PRIMS Full-text transcription (HTML)
Lienhard und Gertrud.
Ein Buch fuͤr's Volk.
Vierter und lezter Theil.
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Frankfurt und Leipzig,1787.

An Herrn Felix Battier Sohn in Baſel.

Freund!

Du fandeſt mich wie eine zertretene Pflanze am Weg und retteteſt mich unter dem Fußtritt der Menſchen.

Davon rede ich nicht.

Liſ Freund! dieſe Bogen. Ich ende mit Ihnen das Ideal meiner Dorffuͤhrung. Ich fieng bey der Huͤtte einer gedruͤckten Frauen, und) (3mit dem Bild der groͤſten Zerruͤttung des Dorfs an, und ende mit ſeiner Ordnung.

Das Vaterland ſagte laut und allgemein, als ich anfieng, das Bild der armen Huͤtte und der Zerruͤttung des Dorfs iſt Wahrheit. Der Mann am Ruder des Staats und der Tagloͤh - ner im Dorf fanden einſtimmig, es iſt ſo!

Es war das Bild meiner Erfahrung ich konnte nicht irren.

Nun gieng ich weiter, ſtieg zu den Quellen des Uebels hinauf. Ich wollte nicht blos ſagen es iſt ſo ich verſuchte zu zeigen, warum iſt es ſo? Und wie kann man machen, daß es anderſt werde?

Das Bild ward umfaſſender. Die Huͤtte der armen Frauen verſchwand im Bild der allge - mach anruͤckenden Darſtellung des Ganzen.

Es foderte viel. Die Maͤngel des Dorfs muß - ten in allen Verhaͤltniſſen dargelegt werden, wie die Maͤngel des Lienhards und des Hummels.

Die Mißbraͤuche im Einfluß der Religion und die Irrthuͤmer in der Geſetzgebung muͤßten beruͤhrt, die Hinderniſſe des Fortſchritts einer wahrhaft guten Menſchenbildung mußten enthuͤllet, und ihre Quellen dargelegt werden.

Die Schwierigkeiten einer beſſern Volksfuͤh - rung mußten auf eine dem wahren Zuſtand des Volks angemeſſene Art gehoben, und die Moͤg - lichkeit der gaͤnzlichen Umſchaffung der Seelenſtim - mung deſſelben, im Zuſammenhang aller ſeiner Verhaͤltniſſe entwickelt und dargelegt werden.

Der Geiſt im Dienſt des Staats die in - nere Enzwecke ſeiner Verwaltung und eben ſo der Geiſt des Dienſts am Altar und der Einfluß ſeiner wirklichen Verwaltung mußte aufgedeckt, und bey beyden in allen Branchen ſeines Einfluſ - ſes gezeiget werden, was dieſe Dienerſchaft ſeyn koͤnnte ſollte und nicht iſt.

Die wahren Grundſaͤtze der geſellſchaftlichen Ordnung mußten durch alles Gewirr der tauſend - fachen Hinderniſſe hinab in die niedern Huͤtten ge - bracht und das alles ſollte ſich allenthalben an wirkliche Volksbegriffe und Volksgefuͤhle anſchlieſ - ſen, und allenthalben ſollte die innere Stimmung der niedern Menſchheit den Bildern nahe ſtehen, die ich hinwerfe ſie zu reizen, ſich ſelber zu helfen.

Ich wollte offen handeln vor dem Volk wie vor ſeinen Herren, und beyde durch richtigere Kennt - niſſe der gegenſeitigen Wahrheit in ihren Verhaͤlt - niſſen einander naͤher bringen.

Das iſt, was ich verſuchte zu leiſten; das weſentliche, von allem, was ich ſage, habe ich geſehen.

Und ſehr vieles von dem, was ich anrathe, hab ich gethan. Ich verlor den Genuß mei - nes Lebens in der Anſtrengung meines Verſuchs fuͤr die Bildung des Volks und ich habe den wahren Zuſtand deſſelben, ſo wie die Mittel es zu aͤndern ſowohl in ihrem großen Zuſammenhang als im ungeheuern Detail ſeiner Millionenfachen ſich immer vom Ganzen abſondernden und allein wir - kenden Verhaͤltniſſe geſehen, wie vielleicht Nie - mand. Auch iſt meine Bahn unbetreten, es hat es noch Niemand verſucht den Gegenſtand in dieſen Geſichtspunkten zu behandeln alles was ich ſage, ruhet in ſeinem Weſen ganz bis auf ſei - nen kleinſten Theil auf meinen wirklichen Erfah - rungen.

Freylich irrte ich mich in dem, was ich aus - fuͤhren wollte, aber eben dieſe Irrthuͤmer meines thaͤtigen Lebens haben mich in Lagen geſezt, das zu lernen, was ich nicht konnte, da ich es that.

Liſ Freund! dieſe Bogen, und nimm meinen Dank fuͤr die wichtigſten Geſichtspunkte derſelben die ohne dich nie ſo weit zur Reife gekommen waͤren, und laß mich von denſelben dir ſagen, ich kenne Niemand, von dem ich mehr gelernt habe, und deſſen Urtheil mir in Abſicht auf die wichtigſten Theile der Volksfuͤhrung und ihrer Fundamente wichtiger iſt, als das deine!

Freund! die Laſt meiner Erfahrungen liegt noch auf mir noch leb ich wie im Traum, im Bild dieſes Thuns, und mein Streben nach die - ſem Ziel endet nicht in mir ſo lang ich athme und ſo lang ich athme, bin ich nicht in meine[r]Sphaͤre bis ich fuͤr die erſte Geſichtspumkte mei - nes Lebens wirklich thaͤtig werden kann.

Sey forthin mein Freund! Ich bin ewig mit Dank und Liebe

der Deine P**

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§. 1. Anfangs Sonnenſchein.

Wir ſind um einen Schritt weiter mit die - ſem Wort endete ich.

Ich fange wiederum an.

Als er heim kam, fand er zwey Briefe auf ſeinem Pult; der eine den er zuerſt aufſchnitt, war von dem Grafen Bylifsky, und lautet alſo Lieber! der Herzog iſt entzuͤckt uͤber alles was du machſt. Er hat mir deinen letzten Brief, den er nicht genug leſen konnte, noch izt nicht wieder zuruͤckgegeben; und will dich, wie du unter den Kindern von Bonnal im Pfarrhausgarten am Bo - den ſitzeſt, von unſern Menzow abmahlen laſſen; und ſagte, das Gemaͤhlde muͤſſe in das kleine Zimmer, das er ſeinen Winkel heißt, in welchem noch kein einziges Portrait iſt, als das einige,A2deſſen Original du an Hals und Augen dem ſchlim - men großen Kopf gleich fandeſt, den Fuͤeßli in Lavaters Phyſiognomie gezeichnet neben dieſen kommſt izt du du gute Seele! gerade vor ihm voruͤber. Was wirſt du wohl auch ſo ge - rade vor dieſem Kopf voruͤber auf dieſer Wand machen? Und was wird der Herzog denken, wenn er dieſen Kontraſt der wahrlich eine große Satire auf ſeine Regierung iſt fuͤhlen wird, wie er ihn gewiß fuͤhlen wird! Die Zeit wird es lehren. Freund! man redt izt von dir bey Hof; und wie natuͤrlich haſſet dich der Mann ſchon, dem alles zuwider, was den Herzog an das Menſchengeſchlecht erinnert. Er ſagt laut: dieſer Gedanke ſey ihm nicht geſund; und doch wird er ihm anrathen, ſeinen Geluſt zu erfuͤllen, deine Anſtal - ten ſelber zu ſehen; aber ich werde es noch lang hintertreiben. Wenn je ein Mittel iſt, aus allem was du gethan, geſchwind wieder Nichts zu ma - chen; ſo iſt es dieſes, daß der Herzog eine Lan - desſache daraus mache, ehe du ſie als deine Pri - vatſache vollendeſt. Das koͤnnte Helidor wuͤn - ſchen, aber die Freude muß ihm nicht werden, dein Portrait auf dieſem Wege von dem grauem Gobelin herabzubringen, auf dem er ſich ſo wohl gefaͤllt allein zu hangen. Waͤreſt du doch nur ſchon dort! du verdienſt es mehr als Niemand Du lebſt in deiner Unſchuld wie ein Kind und3 weißeſt weder was du biſt, noch was du thuſt; aber in einem ganz umgekehrten Sinn als wir hier, denen das leider auch begegnet.

Dein Lieutenant iſt Gold werth: ſage ihm von meinetwegen, er ſolle dein Werk vollenden; und es ſichs nicht verdrießen laſſen, ſo lang es noͤthig, auf dieſer niedern Stafel ſeiner ſo ſichern als großen Leiter zu ſtehen.

Was machen deine Kinder? Und Thereſe? Gruͤß mir ſie; und ſage ihr, ich ſehe die Hofcer - kles nicht mehr, ſeit dem der Schwan weggeflo - gen, deſſen ſich unſere Gaͤnſe auch izt, nur noch mit Neid erinnern. *)Thereſe war vorigen Sommer bey Hof.Lebe wohl! Schreib mir bald wieder. Ich muͤßte dich izt um Briefe bitten, wenn ich ſie auch ſchon nicht gern haͤtte.

Was ich dir wuͤnſche, mein Freund! iſt, daß dein Gluͤck dem Meinigen nie gleich werde, denn es druͤckt mich auf beyden Achſeln.

Bylifsky

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§. 2. Folget Regen.

Die Freude uͤber dieſen Brief verlohr ſich ob dem andern. Dieſer war von ſeinem Onkle, dem Ge - neral von Arnburg, der mit Sylvia, ſeiner Niece, einen Beſuch fuͤr etliche Wochen ankuͤndigte.

Ob ihm erſchracken ſie nicht. Er war ein guter Mann, der den Morgen mit ſeiner Schok - kolade und Toilette durchbrachte, ohne jemand zu plagen, und zufrieden war, wenn man ihn denn nur nach dem Mittagsſchlaf bis zum Nachteſſen vergeſellſchaftete. Aber ob der Sylvia erſchra - cken ſie herzlich. Es waͤre das gleiche geweſen, wo er ſie immer mitgenommen haͤtte denn außer ihm wuͤrde gewiß kein Menſch, der ſie kennt, nicht erſchrecken etliche Wochen mit ihr unter einem Dache zu wohnen, und er ſelber gewiß auch; aber ſie war ſeines Bruders Tochter, und aus Mitlei - den hatte er ſich ihrer beladen.

In der Jugend, von einem verſchwenderiſchen Vater wie eine Prinzeßin verderbt, hatte ſie in vollem Maaß die Fehler der Menſchen, die nicht wiſſen, wo das Brod herkommt; und durch ſeinen Tod ploͤtzlich in Armuth und Abhaͤnglichkeit verſezt, haſſet ſie5 izt jedermann, dem es beſſer geht als ihr; und braucht das Einzige was ſie eigenthuͤmliches hat, ihr bischen Geiſt, zu kraͤnken wen ſie beneidet.

Ihr ganzes Weſen iſt krum. Sie ſchaͤmt ſich nicht. Was ſie redet, thut der Unſchuld weh, oder macht ſie erroͤthen. Sie haſſet was den geraden Weg gehet, und verachtet was natuͤrlich, unverdreht und unverkehrt iſt.

So ein Menſch iſt ſie.

Wenn man von einem ſchwangern Weib redt, ſo ſpeyt ſie auf den Boden, und es iſt ihr Wort Haͤtte der Narr nichts geſcheiders thun koͤnnen, als noch ein elendes Geſchoͤpf mehr auf die Welt ſetzen?

Die Perſon, die ſie mit ſich gebracht, hat viel aͤhnliches mit ihr; aber ſie iſt mehr Sie giebt ihr den Namen Freundin; ich denke ſo lange es gut geht, denn ſie ſteht bey ihr im Jahr - lohn, ſie heißt Aglee. Beyde ſind nicht gern auf das Land gekommen, und hatten den Onkle ſchon zwey Jahre von dieſer Reiſe abgehalten. Dieß Jahr konnten ſie es nicht; und brachten alſo neben ihren Karaktern noch ihre boͤſe Laune mit ſich.

Der Rollenberger war der erſte ob dem ſie ſie ausſtießen. Er legte mit ſeinem Karl einiges Saa - menzeug im Garten auf einer Bank in Ordnung;A 36als dieſe beyde ſchon am andern Morgen ihres daſi - gen Aufenthalts, ſo franzoͤſiſch neben ihn auf beyden Seiten abſaßen, daß das halbe Saamenzeug ab der Bank in Boden fallen mußte.

Der Karl, der ſeiner Lebtag kein Bauernweib in einem fremden Hauſe ſo auf einer Bank die voll Zeug war, abſitzen geſehen, machte ihnen Au - gen, wie er auch ſeiner Lebtag noch keiner Bauern Frau gemacht und das Maul war ihm ſchon mehr als halb offen, als er ſah, daß ihm der Rollenberger winkte. Er that es wieder zu, und gieng, ohne ein Wort zu ſagen, fort aber man ſahe ihm an, daß es ihm weh that er ward roth. Sylvia lachte ſpoͤttiſch uͤber ſein Roth - werden gegen Aglee; ſagte dann zum Rollenberger, was er ihn auch lehre, es duͤnke ſie, er wiſſe ſo nichts.

Betroffen uͤber dieſe Frage antwortete dieſer, er hoffe, wenn ſie ſich eine Weile hier aufhalten, ſo werden ſie es dann ſelber ſehen.

Sie erwiederte, ob er auch eine Bibliothek habe? und wo er ſtudiere?

Nicht gewohnt, alſo gefragt zu werden; und unwiſſend, wo dieſe Fragen hinlangen, ſchwieg er einen Augenblick ſtill, dann antwortete er ihr ſteif7 ins Geſicht ſehend: Nein! er habe nirgend ſtudiert und habe keine Bibliothek!

Sie blieb ihm, wie natuͤrlich, mit den Augen nichts ſchuldig und fuhr fort Ob er ſchon eine Erziehung unter den Haͤnden gehabt?

Daruͤber antwortete er Ja und das eine von zwoͤlf Kindern.

Sie. Was er aus ihnen gemacht?

Er. Nach einigen Staunen brauchbare Kinder, uͤber die bis izt Gottlob noch Niemand einige Klage hat.

Sie. Wo dieſe Kinder ſeyen?

Er. Daheim bey ihrem Vater.

Sie. So Wer iſt denn ihr Vater?

Er. Der Amtmann von Cleberg.

Sie. Sie wolle wohl glauben, daß er im Stande ſey, fuͤr einen Bauernamtmann eine ganze Heerde Kinder zu erziehen aber ihr Vetter ſey ein Narr, und wiſſe nicht, was eine Erziehung fuͤr ſeinen Stand brauche und er haͤtte auch dieſen Dienſt nicht ſuchen ſollen.

Er. Er habe den Dienſt (das Wort Dienſt langſam ausſprechend) nie geſucht.

Sie. Man werde ihm fuͤr dieſen Dienſt (das Wort Dienſt hart und eben ſo langſam ihn ver - ſpottend ausſprechend) nachgelaufen ſeyn?

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Sie ſprach in dieſem Ton noch lange fort.

Es trieb dem guten Menſchen den Schweiß in die Fingerſpitzen; aber endlich nahm er den Reißaus.

Als die Frage zum Drittenmal wieder kam, was er denn in aller Welt auch verſtehe und koͤnne den Buben zu lehren? Antwortete er: Muß ich ih - nen denn alles ſagen, was ich kann?

Sie erwiederte, fang er nur einmal an etwas zu ſagen.

Auf dieſes hin ſagte er, nun dann ich kann Kuͤhe und Ochſen maͤſten ich kann zu Acker trei - ben, und anſaͤen; ich kann Waſſermatten und Klee - felder anlegen ich verſtehe den Waldbau, wie den Bergbau ich kann mit den Bauern rechnen wie mit den Herren; und was man mir anver - traut, dem lieg ich fruͤh und ſpaͤt ob.

Dieſe Antwort ſprengte die Dame von der Bank auf So ein Maul habe ich in meinem Leben nicht geſehen fuͤr einen Idioten, ſagte ſie beym Weggehen zur Aglee. Dieſe erwiederte ihr, ſagen ſie ihm nicht ſo, er iſt ihrer Meiſter worden.

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§. 3. Von der adelichen Erziehung. Von den adelichen Rechten. Und auch etwas von Bauern Rechten.

Sich zu raͤchen, erzaͤhlte ſie die ganze Unterredung, und noch mit Zuſaͤtzen, dem Arner, und dann noch in Gegenwart des Generals, von dem ſie wußte, daß er auf des Adels hinterſte Zugabe kindiſch auf - merkſam immer glaubte, man koͤnne faſt nicht ge - nug thun, ein adeliches Kind unterſchieden genug von den andern zu erziehen. Dieſer fand auch, wie natuͤrlich, der Vetter ſey mit einem ſolchen Menſchen hiezu nicht verſorget; und der Knabe werde fuͤr ſeinen Stand, und fuͤr ſeine hohen Rechte, bey weitem nicht in der Ordnung erzogen.

Bey dieſem Worte fiel ihm Sylvia in die Re - de, und ſagte ja Onkle, der Vetter achtet die hohen Rechte nicht viel, er achtet ſie ſo wenig, daß er den ſchon angefangenen Weg uͤber die Fel - ſen, der das Schloß doppelt ſo viel werth machen wuͤrde, und den ſein Großvater mit ſo vieler Muͤhe von den Bauern erſtritten, eingehen laͤßt, wie wenn dieſes Recht nichts waͤre; aber er kann ſo den lie -10 ben Bauern und dem lieben Bauernvieh die Arbeit ſchenken.

Erbittert uͤber dieſen Ton und dieſes Anbrin - gen erwiederte Arner kurz und trocken, ſie waren mir den Weg nicht ſchuldig.

Sylvia. Es iſt doch ein Urtheil von Hof aus wider ſie ergangen.

Arner. Es iſt ihnen Unrecht geſchehen.

Sylvia. Das waͤre!

General. Aber wie iſt ihnen Unrecht ge - ſchehen?

Arner. Sie haben Brief und Siegel dafuͤr, daß ſie den Weg nicht ſchuldig ſind.

Sylvia. Warum verlohren ſie denn den Prozeß?

Arner. Nur um des kleinen Umſtands wil - len, weil man ihnen die Briefe und Siegel im Amte hinterhalten; und deutſch geſagt, gerade zu abgelaͤugnet hat.

Sylvia. Und Sie haben ſie ihnen da wie - der gegeben?

Arner. Das verſteht ſich; und beſtaͤtiget dazu.

General. Das iſt izt doch zu viel.

Arner. Warum lieber Onkle?

General. Deine Kinder und Kindeskinder11 koͤnnten anderſt denken als du; und man muß nie eine Gewalt die man hat aus den Haͤnden laſſen: wenn man meynt man habe das Recht nicht dazu, ſo kann man ſie ſo lang man will nicht brauchen, und das iſt doch denn ja genug.

So wie er den Karl erzieht, iſt er ſicher, daß er nicht anders denken wird, ſagte Sylvia.

Der General erwiederte, das gehoͤrt izt nicht hieher.

Und Arner Onkle! man thut gewiß am Beſten, man laſſe einem jeden ſeine Rechte, wie man die ſeinigen auch gern hat.

Sylvia erwiederte, das iſt nicht geredt. Die Bauern haben keine Rechte; ihre Rechte ſind nur Gnadenſachen.

General. Voͤllig ſo iſt es doch auch nicht.

Arner. Und wenns auch waͤre, ſo waͤr es nicht fuͤr mich. Die Bauern machen ſo widrige Geſichter wenn man ihnen ihre Rechte nimmt, daß ich auch nur kein Roß im Stall haben moͤchte, das den Kopf und das Maul haͤngen, und Augen ma - chen wuͤrde wie dergleichen Bauern.

Sylvia. Die Roßordnung und die Bauern - ordnung laſſen ſich nicht miteinander vergleichen.

Arner. Ihr meynet etwa, man koͤnnte nicht beſtehen, wenn man die Bauern ſo gut halten wuͤr - de als die Pferde?

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Sylvia. Meinethalben! probiert es, ihr werdet es denn erfahren.

Das Geſpraͤch machte dem Onkle Muͤhe; er war mit beyden unzufrieden; und gieng bey Anlaß der Pferde in den Stall, zu ſehen, was ſein Brauner mache. Der Knecht hatte ihm geſtern geſagt, es fehle ihm etwas am Fuß.

§. 4. Die Spinne arbeitet fleißig an ihrem Gewebe.

Sie fuͤrchteten Niemand; und nichts als des Lieu - tenants Augen und Stille. Sie ſahen wohl, daß er reden konnte, wenn er wollte; dafuͤr aber ſuchten ſie ihn aus dem Schloſſe zu ſprengen, ſo bald ſie koͤnn - ten; und da ſie vernommen, er ſchneide den Kin - dern in der Schule die Haare und die Naͤgel ab, hatten ſie ihre Sache in der Ordnung.

Bey dem erſten Eſſen ruͤckte Aglee, da er ihr, wie gewoͤhnlich, den Teller anboth, mit dem Stuhl hinter ſich von ihm hinweg. Er wußte nicht was es war, der ganze Tiſch ſah hinunter, was es ge - ben wolle, und Sylvia ſagte dann ganz laut und vernehmlich von oben herab: Es ſey nichts an - ders, als ihre Freundin ſey ein wenig eckel, und13 "ihr Herr Nachbar ſchneide den Kindern in der" Schule die Haare und die Naͤgel ab.

Izt ſtund der Lieutenant auf, nahm ſeinen Stock und Hut, und gieng auf ſein Zimmer. Der General rief ihm zwar, es ſey nicht ſo Boͤſe gemeynt; er muͤſſe es nicht ſo nehmen, es ſeyen Frauenzimmer. Aber Sylvia ſagte eben ſo laut: Laßt ihn doch gehen, es iſt juſt was wir wollen.

Arner rief, indem er auch aufſtund, ſeinen Knechten vom Tiſch weg, wo ſie aufwarteten; und befahl noch in der Stuben, im Augenblick ſeine Kutſche anzuſpannen. Schrieb dann in des Lieute - nants Zimmer mit Bleyſtift auf eine Karte an den Pfarrer von Bonnal:

Ich habe Leute bey mir, die keine Men - "ſchen ſind; und bis dieſe fort ſind, kann ich" keine Menſchen bey mir haben.

Und ſandte den lieben Mann mit dieſem Fracht - brief auf Bonnal. Als er ihm in die Kutſche hin - einhalf, ſagte er ihm noch: Was mir leid iſt, mein Lieber! iſt, daß ich nicht mit kann.

Alles war izt am Tiſche ſtill; und man hoͤrte keinen Ton, als daß Karl halb laut zu ſeinem Rol - lenberger ſagte Es darf izt nur Niemand kein "Wort ſagen! es iſt doch nicht recht, es wiſſens14" alle, wie die Jungfern in ihrer Stube eine Ord - "nung haben, und wie ihnen aller Gattung Haa -" re und Straͤle, und dergleichen Zeug, in allen "Ecken herumliegen; gehe man in Herrn Lieute -" nants Zimmer, und ſehe, ob man ſo etwas da - "rinn finde.

So gab es alle Tage etwas Auch frug der Karl alle Tage die Mama, wann gehen ſie auch wieder fort?

Armer Karl! du wirſt noch viel erleben bis dann Der General will den Selzer hier trinken, und hat ihn kaum angefangen, aber er kann ihm nicht wohl thun; er hat keine Freude dabey; Syl - via verbittert alles.

Arner hatte doch das ganze Haus, von oben bis unten, ihrenthalben in Ordnung gebracht; Stall und Jagdzeug, und Kutſchengeſchirr ausputzen laſſen; und Thereſe alle Huͤner, und alles was le - bendig war, aus dem Hofe wegſchaffen und ein - ſperren laſſen; und auch um ihrentwillen keinen Miſt in die Gaͤrten gethan, da juſt darein ſollte; und hingegen alle Spatziergaͤnge mit Sand uͤber - fuͤhren laſſen. Auch hatten ſie ihnen faſt alle Tage Geſellſchaft, oder fuhren mit ihnen aus, und das allemal auf Schloͤſſer, nie in kein Pfarrhaus, und nie zu keinem Buͤrger, damit ſie ja nichts zu klagen haͤtten. Aber es war umſonſt; Sylvia hatte ſich15 vorgenommen ihnen Verdruß zu machen, und machte den General taͤglich auf hundert Umſtaͤnde aufmerkſam, die ſeinen Adelſtolz reizten, indem ſie ihm bald alle Stunden etwas zeigte, das er fuͤr ih - ren Stand nicht ſchicklich hielt. Sie bracht 'es auch bald dahin, daß er es nicht mehr ausſtehen konnte, wenn Arner von der Schule, vom Lieute - nant, oder vom Pfarrer in Bonnal nur ein Wort redte, und ihm taͤglich ſagte: du plageſt dich mit Sachen, die dich nichts angehen; und beladeſt dich mit Leuten, von denen du keine Ehre haſt, auch kannſt du ſo unmoͤglich geſund ſeyn, wie du dich den ganzen Tag anſtrengſt. Umſonſt ſagte ihm dieſer, es mache ihm keine Muͤhe, er thue es ja gern. Man ſiehts dir ja an, erwiederte der Alte, daß du nicht wohl biſt; es iſt nichts daran ſchuld als dieſes, und der taͤgliche Verdruß, den du dir noch damit zuzieheſt. Das plagte Arnern, und der Plage los zu werden ſagte er endlich dem Hof - mann, es ſtehe nicht mehr bey ihm, ob er dieſe Sachen wollte liegen laſſen oder nicht, der Herzog wiſſe davon, halte die Sache fuͤr gar wichtig, und er muͤſſe gar oft Berichte von allem nach Hof ſchi - cken, die ſeiner Durchlaucht ſelbſt zu Handen kom - men.

Dann iſts etwas anders, wenn der Herzog davon weißt! dann iſts etwas anders ſagte izt der Alte; und es freute ihn ſo ſehr, daß er nicht16 mehr daran ſinnte, es ſchade dem Vetter an ſei - ner Geſundheit.

§. 5. Die Spinne glaubt ihn wie eine Muͤcke im Netz; aber die Muͤcke fallt durch, und zerreißt ihr das Garn.

Er ſagte wohl noch viermal, dann iſts etwas an - ders und gieng bald hinauf in der Sylvia Zim - mer, ſagte ihr das gleiche, und der Herzog wiſſe davon, man muͤſſe ſich gewahren; aber dieſe lachte ihn aus, und erwiederte ihm, ſie muͤßte es auch wiſſen, wenn im geringſten ſo etwas wahr waͤre; aber ſie koͤnne ihn verſichern, alles was man vom guten Vetter bey Hof wiſſe und ſage, ſey mehr nicht und minder nicht, als er ſey ein Narr.

Du mußt izt dieſes auch nicht ſagen, ſagte der Alte. Sie aber erwiederte: Nun ihr wiſſet doch gewiß noch, daß ich es ſchon vor 5 Wochen erzaͤhlt, daß Helidor, da ich ihm von euerer Reiſe hierher etwas geſagt, mir zur Antwort gegeben, was wir auch hier thun wollten, Arner ſey einer der erſten Fantaſten in der Welt. Das iſt wahr, antwortete der General; aber er ſteht mit Bylifsky gut.

Aber17

Aber was iſts dann? antwortete Sylvia, By - lifsky iſt fuͤr den Herzog nur ein Karrenroß, der andere iſt Kutſcher, und der Bylifsky, der gut weiß daß der andere das iſt, hat ſeinen Platz zu lieb, als daß er dem Herzog von Sachen rede, die dem Helidor zuwider ſind wie Gift.

Meynſt du denn der Herzog wiſſe gar nichts davon, und er habe mir dieß nur ſo angegeben? ſagte der General.

Silvia. Der Vetter muß ihnen das vor dem Nachteſſen noch ſelber bekennen.

General. Wenn du das machen koͤnnteſt, ich wuͤrde Morgen wieder verreiſen, wenn ich ſchon meine Cur erſt angefangen.

Sylvia. Auf dieſes hin will ich noch heute einpacken.

General. Nein: wart doch bis Morgen, es iſt dann noch Zeit.

Sylvia. Fangen ſie nur beym Thee wieder davon an.

Der Thee kam, und der Herzog war bald da.

Der Vetter wird wohl geſpaßet haben, ſagte Sylvia alſobald. Das juſt nicht, erwiederte Ar - ner.

Sylvia. Aber der Herzog was wird wohl der Herzog von ihrer Schule wiſſen?

Arner. Vieles.

B18

Sylvia. Gewiß?

Arner. Ich koͤnnte noch mehr ſagen.

Sylvia. Was koͤnnten ſie wohl mehr ſagen?

Arner. Ich koͤnnte ſagen, Alles.

Sylvia. Ich denke wohl, ſie koͤnnten ſagen alles Aber wenn man es dann auch glaubte.

Arner. Sie haben recht, es iſt beſſer, ich bleibe beym Vieles.

Sylvia. Ich wuͤßte etwas, das noch beſſer waͤre.

Arner. Was das?

Sylvia. Wenn ſie ſagen wuͤrden, gar nichts

Arner. Wenn ſie allein da waͤren, ich wuͤr - de ihnen ſicher ſagen, gar nichts.

So woͤrtleten ſie miteinander, bis Arner end - lich Bylifskys Brief herabholte, und zwey davon dem Generalen ganz zu leſen gab; den dritten laſ 'er ihm vor bis auf die Stell im Anfang, in der Bylifsky die Gleichheit Helidors mit Fuͤeßlis Teufel in Lavaters Phyſiognomik bemerkte, das dorfte er ihm nicht vorleſen, weil Sylvia ihn kannte. Sie gieng, ſo bald der Onkle die Brille aufſetzte und anfieng laut zu leſen, vom Tiſch weg, aber der General ſagte, indem er einen Augenblick ſtill hielt, es iſt izt gleich viel, es ſcheint du habeſt recht, und ſie habe unrecht. Er laſ dann mit ſeiner Brille an den Ohren fort, das Herz klopfte ihm19 vor Freuden, beſonders daß der Miniſter dem Vetter noch Du ſage; das haͤtte zu meiner Zeit nicht ſtatt gehabt, ſagte er, wenn einer ſo hoch hinauf geſtiegen, ſo hat er das gegen Niemand mehr gethan.

Er haͤtte mir bald ausgeſchrieben, erwiederte Arner, wenn er ſeinen Ton um ſeines Poſtens wil - len geaͤndert haͤtte, ich wuͤrde ihm gewiß kein Wort antworten.

Der General wußte vor Freuden nicht, was er machen wollte, und ſagte etlichemal, er muͤſſe izt ſehen, daß er aufrichtig ſey, und er wolle es ihm ſeiner Lebtage nicht vergeſſen. Dann fieng er vor lauter Freude an uͤber Sylvia zu klagen, und ſag - te, er ſey auch nicht mit ihr zufrieden, und ſie mache es ihm auch nicht wie ſie ſollte, er wolle es izt nur ſagen, er wiſſe wohl daß es im Vertrauen ge - redt ſey, ſie haben die vorige Woche auf ihrer Stube etwas gemacht, das ihm gar nicht gefallen habe.

Arner fieng an vom Herzog zu reden, um ihn von dieſem Geſpraͤch wegzulenken, aber er fuhr fort, und ſagte, Nein: du mußt mich es izt doch ſagen laſſen, ſie haben von ihrem kleinen Hund den Schattenriß genommen, und dann den Hundskopf in Hut und Zopf und Kleid mit des Lieutenants ſeinem Profil ſo gleich gemacht als ſie haben koͤn - nen, und ich weiß nicht, wozu ſie dieſe Bosheit brauchen wollen.

B 220

Arner und Thereſe waͤren beyde froh geweſen, ſie haͤtten das nicht vernommen, und ſagten dem Onkle, es iſt einem woͤhler, wenn man dergleichen Sachen nicht weißt. Ich habe es euch einmal auch ſagen muͤſſen, erwiederte der Alte aber es habe ihn doch gereuet, ſo bald es zum Maul hin - aus war, denn er fuͤrchtete Sylvia.

Dieſe ſagte auf ihrem Zimmer ganz kalt und bitter zu Aglee, ſie koͤnne nicht begreifen, daß By - lifsky es wage von ſolchen Affereyen mit dem Her - zog zu reden. Aglee erwiederte, ſie verwundere ſich gar nicht daruͤber, es ſey izt das Modefieber an vielen Hoͤfen.

Aber an unſerm, ſagte Sylvia, wo der Her - zog ſchon vor 20 Jahren darob ein Narr wor - den, da iſts doch gewiß ein Wunder, daß mans wagt, ihm muthwillig und oͤffentlich dieſes Fieber wieder in den Leib zu jagen, damit ich der ſchoͤnen Krankheit keinen andern Namen gebe.

Dann ſtaunte ſie eine Weile, und ſagte bald darauf noch, entweder weiß Helidor etwas davon, und dann iſt es nichts anders als eine Falle, die er dem Bylifsky legt, und ich glaube es, der Dick - hals mache izt den Blinden, und wiſſe von allem nichts, bis der Miniſter mit ſeinem guten Freund bis uͤber die Ohren hinauf im Kothe ſteckt, denn21 juckt er einsmal hervor, und zeigt ſie dem Herzog wie ſie ſtecken. Im andern Fall, wenn es ein Um - weg vom Bylifsky waͤre, was am Ende auch moͤg - lich iſt, hat Helidor Bericht noͤthig; und es traͤum - te ihr, ſie ſey izt am Platz, wo ſie ihm in beyden Faͤllen mehr als ein Menſch dienen koͤnne; denn ſagte ſie zu ſich ſelbſt, er muß gewiß, und wuͤnſcht gewiß, ſeiner blinden Durchlaucht hieruͤber den Nebel von den Augen weg zu thun, und die Herren Menſchlichkeitskraͤmer mit Raritaͤtenkaͤſtchen recht geſchwind in das Koth hineinzufuͤhren, wo ſie hin - eingehoͤren, und wo ſie fruͤher oder ſpaͤter, auch ohne daß man ihnen helfen wuͤrde, hineinkommen muͤſſen.

Von dieſem Augenblick an waren alle ihre Sinnen auf dieſen Zweck gerichtet.

§. 6. Das Herz giebt allem, was der Menſch ſieht und hoͤrt, und weißt, die Farbe.

Ihr Jaͤger kannte den Lieutenant, und hatte ihr, ſo bald er gemerkt, wie ſie es mit ihm habe, ſchon laͤngſt erzaͤhlt, daß er nichts mehr und nichts weniger ſey als ein armer Schlukker, der ſich viele Jahre lang in dieſen Gegenden auf den SchloͤſſernB 322herum gebettelt, und reichen und armen Junkern fuͤr das liebe Brod Land ausgemeſſen; er ſey aber, nach ſeiner Erzaͤhlung, woruͤber angetroffen, hochmuͤ - thig, und ſo verachtet worden, daß die Dienſte in den Schloͤſſern die Bauern und das junge Volk allenthal - ben gegen ihn aufgehezt, ſo daß ſie ihm hinter allen Hecken nachgerufen: Joggeli willt Geld? und Jog - geli haſt Geld? Dieſen Jaͤger rief ſie auf ihr Zim - mer, und ſagte ihm, er muͤſſe ihr des Joggeli willt Geld? und die Ungeziefer Hiſtorie unter die Bauern von Bonnal bringen, und wenn es auch ſchon etli - che Maaß Wein koſte, ſuchen aufzutreiben, was die Leute in dieſer Gegend uͤber dieſe drey Herren und ihre ſchoͤne neue Ordnung alles ſagen.

Er thats wie ein Held. Vor Uebermorgen wußten alle Kinder in Bonnal das Joggeli, willt Geld? und die Ungeziefer Luͤge wie auswendig. Und der Sylvia bracht er ab dem Riedt heim, es ſey eine Lumpen-Maurersfrau, die, wie man glaube, dem Junker gar wohl gefalle, an allem Schuld; ſie habe dem Lieutenant die neue Schulordnung und das Spinnen und Lernen mit einander angegeben, und ihm im Anfang in der Schul ſelber zeigen muͤſſen wie ſie es mache. Die Kinder lernen zwar mehr; aber ſie werden geizig und hochmuͤthig, und verachten die Aeltern, und meynen es wiſſe Nie - mand nichts als ſie. Und dann der Junker ha -23 be freylich einen Vogt abgeſezt, der ein Schelm ge - weſen, aber dafuͤr einen gemacht, der ein Narr ſey, und im Grund habe es das Dorf nicht beſſer, es gehe unter Narren immer noch ſchlimmer als unter Schelmen, und man thue izt im Geheim, was man zuvor oͤffentlich gethan. Und dann

Der Pfarrer achte den Gottesdienſt nichts, predige wann er wolle, und wann er nicht wolle, ſo laſſe er es bleiben, und wann es ihn ankomme, ſo laufe er mit ſeinen Leuten wie mit einer Heer - de Schaafe zur Kirche hinaus, und im Dorf herum.

Vom Teufel ſey keine Rede mehr und uͤber die Geſpenſter treiben ſie ihr Muthwillen ſo weit, daß ſie es nicht achten, wenn ſchon das halbe Dorf dabey koͤnnte ungluͤcklich werden. Sein Kut - ſcher habe vor wenig Wochen beynahe den halben Kirchgang im Eybach erſaͤuft, er habe zu Nacht um 12 Uhr, da die guten Leute auch mit einem Glas voll Wein im Kopf vom Markt heimgekom - men, mit ſeinen großen Kutſchenlichtern aus Muth - wille mitten in der Straße ſtill gehalten, und die armen Leute erſchreckt, daß alle miteinander in den Bach gefallen, und wenn er groß geweſen waͤre, wie er zu Zeiten ſey, gewiß ihrer etliche haͤtten er - trinken koͤnnen.

B 424

Wann Buben Voͤgel fangen, haben ſie kei - ne groͤßere Freude, als Sylvia, wann der Jaͤger ſolche Nachrichten heimbrachte. Das iſt Waare fuͤr den Dickhals ſagte ſie bey ſich ſelbſt, ich koͤnnte keine beſſere wuͤnſchen, und plagte dann noch den guten Onkle damit, daß ſie ihm alles erzaͤhlte, und noch mehr ihm als der Jaͤger ihr ſelbſt prophe - zeyte, mit der ganzen Behaglichkeit eines den gu - ten Mann druͤckenden Wohlgefallens, wie des Vet - ters großer Ruhm ſich gewiß mit einer luſtigen Hof - komoͤdie endigen werde!

Es machte dem armen Alten ſo angſt, und je mehr es ihm angſt machte, je mehr glaubte er es; und je mehr er es glaubte, je mehr kam die boͤſe Laune wieder in ihn hinein: der Vetter koͤnnte auch anderſt ſeyn wenn es dennoch nichts nuͤtze, ſo ſey es doch widrig, daß er auch nicht ſey wie an - dere Leute, und wie ſeines gleichen.

Auf dieſem Wege ward er wieder unzufrieden, wenn nur ein Bauer kam; und wenn einer kam, zeigte ihn ihm Sylvia ſchon von Weitem, und machte gemeiniglich dabey noch die Anmerkung, es kommt wieder jemand fuͤr ihn, er wird euch izt wohl ſte - hen laſſen.

Das begegnete alle Tage, und alle Tage ward der Alte daruͤber empfindlicher, und das um ſo25 mehr, da er izt zu Arner nichts mehr daruͤber ſagte. Sylvia ſah es, und ſagte dieſer Tage zur Aglee, es kochet in ihm, wie ich es gern ſehe!

Sie hatte recht, es kochte wirklich in ihm, und uͤberſott bald wie ſie es gerne ſah.

§. 7. Ein Mann, ein Weib, ein Hund, und ein Kind.

Der Tag war heiß, ſie hatten Fremde, und er hatte mehr als gewohnt getrunken. Er erkuͤhlete ſich nach der Mahlzeit auf der Terraſſe. Da zeigte ihm Sylvia wieder einen Bauern am Thor, und wieder mit den Worten: Er wird uns izt bald wie - der laſſen, da er jemand fuͤr ihn hat.

Das Feuer war im Dach, er rief dem Bauern hinunter, er ſolle ſich packen, ſo lieb ihm Gott ſey.

Aber der Michel am Thor dachte, der Wein redt aus dem Herrn ich muß meinen Brief ab - legen, gieng nur ein wenig beyſeits und nicht fort.

Da ſehet ihr, ſagte Sylvia, es weißt ein jeder Bauer, was ihr hier zu befehlen habt, und reizte ihn mit allem Fleiß ſo fort, bis er endlich dem Jaͤ -26 ger rief, er ſoll den Kerl da unten mit den Hun - den wegjagen.

Er hatte es kaum geſagt, ſo rief man ihm wieder in die Stube an ſein Spiel und der Jaͤ - ger hatte Hund und Mann jeden an ſeinem Ort gelaſſen aber Sylvia winkte ihm, er ſolle ihn hetzen.

Der Karl ſah ihn zur Scheuer hinabſpringen und die Hunde abloͤſen. Was will das geben? dachte er bey ſich ſelber. Aber als er ſie hetzte, dacht 'er nicht mehr er lief ihnen, was er ver - mochte nach, rief ſie zuruͤck, faßte den Sultan der ihm folgte, am Halsband, und lief ſo den Hund mit an der Hand dem andern nach, und rief immer, Tuͤrk, Tuͤrk, hier, hier, aber er kame nicht.

Sylvia ſahe dem Spiel wie eine Komoͤdie von der Terraſſe hinab zu, und rief ihm von da hinun - ter, du Narrenbub! er wird ihn nicht freſſen.

Es iſt wahr, er haͤtte ihn nicht gefreſſen, er haͤtte ihn nicht einmal gebiſſen, wenn er ſeine Ord - nung verſtanden haͤtte. Der Schloßhund war ge - wohnt, den armen Leuten, gegen die man ihn hetzte, nichts zu thun als ihnen ein Stuͤck, aber nicht gar ein kleines von ihren Fetzenkleidern vom Leibe zu reißen, wenn er dann aber das hatte, ſetzte er ſich nieder, nahm es zwiſchen die Tatzen ins Maul,27 und ſpielte damit, aͤhnlich wie ein Menſch, der Freude daran hat, wenn er einen armen gekraͤnkten Menſchen voll Furcht, er ſey von ihm gebiſſen, von ihm weglaufen ſiehet.

Das war des Hunds ſeine Ordnung, aber wie geſagt, der Michel verſtund ſie nicht, und ſtellte ſich, ſo bald er ihn gegen ſich anſpringen ſahe, mit dem Ruͤcken gegen die Mauer, ſagte ganz laut, iſt es ſo gemeynt? Empfieng ihn da mit ſeinem Knorrenſtock, wie ein Mann, der auch ſchon Hunde geſehen, und nicht vor einem jeden flieht. Der Hund dieſes Empfangs ſo ungewohnt als der Mi - chel des Angrifs, vergaß ob dem Streich ſeine Er - ziehungsregeln vollends, und packte ſeinen Mann wie ein ganz natuͤrlicher und ohne Kunſt gezogener Hund mit der vollen Kraft ſeiner Zaͤhne am Schen - kel; aber dieſer ſtaͤrker als der Hund, ſchwenkte ihm den Schenkel aus der Schnorren, und ſchlug ihm den zweyten Streich ſo hart auf die Rippen, daß er heulend zuruͤck wich, und auf dem Bauch kroch.

Du verfluchter Bube, wart! wenn der Hund drauf geht, rief ihm Sylvia von der Terraſſe hin - unter, und er, der vor Schmerz und Wuth nur den Hund im Kopf hatte, und in dieſem Augen - blick noch nicht im Stand war einen genugſamen Unterſchied zwiſchen ihr und ihm zu machen, rief28 ihr hinauf, und wenn ich darauf gehe, ſo wart denn Du!

Schweig doch, ſchweig doch, und gieb ihr kei - ne Antwort! du ſieheſt ja wohl wer es iſt, ſagte der Karl, der izt mit ſeinem Sultan neben ihm ſtand.

Biſt du es Bub? ja komm doch, komm doch, ſagte das Kind, und zog ihn am Rocke fort.

Der Michel mußte izt weinen ob der Guͤte des Buben, an deſſen Hand er izt fortgieng.

Er verdiente die Thraͤnen des Mannes. Er entſchuldigte ſeinen Vater, und ſagte zu ihm, er ſey gewiß nicht Schuld, und werde ihm gewiß helfen.

Ich weiß es wohl, daß dein Papa nicht Schuld iſt, und wenn ich auch ſterben muͤßte, er waͤre mir gleich lieb, ſagte Michel.

Aber du ſtirbſt doch nicht? Gelt! du ſtirbſt doch nicht? Es war ihm angſt, er ſah ihm das Blut uͤber ſein Bein herabfließen.

Wie der Donquiſchotte Bub das Haͤndchen dem Mann giebt! den ſein Onkle mit den Hunden fort - jagen laſſen, ſagte Sylvia auf ihrer Mauer zu Ag - lee und war das erſte Wort, das ſie redte, ſeit dem er ihr, und wenn ich drauf gehe, ſo mußt "denn du warten! hinaufgerufen. Sie ſchaͤm -29 te*)Anmerkung. Es iſt ein Zug ihres Karak - ters, ſie ſchaͤmt ſich nie daß ſie ſich izt ſchaͤmt, widerſpricht dieſem Zug nicht, ſo wie der Hochmuth ohne Ehrliebe ſtatt hat, ſo hat falſche Scham ohne wahre Schamhaftigkeit ſtatt. ſich ob dieſem Wort vor Aglee, that derglei - chen, wie wenn ſie ihn nicht verſtanden aber doch redte ſie bis izt nichts.

Es iſt gleich viel, erwiederte dieſe. Der Mann hat ſich doch beſſer gehalten als der Hund.

Es iſt wahr, ſagte Sylvia, die Beſtie hat kein Herz, ich habe es geſehen, ſie hat ihr ſchon ge - fuͤrchtet, eh 'er ihr den erſten Streich gab. Dann gieng auch ſie in die Stube, ſagte dem Onkle ins Ohr, ſie glaube, der Hund habe dem Kerl zu Ader gelaſſen, aber nur ein wenig am Bein, und es ma - che nichts. Dieſer gaͤhnte eben als ſie es ſagte, und hoͤrte es kaum. Aber der Michel blutete immer ſtaͤrker, und unten am Vorreyn wollte ihm ohnmaͤchtig werden, er merkte es und ſchickte den Karl fort, dem Klaus zu ſagen, er ſoll zu ihm hinunter kommen, und das geſchwind.

Du biſt izt hier ſicher, und es thut dir hier ge - wiß Niemand nichts, ſagte der Knabe, und dann30 im Fortſpringen einsmal uͤber das andere zu ſich ſelber, die Hundsleute, die Hundsleute! das iſt Zwingherrn Arbeit, wie auf der Tapete.

§ 8. Die Weisheit der Alten, und das Maul der Neuen.

Er meynte die Tapete im alten Ritterſaal, die der gute Ahnherr, von dem alle Dorffreyheiten herſtam - men, ſeinen Kindern und Kindskindern und auch den Rittern, ſeinen Nachbarn zur Lehre und zum Exempel, mit den groͤſten Fehlern und den beſten Tugenden der Ritterleuten hat bemahlen laſſen.

Es ſind 12 ſolche Tapeten, und auf einer jeden Tafel ein ſogeheißener Ritterſtreich; dann oben an dem Ritterſtreich diejenige chriſtliche Tugend, die dieſem Ritterſtreich entgegen iſt, abgemahlt. Vor - nen an der erſten Tafel iſt auf einer Fahne, die Blut roth iſt, mit großen Buchſtaben das Wort Heiden Ritter, und oben vornen an den Tugenden auf einem weißen Schild das Wort chriſtlicher Adel.

Die ſchoͤnſte unter den 12 Tafeln, oder ein - mal die, woruͤber der Karl am meiſten gelacht, ſtellt einen ſolchen Heiden Ritter vor, mit einem gro -31 ßen Hut, einer Kette darum, und einer weißen Feder darauf, juſt wie man izt auf allen Pettſchaf - ten ſieht, und wie ich glaube, Freyheits-Hut heißt. Dieſer Heiden Ritter laͤßt auf der Tafel einen Bauern, der ihm Wild geſchoſſen, auf einen großen Hirſchen ſchmieden; aber hinter ihm iſt dann der Teufel abgemahlt, wie er ſeine ſchwarzen Klauen gegen eine weiße Freyheitsfeder, und gegen ſeinen Hals ausſtreckt, und wie ihm die Worte Laß ihn "nur reiten, du mußt dann auch reiten zum ſchwarzen Maul hinausfallen. Die Buchſtaben ſind alle roth, und eng an einander, ſo daß es iſt, wie wenn er die Worte zum Maul aus blutete. Auch iſt von dieſen rothen Buchſtaben im Schloſſe das Spruͤchwort entſtanden, daß man wohl 300 Jahr in dem Hauſe allen unmenſchlichen und harten Worten, und allen dergleichen Ritterſtreichen kei - nen andern Namen gegeben, als Teufels Blut.

So bald der Karl den Klaus gefunden und fortgeſchickt, gieng er wie er war, die Haare uͤber die Stirne, und mit Blut am Kleid und an den Haͤnden, in die Stube, wo man ſpielte, und draͤng - te ſich zwiſchen Herren und Frauen, die er nicht ſah, hindurch zum Papa ihm zu ſagen, was begegnet ſey.

Thereſe ſah, daß es etwas unrichtiges ſeyn muͤſſe, und ſtund von ihrem Tiſch auf. Sylvia hinge - gen blieb ſitzen, und rief mit den Karten in der32 Hand gegen ſie uͤber, ſie bitte den jungen Herrn, "daß er nicht ſo viel Weſens mache, ſie habe allem" zugeſehen, der Kerl ſey friſch und geſund vom "Schloß weggegangen, und alſo koͤnne ihm nicht" viel fehlen, uͤbrigens ſey er an allem ſelber "Schuld, und habe es ſo wollen.

Arner fiel ihr in die Rede, und ſagte, und er bitte ſie, dem Kind zu erlauben, ſeinem Vater zu erzaͤhlen, was begegnet.

Alles ward aufmerkſam, man legte an allen Tiſchen das Spiel ab alles ſtund auf, und um ihn her, und Sylvia ſah izt aus, wie wenn ſie eine gute natuͤrliche Farbe haͤtte, als er wieder anfieng. Eben ſie iſt Schuld und ſonſt kein Menſch! Aber in dieſem Augenblick kam die Haushaͤlterin außer Athem in das Zimmer und ſagte der Mann liegt todt auf dem Vorreyn! Mit dem Wort war Arner aus dem Saale und die Treppe hinunter. Er riß mit ſeinem Sporn das Tafel - tuch nach, und Porzellain, und Glas, und Silber, was darauf war, lag am Boden. Er ſah nicht zuruͤck, auch Thereſe, die ihm folgte, ſah nicht zuruͤck.

Sylvia war ob dem Wort todt betroffen aber ſie konnte ſich doch nicht enthalten auch izt noch zu ſagen das iſt eein Ordnung !

§. 9.33

§. 9. Was mich zum Schweigen bringt.

Was red 'ich von ihr! Er iſt nicht todt er lag nur in Ohnmacht. Thereſe ſizt izt unter freyem Himmel in ihrer Seide auf einem Stein am Weg, unter dem Baume, an dem er liegt; ſie nimmt ſeinen Kopf vom Boden auf ihren Schoos, reibt ihm Stirn und Schlaͤfe mit riechendem Waſſer, haͤlt ihm die Flaſche an die Naſe.

Wie einer Mutter ihr Herz klopft, deren Kind ohnmaͤchtig auf ihrem Schoos liegt, bis es wieder erwacht, ſo klopfte ihr Herz, bis er wieder erwa - chete.

Und wie einer Mutter Thraͤnen uͤber die Backen laufen, wann es wieder die Augen oͤfnet

Er oͤfnet ſie wieder ſie ſiehts Freuden - thraͤnen fallen auf ihre Wangen. Er weiß nicht, wo er iſt ſieht zuerſt hinauf gegen den hellen Himmel dann an den Baum, unter dem er liegt Er ſieht ſie, und eine Freudenthraͤne uͤber ſein Erwachen faͤllt auf ſein Angeſicht.

Ich muß ſchweigen meine todte Feder hat nun am wenigſten Kraft, wo ich am meiſten empfinde.

C34

Koͤnnt ', koͤnnt ich dieſes Erwachen mahlen, daß es lebendig waͤre und redte! ich wuͤrde Men - ſchen, Menſchen regieren lernen aber ich kann es nicht ich kann dieſes Erwachen nicht mahlen daß es lebendig wuͤrde und redte.

Leſer! denk dir dieſes Erwachen, und mahl 'es aus bey dir ſelber ich aber will ſchweigen dir dieſes Bild nicht zu verderben.

Edler! biſt du fertig? Soll ich wieder reden?

Als die erſte Empfindung uͤber dieſes Erwachen voruͤber war, ſagte er, er habe dem Karl das Leben zu danken! und er waͤre beyder Hunden zugleich nicht Meiſter geworden.

Ja wenn ich nur den andern auch haͤtte zuruͤckbringen koͤnnen! erwiederte Karl, aber der garſtige Tuͤrk hat mir nicht folgen wollen.

Du haſt genug gethan mehr als genug! ſagte der Mann, und erzaͤhlte dann, wie der gute Knab ihn ſo ſorgfaͤltig weggefuͤhrt, auch wie er ſei - nen Papa entſchuldiget und geſagt, er ſey gewiß nicht Schuld und alle Woͤrtchen, die er zu ihm geſagt hatte.

Arner und Thereſe freueten ſich herzlich, und ſagten ihm: Wehre dich deiner Lebtag ſo brav fuͤr deine Leute, wann ihnen jemand etwas thun will!

35

Ja! ſagte Karl, aber wann dergleichen Leute, wie die ſind, zu mir kommen, und ich groß und Meiſter bin, ſo ſchicke ich ſie fort. Und einen Augenblick darnach ſagte er, nicht wahr, Papa! wenn ſie fort ſind, ſo iſt dann ihren Huͤnden ſchon gewehrt?

Dieſes Wort freute den Michel ſo, daß er ſagte, er wollte nicht um den Biß, ſo weh er ihm thue, daß er das nicht gehoͤrt haͤtte.

Sie ließen ihn, da er verbunden und vollends beſorgt war, in ihrem Tragſeſſel uͤber den Berg heim bringen. Er wollte zwar nicht in das ſchoͤne Haus hinein, und ſagte, wenn er auch noch ſo ſehr Sorg haben wuͤrde, ſo koͤnnte er doch etwas daran verderben.

Es iſt nichts daran gelegen, wenn du ſchon etwas verderbſt, wir ſind dir mehr ſchuldig als das, erwiederte Arner und half ihm denn noch ſelbſt hinein.

C 239[36]

§. 10. Glaubet mir, ein ſolcher Mann iſt brauch - bar aber glaubet mir auch, es kann ihn nicht jeder brauchen.

Der Michel dachte nur erſt an den Brief, den er bey ſich hatte er war voll Blut und lautete alſo.

Edler, lieber Junker Vater!

Es ſtuͤrmt alles uͤber den guten Mann los, den Sie mir geſandt haben, ſie verfolgen ihn in unſerm Thal nicht weniger als an Ihrem Tiſch. Ihr Jaͤ - ger kommt izt alle Tage in unſere Bahn, und ſtreut Sachen aus, die ihn auf den Tod kraͤnken muͤßten, wenn ihn etwas kraͤnken koͤnnte. Er ſagt nichts geringers von ihm, als er ſey ein Landſtreicher und ſey noch aus allen Schloͤſſern, wo er ihn ange - troffen, weggejagt worden, wie aus dieſem und man habe ihm allenthalben hinter allen Hecken Joggeli willt Geld? und Joggeli haſt Geld? und dergleichen Bosheiten nachgerufen, und auch in Ihrem Schloß habe er ſicher fuͤr ſeiner Lebtage aus - geeſſen. Ich mag nicht fortfahren Alle Kinder im Dorf reden davon, und er weiß37 alles, aber es wagt es doch kein Menſch, wie es ſonſt unter den Bauern der Gebrauch iſt, mit ihm davon zu reden.

Sie haben, wie Sie wiſſen, an nichts anderm eine ſolche Freude, als wenn ſie in dergleichen Faͤllen jemanden mit dem Heuchler Ton von Mitleiden und Theilnehmung kraͤnken koͤnnen aber ihn laſſen ſie gehen. Es hat es ein einziger gewagt der Naͤggelſpitz ein Kerl, von dem Freund und Feind ſagen: wenn er etwas im Mund habe, koͤnne er nicht ſchweigen, auch wenn der Henker mit dem Schwert vor ihm ſtuͤnde aber der Lieutenant hat nur die Augen etwas mehr als gewohnt gegen ihn aufgethan, auch den Kopf etwas mehr als gewohnt ob ſich und gegen ihn gerichtet. Das Wort iſt dem armen Niggel, wie geſagt, vor meinen Augen im Maul ſtocken geblieben.

So viel Gewalt hat er uͤber die Leute, und ihm macht es nichts, aber hingegen iſt es doch fatal fuͤr unſere Ordnung, und kann uns ſehr ſchaden. Alles Gute iſt noch Nagelneu, der alte Sauerteig noch nichts weniger als todt, man braucht nur Waſſer dazu zu ſchuͤtten, ſo geht er in allen Ecken wieder auf.

Ich ſpuͤre alle Tage mehr, daß noch viele Leute, und dieſe noch von den erſten im Dorf ſind, dieC 338darnach hungern und duͤrſten, etwas Widriges gegen unſere Ordnung auszuſpuͤren, und bey ſo neuen noch unreifen Einrichtungen iſt man nie ſicher, wie weit auch die kleinſten Umſtaͤnde, die widrig ſind, langen moͤgen. Aber ich bin vielleicht zu aͤngſtlich, und will von dieſem ſchweigen, um mit Ihnen noch von ihm zu ſchwatzen.

Ich glaubte laͤngſt, daß ich ihn kenne, aber ich bin bey weitem noch nicht da. Man ſollte glauben, ſeine Schul ſey ihm alles, aber ſie iſt ihm nichts. Junker! dieſe Schule, aus der er alles macht, ſie iſt ihm ſicher nichts, er macht ſie ohne Maaß zu gut, als daß ſie ihm etwas ſeyn koͤnnte. Ich weiß es, wann ſie gemacht iſt, er wirft ſie weg wie einen Ball, mit dem er einen Wurf that, blos um zu zeigen, wie leicht er darmit ſpiele. Die Richtung ſeines Geiſtes, mit der er bey jedem Wort, und bey jeder Handlung die Beduͤrfniſſe des Menſchenge - ſchlechts umfaßt, laßt ihm keine Ruhe, weder Tag noch Nacht; er muß er kann nicht anderſt als die groͤſten Endzwecke haben deſſen bin ich ſicher. Ich hoͤrte ihn einmal in der Stube, da er ſich in ſeinem Ecken allein glaubte, und mit ſich ſelber redte, beſtimmt die Worte ſagen, ich will ih - nen zeigen wer ich bin: und eine Weile darauf, wenn die Staffeln an der Leiter gluͤhend waͤren, ſo muß es ſeyn! Sie wiſſen die Worte von den Staffeln an der Leiter in des Grafen Brief?

39

Sein Selbſtgefuͤhl hat keine Graͤnzen. Er haßt den Faden, der ihn an das Menſchengeſchlecht bin - det, und im Grund iſt kein Fuͤrſt ſo ſtolz als er. Er ſagte bey einem Anlaß, wann einer unter zehen Tauſenden allein ſteht, ſo merken die neun Tauſend neun hundert und neun und neunzig nichts weniger als daß er nicht mit ihnen Heu frißt.

Ich durfte ihn nicht fragen, aber ich hatte es auf der Zunge, ob er mit dieſer Zeile die Geſchichte und die Leiden ſeines Lebens entworfen?

Bey allem dem iſt er gut wie ein Kind, und ich kann Ihnen nicht ſagen, wie wehe es ihm that, daß Gertrud um ſeinetwillen ihr Liſeli in der Schule abgeſtraft. Die Schwaͤtzerin ſagte unter der Schul - thuͤre zu dem Knaben, dem er das Leztemal die Haare abgeſchnitten: Du! es ſind gewiß von deinen Thierchen geweſen, um derenwillen der Hr. Lieutenant hat aus dem Schloß muͤſſen! Gertrud brachte es mit der Ruthe ſelber in die Schule, und hatte daſſelbe ſo hart abgeſtraft, als ich es nicht von ihr erwartet, und als gewiß keine Frau im Dorf es gethan haͤtte. Ich mußte den Lieutenant unter einem Vorwand ins Pfarrhaus nehmen, ſonſt haͤtte er es nicht zugelaſſen. Ich muß enden. Ich ſchwatze, wie wenn wir einander nie mehr ſehen wuͤrden, und wie wenn Sie ſonſt nichts zu thun haͤtten. Leben Sie wohl! Ich kann nicht ſattC 440werden Ihnen, edler, lieber Junker, Vater zu ſa - gen. Gott ſegne Sie und Ihren Sie verehrenden

Pfarrer Ernſt.

§. 11. Der Suͤnde Sold iſt wohl der Tod; aber der Sichelmann nimmt immer den eigentlichen Suͤnder.

Es war zu viel fuͤr heute! Er zitterte ob dem An - fang des Briefs, und konnte ihn nicht fortleſen. Der Schreck ob dem Michel hatte ihn erſchuͤttert, und der Verdruß daruͤber empoͤrt Er war noch wie im Jaſt, und izt uͤbernahmen ihn die Bos - heiten mit den Bauern in Bonnal, die ihm ganz neu waren, daß er zitterte und den Brief nicht fort - leſen konnte; es war ihm, wie wenn ſein Herz zerſpringen wollte.

Thereſe, die in der dunkeln Stube des Bauern am Vorreyn, und ob der Angſt und der Arbeit mit dem Michel keine Veraͤnderung an Arner bemerkte, ſahe erſt izt, wie blaß und entſtellt Er ausſah, und ſagte, was iſt es doch wieder? Jeſus! du ſieheſt elender aus als der Michel! Er hatte den Brief in41 ſeiner ſinkenden Hand, und konnte ihn ihr faſt nicht geben.

Haͤtt 'mich, haͤtt' mich, erwiederte Er, und ſeine Augen ſtarrten haͤtt 'mich nur ein Hund gebiſſen, aber es nagt ein ſchlimmers Thier an meinem Herzen.

So ein Wort hatte Arner in ſeinem Leben nicht geredt; auch erſchrack Thereſe mehr darob, als ſie ob einem Donnerſchlag, die ſie doch fuͤrch - tete, erſchrocken waͤre. Sie ſah, daß Er aufs Aeußerſte getrieben, und dem Ausbruch einer Krank - heit nahe ſey, und ſtammelte mehr, als ſie ſagte: Geh doch ins Bett, wann du heimkommſt, du biſt krank !

Immer noch ſo innig herzgut, ſagte Er, ſie wuͤrden dann meynen, es waͤre eine Schalkheit um des Hunds willen.

Da ſie gegen die Linde kamen, ſtund Sylvia vor ihren Augen von der Bank auf und gieng fort. Das that Arnern von neuem weh. Da Er auf ſein Zimmer kam, legte er ſeinen Kopf auf ſein Pult ab. Alles, was heute begegnet war, ſtund ihm wie ein Gemaͤhlde vor ſeinen Augen und Sylvia war der Anfang und das Ende von allem, was ihm vor Augen ſtund, ſein Blut wallte, und ſein In - nerſtes empoͤrte ſich immer ſtaͤrker, je mehr er ſie vor Augen ſah. Es uͤberfiel ihn ein Froſt, daß42 Stuhl und Tiſch mit ihm zitterten dann rollten ſeine Augen ſeine Fauſt ballete ſich er ſtampfte mit dem Fuße, und ſagte einmal uͤber das andere, was habe ich dem Thier, was habe ich dem ver - fluchten Thier auch gethan, daß ſie es mir ſo macht?

Thereſe hoͤrte das Zittern des Pults, und dann das Stampfen ſeines Fußes, ſprang hinauf, und verſtand noch vor der Thuͤre die Worte, was habe ich dem Thier, dem verfluchten Thier auch ge - than?

Da Er ſie ſah, wollte er ruhiger ſcheinen, aber er zitterte noch und konnte nicht reden; Sie eben ſo wenig Sie ſaß mit ſtummer Beklemmung neben ihn ab, und er legte ſein Todtengeſicht auf den Schooß, auf dem ſo eben der Michel gelegen Sein Athem war laut, und das Fieber ſicht - bar aber er redte nicht, und lag ſo bis man zum Eſſen klingelte, auch da noch wollte er herabkom - men, damit ſie nicht zoͤrneten, aber Er ſank in den Stuhl zuruͤck, von dem er aufſtehen wollte, und mußte ins Bett.

Sylvia machte bey dem Tiſche boͤſe Anmer - kungen, daß man ſie allein laſſe, und Thereſe eilte bey ihrem kranken Manne, daß ſie ſie nicht lang allein laſſen muͤſſe.

43

Aber Arner hatte eine ſchlimme Nacht. Froſt und Hitze wechſelten miteinander ab, und die Em - poͤrung ſeines Innerſten erhoͤhte das Wallen ſeines Bluts und ſeines Fiebers. Sein Karl hoͤrte ihn zweymal nacheinander halb laut, daß es Thereſe nicht verſtund, bey ſich ſelber ſagen ſie bringen mich noch ins Grab ſie bringen mich noch ins Grab.

Das gute Kind huͤllte ſich tief in ſeine Decke, damit der Papa und die Mama ſein Schluchzen nicht hoͤrten.

§. 12. Knechten Groͤße iſt auch Menſchen Groͤße.

So bald der Wein verraucht war, konnte der Ge - neral auch nicht mehr ſchlafen. Der Mann, den der Hund gebiſſen, gieng ihm im Kopf herum. Es war ihm wie ein Traum, er ſey todt, dann war ihm wider, nein, er ſey nicht todt! dann ſtaunte er nach, wie es auch gekommen, daß er ihn mit den Hunden gehezt glaubte halb, Sylvia ſey daran Schuld dachte dann wieder, nein, er koͤnnte ihr unrecht thun, der Wein thue viel im Menſchen, das er nicht wiſſe dann duͤnkte ihn wieder ſie ſey doch neben ihm geſtanden, und44 haͤtte ihn koͤnnen abhalten Dann wars ihm auch, er habe nur keinen Hund geſehen, und doch das in ſeinem Leben nie gethan, und auch der Jaͤ - ger haͤtte es nicht thun ſollen, wenn er es ihn auch geheißen haͤtte.

So wirbelten ihm in ſeiner Schlafloſigkeit Ge - danken von Angſt und Gutmuͤthigkeit durcheinan - der, und das erſte und letzte dieſer Gedanken war immer, wenn der Mann nur nicht todt iſt!

Daß Arner krank ſey, dachte er nur nicht aber da er ſeine Thuͤre einmal uͤber das andere auf - und zugehen hoͤrte, wunderte es ihn was es ſey! Und da er den Klaus, der die Treppe hinauf - und hinabgieng, an ſeinem Schritte erkannte, ſtund er auf, gieng unter die Thuͤre, und fragte ihn, ob es etwas Unrichtiges ſey? Der Knecht antwor - tete ihm, der Junker ſey gar nicht wohl; und erſt da kam ihm wieder in den Sinn, Er ſey ſchon geſtern nicht bey dem Nachteſſen geweſen. Aber das erſte Wort, das er daruͤber ſagte, war, iſt es auch vom Hund her?

Ich weiß nicht, es wird alles zuſammenge - ſchlagen haben, der Hund und die Leute, erwie - derte der Klaus.

Jeſus! iſt es uͤbel? ſagte der General und in gleichem Augenblicke eh der Knecht hierauf45 antworten konnte ſage mir doch, iſt der Mann todt, der gebiſſen worden?

Klaus. Nein, er iſt nicht todt, aber er haͤtte es koͤnnen werden und mit dem Junker iſt es gar nicht gut.

General. Komme doch eine Viertelſtunde zu mir hinein, du muſt mir erzaͤhlen, wie es mit dem Hund zugegangen? ſagte er zum Klaus. Dieſer aber mußte hinauf, denn der Junker hatte entſetzlichen Durſt, und das Waſſer zum Thee ko - chete eben. Der General wollte mit hinauf, ihn zu ſehen was er mache, der Klaus aber ſagte ihm, ſie wurden izt nur ob euch erſchrecken!

Der General erwiederte, ſo will ich dann da bleiben, aber ſage ihnen, daß ich habe wollen kom - men, und ich laſſe ihm gute Beſſerung wuͤnſchen und dann, ſezte er hinzu, wann du nichts mehr oben zu thun haſt, ſo komme doch dann noch zu mir, und bring mir auch Theewaſſer ich muß mit dir reden.

Es freuete Arner und Thereſe, daß er habe hinauf kommen wollen; ſie ſagten beyde, waͤre er doch allein da, es waͤre uns allen ſo wohl bey ein ander, und machten recht geſchwind mit dem, was der Klaus bey ihnen zu thun hatte, damit er bald mit dem Thee zu ihm herab kam, und er nicht lang auf ihn warten muͤſſe.

46

So bald er kam, fragte er ihn wieder, wie es auch mit dem Hund zugegangen?

Er antwortete ihm gerad heraus, Sylvia ſey an allem die Schuld, er ſey ſchon ab der Terraſſe fort und wieder in der Stube geweſen, ehe der Jaͤ - ger noch zum Thor hinausgegangen, auch waͤre da gewiß nichts mehr begegnet, wenn Sylvia ihm nicht gewunken, daß er doch gehe daß ſie das gethan, haben von den Dienſten, ſo wohl von den Fremden, als von denen die im Hauſe, gar viele geſehen.

General. Es wiſſen alſo viele Leute, daß ſie ſchuldig iſt?

Klaus. Freylich.

General. Was haben ſie auch dazu geſagt?

Klaus. Ihr Gnaden koͤnnen ſich wohl ein - bilden, was gemeine Leute, die bey dergleichen Faͤl - len denken, es koͤnnte ihnen ein anderer oder eine andere auch ſo machen, dazu ſagen!

General. Nein ſag es mir doch, ich moͤchte es wiſſen, was ſie darzu geſagt?

Klaus. In Gottes Namen! ſie ſagten, es ſey ein gottloſes Stuͤck, und es werde ihr wohl be - kommen, wenn ſie den Lohn darfuͤr noch auf dieſer Welt bekomme. Ihr Gnaden, man redt un - ter gemeinen Leuten nicht anderſt uͤber dergleichen47 Sachen, und ich bitte nicht ungnaͤdig zu nehmen, Sie haben es befohlen.

General. Es macht nichts es macht nichts Gottlob! daß der Mann nicht todt iſt.

Klaus. Ihr Gnaden laſſen dieß das Fraͤu - lein ſagen Gottlob! daß er nicht todt iſt

General. Warum das?

Klaus. Sie waͤre ihres Lebens nicht ſicher, wenn er todt waͤre.

General. Meynſt du das?

Klaus. Ganz gewiß. Die Bauern neh - mens hier nicht ſo leicht auf, wenn man ihrer einen zu tod hezt.

General. Wiſſen es die Bauern izt auch ſchon?

Klaus. Sie haben auf dem ganzen Burg - feld die Pfluͤg ſtill ſtehen laſſen, und ſind zu Dutzen - den zugelaufen, man ſage, er liege todt am Reyn.

General. Aber es thut ihr izt doch Niemand nichts? weil das nicht iſt.

Klaus. Ich moͤchte nicht dafuͤr gut ſtehen, und ihr auch nicht rathen, bis der erſte Sturm vor - uͤber, gar zu weit vom Schloß allein wegzugehen.

General. Es waͤre erſchrecklich, wenn ſie nicht ſicher waͤre.

48

Klaus. Es iſt wohl ſo, Ihr Gnaden, aber man muß auch nicht ſeyn, wie ſie iſt, ſie hat keinen guten Menſchen.

General. Warum doch auch das?

Klaus. Sie will es nicht anderſt. Sie ſagt zu keinem Menſchen weder einen guten Tag, noch gute Nacht, und giebt Niemandem kein gutes Wort, außert ſie wolle von jemand etwas, dann kann ſie ſo freundlich ſeyn als keine.

Der General erwiederte ihm, das wolle doch izt nichts ſagen, es ſey mit dem Gruͤßen und Behuͤ - ten ſo eine Gewohnheit, der eine habe ſie, der an - dere habe ſie nicht.

Aber Klaus ließe ihm nichts daraus gehen, und ſagte, die gemeine Leute koͤnnen den Unterſchied ge - wiß ſo gut machen als die andern; ob eine Herr - ſchaft ſo etwas aus Gewohnheit thue, oder aus boͤ - ſem Willen, und in der Abſicht zu kraͤnken: und das thue Sylvia gegen Große und Kleine, gegen die Herrſchaft, und gegen die Dienſte, und ſo gar ge - gen unſchuldige Kinder. Wo ſie nur den guten Karl ſehe, der doch außer ihr allen Menſchen lieb ſey, koͤnne ſie ſich nicht enthalten, es moͤge um den Weg ſeyn wer immer wolle, ihn zu verſpotten.

General. Aber thut ſie doch das?

Klaus. Mein Gott! was fuͤr ein Unmenſch muͤßte ich auch ſeyn, wenn ich ſo etwas wider je -mand49mand ſagen koͤnnte, und nicht gewiß wuͤßte, daß es wahr waͤre!

General. (Mit einem Seufzer) Nein, nein: ich glaube nicht, daß das gelogen ſey.

Klaus. Erlauben Ihr Gnaden, ich muß izt einmal noch etwas ſagen, das mir auf dem Herzen liegt; Ihr Gnaden ſind ſo gut, und Sie meynen es auch mit dem Fraͤulein ſo gut, daß ich nicht anderſt koͤnnte als es Ihnen klagen; ſie treibt wider einen Menſchen, der an der Jugend in Bonnal ei - nen Gotteslohn und mehr thut als, glaube ich, kein Menſch in der Welt an Bauernkindern gethan hat, und der darum auch dem Junker ſo lieb wie ein Bruder iſt, wider dieſen Mann treibt ſie Boshei - ten, die himmelſchreyend ſind, und braucht den gleichen Jaͤger dazu, den ſie geſtern zum Hundhe - tzen gebraucht hat und ſie bringt den Junker ins Grab wenn ſie ſo fortfahrt.

Der gute Klaus kam nach und nach ins Feuer. Die Nacht, die Umſtaͤnde, die Guͤte des Genera - len, und alles brachte ihn dahin, daß er faſt mit ihm redete, wie mit ſeines Gleichen, aber er brachte dem alten Herrn ſo viel auf einmal in den Kopf, daß er ihm Angſt machte; er fieng an zu wuͤnſchen, daß er doch ſchwiege, und es duͤnkte ihn, es ſey doch zu viel fuͤr einen Knecht denn es war zu viel fuͤr ihn. Er ſeufzete ein paarmal, dann ſagteD50er, du wirſt gar eifrig und ich moͤchte doch izt bald wieder ſchlafen damit ſchickte er ihn Aber er empfande doch, daß der Kerl ein ſeltenes Stuͤck von Ehrlichkeit fuͤr einen Knecht ſey, und daß zwiſchen ihm und allen Dienſten, die er noch gehabt, ein groͤßerer Unterſchied ſey, als zwiſchen einem Offizier und einem Gemeinen; auch wollte er ihm ein Trinkgeld geben, aber Klaus nahm es nicht, und ſagte, ich werde euch ſonſt immer dar - fuͤr danken, wenn ihr mir etwas geben wollet, aber in der Stunde, in der ich etwas boͤſes uͤber jemand geſagt, waͤre es mir nicht anderſt, als ich wuͤrde einen Judas-Pfenning fuͤrs Verrathen annehmen und ich ſcheue dergleichen Pfenninge.

Nun, nun, ſagte der General wenn du es lieber ein Andermal willt, ſo ſey es, aber fuͤr den Mann, den mein Hund gebiſſen, muſt du etwas anders abnehmen, du muſt mir Morgen Brod, Fleiſch, und Wein fuͤr ihn kaufen, und ſag 'ihm nur, ich wolle ihn nicht vergeſſen, bis er wieder geſund ſey, und es ſey mir ſo leid als es mir nur ſeyn kann, daß dieſes begegnet ſey, er ſolle es mir verzeihen.

Der Klaus ſagte, er kenne den Mann, und wiſſe, daß dieſe Worte ihm mehr als ein Pflaſter auf ſeine Wunden wohlthun werden.

51

§. 13. Es giebt eine Seelenſtimmung, die dem Menſchen zu einem Kropf helfen kann.

So viel Wahrheiten fuͤr einen Knecht, uͤber den er auch ob keinem Wort zoͤrnen konnte, machten den alten Mann nachſinnen, bis die Sonne hoch war.

Sylvia fand ihn bey der Schokkolade, die ſie immer mit ihm trank, gegen ſie ganz veraͤndert, und Aglee hoͤrte in der Kuͤche, daß er tief in der Nacht mit dem Klaus geredt. Sylvia zweifelte nicht, ſie habe dieſe Veraͤnderung, dieſem falſchen, ſchimmelgrauen Krauskopf zu danken, der unter ihren Augen, wenn ſie etwas rede oder thue, im Stand ſey den Kopf zu ſchuͤtteln.

Eine Weile darauf vernahm ſie wieder, er muͤſſe dem Michel einen ganzen Korb voll Eßwaa - ren bringen, und ihn im Namen des Generalen um Verzeihung bitten.

Es iſt gut, daß die Leute von dem Zorn ande - rer nicht gleich ſterben, ſonſt waͤre der Klaus izt maustodt, ſo ſehr brachte ſie das Letzte auf; ſie ſtampfte vor Zorn, und ſagte unter vielem andern, der Onkle wird in dieſem Bauernneſt ein Narr wie der Vetter.

D 252

Der General aber aͤngſtigte ſich in ſeiner Stube uͤber den Kranken, und nahm einsmal den Ent - ſchluß, gieng zu ihr in ihr Zimmer und ſagte, ſie ſoll ſich in Acht nehmen, der Vetter ſey gar nicht wohl, und er wolle nicht zwey Ungluͤck, es ſey ge - nug an einem. Izt war ſie aufs aͤußerſte ge - trieben, ſie verlohr alle Maͤßigung, trozte, und ſagte ihrem Wohlthaͤter, ſie laſſe nicht ſo mit ſich umgehen.

Du kraͤnkſt Niemand als alle Menſchen, er - wiedert 'er, und gieng fort.

Sie kehrte ihm den Ruͤcken, noch ehe er hin - aus war und er hatte kaum die Thuͤre be - ſchloſſen, ſo ſagte ſie zu Aglee ich frag ihm nichts nach. Es war wirklich ſo die Renten, die er ihr gab, waren izt verſichert und mir nichts und dir nichts ſie frug ihm nichts nach, und gieng ihm auf dem Fuß nach in Arners Zimmer, ſpatzierte da hinein wie ein Pfau, oder wie eine Taͤnzerin, und fragte den guten Kranken vom ge - ſtreckten Hals herab, mit verbiſſenem Maul die Woͤrter geſezt, wie wenn ſie die Buchſtaben zaͤhlte Wie befinden Sie ſich Vetter? ſchwenkte dann, ehe er ihr antworten konnte, hinter dem General vorbey ans Fenſter, und ſah dann auf dem Geſimſe den blutigen Brief von Bonnal; Thereſe hatte ihn geſtern dahin gelegt, und vergeſſen ihn ins Pult zu53 legen, und Sylvia, die ſich von allen, die am Bett ſaßen, durch die Vorhaͤnge bedeckt ſah, laſ den Brief ſo friſch fort, wie wenn er an ſie lautete, aber er erbaute ſie nicht.

§. 14. Vom Papier verbrennen, und vom wie - der zu ſich ſelbſt kommen.

Ein unbeſchreibliches Gemiſch von Empfindungen durchkreuzte ihr Innerſtes; es war, wie wenn es in ihrem Kopf hammerte, da ſie ihn laſ, und da ſie ihn geleſen, mußte ſie ihn wieder leſen. Das Bild des Lieutenants druͤckte ſie wie Bley, ſie konnte nicht ſagen, es iſt nicht wahr, ſie ſelber hat ihn gefuͤrch - tet, wenn er den Kopf etwas mehr als gewohnt hin - ter ſich gerichtet, und etwas mehr als gewohnt die Augen aufgethan; deſto mehr empoͤrte das Bild, und die 9999, die nicht mit ihm Heu freſſen, und die gluͤhende Stafel an der Leiter Bylifsky und ihrer mit keinem Wort gedacht und ſie doch gemeynt und ihr ganzes Abſcheu verrathen, und dann der Geiſt, der bey jedem Wort, und bey jeder Handlung die Beduͤrfniſſe des Menſchengeſchlechts umfaßt und das Wegwerfen der Schule wie ein Ball, mit dem er blos einen Wurf thue, nur um354zu zeigen, wie leicht er damit ſpiele, und dann der Pfarrer, der nicht ſatt werden kann dem Vetter, lieber Junker Vater zu ſagen.

Das alles war zu viel ſie ſteckte den Brief zu ſich, lief mit fort laſ 'ihn dann wieder dann wirft ſie ihn ploͤtzlich in die Glut, die vor ihr zum Friſieren da ſteht er iſt izt darinn izt will ſie ihn wieder es iſt ein Stuͤck vor Helidor wie ich keines mehr finde ſie will ihn wieder ſie greift in die Glut ſie faßt ihn er brennt ſie kann ihn nicht halten er fallt ihr aus den Fingern an den Boden iſt ganz eine Flamme und hin!! Aber ihre Finger waren verbrannt, ſie mußte ſie izt oͤlen, und waͤhrend dem ſie ſie im Glas hielt, wiederholte ſie den Brief in ihrem Gedaͤchtniß es machte einen Unterſchied das blutige Papier Aber das blutige Papier, die Handſchrift des Pfarrers, den ſie haßte ſeine eigenen Worte ſeine eigenen Buchſtaben waren izt Aſche. So wie ihre Finger im Oel erkalteten, ſo erkaltete auch der erſte Eindruck uͤber dieſen Brief. Sie fieng an zu finden, er habe zwo Seiten, und auch eine fuͤr ſie.

So bald ſie das fand, ſuchte ſie natuͤrlich nur dieſe, und wie ſie dieſe fand, verlor ſich der Ein - druck der andern. Sie erinnerte ſich deutlich der Worte Es ſey noch alles Nagelneu der alte55 Sauerteig ſey noch nichts weniger als todt es brauche nur Waſſer daran zu ſchuͤtten, ſo gehe er wieder in allen Ecken auf und es ſeyen noch gar viele Leute, und zwar von den erſten im Dorf die darnach hungern und duͤrſten, etwas wider die neue Ordnung auszuſpuͤhren, und bey ſo neuen unreifen Einrichtungen koͤnne man nie wiſſen, wie weit die kleinſten Umſtaͤnde, die widrig ſeyen, langen koͤnnen Dieſe Seite des Briefs machte ſie izt die andere voͤllig wieder vergeſſen. Es duͤnkte ſie izt vollends nichts anders als bloße Groß - ſprecherey, was vom Lieutenant darinn geſagt ſey, und alles unvernuͤnftig uͤbertrieben ſie konnte auch nicht begreifen, wie ſie, da ſie den Brief noch in der Hand gehabt, und er noch nicht verbrannt geweſen, daruͤber ſo habe in die Hitze kommen koͤn - nen. ꝛc.

Es macht zwar einen Unterſchied, aber es iſt doch wunderbar, das gleiche mit dem Papierver - brennen iſt ſchon Herren und Obrigkeiten, die ſich gar nicht zu einer ſolchen Jungfer rechnen ließen, begegnet, daß ſie, wann ſie ganz im Eifer Papier verbrennt oder verbrennen laſſen, dann auch ſo, faſt ehe die Aſche davon unter dem Staatshaus recht kalt geworden, wieder, nicht anderſt als die Jung - fer mit dem verbrannten Finger, auch zu ſich ſelber gekommen, und dann auch nicht haben begreifen koͤnnen, wie ſie uͤber dieſe Papiere, ehe ſie verbrenntD 456geweſen, ſo haben koͤnnen ich darf nicht ſagen außer ſich ſelbſt kommen aber das darf ich ſagen Gebe Gott, daß in Zukunft mehr Jung - fern als Herren ſich ſo die Finger verbrennen, oder wenn ihr lieber wollt, ſo wieder zu ſich ſelber kom - men!

Es freute Sylvia izt, da ſie wieder in ihrem Gleiſe war, nichts mehr, als daß ſie die Peitſcherey der Gertrud mit ihrem Kind durch dieſen Brief ver - nommen.

Das muß ein Weib ſeyn, dachte ſie bey ſich ſelbſt, wie der Teufel!

Freudig wie ein Philoſoph, wenn er meynt, er habe eine neue Wahrheit entdeckt, ſagte ſie izt zu ſich ſelbſt, das iſt izt das Meiſterweib, wornach ſich die andern modeln wollen! und boshaft wie ein Mauſchel (Jud) der glaubt, er habe einen Chriſten bald im Garn, und ſchon die Gaͤnge zaͤhlt, die er noch braucht, bis er mit ihm am Ziel iſt, ſezt ſie hinzu, es braucht nicht mehr viel, zwo oder drey ſolcher Hiſtorien, ſo habe ich es im Sack mit ihnen zu machen was ich nur will, und ihnen Schande anzuthun ſo viel ſie nur brauchen.

Das Kind, ſetzte ſie bey ſich ſelber hinzu, das muß ich ſehen, koſte es was es wolle, und ſtellte ſich vor, wie ſie ſelbſt in dieſem Alter uͤber ihre Mutter raſend geworden waͤre, wenn ſie ihr ſo etwas ge -57 than! Sie dachte, das Liſeli muͤſſe izt uͤber die Gertrud eben ſo raſend ſeyn; und traͤumte ſchon, was ſie alles aus ihm herausbringen werde, was es fuͤr eine ſchoͤne Mutter habe, wann ſie es einmal im Schloß habe.

So war ſie vollends wieder in ihrer Ordnung, und eifriger als noch nie, dem Dickhals zu dienen, und Arners Weſen mit ihren beyden Haͤnden unter uͤber ſich zu kehren.

Mit dieſem Vorſatz gieng ſie auch nach dem Eſſen auf die Straße von Bonnal, um heute ein - mal die Freude zu haben, das ſelbſt zu thun, was bisher ihr Jaͤger fuͤr ſie verrichtete.

Der General warnete ſie vor dieſem Spatzier - gang. Da ſie am Tiſch ſagte, ſie wolle nach dem Eſſen uͤber Feld, ſo kam dem guten Mann in den Sinn, daß der Klaus dieſe Nacht zu ihm geſagt habe, ſie koͤnnte vielleicht nicht ſicher ſeyn, wenn ſie zu weit von dem Schloß weggienge; es machte ihm Angſt, er ſagte ihr ſo freundlich als moͤglich, ſie ſolle doch nicht allein gehen.

Warum das? war ihre Antwort. Er ſtund auf, gieng zu ihr hin, und ſagte ihr ins Ohr, es ſeyen ihr nicht alle Leute wohl, und es koͤnnte ihr auf den geſtrigen Vorfall leicht Jemand etwas zu Leid thun.

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Sagt es nur laut, ich weiß wohl, daß mir hier alles Feind iſt, aber probiere es jemand, und thue mir etwas, es wird ſich dann zeigen. Mit dieſem gieng 'ſie zur Thuͤr hinaus, und der Gene - ral meynte, ſie thue wie gewohnt nur mit dem Maul ſo groß, und nehme dann doch jemand mit ſich. Er irrte ſich diesmal, ſie nahm Niemand mit, und ſagte zur Aglee du muſt izt expreß daheim bleiben! und wenn ihm ſchon Angſt wird, ſo komme mir nicht nach, ſag' ihm nur, ich hab 'es dir verboten. Ich will ihm es ſo ſa - gen, erwiederte Aglee, und die andere gieng.

§. 15. Der Alte iſt gut, darum fallen ſeine Fehler vor den Augen des Kindes weg.

Der Karl wollte nicht zum Tiſch er ſagte zu ſeiner Mamma er wollte lieber Hunger ſterben, als mehr zum Tiſch kommen, ſo lang die Leute noch da ſeyen, ſie bringen alles Ungluͤck ins Haus und den Papa ins Grab.

Thereſe wollte es ihm ausreden, und ſagte, er ſolle izt nicht ſo ſeyn, es werde mit dem Papa wohl wieder beſſer werden, und der Onkle meyne es gut mit ihm, und ſey dem Papa lieb.

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Du wirſt dann wohl anderſt reden, wann der Papa todt iſt, erwiederte der Knab und ſetzte hinzu ſie machen es ihm wie dem Michel. Ich weiß ſchon, was er geſtern geſagt hat und warum es mir alſo iſt.

Was hat er denn geſagt, erwiederte Thereſe? und Karl ich hab 'es dir nicht wollen ſa - gen, aber ich muß es izt doch ſagen.

Er hat im Bette einmal uͤber das andere ge - ſagt, ſie bringen mich ins Grab ſie bringen mich noch ins Grab. Du haſt es nicht gehoͤrt, du biſt nicht nahe genug bey ihm geweſen, und er hat es nur ſo halb laut geſagt.

Hat er das geſagt haſt du das gehoͤrt? frug Thereſe mit leiſer Stimme.

Ja er hat es gewiß geſagt, antwortete der Knabe, und ſezte hinzu ich habe geglaubt, ich muͤſſe mich zu tod weinen, und die ganze Nacht konnte ich kein Auge zuſchließen, und meynte im - mer, ich hoͤre es ihn noch einmal ſagen.

Izt ſahen ſie einander an. Das Druͤcken der Wehmuth beſchloß ihre Lippen, machte ihre Augen naß, und preßte ihren Athem. So ſahen ſie ſchweigend einander an, als die Thuͤr aufgieng und der General vor ihnen ſtund.

Die Thuͤre war vorher ſchon halb offen. Er hatte alle Worte gehoͤrt in ſeinem Leben war60 ihm nichts alſo zu Herzen gegangen er em - pfand das Recht des Kinds, und es war ihm, er ſehe den Vetter todt vor ſeinen Augen er fuͤhlte den Schauer des Entſetzens bey dem Ge - danken, er ſey daran Schuld; er ſchwankte hinein, wie wenn ihn ſeine Beine nicht tragen wollten, hielt die Hand vor den Mund, ſein Schluchzen zu hemmen; und winkte wie ein Stum - mer Thereſen mit dem Kopf beyſeits.

Dem Karl und der Thereſe uͤbergieng das Herz, da ſie ihn ſo ſahen beyde weinten beyde ſtunden an ihn an Thereſe gab ihm die Hand und er ſagte, giebſt du mir ſie auch von Herzen? Das war ſein erſtes Wort. Ja, gewiß lieber Onkle! zweifelt doch nicht an dem erwiederte Thereſe.

Ich kann es faſt nicht glauben, ſagte der Alte, und ſezte hinzu, ich hab 'in Gottes Namen alles gehoͤrt, ich meynte, es toͤdte mich, ſo weh that es mir aber wenn du mir izt einen Ge - fallen thun willſt, ſo zwing den Knaben nicht zum Tiſch, er hat recht, ſo lang er den erſchrecklichen Gedanken hat, ich wolle ihm ſeinen Vater ins Grab bringen; aber ich will ihm wills Gott zei - gen, daß das nicht iſt, und daß mir ſein Vater lieb iſt.

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Der Knabe ſah an ihn hinauf. Zweifel und Mitleid waren in ſeinen Augen, und auf ſeiner Stirn. Da ſagte ihm Thereſe, ſiehſt izt auch, wie gut der Onkle iſt? willſt izt nicht mit ihm zum Tiſche? O wohl! ich will mit ihm gehen erwiederte der Knabe.

Es freute den Alten ſo, daß er ihn wuͤrde auf den Arm genommen haben, wenn er ihn haͤtte tragen koͤnnen. Sie nahmen ihn beyde in die Mitte, und brachten ihn ſo zu Tiſche. Auf dem Weg ſagte der General, es wird wills Gott mit dem Vetter auch wieder beſſer werden! und ſie trockneten noch vor der Thuͤr alle drey ihre Augen.

Sylvia ſah den General nicht anderſt an, als ob er ihr unrecht thue, daß er den Knaben ſo an der Hand an den Tiſch bringe. Er achtete es nicht, aber der Karl achtete es, und ſagte zur Mamma, da ſie ihm das Handtuch umlegte, ſie macht uns ſchon wieder Augen! Er kehrte ihr auch bey dem Tiſch den Ruͤcken, und da ſie ihm ein Stuͤck Fiſch auf den Teller legte, ruͤhrte er es nicht an, und gab, ohne daß es die Mamma merkte, den Teller dem Klaus fort.

Sylvia ſah wieder einen Augenblick gut aus, das Blut ſtieg ihr in die Backen (Wangen) da62 ſie ſah, daß der Klaus, oder wie ſie ihn nannte, der Grauſchimmel lachte, da er dem Knaben den Teller abnahm.

§. 16. Ihr kennet die Thiere, die meiſtens paar - weis aus einem Trog eſſen, und hier findet ihr etwas dergleichen.

Deſto geſchwinder ſtund ſie vom Tiſch auf, und gieng an ihren Spatziergang.

So gerade nach Mittag ſind die Straßen meiſtens leer. Sie kam weit, und traf keine Seele an. Endlich neben dem Hochwald, unter dem Berg, kommt ein dickes Weib mit einem Korb auf dem Kopf den Hohlweg hinab. Es iſt die Rechte, unter allen in Bonnal iſt keine, die die drey Herren und ihre Ordnung haſſet, wie dieſe.

Es iſt die nemliche, die der Klaus am lezten Maymarkt voll und toll in ſeiner Kutſche ins Schloß fuͤhrte, und mit einer andern im Bettler - ſtall uͤbernachten ließ. Dieſe beyde muͤſſen izt, wann ſie mit jemand im Dorf Streit haben, alle - mal ihre Kutſchenfahrt hoͤren, und ſelber ihr Mann, der Speckmolch, ſagt ihr, wann er unzu -63 frieden iſt, nichts anders als der Klaus ſollte dich nur wieder einmal in den Bettlerſtall fuͤhren, und ſezt oft noch gar hinzu, es war mir ſo wohl an dieſer Markt-Nacht am lezten May!

Sylvia verdoppelte ihre Schritte, daß ſie ihr nicht entrinne.

Es war unnoͤthig; die Speckmolchin ſuchte nichts wenigers als zu entrinnen; ſie ſah die Jung - fer kaum, ſo dachte ſie, wie gewiß iſt das die, ſo den Lieutenant aus dem Schloß vertrieben!

Klein, mager, gekleidet wie ſonſt keine, voller Ecke, Schnoͤrkel und ſo, daß man etwas anders an ihr zu ſehen hat, als ſie ſelber ſo war ſie beſchrieben ſo war ſie das iſt ſie ich kann nicht fehlen ſagte die Molchin mit dieſer muß ich reden ſtellte den Korb auf einen Stein ab, als ob ſie ausruhen wollte.

Seyt ihr nicht die Jungfer, die den Herrn Lieutenant ſo hat koͤnnen aus dem Schloß auf das Dorf ſpatzieren machen?

Und wenn ich es waͤre? So gieng das Geſpraͤch an. Dann kam ſie bald auf die gott - loſe Kutſchenfahrt und wie man ſie nicht an - derſt als ein Hauptvieh die ganze Nacht im Stall und auf Stroh habe liegen laſſen und vom Stall64 wars gar nicht weit in die Schule wie da eine gottloſe Ordnung ſey, und wie man nicht anderſt handle, als wenn es voͤllig genug ſey, wenn die Kinder nur die Freßordnung recht lernen, und Geld verdienen, als wenn an allem andern gar nichts gelegen waͤre.

Es melkt ein Kuͤher ſeinen Stall aus bis auf den Tropfen ſo melkte Sylvia das Menſch aus in allem, was es wider die neue Ordnung wußte, bis auf den Tropfen.

Dann ſagte ſie am Ende noch, ſind aber viele Leute im Dorf, die hierinn denken, wie du?

Mein Gott, Ja! erwiederte die Speckmol - chin. Es wird es euch zwar nicht eine jede, wie ich, ſo gerade heraus ſagen, aber nicht der zehen - de Theil iſt ganz zufrieden, daß es iſt, wie es iſt, und die ſo am meiſten zufrieden thun, ſind Lum - penleute, denen ihre Kinder mehr Geld heimbrin - gen als vorher; wenn das nicht waͤre, ich will glauben, ihr wuͤrdet im ganzen Dorf nicht einen Menſchen finden, der nicht ſagte, wie gottlos die Kinder in der Religion verſaͤumt, und nur auf das Zeitliche gezogen werden.

Sylvia gab ihr dann an, ſie ſollen ihre Kin - der, wenn es ſo ſey, nicht mehr in die Schul ſchicken, und fragte ſie, ob ſie machen koͤnnte, daßdas65das ihrer etliche thaͤten, und gab ihr Erlaubniß ih - ren Namen zu brauchen, und zu ſagen, ſie finde es auch gottlos, daß es ſo ſey. Wenn ich das darf, ſagte die Molchin, ſo macht es mir dann keinen Kummer noch vor Morgen Abend ein halb Dotzend bey einander zu haben, die ihre Kinder dieſem Pe - ruͤquenmachergeſell nicht mehr in die Schul ſchicken.

Sylvia. Warum ſagſt du ihm, Peruͤquen - machergeſell?

Speckmolchin. Ja, als wenn ihr es nicht wuͤßtet!

Sylvia. Nein, das weiß ich nicht.

Speckmolchin. Wißt ihr auch nicht, wer uns geſagt hat, daß er Joggeli heißt?

Sylvia. (Lachend) Es ſcheint doch, ihr ſeyd gelehrige Leute?

Speckmolchin. Dergleichen Sachen be - halten auch die Dummen.

Sylvia. Aber noch etwas kennſt du der Maurerin ihr Liſeli?

Speckmolchin. Ja freylich.

Sylvia. Die gottloſe Frau hat das Kind auf eine unverſchaͤmte Art in der Schule geſchlagen.

Speckmolchin. Wißt ihr das auch ſchon?

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Sylvia. Das denk ich du glaubſt nicht, wie mich das Kind dauert, ſag 'ihm doch, es ſoll nicht fehlen, und zu mir in das Schloß kommen, ich wolle ihm etwas ſchenken, das es freuen werde, weil es ſo unſchuldig habe leiden muͤſſen.

Auch das verſprach die Speckmolchin auszu - richten.

Aber Sylvia ſahe, daß der Schatten vom Wald gegen ſie kam, und fieng an zu denken, es ſey doch beſſer, bey Tage heim zu gehen.

Auch das Weib nahm ihren Korb auf den Kopf, und ſagte, geht ihr izt ſo allein heim, und iſt noch ſo weit?

§. 17. Duͤnkts dich luſtig Nachbar? Gut! aber behaupte nicht, daß gar kein Hang zur Grauſamkeit in der menſchlichen Na - tur liege!

Sie haͤtte izt wohl gern jemand bey ſich gehabt, ſah ſich auch links und rechts um, ob jemand auf dem Weg ſey, aber es war alles todt und ſtill um ſie her wie die Nacht und ſie das Erſtemal auf67 dieſer Straße ſo weit vom Hauſe und Allein aber es war izt nichts anders zu machen ſie mußte gehen und gieng und die Freude uͤber alles was ſie von der Molchin vernommen, und was ſie mit ihr abgeredt, machte, daß ſie an nichts anders dachte ſo vergieng ihr die Angſt.

Die andere Woche gehen izt ſchon, denk ich, wohl ein Dutzend Kinder nicht mehr in die Schule Morgen oder Uebermorgen kommt mir das Liſeli in das Schloß und die Woche hernach ſchreib ich dem Dickhals. So traͤumte ſie, ſchuͤttelte vor Freude die ſeidenen Wellen des Kopf - zeugs und gieng ihre Straße.

Aber izt geht ein Mezger an der Wand des Hochwalds, nicht weit von ihr ſo ſteigt bey der Stille des Himmels ein Woͤlkchen am Berg auf, hinter dem Woͤlklein flieht die Stille des Himmels, und Sturm und Gewitter erheben ſich.

Der Mezger an der Wand des Hochwalds kommt aus dem Wirthshaus da redten die Ti - ſche voll Bauern nur von ihr.

Es war nur ein Wort, und nur eine Stimme in allen Ecken der Stube ein ſolches Laſterthier ſollte man lehren Gott erkennen ! und alle ſag - ten, es waͤr 'ein Gottslohn, wenn ſie der erſte, der ſie antraͤfe, auch mit den Hunden hezte, daß ſieE 268lernte Menſchen fuͤr Menſchen achten. Selbſt die Aelteſten ſprachen nichts dagegen ſie ſagten vielmehr mit allem Nachdruck, das ſey etwas un - erhoͤrtes, und bey Mannsdenken nicht mehr ge - ſchehen auch die ſchlechteſten und wildeſten Jun - kern haben es ſeit dem man 1700 zaͤhle, nicht mehr gewagt die Hunde wider einen Bauern zu hetzen, wie man ſage, daß es vor Altem begegnet ſey.

Es war ſogar, als wenn ſie die Jugend noch aufhezten. Sie ſagten einmal laut, man haͤtte unrecht, wenn man das wieder aufkommen laſſen wuͤrde.

Izt ſieht ſie der Mezger das iſt ſie erkennt ſie klein, mager, gekleidet wie ſonſt keine voller Ekken und Schnoͤrkel und ſo daß man auch etwas anders an ihr zu ſehen habe als ſie ſel - ber ſo war ſie beſchrieben ſo war ſie es iſt ſie!

Dem Mezger wallet das Blut, er ſieht ſich um alles iſt todt um ihn her wie die Nacht und wie um Sylvia er ſtaunt lenkt uͤber den Graben ins Gehoͤlz ſein junger Hund waͤdelt um ihn her und macht ſeine Spruͤnge, wie er ſie macht wenn er meynt, er ſey bey dem Stall, wo er ſein Kalb findet.

Soll ich ſoll ich ſagte der Mann, ſein Herz ſchlug er war blaß ich will, ſprach69 er izt ſo eine ſtraft keine Obrigkeit ich will ſprach er izt zeigt ſie mit dem Finger durch die Tannen dem Hund und hezt ihn. Der Hund war ſicher er hatte ſeine Zeichen und auf das Zeichen ruͤhrete er ſie mit der Schnorre nicht an, er ſtund nur mit den Pfoten an ſie auf, ſprang dann um ſie herum, und dann wieder an ſie herauf, und bellete laut. Das war alles es war freylich nicht wenig. Ihr Guͤrtel brach unter ſeinen Klauen das Band lag am Boden und das weite Oberkleid riß von oben herunter, ſo oft der Hund anſprang; ſeine langen weißen Stuͤck flogen um ſie her, und an ihr auf, wie Tuͤcher an der Haͤnke eines Bleicherhauſes, wenn der Wind wehet; und der Korb ihres Kopfzeuges hieng an ihrem Ruͤcken herab, daß all ſein Innwendiges hervor - gieng. Zwo Minuten, ſagte der Mann, muß ſie mir leiden Nahm ſeine Uhr in die Hand und als ſie voruͤber, pfiff er dem Hund.

Ihr Geſchrey erfuͤllte den Himmel. Nein, ſo weit herauf kam es nicht aber unten auf dem Boden toͤnte es weit herum in die Runde.

Der Jaͤger, den der General, da es dunkelte, nachgeſchickt, hoͤrte ſie von weitem, aber er dachte lang, es ſey nur ein Bauerngeſchrey, und gieng keinen Schritt geſchwinder. Es iſt ihm nicht zu verargen, er konnte nicht denken, daß ſein gnaͤdi -E 370ges Fraͤulein ſo heule; aber als er hinzu kam, merkte er da, daß das Geſchrey dem Kraͤhen gar gleich komme, das ſie daheim allemal treibt, wann eine Muͤcke gegen ſie fliegt, oder eine Maus, oder eine Spinne um den Weg iſt. Izt hieß es laufen. Er lief auch, und war bald da. Aber als er um eine Ecke herum kam, und ſie ploͤtzlich vor den Augen hatte, ſtellte es ihn ſtill, er mußte ſich umkehren und lachen. Die weißen Tuͤcher in den Luͤften, ihre Haͤnde uͤber den kahlen Kopf rin - gend und der Haarkorb mit Miſt und Federn am Ruͤcken wer mußte nicht lachen! Der Jaͤ - ger mußte ſich umkehren, den Bauch in die Haͤnde nehmen und den Athem zuruͤckhalten, daß ſie ihn nicht hoͤre.

Sie kannte ihn nicht, und als ſie ihn kannte, konnte ſie nicht reden, ſie verkruͤmmte den Mund, ballte die Zunge, und konnte einige Augenblicke keinen vernehmlichen Ton herausbringen.

Er fragte, ich weiß nicht wie manchmal, was doch Ihr Gnaden, der Fraͤulein begegnet? Ehe er verſtehen konnte, daß ein wuͤtender Hund ſie ange - fallen habe.

Aber er glaubte es nicht, und meynte Buben, die ſie im Wald angetroffen, ſeyen der Hund er gab ihr auch zu verſtehen, die wuͤtenden Hunde71 haben es ſonſt nicht in der Gewohnheit, den Leuten gerade Riſſe in die Kleider zu machen.

Indeß ſchob er ihr Gnaden der Fraͤulein den Haarkorb mit Miſt und Federn von hinten herauf wieder uͤber den Kopf, ſuchte in allen Taſchen Schnuͤre, die fliegenden Stuͤcke ihrer Robe zuſam - men zu binden, fand aber nichts als einen ziemlich dicken Strick, den er ſonſt zu etwas ganz anderm brauchte, aber er war izt ihr Gnaden der Fraͤulein recht gut, ſie band die fliegenden Stuͤcke ihres Ober - kleids wieder zuſammen, und ſo giengen ſie dann mit einander heim.

§. 18. Von Volks Ausdruͤcken, und von ſeinem wahren Vortheil.

Guter Klaus! da du geſtern zum General ſagteſt, es werde ihr wohl bekommen, wenn ſie den Lohn darfuͤr noch in dieſer Welt erhalte, dachteſt du wohl nicht, daß ſie ihn noch heut erhalten werde, und dann noch auf dem Bonnaler Weg, und von einem Hund?

Und du arme Sylvia! dachteſt auch nicht, daß ein Mezger-Pfiff dich noch vor heut Abend vonE 472deinen Hoͤhen herabblaſen und dahin bringen wer - de, daß du izt nicht einmal mehr ſelbſt an die Traͤume glaubeſt, die dich geſtern noch ſo ſtark aufgeblaſen?

Die arme Sylvia! ſie iſt wie außer ſich ſelbſt, ſie meynt nichts anders als ſie werde wuͤ - tend werden und in wenigen Tagen bellen wie ein Hund, und dann ſterben.

Sie waͤlzt ſich am Boden, und ſchreyt einmal uͤber das andere ich bin gebiſſen, ich muß ſterben ich muß ſterben!

Umſonſt ſagte Aglee, ein ſolches Betragen har - moniere nicht mit ihren Grundſaͤtzen.

Grundſaͤtze ja Grundſaͤtze ich bin ge - biſſen ich bin gebiſſen und muß ſterben! ſagt ſie, und waͤlzte ſich fort.

Es iſt wirklich ſo mit den Grundſaͤtzen er - wiederte Aglee, und legte ihr Kuͤſſen und Tuͤcher an Boden.

Umſonſt ſagte der Schaͤrer die kleinen Ritze, die ſie hie und da habe, ſeyen nicht von den Zaͤh - nen, ſondern nur von den Tatzen des Hunds, und ſie ſey nicht gebiſſen.

Es iſt doch wahr ich bin dabey gewe - ſen, und weiß es gar wohl ich bin gebiſſen 73 ich bin gebiſſen und Morgen, werdet ihr ſehen, bin ich wuͤtend ſagte ſie wieder und wo ihr ein Glas oder ein Becken mit Waſſer ins Aug kam, fuhr ſie wirklich zuſammen, und zitterte, wie wenn ſie die Krankheit ſchon haͤtte. Dieſes machte dem Gene - ralen und der Thereſe ſelber Angſt, aber der Schaͤ - rer ſagte, es habe gar nichts zu bedeuten, die Ein - bildung mache eine kurze Zeit die gleiche Wirkung, wie die Wahrheit, man muͤſſe in ſolchen Faͤllen nur warten und ſezte hinzu wenn ſie izt geſchla - fen, und dann wieder erwachet, ſo iſt das alles vorbey!

Ohne dieſe drey war ſonſt kein Menſch im Haus, der Mitleiden mit ihr hatte; es war faſt nur ein Wort, ſie thue izt wie ein Narr, und habe aber immer ſo gethan. Sie hat keinen guten Men - ſchen Die Dienſte geben ihr ſchon lange unter einander keinen andern Namen, als der Teufel Asmodi. Sie hatten aber fuͤr alle drey ihre Namen die Aglee hießen ſie das Buͤchergeſpenſt, und den Generalen den Hofgriggi.

Das iſt ein unverſchaͤmt Geſindel und von von des Arners Dienſten haͤtt 'ich das nicht erwar - tet, hoͤr' ich ſagen aber halt ein wenig Nach - bar! die Sache hat eine andere Seite. Das Volk druͤckt mit ſolchen Namen ſein Wahrheitsge - fuͤhl aus; und da ihm Bildung, Begriffe, Worte74 und Ausdruͤcke verſagt ſind, die Menſchen nach unſerm Buͤchermodell, und nach unſern Allgemein - heiten zu ſchildern, ſo ſind dergleichen Ausdruͤcke in ſeinem Munde nicht vollends das gleiche, was ſie in unſerm waͤren Pasquillen und Laͤſterworte und ich muß dir ſagen, lieber Nachbar, man thut dem Volk, wenn man in der Ahndungsart ſolcher Worte nicht auf den Unterſchied ſiehet, woher ſie kommen, und einen jeden, dem etwan ein ſolcher Ausdruck an einem unrechten Ort oder zur Unzeit entrinnt, leicht alzuhart ſtraft, unrecht.

Die gemeinen Leute brauchen dieſe Ausdruͤcke unter ſich ſelber alle Tage und ungeſcheut gegen einander, die braͤvſten wie die ſchlechteſten: Es iſt ihre Sprache, ſie haben keine andere, und es kann nicht anderſt ſeyn, es muß ihnen hier und da auch ein ſolches Wort entrinnen, wo es nicht ſollte.

Sie brauchen dergleichen tauſende, ſo bald ſie allein ſind, und allein mit einander reden.

Doch nein ich irre; man ſtrafe ſie immerhin dafuͤr es waͤre unharmoniſch mit ihrer uͤbrigen Fuͤhrung und wider ihren wahren Vortheil, wenn man es nicht thun wuͤrde.

Der Menſch, der das Gefuͤhl der Rechten ſei - ner Natur in ſich ſelber erſticken muß muß auch75 lernen ſein Maul halten. Und es iſt des Volks eigener Vortheil, daß es lerne behutſam ſeyn, vor ſeinen Obern, vor den Knechten ſeiner Obern, und an einigen Orten noch weiter vor den Spionen dieſer Knechten, und dann an andern noch weiters auch vor den Hunden dieſer Spionen das iſt an vie - len Orten der Welt des Volks liebe Nothdurft und die Sach iſt nicht leicht zu aͤndern die Ur - ſache davon liegt in den Finanzen des Staats. Alſo laſſe mans mit dem Maulbrauchen fuͤrs Volk gelten, wie es iſt und goͤnne ihm ferners den Vortheil, daß es lerne ſchweigen.

§. 19. Volks Gefuͤhl in Frevelſachen, und ſeine Folgen auf die Juſtiz.

Das haͤtteſt du nicht von mir erwartet, Leſer! aber es glaubte kein Menſch in dem Hauſe mehr, daß der Hund die Sylvia gebiſſen und wuͤtend ge - weſen ſey der Klaus ſagte dem Generalen viel - mehr, es ſey gewiß, daß er an ſie gehezt worden, und man muͤſſe ſie fragen, wie er ausgeſehen.

Sie antwortete, er ſey entſetzlich groß gewe - ſen, groͤßer als ſie; es ſey ihr izt noch, ſie ſehe ihm in ſeinen Rachen hinunter, ſie habe in ihrem Le -76 ben kein ſolches Gebiß geſehen, und keinen ſolchen Schlund.

Der General erwiederte, das ſey den Hund nicht beſchrieben, ſie ſoll doch ſagen, wie er aus - geſehen, und was er fuͤr eine Farb habe?

Und ſie das koͤnne ſie nicht ſagen er ſey ihr im Anfange weiß vorgekommen, und hernach ſchwarz und es ſey ihr izt, als wenn ſie ihm nur den Kopf und das Maul geſehen habe.

Das war nichts. Der General ſahe wohl, daß es nichts ſey, und minder als nichts aber er fragte doch links und rechts, ob denn auch izt nichts zu machen ſey?

Der Eine rieth 'ihm das, der Andere dieſes die meiſten ſagten ihm, was ſie meynten, das er gern hoͤrte.

Der Schreiber kam mit dem Einſtecken der Schafner mit dem Geld darauf bieten der Schloß - vogt mit dem Herumſchicken der Spionen in den Doͤrfern eine Frau meynte, man muͤſſe auf der Kanzel darauf predigen ſie ſagte, wenn ſich die Pfarrer recht angreifen, und recht darauf druͤcken, ſo koͤnne die Stunde ſo gut ſeyn, daß der Thaͤter auf dem Stuhl ſchwitzen muͤſſe, und nicht zur Kirche hinaus koͤnne, ohne daß man es ihm an - ſaͤhe dann koͤnne man ihn greifen.

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So wurde er vom Pontio zum Pilato gewieſen.

Wers ehrlich meynte, und nicht in den Tag hinein redte, ſagte ihm, es ſey ſchwer zu rathen, und nicht viel zu machen. Der Klaus ſagte das gleiche, und ſezte hinzu, wenn in einem ſolchen Fall die Leute gegen den Beſchaͤdigten kein Mitleiden haben, und einer dem andern ins Ohr ſagt, es ſey ihm recht geſchehen, er habe es ob dem oder ob dieſem verdient, ſo helfe dann das alles, den Thaͤter zu verbergen, und weit die meiſten Bauers - leute machen ſich in dieſem Fall ein Gewiſſen ihn der Obrigkeit zu entdecken, das ſey oben und unten im Land ſo eingewurzelt, daß er Frevel erlebt habe, wo zwanzig und dreyßig Menſchen davon gewußt haben, und doch ſey es der Obrigkeit unmoͤglich geweſen, den Thaͤter herauszubringen; die jungen Burſche haben in ſolchen Faͤllen eine Freude daran, und alles macht ſich eine Ehre daraus zu helfen, daß es nicht an den Tag komme es komme aber gewoͤhnlich am meiſten an Tag, wenn man ſtill dazu thue und ſchweige, und alſo rathe er zu die - ſem.

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§. 20. Herzens Ruͤhrung, und Bekehrungsge - danken.

Aber das war nicht der Sylvia Meynung; da ſie den Tag darauf nach einem langen Schlafe wie - der erwachte, und wie der Schaͤrer prophezeyet, nicht mehr ſchrie ich bin gebiſſen ich bin ge - biſſen erinnerte ſie ſich, daß ſie im Wald pfei - fen gehoͤrt, und fand izt ſelber, der Hund ſey an ſie gehezt worden; aber ſie meynte nun, man ſollte faſt halbe Doͤrfer einſtecken, wenigſtens jedermann, der Hunde halte und pfeife, auch wer ihr feind ſey, und namentlich den Schulmeiſter, der, wenn ei - ner, ſagte ſie heftig, im Stande iſt einen ſolchen Streich anzugeben, ſo iſt es gewiß dieſer. Aber der General wollte nicht in dieſe Nuß beißen. Von dieſem iſt keine Rede, war aufs erſte Wort ſeine Antwort, mit dem Zuſatz, waͤreſt du daheim ge - blieben, oder haͤtteſt jemand mit genommen, wie ich dirs angerathen, ſo wuͤrde dir das nicht be - gegnet ſeyn.

Wollt ihr denn keinen Menſchen fuͤr mich ein - ſtecken laſſen? ſagte Sylvia.

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Keine Katze auf gerathwohl hin erwiederte der General. Er war zornig er hatte ſein moͤglichſtes gethan zu ſehen was zu machen ſey fuͤhlte, daß ſie nicht einmal das verdiene und izt forderte ſie ſolche Unverſchaͤmtheiten.

Wie geſagt, er gab ihr zur Antwort keine Katze auf gerathwohl hin, aber wenn wir auf et - was fußen koͤnnen, ſo kannſt du dir ſelber einbilden, man werde thun was moͤglich iſt Mit dieſem gieng er fort.

Beydes, die Antwort und ſein Fortgehen, ſchlugen ſie nieder. So lange ſie hofte, ſich raͤchen zu koͤnnen, konnte ſie ſich beſitzen; aber izt fieng ſie an zu weinen wie ein Kind, und ſagte, man laſſe ſie ihre Armuth entgelten, und ihr nicht einmal Gerechtigkeit wiederfahren wie dem geringſten Men - ſchen. Sie fiel izt von ihrem Stolz in eine Gat - tung uͤbernaͤchtliche Schwermuth, daß es ſchien, daß ſie ein ganz anderes Menſch waͤre als vorher.

Sie haͤngt den Kopf wie eine Suͤnderin, und fuͤhlt wie eine Buͤßerin, daß ſie nichts in der Welt iſt, und daß ſie nichts darinn kann, daß ſie izt nicht einmal mehr dem verachteten Arner den Tritt kann werden laſſen, den ſie ihm zugedacht.

Mezger-Hund! das danken wir dir! kein Menſch in der Welt hatte ſie noch ſo weit zur Er -80 kenntniß ihrer ſelbſt gebracht. Lohns dir dein Mei - ſter mit Kaͤlberkutlen und mit Schaafsfuͤßen! ich will ihn bezahlen wenn er ſich dafuͤr meldet.

Ich bin ſonſt nicht unbarmherzig, aber ich kanns nicht verheelen, es iſt mir angenehm, ſie vor mir zu ſehen, wie ſie izt da ſizt, und Bange hat ob dem Gedanken, das Geſpoͤtt, das ſie ob der Bon - naler Ordnung habe treiben wollen falle izt auf ſie.

Sie glaubte nichts anders, als im erſten Brief, wenn der Junker dieſe Geſchichte dem Bylifsky ſchreiben werde, ſo werde es nicht fehlen, der Men - zow mahle ſie ihm ab und dann ſtellte ſie ſich vor, was das fuͤr ein Gemaͤhlde geben werde mit den Tuͤchern, die um ſie herumfliegen, und mit dem leeren Kopf, und mit dem Strick, und mit dem Jaͤger konnte ſich ſchon einbilden, wie der Herzog darob lachen werde und dachte dann richtig zu dieſem allem hinzu, wenn er darob lacht, ſo giebt mich der Helidor preiß wie ein Schuhlumpen.

Es preßte ihr den Schweiß aus. Was bin ich denn mehr in der Welt! ſagte ſie izt zu ſich ſelber und huͤllte ſich in die Decke des Betts, wie geſtern der Karl, aber ſie biſſ 'in die Tuͤcher, da er mit denſelben ſich die Augen getrocknet.

Das iſt der Unterſchied.

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Und wenn ſie den Kopf unter der Decke hervor hat ſagt ſie in einem Athemzug ſie wollte, ſie waͤr nicht mehr in der Welt und im gleichen Augenblick zankt ſie mit Aglee, und ſagt ihr, ſie glaube nicht, daß ſie ihr verboten habe mitzukom - men, und wenn ſie ihr verboten habe mitzukom - men, ſo haͤtte ſie nachkommen koͤnnen und murrte ſo was unverſtaͤndliches von Schuldigkeit mit unter.

Aber Aglee, die, wie ihr wißt, es nicht ſo mit ihr verſteht, gab ihr, da ſie das that, zur Antwort, ſie ſolle warten bis ſie ihre fuͤnf Sinne alle wieder bey einander habe, und dann mit ihr reden. Mit dieſem ließ ſie ſie ſitzen.

§. 21. Unter den Voͤgeln iſt der Nachtigall Kla - geton der ſchoͤnſte; aber unter den Menſchen iſt wohl ein jeder anderer Ton beſſer.

Sie gieng hinaus, der Jaͤger gieng hinein, und ſagte, es ſey eine große dicke Bauernfrau im Hofe, die gerne mit ihr Gnaden der Fraͤulein reden moͤchte.

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Aber ihr Gnaden die Fraͤulein hatte izt nicht Luſt mit der Baͤuerin zu reden, obwohl ſie verſtan - den, es ſey juſt die, die ſie geſtern auf dem Spa - tziergang angetroffen. Es war nicht mehr geſtern ſie habe nichts mit ihr zu reden, ſie ſolle nur gehen wo ſie wolle, war izt die Antwort. Der Jaͤger ſagte ihr dieſe Worte. Die Frau aber ſagte zum Jaͤger Iſt etwann das Ungluͤck daran Schuld, das, wie ich hoͤre, ihr geſtern im Wald mit ei - nem Hund begegnet?

Du haſt izt deine Antwort, und kannſt gehen, erwiederte der Jaͤger.

Das wohl das wohl ſagte die Baͤuerin aber ſaget ihr nur noch, es ſey auch nichts, was ſie von mir wollen, in beyden Stuͤcken ſey es nichts. Er gieng noch einmal hinein, und ſagte auch dieſes.

Meinethalben, ſagte Sylvia, gehe alles wie es wolle, und ſezte, da er fort war, hinzu, es be - triegt mich doch alles, und es hilft mir doch kein Menſch ich bin ein armes ungluͤckliches Ge - ſchoͤpf.

Gebe doch Niemand viel auf dieſe Sprach Ach - tung! Sie iſt die mißbrauchteſte und die betrieglich - ſte, die den Staub dieſer Erde befleckt; kaum iſt ſie unter tauſend Faͤllen einmal nicht Unſinn, oder83 Larve. Der Wolf braucht ſie in der Grube, der Fuchs in der Falle, der Eſel, wenn er im Koth ſteckt, und das Faulthier, wenn der Baum, deſſen Blaͤtter es gefreſſen, nun leer iſt, und es ihm Muͤ - he macht auf einen andern zu kriechen.

Aber wer gut bey Sinnen und Gedanken iſt, der redt nicht ſo. Brave Leute klagen wenig wer viel heulet iſt nichts nuͤtz. Ein gutes Herz em - pfindet immer, was es gutes hat, und wer etwas werth iſt, den macht Erfahrung und Ungluͤck beſ - ſer. Was will der Menſch mehr auf dieſer Erde?

Die neue Kopfhaͤngerin hat der Speckmolchin unrecht gethan, ſie hatte ſich auf das moͤglichſte be - fliſſen auszurichten, was ſie ihr zugemuthet, und das in beyden Stuͤcken.

Kaum war ſie heim, ſo ſchlich ſie gegen des Maurers Haus, und ließ es ſich nicht dauren wie ein Affe herumzuſehen, und wie ein Fuͤllen, das an den Hecken Gras ſucht, auf - und abzugehen, bis das Liſeli ſich unter der Thuͤre zeigte, winkte ihm hinter den Schweinſtall, und ſagte ihm, wie die Jungfer im Schloße mit ihm Mitleid habe, daß es ſo geſchlagen worden, und wie ſie ihm etwas recht ſchoͤnes ſchenken wolle, wenn es zu ihr ins Schloß komme.

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Beydes, das Mitleiden und das Geſchenk, ge - fiel dem Kind recht wohl, aber da die Molchin fort - fuhr zu predigen, und der Laͤnge und Breite nach herauszuſtreichen, wie gottlos und unchriſtlich ſeine Mutter mit ihm gehandelt habe, u. ſ. w. roch es dem Kind auf, daß das nicht in der Ordnung ſey; und einsmals, da die Frau meynte, ſie ſey mit ihm in der beſten Ordnung machte es ein veraͤchtliches Maul ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte, die Jung - fer im Schloß mag mir ein Narr ſeyn! meine Mut - ter iſt mir lieb, haͤtte ich mein Maul gehalten, ſo haͤtte ſie mir nichts gethan; mit dem ſprang es fort in ſeine Stube, und die Molchin ſah, daß es aus war, und mußte auch weiters.

An den andern Orten ſchien es im Anfange beſſer zu gehen.

Zwey Weiber verſprachen ihr, wenn es ſo ſey, wie ſie ſage, und ſie die Jungfer im Schloß ſelber darum fragen doͤrfen, ſo wollen ſie ihre Kinder nicht mehr in die Schule ſchicken.

Aber die Kinder, die nicht mehr in die Schul ſollten, fiengen ein Geſchrey an, daß die Leute vor den Fenſtern ſtill ſtunden.

Wohl ließen die Muͤtter ſie ſchreyen

Wohl wollten ſie es auch bey den Vaͤtern er - zwingen, aber ſie bekamen zur Antwort, das iſt nur

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eine Aufwieglung von der Kutſchenfahrerin, um ihrentwillen machen wir keine Aufruhr mit unſern Kindern.

Selbſt ihr Mann wollte es nicht thun, und da ſie mit der Jungfer im Schloß kam, gab er ihr zur Antwort, die Jungfer im Schloß iſt die Jung - fer im Schloß, und du biſt der Eſel im Dorf; mit dem mußten ſeine Kinder, wie die andern, den folgenden Tag auch wieder in die Schule.

Ihrer etliche ſagten bey dieſem Anlaß, es iſt heut gut, daß der Vater Meiſter iſt.

So giengs der Speckmolchin geſtern und izt, da ſie es izt auch ihrer Jungfer im Schloß klagen wollte, war ſie abgewieſen.

Heute hatte ſie nur mit Niemanden nichts mehr von ihr reden doͤrfen.

Der Grund iſt der General hatte jeder - mann geklagt, es ſey ſo uͤbel, daß ſie nicht wiſſe wie der Hund ausgeſehen, und erzaͤhlte einem je - den alle Worte, die ſie daruͤber geredt.

Und wie ein Lauffeuer gieng izt von Mund zu Mund, er ſey ihr zu erſt weiß vorgekommen, und her - nach ſchwarz, und ſie habe nichts an ihm geſehen, als den Kopf und das Gebiß und einen erſchreckli - chen Schlund; es brauchte nicht mehr, von Dorf zu Dorf herumzubringen, der Hund ſey kein natuͤr -

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licher Hund geweſen, ſondern durch Zulaſſung Got - tes ein erſchreckliches Strafgericht vom leidigen Satan, das ſie aber auch ob dem Michel verdienet habe.

Auf das hin, denket ihr wohl, es haͤtte die Molchin gewiß von ihrer Jungfer geſchwiegen.

§. 22. Wie verſchieden die Aeußerungen gleicher Eindruͤcke bey den Menſchen ſind.

Aber Arner war immer kraͤnker, mit jedem Abend war das Fieber ſtaͤrker, und mit jedem Morgen ſeine Schwaͤche groͤßer.

Mit jeder Stunde ſtieg die Jammerverwirrung des Schloſſes.

Du lieſeſt auf allen Geſichtern Furcht und Schrecken Bangigkeit iſt in aller Augen druͤ - ckende Angſt preßt alle Lippen die Stunden waͤh - ren Jahre, die Tage Ewigkeiten, und die Naͤchte haben kein Ende.

Ohne Schlaf und ohne Speiſe wartet ihm Thereſe ab. Ohne Schlaf und ohne Speiſe ſteht der Karl wie ein Verwirrter umher, und faltet in

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Winkeln und Ecken die Haͤnde, und bethet mit ſei - nen Schweſtern auf den Knien.

Der Rollenberger kann ſie nicht mehr lehren, er weißt oft nicht was er redt.

Gedruͤckter, als ſie alle, iſt noch der General.

Er hat 70 Jahre hinter ſich, und vielleicht nicht zwey Naͤchte hinter einander nicht geſchlafen, und vielleicht keinen Tag ohne Zerſtreuung verlebt Kummer und Sorgen ſind bey ihm immer in Minuten leichter Kuͤrze vorbey gegangen. Izt hat er ſchon vier ſchlafloſe Naͤchte und vier ruhloſe Tage nur einen einzigen Gedanken, nur eine ein - zige Empfindung in ſeiner belaſteten Seele. Er nimmt an Fleiſch und Farbe mehr als der Kranke im Bett ab, meynt es ſey nichts anders, Arner muͤſſe ſterben, kann nicht aufhoͤren zu denken, er ſey die Schuld daran, und glaubt, er ſterbe ihm bald nach.

In dieſem Zuſtand flieht er Sylvia, wo er ſie ſieht. Und da Thereſe ihrer Schwermuth hal - ben Mitleiden zeigte, gab er zur Antwort, ſie hat das Haus angezuͤndet, izt ſchalket ſie noch.

Sie gieng umher wie der Schatten an der Wand, zog den Athem, daß man ſie von weitem hoͤrte; ſtellte ſich vor, es ſey ihr izt alles gleich, und es moͤge kommen wie es wolle, ſo ſey ſie im -

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mer verloren; und ſagte oft, ſie moͤchte nur wuͤn - ſchen, daß ſie nichts mehr ſehen, nichts mehr hoͤ - ren, und nichts mehr denken muͤßte auch ſuchte ſie zu ſchlafen wo ſie konnte, und und trank von ſtarken Sachen und Gewuͤrz, was um den Weg war, und ſo tief ſie den Kopf haͤngte, kaͤute ſie doch immer etwas mit dem Maul: aber auch izt meynte ſie noch nicht, daß ſie unrecht habe, und glaubte, Arner habe ſein Schickſal, das ſie minder bekuͤmmerte als eine Floh, ſeinen Narrheiten zu danken.

Die Dienſte im Haus waren uͤber ſie aufge - bracht, daß ihrer viele nicht wußten, was ſie tha - ten, wenn ſie um den Weg war. Die Kuͤchenmagd warf allemal, wenn ſie ſie ſah, was ſie in den Haͤn - den hatte, an den Boden. Es haͤtte einen Wink gebraucht, ſie haͤtten ſie uͤber alle Mauren hinab - geworfen, und den Jaͤger in Stuͤcke zerriſſen.

Sie waren eigentlich wild uͤber Arners Krank - heit, oder vielmehr uͤber ihre Urſachen.

Der Huͤnerbub warf dem Tuͤrk Maͤuſegift dar, und ſagte, du muſt mir auch nicht mehr leben, du biſt auch ſchuldig; und als er beym Stall ſchon verreckt da lag, ſo ſtieß der Kuͤher dem Aas noch die Miſtgabel in den Leib, und ſagte, wenn ich ſie dem rechten Aas in den Leib hineinſtoßen doͤrfte, ich wollte anderſt ſtoßen.

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Die guten Leute aßen uͤber dieſe Zeit blos fuͤr den Hunger, ſtunden im Augenblick wieder vom Tiſch auf, damit ſie nicht lange neben des Gene - rals Dienſten ſitzen muͤſſen, und nahmen das Brod, das ſie nicht bey Tiſch aßen, mit ſich in dem Sack fort; und da des Generals Dienſte ſie fragten, warum ſie ſo unfreundlich mit ihnen ſeyen? und ſagten, ſie wiſſen doch nicht, was ſie ihnen zu Leid gethan, bekamen ſie zur Antwort, es ſey ihnen izt nicht um reden, ſie ſollen ſelbſt unter einander re - den, es ſeyen ihrer genug, und ſie gehoͤren zuſam - men.

Der Klaus aber, der in ſolchen Faͤllen kein Blatt fuͤr das Maul nahm, ſagte, er habe nichts wider die andern, aber es ſey einer unter ihnen tauſend und tauſend ſeyen am Galgen verfault, die nicht den zehenden Theil ſo viel Schlimmes gethan haben als er und neben dieſem, muͤſſe er geſte - hen, ſitze er nicht gern lange am Tiſch.

Die andern ſagten, er ſolle dem Kind den Na - men geben, und ſagen, wen er meyne?

Ich meyne den, antwortete der Klaus, der dem Michel den Hund angehezt, und uͤber den Lieu - tenant Sachen geredt, die den Junker ins Bett gebracht, und wer weiß wohl, ob nicht noch ins Grab!

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Der Jaͤger wollte das nicht leiden, und gieng auf der Stelle es dem General zu klagen, aber dieſer ſagte ihm, man hat izt anders zu ſchaffen als mit dir und da er nicht ſchweigen wollte, und immer vom Klaus redte, antwortete er, komm mir nicht mit dem Klaus ein ganzes Regiment Schlingel wie du, hat keinen Tropfen ſo ehrliches Blut wie der alte Mann die Haut voll hat und geh mir nur aus den Augen. Er mußte gehen und gieng zur Sylvia klagte dann dieſer, wie er durch ſie in dieſes Ungluͤck gekommen, und wie ihm ſein Herr weder Hilf noch Rath ertheile!

Was willt du reden? Er macht es dir dann nur wie auch mir er haͤtte nur keine Katze um meinetwillen eingeſteckt antwortete Sylvia.

Dann beſann ſie ſich wieder, daß ihr izt an allem nichts gelegen und ſagte, was geht das mich an! da haſt Geld Geld iſt fuͤr alles aber plag mich mit nichts ich will nichts von allem mehr wiſſen.

Sie ſagts der Jaͤger ſchiebt die Thaler in den ehrloſen Sack Aglee geht aus der Stube und iſt nicht ſo bald vor der Thuͤre, ſo ſagt Sylvia dem Jaͤger, du haͤtteſt es dieſer ſagen koͤnnen, wie mir ſie iſt ſchuldig wie ich.

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Aber was haͤtte ich davon, wenn ich es thun wuͤrde? Sie wuͤrde mir keinen faulen Vierer an den Schaden geben, erwiederte der Jaͤger. Syl - via ſagte, du haſt recht und Aglee hoͤrte vor der Thuͤre, was ſie ſagte.

§. 23. Unſterblichkeit und Wahrheit. Deutſchland und Aſien.

Im Sturm dieſer Verwirrung war Arner allein ruhig. Das Fieber, das ihm ſeinen Kopf frey ließ, gab ſeiner Einbildungskraft eine Stimmung, die ihn bey Stunden wie in einem Traum erhielt, in welchem ihm wohl war.

Er ſtaunte in dieſem Zuſtand zuruͤck in ſein Leben, alles Thun der Menſchen ſchien ihm ein Spiel, das nicht ſo faſt um ſeiner Wirkung willen, als um die Kraͤfte des Menſchen in Uebung zu er - halten, und deſſelben Anlagen zu entwickeln, eini - gen Werth habe.

So ſah er ſein Werk in Bonnal an; es freute ihn, daß er ſich darnach beſtrebt, aber das Uebrige war ihm izt nichts, und die Bilder des Todes und der Ewigkeit waren ihm ſo lebhaft und reizend,

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daß er oft mit einer Art Sehnſucht beym Stun - denſchlag zu ſich ſelber ſagte, wann izt die Uhr noch ſo und ſo manchmal ſchlagt, ſo bin ich dann dort! Er ſagte ſo gern, das Leben duͤnke ihn nichts und da er einmal ſah, daß es Thereſe wehe that, ſagte er zu ihr kraͤnke dich doch nicht daruͤber, daß ich das ſage, Geliebte! die Ueberzeugung, daß das Leben nichts iſt, iſt mir Ueberzeugung der Un - ſterblichkeit! und ſezte hinzu, Fleiſch und Blut koͤnnen nicht glauben, daß das Leben nichts iſt, vom Wurm hinauf bis zum Menſchen iſt ihnen das Leben alles. Er hielt ſeinen Tod fuͤr gewiß, und nahm am fuͤnften Tage von allen Abſchied es war ihm dieſen Morgen leicht ums Herz.

Die Sonne gieng ſchoͤn auf, er ſah gegen ſie hin, und ſagte zu Thereſe, ſie ſtehet auf zu ihrem Tagwerk; ſuchte dann mit Worten, denen er Stun - den lang nachgedacht, ihre gute Seele zu der Noth - wendigkeit des Seinigen vorzubereiten.

Sie faßte ihre Kraͤfte zuſammen und er ſchien ſo ruhig und ſagte ſo herzlich, ſo manch - mal, und ſo heiter, es ſey ja nur zur Vorſorge, daß ſie heute minder litte, als an einem andern Tage.

Er redte zuerſt von ſeinen Kindern, drang auf die Fortſetzung einer einfachen haͤuslichen Arbeits -93 Erziehung, als auf das beſte Mittel, dem Schwin - delgeiſt, und der Anmaßungsſucht unſerer Zeit und ihren Folgen bey den Menſchen vorzubeugen.

Er ſagte, der Verſtand bildet ſich am beſten bey Geſchaͤften, weil ſich aller Irrthum, und alles Verſehen bey denſelben ſo viel als auf der Stell zei - get, und Gottlob fuͤr das menſchliche Geſchlecht zei - gen muß; da man hingegen in Meynungen und Buͤcherſachen einander ganze Ewigkeiten hindurch die Worte im Mund umkehren, und wieder um - kehren kann.

Eben ſo behauptete er, bewahre die trockene, kalte, ſchwerfaͤllige, und auf der Nothwendigkeit ruhende Natur der Geſchaͤftswahrheit, das Herz der Menſchen vor Geluͤſten nach dem Sommervo - gelleben unſerer Zeit, und vor dem Hang gleich dieſen Wuͤrmern mit Goldfluͤgeln auf dieſer Erde wie auf Blumenbetten herum zu flattern und herum zu ſchmachten.

Liebe deutſche Frau! ſagte er, die Reichen und die Hofleute, und das Haͤpfengeſchlecht der Staͤdter, die ſie verderbt, naͤhern ſich in ihrem In - nern und Aeußern immermehr den ſchwachen Ge - ſchoͤpfen aus den heißen Erdſtrichen; Geſichter, Stellungen, Kleidungsarten, die ſogar mit den verunſtalteten Figuren auf dem Chineſiſchen Por -94 zellan auffallende Aehnlichkeit haben, werden immer gemeiner; man ſucht immermehr fuͤr die thieriſche Vegetation die Reize dieſer Erdſtrichen zu erzwin - gen, und die ſtarken weichen Genießungen, die uns unſer Klima verſagt hat, wenn wir an der Luft le - ben, in das Innere unſerer Zimmer zu bringen, wo man mit Geld eine Luft machen kann, wie man ſie haben will daher die Naͤherung unſerer Ge - muͤthsſtimmung mit den ſchwachen Laſtern und Thorheiten der heißern Gegenden daher das in unſerer Zeit auffallende Steigen des Aberglaubens, der Rentes viageres, der Lottos, der Bleichſucht, des vielartigen Kindermords, des Hautgouts in unſern Meynungen, und die allmaͤchtige Ehrerbie - tung fuͤr alles was außen fix und innen nix iſt daher die tauſend ſonderbaren Auftritte unſerer Zeit daher die ſchwaͤrmeriſche Religioſitaͤt deſpotiſcher Menſchen daher die Neigung zum Bilderdienſt, und zu ſinnlichen Vorſtellungsarten von Gott dem Herrn, der ſeinem Volk ſo gar in heißen Laͤndern ſolche Vorſtellungsarten verboten daher die Ge - walt geheimer Verbindungen, und des Glaubens an Menſchen, die ihre wichtigſten Verſprechen nicht halten daher das freche Steigen aller Charla - tanerieen, ſo gar das laute Ruͤhren der Zauber - trommel das alles hat den eigentlichen Feuer - heerd, wo es ſeinen Gift kochet, in der Naͤherung des Innwendigen der vornehmen und reichen Haͤu - ſer, gegen den aſiatiſchen Zuſchnitt.

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Kaltes Waſſer, liebe deutſche Frau! zum trin - ken und baden, und alle Jahr einmal zur Probe viermal mit den Kindern, am Maytag auf unſern Hackenberg hinauf und hinunter und Garten, Kuche und Keller und lieber Rollenberger! der gute Bauerngewerb, und das Einmaleins, und die Mathematik dazu, das erhaltet in Buben und Maͤd - chen deutſches Blut, deutſches Hirn, und deutſchen Muth. Gottlob! Es iſt mir fuͤr meine Kinder, wie wenn das alles nicht in der Welt waͤre.

§. 24. Der chriſtliche Junker; eine Kloſterge - ſchichte aus der Ritter-Zeit.

Er haßte die Schwaͤrmerey, und empfahl auch in dieſem Geſichtspunkte der Thereſe die Geſchichte des alten Ahnherrn, der noch auf ſeinem Schloßgut ſelber pfluͤgte, und den weit und breit alles den chriſtlichen Junker nannte, weil er gerecht war, ſeinen Bauern ein harmloſes, ſicheres und vergnuͤgtes Leben verſchafte, und das Kloſter Him - mel auf dem Boden eben machte.

Seine Vorfahren hatten daſſelbe geſtiftet; aber den vergabten Bauern große und wichtige Rechte96 vorbehalten, namentlich daß ſie vom Kloſter zu ewigen Zeiten nicht anderſt doͤrfen angeſehen und behandelt werden als die uͤbrige Angehoͤrige der Herrſchaften der Herren von Arnburg, mit Zuſiche - rung ihres und ihrer Nachkommenden pflichtmaͤßi - gen Schutzes; aber da die Stifter die Augen zuge - than, und das Kloſter ſeine offen behalten, verlo - ren die Bauern ein Recht nach dem andern. Die Ehrwuͤrdigen Herren wollten bald von keiner Ver - gabungsbedingniß mehr wiſſen, und behandelten die Bauern unbedingt als des Kloſters eigne bloße Gnadenleute; als nach hundert und fuͤnf und ſie - benzig Jahren der chriſtliche Junker unter den Pa - pieren ſeiner Ahnen die eigenhaͤndig vom Stifter ge - ſchriebene Vergabungsbedingniſſe wieder vorfand, und den Tag darauf dann den beeintraͤchtigten Leu - ten durch den Weibel in ſeiner Farb einen Schutz - und Schirmbrief gegen die Eingriffe dieſes Klo - ſters zuſtellen ließ.

Wenn er das Mariabild ab ihrem Altar haͤtte wegtragen laſſen, die Patres waͤren kaum ſtaͤrker zuſammen gelaufen, als ſie izt zuſammen liefen; ſie proteſtirten zu erſt, und thaten dergleichen, als wenn ſie alle Papiere in ihren Archiven durchſuch - ten, und verſicherten heilig, daß ſie keine Spur von einer Verkommniß faͤnden, die dem Ritter ein ſolches Recht ertheile.

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Er trug mit deutſcher Treu des Vaters Schrift ins Kloſter; aber es war als wenn ihn die Patres flohen. Es zeigte ſich ein einziger hagerer langer, den er nicht kannte der Ritter gab ihm die Schrift der Pater laſ ſie, buͤckte ſich tief, und ſagte mit der Hand auf der Bruſt Ihr Hoch - wuͤrden und Gnaden, der Abt, und ein howuͤrdiges Konvent, werden die Schrift reiflich bedenken.

Aber uͤber 8 Tage wollte Ihr Hochwuͤrden und Gnaden der Abt und ein hochwuͤrdiges Kon - vent nichts von der Schrift wiſſen.

Der Ritter ſtand da wie Loths geſalzenes Weib, die Patres ſtoben und flohen von ihm weg, kreuzigten ſich, wenn er nur wieder zur Pforte hinaus waͤr.

Der Ritter gehet die Halle auf und nieder; in einer Ecke an dem dunkelſten Orte erſcheint ihm wieder der lange hagere Pater; es war ihm er ſehe ein Geſpenſt in dem Dunkeln des Gangs, er buͤckte ſich wieder ſo tief, hielt die Hand wieder auf die Bruſt, und ſagte zum Ritter: Er ſolle in Gnaden verzeihen, ſeine Hochwuͤrdigen Obern koͤnnen ihm dieſe ganz unſtatthafte, ſiegelloſe und nichtsbewei - ſende Schrift um ſeiner Seele Heil willen nicht wie - der zuruͤckſtellen, indem dieſelbige den wunderthaͤ - tigen Gnadenſitz ihres Kloſters widerrechtlich bekuͤm -G98mere, und ihre Bauern zu aufruͤhriſchen, laͤſterli - chen Worten und Handlungen gegen daſſelbe ver - fuͤhre, mit dem Zuſatz: daß das alles auf ſeine, des Ritters Seele fallen wuͤrde, wenn er fortfahren werde, ihre Unterthanen mit einer ſolchen falſchen Schrift ferner gegen ihre leibliche und geiſtliche Ob - rigkeit aufzuwiegeln. Der Pater ſagte es, und war 'in ſeine Hoͤhle verſchwunden Er that wohl der Ritter grif nach ihm eben da er ver - ſchwand; aber er ſtieß ſich den Kopf an lief dann wie wuͤtend zu ſeinen Pferden, ſaß wieder auf, und ſagte im Reiten Ha meines Vaters Schrift eine falſche Schrift! von ihnen die ſein Brod eſſen; gut, daß das H .... ch mein iſt, Großvater hat es Gott gegeben, nicht Sch ... n dann zog er aus, machte das Kloſter Him - mel auf dem Boden eben, nahm ſeine Bauern und ſein Land wieder zu ſeinen Handen, und ſtiftete zur Ruhe ſeiner Seele ein ewiges Allmoſen, groͤſſer als der Werth des Eingezogenen, ſchrieb an den Biſchof was er gethan habe, und weil er des Kaiſers Freund war, kam er nicht in den Bann.

Der Meyerhof, der an dem Ort ſteht, wo das Kloſter geſtanden, heißt izt noch der Himmelhof, und ſeine naͤchſte groſſe Matte, die Himmel - matte. Es waͤchst herrlicher Klee auf der Mat - te, zwanzig auserleſene Kuͤhe weyden auf ihr, und izt ein einziger Ochs.

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§. 25. Grundſaͤtze zur Bildung des Adels.

Zoͤrnet es nicht, gute Kloͤſter! ihr ſeyd nicht allein diejenige, welche etwann zu Zeiten die Gewalt ge - gen das Volk mißbraucht, und ihm etwann zu Zei - ten eine Schrift hinterhalten habt, die euern Finan - zen im Wege ſtund, ſelber die Nachkommen des chriſtlichen Ritters haben Jahrhunderte lang aus der Lebensgeſchichte dieſes Ritters, ihrem aͤlteſten Familienſtuͤck, ein Geheimniß gemacht, weil die Rechte und Freyheiten, die er ſeinen Bauern gege - ben, alle darinn aufgeſchrieben waren, und ſie eben ſo wenig als die Patres im Himmelauf, Lumpen - bauern gerne Treu und Glauben hielten, und ihnen Jahrhunderte durch eben ſo wenig behagte in die - ſem Buche zu leſen; die einfaͤltige, gutmuͤthige und unverfaͤngliche Art, mit der er mit ſeinen Bauern umgieng, wie er allem Streit vorbog, und haupt - ſaͤchlich, wie wenig er zu ſeinem Edelmanns Auf - wand, nach ſeinem Ausdruck, von dem Brod ſeiner Bauern abſchnitt, und dabey ſein Haus doch aͤuf - nete, wie kein Edelmann ſeiner Nachbarſchaft, und daſſelbe weit uͤber diejenige emporbrachte, die un - geſaͤttigt vom Brod ihrer armen Leuten, noch ſie ſelber aufaßen.

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Dieſes alte Denkmal ihres Hauſes empfahl Arner der Thereſe zum erſten Lehrbuch ihres Karls, mit den Worten: praͤg ihm fruͤh die alte Lehre ein, die Mittel, durch welche ſein Haus gegruͤndet wor - den, werden auf immer die beſten ſeyn, es auch zu erhalten.

Dann ſezte er den Karl zu ſich auf das Bett, und ſagte ihm, er ſolle ſeiner Lebtag daran denken, daß ſein Vater ihn izt, da er nicht wiſſe, ob er noch mehr leben werde oder nicht, ſo zu ſich auf das Bett genommen, und ſo in den Haͤnden ge - habt, und ihn gebethen habe, daß er ſo ein chriſt - licher Junker werde wie der Großvater, und ſeiner Lebtag nie ſuche zu ſchneiden, wo er nicht geſaͤet und ſeiner Lebtag nie ſeine Doͤrfer und ſeine Bauern unbeſorgt und ungeleitet ſich ſelber und dem blinden Gluͤck uͤberlaſſen, und ſo verwahrloſen wolle, daß die armen Leute aufwachſen und werden muͤſſen wie herrenloſes Geſindel.

Dann that er das alte Buch auf, zeigte ihm zuerſt die Figuren und Gemaͤhlde, die darinn ſind und dann die Rechnungen und ſagte, Karl! wir ziehen izt, wo der Großvater einen Gulden aus dieſen guten Doͤrfern bezogen, mehr als zehen, und duͤnkt es dich nicht auch, wir waͤren keine ehren - veſte, rittermaͤßige und chriſtliche Edelleute, ſondern vielmehr unedelmuͤthige, unchriſtliche und harte101 Judenleute, wenn wir uns weniger Muͤhe geben wuͤrden, dieſen guten Leuten zu einem vergnuͤgten, ſichern, harmloſen Leben zu verhelfen, als er in ſeiner Zeit und in ſeinen Umſtaͤnden ſich Muͤhe da - fuͤr gegeben! Uebrigens, ſezte er hinzu, thun wir, was wir ihnen thun, nur uns, und eine jede von dieſen fuͤnf hundert Haushaltungen muß uns, wenn wir auch auf nichts als auf unſern Nutzen ſe - hen wollten, immer in dem Grade viel werther ſeyn als wir wohl fuͤr ſie ſorgen, oder welches gleich viel iſt, als ſie wohl ſtehet und in der Ordnung iſt. Glaube mir das, dieſe drey Stuͤcke gehoͤren unzertrennt zuſammen.

Dann wandte er ſich an den Rollenberger und ſagte ihm, fuͤhren Sie ihn doch fleißig und immer zu allem Schweiß und zu aller Muͤhe dieſer Leute, und rechnen Sie ihm anhaltend und umſtaͤndlich aus, wie wenig ihnen in allen Theilen ihrer Wirth - ſchaft und ihres Erwerbs reinen Vortheil uͤbrig bleibe, und machen Sie ihn doch nie vergeſſen, daß der reine Ertrag der Wirthſchaft ſeiner Leute und ihr Hausgluͤck der einzige ſichere Maaßſtab ſey, wie weit er fuͤr ſich und ſeine Unterthanen wohl regie - ren werde!

Dann kam er auch auf die Ruhmſucht unſers Zeitalters, und ſagte, er ſey ſo froh, daß er unter ſeinen Haͤnden unmoͤglich koͤnne ruhmſuͤchtig wer -G 3102den; aber hingegen, fuhr er fort, guter, beſchei - dener Mann! muß ich euch ſagen, machet auch daß er anderer Leuten ihrer Ruhmſucht nie Bock ſtehe (aufhelfe, unterſtuͤtze) und ohne Furcht ihn damit zu verderben, ſagte er in dieſem Augen - blick zu ſeinem Karl, flieh du deiner Lebtag die Leu - te, die du von unten auf ſehen muſt, ſie ſind nicht fuͤr dich und werde du keines Menſchen Knecht! er redte aber nicht blos von der Knechtſchaft des Leibs, ſondern auch von der Knechtſchaft des Geiſts und ſagte bald darauf uͤber das Brod, um deßwillen der Menſch ſeinen Leib in die Knecht - ſchaft giebt, iſt der ſtaͤrkere Meiſter, aber ein See - lenknecht hat nicht einmal des Leibes Nothdurft vor - zuwenden glaub du nie, daß einer alles wiſſe es iſt das Loos des Menſchen, daß die Wahrheit keiner hat ſie haben ſie alle, aber vertheilt und wer nur bey einem lehrt, der vernimmt nie, was die andern wiſſen.

Einen Augenblick darauf ſagte er, es iſt eine boͤſe Zeit mit der Wahrheit, es meynt ein jeder ſein Traum ſey dieſelbe, und ein jeder will ſeinen Traum aufs Hoͤchſte hinauftreiben und brauchte dann hieruͤber den Ausdruck eines Manns, der, indem er ſich ſelber zerreißt, aus dem Menſchen mehr zu machen als er auf der Erde ſeyn kann, Goldkoͤrner und Diamanten von Menſchlichkeit, Seelengroͤße und Weisheit auswirft, die, wenn der Wurm der103 Zeit das Richtige ſeiner Meynungen wird zernagt haben, wie er das Richtige der Meynungen aller Menſchen zernagt, noch Goldkoͤrner und Diaman - ten ſeyn werden, und die, wann einſt die Zauberli - nien die Welt im Menſchen mit Gott, und im Men - ſchen ohne Gott zu vertheilen, und ſie vor der Zeit in zwo Heerden zu ſoͤndern in ihre Beſtandtheile aufgeloͤſt, und die Zahl und die Namen der Stuͤr - mer dieſer Linien, wie die Zahl und die Namen ih - rer Vertheidiger vergeſſen, und der Reiz ihres Blendwerks auch von ſeinen Augen wird wegge - fallen ſeyn, ihm noch den Dank unſers Geſchlechts und die Aufmerkſamkeit der Nachwelt ſichern wer - den. Er ſagte nemlich zum Rollenberger mit Lavaters Worten, ſorgen ſie, daß mein Kind nie an keine Allgemeinheiten glaube, die nicht ir - gendwo in einem Individuo in der Welt wirklich exiſtiren.

Den General, der vor ihm zu faſt in Thraͤnen vergieng, zu beruhigen, ſagte er, er ſoll doch nicht glauben, daß ſeine Krankheit nicht ſchon lange in ihm gelegen ſey, und berief ſich auf den Pfarrer von Bonnal, der ihm bezeugen werde, er habe ſie ſchon vor Monaten voraus geſehen, und mit ihm ſchon damals auf dem Bonnaler Riedt auf den Fall ſeines Todes Einrichtungen und Abreden getrof - fen.

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Mit dem Pfarrer redete er von der Unſterblich - keit der Seele, und ſagte, das Leben und Leiden Chriſti ſey ihm ein groͤßerer Beweis davon, als ſeine Auferſtehungsgeſchichte; und die Gewißheit, daß der Menſch den ſtaͤrkſten Trieben ſeiner Natur entgegen handeln und fuͤr andere leiden und ſterben koͤnne, um ſich beſſer, groͤßer und vollkommner zu fuͤhlen, als wenn er das nicht thun wuͤrde, ſey ihm ein groͤßerer Beweis der Unſterblichkeit, als alles, was man davon ſagen koͤnne.

Der Lieutenant litt mehr, und ſaß niederge - ſchlagener da, als am Abend der Schlacht, da er ſein Bein verloren, und Stunden lang Niemand fuͤr ihn da war, ihn zu beſorgen.

Arner ſagte ihm, ſeyd ein Mann! wenn unter uns beyden einer ſterben muß, ſo iſt es beſſer ich ſterbe. Ihr kommet ohne mich fort, aber ich wuͤrde ohne euch nicht fort kommen Gott ſteh euch bey! Wann ich ſterbe, ſo iſt Bylifsky euer Freund, und ihr bleibt der Freund meines Hauſes und meiner Doͤrfer!

Der Pfarrer litt minder; gewohnt am Tod - bette der Menſchen nur das Druͤckende ihres nichti - gen zu Grundgehens, und ihres ſeelenloſen Ausloͤ - ſchens zu ſehen, war ihm auf eine Art wirklich wohl um Arner.

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Nur erſt da er von ihm fortgehen und wieder allein laſſen mußte, uͤbernahm ihn die volle Gewalt des Schmerzens. Die Vorſtellung von ſeinem Ver - luſt und dem Verluſt ſeiner Gemeinde, und den Hofnungen, die er geſchoͤpft und dem Zuſtand, dem ſie kaum halb entronnen, und in welchen ſie izt wieder hinabſinken das alles brachte ihn dann am Abend, da er wieder allein war und die Nacht durch faſt in Verzweiflung.

§. 26. Viele Menſchen wuͤnſchen Arner den Tod.

Arner fuͤhlte ſich dieſen Abend entkraͤftet, und mußte allein ſeyn. Sein Fieber ward wieder ſtaͤr - ker, und er traumte in ſeiner Hitze uͤber das nichti - ge Schickſal der Menſchen

Am Morgen lag er in einer Todes-Ermattung. Sein Athem war kurz ſeine Glieder erkaltet und alle Zeichen der aͤußerſten Entkraͤftung ſtiegen auf das Hoͤchſte. So verließen ihn der Pfarrer und der Lieutenant, und fuhren auf Bonnal.

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Das Volk des Dorfs, das aus allen Haͤuſern herzuſtroͤmte zu fragen, wie es ſtehe? ſahe ihre Au - gen ausgeweint, und ihre Geſichter entſtellt wie tief kranker Leuten und verſtund ihre Antwort, ehe ſie redten, ſie machten aber auch ſelber wenige Hof - nung. Viele Kinder weinten laut, und viele alte Leute, welche die Kinder weinen ſahen, weinten mit und es war in dieſem Augenblicke unter dem Volk nur Eine Stimme: Wenns doch nur Got - tes Wille waͤr, daß Er wieder aufkommen wuͤrde!! Er ſey ein ſo braver Herr! und ein jedes wußte in dieſem Augenblick etwas Liebes und Gu - tes zu erzaͤhlen, das er ihnen und den ihrigen erwieſen.

Aber nur eine Stunde hernach war es ſchon nicht mehr vollends ſo

Sie achteten ihn izt alle ſo viel als todt. Sie hatten es von des Pfarrers Knecht, der auch im Schloß war, ſelbſt gehoͤrt, daß man ihm die - ſen Morgen ſo viel als auf das Ende gewartet ha - be. In dieſem Glauben giengen ſie von der Kut - ſche weg; und als ſie heimkamen, ein jedes in ſeine Stube, und anfiengen auch denen zu erzaͤhlen, die daheim geblieben waren, und die Menge der wei - nenden Kinder, und die entſtellten Geſichter des Pfarrers und des Lieutenants nicht mehr vor ih - ren Augen hatten und der erſte Eindruck der107 Neuheit und des Theilnehmens vorbey war waren die Leute bald da daß ein jeder, juſt ſo wie ihm ſein Kopf ſtund, und wie ihm ſein Herz ſchlug, ſich dieſe oder jene Gedanken machte, und dieſe oder jene Vorſtellungen hatte, wie es dann auch kommen werde, wann er todt ſey?

Und ſchneller als der Faden der Spinne, ent - ſpannen ſich in den Koͤpfen der Leute die ſonder - barſten Gedanken und reger als das Kroſſeln vieler Krebſe in einem Kratten regten ſich in ihren Herzen die ſonderbarſten Begierden, und verdeck - ter als hinter Buſch und Schilf und unter den Halmen des Roggens ein Ausreißer da liegt, zit - tert ſich zu zeigen, und doch immer weiters vorruͤckt wohin er zielet, ſo ſteckte hinter dem Spinnen der ſonderbaren Gedanken, und hinter dem Regen der ſonderbaren Begierden ein abſcheulicher Wunſch, der ſich zitterte zu zeigen, und doch immer weiter vorruͤckte, wohin er zielte.

Wer etwas gerne gehabt haͤtte, und weil er lebte, nicht dazu kommen konnte, der dachte, ich komme dann dazu.

Wer etwas nicht gerne ſah, oder nicht gerne hatte, und nicht aͤndern konnte, weil er lebte, der dachte, es hoͤrt dann auf.

Das war der Anfang dann kamen ſie wei - ter zu denken in Gottes Namen, er iſt auch ein108 Menſch, und muß auch ſterben wie ich und wie alle andere ich kann ihm nicht helfen.

Andere druͤckten ſich ſo aus es ſcheint doch, es koͤnnte noch kommen, wie der Jaͤger es geſagt hat, daß die alte Ordnung vor dem andern Jahr wieder Meiſter werden muͤſſe.

Wieder andere es iſt ein Laͤrm, wie wenn ein Koͤnig ſterben wollte! zulezt wird kein Pflug ſtill ſtehen, wann er nicht mehr iſt.

So wurden die Gedanken nach und nach im - mer haͤrter und ſchlechter, und hie und da floß ſo gar ein Wort, ich will es dem oder dieſem denn auch zeigen, wann es ſo kommt.

Die Vorgeſezten hatten es ihm nichts weniger als vergeſſen, daß ſie mit dem Hut in der Hand, und auf den Knien ihre Armen um Verzeihung hatten bitten muͤſſen und von denen, die Geißen von ihm hatten, dachten nicht wenige, ſie muͤſſen ſie ihm dann nicht mehr bezahlen.

Mit jeder Stunde ſagten ihrer mehrere, es wuͤrde einmal viel wieder anderſt kommen, und anderſt werden, wann er todt waͤre; und die ſo es ſagten, hatten ſicher alle in dem oder dieſem Stuͤck einen Grund, warum ſie es ſagten, und wa - rum ſie es wuͤnſchten, und ſagten es ſich nur um deßwillen, weil ſie es wuͤnſchten.

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Aber der Menſch iſt in ſolchen Faͤllen gar hoͤflich mit ſich ſelber, und glaubt nichts weniger als et - was dergleichen von der ehrlichen Chriſtenhaut, in der er ſteckt, und die er ſo wohl kennt. So iſt es in aller Welt, ſo war es auch hier. Dem Schlimmſten traumte es nicht, daß er das wuͤnſche, oder nur den geringſten Gedanken davon in dem hinterſten Schlupfwinkel ſeines Herzens habe.

Die guten Leute! ſie konnten ja nichts wider Gottes Willen, und wenn ſie ein Kraut oder ein Pulver, das fuͤr den Tod gut iſt, gehabt oder ge - wußt haͤtten, ſie waͤren dennoch darnach gelaufen und haͤtten's ihm gebracht oder gegeben, wenn denn das, was ſie etwan gewuͤnſcht, ſchon nicht anderſt gekommen waͤr.

Ich weiß nicht vielleicht waͤren doch nicht alle gelaufen.

Es greift immer weiter es wird immer lauter, ein freches und hie und da laͤchlendes Re - den unter den Weibern und Maͤnnern ich will gerne ſehen, wie es noch koͤmmt.

Es zeigt ſich, die Menge fuͤrchtet ihn ſchon izt nicht mehr, weil er im Bett liegt.

Man reichte, was bey Monaten nie mehr als im Geheim bey Nacht und Nebel geſchah,110 izt bey hellem Tage, Wein uͤber den Berg zum Saufen.

Es ſpielten Buben die Nacht durch mit Kar - ten.

Die Weydhirten fuhren am Morgen im Nebel in die Einſchlaͤge der Armen.

Die Reichen lachten ungeſcheut daruͤber, und ſagten, den Armen zu kraͤnken unverhohlen, es ſcheint, die Buben merken es ſchon, wie es etwann bald wieder kommen moͤchte.

Von den Armen dachten ſchon mehr als die Haͤlfte, es iſt aus mit unſerm Traum und ihrer viele ſagten, das Gluͤck hilft nur denen, die etwas haben.

Arme Leute! iſt denn eine gute Obrigkeit nur ein Gluͤck? *)Anmerkung. Das Wort Gluͤck hat natuͤr - licher Weiſe hier keinen andern Sinn als Loos in der Lotterie hazard ꝛc.

Der Kienaſt mit den vielen Kindern glaubte auch, mit den geſchenkten Frohndienſten und dem Buͤrgerholz ſey es dann aus, die Vorgeſezte geben ihm dann nichts mehr und dem Untervogt, der, ſeit dem der Junker zu ihm geſagt, er koͤnne mit111 einer jeden Frau im Dorf mehr ausrichten als mit ihm, vom Morgen bis in die Nacht nachgedacht, wie er mit Ehren wieder koͤnnte vom Dienſte kom - men, dem wars izt nicht mehr ſo wenn er todt iſt, dachte er, ſo ſagt er mir nichts mehr derglei - chen, und es ſchien ihm, es moͤchte ihm dann bey der Stelle recht wohl ſeyn, wann er des Meiſters los waͤre. Auch fragte er jedermann, der vom Schloß in das Dorf kam, ob es auch gewiß wahr ſey, daß es ſo uͤbel mit ihm ſtehe? und gar keine Hofnung zum Aufkommen mehr da ſey? Er war auch, ſo lange er den Mantel trug, nie ſo guten Muths als izt.

§. 27. Was die Meyerin zur Braut macht.

Und ſeine Frau meynte, es koͤnnte izt gar mit dem Sonnenwirth gerathen. Es kann nicht anderſt ſeyn, ſagte ſie, ſie hat dem Lumven Rudi nur um des Junkers willen Hofnung gemacht, und weil es izt ſo iſt, ſo iſt ſie gewiß froh, wenn der Sonnen - wirth ſich wieder meldet.

Es wird ſich, wohl geben, wenn er todt iſt, ſagte ihr Mann, ſie aber antwortete, du kommſt immer mit deinem Es wird ſich wohl geben 112 Du Narr! es giebt ſich nichts, als das, was man macht und mit deiner Schweſter warten, bis er todt iſt, heißt juſt den Wagen vor das Roß ge - ſpannt, und dann wollen fahren du ſollteſt dich ſchaͤmen, dreyßig Jahre eine Schweſter zu haben, und ſie nicht beſſer zu kennen.

Du zankeſt immer, und zankeſt ob allem, ſagte der Untervogt und ſie es iſt doch wahr, man muß blind ſeyn, in den Tag hinein zu reden wie du redeſt, kommt dir dann nicht auch in den Sinn, ſie ſcheue ſich, wenn der Junker todt iſt und wolle dann nicht den Namen haben, daß es ſey wie es iſt. Nein, wenns gerathen muß, ſo iſt izt die rechte Zeit, weil ſie noch mit Ehren kann umkeh - ren.

Der Vogt an ihre Sprache ſo gewoͤhnt als an ſeine Mittagsſuppe, ſagte kein Wort daruͤber, als: darinn haſt du izt recht.

Hab ich recht, erwiederte die Voͤgtin? Es iſt mir lieb, daß du es merkſt aber es iſt nichts zu verſaumen geh doch, ſo geſchwind als du kannſt, rede noch einmal mit ihr aber mache deine Sa - che beſſer als das Leztemal meine Waͤſcherin.

So ſchickte ſie ihn doch ſezte ſie noch hinzu die Stunde iſt vielleicht ſo gut, daß ſie izt froh iſt, wenn du kommſt.

Er113

Er gieng ', aber er bekam von ſeiner Schwe - ſter zur Antwort ſie brauche keine Anſchicksmaͤn - ner, wie ſie ihm ſchon einmal geſagt, und er ſolle nur ſchweigen, ſie verliere kein Wort mit ihm uͤber dieſen Punkt.

Es machte ſie wild, beydes, daß ſie glaubten, ſie nehme den Rudi nur um des Junkers willen, und denn, daß ſie izt wie Schelmen des guten Herren ſeine Krankheit dazu brauchen wollen, ſie dem armen Rudi auf eine ſolche hinterliſtige Art abzujagen, und gleichſam abzuſtehlen.

Nein! erſt izt muß er mich haben, ſagte ſie zu ſich ſelber ſo bald ihr Bruder, der mehr aus - richten ſollte, und minder ausrichtete, als ſeiner Frauen Waͤſcherin wieder fort war.

Und ich will ihnen izt zeigen, ſezte ſie hinzu, daß ich ihn nicht um des Junkers willen genom - men aber weil es ſo iſt, und ſie es ſo machen, ſo muß es izt ſeyn er hat lange genug gewar - tet ſo ſagt ſie ihr Herz ſchlaͤgt ſie ſtaunt Thraͤnen fallen uͤber ihre Wangen und ſie ſagt wieder ich will ihn in Gottes Namen neh - men ſtaunt wieder denkt izt nicht mehr an den Vogt, und nicht mehr an die Voͤgtin und eben ſo wenig, wie ſie zu dem Entſchluſſe ihn izt heute zu nehmen gekommen ſey ſie ſieht ihn izt ſel -H114ber vor ihren Augen, und ſeine Kinder, und ſeine Stube, bis auf die Helgen (Kupferſtiche) die an der Wand hangen ſie ſtaunt wieder Thraͤnen fallen auf Thraͤnen ſie verriegelt die Thuͤre ſizt nieder zum Tiſch ſie nimmt ihn ſie nimmt das Gebethbuch von der Wand, und bethet laut das Gebeth einer Tochter, die in den Ehſtand tre - ten will; legt dann ihren Kopf uͤber ihre Haͤnde, und uͤber das Buch, netzet beyde mit Thraͤnen, und bethet noch ſelber, daß Gott ihren Entſchluß ſegne und heilige; ſtehet dann wieder auf, trocknet ihre Augen, fuͤhlt ſich mit ſich ſelber zufrieden, und ſagt, ich will in Gottes Namen izt zur Gertrud, kleidet ſich langſam an, trocknet noch manchmal ihre Augen und geht.

§. 28. Ein Mißverſtand.

Gertrud dachte an nichts weniger, als daß ſie eine gute Botſchaft haͤtte; ſie war vielmehr unzufrie - den, daß ſie den guten Rudi ſo lange aufziehe; und da ſie ſie langſam und ſtaunend die Gaſſe hin - auf kommen ſah, dachte ſie wirklich mit einer Art von Unwille, was hat ſie izt wohl im Kopfe? und gieng nicht einmal ihr fuͤr die Thuͤr entgegen.

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Das Herz war der Meyerin ſo voll ſie ſezte ſich nieder, wie wenn ſie krank waͤre, und ſagte leiſe und ſchnaufend wie eine kurzathmende Frau, die gar bange hat zur Gertrud, du! ich habe mich in Gottes Namen entſchloſſen, ich will ihn nehmen.

Dieſe verſtund es vom Sonnenwirth, und antwortete mit einem Gemiſch von Unwillen und Wehmuth, ich haͤtte dir das nicht zugetraut.

Ae was haͤtteſt du mir nicht zugetraut? ſagte die Meyerin, die nicht wußte, was ſie meynte.

Daß du den Mantel ſo nach dem Wind haͤn - gen wuͤrdeſt, erwiederte dieſe.

Meyerin. Ae wie haͤng ich den Mantel nach dem Wind? Haſt nicht verſtanden was ich ſage? oder was ſteckt dir im Kopfe?

Gertrud. (Noch immer im Irrthum) Du machſt ſo viel Fragen ich wuͤßte nicht, auf wel - che ich dir lieber antworten moͤchte.

Meyerin. So biſt du mir noch nie begeg - net was iſt das?

Gertrud. Es thut mir auch weh, daß du juſt, weil der Junker krank iſt, das thuſt, und ſo einsmals den Sonnenwirth nimmſt.

Izt verſtund ſie die Meyerin, ſchwieg einen Augenblick, und ſagte dann laͤchelnd: izt redeſt duH 2116doch auch, daß man dich verſteht, vorher habe ich nicht gewußt, was du meynſt?

Gertrud. Izt mit naſſen Augen und du lacheſt noch?

Meyerin. Ich habe Urſache.

Gertrud. Schweige! du haſt keine und macheſt mich boͤs.

Meyerin. Ich will dich dann auch wieder gut machen.

Gertrud. Du kannſt noch ſpotten? So wareſt du nie!

Meyerin. Siehe, ich hab es nur im Spaß geſagt, er weißt es noch nicht, wann du wieder gut mit mir biſt, wer weißt, was ich dir noch zu Gefallen thue!

Gertrud. Du machſt mich wild!

Meyerin. Und du mich lachen merkſt auch nicht, daß du im Traum biſt?

Gertrud. Wie im Traum?

Meyerin. Ich will den Sonnenwirth nicht

Gertrud. Ae was hab ich denn gehoͤrt? und einen Augenblick darauf Herr Jeſus! haſt vom Rudi geredt?

Izt war ſie aus ihrem Traume, und fuͤhrte die Meyerin bald zu ihrem lieben Rudi.

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§. 29. Die Brautſtunde einer Stiefmutter.

Er haſpelte eben das Garn ſeiner Kinder, aber der Haſpel ſtund ihm in der Hand ſtille, wie die Augen im Kopf, als ſie in die Stube hinein kamen. Er ſaß da wie angenagelt, und konnte die Hand nur nicht zur Kappe (Muͤtze) hinaufbringen, ſie abzuzie - hen. Die Meyerin ſaß neben ihn ab, und Ger - trud ſagte zu ihm ſie iſt izt dein! Eine Weile war alles ſtill die Kinder ſtunden von ihren Raͤ - dern auf. Gertrud ſagte ihnen, ſie iſt izt euere Mutter! Dann ermunterte ſich die Meyerin, ſtund auf, gab den Kindern einem nach dem andern die Hand, und ſagte, liebe Kinder, geb uns Gott ſei - nen Segen bey einander; dann ſagte auch Ger - trud, und der Rudi, der die Hand der Meyerin in ſeinen beyden Haͤnden hielt das gebe Gott! Es war das erſte Wort, das er redte, und lange darauf ſagte er noch kein anders. Seine Stille ge - fiel der Meyerin; ſie ſagte ſelber zu den Kindern, wir wollen doch izt nicht viel reden; aber ſie blieb den ganzen Abend da, und ſo bald es ihr der erſte Ein - druck zugelaſſen, ſagte ſie zur Gertrud, ſie ſolle doch izt nichts anruͤhren, es freue ſie izt ein paar Stunden zu thun, als wenn ſie ſchon eingeſeſſen waͤre; dannH 3118nahm ſie dem Rudi den Haſpel, und ſagte, es geht dir izt doch nicht recht haſpelte munter darauf los, half den Kindern an ihren Raͤdern wo es fehl - te, flochte zweyen die Zoͤpfe, kochte der Kleinen den Brey, gab den Engelkind auf ihrem Schooß zu eſſen, zog es dann ab, hielt es eine Weile nackend, wie die Mutter Gottes den lieben Heiland, auf ihrem Arme machte dann daſſelbe ſeinen Ge - ſchwiſterten alen gute Nacht ſagen, hielt ihm das Koͤpfgen an ihre Backen, ſie kuͤßten daſſelbe alle und es machte allen Ae Ae dann that ſie es ins Bett, konnte faſt nicht von ihm weg, und ſang ihm noch bis es entſchlafen war. Der Rudi ſtand bey allem hinter ihr her wie ihr Schatten. Doch als ſie fortgehen wollten, machte er ſeine Kinder aufſtehen, und der Gertrud danken aber er hatte ein ſilber und vergoldetes Halsband mit Granaten und Bollen in einem Papier in der Hand Ach, mein Gott! er hatte es unter der Frauen ſelig einer reichen Baͤurin verſezt, und izt, da er es konnte, auf dieſen Fall wieder heraus geloͤſt, und dachte wohl tauſendmal, ſo oft er es anſah, wanns auch die Frau ſelig wuͤßte, daß ich wieder dazu gekom - men, es wuͤrde ſie doch auch freuen. Aber er dorfte das Papir der Meyerin faſt nicht geben, ſie merkte es, und fragte ihn noch ſelber, was haſt du da in den Haͤnden? Nahm ihm es ab und trug es den lieben Rudi zur Freude am Hals119 heim, pfluͤckte dann noch in ſeinem Garten Blu - men, und trug ſie in einem Koͤrbchen, das auch ſein war, mit ſich heim.

§. 30. Schleck 'Salz ſo duͤrſtets dich

Das Weib, das mit den Fehlern und Schwaͤchen ihres Geſchlechts, noch die Roheit und Haͤrte des maͤnnlichen verband die Voͤgtin ahndete nichts weniger als daß izt ſo etwas begegne, ſie meynte vielmehr die Antwort, ſie brauche keinen Anſchicksmann u. ſ. w. wolle nur ſo viel ſagen, wenn der Vetter etwas mit ihr wolle, ſo ſoll er ſel - ber kommen! Flugs ſandte ſie uͤber den Berg, und der, den ſie ſandte, brachte den Vetter hinuͤ - ber.

Die Meyerin fand ihn, da ſie heim kam, vor der Thuͤre ſtehen. Es duͤnkte ſie doppelt ſo un - verſchaͤmt als die Anfrage am Morgen, doch war ſie freundlich, machte ihn in die Stube hineinkom - men, und er hatte ſchon gute Hofnung als ſie ihn izt fragte, was er Guts wolle?

Er muͤſſe ihr einmal, war ſeine Antwort, uͤber die Sache, die ſie wohl wiſſe, und die er ſchon lange an ſie geſucht habe, noch einmal etwas ſagen.

H 4120

Du kommſt mir eben recht, erwiederte die Meyerin, ich habe dir juſt auch etwas daruͤber zu ſagen dann that ſie das Koͤrbchen auf, das ſie unter dem Arme getragen, nahm friſche Roſen her - aus weiße und rothe, Roſmarin und Majoran, und ein großes dunkelgelbes Nelken, buͤſchelte einen Straus, band 'ein buntes Band darum, und lach - te immer darzu.

Der Ochſenfeißt wußte nicht, was das abgeben wollte; endlich war ſie fertig, gab ihm den Strauß und ſagte da haſt du den erſten, den ich ma - che, ſeit dem ich Braut bin die Blumen gehoͤ - ren dem Rudi, du kannſt ihm dann an der Hochzeit danken.

Der Ochſenfeißt that das Maul auf, und haͤng - te es hinab, daß die Meyerin fuͤrchtete, es falle an Boden hinunter.

Sie lachte fort und er kam mit Zeit und Muͤhe dahin, zu ſagen wenns ſo iſt ſo bin ich doch heut wohl vergebens gelaufen.

Biſt du ſo gar muͤde geworden? erwiederte die Meyerin.

Das eben nicht, ſagte der Ochſenfeißt, aber es iſt doch weit und ein wuͤſter Weg.

Jaͤ aber denk ', ich habe dich nicht heißen kommen, bey dem ſchlechten Weg, ſagte die Meyerin.

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Mit dem gieng er. Die Untervoͤgtin warf ihm ſeinen Strauß mit ſamt dem Band zum Fen - ſter hinaus auf den Miſt. Ihr Mann ſagte, es iſt izt aus der Sonnenwirth ſezte hinzu Katz und d'Maus.

§. 31. Zwey Schulmeiſterherzen.

Der Gedanke, es nimmt alles wieder ein Ende, wenn er die Augen zuthut, griff immer weiter, und hatte immer mehrere Folgen. Da die Kinder aus der Schule ihren Aeltern daheim erzaͤhlten, der Lieutenant habe immer rothe Augen, und weine faſt den ganzen Tag, gaben ihrer viele ihnen zur Antwort, er hat wohl Urſach, ſein Brodkorb iſt auch dahin, wenn der Junker todt iſt.

Aber bleibt er dann nicht mehr unſer Schul - meiſter? ſagten die Kinder, und es war ihnen ſo angſt!

Wer wollte ihn bezahlen? erwiederten die Aeltern; und viele ſezten hinzu, er kann dann auch wieder ſpatzieren woher er gekommen.

Das that den Kindern ſo weh, ſie konntens nicht alle glauben, und redten mit einander ab,122 ſie wollen ihn ſelber fragen, das ſey das aller - beſte.

Ihm zerſprengte es faſt das Herz, als ſie nach der Schule mit naſſen Augen vor ihm zu ſtunden, und das ihm naͤchſte Kind mit ſichtbarem Zittern zu ihm ſagte, ſie doͤrfen ihn faſt nicht fragen, aber es ſey ihnen auch ſo angſt, er ſolle ihnen doch ſa - gen, wenn der Junker ſterbe, ob er dann nicht mehr ihr Schulmeiſter ſeyn koͤnne? Er mußte ſich umkehren, Luft ſchoͤpfen unter dem Fenſter ſein Athem toͤnte wie eines Menſchen, der einen großen Berg hinunter gejagt worden, und izt den erſten Augenblick ſtille ſteht. So bald er reden konnte, kehrte er ſich wieder um, ſtreckte die Haͤn - de gegen ſie aus, wie wenn er ſie alle darein neh - men wollte, und ſagte dann, wohl Kinder! auch wenn es Gott gefallen ſollte, den Junker nicht mehr aufkommen zu laſſen, will ich doch bey euch bleiben dann druͤckte er allen die Hand und er fuͤhlte, weißt Gott, daß die meiſten ſchwizten Wie ihm das zu Herzen gieng und wie die Kin - der ſo freudig heimgiengen!

Aber viele Aeltern durften ihnen noch ſagen, pochet nicht zu laut, wenn er ſchon will bleiben, es iſt denn die Frage, ob er es koͤnne? Aber die Kinder glaubten dem Schulmeiſter, und pocheten fort.

123

Indeſſen traͤumte ſich der alte Schulmeiſter wieder in ſeinen Platz, und ließ ſich verlauten, die Krankheit Arners, und ſein fruͤhzeitiger Tod, ſey ein ſichtbares Strafgericht fuͤr ſeine Entheiligung der Kirchen und Schulen.

§. 32. Es faͤngt ſich an zu zeigen, daß der Baum Wurzeln hat.

Aber habt nicht bange, lieben Leute, ihr wiſſet ja, daß der alte Schulmeiſter ein Narr iſt ſo ohne Schwertſtreich geht Arners Ordnung nicht verlo - ren, auch wenn er ſterben ſollte; und ihr wiſſet ja noch nicht einmal das. Hoͤret einmal was izt begegnet.

Da die Spinnweiber zum Mareili kamen und demſelben klagten, was man ſage und was ſie hoͤren, und wie uͤbel es waͤre, wenn es kommen wuͤrde, wie man ſage und meyne, gab es ihnen zur Antwort wenn ſo leicht ein Kraut zu finden waͤre dem Junker zu helfen, als es fuͤr das, was ihr fuͤrchtet, Mittel und Wege hat, ſo haͤtte ich izt etliche Naͤchte mehr geſchlafen, als ich nicht ge - than.

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Ja, ja, wenn du wuͤßteſt, was man aller Or - ten ſagt, und wie viele Leute izt ſchon zeigen, daß ſie darauf warten und blangen (ungeduldig ſind) bis es wieder anderſt werde erwiederten die Weiber.

Und das Mareili gieng zur Stunde zu ſeinem Bruder in die obere Stube, und ſagte zu ihm, ich bin izt 20 Jahre bey dir, und habe noch nie nichts von dir begehrt, und was mein iſt, iſt dein aber izt muſt du dich angreifen, und zeigen, daß du nicht mehr der Bettler Marti biſt.

Was willt du mit dieſer Vorrede? ſagte der Meyer.

Ha ich will darmit, du muͤſſeſt machen, daß wenn in Gottes Namen der Junker, wie man fuͤrchtet, zum Sterben kommen ſollte, der Schul - meiſter da bleiben koͤnne, und die neue Ordnung nicht gleich wieder zu nichten gehe.

O dafuͤr haſt du mich nicht zu bitten erwiederte der Meyer ich bin mir ſelber nicht ſo feind, daß ich eine Schul und Einrichtungen ſo leicht wieder zu Grund gehen laſſe, die meine Ar - beiter ſo weit in eine Ordnung und fuͤr ſich gebracht haben, als ich ſie ohne Hilfe mein Lebtag nicht haͤtte fuͤr ſich bringen koͤnnen.

Er ſezte hinzu, wenn ich ihn allein bezahlen muͤßte, ich wuͤrde ihn nicht fortlaſſen, aber in ſol -125 chen Faͤllen thut man immer beſſer, man mache, daß die andern auch wollen

Das iſt wahr, ſagte das Mareili, und gieng innig mit ihm zufrieden, auf der Stell zur Reinol - din, auch mit ihr daruͤber zu reden.

Es verſteht ſich, antwortete dieſe, ehe es kaum halb geſagt hatte, was es wollte, daß er nicht wie - der fort muß ließ es ſtehen, und ſprang hin - aus zu ihrem Mann, der eben bey einem kranken Hauptvieh im Stall war.

Dieſer antwortete ihr uͤber ſeine Kuͤhe heruͤber ja freylich, wie du willt!

Ja aber wir muͤſſen mit deinem Vater daruͤber reden, erwiederte die Frau, ihm darf es Niemand abſchlagen, willt du nicht mit uns kom - men?

Ich will nur auch zuerſt mit der Kuh fertig machen, ſagte der Mann.

Und die Frau aber es geht doch nicht lang?

Es gieng nicht lang, und ſie nahmen das Mareili mit ſich.

Ihr Anbringen freuete den Alten ſo ſehr, daß er ihnen ſagte, er wiſſe ſich nicht zu gedenken, daß ihm vor Freude das Herz ſo geklopft haͤtte wie izt.

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Er zog alſobald eine neue warme Kappe uͤber die Ohren, ſezte den Hut daruͤber auf, nahm war - me Handſchuh, und ſeinen Stab aus dem Kaſten, und gieng.

Ae was will doch der Großvater, daß er bey dem ſchlechten Wetter zu uns kommt? fragte ihn ein jedes, wo er zuſprach und wo er zu - ſprach, war er der liebe alte Mann, der jedermann gedient, und den jedermann in Ehren hielt er war der Reichſte, und obgleich ſchon alt, ſo war kein Haus, in welchem Mann und Frau, ſo bald er ſagte was er wollte, einander nicht anſahen, und Winke ſich gaben, es gelte ſich zu beſinnen, was man antworte, und man doͤrfe es ihm nicht ab - ſchlagen.

Er bettelte nicht, er ſagte die Sach, und ſezte hinzu, die Sache iſt ſo noͤthig und gut, und es ſind unſer uͤber die zwanzig Bauern, die das wohl koͤn - nen, und die, wenn ſie es nicht thun, an ihren Kindern und am ganzen Dorf auf eine leichtfertige Art ſich verſuͤndigen ich hoffe, ihr ſchlaget es mir nicht ab; aber ich ſage es zum voraus, wenn mir einer abſchlagt, ſo muß es doch ſeyn; ich will es denn fuͤr ihn thun, und ſeinen Kindern und dem Dorf zum Allmoſen geben, und es muß mir denn ſo eingeſchrieben werden. Aber es ließ ſich das Niemand zum Allmoſen einſchreiben mancher127 ſchuͤttelte zwar wohl den Kopf, und haͤtte es ſicher Niemand anderm eingeſchrieben, aber ihm ſchlug es Niemand ab, und der Rodel war, ehe die Son - ne untergegangen, vollſtaͤndig.

Es ſcheint ein Miſchmaſch durcheinander die Freude der Leuten, daß es wieder anderſt kom - me, wenn der Junker ſterbe und das leichte Vollmachen dieſes Rodels.

Aber das Thun aller Menſchen iſt ſo ein Miſch - maſch, und das Unbegreiflichſte, das der Menſch mit ſich herum traͤgt, iſt die Schwaͤche, mit der er in tauſend und aber tauſend Faͤllen um nichts und aber nichts ſich dahin bringen laͤßt, zu thun, was ihm in der Seele zuwider iſt.

Ach, es braucht ſo wenig einen ganzen Haufen Menſchen nach ſeiner Pfeife tanzen zu machen, daß mir ein Baͤrenfuͤhrer ein anderer Kerl iſt, als einer, der die Menſchen tanzen macht.

Im Grund aber, wenn ſchon viele dieſes oder jenes gerne in der alten Ordnung gehabt haͤtten, ſo wars doch nicht an dem, daß ihrer viele die ganze alte Ordnung wieder zuruͤck gewuͤnſcht haͤtten, das durfte nur Niemand ſagen; und es waren immer noch die Mehrere, und die Stillen und Armen alle, welche aufrichtig wuͤnſchten, daß alles ſo bleibe.

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Der Alte brauchte auch die Liſt, wenn er ſchon den Weg doppelt machen mußte, daß er zuerſt zu denen gieng, die es gerne thaten; er wußte wohl, wann es einmal einen Anfang habe, ſo ſchrieben ſich die andern auch ein wie die Gaͤnſe gagen er war immer ſein Lebtag in guter Laune, und hatte immer mit den Leuten Spaß und auch izt ſagte er etlichen, wenn ſie ihre Federn abgelegt, und er ihre Tolgen-Namen auf dem Papier getrocknet im Sack hatte, wiſſet ihr izt auch, daß ihr euch dem Baumwollen Meieli, und nicht mir, unter - ſchrieben? Ae (Ey) wie das wie das? Es wird etwa nicht ſo ſeyn, ſagten Maͤnner und Weiber. Wohl freylich, antwortete der Reinold, laßt es euch nur nicht gereut haben, es hat mich dafuͤr angeſprochen, daß ich mit euch rede, und es und ſein Bruder haben zuerſt verſprochen, aber ſie wollen dann zulezt unterſchreiben.

Das wurmte nicht nur einem ſo, daß er mit Kopfſchuͤtteln ſagte, wenn er das gewußt haͤtte, daß die Bettlerherrin darhinter ſteckte, ſo haͤtt 'er es ge - wiß nicht gethan.

Ein Mann, der kein Narr war, gab ihm zur Antwort du biſt nicht ſchuld deine Sohns - frau und das Mareili ſchicken dich im Dorf her - um; ohne ihren Weiberbund wuͤrdeſt du izt daheim ſitzen und die Haͤnde am Ofen halten. DerAlte129Alte mußte lachen, und trug den Weiberbund her - um, wo er hinkam.

Und das Baumwollen Mareili ſagte, ſo bald es von dieſem Bund hoͤrte izt, weil mans ſagt, iſts eben recht ihn zu machen; und was vorher nicht beſtimmte Abred war, das war es izt. Die Reinoldin, die Meyerin, Gertrud, und es ver - banden ſich izt foͤrmlich zuſammen, es moͤge nun mit dem Junker kommen wie es wolle, im Dorfe alles daran zu ſetzen, daß die Sachen bleiben, wie ſie ſeyen, und wie ſie der Junker angefangen und haben wolle.

§. 33. Ein Phantaſt, der auf eine Religions - wahrheit kommt und ein Pfarrer, der ſich auf der Kanzel vergißt, und nur wie ein Menſch redt.

Der Bund machte allen Leuten Gedanken. Wer haͤtte auch das gemeynt? ſagten Maͤnner und Weiber aber die groͤſte Betruͤbnis daruͤber hatte der alte Schulmeiſter. Der arme Tropf fand heute nicht mehr wie geſtern, es ſey ein Wunder vom Herrn, daß Arner auf dem Todbett liege J130er lobpreiſete auch den Namen des Herrn heute nicht mehr ſo laut mit dem Maul er ſagte es nicht mehr, die Wege des Herrn ſind richtig und recht er ſagte nur, ſie ſind unerforſchlich.

Das findet zulezt auch der Thor, wenn es ihm nicht geht wie er will aber wer Gott nicht fuͤr einen Menſchen, und nicht fuͤr ein Kind achtet, der findet es immer und meynt nie, er wiſſe was Gott mache, oder was er wolle.

Aber der aberglaͤubiſche Menſch und der Goͤ - tzendiener weißt das immer es iſt ihm nie ver - borgen, was Gott thut, und was der will, der die Himmel regiert. Es iſt ihm nichts unerforſch - lich und nichts verborgen als das, was ihm vor der Naſe liegt.

Mitten in allem dieſem floſſen viele ſtille Thraͤ - nen fuͤr den kranken Mann viele Gebethbuͤcher wurden naß, die bey Jahren nie naß geworden, und viele hundert Menſchen lagen ſeinetwegen Naͤchte durch ſchlaflos. Der Kummer der in - nigſten Liebe trieb ihrer viele bis zum Zagen der Verzweiflung.

Das Kind der Rickenbergerin ſank wieder in den Zuſtand, in welchen es gerade nach ſeines Va - ters Tod gefallen, blieb ganze Naͤchte auf ſeinem Grab, weinte da, und oft, wenn ſeine Mutter und131 ſeine Geſchwiſterte bey ihm ſtunden, ſah es ſie nicht. Wo es war, verfolgte daſſelbe der erſchreckli - che Gedanke, es ſey nicht Gottes Wille, daß ein guter Vater auf der Welt ſey, wenn einer da ſey, ſo muͤſſe er ſterben, und es duͤnkte ihns, die Men - ſchen muͤſſen nicht werth ſeyn einen zu haben, ſonſt waͤr 'es anderſt.

Und der Pfarrer fuͤhrte am Sonntag auf der Kanzel, weiß Gott, faſt die gleiche Sprache.

Es ſey, ſagte er, wie wenn es nicht ſeyn muͤſſe, daß Menſchen durch ihre Mitmenſchen ver - ſorget werden. Die ganze Natur und die ganze Geſchichte rufe dem Menſchengeſchlecht zu, es ſoll ein jeder ſich ſelber verſorgen, es verſorge ihn Nie - mand, und koͤnne ihn Niemand verſorgen; und das Beſte, das man an dem Menſchen thun koͤnne, ſey, daß man ihn lehre, es ſelber zu thun.

Auch hat Arner nichts anders geſucht als die - ſes, ſagte er mit einer Stimme, die an allen Waͤn - den klang, und ſezte mit dumpfem leiſem Ton hin - zu, aber was wird izt daraus werden?

Nach einer Weile ſagte er wieder, es liege in Gottes Namen in der Natur, daß der Menſch auf Niemanden auf Erden zaͤhle; ſelbſt Aeltern, die fuͤr den Saͤugling in Feuer und Waſſer ſpringen, den lezten Biſſen im hungrigen Mund kaͤuen, undJ 2132nicht hinunter ſchlucken, ſein Leben zu erretten, ſpringen fuͤr ihn nicht mehr in Feuer und Waſſer, theilen nicht mehr mit ihm den lezten Biſſen, wann er erwachſen iſt, und ſagen ihm vielmehr, hilf dir izt ſelber, du biſt erzogen!

Und im Grund iſt es vollkommen recht, und fuͤr das Menſchengeſchlecht gut, daß Aeltern und Obrigkeiten die Menſchen dahin weiſen, und es iſt wider ihre Rede, ihr ſeyd erzogen, und helfet euch ſelber , nichts zu ſagen, wenn ſie nemlich wahr iſt, aber wenn ſie nicht wahr iſt, wenn Kind und Volk nicht erzogen ſind, ſich ſelber helfen zu koͤnnen, wenn vielmehr die armen Geſchoͤpfe in beyden Verhaͤltniſſen verwahrloſet, zu Kruͤppeln und Serblingen (Schwindſuͤchtigen) gemacht und un - muͤndig gelaſſen werden, nichts ſind, und nichts aus ſich machen, und ſich nicht helfen koͤnnen, und man ihnen dann doch ſagt, hilf dir ſelber, du biſt erzogen! und wohl noch etwas anders darzu dann iſt es freylich was anders.

O Arner Arner! wie ſaheſt du das ein, und wie wuͤrdeſt du helfen, wenn du lebteſt; aber Gott im Himmel, was koͤnnen wir hoffen? Lernet doch arme Menſchen! lernet euch ſelber verſorgen, es verſorget euch Niemand!

So redete der Mann ! Und wer verziehet ihm, wer verziehet der Rickenbergerin dieſe Sprache nicht?

133

Wer will ſagen, es ſey wider Gott, wenns dem Menſchen fuͤr Menſchen bange macht? und es ſey wider die Obrigkeit, wenn er fuͤr die Armen und Elenden, und Unverſorgten im Land mit einem Feuer redet, das brennt?

O! ihr Menſchen, das Feuer des Eiferers, der im Gefuͤhl der Verwahrloſung unſers Geſchlechts dahinkommt, die Sprache der Verzweiflung zu re - den, iſt ein heiliges Feuer, und ſeine Sprache iſt wie ein Schatten der himmliſchen Wahrheit, und wie ein verblichenes Siegel der Goͤttlichkeit unſerer Natur ! Der Pfarrer aber ſagte nicht nur dieſes.

§. 34. Ein Staatsminiſter auf dem Dorf.

Indeſſen breitete ſich das Geruͤcht von ſeiner Krank - heit, und von ihren Urſachen, weit umher aus, und kam ſchnell, wie auf den Fluͤgeln des Windes mit allen Zuſaͤtzen, die es auf dem Wege von 20 Stunden aufnehmen konnte, an den Hof des Fuͤr - ſten. Durch allen Wirwarr der Berichten ſchien ſo viel gewiß, daß Arner ſehr krank, und Sylvia daran ſchuld ſeyn moͤchte. Der Herzog, der war - men Antheil an Arners Krankheit nahm, und uͤberI 3134die muthmaßlichen Urſachen derſelben aͤußerſt auf - gebracht ſchien, ſtund eben vor Arners neuem Ge - maͤhlde, darinn Menzow wirklich ſich ſelbſt uͤber - troffen, als Bylifsky zu ihm kam, um die Freyheit zu bitten, nach Arnburg zu reiſen und er be - fahl ihm, ſeinen Leibarzt mitzunehmen, und von ſeinetwegen eben ſo wohl uͤber die Urſachen der Krankheit genauen Bericht einzuziehen, als auch alles zu veranſtalten, was er noͤthig finde, den Ar - ner vor Verdruß zu ſichern.

Helidor hatte zwar ſchon angefangen, die Be - griffe ſeiner Durchlaucht uͤber den guten Arner her - unter zu ſtimmen, aber da der Herzog vor dem Leibarzt ſich uͤber Sylvia unwillig zeigte, ſtimmte er hierinn vollends ein, und ſagte, es ſey wahr, ſie habe ein Maul zum toͤden, wenn ſie anfange je - mand zu quaͤlen.

So muß man ſie von meinetwegen, wenn es im geringſten noͤthig, auf der Stelle aus dem Schloſſe wegſchaffen, erwiederte der Herzog. Und auch hierin widerſprach Helidor kein Wort.

Der ſchnellſte Jagdzug flog mit ihnen die Nacht durch, und am Mittag waren ſie in Bonnal.

Da ſtieg Bylifsky aus, und ließ den Leibarzt allein weiter fahren. Er wollte einen Augenblick zum Pfarrer. Dieſer war in der Kirche und be -135 thete eben mit den Schulkindern ein ſtilles Gebeth fuͤr das Leben des Junkers. Bylifsky hoͤrts geht auch zur Kirche, thut mit leiſer Hand die Thuͤre auf, tritt mit ſtillem unhoͤrbarem Schritt hinein, ſiehet die Schaar der Kinder, und den Pfarrer und ihren Lehrer vor dem Altar auf den Knien, und ihr Angeſicht unverwandt gegen den Boden, hoͤrt ihr Schluchzen, faͤllt in ſeinem Ecken auf die Knie, weinet und bethet mit dieſen Kindern fuͤr ſeinen Freund; und da ſie wieder aufſtehen, ge - het er zu ihnen hervor, ſagt wer er ſey, gruͤßet ſie alle, und giebt wie der Pfarrer und der Lieutenant den Behuͤte Gott ſagenden Kindern die Hand ſiehet eines nach dem andern ſo ſteif und genau an, als ob er keinen Gedanken in ſeiner Seele habe als dieſe Kinder ißt dann mit dem Pfarrer ſeine Suppe geſchwind, wie ſie da ſtund, und geht mit ihm und dem Lieutenant zu Fuß uͤber den Berg nach Arnburg.

I 4136

§. 35. Eine Dienſtmagd begehrt Abſcheid und Rekommendationsbriefe von der gnaͤ - digen Herrſchaft.

Der Leibarzt zuckte die Achſel ſo bald er den Kranken ſah machte dann ſeine Feldapotheken auf; und Geruͤche aller Art fuͤllten die Stube.

Fuͤrchterliche Silber - und Goldzangen und Na - deln, und Meſſer, Schwaͤmme und Binden, Stuͤ - cke von Schlangen, zerriebene Muͤcken, Gift, Me - tallen, und halbe Metallen, chymiſche Geheimniſſe, und natuͤrliche Pulver, Salben und Pflaſter, lagen ſichtbar und unſichtbar in dieſer Kiſte. Er nahm heraus, wog, miſchete, rieb, ſtoßte, ließ warm machen und wieder kalt werden, ſtrich Pflaſter und Salben, und innert einer Stunde hatte Arner aller - hand davon an ſeinem Leib, und nicht weniger da - von ſelber darinn.

Dann ließ er ihn eine Weile allein, und nuͤzte dieſen Augenblick, Sylvien, die er ſchonen wollte, zu ſagen, was er gehoͤrt. Sie ſtellte ſich ganz gleichguͤltig, machte die kranke launige Dame, und that, ſo lang er vom Herzog redete, wie wenn ihr137 an allem nichts liege; da er aber vom Helidor an - fieng, konnte ſie das nicht mehr ſie fragte mit Haſtigkeit, hat er nichts dazu geſagt? aber er wollte nicht mit der Sprache heraus ſie bat, und zwang, und drang, und ließ ihn nicht ruhen, bis er es ihr ſagte. In Gottes Namen, weil ihr Gnaden befehlen Er hat geſagt, ihr Gna - den haben ein Maul, es haue und ſteche. So er hat das geſagt? erwiederte ſie ſtund ploͤtzlich auf verließ das Zimmer lief unter ein Fen - ſter, und wartete da dem Herzklopfen ab, das ſie anwandelte da ſeh ich da ſeh ichs ja izt ſchon, daß er mir beym erſten Anlaß wie einem Schuhlumpen den Tritt giebt. Ihr Herz ſchlug und ſo bald ſie wieder zu Athem kam und die Augen aufhub, ſah ſie Bylifsky, zwiſchen dem Pfarrer und dem Lieutenant, den Vorreyn vor der Burghalden hinaufkommen; ſie redten von der Schule, und der Lieutenant verthat ſeiner Gewohn - heit nach die Haͤnde, weil er im Eifer war, ſie aber meynte, er erzaͤhle izt ſicher von nichts anderm als von ihr ſie floh in ihre Stube, ſtampfte mit dem Fuß, beſaß ſich nicht mehr wuͤtete izt mit Aglee, gab ihr in allem die Schuld, behaup - tete, ſie haͤtte ſie von allem zuruͤckhalten ſollen, und hatte zum Grund, ſie wiſſe wohl, was ſie uͤber ſie vermoͤge.

138

Dieſe gab ihr keine Antwort aber am Mor - gen fand Sylvia auf ihrem Pult folgenden Brief.

Ich habe Sie beſtohlen, und bin fort meine Gruͤnde liegen zum Theil in Ihrem geſtrigen Betragen, zum Theil in meiner immer mehr ſtei - genden Ueberzeugung, daß wir nicht fuͤr einander geſchaffen; aber ich bin izt nichts weniger als in der Laune, mich uͤber das, was ich thue, zu er - klaͤren, oder mich zu rechtfertigen; das iſt gewiß, daß ich fuͤr das, wozu Sie mich brauchten, nicht bezahlt bin, und dieſes iſt, wie Sie wiſſen, von einer Natur, daß wir beyde es nicht wohl von der Obrigkeit koͤnnen ausmachen laſſen, was mir da - fuͤr gebuͤhre.

Aber erſchrecken Sie um deßwillen nicht, ich habe mich nicht uͤber die Gebuͤhr vergriffen; Ihr Schmuckkaͤſtchen iſt klein, und das Halbe und das Beſte davon habe ich daraus weggethan, und in die Ecke Ihres Schranks neben die blaue Haube ge - legt, die Sie geſtern getragen. Ich will nichts als von Ihnen fortkommen, meine philoſophiſche Jung - fer! mit dem Glauben, daß den Menſchen nichts entehre als der Diebſtahl. Ich kenne Sie zu wohl, um nicht auch als eine Diebin auf meiner Hut zu ſeyn, daß Sie mich mit Recht nicht verachten koͤn - nen, wie ich Sie verachte.

139

Laſſen Sie mich Ihnen nur noch ſagen wir denken in keinem Stuͤck gleich; und wenn wir je das gleiche thaten, ſo hatten wir doch nie die gleichen Gruͤnde. Ich half Ihnen freylich hier den Junker und ſeine Leute kraͤnken, aber verachte weder ihn noch die Juͤnkerin, noch den Rollenber - ger, am wenigſten den Lieutenant; der lezte zwang mir eine Hochachtung ab, die ich keinem Menſchen mehr ſchenken will.

Aber was geht es Sie an, wie ich daruͤber denke? Ich gehe uͤber Regenſpurg nach England, und erwarte am erſten Orte bey Ihrer Couſine ein paar mir noͤthige Empfehlungsſchreiben von Ih - nen; und damit Sie nicht in Verſuchung gera - then, mich einen Poſttag darauf warten zu laſſen, und eben ſo wenig ſich von Ihrer Hitze verleiten laſſen, Morgens in den erſten Augenblicken von meiner Abreiſe anderſt als in der Ordnung zu re - den, finde ich noch noͤthig, Ihnen die Anzeige zu machen, daß ich diejenige Papiere alle mit mir genommen, die ich vor 3 Wochen, wie Sie glaub - ten, vor Ihren Augen verbrannte. Ich habe die - ſelben mit den neuern Geheimbriefen, die Sie bey ſich herumtrugen, mit der Brieftaſche ebenfalls mitgenommen. So viel brauchte ich, um Ihnen mit Sicherheit vor die 2 erſten Stunden dieſes Morgens ſo viel Verſtand zutrauen zu doͤrfen, als140 ich will, daß Sie izt haben. Einen andern Ge - brauch davon werd 'ich nie machen.

Ich habe weiter nichts mehr zu ſagen, als lernen Sie in Zukunft den Namen Freundin gegen Niemanden mehr alſo zu brauchen, wie Sie es gethan haben gegen Ihre

gehorſame Dienerin Aglee.

§. 36. Der Staatsminiſter in der Schule und bey dem Schulmeiſter.

Aber es wird immer ſchlimmer mit Arner! Thereſe faͤllt aus einer Ohnmacht in die an - dere.

Der Leibarzt foderte, daß man ihn vollends allein laſſe und izt ſinkt er in eine aͤußerſte Er - mattung, entſchlaͤft in derſelben auf den Lip - pen aller ſteht der Gedanke Er iſt todt und wird nicht wieder erwachen.

Thereſe reißt ſich aus den Armen Bylifsky Er iſt todt Er iſt todt und ſinkt vor ihm nieder Der Rollenberger liegt mit den Kindern141 auf den Knien der Pfarrer bethet laut, und alles erwartet das Wort Er athmet nicht mehr!

Wie bang wie bang wie bang iſt ih - nen allen! wie horchet alles vor ſeiner Thuͤre! man hoͤrt keinen Laut. Iſt er todt? ach! iſt er noch nicht todt? vielleicht viel - leicht vielleicht

Still! ſeyd doch ſtill ! man hoͤrt eine Be - wegung was iſts was iſts ? Der Leibarzt kommt an die Thuͤr er oͤfnet ſie faſt ohne einen Laut, und ſagt faſt ohne zu athmen es zeigt ſich ein Schweiß, ich habe wieder einige Hofnung er ſchlaͤft fort man eilt zu Thereſe ſagt ihr die Worte ſie wills nicht glauben und faͤllt wieder in Ohnmacht. Nach einer Viertel - ſtunde oͤfnet er wieder, und ſagt, der Schweiß wird immer ſtaͤrker geht doch und ſagts! Alle Viertelſtunden kommt er wieder, und bleibt bey der Rede er habe wieder Hofnung!

Gegen 9 Uhr erwachte der Kranke, und ſagte, es ſey ihm wie im ganzen Leib anderſt und leich - ter aber er war aͤußerſt ſchwach entſchlief bald wieder und das bange Warten der Nacht war entſezlich man hoͤrte keinen Laut als be - then Thereſe hatte keine Ohnmachten mehr, und bethete izt auch die Berichte kamen immer142 gleich, es gehe ſo gut moͤglich, und es ſey gewiß Hofnung! Und am Morgen durfte Thereſe wie - der zu ihm hinein; aber ſie kam nur, und verſchwand wieder. Der Leibarzt foderte heute noch die glei - che Stille und Bylifsky ſah 'ihn nur durch eine Seitenthuͤr, und brachte den Tag mit dem Pfarrer und dem Lieutenant in Bonnal zu.

Er ſah da alles, und alles mit den Augen des Manns, der im Stand iſt, im Saamenkorn des Oelbaums ſich das allmaͤhlige Wachsthum der Pflanzen von ihren Keimen an bis zu derjenigen Groͤße vorzuſtellen, in welcher die Voͤgel des Him - mels auf ſeinen Aeſten niſten, und die Menſchen ſich unter ſeinem Schatten lagern.

Er ſah lang und genau nach allen Seiten, war im Anfang ſtill, redte wenig, nach und nach aber immer mehr; trat in die kleinſten Umſtaͤn - de dieſer Leute hinein, und forſchte mit Genau - heit dem Einfluß der neuen Ordnung auf dieſe Umſtaͤnde nach, und kam dahin faſt mit dem hal - ben Dorf zu reden, ſah den Baumwoll-Meyer, das Mareili, Gertrud, den alten Renold, die jun - ge Renoldin, den Lindenberger, den Michel, und ſelbſt den Hummel; blieb, ſo lang die Schule dauerte, am Morgen und Nachmittag, vom Anfang bis zum Ende darinn, ſah aller Kinder Arbeit, und warf die genaueſte Aufmerkſamkeit auf die Verbin -143 dung des Lernens mit dem Arbeiten; forſchte genau, wie weit das Eine das Andere nicht hindere, ur - theilte kein Wort, bis er alles geſehen, alles ge - pruͤft, dann erſt ſagte er zum Lieutenant, der frey - lich izt auch gern ein Wort gehoͤrt haͤtte, was er etwann meyne.

Ich finde euere Einrichtungen mit der innern Natur des Menſchen, und mit ihrem wirklichen geſellſchaftlichen Zuſtand gleich uͤbereinſtimmend und einen Augenblick darauf die Großen ſchaͤ - tzen den Menſchen nur in dem Grade, in welchem ſie Nutzen von ihm ziehen koͤnnen, und das innere Triebrad aller wirklichen Geſezgebungen iſt kein an - ders, als jeden Staat fuͤr ſeinen Fuͤrſten ſo hoch hinauf zu treiben als moͤglich, und die darinn le - benden Menſchen ebenfalls ſo gut als moͤglich zu dieſem Endzweck aufs Beſte zu nutzen und zu brau - chen, und wenns gut geht, auch dazu zu bilden und zu fuͤhren. So wie das innere Triebrad der wirklichen Einrichtungen eines jeden Eigenthuͤ - mers dieſes iſt ſein Haus und Hof, Beruf und Gewerb, ſo hoch hinauf zu treiben als moͤglich, und ſeine Leute zu dieſem Endzweck eben ſo zu nuͤtzen und zu brauchen, und wenns gut geht, auch zu bilden und zu fuͤhren desnahen iſt der Menſch im Großen in dieſer Welt auch nur in ſo fern gluͤck - lich und ſicher, als er dienſtfaͤhig gebildet und ge -144 modelt iſt, den Platz, den er in der Geſellſchaft mit geſetzlichem Recht behauptet, wohl auszufuͤl - len.

Ihre Einrichtungen, mein Freund! entſpre - chen dieſem vorzuͤglichen Beduͤrfnis der Menſchen auf eine Art, wie ich es noch nirgend geſehen, und koͤnnen nicht anderſt als das Urtheil der Fuͤrſten uͤber den Werth ihrer Menſchen, und mit dieſem die Aufmerkſamkeit ihrer Geſezgeber oder Geſez - macher, auf das Gluͤck und die Sicherheit derſel - ben erhoͤhen in dem ſie dieſen wichtigen Ge - ſichtspunkt nicht durch chimaͤriſche Traͤume an welche die Fuͤrſten durch die erſte Beduͤrfniſſe ihres Stands in Ewigkeit gehindert werden, im Ernſt zu glauben ſondern durch viele Erhoͤhungen des wirklichen Ertrags, und Dienſtfaͤhigkeit der Men - ſchen, an die ſie immer gerne glauben, zu erzielen ſuchen.

Auch halte ich, lieber Lieutenant! Ihre Erzie - hungsart und Ihre ganze Dorfeinrichtungen ſo be - ſtimmt fuͤr eine Finanzſache, daß, wenn das Ka - binet den Plan gemacht haͤtte, das Volk ganz allein nach dem Geſichtspunkt ſeiner mehrern Ertragsfaͤ - higkeit erziehen zu laſſen, daſſelbe ganz gewiß ſein Werk mit Einrichtungen anfangen muͤßte, wie die Ihrigen ſind.

Gott! denkt euch izt den Mann, dem noch vorgeſtern Bonnals Geſindel gewagt hat, Joggeliwillt145willt Geld? und Joggeli haſt Geld? nachgerufen, und dem izt der erſte Miniſter ſeines Fuͤrſten dieſes ſagt!

Wenn nach Jahre-langem innerm Kaͤmpfen eine Beterin ſich ploͤzlich wie durch eine Erſchei - nung erhoͤrt, und weit uͤber ihren Glauben erhoͤrt ſieht, ſo ſteht ſie im erſten Gefuͤhle des Heils, das ihr wiederfahren iſt, vor ihrem Gott da, wie die - ſer Mann vor Bylifsky.

Eine Thraͤne zitterte in ſeinem Auge, und auf ſeinen Lippen das Verſtummen ſeiner ganzen Er - ſchuͤtterung.

Der Miniſter kannte dieſes Verſtummen, es war der beſte Lohn des Dienſts, den er ſeinem Fuͤrſten that, er hatte ihn aber auch nicht ſelten genoſſen, und nahm izt dem zitternden Mann ſeine Hand, ſagte ihm, zaͤhlen Sie auf mich, aber handeln Sie an ihrem Plaz vollends wie wenn Sie mich nicht kennen wuͤrden, und wie wenn ich nicht in der Welt waͤre. Der Weg, zu welchem Ihr Werk fuͤhret, fodert dieſes.

Mit dieſem verreißte er. Der Lieutenant ſah 'ihm nach, ſo weit er konnte; er ſaß am Ende der Schulmatten unter dem Nußbaum auf einem Markſtein, hielt die Haͤnde zuſammen, entzog ihm kein Aug, ſo lang er ihn ſah, und da er ihn nichtK146mehr ſah, ſank ihm ſein Haupt gegen dem Boden, ſein Herz ſchlug, und ſein hoͤlzernes Bein zitterte auf ſeinem Stumpen er ſah es armer Stumpen, ſagte er zu ſich ſelber, ich habe dich lang muͤhſelig herumgeſchleppt; aber wenn ich auf dir noch dahin huͤlpen kann, wohin mir izt ahn - det, ſo iſt mir die Muͤhſeligkeit meines Lebens wie nichts, und der Tag, an dem ich zum Kruͤppel worden, wird mir dann der gluͤcklichſte meines Lebens!

Ach! er ſah mit inniger Freude, wie ſein hoͤlzernes Bein zitterte; und der Miniſter reißte mit dem beruhigenden Gefuͤhl fort, eine Bahn zur ſichern Verbeſſerung der Volksgeſezgebung ent - deckt, und den Mann gefunden zu haben, der in den Labyrinthen der Tiefe, in welchen die Geſez - macher immer wie in der Irre herumtappen, und in der Finſterniß wandeln ſo viel Licht anzuͤnden kann, als einer braucht.

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§. 37. Aeußerungen der Freude und Freund - ſchaft Und der Strafe eines Ver - laͤumders.

Ehe er verreißte, nahm er noch in der Stille; aber ſehr genau, verſchiedene Zeugniſſe auf, was des Generalen Jaͤger uͤber den Lieutenant in Bon - nal fuͤr Reden ausgeſtreut dann eilte er einſam zu Fuß fort uͤber den Berg. Der Traum uͤber ſein Dorf, und der Gedanke, wie es um Arner ſtehe[,]theilten ſeine Empfindungen bis gegen das Schloß. So wie er ſich dieſem naͤherte, vergaß er die Schule[;]Furcht und Hofnung ſchlugen in ſeiner Bruſt, er verdoppelte ſeine Schritte er hatte befohlen, wann es im geringſten einen Anſchein zum Schlim - merwerden habe, daß man ihn augenblicklich be - richte nun war es Abend, und kein Bericht da, das ſchien gut Er eilte Er eilte izt iſt er hinter den Tannen, ſieht das Schloß wieder, ſein Herz ſchlaͤgt, er entzieht ihm kein Aug, und ploͤzlich ſieht er alle alle zum Schloß hin - aus ihm entgegen.

Thereſe die Kinder der General der Leibarzt er ſiehts ſie gehen ſie lau[-]K 2148fen ſie zittern nicht ſie ſind nicht mehr wie geſtern es fuͤhrt Thereſe Niemand es iſt kein Jammer in ihrer Geberde er ſiehts Arner iſt gerettet und ſpringt! der Karl ſpringt auch von der Mamma weg, ruft ihm laut und von weitem es beſſert mit dem Papa!! Bylifsky nimmt ihn bey der Hand, ſpringt wie der Knab Thereſe lauft izt auch, und ſinkt außer Athem und ohne zu reden ihm in die Arme Alle ſtehen um ihn her alle draͤngen ſich an ihn an, der Leib - arzt ſagt wieder Er iſt wills Gott gerettet! und ihm uͤberfließt das Herz von Wehmuth und Wonne.

So lauft ein Haus, das in den Flutten ge - ſtanden, und wie im graͤßlichen Eisſtoß ſich wie ein Wunder erhalten, einem Vater entgegen, der in der Verheerung nicht da war; die gerettete Mut - ter ſinkt ihm ſprachlos an den Arm, ſein Aelteſter ſpringt vor den andern her, ruft ihm von Ferne, wir ſind alle noch da! und alle alle die noch da ſind, ſtehen um ihn her, draͤngen ſich an ihn an und ihm uͤberfließt das Herz von Wehmuth und Wonne.

Arner wußte izt, daß Bylifsky da war, der Leibarzt hatte es ihm geſagt, aber ihn auch gebe - ten, ſich nicht in Gefahr zu begeben, und wenig mit ihm zu reden. Das gleiche bat er den Bylifs -149 ky. Er gieng hinein, daß man ihn kaum hoͤrte, wog die Worte wie Gold ab, vermied jede Em - pfindung, und ſaß nicht einmal nieder.

Dieſe Aufmerkſamkeit hielt den Arner in Schranken, daß ihm dieſe Freude nicht nachtheilig war. Er ſagte ihm wohl einmal, du thuſt doch vollends, als wenn dir an meiner Geſundheit mehr liege als an mir! Aber Bylifsky ließ ſich nicht einmal zu einem Laͤcheln bewegen er ſagte ihm: ein andermal wollen wir ſpaßen! Arner fuͤhlte daß er recht habe; und da die halbe Viertelſtunde vorbey war, die der Leibarzt erlaubt hatte, ließ er ihn mit Willen von ſich, und Bylifsky verreißte bald darauf, voll Hofnung ſeiner Geneſung Er konnte nicht laͤnger bleiben.

Vorher ſtellte er dem General noch einen Be - fehl zu, ſeinen Jaͤger geſchloſſen auf Bonnal fuͤh - ren zu laſſen, um allda von Haus zu Haus den Widerruf zu thun alles deſſen, was er gegen den Lieutenant ausgeſtreut; mit dem Beyfuͤgen, er er - warte, daß, wenn Arner von Sylvia auch nur dem entfernteſten Verdruß wieder ausgeſezt ſeyn ſoll - te, der Herr General ſie in dieſem Fall auf der Stelle von hier entferne.

Dieſe Nota war unterzeichnet Auf ſpezialen Befehl Sr. Durchlaucht Bylifsky.

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Sylvia erwartete ſelber ſo etwas. So lang er da war, machte er allemal, wenn ſie ihm zu Ge - ſicht kam, Augen, die ihr durch Leib und Seel gien - gen; ſie konnte es ſich nicht verhehlen, es war der Blick des Manns, der es in ſeiner Hand hatte, ſie zu erdruͤcken, und beynahe darnach geluͤſtete.

§. 38. Leidensgeſchichte eines herzguten Men - ſchen, der aber das Handwerk, das er treiben ſollte, nicht gut gelernet hatte.

Indeſſen nuzte Helidor dieſe Tage, Ihr Durch - laucht wegen der Bonnaler Arbeit, ſo viel an ihm ſtund, erkalten zu machen.

Der gute Herzog war ſeit einiger mehr als je in der Gewalt des Manns, der die beſten Empfin - dungen ſeines Herzens in ihm zu Staub rieb, wie man eine duͤrre Wurzel in dem Moͤrſel zu Staub reibt und er liebte den Mann, der ſeine Freude daran hatte, ihm alle Augenblicke den Todtenge - ruch vor die Naſe zu halten, der in ihm lag, und taͤglich vor ihm zu lachen, bis er das Menſchenge - ſchlecht aus dem Sinn ſchlug.

Armes dahingegebenes Geſchlecht der Menſchen! Wenn deine Fuͤrſten dahin kommen, ſolche deines151 gleichen zu lieben, die lachen, bis du ihnen aus dem Sinn biſt Armes verwahrloſetes Geſchlecht, wie biſt du dann zu bedauern? Aber dennoch bey allem, ihr Fuͤrſten! bey allem iſts noch die Fra - ge, wer mehr zu bedauern ſey, das arme Geſchlecht oder Ihr? wenn ihr ſolche Lieblinge habt wie He - lidor, der eine Stunde, ehe Bylifsky wieder heim kam, lachend von ſeinem Fuͤrſten weggieng, weil er den guten Mann, der mit herzlicher Theilneh - mung zu ihm ſagte, er hoffe wills Gott, er bringe gute Nachrichten von Arner, mit einem Wort er - ſchuͤttert hatte, das ihm durch die Seele gieng. Vergeſſen Ihr Durchlaucht, ſagte er zu ihm, doch niemal das Wort, womit Ihr Leibarzt Sie von der gefaͤhrlichſten Krankheit geheilet, die Sie je wie - der befallen konnte.

Ganze Reihen von Lebenserfahrungen, die alle den Endzwecken Arners entgegen zu ſeyn ſchienen, kamen dem Herzog mit dieſem Wort, wie mit ei - nem Schlag, wieder ins Gedaͤchtniß, und das große druͤckende Bild der Verwirrungen, ſeiner Jugend Gutmuͤthigkeit, ſtund ihm damit ploͤzlich vor Au - gen. Er gieng beyſeits und Helidor hatte, was er wollte.

Die Sach iſt dieſe. Ihr Durchlaucht ka - men im 21. Jahr mit einem Engelherzen, aber als ein unwiſſendes Kind, an die Regierung, fan -K 4152den beym[Antritt] einen verſchuldeten Staat, ein elendes Volk, und ein Leben am Hof, das einem ewigen Karneval glich. So wollten Sie es nicht Sie wollten es anderſt erzwingen Sie boten jedem Projektmacher die Hand, jeder Schwaͤr - mer und jeder Heuchler fand Eingang, aber Ihr Volk ward immer elender, Ihr Hof immer ver - wirrter, und der Staat immer verſchuldeter.

Es rieb den jungen Mann faſt auf, er verlor Muth, Farb, Heiterkeit, Sinnen, und ſank in eine Abſchwaͤchung hinab, die fuͤr ſein Leben be - ſorgt machte.

Ein Leibarzt alter Art, der ſchon mit ſeinem Großvater geſpaßet, ſuchte ihn aufzumuntern, und alle Morgen, wenn er ins Zimmer trat, war ſein gewoͤhnliches Wort: Ihr Durchlaucht Ihr Durchlaucht die Welt iſt ein Narrenhaus! laſſen Sie ſie gelten, was ſie iſt, und werden Sie ge - ſund! Der Herzog gab ihm freylich im An - fang zur Antwort, er iſt ein leichtſinniger Mann, ſchweig er mit ſolchen Worten, und geb er mir ſeine Arzney.

Aber der Leibarzt ſchuͤttelte den Wanſt, und ſagte, dieſer Spruch gehoͤre mit zur Arzney; und Ihr Durchlaucht muͤſſen ihm wenigſtens noch 4 Wochen erlauben, dieſe Worte alle Morgen zu ſa -153 gen, wie er ſie bisher geſagt, und dazu zu lachen, wie er bisher gelachet habe.

Ihr Durchlaucht ließen den Narren machen; aber es half. Der Herzog fand alle Morgen mehr Wahrheit in dem Wort, das ihm der Dokter ſo alle Morgen nuͤchter brachte und eingab, und ſein Glaube an Projektmacher, Schwaͤrmer und Heuch - ler, ſtimmte ſich wirklich hinunter, aber ſein Herz aͤnderte ſich nicht; ſo bald er wieder geſund war, konnte er nichts weniger als aufhoͤren, ſich an Men - ſchen zu binden, von denen er glaubte, daß ſie an ſeinem Volk vaͤterlich handeln wollten und koͤnnten aber er betrog ſich an allen; dieſe Vaͤter hat - ten immer ihre eigene Kinder, und die, ſo derglei - chen thaten, als haͤtten ſie keine, hatten die mei - ſten; das Volk kam bey allen und jeden hinten nach, wie es ohne ſeine Muͤhe vorher ſchon hin - ten nach war.

Er war großmuͤthig und ſtandhaft, und ließ bey allem Fehlſchlagen nichts unverſucht, gieng einmal ſogar zu den Frommen hinuͤber, und fand da wirklich mehr Sorgfalt und mehr Verſtand in Beſorgung einiger weſentlicher Angelegenheiten des Volks, als er ſonſt noch nirgendwo gefunden; aber das Ganze ihrer Einrichtungen und ihrer Stim - mung behagte ihm nicht es war ſeiner Natur zuwider, an Leute zu glauben, die ſo wenig mit154 geradem Ruͤcken und feſtem Tritte vor ihm ſtehen konnten, als mit natuͤrlichen Augen; und es wollte nicht in ihn hinein, daß das Gluͤck der Menſchen in einer Seelenſtimmung beſtehe, die ihn in ſolchem Grad ſchwach mache; er kannte den Zuſammen - hang zwiſchen dem ſchwach ſeyn und krumm wer - den, und hielt es fuͤr das erſte Beduͤrfniß des Menſchen, daß er gerad bleibe.

Auch ſah er nicht blos ihre Obern und Klu - gen, er ſah auch ihre Untern und Dummen; und es fiel ihm auf, daß die erſtern ſind, was ſie wol - len, und die andern, was ſie muͤſſen; auch dieſer Unterſchied behagte ihm nicht, noch weniger die Gewalt, die er ſie uͤber die Koͤpfe ihrer Leute haben ſah, der Seinige war ihm um keinen Preis feil; und wenn er auch ſein Volk damit auf eine Art haͤtte gluͤcklich machen koͤnnen, ſo waͤre ihm das nicht moͤglich geweſen, ihnen alſo ſein Haupt da - hin zu geben, daß ſie daſſelbe, wie die Taͤnzerin im Evangelio das Haupt Johannes des Taͤufers in einer Schuͤſſel herum tragen konnten, zu Frau Muͤt - tern, und wohin ſie wollten. Nein, das waͤre ihm nicht moͤglich geweſen; auch ſahen die Obern den Fehler dieſer Eigenſuͤchtigkeit an ihm gar bald, wie ſie denn dieſen Fehler an jedermann geſchwind bemerken, und immer gar hoch halten; ſie nennen ihn in ihrem Kinder-Unterricht den ſchlimmſten Tuck des leidigen Satans, der allen Glauben verſcheue.

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Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle Haͤndel haßte, mit denen man nie zu Ende kom - men konnte; und es war ihm unmoͤglich, zu glau - ben, daß das wahre Gluͤck des Menſchen von Got - tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile gebunden ſey, die ſeit Jahrhunderten zwiſchen ehrli - chen Leuten im Streit ſind, und ihrer Natur nach wahrſcheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit bleiben werden.

Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er brach ab, ſo bald er merkte, daß es den Kopf gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der Irre herumlaufen, als mit verbundenen viel - leicht in ein Paradies kommen.

So ſchwamm er Jahre lang wie auf den Wel - len des Meers, fand fuͤr ſein Herz nirgend kein ſi - cheres Ufer und ſuchte zulezt kurze Zeit.

Er fand ſie meiſtens in der Einſamkeit ſaß Stundenlang einzig in ſeinem Winkel beym Kamin, brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf ganze Stoͤße Papier in die Flammen, und wenn ſie Aſchen waren, ſagte er oft, das, was izt da - von uͤbrig iſt, iſt ihre Wahrheit!

Die Regierungsgeſchaͤfte wurden ihm zur Laſt, ſie ſchienen ihm nichts anders als das Treiben eines Fuhrmanns an einem uͤberladenen Wagen, der156 durch Sumpf und Koth fort muß; geh es wie es geh. Auch iſt wahr, was Sylvia ſagte: Er hieß ſeine beſten Miniſter gar oft Karrenroß freylich gab er ihnen dieſen Namen eben, wie gewiſſe Leute ein wichtigers Scheltwort, der halben Welt nicht mit Unwillen und Verachtung, ſondern mit Be - dauren und Mitleiden; aber ſie hoͤrtens doch nicht gern, inſonderheit weil er mit dem ſchlechteſten Mann, der am Hof war, eine Ausnahme machte, und dieſen nicht ſo nannte, aber er that es um deßwillen nicht minder.

Oft gieng er einſam von der Jagd weg in die Huͤtte des Landmanns, von ſeinem Brod, trank von ſeiner Milch, legte ihm Gold in die Becken, floh dann wieder die niedere Huͤtte, und ſagte, waͤr ich doch wie ihrer einer, und haͤtte ichs wie ſie!

Er gab dem Bettler am Weg ſeine Uhr, und dem Kind, das ihn um Brod bat, ſeine Boͤrſe; ſagte oft im ganzen Gefuͤhl ſeines Ungluͤcks laut ſeufzend: Ich meynte, ich wollte und koͤnnte ih - nen ſeyn wie ein Vater. Aber waͤren ſie izt nur vor mir ſicher, ſie ſind nicht einmal das wer mich kennt, den flieht das Volk, es zittert vor dem Mann, der weißt, was meine Befehle ausweiſen, und mein Geſez iſt in ihren Augen und in ihrem Mund nichts anders, als der Schluͤſſel zu ihren Geldkiſten, den meine Knechte allenthalben wider ſie im Sack haben.

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Ein anders Geſezbuch zu machen, dachte er wohl, aber die es konnten, ſagten, ſie koͤnnen es nicht; und die, ſo es nicht konnten, wollten es machen, aber er ſah, daß ſie es nicht konnten.

Das war ſeine Lage. Er ſah im Allgemeinen wohl, wo er hindenken ſollte, aber er irrte ſich Stuͤck fuͤr Stuͤck in den Mitteln, und kam endlich dahin, wo viele Menſchen in aͤhnlichen Faͤllen hin - kommen, zu glauben, es ſey unmoͤglich zu ſeinem Ziel zu gelangen.

§. 39. Grundſaͤtze des Dickhalſes, der dem Teu - fel in der Lavateriſchen Phyſiognomik gleich ſieht.

In dieſer Lag und in dieſer Stimmung war er, als er mit Helidor Bekanntſchaft machte, und ſich an ihm irrte. Zeitvertreib und Zerſtreuung waren ihm wieder koͤrperliche Beduͤrfniſſe geworden, und die unerſchoͤpfliche Kunſt des Manns, jeden Spiegel umzukehren, der etwas unangenehmes darſtell - te, und jeden Gedanken wegzubannen, den er weg wuͤnſchte, der Anſchein eines unerſchuͤtter - ten Muths, und ſeine Kunſt immer zu lachen158 mußte dem Herzog in dieſer Lage behagen; es ahn - dete ihm nicht, daß dieſes alles die Frucht ſeiner Gottesvergeſſenheit und ſeiner Menſchenverhoͤhnung ſeyn konnte: er meynte vielmehr, ſeine Grundſaͤtze, ſo roh ſie toͤnen, ſeyen nicht boͤs gemeynt, und bloße Folgen trauriger aber wahrer Erfahrun - gen. So gut war der Herr; er war uͤber fuͤnf - zig, und irrte ſich noch ſo!

Der andere nuzte den Irrthum; er hatte die unnachahmliche Kunſt, Sachen, die er wie in den Tag hinein zu reden ſchien, den Menſchen tief in die Seele hineinzubringen. Wenn man glaubte, er pfeife den Voͤgeln ein Lied vor, oder er ſehe zum Fenſter hinaus auf die Bruck, ſo warf er, eh man ſichs verſah, ein Wort weg, mit dem er ihrer Zehen den Kopf umdrehete, die kaum ſahen, daß er da war. Seine Meynungen waren kurz und beſtimmt, es war immer viel Wahrheit darinn, ſie ſchmei - chelten dem Fuͤrſten, und er ſchien dem Volk nicht unrecht thun zu wollen, indem er es wirklich that. Man meynte, er kehre ihm den Ruͤcken nur da - rum, weil es nicht moͤglich ſey, ihm die Haͤnde zu bieten; ſeine Entſchloſſenheit mahlte das Leben leicht, er lenkte Muͤhſeligkeit ab, zerſchnitt den Faden, wo er ihn nicht aufloͤſen konnte, und machte kein Geheimniß aus dem Glaubensbekennt - niß, das tauſend Schwaͤchere ſeines gleichen ver -159 bergen, er ſorge fuͤr ſich ſelber, und das ſey die Beſtimmung des Menſchen.

Etliche ſeiner vorzuͤglichen Aeußerungen waren dieſe: Wer herrſchen will, muß ſein Herz alſo in den Kopf hinauf nehmen, daß er in keinem Fall unter dem Hals mehr viel von ſich ſelber empfinde. Item Es ſey die Hauptkunſt eines Fuͤrſten, weder Menſchen noch Sachen vor ſich kommen zu laſſen, die ihm an einem Ort warm machen koͤnn - ten, wo es einem Fuͤrſten nie warm werden ſoll.

Weiter: Ein Fuͤrſt muß nicht glauben, daß er die Heerde wolle weyden lehren, dafuͤr hat ſie ſelber ein Maul, und er iſt nicht um deswillen da.

Item: Es liegt im Grund nicht ſo viel daran, was er wirklich thut, die Heerde zu huͤten, als an dem, was er thut, den Hund und den Wolf, und die Schaafe glauben zu machen, daß er ſie huͤte.

Er machte ſich auch gar nichts daraus, laut zu behaupten, man koͤnne die Menſchen nie in eine Ordnung bringen, daß ſie wirklich vor einander ſicher ſeyen, die Grundſaͤtze von der allgemeinen Sicherheit ſeyen eine Chimaͤre, und wer daran glaube, ein Narr oder Charletan.

Zur Beſtaͤtigung dieſes Satzes behauptete er, der Menſch habe einen Zahn im Mund gegen ſein160 Geſchlecht, den ihm Niemand ausziehen koͤnne, und ſo lange er dieſen habe, ſo hoͤre ſein Beißen nicht auf.

Es braucht viel und mehr als der Herzog hatte, das Wahre und Falſche dieſer Saͤtze zu ſoͤn - dern; aber weil er ein ſo innig gutes Herz hatte, ſo ſchadete ihm der Miſchmaſch nichts, er that ihm vielmehr manchmal wohl, zerſtreute ihn, und machte ihm gutes Blut und ſonſt nichts; wenn es ihm ſchon zu Zeiten vorkam, es ſey wie er ſage, ſo blieb er im Grund immer was er war und Bylifsky zaͤhlte in allweg ſo ſicher auf ſein Herz, als der andere auf die Kunſt, ihm fuͤr einen Au - genblick den Kopf herumzudrehen, wohin er wollte.

§. 40. Ein zweyfacher Unterſchied zwiſchen Sa - chen und zwiſchen Menſchen.

Der erſte war klug genug, ſeinen Bericht von Bonnal alſo einzurichten, daß er zwar mit Be - ſtimmtheit aͤußerte, die Sache gehe gut, und ihre allgemeine Ausfuͤhrung koͤnne mit der Zeit dem Land von Wichtigkeit werden, aber hingegen ſich nichts weniger als eifrig dafuͤr zeigte, ſondern vielmehr eben ſo beſtimmt beyfuͤgte, ſe fodereeinen161einen langſamen Gang, und muͤſſe am Ort, wo ſie angefangen, zu ihrer voͤlligen Reife gedeihen, ehe man daran denken koͤnne, einen Schritt weiters zu gehen.

Lang hernach, und nur wie beylaͤufig, ſezte er hinzu, der Lieutenant iſt der Mann, der die Sache ſeiner Zeit in vielen Doͤrfern ausfuͤhren kann, wie ers izt in Bonnal thut.

Der Herzog ließ ihn von gar nichts anderm reden; er fieng wieder von neuem davon an, und drang beſonders auf eine beſtimmte Antwort auf die Frage, worinn der Unterſchied zwiſchen dieſem Verſuch und den aͤhnlichen, die ihm ſo wohl als andern Leuten ſo vielfaͤltig mißlungen, beſtehe?

Der Miniſter antwortete: Ihr Durchlaucht! man ſucht die Leute in Bonnal zu nichts anderm zu machen, als was ſie in ihrem Plaz nothwendig wer - den muͤſſen, aber man ruhet nicht, bis man da iſt, daß ſie dieſes recht werden, und braucht dazu in einem jeden einzeln Stuck, vom Ackerfahren an bis zum Maus und Ratzen fangen, allemal den Mann, der das einzelne Stuck, warum es zu thun iſt, am beſten verſteht.

Dieſe Erklaͤrung gieng dem Fuͤrſten zu Herzen. Das Bewußtſeyn, daß er ſelber an ſeinem Plaz nicht ſey, was er darinn ſeyn ſollte; und daß die -L162jenige, die ihn dazu haͤtten bilden und fuͤhren ſol - len, das gar nicht verſtanden, was ſie ihn haben lehren ſollen, gab es ihm mit innigſter Bewegung zu fuͤhlen, wie wichtig ſolche Anſtalten ſeyn wuͤr - den, durch welche die Menſchen das wirklich wer - den muͤßten, was ſie an ihrem Plaz ſeyn ſollen, und durch welche ſie das, was ſie in erwachſenen Jahren treiben muͤſſen, durch Leute lernen koͤnn - ten, die es ausuͤben.

Er ließ ſich alle Umſtaͤnde erzaͤhlen, und ſagte am Ende, wenn es in der Welt moͤglich iſt, daß aus einem Verſuch von dieſer Art etwas heraus - kommt, ſo muß hier etwas herauskommen.

Aber das machte den Helidor nicht irre; als er noch an dieſem Abend wieder zum Herzog kam, und ihm dieſer ſagte, kommen Sie mir izt heute nicht damit, die Sachen in Bonnal ſeyen Charla - tanerien wie die andern, erwiederte Helidor laͤchelnd, ich ſagte niemals, die Sachen in Bonnal ſeyen Charlatanerien wie die andern, zog das Wort in Bonnal und wie die andern langſam ſpoͤt - tiſch und ſezte hinzu: aber erlauben Ihr Durch - laucht, wie viel ſteht Ihnen dieſen Monat im Spiel?

Verflucht viel erwiederte der Herzog und ſagte, es waͤre bald Zeit, daß ich wieder eine Ambe gewinne.

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Warum zaͤhlen Ihr Durchlaucht auf keine Ter - ne oder Quaterne? ſagte der Liebling, und laͤ - chelte.

Der Fuͤrſt ſah ihn an, und waͤhrend dem er ihn anſah, fuͤhlte er, was er meynte, nemlich drey Menſchen wie die in Bonnal treffen ſeltener zuſam - men, als vielleicht eine Terne oder Quaterne.

Es duͤnkte ihn wirklich es ſey ſo, und ſchwieg. Aber Helidor ſah, daß er es fuͤhlte, und druͤ - ſtete ſich hernach mit ſeiner Terne und Quaterne, daß es Bylifsky wieder vernahm.

Es machte ihm nichts; er wußte, daß man aus den Menſchen machen kann, was ſie nicht ſind, und daß man ſie zuſammen ſtellen koͤnne, wenn das Gluͤck ſie nicht zuſammen tragen wolle daß alſo die Vergleichung hinke; und es war ihm gar recht, daß es dem Herzog da[r]uͤber kalt mache; er hatte vielmehr gefuͤrchtet, es werde das Gegen - theil thun, und ihn verleiten, den Verſuch in ſei - nem unreifen Zuſtand weiter zu treiben, um ihm alſo den Herzſtoß zu geben.

Habe keinen Kummer, Leſer! Der andere wird vor ihm verſchwinden wie ein Kameel mit ei - nem Hocker und Aufſaz vor einer Pyramide.

L 2164

§. 41. Die Philoſophie meines Lieutenants, und diejenige meines Buchs.

Ein Schiffer, den jenſeits der Linie, wenn er ſchon das Feuer des halben Himmels befahren, zu - lezt noch ein Sturm uͤber die Abgruͤnde vielfarbi - ger Meere ſchleudert, ſehnet ſich nicht ſo ſehr nach den weißen Voͤgeln, die das Ufer verkuͤnden, als Arner ſich nach Bonnal ſehnte, da er wieder leich - ter Athem ſchoͤpfte.

So warm und treibend redte er auch von kei - nem Werk ſeines Hauſes, als er mit dem Pfarrer und dem Lieutenant von Bonnal redte. Sie fan - den alle drey, das Werk ſey ſo viel als angefan - gen; aber zu ſeiner eigentlichen Vollendung und zur Sicherſtellung der Zukunft fehle ihm nichts als Alles und vor allem aus, eine mit ihren Einrichtungen und ihren Endzwecken uͤbereinſtim - mende Geſezgebung.

Aber der Junker und der Pfarrer ſchoben die - ſen Punkt auf den Lieutenant, und ſagten ihm, er ſollte ſich nur darauf gefaßt machen; auch By - lifsky erwarte dieſes Stuͤck ihres Werks nicht von einem alten Pfarrer, und nicht von einem jungen165 Junker, ſondern von ſeiner Erfahrung. Er machte kein Kompliment, und war wirklich darauf gefaßt.

Da er, ſeit dem er Bylifsky erſten Brief gele - ſen, die Nachforſchungen uͤber die Natur einer wahren Volksgeſezgebung zum Gegenſtand ſeines Nachtwachens und jedes freyen Augenblicks im Tage gemacht, dachte er nunmehr mit einer Hei - terkeit und Beſtimmtheit uͤber dieſen Gegenſtand, daß er ſich nicht entzog, ſeine Begriffe daruͤber in einem der erſten Abenden, den ſie bey dem wieder - geneſenden Junker zubrachten, auseinander zu ſe - zen wie folget.

Die neuern Geſezgebungen, die man aber nicht im Ernſt fuͤr Volksgeſezgebungen ausgeben wird, ſetzen alle vom Menſchen, und beſonders vom min - dern Menſchen, voraus, daß er ohne alles Verhaͤlt - niß mehr und beſſer ſey, als er iſt, und als er, ohne daß ſie ihn in Stand ſtellen es zu werden, ſeiner Natur nach nicht ſeyn kann.

Der Menſch, fuhr er fort, iſt von Natur, wenn er ſich ſelbſt uͤberlaſſen wild aufwaͤchst, traͤg, un - wiſſend, unvorſichtig, unbedachtſam, leichtſinnig, leichtglaͤubig, furchtſam, und ohne Graͤnzen gierig, und wird dann noch durch die Gefahren, die ſeiner Schwaͤche, und die Hinderniſſe, die ſeiner Gierig - keit aufſtoßen, krumm, verſchlagen, heimtuͤckiſch,L 3166mißtrauiſch, gewaltſam, verwegen, rachgierig, und grauſam. Das iſt der Menſch, wie er von Natur, wenn er ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wild auf - waͤchst, werden muß; er raubet wie er ißt, und mordet wie er ſchlaͤft. Das Recht ſeiner Natur iſt ſein Beduͤrfniß, der Grund ſeines Rechts iſt ſein Geluſt, die Graͤnzen ſeiner Anſpruͤche iſt ſeine Traͤg - heit, und die Unmoͤglichkeit weiters zu gelangen.

In dieſem Grad iſt es wahr, daß der Menſch, ſo wie er von Natur iſt, und wie er, wenn er ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wild aufwaͤchst, und ſeiner Na - tur nach nothwendig werden muß, der Geſellſchaft nicht nur nichts nuͤtz, ſondern ihr im hoͤchſten Grad gefaͤhrlich und unertraͤglich iſt.

Desnahen muß ſie, wenn er fuͤr ſie einigen Werth haben, oder ihr auch nur ertraͤglich ſeyn ſoll, aus ihm etwas ganz anders machen, als er von Natur iſt, und als er, wenn er ſich ſelbſt uͤber - laſſen wild aufwaͤchst, werden koͤnnte.

Und der ganze buͤrgerliche Werth des Menſchen, und alle ſeine der Geſellſchaft nuzbare und brauch - bare Kraͤfte ruhen auf Einrichtungen, Sitten, Er - ziehungsarten, und Geſezen, die ihn in ſeinem In - nerſten veraͤndern und umſtimmen, um ihn ins Gleis einer Ordnung hineinzubringen, die wider die erſten Triebe ſeiner Natur ſtreitet, und ihn fuͤr167 Verhaͤltniſſe brauchbar zu machen, fuͤr welche ihn die Natur nicht beſtimmt, und nicht brauchbar ge - macht, ſondern vielmehr ſelber die groͤſte Hinder - niſſe dagegen in ihn hineingelegt hat: desnahen iſt der Menſch allenthalben in dem Grad, als ihm wahre buͤrgerliche Bildung mangelt, Naturmenſch; und ſo weit ihm der Genuß von Einrichtungen, Anſtalten, Erziehungsarten, Sitten, Geſezen, welche nothwendig ſind, aus dem Menſchen das zu machen was er in der Geſellſchaft ſeyn ſoll, man - gelt, ſo weit bleibt er, troz aller innwendig leeren Formen der aͤußerlichen buͤrgerlichen Einrichtungen, in ſeinem Innern das ſchwache und gefaͤhrliche Ge - ſchoͤpf, das er im Wald iſt; er bleibt, troz ſeines ganzen aͤußerlichen Buͤrgerlichkeitsmodel, ein unbe - friedigter Naturmenſch, mit allen Fehlern, Schwaͤ - chen, und Gefaͤhrlichkeiten dieſes Zuſtands; iſt auf der einen Seite fuͤr die Geſellſchaft ſo wenig nutz, als ſie vor ihm ſicher iſt; er druͤckt und verwirrt ſie nirgends, als wo er kann und mag und auf der andern Seite hat er von ihr eben ſo wenig einen befriedigenden Genuß; und es waͤr 'ihm, wenn er in der Mitte der buͤrgerlichen Geſellſchaft von ihr verwahrloſet, wild, und natuͤrlich aufwaͤchst, gewiß beſſer, er waͤre nicht darinn, und koͤnnte ſeine nich - tigen Tage thieriſch und wild, aber auch ungehemm - und ungefeſſelt im Wald dahin leben, als Buͤrger zu ſeyn, und aus Mangel buͤrgerlicher Bildung,L 4168am Fluch einer Ketten zu ſerben, die ihm das Ge - fuͤhl der Rechten ſeiner Natur von allen Seiten ver - wirrt, das Befriedigende ſeiner Naturtrieben in allen Theilen beſchraͤnkt, und ihm nichts dargegen giebt, als die Foderung das zu ſeyn, was weder Gott noch Menſchen aus ihm gemacht haben, und was ihn die Geſellſchaft, die es von ihm fodert, noch am meiſten hindert zu ſeyn. Indeſſen iſt es nichts weniger als leicht, aus dem Menſchen etwas ganz anders zu machen als er von Natur iſt, und es fodert die ganze Weisheit eines die menſchliche Natur tiefkennenden Geſezgebers, oder wenn ihr lieber wollt, (denn beydes iſt wahr) die Frommkeit einer Engeltugend, die ſich Anbethung erworben, den Menſchen dahin zubringen, daß er beym Werk ſeines buͤrgerlichen Lebens, und bey Verrichtung ſeiner Stands - Amts - und Berufs - Pflichten eine das Innere ſeiner Natur befriedigen - de Laufbahn finde, und an einer Kette nicht ver - wildere, welche die erſten Grundtriebe ſeiner Natur mit unerbittlicher Haͤrte beſchraͤnkt, und mit eiſer - nem Gewalt etwas anders aus ihm zu machen be - ginnet, als das iſt, wozu ihm alle Triebe ſeiner Natur mit uͤbereinſtimmender Gewalt unwillkuͤhr - lich in ihm liegender Reize hinlocken.

Eine jede Luͤcke in der buͤrgerlichen Geſellſchaft ein jeder Anſtoß im geſellſchaftlichen Leben eine jede Ahndung durch Gewalt oder durch Liſt169 ſeine natuͤrliche Freyheit behaupten, und außer dem Gleis der buͤrgerlichen Ordnung zur Befriedi - gung ſeiner Naturtrieben gelangen koͤnnen, das alles fachet in jedem Fall den Funken der Empoͤ - rung gegen dieſe Kette, der tief in der Natur liegt, von neuem wieder an das alles belebt in jedem Fall die nie in uns ſterbende Keime unſerer erſten Triebe, und ſchwaͤch[t]in jedem Fall von neuem die Kraͤfte unſerer buͤrgerlichen Bildung, die dieſe Triebe beſchraͤnken.

So viel, und weniger nicht, hat ein Geſezge - ber zu bekaͤmpfen, der den Menſchen durch die buͤrgerliche Verfaſſung gluͤcklich machen, und ihm die erſten Vortheile der geſellſchaftlichen Verbin - dung, Gerechtigkeit und Sicherheit nicht nur ver - ſprechen, ſondern auch halten will denn allent - halben, wo man die Menſchen wild aufwachſen, und werden laͤßt, was ſie von ſich ſelbſt werden, da iſt Gerechtigkeit und Sicherheit in einem Staat ein bloßer Traum. Beydes iſt in einem Staat nur in dem Grad wahrhaft moͤglich, als die Men - ſchen, die darinn wohnen, von den Hauptfehlern ihres Naturlebens, namentlich vom Aberglauben, vom Leichtſinn, Gedankenloſigkeit, Liederlichkeit, Furchtſamkeit, von Unordnung, Unweſen, ſchwaͤr - meriſchen Lebensarten, und von den Folgen dieſer Grundfehler, oder vielmehr Schwaͤchen unſerer Natur, vom Troz ihrer Dummheit, von der Ver -170 wegenheit ihres Leichtſinns, von den Verwicklungen ihrer Unordnung, von der Noth ihrer Liederlichkeit, von den Verlegenheiten ihrer Unanſtelligkeit, von dem Unſinn ihrer Gierigkeit, von der Gewaltſam - keit ihrer Anſpruͤchen, und von der Grauſamkeit ihrer Rache, geheilet, und zu einem bedaͤchtlichen, vorſichtigen, thaͤtigen, veſten, im Zutrauen ſo wohl als im Mistrauen ſicher gebenden, und die Mittel zur Befriedigung ſeiner erſten Wuͤnſche in ſich ſelber, und im Gebrauch ſeiner durch buͤrgerliche Bildung erworbenen Fertigkeiten und Kraͤften fuͤh - lenden Menſchen zu machen.

Denn wo dieſes nicht iſt, und die Geſellſchaft mit ihren Gliedern handelt wie ein Bauer, der aus ſeinem Weinberg nimmt, was Gott und die Reb giebt, ohne ihn im Fruͤhjahr zu hacken, und den Sommer uͤber zu ſchneiden und zu binden wo ſie vielmehr umgekehrt in dem Grad, als ein Buͤr - ger in der Stufenfolge hoͤher ſtehet als der andere, ihm es leichter macht, ihren Banden zu entſchluͤp - fen, und der Natur nach zu leben, da muß die buͤrgerliche Geſellſchaft ſie kann nicht anderſt eine Gerechtigkeit und eine Sicherheit erhalten, wie ſie der Geſezgeber in dieſem Land verdient, die aber auch ausſieht, wie eines jeden liederlichen Haushalters ſeine Hausordnung und wie zum Exempel, da wo ſoll ich ſagen ich will in der Tiefe bleiben, wo ſich die hi[her]zie -171 lende Wahrheit mit ganz unvernuͤnftig mehrerer Behaglichkeit ſagen laͤßt alſo da z. Ex. wo Schulz, Weibel, Untervogt, u. ſ. w. notoriſch, landskundig, und allgemein minder ehrlich, min - der aufrichtig, minder unbeſcholten, minder zu - verlaͤßig, gutmuͤthig, und treuherzig ſind, als ge - meine Leute im Land; und eben dadurch, daß ſie Untervoͤgte, Weibel und Schulze ſind, dahin kom - men, daß ſie, unbeſchadet ihrer Ehre, ihres guten Namens und ihres Seckels, alles, was recht iſt, ſo auffallend minder ſeyn koͤnnen und doͤrfen, als jeder gemeine Menſch im Land und wieder, wo ſie eben dadurch, daß ſie Untervoͤgte, Schulze, u. ſ. w. ſind, dahin kommen, daß ſie in allem, was Hausordnung, Erziehung, gemeinen Landesfleiß u. ſ. w. antrift, minder anſtellig, und minder rathlich, als alte kindlichgewordene Weiber und Kuͤhhirten Und im Gegentheil in allem, was die Menſchen zur Verwilderung eines unbuͤrgerli - chen und ungeſellſchaftlichen Lebens hinabfuͤhrt, und ſie zu verdrehten, krummen, hinterliſtigen, falſchen, traͤgen, unordentlichen, und dabey verlogenen, heimtuͤckiſchen, gewaltthaͤtigen, rachſuͤchtigen und grauſamen Naturmenſchen macht, ganze Meiſter ſind, und eben dadurch, daß ſie Regierungsbeam - tete ſind, und alſo in der Stufenfolge der geſell - ſchaftlichen Ordnung hoͤher ſtehen als andere, dahin kommen koͤnnen, in dieſen Kunſtſtuͤcken172 des Naturlebens ſolche Meiſter und Vorbilder zu werden.

Allenthalben, wo es immer ſo iſt, und wo im - mer das wirkliche Reſultat der Geſezgebung im Ein - fluß habenden Menſchen alſo ausſieht und auffaͤllt, da iſt Sicherheit der Perſonen und des Eigen - thums, Freyheit und Gerechtigkeit eine Chimaͤre, weil unter dieſen Umſtaͤnden das Volk, das iſt, ſo viel als alles was auf zwey Beinen geht zu einem Geſindel wird, das auf der einen Seite ſeine Sin - nen und Gedanken und ſein ganzes Beſtreben da - hin lenkt, auch, wie ſeine Obern, von der ver - haßten Kette loszukommen, und wie ſie auch wie im Wald zu leben, und dabey, wo moͤglich, noch bey ihrem Waldleben andere zweybeinigte Geſchoͤpfe zu ihrer Bedienung, zu ihrer Kommlichkeit und ihrem Schutz unter ſich zu haben. Und denn aber auf der andern Seite von einer unter dieſen Umſtaͤnden allerhoͤchſt wichtigen und allerhoͤchſt nothduͤrftigen Galgen-Rad - und Galeeren-Gerech - tigkeit*)Anmerkung. Pardon! der Lieutenant heißt eine Galgen-Rad - und Galeeren-Gerech - tigkeit nicht eine ſolche, die Galgen und Rad braucht, ſondern eine, die ſie darum brau - chen muß, weil ſie das Volk verwahrloſet, und ſelber zu dem macht, wofuͤr ſie ihn hin - tennach ſtraft eine ſolche Gerechtigkeit, die zuruͤckgeſchreckt, zuruͤckgebunden, und zu -173 ruͤckgemetzelt dahinkommen, durch die Umwege der Falſchheit, des Betrugs, der Verſtellung und ei - nes huͤndiſchen Kriechens zur Befriedigung der Trie - be zu gelangen, wozu ihnen, durch den offenen ge - raden Weg der Gewalt zu gelangen, alſo der Weg geſperrt wird.

So, ſezte er mit Hitze hinzu, ließ man einſt in Staaten fuͤr das Kopfgeld Zigeuner, und anders Volk ihrer Art, ins Land, und verbot ihnen uͤbri - gens bey Strafe und Ungnade den Bauern Enten zu ſtehlen, und andere dergleichen Sachen zu machen.

Dieſer Unfug iſt noch allenthalben in der Welt; aber alle Gerechtigkeit, welche unter dieſen Umſtaͤn - den in einem Staate moͤglich, iſt denn auch nichts anders, als eine armſelige Nothjagd gegen ver - wahrloſete und verwilderte Thiermenſchen, welche aber das Geſchlecht ſo wenig aͤndert, beſſert, oder zahm macht, als die Fallen und Gruben im Wald den Fuchs, und den Baͤr und den Wolf anders machen als ſie ſind.

*)Niemand im Land gerecht, aber das halbe Land ungerecht macht, und denn die Kinder ihrer eigenen Ungerechtigkeit behandelt, als wenn ſie keine menſchliche Natur haͤtten, und bey der buͤrgerlichen Verwahrloſung nicht noth - wendig verwildern muͤßten eine ſolche Ge - rechtigkeit, und keine andere, heißt mein Lieu - tenant eine Galgen - Rad - und Galeeren-Ge - rechtigkeit.

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Dieſes Geſchlecht wird nicht anders und nicht beſſer, als wo es durch eine mit ſeiner Natur uͤber - einſtimmende Bildung und Fuͤhrung, mit Weis - heit, zu ſeiner buͤrgerlichen Beſtimmung empor gehoben, und zu dem gemacht wird, was es in der Welt wirklich ſeyn ſoll.

So redete der Lieutenant uͤber den Fundamen - talirrthum der neuern Geſezgebungen. Es machte den Herren beyderſeits bange: denn obwohl dieſe Vorſtellungsart dem Pfarrer eine wichtige Frage in ſeinem Katechiſmus erklaͤrte, und auch dem Jun - ker Stuͤck fuͤr Stuͤck nichts dagegen in den Sinn kam, ſo ſahen ſie doch, daß dieſelbe nicht weniger weit lange, als die ganze im philoſophiſchen Jahr - hundert wirklich in Ausuͤbung ſtehende Geſezgebung auf den Kopf zu ſtellen und wenn ſie Hollaͤnder geweſen waͤren, ſo haͤtten ſie die Sache ad refe - rendum genommen, oder als ein unlauteres Ge - ſchaͤft ihre Aufheiterung Gott und der Zeit uͤber - laſſen; aber ſie waren deutſche Maͤnner, und gien - gen ohne Furcht und Seitenſpruͤnge ihren geraden Weg fort, mit dem Bleymaß in der Hand, den Grund und Boden des Gewaͤſſers zu ſondieren, wel - ches zu befahren ſie nun einmal ſich verpflichtet hielten.

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§. 42. Uebereinſtimmung der Philoſophie mei - nes Lieutenants mit der Philoſophie des Volks.

Sie hatten dieſe Tage alle Abende den Lindenber - ger, den Baumwollen Meyer, den Michel, den al - ten Renold, und noch mehrere Bauern von Bon - nal bey ſich, und forſchten umſtaͤndlich nach, was auch ſie glaubten, das man machen koͤnne, um auf eine dauerhafte, Kind und Kindskinder ſicher ſtellende Art, eine beſſere Ordnung im Dorf in allen Stuͤcken einzurichten und feſtzuſetzen; und erſtaun - ten, zu ſehen, wie die Bauern Stuͤck fuͤr Stuͤck mit den Meynungen des Lieutenants uͤbereinkamen, bey den kuͤhnſten Aeußerungen deſſelben nicht die ge - ringſte Verwunderung zeigten, ſondern in allen Theilen eintraten, ſeine Meynungen durch ihre Er - fahrungen zu bekraͤftigen. Das konnte nicht anders, es mußte die Bangigkeit, die den geiſtli - chen und weltlichen Herren uͤber die Kuͤhnheit des erfahrnen Lieutenants befallen hatte, verſchwinden machen es that es wirklich und fuͤhrte ſie beyde zu einer der erſten Quellen des menſchlichen Muths, nemlich zum Glauben, daß alles, was all -176 gemein als hoͤchſtnothwendig auffalle, hoͤchſtwahr - ſcheinlich auch moͤglich ſey.

Die Bauern, die beſtimmt wie er fan - den, daß die Menſchen, ſo bald ſie ſich ſelbſt uͤber - laſſen, traͤg, unwiſſend, unvorſichtig, und voͤllig, wie er ſie beſchrieben, werden, hielten ſich, ihre Meynung hieruͤber deutlich zu machen, an die Be - ſchreibung der alten Ordnung in Bonnal, und ſag - ten, die Leute ſeyen ſo ſinnlos und vergeßlich ge - worden, daß ſie nicht mehr zu gebrauchen gewe - ſen, und man mit ihnen in allen Stuͤcken nicht mehr das Halbe habe ausrichten koͤnnen, was vor - mals landsuͤblich geweſen.

Die Gruͤnde zum Rechtthun ſeyen den Leuten wie vor den Augen weggethan und hingegen die Gruͤnde zum Lumpen und Schelmen wie vorge - mahlt und vorgeſungen worden. Man habe es mit Lumpenſtreichen und Bosheiten gar viel weiters bringen, mehr dabey gewinnen, und damit leich - ter zu Wein, Brod und Fleiſch kommen koͤnnen; auch haben ſie das Rechtthun fuͤr keine Ehre mehr gehalten, und keine Freude dabey gehabt, ſo we - nig als Scham und Furcht. Die kleinſten Kinder, wenn man ihnen etwas abgewehret, ſeyen im Stand geweſen, den Ruͤcken zu kehren, und anfangen zu ſingen: Was reden die Leute, was bellen die Hunde! Wer der Frecheſte und der Schlaueſte,und177und der Staͤrkſte geweſen, und das groͤſte Maul ge - habt, der ſey an der Gemeinde, im Gericht und im Chorgerichte, und allenthalben Meiſter geweſen, und dahin habe ſich natuͤrlich ein jedes gelenkt, wodurch er glaubte auch Meiſter zu werden. Man habe die Kinder laufen und aufwachſen laſſen wie das unvernuͤnftige Vieh. In der fruͤhen Jugend haben die Aeltern uͤber ihre Bosheiten ge - lacht, und dann, wenn ſie ihnen damit uͤber den Kopf gewachſen, haben ſie mit Streichen dieſelben wieder aus ihnen herausſchlagen wollen. Die Obrigkeit habe es nicht anders gemacht; aber die Erfahrung habe gezeiget, daß ſie auf beyden Sei - ten 7 Teufel hineingeſchlagen, wo ſie geglaubt, ei - nen auszutreiben. Am Ende ſeyen die Leute dieſes Lebens gewohnt worden, daß ſie alles haben gehen laſſen, wie wenns ſo ſeyn muͤßte, und ſich uͤber nichts mehr graue Haare haben wachſen laſſen, ſo wie die Schelmen und Bettler im Wald es auch machen, und ſo lang ſie zu eſſen und zu trinken haben, die luſtigſten Leute von der Welt ſeyen. Die Kinder ſeyen bey dieſem Leben, wenn ſie nicht in den erſten Monaten geſtorben, dennoch geſund und friſch aufgewachſen, und da man ſie Schaa - renweis mit rothen Backen, und mit Augen wie Feuer in den groͤſten Fetzen, und halb nackend im Schnee und Eis, und Koth geſehen herum - laufen und Freude haben, ſo habe man faſt nichtM178anders koͤnnen als denken, es ſey nicht ſo gar ſchlimm mit dieſem Leben; aber wann ſie dann aͤlter ge - worden, und keines zu nichts zu brauchen gewe - ſen, und man keinem nichts habe anvertrauen, und auf keines in nichts ſich habe verlaſſen koͤnnen, dann haben einen die rothen Backen nicht mehr verblendet, ſie ſeyen aber auch von ſich ſelber wieder weggekommen; und Kinder, die im zwoͤlften Jahre ausgeſehen wie Engel, und gutmuͤthig geweſen wie Laͤmmer, ſeyen im 16. bis 18ten geworden, daß man ſie nicht mehr gekennt, und im zwanzigſten wie eingefleiſchte Teufel. So weit gieng die Ueber - einſtimmung der Ausſagen der Bauern mit den Grundſaͤtzen des Lieutenants.

Der Lieutenant aber verſtund aus den Bauern aller Arten ihre wahre Meynung uͤber das, was er wunderte, ſo gut herauszulocken, als ein Apothe - ker aus Knochen, Kraͤutern und Wurzeln, den Geiſt, welchen er heraus haben will. Er fand aber auch meiſtens etwas ganz anders bey ihnen, als z. Ex. ein Pfarrer, der ſich die ſchlauen Buben etwas von dem Wohlgefallen des lieben Gottes an der Keuſchheit, und den uͤbrigen chriſtlichen Tu - genden vorheucheln laͤßt, wovon ſie kein Wort glau - ben; oder ein Junker, der mit Schloßeifer mit ihm von der ſchuldigen Treue der Zehendknechte und Gefaͤlleintreibern redet, und auch ſo dumm iſt zu glauben, was ſie ihm daruͤber antworten; welcher179 lezte Glaubensfall aber freylich, und ganz natuͤrlich, ohne Vergleichung ſeltener iſt, als das erſte, weil das Intereſſe dem Edelmann hierinn die Augen zu viel oͤfnet, als daß er ſo ga[r], wie der andere, im Glauben verirren koͤnnte.

Ich ſollte es nicht noch ſagen muͤſſen, ſolche gemeine Pfarrer - und Edelmanns-Arten, Bauern - geiſt zu ſammeln, ſind nichts nuͤtz. Was dabey herauskommt, iſt der wirklichen Wahrheit ſo ganz entgegen und ungleich, als wenn man des Apothe - kers Wurzeln und Kraͤuter blos in die Hand neh - men, und den Geiſt davon mit derſelben heraus - druͤcken wollte was er herausbringt, iſt Koth - ſaft und Waſſertropfen zwar wird freylich gar viel ſolcher Kothſaft, und ſolche Waſſertropfen, als aͤchter Bauerngeiſt in hundert Apotheken verkauft, und die Guttern (Flaſchen) davon alle Michaelis und Oſtern hoch aufgefuͤllt, wie zu leſen im Meß - katalogus unter dem Titul: Buͤcher fuͤrs Volk.

Der Lieutenant ſah dem ſchlauſten Buben un - ter den Bauern in die Seele, und konnte ihm aufs Wort zeigen, daß er ihn durch und durch ſehe, und vollkommen wiſſe, was er dabey denke; damit brachte er, ſo bald er wollte, von ihnen her - aus, wofuͤr ſie ſonſt kein Maul haben, und was ſie unter ſich ſelber meiſtens einander auch nicht mit Worten, ſondern nur mit Laͤcheln, mit Nicken,M 2180mit Kopfſchuͤtteln, Maulverziehen, Augenverziehen, Naſenruͤmpfen, und dergleichen Zeichen, mit denen ſie ſaͤmtlich gar wohl verſehen ſind, zu verſtehen geben.

Auch brachte er ſeine Bonnaler Bauern dahin, daß ſie ihre wahre Meynung gar nicht mehr vor ihm verbargen, und z. Ex. uͤber das Stehlen, vor dem Junker und dem Pfarrer gerade herausſagten, das Volk ſtehle allenthalben, wo man ihns nicht mit vieler Muͤhe, Arbeit und Sorgfalt dahinbrin - ge, daß es nicht mehr ſtehle.

§. 43. Volksbegriffe uͤber das Stehlen.

Sie ſagten gerade heraus, das Stehlen ſtecke in dem Menſchen, und das Nichtſtehlen muͤſſe man ihn lehren; aber an den meiſten Orten koͤnne man nicht einmal das, und an vielen Orten wolle man es nicht.

Allenthalben, wo keine Ordnung ſey; allent - halben, wo der Landes Fleiß nicht feſt gegruͤndet; allenthalben, wo Zuͤgelloſigkeit und Liederlichkeit im Schwang geht, da ſtihlt das Volk. Wie - der, wo es unterdruͤckt wird, und keinen Schutz findet wieder, wo es nicht lernt zum Geld181 Sorge tragen wieder, wo die gemeine Landes - ehr zertreten, und am meiſten, wo der Prozeßteu - fel eingeriſſen, und einer den andern leicht um das Seine bringt. An allen dieſen Orten macht ſich das Volck ſo wenig daraus zu ſtehlen, als es ſich etwas daraus macht Brod zu eſſen.

Es iſt zwar freylich nicht, daß es ſich das ſel - ber geſtehe; es waͤre wohl gut, man koͤnnte ſich dann darnach richten, und mit ihm darnach um - gehen aber ſie haben ihren Katechiſmus im Kopf, und glauben im Allgemeinen ganz gut, das Stehlen ſey nicht recht aber in jedem beſondern Fall, wo ſie den Anlas haben, finden ſie denn alle - mal, dießmal und dießmal ſey nicht ſo viel daran gelegen, und haben fuͤr einen jeden ſolchen Fall immer einen ganzen Karren voll Entſchuldigungen, die ihnen genug thun, im Kopf und Herzen parat da ſind, als dieſe: Er hat mir auch geſtohlen, oder wenn er koͤnnte, wuͤrde er mir noch mehr ſtehlen Es iſt mehr als geſtohlen, wie er ſein Gut zuſammen gebracht Was mag ihm der Bet - tel ſchaden! Er verſpielt mehr auf einer Karten Wenn ich ein gutes Maͤdchen waͤr, er gaͤb 'mirs vergebens. Item: Er iſt ein ver - fluchter Bub, daß ſeines gleichen nicht iſt es iſt Suͤnde was man ihm thut Er kommt doch um ſeine Sachen, nehme ich ſie ihm nicht, ſo nimmt ſie ihm ein anderer. Wieder: IchM 3182hab es doch auch ſo noͤthig ſo wenig macht dem lieben Gott nicht viel ich bin ſonſt doch auch ſo geplagt ich habe izt juſt auch muͤſſen da - zukommen, wie wenn es Gottes Wille geweſen.

Dergleichen Worte ſind ihnen unter beruͤhrten Umſtaͤnden gelaͤufiger als das Vater Unſer; und ſie erlauben ſich allenthalben wo ſie ſo verflucht natuͤrlich denken, das Stehlen dennoch gegen Niemand lieber als gegen die Obrigkeit Sie nimmt auch, wo Sie kann und mag haben ſie unter dieſen Umſtaͤnden im Augenblicke gegen die Obrigkeit im Munde. Und auch gegen Fremde macht ſich das Volk unendlich minder aus dem Stehlen waͤren ſie geblieben, wo ſie daheim ſind ſa - gen die Ehrlichſten; was haben ſie uns noch enger zu machen wir ſind ſonſt genug eingeſperrt wenn ihnen Zaͤune und Gaͤrten niedergeriſſen worden, ſo iſt ihnen nur recht geſchehen. *)Anmerkung. Staune nicht Leſer! an die - ſer Stelle. Ich werfe keine boͤſe Gedanken ins Volk: der Bauer denkt das alles ohne mein Buch; er denkt noch mehr als dieſes mit einer Einſeitigkeit, Lebhaftigkeit, und mit einer dun - keln Stille, gegen deren Gift ich kein beſſers Mittel kenne, als offen gegen ihn zu handeln, und ihm zu zeigen, daß man weißt was er denkt; aber daß man mehr weißt, und nichts ſucht, als ihn durch die Wahrheit, ſo wie er

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Sie erzaͤhlten die ſonderbarſten Umſtaͤnde von den Dieben, und wie leicht Unordnung, und Druck und Mangel, etwas rechtes gelernt zu haben, zum Stehlen bringe, und wie oft die kleinſten Umſtaͤnde daruͤber den Ausſchlag geben. Unter anderm das Wort eines Gehenkten, der unter der Leiter zu ſei - nem Vater ſagte: Wenn du mich gemacht haͤtteſt mein Wamms zu Nacht ordentlich an den Nagel auf - zuhenken, ſo wuͤrde man mich izt nicht aufhenken Und eines andern der durch ein unvorſichtiges Wort in einen Prozeß verflochten, und hinten nach auch zum Stehlen gekommen, geſagt hat: Es macht mir nichts zu ſterben, wenn izt nur auch jemand die henkte, die mir Haus und Habe ge - ſtohlen, aber es henkt ſie Niemand, ſie ſitzen beym Blutgerichte und es war ſo.

Die Bauern machten einen Unterſchied zwi - ſchen dem geſezmaͤßigen und dem galgenmaͤßigen Stehlen; und behaupteten, wo das erſte leicht ſey, und man in geſezlicher Form und Ordnung die Leute um das Ihrige bringen koͤnne, ſey dem andern nicht zu ſteuern, und es gehe gewoͤhnlich ſo, daß*)ſie denkt, weiter zu bringen, als er ohne un - ſere Hilfe nicht kommen konnte. Das ſuche ich Leſer! und alſo fuͤrchte dich nicht, wenn ich meine Bauern in alleweg, und auch von der Obrigkeit reden laſſe, wie ſie denken. ꝛc.M 4184wenn der Vater in einer Haushaltung beym Ge - ſezmaͤßigen bleibe, der Sohn denn ſo viel als ge - wis zum Galgenmaͤßigen dieſes Handwerks herab - ſinke. Auch das ſagten die Bauern, wo man im - mer die Menſchen nicht dahinbringe, daß ſie um ihrer ſelbſt willen nicht ſtehlen, ſo werde man in Ewigkeit mit ihnen nicht dahin kommen, daß ſie weder um Gottes willen, noch um anderer Leute willen, darinn aufhoͤren.

Sie ſagten, das Bauernvolk achte fremde Leu - te, und jedermann der ſie nichts angehe, ſo viel als nichts und ſezten hinzu, ſie wuͤßten es nicht wie es die Herren darinn haben; aber einmal unter den Bauern ſey es gewiß, daß ſie auf andere Leute nur in ſo weit Achtung tragen, als es ihr Nutzen iſt, es zu thun.

Auch Mangel geſunder Nahrung, ſagten ſie, mache das Volk gar oft ſtehlen; und wenn ſie, be - ſonders im Alter von 16 Jahren bis zum Auswach - ſen, ſchlecht zu eſſen haben, ſo koͤnne man ſie mit einem Pfnnd Kaͤſe, und einem Stuͤck Fleiſch hin - bringen, wohin man wolle.

Auch die Langeweile, ſagten ſie, bringe viele Menſchen zum Stehlen, an Ort und Stelle, wo es beym Rechtthun gar nicht mehr luſtig ſey, und man ob nichts Gutem und Unſchuldigem Freude185 mehr haben koͤnne, da koͤnnen noch oft die beſten, und die ſo zu gut ſind, zu Hauſe Schaͤlke zu wer - den, und die Ihrigen mit ihrer Langeweile zu plagen, dahin, daß ſie Anlas ſuchen, wo es luſtig geht, und unter gewiſſen Umſtaͤnden finden ſie die - ſes, wenn ſie das Dorf hinauf - und hinabgehen nirgends als im Wirthshaus und bey Schelmen.

§. 44. Volksphiloſophie uͤber den Geſchlechts - trieb.

Sie behaupteten, es komme hierin gaͤnzlich auf die Erziehung der Toͤchtern an, ſo bald ſie erzogen werden, als ob ſie nichts in der Welt werden muͤß - ten als ſchoͤne Jnngfern, ſo ſpringen ſie in dieſer Abſicht mit offnen Fluͤgeln und Schaarenweis ih - rem Elend entgegen, wie Huͤner, denen man Ha - ber ſtreue, ihrem Fraß, und da ſey es dann gleich viel, wenn man die halben Glukthiere den andern vor den Augen bey ihren Fekken (Fluͤgeln) weg - nimmt, wuͤrgt, und an den Boden wirft; die andern freſſen neben den todten Schweſtern fort; und wann man ihnen am Morgen wieder Gluk Gluk ruft, ſo kommen ſie wieder, laſſen ſich wieder fangen, wuͤrgen, und an Boden werfen ſo gehe es immer, und es ſey unmoͤglich den186 Unordnungen des Geſchlechttriebs abzuhelfen, wenn man nicht mache, daß die Toͤchtern mehr werden als dergleichen Gluckthiere. Man muͤſſe ihnen, wenn man das wolle, von Jugend auf den Kopf wohl mit der Wirthſchaft anfuͤllen, und es trach - ten dahin zu bringen, daß ſie mit anhaltender Ar - beit, Uebung im Ueberlegen, im Ausrechnen, und in allen Arten von haͤuslichen Aufmerkſamkeiten verbinden und zugleich einen Ehreifer in ſie hineinbringe, daß keine in keiner Art von Weiber - arbeit, und in keinem Stuͤck der Haushaltungs - kunſt die Hinterſte ſeyn wolle; und es ſey in dieſer Abſicht gar viel daran gelegen, daß ſie bey ihrer Landtracht bleiben, und ſich nicht eine jede vor der andern mit ihrer Decke mehr unterſcheiden koͤnne als mit ihrer Arbeit, und mit ihrem Verdienſt; man ſollte alles thun, diejenigen zum Geſpoͤtt zu machen, die eine beſondere Hoffart (Pracht) treiben, und damit zeigen, daß ſie mehr als die andern noͤthig haben ſich feil zu bieten. Einer meynte, man ſollte Lieder uͤber ſie machen, und ihnen darinn ſagen, daß die Juden es mit alten bauchſtoͤßigen, faulen und hirnmuͤthigen Roſſen juſt auch ſo machen, und ſie mit Baͤndern am Hals und Kopf ſo ſonderlich und wunderlich ausſtafirt auf den Markt bringen, wie kein recht und gerechtes Roß dahin komme aber ein geſcheider Haͤndler gehe zu einem ſo ge - zeichneten Judenthier nicht einmal hinzu es187 kaufe ſie Niemand, als etwa ein dummer Herr und Burger aus einer Stadt.

So meynte der Bauer in Bonnal, ſollte man ſolchen Toͤchtern ein Lied machen; wann es izt nur jemand thun wuͤrde.

Hingegen ſollte man ihnen Anlaß geben zeigen zu koͤnnen, wie weit es eine jede in aller Weiber Arbeit gebracht, daß ſie Ehre und Aufmunterung davon haͤtten, wenn ſie in etwas dergleichen weiter waͤren als die andern.

Auf dieſe Art, meynten ſie, waͤre es moͤglich, wenn man wollte den Unordnungen des Geſchlecht - triebs Einhalt zu thun; es muͤßten dann, meynten ſie, die Aeltern auch nicht mehr wie izt erſchrecken, wenn ein Sohn ans Heurathen denkt, und fuͤrch - ten, er falle etwan auf eine, daß es beſſer waͤre, das Hagelwetter oder der Viehpreſten gienge uͤber ihren Hof. Sie ſagten, es ſey den Aeltern nicht zu verdenken, wenn eine Tochter uͤbel ausfalle, ſo ſey nichts mehr zu machen es ſey nicht einmal wie mit den Knaben, die doch auch noch manch - mal, wenn ſie heurathen, umkehren, und etwas rechtes werden, wenn ſie vorher noch ſo nichtsnuͤtz geweſen ſeyen bey den Toͤchtern ſey das nie zu hoffen; ſie ſterben lieber, und heulen ſich lieber die Augen aus, als daß ſie im 24ten Jahre die Haͤnde ein wenig ſtaͤrker brauchen, als ſie es im 14ten ge -188 wohnt geweſen. Auch ſollte man alles thun, daß die Dorfjugend unter ſich zuſammen hielte, und fremde Leute, die keine Heurathsabſichten haͤt - ten, nicht leicht mit einer Tochter aus einem Dorf unter 4 Augen zur Red kommen koͤnnten und die Amtmanns-Soͤhne, Pfarrers-Soͤhne, Schrei - ber, und dergleichen Leute, mit Ernſt und von Obrigkeits wegen den Bauerstoͤchtern drey Schritt vom Leib halten; und es der Dorfjugend nicht uͤbel nehmen, wann ſie zu Zeiten einen dergleichen Herren im Brunnen abkuͤhlen wuͤrde.

Sie behaupteten, es gehe keiner und ſtehle den Zehenden von einem Acker, mit Gefahr, dafuͤr ge - henkt zu werden, wenn er machen koͤnne, daß der Acker mit ſamt dem Zehnden von Rechtswegen ſein werde; und ſo ſey es auch mit den Toͤchtern, wenn ſie nemlich das auch machen koͤnnen; wenn ſie es aber nicht koͤnnen, und nicht dazu erzogen werden, ſo ſtuͤrzen ſie ſich ja dann Schaarenweis uͤber die - ſen Punkt in ein Elend, daß ihnen beſſer waͤre, ſie wuͤrden auch gehenkt, ſie waͤren dannzumal doch der Noth los, meynten die Bauern in Bonnal.

Ich laſſe ſie in ihrer rohen Sprache fort reden, ich habe es probiert ſie zu aͤndern, aber ich kann ſie nicht beſſer machen; ſie ſagten, wenn da gehol - fen waͤre, ſo wuͤrden hundert und hundert Umſtaͤn - de, uͤber die man izt großes Geſchrey mache, weg -189 fallen wie nichts; und behaupteten z. Ex. uͤber die Liechtſtubeten*)Anmerkung. Eine Landesſitte, nach wel - cher die Knaben am Samſtag - und Sonntag - Nachts die Toͤchtern in ihrer Kammer beſuchen., es ſey von Altem her ein naͤchtli - ches Zuſammenkommen der Knaben und Toͤchtern fuͤr ehrlich gehalten und fuͤr erlaubt angeſehen wor - den, aber es habe allenthalben ſeine feſtgeſezte Re - geln gehabt, ob welchen die Knaben und Toͤchtern ſteifer gehalten, als ob keinem Geſez der Obrigkeit; an einigen Orten habe der Knab bey Monaten auf der Leiter und vor dem Fenſter der Tochter bleiben muͤſſen, und gewoͤhnlich habe ſie denſelben das Er - ſtemal an einer Regennacht, oder wenn es gar kalt geweſen, wie aus Mitleiden hineingelaſſen.

An andern Orten haben die Knaben die erſten Fuͤnf - und Sechsmal in die Stuben kommen muͤſſen, wo dann die Aeltern aufgeblieben, bis der Knab fort, und das Haus beſchloſſen geweſen. Wenn ſie denn nichts wider ihn gehabt, ſo haben ſie in der 6ten 7ten Wochen die jungen Leute in Gottes Namen allein beyeinander gelaſſen, und ih - nen gewoͤhnlich mit den Worten, habet Gott vor Augen, und thut nichts Boͤſes, eine gute Nacht ge - wuͤnſcht.

So ſey alles Schritt fuͤr Schritt abgemeſſen geweſen, wie eine Ehrentochter einen Knaben bey190 Tag und bey Nacht nach und nach doͤrfe naͤher kommen laſſen, und wie ſie ihn zugleich in der Ordnung halten, und doch, wie ſie ſagten, nicht aus dem Garn laſſen.

Und dann ſey es faſt eine unerhoͤrte Sache ge - weſen eine Tochter zu verderben; die Leute haben noch nicht gewußt, daß es minder zu bedeuten habe, das aͤrmſte Kind im Land ungluͤcklich zu machen, als ab einem Pflug im Feld ein paar Pfund Eiſen, die daran ſeyen, abzureißen und heim zu tragen; im Gegentheil, es habe noch Leute gehabt, welche die alten Lieder uͤber die Voͤgte, die man mit Axen todt geſchlagen, weil ſie Weiber und Toͤch - tern im Lande verfuͤhrt, in einem ſolchen Ton ge - ſungen, daß ſich nicht ein jeder getraut haͤtte allent - halben ins Bad zu ſitzen.

Es muͤſſe ſeyn, daß die alten Herrſchaften die Seele mehr geachtet haben als wir, denn ſie habe mehr Recht gehabt; und man werde finden, daß alles, was die Herrſchaften fuͤr viel und hoch ach - ten, auch viel Recht im Land habe izt habe ſie an vielen Orten ſo viel als gar keines mehr, und mit der Ehre ſey es das gleiche; wenn die Herr - ſchaften die Ehre der gemeinen Leute nicht fuͤr ſo wichtig halten, als die Schnepf - und Rebhuͤner, ſo haben ſie auch kein Rebhuͤner - und Schnepfen - recht im Lande, an vielen Orten habe ſie nicht191 einmal Wachtelnrecht und wo ſie das nicht habe, ſo gehe dann auch verloren, wie alles, was man gar nichts achte, verloren gehe.

Sie behaupteten, der Unzucht Unordnungen, vom Eheſchimpf*)(Anmerkungen.) Eheſchimpf iſt die Beleidigung, auf mehr oder minder rechtliche Art die Ehe zu verſprechen, und dann ſein Wort nicht zu halten. an bis zum Kindermord, loͤſe ſich nirgend als in dieſem Punkte auf, und vergli - chen die Art und Weiſe, wie viele Herrſchaften mit der Ehre im Lande umgehen, dem Feuer einer Lam - pe, das alles Oel aus ihr herausziehe und eſſe, aber wenn es das Oel aufgezehrt habe, dann auch ſel - ber erloͤſche; und ſo meynten die Bauern, brennen die Herrſchaften, die die gemeine Landesehre nicht achten, ſich ſelber in ihren Ehrenampelen**)Ampele iſt die gemeinſte, ſchlechteſte Art von Oellampen. auch zu tod.

Sie konnten nicht genug erzaͤhlen, was fuͤr ein Unterſchied in Ehrenſachen zwiſchen der itzigen und alten Zeit geweſen, wann ein Knab einer Toch - ter etwas Gefaͤhrliches und Beleidigendes zugemu - thet habe, und ſie ſich nur ein Wort bey ihren Ge - ſpielen davon habe verlauten laſſen, er ſey nicht192 einer von den Beſten, man muͤſſe ſich mit ihm ge - wahren, ſo habe er koͤnnen ſpatzieren, und Jahr und Tag wandern und ſuchen, ehe er wieder eine gefunden, die ſich ſeiner etwas angenommen.

Ueberhaupt ſagten ſie, es komme die Leichtfer - tigkeit nicht von den jungen Leuten, ſie komme von den Alten, und von der Ehrloſigkeit im Lande her; die jungen Leute haben allenthalben eine Freude daran, auf ihren guten Namen Acht zu haben, wo ſie auch nur ein wenig dazu aufgeweckt und aufge - muntert werden, ſo machen ſie ſich eine Ehre dar - aus, gute Farb zu haben, ſtark zu ſeyn, an der Oſtern ohne Ermel in die Kirche zu gehen, beym Tanz, Schneiden und Maͤhen munter und aufge - weckt zu ſeyn, und nichts an ſich kommen zu laſſen, das ihnen Schand machen koͤnnte.

Sie behaupteten auch, die Nachtfreyheiten der Jugend haben die Leichtfertigkeit der Alten und Verehlichten, die das Land ehrlos mache, verhuͤ - tet, aber ſie ſeyen auch meiſtens um deßwillen ver - boten worden.

Zu Kuͤllau ſey das in die Augen gefallen; man habe gerad 8 Tag hernach den Knaben verboten, ſich am Samſtag und Sonntag zu Nacht auf den Gaſſen betreten zu laſſen, nachdem ſie einem nacht - wandelnden verehlichten Geſpenſt, das ihren Toͤch -tern193tern nachgezogen, die Peruͤque abgenommen, und ſie dem Harniſchmann auf dem Brunnen bey der Kirche aufgeſezt. Izt haben freylich die Peruͤquen - Geſpenſter in Kuͤllau ſicherer des Nachts zu wan - deln, aber man behauptet es fuͤr gewiß, es ge - ſchehe unter den Knaben und Toͤchtern daſelbſt izt gar viel mehr Boͤſes als vorher.

Auch das behaupteten ſie, man koͤnne in die - ſer Sache nicht ganz allein auf die Verhuͤtung des fruͤhzeitigen Beyſchlafs acht haben, ſondern man muͤſſe vielmehr auch auf die Verhuͤtung der ungluͤck - lichen Ehen bedacht ſeyn; und zu dieſem Endzweck ſeyen die Nachtfreyheiten, mit der ganzen alten Ordnung verbunden, eine Sache geweſen, die ihre recht gute Seite gehabt habe. Wann der Menſch das Alter und das Recht habe eine Frau zu ſuchen, ſo muß man in Gottes Namen ihn eine ſuchen laſſen; und es ſey, ſezten ſie hinzu, einem nicht zuzumuthen, ſeine Katze im Sack zu kaufen, wie man ſich bey ihnen ausdruͤckt. *)Anmerkung. Dieſe Worte werden Leſer einer Art verfeinerten ſittlichen Gefuͤhls ſtoßen Volkskenner werden ſie nicht ſtoßen. Wer mit den Gradationen des ſittlichen Gefuͤhls bekannt iſt, der weiß, daß die Sprache des feinſten Gefuͤhls in den Mund zu nehmen, und den rohern Ton des Mittlern zu verlaͤugnen,

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So deutlich kamen die Bauern mit ihrer Mey - nung da hinaus, daß man gegen dieſen Fehler nicht beſſer wirken koͤnne, als daß man die Kinder wohl und mit Sorgfalt zu dem erziehe und bilde, was ſie in ihrem Stand und in ihrem Platz in der Welt ſeyn muͤſſen, und dem Leichtſinn, der Zuͤgelloſigkeit und Gedankenloſigkeit ihrer Begierden von Jugend auf entgegen arbeite, um ſie zu bedaͤchtlichen, ſorgfaͤltigen, den morgenden Tag, das Alter und die Nachkommenſchaft feſt im Aug haltenden Men - ſchen zu machen, auf die man in jedem Geſchaͤfte des Lebens, alſo auch in dieſem ein gutes Ver - trauen haben koͤnne.

Wie weit ſich dieſes Vertrauen unter den Alten gegen die Kinder erſtreckt, zeige ſich, ſagten ſie, auch hierdurch, daß die Bauern ſogar auf den Hoͤ -*)ehe man die Staͤrke einer hoͤhern innern See - lenerhebung in ihrer ganzen Reinheit beſizt, zu nichts als zur Verſtellung fuͤhrt, und den rohern Arbeitsmenſchen den Geradſinn und die beſchraͤnkte aber ſichere Kraft ſeiner eigentlichen Berufs - und Standsſittlichkeit verlieren macht, ohne ihm etwas beſſers dafuͤr zu geben; wer das weiß, der wird mir die Katz im Sack ver - ziehen. Es ſind Bauernreden, die mit der Katz im Sack gar nicht die gleichen Vorſtellun - gen verbinden, als die gemeine Leſer-Welt, die aber auch, ehe ſie uͤber die Bauernſprache urtheilt, ſie zu erſt verſtehen lernen ſollte. Adieu. 195 fen, wo es doch unſicher ſey, um deßwillen, wenn ſie Toͤchtern gehabt, nicht ſcharfe Hunde gehalten, und dennoch ſie des Samſtag - und Sonntag-Nachts an die Ketten gelegt, damit ſich die Knaben nicht ſcheuen zu ihren Haͤuſern hinzuzukommen, und daß das ihren Toͤchtern nicht an einer Heurath ſchade.

Mit einem Wort, man habe faſt ohne Sor - gen trauen doͤrfen. Etwan gar fromme Leute ha - ben an einer Samſtags - und Sonntags-Nacht noch ein Vater Unſer deſto mehr fuͤr ihre Kinder gebe - tet, daß ihnen der liebe Gott ſeinen guten Geiſt nicht entziehe, und ſie mit ſeinem Segen nicht ver - laſſen woͤlle; es ſey aber auch damals in einem Ehrenhaus ſo viel als nie ein Ungluͤck begegnet; aber wohl hernach, da wo der Pflug im Feld nicht mehr ſicher geweſen, wo Altes und Junges zu le - ben angefangen wie die Heiden im Wald, da wo man ſich aus dem Eidſchwoͤren nicht vielmehr ge - macht, und Leute beym Nachtmahl haben zudienen doͤrfen, die als die Schlimmſten hieruͤber im Land verſchreyt geweſen, da ſeyen freylich auch die Toͤch - tern in ſonſt braven Haͤuſern in ihren Kammern nicht mehr ſicher geweſen.

Mit einem Wort, ſagten ſie, und dieſes war das lezte, man habe die Hauptſachen, worauf es in dieſem Stuͤck ankomme, izt wie aus den Augen verloren, und mache Kindereyen daruͤber, die nichtN 2196anderſt ſeyen, als wenn einer, anſtatt ſich das Geſicht zu waſchen, ein Tuch uͤber den Spiegel herabhaͤngen wollte.

Es ſey vor Altem Niemandem in den Sinn gekommen, daß es den Toͤchtern an Ehren zuwider ſey, wenn ſie zu Dutzenden mit einander in See gehen zu baden; und eben ſo habe man nichts da - von gewußt, daß die Muͤtter, wenn ſie ſaͤugen, in ihrer Wohnſtube ihre Bruſt vor ihren eigenen Kin - dern verbergen, und daß dieſes der Leichtfertigkeit vorbiegen ſolle; im Gegentheil, man habe juſt um - gekehrt geglaubt, Unſchuld pflanze Unſchuld, und die halb erwachſenen Knaben ſeyen neben den Muͤt - tern geſtanden, und mit dem Bruͤderli oder Schwe - ſterli freundlich geweſen, wenns an ihren Bruͤſten gelegen, und die Knaben ſeyen dardurch bewahrt worden, daß ſie nicht ſo fruͤhe in das giftige Stau - nen gefallen, welches die Wolluſt mehr reize, als alles andere; ſo ſey es damals geweſen, izt ſey es anderſt.

So kamen die Bauern in Bonnal, in Abſicht auf alle Verbrechen, auf die Meynung des Lieute - nants hinaus; und ſagten auch uͤber Mord und Aufruhr; Bauern, die erzogen werden, daß ſie ihre Aecker und Matten, Gaͤrten und Buͤndten wohl beſorgen, einander freundlich gruͤßen, im taͤglichen Leben nicht in die Rede fallen, den alten Leuten197 aus dem Weg gehen, und dabey doch die Augen im Kopf haben, daß ihnen nichts unrechts geſchehe; ſolche Bauern, werden nicht leicht weder Moͤrder noch Aufruͤhrer; wohl aber werden ſie es in aller Welt gar leicht, wenn ſie nicht zu Bauern ge - macht, und zu ihrem Beruf gezogen werden, ſon - dern wie die Wilden aufwachſen, und wie die Wil - den ihre Natur ungebaͤndigt mit ſich herumtragen.

§. 45. Wenn ihr nicht werdet wie eines dieſer Kleinen, ſo werdet ihr nicht eingehen in das Reich der Himmeln.

So brauchte der wieder Geneſende ſeine Abende: Alles wollte ihn izt wieder ſehen. Es war dem Volk in Bonnal izt wieder Niemand ſo lieb als er. Wer zum Mareili kam, ſagte, Gottlob! daß er wieder lebt und zur Renoldin, es iſt auf der Welt Niemand wie er! der liebe Gott hat ihn uns wieder gegeben und jedermann wuͤnſchte Gluͤck! Die Weiber neigten ſich vor dem Lieutenant, und die Maͤnner zogen vor ihm den Hut ab und es hatte nichts zu bedeuten, daß der Pfarrer die Wochenpredigt nicht hielt; ſie fanden izt ſelber, es nuͤtze nicht alles, ſo viel Geſchwaͤzwerk immerN 3198und immer und der Untervogt dachte izt wieder im Ernſt darauf, ein gemeiner Mann zu werden wie er vorher war ſo wars izt vor 8 Tagen wars anderſt.

Der Karl plagte den Papa mit ſeinen Buben von Bonnal, und bat ihn, du muſt mir ſie auch kommen laſſen, ſie muͤſſen auch ſehen, daß du wie - der geſund biſt. So mache ſie eben kommen, aber nicht allein deine Buben, alle Kinder aus der Schule miteinander, ſagte ihm endlich der Jun - ker und die Geißen auch mit bringen, erwie - derte Karl ja die Geißen auch mit bringen, ſag - te der Junker.

Er ſaͤumte ſich nicht; er fragte, durfte, und gieng noch dieſen Abend nach Bonnal, ladete ſeine Buben auf Morn ein; aber es machte vielen Angſt. Sie hatten nicht ſo gar zu den Geißen Sorge ge - tragen; ihrer viele hatten an beyden Seiten weit hinauf Kothzotteln, ſie ſchnitten ſie ihnen izt mit Scheeren ab, fuͤhrten ſie an Bach, und waſchten ſie da es kam eine ganze Heerd mit einander. Morndeß gieng der Karl ihnen, ſo bald er ſie ſah, entgegen, und ſprang, da ſie die Geißen auf dem Vorreyn an der Zaͤunung anbanden, von einer zur andern, da ſah er, daß ihrer viele an den Huͤften weit umher das Haar abgeſchnitten hatten. Ja, ich weiß wohl, was das iſt! die haben Kothzotteln199 gehabt, und ihr habt ſie ihnen erſt heut oder geſtern abgeſchnitten und die auch und die auch ſagte er, und ſprang von einer zur andern, und wo ers ſah, da ſagte er auch dieſe. Ja, aber ſags doch auch dem Papa nicht, (baten die Knaben, es war ihnen ſo angſt,) wir haben doch auch ſo einen ſchlechten Stall, und koͤnnen ſie nicht trocken legen; und dergleichen ſagten ſie viel, nah - men ihn bey der Hand, und beym Rock, und baten immer, ſags doch auch dem Papa nicht, ſags doch auch dem Papa nicht!

Karl. Jaͤ meynet ihr, er ſehe es nicht von ſich ſelbſt?

Die Kinder. Nein, er ſiehts gewiß nicht, wenn du ihms nicht ſagſt.

Karl. Ihr wiſſet es nicht recht.

Die Kinder. Nein doch! ich bitte, bit - te, ſag ihm doch du nichts.

Karl. Ich will ſchweigen, aber ich haͤtte doch geglaubt, die Geißen waͤren euch lieber als ſo!

Ihrer viele hatten aus Hoffart die Muͤttern heut nicht einmal ausmelken laſſen, daß man meyne, ſie geben viel Milch; auch das merkte Karl, und ſagte, die ſind heut nicht gemolken worden.

N 4200

Daruͤber lachten die Kinder. Er aber ſagte, es iſt doch dumm, es thut ihnen weh, und ihr fah - ret ja nicht damit zu Markt.

Dann fuͤhrte er ſie zum Papa, gieng der Lezte hinter allen die Treppe hinauf, und der Lezte in die Stube hinein; es mußten ihm alle vorgehen, und er that die Thuͤr zu, und ſchlich ſich dann hinter den andern an der Wand und um den Ofen herum zum Papa und der Mamma hervor.

Der gute Junker war noch ſchwach; er ſah in ſeinem Krankenſtuhl noch ſo eingefallen und blaß aus, daß alle Kinder erſchracken als ſie ihn ſahen. Er konnte noch nicht recht laut reden; aber er nahm eines nach dem andern zu ſich zu, fragte ihns auf den Heller aus, was es izt mehr verdiene als vor 7 Wochen? da er es das Leztemal in der Schule geſehen.

Das Herz klopfte den guten Kindern; wenn eines etwan einen halben Kreuzer minder verdienet als ein anderes von ſeinem Alter, oder eines das juͤn - ger war, ſo war ihm ſo angſt, daß es faſt nicht recht reden und vorbringen konnte, warum es bis izt nicht beſſer gegangen, und wie ſie ſich aber izt ge - wiß antreiben, und nicht mehr die Hinterſten blei - ben wollen. Aber denn die andern, ſo etwas mehr verdienet, ihr haͤttet ſie ſehen ſollen, wie das Eine ein breites Maul und ſchmale Backen bekom -201 men, ein anderes mit den Fuͤßen nicht mehr konnte ſtill ſtehen, bis er ihm rufte wieder ein anders Feuerzuͤndend roth worden noch ein anders mit den Augen geſperbert und wie eins, das ſich hat zwingen wollen nicht zu lachen, doch hat muͤſſen lachen, und vor Freuden kein verſtaͤndliches Wort hat reden koͤnnen.

Er mußte auch lachen, und ſagte ihm, du biſt nicht witzig; ich weiß wohl, ſagte das Kind; aber ſeine Arbeit war die braͤvſte, und Thereſe ſagte ihm, es ſolle ſie ihr am Sonntag bringen.

Dann fragte er ſie alle insgeſamt, wie es auf der Weyd mit dem Huͤten und ihrem Verſprechen gehe? Eines ſah das andere an, und keines redete.

Warum ſagt ihr nichts? fragte der Junker. Sie ſchwiegen noch izt, und ein jedes ſah, ob nicht ein anders reden wollte. Einsmals ſagte eines zur kleinern Rickenbergerin, (der Schweſter derjeni - gen, die wir kennen) du kannſt am beſten erzaͤhlen wie es zugegangen, du haſt uns gar manchmal er - weckt, wenn wir zu lang im Schatten haben liegen und ſchlafen wollen.

So ſagte der Junker und nahm das Rickenbergerli, das nahe an ihm ſtund, bey der Hand, und Thereſe zog es zu ſich zu, faſt auf den Schoos.

202

Es hat im Anfang nicht recht wollen gehen, aber izt geht es einmal beſſer, ſagte es da.

Junker. Warum hats nicht wollen gehen?

Kind. Darum, wir ſind uns, ſo lang wir huͤten, gewohnt geweſen, wenn es warm worden, unter den Baͤumen zu liegen, und zu ſchlafen, und die Geißen laufen zu laſſen; izt, wenns Nachmit - tag worden, und heiß geweſen, ſind wir allemal ſchlaͤfrig worden, und wenn wir haben ſtricken wollen, ſo ſind uns die Augen faſt zugefallen, man muß gar fruͤh aufſtehen, wenn man zur Weyde fahrt.

Junker. Wie habt ihr es denn gemacht, daß es beſſer worden?

Kind. Wir haben miteinander abgeredt, wir wollen es uns nach und nach abgewoͤhnen; zu erſt haben wir eine Stunde lang geſchlafen, dann aber einander geweckt, wenn die Stunde vorbey geweſen; darnach faſt eine Stunde, dann eine hal - be Stunde, dann nur eine Viertelſtunde geſchlafen. Wir haben Waſſer genommen, und die Augen und den Kopf kalt gemacht, daß wir munter bleiben, und ſo iſt es beſſer gekommen; und weil du krank geweſen, iſt uns kein Sinn mehr ans Schlafen ge - kommen; wir haben wahrlich da auch zu Nacht nicht koͤnnen ſchlafen, und izt gehts beſſer, und es giebt alle Wochen mehr Arbeit auf der Weyd.

203

Junker. Das iſt ein Punkt, aber weißeſt du die andern auch noch?

Kind. Ja mit dem Wuͤſtreden, und mit dem Schlagen, und Stein nachwerfen den Geißen.

Junker. Ja, wie gehts mit dieſen?

Kind. Gut ſeit dem der Herr Lieutenant die Kinder ſo ordentlich macht das Haar ſtrehlen, Haͤnd und Geſicht waſchen, und in allem, bis auf die Treppe hinunter zu gehen, eine Ordnung hat, daß keines an den andern nur anſtoßen darf, ſo ſind die rauheſten Buben nicht mehr ſo wild, und alle Kinder gewoͤhnen ſich in der Schule Sorge zu haben, Niemanden nichts zu Leid zu thun; und denn haben wir darinn auch mit einander abge - redt, wir wollen zweymal einander ein wuͤſtes Wort ſchenken, aber dann das Drittemal muͤſſe ei - ner angegeben ſeyn.

Junker. Hat das geholfen?

Kind. Ja.

Junker. Es freut mich.

Kind. Und dann hat das auch wieder ge - holfen, daß du krank worden, es haͤtte in dieſer Zeit gewiß keines dem andern etwas nachgerufen.

Junker. Weiß doch nicht, wenn ein Ka - minfeger oder ein Schneider bey der Weyd vorbey gegangen waͤr !

Kind. Nein gewiß nicht. Die andern204 waͤren alle zuſammen geſtanden, und haͤtten einen geſchlagen und weggejagt, wenn er das gethan haͤtte.

Junker. Nu, ich will es glauben; aber wie gehts mit dem Freveln? Es iſt izt bald Herbſt

Kind. O! mit dem gehts gar gut wenn du wuͤßteſt

Junker. Was, wenn ich wuͤßte?

Kind. Daß wir Aepfel, Birren und Erd - aͤpfel zu braten bekommen, ſo viel wir wollen; gelt, du wuͤrdeſt dann nicht meynen, wir freveln noch ?

Junker. Aber wer giebt euch das?

Kind. Alle Leute, die Land und Baͤume haben, die an die Weyd ſtoßen.

Junker. Wie iſt das izt gekommen?

Kind. Da ſie das Leztemal die Haͤg (Zaͤu - ne) ausgebeſſert, ſind eine ganze Menge Maͤnner da geweſen, haben uns zuerſt ausgelacht, und ge - fragt, ob wir ihnen izt im Herbſt auch das Halbe ſtehlen wollen, wie das letzte Jahr? Wir haben auch gelacht, und geſagt, es ſey eben ſchlimm, wir doͤrfen izt nicht mehr; da hat der alte Renold geſagt, es koͤnne nicht ſo ſeyn, der Tag ſey lang, und die jungen Leute moͤgen eſſen, man koͤnne ſie nicht laſſen hungern auf der Weyd, wir ſollen nur brav huͤten, wenn ſie das Obſt ableſen, und die Erdaͤpfel austhun, ſo wollen ſie uns von allem205 auch geben; und wir haben ſchon viel bekommen, und bekommen noch mehr, viel mehr als wir nie geſtohlen haͤtten.

So, ſo! ſagte der Junker, ſo denke ich wohl, frevelt ihr nicht mehr; aber der Renold muß doch ein guter Kindermann ſeyn, nicht wuhr?

Kind. Das denk ich; er hat immer, wo er ſteht und geht, Angſter (Pfenning) und Rappen im Sack, und wenn ihm ein Kind heiſchet, ſo giebt er ihm, und daheim große Stuͤck Brod; und er kann noch eine halbe Stund bey ſo einem Kind, das ihm bettelt, ſtehen, und mit ihm reden.

Dann erzaͤhlten ſie ihm, wie ſie geglaubt ha - ben, er ſterbe, und wie ſie mit dem Herr Lieute - nant, dem Herr Pfarrer, alle Tage in der Kirche fuͤr Ihn gebetet; und daß einmal ein fremder Herr in die Kirche gekommen, der auch mit ihnen fuͤr Ihn gebetet, er ſey ſo freundlich geweſen, habe ihnen allen die Hand gegeben, und ſey Morndeß den ganzen Tag bey ihnen in der Schule geweſen.

Beym Abendeſſen, im alten Ritterſaal, konn - ten ſie ſich nicht ſatt ſehen an den Figuren an der Wand. Der Karl erklaͤrte ihnen luſtig der Zwing - herren Ordnung, die da abgemahlt iſt, und ſie buchſtabirten das Teufelsblut, lachten uͤber das Reiten des dicken Junkers, und machten ſaure Au - gen uͤber den Bauer auf dem Hirſchen.

206

Der Junker ſezte den Heirli auf die Lehne ſei - nes Seſſels, ſo, daß er ihn wie auf dem Arm hatte; der gute Heirli ſtreichelte ihn wieder an Ba - cken, und ſagte ihm, Gelt, du ſtirbſt izt auch nicht mehr? Bald darauf du ſieheſt aus, wie ein Großvater und dann kannſt izt auch nicht mehr gehen? Der Junker ſtund ihm zu ge - fallen auf, gieng die Stuben auf und ab, und ſag - te ihm, ſieh ', wenn man krank geweſen, ſo mag man nicht gleich wieder ſpringen wie im Garten. Aber es wird wohl wieder kommen daß du wie - der ſpringen kannſt wie im Garten? ſagte das Kind.

So redte er mit vielen; und ſie erzaͤhlten ihm auch von dem Freudenfeſt, welches man in Bon - nal halten wollte, wenn er das Erſtemal wieder zu ihnen in die Kirche kommen werde. Des Huͤbel Rudis Kind ſagte, ſein Vater wolle an dieſem Tage, und an keinem andern, Hochzeit halten. Er gab dem Kind zur Antwort, ſag deinem Va - ter nur, er muͤſſe nicht mehr lang warten, uͤber 8 Tag komm ich in die Kirche.

Dann gieng er noch unter die Thuͤre, auch ihre Geißen zu ſehen, die ſie da vorbey fuͤhrten zum Brunnen; aber ihrer viele liefen mit ihren Thieren ſo geſchwind vorbey, als wenn ſie jemand jagte. Der Karl lachte allemal, wenn einer ſo207 geſchwind mit ſeiner Geiß vorbey ſtrich; und ſie, wenn ſie vorbey waren, lachten auch gegen ihm, und nickten ihm mit dem Kopf und mit den Au - gen, ihm zu danken, daß er dem Papa nichts ge - ſagt; aber da ſie fort waren, konnte er nicht mehr ſchweigen, und ſagte zum Papa, haſt izt nichts gemerkt von den Geißen? Meynſt, es ſey alles gut in der Ordnung geweſen? Der Junker hatte nichts gemerkt, und der Rollenberger wußte auch nicht, was er meynte; ſie riethen allerhand, er aber ſagte ihnen allemal, es iſt nicht das, es iſt etwas ganz anders. Zulezt ſagte er, es waren doch auch 25 Geißen, die es alle hatten; aber ſie konntens doch nicht errathen, bis er ihnen ſagte, daß die Haare wegen den Kothzotteln abgeſchoren worden ſeyen.

§. 46. Der Kopf und das Herz hat mit den Menſchen gleich ſein Spiel, wenn man nicht beyden wohl auf den Ei - ſen iſt.

Einen andern Abend waren die zwey Bruͤder bey ihm, die vor wenigen Wochen in den Dorfgruben noch von ihm glaubten, er ſey ihnen wegen ihren208 Religionsmeynungen nicht guͤnſtig. Aber der Lin - denberger hatte ſie ſeither ganz von ihrer Abſoͤn - derungsfrommkeit zum gottesfuͤrchtigen Rechtthun des Lieutenants und zur Ueberzeugung hinuͤber ge - bracht, es ſey beſſer, man mache ein ganzes Dorf brav, als ein paar Leute in einem Winkel; ſie waren beyde herzgut, und auch da, wo ſie noch ihrer Sekte blind anhiengen, lag treues, edles und reines Beſtreben nach wahrer menſchlicher Wahr - heit und Weisheit in ihrer Neigung fuͤr die Nebel - huͤlle ihrer Bruderſchaftsmeynungen; alſo ruhet der ſtille Glanz des Monds im Schatten der Erde, aber der die Himmel waͤlzet, laͤßt den Schatten der Erde nicht ewig uͤber dem Glanz des guten Mondes, der Schatten der Erde geht voruͤber, und der Mond leuchtet ſein Licht. Der Junker hatte erſt nach ſeiner Krankheit vernommen, daß ſie der Bruderſchaft oͤffentlich abgeſagt, und ſich deutlich erklaͤrt, ſie muͤſſen Gewiſſens halber zu denen ſtehen, die dem ganzen Dorf helfen wollen, und koͤnnen ſich durch keine Meynungen einſchraͤn - ken und hindern laſſen, dem Junker und dem Schulmeiſter zu helfen, die gleiche Sorgfalt gegen alle Gemeindsgenoſſen zu brauchen, die die Bru - derſchaft nur gegen die Ihrigen brauche; und ſie finden es izt nicht mehr recht, ſich wie in einen Garten einzuzaͤunen, und da freylich fuͤr die ein - gezaͤunten Bluͤmchen wohl zu ſorgen, indeſſen aberganze209ganze Aecker und Matten, die einem auch zugehoͤ - ren, darob zu verſaͤumen, und in Abgang kom - men zu laſſen; ein Bauer, der das thun wuͤrde, wuͤrde mit ſeinem Land uͤbel fahren, und ſie glau - ben izt, es ſey mit den Menſchen das gleiche.

Sie druͤckten izt dem Junker die Hand ſo traulich wie einſt den Bruͤdern, und ſagten ihm, es ſey nicht anderſt, als ob der liebe Gott ihnen einen Vater wieder geſchenkt habe. Ihm machte es faſt bange, er wußte wie ſie an ihrer Bruͤder - ſchaft hiengen, und antwortete ihnen, ich moͤchte euch wohl gern ſeyn wie ein Vater, aber ich fuͤrchte eher, ich habe euch Schaden gebracht als Nutzen, und das waͤre mir leid. Sie ſtaunten uͤber dieſe Rede, und beyde fragten ihn, warum er doch das ſage? Der Jakob war etwas ſchuͤchtern, aber der Chriſtoph ließ ſich daruͤber mit ihm in ein Ge - ſpraͤch ein.

Auf die Antwort des Junkers euere Bruͤderſchaft war euch wie Vater und Mutter, und da ihr ſie um meinetwillen verlaſſen, ſo muß ich natuͤrlich fuͤrchten, ich koͤnne euch das nicht ſeyn, und ihr findet das bey mir nicht, was ihr hofftet bey ihr zu finden, und was euch bey ihr wohl machte, ſo lang ihr an ſie glaubtet antwor - tete Chriſtoph, wenn wir unſere Bruͤderſchaft ver - laſſen haͤtten, um bey euch eine andere zu finden,O210ſo koͤnnte es wirklich kommen wie ihr ſagt, aber das iſt nicht unſer Fall.

Junker. Was iſt denn euer Fall?

Chriſtoph. Wir haben ſie verlaſſen, um keine mehr zu haben, und gegen jedermann gleich zu ſeyn, gegen Niemanden zu gut, und gegen Nie - manden zu boͤs, und heut und morgen, und in jedem Fall, ſo handeln zu doͤrfen, wie es uns ſelbſt am beſten duͤnken wird.

Der Junker bat ſie darauf, ihm aufrichtig ihre wahre Meynung uͤber die Bruͤderſchaft, die ſie verlaſſen, zu ſagen.

Sie antworteten ihm beyde, ſie glauben noch izt, die Sache habe gar viel Gutes; und muͤſſen bekennen, dieſe Verbindung habe zu einer Zeit zu ihnen Sorge getragen, und ſie in vielen Stuͤcken eine vernuͤnftige und ſorgfaͤltige Leitung genießen laſſen, ohne welche ſonſt ſo viel als das ganze Dorf in der abſcheulichſten Unordnung gelebt, und allgemein verwahrloſet worden waͤre.

Aber eben das, ſezte Chriſtoph hinzu, macht mich izt von ihnen abfallen, daß ich einſehe, man koͤnne und muͤſſe fuͤr alle Leute ſo Sorge tragen, wie die Bruͤder es fuͤr die Ihrige thun; und man muͤſſe ſich nicht durch Meynungen einſchraͤnken laſſen, es nur an den wenigen, und nur an denen thun zu wollen, die in allem Ja zu uns ſagen.

211

Der Junker laͤchelte, und Chriſtoph ſagte, der Lindenberger hat Muͤhe mit uns genommen wie ein Pfarrer, und nicht nachgelaſſen, bis wir es, wie er, eingeſehen, daß alle geiſtliche Bruͤderſchaften das Menſchliche ihrer Sachen dem lieben Gott an - binden, und ſo dahin kommen, daß ſie auch das, was ſie Fehlerhaftes an ſich haben, fuͤr ein Heilig - thum achten muͤſſen. Wir erkennen izt, daß den andern Menſchen dadurch ein Unrecht geſchiehet, und ihr Gutes nicht anderſt als verunglimpfet, er - niedriget, und gehindert werden muß, ſo viele Fruͤchte zu tragen, als es tragen koͤnnte und muͤßte, wenn die Menſchen von allerley Bruͤderſchaftsmey - nungen die Eitelkeit ablegen wuͤrden, zu glauben, mit ihren Meynungen dem lieben Gott wie in dem Schoos zu ſitzen. Es kann nicht anderſt ſeyn, ſagte er, ſo bald man eine geiſtliche Bruͤderſchaft hat, und ſich um Gottes, und um goͤttlich geheiße - ner Meynungen und Woͤrter willen, von andern Menſchen ſoͤndert, ſo wird einem die ganze Welt wie Nichts gegen die Bruͤder und Schweſtern, die von dieſer gnadenreichen Meynung ſind; und in dieſem Fall ſind auch die beſten Menſchen bey aller ungeheuchelten Ehrlichkeit in Gefahr, ſo wohl ob dieſen Meynungen, die ſie als das Band zwi - ſchen Gottund ihnen anſehen, als ob den Menſchen, die ſie bekennen, blind zu werden, und uͤberhaupt alles in der Welt nur nach dem Maaß zu ſchaͤtzen,O 2212in wie weit es auf dieſe Meynungen einen guten oder ſchlimmen Einfluß hat; und ſich dann ſogar einzubilden, der liebe Gott mache es droben in ſei - nem hohen Himmel juſt auch ſo, und waͤge das ganze Menſchengeſchlecht auf dergleichen Meynun - gen-Waag, die ſie in ihrem Dorf haben. Je ſchwaͤcher dann die Menſchen ſeyen, je duͤmmer werde dann dieſe Bruͤderſchafts-Einbildung; aber auch die Beſten bringe es gegen alles Gute, was von Menſchen, die ſich außer ihrem Bruͤderſchafts-Gna - denſtand befinden, herkomme, dahin, daß ſie daſ - ſelbe, wie ſie ſagen, der Leitung Gottes anheim - ſtellen, aber ſelber mit keinem Finger beruͤhren, indeſſen ſie das, was von ihren Leuten herkommt, unter dem Beyſtand Gottes, gar wohl und ſorg - faͤltig beſorgen; dann gehe es freylich gar oft beſſer bey ihren Gnadenwerken, die in der Ordnung be - ſorgt werden, als bey den Weltkinder-Arbeiten, die etwas außer dem Gnadenſtand unvernuͤnftig an - gegriffen, und unſinnig verwahrloſet.

So natuͤrlich das ſey, ſo verblenden ſich die Bruͤder doch immer darinn, und behaupten allemal in dieſem Fall Gott im Himmel ſelber mache alſo allen Tand der Heiden vor den Augen ſeines auserwaͤhlten Volks zu ſchanden.

Daraus entſteht, daß alle ſolche Bruͤderſchafts - Menſchen unmoͤglich reinen und unbeſchraͤnkten213 Antheil an allgemeinen obrigkeitlichen Volksanſtal - ten nehmen koͤnnen, wenn ſelbige nicht, wie der Lindenberger geſagt habe, auch in allen aͤußern Theilen nach dem Kleid des Goͤzenbilds zugeſchnit - ten, das ſie mit ſich im Kopf herumtragen.

Der Junker fragte ihn auf dieſes hin, warum ſo wenige Menſchen von ſolchen Bruͤderſchaften da - hingebracht werden koͤnnen, dieſes alſo einzuſe - hen?

Davon, erwiederte Chriſtoph, iſt die Haupt - urſach ſicher dieſe, daß man ihnen auf der andern Seite auch Unrecht thut.

Junker. Worinn thut man ihnen haupt - ſaͤchlich Unrecht?

Chriſtoph. Man erkennt das wahre Gute, das ſie haben, nicht; man verſteht ſie nicht, und wirft eine Verachtung auf ſie, die ſie nicht verdienen.

Junker. Er ſoll doch hieruͤber ausfuͤhrlicher ſagen, was wahr ſey.

Chriſtoph. Sie ſeyen unter dem gemei - nen Volk die Menſchlichſten, die Liebreichſten, die Gutmuͤthigſten; es ſey Rath und Troſt bey ihnen zu finden, wie ſonſt faſt bey Niemand; auch ſeyen ſie gegen Ruchloſigkeit und Gewaltthaͤtigkeit, die das andere gemeine Volk in den Doͤrfern ſo oft faſt un - ter die Thiere herabſezt, unter ihren Leuten voͤllig Meiſter, und das ſey doch ein Segen im Land, da -O 3214vor danke ihnen Niemand, es frage ſie Niemand, wie ſie es machen, wie ſie mit ihren Leuten und mit ihren Kindern dahin kommen, wo die andern Bauern doch nicht ſind, und wo man von einem Pfarrer, der ſein Dorf dahinbringen wuͤrde, in der ganzen Welt Ruͤhmens und Weſens machen wuͤrde, das ſey eines; das andere ſey, man ſage ihnen in den Tag hinein, ſie verderben mit ihren Meynungen die Leute, und zeige ihnen nicht wie, und gebe ihnen kein Exempel, wie man das Volk beſſer fuͤh - ren koͤnne als ſie. Dann ſage man ihnen, ſie ſeyen dumm und einfaͤltig; und ſie ſehen doch, daß ſie bey den Leuten mehr ausrichten und mehr Gu - tes ſtiften, und in ihren Haushaltungen meiſtens gluͤcklicher ſeyen, als die ſo ſagen, ſie ſeyen dumm; und ſeyen ſich gewohnt, Vernunft und Verſtand nach dem, was man damit ausrichte, zu meſſen und zu ſchaͤtzen; ſie heißen in ihrer Sprache das etwas ausrichten Segen, und das nichts ausrichten Unſegen; und ſo lang ſie den Se - gen auf ihrer Seite haben, ſo glauben ſie auch nicht, daß ſie die Dummen in der Welt ſeyen, es mag es ihnen ſagen wer da will.

Dann wirft man ihnen vor, ſie ſeyen hart - naͤckig, und laſſen ſich nicht berichten, und die, ſo es ihnen am lauteſten vorwerfen, ſind, auf das Gelindeſte davon zu reden, im gleichen Spital krank, und nehmen noch viel weniger von ihnen215 das Gute an, das ſie ſo ausgezeichnet haben; aufs Hoͤchſte koͤnne man ſagen, es heiße ein Eſel den andern Langohr.

Wahr ſey, ſie binden ihren Verſtand wie an eine Kette an, und laſſen ihn keinen Schritt weiter ſpatzieren, als ſie gern wollen, daß er gehe. Aber dann ſey es auch wahr, ſo angebunden als ſie ihn halten, ſo brauchen ſie ihn, und das wirklich mehr in der Ordnung und ſorgfaͤltiger, und kommen darinn gewoͤhnlich ſichtbar weiter, als die andern Dorfleute, die ihn nicht ſo anbinden; auch ſey ge - wiß, daß viele Leute, die ihnen das vorwerfen, ſie haben ihren Verſtand ſo an der Kette, gar viel weniger koͤnnten an die Ketten legen, wenn ſie die Luſt dazu auch einmal anwandeln wuͤrde, den ih - rigen auch ſo anzubinden. Ueberall, ſagte er, ſind ihre Gegner ſelten die Leute, die ihnen Luſt ma - chen koͤnnten, ihren Verſtand nicht angebunden zu halten, und es iſt gar nicht, daß ſie mit ihnen um - gehen, ſie den Schaden dieſes Anbindens empfin - den zu machen, und etwan mit ihnen einzutreten, und abzumeſſen, wie weit man ohne Gefahr, ſeine Kraft in den naͤchſten und nothwendigſten Sachen wohl anzuwenden und zu gebrauchen, zu ſchwaͤ - chen, ihn weniger anbinden und freyer laufen laſ - ſen koͤnnte. Er ſagte, es duͤnke ihn doch, man mache den Verſtand wie zu einem Modekleid, und ein jeder Narr in der Welt wolle izt ſo einO 4216Verſtandsmaͤntelchen mit ſich herumtragen, es moͤ - ge dann fuͤr Tuch daran ſeyn, was es wolle, und es reiße unter den gemeinen Leuten eine Peſt ein, die er die Verſtandspeſt heißen moͤchte. Der Herr Lieutenant habe zwar ihm das nicht wollen gelten laſſen, und behauptet, es ſey nur ein Anmaßungs - fieber, aber er halte es fuͤr eine wahre Peſt, und muͤſſe ſagen, juſt die Leute, die mit dieſer Peſt an - geſteckt ſind, ſeyen die Allerunbilligſten gegen ihre Bruͤderſchaft.

Der Junker bat ihn, er ſolle ſich uͤber die Ver - ſtandspeſt deutlicher erklaͤren, was er meyne?

Er ſagte, er meyne uͤberhaupt, wenn der Menſch etwas Gutes, das an ihm iſt, wie eine Eli-Mutter ein Kind, in das ſie vernarret iſt, zu hoch hinauf, und alles andere Gute und Brauchbare wie ein Stiefkind Himmelweit uͤber das Herzens - ſchaͤzchen hinabſezt, ſo richte ein ſolcher Menſch das Gute, das an ihm iſt, wie eine ſolche Eli - Mutter ihr Kind und ihr Stiefkind miteinander zu Grund, und werde ſchlecht, und ein halber Menſch.

So gehe es, wenn der Menſch auf dieſe Art alles aus dem Verſtand mache, und wieder, wenn er alles auf das Herz baue; im erſten Fall habe er die Verſtandspeſt, und im andern die Herzens - peſt in beyden Faͤllen mache er die einte ver -217 nachlaͤßigte Haͤlfte von ſich ſelber ausſterben, und ſtecke mit ihrem Tod auch diejenige an, mit der er es alſo gehalten, als wenn ſie allein leben muͤßte.

Dann ſagte er, es ſey zwiſchen den Menſchen, die von der Verſtandspeſt, und denen, die von der Herzenspeſt angeſteckt ſind, wie zwiſchen dem Saa - men des Weibs, und dem Saamen der Schlange, eine ewige Feindſchaft, und des in die Ferſeſte - chen - und des Kopfzertreten-Wollens unter die - ſen ohnmaͤchtigen Kranken nie kein Ende und je hoͤher die Krankheit ſteige, je groͤßer werde die Wuth einander ſo ſtechen und treten zu wollen.

Izt verſtund ihn der Junker, und fand die Geſchichte neuerer Streitigkeiten darinn beſchrieben. Er hatte ſchon viel von der Herzenspeſt gehoͤrt, aber das Wort Verſtandspeſt war ihm neuer, und er bat den Bauern, er ſolle doch fortfahren und ihm die Leute beſchreiben, die an der Verſtands - peſt krank liegen.

Der Chriſtoph fuhr fort, und ſagte, es liegen alle Leute daran krank, die es mit der Liebe zur Wahrheit haben, wie der Killer ſelig mit dem Rechnen, welcher den Bauern im Wirthshaus gar leicht hat ausrechnen koͤnnen, wie viel Minuten ein jeder alt ſey, oder gar, wie viel Tropfen Waſſer in einer Stunde aus einer Brunnenroͤhre laufen,218 aber es dann nicht geachtet hatte, wenn ihm der Wirth fuͤr 3 Schoppen Wein, die er trank, das Geld von vieren gefodert.

Auch die ſeyen daran krank, ſagte er, die mit allem, was ſie wiſſen, oder meynen zu wiſſen, ein Weſen machen, wie wenn es ganze Berge waͤren, die ſie mit ſich herumtragen, und zu einem Viertel Korn Saͤcke machen laſſen, wie wenn ſie einen Kirchthurm darein einpacken ſollten, und Waͤgen, mit denen man halbe Berge koͤnnte wegfuͤhren. Er ſagte, es gebe hier und dort Pfarrer, die der - gleichen Verſtandsſaͤcke und Verſtandswaͤgen mit ſich aufs Dorf bringen, und die, wenn ſie alle Wahrheit und alles Gute in kleinen Koͤrnern auf dem Boden zerſtreut finden, und aufleſen ſollten, keinen Ruͤcken und keine Haͤnde dazu haben, und es lieber die Spatzen auffreſſen laſſen, und dann ihre großen Waͤgen, damit ſie ſolche doch nicht vergebens aufs Dorf gebracht, zu Spatzierwaͤgen machen die großen Saͤcke brauchen ſie dann zu Kutſchen-Kuͤſſen fuͤr ſich und ihre Frauen.

Auch die Herren Pfarrer, ſagte er, haben dieſe Peſt, deren Wahrheit nur blitze und wetter - leuchte. Das Volk fuͤrchte das Donnern, das darauf folge, und die Menſchen ſeyen ein Unſegen im Lande, die Freude daran haben, mit der Wahr - heit einzuſchlagen wie mit Stralſtreichen, die die219 Eichen zerſplittern, und den Athem der Lebenden ausloͤſchen.

Auch die, ſagte er, liegen an dieſer Krank - heit, deren Wahrheit den Eisgebirgen gleiche, die zwar Himmel hoch ſich gegen die Sonne aufthuͤr - men, aber von ihr nicht aufthauen ein Regen - tropfen im Thal ſey mehr werth, als ein ganzes Meer ſolcher Wahrheit unter dem Eis und in un - zugaͤnglichen Kluͤften.

So viel ſagte er von der Verſtandspeſt.

Als er damit fertig war, fragte ihn der Jun - ker noch: Aber wer hat denn die Herzenspeſt?

Meine alten Bruͤder und Schweſtern, erwie - derte der Mann ſezte aber bald hinzu den - noch iſt es ſchade, daß man in der Welt nicht an - derſt mit ihnen umgeht, und das Gute nicht er kennt, das ſie an ſich haben.

So lang es ſo iſt, werden ſie ſich immer aus - ſchlieſſend fuͤr das Salz der Erde achten, das ſeine Naͤße noch nicht verloren und bis man ihnen, wie der Herr Lieutenant, durch eine auffallend beſſere Menſchenfuͤhrung zeiget, daß es noch beſſere Salzquellen gebe, als die, ſo aus dem Berg ihrer unnatuͤrlich umzaͤunten Frommkeit herausfließen, ſo iſt es ihnen nicht zu verargen, daß ſie ſo lang220 immerhin ſich ſelber, und ihre gebenedeyte Mey - nungen fuͤr das beſte Salz der Erde achten.

Er verglich zulezt das Gluͤck, das dieſe Leute in ihrer Beſchraͤnktheit beſitzen, dem Genuß einer hel - len, ſtillen, und warmen Sternennacht, bey wel - cher dem Menſchen ſo innig wohl ſeyn kann, daß er wie hingeriſſen wird zu denken, es koͤnne nichts ſchoͤners und nichts groͤßers auf der Welt ſeyn, als eine ſolche Sternennacht; aber wenn die Sonne dann aufgeht in ihrer Pracht, und der Menſch der Erde den Segen ihres waͤrmenden Lichts, und die Sicherheit ihrer hellen Tages-Erleuchtung genießt, da denkt er nicht mehr, daß die Sternennacht, und das truͤgliche Mondlicht, das ſchoͤnſte und beſte ſey, das er auf der Erde genießen koͤnne.

§. 47. Wer bloß gut iſt, muß nicht regieren, und niemals und Niemands Vogt ſeyn wollen.

Wer nicht zu ihm kam, war der Vogt Meyer; aber er machte ihn kommen, und fragte ihn, ob er nichts von den Unordnungen wiſſe, die waͤhrend ſeiner Krankheit begegnet?

221

Er antwortete ihm, er habe wohl davon reden gehoͤrt, aber Beſtimmtes wiſſe er nichts.

Arner. Warum er nicht beſſer nachgefragt?

Vogt. Er habe nicht daran gedacht und es habe ihms Niemand befohlen.

Junker. Ob die Unordnungen ſelber nicht Befehls genug geweſen ſeyen?

Vogt. Das wohl, er habe auch ſo gefragt, aber nichts vernommen.

Arner ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte ihm, du biſt froh, wenn du nichts weißt; und es iſt nichts anders, als was ich dir ſchon geſagt, du biſt zu die - ſem Dienſt nicht brauchbar.

Vogt. So gebet mir meine Entlaſſung.

Junker. Da haſt du ſie und geh izt.

Er ſaͤumte nicht lange, nahm den Thuͤrenan - gel in die Hand, und vor der Thuͤr den Stecken, und gieng mit leichtem Herzen die Treppe hinun - ter. Als er heim kam, ſagte ihm ſeine Frau, da ſieheſt izt, daß ich recht habe, wenn ich zu dir ſage, du ſeyeſt gar zu nichts nuͤtz. Und im Dorf ſagte izt ein jedes, der Hummel ſey doch noch ein anderer Mann geweſen zum Vogt als er. Und Leute von ſeinem Alter erzaͤhlten, wenn ihn der Junker ſo, wie ſie, von Jugend her gekennt haͤtte, ſo haͤtte er ihn gewiß nicht zum Vogt gemacht; wenn222 ſie als Buben unter einander Haͤndel gehabt, ſo ſey das immer ſein Wort geweſen, thut mir doch nichts, ich will euch auch nichts thun; und es ſey unter ihnen zum Spruͤchwort worden, gaͤlt, du haſts auch wie der Chriſtopheli, thu mir nichts, ich will dir auch nichts thun.

Als ſeine Schweſter, die Meyerin, es vernom - men, gieng ſie auf der Stelle zu ihm, traf ihn allein an, und wuͤnſchte ihm Gluͤck, daß er ſich von der zweyten Marterfrau, mit der er ſich ohne Noth verheurathet, ſo gluͤcklich habe ſcheiden laſſen koͤnnen. Aber als die Nachricht in das Dorf kam, der Baumwollen-Meyer ſey Vogt, waren zehen Stimmen gegen eine, er ſey der einzige, der fuͤr den Junker, ſo wie er einen brauche, recht ſey; und viele Leute ſagten, die Armen haben izt einen Vater, die Unordentlichen einen Vogt, und die ſo Gewalt brauchen wollen, einen Meiſter.

Ihr Herren! die ihr Untervoͤgte macht und abſezt wie nichts, mit einem einzigen Wort; wenn euch etwas daran gelegen, daß ſie recht ausfallen, ſo nehmet dieſes zum Zeichen, wenn das Volk von euerm Mann alſo redt, ſo kann er recht ausfallen; aber auch dann iſts noch noͤthig, daß ihr zu ihm Sorge traget. Die Reichen waren freylich nicht zufrieden, daß von einem ſolchen Lumpenſtammen ein Vogt geworden; aber ſie ſagten es doch nicht223 zu laut, und er erklaͤrte ſich beſtimmt, er habe den Dienſt um der Armen willen angenommen, die Reichen haben ihren Vogt in der Kiſte, aber die Armen haben einen noͤthig. Und das Mareili ſprang faſt vor Freuden, daß ſein Bruder izt alſo des guten Junkers Diener worden, und machte ſich Tag und Nacht den Kopf voll, wie es izt gewiß in allen Ecken im Dorf gehen muͤſſe, wie es der Junker wolle.

Ihns und den ganzen Weiberbund machte der Junker auch einen Abend zu ihm kommen und die Weiber beredten ihren Weibel, den alten Renold, er ſolle mitkommen er wollte nicht aber ſie verſprachen ihm, ſie wollten es verantwor - ten wenns ſo iſt, ſo will ich kommen, ſagte der Alte, und es freute den Junker gar er redte die halbe Zeit nur mit ihm, und ließ ihn erzaͤh - len, wie vor Altem in allen Stuͤcken eine Ordnung geweſen, die im Grund derjenigen vollends gleich ſey, die er izt einfuͤhre.

Der gute Alte ſagte ihm, eine Woche freue ihn jezt mehr zu leben, als vorher ein ganzes Jahr. Der Junker erwiederte ihm, wills Gott werde er erſt dann recht Freude haben, wenn die angefangenen Sachen auch einmal in ihrem Gleis ſeyen, und mehr Feſtigkeit haben. Zu den Weibern ſagte er: wenn er alles geglaubt haͤtte, ſo haͤtte er doch224 das nicht geglaubt, daß ſie die Bauern haͤtten da - hinbringen koͤnnen, Geld dafuͤr zu verſprechen, um den Schulmeiſter behalten zu koͤnnen. Das Mareili ſagte ihm daruͤber, man thut den Bauern unrecht, wenn man glaubt, ſie gaͤben nicht gern Geld aus fuͤr ihre Kinder, ſie thun es freylich nie, bis ſie ſehen und erfahren, daß es etwas nuͤzt.

Aber meynſt du, ſagte der Junker, wenn man machen wuͤrde, daß ſie erfahren koͤnnten, und die Probe in ihren Haͤnden haͤtten, daß man ihre Kinder weiter bringen koͤnnte, als man ſie nicht bringt, meynſt du denn, ſie wuͤrden an vielen Or - ten auch ſelber gerne etwas dazu beytragen, die Leute, die man hierzu noͤthig haͤtte, zu bezahlen?

An allen Orten, und ganz gewiß wuͤrden ſie es dann gerne thun, ſagte das Mareili, und alle Weiber, auch der alte Renold beſtaͤtigte das. Er ſezte hinzu, man muͤßte ihnen nur ſo einen Mann zwey oder drey Monat ohne ihre Koͤſten auf die Probe geben, dann wuͤrden ſie ihn gewiß nehmen, und wenn man es foderte, die Probkoͤſten noch darzu bezahlen. Dieſe Bemerkung war dem Junker und dem Lieutenant ſehr wichtig; ſie widerlegt das un - richtige Geſchrey, daß die Beſſerung der Landſchu - len unerſchwingliche Geldſummen erfodere, es fehlt weit mehr an Anſtelligkeit und Sachkenntniß.

Und225

Und an Leuten ſagte der Pfarrer von Bon - nal.

Nein, erwiederte der Lieutenant, wenn man Anſtelligkeit und richtige Grundſaͤtze daruͤber hat, ſo kann man faſt ohne Muͤhe Leute hierzu bilden, wie man ſie gebraucht, dafuͤr will ich ſtehen!

Sie wurden bald einig, wenn man annehme, das Volk wuͤrde gern helfen, dergleichen Leute zu bezahlen, und auch zugleich, daß eine jede gute Schule auf Arbeit muͤſſe gegruͤndet ſeyn, und hier - mit, ſo ſie recht eingerichtet, in ſich ſelber einen Ver - dienſt finde, ſo falle die Sorge von großen Geld - ausgaben, welche die Verbeſſerung der Schulen nach ſich ziehen wuͤrde, von ſelbſt weg. Der Lieu - tenant ſagte wieder, wenn man ſie ſchlecht macht, und halb, ſo werden ſie koſten; und wenn man ſie recht macht, und ganz, ſo werden ſie eintragen.

Dann redte der Junker noch mit der Meyerin uͤber die Entlaſſung des Vogts. Sie ſagte ihm, er koͤnne izt auch wieder zu einem Menſchen wer - den. Und die Renoldin fragte ihn, wer ihm ihn auch gerathen? Der Herr Pfarrer, antwortete er. Und ſie das glaube ſie er habe immer auch bey den Leuten zu viel daraus gemacht, wenn Sie mir gut geweſen. Sie ſezte hinzu, der Herr Lieutenant haͤtte ihn auch gewiß nicht gerathen Ich glaubs auch nicht, ſagte der Junker, dankt[e]P226ihnen dann fuͤr ihren Bund, und ſagte ihnen, ſie ſollen zu ihrem guten alten Weibel recht Sorge tragen, und ihm nicht zu viel Muͤhe aufladen.

Er ſoll izt bleiben der Weiberbund, ſagte The - reſe, ich will es mit euch halten, wir wollen dem Junker helfen zu ſeinem Ziel zu kommen.

§. 48. Arners Feſt.

Bey Sonnenaufgang laͤuteten alle Glocken. Alle Kinder waren mit Blumen geſchmuͤckt; das ganze Dorf, Altes und Junges, gieng ihm den Berg hin - auf entgegen. Des Rudis Hochzeitleute voraus, und in der Mitte der Gemeinde der gute Pfarrer; ſangen den Berg hinauf der Sonne entgegen frohe Lieder; aber als ſie von Ferne das Geraſſel ſeiner Kutſche hoͤrten, da toͤnte ihr Lied nicht mehr.

Er kommt Er kommt rief das Volk, und hundert Stimmen jauchzten ihm zu. Sie ver - doppelten die Schritte, liefen ihm, wie Kinder dem Vater, den ſie lange nicht geſehen, entgegen. Er hoͤrte ihr Jauchzen von Ferne, da er noch tief hinter den Tannen ſie noch lange nicht ſah; aber ſo bald er ſie hoͤrte, ſtieg er aus ſeinem Wagen, und gieng227 ſeinem geliebten Volk von Bonnal mit all den Sei - nen zu Fuß entgegen. Er ſah izt den Aufgang der Sonne nicht, nicht den hellen Himmel und das glaͤnzende Thal, und die ſchlaͤngelnde Ita, die zu ſeinen Fuͤßen lag; er eilte zu ſeinem froͤlichen Volk, miſchte ſich in ihr Gedraͤnge, und hoͤrte mit Va - terluſt ihr Jauchzen und ihr Rufen Er lebe! Er lebe! das durch Buch und Tannen hinab ins Thal toͤnte. Innige Freude erhob ſein Herz. Es war kein Kind, und kein Menſch, dem er nicht, und dem Thereſe nicht ihre Hand bot. Er hatte den Hut ab, ſo lang er ſie gruͤßte, und ſagte mit einem ſtillen hohen Ernſt Er wuͤnſche fuͤr ſie zu leben! das Volk erwiederte ihm, ſie wuͤßtens, und der Tag ſeiner Wiedergeneſung ſey ihnen der freudigſte ihres Lebens dann ſtellt ſich das Volk wieder in Ordnung, die Hochzeitleute voraus Er nahm den Huͤbel-Rudi bey der Hand The - reſe die Meyerin, und ſeine Kinder die Kinder des armen Manns, fuͤhrten ſie alſo den Berg hinab bis in die Kirche; das Volk ſang, jauchzte, der Geiger ſpielte auf bis unter die Thuͤre, und die jun - gen Leute giengen, wie wenn ſie tanzten, bis in die Stuͤhle.

Da ſtund der Pfarrer neben dem Taufſtein an den Ort hin, an dem er neun Abende nach einan - der mit ſeinen Kindern auf den Knien, und mit Thraͤnen, Gott fuͤr das Leben des Junkers gebe -P 2228tet. Der große Blumenſtrauß, den er auf ſeinem Kleid hatte, war mit dem Perlenband, das ihm Thereſe geſchenkt, umwunden; ſtille Freude in ſei - nem Auge, und eine Thraͤne, leicht und duͤnn wie ein Morgennebel in heißen Tagen, zeugte von der Erhebung ſeines Herzens. Er ſtand eine Weile ſtill, dann hob er die Hand auf zum Zeichen des Schwei - gens eine Stille erfolgte, und das Volk und die Kinder, die nahe an ihm ſtunden, richteten die Augen auf ihn, dann ſagte er die einzigen Worte

Laſſet uns Gott danken, daß er uns unſern Vater Arner wieder geſchenkt! ſah dann hinab zu ſeinen Kindern und ſagte ihr habet mit mir an dieſer Stelle viele Thraͤnen vergoſſen; freuet euch izt, daß Gott das Gebet euerer guten Herzen erhoͤrt hat kommt, laſſet uns ihm danken da bog er ſich nieder und kniete die Kinder knieten mit ihm, und in einem Augenblick lag die ganze Gemeinde, und auch Thereſe, und ſeine Kin - der, und der General, vor ſeinen Auger auf den Knien Er ſtand allein noch ſah die ganze Gemeinde als niedergebogen Gott fuͤr ſein Leben danken.

Wer kann den Anblick beſchreiben, und die Erhebung des Manns (Arners), der in dieſem Au - genblick an ſeine Pflicht dachte, dieſem Volk, das vor ihm kniete, auf Kind und Kindeskinder hinun -229 ter ſein Gluͤck zu beveſtnen. Es ſchwellte ſeine Bruſt; er wandte ſein Angeſicht weg, fiel auch auf ſeine Knie, weinte eine Weile auf den Knien, dan - kete dann Gott fuͤr ſeine Rettung, und fuͤr ſeinen Stand, und fuͤr den Lieutenant, fuͤr den Pfarrer, und fuͤr ſein Volk, und bat ihn um ſeinen Segen zu ſeinem aufrichtigen Vorhaben, dieſe ihm von ſei - ner Vaterhand anvertrauten Menſchen dem Zufall des blinden Schickſals zu entreißen, und durch fe - ſte, ihrer Natur, und ihren Umſtaͤnden angemeſſene Geſeze, ſo viel als moͤglich, auf dieſer Welt gluͤck - lich zu machen.

Faſt eine Viertelſtunde lag das Volk auf ſeinen Knien; dann ſtund der Pfarrer, und mit ihm die Gemeinde auf, aber der Junker war todtblaß, that einen Schritt hervor, bog ſich gegen die Ge - meinde, aber er konnte izt nicht reden. Eine Weile war wieder alles ſtill der Pfarrer gab da wieder ein Zeichen und die Gemeinde ſang das Lied Herr Gott! wir loben dich ꝛc.

Der Lieutenant hatte zehen Mann mit Wald - horn, Trompeten und Baßgeigen beſtellt; und das Freudengeſang an Arners Feſt toͤnte in der Kirche ſo, wie in dem Thal von Bonnal noch kein Freu - dengeſang ertoͤnte.

Da es vollendet war, fuͤhreten Arner und The - reſe die Meyerin und den Huͤbel-Rudi zum Altar.

P 3230

So eine Hochzeit hat von uns keiner, dachten alle Juͤnglinge des Dorfs; und die Maͤdchen, die ſonſt bey allen Hochzeiten fluͤſtern, waren ſtill, da der Pfarrer ſie ſegnete. Dann laͤuteten wieder alle Glocken; der Junker fuͤhrte die Braut, und Thereſe gieng mit dem Huͤbel-Rudi aus der Kirche ins Pfarrhaus, und die Waldhorn und Trompe - ten machten mit den Stimmen des Volks und den laͤutenden Glocken ein frohes Getuͤmmel.

Er gab der Gemeinde einen Freuden-Trunk fuͤr das Feſt, das ſie ihm feyerten; rund um, faſt um die halbe Matten des Pfarrhauſes ſtunden Stuͤhle und Tiſche, Wein, und Brod, und Kaͤs, warme und kalte Milch, Wuͤrſt und Kuchen fuͤr Junge und Alte genug auf den Tiſchen. Mitten im runden Kreis der Gemeinde ſaßen die Hochzeitgaͤſte und das ganze Schloß, und das Pfarrhaus, an einem Tiſch; ſie hatten ein maͤßiges Mahl, nur wenig mehr als die ganze Gemeinde aber in der Mitte des Eſ - ſens brachte die Magd aus dem Pfarrhaus den Hochzeitleuten ihre Geſchenke, aus dem Schloß und aus dem Pfarrhaus es war gar viel ſchoͤnes und gar viel nuͤzliches, doch war unter allem das ſchoͤn - ſte, was ihnen der Lieutenant ſchenkte.

Hinter hellem Waſſer-reinem Glas, in einer goldenen Rahm, wie ein großer Spiegel, ſchenk - te er ihnen die lezten Worte der Großmutter:231 mit ſilbernen Buchſtaben auf ſchwarzem Boden ge - ſchrieben.

Oben in den Segensworten umſchlang ein dunkelgruͤner Kranz einen Bienenkorb, der daſtund wie lebendig; neben den Worten hinab hiengen Palmen von blaͤſſerm Gruͤn, die unten wieder dunk - ler mit Oelzweig verbunden einen Todtenkopf um - wanden, und dieſen umgaben dann ringsherum goldene Stralen wie die ſchoͤnſte Glorie der Heiligen. Oben an den ſilbernen Worten waren die er - ſten Denk an mich, Rudi, es wird dir noch wohl gehen ! groͤßer als die andern geſchrieben, und mit goldenen Buchſtaben; und unten am Kranz des Rudis und der Meyerin Namen, und der Tag ihrer Hochzeit an Arners Feſt, auch ſo groß und auch ſo mit goldenen Buchſtaben, und unter ih - rem Namen noch zwey Herzen, die ſich in den Stra - len des Todtenkopfs verloren. Das ganze Dorf, Junge und Alte, laſen die ſilbernen und goldenen Worte Bauer und Baͤuerinnen ſagten, es habe mancher Haus und Hof, die nicht werth ſeyen, was dieſes Stuͤck. Der Rudi ließ Thraͤnen darob fallen, und ſeine Kinder wollten nicht eſſen, und nur der Großmutter Worte leſen. Die Braut nahm eines nach dem andern auf ihren Schoos, und ließ ſie leſen und buchſtabieren.

Nach dem Eſſen tanzte das Volk, und Arner und Thereſe, ſelber der General und die Frau Pfar -P 4232rerin tanzten mit den geliebten froͤlichen Leuten. Die aͤltern Maͤnner und Weiber blieben bey ihren Tiſchen, und der Lieutenant, der mit dem lahmen Beine auch nicht tanzen konnte, ſo gern er wollte, ſtund auch bey ihnen.

§. 49. Hochzeit-Wahrheiten fuͤr Bettlerleute und fuͤr Geſezgeber.

Und weil er ſo in ihrer Mitte ſtand, kam dem alten grauen Renold in den Sinn, er verdiene auch ihren Dank, und er freue ihn an dieſem Tag am meiſten.

Er ſtund auf, und ſagte zu ihm

Er wiſſe, daß er allen Aeltern, die da ſeyen, aus dem Herzen rede, wenn er ihm izt fuͤr ihre Kinder danke und ihm ſage, ſie erkennen es, daß er ſich ihrer annehme, wie ſich vielleicht kein Menſch in der Welt armer Dorfkinder annehme. Maͤn - ner und Weiber ſtunden eins nach dem andern auf, dankten ihm auch wie der Alte. Es freute ihn herzlich; aber er nahm dabey Anlaß ihnen izt etwas zu ſagen, was er ihnen ſchon lange gern geſagt haͤtte: er that aber eine Weile nicht dergleichen, redte mit ihnen von ihren Kindern, erzaͤhlte ihnen233 allerhand Gutes von ihnen, aber ließ doch nach und nach eins nach dem andern merken, wie er ei - nem jeden in der Schule anſpuͤhre, wie ſie bey Haus mit ihnen umgehen, und als er ſie ſo traulich hatte, und ernſthaft wie er wollte, trank er noch auf ihre Geſundheit und die Geſundheit ihrer Kin - der, und ſagte dann wenn er einmal izt nicht glaubte, es moͤchte ihnen Muͤhe machen, ſo wuͤrde er ihnen gern noch etwas ſagen; ſie erwiederten ihm, er ſolle doch ſagen, was er wolle, ſie ſehen, wie er es meyne, und ſagen ja auch, was ſie wol - len; er fragte noch einmal, ob ſie es gewiß nicht zoͤrnen wollen? Und ſagte dann

Es iſt mir immer, wie wenn vielen von Euch nicht ganz recht Ernſt ſeyn koͤnnte, weder mit der Freude wegen dem Junker, noch mit dem Dank gegen mich. Die Leute begriffen nicht, was er meynte, ſtaunten, ſahen einander an; endlich frag - ten ihn etliche, warum er doch auch das ſage? Er antwortete ihnen, Ihr muͤßt mir verzeihen, aber ich will es euch den geraden Weg ſagen; es ſind gar zu viel Leute unter euch, die in dieſem oder je - nem Stuͤck noch immer gern in der Unordnung leb - ten, und dieſe alle koͤnnen im Grund ihres Herzens keine wahre Freude, und keinen wahren Dank ge - gen jemand haben, der ſie und ihre Kinder aus aller Unordnung herauszutreiben, und alle Unge - ſchicklichkeit, Unanſtelligkeit und Verwirrung, die234 im Dorf iſt, aufzudecken, und an den Tag zu brin - gen ſucht.

Dieſe Erklaͤrung machte ſie betroffen, ſie fien - gen ihn an zu verſtehen, und er fuhr fort

Weil ich nun einmal angefangen, will ich mich nun voͤllig erklaͤren; es iſt gewiß, daß zum Exempel eine Frau, die ſich von Jugend auf der Unordnung und der Unachtſamkeit gewohnt iſt, ihre Kinder nicht beſorgt, vieles in der Haushaltung zu Grund gehen, und wie Miſt durch einander und in einan - der liegen laͤßt; und wiederum, daß ein Mann, der in ſeinen Sachen es eben ſo hat, keine Freud und Dank gegen jemand in ſeinem Herzen haben koͤnne, welcher ihn in die Ordnung bringen will. Es iſt gar zu vieles zu tief in ſeinem Innerſten ein - gewurzelt, das er ſchwer hat abzulegen; und ich glaube faſt, ein ſolcher Mann und eine ſolche Frau wuͤrden leichter dahin zu bringen ſeyn, mit dem Jaunervolk in die Haͤuſer einzubrechen, und mit den Zigeunern und Bettlern im Wald bey geſtohle - nen und gebettelten Braten und Kuchen um ein Hei - denfeuer herum zu tanzen, als aufrichtige Freude daran zu haben, wenn man ſie wollte in eine Ord - nung bringen wie recht iſt, daß ſie nichts Unor - dentliches mehr verbergen und bemaͤnteln koͤnnen.

Aber die Maͤnner und Weiber meynten doch nicht, daß ſie Leute ſeyen, welche man mit Hei -235 den - und Zigeunervolk vergleichen ſollte, und ſagten noch einmal, es ſeyen gewiß blutwenige Leute un - ter ihnen, denen es nicht Ernſt ſey mit ihm und dem Junker. Er antwortete ihnen, Er habe ſie nicht mit Zigeuner - und Heidenvolk verglichen, ſon - dern nur ihre Ordnung; ſo koͤnnte er die groͤſten Herren mit dergleichen Volk vergleichen wie ſie; es ſey nur davon die Rede, ob die eingewurzelte Un - ordnung das Gemuͤth des Menſchen nicht von der Liebe und Dank gegen Leute ablenke, die gern rechte Ordnung haͤtten.

Sie gaben das wohl zu, aber meynten dabey, auch das treffe ſie nicht einmal ſtark; er ſagte ih - nen aber darauf, ihr zwinget mich, daß ichs euch doch ſagen muß; erinnert euch, was fuͤr Sachen in euerm Dorf geſchehen, und was fuͤr Reden ge - floſſen ſind, da man bey euch meynte, der Junker komme nicht mehr auf. Die Worte ſtrenge Her - ren werden nie alt ; wieder, es ſcheint doch nicht Gotts Wille, daß alles nach ſeinem Kopf ge - he ; wieder, es wird einmal viel anderſt wer - den, wenn er die Augen zuthut. Erinnert euch nur deſſen, und ſaget mir, ob ihr ſelber glau - bet, das alles haͤtte ſo vorfallen und geredt werden koͤnnen, wie es geſchehen und geredt worden iſt, wenn nicht hundert und hundert dergleichen ver - ſteckte Jauner - und Zigeuner-Geluͤſte der Grund dazu geweſen.

236

Izt kamen ſie nicht mehr fort in ihrem men - ſchenfreundlichen ſich ſelber Weißwaſchen. Ihrer etliche ſagten, ſie muͤſſen izt ſchweigen, ſie ſehen ſel - ber, daß etwas daran wahr ſey, wie er es izt ſage; er erwiederte ihnen, er habe es nie anderſt geſagt.

Und da Arner bey der tanzenden Jugend ſah, wie ernſtlich ihre Aeltern mit dem Lieutenant re - deten, ſtund er zu ihnen, und fragte ſie, was ſie ſo Ernſthaftes haben?

Der Lieutenant gab ihm mit einem Wort, aber freundlich ſchauend gegen das Volk, einen Wink, was es antreffe.

Das Geſpraͤch wendete ſich liebreich und mit kurzem dahin, daß der Junker ſagte, es werde ſich bald zeigen, ob er ihnen wirklich lieb ſey? Er muͤſſe ihnen ſelber einen Anlaß dazu machen. Maͤnner und Weiber fragten ihn dringend, worinn doch? Und er erwiederte, ich kann euere Haushaltungen und euer ganzes Weſen nicht in eine Ordnung brin - gen, daß es auf Kind und Kindskinder in eine Ord - nung gebracht iſt, wenn nicht ein jeder, der in ir - gend einer Sache, ſey es im Ackerbau oder im Hausweſen, etwas beſſer verſteht als die andern, mir darinn Hand bietet, die andern darinn auch in eine beſſere Ordnung zu bringen.

237

Es war keiner, der nicht hieruͤber Ja ſagte. Aber es war ihm nicht genug, was ſie ihm ins Allgemeine hinein verſprachen; er fragte dann den dicken Binzbauer, der den Namen hatte, er ver - ſtehe den Kornbau am beſten, wie iſts, willt du mir helfen, daß deine Nachbarn, die im Kornbau ſo weit hinter dir ſind, darinn nach und nach auch in die Ordnung kommen? Dann fragte er das gleiche den Lindenberger mit der Hacknaſe, der den Namen hatte, er verſtehe den Wieſenbau am be - ſten, und ſo mehrere, von denen man ſagte, ſie verſtehen irgend ein Stuͤck der Wirthſchaft beſſer als die andern. Zum Baumwollen-Meyer ſagte er, dich frage ich nicht, ob du mir an die Hand gehen willſt, denn du weißt, und haſt mir es ſelber geſagt, daß ein jeder im Grund nur ſich ſelber an die Hand geht, wenn er mir an die Hand geht. Er fragte ſogar die alte Frau, die den Gartenbau ſo wohl verſtund, ob ſie in ihren alten Tagen ſich noch ſo viel Muͤhe nehmen wolle, der lieben Ju - gend zu etwas mehr Gartenzeug, als zu dem Saͤu - kraut, welches ſie in ihren Gaͤrten faſt allein pflan - zen, zu verhelfen? Und es freute einen jeden, den er ſo auszeichnete; ſie verſprachen ihm faſt alle noch mehr als er forderte.

Das waͤre izt Eins, ſagte er da. Das An - dere iſt, ein jeder, der irgend eine Sache von ſei - nem Hausweſen und von ſeinem Landbau nicht ſo238 gut verſteht als ein anderer, ſollte mir eben ver - ſprechen, ſich darinn gutmuͤthig weiſen und rathen zu laſſen; aber er ließe es auch hierinn nicht beym bloßen man ſollte, und ihr ſolltet, bewenden; ſondern wandte ſich auch dießfalls vor allen an ihrer etliche, die in einigen Hauptſtuͤcken ihrer Wirthſchaft kund - barlich nicht in einer guten Ordnung waren, und ſagte: Wie iſts? Willt du dir in dieſem oder jenem Stuck, in dem du nicht laͤugnen kannſt, daß du es noch weiter treiben koͤnnteſt als du thuſt, rathen und helfen laſſen? Auch hierinn ſchien es, daß ſie alle mit Freuden Ja ſagten. Aber er war auch ſo innig gut zeigte ihnen dann noch zulezt ihre tanzenden Kinder, und ſagte ihnen, wenn ihr es nicht um meinetwillen, und nicht um euer ſelbſt willen thun wolltet, ſo ſolltet ihr es um dieſer wil - len thun. Er ſezte hinzu es wird mit ihren Freuden bald aus ſeyn, wenn ihr nicht fuͤr ſie ſor - get, und alle Luſtbarkeit ihres Lebens, die ihnen ſo wohl thut, iſt an die Art und Weiſe, wie ihr euere Geſchaͤfte machet, und wie ihr ſie auch dazu anzie - het, gebunden; fehlet ihr darinn, ſo erwahret das alte Spruͤchwort an ihnen, Je freudiger, je trau - riger , und ſie werden daruͤber Niemanden als euch anklagen.

Das Volk war geruͤhrt; aller Augen waren auf ihn geheftet, und viele hielten ihre Haͤnde zu - ſammen, wie wenn ſie beteten; ihr Stillſchweigen239 erhob ſein Herz: Er ſagte ihnen noch einmal, ich kann mir nicht vorſtellen, daß ihr mich, und mit mir euch ſelber, alſo betruͤgen wollet, mir hierinn euer Wort nicht zu halten; und fehlet ihr mir nicht, ſo kann ich euch verſprechen, mit der Hilfe Gottes ſoll in kurzen Jahren nicht leicht mehr eines unter euch ſeyn, das nicht mit Ruhe und Freude auf Kind und Kindeskinder herab ſehen koͤnne.

Mit dieſem verließ er die Aeltern, gieng noch eine Weile zu den tanzenden Kindern, ſahe mit Luſt ihre Freuden-Reihen, und dachte mit noch groͤße - rer Luſt an ſeine Geſezgebung, mit der er zu der Quelle dieſer Freuden Sorge tragen wolle, und laͤ - chelte der Laſt entgegen, die ihm dieſe Vater-Freu - de auflegen wuͤrde.

Und am Abend, um 4 Uhr, umringte ihn der Kreis der tanzenden Jugend; die Braut dankte ihm im Namen der Hochzeitleute, und der Gemeinde, fuͤr ſeinen Freudentag, den er ihnen allen zum Freu - dentag gemacht, und ein lautes Rufen des danken - den Volks unterbrach die redende Braut. Er fuͤhrte ſie dann noch aus dem Pfarrhaus heim in ihre Huͤtte; das ganze Dorf begleitete ihn dahin, dankte ihm noch einmal, als er da in den Wagen ſaß und fort fuhr.

240

§. 50. Hummels Tod.

Und der Rudi war kaum heim, ſo ſchlich er mit einer Flaſchen Wein, und einer Blatten von allem Guten, das ſie hatten, von ſeiner Braut und den Hochzeitgaͤſten fort, trug alles unter ſeinem Rock, wie verborgen, zu dem alten Feind ſeines Lebens. Der gute Mann konnte nicht anders, als er mußte denken, der arme Tropf ſehe izt alle Freuden dieſes Tags, hoͤre alle ihre Luſtbarkeit, und ihm ſey kein froher Augenblick mehr beſchehrt auf dieſer Erde. Bewahr doch ſagte er, da er dieſes dachte, der liebe Gott einen jeden Chriſtenmenſchen vor ei - nem boͤſen Leben! und gieng dann fort. Der Vogt war in einem erbaͤrmlichen Zuſtand. Das Abfaulen und Abdorren des Menſchen, an dem nichts mehr Menſch iſt, iſt entſezlich; ſchon lange lebte in ihm nichts mehr, als was im Hund und im Fuchs und im Wolf auch lebt; wenn er ſchon wollte, er hatte fuͤr kein Gutes kein Leben mehr in ſeinen Sinnen; und konnte, was menſchlich iſt, ſo wenig mehr in ſich behalten, als ein durchloͤcher - tes Geſchirr Waſſer, das man darein ſchuͤttet. Der arme Tropf ſchrieb es dem Teufel zu; als ob es mehr brauche, als ein Leben wie das ſeine, einenMenſchen241Menſchen in ſeinem Alter lebendig todt zu machen. Aber es iſt ſo der Menſchen Art, ſie wollen noch lieber vom Teufel ſchlecht ſeyn, als von ſich ſelber; und laſſen ſich gar oft leichter dahin bringen, aus dummer Furcht vor dem Beelzebub in die Gichter zu fallen, als auf ſich ſelber Acht zu geben.

Das war ſein Fall: Er bruͤllte in ſeiner Teu - felsangſt gar oft wie ein Vieh, inſonderheit zu Nacht, ſo daß ihm auch Niemand abwarten wollte, und der Rudi ein armes Bettelweib, das ihm ver - wandt war, mit dem groͤſten Verſprechen kaum dazu bewegen konnte; er meynte nichts anders, als der Teufel werde ihn holen wie den Doktor Fauſt, der das Pulver erfand; und konnte ſich vorſtellen, er warte vor ſeiner Thuͤr auf den Glockenſchlag, wann es mit ihm aus ſey, wie etwa Waͤchter und Harſchier einer Schelmenbande aufpaſſen, wenn die Stunde verrathen iſt, in der ſie an einen Ort hinkommen.

Dieſe Narrenſchrecken ſeiner unſinnigen Teu - felsfurcht hinderten die zerruͤtteten Kraͤfte ſeines Kopfs und Herzens noch mehr, daß nichts Gutes und nichts Menſchliches darinn Platz fand, und alles Bemuͤhen des guten Pfarrers, ſeine Sinne wieder zu ſtaͤrken, umſonſt war.

Das war ſein Lebensende. So dorret ein Baum ab, der auf einer Brandſtaͤtte bis auf dasQ242Mark verſengt iſt Umſonſt treibt ſeine Wurzel noch einigen Saft in die todten Gefaͤße, er ſtocket in allen Adern bis auch ſeine Wurzel erſtarret, und es dann ganz mit ihm aus iſt. Sein zerruͤttetes Leben ſtockete in allen Sinnen, und er konnte bey Monaten nicht mehr einen beruhigenden menſchli - chen Gedanken feſt halten.

Bis am Morgen dieſes Tags, da alle Glocken laͤuteten, und er den Rudi an der Hand des Jun - kers, und die Meyerin an der Hand der Thereſen, und die Kinder des armen Manns an der Hand der Kinder aus dem Schloß, unten an ſeiner Gaß vor - uͤber zur Kirchen gehen ſah, und das Getuͤmmel des frohen Volks hoͤrte da ward ihm in dieſem Augenblick wie anderſt ums Herz, und wie, als ob ihm Gott auch noch einen guten Gedanken zu ſeiner lezten Erquickung in ſeine Seele gegoſſen er konnte izt denken wann es zu ſeiner Zeit alſo geweſen waͤr, ſo waͤr er auch nicht geworden, was er geworden.

So wirft eine Lampe noch vor ihrem Erloͤſchen einen hellern Schimmer, und ſtirbt dann.

Das Bettelweib, das ihm abwartete, ſagte, er habe dieſe Worte mehr als zehnmal nach einander wiederholet, und dabey Thraͤnen in den Augen ge - habt, und ausgeſehen wie ein anderer Menſch. 243 Auch das habe er ein paarmal geſagt, wann er izt nur ſterben koͤnnte, weil ihm ſo ſey und noch einmal uͤber das andere Mein Gott! Mein Gott! gerufen, das er ſonſt auch nicht gethan.

Aber eine Saite, die Jahre lang in einem Winkel verroſtet, ſpringt entzwey, ſo bald du ſie ſpannſt, und dieſer Gedanken toͤdete den Mann; er konnte nichts anders mehr als dieſen Gedanken den - ken, ſtaunte eine Weile demſelben anhaltend nach, und da traf ihn der Schlag.

Das Bettelweib, das bey ihm war, freute ſich, daß er an ſeinem Ende noch ſo zu guten Ge - danken gekommen, und nahm das beſte Buch in die Hand, betete ihm in ſeinen lezten Noͤthen das Gebet eines armen Suͤnders vor, den man auf die Richtſtatt fuͤhrt, und glaubte, es koͤnnte im gan - zen Buch nichts finden, das ſich beſſer fuͤr ihn ſchicke. Es wußte ſonſt nichts zu machen, weil ſich ſeiner ſonſt Niemand nichts annahm als der Rudi, und dieſer izt an ſeiner Hochzeit war. Aber der gute Menſch zoͤrnete das, und ſagte ihm, es ſey ein Unmenſch, daß es ihn habe ſo da liegen laſſen koͤnnen. Was willt doch ſagen er - wiederte das Weib er iſt, ſo lang ich ihm ab - warte, nie ſo ſchoͤn da gelegen und eine Weile darauf man kann dem armen Tropfen izt nichts mehr Gutes thun, als Gott fuͤr ihn bitten, daßQ 2244er ihm ſeine Suͤnden verzeihe, und ihm eine ſelige Aufloͤſung beſcheere; und es haͤtte ihm nichts ge - holfen, wenn ich dich auch heut mit ihm geplagt haͤtte, du biſt ja dein Lebtag lang genug mit ihm geplagt geweſen.

In dieſem Augenblick ſah der Rudi, daß es das arme Suͤndergebet auf dem Tiſch vor ſich hatte, und ſagte ihm, das iſt erſchrecklich, was denkſt auch? Haſt du es ihm laut vorgele - ſen?

Ja freylich, ſagte das Weib.

Aber um Gotteswillen! was denkſt auch? Wenn ers noch verſtanden, es hat ihm ja muͤſſen faſt das Herz abdruͤcken.

Nichts wenigers, erwiederte das Menſch er hats gar wohl noch verſtanden, und mir im An - fang noch mit dem Kopf dazu genickt es ſey recht.

Der gute Rudi legte den armen Sterbenden noch, ſo gut er konnte, zu recht, und ſeinen Kopf hoͤher, ſprang dann heim, ſagte es ſeiner Braut, und bat die Hochzeitleute, ſie ſollen doch aufhoͤren tanzen, und uͤberall nicht mehr laut thun, er fuͤrch - te, wann ers noch hoͤre, ſo koͤnnte es ihm noch weh thun, und das waͤr ihm leid.

245

Es war Niemand bis auf die kleinſten Kin - der, der nicht fand, er habe recht, und ſie doͤrfen ihn in ſeiner lezten Stunde nicht kraͤnken. Die Kinder baten den Rudi, weil ſie ſich izt nicht mehr luſtig machen doͤrfen, um den goldenen und ſilber - nen Bienenkorb der Großmutter, daß ſie auch et - was zur Freude haben, da ſie doch muͤſſen ſtill ſeyn. Er gab ihn ihnen; eilte dann mit ſeiner Braut mit Tuͤchern und Bettzeug, und Eſſig, und allem, was ſie im Hauſe hatten, und meynten, daß es ihm dienen koͤnnte, zu dem Sterbenden, und blieben an ihrer Hochzeit bey ihm bis zwiſchen zwoͤlf und ein Uhr, da er dann verſchieden. Der Pfarrer blieb auch ſo lang, und druͤckte noch beym Weggehen dem armen Todten die Augen zu und dann ihnen beyden die Haͤnde ſo warm und fromm und prieſterlich, als heut am Morgen, da er ſie einſegnete.

Q 3246

§. 51. Arners Geſezgebung.

Und nun eile ich zur Vollendung meines Werks, und bitte den Geiſt der Einfalt, der mich leitete, als ich meinen Volks-Geſang bey der Huͤtten der armen Frauen, und im Tumult der großen Ver - wirrung des verwahrloſeten Dorfs anhub, und der mich auf meinem unbetretenen Pfad an der Hand der Erfahrung fortfuͤhrte. Geiſt der Ein - falt, du mein Geiſt! verlaß mich izt nicht, da ich ermuͤdet mich meinem Ziele naͤhere, und meinen Geſang mit der Hofnung vollende, Arners Ge - ſezgebung ſetze die Moͤglichkeit einer die menſch - liche Natur, auch in der Tiefe des Volks, befrie - digenden Staatsweisheit und Staatsgerechtigkeit außer Zweifel.

Ich ſaͤume mich nicht

Das ſind die Einrichtungen, Geſe - ze, Anſtalten und Vorſorgen, durch welche Arner ſein Volk in Bon - nal von den Fehlern eines ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Naturlebens zu heilen, und ſie aus einem leichtſin -247 nigen, gedankenloſen, traͤgen, un - vorſichtigen, untreuen, verwege - nen, mit einem Wort, verwahrlo - ſeten Naturgeſindel, welches ſie waren, zu bedaͤchtlichen, feſten, fuͤrſichtigen, treuen, frommen, in ihrem Zutrauen ſowohl, als in ih - rem Mistrauen ſicher gehenden[,]und im Innern ihrer Haushaltungen Gluͤck und Zufriedenheit findenden und zu finden faͤhigen Menſchen zu machen.

Er ließ zuerſt in einem jeden Fach des Land - baus und der Hauswirthſchaft den Mann, von dem er mit Zuverlaͤßigkeit erfahren, daß er in die - ſem Fach vorzuͤgliche Kenntniſſe und Erfahrung habe, zu ſich kommen, erinnerte ihn des Verſpre - chens, welches ſie ihm alle am Abend ſeines Wie - dergeneſungfeſts in Bonnal gethan, daß ihm nem - lich jeder in dem, was er am beſten verſtehe, ſo an die Hand gehen wolle, die andern in dieſem Stuͤck, ſo viel ihm moͤglich, auch in eine beſſere Ordnung zu bringen; und ſagte ihm dann, er fin - de, daß er dieſes oder jenes Stuͤck der Wirthſchaft vorzuͤglich wohl kenne, er bitte ihn alſo hieruͤber ſein Dorfrath zu ſeyn.

Q 4248

So machte er den, der den Kornbau am be - ſten verſtund, zu ſeinem Dorfrath uͤber den Korn - bau; den, der den Wieſenbau am beſten behan - delte, zu ſeinem Dorfrath uͤber den Wieſenbau der den Wald am beſten beſorgte, uͤber den Wald - bau der, ſo die Fruchtbaͤume am beſten be - ſorgte, uͤber die Fruchtbaͤume; und waͤhlte ſo fuͤr alle kleine und groͤßere Theile der Wirthſchaft den Mann, der ſich darinn als den beſterfahrnen aus - zeichnete, hieruͤber zu ſeinem Dorfrath.

Dann gab er dieſen Maͤnnern, einem jeden fuͤr ſein Fach, ein Dorfrathsbuch, darinn erſtlich Auszuͤge aus den Schloß-Protokollen, ſo weit aus denſelben das Fach, darinn einer Dorfrath war, Licht erhalten konnte; z. Ex. im Kornbau, wie viel die ganze Gemeinde dieſer Art Land beſitze, und dann, wie viel ein jeder Bauer einzeln beſitze: wor - uͤber in den Protokollen ſich nichts fand, z. Ex. uͤber die Baumzucht, das mußten die Dorfraͤthe ſelber aufzeichnen und dann mußten ſie in ihren Faͤ - chern allemal in Rubriken, die ihnen vorgezeichnet waren, den Zuſtand aller Theilen dieſes Fachs, im Großen und in ſeinen beſondern Stuͤcken, deutlich und klar bemerken, z. Ex. in der Rubrik des Acker - baus: . wie viel von dieſem Land gut, wie viel ſchlecht, wie viel trocken, wie viel naſſes, wie viel leimartig, wie viel ſandartig, wie viel gemiſcht u. ſ. w. dann , was fuͤr Hauptverbeſſerungen man249 im Trockenen, im Naſſen, im Sandigen, im Leim - artigen vornehmen koͤnnte und ſollte ferner, wie weit dieſe Verbeſſerungen wirklich ſtatt haben, und wie weit ſie nicht ſtatt haben, und welches die groͤßern und kleinern Hinderniſſe ſeyen, um deren - willen ſie nicht allgemein ſtatt haben; dieſe Rubri - ken fuͤllten den erſten Theil dieſes Dorfraths-Buchs aus.

Der zweyte Theil deſſelben enthielt wieder in jedem Fach die umſtaͤndliche Soͤnderung des Gan - zen in die beſondern Theile, die ein jeder in dieſem Stuͤck beſaß oder verwaltete. Ein jeder Buͤrger hatte in dieſem Theil ſeinen Plaz, oder ſeinen Hof, in welchem der Dorfrath die Rubriken des erſtern Theils auf ihn beſonders anwenden, und z. Ex. im Feldbau zeigen mußte, wie viel er ſandiges, oder leimichtes Land beſitze, wie viel er davon wohl, und wie viel er davon nicht wohl beſorge, und ſo wars in allen Theilen der laͤndlichen Wirthſchaft; ein je - der Dorfrath, der fuͤr den Kleebau, der fuͤr die Waͤſſerung, der fuͤr den Forſtbau, der fuͤr den Obswachs, hatte alſo ſein doppeltes Buch mit allen Rubriken, die er meiſtens nur mit kleinen Zeichen ausfuͤllen mußte; und der Lieutenant machte dann dem Junker aus dieſen Dorfraths-Buͤchern ein allgemeines Dorfwirthſchafts-Buch, darinn zuerſt wieder im Allgemeinen von allen Theilen der Wirth - ſchaft in Bonnal zuſammen gezogen war, was in250 jedem beſondern Buch von dem Dorfrath bemerkt und rubrizirt ward; und dann zweytens, was in demſelben von jedem beſondern Hauswirth uͤber jeden Theil ſeiner Wirthſchaft in Verbindung mit dem erſten Theil des Buchs bemerkt und rubrizirt war.

So erhielt Arner ein reales und vollſtaͤndiges Grundbuch uͤber die allgemeine Dorfwirthſchaft in Bonnal, und ein auf dieſes ſich beziehendes eben ſo vollſtaͤndiges Rechenſchafts-Buch von dem Zu - ſtande der Wirthſchaft eines jeden Bonnalers in allen ihren Theilen, von den groͤſten Hauptſtuͤcken, die ſie beſaßen, bis auf das juͤngſte Schwein im Stall und dem kleinſten neugeſezten Baum.

Er hatte dieſes nicht ſo bald, ſo verſammelte er die Gemeinde wieder, erinnerte von neuem an ihr Verſprechen, ſich in allem, wodurch er ſie fuͤr ihre Kinder und Kindskinder in Ordnung bringen koͤnne, rathen und helfen zu laſſen.

Und mit dieſem vorbereitet, machte er dann einen Hausvater nach dem andern zum großen Rechenſchaftsbuch ins Pfarrhaus kommen, und zeigte ihnen ganz unerwartet und auf einmal den wahren Zuſtand ihres ganzen Hausweſens, auf ihrem Blatt, wie in einem Spiegel. Er ließ einen jeden neben ſich niederſitzen, und ſeine ganze Rechnung da leſen, und dem, der nicht leſen konn -251 te, las er ſie vor, vom Anfang bis zum Ende. Weit die meiſten hatten in ihrem Leben nie einen Augenblick mit dem Eins mal Eins im Kopf ihr Hausweſen in allen ſeinen Theilen uͤberſchlagen, und niemals, weder im Ganzen noch in ſeinen Thei - len, eine heitere Einſicht darein gehabt, ſtunden auch desnahen vor ihrem Spiegel wie vor einem Wunder, und vor dem Junker wie Narren.

Sie konnten gar nicht begreifen, wie ihre Sa - chen alle ſo deutlich und klar auf dieſes Papier ge - kommen und wie das, woran ſie ſelber nie ge - dacht, hier bemerkt, und das, was ſie ſelber nicht gezaͤhlt, hier gerechnet ſeyn koͤnnte; was ſie laͤngſt vergeſſen, das war hier wie neu wieder da; was ſie vernachlaͤſſiget, das fanden ſie da bemerkt; was ſie fuͤr nichts geachtet, das ſtund doch da, wie wenns gar nicht wenig waͤre; und er fragte ſie dann uͤber einen jeden Punkt ihrer Rechnung, iſts ihm nicht ſo? Iſts ihm nicht ſo? Und druͤckte die meiſten ge - waltig mit dieſem Wort, ſo daß es alle duͤnkte, es wolle kein Ende haben, dieſes: Iſt ihm nicht ſo?

Doch ſagten ſie ihm alle faſt in allen Stuͤcken Ja, aber freylich oft mit einer unbeſchreiblichen Verlegenheit.

Hingegen ſagten gar viele, und die Verſtaͤn - digſten alle von ſich ſelber, wo ſie eine Abſchrift252 von dieſem Blatt haͤtten, es koͤnnte ihnen gar viel dienen; er gab ſie allen, und viele konnten das Blatt auf dem Heimweg, und auch daheim, nicht aus den Haͤnden laſſen, bis ſie ſich genug darinn erſehen. Der Niggel Spiz ſagte einem ganzen Haufen von ihnen, da er ſie ſo mit ihrem Papier in der Hand vor dem Pfarrhaus ſpatzieren ſah So hat noch kein Pfarrer ſeine Gemeinde aus einer Predigt oder aus einer Kinderlehre heimgeſchickt! Einer gab ihm zur Antwort ja dieſe fangen nicht beym Leib an fuͤr den Menſchen zu ſorgen Es geht darum, ſagte der Niggel, denke ich, ihnen mit der Seelſorge ſo gut, weil ſie ſie allein trei - ben.

Ihrer viele kamen nicht ſo bald unter ihr Dach, ſo giengen ſie mit Schaufeln und Karſt, oder einem andern Inſtrument auf der Achſel, oder unter den Armen, wieder zur Thuͤre hinaus, um dieſes oder jenes geſchwind in die Ordnung zu machen, woruͤ - ber ſie am ſtaͤrkſten durch ihren Spiegel beſchaͤmt worden waren.

So giengs am erſten Tag, und der Junker trug Sorge, daß ihnen der Spiegel alle Jahr wie - der neu werde.

Alle Fronfaſten mußte ein jeder Dorfrath ſein Buch erneuern, und in allen Rubriken anzeigen, ob in denſelben einige groͤßere oder kleinere Veraͤn -253 derungen vorgefallen? Hieraus erneuerte dann der Lieutenant eben ſo in allen ſeinen Theilen ſein großes Dorfwirthſchafts-Buch. Aus dieſem ließ der Jun - ker dann alljaͤhrlich einem jeden Haushaͤlter ſeinen Wirthſchafts-Spiegel in allen ſeinen Theilen wieder erneuern, und ließ ihn auf die gleiche Art wieder uͤber eine jede Abaͤnderung Antwort geben, ob ſie richtig ſey oder nicht?

Aber auch das war ihm noch nicht genug. Er ſah die Kopfs-Einſchraͤnkung ſeiner meiſtens nur ein - ſeitig gebildeten Dorfraͤthen, und erkannte, daß Leute, die in einem beſondern und einzelnen Theil der Wirthſchaft vorzuͤgliche Erfahrungen haben, in ei - nem gewiſſen Alter oft beſtimmt dadurch gehindert werden, ſo wohl mit Unpartheylichkeit, als mit genugſamer Geduld anderer, in ihrem Fach min - der erfahrnen Leuten ſo an die Hand zu gehen, daß ihnen wirklich an die Hand gegangen iſt und eben ſo, daß ihre einſeitigen Erfahrungen und Kennt - niſſe ſie meiſtens auch dahinbringen, aus ihrem Fach alles, oder einmal viel mehr, zu machen, als es im Ganzen und mit allem uͤbrigen verbunden wirklich iſt. Es begegnet ihnen auch nicht ſel - ten, daß ſie meynen, ſie verſtehen alles, wie ſie eins verſtehen eben ſo, wie ſie auch oft durch ihr Alter und abnehmende Kraͤfte gehindert werden, auf die Art, wie es ſeyn ſollte, einem ganzen Dorf in ihrem Fach an die Hand zu gehen, und254 etwan, wo es noͤthig, die Handgriffe ſelber zu zeigen.

Dieſem allem, und noch mehrerm, half Ar - ner dadurch ab, daß er dieſen Dorfraͤthen fuͤr jede Gaſſe noch zwey juͤngere, noch lernbegierige, aber doch ſchon in allen Theilen der Wirthſchaft eigene Erfahrung beſitzende Maͤnner zugab, die er mit Zuthun der aͤltern Dorfraͤthe fuͤr ſie waͤhlte, und die dann im engern Kreis ihrer Gaß ihren Nach - barn in allen Theilen ihrer Wirthſchaft allemal nach der Wegweiſung des Dorfraths, in deſſen Fach ein jeder Gegenſtand einſchlug, an die Hand gehen mußten.

Dieſe blos wie zu ihrer Erleichterung vorge - nommene Einrichtung ſchmeichelte den aͤltern Dorf - raͤthen um ſo mehr, da ſie auf dieſe Art die ver - ſtaͤndigſten, ordentlichſten und fleißigſten juͤngern Hauswirthe auf eine Art wie zu ſich in die Schule gewieſen, und ſich untergeordnet ſahen auf der andern Seite aber, da dieſe juͤngere Maͤnner bey einem jeden dieſer Dorfraͤthen nur in demjenigen Fach Rath ſuchen mußten, das er wirklich ver - ſtund, und nur in ſo weit, als ſie denſelben fuͤr die Wirthſchaft der Leuten ſeiner Gaß wirklich brauch - ten, ſo machte ihnen das auch nicht viel Muͤhe, und ſie wurden hingegen durch den Rath und die vielſeitigen Erfahrungen dieſer Maͤnner, die ſie in255 allen Faͤchern dennoch oft und nothwendig brau - chen mußten, auf eine ſehr natuͤrliche, einfache, und ſichere Art gefuͤhrt und geleitet, die Gegenſtaͤn - de der Wirthſchaft in ihrem Zuſammenhang anzuſe - hen, ohne die feſte und genaue Aufmerkſamkeit auf jede einzelne Theile derſelben zu ſchwaͤchen; und genoſſen auf dieſe Art im eigentlichſten Verſtande, und in einem ſehr ausgedehnten Sinn, den Geiſt und das Weſentliche der beſtmoͤglichſten Landwirth - ſchafts-Schule fuͤr ihr Dorf.

Dieſen zehn Maͤnnern uͤbergab Arner aus dem allgemeinen Dorfwirthſchafts-Buch die Abſchriften der ſo geheißenen Wirthſchafts-Spiegel, die ein jeder Bauer von Bonnal darinn hatte; nemlich je zwey und zweyen allemal diejenigen Spiegel, die die Hauswirthe der Gaſſe, die ihnen angewieſen war, betrafen, aber ſie mußten dann dieſelbe noch groͤßer machen, und weiter ausdehnen, als es den alten Dorfraͤthen in ihrem Buch uͤber alle Bonna - ler, wenn ſchon einem jeden nur in einem einzigen Fach, nicht moͤglich geweſen waͤre; dieſe konnten es hingegen leichter, weil ſie dieſe Buͤcher nur uͤber die Buͤrger ihrer Gaſſe fuͤhrten, und allemal ihrer zwey zu den Buͤchern uͤber die Hauswirthe einer Gaſſe waͤren. Aber freylich mußten ſie dann dieſe Buͤcher allgemein und uͤber alle Theile der Wirthſchaft ihrer Leute vollſtaͤndig fuͤhren, und in jedem Buch von einem Hauswirth alle Rubriken256 beſtimmt ausfuͤllen, wie ſie ihnen vorgezeichnet uͤber - geben worden; z. Ex. in der Rubrik Akerbau bey einem jeden bemerken:

  • So viel im voͤlligen Abtrag.
  • "So viel im mittlern Abtrag.
  • "So viel im ſchlechten Abtrag.

Dann mußten ſie auch dieſe Unterſcheidungen in allen Faͤchern der Wirthſchaft an ihrem Ort richtig ausfuͤllen, bis auf die kleinſten Theile der - ſelben, alſo daß auch nicht das kleinſte Baͤumchen ohne die beſtimmteſte Beurtheilung, ob ſeine Be - ſorgung gut, mittelmaͤßig, oder ſchlecht ſey, ge - laſſen wurde; und uͤber jeden einzelnen Mann muß - ten ſie eben ſo bemerken, ob er verſtaͤndig und er - fahren, und in welchen Stuͤcken ſeiner Wirthſchaft ſich das zeige, und aus welchen man das Gegen - theil ſchließen ſollte.

Dann hatte auch ſeine Frau, und ein jedes ſeiner Kinder, ſeinen Plaz in dieſem Buch; und von einem jeden ward umſtaͤndlich nach allen wich - tigen Geſichtspunkten, die ſeinethalben zu bemerken waren, aufgezeichnet, wie es mit ihm ſtehe, was es taͤglich arbeite, wori[n]n es ſich im Guten oder im Boͤſen auszeichne, was ſein Vater aus ihm machen wolle, und ob daſſelbe ſich fuͤr ihns und ſeine Umſtaͤnde beym Leben und Sterben ſeiner Aeltern ſchicke? Und endlich, ob in einer jedenHaus -257Haushaltung kein freſſender Krebs, und nichts ge - faͤhrliches um den Weg ſey, das fruͤh oder ſpaͤt dieſe Haushaltung in Unordnung bringen, und den Weg zu ihrem Verderben anbahnen koͤnnte.

Und die Buͤcher der zehen Maͤnner waren vom Lieutenant ſo eingerichtet, daß ſie in weit den mei - ſten Stuͤcken nur kleine Zeichen und Zahlen einzu - tragen hatten; und auch uͤber dieſe hatte Arner wie - der ein allgemeines Buch, daraus er am Ende des Jahrs im Augenblick einem jeden Bonnaler ſeine Rechnung ausziehen, ſie in allen ihren Theilen, und in jedem beſonders, an die Rechnung deſſelben vom vorigen Jahr anſchließen, und ſich alſo bis auf die kleinſten Unterſcheidungen, wie weit ſich ſein Zuſtand beſſere oder ſchlimmere, in allen Stuͤcken leicht bemerken konnte; wie z. Ex. in der Rubrik des Ackerbaus Der Jakob Meyer hatte gut beſorgte Aecker 1785,5 Juchart 1786,8; alſo 1786 3 Juchart mehr gut beſorgte. Mit - telbeſorgte 1785,6 Juchart 1786,10; alſo mittelbeſorgte Aecker 1786,4 mehr als 1785. Schlecht beſorgte 1785,10 1786,3; alſo ſchlecht be - ſorgte Jucharten minder als 1785, 7.

So deutlich und leicht fiel ein jeder Unterſchied in allen Theilen eines vergangenen und gegenwaͤrti - gen Jahrzuſtands auf, und Arner ließ daruͤber ein unveraͤnderliches Geſez verfertigen, und daſſelbe zuR258den von ihm beſtaͤtigten Gerechtſamen und Frey - heiten des Dorfs in ihre Gemeindlade hineinlegen, und in ihr Dorfbuch eintragen, daß alljaͤhrlich in der Weihnachtswoche Gemeind gehalten werden muͤſſe, und in derſelben zur Aufmunterung des Fleißes und aller guten Ordnung, in Gegenwart des Junkers und des Pfarrers, und der Gemeinde, einem jeden zu Lob und Ehren, aus dieſer Rech - nung oͤffentlich muͤſſe vorgeleſen werden, was in derſelben ihm Lob und Ehre bringen koͤnne.

Hingegen ward durch ein eben ſo beſtimmtes Geſez, und eben ſo feyerlich, zum Wohl und Nutzen der Gemeinde, und zur Sicherheit der guten Be - ſorgung alles Ihrigen, auf Kind und Kindskinder hinunter befohlen, und der Befehl als von der gan - zen Gemeinde, und als zu ihrer Sicherheit und zur Hinterlag ihres langdauernden Wohlſtands, allge - mein angenommen, und eben ſo in ihre Gemeind - lade verwahret, und in ihrem Dorfbuch eingetra - gen, daß ein jeder, der irgend ein Stuͤck ſeiner Wirthſchaft ſchlechter beſorgt als im vorigen Jahr, dem Junker und dem Dorfrath ſagen muͤſſe, wa - rum und wie das gekommen? Das erſtemal in aller Freundlichkeit und ohne daß man ihm daruͤ - ber Vorwuͤrfe machen doͤrfe, warnen; dennoch aber muͤſſen die Dorfraͤthe und die Aufſeher ſeiner Gaſſe, aber ohne ihn dazu zu ziehen, zuſammen treten, genau zu unterſuchen, wie weit ſeine Ent -259 ſchuldigungen wahr und begruͤndt geweſen oder nicht, und uͤberhaupt was etwan die beſten Mittel ſeyn moͤchten, in der Stille und Freundlichkeit einen guten Einfluß auf ihn und ſeine Haushaltung zu haben. So dann aber der Mann das zweyte Jahr in dieſem Stuͤck, oder in andern eben ſo wich - tigen, gleich als ein ſchlechter und nachlaͤßiger Haushalter zum Vorſchein kam, ſo mußte er dann mit ſeiner ganzen Haushaltung vor dem Junker und dem Dorfrathe erſcheinen, und in ihrer aller Ge - genwart ſich erklaͤren, welches die Gruͤnde der fort - dauernden Vernachlaͤßigung dieſes oder jenes Stuͤcks ſeiner Wirthſchaft ſeyen?

Aber dann war es ſchon ernſthafter. Die Dorfraͤthe und die Aufſeher ſeiner Gaſſe mußten ſich einen Tag vorher verſammeln, die Gruͤnde, die er ihnen das vorige Jahr angegeben, von neuem uͤber - legen, und ſich als auf eine ſehr ernſthafte und fuͤr das Dorf ſehr wichtige Sache gefaßt machen, ſich von ihm in keinem Wort blenden zu laſſen, und von ihm keine leere unguͤltige Entſchuldigung als guͤltig anzunehmen, ſondern ihm vielmehr ein jedes falſches, heuchleriſches, unrichtiges Wort, mit der groͤſten Kraft, die ihnen moͤglich, im Mund umzu - kehren, und eben ſo ſeiner Frau und ſeinen Kin - dern, um ſie ſaͤmtlich in dem Grad zu beſchaͤmen, als ſie es wagen wollten, mit Luͤgen und Blend - werken durchzuſchluͤpfen. Die Dorfraͤthe muß -R 2260ten, als auf die wichtigſte Sache gefaßt ſeyn, ihm gegen alles unrichtige Geſchwaͤz genau und beſtimmt zu zeigen, wie ſie die Sache haͤtten angreifen ſollen, und warum es, wenn ſie es alſo gemacht haͤtten, ihnen darinn nicht hinter ſich, ſondern fuͤr ſich ge - gangen waͤre.

Der Junker war bey allen dieſen Real - Examen, die im Dorf den Namen der Schweiß - baͤder bekamen, gegenwaͤrtig, und ließ es nie - mals ermangeln, den Dorfraͤthen und Aufſehern zu zeigen, wie wichtig es ſey, gegen das Blendwerk von Haushaltern, die anfangen ſchlecht zu werden, druͤckend zu Werk zu gehen.

Die Leute konnten das nicht ausſtehen, Jahr fuͤr Jahr ſo behandelt zu werden, und es waren immer auch in den ſchlechteſten Haushaltungen, die, dieſes auszuweichen, dann im Haus daran trieben, daß es beſſer gehe.

Hingegen wurden die, welche in einem Stuͤck der Wirthſchaft verhaͤltnismaͤßig gegen andere ihres gleichen mehr geleiſtet, vor der ganzen Gemeinde aufgefodert, ſich zu erklaͤren, wie, und wodurch ſie in dieſem Stuͤck weiter gekommen?

So trieb er alles Gute in ſeinem Dorf, wie ein Gaͤrtner, der alle Tage und alle Stunden mit ſeiner Arbeit und mit ſeinem Dung hinter ſeinen Blumen und hinter ſeinem Kohl her iſt, ſie vor den261 Winden ſchuͤzt, vor der Kaͤlte deckt, vor Troͤckne und Naͤſſe ſicher ſtellt, ihren Boden fett und rein haͤlt, und jedes Unkraut fruͤhe daraus reißt. Auch ließ er ſie nicht ins Wilde aufſchießen, und keinen Menſchen uͤber Nichts ins Blinde hinein Meiſter, nicht einmal uͤber ſeine Geſundheit die Aufſeher mußten ihm genaue Rechenſchaft geben, ob die Haushaltungen in ihren Gaſſen, und die einzelnen Perſonen derſelben geſund ſeyen, oder nicht. Der Dorfrath, nebſt den Aufſehern, hatten zu unterſu - chen, woher der Mangel der Geſundheit, der ſich ſo wohl bey ganzen Haushaltungen als einzelnen Perſonen zeigte, entſpringe, und wie ihm abzuhel - fen ſeyn moͤchte?

Er wußte aber auch, daß der Menſch nichts gern umſonſt thue, und er hingegen ſo gern um allerley Lohn arbeitet; er hatte desnahen einen Jahr - tag, und nannte denſelben den Tag der Beſten, an welchem er die Dorfraͤthe und Aufſeher, die in dieſem Jahr eine auf irgend eine Art zerruͤttete Haushaltung wieder in Ordnung gebracht, auf ein Mittageſſen zu ſich ins Schloß kommen ließ, und einem jeden derſelben eine ehrenvolle, aber nicht koſtbare Belohnung gab, die ihnen Thereſe aus - theilte; aber vorher mußte ein jeder auch erzaͤhlen, wie er das gemacht, und wie er in dieſer Haushal - tung einem jeden, vom Hausvater an bis zum kleinſten Kind, habe zu Leib kommen, und ſie da -R 2262hin bringen koͤnnen, daß ſie ſich geaͤndert, auch worinn es bey einem jeden am ſchwerſten gehal - ten?

Der Erzaͤhler ſaß dann oben am Tiſch, der Pfarrer, Junker, und der ganze Dorfrath um ihn her; und der erſte ſchrieb alles deutlich und be - ſtimmt in ein Wegweiſungs - und Berathungs-Buch fuͤr die Dorfraͤthe und die Aufſeher auf.

Vornen an dieſem Buch ſtunden nach der Zeit - ordnung die Namen der Rechtſchaffenen, von denen eine ſolche ſchoͤne That in demſelben aufgezeichnet war, mit großen Buchſtaben vom Lieutenant ſchoͤn geſchrieben; und neben ihnen war die Zahl der Seite bemerkt, auf welcher ihre That aufgeſchrie - ben war.

Nach dem Thereſe dieſe Ordnung ganz einge - ſehen, ſagte ſie in ihrer Freude daruͤber zum Lieu - tenant, es ſeyen eine ganze Menge Sachen im Hausweſen, woruͤber ihre Maͤnner-Buͤcher in Ewig - keit nie genug thun wuͤrden, und ſchlug vor, fuͤr die 5 Hauptgaſſen noch 5 Weiber auszuſuchen, die auf eben dieſe Art dem Junker und dem Dorf - rathe durch Weiber-Buͤcher, die ihnen hierzu einge - richtet werden muͤßten, uͤber diejenigen Sachen Re - chenſchaft geben ſollten, von denen man zum Voraus wiſſe, daß ſie in ſolchen Maͤnner-Buͤchern nicht ge - nugſam aufgeheitert werden koͤnnen, und zu denen263 man, wenn ſie auch in den Buͤchern vollends in Ordnung kommen wuͤrden, am Ende doch Weiber noͤthig habe, ſie im Dorfe in Ordnung zu bringen, wenn ſie nicht darinn ſeyen; z. Ex. ob in ihrer Gaſſe die Kindbetterinnen verſorget? Ob man mit den ſaͤugenden und kleinen Kindern in allen Theilen ſo umgehe, daß ſie dabey geſund ſeyn und truͤhen (zu - nehmen) koͤnnen? Wie es mit der Reinlichkeit in jedem Haus, im Geraͤth, an den Kleidern und an den Leuten ſelber ausſehe? Wie es mit dem kleinen und großen Weibereigenthum, dem Hausvorrath, und der Ordnung mit demſelben, in allen Stuͤcken ſtehe? Ob er beſorgt und unterhalten werde? Ob und wie die Muͤtter ſich auf das Aufwachſen ihrer Kinder, und auf ihr kuͤnftiges Ausſteuern allent - halben, wie es brav und in ihren Haushaltungen nothwendig iſt, zu rechter Zeit vorbereiten? und ſo weiter

Man war bald einig, das ſey gut; und der Junker verſammelte ſogleich ſeinen Weiberbund, und theilte die 5 Gaſſen unter ſie ab; aber dem Mareili war eine einzige Gaſſe zu eng, es ſagte, es ſey in allen daheim, und wolle keine allein, und verſprach den andern in allem an die Hand zu ge - hen, und das war dieſen auch gar recht; ſie wuß - ten, daß jedermann an ihns gewoͤhnt, und daß es ſchon, ſo lange es Baumwollen ausgiebt, den Leu - ten immer in den Ohren gelegen, ſie ſollten in ih -R 4264ren Haushaltungen nicht ſeyn, wie ſie ſeyen; und auch, daß die Leute ihns auf eine Art ſcheuen muͤß - ten, wie keine andere, weil es ihre Ordnung, in - ſonderheit der Armen ihre, vollkommen kannte: den andern war dieſe Arbeit ſo viel als neu; ſie waren nichts weniger als ſo geſchwind in den Haus - haltungen ihrer Gaſſe daheim, und ihrer Sache ſo ſicher, machten auch im Anfang mit Nachfragen und Rathen wie recht iſt, gar zahm, und dorften aber auch manchmal ſo wenig mit der Sprache heraus, daß ſie das Mareili auslachte. Die Re - noldin allein war nicht in dieſem Fall; da ſie reich war, konnte ſie es nicht ſo leicht bey den Leuten verſchuͤtten, und ſagte bey jedermann, ihrer Ge - wohnheit nach, heraus, was ihr ins Maul kam, aber manchmal freylich auch, daß es weder gehauen noch geſtochen war.

Das Weſentliche dieſes erſten Punkts der Ein - richtungen, Geſezen und Anſtalten Arners, durch welche er ſein Volk in Bonnal aus verwilderten Naturmenſchen zu andern Leuten machte, als ſie vorher waren, beſtund alſo darinn, daß er in den dunkeln Lumpenwinkeln des Dorfs allenthalben das helle Licht des Eins mal Eins anzuͤndete, und ſeine Leute zwang, in den Sachen ihres Brodkorbs ihre Augen zu gebrauchen, und auch vor ihren Mit - dorfleuten diesfalls offen zu erſcheinen, daß weder die erſten noch die lezten hierinn Gefahr liefen,265 weiß fuͤr ſchwarz anzuſehen; kurz, daß er in ſeinem Dorfe zwang, was der Koͤnig in Frankreich in ſei - nem Reiche nicht erzwingen koͤnnen, wenns ihm ſchon Necker angegeben, das Wohl des Volks nem - lich auf die Offenheit ſeiner Rechnungen zu gruͤn - den, und an nichts zu glauben, als was ſich zaͤh - len, waͤgen, meſſen, und dadurch erproben laſſe.

Aber wie iſt es moͤglich geweſen, daß bey der Menge der Raͤthe, Aufſehern und Weibern in die - ſem Dorfe, nicht hundert Schwaͤzereyen und Unord - nungen entſtanden, die alles Gute, das er erzwecket, zu Nichts gemacht?

Das war moͤglich

1) Und vorzuͤglich, weil große kaufmaͤnniſche Ordnung in dieſem Geſchaͤft war, und vom Groͤ - ſten bis auf das Kleinſte hinunter allenthalben die Sache ſelber, und das Eins mal Eins alſo Red und Antwort, und Licht geben mußte, daß die Rathsgalle, und das Weibermaul hier nicht dieje - nige Spielung hatte, welche man ſonſt freylich beyden in den ehrenden Staͤdten und Doͤrfern un - ſers immer lieber ſchwazenden als rechnenden Nar - renmunds allenthalben zu geſtatten, unordentlich und ſchafskoͤpfig genug iſt.

2) Muß man nicht vergeſſen, der Geiſt des Menſchen aͤndert, wo man wahrhaft gut mit ihm266 umgeht, und dem Volk auffallend zeiget, daß man durch ſeine Regierungs-Einmiſchung nicht zum Schein und nur fuͤr ſich, ſondern im Ernſt und wirklich fuͤr ihns, ſein Wohl ſucht, und Kinder von Menſchen, die unter harten, dummen, ſie nichts achtenden, ſie nicht verſtehenden Herren ſind, wie unbaͤndige Ochſen, und ſich mit keiner Liebe zu paaren treiben laſſen, folgen wie Schaafe der Stimme des Fuͤhrers, der ihnen ſeine Volksweis - heit, Menſchenfreundlichkeit und Vaterſorgfalt er - probt hat.

Und endlich hatte Arner

3) Alljaͤhrlich einen ſogenannten Sorgfaltstag fuͤr den Dorfrath und die Aufſeher, der eigentlich und beſtimmt den gewohnten Herren - und Raths - Fehlern gewiedmet war. Dieſer Tag war ſo frey, daß an demſelben unter den Dorfraͤthen und Aufſe - hern ein gewohntes Wort war, ſie wollen nicht ſo dumm ſeyn, als Herren, die an ſo vielen Orten lieber nichts mit dem Volk ausrichten, als ſich ſelbſt uͤberwinden, ſo mit ihm umzugehen, wie man mit ihm umgehen muß, wenn man etwas mit ihm ausrichten will.

Die dummen Herren ſagten die Bauern, und Arner gabs ihnen ins Maul die dummen Herren denken nicht daran, daß ſie allenthalben267 dergleichen Sorgfaltstage haben ſollten, ſie meynen vielmehr, das Volk ſollte fuͤr ſie dergleichen Sorg - falts - und Unterthanen-Tage halten, und darinn auszirkeln, wie es mit ihren Herren umgehen ſoll - te; aber das ſey juſt, ſagten die Bauern, wie wenn die Ochſen, Eſel und Schaafe, dergleichen Thiertage halten ſollten, um ſich daran zu bera - then, wie ſie mit ihren Herren, den Menſchen, umgehen ſollten. *)Anmerkung. Die dummen Herren. Es iſt auch dumm, daß du ihnen ſo ſagſt! ſagt mir eben meine liebe N .... Ich antwor - tete ihr, die Bauern lieben es gar zu ſehr, ſo von den Herren zu reden, und ein Volksbuch, das ihnen die Herren-Fehler in ihrer Sprache nicht Preis geben wollte, wuͤrde die beſte Wuͤrze mangeln, die die Bauern Laune, und ihr, ih - nen eigener wirklicher Unterhaltungston hat darum liebe N .... laß mich nur immer reden, und mach mich nicht ſorgen, du kommeſt etwa auch auf die Gedanken, man koͤnne mit Holz - ſchnitten, rothen Buchſtaben, und den uͤbri - gen Kalender Zeichen, bey den Bauern eben das ausrichten, was mit einer freyen, in die eigentliche Richtung ihres Geiſtes eintretenden Nachahmung ihrer eigenen Manier Und denn liebe N .... laß doch einen jeden, der etwas anders in dieſer Manier findt, ſie erſt ſtudieren, und dann hernach mit mir reden.

268

Dieſer Sorgfaltstag war dem Arner ſehr wich - tig; er ſezte mit dem Lieutenant eine genaue, und dieſen Raths - Meiſter - und Herren-Fehlern mit Staͤrke zu Leib gehende Berathſchlagungs-Form fuͤr dieſen Tag auf, und machte ſie zur unabaͤn - derlichen Regel deſſelben; ließ ſich auch durch nichts abhalten, alljaͤhrlich an demſelben gegenwaͤrtig zu ſeyn, und ſagte ſeinen Dorfraͤthen und Aufſehern beſtimmt: wenn ich die Meiſter - Herren - und Raths - Fehler bey euch einreißen laſſe, ſo ſetze ich den ſchlimmſten Wurm in das Fundament meines Ge - baͤudes, der mir alle Augenblicke den wichtigſten Balken deſſelben, wo ich mich deſſen am wenigſten verſehe, unterfreſſen kann. Auch das Weiber - maul, das, wo es etwas zu regieren hat, leicht dahin koͤmmt, ſchlimmer noch an dem beſten Bal - ken zu nagen als keine Herren-Fehler, kam wegen den 5 Bundsfrauen an dieſem Tage in Betrach - tung; Arner und ſeine Dorfraͤthe uͤberlegten, wie bey den Maͤnnern, ob ſich keine im geringſten einen Ton anmaße, der bey den andern boͤſes Blut koche.

269

§. 52. Arner faͤhrt fort mit ſeinen Grundſaͤtzen, an den Lieblingsfehler unſerer Zeit an die Traͤgheit, anzuſtoßen.

Auch ſeine Art, Streit und Prozeß im Dorf vor - zubeugen, ruhete auf gleichen Grundſaͤtzen. Er fand, daß die Bauern immer in dem Grad mit einander leicht in Streit kommen, als ſie unor - dentlich und nachlaͤßig ſind, es auch an genugſa - mer Aufmerkſamkeit auf die Sicherheit und Nuz - nießung ihrer Recht amen und ihres Eigenthums ermangeln laſſen, und urtheilte alſo: Die wahren Mittel, Streit und Prozeß bey ihnen vorzubiegen, beſtehen in ſorgfaͤltigen Bemuͤhungen, ſie in Abſicht auf ihre Rechtſamen und Eigenthum behutſamer und ſorgfaͤltiger zu machen, und dahin zu bringen, daß ſie ſich hieruͤber gegen Niemand bloß geben, und die Titel, Kennzeichen, Merkmale, und Be - weisthuͤmer derſelben immer, und gegen jedermann in der beſten Ordnung zu halten, fuͤr eine ihrer er - ſten Lebens-Angelegenheiten achten.

Er ließ desnahen auch zu dieſem Endzweck die Hausvaͤter von Bonnal zuſammen kommen, zeigte ihnen einen ganzen Abend vom Schlag 1 Uhr bis270 nach 6 Uhr, mit dem Pfarrer und dem Lieutenant drey gleiche Modell von der Einrichtung, Form und Ordnung eines realen Haus - Rechnungs - und Ei - genthums-Buchs fuͤr einen Bauern, und nachdem ſie es alle, und ein jeder recht lang in den Haͤnden gehabt, und es ſich aller Weitlaͤufigkeit nach von den drey Herren, auch vom Lindenberger und vom Untervogt, und andern, die es zuerſt begriffen, erklaͤren laſſen, und izt ſaͤmtlich und einmuͤthig ein - geſtunden, ein ſolches Haus - Rechnungs - und Ei - genthums-Buch wuͤrde die meiſten Streitigkeiten in den Doͤrfern ſo viel als moͤglich machen, und koͤnn - te nicht anderſt, als beynahe in allen Faͤllen, faſt im Augenblick Licht ſchaffen, wer recht habe, er - kannte er zur Stund, ſie muͤſſen alle ein ſolches Buch haben und fuͤhren.

Sie wandten ihm zwar ein, um deßwillen daß ſie erkennen, es waͤre gut, daß ſie ein ſolches Buch haͤtten, koͤnnten ſie es noch nicht fuͤhren, und wenn er drey oder vier finde, die es koͤnnen, ſo werde er alle bey einander haben. Er antwortete ihnen, daruͤber wolle er Rath ſchaffen, aber es muͤſſe ſeyn; und wiederholte ihnen nochmals, daß in einem ſol - chen Buch nicht blos ihr taͤgliches Einnehmen und Ausgeben, ſondern auch ihr ſaͤmtliches Eigenthum, bis auf den geringſten Hausrath, muͤſſe aufgezeich - net, und bey einem jeden Stuͤck Land die Anſtoͤßer, die Marchen, die Breite, die Laͤnge, die Haͤge,271 (die Zaͤune) die Waſſerfurchen, kurz, eine voll - ſtaͤndige Beſchreibung mit allen Rechten und Be - ſchwerden muͤſſe angezeigt werden; und daß, wer immer ein Recht auf des andern Gut beſizt, dem - ſelben die Richtigkeit dieſes Rechts, und wie weit daßelbe gehe, beſcheinen laſſen, und in ſeinem Hausbuch anerkennen muͤſſe. Auf gleiche Weiſe muͤßten alle Marchen, Unterſcheidungszeichen, und die Breite und Laͤnge eines Stuͤck Lands von den Anſtoͤßern, mit Zuzug des Gaſſenaufſehers und noch eines Zeugen, gegenſeitig in dieſen Hausbuͤ - chern unterſchrieben werden.

Aber wie geſagt, er meynte nichts weniger, als daß dieſe Einrichtungen blos durch ſeinen Be - fehl richtig werden; er hielt vielmehr dieſen Befehl fuͤr eine wahre Nebenſache, von der Arbeit und Muͤhe, die er erfodere, bis er koͤnne ausgefuͤhrt werden.

Und gab ſeinen Bonnalern erſtlich Jahr und Tag Zeit, ſich mit dieſer neuen Ordnung bekannt zu machen.

Zweytens, ließ er ſie dieſes ganze Jahr durch, alle Donnſtag und Sonntag Abends von 4 Uhr bis zu dem Nachteſſen, durch den Lieutenant, in der Kunſt dieſe Buͤcher in allen ihren Theilen recht zu fuͤhren, und ſich auf dem Land und in dem Haus in allen Stuͤcken ſo einzurichten, wie es die272 Fuͤhrung dieſer Buͤcher erfordere, foͤrmlich und ſorg - faͤltig unterrichten. Der Untervogt und Lindenber - ger, denen dieſe Einrichtung wichtig war, gaben ſich alle Muͤhe, dem Lieutenant hierinn zu helfen; es war dem Untervogt ſo angelegen, daß er laut ſagte, es ſey ihm fuͤr ſeine 9 Kinder lieber, daß dieſe Einrichtung zu Stande gekommen, als wenn man ihm das Buͤrgerrecht in einer Stadt ſchenken wuͤrde, die kein hoͤlzernes Haus haͤtte.

Drittens, machte der Lieutenant den Unter - richt uͤber die Einrichtungen dieſes Hausbuchs zu einem Haupttheile ſeines Schulunterrichts, darinn er alle Kinder, beſonders diejenigen, deren Aeltern weder ſchreiben noch leſen konnten, unterrichtete.

Viertens, brachte er vor Ende des Lehrjahrs 15 junge Maͤnner dahin, daß ſie verſprachen, es uͤber ſich zu nehmen, denjenigen Buͤrgern, die dieſe Einrichtungen nicht mehr lernen koͤnnen, wenn ihnen damit gedient ſey, ihre Buͤcher einzurichten, und zu fuͤhren. Sie fanden ſelber, ſo wenig als die meiſten Bauern zu rechnen und auszugeben haben, brauche es in der Woche ein paar Stun - den, ſo ſey das in der Ordnung.

Fuͤnftens, erlaubte der Junker denjenigen, die es weder ſelber lernen, noch einem von dieſen jungen Maͤnnern anvertrauen wollten, jemand,den273den ſie ſelber wuͤnſchten, auszuſuchen, der ſie ih - nen fuͤhren ſoll, und ſo gar ſie durch ihre unter - wieſenen Kinder, wann ſelbige das 15te Jahr uͤber - lebt, einrichten und fuͤhren zu laſſen, mit der ein - zigen Bedingniß, daß ſie woͤchentlich alle Samſtag vor Sonnenuntergang alles, was ihr Sohn, oder ihre Tochter, die Woche uͤber in das Buch einge - ſchrieben, als richtig und der Wahrheit gemaͤß eigenhaͤndig unterſchreiben mußten. Im Fall ſie aber weder Geſchriebenes leſen, noch ſich ſelber unterſchreiben koͤnnten, ſo mußten ſie ihren Gaſſen - Aufſeher erbitten, ſolches woͤchentlich, und eben - falls am Samſtag Abends vor Sonnenuntergang zu thun, und ſich dann allemal von dieſem Punkt fuͤr Punkt vorleſen laſſen, was ihre Kinder einge - tragen haben, und von jedem Punkt beſonders ſich erklaͤren, daß er der Wahrheit gemaͤß vollkommen lauter, genugſam, und deutlich ſey.

Hingegen war dann ſechstens ein jeder, der ſein Haus nicht auf irgend eine oben beſchriebene Art in Ordnung bringen wollte, als ein unberathe - licher, unordentlicher, unzuverlaͤßiger und unſich - rer Menſch, der ſich der Rechten der buͤrgerlichen Geſellſchaft, weil er nicht in ihre Ordnung hinein wolle, ſelber begebe, und fuͤr halb wild geachtet werden muͤſſe, ohne weiters fuͤr unfaͤhig erklaͤrt, uͤber ſein ererbtes Gut frey zu ſchalten und zu wal - ten.

S274

Denn ſo wie Arner die unbegraͤnzte Freyheit der Menſchen uͤber ihr ſelbſt erworbenes Gut fuͤr einen billigen Lohn ihrer buͤrgerlichen Tugend und ihres Verdienſts anſah, ſo hielt er hingegen die unbeſchraͤnkte Freyheit mit ererbtem Gut zu han - deln, dem erſten Endzweck der buͤrgerlichen Ver - bindung, der Gruͤndung und Feſthaltung eines all - gemeinen Familien-Wohlſtands, der, ſo viel moͤg - lich, auf Kind und Kindskinder hinunter ſollte ver - ſichert werden, entgegen ſtreitend; und behauptete, die Kinder der gemeinen Leute haben auch bey Lebzeiten ihrer Aeltern ein reales Recht auf die Er - haltung ihrer noch ſo kleinen Stamm - und Erbguͤ - ter, und dieſes Recht gruͤnde ſich auf die gleichen richtigen Grundſaͤtze, nach welchen die groͤßern Fa - milien ihre Hauptbeſitzungen unveraͤußerlich ma - chen; und der Staat habe in Abſicht auf das ge - meine Volk die wichtigſten Pflichten, die Erhaltung des Erbeigenthums, in der Hand der zeitlichen Nuz - nießern derſelben, zur Sicherheit ihrer Erbfolger beſtens zu verwahren. Nach dieſen Grundſaͤtzen nahm er ſolchen Halbwilden, die in der Verwal - tung ihres Eigenthums in keine buͤrgerliche Ord - nung hinein wollten, das Recht ihrer Verwaltung und band

Siebentens, die Freyheit ſeiner Bonnaler an ihre Hausordnung, an ihr Worthalten, und be - fahl in dieſem Geſichtspunkt, daß eine jede Schuld,275 die innert 8 Tagen von dem Schuldner nicht be - zahlt werde, von ihm in dem Hausbuch des Glaͤu - bigers muͤſſe anerkennt, und zugleich der Tag be - merkt werden, wenn ſie ſolle bezahlt werden, und ſo dieſes auf den beſtimmten Tag nicht erfolge, ſo muͤſſe die Unterſchrift innert zweymal 24 Stunden erneuert, und gleichfalls wieder der Bezahlungstag beſtimmt werden; wann dann aber derſelbe zum Zweytenmal fehle, ſo ſtehe es nicht mehr am Glaͤubiger, die Schuld blos zu erneuern, es muͤſſe das doppelte Verſaͤumnis des Manns dem Aufſe - her der Gaſſe, und dieſer dem Dorfrathe anzeigen, welcher ihn ſogleich unter ſeine beſondere Aufſicht zu nehmen, und ſo ſich Unordnung und Verwir - rung in ſeinen Sachen zeige, dieſelben ihm in ein heiters Licht zu ſetzen habe, dabey aber ſeine Frey - heit im geringſten nicht antaſten doͤrfe, wann es ſich nicht finde, daß ein Drittel ſeines ererbten Guts durchgebracht; in welchem Fall ſie ohne wei - ters den Verwandten des Manns die obrigkeitliche Anzeige zu thun haben, daß ſie fuͤr die nicht wei - tergehende Abſchwaͤchung des Erbguts dieſes Manns ſtehen muͤſſen. Er behauptete, die Aufrechthaltung der gemeinen Familie, die dem Staat ſo wichtig ſey, als diejenige der Großen, koͤnne ohne Sorg - falt des Staats fuͤr Hausordnung, fuͤr Treu und Glauben, und Wort halten, unter dem niedern Volk nicht erzielet werden; und ſagte, die Nacht -S 2276kappen-Gerechtigkeit, die in ihrer Sorgfalt dem gemeinen Mann im Land den Genuß der Verdien - ſten ſeiner Vordern auf Kind und Kindskind hin - unter ſicher zu ſtellen, nicht weiter geht, als zu trachten, daß ihm nicht leicht etwas geſtohlen wer - de; und hingegen jedem Hausvater, der ſeinen Kindern den Verdienſt ſeiner Vordern zu Grund richtet, unter dem Titel des heiligen Eigenthums - recht, Thuͤr und Thor dazu aufthut, eine ſolche Nachtkappen-Gerechtigkeit laſſe die erſten Quellen des buͤrgerlichen Wohlſtands zum bodenloſen Sumpf werden, und mache anbey den armen Leuten, die mit Lebensgefahr uͤber dieſen Sumpf wandeln muͤſſen, dann am Ende deſſelben das Anerbieten, ihnen dann die Schuhe zu putzen, die ihnen in die - ſem Moraſt kothig geworden, wo ſie ſich nemlich an der Zollſtaͤtte dafuͤr anmelden, und die Schuh - putzergebuͤhr bezahlen, oder verbuͤrgen.

Er behauptete, es ſey ein abſcheulicher, und den erſten Endzwecken der buͤrgerlichen Verbindung geradezu widerſtreitender, und alle wahre Segens - kraͤfte der geſellſchaftlichen Bande zerſtoͤrender Grundſatz, die Regierung und Richterſtuͤhle ſeyen nicht ſchuldig, einem jeden Narren zu huͤten, der zu dem Seinigen nicht Sorge trage, und es gern einem andern uͤberlaſſen moͤge, weil es dem Staat gleichguͤltig ſey, ob der Hans oder Heiri im Land reich ſey.

277

Dieſes Geſchwaͤz mit dem Hans und dem Heiri waͤre wahr, wenn es dem Staat gleich ſeyn koͤnn - te, ob viel oder wenig zerruͤttete Haushaltungen im Lande ſeyen, und ob das gemeine Eigenthum in ſtiller, regelmaͤßiger Ordnung zu Jahrhunderten von Vater auf Sohn und auf Kindeskinder herab - gebracht werde, oder ob es zwiſchen den Truͤm - mern ruinirter Haushaltungen, in den wunderlich - ſten Spruͤngen im Lande herum tanze, und in ei - nem ewigen Wechſel von Narren zu Schurken hin - uͤbergehe.

Er kannte des Landes Ungluͤck dieſes Ueber - gangs des Eigenthums von Narren zu Schurken, und die Gewalt, welche die Fahrlaͤßigkeit, Leicht - ſinnigkeit, und Unordnung der gemeinen Dorfein - wohnern den lezten in die Hand geben, entweder geradezu ohne Schwertſtreich ſie um das Ihrige zu bringen, oder ſie in Streit und Prozeß zu verwi - ckeln, durch welche ſie in Form und Ordnung des heiligen Rechts, das im roͤmiſchen Reich, und rund um an ſeinen Graͤnzen ſtatt hat, darum ge - bracht werden, daß er es fuͤr ſeine wichtigſte An - gelegenheit achtete, ſein gutes Dorf vor dieſer Ge - fahr ſicher zu ſtellen.

Achtens: Er erlaubte desnahen keinem Wirth, keinem Muͤller, keinem Kraͤmer, keinem Schmied, keinem Baumwollenhaͤndler, kurz, Niemandem,S 3278der woͤchentlichen und oͤffentlichen Verkehr mit den Leuten im Dorf hatte, irgend eine Anfoderung an jemand uͤber 14 Tage in ſeinem Buch haben, ohne mit dem Schuldner zu Boden zu rechnen, und ſich die Richtigkeit der Anfoderung von ihm unterſchrei - ben zu laſſen.

Er kannte den Blutſauger-Kunſtgriff, mit klei - nen Anfoderungen zu warten, und die Rechnun - gen mit armen Leuten haͤngen zu laſſen, der in den Doͤrfern ſo gemein iſt. Der Schuldner wartet aus Mismuth und Scham gern, ſo lang er das Geld nicht hat, und der andere aus Schelmerey, um ſich der Fahrlaͤßigkeit, Unordnung, falſche Scham und Muthloſigkeit des Schuldners zu nutz zu machen, mit doppelter Kreide mit ihm zu rech - nen; dieſes Landuͤbel, das in allen Gegenden, wo das Volk unordentlich und unwirthſchaftlich iſt, faſt keine Graͤnzen hat, fuͤhrt freylich in Zehenma - len, wo dem Armen Unrecht geſchiehet, ihn kaum einmal in Streit und Prozeß; aber es ſezt ihn da - vor Neunmal in die Lage, daß er ſich den Hals zuſchnuͤren laſſen muß, ohne einen Laut geben zu doͤrfen, womit freylich dann aller Streit und Pro - zeß ein Ende hat.

Aber Arner wollte auch die lezte Spur einer ſolchen Donnersbuben-Gewalt*)Anmerkung. Verzeihe Leſer! ſolche Na - die unter ſeinem279 Großvater eine ſolche Verheerung in ſeinem Lande angerichtet, ausloͤſchen. Er richtete darum im hoͤchſten Grade ſeine Aufmerkſamkeit auf die kleinen laufenden Rechnungen ſeiner Dorfleute, um es ih - nen unmoͤglich zu machen, Baͤren anzubinden, und Jahr und Tag nicht daran zu ſinnen, wie groß ſie ein Maul haben. Er befahl alſo bey Verluſt der Schuld, dieſe 14taͤgigen Abrechnungen, auch der geringſten Kleinigkeiten, nebſt beſtimmter Eintra - gung der Zahlungszeit, deren doppelte Nichthal - tung auf oben beſchriebene Weiſe an die Aufſeher, und von dieſen an den Dorfvogt gelangen mußte. Endlich ließ er

Neuntens, alljaͤhrlich einen jeden Hausvater, in Gegenwart ſeiner Frauen, ſeiner erwachſenen Kinder, ſeiner naͤchſten Anverwandten, und des Aufſehers ſeiner Gaſſe, antworten, ob er in allem mit jedermann richtig und gichtig, und die Kenn - zeichen, Titel, Unterſcheidungen und Marchen von allem, was er beſitze, allenthalben in einer Ord -*)men in einem Volksbuch, wann es einmal ins Dorf kommt, und von Armen geleſen wird, ſchrecken Frevler mehr ab, als oft die beſtge - meynten hochobrigkeitlichen Verordnungen; alſo verzeih mir den Donnersbub, den ich im taͤglichen Leben immer brauche, wenn ich mit dem Volk von ſolchen Burſchen rede.S 4280nung ſeyen, daß er beym Leben und Sterben mit Niemand gefahre, weder wenig noch viel in Streit zu kommen? Frau, Kind, Verwandte, Nachbarn und Aufſeher mußten dem Junker beſtaͤtigen, und dafuͤr anloben, daß ihnen nichts bekannt, das die Ausſage des Manns in irgend einem Theile zwei - felhaft und unzuverlaͤßig mache.

Eben ſo mußten die Dorfraͤthe ihm alljaͤhrlich in der Woche vor Oſtern umſtaͤndlich, und ein je - der nach einer von dem Lieutenant, auf eine ſei - nem beſondern Fach angemeſſene und daßelbe in allen ſeinen Theilen erſchoͤpfende Form, puͤnktliche Antwort geben, ob ſie wenig oder viel Unſicherheit und Gefehrden in ihrem Fach uͤberhaupt, oder in einzelnen Theilen davon ſpuͤren? Und wieder, muß - ten die Aufſeher an dieſem Tage, nach einer eben ſo genau ihrer Lage und Beſtimmung anpaſſenden Form, Antwort geben, ob ſie in den Abtheilungen ihrer Gaſſen bey irgend jemand Urſach haben zu vermuthen, daß er in dieſem oder jenem Stuͤck fruͤh oder ſpaͤt in Streit oder Unordnung gelangen koͤnne?

Endlich mußten bey Todesfaͤllen die Aufſeher von der Gaſſe des Verſtorbenen, ehe der Todte begraben worden, die ſaͤmtlichen Erben in Gegen - wart zweyer Dorfraͤthen, der Frau und der er - wachſenen Kinder der Erben, im Namen des Jun -281 kers und von des Dorfraths wegen vermahnen, bey ihrer Theilung nichts zu verſaͤumen, was kuͤnf - tigen Streit und Misverſtand vorbiegen koͤnne, und in allen Sachen, die ihnen nicht glaslauter ſchie - nen, ſich Raths zu erholen.

Und nach der Theilung, deren Vollendung ſie zur Stund dem Aufſeher ihrer Gaſſe anzeigen muͤſ - ſen, wieder alſo verſammelt, mußten ſie anloben, daß dieſes geſchehen; und waren ferner verbunden, innert einem Vierteljahr die ganze Theilung in allen Stuͤcken nach einer ihnen vorgeſchriebenen Regel in eine vollkommene feſte Ordnung und Si - cherheit zu bringen. Dieſe Regel ſezte mit um - ſtaͤndlicher Beſtimmtheit feſt, was in Abſicht auf alle Theile des laͤndlichen Eigenthums, Aecker, Matten, Haͤuſer, Guͤlten, und Rechten, wie Brunnenrecht, Wegrecht, Marchen, u. ſ. w. fuͤr Aufmerkſamkeit und Sorgfaltsſchritte zu vollkom - men beruhigender Sicherſtellung aller dieſer Titeln nothwendig ſey, und wann das Vierteljahr ver - floſſen, ſo mußten ſaͤmtliche Erben zu Handen des Junkers bey offener Gerichtsſtelle antworten, ob und wie ſie dieſe Sicherheits-Regeln in guter Ord - nung und in allen Theilen allerſeits gegen einan - der genommen? Und wo die geringſte Fahrlaͤßig - keit, Leichtſinn, und Unordnung hervor ſchien, da mußten ſie auf der Stelle zwey Dorfraͤthe erwaͤh - len, die ſie anhalten und berathen mußten, in die -282 ſem Geſchaͤft alſo zu Werk zu gehen, wie wann ſie Morgen Feinde mit einander wuͤrden, und in La - gen kommen koͤnnten, wo eine aͤngſtliche Vorſich - tigkeit gegen einander ihnen unumgaͤnglich noth - wendig werden koͤnnte.

So bog er den Dorfſtreitigkeiten uͤber das Ei - genthum vor, und glaubte, auch ihre Haͤndel uͤber Ehrenſachen kommen von der gleichen Quelle her, wie ihre Streitigkeiten uͤber das Eigenthum, nem - lich von ihrer Unordnung. Er behauptete, die Bauern haben ſicher auch in dem Grad weniger Ehrenſtreit, als ſie zu ſorgfaͤltigen und ordentlichen Haushaͤltern gemacht werden; desnahen fand er, er habe durch die oben beruͤhrte Bildung ſeines Volks, zu ſorgfaͤltiger Aufmerkſamkeit auf ſein Ei - genthum und ſeine wahre Rechte, auch den Nar - reneinbildungen falſcher Ehrenanmaßungen, die ſonſt freylich auch in jeder Kohlenhuͤtte die groͤſten Verwirrungen anrichten koͤnnen, ihren giftigſten Stachel benommen.

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§. 53. Arners Prozeßform fuͤr ſein niederes Ge - richt in Bonnal, darinn auf Bauern - geiſt, Bauernordnung, und Art, und Dorfbeduͤrfniſſe, in Verbindung mit den Hauptendzwecken der Dorfregie - rung, Ruͤckſicht genommen wird.

Wann dann alles dieſes nichts half, und alle dieſe, ſo in ſtiller, einfacher Bewegung laufenden Triebraͤder der guten Ordnung, dennoch nicht im Stand waren, in einem beſondern Fall das An - ſpinnen eines Streits, oder einer Rechtsſache, zu verhuͤten, ſo gieng denn Arner in dieſem Fall alſo zu Werk, daß er vor allem aus einen jeden, der glaubte, er habe das Recht, ſeinen Nachbar entwe - der rechtlich anzugreifen, oder ihm das abzuſchla - gen, was jener an ihm ſuchte, vollkommen wohl erkalten, und zu ſich ſelber kommen ließ, ehe er ihm erlaubte, gegen ihn ins Recht zu ſtehen, um auf dieſe Art der gegenſeitigen Anfangs Wildboͤcke - rey, die faſt immer das erſte und gefaͤhrlichſte Gift aller Rechtshaͤndeln wird, vorzubiegen; zu dieſem Ende ließ er Niemanden eine Rechtshandlung an - fangen, der nicht vorher zweymal, und beydemal284 am Morgen vor 8 Uhr, unter 4 Augen mit ſeinem Gegner uͤber ſeine Anforderung geredt. Das Erſtemal mußte dieſes im Haus des Beklagten, oder wo dieſer gut fand, den Klaͤger empfangen zu wollen, das Anderemal aber im Pfarrhaus geſche - hen; aber der Pfarrer mußte ſie bey dieſer Hand - lung bey einander vollends allein laſſen, und durfte erſt hernach, wann ſie zu ihm kamen, ihm anzuzei - gen, daß ſie ſich nicht haben vereinigen koͤnnen, mit kurzen Worten, ohne im geringſten in ihren Handel einzutreten, ihnen die Wichtigkeit der Ge - muͤthsruhe und Kaltbluͤtigkeit in ihrer Lage vor - ſtellen und ſo auch dieſes ihre freundliche Verei - nigung nicht bewerkſtelligte, ſo mußten ſie ſich 8 Tage hernach noch einmal im Pfarrhaus, aber izt in Gegenwart ihrer beyderſeitigen Gaſſenaufſeher, eines Dorfraths und des Hrn. Pfarrers ſelber, noch einmal uͤber ihre Angelegenheit gegen einander er - klaͤren, und bey allen dieſen Vorerklaͤrungen mußte alles, was gegenſeitig von beyden Theilen geredet, anerbotten, und verhandelt worden, fuͤr beyde Theile als im Rechten unſtatthaft, unverbindend, und ungefaͤhrlich angeſehen werden, damit in die - ſen Vorerklaͤrungen weder die Gutmuͤthigkeit noch die Heftigkeit eines von beyden Theilen ihm ver - faͤnglich werden koͤnne.

Erſt nach allem dieſem dorfte der Klaͤger ſeine Klage rechtlich machen, und ſelbige bey dem Un -285 tervogt in das Klag - und Streitbuch des Gerichts eintragen laſſen; hierauf erfolgte die obrigkeitliche Weiſung zur Beſitzung der rechtlichen Freundlich - keit, mit welcher alle Rechtshandlungen anheben mußten. Im Gefolg dieſer mußte der Klaͤger am Tag, an welchem er ſeine Klage in das Streit und Rechtsbuch des Untervogts eingetragen, dem Beklagten die rechtliche Freundlichkeit durch den Weibel auf einen der drey naͤchſten Tage, welchen auszuwaͤhlen bey dem Beklagten ſtund, anſagen, mit Befehl, laut Geſetzes, zwey ſechszigjaͤhrige Freundlichkeits-Maͤnner zu erwaͤhlen, und ſie auf abgeredten Tag und Stund zu ſich kommen zu laſſen.

Ein gleiches mußte er den Aeltern, Schwieger - Aeltern, der Frau, und den Bruͤdern des Beklag - ten anzeigen, mit obrigkeitlichem Befehl, dieſer rechtlichen Freundlichkeits-Handlung beyzuwohnen, um wo moͤglich, ſie in ihrer Streitſache mit Frie - den von einander zu bringen.

Und auch auf ſeiner Seite mußte er ſeine Ael - tern, Schwiegeraͤltern, ſeine Frau, und ſeine Bruͤ - der zu dieſer rechtlichen Freundlichkeit zu ziehen, laut obrigkeitlicher Ordnung ſie foͤrmlich dazu citie - ren zu laſſen; auch mußte der Beklagte den aller - ſeits citierten Leuten ebenfalls den Zutritt zu dieſer rechtlichen Handlung in ſeinem Haus geſtatten. 286Der Ort der Zuſammenkunft war geſezlich bey ihm, und der Klaͤger war in allweg gehalten, den erſten Schritt zu dieſer Freundlichkeit zu thun, deren Form folgende war

Zu erſt, ehe der Klaͤger mit ſeinen Verwand - ten und Beyſtaͤndern in das Haus des Beklagten hineintrat, kam der juͤngere von den ſechszigjaͤhri - gen Maͤnnern, die dem Klaͤger beyſtunden, zu ſe - hen, ob man auf der Seite des Beklagten ſich in der Ordnung anſchicke, den Klaͤger auf eine ehren - veſte Art zu empfangen, und anzuhoͤren, ob dieje - nige Perſonen, die obrigkeitlich citiert, da ſeyen, ob ſich alles geſezt, und kurz, alles in der Ordnung ſey, welche von Rechtswegen bey jeder ſolchen Hand - lung vorgeſchrieben iſt. Wenn er das ſo fand, ſo dankte er dem Beklagten, daß er ſeinen Klaͤger als einen Ehrenmann nach Landesbrauch und Ord - nung friedlich und liebreich empfangen wolle. Dann erſt trat der Klaͤger mit ſeinen Verwandten und Beyſtaͤndern hinein, und er und alle mußten dem Beklagten und allen ſeinen Leuten, einem nach dem andern, ohne weiter ein Wort reden zu doͤr - fen, die Hand bieten, und ſie freundlich gruͤßen; dann wann ſie ſich geſezt, mußte der Schreiber des Gerichts, eine vom Lieutenant aufgeſezte Erlaͤute - rung, wohin alle Rechtshaͤndel den Menſchen, ſo wohl in Abſicht auf den Zuſtand ſeines Gemuͤths, als aber ſeines wahren Hausgluͤcks nothwendig hin -287 fuͤhren, vorleſen; waͤhrend der Zeit berichtete der Weibel den Pfarrer, daß alles zur Freundlichkeit bey einander, dann mußte auch er des Amts hal - ber erſcheinen; uͤberbrachte, wenn er kam, in der, einen Hand das Kreuz Jeſu, in der andern einen Todtenkopf, ſtund ſo in die Mitte der Stuben hin - ein, und ſtellte, wann der Schreiber mit ſeiner Er - klaͤrung, wohin die Prozeſſe fuͤhren, fertig war, das Kreuz Jeſu Chriſti und den Todtenkopf mitten auf den Tiſch, um welchen die Partheyen herum ſaſſen, ſagte dann die einzigen Wort laſſet uns bedenken, daß wir Chriſten ſind, und an eine Auferſtehung der Todten glauben ! Und einen Augenblick darauf Gottes heiliger Geiſt bewahre euch alle vor aller Ungerechtigkeit, und vor aller Liebloſigkeit ! Mit dem bog er ſich nie - der gegen das Kreuz Jeſu Chriſti, wandte ſein Angeſicht weg, und gieng aus der Verſammlung der Streitenden. Dann gab der Schreiber das Kreuz Chriſti und den Todtenkopf dem Klaͤger in ſeine Hand, der dann aufſtehen, laut und vernem - lich ſagen mußte: Ich habe ernſtlich bedacht, daß wir Chriſten ſind, die an eine Auferſtehung der Todten glauben, und daß aller Streit der Men - ſchen ihre Tage verkuͤrzet ! Nach dieſem that der Beklagte das gleiche, und redete die gleichen Worte. Dann mußte der Klaͤger abtreten, und der aͤltere ſeiner zwey ſechszigjaͤrigen Beyſtehern trug288 ſeine Klage in gemaͤßigten, und die Ehre des Be - klagten auf alle moͤgliche Art ſchonenden Ausdruͤ - cken vor, fragte dann vor allem aus, ob ſie ihn deutlich verſtanden? worauf der Aeltere der Bey - ſteher des Beklagten die Klage puͤnktlich wiederho - len, und ihm ſagen mußte, ſie wollen izt ihrerſeits den Beklagten daruͤber vernehmen, und dann in einer oder zwey Stunden ſehen, wie es etwan moͤg - lich, im Frieden von einander zu kommen! Dann traten die Verwandten und die Beyſtaͤnder des Klaͤ - gers ab; der Beklagte blieb ſo lang bey ſeinen Leu - ten allein, und konnte in dieſer Zeit mit ihnen uͤberlegen, was er dem Klaͤger antworten, und Friedens halber etwan anerbieten wolle? Dann, wann die verabredeten Stunden voruͤber, kam die Gegenparthie wieder, ſezte ſich an ihren Plaz, und der Aeltere von den ſechszigjaͤrigen Maͤnnern, auf Seiten des Beklagten, trug dann in eben ſo ge - maͤßigten Ausdruͤcken, und ebenfalls die Ehre des Klaͤgers auf alle moͤgliche Weiſe ſchonend, die Ant - wort des Beklagten vor, und bot darauf in ſeinem Namen den Anweſenden einen Friedenstrunk an; dann trank ein jeder ein Glas Wein, zu erſt auf das Wohlſeyn des Beklagten, dann auf dasjenige des Klaͤgers; und nun wurden erſt entweder Schieds - richter erwaͤhlt, welche die Sache nach ihrem Gut - duͤnken, und ſo, wie ſie es fuͤr beyde Theile am Billigſten finden, ausmachen ſollten; oder, wennman289man ſich wegen der Wahl der Schiedsrichter nicht vergleichen konnte, ſo wurden gegenſeitig oͤffentli - che Vergleichs-Vorſchlaͤge gegen einander gethan, und diejenige Parthey, welche einen ſogethanen Vorſchlag von der Hand wieß, mußte die Gruͤnde, warum ſie dieſes thue, und zugleich ihr leztes Wort, wie weit ſie ſich den Forderungen und Er - wartungen des Gegners naͤhern wolle, ſchriftlich abfaſſen laſſen.

So ſtellte Arner im Anfang der Prozeſſen, wo die Gemuͤther noch nicht erhitzet, die Unwahrheiten noch nicht erhaͤrtet, das Geſchaͤft noch nicht ver - wirrt, und in dem Zeitpunkt, welcher die friedli - che Auseinanderſetzung der Sache am leichteſten machte, dem Streitgeiſt ſeiner Bonnaler, den Zwang ehrenveſter Sitten, die aͤußere Form einer ſteifen abgemeſſenen Bedaͤchtlichkeit, und hauptſaͤchlich diejenige religioſe Feyerlichkeit entgegen, welcher ſich die gewohnte Gerechtigkeit ſonſt bedient, dem Miſt aller Abſcheulichkeiten verjaͤhrter Troͤlerver - drehungen zu einer Zeit ein Ende zu machen, wo beyde Partheyn meiſtens Jahre lang in einer Lage waren, daß ſie beyderſeits ſo lang kein heiligs Va - ter Unſer mehr haben beten koͤnnen; aber Arner wollte keine Gerechtigkeit, die durch die eigentliche Natur ihrer beſtimmten Rechtsform den Gemuͤths - zuſtand der Streitenden nothwendig verwildern, und dann erſt, wann ſie die Menſchen ſo weit ge -T290bracht, daß weder Feyerlichkeit, noch Religion, diesfalls mehr einen reinen, beruhigenden Eindruck auf ſie haben kann, feyerlich und ernſthaft zu wer - den beginnt. Er glaubte, man koͤnne nicht zu viel thun, ſtreitende Bauern lange genug von dem Schwertſtreich der geſezlichen Rechtsgerechtigkeit entfernt zu halten, um ſie durch die fuͤr die Bauern ſicher beſſere Wege ihres auf den gegenwaͤrtigen Streitfall hingelenkten eigenen Billigkeitsgefuͤhl aus einander zu bringen.

Aber bey dem allem war es nichts weniger, als daß er dadurch den ſchwachen, gutmuͤthigen Beklagten den Klauen des anmaßlichen und frechen Klaͤgers Preis gab.

Die Steifigkeit, und der langſame, ſchwer - faͤllige Gang ſeiner Freundlichkeits-Manier, iſt dem gierigen, frechen, unordentlichen, gewaltſamen und ungeduldigen Troͤler gar nicht Heu fuͤr ſeinen Eſel. Wenn man dem Troͤler das Schwert der harten Gerechtigkeit aus den Haͤnden windet, ſo verliehrt er ſeine Kraft darob wie Samſon ob der Freundlichkeit der Jungfrau, die ihn geſchoren.

Das war eins. Zweytens wurde ein jeder der zweymal als Angreifer gegen jemand vor dem Rechten im Ungrund erfunden worden, in ſeinen Rechten auf 5 Jahr dahin ſtill geſtellt, daß er ſo291 lang in keinem Fall ſein Recht gegen jemand an - derſt, als durch einen ihm obrigkeitlich gegebenen biedern, beſcheidenen, und nie vor keinem Recht verfaͤllten Ehrenmann fuͤhren doͤrfte.

Drittens wurden alle diejenigen, die ſich den Einrichtungen Arners, in Abſicht auf Hausbuͤcher und Hausordnung, nicht unterzogen, eben ſo we - nig fuͤr Rechtsfaͤhig erkannt, und mußten wie die erſten, wenn ſie an jemand etwas zu ſuchen hat - ten, ſelbiges durch einen ihnen zugeordneten ordent - lichen Haushalter verrichten.

Auf dieſe Art war die Troͤler-Race und die blinden Zaͤnker, die in ihrer Unordnung nicht wiſſen was ihnen gehoͤrt, und was ſie ſchuldig, bey aller Gutmuͤthigkeit dieſes friedlichen Rechtgangs gut am Seil gehalten; auch zeigte die Erfahrung, daß in dem Grad, als Arners Ordnung ſich in Bon - nal feſt gruͤndete, ſich auch die Menſchen minder - ten, die ſich in irgend einer Sache rechtlich zu belangen ſuchten. Man ſcheute den ſtillen, kalten Ernſt dieſes Rechtsgangs, den auch kein Stral des gemeinen Troͤlerfeuers erwaͤrmte, und es ließ es faſt Niemand bis zum Todtenkopf kommen; je ſchlim - mer einer war, deſto ſchneller war er auf dieſem Weg muͤde.

Leſer! dieſes Muͤdwerden iſt die beſte Lobrede des Wegs; er dauerte fort.

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Und wer im Anfang ermuͤdete, ſah in Zukunft nichts beſſers voraus. Die Prozeßform wurde in dem Grade, als die Partheyen es weiter kommen ließen, immer druͤckender und beſchaͤmender, und fuͤhrte ſie in ein Meer von Unannehmlichkeiten, in dem ſie ſicher in dem Grad oft und viel baden mußten, als ſie unſauber erfunden worden.

Wenn die rechtliche Freundlichkeit ſie nicht zum Ziel brachte, ſo mußte der Dorfrath, ehe die Par - theyen weiter ſchreiten durften, unterſuchen, ob die Urſache des Streits nicht von ihm, oder von den Gaſſenaufſehern, oder von den Partheyen ſelber, haͤtte koͤnnen vorgebogen werden; und es mußte protokollirt werden, wenn es ſich fand, daß der Streit ſich durch Verſaͤumnis dieſes oder jenes Vor - beugungsmittel, oder durch die Fahrlaͤßigkeit dieſer oder jener Perſonen ſich entſponnen; und dieſen ward dann von Seiten des Junkers ſein Misfallen bezeuget, und ihnen angezeiget, man habe um ih - res Fehlers willen ein beſonderes Recht, von ihnen zu erwarten, daß ſie ſich die Beylegung dieſer Sa - che, als ihre eigene, auf die ernſthafteſte Art laſſen angelegen ſeyn.

Endlich war der Fortgang des Rechtshandels fuͤr den Betruͤger voller Schlingen, und das Oeffent - liche aller Handlungen, das Intereſſe ſo vieler Men - ſchen dagegen, machten die gewoͤhnlichen Kruͤm -293 mungen des gemeinen Rechtsgangs in dieſem Dorf unmoͤglich.

Wer im Rechtslauf ſich einer Unwahrheit ſchuldig gemacht, der durfte nicht anderſt als mit und neben einem Harſchier vor Gericht erſchei - nen.

Zweytens, man laͤutete an einem Rechtstage, an welchem eine ſolche Hartnaͤckigkeits-Sache ob - waltete, in Bonnal die Sturmglocke.

Drittens, mußte der Pfarrer fuͤr ſolche Strei - tende in der Kirche beten, gerade hinter dem Ge - bet fuͤr Kranke und Angefochtene.

Viertens, mußte er, wann ein Feſt einfiel, ihnen anzeigen laſſen, man habe vor Altem Leute, die im oͤffentlichen Streit miteinander gelebt, nicht zum Nachtmahl gelaſſen, izt aber koͤnnen ſie kom - men, wenn ſie ſich nicht ſchaͤmen.

Es war aber nicht dem Pfarrer uͤberlaſſen, ob er es ihnen wolle ſagen laſſen oder nicht, ſon - dern gehoͤrte ganz beſtimmt zur geſezlich anbefohle - nen Prozeßform, durch welche Arner, in Verbin - dung ſeiner Vorbeugungs-Mitteln dagegen, allem gerichtlichen Streit in Bonnal ſo viel als den Gar - aus machte. Die Muͤhe, welche ſolche, dem Ruin des Hausgluͤckes und der Seelenruh vorbiegendeT 3294Verhuͤtungsmittel den Dorfſtreitigkeiten, und die - ſem Endzweck angemeſſene Prozeßformen bey den niedern Gerichten erheiſchen, wird in dem Grad nicht groß und nicht laͤſtig, als die Vorbiegungs - mittel und Prozeßformen gut ſind und anſchlagen. Aber es waͤre mir freylich unbegreiflich, warum die Menſchen die Muͤhe bey Feuer - und Waſſers - noth zu helfen ſo gering, und hingegen die Arbeit, dieſer Noth vorzubiegen, ſo groß achten, wenn ich nicht wuͤßte, daß das einzige Mittel, ſchlecht erzo - gene Menſchen aus ihrer Traͤgheit aufzuwecken nur dasjenige iſt, was auch die Wilden im Wald dar - aus aufweckt die gegenwaͤrtige Noth. Dar - um aber iſt Arners Prozeßform fuͤr das Ganze der guten buͤrgerlichen Bildung um ſo viel mehr werth, in dem ſie eigentlich der Quelle des Uebels, dem Sinn des wilden und verwilderten Menſchen entge - gen ſtehend, den weſentlichen Grundſaͤtzen einer Geſezgebung genug that, die der Gedankenloſigkeit, dem Leichtſinn, der Traͤgheit, der Unwiſſenheit, Unuͤberlegtheit, Unordnung, Gewaltthaͤtigkeit und Verwegenheit eines uͤber ein halbes Jahrhundert ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Volkes, und der ganzen Ge - walt eingewurzelter Naturgewohnheiten im Dorf mit Erfolg entgegen wirken, und ſeine Bonnaler zu ganz andern Leuten machen ſollte, als der Menſch von Natur nicht iſt, und ſie unter der295 Verwahrloſung ſeines Großvaters nicht werden konnten.

So umfaſſend der Endzweck dieſer Geſezge - bung war, ſo that er ihm ein Genuͤgen; er be - ſchraͤnkte den Hang zum freyen, wilden, unver - dienten Lebensgenuß von allen Seiten; band die Befriedigung ihrer Naturtrieben in allen ihren Theilen an den Zwang des buͤrgerlichen Verdienſts, und an die Regelmaͤßigkeit der geſellſchaftlichen Ord - nung:

  • Der Trieb zum Eigenthum
  • Der Geſchlechtstrieb
  • Die Liebe zur Freude
  • Der Hang der Ruhe und derjenige zur Ehre.

Mit einem Wort, alle Grundtriebe unſerer Natur wurden von ihm alle in dieſe Schranken ge - lenkt, und darinn befriedigt.

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§. 54. Seine Geſezgebung wider den Diebſtahl.

Nicht wenn du in ſeinem Moraſt wuͤhleſt, ſon - dern wenn du ſeine Waſſer tiefer legſt, und ihnen einen ſichern Ablauf giebſt, trockneſt du einen Sumpf auf.

Arner machte den Arbeits-Fleiß in Bonnal eben ſo leicht als angenehm und befriedigend. Das Dorf hatte nicht mehr und rechnete nicht mehr blos von der Hand ins Maul; auch der Arme hatte izt Vorrath und Eigenthum, und darum war ihnen allen Ordnung und Sicherheit wichtig; ein jeder, und auch der Aermſte ſah, daß er ſeine Kinder mit Sitzen und Spinnen weiter bringe als mit Strol - chenmuth und Raͤuberordnung.

Die erſte Quelle des Diebſtahls, des Gewalts der Reichen, die in der Unordnung des unwirth - ſchaftlichen Volks, den Frevel zu ihrem Morgen - brod, und den Diebſtahl zu ihrem Abendeſſen mach - ten, war gehoben; die Leute hatten weniger Grund und weniger Anlas zu ſtehlen; und viele, die es ehedem ſelber gethan, ſagten nunmehr, es muͤßte izt einer ein Narr ſeyn, wenn er es thun wuͤrde. 297Arner ließ Niemanden am Nothwendigen Mangel leiden, und Niemanden durch unvorgeſehene Be - duͤrfniſſe in Verwirrung kommen.

Die Einſicht, die er in alle Theile der Dorf - haushaltung hatte, und die Ordnung und das Licht, das er in ihre Verwaltung hineinbrachte, ſezte ihn in den Stand, ſo vieles leiſten zu koͤnnen.

Er gab bey uͤberhandnehmendem Holzmangel ih - nen die Freyheit, in ſeinen Waldungen die alten Stoͤcke auszugraben; ſchafte ihnen große ſtarke Ausſtockungs - Inſtrumente an; und damit ſie der Aermſte wie der Reiche genieße, mußten ſie die Vorgeſezten der Reihe nach den Haushaltungen zu dieſem Gebrauch zuſtel - len. Eben ſo mußten die Gaſſenaufſeher von Haus zu Haus unterſuchen, ob die Feuerſtaͤtte zu Erſparung des Holzes gut eingerichtet; ob die Mauern, Waͤn - de, Tielen ihrer Stuben die Waͤrme halten? Den Vermoͤglichen, die etwas hieran mangeln ließen, ſchlug er das Gnadenholz ab, den Unvermoͤglichen half er zur Nothdurft ſelbſt darzu; aber dann ahn - dete er den Holzfrevel in dem Grade ſtreng, als es dem wahren Beduͤrfnis des Volks hierin ein Ge - nuͤgen geſchah, und uͤberhaupt den Reiz zum Raͤu - berleben minderte. Er ſtrafte den Holzfrevel wie Diebſtahl, und das naͤchtliche Rauben deſſelben; das Umhauen junger Staͤmme mit kleinen Saͤgen, das Umbinden der dickern mit Seilern, den Ton298 des Schlagens zu hemmen, und das Wachtſtehen an den Graͤnzen des Walds, waͤhrend des Fre - vels, wie Einbruch und Feldraub.

Je weiter die Vernachlaͤßigung einer Sache eine Haushaltung fuͤhren konnte, deſtomehr Sorg - falt wandte er darauf, alle Jahr alle Haͤuſer un - terſuchen zu laſſen, ob und wie weit ſie baufaͤllig ſeyen, und einem jeden Eigenthuͤmer durch ſeinen Baumeiſter Bericht abzuſtatten, wie weit er ohne Gefahr groͤßern Schadens mit einer jeden Ausbeſſe - rung noch warten koͤnne oder nicht, was fuͤr und wie viel Baumaterialien er dazu brauche, und wie er ſie mit den wenigſten Koͤſten und am kommlich - ſten zur Hand bringen koͤnne. Er that das gleiche mit ihrenSchwellen, Waſſerruͤnzen u. ſ. w. um in allen Theilen ihrer Wirthſchaft mit Sorgfalt zu verhuͤten, daß ſie nicht von unerwarteten groͤßern Ausgaben ſchnell uͤberfallen wuͤrden.

Das machte einen Unterſchied; die Leute baue - ten zur rechten Zeit, und ums halbe wohlfeiler und beſſer; und er wußte bey ſeiner guten Ordnung von einem jeden, der etwas verwahrloſete, oder zu Grund gehen ließ, wie wenn er an ſeiner Thuͤr zu wohnte, und ließ es nie zu weit kommen.

So bog er durch die Kraft einer Ordnungs - vollen und dadurch wahrhaft weiſen Verwaltung299 aller Verwirrung ihrer aͤußern Umſtaͤnden, die ſie zu Dieben machen koͤnnte, vor; aber er wußte da - bey, daß auch dieſes nichts helfen wuͤrde, wenn ſie nicht von fruͤher Jugend auf zu einem ordentlichen buͤrgerlichen Beruf, und zu einem ſichern Erwerb ihres Brods wohl angezogen wuͤrden.

Er ſtellte desnahen nicht einem jeden Narren - vater und einer jeden Narrenmutter frey, ob ſie aus ihren Kindern Etwas oder Nichts machen wollen, und ſagte gerade zu: er wiſſe nicht, was eine Obrigkeit im Land nuͤtze, wenn alles Lumpen - volk das Recht habe, ſeine Kinder ſo aufwachſen zu laſſen, und ſo zu verwahrloſen, daß ſie zu kei - ner Art buͤrgerlichen Berufs und Brods-Erwerbs recht tuͤchtig, nicht anderſt koͤnnen, als ihre Na - turbeduͤrfniſſe auſſert dem Gleis der buͤrgerlichen Ordnung befriedigen zu ſuchen, und alſo ſo viel als nothwendig ein Lumpen - und Schelmenvolk abgeben muͤſſen. Er wollte es nicht ſo; er ließ ſich von allen Hausvaͤtern, ſo bald ihre Kinder 7 Jahr erreicht haben, Antwort geben, was ſie aus ihnen machen wollen; und der Dorfrath mußte jaͤhrlich Erlaͤuterung geben, wie die Erziehung ei - nes jeden Kindes dem Endzwecke, den ſeine Aeltern mit ihm haben, entſpreche oder nicht? Das Licht und die Heiterkeit, die er in die Hausumſtaͤnde ſei - ner Bonnaler hineingebracht, hinderte dann den Diebſtahl mit Kraft. Es ſah izt ein jeder in allen300 Theilen richtiger ein, was ſeine Umſtaͤnde erleiden moͤgen, und was ſie nicht erleiden moͤgen. Und die unvernuͤnftige Hoffart der Armen, ſich in Klei - dung, Eſſen und Trinken den Reichen gleich zu ſtellen, nahm ſichtbar ab; man ſchaͤmte ſich das zu ſcheinen, was jedermann wußte, das man es nicht war; man ward darob ausgelacht; denn die Kinder machten in der Schule ſich nichts daraus, dem erſten beſten, das alſo Hoffart ſpiegelte, zu ſagen: du haͤtteſt dein Geld leicht an etwas beſſers anwenden koͤnnen, als an dergleichen Narrenzeug; und er hatte im Dorf unter allen Leuten das Spruͤchwort aufbringen koͤnnen: Seine Kinder wohl ſetzen, ſey die beſte Hoffart.

So griff er der Quelle des Diebſtahls, der Unordnung, der Rechnungsloſigkeit und Liederlich - keit von allen Seiten ans Herz.

Wer ſeine Wirthſchaft nicht wohl verwaltete wer keinen taͤglichen Verdienſt hatte, und ſich einrichtete, daß man ihm vorrechnen konnte, daß er mehr ausgebe, als er einnahm; wer ſich in Haͤndel miſchte, die ihn nichts angiengen, wer fremden Leuten Unterſchlauf gab, wer bey ver - ſchloſſenen Thuͤren ſpielte, kurz, wer ſich durch er - wieſene Handlungen verdaͤchtig und gefaͤhrlich er - zeigte, der ward auch von Obrigkeits wegen fuͤr gefaͤhrlich und verdaͤchtig geachtet; und wenn er301 auf gedoppelte Warnung in ſeinem Fehler fortfuhr, dem Dorfrath zu beſonderm Aufſehen empfohlen, und dann dorfte der Harſchier bey Tag und bey Nacht zu jeder Stund in ſeinem Haus erſcheinen, und bey ihm ausſuchen was er wollte.

Auch nahm der Junker allem fremden Geſin - del, das unter der alten Dorfregierung als abge - dankte Schloß-Schuhputzer, Kammerdiener, Kam - mermaͤgde, Peruͤquenmacher und dergleichen, mit dem ganzen Gefolg von Toͤchtern, Maͤgden, in ſeinen Doͤrfern eingeniſtet, die Bewilligung, ſich in der Herrſchaft aufzuhalten; gab ihnen ſaͤmtlich ei - nen Laufpaß bis auf die naͤchſte Stadt, und den Doͤrfern auf der Stelle einen Freyheitsbrief und das Recht, zu ewigen Zeiten nicht ſchuldig zu ſeyn, ei - nem Herrſchaftsherrn eine fremde Manns - oder Weibsperſon wider ihren Willen abzunehmen, und auf ihren Doͤrfern ſitzen zu laſſen

Auch die Lumpenwaͤchter, mit den rothen Na - ſen und roſtigen Spießen, hob er auf; ſezte aber an den Graͤnzen der Herrſchaft allenthalben Huͤt - ten, bey denen er Tag und Nacht fuͤnf bis ſechs Maͤnnern abwechſelnd Arbeit gab, mit Kohlen brennen, Holzſagen und ſpalten, die dann zugleich Wachtdienſt thun mußten. Eben ſo mußten die Schloßwachten mit ihren alten rothen Roͤcken ihm ab den Augen. Er konnte Menſchen, die an Leib302 und Seel ſo unnatuͤrlich verlaͤhmet waren, wie dieſe Ueberreſte von verfauleten Muͤßiggaͤngern, nicht vor Augen leiden; er ſorgte aber fuͤr ihr Maul, ſo lang ſie noch herumkriechen wuͤrden; ſie dankten ihm unterthaͤnig, und waren nicht mehr Waͤch - ter.

Unter dieſen Vorſorgen konnte es nicht anderſt ſeyn, das Staͤhlen mußte abnehmen, und der Jun - ker machte den Abſcheu dagegen, ſo wie gegen alle Arten von Liederlichkeit und Unbrauchbarkeit auf alle Weiſe rege; und ein Kind, das in der Schule nur einen Apfel, oder ein Mund voll Brod einem andern genommen, oder auf der Weyd nur eine Erdapfelſtaude ausgeriſſen, entgieng einer oͤffentli - chen Auslacherſtrafe nicht. Bey dem kleinſten Diebſtahl kam das ganze Dorf in Bewegung; die Gaſſenaufſeher kamen zuſammen, die geringſten verdaͤchtigen Umſtaͤnde mußten verantwortet, die Moͤglichkeit, der Sache auf die Spur zu kommen, von allen Seiten erforſcht, und alle Sorgfaltsan - ſtalten fuͤr die oͤffentliche Sicherheit von neuem ge - pruͤft und in Thaͤtigkeit geſezt werden; und wenn ein Diebſtahl entdeckt war, ſo war geſezlich befoh - len, daß das Dorfgericht keinen Umſtand unerforſcht laſſe, wie die Perſon zu dieſer landsgefaͤhrlichen Gewohnheit gekommen, welche in dem Fall betre - ten worden, wie weit ihre Erziehung daran303 Schuld, und wie lang ſie den Fehler getrieben, wie ſie jede einzelne That vor den Aufſehern, vor den Hausleuten, und Nachbarn habe verbergen koͤnnen, wer den eint oder andern Fehler mehr oder minder nothwendig haͤtte merken ſollen, und nicht gemerkt? Ferner, in wie weit die Liederlich - keit und Unordnung des Beſtohlnen, oder ſeiner Hausleute, Gelegenheit zum Diebſtahl gegeben? Eben ſo, wie weit er verfuͤhrt, und durch die oder dieſe Umſtaͤnde zu den Fehlern, die ihn uͤberhaupt zum Diebe gemacht, oder au chzu der beſondern Diebshandlung verleitet worden? Dieſem allem ward mit druͤckender Umſtaͤndlichkeit geſezlich von Gerichts wegen nachgeforſcht.

Und wenn es ſich fand, daß einer den Dieb - ſtahl nothwendig haͤtte merken ſollen, und ihn nur durch ſeine Liederlichkeit, Nachlaͤßigkeit, und Un - aufmerkſamkeit nicht gemerkt, ſo ward er vor offenem Gericht ermahnet, in Zukunft ſeine fuͤnf Sinnen zur oͤffentlichen Sicherheit alſo zu brau - chen, wie er wuͤnſchen werde, daß ſeine Mitbuͤr - ger ſelbige zu der ſeinigen brauchen.

Fand ſich, daß einer den Diebſtahl durch wirk - liche Fehler von einem unordentlichen, liederlichen Leben moͤglich gemacht, ſo ward er vor offenem Gericht, als Miturſaͤcher des Diebſtahls, verur - theilt, einen Theil der Schande mit dem Gefange -304 nen zu theilen, ihm in ſeiner Gefangenſchaft abzu - warten, und ſo ihm auch einen Theil ſeiner Leiden zu erleichtern, wie er ihm einen Theil ſeines Diebs - und Schelmen-Lebens erleichtert.

Fand ſich aber gar, daß einen ſolchen beſtimmte Verfuͤhrungs-Handlungen zu einem Dieben gebil - det, und ihn einer zu gottloſen, ehrvergeſſenen Hand - lungen, entweder in ſeinen Dienſt misbraucht, oder ihn um Geld dazu gedungen, oder ihm mit Wiſſen Vorſchub dazu gethan, ſo ward der geſezlich verurtheilt, fuͤr die Gefahr, welcher die menſchli - che Geſellſchaft von einem ſolchen notoriſch ver - fuͤhrten Menſchen ausgeſezt iſt, zu haften, und nach Maßgebung der Umſtaͤnde der Obrigkeit zu helfen, daß er verſorgt, und die Geſellſchaft vor ihm ſicher geſtellt werde.

Ueberhaupt aber beſtimmte er die Strafe des Diebſtahls nichts weniger, als nach dem Geldwerth des Geſtohlenen, der meiſtens zufaͤllig iſt; ſondern hauptſaͤchlich nach dem Grad des Lumpen - und Tagdieben-Lebens, deſſen der Dieb ſchuldig erfun - den worden.

Es iſt nicht ſowohl der Raub eines elenden Stuͤck Geldes, als das Austreten aus dem Gleis der buͤrgerlichen Ordnung, was den Menſchen ei - gentlich entehrt; darum brauchte er weder Stricknoch305noch Schwert gegen ſein Volk nach der Schatzung der Pfennigen, ſondern ſuchte es vielmehr auch bey der Beſtrafung des Diebſtahls auffallend zu ma - chen, daß nicht die einzelne Handlung des Dieben, ſondern ein ungewerbſames, Verdienſt - Ordnung - Regelmaͤßigkeit - und Ehrloſes Leben der eigentliche Grund des Rechts ſey, Vermoͤge deſſen ein Menſch aus der buͤrgerlichen Geſellſchaft ausgeſtoßen, oder darinn angebunden werden muß.

Desnahen auch die kleinen Anfaͤnge des Dieb - ſtahls der Geſellſchaft eben ſo wichtig ſind, als die ſpaͤ - tern groͤßern Ausbruͤche derſelben; und Arner hielt die Geſetze, die gegen die Anfaͤnge dieſes Laſters ſchwach, und gegen die ſpaͤtern Ausbruͤche deſſel - ben hart, ſo wie diejenige, die die Strafe des Feh - lers blos von dem zufaͤlligen Geldwerth des Ge - ſtohlenen abhaͤngig machen, fuͤr widerſprechend mit allen Regeln einer wahren Menſchenfuͤhrung, und ſagte, eines Bauern Frau ſchaͤmt ſich, ein Kind, das uͤber 7 Jahr alt iſt, vor den Leuten we - gen ſeiner Ungezogenheit abzuſtrafen, ſie fuͤhlt, daß ſeine Ungezogenheit auf ſie zuruͤck faͤllt; aber die erſte Tochter des Himmels, die Geſezgebung, ſchaͤmt ſich nicht, tauſend buͤrgerliche Abſcheulichkeiten oͤffentlich zu beſtrafen, wovon keine einzige moͤglich waͤr, wenn die Herren Voͤgte dieſer Himmelstoͤch - ter, und ihre nachgeſezten Verwalter, den Detail der Volksordnung ſo gut beſorgten, als eine braveU306Bauersfrau den Detail ihres Hauſes beſorgen muß, wenn ſie nicht Schande davon haben will.

Es iſt eine Schande, man laͤßt alles Unkraut wachſen, bis es erſtarket; dann wuͤhlet man mit der oͤffentlichen Gerechtigkeit unter dem verheerten Volk wie die wilde Saͤu im Korn, und meynt noch, mit dieſer Schnoͤrren-Arbeit die hoͤchſte Weis - heit der buͤrgerlichen Geſezgebung erreicht zu ha - ben. Man laͤßt es an allem, was zur Erzielung einer wahren buͤrgerlichen Ordnung in der Tiefe des Volks nothwendig waͤre, ermangeln, und wundert ſich dann, warum man mit keinen Galeen und Zuchthaͤuſern ſo wenig als mit dem alten Gal - gen dahin komme, wohin, ſo lang die Welt ſteht, keine Obrigkeit ohne gute und allgemeine Einrich - tungen fuͤr die Bildung des Volks niemals gekom - men iſt, und niemals kommen wird. *)Anmerkung. Wer verzeiht es dem Menſchen nicht, wenn er im Gefuͤhl der Ver - wahrloſung ſeines Geſchlechts die Sprache der Verzweiflung redt? ſagte ich, da die Sti - ckelbergerin und der Pfarrer dieſe Sprache re - deten, als ſie fuͤr das Leben Arners keine Hof - nung mehr hatten; und izt muß ich dich fragen, Leſer! willt du mir es nicht verzeihen, wenn ich die oͤffentliche Gerechtigkeit, die es an allem, was zur Erzielung einer wahren buͤrgerlichen Bildung in der Tiefe des Volks

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Aber ich fahre fort. Die Menſchen moͤ - gen ſich ſelber ſchaͤnden, mein Buch ſoll keine Schmaͤhſchrift auf ſie ſeyn, ſo ſchwer es iſt, keine uͤber ſie zu ſchreiben.

§. 55. Seine Geſezgebung wider den Geſchlechts - trieb.

Beydes, Scham und Vernunft, ſind Folgen des Eigenthums, und des auf demſelben ruhenden Vor - ſchritts der Ausbildung unſerer Natur. Der Menſch, in ſeinem wilden Zuſtand eben ſowohl als in ſeiner buͤrgerlichen Verwilderung, zeiget kaum leichte Spuren dieſer in ihm liegenden Vorzuͤgen ſeiner Natur.

Nicht das, was der Menſch weißt, macht ihn vernuͤnftig; es iſts ſein feſter, kalter Fels im Kopf, ſeine Uebung im Zaͤhlen, Waͤgen, Meſſen, For - ſchen, und die Richtung ſeines Geiſtes nicht zu re -*)nothwendig iſt, ermangeln laͤßt, im Unmuth meiner Erfahrung, mit dem Wuͤhlen der Wild - ſau vergleiche, und ihre Arbeit und ihr Maul - waſchen Schnorren-Arbeit heiße? Ich hoffe, du verzeiheſt Leſer! U 2308den, nicht zu urtheilen, vielweniger zu handeln, bis er erwogen, ermeſſen, erforſcht, und berech - net, das iſts, was ihn unter ſeinen Mitmenſchen vernuͤnftig darſtellt.

Eben ſo beſteht eine wahre Scham in ſeiner Sorgfalt in dem, was er redt, urtheilt, handelt, und leidet, darauf zu achten, daß es nicht unuͤber - legt, unbedacht, und unerwogen ſcheine.

Beydes, Vernunft und Scham, finden als Kinder des Eigenthums ihre erſte, beſte und rein - ſte Nahrung an der Bruſt ihrer Mutter; und ſo wohl der Uebergang von den Fehlern des Naturle - bens, als die Verhuͤtung der Verwilderung des Menſchen in der Geſellſchaft, iſt im Allgemeinen durch nichts ſicherer zu erzielen, als durch eine weiſe Bildung deſſelben zur guten Beſorgung ſeines Ei - genthums, in dem er durch nichts beſſer, als durch Einlenkung ſeiner Kraͤften auf dieſen Punkt, zu derjenigen Bedaͤchtlichkeit, Vorſicht, Ueberlegung und Ordnung gebracht werden kann, ohne welche weder wahre Vernunft, noch wahre Scham, im buͤrgerlichen Leben Plaz haben kann.

Desnahen ruhen die Regeln einer weiſen Ge - ſezgebung fuͤr die Erhaltung und Bildung der wah - ren Schamhaftigkeit auf den gleichen Grundſaͤtzen, auf denen auch diejenigen gegen den Diebſtahl ru -309 hen. Auch ſchlug Arner vollends den gleichen Weg ein, gegen die Fehler des Geſchlechtstriebs zu wir - ken, welchen er mit ſo vielem Erfolg gegen die Fehler des Diebſtahls gebraucht; und die allge - meine Bildung der Aufmerkſamkeit auf alle Arten der Tagsarbeit, feſte Uebung in allen Theilen des Fleißes und der Ordnung, ſorgfaͤltige Achtſamkeit auf das Urtheil ſeiner Mitmenſchen in allen Stuͤ - cken der taͤglichen Thaͤtigkeit, das waren die erſten Fundamente ſeiner Keuſchheits-Geſezgebung.

So geliebt und beſorgt das Kind in der Wie - ge war, ſo mußte es ſich dennoch an feſte Regel - maͤßigkeit in ſeiner Beſorgung gewoͤhnen, und in den erſten Tagen ſeines Daſeyns lernen, ſich uͤber - winden und ſchweigen, bis nach der harten buͤr - gerlichen unbiegſamen Zeitrechnung ihm die Stun - de fuͤr eine jede Sache in ihrer Ordnung anruͤckt.

Und da es aus der Wiege in die Schule kam, ſo warteten ſeiner auch da die gleichen Bande des buͤrgerlichen Zwanges, ohne welche die gute Be - ſorgung des Eigenthums, worauf die innern Kraͤfte der buͤrgerlichen Einrichtungen ruhen, unmoͤglich iſt; es war in derſelben in einer taͤglichen Uebung fuͤr ſeine Ehre aufmerkſam zu ſeyn; es ward fuͤr jede Unordnung, fuͤr jede Nachlaͤßigkeit beſchaͤmt: unter der Hand des Lieutenants erroͤtheten die Kin - der ob jedem kleinen Flecken Dinten, der ihnen aufU 3310die Schrift fiel; es waren darunter, die, weil ſie unordentliche Muͤtter hatten, am Samſtag die halbe Nacht durch auf waren, zu waſchen und zu flicken, daß ſie am Montag mit Ehren wieder in die Schule gehen doͤrfen; und es haͤtte ſich keines unterſtanden ihm zu ſagen, es koͤnne etwas, wenn es noch ein Woͤrtchen daran gefehlt, oder ihm ei - nen Buchſtaben in der Schrift als recht vorzuwei - ſen, zu dem es nicht alle Sorgfalt getragen, ihn recht zu machen; ſie waren daran gewoͤhnt, das Langweilige wie das Kurzweilige, mit der Feder wie mit der Nadel, zehen - und zwanzigmal zu pro - bieren, bis es recht war.

Die Schande, ſeinen Feyerabend nicht zu ha - ben, die Nothwendigkeit, das Verſaͤumte vor dem Schlafengehen nachzumachen, die Ehre, in jedem anbefohlnen und vertrauten Geſchaͤft ſich keinen Feh - ler, keine Ungeſchicklichkeit vorwerfen zu laſſen, die Aufmerkſamkeit in allem, bis auf Kleidung und Geraͤth, Tadel-frey zu erſcheinen, mit einem Wort, das Weſentliche der wahren Berufsbildung und Hausweisheit, legte den Grund der Kraͤfte der Schamhaftigkeit, auf welche Arner ſeine Geſezge - bung gegen die Verwirrungen des Geſchlechtstriebs, vom Liebaͤugeln hinauf bis zum Kindermord gruͤn - dete, in dem er der Gewaltſamkeit dieſes Triebs durch Uebung in Bedaͤchtlichkeit und Ordnung ent - gegen arbeitete, ehe er da war kam er dann,311 ſo fand er ſein Haus buͤrgerlich gewiſcht und ge - ziert; und der Herr des Hauſes hatte Kraͤfte, den boͤſen Geiſt an die reinliche Ordnung, die einmal in ſeinem Haus Uebung war, zu gewoͤhnen, und ihn allfaͤllig, wenn er poltern wollte, an die Ket - ten zu legen.

So wenig, als gegen den Diebſtahl, wuͤhlete er blos im Sumpf; er legte ſeine Waſſer tiefer, und gab ihnen ſichern Ablauf. Er erneuerte wieder die alten Dorfſitten, die der Unſchuld und dem ſpaͤ - ten Reifen der Kinder ſo nuͤzlich waren.

Thereſe redete mit den beſcheidenſten Frauen, wie ſchaͤdlich die neumodiſchen Geheimnismache - reyen, und das Verbergen des Saugens in der Wohnſtube der Kinder ſey, und wie viel unſchul - diger ſie aufwachſen, wenn die Muͤtter hieruͤber ohne Scheu ihre Pflicht thun; auch brachte ſie es dahin, daß eben dieſe Muͤtter, mit einem ganzen Kreis erwachſener Toͤchter des Dorfs, die Ehren - feſtigkeits-Regeln verabredeten, nach welchen eine brave Tochter den Knaben, der ſie in Ehren ſucht, Schritt fuͤr Schritt naͤher kommen laſſen doͤrfte wie den neueingeriſſenen Frechheiten mit Wein und Geſchenken auf einmal, durch eine allgemeine Ab - rede, abzuhelfen ſey. Die Toͤchter lachten, und den Knaben ward es ganz recht, daß einmal eine Ordnung in ihr Weiberſuchen hinein komme; ſie fan -U 4312den ſelber, die wilde Schweinordnung, die ſo oft Tod und Mordſchlag veranlaſſet, mache ſie zu ehr - loſen Leuten. Und durch dieſe Abrede veranlaſſet, verbanden ſich die jungen Leute auf beyden Seiten zu einem Ehrenſtand, und wurden, indem ſich die Gefuͤhle ihres Alters von Muth und Ehre unter dieſen Umſtaͤnden in ihnen immer mehr entwickeln mußten, ſich ſelber, in Abſicht auf den Geſchlechts - trieb, die beſten Waͤchter unter einander.

So leicht Arner ihnen im Gleis der buͤrgerli - chen Ordnung die Ehe machte, ſo feſt band er ſie an dieſelbe. Von Jugend auf erlernten ſie die Be - griffe, ſie muͤſſen die Ehe verdienen wie ihr Brod. Im Schulbuch ihrer Kindheit lernten ſie ſchon, was eine Haushaltung koſte, und was ſie in ge - ſunden und kranken Tagen fuͤr ein großes Maul habe? Aber nicht minder, wie ein jeder Menſch von ſeinem ſiebenden Jahr an zu dieſen nothwen - digen Ausgaben ſich vorbereiten, und wie viel er bis in ſein zwanzigſtes Jahr dazu erſparen und beyſeits legen koͤnne, wenn er es recht anſtelle. Schon im vierten Jahr ſpielten die Maͤdchen in Bonnal mit ihren Puppen, und ſpaͤter mit ihren kleinern Geſchwiſterten auf der Gaſſe und in der Stube die Hausmuͤtter, und der Knaben erſtes Spiel war der Hausvater, der ſeinen Buben ſag - te, wie er ein rechter Bub ſeyn muͤſſe, und ein rechter Mann werden koͤnne! Wenn ein Kind 7313 Jahr alt war, fiengen alle Ehrenmuͤtter ſchon an, ihm an ſeinem Ausſteuerzeug vorzuarbeiten, und im vierzehenden Jahr zeigten ſie es ihnen das Er - ſtemal auf eine feyerliche Art, gewoͤhnlich am Abend eines heiligen Feſts, und zugleich die Rechnung, was ſie ſelber in ihrem Leben vorgeſpart. Der Pfarrer mußte an einem ſolchen Tage ſelber da ſeyn, und redete dann mit dem Kind in Gegenwart ſeiner Aeltern, uͤber die Nothwendigkeit in dieſem Alter, mit beſonderer Sorgfalt auf ſich ſelber acht zu geben, bat dann Gott um ſeinen Segen zu die - ſem Anfang eines ehrlichen braven Hausweſens, und uͤbergab dem Kind in dieſer Stunde ein kleines Buch, das den Titel hatte, der abgemahlte Chriſtenweg zu einem gluͤcklichen Eheſtand, und der abgemahlte Jammer des wilden Heidenlebens.

Das Buch war ein Erfahrungsbuch, darinnen ihnen, nicht uͤbertrieben, aber deutlich vor Augen gemahlt waren, die Freuden eines ordentlichen Hauslebens, von den Jugend-Jahren an bis ins hoͤchſte Alter, die fromme Sorgfalt, vom vierzehn - den bis ins zwanzigſte Jahr nicht verfuͤhrt zu wer - den, und das Gluͤck der Menſchen, im reifen Al - ter durch das lange Thal des Lebens mit unbeſchol - tenem Haupte einher zu gehen, und im Greiſenal - ter im Angeſichte ſeiner Kindeskinder keines ſeiner grauen Jahre mit Schande befleckt zu haben, und am Rande des Grabs mit frohem Herzen auf die314 Nachwelt zuruͤck ſehen zu doͤrfen, und keines ſeiner von Gott vertrauten Kindern durch ſeine Thorheit und ſeine Lebens-Fehler an Leib und Seel verderbt und ungluͤcklich zu wiſſen und dann im Ge - gentheil das Bild, der vom vierzehnden bis ins zwanzigſte Jahr verlohrenen Ehre und Scham einer Bauerstochter und eines Bauerknaben mit ihren Folgen auf Leib und Seel, auf Haus und Hof, auf Kind und Kindskinder, in allen Umſtaͤnden des Wohlſtands und der Armuth, und in allen Zeitpunkten des Lebens, vom zwanzigſten bis ins ſiebenzigſte Jahr, eben ſo kanntlich abgemahlt.

Berechnet Leſer! die Wirkung dieſes Buchs es war recht gemacht nicht einzig ihr muͤßt es in Bonnal in Verbindung mit allem Uebri - gen, was Arner fuͤr ſein Volk that, berechnen, und glaubet mir, ſeine Wirkung war groß; es war dem jungen Volk uͤber dieſen Punkt zufoderſt im Maul, es muͤßte einer unglaublich unvernuͤnf - tig ſeyn, ſo er ſich, wie die Sachen izt ſeyen, mit dieſem Fehler in Gefahr begeben wuͤrde, das ganze Gluͤck ſeines Lebens in die Schanz zu ſchlagen. Das junge Volk in Bonnal war mit dem Ge - ſchlechtstrieb gar nicht mehr vollends da zu Hauſe, wo das Jauner - und Bettlervolk, das die Schan - de ſeines diesfaͤlligen Heidenlebens damit entſchul - diget, ſie haben ſonſt nichts Gutes in der Welt.

315

Ein jedes legte von Jugend auf ſich ſelber mit ſeiner eigenen Handarbeit den Grundſtein zu einem ehrenhaften, unabhangenden Leben; ſie ſahen mit jedem Jahr den kleinen Pfenning, mit dem ſie ih - ren Sparhafen anfiengen, groͤßer werden, und das Geld, das ihnen vom ſiebenden Jahr an manche ſaure Stunde, und manche raſtloſe Nacht gekoſtet, war ihnen im zwanzigſten Jahr ſo wenig, als ihre Ehre ſo leicht fuͤr eine Gaukelnacht feil; ihre ge - bildete Bedaͤchtlichkeit machte ſie auch hierinn rech - nen, und laͤcheln, wenn jemand viel fuͤr wenig von ihnen wollte.

Arner hielt ihnen in dieſem Alter den Kopf uͤber dieſen Punkt immer offen. Juͤnglinge und Toͤchter des Dorfs kamen alle Vierteljahr zuſam - men, und das einzige Geſez dieſes Ehr - und Freu - dentags war dieſes, keinen Schandbuben und keine Schandtochter unter ſich zu leiden. Sie machten das ſo: ſie hatten ein Spiel, und jagten ſie fort; ſie verbanden einander die Augen, ſtanden in einen Kreis, dann rief eins mit verſtellter Stimme Schandleute Schandleute ſind Schandleute da? Auf den Ruf antworteten die beyden Kreiſe, ein jeder beſonder, entweder, es ſind keine da oder es ſind da. Wenn alle ſagten, es ſind keine da, ſo nahmen die Verbundenen die Binde vom Auge, und der Reihentanz gieng an: wenn ſie aber riefen, es ſind da ſo ſagte der Meiſter316 vom Spiel, nennet ſie mit Namen! dann nannte wer wollte, mit verſtellter Stimme den Namen; und der Meiſter vom Spiel rief wieder, iſts wahr? ſaget alle, iſts wahr? Wenn dann es rings um toͤnte, Ja, ja! ſo mußte der genannte fliehen, da war keine Gnade wenns aber laut ertoͤnte, Nein, nein! und der Haufen rings um ſagte, Klaͤ - ger du luͤgſt! ſo durfte der Genannte bleiben, und machte zur Schadloshaltung den erſten Tanz. So wirkte Arner mit den Spielen des Volks, wie mit dem Ernſt ſeiner Vorſorge. Die Aufſeher je - der Gaſſe mußten bey der geringſten Spur eines unehrenveſten abwechſelnden Einzugs von jungen Leuten im Haus einer erwachſenen Perſon, ihrer Verwandſchaft die Unordnung und Unehrenveſtig - keit ihrer Auffuͤhrung anzeigen, und ſie von Obrig - keits wegen auffordern, Sorge zu tragen, daß ſie keine Unehre erleben.

Er kam auf alle Weiſe der Gedankenloſigkeit und dem Leichtſinn des Geſchlechts in dieſem Punkte vor, und reizte ihre Aufmerkſamkeit auf Ehre und Schande dadurch, daß er beydes ihnen lebhaft und oft vor Augen ſtellte.

Das erſte Kind einer jeden Ehe hatte ſeine Ehrentaufe mit vielen Ceremonien der ganze Haufen von Juͤnglingen und Toͤchtern umringten den Taufſtein in ihren Ehrenkleidern; aber ſie zaͤhl -317 ten richtig die Tage ſeit der Hochzeit, und es dorf - ten nicht gar viele, ich weiß nicht recht wie viel, fehlen, ſo kamen ſie nicht: auch die alten Rechte der Kraͤnzchen wurden wieder erneuert.

Hingegen beſtimmte er dem unehlichen Bey - ſchlaf keine Strafe. Er war Volksſchande Wer iſt klug, und will mehr aus ihm machen? Ar - ner wollte es nicht, aber er hemmte auch den Aus - druck des Volkgefuͤhls uͤber ſeine Schande nicht. Die Knaben des Dorfs durften einer Schandtoch - ter vier Wochen nach der Kindbett einen Zigeuner - Tanz tanzen; ſie bauten ihr vor dem Haus eine Heidenhuͤtte von Tannaͤſten, und Stroh darinn und Mies zu einem Lager wohl fuͤr ihrer drey oder vier; wenn ſie hinein wollten, ſpielten ſie mit ihrer Zigeunertrommel dreymal nach einander um die Huͤtte herum einen Heidentanz, und die unordent - liche Kindsmutter mußte dieſe Huͤtte ſechs Wochen drey Tage vor ihrer Thuͤr dulden, ſonſt durften die Knaben ihr eine neue bauen, und wieder trom - meln und tanzen; aber das war nicht ſo faſt ſie zu ſtrafen, als vielmehr die andern zu warnen, daß keine eine Mutter werde wie eine Naͤrrin oder wie eine Heidentochter.

Glaubet mir, es iſt keine Buß an Geld oder Leib, die das wirkt, was dieſer Tanz. Der liebſte Bub, der bey einer Bonnalerin zu muth -318 willig war, bekam zur Antwort, was willt du? mag keinen Heidentanz. Es behagte vielen Maͤn - nern und vielen Knaben nicht ganz, daß dieſes Spruͤchwort den Toͤchtern in Bonnal ſo gar ins Maul gewachſen.

§. 56. Der Einfluß ſeiner Geſezgebung auf die Liebe zur Freude, und den Hang zur Ruhe und zur Ehre.

So band er jeden Grundtrieb unſerer Natur an den Zwang des buͤrgerlichen Verdienſts, und an die Regelmaͤßigkeit der buͤrgerlichen Ordnung.

So ihre Freuden. Die Abendſpiele der Kinder hiengen feſt mit dem recht zugebrachten Tag, und mit dem vollendeten Feyerabend zuſammen.

Als die erſte Lehre ihrer Kindheit, praͤgte ih - nen der Lieutenant die Wahrheit ein, daß nur ver - diente Freuden wahre Freuden, und hingegen alle Freuden in den Tag hineingenoſſen, zur Zigeuner - Ordnung gehoͤren, die ſich fuͤr das Wald - und Bruder-Leben, aber nicht fuͤr ein braves Haus in einem ehrlichen Dorf ſchicken.

319

Es hatten alle Staͤnde, und alle Alter im Dorf ihren Freudentag. Die Juͤnglinge und Toͤch - tern hatten, wie ihr wißt, viere im Jahr. Er trug zu dieſem Alter beſonders Sorge, und glaubte, man koͤnne ihm faſt nicht genug Freude machen. Er ließ ſie in dieſer Zeit auch in der Religion un - terrichten, that ſonſt was er konnte, die Kraͤfte ih - res Geiſts und ihres Leibs in dieſem Zeitpunkt in reger Thaͤtigkeit zu erhalten.

Alle andere Staͤnde hatten im Jahr einen ſolchen Freudentag. Die Kinder mußten von den Aeltern und Schulmeiſtern Zeugniſſe aufweiſen, daß ſie den Freu - dentag das Jahr uͤber verdienet, ſonſt wurden ſie aus - geſchloſſen von der Luſt des Tages, und durften nicht mit den andern ins Schloß kommen, um mit ihrem ihnen ſo lieben Junker Vater vom fruͤhen Morgen bis am ſpaͤten Abend Freude zu haben.

Das einzige Geſez dieſes Tags fuͤr alle Staͤnde war, ihn vernuͤnftig anzufangen. Sie ſaßen in ihren Kreiſen, unterredeten ſich von den Freuden ihres Stands und ihres Alters, wie ſie alle, oder doch ihrer viele, mehr dergleichen haben koͤnnten: was ihnen dieſe Freuden verbittere, und wie ſie demſelben abhelfen koͤnnen; und nahmen dann jaͤhr - lich einen guten Vorſaz, in dieſem oder jenem Stuͤck fuͤr die Freuden ihres Lebens vernuͤnftige Sorge zu tragen.

320

An einem ſolchen Tage erkannten die jungen Leute die alte Bauerntracht wieder zu ihrer Hoffarts - tracht zu machen.

Ein andermal erkannten ſie, den Witwen im Dorf in der Erndte ihre Aecker zu ſchneiden.

Wieder ein andermal ihren Großvaͤtern, und jedem grauen Mann, und jeder grauen Frau, meh - rere Kennzeichen der Ehrerbietung zu geben, als bisher die Uebung war, und ſie niemals mehr in der Kirche beym Herausgehen ſo ins Gedraͤng kom - men zu laſſen, ſondern alle mit einander, wie eine Mauer, ſtill ſtehen zu bleiben, b[i]s die ſchwanken - den Greiſe, und die zitternde Großmuͤtter, außert der Thuͤre heraus ſeyen.

Es iſt nicht zu ſagen, wie ſehr das die Alten gefreuet hat.

Eben ſo bog er ihren Hang zur Ruhe ins Joch der gleichen Ordnung; reizte von allen Seiten den Fleiß; trat der Traͤgheit mit aller Kraft ſeines Fußtritts auf den Nacken. Die Freuden der Ruhe wurden durch ſeine Geſezgebung Lohn der Arbeit, Folgen der Ordnung, und Genuß von Erholung nach muͤhſam angeſtrengten Kraͤften. Das Kind fand ſie nicht, bis es ſein Tagwerk vollendet; und Maͤnner und Weiber, die das Werk ihres Lebens in irgend einem Stuͤck nachlaͤßig thaten, verfolgtedas321das Treiben der alles jagenden Rechnung; und die Schande, die auf jede Nachlaͤßigkeit unerbittlich wartete, brachte den Hang zur Ruhe in denjenigen Schranken, in die er in der buͤrgerlichen Geſell - ſchaft hinein muß; aber dennoch befriedigte er auch dieſen Trieb unſerer Natur.

Wer Ruhe verdiente, fand ſie ſicher, und konnte ſie ungeſtoͤrt und ohne Kraͤnkung genießen.

Die Regelmaͤßigkeit ſeiner Verwaltung ent - fernte die Unruh der haͤuslichen Verwirrung, und die ſchweren Leiden des Unrechts, der Lohn des Verdienſts, war jedem Arbeiter gewiß; und bey der immer ſteigenden Anſtelligkeit des Dorfs, war die Muͤhe der guten Beſorgung der Laſt nicht mehr zu vergleichen, unter welcher die Menſchen in der alten Zeit und in der Verwirrung ihrer gedanken - loſen Notharbeit erliegen, und an Leib und Seel verwildert und verlahmet. Er lenkte den Hang zur Ruh zum Ziel, ſicherte ihn am feſteſten am Ende der Laufbahn; und machte ſeine Bonnaler ſelber dahin ſtreben, in ihren alten Tagen des friedlichen Genuſſes ihrer ungeſtoͤrten Erquickung, nach dem wohl vollbrachten Werk ihres Lebens gewiß zu ſeyn.

So ſchuf er auch dieſen Hang der Natur, der im wilden und unverwilderten Leben, die Quelle der Traͤgheit und die Erſchlappung der menſchlichenX322Kraͤften, zu einem edeln Trieb ſeiner Thaͤtigkeit und der Anſtrengung derſelben um.

Nicht weniger befriedigte er den Hang zur Ehre auch beym armen Mann, der unter dem zerriſſenen Strohdach in Lumpen gehuͤllt lebt. Er iſt ein Menſch; und jeder Trieb der Natur, welchen du ihm befriedigeſt, macht ihn vollkommner und jeder Trieb ſeiner Natur, den du ihm nicht befriedigſt, laͤßt ihn unvollkommner und Geſezgeber! was du ihm nicht giebſt, das haſt du nicht von ihm. Merk dir das und rechne nicht fuͤr ihn rechne nur fuͤr dich, und du wirſt ihm geben, ſo viel du kannſt, damit du ihn ſo vollkommen brauchen koͤnneſt, als du ihn machen kannſt.

Arner mangelte ſeinem Volk auch in dieſem Stuͤck nicht. Er reizte die Ehrliebe des Niedrig - ſten wie des Oberſten, und band ſie eben ſo feſt, als die uͤbrigen Grundtriebe, an das buͤrgerliche Verdienſt.

Auf die einfachſte Art genoß ein jeder durch die offene Rechnungen ſeiner Wirthſchaftsbuͤcher Lob, Ehre, und Unterſcheidung in allen Stuͤcken, be - ſtimmt nach dem Maße ſeines Verdienſts. Nicht blos ſeine Wirthſchaft allein, die gute Erziehung ſeiner Kinder, der untadelhafte Frieden mit ſeinen Nachbarn, die großmuͤthige Sorgfalt fuͤr Arme,323 Kranke, Leidende, kurz, jede gute That, brachte dem Mann, der ſie that, Lob und Ehre; denn Arner hatte eine Ordnung, daß ihm keine derſel - ben entgieng.

Und er ließ keine unbelohnt.

Der ſchoͤnſte Lohn, den er einem gab, war vielleicht der, den der Lienhart erhielt. Der gute Menſch wagte ſein Leben fuͤr den Friedrich, ſeinen Mauergeſellen als dieſer von einem wan - kenden Geruͤſt glitſchte, und mit dem halben Leib ſchon unter das Geruͤſt herab hieng, und ſchwebte, ſprang der Lienhart auf die wankenden Balken, bog ſich zwiſchen weichenden Hoͤlzern hinab gegen den ſchwebenden Mann, klemmte ſich an ihn an, und hielt ihn mit wundgequetſchten Arm feſt, bis eine angeſtellte Leiter ſie beyde rettete.

Er war verwundet, und konnte 4 Wochen nicht arbeiten. Als er in der fuͤnften zur Kirche kam, waren drey neue Stuͤhle im Chor gerade dem Junker zu; in der Mitte von allen ſtunden mit großen Buchſtaben die Worte, dieſe Stuͤhle ſind fuͤr Maͤn - ner, die ihr Leben fuͤr ihren Naͤchſten gewagt !

Und als es verlaͤutet, und der Pfarrer und alles ſchon in der Kirche war, winkte der Junker dem Vorſinger, daß er noch nicht ſinge; dann gieng der Untervogt aus ſeinem Stuhl die Kirche hinun -X 2324ter zu dem Lienhart, der in dem hinterſten Stuhle ſaß, nahm ihm mit ſich an der Hand durch alle Leute hindurch herfuͤr zum Junker ins Chor der Junker ſtund auf, zeigte ihm ſeinen Plaz, und dann kam (der Junker hatte es ihm im Geheim be - fohlen) auch der Friedrich hervor, und dankte ihm vor dem ganzen Volk, daß er ihm ſein Leben ge - rettet.

Selber die Ehre der Todten bey ihrem Grab war an ihre Verſtienſte gebunden; mit der einfach - ſten Wahrheit ließ er noch uͤber ihren Sarg, im Kreis der Ihrigen, aus ſeinen Buͤchern vorleſen, wie viel Kinder ſie erzogen, was ſie aus ihnen ge - macht, wie ſie in ihren Umſtaͤnden vorwaͤrts ge - ruͤckt, wie ſie ihr vaͤterliches Erbgut verbeſſert, wie ſie ihren Kindern Vortheile hinterlaſſen, die ſie in dieſer Welt nicht genoſſen, und uͤberall, was ſie fuͤr vorzuͤglich gute Handlungen gethan.

Durch dieſe Feſtknuͤpfung der Ehre an das Verdienſt, war, indem er den Trieb der Ehre ſei - nes Volks genugſam befriediget, dennoch auch die Anmaßungsſucht des verdienſtloſen Stolzes, und die tropfkoͤpfige Bauern-Einbildung auf das Ab - ſtammen von Vaͤtern und Großvaͤtern, die viel Ochſen im Stall, und viel Schulden im Buch, uͤberdas noch Maͤntel und Eide am Halſe und am Ruͤcken tragen, gehemmt, und bekam oft und viel325 toͤdtliche Beaͤngſtigungen durch die Vorzuͤge des wirklichen Verdienſts.

Das iſt der Inbegrif der Geſezgebung Arners, durch welche er ſein Volk in Bonnal von Verwil - derung eines ungezaͤhmten Lebens, und von den Verirrungen der Grundtrieben der menſchlichen Natur zu heilen geſucht, um ſie auf der Bahn ei - ner guten buͤrgerlichen Bildung durch weiſe Be - ſorgung des Ihrigen zu gluͤckſeligen Menſchen zu machen, als ſie ohne die Vorſorge ſeiner Geſezge - bung nicht haͤtten werden koͤnnen.

§. 57. Religion.

Und nun ſteige ich zu dir empor, Dienerin Gottes und der Menſchen! das Werk ſeiner Geſez - gebung in deinem Heiligthum zu vollenden.

Wie ein Morgennebel dem Sonnenſtral weicht, wenn er vom unbewoͤlkten windſtillen Himmel auf ihn herabfaͤllt, ſo weicht der wilde Schwarm der truͤben Trieben unſerer unerleuchteten Natur dem Stral deines Heiligthums, wann du vom unbe - woͤlkten windſtillen Himmel auf ihn herabfaͤllſt.

Geliebte Gottes! ſeitdem die Erde gegruͤn - det, und der Menſch auf derſelben ſein nichtigesX 3326Werk treibt, warſt du die erſte Siegerin der wil - den Trieben des ungebaͤndigten Geſchlechts.

Herrſcherinn der Erden! auf hundert tauſend Altaͤren opfert die Menſchheit, ſeit dem ſie lebt, Dir ihr Opfer; dann ſeit dem ſie lebt, befriedigt der Glaube an Gott das Innerſte ihrer Natur, und alle Geſchlechter der Erden ſtammeln kniefaͤllig vor Dir ihre Bitten und ihren Dank; ſie vereh - ren jeden Schatten des Bilds deines Gottes, und beten jeden Fußſtapfen ſeiner Wege ſelbſt im truͤg - lichſten Koth an.

Der Fels im Meer bricht die Wellen des Sturms, ſie ſtroͤmen in hohen Wogen raufend ge - gen ihn an, reißen an ihm Mitten entzwey und wirbeln ſchaͤumend in ihrem Tode um ſeine uner - ſchuͤtternde Kraft ſo zerreißeſt Du das Raſen der Macht; und wie ein Feuerſtrom, der unter dem Berge gluͤhet, erſchuͤtterſt Du den unermeßli - chen Boden des Reichthums, wie einen Haufen nichtigen Staubs.

Herrſcherin uͤber den Sinn des Volks! Du bezwingſt den Herrſcher der deiner nichts will.

Unter den Truͤmmern der Erde, und unter den Wellen des Meers, lobet der Menſch ſeinen Schoͤpfer; er erhebt ſich uͤber den Troz ſeiner Na - tur; und unter dem Fußtritt der Geſchoͤpfen, und327 in der Aufloͤſung ſeines Staubs, nennet er Gott ſeinen Retter, und lebt im Augenblick ſeiner Zer - nichtung jenſeits des Grabs.

O geheiligte Gottes! Du zeigeſt dem Gewal - tigen in ſeinem Sklaven das Kind des Ewigen. Du zwingſt den Tirannen ſein Auge wegzuwen - den vom Blut ſeines Knechts. Du machſt ſein Eingeweide zittern vor dem Recht des Armen und vor den Thraͤnen des Waiſlins.

Du ſetzeſt der Wuth der Menſchen und ihrem Unſinn ein Ziel.

Du ſegneſt ihre Miriaden in der Furcht Got - tes durch die Bande des Friedens, und durch dei - nen ſanften heiligen Geiſt.

Du erhebeſt den Menſchen uͤber das Unrecht, und machſt deine Anbeter die Hartherzigkeit der Thoren mit Seelengroͤße ertragen.

Du giebſt dem Menſchen Weisheit in ſeinem Thun, und erhebſt ihn uͤber das Werk ſeiner Haͤn - den. Du ſtilleſt das Wallen des Bluts und das Schlagen des bruſtzerſprengenden Herzens.

Du zeigeſt deinem Anbeter in der Nothwendig - keit Gott im druͤckenden Leiden die Liebe des Vaters! Du beruhigeſt den Sinn des Er - ſchlagenen in ſeinem Blut.

X 4328

Dnrch dich vollendet der Geſezgeber ſein uner - meßliches Werk.

Wie ein gebaͤndigter Loͤwe an der Hand des Fuͤhrers ſicher einher geht ſo geht der Menſch an der Hand deiner Anbetung mit reinem Herzen einher, als waͤr er nicht der Sohn der Freyheit und der Koͤnig des Raubs.

Warum ſollte ich ihn nicht ſo nennen bey der Unermeßlichkeit der Anſprachen ſeiner Natur, beym unausloͤſchlichen Gewalt ſeiner Trieben fuͤr Freyheit und Raub?

Geheiligte Gottes! ohne Dich baͤndiget kein Geſezgeber den Sohn der Freyheit und den Koͤnig des Raubs.

In den Banden der Macht wird der Loͤwe zur Schlange, die jeder Feſſel entſchluͤpft; er windet ſich unter dem Boden der Thuͤrmen und durch der Mauern vermooſete Ritzen hindurch, und bleibt in ihren Banden, heiligeſt Du ſie nicht, was er vorher war der Sohn der Freyheit, und der Koͤnig des Raubs, aber mit giftigerer Zunge.

Im Innerſten des Menſchen tobet ein ewiger Aufruhr gegen Nothwendigkeit und Pflicht aber die Kraft deiner Anbetung beruhiget das Toben des ewigen Aufruhrs; und, verbunden mit weiſer Bil - dung des Staats, kommt der Menſch an deiner329 Hand dahin, daß er ſeyn will, was er ſeyn muß. Er erhebt ſich in deiner Liebe, daß er ſich opfert, und im Ueberwinden ſeiner tobenden Trieben ſeine Vollkommenheit findet.

Allmaͤchtige! darum vollendet kein Geſezgeber ſein Werk ohne Dich; und darum ſteigt Arner em - por, und naͤhert ſich deinem Altar.

Er kommt zu Dir, geheiligte Gottes! aber nicht wie deine Gewaltige und deine Streiter, an - gethan mit dem Harniſch ſeiner Meynungen er kommt zu Dir wie ein Armer, und bringt in der ſtillen Stunde ſeines demuͤthigen Dienſts ein heiliges Opfer, das Bild der Ordnung und der Ewigkeit.

Nimm es gnaͤdig auf, Dienerin Gottes! und lehre die Menſchen immer mehr Zeit und Ewigkeit in Eins verbinden, und Gott und dem Staat auf gleichen Altaͤren dienen.

Arner ſah die Uebereinſtimmung der Endzwe - cken einer wahrhaft weiſen Geſezgebung mit den Endzwecken einer wahrhaft weiſen Religion und die innere Gleichheit der Mittel, unſer Geſchlecht durch eine gute buͤrgerliche Bildung zu veredeln, mit den Mitteln, daſſelbe durch den Dienſt des Allerhoͤchſten zu vervollkommen.

330

§. 58. Aberglauben und Abgoͤtterey.

Aber er kannte auch den Geiſt der Pfafheit*)Anmerkung. Muß ich hier widerrufen? Verzeihet! ich werde bald muͤde. Ao. 1520 - 30 machte man wenige Komplimente mit dem Aberglauben und die ihn beguͤnſtigenden See - lenſtimmung, und ihn naͤhrenden Form des Gottesdienſts. Der Misbrauch der buͤrgerli - chen Gewalt heißt in der Volksſprache Tiran - ney, und die Naͤherung der Seelenſtimmung zu dieſem Misbrauch tiranniſcher Sinn. Aber in der Volksſprache iſt kein Ausdruck, den Misbrauch der kirchlichen Gewalt, und die Naͤherung der Seelenſtimmung zu dieſem Mis - brauch zu bezeichnen. Merk dirs Volk! du haſt kein Wort in deiner Sprache, den Unwillen gegen die Bande der Seelen und die Knecht - ſchaft des Geiſtes auszudruͤcken, wie du deinen Unwillen gegen den Misbrauch der buͤrgerli - chen Gewalt ausdruͤckſt und nimm, wenn du kein beſſers weißeſt, die Woͤrter Pfafheit und Pfaffenſinn in deine Sprache auf, wie du die Worte Tiranney und Tirannen Sinn darin aufgenommen dieß iſt meine Entſchuldi - gung. Fodert ihr mehr Schonung als Fuͤr - ſten ſo redet! Gott braucht keine Scho - und namenloſe Dienerin des Aberglaubens; er achtete dich nicht als waͤreſt du Gott !

331

Er leckte den Staub nicht von deinen Fuͤßen, Knecht aller Knechten! Er ſah wem du dienſt.

Truͤgerin! ſo lang die Welt ſteht, misbrauchſt du den Glauben an Gott, die Menſchen zu der Thorheit und zu dem Sinn eines abgoͤttiſchen Sinns zu lenken.

Du fuͤlleſt ihre Gedanken mit Bildern von Gott; und du machſt das Spintiſiren deiner heißen Stunden zu Offenbarungen des Allmaͤchtigen.

Du loͤſeſt den Guͤrtel auf der die Erde verbin - det er iſt Liebe Gottes und du bindeſt deine Haufen mit den Stricken deiner Meynungen.

Du ſetzeſt den Menſchen mit dem Schlangen - gerippe verfaͤnglicher Worte, im Namen Gottes, das Schwert an die Kehle; und trittſt mit deinem Buchſtabendienſt die Menſchen in Staub, die an - ders denken als du.

Du ſchleichſt den Fuͤrſten nach, um deſto beſſer Gott alſo zu ehren; du brauchſt die Schwaͤche der Koͤnige, und die Heucheley der Hoͤfen, deinem Glauben aufzuhelfen.

*)nung, und ihr doͤrfet nicht mehr fodern, als mit der buͤrgerlichen Sicherheit der Men - ſchen beſtehen kann Prieſter des Gottes - dienſts !

332

Du bringſt der ewigen Weisheit die Dumm - heit der Gewaltigen, und des Ewigen Liebe die boͤſen Gewiſſen der Maͤchtigen zum Opfer.

Du nimmſt den Menſchen in der Stunde ih - rer Anbetung gefangen.

Du entmanneſt die Soͤhne des Staats, und machſt den Prieſter zum Koͤnig.

Seit dem die Welt ſteht, haſt du die Erde erſchuͤttert.

Seit dem die Welt ſteht, haſt du den Koͤnigen Ketten gegeben wider den Menſchen, und den Menſchen Schwerter wider die Koͤnige.

Wie in ſtillen Meeren ein ſicheres Schif an unſichtbaren Felſen ſcheitert, ſo ſcheitert die Menſch - heit an unſichtbaren Klippen.

Wie in den Eingeweiden der Bergen und Huͤ - geln erkalteter Aſchen ein Feuerſtrom lebet und gluͤ - het, ſo lebet und gluͤhet Unreine! in der Nacht dei - nes unergruͤndlichen Dienſts das Feuer der wilden Natur.

An den Ketten des Aberglaubens ſtirbt nicht der Leidenſchaften Gewalt und der Sohn der Frey - heit, und der Koͤnig des Raubs, wird an den Al - taͤren der Dummheit nicht reines Herzens und der Laſtern inneres Raſen hebt keine geheimnisrei - che Weihe.

333

Der Pfafheit gebundener Sinn naͤhret das Laſter und des Goͤzendienſts ſinnenbehagliche Feyer iſt wie Minnengeſang jedem Naturtrieb.

Truͤgerin! du fragſt das Waiſlin, kennſt du meinen Gott? Und den Unterdruͤckten, kannſt du meinen Glauben auswendig?

Auch deine Liebe iſt an deinen Goͤzen gebun - den. Du zerreißeſt die Bande des Friedens ob ei - nem einzigen Wort.

Du bindeſt die Sicherheit und den Wohlſtand des Staats, wie das Allmoſen des Bettlers, mit Gefaͤhrde an deiner Meynungen Dienſt.

Du verunglimpfeſt außer ihm alle Quellen der Weisheit, und des haͤuslichen und buͤrgerlichen Wohls, und nenneſt deinen Glauben den allein ſe - ligmachenden.

Heuchlerin! du ſagſt, du verdammeſt nicht! was ſollen denn die andern, wenn nicht ſelig machen?

Wann du redſt, ſo haſt du Vorbehalt in dei - ner Seele (Reſervatio mentalis.)

Du weheſt die Fahne des Mords, als waͤren ſie Fahnen der Liebe.

Kennerin des Elends ! du rufeſt die Ver - wahrloſeten zu deinem truglichen Troſt du lo -334 beſt ſie in ihrer Noth, und rufſt ſie mit der Stimme der armen verwaiſeten Kuͤchlein unter deine eiſer - ne Fluͤgel; und wann der Moͤrder Weih uͤber ih - rem Haupt fliegt, folgen ſie in der Angſt gern und kopflos deiner Simme, und werden erdruͤckt.

Der Sohn der Freyheit, und der Koͤnig des Raubs, iſt dein Getreuer; und du nutzeſt die Ver - wirrung des Staats, und die Schulden der Großen, und den Bettel der Armen zu deinem Dienſt.

Selbſt der fromme Sinn der Tugend wird dein Knecht. Wem du den Kopf nimmſt, der dienet dir; wenn du dem verwahrloſeten Volk, das wie ein Rohr vom Wind getrieben wird, und wie ein Schifbruͤchiger, der nach jeder Staude langt, deine Hand darſtreckſt, ſo haſt du es gefangen.

Du biſt den Menſchen kaum ein wenig minder worden als Gott; und dein Dienſt geht den Voͤl - kern der Erde uͤber den Dienſt des Allerhoͤchſten.

Du ſchwingſt dich, Giftige! dem Geſezgeber an den Buſen und giebſt ihm den Tod, wenn du fuͤhlſt, daß ſein Innerſtes nicht fuͤr dich, und der Sitz in ſeinem Schoos dir nicht ſicher ſeyn ſollte.

Das haſt du immer gethan!

335

§. 59. Wodurch Arner das Volk vor dem Aber - glauben bewahrt.

Arner kannte dieſen Sinn der Pfafheit und ſoͤnderte den Endzweck der Kopfsbildung von dem Endzweck des Religions-Unterrichts.

Er fand, der lezte ſey nun einmal lang ge - nug zu dem misbraucht worden, wozu er nicht taugt.

Er trennte die Gottsgelehrtheit vom Volks - Unterricht, in ſo fern er Kopfuͤbung und buͤrgerli - che Geiſtesbildung ſeyn ſoll, und wollte ſein gutes Volk durch den Katechismuskram, uͤber die Lehr - ſaͤtze der ſchwierigſten aller Wiſſenſchaften, nicht zum Dienſt der Pfafheit ſo dumm und anmaßlich machen, als alle Voͤlker der Erde, vom Strande des Indus bis zu den beyden Polen, zum Dienſt der Pfafheit anmaßlich und dumm werden muͤſſen, wenn man die Grundlage ihrer Kopfbildung und Geiſtesrichtung durch die Erklaͤrung ihrer Religions - lehre erzielen will.

Alles Wiſſentſchaftliche in der Religion iſt menſchlich, und eine eigentliche Kunſtſache. Ken - ner ſind Richter und es iſt Gefaͤhrde und Ver -336 ſuch zum Aufruhr, wider die Rechte der Wahr - heit, das Wiſſentſchaftliche in der Religion vor das Volk zu bringen, und vor ihm, als waͤr es der Richter, daruͤber zu plaidiren; ſo gut als es Ti - ranney iſt, das Urtheil uͤber dieſes Wiſſentſchaftli - che in der Religion der buͤrgerlichen Macht zu un - terwerfen.

Der Dienſt des Allerhoͤchſten iſt von wiſſen - ſchaftlichen Meynungen uͤber Religionsſachen un - abhangend; und das Volk ſoll vom Altar weg nicht behelliget werden mit irgend einer Streitigkeit der Prieſter.

Laͤßt man es zu ſo giebt man den Kopf des Volks in die Hand des Prieſters und ver - zeihet mir ihr Fuͤrſten! aber ich glaube, wer den Kopf des Volks in ſeiner Hand hat, der iſt auch ſeines Kopfgelds ſicher wenn er will; die Sache hat nicht kleinen Reiz aus ihren Wirkungen zu ſchließen.

Menſchheit! auf allen Blaͤttern ruft die Ge - ſchichte, du toͤdteſt eher die Thiere der Erde, und vertilgeſt eher die Fiſche im Meer, als die Macht der Prieſter und den Sinn ihrer Pfafheit, wenn du das Wiſſentſchaftliche ihres Religions-Unterrichts zur Grundlegung der Kopfbildung des Volks machſt.

Die Kopfbildung des Volks iſt die Sache ſei - ner haͤuslichen und buͤrgerlichen Sicherheit, undalſo337alſo Staatsſache und als ſolche muß ſie noth - wendig unabhangend vom Religions-Unterricht er - zielt, und in dieſem Geſichtspunkt mit Feſtigkeit von demſelben getrennt werden.

Noch einmal: der Glaube an Gott, und die Lehre ſeines Dienſts, iſt nicht zur Vernunftlehre be - ſtimmt, und nicht dazu gut.

Der Glaube an Gott, und die Lehre von ſei - nem Dienſt, iſt fuͤr das Volk nicht die Sache ſeines Kopfs, ſondern ſeines Herzens. Gemuͤthsruhe im Dunkel ſeiner Nacht Ergebenheit in den Willen Gottes im Thal von Thraͤnen, und ein kind - liches Aufſehen auf den Herzogen und Vollender des Lebens das iſt die Beſtimmung des Glau - bens, aber nicht Kopfuͤbung fuͤrs Volk.

Die ganze Bibel, von Anfang des erſten Buch Moſes bis zur Offenbarung Johannes und bis zum Heilig, heilig, heilig iſt das Lamm, das geſchlachtet iſt , iſt nicht zur Kopfuͤbung des Volks beſtimmt, und taugt nicht dazu. *)Anmerkung. Ich rede beſtimmt vom Volk. Der Gelehrte mag in der Bibel freylich Stof zur Kopfuͤbung finden, ich wende nichts dawider ein.

Mag es Maulchriſten emvoͤren ich achte es nicht dieſes Geſchlecht empoͤrt alles, wasV338kalt und was warm iſt. Darum hat aber auch der, ſo die ſieben Leuchter hat, den Engel ſeiner großen Gemeinde aus ſeinem Munde ausgeſpeyt, und ihn hingeworfen zu zertreten, fuͤr jedermann, der vorbey geht was ſoll mir alſo ſein Aerger?

Der Aberglaube findet in den Umſtaͤnden der Zeit unermeßliche Nahrung. Die Seelenſtim - mung der Menſchen wird taͤglich mehr ſchwankend und traͤumend. Das Fundament eines vernuͤnf - tigen Gottesdienſts die Vernunft des Volks und eine feſte, ruhige, biedere, gleichmuͤthige und bedaͤchtliche Geiſtes-Richtung, ſchwindet vor un - ſern Augen.

Seys Zufall oder Hinderliſt ich weiß es nicht, und unterſuche es nicht aber wahr iſts die Seelenſtimmung der Menſchheit neigt ſich zu der Schwaͤche des Aberglaubens.

Der Misbrauch der Bibel und der Glaubens - lehre, zu dem, wozu beydes nicht taugt, wird lebhafter als er je war.

Die Hinlenkung der Volksſtimmung zu Be - guͤnſtigung eines uͤberwiegenden Einfluſſes der Kraͤf - ten der Einbildung gegen die Kraͤfte des Verſtan - des

Die allgemeine Reizung des poetiſchen Sinns, und auf dieſen poetiſchen Sinn gebaute339 Kopffuͤllung der Menſchen mit bildreichen Reli - gionslehren, und die Hinlenkung ihres Geiſtes, ſol - che Meynungen als Vorſchritt in wiſſenſchaftlicher Erleuchtung und als Gegenſtand ihres Nachden - kens, ihrer Unterſuchung und ihres Forſchens im Kopf herum zu tragen

Das alles wenn es ſchon freylich nicht den geraden Weg zu aberglaͤubiſchen kirchlichen Lehrſaͤ - tzen fuͤhrt fuͤhrt dennoch ſicher zu einer Seelen - ſtimmung, die das Innere der Abgoͤtterey und des Aberglaubens beguͤnſtigt, und das Volk einem je - den Religionsverfuͤhrer in die Haͤnde ſpielt, der im Stand iſt, daſſelbe zu einem ſchwaͤrmeriſchen Glau - ben an ſeine Lehre, und zu einer fantaſtiſchen An - haͤnglichkeit an ſeine Perſon zu verleiten.

Noch einmal: ich weiß nicht, ob es wahr iſt, was man ſagt, daß dem Volk wirklich planmaͤßige und gefaͤhrdvolle Glaubensſchlingen gelegt werden: aber das weiß ich, daß eine Seelenſtimmung be - guͤnſtigt wird, die es, wenn ihm ſolche Schlingen gelegt wuͤrden, ſchaarenweis darein zu ſpringen, ſicher verleiten wuͤrde.

Das weiß ich. Aber ich verarge es denen nicht einmal, die es thun, und die wenigſten wiſſen was ſie thun, und tagloͤhnen meiſtens am Werk der Frommkeit mit ehrlichem Sinn, ohne wederV 2340zu ahnden, noch zu verſtehen, wohin die Seelen - ſtimmung, welche die Art und Weiſe ihrer Glau - bensform beym Volk hervorbringen, daſſelbe fuͤh - ren koͤnnte.

Das Geheimnis der Abgoͤtterey ſizt auf einem heiligen Dreyfuß, und mitten, in dem es den Men - ſchen fuͤr alles, was es ihm entreißt, ſtockblind macht, giebt es ihm Luchsaugen fuͤr das was er ſehen muß, um anhaͤnglich zu bleiben, und ſchließt ſich immer von allen Seiten an viel Auffallendes, dem Menſchenſinn und dem Volksgefuͤhl Auffallen - des, Wahres und Gutes an und es liegt in unſerer Natur, die verwahrloſete und leidende, ſo wie die traͤumende Menſchheit, wirft ſich ſo lange in die Arme der gegen die Leidenden immer Theil nehmend, gegen die Verwahrloſeten immer ſorg - faͤltig erſcheinenden Abgoͤtterey, ſo lang ihr nicht entgegen geſezt wird, was mehr Realitaͤt hat, als eine zwar ſo geheißene vernuͤnftige Religionslehre, die aber nichts weiter leiſtet, als daß ſie mit gro - ßem Gepraͤnge eine mehrere Richtigkeit in den Aus - druͤcken uͤber Glaubens-Meynungen, die das Volk richtig oder unrichtig gleich nicht verſteht, zum We - ſen der gottesdienſtlichen Verehrung macht, und in - deſſen durch das ſchwerfaͤllige Schleppen des Heer - wagens dieſer Worterklaͤrungen den Prieſtern dieſes neuen Dienſts, Zeit, Aufmerkſamkeit und See - lenſtimmung raubt, den weſentlichen Pflichten des341 wahren Gottesdienſts mit Erfolg obzuliegen, der Verwahrloſung der Menſchen vorzukommen, die Qualen der Leiden abzulenken, und den Traͤumer - ſinn ihres Lebens durch weiſen Einfluß auf ihr buͤr - gerliches Leben zu entkraͤften.

So lang es ſo iſt, und das Volk beym ſchwaͤr - riſchen, unerleuchteten Prieſter fuͤr ſich mehr findet, als bey dem, der ihm beweiſen kann, daß der an - dere ſchwaͤrmt, ſo bleibt das Volk natuͤrlich auf der Seiten des leztern. Auch laſſen die Prieſter des Aberglaubens die guten Maͤnner, die nach Weis - heit fragen, mit ſichtbarer Verachtung reden, was ſie nur wollen, und bleiben indeſſen Meiſter des Volks, und derer, die ſie zu ihrem Volk machen.

So iſt es die Maͤnner, die nach Weisheit fragen, verſtehen ſich nicht das Volk zu fuͤhren, und ihren Reformationsgeiſt anſteckend zu machen, wie der Aberglaube, und das iſt ein großer Fehler.

1520 war es nicht ſo; der Reformationsgeiſt war damals anſteckender als der Aberglaube, weil er wohlthaͤtiger war als dieſer, und die einzelnen Menſchen im Lande auffallend an Leib und Seele weiter brachte, als ſie unter der Moͤnchs-Huth nicht kommen konnten.

Der damalige Reformationsgeiſt belebte die Kraͤfte des Verſtands, er erhoͤhete das Streben nachV 3342leiblicher und geiſtlicher Sicherheit, Unabhaͤngigkeit und Freyheit; er pflanzte eine allgemeine Aufmerk - ſamkeit der Menſchen auf ſich ſelber, eine allge - meine Sorgfalt derſelben fuͤr die Ihrigen und das Ihrige; er verband den Sinn der Liebe mit thaͤtigem Beſtreben nach den Mitteln wirklich helfen zu koͤnnen, und ward ſo die Quelle einer Induſtrie, die, verbunden mit dem Sinn der Frommkeit dieſer Zeit, eine Sparſamkeit und Hausordnung hervorbrachte, deren Folgen die buͤr - gerliche Verfaſſung Europens weſentlicher aͤnderte, als die Meynungen der Reformatoren den Kirchen - zuſtand dieſes Welttheils veraͤnderte.

Ich bin weitlaͤuftiger als gewohnt, weil in die - ſem Geſichtspunkt die aͤchten Mittel gegen die Hin - derniſſe des Vorſchritts, die der wahren Erleuchtung und Veredlung des Menſchengeſchlechts in den Weg gelegt werden, auffallen.

Es iſt Beduͤrfnis der Zeit, daß der aͤchte Geiſt einer wahrhaft weiſen und gefaͤhrdloſen Fuͤhrung des Volks tief und mit Sorgfalt erforſcht

Daß der Kopf des Menſchen nicht hindange - ſezt

Daß der Trieb der Selbſterhaltung, mit Kennt - niß von Mitteln, und mit Uebung von Fertigkeiten343 gepaaret werden, die den Menſchrn in der Ord - nung des buͤrgerlichen Lebens ſicher ſtellen und be - ruhigen

Daß den Quellen ihrer erſten Naturfehler, namentlich ihres Leichtſinns, ihrer Gedankenloſig - keit, und allen Folgen ſeines unordentlichen und ungebildeten Zuſtands vielſeitig und mit Weisheit und Kraft entgegen gearbeitet werde

Daß in Abſicht auf die Bildung des Menſchen, auf ihren Kopf, auf ihre Haͤnde und Fuͤße, und nicht auf ihr Herz abgeſtellt werde

Daß der Wohlſtand der buͤrgerlichen Haͤuſer nicht an ihren Glauben, noch weniger an die nich - tigen Menſchenwerke ſeiner aͤußern Huͤlle gebunden, und dadurch vom Prieſter abhaͤnglich werde

Daß die Geiſtes-Richtung des Volks, und ſeine innerſte Stimmung bedaͤchtlich, kaltbluͤtig, vor - ſichtig, und auf einen merklichen Grad mistrauiſch gemacht werde.

Daß alle Arten von Traͤumerſtimmung, in - ſonderheit die Lebhaftigkeit des Miſchmaſch-Gefuͤhls von Elend und Gluͤckſeligkeit, in welchen die Men - ſchen in einer Stunde bis zur Erhabenheit dichte - riſch und bis zum Schrecken gichteriſch erſcheinen, durch den Ton und die Sitten der Zeit Hinderniſſe in ihrer Anſteckung finden.

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Mit einem Wort, daß die Bildung und Erhe - bung aller wahren Kraͤften unſerer Natur beguͤn - ſtigt, und ihre Abſchwaͤchung, ſo wie ihre Verwil - derung, verhuͤtet werde.

Arner ſuchte dieſem Beduͤrfnis der Zeit Genuͤ - gen zu thun, indem er die buͤrgerliche Fuͤhrung und die Kopfsbildung ſeiner Bonnaler ganz von ihrem Glaubens-Unterricht ſoͤnderte; dem erſten ganz unabhangend vom lezten, durch die Kraft ſeiner Geſezgebung, ein Genuͤgen leiſtete.

§. 60. Ein Wort uͤber das Beduͤrfnis des Got - tesdienſts zur wahren Volksaufklaͤ - rung.

Aber ſo wie er der Schwaͤrmerey, und dem ſich unter das Joch der Abgoͤtterey ſchmiegenden Aber - glauben entgegen arbeitete, ſo kannte er auch die Unvollkommenheit und Ungenuͤgſamkeit einer blos buͤrgerlichen Bildung.

Er wußte und ſagte, keine geſezgeberiſche Weis - heit hebt die Quelle des ewigen Elends der Erde ganz auf, und die beſte buͤrgerliche Stimmung iſt nicht genug, den Sinn des Menſchen zu derjenigen345 Veredlung zu erheben, deren er bedarf, um real beruhiget zu ſeyn. Das bloße Anbinden deſſel - ben an die Nothbeduͤrfniſſe der Erde erdruͤckt ſein Herz. Im Schweiß ſeines Angeſichts, und im Ge - wuͤhl ſeines Staubs, erhebt er ſich nicht uͤber ſich ſelbſt, noch weit weniger uͤber das Unrecht, und im Werk ſeiner Haͤnden vergraben, ſtirbt er als ein Tagloͤhner des Koths.

Arner fuͤhlte das Beduͤrfnis, die Veredlung des ſchwachen, traͤgen, und ſo leicht ſinkenden, und ſo gern an der Erde klebenden Menſchen durch den Dienſt des Allerhoͤchſten zu erzielen, zu vollen - den verſaͤumte desnahen nicht, mitten, in dem er alles that, den Geiſt der Abgoͤtterey, und eines gefaͤhrdvollen Einfluſſes der Geiſtlichkeit auf die Kopfsbildung des Volks und ſeine buͤrgerliche Si - cherheit und Rechte zu hindern, eben ſo ſorgfaͤltig ſein geliebtes Volk durch den Segensgenuß der rei - nen Anbetung Gottes, durch rege Dankbarkeit ge - gen ſeinen erhabenen Sohn, durch Treu und kind - liches Beſtreben nach den Gaben ſeines ſanften rei - nen heiligen Geiſtes, zu derjenigen Vollkommen - heit zu erheben, deren die Menſchheit faͤhig, wenn ſie in Verbindung einer feſten, weiſen, buͤrgerli - chen Bildung noch die Segensſtimmung edler, rei - ner und ungefaͤlſchter Anbetung Gottes genie - ßet.

346

So machte er die Religionslehre zum Schluß - ſtein des Werks ſeiner Geſezgebung, die er auf das Fundament der feſten und vollendeten Mauern ei - ner weiſen buͤrgerlichen Bildung gebauet. Er hatte aber auch den Pfarrer dazu, ſein Werk alſo zu be - ſchließen.

Bonnal ſah dieſen Edeln, in der Mitternacht - ſtunde am Todbette der Menſchen vor Aufgang der Sonnen auf den Wegen zu den zerſtreuten fer - nen Berghuͤtten ſeines Dorfs in der Mittag - ſtunde bey der hungernden Witwe am Abend im Kreis der Kinder des Dorfs in jeder Stun - de des Tags am Ort, wo ihn ſeine Pflicht hinrief, und der leiſeſte Wunſch eines Menſchen in ſeinem Dorf war ihm Ruf ſeiner Pflicht, ſo bald er ihn ahndete. Und auf dieſem Gottesdienſt ſeines Lebens ruhete und gruͤndete ſich der Dienſt ſeiner oͤffentlichen Lehre, die meiſtens in einfachen, aber Seel erhebenden Lobpreiſungen und Dankſagungen fuͤr die Wohlthaten Gottes beſtunde, und durch ihre, das Innere unſerer Natur erhebende und veredlende Wirkung, das Beduͤrfnis nach Wort - erklaͤrungen und großen Reden uͤber Pflicht und Meynungen bey ſeinen Bonnalern immer mehr verminderte. Er dachte und ſagte hieruͤber die Worte Chriſti: Wenn dein Auge heiter iſt, ſo iſt auch dein ganzer Leib heiter , und redete wenig mit dem Volk, und redete viel lieber und viel mehr347 mit einem jeden allein; und that er es, ſo that er es nichts weniger als ununterbrochen, ſondern wandte ſich mitten in ſeinen einfachen Volksreden bald an dieſen, bald an jenen, trat mit ihm auf die natuͤrlichſte Art ins Geſpraͤch ein, wie ein Haus - vater, wann er mit ſeinen Hausgenoſſen redet. Er ſtellte Maͤnner auf, die in Feld oder Vieh Un - gluͤck gehabt Mutter, deren Kinder, und Kin - der, deren Muͤtter geſtorben Mit einem Wort, er nuͤzte die Vorfaͤlle der Zeit, und die Umſtaͤnde, die Eindruck auf einzelne Menſchen in der Gemeinde gemacht. Dieſe Eindruͤcke zu berichtigen, zu ver - edeln und gemein zu machen, Weisheit, Gottes - furcht, und Gottes Ergebenheit, durch die Kraft derſelben in ſeinem Volk immer mehr auszu - breiten.

Er meynte nichts weniger, als daß es etwas Feyerliches und Großes ſey, auf der Kanzel allein zu reden; es duͤnkte ihn vielmehr, es ſey unnatuͤr - lich, und zeige vielweniger Verſtand, als wenn man im Stand ſey, das, ſo man ſagt, dem Volk ſo an - zubringen, daß es im Augenblick ſelber ins Geſpraͤch eintrete, und dem Lehrer Schritt fuͤr Schritt in dem, was er mit ihm redt, Fuß halten kann. Er glaubte, das ſey das Siegel und Zeichen der wahren Kraͤften eines Volkslehrers, und das aͤchte Fundament aller wahre Volkserbauung.

348

Nachmittag war ſein Gottesdienſt gaͤnzlich Nichts, als eine Unterredung mit dem Volk. Er ſtund im Kreis ſeiner Dorfkinder, denen dieſe Volks - Unterredungen zu ihrem Religions-Unterricht die - nen mußten. Die ganze Gemeinde war in ſechs und zwanzig Abtheilungen abgetheilt; alle Ge - meindsgenoſſen mußten jaͤhrlich zweymal nach der Ordnung dieſer Abtheilungen, vom aͤlteſten Greiſen an bis zun ſiebenjaͤhrigen Kindern, zum Altar her - fuͤr; er redete dann mit ihnen im Kreis dieſer Dorf - kinder, nach der Form eines von ihm und dem Lieutenant aufgeſezten natuͤrlichen Volks - und Dorfs-Unterricht, von Gott, den Pflichten und den Umſtaͤnden des Lebens. Er trat izt in die Umſtaͤn - de der Leuten, die er genau kannte, hinein; machte Alte und Junge jede nuͤtzliche Erfahrung, die ſie in ihrem Kreis gemacht, erzaͤhlen, ließ dann die andern mit ihnen ins Geſpraͤch eintreten, wie auch ſie an ihrem Plaz die Erfahrungen benutzen, oder wie auch ſie in ihren Kreiſen aͤhnliche Erfahrungen gemacht haben.

Es war ihm nichts zu klein. Ein Kind, das gegen eine Geiß, die ihns geſtoßen, vernuͤnftig oder unvernuͤnftig gehandelt, war eben ſo gut, als eins, das das ſchoͤnſte Loblied auf Gott auswendig ge - lernt, ein Gegenſtand ſeines Religions-Unterrichts, und mußte ſo gut von ſeiner Geiß und ſeiner Auffuͤh -349 rung gegen ſie mit ihm reden, als eines, das ſei - nem kranken Großvater abwartete, und von ſeiner Krankheit mit ihm reden mußte.

So band er durch die Art ſeines Religions - Unterrichts jede Weisheit des Lebens an die Kraft ſeiner gottesdienſtlichen Lehre, und zeigte von allen Seiten den Zuſammenhang des Einfluſſes einer durch gute Staats-Einrichtungen den Menſchen verſicherten Hausweisheit, auf die Realitaͤt ſeiner Gottesfurcht und ſeiner Menſchenliebe. Auch dankte er in ſeiner Kirche oͤffentlich Gott fuͤr die Einrich - tungen, Geſeze und Anſtalten Arners, durch wel - che ſie auf eine ihrer Natur ſo angemeſſene Art, zur wahren Erkenntnis ihrer ſelbſt, zu realer, wirk - ſamer und thaͤtiger Liebe ihres Naͤchſten, und zu einer ungeheuchelten Anbetung Gottes erhebt und tuͤchtig gemacht werden.

350

§. 61. Seine Feſtform ruhet eben ſo auf Bauern - geiſt und Bauernordnung, als ſie die Endzwecke eines weiſen Geſezgebers, und diejenige eines frommen Religions - Lehrers vereinigt, und auf die eigent - liche Individual-Lage derjenigen Men - ſchen gebauet iſt, welche das Feſt feyern.

So wie dieſer gute Pfarrer in ſeinem taͤglichen Thun, und in der ſtuͤndlichen Erfuͤllung ſeines Stands - und Berufspflichten, dem Leichtſinn und der Gedankenloſigkeit, als den erſten Quellen ihrer Fehler und Schwaͤchen, und den erſten Hinder - niſſen ihrer wahren Veredlung, durch den Geiſt und die Kraft ſeiner gottesdienſtlichen Fuͤhrung ent - gegen arbeite, ſo that er dieſes beſonders an den heiligen Feſten.

Am ſtillen Abend, vor der Feyer eines heiligen Tages, verſammelte ſich das Volk ſeiner Gemeinde vor den Kirchen auf dem Kirchhof, ein jedes bey der Ruheſtaͤtte der Seinigen; dann kam auch er, kniete auf das Grab ſeines Vorfahrs, und ſagte zum Volk: Erinnert euch derer, die vor euch ge -351 lebt, und hoͤret die Worte der Wahrheit, die ſie mit euch geredt haben aus ihren Graͤbern! Dann laͤuteten alle Glocken; das Volk und der Pfar - rer blieben eine Viertelſtunde auf den Graͤbern ih - rer Vordern in ihrer Andacht; dann gieng die Ge - meinde in die Kirche; alle Aeltern fuͤhrten ihre Kinder zu ihm hin, zum Altar. Nachdem der ganze Kreis der Kinder um ihn her geſtellt war, ſagte er in Mitten dieſer Kinder zu der Gemeinde: Erinnert euch derer, die nach euch kommen wer - den, und bittet Gott, daß ihr nichts an ihnen ver - ſaͤumet ! dann bog er ſich nieder, betete im Kreis der um ihn her knienden Kinder laut fuͤr die Nach - welt des Dorfs, deren Fuͤhrung und Bildung der liebe Gott in ihre Haͤnde gelegt; die ganze Ge - meinde kniete mit ihm, und betete ihm nach fuͤr ihre Kinder, und wann er endete, ſo ſprach alles Volk ihm nach das Wort Amen; dann nahmen die Aeltern ihre Kinder vom Altar weg an ihre Hand, fuͤhrten ſie bis außert die Kirchen, und ließen ſie heimgehen; ſie aber blieben noch in der Kirche, und der Pfarrer fieng dann die Pruͤfungsſtunde dieſes Abends an.

Die Ordnung dieſer Pruͤfungsſtunde iſt dieſe: Zu erſt betete der Pfarrer niedergebogen vor dem Kreuz Jeſu Chriſti ſtill; dann ſtund er auf, las mit lauter Stimm: das iſt die Pruͤfung eines am Feſte des Herrn! ob er in der Liebe wandle vor352 dem Herrn ſeinem Gott, und vor ſeinem Volk? Mangelt jemand deines Raths? Kennſt du die Ordnung deines Volks? Hanget die Jugend an deinem Herzen? Biſt du der Alten Troſt? und der Leidenden Heil? Steheſt du in der Ver - wirrung des Volks wie ein Fels? Und wer in der Welt Schifbruch leidet, findet er bey dir Troſt, wenn ihn die Wellen der See an dein Ufer tragen? Wandelſt du in der Kraft des Herrn deines Gottes einher, und in ſeiner Liebe?

So las er; dann bog er ſich wieder tief zur Erde, und ſagte: Herr! ſey mir gnaͤdig in mei - ner Schwachheit, denn ich bin ein Menſch, und habe viel uͤber mich genommen, in deinem Namen und vor deinem Volk ! Dann las er fort, oͤffentlich vor der ganzen Gemeinde, die Pflichten und den Beruf eines chriſtlichen Pfarrers, und das Gemaͤhlde des Guten, das er durch ſeine Sorgfalt, Weisheit, Ordnung und Amtstreu im Dorf, und zum Segen deſſelben, auf Kind und Kindskinder hinab ſtiften und feſt gruͤnden koͤnne dann auch das Gemaͤhlde des großen Unſegens und Ungluͤcks, das einer durch Mangel von Sorgfalt, Ordnung, Einſichten und Amtstreue eben ſo, wie durch ein ungoͤttliches, ſorg - und pflichtloſes Leben in einem Dorf anrichten, und auf Kind und Kindskinder hinunter fortpflanzen koͤnne. In dieſem Volksge - maͤhlde uͤber die Pfarrer und ihren Dienſt, warder353der erſte dargeſtellt als ein Diener Gottes, und ein Vater des Volks, der andere hingegen als eine voͤllige Ueberlaſt der Geſellſchaft, und als ein Mann, der ohne Ehre im Leib, auf Rechnung und Zehrung der Religion, und auf Unkoſten des Staats, un - verdientes Brod eſſe, und dafuͤr großen Schaden ſtifte. Dieſes doppelte Bild des guten und des ſchlechten Pfarrers, und das Gluͤck der wahren Volksvorſorge unter dem erſten, und der Ver - wahrloſung deſſelben unter dem andern, las er laut vor allem Volk vor.

Dann traten die Vorgeſezten vor den Altar, knieten nieder dann las der Pfarrer

Das iſt die Pruͤfung eines Vorgeſezten zur Vorbereitung am Feſte des Herrn!

Iſt Ordnung und Licht in allem was dir uͤber - geben worden? Beſorgſt du die Sachen des Dorfs wie deine Eigene? Legt dich die Noth der Witwen und der Mangel des Waiſleins un - geſchlafen? Iſt keinem Unſchuldigen und Armen Angſt, wann du um den Weg biſt? Und wann du in die Haͤuſer des Dorfs hinein kommſt, fuͤrch - tet das Weib des Armen, und ſein Kind nichts Boͤſes von dir? Gehet es denen Kindern auf, deren Vogt du biſt? Und wann dein Haus und deine Habe beſorgt wuͤrde, wie das und die HabeZ354deiner Vogtanvertrauten, wuͤrdeſt du nicht ſagen, das Gott erbarm '? Und wuͤrde kein Waiſlein, deſſen Gut du unter den Haͤnden haſt, wenn es alles wuͤßte was du thuſt, ſeufzen, das Gott er - barm? Wann du Gutes willſt, und Gutes thuſt, thuſt du es dem Armen wie deinem Kind? Oder thuſt du es mit der Geiſel in der Hand? Wuͤrgſt du dem Menſchen, dem du Brod giebſt, das Herz ab? Kannſt du ſtandhaft, anhaltend, geduldig und nachſichtig helfen, wo ohne Standhaftigkeit, Geduld und Nachſicht un - moͤglich zu helfen iſt?

So las der Pfarrer; und der Aelteſte der Vorgeſezten antwortete ihm mit lauter Stimme vor allem Volk: Diener des Allerhoͤchſten! wir ſind ein ſchwaches Geſchlecht, und vergeßlos wie unſere Vaͤter, die vor uns gelebt; aber werde nicht muͤde, uns den Spiegel unſerer Pflichten immer vor Augen zu halten, damit wir in der Furcht Gottes bleiben, und unſere Pflichten je laͤn - ger je weniger vergeſſen! Dann las der Pfar - rer auch ihnen das Bild eines guten und eines ſchlechten Dorfvorgeſezten oͤffentlich vor allem Volk vor. Das Bild war auf keiner Seite uͤbertrie - ben; aber es ſezte deutlich und vielſeitig ins Licht, wie ein guter Vorgeſezter auf Kind und Kindskin - der hinunter Wohlſtand und Segen, der andere hingegen Verwirrung und Ungluͤck veranlaſſen und355 faſt nothwendig machen koͤnne. Und alles, ſo in ihrer Sprache, und ſo auf die Faͤlle ihrer taͤgli - chen Erfahrung eingerichtet, daß ein jedes Kind bey dem Vorleſen dieſer Bilder denken konnte, wenn der Vorgeſezte mit meinem Vater, oder mit meiner Mutter, izt ſo und ſo handelt, ſo iſt es juſt wie es da ſteht.

Auf dieſe kamen die alten grauen Maͤnner und Weiber und der Pfarrer las

Das iſt die Pruͤfung des grauen Alters fuͤr den Feſttag des Herrn! Iſt dein Sinn deinem Al - ter angemeſſen? Hangeſt du nicht mehr an der Erde, als die Tage werth ſind, die du noch zu leben haſt? Biſt du denen, die nach dir kommen, was du ihnen ſeyn ſollſt? Kannſt du den Berg, der hinter dir iſt, anſehen, als ob er dich nichts mehr angehe? Kannſt du liegen laſſen, was Niemand mehr von dir fodert, was andere izt beſſer machen als du? Plageſt du Niemand mit dei - ner Schwaͤche? Goͤnneſt du der Jugend die Freuden ihrer Staͤrke? Haſt du keinen Saa - men der Unruhe ausgeſaͤet, der hinter deinem Grab keimen koͤnnte? Kannſt du aus den Erfahrun - gen deines Lebens nicht mehr Nutzen ziehen fuͤr dich, die Deinigen, und fuͤr alle Menſchen? Nimmſt du nichts mit dir unter den Boden, das jemand nuͤtzen konnte, wenn du es ihm zeigteſt oder ſagteſt? Z 2356 Sollteſt du keiner Wahrheit Zeugniß geben, die verdreht werden kann, wenn du nicht mehr da biſt? Kannſt du nicht mehr thun als du thuſt, vor deinem Ende ſicher zu werden, daß keines der Dei - nigen dem andern Unrecht thun koͤnne? Sieheſt du mit Ruhe uͤber das Grab? Und werden deine Enkel Gott loben, wenn ſie deinen Namen hoͤren und von dir ſagen, er war wahrlich unſer Vater ſie war wahrlich unſere Mutter?

Dann antwortete einer der Alten

Diener Gottes! unſere Staͤrke iſt dahin, und unſere Kraft iſt vergangen, wir ſind worden wie die Blaͤtter eines Baums, die den Winter uͤber am leeren Aſt hangen geblieben. Sey der Stab unſers Alters, Diener Gottes! fuͤhre uns an deiner Hand zu allem was wir noch thun koͤnnen, damit keiner unſerer wenigen Tagen mehr verloren gehe es ſind ihrer genug verloren.

Dann las er ihnen mit kurzen Worten das Bild alter Leute vor, die in ihrer Schwaͤche noch der Segen der Nachwelt, und bis ans Grab die Freude der Ihrigen ſind.

Aber das Bild der Fehlern und Schwaͤchen des grauen Alters las er ihnen vor der Gemeinde nicht vor. Er wußte daß der Menſch in der ſpaͤ - ten Neige ſeiner Tage nicht mehr zu aͤndern iſt,357 und daß alten Leuten Vorwuͤrfe mehr, als alle Laſt des Lebens wehe thun. Er kannte die Pflicht, das heilige Alter nicht zu kraͤnken, und wollte darum ihren Nachkommen und Hausgenoſſen mit dem Bild ihrer Fehler nicht Anlas geben ungeduldiger mit ihnen zu werden, und unfreund - licher mit ihnen zu handeln. Hingegen das Bild des Guten, das ſie noch in der Welt ausrichten, und die Umſtaͤnde und Anlaͤſſe, bey denen ſie ihre Erfahrungen brauchen konnten, die Menſchen, die hinter ihnen aufwachſen, auf diejenigen Sachen aufmerkſam zu machen, die ihnen vorzuͤglich zum Nutzen oder Schaden gereichen koͤnnten, und beſon - ders, wie ſie hinter ihrem Grab Streit und Un - ruh, Eifer und Neid, unter ihren Nachkommen vorbiegen konnten.

Das alles las er ihnen in liebreichen, ſorgfaͤl - tigen, und ihr Alter ehrenden Ausdruͤcken vor; und erquickte ihr Herz mit der Liebe, mit der er ſich ihnen anbot, an ihrer Statt alles zu thun, was ihnen in ihrem Alter und in ihrer Schwaͤche zu ſchwer fallen wuͤrde, wenn ſie es ihm nur ſagen, und machen, daß nichts verſaͤumt werde, und ſie ruhig ihrem nahen Fortgang aus dieſer Erde ent - gegen ſehen koͤnnen.

Die Alten knieten nicht vor dem Altar, ſie ſaßen auf Baͤnken.

Z 3358

Nach ihnen kamen die Hausvaͤter und Haus - muͤtter, und er ſagte zu ihnen ſeyd ihr wie ein guter Baum, der da ſteht voll reifer Fruͤchten? Dann las er: Das iſt die Pruͤfung eines Vaters und einer Mutter, ob ſie in der Liebe wandeln vor dem Herrn ihrem Gott !

Wendeſt du die Kraͤfte deines Leibs und dei - ner Seele an, daß es deinen Kindern in Zeit und Ewigkeit wohl gehe? Weißeſt du, daß deine Kinder das Ebenbild Gottes ihres Schoͤpfers in ihrem Innerſten herumtragen? Und heiligeſt du ſie zu einem Tempel der Herrlichkeit Gottes die in ihnen wohnet? Oder iſt deine Liebe zu ihnen blos die Liebe des Thiers das ſeinen Jungen an - hanget? Kenneſt du die Beduͤrfniſſe der Seele, und den Segen des Friedens, und die Ruhe des Herzens? Biſt du eben ſo geſchaͤftig ihren See - len Nahrung zu ſchaffen, und ihren Geiſt zu beklei - den als ihren Leib? Weißeſt du, daß wenn du ihre Seelen verſchmachten, und blos und unbe - kleidet aufwachſen laͤßeſt, ſie verwildern, und wie die Thiere der Felder werden, wie die wilden Thiere, die man abthun und ausrotten muß von der Erde, damit das Leben und das Eigenthum des Menſchen vor ihnen ſicher ſey? Weißeſt du, daß deine Hausordnung das Meiſte dazu beytraͤgt, ihre Seelen gut zu bilden, und ſie vor allem Boͤſen zu bewahren? Wacheſt du in dieſem Geſichts -359 punkt d[e]ſto ſorgfaͤltiger uͤber alle Theile deines Hau - ſes? Beteſt du mit ihnen? Weißeſt du ſie in den Uberwindungen des Lebens auf Gott hin? daß ſie ruhig bleiben bey der Laſt des Lebens in ihrem Herzen. Thuſt du ihnen nichts, als wahrhaft Gutes? Laͤßeſt du ſie an Leib und Seele in nichts ſchwach und krumm werden? Bringſt du den Segen deiner Aeltern zum ſichern Zeichen deiner Liebe und Treu ungeſchwaͤcht auf ſie herab? Gehet das Gut deiner Aeltern in deiner Hand nicht fuͤr ſie verloren? Und werden deine Kinder hinter dir nicht ſeufzen und klagen, mein Vater und meine Mutter haben mir Unrecht gethan, und ich bin um der Fehler ihres Lebens willen eender geworden, als keine Waiſe?

Ihm antwortete der erſte der Hausvaͤter: Auch wir ſind ein ſchwaches Geſchlecht, und die Seele unſerer Kinder iſt oft und viel ſo wenig in unſerer Hand, als ihr zeitliches Gluͤck; dennoch aber lehre uns unſere Kinder bewahren, wie unſern Augapfel, Diener des Allerhoͤchſten!

Dann las er ihnen das Bild eines ſchlechten und eines guten Hausvaters, und dasjenige einer ſchlechten und einer guten Hausmutter vor, und mahlte mit wahren und ſtarken Farben die Haupt - ſachen einer guten Hausordnung, ſo wie die Haupt - fehler einer ſchlechten Hausordnung und einerZ 4360ſchlechten Kindererziehung deutlich ab, mit Dar - ſtellung der vielerley Folgen, die beydes auf Aeltern und Kinder bis auf das Todbett der erſten, und auf die Nachkommenſchaft der andern habe, und haben muͤſſe.

Nach ihnen kam die reife Jugend des Dorfs; feyerlicher noch als die andern wurden ſie von ih - ren Aeltern und Großaͤltern herfuͤr zum Altar ge - fuͤhrt; und wann ſie knieten, ſtund der Kreis ihrer Aeltern und Großaͤltern rings um ſie herum, und falteten die Haͤnde vor der Gemeinde, dann ſagte der Pfarrer

Soͤhne der Vaͤter! und Toͤchter der Muͤtter, die euch zum Altar Gottes bringen! Was ſeyd ihr? Was werdet ihr werden? Warum kom - met ihr hieher?

Ein Augenblick darauf

Du unſere Hofnung und unſer Stolz, bluͤ - hende Jugend! du biſt wie ein Garten in ſeiner Pracht; aber wiſſe, die Erde naͤhret ſich von den Fruͤchten des Felds, nicht von der Zierde der Gaͤr - ten, ruͤſte dich auf die Tage, wo du ohne Zierde und ohne Schmuck das Werk deines Lebens wirſt verrichten muͤſſen. Aber die Tage entſcheiden uͤber die Frucht des Weinbergs und der Baͤume, und der Gebrauch der Stunden deiner itzigen Zeit, ent - ſcheidet uͤber den Werth deines Lebens. Im Som -361 mer deines Lebens, und im Herbſt deiner Tage, wirſt du umſonſt dann Weisheit ſuchen, wann du ſie izt nicht ſucheſt, vergebens die Kraͤfte wuͤnſchen, die du izt nicht uͤbeſt. Was du izt verlierſt, wirſt du nie wieder finden; und was du verſaͤumſt, wird dir verſaͤumt ſeyn, bis an dein Grab.

Dann las er ferners

Das iſt deine Pruͤfung, bluͤhende Jugend! ob du in der Liebe wandelſt vor dem Herrn dei - nem Gott?

Nimmſt du zu in allem Fleiß? In aller Ordnung, in allen Kenntniſſen des Lebens, und in allen Vorzuͤgen der Seele? Wachſeſt du auf zum ſichern Troſt deiner Aeltern Sind ihre Bemuͤhungen an dir nicht verloren? Macht deine Liebe, und dein Dank, ihnen ihr Leben leicht? Und ſorgſt du fuͤr dich ſelber, wie ein Menſch in deinem Alter, der mit Ehren zu grauen Haaren kommen will, thun muß? Kenneſt du die Beſtimmung und die Gefahren des Lebens, und die Schreckensabgruͤnde der Wege in deinen Jah - ren? Flieheſt du den Schein des Uebels, damit dich das Uebel nicht ſelber ergreife? Kenneſt du die Schwaͤchen deines Geſchlechts? Und laͤſſeſt du dich warnen vor der Menge der Menſchen, die ſich in Gefahr begeben, und vor deinen Augen dar -362 inn umkommen? Kenneſt du den Schaz, den du in dir ſelber herumtraͤgſt, die Tage deines Le - bens zu ſchmuͤcken? Und die Stunde deines Abſterbens zu erheitern?

Soͤhne und Toͤchter meines Volks! ihr pruͤfet euch vor dem Altar unſers Gottes, ob ihr in der Liebe wandelt? Ich aber frage euch, iſt keiner unter euch der Moͤrder des andern? Denn wiſ - ſet, wer einen Menſchen verderbt mit ſeiner Suͤn - de, der iſt ein Moͤrder. Du, unſere Hofnung unſer Stolz! bluͤhende Jugend! niedergebuͤckt vor dem Altar Gottes, an der Seiten deiner Aeltern und vor der ganzen Gemeinde, muß ich dir ſagen, es ſind Soͤhne der Erden, die die Toͤchter des Lan - des wie Raubvoͤgel die Unſchuld einer Taube wuͤr - gen, und ſie dann liegen laſſen in ihrem Elend wie ein Aas in dem Wald. Wiſſe, o du Hofnung un - ſers Volks, und du unſer Stolz! es ſind Toͤchter auf Erden, die den Knaben Schlingen legen auf Leben und Tod, und die Soͤhne des Lands mit dem Gift ihrer Wuth toͤdten, und die Frucht ihres Leibs erſticken, wie kein Vieh auf der Erde die Frucht ſeines Leibs erſtickt.

Beuge dich nieder, Krone unſers Haupts! vor dem Altar der Liebe, und frage dich ſelbſt, iſt keiner des andern Moͤrder? Und erkenne die Schwaͤ - chen deines Geſchlechts, und die Gefahren deines Alters !

363

Dann antwortete ihm der aͤlteſte der Juͤng - linge

Es iſt wahr, wer immer ſeinen Nebenmen - ſchen in der Suͤnde verdirbt, der iſt ſein Moͤrder, Diener des Allerhoͤchſten! werde nicht muͤde, uns ferner die Schwaͤchen unſers Geſchlechts, und die Gefahren unſers Alters zu lehren!

Dann las er auch ihnen das Bild ihrer Ta - gen, und das junge Volk hoͤrte kniend der Leiden - ſchaften Gefahrem, und die Schreckensgeſchichte der Wolluſt, vom Anfang der Schamhaftigkeit bis an die Graͤnzen der Selbſtverheerung, und die Ab - gruͤnde des Kindermords, und dann auch die Mit - tel der Weisheit und Gottesfurcht, gegen dieſes Verderben der Schwaͤche unſerer Natur.

Nach dieſem wandte er ſich an ihre Aeltern, und ſagte: Nehmet von ihnen das heilige Verſpre - chen, das keines das andere ungluͤcklich machen wolle!

Dann giengen die Reihe der Soͤhne und die Reihe der Toͤchter zu ihren Vaͤtern und Großvaͤ - tern, die hinter ihnen ſtunden, verſprachen ihnen, ihre Haͤnde in die Haͤnde ihrer Aeltern gelegt, daß ſie zu einander Sorge tragen, und einander nicht ungluͤcklich machen wollen.

Nach ihnen kamen die Witwen und Waiſen; dann ſtund die ganze Gemeinde auf, und der Pfar -364 rer redete mit der Gemeinde, als mit den wahren Aeltern und Pflegvaͤtern der Witwen und Waiſen; dann las er auch die Pruͤfung der Witwen und Wai - ſen, und das Bild ihres Zuſtands.

So endete ſich die Pruͤfungsſtunde des Volks in Bonnal am Abend vor den heiligen Feſten.

Den folgenden Tag, als am Feſte ſelber, wie - derholte der Pfarrer faſt mit aͤhnlichen Worten einer jeden Klaſſe ſeiner Pfarrkinder das Weſentliche die - ſer Pruͤfung, in dem Augenblick vor dem Genuß des Mahls der Liebe, und nach dieſer heiligen Handlung ſagte er zum Volk

Irret euch nicht! Die Liebe beſtehet nicht in Einbildungen und Worten, ſondern in der Kraft der Menſchen, die Laſt der Erden zu tragen, ihr Elend zu mindern, und ihren Jammer zu heben.

Der Gott der Liebe hat die Liebe an die Ord - nung der Erde gebunden, und wer fuͤr das, was er in der Welt ſeyn ſoll, nicht in der Ordnung iſt, der iſt auch fuͤr die Liebe Gottes und des Naͤchſten in der Welt nicht in der Ordnung. Wer immer nicht iſt, was er ſeyn ſoll, nicht kann, was ſeine Pflicht iſt, und zu dem nicht taugt, was ihm ob - liegt, dem mangelt die erſte Kraft der reinen Liebe Gottes und des Naͤchſten.

365

Sie iſt nicht ein Traum, und nicht wie das Saͤuſeln des Windes, das ſanft in deinen Adern ſchlaͤgt, und nicht wie das Wiegen eines Kinds, das unter dem Singen der taͤndelnden Amme ent - ſchlaͤft.

Alle Liebe der Menſchen, die ohne Kraft und ohne Wirkung iſt, iſt ſo viel als keine. Ohne Le - bensweisheit, ohne Lebensſtaͤrke, ohne Ueberwin - dungskraͤfte, ohne Hausordnung, ohne eine vor - ſichtige, bedaͤchtliche, und die Grundfeſten des menſchlichen Wohlſtands, feſthaltende Seelenſtim - mung, iſt ſie nichts anders, als die gleiche thieri - ſche Theilnehmung, die faſt ein jedes Thier beym Leiden eines andern ſeiner Art zeiget; aber dieſe Art bloßer Thierliebe iſt im buͤrgerlichen Leben Nichts und minder als Nichts werth, ſie iſt gaͤnz - lich Verdienſt-leer und Wirkungs-los Sie hilft Niemanden, ſie bringt Niemanden in Ordnung; was ſie will, das kann ſie nicht: was ſie verſpricht, das haltet ſie nicht; was ſie anfaͤngt, das gera - thet ihr nicht ſie macht den Hungrigen nicht ſatt ſie hat den Durſtigen nichts zu trinken ſie macht den Frierenden nicht warm ſie laͤßt den ſinkenden im Koth kurz, ſie betruͤgt, ihre Hofnungen ſind leerer Schein ſie nimmt dem Menſchen was er hat, und giebt ihm nichts wie - der, und thut Niemanden darmit wohl. Der Menſch iſt nur in ſo weit wahrer wirkſamer Liebe366 faͤhig, als er den Naturfehlern ſeines Geſchlechts Meiſter, den Leichtſinn, die Gedankenloſigkeit, die Traͤgheit, die Unwiſſenheit, die Unbedachtſamkeit, die Leichtglaubigkeit, den Starrſinn, die Tollkuͤhn - heit und Gewaltthaͤtigkeit des wilden Naturlebens beſiegen gelernt, und fuͤr ſeinen Beruf, und fuͤr ſeine Umſtaͤnde zuverlaͤßig, arbeitſam, bedaͤchtlich, uͤberlegend, anſtellig gebildet, und als zu einem eben ſo gutmuͤthigen als weiſen Betragen gegen alle ſeine Nebenmenſchen geſchickt gemacht worden.

So eng band er die Grundſaͤtze ſeiner buͤrgerli - chen Volksbildung an die Religionsbegriffe, und an die Andachtshandlungen deſſelben; hielt beſon - ders dafuͤr, alle gottesdienſtliche Verſprechen muͤſſen ſo viel als moͤglich ihre buͤrgerliche Kraft haben, und der Wortbruch gegen gottesdienſtliche Verſpre - chen muͤſſe nothwendig auch buͤrgerlich entehren. Er brachte darum eine ſolche Deutlichkeit, Be - ſtimmtheit, Offenheit, und Feyerlichkeit in dieſel - ben, und arbeitete mit eben der Sorgfalt, mit der er im buͤrgerlichen Leben dem Leichtſinn, der Ge - dankenloſigkeit, und der Wortbruͤchigen Untreu ent - gegen arbeitete, eben ſo dieſen Fehlern in allen Re - ligionshandlungen entgegen, indem er es fuͤr das Fundament des reinen wahren Gottesdienſts achtete, daß der Menſch mit dem Werk ſeiner Andacht we - der ſich ſelbſt betruͤge, noch dem lieben Gott ein Blendwerk damit fuͤr die Augen machen wolle. Er367 that das beſonders in Abſicht auf die ſo auffallend und allgemein misbrauchte Verſprechen bey den Taufhandlungen, und hob die alte Form, Gevat - terleute zu erbitten, gaͤnzlich auf; und verordnete dagegen, daß ein jeder Vater den Perſonen, die er zu Taufzeugen ſeines Kindes ſuche, ſeinen Wunſch durch den Pfarrer des Orts muͤſſe anzeigen laſſen; welcher dann eine beſtimmte Antwort von denſelben zu fodern habe, ob ſie ſich in der Lage befinden, und mit gutem freyem Willen bereit ſeyen, den Wunſch des Vaters in ſeiner ganzen Ausdehnung mit allem Ernſt, und mit Ruͤckſicht auf die Folgen, welche ein ſolches Verſprechen auf ſie haben koͤnn - ten, zu entſprechen? Die Angefragten waren voͤllig frey, dieſe Bitte abzuſchlagen; wenn ſie ſie aber annahmen, ſo mußten ſie ihr Verſprechen bey dem Pfarrer ſchriftlich niederlegen, der es nicht dem Vater zuſtellte, ſondern zu Handen der Gemeinde, und zu ihrer allfaͤlligen Sicherheit aufbehielt. So wie auf der andern Seite der Vater eben ſo be - ſtimmt dem Pfarrer zu Handen der Gemeinde ſchrift - lich geben mußte, daß er die erbetenen Taufzeugen ſeines Kinds wirklich fuͤr faͤhig, geneigt, und im Stand halte, ihm in Abſicht auf daſſelbe an die Hand zu gehen, und daß er ſelbige um deßwillen zu dieſem Endzweck fuͤr dieſen Chriſtendienſt ange - ſprochen. Wer Niemanden fand, der eine ſo ernſthafte Verpflichtung fuͤr ſein Kind auf ſich neh -368 men wollte, dem mußte die Gemeinde, das iſt, die Kirche, die Pathenſtelle vertreten; die Vorgeſezten uͤbernahmen die Pflichten dieſer heiligen Verbind - lichkeit, und bey Arners Ordnung mangelten ſie nicht, dieſelbe zu erfuͤllen.

Auch die heuchleriſchen Taufzedel, in denen Schaaren verlaſſener Wuͤrmchen von ihren Tauf - zeugen dem lieben Heiland uͤbergeben werden, wie der Joſeph von ſeinen Bruͤdern den Arabern, damit er nicht umkomme, aber ihnen doch aus den Au - gen verbot er. Die Pfarrer, ſagte er, ſollen Taufſcheine machen, und das ſey genug. Der Misbrauch dieſer Heuchlerzedel empoͤrte ihn aͤußerſt. In der Zeit, da er hierinn dieſe Aenderung traf, ſagte er mehrmalen, wann er die Stube auf - und abgieng, zu ſich ſelber, Gottesdienſt! Gottesdienſt! was machſt du aus den Menſchen? wenn deine Handlungen keine buͤrgerlichen Verbindlichkeiten ha - ben, und blos auf den ſchwankenden Sinn einer Gutmuͤthigkeit ruhen, die jeder Wind wehet, wo - hin er will! Arner wollte es nicht ſo; er bauete den Gottesdienſt auf den Einfluß ſeiner geſezgebe - riſchen Volksbildung, die den Geiſt ſeiner Bonnaler in allen Sachen auf das Weſentliche derſelben auf - merkſam, und fuͤr daſſelbe real betriebſam machten.

Daß das Kind in der Wiegen verſorget, daß das Alter am Rande des Grabes beruhiget, daßdie369die Wange der Witwe, und das Auge der Waiſen thraͤnenlos ſey, daß das Herz des Knechts nicht verhaͤrtet, und die Unſchuld der Magd nicht ver - ſchmaͤhet, und ein jedes im treuen Dienſt ſeines Lebens Befriedigung finde, das war das Ziel ſei - ner gottesdienſtlichen Lehre; und er baute die Mit - tel, zu dieſem Ziel zu gelangen, auf diejenige See - lenſtimmung des Volks, welche zu aller Weisheit, zu allem Recht, und zu aller Ordnung des buͤrgerli - chen Lebens die allervorzuglichſte iſt.

§. 62. Dahin zielte ich von Anfang Und wenn du Nein ſagſt Leſer! ſo muſt du zuruͤckgreifen, und zu vielen vor - hergehenden Nein ſagen.

Auf dieſer Bahn, nemlich durch die Feſthaltung der Grundſaͤtze ſeiner geſezgeberiſchen Volksbil - dung, kam er dahin, den wahren und einzigen Weg zu entdecken, auf welchem die hoͤhere Endzwecke einer weiſen Staatsgeſezgebung zuerzielen, na - mentlich

  • Erſtlich: Die Vereinfachung der Abgaben des Staats.
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  • Zweytens: Die Sicherſtellung des wirklichen Genuſſes buͤrgerlicher Rechte fuͤr die niedere Menſchheit.
  • Drittens: Die Befreyung des Volks von dem Druck der Knechtſchaft, die auf dem Landei - genthum ruhet.
  • Viertens: Die Sicherſtellung niedern Men - ſchen vor den ruinirenden Folgen, welche die Feuersbruͤnſte, Waſſerſchaͤden, Hagelwetter und Viehvreſten auf ſie haben.
  • Fuͤnftens: Die Moͤglichkeit den Militairdienſt fuͤr die Sitten, die Bevoͤlkerung und den Wohl - ſtand des Volks minder ſchaͤdlich zu machen.
  • Sechstens: Die außerordentliche Staatsabgaben ohne verheerenden Druck auf das niedere Volk zu beſtreiten, und
  • Siebendens: Ueberhaupt einen merklichen allge - meinen Vorſchritt in dem Wohlſtand und der Bevoͤlkerung des Lands mit zuverlaͤßiger Si - cherheit auf Kind und Kindeskinder herunter zu bringen.
  • Achtens: Und endlich das Schwert der Gerech - tigkeit in der Scheide wahrhaft menſchlicher Grundſaͤtze halten, und die andern Menſchen mit ſo gefaͤhrlicher Schaͤrfe nicht unſchuldig zu verletzen.
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In dieſem allem fand Arner in der einfachen Aufmerkſamkeit auf die buͤrgerliche Bildung ſeines Dorfs gebahnte Wege.

Leſer! es iſt kein Traum, die gute Bildung des Volks zur Induſtrie iſt die einzige moͤgliche Bahn zu allen dieſen Endzwecken. Und Geſez - geber! Geſezmacher! und Fuͤrſten! wollt ihr dieſe nicht, ſo findet ihr keine und kommt in kei - nem einzigen von allen hoͤhern Endzwecken einer weiſen Geſezgebung auf tauſend Schritte nicht, auch nur zu einem Anſchein eines vernuͤnftigen Ziels doch ich rede ja nicht mit Fuͤrſten, und haͤtte wirk - lich ohne dieſe Anmerkung fortfahren koͤnnen.

Es war nun Jahr und Tag verſtrichen ſeit ſeiner Krankheit, die Raͤder ſeines Werks giengen alle ihren ſtillen Gang fort, und alle Anſtoͤße wur - den mit jedem Tag ſchwaͤcher.

Wo der Grund und Boden geruͤſtet, da wach - ſen die Fruͤchte des Feldes, und die Pflanzen des Gartens heben ſich von der Erde empor, wenn die Hand des Gaͤrtners ihnen nie mangelt ſie man - gelte in Bonnal der kleinſten Pflanze ſo wenig als dem erſten Baum des Gartens die feſte und gute Ordnung, die in allem war, hob den Geiſt des Menſchen hoͤher empor, als er da empor ſteigen kann, wo keine Ordnung iſt, und der Leiter, dieA a 2372man ihm zum Steigen darſtellt, nichts mangel[t]als alle Sproſſen.

Der neue Vogt, der den Einfluß der immer groͤßer werdenden Geldmenge, die in der Welt in Umlauf gebracht wird, auf die gaͤnzliche Veraͤnde - rung der Umſtaͤnde des Volks tief kannte, und ein - ſah, wie alle Fundamente ſeiner buͤrgerlichen Si - cherheit und ſeines haͤuslichen Gluͤcks von dieſer Geldmaſſe, und von der mehr und mindern Sorg - falt die der Menſch fuͤr denjenigen Antheil, der ihm davon zukommt, hat, gaͤnzlich abhange that izt einen Schritt, der Arnern und den Lieutenant ſelber in Erſtaunen ſezte.

Er trug nemlich der verſammelten Gemeinde vor, es ſey moͤglich, durch Einrichtungen und Er - ſparniſſen, die ihnen gar nicht ſchwer fallen wer - den, innert 25 Jahren zu einem Kapital zu gelan - gen, welches vollkommen genugſam ſey, die herr - ſchaftlichen Gefaͤlle und die Abgaben, die ſamt und ſonders auf ihrem Land, wie durch einen ewi - gen Zins haften, von dieſem Kapital alſo zu be - ſtreiten, daß ſie dannzumalen alle dieſe Gefaͤlle ſo viel als getilget, und ihre Guͤter und Perſonen von herrſchaftlichen Abgaben in ſo weit als befreyt anſe - hen koͤnnten.

Er bewies ihnen zuerſt mit den Amtlichen - Rechnungen, daß die ganze wirkliche Einnahme,373 welche die Herrſchaft von allen Gefaͤllen aus ihrem Dorf ziehe, noch in keinem Jahr vollends auf die Summe von 1200 Gulden gekommen; daß folg - lich, um der Herrſchaft zu allen Zeiten den Werth ihrer Einnahme ſicher zu ſtellen, und auch noch dem Werth, den die Verbeſſerung der Guͤter moͤg - lich machen koͤnnte, gewachſen zu ſeyn, nicht mehr als 40000 Gulden Kapital erfordert w[e]rde: dieſes feſtgeſezt, bewies er dann mit der Kreide in der Hand, und mit der großen Bauernzahl auf dem Gemeindtiſch, um den ſich alles was rechnen konn - te, und alles, was zur Sache auch ohne Rechnen immer ein Wort redte, herumdraͤngte, daß wenn ſie ſich entſchließen wollen

  • 1) Anderthalb Kreuzer von jeder Garbe, die einer ſchneide, jaͤhrlich fuͤr den Steuerfond bei - ſeits zu legen, und zu bezahlen.
  • 2) Alle noch uͤbrige Weiden dem Hoͤchſtbieten - den ſo lang zu gaͤnzlich freyer Benutzung zu uͤber - laſſen.
  • 3) Die vom Junker ausgetheilten Weiden, ſo wohl die, ſo zu Buͤndten, als die ſo zu Matten gelegt worden, fuͤr ſo viele Jahr mit dem halben Zins ihres gegenwaͤrtigen Zinſes zu belegen, alſo daß einer, deſſen Stuͤck Land 100 Gl. werth waͤr, ſo lang jaͤhrlich davon 2 Gl. an den Steuerfond bezahlen muͤßte; und endlich
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  • 4) Die Einnahme und Beſorgung dieſer Gel - der ohne alle Koͤſten, was Namens ſie auch ha - ben wuͤrden, beſorgt werden muͤßte.

So wolle er mit Haab und Gut davor ſtehen, die - ſes Kapital muͤſſe innert 25 Jahren beyeinander ſeyn. Dann bemerkte er noch, was er anbringe, ſage er nicht als Vogt, ſondern als Buͤrger, auch nicht um des Junkers willen und zu ſeinem Dienſt, ſondern um der Gemeinde, und ihrer und ſeiner ei - genen Nachkommenſchaft willen. Das freute die Bauern beſonders; und der Vogt ließ noch ein paar Worte fallen, wie viel leichter es dann ihren Kindern ſeyn werde, auf einen gruͤnen Zweig zu kommen und kam dann auch dem Einwurf vor, daß anderthalb Kreuzer viel gerechnet ſey auf eine Garbe, indem er ihnen zeigte, daß ſie die Summe, die dieſe Schatzung einem jeden betrage, nicht ei - gentlich nach dem Werth der Garben berechnen, ſondern vom Ganzen ihres Jahreinkommens abzie - hen muͤßten gieng dann mit ihnen in die Um - ſtaͤnde ihrer Ausgaben und ihrer Einnahmen hin - ein, und zeigte ihnen, immer mit der Kreide in der Hand, voͤllig mit ihrer Bauernzahl und Ord - nung, wie viel jaͤhrlich unnoͤthiger Weiſe von ih - nen verbraucht werde, und wie viel ſie ohne Muͤhe[er]ſparen koͤnnen, wenn ſie ſich darnach einrichteten. Es kam Sonnen klar hinaus, daß ſie den Steuer - fond, wie er geſagt, zuſammen bringen koͤnnen,375 wenn ſie nur wollten. Er brachte einen jeden Ein - wurf in Anſchlag; er blieb keinem einzigen ein Wort ſchuldig; war auch gegen den Duͤmmſten, der ihm widerſprach, geduldig; und hatte ſo we - nig, als vor 40 Jahren, da er noch bettelte, den gewoͤhnlichen Vorgeſezten Ton, der immer alles, was die Bauern ſelber machen, und ſelber wollen ſollten, verdirbt. Zulezt ſagte er, ich weiß, es iſt keiner da, der nicht lieber ſeinen Kindern ſein Land, Bodenzins, Zehnden - und Steuerfrey hin - terlaſſen wollte, um doppelt ſo viel Gut als er be - ſizt, und keiner, der nicht erkennt, es waͤre auf die erſte Manier beſſer fuͤr ſie geſorgt, als auf die lezte; und dann auch, daß keiner da ſizt, der nicht uͤberzeugt iſt, daß wir dieſe Summe zuſammen bringen koͤnnen, wenn wir nur wollen.

Wer die Bauern kennt, der weiß, daß ſie ſich dafuͤr faſt haͤngen laſſen wuͤrden, ihr Land Zehn - den - Bodenzins - und Steuerfrey zu bekommen. Stelle dir alſo vor Leſer! was dieſer Vortrag auf ſie fuͤr einen Eindruck gemacht! Ein Heide iſt nicht ſo luͤſtern nach dem Raub, als ſie nach der Zehn - den-Freyheit waren; ſie ſtuͤzten ihre Backen, kraz - ten im Haar, und thaten viel anders d[a]s zeigte, wie gern ſie moͤchten, aber auch, wie ſehr ſie nicht trauten. Ihrer etliche ſagten ihm, du machſt uns das Maul verflucht waͤſſerig aber

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Was aber? ſagte der Vogt. Und ſie Du weißſt wohl, der Teufel iſt ein Schelm; wir koͤnnen 25 Jahr zuſammen legen, und dann koͤnnte einer das Geld an einem Regentag in ſeinen Sack ſchieben, und weg tragen, wie wenn es ſein waͤr.

Vogt. Dieſem muͤſſet ihr vorbiegen.

Bauern. Koͤnnen wir das?

Vogt. Ja freylich.

Bauern. Das iſt bald geſagt, aber nicht bald bewieſen.

Vogt. Ihr wißt doch, daß ein jeder Herr ſein Geld ſicher anlegen kann, wenn er will.

Bauern. Das wiſſen wir freylich.

Vogt. Aber warum ſollten wir das gleiche nicht auch koͤnnen?

Bauern. Weil wir Bauern ſind, und die Herren mit unſerm Geld nicht ſo viele Komplimente machen als mit Herrengeld; und denn verſtehen wir das auch nicht ſo wie ſie.

Vogt. Ihr ſaget zwey Gruͤnde; gebt izt Achtung; ich will euch auf beyde antworten: Erſt - lich ſaget ihr, ihr verſtehet es nicht mit dem Geld anlegen, das mag fuͤr euch wahr ſeyn, fuͤr mich iſt es nicht wahr, ich verſtehe das Geld anlegen, und kann euch dienen; aber ich begehre gar nicht, daß ihr mir trauet; im Gegentheil, ich anerbiete euch377 fuͤr jeden Heller, den ich euch anzulegen rathen werde, kanzleyiſche Sicherheit auf mich ſelbſt, und alles was ich beſitze, aber mit dieſem hoffe ich dann, werde dieſer Einwurf gehoben ſeyn.

Dann ſaget ihr ferner, die Herrſchaften ma - chen gar wenig Komplimente mit dem Bauerngeld, das iſt wahr; aber ich muß euch doch ſagen, es iſt auch hierinn nicht mehr wie vor alters, und es wird alle Tage, auch fuͤr die groͤſten Herren immer mehr eine kizliche Sache, Gewalt gegen anderer Leuten ihr Geld zu gebrauchen; aber wir muͤſſen gleichwohl gegen die Herrſchaft hierinn ſo zu Werk gehen, als wenn man das Schlimmſte von ihr zu befuͤrchten haͤtte, und wann wir ſo etwas zu Stand bringen wuͤrden, ſo muͤßten wir hoͤhern Orts als nur be[y]Arner unſere Sicherheit ſuchen.

Bauern. Aber duͤrften wir ihm zeigen, daß wir ihm nicht trauen?

Vogt. Ja freylich! es duͤrfen Kaͤſehaͤndler und Uhrenkraͤmer vom Koͤnig in Frankreich Sicher - heit fodern, wann ſie ihm Geld liehen. Man macht in der ganzen Welt hieruͤber keine Kompli - mente mehr mit einander, es iſt auch kein Koͤnig der izt mehr fodert, daß man ihm blind traue.

Bauern. Alſo meyneſt du, wir koͤnnten das Geld anbinden, daß es ſicher angebunden waͤre?

378

Der Vogt verſicherte ſie noch einmal, daß ſie es gewiß koͤnnen, und daß er ihnen gut dafuͤr ſte - hen wolle.

Wenns ſo iſt, ſagten die Bauern, ſo iſt es was anders, und es laͤßt ſich der Sache nachſinnen

Er redete noch eine Weile mit ihnen, zeigte ihnen in allem, wie, wo, und wann; ſagte ihnen auch noch das, wer gar nichts ſezt, kann auch nichts gewinnen; ließ ſie dann heimgehen, und den folgenden Tag, nach uͤbernaͤchtigen Rath, nahmen ſie ſeinen Vorſchlag in allen Theilen an, beſchloſſen mit dem neuen Jahr den erſten Beytrag an dieſen Steuerfond zu leiſten, und dann in zwey oder drey Jahren zu ſehen, wie es mit der Sicherheit fuͤr dieſes Geld einzurichten.

Wie geſagt, der Junker und der Lieutenant erſtaunten uͤber dieſen Entſchluß. Man iſt den Geſchaͤften nur Narren gegen die Donnersbauern, wenn ſie einmal einer Sache recht auf der Spur ſind, ſagte der Lieutenant und der Junker ich habe noch nichts geſehen, daß dieſem Entſchluß aͤhnlich iſt und machte eilends den Vogt ins Schloß kommen.

Dieſer glaubte, ſein Schritt habe misfallen, aber ſein Entſchluß war genommen, will man das nicht, ſo will ich nicht Vogt ſeyn. Er ſagte den379 geraden Weg, entweder muß der Zuſtand des Volks auf einen feſten Fuß geſezt werden, und es muß Dorf, als Dorf, und im Großen ſo gut frey ge - ſtellt werden, aus ſeinen guten Umſtaͤnden, ohne Nachtheil und zum Nutzen der Herrſchaft fuͤr ſeine Nachkommen, wahre und weſentliche Vortheile zu ſuchen, als es einem jeden einzelnem Menſchen er - laubt iſt, dieſes zu thun, oder es kommt nichts heraus. Er murrete bey ſich ſelber, es waͤre ja, wenn man dieſes nicht erlauben wollte, vollends, wie wenn man einem ſagte, du darfſt in einem Haus ſo viel ſchoͤne Zimmer machen als du willt, aber die 4 Hauptwaͤnde des Hauſes darfſt du nicht in Stand ſtellen, daß ſie nicht zuſammen fallen. Und er kam wie ein Jud, der auf dem Weg zu einem Markt immer mit ſich ſelber rechnet, den Kopf immer ſchuͤttelt, und das Maul nie ſtill haͤlt, diesmal ins Schloß.

Arner bat ihn, ihm zu zeigen, wie es moͤg - lich, daß das Dorf eine Summe von dieſer Groͤße zuſammen bringen koͤnnte! Der Lieutenant ſezte ſich neben den Vogt hin, rechnete Satz fuͤr Satz nach was er angab eine Viertelſtunde gieng voruͤber, und der Ausſpruch ward: Die Sache ſey moͤglich! Der Junker und der Lieutenant ſtunden eine Weile erſtaunt bey der ſo lang mis - kannten und ungenuzten erſten Quelle des menſch - lichen Wohlſtands.

380

Es war nun am Tag, ein Dorf, das mit ſei - ner Landwirthſchaft eine gut geleitete Gewerbſam - keit verbindet, und das, was es erſparen kann, ſo gut zu Rath zieht, als wohl regierte Staͤdte, und gut gefuͤhrte buͤrgerliche Haͤuſer dieſes mit ihren Erſparniſſen thun, kann ein Kapit[a]l anlegen, deſ - ſen Zins ihm alle Laſten, die auf ſeinem Land lie - gen, bezahlt. Und ein Dorf, das dies kann, kann auch ohne Maaß mehr. Der Vogt machte kein Geheimnis daraus, und der Lieutenant und der Junker ſahen es ein; ein Dorf, das im Stand iſt, auf den erſten Streich in 25 Jahren 40000 Gl. zuſammen zu bringen, iſt ſicher auch im Stand, in den naͤchſtfolgenden Jahren auf 100000 Gl. zu kommen. Es fiel auf, daß durch die - ſen Plan

Die Kraͤfte des Staats ohne Maaß erhoͤhet, die Simplifikation aller Staatsauflagen erzie - let Die Rechte der Menſchheit dem niedern Volk verſichert Eine dem Beduͤrfnis der Induſtrie und des ſteigenden Wohlſtands angemeſſene Volkserzie - hung allgemein erſtrit[t]en Die zufaͤllige Ungluͤcksfaͤlle einzelner Familien von der Geſellſchaft erleichtert, oder verguͤtet Die Landes Bevoͤlkerung ohne Maaß und mit Sicherheit erweitert 381 Der Militaͤrdienſt durch den Ueberfluß von Geld und Volk dem Land minder druͤckend ge - macht; außerordentliche Staatsausgaben ohne die geringſte Volksbedruͤckung erhoben: mit einem Wort, die hoͤhern Endzwecke einer wahr - haft weiſern Staatsgeſezgebung erzielet wer - den koͤnnen.

Es fiel auf, daß der einzige moͤgliche Weg et - was reales zur Veredlung der Menſchheit im Großen beyzutragen, auf einer weiſen Bildung des Volks zur Induſtrie ruhet; und der Lieutenant ſagte am Ende des Geſpraͤchs, es iſt wahr, Weisheit in Er - werbung und Anwendung des Gelds, iſt das Fun - dament des Menſchen, und aller Einfluß des Staats, der nicht auf dieſes Fundament gebaut iſt, richtet zum wirklichen Wohl der menſchlichen Geſellſchaft nichts ſolides und allgemeines aus.

Der Schluß war kurz: Arner verſprach dem Vogt eine Ehrenſaͤule, wenn er zu Stand bringe, worauf er angetragen; und verſicherte ihn zu Han - den des Dorfs, ihnen fuͤr jeden Heller ihrer Er - ſparniſſen, die ſie zu dieſem Endzwecke zuſammen legen werden, die hoͤchſtmoͤglichſte Sicherheit, die irgend ein Kapital im Lande haben koͤnne, von Seiten der Landsſtaͤnde zu ertheilen.

Der Vogt erwiederte dem Junker, die Eh - renſaͤule die er ſuche, ſey die Sicherheit, daß er382 fuͤr ſeine Kinder und Kindeskinder nicht vergebens gearbeitet, und ſie nicht in Lagen und Umſtaͤnde kommen, in denen bis izt ſo viel als alle Dorfleute ſeyen, daß ihr Zuſtand ganz unzuverlaͤßig, und alle Augenblicke von einem jeden Wind abhange, der uͤber ſie wehe; dieſes aber koͤnne in der Welt nicht anderſt kommen, bis alle Grundherren-Rechte nach ihrem realen Geldwerth angeſchlagen, und den Unterthanen der Weg gebahnet werde, zu ihrem und der Grundherren beyderſeitigen Vortheil, und zur Sicherſtellung und Feſtſetzung des Wohlſtand des Volks auf Kinder und Kindskinder hinab, ihre Schuldigkeiten durch vernuͤnftigen Gebrauch ihrer Erſparniſſe, und durch Kapitalien, die ſie aus den - ſelben zuſammen legen koͤnnen, zu entrichten. Wenn Arner ihm, und dem Dorf, zu dieſen helfe, ſo brauche er dann keines Steins zu ſeinem Ange - denken, er hoffe, es werde dann ſonſt bleiben. Hingegen das Anerbieten, dem Dorf von Seiten der Landsſtaͤnden Sicherheit fuͤr diejenigen Sum - men, die ſie zu dieſem Endzwecke zuſammen legen werden, zu verſchaffen, nehme er mit hoͤchſtem Dank an, und bitte ihn ſo gar von Seiten des Dorfs fuͤr dieſe Wohlthat, welche zur Ausfuͤhrung dieſes Vorſchlags aͤußerſt wichtig ſey.

383

§. 63. Er ſchaft den Galgen ab, bauet ein Spital, und ſtellt den Henker zufrieden.

Arner erkannte die Wahrheit dieſes Syſtems, tra[t]in alle Geſichtspunkte des Manns, der die Mittel und Wege die Umſtaͤnde der niedern Menſchen ſolid zu verbeſſern durch Erfahrung erkennen gelernt hatte, ein. Er fand ſeine Begriffe voͤllig uͤberein - ſtimmend mit der Richtung, welche der Zuſtand der Welt durch den immer mehr ſteigenden Geldverkehr der Menſchen in allen Klaſſen und Staͤnden ge - nommen. Die kleine Erfahrung, die ſie in ih - rem Dorf hatten, beſtaͤtigte es ihnen auffallend, wie weit die Aufmerkſamkeit auf Erſparniſſe, ſo ſie mit Hang und Ausſichten fuͤr Freyheit und verſicher - ten Wohlſtand verbanden, auch den niedrigſten Men - ſchen bringen und emporheben koͤnne.

Und der Einwurf, daß das Volk, das mit Geld ſich von jeder Kette loskaufen koͤnnte, allen Laſtern ſich ergeben, und man ſeiner nicht mehr wuͤrde Meiſter werden; dieſer Einwurf, der ſo viel geſagt wird ſo wenig Menſchenkenntniß zeigt und ſo wenig Erfahrung vorausſezt, wie eine ver - nuͤnftige Stimmung zum Geld erſparen den Men -384 ſchen bilde ſchien ihnen, wie ers iſt, in Tag hineingeredt.

Ein Volk, das ſich durch Thaͤtigkeit in gute Umſtaͤnde ſezt, und den Geſichtspunkt feſt hat, ſeine Kinder und Kindskinder darinn zu erhalten, iſt an der beſten Kette gegen alle Verbrechen, und vielleicht an der einzig realen; aber ſo es die Fruͤchte ſeiner Thaͤtigkeit ohne Ausſicht auf wahre Verbeſſerung ſeiner Umſtaͤnde, und ohne Ruͤckſicht auf die Nach - kommenſchaft nur auffrißt, durchbringt, oder ſich ſtehlen laͤßt, ſo iſt es juſt da, wo man es nicht im Zaum halten, und mit keiner Gewalt dem Ausbruch ſeiner Verbrechen, mehr als zum Schein, ſteuern kann. Die Erfahrung zeigte ihnen in ihrem klei - nen Dorf, daß die Verbrechen in demſelben in dem Maaß abnaͤhmen, als darinn die Leute ſparen ge - lernt; ſie wurden dadurch ſichtbar und allgemein minder anſteckend Und da Arner wußte, daß das untruͤgliche Kennzeichen der Zeit und des Orts, wo und wann die oͤffentliche Gerechtigkeit menſchlicher werden koͤnne, dieſes ſey, wenn die Verbrechen nicht mehr anſteckend ſind, ſo ſchafte er, ſo bald er von der ſichtbaren Verminderung derſelben und ihrer Anſteckung ſicher war, den Galgen ab, und erklaͤrte feyerlich an der Gemeinde, ſo lange kein Blutgericht in Bonnal mehr halten zu laſſen, als ſich in der Gemeinde nicht 3 Menſchen faͤnden, die nach der alten Art die Verbrechen zu behandeln, das Leben verwirkt haͤtten.

Es385

Es war an eben der Gemeinde, an welcher er den Entſchluß ihrer Erſparniſſe, zur Befreyung ihres Lands anzuwenden, lobte, und ihnen noch einmal Sicherheit von der Seite der Landsſtaͤnden ver - ſprach. Wo die Menſchen in eine Ordnung ge - bracht, und in einer Ordnung gehalten werden, daß man nicht alle Augenblicke von ihnen fuͤrchten muß, ſie jagen einander das Meſſer in den Leib, oder ſie zuͤnden einander die Haͤuſer an, da gehoͤren die Verbrecher nicht mehr an den Galgen, ſondern in den Spital, ſagte er an eben dieſer Gemeinde, und ſchenkte ihnen und ſeiner Herrſchaft ein altes Jagdſchloß mit Wall und Mauer, darinn 15-20 Juchart Land eingeſchloſſen, zu einem ſolchen Spi - tal fuͤr die Verbrecher. Das Thor am Schloß war von den Steinen des abgebrochenen Galgens aufgefuͤhrt, und das Aeußerſte des Spitals ſo ſchauer - lich und abſchreckend gemacht, als das Innere deſ - ſelben ordentlich, regelmaͤßig und ſchonend, die ar - men Leute in eine beſſere, vernuͤnftigere, und fuͤr das buͤrgerliche Leben brauchbarere Seelenſtimmung zu bringen, geſchickt, und mit aͤußerſter Sorgfalt, vieler Pſychologie, und noch mehrerer Volks - kenntnis dazu angelegt war.

Aber er mußte noch mit dem Henker abſchaffen, daß er dieſes gethan habe. Am Tag darauf ſtund er ihm vor der Thuͤr, brachte die unterthaͤnige Vorſtellung ein, daß er einmal Henker ſey, undB b386kein Brod habe, ſo der edelveſte Junker den Gal - gen abſchaffe, und auch den Pranger nicht mehr gebrauche, wie es die Zeit her geſchehen.

Arner dachte wohl, er koͤnnte ihm ſagen, er ſey noch jung und ſtark, und koͤnnte noch wohl et - was andens lernen, als Menſchen haͤngen und aus - peitſchen; aber er wußte, was das in der Welt fuͤr Schwierigkeiten habe, fand es wirklich billig, wenn die Geſellſchaft jemanden in ihrem Dienſt zu etwas mache, daß er faſt nichts mehr anders werden koͤn - ne, ſo muͤſſe ſie ihn dann auch erhalten, wie er ſey. Er fragte ihn, wie viel ihm ſein Dienſt eingetragen, da er noch nichts zu klagen gehabt? Und auf ſeine Antwort, bot er ihm das Doppelte an; und im Heimgehen wuͤnſchte dieſer herzlich, daß auf dieſe Weiſe alle Galgen in der Welt abgiengen.

Aber der Junker mußte noch mit mehrern Leu - ten, als nur mit dem Henker, abſchaffen, die durch die gute Ordnung Dienſt - und Brodlos wurden. Ich mag ſie nicht nennen.

Am Ort, wo der Galgen geſtanden, richtete er eine Saͤule auf, mit der Ueberſchrift: Das Hochgericht abgeſchaft durch gute Ordnung 1786. Run ließ er auch die Urkunden ſeines Volkfeſts oͤf - nen, und der Gemeinde vorleſen; beſtimmte den Mayen kuͤnftigen Jahrs zur erſten Feyer deſſelben;387 und mit dieſem Schritt hielt er ſein ganzes U[nter]- nehmen, in Abſicht au[f]dieſes Dorf, in allen ſeinen Theilen nun vollendet, oder damit ich mich richti - ger ausdruͤcke, vollkommen angefangen.

§. 64. Ein Bild der Welt im Wirrwarr von Irrthum und Trugſchluͤſſen.

Indeſſen vernahmen ſie in Bonnal die ganze Zeit nichts vom Herzog. Bylifsky ſchrieb zwar immer an Arner, foderte forthin Nachrichten vom Fort - gang der Sachen, billigte Schritt fuͤr Schritt was ſie vornahmen, lobte und ermunterte in jedem Brief den Lieutenant, aber vom Herzog nie keine Sylbe. Arner fand es ſelber ſonderbar, und ſagte den ge - raden Weg, es mache ihm Muͤhe. Der Lieutenant hingegen widerſprach allemal, wenn davon die Rede war, und behauptete, das aͤndere im Ganzen nichts, und man koͤnne gleich auf ihn zaͤhlen wie Gold, er habe ihm ſchon in Bonnal den Wink ge - geben, daß es ſo kommen koͤnnte, da er beym Pfarrhaus die Worte zu ihm geſagt, deren er ſich noch gar wohl erinnere: Er ſolle vollends han - deln, wie wenn er ihn nicht kennte, und wie wenn er nicht in der Welt waͤre.

B b 2388

Er hatte Recht; ſeitdem Bylifsky den Entſchluß genommen, den Dickhals in ſeiner Arbeit, den Her - zog uͤber das Bonnalerweſen erkalten zu machen, nicht zu ſtoͤren, bis es Zeit ſey, konnte er ihnen auch nichts weiters ſagen, als er wirklich that.

Es war ein Meiſterſtuͤck der treuen Ehrlichkeit, und der ſichergehenden Unſchuld gegen den hoͤch - ſten Flug des feinſten und ſchlaueſten Gegnermuths.

Er ließ Helidor vollkommen ſiegen. Der ganze Hof ſang ſein Lied. Der Herzog ſelber ſagte: es ſey mit dem Bonnalerweſen ein Traum, und nichts anders; und jedermann glaubte, Bylifsky laſſe es gelten, und ſchaͤme ſich izt ſelber, daß er ſo viel daraus gemacht.

Niemand als der Dickhals ſah was wahr war, daß der Feind ſich nur zuruͤck gezogen, und daß er ihn nichts weniger als geſchlagen, ſondern viel mehr ganz ſicher noch einen Kampf mit ihm zu be - ſtehen haben werde; er fuͤhlte auch, daß die Sie - gerſtellung, in der er zu ſtehen ſchien, nichts weni - ger als vortheilhaft fuͤr den Angriff, der ihm bevor ſtehen koͤnnte, ſey; aber es war zu ſpaͤt; der Ton war gegeben, und er konnte izt nichts mehr ma - chen, als die Umſtaͤnde abwarten, und Bylifsky beobachten, welches langweilig und ſchwer war, weil dieſer nichts that (verſteht ſich in dieſem Stuͤck) und es iſt Steintrager-Arbeit, paſſen389 und lauren, wo ſich nichts regt; und dazu machte er Bylifsky mit ſeinem Lauren noch Vergnuͤgen: das Bollaug konnte nicht anderſt, als ſich aufthun, wenn dieſer um den Weg war; ſo ſehr ſein Meiſter ſonſt ſein Geſicht und ſeine Falten in ſeiner Gewalt hatte, und ſo gern er gegen jedermann that, als ob er Niemanden achte, ſo konnte er es izt nicht mehr gegen Bylifsky.

Aber es war lange nicht ſo; ſehr lange glaubte er, er habe das Feld wirklich behauptet; und der Eindruck, den er mit dem Wort, die Welt iſt ein Narrenhaus , mit ſeiner Terne und Quaterne, und mit vielem anderm, dießfalls auf den Herzog ge - macht, habe Bylifsky mit ſeiner Traͤumerprotek - tion gaͤnzlich zum Schweigen gebracht.

Der Herzog war ſo viel als ganz abgelenkt; es that ihm freylich manchmal noch weh, das ſchoͤne Ding fuͤr Nichts zu achten, und ganz aus dem Kopf zu ſchlagen; aber Helidor wußte immer alle ſeine Launen zufrieden zu ſtellen, und ihn vergeſſen zu ma - chen, was er wollte, daß er vergeſſe. Bylifsky that ſeine Geſchaͤfte, und ließ kein Wort mehr da - von fallen. Ein einzigesmal ſagte der Herzog zu ihm: Es iſt Schade, daß auch dieſes nichts iſt, und es thut mir weh; aber es iſt wahr, die Menſchen ſind nicht in der Welt, die darinn ſeyn muͤßten, wenn man ſo etwas als eine Staatsſache ausfuͤh -B b 3390ren wollte. Ihr Durchlaucht! erwiederte Bylifs - ky, der Menſch iſt ein ſehr gelehriges Thier*)Anmerkung. Muß ich auch hier wieder - holen? Ich ſage nicht, der Menſch iſt ein Thier ich ſage nur, der Miniſter Bylifsky hat ge - ſagt, der Menſch iſt ein gelehriges Thier. , aber man muß ihm alles zeigen, was er nicht kann, und ihn zu allem anfuͤhren, was er ſeyn muß, und ſo iſt es auch mit dieſem, man muß ihn dazu anfuͤhren.

Ach Gott! ſagte der Fuͤrſt, das iſt nicht moͤg - lich, und brach das Geſpraͤch ab. Der ganze Hof meynte, er habe alles aus dem Sinn geſchlagen; und Sylvia, die auch wieder da war, und ihren Mezgerhund voͤllig wieder vergeſſen, ſtreckte den Hals wieder wie vor und ehe, und wie ſie ihn wie - der ſtreckte, wuchs in ihrem alten lahmen Seelchen der einzige Muth, der darinn Plaz hatte, der Muth, ſich zu raͤchen; ſie glaubte, es ſey izt die rechte Zeit, und erzaͤhlte die Bettlergeſchichte des verlo[ff]enen Lieutenants, und den Brodmangel des armen Manns, der zum Schulmeiſterhandwerk gezwun - gen, wo ſie konnte und mochte; und ſo, wie die Karten lagen, gab es Herren und Damen recht viele, die das gern hoͤrten, und was ſie nur wußte, und noch mehr dazu, erzaͤhlte ſie von dieſem Landſtrei - cher, der ihren guten Vetter mit ſeinen Dorfkindern bis in des Herzogs Stuben hieinbringen koͤnnen, wo391 er izt noch hange, aber vielleicht nicht lange mehr hangen werde, wenigſtens unter keinem Titel hin - paſſe. Das iſt wohl wahr, ſagte einer, der den Herzog recht gut kannte, und es nimmt mich Wun - der, wenn er ihn nicht einmal verbrennt, oder zum Fenſter hinaus wirft und erzaͤhlte, wie er den Bauernbuben die Haare abſchneide, wie er ſie ſchoͤn ſchreiben und Feldmeſſen lehre, indeſſen der blinde arme Vetter ſeimen eigenen Buben in der groͤßeſten Unwiſſenheit aufwachſen, und zu einem Bauern - toͤlpel werden laſſe, daß weit und breit wohl kein groͤßerer herum laufe; vergaß auch die ſchoͤne Frau nicht, die dem Herr Lieutenant ſein Gluͤck gemacht, und ihm die ganze ſaubere Schulordnung einge - richtet, und was das fuͤr ein Muſtermenſch ſey, und wie es mit ſeinen Kindern umgehe, wenn etwa ei - nem ein Wort entrinne, das dem Hrn. Lieutenant und Kompagnie nicht anſtehe, wenn es ſchon wahr ſey.

Das gab dem Muͤßiggaͤngervolk, das vom He - lidor ſchon auf dieſen Ton geſtimmt war, Stof, daruͤber ſein Geſpoͤtt zu treiben; und da ſie meyn - ten, der Miniſter achte es nicht, und dem Liebling ſey es Weihrauch, ſo thats jeder; man ſpoͤttelte am Spieltiſch, man laͤchelte an der Tafel, man bemit - leidete in der Geſellſchaft, man hoͤnte laut unter vier Augen; die tiefſte Niedertraͤchtigkeit ruͤhmte die Engelſeele des Junkers, der ſich zu ſolchen Narr -B b 4392heiten verleiten laſſe. En Geiſtlicher ſagte, im Himmel, im Himmel! da ſehen wir den heiligen Engeln dann gleich; aber auf Erden, ſezte der Prieſter hinzu, gehoͤrt der Bauer ins Koth, und die Obrigkeit hat das Recht zu fiſchen und zu jagen. Ein Philoſoph meynte, es koͤnnte nicht anderſt ſeyn, es muͤßte kommen wie in der verkehrten Welt, wo der Eſel dem Herrn den Bart puzt Baronen und Grafen, wenn ſie luͤmpelen, muͤßten ſo Bauern werden; und Bauern, die ſchakkerten, koͤnnten Baronen und Grafen werden, und man koͤnnte dann keine Dienſt mehr finden.

Es iſt dumm, ſagte ein anderer, das iſt ja, wie wenn das Menſchengeſchlecht in der Welt zu ſpinnen und zu weben waͤre, es iſt viel zu edel dafuͤr.

Juſt umgekehrt, ſagte ein anderer, wenn das Menſchengeſchlecht edel waͤr, ſo koͤnnte man wohl ſo etwas mit ihm probieren, aber Gott behuͤte uns vor ſeinem Adel die Quelle alles dieſes Narrenpro - bierens iſt juſt, daß man das glaubt, und das natuͤr - liche Verderben der Menſchen nicht erkennen will; aber man gehe nur aufs Dorf, ſetzte er hinzu, und pro - biere, wer einem danke, wenn man ihm etwas Gu - tes rathen will, ich habe es erfahren, ich habe auch Projekte gemacht, und es gewiß gut gemeynt aber der Menſch iſt im Grund verderbt, und nimmt das Gute nicht einmal an, wenn man ihm es noch ſo deutlich ſagt, und ſo zu reden, umſonſt zeigen will.

393

Selig wer fuͤr ſich ſelber ſorgt, ſagte ein Rau - cher, und bließ dem andern, der vor ihm zuſtund, den Knaſter ins Geſicht.

So war es izt. Selbſt der Fuͤrſt hoͤrte hie und da ein Wort von dieſem Unfug; aber er zeigte, daß er keinen Gefallen daran habe, und wich es aus mit jemand davon zu reden.

Es gab immer noch Augenblicke, da ihm das Waſſer in die Augen kam, wenn er vor Arner und ſeinen Kindern zuſtund, aber das war ihm auch nicht recht. Daß ich doch ſo ein Narr bin, und mich immer mit meinen Traͤumen plagen muß, ſagte er einmal, da ihm ſeine Augen ſo zur Unzeit daruͤ - ber naß wurden, zu ſich ſelber, ſein Herz ſchlug ihm da ers ſagte. Er blieb noch einen Augenblick vor dem Gemaͤhlde ſtehen, ſah es ſtarr an ſagte dann wie - der Nein, es iſt doch nichts als Traum ! Und einen Augenblick darauf es betruͤgt und plagt mich. Mit dem Wort warf er einen Marmor, der auf ſeinen Papieren ihm an der Hand lag, ge - gen das Gemaͤhlde hin, der gieng durch, machte mitten durch Arners Kopf einen Riß wie es ge - woͤhnlich geht, wenn Fuͤrſten einem Menſchen im Mißmuth das an Kopf ſchmeißen, was ſie in Haͤn - den haben.

Aber der Herzog ſchaͤmte ſich, ſo bald Arner das Loch im Kopf hatte, und nahm das Gemaͤhlde394 mit eigener hohen Hand von der Wand herunter, that es hinter den Schluͤſſel, wo Niemand ſo leicht hinkommt, und ſah es noch, ehe er die Thuͤr be - ſchloß, mit einer Art von Wehmuth, die ihn wie - der weinen machte, an; ſagte dann zu ſich ſelber er hat doch das nicht verdient! Aber es war nun einmal ſo; es war von der grauen Wand hin - unter, der Dickhals hieng wieder allein da wie vorher, doch wußte kein Menſch wie es gekommen, und der Herzog ſagte auch dem Helidor nicht was begegnet; aber das Affenvolk von der Aufwart glaubte es dennoch zu wiſſen, hielt es fuͤr ein un - truͤgliches Zeichen der allerhoͤchſten Ungnade, und dieſe Notables des Herzogthums, die in den Ge - maͤchern des Fuͤrſten aus - und eingehen, trieben izt die Unverſchaͤmtheit uͤber den Arner und ſein Weſen zu reden aufs Aeußerſte, ſo, daß Helidor ſelber an - fieng zu widerſprechen, wenn es zu bunt gieng; es machte ihm wirklich bang, ihr wiſſet warum, aber er konnte izt nicht mehr helfen; er hatte den Bach anlaufen laſſen, und nun war es umſonſt, dem Waſſer zu ſagen, wie weit er gern haͤtte, daß es naß mache.

Der arme General ſaß bey Hof wie auf Na - deln. Er war gekommen, und meynte ſein Vetter waͤr oben am Bret, und der Herzog werde ſicher mit ihm von ihm reden izt war es ſo, der Her - zog hatte noch kein Wort mit ihm geſprochen. By -395 lifsky wich ihn aus; und der Hof ſpottete, wenn von ihm die Rede war. Das einzige liebreiche und billige Wort, das er uͤber den Vetter gehoͤrt, war von Helidor; auch ſchrieb er ihm in den erſten 8 Tagen folgenden Brief

Armer Vetter!

Du biſt betrogen! Der Miniſter, der dir aufs Dorf hinaus ſo freundlich ſchreibt, thut hier, als wenn du nicht in der Welt waͤreſt; ich habe ihn ſo vielmal geſehen, und noch kein einzigesmal gehoͤrt nur deinen Namen ausſprechen: es ſcheint, deine Sachen muͤſſen dem Herzog auf einer Seite vorge - ſtellt worden ſeyn, daß ſie ihm mißfallen. Izt laͤßt es Bylifsky gelten, und ſchweigt von allem: Auch dein Gemaͤhlde iſt, wie ich es mir aber vorher ein - gebildet, aus dem Kabinet fort, und Helidor haͤngt wieder allein darinn. Meine Ehrlichkeit fodert, daß ich dir das alles ſage, du haſt keinen Menſchen hier, der ſich deiner annimmt; und ſo iſt doch zulezt alles wahr, was ich dir im Anfang ge - ſagt, daß du dich umſonſt plageſt; du wirſt es nicht glauben, aber wenn jemand noch hier iſt, der es gut mit dir meynt, ſo iſt es Helidor; es moͤchte mir das Herz zerſprengen, daß der andere izt ſo gegen dich iſt, wie ich ihn izt erfahren.

So ſchrieb der General, und meynte, daß das, was er ſchrieb, ſo wahr als das Wort Got -396 tes. Er hatte ja alles mit ſeinen Augen geſehen, und mit ſeinen Ohren gehoͤrt, und es fehlte ihm gar nichts, als die Urſachen und den Zuſammen - hang davon.

§. 65. Das Gewaͤſch uͤber Arners Weſen, das in Tag hinein ſo laut toͤnte, wird denn wohl enden.

Der Hof vernahm jeden Schritt, den Arner weiters that. Aber die Nachricht von der Ab - ſchaffung des Galgens, und vom Zuſammenlegen der 40000 Gulden, ſchien unglaublich; man zog Nach - richten ein; die Sache beſtaͤtigte ſich; der ganze Hof ſtaunte; und der Herzog ſagte auch bey dieſem Anlaß, der Traum iſt Himmel ſchoͤn; aber je weiter er ihn treibt, je deutlicher faͤllt es auf, daß die Ausfuͤh - rung im Großen unmoͤglich.

Man hats ja in B** und O** erfahren, daß es mit dem Galgen nicht ſo angeht, ſagte das Hofvolk

Aber es iſt doch erſtaunlich, daß es ihm angeht, ſagten einander einige Weiber dennoch ſpottete man izt mehr ſo; man hielt das Weſen nunmehr fuͤr eine Raritaͤt und fuͤr einen Guckkaſten, und es397 wurden Partheyen abgeredt, auf den kuͤnftigen Sommer das Weſen in Bonnal zu ſchauen, wie man Partheyen abredt, den Gletſcher zu ſehen, und vor kurzem auch den Micheli von Langnau. Dieſer Gang der Dingen aber gefiel dem Helidor gar nicht, er fieng an daruͤber ſehr ernſthaft zu werden; das unabaͤnderliche Schweigen Bylifsky bey ſeiner eben ſo ununterbrochenen Aufmerkſamkeit auf dieſen Ge - genſtand laſtete ihn, wie ihn noch nichts laͤſtete; es ahndete ihn, was ihm bevor ſtund; und er ver - heelte es ſich nicht, es naͤhere ein Sturm, der ihm ſeinen Sieg entreißen koͤnnte. Dieſer Menſch, ſagte er zu ſich ſelber, zieht mich durch die Stille, mit der er ſeinen Karren anhaltend fortſchleppt, in Grund. Er wußte, daß Bylifsky ſeinen Brief - wechſel mit Arnern beſtaͤndig unterhielt, und daß er ſeit ein paar Monat alle Wochen zwey Abende regelmaͤßig mit Endorf, der an der Spitze der Fi - nanz, und Nelkron, der an der Spitze der Juſtiz ſtund, ganz allein zubringe; wußte, daß dieſe zwey alte Diener des Herzogs, ſeit Anfang ſeiner Regie - rung, allen Projekten deſſelben entgegen geweſen, und ohne Widerred, in Abſicht auf den Zuſtand der Verwaltung des Lands und die Quellen ſeines Wohlſtands entſcheidende und aͤußerſt ausgebreite - te Kenntniſſe hatten. Dieſe beyden Maͤnner ſchwie - gen izt uͤber Arners Thun, wie Bylifsky; Heli - dor kam nicht dazu, ihnen ein Wort zu entlocken,398 wie ſie daruͤber denken. Er fuͤhlte, daß das Wet - ter von dieſer Seite gegen ihn anruͤcke, und war aͤußerſt betroffen; da er ſonſt mit ſeiner weiten Naſe alles ſchnell roch, hatte er doch dieſes lange nicht gerochen, und ließ es ſich vor wenigen Wochen nicht von Ferne traͤumen, daß Bylifsky in dieſer Sache mit dieſen Maͤnnern einſtimmig werden wuͤr - de, aber es war nun ſo ſie hatten es Monate lang uͤberlegt, aber nunmehr ſich beſtimmt erklaͤrt, die ehemalige Projekte des Herzogs ſeyen alle dahin aus gelaufen, man ſolle trauen und geben; von dieſem hingegen beſtehe das Weſentliche darinn, zu machen, daß man trauen muͤſſe, und vom Geben ſey gar keine Rede. Auch habe man bey den andern Projekten immer alles Gute, das ſchon da geweſen, wie nichts fortfliegen, und wie die Goldmacher das Gold im Rauch aufgehen laſſen. Arner hingegen ſuche mit der thaͤtigſten Sorgfalt ein jedes auch noch ſo kleines Gute, das ſchon da ſey, zu erhalten, zu nutz zu ziehen, und hoͤher zu treiben; auch paſſe er alles Alte ſeiner Manier an, und er uͤberfluͤgle dadurch dieſe Freßthiere wie ein Adler eine Fledermaus. Sie erkannten ſelber, er binde den Faden der Juſtiz und Finanz da wieder an, wo bis izt alle Weisheit der Kabineter ſein Ab - ſchneiden nicht hindern konnten, und wirke beſtimmt auf diejenige Stellen, und nach denjenigen Ge - ſichtspunkten, die theoretiſch ſchon laͤngſt allgemein399 als die Hauptſtellen und Hauptgeſichtspunkte, auf welche, und nach welchen man bey aller wahren Menſchenfuͤhrung wirken ſoll, anerkannt ſeyen, in - deſſen aber niemalen durch praktiſche Verſuche, mit richtiger Ueberſicht des Ganzen, alſo erprobet worden, wie er es gethan.

Sie geſtunden, die Finanz, wie ſie gegenwaͤr - tig betrieben werde, halte ſich faſt vollends nur bey der Ausbeute auf; er hingegen ſteige bis in das Innere des Bergs, und mache bey den Quellen der Ausbeute Ordnung, wo faſt noch gar nie eine ge - weſen.

Eben ſo bekannten ſie, der wahre Vortheil der Landsgerechtigkeit hange ganz von dieſer Sorgfalt fuͤr die Quellen der Finanz ab.

Nelkron ſagte deutſch, die Finanz des Staats bleibt ein ewiger Meerſtrudel, der alles, was ſich ihm naͤhert, in ſeinen Abgrund verſchlingt, und nie nichts wieder giebt; und die Gerechtigkeit iſt wie die Peſt, die oͤffentlich toͤdtet, was ſie im Finſtern anſteckt, ſo lange die Menſchen nicht zu dem ge - macht werden, was ſie ſeyn ſollen, und die Lei - tung, Fuͤhrung und Bildung der Menſchen nicht einerſeits mit ihren Umſtaͤnden uͤberhaupt, ander - ſeits mit den Beduͤrfniſſen der Finanz, und den Foderungen der Gerechtigkeit in Harmonie gebracht werden und fand einſtimmig die gute Bildung400 des Menſchen zur Induſtrie, das iſt, zur Hervor - bringung und zu Rathhaltung des Hervorgebrach - ten, oder zum Verdienſt und zur Sorgfalt fuͤr das Erworbene, ſey das einzige wahre Mittel, zu die - ſem Ziel zu gelangen, und dadurch auch der endli - chen Erreichung der hoͤhern Endzwecken der Staats - geſezgebung entgegen zu ruͤcken, und namentlich die Vereinfachung der Finanzoperationen dahin moͤglich zu machen, daß der Beytrag der einzeln Menſchen zu den oͤffentlichen Abgaben zwiſchen den Belaſteten in ein billiges Ebenmaaß gebracht, und ihre Enthebung nicht weiter durch die volksbedruͤ - ckenden Umſtaͤnde, mit denen ſie begleitet, der Quelle aller Staatsreſource ohne Maaß mehr ſchade, als der Betrag des Beytrags von Seiten der zerruͤtte - ten niedern Staͤnden ihm werth ſein kann an - derſeits den Quellen der Verbrechen zu ſteuern, die ſo ſichtbar und ſo allgemein von dem Mangel der Bildung der Menſchen fuͤr die Befriedigung der in der Welt immer wachſenden Staatsbeduͤrfniſſe her - ruͤhren.

Sie machten keine Schwierigkeit mit Bylifsky einzutreten, dem Herzog als eine Staatsangelegen - heit vorzutragen, Arners Volksbildung in ihren Grundſaͤtzen genau und mit dem Endzweck zu unter - ſuchen, den Mitteln nachzuforſchen, ihre Ausfuͤhrung allgemein zu machen.

Auch401

Auch fanden ſie zum Vorans, dieſer ſo weit gehende Vorſaz fodere keine andere Einmiſchung des Staats, als erſtlich einen oͤffentlichen Lehrſtuhl uͤber die Wiſſenſchaft der Volksfuͤhrung nach Arners Grundſaͤtzen, um beſonders den jungen Adel auf ſein großes Intereſſe in dieſer Sache aufmerkſam zu machen: zweytens, die Errichtung einer Staats - kommißion, die mit dem Weſentlichen dieſer Grundſaͤtzen, ſo, wie mit den Lokalbeduͤrfniſſen und Lagen der verſchiedenen Theilen des Reichs bekannt, mit den einzelnen Perſonen, die mehr oder weniger auf dies Syſtem zu arbeiten ſich ent - ſchließen wuͤrden, in Verbindung treten muͤßte, um ſie mit ihrem Rath und ihren Einſichten zu un - terſtuͤtzen, mit dem Erfolg ſowohl, als mit den Schwierigkeiten aͤhnlicher Verſuchen bekannt zu machen, und indeſſen ſelbſt genaue Tabellen von dem allſeitigen Fortgang der Sache aufzunehmen, und ſich ſo des wahren Zuſtands eines jeden einzel - nen Verſuchs in allen ſeinen Theilen zu verſichern haͤtte, um die Mittel zur Hand zu bringen, den allſeitigen Fortgang der Sache von Staatswegen zu befoͤrdern, und das beſtimmte Maaß des Ein - fluſſes dieſer verſchiedenen Verſuchen auf das Ganze ſo richtig beurtheilen als leiten zu koͤnnen; wobey indeſſen Niemandem im Land zugemuthet wuͤrde, weder mittelbar, noch unmittelbar, mit dieſer Staatskommißion in Verbindung zu treten, wennC c402er nicht wollte. Das war ihr Plan. Sie rech - neten in demſelben gar nicht auf die Tugend der Menſchen, ſondern blos auf ihre Gierigkeit; aber ſie wußten, daß ihre Tugend wie ein Propfreiß auf dem wilden Stamm dieſer Gierigkeit kann gezwei - get werden, und auf demſelben ſo feine Fruͤchte zu tragen im Stande iſt, als ihre Natur jemals her - vorgebracht hat.

Nelkron ſagte, wenn die Ausfuͤhrung dieſer Grundſaͤtze ſich durch nichts erproben wuͤrde, ſo fiel ſie dadurch auf, daß die erſten Menſchenfreſſer dieſer Erde, den Schaafpelz dieſer Grundſaͤtze anziehen muͤßten, um dadurch zu ihrem Fraß zu gelangen, wie zu leſen in den Lobpreiſungen des Fleißes, der Betriebſamkeit, und der haͤuslichen Gluͤckſeligkeit, als den erſten Stuͤtzen des Staats, in Kabinetsor - dern und motivirten Befehlen beſtohlner Fuͤrſten an ausgeſogene Voͤlker.

Auch das fanden ſie, Arner waͤre nicht dahin gekommen, den Galgen abzuſchaffen, und in einem Dorf einen Steuerfond entſtehen zu ſehen, wenn er auf dieſe beſtimmte Endzwecke hin gearbeitet haͤtte; ſondern ſey eigentlich dadurch dahin gekommen, weil er nichts geſucht, als jeden einzeln Menſchen in ſei - nem Dorf fuͤr ſich ſelber, und fuͤr das Seinige in Ordnung zu bringen; und die weitern allgemeinen Geſichtspunkte ſeiner Dorfregierung nicht anderſt,403 und durch keine beſondere Anſtalten allein betrieben; ſondern ſie blos als Folgen ſeiner Aufmerkſamkeit auf den Vorſchritt ſeiner Dorfleute in ihrer Pri - vatweisheit, Privatordnung, Privatwohlſtand an - geſehen, abgewartet, und benuzt.

Und dieſe Bemerkung ſchien ſie auf eine einfache und ſichere Art zu dem Grundſatz zu fuͤhren, daß die groͤßern Geſichtspunkte der Staatsweisheit bey einem Volk auf eben dieſe Art muͤſſen erzielet wer - den, und daß ihre Erreichung ebenfalls darauf ruhe, daß die Regierung in ihren groͤßern Kreiſen ihre Aufmerkſamkeit und ihren Einfluß eben ſo dahin lenke, daß ein jedes Glied der Geſellſchaft fuͤr ſich ſelbſt, und fuͤr das Seinige, in eine gute Ordnung gebracht und darinn erhalten werde; und denn auch das uͤbrige, nemlich die groͤßern Staatsendzwecke, als die Verbeſſerung der Finanz und Juſtiz, als na - tuͤrliche Folgen des allgemeinen Vorſchritts der Men - ſchen, in ſeinen verſicherten, und feſt auf haͤusliche Weisheit und Ordnung gegruͤndeten Privatwohl - ſtand anſehe, abwarte, und benutze.

Sie betrachteten in dieſem Geſichtspunkt einen ganzen Abend den Einfluß der Reformations-Epoche auf Europa, und erſtaunten ab der Bemerkung, wie wenig es zur allgemeinen Erheiterung der Regierun - gen, uͤber die aͤchten Grundſaͤtze, die Menſchheit weiter zu bringen, beygetragen, daß alle Laͤnder, in denen durch die Reformation die AufmerkſamkeitC e[2]404der einzeln Menſchen, auf ihre geiſtliche und zeitli - che Wohlfart und Sicherheit allgemein rege gemacht worden, einen ſo auffallenden Vorſprung gegen die katholiſchen Laͤnder, in denen dieſe Aufmerkſamkeit der einzeln Menſchen auf ihre Wohlfart und Sicher - heit damals durch Nichts ſo l[e]bhaft rege gemacht worden, genommen haben.

Und wie es dann geht, ſie kamen in dieſem Geſpraͤch auf das neue Maͤhrchen, daß Europa eine Religions-Veraͤnderung zugeruͤſtet werde.

Nelkron, der alte Feind der Pfaffen und ihres Einfluſſes, behaupte die einzige Bemerkung von dem auffalenden Unterſchied des Finanz-Zuſtands der re - formirten und der katholiſchen Laͤnder, in dem zwey Jahrhundert ſich beyderſeitige Lande, in Ab - ſicht auf den Vorſchritt, in allen Kraͤften des Staats, und des Vorſchritts des Wohlſtands der Einwohner noch izt befinden, muͤſſe ein jedes Kabinet von Eu - ropa gegen den Gedanken einer ſolchen Seelenver - einigung der Menſchen empoͤren. Wenn je et - was wahr iſt, ſezte er hinzu, ſo iſt es dieſes: die Staͤrke des Staats ruhet darauf, daß ſeine Glieder Raum und Spielkraft und Reiz finden, an Leib und Seel fuͤr ſich ſelber zu ſorgen, und eine ſolche Vereinigung wuͤrde dieſen Raum und dieſe Spiel - kraft, und dieſen bildenden Reiz im Menſchen er - ſchlaffen, wie weiche Betten die Glieder eines Kaͤm - pfers und mit Eifer ſezte er hinzu, Geſchichte405 und Erfahrung beweiſen, daß die Kraͤfte des Men - ſchen und ganzer Geſchlechter von Menſchen ſchwin - den, wenn ſie dahin gebracht werden zu glauben, es ſorge jemand ohne ihr Zuthun an Leib und Seel vor ſie, hieße er dann wie er wolle, Koͤnig oder Prieſter.

Es iſt dann noch ein Unterſchied, obs der Koͤ - nig oder Prieſter gemeynt ſey; es ſind dem Men - ſchen fuͤr den Koͤnig ſeine fuͤnf Sinnen nicht halb ſo feil als fuͤr den Prieſter, ſagte Bylifsky.

Da haben ſie recht, erwiederte Endorf, es iſt als wenn er ſeiner Natur nach nicht anderſt koͤnnte, als fuͤr die Sache ſeiner gottesdienſtlichen Lehre blind ſeyn; er iſt es ſicher nicht den Zehenden ſo ſtark und ſo gern fuͤr das Syſtem ſeines Koͤnigs in der Verwaltung des Lands. Aber uͤberall und in allem, ſezte er hinzu, hoͤrt der Menſch auf die Oh - ren zu ſpitzen, und die Augen offen zu halten, ſo bald er ſich vereinigt und ſicher glaubt; im Gegen - theil macht ihn nichts ſo Augen und Ohren brau - chen, und auf ſeiner Huth zu ſeyn, als das rege Bewußtſeyn der Unſicherheit und Trennung; und wenn etwas auffallend wahr iſt, ſo iſt es dieſes: das Aufgeben dieſes regegemachten Gefuͤhls der Un - ſicherheit in Religionsſachen koͤnnte eine unabſeh - bare ſchaͤdliche Wirkung zur Abſchwaͤchung der dem Menſchengeſchlecht ſo allgemein und dringend noth - wendigen Vorſichtigkeits - und Sorgfaltskraͤften her - vorbringen.

C e 3406

Das iſt richtig, erwiederte Bylifsky, es koͤnnte unmoͤglich anders ſeyn, als der Glaube, es ſey mit der Religion alles in Ordnung, mußte die Meſch - heit nothwendig uͤber dieſen Punkt blind und ſorg - los machen; und eben ſo nothwendig mußten die in ſeinem Innerſten beguͤnſtigte Schwaͤche und Sorgloſigkeit ſich auf das Ganze ſeines Zuſtands und ſeiner Stimmung ausbreiten und doch waͤre dieſer Glauben, es ſey dann mit der Religion alles in Ordnung, das oͤffentliche Ziel einer ſolchen Ver - einigung.

Endorf aber meynte, die Welt ſey zu ſtark vor - geſchritten, als daß ſie izt noch etwas von einer Schlinge zu befahren haͤtte, die ihr von dieſer Seite gelegt werden koͤnnte.

Aber Nelkron ſagte, der Menſch legt ſich mit Leib und Seele ſo gern auf die faule Haut, und es kommt darauf an, wie weit die Urheber eines ſol - chen Vereinigungsplans einen mehr oder minder klugen Gebrauch von dieſer Menſchenſchwaͤche, die unſere Tage dennoch ſo ganz beſonders auszeichnen, machen wuͤrden. Wenn ſie z. Ex. den erſten Be - cher dieſes Seelenopiums Fuͤrſten austrinken ma - chen wuͤrden, ſo bin ich ſicher, daß ganze Voͤlker nach ihnen den Hepfen dieſes Schlaftranks hinun - terſchlucken, wie einen Goͤttertrank.

Der Grad unſerer Aufklaͤrung macht das un - moͤglich, meynte Endorf.

407

Schweig doch mit deiner Aufklaͤrung, erwie - derte Nelkron; wenn ich das Wort hoͤre, ſo faͤllt mir der Stadt-Rathsherr ein, der ob ſeinem Glau - ben an dieſe Aufklaͤrung eine Wette mit einem Schauſpieler verlor: er behauptete, ſeine (nemlich des Rathsherrn ſeine Stadt) ſey zu aufgeklaͤrt, als daß ſie ein ſchlechtes Theaterſtuͤck nicht auspfeifen wuͤrde. Der Schauſpieler erwiederte, die duͤmmſte Harliquinade muͤſſe der Stadt gut genug ſeyn, und mehr gefallen, als alles, was ſie bisher geſehen.

Der Herr Rathsherr ließ ſich in ſeiner Stadt gegen den Fremden ſo weit hinab, daß er mit ihm wettete, das ſey nicht moͤglich; und dieſer, mit der Zuverſicht eines Manns, der in ſeinem Leben ſchon durch gar viele Thore hineingegangen, nahm des Rathsherrn Wette an, ſpielte zwey Stuͤck, und die gute Stadt klatſchte dem Narrenſtuͤck, und gaͤhnte beym Guten ſo viel iſt ſich auf ein ſolches Raths - herren-Vertrauen auf die Aufklaͤrung ihrer Staͤdten und Landen zu verlaſſen! Einen Augenblick dar - auf ſagte er noch: die Geſchichte der großen Welt, oder vielmehr der großen Staͤdten, beweiſet nichts auffallender, als daß dieſes Phantom unſerer Zeit, ſo einſeitig als ſein Vorſchritt gelaſſen wird, ſo ſon - derbar als es ſich an falſche Begriffe von natuͤrlicher Einheit ankettet, und bey dem ſichtbaren Mangel daſſelbe auf den wahren Wohlſtand des Volks, auf gute, haͤusliche Sitten, und buͤrgerliche WeisheitC c 4408zu bauen, unter dieſen Umſtaͤnden leicht eine Wen - dung nehmen kann, den Menſchen in eine ſeinem wilden Zuſtand ſich naͤhernde Vervieherung (abru - tiſſement) hinabzuſtuͤrzen, in welcher die religioſe Schwaͤrmerey denn wirklich gegen dieſe Aufklaͤrung wie ein Himmels Licht, das mitten im Rauch und Dampf eines fuͤrchterlichen Erdbrands leuchtet, er - ſcheinen koͤnnte.

Gott bewahre uns vor beydem! vor dem Dampf des Erdbrands, und vor der Lufterſchei - nung, die mitten im Erdbrand wie ein Himmels Licht leuchtet, ſagte Endorf.

§. 66. Ein Schurkenverſuch, der aber mehr als halb mislingt.

Aber was wuͤrden Sie thun, wenn auch Nel - kron und Endorf anbringen wuͤrden, das Rari - taͤten-Dorf in Bonnal verdiene die Aufmerkſamkeit der Regierung? So ſagte der Liebling dieſer Tagen zum Fuͤrſten, als dieſer unter Scherz und Tand mit ihm das Schach zog.

Du willt mich das Spiel verlieren machen, mit dieſer dummen Frage, ſagte der Fuͤrſt.

409

O! ich will ihre Antwort gern erſt dann, wenn Sie ihren Zug gethan haben, verſezte Helidor.

Da ſteht er, ſagte der Fuͤrſt that den Zug und wiederholte, eine duͤmmere Frage konnteſt du nicht wohl erdenken.

Helidor. Aber warum das Ihr Durchlaucht?

Fuͤrſt. Es ſind im Land nicht zwey Maͤnner, vor denen du ſicher ſeyn kannſt, daß ſie in ihrem Leben nie in kein Projekt hineingehen werden, als dieſe.

Helidor. Ich glaubte es auch; aber doch nimmt mich Wunder, was Ihr Durchlaucht thun wuͤrden, wenn ſie Ihnen izt mit einem kaͤmen.

Fuͤrſt. Genau das, was ich thun wuͤrde, wenn der Mond auf die Erde herunter fiel vorher Nie - mandem kein Wort davon ſagen.

Helidor. Sie halten es alſo fuͤr ganz unmoͤg - lich?

Fuͤrſt. Ganz ſicher Schach dem Koͤnig

Helidor. Zieht

Fuͤrſt. Der war gut

Helidor. Aber es iſt ſicher nicht unmoͤglich, daß Nelkron und Endorf mit dem Bonnalerweſen, und mit Projekten, die ſich darauf gruͤnden, einkom - men werden.

Fuͤrſt. Haſt du deinen Kopf verloren, daß du anfaͤngſt alſo zu traͤumen? Sie haben in ihrem Le - ben noch zu keinem Projekt Ja geſagt, und dadurch410 in 20 Jahren den Ruhm behalten, ſich ſelber, und mich hierinn nie betrogen zu haben; und dieſen werden ſie gewiß nicht verlieren wollen.

Helidor. Das alles weiß ich; doch halte ich es fuͤr mehr als wahrſcheinlich, ſie gehen mit By - lifsky in Bonnaler-Projekte.

Fuͤrſt. Dieſer redt ja ſelber kein Wort mehr davon.

Helidor. Das wird ſchon ſchon kommen; er ſchweigt genau, um dann deſto ſicherer mit Erfolg davon zu reden.

Der Fuͤrſt lehnt ſich hinter ſich hoͤrt auf zu ſpielen, ſagt, was iſt das? Was ſetzeſt du mir in Kopf? Was weißeſt du?

Helidor. Ihr Durchlaucht! uͤber Jahr und Tag laͤuft eine regelmaͤßige Korreſpondenz zwiſchen ihm und Arner; und bey der Menge ſeiner Geſchaͤf - ten, bey der Vernachlaͤßigung aller ſeiner uͤbrigen Korreſpondenz, ſendet er immer Briefe von ſichtba - rer Weitlaͤufigkeit und Schwere dahin empfaͤngt noch gar viel groͤßere, und monatlich ganze Rollen Papiere von dort her Von allem dem ſehen we - der Ihr Durchlaucht, noch kein Menſch am Hof ein Wort; hingegen kommen Nelkron und Endorf, ſeit Monaten, alle Donſtag und Samſtag Abends zu - ſammen, das weiß ich gewiß; die Papiere von Ar - ner liegen dannzumal auf dem Tiſch, und die vorige411 Woche haben ſie alle drey eine Schrift unterzeich - net, die mitten unter Arners Papieren da lag das iſt eins. Denn iſt die Abſchaffung des Gal - gens, und das Projekt mit dem Steuerfond, das ſind beydes nicht Sachen, von denen man glauben kann, ſie ſeyen ohne Ruͤckſicht auf groͤßere Geſichts - punkte von dem guten Arner blos zum Nutzen und Frommen ſeines Dorfs ausgeheckt worden. Er ſchwieg izt, und ſah den Eindruck, den es auf den Herzog machte. Dieſer ſaß ſtaunend da, ſtoß - te ſeine Lippen vorwaͤrts, nahm ſie dann wieder zu - ruͤck unter die Zaͤhne, ſagte dann wenn du dich nicht irreſt, ſo iſt das die ſonderbarſte Sache, die mir in meinem Leben begegnet.

Helidor. Ich irre mich gewiß nicht und auf alle Umſtaͤnde, die ich erzaͤhlt, koͤnnen Sie bauen.

Fuͤrſt. Bey allem dem ſcheint mir die Sache noch unglaublich

Helidor. Sie iſt aber ſicher, und ſie werden Ih - nen gewiß mit einem Menſchlichkeitsprojekt kommen.

Fuͤrſt. Ich will ſehen was es giebt.

Helidor. Werden Sie ihnen Gehoͤr geben?

Fuͤrſt. (Nach einigem Staunen) Das weiß ich nicht.

Helidor. Aber ich weiß es, Sie werden es thun.

Fuͤrſt. Traͤumeſt du noch einmal in einer Stunde?

412

Helidor. Nein ich weiß es, Sie werden es thun die ganze Kraft ihres Lebens vermag nicht, Sie von ihrer Krankheit zu heilen; und Sie werden ſich mit der Lufterſcheinung ihrer Menſchlichkeitsi - dee plagen laſſen bis ins Grab.

Fuͤrſt. Laß mich izt plagſt mich du, und nicht die Menſchlichkeitsidee.

Helidor. Es iſt wahr ich bin dem ſuͤßen Traum entgegen.

Fuͤrſt. Laß mich auch wenn dieſe kommen, werde ich der Sache nicht geneigt ſeyn.

Helidor. Aber anhoͤren werden Sie dieſelben?

Fuͤrſt. Und denn wenn ich ſie hoͤre?

Helidor. Ihr geneigt werden?

Fuͤrſt. Das will ich nicht ich bin aller Pro - jekten zu ſehr muͤde, als daß ich nicht auf meiner Huth ſeyn werde.

Helidor. Sie nicht anzuhoͤren, waͤr die beſte Huth, und vielleicht die einzige, die Sie rettet.

Fuͤrſt. Das koͤnnte ich nicht

Helidor. Warum das?

Fuͤrſt. Wenn dieſe drey einſtimmig ſind, ſo wuͤr - de mir mein Kopf und mein Herz voll von dem was ſie wollten, wenn ich auch kein Wort mit ihnen redte.

Helidor. Das koͤnnte ſo kommen, wenn Sie einmal eintreten wuͤrden, aber Sie muͤſſen den An - faͤngen huͤten.

413

Fuͤrſt. Die Anfaͤnge davon liegen in mir ſelber

Helidor. Bylifsky wird den Umſtand benutzen?

Fuͤrſt. Das iſt moͤglich.

Helidor. Sie ſollten ſie nicht hoͤren.

Fuͤrſt. Das kann ich nicht.

Helidor. Soll ich machen, daß Sie es koͤn - nen?

Fuͤrſt. Das kannſt du nicht.

Helidor. Vielleicht wenn wir izt nicht mehr davon reden, kann ich doch etwas.

Fuͤrſt. Nein Helidor, das kann kein Menſch Du weißſt, ich ſezte alles darauf, vom Gedanken los zu werden, es ſey den Menſchen zu helfen, es gieng ein halbes Menſchenalter, ehe ich dieſer Plage in meinem Innern los wurde. Was mich am meiſten dahin brachte Ruhe zu finden, war mein Glaube an Nelkron u[n]d Endorf, und die Erfahrung, daß ſie alle meine Projekte mit Recht vor untauglich erklaͤrten. Auf ſie geſtuͤzt, nahm ich den Entſchluß, kein Menſchlichkeitsprojekt mehr anzuhoͤren, bis ſie ein - mal zu einem Ja ſagen und izt, wenn ſie kom - men und ſagen wuͤrden, Arners Projekt iſt gut; urtheile ſelber, ob du ob jemand in der Welt mich abhalten koͤnnte, ſie anzuhoͤren?

Helidor ſah, daß er ihn nicht weiters bringe lenkte ein, und ſagte, wir wollen dann mit einan - der wieder ſehen, was es giebt.

414

§. 67. Arners Troſt und ein Geſpraͤch, wel - ches man doch wohl uͤberſchreiben duͤrf - te: Siehe, welch ein Fuͤrſt!

Indeſſen war Arner in der groͤſten Verlegenheit, was er endlich dem General antworten wollte, der ihn mit einem Brief um den andern beſtuͤrmte, daß er doch einmal aufhoͤre, ſich dem Hof und der ganzen Welt zum Geſpoͤtt zu machen, und was er dergleichen Zeug mehr ſagte. Thereſe lag ihm in den Ohren, er muͤſſe ihm doch einmal antworten; und er ſaß eben an einem Brief, den er gerne fer - tig gehabt, und nicht anfangen konnte, als er ploͤz - lich aus dieſer Verlegenheit geriſſen wurde. By - lifsky, der anderthalb Jahr nichts mehr geſchrieben hatte, woraus man Troſtgruͤnde fuͤr den guten al - ten Onkle hernehmen koͤnnte, ſandte ihm izt juſt zu rechter Zeit einen Brief, mit dem er ihn wieder einmal ins Paradies ſetzen konnte. Der Mini - ſter meldete ihm nemlich, die Sachen ſeyen nun einmal dahin reif, daß er ſich izt in der Lage ſehe, auch das Seinige thun zu koͤnnen, wie ſie das Ih - rige bis izt redlich gethan haben; er werde auch innert den naͤchſten zweymal 24 Stunden dem Her - zog es dahin antragen, ſeine Dorfeinrichtungen in415 der Abſicht unterſuchen zu laſſen, wie es moͤglich ſey, dieſelben moͤglich zu machen. Endorf und Nel - kron ſeyen von der Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung der Sache uͤberzeugt wie er, und ſie werden ihn in allen Theilen unterſtuͤtzen. Auch zaͤhle er bey ſeinen weitern Abſichten auf ſeinen Lieutenant und auf ſei - nen Vogt, und werde wahrſcheinlich beyde mit der Landskommißion, die er vorzuſchlagen gedenke, in Verbindung bringen. Wer war ſo froh als Arner, daß er izt den Onkle wieder zufrieden ſtellen konnte. Er dachte beym Anfang des Briefs nicht an das Herzogthum, ſo froh war er, daß er der Noth ſeines Briefs los war; und ſandte dem Ge - neral, der izt aber auch nicht mehr bey Hof war, den Brief in eben der Stunde, in der er ihn bekam, im Original, mit der einzigen Bitte, izt noch nicht zu viel der Sylvia davon zu ſagen.

Es war vielleicht um die gleiche Stunde, daß Bylifsky dem Herzog um eine Privataudienz bat, die ihm Derſelbe in dem Augenblick gab, in wel - chem er darum anfragen ließ. Ahndend was er wo[llte], und bereitet auf ſeinen Vortrag, nahm er ihn bey der Hand, ſezte ſich mit ihm an das Ka - min unten an die leere Stelle, wo vor ein paar Monaten noch Menzows Arner Bylifskys Herz er - quickte. Der Herzog ſah ſein Auge mit Wehmuth an dieſer Stelle vorbey blicken. In dem Augen - blick, in welchem er anfieng ihn an das Entzuͤcken416 zu erinnern, das der erſte Eindruck von Arners Bemuͤhungen auf ihn gehabt, erzaͤhlte er ihm dann mit Beſtimmtheit und Kuͤrze den Gang dieſer Sa - chen ſeit Jahre und Tagen, entwickelte ihm die Natur der Mittel, die Arner gebraucht, zu ſeinem Endzweck zu gelangen; zeigte, worinn das Weſent - liche ihrer Kraͤfte beſtehe, und wie ihre Ueberein - ſtimmung mit den erſten Beduͤrfniſſen der menſchli - chen Natur, den Erfolg den ſie gehabt, ſo viel als nothwendig gemacht; und legte dann in ununter - brochenem Fortreden ihm ein richtiges Bild, vom Zuſtand ſeines Volks, vor Augen; zeigte mit Deut - lichkeit den Unterſchied des Zuſtands aller ſeiner Volkseinrichtungen im Großen gegen diejenige die - ſes Dorfs im Kleinen; und ſagte die Millionen der Staatseinkuͤnfte freſſen ſich in der Verwirrung der Verwaltung ſelber auf die Quelle der Mil - lionen verſiegt im Sumpf des Schadens, den das Volk von der Unordnung nimmt, in der es gelaſſen wird; und die Landesgerechtigkeit ſchlaͤgt bey all - gemeiner Verwahrloſung deſſelben mit dem Weiber - arm ihrer Blindheit auf Gerathewohl aufs Vol[k][zu]und kennet keine Mittelſtraße zwiſchen der Tiran - ney-Gewalt der Ketten, und der noch groͤßern, der Eidsverfaͤnglichkeiten, und der Rechtslangwierig - keiten; ſelber der anſcheinende allgemeine Wohlſtand des Lands, und der ſteigende Verdienſt des Volks, und die wachſenden Summen der Finanzeinkuͤnfte,ſind417ſind ein truͤgender Tand, wenn der Quelle derſelben nicht Vorſehung gethan, und der Wohlſtand der Menſchen in den niedern Huͤtten dem Staat nicht durch einen feſten Einfluß auf ihre allgemein gute, zweckmaͤßige, und zuverlaͤßige Bildung verſichert wird.

Sie wiſſen, unterbrach ihn der Fuͤrſt, Bylifs - ky! wie ſehr ich dieſes alles fuͤhle; aber eben ſo ſehr bin ich uͤberzeugt, daß es unmoͤglich iſt zu helfen.

Bylifsky erwiederte, Ihr Durchlaucht erlau - ben, ich widerſpreche nicht, daß ſchwer iſt zu helfen, auch daß der Endzweck zu tauſend Abwegen fuͤhrt, die oft ſchlimmer ſind als das Uebel; aber dennoch bin ich izt uͤberzeugt, daß ein Mittel da iſt, real zu helfen, und zwar ein einziges

Und dieſes waͤre? ſagte der Herzog.

Ein bedaͤchtlicher und mit abgemeſſenen Schrit - ten eingelenkter Regierungs-Einfluß in die Bildung des Volks zur Induſtrie. Von dieſer, ſonſt von Nichts auf Erden, iſt zu erwarten, daß ſie es einſt den Fuͤrſten moͤglich machen werde, die Finanzope - rationen zu vereinfachen, das Druͤckende ihrer Laſt zu heben, und die Jammergerechtigkeit des Landes, die in der Lage der Verwirrung in Ewigkeit unrecht thun muß, in Ordnung zu bringen, daß wir, was ihre zahlloſe Forderungen, mit denen ſie ohne alle Seelenkunde das Menſchengeſchlecht wie einen Laim -D d418ſchollen zu modeln beginnt, auseinander ſetzen ausmuſtern, was auszumuſtern iſt, und das Uebrige der menſchlichen Natur angemeſſen darzuſtellen den Reiz der Umſtaͤnde, Sitten und Gewohnheiten den Geſezen entgegen zu handeln, zu vermindern, und die Kraͤfte des Volks, ihnen gemaͤß zu handeln, zu erhoͤhen, und den innerſten Willen der Menſchen ſelber mit denſelben uͤbereinſtimmend zu machen.

Fuͤrſt. Wie ſie traͤumen Bylifsky! ſie brin - gen mich ganz in meine Jugendjahre zuruͤck.

Bylifsky. Ihr Durchlaucht! ich habe diesmal die heitere Erfahrung fuͤr mich, ohne dieſe wuͤrde ich nicht ſo reden.

Fuͤrſt. Auch dieſe truͤgt, Bylifsky! und oft ſtaͤrker als ſonſt alles andere, wenn man ſich ihrer vollkommenen Richtigkeit und Trugloſigkeit nicht ganz verſichert. Nicht wahr ? Sie denken, wenn alle Doͤrfer waͤren wie Arners Bonnal, ſo waͤre es denn, wie Sie ſagen, ſo, und ich bin mit ihnen vollends einſtimmig; aber die große Frage iſt, wie's ſo machen?

Bylifsky. Und auf die Unterſuchung dieſer Fra - ge iſt es, worauf ich bey Eu. Durchlaucht antrage.

Fuͤrſt. Es wird nichts herauskommen, By - lifsky! Die Welt iſt ein Narrenhaus.

Bylifsky. Ihr Durchlaucht! in dieſem Nar - renhaus ſind einige Zimmer beſſer in Ordnung als andere.

419

Fuͤrſt. Das iſt wahr.

Bylifsky. Es iſt ein himmelweiter Unterſchied zwiſchen Menſchen die wohl verſorgt, und denen, die es nicht ſind.

Fuͤrſt. Auch das iſt wahr Aber es iſt ein Loos in der Lotterie, unter Zehntauſenden iſt hie und da eines ſo gluͤcklich, und wird wohl beſorgt.

Bylifsky. Ihr Durchlaucht! das iſt nicht voͤllig ſo: es ſind unter dem Volk fuͤr das, was ſie ſeyn ſollen, eine Menge Menſchen wohl in der Ordnung aber es koͤnnten es freylich unendlich mehrere ſeyn, und eben dieſe Ueberzeugung iſt was mich zwingt, Eur. Durchl. meine Wuͤnſche vorzutragen.

Fuͤrſt. Ich wollte wohl gern, ich koͤnnte mein Volk in Ordnung bringen; aber ſie wiſſen, wie ſehr ich's erfahren, daß nichts zu machen iſt. Sicht - bare Wehmuth war bey dieſem Wort im Auge des Fuͤrſten.

Bylifsky ſchwieg eine Weile; denn ſagte der Fuͤrſt wieder reden Sie nur fort!

Nein, Ihr Durchlaucht! fuhr Bylifsky fort, die gute Ordnung unter den Menſchen iſt kein Loos in der Lotterie, es ſtehet in der Hand des Staats, durch weiſen Einfluß auf ſeine Bildung ihn wohl zu verſorgen, und den erſten Quellen ſeines Elends mit Erfolg entgegen zu wirken.

D d 2420

Fuͤrſt. Was wird im Stande ſeyn, dem Greuel aller Nothhandlungen der Gerechtigkeit, und dem millionenfachen Druck der Finanzbeduͤrfniſſe abzu - helfen? Womit werdet ihr ſelber dem Triebrad der Gewerbſamkeit, auf das ihr ſo baut, die alles ver - giftende Geldwuth der Menſchen im Zaum halten?

Bylifsky. Mit einem feſten Einfluß der Re - gierung auf eine unſerer Natur und den Umſtaͤnden angemeſſene Stimmung und Bildung des Volks.

Fuͤrſt. Iſt eine ſolche moͤglich ?

Bylifsky. Das ſollte der Erfolg, den Arners Verſuche gemacht, wenigſtens wahrſcheinlich ma - chen.

Fuͤrſt. Kann euch der Unterſchied zwiſchen der Regierung eines ganzen Volks, und dem Partikular - Einfluß, den ein Edelmann auf ſeinem Dorfe hat, entgehen?

Bylifsky. Mir nicht entgehen, wo er wirklich iſt; aber eben ſo wenig ſoll mir entgehen, daß das Weſentliche der Mitteln, durch welche Arner auf ſeinem Dorf dahingekommen iſt, wo er iſt, vollkom - men ſo ſicher und Verhaͤltnismaͤßig fuͤr das Allge - meine mit gleicher Kraft in der Hand Sr. Durch - laucht liegt, als es fuͤr ſein Dorf in der Hand mei - nes Freundes lag.

Fuͤrſt. Ich wollte, Sie koͤnnten mir dieſe Meynung verbuͤrgen.

421

Bylifsky. Wer wuͤrde Ihr Durchlaucht gut genug ſeyn fuͤr dieſe Buͤrgſchaft?

Der Fuͤrſt verſtund ihn, und ſagte halblaͤchelnd Niemand!

Bylifsky merkte aber noch nichts, und ſagte, ich daͤchte, wenn Ihnen Niemand fuͤr ein Menſch - lichkeitsprojekt gut ſeyn duͤrfte, ſo wuͤrden es Nel - kron und Endorf ſeyn.

(Der Fuͤrſt ihn ſteif anſehend) Es iſt alſo wahr! Dann ſtaunte er einen Augenblick ſagte wieder: ich weiß es ſchwieg dann wieder war in ſichtbarer Bewegung und ſagte dann Nein auch ſie ſollen mir das lezte Viertel meines Lebens nicht zu Grund richten, wie mir die drey uͤbrigen zu Grund gegangen.

Erſtaunt und erblaßt ſagte Bylifsky, Ihr Durchlaucht! wer ſollte das thun?

Fuͤrſt. Was wollet ihr denn? Wollet ihr Geld?

Bylifsky. Nein

Fuͤrſt. Sonderbar, was wollet ihr dann?

Bylifsky. Von Seiten des Staats unterſu - chen, wie weit die Grundſaͤtze Arners in ſeiner Volks - fuͤhrung im Allgemeinen anwendbar ſind.

Fuͤrſt. Und denn Weiters?

Bylifsky. Sicher nichts verſuchen, als was mit Sicherheit zum Wohl des Landes kann ausge - fuͤhrt werden.

D d 3422

Fuͤrſt. Thut was ihr wollt; aber fordert nicht, daß ich glaube, bis ich ſehe.

Bylifsky. Alſo billigen Ihr Durchlaucht un - ſern Vorſaz, die Sache zu pruͤfen?

Fuͤrſt. Ich werde ihn ſo gar fodern, nur mein Glaube daran iſt was ich mir vorbehalte.

Bylifsky. Dieſes wird der Unterſuchung noch dienlicher ſeyn.

Fuͤrſt. Ich ſehe voraus, Bylifsky, die Unterſu - chung wird zu einem Plan fuͤhren, der von uner - meßlichem Umfang, aber auch von einer alles Ge - wicht uͤberſteigenden Laſt ſeyn wird; und muß auch ſagen, es iſt mir nicht anderſt, als ihr wollet euch gegen den Schutt eines zuſammenfallenden Berges ſtemmen, um darunter begraben zu werden.

Bylifsky. Ihr Durchlaucht! wir haben die Sache gepruͤft, und ſehen keine andere Laſt, die dadurch auf den Staat fallen kann, voraus, als die Errichtung eines neuen Lehrſtuhls, um ihre Edelleute mit den Grundſaͤtzen einer beſſern Volks - fuͤhrung bekannt zu machen, und einer Landeskom - mißion, um jedermann der Neigung zeigte, mehr oder weniger von dieſen Grundſaͤtzen auszufuͤhren, mit Rath und Leitung an die Hand zu gehen.

Fuͤrſt. Sonderbar ſehr ſonderbar braucht ihr kein Geld? keine Gebaͤude? keine An - ſtalten? Nichts dergleichen?

423

Bylifsky. Nichts dergleichen; als einige Du - tzend Rechnungsbuͤcher.

Fuͤrſt. Wozu die?

Bylifsky. Um alles was von den Leuten, die mit dieſer Kommißion in Verbindung ſtehen wuͤr - den, verſucht und gethan wuͤrde, ſo heiter und klar vor Augen zu haben, als ein Kaufmann die Rech - nungen und den Zuſtand aller deren, mit denen er in Verbindung ſteht, vor Augen hat.

Fuͤrſt. So etwas hat mir doch Niemand vor - geſchlagen.

Bylifsky. Es iſt aber das Fundament von allem worinn man ſolid zu Werk gehen will; es ſollte nie jemand einem Fuͤrſten etwas vorſchlagen, ohne daſſelbe auf dieſes Fundament zu gruͤnden.

Der Fuͤrſt ſaß izt eine Weile in ſich ſelbſt ge - kehrt, wie wenn Niemand bey ihm waͤre; dann ſagte er, Bylifsky! der Verſuch ihres Freunds riß mich im Anfang hin, wie ein Kind, ich haͤtte ſei - nen Schulmeiſter in den erſten Stunden zum Staats - miniſter gemacht; nach und nach machte mich die Erinnerung alles deſſen, was mir fehl geſchlagen, wieder kaͤlter. Indeſſen ſezt mich der Erfolg ſeiner Sachen in Erſtaunen, und noch viel mehr izt die Natur euers Antrags. Ihr wollet das Volk ohne Gewalt, ohne Zudringlichkeit, und ohne anmaßli - che willkuͤhrliche Einmiſchung, durch den bloßenD d 4424Einfluß einer gutmuͤthigen Leitung, in ihrem haͤus - lichen Gluͤck weiter bringen, blos dadurch das Druͤckende der Finanz und der Juſtiz, das Gefaͤhrli - che der allgemeinen Geldjagd mindern, und eben dadurch die Wege anbahnen, die Verwaltung des Staats in allen ihren Theilen mit den Beduͤrfniſſen der menſchlichen Natur in Uebereinſtimmung zu brin - gen, das iſt ihr Plan ! Was ſoll ich ihnen ſagen, Bylifsky? Iſt es moͤglich, ich wollte Steine tragen ihn zu erzielen; iſt es aber unmoͤglich, ſo wollte ich auch die ewige Plage, immer unnuͤz an ſolche Sa - chen zu denken, haͤtte einmal ein Ende. Ich bin alt, die Sachen fangen an, mich mehr zu belaſten als in meinen jungen Tagen, kommen Sie, ich will ihnen etwas zeigen ! Mit dieſem Wort ſtund er auf, oͤfnere einen Schrank, zeigte ihm Ar - ners zerriſſenes Gemaͤld ſehen Sie, wie ſchwach bin ich! wohin mich mein Unmuth bringt? Ich ſtund, es mag 3 Monat ſeither ſeyn, vor ihm zu, es kaͤmpfte noch in mir, ob ich ſeinen Traͤumen mein Herz geben wolle? aber ich konnte es nicht, und warf im Unmuth da dieſen Stein gegen ihn uͤber. Bylifsky nahm das ſchoͤne zerriſſene Stuͤck mit Waͤrme in ſeine Hand, und ſagte, Gottlob, daß du lieber Arner alſo von dieſer Wand wegge - kommen, und nicht anders! Der Fuͤrſt ſag - te, ich darf ihn, wie er iſt, nicht wieder hinhaͤn - gen, ſonſt wuͤrd 'ich es thun aber Sie ſind izt425 auch de einzige Menſch, der weiß, wie er weggekom - men.

Bylifsky. Darf ich eine Gnade bitten, Ihr Durchaucht?

Fuͤrſt. Nun welche?

Bylifsky. Dieſes auch Arner ſagen zu duͤrfen?

Fuͤrſt. O ja! ſchreiben Sie es ihm aber kommen Sie, wir ſind noch nicht fertig. Mit die - ſem ſez[t]e er ſich, und ſagte, ich will, ehe Sie weiter gehen, einer Kommißion auftragen, ihnen die Gruͤn - de vorzulegen, welche die Schwierigkeiten einer all - gemeinen Ausfuͤhrung der Grundſaͤtzen Arners ins Licht ſetzen, dann werden Sie mir ihre Antwort ein - ſenden. Mit dieſem entließ er Bylifsky; und da er fort war, nahm er den weitern Entſchluß, er mag izt Recht haben oder Unrecht, ſo will ich un - partheyiſch ſeyn, und Helidor muß mit ihm offen fechten. Mit dem ſezte er ſich hin, ſandte dem Lieb - ling ein Handbillet, des Innhalts: Er ſolle, wen er immer tuͤchtig finde, die Unmoͤglichkeit der allgemeinen Ausfuͤhrung der Bonnaler Grundſaͤtzen in behoͤriges Licht zu ſetzen, von ſeinetwegen dazu befehlen, und machen, daß dieſe mit moͤglichſter Befoͤrderung ſo wohl, als mit moͤglicher Deutlich - keit geſchehe, Bylifsky werde dannzumal ſolches zu beantworten haben; er aber ſelber wolle inzwiſchen muͤndlich mit Niemand mehr kein Wort daruͤber verlieren.

426

Wie ein Donner in den Bergen rollt, ſo rollte die Zeile, er wolle muͤndlich mit Niemand kein Wort mehr daruͤber verlieren durch den Schaͤdel des Lieblings; und wann der Feind in das Herz der Linien eingedrungen, iſt es einem General nicht ſo bang, als es izt Helidor war; er ſah keinen Aus - weg, als beſtimmt zu thun, was der Fuͤrſt befoh - len, und eilte zuſammen zu treiben, wen er immer konnte, um Einwuͤrfe gegen Arners Grundſaͤtze zu machen. Am dritten Morgen war fertig, was er mit ſeinen Helfern dagegen zuſammen bringen konn - te; ſie proteſtierten aber am Ende, daß die Sache ſelber ſich viel beſſer in der Natur und auf den Doͤr - fern, als auf dem Papier widerlege.

Noch viel geſchwinder, blos ein paar Stunden darauf, hatte der Herzog Bylifskys Antwort. Er proteſtierte aber auch faſt mit gleichen Worten, daß die Sache viel beſſer in der Natur ſelber, und auf den Doͤrfern ſich zeigen und beweiſen laſſe, als auf dem Papier.

Das Weſentliche dieſer beyden Schriften iſt mit kurzem dieſes

427

§. 68. Mene Mene Thekel, Uphraſin.

Einwuͤrfe.

  • 1. Er ſtreite wider alle Erfahrung, daß man ein Volk in der Welt ſo weit bringen koͤnne, als man ſage, daß Arner ſei - ne Bauern in Bonnal bringen wolle.
  • 2. Alle Anſtalten fuͤrs Volk, ſo gut man es mey - ne, und ſo gut man ſie mache, arten immer aus, und werden oft ſchneller als der Wind wehet, aus Volks-Anſtalten blos Pfruͤnde fuͤr die Maͤntel - traͤger und Schattenbil - der der Verſorger, die man dem Volk geben wolle.
  • 3. Es mangle den Landedelleuten allgemein:

Antworten.

  • 1. Die Geſchichte der Alten zeige we - nigſtens, daß man ein Volk weit bringen koͤnne, und zu verſorgen ſey man es ſchuldig.
  • 2. Das ſey wahr, aber ſie wollen zum voraus er - klaͤren, daß ſie auf keine Anſtalten antragen wer - den, die zu Pfruͤnden fuͤr die Manteltraͤger und Schattenbilder der Volks - verſorger ausarten koͤnn - ten. Im Gegentheil ſey das Weſen deſſen, ſo ſie anzutragen Luſt haben, von einer Natur, daß es vielen ſolchen Manteltraͤ - gern ihre Maͤntel recht ſchwer machen wuͤrde.
  • 3. Die Edelleute ſeyen Menſchen wie andere; ih -
428

Einwuͤrfe.

  • an derjenigen Betrieb - ſamkeit, und an demjeni - gen Ton, der hiezu erfo - dert werde, wenn man ſo etwas von ihnen erwar - ten ſollte.

Antworten.

  • re Betriebſamkeit und ihr Ton hange von den Um - ſtaͤnden ab, mehr als ein Sohn vom Koͤnig in Eng - land, Georg dem Zwey - ten lerne Seedienſte thun; viele Prinzen dienen ſogar denen Myne Herren in Holland, es ſey aber auch nicht die Rede davon, die Edelleute in ihrem Ton, und in ihrer Unbetrieb - ſamkeit zu genieren, oder ihnen im geringſten etwas zuzumuthen, das ihren Geſchmack ſtoßen koͤnnte. Alles, was man in Sinn haͤtte, waͤre ihnen ein paar Spiegel zuzuſchicken, ſie ſehen zu machen, wo ſie zu Haus ſind, und wo ſie hinkommen koͤnnten, weñ ſie wollten mit voͤlliger Freyheit fuͤr einen jeden ſich in nichts rathen, weil geſchweigen befehlen zu laſſen, bis es eines jeden ſeiner Gnaden auffallen
429

Einwuͤrfe.

  • 4. Sie ſeyen zu traͤg, launig und ungeduldig, und haben gar nicht den Geiſt, und die Stim - mung, die zu ſo etwas ha - ben muͤſſen.
  • 5. Mit den Pfarrern ſey es eben das, ſie ſeyen weder aͤußerlich noch in - nerlich, was ſie ſeyn muͤß - ten, wenn man ſo etwas mit ihnen ausrichten ſoll - te.
  • 6. Es werde am Volk

Antworten.

  • wuͤrde, daß es die andern beſſer haben, die ſich ra - then laſſen.
  • 4. Sie werden nicht durch eine Konſpiration eben ſo wenig durch einen ihrem Stand anklebenden Naturfehler traͤg, launig und ungeduldig ſeyn; und wenn ſie dieſe Fehler nur wie andere Menſchen ha - ben, ſo werden ſie auch wie andere Menſchen da - von zu heilen ſeyn.
  • 5. Man wolle das gar nicht widerſprechen, aber es ſey wieder die gleiche Sache, wie mit den Edel - leuten, auch die Pfarrer werden nicht durch eine Konſpiration, und nicht durch beſondere ihrem Stand anklebende Na - turfehler ganz anderſt ge - ſtimmt ſeyn, als ſie fuͤr das, was ſie ſind, ſeyn ſollen.
  • 6. Es fehle am Volk
430

Einwuͤrfe.

  • ſelber fehlen, daß es ſich nicht werde helfen laſſen.
  • 7. Man koͤnne auf 100. Stund weit nicht 6. bis 7. Perſonen zuſam - men bringen, wie der Zu - fall Arnern ein halb du - zend Leute zugeſchneiet habe, die zu ſeinem Spiel gut ſeyen. Das ſey von ſeinem Schulmeiſter an bis auf die Frau, die den Kindern die Struͤm - pfe binde, wahr.

Antworten.

  • nie, daß es ſich nicht hel - fen laſſe, wenn man wiſſe mit ihm umzugehen, es ſteige ein jeder gern die Leiter hinauf, wenn er ſehe, daß er mit Sicher - heit hinaufſteigen koͤnne.
  • 7. Man koͤnne Leute zuſammenſtellen, wenn ſie auch der Zufall nicht zu - ſammenſchneie. Es ſey freylich wahr, um Arners Ordnung im ganzen zu - erſt einzurichten, brauche es eine Art Schnee, wie es vielleicht in 100 Jah - ren kaum einen lege, aber nachdem ſie einmal einge - richtet, und in der Ord - nung daſtehe, ſo brauche es zum Nachmachen kaum mehr den Zehenden vom Kopf, den es brauchte, es einzurichten; es ſeyen fuͤr alle Theile dieſes Werks Tabellen, Vorſchriften, Wegweiſungen eingerich -
431

Einwuͤrfe.

  • 8. Mit ſolchen großen Volks-Ausſichten und Staats-Geſichtspunkten mache man die Menſchen nur zu politiſchen Kan - nengießern, und veran - laſſe 100. und 100. un - vorhergeſehene Anmaſ -

Antworten.

  • tet, daß Edelleute, Schul - meiſter, Pfarrer, Kauf - leute, Dorfrichter, ein je - der ſeinen deutlichen und ſichern Leitfaden finde, an dem er ſich halten kann; und die Hausvaͤter, die Hausmuͤtter, bis auf das Schulkind hinunter, fin - den die Wege gebahnt nach dieſen Plan ſich wei - ter zu bringen. Uebrigens fall 'es auf, daß es ſo we - nig als beym Soldaten - ſtand darum zu thun ſey, daß die Mittelsperſonen das ganze uͤberſehen, ſon - dern nur, daß ſie fuͤr ihre Stelle und fuͤr ihren Po - ſten in Ordnung kom̃en.
  • 8. Arners Plan fuͤh - re den Menſchen zu ſei - nem Heerd, und lenke die ganze Kraft ſeiner Auf - merkſamkeit auf dieſen hin, ſo daß, wenn irgend etwas dem politiſchen Kannengießer-Geiſt des
432

E[i]nwuͤrfe.

  • ſungen u[n]d Unordnun - gen.
  • 9. Ar[n]er untergrabe den einzi[g]en Grund, und das einz[i]ge Fundament aller wah[r]en buͤrgerlichen Ordnung, die Religions - lehre.

Antworten.

  • Volks, und uͤberhaupt ſei - nen Anmaßungen und Un - ordnungen entgegen wir - ken koͤnne, ſo ſey es dieſes.
  • 9. Die Religionsleh - re ſey ſo wenig der einzi - ge Grund und das einzi - ge Fundament aller buͤr - gerlichen Ordnung, als ſie der einzige Grund, und das einzige Funda - ment des Schneider - und Schuhmachers-Hand - werks ſey. Die Religion ſoll ſeyn ohne allen Wi - derſpruch goͤttlich, und die Furcht Gottes ohne Widerred zu allen Din - gen nutz; aber ihre Lehre gehe durch Menſchenhaͤn - de und Menſchenmaͤuler, und werde nicht ſelten unrein. Unrein desnahen muͤſſe man das menſchli - che der Religionslehre immer wohl von der Re -
ligion
433

Einwuͤrfe.

  • 10. Ein ſolcher Grad von Wohlſtand wie Arner ihn traͤume, wuͤrde das Volk frech, und ſelber die Regierung gefaͤhrlich ma - chen.

Antworten.

  • ligion ſelber ſoͤndern. Ihr ſelber, und der Liebe und dem Zutrauen zu Gott, den Dankempfindungen des Menſchen gegen ſei - nen Schoͤpfer, u. ſ. w. koͤnne man nicht beſſer aufhelfen, alswenn man ihre Hausordnung, ihre Faͤhigkeit ſich ſelber und den ihrigen vor aller Ver - wirrung, vor allem Un - gluͤk zu bewahren, und durch Bedaͤchtlichkeit, Sorgfalt, die Kraͤfte ih - rer Hilfsbegierde und ih - rer Neigung ihren Mitge - ſchoͤpfen wohl zu thun feſt gruͤnde, u. ſicher mache.
  • 10. Noth, Unſicher - heit, Unordnung, macht den Menſchen frech. Kein Volks Wohlſtand, der auf Arbeit, Fleiß, und Haus - ordnung ruhet, wird der Regierung gefaͤhrlich.
E e
434

Einwuͤrfe.

  • 11. Mit einem Wort, die Sache ſey nicht aus - fuͤhrbar.

Antworten.

  • 11. Mit einem Wort das ſey zu unterſuchen.

§. 69. Ihr kennet das Spiel Meine Muͤlli gaht (geht); deine Muͤlli bſtaht (ſteht).

Das war der Innhalt von Helidors Einwuͤrfen, und von den Antworten Bylifskys. Der Fuͤrſt er - ſtaunte, als er ſie las, und ſagte zu ſich ſelber, ent - weder muͤſſen ſie ihre Sachen nicht verſtehen, oder Bylifsky iſt darinn begruͤndter als ich es vermuthet. Er las es wieder und noch einmal konnte nicht begreifen, daß etwas ſo Schwaches von Heli - dor an Ihn gelange; doch kam ihm auch zu Sinn, dieſer laſſe ſich in Nichts hinein, das geſchrieben wird; aber es ſtaͤrkte den Fuͤrſten um ſo viel mehr in ſeinem Vorſaz, unpartheyiſch zu ſeyn, und der Sache ihren natuͤrlichen Gang zu laſſen, auf wel - che Seite ſie auch hinſchlagen werde. Er ließ auch am gleichen Abend Bylifsky zu ſich kommen, ſagte ihm, wenn er an Ort und Stelle Meiſter werde, wie er auf dem Papier Meiſter worden, ſo werde er in ſeinen alten Tagen von ihm lernen, was er in435 ſeinen jungen Jahren ſo gern gelernt haͤtte, aber keinen Menſchen dazu fand.

Helidor brachte alles in Bewegung, den Streich abzulenken, und ihn noch dahin zu bringen, daß er die Sache liegen laſſe. Von allen Seiten ſtroͤmten Leute zu, die laͤchelten, und von dieſem Traͤumer - weſen redten; ſelber die Religion, die Helidor in ſei - nem Leben zu Nichts gebraucht hatte, ſchien ihm izt gut genug, ihm hierinn einen Dienſt zu leiſten.

Ein Geiſtlicher, der, ich weiß nicht wie, Zugang zum Fuͤrſten hatte, bog ſich vor dem Herzog, wie die Patres von der Aufwart vor ihrem Herrn Abt; und da er nach geduldigem Warten den Augenblick er - ſah, da er reden durfte, verunglimpfte er Arnern, und winkte mit beſcheidenen Worten, er raube den armen Menſchen, die ſonſt nichts in der Welt ha - ben, als ihren Gott und ihren Jeſum, den einzigen Troſt ihres Lebens; und wenn es ſchon hart ſchiene, ſo ſey es doch wahr: er verſchmaͤhe die Erkenntniß Gottes und ſeines Worts, und ſey wahrlich einer aus denen, die den Herrn der Herrlichkeit Gottes verlaͤugnen und kreuzigen. Das war zu rund Der Fuͤrſt warf den Kopf hinter ſich, ſah den Pfaff an, und ſagte, was iſt das? was thut er dann?

Demuͤthig und gebuͤckt, erwiederte der Prieſter, er meynt = = = =

Ich frage nicht, was er meyne? Ich frage, was hat er gethan?

E e 2436

Die Frage verwirrte den Geiſtlichen; er wollte von dem reden was er meyne, und nicht von dem was er thue; dennoch erholte er ſich, und ſagte, Ihr Durchlaucht! er hat die Chriſtenlehre kuͤrzer gemacht.

Fuͤrſt. Das mag nicht uͤbel ſeyn.

Prieſter. Und ſein Pfarrer predigt wenn er will, und wenn er nicht will, ſo laͤßt er es gelten.

Fuͤrſt. Nun wenn er es nur dann gut macht!

Prieſter. Es iſt doch keine Ordnung, Ihr Durchlaucht! ſo wenig, als daß er waͤhrend der Predigt mit ſeinen Leuten redt, und ſie fragt, ob alles daheim geſund ſey? und der Großvater und die Großmutter dieſe Nacht wohl geſchlafen haben?

Der Fuͤrſt lachte, und ſagte, aber das iſt doch nicht den Herrn der Herrlichkeit gekreuziget?

Prieſter. Ja ich vergaß mich faſt, Ihr Durchlaucht! man hoͤrt die Hauptlehren des Chri - ſtenthums, und das Wort Jeſus und Heiland manch - mal in einer ganzen Predigt, kein einzigesmal aus ſeinem Munde.

Fuͤrſt. Das thut ja nicht er, ſondern ſein Pfar - rer und auch das iſt nicht den Herrn der Herr - lichkeit gekreuziget.

Hier wollte der Prieſter deſſerrieren, aber der Herzog ſagte ihm, er ſolle ſchweigen, das Ueber -437 triebene ſey bey keiner Klage gut, und mit dem, was er gehoͤrt habe, kreuzige der Pfarrer in Bonnal den lieben Heiland ſo wenig, als er ſeine 85 jaͤhrige Tante damit ins Grab gebracht habe, daß er nicht ſo geſchraubet bey ſeinem A B C Buch habe ſitzen koͤnnen, als ſeine Franzoͤſin es gern geſehen; ſie habe ihm freylich wohl hundertmal geſagt, er brin - ge ſie mit ſeinem Nichtſtillſitzen ins Grab, dann koͤn - ne ſie ihm keine bon bon mehr geben.

Mit dieſem mußte der Pfarrer gehen, und es waͤr Helidor faſt etwas ſchlimmes begegnet, als er ihm dieſe Geſchichte erzaͤhlte.

Es geſchah noch gar viel anders, und wurde noch gar viel mehr geredt in dieſen Tagen, aber es wuͤrde mich ab dem Heimweg fuͤhren, wenn ich allem dieſem nachlaufen wollte; und es geluͤſtet mich wahrlich bald zu Hauſe zu ſeyn, wie du mir es wohl anſehen wirſt, lieber Leſer!

Durch alles hindurch blieb der Fuͤrſt bey dem Entſchluß, der Unterſuchung dieſer Sache ihren Lauf zu laſſen, und ſich durch keine Privateinmiſchungen weder links noch rechts davon abwendig zu machen, und gab Bylifsky das naͤchſtemal, da er ihn ſah, folgende Nota in die Hand

Zu unterſuchen iſt

  • 1) Ob Arner wirklich in Abſicht auf die F[in]anz, Juſtiz und den Erwerb da ſey, wo wir izt vor - ausſetzen.
E e 3438
  • 2) Wenn er wirklich in allen dieſen Stuͤcken da iſt, durch was fuͤr Mittel er dazu gelangt?
  • 3) Ob die Mittel, die er dazu gebraucht, im Gro - ßen eines Reichs anwendbar? Und im ausge - dehntern Gebrauch auf die Finanz, Juſtiz und den Erwerb, eben die Wirkung hervorbringen werden, die ſie in dieſem Dorf hervorgebracht?
  • 4) Und endlich, wenn man alles dieſes moͤglich finden wuͤrde, auf was Art und Weiſe man zu dieſem Ziel vorſchreiten muͤßte?

Bylifsky las dieſe Nota, uͤberlegte ſie, und ſagte dann: In Abſicht auf den dritten Punkt, kann das Ob nicht entſchieden werden, bis unterſucht iſt, Wie und es ſcheint mir, es komme eigent - lich in die Frage: Kann man die Einrichtungen, die Arner auf ſeinem Dorf gemacht, auf 10, 20 und 100 Doͤrfern auch machen? Und denn, wenn es ge - ſchehen wuͤrde, ſollte es nach dem Verhaͤltniß der Anzahl dieſer Doͤrfer nicht auf das Ganze des Reichs, in Abſicht auf Finanz, Juſtiz und Erwerb, den gleichen Einfluß haben, den es in Bonnal hat?

Der Fuͤrſt nahm die Nota zuruͤck, aͤnderte den dritten Punkt, ſtrich den vierten durch, ſagte dann, weil ich ſo weit gehe, ſo will ich keine Seite der Sache unerforſcht laſſen, und mich gaͤnzlich nicht der Unannehmlichkeit ausſetzen, daß hintennach ſich439 Schwierigkeiten zeigen, an die Niemand gedacht; es muͤſſen Rechts[gelehrte], Beamtete von der Fi - nanz, Herrſchaftsherren, Kaufleute, Geiſtliche, Un - terbeamtete ab dem Land, Schulmeiſter und Aerzte dabey ſeyn, und von den meiſten Staͤnden will ich noch Frauen dabey haben, um auch mit Weiber - augen der Sache nachzuſehen, und ſicher zu ſeyn, daß nichts Romanenhaftes darhinter ſtecke. Aber nicht wahr, ſezte er laͤchelnd hinzu, darvor muß ich lauter Unglaubige zur Unterſuchung nehmen?

Nehmen Sie doch, ſagte Bylifsky, weder Glau - bige noch Unglaubige, ſondern fuͤr jedes Fach den er - fahrenſten Mann, den Sie dazu auftreiben koͤnnen

Ich nehme ihrer fuͤr jedes Fach zwey, und wie geſagt, auch noch einige erfahrne Weiber ihr Her - ren, ihr habt mich ſchon ſo manchmal betrogen!

Helidor war aufs Aeußerſte getrieben; der Fuͤrſt erklaͤrte ſich noch einmal, er wolle mit Un - partheylichkeit die Sache erforſchen, und auch ihn zur Unterſuchung ziehen, aber er ſolle ſich ein Fach waͤhlen, um daſſelbe in der Ordnung zu beurthei - len, und dann dem Uebrigen ſeinen natuͤrlichen Gang laſſen. Das behagte dem Liebling nicht; er wollte, ohne fuͤr etwas ſich zu beſtimmen, mit - kommen und ſehen; aber der Fuͤrſt ſagte ihm be - ſtimmt, er wolle keine andere Einmiſchung, als eine regelmaͤßige Unterſuchung der Sache; HelidorE e 4440zog es vor, wenn es ſo ſey, lieber dem Spiel in der Ferne zuzuſehen; alles was ihm uͤbrig blieb Staub in die Milch zu werfen, war dieſes, daß er am Abend, ehe der Herzog verreißte, noch zu ihm ſagte, er ſolle Arner, den Lieutenant und den Pfar - rer waͤhrend der Unterſuchung entfernen. Dieſe Herren, ſagte er, wiſſen izt, daß Sie kommen, und ihre Uhr iſt aufgezogen, daß ſie waͤhrend ihrem Daſeyn gut gehet; aber ſo ſie die drey erſten Raͤ - der davon eine Weile ſtill ſtellen, ſo iſt die Stunde vielleicht ſo gut, daß Sie dahin kommen die Schwaͤ - che des Werks, die mir ſicher iſt, einzuſehen, ohne dieſes aber gewiß nicht.

Nun verreißte der Herzog, und das ganze Per - ſonale der Unterſuchung hatte Befehl, in den erſten Tagen, und ſo lang bis ein jeder in ſeinem Fach dem Herzog Bericht abgeſtattet, kein Urtheil daruͤ - ber zu faͤllen, ſich auch gegen Niemand verlauten zu laſſen, was ihre wahre Urtheile daruͤber ſeyen Das war gut, aber nicht um deswillen warum es der Fuͤrſt glaubte Er meynte nemlich der erſte Eindruck der Sache werde ſie einnehmen, daß ſie alſobald mit einem Trompetenſtoß zum Vortheil davon herausruͤcken, und denn nicht mehr zuruͤck - ſtimmen koͤnnen. Es war das Gegentheil; da ſie das Ganze ſahen, ſchwindelte es den Herren und Frauen, ſie meynten nichts anders, als dieſes all - gemein auszufuͤhren uͤberſteige alle Menſchen Kraͤfte,441 und ſey gaͤnzlich unmoͤglich. Sie haͤtten auch in den erſten Stunden dieſes alles mit einem Mund rund heraus geſagt, wenn ſie nicht dieſen Befehl gehabt haͤtten zu ſchweigen.

Aber als ſie an ihre Arbeit mußten, und ein jeder in dem beſondern Fach, das er zu beurtheilen hatte, naͤher forſchte, was eigentlich da ſey, und wie Arner darzu gekommen, den beſtimmten Vor - ſchritt dieſes Fachs ſo hoch hinauf zu treiben als ſie ihn ſahen, vergieng ihnen nach und nach der Schwindel, der ſie beym erſten Anblick dieſes blen - denden Werks uͤbernommen, und ſie kamen Tag fuͤr Tag mehr dahin, die Mittel, die Arner zu dieſem Zweck gebraucht, nichts weniger als un - nachahmlich zu finden; ſonder im Gegentheil, ſie ſtimmten am ſechsten Tage, da der Herzog ihren erſten Bericht abnahm, einmuͤthig fuͤr die Moͤg - lichkeit der allgemeinern Ausfuͤhrung der Sache im Großen.

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§. 70. Der Autor rezenſiert ſein Buch Und die Herren von der Kommißion erſtat - ten dem Fuͤrſten Bericht.

Die zwey Juſtizraͤthe urtheilten:

1. Es ſey wahr, es ſeyen bey den Einrichtungen, die Arner gemacht, unter zehn Dorfſtreitigkeiten, neune geradezu unmoͤglich; und ſein Rechtsgang habe die Fehler der gewohnten Rechtsform, uͤber welche man allenthalben ſo laut und allgemein kla - ge, gaͤnzlich nicht; er untergrabe die Gutmuͤthig - keit, Billigkeit und Gemuͤthsruhe des Volks nicht; er verderbe den Sinn der Nation weder durch Verfaͤnglichkeit noch Gewaltthaͤtigkeit, und ſchuͤtze und erhalte uͤbrigens ſeine Leute auf eine Art bey dem Ihrigen, daß ſie nichts ſehen, das hierinn mangle. Im Kriminale ſey es das gleiche; bey ſeinen Einrichtungen ſeyen wieder unter zehn Kri - minalfaͤllen neune geradezu unmoͤglich; und er ſey wirklich vollkommen da, daß er ohne die geringſte Bloͤße zu geben, den Galgen mit allen Ehren fuͤr dieſes Dorf habe abſchaffen koͤnnen, indem die Ver - brechen beym Ganzen ſeiner Einrichtungen unmoͤg - lich mehr den anſteckenden Reiz haben koͤnnen, um443 deſſentwillen der Gebrauch des Galgens einzig und allein vor Gott und Menſchen zu entſchuldigen iſt.

2. Die Mittel, durch die er dahin gekommen, ſeine Gerechtigkeit auf einen ſo guten Fuß zu ſetzen, ſeyen nichts anders, als die Feſtigkeit eines regel - maͤßigen Einfluſſes ſeiner Dorfregierung auf den haͤuslichen Zuſtand ſeiner Leute, die ihn ſicher ſtelle, daß ein jeder einzelner Menſch in allen Theilen ſei - ner Beduͤrfniſſen, und fuͤr alle Ordnungen ſeines Lebens, Rath, Leitung und Bildung finde.

3. Sie koͤnnen auf der einen Seite nicht finden, warum es nicht einem jeden Edelmann, dem der gute Zuſtand ſeiner Dorfleute im Ernſt angelegen waͤre, eben ſo wohl als Arnern moͤglich ſeyn ſollte, in ſeinen Doͤrfern mehr oder minder eben diejenige Einrichtungen zu machen; aber denn muͤſſen ſie auf der andern Seite auch ſagen, daß eben die - ſes, nemlich eine uͤbereinſtimmende Bemuͤhung vie - ler Partikularen zu dieſem Ziel, der einzige Weg ſey, durch welchen die Juſtizform Arners im Großen ausfuͤhrbar ſeyn wuͤrde; das aber ſetze zum Vor - aus, daß ſowohl die Kenntniſſe der Edelleute, in Abſicht auf die Fuͤhrung und Bildung des Volks, als auch ihre Neigung fuͤr den Wohlſtand deſſelben, ihre Thaͤtigkeit zu verwenden, erhoͤhet werden muß. In dieſem Fall nemlich, bey feſter und allgemeiner Ausbreitung der Kenntniſſen von der Volksfuͤhrung444 bey den Edelleuten, und beym Allgemein bey den - ſelben rege gemachten Intereſſe fuͤr dieſen Gegen - ſtand, koͤnnte es nicht anderſt ſeyn, als daß nach Maaßgebung der Ausdehnung ſolcher Privatein - richtungen, die Juſtiz des Landes im Ganzen mit den Einrichtungen Arners harmoniſch werden muͤßte.

Dann bemerkten ſie noch, Arners Rechtsgang laſſe ſich noch mehr vereinfachen, und ſagten, er ſchiene bey der Schwerfaͤlligkeit des Ceremoniels in ſeinen Rechtsſchritten nicht genug Ruͤckſicht auf den Zuſtand genommen zu haben, in welchen ſein Volk durch den fortgeſezten Genuß ſeiner Einrichtungen nothwendig kommen muͤſſe. Im rohen Zuſtand des Landvolks, und in der daſſelbe verwilderten Ver - wirrung in der es lebt, auch noch in den Anfaͤngen ei - ner beſſern Fuͤhrung, iſt dieſe druͤckende Schwerfaͤl - ligkeit des Ceremoniels in den Rechtsſchritten von weſentlichem Nutzen aber nach Maaßgebung daß ein Volk ſeine Rohheit verliert, und in eine ehren - veſte ſittliche Ordnung gebracht wird, wird auch das ſchwerfaͤllige Ceremoniel bey der Rechtsform bey ihm uͤberfluͤßig das wird aber Arner bey der Erfahrung im Augenblick finden.

Die Finanzraͤthe giengen mit dem Bleyſtift in der Hand in mehr als 15 Haͤuſer, ließen ſich von den Hausvaͤtern mit eben ſo viel Genauheit als Umſtaͤndlichkeit vorrechnen, was die neuen Ein -445 richtungen des Dorfs fuͤr einen beſtimmten Einfluß auf ihr Hausweſen gehabt, und was fuͤr einen Un - terſchied ſie ſowohl in Abſicht auf den Kapitalwerth ihres Eigenthums, als auf den Jahrgenuß ihrer Wirthſchaft gezeigt haͤtten.

Das Samtliche dieſer genau aufgenommenen Unterſuchungen bewieß, daß Arners Einrichtungen wirklich ſowohl den Kapitalwerth des Eigenthums ſeiner Bonnaler, als ihren Jahrvorſchlag verdop - peln, und ihnen Erſparniſſe moͤglich machen, die zu ſo wichtigen Staatsendzwecken hinfuͤhren koͤnn - ten, als ihr angefangener Steuerfond, wenn er in einer großen Anzahl von Doͤrfern errichtet wuͤrde, erzielen koͤnnte.

Sie bemerkten dabey, es waͤre Arner ohne den Baumwollen-Meyer unmoͤglich geweſen, dieſes zu leiſten; und ſagten, der Detail dieſer Rechnungen zeige, daß zwey Drittel von einem Vorſchlag des Dorfs von der Handarbeit, und kaum ein Drittel vom Abtrag ihrer Landbeſitzungen herruͤhre; indeſſen ſey dieſer Gewuͤnſt (Gewinn) unter der Regierung des alten Arners vollends draufgegangen, ohne daß ein Menſch einen Heller beyſeits gelegt, und allent - halben wo die Gewerbsleute fuͤr ihre Arbeiter nicht eine ſolche Sorgfalt tragen, wie der Baumwollen - Meyer, und von der Regierung weder Aufmunte - rung noch Handbietung hierzu genießen, zeiget die446 Erfahrung, daß aller dieſer Gewinnſt verlohren geht, und der Endzweck, das Volk durch die In - duſtrie immer mehr zu heben, und es in Lagen zu ſetzen, einen merklichen Vorſchritt in ſeinem Wohl - ſtand zu thun, und fuͤr ſeine Nachkommenſchaft auf eine zuverlaͤßige und beruhigende Art zu ſorgen, oder ſo gar Erſparniſſe zu machen, um ſich von den Beduͤrfniſſen der oͤffentlichen Finanz, und dem ver - wirrenden Druck der Landeslaſten wie in Bonnal ledig zu machen, ſetze offenbar voraus, daß die Edelleute den kaufmaͤnniſchen Stand auf eine ſehr ſorgfaͤltige Art in ihr Intereſſe ziehen indem der Kaufmann izt die Brodquellen des Volks in ſei - nem Porte-Feuille herumtrage, wie ehedem der Edelmann in ſeinem Stiefel, und gewoͤhnlich von ſeinem herausfließenden Einfluß auf den Zuſtand des Volks einer auf ſeinen wahren Wohlſtand eben ſo wenig aufmerkſamen Gebrauch mache, als ehedem die Edelleute von dem Recht ihres Sporrens der Staat aber koͤnne dieſes nicht laͤnger dem Zufall uͤberlaſſen, und muͤſſe, wenn er den Zuſtand ſeiner Einwohner nicht gaͤnzlich hindanſetzen wolle, un - umgaͤnglich einmal anfangen, jedermann, der mit ſeiner Gewerbſamkeit Menſchen im Land, wenn es auch nur 20 waͤren, beſchaͤftige, zu verpflichten, der Regierung Rechenſchaft zu geben, wer dieſe Ar - beiter ſeyen, was ſie woͤchentlich gewinnen, was ſie gewinnen koͤnnten, wenn ſie ihre Arbeit beſſer ver -447 ſtuͤnden und fleißiger waͤren? Was ſie fuͤr einen Gebrauch von ihrem Verdienſt machen? Durch was fuͤr Mittel er glaube daß es moͤglich waͤre ſie dazuzubringen, ſie weiter zu bringen?

Auf dieſe Art wuͤrde der Staat in allen Faͤ - chern des gemeinen Verdienſts Nachrichten erhal - ten, durch die er von Leuten, die des Details kundig, auf die Spur bringen koͤnnte, durch was fuͤr Mittel das Volk in dieſen wichtigen Geſichts - punkten in allen Ecken des Landes weiters zu bringen waͤre?

§. 71. Der Autor weiß zum Voraus, daß der Schlendrian der Geiſtlichkeit nicht fuͤr ihn ſtimmt. *)Anmerkung. Er weiß dieſes auch vom Schlendrian anderer Staͤnden, und iſt hinge - gen der Beyſtimmung erleuchteter Geiſtlicher in vielen Punkten ſehr ſicher. Da aber die Sache mit den andern Staͤnden durchs Rech - nen muß eroͤrtert werden, ſo braucht es einer - ſeits weniger Redens gegen ihren Schlendrian,

Die Herren von der Unterſuchungs-Kommißion konnten alle rechnen. Bylifsky bat den Fuͤrſten, daß448 er keine unordentliche Haushalter, und keine Leu - te, die ſich aus dem Rechnen nichts machen, dazu ziehe. Der Fuͤrſt konnte ihm dieſes nicht abſchlagen, und ſah bey ihrer Wahl allgemein darauf; bey den Geiſtlichen allein kam ihm nicht zu Sinn, daß er auch hierauf Ruͤckſicht nehmen ſollte. Es gieng nicht gut, da alle andere Staͤnde im Eins mal Eins und in der Erfahrung ihre Handhebe hatten, woran ſie ſich hielten, ſo hatten dieſe Herren keine, und wuß - ten nicht recht was ſie ſagen wollten.

Es war ihnen nicht genug ein wohlverſorgtes Volk, mit ruhigem Gemuͤth, voller Kraͤften, zu weiſer haͤuslicher Gluͤckſeligkeit, und zu wirkſamer Menſchenliebe gebildet vor ihren Augen zu ſehen; nicht genug, bey ihnen ein ernſthaft frohes, be - daͤchtliches Vertrauen auf Gott, und eine Dank - barkeit gegen ihn, die ſich durch allgemeine Sorg - falt fuͤr ihre erſte Lebenspflichten als real erprobte, und eine Menſchenfuͤhrung zu finden, die den Quel - len der groͤßeſten und traurigſten Menſchenleiden, und den vorzuͤglichſten Reizen zu den meiſten Bos -heiten*)und anderſeits iſts wirklich zu erwarten, daß ihr Nutzen und Schaden ſie allgemein fruͤher zu richtigen Grundſaͤtzen in der Volksfuͤhrung er - heben werde, als daß der große Theil der Geiſt - lichkeit, unter den Umſtaͤnden darinn er lebt, dahin gelangen moͤchte.449heiten und Suͤnden mehr und allgemeiner entgegen wirkte, und ihre Gemuͤthsruhe, und jede gute Kraft der Seele weit mehr und allgemeiner befoͤrderte, als ſie es noch nie geſehen. Sie meynten dennoch, erſtlich: der Pfarrer unterrichte die Leute nicht ge - nug in der Religionslehre; zweytens, er erwaͤrme ſie nicht genug mit den Heiligthuͤmern des Glau - bens; drittens, er ſetze einen zu großen Werth auf irrdiſche Dinge; und viertens, er binde ihr Ver - trauen auf Gott an das gefaͤhrliche Strohhalm ih - rer eigenen Sorgfalt.

Die Antworten des Pfarrers und des Lieute - nants uͤber dieſe Punkte beſtunden darinn

1. Der wiſſenſchaftliche Unterricht uͤber die Re - ligion ſey eine Menſchenfoderung, und werde von der Bibel auf keine Weiſe als ein Bedingniß der Seligkeit gefodert, nicht einmal als ein Mittel zu derſelben empfohlen. Das Volk im Ganzen ſey unfaͤhig irgend einen wiſſenſchaftlichen Unterricht anderſt zu faſſen, als es die armſeligſten Blend - werke des trugvollſten Aberglaubens auch faſſen wuͤrde. Die Bibel fodere vom Menſchen nicht Religions-Wiſſenſchaft, ſondern Religions-Ausuͤ - bung. Alle Verſuche, die Religion zu erklaͤren, bringe das Volk von der einfaͤltigen, geraden, ſich in nichts Fremdes, und in nichts das ob der Hand iſt miſchenden Seelenſtimmung ab, und mache es dadurch ſehr vieles verlieren.

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2. Er erwaͤrme ſeine Leute nicht mit Religions - Woͤrtern, und nicht mit irgend einem Bild, we - der deſſen was daroben iſt, noch deſſen was auf Erden iſt, noch deſſen was unter der Erden iſt; aber mit einer Seelenſtimmung, die der Ausuͤbung der Religionspflichten angemeſſen.

3. Das Zeitliche und Irrdiſche ſey, ſeitdem die Erde geſchaffen, und die Welt gegruͤndet worden, das reinſte, ſicherſte und untruͤglichſte Fundament der wahren Volks-Religion geweſen; die Doͤrner und Diſteln, die der Herr des Himmels zur Uebung unſerer Kraͤfte auf Erden wachſen laͤßt, ſeyen noch izt wie vor 6000 Jahren, das was den Menſchen am Beſten lehre Gott erkennen, und er muͤſſe darum recht zum Irrdiſchen erzogen werden, weil ſonſt die Reize zu allem Boͤſen ohne Maaß groͤßer, und die Kraͤfte zu allem Guten ohne Maaß kleiner in ihm werden, und er dadurch, daß er zu ſeinem Stand - punkt nicht wohl erzogen wird, ſo viel als noth - wendig in Lagen und Verwicklungen kommen muß, darinn das Vernuͤnftige in der Religion keinen Ein - druck mehr auf ihn machen kann, und er nothwen - dig gegen die Gewalt ſeines leidenſchaftlichen Zu - ſtands, bey einer ſo leicht zum Unſinn aller Schwaͤr - merey hinfuͤhrenden Anſpannung ſeiner Einbildungs - kraft Hilfe ſuchen muß.

Aber wehe dem, ſagte der Lieutenant, der mit Verſtand nicht zu Gott kommen kann und lieber braucht zur Rettung ſeiner Seele.

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4. Daß Arners Sorgfalt auf Kind und Kindes - kinder hinunter dem wahren Vertrauen auf Gott ſchaͤdlich, und das Chriſtenthum einer ſolchen Sorge fuͤr den morndrigen Tag entgegen daruͤber ſagte der Lieutenant iſt es wahr, daß das Chriſten - thum der feſten genauen Sorgfalt, die die Fuͤrſten fuͤr ihre Succeßion haben, entgegen?

Das wollten die Geiſtlichen nicht behaupten Alſo waͤre es dieſem Grad von Sorgfalt nur bey ge - gemeinen Leuten entgegen? ſagte der Lieutenant.

Aber ſie wollten ihm das auch nicht gelten laſ - ſen, und ſich mit der großen Wichtigkeit der fuͤrſtli - chen Succeßion heraus helfen aber der Lieute - nant ſagte ihnen, als Chriſten muͤſſen ſie wiſſen, das Kind des Fuͤrſten ſey vor Gott nicht mehr als das Kind ſeines Knechts, und er brauche zu ſeiner Vor - ſehung uͤber ihns, und uͤber den Staubhaufen ſei - nes Reichs ſo wenig eine uͤberfluͤßige Menſchenſorg - falt zur Hilfe, als uͤber den Staubhaufen der Bett - lerhuͤtte des andern Und als Buͤrger muß ich ih - nen ſagen, die Sorgfalt fuͤr die Scceßion des Volks iſt im Ganzen der Menſchheit wichtiger, als die Sorgfalt fuͤr die Succeßion des Fuͤrſten, und viel - leicht das einzige reale Mittel fuͤr die Succeßion des Fuͤrſten zuverlaͤßig zu ſorgen.

Der Lieutenant wurde uͤber dieſen Punkt leb - haft, und ſagte, man koͤnne denſelben unmoͤglichF f[2]452im Dunkeln laſſen, er entſcheide gaͤnzlich, ob man links oder rechts mit der Volksfuͤhrung hinlenken muͤſſe; ein einziger Schritt auf die unrechte Seite ſey hierinn in den Folgen unabſehbar.

Entweder, ſagte er, iſt das Chriſtenthum fuͤr einen Glauben, bey dem man die natuͤrlichen Mittel der Sorgfalt fuͤr ſich und die Seinigen auf Gott hin vernachlaͤßigen darf, ohne dabey fuͤr ſich und ſeine Nachkommen zu gefahren. In dieſem Fall ſind taͤgliche Wunder unumgaͤnglich noͤthig, oder das Chriſtenthum muͤßte ſeiner Natur nach das offe - ne Grab des Menſchengeſchlechts werden; aber die Kraft unſerer Natur und des ſchlichten Menſchen - verſtands wirket auch hierinn den Verirrungen ſei - nes Kunſtſyſtems entgegen, wie ſie den Verirrungen aller menſchlichen Kunſt und Syſtemen durch Got - tes Vorſehung zur Rettung des Menſchengeſchlechts entgegen gewirkt hat.

Iſt es aber nicht, iſt das Chriſtenthum fuͤr einen Glauben, bey dem man die natuͤrlichen Mittel der Selbſterhaltung und Sorgfalt fuͤr die Seinigen auf Gott hin vernachlaͤßigen darf, und iſt es ſeine offe - ne, unzweydeutige, und allgemeine Meynung, es ſey Gott verſucht, die Haͤnde in den Schoos zu le - gen, und die natuͤrlichen Mittel der Selbſterhal - tung und Vorſorge nicht mit aller noͤthigen Auf - merkſamkeit, Sorgfalt und Thaͤtigkeit zu gebrau - chen;[ſo]kann es auf der andern Seite die Bemuͤ -453 hungen des Staats, das Volk im Ganzen ſeiner Bildung, in einem ſolchen Grad auf das Irrdiſche aufmerkſam zu machen, als es zur Erzielung der Kraͤften, die dem Menſchen zur Selbſterhaltung und Vorſorge in ſeiner beſtimmten Lage erforderlich ſind, nothwendig iſt, nicht mißbilligen.

Aber es iſt unmoͤ[g]lich, den Schlendrian der Geiſtlichkeit uͤber dieſem Punkt zu feſten, heitern, praktiſch ſichern Begri[ff]en empor zu heben. Es lie - gen in ihren Umſtaͤnd[e]n und in ihrer Bildung zu viele Reize, ihre Aufm[e]rkſamkeit von dem Grad der Kraft fuͤr das Irrdiſche, welche in die innerſte Stimmung des Volks muß hineingebracht werden, abzulenken, wenn daſſelbe in den erſten Beduͤrfniſſen des Lebens, auf deren Befriedigung im Allgemeinen alles andere ruhet, nicht verwahrloſet ſeyn ſoll.

Es war umſonſt, der einte Geiſtliche konnte nicht rechnen, hingegen unendlich reden; er hatte in ſeinem Leben noch nie nachgegeben, wenn er etwas behauptete, und ſagte izt hinter allem dieſem noch, eine ſolche fuͤr das Irrdiſche aufmerkſame Volksſtim - mung koͤnnte nicht anderſt als der Religion gefaͤhr - lich ſeyn.

Wohlehrwuͤrdiger Herr! erwiederte der Lieute - nant, die Erfahrung zeigt, daß nichts ſo ſehr die Menſchen von Gott und allem Guten wegbringt, als wenn ſie ſich ſelbſt und die Ihrigen nicht verſorgen koͤnnen.

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Das macht nichts, ſagte der Geiſtliche, wenn man die Begriffe der Religion auseinander ſezt, ſo ſieht man es deutlich und klar, daß eine ſolche Volks - ſtimmung der Religion Gefahr bringen muͤſſe.

Aber wohlehrwuͤrdiger Herr! erwiederte dieſer nochmals, die Erfahrung ſezt mir dieſe Begriffe ge - gen Sie ſo heiter auseinander, daß mir bey dieſem Einwurf iſt, ich hoͤre in einer Hungersnoth mitten im Klaggeſchrey von Tauſenden, die nach Brod ru - fen, einen Menſchen behaupten, das Brod ſey nicht geſund zu eſſen.

Das ſey nicht geredt, ſagte der Geiſtliche.

Und der Lieutenant man denke bey dem Wort es ſey etwas fuͤr die Religion gefaͤhrlich ſo oft weder an Gott noch an die Menſchen, und brauche es unzaͤhlichemal ſo in Tag hinein.

Wie ein benachbarter Pfarrer, der vor etlichen Monaten, da der Stral ein ſteinern Kreuz am Weg zerſchmettert, auch behauptete, es ſey der Religion gefaͤhrlich, wenn man die zerſchmetterte Stuͤcken Steine dem Volk lang vor den Augen laſſe, man muͤſſe geſchwind wieder ein neues machen das iſt blos laͤcherlich aber wenn man die Sorgfalt des Staats fuͤr des Volks erſte Nothdurft, und fuͤr ſein Brod und fuͤr die Nachkommenſchaft, die ohne feſte Richtung ſeines Geiſts auf das Irrdiſche nie zu - verlaͤßig iſt, als der Religion gefaͤhrlich erklaͤren455 wollte, denn waͤr es etwas anders, als blos laͤcherlich.

Aber der gleiche Geiſtliche war dannnoch im Stande, hinter dieſem zu ſagen, der Lieutenant und der Pfarrer haben weder Phyſik noch Landbaukennt - niß, die ſie in Stand ſetzen, das Volk real auch nur hierinn weiter zu bringen, ſie haben nicht einmal Kenntniß der neuern Hilfsmittel der Volksaufklaͤ - rung.

Herr! antwortete der Lieutenant, ihr kennet das Volk nicht, und verſteht nicht, was es heißt, es zu fuͤhren, und was es braucht, es weiters zu bringen; und trat dann in dieſe Materie hinein, und ſagte: es iſt gar nicht, daß einer, der das Volk fuͤhren will, in allem den Detail verſtehen muͤſſe, was er will daß es lerne. Die Kunſt iſt, daß er es lehre angreifen was es muß, und denken, woruͤber es ihm noͤthig zu denken iſt, alles uͤbrige giebt ſich dann von ſelber; wenn man wolle die Bauern da - durch, daß man ihre Sachen im Detail ſelber ſtu - diere, und einfaͤltig und deutlich mit ihnen rede, und ihnen Buͤchelchen, die ſo klar als Brunnenwaſ - ſer ſeyen, machen koͤnne, weiters bringen, ſo gehe man an den Waͤnden, man bringe den Bauer nicht weiter, außer man ziehe ihn, daß er des Den - kens gewohnt werde, und bringt ſeine Vorurtheile nicht aus ihm heraus, außer man bilde ſeinen Wahrheitsſinn mit einer Kraft, die dieſen Vorur -Ff 4456theilen angemeſſen; und einzelne oͤkonomiſche, phy - ſikaliſche und moraliſche Wahrheiten, ohne ſie auf das Fundament einer ſolchen Bildung zu gruͤnden, und alle Verſuche, die mit Vorbeygang eines feſten Einfluſſes auf das Ganze ſeiner Stimmung, aller - ley Kunſt und Wiſſenſchaften in das Volk werfen wollen, ſeyen Schloͤſſer in die Luft, und Arbeit in den Wind.

Iſt einer im Stand das Volk ordentlich, an - ſtellig, bedaͤchtlich und thaͤtig zu machen, ſo muß er es weder eggen noch pfluͤgen lehren, kann er aber das nicht, ſo arbeitet er umſonſt es eggen und pfluͤ - gen zu lehren; es iſt umſonſt daß er zum Schwein ſage, es ſolle nicht im Koth wuͤhlen, und zum Bauer, der in ſeiner innerſten Bildung fuͤr Ord - nung und Thaͤtigkeit zuruͤck iſt, er ſoll auf Phyſik und Arzneykunſt gegruͤndete Regeln der Selbſter - haltung und des Feldbaues anwenden.

Er ſagte fort, ich verſtehe von allem Bauern - weſen im Detail gar nichts*)Anmerkung. Das iſt beſtimmt der Fall des Verfaſſers, und der Geiſt des Buchs, es enthaͤltet kein einziges Recept fuͤr irgend einigen Detail-Umſtand von den Millionen einzelnen Beduͤrfniſſen des Volks, dennoch ſoll es den Bauern in dieſen einzelnen Beduͤrf - niſſen dienen koͤnnen, und indem es auf die Richtung ihres Kopfs und ihres Herzens; aber meine Kinder457 muͤſſen mir den Kleebau dennoch wie die Spitze ma - chen, das Wolleweben wie das Ruͤbenhacken, und wenn es noͤthig iſt, das Uhrenmachen ſo gut als das Miſtverzetteln wohl lernen. Auch desfalls blieb der Geiſtliche bey ſeiner Meynung, und behauptete, es wuͤrde doch nichts ſchaden, wenn das Volk et - was von der Phyſik und Arzneykunſt verſtuͤnde.

Als wenn Zerſtreuung und Halbwiſſen, und das Ablenken ſeines Kopfs von der einfachen Richtung auf das Nothwendigſte nicht der groͤßeſte Schaden waͤre, den man ihm thun koͤnnte, ſagte mit Eifer der Lieutenant ſezte hinzu Nein, nein, dieſe Art Aufklaͤrung, die uns Romanenbauern machen koͤnnte, wie wir Romanenbuͤrger haben, iſt nichts nutz, und die Faſſungskraft des Volks durch feſten Einfluß auf ſeine Berufsbildung zu erweitern, iſt das einzige wahre Mittel zu ſeiner rechten Aufklaͤ - rung.

In der Fuͤlle ſeiner Wiſſenſchaft vergraben, und fuͤr alles, was der andere ſagt, immer eine Ant - wort findend, machte endlich den Lieutenant muͤde, daß er ſchwieg.

Den erſten verdroß es, daß der Lieutenant ge - ſchwiegen, eh die Sache, wie er meynte, waͤre aus - gemacht worden, und ergab ſich hernach auch allge - mach.

*)Einfluß hat, ſie ſelber auf die Spur der De - tailrecepten, die ſie noͤthig haben, fuͤhren.

458

Aber hingegen der andere Geiſtliche, der faſt nichts redete, kam wirklich unter dieſem Geſpraͤch dahin, zu fuͤhlen, daß die aͤußere Form der Chri - ſtenlehre, in Ruͤckſicht auf den Einfluß, den ihr wiſſenſchaftlicher Zuſchnitt auf die Volksſtimmung habe, einee allgemeinen Reviſion beduͤrfe; ſondierte nach ſeiner Art das Volk in Bonnal wie ein Spion, ob es auch wirklich an den Heiland glaube, oder nur dieſen Herren anhange die es im Zeitlichen verſorgen? Und fragte, ſeiner Meynung zum Vor - aus ſicher, neben dem Lieutenant zu ein Kind in der Schule, ob ihm der Heiland mehr lieb ſey als der Schulmeiſter?

Ja freylich, ſagte das Kind.

Warum doch das? ſagte der Mann, und meyn - te es koͤnnte nun izt nichts mehr antworten, und waͤre froh geweſen, denn ſeine Antwort war ihm ſchon zum Voraus geruͤſtet ſieheſt du, gutes Kind! du weißt nicht ſo viel vom lieben Heiland als vom Hr. Schulmeiſter, darum kann er dir auch nicht ſo lieb ſeyn, wenn du es ſchon ſagſt und es vielleicht meynſt.

Aber der Seitenſprung zur Ehre des Heilands gerieth ihm nicht. Das Kind antwortete

Wenn der Herr Schulmeiſter noch ſo gut iſt, er ließe ſich doch keinen Nagel durch die Hand ſchla - gen um ander Leute willen.

459

Es war dem Prieſter leid, daß die Unſchuld ſo wider ihn zeugte und er glaubte doch nicht.

§. 72. Die andern Staͤnde fahren fort fuͤr ihn zu ſtimmen, bis zu Ende der Rezen - ſion ſeines Buchs. *)Anmerkung. Verſtehet ſich nach ſeiner Meynung, und eben ſo daß dieſe Meynung noch zu unterſuchen iſt.

Die Kaufleute giengen wie die Finanzraͤthe in die Stuben des Volks, und ſahen die Arbeit dieſer Leute und ihre Ordnung mit Genauheit, unterſuch - ten die Urſachen dieſes Vorſchritts in ihrem Ver - dienſt ſowohl, als in ihrer Arbeitsfaͤhigkeit, und erklaͤrten ſich, nachdem ſie alles dieſes genau ge - ſehen, beſtimmt, die Einrichtungen Arners fuͤh - ren zu einer ſolchen Totalveraͤnderung in den Um - ſtaͤnden des Volks, und geben ihm einen ſolchen Grad von Erwerbskraͤften, daß ſie, wenn ſie all - gemein auf den Doͤrfern eingefuͤhrt wuͤrden, in Abſicht der Feſtgruͤndung und Ausdehnung der Handlung eines Reichs unuͤberſehbar große Fol - gen haben muͤßten.

Dieſes, den Fuͤrſten heiter zu machen, er - klaͤrten ſie.

460

Die Hauptſchwierigkeiten, die der Errichtung aller neuen Gewerbsbranches im Weg ſtehen, ſey die Rohheit, Unordnung, Unanſtelligkeit des ge - meinen Volks. Alles, was ſolche Leute in die Hand nehmen, gehe zu Grund, was ſie gerad machen ſollen, machen ſie krumm, und da ſie weder Kennt - niß noch Erfahrung im Geldgebrauch haben, ſo gehe es unter ihren Haͤnden zu grund wie nichts, je mehr ſie verdienen, je mehr verthun ſie wieder, das erniedrige ſie zu falſchen, untreuen, gefaͤhr - lichen Menſchen, und alle dieſe Umſtaͤnde bringen den meiſten Anfaͤngern von neuen Gewerbsbran - chen einen ihnen unerſchwinglichen Verlurſt, auch ſehe man ſie alltaͤglich unter ſolchen Haͤnden dahin ſchwinden, wie Fruͤhlingsmuͤkken bey einem Win - terfroſt.

Wenn hingegen der Staat durch ſolche Dorf - einrichtungen ſolchen Unternehmern, darinn an die Hand gehen wuͤrde, daß ſie ſeines feſten Einfluſ - ſes in die Bildung des Volks zur Anſtelligkeit, Reinlichkeit, Ordnungsliebe, Genauheit und Spar - ſamkeit zum Voraus verſichert ſeyn koͤnnten, ſo wuͤr - de der erſte Stein des Anſtoſſes gehoben ſeyn, an welchem die nach allen Arten von Handlungsetab - liſſements ſo duͤrſtende Gierigkeit aller Reichen ſo lang anſtoſſen wird, bis ihre Geſetzgeber erken - nen, daß ſie in dieſer Sache auf Fundamente ar - beiten, und mit Geduld durch vorhergehende Ein -461 richtungen zur zweckmaͤßigen Bildung des Volks die Moͤglichkeit eines allgemeinen Handlungs und Gewerbsgeiſts vorbereiten, und abwarten muͤſſen, eh ſie ihn genießen koͤnnen.

Denn, ſagten ſie, beſonders in Ruͤckſicht auf den Zuſtand Seiner Durchlaucht, wo das Volk wohlfeil Brod habe, da ſey die Etablirung einer all - gemeinen Gewerbſamkeit doppelt ſchwierig, alle In - duſtrie gedeihe am beſten in duͤrren brodloſen Bergen und auf hartem unfruchtbaren Boden, wo der Druck der Noth den Menſchen lehre ihre Kraͤfte anſpannen, und ſo hoch treiben als moͤglich, um Brod zu finden. Im platten Land und in frucht - reichen Thaͤlern koͤnne man das Volk unmoͤglich zur gleichen Anſtrengung im Kunſtfleiß empor he - ben, wenn man nicht durch feſten Einfluß in ſeine Nationalbildung ſie durch die Beweggruͤnde der Ehre, und die Reize ſicherer und ungluͤcklicherer Umſtaͤnde zu der Thaͤtigkeit erhebt, zu welcher ſie die Noth nicht zwingt; aber wenn man dieſes thun wuͤrde, und durch Einrichtungen wie in Bonnal bey dieſen gluͤcklichern Gegenden, dieſem Ziel ent - gegen ſtreben wuͤrde, ſo wuͤrden dieſelben am En - de, denn auch ſicher hierinn den Vorzug behaup - ten, den ihnen die Natur allgemein verliehen.

Eben ſo wuͤrde eine ſolche Bildung des Volks auf die einzeln Menſchen, die bey der Induſtrie462 Verdienſt finden, eine ganz andere Wirkung her - vor bringen, und auch in der Tiefe des Volks, und beym niederſten Arbeiter die Grundlag ſolider Umſtaͤnden, und eines den Faͤhigkeiten, dem Fleiß, der Anſtelligkeit eines jeden Menſchen proportionir - ten Vorſchritts in ſeinen Vermoͤgensumſtaͤnden moͤglich machen, und dann wuͤrde die ganze Maſſa dieſeserhoͤheten und ſicher geſtellten Landesverdienſts allgemein auf die Fundamente des menſchlichen Wohlſtands wirken, und wirken muͤſſen, ſo daß man dannzumal die Wirkungen der Handlung nicht mehr ſogar im Pomp truͤglicher Palaͤſten als im Flor eines untruͤglichen allgemeinen Volks Wohl - ſtands bewundern, und lebhafter als izt erkennen wuͤrde, daß hundert Millionen auf hunderttau - ſend Menſchen vertheilt, dem Staat unendlich mehr Werth ſind, als zwey und dreyhundert Millionen auf wenigen Koͤpfen, und daß es dem Staat weit wichtiger iſt, daß der Pfenning in der Hand von hunderttauſend Wuchern, als daß Millio - nen in der Hand eines einzigen ohne Ruͤckſicht auf den Pfennig der Hunderttauſend, oder gar zu ihrem Ruin ſich haͤufen, und durch jede Laune ei - nes ſchwierigen Erben dem Staat entriſſen, und mit ſeinem Handzug in ein fremdes Land gewor - fen werde.

Sie ſagten beyde, das erſte Kennzeichen wahr - haft ſolider und den Staat ſicher ſtellenden Hand,463 lungsgrundſaͤtzen ſey dieſes, wenn ein Haus in oͤko - nomiſchen Vorſchritt, alle Menſchen mit denen es im Verkehr ſtehet, ſein wahres Intereſſe kennet und findet, wie im Gegentheil es eben ſo das Kenn - zeichen einer beſchraͤnkten, unſichern, dem Land gefaͤhrlichen Handlungsmanier iſt, wenn ein Kauf - mann alles braucht, was ihm zur Stund dienet, und im mitten unter ſich haͤufenden Menſchen E - lend von jedem zieht, was er kann, und noch froh iſt, wenn die Menſchenhaufen, die er beſchaͤftigt, den Verdienſt, den er ihnen zuwirft, geſchwind wieder zu Grund richten, damit ſie ihm immer de - ſto wohlfeiler an der Ketten bleiben, und alſo de - ſto leichter ohne viel Muͤhe und Sorgen beym An - ſchwellen ſeiner Geldhaufen aufduͤmſen, wie er aufdumſet.

Es giebt viele Leute in der Welt, ſagten ſie, die mit allem Geld, das ſie beſitzen, ihrem Lande nicht den Zehnden von dem Schaden wieder ver - guͤten koͤnnten, den ſie ihm durch eine ſolche Hand - lungsweiſe gethan haben.

Aber davon iſt izt nicht die Rede; hingegen muß ich noch ſagen, daß die beyde Kaufleute ge - urtheilt haben, Arners Einrichtungen wuͤrden ein jedes Land vor dieſer Klippen ſicher ſtellen.

Auch ſeine Edelleute konnten zum Gluͤk rech - nen, und geſtunden, wenn ſie etwas auf die wah -464 ren Vortheile ihres Stands aufmerkſam machen, und ihnen darin Licht geben koͤnne, ſo ſeyen es die Verſuche Arners, und ihr Erfolg; ſie verheelten nicht in Gegenwart des Fuͤrſten, es ſey hohe Zeit, daß ſie fuͤr ihren Stand, nach den veraͤnderten Um - ſtaͤnden, ganz neue und dieſen gemaͤſſe Entſchlieſ - ſungen nehmen, und bey dem Einfluß den der im - mer mehr ſteigende Geldverkehr auf den Zuſtand der Welt habe, nicht laͤnger Gedankenlos auf ih - rem Heerde ſitzen, und mit Vernachlaͤſſigungen von Einrichtungen durch die ſie ihrer Familie und ih - ren Unterthanen zugleich Vorſehung thun koͤnnen, ſich durch dumme Anhaͤnglichkeit an die aͤußere Form abgeſtorbener Eitelkeitsrechten, bey denen ſie und ihre Unterthanen immer mehr zugleich zu kurz kommen, von einem realen Vorſchritt in ihren Um - ſtaͤnden zuruͤckbinden laſſen.

Sie geſtunden ohne Zuruͤckhalt, daß Einrich - tungen im Land, die es den Bauern moͤglich ma - chen wuͤrden, den Betrag ihrer Schuldigkeiten durch niedergelegte Kapitalien zu verſichern, den Werth ihrer Herrſchaften erhoͤhen, ihre Einkuͤnfte ſolider machen, ſie von ſehr wichtigen Ausgaben und Risque befreyen, eine Menge Schwierigkei - ten, die das Verhaͤltniß zwiſchen ihnen und ihren Unterthanen ſo oft unangenehm und laͤſtig machen, aus dem Wege raͤumen, und die Rechte und Ge - nieſſungen ihres Standes mit dem Wohlſtand derEinwohner465Einwohner ihrer Doͤrfer, und mit dem allgemei - nen Intereſſe des Staats in eine fuͤr ſich ſelbſt vor - theilhafte Uebereinſtimmung bringen wuͤrde.

Eben ſo erklaͤrten ſie ſich, ſie wußten gar nicht warum nicht eine große Anzahl Edelleute mit Freu - den eine Laufbahn ergreifen ſollten, die ſo ehren - voll vor ſie, und ſo vortheilhaft fuͤr ihre Haͤuſer ſeyn muͤßten, wenn der Staat eine ſolche Lauff - bahn beguͤnſtigen wuͤrde.

Zwey Aerzte, die den gleichen Weg der freyen Nachforſchung giengen, hatten eine Menge Krank - heiten aufgezeichnet, die, ſeitdem Arner Ordnung ins Dorf gebracht, nachgelaſſen. Die Ruͤtz (Kraͤ - tze) war allgemein im Dorf, und iſt faſt voͤllig fort. Eben ſo haben ſich die Kinderkrankhei - ten faſt voͤllig verloren, ſeitdem man ihnen Rath anthun kann, und Rath anthun muß. Sie fanden auch, der Fabrikverdienſt ſchade dieſen Kin - dern an ihrer Geſundheit gar viel weniger als an - derswo, und der Grund davon ſey, weil ſie mit Ordnung dazu gezogen, auf ihre Geſundheit ſelbſt aufmerkſam gemacht, ihren Verdienſt nicht wie hungerige Thiere einen gefundenen Fraß mit wil - dem Unſinn immer nur auf der Stell verſchlingen, und ihre Hausarbeit mit einem ihrer Geſundheit ſehr vortheilhaften kleinen Feldbau verbinden. Sie machten auch uͤber den Vorſchritt dieſer Leute folgende Bemerkung.

Gg466

Es haben ſchon mehrere Aeltern ihren Kindern die Blatern einpfropfen laſſen.

Der Gebrauch unbekannter Aerzte, und unſi - cherer Arzneyen habe ſich beynahe gaͤnzlich verloren, und ſeitdem gar viele Leute durch eine beſſere Ordnung ihre Krankheiten von ſich ſelber verloren, auch das Zutrauen zu den Aerzten ſelber habe dadurch abgenommen, wovon aber der Schaden um ſo weniger groß ſey, weil eben noch kein recht guter in der Naͤhe wohne.

Die Hexerey und Lachsner-Glauben habe weit und breit keinen ſolchen Stoß erlitten, ſie heiſſen izt dergleichen Sachen nur Hummelsglauben, und das Wort habe mehr Narrenſachen aus ihrem Kopf herausgetrieben, als man durch ein halbes Menſchenalter durch noch ſo vernuͤnftige Vorſtel - lungen aus dem Kopf heraustreiben konnte. Sie machten bey dem Anlaß die Bemerkung, wie viel man mit einem ſolchen Wort beym Volk ausrichten koͤnne, wenn man ihm daſſelbe zum Spruͤchwort machen koͤnne.

Das Urtheil zweyer Dorfſchulmeiſter war dieſes.

Sie haben im Anfang geglaubt, ſie koͤnnten eher lernen Meß leſen, als die Kinder alſo lehren, aber es ſey ihnen izt nicht mehr ſo, ſie wollen, ſo bald ſie wieder heimkommen, es auch anfangen und probiren, wie weit ſie es koͤnnen.

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Der Fuͤrſt ſagte ihnen, das ſey brav. und ſie erwiederten, wenn ſie duͤrften, ſo wollen ſie es von Ihro Durchlaucht zur Gnade ausbitten, ſie noch einen Monat hier zu laſſen; der Herr Lieutenant habe ihnen verſprochen, er wolle ſie in dieſer Zeit voͤllig in der Ordnung ſeiner Schule unterrichten, und wenn er das thue, und ſie es recht begreifen koͤnnen, ſo wuͤnſchten ſie Daheim keinen beſſern Dienſt, als ihren Schuldienſt.

Ob das einen Unterſchied in ihrem Schuldienſt machen wuͤrde, fragte der Fuͤrſt?

Es wuͤrde ihnen, antworteten ſie, jedermann die Haͤnde unter die Fuͤße legen, wenn ſie eine ſolche Schule einrichten koͤnnten.

Aber auch mehr Lohn geben? fragte der Fuͤrſt.

Gewiß ſo viel ſie fodern duͤrften, erwiederten die Maͤnner, und ſetzten hinzu, wenn ſie ihre Kinder ſo weit bringen koͤnnten, es die hier gebracht, und ſo alles zum Nutzen; die Aeltern wuͤrden alles auftrei - ben, ihnen fuͤr einen ſolchen Dienſt rechtzu danken.

Vielleicht iſt das wichtigſte Urtheil von allen dasjenige eines ſehr alten Landmanns, der naͤm - lich ſagte, es ſeyen vor hundert und mehr Jah - ren, ſo wie ihn die Alten berichtet, von der Zeit der Reformation an, bis auf ſeinen Vater ſelig, beynahe eine gleiche Ordnung geweſen, wie izt Arner eine einfuͤhren wolle; die Pfarrer haben faſtGg 2468auf eben dieſe Art Roͤdel gehabt, darein ſie ge - nau aufgeſchrieben, was ſie von Haus zu Haus von einem jeden ihrer Pfarrkinder zu wiſſen noth - wendig gehabt, um mit Rath und That ihnen an die Hand zu gehen. Sie haben nicht, wie es izt uͤblich ſey, es blos bey ihrem Predigen, Kin - derlehrhalten, und den Sterbenden vorbeten gel - ten laſſen, ſondern ihre Sorgfalt fuͤrs Volk viel weiter getrieben, und Jahr fuͤr Jahr, Haus fuͤr Haus nachgeſehen, ob ſie bey irgend jemand et - was helfen und nuͤtzen koͤnnen, da wo ihre Kan - zelarbeit umſonſt ſey, auch haben es die Dorfleute bis auf die Schulkinder hinunter alle wohl ge - wußt, daß ihre Pfarrer an dem Zuſtand ihrer Hausordnung, Kinderzucht, und auch an ihren Feldern und Matten die Probe machen, ob ihr Chriſtenthum und ihr Aufſagen in der Kirche mehr als nichts ſey. Es ſey uͤberall mehr in der Uebung geweſen, auf die Menſchen acht zu geben, ſie zu leiten, und an der Hand zu halten, daß ſie nicht zu ſtark verirren, und jedermann habe das fuͤr eine ausgemachte Sache angeſehen, daß ein jeder Menſch fuͤr andere Menſchen, die ihm anvertraut ſind, mehr als fuͤr irgend eine zeitliche Sache auf - richtig und redlich zu ſorgen ſchuldig ſeyen, ſo daß wenn einer das nicht gethan, oder gar Urſach geweſen, daß dergleichen ihm anvertraute Leute an Leib und Seel Schaden gelitten, ſo habe ihm das Volk dieſes ſo gut, als wenn er geſtohlen, oder469 eine Mordthat gethan, zur Suͤnde gerechnet, und ſo ein Menſch habe darauf zaͤhlen koͤnnen, daß er im Land verachtet, und fuͤr ein Unchriſt, und Unmenſch gehalten worden ſey, habe er dann Jun - ker geheißen, oder Pfarrer, oder Ehegaumer, oder auch nur Hebamme. Auch nur kein Meiſter und keine Meiſterin habe ihren Knecht, oder ihre Magd wie izt in allem was nicht den Dienſt an - betrift, ſich ſelber uͤberlaſſen, und ſich nicht da - rum bekuͤmmert, ob ſie an Leib und Seel fuͤr ſich ſelber ſorgen oder nicht. So lang du bey mir biſt, und mein Brod iſſeſt, ſo hab ich dich zu ver - antworten. Wenn du denn nicht mehr bey mir biſt, ſo thue denn in Gottes Namen was du willſt, dann gehts mich nichts mehr an, das ſey das Land hinauf, und das Land hinab die Sprache der Meiſterleuten gegen ihre Dienſte geweſen.

Auch das ſey vor gar altem ungefaͤhr ſo ge - weſen, wie es Arner izt wieder einrichten will, daß die Junkern alle Jahr durch alle Zelgen ge - ritten, und ſich vom Herrſchaftsweibel einen je - den Acker, der beſonders ſchoͤn, oder beſonders ſchlecht geweſen, aufſchreiben laſſen; denn hernach im Gemeindhaus mit den Bauern daruͤber geredt, und bey einem jeden den Urſachen nachgefragt, warum er in dieſem Zuſtand ſey?

Eben ſo haben die Schulkinder jaͤhrlich zwey Freudentaͤg gehabt, und die Oſterbroͤdchen kom -Gg 3470men noch vor dieſen Tagen her, aber freylich ſey von ihrer Freud dem Volk nichts mehr uͤbrig ge - blieben, als ein Pfund Brod auf den Kopf von einem jeden Kind, wie ich eben geſagt habe, auf die Oſtern.

So meynte der Mann, im Grund ſey alles alt, was der Junker machen wolle, aber es ſey nichts deſto ſchlimmer, die Prob ſey dann ſchon da geweſen, daß es gut ſey.

Sein Urtheil hatte viel aͤhnliches mit dem, was zwo Frauen von Edelleuten und eine Pfar - rersfrau daruͤber ſagten, nemlich das zugleich Lernen und Arbeiten ſey nichts anders, als was weuigſtens in gemeinen Buͤrgershaͤuſern vielfaͤltig ausgeuͤbt werde, daß die Muͤtter und Toͤchter miteinander um einen Tiſch herumſitzen, in allem Ernſt darauf losarbeiten, und doch zugleich etwas auswendig lernen, ſich im franzoͤſiſch Leſen uͤben, und wirklich auch rechnen; es ſey nicht daran zu zweifeln, daß ein Mann wie der Lieutenant eine Ordnung und Einrichtung koͤnne angeben, bey der man dieſen alten Hausvortheil bey vielen Toͤch - tern, die nicht gar reich ſeyen, und doch auch hinkommen moͤchten, noch gar viel weiters treiben koͤnnte. Indeſſen werde es auch izt ſchon in vielen Penſions - und Lehranſtalten fuͤr die gemei - nen Staͤnde getrieben, daß man den Kindern bey471 ihrer Arbeit zugleich auch noch den Kopf beſchaͤf - tige, und in den Bergen in dem Neuenburgiſchen ſey es bis auf die gemeinſte Spitzmacherin herun - ter ein Gewohntes, daß ſie bey ihrer Arbeit bey - einander etwas leſen und lernen. Auch das ſagten dieſe Frauen, die Kinder in Bonnal ha - ben eine voͤllig buͤrgerliche Erziehung, mit der ſie das geſunde, gute, und natuͤrliche vom Bauern - ſtand verbinden; und die zwo erſten ſagten, es habe ſie noch nie gefreut Herrſchaften haben, und die andere eine Pfarrerin zu ſeyn, wie izt. Die erſten ſezten hinzu, ſie wollen die groͤßeſten Freu - den, die Menſchen haben koͤnnen, gewiß nicht mehr uͤber Sachen die wie Kartenhaͤuschen fuͤr Kinder ſeyen, verſaͤumen, und es muͤſſe ihnen nicht mehr ſeyn, daß ihr Staͤlle beſſer in der Ordnung, als ihre Schul ſeyen. Und die Frau Pfarrerin ſagte, ſie ſeye ihres Obſtdoͤrrens, und ihrer Schuͤtte, und ihres Kellers auch gewiß noch nie ſo muͤde geweſen, und wolle auch nicht mehr fuͤr dieſes allein Pfarrerin ſeyn.

Zwey Vorgeſetzte antworteten dem Fuͤrſten auf die Frage, ob ſie im Stand ſeyen die Roͤdel uͤber die Menſchen, uͤber ihre Geſundheit, Ordnung, ihren Fleiß, und ihren Verdienſt auch zu machen, wie ſie in Bonnal gemacht werden? Sie haben dergleichen Roͤdel ſchon mehrmal uͤber Pferd und Hornvieh, und Schaf machen muͤſſen, wenn et〈…〉〈…〉Gg 4472[u]nrechtes unter ihnen geweſen, uͤber die Menſchen noch nie, aber ſie meynten, ſie wuͤrden es eben ſowohl lernen, als uͤber das Vieh, wenn es ſeyn muͤßte, und ſie die Formen und Einrichtungen, die der Junker den Vorgeſetzten in Bonnal gemacht, auch haͤtten.

§. 73. Das iſt wieder langweilig fuͤr Leute, die nicht fuͤrs allgemeine denken, und dieſer ſind viel.

Der Fuͤrſt ſaß wie im Traum da. Was er tief verworren glaubte, fand er unverwikelt vor ſeinen Augen. Wo er unuͤberſteigliche Schwierig - keiten ahndete, fand er nichts als gemeinen Fleiß, und gemeinen Menſchenverſtand, wie in allen Sa - chen auf der Welt nothwendig.

In einer Art von Betaͤubung ſagte er aber, wenn izt alles ſo waͤre, was muͤßte ich denn thun, ſo geſchwind als moͤglich zu dieſem Ziel zu kommen? Er hatte ſeine Augen auf den Lieutenant geworfen, da er das ſagte. Und dieſer, mit dem Feuer des Menſchen, der Jahre lang auf den Anlaß gewartet, zu reden,473 wo er ſicher war, es nicht ohne Erfolg zu thun, und mit Bylifsky uͤber die Schritte zu ihrem Ziel zu gehen einig, drang auf einen oͤffentlichen Lehr - ſtuhl uͤber die Natur der Volksfuͤhrung in allen Theilen, auf die Landskommißion, die ihr kennet.

Dann, ſagte er zum Fuͤrſten, auch die Wai - ſen und Findelhaͤuſer, ſo wie die Gefangenſchaft und Zuchthaͤuſer ſind in ihrer Hand wichtige und weitfuͤhrende Mittel, die Nationalbildung nach den Geſichtspunkten, die Arner auf ſeinem Dorf hat, zu leiten.

Der Fuͤrſt wollte, daß er ſich uͤber beydes naͤher erlaͤuterte. Der Lieutenant zeigte um - ſtaͤndlich, wie natuͤrlich und leicht, und ſogar mit wenigen Unkoſten mit der Auferziehung der Wai - ſen und Findelkinder eine vorzuͤglich gute Bildung derſelben zu verbinden moͤglich ſey, und wie denn dieſe Kinder in fortdaurender Verbindung mit ih - rem Erziehungshaus, als ein ſicherer Saamen zur allgemeinen Volksbildung fuͤr die Induſtrie koͤnn - ten benutzt werden.

Aber der Abſchaum der Gefangenen, und der Auswurf der Menſchen in den Zuchthaͤuſern, was ſoll ich hiezu mit dieſen? ſagte der Fuͤrſt.

474

Erlauben Ihr Durchlaucht! erwiederte der Lieutenant, der Menſch in der Tiefe wird ſo un - ſinnig verwahrloſet, und ſo gewaltſam vertreten, daß die beſten Anlagen ſeiner Natur, das Gefuͤhl ſeines Werths, die beſtimmten Vorzuͤge ſeiner Kraͤf - ten, und das dringende Beduͤrfniß der Anwen - dung ſeiner Anlagen ihn in unendlich vielen Faͤl - len faſt nothwendig zum Verbrecher machen.

Auch findet man in Zuchthaͤuſern und Ge - faͤngniſſen beſtaͤndig eine Menge Menſchen, die ein beſſeres Schickſal verdient haͤtten, und die auch izt noch, was ſie unter andern Umſtaͤnden weit mehr geweſen waͤren, der menſchlichen Geſellſchaft von weſentlichem Nutzen ſeyn koͤnnen, wenn man im Stand iſt, ſie dazu zu gebrauchen. Dieſe Leute beſitzen einen ſolchen Grad von Lokalkenntniſſen im Land, und Fertigkeiten ſich an Ort und Stelle Einfluß zu verſchaffen, ſie kennen ſo genau den Zuſtand des Volks, und die naͤchſten Quellen ih - rer Verbrechen, die erſten Hinderniſſe des Guten, ſie wiſſen ſo wie Niemand, was alles dem guten Willen der Regierung in der Tiefe des Volks entgegen ſtehet, an Ort und Stelle an den Fingern abzuzaͤhlen, und was ſie bey der unterſten Hefen des Menſchengeſchlechts im Stand ſind auszurich - ten, das beſſere Menſchen bey ihnen nie ausrich - ten werden. Man lehre ſie in ihren Stockhaͤuſern475 eine Branche von Induſtrie, und ſetze ihnen ihre Freyheit zum Preiß bey einer Anzahl von Gefan - genen, die zu einer beſtimmten Vollkommenheit in einer Erwerbsbranche gebracht. Man gebrau - che ihre Freyheit durch beſtaͤndige Verbindung mit dem Gefangenſchaftshaus, ihrer Thaͤtigkeit durch Ausbreitung ihrer Arbeitskenntniſſen Raum zu ver - ſchaffen, und man wird finden, daß durch viele von ihnen im Land Sachen erzielet werden koͤnnen, die durch Niemand anders alſo zu erzielen moͤglich.

Auch das ſchiene dem Fuͤrſten nicht unwahr - ſcheinlich. Hingegen fand er im Allgemeinen, eine ſolche Volksumſchaffung zur Induſtrie wuͤrde zu einer Bevoͤlkerung fuͤhren, die das Verhaͤltniß des Landabtrags bey weitem uͤberſteigen, die Einwoh - ner des Lands ganz von ihrem Handverdienſt ab - haͤnglich, und ihren Unterhalt bey theuren Zeiten, und bey Stockung des Gewerbs mißlich machen koͤnnte.

Der Lieutenant antwortete ihm, die dießfaͤl - lige Sicherheit der Menſchen ruhe unter dieſen Umſtaͤnden.

  • 1. Auf ihren Erſparniſſen.
  • 2. Auf ihrer Fertigkeit, bey Stockung einer Art von Gewerb, auf eine andere zu lenken.
476
  • 3. Auf ihrer Uebung im Sparen und Abthei - len, und uͤberhaupt auf ihrer mehr ausge - bildeten Fertigkeiten ſich nach den Umſtaͤnden zu richten.

Und ſetzte hinzu, er wuͤnſchte, daß Ihr Durchlaucht uͤber dieſen Punkt ſowohl, als uͤber denjenigen, wie die Waiſenkinder zur allgemeinen Ausbreitung der Induſtrie im Land zu gebrauchen waͤren, mit dem Baumwollen-Meyer reden moͤch - ten.

Und der Herzog gieng mit ihm und Arner und dem Pfarrer in das Haus des Meyers.

Dieſer ſagte ihm uͤber den erſten Punkt, es ſey ſehr wichtig, daß die Kinder, deren Brod von ihrem Hausverdienſt abhange, in ihrer Jugend gleichſam den Katechiſmus lernen, wie ſie ſich einzurichten haben, um bey Stockung der Ge - werbſamkeit, und in theuren Zeiten nicht in Ver - wicklung zu kommen. Das ſey ein weſentli - cher Grund, warum eine jede Obrigkeit Rechen - ſchaft von den Unterthanen uͤber die Anwendung ihres Fabriken-Verdienſts fodere, und ſie gewoͤh - nen ſollte, von Kindesbeinen auf alles moͤgliche, was ſie erſparen koͤnnen, beyſeits zu legen. Uebri - gens aber fuͤhre der Gewinnſt einer gut geleiteten Gewerbſamkeit ſo weit, daß einem jeden Dorf[,]477deſſen Bevoͤlkerung durch die Gewerbſamkeit alſo zunehmen wuͤrde, eben dadurch auch ſo viel Mit - tel zufließen muͤßten, genugſame Einrichtungen zu ſeiner Sicherheit mit Leichtigkeit zu machen. Und es komme hierinn nur auf den Gebrauch an, der im Dorf von dieſen Umſtaͤnden gemacht werde, und auf die Obrigkeit, zu was fuͤr einem Gebrauch ihrer Umſtaͤnde ſie das Volk fuͤhre und anhalte.

Ueber das andere: Wie die Waiſenkinder als eine Pflanzſchule die Gewerbſamkeit im Volk all - gemein zu machen, zu gebrauchen waͤr? ſagte er, man muͤſſe einen Unterſchied machen zwiſchen bloßen Arbeitern, die nur wieder andere Arbeiter nachzuziehen haͤtten, und denen die in Stand kom - men ſollten, irgend eine Art Gewerb an einem Ort ſelber anzulegen. Fuͤr die erſtern erfodere es nichts, als daß ſie ihre Handgriffe vollkommen lernen und fleißig ſeyen aber die andern muͤſ - ſen, wenn ſie die Handgriffe vollends gelernt, aus einem ſolchen Erziehungshauſe weg, und zu Leu - ten gethan werden, die dieſen Gewerb ſelber trei - ben, um ihnen alle Arten Vorſichtigkeitsregeln gelaͤufig zu machen, die es in der Welt braucht, wenn man den Menſchen auch noch ſo wenig an - vertrauen muß; und dann auch zu lernen, ſich die Menſchen an die Hand zu bringen, und an der Hand zu halten, oder wie man ſich unter den478 Bauern ausdruͤcke, den Maͤuſen zu pfeifen. Hin - gegen koͤnnten ſie in ſolchen Erziehungshaͤuſern dar - inn einen großen Vortheil genießen, wenn ſie in den - ſelben wohl rechnen, ſchreiben, und die Hand - lungsbuͤcher fuͤhren lernten, welches alles er aus ſich ſelber habe lernen muͤſſen, und alſo erfahren, wie viel es ihm hinderlich geweſen.

Eben ſo beſtaͤtigte er, daß in den Gefangen - ſchaften und Zuchthaͤuſern zu dieſen Endzwecken ſehr brauchbare Menſchen zu Grund gehen, und daß man wichtige Vortheile von ihnen ziehen koͤn - ne, wenn man die Manier kennen wuͤrde, dieſes Geſchaͤft recht anzugreifen, und auch das ſey ſi - cher, daß man dieſe Manier bey Niemand als bey den Zuͤchtlingen ſelber erforſchen muͤſſe.

Dann ſah der Fuͤrſt auch noch die Gertrud, und die Kinder des Huͤbel-Rudis, die vor Jahr und Tagen noch im Elend faſt verfaulet keine Ar - beit verſtunden, und von dieſem Weib ſo in Ord - nung gebracht worden. Der Lieutenant ſagte dem Fuͤrſten vor ihr, ſie hatte meine Schule in ihrer Stube, ehe ich noch daran dachte, ohne ſie haͤtte ich meine Einrichtungen nicht in dieſe Ordnung gebracht.

Denn hat ſie viel gethan, ſagte der Fuͤrſt, ſah ſie ſteif an; und bald darauf ich will noch479 mehr mit ihr reden aber izt war er wie in einem Sturm Gedanken draͤngten ſich uͤber Gedan - ken ſein Herz ſchlug er fuͤhlte daß ſeine ganze Stimmung ihn nicht mehr ruhig urtheilen laſſe er entfernte ſich einige Augenblick, ſtund an des Rudis Matten, an der Zaͤunung, gegen die untergehende Sonne, ſuchte Luft fuͤr ſein klop - fendes Herz Nein es iſt zu viel ſagte er da an des Rudis Zaun wenn es weniger waͤr, ich wollte ihnen glauben, aber ſo viel kann und will ich nicht glauben Eine Weile darauf er hat recht ich muß noch die drey Raͤder ſtill ſtellen, wenn ich die Wahrheit ſehen will, mit dem gieng er wieder zu Arner, ſagte ihm, und dem Lieutenant und dem Pfarrer und dem Baumwollen - Meyer, der bey ihm ſtund, ihr muͤſſet mir alle 4 nach Sklavenheim, ich will euch da 3 Tage allein laſſen, aber am Samſtag bin ich auch dort, ſo lang unterſuchet in dieſer Zeit an Ort und Stelle, ſowohl mit den Waiſenkindern als mit den Zuͤchtlingen, was ihr von dem, was ihr ſaget, ausfuͤhrbar fin - det. Indeſſen will ich hier noch die Gegenſtaͤnde, die ich izt wie in einem Traum ſehe, ein wenig kaltbluͤtiger ins Auge zu faſſen ſuchen.

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§. 74. Der Lieutenant zeigt noch wie im Flug, was er in einer hoͤhern Sphaͤre ſeyn wuͤrde. Und der Autor beſchließt ſein Werk.

So ſchickte er ſie fort. Der Lieutenant merk - te es, und ſagte, da ſie Morgens darauf mit ein - ander im Wagen ſaßen, er ſezt uns fuͤr hie und da auf die Probe: die andern ſtuzten; er aber ſagte, es macht nichts er will nicht betrogen ſeyn, und darinn hat er recht. Wir wollen ihm aber um deswillen doch auch nicht minder zeigen, als was wahr iſt.

Dann rief er dem Poſtknecht, daß er davon jage was immer moͤglich; und ſagte zu den Her - ren, dieſe drey Tage entſcheiden izt bringen wir in Sklavenheim etwas wirkliches zu Stand, ſo iſt er gewonnen; kommen wir ihm nur mit Worten, ſo ſind wir in dieſer Sache nicht weiter, als wir vor zwey Jahren waren. Die Herren ſagten ihm alle, er ſolle von ihnen fodern, was er begehre, und wenn ſie 3 Tage kein Auge zuthun muͤſ - ſen, ſo wollen ſie ihm helfen zu thun was moͤg -lich. 481lich. Der Poſtknecht jagte, ſie waren in der halben Zeit dort, und in der erſten Stunde hatte der Lieutenant ſchon 12 Kinder aus der Waiſen - ſtube ausgeſucht, ſie einer Spinnerin uͤbergeben, an ihre Raͤder geſezt, und fieng nun an mit einem nach dem andern zu reden, dann mit allen, dann ihnen etwas vorzuſprechen, das ſie ihm nachſagen mußten. Am gleichen Abend brachte er ſie noch dahin, einige Zahlen Reyhen bis auf 50 zu 3 und zu 4 und zu 5 hoch zuruͤck und vor - waͤrts zu zaͤhlen und das alles bey ihrem Spin - nen das aber freylich im Anfang nicht ganz or - dentlich gehen wollte. In der gleichen Stunde ſuchte der Baumwollen-Meyer im Zuchthaus 10 Maͤnner aus, von denen er glaubte, ſie ſeyen im Stande weben zu lernen; er fand zwey vollkom - mene Weber, die als Contrebandiers aus dem be - nachbarten Fuͤrſtenthum mit verbotener Tuchwaare ergriffen, eingeſezt worden; dieſe beredete er bald, mit ihm Hand ans Werk zu legen, und die zehn Maͤnner, die auf ihren Stuͤhlen vor Hofnung der Erloͤſung zitterten, das Handwerk zu lernen. Sie fanden im Dorf, und zum Theil im Zucht - haus ſelber, Stuͤhle, Geſchirr, Zettel, und Spuh - ler genug vor Abend war das alles in Ord - nung.

Eben ſo bald fieng Arner an, die Geſchichte der Gefangenen aufzunehmen, und hauptſaͤchlichHh482aufzuzeichnen, was ſie gelernt wodurch ſie glaub - ten, ihr Brod verdienen zu koͤnnen und denn, wodurch ſie ungluͤcklich geworden wie ſtark ihre Fehler in ihrem Land und in ihrem Dorf eingeriſ - ſen was und wer daran ſchuldig wie ſie glaubten, daß dieſen Fehlern am Beſten geſteuert werden koͤnnte ob ſie glaubten, wenn ſie in der Freyheit waͤren, ſelber etwas dazu beytragen zu koͤnnen und uͤberhaupt, womit ſie im Land et - was nuͤzliches anzufangen ſich im Stand glaubten und endlich, ob ſie nicht gern in der Gefan - genſchaft ſelber ſich anſtrengen, und etwas lernen wollten, das ſie in Stand ſetzen koͤnnte, mit Nutzen fuͤr ſich ſelber und fuͤr ihren Nebenmenſchen in der Welt zu leben? Sie fielen faſt vor ihm auf die Knie, jammerten, daß ſie das Unmoͤgliche thun wollten, dieſem Elend zu entkommen. Ihrer viele ſagten, ſie muͤßten an Leib und Seele faſt verfau - len, und die Leute ſeyen Kinder von Unſchuld, wann ſie in dieſe Oerter hineingebracht werden, gegen den Zuſtand, in welchem ſie ſich befinden, wann ſie wieder herauskommen.

Er war am dritten Abend mit der Geſchichte und Ausſage dieſer Leute fertig; eben ſo der Pfar - rer mit der Beſchreibung des Zuſtands von 70 Kindern, die in dieſem Hauſe an Kraͤtze, Blaͤſſe, Dummheit und Unanſtelligkeit bewieſen, daß ihre483 Verwalter Diebe, und die Obern dieſer Verwal - ter etwas anders zu thun haben, als nach ihnen zu ſehen.

Und auch der Lieutenant war mit ſeinen Kin - dern ſo weit, daß ſie ſeine Ordnung kannten wie die in Bonnal; und die Zuͤchtlinge des Meyers kamen in dieſen Tagen mit ihrem Weben weiters als man es moͤglich geglaubt haͤtte.

Indeſſen hatte der Herzog mit Luchsaugen ausgeſpaͤht, ob es in Bonnal einen Unterſchied mache, daß er dieſe drey Raͤder ſtill geſtellt Er fand keinen vielmehr ſagten ihm verſchiedene von den Herren ſeiner Kommißion, die Sache ſey ſo tief gegruͤndet, daß ſie, wenn dieſe ſaͤmtlichen Anfaͤnger ſterben wuͤrden, um deswillen nicht zu Grund gehen muͤſſe.

Nunmehr ſtieg eine ruhige Hofnung, daß doch wenigſtens etwas, wo nicht alles, von dieſen Ver - ſuchen ausfuͤhrbar, in dem Herzog empor. Er nahm am vierten Tage Thereſen mit ſich auf Skla - venheim; aber er ahndete von Fernem nicht, was er da antraf.

Er fand Bonnalsſchule mit zwoͤlf Waiſenkin - dern angefangen.

H h 2484

Er ſah den Vorſchritt, den der Meyer mit dem Gebrauch der Zuͤchtlinge in dieſen Tagen moͤglich gemacht.

Er las in der Geſchichte der Gefangenen den Zuſtand ſeines Reichs, in der Schilderung der 70 Waiſenkinder den Zuſtand ſeiner Anſtalten fuͤrs Volk.

Staunte uͤber das Werk dreyer Tagen; und ward von einem Geraͤuſch unterbrochen. Die Schaar der Gefangenen, und die Menge ſeiner Kinder lag zu ſeinen Fuͤßen, ſie baten um Vaͤter und Verſorger wie dieſe vier Herren.

Stehet auf, ſagte er, Gefangene! Stehet auf meine Kinder, euer Schickſal iſt in ihrer Hand!

Ich bin uͤberzeugt; er konnte nicht mehr die Kinder blieben auf den Knien es umgab ihn eine heilige Stille, und der Ahndungen groͤſte hob ſich in aller Herzen empor.

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About this transcription

TextLienhard und Gertrud
Author Johann Heinrich Pestalozzi
Extent508 images; 92294 tokens; 11153 types; 610362 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLienhard und Gertrud Ein Buch für's Volk Vierter und lezter Theil Johann Heinrich Pestalozzi. . [6] Bl., 484 S. DeckerFrankfurt (Main)Leipzig1787.

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SUB Göttingen Göttingen SUB, DD90 A 33276 RARAhttps://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=DD90%20A%2033276%20RARA

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; mts

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