tiſch und Baͤnk an’s Fenſter und nimmt da die Hand vor’s Maul vor La - chen.

Das iſt ein wilder, ſagte da die Meyerin. Nicht ſo gar, ſagte die Gertrud, rief dem Buben wieder er kam im Augenblik und ſie ſagte ihm: ſteh mir jezt da ſtill, du weiſſeſt, es giebt Staub in der Stube, wenn man ſo darinn herumſpringt.

Ich hab es jezt vergeſſen; es hat mich auch ſo gefreut, daß mein Garn recht iſt, ſagte der Bub und ſtuhnd ſtill an ihrer Hand wie ein Schaaf.

Da gieng ſie noch in die Nebenkammer, brachte des Rudis kleines Buͤbelj an ihrem Arm heraus und gab es der Meyerin.

Sie tragt’s alle Tag, wenn’s ſchoͤn Wetter iſt, und die andern zu ihr kommen und ſpin - nen, auch mit ihr heim, legt’s wenn es ſchla - fen will, mit ihrem Grittelj in die Nebenkam - mer ins Beth.

Jezt war es eben erwacht und hatte die ganze volle Farbe des geſunden Saug-Kinds das eben aus dem Schlaf kommt; es ſchuͤt - telte ſich, ranggelte auf der Meyerin Arm und riebe ſich die Augen, bis es recht erwachet, da war es gar freundlich mit ihr; ſie machte ihm mit ihrem Finger ſo uͤber die Lippen herauf und herunter, daß es toͤnte; das duͤnkte ihnsD 252luſtig; es langte mit ſeinen Haͤndlj ihr auch gegen das Maul, und wollte ihr auch ſo dar - an machen, daß es toͤne; da ſchnappete ſie ihm das Haͤndlj ins Maul, druͤkte es mit den Lippen zu, und es wandte und ſtraͤubte ſich und zog was es vermochte, bis das Haͤndchen wieder aus ihrem Mund war, und ſchottelte dann vor Lachen.

Jezt mitten in der Freude uͤber dieſes Kind ſagte Gertrud dann, wenn das arme Naͤrlj (Naͤrrchen) doch auch nur wieder eine Mutter haͤtte!

Aber wie ein Bliz ſpuͤhrte die Meyerin in ihren Augen, daß ſie etwas anders wolle; es fuhr ihr durch alle Adern, daß ſie in dieſem Augenblik den Arm, auf dem ſie das Kind hielt, ſo wenig fuͤhlte, als wenn ſie keinen haͤtte: ſie konnte auch nicht reden; was ſie that, war; ſie gab das Kind ab ihrem Arm der Gertrud wieder.

Was iſt jezt das? ſagte da dieſe.

Und die Meyerin, die ſich wieder etwas erholt, ſagte: es iſt mir ich ſey genug da geweſen; ſie blieb aber doch ſtehen.

Gertrud aber nahm ſie bey der Hand und ſagte: aber findſt jezt auch nicht, ſie haben wieder eine noͤthig?

Die Meyerin aber fuͤhlte jezt vollends wie - der, wo ſie ihre Finger und ihre Zehen,53 will geſchweigen ihren Arm hatte, und ſagte der Gertrud mit einem Blik wie ſie ihr noch keinen gab wer ſagt aber nein?

Gertrud erwiedert: es ſind gewiß im gan - zen Dorf keine die es ſo noͤthig haͤtten.

Die Meyerin aber ſagte ihr: das iſt ein - mal fuͤr eins nicht wahr.

Und Gertrud: wie meynſt du jezt auch das?

Meyerin. Ich meyne wie ich ſage; es ſind vielleicht im ganzen Dorf keine die we - niger eine Mutter noͤthig haben als dieſe.

Das war Gertrud ein Raͤthſel; ſie ſagte: ich weiß nicht wie du das verſtehſt?

Und die Meyerin: du geheſt ihnen fuͤr 7 Muͤtter

Und dann zu den Kindern: Gaͤllet (nicht wahr?) Kinder? ihr wolltet die Frau lieber als eine neue Mutter?

Das glaub ich, das glaub ich riefen die Kinder: lieber als hundert Muͤtter.

Es iſt doch dumm, wie du mir’s machſt, ſagte da Gertrud

Und die Meyerin: du haſt mir’s nur zu geſcheid machen wollen.

Gertrud. Ha, ich meyn einmal, er doͤrf ſich jezt anmelden, wo er wolle.

Meyerin. Laͤchlend das wird ihm niemand wehren.

D 354

Gertrud. Du ſagſt das ſo ſpoͤttiſch.

Meyerin. Willſt du daß ich dir ſage wa - rum?

Gertrud. Ja!

Meyerin. Weil du ſo partheyiſch biſt.

Gertrud. Worinn bin ich denn partheyiſch?

Meyerin. Daß du meynen kannſt es wer - de jedermann nach ſieben Kindern die Fin - ger ausſtreken.

Gertrud. Mir einmal wuͤrde das nichts machen.

Meyerin. Es weiß einer noch nicht.

Gertrnd. Sie ſind ja ſo gut.

Meyerin. Darwieder hab ich gar nichts.

Gertrud. Und er iſt wie die liebe Stund.

Meyerin. Ich dachte, du bringeſt das auch noch.

Gertrud. Es iſt einmal wahr.

Meyerin. Und dann iſt er auch noch gar jung.

Gertrud. Das hab ich jezt doch nicht geſagt.

Meyerin. Es nihmt mich eben Wunder.

Gertrud. Aber er ſcheint doch gewiß juͤnger.

Meyerin. Als vor 6 Wochen.

Gertrud. Sicher.

Meyerin. So.

Gertrud. Duͤnkts dich denn nicht?

55

Meyerin. Ja ich gib darauf Achtung.

Gertrud. Es waͤr nicht geſchworen.

Meyerin. Aber genarret.

Gertrud. Ich meyne es nicht.

Meyerin. Aber was denkſt du auch?

Gertrud. Du weiſſeſt es wohl.

Meyerin. Ich will jezt heim.

Gertrud. Wart nur auch noch einen Augenblik.

Meyerin. Nicht einen halben. (Sie blieb doch ſtehen.)

Gertrud. Ich bitte

Meyerin. Nein, ich muß gehen. (Sie will nach der Thuͤr.)

Gertrud ſagt: So unfreundlich laſſe ich dich einmal nicht von den Kinderen fort.

Was muß ich dann machen, ſagte die Meyerin

Und Gertrud: Einmal auch b’huͤte Gott zu ihnen ſagen.

Meyerin. Nu! das kan ich ja wohl; b’huͤte Gott ihr Kinder!

Und dann lachend zur Gertrud: haſt jezt g’hoͤrt, ich habe jezt b’huͤte Gott zu ihnen geſagt.

Gertrud. Und wenn du denn wieder komſt, ſo ſagſt du denn wieder Gott gruͤß euch.

Mit dieſem that ſie denn die Thuͤre auf, und gieng fort; aber ſie war feuerroth, ſahD 456noch unter der Thuͤr gegen die Seithe der Stube, wo des Rudis Kinder ſaſſen, und gieng einen ganz anderen Schritt die Treppe hinunter und uͤber die Gaß, als ſonſt.

Gertrud ſah ihr vom Fenſter nach, und fand an dieſem Schritt und an allem; der erſte Wurf fuͤr den Rudi ſey nicht uͤbel aus - gefallen.

§. 13. Ein Lieutenant wird Dorf-Schulmei - ſter; und einer ſchoͤnen Frau wird ohnmaͤchtig.

Es war Nacht, und man hatte mit dem Eſſen ſchon lange gewartet, als der Junker am Sonntag von Bonnal heim kam. Er brachte Thereſen des Mareyli Kram ſel - ber in der Hand auf den Tiſch, und ſie red - ten das ganze Eſſen von nichts als ihm und ſeinem Bruder; und wer am Tiſch ſaß, aſſe mit Freuden von ſeinen Bauren-Kuͤch - lenen. (Kuchen)

Der Junker aber blieb mit ſeinem Gluͤ - phi bis um Mitternacht auf, und redte mit ihm uͤber das was dieſe Leuthe von den Um - ſtaͤnden des Dorfes und der Schul mit ihm geredet.

57

Der Gluͤphi iſt ein bleſſierter abgedankter Lieutenant, den der Junker zum Feldmeſſen und dergleichen Sachen, ſchon uͤber Jahr und Tag im Schloß hatte; dieſer Mann lehrte in dieſer Zeit, ohne daß es jemand von ihm forderte, den Hauslehrer des Jun - kers viel ſchoͤner ſchreiben, grundlicher und vortheilhafter rechnen, etwas zeichnen, Land ausmeſſen, auf’s Papyr tragen, und noch mehr ſolche Sachen; hauptſaͤchlich aber ge - gen ſeinen Carl mit einer militariſchen Ord - nung und Feſtigkeit zu Werk gehen; es war ihm wie nichts was der dem Stollenberger zeigte, und er brachte ihm alles, wenn er auch vorher nicht den geringſten Begriff da - von hatte, ſo leicht in Kopf, daß der jun - ge Mann nothwendig auf den Gedanken fal - len mußte, wenn ein Menſch im Stand ſey, eine Schule einzurichten, wie es der Jun - ker im Sinn habe, um ein ganzes Dorf durch ſie in ein ander Modell zu gieſſen, ſo ſey es dieſer Mann.

Der Stollenberger hat ſich nicht betrogen; und der Gluͤphi hat den Poſten, Schulmei - ſter in Bonnal zu werden, angenohmen, ſobald ihm der Junker davon redte, und ſich das einige Bedingniß vorbehalten, daß er im Ernſt Meiſter darinn ſeyn wolle.

Und das iſt der Mann, mit dem der Jun -58 ker jezt bis nach Mitternacht uͤber das redte, was ich eben geſagt.

Der Junker hatte jezt vollends nichts im Kopf, als dieſe neue Schul; er redete mit jedermann, der ihm lieb war, von ihr, und brauchte manchmal die ſonderbahrſten Aus - druͤke; Er ſagte einmal zum Lieutenant, das ſeye jezt ſein Feldzug, und es werde ſich hierinn zeigen, ob er ein Mann ſey oder nicht.

Zum Rollenberger ſagte er: er vergeſſe ob dieſem ſeinen Buben;

Und zur Thereſe: dieſes Weſen ſey jezt ſeine zweyte Braut, und liege ihm im Kopf wie ſie vor 12 Jahren.

Es iſt recht, ſagte Thereſe; ein Mann iſt kein Mann, wenn er in deinem Alter nicht etwas hat das ihn mit Leib und Seel einnihmt.

Ja aber wenn mich das neue Weſen nur nicht ſo lang warten laßt eh es mir zeiget, wie ich’s mit ihm habe wie du ſagte Arner.

Thereſe lachte und ſagte: es machte nichts.

Aber er war allzuſehr uͤberlaufen; er hatte jezt den Nahmen eines guten Manns; und wo dieſer Nahme laut wird, da laufen allemal Narren und Schelmen zu, einem, Zeit und Geld zu ſtehlen.

Und ſo giengs ihm: es meynte ein jeder, er koͤnne nur zu ihm laufen und ihm einſchwa - zen und abbaͤttlen was er wolle.

59

Er wußte es nicht; und meynte noch erſt vor kurzem, er muͤſſe einen jeden anhoͤren ſo lang er rede; und Antwort geben wenn er komme; aber er fieng an zu ſpuͤhren, daß man ihm taͤglich mehr unnuͤzes Geſchwaͤz, und oft noch gar Luͤgen in die Stube hinein bringe; und ſo uͤberladen als er jezt war, fuͤhlte er die ganze Laſt dieſes Jugendfehlers, und nahm den Entſchluß, den erſten Anlaß zu ergreifen, dieſer Zudringlichkeit ein Ende zu machen, und den erſten beſten, der es ein wenig arg machen werde, alſo zu beſchaͤmen, daß die andern bey Haus bleiben wenn ſie nichts bey ihm zu thun haben. Es traf eine Linden - bergerin. Als dieſe vernahm wie und was er mit dem Baumwollen-Meyer und ſeiner Schweſter geſchwazt, ſtellte ſie ſich vor, ſie ſeye gar viel mehr als dieſe Schnattergans, und wiſſe gar viel beſſer wie es im Dorf ſtehe als ſie und ihr Bruder der Heinimuch: ſie meynte oben darein ſie ſey auch aufs wenigſte ſo artig als Gertrud; und koͤnne ſicher beſſer ſchwazen als ſie.

Da puzte ſie ſich auf als wenn ſie an eine Hochzeit wollte, traͤumte den ganzen Weg uͤber von den hundert Sachen die ſie dem Junker uͤber das Dorf erzaͤhlen wolle, und von denen das Mareylj und der Meyer ihr Lebtag kein Wort vernohmen.

60

Der Junker ließ ſie munter reden; gab genau von Wort zu Wort Achtung was ſie ſage; aber nicht ein Wort Antwort. Im Anfang meynte ſie, das mache nichts, es werde ſchon kommen: aber bald verwirrte es ſie, daß es nicht mehr gut fort wollte, und die Sachen ihr durch einander kamen, wie ſie ihr nicht durch einander kommen ſollten.

Je mehr ſie ſich verwirrte, je ſteifer ſah ſie Arner an.

Das Herz entfiel ihr; ſie dorfte nicht mehr; ſie kehrte die Verlaͤumdungen um, entſchul - digte was ſie verlaͤumdet, ſtotterte im Reden, ſchlug die Augen nieder, verlohr ihre Farb und wußte nicht was ſie mit ihren Haͤnden machen wollte.

Da er ſie ſo weit gebracht, that er endlich den Mund auf, und fragte: biſt du jezt fertig?

Es ſtarrte ihr im Mund, was ſie reden wollte: Arner klinglete: ließ die Au - dienz-Thuͤr ſpeer aufmachen, und befahl denn vor allen Leuthen, die da ſtuhnden, dem Har - ſchier, daß Menſch am hellen Mittag heim und das Dorf auf - und abzufuͤhren, damit es ein - andermal lehrne daheim bleiben und ſein Dorf und ſeine Nachbarn nicht ohne Noth und Ur - ſach verlaͤumden.

Es war dem armen Mutterkind faſt ohn - maͤchtig, da das begegnete; es zitterte ſprach -61 los zu ſeinen Fuͤſſen: Er aber kehrte ſich von ihr weg und ſagte, du haſt eine wuͤſte garſtige Seele.

Zu ihrem Gluͤk gieng Thereſe eben durch den Gang, vor der Audienz-Thuͤre, in eine hintere Stube, ſah das ſchoͤne Menſch am Boden; horte warum, und ein Wort, das ſie lachend fallen ließ, machte daß der Junker das Menſch ohne Harſchier heimgehen ließ.

Von dieſer Stund an aber lieſſen ihn doch die Leuthe ruhig, die nichts bey ihm zu thun hatten.

§. 14. Ein Großmutter-Gemaͤhld.

Es kam Arner wohl, beſonders jezt, da die zwey Tage, die er am Sonntag verleſen laſſen, vor der Thuͤre waren.

Er hatte bis dann alle Haͤnd voll zu thun; des Vogts Rechnungen mußten zum voraus eingeſehen und unterſucht ſeyn.

Das Ried, das man vertheilen wollte, mußte abgeſtekt und ausgemeſſen ſeyn.

Er hatte mit Gluͤphi hundert Sachen we - gen den Schuleinrichtungen abzureden.

Die Einrichtungen mit den Geiſſen und Baͤumen, die er austheilen wollte, forder - ten Ueberlegung und Zeit.

62

Und er wollte noch die Urkunden des Feſts, das er in Bonnal ſtiften wollte, fer - tig haben, und dem Pfarrer einhaͤndigen.

Er war am Mittwoch Abends ſo zimlich mit dieſem allem fertig; am Donſtag Mor - gens gieng e[r]denn ſo fruͤh, daß es noch nicht heiter war, mit ſeinem Lieutenant zu Fuß nach Bonnal; die Kutſche war ſchon angeſpannt, aber der Tag duͤnkte ſie, als ſie eben einſteigen wollten, zu ſchoͤn, daß ſie lie - ber zu Fuß uͤber den Berg giengen.

Sobald ſie ankamen, ſandte er ſeinen Klaus zum Mareylj, mit einem Gruß von ſeiner Frauen, und einem Geſchenk fuͤr die Kuchen die es ihr geſchikt.

Aber da das Mareylj das Papyr aufthat, und die ſchoͤne Leinwand, die ihm die Jun - kerin ſandte, ſahe, ſagte es wohl dreymal; biſt doch auch nicht verirret? und iſt’s doch auch wahr, daß die Junkerin mir das ſchikt? Der Klaus mußte lachen, und ſagte eben ſo manchmal, er ſey gewiß nicht ver - irret; der Junker und die Frau haben es ihm beyde befohlen. Es aber ſtellte dem Klaus vor was es im Haus hatte; Brentz, und Wein, und Kaͤß; und bath ihn wenn er etwa noch nuͤchtern, und etwas anders wolle, ſo ſolle er es doch ſagen.

Es lief mit ſeinem ſchoͤnen Tuch die Trep -63 pe hinauf zu ſeinem Bruder, der noch im Bett war; und zu einem Kind nach dem anderen, und zeigte ihnen, was es heute am Morgen ſchon von der Junkerin fuͤr ei - nen Kram bekommen.

Es kam aber bald wieder herunter und ſuchte dem Klaus vom feinſten Garn das es im Haus hatte, aus, zu einem paar Kap - pen, legte ihm wohl das halbe gutes Tuͤr - kengarn und dunkelblaues dazu, daß ſie recht ſchoͤn werden; und er mußte das abnehmen; es lieſſe ihn nicht zum Haus hinaus bis er’s im Sak hatte.

Dem Junker aber hieſſe es ihn nicht dan - ken, es lief mit ihm in’s Pfarrhaus und that es ſelber.

Der Junker ſagte ihm mit Lachen, wenn es ihn’s ſo freue, ſo ſolle es einmal in’s Schloß kommen, und ſeiner Frauen ſelber danken.

Wie wollte ich auch das doͤrfen? ſagte das Mareylj und der Junker: warum ſollteſt du das nicht doͤrfen?

Darauf ſagte es wieder: es iſt jezt uͤber 30 Jahr ſint dem ich niemal mehr in eue - rem Schloß geweſen; Da einmal euere Großmutter nein euers Großvaters Mutter hat noch gelebt; aber ſie iſt da juſt in dem Sommer darauf geſtorben da64 bin ich einmal darinn geweſen; und fieng dann an zu erzehlen:

Es war um die Weyhnacht herum, und ich hab in Gottes Nahmen gebettlet, und bin vor Kaͤlte faſt erſtarret, ehe mich je - mand geſehen; da iſt die ſteinalte Frau, die mich am Fenſter muß geachtet haben, die beyden Treppen vor dem Schloß zu mir hin - untergekommen und Junker! wenn ſie ſchon meine Mutter geweſen waͤre, ſie haͤtte nicht koͤnnen beſſer mit mir ſeyn Sie hat mich im Augenblik an der Hand in ei - ne warme Stube gefuͤhrt, die unten im Hof war. Aber man ſagt: es ſey jezt al - les anderſt Sie ließ mir eine Milchſup - pe kochen und Brod geben ſo viel ich mochte; ich konnte vor frieren im Anfang faſt nicht eſſen, und waͤrmte mich zuerſt am Ofen und weinete; da iſt ſie zu mir geſtanden, und hat Stuk fuͤr Stuk alle Fezzen, (Kleider) die ich angehabt, in die Haͤnde genohmen; und es iſt mir ich ſehe ſie noch jezt vor mir zu, den Kopf ſchuͤttlen, und ein paar mal ſeufzen, da ich auch gar nichts ganzes und nichts warmes an mir hatte: Sie iſt da fort - gegangen, und eine Viertelſtund darauf mit einem ganzen Buͤndel Kleider wieder herunter - gekommen und hat ſie mir ſelber vom Kopf bis zu den Fuͤſſen anlegen helfen, und Schuhgegeben;65gegeben; und beyde Saͤk im Rok ſind denn noch voll gedoͤrrte Biren und Zwetſchgen ge - weſen.

Jezt einsmals ſah das Mareylj den Jun - ker an, wie wenn es ihn durchſehen wollte, und ſagte denn: Herr Jeſus! ihr ſehet ihr auch gleich es iſt mir ſie ſtehe jezt wie - der vor mir.

Und ich meyne denn noch, ſie habe euch an der Hand gehabt, da ſie das andere mal die Treppe hinunter kam; einmal hat ſie einen ſchoͤnen jungen Buben, der ihr nahe am Her - zen gelegen ſeyn muß, bey ſich gehabt, und hat die ganze Zeit, da ſie mich angekleidet hat, faſt nur mit ihm geredt; und ich meyne ich woll - te noch ſagen koͤnnen, was ſie zu ihm geſagt.

Der Junker konnte es nicht mehr aushal - ten; er mußte beyſeits gehen und ſeinen Thraͤ - nen den Lauf laſſen: Es war ſein leztes Den - ken, und er wußte ſich noch aller Umſtaͤnden zu erinneren wie ihn die liebe Ahnfrau in des Bauren Stuben neben das Kind auf den Ofenbank hingeſezt, und waͤhrend ſie ihn an - kleidete, zu ihm geſagt, lieber Carl! Ich bin nicht mehr lang bey dir, aber denk an das; die Zeiten werden ſchlimm, und man macht ſich nichts mehr draus, ob die Menſchen die einem zugehoͤren, verfaulen oder verderben. Um Gottes willen Carl! trachte daß du mitE66Ruhe alt werdeſt, und nichts ſo auf deinem Gewiſſen habeſt: wehre den Anfaͤngen, und mach daß dein Lebtag dir kein Kind aus dei - nen Doͤrferen ſo vor die Augen komme wie das.

Der Junker ließ das Mareylj gehen, und war jezt allein bis es neune ſchlug.

Man ſagt ſo viel was es brauche, Land und Leuth zu regieren; ich moͤchte jezt ſagen; es braucht ſo eine Großmutter und ein Herz das dreyßig Jahr ſo an ein Groß-Mutterwort ſinnet (denkt) ohne es zu vergeſſen, dazu; ein - mal wer das hat, kann viel anders entbeh - ren.

Der Werth der Menſchen war in dieſer Stund groß in Arners Augen.

§. 15. Das Menſchen-Herz; und ein Hans, der gut und boͤs iſt.

Er ſtuhnd noch da wie in einem Traum, da es 9 Uhr ſchlug, und er an ſeine Ge - ſchaͤfte unter die Linde ſollte.

Das Vertheilen des Rieds that den Reichen noch immer gleich weh, ſie ſuchten es zwahr zu verbergen; doch floß hie und da ein Wort, das deutlich zeigte, wie es immer noch dieß -67 falls unter dem Bruſtflek daruͤber bey ihnen ausſahe.

Wenn’s Niemand hoͤrte, warfen ſie ſo die Koͤpf gegen einander und ſagten; es iſt jezt das.

Der Stieren Bauer fluchte bey einem Nach - bar, dem er wohl traute, aber auch nur in’s Ohr: es ſchade ihm mehr als hundert Gulden; er habe das Jahr durch immer 10 bis 12 Stuͤk Vieh darauf gehalten, und ſie ſeyen ihm ſtokfett geblieben.

Ein anderer ſagte: Er habe ſie nicht genuzt: aber er wollte doch ein gutes Stuͤk Geld ge - ben, es waͤre noch wie es geweſen.

Und noch andere: Das Lumpenvolk ſtreke alles die Koͤpf, und ein jeder Baͤttelhund la - che in die Fauſt, wenn er unſer einen ſehe, daß ſie ſo Meiſter worden.

Die Armen machten’s nicht beſſer.

Wo ſie allein waren, verſpotteten ſie die Reichen, ob dem Verdruß den ſie haben, daß der Teufel ihnen einmal einen Schuhbreit Land aus den Klauen genohmen; wenn denn aber ein Dikbauch um die wege war, ſo zogen ſie ihm den Spek durchs Maul, ſagten dieß und das uͤber das neue Land, ob es noch eine Frage ſey, daß es einen ſo groſſen Vortheil abtrage, als jezt einige dergleichen thuͤen? Und noch eine groͤſſere; ob das Weſen dennE 268Beſtand haben werde? Ihrer etliche thaten noch gar, wie wenn ſie ſich entſchuldigen woll - ten, und ſagten: Ihrenthalber waͤr es ihr Lebtag gut geweſen, wie es geweſen, und ſie ſeyen einmal nicht Schuld.

Der Marx unter anderen ſagte dem Ge - vatter Aebj, bey dem er ſaß; er meyne ein - mal, ſo alt er ſey, ſo erlebe er es doch noch, daß es mit dieſen Aekern anderſt komme; und er ſeinethalben habe einmal nicht darauf ge - ſehen. Aber der Vorgeſezte kehrte ſich von ihm weg, und ſagte ihm: Es iſt kein Hund ſo froh uͤber ein Stuͤk Brod als du uͤber dieſe Aecker.

So bald der Hans aus dem Pfarrhaus un - ter die Linde kam, ſezte er ſich neben den Kal - berleder nieder; das gefiel dieſem ſchon nicht; er wollte aufſtehen und an ein ander Ort hin - ſizen: aber der Hans dupfte ihn mit ſeiner breiten Hand auf die Hoſen, daß er im Au - genblik wieder auf dem Bank ſaß.

Was iſt das unverſchaͤmtes? ſagte da dieſer.

Ha! Wir haben etwas mit einander zu reden; erwiederte der Hans.

Kalberleder. Was iſt’s? was haſt mit mir?

Hans. Nichts anders als daß du mich und den Herrn Pfarrer mit dem Nußbaum fuͤr einen Narren gehalten.

69

Kalberleder. Das iſt nicht wahr; nicht wahr: ich habe Niemand fuͤr einen Narren gehalten.

Hans. Du haſt doch den Baum nicht ab - gehauen, wie du geſagt haſt.

Kalberleder. Ja, ja das war ein Mißverſtand ein Mißverſtand.

Hans. Was fuͤr ein Mißverſtand?

Kalberleder. Der Vater hat einen ganz andern Baum gemeynt; ich hab ihn nur un - recht verſtanden.

Hans. So aber was fuͤr einen auch?

Kalberleder. Einen andern hoͤrſt wohl.

Hans. Wo ſteht der andere?

Kalberleder. Das geht dich nichts an ich bin dir’s gar nicht ſchuldig zu ſagen.

Hans. Aber wenn ich dich waͤr, ich wollte dießmal ſo gut ſeyn und es nun ſagen.

Kalberleder. Wenn du’s wiſſen willſt; er ſteht im Tobel.

Hans. So?

Kalberleder. Ja, ja; das iſt ganz ſicher.

Hans. Haſt du einen Nußbaum im To - bel?

Kalberleder. Ja, mehr als einen.

Hans. Haſt aber auch einen umgehauen im Tobel?

Kalberleder. Nein, noch nicht; aber was nicht iſt, kann geſchehen.

E 370

Hans. So! Du haſt hiemit noch keinen umgehauen, wenn du ſchon ſo verirret?

Kalberleder. Preſſiert es?

Hans. Mir gar nicht aber dir hat’s preſſieren ſollen wenn du dich mit Ehren haſt heraus laͤugnen wollen.

Kalberleder. Was heraus laͤugnen?

Hans. Ich mag jezt nicht mit dir zanken: ich will dir gar kurz ſagen:

Wann du unſern Garten-Nachbar, nicht vor Sonnen Untergang vom Leben zum Tod bringſt, ſo will ich morn am Morgen auf eine Art mit dir reden, daß du ſieben Nußbaͤum dafuͤr gaͤbeſt, du haͤtteſt meinem guten Rath gefolget.

Der Kalberleder wußte nicht wie ihm war, und konnte nicht begreifen, wo der Lumpen - hans das Herz hernehme, ſo mit ihm zu reden.

Der Hans aber ließ ihn das Maul nicht auf - thun, und ſagte grad darauf wieder, du kanſt jezt nur gehen und ſizen, wo es dich wohl freut ich hab dir nichts mehr zu ſagen.

Der Kalberleder antwortete: es iſt mir wohl genug da.

Aber mir nicht: ſagte der Hans; ſtuhnd auf, ſezte ſich etliche Schritt von ihm bey ei - nem alten armen Mann ab, der ſein Vetter war, und gab dieſem denn bald ſein Morgen - brod, das er bey ſich hatte, aus dem Sack. 71 Er ſchob es ihm unter den Rok, damit es niemand ſehe. Der Alte nahm einen Mund voll nach dem andern davon ins Maul und kauete den ganzen Morgen daran.

§. 16. Ein Wort daruͤber, was die Bauren ſind wie und wo und wann ſie zei - gen, was ſie ſind und was ſie nicht ſeyn doͤrfen.

Sie hatten auf der Allment nichts zu thun als die Aecker, die ſchon abgeſtekt und ausgemeſſen waren, durch das Loos zu ver - theilen.

Neunzig Juchart von dieſem Land, welche zu einer Waͤſſermatten beſtimmt waren, konnte man noch nicht vertheilen: das Waſſer war noch nicht vollends bey einander, und die Graͤ - ben, die man zuerſt machen muß, waren noch nicht abgeſtekt: aber Waſſer ſelber war ſchon ſo viel da, daß es ein Muͤhlerad getrieben haͤtte, und das vom allerbeſten zum Gras treiben. Es rinnt auf allen Seiten uͤber die Aecker; und wo ein Tropfen davon hinkommt, da grunet es, daß kein Menſch im Dorf mehr iſt, der daran zweifelt, dieſe 90 Jucharten ſeyen ſo viel als eine gerathene Matten.

E 472

Arner ließ die Bauren jezt machen, wie wenn er nicht da waͤre; er wußte daß die Bauren, wenn ſie Land theilen und wie al - lein ſind, ſich ganz anders zeigen als wenn ſie mit dem Hut in der Hand vor dem Erb - herrn ſtehen und gerne haͤtten daß er ſie fuͤr arme Troͤpf und Halbnarren hielt.

Mein Großvater hatte zum Sprichwort: das Theilen zeiget was die Leuthe ſind, und das Haben macht aus ihnen was ſie ſind.

Der Junker nuͤzte den Anlaß, den er hatte, ſeine Leuthe kennen zu lehrnen; Er entzog ihnen keinen Blik, und ſah bey je - dem beſſeren Stuͤk Land, wie ſie ihre Gie - rigkeit auf hunderterley Art aͤuſſerten.

Es war dem einten im Mund, dem an - dern im Aug, dem dritten in Haͤnden, dem vierten in Fuͤſſen, wie man ihn anſah; je nachdem er einen dikeren Bauch, oder laͤn - gere Beine, oder einen platten oder einen ſpizigen Kopf, ein ſchmales oder ein breites Maul, oder ſo oder eine andere Naſe und Stirn hatte, ſo zeigte er auch dieſe Gierig - keit anderſt als alle anderen.

Das war Eins. Neben dem hoͤrte er in dieſen paar Stunden mehr wahres uͤber den eigentlichen Feldbau und uͤber die hun - derterley Umſtaͤnde, auf welche es dem Baur, ohne daß er davon redt, hauptſaͤchlich an -73 kommt, wenn er uͤber ein Stuͤk Land den geraden Weg urtheilt, was es ihm werth ſey Man kan nicht glauben was fuͤr al - lerley kleine Umſtaͤnde in ſolchen Faͤllen vor - kommen, die ſie in Anſchlag bringen, und weder vorher noch darnach das Maul dar - uͤber aufthun.

Bald iſt’s mehr hinter dem Wind, bald iſt’s den Regenguͤſſen mehr ausgeſezt, bald iſt eine verborgene Naͤſſe, bald etwa ein groſ - ſer Stein unter dem Herd verborgen bald Sand oder Grien, der den Miſt frist bald ein Vortheil oder Nachtheil im zu - oder wegfahren bald ein guter oder boͤſer Nachbar, und hundert dergleichen Um - ſtaͤnd, und warum ein Stuͤk oft das dop - pelte mehr oder minder gilt als ein anders; und es iſt einem Erbherrn Gold werth, den Feldbau ſeines Lands biß auf dieſe kleine Umſtaͤnde herab zu kennen.

Ein drittes das ihm, und beſonders dem Lieutenant Freud machte, war; Sie ſahen dann und wann einen armen Mann, wann er ein gutes Loos zog, jauchzend auf die Allment ſpringen, und dann keker als vorher, etwann gar mit dem Hut auf dem Kopf, neben einem Dikbauch abſizen.

Aber je mehr Arme gluͤklich zogen und ihre Freude zeigten, je mehr zeigten auch74 die Dikbaͤuch ihren Unmuth, und fiengen links und rechts an Stichelwort fallen zu laſſen.

Aber es war zur Unzeit; ein paar Bu - ben riefen in voller Freude uͤber ihr Loos, uͤberlaut, wenn die Maulhaͤnger nichts an - ders koͤnnen, als uns unſere Freude verder - ben, ſo koͤnnten ſie wohl heim gehen.

Das gab ein Gelaͤchter; der am lauteſten lachte, war der Lieutenant; er ſagte zum Junker: ſo muß es kommen, wenn der Baur im feißten Fell lernen ſoll, daß er nicht mehr iſt als der im magern: und wann ich Schul halte, ſo iſt das eine von den erſten Sachen, die ich meinen Kinderen in ihren Kopf hineinbringen will

Ja! ſagte Arner, wann denn die Herren und Junkern nur auch ſo Schulmeiſter haͤt - ten, die es ihnen in den Kopf hineinbraͤch - ten, Fellshalber ſich weniger einzubilden.

Das iſt auch wahr, ſagte der Lieutenant: und ſezte hinzu, der Baur iſt nur das Kind und die Staͤnde ob ihm ſind die eigent - liche Vaͤter des Unſinns den Werth der Menſchen mit ihrem Fell zu wechſeln.

Er ſagte noch mehr: ich erzaͤhle es euch nicht, ihr moͤchtet meynen, ihr doͤrftet auch ſo reden, und das geht nicht an: So ein Herr, der weit und breit die Welt erfahren, und den man zu etwas braucht das mehr75 als Schweffelhoͤlzli machen iſt, darf, wenn er auch ſchon ein armer Herr iſt, inſonder - heit neben ſo einem Junker zu, wohl ſo ein Wort fallen laſſen Aber wenn ein Baur frech redet, ſo Gnad Gott ſeinem Haus und Heimath es iſt wie wenn er Zaun und Marchen von ſeinem Hoof verlohren.

§. 17. Dieſes Gemaͤhld iſt nichts weniger als Spaß, ſondern ganz nach der Natur.

Es war ſo des Lieutenants Soldatenart, heraus zu ſagen was er denkte. Am glei - chen Tag uͤber das Mittageſſen ſagte er zum Pfarrer, ich will einmal mit dem Liri Lari - weſen, das man ſonſt in der Schul treibt, nicht zu thun haben.

Es iſt nur die Frage, was ihr unter dem Liri Lariweſen verſteht: ſagt der Pfarrer.

Da habt ihr auch recht, erwiederte der Lieu - tenant; nahm eine Priſe Tabak und hielt ei - nen Augenblik die Lippen veſter, als ſonſt, uͤber einander, und was er ſelten that die Augen im Kopf ſtill.

Als ſie wieder giengen, ſagte er denn, Herr Pfarrer! fuͤr Liri Lariweſen in der Schul hal - te ich alles was den Kinderen ſo eine Art giebt,76 mit dem Maul ein Weit und Breites uͤber die Sachen zu machen und ihnen die Einbildung im Kopf ſo anfuͤllt, daß das rechte Alltags - hirn und der Brauchverſtand im menſchlichen Leben darunter leidet.

Pfarrer. Gut erklaͤrt Herr Profeſſor! ich bin des Liri Lariweſens halber jezt voͤllig Ihrer Meynung.

Der Lieutenant. Den Pfarrer ſteif anſe - hend; ſo weit ſie langt?

Pfarrer. Ja, ſo weit ſie langt ich bin uͤberzeugt daß man die Menſchen unverhaͤlt - nißmaͤßig viel mit dem Maul lehrt, und daß man ihre beſten Anlagen verderbt, und das Fundament ihres Hausgluͤks zerſtoͤrt; indem man ihnen den Kopf voll Woͤrter macht, ehe ſie Verſtand und Erfahrung haben.

Lieutenant. Nun! ſo haͤtte ich nicht aus - druͤken koͤnnen was ich meyne.

Pfarrer. Sie ſcherzen. Aber wie ha - ben Sie in ihrem Stand, den Schaden des Wortweſens, der, wenn man das Kind mit ſeinem rechten Nahmen taufen wollte, der Pfrund - und Pfarrer-Schaden heiſſen ſollte, ſo kennen gelehrnt?

Lieutenant. Mein lahmes Bein und mein vieljaͤhriges Brodſuchen hat mich gar vieles kennen gelehrnt; und ſo gewiß als mir ein Herr lahm vorgeprediget, was er mir vor eine Ar - beit auftrage, ſo gewiß gab’s hinten nach dieß77 oder jenes daraus, daraus ich ſehen koͤnnen, daß es ein ſchlechter Herr war: und auch in denen 2 Jahren, da ich gedienet, hab ich er - fahren was aus dem Menſchen wird, wenn er mit dem Maul zu viel kann.

Es iſt kein untreuerer Hund unter den Truppen, als mein Obriſt war; er gab mir auch wie ein Gaudieb den Abſcheid; ſein Hun - dengeiz machte, daß das Regiment alle Monath Noth litt; aber wenn’s bis auf den lezten Mann zu Grund gegangen waͤr, ſo haͤtte er ſich immer heraus liegen koͤnnen. Es iſt in allen vier Welttheilen nichts Gutes, von dem er nicht redte; aber wenn der Teufel ſelbſt neben ihm zu geſtanden waͤr, ſo haͤtte er nicht zu zoͤrnen gehabt von allem was er daruͤber ſagte: denn er redte nur. Und es iſt in allen vier Welttheilen kein Punkt Gutes, das er nur mit einem Wort befordert haͤtte; und doch war bis auf den Profoſen herunter Nie - mand, dem er nicht an den Fingern her er - zaͤhlte, was und wie viel er in ſeinem Fach und an ſeinem Plaz beſſer einrichten koͤnnen; und wenn’s an’s Mezgen gieng, konnte er vor der Fronte reden wie ein Engel, und den armen Tropfen, denen oft der Bauch vor Hun - ger klirrte, ſo laut, daß es durch Berg und Thal ertoͤnte, zurufen: G’hinder, es iſt fuͤr eueren G’hoͤnig und fuͤr euer H’atterland ’altet euch wohl!

78

Alles was am Tiſch war, mußte vor Lachen den Bauch halten uͤber das G’hinder, H’at - terland und ’altet euch wohl: das der Lieu - tenant, ſo viel er aus dem Hals vermochte, ausſchrie.

Der Pfarrer lachte nicht: Ernſt, wie der Tod, ſagte er: wir Pfarrer ſind auch ſolche Oberſte, wenn wir einem armen, an Leib und Seel unverſorgten Volk in den Tag hinein Predigten vorſagen, und Kinder, die ſichtbar ohne Erziehung und Hilfe, einem elenden Leben entgegen gehen, in den Tag hinein un - terrichten oder mit Worten abſpeiſen: es ge - het mir durch Mark und Bein es iſt bis auf den Schreyer-Ausdruk der Worte: Kinder, Koͤnig, Vaterland, die gleiche Sache, wenn man mit einem leeren Wortunterricht das unverſorgte Volk auf den ewigen Koͤnig und auf das ewige Vaterland hinweißt, und ihm eben ſo zuruft, haltet euch wohl. Am Ende ſagte er: was mich troͤſtet, iſt, wir ſind meiſtens auch nicht Schuld und viele von uns thaͤten gewiß mehr wenn ſie koͤnnten: aber ewig iſt es wahr, der Schade iſt nicht abzuſehen, daß man den Unterricht und den Troſt der Menſchen ſo ſehr an vieles Wort - brauchen bindet.

Ja, ja, ſagt der Lieutenant; Thaten lehren den Menſchen, und Thaten troͤſten ihn79 fort mit den Worten! Und der Degen - knopf hat recht.

§. 18. Worauf eine gute Schule ſich gruͤnde.

Der Junker hatte, ſint dem er vom Baum - wollen-Meyer heimgekommen, jeden Augenblik, den er ſtaͤhlen konnte, mit dem Lieutenannt zugebracht, um mit ihm von den Einrichtungen zu reden die ſie wegen ih - rer neuen Schul machen wollten.

Sie fanden beyde: ein Kind ſeye in aller Welt vorzuͤglich gut erzogen, wenn es daͤsje - nige, was in aller Abſicht im Alter das ſeini - ge ſeyn wird, wohl zu aͤufnen und in der Ord - nung zu halten, und zu ſeinem und der ſeini - gen guten Wohlſtand zu gebrauchen gelehrnt hat.

Dieſer vorzuͤgliche Endzwek aller Erziehung ſchien ihnen ohne weiters das erſte Beduͤrfniß einer vernuͤnftigen Menſchenſchul.

Sie ſahen desnahen, daß der Lieutenannt und jedermann der fuͤr Bauren und Baum - wollenſpinner eine rechte Schul errichten wol - le, entweder ſelber wiſſen und verſtehen muͤſ - ſen, was Bauren und Baumwollen-Kinder wiſſen und thun muͤſſen, wenn ſie rechte Land -80 und rechte Baumwollen-Arbeiter ſeyn muͤſ - ſen; oder wenu er’s nicht ſelber wiſſe, fra - gen, lehrnen, und Leuthe an die Hand neh - men muͤſſe, die das wiſſen und ihm zeigen koͤnnen.

Sie dachten natuͤrlich zu erſt an den Baum - wollen-Meyer, und giengen grad nach dieſem Geſpraͤch von dem Eſſen weg zu ihm hin.

Das iſt jezt der Mann, von dem ich euch ſo viel geredt, ſagte der Junker zum Lieute - nannt und zum Meyer; und das iſt ein Herr der dich eurer Schul halber hoffe ich, troͤſten wird.

Der Meyer wußte nicht, was das ſagen wollte; der Junker aber erklaͤrte es ihm, und ſagte daß der Herr ihr Schulmeiſter ſeyn wer - de.

Er konnte ſich nicht genug daruͤber verwun - deren. Nach einer Weile ſagte er: wenn der Herr ſo viel Muͤhe nehmen will, ſo werden wir ihm nicht genug danken koͤnnen; aber es wird Zeit brauchen bis er unſere Ordnung und unſer Weſen im Dorf recht wird kennen lehrnen.

Das glaub ich auch, ſagte der Lieutenannt; aber man muß einmal anfangen: und ich will mir keine Muͤhe dauren laſſen, ſo viel immer moͤglich nachzuforſchen, was es eigentlich er - fordere, und was euere Kinder eigentlich lehr -nen81nen koͤnnen; damit ſie fuͤr ihr Bauren und Baumwollen-Weſen recht in Ordnung kom - men:

Meyer. Das iſt brav: daß ihr damit an - fangen wollet.

Lieutenant. Ich wuͤßte nicht, womit ich anderſt anfangen ſollte, und ich werde, wo ich immer Anlaß hab, alle Gattung von Haus und Feldarbeit ins Aug zu faſſen ſuchen damit es recht in mich hinein komme, was fuͤr eine Art und Schnitt euere Kinder haben muͤſſen, wenn ſie fuͤr ihren Beruf und Umſtaͤnd recht erzogen werden muͤſſen.

Das Mareylj war mit ihm wie daheim; es zeigte ihm allenthalben im Haus, und um’s Haus und in den Staͤllen was die Kin - der machen und lehrnen muͤſſen, wenn ſie das alles was da ſey, recht in der Ordnung zu hal - ten lehrnen muͤſſen; es ließ ſie im Garten ha - ken, Herd ſtoſſen, auf die Buͤhne ſteigen, Fut - ter machen. Je mehr er ſahe, je mehr fragte er; er fragte ſo gar, wie man den Zehnden rechne, wie man das Heu meſſe, und dann wie man das Baumwollweſen rechne, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen dem Lohn und der Wolle; und hundert dergleichen Sachen mehr.

Sie erklaͤhrten ihm was ſie konnten. Zulezt wollte er ſeine Kinder auch ſpinnen lehrnen;F82Aber das Mareylj ſagte ihm, wir nehmen des Jahrs etliche hundert Centner Garn ein, und ich hab die Kinder nie dazu bringen koͤn - nen, daß ſie auch recht ſchoͤn ſpinnen: kann zwar auch nicht alles klagen, ſie haben viel im Land und um das Vieh zu thun; und da giebt’s nie recht ſchoͤnes garn; aber wenn ihr wollet eine gute Spinner-Ordnung ſehen, ſo muͤßt ihr zu des Maurers Frau gehen; da iſt uͤber dieſen Punkt etwas zu ſehen, bey uns nicht.

Heißt die Maurers Frau, von der ihr redet, Gertrud? ſagte der Lieutenant.

Es ſcheint ihr kennet ſie auch ſchon, erwie - derte das Mareylj.

Rein aber der Junker hat mit mir abgeredt, grad von euch weg, zu ihr zu ge - hen ſagte der Lieutenannt.

Nun ſo ſehet ihr doch auch, daß ich euch recht gewieſen hab, ſagte das Mareylj.

§. 19. Das Fundament einer guten Schul iſt das gleiche mit dem Fundament alles Menſchengluͤks: und nichts anders als wahre Weisheit des Lebens.

Ihre Stube war ſo voll, als ſie hinein ka - men, daß ſie vor Raͤderen faſt nicht hin - ein konnten.

83

Gertrud, die an keinen fremden Menſchen dachte, da ſie die Thuͤre aufmachten, hieß die Kinder aufſtehen und Plaz machen: aber der Junker wollte nicht, daß ſich nur eines von ſei - nem Orth bewege, bott dem Pfarrer und dem Lieutenannt, einem nach dem anderen die Hand, ſie hinter den Kinderen der Wand nach zu ihrem Tiſch herfuͤr zu fuͤhren.

Ihr koͤnnet nicht glauben, wie dieſe Stube die Herren ergoͤzte. Es ſchien ihnen nichts da - gegen was ſie beym Baumwollen-Meyer ſa - hen.

Es iſt natuͤrlich die Ordnung und der Wohlſtand bey einem reichen Mann nimmt nicht ſo ein, man denkt gleich, hundert ande - re koͤnnen das nicht ſo machen, ſie haben das Geld nicht; aber der Segen und Wohlſtand in einer armen Huͤtten, die ſo unwiederſprech - lich beweißt, daß es allen Menſchen in der Welt wohl ſeyn koͤnnte, wenn ſie Ordnung haͤtten und wohl erzogen waͤren, dieſes nimmt ein gutes Gemuͤth ein bis zum Sinnen verlieren. Jezt hatten die Herren eine ganze Stube voll ſolcher armen Kinder in vollem Hausſe - gen vor ihren Augen.

Es war dem Junker eine Weile nicht an - derſt als er ſehe das Bild des erſtgebornen ſeines beſſer erzogenen Volks wie in einem Traum vor ſeinen Augen: und der LieutenantF 284ließ ſeine Falkenaugen wie ein Bliz herumge - hen, von Kind auf Kind, von Hand auf Hand, von Arbeit auf Arbeit, von Aug auf Aug; je mehr er ſah, je mehr ſchwoll ſein Herz vom Gedanken; ſie hat’s gethan und vollendet was wir ſuchen: die Schule, die wir ſuchen, iſt in ihrer Stube.

Es war eine Weile ſo ſtill, wie der Tod, in dieſer Stube die Herren konnten nichts als ſehen und ſehen, und ſchweigen.

Der Gertrud ſchlug das Herz vor dieſer Stille, und ein paar Zeichen von Achtung, die an Ehrerbietung graͤnzt, welche der Lieute - nant waͤhrend dieſer Stille ihr erzeigte.

Die Kinder aber ſponnen munter fort: lachten mit den Augen gegen einander; denn ſie ſahen daß die Herren um ihrentwillen da ſeyen und auf ihr Arbeit ſahen.

Das erſte, was der Lieutenant redte, war; ſind dieſe Kinder alle Ihr, Frau?

Nein, ſie ſind nicht alle mein, ſagte Ger - trud; zeigte ihm dann von Rad zu Rad die welche dem Rudi und die welche ihr gehoͤren.

Denket, Herr Lieutenant, ſagte der Pfar - rer, die Kinder ſo dem Rudi gehoͤren, haben vor 4 Wochen alle noch keinen Faden ſpin - nen koͤnnen.

Der Lieutenant ſah den Pfarrer und die Frau beyde an und ſagte, aber iſt das moͤglich?

85

Das iſt nichts anders, erwiederte Gertrud, in ein paar Wochen ſoll ein Kind recht ſpin - nen lehrnen; ich hab welche gekannt, die es in ein paar Tagen gelernt.

Das iſt nicht was mich in dieſer Stube verwundert, ſondern etwas ganz anders ſagte der Junker dieſe fremden Kinder ſehen ſint 3 oder 4 Wochen, da die Frau ſich ihrer annimmt, aus, daß ich bey Gott keines von allen mehr gekannt haͤtte. Der lebendi - ge Tod und das aͤuſſerſte Elend redte aus ih - ren Geſichteren und das iſt weggewiſcht, daß man keine Spuhr mehr davon ſtehet.

Der Lieutenant antwortete franzoͤſiſch aber was macht dann die Frau mit den Kin - deren?

Das weiß Gott, ſagte der Junker.

Und der Pfarrer: wenn man den ganzen Tag bey ihr iſt, ſo hoͤrt man keinen Ton und ſiehet keinen Schatten der etwas beſonders ſcheint, man meynet immer und bey allem was ſie thut, eine jede andere Frau koͤnnte das auch ſo machen: und ſicher wird es dem gemeinſten Weib im Dorf nicht in Sinn kom - men, ſie thue etwas oder koͤnne etwas, daß ſie nicht auch koͤnne.

Ihr koͤnntet nicht mehr ſagen, ſie in mei - nen Augen groß zu machen, ſagte der Lieute - nant; und ſezte hinzu, die Kunſt endet woF 386man meynet, es ſey uͤberall keine. Und das hoͤchſte Erhabene iſt ſo einfach, daß Kinder und Buben meynen, ſie koͤnnen gar vielmehr als nur das.

Da die Herren mit einander franzoͤſiſch red - ten, fiengen die Kinder an einander Blik zu geben und zu lachen: Heirlj und das, ſo ge - gen ihm uͤberſaß, machten ſo gar gegen ein - ander mit dem Maul: parlen, parlen, par - len.

Gertrud winkte nur, und es war im Au - genblik ſtill. Und da der Lieutenant auf allen Raͤderen Buͤcher liegen ſah, fragte er Gertrud was ſie damit machen.

Sie ſah ihn an und ſagte: aͤh, ſie lernen darinn.

Aber doch nicht wenn ſie ſpinnen? ſagte der Lieutenant.

Ja freylich, ſagte Gertrud.

Das moͤchte ich jezt doch auch ſehen, ſagte der Lieutenant.

Und der[ Junker:] Ja, du muſt uns das zeigen, Gertrud.

Kinder, nehmet eure Buͤcher in die Haͤnd, und lehrnet! ſagte dieſe.

Laut wie ſonſt? fragten die Kinder.

Ja, laut wie ſonſt aber auch recht: ſagte Gertrud.

Da thaten die Kinder ihre Buͤcher auf: ein87 jedes legte die ihm gezeichnete Seite vor ſich zu und lehrnte an der Lezgen die ihm vor heut aufgegeben war.

Die Raͤder aber giengen wie vorhin, wann die Kinder ſchon ihre Augen voͤllig auf den Buͤcheren hatten.

Der Lieutenant konnte nicht genug ſehen, und bath ſie, ſie moͤchte ihnen doch alles zeigen, was ſie mit den Kinderen mache, und was ſie ſie lehrne.

Sie wollte ſich zwar entſchuldigen, und ſagte, es ſey ja nichts, als was die Herren tauſendmal beſſer wiſſen.

Aber der Junker ſagte auch, ſie ſoll es thun: da hieß ſie im Augenblik die Kinder ihre Buͤ - cher zuthun und lehrnte mit ihnen auswendig.

  • Dießmal der Abſchnitt vom Lied: Wie ſchoͤn, wie herrlich ſtrahlet ſie, Die Sonne dort: wie ſanft! und wie Erquikt, erfreut ihr milder Glanz Das Aug die Stirn, die Seele ganz!

Der 3te Abſchnitt, den ſie jezt lehrnten heißt:

  • Verſunken iſt ſie; ſo verſinkt Wenn Er der Herr der Sonne winkt, Des Menſchen Herrlichkeit und Pracht Und aller Glanz wird Staub und Nacht.

Sie ſagte eine Zeile nach der anderen von dieſem Abſchnitt laut und langſam vor, und die Kinder ſprachen es ihr eben ſo langſam und ſehr deutlich nach; das wiederholte ſie ſoF 488vielmal bis eins ſagte; ich kan’s jezt: dann ließ ſie dieſes den Abſchnitt allein ſagen; und da es keine Sylbe fehlte, ließ ſie ihn’s denſel - ben den anderen vorſagen, und alle nachſpre - chen bis ſie es konnten: dann ſange ſie noch mit ihnen die 3 Abſchnitt dieſes Lieds, wovon ſie die 2 erſten ſchon konnten.

Nach allem dem zeigte ſie noch den Herren, wie ſie mit ihnen rechne; und auch das war das einfachſte und brauchbarſte das man ſich vorſtellen kann aber ich rede ein andermal davon.

§. 20. Ein Werberſtuk.

Der Lieutenant fand alle Augenblik mehr, das alles laſſe ſich in ſeiner Schule ma - chen; aber er fand eben ſowohl, daß es eine Frau, wie dieſe, dazu brauche, wenn das nicht nur moͤglich, ſondern wirklich werden ſollte.

Ein Werber aus Preuſſen ſpizt nicht ſo dar - auf, einen Purſchen, der das Maß hatte, in Dienſt zu kriegen, als der Lieutenant jezt dar - auf ſpizte, dieſe Frau, die ihm fuͤr den Schul - dienſt das Maß hatte, wie keine andere, dafuͤr ins Garn zu loken.

89

Aber Frau, ſieng er an, koͤnnte man die Ordnung, die ſie da in der Stube hat, nicht auch in der Schul einfuͤhren.

Sie beſinnte ſich einen Augenblik, und ſagte dann: ich weiß nicht, aber man ſollte meynen, was mit zehen Kinderen moͤglich waͤr, waͤre mit vierzigen auch moͤglich. Einen Augen - blik darauf aber ſagte ſie, doch es wuͤrde viel brauchen und ich glaube nicht daß man leicht einen Schulmeiſter finden wuͤrde, der ſo eine Ordnung in ſeiner Schul leiden wuͤrde.

Lieutenant. Aber wenn ſie einen wuͤßte, der ſo eine Ordnung machen wollte, wuͤrde ſie ihm dazu helfen?

Gertrud. Mit Lachen: Ja freylich, ſo viel ich koͤnnte und moͤchte.

Lieutenant. Und wenn ich es bin?

Gertrud. Was bin?

Lieutenant. Der Schulmeiſter, der gern eine Schul einrichtete, wie ſie eine in der Stu - be hat.

Gertrud. Ihr ſeyt kein Schulmeiſter.

Lieutenant. Ich bin’s: fraget nur die Herren.

Gertrud. Ja vielleicht in einer Stadt, und in etwas, von dem wir weder Gig’s noch Gag’s verſtehen.

Lieutenant. Nein, wahrlich in einem Dorf.

90

Gertrud. (Mit dem Finger auf ihr Rad deutend) bey dergleichen Kinderen?

Lieutenant. Ja, bey dergleichen Kin - deren.

Gertrud. Es ſoll mir doch weit ſeyn bis an den Ort, wo die Schulmeiſter fuͤr derglei - chen Kinder ſo ausſehen?

Lieutenant. Nicht ſo gar.

Gertrud. Ich meyn’s doch.

Lieutenant. Aber ſie hilft mir doch? wenn ich ſo eine Schul einrichten will.

Gertrud. Wenn’s einmal weit iſt, ſo gehe ich nicht mit euch.

Lieutenant. Ich will nur da bleiben.

Gertrud. Und Schul halten?

Lieutenant. Ja.

Gertrud. Da in der Stube?

Lieutenant. Nein, in der Schulſtube.

Gertrud. Es wuͤrde euch leid ſeyn, wenn man Euch beym Wort nehmen wuͤrde.

Lieutenant. Ihr noch viel mehr, wenn ſie mir helfen muͤßte.

Gertrud. Das denn nicht, es wuͤrde mich noch freuen.

Lieutenant. Jezt hat ſie zweymal geſagt; ſie wolle mir helfen;

Gertrud. Ja freylich, dreymal ſag ich Ja, wenn ihr unſer Schulmeiſter ſeyt.

Jezt fieng er und die Herren alle an zu la -91 chen: und der Ikr. ſagte ſelbſt; jaͤ Gertrud, er iſt einmal euer Schulmeiſter.

Das machte ſie betroffen; ſie ward roth, und wußte nicht was ſie ſagen wollte.

Warum wird ſie ſo ſtill? ſagte der Lieute - nant.

Es duͤnkt mich es waͤre gut, wenn ich vor einer Viertelſtund ſo ſtill geweſen.

Lieutenant. Warum jezt das?

Gertrud. Wie wollt ich Euch koͤnnen hel - fen, wenn Ihr Schulmeiſter ſeyt.

Lieutenant. Sie ſucht jezt Ausfluͤchte, aber ich laſſe ſie nicht los.

Gertrud. Ich will gebaͤtten haben.

Lieutenant. Daraus gibt’s nichts; wenn ſie mir die Ehe verſprochen, ſie muͤßte mir halten.

Gertrud. Oeppen (etwann) nicht?

Lieutenant. Oeppen wohl.

Gertrud. Es kann nicht ſeyn.

Weiſt du was, Gertrud, ſagte der Ikr. halt’s du ſo gut du kannſt, und mehr wird er nicht fordern: aber was du immer thun wirſt, ihm zu helfen, das wirſt du mir thun.

Gertrud. Ich will wohl gern, aber Sie ſehen die Stube voll Kinder, und wie ich an - gebunden bin: wenn’s aber um Rath und Huͤlfe in Arbeitsſachen, die ſo ein Herr frey - lich nicht verſtehen kan, zu thun iſt, ſo weiß92 ich eine Frau, die das viel beſſer verſteht als ich; und was ich nicht Zeit hab, das kann dieſe vollkommen.

Junker. Richte es ein wie du kannſt, aber gehe ihm an die Hand.

§. 21. Danken muͤſſen, thut alten Leuthen alle - mal wehe; aber den Kinderen iſt es eine Freude.

Waͤhrend der Zeit ſpizte der Heirlj immer darauf, ſeiner Mutter etwas zu ſagen, aber ſie ſah ihm nie ins Geſicht, daß er ihr winken, und ſtuhnd ihm nie ſo nahe, daß er ſie erlangen koͤnnte. Endlich gerieth es, und er konnte ihr in’s Ohr ſagen: doͤrfen wir dem Junker nicht auch[fuͤr] die neuen Ba - zen danken? Der gute Bub drukte mit ſeiner Hand ihren Kopf hart an den ſeinen an, und nahm ihr das halbe Ohr ins Maul, wie wenn er’s abbeiſſen wollte. Sie gab ihm eins mit den Baken, und ſagte; ja freylich muͤßt ihr ihm danken: ich hab es nur vergeſſen. Im Augenblik legte der Bub ſeinen Baumwollen - floken auf den Radbank, ſchlich hinter den Raͤderen zu ſeinen Geſchwiſterten, ſagte ei - nem nach dem anderen: Wir muͤſſen dem Jun -93 ker fuͤr die neuen Bazen danken. Sie ſtuhnden denn alle von ihren Raͤderen auf und giengen mit dem Heirlj zu ihm hervor: aber da ſie da ſtuhnden, dorfte keines reden.

Der Junker ſagte zu ihnen: was machet ihr da, Kinder, was wollet ihr?

Und Gertrud zum Heirlj: Kannſt du jezt nicht reden: da ſtuhnd er an ihn zu und ſagte; wir wollen dir fuͤr die ſchoͤnen Bazen danken:

Es freute den Junker: Er gab einem nach dem andern die Hand und ſagte: Kinder! euer Vater und euere Mutter ſind mir lieb: und wenn ihr recht thut, ſo ſeyt ihr mir auch lieb euer Lebtag.

Denn nahm er den guten Heirlj vom Boden auf ſeinen Arm, ſah ihm eine Weile ins Geſicht, und ſagte ihm dann, gaͤll, (gelt’s) du giebſt einmal auch ein braver Bub?

Ja gewiß, ſagte der Heirlj; und gaͤll ich bin dir auch dann dein Lebtag lieb?

Er war im Augenblik auf ſeinem Arm wie daheim ſah ihm beſtaͤndig in die Augen, und ſtreichelte ihm mit der Hand uͤber die Baken.

Arner ſagte ihm da: Sag, bin ich dir auch lieb?

Das denk ich, ſagte der Bub; du biſt ja noch mehr gut als die Mutter geſagt hat.

Arner. Wie gut hat die Mutter geſagt daß ich ſeye?

94

Heirlj. Sie hat geſagt: wenn ich dir danke, ſo gaͤbeſt du mir die Hand; und jezt nihmſt mich noch gar auf deinen Arm.

Arner. Haſt du das ſo gern, wenn man dich auf den Arm nihmt.

Heirlj. Ja; und einen Augenblik dar - auf aber ich haͤnge dir Baumwollen an.

Arner. Es ſchadet nichts.

Nein, wart, ſagte der Heirlj, ich will dir ſie wieder ableſen, ſchnakete denn ihm uͤber die Achſel langte mit der Hand den Ruͤken und auf beyden Seiten hinunter, ſo weit er konnte, und las ihm die Baumwolle ab, die er ihm angehaͤngt:

Indeß riethen des Rudis Kinder unter ein - ander und ſie wollen ihm fuͤr ihre Kuh und fuͤr ihre Matte danken. Geſagt gethan. Sie draͤngten ſich durch die anderen das mit dem ſchwarzen Kohlaug voraus. Es war das erſte bey ihm, und ſagte, wir wol - len dir auch danken:

Wofuͤr ſagte der Junker, und hatte den Heirlj noch auf dem Arm.

Haͤ, fuͤr die Kuh und die Matten ſagte das Kind. Da ſtellte der Junker den Heirlj ab, nahm ihns auf den Arm, und ſagte, wie geht es euch jezt ihr Lieben! iſt euch jezt auch wohl?

Ja wahrlich, ſagte das Naͤnnlj, ſint dem wir auch Milch haben, und dieſe Frau da kennen.

95

Aber folget ihr auch der Frauen, ſagte Arner.

Ich weiß nicht: Du muſt ſie fragen, ſagte das Kind auf ſeinem Arm.

Und Gertrud: Es muß gut ſeyn, bis es beſſer wird.

Folget ihr ordentlich, und thut recht, wenn ihr mir lieb ſeyn wollet, ſagte der Junker.

Wir wollen ihr gewiß folgen, ſagten die Kinder alle, bis auf das Liſelj; das murrete ſo zwiſchen den Zaͤhnen; daß es auch ſo toͤnte, und man meyne es ſage es auch.

Das Naͤnnlj auf ſeinem Arm war ſo ge - ſchwind erwarmet als der Heirlj; es gieng nicht lang, ſo ſagte es, haſt du viel ſo ſchoͤne Bazen, wie du da den Kindern gegeben?

Schweig doch! ſchweig doch du unver - ſchaͤmtes Kind, riefen ihm die anderen auf al - len Seiten.

Der Junker ſagte ihnen: Laßt ihns reden, und zum Kind: moͤchteſt du auch?

Kind. Ja, wenn du mir giebſt.

Junker. Ich hab jezt keine bey mir.

Kind. Haſt nicht immer bey dir?

Junker. Nein, aber wenn ich wieder kom - me, denn hab ich bey mir.

Kind. Kommſt du bald wieder?

Junker. Ja.

Kind. Giebſt mir denn auch?

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Junker. Was willt mit thun?

Kind. Zuſammenbehalten, und ſpahren.

Junker. Und denn?

Kind. Und denn, wenn ich groß bin, et - was daraus kaufen.

So verweilte ſich Arner mit dem Kind auf dem Arm, und redete denn noch mit allen an - dern gleich gut wie mit ihm und wie ein Vater.

§. 22. Eine Bruderliebe um die ich, wenn ich Schweſter waͤre, nicht einen Pfiffer - ling geben wuͤrde.

So lang er ihns ſo auf dem Arm hielt, und mit des Rudis Kindern allen ſo redte, ware der Gertrud immer, wie wenn ſie je - mand ſtieß und trieb, ihm ein Wort von ihrer Meyerin fallen zu laſſen.

Es trieb ihr den Schweiß aus; ſie dorfte es nicht, und wollte es doch; und haͤtte es doch nicht gethan, wenn nicht juſt da es am ſtaͤrkſten in ihr kaͤmpfte noch der Meyerin Bru - der, der Untervogt in die Stube hineinge - kommen waͤre. Da konnte ſie nicht mehr an - derſt, es war ihr als er die Thuͤr aufthat, es reiſſe es ihr jemand zum Maul hinaus,daß97daß ſie zum Junker, der das Naͤnnli noch im - mer auf dem Arm hatte, ſagen muͤßte, ja wenn jezt das gute Naͤrrchen nur auch wie - der eine Mutter haͤtte.

Der Untervogt kam, dem Junker zu ſagen, daß alles auf dem Ried auf ihn warte, und die Leuth mit den Geiſſen, und der Wagen mit den Baͤumen, und alles parat ſey.

Er hatte den Thuͤren-Nagel noch in den Haͤnden als Gertrud das ſagte, und es machte ihm das Herz klopfen, daß er in ſeinem Bericht von den Leuthen und den Baͤumen, und den Geiſſen ſtotterte, denn er wußte ſchon, was zwiſchen ſeiner Schweſter und der Ger - trud vorgefallen, und hatte, noch mehr aber ſeine Frau, etwas ganz anders mit ihr im Sinn als das.

Ich will gleich kommen, ſagte da der Jun - ker zum ſtotternden Vogt; und zur Gertrud, man ſollte denken, der Mann wuͤrde wie er’s jezt hat, eine Frau finden, wo er wollte.

Gertrud. Ja, das wohl! aber.

Junker. Was aber?

Gertrud. Er ſollte auch eine rechte haben.

Junker. Thue ihm eine zu.

Gertrud. Wenn ich kann, ich thue es gewiß, aber da der Herr Untervogt koͤnnte, wenn er wollte ſo gut ſeyn, das Beſte dabeyG98thun, wenn er ihm bey ſeiner Schweſter ein gutes Wort verleihen wuͤrde.

Ich weiß nichts, ich weiß nichts; ich weiß von allem kein Wort, ſtotterte der Untervogt.

Du hoͤrſt ja, was ſie ſagt, ſagte der Jun - ker, und wie iſts? Was meynſt, wuͤrde es dir ſo gar mißfallen?

Nein, nein, das gar nicht, das gar nicht, ſagte der Tropf. Nun! ſo ſage deiner Schweſter, wie du weiſſeſt, daß ich gegen die - ſe Haushaltung denke, und daß es mich freuen wuͤrde, wenn das ein Grund waͤre, daß ſie deſto eher in dieſe Haushaltung hineinſtehen wuͤrde, ſagte der Junker.

Der Meyer wollte der gute Mann ſeyn, und da der Junker zeigte, daß ihm daran ge - legen, daß der Rudi wohl verſorgt werde, ſagte er immer ja freylich, und Ja, Ja.

Er mag jezt ſeine Schweſter, oder ſonſt je - mand zur Frau bekommen, ſo kann eine jede verſichert ſeyn, ich werde mich dieſer Haus - haltung annehmen, ſo lang ich lebe, ſagte da der Junker noch zur Gertrud, und dann zum Vogt; aber es wuͤrde ihn doch freuen, wenn er diejenige bekommen wuͤrde, die dieſe Frau da, fuͤr die beſte fuͤr ihn halte.

Und der Vogt ſagte noch einmal, es ſoll an ihm nicht fehlen, er wolle ſein moͤglichſtes99 thun. Aber er keuchte, ſo angſt machte ihm das Geſpraͤch.

Der Junker ſah ihn ſo keuchen, und ahnde - te, es bedeute, was es bedeutete, und wie er iſt; er ſagte im Augenblik: aber nicht, daß es ſeyn muͤſſe, wenn es dir etwann zuwider, der Mann wird wohl verſorget werden, und muß verſorget werden, daran hats kein Noth.

Der Erztropf haͤtte jezt noch einmal ſich mit Ehren herausziehen koͤnnen, aber ein Eſel bleibt ein Eſel, man mag mit ihm anfangen, und ihn aufzaͤumen wie man will. Der Narr wollte lieber noch einmal liegen, und ſagte wieder, es ſeye ihm nichts weniger als zuwider; es glaubte ihms niemand, und Gertrud ſagte zum Junker; es kommt zulezt nicht alles auf ihn an.

§. 22. Was iſt ſuͤſſer, als Kinderfreude, und was iſt reiner als Kinderguͤte.

Was Haͤnd und Fuͤß hatte gienge jezt auf das Ried, zu ſehen, was er mit dem Wagen voll Baͤume, und mit der Heerd Geiſ - ſeſt anſtellen wollte; auch der Gertrud ihre Kinder lieffen, ſo bald die Herren zur Stube hinaus waren, und ſie ihr Abendbrod hatten,G 2100dahin. Die gute Mutter gab ihnen in der Freud uͤber dieſen Tag doppelt ſo viel als ſonſt; denn ſprangen ſie fort, was ſie ſpringen moch - ten, und waren lang vor den Herren droben.

Des Junkers Carl war auch da, und die Buben die da waren, fragten ihn, was doch der Papa mit ſo viel Geiſſen machen wolle?

Ihr muͤßt alleſamen, Buben und Kinder, ſo Geiſſen haben, der Papa hat’s geſagt, ant - wortete ihnen der Carl.

Du weiſſeſt aber einmal viel, daß du dein Maul ſo brauchſt, ſagte der Clauß, es ſind ſind ſieben Kinder da, wo eine Geiß.

Und die groͤſſern Buben ſagten ihm auch, es iſt wahr, es ſind mehr Buben als Geiſſen.

Die armen Thiere waren geplagt: Die Kin - der nekten ſie an Bart und Hoͤrnern, daß ſie ihnen maͤh, maͤh, machen.

Ihrer etliche wollten nicht blos die Thiere plagen, ſie ſagten noch zu des krummen Schnei - ders Liſelj, es habe ſo viel Geſchwiſterte hier. Es aber zeigte mit der Hand in das Thal hinunter, wo Ochſen und Kuͤh weideten, und ſagte, da unten ſind Euere.

Aber die Geiſſen waren hungerig, die mei - ſten kamen einen weiten Weg, und wenn die Kinder ihnen den Kopf anruͤhrten, ſtieſſen ſie manchmal fuͤr gut mit den Hoͤrnern.

Die Kinder merkten bald wo es ihnen fehle,101 zehrten ihnen Laub und Gras ab, und gaben ihnen Brod aus dem Sak, ſo viel ſie hatten, da wurden die Ziegen zaͤhmer, und ſtoßten minder.

Des Maurers Heirlj ſaß an einem Haag, zeigte einer ſein groſſes Stuͤk Brod, und ließ es ſo halb aus dem Sak hervor guken; dann wann die Geiß den Kopf halb in Sak herein hatte, ſo zog er das Brod wieder zuruͤk, denn triebe das hungerige Thier ſo ſtark gegen das Brod, daß es ihn einmal mit ſamt dem Sak auf den Boden warf.

Ja, ja jezt haſt Brod, wenn du mich brav umſtoſſeſt, ſagte er, als er wieder aufſtuhnd; und es dunkte ihn ſo luſtig, daß er nicht merk - te, daß er nah bey einem Ameiſſenhaufen ab - geſeſſen, bis er voll von dieſen Thieren lief.

Da iſt nicht gut Wetter, wir muͤſſen wei - ter, ſagte er da zur Geiß, nahm, damit ſie auch komme, das Brod in die Hand. Hinter dem Haag ſahe er jezt doch, ob es richtig am Boden, eh er abſaß, denn ſieng er an, der Geiß im Ernſt Brod zu geben: aber da er den erſten Mundvoll fuͤr ſie noch in der Hand hatte, ſah er des Reutj Marxen Bethelj, das nahe bey ihm zuſtuhnd, und ihm auf die Hand und der Geiß ins Maul hineinſchaute, und ſagte im Augenblik zu ihm, willt auch Brod?

G 3102

Roth und nur halb laut, antwortete es: Ja, wenn du mir giebſt.

Ja freylich, ſagte der Heirlj, und theilte dann ſein Brod Mundvoll fuͤr Mundvoll zwi - ſchen dem Kind und der Geiß; er gab allemal den groͤſſern Mundvoll dem Bethelj, den an - dern der Geiß, und ſagte dann wann das Thier ſeinen hatte, wart jezt Geißli, es iſt jezt wieder am Bethelj und dann darnach, jezt iſt es wieder am Geißlj.

Das Kind zitterte mit der Hand als es ihm den erſten Mundvoll abnahm, und etwann beym dritten, da er ſelber keinen nahm, ſagte es, warum iſſeſt du nicht auch? Nein, nein, ich kann wieder haben, wenn ich heimkomme und der Mutter heiſche, ſagte der Heirlj.

Und das Bethelj, kannſt du haben, ſo viel du willt? Heirlj; Ja, jezt giebt mir die Mutter bis genug, aber es iſt noch nicht lang, ſie hat mir auch nicht koͤnnen genug geben.

Das Bethelj ſeufzete, und der Heirlj ſagte wieder, weiſſeſt du was? Komm nur am Abend um Sechſe, wenn wir Feyerabend ha - ben, an unſere Gaß, ich will dir denn allemal davon aufſpahren, und dir’s dann geben.

Aber haſt du dann doch genug, wenn du mir ſo giebſt? erwiederte das Bethelj.

Und der Heirlj, ich will dann das ſchon machen, komm du nur!

103

So redten ſie mit einander waͤhrend er das Brod theilte, bis auf den lezten Mund voll der noch groß war; er ſah ihn an ob er ihn auch theilen wollte, aber er machte mit dem Kopf Nein ſagte, Geiß! du muſt jezt genug haben, und gab ihn ganz dem Betheli; denn ſtuhnd er auf, fuͤhrte ſeine Geiß weiter an der Hand am Haag hinauf, wo ſie Laub fand; das Bethelj aber blieb bey ſeinem Mund voll ſizen und .

Des Junkers Klaus ſah dem ganzen Spiel zu, und da der Heirlj fort war, kam er hin - ter der Brombeer Staude hervor und legte ohne ein Wort zu reden dem Kind ein groſ - ſes Stuͤk Brod in den Schoos. Es erſchrak, als er hinter der Staude hervor kam, aber da es das Stuͤk Brod im Schoos hatte, lach - te es, und rief ihm laut nach, dank dir Gott, Mann! Der Heirlj hoͤrte es oben am Haag dank dir Gott[ruffen], und fragte, was haſt jezt? da ſprang es mit dem Brod in der Hand zu ihm hinauf, zeigte ihm den Mann, der jezt wieder beym Wagen voll Baͤume ſtuhnd, und der ihms gegeben, dann theilte es auch mit der Geiß, aber es gab ihr doch die kleinern und die groͤſſern. Der Heirlj wollte ihm keines abnehmen, es bat ihn, nimm nur auch einen einzigen Mund voll, und dieſen nahm er ihm ab.

G 4104

Jezt einmals koͤnte ein Geſchrey und ein Ruffen: Er kommt; Er kommt es iſt ihn, es iſt ihn. Es war der Junker, der mit ſeinem Lientenant langſam aus dem Foͤrenholz heraus dem Bach nach gegen die Anhoͤhe kam. Da machte das junge Volk den Anſchlag ihm bis unten an den Huͤgel, in einem Zug, ent - gegen zu gehen, und der Carlnahm ſein groſſes buntes Nastuch aus dem Sak, und rufte: He wer macht uns einen Fahnen? Wenn wir einen Zug machen, ſo muͤſſen wir einen Fahnen haben; ſein Claus erwiederte ihm, ich will euch einen machen, und band ihm das ſchoͤne Tuch an einen ſchneeweiſſen Ste - ken.

Aber wer muͤßte dann Hauptmann ſeyn, und den Fahnen haben? ſagte der Carl.

Der Fahne iſt dein, und du muſt ihn tra - gen, ſagten die Buben. Nein: ſagte Claus, der Bub da, auf des Maurers Heirlj deutend, muß jezt der Hauptmann ſeyn.

Aber warum jezt auch das, ſagten alle Bu - ben, und auch Carl ſtuhnd da, wie wenn er das lieber anderſt haͤtte, und ſah den Claus mit runden Augen an.

Es muß jezt ſo ſeyn ihr Buben, ſagte Claus und Meiſter Carli Kayſer! Sieh mich nur nicht ſo an, ich weiß wenn der Papa kommt, er ſagt, ich habe recht.

105

Nun ſo gieb ihm den Fahnen nur wenn’s Nastuch ſchon mein iſt, ſagte der Carl.

Der Claus thats, und der erſte der am Zug jauchzte, war Carl aber da ſie na - he beym Junker waren, ſprang er aus dem Reihen heraus ſeinem Vater an die Hand.

Warum biſt du ſo aus der Reihe heraus - geſprungen? ſagte der Junker, und hob ihn in die Hoͤhe.

Dann gruͤßte er die andern alle, gab dem Heirlj ſeine Hand, fragte ihn, wer ihn ſo zum Hauptmann gemacht?

Da dieſer Mann hat wollen, ich muͤſſe es ſeyn, ſagte der Heirli und deutete mit der Hand auf den Claus! und dieſer erzaͤhlte dann, daß er eben vorher dem Buben hinter einer Brom - beer-Staude zugeſehen, wie er ſein Stuͤk Brod mit einem Kind und einer Geiß getheilt, und dann dem armen Kind dann noch alle Abend von ſeinem Brod verſprochen, ſezte dann hin - zu, und ich moͤchte jezt den ſehen, der es beſſer verdient haͤtte!

Ja ſagte der Carl, wenn du das zu erſt geſagt haͤtteſt, ich haͤtte denn auch gewuͤßt, daß es recht waͤre.

Und nicht alſo das Maul gehaͤngt, ſagte der Claus ihm leiß, und ſeitwaͤrts.

Das iſt recht Claus, der braͤvſte muß auch der Hauptmann ſeyn, ſagte der Junker.

106

Das iſt nichts ſo braves, ich habe mich nur luſtig gemacht, und es hat mich nicht gehungert, ſagte der Heirlj, und dann zog alles froͤhlich mit einander den Berg an.

§. 23. Der Junker thut Vaͤter-Werke und macht Geißhirten-Huͤtten Ordnun - gen.

Nun ſtuhnd er auf der Anhoͤhe, auf welcher Bonnal einſt das Feſt feyren ſollte, deſ - ſen Stiftung er beſchloſſen. Die Frucht - baͤume zum groſſen bedeutungsreichen Obs - wald, unter deſſen Schatten ſein Volk den Erden-Segen, den Gott dem Menſchenge - ſchlecht und niemand ausſchlieſſend gegeben, einſt feyren ſoll, lagen jezt vor ſeinen Augen ſchon auf dem Wagen.

Wie ein Prieſter Gottes in ſeiner feyer - lichſten Stunde ſtill vor ſeinem Altar ſtehet, ſo voll hoher Gefuͤhlen mit dem menſchlichſten Opfer, das noch auf Gottes Altar geopfert worden, ſtuhnd jezt Arner auf dieſer Stelle und warf ſeinen Segenblik auf die ihn umge - bende Menge. Er hatt in dieſem Staunen ſeinen Carl aus den Augen verlohren, ihn zu ſuchen warf er ſein Aug noch einmal auf107 den Haufen Kinder, und fand ihn unter Bon - nals Buben, zween von den ſchoͤnſten an bey - den Haͤnden haltend. Er winkte ihm, und ſagte zu ſich ſelber, wenn er doch nur ſein leb - tag ſo gluͤklich unter den Kindern ſeines Volks iſt, und niemand ſo gern am Arm hat als ſeine Leuthe!

Bald darauf ſagte er, es koͤnne jezt ein je - der Hausvater hingehen und von den Baͤumen auf dem Wagen ſo manchen nehmen als ei - ner Kinder habe.

Auf das Wort draͤngten ſich Reiche, Freche, und Geizige vor, geſchwind vor den andern die erſten zu ſeyn, und die ſchoͤnſten weg zu ſchnappen, denn wenn ſchon alles gute Baͤu - me waren, und von feinem Obs, ſo war doch immer ein Unterſchied im Alter und an den Wurzeln. Aber der Junker merkte das Lauf - fen, und machte ihm Halt, ehe ſie noch am Wagen waren. Als ſie ſtill ſtuhnden, befahl er, ſie ſollen warten, bis der Claus mit ein paaren die Baͤume alle ab dem Wagen genom - men, und ſie wie ſie ihm in die Haͤnde kom - men, die groͤſſern und die kleinern durch einander an Boden gelegt, und indeſſen ſich auch an ei - ne Reihe ſtellen, und denn einer nach dem an - dern die Baͤume wie ſie am Boden liegen und auf einander folgen, jeder die ſeinen voran wegnehmen.

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Es haͤngte zwar der eint und andere das Maul ob dieſer Ordnung als ob ihm unrecht geſchehen, aber ſie nahmen die Baͤume doch die andern lachten, daß ihnen ſo recht geſche - hen und der Junker ſagte dann als ſie ihre Baͤum hatten, und alles wieder in ei - nem Kreiß um ihn her ſtuhnd:

Ich haͤtte gern, daß es auch der aͤrmſten Haus - haltung nicht an der noͤthigen Milch fehlte, ihren jungen Kindern eine gute und ihrem Al - ter angemeſſene, und fuͤr ihr Wachſen und Zu - nehmen nothwendige Suppe machen zu koͤnnen, darum habe ich dieſe Geiſſen machen hie - her kommen, und will denen, die das Geld nicht haben fuͤr ihre Kinder eine zu kauffen, daſ - ſelbe gern vorſchieſſen, und hiemit befahl er denen, die einen ſolchen Vorſchuß gern haͤtten, naͤher zu ihm zu kommen.

Es kamen ihrer ſieben und zwanzig; aber ſie ſahen aus, daß es ihm durch Leib und Seel fuhr, ohne Hut, ohne Kappe, ohne Schuh und Struͤmpf, und alles an ihren Kleidern zerriſſen.

Das war noch nicht ihr Elend; der Lump, der Schlaͤgler, der Troͤhler, der Spieler und Saͤuffer war nicht nur auf ihren Roͤken, war auf ihren Geſichtern wie abgemahlt.

Es erſchuͤtterte Arner, da er ſie anſah; mit Ernſt und Unwillen ſagte er ihnen, ihr ſehet doch auch gar aus.

109

Ein Sigmund Reich hatte das Herz ihm zu antworten; Es vermoͤgen in Gottes Namen nicht alle Leuthe gut auszuſehen.

Das brachte Arner auf. Er antwortete ihm, unverſchaͤmter Mann, es vermag ein je - der Menſch ſich an Leib und Seel nicht zu ver - hunden, und wie ein Schurk, ein Lump, und wie du auszuſehen.

Die andern Sechs und zwanzig haͤtten ihm gern das Maul eingeſchlagen, daß er dieſes Wort geredt, und die in den Baͤnken, ſeye es aus Neid wegen den Geiſſen oder ſonſt, lachten uͤberlaut, und ſagten: der Junker ha - be wohl recht, es habe viele von ihnen noch ihr gutes Geld gekoſtet, bis ſie es dahingebracht auszuſehen, wie ſie ausſehen.

Der Junker fragte indeſſen den Pfarrer ob ihre Weiber und Kinder auch ſo ausſehen?

Leider Gott erbarm, wie ab ihnen geſchnit - ten, ſagte der Pfarrer.

Der Junker ſchuͤttelte den Kopf und erwie - derte, denn iſts boͤs, und hier wendete er ſich wieder an die Maͤnner, und ſagte ihnen, wo es euch eigentlich fehlt iſt weder mit Land noch mit Geiß-Milch zu helfen, und ich weiß wirk - lich nicht was ich thun will.

Einen Augenblik darauf, wenns mir nicht um euere Kinder zu thun waͤre, ſo ſchikte ich die Geiſſen wieder, wo ſie hergekommen.

110

Er ſchwieg wieder eine Weile, ſagte dann, geht in Gottes Nahmen, und leſet die Geiſſen aus, aber das ſag ich euch, wann ihr die Milch euern Kinderen vorenthaltet, oder ſonſt machet, daß ſie um euertwillen ſerben muͤſſen und nicht geſund ſeyn und truͤhen koͤn - nen, ſo will ich die armen Geſchoͤpf euch weg - nehmen, und ſelber dazu ſehen, daß ſie wie Chriſten-Menſchen erzogen werden, es mag mich koſten was es will. Aber das ſag ich euch auch, ſo gewiß als mich einer von euch noͤthiget, ihm ſein Kind wegzunehmen, weil er ein Unmenſch an ſeinem Fleiſch und Blut iſt, ſo ſteke ich ihn auch dafuͤr ins Zuchthaus, und laſſe ihn unter Pruͤgeln ziehen, bis er ein Menſch iſt.

Mit dem ließ er ſie dann gehen und Geiſſen ausleſen.

Es machte ihnen aber ſo ſturm im Kopf, was er ihnen ſagte, daß ſie wahrlich mit den Geiſſen-Maͤnnern uͤbel gehandelt haͤtten, wenn der Claus nicht mit ihnen gegangen, und ihnen geholfen haͤtte. Die Kinder aber die Geiſſen bekamen, hatten eine unbeſchreibliche Freude, und alle andere Buben hiengen ihren Vaͤtern an, daß ſie ihnen auch ſo Geiſſen kauften. Mit Bitten und Baͤtten, und mit Erzaͤhlen, daß der Junker Carl auch eine habe, brachten es ihrer 32 dahin, daß ihre Vaͤter ihnen auch kauften.

111

Und da die 27 ihre Kinder zum Junker hervor brachten, brachten die 32 die ihre auch, aber doch kamen ſie allein, und ſtellten ſich mit ihnen nicht unter die 27.

Habt ihr euern Kindern auch ſo Geiſſen gekauft? ſagte da der Junker.

Etliche antworteten wir haben wohl muͤſ - ſen, ſie haben uns faſt verriſſen und verzehrt, bis wir es gethan; andere ſagten, weil ihr euerm auch eine gekauft hattet, ſo hat es uns deſto mehr gefreut.

Und muͤſſen euere ihre Geiſſen auch huͤten? ſagte der Junker.

Warum das nicht, ſagten die Vaͤter? Nun ſo machet jezt alle Kinder, die ihre Geiſ - ſen huͤten, um mich herum ſizen, ich muß mit ihnen reden, ſagte der Junker.

Da ſtellten die 27 und die 32 Vaͤter, ihre Kinder die den Geiſſen huͤten muͤßten, in ei - nen Kreiß um ihn herum, und ſich denn ſelber gerade hinter ihnen auch in einen Kreis. Da ſagte Arner, das Weidhirten-Leben ſeye ein Leben, in welchem ſie leichter als in keinem andern, zu wilden, ungezogenen und dadurch ungluͤklichen und boͤſen Menſchen werden koͤn - nen, ſie muͤſſen desnahen Einrichtungen machen, daß ſie bey ihrem Geiſſen huͤten ſich nicht ſo leicht die Fehler des Huͤter-Lebens angewoͤhnen.

Zuerſt muͤſſet ihr unter einander abreden,112 wie viel alle Wochen von euch huͤten muͤſſen, damit darinn keine Unordnung ſeye, und kei - nes unnoͤthiger Weiſe die Zeit ob dem huͤten verliere.

Und denn fuhr er fort; muͤßt ihr mir ver - ſprechen:

Erſtlich: Ihr wollet dasjenige aus euch fuͤr keinen braven Huͤterbuben, und kein bra - ves Huͤtermaͤdchen halten, und nicht mehr un - ter euch zaͤhlen, noch mit euch huͤten laſſen, welches auf der Weid uͤber ſeine Geiß flucht und ſchwoͤrt, ſie ſiark ſchlaͤgt, oder ihr Steine nachwirft.

Zweytens: Ihr wollet auch das fuͤr kein braves Huͤterkind halten, und nicht mit euch weiden laſſen, welches ſeinen Mithirten boͤſe Wort giebt, ſie ſchimpft, und ſchiltet, oder gar uͤber ſie fluchet, und ſie ſchlaͤgt.

Drittens: Daß ihr eines nicht fuͤr ein bra - ves Huͤterkind haltet, noch neben euch huͤten laſſet, wenn es mit Fleiß oder aus Liederlich - keit, die Geiſſen in Holz und Feld zu Schaden gehen laͤßt, noch viel weniger, wenn es ſelber in Holz und Feld, Schaden ſtiften und frevlen wuͤrde.

Viertens: Daß ein gutes Huͤterkind, eine Arbeit auf die Weid, an ſeinem Huͤtertag mitnehmen, und dann am Samſtag ſeinem Schulmeiſter vor allen Kindern angeben ſolle,was113was es an ſeinem Huͤtertag bey der Heerde ge - than, ſey es dann, es habe Stroh geflochten, oder Wolle geſtrikt, oder Holz aufgehauen.

Die Kinder verſprachen laut und freudig, daß ſie die Punkten alle gewiß, gewiß, und gern, gern halten wollen.

Aber etliche Vaͤter, die hinter den Kindern zuſtuhnden, buͤkten ſich zu ihnen herunter, und ſagten ihnen, ja Kinder Kinder es iſt geſchwind ja geſagt, wenn es denn nur auch ſo munter geht, wanns ums halten zu thun iſt.

Der Junker hoͤrte was dieſe Vaͤter ſagten, es freute ihn, und er ſagte auch; es iſt recht, was ſie euch ſagen, ihr Lieben! Verſprechet mir nichts, was ihr hinten nach dann nicht haltet.

Die Kinder verſprachen wieder, ſie wollens gewiß halten. Und der Carl, der auch bey ihnen ſtuhnd, nahm ſeinen Papa bey der Hand und ſagte, Nein Papa, glaub es ihnen auch, es iſt ihnen gewiß Ernſt.

Jaͤ, jaͤ, Carl, wie oft haſt du ſchon etwas verſprochen, und hinten nach nur halb gethan, ſagte der Junker, und laͤchelte.

Eine Weile darauf ſagte er: aber wenn ſit es thun, und huͤten wie recht und brav und wie ſie verſprochen, ſo muͤſſen ſie denn im Herbſt einen ganzen Tag mit ihrem Geiſſen zuH114dir kommen; ich will ſie denn an der Burghal - den, neben den Reben weiden laſſen, und ſe - hen, wir jedes ſeine Geiß in der Ordnung hat, und die Mama macht dann allen zuſam - men ein Reis.

Und Fliegen darauf, ſagte der Carl. Ja und Fliegen darauf bis es ganz ſchwarz iſt, ſagte der Junker. Sie meynten Roſinen, aber die Buben wußten es nicht, und zehrten den Carl beym Sak und Ermel, und fragten ihn was das auch ſeye?

Es iſt gut, gut, ſuͤß wie Zuker, und kohl - ſchwarz wie Fliegen, aber ohne Fluͤgel, und ihr werdets dann ſchon ſehen, ſagte der Carl.

§. 24. Von Jugend auf zwey Bazen ſparen. Ein Mittel wieder den Urſprung der Verbrechen, gegen die man ſonſt Galgen und Rad braucht.

Als der Spaß aus war, redte der Junker mit den Haus Vaͤtern von den zehndfreyen Aekern, die er den Spinnerkindern ſchenken wollte, wenn ſie, ehe ſie zwanzig Jahre alt ſeyen, 8 bis 10 Dublonen erſpart haͤtten, und beyſeits legen wuͤrden. Es wollte ihnen zwar nicht115 leicht in den Kopf wie das moͤglich, und wie die Spinnerkinder 8, 10 Dublonen zu - ſammenbringen ſollen, ehe ſie 20 Jahre alt ſind. Aber das Wort Zehndfreyheit, das ſo rar iſt als der Vogel Phoͤnix, machte, daß ſie mehr Verſtand bekamen, als ſie ſonſt hatten, und ausrechnen lehrnten, es brauche nicht mehr als daß eines in der Woche 2 bazen beyſeitslege, und denn waͤrs in der Ordnung.

Er trug es ihnen vor, wie es ihm das Baum - wollen-Mareylj angegeben; ein Kind das jezt ſchon 17 Jahr alt, muͤſſe Gulden dreyßig, ei - nes das 16 Jahr, vierzig, eines das 15 Jahr fuͤnfzig, eins das 14 Jahr ſechzig, eins das 13 Jahr ſiebenzig und nur die wo unter 13 Jahren muͤſſen ihre volle achzig Gulden zuſam - menbringen, um dieſe Zehndfreyheit zu er - langen.

Und mit jedem Augenblik begriffen ihrer mehrere, daß die Sache moͤglich und thunlich, und ihrer etliche fiengen bald an ſo warm zu werden, daß ſie ſagten, der Teufel, man muß das Eiſen ſchmieden weils warm iſt. Kind und Kindskinder erlebens vielleicht nicht mehr, daß einem Junker ſo ein Wort zum Maul hinaus jukt.

Und hie und da nahm jezt ein Bauwollen ſpinner-Vater ſein Kind beyſeits, und ſagte ihm, was iſts? willt du in der Woche ein hal -H 2116bes Pfund mehr ſpinnen, daß ich dir ſo einen Sparhafen machen koͤnne? du haſt dann dei - ner Lebtag einen Vortheil.

Das glaub ich, ſagten die Kinder und gern ein ganzes Pfund, wenn du mir das thuſt, Aetj (Vater)!

Bald darauf riefen ein paar Spinner-Vaͤter: wir haben zu danken Junker, und wir wollen mit unſern Haushaltungen das anfangen, was ihr ſaget. Wir auch wir auch, Jun - ker, ſagten jezt eine Menge.

Uebereilet euch nicht, ſagte da der Junker, und beſinnet euch mit euern Weibern bis Mor - gen, ob ihrs verſprechen wollet, denn es iſt mir, wie mit den Huͤterkindern, wenns einmal verſprochen iſt, ſo muß es gehalten ſeyn.

Es iſt verſprochen, es iſt verſprochen, und es muß gehalten ſeyn, ſagten viele Maͤnner und andere. Es braucht ſich da nichts zu be - ſinnen, wir muͤßten uns und unſern Kindern Spinnenfeind ſeyn, wenn wir uns einen Au - genblik beſinnten.

Aber die Reichen im Dorf, und die Groſ - ſen, als ſie ſahen, wie das kommen wolle fiengen an die Koͤpf zuſammen zu ſtoſſen, und zu einander zu ſagen, jaͤ und denn unſere Toͤchteren, was haben dann ſie? wenn die Spinnerkinder ſo zehndfreye Aeker bekommen.

Der Junker merkte, daß den Dikbaͤuchen117 etwas nicht recht lag. Sie ſtuhnden bey drey, vieren zuſammen, verwarfen die Haͤnde, und ſchuͤttelten die Koͤpfe. Es wunderte ihn, was es ſeye, er winkte dem Untervogt, der bey ih - nen ſtuhnd, und fragte ihn, was ſie haben?

Ha ſie meynen eben ſo zehndfreye Aeker wuͤrden ihre Toͤchter auch freuen, und ihnen auch wohl thun, wie den Spinnerkindern, ſagte der Untervogt.

Und der Junker: So moͤchten ſie das auch noch? haben ſie ſonſt nicht genug?

Sie meynen auch, ſagte der Untervogt, ſie verdienen es wie die andern, und wenn man die Wahrheit ſagen muß, ſo muͤſſen ſie zehen - mal mehr arbeiten, als die andern.

Das iſt nur, weil ſie hundertmal mehr ver - moͤgen als die andern, ſagte der Junker.

Und es iſt ſo, es iſt ſo erwiederte der Vogt, fuhr aber doch fort, ihnen das Wort zureden, und ſagte, wenns nur nicht der Zehn - den waͤre, moͤchte ſonſt ſeyn, was es wollte; aber der Zehnden iſt ſo eine eigentliche Bau - ren Sache, und es ſezt den groͤſſeſten Verdruß ab, wenn die Baumwollen-Kinder darinn einen Vortheil bekommen.

Verwundert euch nicht, daß der Untervogt das ſagte. Der Huͤgj hat ihm, da ihm der Jun - ker winkte, zugeruffen, er ſolle ihms ſagen. Dieſer aber bedachte ſich einen Augenblik undH 3118ſagte denn Sie muͤſſen auch ſolche Aeker haben, wann ſie wollen, und wandte ſich dann an eine Sammlung von Dikbaͤuchen, die in der Naͤhe von ihm bey einander ſtuhnden, und ihm, und dem Untervogt ins Maul hineinſa - hen, was ſie redten.

Er ſagte ihnen, wenn euch ſo viel daran liegt, daß euere Toͤchtern auch ſo zehndfreye Aeker zur Ausſteuer bekommen, ſo will ich das thun. Ich will einer jeden Bauren Tochter, deren Eltern ein Wayſenkind das nicht uͤber ſieben Jahr alt iſt, ins Haus aufnemmen, und brav und unklagbar erziehen ſo eine Zehnd - freyheit zur Ausſteuer ſchenken, wie einem Spin - nerkind, das ſeine achzig Gulden verdient hat, und noch lieber will ich das thun, wenn eine von euern Tochtern aufweiſen kann, daß ſie ſelber etwas gethan, das ſo brav und gut iſt, als ein armes Kind erziehen, oder ſo viel Jah - re in der Ordnung ſparen, als die Spinnerkin - der dafuͤr ſparen muͤſſen. Aber verſtehet mich wohl, es muß etwas ſeyn, das nicht bloß in ihren Sak gut iſt.

Die Sammlung der Bauren that kein Maul auf uͤber das was er ſagte. Ihrer viele aber kehrten ſich von ihm weg, da er ihnen ins Ge - ſicht ſah. Eine Weile darauf fiengen ſie unter einander an zu brummen, das ſeye nichts

119

Einer ſagte, ſie muͤßten ja aus ihrem Geld kauffen, was er den andern verehre.

Ein anderer ſagte, ſo ein Narr bin ich nicht, und ſalze mir ſo eine Plage auf, ich hab genug an meinen eignen.

Noch einer ſagte, wenn ich etwas froͤmdes erziehen will, ſo muß es mir im Stall ſchlaffen, und am Bahren freſſen.

Ja ja ſagte wieder einer, ſo eins das man anbinden kann, geht wohl an, aber mit den andern mag ich nichts zu thun haben.

Einer oder zween, die gar hochmuͤthig wa - ren, fanden doch, ſo ein Kind aͤſſe zulezt mit den andern, und ſie koͤnnten es immer brau - chen, wenns auch nur zum Huͤner futern und Gras ausrauffen waͤre.

Aber es hat ein a propos, ſagten wieder andere. Wer weiß, was er unter dem wohl und unklagbar erziehen verſteht? und wenn einer Jahr und Tag Muͤhe und Arbeit gehabt haͤtte, und er denn ſagte, es waͤre nicht brav und unklagbar erzogen, was wollte einer denn machen?

Und wenn ſo ein Kind ſtuͤrbe? ſo waͤre wieder das, man koͤnnte noch s’teufels Verdruß davon haben, und wenn mans 10 Jahr haͤt - te, waͤre einem denn noch niemand nichts ſchuldig.

Der Junker ſahe, daß ſie nicht mit ihmH 4120reden wollten, ſondern nur unter einander brummelten; er zweifelte nicht daran, es ge - falle ihnen nicht, und er wollte die Gemeind entlaſſen.

§. 25. Der Menſch verglichen mit der ſchoͤnen Natur.

Da kam noch der Michel zu ihm hervor, und ſagte, es ſey von der aͤrmſten Haus - haltung, die gewiß mehr als keine andere eine Geiß noͤthig habe, Niemand da, die Frau liege auf dem Todbeth, und der Mann habe gewiß darum nicht koͤnnen wegkommen.

Der Junker befahl ihm im Augenblik, das beſte Thier, das er noch finde, fuͤr den Kien - aſt zu kaufen.

Und er, wenn er fuͤr ſich ſelber eine gekauft haͤtte, haͤtte ſie nicht ſorgfaͤltiger ausſuchen koͤnnen. Denn warf der Junker noch einen Blik auf das Volk, das jezt von ihm weg - gieng. Es erquikte ihn, daß die Armen und Kinder, ſich zu ihm draͤngten, und ihm dank - ten, aber es that ihm auch weh, daß die Rei - chen faſt alle die Koͤpfe von ihm weghielten, und thaten, als wenn ſie ihn nicht ſaͤhen, ſo nahe ſie an ihm vorbeygiengen.

121

Sein Carl machte ihn ihre Unart vergeſſen. Er ſtuhnd, den Baum auf der Achſel, und die Geiß an der Hand, die Beine wie ein Bauer - bub verſpreitend vor ihm, und ſagte:

Aber du Papa! Die andern Aettj ſezen morn alle ihren Buben die Baͤume, willſt du mir meinen auch ſezen?

Ja freylich, ſagte der Junker.

Aber kannſt du es auch? ſagte der Bub und, ich wills dann probieren, der Junker. Sieheſt du, man muß ein Loch in Boden ma - chen, aber ein groſſes und tiefes, und Schor - herd drein thun, aber faulen alten, der nicht brennt, und denn erſt den Baum darauf, nicht tief, und die Grasmotten, die man dazu legt, muß man umkehren, daß ſie nicht an - wachſen, denn brauchts noch viel viel, bis er recht ſtehet, und verdoͤrnt iſt.

Junker. Wer hat dir das alles geſagt?

Carl. Meynſt du Papa! Die Buben reden jezt nichts als vom Baumſezen? Sie haben geglaubt, ich wiſſe nichts von dieſem, aber meyn, ich habe mehr gewußt als ſie, und ſie ſind doch Baurenbuben.

Junker. Wer hat dirs geſagt?

Carl. Der Herr Rollenberger, der weiß mehr als alle Bauren aber ich muß jezt gehen, die andern Buben gehen auch mit ih - ren Geiſſen. Jezt ſtand Arner mit ſeinem122 Lieutenant bald allein auf dieſer Anhoͤhe. Die glatte Itte zitterte im reinſten Silber - licht zu ihren Fuͤſſen. Die Sonne neigte ſich und der Waſſerſpiegel des Schlangen - bachs glaͤnzte von Bonnal aus, bis Ends zu den blauen Bergen, die wie ein Vorhang Ar - ners Land von der uͤbrigen Welt ſcheideten.

Arner ſah eine Weile ſtaunend ſtill in Thal und Bach, denn ſagte er zum Lieutenant, der neben ihm ſtuhnd, es iſt mir jezt ich ſehe die Arbeit die wir hier anfangen, auch ſo mit dem Bach von Bonnal weg, fortrinnen und von einem Dorf ins andere kommen, bis an den Thurm wo ſich Gottlob meine Sorgen und meine Pflichten enden. Er zeigte ihm dann mit dem Finger, die graue Spize des Kirch - thurms von Arnheims End? Die Itte glaͤnzt da nur noch wie ein duͤnner Silberfaden, und verliert ſich im Vorhang der Bergen, und Ar - ner ſagte, das iſt das lezte Ort meines Thals. Er ſezte mit einer Art von Wehmuth hin - zu, erleb ichs noch, daß wir mit unſerer Arbeit bis nach Arnheims End kommen?

Es geht vielleicht nicht ſo lang, als Sie ſich vorſtellen, ſagte der Lieutenant.

Es iſt moͤglich, ſagte Arner, einmal wird unſere Arbeit gewiß leichter, je weiter wir vom Schloß wegkommen.

Daruͤber laͤchelte der Lieutenant und ſagte,123 uͤber dieſen Punkt habe ich einmal einen Geiſt - lichen vor einem Tiſch voll Junkeren und Pfaffen eine derbe Wahrheit ſagen hoͤren.

Es war in der Steinmarch, und man re - dete an der Tafel von dem Unterſchied der Pfruͤnden, die in einem Marchamt gegen der Gewohnheit in der Naͤhe von den Schloͤſſern, beſſer ſind als in der Ferne davon. Da ſagte ein magerer Pfarrer, der unten am Tiſch ſaß, mit einer hellen, langſamen Stimm, die hinauf toͤnte, daß alle Maͤuler ſchwiegen; wenn’s recht waͤre Ihr Gnaden und Ihr Hoch - wuͤrden, ſo waͤrs allenthalben ſo.

Warum? Warum? Riefen ihm Ritter und Pfaffen hinab? Warum Ihr Hochwuͤrden und Gnaden? In der Naͤhe von Schloͤſſern hat man Teufel auszutreiben; wenn man da - von weg iſt, nur Kinder zu erziehen.

Die Augen blizten den Hochwuͤrden und den Gnaden, da das Wort heraus war, aber ein Geſcheider unter ihnen, fieng an zu lachen, und des Pfarrers Geſundheit zu trinken. Da merkten die andern, daß das ihr Spiel, und vom Schleſiſchen Commandeur der oben an ſaß, bis zum juͤngſten Degen, lachte jezt alles, und alles trank dem Pfarrer auf ſeine Geſund - heit.

Aber noch vor dem Abend machten, das weiß ich, vom Schleiſiſchen Kommandeur bis124 zum geringſten Degen ein jeder auf ſeinem Schloß wieder Sachen, die der Grund ſind, warum die Geiſtlichen in der Naͤhe von Schloͤſ - ſern Teufel auszutreiben haben.

Ach! die Menſchen ſind ſo haͤßlich, und was man auch mit ihnen macht, ſo bringt man’s nicht dahin daß ſie auch nur ſind, wie dieſes Thal, ſagte da der Junker. Aber der Anblik des Thals und des Sonnen Untergangs war auch herrlich.

Das iſt jezt auch nicht, erwiederte der Lieu - tenant, und als ers ſagte, trieb ein Hirten - bub unter dem Felſen, auf dem ſie ſtahnden, eine magere Geiß (Ziege) vor ihm her. Er ſtuhnd zu ihren Fuͤſſen ſtill, und ſah gegen die Sonne hin, lehnte ſich auf ſeinen Hirtenſtok und ſang ein Abendlied; er war die Schoͤn - heit ſelber und Berg und Thal, die Itte, und die Sonne verſchwand vor ihren Augen! Sie ſahen jezt nur den Juͤngling, der in Lum - pen gehuͤllt, vor ihnen ſtuhnd, und Arner ſagte: ich hatte unrecht, die Schoͤnheit der Menſchen iſt die groͤßte Schoͤnheit der Erde.

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§. 26. Was iſt Wahrheit, wenn es nicht die Natur iſt.

Der Lieutenant und der Junker ſagten bey - de, der Pfarrer ſollte auch da ſeyn, als die Pracht der Gegend vor der Schoͤnheit des Hirten vor ihren Augen verſchwand. Er war nicht da, er war bey der kranken Kiena - ſtin, fuͤr die der Michel dem Junker eine Geiß bettelte.

Es kann nicht wohl etwas traurigers ſeyn als das Leben und das Todbeth dieſer Frau. Sie iſt mit dem beſten Herzen das elendeſte Menſch worden, weil ſie ſich ob dem groͤßten Weltgift unſerer Zeit, ob armen Buͤcherſachen verirret. Ihr alter Pfarrer ware an ihrem Ungluͤk ſchuld. Er war ein Herzguter Mann, wie ſie auch in ihren guten Tagen; aber er war mit ſeinen Sinnen nicht in der Welt, ſondern in den Buͤchern, und hat das arme Menſch, das jezt auf dem Todbeth lag, mit ſeiner Jugendlehre aus dieſer Welt hinaus und in eine einbildiſche verſezt, die ihr weder Brod noch Ruh noch Segen zeigte, ſondern alles das Gegentheil, bis auf die Stunde ih - res Scheidens.

Es ſteht im Anfang des Worts Gottes oder126 im Erſten Buch Moſis im 1 Cap. Im Schweiß deines Angeſichts ſollſt du dein Brod eſſen, und mein Großvater, wenn er dieſen Spruch ſagte, ſezte allemal noch hinzu, wenn du nicht ein Narr werden willſt und ein Lump oben drauf.

Davon wußte der Pfarrer Flieg in Him - mel, weniger als nichts, er meynte wenn ſei - ne Kinder nur ordentlich ſtill ſaͤſſen und den frommen Sachen von denen er alle Sonntag und Donſtag die Ohren voll zahlte, die Woche durch fein ordentlich nachſinnten, und links und rechts der Gruͤnden Menge wuͤßten und an den Fingern her zaͤhlen konnten, warum er der Pfarrer Flieg in Himmel dieſes oder jenes fuͤr wahr halte, u. ſ. w. Dieſer Pfarrer hat eine Menge Kinder ungluͤklich gemacht, und die Leuthe, die die ſchlechteſten im Dorf ſind, ſind im eigentlichſten Verſtand ſeine Zucht.

Es verblendete ſich im Anfang jedermann an ihm, und es toͤnte wie aus einem Mund das Lob, er thuͤe einen Gotteslohn an den Kindern, ſo eifrig ſey er, und mache weiß nicht was aus ihnen. Nur hier und da machte etwann ein alter Mann oder eine alte Frau, und etwann ſonſt ein Menſch, der nicht viel in den Buͤchern las, die Anmerkung, ſeine Kinder werden ſo geſchwind muͤde, und haben ihren Kopf und ihre Sinnen nicht auch ſo127 wie es ſeyn ſollte, bey ihren Sachen. Aber man dorfte es kaum ſagen; ein jedes Wort aͤrgerte, das man wieder dieſen Pfarrer ſag - te. Es iſt natuͤrlich, ſeine Kinder waren ſo artig und konnten ſo viel aus der Bibel er - zaͤhlen, und ſonſt gereimtes und ungereimtes auswendig ſagen, daß ihre Eltern vor Freude daruͤber ihnen die Haͤnde unter die Fuͤſſe leg - ten, oder wenigſtens einmal die Suppe ohne ihre Muͤh auf den Tiſch ſtellten, damit ſie alle Wochen bis den Sontag ja recht viel auswen - dig lehrnen, und dann in der Kirchen aufſa - gen koͤnnten.

Es gieng ſo weit mit der Verirrung im Lob dieſes Pfarrers, daß man einmal einen natuͤrlichen Menſchen, der es in aller Un - ſchuld herausſagte, es dunke ihn, wie eine Komoͤdie, faſt mit Steinen geworfen. Der Mann hatte ſich unrecht ausgedruckt;[man] heiſſet ſolche Wunderſachen, wenn ſie ſich mit Ungluͤk enden, nicht Komoͤdien ſondern Tragoͤdien; und dieſe Pfarrer-Hiſtorie endete ſich mit dem bitterſten Elend des Lebens, mit dem Elend guter Menſchen, die ihre Haushal - tungen in der Schwaͤche ihres Traͤumer-Le - bens zerruͤttet.

Der arme Pfarrer machte, daß ſeine beſte Kinder den Kopf in den Luͤften hielten, und die gute Kienaſtin, die dieſer Mann ſelig, mit128 ſeinen Meyuungen ſelig, ſo verdorben, war ſein Herzens Kaͤfer. Himmliſches Kind, und Engels Seele waren die gewohnten Ausdruͤke die er brauchte, wann er von ihr redte.

Ein gutes Kind war ſie, das iſt wahr: aber ein ſchwaches, zur Liederlichkeit und zum Traͤu - mer-Leben hoͤchſtgeneigtes Geſchoͤpf, das ſich noch dazu auf die Erkanntniß, die ſie in geiſt - lichen Dingen hatten, weiß nicht was einbil - dete. Dieſe Erkanntniß aber war ein armer unverdaͤuter Wortkram, der ihr Kopf und Herz, und Sinn und Gedanken zu allem was ſie in der Welt haͤtte ſeyn ſollen, wie wegge - nommen, ſo daß ihr Mann und ihre Kinder ſeit 20 Jahren weniger mit ihr verſorgt gewe - ſen, als wenn ſie in Gottes Namen geſtorben waͤre.

Der jezige Pfarrer in Bonnal, der mit ſei - nem Kopf nicht in den Luͤften ſchwebt, ſagte ihr es im erſten Jahr, wo er glaube, daß ſie zu Hauſe ſeye; wo er immer ſein Aug hin - kehrte, fand er in ihrem Hauſe nichts, das ihm zeigte, es wohne eine Hausfrau und eine Mutter hier, hingegen war ihr das Maul im Augenblik offen, von Religions - ſachen mit ihm zu reden, und ihn zu fra - gen, wie er dieſes und jenes anſehe? Er ſagte aber deutſch, du frageſt mich da Sachen, an die ich noch nie Zeit gehabt zu denken, undes129es nimmt mich Wunder, wie du Zeit gehabt habeſt ſo weit zu kommen? Sie wollte anfan - gen, ich habe da vom Herr Pfarrer ſelig etli - che Buͤcher. Aber er unterbrach ſie, und ſagte, ich halte gar nicht viel auf vielen Buͤchern in Baurenhaͤuſern. Die Bibel und ein Herz das in Einfalt nur nicht daran ſinnt etwas zu erklaͤren, was es nicht geradezu ver - ſteht, das ſuche ich in Baurenhaͤuſern, und dann Karſt und Hauen, die alles unnoͤthig er - klaͤren, aus dem Kopf hinaustreiben: und ſo einer jungen Frauen ſoll das Waͤſchbeken, die Nadel und der Strehl (Kamm) hundertmal lieber in Haͤnden ſeyn als alle Buͤcher.

Die arme Frau meynte faſt, der Pfarrer laͤſtre und rede wider Gott, da er wider ihre Thorheit redte, auch trug ſie ihm dieſe Rede faſt bis an ihr Todbeth nach; doch kam ſie in ihrer lezten Krankheit noch dahin, zu er - kennen, daß ſie in ihrer Pilgrimſchaft auf der Irre herumgelaufen, und daß der gute Pfar - rer ſie auf den rechten Weg weiſen wollen. Sie kam ſo weit zuruͤk, daß ſie jezt keine groͤſſere Freude und keinen groͤſſern Troſt hatte, als wenn dieſer Mann, den ſie waͤhrend ihrer Verirrung fuͤr ſo ſchlimm achtete, bey und ne - ben ihr war.

Er war gern um ſie, und es war ihm wich - tig um ſie zu ſeyn. Er war auch heute beyJ130ihr, und ſaß auf ihrem Beth als der Michel mit des Junkers Geiß in ihre Stube hinein - kam.

Weder der Mann noch die Frau konnten ein Wort herausbringen. Ohne zu danken uͤbernahm ſie das Thier. Der Michel ver - ſtuhnd ihre ſtumme Sprache, und es trieb ihn ſchnell wieder zur Stube hinaus, daß dieſen Leuthen leichter werde. Aber der Pfarrer dankte ihm fuͤr ſie, und dann theilte er auch ihre Freude mit ihnen als ſie ſich wieder er - hohlt.

In ihrer Freude trieben die guten Kinder das Thier ihm wie auf den Schooß, und es war ihm innig wohl, da es den Kopf auf ſei - nem Schooß hatte.

Es erquikte die Frau im Beth ſelber, ſie nahm die welke Hand, unter ihrer Deke her - vor, taͤtſchelte das Thier, und krebelte ihm zwiſchen den Hoͤrnern.

Und waͤhrend daß ſie ihns taͤtſchelte und ihm krebelte, dankte ſie dem lieben Gott, der ihr das End ihres Lebens noch ſo erquikt; aber ſie ſeufzete dabey, und empfand, daß ſie dieſen allgemeinen guten Menſchen-Gott, bis an ihr End nicht erkannt, und ihr ganzes Leben ei - nen Meynungen-Gott verehret. Sie troͤſte - te ſich ihres Irrthums und ſah zufrieden das Thier an, und geluſtete ſo gar von ſeiner131 Milch, da ſie doch ſchon etliche Tage nicht das geringſte als ihr Kraͤuterwaſſer zu ſich genom - men. Da melchte ihr Mann die Geiß in ein brandſchwarzes Beken; es war das einige das ſie im Haus hatten. Er zitterte als er da mit der einen Hand ihr den Loͤffel vor’s Maul hielt, und mit der andern, die ihre an ſich zu - druͤkte, und Thraͤnen fielen auf ſie herab, und als er wohlbekomms dir liebe Frau! Mutter! dazu ſagte. Die Kinder fuͤhrten dann das Thier in ihren Stall, und ſuchten ihr an al - len Heken Laub und Streue.

§. 26. Das Andenken an eine Großmutter.

In des Rudis Stube ſinneten die guten Kin - der, da ſie ihre Geiß unter den Haͤnden hatten, an die liebe Großmutter ſelig. Da der Vater und alle Kinder ſo um ſie herum ſtuhnden, ſagte das Naͤnnlj, weiſt du auch noch Vater, die Großmutter hat noch geſagt, wir muͤſſen noch eine Geiß haben.

Ja freylich, weiß ich es noch, ſagte der Vater.

Und das Kind: es iſt doch auch wie wenn ſie gewuͤßt haͤtte, wie es gehen werde, ſo hat ſie noch allerley geſagt, wie es da gekommen.

J 2132

Vergeſſet es einmal euer Lebtag nicht, was ſie zu euch geſagt hat, ſagte da der Vater. Und ich wills einmal meiner Lebtag nicht vergeſſen, was ſie zu mir geſagt hat, erwie - derte ihm Rudelj, und dann alle Kinder; und wir auch nicht, und wir auch nicht.

Wiſſet ihr was Kinder? Wir wollen nach dem Nachteſſen zu einander ſizen, und dann alle Worte zuſammentragen, die ſie zu einem jeden geſagt hat; denn will ichs auf einen Bo - gen Papier aufſchreiben, daß ihrs euer Lebtag behalten, und leſen koͤnnet.

Das freuete die Kinder gar, daß der Vater ihnen alle Wort aufſchreiben wolle, die die liebe Großmutter noch geredet, da ſie bald von ihnen weg und in Himmel gegangen. Sie vergaſſen darob faſt ihre Geiß im Stall, und redten das ganze Eſſen uͤber von nichts, als wie ſie alle Worte zuſammentragen wollen, die ſie von ihrer lieben Großmutter noch wiſſen.

Der Rudelj ſagte da, gaͤll Vater, es iſt dann wie es die Imblj (Bienen) in ihren Korb zu - ſammentragen. Ja lieber, es iſt dann, wie es die Imblj machen, wenn wir ſo zuſammen - tragen, ſagte der Vater; und der Rudelj, gaͤll Vater, das Papier iſt dann der Imbli - korb?

Ja, wir wollen ihm dann ſo ſagen, wann du es darauf geſchrieben haſt, ſagte das Naͤnnlj.

133

Aber koͤnnen wir dann auch Honig daraus eſſen, ſagte das Liſelj?

Ja freylich, koͤnnen wir Honig daraus eſſen, ſagte das Naͤnnlj und der Rudelj.

Und der Vater, ich hoff es zum lieben Gott, der Großmutter Abſcheid duͤnk euch beſſer als Honig, und alles was ihr eſſen koͤnnet.

Ja Vater, ſagte der Rudelj, ſie iſt jezt im Himmel, und dann iſt das wie Himmelbrod.

So redten ſie bey ihrer Erdapfelſuppe, und da ſie ausgeeſſen, gieng dann der Rudj zum Baumwollen-Mareylj, und entlehnte bey ihm Dinten, Federn und einen Bogen Papier.

§. 27. Das erſte Hinderniß des Wohlſtands und der beſſern Erziehung der armen Kinder, ihre eigne Muͤtter oder ſchlechte Weiber.

Er traf ſeine Stube voll Spinnerkinder an, die bey ihm abredeten, morn zu Mittag alle mit einander in einem Zug zum Junker ins Pfarrhaus zu gehen, und ihm zu danken, fuͤr den Sparhafen, und die zehndfreye Aeker, wozu er ihnen verhelfen wolle.

Ehe ſie zu ihm kamen, hatten die meiſten noch einen Kampf mit ihren Muͤttern daruͤber,J 3134denn als die Vaͤter mit dem Bericht vom Jun - ker heimkamen, war unter zehen Spinner - weibern kaum eine, die nicht den Kopf ſchuͤttel - te. Weit die meiſten ſagten, der Junker ſey ein Narr, daß er ſo etwas glaube, ſie aber, naͤmlich ihre Maͤnner noch weit die groͤſſern, daß ſie ſich es angeben laſſen. Was wollte doch, ſagten ſie, ſo ein Herr auf einem Schloß, wo alles vollauf iſt, von ihrer Ordnung wiſ - ſen, und urtheilen koͤnnen, was in ihren Haͤu - ſern, wo man ſich des Bettlens kaum erwehren kann, moͤglich oder nicht moͤglich iſt? Wir bringen ja manchmal, wenn wir uns nicht wohl darnach richten, nicht einen Bazen zu Salz fuͤr, und ihr doͤrfet es ins Maul nehmen von Dublonen erſpahren zu reden; etliche, und das von den allerliederlichſten ſagten gar, wenn doch die Maͤnner nur nicht wollten von der Haushaltung reden, ſie wiſſen uͤberall nicht, was eine Haushaltung iſt? Dieſes Wort iſt Bedeutungsreich im Maul von unordent - lichen Weibern. Und die Weiber von Bonnal widerſezten ſich dieſem zwey Bazen ſpahren aus keinem andern Grund, als weil ſie der Unord - nung gewohnt, ſich ſcheueten, etwas anzufan - gen, das, wie ſie wohl ſahen, zur Ordnung und zum Rechnung geben, fuͤhren koͤnnte, aber ſie wurden diesmal nicht meiſter; die Maͤnner hattens verſprochen und wolltens jezt haben. 135Es erklaͤrten ihnen viele mit Ernſt, daß es ſeyn koͤnne, und ſeyn muͤſſe; und die Kinder hien - gen ihnen allenthalben an, und baten, und baten, ſie ſollen ihnen doch auch dieſes thun. Sie haͤtten die Kinder lang beten, und lang anhangen laſſen, aber ſie ſahen, daß es ihren Maͤnnern Ernſt ſey, und daß es ſeyn muͤſſe. Ihrer etliche gaben nach; da etliche nachgaben, folgten bald mehrere, nach der Regel, wann eine Gans gagget, ſo gagget auch die andere.

§. 28. Das zweyte Hinderniß der gleichen Sach; der Neid der Reichen.

Die Freude der Kinder dauerte nicht lang. Ihr Jauchzen und Weſen, that den Bau - rentoͤchtern in Ohren weh. Ihren Muͤttern wurmte es nicht minder, daß das Lumpen - volk ſo juheye, und habe was es nur wolle. Sie murrten unter einander, und haͤngten die Koͤpfe.

Das haͤtten ſie wohl moͤgen, aber des Huͤgis Weib that mehr. So bald ſie vernommen, was das Juheyen in allen Gaſſen bedeute, ſo gieng ſie in einem Sprung zu ein paar Nachbars - weibern von ihrer Gattung, und ſagte, esJ 4136fey eine Schand und ein Spott, daß ihre Maͤn - ner alles gehen laſſen, wie es der Großhans im Schloß gern ſehe; ſie allein traue ſich, wenn ihr nur auch ein paar an die Hand gehen wol - len, der verdammten Sache, die jezt im Thun ſey, noch ehe eins von ihnen ins Beth gehe, ein End zu machen. Sie ſagte, das Lumpen - volk kann doch nicht ohne uns ſeyn, mehr als einem Duzend hab ich muͤſſen zu Gevatter ſte - hen und alle Augenblik ſtehet mir eine vor den Fenſtern, oder vor der Thuͤre, und will etwas, und euch wirds nicht minder ſo gehn; wir wol - len ihnen nur kek unter die Augen ſtehen, und ihnen ins Geſicht ſagen, was auf ſie warte, wenn ſie ſo alles im Dorf fuͤr den Kopf ſtoſſen, und dem Juheyen Leben nicht im Augenblik ein Ende machen.

Die Weiber lieſſen ſich das nicht zweymal ſagen; ſie ſuchten ſelber noch ein halb Duzend, bey denen es hierzu auch nichts weiters brauch - te, als daß man Zundel anzuͤnde, ſo hatten ſie Feuer, und es gieng keine halbe Stund ſo ſtuhnd in allen Gaſſen ſo ein dikes Weib und machte den armen Spinnerleuthen Angſt.

Die Huͤgin war im Angeben das Vor-Roß, und im Ausfuͤhren der Meiſter. Sie war gut fuͤrs erklaͤren, und konnte ſo viel Zeug und Sachen ſagen, daß die armen Spinnerleuthe bald glaubten es ſey ſo, wie ſie ſage.

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Sie behauptete ihnen unter die Naſe, es feye die groͤßte Narrheit, was ſie abreden, ſie koͤnnens doch nicht halten, ſie ſollen nur auch denken, wenn heut die Kinder hungern, und ſie ſelber Schuh oder einen Rok noͤthig haben, und es Winter ſey, und kalt, ob’s ih - nen denn moͤglich, das Geld ſo liegen zu laſ - ſen, und nicht anzuruͤhren, und Mangel zu leiden? Und ſollen doch auch nicht ſo einfaͤltig ſeyn, und ſich dergleichen Sachen einbilden, ſie wolle ihren Kopf dran ſezen, ſie koͤnnen es nicht; aber denn habt ihr eine ſchoͤne Arbeit, denket an mich. Zuerſt habt ihr euch das gan - ze Dorf uͤber den Kopf gerichtet, und hinten nach euere Kinder ſelber, und den Junker auch. Fraget nur nach, er hat ſchon an der Gemeind darauf gedeutet, und geſagt, wenn die Sach verſprochen ſey, ſo wolle er dann auch dabey ſeyn, und machen, daß ſie muͤſſe gehal - ten ſeyn. Es kann ſo kommen, es kann ſo kommen, Frau Gevatter! ſagten, faſt eh ſie noch ausgeredt, die Spinnerweiber, und ſezten hinzu: Nein, nein, wir brauchen nie - mand vor den Kopf zu ſtoſſen, wir haben deſ - ſen gar nicht noͤthig, und denn euch auch gar nicht, wir haben ſchon viel zu viel Gutes von euch genoſſen. Man hats uns auch ſo an - gegeben, und wir haben gar nicht gewußt, daß ihr das ſo uͤbel nehmet. Hie und da ſeufzte138 wohl ein armer Mann, daß er jezt mit ſeinem Wort und Hoffnungen hinten abziehen muͤſſe, aber ins Geſicht widerſprach der Meiſter Ge - vatterin keiner.

Ihr koͤnnt jezt thun, wie ihr wollet, aber wenn ihr dem Lumpen Juheyen nicht auf der Stell ein End machet, und euere Kinder heim - kommen laſſet, und machet, daß ſie von dem Zeug ſtill ſind, ſo ſehet denn was ihr angeſtellt! Einmal mir komme denn keine mehr vor die Thuͤre, es mag ihr aufſtoſſen was es will. Das war das Wort mit dem die Huͤgin immer endete.

Ja freylich, freylich, muͤſſen ſie heimkom - men, und ſchweigen, war die Antwort der Weiber und Maͤnner.

Ihrer etliche lieſſen das Nachteſſen ob dem Feuer anbrennen, und die Kinder in der Wiege ſchreyen, und ſuchten uͤber Kopf und Hals, wen ſie fanden, nach den Kindern zu ſchiken, daß ſie heimkommen und ſtill ſeyen, weils mit der Sparhafen-Sache nichts ſeye.

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§. 29. Die Geſchichte der Erloͤſung dieſer Kin - der aus der Hand ihrer Feinde, und aus der Hand ihrer Muͤtter.

Das Mareylj las den guten Kindern eben den ſchoͤnſten Buͤndel Garn, den es im Haus hatte aus, daß ſie morn dem Junker auch etwas von ihrer Arbeit bringen und zei - gen koͤnnen, als der Krummhaͤuslerin Chri - ſtoͤffelj und des Haloris Bethelj uͤber Kopf und Hals daherſprangen, und ſo bald ſie in die Stuben hineinkamen, ihren Geſchwiſter - ten ſagten, ſie ſollen geſchwind geſchwind heim kommen, es ſey[e]nichts mehr mit dem Spar - hafenweſen.

Es war den Kindern, die in der Stube waren faſt wie wenn man ihnen ſagte, ſie kaͤmen nicht in Himmel, als ſie das hoͤrten.

Das Mareylj ließ auch ſelber das Garn ausſuchen. Jezt fragten die Kinder, was denn daheim begegnet, daß ſie mit dieſem Bericht kaͤmen. Der Chriſtoͤffelj ſagte, er wiſſe es nicht, er ſey bey ſeiner Geiß geweſen, und haͤtte lieber weis nicht was thun wollen als von ihr weggehn, aber er habe muͤſſen in Eil kom - men, dieſen Bericht zu ſagen.

Das Liſebethlj aber ſagte, ſeine Gotten, die140 geſchworne Aebin ſeye bey der Mutter geweſen, und habe ihr Bachen und Mahlen abgeſchla - gen, und gut Jahr und alles aufgekuͤndt, wenn ſie nicht auf der Stell dem Sparhafenlerm ein End mache, und ihren Kindern daruͤber das Maul zuthuͤe. Das Mareylj fragte das Bethelj noch, ob noch mehr dergleichen Wei - ber wie die Aebin ſich in dieſe Sache miſchen? Das glaub ich ſagte das Bethelj, es iſt wie wenn ſie es abgeredt, in allen Gaſſen ſtekt ſo eine Geſchwornin; an der vordern Gaß, bey der Aebin ſind ihrer zwo; und es haben ihnen ein ganzer Hauffe Spinnerweiber in die Haͤnde hinein verſprochen, es muͤſſe nichts aus der Sach geben; ſie ſtehen jezt noch bey - einander, es iſt ein Gered, wie wenns im Dorf brannte, und die Mutter hat geſagt, die Huͤ - gin ſtelle ſich gar, wie ein Eidgenoß.

Nun, nun, ſagte das Mareylj, wir wol - leu denk ich mit einander, und den Eidgenoß auch anſchauen.

Und die Kinder ſagten alle, ja bitte, bit - te, komm doch auch mit uns, und mach daß der Zug morn auch nicht untergehe, und hien - gen ihm hinten und vornen an.

Wir wollen jezt ſchauen, ſagte das Marey - lj, und gieng denn mit dem ganzen Zug zu. des Haloris Haus, wo der Haufe Leuth noch bey einander ſtuhnd.

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Sie hatten ein Weſen, ſie hatten ein Thun die diken Weiber, ſo lang ſie niemanden ſa - hen.

Aber als ſie das Mareylj und den Zug Kin - der erblikten ſtuhnd ihnen das Mort im Maul ſtill und ſie machten ſich hinter ſich, gegen das Haus.

Das Mareylj that wie wenn ſie nicht da waͤren, ſtuhnd, der ganze Zug hinter ihm, zu der Mutter des Bethelj und ſagte.

Was iſt doch auch das fuͤr eine unverſcham - te Sache? In einer Viertelſtunde mit ſeinen Kindern ſo hinauf und hinab zu machen? Ich weiß wohl was darhinter ſtekt, und wenn ichs gern thaͤte, ich koͤnnte denen, die Schuld daran ſind, noch bey Tagsheitere, und ſie iſt doch jezt bald aus, noch heiß machen. Das iſt kein Spaß, wenn ein Junker etwas Gutes im Dorf will, ihm auf eine ſolche Art Stein in den Weg zu legen. Es braucht ſich aber deſſen gar nicht, ich meyne ihr thuͤet mir wohl den Gefallen und beſinnet euch des beſſern, der Zug muß morn ſeyn, und ich thue es nicht anderſt, und wenn ihr nicht wollt, und Un - chriſten genug ſeyt, den Wohlſtand euerer Kin - der mit Fuͤſſen von euch wegzuſtoſſen, ſo ha - bet ihr es denn mit mir zu thun? Ich habe mein Lebtag nie ſo geredt, aber wenn es gilt die Sachen mit Gewalt durchzudruͤken, ſo will142 ich auch druͤken. Ich meyne, ihr gehet mich mehr an als alle Baurenweiber mit einander, und ich ſag es mit einem Wort, wenn eins von euch iſt, das nicht will, was der Junker fuͤr die Kinder angeordnet, ſo behalt ich ihm alle Wochen zwey Bazen von ſeinem Garn zuruͤk, und will ſeinem Kind dieſen Spar - hafen ſelber machen. Lauft dann meinetwe - gen mit dem Garn uͤber den Berg; einmal ſo lang ihr mir arbeitet, ſo muͤßt ihr in die Ord - nung hinein, die der Junker will, oder ſagen warum? Und dann iſt noch ein Punkt ich will jezt nicht das Maul aufthun, aber ihr verſtehet mich wohl, was ich meyne, und was ich machen kann, wenn ich will, und denket an mich, ich thue was ich kann dem Junker zu helfen zu dem was er will. Er will nichts als was fuͤr euer und euerer Kinder Gluͤk iſt.

Die diken Weiber, die ſich hinter ſich gezo - gen, ſo bald ſie ihns ſahen, machten ſich voͤl - lig aus dem Staub, eh es zehen Wort geredt. Die Spinnerweiber aber wußten nicht, wie ſie ihm genug gute Worte geben wollten, daß es nur wieder ſchweige.

Du haſt wohl recht, es iſt nicht anderſt, und es iſt gewiß ſo, wir haben nur nicht dran gedacht, daß du dich der Sach anneh - meſt, ſonſt haͤtten wir uns wohl gehuͤtet, und143 es muß ſicher ſeyn wie du willſt, ſie muͤſſen den Sparhafen gewiß haben, und morn dem Junker alle mit einander danken; und ſonſt in allweg, es moͤchte ſeyn wie es wollte, wenn dir etwas daran liegt, ſo wiſſen wir wohl, daß wir das Brod von dir haben, und es kommt uns gewiß keinen Sinn daran, daß wir dir um jemands anderer Willen etwas zum Verdruß thun, es moͤchte ſeyn was es wollte.

§. 30. Ein gutes Natur-Menſch, und ein auf die rechte Art geſchuletes, neben ein - ander, und hinter ihnen das Schik - ſal der Meiſterkazen, und ihrer Maͤn - ner Notharbeit.

Die junge Reinoldin ſtrekte, ſo lang es mit den Spinnerweibern redte, den Kopf ſo weit ſie konnte zum Fenſter hinaus.

Dieſe Frau iſt nicht weniger ein ſonderba - res Menſch als das Mareylj, und vollends ſo gut als es; der Unterſchied zwiſchen ihnen iſt, daß die Reinoldin traͤger, und nicht ſo auf die Arbeit und den Verdienſt abgerichtet, wie das Mareylj; desnahen iſt ſie auch bey wei - tem nicht ſo vorſichtig, aber hingegen gar144 viel wilder, ſie kann ſich gar nicht beſizen, wenn ſie glaubt, es leide jemand unrecht, und hat gar keine Ruh, wenn ſie meynt ſie koͤnne jemand helfen, ſie richtet aber mit allem dem viel weniger aus als das Mareylj.

Wenn ihr etwas in ihrem Sinn fuͤr recht vorkommt, ſo achtet ſie es denn nicht Vater und Mutter, Freund und Verwandte, und wer es in der Welt iſt, wieder den Kopf zu ſtoſſen.

Unter allem vorgeſezten Volk iſt ſie die ei - nige der es auch recht von Herzen wohl iſt; wenn ſie ein feißtes Taunerkind in einem recht ſchoͤnen Rok ſihet.

Dieſe Reinoldin war ſchon laͤngſt des Nar - ren Hochmuths ihrer Geſchwornen und des un - flaͤtigen Unterſcheids muͤde, den etwa ein Du - zend Bauren im Dorf zwiſchen ſich und den andern machten, und der keinen andern Grund hatte, als daß ſie vom Vater und Großvater her als ein Geſchwornen Volk im - mer mehr Eide auf ſich, und mehr Ochſen im Stall hatten als die andern Bauren.

Die Reinoldin ergriff dieſen Anlas mit Freuden zu zeigen, daß ſie dieſes Ehren Un - terſchieds halber, Ochſen wegen und Ei - den wegen, nicht denke wie ihre Verwandte, und nachdem ſie die Urſach dieſes Weiberkriegs, und die Art wie ihm das Mareylj ein Endgemacht,145gemacht, vollends verſtanden, nahm ſie ihre beyden aͤlteſten Kinder an die Hand, ſtuhnd mit ihnen unter die Baumwollen-Weiber und Kinder zum Mareylj zu, und ſagte ihm: da haſt du jezt noch zwey Kinder an deinen Zug auf Morgen. Wenn ſie ſchon nicht ſpinnen koͤnnen, und Gottlob nicht noͤthig haben, das zu treiben, ſo muͤſſen ſie dem Jun - ker doch danken, daß er es ſo gut mit dem Dorf meynet, und macht, daß es allen wohl gehet.

Es haͤtte nichts begegnen koͤnnen, das das Mareylj beſſer freute. Es ſchuͤttelte der Rei - noldin ihre Hand, und wollte ihr fuͤr die Spin - nerkinder danken; ſie aber ſagte ihm: du lacheſt mich doch nur aus, daß ich ſo ein lebhafter Narr bin, aber ich hab einmal jezt nicht an - derſt koͤnnen.

Das Mareylj antwortete ihr, und ſchwur dazu: Nein, das iſt ein Meiſterſtuͤk.

Reinoldin. Es freuet mich, daß dir auch einmal etwas recht iſt, was ich thue.

Mareylj. Das iſt jezt mich ausgeſpottet, aber ich habe doch recht in dem, was ich mey - ne, und worauf du jezt ſtichelſt; wenn du in deiner Jugend dein Brod haͤtteſt verdienet, wie ich, du waͤreſt gewiß auch nicht wie du biſt: nein, es lehrt einen, wenn man’s nicht hat, und nicht vermag, und doch auch wieK146andre Leuth durch die Welt kommen moͤchte, nicht ſeyn wie du biſt.

Bin ich denn gar nichts rechts? ſagte die Reinoldin, ihm die Hand immer haltend vor allen Spinnerweibern.

Wohl freylich erwiederte das Mareylj, biſt etwas Rechts. Aber ich gehe doch nicht zuruͤk, es kann niemand ſo etwas rechts ſeyn wie du, auſſert er habe es wie du.

Das iſt jezt nur dein Hochmuth, du meynſt du braucheſt nichts dazu, als dich ſelber, zu ſeyn, was du biſt, ſagte die Reinoldin.

Und das Mareylj: nein, freylich, ich brauche das ganze Dorf dazu, was waͤre ich ohne die Spinnerleuthe?

Du Schalk, du weiſſeſt den Unterſcheid wohl, und thuſt, wie wenn du ihn nicht wuͤß - teſt, ſagte die Reinoldin. Denn redten ſie wieder von den Meiſterkazen, die den guten Kindern ihre Freude, wegen des morndrigen Zugs verderben wollten. Beyde ereiferten ſich wieder mit dem Haufen Spinnervolk, das um ſie herumſtand, daß ſie ſich ſo leicht von ihnen am Narrenſeil herumfuͤhren laſſen.

Dieſe Meiſterkazen waren ſchon laͤngſt fort, aber es gieng ihnen nicht gut daheim.

Wenn gerathen waͤre, was ſie probiert, ſo waͤren auf der Welt keine braͤfere, und kei - ne geſcheidere Weiber geweſen, als ſie; aber147 weil es gefehlt, ſo war jezt der Teufel allent - halben los.

Ihre Narren-Maͤnner, ſagten jezt alle, es ſey ein dummer Streich geweſen, ſie haͤtten wohl voraus ſehen koͤnnen, daß es ſo komme.

Etliche ſagten gar, warum ſie nicht zuerſt mit ihnen Rath gehalten, und immer mey - nen, daß alles auf ihren Donners verdammten Weiberkopf heraus muͤſſe?

Es war nicht Zorn, es war nur Angſt, warum ſie ſo redten; ſie foͤrchteten das Ma - reylj, und meynten denn gar, die bliz Reinol - din wigle ihns noch auf, und habe ihre Freude daran, wenn ſie machen koͤnne, daß der Jun - ker ihren Weibern etwann eine offentliche Schand anthue.

Die armen Schelmen! Der Huͤgin und der Aebin ihre Maͤnner, ſtuhnden bey einer halben Stunde im Eck unten an der Gaß, zu ſehen ob denn das Mareylj und die Reinoldin auch gar nicht wollen aufhoͤren ihr Maul zu brauchen. Je mehr ſie ſahen, je mehr verſpreiteten dieſe zwey die Haͤnde, und ſchuͤttelten die Koͤpfe. Das machte den Herren ſo angſt, daß es ih - nen gieng, wie einer armen Maus, wenn im heiſſen Land, das fern von uns iſt, eine Klap - perſchlange, gegen ſie das Maul aufthut. Es wird der armen Maus angſt, ſie wehrt ſich, und zwirbelt, und muß der Schlange dennK 2148doch noch zum Maul hinzu laufen: ſo mußten die armen Dikbaͤuch den zwey Weibern, noch zum Maul hinzu laufen.

Ihr ſolltet die Troͤpfe ſehen, wie ſie dem Mareylj jezt alle Guͤte ſagen; und ihns beten, es ſolle doch auch nicht ſo gar thun. Ihre Weiber habens auch nicht gemeynt, wie mans ihnen jezt auslege, und ſie moͤgen es gar wohl leiden, was der Junker mache, und wenn er den Spinnerkindern noch mehr ſchenken wolle, als nur das, ſo gehe ſie das gar nichts an, ſie moͤgen es ihnen von Herzen wohl goͤnnen.

Der Aebi, der duͤmmer war, ſezte hinzu, wenn wir dem Junker noch mehr zu Gefallen thun koͤnnten, als nur das, wollten wirs gern thun.

Was bildeſt du dir auch ein? ſagte da das Mareylj zu ihm, daß du ins Maul nehmen darfſt, dem Junker einen Gefallen zu thun; ich meyne, er thue euch einen Gefallen, und nicht ihr ihnen.

Freylich, freylich; und ja, ja: Es hats niemand anderſt gemeynt, ſagten ſie beyde, und was weiß ich, was ſonſt noch.

Da hats jezt auch geheiſſen, ſchweig Herz, und red Maul, ſagte die Reinoldin, ſo bald die zwey den Ruͤken gekehrt.

Ich meyns auch, ſagte das Mareylj, und ſie ſind ja braun und blau worden, ſo ha -149 ben ſie daran worgen muͤſſen, erwiederte die Reinoldin.

Aber was machens, ſagte der Huͤgj als er weggieng, es iſt jezt ſo, man hat ja heut an der Gemeind geſehen, wer im Dorf Mei - ſter iſt.

Der Lumpen-Hans im Pfarrhaus hat dem Kalberleder nur ein paar Wort geſagt, und der arme Teufel hat uͤber Kopf und Hals den Nußbaum umhauen muͤſſen, er haͤtte lieber weiß nicht was gethan, als das, doch hat’s ſeyn muͤſſen, ſo iſt es jezt.

§. 31. Es iſt in allem ein Unterſchied.

Es wunderte den Pfarrer ſelber, als er heimkam, und den Garten-Nachbar ſo mit dem Kopf am Boden antraf.

Der Hans erklaͤrte ihm uͤber das Eſſen, wie es zugegangen.

Aber wie haſt du auch das thun, und ihm ſo drohen doͤrfen? ſagte der Pfarrer, da er hoͤrte wie es zugegangen.

Es hat mich gedunkt, es ſeye gar recht ge - weſen, ſagte Hans. Und der Pfarrer, nein, man muß nie jemand mit etwas in Forcht jagen, wozu man kein Recht hat.

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Das iſt wohl ſo, ſagte der Hans, wie ihr ſaget, und ich wollte mich in die Seele hin - ein ſchaͤmen, wenn jemand der darnach iſt, vor mir zu nur roth, weil geſchweigen blaß wuͤrde, aber mit Leuthen von der Kalberle - der Gattung, hat es ſeine eigne Ordnung. Dieſe Gattung Leute bringt man nicht dazu, ein Vater Unſer zu beten, geſchweige einen Nußbaum umzuhauen, wenn man ihnen nicht den Teufel vormahlet.

Des Pfarrers ganze Weïsheit fand gegen dieſe Erklaͤrung keine Antwort.

Aber mich nimmt jezt gar viel mehr Wun - der, was der halb Schurk mein Untervogt mit ſeiner Schweſter geſprochen, als er heim - gekommen.

So unterbrach der Junker des Hanſen, und Pfarrers Kalberleder - und Nußbaums Ge - ſpraͤch.

Der Pfarrer antwortete ihm, es wuͤrde euch denk kein gutes Blut machen, wenn ihrs wuͤßtet.

Er hatte recht, ſo bald der Vogt heimge - kommen, und den Mantel ablegte, ſprang er zu ſeiner Schweſter, und das erſte Wort, das er zu ihr ſagte, war, ich haͤtte doch nicht ge - meynt, daß du ſo eine Schweſter an mir waͤ - reſt. Denn er hatte ſich ſchon bey der Ger - trud, und noch mehr die Zeit auf dem Ried,151 wo er vor Herzklopfen und Maul aufthun, wie blind und taub ware, in Kopf geſezt, der Junker ſey mit Fleiß, ſo lang bey der Gertrud geblieben, und habe aus keinem Grund, als aus dieſem, ſo wider ſeine Ge - wohnheit, Leuth und Vieh, auf ihn warten gemacht, als weil er wohl denken koͤnnen, er muͤſſe denn hinkommen wo er ſey; und es ſeye kein Wort geredt worden, das ſie nicht mit einander abgeredt.

In dieſem Wahn ſagte er dann zu ihr: ich haͤtte nicht gemeynt, daß ich ſo eine Schwe - ſter haͤtte.

Was fuͤr eine Schweſter? ſagte die Meyerin, die gar nicht wußte was er meynte.

Es braucht ſich nicht, daß du mich doppelt fuͤr einen Narren halteſt, ſagte er, und klagte fort, er habe doch nicht an ihr verdient, daß ſie ihms ſo mache; bis ſie zulezt uͤberdruͤßig ihm ſagte: wenn er einen Rauſch habe, und nicht reden koͤnne, daß man ihn verſtehe, ſo ſolle er heimgehen, und dann morn wieder - kommen.

Ich bin ſo nuͤchter als du, ſagte der Vogt; und hatte Magenshalber recht, denn er hatte nicht einmal ſeinen Abend-Wein getrunken, da er von dem Ried heimgekommen, und zu ihr gelaufen.

Endlich kam es doch ſo weit, daß er ſagte:K 4152weiſſeſt du denn gar nicht, was mir bey der ſchoͤnen Frauen begegnet? Und auf weiters Fragen erklaͤrte er, die ſchoͤne Frau, die er meyne, ſey Gertrud. Die Meyerin ſagte noch einmal, ich weiß kein Wort von allem. Sie ward aber doch roth, ſo bald er den Nah - men Gertrud nannte.

Er merkte es nicht, und erzaͤhlte ihr jezt, was ihm bey ihr begegnet, und was ſie und der Junker ihm zugemuthet.

Der Athem toͤnte der Meyerin, als er das erzaͤhlte; aber ſie redete lang nicht, beſinnte ſich. Nach einer Weile ſagte ſie, und da, was haſt du ihnen geantwortet?

Du kannſt wohl denken, ich hab es ihnen muͤſſen verſprechen.

Meyerin. Daß du dem Rudj bey mir zum Beſten reden wolleſt?

Vogt. Ich habe wohl muͤſſen.

Meyerin. So, aber wie iſt dir, was ratheſt mir jezt?

Vogt. Du fragſt mich nicht im Ernſt.

Meyerin. Wohl freylich, frag ich dich im Ernſt.

Vogt. Wenn du mich im Ernſt fragſt, ſo weiſſeſt du wohl, daß meine Frau und ich, et - was anders als das im Sinn haben.

Meyerin. Ich weiß es gar wohl, ihr ha - bet ja erſt geſtern davon mit mir geredt, und153 es wird, denke ich, noch jezt euere Meynug ſeyn.

Vogt. Du kannſt dirs wohl einbilden.

Meyertn. Ich bilde mirs freylich ein, aber dann hingegen haͤtte ich mir nicht eingebildet, daß du, weils ſo iſt, doch dem Junker etwas anders verſprechen wuͤrdeſt.

Vogt. Zank jezt nicht mir, ich bin ja ſonſt genug zwiſchen Thuͤr und Angel.

Meyerin. Man muß nur machen, wie du, ſo iſt man denn bald zwiſchen Thuͤr und Angel.

Vogt. Was mache ich denn?

Meyerin. Du ſollteſt dich ſchaͤmen, ſo biſt ein Tropf, ſeitdem du Untervogt biſt. Ich bin ein Weibervolk, aber ich ließ mich vor keinem Menſchen mehr ſehen, wenn ich ein einziges mal zum Vorſchein kommen ſollte, wie du jezt Thorenbub!

§. 32. Wenn die Milch kochet, und uͤberlaufen will, ſo ſchuͤtten die Weiber nur ein paar Tropfen kalten Waſſers darein.

Mit dem ließ ſie ihn ſtehen, und ſuchte ihre Schuh zum Wandern; er aber ringgelte indeſſen ſeine Ueberſtruͤmpf ein, und fragte ſie154 denn, wie iſt’s jezt? Du kannſt mirs wohl auch ſagen, nimmſt den Huͤbel Rudj? Sie antwortete ihm, ich will dir denn das ſagen, wenn du einmal ein Mann biſt, jezt biſt du ein Bub; und lief in aller Hize von ihm weg, und zur Gertrud.

Aber ſie gieng ihr nicht ins Haus hinein, und rufte nur unter der Thuͤr, daß ſie herun - ter komme.

Die Maurerin merkte an ihrem Ton an, im Augenblik, daß des Untervogts Hiſtorie ſchon in ihr koche, und es war ihr nicht ganz wohl bey der Sache; aber der Rudj, der eben bey ihr war, erſchrak, daß er zitterte.

Der arme Mann hatte laͤngſt allen Muth verlohren, und beſaß keine Art Staͤrke mehr, als daß er ſich in alles ſchiken, und alles uͤber - winden konnte.

Die Meyerin feuerte im Anfang, es ſeye unverſchaͤmt und eſelkopfig, wie ſie es ihr ge - macht.

Gertrud ließ ſie in einem fortreden, dadurch ward ſie nach und nach ſtiller. Endlich ſagte ſie, warum redſt du nicht? Du wirſt mir doch auch ſagen wollen, was begegnet.

Weiſſeſt du das noch nicht, und machſt ſo gar? ſagte da Gertrud; freylich will ich dirs ſagen, und erzehlte ihr denn, wie der gute Junker mit des Rudis Kindern ſo freundlich155 geweſen, da ſie zu ihm zugeſtanden, und ihm fuͤr die Kuh und die Matte gedanket, und wie er das Naͤnnlj, ſie kenne es wohl, es ſey das wo ſie von ihm geſagt, es gebe ein Engel, wohl eine Viertelſtunde auf den Armen gehabt. Ich habe auf der Welt nicht gewußt, wie ich ihm thun will, ich haͤtte ihm gern etwas von dir geſagt, und haͤtte es doch nicht gethan, aber weils ſo in mir geſtritten, iſt da juſt dein Bruder, wie wenn es haͤtte ſeyn muͤſſen, in die Stube hinein gekommen, da hab ich mich einmal nicht mehr hinterhalten koͤnnen, es war wie wenn es mir jemand zum Maul hin - ausgeriſſen, daß ich ſagen muͤßte, ja wenn nur das gute Naͤrrchen auch wieder eine Mut - ter haͤtte.

Meyerin. Du haſt aber mehr geſagt als das.

Gertrud. Freylich, der Junker hat mir da zur Antwort gegeben, man ſollte meynen, der Rudj, wie er es jezt hat, ſollte eine Frau finden koͤnnen, wo er wollte; da gab ein Wort das andere, bis mir in Gotts Nahmen zum Maul heraus war, dein Bruder koͤnnte da am beſten helfen.

Der Zorn war jezt der Meyerin ſchon hin, und ihre Hize war vollends gegen ihren Bru - der gekehrt, als ſie da fragte, was ſagte da er dazu?

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Gertrud. Es ſoll an ihm nicht fehlen.

Meyerin. Hat er das geſagt?

Gertrud. Ja, und das mehr als ein, und mehr als zweymal.

Meyerin. Und der Junker, hat er da nichts mehr geſagt?

Gertrud. Wohl freylich, er hat noch ge - ſagt, du oder wer des Rudis Frau werde, doͤrfe darauf zehlen, daß er ſich dieſer Haus - haltung annehme, ſo lang er lebe, und zu deinem Bruder hat er da noch geſagt, es wuͤrde ihn freuen, wenn das dir ein Grund ſeyn wuͤrde, daß du es deſto lieber thaͤteſt.

Meyerin. Hat er das alles ſo geredt?

Gertrud. Es ſind alle Worte wahr.

§. 33. Eine ſonderbare Heyraths-Anfrage.

Da es ſo ſtillete, kam der Rudj hinter der Thuͤr hervor.

Was ſtuhnd der Rudj hinter der Thuͤr? und hoͤrte zu, was ſie mit einander redten?

Ja wahrlich, er ſtuhnd hinter der Thuͤre und hoͤrte alle Worte, aber er iſt um deswil - len doch der Rudj und bleibt der Rudj, der er vorher geweſen. Er lief der Gertrud, die Stiege hinab nach, nicht um hinter die Thuͤre157 zu ſtehen, ſondern hinaus zu gehen, und der Meyerin zu ſagen, ſie ſolle in Gottes Nahmen mit ihm machen, was ſie wolle, aber ſie ſoll es einmal auch an der Gertrud nicht zoͤrnen, und es ihr nicht nachtragen, daß ſie das ge - than; aber da er ſie unter der Thuͤre ſo laut reden hoͤrte, dorfte er nicht weiter, und war - tete da bis es ſtillete, denn kam er hervor, und ſagte ihr, was er vor einer Viertelſtunde vor Schreken nicht konnte.

Die Meyerin zog den Fuß hinter ſich, und ſah ihn ſo drey Schritt vom Leib bis zu den Fuͤſſen an, da er ſo hinter der Thuͤre hervor, und gegen ſie zu kam. Aber, was ſie nicht denkte, der Mann der jezt ſo mit der Kappe (Muͤze) in der Hand vor ihr ſtuhnde, und in jeder Ader zeigte, daß er nichts hoffe, nicht fuͤr ſich rede, nicht um ſeinet willen da ſtehe, viel weniger hinter der Thuͤr geſtanden, gefiel ihr ſo wohl, daß ſie jezt ganz ſtill ſtuhnd, und den Fuß nicht mehr hinter ſich zog, ihn auch nicht mehr vom Kopf bis zu den Fuͤſſen an - ſah, ſo nahe er jezt auch an ſie zu ſtuhnde. Er aber achtete es nicht, weder, daß ſie nicht mehr zuruͤk wich, noch daß ſie die Augen ge - aͤndert, und ſagte faſt ohne zu denken, daß es noch ſeyn koͤnnte, oder ſeyn ſollte, wie in den Tag hinein, ſie ſolle ihm verzeihen, er wiſſe wohl, daß es zu viel an ihm ſeye, daß158 er an ſie gedacht, aber er habe einmal auch jemand rechter noͤthig.

Sie gab ihm zur Antwort, ich kann dir in Gottes Nahmen keine Hoffnung machen. Er ſah ihr da in die Augen und mit dieſem Wort, und mit dieſem ihr in die Augen hin - einſehen, kams dem Rudj faſt wieder wie von neuem in Sinn, es waͤre doch gut, wenns waͤ - re, und mit jedem Augenblik dachte er jezt wieder waͤrmer, und waͤrmer, wenns doch nur auch ſeyn koͤnnte, und wenns doch nur auch Gotts Will waͤre! Aber er ſagte nichts, und dorfte nichts ſagen, und ſtuhnd da, wie ein Menſch der hungert, und nicht ſagen darf, daß er ein Allmoſen gern haͤtte.

Die Meyerin ſah wie durch ein Fenſter in ihn hinein, und ſagte zu ſich ſelber, ſo einen herzguten Kerl hab ich in meinem Leben nie geſehen, vor mir zuſtehen; zu ihm aber, pfuy, wie du auch da ſteheſt; es iſt nicht anders, als du wolleſt ein Allmoſen um Gottswillen.

Der Rudi erwiederte, ich bin noch nie vor jemand geſtanden, wie wenn ich bettelte, aber ich ſpuͤhre wol, daß ich vor dir ſo da ſtehe, wie du ſagſt.

Meyerin. Da muſt eben auch vor mir nicht ſtehen, wie wenn du bettelteſt.

Rudj. Wie muß ich denn vor dir zuſtehen,159 und was muß ich machen, anſtatt Bettlens das mich einmal jezt ankommt.

Meyerin. Du muſt meiner gar nicht in Acht nehmen.

Rudj. Dann will ich doch lieber noch fort - fahren mit dem Bettlen.

Meyerin. Ja ſo ſag ich dir dann helf dir Gott!

Rudj. Wenn du mir recht, Helf dir Gott, ſagſt, ſo gehts mir nicht uͤbel.

Meyerin. Nun, wenn du das willſt, da haſts. Helf dir Gott Rudj!

Rudj. Ja, das iſt mir nicht das rechte Helf dir Gott.

Meyerin. Ae was waͤre dir denn das rechte Helf dir Gott?

Rudj. Wenn du mir die Haͤnd darauf ge - ben wuͤrdeſt, daß du mir auch helfen wolleſt, das waͤre mir das rechte Helf dir Gott!

Meyerin. So, du biſt doch kein Narr Rudj!

Rudj. Ich glaubs wohl, aber es hat doch auch nicht bald einer ein Allmoſen ſo noͤthig.

Meyerin. Aber warum ſoll ich dir es ge - ben? Du kannſt ja vor mehr Haͤuſern ſo bett - len.

Rudj. Das thue ich jezo nicht.

Meyerin. Nur, nur, thue was du willſt, aber gehe jezt wieder hinter die Thuͤre, wo du hergekommen, und laſſe uns jezt allein.

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Und hiemit nahm ſie Gertrud an Arm, gieng mit ihr etliche Schritte, und wußte nicht, was ſie ſagen wollte.

Gertrud ruͤhmte von neuem den Rudj, und ſeine Haushaltung, und ſie hoͤrte zu wie in der Kirche, fragte einmal uͤber das andere, wie iſt jezt das? Was ſagſt du? am Ende gieng ſie ſo freundlich von ihr heim, als ſie un - freundlich zu ihr gekommen.

§. 34. Wie ſich der Menſch an Seel und Leib kruͤmmt und windet wenn er etwas will, und meynt er wolle es nicht.

Und dann daheim ſaß ſie hinter dem Ofen, machte kein Licht bis es ſtokfinſter war, und als ſie ins Beth gieng, wollten ihr die Au - gen nicht zu, was ſie auch machte, ſie mußte nur an ihn ſinnen.

Sie meynte freylich, ſie koͤnne ihn nicht neh - men, ſagte denn aber doch in ihrem Staunen: ich wollte gern, ich koͤnnte ihn nehmen, aber es kann nicht ſeyn, ſo alt, und ſo viel Kinder, es kann nichts draus werden; und doch ſtuhnd er ihr immer vor Augen, und es war ihr voͤllig, wie wenn jezo im Beth ihr jemand vor den Ohren die gleichen Wortewieder161wieder ſagte, die er vorher zu ihr geredt, ſo leb - haft kam ihr alles von ihm vor; und auch mit dem, was der Junker geſagt, giengs ihr ſo. Einmal ſagte ſie zu ſich ſelber, wenn ich ihn nehmen wuͤrde, ſo muͤßte mir dieſer beym er - ſten Kind zu Gevatter ſtehen, warum macht er einem ſo lange Zaͤhne!

Auch der reiche Vetter, den ihr der Unter - vogt und ſeine Frau geben wollten, kam ihr jezt vor, und ſie hatt, ſint dem man ihr von ihm geredt, noch nie ſo viel an ihn ge - dacht, als dieſe Nacht, und ſint dem er aus der Fremde, ihn nur ein paar mal geſehen. Das erſte mal an ſeiner Schweſter Hochzeit; er ſaß gerade vor ihr uͤber und fraß Spek, daß ihm das Fett davon auf beyden Seiten herabtriefte. Das andere mal traf ſie ihn im Dorf an, da er eben eine Sau mezgete und ihr die Hand tief in Hals hineinſtekte, und das warme Blut daruͤber herunter laufen ließ, wie wenn es ihn freute.

Sie verglich jezt die beyden denn auch. Er ſtuhnd ihr mit dem Spek an dem Maul, und dem Blut an den Haͤnden, wie der andere mit ſeiner Kappe ihr vor den Augen, und ſie ſagte einmal, es iſt bald richtig; wenn ſie einen von beyden haben muͤßte, ſo waͤr es ſicher eher der Rudj, als das Wurſtmaul mit ſeinen Hang - baken; und ein ander mal, nein, einmal wennL162das ganze Dorf ſein waͤre, ich wollte ihn nicht. Aber es muß ja keiner von beyden ſeyn.

Sie entſchlummerte erſt gegen Morgen, und da traͤumte ihr noch von ihm, ſie ließ ei - nen Schrey, wie wenn man ſie moͤrden wollte, und erwekte das Kind, das neben ihr ſchlief, mit ihrem Schreyen.

§. 35. Die Mitternacht-Stunde eines Vaters und eines Sohns.

Es war uͤberall kein gute Schlaf-Nacht, der Rudi konnte es eben ſo wenig als ſie, und die Leuthe, die am Morgen unter die Lin - de mußten, konnten es alle auch nicht; am wenigſten der Junker.

Das Volk das nicht ſchlafen koͤnnte, lag ihm auf dem Herzen. Er dachte den Urſachen ihres Verderbens im Ernſt nach, und unter - druͤkte den groſſen Gedanken, daß die Regierung ſeines Großvaters die Urſache von dem Ungluͤk dieſer verheerten Menſchen ſey, und daß uͤber - haupt das pflichtloſe Leben der oberkeitlichen Perſonen, und des herrſchaftlichen Stands die Haupturſach der[Lebensverheerung] ſeye, die in den niedern Staͤnden herrſche. Die -163 ſen groſſen Gedanken, der den Kindern des Adels von der Wiege auf, als das erſte Wort Gottes an ſie, eingepraͤgt werden ſollte, und nicht eingepraͤgt wird, unterdruͤkte Arner in dieſer ſchlafloſen Nacht nicht, er haͤngte ihm vielmehr nach. Es iſt wohl wahr, ſagte er zu ſich ſelber, was die liebe Ahnfrau noch zu mir ſagte, die Zeiten ſind boͤſe, und waren von meiner Kindheit an boͤſe; man macht aus ſich ſelber alles, aus dem Volk nichts, und achtet es nichts, daß Leuthe die einem angehoͤren es ſchlimmer haben als die Thiere des Felds. Es nagte dem frommen Mann am Herzen, daß ſein lieber Großvater aus ſeiner Burg ein Schloß gemacht, wie ein Koͤ - nigs Haus, und weit und breit die Felſen ab - getragen, und die Huͤgel zu Gaͤrten gemacht, aber ihm ein Volk hinterlaſſen, an das er ohne Scham und Sorgen nicht denken darf. O Gott! ſagte er etliche mal zu ſich ſelber; lieber, lieber Großvater! haͤtteſt du mir doch meiner Ahnen Zimmerleere Burg, und mei - ner Ahnen Schandleeres Volk hinterlaſſen!

Sein Carl der im gleichen Beth lag, hoͤr - te ihn gegen zwoͤlf Uhr ſo beklemmt athmen, und ſagte zu ihm, fehlt dir etwas Papa? daß du nicht ſchlafen kannſt.

Nein, lieber! Es fehlt mir nichts, ſagte Arner.

L 2164

Wohl lieber Papa, es fehlt dir doch etwas, gaͤll es iſt dir Angſt auf Morgen? ſagte das Kind.

Warum das, du Lieber? ſagte Arner.

Meynſt, ich wiſſe es nicht, es iſt allen Leu - then ſo angſt wegen der Rechnung.

Arner. Wer hat dir das geſagt?

Carl. Etliche Buben, aber einer gar, denk Papa! er war bey den andern Buben, aber er hat gar nicht moͤgen luſtig ſeyn, und iſt ſo herum geſtanden, daß man ihms ange - ſehen, es fehl ihm etwas. Da bin ich zu ihm geſtanden, hab ihn bey der Hand genom - men, und gefragt, warum er ſo traurig ſeye? Zuerſt hat er mirs nicht wollen ſagen, aber ich habe nicht nachgelaſſen, und da hat er mir geſagt, ſeine Leuthe daheim, der Vater und die Mutter, und die Schweſtern weinen ſich faſt zu Tod, ſie ſeyen dem Vogt auch et - was ſchuldig, und jezt muͤſſe die Schweſter morn vor dich, mit ihm zu rechnen, aber ich ſoll doch dir nichts ſagen, daß er mirs geſagt habe, und denk auch Papa! Das Schreyen iſt ihn da ſo angekommen, daß er ſich hat muͤſſen umkehren, daß ihn niemand hoͤre, es hat mir doch auch ſo weh gethan, und ich bin mit ihm hinter den Haag gegangen, und bey ihm geblieben, bis man es ihm nicht mehr ſo angeſehen, daß er ſo geweinet.

165

Arner. Das iſt brav Lieber! Wie heißt der Bub?

Carl. Er heißt Jakobli und iſt ein ſchoͤ - ner Bub, mit einem glatten weiſſen Haar, und ein guter Bub, du kannſt nicht glauben, wie gut! und wie lieb er mir iſt!

Arner. Aber wem gehoͤrt er?

Carl. Er wohnt grad unten am Creuz - brunnen, es ſind ſo drey Tritt vor dem Haus.

Arner. Aber du weiſſeſt nicht, wie ſeine Leuthe heiſſen?

Carl. Nein: Aber gaͤll du biſt auch morn nicht ſo gar boͤs mit ihnen, ſie haben jezt ſchon ſint dem Sonntag nichts gethan als wei - nen.

Arner. Ich will mit allenſammen nicht boͤs ſeyn, aber du Lieber! Ich muß mit ihnen, wie mit dir, wenn ſie ſich etwas boͤſes ange - woͤhnt, doch auch machen, daß ſie es ſich wie - der abgewoͤhnen, und du weiſt wohl, wie ſchwer das Abgewoͤhnen alle Menſchen an - kommt, wenn man ihnen nicht den Ernſt zeigt.

Carl. Aber gaͤll! Wenn ſie es denn nicht mehr thun, ſo biſt du denn auch wieder gut mit ihnen?

Arner. Ach, ich bin ſo froh, wenn ich kann gut ſeyn.

Carl. Ich weiß es wohl, ſagte Carl, und entſchlief wieder bey dieſem Wort.

L 3166

§. 36. Der Anfang der Morgenangſt.

Arner ſtuhnd vor den fuͤnfen auf; er hatte um dieſe Zeit den Weibel zu ſich beſchie - den, und gab ihm da aus des Vogts Haus - buch den Rodel, was fuͤr Leuthen er auf die - ſen Morgen noch zur Rechnung bieten ſolle.

Indem er ihm das Papier in die Hand gab, ſagte er, es iſt mir nur leid fuͤr die vie - len Leuthe, denen dieſer Rodel Muͤhe machen wird.

Der Weibel gab ihm zur Antwort: es ge - ſchiehet ihnen nur recht, ſie habens ſo wollen, und dachte nichts weniger als daß ſein liebes Toͤchterlein oben an ſtehe.

Der Junker ſah ihn ſo an, ließ ihn gehen, und er ſazte ſich dann daheim noch hinter den Tiſch, um eine Taſſe Caffee zu trinken, eh er den Lauf durchs Dorf antrette, und nahm da erſt den Rodel in die Hand, zuſehen, wo er eigentlich hin muͤſſe, aber er verſchuͤttete die Taſſe Caffee, als er ſein Kind darinn oben an ſahe, und wußte nicht was er that, bis er zum Haus hinaus war, ſo verwirrete ihn der Name ſeines lieben Kinds an dieſem Ort. Und da er zum Haus hinaus war, wußte er es noch vielweniger, und mußte einmal uͤber das167 andere wieder in eine Gaß zuruͤk, wo er ſchon ein und zwey mal geweſen, ſo gar wenn er bey einer Thuͤre zu noch im Rodel geleſen, was er in dem Hauſe zu ſagen habe, wußte er es ſchon nicht mehr, wenn er in die Stube hinein kam, und mußte ihn wieder aus dem Sak nehmen, zuſehen, ob es den Hans oder den Heirj antreffe! So nahms dem armen Mann den Kopf, daß er ſein liebes Toͤchterlein alſo im Sak herumtragen mußte. Er haͤtte es am Morgen mit Fuͤſſen vertretten, wenns die Mut - ter nicht im erſten Sturm hinter dem Heuſtok verborgen, bis er zum Haus hinaus war. Wo er hin kam, war den Leuthen das Herz groß, aber doch troͤſtete es viele, daß ſein Toͤchterlj es auch mithalten muͤſſe.

Aber ich kann nicht erzaͤhlen, wie viel ihm allerley begegnet! doch hielt ihn Niemand ſo lang auf als die Barbel, die die Fromme heißt.

Sie hatte ihre beyden Haͤnde auf der offe - nen Bibel uͤbereinander, kehrte das gelbe Weiß in den Augen um, wie ein Bok, wenn man ihn mezget, und ſah gen Himmel, als er ihr ſagte, warum er da ſeye. Um Gottes Willen Weibel, antwortet ſie ihm, was denket ihr auch, daß ihr zu mir kommet? b’huͤt mich Gott dafuͤr, ich bin meiner Lebtag dem Vogt weder viel noch wenig ſchuldig geweſen, esL 4168muß einmal jemand anders gemeynt ſeyn, es heiſſen ja noch mehr Leuthe wie ich.

Der Weibel wußte nicht wer, ſie namſete ihm aber ſo gleich das Spinnerbabelj da ſagte er, der Vogt haͤtte dieſem Bettelmenſchen nicht 5 Bazen, geſchweige fuͤnf Gulden ver - traut.

Was wiſſet ihr Herr Weibel! wie das hat koͤnnen kommen, ihr werdet einmal muͤſſen gehen und fragen, denn jezt ſeyt ihr einmal bey meinem Gewiſſen am unrechten Orte.

Nun, ich kann wohl gehen, es wird ſich denn zeigen, ſagte der Weibel. Und das Spinnerbabj gieng ſo bald es ihn von der from - men Nachbarin die Gaß hinaufkommen ſah, ihm entgegen, und ſagte, eh er ihns noch an - redete, ja ja, ich weiß was ihr wollet, und es wird ſich wohl machen, ich will es ordeut - lich kommen zu zahlen.

Aber biſt du dem Vogt ſo viel Geld ſchul - dig? ſagte der Weibel. Was willſt jezt ſo viel fragen, es iſt manchmal beſſer, man wiſſe nicht gar alles, erwiederte das Babelj.

Du haſt recht, ſagte der Weibel, ich hab heut auch nur ſchon zu viel erfahren. Er wußte aber doch was es war, und wie es kom - men wuͤrde.

169

§. 37. Ein Schaaf unter viel Boͤken.

Gegen den neunen kamen die Leuthe, die er weibelte unter die Linde. Aber wer will den Hauffen beſchreiben, und ſie abmah - len; vom alten Meyer an, der uͤber 30 Jahr beym Vogt ſaß bis auf des Halloris Kind, das vor drey Wochen das Ungluͤk hatte ſeiner Mut - ter den erſten Bazen zu ſtehlen, und ihn dem Vogt zu bringen. Wer will dieſe 125 Men - ſchen beſchreiben, Maͤnner, Weiber, und Kin - der, und wer will den Unterſchied treffen zwi - ſchen denen die Spek bey ihm aſſen, denen die Brandtenwein ſoffen, und denen die Butter ſchlekten, und Caffee tranken. Wer will es aus - druͤken? wie ſie einander an Leib und Seel, an Haͤnden und Fuͤſſen, an Naſen und Ohren ſo ungleich, und dann wieder auf eine andere Art einander gleich waren.

Ich kann es nicht ſagen, wie gleich und wie ungleich es einander war das Lumpenvolk da. Die einten zahlten ihn mit Geld, die andern mit Baumwollen, von denen einige ihm altes Eiſen daran gaben, andere ihn mit Eiden und Zeugniſſen und ihrer Seelen Heil dafuͤr zahl - ten.

Ich eile mit dem Bild dieſer Stunde unaus -170 ſprechlich ſchnell vorbey, ſie druͤkt mich wie den Junker, dem ſie vor Augen ſtuhnde.

Dieſer fragte noch ehe er unter die Linde gieng den Pfarrer, was fuͤr Leuthe beym Creuzbrunnen wohnen, und einen Buben ha - ben, der Jakoblj heiſſe, und ſagte, es ſeyen drey Tritt vor ihrem Haus.

Wenn der Pfarrer ſchon ſeinen Kragen auf die Kanzel vergeſſen haͤtte, er haͤtte nicht mehr koͤnnen betroffen ſeyn, als daß er er vergeſſen mit dem Junker von dieſer Haushaltung zu re - den, wie er ſich vorgenommen. Er ſagte es ihm jezt und erzaͤhlte ihm, daß ihn keine von den Leuthen, die unter die Linde muͤſſen, dau - ren wie dieſe, weil ſie bis auf den lezten Winter ſich vor allen Wirthshaus Schulden gehuͤtet, die Frau aber ſeye vom Herbſt an bis auf den Fruͤhling bettliegrig geweſen, und ihr Mann habe ihr mehrentheils die ganze Nacht durch wachen muͤſſen. Ihr koͤnnet wohl denken, Junker, ſagte der gute Pfarrer, wie es dann geht, die Naͤchte ſind lang, und wenn ein Mann den Tag uͤber arbeitet, ſchlechte Speiſen hat, und denn noch die Nacht durch wachen muß, was will man daruͤber ſagen? wenn er auch dann ein Glas Wein mehr geluͤſtet als er ſoll - te.

Er ruͤhmte die Haushaltung gar, und ſag - te: ſie ſeyen noch von dem alten Vogt Linden -171 berger her, und wo noch ein Bein von dem Mann herſtamme, ſo ſey es ehrenveſter und ſchamhafter als alles andere Volk im Dorf und die Tochter welche den Wein gereicht, und ins Vogts Buch eingeſchrieben ſeye danu ganz unſchuldig, ſie habe keinen Tropfen davon getrunken, auch ſage ihr Vater alle Stund zu ihr, ſie muͤſſe ihm die Schande nicht ausſtehen, er ſeye ſchuldig, und er wolle unter die Linde, aber ſie wolle ihn nicht laſſen, und bitte ihn um tauſend Gotteswillen er ſolle das nicht thun, aber ſie habe dann doch vom Mor - gen bis in die Nacht feuerrothe Augen vom Schreyen.

O Gott! Wie waͤren dieſe Menſchen an - derſt, wenn man anderſt mit ihnen umgegan - gen waͤre, ſagte der Junker wieder zu ſich ſelber. Und auch dieſer Vorfall fuͤllte ſein Herz mit Guͤte fuͤr dieſe Elende, und machte ihm eine gute Weile den Anblik ertraͤglicher, den er unter der Linde hatte.

§. 38. Das reine landesvaͤterliche Herz meines Manns.

Er bedaurte die Kinder am meiſten, er ließ ihnen auch zuerſt ruffen, damit ſie aus172 der Angſt kaͤmen, und ſagte keinem viel mehr als biſt du auch da? Etlichen bot er noch die Hand, und ſagte ihnen mit Vaterguͤte, thu doch das dein Lebtag nicht mehr!

Aber das Ganze was ihm vor Augen ſtuhnd war entſezlich. Der Fehler, um deſſentwil - len ſie da waren, machte ihm nichts, aber das Bild der Heucheley und Verſtellung, das allent - halben hervorſtach, druͤkte und empoͤrte den Mann.

Die meiſten Weiber thaten, wie wenn ſie in Boden hineinſinken wollten. Er ſagte aber ihrer etlichen, es iſt dir nicht halb ſo wie du thuſt, einer ſagte er gar, ich meyne, wenn grad jezt ein Krug Wein bey dir zu ſtuhnde, und du allein waͤreſt daß dich niemand ſaͤhe, dein Jammer wuͤrde bald aus ſeyn.

Aber eine verſtellte ſich nicht; es war ein Elend ſie anzuſehen, ſie weynte nicht, aber ihr Athem toͤnte auf viele Schritte laut, ihr Mund lag uͤber einander, wie wenn er zuſam - mengewachſen, und wenn ſie redte, ſchnap - pete ſie nach Luft. So ſtuhnd die Rabſerbaͤu - rin vor ſeinen Augen.

Was iſt dir Frau? biſt du krank, oder was fehlt dir? ſagte der Junker.

Sie konnte nicht reden, aber ſie fieng an zu weynen, und mit dem war ihr leichter, daß ſie hinten nach ſagen konnte, ſie ſey jezt173 60 Jahr alt, und habe ihr Lebtag ſchinden und ſchaben muͤſſen, wie eine Bettelfrau, und ihr Mann mißgoͤnne ihr das Brod, und gebe ihr nicht, wie recht iſt, zu eſſen, ſonſt waͤre ſie, das wiſſe Gott im Himmel nicht in dieſem Ungluͤk.

Es machte den Junker blaß; er fragte links und rechts ob dem ſo ſeye? und links und rechts war die Antwort, es ſeye nicht anderſt, und es habe der Frau ihrer Lebtag kein Menſch nachgeredt, daß ſie ein Glas Wein zu viel ge - trunken. Der alte Reinold ſezte hinzu, ſie habe zwanzig Kinder gehabt die aber alle bis auf zwey tod ſeyen, und die Frau moͤge die rohen Speiſen, die ſie um ſeines Geizes wil - len eſſen ſollte, nicht mehr erleiden, und ſonſt ſey ganz gewiß unter der Sonnen kein Grund, daß ſie ins geheim dann und wann ein Glas Wein aus dem Wirthshaus kommen laſſen.

Als der Junker dieſes gehoͤrt, ſagte er, wenns ſo iſt Frau, ſo will ich dir helfen. Wenn dir dein Mann nicht zukommen laßt, was du zu deiner Leibsnothdurft braucheſt, ſey es jezt Wein oder was es wolle, ſo ſag du nur dem Pfarrer, in welchem Haus im Dorf du den Reſt deiner Tage gern verleben moͤchteſt? und ich will dann ſchon dafuͤr ſorgen, daß dein Mann dir was du noͤthig haſt, ſicher in dieſes Haus bringen wird.

174

Aber dieſe und die Lindenbergerin waren auch die einzigen mit denen er von Herzen hat gut ſeyn koͤnnen.

Es freute ihn frey als die lezte kam; ſie hub kein Aug vom Boden und ſagte kein Wort zu ihrer Entſchuldigung, da ſie ihm zu erſt ant - wortete.

Der Junker ſagte zu ihr, Kind! Warum haſt du nichts zu deiner Entſchuldigung, warum du da biſt?

Auf dieſes Wort ſah ſie den Junker das er - ſtemal an, aber redete nicht.

Nun wenn du es nicht ſagen darfſt, ſo will ich es ſagen; ich weiß es, Euere Haushaltung hat ſich bis auf den lezten Herbſt aller Wirths - hausſchulden huͤten koͤnnen, und wenn deine Mutter nicht einen ſo elenden Winter gehabt haͤtte, ſo waͤret ihr auch keinen Heller ſchuldig.

So entſchlug der gerechte Landesvater vor allem Volk diß gute Kind ſeiner Schande hal - ber. Aber es that den 120zigen wehe zuhoͤ - ren, daß eines beſſer unter ihnen als ſie alle, und es war kein Kruͤppel an Leib und Seele unter der Linde, der nicht zu ſich ſelber ſagte, ja, wenn er wuͤßte wie ichs gehabt haͤtte, er wuͤrde gewiß das und noch mehr auch zu mir ſagen.

Die Lindenbergerin antwortete ihm, ich danke Gott, daß ihr wiſſet, wie wirs gehabt haben.

175

Ich weiß noch mehr, ich weiß auch, daß du keinen Tropfen von dem Wein getrunken, um deſſen Willen du da biſt, und daß dein Vater dich noch gebetten, du ſolleſt ihn ſich fuͤr dich verantworten laſſen, aber du biſt ſo brav geweſen, und haſt es nicht wollen.

Jezt nahm das Kind die Hand vor die Au - gen, die ihm uͤberliefen, und ſagte ſchluchzend, mein Vater, niemand als mein Vater, mein lieber Vater hat euch das geſagt.

Nein, ſagte der Junker, dein Vater hat es mir nicht geſagt; aber gruͤß mir deinen Bru - der den Jakoblj, und ſag ihm, er ſoll am Sonn - tag zum Carl ins Schloß kommen, zum Mit - tageſſen, er iſt ihm gar lieb.

Jezt wußte das Kind wer es ihm ausge - bracht, und ſagte beim weggehen zu ſich ſel - ber, der Liebe Gott hats doch auch gut mit mir gemeynt, daß es ſo gekommen iſt.

§. 39. Seine Kraft wider das freche Laſter.

Einige kamen jezt auf den Einfall, weil er ſo gut ſeye, ſo laß es ſich vielleicht wohl mit dem Laͤugnen probieren. Die Spekmol - chin, die grad auf ihns folgt, that den Ver - ſuch.

176

Sie ſtuhnd kek an den Tiſch, und ſagte, der Hummel habe ſie wie ein Schelm und Dieb aufgeſchrieben, ſie ſey ihm weder Heller noch Pfennig ſchuldig, und ſie wuͤßte ſich bey Jahr und Tag nicht zu erinnern, daß ſie das geringſte mit ihm gehabt oder ihm nur ins Haus hineingekommen.

Der Hummel antwortete, man ſolle nur ein Tiſchtuch und ein Handtuch anſehen, die auf dem Tiſch liegen, und die ſie ihm verſezt, es werde ſich denn wohl zeigen, ob ſie nie im Haus geweſen. Das machte ſie noch nicht irr. Sie behauptete kek, ſie habe ihrer Leb - tag dieſe Tuͤcher weder geſehen, noch in Haͤn - den gehabt. Man fand ihren Namen daran, das verwirrte ſie einen Augenblik, aber dann ſagte ſie, ſie muͤſſen ihr geſtohlen worden ſeyn, einmal das ſeye gewiß, und das koͤnne ſie be - zeugen, daß ſie es ihm nicht gegeben habe.

Der Junker aber machte es kurz, und ſagte, er ſchike im Augenblik in ihr Haus, und wenn ein einig Stuͤk von gleichem Tuch ſich darinn finde, ſo laſſe er ſie 14 Tage ins Zuchthaus ſperren, wenn ſie es nicht im Augenblik be - kenne.

Sie erwaͤhlte das Beſſere. Und er machte ſie dem Hummel vor allen Hunderten die da waren, die Hand bieten, und laut und ver - ſtaͤndlich bezeugen, er ſey deſſentwegen unddießfalls,177dießfalls, daß er ſie in ſeinem Buch aufge - ſchrieben, ſie ſeye ihm ſo und ſo viel ſchuldig, weder ein Schelm noch ein Dieb.

Sie erſtikte ſchier, eh ihr dieſe Worte alle zum Hals heraus waren, und man haͤtte mey - nen moͤgen, die drey Finger, die der Henker dem Vogt ſchwarz gemacht, bernnten wie Feuer, ſo verzog ſie Augen und Maul, und zuͤkte mit dem Arm wieder hinter ſich, da ſie ihm die Hand langen mußte.

Im Weggehen ſagte ſie hinterruks zum Vet - ter Weibel, ich haͤtte doch nicht geglaubt, daß er es mir ſo machen wuͤrde, und er antworte - te, und ich haͤtte nicht geglaubt, daß du ſo dumm waͤreſt.

§. 40. Bettſchweſterarbeit wird mit Hexenarbeit verglichen.

Bald nach ihr kam das Spinnerbabelj her - vor. Aber der Junker ſah, daß jeder - mann die Koͤpf zuſammenſtieß, und fragte die Vorgeſezten, was das ſeye?

Der Weibel antwortete, man glaube, das ſeye nicht die rechte Barbel.

Das wird ſich etwann wohl zeigen, ſagteM178der Junker, und fragte den Hummel, was das ſeye?

Dieſer erzaͤhlte, die rechte Barbel heiſſe die Fromme, und ſey ſint dem Sonntag alle Nacht, wenns ſtokfinſter geweſen, vors Haus gekom - men, und habe ihm mit Spruͤchen aus der Bibel, und weiß nicht was allem zugeſezt, daß er um Gotteswillen auch ſo barmherzig ſeye, und das Maul halte, wenn das andere Babelj fuͤr ſie unter der Linde hervor komme, und zahle. Er ſezte hinzu, er habe, damit er ih - rer los komme, geantwortet, wenn niemand nichts ſage, ſo wolle er auch ſchweigen.

Der Junker fragte darauf das andere Ba - beli, aber was hat ſie dir Lohn gegeben, daß du fuͤr ſie da herfuͤrgekommen?

Es antwortete, einen halben Gulden, und ſezte hinzu, es ſeye ein armes Menſch, und habe gedacht, es ſchade niemand nichts, wenn es das thue.

Aber haſt du nicht gedacht? Es ſchade dir ſelber, deinen guten Nahmen ſo an Lumpen - tiſch hervor zu tragen, ſagte der Junker.

Und es ich habe gedacht, es glaube das niemand.

Der Junker mußte ob ihm lachen, uͤber die andere lachte er nicht. Er rief dem Haſchier, und befahl ihm den Augenblik, die rechte Bar - bel aus dem Haus zu nehmen, und hieher zu bringen.

179

Sie aber ſaß in dieſem bittern Stuͤndlein der Truͤbſal ob dem Buch Hiob, und las das Leiden des Manns, vom erſten Capitel bis aufs lezte, und deutete alle Truͤbſal, die ihm der Teufel und ſein Weib machten, nur auf ſich, und ihren heutigen Jammer. Aber das Buch Job endete, und das Stuͤndlein ih - rer Truͤbſal gieng leider erſt an. Ihre Dienſt - magd und Mithalterin wartete indeſſen, daß ſie im Job las, oben an der Kirchgaß, wie es unter der Linde ablaufen wolle, und ſah nach langem Warten und Warten, daß das Spinnerbabelj endlich zum Tiſch hervor wakle, aber es ruͤkte nicht mit ihm, und es wollte auch nicht wieder vom Tiſch weg wie die andern. Das duͤnkte ſie ſchon kein gutes Zei - chen, aber da ſie jezt gar den Harſchier zum Junker hervorkommen ſah, machte ſie ſich was giebſt, was haſt, aus dem Staub, und heim.

Sie war faſt auſſer Athem, und konnte der Meiſterin kaum ſagen, was ihr vorſtuhnd. Dieſe aber, ob ſie es gleich nur halb verſtan - den, vergaß den Job, und dachte jezt ganz allein an ſich ſelber, und ſagte, Herr Jeſus! Ach mein Gott! Der Teufel hat es mir wohl muͤſſen in den Sinn geben, daß ich das Menſch habe unter die Linden ſchiken muͤſſen;M 2180es hat mir es jezt in Gotts Nahmen noch ſel - ber ausgebracht.

Eine arme Hexe ſchwizt in der Mitter - nachtſtunde bey ihrer ſtrengſten Arbeit, wenn der Beelzebub um ſie herumrummelt, nicht halb ſo ſehr, als die arme Fromme bey ihrem athemloſen uͤber einander betten, hilf Helfer, hilf! in dieſer Noth jezt ſchwizte. Es half ihr nichts, ſo wenig als daß ihre Dienſt - magd ihre Thuͤre verriegelte; der Harſchier gab ihr, da man ſie nicht oͤffnete einen Tritt mit den Schuhen, und hatte meine Fromme nach Profoſenart, gar bald vom Buch Job weg. Aber man muß den Basler Todten - tanz im Kopf haben, wenn man ſich vorſtellen will, wie ſie mit einander unter die Linde giengen.

Ohne ein Wort mit ihr zu reden, ließ der Junker ſie auf den ſteinernen Bank, neben den Brunnen zu ſtellen, und da warten, bis nie - mand mehr unter der Linde war, damit ſie lehre ein andermal die Schand des Lumpen - lebens nicht mehr ſo wohlfeil zu verkaufen.

181

§. 41. Wider die Hoffart und wider Volks-Co - moͤdien vor dem Halseiſen, (Pranger.)

Bald auf ſie folgte die Huͤrner Beth, die trug vornen und hinten Sammetbaͤnder, und am Kopf und Hals feines Zeug.

Arner kannte ſeine Eltern aus dem Allmoſen - rodel, und fragte, biſt du des Huͤrner Jakobs?

Dieſe Frag gefiel dem Menſchen ſchon nicht, es verlor ſchon ſeine Farb, da es ja ſagte.

Der Junker ſah ihns vom Kopf, bis zun Fuͤſſen an, und fragte ihns da, wie kommſt du zu Seiden und Sammet?

Erſchroken wie eine Diebin, der ihre Ar - beit eben an Tag kommt, antwortete es nichts.

Der Junker aber ſagte wieder, wie kommſt du zu Seiden und Sammet?

Und es brachte es unter Herzklopfen heraus, ich hab verdient, was ich trage.

Ich will nicht fragen, wie? ſagte Arner, ich will dich nur fragen, ob dir anſtehe es zu tragen?

Es ſchwieg wieder.

Der Junker aber ſagte, wo keine Scham iſt, da iſt keine Ehre, und ein Menſch, das vom Allmoſen erzogen wird, und ſich vor ſei - nem Dorf nicht ſchaͤmt, ſich koſtbarer zu klei -M 3182den, als Leuthe, die von niemand nichts ha - ben, und von niemand nichts wollen, iſt ein boͤſes Exempel, dem ich vorbiegen muß; und einen Augenblik darauf ſagte er zu ihm, wie viel Geſchwiſterte haſt du?

Es ſagte, fuͤnfe.

Und Er wieder: gehen ſie auch ſo hoffaͤrtig daher?

Es ſchwieg.

Er fragte zum andernmal: gehen ſie auch ſo hoffartig daher?

Da ſagte es nein.

Er fuhr fort: aber haben ſie Struͤmpf und Schuh, und ganze Hemder?

Es zitterte und ſchwieg wieder.

Und Er ſagte wieder: haben ſie Schuh, Struͤmpf und ganze Hemder, deine fuͤnf Ge - ſchwiſterte?

Es mochte wollen oder nicht, es mußte nein ſagen.

Und der Junker fuhr fort, aber dein Vater, und deine Mutter, koͤnnen ſich die vor Kaͤlte und Waͤrme ſchuͤzen, Kleidern hal - ber?

Es ſchwieg wieder.

Ich ſehe wohl, auch das iſt nein, ſagte der Junker, und du ſchaͤmſt dich nicht, und foͤrchteſt dich nicht der Suͤnde halber ſo daher zu kommen.

183

Dann befahl er ihm jezt heim zu gehen, und Vater und Mutter, und alle Geſchwiſterte auf der Stelle, wie ſie gehen und ſtehen hieher zu bringen.

Das Elend ſelber, wenn man ihns abmah - len wollte, koͤnnte nicht elender ſeyn als dieſe ſieben Menſchen.

Der Junker ließ ſie vor ſich zu, die Hof - fahrts-Beth auf die einte, und Vater und Mutter, und Geſchwiſterte auf die andere Seite ſtellen. Da ſie denn vor ihm zu, ſo ge - gen einander uͤber ſtuhnden, ſagte er zu dem Menſchen.

Iſt jezt das dein Vater?

Seine Lippen bebten ihm, ſeine Augen ſtuhn - den ihm ſtarr, und ſeine hangende Haͤnde zit - terten, als es jezt ja ſagte.

Er fuhr fort, und du biſt des Manns Toch - ter?

Beth. Ja.

Junker. Und der Frauen da ihr Kind?

Beth. Ja.

Junker. Und das ſind deine Geſchwi - ſterte?

Beth. Ja.

Junker. Sind dieſe Kinder mit dir un - ter einem Herzen gelegen?

Es ſchluchzete.

Der Junker fuhr fort, und du laſſeſt ſie ſo,M 4184und Vater und Mutter ſo, und darfſt dich dann ſo zeigen! Geh jezt mit deiner Mutter wieder heim, und all die Lumpen, die ſie jezt tragt vom Kopf bis zun Fuͤſſen leg du an, und komm in dieſen Lumpen wieder hieher.

Erſchreklichers haͤtte der Hoffarths-Beth nichts begegnen koͤnnen; ſie ſank faſt an Bo - den, und Vater und Mutter baten vor ſie, und die Geſchwiſtterte ſtengen an alle zu wey - nen.

Der Junker aber ſagte, wenn er nicht das halbe Dorf dem Hunger und Elend, und ei - nem Leben das zum Ausſerben fuͤhre bloß ge - ben wolle, ſo muͤſſe er machen, daß wer nicht Brod habe, und ſich nicht deken koͤnne, auch nicht Hoffarth treibe.

Er war aber ſo freundlich und gut mit den Eltern und Kindern daß ein paar Minuten darnach die Mutter ſelber ſagte; er hat in Gottes Namen recht, und ich hab dem unver - nuͤnftigen Kind hundert und hundertmal ge - ſagt, es koͤnne es nicht verantworten, wie es ſeine Geſchwiſterte, von Vater und Mut - ter wolle ſie nicht reden, im Elend laſſe, und alles an die Hoffarth verwende.

Der weiſe gute Landesvater gab der ver - nuͤnftigen armen Frau jezt ein Allmoſen, und ſagte ihr, ſie ſoll nur getroſt ſeyn; Er wollte nichts als das verirrete Menſch zur Vernunft185 bringen, und wußte ſelber, daß wenn er ihns alſo unter die Linde kommen laſſen wuͤr - de, er dadurch noch mehr die Sitten und das Herz ſeines armen Dorfs verderben wuͤrde.

Es zeigte ſich deutlich. Er hatte auch ihm nicht ſo bald dieſes befohlen, als alles Lum - penvolk unter der Linde ſeine eigene Rechnung vergaß, und ſich wie auf eine Hochzeit freuete, die Hoffarths-Beth in ihrer Mutter Hudlen unter die Linde waklen zuſehen.

Aber der Junker ſchikte, ſo bald ſie heim war, den Harſchier nach, mit Befehl, niemand zu ihrem Haus hinzu ſtehen laſſen, und vor der Thuͤre zu warten, bis das Menſch in ſei - nen Hudlen herauskommen wolle, und ihm denn zu ſagen, es ſoll jezt nur daheim bleiben, aber wenn es ſich noch einmal in einer ihm nicht anſtaͤndigen Kleidung zeige, ſo laſſe er ihns ohn anders zum Dorf hinaus fuͤhren.

Seit dieſer Stund iſt die Huͤrnerbeth ein braves eingezogenes Menſch und hat am glei - chen Tag alle Zeichen und alle Faden von Hof - farth von den Kleidern die es hatte, abge - trennt.

Hundert an eins iſt zu wetten, wenn er die Comoͤdie, auf die das Lumpenvolk hofte, mit ihm geſpielt haͤtte, es waͤre vor immer verloren geweſen.

186

§. 42. Wie, und wie weit Lumpenvolk, wenn es ſich im Vortheil ſpuͤrt, das Maul braucht.

Es iſt nicht zuſagen, was es alle Augenblike vor Auftritte gab. Eine Kreblerin, die ſchon mehr als vor einem halben Jahr ihres Manns ſilberne Schnallen dem Vogt verſezt, und damit er ſie nicht im Verdacht habe, ihre Dienſtmagd, die allein im Haus war, als ei - ne Diebin auf der Stelle fortgeſchikt, hatte auch eine Jobs Stunde.

Die Ringgen lagen jezt unter der Linde auf dem Tiſch, und des Joſen Conrad, der der Bruder war von der Margreth, die ſie hat ſol - len geſtohlen haben, kennte ſie im Augenblik, und ſprang was giebſt was haſt heim, ſeiner Schweſter zuſagen, was er fuͤr einen Fund gemacht.

Das war ein Jubel fuͤr Bruder und Schwe - ſter. So geſchwind als er heimkam, ſo ge - ſchwind ſprangen beyde wieder gegen die Lin - den dem Krebler und ſeiner Frauen jezt den Meiſter zu zeigen.

Er aber roch Feuer, gieng ihnen noch zu rechter Zeit entgegen, er traf ſie oben an der Kirchgaß an, ſtellte ſich vor ſie hin, daß ſie an ihn anſtoſſen mußten und ſagte.

187

Sie ſollen doch einen Augenblik halten, wenn etwas ungrades in ſeinem Haus vorgefallen, ſo wolle er machen, daß ſie koͤnnen zufrieden ſeyn.

Nein, nein, antworteten ſie, und er und ſie: die Leuthbetriegerin deine Frau muß zu ſchanden gemacht ſeyn, wie ſie es verdient, ſo haͤngt ſie einandermal niemand mehr den Na - men an, der ihr gehoͤrt.

Ja, ja ſagte die Margreth, ſie iſt eine Leuth - betriegerin, eine Seelenmoͤrderin deine Frau, ſo hat mir es in meinem Leben noch niemand gemacht, und den Lohn dazu abgedrukt.

Sie thaten beyde wie wild, und die Mar - greth noch oben drein, wie wenn ſie die Au - gen troknen wollte. Dieſe aber hatten das gar nicht noͤthig, ſie waren ſo troken als wenn ſie eben zum Ofen herausgekommen. Das andere Wort das ſie redte war, wie ungluͤk - lich ſie jezt ſey, daß ſie ſo um Ehr und guten Namen gekommen.

Thut doch jezt nicht ſo gar, ſagte der Kreb - ler, ſie muß euch Ehr und guten Namen wie - der geben; denn es machte ihm Angſt, daß die Leuthe oben an der Kirchgaß alle es hoͤ - ren, ſo laut redten ſie.

Ja, ja es iſt bald geſagt; Ehre und guten Namen iſt nicht ſo leicht wieder zu ge - ben, wenn man es einem genohmen. Und denn188 oben drein, was ich fuͤr Schaden und Nach - theil von dieſer Sach gehabt, iſt mit keiner Zunge zubeſchreiben, ſagte das Menſch; und ſein Bruder machte das Duͤpflj aufs j. Aber ſie wollten nur Geld; und der Krebler, der wohl ſah, daß hier nichts anders zu machen, als den Sekel zu ziehen, ſagte endlich.

Nu was koſtet es denn? damit wir abein - ander kommen.

Ja ſagte die Margreth, ich bin jezt bald drey viertel Jahr auf mir ſelber geſeſſen, und hab keinen Dienſt finden koͤnnen, weil ſie mich ſo als eine Diebin zum Haus hinausge - than, vom andern will ich nur nicht reden.

Und ihr Bruder, es iſt da nicht an uns zu fordern, wenn du es alſo willſt ſo kannſt du nur bieten was du geben wolleſt, es wird ſich dann zeigen, was wir dazu ſa - gen wollen.

Kurz ſie brandſchazten ihn vor 20 Gulden. Als ſie aber die hatten, war weiter von Ehr und gutem Nahmen keine Red.

Den Sigriſt und Schulmeiſter ließ der Jun - ker gar ſpat ruffen, damit ſie recht lang unter den andern Wirthshaus Lumpen da ſtehen muͤſ - ſen.

Dieſe wollten noch eine Predig halten, wie es gekommen, daß der einte 5. und der an - dere 7. Gulden ſchuldig.

189

Er ſagte ihnen aber, haltet das Maul!

Auch der Kriecher wollte ſo predigen.

Er ſagte ihm aber, ich kenn dich ja ſchon. Keiner machte es, ich moͤchte faſt ſagen ſo gut als der alte Meyer, der kam hervor, wie einer dem noch viel herausgehoͤrte, und ſagte, was ich ſchuldig, das will ich zahlen, und wei - ter und ferner iſt es kein Schelmenſtuk, wenns einer hat und vermag, wenn er trinkt, bis er genug hat.

Es iſt gar richtig, daß Saufen kein Schel - menſtuk iſt, ſagte der Junker, aber es fuͤhrt gern zu vielem.

Ich hab meiner Lebtag gehoͤrt, die groͤß - ten Schelmen huͤten ſich vor dem Vollſaufen, ſagte der Meyer.

Und der Junker mußte laͤchen.

Aber bald alle Augenblike kamen Maͤnner, Weiber, und Kinder, denen er geſtern Armuths - halber das Geld fuͤr eine Geiß vorgeſchoſſen. Es wunderte ihn, wie viel von dieſen zuſam - men da ſeyen? und er befahl, daß wer immer von den 27 Haushaltungen da ſeye, Maͤnner, Weiber, und Kinder, die ſollen ſich zu einan - der an einen Haufen ſtellen, und es fande ſich, daß von den 27 Haushaltungen nicht drey waren, aus denen nicht entweder der Vater oder die Mutter oder ein Kind Wirthshaus - ſchuldenhalber jezt vor ihm ſtuhnden.

190

Er ſagte ihnen, ihr habt doch ſcheints Ver - moͤgen Schulden zu machen, wenn ſchon nicht Vermoͤgen euch an Leib und Seel wie Menſchen zu erhalten. Es zerſchnitt ihm faſt das Herz wie die Leuthe alle ausſahen, aber er ließ ſie gehen ohne ein Wort mehr zu ihnen zu ſagen.

Aber der Eindruk, den ihm der ganze Mor - gen machte, war bedruͤkend, und er gieng faſt ohne Hoffnung daß mit einem Volk unter wel - chem ſo viel Lumpen ſeyen, noch etwas auszu - richten, mit beklemtem Herzen von der Linde ins Pfarrhaus.

§. 43. Zwey Weiber meſſen ihr Maul mit ein - ander, und die Kleine wird Meiſter.

An dieſem Morgen vernahm die Untervoͤg - tin, waͤhrend ihr Mann unter der Linde beym Junker zu ſaß, und das Maul offen hatte, was ihm geſtern bey Gertrud wegen ſeiner Schweſter begegnet.

Poz Schuͤmmel, poz Kolj*)Anmerkung) Poz Schuͤmmel poz Kolj an - ſtatt poz Himmel poz Hoͤlle, eine Nachah - mung der unter den verdreheteſten Bauern uͤbli - wie feuer - te das Weib! Sie lief vom Melchen und Traͤn -191 ken weg zu ihrer Geſchwey (Schwaͤgerin) mit ihr zu reden, was das dann ſey?

Zu warten bis ihr Mann von der Linde heim - kaͤme, das war ihr unmoͤglich.

*)chen Manier anſtatt der Woͤrter des Schwoͤ - rens und Fluchens aͤhnliche Toͤne, und nicht die Woͤrter ſelber zu gebrauchen, und z. E. anſtatt beym Donner, beym Tummel, anſtatt beym Ke - zer, beym Kaͤzli, und anſtatt beym Sakra - ment, beym Sakerſtrenz zu ſagen. Es giebt Leuthe welche ſolche Dummheiten beſchoͤnen, und behaupten, es ſey doch beſſer als unbemaͤnteltes Fluchen. Ich bin unverholen ganz der gegenſeitigen Mey - nung, und finde daß es weit ſchlimmer iſt. Die Natur der Sache zeiget es auch ganz klar. Das Fluchen an ſich ſelber iſt glatterdings nichts als ein leerer Ton, man braucht nur die Woͤrter nicht zuverſtehen, ſo iſt es ſo viel als huͤſt und hott und nichts anders als ein lauter Schrey, der an ſich weder im Himmel noch auf Erden, noch unter der Erden niemand weder wohl noch weh thut; es wird aber etwas, ſchlimmes in ſo - fern wir mit dieſen Toͤnen Begriffe verbinden oder erregen, die in uns oder andern die Achtung verlezen, die wir dem Urheber unſerer Natur, und allem was uns an ihn erinnert, ſchuldig ſind. Es iſt in eigentlichem Verſtand ein Ungezogen - heitsfehler, und je mehr dieſer unuͤberlegt, Ge - danken, und Aufmerkſamkeits leer iſt, je mehr iſt er ſeiner Natur nach zu entſchuldigen. Je mehr er hingegen an Ueberlegung angeknuͤpft und abgemeſſen wird, deſto mehr verliert er das ent -
*)192

Sie hatte ihrem feißten Vetter verſprochen, er muͤſſe das Menſch haben, ſo gewiß als die Uhr ſchlagt, und jezt hoͤrte ſie das. Aber ſie kam der Meyerin nicht wohl, das Uebelſchlaf - fen ſaß ihr noch auf der Stirn, und der Traum uͤber den Feißten lag ihr noch rings um das Maul.

Die Voͤgtin ſahs ihr beym Willkomm an, und ſagte, es ſcheint du habeſt nicht gut ge - ſchlaffen?

Eben
*)ſchuldigende ſeiner Natur, und wird aus einem Ungezogenheitsfehler ein Niedertraͤchtigkeitsfeh - ler. Die Erfahrung beſtaͤtiget dieſen Grund - ſaz voͤllig, und wird uns die Kaͤzli und Saker - ſtrenz Flucher immer cœteris paribus niedertraͤch - tiger und verdreheter darſtellen, als die ſo ihren Kezer und Sakrament grad herausfluchen. Die Sache iſt in einem allgemeinen Geſichts - punkt ſehr wichtig, die Schwaͤchen und Fehler des menſchlichen Lebens werden genau dadurch giftig, daß man mit ſich ſelber kuͤnſtelt, an dem zu ſau gen, was man ſich nicht getraut gerade her - unter zu ſchluken. Je ſchwaͤcher, ſinnlicher und chineſiſcher die Menſchen werden, je mehr ma - chen ſie es ſo, und wir erhalten durch dieſes Bede - ken aller roher Aeuſſerungen unſers innern Sinns, und durch die immer ſteigende Kuͤnſte an dem zu ſaugen, was wir nicht freſſen doͤrfen, eine Art Menſchen, unter denen es nach dem Ausdruk eines Weibs, zum verbrennen ſchoͤne Kezer, und zum Kuͤſſen gute Teufel giebt.
*)193

Eben hab ich nicht gut geſchlaffen, antwor - tete die Meyerin, es hat mir von deinem ſchoͤ - nen Vetter getraͤumt, und ich bin ab ihm er - ſchroken, daß mir jezt noch alle Glieder weh thun.

Ha du muſt doch nicht glauben, daß du voͤl - lig mit einem Kind zuthun habeſt, ſagte die Voͤgtin, ich kann mir gar wohl einbilden, wa - rum du mir jezt ſo mit einem Traum kommeſt.

Die Meyerin erwiederte, meynſt etwann, es ſey nicht wahr, frag nur das unſchuldig Kind, das bey mir ſchlaft, was ich fuͤr einen Schrey gelaſſen, und wie ich einsmal uͤber das andere pfy Teufel, pfy Teufel geruffen.

Dieſes pfy Teufel ruffen uͤber ihren Vetter brachte die Voͤgtin auſſert Faſſung.

Sie gab ihr zur Antwort, baͤtt du nur un - ſern Herr Gott, daß du niemals mit offenen Augen uͤber jemand ander pfy Teufel ruffen muͤſſeſt, wie du ſagſt, daß du mit beſchloßnen uͤber ihn geruffen.

Meyerin. Was willſt jezt mit dieſem?

Voͤgtin. Ha, wenn du den Bettelbuben nimmſt, ſo wirſt du wohl mit offnen Augen ge - nug pfy[Teufel] zu ruffen haben.

Meyerin. Meynſt etwa den Huͤbel Rudj?

Voͤgtin. Alles dieſen.

Meyerin. So.

Vogtin. Ja es iſt einmal eine SchandeN194vor den Leuthen, daß du ſeinethalben nur laſſeſt mit dir reden.

Meyerin. Schweſter verſchon mir uͤber dieſes; denn ich muß dir uͤber dieſen Punkt kurz ſagen; du biſt weder meine Mutter, noch meine Großmutter. Dieſe Beyden ſind mir in Gottes Namen geſtorben, und ich wuͤßte gar nicht woher dir irgend ein Recht zukommen ſollte, dich uͤber dieſen Punkt an ihre Statt zu ſtellen.

Voͤgtin. Man darf doch etwa auch noch ein Wort mit dir reden!

Meyerin. Es iſt ein Unterſchied mit einem zu reden, und ein Unterſchied grad mit Bettel - buben zu kommen, und mit Ungluͤksprophezey - ungen herumwerfen.

Voͤgtin. Ha du muſt jezt das nicht ſo nehmen; aber ich meyne auch, wenn man koͤnne das beſſere haben, ſo ſollte man nicht das Schlimmre nehmen, und denn kann ich doch auch nicht ſehen, was du gegen meinen guten Vetter haben kannſt!

Meyerin. Ich hab nichs anders wieder ihn, als daß mir ein paar Sachen an ihm zu - wieder ſind, die du wohl weiſſeſt.

Voͤgtin. Meynſt wieder das Spekeſſen und das Mezgen?

Meyerin. Du weiſt es ja wohl.

Voͤgtin. Es iſt doch auch nicht zu begreif -195 fen, daß ein vernuͤnftig Menſch wie du, aus ſo einem Nichts etwas machen kann.

Meyerin. Ich bin einmal jezt ſo.

Voͤgtin. Es ſind doch auch unſer ſo viel Geſchwiſterte, und in unſerer ganzen Ver - wandtſchaft wuͤßte ich einmal kein einziges, dem ob ſo etwas grauſet. (ekelt.)

Meyerin. Du haſt mir ja das manchmal geſagt, ich ſeye nicht aus deiner Verwandt - ſchaft.

Voͤgtin. Das iſt jezt wieder ein Stich.

Meyerin. Nein, nein, es giebt derglei - chen Verwandtſchaften, wo es den Leuthen gar nicht ſo leicht grauſet.

Voͤgtin. Ich moͤchte einmal nicht, daß ich es darinn haͤtte wie du.

Meyerin. Ich glaub dirs wohl.

Voͤgtin. Aber du thuſt ihm doch unrecht, er ißt auch nicht ſo viel Spek als du thuſt, und gewiß nicht mehr als ein andrer.

Meyerin. Nein Schweſter, das iſt jezt nichts, er mag entſezlich viel, und denn iſt es noch ſo unverſchamt, wie ers hinein ſtoßt, es iſt mir, ich ſehe in meiner Lebtag noch vor mir zu ſizen; die andern haben mir Geſund - heit getrunken, da er juſt das Maul voll hatte, da iſt er mit ſeiner Geſundheit den andern faſt eine Viertelſtund hinten nach gekommen, weil er den Mundvoll nicht hat koͤnnen her -N 2196unterbringen, und ich bin mit dem Danken fuͤr alle andere fertig geweſen, ehe er nur noch das Maul abgewiſcht hatte.

Voͤgtin. Da ſieheſt jezt wie du redſt, wer wollt auch koͤnnen glauben, es haͤtte eine Vier - telſtund gedauret.

Meyerin. Nu es kann etwas minder geweſen ſeyn.

Voͤgtin. Und ſo kan der Mundvoll auch kleiner geweſen ſeyn.

Meyerin. Nein, nein, fuͤr den Mundvoll darf ich verſprechen.

Voͤgtin. Aber geſezt, du kannſt doch ſicher ſeyn, er ißt keinen Mundvoll mehr vor deinen Augen, wenns nicht gern ſie - heſt.

Meyerin. Das waͤr mir leid, es koͤnnte ihm nicht wohl thun, wenn er gar viel verſtohlen eſſen muͤßte.

Voͤgtin. Du zieheſt alles nur in Spaß.

Meyerin. Nein, im bittern Ernſt ich moͤch - te nichts weniger, als ihm dieſes zumuthen.

Voͤgtin. Er thuts noch ſo gern. Und mit dem Mezgen ruͤhrt er dir gewiß auch kei - nen Stich mehr an, wenn du nicht willſt.

Meyerin. Du machſt doch auch gar die liebe Stund aus ihm, und er iſt ſo feißt.

Voͤgtin. Das Feißtſeyn wird ihn doch nicht hindern zu thun, was du gern haſt.

197

Meyerin. Es weißt einer nicht, eine ge - wiſſe Feißte hindert doch ſicher an vielem.

Voͤgtin. Du weiſt nicht, was du anbrin - gen willſt, aber es iſt doch beſſer geſund und reich und feißt ſeyn, als arm, mager, und ſchwindſuͤchtig

Meyerin. Das iſt gewiß wahr.

Voͤgtin. Aber du erkennſt es nicht, und ich ſehe wohl du biſt am einten Ort blind, und am andern ſiheſt mehr als da iſt.

Meyerin. Aber wenn du etwa den Rudj meynteſt, ſo iſt er doch weder ſchwind - ſuͤchtig noch arm.

Voͤgtin. Ich moͤchte nicht reden, wenn du ihm die Schwindſucht nicht anſieheſt.

Meyerin. Ich ſehe ſie ihm einmal nicht an.

Voͤgtin. Nu, ich kann dich nicht ſehen ma - chen, was du nicht ſehen willſt; aber mit der Armuth, wenn du etwa meynſt, ſeine Matte ſey etwas, ſo muſt wiſſen: es ſind fuͤnf Kinder da, und das Weibergut fort.

Meyerin. Die Matte iſt unter Bruͤdern 3000 Gulden werth, und es iſt nicht 500 Gulden Muttergut da geweſen.

Voͤgtin. Ich moͤcht von 3000 Gulden nicht reden; wenn des Hummels ſeine Wirthshaus und Mezgguͤlle (Jauche) nicht mehr auf die Matte kommt, du wirſt ſehen, wie ſie ab -N 3198nimmt, und auch jezt im beſten Flor gaͤb ihm niemand 2000 Gulden darum.

Meyerin. Ich glaub nicht, daß er ſie feil habe.

Voͤgtin. Um deswillen iſt ſie nicht deſto mehr werth, aber wir wollen jezt das dahin geſtellt ſeyn laſſen, gaͤll du nimmſt ihn nicht?

Meyerin. Siehe Schweſter, wenn er mich heute fragte, ob ich ihn wollte, ſo ſagte ich ihm gewiß nein, aber weil du mich frageſt, ſo ſag ich weder ja noch nein.

Voͤgtin. Aber warum auch?

Meyerin. Ich hab dir es ſchon geſagt, da will ich voͤllig und allein Meiſter ſeyn.

Voͤgtin. Willſt denn vom Vetter gar nichts mehr hoͤren?

Meyerin. Hoͤren was du willſt, aber keine Antwort geben, einmal jezt.

Voͤgtin. Das iſt ſo viel als nichts.

Meyerin. Wenn du mir jezt mit 17 kaͤmeſt, ſo gaͤb ich keine andere Antwort, und kann nicht; mein kleiner Finger muß hierinn nicht wiſſen was ich thue, bis ich es ſelber weiß.

Voͤgtin. Du weiſſeſt es ſchon.

Meyerin. Nein wahrlich, in dieſer Sache iſt halb wiſſen nichts wiſſen; und wenn ich es recht weiß, ſo thue ich es denn grad.

Voͤgtin. Und ſagſt mir es denn auch, wenn du es thuſt?

199

Meyerin. Ja freylich, ich ſags und thue es denn miteinander.

§. 44. Die Ueberwundene meiſtert jezt ihren Mann.

Weiter konnte die Voͤgtin die Meyerin nicht bringen, doch gab ſie auf dieſes Ge - ſpraͤch hier die Hoffnung fuͤr den Vetter nicht vollends auf, und wartete mit Ungedult wann ihr Mann einmal von der Linde zuruͤkkomme.

Ihr denket vielleicht ſchon, wie ſie ihn em - pfieng.

Du biſt nicht mehr ein Menſch, du biſt ein voͤlliges Vieh wie du die Zeit uͤber Streiche machſt, war das erſte Wort, das ſie zu ihm ſagte, als er zur Thuͤr hineinkam.

Er wollte ſich entſchuldigen, und ſagte der Junker, der Junker.

Du Narr! ſagte ſie, der Junker der Junker, haſt du ihm nicht ſagen koͤnnen, du ſeyeſt nicht fuͤrs kupplen Untervogt! und haͤt - teſt du ihn nur an mich gewieſen, weil du ſo ein Narr biſt, und nie weiſſeſt, was du thun ſollteſt, ich wollte ihm gewiß die Naſe anderſt gedrehet, und den Kopf dahin gekehrt haben, wo ich ſie gern gehabt haͤtte.

N 4200

Er ließ nach der Regel des goͤldenen A B C:

Wenn jemand mit dir zanken will, ſo ſollt du dazu ſchweigen ſtill, das alles gel - ten, und fragte dagegen was ſie ihm zu Mit - tag habe?

Wenn du nur zu freſſen haſt, ſo kann deinet - wegen die Welt unter ob ſich gehen, ſagte das Weib, ſtellte ihm aber doch etwas dar.

Und er und ſchenkte ſich ein, und ſein Weib, das ihn ſo in eine gute Haut hineineſ - ſen ſah, ſagte zu ſich ſelber: er iſt nicht auch wie ein andrer Menſch, man mag zu ihm ſa - gen, was man will, es macht ihm nichts.

Einen Augenblik darauf ſagte ſie, er iſt ſo geweſen, ſo lang ich ihn habe, aber das Beſte iſt, er thut doch zulezt was man will; und denn zu ihm, du Narr! Aber kannſt du mir nicht bald einmal ſagen, ob du dann meyneſt daß ſie ihn nehme? und wie es auch zugegangen?

Vogt. Ja, ich weiß nicht, ob ſie ihn nimmt, aber ich glaubs doch nicht.

Voͤgtin. Aber warum glaubſt du es nicht?

Vogt. Es hat mich einmal geſtern ſo be - dunkt, da ich bey ihr geweſen, und mit ihr ge - redet habe.

Voͤgtin. Was hat ſie dann geſagt, daß du das meynſt?

Vogt. Nichts anders, aber ich habe201 geſehen, daß ſie inwendig uͤbers Maurers Frau wie wild worden; ſie hat nicht warten moͤgen, bis ſie von mir weg war und iſt ſicher im Au - genblik zu ihr gelauffen.

Voͤgtin. Es waͤre das beſte, wanns ſo kom - men wuͤrde. Du haͤtteſt ſollen nachſchleichen, und hoͤren wie es gehe.

Vogt. Ich haͤtte nicht koͤnnen, es war noch faſt Tag.

Voͤgtin. Du kannſt nie nichts.

Vogt. Es iſt deſto beſſer, daß du alles kannſt.

Voͤgtin. Du muſt doch noch einmal mit ihr reden, und ſehen, was du mit ihr aus - richteſt. Es hat mir einmal dieſen Morgen auch geſchienen, es ſey noch nicht ſo gar ge - faͤhrlich.

Vogt. Haſt du auch ſchon mit ihr geredt?

Voͤgtin. Ja freylich, und ſie hat gegen den Vetter gar nichts anzubringen gewußt, als was du ſchon weiſt, mit dem Spek und mit dem Mezgen.

Vogt. Ich glaub bald ſie treib den Nar - ren mit uns uͤber dieſe Puͤnkte.

Voͤgtin. Nein, es iſt ihr gewiß Ernſt.

Vogt. Es iſt zulezt moͤglich, ſie hat ihr Lebtag ſolche Wunderlichkeiten gehabt, daß ihr manchmal der oder dieſer ob etwas wied - rig vorgekommen, das kein andrer Menſch an ihm geachtet hat.

202

Voͤgtin. Wir wollen dann einandermal ſprechen, geh jezt in Gottes Nahmen, und ſieh, ob du etwas bey ihr ausrichten koͤnneſt? Wann du zulezt nur ein Wort mehr kannſt aus ihr herausloken, ſo iſt es das; aber es waͤre uns doch auch ſo wohl wenn wir des Vetters halber koͤnnten ruhig ſchlaffen.

Vogt. Ja, aber wenn denn der Jun - ker vernimmt, daß ich wieder den Rudj rede?

Voͤgtin. Du bleibſt ein Kind, wenn du hundert Jahr alt wirſt, du ſollteſt ſie doch auch beſſer kennen als ich, aber ich will mei - nen Kopf zum Pfand ſezen, wenn ſie auch den Rudj nimmt, und bey ihm im Bett liegt, ſie ſagt ihm ihrer Lebtag kein Wort, daß dir zum Nachtheil gereichen kann.

Vogt. Ich glaub das endlich auch.

Nun ſo geh einmal ſagte ihm die Frau, und er mußte, wenn er ſchon noch zweymal ſagte, es ſey morn am Morgen auch noch fruͤh genug und dergleichen.

Zu ſeinem Gluͤk traf er ſie nicht bey Haus an. Aber die Voͤgtin meynte, er ſey nicht einmal da geweſen; er mußte ihr eine Weile links und rechts Rechenſchaft geben, und er - klaͤren, wie, wo, wenn, eh ſie ihm glaubte.

Und das war ihr noch nicht genug, ſie iſt eine Zwingnaͤrrin wenn ſie ſich etwas in den Kopf ſezt. Sie ſchikte noch dieſen Abend zur203 Meyerin, ſie ſoll doch noch einen Augenblik zu ihr kommen, ihr Bruder habe etwas noth - wendiges mit ihr zu reden.

Die aber ließ ihr antworten, ſie merke gar wohl, was dieſes Nothwendige ſeye, aber ſie wolle weder heut noch morn und auch in ein paar Wochen nichts davon hoͤren, und bleibe bey dem was ſie ihr ſchon geſagt.

Jezt wars aus. Die Voͤgtin ſah, daß ſie nichts weiters machen koͤnnte, aber ſie haͤngte doch das Maul, der Vogt hingegen zog es herauf, denn er war froh, daß er heute und morgen und vielleicht gar ein paar Wochen dieſer Sach ſeiner Frauen halber Ruh, oder wie er ſich ausdruͤkte, Galgenfriſt habe.

§. 45. Folgen der Armuth, und die Un - gleichheit drey gleich guter Weiber.

Das war des Vogts Leben an dieſem Tag; die Spinnerkinder hatten ein froͤhliche - res.

Am Morgen ehe noch der Junker dem Wei - bel den Rodel gab, ob dem er ſeine Taſſe Caf - fee verſchuͤttet, und ſeinen Kopf verlohren, rieffen ſie ihren Muͤttern aus dem Bett, daß ſie doch aufſtehen, ſie auf ihren Zug zuruͤſten.

204

Und da ſie gehoͤrt, er koͤnne nicht leiden, wenn jemand nicht ſauber gewaſchen, geſtrehlt vor ihn komme, ſagten die guten Kinder es eines dem andern, giengen mit ihren Muͤttern zum Bach, und zum Brunnen, lieſſen ſich Hals, Kopf und Haͤnde reiben, wie noch nie, und ſchrien nicht, ſo ſehr ſie ihnen die ver - wirrten wilden Haare rauften.

Und was ihre Muͤtter im hinterſten Win - kel ſchoͤns und guts hatten, das mußten ſie ihnen anlegen.

Es war nicht viel; ihrer viele hatten nichts anders als ſchwarze Lumpen. Was will ich ſa - gen, ihrer viele konnten ſie nicht einmal recht ſtrehlen und waſchen.

Es kommt mir uͤbers Herz zuſagen, wie weit es mit armen Leuthen kommt die, das Jahr kommt und das Jahr geht, keinen Ehren - und keinen Freuden-Anlaß haben, der ſie auch etwann zur Ordentlichkeit und Saͤuber - lichkeit aufmuntern koͤnnte.

Das machte, daß die Gertrud, die Reinol - din, und das Mareylj vom Morgen da ſie das Licht brauchten bis faſt Mittag ſo alle Haͤnd voll zuthun hatten als vor Jahren die Muͤtter in Zuͤrich am Baͤchtelj - (Neujahrs) Tag.

Die guten Weiber waſchten und ſtrehlten ihrer viele noch einmal und entlehneten ihnen Schuh, Struͤmpf, und Kleider, was ſie auf - treiben konnten, daß der Zug ſchoͤn werde.

205

Aber wer ſonſt noch ſo gut mit ihnen war, gab ihnen doch nicht gern etwas zu dieſem Zug. Es forchtete ſich ein jedes vor dem Eifer den es im Dorf abſeze, wenn es ihnen aus - kommen wuͤrde.

Der Reinoldin ihre eigene Schweſter, da ſie ihr einen ganzen Buͤndel Kinderzeug gab, bat ſie, ſie ſoll doch machen, daß es Niemand vernehme.

Das machte die Reinoldin ſo wild, daß ſie in der erſten Hiz ihr den Buͤndel wieder an Boden warf und ihr ſagte, auf dieſe Art brau - che ſie nichts von ihr. Einen Augenblik darauf nahm ſie ihn wieder vom Boden, und ſagte, wenn dir jemand den Kopf dafuͤr ab - beißt, ſo will ich dir ihn wieder aufſezen.

Das Mareylj machte es nicht ſo, wenn es nur brav Zeug bekam, daß der Zug recht ſchoͤn wuͤrde, ſo lieſſe es denn dazu ſagen, was ein jedes gern wollte, und gab wer nur Miene machte, daß er ſich fuͤrchte, zur Antwort, es iſt gar nicht noͤthig, daß jemand etwas davon wiſſe.

Und beym obern Brunnen, wo es mit ei - nem ſolchen Buͤndel unter dem Arm einen gan - zen Haufen Bauernweiber antraf, gab es auf die Frag, was es da trage, zur Antwort, ihr wiſſet ja wohl was das Baumwollen Mareylj alleweil herumſchleppen muß! Da glaubten die206 Weiber, es ſey Baumwollengarn, obſchon der Buͤndel einem Baumwollenbuͤndel gar nicht gleich ſah.

Gertrud entlehnte gar nichts, und ſagte, man muß fuͤr niemand anders etwas entlehnen, auſſer man habe es nicht zu achten, und koͤnne es denn wohl zahlen, wenn es verlohren geht, und zu Grund gerichtet wird; aber ſie gab was ſie immer nur hatte, und konnte.

Bis um Neun Uhr hatte eine jede daheim das Haus voll dieſer Kinder. Um 9 Uhr gieng alles zum Mareylj, wo ſich der Zug verſam - melte.

§. 46. Das Kind eines Manns, der ſich ſelbſt erhenkt; und ein Ausfall wider das Taͤndeln.

Sie waren kaum bey einander, ſo ſagte das Mareylj, jezt haben wir auch ſchoͤn ver - geſſen unſerm Zug eine Koͤnigin zu ſuchen, und ſie einen Spruch fuͤr den Junker zu lehren.

So gehts, ſagte die Reinoldin, wenn jezt unſer nur eins geweſen waͤre, ſo waͤr’s gewiß nicht vergeſſen worden.

Hand in Hand, ſtuhnden jezt alle drey zu den Haufen Kinderen auf der Matte hinzu,207 und lieſſen ihre Augen herumgehen unter ih - nen, eines davon auszuſehen.

Im Bliz ſagte die Reinoldin, ich weiß eins; gleich darauf das Mareylj, ich auch; und denn die Gertrud, wenn wir jezt auch alle drey das gleiche meynten?

Es war ſo; ſie nannten es alle aus einem Mund. Es ſtuhnd da unter einem noch bluͤhen - den Birnbaum, der noch nicht ausgewachſen.

Es war ſein Bild; es wußte es nicht, und ſtaunte ihn an.

Der ganze Haufe ſah gierig den Weibern ins Maul, wer Koͤnigin ſeyn ſollte! Es allein ſtand neben aus, wie wenns ihns nicht angieng, und hoͤrte ſeinen Nahmen nicht, da ihn die Weiber jezt nannten.

Es war armuͤthig gekleidet; ſein weiſſes Hemd war der Gertrud, und ſeine Schuh und Struͤmpf der Reinoldin. Aber es war ſchoͤn wie der Tag, ſein gelbes Haar rollte ſich auf der hohen Stirne, und ſein blaues Aug glaͤnzte, wenn es ihns vom Boden aufhielt, ſeine Haut iſt zart, wie wenn es im Kloͤſter erzogen, und ſeine Farbe friſch, wie wenn es ab den Bergen kaͤme.

Es iſt das aͤlteſte von den zehen Kindern des ungluͤklichen Manns, der an einem dunkeln Abend mit dem Hummel gerechnet, ihn ins Thal Joſaphat eingeladen, und dann in der208 Nacht, ehe die Sonne wieder aufſtuhnd, ſich an einer Eiche erhenkt.

Man konnte das nicht genug anſchauen, ſo ſchoͤn war es. Ein leichter Wind wehete die rei - fen Bluͤthen vom Birnbaum, daß ſie wie Schneegeſtober um ihns herflogen, und auf ihns abfielen, wie wenn ſie ihns kleiden wollten.

Es war mit ſeinen Gedanken auch nicht beym Birnbaum, es war bey ſeinem Vater. Es iſt immer bey ihm, ſeitdem er geſtorben; aber es war euch ein guter Vater, und hatte ihns innig lieb, und alle ſeine Kinder. Und er iſt nur darum geſtorben, weil er in dieſer dunkeln Stunde glaubte, es ſey ihm un - moͤglich die armen zehen Geſchoͤpfe vor tiefem Elend zu bewahren.

Er war an der ungluͤklichen Nacht bis um 11 Uhr auf, und kam da noch in ſeines Ba - belis Kammer, und wuͤnſchte ihm gute Nacht; aber er wußte nicht, wie er thun wollte, war ſo freundlich und ſo aͤngſtlich, und konnte nicht von ihm weg, ſo daß es dem Kind ſelber vor - kam, er mache, wie wenn er auf eine weite Reis wollte, und nicht wiſſe ob er ihns wieder ſehen wuͤrde.

Als er fort war, mußte es ein paarmal ſeuf - zen, aber es denkte doch es ſey nichts anders, er ſeye jezt ins Beth; aber ein paar Stunden darauf, als die Mutter kam, und ſagte, erſey209ſey nicht ins Beth gekommen, ſagte das Kind im Augenblik, o mein Gott, o mein Gott! es hat gefehlt, und raufte ſich die Haare, und konnte faſt nicht erzehlen, daß er gerad ehe es eingeſchlafen, wie Abſchied von ihm genoh - men, und vor ſchwerem Herzen faſt nicht mehr zur Kammer hinaus koͤnnen.

Jezt traͤgt das arme Kind Tag und Nacht, wo es gehet und ſtehet, den guten Vater im Herzen, und wenn die Mutter um Mitternacht meynt, es ſchlafe in ſeinem Beth, ſo iſt es in der einſamen Wildniß bey ſeinem Grab.

Das liegt zwiſchen Felſen und Dornen; ob ihm iſt eine ſteile Bergwand, und unter ihm ein Abgrund. Ein ſchwarzer Bach mit grauem Schaum rauſchet neben dem Grab hin, und faͤllt unter ihm in ein Beken in Abgrund. Zwi - ſchen alten Tannen und grauen Eichen, iſt der weite Himmel hier eng, und die Morgenſonne kommt erſt gegen Mittag von der Felswand herab, und bald Nachmittag verbirgt ſie ſich wieder hinter den Buchen. Da auf mooſigten Steinen liegt das Kind ganze Naͤchte.

Und hat zwiſchen Dornen und Steinen auf ſeinem Grab, und rund herum Blumen ge - pflanzet, ſo viel und ſo ſchoͤn, als in dieſem Schattenloch wachſen. Blaue Veilchen, blaſſe gruͤnlichte Tulpen, helle weiſſe Sternen - blumen, blaſſe rothe Roſen; in der MitteO210ſteht eine groſſe Sonnenblume. Es ſtaunt oft, wenn ſie bluͤhet, ihr hohes ſich neigendes Haupt an; und an den vier Eken ſind die Paßions - blumen, und das gute Kind kann ſich bey die - ſen Paßionsblumen in Gedanken uͤber das Schikſal ſeines Vaters verlieren, wie ein Schrift - forſcher in heiligen Buͤchern uͤber das Schik - ſal des Himmels und der Erde.

Rings um das Grab ſind dike Heken wie - der das Wild, es legte ſie mit ſeiner Hand an, und flochte die Dornen ſelber in einander, und den einzigen Fußſieg fuͤr Menſchen hat es eine lange Streke mit Dornen und wildem Ge - ſtraͤuch uͤberlegt.

Allemal wenn es um Mitternacht kommt thut es die ganze Streke, Dorn und Geſtraͤuch wieder weg, und wenn es heimgehet, legt es ſie wieder ſorgfaͤltig zu; auch hat noch kein Fußtritt als der ſeine das Grab betretten. Wenn es denn am Morgen heimkommt bringt es duͤrre Reiſer und Kienholz, wie wenn es darum am Morgen fruͤh in den Wald gegan - gen waͤre; aber unter den Reiſern hat es den ganzen Sommer durch Blumen, ſeine blaue Veilchen, ſeine gruͤnen Tulpen, und ſeine blaſ - ſen Roſen.

Und es wartet dieſer Blumen ab des Va - ters Grab mit friſchem Waſſer am Schatten, neben ſeinem Kaſten, und wenn ſie denn wel -211 ken, ſo ſammelt es noch ihre Blaͤtter und Sten - gel. Seine ganze Bibel und ſein groſſes und kleines Baͤttbuch ſind voll von dieſen Blaͤttern, und die duͤrren Stengel hat es in ſeinem Ka - ſten in einer Schachtel, in der es das einzige ſchoͤne Halstuch das es von ſeiner Gotten her hat, und nie tragt, verſorget. Es ſtehet oft Stunden lang vor dem Kaſten, und nezet Hals - tuch und Stengel mit ſeinen Thraͤnen.

Ich bin kein Veilchentaͤndler, und lobe nichts wenigers, als daß der Menſch vor Blumen ſchmelze, und ob Muͤken weyne. Sie ſind vorbey die Tage meiner Thraͤnen, und ich habe erfahren, daß der Menſch der ob Blu - men ſchmelzt, ſein Brod nicht gern im Schweiß des Angeſichts ißt, und daß ſein Weib nicht gern Kinder gebihrt, das ſich abſchwaͤcht, und Gottes Ordnung wiederſpricht. Darum mag ich dieſes Geſchlechts nichts. Es gehoͤrt nicht in unſre Welt, die Dorn und Diſtel traͤgt, ſondern in eine, wo artige Engel mit Himmelszauber fuͤr ſie den Boden bauen, und zu den Steinen ſagen: Werdet ihr Brod , damit die Muͤßiggaͤnger eſſen.

Aber auf unſerm Boden taugt es nicht, und ich ſage es ſo gerade als ich es denke, ein Bau - renkind, das eine Blumentaͤndlerin wuͤrde von dieſer Art, wuͤrde ein armes elendes Menſch,O 2212und es waͤre ihm beſſer, es waͤre eine Zigeu - nerin worden.

Aber das Babelj iſt nicht deren eine. Un - ſchuld und Vaterliebe, und Gottes Fuͤhrung ob ihm machten aus ihm was es war; und es iſt, was es ſo iſt, im Verborgenen und in der Mitternachtsſtunde.

Den Tag uͤber iſt es die Magd ſeiner Mut - ter, die krank iſt, und die Mutter ſeiner Ge - ſchwiſterte die unerzogen ſind, und du kannſt weit und breit fragen, ob du eine kranke Frau findeſt, die eine beſſere Magd, und unerzogene Kinder die eine beſſere Mutter haben? Du wirſt keine finden.

Erſt um Mitternacht, wenn alles im Bett liegt und ſchlaft, ſchleicht es von ſeinem Spinn - rad weg zum Fenſter hinaus, uͤber den Holz - ſtoß, und wandelt zu des Vaters Grab.

Und wenn das Jahr ſich wendet, und der Monat des Ungluͤks da iſt, ſo verbirgt es der Mutter den Calender daß ſie den Jammer - tag nicht bemerke, und treibt dieſe Woche alle Arbeit zuſammen, daß ſie nicht Zeit habe zu ſtaunen und darauf zu fallen.

Aber es ſelber vergißt ihn nie, und wuͤrde es donnern und blizen, und Schloßen regnen, die toͤdten, es wuͤrde nicht weichen und lieſſe ſich toͤdten auf ſeinem Grab.

213

§. 47. Noch einmal das Kind des Erhenkten.

Das iſt das Kind, das ſo unter dem Bir - baum ſtaunte, und nichts hoͤrte, als die drey Weiber ihns zur Koͤnigin machten.

Die Reinoldin ſprang hinten an ihns zu, ſchlug ihns mit beyden Haͤnden auf die Achſel und ſagte ihm, ins Ohr: du biſts.

Es erſchrak, kehrte ſich feuerroth um, und wußte, nicht was ſie wollte, bis es ſich erholete. Da umringte ihns alles, alles both ihm die Hand, und freute ſich, daß es es ſeye. Da ſchoſſen ihm Thraͤnen in die Augen, denn ſeit dem ſein Vater tod iſt, dachte es nie mehr in ſeinem Herzen, die Menſchen ſind gut; es dachte nur immer, der Vater war gut, und flohe die Menſchen. Jezt dachte es wie - der, die Menſchen ſind gut, und Thraͤnen ſchoſſen ihm in die Augen.

Da nahm ihns die Reinoldin bey der Hand, und ſagte, komm’jezt, ich will dich jezt ruͤſten, wie eine Braut, und dich einen Spruch lehren wie ein Pfarrer.

Aber als ſie ihm daheim das Gotten-Schaͤp - peli (ein breiter groſſer Bauernkranz) auf den Kopf legen, und ein ganz weiſſes Kleid anzie - hen wollte, bat das Kind, ſie ſolle doch dasO 3214nicht thun, und auch denken was der Junker und das ganze Dorf ſagen wuͤrde, wenn es ſich ſo in der Hoffart zeigte.

Die Reinoldin gab ihm zur Antwort, laß das jezt nur mich verantworten, es iſt fuͤr den ganzen Zug, und des Junkers wegen, daß du jezt muſt ſo hoffaͤrtig ſeyn, und nicht fuͤr dich; und damit legte, ſie ihm den Rok an.

Es konnte ſeinen Spruch geſchwind, und die Reinoldin kam bald mit ihm wieder in des Mareylis Matten.

In ihrem Leben iſt ſie nie uͤber Kleider ſtolz geweſen, aber jezt war ſie ſtolz uͤber das Kleid in dem ſie das arme Kind als die Koͤni - gin des Zugs unter den reichen Kindern hin - einſtellte, die jezt alle Maul und Augen ob ihm aufthaten. Man kann aber auch keinen Engel ſchoͤner mahlen als das Kind jezt ware.

Sein Kleid war weiß, wie ein gefallener Schnee, und glaͤnzte wie dieſer, wenn nach ei - nem Regen ſeine Oberflaͤche verhaͤrtet, und dann die Sonne darauf ſcheint.

Ein breiter rother Guͤrtel umwand das glaͤnzende Kleid, und flog in doppeltem Band an ſeiner Seite bis an den Boden.

Seine Goldzopfen wallten um und uͤber ſeine gleiſſende Gotten-Crone; und zwey weiſſe Sternenblumen glaͤnzten zwiſchen Roſen auf den Baͤndern des Bruſttuchs, die weiß und215 roth waren, wie die Roſen und Sternenblu - men.

So ſtellte die Reinoldin dem Zug das Kind vor. Es ließ ſich aber fuͤhren, wohin ſie ihns fuͤhrte, und ſtellen wo ſie ihns ſtellte.

§. 48. Wie ein Hund dem Zug das Geleit giebt, und ſich tapfer haltet.

Der Zug war bald in der Ordnung, und alles war beynahe fertig, als noch etli - che Kinder ſagten, wenn wir jezt nur auch fuͤr die groſſen Haͤuſer vorbey waͤren, ſie foͤrchte - ten man werde ſie auslachen, und ihnen aller - ley zu leid thun.

Als die Reinoldin das hoͤrte, ſagte ſie, war - tet, ich weiß ein Mittel dagegen, mit dem ſprang ſie heim, kam im Augenblik mit einem kleinen Hund wieder, der hatte eine lange ſpi - zige Schnoren, die faſt bis zu den Ohren offen war, und die Reinoldin ſagte, der wird euch ſchon das Geleit geben, wenn euch jemand etwas thun will. Der Hund war abgerichtet, wenn man ein paar Wort zu ihm ſagte, ſo ſieng er einen Lerm an, und ein Bauzen, wie wenn ihrer Sieben bey einander waͤren, und hoͤrteO 4216denn nicht auf, bis man ihm denn wieder et - was anders ſagte.

Wenn euch jezt das geringſte begegnet, ſagte die Reinoldin zu ihrem Aelteſten, ſo ruf du nur: Diane, gieb du Beſcheid; und laß ihn denn nur ſeine Sach recht machen, ehe du ihm wieder rufſt, ſchweig jezt, du haſt genug geredt.

Es kam ihnen wohl, daß ſie den Hund bey ſich hatten, dann es war bey allen groſſen Haͤu - ſern ein Kopfzuſammenſtoſſen, lachen, ausſpot - ten und nachrufen, daß das Reinoldlj ſieben - mal den Hund gehezt haͤtte, wenn ihm nicht die Rikenbergerin immer zugerufen, es ſoll es doch nicht thun, ſie wollen lieber geſchwind vorbey und weiter.

Aber bey des Kalberleders war ſeine Geduld aus, der junge Bengel ladte eben Miſt, und ſein Wagen ſtuhnd an der Straß als ſie vor - beyzogen, da warf er eine groſſe Gabel voll ſo ſtark daruͤber aus, daß er auf der andern Seiten hinunter in die Gaß, und vollends ſo an den Zug anftel, daß es keinen halben Schuh gefehlt, des Krumhaͤuslers Bethelj waͤre uͤber und uͤber voll Miſt worden.

Jezt rufte das Kind: Diane, gieb du da Beſcheid, und zeigte ihm mit dem Finger den Kalberleder, jenſeits des Miſtwagens.

Der kleine Hund wie ein Bliz, darunter durch, ſprang den groſſen Bengel an. Er217 aber warf ihm die Miſtgabel nach, dann viele Steine, und endlich ein Pflugsraͤdli, aber er traf ihn nicht. Der Hund war wie ein Wind - ſpiel, ihm alle Augenblik an den Beinen, und alle Augenblike wieder davon; der Bengel aber war wie raſend vor Zorn, daß er ihn nicht traf, und rief mit einem Schaum vor dem Maul, die Kinder an, rufet euern Hund zuruͤk, oder ich ſchlage ihn todt.

Aber die Kinder lachten ob dieſem Todſchlag noch lauter als der Hund bellte, und alle Fen - ſter an der ganzen Gaß und alle Thuͤren wa - ren offen, und alles ſah jezt nicht mehr dem Zug ſondern dem Hund und dem Kalberleder zu, denn es gieng gar lang. Das Kind der Rei - noldin thats nicht, wenn die Rikenbergerin ihns ſchon bat, es ſoll ihm zurukrufen, es ließ ihn fort machen, bis er heiſcher war, erſt da rief es, Diane, ſchweig jezt, du haſt genug geredt.

Des Bengels Vater war ſo giftig darob, daß er ihm, da er wieder in die Stube hinein kam, eine Ohrfeige gab, und das that dem Kerl faſt ſo weh als daß er mit dem Hund nicht Meiſter worden. Er ſagte dem Vater, du haſt doch auch zum Fenſter hinausgelacht, da ich die Gabel hinuͤber geworfen und ich habe ſo wenig wiſſen koͤnnen als du, daß ſie ſo einen Kezerhund bey ſich haben.

218

Der Alte erwiederte ihm, halts Maul, du Ochſenkopf; aber er hatte doch recht. Wenn zwey oder drey Kinder von dem Miſt voll wor - den waͤren, und ſich der Hund gar nicht darein gelegt haͤtte, ſo haͤtte der Alte ſich faſt zu tod gelacht und dem Ochſenkopf ſtatt der Ohrfeige ein Glas Wein aus dem Keller dafuͤr gereicht. So gehts in der Welt!

Er machte es nicht allein ſo, die meiſten Leuthe unter den Thuͤren und Fenſtern, da ſie ſahen daß der Hund Meiſter worden, lach - ten den Buben aus, und ſagten, es geſchehe ihm recht, warum er ſie nicht gehen laſſen.

Jezt gaben auch ein paar alte Frauen an dieſer Gaß den Kindern uͤber den Haag, aus ihren Gaͤrten Blumen, und viel alte Leuthe erzehlten, ſie habens von ihren Vorfahren ge - hoͤrt, daß in der alten guten Zeit unter einem Junker der faſt hundert Jahr alt worden, und der den Leuthen gar lieb geweſen, die Kinder aus allen ſeinen Doͤrfern mit Creuz und Fahnen, weil da noch alles Catholiſch gewe - ſen, und mit allen ſeinen Pfarrern und Fruͤh - meſſern alle Jahr einmal in die alte Burg ge - zogen, und denn da mit dem Junker und al - len ſeinen Leuthen den ganzen Tag uͤber Freud gehabt haben.

219

§. 48. Wahre Empfindſamkeit iſt auf Seelen - Staͤrke gegruͤndet.

Arner war ſchon eine Weile von der Linde weg, und ſtaunte in des Pfarrers Gar - ten einſam dem Schrekenbild nach, das heute vor ſeinen Augen geſtanden, und je mehr er ihm nachſtaunete, je mehr erſchuͤtterte ihn das Bild dieſer Menſchen die vor ihm ſtuhnden. Er ſah nichts als Verderben uͤber Verderben, und Verheerung uͤber Verheerung bis in ferne Geſchlechter.

Am End des Gartens iſt eine dunkle Laube, und unter dem Schattengewoͤlb ein Raſenbank, auf den einer ſicher abſizt, wenn er mit ſchwe - rem Herzen dazu kommt.

Arner lag da mit ſeinem Angeſicht auf die erhoͤhete Erde und nezte den Raſenbank mit ſeinen Thraͤnen ob dem Bild der Verheerung ſeines Volks, von dem er kein Ende ſah; und der Schmerz ſeiner Hoffnungloſen Sorgen ſtieg auf das hoͤchſte, als das Geraͤuſch dieſer Kinder, die den Garten hinaufkamen, und ſchon hinter ihm zuſtuhnden, ihn wie aus dem Traum erwekte.

Er fuhr wie im Schreken auf, kehrte ſich um, und ſahe den Reihen Kinder den gan -220 zen Garten hinab, wie wenn er nicht aufhoͤrte, und den Engel im weiſſen Kleide an ihrer Spize, vor ſeinen Augen; und alſobald redte das Kind ihn an.

Lieber Junker Vater!

Wir ſind arme Spinnerkinder von Bonnal, und kommen euch zu danken, daß ihr ſo gut mit uns ſeyt, und uns eine ſo groſſe Wohlthat verſprochen, wenn wir zu dem Geld das wir verdienen Sorg tragen, und es ordentlich auf - ſparen. Lieber Junker Vater! Wir haben gar eine groſſe Freude an dem was ihr uns verſprochen, und wir verſprechen euch wieder, weil wir jung ſind, und wenn wir alt wer - den, recht zuthun, und was euch an uns freuet. Gott vergelt euchs in Zeit und Ewigkeit was ihr an uns thut!

Und Gott vergelt euchs in Zeit und Ewig - keit was ihr an uns thut! ſprach jezt der ganze Reihe bis an das End des Gartens hin - ab der Rikenbergerin nach.

Er war wie verſteinert; er wußte einen Au - genblik nicht ob er traͤumte, er faßte die Kin - der vom erſten bis zum lezten ins Aug, und dachte waͤhrend die Rikenbergerin immer nur redte, iſt das auch moͤglich? ſind das die Kin - der der Menſchen, die heute vor meinen Au - gen ſtuhnden? Er war wie verſtummt, und es war, wie wenn er ihns nicht verſtuͤhnde. So zeigte er im Auge keine Freude.

221

Und wundert euch nicht ihr Menſchen! Wenn ein Vater den Liebling ſeines Herzens und ſeinen Erſtgebohrnen unwiederbringlich verlohren, mit ſeinem Angeſicht ſich auf den Boden hinwirft und mit ſeinen Zaͤhnen ins Gras beißt vor Verzweiflung, und dann ſeine andern Kinder zu ihm kommen, ihn zu troͤ - ſten, ſo empfindet er zuerſt auch keine Freude, und wenn auch ihre Mutter an ihrer Spize, kehrt er ſich doch von ihr weg, er ſchnappet vor allem aus nach Athem und Luft; erſt denn wenn es wieder leichter ums Herz, erſt dann faͤllt er der Mutter an Arm, erſt dann ſezt er ihren Unmuͤndigen auf ſeinen Schoos, und fangt an, ſich ſeiner uͤbrigen Kinder wieder zu erfreuen, und ſich wegen ſeines verlohrnen Erſtgebohrnen zu troͤſten.

Arner mußte ſich jezt auch erholen, und nach einigen Augenbliken, da er wie verſtei - nert da ſtuhnd, erholte er ſich wirklich, und gab der guten Rikenbergerin ſeine Hand und ſagt zu ihm, Kind! weſſen biſt du? Aber er ſah noch ſo verwirrt aus und ſeine Sprache war noch ſo hart, da er das ſagte, und ſo voll Unruh, daß das Kind von ſeinem Anblik gleich erſchroken wie von ſeiner Frage ſeine Farbe verlohr, und mit Zittern antwortete mein Vater mein Vater iſt denn konnte es nicht mehr, ſeine Lippen ſtarr -222 ten, und es dekte mit beyden Augen ſein An - geſicht, das es tief gegen die Erde hinab bog.

Was iſt das? was iſt das? fragte da Arner, und war faſt ſo erſchroken als das Kind. Da ſagte ihm ein anders Kind, das hinter ihm ſtuhnd, es gehoͤrt dem ungluͤklichen Rikenberger.

Es that dem Junker ſo leid, er nahm ihm ſeine Hand, und ſagte, es iſt mir leid, daß ich dich das gefragt.

Das Kind aber hatte ſich auch wieder er - holt und ſagte, verzeihet mir doch was mir begegnet, ich hab einmal nicht anderſt koͤn - nen.

Der Junker erwiederte ihm: es iſt brav, daß dir dein Vater ſo lieb iſt, ich weiß aber auch daß ers verdient, und daß er ein guter Vater war, und ſo lang er mit ihm redte, hatte er ſeine Hand in der ſeinen.

§. 50. Der Mittelpunkt deſſen was Arner iſt. Sein Vaterſinn, ohne den alles was er thut nichts anders als Romanen - Heldenſtreich ſeyn, und in unſerer Welt nicht angehen wuͤrde.

Und ſo ſagte er dann dem ganzen Reihen. Ihr koͤnnet nicht glauben, Kinder!223 wie es mich freuet, daß ihr ſo zu mir gekom - men! Und ſezte ſich dann nach und nach von ihrem Anblik erquikt, zu ihnen auf den Raſenbank hin, machte ſie naͤher zu ihm zu kommen, und die kleinſten hart an ihn zu ſte - hen, dann nahm er von dieſen bald das eine, bald ein anders auf ſeinen Schoos und wollte mit ihnen ſprachen. Im Anfang gaben die Kleinen ihm keine Antwort, und ſahen ihn nur ſo an; bald aber ſiengen ſie doch an mit den Augen und mit dem Kopf ja und nein zu niken, druͤkten aber dabey die Lippen ſo feſt uͤber einander, wie wenn ſie ſagen wollten, ſie haͤtten kein Maul; andere verdekten das Maul mit der Hand, wenn ſie reden ſollten.

Aber des Rudis und der Gertrud Kinder gaben ihm Antwort, ſo bald er mit ihnen redte, und das that den andern bald auch das Maul auf. Zuerſt antworteten ſie ihm nur ein Woͤrtlj, dann zwey, dann drey, dann ſo viel er wollte, und bald darauf giengen ihnen die Maͤu - ler wie eine Waſſerſtampfe.

Sie ſaſſen ihm jezt von ſelbſt auf den Schoos, umfaßten ihn bald mit den Haͤnden um den Hals, und thaten bald voͤllig mit ihm, wie wenn ſie den Aettj unter den Haͤnden haͤtten.

Das Baͤren-Annelj machte auf ſeinem Schoos gar wie wenn es eine Geiſſel in der Hand haͤtte, huͤ huͤ. Er verſtuhnd224 ihns. Er hatte es ſeines Großvaters Lehen - mann vor altem auch ſo gemacht, wenn er ihn auf dem Schoos hatte, und wollte daß er ihn reite. Er ſezte das Kind auf ſein Knie, und machte mit ihm das Reuterſpiel.

So reiten die Herren, die Herren,
So reiten die Bauern, die Bauern
So reiten die Knaben, die Knaben,
So reiten die Jungfern, die Jungfern.

Da giengs an ein Lachen und an ein Treiben auf ſeinem Schoos. Er nahm ihrer mehr als zwanzig alſo aufs Roß; ſie machten bald mit ihm was ſie wollten. Wenn die Groſſen ihnen denn abwehrten, ſo winkten ſie mit dem Kopf nein, und ſagten ihnen leiſe, er hats nicht ungern, und der Junker ſagte ihnen ſelber, ſie ſollen ſie machen laſſen.

Sie hiengen ſich ihm an Ruͤken und Hals, geriethen ihm hinter Haut und Haar, hinter ſeinen Orden und hinter ſeine Uhrkette; ſie boten einander ſeine Doſe herum, ſchnupften ab dem beſchloſſenen Dekel, und thaten, wie wenn ſie nieſſen muͤßten. Er wehrte ihnen nichts, als den Degen, den ſie auch ausziehen wollten. Mit unter fragte er ſie eint und an - ders; einmal auch, ob die Kleider alle ihnen ſeyen, die ſie hatten? Nein, nein, antwortete ſie, zeigten ihm, wie dem Vater daheim, das Hemd unter dem Halstuch, und den Strumpfam225am Bein, ſagten ihm alle Stuͤkgen, von wem ſies haben, und erzaͤhlten ihm dann hinten - nach, daß ſie alles zu Abend den Frauen wie - der bringen muͤſſen.

Ihr muͤßt es ihnen nicht mehr bringen, ſag - te da der Junker. Das iſt jezt nichts, ſagten die Kinder, wohlfreylich muͤſſen wir es wieder - bringen. Einige ſagten: wir brauchens ja morn nicht mehr; du biſt ja morn nicht da.

Er ſagte noch einmal, ich will machen, daß ihrs behalten koͤnnet. Aber ſie konnten es faſt nicht glauben. Er taͤndelte ſo mit ihnen bis der Lieutenant und der Pfarrer zum Eſſen heim kamen, und beyde ſind verſaͤumt worden, und kamen ſpat.

§. 51. Wer Kraͤfte hat, wird Meiſter.

Der Lieutenant auf dem Ried, half den Vorgeſezten, und wer da war, die Plaͤze abzuſteken, wo Nachmittag die Hausvaͤter, die Baͤume hinſezen ſollten, die der Junker ihnen gegeben.

Die Vorgeſezten und Feißten unter ihnen, da ſie gehoͤrt, daß der Herr darauf denke Schul - meiſter bey ihnen zu werden, wollten es ein wenig kurz mit ihm faſſen.

P226

Iſts wahr? Sagten ſie zu ihm, daß ihr unſer Schulmeiſter werdet? Und auf ſeine Ant - wort, ey ja! ſahen ſie ihn an, wie ein Kaͤu - fer auf dem Markt ein Juden-Roß, dem er nichts gutes traut, und ſtengen dann bald un - ter einander an, zuerſt halb und denn ganz ihr Geſpoͤtt zu haben, und endlich uͤberlaut zu ſagen: es werde muͤſſen eine neumodiſche Schule abgeben; und dann fragten ſie ihn noch ob er ſich mit dem alten Schul-Lohn begnuͤge? oder wer ihm mehr gebe? Einige ſagten, er werde wohl muͤſſen ihre Buben lehren in die Scheibe ſchieſſen, und exercieren, und einer deutete gar mit ſeinem Finger auf ſein Bein, und ſagte, aber er denke, einmal doch auch nicht tanzen.

Er ließ ſie eine Weile machen, zu ſehen, wie weit ſie es trieben. Als er aber fand, es ſeye jezt genug, ſtuhnd er auf, und ſagte mit dem Stok in der Hand: an die Arbeit, ihr Nach - barn! damit ich nicht verſaͤumt werde.

Sie thaten das Maul auf, und er ſagte zum dikſten: komm her und trag das, und zum groͤſten: geh hin und bring das!

Und beym erſten, der nicht im Augenblik that, was er ſagte, fragte er, wie heißt der? und ſchrieb ihn auf. Das machte ſie folgen. Die ſo ihn verſpottet, lehrnten ſtehen, wohin er ſie ſtehen, und gehen wohin er ſie gehen, und tragen, was er ſie tragen hieß.

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So bald er ſie da hatte, war er wieder ſo freundlich als je, und thate ihnen was ſie woll - ten, und was er konnte. Er hatte auch die Arbeit mit den Baͤumen ſo bald in Ordnung, daß die Bauern nicht begreifen konnten, wie ge - ſchwind er damit fertig worden, und brachte es ſo weit, daß die ſo im Anfang die ſchlimm - ſten waren, ganz zahm wurden, und daß ihrer etliche zu ihm ſagten, es ſeyen im Anfang ſo einige Worte gefloſſen, die er eben nicht auf - nehmen ſolle, wie ſie gelautet. Andere ſagten ihm, ſie muͤſſen jezt wohl ſehen, wie ſteif er eine Ordnung habe, und wie er ſeinen Sachen vorſtehe, und er ſolle nur mit ihren Buben ſo eine Ordnung halten, ſo werde es wohl ge - hen; und etliche Buben riefen uͤberlaut, der kann auch etwas, und bey dem kann man auch etwas lehrnen.

Es waren gar viele Buben da; ſie ruͤſteten zu, was ſie auf den Abend ihre Baͤume zu ſezen noͤthig hatten.

Der Lieutenant gieng mit ihnen in alle Eken, und zeigte einem jeden wo ſeine Numer hin - komme. Er war ſo freundlich mit ihnen, daß ſie alle zu einander ſagten, er giebt gewiß ein guter Schulmeiſter. Es giengen ihrer mehr als ein Duzend Buben mit ihm vom Ried weg heim, und er redte die ganze Zeit uͤber mit ih - nen von ihrer Arbeit, und allem was ſie koͤnnenP 2228und lehrnen muͤſſen, daß ſie rechte Bauern werden.

Nahe beym Pfrundhaus traf er den Pfar - rer an, der von ſeiner Kranken kam, und eben wie er ſich verwunderte, da er jezt mit ihm am Kirchthurm ſah, daß es ſo viel uͤber die Zwoͤlfe.

§. 52. Es iſt im Kleinen, wie im Groſſen.

Schon zu unterſt an der Kirchgaß hoͤrten ſie das Lachen der froͤhlichen Kinder, er - kannten die Stimme des Junkers im Garten, und ſchlichen neben dem Pfrundhaag hin - auf, ſtellten ſich dann hinter die Haſelheken, und ſahen zu, wie die Schaar der Kinder in ihrer Freud mit dem guten Vater umgien - ge, wie ſie ihn mit Haut und Haar zurich - teten.

Er haͤtte ſie auch noch lang nicht erblikt, aber ein Kind, das er auf der Schoos hatte, nahm ihn bey der Naſe, kehrte ihm den Kopf gegen die Seite, wo ſie ſtuhnden, und ſagte zu ihm, ſieh da, wer iſt da?

Da riefen ihm Soldat und Pfarrer: bravo, bravo, Junker! Das geht gut; und als er auf - ſtuhnd und ſie gruͤßte, wars ihm, die Herren229 ſeyen ihm ſeiner Lebtag nie ſo lieb geweſen; eine ſolche Freude hatte er an den Kindern.

Dieſe wollten jezt heim, aber er ließ ſie nicht, und ſagte, der Pfarrer habe Kuͤh im Stall, und Brod im Haus, und die Frau Pfarrerin macht euch gern eine Milchſuppe. Und es ge - luͤſtete ihn jezt ſelber nicht zum Tiſch, und mit den Kindern im Garten allein ihre Milchſuppe und nichts anders zu eſſen; aber er ſah, da er ſich das merken ließ, daß der Pfarrerin das Maul ein wenig herab fiel, und das war ihm Grund genug, daß er mit ihnen zum Tiſch gieng.

Die gute Frau war aber auch den ganzen Morgen bis nach den Zwoͤlfen beym heiſſen Feuer in der Kuche, damit der Junker ein gu - tes Mittageſſen bekomme. Er ſagte da ſeiner Wirthin, er wollte eine Viertelſtund zuſizen, aber dann verſprechet ihr nur, daß keines von euch aufſtehen wolle, wenn ich dann zu mei - nen Kindern fortſpringe.

Er blieb ein paar Minuten laͤnger, trank auf ihre Geſundheit, ruͤhmte Suppe und Fiſch, eh er aufſtuhnd, dann aber war er in einem Sprung zur Thuͤre hinaus und die Stege hin - unter.

P 3230

§. 53. Goldapfel, Milchſuppe, Dank - barkeit, und Erziehungsregeln.

Unter der Thuͤre traf er ſeinen Carl an. Der gute Bub hatte bey des Lindenbergers noch laͤnger als der Lieutenant auf dem Ried, und der Pfarrer bey ſeiner Kranken das Mit - tageſſen vergeſſen. Er war den ganzen Mor - gen bey ſeinen Buben im Dorf, und im her - umſpringen kam er gegen den Eilfen zum Kreuzbrunnen; da ſtuhnd der Jakobli unter dem Haus.

Und der Carl ſprang von den andern Buben weg zu ihm zu, und fragte ihn, du, wie iſt es doch auch gegangen? Gaͤll, der Papa iſt doch auch nicht ſo gar boͤs geweſen?

Das glaub ich, das glaub ich, iſt er nicht boͤs geweſen, ſagte der Bub; aber komm doch auch mit mir in die Stube hinein, meine Schwe - ſter muß dir auch ſelber ſagen, wie gut der Papa mit ihr geweſen.

Das freut mich jezt auch, das freut mich jezt auch, ſagte der Carl, und ſprang mit ihm in die Stube hinein.

Da zog der Vater die Kappe vor ihm ab, und die Großmutter ſtuhnd von ihrem Stuhl auf, gieng an ihrem Stab dem Buben etliche231 Schritt entgegen, ihm die Hand zu bieten und zu danken.

Ich bin ja nicht der Papa, ſagte der Carl zu der alten Frauen, und meynte gar, ſie ſey etwa blind oder verirrt.

Aber da dankten ihm auch der Vater und die junge Frau die krank war, und das Kind das unter die Linde muͤſſen.

Und er kehrte ſich gegen den Jakoblj und ſagte, du haſt mir ja geſagt, ſie wollen mir nur erzaͤhlen.

Da nahm ihn das Kind, das unter die Linde mußte, und ſagte: ja, ja, ich muß dir er - zaͤhlen, wie gut der Papa mit mir geweſen, und ſagte dann alle Worte die er mit ihr gere - det.

Das freut mich auch, das freut mich auch: ſagte der Bub einmal uͤber das andere; und als es das vom Jakoblj erzaͤhlte, ſagte er: ja, ich hab es doch dem Papa verboten, daß ers ihm nicht ausbringe, es macht jezt aber nichts, und gaͤltet, ihr verſprecht mirs jezt auch, er muß am Sontag zu mir kommen, weil ihn der Papa eingeladen hat!

Indeſſen ſuchte ihm die Frau im Keller un - ter dem Stroh ein halb Duzend Goldapfel, die ſie von einem jungen Baͤumchen, das noch nie getragen, und die ſchoͤnſten hatte, die im Dorf wachſen, den ganzen Winter uͤber geſpart,P 4232und keinen einzigen davon geeſſen, und ſagte dem Knaben, als ſie ſie ihm in Sak that; aber ſie doch jezt auch ſelber und gieb ſie auch nicht weg.

Wo biſt ſo lang geweſen? ſagte der Junker zu ihm, da er ihn ſo unter der Thuͤre antraf.

Ja Papa, bey den Leuthen, wo ich zu Nacht mit dir geredt habe. Ich weiß jezt alles wie es gegangen iſt, und du mußt doch jezt auch den Buben ſehen, wo du zu mir einge - laden, er iſt noch eben da vor dem Thor auſ - ſen. Hiemit ſprang er vom Papa weg, rief dem Jakoblj zuruͤk, und ihn an der Hand er - zaͤhlte er dann dem Papa, wie gut ſein Vater, ſeine Mutter, Großmutter, und Schweſter mit ihm geweſen, und das darum ſagte er, weil du mit ihnen auch ſo gut geweſen, du ſeyeſt uͤberall mit gar keinem einzigen ſo gut ge - weſen, als mit ihnen; dann zeigte er ihm noch die ſechs Goldapfel, die ſie ihm in Sak ge - ſtoſſen.

Der Junker freute ſich den Jakoblj, der ſei - nem Carl ſo lieb war, kennen zu lehrnen, und ſagte ihm, er ſolle mit ihnen in Garten kom - men, es ſeyen viel Kinder da, und ſie eſſen eine Milchſuppe miteinander.

Der Jakoblj ſchaͤmte ſich und ſagte, er habe ſchon zu Mittag geeſſen; Carl aber ſagte ihm, du liegſt, du haſt noch nicht geeſſen, und mußt233 jezt kommen. Damit zog er ihn am Arm mit ſich fort hinter dem Papa in Garten.

Als ſie kamen, brachte der Hans und die Koͤchin eben die groſſen Schuͤſſeln voll Milch - ſuppe und einen ganzen Haufen hoͤlzerne Loͤf - fel. Sie hatten dieſe in der Nachbarſchaft ent - lehnt, denn ſo viel hatten ſie nicht im Haus. Sie brachten auch etliche ſilberne fuͤr den Jun - ker und den Carl, die aber beyde nur hoͤlzerne wollten; und der Carl warf gar in der Freude uͤber den hoͤlzernen den ſilbernen, den ihm die Magd anbot, weit weg, in den Garten; aber da der Junker es ſah, und ihm winkte, mußte er wahrlich von der Milchſuppe und den Kin - dern weg aufſtehen, und den Loͤffel wieder ſuchen, und vor dem Thor beym Brunnen abwaͤſchen, ehe er ihn nur der Magd wieder geben dorfte.

Die Kinder und die Magd wollten alle fuͤr ihn gehen, aber der Carl wußte wohl daß es aus dem nichts gebe, und ſprang, da der Papa gewunken, wie ein Windſpiel mit dem Loͤffel zum[Brunnen]. Da ſagten die Kinder zur lin - ken und zur rechten dem Junker, du biſt doch jezt auch nicht boͤs mit ihm um deswillen? Und die ſo aus einer Schuͤſſel aſſen, wollten nicht forteſſen, bis er wieder da ſeye. Aber der Jun - ker ließ dieſe nicht warten, und ſagte zu den andern, nein, Kinder! ich bin nicht boͤs mit234 ihm, aber er muß nicht unartig ſeyn und fol - gen, wie ihr.

Als er wieder kam, ſchlich er dem Papa hinten zu an Ruͤken, faßte ihn mit beyden Haͤn - den um den Hals, legte ihm den Kopf uͤber ſeine Schulter an die Augen, und ſagte ihm denn, gaͤll Papa! du verzeiheſt mir auch?

Iſt es luſtig, ſo von der Milchſuppe weg den Loͤffel zu waſchen? fragte ihn Arner.

Nicht ſo gar, aber verzeih mir es auch, ſagte der Bub.

Und der Vater: ſiz jezt nur wieder zu deiner Suppe und beſinn dich ein andermal was du macheſt!

Die Kinder hatten ihr Lebtag keine ſo gute Suppe und kein ſo lindes Brod geeſſen. Sie war halb Nidel und voll Eyer, das Brod da - rinn vergieng wie Anken im Maul. Und die Kinder ſagten unter einander, ob das Brod doch jezt auch von dem gleichen Kernen ſey, der bey ihnen wachſe?

Was denket ihr auch? ſagte ihnen der Carl; es iſt nur reiner gemahlet, und mehr Kruͤſch davon weggethan, aber dann auch ſagte er ihnen, er wollte die Suppe lieber, als was man ihm ſonſt in der Welt aufſtellte, ſo gut ſey ſie.

235

§. 54. Der Nahmenstag eines alten Junkers.

Eins mals hoͤrten ſie jezt Roß und Wagen. O hoh, ſagte der Carl, die Mama kommt! die Mama kommt! ſprang von ſei - ner Suppe auf, und lief ihr entgegen.

Es war Sie wirklich.

Der Junker ſtuhnd jezt auch auf, und alle Kinder ſo viel ihrer da waren, liefen mit den Loͤffeln in den Haͤnden hinter ihm her, der Mama entgegen. Sie hatte den Rollenber - ger und ihre zwey aͤltern Kinder bey ſich, und kam den Papa wieder heim zu holen. Weit und breit toͤnte jezt das Geſchrey der laufen - den Kinder vom Garten, die Mama die Mama, die Mama, und die Kin - der in der Kutſche die es hoͤrten, rieffen zuruͤk, der Papa, der Papa, der Papa! Und Thereſe ſtiege, ehe ſie noch bey ihnen zu waren, aus dem Wagen aus, und war wie wenn ſie flog, in Arners Arm. Sie fragte im Augenblik hinter dem Kuß, was machſt mit allen dieſen Kindern. ?

Sie eſſen mit mir Milchſuppe, antwortete Arner.

Alle mit einander? ſagte Thereſe.

Ja alle mit einander, erwiederte er, und236 komm nur, du muſt mit uns zuſizen, weil ſie noch warm iſt.

Das gefiel ihr wohl, ſie ſprang an ſeiner Hand den Garten hinauf, und der ganze Reihe Kinder hinter ihr her.

Der Carl aber machte ſich an den Rollen - berger, und erzaͤhlte ihm von allen Freuden, die er gehabt, und wie viel Freud er im Dorf habe, und wie lieb ihm die Buben ſeyen.

Sind ſie dir denn auch ſo gar lieb? ſagte Rollenberger.

Das glaub ich, ſagte Carl.

Rollenberger. Lieber als deine Schaͤf - lein daheim?

Carl. Ich moͤcht nicht reden.

Rollenberger. Aber dein junger Eſel, der iſt dir doch gar lieb, ich meyn ſchier, ſchier lieber als die Buben da.

Carl. Was denket ihr auch? Ich wollte ei - nen einzigen Buben lieber als hundert Eſel.

Rollenberger. Ich will denn ſehen, wenn du daheim biſt beym Eſel, jezt biſt bey den Bu - ben.

Mit dieſem Verglich der Eſel und Buben neben einander, kamen ſie dann zur Suppe, wo jezt alles zuſaß. Der Pfarrer, die Pfarre - rin, der Lieutenant waren jezt auch da, und alles ſaß mit einander an der Milchſuppe-Reihe.

Es mahnete Thereſe an den Nahmenstag237 den ihr Ahnherr alle Jahre feyerte, und von dem ihr lieber Großvater ſelig ihr ſo viel er - zaͤhlt hat.

Sie druͤkte Arner die Hand und ſagte ihm das. Er erwiederte, ja du mußt uns erzaͤh - len, wie das ein Feſt war!

Da erzaͤhlte Thereſe das Nahmensfeſt ihres Großvaters, wie er denn mit allen Kindern ſei - nes Dorfes zu Mittag geeſſen, und wie er Jahr ein, und Jahr aus nie ſo froͤhlich geweſen als an dieſem Tag.

Er trank denn das erſte Glas fuͤr ſeinen Herzog, der ihm ſo lieb war, und das zweyte fuͤr die Armen. Er war ſelber, ſagte Thereſe, vor allen Kindern nichts weniger als reich, hatte nur ein einziges Dorf; und wenn er denn den Becher oben am Tiſch hoch in der Hand hielt, ſagte er dann, Gott ſegne die hoͤlzer - nen Schuͤſſeln, und die ſo daraus eſſen!

Dann giengs wie ein Rundgeſang um den Tiſch. Zuerſt bot er der lieben Ahnfrau den Becher, die hielt ihn dann hoch, wie der Ahn - herr, und ſagte, es geht unſerm Herzog wohl, und den Edlen im Land, wenn die hoͤlzernen Schuͤſſeln geſegnet, und die ſo daraus eſſen.

Dann giengs hinunter bis zum Knecht, der am Tiſch ſaß; alles mußte den Becher nem - men, und ein Wort ſagen zum Lob des Bau - ernſtands, und zum Troſt der Armen.

238

Und wer dann das ſchoͤnſte wort zum Lob des Bauernſtands und zum Troſt der Armen geſagt, der mußte hinaufſizen, oben an Tiſch zum lieben Ahnherrn, und war ihm das ganze Jahr durch wegen des Worts der liebſte.

Waͤhrend dem ſie ſo erzaͤhlte, nahm der Jun - ker die beſte Flaſche die in der Laube ſtuhnd, und das groͤßte Glas und ſchenkte einen Ro - then ein, der dem Schweizerblut gleichet.

Und als ſie ausgeredt, hielt er ſein Glas auch hoch wie der Ahnherr und ſagte, Gott ſegne die hoͤlzernen Schuͤſſeln, und die ſo dar - aus eſſen!

Dann bot er Thereſen den Becher, und ſie hielt ihn auch hoch auf wie die Ahnfrau, und ſagte: es geht dem Herzog wohl, und den Ed - len im Land, wenn die hoͤlzernen Schuͤſſeln geſegnet, und die ſo daraus eſſen.

Dann both ſie ihn weiter, und ein jedes mußte ein Wort ſagen, zum Lob des Bauern - ſtands und zum Troſt der Armen.

Der Pfarrer ſagte: ſtark und braun wird der Bub der aus Holz ißt, und rund und ſchlank wird das Maͤdchen, das keinen ſilbernen Loͤf - fel wuͤnſcht.

Denn die Pfarrerin: die Milch macht feißt, und das Brod macht ſtark, die Schuͤſſel und die Loͤffel ſind nichts.

Der Rollenberger ſagte: wer ohne Sor -239 gen ſchlaft, und ohne Kummer erwachet, der wuͤnſchet nie viel.

Der Lieutenant: ja, wenn der aus Sil - ber ißt, ſorget, daß der aus Holz ißt, wohl ſchlafe, ſo iſt der ſo aus Holz ißt, gewiß gluͤklich.

Ja, ſagte der Claus, unten am Tiſch, wenn der Silbermann ihm nur nicht die hoͤlzerne Schuͤſſel vertrittet, und der Goldherr ihm nicht den hoͤlzernen Loͤffel noch aus der Hand reißt.

Und wo iſt, ſagte des Pfarrers Koͤchin, wo iſt der Silbermann und der Goldherr, der weiß, daß an der hoͤlzernen Schuͤſſel, und am hoͤlzernen Loͤffel ſo viel gelegen?

Da nahm ihr der Hans das Glas aus der Hand, und hielt es hoch gegen den Junker, und ſagte: ich kenne einen der’s weißt, er iſt nicht weit von uns, Gott im Himmel geb ihm den Lohn!

Im Augenblik klatſchte wer da war, und der Pfarrer, der Lieutenant, die Kinder und alles was da war, ſtuhnd auf, wandte ſich ge - gen den Junker, und alle wiederholten des Hanſen Wort.

Er iſt da, er iſt da bey uns! Gott im Him - mel geb ihm den Lohn! Und aus einem Munde ſtimmte alles, denn Hans hat das beſte Wort geredt.

240

§. 55. Der Vater-Nahme.

Thereſe im hohen Fuͤhlen, daß ſie einen Mann habe, der ein Herr iſt, wie die beſten al - ten Herren waren, wandte ſich um, und ſah erſt da die Rikenbergerin, die bis jezt hinter den andern Kindern wie verborgen da ſtuhnd.

Und ſie vergaß des Hanſen Wort, und den beyſtimmenden Reihen, und die Freude uͤber ihren Mann, der ein Herr iſt, wie die beſten alten Herren waren, und fragte Arner, was iſt das fuͤr ein Engel?

Er verwunderte ſich, daß ſie ihns noch nicht geſehen, und erzaͤhlte ihr was er von ihm wußte.

Waͤhrend dem er erzaͤhlte, entzog ſie dem Kind kein Aug, und als er fertig war, gieng ſie zu ihm hin, nahm ihns bey der Hand, und ſagte, es ſolle ihr doch den Spruch wiederholen, den es dem Junker gehalten. Aber ſie konnte ihns faſt nicht mehr fort reden laſſen, als es anfieng: Junker Vater! ſo freute es ſie, daß das Kind ihrem Mann den alten ſchoͤnen Titel, Junker Vater wieder gegeben, und als es fertig, nahm ſie den bunten rothen Guͤr - tel den ſie um den Leib hatte, band ihn um das weiſſe Kleid dieſes Engels, ſtekte ihm ih - ren groſſen Blumenſtraus auf Kopf und Bruſt, und ſagte ihm dann:

Nihm241

Nihm das zum Pfand, daß die Frau deines Junker Vaters, deine Mutter ſeyn wird, ſo lang du lebſt!

Arner hatte das Wort Junker Vater im er - ſten mal faſt nicht verſtanden, ſo ſehr uͤber - nahm ihn der Anblik der Kinder, da er ſich noch mit naſſen Augen gegen ſie umkehrte.

Aber jezt gieng ihm der alte Vaternahme innig zu Herzen, und er ſagte zu Thereſe und zum Pfarrer, ich haͤtte dieſen Titel ſeit meiner Jugend immer wieder gewuͤnſcht, aber ich haͤtte mich geſchaͤmt, es zum Mund heraus zu laſſen.

Nun! Gottlob, du haſt ihn einmal jezt wieder, und der Pfarrer und ich gebe ihn euch einmal auch.

Ihr denket wohl, Vater Pfarrer! daß er mich von niemand mehr als von euch freut, aber ihr muͤßt ihn zuerſt von mir haben.

Der Pfarrer kuͤßte ihm mit naſſen Augen die Hand.

Und der Junker ſagte, auch der Lieutenant muß Vater Schulmeiſter heiſſen, fuͤr die Arbeit, die er jezt annimmt.

Das giebt mir einen ganzen Haufen Vaͤter. Wenn ihr dann nur Sorg tragt, daß ihr nicht viel Wittwen und Wayſen hinterlaſſet! ſagte die Pfarrerin.

Arner hub ſein Aug auf, da ſie das ſagte, und ſah ſie an.

Q242

Thereſe ſah den Blik, und ſagte was iſt das?

Nichts, mein Kind, ſagte Arner; aber ſein Herz ſchlug.

Der Pfarrer, der das nicht ſahe, ſagte; wir wollen den Vaternahmen feyern.

Das wollen wir, ſagten alle; und alle Kin - der die da waren, von des Junkers Carl an, bis auf des Kuͤhhirten Elſt, mußten jezt im Reihen zu ihnen hinzu, ihnen die Hand geben, und ihnen Vater und Mutter ſagen.

Wenn da kein Engel dieſe Eltern und Kin - der umſchwebt, ſo umſchweben nie keine En - gel den Menſchen, er mag reines und heiliges auf Erde thun was er will.

§. 56. Auch hierinn ſind Grundſaͤze der wahren Volkserziehung.

Die Freuden der Feyer dieſes neuen Nah - mens wurden ihnen von den Buben im Dorf unterbrochen.

Junges und Altes hatte im Garten vergeſ - ſen, daß der Junker um zwey Uhr auf das Ried zu kommen verſprochen. Aber die Buben im Dorf vergaſſen es nicht, und die Bruͤder von den Spinnerkindern machten den Anſchlag, mit ihren Baͤumen auf der Achſel, und den243 Geiſſen an der Hand, ihre Schweſtern im Pfarrhaus auf das Ried abzuholen; geſagt, ge - than. Es ſchlug nicht ſo bald zwey Uhr, ſo ſtuhnden ſie vor dem Garten.

Der Carl, der immer die Augen in allen Eken hat, ſah ſie zuerſt, ſprang zu ihnen hin - aus, fragte ſie, was ſie mit den Geiſſen wollen? Sie ſagten ihm, ſie muͤſſen auch mit ihnen auf das Ried, ſie koͤnnen ja denn weiden, wenn ſie ihre Baͤume ſezen. Denn baten ſie ihn, er ſoll jezt auch machen, daß es gerathe, daß der Papa und ihre Schweſtern auch bald kommen. Sie wollen jezt mit den andern, und mit den Geiſſen einen Zug anſtellen, es gebe einen groſſen, und einen ſchoͤnen; ſie haben eine Trommel und eine Pfeife bey ihnen.

Und ich hab meinen Fahnen auch noch, und es muß jezt gewiß angehen, ſagte der Carl; ſprang denn in den Garten, rief den Kindern: He! He! Loſet, was ſoll ich euch ſagen? Euere Bruͤder ſind da, und haben ihre Geiſſen bey ihnen. Und Papa, loſet, was ſoll ich euch ſagen? Die Glok die hat zwey Uhr ge - ſchlagen, und gaͤllet, wir muͤſſen jezt aufs Ried?

Ich hab es faſt vergeſſen, ſagte der Junker. Die Kinder aber liefen jezt zu ihren Bruͤdern, und fragten ſie, habet ihr auch unſere Baͤume bey euch? Ja, das haben wir, ſagten dieſe, und zeigten ihnen die Baͤume auf der Achſel.

Q 2244

Und der Carl kam auch mit ſeiner Geiß aus dem Stall, und der Junker und der Pfarrer, und wer im Garten war, gieng auch fuͤrs Thor zu ſehen, wie die Kinder einen Zug anſtellen wollten.

Sie hatten einen Lerm, daß man ſein eigen Wort nicht mehr hoͤrte, und der Zug wollte doch nicht recht in Ordnung.

Da trat der Lieutenant ins Mittel; er rief ihnen, ſtill! ihr Buben! ſagte dann, wie es ſeyn muͤſſe, und hatte den Zug im Augenblik in der Ordnung.

Er ſtellte nicht die Groſſen, wie heut am Morgen die Weiber, ſondern die Kleinſten vor - an, und ſagte, es ſey ein Unterſcheid nur einen Buͤchſenſchuß weit, oder eine Viertelſtund weit zu marſchieren, die kleinen kaͤmen ihnen in die Weite nicht nach, oder die Groſſen muͤßten ih - nen alle Augenblik ſtill ſtehen.

Carl war jezt der erſte mit ſeinem Fahnen, hinter ihm ein Bub, der ihm ſeine Geiß fuͤhrte, und ſeinen Baum trug, denn folgte der Trom - melſchlaͤger, und der Pfeifer, dann die Riken - bergerin in ihrem weiſſen Kleid, zwiſchen des Junkers beyden Toͤchterchen; hinter ihnen des Pfarrers Kinder, dann der ganze Zug; alle - mal ein Bub, der trug auf ſeiner Achſel ſeine zwey Baͤume, und das Kind, deſſen Baum er auch trug, das fuͤhrte auf der linken die Geiß.

245

Des Junkers Caroline und Julie freuten ſich, daß ſie gerad hinter der luſtigen Trom - mel ſeyen. Aber die Rikenbergerin ſagte, ſie wollte lieber, ſie waͤr weiter hinten, ſie toͤne ihr zu laut.

Des Junkers und des Pfarrers waren alle zu hinterſt am Zug, beſahen ihn jezt da er in der Ordnung ſtuhnd.

Aber es war eine Schand wie garſtig die Buben gegen die Maͤdchen ausſahen.

Man ſollte weiß Gott den drey Weibern vor den Haͤuſern danken, ſagte Thereſe, als ſie die - ſen Unterſchied alle bemerkten.

Du haſt recht, ſagte der Junker zur The - reſe; und zu den Kindern: wie iſts, wollet ihr den drey Weibern, die heut ſo viel Muͤhe mit euch gehabt haben, wenn wir bey ihren Haͤu - ſern vorbeyziehen, nicht auch danken?

Das war ein Jauchzen, das war ein Ruffen! Ja, ja, das wollen wir.

Die Rikenbergerin, ſagte da der Junker, muß dann mit meinen zwey Kindern zu dieſen drey Weibern ins Haus gehen, und fuͤr uns den Dank ausrichten.

Das will Ich thun, ſagte Thereſe.

Deſto beſſer ſagte der Junker! rufte dann dem Carl, der vornen am Zug war, und ſagte ihm, du muſt vor des Mareylis, der Gertrud, und der Reinoldin Haus mit demQ 3246Zug ſtill halten, und dann den Fahnen ſchwin - gen, und trommeln und pfeifen laſſen, ſo viel ſie koͤnnen und moͤgen, und wenn denn eine von den Frauen, welche es iſt, mit der Mama zur Thuͤr hinauskommt, ſo muſt du aufhoͤren, mit trommeln und pfeifen, und den Hut abziehen, und laut mit allen Kindern rufen; es lebe die gute Gertrud! oder Reinoldin! oder Mareylj! welche es dann iſt.

Nun gieng der Zug an, und die Kinder hatten jezt vor allen Haͤuſern gute Ruhe. Eine Menge Bauernkinder weynten, daß ſie nicht auch wie der Reinoldin Kinder mit ihnen doͤr - fen; und der Kalberleder, der wieder Miſt ladte, lief ſo bald er den Zug unten an der Gaß erblikte, von ſeinem halbgeladenen Wa - gen weg und ließ ſich eine halbe Stunde nicht mehr vor dem Haus ſehen.

Der Diane riechte ihn noch, da er wieder zur Miſtgrube kam, ſprang ihm unter dem Wagen durch bis zur Hausthuͤr, die aber zu war, nach, und es mußte alles, ſelbſt der Jun - ker lachen, da ſie den Hund ſo ſahen an der Thuͤre ſcharren, und ihn, ſo zu ſagen, ſeinen Mann herausfordern.

Das Mareylj hatte ſeine Stube voll Spin - nerweiber. Einige brachten ihm Garn, an - dere waren da, ihm zu danken, daß es ſich ih - rer Kinder ſo angenohmen.

247

Sie ſtekten alle die Koͤpfe unter die Fenſter, als der Zug die Gaß hinauf kam, das Mareylj allein nicht; es wog der Rebhaͤuslerin ihren Buͤndel Garn wie ſonſt fort, und ihre Baum - wollen dagegen, und zaͤhlte ihr den Lohn noch, eh es auch ans Fenſter wakelte. Es hatte kaum die Naſe darvor, ſo toͤnte die Trommel, die Pfeiffe pfeifte, die Fahne wehte, und der Zug hielt ihm vor den Augen ſtill. Es ſagte, was iſt jezt das fuͤr ein Narrenſtuk?

Das iſt jezt dir zu Lob und zu Ehren, ſag - ten die Weiber; und die Junkerin ſtand hinter ihm zu, eh es ſich umkehrte, und ſagte, wo iſt jezt das Mareylj? Da kamen die Koͤpfe zum Fenſter hinein, und es, und alle Weiber tha - ten Maul und Augen auf.

Die Junkerin aber ſagte, ſo bald ſie ihns ſah, du biſts! gab ihm die Hand, dankte ihm dann im Namen des Junkers, und des Pfar - rers, und des ganzen Zugs, daß es ſich der ar - men Kinder ſo angenohmen. Das Mareylj wußte nicht, was es ſagen wollte, druͤkte der Junkerin die Hand, die ſie ihm immer hielt, und ſagte, das hab ich nicht verdient und ihr, ſeyt etwann doch nicht um deswillen da?

Wohl Mareylj! ſagte die Junkerin, ich bin um deswillen da, und du muſt wiſſen, du kannſt mir und dem Junker nichts angenehmers thun, als wenn du uns ſo hilfſt zu machen, daß esQ 4248den armen Leuthen im Dorf je laͤnger je mehr wohlgehet!

Ich wills gewiß dem lieben Gott und euch thun, ſo lang ich lebe. Aber es braucht ſich doch auch nicht Frau! daß ihr mir dankt, ſagte das Mareylj.

Wir werden dir danken, ſo lang ein Athem in uns iſt, ſagte die Junkerin.

Im fortgehen faſt bey der Thuͤre, ſagte das Mareylj: es hat mich uͤbernommen, ich hab euch nur nichts von dem ſchoͤnen Tuch ſagen koͤnnen, wo ihr mir geſchikt; ich dank euch doch auch tauſendmal davor.

Es ſtand ſchon unter der Thuͤre, und ehe die Junkerin antworten konnte, hoͤrte die Trommel auf, und der Carl zog den Hut ab, und rief und mit ihm der ganze Zug, daß es die ganze Gaß hinauf und hinab toͤnte. Es lebe das gute Mareylj!

Es aber lief von der Thuͤre, und von der Junkerin weg, und kam feuerroth in die Stube, ſo ſchaͤmte es ſich, daß ihm das unter der Thuͤr begegnet.

Aber die Weiber in der Stube brachten ihns bald wieder zu recht; ſie ſagten ihm: warum biſt du auch ſo von der Thuͤre weggelaufen? und nein, nein, das iſt doch auch eine Ehr. Und du haſt ſie doch auch gewiß verdient. Das machte, daß es ihm bald auch kam, wie wenn es ihns freute.

249

§. 57. Falſchheit zerreißt alle Bande der Erde.

Die Reinoldin hatte eben mit ihrer Mutter Streit, als der Zug ihr fuͤrs Haus kam, ſie zankte ſchon ein paar Stunden mit ihr, daß ſie ſich dieſes Lumpenzugs alſo angenom - men, und ihre Kinder mit dem Bettelgeſindel mit laufen laſſen, und denn gar, daß ſie bey ihren Schweſtern Hemder, und Struͤmpf, und Schuh dafuͤr entlehnt.

Meynſt du, ſagte ſie zu ihr, ich hab nicht genug, daß du ſo ungerathen biſt, und dir alle Leuthe uͤber den Kopf richteſt? willſt jezt auch noch deine Schweſtern ins Geſchrey brin - gen, daß ſie ſeyen wie du? und machen, daß ſie in keinem rechten Haus mehr eine Heurath finden? Wenn dein Mann nicht auch ein Narr waͤre, oder Straf verdient haͤtte, er haͤtte dich gewiß auch nicht genommen, ſo hat er eine Plag mit dir, aber es muß mir wills Gott mit den andern Kindern nicht ſo gehen. Was haſt auch vom Junker? und was geht dich auch der Narr an? warum begreifſt doch auch nicht, daß wer im Dorf iſt, es mit dem Dorf halten muß, und mit denen die im Dorf etwas haben, und nicht mit dem Bettelvolk? Aber du thuſt mir das nur zu leid, du weiſſeſt250 daß es mir Verdruß macht, und wenn du mich koͤnnteſt mit deinem Lezkopf ins Grab bringen, du wuͤrdeſt es nicht ſparen, du haſt es dein Lebtag ſo gemacht.

So giengs in einem fort, bis die Trommel in der Gaß toͤnte, und die Junkerin gegen dem Haus zu kam. Da ſchwieg die Alte; ſie ſah ſie zu erſt, und ſagte: was will doch jezt dieſer Pfau hier? Einen Augenblik darauf aber zu ihrer Tochter, wiſch dir die Augen ab, und zeig nicht jezt auch dieſer noch, daß du ein Narr ſeyeſt!

Sie wiſchte ſie ab, aber es war gleich viel. Als die Junkerin in die Stube trat, ihr die Hand bot, und dankete wie dem Mareylj, konnte ſie kein Wort hervorbringen.

Die Alte biß die Zaͤhne uͤber einander, ihre Augen gluͤheten vor Zorn gegen die Tochter, in dem gleichen Augenblik als ſie fuͤr dieſelbe das Wort nahm, und mit einem Laͤchlen das ſie erzwang, fuͤr die Ehre, die ſie ihrer Toch - ter erweiſe, dankte und hinzu ſezte, ſie ſolle ihr verziehen, es ſeye einmal jezt ſo ihrer Tochter Natur, daß wenn ſie etwas uͤbernemme, es moͤge Freud oder Leid ſeyn, ſo koͤnne ſie ſich nicht leicht faſſen; aber die Junkerin habe gar zu viel Muͤhe genommen fuͤr ſie, ſie habe nichts anders gethan, als was ihre Schuldigkeit ge - weſen, und moͤchte nur wuͤnſchen, daß ſie mehr251 Gelegenheit haͤtte ihr oder dem Junker zu die - nen.

Das iſt eine Glatte, die es kaum meynt, wie ſie es ſagt, dachte Thereſe, ſo bald ſie das Maul aufthat, ſah ihr auch ſo lang ſie redte unver - wandt auf Maul und Augen und hatte auf der Zunge ihr zu ſagen, ſie ſeye nicht um ihret - willen ſondern um der Tochterwillen da. Sie ſagte es nicht, aber auch nichts anders, ſon - dern wandte ſich wieder an ihre Tochter und ſagte dieſer, der Junker erwarte ſie mit der Gertrud und dem Mareylj dieſen Abend noch im Pfarrhaus, wenn er vom Ried heimkomme.

Die Alte that gar nicht, wie wenn ſie es achtete, daß ſie die Junkerin ſtehen ließ, und unter der Thuͤre als der Carl den Hut ſchwang, und er, und der ganze Zug mit ihm, rief: Es lebe die gute Reinoldin! ſtuhnd ſie ſo weit vor das Haus hinaus als ſie nur konnte, und nikte dem Zug mit Kopf und Haͤnden ſo weit ſie ihn ſah, nach, indeſſen die Junge wie ein Pfeil in die Stube hinein ſprang und hinter dem Ofen mit den Fuͤſſen uͤber ihre Mutter ſtampfte.

Dieſe aber gieng erſt, da ſie kein Bein mehr vom Zug ſah, wieder hinein, und ſagte die Stubenthuͤr noch in der Hand haltend zu ihrer Tochter: du haſt dich aber einmal ſchoͤn auf - gefuͤhrt, mit dem alten Zuſaz, du thuſt es mir nur zu leid, und haſt nichts damit geſucht, als mich zu Schanden zu machen.

252

Ich moͤchte nur wiſſen, antwortete die Toch - ter, was ich auch in der Welt thun muͤßte, von dem ihr nicht ſagtet, ich thaͤte es euch zu leid, wenns euch darnach im Kopf iſt.

Ja ja, du biſt ein ſchoͤnes Menſch, ſagte die Mutter, red nur viel.

Die Tochter aber war erhizt und erwiederte ihr, ja ich muß reden, ich wollt lieber ihr haͤttet mir die Hand ins Maul ge - ſchlagen, daß mir alle Zaͤhne in Kragen hin - untergefallen waͤren, als daß ihr der Junkerin vor meinen Augen ſo gute Wort gegeben, da ihr doch den ganzen Morgen bis auf dieſen Au - genblik mit mir ob dieſer Sach gehauſet, daß es moͤcht gemahlet am Himmel ſtehen; haͤttet ihr es ihr nur jezt ſelber geſagt, es waͤre beſ - ſer geweſen als ſo.

Das iſt jezt der Lohn fuͤr die Muͤhe die ich gehabt? da du da geſtanden wie der Ochs am Berg! aber hab ich auch in meinem Leben ein gottloſeres Menſch geſehen? ſagte die Mutter. Und die Reinoldin erwiederte: ihr koͤnnt mir jezt ſagen was ihr wollet, es waͤre doch beſſer geweſen, ihr haͤttet mich ſtehen laſſen, wie ſie - ben Ochſen am Berg, als daß ihr ſo falſch vor mir mit der Junkerin geredt. Ich kann und weiß das nicht auszuſtehen.

Mich, mich, kannſt und weiſt du nicht aus - zuſtehen? und das deiner Lebtag, ſagte die Mut -253 ter, gieng dann fort, und erzaͤhlte daheim ih - ren Schweſtern, was das auch fuͤr ein Menſch ſey! wie gottlos ſie mit ihrer Mutter umgehe! und fragte endlich ob ſie jezt auch glauben, ſo ein Kind koͤnnte in Himmel kommen, wenns ſtuͤrbe?

Die Kinder antworteten, ſie wollen das Beſſere hoffen.

Die Mutter aber erwiederte: es wird ein - mal ſchwer halten, glaubet mirs nur.

Von der Reinoldin weg kam Thereſe zur Gertrud. Dieſe war ganz allein in der Stube, ihre und des Rudis Kinder waren alle am Zug. Sie hatte ihr kleines allein im Haus, und kam eben von ihm aus der Nebenkammer, als die Junkerin zu ihr kam. Sie gab ihr auf das was ſie ſagte, ſichtbar erroͤthend und mit einer Stimme wie wenn ſie es nicht ſagen doͤrfte, zur Antwort: der Junker hat mir und meiner Kindern ihrem Vater und uns allen und ihm damit ein gluͤkliches Leben wiederge - geben; jezt kommt ihr mir zu danken, daß ich ein paar Kindern etwas armſelige Kleider geliehen!

§. 58. Man ſezt Baͤume.

Von ihr weg giengs aufs Ried. Es war ein frohes Getuͤmmel den Berg hinan.

254

In der hohlen Gaß oben am Dorf, beym groſſen Echo, das wie ihr wißt, rund um den Berg lauft, und dann durch das Thal hinab ſich wiederholt, iſt der Junker und der Pfar - rer ſtill, der Zug merkte warum? Da jauchz - ten die Buben ſo laut ſie konnten, Trommel und Pfeiffen toͤnten, ſo laut ſie konnten, es war wie wenn ſelber die Geiſſen lauter may - geten, und das frohe Getuͤmmel daurte, bis ſie an den Plaz kamen.

Da gaben die Buben ihren Schweſtern die Geiſſen ans Seil, ſuchten ihren Vater, und ein jeder fuͤhrte da den ſeinen an der Hand an den Plaz, wo er den Baum, den er auf der Ach - ſel trug, ſezen mußte.

Aber ſie waren nicht ſo bald an der Arbeit, ſo ſah der Rollenberger, daß die Bauren in Bonnal vom Baumſezen ohngefehr ſo viel ver - ſtuhnden, daß ſie ihn nicht bey den Aeſten ſon - dern bey der Wurzel in Boden hinein thun muͤſſen, aber nicht mehr. Da zog er ſeinen Rok aus, ſprang von einem Eken zum andern, zeigte ihnen was ſie nicht konnten z. E. auf welche Seite ſie ſie kehren muͤßten, damit ſie gegen die Sonne kommen, wie vorher und der - gleichen. Er vertheilte ihnen die Wurzel, ſchnitt das Unnuͤze und Schadhafte ab, wie ein Gaͤrtner, er machte ihnen den Herd rein, zeigte ihnen, wie ſie ihn in die Ordnung zulegen,255 und andruͤken muͤſſen; denn wie ſie ſelbe gegen Wind und Wild ſicher ſtellen muͤſſen.

Die Bauren thaten aufs Haar, was er ſagte, und alle Augenblike ſprang ein Bub nach dem andern zu ihm her, und ſagte ihm lieber Herr! wollt ihrs meinem Vater nicht auch zeigen? So wenig iſt wahr, daß die Bauren von den Herren im Feldbau nichts annehmen! Sie wol - len nur, daß die Herren es ihnen nicht bloß mit dem Maul ſondern auch mit den Haͤnden zeigen.

Der Junker ſah ihm freudig zu bey dieſer Arbeit, und ſagte zum Pfarrer, mein Haus - lehrer zeiget mir auch damit, daß mein Bub unter guten Haͤnden iſt.

Sein Carl ſprang eine Weile herum zu ſe - hen, wie es gehe? Dann gab er die Geiß auch ſeinen Schweſtern, ſtellte mit ſeinem Baum auf der Achſel ſich fuͤr ſeinen Papa zu, und ſagte ihm, wenn du mir jezt helfen willſt, ſo komm!

Das will ich, ſagte der Junker, gieng ihm an der Hand an den Plaz, den der Lieutenant ihm fuͤr ſeinen Baum abgeſtekt.

Dieſer Plaz war in der Mitte des Rieds, auf einer leichten Hoͤhe, und die andern zwey - hundert und fuͤnfzig kamen alle rund um ihn herum, in zwoͤlf langen Reihen, die ſich alle bey dieſem Mittelbaum anhuben.

256

Da der Carl das ſah, ſagte er zum Lieute - nant, das iſt auch ein ſchoͤner Plaz. Habt ihr mir jezt das zu gefallen gethan?

Ja das hat er, du kannſt ihm nur danken, ſagte der Junker.

Da ſprang Carl an ihn hin, und kuͤßte ihm die Hand fuͤr den ſchoͤnen Plaz ſeines Baums.

Dann nahm der Junker den Karſt, der ſchon da lag, in die Hand, und machte dem Baum ſeines Carls ein Loch in den Boden, und haket den Herd ſo leicht auf, wie wenn er nichts thaͤte.

Alles was da war, wollte an dieſem Baum helfen.

Der Rollenberger ſprang von dem hinterſten Eken hinzu, und der Lieutenant, der Pfarrer, die Frauen, des Carls Schweſtern, und die Kinder im Pfarrhaus, alles kam herbey, und wollten alle helfen, ſo daß der Carl, der ſeinen Baum gern mit dem Papa allein geſezt haͤtte, ein paar mal halb murrete, und ſagte: ihr laſ - ſet mich doch auch gar nichts machen, und es iſt doch auch mein Baum.

Er hat doch recht, ſagte wer da war, alles machte ihm Plaz, und er half dem Papa ſo fleißig, daß er ſchwizte. Und da er fertig war, ſtampfte er noch rund um ihn her, mit ſeinen Fuͤſſen, daß der Herd ſich recht ſeze; dann ſprang er wieder zu den andern Buben, dienoch257noch nicht fertig waren. Und da die meiſten, wenn ſie ihre Baͤum geſezt, noch den Hut ab - zogen, und das Walt Gott! ſagten, ſprang der Carl auch wieder zu ſeinem Baum, zog auch den Hut ab, und ſagte: das Walt Gott! du liebs Baͤumchen!

Das freute den Junker und den Pfarrer, beyde zogen auch den Hut ab, und ſagten: das Walt der liebe Gott! Und von allen Bauern die um ſie her ſtanden, war nicht ei - ner der’s nicht wiederholte.

§. 59. Von Volks-Feſten, und vom Holz - Mangel.

Das Volk gieng dann heim. Der Junker aber rief dem Lieutenant, und den Frauen, die ein paar Schritt voraus waren: Wir wollen gleich nachkommen! Und kehrte ſich dann wieder mit dem Pfarrer gegen die eben geſezten Baͤume, und war voll von den Ge - danken, daß einſt ſein Bonnal unter ihrem Schatten das erſte Feſt feyern werde, deſſen Stiftungsbrief er im Sak hatte.

Dann nahm Er dieſe Urkunde hervor, und ſagte zum Pfarrer, er wolle ſie auf den Fall ſeines Todes in ſeine Haͤnde legen, und wuͤn -R258ſche in dieſem Fall, daß ſie in dem Augenblik, da man ihn in den Boden hineinlege, geoͤffnet, und ſeinem Volk bekannt gemacht werde. Wenn ich aber lebe, ſezte er hinzu, ſo muß das erſt in den neunziger Jahren geſchehen; dann ich will nichts weniger als mit einer ſolchen Hand - lung unter einem unverſorgten und ungluͤkli - chen Volk bey meinem Leben eine Comoͤdie ſpielen.

Der Pfarrer verſtuhnd kaum halb was er ſagte, ſo ſehr uͤbernahm ihn die ernſte Art wie er von ſeinem Tod redte.

Er nahm ihm den Brief zitternd ab, und ſeine Lippen ſtuhnden faſt ſtill, als er ihm ant - wortete: aber Sie ſind doch nicht krank, daß Sie alſo reden?

Ich bin nicht krank, lieber Pfarrer! aber auch nichts weniger als geſund; mein Blut ja - ſtet und wallet ſeit einiger Zeit in mir, und es geht mir alles ſo ungewohnt ſtark nahe, daß ich mich nicht enthalten kann mir vorzuſtellen, es ſteke eine Krankheit in mir.

Es wird, wills Gott, doch auch nicht ſeyn, ſagte der Pfarrer wie vorhin mit halbſtarrer Lippe.

In dieſem Augenblik kam des Junkers For - ſter durch einen Fußſteig an ſie an, und der Junker um das Geſpraͤch auf etwas anders zu lenken, fragte ihn, wie es im Wald gehe?

259

Es wird eben immer viel gefrevelt, war die Antwort des Manns.

Aber warum wird ſo viel gefrevelt? ſagte der Junker.

Was machen? ſagte der Forſter, eh die Leuthe den Winter uͤber verfrieren, nehmen ſie in Gottes Nahmen Holz, wo ſie finden, und eignes haben ſie keins.

Der Junker ließ ihn gehen, und ſagte zum Pfarrer: auch dieſes zeiget, wie weit wir noch davon weg ſind, vernuͤnftiger Weiſe ein Volks - feſt zu ſtiften.

Aber wenn iſt man da? ſagte der Pfarrer wie halb im Traum.

Der Junker erwiederte ihm. Es dunkt mich, die Zeit an ein Freudenfeſt fuͤr das Volk zu denken, ſeye da, wenn die Hausordnung im Allgemeinen bey ihm auf einem ſolchen Fuß ſtehet, daß man auf keine Weiſe mehr zu ſor - gen hat, der ehrliche Mann im Land koͤnne durch allerley Umſtaͤnde an denen er nicht ſchul - dig, leicht ungluͤklich werden.

Und dann fuͤr den ſo ein Feſt ſtiften will, duͤnkt mich, ſey dieſe Zeit erſt dann da, wenn er die Thraͤnen der Ungluͤklichen vorher ge - troknet, und ſeiner ſelber ſicher iſt, daß er we - der durch Lebens - noch durch Standesfehler werde Ungluͤk in die Eingeweide des VolksR 2260hineinbringen, indeſſen daß er ihns durch ſol - che Feſte ſo zu reden zum Tanz fuͤhrt.

Er ſezte hinzu; er halte dafuͤr, es ſeye alle natuͤrliche Ordnung der Dinge verkehrt, wenn man nur daran ſinne unter einem Volk Tugend und Freudenfeſte zu ſtiften, unter dem ein gu - ter Menſch noch durch ein unvorſichtiges Wort um Hab und Gut oder gar auf die Galeere kommen koͤnne.

Und ſagte: er wolle ſich disfalls auch an die gute Regel des Dorfſchulmeiſters, der ihn das A, B, C, gelehrt, halten. Dieſe Regel ſey geweſen, du muſt nicht zum C wollen, bis du das A recht kannſt. Und ſo lang alſo der Man - gel von einer allgemeinen Volksverſorgung in meinem Dorf noch auffaͤllt, und Elend und Verbrechen ſich noch durch einander winden, ſo will ich die Verwirrung nicht noch durch ſolche Comoͤdien groͤſſer machen, und ſo lang ich noch Steine zum Fundament meines Hau - ſes zuſammentrage, muß ich nicht jauchzen, wie wenn ich es ausgebauet.

Dann kam er wieder auf den Holzmangel; man muß ſich unſerer Zeit, oder vielmehr de - rer, die darinn Ordnung machen, ſchaͤmen, wenn man ſieht, wie dieſer Mangel alle Tage mehr zunimmt, da es doch ausgemacht iſt, daß das Volk im Land durch nichts, alſo innerlich und aͤuſſerlich herunter gebracht, und zum Ge -261 ſindel herabgewuͤrdigt wird, als wenn es ihm an der nothwendigen Feuerung mangelt, und die armen Leuthe an manchem Ort, wenn ſie eine Suppe kochen, oder eine warme Stube haben wollen, das Holz dazu wie Schelmen und Dieben im Wald frevlen muͤſſen.

Am Ende ſagte er, er wolle in ſeiner Herr - ſchaft dem Holzmangel, und dem Unverſtand der daran Urſach mit der naͤchſten Neujahrs - Gemeind ein Ende machen, und an derſelben in allen Doͤrfern ohne weiters die Bergweyden allen Bauren, die Guͤter im Thal haben, und Klee pflanzen koͤnnen, verbieten, und uͤberall alles Land das in ſechs Jahren weder geakert noch geheuet wird, nicht mehr zu Weyden reu - ten laſſen, ſonder die Bauren, die ihren Vor - theil nicht rechnen wollen, zwingen, daß ſie das Holz, das von ſich ſelbſt in dieſen Weyden treibet, aufwachſen laſſen muͤſſen. Und ich bin ſicher, ſagte er da, daß auf dieſe Art viel hun - dert Jucharten Land in meiner Herrſchaft dieſen Leuthen in 20-30 Jahren eine 30 - 40 mal ſtaͤrkere Nuzung bringen, als die, in deren ſie gegenwaͤrtig ſtehet.

Der Pfarrer aber kam noch einmal auf ſei - ne Geſundheit, und obgleich der Junker ihm wieder antwortete, es ſeye vielleicht nichts als ſchwarzes Blut, das ihm ſolche Vorſtellungen mache, ſo war der gute Mann doch den gan -R 3262zen Abend daruͤber aͤngſtlich, wie wenn ihm das groͤßte Ungluͤk begegnet.

§. 60. Man muß im Innern hohen Adel haben, um ohne Gefahr Baurenleuth ſo na - he an ſich zu abſizen laſſen zu doͤrfen.

Die Reinoldin, das Mareylj und die Ger - trud waren ſchon eine Weile im Pfarr - haus als die Herren heimkamen.

Und Thereſe und die Frau Pfarrerin gaben den Baurenweibern von ihrem Thee und tha - ten ihnen Nidel und Zuker darein, dreymal mehr als ſie einer Stadtfrau haͤtten darein thun doͤrfen und, weil ſie es tranken, fragte die Junkerin, ob ſie dergleichen auch ſchon gehabt? Ihrer zwo ſagten, nein; aber Gertrud: der Junker habe ihr und ihrem Kind unter der Linde, als ſie das erſtemal ins Schloß gekom - men, gegeben. Sie ſezte hinzu, ich denke mein Lebtag daran, wie wohl es mir auf dem Heim - weg gemacht!

Die Reinoldin fiel ihr ins Wort, und ſagte: nein, du biſt gewiß verirret, es hat dir etwas anders auf dem Heimweg ſo wohl gemacht!

Du haſt recht, ſagte Gertrud, aber das hat mir doch auch wohl gethan, und meinem Klei - nen darzu.

263

Da ſagte Thereſe, ſie ſolle ihr ihns doch bringen, der Junker habe ihr viel von dieſem ſchoͤnen Kind geredt, daß es eine Schande, daß ſie dieſen Abend bey ihr geweſen, und ihm nicht nachgefragt habe.

Wenns jezt nur auch erwachet iſt, daß ihr nicht eine Briegerin (weinendes Kind) zu ſe - hen bekommt, ſagte Gertrud im weggehen.

Thereſe erwiederte ihr, wek es einmal nicht auf, es koͤnnte ihm nicht wohl thun.

Gertrud fand ihns wachend, und ſprang mit ihm auf dem Arm in der Reinoldin Haus, nahm den kleinen Pfausbaken, der auch er - wachet war, zur Wiege hinaus, troknete ihn, faͤſchete ihn ein, machte ihn ſchoͤner noch als ihren eigenen, und brachte dann ſie beyde auf ihren Armen ins Pfarrhaus.

Die Reinoldin ſprang auf gegen ihren klei - nen, als ſie ihn ſah, und die Junkerin nahm ihr beyde ab dem Arm, und behielt ſie auf ih - rem Schoos, bis der Junker heimkam; wenn ſchon die Weiber einsmal uͤber das andere zu ihr ſagten, ſie machen ſie naß, und verder - ben ihr den ſeidenen Rok.

Als er heimkam, machte ſie ihn rathen, welcher der Reinoldin und welcher der Ger - trud ihrer ſeye?

Der Dike da, der ſo eine Fauſt macht, und das Maul zuſammenhalt, iſt der Reinoldin R 4264und der wo ſein Maul, und ſein Haͤndlj ſo of - fen hat, und die Finger von einander iſt der Andern.

Getroffen ſagte die Junkerin. Aber ſag mir jezt auch welcher iſt in deinen Augen der Schoͤnere?

Der Junker ſah ſie eine Weile an, und ſagte dann, ich koͤnnte es, weiß Gott, nicht ſagen, ſo ungleich ſie einander ſahen.

Die Junkerin ſagte, es gehe ihr eben ſo.

Und er fieng denn mit den drey Weibern an, und ſagte ihnen, ſie muͤſſen den Spinnerkin - dern die Kleider, die ſie ihnen geliehen, laſ - ſen, und er wolle ſie ihnen zahlen.

Das waͤr bald richtig, ſagte die Reinoldin, wenn ſie nur unſer waͤren, aber wir haben das meiſte entlehnt.

Das Mareylj ſezte hinzu, und die ſo es uns gegeben, foͤrchten ſich vor dem Eifer im Dorf, und haben nicht gern, daß es ihnen aus - komme, ſie haben ſich des Zugs angenommen.

Wenn es ſo iſt, ſo nehmet dann was ihr entlehnt zuruͤk, aber kaufet ihnen dafuͤr neues, und ich will euch dann das Neue, und was euer iſt zahlen, daß ihr zufrieden ſeyn muͤſſet, ſagte der Junker.

Wir ſind ſonſt zufrieden, ſagten die Weiber, und ſezten hinzu: nein, was unſer iſt, muͤſ - ſet ihr nicht zahlen, ihr muͤſſet uns die Freude laſſen, ihnen auch etwas zugeben.

265

Ich will euch dieſe Freude gern laſſen, er - wiederte der Junker.

Ja, ſagte die Reinoldin, wir haben heut ſchon im Sinn gehabt, ihnen zu laſſen was unſer iſt. Aber wir haben gemeynt, weil die Kinder ſo unordentliche Eltern haben, ſo ſeye es ihnen beſſer, wir machen ſie alles wieder zuruͤkbringen, damit wir dazu ſehen koͤnnen, daß ſie es in der Ordnung halten, aber wir haͤtten, es ihnen doch an den Son - tagen, oder wenn ſie es ſonſt brauchen, wie - der gegeben.

Aber wollet ihr mir es nicht auch ſo machen, wenn ich ihnen etwas neues kaufe? ſagte der Junker.

Warum das nicht? ſagten die Weiber.

Und der Junker: es iſt zehenmal mehr werth, als alles was man ihnen geben kann, wenn ihr ſie lehret Sorge dazu zu tragen.

Dieſe Sorgfalt ruͤhrte den Junker. Er ſagte den Weibern, ich bin euch Dank dafuͤr ſchuldig, aber es iſt faſt eine Schand, wenn man Leuthen, die von ſich ſelber etwas gutes thun, viel dafuͤr danket. Aber dieſes kann und muß ich euch doch ſagen, daß ich alles, was ihr fuͤr die Armen in euerm Dorf thut, ſo aufnemme, wie wenn ihr es mir und meiner eigenen Haushaltung, und da dem lieben Bu - ben thun wuͤrdet.

266

Mit dem nahm er ſeinen Carl, der neben ihm ſtand, auf den Schoos, und ſagte ihm: gaͤll, die Frauen ſind dir auch lieb, daß ſie ſich der armen Kinder ſo annehmen? ihnen ſo zu Kleidern helfen, und noch dazu Sorg tragen?

Ja gewiß Papa ſind ſie mir lieb; die ar - men Kinder haben nicht ſo eine Mama wie ich, die ihnen dafuͤr ſorget.

Dieſes Wort lupfte die Reinoldin vom Stuhl auf, ſo freuete es ſie, an dem Buben; ſie gieng mit beyden Armen auf ihn zu, nahm ihn bey der Hand, und ſagte: wenn du ein an - derer waͤreſt, ich moͤchte dich fuͤr das kuͤſſen. Arner bot ihr ihn lachend; da erdruͤkte ſie ihn faſt; er ſchuͤttelte den Kopf als ſie ihn ſo hielt und ſagte, als ſie endlich nachließ: du kuͤſſeſt doch doch auch gar hart!

Du magſt es wohl erleiden, ſagte die Rei - noldin, und bot ihn der Gertrud vor, die auch beyde Haͤnde gegen ihn ausſtrekte. Dieſe aber ruͤhrte ihn kaum an mit dem Mund; und er gab der Reinoldin, die ihn fragte: kuͤßt jezt die auch hart? zur Antwort, nein: die kuͤßt nicht hart.

Dieſe gab ihn dann dem Mareylj, und die Reinoldin fragte ihr wieder, wie iſt dirs jezt bey der gegangen? und er antwortete ihr, einmal nicht ſo hart wie bey dir.

Die Weiber wurden nach und nach ſo traut267 in dieſer Stube, daß ſie frey ſagten, und tha - ten was ſie wollten.

Ihre Freude machte den Junker ſo munter, als er bey Monaten nicht geweſen, und als er auf das ernſte Geſpraͤch mit dem Pfarrer ſelber nicht geglaubt hatte, daß er noch heute werden wuͤrde. Er ſpaßte mit, da die Rei - noldin wirklich muthwillig wurde, und ſie muß - te ihm den Diane, der dem Kinderzug ſo gut Geleit gegeben, in die Stube hineinrufen.

Das war fuͤr den Meiſter Carl und Kinder auch eine Freude! Der Hund mußte ihnen alle ſeine Kuͤnſte vormachen.

Und der Junker fragte die Reinoldin: aber wie biſt du auch darauf gefallen, ihn auf die Worte: gieb jezt du Beſcheid, und du haſt jezt genug geredet, abzurichten?

Sie erwiederte ihm: ich habe ein paar Nachbarsweiber, die wo ſie einem den Kopf ſehen, einem die Ohren voll ſchwazen, und mich ſo manchmal geplagt haben, ob jedem Nichts bey Stunden mit ihnen zureden, daß ich lang nicht wußte, wie ich ihrer los wer - den koͤnnte? bis ich endlich dieſen Hund gekauft habe, und mir da in Sinn gekommen, ich wolle ihn auf dieſe Worte abrichten. Es iſt auch gut gegaugen, die Weiber haben es ordent - lich auf ſich gezogen, und laſſen mich ſeitdem gar ruhig. Jezt wiſſet ihr alle Wahrheit.

268

Ich koͤnnte an Ort und Stell auch ſo einen Hund brauchen, ſagte da Arner, und lachte gegen Thereſen.

Sie antwortete, ich wollte jezt auch wetten, ich wuͤßte, wo du meyneſt.

Als der Junker einmal meynte, es achte es niemand, fragte Er die Gertrud, wie es mit der Meyerin gehe? Sie antwortete, ſie hoffe nicht uͤbel; aber die Reinoldin die es merk - te, ſieng an zu lachen, und ſagte, ja wenn nur dieſer nicht waͤre, und hiemit machte ſie Pfausbaken und ein Hangmaul ſo groß ſie konnte.

Was iſt jezt das naͤrriſches? ſagte der Jun - ker.

Und Gertrud, der Schalk will euch den Sonnenwirth abmahlen, der dem Rudj im Weg ſteht. Aber ſie macht es auch gar zu ſtark.

Darfſt jezt auch das ſagen? erwiederte die Reinoldin, ich kann nicht einmal ſo ſtark ma - chen, als es wahr iſt.

Wenn es nur halb ſo iſt, ſo iſt es zu viel, ſagte der Junker.

Ja halb, ich moͤchte nicht reden, erwiederte die Reinoldin.

Und alle drey ſagten, ſie glauben einmal auch nicht, daß ſie dieſen nehme.

Es freuete den Junker.

Aber der Pfarrer war den ganzen Abend269 nicht bey ihnen; er blieb immer auf ſeiner Stube, unruhig uͤber das Wort, das der Junker bey ihm hat fallen laſſen, und dieſer gieng end - lich, da er gar nicht kam, zu ihm auf ſeine Stube, erzaͤhlte ihm was vor Freude ſie mit den drey Weibern uͤber unten gehabt, und bat ihn noch einmal, er ſolle jezt auch nicht mehr un - ruhig ſeyn, und das aus dem Kopf ſchlagen, es koͤnne ja gar wohl ſeyn, daß er ſich ſeiner Ge - ſundheit halber irre. Er ſezte hinzu: lieber Herr Pfarrer! Ihr muͤſſet mir heute noch lu - ſtig ſeyn, oder ich gehe nicht von euch weg. Er blieb auch wirklich aus dieſem Grund bey ihm zum Nachteſſen, und reißte erſt nach 9 Uhr mit ſeiner Haushaltung aus dem lieben Pfarrhaus weg.

§. 61. Scenen beym Mondſchein die ſich mah - len laſſen; und ein blutiges Ueber - nacht-Beten.

Als die Koͤnigin des Kinderzugs beym heim - gehen, unten an der Gaß war, ſahe ſie ihre Mutter, und dieſe gieng ihrem Babelj in ihrer Freude, an der Kruͤken bis vor die Gartenthuͤr hinaus entgegen. Die alte Frau iſt ſint ihres Mannes Tod noch nie ſo weit vor270 ihre Hausthuͤr hinausgekommen. So bald ſie das Babelj erblikte, ſprang es von den Kin - dern weg, war im Augenblik bey ſeiner Mut - ter, und fiel ihr auf der offenen Gaß an den Hals. Sie konnten beyde nicht reden, und eilten beyde mit einander unters Dach. Da gliche das Weinen ihrer innigen Freude dem ſtummen Schmerz der an ihrem Herzen nagte.

Aber ſeine Bruͤder und Schweſtern hiengen ihm auf allen Seiten an ſeinem weiſſen Kleid, und zogen ihns faſt der Mutter vom Hals weg, ſo hatten ſie Freud mit ihm. Es gab ihnen ſeine Baͤnder und Blumen, und die Gotten - Cron ab dem Kopf, und den Guͤrtel ab dem Leib. Denn zog es noch ſeinen Rok ab, und gieng der Mutter und den Kindern ihre Suppe und ihre Bether zu machen.

Seine Thraͤnen floſſen auf den Feuerheerd, und auf die Bether die es machte; es auch keinen Mundvoll zu Nacht, ſagte zur Entſchul - digung, es habe zu viel zu Mittag geeſſen, und eilte dann mit den Kindern ins Beth. Die Mutter gieng auch bald, und loͤſchte das Licht; da gieng es in ſeine Cammer, that das Fenſter auf gegen dem Mond, ſezte bey ſeinem Schim - mer ſeine Gotten-Cron wieder auf, umwand ſich ſeinen ſeidenen Guͤrtel, und eilte ſo mit ei - nem Tuche unter dem Arm auf ſeines Vaters Grab; da ſpreitete es ſein Tuch auf den Bo -271 den, damit das thauende Gras und die feuchte Erde ſein weiſſes Kleid nicht befleke. Und als es ſo in der Einoͤde des Bergs auf dem Grab - huͤgel lag, hoͤrte es unten im Thal Wagen und Pferde, und erkannte nach einer Weile die Stimme des Manns und der Frauen, deren Pfand, daß ſie ihm Vater und Mutter ſeyn wollen, es jezt auf dem Grab ſeines Vaters um ſeinen Leib trug, und es toͤnte zu ihm hin - auf wie aus dem Abgrund, ihr Loblied an Gott, der den Mond und den Menſchen er - ſchaffen.

Himmel und Erde, Mond und Sterne ſchie - nen dem Kind jezt ſchoͤner, und die Blumen auf des Vaters Grab dufteten ihm Wohlge - ruch, wie ſie ihm noch nie dufteten.

So erquikte der Wagen des Vaters und der Mutter unten im Abgrund, und ihr Nachtge - ſang an Gott, der den Mond und den Men - ſchen geſchaffen, die Sinnen des Kinds, das ihnen unwiſſend ob ihrem Haupt in der Einoͤde kniete.

Sie fuhren beym ſtillen Mondſchein, das Kutſchendach hinter ſich liegend alle mit ein - ander langſam an der vollen Nachtluft, ſie erfriſchte ihr Blut, und ihr Geſang toͤnte lang und laut hinauf, an die Jammerſtell ob ihrem Haupt.

Das gute Kind mußte nur weynen, ſeine272 Thraͤnen durchnezten ſein Tuch, und floſſen ſo lang es einen Laut von dem Lobgeſang hoͤrte, das unten im Abgrund zu ſeiner Jammerſtelle hinauf toͤnte.

Als es ſie nicht mehr hoͤrte, wurde ihm im Innerſten heiter, ſo heiter, als es ihm auf ſeines Vaters Grab noch nie geweſen. Es redete da mit ihm, wie wenn er vor ihm ſtuͤhnde.

Mein Vater! mein Vater! ſagte es zu ihm, daß du auch ſterben muͤſſen, ehe du ihn kann - teſt! den Vater des Landes und meinen der unten durch fuhr und Gott gelobet, der den Mond geſchaffen, und dich!

Mein Vater! mein Vater! wenn er da ge - weſen, ſo waͤreſt du nicht geſtorben! Nein wenn er da geweſen, und du ihn gekannt, ſo waͤreſt du nicht geſtorben!

Er iſt wie du, und ſeinem Volk, was du uns? Er fuͤhrt ihns anderſt und beſſer als niemand, und du haͤtteſt auch deine Kinder an - derſt und beſſer erzogen als niemand, wenn du haͤtteſt leben koͤnnen!

So redte das Kind die Nacht durch mit dem Vater auf ſeinem Grab, und der Auf - gang grauete hinter den Bergen, als es auf - ſtuhnd von ſeiner Stell, und das naſſe Tuch wieder von dem Boden unter ſeinen Arm nahm.

Es war nicht allein. Eine Menge Kinderdachten273dachten in dieſer Nacht an dieſen neuen Va - ter, traͤumten von ihm, und ihr. Alle die von des Rudis und der Gertrud Kindern gehoͤrt, daß ſie am Abend und am Morgen fuͤr ihn, wie fuͤr Vater und Mutter beten, baten ihre Eltern, eh ſie ins Bett giengen, ob ſie nicht auch ſo fuͤr ihn beten doͤrfen? Es ſchlugs ih - nen endlich niemand ab, ob es ſchon vielen Leuthen wunderlich vorkam.

Selbſt der Kriecher murrete nur, als ihm ſeine Liſe es auch ſagte, und antwortete doch, du kannſt meinetwegen thun was du willſt! Aber da es mit ſeinen Geſchwiſterten uͤber - nacht betete, und in voller Freude, mit lau - ter Stimme anhub behuͤt mir Gott mein lieber Junker, und mein lieber lag es bey dieſem Wort am Boden, und blutete aus Maul und Naſe.

Der Vater hinter ihm gab ihm mit den Schuhen ſo einen Stoß, daß es mit ſamt dem Stuhl, auf dem es ſaß, umfiel.

Was hab ich auch gemacht? Was hab ich auch gemacht? ſagte das Kind ſchluchzend durch die Finger; denn es hielt beyde Haͤnde vor dem blutenden Maul und der blutenden Naſe.

Du weiſſeſt jezt ein andermal, ſagte der Va - ter, fuͤr wenn du zuerſt beten mußt, fuͤr mich,S274oder fuͤr jemand der dir ſein Lebtag noch kein Mundvoll Brod gegeben hat?

§. 62. Der alte Junker will in kein Horniſſen - neſt hinein greiffen.

Ueber morn auf dieſen Freytag ſtellte der Jun - ker den neuen Schulmeiſter der Gemeind vor.

Der Pfarrer predigte an dieſem Sontag nicht. Er hielt das ſtundenlange Reden hal - ten auf der Canzel und darneben, zur guten Fuͤhrung der Menſchen gar nicht fuͤr ſo noth - wendig, als man es gemeiniglich dafuͤr anſieht.

Er hatte vielmehr groſſe Einwendungen ge - gen daſſelbe, und behauptete, man ſollte wenig - ſtens keinen Menſchen ſo ſtundenlange Reden ans Volk halten laſſen, der nicht als ein er - probter Rathgeber und Wegweiſer der Men - ſchen erfunden worden waͤre; und dergleichen erprobte Rathgeber ſeyen rare Menſchen, und in den meiſten Faͤllen juſt nicht die, welche wohl lange Reden halten koͤnnen.

Den andern Geiſtlichen, meynte er, ſollte man von Wort zu Wort vorſchreiben, was ſie dem Volk offentlich vortragen doͤrften? Er ſagte, wenn man ſo ſorgfaͤltig erforſchte und275 ſtudierte, was die Menſchen ſind, und was die Menſchen noͤthig haben, und wie man mit ihnen umgehen muͤſſe, daß ſie truͤhen, (gedeyen) als man, er wolle nicht ſagen bey Roſſen und Kuͤhen, ſondern auch nur bey Krotten und Froͤſchen, und Eidexen forſchet, und ſtudieret, was ſie ſeyen, und wie man mit ihnen umgehen muͤſſe, daß ſie truͤhen, ſo wurde man es ſicher nicht einem jeden Stubenbruͤter uͤberlaſſen, Jahr aus und Jahr ein Stunden lang vor dem Volk Reden zu halten, und nicht geſtat - ten, daß der guten Menſchenheerde Sachen, die ihr als wichtig vorgetragen werden, von dem einen deutſch, von dem andern welſch, von dem einen links, und von dem andern rechts, von dem einen kraus, und von dem andern glatt, von dem einen hoh, und dem andern nieder vorgetragen werde.

Und was man ihm auch immer dagegen einwandte, ſo ließ er ſich nicht ausreden, das Predigen ſey an das Maul brauchen und Maul waͤſchen, gegen welches die Menſchen als ge - gen ihr Todgift auf der Hut ſeyn koͤnnen, wie angebunden, und ſehe ohne weiters, beſonders wie es jezt getrieben werde, zu bunt, zu viel - faͤrbig, und Seelenlos aus, als daß man nur daran denken dorfte, daß es beym Volk eine gleiche feſte allgemeine und einfache Wirkung zu ſeinem Wohl hervorbringen koͤnne.

S 2276

Daß aber die Erloͤſung der Menſchheit von ihren Uebeln, von Gottes wegen ſo ſtark an das gebunden ſeye, als man es zu glauben ſcheine, duͤnkte ihn, wie er die Sache anſah, vollends eine Laͤſterung.

Der gute Mann war aber allem viel Wort machen uͤberhaupt im eigentlichen Verſtand uͤbel an, und hatte mit ſeiner lieben Frauen ob nichts in der Welt Streit, als wenn ſie ihm mit zehen Worten anbrachte, was ſie mit zweyen haͤtte ſagen koͤnnen.

Um die Wahrheit zu geſtehen, ſo war dieſer Gram uͤber alles Wortmachen nichts weni - ger als pure reine Weisheit in meinem Mann, ſondern ſo etwas, das man ſonſt an den Leu - then ihre Menſchlichkeit heißt; es artete auch manchmal wirklich in eine Unduldſamkeit, und Ungefaͤlligkeit aus, die nebſt dem Sonderba - ren und Unachtſamen in ſeinem Aeuſſern die linke Seite des Manns ausmacht, und daher kam, daß in ſeiner Jugend ſein Herz ohne Er - fahrung und Menſchenkenntniß gelaſſen wor - den, und er daher lange von einem jeden, der ſein Maul wohl brauchen konnte, am Seil herum gefuͤhrt wurde, und in ſeinen zwanzi - ger Jahren um ſein Brod, um ſeine Braut, und um die Freuden ſeines Lebens gekommen.

Wer ihm alles raubte, war ein Geiſtlicher, der eben dardurch, daß er vortreflich predigen277 konnte, und zur Verwunderung auf ſeiner Can - zel da ſtuhnd, den Raub davon trug; und der Bube trieb es ſo weit, daß das Elend des Manns, ehe er auf Bonnal kam, ſo groß geworden, daß ſieben bis acht Jahr kein Betler mit ihm getauſcht haͤtte, und ein Bauer, bey dem er ſich einige Zeit aufgehalten, und ihm das eint und andere von ſeinen Umſtaͤndrn erzaͤhlt, ihm zur Antwort gegeben, er wollte ſich lieber hen - ken laſſen, als es nur eine Stunde haben, wie er! Jezt kennt ihr den Stachel, der wie - der das Predigen, und wieder alles Maul brau - chen in ſeinem Innerſten liegt!

Er danket zwar das Gluͤk ſeines Alters, und alles was er jezt iſt, dieſen Leiden ſeines Lebens; aber ſie haben doch eine Seite ſeines Innwendi - gen tief verwundet, und er wird die Brandmale ſeiner Wunden tragen bis ans Grab.

Der Menſch traͤgt die Wahrheit und die Weisheit in einem irrdiſchen Gefaͤß, und wenn er beſonders in den Tagen ſeiner bluͤhenden Staͤrke zu Boden gedruͤkt wird, und das Gold ſeines Lebens vor ſeinen Augen ins Koth aus - geſchuͤttet ſiehet, ſo achtet er denn den uͤbrigge - bliebenen Laim ſeines Daſeyns nicht mehr viel; er wird ſtolz gegen die Gluͤklichen und ſo un - aufmerkſam und gleichguͤltig gegen das, was dieſe von ihm fordern, wie gegen ſich ſelber, und druket ſich uͤber das was ihn wahr undS 3278gut dunkt, anderſt und roher aus, als Men - ſchen, die die Tage ihres Lebens ruhig haben nachdenken koͤnnen, wie ſich alles am beſten ſa - gen laſſe.

Es macht nichts, wenn ſolche Menſchen ſchon roher und harter reden, als es der Brauch iſt.

Die Wahrheit wirket ſelten, als wenn ſie ſchreyt, das iſt, ſo roh und hart, und ungedul - tig, aber auch ſo beſtimmt und heiter ausge - ſprochen wird, als nur Noth und Elend den Menſchen ausſprechen lehren.

Und denn alles Menſchliche abgerechnet, was der Wiederwille des Pfarrers in Bonnal gegen das Maul brauchen uͤberhaupt, und gegen das Predigen - und Kinderlehrſchelten beſonders hatte, ſo iſt gewiß, daß der Schade des Predigens im Lande, wenn es einer iſt, einer von denen iſt, die ſchreyen muͤſſen, wenn ihm ſoll abgeholfen werden.

Mein guter Pfarrer hat ſchon vor 20 Jah - ren, da er in vollem Feuer uͤber dieſe Mey - nung war, einmal den Kopf damit an die Wand geſtoſſen.

Dann das erſte mal, daß er nicht predigte, verklagten ihn ſeine Bauren dem alten Junker. Dieſer war ihm damal gewogen, und als er auf ihre Klag antwortete; er wolle ihnen alle - mal predigen, wenn er ihnen etwas zu ſagen279 wiſſe, und wenn er ihnen nichts beſonders zu ſagen habe, wolle er ihnen ein Capitel aus der Bibel oder ſonſt aus einem Buch, und ſicher allemal etwas weit beſſers vorleſen, als das was er ihnen dannzumal ſelber haͤtte ſagen koͤn - nen; ſagte ihnen der Junker, was wollet ihr mehr?

Die Bauern antworteten ihm: predigen, predigen, wollen wir, daß er thue. Nicht wann er uns etwas zu ſagen hat, er muß uns predigen, wenns laͤutet und der Brauch iſt. Und wenn er nicht will, ſo wollen wir ſchon einen andern finden um ſeinen Lohn.

Der Junker ſagte ihnen freylich: ihr ſeyt Kaͤlber, und pakt euch zur Thuͤr hinaus, aber als ſie drauſſen waren, ſagte er dem Pfarrer: ich kann euch nicht helfen, Ihr werdet wohl den Narren predigen muͤſſen, wenn ſie ſo wol - len. Ich weiß nichts beſſers, als ſaget ih - nen, was ihr wollet, und machet’s frey kurz. Damit mußte er abziehen, denn als er weiter davon reden wollte, ſagte ihm der Junker, verſchonet mir Herr Pfarrer! Ich mag in kein Horniſſen-Neſt hineingreifen.

Und in des Hummels Zeit gab es da ſo viel andere Sachen, daß der gute Mann ſich an die aͤuſſerliche Handwerks-Ordnung ſeines Berufs, und folglich ans Predigen-muͤſſen, wenns laͤutet, wie ein Sclav anbinden mußte,S 4280wenn er ſich nicht alle Augenblik den oͤffentli - chen Beſchimpfungen des Junkers, der ihn hernach haßte, ausſezen wollte, ſo daß es ihm bey 20 Jahren nur nie mehr in Sinn gekom - men, auch nur eine halbe Viertelſtund weni - ger lang auf der Canzel zu reden, als es Lands - brauch und Recht iſt.

Doch in allem Druk in dem er war, hat er noch dieſes gethan, daß er fuͤnf Predigten wider das Predigen gehalten, und ſie ſind die ſchoͤn - ſten, die er in ſeinem Leben aufgeſezt, aber ſeine Bauern haben ſie nicht verſtanden.

Sie ſind uͤber die Worte: die Zunge iſt ein kleines Ding, aber ſie richtet groſſe Dinge an. Und er zeigte in demſelben aus dem taͤglichen Leben, was das Maul brauchen, und einander mit Worten abſpeiſen in der Welt al - lenthalben fuͤr Ungluͤk anrichte. Er ſagte aber freylich in allen fuͤnfen kein ausdruͤkliches Wort wider das predigen; aber ſtellte darinn alle Au - genblike Sachen vor Augen, bey denen man nicht anderſt konnte als denken, es ſey mit dem Predigen und Kinderlehr halten vollkommen auch ſo, wenn ers jezt ſchon nicht ſage.

Auch dieſe Manier danket er dem Ungluͤk ſeines Lebens und der Nothwendigkeit hundert - mal, wenn er auch im Rechten war, mit dem Maul hinter ſich zuhalten.

Jezt unter Arner war es, wie wenn der281 Mann ſich wieder erneuere; die alten Plaͤne ſeines Lebens kamen ihm wieder wie im Traum, und waren jezt durch die Erfahrungen ſeines Lebens gereifet.

Doch trugen auch jezt die Umſtaͤnde und be - ſonders die Bekanntſchaft mit dem Lieutenant noch unendlich viel dazu bey, die voͤllige Reifung dieſes Manns, der ſo lange im harteſten Druk gelebt, zu Stande zu bringen.

§. 63. Der neunzigſte Pſalm, und hinten darein ein Schulmeiſter der ſtolz iſt.

Wie geſagt: Er las heute anſtatt zu predi - gen, etliche Capitel aus der Bibel und zum lezten den neunzigſten Pſalm.

Ein Gebet Moſis, des Manns Gottes.

  • 1. O Herr! Du biſt unſere Zuverſicht ge - weſen von Anfang der Welt her.
  • 2. Ehe dann die Berge worden, und du die Erde und die Welt geſtaltet haſt, wareſt du Gott von Ewigkeit in die Ewigkeit.
  • 3. Du aͤndereſt den Menſchen, bis er zer - bricht, und dann ſprichſt du: Kommet wieder ihr Menſchenkinder.
  • 4. Dann tauſend Jahre ſind vor dir, wie282 der geſtrige Tag, der vergangen iſt, und wie eine Nachtwacht.
  • 5. Du laſſeſt ſie zerflieſſen: Sie ſind ein Traum: Morgens ſind ſie wie das Gras, das verdirbet.
  • 6. Das am Morgen bluͤhet, und dahin gehet, zu Abend wird es abgehauen und ver - dorret.
  • 7. Dann wir werden durch deinen Zorn verzehret, und wir werden durch deinen Grimm erſchrekt.
  • 8. Du ſtelleſt unſere Miſſethaten fuͤr dich, unſere Heimlichkeiten in das Licht deines An - geſichts.
  • 9. Darum ſchleichen alle unſere Tage da - hin, durch deinen Zorn; wir bringen unſere Jahre zu wie ein Geſchwaͤz.
  • 10. Die Tage unſerer Jahre ſind ſiebenzig Jahre, und wenn ſie hoch kommen ſo ſind es achzig Jahre, und das herrlichſte in denſelben iſt Muͤhe und Arbeit, dann es wird ſchnell ab - gemaͤhet, und wir gehen dahin.
  • 11. Wer kann die Macht deines Zorns er - meſſen, und deinen Grimm, nachdem er zu forchten iſt?
  • 12. Lehre uns, daß wir unſere Tage zaͤhlen, und weislich zu Herzen faſſen.
  • 13. Ach Herr kehre dich doch wieder, wie lang verzeuͤheſt du? Und ſey gnaͤdig deinen Knechten.
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  • 14. Erſaͤttige uns fruͤh mit deiner Gnad, ſo wollen wir frohloken, und uns freuen unſer Lebenlang.
  • 15. Erfreue uns wiederum, nachdem du uns ſo lang geplaget haſt, nachdem wir ſo viel Jahre lang Ungluͤk erlitten haben.
  • 16. Laß deinen Knechten dein Werk ſchei - nen, und deine Herrlichkeit ihren Kindern.
  • 17. Und die Lieblichkeit des Herrn unſers Gottes ſeye ob uns. Foͤrdere das Werk unſerer Haͤnde bey uns: Ja foͤrdere das Werk unſrer Haͤnden.

Nach dieſem ſagte er: warum es zu thun ſeye!

Dann nahm der Junker den Lieutenant bey der Hand, und ſagte ihm, er ſoll jezt der Ge - meind ſelber ſagen, was er an ihren Kindern thun wolle!

Der Lieutenant, nachdem er ſich gegen den Junker, den Pfarrer, und dann gegen die Gemeind gebogen, ſezte den Hut auf, lehnte ſich an ſeinen Stok, und ſagte:

Er ſeye mit Edelleuten erzogen worden, und ſeye ſelber ein Edelmann, er ſchaͤme ſich aber um deswillen nicht Gott und ſeinem Neben - menſchen in jedem Stand, wozu ihn die Vor - ſehung rufe, zu dienen, und danke ſeinen lieben Eltern unter dem Boden fuͤr die gute Erziehung die ſie ihm gegeben, und die ihn jezt in Stand284 ſtelle, ihre Schule auf einen Fuß einzurichten, daß man es ihren Kindern wills Gott ihr Leb - tag anſehen werde, daß ſie in einer Schul ge - weſen.

Uebrigens aber ſeye es nicht ſeine Sache, lange Reden oder Predigten zu halten, ſon - dern er wolle Wills Gott Morgen mit der Schul anfangen, wo ſich denn alles ſchon zei - gen werde. Nur das ſezte er hinzu, muß ich noch ſagen, daß ein jedes Kind ſeine Haus - arbeit, ſie mag in Naͤhen oder Baumwollen - ſpinnen, oder ſonſt worinn es iſt, beſtehen, bringe, und die Werkzeuge dazu, bis der Jun - ker ſolche fuͤr die Schule wird angeſchaft haben.

Was will er doch mit Spinnraͤdern und Spizdruken in der Schul machen? fragten Maͤnner und Weiber in allen Stuͤhlen, und einer hinter ihm zu, ſo laut daß er es verſtuhnde.

Er kehrte ſich um, und ſagte ihm auch laut: nichts als machen, daß euere Kinder reden und reiten mit einander lehrnen.

Es wollte den Bauren doch nicht in den Kopf, wie das moͤglich! und wie man in der Schul reiten und reden mit einander lehrnen koͤnne?

Ihrer viele ſagten ſchon unter der Kirch - thuͤre, es wird ihm damit gehen, wie dem al - ten Junker mit dem Grapp-Pflanzen, und den ſchoͤnen Schaafen, die er 200 Stund weit285 herkommen, und da bey ſeinem Futter crepie - ren laſſen.

Doch ſagten auch einige beſtandene Maͤnner, der Mann ſieht dem alten Grapp-Pflanzer gar nicht gleich, und es hat gar nicht die Gat - tung, wie wenn er in den Tag hinein ſchwaze.

Er gienge an dieſem Abend noch in ſeine Schule, und machte gerade vor dem Ort wo er morndes das erſte mal ſizen wollte, einen ſchoͤnen Kupferſtich auf. Es war ein alter Mann mit einem langen weiſſen Bart, der mit geruͤmpfter Stirn und groſſen offnen Augen ſeinen Finger aufhielt.

Der Junker und der Pfarrer fragten ihn, was der da machen muͤſſe? Er antwortete ih - nen, er muß zu mir ſagen, Gluͤphi ſchwoͤr nicht, wenn du vor mir zuſizeſt!

Und die Herren ſagten, den wollen ſie ihm nicht wegreiſſen, er ſey denn gar wohl da!

Der Schulmeiſter erwiederte: ich habe es ſelber auch gedacht.

§. 64. Schul-Einrichtungen.

Morndes gieng dann die Schul an.

Ich moͤchte aber nicht leicht einem an - dern Schulmeiſter rathen, zu thun, was dieſer286 gethan hat, und nach einer ſolchen Sonntags - ankuͤndigung die jedermann ſtolz fand, ſich dann am Montag die Schul von einer Bauern - Frauen einrichten zu laſſen.

Doch wenn einer ein Gluͤphi iſt, ſo mag ers auch thun, es wird ihm nichts ſchaden, aber ich meyne, ein rechter Gluͤphi, und nicht ei - ner in der Einbildung.

Er ließ die Gertrud mit ſeinen Kindern eine Ordnung machen, wie wenn ſie ſelbige Daheim haͤtte.

Sie ſonderte ſie nach ihrem Alter, und nach ihrer Arbeit, wie ſie ſich zuſammenſchikten, ſezte allenthalben vertheilt, ihre und des Rudis Kinder, die ihrer Ordnung ſchon gewohnt wa - ren, zwiſchen die andern hinein.

Zu naͤchſt am Tiſch und vornen an den an - dern ſezte ſie die Kleinen, die das A, B, C, noch nicht konnten.

Hinter dieſen, die ſo buchſtabieren ſolten.

Denn die ſo halb leſen konnten.

Endlich die ſo es ganz konnten:

Stekte dann dem erſten Reihen fuͤr dieſen Morgen nur drey Buchſtaben an eine ſchwarze Tafel und machte eines von dieſen Kinderen aufſagen. Wenn es ſie dann recht ſagte, ſo mußten ſie die andern ihm nach ſagen, dann veraͤnderte ſie die Ordnung dieſer Buch - ſtaben einsmal uͤber das andere, ſtekte ſie ih -287 nen bald in kleinerer bald in groͤſſerer Form an die Tafel, und lieſſe ſie ihnen den ganzen Morgen ſo vor den Augen.

Eben ſo verſezte ſie mehrere Buchſtaben denen ſo buchſtabierten.

Und die ſo halb leſen konnten, mußten mit dieſen buchſtabieren.

Dieſe aber und auch die ſo leſen konnten, mußten ihre Buͤcher bey dem Spinnrad vor ſich offen halten, und immer dem, das etwas laut vorlaſe, daſſelbe halb laut nachſprechen.

Und keines war eine Minute ſicher, daß ſie nicht rufe, fahr jezt du fort!

Fuͤr die Handarbeit hatte ſie eine Frau mit ihr genohmen, die Margreth hieß, und die nun alle Tage dafuͤr in die Schule kommen ſollte; denn Gertrud war dieſes nicht moͤglich.

Die Margreth war ein Menſch fuͤr dieſes, daß man nicht leicht ihres gleichen finden konnte.

So bald ein Kind eine Hand oder ein Rad ſtill hielt, ſtuhnd ſie bey ihm zu, und gieng nicht von ihm fort, bis Hand und Rad wie - der in Ordnung waren.

Die meiſten Kinder brachten auch ſchon an dieſem Abend eine Arbeit heim, daß die Muͤtter ihnen nicht glaubten, daß ſie ſelbige allein gemacht haͤtten.

Aber viele Kinder gaben ihnen zur Ant -288 wort: jaͤ es iſt ein Unterſcheid, wie es die Margreth einem zeiget; du einmal kannſt es nicht ſo.

Sie ruͤhmten den Lieutenant nicht minder; denn Nachmittag fuͤhrte er die Schul, und Gertrud ſah ihm dann zu, wie er ihr am Mor - gen, und es gieng ſo gut, daß ſie zu ihm ſagte, wenn ich gewußt haͤtte, daß ich in zwey Stun - den mit allem fertig wurde, was ich euch zum Schuleinrichten helfen kann, ſo haͤtte ich mich am Donſtag nicht ſo geſperrt.

Es freute ihn auch, daß es ſo gut gieng, er gab dieſen Abend allen Kindern die uͤber 7 Jahr alt waren, ein paar zuſammengeſto - chene Boͤgen Papier heim, und ein paar Fe - dern, und jedes Kind fand ſeinen Nahmen auf dieſen Boͤgen ſchoͤn wie gedrukt geſchrieben. Sie konnten ſie nicht genug anſchauen, und fragten ihn einmal uͤber das andere, wie man das auch mache? Er zeigte es ihnen, und ſchrieb ihnen wohl eine Viertelſtunde lang ſo groſſe Buchſtaben, die wie gedrukt ſcheinen. Sie haͤtten ihn bis am Morgen ſo ſchreiben laſſen, ſo ſchoͤn duͤnkte ſie das; und es wunderte ſie ſo gar, ob ſie es auch ſo lehrnen muͤſſen?

Er gab ihnen zur Antwort, je ſchoͤner ihr ſchreiben lehrnen wollet, je lieber iſt es mir! ſagte ihnen denn noch beym fortgehen, ſie ſollen zu ihrem Papier Sorg tragen, und ihreFedern289Federn mit dem Spiz in faule Apfel hinein - ſteken, ſie bleiben darinn am beſten.

Viele Kinder gaben ihm darauf zur Ant - wort: jaͤ wenn wir jezt grad ſo faule Apfel haͤtten, es iſt ja nicht mehr Winter.

Er lachte daruͤber und ſagte ihnen, wenn ihr keine habet, ſo kann ich euch vielleicht brin - gen, ich denke, die Frau Pfarrerin hat noch mehr als ihr lieb iſt, faule Apfel.

Andere Kinder aber ſagten, nein, nein, nein! wir wollen ihnen ſchon bringen, wir haben auch noch.

§. 65. Fortſezung der Schuleinrichtung.

Sie ſprangen dann alle heim, ihren Eltern geſchwind, geſchwind ihre ſchoͤne Schrif - ten zu zeigen, und ruͤhmten den Schulmeiſter und die Margreth was ſie konnten und moch - ten.

Aber ihrer viele gaben ihnen zur Antwort: ja, ja, die neuen Beſen wiſchen alle wohl, oder ſonſt ſo ein wunderliches Wort, daß die Kinder nicht wußten, woran ſie waren.

Aber das that den guten Kindern weh; aber ſie gaben um deswillen ihre Freud noch nicht auf, und wenn ihre Eltern nicht FreudT290mit ihnen hatten, wie ſie gern wollten, ſo zeig - ten ſie ihre ſchoͤnen Schriften wem ſie konnten, bis auf dem Bruͤderli in der Wiege, und der Kaz auf dem Tiſch, und trugen dazu Sorg, wie ſie ihrer Lebtag zu nichts Sorg getragen. Wenn das Bruͤderli mit dem Haͤndli, oder die Kaz mit dem Maul darnach langen wollten, ſo zogen ſie es im Augenblik zuruͤk, und ſagten: du muſt nur mit den Augen ſehen, und es nicht anruͤhren; ihrer etliche verſorgten es in die Bi - bel. Andere ſagten, ſie koͤnnen denn das groſſe Buch nicht aufthun, und legten es in den Kaſten, zu dem was ſie am ſchoͤnſten hat - ten, und die Freude wieder in die Schul zu gehen, trieb ſie ſo, daß morndes ihrer viele faſt vor Tag aufſtuhnden, ihren Muͤttern zu rufen, ſie ſollen doch machen, daß ſie bald zu eſſen bekommen, damit ſie zu rechter Zeit in die Schul kommen. Am Freytag wars denn gar, da die neuen Schreibbaͤnk die der Junker ihnen machen laſſen, fertig waren. Es wollten alle in der erſten Stunde mit einander anſizen; aber der Lieutenant theilte ſie in vier Theile ab, damit ihrer nicht zu viel ſeyen, und ihm nie keine Hand entgehe, und keines ihm auch nur einen Zug machen koͤnne den er nicht ſehe.

Er kam auch hierinn mit den meiſten gar wohl fort. Einiche griffen es ſo gut an, daß es291 ſchiene, es komme ihnen wie von ſelbſt; bey andern aber gieng es darum gut, weil ſie ſonſt ſchon mehr als andere in den Haͤnden gehabt, wozu es Aufmerkſamkeit brauchte.

Aber einigen, die noch nicht viel anders in Haͤnden gehabt als den Loͤffel mit dem ſie das Eſſen zum Maul hinaufbringen, kam es ſchwer an. Das Rechnen lehrnten einige ſehr leicht, die zum ſchreiben gar ungeſchikt thaten, und die Federn, wie wenn ſie lahm waͤren, in die Hand nahmen; und es kamen wirklich etliche ſolche Loͤffelbuben, die in ihrem Leben faſt noch nichts gethan, als auf den Gaſſen und Weiden herumziehen, hierinn den andern allen ſchnell und weit vor.

Es iſt natuͤrlich: das groͤßte Lumpenvolk hat die groͤßten Anlagen, und laͤßt meiſtens das Arbeitsvolk Kopfs halber weit hinter ſich zu - ruͤk, auch findet man faſt immer den Bauren - rechner im Wirthshaus.

Ueberhaupt fand der Schulmeiſter dieſe ar - men Kinder Kopfs - und Haͤnden halber viel geſchikter als er es erwartete; auch das iſt natuͤrlich.

Noth und Armuh macht dem Menſchen gar viel durch Kopf und Haͤnde gehen, das er mit Gedult und Anſtrengung darinn herum - drehen muß, bis er Brod darausziehen kann; und Gluͤphi bauete auf dieſes ſo ſehr, daß erT 2292in allem was er in ſeiner Schul that, und bey - nahe bey jedem Wort das er darinn redte, ſich feſt in Sinn nahm, dieſen Umſtand, den die Natur ſelbſt zum Fundament der Erziehung der Armen und des Landvolks gelegt hat, zu nuzen und zu brauchen.

Er hielt ſelbſt ſo viel auf dem Schweiß der Tagesarbeit, und dem Muͤde werden, daß er behauptete, alles was man immer dem Men - ſchen beybringen koͤnne, mache ihn nur inſo - weit brauchbar, oder zu einem Mann auf den und auf deſſen Kunſt man bauen koͤnne, inſo - fern ſein Wiſſen und ſeine Kunſt auf dieſen Schweiß ſeiner Lehrzeit gebaut ſeye; und wo dieſer fehle, ſeyen die Kuͤnſte und Wiſſenſchaf - ten der Menſchen wie ein Schaum im Meer, der oft von weitem wie ein Fels ſcheine, der aus dem Abgrund emporſteige, aber verſchwinde, ſo bald Wind und Wellen an ihn anſtoſſen.

Daher ſagte er, muͤſſe bey der Erziehung des Menſchen die ernſte und ſtrenge Berufs - bildung allem Wortunterricht nothwendig vor - hergehen.

Und genau mit der Berufsbildung verband er auch die Sittenbildung, und behauptete, die Sitten eines jeden Stands und Gewerbs, und auch des Orts und Lands in dem ein Menſch wohne, ſeyen fuͤr ihn ſo wichtig, daß ſein Gluͤk, und die Ruh, und der Friede ſeines Lebens,293 wie 1000 gegen eins darauf ankommen, ob er ein ungetadeltes Muſter dieſer Sitten ſey.

Die Erziehung zu den Sitten war alſo auch ein Hauptſtuk ſeiner Schuleinrichtungen.

Die Schulſtube mußte ihm ſo reinlich ſeyn, als eine Kirche. Er duldete nicht, daß nur eine Scheibe am Fenſter mangle, oder ein Na - gel am Boden nicht recht eingeſchlagen ſeye, vielweniger, daß die Kinder das geringſte an Boden werfen, oder waͤhrend dem Lehrnen eſ - ſen, oder ſo etwas machten. Es mußte ihm alles wie an der Schnur und bis ans aufſte - hen und niederſizen, ſo in einer Ordnung ge - hen, daß nur keins an das andere anſtieß.

Wenns kothig war, mußten ſie ihre Schuhe bey der Thuͤre abſtellen, und in den bloſſen Struͤmpfen an ihre Tiſche ſizen.

Auch die Roͤke wann ſie kothig waren, muß - ten ſie ihm, wo es ſich ſchikte an der Sonne oder am Ofen troͤknen und ausreiben.

Er ſchnitte ihrer vielen mit ſeinem Scherlj die Naͤgel ſelber an den Haͤnden ab, und faſt allen Buben die Haare auf dem Kopf in Ord - nung, und allemal wenn eins vom Schreiben zur Arbeit gieng, mußte es zuerſt zum Waſch - beken ſeine Haͤnde zu waſchen, auch das Maul mußten ſie ihm ausſpuͤlen, und zu den Zaͤhnen Sorg tragen, und zum Athem, daß er nicht ſtin - kend werde. Alles Sachen, von denen ſie nurT 3294gar nichts wußten, und beym ſtehen, ſizen, ſchreiben und arbeiten, mußten ſie ſich ihm im - mer ſo grad halten als eine Kerze.

Und wenn ſie in die Schul kamen und draus giengen, mußte eines nach dem andern vor ihm zuſtehen, und ihm b’huͤt Gott ſagen. Er ſah ſie denn vom Kopf bis zu den Fuͤſſen an, und konnte Augen machen, daß ein jedes, wenn er auch kein Wort redte, es ihm gleich anſah, wenn es etwas an ſich hatte, das nicht in der Ordnung war.

Wenns aber denn auf das hin, daß er es ihm mit den Augen zeigte, nicht beſſerte, ſo ſagte er es hernach mit dem Maul.

Wo er ſah, daß die Eltern daran ſchuldig, ließ er es ihnen ſagen, und es war gar nichts ſeltenes, daß ein Kind mit dem Bericht zu ſei - ner Mutter heimkam: du, der Schulmei - ſter hat geſagt, er laß dich gruͤſſen; und ob du keine Nadlen, oder Faden habeſt? oder ob das Waſſer theuer ſey bey dir? und der - gleichen.

Und die Margreth war wie dazu gemacht, ihm in dieſen Sachen an die Hand zu gehen.

Wenn ein Kind ſeine Haare nicht recht ge - flochten hatte, ſezte ſie ihns mit dem Spinn - rad vor ſich zu, und flochte ihm daſſelbe waͤh - rend dem es lehrnte und arbeitete. Die meiſten konnten nicht einmal ihre Schuhe recht ring -295 gen, und ihre Struͤmpfe recht binden; ſie zeigte ihnen alles, machte ihnen ihre Halstuͤcher und Fuͤrtuͤcher zurecht, wenn ſie ſie krumm anhat - ten, und wo ſie ein Loch an einem ſah, nahm ſie Nadlen und Faden aus dem Sak, und naͤhete ſie ihnen zuſammen. Wenn die Schul bald aus war, machte ſie denn allemal in der ganzen Stube den Kehr, und ſagte einem je - den ob es heut brav, oder nur halb brav, oder gar nichts nuͤz gearbeitet.

Dann dorften die ſo brav geweſen, zuerſt hervor zum Schulmeiſter, ihm b’huͤt Gott euch, zu ſagen.

Die ſo nur halb brav geweſen, mußten denn mit den andern zu ihm hervor.

Die uͤberall ſchlecht geweſen, mußten vor den andern zur Stuben hinaus, ohne daß ſie zu ihm hervor doͤrften.

Er bot denn den erſten die Hand, und ſagte einem jeden behuͤt dich Gott, du liebes Kind!

Den andern bot er die Hand nicht, und ſagte ihnen nur b’huͤt dich Gott!

Wenn eins zu ſpath kam, ſo war die Thuͤr fuͤr ihns zu, wie die Pforte einer Feſtung, wenn ſie zu iſt; ob ſie denn weinten oder nicht, das war gleich viel, er ſagte ihnen kurz, ſie ſollten jezt nur heimgehen, es thue ihnen nur wohl wenn ſie lang daran ſinnen, daß man alles, wasT 4296man in der Welt thun muß, zu rechter Zeit thun muß, oder daß es ſonſt wie nicht gethan iſt.

§. 66. Gottes Wort iſt die Wahrheit.

So zielte jedes Wort, das er redte, dahin ſeine Kinder durch feſte Angewoͤhnung an alles das, was ſie einſt ſeyn und koͤnnen muͤſſen, zur wahren Weisheit des Lebens zu fuͤhren, indem er mit jedem Wort in ihrem Innern das Fundament zu derjenigen Gleich - muͤthigkeit und Ruhe zu legen ſuchte, welche der Menſch in allen Umſtaͤnden des Lebens be - ſizen kann, wenn ihm die Beſchwerlichkeiten ſeiner Laufbahn fruͤh zur andern Natur ge - macht worden.

Und hier iſt der Mittelpunkt des Unter - ſchieds ſeiner Kinder Auferziehung und des gewoͤhnlichen Unterrichts, den dieſelbige unter andern Schulmeiſtern genieſſen.

Der Erfolg, mit welchem er arbeitete, uͤber - zeugte den Pfarrer von Bonnal ſchnell von der Wichtigkeit dieſes Unterſchieds, und machte auch ihn einſehen, daß aller woͤrtliche Unter - richt, in ſo fern er wahre menſchliche Weis - heit, und das oberſte Ziel dieſer Weisheit wahre menſchliche Religion erzweken ſoll, den feſten297 Uebungen zu guten haͤuslichen Fertigkeiten ohne anders untergeordnet ſeyn, und nachgehen muͤſſe, und Maulreligion, an welche ſie alles Gute was ſie ſind und werden ſollen, wie an - gebunden haben, aus dem Sinn fallen laſſen doͤrfe, nehmlich erſt dann, wenn durch feſte Uebungen in guten Lebensfertigkeiten in ihnen ein beſſeres Fundament zu guten und edeln Neigungen, das iſt zur wahren Weisheit und zur wahren Religion gelegt worden.

Aber er ſah auch, daß er ſelber uͤber dieſen Punkt zur Fuͤhrung der Menſchen nichts tauge, und daß der Lieutenant und ſelber die Mar - greth mit einem Wort bey ihren Kindern mehr zu dieſem Endzwek ausrichten, als er wenn er Stunden lang predigte, oder ſonſt thaͤte was er koͤnnte. Er ſchaͤmte ſich vor ihnen, aber er nuzte ihr Daſeyn, lehrnte von ihnen was er konnte, und bauete in allem, was er ſeine Kinder lehrte auf das, worinn der Lieu - tenant und die Margreth ſie uͤbten. Es fuͤhrte ihn weit, nehmlich ſeinen Wortunterricht in dem Grad zu verkuͤrzen als dieſe zwey Men - ſchen ſeinen Kindern nuͤzliche Fertigkeiten an - gewoͤhnten.

Er haͤtte das ſchon laͤngſt gern gethan, aber er wußte nicht, wie es anſtellen, und worauf denn bauen.

Es traumte ihm wohl von dem, was der298 Lieutenant und die Margreth jezt thaten, aber auf das bloſſe Traumen von Sachen die er nicht naͤher kannte, war er zu ehrlich das Gute das der alte Unterricht doch auch noch hatte, ſeinen Kindern zu entziehen.

Aber jezt, da die beſſere Wahrheit und die Vorzuͤge der Uebungen im Thun, vor den Ueb - ungen im Reden vor ſeinen Augen ſtuhnden, folgte er dieſer beſſern Wahrheit und that in ſeinem Alter Rieſenſchritte in der Abaͤnderung ſeines Volks-Unterrichts.

Er ließ von nun an ſeine Kinder gar keine Meynungen mehr auswendig lehrnen, mit Na - men nicht die Zankapfel-Fragen, die ſeit zwey hundert Jahren das gute Volk der Chriſten in viele Theile getheilt, und gewiß dem Land - volk den Weg zum ewigen Leben nicht erleich - tert; und beſonders die Ehr - und nothfeſte Frag, die noch vor zwey Jahren in ſeiner Gemeind einen Todſchlag veranlaſſet, verkleibte er in allen Lehrbuͤchern ſeinen Kindern mit Papen, und er achtete es gar nicht daß unten und oben in dieſem verkleibten Blatt noch allerhand Sachen ſtuhnden die ganz gut waren; denn er war jezt alle Stund mehr uͤberzeugt daß der Menſch wenig oder nichts verliere wenn er Worte verliere.

Aber indem er mit Gott, wie Luther ſei - nem Volk, durchſtrich den abentheurlichen Wort -299 kram ſeiner groſſen Maulreligion, tiſchte er ihm nicht anſtatt des alten einen neuen, ſtatt des feurigen einen waͤſſerigen, anſtatt des frem - den, mit Gunſt ſeinen eigenen auf, ſondern ver - einigte ſeine Bemuͤhungen mit dem Lieutenant und der Margreth, ſeine Kinder ohne viele Worte zu einem ſtillen arbeitſamen Berufsle - ben zu fuͤhren, und durch feſte Angewoͤhnung an eine weiſe Lebensordnung, den Quellen unedler, ſchandbarer und unordentlicher Sitten vorzu - biegen, und auf dieſe Weiſe den Grund der ſtillen wortleeren Gottesanbetung und der reinen thaͤtigen und eben ſo wortleeren Men - ſchenliebe zu legen.

Zu dieſem Ziel zu gelangen band er jedes Wort ſeiner kurzen Religionslehre an ihr Thun und Laſſen, an ihre Umſtaͤnde und Berufspflich - ten, alſo daß wenn er mit ihnen von Gott und Ewigkeit redte, es immer ſchien, er rede mit ihnen vom Vater und Mutter, von Haus und Heimath, kurz von Sachen, die ſie auf der Welt nahe angehen.

Er zeichnete ihnen mit eigner Hand die weni - gen weiſen und frommen Stellen, die ſie in ihrem Lehrbuch noch auswendig lehrnen dorf - ten aus; von dem uͤbrigen weitlaͤuftigen Zank - kram, den er aus ihrem Gehirn ausloͤſchen wollte, wie der Sommer den ferndrigen Schnee ausloͤſcht, redte er kein Wort mehr, und wenn300 ihn jemand fragte, warum er dieſe Sachen ſo liegen laſſe, wie wenn ſie nicht da waͤren, ſagte er, eben ſehe er alle Tage mehr ein, es gehoͤre nicht fuͤr den Menſchen ſo viel Warum? und Darum in ſeinen Kopf hinein zu moͤrden, und die taͤgliche Erfahrung zeige, daß die Menſchen in dem Grad ihren natuͤrlichen Verſtand, und die Alltagsbrauchbarkeit ihrer Haͤnden und Fuͤſſen verlieren, als ſie viel ſolche Warum? und Darum im Kopf herumtragen. Er ließ auch nicht mehr zu, daß ein Kind irgend ein langes Gebet auswendig lehrne, und ſagte es laut, es ſeye wieder den ausdruͤklichen Geiſt des Chriſtenthums und die heiterſte Vorſchrift die der Heiland der Menſchen je ſeinen Juͤn - gern gegeben, wenn ihr aber betet u. ſ. w.

Und das lange Gebeter-machen komme auch nirgend als vom Predigen her, indem Leuthe, welche einmal ſich daran gewoͤhnt vor ihren Mitmenſchen ſo oft und viel Stunden lange Reden zu halten, natuͤrlich auch dem lieben Gott ihre Angelegenheiten ſo in langen Re - den vorzutragen belieben.

301

§. 67. Um ſo gut zu ſeyn als Menſchenmoͤglich, muß man boͤs ſcheinen.

Das ſchoͤnſte an ihm iſt, daß er bey allem was er jezt that, gerade zu heraus ſagte, wenn er den Lieutenant und die Margreth nicht in ihrer Schulſtube, mit den Kindern nach ihrer Art umgehen geſehen, ſo waͤre er mit ſeinem Kinderunterricht bis ans Grab ohne Aenderung der alte Pfarrer in Bonnal geblieben, der er 30 Jahre geweſen, und noch mehr, er geſtuhnd ſelber, daß er auch jezt noch nicht im Stande ſey in den Hauptſachen der wahren Fuͤhrung dieſer Kinder Hand zu bieten, und daß alles, was er dazu beytragen koͤnne kaum in mehrerem beſtehe, als daß er mit ſeiner Einmiſchung der Arbeit des Lieute - tenants und der Frauen keine Hinderniß in den Weg lege.

Er hatte faſt ganz recht, er wußte von den Berufsarten der Menſchen und von den mei - ſten Dingen auf welche der Lieutenant baute, ſo viel als nichts.

Er kannte die Menſchen, und kannte ſie nicht.

Er kannte zwar ſie, daß er ſie beſchreiben konnte, daß man ſagen mußte: Sie ſind ſo!

302

Aber er kannte ſie nicht, daß er mit ihnen eintretten, und etwas mit ihnen richten und ſchlichten konnte.

Auch ſagte ihm der Lieutenant oft unter die Augen, er ſeye nicht im Stand, etwas rechtes aus den Menſchen zu machen, er verderbe ſie nur mit ſeiner Guͤte! Denn ſo gut ihr den Lieutenant allenthalben erfahren, ſo hatte doch nicht leicht jemand ſtrengere Grundſaͤze uͤber das Auferziehen als er.

Er behauptete laut, die Liebe ſey zum auf - erziehen der Menſchen nichts nuz als nur hin - ten und neben der Forcht; denn ſie muͤſſen lehr - nen Dornen und Diſteln ausreuten, und der Menſch thue das nie gern und nie von ihm ſelber, ſondern nur weil er muͤſſe, und wenn er daran gewoͤhnt werde. Wer immer etwas mit den Menſchen ausrichten, oder ſie zu et - was machen will, ſagte er, der muß ihre Bos - heit bemeiſtern, ihre Falſchheit verfolgen, und ihnen auf ihren krummen Wegen den Angſt - ſchweis austreiben, und behauptete das Erziehen der Menſchen ſeye nichts anders als das Ausfeilen des einzeln Glieds an der groſſen Kette, durch welche die ganze Menſchheit un - ter ſich verbunden, ein Ganzes ausmache, und die Fehler in der Erziehung und Fuͤhrung des Menſchen beſtehen meiſtens darin, daß man einzelne Glieder wie von der Kette abnehme,303 und an ihnen kuͤnſteln wolle, wie wenn ſie allein waͤren, und nicht als Ringe an die groſſe Kette gehoͤren, und als wenn die Kraft und Brauch - barkeit des einzeln Glieds derſelben daher kaͤ - me, wenn man ihns vergulden, verſilbern, oder gar mit Edelſteinen beſezen wuͤrde, und nicht daher, daß es ungeſchwaͤcht an ſeine naͤch - ſte Nebenglieder wohl angeſchloſſen zu dem taͤglichen Schwung der ganzen Kette und zu allen Biegungen derſelben ſtark und gelenkig genug gearbeitet ſeye.

So redte der Mann, deſſen Staͤrke darinn beſtuhnd, daß er die Welt kannte, mit dem Prieſter, deſſen Schwaͤche darinn beſtuhnd, daß er ſie nicht kannte.

Es war aber auch die Arbeit ſeines Lebens, die Menſchen kennen zu lehrnen, und er dan - ket es ſeinem Vater unter dem Boden, daß er dieſes von fruͤher Jugend auf, zu ſeinem Au - genmerk gemacht. Er glaubte auch die Men - ſchen gut, die er hinten nach boͤſe erfahren, und der Gram daruͤber brachte ihn ums Leben.

Wenige Tage vor ſeinem End ließ er ſeinen damals eilfjaͤhrigen Gluͤphi vor ſein Beth kom - men, und ſagte ihm: Kind! trau niemand in deinem Leben, bis du ihn erfahren.

Die Menſchen betriegen, und werden be - trogen, aber ſie zu kennen iſt Gold werth.

Gieb auf ſie Acht, aber trau ihnen nicht,304 und laß es dein taͤgliches Werk ſeyn, alle Abende von einem jeden Menſchen, mit dem du umge - heſt, aufzuſchreiben, was du an ihm geſehen, und von ihm gehoͤrt, das etwann ein Zeichen ſeyn mag, wie es innwendig mit ihm ſtehe.

Wenn du das thuſt, ſo wird es dir nicht ge - hen wie mir, und du wirſt das Ungluͤk nicht ertragen, daß ich dich ohne Vermoͤgen und ohne Hilf, auf dieſer armen Erde zuruͤk laſſen muß.

Mit dieſem quollen die lezten Thraͤnen aus den Augen des Manns, die nun bald erloſchen.

Und von dieſem Tag an hat Gluͤphi keine Nacht unterlaſſen, zu thun was ihm ſein Va - ter befohlen, eh er geſtorben.

Er hat noch jezt dieſe Papiere von ſeiner Jugend auf, bey einander.

Sie ſind ein Schaz von Menſchenkenntniß, und wenn er davon redt, ſo heißt er ſie nur das gute Erb von ſeinem lieben Vater ſelig, und nezt ſie oft mit Thraͤnen. Sie machten ihm tauſend ſchwere Stunden leicht, und waren ihm auch in ſeiner Schul ein Leitfaden der ihn ſchnell hinfuͤhrte, wohin er wollte.

Er kannte ſeine Kinder in acht Tagen beſſer, als ihre Eltern ſie in acht Jahren nicht kann - ten; und brauchte dieſes ſeinen Grundſaͤzen getreu, ihnen den Anſtſchweiß auszutreiben, wenn ſie ihm etwas verbergen wollten; unduͤberhaupt305uͤberhaupt immer ihr Herz vor ſeinen Augen offen liegend zu halten.

§. 68. Wer Rechnungsgeiſt und Wahrheitsſinn trennet, der trennet was Gott zuſam - men gefuͤgt.

So wie er fuͤr ihr Herz ſorgte, ſorgte er auch fuͤr ihren Kopf, und forderte, daß das ſo hinein muͤſſe, heiter und klar ſeye, wie der ſtille Mond am Himmel.

Er ſagte: nur das heißt lehren, was ſo hin - einkommt, was aber dunkel iſt und blendet, und ſchwindeln macht, das ſagte er, iſt nicht lehren, und heißt nicht lehren, ſonder Kopf verkehren.

Und er bog dieſem Kopfverkehren bey ſei - nen Kindern dardurch vor, daß er ſie vor al - lem aus genau ſehen und hoͤren lehrte, und durch Arbeit und Fleiß die kaltbluͤtige Auf - merkſamkeit uͤbte, und zugleich den geraden Na - turſinn, der in jedem Menſchen liegt, in ihnen ſtaͤrkte; hauptſaͤchlich machte er ſie in dieſer Abſicht viel rechnen. Er brachte es auch darmit innert Jahr und Tagen dahin, daß ſie vor langer Zeit gaͤhnten, wenn jemand vor ihnen von den ſieben Sachen, womit das Hartknop -U306fen Volk den andern Leuthen im Dorf das Blut ſo leicht warm machet, ein Wort verlohr.

So wahr iſt es, daß man die Menſchen vom Irrthum abzufuͤhren, nicht die Worte der Tho - ren widerlegen, ſondern den Geiſt ihrer Thor - heit in ihnen ausloͤſchen muß.

Es hilft nichts zum ſehen, die Nacht zu be - ſchreiben, und die ſchwarze Farbe ihrer Schat - ten zu mahlen: nur wenn du das Licht anzuͤn - deſt, kannſt du zeigen was die Nacht war, und nur wenn du den Staaren ſtichſt, was die Blind - heit geweſen.

Recht ſehen und hoͤren iſt der erſte Schritt zur Weisheit des Lebens; und Rechnen iſt das Band der Natur, das uns im forſchen nach Wahrheit vor Irrthum bewahrt, und die Grundſaͤule der Ruhe und des Wohlſtands, den nur ein bedaͤchtliches und ſorgfaͤltiges Be - rufsleben den Kindern der Menſchen beſcheret.

Daher war meinem Lieutenant auch nichts ſo wichtig, als ſeine Kinder wohl rechnen zu lehren, und er ſagte: der Kopf gehe dem Men - ſchen nicht recht auf, wenn er nicht entweder durch viele groſſe Erfahrungen oder durch Zah - lenuͤbungen, welche dieſe Erfahrungen zum Theil erſezen, eine Richtung erhalte, die dem Faſſen und Feſthalten deſſen was wahr iſt, an - gemeſſen.

Aber die Art wie er ſie rechnen lehrte, iſt307 zu weitlaͤufig, als daß ich ſie euch umſtaͤndlich zeigen koͤnnte.

Sein Einmal Eins hatte dieſe Form.

Und war ſo ausgeſprochen.

  • 2 und 2 ſind 4
  • 2 mal 2 ſind 4
  • 2 in 4 geht 2 mal

und denn fort:

  • 2 und 2 ſind 4 und 2 ſind 6
  • 3 mal 2 ſind 6
  • 3 in 6 geht 2 mal
  • 2 in 6 geht 3 mal.

Und ſo machte er ſie das ganze Einmal Eins mehr ſtudieren, als auswendig lehrnen.

Er ſuchte ihnen alle Arten Zahlenver - aͤnderungen dahin heiter zu machen, daß ſie vor ihren Augen als ein einfacher gerader Vor - und Rukmarſch der 10 erſten Grund - zahlen erſchienen.

U 2308

Und hatte zu dieſem Endzwek verſchie - dene Tabellen verfertiget.

Z. Ex. Erſte Veraͤnderung der zehen Grund - zahlen mit 1.

das gleiche abgezogen:

Dieſe Tabelle lief denn gleich fort durch alle 10 Grundzahlen.

Denn folgte eine mit gedoppelten Zahlen, und lief wieder durch alle Zehner wie die erſte durch alle Einer.

Hinter dieſer hatte er eine ſehr groſſe Ta - belle die in jeder einzelnen Grundzahl bis auf 100 fortſchritt, und deren Form folgende war:309

U 3310

So tabellariſch er aber im Anfang zu Werk gieng um das Verhaͤltniß der Zahlen gegen einander ihnen ſo einfach und heiter, und un - verwirrt als moͤglich in den Kopf zu bringen; ſo feſt und anhaltend uͤbte er dann hinten nach ihre Aufmerkſamkeit, dieſe Zahlenver - haͤltniß auſſer dieſer Tabellenordnung in jeder andern Ordnung wieder zu finden.

§. 69. Ein bewaͤhrtes Mittel wider boͤſe luͤgen - hafte Nachreden.

Er machte auch hierinn aus ſeinen Kindern was er wollte, und es konnte nicht an - derſt ſeyn, als daß ein Mann der ſo viel an dieſen that, nicht vielen Leuthen lieb werden mußte.

Und doch war bey weitem auch nicht jeder - mann mit ihm zufrieden.

Das was man zu allererſt an ihm ausſezte, war: er ſey zu ſtolz zu einem Schulmeiſter, und moͤge den Leuthen das Maul kaum goͤnnen.

Er ſagte dieß und das ſich auszureden, und wollte ihnen begreiflich machen, er brauche ſei - ne Zeit und ſein Maul fuͤr ihre Kinder.

Aber die Bauern meynten, bey allem dem koͤnnte er doch noch auch ein paar Augenblik311 ſtill ſtehen, wenn man etwas mit ihm reden wollte; und wenn ihn nicht der Hochmuth ſtechen wuͤrde, ſo wuͤrde ers thun.

Zwar widerſprachen alle Kinder hierinn ih - ren Eltern, und ſagten er ſey gewiß nicht hoch - muͤthig.

Aber das half nichts, dieſe antworteten ih - nen: wenn er ſchon mit euch gut iſt, ſo kann er um deswillen doch hochmuͤthig ſeyn.

Aber das Regenwetter, das in der dritten Woche, da er Schul hielt, einfiel, richtete bey den Leuthen fuͤr ihn aus, was die guten Kin - der mit allem ihrem Reden nicht fuͤr ihn aus - richteten.

Es iſt eine Ordnung in Bonnal, daß ſint 20 Jahren ein verfauleter Steig vor dem Schulhaus nicht einmal wieder gemacht wor - den; und die Kinder, wenns ein paar Tag nach einander geregnet, faſt bis an die Waden hinauf naß werden muͤſſen, wenn ſie uͤber die Kengelgaß in die Schul wollen.

Aber das erſte mal, da der Gluͤphi die Gaß ſo voll Waſſer ſah, ſtuhnd er, ſo bald die Kin - der anftengen zu kommen, in vollem Regen in die Mitte der Gaß hinein, und lupfte eines nach dem andern uͤber den Bach.

Das dunkte ein paar Maͤnner und Weiber, die gerade vor der Schul uͤber wohnten, und juſt diejenige, die am meiſten klagten, er moͤgeU 4312den Leuthen vor Hochmuth kaum guten Tag und gute Nacht ſagen, gar luſtig.

Sie hatten eine rechte Freude daran zu ſe - hen, wie er in ſeinem rothen Rok durch und durch naß werde, und bildeten ſich ein, er moͤ - ge es keine Viertelſtund erleiden, und werde ihnen augenbliklich rufen, ob ihm dann Nie - mand helfen koͤnne?

Aber da er fortmachte, wie wenn keine Kaze, geſchweige ein Menſch um ihn herumwohne, der ihm helfen koͤnnte, und Haar und Kleid, und alles an ihm tropfte, und er immer noch keinen Schatten Ungeduld zeigte, und immer noch ein Kind nach dem andern hinuͤber lupfte, fiengen ſie doch an hinter ihren Fenſterſcheiben zu ſagen: er muß doch ein guter Narr ſeyn, daß er ſo lang fort macht, und wir muͤſ - ſen uns, ſcheint es doch, geirret haben; wenn er hochmuͤthig waͤre, ſo haͤtte er ſchon lang aufgehoͤrt.

Endlich krochen ſie gar aus ihren Loͤcheren hervor, ſtuhnden zu ihm zu, und ſagten, ſie haben es nur nicht eher geſehen, daß er ſich ſo viel Muͤhe mache, er ſolle doch heimgehen, und ſich troknen, und ſie wollen die Kinder ſchon hinuͤber lupfen, moͤgen es eher am Re - gen erleiden als er, ſie ſeyen ſich eher gewohnt.

Noch mehr, ſie wollen noch, eh die Schul aus ſeye, ein paar Tannen zufuͤhren, daß wie - der ein Steg ſey, wie vor altem.

313

Sie ſagten es nicht bloß. Eh es 11 Uhr laͤutete, war wirklich ein Steg da, daß die Kin - der nach der Schul trokenen Fuſſes uͤber den Bach gehen konnten.

Und auch die Klage uͤber ſeinen Hochmuth verlohr ſich, jezt da die zwey Nachbarswei - ber, die am ſchlimſten uͤber dieſen Punkt uͤber ihn klagten, das Lied daruͤber anderſt anſtimm - ten.

Wenn dich das viel dunkt, Leſer! oder un - glaͤublich, ſo probiers nur ſelber, und ſtehe auch einmal fuͤr andrer Leuthen Kinder, ohne daß dich jemand heißt, und ohne daß du etwas davon haſt, in den Regen hinaus bis du trop - fend naß wirſt, und ſieh denn, ob die Leuth, die die Kinder etwas angehen, dir nicht gern auch liebes und guts nachreden, und liebs und guts thun, und gewiß auch boͤſes nicht mehr von dir ſagen werden, als was gewiß boͤs, und recht boͤs, oder was ſie einmal nicht an - derſt anſehen, oder begreifen koͤnnen.

§. 70. Narrenwort und Schulſtrafen.

Aber es gieng nicht lang, ſo hatten die Leu - the wieder etwas uͤber ihn zu klagen, und noch etwas viel haͤrters.

314

Das Hartknopfen Geſchmeiß im Dorf fand, er ſey kein rechter Chriſtenmenſch, und fieng unter der Hand an, guten und einfaͤltigen Leuthen im Dorf das in Kopf zu ſpinnen. Ei - ner der erſten, dem dieſes Gemurmel behagte, und der eifrigſten, die es auszubreiten ſuchten, war der alte Schulmeiſter. Er konnte nicht leiden, daß die Kinder den neuen Mann alle ſo ruͤhmten und liebten. Ihn hatten ſo lang er Schulmeiſter war, alle gehaſſet und alle ge - ſcholten, und er war deſſen ſint dreyßig Jah - ren ſo gewohnt, daß er meynte, es muͤſſe ſo ſeyn, und behauptete, Kinder die noch ohne rechte Erkanntnuß ihres Heils ſeyen, haſſen von Natur die Zucht, und folglich auch alle Schulmeiſter. Aber jezt kam er mit dieſer Einbildung nicht mehr recht fort, und es dunk - te ihn, die Leuthe werden ihm ſagen, die Kin - der lieben jezt ja den Schulmeiſter, weil er gut ſey.

Das machte ihn haͤßig, dann er ward ſein Lebtag immer haͤßig, wenn man ihm darauf deutete, ſein Schalknarrenweſen ſey die Urſach, daß ihn die Kinder nicht lieben.

Und doch wars die reine Wahrheit, und konnte nicht anderſt ſeyn; wenn ſie das Ge - ringſte thaten, das ihm zuwider, ſo war ſein erſtes Wort, ihr bringet mich um Leib und Seel, und noch dazu ins Grab. Oder315 wenn ihr die Hoͤlle um nichts verdienet, ſo ver - dienet ihr ſie ob mir, und dergleichen.

Wenn man ſo mit den Leuthen redt, und inſonderheit mit Kindern, ſo macht man ih - nen nichts weniger als gut Blut, und ſie muͤß - ten wohl mehr als Kinder ſeyn, wenn ſie ei - nen Narren, der alle Augenblike ſo ein Wort zu ihnen ſagt, noch lieben koͤnnten.

Sie wußten aber beynahe voͤllig, mit wem ſie zuthun hatten, und wenn er auch am laute - ſten that, ſagten ſie zu einander: wenn wir jezt bald wieder mezgen und ihm Wuͤrſt und Fleiſch bringen, ſo kommen wir denn nicht mehr in die Hoͤll hinab, ſo lang er davon zu Mittag hat.

Jezt wars anderſt, das ſtaͤrkſte, das der Lieu - tenaut zu ſeinen Kindern ſagte, wenn ſie fehl - ten, war: du biſt ein ſchlechter Kerl, oder aus dir giebt nichts.

So wenig als das war, ſo wuͤrkte es; denn es war wahr.

Was der andere ſagte, war eine Luge, und wuͤrkte darum nichts.

Und denn brauchte er bey ſeinem Strafen auch das Narrenholz ſelten, das der Alte im - mer in Haͤnden hatte, und in den Haͤnden des Alten war es ſicher ein Narrenholz.

Die Art hingegen wie der Gluͤphj ſtrafte, beſtuhnd mehrentheils in Uebungen, die dem316 Fehler den er beſtrafen wollte, durch ſich ſelber abhelfen ſollten.

Wer aus Traͤgheit fehlte, mußte ihm zu der Schuͤzenmauer die er den groͤſſern Buben bey der Sandrieſi machen wollte, Stein tragen, oder Ofenholz in Vorrath ſpalten.

Der Vergeßliche mußte ihm Schulbott ſeyn, und 3-4-5 Tag je nachdem er fehlte, ihm im Dorf ausrichten, was er darinn auszurichten hatte.

Er war mitten im Strafen gut mit den Kin - dern und redte faſt nie mehr mit ihnen, als waͤhrend ſie ihre[Strafe] litten.

Iſts dir nicht beſſer, ſagte er denn oft zu dem Vergeßlichen, du lehreſt auch deine Sinnen bey dem was du thuſt, beyeinander halten, als daß du alle Augenblike alles vergeſſeſt, und denn alles doppelt thun muͤſſeſt? Und man ſah dann manchmal Kinder mit Thraͤ - nen ſich an ihn anſchmiegen, und ihre zitternde Hand in der ſeinen, ja! Lieber Herr Schul - meiſter! zu ihm ſagen. Gutes Kind, antwor - tete ihm dann der Mann, weyne nicht! aber gewoͤhne dich anderſt, und ſage deinem Vater und deiner Mutter, ſie ſollen mir helfen, dir deine Vergeßlichkeit oder deine Traͤgheit auch abzugewoͤhnen.

Ungehorſam, der nicht Vergeßlichkeit war, ſtrafte er darmit daß er 2-3 und 4 Tag mit317 einem ſolchen Kind nicht redte, und ihns auch nicht mit ſich reden ließ.

Auch freche Worte und alle Unanſtaͤndigkei - ten beſtrafte er auf dieſe Art.

Bosheiten hingegen und das Liegen beſtrafte er mit der Ruthe, und ein Kind das mit der Ruthe beſtraft ward, dorfte eine ganze Woche nicht mehr in die Schul kommen, und ſein Nahme ſtuhnd dieſe Woche uͤber an einer ſchwar - zen Tafel an der Stud die in der Mitte der Schulſtube iſt.

So groß war der Unterſcheid der neuen und der alten Schulordnung.

§. 71. Das Elend und die Leiden dieſes Nar - ren.

Aber das Gute, das der Alte alle Tage mehr davon hoͤrte, brachte ihn faſt von Sinnen.

Er war in aller Abſicht das, was das Schul - meiſter Handwerk aus einem erzſchwachen und dabey einbildiſchen Menſchen nothwendig ma - chen muß.

Im Anfang that er dik und ſtolz; er hielt den neuen Mann fuͤr nichts anders als fuͤr eine Art Soldatenbetler, dem die Allfanze - reyen, die er um des Junkers Suppen willen318 in der Schul treibe, nur gar zu bald von ſich ſelber erleiden werden, und verglich das ganze Weſen, wo er hin kam dem ſchwangern Berg in der Fabel.

Aber da es nicht gerade in der andern Woche kam, wie er meynte, ſondern ihm vielmehr ſeine beſten Leuthe Tag fuͤr Tag mehr mit dem Bericht kamen, es ruͤhme ihn bald jedermann, und es ſey wie verzaubert und wie wenn ers den Kindern anthun koͤnne, ſo richte er mit ihnen aus was er wolle; ſo ward ihm daruͤber ſo angſt, daß er mit ſeiner Fabel vom ſchwan - gern Berg ganz ſtille ward. Die Maus die daraus hervor kam, duͤnkte ihn jezt ein Ele - phant, und nahm ihm den armen Kopf ſo ein, daß er auf das Wort hin, es ſey wie ver - zaubert , ſich vorſtellte, es koͤnne gar wohl ſo etwas darhinter ſteken, und bey Nacht und Nebel anderthalb Stund weit zum Senn im Muͤnchhof huͤlpete, und ihm Geld anbot, wenn er dem Schulmeiſter dafuͤr thun koͤnne.

Dieſer aber traute ſich nicht, und ſagte, wenn es Kuͤh oder Stieren oder Roß antref - fen wurde; ſo wollte er ihm wohl helfen, aber an einen Schulmeiſter der etwas koͤnne die Kinder zu lehren, moͤge er ſich nicht wagen, er habe den Fall noch nie erlebt.

So ungetroͤſtet vom Muͤnchhoͤfler wußte er ſich ein paar Tage nicht zu rathen, bis das319 Hartknopfen Gemurmel: der neue Schulmei - ſter ſeye kein rechter Chriſtenmenſch, und das ewige Heil der armen Kinder ſey in Gefahr, wenn ſie unter ſeinen Haͤnden bleiben, ihn wie aus dem Schlaf wekte, und ſeinen Sinnen wie wieder neues Leben gab. Es war ihm jezt nicht mehr, der neue Mann ſey wieder ihn, es war ihm, er ſey wieder den lieben Gott.

Und das macht einen Unterſchied in einem ſolchen Kopf; er kehrte von nun an alles auf dieſe Seite.

Er hieß ihn einen Heidenmann, ſeine Schul eine Heidenſchul, und verglich das was man darinn trieb der Kaufhausarbeit im Tempel zu Jeruſalem, das mit ſamt dem Schulmei - ſter nichts beſſers verdiene, als daß ihm gehen ſollte, wie es der liebe Heiland den Dauben - verkaͤufern und den Geldwechslern gemacht habe. In dieſem Ton redte er jezt uͤber alles.

Das nicht mehr Auswendiglehrnen des un - verſtaͤndlichen und verwirrten Wortkrams, das der Pfarrer nicht mehr wollte, hieß er eine Verlaͤugnung des wahren Glaubens.

Und das Verkleiben der Streitfrage die dem Michel Juk das Leben gekoſtet, eine Verſtuͤmm - lung des geoffenbahrten Willens Gottes, mit dem Zuſaz: wenn man eine jede Frage ver - kleiben wollte, die einen Todſchlag veranlaſſet320 haͤtte, ſo ſolle man in der ganzen Chriſtenlehr die Frage zeigen, welche man denn nicht ver - kleiben muͤßte.

Doch redte er nur ſo, wenn er allein war.

Denn er war nicht von der alten Art der muthvollen ehrlichen Phantaſten, die Leib, Ehr, und Blut, von Brod will ich nur nicht reden, an das ſezten, was ſie fuͤr Gottes Sach an - ſahen, ſondern vielmehr von der Art der neuen Muthleeren und aͤngſtlichen Zuker - und Caffee - Phantaſten, die ihrem Leib und Blut, und auch ihrem Brod nothwendig ſo viel Sorgfalt, auch noch mehr als die Nichtphantaſten, an - gedeyen laſſen muͤſſen; weil ſie mehrentheils wie der Schulmeiſter von Jugend auf verderbt, ſchwaͤchlicher Natur ſind, und alſo zu reden Leibs halber nicht ehrlich ſeyn koͤnnen, oder wenn das zu viel geſagt iſt, doch ſicher Leibes halber groſſe Schwierigkeiten haben, auf die Art ehrlich und muthvoll zu ſeyn, wie ſie leh - ren, daß man gegen Gott und Menſchen es ſeyn ſollte.

Er redte alſo nur, wo er allein war, und wo er trauen doͤrfte, alſo, und trug alle Sorg, daß der Junker es nicht etwann erfahre, und ihm dafuͤr das Fronfaſten-Geld nehme, wel - ches er ihm gelaſſen, wenn er den Schulmei - ſterdienſt ſchon nicht mehr verſehen muͤßte.

Aber es that ihm ſo weh, daß er ſein Herzſo321ſo wenig erleichtern und ſeine Geſinnungen und Empfindungen daruͤber ſo grauſam verſchluken mußte; daß er manchmal wie ein Narr darob ward, und ſo gar etliche mal in der Mitte der Nacht aufſtuhnd, und mit einer Geiſſel in der Hand an Stuͤhl und Baͤnken probierte, wie es auch kaͤme, wenn einer, wie der Heiland im Tempel, die Spinnraͤder und Schreibtiſch in der Schulſtuben ſo unter und uͤber ſich kehrte, und mit ſamt dem Heidenmann die Stege hin - ab, und aus ſeiner Schul hinausjagte.

Zwar gab er auch da bey ſich Acht, daß Thuͤr, Fenſter, und Laͤden beſchloſſen ſeyn.

Aber ſeine Schweſter, des Sigriſten Frau, die unter dem gleichen Dach wohnte, ſtuhnd einmal, da er ſo ein Gepolter machte, in der Nacht auf, und ſah ihm durch das Schluͤſſel - loch zu, was er machte.

Es duͤnkte ſie nicht anderſt, als er muͤßte hinterfuͤr im Kopf ſeyn; ſie wekte ihren Mann zur Stund auf, ſagte ihm, was ſie geſehen, und Morndes fragten ihn beyde, was es doch auch ſeye? Er geſtuhnd es ihnen, es wandle ihn manchmal ſo an, daß er nicht ſchlafen koͤnne, bis er ſeinen Eifer gegen den Heiden - kerl, der ihn ſo aus ſeiner Schul verdrungen, auf eine Art, wie er koͤnne, abgekuͤhlt.

Es iſt ſo traurig, ſagte ſein Bruder, undX322biß auf die Zaͤhne, daß du ihn nicht an ihm ſelber abkuͤhlen darfſt.

Ja, ſagte der Schulmeiſter, ich habe ſchon manchmal daran gedacht, wenn nur das ver - fluchte Fronfaſtengeld nicht waͤre, ſo weiß ich ſchon, was ich thun wollte; und nach ei - ner Weile ſezte er hinzu, wenn mich etwas in meinem Glauben irre machen koͤnnte, ſo waͤre es das: wie der liebe Gott es zulaſſen kann, daß ſeine treue Diener ihren wohlverdienten Lohn und ihr taͤgliches Brod aus der Hand ſol - cher Heidenkezern ziehen ſollen, denen ſie ſo tauſendmal um deswillen ſchweigen muͤſſen, wenn ſie noch ſo groſſes Recht gegen ſie haben.

Seine Frau ſagte, ſie ſeye einmal froh, daß er nicht hinterfuͤr ſeye.

Der Siegriſt antwortete ihr: er koͤnmte es aber doch werden, wenn er ſo weder Tag noch Nacht keine Ruhe habe.

Und ſie riethen ihm beyde, er ſolle in Got - tes Nahmen die Sachen nicht ſo zu Herzen nehmen, und einmal des Nachts nichts mehr dergleichen thun, man wiſſe doch nicht, was einem dabey begegnen koͤnnte.

323

§. 72. Allerley wunderliche Wirkungen die vom Duͤrſten herkommen koͤnnen.

So verwirrte es dieſen Mann, daß das Schulhaus fuͤr ihn zu war.

Andere und mehrere verwirrte es, daß das Wirthshaus fuͤr ſie zu war.

Arner hatte es nemlich, ſeit dem der Teufel den alten Wirth nehmen wollen, beſchloſſen, und nun gab es alle Tage mehr Leuthe, denen das nicht recht lag, und die auf dieſe oder jene Art anftengen ſich herauszulaſſen, der Miß - brauch einer Sache hebe den guten Gebrauch derſelben nicht auf; und der Wein ſeye eine Gabe Gottes, die er ſelber den armen Bau - ren, die doch auch ſonſt ſo wenig in der Welt haben, wohl goͤnnen moͤge, wenn ſie ihn nur mit Beſcheidenheit brauchen, und ſo, daß ſie darbey beym Verſtand bleiben.

So redten jezt Leuthe, von denen kein Menſch geglaubt haͤtte, daß ſie jemals dem Wein oder dem Wirthshaus das Wort reden wuͤrden. Andere die ſich weniger ſchaͤmten, zu zeigen, warum es ihnen zu thun ſey, fuͤhrten dann noch eine andere Sprache, und denn daheim in ihren Haushaltungen ein Leben, daß es ein Grauſen, ſo daß einiche Weiber und KinderX 2324im Dorf den groͤßten Jammer hatten, und die wunderlichſten Reden daruͤber im Dorf her - umgegangen.

Die Muͤggerin ſagte in den erſten acht Ta - gen bey dem offenen Brunnen: es wuͤrde den Junker wohl lehren das Haus wieder aufthun, wenn er nur ein paar Tage ſo eingeſperrt ſeyn, und es haben muͤßte wie ſie bey ihrem Mann, ſeitdem daſſelbe zu ſeye.

Des Aebis Elſi ſagte gar: ſie wollte lieber in die Hoͤlle als es ein halb Jahr ſo haben, wie jezt, ſeitdem ihr Mann nicht mehr ins Wirthshaus koͤnne.

So klagten viele Weiber uͤber ihre Maͤnner. Andere aber klagten wie dieſe uͤber das beſchloſ - ſene Haus. Die Rhynerin mit der rothen Naſe machte von deswegen das ſchoͤnſte Kalb ſterben, das im Dorf war; ſie gab ihm ſeit dem Tag, da das Haus zu war, ſeine Sache nicht mehr in der Ordnung, und noch dazu Ribbſtoͤſſe, wenn es nicht im Augenblik recht wie ſie wollte, zu der Kuh zuſtuhnd. Wenn mans ſo macht, ſo iſts mit einem Kalb und mit einem jeden jungen Geſchoͤpf bald aus.

Es gieng auch manches darauf. Was will ich ſagen? ſelber ihre Kinder empfanden beym Strehlen und anderm mehr, daß ihren Muͤttern ganz gewiß etwas nicht recht liegen muͤſſe. Und der Leuͤppi machte auf ſeinem325 Todbett um deswillen nicht wie ein Chriſten - menſch, und gab dem Pfarrer, da er zu ihm kam und ihn fragte, wie es auch gehe? zur Antwort, es ſey am Einpaken, wenn er mit wolle. Der gute Pfarrer ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte, was das auch fuͤr eine Rede ſey in ſeinen Umſtaͤnden? Der Kerl aber fuhr in ſei - nem Ton fort es ſey kein Wunder, daß er ſo rede, es gebe ja einem nur niemand mehr kein Glas Wein auf den Weg wenn man vor Durſt erſtikte; und hiermit kehrte er ſich um, und murrte gegen die Wand, und der Pfarrer, der ſah, daß er jezt minder bey ihm nuͤze als bey einem Haupt Vieh, gieng von ihm fort, ſchikte ihm eine Flaſche Wein; er leerte ſie aus und ſtarb.

Laßt euch das nicht aͤrgern; es geſchieht gar zu viel dergleichen unter dem Mond, ihr muͤſ - ſet denken, ihr Menſchen, wenn der Mann eine Viertelſtund ehe der Pfarrer zu ihm gekommen, ein Glas Wein gehabt, ſo haͤtte er auch wie ein anderer Chriſtenmenſch auf dem Todbett abge - hoͤrt, was er zu ihm geſagt und mit ihm gebe - tet haͤtte.

Aber jezt giengs einmal ſo. Der boͤſe Durſt brachte gar viele Leute zu Sachen, die ſie ſonſt nicht gethan haͤtten. Ihrer viele, z. Ex. die bey Jahren keinen Tropfen Milch getrunken, lieſſen jezt alle Tage ein paar Beken ſauer wer -X 3326den, damit ſie doch auch etwas haben, das ſie auf der Zunge und im Hals an den Wein mahne.

Mit dieſem kam in vielen Haushaltungen das einige Gute, das dieſe Lumpen Weib und Kindern ſonſt noch lieſſen, das lezte Beken Milch auch noch fort.

Der Kriecher und ſeines gleichen giengen jezt am Morgen und Abend ſelbſt in Stall zu melken, und ſperrten ihre Geißmilch auf den Tropfen ein, damit kein Kind davon trinke, weil ſie noch ſuͤß ſey.

Das, und hundert und hundert dergleichen Sachen, machten Kreuz und Jammer in vie - len Haushaltungen auf das aͤuſſerſte ſteigen, ſo daß alle Tage mehr Leuthe anfiengen zu ſa - gen, es dunke ſie in Gottes Namen bald, es waͤre noch beſſer, wenn’s wieder waͤre wie vor Altem; doch war auch nicht alles dieſer Mey - nung. Wer am lauteſten dagegen redte, und am meiſten dawider eiferte, war das Baum - wollen-Mareilj.

Es gab ſeinen Spinnerweibern allemal, wenn ſie in ſeiner Stube ſo anfangen wollten zu klagen: der Junker haͤtte vielen Suͤnden und Schanden, und vielem Fluchen und Schwoͤren vorbiegen koͤnnen, wenn er das Haus offen ge - laſſen, deutſch zur Antwort: ſie ſeyen Narren, und reden nur vom Fluchen und Schwoͤren;327 aber an die Hauptſache, von der das Fluchen und Schwoͤren herkomme, und die der Junker in die Ordnung machen wolle, an dieſe denken ſie nicht.

Ich moͤchte, ſagte es ein andermal zu ihnen, um das Fluchen und Schwoͤren nicht die Hand umkehren. Wenn die Leute in der Unordnung ſind, und boͤs und verderbt, ſo iſt es noch beſ - ſer, ſie zeigen ſich wie ſie ſind, als daß ſie es verbergen, und man nicht wiſſe, wo man mit ihnen zu Hauſe. Wieder einmal ſagte es: es iſt ſicher beſſer, ſie zanken jezt mit einander vor Durſt, als ihre Kinder freſſen einmal ein - ander vor Hunger. Einer diken Frau, die ihm klagte, ihr Mann bringe ſie noch unter den Boden, nahm es einen Fuͤnfbaͤzler aus dem Sak, und ſagte ihr, willſt du das mit mir wet - ten, du erlebſt noch, daß du mit deines Manns Beinen Nuſſe hinabbengeln kannſt?

Andere, die im Ernſt litten, troͤſtete es wie es konnte, und redte mit etlichen Maͤnnern ſo, daß ſie aus Forcht vor ihm daheim zaͤhmer thun muͤſſen.

Und immer wies es die Leuthe auf den Jun - ker, und behauptete kek: er werde dieſes gewiß nicht in die Laͤnge ſo gehen laſſen, ſondern auf die oder dieſe Art dafuͤr ſorgen, daß es anderſt komme.

X 4328

§. 73. Hauptſachen fuͤr Leuthe, die ſich einfallen laſſen, ſie koͤnnten ein Dorf regieren.

Es hatte recht. Er war nicht der Mann, der um eine Unordnung abzuſtellen, eine neue anrichtete, und denn dieſe ſorgenlos ih - ren Weg gehen ließ. Sobald er vernom - men, was die Wirthshauslumpen daheim fuͤr ein Leben fuͤhrten, dachte er auf Mittel, ſie den Tag uͤber aus ihren Haͤuſern wegzuloken, und oͤfnete zu dieſem Endzwek wenige Tage darauf die Torfgruben, die er in der Naͤhe von Bonnal hatte. Dadurch gab er mehr als 50 Tagloͤhnern einen guten Verdienſt, und die mei - ſten Wirthshauslumpen ſtuhnden wegen der Langenzeit, die ſie daheim hatten, und auch wegen dem Abendtrunk, den er dieſen Arbei - tern der Woche zweymal verſprechen ließ, an dieſe Arbeit. Und ſo kam er dahin, auf der einten Seite einen groſſen Theil dieſer Dorf - leuthen dadurch, daß er ſie zu einer beſtimmten Tagsarbeit brachte, nach und nach im Grund zu andern und zu beſſern, und Hausſitten anzu - ziehen und auf der andern Seite eben ſo dem Hauselend, das er mit dem Beſchlieſſen des Wirthshauſes veranlaſſet, abzuhelfen, und die armen Weiber, die ſeither eine ſolche Roth329 mit ihren Saufmaͤnnern hatten, den Tag uͤber von ihnen zu erloͤſen. Auch erkannten die Wei - ber, was er ihnen dadurch Gutes gethan.

Und die Geſchlagenſten unter ihnen konn - ten, wo ſie einander antrafen, nicht genug ruͤh - men und ſagen, wie gut es ſey, daß der liebe Gott ihm das in den Sinn gegeben.

Aber wenn er heut einer Unordnung abhalf, ſo gabs morn eine andere, und wenn er heut eine Schwierigkeit beſiegte; ſo fand er morn eine neue im Weg.

Es iſt natuͤrlich; es braucht etwas ein gan - zes Dorf in eine andere Ordnung zu bringen, und denn war noch bald in einer jeden Gaß jemand, der einem jeden Schritt, den er dazu that, wie mit Fleiß Hinderniſſe in den Weg legte.

So wie die zehndfreyen Aeker den Spin - nerkindern mit jedem Tag ſicherer und uͤber - haupt die Hausordnung, und die Umſtaͤnd der Armen beſſer wurden, ſo ſtieg die innere Unzu - friedenheit der neidigen Reichen, und ihrer Weiber, und ihrer Toͤchter, und ihrer Soͤhnen.

Und denn hatten ihm die Vorgeſezten noch nichts weniger als vergeſſen, daß er ſie ob Sa - chen, die ſie nicht anderſt gemacht als ihre Vaͤter und Großvaͤter, dennoch als wenn ſie die faͤulſten Schelmen geweſen, vor einem halbdozend Bet - telbuben niederknien und abbitten gemacht.

330

Am meiſten aber machte das: die Reichen waren bis jezt gewohnt die Armen als eine Art Knechte anzuſehen, die wie dazu gebohren ſeyen ihnen um den halben Lohn, den ſie an - derſtwo haben koͤnnten, alle Arten Dienſte zu thun, und es machte z. E. einer ſolchen diken Frauen gar nichts, ihre arme Gevatterin einen ganzen Nachmittag bey ihr arbeiten zu machen, und ſie denn am Abend vor dem Nachteſſen mit einem Stuͤk Brod, und etwann einer ab - genommenen Milch heimzuſchiken.

Aber es iſt vorbey, Gevatterin hin, und Gevatterin her: die Armen wollen das nicht mehr ſo verſtehen, und kommen ihnen nicht mehr, auſſer ſie geben ihnen ſo viel Lohn als ſie daheim oder anderſtwo in der gleichen Zeit verdienen konnten.

Darinn haben ſie auch ganz recht.

Aber darinn haben ſie unrecht, daß ſie, ſo bald ſie einen Eken blauen Himmel ſahen, frech und unverſchaͤmt wurden, und Leuthen, bey denen ſie nur vor ein paar Wochen gebet - telt, jezt die unverſchaͤmteſten Antworten ga - ben.

So ließ die Huͤrnerbeth der Huͤgin, die ge - wiß wenn je eine im Dorf eine gute Frau iſt, da ſie ihr bey einem ſtarken Reger ſagen ließ, ſie ſoll doch zu ihr kommen, und ihr helfen das Waſſer das ihr gegen den Keller laufe ablei -331 ten, zur Antwort ſagen: was ſie auch denke, daß ſie ihr ſolche Botten ſchike? Es ſey nicht mehr die alte Zeit, ſie habe jezt auch ihre Ge - ſchaͤfte, und ihre Haushaltung, und koͤnne ihr nicht mehr zu Gebott ſtehen wenn ſie wolle. Und dergleichen Antworten gab das Bettelvolk jezt bald alle Tage, und brachte die Reichen dadurch natuͤrlich gegen ſie in Harniſch, und denn auch gegen Arner, deſſen Wohlthaten an der Aenderung ihrer Umſtaͤnden ſchuldig.

Es iſt traurig, man kann nicht anderſt, wenn man ſo etwas hoͤrt, man muß an das Thier denken, das kriecht und waͤdelt wenn es hungert, und die Zaͤhne zeigt, wenn es den Wanſt voll hat.

§. 74. Fortſezung aͤhnlicher Hauptſachen fuͤr die gleichen Leuthe.

Aber auch Leuthe, die ſich nicht mit dieſem Thier vergleichen laſſen, und ſolche die dem Junker gar nicht zuwider waren, machten Nachrichten, die dem Guten, das er im Dorf betrieb, den groͤßten Schaden thaten.

Selbſt ſein Huͤnertrager Criſtoff machte ihm ſo einen Streich, und rief einmal, da er mit ei - nem halben Rauſch uͤber den Berg kam, vor vie -332 len Haͤuſern in Bonnal anſtatt jung Dauben , jung Dauben.

Wer hat jung Dauben feil?
Jung Teufel,
Jung Teufel:
Wer hat jung Teufel feil?

Das machte den Leuthen in den meiſten Haͤu - ſern boͤſes Blut; ſie meynten nemlich, er ſtichle auf ihren dummen Teufelsglauben, den ſie mit dem Allment theilen ſo theuer zahlen muͤſſen: und noch dazu, er ſey aufgewiegelt; und wer den Junker haßte, und dem was er wollte gram war, trieb dieſes ſo hoch er konnte. Die Vor - geſezten und das Hartknopfenvolk redten nicht anderſt, als wie wenns eine ausgemachte Sache ſey, daß der Junker darhinter ſteke; und es gab Leuthe die mit troknen Worten heraus ſag - ten: ein Mann, dem vom Catechismus an bis zum Wirthshaus nichts recht liegt, was die Alten machten, iſt nicht zu gut hiezu.

Der Huͤnertraͤger vernahm ſelber, und noch an gleichem Abend, wie man das Narrenwort aufnehmen und erklaͤren wollte. Das machte ihm, wenn er ſchon halb betrunken war, ſo bang, daß er die ganze Nacht darob nicht ſchlafen konn - te, und am Morgen, ſo bald er ins Schloß kam, und ſeinen Korb in der Kuͤche abgeſtellt, den Junker ſuchte, und ihm erzaͤhlte, was ihm geſtern im Rauſch fuͤr ein Narrenſtreich ent - wiſcht.

333

Er haͤtte nicht leicht etwas thun koͤnnen, das dieſen verdruͤßlicher machen koͤnnen. Er befahl ihm auf der Stell wieder nach Bonnal zu laufen, und bey allen Haͤuſern, vor denen er ſo Teufel ausgerufen zu ſagen, daß wenn er noch einmal nuͤchtern oder im Rauſch ſo ei - nen Streich ſpiele, ſo habe er fuͤr den Junker ſeiner Lebtag genug jung Dauben und jung Guͤggel ausgerufen und eingekauft.

Auch bey den Torfgraͤbern erfuhr der Jun - ker, daß die ſo es mit ihm hielten und ſo zu reden ſeine Parthie ausmachten, dem ſo er ſuchte die groͤßten Hinterniſſe in den Weg legten.

Von der erſten Stund an, die er bey dieſen Arbeitern zubrachte, zeichneten ſich ihm zwey Bruͤder bey jedem Anlaß als die arbeitſamſten ordentlichſten und gutmuͤthigſten vor allen an - dern aus; und er ſuchte wie natuͤrlich gegen ſie beſonders liebreich zu ſeyn, aber ſie wurden allemal beyde roth, wenn er nur ein Wort zu ihnen ſagte.

Er wußte lange nicht, was das bedeute? Endlich erfuhr er, ſie ſeyen dem Siegriſt und dem Schulmeiſter verwandt, und erſchreken darob, wenn er nur ein Wort zu ihnen ſage, weil ſie glauben, er wuͤſſe nicht, daß ſie in eint und anderm nicht ſeiner Meynung.

Der Junker verdoppelte auf dieſen Bericht ſeine Freundlichkeit gegen ſie, ſie wurden aber334 immer gleich roth. Und die andern, wenn ſie ihn ſo freundlich gegen ſie ſahen, ſtoßten auch immer die Koͤpfe zuſammen, und ſagten ſich dies und das daruͤber ins Ohr; er that aber, als ob er nichts merkte. Endlich ſagte ein - mal einer ſo nahe an ihm zu, daß er es deut - lich verſtuhnd, wenn er wuͤßte mit was fuͤr ei - ner Partie ſie es halten ſo lieſſe er ſie ſicher mit ſeiner Freundlichkeit ungeſchoren. Da kehrte er ſich um, und ſagte dem Mann, er ſolle jezt die gleichen Worte noch einmal und das uͤberlaut ſagen. Er mochte wollen oder nicht, er mußte. Da ſolltet ihr die Tagloͤh - ner geſehen haben, wie ſie den Kopf ſtrekten, und die Ohren ſpizten, was der Junker daruͤ - ber ſage.

Die zwey Bruͤder aber wurden beyde ſo blaß wie der Tod, und hielten das erſte mal, daß es Arner ſahe, mit einander die Haͤnde ſtill.

Arner ſah dann die Tagloͤhner, die ſo die Haͤlſe ſtrekten, mit ein paar Augen an, die ſo viel redten, daß er haͤtte ſchweigen koͤnnen, man haͤtte ihn gleichwohl verſtanden. Aber er redte doch und ſagte dann, wie lang wollet ihr mich doch nicht kennen? und was habe ich auch gethan, daß ihr alſo von mir urtheilet, und glauben koͤnnet, ich ſey im Stand Leuthen um deswillen, daß ſie anderer Meynung ſind als ich, unfreundlich zu begegnen?

335

Nach dieſem gieng er gegen die zwey Bruͤder, die etliche Schritte von ihm wegſtanden, zu, bot ihnen beyden mit einander die Haͤnde, und ſagte zu ihnen: Und ihr? koͤnntet ihr das auch glauben? Sie ſahen ihn einen Augenblik an ohne zu reden; bald darauf ſagte der Aeltere:

Ja Junker! wir habens geglaubt, und ich will euch den graden Weg ſagen, was daran die Schuld iſt.

Da klagte er ihm, die Hand immer in ſeiner haltend; es gaͤbe Leuthe im Dorf, die ſich groß damit meynen, einen jeden, der mit einem Wort ſich verlauten laſſe, als wenn er uͤber etwas anders als der Junker und der Pfarrer denke, ſo unverſchaͤmt anzufahren und zu be - gegnen, daß man ſich bald mehr forchten muͤſſe, uͤber etwas ſo zu reden wie man daruͤber denke, als weis nicht was zu thun.

Der Junker war betroffen, und ſagte, man kann nichts thun, das mehr wider mich iſt, und wider das ſo ich ſuche als juſt das.

Und doch thuns Leuthe, die nichts weniger glauben, als daß ſie euch zuwider handeln, ſagte noch einmal der Chriſtoff, ſo hieß der aͤl - tere der Bruͤder.

Und da die andern ſahen, daß es der Junker nicht uͤbel aufnehme, gaben ihm ihrer eine Men - ge Beyfall, und etliche die mehr als halb hart - knoͤpfiſch waren, trieben es noch weiter, und336 ſagten laut: ja es meyne bald ein jeder Geiſſen - bub, er doͤrfe ſich nur hinter den Junker verſte - ken, um ſein Maul uͤber alles zu brauchen wie er wolle.

Das Wort, Geiſſenbuben, brachte etliche von des Junkers Parthie in die Hiz, und die Augen gluͤheten einem jungen Mann, der ſich da ſtellte und antwortete: Man muß unpartheyiſch ſeyn, und die Sachen auf beyden Seiten ſagen, wenn man davon reden will; und es iſt ſo, wenn Nar - ren von dieſer Gattung dergleichen thun, ſie haben den Junker zum Ruͤken, ſo thun Narren von der andern Gattung dergleichen, ſie ha - ben den lieben Gott zum Ruͤken, und ich meyne das ſeye noch viel das ſchlimmere.

Der Junker mußte jezt daruͤber lachen, und ſagte: ich kann nichts daruͤber ſagen, als ſie ſind alle beyde Narren.

Der Chriſtoff widerſprach das auch nicht, und ſagte vielmehr, er moͤchte nichts weniger, als daß man meynte: er glaube, alle Leuthe die dem Junker und dem neuen Weſen zuwider, ſeyen um deswillen recht und brav, und gehen in den Sachen zu Werk wie ſie ſollten; es ſey ihm genug, daß er jezt ſehe, daß der Junker den geraden Weg gehe, und einem jeden ſeine Freyheit laſſe.

Der Junker ſagte ihm hieruͤber: Es geht mir hierinn vollkommen wie dir; ich moͤchteſicher337ſicher auch nichts weniger als denken, daß Leu - the die meine Brille auf die Naſe ſezen, um deswillen um ein Haar braͤver ſeyen als Leuthe mit andern Brillen. Und es freuet mich gewiß auch, daß ich ſehe, daß du eben ſo natuͤrlich den geraden Weg geheſt, und andern Leuthen die Freyheit, die du ſelber gern haſt, auch gern laſſeſt.

Und ich kann nicht ſagen, erwiederte der Chriſtoff, wie es mich freuet zu ſehen, daß wir in dieſen Stuͤken ſo nahe bey einander.

Lieber Chriſtoff! nimm das fuͤr immer an, Leuthe, die es gut meynen, ſind im Grund nie weit von einander, und finden ſich immer, ſo - bald ſie ſich nur gegen einander erklaͤren, ſagte der Junker.

Dieſes Wort und ſeine Guͤte gegen die zwey Bruͤder, und wie er ſich gegen ſie erklaͤrt, und wie ſie ihn begriffen, ward am gleichen Tag dem ganzen Dorf kund.

Und es ſchwaͤchte, wie noch nichts, den blin - den Eifer, den das Hartknopfen-Volk einer Menge Leuthen im Dorf gegen den Junker, und alles was er machte, ins Herz gebracht hatte.

Dieſer Eifer iſt von jeher das, wodurch in Sachen die im Streit ſind, der ſo unrecht hat, ſein Unrecht am leichteſten bedeken kann.

Auch hatte das Hartknopfen-Volk Naſe ge - nug, es zu riechen, daß es ihm ans Herz gehe,Y338wenn der Eifer gegen dieſen Mann im Dorf aufhoͤren ſollte, und ſie thaten alles moͤgliche, daß das nicht geſchehe; ſie verſchreyten die zwey Bruͤder, die ſich haben von ihm einnehmen laſ - ſen, als Mameluken, die den Mantel nach dem Wind haͤngen, und bewegten, ſo zu reden, Himmel und Erden, ihre Blinden zu warnen, um in ihrer Sprache zu reden, daß ſie die Au - gen nicht aufthun, die Freundlichkeit der Hei - den zu ſehen, die wider Gott ſey.

Aber es half nichts; ſie konnten nicht hin - dern, daß nicht alle Tage mehr Leuthe anften - gen zu ſehen, wie freundlich und gut Junker und Pfarrer und Schulmeiſter ſeyen, und es in allweg meynen.

Und mit dem kam das Volk in Bonnal auf den Punkt anzufangen, mit Angelegenheit ſel - ber nachzuforſchen, was dann auch eigentlich das Streitige in dem neuen Weſen ſey, davon man ſo viel Aufhebens mache.

§. 75. Ein Schritt zur Volkserleuchtung, die auf Fundamenten ruhet.

Der Lieutenant hatte ſeine Bonnaler immer auf dieſem Punkt erwartet, um mit ih - nen uͤber dieſe Sachen mit der ganzen Deut -339 lichkeit, die er in alles hineinbringen konnte, was er mit Angelegenheit uͤberlegt hatte, zu reden.

Er hatte von nun an alle Abende ein halb Dozend und mehr junge Leuthe bey ſich, denen er ſtundenlang mit ſeiner unnachahmlichen Ge - dult links und rechts in den Kopf hineinzubrin - gen ſuchte, was der Junker und der Pfarrer im Grund ſuchen, und worinn und warum man ſie unrecht verſtehe?

Unter den jungen Leuthen, mit denen er ſo redte, war ein Lindenberger, der ganz auſſer - ordentlich in alles hineindrang. Es war vol - lends, wie wenn alles ſchon vorher in ſeiner Seele gelegen, ſo brauchte es nur einen Wink es aus ihm herauszubringen.

Wenn er nur eine Viertelſtunde hernach von dem redete, was der Lieutenant eben erklaͤrte, brauchte er ſchon kein Wort mehr von ſeinen, ſondern hatte ſchon eigene Bilder und Ausdruͤke, welche zeigten, daß er, was er ſage, ganz aus dem Seinigen nehme.

Auch ſagte der Lieutenant, da er ihn kaum ein paar mal reden hoͤrte, zum Pfarrer: dieſer Mann wird dem Hartknopfen-Geſchmeiß den Kopf zertreten.

Er irrete ſich nicht, er zertrat ſie wie Wuͤr - mer, ſobald er anfieng uͤber ihre Meynungen das Maul aufzuthun.

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Das ſchreklichſte fuͤr dieſes Geſchmeiß, deſ - ſen ganze Kraft im Maul und in leeren unver - ſtaͤndlichen Worten beſtuhnd, war des Manns ſeine Kuͤrze, und daß ihn jedermann verſtuhnd und verſtehen mußte.

Sie konnten ihm nicht antworten; man ver - ſtuhnd ſie nicht mehr, weil man ihn verſtuhnd, oder vielmehr man begriff, weil man ihn ver - ſtuhnd, daß man ſie nie verſtanden.

Er verglich das Auswendiglehrnen der Re - ligion, das der Pfarrer nicht mehr haben wolle, dem Unſinn eines Bauern, der ein Pferd oder einen Ochs mit ſtarken Ketten an allen vier Fuͤſ - ſen anbinden, und ſo am Bahren lahm ma - chen wuͤrde, damit er ihm nicht weglaufe.

Das Verkleiben der Mordfrage verglich er der neuen verleſenen Giftordnung.

Und auf den Einwurf: die Leuthe koͤnnten ja auf dieſe Art die Religion ſelber und alles was ſie Gutes wiſſen und haben, verlieren, gab er zur Antwort: es duͤnke ihn, das ſey juſt ſo viel als wenn man ſagen wuͤrde, Bauern - kinder koͤnnten ihres Vaters Aker und Matten verlieren, wenn er ſie nicht auswendiglehrnen laſſen wuͤrde, wo ſie liegen? an wen ſie anſtoſ - ſen? was man das Jahr darauf thun muͤſſe? und ſezte hinzu: wuͤrde nicht jedermann ſo ei - nem Bauern ſagen: du Narr! das beſte Mit - tel, daß deine Kinder ihre Guͤter nicht verlie -341 ren, iſt daß ſie brav darauf ſchaffen und wenn du ſie am Morgen fruͤh und am Abend ſpath darauf hinausjagſt, ſo wird ihnen beſſer als mit dem Auswendiglehrnen in Kopf kom - men, wo ſie ſeyen?

Die Roß an ſeinem Zug ſind nicht ſo ſtark, und die Furchen, die er mit ihnen ins Feld zie - het, ſind nicht ſo grad, als die Ausdruͤke und Bilder die er brauchte; aber wenn er in Eifer kam, ſo wurden ſie auch ſo ſchneidend wie ſein Pflug, mit dem er vom Morgen bis am Abend ſein Land wie nichts umlegte. Und wenn er Schurken vor ſich ſah, ſo war er denn bald im Eifer.

Der Staͤndlj-Saͤnger Chriſten erfuhrs auf eine ſchrekliche Art. Er ließ ſich durch Eſſen und Trinken verfuͤhren, daß er ihm im Bart - haus wiederſprach, und Gotteswort und der Seele Heil, und was man beym Kinderlehren in Acht nehmen muͤſſe, ins Maul nahm.

Der Lindenberger zog ſein Geſicht in Falten, ſo wie der Himmel ſich vor einem Wetter in Falten zieht, ſobald der Kerl nur das Maul aufthat, und antwortete ihm denn: Du, es muß einer nuͤchtern ſeyn an Seel und Leib, und nicht lahm, und nicht ausſaͤzig wie du, wenn er das Wort Gottes und der Seele Heil ins Maul nehmen, und davon reden will, wie man Kinder erziehen und zu Menſchen machenY 3342ſoll, die, behuͤt uns Gott davor! einmal dei - nen nicht gleich ſehen.

Es muß einer kein Vater ſeyn, wenn er nicht lieber vom Donner erſchlagen ſeyn wollte, als von ſo einem Wort getroffen. Auch zitterte der Staͤndlj-Saͤnger, dem man ſonſt Lumpenhund, und alles was man wollte, ſagen konnte, ohne daß ers zoͤrnte, jezt am ganzen Leib; es war aber auch zu erſchreklich, denn es war ganz wahr; er konnte es darum auch nicht aushal - ten, und mußte fortgehen.

Aber da er zur Thuͤre hinaus war, ſagte doch ein alter ehrlicher Uhlj: Jaͤ Linden - berger, das iſt doch zu hart! und ich muß dir ſagen, es iſt mir einmal noch nicht, daß du in allen Stuͤken recht habeſt; gerade z. Ex. will es mir gar nicht in Kopf, daß es mit dem Aus - wendiglehrnen der Religion juſt ſo ſey, wie du behaupteſt.

Noch immer in der Hiz, antwortete der Lin - denberger: lieber Uhlj! es toͤnt freylich hart, wie ichs ſage, aber nur weil wir von Jugend auf gewohnt ſind, es anderſt zu hoͤren. Oder iſts nicht ſo? uͤberlegs, und gieb mir dann eine Antwort.

Wenn einer einem Kind eine Heiden - und Zigeunerreligion in Kopf bringen wuͤrde wie es dann kaͤme? Sez, er wuͤrde das Duͤmmſte, das du nur erdenken koͤnnteſt, ihm343 alſo beybringen: z. Ex. die Sonne ſey der liebe Herrgott, der Mond ſeine Frau, und die Ster - ne ſeine guten artigen Kinder, und nimm denn an, es waͤren viel dike groſſe Buͤcher in der Welt, in denen viel hundert und aber viel hun - dert Menſchen ſich ſeit hundert und aber hun - dert Jahren Muͤhe gegeben, dieſen Zigeuner - glauben zu erklaͤren, und vernuͤnftig und gut aufzumuͤzen, und tauſend Gruͤnde aufzuſuchen, warum man ihn annehmen muͤſſe, und wie man zeigen koͤnne, daß er wahr und gut ſey, und man antworten koͤnne; wenn jemand ſag - te, er ſey nicht wahr und nicht gut. Und denk denn, dieſer Mann wuͤrde ſeinem Kind, ehe es wuͤßte was rechts oder links iſt, die Haupt - ſachen dieſes Zigeunertraums einpraͤgen, ihm ſeinen Glauben am Himmel zeigen, und ihns machen Freud daran haben, und Thraͤnen dar - uͤber weynen, und Lieder daruͤber ſingen, und denn, wenn es anfienge zum Verſtand zu kom - men, ihns das Geſcheidſte und Beſte, das es in dieſen Buͤchern uͤber ſeine Himmelsreligion fin - den wuͤrde, auswendig lehrnen lieſſe, und ich mag nicht reden, weis nicht was noch mehr thaͤte, um ihm Kopf und Herz fuͤr ſeine Sonn - und Sternenreligion einzunehmen. Kannſt du denn finden, ſo ein Kind muͤßte uͤber dieſen Punkt im Kopf und an der Seele nicht wieY 4344lahm werden? und wenn du dieſes findſt, ſo findſt du alles, was ich habe ſagen wollen.

Solche Blizworte waren freylich fuͤr die mei - ſten Leuthe zu ſtark, aber ſie zuͤndeten doch Licht an, und ſezten hie und da Leuthen daruͤber den Kopf auf den rechten Flek, die denn weniger Feuer hatten, und ſtiller und ſanfter daruͤber redten.

Das Eis war ſo gebrochen, die Angſt fiel alle Tag mehr weg, die man ehedem hatte, von dieſen Sachen nur zu reden; und ſo wie die Angſt wegfiel, regte ſich die Neugier, und trieb ſelber die alten Großmuͤttern, wenn ihre Enkel vom Lieutenant heim kamen, und denn von dieſen Sachen redten, hinter dem Ofen hervor zu hoͤren, was es denn auch mit dem neuen Weſen ſeye, von dem man die Zeit her ſo viel murmle. Und je mehr man ſo dem Grund der Sachen nachforſchte, je heiterer kams na - tuͤrlich heraus, es ſey einmal nicht ſo ſchlimm, und nicht ſo boͤs darmit gemeynt, als man im Anfang habe ausſtreuen wollen.

Auf der andern Seite aber klagten denn auch viele Leuthe, es ſey ein ſo groſſes Uebel, man wiſſe gar nicht mehr, woran man ſich hal - ten kann, und was man glauben ſoll, weil die Leuthe bald alles und ſelbſt das Wort Gottes der eine ſo und der andere anderſt erklaͤre.

Viel wußten ſich uͤber dieſen Einwurf gar345 nicht zu helfen; aber das Baumwollenmareylj, das doch weder ſchreiben noch leſen kann, fand ungeſucht die rechte und die einige Ant - wort, die man uͤber dieſen Punkt geben kann. Es ſagte ſeinen Spinnerweibern, die ihm auch ins Haus kamen uͤber dieſen Punkt zu klagen: es hat ſchon gefehlt wenns einem uͤber das was Gottes Wort ſagen wolle oder nicht ſa - gen wolle aufs erklaͤren und das was andere Leuth dazu ſagen, ankommt!

Aber wie machſt du es dann, wenn es dir nicht aufs erklaͤren ankommt?

Wie ich das mache? Ihr guten Leuthe, ihr ſolltets wohl wiſſen, es ſind ja genug Sa - chen in der Welt, die von Gott ſelber ſind, und ob denen man nicht verirren kann, was Gott wolle, daß ein jeder Menſch in der Welt ſeye und thue.

Ich habe ja Sonn, Mond und Sternen, und Blumen im Garten, und Fruͤchte im Feld, und denn mein eigen Herz. Und meine Umſtaͤnd, ſollten mir die nicht mehr als alle Menſchen ſagen, was Gottes Wort ſeye? und was er von mir wolle? Nehmet nur grad ihr ſelber, wann ihr vor mir zuſtehet, und ich euch in Augen anſehe, was ihr von mir wollet, und was ich euch ſchuldig: und denn da die Kinder meines Bruders, fuͤr die ich verſprechen muß, ſollten die nicht das346 eigenthuͤmliche Wort Gottes an mich ſeyn? das auf eine Art an mich gerichtet iſt, und mein eigen gehoͤrt, wie es an keinen andern gerichtet, und keinem andern gehoͤrt; und das iſt gewiß von Gott, und ich kann mich gewiß nicht verirren, wenn ich mir das andere Wort Gottes durch nichts in der Welt als das, er - klaͤren laſſen will.

Und die Spinnerweiber konnten ihm nicht abſeyn, daß Sonn und Mond und Sternen, und des Menſchen Herz, und ſeine Umſtaͤnde einem jeden Menſchen das Wort Gottes fuͤr ihn recht und unverirrlich und genugſam erklaͤren.

§. 76. Vom Aendern alter Maſchinen, und vom Aufweken von den Todten.

So faßte von Tag zu Tag der Saame des Guten und Wahren in Bonnal immer mehr Wurzel. Doch waren die Fruͤchte ihrer Arbeit nichts weniger als allgemein; das alte Volk, das im Sumpf des vorigen Lebens grau geworden, kam mit Kopf und Herzen nicht mehr nach.

Der Pfarrer hatte ſich auch an die ſchlimm - ſten gewaget, aber wenn er denn alle Muͤhe und Arbeit verſchwendet; ſo wars am End347 immer nichts. So lang er neben ihnen zu - ſtuhnd, ſchienen ſie wohl einem Anlauf zu neh - men, aber mehrentheils giengs keine 14 Tage, bis er ſahe, daß ſie noch die Alten ſind, und die Alten bleiben werden.

So giengs ihm mit dem Triefaug. Er hatte kaum ſich von dem Schreken erholet, und ein paar mal wieder wohl geſchlafen, ſo war ihm ſchon alles aus dem Kopf, was ihm vor der Voͤgtin Todbett das Herz ein wenig, vor ein paar Tagen, weich gemacht hatte.

Und ſo wie dieſes wegfiel, wuchs in ihm wieder die Bitterkeit uͤber den Junker, daß er ihn ſo auf der Tragbahren im Bett uͤber den Kirchhof unter die Linde tragen laſſen, und ihm einen Schimpf angethan, wie man keinem Hund anthun ſollte. Er war wie raſend daruͤ - ber, wenn er daran denkte, daß er einmal uͤber das andere in Keller lief, ſeine Wuth zu ver - treiben, und es kam ihm kein Sinn mehr dar - an, das, was er dem Pfarrer mit dem Doktor Miller verſprochen, zu halten.

Zwar ſchlug er es ihm nicht in den Bart hin - ein ab; aber er hatte immer einen Vorwand, wenn dieſer davon redte.

Bald mußte er noch Schriften und Papier zuſammen ſuchen, ehe er es thun koͤnnte.

Bald es ſey noch die Frage, ob dem Doktor Miller damit gedient ſey?

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Bald, es ſey nur Waſſer in See getragen, und der Miller habe ja ſtudiert, und wiſſe am kleinen Finger mehr, als er am ganzen Kopf; und wieder, wenn der Herr Doktor etwas mit ihm wolle, ſo wiſſe er ja wohl wo er zu Hauſe ſey?

Aber es ſtuhnd dem Doktor Miller auch nicht an, ihm dafuͤr nachzulaufen. Er ſagte dem Pfarrer deutſch: er glaube nicht, daß er et - was wiſſe, und noch weniger, daß er ihm et - was ſage; und denn muͤſſe er geſtehen, moͤge er nicht, daß man ihm nachrede, daß er ihm dafuͤr nachgelaufen, und ſich dafuͤr habe zum Narren halten laſſen.

Aber der Pfarrer, der immer bis zur Ein - falt ſeinem guten Herzen folgte, ruhete nicht, bis er ſie einmal bey einander hatte, und brachte es endlich bey einem Mittageſſen im Pfarrhaus dahin.

Der gute Mann gab das Beſte, was er in der Kuͤche und im Keller hatte, und that alles was er konnte, den Henkerskerl in gute Laune zu bringen; er ſezte ihn oben an, trank zuerſt ſeine Geſundheit, und ſagte beym erſten Glas, ſie wollen naͤchſtens mit einander ins Schloß, der Junker werde ihnen dann einen andern ein - ſchenken als dieſer ſey, wenn er hoͤre, daß ſie ſo mit einander gut Freund worden.

Der Miller ließ ſich das Untenanſizen und349 alles gefallen, weil ſonſt niemand da war, und der Pfarrer ihm vorher das Ehrenwort gethan, er ſoll es doch nicht achten, er richte ſonſt mit dem alten Narren nichts aus.

Es hatte im Anfang auch den Anſchein, wie wenn es dem Pfarrer nicht fehlen wollte.

Das Triefaug ſoff drauf los, und ſieng an ſo geſpraͤchig zu werden, daß dieſer meynte, er werde, ehe er vom Plaz aufſtehe, auskramen, was er im hinterſten Winkel wiſſe.

Es war nichts weniger; er redte kein wahres Wort, und ſchnitt auf, daß der Miller, wenn ihm ſchon der Pfarrer einmal uͤber das andere winkte, und ihn noch mit den Fuͤſſen unter dem Tiſch ſtoßte, daß er ſchweige, ſich doch nicht mehr halten konnte, und ihm wiederſprach.

Nun wars aus; das Triefaug ſieng jezt an ihn anzuſchnauzen: wenn ers beſſer wiſſe, ſo ſolle er reden, und er wolle ſchweigen; doch ſah er, ſo ſehr er einen Rauſch hatte, es dem Pfarrer an, wie wehe es ihm gethan, daß es ſo gehe; aber es machte ihm ſo viel als einer Kaz, wenn man ihr kaltes Waſſer angeſchuͤttet. Er blieb nur noch um die Glaͤſer zu leeren.

Das war ſchon laͤngſt tod in ihm, was den Menſchen warm macht, wenn ſie ſehen, daß ſie jemand kraͤnken; das plagte ihn nicht mehr.

Was ihn plaget, iſt die Langezeit, die er350 hat, ſeitdem die Tragbahrenhiſtorie ihm ſeine Kundſame vertrieben.

Er klagte auch einem jeden alten Weib, das bey ihm ſtill ſtuhnd, wie ihn das plage!

Und da ſein Vetter von Audorf, dem er ſonſt, wenn er ihm nur den Schatten ſah, immer ruͤhmt, wie gut ers habe, und wie ein groſſes Gluͤk es fuͤr ihn ſey, daß ſein Großvater ehrlich worden, jezt auf einer Reiſe ins Oberland bey ihm zuſprach, ſieng er an die hellen Thraͤnen zu weynen, und ihm zu klagen, wie es ihm jezt gehe, und wie er oft bey ganzen halben Tagen keine lebendige Seele in ſeiner Stube ſehe.

Der rohe Vetter gab ihm zur Antwort: er ſolle nur zu ihnen hinabkommen, und da ſoll er den ganzen Tag Leute genug und alles ha - ben, was er nur wuͤnſche.

Das leuchtete ihm wohl ein, aber es kam ihm uͤbers Herz, ſo aller Ehre gute Nacht zu ſagen; doch bey mehrerm Nachdenken, da er fand, es ſey ſchon aller Ehre gute Nacht ge - ſagt, entſchloß er ſich innert 14 Tagen das Haus zu beſchlieſſen, und ins Land hinunter zu zie - hen, zum Meiſter Johannes, dem Henker in Audorf.

Mit dem Hu[m]el kams auch nicht viel anderſt; da ſich der Jaſt, in dem ihn der Pfarrer die erſten paar Wochen erhalten, nach und nach ſezte, ſo zeigte es ſich alle Tage mehr, daß nichts aus ihm351 werden konnte, wenn er auch ſelber noch ſo gern wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maſchine war vom alten Leben ſo ausgebraucht, daß ſie auf der andern Seite wie geroſtet war, und keinen Lauf mehr hatte. Er empfand es auch ſelber, und wenn er davon redte, brauchte er den Aus - druk: es ſey mit ihm nicht anderſt als mit einem abgeſtandenen Wein, ſo lang man ihn ſchuͤttle und ruͤttle, ſchiene es wohl, er habe noch etwas Geiſt, wenn man ihn denn aber nur ein paar Stunden ſtehen laſſe, ſey es gleich wieder die abgeſtandene Luͤren.

Es war wirklich, wie er ſagte, und ich wuͤßte ihn auf der Welt nichts beſſerm zu vergleichen als ſo einer Luͤren; er war ſo abgeſtanden daß er oft bey halben Stunden in ſeiner Stube ſaß, und das Maul offen hielt, wie wenn er verruͤkt waͤre.

Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es war ein Wind, daß er dem Pfarrer in ſeiner Noth einmahl ſo recht gab, und ſelber einzu - ſehen ſchien, er haͤtte ſich mit ſeinem Maul der Religion gar nichts annehmen, ſondern auf ſeinem Struͤmpfweberſtuhl ſchaffen, und durch ſeinen Verdienſt und ſeine Arbeiten ein ehrli - cher Kerl zu werden ſuchen ſollen. Er pro - bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme, wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm352 in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab weh, wenn er darauf zuſchlagen ſollte; das bloſſe Sizen auf dem Stuhl machte ihm ſchon uͤbel, ſo ſehr iſt er davon weggekommen. Er hilft ſich alſo wieder mit Leuth betriegen und dem Maul, und ſucht den Leuthen die Hiſtorie mit dem ge - ſtohlnen Rokfutter aus zu ſchwazen, ſo gut er kann; doch bringter ſeinen alten Verdienſt nicht mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im - mer der jungen Frauen die ihm ſeine Maular - beit mit Eſſen und Trinken am beſten bezahlt, ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.

Aber uͤberhaupt behagte das neue Weſen allem Volk, das auf Maulſachen und Ein - bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn - den und Fuͤſſen nichts anſtellen kann, gar nicht wohl.

Doch machte die kranke Kienaſtin hierinn eine Ausnahm, ſie hub ſich am Rand des Grabs aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih - rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Geſichtspunkt ein, daß die Lebenspflichten der Menſchen der einzige aͤchte Lehrmeiſter ihres wahren Wiſſens und ihrer beſten Erkenntniſſen ſeye.

Es ſchien auch etliche Tage, als ob man wie - der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben koͤnne; ſeitdem ſie ihre Geiß im Haus hatten, die der gute Junker ihnen geſandt, ſie alleTage353Tage einige Loͤffel Milch, da ſie vorher bey Wochen gar nichts gegeſſen hatte. Sie ward auch noch uͤberall anderſt, nahm an allem, was vorfiel, Antheil; und was ihr gutes begegnete, und die Liebe ihres Manns und ihrer Kinder machten ihr auch wieder Freude, und die Hoff - nung, wenn ſie im Grab ſeye, werde ihre Haushaltung gluͤklicher ſeyn, und ihre Kinder vernuͤnftiger handeln lehrnen, als ſie in der Welt nicht gehandelt, brachte auf ihrem Tod - bett eine Ruhe und Heiterkeit in ihr Herz, die ſie in ihrem Leben nie hatte, und die ihrem ge - beugten Mann und ihren Kindern oft Freuden - thraͤnen auspreßten. Auch wars zu Thraͤnen bringend, wie die guten Leuthe dem Pfarrer oft dankten, daß er dieſe Frau vor ihrem Tod noch zu einem ſo guten Muth gebracht.

Er hatte dieſe Freude ſo wenig, und es that ihm ſo weh, wenn er nach aller Arbeit nichts ausrichtete, und nach langen vergebenen Hoff - nungen ſehen mußte, daß mit einem Menſchen gar nichts zu machen.

Er war wuͤrklich daruͤber zu ſchwach. Man muß es auch koͤnnen, den Menſchen verlohren geben, wenn er verlohren iſt. Man muß ihn ja auch todt laſſen, wenn er todt iſt; und es iſt umſonſt daß man ſeinen Leib aus dem Grab ruft. Aber es iſt nicht minder umſonſt, daß man ſeinen getoͤdeten innwendi -Z354gen wieder zum Leben ruft; weh thut es freylich, und alle gute Menſchen haben dieſes Leiden.

Auch der Lienert hatte ſeinen Theil davon. Er that ſeinen Tagloͤhnern von dem erſten Tag, da ſie bey ihm ſchaften, was er konnte, ſie zu gewinnen, und hatte eine Geduld und eine Nach - ſicht mit ihnen, und eine Sorgfalt fuͤr ſie, daß man haͤtte glauben ſollen, wenn ſie auch wilde Thier geweſen waͤren, ſie haͤtten ihm muͤſſen anhaͤngig werden. Aber ſie ſind nicht wilde Thier ſie ſind verderbte Menſchen. Es wirkte juſt das Gegentheil von dem, was er ſuchte, auf ſie. Und es geht nicht anderſt, wenn ein Menſch zu gut iſt, und mehr gut iſt, als er ſollte, ſo giebt er Schurken gegen ſich das Meſſer in die Hand, und der ſchlechteſte Kerl kan ihm blizſchnell alſo uͤber den Kopf wachſen, daß er, ſobald er ihm einmahl etwas abſchlagen, und zu etwas nein ſagen muß, denn die groͤßten Unverſchaͤmtheiten gegen ihn wagt, und ſo gar Rache an ihm ausuͤbt, bloß weil er ſich nicht von dem verwoͤhnten Purſchen aufs aͤuſſerſte treiben laſſen will.

Der arme Lienert kam juſt in dieſen Fall. Die Hauptlumpen von ſeinen Tagloͤhnern hat - ten kaum vernommen, der Junker gebe den Torfgraͤbern zwey mal in der Woche einen Abendtrunk; ſo murmelten ſie unter einander, es gehoͤre ihnen auch, und es ſey niemand ſchuld355 als er, daß ſie ihn nicht bekommen: es brauchte nur, daß er ein paar Wort davon beym Jun - ker fallen laſſen wuͤrde, ſo haͤtten ſie ihn ſicher.

Was ſie am erſten Tag hinter ihm brummel - ten, das ſagten ſie ihm morndes ins Angeſicht; und da ers ihnen abſchlug, und antwortete: ſie ſollen denken, daß es ein Unterſchied ſey, den ganzen Tag im Waſſer zu ſtehen und zu arbei - ten, und am Morgen und am Mittag eine hal - be Stunde weit an ſeine Arbeit zu gehen, wie es die Torfgraͤber muͤſſen; und hingegen, ſo zu reden, unter ſeinem Dach und vor der Haus - thuͤre zu ſeinen Taglohn zu finden, wie ſie es haben; ſo wurden ſie auf dieſe Antwort ſo wild uͤber ihn, daß ſie, wie wenn er ihnen das groͤſte Unrecht angethan haͤtte, alle Unverſchaͤmthei - ten wagten, und ſogar von Stund an Rache an ihm auszuuͤben, und ihm alles moͤgliche zu leid zu thun trachteten; auch wenn er nicht den Michel an der Hand gehabt haͤtte, ſo haͤtten ſie ihm die groͤſten Unordnungen mit den Geſellen und mit der Arbeit angerichtet.

Aber dieſer, der uͤber dieſen Punkt ſein rech - ter Arm war, nahm den Kriecher und den Marx, da er eben dazu kam, daß ſie ihm ein paar Geſellen aufwiegelten, ſolchergeſtalten ab - ſaz, daß ihnen die Luſt nach fernerm Aufwie - geln und ſogar nach fernerm Arbeiten auf dem Kirchhof vergieng, und ſie noch vor dem Nacht -Z 2356eſſen ihren Plaz mit ein paar Torfgraͤbern tauſchten.

O! wenn ich doch nur machen koͤnnte, daß dieſer Mann noch mehr guten Leuthen in der Welt, die es wie der Lienhard noͤthig haͤtten, der rechte Arm ſeyn, und mit Schelmen und Heuchlern fuͤr ſie herumſpringen koͤnnte, wie er mit ihnen herumſpringen kann, was wuͤrd ich doch fuͤr Gutes ausrichten?

Er hat die Seele der Schurken in ſeiner Hand, weil er ſie kennt, und wenn er mit ih - nen zu Red kommt, ſo kann er ſie zerreiſſen, daß man meynt, man ſehe ſie zwiſchen ſeinen Zaͤhnen.

§. 77. Gluͤk und Arbeit wider Teufelskuͤnſte.

Ich moͤchte die neue Untervoͤgtin ſo zwiſchen ſeinen Zaͤhnen ſehen.

Es iſt nicht minder. Sie probierte, damit ſie den Hubelrudj der Meyerin aus dem Kopf bringen, und denn deſto eher mit ihrem Vetter zurechtkommen koͤnnte, den Grauſen (Ekel), den ſie an der Meyerin kannte, bey ihr wider den Rudj zu reizen, und zu machen, daß ihr Ekel ſie anwandle, wenn ſie nur an ihn denke: und ſobald ſie dieſes im Kopf hatte, ſo ent - ſprangen, ohne daß man wuͤßte wie? und wo -357 her? auf einmal die wunderlichſten Geruͤchte uͤber dieſen Mann.

Man ſagte ſich im ganzen Dorfe die ſchand - barſten, unflaͤtigſten Dinge uͤber ihn ins Ohr, ſchonte weder der Frauen unter dem Boden, noch der unmuͤndigen Kinder. Ich darf nicht ins Maul nehmen, was man alles ſagte, und erzaͤhle das einige davon. Man ſagte uͤber die Frau ſelig, ihre Gichter ſeyen, behuͤt uns Gott davor! eine Art Weh geweſen, das den Kin - dern ſelber noch im Blut ſteken koͤnne; und das Liſeli mache in Gottsnamen Augen, daß man ſo etwas foͤrchten muͤſſe, wenn man ihns nur anſchaue. Der Teufel haͤtte nichts erfinden koͤnnen, das ſchlauer ausgedacht geweſen, den guten Rudj in ſeinen halben Hoffnungen zu prellen.

Es erſchuͤtterte die Meyerin, da es ihr zu Ohren kam, durch und durch, und wenn ſie nur eine Viertelſtund gewartet, daß der Schre - ken ſich ſezen, und ihr Ekel Fuß greifen koͤnnen, ſo waͤre der Untervoͤgtin ihr Abſehen wie gewiß wenigſtens ſo weit gerathen, daß ſie den Rudj auch nicht mehr haͤtte heurathen koͤnnen, wenn ſie hinten nach ſchon zehn mal vernommen, daß an allem nichts wahr waͤre.

Aber ſie ſprang in allem Feuer auf das erſte Wort, das ſie hoͤrte, zur Gertrud. Sie redete mit einer Heftigkeit, die dem Ekel, den ſie ſicherZ 3358gefaſſet haͤtte, wenn ſie ſich gemaͤßiget haͤtte, nicht Plaz gabe. Das rettete den guten Rudj.

Sie ſtampfte in der erſten Minute, in der dritten hatte ſie Thraͤnen in den Augen.

So lang ſie ſtampfte, ließ ſie Gertrud fort - reden; da ihr aber Thraͤnen in die Augen ka - men, nahm ſie ſie bey der Hand, und ſagte: du dauerſt mich, aber du biſt betrogen!

Wer wollte doch auch Satans genug ſeyn, den graden Weg ſo etwas zu erſinnen? ſagte da die Meyerin.

Ich will nicht ſagen, wer? erwiederte Ger - trud, und ſah die Meyerin bey dieſem Wort ſteif an; aber Jemand, fuhr ſie fort, hats ge - than und erfunden, das iſt gewiß, und du kannſt es draus abnehmen, daß man von allem dieſem uͤber den Rudj kein Wort erzaͤhlt, ſo lang er ein armer Mann war, und von dir nichts wußte, und es aber jezt herum trommelt, da man hoͤrt, daß er dich bekommen ſollte.

Bey dieſem Wort kam der Meyerin wie ein Bliz in Sinn, die Untervoͤgtin koͤnnte dahin - ter ſteken.

Gertrud ſahe ihr den Gedanken in den Au - gen, und hatte genug. Sie fuhr ruhig fort, und ſagte: an deinem Plaz wuͤrd ich jezt die ganze Hiſtorie mit kaltem Blut anſehen, und auf der einen Seite mit Ernſt nachforſchen, ob das geringſte daran wahr ſey; auf der an -359 dern Seite aber mir auch nichts aufbinden laſ - ſen, das faul und falſch iſt.

Die Meyerin erwiederte: du biſt doch unpar - theyiſch, und ich thaͤte nicht recht, wenn ich dir nicht wuͤrde folgen.

Ich bin gewiß unpartheyiſch, und behuͤt mich Gott dafuͤr, daß ich dir jemand moͤchte zu einem Mann rathen, der dir hinten nach, ſo wie du biſt, auch wenn er es nicht verdiente, zuwider werden muͤßte.

Die Meyerin druͤkte der Gertrud die Hand, und ſagte: ich ſehe dir an, daß dir iſt, wie du ſagſt; und ſezte hinzu: du biſt doch immer brav.

Wenn ich dir nur lieb bin, erwiederte Ger - trud; und nach einer Weile: Aber gell, du laſſeſt dir das doch jezt auch nicht ſo in den Kopf hineinwachſen, daß es dir etwann mit dem armen Rudj gehet, wie mit demſelben andern?

Was meynſt? ſagte die Meyerin.

Und Gertrud: Ha! daß du etwann auch wie ob Jenem im Traum ſo pfy Teufel rufen muͤſſeſt!

Nein! das muß mir ſicher nicht begegnen, ſagte da die Meyerin, und mußte lachen.

Mit dieſem Lachen aber war ihr das, was die Untervoͤgtin ſuchte, wie aus der Seele weggewiſcht. Der Grauſen (Ekel),Z 4360worauf dieſe zaͤhlte, griff nicht mehr Plaz, und konnte nicht mehr Plaz greifen.

Aber Unwillen uͤber den Teufel, der den ar - men Mann um ihrentwillen ſo anſchwaͤrzen konnte, und Verdacht gegen die Voͤgtin herrſch - te in ihrer Seele, als ſie von der Gertrud weg, langſam mit geſenktem Haupt wieder heim - gieng.

Sie war noch nicht weit, und ſtieß auf die Suſann, von der ſie wußte, daß ſie die Ge - ruͤchte wider den Rudj ausgeſtreuet.

Es ſtellte ſie ſtill, da ſie ſie ſah; aber ſie erholte ſich bald, machte ſich da blizſchnell hin - ter das Menſch her, und brachte mit Vernunft und 20 Bazen heraus, was ſie ahndete.

Aber ſo ſehr ſie die Ausſag der Waͤſcherin zu - frieden ſtellte, ſo wurmte ihr dennoch, es koͤnn - te, wo nicht viel, doch etwann wenig dahinter ſteken. Das Spruͤchli der Alten vom Raͤuchlj und vom Feurlj wollte ihr nicht aus dem Kopf.

Sie konnte nicht anderſt, ſie mußte noch lange und auf alle Weiſe nachforſchen, ob denn gar nichts dahinter ſteke?

Es fand ſich gar nichts.

Selber die rauhe Hallorin, die zehn Jahre mit ihm unter einem Dach gewohnt, und ihm und ſeiner Frauen beſtaͤndig nicht wohl gewe - ſen, ſagte: ſie koͤnne nicht ſagen, daß nur das geringſte von dieſem wahr ſey; und ſezte hinzu:361 es waͤre etwas anders, wenn man ſagte, ſie ſey eine liederliche Frau geweſen, und ein Narr, und habe den lieben Gott zwingen wollen, daß es in der Welt anderſt gehe, als es geht, und dergleichen. Aber daß ſie ein Weh an ihr gehabt, oder uͤber ihren Mann ſolche Kla - gen gefuͤhrt, und daß er ein Unflath ſey, wie man jezt ſage, das ſey hundertmal nicht wahr, wenn mans auch hundertmal ſage. Und ſo wars allenthalben, es kam nichts heraus, als daß es Luͤgen ſeyen, und aber Luͤgen.

Hingegen vernahm ſie durch ihr Nachfor - ſchen alle Tage neue Umſtaͤnde von ſeinem al - ten Elend, von ſeiner Gedult und ſeiner Gut - muͤthigkeit; und das brachte ihr den Rudj jeden Tag naͤher ans Herz.

Auch merkte die Voͤgtin allem was ſie von ihr hoͤrte, deutlich an, daß es ihr innwendig nicht kommen wollte, wie ſie meynte, und daß es uͤberall mit dem Meiſterſtuͤk, das ſie fuͤr ih - ren Vetter probiert, ſo wenig gehen wolle als nichts.

Der feißte Menſch hatte bis jezt nur noch nicht vernommen, daß ihm der Rudj in den Weg kommen ſollte. Endlich da es alle Leuthe wußten, kams einmal auch ihm, da er eben unter der Thuͤre ſtuhnd, zu Ohren. Er blieb da wohl eine Viertelſtund unter der Thuͤre ſte - hen, und hatte das Maul vor Verwunderung362 offen; denn er konnte nicht begreifen, wie es moͤglich, daß ein Menſch, dem er mehr als einmal, wenn er in ſeinem Dorf gemezget, etwas abgehendes zum Allmoſen gegeben, ihm Heurathens halber in den Weg kommen koͤnne. Als ihm aber endlich das Maul wieder zufiel, wurde er ſo wild, daß er eine Weile nicht wußte, was er machte, und ſich, damit er wieder zu ſich ſelber komme, zum Eſſen und Trinken hinter den Tiſch ſezen mußte; dadurch brachte er ſich wieder ſo weit zu ſich ſelber, daß er zu dem Schulmeiſter gehen, und ihm dann folgenden nachdruͤklichen Brief an die Unter - voͤgtin angeben konnte.

Gott zum Gruß und Jeſum zum Troſt Herzvielgeliebte Frau Bas Voͤgtin!

Ich muß mich wie ein Hund ſchaͤmen, und moͤchte wild werden vor Zorn, was uͤber euere Geſchwey (Schwaͤgerin) hier ein Gerede geht. Die ganze Kilchhoͤri (Ort) weist, daß ich ein Aug auf ſie habe; ihr ſeyd allein ſchuld daran, ſonſt kein Menſch; ich waͤre ſchon laͤngſt ver - ſorget, wenn ihr mich nicht mit ihr aufgehal - ten haͤttet, und ich will wenig ſagen, zehen und zwanzig Meitlj, die eben ſo huͤbſch und noch huͤbſcher, und mit dem Geld denn ganz anderſt beſtellt ſind als dieſe, wuͤrden die Finger nach363 mir leken, wenn ich nur Ja ſagte; und ich weis gar nicht, was dieſe ſich einbildet, und was ſie meynt, daß ſie beſonders habe, und warum ich leiden ſollte, daß ſie mich aufzieht; und ich wuͤrde mich keinen Augenblik beſinnen ſie hoken (ſizen) zu laſſen, wie ſie hoket, inſon - derheit auf das hin, was man mir jezt von ihr erzaͤhlt; und nur allein euch zu gefallen, weil ihr es ſo gern haͤttet, und ſchon ſo viel Muͤhe damit gehabt hattet, will ich doch nicht grad voͤllig von ihr abſtehen, und glauben, wenn es ſchon faſt nicht zu glauben iſt, es ſey nicht wahr, was man von ihr erzaͤhlt. Aber lang will ich das doch nicht mehr ſo haben; und ihr koͤnnet es ihr nur ſagen, wenn ſie dieſes wolle, oder es mit dem Bettelbuben ſey, wie man redet, daß ſie ihn neben mich ſtelle, ſo ſolle ſie ſich meiner nur kein Acht mehr nehmen.

Dieſes hab ich nicht unterlaſſen koͤnnen, euch zu ſchreiben. Womit, in den Schirm Gottes wohl befohlen, verbleibe,

Herzvielgeliebte Frau Bas Untervoͤgtin, Euer getreuer Vetter, Hans Ulrich Ochſenfeißt, Mezger und Sonnenwirth.

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§. 78. Vom Rathen, Helfen, und Allmoſen - geben.

Ich verliere mich im Labyrint des groſſen Bilds das ich machte, lege den Pinſel ab, und faſſe meinen Traum im Ganzen.

Wormit will ich Arners Thun vergleichen? Es iſt gleich dem Regentropfen, der von der Rinne faͤllt, und den Felſen hoͤhlet. Aber wer kann die Tropfen zaͤhlen unter der Rinne am Dach, und ihre Kraft beſchreiben, die den Felſen hoͤhlt? Ich kann es nicht, ich kann nur die Hoͤhlen zeigen im Marmor unten an der Rinne, und ſagen, ſie ſind vom Reiben der Tropfen, die von ihr herabfallen: ge - nug das Fallen der Tropfen hoͤhlte den Felſen, wo er am haͤrteſten war.

Der Eifer mit dem Spargeld in den Spin - nerhaͤuſern brachte eine Menge Leuthe in eine beſſere Ordnung, die ſich ſonſt durch nichts da - zu bringen lieſſen; und man ſah mit jedem Tag mehr Maͤnner und Weiber Theil an dem neh - men was er wuͤnſchte, und ſuchte, und ihm ſo zu ſeinem groſſen Ziel helfen.

Die Reinoldin, es iſt die ſo ſeinen Carl ſo hart gekuͤßt, und dem Kinderzug ſo luſtig vor den groſſen Haͤuſern vorbeygeholfen, dieſe lieſ -365 ſe keinen Tag vorbey, daß ſie nicht den Spin - nerweibern in ihrer Nachbarſchaft, bey ihrem Eifer fuͤr die neue Ordnung mit Rath und That an die Hand gieng. Sie war von jeher wohl - thaͤtig, aber jeh da ſie ſah, daß der Arbeits - luſt, und die Anfuͤhrung zur Ordnung und zum ſparen den armen Leuthen in einer Woche mehr aufhilft als man ihnen mit keinen Allmoſen bey Jahren aufhelfen kann, ſo aͤnderte ſie zur Stund hieruͤber ihre Art, und ſchlug auch der beſten Gevatermeiſterin einen Mundvoll Brod ab, wenn ſie nicht mit ihr auf den Grund ge - hen, und ihr lauter und klar zeigen wollte, wie ſie ſtehe? Was ihre Haushaltung der Woche durch verdiene? wie ſie das abtheile? und wa - rum ſie nicht damit auskomme?

Ihre erſte Antwort, wenn ihr jemand eine Noth klagte, war jezt, ich muß mit dir heim, und in deiner Stube ſehen, wo es dir eigentlich fehle, und wie dir zu helfen?

Das behagte freylich vielen Leuthen, die ihr bis dahin ins blinde hinein bettelten, nicht. Andere lieſſen ſich helfen; an dieſen that ſie was eine Mutter; aber auch hatte ſie erſt, ſeitdem ſie ihre Art hierinn geaͤndert, Freud an ihren Allmoſen.

Bis jezt that ſie dieſelbe als eine Art Schul - digkeit, ſo ohngefehr wie rechte Leuthe Zoll und Zehnden abſtatten, gern und willig, aber ihr366 Herz war nicht darbey, und ſie denkte nichts dabey; jezt wurden ſie ihr zur Luſt des Men - ſchen, der einem Kind aus dem Elend, das Gluͤk ſeines Lebens gruͤndet.

Sie thut das, und giebt jezt ihren Armen nicht mehr nur Brod und Geld, ſondern ſich ſelber, und ihre Zeit, ihren Verſtand, ihr An - ſehen und alles, ſo gar ihren freudigen Muth, ihnen alſo zu helfen, daß ihnen wuͤrklich gehol - fen.

Aber mitten indem ſie ihnen hilft, legt ſie ihnen auch Zaum und Gebiß in den Mund, daß ſie gegen eine gute Hausordnung, auf die ſie ihre Huͤlfe jezt baut, nicht aufſchlagen doͤrf - ten, und legt nie keine Hand an, ſo lang ein Armer einen Krebs im Buſen verbergen will, der ihre Huͤlf vereiteln, und was ſie immer an ihm thaͤte, ihn doch zum Tod bringen wuͤrde.

Man mag daruͤber ſagen, was man will, gewiß iſt nur das ein wahres Allmoſen, wenn man macht, daß der ſo es empfangt, nicht fer - ner betteln muß. Das iſt wahr, oder das Allmoſen iſt nicht ein Opfer der Weisheit und Guͤte ſondern etwas ganz anders.

Ihre Mutter iſt jezt auch wieder gut mit ihr. Da ſie ſiehet daß der Junker mit ſeinen Sachen Meiſter wird, ſo iſt ihr jezt auch recht, daß ihre Tochter ihm hilft.

Sie iſt ein ſonderbares Menſch, dieſe Mut -367 ter. Bey allen Fehlern die ſie hat, ruͤhmen ſie viele Leuthe gar, und ſagen, ſie koͤnnte ein Koͤnigreich regieren, aber von allen, die ſie ſo ruͤhmen iſt nicht einer der behauptet, ſie koͤnnte einen Menſchen, der mit ihr unter einem Dach wohnte, gluͤklich machen.

Eben ſo viel als die Reinoldin, und noch mehr that auch das Baumwollenmareylj, der Hausordnung im Dorf aufzuhelfen, und es war ihm noch gar viel leichter. Seiner Leb - tag mit den armen Leuthen und ihren Umſtaͤn - den bekannt, war es bey ihnen ſo daheim, daß es in ſeinem eignen Haus nicht mehr da - heim war, und hatte darum nicht noͤthig, wie die Reinoldin in ihren Haͤuſern nachzufor - ſchen, wie es mit ihrer Ordnung ſtehe, es ſah es ihnen im Augenblik ſonſt an, und merkte es an jedem Wort das ſie redten, an jedem Buͤndel Garn, den ſie ihm auf den Tiſch leg - ten.

Es hat ſchon ſeitdem es Baumwollen aus - giebt, an vielen Leuthen mit Rath und That das gleiche thun wollen, aber unter dem alten Junker iſt dieß umſonſt geweſen. Ein Rath, ein gutes Wort hat da ſo viel genuzt, als eine Thrane im Krieg. Es iſt umſonſt unter einer Oberkeit wie der alte Junker den Menſchen zu rathen. Nur da, wo eine Oberkeit iſt, die zur Hausordnung Sorg tragt, und ſelber368 Hausordnung hat, nur da kann man das thun.

Es war auch fuͤr das Mareylj, wie wenns nicht mehr im alten Dorf lebte, ſo fand un - ter dem neuen Junker ein jedes gut gemeintes Wort bey den Leuthen ſo gute Statt, und ſeitdem der Eifer auf Spargeld zu ſpinnen in ſie hineingebracht worden, richtete es faſt mit allen Haushaltungen, die ihm ſpinnten, in die - ſer Abſicht aus was es wollte.

§. 79. Von der Wahrheit und vom Irrthum.

Es fiel bald jedermann in die Augen, daß es ſich im Dorf allenthalben aͤndere; denn auch von den ſchlechteſten Leuthen kamen bald in dieſer, bald in jener Gaß einige ſichtbar in eine beſſere Ordnung, ſo daß wo die Weiber zuſammenkamen, beym Brunnen auf dem Kirchweg, und im Barthaus, wo die Maͤnner, ſeitdem das Wirthshaus zu iſt, ihr altes und neues zuſammentragen, daß immer von nichts anderm die Red war. Aber viel und lang hiel - ten die meiſten die neue Beſſerung der Leuthen fuͤr eine Art von Baͤttags - und Feſtfrommkeit, die ſo lang dauren werde, bis etwann eine Faß - nacht, oder Kirchweih auf die heilige Zeit fol - ge, die denn den Baͤttagsgeſichtern ein Endmachen369machen werde. Ihrer viele ſagten daruͤber: es waͤre wohl gut, wenn man die Leuthe, ſo wie einen ledernen Handſchuh umkehren koͤnn - te! aber wenn es moͤglich waͤre; ſo waͤre der Junker gewiß nicht der erſte geweſen, dem es in Sinn gekommen, er werde auch nicht der erſte ſeyn, dem es gelinge.

Im Anfang hatten ſie auch nur ihr Ge - ſpoͤtt daruͤber, und verglichen es dem Grap - pflanzen des alten Junkers, und der Arbeit mit ſeinen fremden Schaafen, und dem aller - hand andern Zeug, das er in ſeinem Alter auch ſo an Menſchen und Vieh probieren wollen, aber es bald gut ſeyn laſſen.

Einer ſagte einmal gar: es ſeye ja nur eine Hundsordnung, und erklaͤrte ſich dann, wenn des Schaͤrers Hund dem Hummel ſein gelbes Waſſer nicht unter dieſem Tiſch aufgelappt, ſo wuͤrde glaͤublich die neue Ordnung in den Haͤu - ſern, und aller Lerm den ſie anrichte, ſich nur niemand traͤnmen laſſen.

Einige Wochen ſpaͤter aber ſpotteten ſie nicht mehr, ſondern ſiengen an, allerley Gruͤn - de zuſammen zu ſuchen, warum ſie recht haben? und warum das neue Weſen nicht Beſtand ha - ben koͤnne?

So iſt der Menſch, ſo lang ihn das, was er nicht gern hat, auch nicht wahr dunkt, ſo ſpot - tet er nur daruͤber; wenns ihm aber ahndetA a370es koͤnnte doch wahr ſeyn, ſo fangt er an Gruͤn - de zuſammen zu leſen, warum es nicht wahr ſeyn kann.

Und uͤberall, was ihm ganz wahr iſt, dafuͤr braucht er keine Gruͤnde, und ſucht keine. Erſt wenns ihm ahndet, er koͤnne ſich irren, geht er auf das gefaͤhrliche Jagen nach Gruͤnden, auf welchem er ſo oft in die Labyrinthe des Irr - thums gerathet, wo fuͤr ihn keine Auswege mehr ſind.

Warum iſt er ein Narr, und thut das? Was will der Menſch mit dem Jagen nach vie - len Gruͤnden? Die Wahrheit ruhet auf ihrem Felſen als auf ihrem einzigen Grund. Die Unwahrheit hingegen hat ihre Lage immer hinter vielen Gruͤnden, und verbirgt ſich hin - ter ihnen, wie hinter einem Haufen zuſammen - geleſener Kieſelſteinen. Von da bringt ſie aus den Schlupfwinkeln ihres Sizes den ar - men Jaͤgern nach Gruͤnden, Steine aller Art und Gattung und Farbe, wie ein jeder von ih - nen ſich den Felſen der Wahrheit an Art und Farbe und Gattung in ſeinem Kopfe vorſtellt, hervor. Die Schlange tragt die glaͤnzenden Steine zwiſchen ihren Zaͤhnen auf ihrer Zun - ge, und beleuchtet ſie mit dem Glanz ihrer Augen.

Aber das Schooskind der Wahrheit, die ruhende Einfalt, kennt das Klappern ihres371 Nakens, und nahet ſich den Huͤgeln nicht, wo ſie ihren Siz hat; denn ſie weis wie das ſchlaue Thier, die Naſeweisheit, den Menſchen bethoͤrt, und die armen Jaͤger nach vielen Gruͤnden un - ter den Knochen des Zaubergewildes, dem ſie nachſtreben, begrabet.

Noch einmal, was will der Menſch mit vielen Gruͤnden? Die Wahrheiten, deren Nichtwiſſen Schaden bringt, brauchen nicht viel Erklaͤrens.

Aber der Menſch glaubt gern Narrenſachen, und thut gern Narrenſtreiche, und moͤchte denn doch, daß das, was er als ein baares Vieh glaubt und thut, ſo vernuͤnftig waͤre, daß ihm Engel und Teufel nichts dagegen ſagen koͤnnten. Da - rum muß er auch ſo oft und viel auf die ar - me Jagd nach Gruͤnden, auf der jezt auch die Bonnaler waren. Dieſe fanden auf ihrer Jagd fuͤr ihre liebe Meynung, daß dieſes neue We - ſen keinen Beſtand haben werde. Gruͤnde wie Steine.

Zwey beſonders leuchteten ihnen gar ein. Der erſte die lahme, und alles laͤhmende Rede: es ſeye mit den Menſchen gar nichts zu machen. Sie gluͤklich zu machen, und zu beſſern, und in Ordnung zu bringen, ſey ſo lang die Welt ſteht, Traum geweſen, und werde ſo lang die Welt ſteht, Traum blei - ben.

A a 2372

Das iſt ſo lang die Welt ſteht, das Wort geweſen, womit dumme und ſchlaue Leuthe Hand in Hand einander geholfen, den Bogen abzuſpannen, wenn etwas Gutes, das man mit den Menſchen machen wollte, nicht in ih - ren Kram diente; und es iſt kein Wort in der Welt, womit man ſicherer unter der Deke alles hindern, und dem Menſchen in allem was er Gutes thun ſollte, die Augen ausbohren kann, als dieſes.

Der andere Grund iſt der gleiche, aber auf eine andere Manier. Es brachte ihn ein Mann, der die Waſſerſucht hatte, und in ſeiner Krank - heit Jahre lang Zeit hatte, hinter dem Ofen allem nachzuſinnen. Dieſer verglich das ganze Weſen der Lufterſcheinung zu den Zeiten ihrer Großvaͤter, da einmal drey Sonnen mit ein - ander am Himmel geſchienen, aber in einer Viertelſtunde darauf wieder zu einer einzigen geworden.

Dieſe Erklaͤrung behagte ihnen ſo wohl, und machte ſie ihre liebe Meynung ſo vernuͤnftig finden, daß ſie glaubten und ſagten: ſieben Pfarrer mit einander koͤnnten es ihnen nicht beſſer erklaͤren.

Sie faßten ſie auch in Kopf, daß alles, was ihnen dagegen vor Augen ſtuhnd, ihnen ſo zu reden zu nichts war.

Es iſt aber auch nichts, das mit dem Men -373 ſchen und ſeinem Kopf ſo uͤbel fahrt, als eine unrichtige Erklaͤrung, an die er glaubt.

Auch ſahen die Bonnaler, die jezt neben der Liebe zum Sich-nicht-angreifen zu muͤſſen, dieſe Sonnenerklaͤrung wie ihren Catechismus in Kopf gefaßt, vergeblich mit ihren Augen die neue Hausordnung alle Tage mehr Fuß grei - fen und mehr Beſtand zeigen.

Doch daͤmpfte ihnen ein Lindenberger die Hize, mit deren dieſe Sonnen in ihren Koͤpfen brannten. Er war noch ein Neuling im Wiederſpruch gegen ſeine Bonnaler, die Traͤu - merſchelmereyen mit gleicher Hize liebten. Und es waren viele Wochen, ehe er dem Lieu - tenant, wie ich ſchon erzaͤhlt, unter die Haͤnde kam. Aber er fand dieſes Gleichniß doch jezt ſchon nicht ſtichhaltend, und antwortete ihm das erſte mal darauf: die Schul, und das Wirthshaus, und das Baumwollenſpinnen laſſe ſich ſo wenig mit Erſcheinungen am Himmel vergleichen, als ſich ein Kalberbraten mit ei - ner Krautſuppe vergleichen laſſe.

Aber die ganze Schaͤrſtube wiederſprach ihm das, und ſagte: es vergleiche ſich gar wohl, eines ſey ſo unerhoͤrt als das andere.

Er erwiederte ihnen: am einten Ort und in einem Kopf ſey etwas unerhoͤrt, das in einem andern Ort und in einem andern Kopf gar wohl erhoͤrt und voͤllig im Brauch ſey: z. Er. A a 3374koͤnne es nicht anderſt ſeyn, es muͤſſe noch viel unerhoͤrter geſchienen haben, den erſten Pflug ins Feld zu ſtellen, und den erſten Baum zu zweyen, als alles was der Junker bis jezt an - gefangen habe. Und nun ohne Gleichniß und Spruͤchworte zu reden, ſo muͤſſe eine Oberkeit entweders die Leuthe uͤberall laufen laſſen, wie ſie laufen, oder koͤnne ſich unmoͤglich, wenn ſie ein Land von der Liederlichkeit und Unordnung abgewoͤhnen wolle, damit abſpeiſen laſſen, es ſey unerhoͤrt, die Leuthe arbeiten und in der Ordnung leben zu laſſen; eben ſo wenig als mit dem, es ſey ein boͤſer Traum, etwas mit den Menſchen auszurichten.

So deutlich das war, ſo blieben dennoch immer viele Leuthe auf der alten Meynung.

Einige, die geſtehen mußten, die neue Ord - nung griff wirklich mehr Fuß, kamen jezt mit dem ſie koͤnnen nicht begreifen, wie es komme, daß es ihm ſo gehe wie er wolle! Und es war nur niemand, der ihnen ſagte, es ſey nichts daran gelegen, ob ſie es begreifen oder nicht. Hingegen ſagte ein Kienholzer, er be - greife es gar wohl, der Junker brauche die zwo Pfeifen, mit denen man ſeitdem die Welt ſteht, alles ausgerichtet: die Brodpfeife und die Freundlichkeitspfeife. Wer da war, ruͤhmte die zwo Pfeifen, und ſagte, es ſey wahr, der Junker brauche ſie wie ein Meiſter.

375

Aber ein Rapſer ſagte daruͤber: wenn ſie ihm dieſe Pfeifen noch ſo ſehr ruͤhmen, ſo wolle es ihm doch nicht in den Kopf, wie er etwann ein Duzend ſeiner Tagloͤhner dazu bringen koͤn - ne, daß ſie ihm vom Morgen bis am Abend in ſeiner Torfgrube aushalten. Es ſind keine zwey Monat, ſezte er hinzu, ſie haͤtten einem, wenn der Henker auch mit dem bloſen Schwert vor ihnen zugeſtanden waͤre, auch bey der leichteſten Arbeit nicht ſo ausgehalten.

Ihm antwortete der Huͤgj: red doch nicht vom Henker, der iſt ein bloſes Narrenwort ge - gen dieſe zwo Pfeifen, wenns die Rede iſt, die Leuthe tanzen zu lehren, wie man will, daß ſie einem tanzen.

Einmal kamen ſie ſo an einem Samſtag dar - auf, was der Junker auch bey allem ſuche? und fielen zuerſt auf den Hochmuth. Sie ſag - ten: er wolle mit ſeinem Dorf, denken ſie, auch etwas beſonders haben, wie es unter ihnen manchmal auch Leuthe gebe, die ſo etwas be - ſonders haben wollen, wenn ſie nur ein Tenn - thor aufrichten.

Aber viele fanden, daß das ein theurer Hoch - muth, und ſagten, das Geld wuͤrde ſie dazu reuen.

Ihnen wiederſprach ein Ruflj, und ſagte: aber er meyne doch nicht, daß er Geld dabey verliere.

A a 4376

Denn muß er doch, antworteten die Bauern, mit dem Sak geſchlagen ſeyn, oder er fuͤhrt keine Rechnung.

Es duͤnkt euch jezt ſo, erwiederte der Ruflj; aber wenn ihr rechnet, was die 90 Jucharten neues Mattland ihm nur an Kornzehnden mehr eintragen muͤſſen, und denn was er mit dem Eifer fuͤrs Arbeiten und Sparen, den er in alle Haͤuſer hinein bringt, nur in zehn Jahren aus - richten muß, ſo kommet ihr gewiß auch dar - auf, daß ihm das Geld, ſo er jezt anwendet, mit der Zeit einen groſſen Zins tragen muß! Er ſezte hinzu: es iſt ja kaum mehr ein Bettel - kind im Dorf, dem es nicht bald alle Nacht von einem halben Bauernhof traͤumet.

Das ſummte den reichern Bauern wie ein hoͤhnendes Scheltwort ins Ohr, daß ſie auf die Lippen biſſen und ſchwiegen. Aber die Armen, die es merkten, trieben nun das Geſpraͤch deſto laͤnger, und ein krummer Humbel, der nur keinen guten Schuh am Fuß hatte, ſagte gegen die Dikbaͤuch, die oben ſaßen, und nichts mit ihm hatten, hinaufgrinzend ſo laut er konnte, und durch die Naſe: ja, wenn einmal meine Kinder ſo fortſpinnen, und mir alle Wochen ſo viel Geld heimbringen als den lezten Samſtag, ſo gehet es keine zehen Jahre, ich kaufe einem Bauern, welcher es iſt, wenn er ein Hagelwet - ter hat, oder ſonſt Geld braucht, ſeine beſte Matte fuͤr baar Geld ab.

377

Das war zu rund, und der Kerl zaͤhlte nicht darauf, daß ihm jemand anderſt als mit dem Maul Antwort geben wuͤrde. Zu ſeinem Un - gluͤk war einer da, der das that, und ihn an Maul und Naſe blutend zur Stube hinaus und die Treppen hinabſchikte. Das Hagelwet - ter hat ihm den Hals gebrochen, es dorfte ihm niemand das Wort reden, und auch die Armen ſagten: wenn er ſchon auch ein Wort haͤtte re - den wollen, wenn er nur nicht mit dem Hagel - wetter gekommen waͤre.

§. 80. Allerley Narrenlohn.

Im Grund aber hatte ihm der Kienaſt ſeinen Baͤrentazen nichts weniger als um deswil - len vors Maul geſchlagen, ſondern ſicher nur vor Aergerniß, daß die Armen alle Tage mehr das Maul brauchen doͤrfen.

Auch zeigte das Lachen der Dikbaͤuchen aller, da das Blut ihm alſo zu Maul und Naſe her - ausſchoß, daß ſie dabey an etwas ganz anders denken, als an ſein Hagelwetter.

Sie gewannen zwar nichts dabey. Alle Samſtag ruͤhmten mehrere Leuth wie es faſt in allen armen Haͤuſern ſo viel beſſer gehe. Doch thut ſo etwas auch dergleichen Leuthen fuͤr den Augenblik wohl.

378

Ein andermal gab ein alter Aebj dem jun - gen Reinold, der auch ſo an den Fingern die Haͤuſer abzaͤhlte, die in allen Gaſſen immer mehr in Ordnung kamen, zur Antwort: Wart jezt nur noch bis die andere Woche an den Hir - zener Markt, und ich will denn ein Narr ſeyn, wenn ich dir denn nicht aus mehr als 20 Haͤu - ſern, die du jezt ſo ruͤhmſt, Leuthe zeigen will, die voll und toll heimkommen.

Er hatte darinn recht. Der Morgen die - ſes Maͤyenmarkts war ſo ſchoͤn; die Sonne gieng wie ein pures Gold auf, und die Even in Bonnal ſahen fruͤhe unter ihren Thuͤren und Fenſtern nach der ſchoͤnen Sonne, und nach dem Weg, der ihnen alſo hinab ins Dorf in die Augen ſchiene, und ſagten bald uͤber Gaſſen und Gaͤrten hinuͤber zu einander, wie ſchoͤn das ein Tag ſey! und wie luſtig es waͤr, wenn ſie auch doͤrften

Aber der Pfarrer hatte in der Kirche gewar - net, der Aebj im Barthaus gewettet, der Lieu - tenant allerhand daruͤber in der Schul geſagt, und geſtern giengen ſie alle mit dem Vorſaz ins Bett den Markt Markt ſeyn zu laſſen; aber heute wars ihnen nicht wie geſtern. So wie die Sonne ſtieg und warmte, ſo ſtieg und warm - te in den Maͤnnern und Weibern von Bonnal der Geluſt nach dem Markt.

Wir ſind doch keine Kinder mehr, und koͤn -379 nen uns ja huͤten, ſagte bald dieſes bald jenes und denn, gell alter, du ſaufteſt doch nicht? Nein nein, gell junge du kramteſt doch nicht? Nein nein, und du ſpielteſt doch nicht? Ich ruhrte keine Karte an. So naͤherte es mit jedem Wort dem lieben Gehen, das denn bald kam. Ihrer wohl 40 Maͤnner Weiber und Kin - der nahmen den Entſchluß, ſie wollen es einmal wagen, es werde nicht alles gefehlt ſeyn.

Und hin war mit dieſem Wort und wie aus dem Kopf weggewiſcht, was ſie mitein - ander vom ſparen, Sorg haben, und derglei - chen an der Sonne geſchwazt. Sie waren nicht ſo bald bey einander, ſo hatten ſie ein Leben und ein Jauchzen, daß es im ganzen Dorf toͤnte, und denn lang noch vom Berg hin - ab; und auf dem Markt kauften, tanz - ten, ſoffen, und ſpielten ſie wie wenige Leuth die auf den Markt kamen.

Aber die Leuth hatten einen Vater daheim der auf das Spielen ſeiner Kinder ein Aug hatte.

Er vernahm ihr Marktlaufen, eh ſie in Hir - zau waren, und befahl ſeinem Claus der an dieſem Abend den Pfarrer von Bonnal heim - fuͤhrte, er ſolle beym Ruͤkfahren am Scheidweg unten am Berg auf ſie warten zu ſehen, wer ſie ſeyen? und wie ſie zugerichtet? Aber ſie kamen nicht bis in die ſpaͤte Nacht. Er380 wartete ſie aus, und ſaß da in der ſtokfinſtern Nacht mit ſeiner Pfeifen im Maul zwiſchen ſeinen zwey Kutſchenlichtern wie ein wahres Geſpenſt. Endlich gegen 10 Uhr hoͤrte er ihr wildes Getuͤmmel, und ſie ſahen von fer - ne ſeine Lichter, das machte ſie ſtill; je naͤher ſie kamen, je groͤſſer ſchienen ihnen die Feuer, und je mehr dunkte es ſie, es ſeyen nicht rech - te Feuer, und es ſteke etwas unrichtiges dar - hinter. Sie wurden ſo ſtill, daß man bald keinen einzigen von ihnen mehr hoͤrte; auch ihre Tritte wurden leiſer, ſo daß es bald war, wie wenn kein Menſch mehr vom Berg herabkomme. Und in dieſer Stille ſagte ein Kind das nicht wie die andern getrunken: dieſe zwey Feuer ſeyen in Gottes Namen mit - ten in dem Weg, wo ſie vorbey muͤſſen, und es ſey ein wunderliches vierekigts Ding, das groß ſey wie ein Haus und Kohlſchwarz, und doch manchmal wie lebendig ſchiene gerad hin - ter den Feuern.

Das machte die volle Heerde ſo aͤngſtlich, daß ſie faſt Athemlos und wie mit einem Auge ge - gen die Feuer hinſtarrten; und nun bewegte ein Zufall die Kutſche, mit ihr ſchwankten die Lich - ter, und die volle Heerde meynte, ſie ſahe die Feuer Kirchenthuͤrm hoch hinauf und hinab ſpringen.

Behuͤt uns Gott! und ſegn uns Gott! wie381 war das ein Schreken. Die Alten verſtumm - ten und die Kinder huben ein Zettergeſchrey an, und lange wußte niemand was rathen, was helfen? Endlich nach einer Weile daͤmpfte das Beben des Schrekens bey einigen den Wein, daß es war wie wenn ſie ihre Sin - nen wieder bekaͤmen, und ein Leuͤpj kam dazu, daß er wie vernuͤnftig ihnen den Rath geben konnte, ſie ſollen Strohhalme ſuchen, und ſie Kreuzweis uͤber einander in die linke Hand nehmen, und ſo wollen ſie eins dem an - dern feſt anhangend in Gottes Namen auf dem Fußweg neben dem Waſſergraben bey dem Ge - ſpenſt vorbeygehen, und denn wenn ſie gerade vor ihm uͤber, ſo ſoll ein jedes die Worte aus - ſprechen alle gute Geiſter loben Gott den Herrn.

Die arme Heerde folgte ihm ſo gern als forchtſame Schaafe dem Hund, wenn er den Wolf ſchmekt und ſie zuſammenjagt, daß ſie deſto ſicherer neben dem Wald vorbeykommen.

Sie ſchikten ſich im Augenblik an, an den Stauden neben dem Weg Strohhalme zu ſu - chen. Als ſie deren hatten, zerbrachen ſie die - ſelben, machten Kreuze daraus und legten ſie den kleinen und jungen noch in die Hand, daß ſie ihnen recht kommen, denn lehrten ſie ſie noch die Worte ausſprechen alle gute Geiſter loben Gott den Herrn.

382

So traten ſie den Weg an, aber ihre Knie ſchwankten, ihre Haͤnde bebten, und ſie zogen aneinanderhangend fort, wie wenn ſie nicht giengen. So kamen ſie endlich ſo langſam fort - treibend gerade neben die Feuer voruͤber, und wollten eben ihre Nothwort alle gute Geiſter uͤber ihre ſtarren Lippen herauslaſſen, als in dieſem Augenblik der Claus ſein Leitſeil zog. Da ſtampften die Roß, die Raͤder klirten, die Feuer ſprangen, und wie wenn die Erde un - ter ihnen gewichen, lag die Heerde miteinan - der im Graben, und meynte nichts anders als der Teufel habe ſie alle miteinander ſo auf ei - nen Klapf uͤber Bord geworfen.

Jezt erhub ſich ein Schreyen das dem Claus auf dem Bok ans Herz gieng; denn es war wie das Schreyen aus brennenden Haͤuſern. Er fieng an, ihnen was er aus dem Hals ver - mochte zuzuſchreyen: ihr Narren, ihr Narren, was iſt das fuͤr ein Schreyen? Kal - berleder, du Ochs? Siegriſt! Huͤgj! ihr Hornvieh, und du, Leuͤpj, du Narrenfuͤh - rer! wofuͤr haltet ihr mich?

Da erkennte die Heerde im Koth die Stim - me des Kutſchers, und ſie war ihr wie die Stimme eines Engels! biſt du es Claus? biſt du es Claus? Gottlob daß du es biſt! antwortete aus dem Graben, was noch reden konnte; denn fragten ſie ihn bald, was doch383 auch das vor Feuer? und ob er dabey ſeye? Und das Wort, es ſeyen ſeine Kutſchen - lichter, richtete ſie auf, wie das Wort es ſeye Pardon da ! arme Teufel unter dem Galgen aufrichtet. Es war nicht anderſt als wenn es ſie aus dem Graben herauslupfte.

So wieder auf den Beinen, kamen ſie nach und nach wieder auf die Hauptſtraße, wo der Claus mit ſeiner Kutſche wartete.

Die meiſten hatten Schuh und Huͤt, und was ſie in Hirzau gekramt, verloren, und alle ihre Lichter waren verloſchen. Er aber war gar freundlich mit ihnen, und zuͤndete ihnen ihre Lichter wieder an. Aber mit dem ſah er auch wer ſie ſeyen? Das verdroß den Stieren - bauer, der boͤſen Wein trinkt, und wenn er nur eine halbe mehr als er gewohnt, im Leib hat, nie ſein Maul halten kann, der fieng zuerſt an zu murren: es brauche ſich nicht, daß er jezt noch ihnen ſo unter die Naſe zuͤnde; er habe wohl bald etwann Bosheiten genug getrieben. Dann bald ſagte er ihm alle Schand und Spott, und bruͤllte laut: wenn er ſieben mal des Junkers Knecht und ſeiner Roſſen Kutſcher ſey, ſo ſeys doch nicht recht und nicht brav, und ein ehrlicher Kerl machs nicht ſo, und der - gleichen.

Das aͤngſtigte die vollen Maͤnner und Wei - ber, daß ſie ihn mit Gewalt vom Claus weg -384 zerrten; ſeine Frau hielt ihm ſogar ein Tuch fuͤrs Maul, daß er ſchweigen mußte.

Das volle Volk aber, das noch nicht ſtehen konnte, wollte dem Claus jezt doch dies und das ſagen, er ſolls nicht uͤbel nehmen, und der - gleichen; aber er ließ ihnen nichts darausgehen, und erwiederte ihnen: ſie denken das alle auch, was er geſagt habe, und er ſey wohl ſobald der ehrlichſte unter allen.

Und mit dieſem Wort verwirrte er die Kerl ſo, daß man ihre Sprach nicht mehr verſtuhnd; halb ſollten ſie lachen, halb wollten ſie derglei - chen thun, es ſey ihnen Ernſt, daß ſie das nicht denken. Das einte dorften ſie nicht, und thaten es doch, das andere konnten ſie nicht, und woll - ten es doch, und dies machte ein Durcheinan - der, das unbeſchreiblich; ſie ſtaggelten und gag - gelten, wie wenn der Rauſch durch das Wort des Clauſen wieder doppelt worden.

Hinter allen, erſt nach dieſem, kam die Spek - molchin aus ihrem Graben, dieſe, die den Wein noch ſtaͤrker als alle andere im Kopf hatte, hielt den Claus, von dem ſie reden hoͤrte, vor einen ganz andern, lief mit offnen Armen auf ihn zu, und rief ſchon von Ferne einmal uͤber das an - dere: mein lieber Claus! mein lieber Claus! biſt du da? biſt du da? und wie waͤrs uns auch gegangen, wenn du nicht da waͤreſt? Aber der Claus verſtuhnd es nicht ſo, und zog, ſobaldſie385ſie nahe an ihm war, das Thier, bey dem er zuſtuhnd, am Zaum, daß ſein Kopf juſt zwi - ſchen ihn und die Frau hineinkam, da ſie eben meynte, ſie falle ihrem Claus in die Arme. Als ſie aber jezt merkte, daß es ein Roßkopf, ließ ſie einen ſolchen Schrey, daß das Thier erſchrak, auffuhr, und die Frau, die an ihns angeklam - mert war, mit ſich vom Boden auflupfte.

§. 81. Erziehung, und nichts anders, iſt das Ziel der Schul.

Mit dem allem war doch nichts weniger als bewieſen, daß das neue Weſen im Dorf, und die groſſe Aenderung in allen Haushaltun - gen gar keinen Beſtand haben werde. Der Vor - fall wirkte vielmehr wirklich zum Gegentheil, und machte, daß die Marktleuthe, die ſich ſchaͤm - ten, was ihnen begegnet, wie wild hinter ihre Arbeit hergiengen, und allen ihren Kraͤften aufboten, die Scharte wieder auszuwezen.

Im uͤbrigen aber baute der Junker in ſeiner Meynung, das Dorf zu aͤndern, gar nicht auf das alte Volk, ſondern auf die Jugend und ſeine Schul. Diesfalls aber zaͤhlte er auf nichts weniger als auf ein Geſchlecht, das dem naͤch - ſten, von dem es abſtammt, ſo ungleich ſeynB b386wuͤrde, als Tag und Nacht einander ungleich ſind.

Er zaͤhlte aber nicht darauf, weils ihm da - von traumte, ſondern weil er ſah, daß der Lieu - tenant es machte; denn das that er und das mit einer Einfalt, daß wenn man in ſeiner Schul alle Augen ausſah, zu forſchen, was er beſonders mache, man nichts fand, das nicht ſo zu reden ein jeder glauben wuͤrde, es ihm nachmachen zu koͤnnen.

Und es iſt wirklich ſo leicht, ihm ſeine Schule nachzumachen, daß ſicher ein jeder recht ver - ſtaͤndiger Bauersmann, wenn er nur ſchreiben und rechnen kann, in Hauptſachen eben ſo viel ausrichten koͤnnte, was er, wenn er nur etliche Tage die Ordnung geſehen, die er und Mar - greth mit ihren Kindern haben. Es brauchte nicht einmal, daß ſo ein Mann nur ſelber rech - nen koͤnnte; und ich habe mit meinen Augen einen Mann geſehen, der ſeine Rechnungsta - bellen mit einer ganzen Stuben voll Kinder ge - braucht hat, und vollkommen damit fortge - kommen, ohne daß er ſelber rechnen koͤnnen. Seine Kinder haben dieſe Zahlreihe in Kopf ge - faßt, daß ſie wie nichts auf alle Art darinn herumgeſprungen, da indeſſen der Mann, der ſie lehrte, das Papier, auf dem er dieſe Zah - lenreihen aufgeſchrieben, keinen Augenblik aus den Haͤnden laſſen dorfte, um nicht alle Minu - ten ſelber zu verirren.

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Ein Beweis, wie weit die Kinder im Dorf gekommen, iſt auch das: wenn des Junkers Carl die Zeit her von Bonnal heimkam, ſagte er immer: die Buben in dieſem Dorf ſind ganz anderſt als andere Bauernbuben, und es meynte einer, ſie waͤren Junkern gegen den andern, ſo wenig ſcheuch (ſchuͤchtern) ſind ſie, und ſo viel wiſſen ſie gegen den andern. Ich erzaͤhle das, wegen dem Nichtſcheuſeyn; der Lieutenant baute den ganzen Erfolg ſeiner Erziehung auf den Grund dieſes Nichtſcheuſeyns, nemlich auf ein unverſtelltes Inneres, und ſagte 100 mal zu ſeinen Kindern: ich verzeihe euch alle Feh - ler; aber wenn ihr anfangt euch zu verſtel - len, ſo ſeyd ihr im Grund verloren, und es giebt fuͤr immer nichts als elende verdrehete Kruͤppel. Auch durchſtach er ſie mit ſeinem Falkenblik, wenn er im geringſten ſo et - was merkte, und jagte denn darauf los, druͤkte darauf zu, preßte es ihnen aus, daß der Angſt - ſchweiß ihnen ausgieng; auch foͤrchteten ſie das Wort: was machſt du fuͤr ein Geſicht? oder fuͤr Augen? von ihm wie ein Schwert; dann ſie kannten ſeine Strenge, ihnen alle Arten des verſtellten Weſens auszutreiben. Aber wie ge - ſagt, er baute auch hierinn auf Fundamente.

Er machte ſie bedaͤchtlich, damit ſie offen ſeyn koͤnnten. Er machte ſie vorſichtig, damit ſie nicht mißtrauiſch ſeyn muͤßten. Er mach -B b 2388te ſie erwerbſam, damit ſie nicht nachſuͤchig ſeyn muͤßten. Er machte ſie treu, damit ſie Glau - ben faͤnden. Er machte ſie vernuͤnftig, da - mit ſie ſich trauen doͤrften; und legte auf dieſe Art den Grund zu dem heitern offenen Weſen, das er von ihnen forderte, wenn ſie ihm vor Augen kamen. Kurz er lehrte ſie als ein Mann, der etwas iſt, wo man ihn hinſtellt, und ma - chen will, daß auch ſie etwas ſeyen, wo man ſie hinſtellt. Und das heißt freylich, er lehrte ſie ganz anderſt, als Leuthe lehren, die nur mit dem Maul etwas ſind, und auf dem Papier etwas koͤnnen.

Er hatte auch das, daß er den Kindern ſeine Liebe ſo lang und ſo viel er wollte, verbarg, und ſie ihnen nur zeigte nach Maßgebung, als ſie alle Kraͤfte anſpannten, das zu werden, was ſie einſt ſeyn ſollten. Und es iſt unglaͤublich, was er damit ausrichtete. Sie wußten im Grund, daß ſie ihm lieb waren, und ſeine Kaltbluͤtig - keit war ihnen wie ein Vorwurf, daß ſie nicht ſeyen, was ſie ſeyn ſollten; ſie konnten ſie nicht ausſtehen, und verdoppelten ihre Kraͤfte, bis er ihnen zeigte daß er mit ihnen zufrieden. Auch gieng ihnen der Kopf unter ſeinen Haͤnden auf, daß es unglaͤublich war.

Das zeigte ſich nicht blos in ihren naͤchſten Berufen. Wenn ſie Zeit hatten, war ihnen bald auch das Fremdeſte nicht mehr fremd, und von389 was ſie immer unter Menſchenhaͤnden ſahen, dachten ſie nicht mehr, daß ſie es nicht auch in ihre nehmen doͤrfen.

Es iſt zum Exempel ein Meiſter Enger, ein Uhrenmacher im Dorf, der bey 20 Jahren da geſeſſen, ohne daß je ein Bauerbub in ſeine Werkſtatt gekommen, dieſes oder jenes darinn zu betrachten, oder etwann ſelber anzugreifen und zu probieren.

Aber jezt ſeitdem der Gluͤphj ihnen beyge - bracht, daß ſie Haͤnd, und Ohren und Naſen haben vollends wie andere Leuthe, ſteken ihrer mehr als ein halb Duzend Nachbarsbuben dem Meiſter alle Abend im Haus, und laſſen ihm keine Ruh, bis er ſie dies und das in die Hand nehmen und probieren laͤßt.

Die Buben griffen es auch alle mit einer Art an, daß der Meiſter ſich nicht genug verwun - dern konnte, und dem Schulmeiſter ſagen ließ: wenn alle Bauerbuben in der Welt alſo gezogen wuͤrden, ſo waͤre kein Handwerk, wo man ſie nicht dazu brauchen koͤnnte, ſo gut und noch beſſer als die Stadtbuben.

Nicht nur das. Er hat gleich geſehen, daß es ſein Vortheil waͤre, zwey der[angereiſten] von dieſen Buben zu ſich in die Lehr zu nehmen, und hat ihnen wirklich anerbotten, ſie ſein Hand - werk zu lehren, ohne daß es einen Heller koſten muͤſſe.

B b 3390

Das ſind Buben, die kein Land und ſonſt nichts haben, und ohne das ihrer Lebtag Knechte und Tagloͤhner haͤtten ſeyn muͤſſen.

Die Buben ſind vor Freuden in alle Hoͤhe geſprungen, als er ihnen das anerbotten, und dann zum Schulmeiſter, ihm zu danken.

Noch nichts nahm dieſen lezten ſo ein, wie der Dank dieſer Knaben, als ſie mit Thraͤnen in den Augen vor ihm zuſtuhnden, und er ihre zitternde Hand in der ſeinen hatte. Sein Herz ſchwellte, hinauszuſehen in die Zukunft, in der alle ſeine Schulkinder verſorget ſeyn wuͤrden.

Er ſtuhnd in ſtillem Staunen vor ihnen zu, traumte ſich den Segen ſeiner Laufbahn, und das Konigreich wornach edle Bettler ſtreben und wornach auch meine Seele duͤr - ſtet mit der Krone weiſſer Haaren, der Se - gen der Menſchen zu ſeyn, die ihn umgeben.

Das Druͤken der Knaben, die ſeine Hand in der ihren hatten, wekte ihn aus ſeinem Traum. Er gieng denn mit ihnen zu ihrem Meiſter, und machte ihnen einen ſo guten Accord, wie ſicher noch keine Knaben ohne Lehrgeld bey einem Uhrenmacher bekamen.

Der Lieutenant verſprach dem Meiſter, ſie forthin als ſeine Schulerknaben anzuſehen, und ſie im Zeichnen und in der Mathematik alles das zu lehren, was ihnen in ihrem Handwerk davon dienen koͤnne.

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Das war dem Meiſter Enger ſo wichtig, daß er um deswillen den Knaben einen Accord mach - te in allen Stuͤken, wie der Lieutenant wollte.

Er ſagte ihm ſogar, wenn er das an ihnen thue, ſo werdens die Knaben gar viel weiter bringen, als er es gebracht.

Der Lieutenant ſpuͤrt aber auch, ſeitdem er Schulmeiſter iſt, was er darinn kann, und iſt vollends ſeine Liebhaberey worden, darauf zu denken, diejenigen von ſeinen Buben, die kein Land haben, zu Handwerken zu beſtimmen.

Er fuͤhrt ſie auch, wenn er immer eine muͤßige Stund hat, in alle Werkſtaͤtte, die im Dorf ſind, ſiehet ihnen bey Stunden zu, wie der einte das und der andere dies angreife, und forſchet ſo von ferne, was aus einem jeden zu machen.

Lebt er, ſo wird das, was er damit ausrich - tet, die Umſtaͤnde der Armen in Bonnal noch viel mehr veraͤndern, als das Weydvertheilen und die zehendfreyen Aeker, die der Junker ih - nen verſprach.

Eben ſo viel thut er an den Maͤdchen.

Die Laſter der Eltern zerreiſſen ihr Inner - ſtes nicht mehr. Sie ſizen vom Morgen bis am Abend ungekraͤnkt in der Stube eines frohen und weiſen Manns. Ihre Haͤnde ſind nie ſtill. Keine Art Geſchwaͤzwerk verwirret ihren Kopf und verhaͤrtet ihr Herz.

Darum zarten ihre Wangen, und ihre Scham -B b 4392roͤthe wachet in ihnen auf, wie Muth und Freu - de in ihren Augen.

Ihre Fuͤſſe huͤpfen zum Tanz, ihre Haͤnde werden biegſam zu jeder weiblichen Arbeit. Ihr Aug oͤffnet ſich der Schoͤnheit der Natur und des Menſchen; und Fleiß, und Sparſamkeit, und Hausordnung, dieſe Seele des Lebens, und dieſer Schirm der Tugend, der kein Tand iſt, wird ihnen unter Gluͤphj Haͤnden zur Natur.

O Gott! was waͤren ſie worden unter der alten Regierung?

Im Sumpf des Elends wird der Menſch kein Menſch.

Ohne Vaterfuͤhrung wird der Knab kein Mann.

Weniger noch wird das Maͤdchen unter der Hand einer Lumpenmutter und unter dem Schulgewalt von Ochſenkoͤpfen ein Weib.

Aber unter Gluͤphj Haͤnden wuchſen Kna - ben und Maͤdchen auf, Maͤnner und Weiber und das zu werden, was Maͤnner und Weiber auf Erden in Zwilch und in Seiden ſeyn koͤn - nen.

Bauet dem Mann Altaͤre!

Bis auf die Blume, die im Garten wachst, braucht er alles, die Seelen ſeiner Maͤdchen hoͤher zu ſtimmen und durch ſie kuͤnftige Ge - ſchlechter von Menſchen im niedrigſten St[a]nde gluͤklich zu machen.

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Es wohnt in Bonnal ein Weib, das aus einem fremden Dorf dahin geheurathet, das pflanzet ſeit 20 Jahren ſchoͤne Blumen, zar - tes Gemuͤß, und feines Obs auf harten Stam - men. Bonnals rohes Geſchlecht ſtahl ihr frey - lich alle Jahr Blumen und Koͤhl und Virnen und Apfel, und was es nicht ſtahl, das bettelte es auf Hochzeiten und Kindstaufen.

Aber ihr nachzuahmen, und ihre Blumen und ihren Koͤhl und ihre Apfel und ihre Bir - nen auch zu pflanzen, daran kam ihnen kein Sinn. Sie verſchreyten, verleumdeten viel - mehr das Weib und ſagten, ſie ſey keine Haus - haͤlterin, daß ſie ihre Zeit und ihren Miſt an ſolche Narrenſachen wende, die ihr denn noch alle Jahr geſtohlen werden.

Aber die Kinder des rohen Volks waren nicht manche Woche in Gluͤphj Stuben, ſo ſtuhnden ſie am Morgen und Abend vor dem Garten der alten Frau, und ihren Blumen und ihrer Ordnung, um ſie zu fragen, wie ſie dieß und das mache, daß es ſo ſchoͤn werde.

Die Alte ſtuhnd bey Stunden an ihrer Hauen bey ihnen ſtill, zeigte ihnen alles, gab ihnen Blumen mit heim, und verſprach ihnen Sez - linge und Saame und Schoß, wenn ſie auch ſo Gaͤrten machen wollen.

Und die Kinder brachten einmal ſolche Meyen (Blumen) in die Schul, zeigten ſie ihrem Gluͤ -394 phj, und fragten ob er nicht meyne, ſie koͤnn - ten daheim auch ſo Gaͤrten machen, wie dieſe Frau?

Warum das nicht? erwiederte ihnen der Schulmeiſter, wenn ihr nicht zu faul ſeyt, und fuͤhrte ſie demnach ſelber alle miteinander zu dieſer Frau in ihren Garten.

Die Freude der Alten iſt nicht auszuſpre - chen.

Sie ſagte dem Lieutenant: es ſey ihr, ſie ſey ihr Lebtag noch nie in Bonnal daheim ge - weſen, wie heut, da er mit ſeiner Schul in ihren Garten komme.

Und die Kinder riefen daheim bey ihren Muͤttern, ſie muͤßten ihnen Land geben Gaͤr - ten zu probieren und zu machen, wie die Frau ihnen ſagte, daß man ſie machen muͤſſe.

Richts, das fruͤh oder ſpaͤth ihnen nuzlich ſeyn konnte, hielt er auſſer dem Kreis ſeiner Schularbeit; denn er fuͤhlte ſich Vater, und glaubte ſeine Arbeit ſeye nichts minder als das Erziehen der Kinder, und was immer ihr gan - zes Erziehen erfordere, das ſey alles im Kreis ſeines Berufs.

Desnahen brachte er auſſer den Schulſtun - den faſt alle Abende mit ihnen zu, und nachte denn mit ihnen was ſie nur wollten. Manch - mal ſchnitt er mit ihnen Holz, manchmal nach - te er mit ihnen Figuren aus Wachs, Men -395 ſchen und Thiere, Kopf und Haͤnde, oft Haͤu - ſer und Muͤhlen, und Saͤgen, und Schiffe.

Zu Zeiten war die Schulſtube voll Hand - werksgeſchirr und Spaͤne wie eine Werkſtatt; aber eh ſie fortgiengen war ſie immer wieder ſo ſauber als eine Fruͤhlingswieſe, wenn ſo eben das Wintergeſtraͤuch von ihr abgerechet.

An ſchoͤnen Abenden gieng er mit ihnen un - ter den Schulnußbaum oben in der Matten.

Es iſt, wie wenn die Alten ihn darum dahin geſezt haben, daß die junge Nachwelt ſich da unter ſeinem Schatten verweile, dem Sonnen - untergang, der ſich nirgend im Dorf ſo ſchon durchs ganze Thal hinab zeiget, zu zu ſehen.

Unter dieſem Baum redte er dann bey Stun - den mit ſeinen Kindern uͤber ihren Beruf und ihre Umſtaͤnde.

Er machte ihnen da eine kleine Geſchichte von ihrem Dorf, und erzaͤhlte ihnen: wie vor ein paar 100 Jahren nur noch wenige Haͤuſer da geſtanden, und wie die Einwohner das Land nicht genugſam haben warten koͤnnen, und ſie desnahen mit ihren Weyden und Zelgen Ein - richtungen haben machen muͤſſen, die jezt bey dem mehrerem Werth der Guͤter, und bey den vielen Haͤnden die im Land ſind, das Dorf un - gluͤklich, und aͤrmer, und liederlicher machen, als es war, wenn dieſe alten Ordnungen nicht waͤren.

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Er zeigte ihnen wie das Baumwollenſpin - nen Geld ins Land gebracht, und wie dardurch, wer immer nicht auf das Geld geachtet, nicht damit umzugehen gewußt, zu Grund gegangen.

Und wie viel Bauern vergantet worden, die im Grund 10 mahl mehr beſeſſen als die ſo ihre Guͤter erſtanden, aber durchs beſſere Anbauen von kleinen Stuͤken derſelben in we - nig Jahren in zehenfachen Werth gebracht.

Das Ende ſeiner Dorfgeſchichte war die groſſe Lehre: Wie viel genauer man in un - ſern Zeiten ſey; wie viel ſorgfaltiger man auf alles ſchauen, alles ausrechnen und ausſpizen muͤſſe, und wie viel groͤſſere Ordnung und Bedaͤchtlichkeit es in allem brauche, wenn der Menſch ſo zu einem geſunden und freudigen Alter, und ſeiner Kinder wegen ſo ruhig unter den Boden kommen wolle, als es vor Alton bey ſo wenig Leuthen, ſo wenig Geld, und bey einem ſo einfachen Leben ſo leicht moͤglich geweſen.

Und wenn die guten Kinder am Abend Stuͤke aus ihrer Dorfgeſchichte und aus ſeinen Lehren mit heimbrachten, ſo konnten ihre Eltern nicht begreifen, wie der Schulmeiſter ſelber dazu ge - kommen, was ſie zum Theil ſelber erlebt und erfahren, und doch nicht erzaͤhlen konnten, wie er. Und denn gar, wie er das den Kindern ſo in den Kopf hineinbringe, daß ſie es in hrem Alter ſo begreifen und ſo erzaͤhlen koͤnnen

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Wer am meiſten daraus machte, war ein Renold, ein Mann, der gegen neunzig gieng. Er hatte mit kaltem Blut und mit offenen Au - gen ſo lang gelebt, und wußte die Veraͤnderun - gen des Dorfs hinauf bis ins vorige Jahrhun - dert.

Dieſer Greis hatte einmal nach alter Uebung ſeine Kinder und Enkel am Sonntag Abend zum Nachteſſen.

Und als der Großſohn, an dem die Ordnung war, zuerſt ſein Capitel aus der Bibel geleſen, und der lange Reihe des geſegneten Hauſes am Tiſch ſaß, ſo ſah der Alte mit frohem nikenden Weſen hinab zu der lieben Jugend unten am Tiſch, und ſagte: Kinder! was macht auch euer Schulmeiſter? iſt er auch geſund und wohl? Laut und freudig erwiederten die Kinder dem Alten: Ja! ja! Großvater! er iſt Gottlob ge - ſund, er iſt Gottlob geſund, der liebe Herr Schulmeiſter! Da ſagte der Alte: ich wollte jezt nichts lieber, als daß er auch da waͤre, und wir alle mit einander dem braven Mann, den uns wohl der liebe Gott gegeben, auch danken koͤnnten.

Dann fieng er an, und ſagte: ihr wiſſet nicht, was er an euch thut, und was er euch iſt, aber ich weiß es, und will euch jezt ſagen, was ihr ihm zu danken habet.

Kinder! unſer armes Dorf iſt wie eine zer -398 ruͤttete Haushaltung worden, und hat in die 40 Jahre wie ohne einen Vater gelebt; in dieſer Zeit haben ſich die Umſtaͤnde uͤberall geaͤndert, und die Menſchen in der Welt, wie ſie jezt iſt, muͤſſen erzogen und gelehrt werden in der Ord - nung, die jezt iſt, ſo fortzukommen; wie die Al - ten in ihrer Ordnung, zu der ſie gewiß recht erzogen worden, fortgekommen ſind.

Und das thut euch jezt der Mann, der macht, daß ich mit Ruhe uͤber das Grab hinaus denke, das ich in Gottes Namen bey 20 Jahren nicht mehr dorfte, weil es mir tief am Herzen lag, ihr armen Kinder werdet, weil niemand da iſt, der euch nach den Umſtaͤnden zu dem anfuͤhret, was ihr ſeyn und werden muͤſſet, vielleicht auch mit der groͤſten Unſchuld mit dem Strom der neuen Unordnung mit hingeriſſen, in kurzen Jahren faſt nothwendig ungluͤklich. Das forch - te ich nun nicht mehr, und danke dem Mann, daß ich daruͤber in meinen lezten Tagen noch ruhig ſchlafen kann.

Nachdem der Alte ſo geſchwazt, trank er dann auf des braven Manns Geſundheit. Seine Kinder, die ihm in die Schule giengen, ſchlugen ihm mit Jauchzen an. Und er hatte eine Freude, daß er ſelbſt dem juͤngſten Enkel, der auf ſeiner Schoos ſaß, einen Trop - fen auf ſeine Lippen goß, und ihn den Namen des Manns nachſtammeln machte.

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Nein! bauet dem Mann keinen Altar.

Der Saͤugling auf dem Schoos des Grei - ſen, und der zitternde Tropfe auf den Lippen des Kinds, das ſeinen Namen ſtammelt, iſt mehr als Opfer und Altar!

Es wird mir aber warm. Bald komme ich in meiner Einfalt nicht mehr fort.

Aber es muß ſeyn.

Unter den Freuden, die er mit ſeinen Kin - dern hatte, war auch dieſe, daß er zu Zeiten eine Ankenbraut (Butterſchnitte) mit ihnen .

Es iſt nemlich auch in Bonnal der Gebrauch daß die Bauern, wenn ſie etwas Gutes haben, ihrem Schulmeiſter dann und wann auch da - von ſchiken.

Dieſer Gebrauch war dem Gluͤphj im Her - zen zuwider; er nahm ihnen auch faſt gar nichts ab, und brauchte, ſie nicht boͤs zu machen, die Entſchuldigungen, er habe keine Frau und keine Haushaltung, und koͤnne desnahen mit dergleichen Sachen faſt gar nichts thun.

Damit ſie aber nicht glauben, es geſchehe aus Hochmuth, und er ſchaͤme ſich ihnen etwas abzueſſen, ſo nahm er einem jeden der Kuͤh im Stall hatte, und ſeine Kinder zu ihm in die Schul ſchikte alle Jahr eine Ankenbraut ab, aber ſie mußte nicht uͤber 2 Pfund ſeyn. So400 bald eine kam, ſagte er es den Kindern und ſie denn Morndes am Abend mit ihnen in der Schul. Er kaufte ihnen denn allemal ein halb Duzend Brod und die Frau Pfarrerin gab ihm mehrentheils denn noch eine Schale Honig dazu, denn ſie hatte deſſen genug, und mehr als 30 Imben (Bienenſtoͤke.)

So machte er den Armen aus ſeinen Kin - dern damit gar manchmal im Jahr eine gute Stunde, mit etwas das ſie daheim nie hatten.

Und nuzte dieſe Abendeſſen beynahe mehr als ſeine Schulſtunden. Sie waren ihm wie ein Probierſtein uͤber ſeine Kinder, und er ſpaͤ - hete mit Falkenaugen umher, wie ſie mit dem Anken (Butter) und Brod und Honig umge - hen! was ſie fuͤr Augen und Maͤuler dazu ma - chen? und was! weiß ich, worauf er alles Acht gab. Genug er ſagte ſelber: bey dieſen Abendeſſen werde ihm allemal heiter, was er uͤber jedes ſeiner Kinder ahnde.

Der Pfarrer und ſeine Frau und ihre Kin - der kamen gar oft zu dieſen Abendeſſen, und das braͤfſte unter den Kindern dorfte denn ih - nen und dem Herr Schulmeiſter ihre Anken - braut*)Schweizerausdruk der ſo viel iſt als der But - ter auf die Brodſchnitte ſtreichen, die ſie aſſe[n]. machen.

An dem Sonntag, da es mit der Kienaſtinumſchlug,401umſchlug, hatten ſie auch eine Ankenbraut, und da war des Maurers Heirlj der braͤvſte.

Der Schneiderin Annelj (die Kinder ſagen ihm nur den Namen Schwarbel Annj) hatte ihm zwiſchen den Tiſchen, an die es geſtoſſen, die Hand verklemmt, daß ſie aufſchwoll wie ein Kuͤſſen, und blutete. Der gute Bub aber uͤber - wand ſich, ſobald es anfieng zu ſchreyen, und ſagte, es habe es nicht mit Fleiß gethan, und ſuchte den ganzen Morgen die geſchwollene Hand vor dem Schulmeiſter und der Margreth zu verbergen, damit das Kind nicht eine Strafe ausſtehen muͤſſe, und daheim dann noch geſchla - gen werde. Es that ihm aber ſo weh, daß er mit dem Spinnen nicht fortkam, und die Mar - greth auf dieſe Art endlich es merkte.

Dafuͤr war er heute der braͤvſte, und hatte dieſe Freude mit der Ankenbraut. Diesmal kam der Junker ſelber zu ihrem Abendeſſen.

Heute mußte der Waſſergraben zu der neuen Matten, die er anlegen wollte, endlich abgeſto - chen werden.

Die Quellen im Moosgrund waren nun vol - lends aus und zuſammen gegraben, und ihr Waſſer floß in diken Stroͤmen uͤber die Felder, die alle gruͤnten, wo es hinfloß.

Der Lieutenant nahm auch zu dieſer Arbeit etliche von ſeinen Buben mit ſich, und ſagte, eh er mit Feldtiſch und Viſir an ſeine Arbeit gieng,C c402zu ihnen: Probieret, Buben! ob ihr die Linien findet, wo der Bach jezt hingeleitet ſeyn muß, wenn man ſo viel Land als immer moͤglich mit ihm uͤberwaͤſſern will.

Die Buben ſprangen wie gute Jagdthiere von ihm weg, links und rechts, kreuz und queer, wo das Waſſer hin muͤſſe? Aber ſie wurden nicht ei - nig, und kamen, in ihrer Meynung getheilt, zuruͤk.

Die einten meynten, man muͤſſe den Graben zuerſt links fuͤhren, gegen den Tannen-Eken, und von da erſt wieder zuruͤk gegen den Feldern, die rechts liegen.

Die andern glaubten, wenn man ihn gegen den Tannen-Eken fuͤhre, ſo bringe man ihn nicht mehr auf die Hoͤhe vom Mooshuͤbel, der dann troken bleiben muͤſſe.

Es hats keiner getroffen, ſagte der Lieutenant, und ſezte hinzu: der Graben muß zuerſt uͤber den Vorhuͤgel vom Moosweg, und dann erſt herum zum Tannen-Eken.

O ho! wenn das Waſſer uͤber den Mooshuͤbel gelaufen, ſo bringt ihr es nicht mehr auf die Hoͤ - he zur Tannen, erwiederten die Buben.

O ho! erwiederte der Lieutenant: man fuͤllt nur die Tiefe, die zwiſchen dem Huͤbel und dem Eken iſt, ein Schuh, drey oder vier hoch aus, dann laufts, meyne ich, wieder zum Tannen - Eken.

Dann wohl, dann wohl, ſagten die Buben.

Aber der Pfarrer war heut den ganzen Tag403 nicht bey ihnen. Er war bey der Kienaſtin, de - ren Tod nun ſichtbar nahete; doch war ſie noch immer bey ſich ſelber, und nahm nun das lezte mal bey den lieben Ihren Abſchied.

Als man ihr das Kleine auf das Bett legte, ſtaunte ſie ihns eine Weile an, und ihre lezten Thraͤnen fielen auf ihns hin, das Kind aber laͤ - chelte auf ihrem Schoos, ſtrabelte mit Haͤnd und Fuͤſſen, und warf den Kopf ſo froh und muthvoll umher, daß es die Sterbende erquikte! Sie laͤchelte noch auf ihns herunter, und ſagte zu ſich ſelber, warum kann ich nicht ſeyn, wie du?

Sie redte noch mit allen Kindern.

Am meiſten mit dem Vater, und das faſt nur von dem Suſannelj, und ſagte: es lieg ihr auf dem Herzen dem Kind noch zu ſagen, daß ſie es er - kenne, ihre Fehler haben ihns nach und nach ſo hart gemacht, als es worden. Sie habe ihm ihre Haushaltung aufgebuͤrdet, die man einem Kind nie aufbuͤrden ſollte, und er ſoll ihm ſagen, wenns an ihr ſtuͤhnd ihr Leben noch zu aͤndern, ſie wollte gewiß ihre Mutterpflichten thun, und ihm nicht mehr zur Laſt fallen; aber das ſey jezt nicht mehr moͤglich; und darum ſoll es ihr verzeihen, und wiederkommen, und ihm und den Kindern als Mutter und Schweſter an die Hand gehen, ſo lang es lebe und ſo lang es noͤthig.

Dann wollte ſie auch ihn um Verzeihung bit - ten, daß ſie nie keine Frau gegen ihn geweſen,C c 2404und ihn doch geheirathet habe; aber das Wort erſtarrte ihr auf den Lippen, und ſprachlos, wie ſie, lag er eine Weile auf ihrer Deke.

Denn rafte er ſich wieder auf, ſah den Pfar - rer an, und fiel auf ſeinen Schoos.

Die Sterbende ſah ihn liegen, und ſagte: ſo wohl kann er nirgend ruhen; und ach, ſo wohl ruhete er nicht bey mir!

Sie wollte auch noch dem Pfarrer heraus - ſtammeln, daß er ihr verzeihe! der Mann aber gab ihr dieſen Troſt ins Grab, indem er noch ſeine warme Hand auf den grauen Haaren ihres Manns, der noch auf ſeinem Schoos lag, hielt.

Frau! die Fehler deines Lebens ſind nicht ſo wohl dir als denen zuzuſchreiben, die es dulden, daß man die Religion auf eine Art lehre, daß ſie den Menſchen den Kopf alſo einnehme und fuͤlle, als ob ihr Wiſſen alles in allem waͤre, und der Menſch denn ſeine Haushaltung und ſein Handwerk, und alles was er ſeyn und koͤnnen muß, koͤnne und ſeye, wenn er ſie verſtehe.

Aber wie oft muß ich empfinden, ich kann mein Buch nicht ſchreiben!

Der Blik der Frauen auf dieſe Rede machte dem Pfarrer das Wort im Maul erſtarren.

Wenn ich dieſen Blik mahlen koͤnnte, daß man ihn ſaͤhe, wie ihn der Pfarrer ſah, ich bin wie meines Lebens ſicher, man wuͤrde lieber den Mund beſchlieſſen.

Aber ich kann ihren Blik nicht mahlen.

405

Ich erliege unter der Laſt unausdrukbarer Dinge, die im Ganzen meines Traums vor mir ſtehen.

Es glich ihr Klagblik im erloͤſchenden Aug dem Blik des ſterbenden Lamms, das unter den Haͤnden des Wuͤrgers verblutet.

Nein! er glich nicht einem blutenden Thier, er glich ich kan nicht ſagen was, koͤnnte ichs, man wuͤrde nicht mehr Abgoͤtterey treiben mit Gott und den Menſchen thun laſſen, was ſeine Sach iſt.

Ihr Blik durchſchnitt dem Pfarrer das Herz, und der Gedanke, ſie iſt das Opfer der Thorheit. Die Lehre von Gott, den Menſchen wie ein Meſſer an Hals zu ſezen, machte ihn zittern. Er fuͤhlte das Elend der Menſchen, die an dieſem Meſſer verbluten, und nicht minder die Gefahr derjenigen, die ihm entfliehen.

Es legte ihn ungeſchlafen, und noch morndes ſtuhnd ihr Bild vor ihm, alſo daß er an dieſem Morgen beynahe unvernuͤnftig predigte, denn er redte uͤber etwas ganz anders, und wußte die halbe Zeit nicht was er ſagte.

Zu Mittag hingegen hatte er ſeine Sinnen wieder bey einander, denn er redte da nur von dem, was ihm auf dem Herzen war.

Und die Nachricht von ihrem Tod kam ins Pfarrhaus, als der gute Mann eben vom Tiſch aufſtehen, und bald wieder in die Kirche wollte. C c 3406Er vergaß alle Form und Ordnung der Kin - derlehr, und redte faſt nur von der Frauen, und den Urſachen, die ſie ſo elend machten.

Eine Kinderlehre.

Aber er war ſo im Eifer, daß ihm die Sa - chen oft durch einander kamen, und er manch - mal nicht deutlich ausdruͤkte, was er meynte.

Doch laͤßt ſich das eint und andere, was er ſagte, mit ſeinen Worten nachſagen.

Er verlas einmal das andere Gebott.

Und ſagte dann: hart in Kopf eingegrabene Bilder von Gott ſind im Grund um kein Haar beſſer und der menſchlichen Natur um kein Haar weniger ſchaͤdlich, als die ſteinernen und erzenen Goͤzen, die ſich die rohern Menſchen ſchnizeln.

Und behauptete: alle leidenſchaftliche, in die Sinnen fallende, und den Kopf der Menſchen anfuͤllende Anhaͤnglichkeit an irgend eine Vor - ſtellung von Gott und goͤttlichen Dingen, ſey nichts anders als wahre Abgoͤtterey, die den Menſchen darum bis in das dritte und vierte Geſchlecht verderbe, weil ſie wider ſeine Na - tur ſey.

Er erklaͤrte ſich daruͤber alſo. Die meiſten Menſchen die die Religion mit einem Feuer und einer Staͤrke in ihren Kopf hineinbringen, das nicht verhaͤltnißmaͤßig iſt mit der Staͤrke und dem Eifer womit ſie andere Sachen in ihrem407 Kopf herumtragen, werden einſeitig und froͤm - melnd.

Und weil die Menſchen uͤberhaupt ſchwach ſind und ein bloͤdes Geſchlecht, und nichts anders ſind als was ſie ſind, ſo macht das Ueberziehen dieſes Religionspfundes, daß ſie auf der einten Seiten ſorglos, unaufmerkſam, Gedankenleer, und darum blind; auf der andern Seiten er - ſtaunlich leicht, empfindungsvoll, empfindlich, voller Anſpruͤche, und dabey in ſich ſelbſt ge - kehrt, zu einem krummen, geheimen, verſchla - genen Lebensgang geneigt, und dabey im Na - men des Herrn gewaltthaͤtig.

Und es braucht nicht mehr als dieſes, um die Menſchen in allen menſchlichen Verhaͤltniſſen unzuverlaͤßig und unbrauchbar und zu abhaͤng - lichen, ihrer Nothdurft und Umſtaͤnden nicht ge - nug zu thun, faͤhigen, und dabey ihre Wuͤnſche immer uͤberſtimmenden armen Bettelgeſchoͤp - fen zu machen. So, wiederholte er, liegt die Drohung Gottes das Kind des Schwaͤrmers, der ein Bild von Gott in den Haͤnden oder im Kopf hat, bis in das dritte und vierte Geſchlecht die Miſſethat des Vaters empfinden zu laſſen, in unſerer Natur.

Denn fuhr er fort.

Gott hat ſich den Menſchen verborgen und die Geheimniſſe der Zukunft fuͤr ihn in undurch - dringliche Schatten gelegt, damit der Raupe in ihrer Huͤlle wohl ſey.

C c 4408

Aber der Nebel, der um uns iſt, iſt von Gott, und Segen unſerer Natur, wenn wir darinn ruhen.

Und wir verheeren unſer Inners, wenn wir dem Schatten entweichen wollen, den Gott um uns gelegt hat.

Gott hat die Nacht gemacht wie den Tag, warum willt du nicht ruhen in Gottes Nacht, bis er ſeine Sonne dir zeiget, die ewig kein Trau - men hinter den Wolken, hinter denen Gott ſie verborgen, hervorrufen wird.

Einmal ſagte er: Gott iſt fuͤr die Menſchen nur durch die Menſchen der Gott der Menſchen.

Der Menſch kennt Gott nur, inſofern er den Menſchen, das iſt, ſich ſelber kennet. Und ehret Gott nur, inſofern er ſich ſelber ehret, das iſt, inſofern er an ſich ſelber und an ſeinem Ne - benmenſchen nach den reinſten und beſten Trie - ben, die in ihm liegen, handelt.

Daher ſoll auch ein Menſch den andern nicht durch Bilder und Worte, ſondern durch ſein Thun zur Religionslehre emporheben.

Denn es iſt umſonſt, daß du dem Armen ſa - geſt: es iſt ein Gott, und dem Wayslein, du haſt einen Vater im Himmel; mit Bildern und Wor - ten lehrt kein Menſch den andern Gott kennen.

Aber wenn du dem Armen hilfſt, daß er wie ein Menſch leben kann, ſo zeigſt du ihm Gott; und wenn du das Wayslein erzieheſt, das iſt, wie wenn es einen Vater haͤtte, ſo lehrſt du ihns den409 Vater im Himmel kennen, der dein Herz alſo gebildet, daß du ihns erziehen mußteſt.

Ein andermal.

Die Religion iſt nichts anders als das Beſtre - ben des Geiſts, das Fleiſch und Blut durch An - haͤnglichkeit an den Urheber unſers Weſens in der Ordnung zu erhalten.

Und der Menſch gelanget zu dieſer Herrſchaft des Geiſtes uͤber das Fleiſch nur nach Maaßgab als er von Jugend auf in den Muͤhſeligkeiten ſei - ner Beſtimmung und Lebensart geuͤbt, was ſei - ne Pflicht und ſein Vortheil in der Welt iſt, mit Leichtigkeit, und ohne daß es ihn viel Muͤh und Anſtrengens fordert, thut und erfuͤllt.

Und das zeiget deutlich, in was fuͤr Fertigkei - ten ein Menſch muͤſſe geuͤbt ſeyn, wenn ihm die Herrſchaft des Geiſtes uͤber das Fleiſch und ein wahrhaft der Religion und ſeinen Umſtaͤnden gemaͤſſes Leben ihm leicht und natuͤrlich werden ſoll.

Ihr denket wohl, es gab auch wieder einen Ausfall wider das Predigen und Maulbrau - chen, es konnte nicht fehlen.

Er ſagte: Sehet um Gotteswillen in allen euern Angelegenheiten, wo es euch um etwas zu thun iſt, das gemacht ſeyn muß, und ihr wol - let zu einem Ziel kommen, iſts immer euere erſte Regel, nicht viel Worte, und kein Predi - gen! Und die Lehre von Gott und der Ewig - keit, die allein ſoll dem Menſchen, ob es ſchon410 in allen andern Dingen wider ſeine Natur, durch viele Worte und durchs Predigen in Kopf und ins Herz hineingebracht werden.

Dann brach er ploͤzlich ab, und ſagte: aber was ſoll ich denn thun? ſoll ich euch von Gott ſchweigen? das ſey ferne! kommt mit mir in die Huͤtte des Armen und zu den Thraͤnen der Way - ſen, da lehrnet ihr Gott kennen, und gut ſeyn, und Menſchen werden. Kommt! in dieſer Stund ſind in euerm Dorf zehen neue Wayſen worden, ſie ſind euere Geſpielen und an euerer Seite auf - gewachſen, ſie haben keinen naͤheren Naͤchſten als euch. Kommt! zeiget ihnen, daß ihr Men - ſchen ſeyt, und an dem was euerm Naͤchſten begegnet, Theil nehmet!

Ich war auch ein Wayſe, und erinnere mich jezt noch, wie wohl es mir gethan, und wie es mich Gott erkennen machte, da ich hingeſtuͤrzt auf meines todten Vaters Bett lag, und faſt ohne Sinnen, keinen Gedanken mehr hatte als ich habe jezt auf Gottes Erdboden keinen Menſchen mehr der ſich meiner annehme! Und da ſind, weil ich ſo da lag, und meine Haͤn - de ſich im Krampf zuſammen zogen, und ich mit den Zaͤhnen knirſchte und zitterte, zwey Nach - barn zu mir in die Stube hineingekommen, und faſt auf mich niedergefallen, und haben vor Schluchzen kein Wort reden koͤnnen. Ich weiß noch, und weiß es noch bis ins Grab, wie mir411 das wohl gethan, und wie es mich gemacht Gott erkennen!

Denn ſtuhnd er auf, wie wenn er nicht wuͤßte wo er war, und ſagte, Kinder! Kinder! kommt, wir wollen gehen zu dieſen Wayſen! Die Kinder draͤngten ſich an ihn an, hatten Thraͤnen in den Augen, und ſuchten ſeine Hand.

Dann trat der Junker aus ſeinem Stuhl, und ſagte, ich will bey euch ſeyn bis dieſe Kin - derlehr aus iſt, und nun folgten die Vorgeſezten, und alles Volk das in der Kirche war, dem Pfar - rer in das Haus des Kienaſtes.

Der Vater und die Kinder ſtuhnden alle um das Bett der Todten, als der Junker und der Pfarrer in die Stube hineinkamen.

Dann giengen ſie zuerſt allein und machten die Vorgeſezten und Kinder, und wer mit ih - nen kam, unten im Tenn und vor dem Haus zu warten, bis man ihnen riefe.

Der arme Alte ſagte mit gebeugtem Haupt zu ihnen: es hat in Gottes Namen eine Aende - rung gegeben, ihr Herren!

Wir wiſſens, lieber Alter! erwiederte der Junker, und ſezte nach der Bauern Weiſe hinzu: Gott troͤſt euch im Leid! denn machte er den zit - ternden Mann abſizen mit dem Pfarrer auf ſei - nen Ofenbank, neben ihn zu, und hielt ſeine kalte Hand in ſeine warme.

Das machte den Alten bald traulich, daß er konnte anfangen reden, danken, und dann er -412 zaͤhlen; wie die Geiſſenmilch ſeiner Frauen ſelig noch ſo wohl gethan, wie ſie die lezten fuͤnf Wo - chen gar nichts mehr genoſſen als alle Tage et - liche Loͤffel voll davon, und denn wie ſie Gottlob noch zu ſich ſelber gekommen, und auch wieder Antheil an allem genommen was begegnet, in - ſonderheit auch an dem neuen Weſen in der Schul, dem ſie alle Tage bey den Kindern nach - gefragt. Aber dann habe ſie auch einmal mit einem tiefen Seufzer geſagt: mein Gott! wenn ich in der Schul auch ſo Spiztruken und Spinnraͤder haͤtte in den Haͤnden haben muͤſſen, ſo waͤre ich gewiß nicht ſo worden.

Sie habe da, ſagt er, hinzugeſezt: es iſt in Gottes Namen das! Und zu den Kindern: Gottlob! daß es euch jezt anderſt geht.

Das gieng dem Junker und dem Pfarrer zu Herzen, daß ſie die Thraͤnen faſt nicht zuruͤkhal - ten konnten.

Da ſie in die Stube kamen, hatten ſie das Suſannelj zwiſchen dem Vater und allen Kin - dern vollends wie eine Mutter da ſtehend ange - troffen.

Es entrann aus ſeinem Stadtdienſt, und kam noch eine Stunde, ehe ſie verſchied, zu ihrem Sterben, warf ſich wie von Sinnen auf ihr Bett, und bat in unverſtaͤndlichem Schluchzen um Verzeihung und um ihren Segen.

Die Mutter konnte nicht mehr reden; aber noch oͤffnete ſie ihre Augen, deutete auf das413 Ohr, daß ſie noch hoͤre, und auf den Mund, und dann gegen den Vater.

Er verſtuhnd ſie, verdruͤkte ſeinen Schmerz, daß er reden koͤnne, und ſagte dann mit ſtam - melnden Worten wie die liebe Mutter auch gegen ihns ihre Fehler erkennt, und ihns noch um Verzeihung gebeten! aber denn auch, daß es bey ihnen bleibe, und ſie nicht mehr verlaſſe.

Bey jedem Wort des Vaters zitterte das Kind, ſank ſprachlos zwiſchen ihn und ſie hin, und lag ſo da, bis ſie erloſchen. Da wars mit ihrem Erloͤſchen, wie wenn es erwachte, zu zei - gen, daß es fuͤr ſie Mutter und Schweſter ſey und bleiben wolle, ſo lang es noͤthig. Im Glau - ben an ihns, ſtuhnden Vater und Kinder um ihns her und an ihns an, wie ihns Arner er - blikte, da er die Thuͤre aufthat.

Er rief ihns jezt beyſeits, und fragte ihns: Habet ihr auch zu eſſen? Es that ein wenig die Augen gegen ihn auf, und ſagte halblaut: Ja!

Es war aber Nein; und er verſtuhnds, und ſagte: Habet ihr Anken im Haus?

Das nicht, ſagte das Kind.

Und der Junker: Ihr muͤſſet haben, und du mußt machen, daß dein Bater wieder zu Kraͤften kommt, und ihm darnach kochen. Da haſt du etwas, thu ihm Anken zu und ein Glas Wein. Ich will ihn aber bald wieder ſehen.

Mit dem war er von ihm weg.

Indeſſen hatten die Vorgeſezten im Tenn ab -414 geredt, damit der Junker und Pfarrer ſehen, daß ſie auch Mitleiden haben koͤnnen, dem Kien - aſt, ſo lang er lebe, alle Burgerdienſte zu ſchen - ken, und ihm ſein Burgerholz ohne ſeine Koͤſten machen und zufuͤhren zu laſſen.

Und nun rief der Pfarrer ihnen und den Kin - dern in die Stube. Das uͤbrige Volk, das aus der Kirche mitkam, blieb unter der Thuͤre und vor den Fenſtern.

Aber es war dem Kienaſt, wie wenn ers nicht glauben koͤnne, da ihm die Vorgeſezten ſagten, was ſie abgeredt. Denn obwohl ein Herkommen im Dorf iſt, daß immer ſieben arme alte Maͤnner ſo frohnungsfrey ihren Burgergenuß beziehen ſollen, ſo kam das bey Mannsdenken doch nie an jemand andern, als an Lumpen, die ihnen verwandt, oder an Schelmen und freche Purſch, deren Maul ſie foͤrchteten.

Die Kinder aber umringten, in Haufen ge - theilt, die Wayſen nach ihrem Alter; ein jedes draͤngte ſich zu demjenigen, ſo es am naͤchſten kannte. Sie druͤkten ihnen die Hand, und ſag - ten ihnen: Gott troͤſt euch im Leid! Denn herrſchte ein ſtummes Schweigen, und aller Augen waren in Thraͤnen.

Da nahm der Pfarrer das Wort, und ſagte: Kinder! Gott iſt nahe, wo die Menſchen einan - der Liebe zeigen. Denn fuͤhrte er eines nach dem andern an der Hand zu der Todten, die da lag wie das Bild des uͤberſtandenen Elends, und415 ſagte einem jeden ein Wort fuͤr ihns in ſeine Seele.

Es war ein Unterricht wie der Unterricht eines Heiligen.

Denn fuͤhrte er ſie wieder, eines nach dem andern, zu den Wayſen, daß ſie ihnen die Hand geben, und ſagte ihnen noch: bleibet Geſchwi - ſterte, und denket an dieſe Stunde, wenn ihr an Gott denket! Mit dem Wort ſtuhnd er auf, wie wenn er noch in der Kirche, und ſeine Kinder - lehr endete, und ſagte mit gefalteten Haͤnden zum Volk: Der Herr ſegne und behuͤte euch! Der Herr laſſe ſein heiliges Angeſicht uͤber euch leuchten, und ſey euch gnaͤdig! Nun gehet hin im Frieden des Herrn, haltet chriſtli - che Zucht und Ehrbarkeit, und liebet einander wie uns Chriſtus Jeſus geliebet hat! Amen.

Nun gieng die Gemeind von einander und aus einem Munde toͤnte, es war doch ſchoͤn! Und Vater und Mutter ſagten zu einander: die Kinder muͤſſen angenehm werden vor Gott, wenn man ſie alſo lehrt, es iſt nicht anderſt moͤg - lich.

Und auf allen Zungen lagen die Worte: wir moͤchten ihm danken ! Einer ſprach ſie aus, und ja! ja! und naſſe Augen waren die Antwort aller.

Da ſtand das Volk zehen Schritt von des Kienaſten Haus ſtill, und als der Junker und der Pfarrer heraus kamen, trat der alte Reinold, den416 die andern dafuͤr gebetten, hervor, und dankte im Angeſicht des Volks das ſich immer ſtaͤrker vor dem Haus verſammelt, ihnen, dem Jun - ker und dem Pfarrer mit dem Ausdruk: ihre Herzen ſeyen voll, und ſie koͤnnen nichts anders ſagen, als daß ſie ihnen an Gottes Statt ſeyen!

Das ſtille Schweigen der Menge, und die Menſchlichkeit des ganzen Anbliks riſſe den Jun - ker und den Pfarrer hin, daß ſie einen Augenblik nicht antworten konnten.

Nach einer Weile ſagte der Junker, wir moͤch - ten wohl gern, wenn wir nur koͤnnten euch gluͤk - lich machen!

Und das Volk erwiederte dem edeln Vater, wir ſehens Gottlob, und erkennens!

Er redte nichts mehr. Das Volk zerſtreute ſich ſtill. Er aber nahm da noch dem Pfar - rer die Hand, und ſagte zu ihm: wir ſind Gott - lob um einen Schritt weiter mit dem Dorf als wir ſelber geglaubt.

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About this transcription

TextLienhard und Gertrud
Author Johann Heinrich Pestalozzi
Extent442 images; 82236 tokens; 8662 types; 504643 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLienhard und Gertrud Ein Buch für's Volk Dritter Theil Johann Heinrich Pestalozzi. . [8] Bl., 416 S. DeckerFrankfurt (Main)Leipzig1785.

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SUB Göttingen Göttingen SUB, DD90 A 33276 RARAhttps://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=DD90%20A%2033276%20RARA

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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ShelfmarkGöttingen SUB, DD90 A 33276 RARA
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