Ich fahre in meinem Buch, ſo wie in meinem Stillſchweigen uͤber das — was es ſeyn ſoll — fort.
Zufrieden, das Gefuͤhl rege ge - macht zu haben, daß Volksbuͤ - cher nuͤzlich — erwarte ich fruͤher oder ſpaͤther aͤhnliche Verſuche. Dieſe werden dann den Werth des Meini - gen beſtimmen, die Schwierigkeiten deſſelben enthuͤllen, und die Unmoͤg - lichkeit ins Licht ſezen, allen Geſichts -* 2Vorrede.punkten, welche ſich mit einem ſolchen A, B, C Buch der Menſchheit ver - binden laſſen, in ihrer ganzen Ausdeh - nung ein Genuͤge zu leiſten. — Ich komme indeſſen, indem ich mich dem Ende des Meinigen naͤhere, in den gewohnten Fall der Schulmeiſter, die erfahren, daß das P, Q den Kindern der Menſchen nicht ſo leicht in den Kopf hinein will, als das A, B, C.
Ich fahre aber in der Ueberzeugung, daß es in dieſer Lage der Sachen nicht um mich, ſondern um die Kinder, die buchſtabieren lernen ſollten, zu thun iſt, in meiner Ordnung fort: willVorrede.auch dem verwoͤhnteſten Kind es nicht bemaͤnteln, daß es mit ſeinem A, B, C nichts thun und nichts machen kann, wenn es nicht bis zum T – Z fort lernt.
Ich kann daruͤber den Namen eines guten Schulmeiſters — verlieren — aber ich hielte es wider meine Pflicht, und meinen erſten Endzwek, darauf zu achten; und habe desnahen, ohne einige Aufmerkſamkeit auf gewiſſe Kinder, die zu glauben geſchienen, ich habe ihnen meine erſten Buch - ſtaben blos zum Guggaus und Gugg - ein damit zu machen, dargeworfen, fortgefahren, mein A, B, C Buch* 3Vorrede.alſo zu ſchreiben, wie es mir gut und brauchbar geſchienen, ſie buchſtabie - ren zu lehren, und nicht ihnen zu helfen, Guggaus und Guggein zu machen.
Wer zur Kirchethuͤr hinausgieng, ſagte; das war auch eine Predigt!
Es war naͤmlich eine, wie die ſo predi - gen, keine halten, und keine halten doͤrfen. — Denn das was ſie auf der Kanzel ſa - gen, und was man ſie auf der Kanzel ſa - gen laſſen darf, iſt in Formen und Model gegoſſen, in welchen es etwas ganz anders wird als die Lebensbeſchreibung des Hum - mels — Ihr werdet vielleicht ſagen; aber etwas beſſers: ich aber will fortfahren.
Es war dem Junker die ganze Zeit uͤber, da der Pfarrer redte, nicht als ob er Wor - te hoͤrte, ſondern als ob ſein Volk und ſein Dorf ihm vor Augen ſtuͤhnde; und mit je - dem Wort, das der Pfarrer mehr ſagte,A2war dem Junker ſchwehrer, denn er ſahe mit jedem Wort mehr, wie alles Boͤſe das da iſt, durch ein tauſendfaches Band, mit allem was im Dorfe ſchwebt und lebt, al - ſo zuſammenhange, daß Er einzeln nichts fruchtbahres dagegen ausrichten koͤnne. — Es war ihm wie einem Menſchen der auf einer Leiter ſteht, und fuͤhlt daß der Grund und Boden unter ihm weicht — es er - ſchuͤtterte ihn, und darauf vertiefte er ſich in Gedanken, daß er eine Weile nichts mehr hoͤrte, was der Pfarrer ſagte — In die - ſem Staunen entwikelte ſich in ihm der Ge - danke, er muͤſſe nothwendig die Umſtaͤnde und Leuthe im Dorf naͤher kennen lehrnen; daͤnn werde es ſich erſt zeigen, was er an - fangen und wen er vielleicht doch noch, zum eint und anderen, was er auszurichten wuͤn - ſche, brauchen koͤnne. Dieſer Gedanke brachte ihn ſo zu ſagen wieder zu ſich ſelber, daß ihm vom uͤbrigen Theil der Predigt kein Wort mehr entgieng.
So bald er dann heim kam, ſagte er dem Pfarrer, wie es ihm in der Kirche ge - gangen; und dieſer fiel im Augenblik auf den Baumwollen Meyer, und ſagte, wann je ein Menſch im Dorf ſey, der zu demje - nigen was er zur Abſicht habe, Hand bie - ten werde und Hand bieten koͤnne, ſo ſey3 es dieſer Mann und ſeine Schweſter, und erzaͤhlte ihm dann uͤber das Eſſen ſoviel von dieſen zwey ſonderbahren Leuthen, daß der Junker vor Sehnſucht, ſie naͤher zu kennen, ſeine Suppe nicht geſchwind genug eſſen konnte; und ſobald ſie vom Tiſch aufſtuhn - den, mit dem Pfarrer zu ihm hingieng.
Er ſaß eben mit einem Kind auf der Schoos vor ſeiner Hausthuͤre, ſahe da bey ſeinem Brunnen unter einem bluſtvollen Apfelbaum ſeinen Kindern zu, wie ſie mit andern Kindern aus dem Dorf ſich luſtig mach - ten; aber dachte an nichts weniger als daß die Herren, die er die Kirchgaß hinabkom - men ſahe, zu ihm wollten.
Erſt da ſie vor ſeiner Gartenthuͤr ſtille ſtuhnden, und der Pfarrer die Hand gegen den Riegel zuſtrekte, kam ihm in Sinn, es koͤnnte ſo kommen: da aber ſtellte er ge - ſchwind ſein Kind ab, gieng mit ſeiner ſchnee - weiſſen Sonntagskappe in den Haͤnden, den Herren entgegen; ſie wollten bey ihm auf dem ſchoͤnen Plaz vor dem Haus abſizen — er aber ſagte, es ſey doch am Wind,A 24ſie ſollten ſo gut ſeyn, und mit ihm in die Stube kommen.
Seine Schweſter war eben, wie es am Sonntag nach dem Eſſen ihre Gewohnheit iſt, einen Augenblik entnukt (eingeſchlum - mert) und lag mit Kopf und Haͤnden uͤber die Bibel auf dem Tiſch — ſie erwachte mit einem lauten Herr Je! — da die Thuͤr aufgieng; that aber doch nicht der - gleichen; drukte nur ein wenig ihre Haube wieder zurecht, ehe ſie die Herren gruͤßte; und denn nahm ſie eilend einen Schwamm vom gleiſſenden zinnernen Handbeken, wiſchte die Rechnungen, mit denen ihr Bruder den ganzen Tiſch voll gekreidet, durch, und ſag - te: es iſt eine Ordnung bey uns, daß wir uns ſchaͤmen muͤſſen Ihr Herren! — Ich wuͤßte nicht worinn, ſagte der Junker: und ſezte hinzu, ſtreich doch nichts durch; dein Bruder brauchts vielleicht noch.
Das Mareylj erwiederte: er kan’s ja wie - der anderſt machen, und fuhr in ſeiner Ar - beit fort: ſein Bruder aber ſagte auch ſel - ber, es habe recht, er mache manchmal den Tiſch im Tag ſieben mal ſo voll, und ſtreiche alles wieder durch, wenn nur ein Kreuzer fehle, ſo wenig ſey daran gelegen.
Sobald der Tiſch troken war, brachte es dann ein groſſes weiſſes Tuch mit breiten5 Strichen, neue zinnerne Teller und ſilberne Loͤffel, Meſſer und Gablen; dann eine groſſe ſchoͤne Hammen, (Schinken) und Kuͤchlein, ſchneeweiß von Zuker.
Aber was machſt du auch ſo viel Umſtaͤn - de, ſagte der Junker, wir kommen eben vom Eſſen.
Ich glaubs wol, ſagte das Meydlj; aber ihr muͤßt jezt einmal etwas von der Bau - ren Ordnung verſuchen Ihr Herren! warum ſeyt ihr in ein Baurenhaus hinein gegangen.
Das iſt doch keine Bauren Ordnung, ſagte der Junker: und drehete ein ſchweh - res ſilbernes Meſſer in der Hand herum.
Wohl freylich iſt das Bauren Ordnung, wenn’s einer hat und vermag, erwiederte das Mareylj.
Arner laͤchelte und das Mareylj fieng da grad zu erzaͤhlen an:
Jaͤ Junker! es war nicht immer ſo bey uns: da der Herr Pfarrer weißts wohl. Mein Bruder fieng mit 5 Bazen zu hauſen an, und ich mußte, weiß Gott! baͤttlen, bis ich groß genug war, einen Dienſt zu ver - ſehen: ſo erzaͤhlte es ſeine Hiſtorj vom An - fang bis zum Ende.
Sein Bruder wollte ihm’s zuerſt abneh - men, und da er das nicht konnte, entſchul - digte er ihns, daß es ſo ſchwaze; der Jun -A 36ker aber ſagte, er hoͤre nichts lieber als wie es braven Leuthen aufgegangen.
Ich ſah’s euch wohl an, ſagte das Ma - reylj, ſonſt haͤtte ich auch ſchweigen koͤnnen; aber es thut einem auch ſo wohl, wann euer Gattung Leuthe einem auch das Maul goͤnnen moͤgen.
Der Junker laͤchelte und fuͤhrte ihns wie - der drauf, wie es ihnen aufgegangen und wie ſie es haben: und da es lange erzaͤhlt, ſagte er dann: ob bey dem Verdienſt, den die Leuthe jezt mit dem Baumwollen Weſen haben, nicht auch zu machen waͤr, daß ſie auch hauſeten, und es auch ihrer Mehrern ſo aufgieng?
Das Wirthshaus muͤßte einmal aus dem Dorf weg, wenn man nur an das denken wollte, erwiederte haſtig der Meyer.
Seine Schweſter ſagte weitlaͤufiger: Seht Junker, es iſt halt bey uns ſo — wenn einer nicht duͤrſtet, ſo hungert er, und wenn er dann in’s Wirthshaus hinein kommt, und s’Kaͤsli und s’Wuͤrſtli ihm vor den Au - gen ligt und in die Naſe riecht, ſo ſizt er in Gotts Namen zu, fangt an zu eſſen; wann er dann gegeſſen, ſo duͤrſtet er eins, und ſo kommt dann eins nach dem andern, bis es morn am Morgen iſt, und er das halbe was ſeine Leuthe die Woche durch ver -7 dient haben, ſizen laſſen; und wann er dann den Rauſch ausgeſchlaffen, ſo will er ent - weder wieder ſauffen, oder am Spinnen von Weib und Kindern wieder erſchinden was er verlumpet; denn gehet’s ſo Junker — ich will’s euch zeigen.
Mit dieſen Worten gieng es in ſeine Kam - mer, brachte einen ganzen Arm voll Garn, legt’s auf den Tiſch, und ſagte: Sehet Jun - ker! wie es dann geh’t: wenn die Maͤnner im Haus ſo leben, ſo werden die Weiber daheim und die Kinder bis in die Wiege hin - unter ein Lumpenpak — wie ſie betriegen und beſtaͤhlen mit wem ſie zu thun haben, und bringen uns dann dergleichen Garn wie ihr da ſehet, das voll Unrath und naß iſt daß man’s koͤnnte auswinden, damit ſie ei - nige Kreuzer dem Vater ableugnen, und, wie er, im Wirthshaus verthun und ver - ſauffen koͤnnen.
Sein Bruder ſezte mit kurzen Worten hinzu — das Uebel iſt, daß die meiſte Leu - the bey uns keinen Anfang haben im Hau - ſen.
Der Junker erwiederte ihm: aber waͤren ſie nicht dazu zu bringen, daß ſie oder ein - mal auch die Jungen trachteten zu ſo einem Anfang im Hauſen zu gelangen —
Meyer. Es waͤre vielleicht wohl moͤg -A 48lich, wenigſtens koͤnnten ſie es, wenn ſie nur wollten; ich hab ſchon hundertmal ge - ſagt, es waͤr einem jeden Spinnerkind ſo leicht als nichts moͤglich, auch ſeine 8 oder 10 Dublonen zuſammen zu legen.
Junker. Halteſt du das fuͤr ſo leicht moͤglich?
Meyer. Es braucht nichts anders als daß ein Kind von einem Gulden den es in der Wochen verdient, 6 Kreuzer oder 2 Ba - zen beyſeits lege, und daß ihm jemand dann zu dem Geld Sorg trage, ſo waͤre das in ſeiner Ordnung.
Junker. Aber koͤnnte ich etwas beytra - gen, daß das ſo kaͤme?
Meyer. Ja freylich! wenn ihr ſo gut ſeyn wolltet.
Junker. Wie ſo?
Meyer. Wenn ihr z. E. einem jeden Spinnerkind, das ſo ſeine 10 Dublonen er - ſpahren wuͤrde, eh’ es ſeine 20 Jahr alt iſt, etwa eine oder nur eine halbe Juchart Land fuͤr ſein Lebtag Zehndenfrey laſſen wuͤrdet, ſo wuͤrdet ihr mehr als etwas dazu beytra - gen.
Der Junker ohne ſich zu beſinnen, ſagte darauf: freylich wenn es damit geholfen, ſo ſoll es an dem nicht fehlen.
Da der Meyer ſo von der Zehend Frey -9 heit redete, ſahe das Mareylj dem Junker auf Maul und Augen; und da er ſo ge - ſchwind ſagte, es ſoll an ihm nicht fehlen, ſtuhnd es vor Freuden hart an ihn zu, zupf - te ihn bey’m Ermel, und ſagte: jaͤ Junker, wenn ihr einmal das thun wollet, ſo thut ihr einen groſſen Gottslohn: — aber ihr muͤßt es nicht machen, wie mein Bruder da geſagt hat; es gehet ſonſt zu lang, ehe der Eifer in die Leuthe kommt, und ihr bekommt die aͤltern Kinder auf dieſe Weiſe gar nicht in euere Ordnung: denn die koͤnnen jezt bis ſie 20 Jahr alt ſind, nicht mehr ſoviel Dub - lonen zuſammen bringen, und darum muͤßt ihr denen die den Zwanzigen nahe ſo Ze - hendfreye Aeker geben, wenn ſie nur 2 bis 3 Dublonen zuſammen bringen, und denn ſo ſteigen; je juͤnger ſie ſind je mehr Dublo - nen bis auf die ſo jezt 12 Jahr alt ſind. Die und darunter koͤnnen dann richtig ihre 10 zuſammen bringen.
Der Junker ſtaunte eine Weile uͤber alles was ihm dieſe Leuthe ſagten — dann fieng er wieder an und ſagte: aber wann die Leuthe im Dorf auf dieſe Weiſe mit dem Baumwollenweſen in Ordnung kaͤmen, wuͤr - den ſie um deßwillen auch mit ihrem Bau - renweſen in Ordnung ſeyn?
10Der Meyer erwiederte ihm; einmal mehr als ſonſt.
Junker. Glaubſt du das?
Meyer. Ganz ſicher: denn fuͤr’s erſte, iſt ein jeder Menſch, der fuͤr irgend was in Ordnung kommt, fuͤr alles andere, was er ſonſt unter den Haͤnden hat, auch beſſer in der Ordnung: fuͤr’s andere, muß das Baumwollenſpinner-Kind fuͤr das Bauren - weſen nur ſo weit in Ordnung kommen als es daſſelbe treiben kann; und da wiſſet ihr wohl, das hoͤchſte worauf ſie kommen koͤn - nen, iſt etwa zu einem Kuh-Heuwachs und ein paar Hausaͤker: die meiſten muͤſſen ſich mit einem Garten, oder mit ein oder ein paar Puͤnten behelfen, und es koͤnnte ſie doch nichts ſo ſehr zu der Art Baurenwe - ſen, wie ſie eins treiben koͤnnen, aufmuntern und machen, daß ſie es ſo weit treiben als immer moͤglich, als ſolche Zehendfreye Aeker.
Der Junker erwiederte; noch einmal ſey ihm alles daran gelegen, daß auch die aͤrmſte Haushaltung ſich nie ganz vom Landbau weglaſſe, ſonder alles ſo viel es einem jeden moͤglich iſt, neben ſeinem Hausverdienſt auch noch etwas Herd baue.
Das Mareylj ſagte ihm darauf; wenn euch daran ſo viel liegt, ſo thaͤtet ihr dann gewiß wohl, wenn ihr die Spinnerkinder11 alle Jahr, etwa im Fruͤhling einmal und im Herbſt einmal, mit ihrem Bauren G’ſchirr zu euch in’s Schloß kommen, und ſie euere Puͤndten und Garten umgraben, und darein ſezen, ſteken und austhun lieſſet, was noͤthig: ihr koͤnntet ſie damit und mit einem dozend Brod und ein paar Zuͤbern Milch fuͤr das ganze Jahr, fuͤr das Landweſen, wie ſie es treiben muͤſſen, eifrig machen.
Es nahm den Junker ſo ein, was dieſe Leu - the ſagten; daß er beyde bey der Hand nahm und ihnen ſagte: ich kann euch nicht genug ſagen wie ich euch danke daß ihr mir ſo den Weg zeiget, wie ich eueren Dorfleuthen in Haus und Feld auf eine rechte Art die Hand bieten kann.
Das freute die Leuthe, daß ſie nicht wuß - ten was ſie ſagen wollten, und es gieng wohl ein Vater Unſer lang, ehe ſie ihm ſag - ten: wenn ſie nur etwas wuͤßten und koͤnn - ten, das ihm diente, ſo haͤtten ſie keine groͤſ - ſere Freude als es nicht nur zu ſagen, ſon - dern auch zu thun.
Die Zeit uͤber da ſie nichts ſagten, ſahen ſie ihn unverwandt an, und das ſo innig vergnuͤgt wie nur ein herzlich dankbahres Kind ſeinen Vater anſiehet, wenn es ihm die groͤſte Wohlthat erwieſen.
12Nach einer Weile ſagte der Meyer wieder; wenn ich’s voͤllig uͤberlege ſo duͤnkt mich ihr kommet mit allem was ihr thun koͤnnet, doch nicht zu euerem Zwek wenn ihr nicht den Kerl, den man Schulmeiſter heißt, fortja - get, und entweder keine Schul, oder eine ganz neue Einrichtung darinn machet; Se - het Junker! es hat ſich ſint 50 Jahren ſo alles bey uns geaͤndert, daß die alte Schul - ordnung gar nicht mehr auf die Leuthe, und auf das was ſie werden muͤſſen, paßt.
Vor altem war alles gar einfaͤltiger, und es mußte Niemand bey etwas anderm als bey’m Feldbau ſein Brod ſuchen. Bey die - ſem Leben brauchten die Menſchen gar viel weniger geſchulet zu ſeyn — der Baur hat im Stall, im Tenn, im Holz und Feld, ſei - ne eigentliche Schul, und findet wo er geht und ſteht, ſo viel zu thun und zu lehrnen, daß er ſo zu reden ohne alle Schul das recht werden kann, was er werden muß — Aber mit den Baumwollenſpinner-Kindern, und mit allen Leuthen die ihr Brod bey ſizen - der oder einfoͤrmiger Arbeit verdienen muͤſ - ſen, iſt es ganz anderſt. Sie ſind, wie ich es einmal finde, voͤllig in den gleichen Um - ſtaͤnden wo die gemeinen Stadtleuthe, die13 ihr Brod auch mit Handverdienſt ſuchen muͤſſen, und wenn ſie nicht wie ſolche wohl - erzogene Stadtleuthe auch zu einem bedaͤcht - lichen uͤberlegten Weſen, und zum Ausſpiz - zen und Abtheilen eines jeden Kreuzers, der ihnen durch die Hand geht, angefuͤhrt wer - den, ſo werden die armen Baumwollenleuth, mit allem Verdienſt und mit aller Hilfe die ſie ſonſt haͤtten, in Ewigkeit nichts davon tragen, als einen verderbten Leib und ein elendes Alter — und Junker! da man nicht daran ſinnen kann daß die verderbten Spin - ner-Elteren ihre Kinder zu ſo einem ordent - lichen und bedaͤchtlichen Leben anhalten und auferziehen werden, ſo bleibt nichts uͤbrig, als daß das Elend dieſer Haushaltungen fortdauret, ſo lang das Baumwollenſpinnen fortdaurt und ein Bein von ihnen lebt; oder daß man in der Schul Einrichtungen mache, die ihnen das erſezen, was ſie von ihren Elteren nicht bekommen; und doch ſo unum - gaͤnglich noͤthig haben.
Und jezt wiſſet ihr Junker, was fuͤr ei - nen Schulmeiſter wir haben, und wie we - nig er im Stand iſt auch nur ein Quintli — wann die armen Kinder gut werden ſollten, in ſie hinein zu bringen.
Er fuhr mit Hize fort zu ſagen:
Der Tropf weis minder als ein Kind in14 der Wiegen, was ein Menſch wiſſen muß, um mit Gott und Ehren durch die Welt zu kommen — er kan ja nicht einmal leſen — wenn er leſen will, ſo iſt’s wie wann ein al - tes Schaaf bloͤket, und je andaͤchtiger er ſeyn will, je mehr bloͤket er: und in der Schul hat er eine Ordnung, daß einen der Geſtank zuruͤkſchlaͤgt, wenn man eine Thuͤre aufthut. — Auch iſt ſicher kein Stall im Dorf, darinn man nicht fuͤr Kaͤlber und Fuͤllen, die man erziehen will, weit beſſer ſorget, daß das aus ihnen werde, was aus ihnen werden muß — als in unſrer Schul dafuͤr geſorgt wird, daß das aus unſeren Kinderen werde, was aus ihnen werden ſollte.
— So redte der Mann der Erfahrung hatte in ſeinem Dorf.
Seine Schweſter gieng jezt einmal uͤber das ander in die Kuͤche; kam dann wieder in die Stuben, gleich wieder in die Kuͤche, und kaͤute immer an den Naͤgeln; denn ſie hatte Luſt dem Junker auch einen Kram von ihren Bauren Kuͤchlenen heim zu geben, und — dorfte es nicht und wollte — es doch — das machte ſie an den Naͤglen kauen, und wiederkauen, bis ſie endlich fand, ſie doͤrfe es doch; er ſey ja gar nicht wie ein andrer Junker, der es erwann uͤbel nehmen koͤnnte; — doch traute ſie ſich nicht voͤllig15 — ſie ſtuhnd zu ihm zu — und ſagte: wenn ihr einmal nicht der Junker waͤret, ſo muͤßtet ihr mir auch ein paar von meinen Kuͤchlenen eurer Frau zu einem Kram heim nehmen.
Der Junker wußte es ſchon vom Pfarrer daß ſie es allen Leuthen die zu ihr kommen, ſo mache; und ſagte mit Lachen: aber weil ich jezt der Junker bin, ſo gibſt du mir kei - nen?
Herr Jeſus! ihr nehmet es nicht uͤbel, ſagte es da, und konnte ſich faſt nicht hin - terhalten vor Freude zu jauchzen: es ſprang im Augenblik hinter den Ofen, nahm die zwey weiſſen Papier, die es ſchon zum vor - aus darfuͤr verborgen, hervor, pakte ſeine Kuͤchlj alle die auf dem Tiſch ſind, in zwey Kraͤm, einen fuͤr den Junker und einen fuͤr den Pfarrer, trug dann dieſelben in einem neuen ſchoͤnen Koͤrbchen, das es mit einem weiſſen Tuch dekte, den Herren nach bis zum Pfarrhaus: Sie redten den ganzen Weg uͤber mit ihm, und hielten ihn’s noch im Pfarrhaus auf, bis der Junker wegfuhr.
Denn da es heimgieng, traf es in allen Eken Leuthe an, die ihre Koͤpfe zuſam - menſtieſſen und mit einander Rath hielten; und nahe bey ſeinem Hauſe einen ganzen Hauf - fen Kinder, die auch nicht ſo bey einander ſtuhnden wie Kinder bey einander ſtehen, wenn ihnen wohl ums Herz iſt: und da es merkte was es war, ſchuͤttelte es den Kopf, ſah’ ih - nen ſteif in die Augen, und ſagte da ſie ihn’s gruͤßten, zu ihnen: habt ihr gut Rath mit einander? Nicht ſo gar gut, antworteten die Kinder, und durften ihns faſt nicht anſehen: ſie waren naͤmlich in Aengſten wegen der Frey - tagsrechnung; denn der Junker hatte am Sonntag nach der Mittagspredigt verleſen laſſen, daß am Donſtag die Gemeindwayd vertheilt und am Freytag Jedermann der dem Vogt ſchuldig, mit ihm unter der Linden rechnen muͤſſe; beyde Punkten machten vielen Leuthen im Dorf den Kopf groß; aber haupt - ſaͤchlich der lezte.
Das Mareylj aber war kaum von den Kin - dern weg, ſo ſagte eines, es ſey doch auch ſonſt ſo gut, und es thuͤe ihnen vielleicht denGefallen,17Gefallen, und rede ihnen daheim zum Beſten. — Die anderen waren im Augenblik alle der Meynung, und ſagten, ſie wuͤßten einmal wenn ſie das ganze Dorf ausſinnten, nie - mand der’s eher thaͤte, und es ſey wie wenn es Gottes Wille haͤtte ſeyn muͤſſen, daß es jezt ihnen juſt vor Augen kommen, und ſie an ihn’s ſinnen muͤßten.
Sie machten nicht lang; das Mareylj hatte ſeinen Korb kaum hinter dem Ofen abge - ſtellt, ſo ſtuhnden ſie ihm ſchon in der Stu - be; aber es durfte lang keines ſagen warum ſie da ſeyen; eines ſtupfte das andere und ſagte ihm: brings doch du an: das Ma - reylj that als wann es nichts merkte, und ſagte: was geht ihr guts aus mit einander? Auf das Wort hin zog das Huͤnerbethelj, das bey ihm zu ſtuhnd, ihn’s beym Fuͤrtuch, und ſagte: wir ſind in Gotts Nahmen in einem entſezlichen Kreuz, Mareylj! und er - zaͤhlte ihm denn ihren Jammer; hinter dem erzaͤhlen baten ihn’s denn alle: es ſey doch auch ſeiner Lebtag ſo gut geweſen, und es ſolle doch um tauſend Gottswillen ſie auch jezt nicht verlaſſen, u. ſ. w.
So — ſo — ihr ſeyt ſchoͤne Jungfern, nein, nein, wenn ihr nichts anders habet ſo koͤnnt ihr nur wieder gehen wo ihr her - gekommen; aus dem gibt’s gar nichts; esB18geſchieht euch nur der verdiente Lohn — euere Elteren moͤgen mit euch machen was ſie wollen.
Die Kinder aber bathen, heulten und fie - len faſt vor ihm nieder, daß es doch ſo gut ſey und es thuͤe.
Es aber fuhr fort ihnen zu predigen was ſie vor Leuthe ſeyen. Ihr armen Troͤpf, ſagte es ihnen, in euerem Alter Saufſchulden zu machen; ſinnet ihr nicht daß ihr an Leib und Seel Geſpenſter werdet, und Kupfernaſen und Traͤufaugen bekommt, ehe ihr faſt aus - gewachſen?
Ah! um tauſend Gottswillen, ſagten die Kinder, hilf uns nur auch dies mal, wir wol - lens denn gewiß unſer Lebtag nicht mehr thun:
Es ſagte nicht Ja; aber es fieng doch an zu erzaͤhlen wie es ſeiner Zeit geweſen, wie Toͤchteren von ihrer Gattung auch Ehr im Leib gehabt, und in allem was ſie gethan, Schaam gezeiget, und wie das junge Volk fruͤh und ſpaht war, aber wie jezt alles darauf umgehe, — mit aufrechtem Ruͤcken Brodt zu finden, mit muͤſſiggehen und ſtaͤhlen eine glatte Haut davon tragen wolle; aber wie kein Seegen dabey ſeye, und ſo eine Lumpen - und Diebs - haut bald aufhoͤre glatt zu ſeyn und alle Far - ben bekomme.
19So redte das Menſch wohl eine halbe Stund an einander; am End aber that es was ſie wollten, verſprach ihnen, mit ihren Eltern zu reden, wenn ſie es ihr Lebtag nicht mehr thun wollten; und den Kindern wars nicht anderſt als ob ſie einen Berg ab dem Hals haͤtten, da es ihnen das verſprochen. — Sie waren kaum fort, ſo hatte das Mareyli wieder nichts anders als den Junker im Kopf; es konnte ſeit dem er fort war an nichts an - ders denken als an ihn, ſelber da es ins Bett gieng, uͤber Nacht bettete, und mit ſeinem das walt Gott der Vater, der Sohn ꝛc. fertig war, hielt es noch einmal die Haͤnd zuſammen und bettete noch: Mein lieber Gott, hilf auch dem Junker in allem was er vorhat — und darauf ſagt es, ich will ihm einmal auch hel - fen ſo viel ich kann und mag; Amen, in Gotts Namen Amen: und mit dieſem Wort legte es ſich auch auf ein Ohr.
Aber die Kinder waren nicht allein; es war wohl zwey und drey mal Aeltern eben ſo angſt.
B 220Eine Menge Maͤnner und Weiber wußten ſeit dieſer Mittagskirche nicht was ſie thaten:
Die Spekmolchin vergaß ihre Suppe zu ſalzen, und ließ das halbe Eſſen die Kaz freſſen ohne daß ſie es wehrte.
Wo fehlts dir aber, daß du wie ein Narr thuſt? ſagte ihr Mann der juſt dazu kam. — Sie murrte zuerſt nur, ſtatt zu antworten. — Eine Weile darauf beſann ſie ſich, es ſey beſſer, ſie ſag’s dem Ochſen, es muͤſſe doch ſeyn.
Ja, ſagte ſie dann, ich hab das Tuch da dem Vogt verſezt.
Der Spekmolch ſperrte das Maul und Au - gen auf, und ſagte was fuͤr ein Tuch?
Du weiſeſt wohl das an der Woͤſch! ſagte die Frau. — Das ganze Stuͤk da, wo an der Woͤſch weggekommen? und wo du alle Dienſt und alle Woͤſchern in die unterſte Hoͤlle hinab verflucht haſt, daß ſie es ſollten geſtoh - len haben; ſagte der Mann, und wollte dann anfangen jammern, es ſeye doch ſchlimm, wenn man in ſeinem Haus ſeiner eignen Frau nicht mehr trauen doͤrfe.
Aber das Weib ſtopfte ihm das Maul bald zu; ſie hielt ihm ſein achtzehnjaͤhriges uneh - liches Kind vor, das ihn manch Hundert mal mehr gekoſtet als das lumpen Stuk Tuch werth ſey?
Es trieb den armen Spekmolch von der21 ungeſalznen Suppe zur Stube hinaus, da ſie ihm ſo kam.
Die Jooßlin war in gleichem Jammer; der elende Mantel ob dem ſie ſo oft mit ihrem lieben Mann gezanket, daß ihn die Baͤttler, die bey ihnen uͤbernacht waren, geſtohlen, war jezt leyder auch beym Vogt, und ſie mußte es bekennen: der Mantel und das Ver - ſauffen und alles thut mir nicht halb ſo weh als daß du alleweil mit mir gezanket und er - zwingen wollen, ich muͤſſe glauben die Baͤtt - ler, die uns unſer Lebtag nichts geſtohlen, haben uns das geſtohlen, ſagte ihr Mann, da ſie jezt ſo bekennte.
Es thut einem auch ſo weh wenn einem ein Mann lieb iſt, und er einen denn fuͤr eine Diebin haͤlt, ſagte die Frau.
Noch groͤſſer als alles war der Jammer der Barbel, die den Nahmen hat, daß ſie eine Fromme ſey; ſie konnte ſint dieſer Mittags - kirchen nicht mehr in der Bibel leſen, und nicht mehr in ihrem liebſten Baͤttbuch baͤtten; die heiligen Papyr lieſſen ſie lange ohne Troſt in ihren Noͤthen, — ſo ſehr ſie den Kopf daruͤber haͤngte und ihre Thraͤnen darauf hinabfallen ließ; endlich auf einmal war ſie getroͤſtet, es kam ihr in Sinn, ſie koͤnne es leugnen; — und ſobald ſie im Kopfe hatte wie, rief ſie ih - rer Dienſtmagd und Mithalterin ihrer ſtillenB 322ehrbaren Abendtruͤnken, aus der Kuche in die Stuben, wo ſie eben fuͤnf Eyer zum Nacht - eſſen im Nydel ſchwang; — und ſagte zu ihr, Gottlob; Gottlob! ich hoffe jezt der liebe Gott wolle die Schand von mir wegnehmen: Denk auch was mir der lieb Gott in Sinn ge - geben, weil ich ihn ſo angeruft hab; das alte Spinnerbabi heißt wie ich und wenn ich ihm das Geld in Sak und einen halben Gulden zum Lohn gebe, ſo gehets gewiß gern fuͤr mich unter die Linden, und ſagt es ſey die ſieben Gulden ſchuldig — und der Vogt bringt mirs nicht aus; er hat mir mein Leb - tag nichts ausgebracht und hat gewiß auch nicht ſo ein gar boͤſes Herz wie jezt alle Leuthe thun — ich will ſo bald es unter Licht iſt, zu ihm und mit ihm reden.
Und morndes am Morgen, da das Mareyli zu den Eltern, deren Kinder geſtern bey ihm geweſen, hinkam, jammerten ihm etli - che Muͤttern gar vielmehr uͤber dieſen Frey - tag als ihre Kinder.
Es hatte die Hauen auf der Achſel und that wie wenn es nur ſonſt ins Feld wollte;23 die meiſten Elteren riefen ihm noch ſelber auf die Gaſſe hinaus, es ſoll auch in die Stube kommen, und es wußte die Sache ſo gut ein - zufaͤdlen daß die meiſten Kinder ohne Ohr - feigen davon kamen.
Aber die Caminfegerin hatte das Waſſer in den Augen, ſo bald es nur das Wort Frey - tag ins Maul nahm und ehe es noch ihres Liſabethlis gedachte, ſieng ſie an zu heulen und ſagte, ſie ſtehe ins Gottsnahmen auch in der erſchreklichen Rechnung und wiſſe ih - res Lebens nicht anzufangen; der Caminfeger ſchlage ſie zu tod, wenn ers vernehme.
Und die Lismer Gritte ſagte faſt die gleichen Wort wo die Caminfegerin; beyde bathen das Mareylj ohngefaͤhr um das gleiche was die Kinder; naͤmlich daß es doch um tauſend Gottswillen mit ihren Maͤnnern rede.
Es gab ihnen zuerſt zur Antwort; das Zuchthaus waͤre beſſer fuͤr ſie als ſein Fuͤrwort; und es ſtehe ihm nicht an mit ſeinem zum Be - ſtenreden Schelmen zu pflanzen; am Ende thats doch was ſie wollten.
Aber zwey Schweſtern die beym Creuzbrun - nen vor einander uͤber wohnen, (die eine hat einen Lindenberger und die andre einen Huͤgj;) ſind bey dieſem Anlaß wie erzgute Muͤtter ob ihren Kindern verirret.
Die Lindenbergerin merkte, daß ihrer Schwe -B 424ſter Kind etwas im Kopf ſtekte und fragte ihns wo es fehle, daß es ſint dem Mittag immer herum ſtehe wie wenn es nicht heim doͤrfe.
Das Kind fieng im Augenblik an zu wei - nen, bekennte alles, und bath ſie dann daß ſie doch auch mit ihrer Mutter rede, es doͤrfe ihr nicht unter die Augen — u. ſ. w.
Ich will freylich mit ihr reden und ihr ſagen was du fuͤr ein Menſch biſt, ſagte die Linden - bergerin, ſtuhnd im Augenblik auf, ſagte aber, ehe ſie noch gieng, zum Kind; komm du mir nur nicht mehr ins Haus wann du ſo ein Kind biſt, du koͤnnteſt mir meines auch noch ver - fuͤhren daß es wuͤrde, wie du.
Mit dem gieng ſie zum Haus hinaus und um den Brunnen herum zu ihrer Schweſter — da traf ſie, ſo bald ſie die Thuͤre aufthat, ihr eignes Kind an, das voͤllig wie der Schwe - ſter ihres daheim am Ofen ſtand und den Kopf haͤngte: — was thuſt du da, du Muͤſ - ſtggaͤngerinn; es iſt gar nicht noͤthig daß du den ganzen Tag da ſteheſt, ſagte ſie im Au - genblik zu ihm, noch ehe ſie nur ihre Schwe - ſter gruͤßte.
Das verdroß dieſe, daß ſie auch vor dem Haus zu ihr ſagte: es iſt doch beſſer, es ſteke bey mir als im Wirthshaus.
Was? ſagte die Lindenbergerin, meynſt du ich habe auch ſo ein Kind, das ins Wirths -25 haus geht und Saufſchulden hat, wie du eins haſt.
Behuͤt mich Gott vor dem, daß ich ſo ein Kind habe; aber du haſt einmal ſo eins, ſagte die Huͤgin.
Und die Lindenbergerin, ha — ich komm einmal eben jezt von deinem weg, das da - heim am Ofen ſteht und mich gebetten hat ich ſolle dir ſagen, daß es am Freytag unter die Linde muͤſſe.
Ae mein Gott, ſagte die Huͤgin, und zeigte mit der Hand gegen den Ofen; den Augenblik ſteht deines da zu, und bittet mich, daß ich es dir ſage.
So kamen die zwey Schweſtern faſt bis zum Zanken, ehe ſie merkten, daß ſie beyde wie gute Muͤtter ob ihren Kindern verirret. —
Aber ich kan nicht alles erzaͤhlen; es gab faſt in allen Haͤuſeren dergleichen Auftritt, ob der armen Rechnung, die der Pfarrer am Sonntag in der Mittagspredigt verleſen muͤſ - ſen.
Es war nur Schad um ſeine Morgenpre - digt, die man ob dieſem Mittagszedel26 vergeſſen; wie eine von den andern, die mit dem Woͤrtlin Amen zugleich vergeſſen und be - ſchloſſen werden; und doch gieng am Mor - gen kein Bein zur Kirchenthuͤr hinaus das nicht davon redte; und von der Kirchenthuͤr bis Daheim uͤber das Mittageſſen, bis es wie - der in die Kirche laͤutete, und ſie in den Stuͤh - len ſaſſen, gieng kein Maul davon zu. —
Es war alles nur Eine Stimme, es ſey wie wenn der Pfarrer ſint 50 Jahren neben ei - nem jeden geſtanden waͤr und alles geſehen und gehoͤrt, was im hinterſten Winkel vorgefallen, ſo habe er alles ſagen koͤnnen, wie es geweſen.
Graue Maͤnner und graue Weiber wußten nicht genug zu ruͤhmen von der guten Zeit, von der der Pfarrer ſo viel geredt; und er - zaͤhlten hundert Geſchichten vom Nachtſchnei - den, und ſolchen alten Freuden, die jezt ab - gegangen, weil die Leuthe ſo boshaft ſind; und konnten nicht genug ſagen wie gut es ge - weſen, ehe das Baumwollenſpinnen in’s Dorf gekommen, und das Land ſo verſtuͤkelt und mit Leuthen uͤberſezt worden.
Eine junge Renoldin kam ſo in’s Feuer uͤber die Predigt, daß ſie uͤber Tiſch ſagte, ſie wolle, noch ehe die Sonne unter, in’s Pfarrhaus lauffen, und wenn’s ein halb Jahr waͤhre, die Predigt abſchreiben, damit ihre Kind und Kindskinder wiſſen wie es im Dorf27 zugegangen; ſie ſezte hinzu, es ſey ihr die ganze Predigt auf’s Haar geweſen, ſie hoͤre ihren Großvater wieder reden; ſo habe er hundert und hundert mal dieſe Sachen uͤber Tiſch erzaͤhlt; und hundert und hundert mal ob dem brafen Vorgeſezten, der ſich da noch allein dieſen Bosheiten wiederſezt, und aber ins Kayſers Landen ſterben muͤſſen, die hel - len Thraͤnen vergoſſen.
Ihrer viele ſagten, es nehme ſie nur Wun - der daß er uͤber das Schloß und uͤber den alten Junker ſo viel habe reden doͤrfen.
Andere ſagten: der Junker laſſe alles ſa - gen, es moͤge auf Gottes Erdboden ſeyn was es wolle, wenn es nur wahr ſey.
Etliche behaupteten, es ſeye keine Pre - digt geweſen, und b’huͤt uns Gott darvor, es gaͤbe Mord und Todtſchlag, wenn man ſo predigte.
Es weiſt’s einer nicht, ſagten andre; viel - leicht gaͤb’s weniger Mord und Todſchlag und weniger Hurerey und Diebſtahl, wenn man ſo auf der Canzel ſagen doͤrfte, wo Mord und Todſchlag, Hurerey und Diebſtahl in einem jeden Dorf eigentlich hergekommen ſind, noch herkommen und ferner herkommen werden.
Das glaube ich, ſagte ein junger Mann, von dem ich naͤchſtens noch mehr reden werde; ſie iſt ja vom Anfang bis zum Ende nichts als28 eine Jagd auf allerley Gattung Menſchen - woͤlf, die es in der Welt giebt: ihrer etliche pakten das Wort auf, und ſagten, ja, das iſt ſicher wahr, und unſer Lebtag hat niemand ſo viele und gute Huͤnde zu einer Jagd in’s Dorf gebracht; ſie hielten die Naſen keinen Augenblik vom Boden, und ſind immer auf der Spur geblieben, bis an’s Ende.
Verzeihet ihr Leuthe der Bauren-Muth - willen — ſie machen es ſo.
Die Gertrud ſchlug die Augen nieder und zitterte in der Kirche da der Pfarrer von ihr redte: und da ſie heimkam ſagte ſie, ſie wollte weiß nicht was geben, ſie waͤre nicht in der Kirche geweſen.
Aber warum jezt auch das? ſagte der Ni - klaus.
Haͤ der Herr Pfarrer hat da allerley geſagt das er haͤtte koͤnnen bleiben laſſen, ſagte die Mutter.
Es iſt doch recht geweſen, daß er geſagt, wie es der Hummel uns gemacht, und wie er den Vater und uns geplagt hat, ſagte der Bub.
29Und Gertrud: Man muß das Boͤſe ver - geſſen, und Gott danken, wann es voruͤber: aber dann iſt es einem am woͤhlſten, wenn Niemand viel von einem redet.
Ich hab jezt gemeynt, es freue dich auch, ſagte der Bub.
Da laͤchlete ſie. — Es ſcheint es freue dich doch, ſagte wieder der Bub.
Nein; du freuſt mich, ſagte die Mutter.
Den Lienert hingegen freute es wie ſeinen Buben, daß der Pfarrer ſo viel Gutes von ihr geſagt.
Sie aber gab hieruͤber zur Antwort: Lie - ber! wenn’s Ruͤhmens gebraucht haͤtte, ſo waͤr’s in der alten Zeit geweſen, und da hat’s jedermann bleiben laſſen; jezt mag ich deſſen nichts mehr. Wenn ich nur dir auf meinem Heerd eine Suppe machen kan, wie du ſie gern iſſeſt, und du dann heim kommſt ehe ſie ab dem Feuer iſt, ſo meyn’ ich, ich hab alles was ich in der Welt wuͤnſchen ſoll.
Glaubet doch nicht ihr Leuthe! es moͤge ſich nicht erleiden ſo etwas zu erzaͤhlen; es hat vielleicht lang kein Mann etwas geſagt, darinn ſo viel liegt, als in dieſen guten Weiber-Wor - ten.
Die Alten hielten den Feuerheerd im Haus fuͤr heilig und ſagten: eine Frau, die bey ih - rem Feuerheerd viel an ihren Mann und an30 ihre Kinder ſinnet, habe nicht leicht ein un - heiliges und ungeſegnetes Haus.
Aber es iſt freylich in unſern Tagen ſehr vergeſſen, was die Alten ſagten:
Wenn Gertrud auch nur Erdapfel hatte, ſo kochte ſie ſo daß ihr Mann es ihnen anſehen mußte, er ſey ihr nicht aus dem Sinn ge - kommen, da ſie ſelbige ob dem Feuer hatte.
Denket, was wird eine Frau uͤber ihren Mann vermoͤgen, der es der Suppe, die ſie kocht, und dem Strumpf, den ſie ſtrikt, anſehen muß, daß er ihr nicht aus dem Sinn kommt, wann ſie ſtrikt und wann ſie kocht.
Der Lienert haͤtte ein Unmenſch ſeyn muͤſ - ſen, wenn er bey einer ſolchen Frau ſo leicht, und noch ſo gar in den erſten 14 Tagen wie einige gemeynt, in ſein altes liederliches Leben wieder gefallen waͤre; er iſt zwar ein ſchwa - cher aber ein guter Menſch und jezt entſezlich froh daß er dem Hummel ab der Ketten, und des Wirthshauſes los iſt. —
Er geht euch alle Morgen der erſte an ſeine Arbeit; und noch vor den Sechſen, ehe er auf den Kirchhof muß, macht er eine Stunde oder zwey vorher allerhand in Ordnung, das er ehdem mit keiner Hand angeruͤhrt; er miſtet den Stall, er melket die Kuh, grabt den Gar - ten um, ſpaltet Holz, thut alle ſtarke Haus - werke fuͤr ſeine Frau, und iſt bey dieſer Mor -31 genarbeit noch ſo munter als den Tag uͤber auf dem Kirchhof; ſingt mehrentheils noch mit ſeiner Frau und mit ſeinen Kindern ihre Morgenlieder, und toͤnt oft ihre Weiſe fort, den ganzen Weg uͤber, bis er zu ſeinen Ge - ſellen kommt. —
Da vergeht ihm aber denn meiſtens das Liederſingen bald; die Menſchen haben uͤberhaupt wenig Tagsarbeit, bey deren man ſo fortſingen kan; und die ſind ſchon gluͤklich die nur am Morgen und Abend mit frohem Herzen ſingen.
Des Lienerts ſein Tagwerk iſt nichts we - niger als leicht: Er hat jezt 9 Geſellen und 8 Tagloͤhner, und mit dieſen leztern faſt alle Stund Verdruß; mit den Geſellen aber die fremd ſind, und wiſſen was im Land der Brauch und Recht iſt, nicht den Zehnden ſo viel.
Aber die Tagloͤhner meynen gar, es ſey alles recht, was ſie thun; da ſie aus ſeinem Dorf ſind, kennen ſie ihn und wiſſen daß er zu mitleidig, ſie ſo leicht aus der Arbeit zu ſchi - ken. — Auf dieſe Rechnung hin thun ſie was32 ſie wollen, und machen ihm einen Verdruß nach dem andern; ihrer etliche ſind wie wenn ſie eine Freude daran haͤtten, wenn nur alles viel koſtet, und drauf und druͤber geht was nur moͤglich: dem Kriecher hat er vom er - ſten Tag an einmal uͤber das andere geſagt; er ſolle doch den Kalch ſpahren und das Pfla - ſter nicht ſo fett anmachen; der Grund iſt, weil man den Kalch wohl 7 Stund uͤbers Gebirg herfuͤhren muß, und ein jedes Faͤßlj bis auf 3 Gulden koſtet. —
Aber er konnte lang ſagen; der Kerl ar - beitete den Kalch, daß die Maurer alle Au - genblik ganze Schollen, manchmal ſo groß als ein Baumnuß, lautern unvergangnen Kalch darinn fanden.
Der Lienert wußte ſich nicht anderſt zu hel - fen, als ihn und noch einen von dieſer Ar - beit wegzuthun, und an eine andere zu ſtel - len; dafuͤr brauchten ſie dann hinter ihm das Maul, hieſſen ihn Wohldieners-Ungluͤks - ſtifter und Egyptiſchen Treiber; brummten unter einander daruͤber wie Baͤren, und ſag - ten es gehe ihn nichts an, der Junker werde noch Junker bleiben wenn er das Faͤßlj Kalch, das er aus ihnen herausſchinden wolle, ſchon minder habe.
Der Meiſter haͤtte ſie gradzu wegſchiken und nicht an eine andere Arbeit ſtellen ſollendie33die Teufelsbuben verderben jezt ihm aus Raach doppelt ſo viel, und es iſt als ob ſie nicht ab dem Kirchhof wegkoͤnnten, ohne daß ſie einen Laden mit den Schuhen ab einander tretten, oder ein Stuͤk Holz unnuͤz gemacht, oder ſonſt etwas dergleichen gethan.
Aber dann ſind es dieſe noch nicht allein, von denen er Verdruß hat. Der Ruͤtj Marx thut zu allem was er angreifen muß, ſo lahm, daß wenn er etwas in die Hand nimmt, im - mer 3 oder 4 die Haͤnde ſtill halten und den Narren angaffen.
Er und der Kriecher ſind aber doch auch die ſchlimmſten, und glatterdings zu nichts nuz, als etwa einen leeren Korb oder einen Nagel oder ein Seil einem andern zu bringen: der dann den Korb ausfuͤllen, den Nagel ein - ſchlagen und das Seil anbinden kann, wenn er will.
Sie ſperbern auch den ganzen Tag auf ſol - che Gattung Arbeit.
Dann aber uͤbergehet dem Lenk auch ſicher die Galle; wenn er ſie ſo etwas auf den Muͤſ - ſiggang einrichten ſiehet; und es iſt dann noch, wie wenn er allemal dazu kommen muͤßte; und das macht ihn ſo haͤßig, daß er ſelber nicht mehr arbeitet, wie vorher, und daß er erſt neulich zu ein paar andern geſagt: ſie ſeyen wohl Narren, daß ſie ſich ſo angreifen moͤ -C34gen; die ſo an Haͤnd und Fuͤſſen wie lahm und den ganzen Tag herumſtehen und den Maulaffen feil haben, bekommen den gleichen Lohn wo ſie.
Es iſt auch zum Raſend werden wie ſie es machen; vor kurzem rief ein Maurer dem Kriecher vom Geruͤſt herunter, ob er keine Schnur (Bindfaden) bey ſich habe; der Krie - cher ſchlupfte im Augenblik unter den Pfla - ſterkorb, den der ſchon am Buckel hatte, her - vor, ſuchte in allen Saͤken, ob er nicht et - was finden koͤnne das einem Schnuͤrlein gleich ſaͤhe; und das er anſtatt des Pflaſterkorbs die Stege (Treppe) hinauf tragen koͤnnte: Er fand auch wirklich etwas dergleichen, nahm es im Augenblik in beyde Haͤnd und trug es alſo Schritt vor Schritt die Stege hinauf an eben den Ort wo er den Pflaſter - korb hintragen ſollen.
Der Lienert ſtuhnd eben neben ihm zu, da er ſeinen Korb abſtellte und mit dem Schnuͤrli in den Haͤnden fortgieng.
Ohne ein Wort zu ſagen, nahm er den Pflaſterkorb ſelber auf die Achſel, und trug ihn ihm auf dem Fuß nach.
Wer ſeines Wegs fortgieng und nicht der - gleichen that als ob er nur denkte daß je - mand hinter ihm hergieng, das war der Kriecher. —
35Er haͤtte ihn auch ſicher bis an Ort und Stell ſo hinter ihm her fortſpazieren und den Korb nachtragen laſſen, wenn ihm nicht ein Maurer ab dem Geruͤſt zugeruffen haͤtte, ob er ſich nicht ſchaͤme, den Meiſter ſo hin - ter ihm her den Pflaſterkorb hinauftragen zu laſſen, und ihm demſelben nicht abzunehmen; da kehrte er ſich doch nach einigem Brum - men, er habe ihn doch nicht geſehen, und geglaubt es preſſiere mit dem Schnuͤrli, um, und wollte ihm denſelben abnehmen, aber er gab ihn ihm nicht, und ſagte: wenn du nicht ein Muͤſſiggaͤnger waͤreſt, ſo haͤtteſt du ihn unten wieder nehmen und mit ſamt dem Schnuͤrli hinauftragen koͤnnen.
Der Kriecher gab zur Antwort: ich meyn’ ich thue meine Sache ſo gut als ein andrer, und ſchnurrte von ihm weg.
Auch der Lehmann ſteht die halbe Zeit, herumzuſchauen wo die Voͤgel herumfliegen; und wenn der Sigriſt, oder der Todtengraͤ - ber, oder ſonſt ein altes Weib uͤber den Kirchhof gehet, ſo hat er allemal etwas ganz nothwendiges mit ihnen zu reden.
Der Marx, der ſtihlt gar, und es iſt kein Nagel, kein Seil, und ſonſt nichts bis auf die Spekſchwarten, vor ihm ſicher.
Einmal als er ſein Brod aus ſeinem Schnappſak herausnahm, war es ſchnee -C 236weiß; der Maurer Jakob, der ehrlichſte un - ter des Lienerten G’ſellen, ſaß eben bey ihm zu und ſagte ihm: Marx, Marx, es iſt gar kein gutes Zeichen, wenn einem Maurer das Brod im Sak weiß wird.
Warum, warum? ſagte der Marx.
Haͤ — es mahnet einen ſo ſtark an’s Kalch ſtehlen, ſagte der Jakob.
Ich hab einmal keinen geſtohlen, ſagte der Marx, und ward nicht roth; denn was ſchwarz und gelb iſt, wird nie roth.
Der Jakob fuhr fort und ſagte: es wird dir gewiß von den Erdapfeln, die du im Sak haſt, ſo weiß worden ſeyn.
Einmal nicht vom Kalchſtehlen, erwieder - te der Marx —
Und der Jakob ſah ihn da nur an, und machte doch daß ihm das Herz klopfte, und er ſichtbahr erſchroken hinzuſezte: es iſt Maͤhl im Sak geweſen; er hatte aber die Hand mit dem Brod noch im Waſſer da er das ſagte, und der Maurer fieng noch einmal an, und ſagte: du muſt doch foͤrchten, der - gleichen Maͤhl brenne uͤber den Magen, daß du es ſo waſcheſt.
Ich mags einmal nicht eſſen wie eine Sau, ſagte der Marx; und der andere, du haſt gar recht, dergleichen Maͤhl koͤnnte wirklich eine Sau toͤden, wenn ſie nur ein wenig zu viel davon eſſen wuͤrde.
37Solche Leuthe hatte der Lienert den Tag uͤber um ſich; doch auch andre; mit den mei - ſten G’ſellen war er vollkommen zufrieden, und von den Tagloͤhneren machten ihm auch etliche dann und wann Freud.
Auſſert dem Michel, den er allenthalben brauchen konnte war ihm keiner ſo lieb als der junge Baͤrr; dieſer ſang und pfiff immer bey ſeiner Arbeit, wenn ihm auch der Schweis tropfenweis von der Stirne lief.
Ihrer viele konnten das nicht an ihm lei - den, und der Lenk ſagte einmal beym Abend - brod ihm in’s Geſicht, er koͤnnte mit ſeinem Singen und Pfeiffen wohl warten bis er auch ein ganzes Hembd haͤtte; aber der Baͤrr pfiff ſein Lied nur deſto laͤuter, denn er hatte der - gleichen Sachen nicht gern im Kopf wie der da ſagte: erſt da das Lied aus, brach er noch einen Mundvoll ab, ſagte ihm dann: meyneſt du etwann es mache einem die Hembder ganz, wenn man nicht pfeiffe.
Es ſpahrte keiner wie er, den Taglohn, und keiner ſprang ſo mit ihm heim, ihn ſeiner Frauen zu bringen und zu zeigen.
C 338Den erſten Samſtag war er auſſer Athem und konnte es faſt nicht zu Worten bringen, da er ihr die Hand aufthate, und den Tha - ler, der von Schweiß ganz naß war, ihr zeigte:
— Gaͤll Frau! ſo hundert, dann waͤr ich ein brafer Mann — —
Wenn nur ſo zehen zu einander kommen, ſo bin ich zufrieden, ſagte die Frau; und er — du muſt auch einmal etwas recht gutes hoffen; denn nahm er ihr den Bub ab, den ſie auf dem Schoos hatte, und ritt mit ihm auf allen Vieren in der Stube herum.
Der Lienert ritt mit ſeinem nicht ſo auf allen vieren; er war zu alt dafuͤr; aber er hat eben ſoviel Freud mit ihm. — Er zeigte ihm wann er am Abend heim kam allemal etwas von ſeinem Handwerk; jezt machen ſie ſint etlichen Wochen den Thurn zu Babel, wie er in der Mutter ihrer Kinderbibel abge - mahlt iſt, aus einem Haufen Laim mit ein - ander in der Stube — es hat ihnen faſt gar nicht gerathen wollen, und ſie mußten manche halbe Nacht daran probieren, wie breit unten die Treppen ſeyn muͤſſe, wenn ſie ſo zwanzig mal um den Leimhaufen her - umgehen und oben ſich mit ihm ausſpizen muͤſſe; und viel anders mehr. — Er lehrte ihn rechnen was es zu den Sachen braucht,39 wieviel Kalch und Stein und Sand es zu einem Klafter heiſcht wenn es ſo oder ſo dik iſt. — Er lehrte ihn das Bleymaas, das Richtſcheit und das Winkelmaͤß brauchen, und zeigte ihm den Vortheil der Steinen wenn ſie dik — oder duͤnn — glatt oder hokericht. —
Erſt vor kurzem kaufte er ihm eine Pflaſter - kellen, und ein Fuͤrfell — ich darf wohl ſa - gen, die Freude eines Koͤnigs Sohns iſt nichts dagegen, wie es Niklaus freute, daß er ein Fuͤrfell und eine Pflaſterkelle bekam. — Er nahm einen Gang an, die Stube hinauf und hinunter, wie wenn er ſchon ein Maurergeſell waͤr, und ſprang[dann] im Fell einsmal uͤber das andere zu Vater und Mutter, nahm ſie bey der Hand und Rok, ſagte alle Augenblik, er wolle auf der Welt thun und machen was ſie wollen, wenn ſie ihn nur auch bald auf - dingen; der gute Vater wußte nicht was er machte, ſo nahm ihn das ein, und er konnte ſeine Thraͤnen nicht hinterhalten, da er ihn jezt auf die Schoos nahm und zur Mutter ſagte, wenn ich nur auch noch erlebe, daß er ein rechter Meiſter wird ſo will ich denn gern aus der Welt, wann’s Gottes Wille iſt.
Gertrud drukte dem Vater die Hand und hatte auch Thraͤnen in Augen, da ſie ſagte, er wird’s wills Gott werden.
Aber der Niklaus meynte, das ſollte jeztC 440nicht ſeyn: Er ſaß eben dem Vater auf der Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn und mit der andern die Mutter um den Hals und fieng ſo zwiſchen ihnen beyden auch an zu wainen. —
Sie wollten jezt gern aufhoͤren, aber ſie konnten nicht, druͤkten ihn mit ihren Koͤpfen gegen einander und ſagten ihm, ſie wainen nur vor Freuden, und er gebe wills Gott, ein brafer Meiſter. Er aber ward nicht bald wieder froͤlich — und nahm ſeine Pflaſterkelle eine Weile nicht mehr vom Boden auf. —
Sie hat alle Tage faſt bis zu Nacht des Ru - dis Kinder in ihrer Stuben; an den meiſten Abenden trift er, wenn er von der Arbeit heimkommt, ſie noch bey ihr an.
Aber es kann Niemand glauben was ſie fuͤr Muͤhe mit ihnen hat; ſie ſind an gar keine Ordnung und keine anhaltende Anſtrengung gewoͤhnt, und haben ihre Augen, wenn ſie ſie ſollen auf dem Garn halten, immer in den Luͤften; und ſo wird es immer bald zu dik bald zu duͤnn, und nie recht. — Es wird auch nie keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen41 nicht ſteif darauf haltet, bis ihm der Griff da - von in die Hand kommt; und dieſer Griff kommt allen Kindern, die nicht wohl erzogen, gar ſchwehr in die Hand.
Und denn fuͤhrt eins zum andern; — wenn ſie denn ihr Garn ſo verderbt, zehrten ſie noch ganze Haͤnde voll davon ab, warfen es fort in Bach, zum Fenſter hinaus, und hinter die Haͤaͤg; aber Gertrud, die ihnen alle Tag ihre Arbeit wiegt, fand den Fehler gar bald, und fragte die Kinder wie das komme; — ſie woll - ten laͤugnen: Aber der Gertrud Heirlj ſagte dem Liſelj, du mußt jezt nicht laͤugnen; ich hab es ja geſehen, wie du aufgeſtanden, und es zum Fenſter hinaus gethan haſt. — Weiſſeſt! ich hab dir ja geſagt, die Mutter merke es — aber du haſt mir’s nicht geglaubt.
Dieſes Liſelj war aber auch das unartigſte von allen, es ſagte die ſchlechteſten Worte von der Welt; ſelber uͤber die gute Frau, um ſei - nen Geſchwiſterten die Arbeit und Ordnung, zu der ſie ſie anhielt und die ihm zur Laſt war, auch zu erleiden.
Es war ihm gar nicht zu viel zu ſagen: ſie muͤſſen ſich ja faſt zu tod ſpinnen, und ſie ſeyen doch jezt reich; es wollte gern, ſie haͤtten es nur, wie da ſie noch nichts hatten; ſie haben doch auch koͤnnen ruhig ausſchlafen, und nicht alle Tag ſo muͤſſen angeſpannt ſeyn wie arme42 Huͤnde; und mit der Arbeit war’s immer wie wenn nichts in ihn’s hineinwollte: bald drehete es das Rad ſo lahm, daß der Faden ihm in der Hand von einander fiel; denn einen Au - genblik darauf wieder ſo ſtark, daß das Garn ſo krauß wurde wie geringeltes Roßhaar.
Wenn ihm Gertrud etwas ſagte ſo weinte es ſo lang ſie da ſtuhnd, und murrete wenn ſie den Ruͤken kehrte; und denn that es noch den andern zu leid und verderbte ihnen an ih - rem Garn und an den Raͤderen was es konnte, damit ſie nicht fortkommen wie es.
Kurz, ſie richtete nichts mit ihm aus, bis ſie die Ruthe brauchte, da lehrte es ſizen und ſpinnen, und ſein Garn beſſert ſeitdem in ei - nem Tag mehr als ſonſt in acht.
Ihr Heirlj wollte es dieſen Kindern von Anfang her immer zeigen, wenn ſie es nicht recht machten. Da ſie aber groͤßer waren als er, ſagten ſie ihm zuerſt nur, du kleiner Pfu - ker, was wollteſt du wiſſen: — aber ſie nah - men’s doch von ihm an; er war gar gut, und munterte immer wer rechts und links ne - ben ihm ſaß, auf; und wenn eines auch nur ein wenig ſaur drein ſahe oder das Maul haͤng - te, weil es nicht gehen wollte, ſagte er zu ih - nen; ihr muͤßt nicht ſo Augen machen, und nicht ſo ein Maul, ihr lehret es ſonſt noch viel laͤnger nicht.
43Die Kinder lachten meiſtens wenn er ſo et - was ſagte; dann fuhr er fort; — Mey! — wenn ihr es dann koͤnnet, ſo iſt es luſtig und geht wie von ihm ſelber.
Ja es wird ſchoͤn von ihm ſelber gehen, ſagten die Kinder — und der Heirlj — wenn man doch kann die Augen zuthun und fortſpin - nen und recht, ſo meyn’ ich — es gehe denn doch faſt von ihm ſelber. —
Aber kannſt du die Augen zuthun und fort - ſpinnen? ſagten die Kinder.
Das kan ich, ſagte der Heirlj, und da ſie es ihm nicht glaubten ſagte er: wartet nur bis die Mutter aus der Kuche im Garten iſt, ſo will ich’s euch denn zeigen — dann ſtuhnd er, ſo bald er die Gartenthuͤr gehen hoͤrte, auf, ließ ſich die Augen ſteinhart bey ſeinem Rad verbinden, nahm ſtokblind den Treiber und den Floken in die Hand und trieb das Rad ſo munter, wie wenn er beyde Augen offen haͤtte. —
Die Kinder, die um ihn herſtuhnden, ſag - ten alle — das iſt doch auch! das iſt doch auch! und haͤtten ihm bis zu Nacht zugeſehen wie er ſo blind ſpinne; — aber an 3 Floken ſo wegſpinnen, hatte er genug, und ſchuͤttelte die Binde wieder ab — da ſagten die Kinder zu ihm, aber ſag jezt auch, lehrnen wir’s auch ſo?
44Warum auch das nicht, ſagte der Heirlj; ihr habt ja auch Haͤnde und Augen wie ich; und dann ſezte er hinzu, ich hab zuerſt auch geglaubt, ich koͤnne es faſt nicht lehrnen, aber da iſt es mir einsmals gekommen, ich hab faſt nicht gewußt wie: aber ihr muͤßt mit den Au - gen dazu ſperbern wie wenn ihr Sommervoͤgel fangen wolltet.
Dieſes Spiel, und was er dazu ſagte, machte die Kinder muthiger und eifriger ob ihrer Arbeit.
Ob ſie wollten oder nicht, ſie mußten ſpin - nen lehrnen: Gertrud lieſſe ſich keine Muͤhe dauren; ſie verglich ihr Garn alle Tag vor ihren Augen; zeigte ihnen den Unterſchied vom Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und vom geſtrigen und vom vorgeſtrigen; wenn nur ein Faden darinn ſchlechter war, nahm ſie ihn uͤber den Finger und hielt ihn ihnen vor Augen.
So viel thut ſie an den Kindern; aber ſie thut an derſelbigen Vater nicht minder; Tag fuͤr Tag kommt ſie ihm in’s Haus, und wo ſie im Stall, im Tenn oder ſonſt etwas nicht45 in der Ordnug findet, ſo muß es ihr recht ſeyn und in der Ordnung ehe ſie wieder zum Haus hinausgeht; das macht den Rudj ſo eif - rig daß er allemal vor den Neunen, um wel - che Zeit Gertrud mehrentheils ihm in’s Hauß kommt, in allen Eken herumlauft, daß ſie nichts in Unordnung finde. Er thut noch mehr; er macht ſich jezt auch ſelber wieder in die Ordnung, ſtraͤhlt ſich mehr und kleidet ſich beſſer, haut den Bart zu rechter Zeit ab, und ſcheint ſich juͤnger als vor ſechs Wochen: ſeine Stube, die ein ſchwarzes Rauchloch ge - weſen, hat er jezt ganz geweißget und die Loͤcher in der Wand glatt uͤberſtrichen; und am lezten Markt hat er ſo gar 10 kr. Helgen (Bilder) gekauft, alle mit ſchoͤnen Farben: den Heyland am Creuz, die Mutter Gottes mit dem Kindlein Jeſu, den Nepomuk, den Kayſer Joſeph II. und den Koͤnig in Preußen; einen weiſſen und einen ſchwarzen Huſaren, und hat die Helgen am gleichen Abend, da er ſie gekauft, noch aufgekleibt, und den Kindern mit der Ruthe gedrohet, wenn ſie ihm eines mit einer Hand anruͤhren (antaſten) daß es ſchwarz werde. — Das gefiel der lieben Ju - gend nicht — der Heirlj, der uͤber alles ſo ein Wort findet, ſagte zu ihm: Du kannſt ſie doch auch Jemand nicht verbieten, ſie ſchwarz zu machen.
46Wem das? ſagte der Vater:
Aeh, — den Fliegen, erwiederte der Bub; weiſſeſt du noch, wie ſie der Mutter ſelig ihr groſſes Creuz und ihre Himmels-Leitern ſo ſchwarz gemacht, daß man kein Wort mehr darinn hat leſen koͤnnen?
Es iſt gut, daß ihr keine Fliegen ſeyd, ſagte da der Vater und lachte, man wuͤrde euch auf die Haͤnd geben. —
Aber mehr als die Kinder, freuete es die Gertrud, daß er ſeine Stube und ſich ſel - ber ſo in Ordnung brachte; denn ſie ſuchte ihm eine Frau.
Sie ſtuhnd wohl eine Viertelſtund vor dem neuen Heiland, dem Nepomuk und dem Koͤ - nig in Preuſſen und der Mutter Gottes zu, und ſagte, da ſie jezt lange genug geſehen, wenn ich jezt nur bald die Meyerin in dieſe Stube hinein bringen koͤnnte.
Es gerieth ihr bald; ſchon am Mitwo - chen, da der Rudi am Samſtag die Helgen aufmachte, gieng ſie vor ſeinem Haus vor - bey; Gertrud that im Augenblik das Fenſter auf, rief ihr uͤber die Gaſſe einen guten Tag zu. —
47Die Meyerin dankte ihr lachend und ſag - te: biſt du daheim?
Das bin ich, erwiederte Gertrud, und ich hab’s gar luſtig.
Ich glaub dir’s, ich glaub dir’s, ſagte die Meyerin —
Gertrud aber: Komm auch ſchauen ob’s wahr ſey —
In einem Sprung war die Meyerin an der Thuͤr, und that Maul und Augen auf, da ſie die neue weiſſe Wand und die ganze Ordnung in der Stube ſahe.
Sie gieng von einem Helgen zum ande - ren, ſchaute in allen Eken alles aus, und ſagte einmal uͤber das andere: da iſt es auch anderſt worden. Gertrud aber fuͤhrte ſie aus der Stube in Stall, zu Arners Kuh, die jezt dem Rudi iſt; die Meyerin aber ſtuhnd der Kuh bald auf die, bald auf dieſe Seite, taͤtſchelte ſie, ſtrich ſie uͤber Ruken, Kopf und Hals, und ſagte da: ſo ſteht einmal ſonſt keine im Dorf; und bald darauf: es muß doch eine Luſt ſeyn, ſo eine zu melchen.
Moͤchteſt du ſo eine melchen, ſagte die Gertrud?
Ja! das moͤchte ich, erwiederte die Meye - rin —
Aber die Gertrud konnte das Lachen faſt nicht hinterhalten, da ſie ihr erwiederte: du haſt doch auch zwey ſchoͤne daheim.
48Sie ſind nichts gegen dieſe, ſagte die Meyerin; und Gertrud: es iſt wahr, es iſt weit und breit keine ſolche; und ruͤhmte dann das Thier, wie ſie ſo viel Milch gebe, und wie gut dieſe ſey, wie ſie Nidle, und viel Anken (Butter) ſie gebe; denn auch, wie treu ſie ſeye, und wie freundlich, und wie ein jedwedes Kind mit ihr machen koͤnne was es wolle.
Die Meyerin hoͤrte ihr zu, wie in einer Predigt; ſagte da: man ſiehet ihr wohl an, daß ſie ein gutes Thier iſt; und erzaͤhlte denn, wie ſie daheim auch eine haben, die ſo gut ſey, und wie die vorige Woche ihres Bru - ders Kind unter ſie herunter gefallen, und mehr als eine Viertelſtund unter ihr auf dem Boden gelegen, ohne daß es jemand gewußt; und die Kuh haͤtte nicht mehr Sorg zu ihm tragen koͤnnen, wenn es ihr Kalb geweſen waͤre, bis jemand dazu gekommen, und ihn’s weggenommen.
Da ſie das erzaͤhlte, lehnte ſie ſich mit dem Arm dem Flek uͤber den Hals, und Gertrud hielte ihr da das Futter faſt vor; da nahm ſie eine Handvoll Salz und Geleck nach der ande - ren, ließ das Thier eine Weile aus der Hand freſſen; und da ſie fortgieng, that ſie noch ſo freundlich mit ihr, daß es nicht anderſt war, wie wenn ſie noch b’huͤte Gott zu ihr ſagte.
Von49Von da mußte die Meyerin mit ihr in die neue Matte; ſie fuͤhrte ſie vom Haus weg, durch die groſſe Reihe von Fruchtbaͤumen, die alle bluͤhten, bis zu oberſt an den Haag.
Es iſt keine Matte ſo ſchoͤn im ganzen Dorf; und die Meyerin ſagte einmal uͤber das andere, es iſt doch ſchade, daß wir das Gras darinn ſo vertretten.
Das macht jezt nichts, erwiederte ihr dann Gertrud; du muſt doch auch einmal ſehen, wie es dem guten Mann wieder ſo aufgegan - gen.
Ja es muß ihm jezt doch wohl ſeyn, auf alles was er gehabt hat, ſagte die Meyerin, und fragte denn ſelber wo ſeine Kinder ſeyen.
Ich will dir ſie zeigen; — Meyn! ſie ſind auch anderſt worden. —
Aber der Vater, iſt er auch anderſt worden? erwiederte die Meyerin.
Das glaub ich, du wuͤrdeſt ihn nicht mehr kennen, ſo hat er ſein Haar, ſeinen Bart, und ſeine Kleider in der Ordnung, ſagte Gertrud.
Es wird gut ſeyn, wenn er einmal wieder heyrathen will, ſagte die Meyerin in aller Un - ſchuld.
Gertrud aber fuhr in ihrer Arbeit fort: bey der Kuh, in der Stube und auf der Matten war’s noch nichts; aber nun bey den Kin - dern — Meyerin — Meyerin, wie wird’sD50dir noch gehen; ſie ſtreicht jezt dem Rudelj ſeine gelben Loken, die uͤber die breite weiſſe Stirne herunter hiengen, zuruͤk: die Loke rollet ſich uͤber ihre Hand; die weiſſe Stirne iſt blos; der Bub liegt zuruͤk in ihren Arm, und thut ſein blaues groſſes Aug weit auf ge - gen die Meyerin, die vor ihm ſteht.
Das Naͤnnlj (Nanette) iſt ſchwaͤchlich, aber ein Blizaug tief im kleinen runden Kopf, und im Haar, fein wie Seiden, ſchwarz wie ſein Aug, und glatt wie ſeine Haut, machte die Meyerin ſelber ſagen, das wird ein Engel.
Vom Liſelj (Liſette) ſagte Gertrud, das wird, wills Gott, auch braf.
Es iſt einmal geſund und ſtark, erwiederte die Meyerin.
Dieſes Kind trieb ſein Rad, wie noch nie; und machte Garn, wie noch nie; Gertrud, die das im Vorbeygehen ſah’, bog ſich zu ihm hin - unter, und ſagte ihm in’s Ohr, Augendienſt.
Der Heirlj ſaß mit ſeinem Rad hinter dem Ofen, da ſie ihm rief er ſoll hervor kommen, und ihnen ſein Garn bringen.
Sehet mir jezt den Buben, wie er vor Eifer das Maul zuſammenbeißt, ſein Garn in bey - den Haͤnden vor ſich hertragt — und den zwey Weibern kek in die Augen ſieht, was ſie dazu ſagen wollen.
Sie ruͤhmen ihm’s jezt, und der Bub jauch -51 zet, ſpringt uͤber Tiſch und Baͤnk an’s Fenſter und nimmt da die Hand vor’s Maul vor La - chen.
Das iſt ein wilder, ſagte da die Meyerin. — Nicht ſo gar, ſagte die Gertrud, rief dem Buben wieder — er kam im Augenblik — und ſie ſagte ihm: ſteh mir jezt da ſtill, du weiſſeſt, es giebt Staub in der Stube, wenn man ſo darinn herumſpringt.
Ich hab es jezt vergeſſen; es hat mich auch ſo gefreut, daß mein Garn recht iſt, ſagte der Bub und ſtuhnd ſtill an ihrer Hand wie ein Schaaf.
Da gieng ſie noch in die Nebenkammer, brachte des Rudis kleines Buͤbelj an ihrem Arm heraus und gab es der Meyerin.
Sie tragt’s alle Tag, wenn’s ſchoͤn Wetter iſt, und die andern zu ihr kommen und ſpin - nen, auch mit ihr heim, legt’s wenn es ſchla - fen will, mit ihrem Grittelj in die Nebenkam - mer ins Beth.
Jezt war es eben erwacht und hatte die ganze volle Farbe des geſunden Saug-Kinds das eben aus dem Schlaf kommt; es ſchuͤt - telte ſich, ranggelte auf der Meyerin Arm und riebe ſich die Augen, bis es recht erwachet, da war es gar freundlich mit ihr; ſie machte ihm mit ihrem Finger ſo uͤber die Lippen herauf und herunter, daß es toͤnte; das duͤnkte ihnsD 252luſtig; es langte mit ſeinen Haͤndlj ihr auch gegen das Maul, und wollte ihr auch ſo dar - an machen, daß es toͤne; da ſchnappete ſie ihm das Haͤndlj ins Maul, druͤkte es mit den Lippen zu, und es wandte und ſtraͤubte ſich und zog was es vermochte, bis das Haͤndchen wieder aus ihrem Mund war, und ſchottelte dann vor Lachen. —
Jezt mitten in der Freude uͤber dieſes Kind ſagte Gertrud dann, wenn das arme Naͤrlj (Naͤrrchen) doch auch nur wieder eine Mutter haͤtte!
Aber wie ein Bliz ſpuͤhrte die Meyerin in ihren Augen, daß ſie etwas anders wolle; es fuhr ihr durch alle Adern, daß ſie in dieſem Augenblik den Arm, auf dem ſie das Kind hielt, ſo wenig fuͤhlte, als wenn ſie keinen haͤtte: ſie konnte auch nicht reden; was ſie that, war; ſie gab das Kind ab ihrem Arm der Gertrud wieder.
Was iſt jezt das? ſagte da dieſe.
Und die Meyerin, die ſich wieder etwas erholt, ſagte: es iſt mir ich ſey genug da geweſen; ſie blieb aber doch ſtehen.
Gertrud aber nahm ſie bey der Hand und ſagte: aber findſt jezt auch nicht, ſie haben wieder eine noͤthig?
Die Meyerin aber fuͤhlte jezt vollends wie - der, wo ſie ihre Finger und ihre Zehen,53 will geſchweigen ihren Arm hatte, und ſagte der Gertrud mit einem Blik — wie ſie ihr noch keinen gab — wer ſagt aber nein?
Gertrud erwiedert: es ſind gewiß im gan - zen Dorf keine die es ſo noͤthig haͤtten.
Die Meyerin aber ſagte ihr: das iſt ein - mal fuͤr eins nicht wahr.
Und Gertrud: wie meynſt du jezt auch das?
Meyerin. Ich meyne wie ich ſage; es ſind vielleicht im ganzen Dorf keine die we - niger eine Mutter noͤthig haben als dieſe.
Das war Gertrud ein Raͤthſel; ſie ſagte: ich weiß nicht wie du das verſtehſt?
Und die Meyerin: du geheſt ihnen fuͤr 7 Muͤtter —
Und dann zu den Kindern: Gaͤllet (nicht wahr?) Kinder? ihr wolltet die Frau lieber als eine neue Mutter?
Das glaub ich, das glaub ich — riefen die Kinder: lieber als hundert Muͤtter.
Es iſt doch dumm, wie du mir’s machſt, ſagte da Gertrud —
Und die Meyerin: du haſt mir’s nur zu geſcheid machen wollen.
Gertrud. Ha, ich meyn einmal, er doͤrf ſich jezt anmelden, wo er wolle.
Meyerin. Laͤchlend — das wird ihm niemand wehren.
D 354Gertrud. Du ſagſt das ſo ſpoͤttiſch.
Meyerin. Willſt du daß ich dir ſage wa - rum?
Gertrud. Ja!
Meyerin. Weil du ſo partheyiſch biſt.
Gertrud. Worinn bin ich denn partheyiſch?
Meyerin. Daß du meynen kannſt es wer - de jedermann nach ſieben Kindern die Fin - ger ausſtreken.
Gertrud. Mir einmal wuͤrde das nichts machen.
Meyerin. Es weiß einer noch nicht.
Gertrnd. Sie ſind ja ſo gut.
Meyerin. Darwieder hab ich gar nichts.
Gertrud. Und er iſt wie die liebe Stund.
Meyerin. Ich dachte, du bringeſt das auch noch.
Gertrud. Es iſt einmal wahr.
Meyerin. Und dann iſt er auch noch gar jung.
Gertrud. Das hab ich jezt doch nicht geſagt.
Meyerin. Es nihmt mich eben Wunder.
Gertrud. Aber er ſcheint doch gewiß juͤnger.
Meyerin. Als vor 6 Wochen.
Gertrud. Sicher.
Meyerin. So.
Gertrud. Duͤnkts dich denn nicht?
55Meyerin. Ja ich gib darauf Achtung.
Gertrud. Es waͤr nicht geſchworen.
Meyerin. Aber genarret.
Gertrud. Ich meyne es nicht.
Meyerin. Aber was denkſt du auch?
Gertrud. Du weiſſeſt es wohl.
Meyerin. Ich will jezt heim.
Gertrud. Wart nur auch noch einen Augenblik.
Meyerin. Nicht einen halben. (Sie blieb doch ſtehen.)
Gertrud. Ich bitte —
Meyerin. Nein, ich muß gehen. (Sie will nach der Thuͤr.)
Gertrud ſagt: So unfreundlich laſſe ich dich einmal nicht von den Kinderen fort.
Was muß ich dann machen, ſagte die Meyerin —
Und Gertrud: Einmal auch b’huͤte Gott zu ihnen ſagen.
Meyerin. Nu! das kan ich ja wohl; b’huͤte Gott ihr Kinder!
Und dann lachend zur Gertrud: haſt jezt g’hoͤrt, ich habe jezt b’huͤte Gott zu ihnen geſagt.
Gertrud. Und wenn du denn wieder komſt, ſo ſagſt du denn wieder Gott gruͤß euch.
Mit dieſem that ſie denn die Thuͤre auf, und gieng fort; aber ſie war feuerroth, ſahD 456noch unter der Thuͤr gegen die Seithe der Stube, wo des Rudis Kinder ſaſſen, und gieng einen ganz anderen Schritt die Treppe hinunter und uͤber die Gaß, als ſonſt.
Gertrud ſah’ ihr vom Fenſter nach, und fand an dieſem Schritt und an allem; der erſte Wurf fuͤr den Rudi ſey nicht uͤbel aus - gefallen.
Es war Nacht, und man hatte mit dem Eſſen ſchon lange gewartet, als der Junker am Sonntag von Bonnal heim kam. Er brachte Thereſen des Mareyli Kram ſel - ber in der Hand auf den Tiſch, und ſie red - ten das ganze Eſſen von nichts als ihm und ſeinem Bruder; und wer am Tiſch ſaß, aſſe mit Freuden von ſeinen Bauren-Kuͤch - lenen. (Kuchen)
Der Junker aber blieb mit ſeinem Gluͤ - phi bis um Mitternacht auf, und redte mit ihm uͤber das was dieſe Leuthe von den Um - ſtaͤnden des Dorfes und der Schul mit ihm geredet.
57Der Gluͤphi iſt ein bleſſierter abgedankter Lieutenant, den der Junker zum Feldmeſſen und dergleichen Sachen, ſchon uͤber Jahr und Tag im Schloß hatte; dieſer Mann lehrte in dieſer Zeit, ohne daß es jemand von ihm forderte, den Hauslehrer des Jun - kers viel ſchoͤner ſchreiben, grundlicher und vortheilhafter rechnen, etwas zeichnen, Land ausmeſſen, auf’s Papyr tragen, und noch mehr ſolche Sachen; hauptſaͤchlich aber ge - gen ſeinen Carl mit einer militariſchen Ord - nung und Feſtigkeit zu Werk gehen; es war ihm wie nichts was der dem Stollenberger zeigte, und er brachte ihm alles, wenn er auch vorher nicht den geringſten Begriff da - von hatte, ſo leicht in Kopf, daß der jun - ge Mann nothwendig auf den Gedanken fal - len mußte, wenn ein Menſch im Stand ſey, eine Schule einzurichten, wie es der Jun - ker im Sinn habe, um ein ganzes Dorf durch ſie in ein ander Modell zu gieſſen, ſo ſey es dieſer Mann.
Der Stollenberger hat ſich nicht betrogen; und der Gluͤphi hat den Poſten, Schulmei - ſter in Bonnal zu werden, angenohmen, ſobald ihm der Junker davon redte, und ſich das einige Bedingniß vorbehalten, daß er im Ernſt Meiſter darinn ſeyn wolle.
Und das iſt der Mann, mit dem der Jun -58 ker jezt bis nach Mitternacht uͤber das redte, was ich eben geſagt.
Der Junker hatte jezt vollends nichts im Kopf, als dieſe neue Schul; er redete mit jedermann, der ihm lieb war, von ihr, und brauchte manchmal die ſonderbahrſten Aus - druͤke; Er ſagte einmal zum Lieutenant, das ſeye jezt ſein Feldzug, und es werde ſich hierinn zeigen, ob er ein Mann ſey oder nicht.
Zum Rollenberger ſagte er: er vergeſſe ob dieſem ſeinen Buben;
Und zur Thereſe: dieſes Weſen ſey jezt ſeine zweyte Braut, und liege ihm im Kopf wie ſie vor 12 Jahren.
Es iſt recht, ſagte Thereſe; ein Mann iſt kein Mann, wenn er in deinem Alter nicht etwas hat das ihn mit Leib und Seel einnihmt.
Ja — aber wenn mich das neue Weſen nur nicht ſo lang warten laßt eh’ es mir zeiget, wie ich’s mit ihm habe — wie du — ſagte Arner.
Thereſe lachte und ſagte: es machte nichts.
Aber er war allzuſehr uͤberlaufen; er hatte jezt den Nahmen eines guten Manns; und wo dieſer Nahme laut wird, da laufen allemal Narren und Schelmen zu, einem, Zeit und Geld zu ſtehlen.
Und ſo giengs ihm: es meynte ein jeder, er koͤnne nur zu ihm laufen und ihm einſchwa - zen und abbaͤttlen was er wolle.
59Er wußte es nicht; und meynte noch erſt vor kurzem, er muͤſſe einen jeden anhoͤren ſo lang er rede; und Antwort geben wenn er komme; aber er fieng an zu ſpuͤhren, daß man ihm taͤglich mehr unnuͤzes Geſchwaͤz, und oft noch gar Luͤgen in die Stube hinein bringe; und ſo uͤberladen als er jezt war, fuͤhlte er die ganze Laſt dieſes Jugendfehlers, und nahm den Entſchluß, den erſten Anlaß zu ergreifen, dieſer Zudringlichkeit ein Ende zu machen, und den erſten beſten, der es ein wenig arg machen werde, alſo zu beſchaͤmen, daß die andern bey Haus bleiben wenn ſie nichts bey ihm zu thun haben. — Es traf eine Linden - bergerin. — Als dieſe vernahm wie und was er mit dem Baumwollen-Meyer und ſeiner Schweſter geſchwazt, ſtellte ſie ſich vor, ſie ſeye gar viel mehr als dieſe Schnattergans, und wiſſe gar viel beſſer wie es im Dorf ſtehe als ſie und ihr Bruder der Heinimuch: ſie meynte oben darein ſie ſey auch aufs wenigſte ſo artig als Gertrud; und koͤnne ſicher beſſer ſchwazen als ſie.
Da puzte ſie ſich auf als wenn ſie an eine Hochzeit wollte, traͤumte den ganzen Weg uͤber von den hundert Sachen die ſie dem Junker uͤber das Dorf erzaͤhlen wolle, und von denen das Mareylj und der Meyer ihr Lebtag kein Wort vernohmen.
60Der Junker ließ ſie munter reden; gab genau von Wort zu Wort Achtung was ſie ſage; aber nicht ein Wort Antwort. — Im Anfang meynte ſie, das mache nichts, es werde ſchon kommen: aber bald verwirrte es ſie, daß es nicht mehr gut fort wollte, und die Sachen ihr durch einander kamen, wie ſie ihr nicht durch einander kommen ſollten.
Je mehr ſie ſich verwirrte, je ſteifer ſah’ ſie Arner an.
Das Herz entfiel ihr; ſie dorfte nicht mehr; ſie kehrte die Verlaͤumdungen um, entſchul - digte was ſie verlaͤumdet, ſtotterte im Reden, ſchlug die Augen nieder, verlohr ihre Farb und wußte nicht was ſie mit ihren Haͤnden machen wollte.
Da er ſie ſo weit gebracht, that er endlich den Mund auf, und fragte: biſt du jezt fertig?
Es ſtarrte ihr im Mund, was ſie reden wollte: — Arner klinglete: — ließ die Au - dienz-Thuͤr ſpeer aufmachen, und befahl denn vor allen Leuthen, die da ſtuhnden, dem Har - ſchier, daß Menſch am hellen Mittag heim und das Dorf auf - und abzufuͤhren, damit es ein - andermal lehrne daheim bleiben und ſein Dorf und ſeine Nachbarn nicht ohne Noth und Ur - ſach verlaͤumden.
Es war dem armen Mutterkind faſt ohn - maͤchtig, da das begegnete; es zitterte ſprach -61 los zu ſeinen Fuͤſſen: Er aber kehrte ſich von ihr weg und ſagte, du haſt eine wuͤſte garſtige Seele.
Zu ihrem Gluͤk gieng Thereſe eben durch den Gang, vor der Audienz-Thuͤre, in eine hintere Stube, ſah’ das ſchoͤne Menſch am Boden; horte warum, und ein Wort, das ſie lachend fallen ließ, machte daß der Junker das Menſch ohne Harſchier heimgehen ließ.
Von dieſer Stund an aber lieſſen ihn doch die Leuthe ruhig, die nichts bey ihm zu thun hatten.
Es kam Arner wohl, beſonders jezt, da die zwey Tage, die er am Sonntag verleſen laſſen, vor der Thuͤre waren.
Er hatte bis dann alle Haͤnd voll zu thun; des Vogts Rechnungen mußten zum voraus eingeſehen und unterſucht ſeyn.
Das Ried, das man vertheilen wollte, mußte abgeſtekt und ausgemeſſen ſeyn.
Er hatte mit Gluͤphi hundert Sachen we - gen den Schuleinrichtungen abzureden.
Die Einrichtungen mit den Geiſſen und Baͤumen, die er austheilen wollte, forder - ten Ueberlegung und Zeit.
62Und er wollte noch die Urkunden des Feſts, das er in Bonnal ſtiften wollte, fer - tig haben, und dem Pfarrer einhaͤndigen.
Er war am Mittwoch Abends ſo zimlich mit dieſem allem fertig; am Donſtag Mor - gens gieng e[r]denn ſo fruͤh, daß es noch nicht heiter war, mit ſeinem Lieutenant zu Fuß nach Bonnal; die Kutſche war ſchon angeſpannt, aber der Tag duͤnkte ſie, als ſie eben einſteigen wollten, zu ſchoͤn, daß ſie lie - ber zu Fuß uͤber den Berg giengen.
Sobald ſie ankamen, ſandte er ſeinen Klaus zum Mareylj, mit einem Gruß von ſeiner Frauen, und einem Geſchenk fuͤr die Kuchen die es ihr geſchikt.
Aber da das Mareylj das Papyr aufthat, und die ſchoͤne Leinwand, die ihm die Jun - kerin ſandte, ſahe, ſagte es wohl dreymal; biſt doch auch nicht verirret? und iſt’s doch auch wahr, daß die Junkerin mir das ſchikt? — Der Klaus mußte lachen, und ſagte eben ſo manchmal, er ſey gewiß nicht ver - irret; der Junker und die Frau haben es ihm beyde befohlen. Es aber ſtellte dem Klaus vor was es im Haus hatte; Brentz, und Wein, und Kaͤß; und bath ihn wenn er etwa noch nuͤchtern, und etwas anders wolle, ſo ſolle er es doch ſagen. —
Es lief mit ſeinem ſchoͤnen Tuch die Trep -63 pe hinauf zu ſeinem Bruder, der noch im Bett war; und zu einem Kind nach dem anderen, und zeigte ihnen, was es heute am Morgen ſchon von der Junkerin fuͤr ei - nen Kram bekommen.
Es kam aber bald wieder herunter und ſuchte dem Klaus vom feinſten Garn das es im Haus hatte, aus, zu einem paar Kap - pen, legte ihm wohl das halbe gutes Tuͤr - kengarn und dunkelblaues dazu, daß ſie recht ſchoͤn werden; und er mußte das abnehmen; es lieſſe ihn nicht zum Haus hinaus bis er’s im Sak hatte.
Dem Junker aber hieſſe es ihn nicht dan - ken, es lief mit ihm in’s Pfarrhaus und that es ſelber.
Der Junker ſagte ihm mit Lachen, wenn es ihn’s ſo freue, ſo ſolle es einmal in’s Schloß kommen, und ſeiner Frauen ſelber danken.
Wie wollte ich auch das doͤrfen? ſagte das Mareylj — und der Junker: warum ſollteſt du das nicht doͤrfen?
Darauf ſagte es wieder: es iſt jezt uͤber 30 Jahr ſint dem ich niemal mehr in eue - rem Schloß geweſen; Da einmal euere Großmutter — nein — euers Großvaters Mutter hat noch gelebt; aber ſie iſt da juſt in dem Sommer darauf geſtorben — da64 bin ich einmal darinn geweſen; und fieng dann an zu erzehlen:
Es war um die Weyhnacht herum, und ich hab in Gottes Nahmen gebettlet, und bin vor Kaͤlte faſt erſtarret, ehe mich je - mand geſehen; da iſt die ſteinalte Frau, die mich am Fenſter muß geachtet haben, die beyden Treppen vor dem Schloß zu mir hin - untergekommen — und Junker! wenn ſie ſchon meine Mutter geweſen waͤre, ſie haͤtte nicht koͤnnen beſſer mit mir ſeyn — Sie hat mich im Augenblik an der Hand in ei - ne warme Stube gefuͤhrt, die unten im Hof war. Aber man ſagt: es ſey jezt al - les anderſt — Sie ließ mir eine Milchſup - pe kochen und Brod geben ſo viel ich mochte; ich konnte vor frieren im Anfang faſt nicht eſſen, und waͤrmte mich zuerſt am Ofen und weinete; da iſt ſie zu mir geſtanden, und hat Stuk fuͤr Stuk alle Fezzen, (Kleider) die ich angehabt, in die Haͤnde genohmen; und es iſt mir ich ſehe ſie noch jezt vor mir zu, den Kopf ſchuͤttlen, und ein paar mal ſeufzen, da ich auch gar nichts ganzes und nichts warmes an mir hatte: Sie iſt da fort - gegangen, und eine Viertelſtund darauf mit einem ganzen Buͤndel Kleider wieder herunter - gekommen und hat ſie mir ſelber vom Kopf bis zu den Fuͤſſen anlegen helfen, und Schuhgegeben;65gegeben; und beyde Saͤk im Rok ſind denn noch voll gedoͤrrte Biren und Zwetſchgen ge - weſen.
Jezt einsmals ſah das Mareylj den Jun - ker an, wie wenn es ihn durchſehen wollte, und ſagte denn: Herr Jeſus! ihr ſehet ihr auch gleich — es iſt mir ſie ſtehe jezt wie - der vor mir. —
Und ich meyne denn noch, ſie habe euch an der Hand gehabt, da ſie das andere mal die Treppe hinunter kam; einmal hat ſie einen ſchoͤnen jungen Buben, der ihr nahe am Her - zen gelegen ſeyn muß, bey ſich gehabt, und hat die ganze Zeit, da ſie mich angekleidet hat, faſt nur mit ihm geredt; und ich meyne ich woll - te noch ſagen koͤnnen, was ſie zu ihm geſagt.
Der Junker konnte es nicht mehr aushal - ten; er mußte beyſeits gehen und ſeinen Thraͤ - nen den Lauf laſſen: Es war ſein leztes Den - ken, und er wußte ſich noch aller Umſtaͤnden zu erinneren wie ihn die liebe Ahnfrau in des Bauren Stuben neben das Kind auf den Ofenbank hingeſezt, und waͤhrend ſie ihn an - kleidete, zu ihm geſagt, lieber Carl! Ich bin nicht mehr lang bey dir, aber denk an das; die Zeiten werden ſchlimm, und man macht ſich nichts mehr draus, ob die Menſchen die einem zugehoͤren, verfaulen oder verderben. Um Gottes willen Carl! trachte daß du mitE66Ruhe alt werdeſt, und nichts ſo auf deinem Gewiſſen habeſt: wehre den Anfaͤngen, und mach daß dein Lebtag dir kein Kind aus dei - nen Doͤrferen ſo vor die Augen komme wie das.
Der Junker ließ das Mareylj gehen, und war jezt allein bis es neune ſchlug.
Man ſagt ſo viel was es brauche, Land und Leuth zu regieren; ich moͤchte jezt ſagen; es braucht ſo eine Großmutter und ein Herz das dreyßig Jahr ſo an ein Groß-Mutterwort ſinnet (denkt) ohne es zu vergeſſen, dazu; ein - mal wer das hat, kann viel anders entbeh - ren. —
Der Werth der Menſchen war in dieſer Stund groß in Arners Augen.
Er ſtuhnd noch da wie in einem Traum, da es 9 Uhr ſchlug, und er an ſeine Ge - ſchaͤfte unter die Linde ſollte.
Das Vertheilen des Rieds that den Reichen noch immer gleich weh, ſie ſuchten es zwahr zu verbergen; doch floß hie und da ein Wort, das deutlich zeigte, wie es immer noch dieß -67 falls unter dem Bruſtflek daruͤber bey ihnen ausſahe.
Wenn’s Niemand hoͤrte, warfen ſie ſo die Koͤpf gegen einander und ſagten; es iſt jezt das.
Der Stieren Bauer fluchte bey einem Nach - bar, dem er wohl traute, aber auch nur in’s Ohr: es ſchade ihm mehr als hundert Gulden; er habe das Jahr durch immer 10 bis 12 Stuͤk Vieh darauf gehalten, und ſie ſeyen ihm ſtokfett geblieben.
Ein anderer ſagte: Er habe ſie nicht genuzt: aber er wollte doch ein gutes Stuͤk Geld ge - ben, es waͤre noch wie es geweſen.
Und noch andere: Das Lumpenvolk ſtreke alles die Koͤpf, und ein jeder Baͤttelhund la - che in die Fauſt, wenn er unſer einen ſehe, daß ſie ſo Meiſter worden.
Die Armen machten’s nicht beſſer.
Wo ſie allein waren, verſpotteten ſie die Reichen, ob dem Verdruß den ſie haben, daß der Teufel ihnen einmal einen Schuhbreit Land aus den Klauen genohmen; wenn denn aber ein Dikbauch um die wege war, ſo zogen ſie ihm den Spek durchs Maul, ſagten dieß und das uͤber das neue Land, ob es noch eine Frage ſey, daß es einen ſo groſſen Vortheil abtrage, als jezt einige dergleichen thuͤen? — Und noch eine groͤſſere; ob das Weſen dennE 268Beſtand haben werde? Ihrer etliche thaten noch gar, wie wenn ſie ſich entſchuldigen woll - ten, und ſagten: Ihrenthalber waͤr es ihr Lebtag gut geweſen, wie es geweſen, und ſie ſeyen einmal nicht Schuld.
Der Marx unter anderen ſagte dem Ge - vatter Aebj, bey dem er ſaß; er meyne ein - mal, ſo alt er ſey, ſo erlebe er es doch noch, daß es mit dieſen Aekern anderſt komme; und er ſeinethalben habe einmal nicht darauf ge - ſehen. Aber der Vorgeſezte kehrte ſich von ihm weg, und ſagte ihm: Es iſt kein Hund ſo froh uͤber ein Stuͤk Brod als du uͤber dieſe Aecker.
So bald der Hans aus dem Pfarrhaus un - ter die Linde kam, ſezte er ſich neben den Kal - berleder nieder; das gefiel dieſem ſchon nicht; er wollte aufſtehen und an ein ander Ort hin - ſizen: aber der Hans dupfte ihn mit ſeiner breiten Hand auf die Hoſen, daß er im Au - genblik wieder auf dem Bank ſaß.
Was iſt das unverſchaͤmtes? ſagte da dieſer.
Ha! — Wir haben etwas mit einander zu reden; erwiederte der Hans.
Kalberleder. Was iſt’s? was haſt mit mir?
Hans. Nichts anders als daß du mich und den Herrn Pfarrer mit dem Nußbaum fuͤr einen Narren gehalten. —
69Kalberleder. Das iſt nicht wahr; nicht wahr: ich habe Niemand fuͤr einen Narren gehalten.
Hans. Du haſt doch den Baum nicht ab - gehauen, wie du geſagt haſt.
Kalberleder. — Ja, ja — das war ein Mißverſtand — ein Mißverſtand.
Hans. Was fuͤr ein Mißverſtand?
Kalberleder. Der Vater hat einen ganz andern Baum gemeynt; ich hab ihn nur un - recht verſtanden.
Hans. So — aber was fuͤr einen auch?
Kalberleder. Einen andern hoͤrſt wohl.
Hans. Wo ſteht der andere?
Kalberleder. Das geht dich nichts an — ich bin dir’s gar nicht ſchuldig zu ſagen.
Hans. Aber wenn ich dich waͤr, ich wollte dießmal ſo gut ſeyn und es nun ſagen.
Kalberleder. Wenn du’s wiſſen willſt; er ſteht im Tobel.
Hans. So? —
Kalberleder. Ja, ja; das iſt ganz ſicher.
Hans. Haſt du einen Nußbaum im To - bel?
Kalberleder. Ja, mehr als einen.
Hans. Haſt aber auch einen umgehauen im Tobel?
Kalberleder. Nein, noch nicht; aber was nicht iſt, kann geſchehen.
E 370Hans. So! Du haſt hiemit noch keinen umgehauen, wenn du ſchon ſo verirret?
Kalberleder. Preſſiert es?
Hans. Mir gar nicht — aber dir hat’s preſſieren ſollen — wenn du dich mit Ehren haſt heraus laͤugnen wollen.
Kalberleder. Was heraus laͤugnen?
Hans. Ich mag jezt nicht mit dir zanken: ich will dir gar kurz ſagen:
Wann du unſern Garten-Nachbar, nicht vor Sonnen Untergang vom Leben zum Tod bringſt, ſo will ich morn am Morgen auf eine Art mit dir reden, daß du ſieben Nußbaͤum dafuͤr gaͤbeſt, du haͤtteſt meinem guten Rath gefolget. —
Der Kalberleder wußte nicht wie ihm war, und konnte nicht begreifen, wo der Lumpen - hans das Herz hernehme, ſo mit ihm zu reden.
Der Hans aber ließ ihn das Maul nicht auf - thun, und ſagte grad darauf wieder, du kanſt jezt nur gehen und ſizen, wo es dich wohl freut — ich hab dir nichts mehr zu ſagen. —
Der Kalberleder antwortete: es iſt mir wohl genug da.
— Aber mir nicht: ſagte der Hans; ſtuhnd auf, ſezte ſich etliche Schritt von ihm bey ei - nem alten armen Mann ab, der ſein Vetter war, und gab dieſem denn bald ſein Morgen - brod, das er bey ſich hatte, aus dem Sack. 71— Er ſchob es ihm unter den Rok, damit es niemand ſehe. — Der Alte nahm einen Mund voll nach dem andern davon ins Maul und kauete den ganzen Morgen daran.
Sie hatten auf der Allment nichts zu thun als die Aecker, die ſchon abgeſtekt und ausgemeſſen waren, durch das Loos zu ver - theilen.
Neunzig Juchart von dieſem Land, welche zu einer Waͤſſermatten beſtimmt waren, konnte man noch nicht vertheilen: das Waſſer war noch nicht vollends bey einander, und die Graͤ - ben, die man zuerſt machen muß, waren noch nicht abgeſtekt: aber Waſſer ſelber war ſchon ſo viel da, daß es ein Muͤhlerad getrieben haͤtte, und das vom allerbeſten zum Gras treiben. Es rinnt auf allen Seiten uͤber die Aecker; und wo ein Tropfen davon hinkommt, da grunet es, daß kein Menſch im Dorf mehr iſt, der daran zweifelt, dieſe 90 Jucharten ſeyen ſo viel als eine gerathene Matten.
E 472Arner ließ die Bauren jezt machen, wie wenn er nicht da waͤre; er wußte daß die Bauren, wenn ſie Land theilen und wie al - lein ſind, ſich ganz anders zeigen als wenn ſie mit dem Hut in der Hand vor dem Erb - herrn ſtehen und gerne haͤtten daß er ſie fuͤr arme Troͤpf und Halbnarren hielt.
Mein