PRIMS Full-text transcription (HTML)
Hiſtoriſche Entwickelung der heutigen Staatsverfaſſung des Teutſchen Reichs
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Erſter Theil bis 1558.
Goͤttingen,im Verlage der Wittwe Vandenhoeck,1786.

An der Koͤniginn Sophie Charlotte von Großbritannien gebohrner Herzoginn zu Mecklenburg Koͤnigliche Majeſtaͤt.

Allerdurchlauchtigſte, Großmaͤchtigſte Koͤniginn, Allergnaͤdigſte Koͤniginn und Frau. Eure koͤnigliche Majeſtaͤt haben allergnaͤdigſt geruhet, im May des vorigen Jahres ein Buch von mir begehren zu laßen, das dazu gebraucht werden koͤnne, die heutige Verfaſſung des Teut - ſchen Reichs und deſſen Grundgeſetze in Geſtalt einer Geſchichte, doch mehr in Ruͤckſicht auf neuere als aͤltere Zeiten, daraus kennen zu lernen. Wie gluͤcklich wuͤrde ich mich ſchaͤtzen, wenn der Verſuch eines ſolchen Werkes, wie ich hier den erſten Theil davon liefere, jener Abſicht nur einigermaßen entſprechen moͤchte! Ich erſterbe in tiefſter Unterwuͤrfigkeit Eurer koͤniglichen Majeſtaͤt Goͤttingen den 30. Maͤrz 1786. allerunterthaͤnigſter Knecht Johann Stephan Puͤtter.

Inhalt.

  • Erſtes Buch von den aͤlteſten Zeiten her bis zum Verfall der Carolinger 888. S. 1-98.
  • I. Teutſchlands Zuſtand von den aͤlteſten Zeiten her bis in das fuͤnfte Jahrhundert. S. 1-9.
  • I-IV. Von den aͤlteſten Zeiten her waren in Teutſchland mehrere von einander unabhaͤngige Voͤlker; S. 1. V. ob - gleich alle Staͤmme eines Hauptvolks. S. 4. VI. VII. Seit dem III. Jahrhundert nach und nach in groͤßeren Ver - bindungen. S. 4. VIII. Seit dem V. Jahrhundert Voͤl - ker von zweyerley Herkunft, einige urſpruͤnglich Wendiſche, andere urſpruͤnglich Teutſche. S. 6. IX-XII. Ueberbleibſel von beiderley Voͤlker Verfaſſung bis auf den heutigen Tag. S. 6.
  • II. Zuſtand desjenigen Theils von Teutſchland, wo die Roͤmer bis ins fuͤnfte Jahrhundert Meiſter geblieben, und was davon auf andere Teutſche Voͤl - ker fuͤr ein Einfluß merklich geworden. S. 10-15.
  • I. Laͤnder am linken Ufer des Rheins und am rechten Ufer der Donau unter Roͤmiſcher Herrſchaft. Staͤdte und andere Roͤmiſche Anlagen in dieſen Gegenden. S. 10. II. III. Ueberbleibſel und Denkmaͤler davon. S. 11. IV. Ver - breitung einiger Cultur auf benachbarte Teutſche Voͤlker. S. 13. Inſonderheit Saliſches, Ripuariſches und ande - rer Teutſcher Voͤlker Geſetze dieſer Zeit. S. 14.
  • III. Aelteſte Geſchichte der Chriſtlichen Religion in den Gegenden des Rheines und der Donau. S. 16-20.
  • I. Religionsbegriffe der alten Teutſchen. S. 16. II. Ausbreitung der Chriſtlichen Religion mit Roͤmiſchen Legionen bis an den Rhein und die Donau. S. 16. III. Zuſtand des Chriſtenthums, wie es unter Conſtantin dem Großen zur freyen Uebung gekommen. S. 17. IV-VII. Erſte Keime der Hierarchie in Vorzuͤgen der Biſchoͤfe und Kirchenverſamm - lungen. S. 18. VIII. Damalige Begriffe von der Ein - heit der Kirche und von Ketzereyen. S. 21.
  • IV. Urſprung und erſter Fortgang der Fraͤnki - ſchen Monarchie. S. 24-38.
  • I-IV. Errichtung der Fraͤnkiſchen Monarchie mit Chlo - dowigs Eroberung in Gallien 486. S. 24. V. VI. Deren Ausbreitung auf Teutſchem Boden uͤber Thuͤringen, Rhei - niſch und oͤſtlich Franken. S. 26. VII. Chlodowigs An - nehmung der Chriſtlichen Religion. Sieg uͤber die Weſt - gothen. S. 28. VIII. Patricienwuͤrde. S. 29. IX. Vertilgung anderer Fraͤnkiſcher Nebenkoͤnige. S. 30. X. XI. XII. Fortgang und Erweiterung der Monarchie unter Chlodowigs erſten Nachkommen. S. 31. XIII-XV. Wie ſich Baiern zur Fraͤnkiſchen Monarchie verhalten habe? S. 32. XVI. XVII. Beſchaffenheit der Herzoge und Gra - fen. S. 33. XVIII. Erſter Keim des nachherigen Lehns - weſens. S. 35. XIX. XX. Dienſte der Biſchoͤfe und welt - licher Herren bey Hofe. S. 35. XXI. Hofhaltung. S. 36. XXII. Kirchenverſammlungen, und Reichstag. S. 37. XXIII. Thronfolge. S. 38.
  • V. Verfall und Sturz des Merovinger Stamms. S. 39-51.
  • I. Erſter Grund des Verfalls der Merovinger in Thei - lungen und innerlichen Irrungen. Waͤhrend derſelben wird Italien zur Griechiſchen Provinz gemacht, aber auch wieder von Longvbarden uͤberzogen. S. 39. II. Zweyter Grund des Verfalls in Minderjaͤhrigkeit einiger Koͤnige undUeber -Inhalt. Uebermacht des Majordomus. S. 40. III-VI. Aufkom - men Pipins von Herſtall und Carl Martells. S. 40. VII - IX. Staatskluge Protection der Miſſionarien, inſonderheit Bonifazens. S. 42. X-XVI. Damaliger Zuſtand der Re - ligionslehren vom Fegefeuer, von guten Werken u. ſ. w. und des Kirchenſtaats. S. 44. XVII. Erſte Unterhandlungen uͤber das Patriciat der Roͤmer. S. 48. XVIII-XX. End - lich vollzogener Sturz des Merovinger Stamms, und Thron - beſteigung Pipins des Kleinen. S. 49.
  • VI. Carolinger in ihrem Flore, inſonderheit Carl der Große. S. 51-74.
  • I. II. Pipins Geſchichte ſeit ſeiner Thronbeſteigung inſonderheit Roͤmiſches Patriciat, und Schenkung an den paͤbſtlichen Stuhl. S. 51. III. Carl der Große. S. 53. IV. Seine Eroberung des Longobardiſchen Koͤnigreichs. S. 53. V. Anfang des Sachſenkrieges. S. 55. VI. Er - weiterung der Graͤnzen ſeines Reichs uͤber die Pyrenaͤiſchen Gebirge. S. 55. VII. Kriege und Anſtalten jenſeits der Elbe. S. 55. VIII. IX. Zuͤge und Staatsveraͤnderungen in Baiern. S. 56. X. Verſuch den Rhein mit der Donau zu vereinigen. S. 58. XI-XVI. Erneuerung der Roͤmi - ſchen Kaiſerwuͤrde. S. 58. XVII-XIX. Deren rechtliche Wirkungen. S. 62. XX-XXII. Ende des Sachſenkrie - ges, und Friedensbedingungen. S. 65. XXIII. XXIV. Grundlage zu den heutigen Biſthuͤmern in Weſtphalen und Niederſachſen. S. 67. XXV. Feldzuͤge in Boͤhmen. S. 69. XXVI. Krieg mit den Normaͤnnern; Eider Graͤnze des Reichs. S. 69. XXVII. XXVIII. Capitularien und andere gute Anſtalten Carls des Großen S. 70. XXIX. inſonderheit in Anſehung des Kirchenſtaats. S. 72. XXX. Neues Erzbiſthum zu Salzburg. S. 74. XXXI. Unter - haltung beſtaͤndiger Commiſſarien. S. 74.
  • VII. Abnahme und Verfall des Fraͤnkiſchen Reichs unter Ludewig dem Frommen und ſeinen Nachkommen. S. 75-98.
  • I. Theilung, die Carl der Große unter ſeinen Soͤhnen gemacht hatte. S. 76. II. Ludewigs des Frommen unzei -a 5tigeInhalt. tige Nachahmung dieſes Beyſpiels. S. 76. III. Ueble Fol - gen davon ſchon bey ſeinem Leben. S. 77. IV. Succeſ - ſionskrieg nach ſeinem Tode unter ſeinen Soͤhnen bis zum Verduͤniſchen Vertrage 843. Inhalt dieſes Vertrages. S. 78. V. Urſprung des Koͤnigreichs Lothringen. Weitere Vertheilungen und Succeſſionsirrungen. S. 79.
  • VI. Andere auf die Reichsverfaſſung in Beziehung ſte - hende Umſtaͤnde dieſer Zeit. Schwaͤche der Regierung. Zunehmen des Anſehen der Staͤnde. S. 80. VII. Einbruͤche fremder Voͤlker, inſonderheit Normaͤnner und Wenden. S. 80. VII. Herſtellung einiger Herzoge und deren groͤßere Ge - walt. S. 81. IX. Vertheidigungsanſtalten in Bergſchloͤſ - ſern und mit angenommenen Lehnleuten. S. 82. X. Ueber - handnehmung des Fauſtrechts und Lehnsweſens. S. 84. XI-XIII. Zunehmender Einfluß der Reichsſtaͤnde in die Re - gierung des Reichs. S. 84. XIV. Verfall der Schul - anſtalten und Kenntniſſe. S. 87.
  • XV. Geſchichte eines außerordentlich merkwuͤrdigen Buches, das unter dem Namen Iſidors von Sevilla aus - gebreitet wurde als eine angebliche Sammlung paͤbſtli - cher Briefe und Concilienſchluͤſſe, S. 88. XVI. deren Inhalt die paͤbſtliche Gewalt ſchon vom erſten Jahrhunderte her uͤber alles ſetzte mit erdichteten oder verfaͤlſchten Brie - fen und Concilienſchluͤſſen. S. 89. XVII. XVIII. Wahr - ſcheinlicher Verfaſſer dieſes Buchs, und wie es unter die Leute gebracht worden. S. 90. Wie der Betrug zuerſt im XVI. Jahrhunderte recht entdeckt worden. S. 91. XIX. XX. Einfluß des Iſidoriſchen Buchs auf die Thron - folge Lothars des II. S. 93. XXI. Weitere Erbfolge in Lothringen, und deſſen Vereinigung mit dem Teutſchen Rei - che. S. 95. XXII. -XXIV. Urſprung zwey Burgundiſcher Koͤnigreiche, und deren Vereinigung. S. 95. XXV. Wei - tere Thronfolgen in Teutſchland und Frankreich. Streit uͤber die Franzoͤſiſche Thronfolge nach Ludewigs des Stamm - lers Tode wegen deſſen zweyerley Ehen. Ausſchließung Carls des Einfaͤltigen von der damaligen Thronfolge. Vereinigung der Monarchie unter Carl dem Dicken. S. 97. XXVI. Deſſen Sturz. S. 98.
  • Zweytes Buch. Des mittlern Zeitalters erſter Abſchnitt vom Abgang der Carolinger und den nachherigen Saͤchſiſchen, Fraͤnkiſchen und Schwaͤ - biſchen Kaiſern bis zum Jahre 1235. S. 99-214.
  • I. Vom Abgange der Carolinger bis zum An - fange der Saͤchſiſchen Kaiſer 888-919. S. 99-104.
  • I. Arnulfs Thronbeſteigung und Ende der Carolinger mit Carl dem Dicken. S. 99. II. Lothringen bleibt mit Teutſchland vereiniget; nur Burgund gehet ab. S. 100. III. IV. Frankreich und Italien ſondern ſich ebenfalls ab. S. 100. V. Weitere Thronfolge in Teutſchland. Lude - wig das Kind, und Conrad der I. S. 101. VI IX. Ver - fall des Reichs in dieſem Zeitraume; inſonderheit bey uͤber - hand nehmenden Befehdungen und fortwaͤhrenden Einbruͤchen fremder Voͤlker. S. 102.
  • II. Von Henrich dem I. 919-936. S. 104-111.
  • I. Baiern und Lothringen in Verbindung mit Teutſchland erhalten. S. 104. II-V. Angefangener Staͤdtebau im innern Teutſchlande. S. 105. VI-IX. Davon in der Folge abgehangene Verſchiedenheit der Staͤnde. S. 108. X. Errichtung der Burg Meiſſen und der Marggrafſchaft Schleswig. S. 110.
  • III. Von Otto dem Großen 936-974. S. 111-128.
  • I. II. Merkwuͤrdigkeiten bey Otto’s Thronfolge. Erſte Spuhr der Untheilbarkeit des Reichs und des Rechts der Erſtgebuhrt. S. 111. III-V. Erſter Keim der nachheri - gen churfuͤrſtlichen Vorrechte der Erzbiſchoͤfe von Mainz, Trier, Coͤlln, und vier weltlicher Erzbeamten. S. 113. VI. VII. Erneuerte Verbindung mit Rom und Italien. S. 115. VIII XII. Folgen der erneuerten Kaiſerwuͤrde. S. 116. XIII XV. Neue Eroberungen Wendiſcher Laͤnder, und neue geiſtliche Stiftungen in dieſen Gegenden, inſonderheit zu Magdeburg, Hamburg, Prag. S. 119. XVI-XVIII. Freygebigkeit gegen Geiſtliche und Befoͤrderung ihrer groͤße - ren Aufnahme. S. 121. XIX-XXI. Verhaͤltniß der dama -ligenInhalt. ligen Herzogthuͤmer. S. 123. XXII. Urſprung der Pfalz - grafſchaften. S. 125. XXIII XXV. Verſchiedene Gruͤnde zum nachherigen Verfall des Reichs. S. 126.
  • IV. Von den drey letzten Saͤchſiſchen Kaiſern, Otto dem II. und III., und Henrich dem II. 974-1024. S. 128-132.
  • I. Unveraͤnderte Verfaſſung dieſer Zeit. S. 128. II. Zwey Herzogthuͤmer in einer Perſon. S. 128. III. Loth - ringen aufs neue in Teutſcher[Verbindung] befeſtiget. S. 129. IV. Otto des III. Minderjaͤhrigkeit und muͤtterliche und groß - muͤtterliche Vormundſchaft. S. 129. V. Realvereinigung des Roͤmiſchen Kaiſerthums mit dem Teutſchen Reiche. S. 130. VI. Henrichs des II. neue Vertraͤge mit dem paͤbſtlichen Stuhle. S. 130. VII. Errichtung des Biſthums Bam - berg. S. 131.
  • V. Von Conrad dem II. 1024-1039. S. 133-137.
  • I. Nach Abgang des Saͤchſiſchen Stammes mußte zwar ein neuer Koͤnig gewehlt werden; aber noch war deswegen Teutſchland kein Wahlreich. S. 133. II. Art und Weiſe der damaligen Wahl. S. 133. III. Erhaltene Verbin - dung mit Italien. S. 134. IV. V. Vereinigung des Burgundiſchen Reichs mit dem Teutſchen. S. 134. VI. Ganz anderes Verhaͤltniß mit Italien. S. 137. VII. Verluſt von Schleswig und Herſtellung der ehemaligen Graͤn - ze der Eider. S. 137.
  • VI. Von Henrich dem III. 1039-1056. S. 138-140.
  • I. Erweiterte Graͤnze gegen Ungarn. S. 138. II. Neue Verſuche die kaiſerliche Hoheit wieder empor zu brin - gen. S. 138. III. Hergeſtellte Abhaͤngigkeit der Pabſt - wahlen vom kaiſerlichen Hofe; S. 138. IV. wie auch der Biſchofswahlen. S. 139. V. Unterbrochene Erblichkeit der Herzogthuͤmer. S. 139.
  • VII. Vorbereitungen zu großen Revolutionen im Staate und in der Kirche unter Henrich dem IV. 1056-1106. S. 141-151.
  • I. Unter der Minderjaͤhrigkeit Henrichs des IV. vereinig - te Bemuͤhungen des Pabſtes und Teutſcher Mißvergnuͤgten, um die kaiſerliche Macht mehr einzuſchraͤnken. S. 141. II. Vorbereitungen hierzu von Hildebrand, nachherigem Gre - gor dem VII. S. 142. III. Untergrabene Abhaͤngigkeit der Pabſtwahlen vom Kaiſer. S. 142. IV. Angriff auf das kaiſerliche Recht die Biſchoͤfe mit Ring und Stab zu be - lehnen. S. 143. V. VI. Verbot der Prieſterehe. S. 144. VII. In Gang gebrachte Excommunication des Kaiſers. Abſicht Teutſchland in ein freyes Wahlreich zu verwandeln. S. 145. VIII. IX. Zuſammenhang des hiebey vor Augen gehabten Entwurfes eines ganz neuen Staats - und Voͤlkerrechts; von zwey ſichtbaren Haͤuptern der Welt, Pabſt und Kaiſer; aber jener uͤber alles. S. 146. X-XV. Großer Antheil, den an allem dem die um dieſe Zeit in Gang gebrachten Kreuzzuͤge bekommen haben. S. 147.
  • VIII. Erfolg großer Veraͤnderungen unter Hen - rich dem V., erſtlich in Anſehung der Kirche 1106 - 1125. S. 151-163.
  • I. Concordat zwiſchen Henrich dem V. und Calixt dem II., S. 151. II. vermoͤge deſſen der Kaiſer zwar die Belehnung mit Ring und Stab verlohr, S. 152. III. aber doch jeden erwehlten Biſchof mittelſt Scepters belehnen, und ſtreitige Wahlen entſcheiden ſollte. S. 153. IV. Doch auch dieſes letztere Recht iſt den Kaiſern nachher aus den Haͤnden geſpielt worden. S. 154. V-VIII. Die Biſchofswahlen ſelbſt kamen ausſchließlich an die Domcapi - tel, die inzwiſchen ihr Moͤnchsleben verlaßen hatten, und nach eingefuͤhrter Ahnenprobe meiſt nur aus Adelichen beſtanden; S. 155. IX. jetzt auch anfiengen den Biſchoͤ - fen Wahlcapitulationen vorzulegen, und in der Sedisvacanz zu regieren. S. 158. X. So wurden Biſthuͤmer und Domherrenpfruͤnden meiſt nur Stiftungen fuͤr hohen und nie - dern Adel. S. 159. XI. Eben ſolche Veraͤnderungen gab es in der Kloſterzucht. Neue Moͤnchsorden. XII. Geiſtliche Ritterorden. S. 159.
  • IX. Erfolg großer Veraͤnderungen unter Hen - rich dem V. in der Staatsverfaſſung des Teutſchen Reichs. S. 163-176.
  • I. Erblichkeit der weltlichen Reichsſtaͤnde; S. 163. II. inſonderheit der Grafſchaften, in den Niederlanden eher, im uͤbrigen Teutſchlande ſpaͤter. S. 164. III. IV. Ver - wandelung der Gaue in Grafſchaften, mit erblichen Ge - ſchlechtsnamen von den Schloͤſſern als Stammſitzen eines je - den Hauſes; S. 164. V. worin nur mit neu gebauten Schloͤſſern oder vorgenommenen Todtheilungen zu Zeiten eine Aenderung vorgieng. S. 166. VI. Gebrauch erblicher Wappen. S. 168. VII. Schwierigkeit genealogiſcher Er - oͤrterungen uͤber das XII. Jahrhundert hinauf. Abſtam - mung unſerer meiſten fuͤrſtlichen Haͤuſer von ehemaligen graͤf - lichen. S. 169. VIII. Erblichkeit der Herzogthuͤmer. Herkunft der Haͤuſer Lothringen und Braunſchweig-Luͤne - burg von dieſen Zeiten her; S. 170. IX. X. ingleichen der Haͤuſer Heſſen und Baden. S. 171. XI. Art der Vererbung in fuͤrſtlichen Haͤuſern auf mehrere Soͤhne, S. 172. XII. noch ohne Recht der Erſtgebuhrt. S. 174 XIII. Nachherige vielfaͤltige Veraͤnderungen durch haͤufiges Ausſterben vieler Haͤuſer. S. 174. XIV. Zuſtand der Wendiſchen Laͤnder um dieſe Zeit. S. 175.
  • X. Noch weitere Staatsveraͤnderungen unter Lothar dem II., Conrad dem III. und Friedrich dem I. 1125-1190; inſonderheit Wahlfreyheit und Churfuͤrſten; Roͤmiſches und canoniſches Recht; und Achtserklaͤrung Henrichs des Loͤwen. S. 177-194.
  • I. II. Voͤllige Verwandelung des Teutſchen Reichs in ein freyes Wahlreich. S. 177. III. Allmaͤlig zugleich entſtandenes ausſchließliches Wahlrecht drey geiſtlicher und vier weltlicher Churfuͤrſten. S. 179. IV. Paͤbſtliche An - maßung einer Hoheit uͤber den Kaiſer. S. 180. V. Auf - gekommenes Anſehen des Roͤmiſchjuſtinianiſchen und paͤbſt - lichcanoniſchen Geſetzbuches. S. 180. VI. Beziehungfrem -Inhalt. fremder Univerſitaͤten, und dadurch verſtaͤrkter Gebrauch der fremden Geſetzbuͤcher. S. 181. VII. Vorſorge der Teut - ſchen reichsſtaͤndiſchen Haͤuſer ihr bisheriges Erbfolgsrecht durch Verzichte der Toͤchter und Geſchlechtsvertraͤge aufrecht zu erhalten. S. 182. VIII. Ueberhandnehmung des Fauſtrechts; ſelbſt im kaiſerlichen Landfrieden gebilligte Be - fehdungen. S. 183. IX. Merkliche Zunahme der landes - herrlichen Macht der Reichsſtaͤnde. Gebrauch der Achts - erklaͤrungen, und noch zur Zeit beybehaltene Teutſche Ge - richtsverfaſſung. S. 184. X. Beſondere Umſtaͤnde bey der Achtserklaͤrung Henrichs des Stolzen; S. 184. XI. und Henrichs des Loͤwen. S. 186. XII. Widerrechtlich - keit der letztern; aber ungluͤcklicher Erfolg fuͤr das Welfiſche Haus. S. 187. XIII. Verluſt des Herzogthums Sach - ſen, S. 188. XIV. nebſt den Wendiſchen Laͤndern Pom - mern und Mecklenburg. S. 189. XV. Schickſal des Her - zogthums Baiern; deſſen Ueberlaßung an das Haus Wittels - bach. S. 190. XVI. Uebrig gebliebene Erblande des Welfiſchen Hauſes, S. 192. XVII. woraus das Herzog - thum Braunſchweig-Luͤneburg entſtanden. S. 192.
  • XI. Weitere Veraͤnderungen in Italien und in der Kirche unter Friedrich dem I., Henrich dem VI., Otto dem IV. und Friedrich dem II. 1152 - 1235.; inſonderheit neue Unternehmungen des Pab - ſtes Innocenz des III. S. 194-203.
  • I. Vereitelte Entwuͤrfe der Roͤmer, ſich von neuem zum Freyſtaate und Sitze der Kaiſerwuͤrde zu machen. S. 194. II. Errungenſchaft von Sicilien fuͤr das Haus Hohenſtau - fen. Deſto wichtigere Unternehmungen des Pabſtes In - nocenz des III. S. 195. III. Unterdruͤckung der Wal - denſer. S. 196. IV-VI. Neue Orden der Franciſcaner, Dominicaner und anderer Bettelmoͤnche. S. 197. VII. Stiftung der Inquiſition. S. 201. VIII. Paͤbſtliche An - maßung Biſthuͤmer, Abteyen und Pfruͤnden zu vergeben; auch uͤber Kaiſer und Koͤnige ſich zu erheben. Einfuͤh - rung des Interdicts. S. 202. IX. Abwuͤrdigung der Kirchenverſammlungen. Transſubſtantiation wird zum Glaubensartikel. S. 203.
  • XII. Merkliche Abnahme der kaiſerlichen Gewalt, und Zuwachs der reichsſtaͤndiſchen landesherrlichen Rechte unter Friedrich dem II. 1220-1235. S. 204-214.
  • I-IV. Zwey Urkunden Friedrichs des II. fuͤr die geiſt - lichen und weltlichen Reichsſtaͤnde zu Befeſtigung ihrer lan - desherrlichen Rechte. S. 204. V-VIII. Befoͤrderung dieſer landesherrlichen Gewalt von Seiten der Landſchaften. S. 206. IX. So bekam Teutſchland die Geſtalt eines zuſammengeſetzten Staatskoͤrpers, der ſich in viele beſondere Staaten vertheilte. S. 209. X. XI. Urſprung und Be - ſchaffenheit des kaiſerlichen Hofgerichts, das um dieſe Zeit angelegt wurde. S. 210. XII. Vorzuͤge und Unbequem - lichkeiten der damaligen Gerichtsverfaſſung. S. 212. XIII. XIV. Urſprung und Gebrauch der Austraͤge. S. 212.
  • Drittes Buch. Des mittlern Zeitalters zweyter Abſchnitt von den letzten Schwaͤbiſchen Kai - ſern und den folgenden Kaiſern und Koͤnigen aus verſchiedenen Haͤuſern ſeit 1235. bis 1493. S. 215-306.
  • I. Von den letzten Schwaͤbiſchen Kaiſern und den erſten Kaiſern oder Koͤnigen aus verſchiedenen anderen Haͤuſern von 1235. bis 1308. S. 215-230.
  • I. II. Angeblich großes Zwiſchenreich, und Folge der Kaiſer in dieſer Zeit. S. 215. III. Beyſpiel einer Ab - ſetzung des Kaiſers in der Perſon Adolfs von Naſſau. S. 217. IV. Wichtige Veraͤnderungen in verſchiedenen großen Haͤuſern und Laͤndern, als in Oeſterreich, S. 217. V. in Kaͤrnthen, S. 218. VI. in Thuͤringen, S. 219. VII. in Franken, Schwaben und Elſaß. Urſprung der Reichsſtaͤdte, Reichspraͤlaten und der Reichsritterſchaft in Franken und Schwaben. S. 221. VIII. Vielerley Ver - bindungen dieſer Zeit; inſonderheit der Rheiniſche BundundInhalt. und die Hanſe; S. 222. IX. wie auch die Schweizer Eidgenoſſenſchaft. S. 225. X. Beſchwerung der Stroͤh - me und Straßen mit uͤberhaͤuften Zoͤllen. S. 226. XI. Eingefuͤhrte Nothwendigkeit der churfuͤrſtlichen Einwilligung mit ſo genannten Willebriefen. S. 227. XII. Siebenzahl der Churfuͤrſten. S. 228.
  • II. Von Henrich dem VII., Ludewig von Baiern, und Carl dem IV. von 1308. bis 1356., inſonderheit von der Churverein. S. 231-237.
  • I. Verlegung des paͤbſtlichen Stuhls nach Avignon. S. 231. II. Henrich der VII. S. 232. III. Zwieſpaͤl - tige Wahl Ludewigs von Baiern und Friedrichs von Oeſter - reich. S. 232. IV. Veranlaßung und Inhalt der Chur - verein. S. 233. V. Boͤhmen nahm keinen Theil daran, ſondern nur die uͤbrigen ſechs Churfuͤrſten. Die Rheini - ſchen Churfuͤrſten ſchloſſen hernach noch beſondere Vereine. S. 234. VI. Reichsſchluß von Unabhaͤngigkeit des Teutſchen Reichs. S. 235. VII. Wahlen Carls des IV. und Guͤn - thers von Schwarzburg. Veranlaßung der goldenen Bulle. S. 235.
  • III. Von der goldenen Bulle 1356. S. 237-261.
  • I. Grund der Benennung der goldenen Bulle, und wie ſie ſtuͤckweiſe gemacht worden. S. 237. II. III. Haupt - abſicht dieſes Reichsgrundgeſetzes. Genaue Beſtimmung der ſieben Churfuͤrſten; S. 238. IV. mit Uebergehung des Hauſes Baiern wird nur Pfalz auf der fuͤnften Stelle benannt; S. 240. V. desgleichen auf der ſechſten Stelle Sachſen-Wittenberg mit Uebergehung des Hauſes Sachſen - Lauenburg. S. 241. VI. VII. Verordnung des Rechts der Erſtgebuhrt fuͤr die kuͤnftige Erbfolge in den weltlichen Churfuͤrſtenthuͤmern; S. 242. VIII. IX. mit hinzugefuͤg - ter Erforderniß einer rechten ehelichen Gebuhrt, und des weltlichen Standes. S. 244. X-XII. Spaͤtere Einfuͤh - rung der Erſtgebuhrtsfolge in nicht churfuͤrſtlichen Laͤndern. S. 246. XIII. Vormundſchaft uͤber minderjaͤhrige Chur - fuͤrſten. S. 247. XIV. Rang der Churfuͤrſten unter ein - ander. S. 249. XV. Ihre Dienſtverrichtungen an feier - lichen Tagen des kaiſerlichen Hofes, oder die ſo genanntenbReichs -Inhalt. Reichserzaͤmter. S. 249. XVI. Davon abhangende Reichserbaͤmter. S. 250. XVII. Art und Weiſe der kai - ſerlichen Wahl und Kroͤnung. S. 251. XVIII. Roͤmiſche Koͤnigswahl. S. 252. XIX. XX. Reichsvicariate, und deren Rechte. S. 253. XXI. Pfaͤlziſches beſonderes rich - terliches Vorrecht. S. 254. XXII. Verbrechen der belei - digten Majeſtaͤt gegen Churfuͤrſten. S. 255. XXIII. Andere Vorrechte der Churfuͤrſten. S. 255. XXIV. XXV. Verordnungen der goldenen Bulle gegen das Fauſtrecht; S. 255. XXVI. inſonderheit gegen unzeitige Lehnsaufkuͤn - digungen; S. 256. XXVII. XXVIII. ohne daß dem Un - weſen des Fauſtrechts damit abgeholfen worden. S. 257.
  • IV. Andere Veraͤnderungen in der Reichsver - faſſung unter Carl dem IV. und ſeinen erſten Nach - folgern bis 1414. S. 262-278.
  • I. Verſchiedene Keime nachheriger Staatsveraͤnderungen. S. 262. II. Abnahme der kaiſerlichen Hoheitsrechte und Cammerguͤter. S. 262. III. Nothwendigkeit einen Kai - ſer zu wehlen, der eigne Erblande hat. S. 264. IV. Kaiſerliche Reſidenz in den Erblanden an ſtatt des ehemaligen wandelbaren Hoflagers. S. 264. V. Anfang eigentlicher Standeserhoͤhungen, S. 265. VI. inſonderheit gefuͤrſte - ter Praͤlaten und Grafen, S. 266. VII. und Erhoͤhung graͤflicher Haͤuſer und Laͤnder in herzogliche. S. 269. VIII. IX. Wirkungen dieſer Standeserhoͤhungen in Anſehung der Stimmen auf dem Reichstage, und zum Nachtheile des Gra - fenſtandes. S. 269. X. Art der Erbfolge in fuͤrſtlichen Haͤuſern, ohne noch der Erſtgebuhrt einen Vorzug zu geben. S. 271. XI. Bedenkliche Beyſpiele vom Einfluſſe Roͤmi - ſcher Rechtsgrundſaͤtze zum Nachtheile der ſtammsvetterlichen Erbfolge. S. 273. XII. Verdoppelte Vorſicht dagegen in fuͤrſtlichen Hausvertraͤgen. S. 274. XIII. Beſondere Vergroͤßerung der Macht des Hauſes Burgund. S. 275. XIV. Univerſitaͤt zu Prag, die erſte in allen Wendiſchen und Teutſchen Laͤndern. S. 276. XV. Nachher mehrere der - ſelben zu Wien, Heidelberg, Leipzig ꝛc. S. 277. XVI. Einfluß dieſer hohen Schulen auf mehr verbreitete Aufklaͤ - rung. S. 278.
  • V. Veraͤnderungen in der Kirche ſeit dem Auf - enthalte der Paͤbſte zu Avignon und dem daraus entſtandenen Schisma des paͤbſtlichen Stuhls. S. 279-286.
  • I. Folgen des Aufenthalts der Paͤbſte zu Avignon. S. 279. II. Neue paͤbſtliche Anmaßungen in Vergebung geiſtlicher Stellen. S. 280. III. IV. Vermehrte Geldzu - fluͤſſe fuͤr die paͤbſtliche Cammer. S. 281. V. VI. Auf - ſehen uͤber Wiclefs Lehren und uͤber das Schisma zweyer Paͤbſte und zweyerley Cardinaͤle. S. 283. VII. Letzteres unterhalten durch eine gleichmaͤßige Zwieſpalt zwiſchen Wen - zel und Ruprechten von der Pfalz. S. 284. VIII. IX. Vergebliche Anſtellung einer Kirchenverſammlung zu Piſa. S. 285. X. Nochmalige Zwieſpalt in der Kaiſerwuͤrde, bis Sigismund endlich Jobſt von Maͤhren uͤberlebt. S. 286.
  • VI. Kirchenverſammlung zu Coſtnitz, und was damit in Verbindung ſtehet. S. 287-294.
  • I. Einrichtung der Kirchenverſammlung zu Coſtnitz in der Art ihrer Berathſchlagung. S. 287. II. Hebung der bisherigen paͤbſtlichen Zwieſpalt. S. 288. III. Wahl ei - nes neuen Pabſtes, und deſſen Concordate mit den Nationen, inſonderheit der Teutſchen. S. 288. IV. Vereitelte Hoff - nung zur Verbeſſerung der bisherigen Kirchenverfaſſung. S. 289. V. VI. Abſchreckendes Schickſal des Johann Huß. S. 290. VII. Neuer Streit uͤber die Herſtellung des Kelchs im Abendmahle. S. 291. VIII. IX. Ausbruch und Fortgang des Huſſitenkrieges. S. 292. X. Guͤtliche Unterhandlungen mit der neuen Kirchenverſammlung zu Ba - ſel. S. 293. XI. Andere durch den Huſſitenkrieg veran - laßte Veraͤnderungen. Erſte Reichsmatrikel. Ver - wahrung der Reichsinſignien zu Nuͤrnberg. S. 293.
  • VII. Veraͤnderungen in der Kirche und im Rei - che unter Albrecht dem II. und Friedrich dem III. 1437-1493. S. 295-306.
  • I. Anſchein guter Hoffnungen unter Albrecht dem II., aber vereitelt unter Friedrich dem III. S. 295. II. Neue Trennung in der Kirche, da das Concilium zu Baſel Eugen dem IV. Felix den V. entgegenſetzt. S. 296. III. Al - brechts des II. erklaͤrte Neutralitaͤt, und einsweilige Accepta - tion der dienſamen Baſeliſchen Concilienſchluͤſſe. S. 296. IV. Friedrichs des III. entgegenſtehendes Betragen bis zu den Aſchaffenburger Concordaten. S. 297. V. Davon bis jetzt uͤbrig gebliebene Beſchwerden der catholiſchen Teutſchen Kirche. S. 298. VI. Vergebliche Entwuͤrfe das Fauſt - recht abzuſchaffen und eine gruͤndliche Gerichtsverfaſſung ein - zufuͤhren. S. 300. VII. Erzherzoglicher Titel des Hau - ſes Oeſterreich. S. 301. VIII. Deſſen wichtige Errun - genſchaft der Burgundiſchen Niederlande. S. 301. IX. Roͤmiſche Koͤnigswahl Max des I. Errichtung und Ver - faſſung des Schwaͤbiſchen Bundes. S. 302. X. Erfin - dung und Ausbreitung der Buchdruckerey. S. 302. XI. XII. Einfluß derſelben auf den Zuſtand der Gelehrſamkeit. S. 303. XIII. Landesherrliche Rechte der Reichsſtaͤnde in Anſehung der Buchdruckereyen. S. 304. XIV. Ver - geblicher Verſuch, einen kaiſerlichen Generalbuͤcherſuperatten - denten zu beſtellen. S. 305. XV-XVII. Veraͤnderungen in der Reichstagsverfaſſung. S. 306.
  • Viertes Buch. Der neueren Zeiten er - ſter Abſchnitt vom Kaiſer Max dem I. 1493-1519. S. 307-349.
  • I. Landfriede, Cammergericht und Eintheilung des Reichs in Kreiſe. S. 307-315.
  • I-III. Landfriede und Cammergericht, als unzertrenn - lich, wurden an einem Tage errichtet; S. 307. IV. der erſtere mit allgemeiner und ewiger Aufhebung aller Befeh - dungen. S. 309. V. VI. Das Cammergericht bekam gleich eine collegialiſche Verfaſſung mit einem Cammerrichter und einer Anzahl beſtaͤndiger Urtheiler oder Beyſitzer. S. 310. VII. Wegen der letzteren wurde den Churfuͤrſten und Kreiſen ein Praͤſentationsrecht ertheilet. S. 311. VIII. Unterhalt und Matrikel des Cammergerichts. S. 312. IX. Inhalt. IX. Erſte Veranlaßung der Viſitation des Cammergerichts. S. 313. X. Anfangs noch mangelhafte Anſtalt in Anſe - hung der Huͤlfsvollſtreckung. S. 313. XI. Endlich haupt - ſaͤchlich dazu gewidmete Kreisverfaſſung. S. 314.
  • II. Reichshofrath, Fuͤrſtenrecht und Auſtraͤgal - inſtanz. S. 316-323.
  • I. II. Urſprung des Reichshofraths. S. 316. III. Colliſion mit dem Cammergerichte. Urſpruͤnglich fand zwiſchen beiden keine concurrirende Gerichtbarkeit ſtatt. S. 317. IV. Das ehemalige Fuͤrſtenrecht konnte hingegen noch neben dem Cammergerichte ſtatt finden. S. 319. V. Auch ward der Gebrauch der Austraͤge annoch beybehal - ten; S. 320. VI. VII. und zwar nicht nur gewillkuͤhr - ter, ſondern auch geſetzmaͤßiger Austraͤge; S. 320. VIII. nur mit hinzugefuͤgter Eigenſchaft einer kaiſerlichen Commiſ - ſion, ſo daß eine foͤrmliche Auſtraͤgalinſtanz daraus gemacht worden, S. 321. IX. die der Regel nach nicht vorbey - gegangen werden darf. S. 322. X. XI. Seitdem hat man ſie bald auf einer vortheilhaften Seite, bald als nach - theilig angeſehen. S. 323.
  • III. Gerichtsweſen in der Reichsſtaͤnde Laͤndern, und befeſtigte Rechtskraft des Roͤmiſchen Geſetzbu - ches. S. 324-332.
  • I. Einfluß des Cammergerichts auf das Territorialju - ſtitzweſen. S. 324. II. Errichtung der Hofgerichte nach dem Muſter des Cammergerichts. S. 325. III. Ueber - einſtimmung der Hofgerichtsordnungen mit der Cammerge - richtsordnung. S. 326. IV. Aehnlichkeit des Verhaͤlt - niſſes zwiſchen Regierungen und Hofgerichten, wie zwiſchen dem Reichshofrathe und Cammergerichte. S. 327. V. Neue Einrichtung des Gerichtsweſens in Staͤdten und Aem - tern, wie auch in adelichen Gerichten. S. 328. VI. All - gemeine Aufhebung bisheriger kaiſerlicher Evocationen, S. 329. VII. auch ſonſtiger Concurrenz kaiſerlicher und lan - desherrlicher Hoheitsrechte. S. 330. VIII. Feſtere Be - gruͤndung der Rechtskraft des Roͤmiſch-Juſtinianiſchen Ge - ſetzbuchs; S. 330. IX. zwar ohne daß deswegen alleb 3ein -Inhalt. einheimiſch gemeine Rechte ihre Kraft verlohren haͤtten; aber doch ſo, daß man dieſe aus einem ganz unrichtigen Geſichts - puncte anſah. S. 331.
  • IV. Andere Merkwuͤrdigkeiten der Regierung Max des I. S. 333-341.
  • I. Unvollkommenheit, worin die Studien auf Univerſi - taͤten noch waren; beſonders fuͤr das juriſtiſche Fach. S. 333. II. Schwierigkeit, die Laien zum Studieren, und den Adel zu beſſeren Sitten zu bringen. S. 334. III. Vermehrter Geldumlauf, und deſſen Wirkung. S. 337. IV. Veraͤnderungen im Kriegsweſen. S. 339. V. VI. Verungluͤckte Kriege Max des I. gegen die Schweizer, und in der Lige von Cambray. S. 339. VII. Einfuͤhrung des Titels: erwehlter Roͤmiſcher Kaiſer, ohne zu Rom ge - kroͤnt zu ſeyn. S. 340. VIII. Zweyerley gluͤckliche Wech - ſelheirathen, die dem Hauſe Oeſterreich die Thronfolge in Spanien und Ungarn und Boͤhmen zuwege bringen. S. 341.
  • V. Anfang neuer Bewegungen in der Kirche vom D. Luther. S. 342-349.
  • I. Unerwartet unterbrochene ſtolze Ruhe des paͤbſtlichen Hofes S. 342. II. auf Veranlaßung der Lehre vom Ab - laß, S. 343. III. und der von Rom aus in Gang ge - brachten eintraͤglichen Ablaßcommiſſionen, S. 344. IV. deren eine Johann Tetzel in Sachſen zu beſorgen hatte, S. 346. V. zu einer Zeit, da D. Martin Luther Profeſſor der Theologie zu Wittenberg war. S. 346. VI. Luthers Disputation uͤber den Ablaß, S. 347. VII. und fernere Streitſchriften mit Tetzel. S. 348. VIII. Von Rom aus dagegen angeſtellter Ketzerproceß. S. 348. IX. Mißliche Lage D. Luthers bis zum Tode des Kaiſers und Reichsvica - riate des Churfuͤrſten von Sachſen. S. 349.
  • Fuͤnftes Buch. Der neueren Zeiten zwey - ter Abſchnitt vom Kaiſer Carl dem V. 1519-1558.
  • I. Carls des V. Wahlcapitulation und Regie - rungsantritt. S. 350-353.
  • I. Erſte Wahlcapitulation, die das churfuͤrſtliche Colle - gium dem Kaiſer vorgelegt hat, S. 350. II. ohne daß da - mals die uͤbrigen Staͤnde widerſprochen haben. S. 350. III. Errichtung eines Reichsregiments, aber nur von kurzer Dauer. S. 351. IV-VI. Zwey Achtserklaͤrungen, des Herzogs von Wuͤrtenberg und des Biſchofs von Hildesheim. S. 352.
  • II. D. Luthers Geſchichte, und was damit in Verbindung ſteht, bis zum Jahre 1525. S. 354-372.
  • I. Fortgang der Bewegungen uͤber den Ablaß. S. 354. II. Zwingli, Luther, Melanchthon. S. 355. III. Paͤbſt - liche Bulle gegen Luther und fuͤr den Ablaß. S. 356. IV. Nach und nach bey Luthern entſtandene Zweifel uͤber die Rechtmaͤßigkeit der paͤbſtlichen Gewalt. S. 356. V. Luthers Ermahnung an den Teutſchen Adel, und Appellation an ein Concilium. S. 357. VI. Auftraͤge an die paͤbſtlichen Le - gaten, um die Vollziehung der Ketzerſtrafe an Luthern zu be - wirken. S. 358. VII. Handlungen daruͤber auf dem Reichstage zu Worms. Kaiſerliches Edict gegen Luther. S. 358. VIII. IX. Luthers verborgener Aufenthalt auf der Wartburg bey Eiſenach. Seine Ueberſetzung der Bibel. S. 359. X. Sein Catechismus und ſeine Teutſche Lieder. S. 360. XI. Character ſeiner Schriften. S. 361. XII. Ihr Beyfall und unwiderſtehliche Ausbreitung. S. 361. XIII. Bewegungen, ſo hieruͤber an vielen Orten unter den Unterthanen entſtanden, die jetzt andere Prediger zu haben wuͤnſchten; denen aber meiſt von den Obrigkeiten oder Lan - desherrſchaften Schwierigkeiten gemacht wurden. S. 362. XIV-XVI. Unmoͤglichkeit der Beybehaltung der bisherigen kirchlichen Gemeinſchaft bey ſo weſentlich verſchiedenen Lehrſaͤtzen; S. 364. XVII. und bey der Verſchiedenheit der Meſſe und des Abendmahls in beyderley Geſtalt; S. 365. XVIII. wie auch in Anſehung der biſchoͤflichen geiſtlichen Gewalt, des Moͤnchsweſens, des Coelibats der Geiſtlichkeit u. ſ. w. S. 366. XIX. Daraus erwachſene Nothwendig - keit einer Veraͤnderung im oͤffentlichen Gottesdienſte und in der ganzen Kirchenverfaſſung. S. 367. XX. XXI. Alles das ergab ſich erſt nach und nach, aber doch ſchon mit ſtarken Fortſchritten; S. 368. XXII. inſonderheit mit Herſtellung des Kelchs und Einfuͤhrung der Teutſchen Sprache beymAbend -Inhalt. Abendmahl, S. 369. XXIII. und mit der Prieſterehe und dem Unwerthe der Geluͤbde. S. 369. XXIV. Andere aus un - aͤchten Quellen gefloſſene Unternehmungen gewaltſamer Bilder - ſtuͤrmereyen und Wiedertaͤufer. S. 370. XXV. Neue Erſcheinung D. Luthers zu Wittenberg. S. 370. XXVI. Nunmehrige neue Reichstagshandlungen uͤber Vollziehung des Wormſer Edicts. S. 371.
  • III. Religionsbegebenheiten des Jahrs 1525. S. 372-385.
  • I. II. Schritte zu einer neuen Kirchenverfaſſung, da Landesherren und Unterthanen einerley Sinnes waren, dem Pabſte und den Biſchoͤfen, die demſelben zugethan blieben, den Gehorſam aufzukuͤndigen; S. 372. III. IV. inſonderheit in Heſſen und Sachſen; S. 374. V. auch in anderen Laͤn - dern und auswaͤrtigen Reichen, S. 375. VI. ingleichen in vielen Reichsſtaͤdten, wie auch in den Niederlanden und in der Schweiz. S. 375. VII. In Staͤdten ward die Kirchen - reinigung nicht ſowohl von den Obrigkeiten, als zuerſt von der Buͤrgerſchaft begehrt. An einigen Orten blieb die Buͤrgerſchaft getheilt. S. 375. VIII. Auch in ganzen Laͤndern entſtand oft ein vermiſchter Religionszuſtand. S. 376. IX-XI. In der neuen Kirchenverfaſſung ward außer der Bibel keine allgemeine Vorſchrift zum Grunde ge - legt. Ein Staat benutzte wohl des andern Beyſpiel; aber das Hauptwerk wurde nach eines jeden Staats beſonderen Umſtaͤnden eingerichtet. S. 377. XII. Mit Moͤnchs - und Nonnenkloͤſtern wurden uͤberall Aenderungen vorgenommen. S. 379. XIII. Man erkannte durchgaͤngig den Unwerth der Kloſtergeluͤbde. S. 380. XIV. Kloͤſter und Stifter wurden alſo vielfaͤltig in Hoſpitaͤler oder andere milde Stif - tungen verwandelt, oder ihre Einkuͤnfte zu Pfarren, Schu - len und Univerſitaͤten verwandt. S. 381. XV. XVI. Im Hochmeiſterthume des Teutſchen Ordens in Preuſſen wurde auf den Unwerth der Ordensgeluͤbde die erſte Seculariſation eines ganzen Landes gegruͤndet. S. 382. XVII. Dar - uͤber entſtand zu Deſſau der erſte Offenſivbund gegen die Proteſtanten; S. 383. XVIII. und zu Torgau hinwieder - um ihr erſtes Defenſivbuͤndniß. S. 384.
  • IV. Reichstagsverhandlungen und andere Vor - faͤlle bis zur Augsburgiſchen Confeſſion 1526 1530. S. 385-394.
  • I. II. In Carls des V. anhaltender Abweſenheit ſtellte ein Reichsſchluß 1526. die Religionsſachen auf eines jeden Reichsſtandes Gewiſſen. Damit ward der Fortgang der Reformation noch weiter befoͤrdert. S. 385. III. Ein von Otto Pack angezeigter neuer Offenſivbund veranlaßte den Landgrafen von Heſſen ſchon ins Feld zu ruͤcken. S. 386. IV. Ein neuer Reichsſchluß 1529. war der Reformation deſto mehr entgegen, S. 387. V. und gab zuerſt Anlaß, die Mehrheit der Stimmen in Religionsſachen zu beſtreiten, S. 388. VI. und wider den Reichsſchluß zu proteſtiren, wovon der Name Proteſtanten aufgekommen. S. 389. VII. Doch ein anderweites kaiſerliches Reichstagsausſchrei - ben macht wieder Hoffnung, indem ſich die Proteſtanten dadurch aufgefordert halten, ihr Glaubensbekenntniß oͤffent - lich vorzulegen, S. 390. VIII-XI. wie in der Augsburgi - ſchen Confeſſion geſchehen iſt, S. 391. XII. unter andern mit deutlicher Bemerkung, wie man uͤberall nicht mit Zwang, ſondern nach Ueberzeugung zu Werk gehe. S. 393. XIII. Nur in der Lehre vom Abendmahle aͤuſſert ſich ſchon ein Streit zwiſchen Luther und Zwingli. S. 393.
  • V. Erfolg des Reichstags 1530. bis zum Jah - re 1555. S. 395-405.
  • I. Des Reichsabſchiedes 1530. widriger Inhalt fuͤr die Proteſtanten. S. 395. II. Roͤmiſche Koͤnigswahl Ferdi - nands des I. Ende des Reichsregiments und des Schwaͤ - biſchen Bundes. Hergeſtellter Beſitz des Herzogthums Wuͤrtenberg an den Herzog Ulrich. S. 396. III. Reli - gionsvertrag zu Nuͤrnberg 1532. S. 396. IV. Friede zu Cadan. Vorſchrift fuͤr kuͤnftige Roͤmiſche Koͤnigswahlen. Wuͤrtenbergiſche Afterlehnſchaft von Oeſterreich. S. 397. V. Geſchichte der Wiedertaͤufer zu Muͤnſter. S. 397. VI-VIII. Neue Fortſchritte der Reformation in mehreren Laͤndern und Staͤdten; S. 398. IX. namentlich auch im Hochſtifte Naumburg und im Erzſtifte Coͤlln. S. 399. X. Ueberfall, Niederlage und Gefangenſchaft Herzog Hen -crichsInhalt. richs des juͤngern von Braunſchweig-Wolfenbuͤttel. S. 400. XI. Schmalkaldiſche Buͤndniſſe und Gegenbuͤndniſſe. Frie - de zu Creſpy. S. 400. XII. Trennung des Schmalkaldiſchen Bundesheeres. Schlacht bey Muͤhlberg. Unterwer - fung und Gefangenſchaft des Churfuͤrſten von Sachſen und des Landgrafen von Heſſen. S. 401. XIII. Reichstag zu Augsburg. Ein von Carl dem V. den geiſtlichen Staͤn - den zugeſtellter Begriff einer Reformation. S. 401. XIV. Interim. Achtserklaͤrung und Unterjochung der Stadt Coſtnitz. S. 403. XV. Dem Churfuͤrſten Moritz von Sachſen aufgetragene Belagerung von Magdeburg. Deſſen Ver - bindung mit Frankreich. S. 404. XVI. Vertrag zu Paſſau und Religionsfriede zu Augsburg. S. 405.
  • VI. Hauptinhalt des Religionsfriedens 1555., das gegenſeitige Verhalten der verſchiedenen Reli - gionsverwandten uͤberhaupt betreffend. S. 406-412.
  • I. Ohne noch die Hoffnung zu einer Vereinigung der Religionen ſelbſt aufzugeben, ward doch der Friede auf ewig geſchloſſen. S. 406. II. III. Catholiſche und evangeliſche Staͤnde ſollten der Religion halber einander nicht verfolgen, noch veraͤchtlich halten. S. 407. IV. Auch in Reichs - ſtaͤdten ſollte ein Religionstheil den andern in Ruhe laßen. S. 408. V. Das war der wahre Geiſt des Religions - friedeus. S. 408. VI. Aber beym hierarchiſchen Syſteme war es ſchwer, den Geiſt der Duldung und bruͤderlichen Betragens einzufuͤhren, S. 409. VII. und die irrige Vor - ſtellung vom Verhaͤltniß einer herrſchenden Kirche zu fremden bloß aus Gnaden aufgenommenen Religionsverwandten hier zu entfernen. Hier war ein ganz anderer Fall, da ein Theil der Nation ſeine Geſinnungen in Anſehung der Religion geaͤndert hatte; S. 409. VIII. ohne doch den Pflichten gegen den Staat Abbruch zu thun. S. 410. IX. Selbſt evangeliſchen Unterthanen catholiſcher Landesherren hatte des - wegen eine Erklaͤrung des Roͤmiſchen Koͤnigs ihre Religions - uͤbung billig geſichert. S. 411. X. Aber im Religions - frieden ſelbſt war nur der gegenſeitige freye Ab - und Zuzug der Unterthanen ausbedungen. S. 412.
  • VII. Verordnungen des Religionsfriedens 1555. in Anſehung der geiſtlichen Gerichtbarkeit. S. 413-420.
  • I. Ungleiche Geſinnungen der beiden Religionstheile uͤber die geiſtliche Gerichtbarkeit, wie ſie bisher in Uebung war. S. 413. II. III. Im Religionsfrieden wurde ſie uͤber die Proteſtanten bis zur Vereinigung beider Religionen aufge - hoben; S. 414. IV. V. zwar noch mit einiger Einſchraͤn - kung in Anſehung der Gegenſtaͤnde, die aber nicht von Be - ſtand ſeyn konnte. S. 415. VI. Was aber fuͤr eine neue Kirchenverfaſſung unter den Evangeliſchen ſtatt finden ſollte, war kein Gegenſtand des Religionsfriedens. S. 416. VII. Evangeliſche Landſchaften ließen jetzt gern ihren Landesherren alle die Rechte, welche die paͤbſtliche Hierarchie der hoͤchſten Gewalt zur Ungebuͤhr entzogen hatte. S. 417. VIII. Aber auch viele Rechte, die jetzt eine jede Gemeinde collegialiſch haͤtte ausuͤben koͤnnen, uͤberließ man gern einem Landesherrn von eben der Religion, und ſeinem Conſiſtorium. S. 417. IX. So ſtellten evangeliſche Reichsſtaͤnde jetzt zweyerley Per - ſonen vor, eben wie die catholiſchen geiſtlichen Reichsſtaͤnde; nehmlich eine andere Perſon, ſofern ſie Landeshoheit, eine andere, ſofern ſie biſchoͤfliche Rechte ausuͤbten. S. 418. X. Letztere waren deswegen auch unter den Evangeliſchen keine Beſtandtheile der Landeshoheit, daß auch ein catholiſcher Lan - desherr uͤber evangeliſche Unterthanen ſie behaupten koͤnnte. S. 419. XI. Auch ward darum den Reichsgerichten keine geiſtliche Gerichtbarkeit uͤber Proteſtanten eingeraͤumt. S. 419.
  • VIII. Verordnungen des Religionsfriedens 1555. wegen der Kloͤſter und des geiſtlichen Vorbehalts. S. 421-430.
  • I. II. Wegen der eingezogenen Kloͤſter wurden billig die evangeliſchen Reichsſtaͤnde in Ruhe gelaßen; S. 421. III. IV. nur mit Ausnahme ſolcher Kloͤſter, die einem dritten Reichs - ſtande zugehoͤrten, wegen derer man die Zeit des Paſſauer Vertrages zum Entſcheidungsziele feſtſetzte. S. 423. V. VI. In Anſehung der unmittelbaren Stifter war es uͤberhaupt nicht unbillig, daß auch der evangeliſche hohe und niedere Adel von der darin zu erwartenden Verſorgung nicht ausge - ſchloſſen wuͤrde; S. 424. VII X. zumal wenn ſowohl Bi - ſchof und Domherren als die Unterthanen im Lande ſelbſt in Anſehung der Religion andere Geſinnungen bekamen. S. 426. XI. Darin wollten aber die Catholiſchen durchaus nicht nach - geben. Alſo ruͤckte Ferdinand, als eine Art von Macht -ſpruch,Inhalt. ſpruch, den ſo genannten geiſtlichen Vorbehalt in den Reli - gionsfrieden; S. 429. XII. der aber an ſich gleich unver - bindlich, und leider nur die Quelle unuͤberſehlicher neuer Streitigkeiten war. S. 429.
  • IX. Guͤnſtige und unguͤnſtige Ausſichten auf die Zukunft; Gleichgewicht der Religion unter den Chur - fuͤrſten; aber Auf kommen der Jeſuiten! S. 431-447.
  • I. II. Gluͤckliches Gleichgewicht fuͤr die Ruhe von Teutſch - land in der voͤlligen Religionsgleichheit der ſechs Churfuͤrſten. S. 431. III. IV. Aber unguͤnſtige Ausſichten fuͤr die Zu - kunft in dem neu entſtandenen Jeſuiterorden. S. 432. V - VII. Deſſen Schulunterricht, Moral und Eingang bey Hoͤfen. S. 437. VIII. IX. Erwerbungsmittel. S. 441. X. Innere Einrichtung des Ordens. S. 442. XI. Deſſen wahre Beherrſchung der Welt. S. 443. XII. Seine genaue Ver - bindung mit dem paͤbſtlichen Stuhle. S. 444. XIII. Letzter Zweck des Ordens ſeine eigne Wohlfahrt. S. 444. XIV. Hauptbemuͤhungen deſſelben gegen die Proteſtanten gerichtet, S. 445. XV. entweder ihnen Haß und Verfolgung zuzuzie - hen, S. 445. XVI. oder ſie zur Roͤmiſchen Kirche zuruͤckzu - bringen. S. 446.
  • X. Andere Veraͤnderungen in Reichsſachen unter Carl dem V. S. 448-460.
  • I. II. Neue Cammergerichtsordnung 1548. und von neuem promulgirt 1555. S. 448. III. Jaͤhrliche Viſitation des Cammergerichts, nebſt der damit verbundenen Reviſion. S. 450. IV. Erneuerung des Landfriedens. S. 451. V - VII. Verbeſſerte Kreisverfaſſung mit Kreisverſammlungen und kreisausſchreibenden Fuͤrſten. S. 451. VIII. Reichsexecu - tionsordnung. S. 453. IX. Cammergerichts - und Reichs - Matrikel. S. 454. X. XI. Letztere nach ſo genannten Roͤ - mermonathen, S. 454. XII. XIII. und ſeit 1543. mit Be - ſteurung der Landſchaften. S. 456. XIV. Begruͤndung der heutigen Verfaſſung der Reichsritterſchaft. S. 457. XV. Muͤnzordnung; peinliche Halsgerichtsordnung; Reichspolizey - ordnung. S. 458. XVI. XVII. Vertraͤge mit Lothringen und Burgund uͤber ihr Verhaͤltniß zum Reiche. S. 459.
Erſtes
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Erſtes Buch von den aͤlteſten Zeiten her bis zum Verfall der Carolinger 888.

I. Teutſchlands Zuſtand von den aͤlteſten Zeiten her bis in das fuͤnfte Jahrhundert.

I-IV. Von den aͤlteſten Zeiten her waren in Teutſchland mehrere von einander unabhaͤngige Voͤlker ; V. obgleich alle Staͤmme eines Hauptvolks. VI. VII. Seit dem III. Jahrhundert nach und nach in groͤßeren Verbindungen. VIII. Seit dem V. Jahrhundert Voͤlker von zweyerley Her - kunft, einige urſpruͤnglich Wendiſche, andere urſpruͤnglich Teutſche. IX-XII. Ueberbleibſel von beiderley Voͤlker Verfaſſung bis auf den heutigen Tag.

Unter ſo vielen Eigenheiten, wodurch ſich dasI. Teutſche Reich in ſeiner Staatsverfaſſung von allen anderen Europaͤiſchen Reichen auszeich - net, iſt eine der erſten, daß es aus mehrerenAStaa -2I. Alte Zeiten bis 888. Staaten zuſammengeſetzt iſt, die, wenn man auf die Verſchiedenheit ihrer Lage, ihrer Groͤße, ihrer innerlichen Einrichtung und ihres ganzen Verhaͤlt - niſſes ſieht, einander nichts anzugehen, wenigſtens in keinem andern Verhaͤltniſſe, als mehrere Euro - paͤiſche Staaten, gegen einander zu ſtehen ſcheinen. Dennoch machen ſie zuſammen noch immer ein Ganzes aus, das einem gemeinſamen Oberhaupte, einer gemeinſchaftlichen hoͤhern Gewalt unterwor - fen iſt. Von dieſer ganz beſonderen Verfaſſung laßen ſich in ſo weit ſchon in der aͤlteſten Geſchichte die erſten Keime aufſuchen, als von den aͤlteſten Zeiten her Teutſchland von mehreren Voͤlkern be - wohnet worden, die zwar von einerley Herkunft, wie mehrere Staͤmme eines Hauptvolkes, geweſen ſeyn moͤgen, deren jedes jedoch fuͤr ſich in voͤlliger Freyheit und Unabhaͤngigkeit ſeine eigne Einrich - tung hatte.

II.

So gehen die erſten glaubwuͤrdigen Nachrich - ten, die wir nur Roͤmiſchen und Griechiſchen Schriftſtellern zu danken haben, bis auf hundert und vierzehn Jahre vor Chriſti Gebuhrt nach unſe - rer jetzigen Zeitrechnung zuruͤck. Mit den Angrif - fen, welche damals von Cimbern und anderen Teutſchen Voͤlkern gegen die Roͤmer an der Graͤnze von Illyrien im heutigen Steiermark unternommen wurden, fieng eine naͤhere Kenntniß dieſer Voͤlker erſt an den Roͤmern intereſſant zu werden.

III.

Von ſelbigen Zeiten her machen die Roͤmiſchen Geſchichtſchreiber mehr als fuͤnfzig Teutſche Voͤlker namhaft. Darunter ſind einige, deren Namen noch jetzt in eben den Gegenden vorkommen, alsTre -31) Teutſchland bis ins V. Jahrhund. Trevirer um Trier, Ruͤgier in Ruͤgen, und vor - zuͤglich Frieſen, deren Sitz und Benennung in den Gegenden, die noch jetzt Oſt - und Weſtfriesland heiſſen, immer unveraͤndert geblieben iſt. Von einigen macht die Namensaͤhnlichkeit mit Fluͤſſen, die noch jetzt bekannt ſind, die Gegend ihres ur - ſpruͤnglichen Wohnſitzes wahrſcheinlich, als von den Warinern an der Warne im Mecklenburgiſchen, von den Foſiern an der Fuſe im Hildesheimiſchen, von Chaſuariern an der Haſe im Osnabruͤckiſchen. Anderen laßen ſich mit mehr oder weniger Wahr - ſcheinlichkeit ihre ehemalige Wohnſitze anweiſen, nachdem die Nachrichten, welche uns die Roͤmi - ſchen Schriftſteller davon geben, mehr oder weni - ger beſtimmt und glaubwuͤrdig ſind, als den Cat - ten im heutigen Heſſen, den Cheruskern am Harze, den Tenctern im Bergiſchen, den Bructern an der Lippe, Ems und Roer, den Chamaven in der Graf - ſchaft Mark u. ſ. w.

Man darf jedoch nie außer Acht laßen, daßIV. von jenen Zeiten her, da dieſe Namen der Teut - ſchen Voͤlker uͤblich waren, dieſelben vielleicht zum Theil noch wie Horden herumzogen, die nur der Jagd und Weide nachgiengen, ohne noch das Land zu bauen, vielweniger in Staͤdten und Doͤrfern unveraͤnderliche Wohnſitze zu haben. In dieſen Umſtaͤnden waren ſolche Voͤlker an einen gewiſſen Grund und Boden nicht ſo gebunden, wie wir uns jetzt Land und Leute an einander gebunden vorſtellen. Bey ſo veraͤnderlichem Aufenthalte ganzer Voͤlker laͤßt ſich kaum gedenken, eine ge - naue und zuverlaͤßige geographiſche Beſchreibung der Teutſchen Voͤlker von jenen aͤlteſten Zeiten herA 2zu4I. Alte Zeiten bis 888. zu machen. Es iſt aber auch auf unſern heutigen Zuſtand wenig Einfluß davon zu erwarten. Die Verſchiedenheit und Abtheilung unſerer Laͤnder, wie ſie jetzt iſt, laͤßt ſich wenigſtens unmittelbar von ſelbigen Zeiten nicht herleiten.

V.

Man muß ohnedem alle dieſe verſchiedene Voͤl - ker nur als Staͤmme eines Hauptvolkes, oder als verſchiedene Zweige eines Hauptſtammes anſehen. So theilt ſchon Plinius alle Teutſche Voͤlker in fuͤnf Hauptſtaͤmme ein; als Vindiler, wozu er Burgunder, Wariner, Cariner und Guttonen rech - net; Ingaͤvonen, wozu Cimbrer, Teutonen und Chaucer gehoͤren ſollen; Iſtaͤvoner, oder Cimbern, die mehr landwaͤrts von der See entfernt geweſen; Hermionen, wozu Sueven, Hermunduren, Catten und Cherusker gehoͤret; und Peuciner oder Baſter - nen, die an Dacien gegraͤnzet. Oder, wie Taci - tus verſichert, hat es vier alte wahre Hauptbe - nennungen der verſchiedenen Teutſchen Voͤlker ge - geben, Marſen, Gambrivier, Sueven und Vanda - lier(a)Tacitvs de morib. Germ. cap. 2.; worin ein neuerer Schriftſteller die Spuh - ren einer urſpruͤnglichen Abtheilung aller Teutſchen Voͤlker in Sachſen, Franken, Schwaben und Baiern zu finden glaubt(b)Olenſchlagers Erlaͤuterung der goldenen Bulle (Frankf. 1766. 4.) S. 43. Note 3..

VI.
2

Erſt, nachdem die Roͤmer die Cimbern und Teutonen von ihren Graͤnzen zuruͤckgeſchlagen, nach - dem Arioviſt eben das Schickſal von Caͤſarn erlit - ten, und nachdem die Roͤmer ihre Graͤnzen von Gallien aus bis an den Rhein, und von den Al -pen51) Teutſchland bis ins V. Jahrhund. pen her bis an die Donau erweitert gehabt, tra - ten mehrere Teutſche Voͤlker in feſtere Verbindun - gen; wie ſie nach und nach unter den noch jetzt bekannten Namen Franken, Schwaben (oder Alle - mannier,) Thuͤringer, Sachſen, in Schriften und Denkmaͤlern des dritten und vierten Jahrhunderts nach Chriſti Gebuhrt zum Vorſchein kommen.

Selbſt unter den erſtaunlichen Voͤlkerzuͤgen desVII. fuͤnften Jahrhunderts, da mit denen vom Donfluß und vom ſchwarzen Meere her zuerſt in Bewegung geſetzten Alanen zwey Teutſche Voͤlker, Vandalen und Sueven, bis in Spanien, und von da ſo gar in Africa uͤbergiengen, da Weſtgothen jene wie - der in Spanien uͤberwaͤltigten, und zugleich den mittaͤglichen Theil von Frankreich von den Pyre - naͤiſchen Gebirgen bis an die Loire beſetzt hielten, da Burgunder (ein anderes Teutſches Volk von der Oſtſee her) an der Saone und Rhone einen Wohnſitz bekamen, da Sachſen im heutigen England feſten Fuß faßten, da endlich ſelbſt Hunnen, die von den aͤußerſten Graͤnzen Aſiens her jene erſte Bewegung dortiger Voͤlker veranlaßt hatten, die Donau hinauf bis uͤber den Rhein ins heutige Champagne angezogen kamen, aber bey Chalons zuruͤckgeſchlagen wurden, ſelbſt unter dieſen großen Revolutionen, ſage ich, erhielten ſich Franken, Schwaben, Thuͤringer, Sachſen und Frie - ſen da, wo man ſie nach ihren urſpruͤnglichen Sitzen beſchrieben findet; als namentlich die Schwaben oder Allemannier im heutigen Schwaben und am Oberrhein bis nach Mainz zu, und die Franken am Niederrheine und in den Niederlanden.

A 3Nur6I. Alte Zeiten bis 888.
VIII.
2

Nur in die von Vandalen, Burgundern und anderen Teutſchen Voͤlkern an der Oſtſee und am rechten Ufer der Elbe verlaßenen Plaͤtze ruͤckten aus Preuſſen, Polen, Rußland, andere Wendiſche oder Slaviſche Voͤlker ein. Selbige erſcheinen ſeit - dem unter vielerley Namen, als Moraver in Maͤh - ren, Czechen in Boͤhmen, Luſitzer in der Lauſitz, Sorben in Meiſſen, Heveller und Uckern im Bran - denburgiſchen, Obotriten, Kyziner, Circipaner, Wilzen, Welataber, Tholenzer, Redarier in Mecklenburg und Pommern, Polaber im Lauen - burgiſchen, Wagrier im heutigen Wagerlande im Holſteiniſchen. Ein jedes dieſer Voͤlker hatte wie - der ſeine ganz eigne Verfaſſung; doch alle waren ſie in ſo weit einerley Herkunft, daß ſie in Sprache und Sitten uͤbereinkamen, wie noch jetzt die Boͤh - miſche, Polniſche, Ruſſiſche, Slavoniſche Sprachen in ſolcher Verwandtſchaft ſtehen, daß ſie nur als ver - ſchiedene Dialecte einer Hauptſprache anzuſehen ſind.

IX.
2

Hier liegt nun ſchon in ſo weit eine der erſten Quellen unſerer heutigen Staatsverfaſſung, daß Teutſchland, was die urſpruͤngliche Herkunft ſeiner Einwohner anbetrifft, in zweyerley Gattungen von Laͤndern abzutheilen iſt; eine Gattung von ſol - chen Laͤndern, deren Einwohner nicht urſpruͤnglich Teutſcher, ſondern Wendiſcher Herkunft ſind, als Mecklenburg, Pommern, Wagrien, Lauenburg, Brandenburg, Meiſſen, Lauſitz, Boͤhmen, Maͤh - ren, und ſeit dem VII. Jahrhundert auch Steier - mark, Kaͤrnthen, Krain; die andere Gattung ſolcher Laͤnder, deren Einwohner von je her urſpruͤng - lich Teutſche[geweſen] ſind, als Niederſachſen, Fran - ken, Schwaben, und der groͤßte Theil von Weſt -pha -71) Teutſchland bis ins V. Jahrhund. phalen. Dieſer innere Theil vom urſpruͤngli - chen Teutſchland hat faſt vor allen Laͤndern von Europa das voraus, daß nie fremde Voͤlker auf die Dauer feſten Fuß darin haben faſſen koͤnnen. Weder den Roͤmern gelang es, dieſſeits Rheins und der Donau ihre Herrſchaft zu befeſtigen; noch anderen Voͤlkern, die zwar haͤufig durchgezogen ſind, und Spuhren der Verwuͤſtung zuruͤckgelaßen ha - ben, iſt es gelungen, hier Eroberungen von Be - ſtand zu machen(c)Hieruͤber verdient vorzuͤglich geleſen zu wer - den des Preuſſiſchen Miniſters von Herzberg Ab - handlung von der Ueberlegenheit der Teutſchen uͤber die Roͤmer ꝛc. (Leipz. 1780. 8.) S. 23..

Jene Wendiſche Laͤnder ſind zwar jetzt ebenfallsX. groͤßtentheils auf Teutſchen Fuß geſetzt, ſo daß außer Boͤhmen und der Lauſitz ſelbſt die Wendiſche Sprache meiſt der Teutſchen Platz machen muͤßen. Jedoch ſowohl in Sitten des Landmanns als in der Verfaſſung der Laͤnder ſind noch Spuhren ihres urſpruͤnglichen Unterſchiedes von anderen Teutſchen Laͤndern gnug uͤbrig. Inſonderheit kann man mit Grunde behaupten, daß ſchon von den Zeiten des fuͤnften Jahrhunderts her hier ein jedes Land ſeinen eignen Landesherrn, Fuͤrſten oder Koͤnig gehabt hat, und erſt in der Folge genoͤthiget worden iſt, die Hoheit des Teutſchen Reichs und deſſen gemein - ſamen Oberhauptes uͤber ſich zu erkennen. Alſo in ſo weit ſchon von ſelbigen Zeiten her der erſte Grund der heutigen Verfaſſung, daß Mecklenburg, Pommern, Meiſſen, Brandenburg u. ſ. w. von je her urſpruͤnglich verſchiedene Laͤnder geweſen ſind,derenA 48I. Alte Zeiten bis 888. deren jedes ſeinen eignen Regenten gehabt hat, jedoch dem Teutſchen Reiche in der Folge unter - wuͤrfig gemacht worden iſt.

XI.
3

Was aber jene urſpruͤnglich Teutſche Voͤlker betrifft, da mochte zwar ein jedes derſelben im Kriege gegen einen dritten Feind gemeine Sache machen, und einem gemeinſamen Heerfuͤhrer folgen, der alsdann als Herzog (Heertog, Anfuͤhrer des Heers,) oder als Fuͤrſt (d. i. der Vorderſte, der Erſte, wie noch jetzt im Engliſchen the firſt, Hol - laͤndiſch de Voorſt) oder auch unter dem Namen eines Koͤniges zu befehlen hatte. Allein ſobald der Krieg ein Ende nahm, hoͤrte auch dieſe Befehls - habung auf. In Friedenszeiten war jeder Stamm, ja jedes freye Geſchlecht, oder jeder Gau, (d. i. jeder nach gewiſſen Graͤnzen von Gebirgen, Gewaͤſ - ſern, oder Himmelsgegenden abgetheilter Diſtrict von einer oder etlichen Quadratmeilen,) worin etwa mehrere freye Geſchlechter in gewiſſer Verbindung lebten, wieder ganz fuͤr ſich. Selbſt einzelne Staͤmme oder Gaue konnten wieder mit einander in Krieg gerathen; alsdann konnte jeder Stamm oder Gau wieder fuͤr ſich ſeinen eignen Befehls - haber haben. So machten zwar die Franken ein Teutſches Hauptvolk aus; aber Salier, Ripua - rier, Cenomannier, Moriner, waren verſchiedene Staͤmme derſelben. Auch in Friedenszeiten konnte ein Gau ſeinen eignen erwehlten Richter haben; wozu gemeiniglich ein Mann von Jahren und Er - fahrung genommen wurde, der ſchon, wie wir noch jetzt ſagen, in Geſchaͤfften grau geworden war, und daher mit dem Namen Grau, Grave, (Gra -vio,91) Teutſchland bis ins V. Jahrhund. vio, woraus das heutige Wort Graf erwachſen,) benannt zu werden pflegte.

So koͤnnte man vielleicht glauben, auch inXII. dem innern Teutſchlande ſchon von den erſten Jahr - hunderten her den Urſprung unſerer heutigen Her - zoge, Fuͤrſten und Grafen ableiten zu koͤnnen; wie freylich die erſte etymologiſche Ableitung dieſer Worte ſchon bis in ſehr alte Zeiten hinaufgefuͤhret werden kann. Allein die Sache ſelbſt, und inſon - derheit der Begriff, den wir jetzt mit unſeren Her - zogen, Fuͤrſten und Grafen als wahren Landesre - genten verbinden, wird ſich erſt in weit ſpaͤteren Zeiten nach und nach entwickeln.

A 5II. 10I. Alte Zeiten bis 888.

II. Zuſtand desjenigen Theils von Teutſchland, wo die Roͤmer bis ins fuͤnfte Jahrhundert Meiſter geblieben, und was davon auf andere Teutſche Voͤlker fuͤr ein Einfluß merklich geworden.

I. Laͤnder am linken Ufer des Rheins und am rechten Ufer der Donau unter Roͤmiſcher Herrſchaft. Staͤdte und andere Roͤmiſche Anlagen in dieſen Gegenden. II. III. Ueberbleibſel und Denkmaͤler davon. IV. Verbreitung einiger Cultur auf benachbarte Teutſche Voͤlker. Inſon - derheit Saliſches, Ripuariſches und anderer Teutſcher Voͤlker Geſetze dieſer Zeit.

I.
3

Die am linken Ufer des Rheines und am rech - ten Ufer der Donau gelegenen Laͤnder, wel - che von Caͤſar und Auguſt an zu rechnen meiſt vierhundert Jahre unter Roͤmiſcher Herrſchaft blie - ben, waren ſchon damals voͤllig auf Roͤmiſchen Fuß geſetzt. Da ware[n]eine Menge Staͤdte und Schloͤſſer erbauet, deren Lage nach ihren Benen - nungen, die noch in heutigen Namen kenntlich ſind, oder auch nach anderen uͤbrig gebliebenen Denkmaͤlern ſicher gnug beſtimmt werden kann; als in den Gegenden des Rheins Moguntiacum Mainz, Auguſta Treuirorum Trier, Colonia Agrippina Coͤlln, Argentoratum Straßburg, Saletio Selz, Tabernae Rhenanae Rheinzabern, Altaripa Altrip, Bingium Bingen, Veſalia We - ſel, Confluentia Coblenz, Antennacum Ander - nach, Noueſium Neus u. ſ. w., und in den Gegen - den der Donau Auguſta Vindelicorum Augs - burg, Regina caſtra Regensburg, Bataua caſtraPaſ -112) Romer am Rhein u. an d. Donau. Paſſau, Celeia Cilley, Lentia Linz, Laureacum Lorch, Iuuauia Salzburg u. ſ. w. Nur in der Ge - ſtalt, wie dieſe Staͤdte oder Schloͤſſer von den Roͤ - mern angelegt waren, hat ſich keine einzige Stadt ungeaͤndert bis auf unſere Zeiten erhalten. Faſt ohne Ausnahme ſind ſie zur Zeit der Voͤlkerzuͤge im fuͤnften Jahrhundert verwuͤſtet, und erſt in ſpaͤteren Zeiten wieder aufgebauet worden.

Aber an Ueberbleibſeln und Denkmaͤlern fehltII. es nicht, die uns uͤberzeugen koͤnnen, in welchen bluͤhenden Zuſtand dieſe Gegenden zu jenen Zeiten der Roͤmer bereits gekommen waren. Noch fehlt uns zwar ein ſolches Werk, das zur vollſtaͤndigen Ueberſicht dieſer Denkmaͤler von allen dieſen Ge - genden dienen koͤnnte, wie von England ſolche in einem Werke beſchrieben und in Kupfer geſtochen ſind(d)Britannia Romana, or the Roman antiquities of Britain, by John Horsley. Lond. 1732. fol. . Einzelne Nachrichten ſind aber vorzuͤg - lich von Mainz(e)P. Joſeph Fuchs alte Geſchichte von Mainz, Mainz 1771. 8. ( Alph. und 26 Kupfer - blaͤtter.) Der Verfaſſer war ein gelehrter Bene - dictiner. Der Churfuͤrſt Emerich Joſeph gab die noͤthigen Koſten zu dieſem Buche. Es ſollten vier Baͤnde werden, bis zu Ende des VII. Jahrhun - derts. Es iſt aber beym erſten Bande geblieben von Erbauung der alten Feſtung Maguntiacum bis zu den Zeiten Trajans., Straßburg(f)Io. Dan. Schoepflin Alſatia illuſtrata, tom. I. Colmar 1751., II. 1761. fol. , Trier(g)Nic. ab Hontheim hiſtoria Treuirenſis diplomatica, Aug. Vind. et Herbip. 1750. fol, und prodromus hiſtoriae Treuirenſis, 1757. fol. ,Salz -12I. Alte Zeiten bis 888. Salzburg(h)Nachrichten vom Zuſtande der Gegenden und Stadt Juvavia vor, waͤhrend und nach Be - herrſchung der Roͤmer bis zur Ankunft des heiligen Ruperts, und von deſſen Verwandelung in das heutige Salzburg, Salzb. 1784. Ein ſtarker Foliant, wovon ein Drittel aus einem diploma - tiſchen Anhange beſteht, der eine ſchaͤtzbare Samm - lung von Urkunden enthaͤlt. Der gelehrte Verfaſſer hat ſich nicht genannt, aber weit mehr geleiſtet, als der Titel nur zu verſprechen ſcheint., Augsburg(i)Pauls von Stetten Geſchichte der Stadt Augsburg, Frkf. u. Leipz. 1743. 4. und einigen anderen Orten vorhanden. Im Ganzen thun hier einige allgemeinere Denkmaͤler gute Dienſte, als unter andern inſonderheit eine Art von alten Roͤmiſchen Landcharten, oder vielmehr Wegebeſchreibungen, deren eine ein Teutſcher Gelehrter Conrad Celtes zu Anfang des XVI. Jahrhunderts zu Augsburg entdeckt, und einem andern Gelehrten, Namens Peutinger, uͤberlaßen hat, von dem ſie den Na - men Peutingeriſche Tafeln bekommen haben. Dieſe hat zuletzt der beruͤhmte Prinz Eugen von Savoyen an ſich gebracht, mit deſſen Buͤchern ſie in die kaiſerliche Bibliothek zu Wien gekommen ſind. Aus derſelben hat ſie erſt im Jahre 1753. ein gewiſſer Herr von Scheib mit Erlaubniß der Kaiſerinn Maria Thereſia in Kupfer ſtechen laßen.

III.
9

Dieſe und andere Denkmaͤler belehren uns, daß die Roͤmer zu Erbauung und Bevoͤlkerung einer neu angelegten Stadt gemeiniglich ſechs tauſend Veteranen (altgediente Soldaten) abfuͤhren laßen; daß ſie in großen Staͤdten ihre Amphitheater, Baͤder und andere oͤffentliche Anſtalten angelegt;daß132) Roͤmer am Rhein u. an d. Donau. daß ſie Wege und Heerſtraßen mit unglaublichem Aufwande von Arbeit und Koſten neu gemacht; daß ſie Ackerbau, Gaͤrtnerey, Weinbau, Kuͤnſte, Handlung und Gewerbe eingefuͤhrt; daß ſie uͤber - all ihre Legionen unterhalten; daß ſie ihre Ver - faſſung von Gerichten und anderen Obrigkeiten, von Muͤnze, Steuer, Schauſpielen und Gottes - dienſt uͤberall in Gang gebracht haben. Aber, wie geſagt, von allem dem iſt nichts, als was nachherige Verwuͤſtungen uͤbrig gelaßen haben, auf unſere Zeiten gekommen.

Doch wuͤrde zu bewundern geweſen ſeyn, wennIV. diejenigen Teutſchen Voͤlker, die zunaͤchſt an dieſe von Roͤmern eingenommene Gegenden graͤnzten, oder in der Folge ſelbſt darin feſten Fuß faßten, nicht einige gemeinnuͤtzige Anſtalten von ihnen ge - lernt und angenommen haben ſollten. Und ſo findet ſich freylich, daß Franken, Allemannier, Burgunder und andere nach und nach den Acker - bau, Weinbau, Gebrauch der Muͤhlen, Werth der Schrift, der Muͤnze, der Geſetzgebung, u. ſ. w. haben ſchaͤtzen lernen. Davon kann inſonderheit das ſo genannte Saliſche Geſetz, das fuͤr Salier als einen Theil der Fraͤnkiſchen Nation um das Jahr 422. errichtet worden, am beſten zur Probe dienen. Man wuͤrde ſich zwar ſehr irren, wenn man es einem Roͤmiſchen Geſetzbuche, wie wir es vom Kaiſer Juſtinian haben, oder einem in unſern Tagen entſtehenden Preuſſiſchen Geſetzbuche an die Seite ſetzen wollte. Aber eben das trifft man darin an, was man von einer jeden Geſetzgebung eines nur die erſte Stuffe der Cultur betretenden Volkes erwarten kann; nehmlich die erſten Grund -zuͤge14I. Alte Zeiten bis 888. zuͤge des Gerichtszwanges, und uͤbrigens lauter Strafgeſetze auf alle Gattungen von Diebſtaͤhlen, Beſchaͤdigungen und anderen gemeinſchaͤdlichen Verbrechen. Nur eine Stelle des Saliſchen Ge - ſetzes, worauf die Ausſchließung der Toͤchter von der Thronfolge in der Krone Frankreich bis auf den heutigen Tag, als auf ihren urſpruͤnglichen Grund, gebauet wird, kann, wie ich glaube, mit noch groͤßerem Rechte als der aͤlteſte Beweis von dem noch jetzt unter dem hohen und niedern Teut - ſchen Adel obwaltenden Grundſatze, daß altvaͤterliche Stammguͤter nur dem Mannsſtamme, nicht den Toͤchtern zu gute kommen, angeſehen werden. Von Saliſchen Grundſtuͤcken, ſagt das Saliſche Geſetz, ſoll kein Erbtheil an das weibliche Geſchlecht, ſon - dern nur an den Mannsſtamm kommen(k)Lex Salica tit. 62. §. 6. (in Geor - gisch corp. iur. Germ. p. 124.): De terra Sali - ca nulla portio hereditatis mulieri veniat, ſed ad virilem ſexum tota terrae hereditas pertineat. . Oder, wie ſich das Ripuariſche Geſetz (fuͤr einen andern Stamm der Franken) ausdruͤckt: So lange Mannsſtamm vorhanden iſt, ſoll keine Tochter in Stammguͤtern erben(l)Lex Ripvariorvm tit. 56. §. 4. (ap. Georgisch l. c. p. 167.): Quum virilis ſexus exſtiterit, femina in hereditatem auiaticam non ſuccedat. . Doch noch ein alt - teutſches Geſetz von eben dieſen Zeiten her, das fuͤr die Wariner (an der Warne in Mecklen - burg) beſtimmt war, druͤckt ſich noch beſtimm - ter aus: Die vaͤterliche Erbſchaft ſollen nur Soͤhne, nicht Toͤchter bekommen. Doch wenn ein Vater nur Toͤchter und keine Soͤhne hinter - laͤßt;152) Roͤmer am Rhein u. an d. Donau. laͤßt; ſoll der naͤchſte Stammsvetter zwar die Stammguͤter des Hauſes, die Tochter aber als - dann doch die Mobiliarverlaßenſchaft haben. (m)Lex Angliorvm et Warinorvm tit. 6. §. 1. (ap. Georgisch l. c. p. 448.): Hereditatem defuncti filius, non filia ſuscipiat. Si filium non habuit, qui defunctus eſt; ad filiam pecunia et mancipia, terra vero ad proxi - mum paternae generationis conſanguineum per - tineat. Gewiß ein ſchaͤtzbares Denkmaal ſo alter Zeiten, mit dem noch der jetzige Gebrauch ſo ſichtbar uͤbereinſtimmt, daß zwar eine Prinzeſſinn z. B. von Baden oder von Baiern, ſo lange noch ein Bruder von ihr am Leben iſt, nichts als ihre Ausſteuer bekoͤmmt, jedoch ſobald der Mannsſtamm ihrer Linie erloͤſcht, zwar Land und Leute an Ba - dendurlach oder Pfalz als Stammsvettern fallen koͤnnen, aber die geſammte Mobiliarverlaßenſchaft alsdann einer Prinzeſſinn Eliſabeth von Baden oder einer verwittweten Churfuͤrſtinn von Sachſen, als Schweſter des letzten Churfuͤrſten von Baiern, nicht verſagt werden kann.

III. 16I. Alte Zeiten bis 888.

III. Aelteſte Geſchichte der Chriſtlichen Religion in den Gegenden des Rheines und der Donau.

I. Religionsbegriffe der alten Teutſchen. II. Aus - breitung der Chriſtlichen Religion mit Roͤmiſchen Legionen an den Rhein und die Donau. III. Zuſtand des Chri - ſtenthums, wie es unter Conſtantin dem Großen zur freyen Uebung gekommen. IV-VII. Erſte Keime der Hierarchie in Vorzuͤgen der Biſchoͤfe und Kirchenverſammlungen. VIII. Damalige Begriffe von der Einheit der Kirche und von Ketzereyen.

I.
12

Was unſere erſte Vorfahren von ihrem Zuſtande nach dem Tode und von ihrer Abhaͤngig - keit von einem oder mehreren hoͤheren Weſen ge - dacht und geglaubt haben moͤgen, oder die Reli - gion der alten Teutſchen kann ich nach meiner ge - genwaͤrtigen Abſicht anderen zu eroͤrtern uͤberlaßen. Auf unſern heutigen Zuſtand iſt kein Einfluß da - von herzuleiten, es muͤßte dann dieſes ſeyn, daß auch ſchon der alte Teutſche ſeine Prieſter in vor - zuͤglich hoher Achtung gehalten; wie Tacitus(n)de moribus Germ. cap. 5. et II. verſichert, nur von Prieſtern, gleichſam auf goͤtt - lichen Befehl, habe ſich der Teutſche binden, ſchla - gen und Stillſchweigen auflegen laßen.

II.
13

Daß die Chriſtliche Religion bereits in den erſten Jahrhunderten, da ſie vom Throne noch entfernt war, und vielmehr von Zeit zu Zeit die aͤrgſten Verfolgungen auszuſtehen hatte, mit Roͤ - miſchen Colonien und Legionen auch ſchon bis anden173) Chriſtl. Religion bis ins V. Jahrh. den Rhein und die Donau ſich ausgebreitet, und daß unter Conſtantin dem Großen, nach deſſen Religionsaͤnderung, ſchon ganze Chriſtliche Ge - meinden in den Staͤdten am Rhein und an der Donau ſich hervorgethan haben, ſind unwider - ſprechliche Thatſachen. Wenn aber die noch jetzt in dieſen Gegenden vorhandenen Biſthuͤmer und Erzbiſthuͤmer zum Theil die Reihe ihrer erſten Bi - ſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe bis an die Zeiten der Apo - ſtel anketten, und auch nach Conſtantins Zeiten ununterbrochen fortfuͤhren wollen; ſo beruhet das auf Erdichtungen des X. Jahrhunderts, denen jetzt ſelbſt catholiſche aufgeklaͤrte Schriftſteller keinen Glauben mehr beylegen(o)z. B. Hontheim hiſt. Treuir. diplom. tom 1. diſſ. praelim., Hansitz Germania ſacra tom. 1. p. 17.. Nur einige Um - ſtaͤnde ſind hier vom Religionszuſtande jener erſten Jahrhunderte zu merken, ohne welche die Kirchen - verfaſſung der folgenden Zeiten zum Theil bis auf den heutigen Tag nicht verſtaͤndlich ſeyn wuͤrde.

Obgleich zu den Zeiten Chriſti und ſeiner Apo -III. ſtel die Worte Biſchof, Aelteſter (Presbyter, wor - aus das im Teutſchen zuſammengezogene Wort Prieſter entſtanden,) oder Lehrer und Aufſeher einer Gemeinde fuͤr gleichgeltend gehalten, und nur von Diaconen oder Dienern, die bloß aͤußer - liche Dienſtleiſtungen zu verrichten hatten, unter - ſchieden waren; ſo war doch um die Zeit, als das Chriſtenthum zuerſt auf Teutſchen Boden kam, ſchon gewoͤhnlich, daß in einer jeden großen Stadt, wo mehrere Gemeinden in der Stadt und auf demLan -B18I. Alte Zeiten bis 888. Lande jede ihre beſondere Prieſter haben konnte, doch nur ein Biſchof war, mit deſſen Wuͤrde man bald anfieng eben die Vorzuͤge zu verbinden, wie ſie nach der Kirchenverfaſſung des alten Teſtaments das Verhaͤltniß eines Hohenprieſters gegen juͤdiſche Prieſter und Leviten mit ſich brachte.

IV.
14

Da es auch oͤftere Veranlaßungen gab, daß mehrere Biſchoͤfe in einerley Gegend uͤber Gegen - ſtaͤnde, die ſie gemeinſchaftlich intereſſirten, in Brief - wechſel oder gemeinſame Berathſchlagungen mit einander traten, wie ſelbſt zur Zeit der Verfolgun - gen die Chriſten Urſache hatten, zuſammen zu hal - ten, und einander mit Rath und That beyzuſtehen; ſo war es ſchon vor Conſtantins Zeiten inſonderheit in den oͤſtlichen Gegenden ſeines Reichs etwas gewoͤhnliches, daß mehrere Biſchoͤfe von Zeit zu Zeit zuſammen kamen, und uͤber gemeinſchaftliche Angelegenheiten ihrer Gemeinden Berathſchlagun - gen anſtellten, oder ſo genannte Kirchenverſamm - lungen (Synoden, Concilien) bald von groͤßerem, bald von engerem Bezirke hielten.

V.
14

Kaum hatte Conſtantin ſich zur Chriſtlichen Religion bekannt, ſo wurden ſolche Kirchenverſamm - lungen unter oͤffentlichem Schutze gehalten; wie inſonderheit eine dergleichen im Jahre 314. zu Arles in Provence, und 325. die zu Nicaͤa gehalten wurde, an welchen beiden Orten auch ſchon Bi - ſchoͤfe von den Gegenden des Rheines und der Donau mit anweſend waren. Von dieſen Zeiten her laßen ſich ſchon verſchiedene Folgen dieſer Einrich - tung ſpuͤhren, deren Einfluß in die folgenden Zei -ten193) Chriſtl. Religion bis ins V. Jahrh. ten zum Theil bis auf den heutigen Tag ſehr merk - lich wirkſam geblieben iſt.

Bey den Kirchenverſammlungen erſchienen nurVI. Biſchoͤfe, deren gefaßte Schluͤſſe ihre Gemeinden gerne gelten ließen. In der Folge wurden aber ſolche Schluͤſſe bald von ſelbſten als verbindliche Vorſchriften in Gang gebracht. Man bezog ſich auf das Beyſpiel im 15. Cap. der Apoſtelgeſchichte, wo ſchon eine Berathſchlagung der Apoſtel und Aelteſten vorkoͤmmt, in deren Stelle ſich jetzt die Biſchoͤfe zu treten duͤnkten; man vergaß aber, daß der daſelbſt gefaßte Schluß nicht nur von den Apoſteln und Aelteſten, ſondern auch von der gan - zen Gemeinde (Apg. 15, 22.) gebilliget, und im Namen der Apoſtel, Aelteſten und Bruͤder (Apg. 15, 23.) ausgefertiget ward. Jetzt fiengen Bi - ſchoͤfe an, ihren Schluͤſſen nicht nur fuͤr ihre unter - geordnete Prieſter und Diener, ſondern auch fuͤr alle uͤbrige Mitglieder der Gemeinden, kurz fuͤr die ganze Kirche die Kraft eines verbindlichen Geſetzes vorzulegen. Vereinigte Biſchoͤfe ſahen ſich alſo als Repraͤſentanten der ganzen Kirche an. Andere, die weder Biſchoͤfe, noch Diener der Kirche wa - ren, mußten ſich gefallen laßen, was als Schluß einer Kirchenverſammlung bekannt gemacht wurde. So bildete ſich der große Unterſchied der beiden Staͤnde, des geiſtlichen und weltlichen Standes, wie man ſie nannte, oder der Pfaffen und Laien, wie jede Gattung mit einem Worte genannt wurde; und zwar ſo, daß in Religions - und Kirchenſachen der Laie nicht mehr mit zu ſprechen bekam, ſon - dern nur die Ehre des Gehorſams behielt, wenn der geiſtliche Stand etwas zu beſtimmen gut fand. B 2Kam20I. Alte Zeiten bis 888. Kam nun hinzu, daß der Laie von Kenntniſſen der Sache immer mehr entfernt wurde, der Geiſtliche hingegen alles, was nur Gelehrſamkeit hieß, ſich alleine zueignete, und ſeinen Saͤtzen doch mit Hoff - nung oder Verluſt der ewigen Seligkeit Nachdruck geben konnte; ſo laͤßt ſich begreifen, wie der geiſt - liche Stand uͤber den weltlichen bald zu einem ſol - chen Uebergewichte gelangen koͤnnen, daß das zur Vollkommenheit und Wohlfahrt eines jeden Staa - tes ſo noͤthige Gleichgewicht der verſchiedenen Staͤnde hier zum Nachtheile des weltlichen Standes bald unwiederbringlich Noth litt.

VII.
14

Eine andere Folge der mit den Kirchenverſamm - lungen verbundenen Einrichtung betraf die verſchie - denen Stuffen des geiſtlichen Standes ſelber. Nicht nur gemeine Prieſter und andere Kirchendiener wur - den als Untergeordnete der Biſchoͤfe angeſehen. Sondern ſo, wie ſich mehrere Biſchoͤfe aus einer - ley Gegend verſammleten, richtete ſich ihre Ver - einigung und ihr Rang in ſo weit nach der poli - tiſchen Eintheilung der Provinzen, daß Biſchoͤfe, die zu einer Provinz gehoͤrten, wenn ſie es noͤthig fanden, beſondere Provincialſynoden anſtellten, und unter ſich dann demjenigen Biſchofe, der in der Hauptſtadt des Landes ſeinen Sitz hatte, den Vor - ſitz und Rang einraͤumten. So war inſonderheit nach einer neuen Eintheilung des ganzen Roͤmiſchen Reiches, wie ſie Conſtantin der Große gemacht hatte, z. B. Trier die Hauptſtadt (Metropolis) von der prouincia Belgica prima, wo der Praͤ - ſes dieſer Provinz und zugleich der Vicarius uͤber die Dioeces von ganz Gallien ſeinen Sitz hatte; da uͤbrigens die Staͤdte Metz, Tull, Verdun zueben213) Chriſtl. Religion bis ins V. Jahrh. eben der Provinz gehoͤrten. Nach dieſer politiſchen Eintheilung bekam auch der Biſchof, der zu Trier ſeinen Sitz hatte, den Rang und Vorſitz uͤber die Biſchoͤfe zu Metz, Tull, Verdun, die ihn als ihren Metropolitan oder nachher ſo genannten Erz - biſchof verehren mußten; wie noch bis auf den heutigen Tag dieſe Biſchoͤfe als Suffraganeen un - ter dem Erzſtifte Trier ſtehen. Auf gleiche Art ward nach eben dieſer Conſtantiniſchen Eintheilung Mainz Metropolis uͤber Straßburg, Speier und Worms; und Coͤlln uͤber Luͤttich. Ueber die Wuͤrde eines Metropolitans oder Erzbiſchofs erhob ſich aber auch noch die Wuͤrde eines Primaten jeder Nation und eines Patriarchen fuͤr jeden Welttheil, wie die Biſchoͤfe zu Antiochien, Alexandrien und Rom mit dieſer Wuͤrde beehret wurden; obgleich an eine paͤbſtliche Wuͤrde in dem Verſtande, wie wir ſie jetzt nehmen, damals noch nicht gedacht wurde.

Aber noch eine dritte Folge hatte die Einrich -VIII. tung, von der hier die Rede iſt, in Verbindung mit ganz beſonderen Begriffen, die man ſich von der nothwendigen Einheit der Kirche machte. Man haͤtte es fuͤglich dabey bewenden laßen koͤnnen, daß die Einheit der Chriſtlichen Religion darauf beruhete, daß ein jeder Chriſt den Inhalt der gan - zen Bibel ſowohl neuen als alten Teſtaments zur Richtſchnur ſeines Glaubens und Lebens annaͤhme, und im Glauben an Jeſum Chriſtum als den Sohn Gottes und Heiland der Welt mit der darauf ge - gruͤndeten Hoffnung einer ewigen Seligkeit ſich in der Liebe Gottes und ſeines Naͤchſten thaͤtig erwieſe; ſo wie die juͤdiſche Religion dadurch, daß ſie bloßB 3das22I. Alte Zeiten bis 888. das alte Teſtament und den Talmud, und die Ma - homedaniſche, daß ſie den Coran zum Grunde ihres Glaubens legt, ſich von anderen Religionen unter - ſcheidet; ohne daß ſich nach Beſchaffenheit der menſchlichen Natur je erwarten laͤßt, daß mehrere Menſchen, geſchweige in ſo großer Anzahl, wie die, ſo ſich zu einer Religion halten, uͤber alle moͤgliche Fragen, die ſich von Gegenſtaͤnden der Religion aufwerfen laßen, oder uͤber alle einzelne Stellen der heiligen Schriften, deren Auslegung ganz genau zu beſtimmen vielleicht einige Schwie - rigkeit hat, ganz voͤllig einerley denken ſollten. Aber weit entfernt, das alles zu beherzigen, glaubte man, daß die, ſo ſich zu einer Religion bekaͤnn - ten, auch ganz ohne alle Ausnahme uͤber alle Fra - gen, die ſich von der Religion aufwerfen ließen, unabfaͤllig gleiche Beſtimmungen annehmen muͤßten. So deutete man die Ermahnung Pauli an die Ephe - ſer: zu halten die Einigkeit im Geiſte durch das Band des Friedens; Ein Leib und Ein Geiſt auf einerley Hoffnung des Berufes; Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe; Ein Gott und Vater un - ſer aller ꝛc. (Eph. 4, 3[:]6.) Und damit verband man den Ausſpruch Petri: daß außer dem Na - men Jeſu Chriſti von Nazareth in keinem andern Heil, auch kein anderer Name den Menſchen gegeben ſey, darin wir ſollen ſelig werden (Apg. 4, 10. 12.). Dieſen Ausſpruch Petri ver - wechſelte man aber mit dem Satze: daß außer der Chriſtlichen Kirche kein Heil zu finden ſey. Und nun ſieng man an zu beſtimmen, was uͤber unzehlige aufgeworfene Fragen die Chriſtliche Kirche fuͤr eine Entſcheidung annehmen muͤße. War dieſe aber einmal auf einer Kirchenverſammlungbeſchloſ -233) Chriſtl. Religion bis ins V. Jahrh. beſchloſſen, ſo ſollte nur der an der Hoffnung zur Seligkeit eines Chriſten Antheil haben, der dieſe Entſcheidung annaͤhme. So wurden alſo Schluͤſſe einer Kirchenverſammlung den Ausſpruͤchen der Bibel an die Seite geſetzt, und fuͤr Eingebungen des heiligen Geiſtes erklaͤret. Wer nicht damit verſtanden war, oder ſich nicht dazu bekennen wollte; wurde von der Kirche als ein Ketzer aus - geſchloſſen. Oder, wenn nun mehrere Gemeinden oder ihre Repraͤſentanten verſchiedene Entſcheidun - gen annahmen, ſo ward nunmehr die Frage auf - geworfen, welches die rechtglaͤubige Kirche ſey? So gab es natuͤrlicher Weiſe Trennungen unter den Chriſten, deren eine Parthey die andere ver - dammte und verfolgte, wenn ſie konnte. So lief die vortrefflichſte Religion bald Gefahr, immer mehr verunſtaltet zu werden. Und in dieſer ſchon weit von ihrer erſten Lauterkeit entfernten Geſtalt kam ſie zuerſt in unſere Gegenden!

B 4IV. 24I. Alte Zeiten bis 888.

IV. Urſprung und erſter Fortgang der Fraͤnkiſchen Monarchie.

I-IV. Errichtung der Fraͤnkiſchen Monarchie mit Chlo - dowigs Eroberung in Gallien 486. V. VI. Deren Aus - breitung auf Teutſchem Boden uͤber Thuͤringen, Rheiniſch und oͤſtlich Franken. VII. Chlodowigs Annehmung der Chriſtlichen Religion. Sieg uͤber die Weſtgothen. VIII. Patricienwuͤrde. IX. Vertilgung anderer Fraͤnkiſcher Nebenkoͤnige. X. XI. XII. Fortgang und Erweiterung der Monarchie unter Chlodowigs erſten Nachkommen. XIII-XV. Wie ſich Baiern zur Fraͤnkiſchen Monarchie verhal - ten habe? XVI. XVII. Beſchaffenheit der Herzoge und Grafen. XVIII. Erſter Keim des nachherigen Lehnswe - ſens. XIX. XX. Dienſte der Biſchoͤfe und weltlicher Her - ren bey Hofe. XXI. Hofhaltung. XXII. Kirchenver - ſammlungen und Reichstag. XXIII. Thronfolge.

I.
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Mit den Voͤlkerzuͤgen des fuͤnften Jahrhunderts war nicht nur der groͤßte Theil Galliens (oder des heutigen Frankreichs), als ein Theil des uͤber Spanien erſtreckten Weſtgothiſchen Reichs, und nebſt demſelben das Burgundiſche Reich ſchon fremden Voͤlkern zu Theil geworden; ſondern ſelbſt in Italien hatte Odoacer im Jahre 476. dem dor - tigen Roͤmiſchen Kaiſerthume ein Ende gemacht. Doch auch Odoacer wurde wieder 489. vom Oſt - gothiſchen Koͤnige Theodorich angegriffen und 493. von demſelben uͤberwaͤltiget. Damit nahm von dieſer Zeit an ein maͤchtiges Oſtgothiſches Reich in Italien ſeinen Anfang; ſo jedoch der Griechiſch - kaiſerliche Hof, der noch zu Conſtantinopel ſeinen Fortgang behielt, fuͤr Uſurpation anſah.

In254) Merovinger a) Aufkommen 486-561.

In dieſer Lage war zwar noch bis im Jahre 486.II. ein Roͤmiſcher Befehlshaber Syagrius zu Soiſſons. Es ließ ſich aber lange vorausſehen, daß dieſer Ueberreſt des Roͤmiſchen Galliens nicht lange auf den Fuß wuͤrde erhalten werden koͤnnen. Da die Allemannier aus Schwaben ſchon bis in Elſaß und Lothringen, und die Franken unter Anfuͤhrung Chil - derichs, eines Sohnes Meroveus, ſchon tief bis in die Niederlande vorgeruͤckt waren; ſo ließ ſich wohl vermuthen, daß eines dieſer beiden Voͤlker dieſe Beute davon tragen wuͤrde.

Unvermuthet wagte Childerichs Sohn, Chlo -III. dowig, als Heerfuͤhrer eines Theils der Fraͤnki - ſchen Nation, im Jahre 486. dieſe Unternehmung,486 die ihm mit einem Feldzuge und mit einer den Roͤmern bey Soiſſons beygebrachten Niederlage gelang. Von dieſer Zeit an nahm er den Theil von Gallien, den die Weſtgothen und Burgunder den Roͤmern noch uͤbrig gelaßen hatten, als eine mit dem Degen in der Fauſt gemachte Eroberung in Beſitz. Damit ward er der Stifter einer neuen Monarchie, die nach ſeinem Tode auf ſeine Soͤhne und Nachkommen vererbet wurde, und bis auf den heutigen Tag ihren Fortgang behalten hat, nur daß ſie nachher unter zwey Kronen in Frankreich und Teutſchland vertheilt worden iſt.

Die urſpruͤnglichen Graͤnzen dieſer neu errichte -IV. ten Fraͤnkiſchen Monarchie begriffen gleich von An - fang theils denjenigen Theil vom heutigen Frankreich in ſich, der den damaligen Ueberreſt des Roͤmiſchen Galliens ausmachte, theils dasjenige, was Chlodo - wig und der ihm untergebene Theil der FraͤnkiſchenB 5Na -26I. Alte Zeiten bis 888. Nation vorher ſchon auf Teutſchem Boden und in den Niederlanden ingehabt hatte. Dieſe Graͤnzen wurden aber ſchon unter Chlodowig und ſeinen Soͤhnen durch weitere gluͤckliche Unternehmungen beynahe uͤber das ganze heutige Frankreich und uͤber einen betraͤchtlichen Theil von Teutſchland erweitert.

V.
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Den erſten Angriff that Chlodowig ſelbſt, nach - dem er ſeine erſte Eroberung in Gallien nur eini -489 germaßen befeſtiget hatte, ſchon im Jahre 489. gegen die Thuͤringer. Dieſe mochten die Fraͤnki - ſche Vorruͤckung in Gallien auf den Fuß genom - men haben, als ob nach dem Beyſpiele anderer bisheriger Voͤlkerzuͤge der bisherige Wohnſitz der Franken auf Teutſchem Boden damit erlediget wer - den wuͤrde, und alſo von den Thuͤringern, die nur nachruͤcken duͤrften, in Beſitz genommen wer - den koͤnnte. Chlodowig belehrte ſie aber bald eines andern, da er die Thuͤringer in ihre ehemalige Graͤnzen zuruͤckwies. Ein Thuͤringiſcher Koͤnig Hermanfried vermaͤhlte ſich hernach 500 mit einer Schweſtertochter des maͤchtigen Oſtgothiſchen Koͤ - nigs Theodorichs, deſſen Schutz die Franken vor - erſt von weiteren Unternehmungen gegen die Thuͤ - ringer zuruͤckhielt. Als aber Theodorich im Jahre 526. ſtarb, und nur einen unmuͤndigen Enkel hin - terließ; griffen Chlodowigs Soͤhne noch in eben dem Jahre die Thuͤringer von neuem an, und brach - ten ſie nach einem hartnaͤckigen Treffen an der Un - ſtrut ganz unter ihre Botmaͤßigkeit. Die Sachſen hatten diesmal in Verbindung mit den Franken die Thuͤringer zu gleicher Zeit angegriffen. Ein Theil vom noͤrdlichen Thuͤringen, das ſich bisher bis Magdeburg und Helmſtaͤdt erſtreckt hatte, kamdar -274) Merovinger a) Aufkommen 486-561. daruͤber am Sachſen. Das uͤbrige Thuͤringen, ſo jetzt unter Fraͤnkiſche Hoheit kam, hat ſeitdem ſei - nen Namen nur noch in einem weit engern Be - zirke behalten, als ſeine ehemalige Graͤnzen giengen.

Den zweyten Krieg hatte Chlodowig ſelbſt nochVI. mit den Allemanniern zu fuͤhren. Dieſe hatten, ohne Zweifel aus Eiferſucht uͤber den Fortgang der Fraͤnkiſchen Eroberung in Gallien, die Ripuarier, als einen beſondern Stamm der Fraͤnkiſchen Na - tion, die eigentlich einen andern Koͤnig als Chlo - dowigen hatten, in ihrem Gebiete mit Krieg uͤber - zogen. Chlodowig gieng ihnen aber mit ſeiner ganzen Macht entgegen, und eine Niederlage, die er ihnen 496. bey Zuͤlpich im Juͤlichiſchen bey -496 brachte, war erſt eine entſcheidende Befeſtigung ſeiner neu errichteten Monarchie. Er nahm ihnen gleich Elſaß und die Gegend von Speier, Worms und Mainz, wo ſie ſchon feſten Fuß gefaſſet hat - ten. Aus dieſer Rheiniſchen Gegend machte er eine beſondere Fraͤnkiſche Provinz, die hernach un - ter dem Namen Weſtfranken oder Rheiniſches Fran - ken (Francia occidentalis, Francia Rhenana) von anderen Teutſchfraͤnkiſchen Provinzen unterſchieden ward(p)Dieſe Gegend iſt erſt neuerlich recht ins Licht geſetzt in Chriſtoph Jacob Kremers Geſchichte des Rheiniſchen Franziens, herausgegeben von Andr. Lamey, Manheim 1778. 4.. Er fuͤhrte aber auch uͤber den Main bey Frankfurt (das von dieſer Furth der Franken ſeinen Namen bekommen hat,) eine Fraͤnkiſche Co - lonie den Allemanniern in den Ruͤcken, die von jener Weſtfraͤnkiſchen Provinz unter dem Namen Oſtfranken (Francia orientalis,) unterſchiedenwur -28I. Alte Zeiten bis 888. wurde, und in der Folge den Namen Franken (Franconia) ſchlechtweg behalten hat, da der jetzige Fraͤnkiſche Kreis eigentlich aus urſpruͤnglich Thuͤringiſchen und urſpruͤnglich Allemanniſchen Gebieten zuſammengeſetzt iſt. Was außerdem von dem ehemaligen urſpruͤnglichen Allemannien oder ſeitdem haͤufiger nur ſo genannten Schwaben nunmehr in einem weit engeren Bezirke uͤbrig blieb, ward nunmehr als ein eignes Herzogthum unter Fraͤnkiſcher Hoheit regiert.

VII.
15

Eben das Treffen, worin Chlodowig die Alle - mannier bey Zuͤlpich ſchlug, gab noch den naͤchſten Anlaß, daß Chlodowig, deſſen zweyte Gemahlinn Chlotildis, eine Burgundiſche Prinzeſſinn, der Chriſtlichen Religion zugethan war, auf deren Zu - reden noch in eben dem Jahre 496. ſich ebenfalls zur Chriſtlichen Religion bekannte. Und da er ſich zur rechtglaͤubigen Kirche hielt, welcher die meiſten Einwohner in Frankreich zugethan waren, an ſtatt daß die Weſtgothiſchen und Burgundiſchen Koͤnige Arianer waren; ſo trug das nicht wenig dazu bey, in den Geſinnungen der Geiſtlichkeit und des Volkes Chlodowigs neue Eroberung zu befeſtigen, und ſelbſt noch auf eine betraͤchtliche Art zu erwei - tern. Der Erzbiſchof Remig von Rheims, der507 Chlodowigen getauft und geſalbt hatte, ſchrieb ihm 507.: er moͤchte nur ſeine Prieſter in Ehren halten, und ſich ihres guten Rathes bedienen; wenn er mit ihnen gut ſtaͤnde, wuͤrden auch alle ſeine Sachen beſſer gehen(q) Sacerdotibus tuis honorem debebis de - ferre, et ad eorum conſilia ſemper recurrere. Quod - Um eben dieZeit294) Merovinger a) Aufkommen 486-561. Zeit griff Chlodowig die Weſtgothen an, und nahm ſelbſt davon, daß ſie Arianer waͤren, einen Haupt - grund, dieſem Kriege den Beyfall ſeines Volkes zu verſchaffen. Der aͤlteſte Fraͤnkiſche Geſchicht - ſchreiber fuͤhrt Chlodowigen uͤber dieſen Vorfall in folgenden Ausdruͤcken redend ein. Er habe zu ſeinem Volke geſagt: Es iſt mir unertraͤglich, daß dieſe Arianer noch einen ſo betraͤchtlichen Theil von Gallien inne haben; Laßt uns mit Gottes Huͤlfe hinziehen, und ihr Land unter unſere Bot - maͤßigkeit bringen. Dieſe Rede, faͤhrt der Ge - ſchichtſchreiber fort, habe allen gefallen; darauf ſey Chlodowig mit ſeinem Kriegsheere nach Poitou zu aufgebrochen(r)Gregor. Tvron. lib. 2 cap. 37.: Chlodouaeus rex ait ſuis: Valde moleſte fero, quod hi Ariani partem teneant Galliarum. Ea - mus cum Dei adiutorio, et ſuperatis redigamus terram in ditionem noſtram. Quumque placuiſ - ſet omnibus hic ſermo, iam commoto exercitu Pictauiam dirigit. . In der That ſchlug Chlo - dowig noch im Jahre 507. die Weſtgothen unter ihrem Koͤnige Alarich, der dabey umkam, bey Poi - tiers, und erweiterte dadurch ſein Reich mit Au - vergne und Aquitaine nebſt der Stadt Toulouſe. Die Weſtgothen behielten nur noch einen Theil von Narbonne oder das heutige Languedoc.

Der Sieg uͤber die Weſtgothen brachte Chlo -VIII. dowigen ſelbſt die Ehre zuwege, daß der dama - lige Kaiſer Anaſtaſius zu Conſtantinopel ſeine Freund - ſchaft ſuchte, um auch bey einem Angriffe gegendie(q)Quodſi tibi bene cum illis conuenerit, prouin - cia tua melius poteſt conſtare. Nic. Coleti concilia tom. 5. p. 539.30I. Alte Zeiten bis 888. die Oſtgothen in Italien auf ſeinen Beyſtand rech - nen zu koͤnnen. Anaſtaſius ließ ihm durch eine eigne Geſandtſchaft die Wuͤrde eines Patricius an - tragen, die Chlodowig mit Anlegung der damit verbundenen Kleidung mit einem feierlichen Ritte in die Kirche uͤbernahm. Es laͤßt ſich zwar nicht genau beſtimmen, was dieſe Wuͤrde damals be - deutete; (vielleicht war es etwas aͤhnliches, wie jetzt oft große Herren unter einander ſich mit ihren Ritterorden beehren.) Es mag aber doch ſchon einige entfernte Beziehung darauf gehabt haben, was zwey hundert Jahre ſpaͤter noch einmal von der Wuͤrde eines Roͤmiſchen Patricius vorkommen wird. In der Kirchthuͤre der Abtey St. Germain in der Vorſtadt dieſes Namens zu Paris ſoll Chlo - dowig in der Patricientracht in Stein ausgehauen noch jetzt zu ſehen ſeyn.

IX.
18

Das letzte, womit Chlodowig ſelbſt noch ſeinem neuen Reiche die voͤllige Ruͤndung gab, macht ſei - nem Herzen am wenigſten Ehre. Weil ihn urſpruͤng - lich nur einer der Fraͤnkiſchen Staͤmme zum Be - fehlshaber gehabt hatte, ſo waren neben ihm noch andere zum Theil mit ihm verwandte Koͤnige oder Befehlshaber anderer Fraͤnkiſchen Staͤmme, als der Ripuarier zu Coͤlln, der Cenomannier zu Cam - bray u. ſ. w. Dieſe ließ er insgeſammt durch aller - ley Mittel und Wege aus der Welt ſchaffen, um nicht nur ſeine neue Eroberungen, ſondern auch alle urſpruͤnglich Fraͤnkiſche Gebiete, und alſo das ganze Fraͤnkiſche Reich fuͤr ſich und ſeine Nach - kommen ganz alleine zu haben. Der Biſchof von Tours, dem wir die aͤlteſte Fraͤnkiſche Geſchichte zu danken haben, ſchreibt davon ganz kaltbluͤtig: Chlo -314) Merovinger a) Aufkommen 486-561. Chlodowig habe viele andere Koͤnige und Ver - wandte, uͤber die er eiferſuͤchtig geweſen waͤre, daß ſie ihm (oder vielleicht ſeinen Nachkommen) ſein Reich nehmen moͤchten, umbringen laßen, und damit ſeinem Reiche erſt ſeinen voͤlligen Um - fang gegeben(s)Greg. Tvr. lib. 2. cap. 42.: Interfe - ctisque et aliis multis regibus et parentibus ſuis, de quibus zelum habebat, ne ei regnum aufer - rent, regnum per totas Gallias dilatauit. .

So lange Chlodowig lebte, blieb das Bur -X. gundiſche Reich noch in ſeinem Beſtande. Aber unter ſeinen Soͤhnen ward es im Jahre 534. mit Krieg uͤberzogen, und unter ihre Hoheit gebracht.

Das heutige Provence gehoͤrte damals nochXI. zum Oſtgothiſchen Koͤnigreiche in Italien, das aber jetzt ſchon einen Angriff von Seiten der Griechi - ſchen Kaiſer zu beſorgen hatte. Um in dieſer Ver - legenheit die Fraͤnkiſchen Koͤnige zu Freunden, we - nigſtens nicht zu Feinden zu haben, trat der Oſt - gothiſche Koͤnig Vitiges im Jahre 536. nicht nur Provence, ſondern auch was er noch auf Teut - ſchem Boden von Rhaͤtien beſaß, den Fraͤnkiſchen Koͤnigen ab.

So bildete ſich gleich unter Chlodowig undXII. ſeinen Soͤhnen die Fraͤnkiſche Monarchie ſowohl im heutigen Frankreich als in Teutſchland in ihrem voͤlligen Umfange, wie ſie vorerſt unter dieſem ganzen regierenden Stamme des Merovinger Ge - ſchlechtes blieb; obgleich unter mehreren Bruͤdern verſchiedentlich Theilungen geſchahen, da inſonder -heit32I. Alte Zeiten bis 888. heit das heutige Frankreich und Teutſchland mehr - malen unter den Namen Neuſtrien und Auſtraſien von einander unterſchieden wurden.

XIII.
19

Nur uͤber einen betraͤchtlichen Theil von Teutſch - land, das heutige Baiern, und uͤber deſſen Ver - haͤltniß zum Fraͤnkiſchen Reiche herrſcht von dieſen Zeiten her noch eine große Dunkelheit. Unſtreitig begriff das ehemalige Roͤmiſche Noricum das heu - tige Baiern mit in ſich, und kam mit der Revolu - tion, da die Oſtgothen Meiſter von Italien wur - den, mit unter die Herrſchaft der Oſtgothiſchen Koͤ - nige. Aber um welche Zeit zuerſt die Baiern in dieſe Gegend gekommen? von welcher Herkunft dieſes Volk eigentlich geweſen? von welcher Zeit her ſie ihre eigne Herzoge gehabt? in welchem Verhaͤltniſſe dieſe gegen die Oſtgothiſchen Koͤnige geſtanden? wann und wie ſie endlich unter Fraͤn - kiſche Herrſchaft gekommen? das alles ſind Fragen, die noch von den neueſten Schriftſtellern ſehr verſchieden, und großentheils nur nach Muth - maßungen beantwortet werden. Doch ſind ſie we - gen einiger Schluͤſſe, die fuͤr die folgende Geſchichte und zum Theil noch bis auf den heutigen Tag daraus gezogen werden, nicht ganz unerheblich.

XIV.
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Nach der bisherigen gemeinen Meynung muͤßte Baiern ſchon vor 534. unter Fraͤnkiſche Herrſchaft gekommen ſeyn, weil beſage einer Vorrede der Fraͤnkiſchen, Allemanniſchen und Bairiſchen Geſetz - buͤcher des VI. Jahrhunderts der Fraͤnkiſche Koͤnig Theodorich, der im Jahre 536. verſtorben, dieſe Geſetzbuͤcher ſoll haben verfertigen laßen. Einige neuere Schriftſteller behaupten aber, dieſe Vorredeſey334) Merovinger a) Aufkommen 486-561. ſey 100. Jahre ſpaͤter geſchrieben, und habe aus Irrthum die Oſtgothiſchen und Fraͤnkiſchen Koͤnige, welche beide den Namen Theodorich gefuͤhret, mit einander verwechſelt(t)Buat hiſtoire ancienne tom. 12. p. 97.. Von den Oſtgothen ſol - len die Baiern nach dieſen neuen Bemerkungen erſt im Jahre 554. unter ihrem Herzog Garibald dem I. ſich losgemacht, und erſt 628. dem Fraͤnkiſchen Koͤnige Dagobert dem I., jedoch mit Ausbedingung vieler Freyheiten, ſich unterworfen haben(u)Joh. Ge. von Lori chronologiſcher Aus - zug der Geſchichte von Baiern (Muͤnch. 1782. 8.) S. 66. 78. 108..

Andere halten es nicht fuͤr unwahrſcheinlich,XV. daß die Noriker und Rhaͤtier, als Oſtgothiſche Un - terthanen, zu der Zeit, als die Thuͤringer von den Franken mit Krieg uͤberzogen worden, des Thuͤ - ringiſchen Koͤniges als eines Oſtgothiſchen Bundes - genoſſen ſich angenommen, aber nach der Nieder - lage der Thuͤringer auch mit ſelbigen gleiches Schickſal erlitten haben moͤchten, daß ſie ſich gleich damals der Fraͤnkiſchen Hoheit unterwerfen muͤßen; zumal da ein gleichzeitiger Schriftſteller eines von den Franken uͤber zweyerley Voͤlker erfochtenen Sie - ges Erwehnung thut, da ein Volk zuverlaͤßig Thuͤ - ringer geweſen, das andere alſo wahrſcheinlich Baiern geweſen ſeyn moͤchte(v)Nachrichten von Juvavia S. 90..

Soviel iſt allemal gewiß, daß gleich von denXVI. erſten Zeiten der Fraͤnkiſchen Monarchie her einjedesC34I. Alte Zeiten bis 888. jedes Land, das vorher ein eignes Volk ausgemacht, einen eignen Herzog gehabt hat, den der Koͤnig als ſeinen dem Volke vorgeſetzten Befehlshaber anſah, und der inſonderheit in Kriegszeiten das Heer des ganzen Landes zu fuͤhren hatte. Natuͤr - lich war dabey ein Unterſchied, ob ein ſolches Land unbedingt erobert worden, oder auf gewiſſe Be - dingungen ſich unter den Fraͤnkiſchen Scepter er - geben. So laͤßt ſich begreifen, daß ein Herzog mehr Gewalt, als ein anderer, haben koͤnnen, und daß in ein und anderem Lande erbliche Herzoge ſeyn koͤnnen, da ſonſt der Regel nach ein jeder Herzog als ein von der Krone abhangender Be - fehlshaber vom Koͤnige nach Gutfinden beſtellt wor - den. Wenn alſo ſonſt keine Revolution dazwiſchen gekommen waͤre, ſo haͤtte es ſich freylich gedenken laßen, daß ſchon von dieſen Zeiten der erſte Grund der heutigen beſondern Verfaſſung des Teutſchen Reichs, da es in ſo viele Laͤnder, deren jedes ſeinen eignen Regenten hat, eingetheilt iſt, hergeleitet wer - den koͤnnte. Aber der Erfolg der Geſchichte zei - get, daß mit den Teutſchen Herzogthuͤmern noch ganz andere Staatsveraͤnderungen vorgegangen ſind, von welchen der heutige Zuſtand von Teutſch - land abhaͤngt.

XVII.
22

Von Grafen, die einem jeden Gau jetzt als koͤnigliche Beamten fuͤr die Juſtitz und zu Beſor - gung der Cammereinkuͤnfte vorgeſetzt waren, iſt es noch weniger zweifelhaft, daß ihnen damals noch nicht zugeeignet werden konnte, was wir jetzt Lan - deshoheit nennen.

Wohl354) Merovinger a) Aufkommen 486-561.

Wohl aber laͤßt ſich ſchon von dieſen Zeiten derXVIII. erſte Urſprung des Lehnsweſens, das nachher auf die Verfaſſung aller Europaͤiſchen Staaten ſo großen Einfluß bekommen hat, herleiten. Wenn vorher ſchon Teutſche Voͤlker gewohnt waren, ihre im Kriege eroberte Laͤndereyen unter diejenigen, die durch ihre Tapferkeit dazu geholfen hatten, zu ver - theilen oder zu verlooſen, doch ſo, daß nachher eben der Beſitz dieſer Guͤter auch die fernere Ver - bindlichkeit zu National-Kriegsdienſten mit ſich brachte; ſo laͤßt ſich begreifen, daß Chlodowig und ſeine Nachfolger von den vertheilten Erobe - rungen, die auf ihren Antheil kamen, eine Anzahl Laͤndereyen und Guͤter unter tapfere und angeſehene Maͤnner, mit der beſondern Obliegenheit, nicht nur in Nationalkriegen, ſondern auch mit beſonde - rer Treue fuͤr die Perſon des Koͤnigs zu fechten, vertheilten. Solche Verleihungen geſchahen zwar noch nicht erblich, ſondern nur auf Lebenszeit oder auf Wiederruf ꝛc., und in der Folge ſind noch vieler - ley Veraͤnderungen und naͤhere Beſtimmungen da - mit vorgegangen. Sie legten aber doch den erſten Grund dazu, daß einige Mitglieder der Nation ihre Guͤter in beſonderer Verbindung gegen den Koͤnig als deſſen Leute, Lehnleute, Vaſallen, be - ſaßen, andere Guͤter hingegen freyes Eigenthum oder ſo genanntes Allodium waren.

Seit Chlodowigs Religionsveraͤnderung lebtenXIX. die Biſchoͤfe, wo ſie bisher ſchon im Gange wa - ren, nicht nur von neuem auf; ſondern als die einzigen, die mit Leſen und Schreiben umzugehen wußten, wurden ſie bald in Geſchaͤfften des Hofes und des Volkes unentbehrlich. Wenn GeſchaͤffteC 2bey36I. Alte Zeiten bis 888. bey Hofe Vortrag und Ausfertigung erforderten, konnten ſie nicht anders als von Biſchoͤfen beſorgt werden, die daher nicht nur als Hofcaplaͤne, ſon - dern auch als Referendarien und Canzler bey Hofe angeſetzt und gebraucht wurden.

XX.
22

Fuͤr Perſonen vom weltlichen Stande blieben nur eigentlich ſo genannte Hofdienſte uͤbrig, um den Koͤnig als Marſchall mit Aufſicht uͤber die Pferde, als Kaͤmmerer mit Aufſicht uͤber die Gar - derobbe und was dahin einſchlaͤgt, als Truchſeß mit Aufſicht uͤber die Kuͤche, als Schenk mit Be - ſorgung des Kellers, oder auch als Jaͤgermeiſter u. ſ. w. zu bedienen. Doch hatte es der Koͤnig allerdings in ſeiner Gewalt, auch Maͤnner in ſol - chen Poſten, wenn ſie Erfahrung hatten, und ihm ſeines Vertrauens wuͤrdig ſchienen, zu Rathe zu ziehen. In ſo weit konnte ſchon fruͤhzeitig geſagt werden, daß die Fraͤnkiſchen Koͤnige auch ihre Hof - bedienten, als den Truchſeß, Kaͤmmerer, u. ſ. w. zu Reichs - und Staatsgeſchaͤfften gebrauchten(w)Albericvs monachus trium fontium ad a. 696., und daß ein Großhofmeiſter (Majordomus) das vorſtellte, was wir jetzt Staatsminiſter nennen.

XXI.
23

Der Hof war aber von dieſen aͤlteren Zeiten her, ſo wie faſt das ganze mittlere Zeitalter hin - durch, nicht an eine gewiſſe Reſidenz gebunden, ſondern faſt Jahraus Jahrein von einem Orte zum andern wandelbar. Die meiſte Zeit brachten die Koͤnige auf ihren Landguͤtern zu, wo ihnen die Bequemlichkeit zur Jagd und Fiſcherey, wie auch zum Reiten, Schwimmen und Leibesuͤbungen denAuf -374) Merovinger a) Aufkommen 486-561. Aufenthalt angenehm machte. Nur die großen Feier - tage Weinachten, Oſtern, Pfingſten, oder Tage, die zu beſonderen Feierlichkeiten beſtimmt waren, brach - ten ſie in Staͤdten zu, wo ſie alsdann ihren feier - lichen Gottesdienſt und feierliches Hoflager (Galla - tage) hielten. Dabey fanden ſich dann die Vor - nehmen geiſtlichen und weltlichen Standes aus dem ganzen Reiche oder doch aus den naͤchſtgelegenen Gegenden ein, die ſich eine Ehre daraus machten, den Koͤnig zu bedienen, und ihm den Hof zu ma - chen. Die Urkunden der Koͤnige ſind deswegen ſelten lange nach einander an einem Orte, ſondern bald in dieſer, bald in einer andern Gegend des Reichs ausgefertiget. Das hinderte jedoch nicht, daß dieſe oder jene Stadt zur Hauptſtadt des gan - zen Reichs, oder nach geſchehenen Theilungen die - ſes oder jenen Theiles deſſelben erklaͤrt ward. So erklaͤrte Chlodowig ſchon Paris zur Hauptſtadt. In der Folge erſchien Metz als die Hauptſtadt von Auſtraſien; Andere Abtheilungen der Koͤnige wur - den auf ſolche Art nach Orleans, Soiſſons oder anderen Staͤdten als ihren Hauptſitzen bemerklich gemacht.

Die Franzoͤſiſchen Biſchoͤfe hat ChlodowigXXII. ſchon auf einer Kirchenverſammlung zu Or - leans, noch in dem letzten Jahre ſeines Lebens 511., Berathſchlagungen anſtellen laßen, dergleichen in der Folge mehr geſchehen. Eben ſo wenig laͤßt ſich bezweiflen, daß gleich die erſten Fraͤnkiſchen Koͤnige von Zeit zu Zeit nicht ſollten Herzoge, Grafen und andere Edle in Geſchaͤfften des Reichs zu Rathe ge - zogen haben. Es finden ſich vielmehr fruͤhzeitige Spuhren, daß man gewohnt war, alle FruͤhjahreC 3eine38I. Alte Zeiten bis 888. eine Art von Reichsverſammlung zu halten. Allein ſolche Vorſtellungen, wie wir ſie uns jetzt von un - ſerm Teutſchen Reichstage machen, und wie wir uns jetzt die eingeſchraͤnkte kaiſerliche Regierung in ihrem Verhaͤltniſſe gegen unſere Reichsſtaͤnde den - ken, muß man von ſelbigen Zeiten noch faſt gaͤnz - lich entfernen. Eine freye nur kriegeriſch geſinnte Nation, wie die war, woruͤber die Fraͤnkiſchen Koͤnige herrſchten, durfte freylich wohl nicht ſehr despotiſch behandelt werden. Die Staatsklugheit konnte es von ſelbſten an die Hand geben, die Vor - nehmſten der Nation bey wichtigen Vorfaͤllen zu Rathe zu ziehen. Aber als ein Recht darf man es noch nicht annehmen, daß dem Koͤnige die Einwil - ligung der Staͤnde nothwendig geweſen waͤre, und daß er ohne dieſe Einwilligung nicht das Recht ge - habt haͤtte, Dinge, die zu ſeiner Regierung gehoͤr - ten, nach ſeinem Gutfinden zu beſtimmen.

XXIII.
23

Eine der wichtigſten Fragen der urſpruͤnglichen Fraͤnkiſchen Staatsverfaſſung mußte nothwendig die Thronfolge betreffen. Die Beſchaffenheit eines mit dem Degen in der Fauſt errichteten Thrones ließ es ſchon ganz natuͤrlich erwarten, daß der erſte Eroberer, da es ihm nicht an Soͤhnen fehlte, ſeinen Thron auf dieſe vererben wuͤrde. Der Erfolg lehr - te, daß ſo gar mehrere Bruͤder unter einander das Reich theilten. Weder von Untheilbarkeit eines Staates, noch von der damit gemeiniglich verbunde - nen Thronfolge nach dem Rechte der Erſtgebuhrt ſchien man noch einige Begriffe zu haben. Nur zu - faͤllig unbeerbten Todesfaͤllen war es zuzuſchreiben, daß die mehrmalen getheilte Monarchie von Zeit zu Zeit doch wieder vereiniget wurde.

V. 395) Merovinger b) Verfall 561-752.

V. Verfall und Sturz des Merovinger Stamms.

I. Erſter Grund des Verfalls der Merovinger in Thei - lungen und innerlichen Irrungen. Waͤhrend derſelben wird Italien zur Griechiſchen Provinz gemacht, aber auch wieder van Longobarden uͤberzogen. II. Zweyter Grund des Verfalls in Minderjaͤhrigkeit einiger Koͤnige und Ueber - macht des Majordomus. III-VI. Aufkommen Pipins von Herſtall und Carl Martells. VII-IX. Staatskluge Pro - tection der Miſſionarien, inſonderheit Bonifazens. X - XVI. Damaliger Zuſtand der Religionslehren vom Fegefeuer, von guten Werken u. ſ. w. und des Kirchenſtaats. XVII. Erſte Unterhandlungen uͤber das Patriciat der Roͤmer. XVIII-XX. Endlich vollzogener Sturz des Merovinger Stamms, und Thronbeſteigung Pipins des Kleinen.

Wiederholte Theilungen unter Chlodowigs En -I. keln hatten bald den Erfolg, daß unter ihnen und ihren Nachkommen verderbliche Irrungen und innerliche Kriege entſtanden, wobey ſchon Meuchel - morde, Vergiftungen und unerhoͤrte Grauſamkeiten dieſen Abſchnitt der Geſchichte beflecken. Daruͤber vergiengen mehr als hundert Jahre, ohne daß an neue Eroberungen und Erweiterungen des Reichs oder an irgend andere glorreiche Thaten dieſes Me - rovinger koͤniglichen Stammes mehr zu denken war. Nur dadurch zeichnet ſich die Geſchichte dieſer Zeiten aus, daß endlich dem Oſtgothiſchen Reiche in Italien von Conſtantinopel aus im Jahre 564. ein Ende564 gemacht, und der Grund dazu geleget wurde, Ita - lien von nun an als eine mit dem oͤſtlichen Kaiſer - thume wieder vereinigte Provinz durch Griechiſche Exarchen regieren zu laßen. Doch wenige Jahre, nachdem dieſe Eroberung vollbracht war, brachenC 4wie -40I. Alte Zeiten bis 888. wieder Longobarden, (ein urſpruͤnglich Teutſches Volk, das aber ſchon geraume Zeit her in Panno - nien ſeinen Sitz gehabt hatte,) in Italien ein,568 und faßten ſeit 568. in deſſen oberem und mittle - rem Theile feſten Fuß. Von dieſer Zeit an ent - ſtand hier auf zwey hundert Jahre hin ein neues Longobardiſches Koͤnigreich. Doch konnte weder Ravenna, wo der Griechiſche Exarch noch ſeinen Sitz behielt, noch die Stadt Rom, noch der untere Theil von Italien unter Longobardiſche Botmaͤßig - keit gebracht werden.

II.
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Aber eine ganz andere Revolution gab endlich auch der Fraͤnkiſchen Geſchichte wieder ein neues Leben. Die Minderjaͤhrigkeit der Soͤhne und Thronfolger Dagoberts des I. hatte dem damals ſchon hoch geſtiegenen Anſehen der Majordomus noch einen ſolchen Zuwachs verſchafft, daß einer derſelben ſchon im Jahre 656. einen Verſuch mach - te, den Merovinger Stamm vom Throne zu ver - draͤngen; einen Verſuch, der zwar noch fehlſchlug, aber doch den Erfolg hatte, daß ein Schweſterſohn eben des Majordomus, Pipin von Herſtall, mit gleichen Entwuͤrfen umgieng, die unter ihm und ſeinem Sohne und Enkel endlich zur voͤlligen Reife gediehen.

III.
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Nach mehrmaligen Todesfaͤllen, die ſich kurz hinter einander in der regierenden Familie zutru - gen, da ein anderer Majordomus in Neuſtrien, ein anderer in Auſtraſien war, wollte bald dieſer, bald jener dem Prinzen, bey dem er die Stelle eines Majordomus bekleidete, die ganze Monarchie zuwenden. Daruͤber kam es zwiſchen Pipin vonHer -415) Merovinger b) Verfall 561-752. Herſtall, der Majordomus in Auſtraſien war, und denen, welche dieſe Wuͤrde zu ſeiner Zeit nach einander in Neuſtrien bekleideten, zu einem blutigen Kriege, worin endlich Pipin bey Teſtri in Verman - dois 687. einen entſcheidenden Sieg erfocht. 687

Von dieſer Zeit an wurde zwar vorerſt nochIV. immer einem Prinzen vom Merovinger Stamme der Koͤnigsname gelaßen; ohne daß doch weitere Ver - theilungen des Reichs geſchahen, und ohne daß bey Erledigung des Thrones ein anderer dazu gelangte, als den der Majordomus dazu beſtimmte. Das ganze Heft der Regierung fuͤhrte jedoch von dieſer Zeit an nur Pipin von Herſtall, der ſich auch ſchon Herzog und Fuͤrſt der Franken (dux et princeps Francorum) nannte; und ſo nach ſeinem Tode auch ſchon ſein Sohn Carl Martell, der ſo gar 737. nach Abſterben des damaligen Koͤniges Theo - dorichs des IV. den Thron unbeſetzt, und nicht ein - mal den Namen eines Koͤnigs einen Merovinger Prinzen mehr fuͤhren ließ.

Das alles wuͤrde in der That kaum begreiflichV. ſeyn, wenn nicht beide Pipin und Carl Martell theils durch das Gluͤck der Waffen, theils durch einige beſondere Umſtaͤnde, die ſie mit der groͤßten Staatsklugheit zu benutzen wußten, beguͤnſtiget worden waͤren.

Das Gluͤck der Waffen entſchied nicht nur fuͤrVI. Pipin von Herſtall in der Schlacht bey Teſtri, ſon - dern es beguͤnſtigte ihn auch in Zuͤgen, die erC 5689.42I. Alte Zeiten bis 888. 689. 695. gegen die Frieſen(x)Mit einem Treffen, worin der Frieſen Her - zog Poppo ſelber blieb, ward nachher 734. ganz Friesland von Carl Martell unter Fraͤnkiſche Bot - maͤßigkeit gebracht. anſtellte, und in712 Ueberfaͤllen, womit er 709. 712. den in Empoͤ - rungen begriffenen Herzog in Allemannien heim - ſuchte. Hauptſaͤchlich aber gewann dadurch Carl Martell einen unſterblichen Namen, und ein un - verkennbares Verdienſt um ganz Frankreich und732 Teutſchland, als er 732. die Saracenen, die ſchon ſeit 714. in ganz Spanien Meiſter waren, bey Tours ſchlug und uͤber die Pyrenaͤiſchen Gebirge zuruͤcknoͤthigte. Ein Verdienſt, das deſto groͤßer war, je lebhafter die ganze Nation davon uͤberzeugt ſeyn mußte, daß ſie jetzt nur dieſem Fuͤrſten ihre Rettung und zugleich die fernere freye Uebung ihrer Religion zu verdanken hatte; nicht den Koͤnigen, die nur in Wolluͤſten und Unthaͤtigkeit lebten, die die Nation kaum zu ſehen bekam, geſchweige daß ſie ſich an der Spitze der Kriegsheere oder am Ruder der Geſchaͤffte haͤtten zeigen ſollen.

VII.
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Dazu kam aber noch ein Umſtand, der die Pi - piniſche Familie von Seiten der Religion in einem ſehr vortheilhaften Lichte erſcheinen ließ. So aus - gebreitet das Chriſtenthum in Frankreich war, ſo lagen doch noch viele Staͤdte am Rheine und an der Donau, worin ehedem ſchon Chriſtliche Biſchoͤfe geweſen waren, von den Ueberzuͤgen des fuͤnften Jahrhunderts her im Schutt. Das innere Teutſch - land war vollends noch von der Chriſtlichen Religion ganz entfernt; zu deren Eingang in dieſe Gegen - den ſchien von der Vorſehung ein anderer Weg, alsvon435) Merovinger b) Verfall 561-752. von Frankreich oder von der Donau her, beſtimmt zu ſeyn.

Schon zu Ende des ſechſten JahrhundertsVIII. hatte der Biſchof Gregor zu Rom mit Verwunde - rung wahrgenommen, daß von Frankreich aus kein Schritt geſchehen war, die Chriſtliche Religion nach England hinuͤber zu bringen. Auf deßen Veran - laßung war alſo unmittelbar von Rom aus eine Miſſion von vierzig Geiſtlichen nach England ver - anſtaltet worden, wo das Chriſtenthum durch Bey - huͤlfe einer damals ſchon dieſer Religion zugetha - nen Engliſchen Koͤniginn ſeitdem feſten Fuß faßte. Aus dieſer Pflanzſchule fanden ſich nun wieder ande - re Miſſionarien, die aus England und Irland ſich auf Teutſchen Boden wagten, um hier den Unwiſ - ſenden das Evangelium bekannt zu machen. Sol - cher Miſſionarien waren mehrere, die ſchon Pipin von Herſtall unterſtuͤtzte(y)Columban und Gallus in Schwaben; Ki - lian ( 687.) in Franken; Emeran ( 625.) und Ruprecht ( 718.) in Baiern; Wilibrod ( 739.) in Friesland.. Hauptſaͤchlich aber ließ ſichs ein Englaͤnder, Namens Winfried oder Bonifaz, angelegen ſeyn, der unter Carl Mar - tells Schutz in Thuͤringen, Franken, Schwaben und Baiern der Chriſtlichen Religion feſten Fuß zu verſchaffen ſuchte. Namentlich brachte derſelbe im Jahre 738. die Biſthuͤmer zu Salzburg, Re -738 gensburg, Freiſingen und Paſſau, wie auch nach - her noch die zu Wuͤrzburg und Eichſtaͤdt zu Stan - de. Sodann ſtiftete er, um eine Pflanzſchule tuͤchtiger Biſchoͤfe fuͤr die Zukunft zu haben, im Jahre 744. die Abtey zu Fulda. Und am Endewehlte44I. Alte Zeiten bis 888. wehlte er 745. Mainz zu ſeinem beſtaͤndigen Sitze, wie es ſeitdem der Sitz des erſten Teutſchen Erz - biſthums bis auf den heutigen Tag geblieben iſt.

IX.
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Um eben dieſe Zeit, als Bonifaz ſeine erſten Verſuche auf Teutſchem Boden machte, waren die Biſchoͤfe Gregor der II. und III. wegen der Veraͤnderungen, die der damalige Kaiſer Leo Iſau - rus mit den Bildern in den Kirchen vornehmen ließ, mit dem Hofe zu Conſtantinopel in große Irrungen gerathen. Alſo war es ihnen deſto will - kommener, als Bonifaz ſich ſelbſt in Rom einfand, und den Grund dazu legte, daß alle dieſe neue Stiftungen in Teutſchland in naͤhere Verbindung mit der Roͤmiſchen Kirche kamen, die ſie natuͤrlich als ihre Mutterkirche anſehen mußten. Bonifaz lei - ſtete dem Roͤmiſchen Stuhle ſchon einen ſolchen Eid, wie ſonſt nur die ihm untergeordneten Biſchoͤfe der eignen Roͤmiſchen Dioeces zu ſchwoͤren gewohnt waren. (Nachher iſt dieſer Eid zum Vortheile des paͤbſtlichen Stuhls noch immer mehr geſchaͤrft, und zuletzt ſo allgemein eingefuͤhrt worden, daß noch jetzt alle Biſchoͤfe der catholiſchen Kirche da - durch zur voͤlligen Unterwuͤrfigkeit unter den Roͤ - miſchen Stuhl verpflichtet werden.)

X.
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Unter ſolchen Umſtaͤnden wurde die Chriſtliche Religion in Teutſchland auch nur ſo eingefuͤhrt, wie ſie damals unter Leitung der Roͤmiſchen Bi - ſchoͤfe beſchaffen war, und ſowohl dieſen als uͤber - haupt dem geiſtlichen Stande vorzuͤglich zum Vor - theil gereichte. Schon Gregor der I., oder der Große, wie ihn ſeine Verehrer nennen, hatte in - ſonderheit die Lehre vom Fegefeuer gaͤnge und gaͤbegemacht;455) Merovinger b) Verfall 561-752. gemacht; eine Lehre, die darum von großen Fol - gen war, weil man zugleich annahm, daß dieſer Mittelzuſtand zwiſchen Himmel und Hoͤlle fuͤr die darin leidenden abgeſchiedenen Seelen verkuͤrzt wer - den koͤnnte, je nachdem Gott durch Fuͤrbitten an - derer noch lebender Menſchen, oder auch noch mehr ſolcher Heiligen, die ſchon im Genuß ihres ſeligen Zuſtandes bey Gott waͤren, ſich dazu bewegen ließe. In dieſer Vorausſetzung that man natuͤr - licher Weiſe alles, um ſich der Freundſchaft ſolcher Heiligen, als inſonderheit der Mutter Chriſti, und ſeiner Apoſtel, zu verſichern. Man glaubte, daß bey ihrer nahen Verbindung mit Gott, gleichſam mittelſt Einſchauens in den Spiegel der goͤttlichen Allwiſſenheit, ihnen nicht unbekannt bleiben koͤnnte, was noch lebende Menſchen zu ihrem Vortheile thaͤten. Daher alſo die ſo genannte Anrufung der Heiligen; Daher haͤufige zu Ehren dieſes oder jenes Heiligen erbaute und nach ihren Namen genannte Kirchen; Daher dazu gewidmete Geſchenke und Vermaͤchtniſſe; Daher endlich die ſo genannten Seelmeſſen, die, je zahlreicher ſie jemand fuͤr ſich veranſtalten kann, fuͤr deſto zutraͤglicher gehalten werden, wenigſtens denen, welche ihre Bezah - lung dafuͤr bekommen, deſto eintraͤglicher ſind.

Auch die Meſſe war ſchon in vielen StuͤckenXI. von Gregor dem I. auf den Fuß geſetzt, wie ſie noch jetzt in der catholiſchen Kirche mit vielerley Lateiniſchen Formeln, Geſaͤngen und anderen Ce - remonien uͤblich iſt, und als das einzige Weſent - lichſte des ganzen Gottesdienſtes angeſehen wird.

Man46I. Alte Zeiten bis 888.
XII.
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Man war ferner ſchon gewohnt, Menſchen, die mit Reue ihre Suͤnde bekannten, zu oͤffentli - chen Bußuͤbungen anzuhalten, oder daß ſie eine gewiſſe Anzahl Pſalmen leſen, Gebete verrichten, Almoſen geben, Faſten halten, Wallfahrten vor - nehmen, oder andere dergleichen vermeyntlich ver - dienſtliche Werke ausuͤben mußten, da man dann auf alle ſolche Werke einen großen Werth legte, um ſich dadurch der Vergebung der Suͤnden geſi - chert halten zu koͤnnen. Fuͤr Almoſen galten aber auch Schenkungen oder Vermaͤchtniſſe an geiſtliche Perſonen oder Kirchen und milde Stiftungen.

XIII.
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Die Gegenſtaͤnde milder Stiftungen vermehr - ten ſich inſonderheit, ſeitdem das Kloſterleben ſich immer weiter ausbreitete. Erſt Benedict von Nur - ſia ( 544.) hatte demſelben mit einer Vorſchrift, wie die Zeit in Kloͤſtern mit gottesdienſtlichen Ue - bungen, Handarbeiten und Unterricht der Jugend verhaͤltnißmaͤßig vertheilt werden ſollte, eine groͤßere Stetigkeit zu geben geſucht. Dieſe Regel, wovon der Benedictinerorden ſeinen Namen bekommen hat, empfahl vorzuͤglich Gregor der I. Seitdem gab es der Benedictiner-Abteyen auch im Fraͤnkiſchen Reiche immer mehrere. Auf einer Fraͤnkiſchen Kir - chenverſammlung 742. wurde es fuͤr alle Moͤnche und Nonnen zum Geſetze gemacht, ſich dieſer Re - gel zu unterwerfen.

XIV.
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So laͤßt ſich begreifen, wie durch koͤnigliche und anderer Großen Freygebigkeit Kirchen und an - dere milde Stiftungen ſchon fruͤhzeitig zu Reich - thuͤmern und großen Guͤtern haben gelangen koͤn -nen.475) Merovinger b) Verfall 561-752. nen. Daruͤber konnte ſchon um dieſe Zeit eine ge - wiſſe Eiferſucht von Seiten der hoͤchſten Gewalt im Staate uͤber ein zu beſorgendes Uebergewicht des geiſtlichen Standes erwachen; zumal da ſchon von Conſtantins Zeiten her auch dazu ein guter Grund gelegt war, daß geiſtliche Perſonen und Guͤter nicht nur manche Befreyung von gemeinſamen Laſten, die jeder buͤrgerlichen Geſellſchaft eigen zu ſeyn pflegen, zu genießen hatten, ſondern auch Biſchoͤfe erſt als Schiedsrichter, und in der Folge bald als ordentliche Richter in Streitigkeiten, die ihnen zu ſchlichten vorgelegt wurden, eine Art von geiſtlicher Gerichtbarkeit auszuuͤben bekamen.

Nichts deſto weniger blieben zwar noch Bi -XV. ſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe wahre Unterthanen der Re - genten ihrer Voͤlker. Selbſt der Roͤmiſche Biſchof war eben der hoͤchſten Gewalt, die in Rom ſelbſt die Herrſchaft fuͤhrte, unterworfen. Er lief ſo gar Gefahr vom Biſchofe zu Conſtantinopel in ſeinen bisherigen Vorzuͤgen zuruͤckgeſetzt zu werden. Doch auch hierin hatte wieder der ſchon oft erwehnte Biſchof Gregor der I. das Verdienſt, daß er durch einen Widerſpruch, den er gegen den vom Biſchofe zu Conſtantinopel angenommenen Titel eines allge - meinen Biſchofs erhub, den erſten Anlaß dazu gab, daß Rom als der urſpruͤngliche Sitz des Kaiſer - thums auch fuͤr ſeinen Biſchof den Vorzug vor dem in der neuen Reſidenz behielt. Von der Zeit an neigte ſich zwar alles zu einer Trennung der Griechiſchen und Lateiniſchen Kirche, die in der Folge je laͤnger je mehrere Nahrung bekam, und bis auf den heutigen Tag nicht hat gehoben wer - den koͤnnen. Allein eben in der Lateiniſchen Kirchewur -48I. Alte Zeiten bis 888. wurden jetzt nach und nach alle Umſtaͤnde fuͤr den Roͤmiſchen Biſchof deſto guͤnſtiger, um immer hoͤhere Vorzuͤge uͤber alle andere Biſchoͤfe in den weſtlichen Reichen zu erlangen.

XVI.
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Unter andern geſchah es haͤufig, daß der Roͤ - miſche Biſchof von Biſchoͤfen aus Frankreich, Eng - land und anderen weſtlichen Laͤndern um ſeine Be - lehrung, oder gar in ſtreitigen Faͤllen um ſeinen Ausſpruch gebeten wurde. Solche Belehrungen und Ausſpruͤche fieng man bald an zu ſammlen, und aͤhnlichen Sammlungen der Kirchenſchluͤſſe bey - zufuͤgen. Deren Inhalt ward aber nun ſchon den Vorſchriften der Bibel an die Seite geſetzt. Folg - lich war nun wohl zu erwarten, daß die Chriſt - liche Religion, wie ſie in unſeren Gegenden gelei - tet wurde, von ihrer urſpruͤnglichen Lauterkeit ſich noch immer weiter entfernen wuͤrde. Wenigſtens hatte der geiſtliche Stand, wenn zu ſeinem Vor - theile ſich noch etwas neues einfuͤhren ließ, es jetzt ziemlich in ſeiner Gewalt, durch neue Satzun - gen die Zahl der Glaubens - und Lebens-Vorſchrif - ten nach Gutfinden von Zeit zu Zeit zu vermehren.

XVII.
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Doch, nun erſt wieder auf Carl Martell zuruͤck - zukommen, wird vorerſt jetzt begreiflicher werden, wie in ſeiner Lage es Staatsklugheit war, ſowohl mit der Geiſtlichkeit uͤberhaupt, als inſonderheit mit dem Roͤmiſchen Biſchofe ein gutes Vernehmen zu unterhalten. Er hatte alſo gute Urſache, einen Bonifaz in ſeinen neuen Kirchenanlagen deſto eifri - ger zu unterſtuͤtzen, je mehr dadurch der vereinigte Name eines Helden und eines Befoͤrderers der Re - ligion das Volk ſeinen bisherigen koͤniglichen Stammver -495) Merovinger b) Verfall 561-752. vergeſſen machen konnte. Auf der andern Seite bedurfte aber auch der Roͤmiſche Stuhl die Freund - ſchaft eines ſolchen Helden, wie Carl Martell war, um theils gegen den Griechiſchen Hof, theils gegen die Longobarden geſichert zu ſeyn. In dieſer Ab - ſicht bekam ſchon Carl Martell den Antrag, den Titel Patricius der Roͤmer anzunehmen; wahr - ſcheinlich in dem Sinne, um eine Art von Schutz der Stadt Rom und der Roͤmiſchen Kirche zu uͤber - nehmen. Aber mit ihm blieb es nur noch in Tra - ctaten. Er mochte es wohl nicht gerathen finden, ſich in Verbindungen einzulaßen, die ihn noͤthigen koͤnnten, ein Kriegsheer uͤber die Alpen zu fuͤhren.

In der Hauptſache ſchien der Tod Carl Mar -XVIII. tells den Entwurf der Thronbeſteigung fuͤr ſeine Familie wieder von der Vollendung zu entfernen. Seine zwey Soͤhne, Carlmann und Pipin, un - terließen zwar nicht, den Regententitel, ſo wie er ihn gefuͤhrt hatte, gleichſam erblich fortzufuͤhren; aber ſie vertheilten auch das Reich unter ſich wie eine Erbſchaft; und doch aͤußerte ſich noch man - ches Mißvergnuͤgen bey den Großen der Nation; ſelbſt den geiſtlichen Stand nicht ausgenommen, der uͤber manches, das Carl Martell ohne gnug - ſame Schonung der geiſtlichen Guͤter vorgenommen hatte, doch nicht ganz zufrieden war. Durch dieſe Umſtaͤnde bewogen, ließen beide Bruͤder wieder einen Merovinger Prinzen Childerich den III. den koͤniglichen Titel fuͤhren. Sie ſelbſt beeiferten ſich aber deſto mehr, ſich dem geiſtlichen Stande ge - faͤlliger zu machen; wie dann in dieſe Zeit etliche merkwuͤrdige Kirchenverſammlungen fallen, und ſelbſt die letzten Hauptverrichtungen Bonifazens, da er 744. die Abtey Fulda errichtete, und 745. 744Dzu50I. Alte Zeiten bis 888. zu Mainz ſeinen metropolitiſchen Sitz beſtimmte. Doch zum Gluͤck fuͤr Pipin gieng ſein aͤlterer Bru - der Carlmann ſelbſt ins Kloſter; und nun fand Pipin bald Mittel und Wege, das ſo lange vor Augen gehabte Ziel zu erreichen.

XIX.
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Die groͤßte Schwierigkeit ſchien nur noch darin zu beſtehen, daß die Nation doch dem Koͤnige gehul - diget hatte, und daher ſelbſt im Gewiſſen einen Anſtand finden moͤchte, ihn zu verlaßen. In Gewiſſensſachen war man aber ſchon gewohnt, daß Bonifaz ſich von Rom aus Raths erholte. Es wurden deswegen zwey Praͤlaten, (ein Teut - ſcher und ein Franzoͤſiſcher, der Biſchof Burchard von Wuͤrzburg, und der Abt Fulrad von St. De - nis,) nach Rom geſchickt, um dem Pabſte Zacharias die Frage vorzulegen: ob es nicht recht und billig ſey, daß demjenigen, der die Regierung eines Vol - kes wuͤrklich fuͤhre, und dem das Volk ſeine Er - haltung und Wohlfahrt zu danken habe, auch der koͤnigliche Titel gegeben werde; oder ob derſelbe demjenigen zu laßen ſey, der zwar bisher den Namen, aber nicht die That gehabt habe?

XX.
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Die Anſtalt war ohne Zweifel ſchon zum vor - aus ſo getroffen, daß dieſe Botſchaft zuruͤckkam,752 als eben im Jahre 752. eine Reichsverſammlung zu Soiſſons im Werke war. Hier wurde der paͤbſtliche Ausſpruch, wie er nach Pipins Wunſch ausfiel, gleich oͤffentlich bekannt gemacht. Und ſo wie David ehedem ſtatt Sauls vom Propheten Samuel geſalbet war, ſo ſalbte und kroͤnte jetzt Bonifaz in Beyſeyn der uͤbrigen Biſchoͤfe Pipin ſtatt Childerichs, der nebſt ſeinem Sohne in ein Kloſter geſteckt wurde. So kam die große Revo -lution,516) Carolinger im Flor 752-814. lution, da ein noch bluͤhender koͤniglicher Stamm einer Miniſters-Familie vom Throne weichen mußte, jetzt auf einmal zu Stande, ohne daß uͤbrigens in der Staatsverfaſſung einige Veraͤnderung wei - ter vorgieng; außer daß natuͤrlicher Weiſe die Ehrenſtelle eines Majordomus oder auch der Titel eines Herzogs und Fuͤrſten der Franken von nun an nicht mehr im Gange blieb.

VI. Carolinger in ihrem Flore, inſonderheit Carl der Große.

I. II. Pipins Geſchichte ſeit ſeiner Thronbeſteigung inſonderheit Roͤmiſches Patriciat, und Schenkung an den paͤbſtlichen Stuhl. III. Carl der Große. IV. Seine Eroberung des Longobardiſchen Koͤnigreichs. V. Anfang des Sachſenkrieges. VI. Erweiterung der Graͤnzen ſei - nes Reichs uͤber die Pyrenaͤiſchen Gebirge. VII. Kriege und Anſtalten jenſeits der Elbe. VIII. IX. Zuͤge und Staatsveraͤnderungen in Baiern. X. Verſuch den Rhein mit der Donau zu vereinigen. XI-XVI. Erneuerung der Roͤmiſchen Kaiſerwuͤrde. XVII-XIX. Deren rechtliche Wirkungen. XX-XXII. Ende des Sachſenkrieges und Friedensbedingungen. XXIII. XXIV. Grundlage zu den heutigen Biſthuͤmern in Weſtphalen und Niederſachſen. XXV. Feldzuͤge in Boͤhmen. XXVI. Krieg mit den Nor - maͤnnern; Eider Graͤnze des Reichs. XXVII. XXVIII. Capitularien und andere gute Anſtalten Carls des Großen XXIX. inſonderheit in Anſehung des Kirchenſtaats. XXX. Neues Erzbiſthum zu Salzburg. XXXI. Unterhal - tung beſtaͤndiger Commiſſarien.

Kaum hatte Pipin den Thron beſtiegen, als erI. Gelegenheit bekam, dem paͤbſtlichen Stuhle752 einen ſehr betraͤchtlichen Gegendienſt zu leiſten. D 2Der52I. Alte Zeiten bis 888. Der Longobardiſche Koͤnig Aiſtulf hatte eben damals des Exarchats zu Ravenna ſich bemaͤchtiget, und den Roͤmern ſchon eine Kopfſteuer zugemuthet. Um hierwider Huͤlfe zu haben, begab ſich der Pabſt754 Stephan der II. 754. perſoͤnlich zu Pipin nach St. Denis, ſalbte und kroͤnte ihn von neuem, und bewog ihn, nicht nur den Titel Patricius der Roͤ - mer anzunehmen, ſondern auch zwey Feldzuͤge nach einander gegen Aiſtulfen vorzunehmen. Der Aus - gang dieſes Krieges war, daß Aiſtulf die Roͤmer in Ruhe laßen, und das Exarchat von Ravenna an Pi - pin abtreten mußte, der der Roͤmiſchen Kirche ein Geſchenk davon machte. So bekam das Erbtheil Petri, das bisher nur aus einzelnen Guͤtern und Einkuͤnften beſtanden hatte, jetzt die erſte Begruͤn - dung an Land und Leuten, die wir jetzt mit dem Namen des Kirchenſtaats zu belegen gewohnt ſind. Der damalige Griechiſche Kaiſer Conſtantin der VI. ließ zwar die Ruͤckgabe des Exarchates fuͤr ſich von Pipin verlangen; bekam aber zur Antwort: Pipin habe nicht den Griechen, ſondern dem heiligen Pe - ter zu gefallen, und um Vergebung ſeiner Suͤnde dadurch zu erlangen, dieſen Krieg unternommen.

II.
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Im Fraͤnkiſchen Reiche ſelbſten gab es zwar hin und wieder noch Bewegungen, da es inſonder - heit manchen Großen noch hart fiel, einem Koͤnige zu gehorchen, den ſie vor kurzem noch fuͤr ihres Gleichen gehalten hatten, und deſſen Herkunft ſie der ihrigen nicht einmal gleich ſchaͤtzen durften. Allein das Gluͤck der Waffen ſtand auch hier auf Seiten Pipins. Er wußte ſowohl die Herzogthuͤ - mer Schwaben und Baiern als Aquitanien in ſei - nem Gehorſame zu erhalten. Um auch der Nationnicht536) Carolinger im Flor 752-814. nicht lange Zeit zum Nachdenken zu laßen, griff er in der Zeit, da ſonſt Ruhe war, die Sachſen an, die, außer dem, was Wendiſche Voͤlker inne hatten, noch das einzige Volk in Teutſchland wa - ren, das ſich noch nicht unter Fraͤnkiſche Herrſchaft bequemt hatte. Hier brachte er es jedoch noch nicht weiter, als zum Verſprechen eines Tributes, wozu ſich die Sachſen anheiſchig machten. Wei - tere Fortſetzungen aller dieſer Unternehmungen blie -768 ben ſeinem Sohne Carl dem Großen vorbehalten.

Carl der Große wuͤrde die Sachen nicht ſoIII. weit gebracht haben, wie es in der Folge wuͤrklich geſchah, wenn nicht ſein Bruder Carlmann, mit dem er das Reich getheilt hatte, aber in allerley Mißhelligkeiten lebte, ſchon im December 771.771 geſtorben waͤre. Unmittelbar nach dieſem Todes - falle ſetzte er ſich in den Beſitz des ganzen Reichs; und von nun an wagte er lauter große Unterneh - mungen, ohne daß ihm leicht eine fehlſchlug. Noch der heutige Zuſtand der Reiche, die unter ſeinem Scepter ſtanden, haͤngt großentheils von demjeni - gen ab, was von ihm damals geſchehen iſt.

Das erſte von dieſer Art war die EroberungIV. des Longobardiſchen Koͤnigreichs, worin der erſte Grund von der noch jetzt obwaltenden Ver - bindung des Teutſchen Reichs mit Italien zu ſuchen iſt, ob es gleich damals nur eine bloß perſoͤnlich gemachte Eroberung war. Carl hatte ſeine Ge - mahlinn Sibylla, die eine Tochter des Longobar - diſchen Koͤnigs Deſiderius war, verſtoßen. Deſi - derius hatte hingegen Carls Schwaͤgerinn, dieD 3Witt -54I. Alte Zeiten bis 888. Wittwe Carlmanns, mit ihren Soͤhnen in Verona aufgenommen, auch anderen aus Carls Reiche ge - fluͤchteten Mißvergnuͤgten Schutz gegeben. End - lich rief ſelbſt der Pabſt Hadrian der I. gegen Feindſeligkeiten, die Deſiderius wider ihn ange - fangen hatte, Carln als Schutzherrn der Roͤmi -774 ſchen Kirche zu Huͤlfe. Daruͤber zog Carl 774. mit zwey Kriegsheeren uͤber die Alpen, und be - maͤchtigte ſich mit einem Treffen zwiſchen Novara und Pavia, und mit der Eroberung von Verona und Pavia des ganzen Longobardiſchen Koͤnigreichs. Zu Pavia fiel ihm ſelbſt Deſiderius in die Haͤnde, den er in ein Franzoͤſiſches Kloſter ſchickte. Von dieſer Zeit an nahm er den Titel Koͤnig der Lon - gobarden an, und machte alſo dieſem bisher 206. Jahre geſtandenen Longobardiſchen Koͤnigreiche ein Ende. Adalgis, Deſiderius Sohn, war zwar zu den Griechen gefluͤchtet, und machte nach Carls Ruͤckzug in Verbindung mit den Longobardiſchen Herzogen von Friaul, Spoleto und Benevent neue Bewegungen. Allein Carl fand ſich 776. bald wieder perſoͤnlich ein, und behielt uͤberall die Ober - hand. An ſtatt jener Herzoge ſetzte er hernach meiſt Fraͤnkiſche Grafen. So befeſtigte er in we - nig Jahren die Eroberung eines Landes, das we - gen ſeines fruchtbaren Bodens, und wegen der vielen Staͤdte, womit es angebauet war, inſonder - heit der damals beynahe in alleinigem Beſitz der Handlung bluͤhenden Staͤdte Genua, Florenz, Piſa und Venedig, als das vorzuͤglichſte in ganz Euro - pa angeſehen wurde. Unter andern konnte Carl davon manchen Stoff hernehmen, um auch ſeinen uͤbrigen Staaten mehr Cultur mitzutheilen.

Ehe556) Carolinger im Flor 752-814.

Ehe Carl noch den erſten Feldzug in ItalienV. gethan hatte, griff er ſchon 773. die Sachſen an, die er durchaus unter ſeine Botmaͤßigkeit und zu - gleich zu ſeiner Religion bringen wollte. Damit brachte er aber noch 33. Jahre zu, in welcher Zeit es ihm 20. Feldzuͤge gegen die Sachſen koſtete, ehe er ſeinen Zweck erreichte. Zwiſchendurch ward er aber noch in verſchiedene Kriege in anderen Gegenden verwickelt, die es nur bewundernswuͤr - dig machen, wie er in ſo großen Entfernungen bald an dieſer bald an der andern aͤußerſten Graͤnze ſeiner Staaten beynahe Jahraus Jahrein mit großen Kriegsheeren im Felde liegen muͤßen, und am Ende meiſt uͤberall neue Lorbeeren und Erwei - terungen ſeines Reichs davon getragen.

Einen ſolchen Zug unternahm er 778. in Spa -VI. nien, da ein Saraceniſcher Koͤnig Ibinalarabi von778 Saragoſſa, den ein anderer Saraceniſcher Koͤnig, Abdaram von Cordova, verdraͤngt hatte, bis nach Paderborn gekommen war, um Carls Beyſtand zu erflehen. Ein Umſtand, der fuͤr Carln deſto glor - reicher war, je lebhafter ſeinem Volke noch die Erinnerung ſeyn mußte, daß noch keine fuͤnfzig Jahre verfloſſen waren, da eine Saraceniſche Macht von Spanien aus die ganze Fraͤnkiſche Nation in die groͤßte Gefahr geſetzt hatte. Carl benutzte dieſe Gelegenheit, die weſtliche Graͤnze ſeines Reichs uͤber die Pyrenaͤiſchen Gebirge hinaus bis an den Ebrofluß zu erweitern.

In dem Kriege mit den Sachſen kam CarlVII. erſt von der Zeit an etwas mehr vorwaͤrts, alsD 4er56I. Alte Zeiten bis 888. 782er nach einer im Jahre 782. von denſelben erlitte -783 nen Niederlage im folgenden Jahre 783. zwey Siege, einen bey Detmold, den andern an der Haſe im Osnabruͤckiſchen, kurz nach einander uͤber ſie erfocht. Wenn er aber auch dadurch uͤber einen Theil von Weſtphalen Meiſter wurde, ſo fehlte doch noch viel, das heutige Niederſachſen bis zum Ausfluß der Weſer und Elbe unter ſeine Gewalt zu bringen. Sehr vortheilhaft war es ihm in ſol - cher Abſicht, daß die Obotriten (im heutigen Meck - lenburg) ſich in ein Buͤndniß mit ihm eingelaßen hatten, um an der Niederelbe, wenn es die Umſtaͤnde erforderten, den Sachſen in den Ruͤcken zu fallen. Allein bald wurden die Obotriten wie - der von anderen benachbarten Wendiſchen Voͤlkern von Pommern aus uͤberfallen. Dieſes noͤthigte Carln etliche mal uͤber die Elbe zu ziehen, um die Obotriten gegen ſolche Ueberfaͤlle in Sicherheit zu ſtellen. Solchen Zuͤgen hat unter andern Dres - den, und wahrſcheinlich das heutige Hamburg, jenes an der Oberelbe, dieſes an der Niederelbe, ſeinen erſten Urſprung zu danken; verſteht ſich in der erſten Anlage, als befeſtigte Schloͤſſer, die Carl zur Bedeckung dieſer Gegenden anzulegen noͤthig fand. Ich ſage, wahrſcheinlich das heutige Ham - burg; dieſer Name koͤmmt damals noch nicht vor, ſondern nur der Name Hochbuchi, als ein Schloß an der Niederelbe; dem jedoch alte Schriftſteller ſchon den Platz da, wo jetzt Hamburg liegt, an - weiſen.

VIII.
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Einen andern Zug ſah Carl ſich genoͤthiget, mehr als einmal in Baiern, und auf eben dieſeVer -576) Carolinger im Flor 752-814. Veranlaßung ſelbſt tief bis in Ungarn vorzuneh - men. Der damalige Herzog Taſſilo von Baiern hatte eine Schweſter von der Longobardiſchen Prin - zeſſinn, die Carl verſtoßen hatte, zur Gemahlinn; war alſo bey dem Schickſale, das ſein Schwieger - vater Deſiderius von Carln erlitten hatte, nichts weniger als gleichguͤltig. Er richtete aber mit allen Bewegungen, die er deshalb machte, wei - ter nichts aus, als daß er endlich 788. ſein Her -788 zogthum mit dem Ruͤcken anſehen und ins Kloſter Lorſch wandern mußte; worauf Carl Baiern nur unter Grafen vertheilte(z)Doch verlohr Baiern nicht voͤllig die bishe - rige Eigenſchaft eines beſondern Herzogthums. In Urkunden wurden noch oft die Regierungsjahre in Baiern mitgezehlt, und zu Zeiten die Worte gebraucht: in regno Francorum et in ducatu Baioariorum. Carl ernannte einen, Gerold aus Schwaben, der ſein Schwager war, zum Statt - halter in Baiern. Verſchiedene Franken ſchickte er als Grafen in die Bairiſche Gaue, und an den Graͤnzen gegen die Sorben, Boͤhmen, Hunnen und Slaven ſetzte er Marggrafen. So ſchienen von nun an die Fraͤnkiſchen Koͤnige ſelbſt zugleich Herzoge in Baiern zu ſeyn. Lori Geſchichte von Baiern S. 128. 130..

Taſſilo hatte bey dieſer Gelegenheit die Hun -IX. nen mit ins Spiel gebracht. Aber auch dieſe wurden von Carln nicht nur 788. zuruͤckgeſchla - gen; ſondern nachdem ſie 791. von neuem mit Carln gebrochen hatten, wurden ſie endlich 799.799 nach einer großen Niederlage bis an den Raabfluß zuruͤckgenoͤthiget; wo Carl ſeitdem Fraͤnkiſche Marg - grafen ſetzte.

Waͤh -D 558I. Alte Zeiten bis 888.
X.
26

Waͤhrend dieſer Zuͤge fiel Carl auf den Gedan - ken, den Rhein und die Donau mittelſt eines Canales zu vereinigen. Die Altmuͤhl, ein Fluß, der im Anſpachiſchen entſpringt, geht durch das Eichſtaͤdtiſche in die Donau. Ein anderer Fluß in Franken, die Rednitz, an welchem Bamberg liegt, ergießt ſich in den Main. Durch Vereini - gung dieſer beiden Fluͤſſe ließ ſich alſo hoffen, zu jenem Zwecke zu gelangen. Carl ließ wuͤrklich 793. den dazu noͤthigen Graben machen, und fuhr ſchon auf demſelben von Regensburg nach Wuͤrzburg. Allein die Arbeit war nicht mit der gehoͤrigen Kunſt und Vorſicht gemacht. Das ganze Werk wurde alſo wieder ruͤckgaͤngig; ſo deſto mehr zu bedauren iſt, als nicht nur beide vorbenannte Hauptſtroͤhme, ſondern ſelbſt das ſchwarze Meer und das große Weltmeer dadurch in Verbindung gekommen ſeyn wuͤrden. Von jenem Carlsgraben hat noch jetzt ein Dorf Graben in der Grafſchaft Pappenheim in Franken den Namen, wo auch Ueberbleibſel des Grabens wahrzunehmen ſind.

XI.
26

Eine der wichtigſten Begebenheiten erlebte Carl noch mit Ablauf des achten Jahrhunderts, da die Wuͤrde eines Roͤmiſchen Kaiſers, die ſeit 476. zu Rom erloſchen war, und nur noch zu Conſtantinopel mit dem oͤſtlichen Theile des Roͤmi - ſchen Reichs ihren Fortgang behalten hatte, jetzt auch zu Rom in der Perſon Carls des Großen erneuert wurde; wovon unſtreitig bis auf den heu - tigen Tag der erſte Grund der jetzt mit dem Teut - ſchen Reiche verbundenen kaiſerlichen Wuͤrde her - zuleiten iſt.

Als596) Carolinger im Flor 752-814.

Als Patricius der Roͤmer hatte Carl zwar ſchonXII. den Schutz der Roͤmiſchen Kirche und der Stadt Rom uͤbernommen. Aber die eigentliche Hoheit uͤber die Stadt gebuͤhrte doch noch dem Hofe zu Conſtantinopel. Jedoch als von hieraus je laͤnger je weniger zu hoffen noch zu fuͤrchten war; wag - ten die Roͤmer vorerſt im Jahre 796. den Schritt, daß ſie Carl dem Großen, da er eben in Italien war, ihre Stadtfahnen feierlich uͤberſchickten, und ihm damit die Herrſchaft ihrer Stadt uͤbergaben. Ob nun gleich damit die bisherige Oberherrſchaft des Griechiſchkaiſerlichen Hofes noch nicht voͤllig gehoben war, indem vielmehr ſelbſt der Name Patricius, unter welchem Carl ſeine Rechte in Rom auszuuͤben hatte, noch immer eine gewiſſe Abhaͤn - gigkeit vom eigentlichen Roͤmiſchen Kaiſer mit ſich zu bringen ſchien; ſo durften doch nur einige Jahre hingehen, da ſich leicht eine Gelegenheit darbieten mochte, auf den einmal gewagten erſten Schritt noch mehr andere folgen zu laßen.

Dieſe Gelegenheit ereignete ſich, als der PabſtXIII. Leo der III. im April 799. von einigen Verſchwor -799 nen zu Rom bey einer Proceſſion uͤberfallen, aber noch gerettet wurde, um zu Carln, den er deswe - gen perſoͤnlich zu Paderborn beſuchte, ſeine Zuflucht nehmen zu koͤnnen. Carl ſchickte erſt etliche Bi - ſchoͤfe und Grafen als Commiſſarien nach Rom, um die Sache vorlaͤufig zu unterſuchen. Als er hierauf ſelber nachkam, und am 15. Dec. 800.800 oͤffentlich in der Peterskirche Gericht hielt, war das Ende dieſer Sache, daß Leo, nachdem er noch einen ihm zuerkannten Reinigungseid abgelegt hatte, von allen wider ihn vorgebrachten Beſchwer -den60I. Alte Zeiten bis 888. den und Anſchuldigungen frey geſprochen, ſeine Gegner und Anklaͤger hingegen ins Exilium geſchickt wurden. Wie nun zehn Tage hernach das Wei - nachtfeſt einfiel, da Leo ſelbſt den Gottesdienſt ver - richtete, und Carl vor ihm am Altare in ſeiner An - dacht auf den Knieen lag; ſetzte Leo Carln ganz unerwartet eine Krone auf, und rief zugleich: Viuat Carolus Imperator Auguſtus; welchen Ausruf ſogleich ein allgemeiner Wiederhall in der Kirche mit Frolocken wiederholte. Dieſe Ueberra - ſchung ließ ſich Carl endlich gefallen, und ſetzte alſo von nun an vor ſeinen bisher gefuͤhrten Fraͤn - kiſchen und Longobardiſchen koͤniglichen Titeln noch den eines Roͤmiſchen Kaiſers.

XIV.
26

Ob es in der That, oder vielleicht nur dem aͤußern Scheine nach Ueberraſchung war, und ob die Sache nicht wohl gar ſchon von langer Hand her abgeredet geweſen ſeyn moͤge, kann man gerne dahin geſtellt ſeyn laßen. Soviel iſt gewiß, daß von dieſem Augenblicke an alles Ueberbleibſel eini - ger Abhaͤngigkeit vom Griechiſchkaiſerlichen Hofe, ſo bisher noch die Stadt Rom und ſelbſt Carl als Patricius der Roͤmer vielleicht haͤtte zu erkennen gehabt, auf einmal oͤffentlich gebrochen war. In dieſer Ruͤckſicht war keine uͤble Zeit dazu gewehlet, da eben ſeit 797. Irene des kaiſerlichen Thrones, der ihr eigentlich nicht gebuͤhrte, ſich bemaͤchtiget hatte, und da allenfalls ſelbſt eine Moͤglichkeit ſich denken ließ, daß Carl und Irene ſich mit einander vermaͤhlen, und alſo das bisher getrennt geweſene oͤſtliche und weſtliche Kaiſerthum von neuem ver - einigen koͤnnten. Die gegenſeitige Beſchickung durch Geſandten, ſo ſchon zwiſchen beiden erfolgte,macht616) Carolinger im Flor 752-814. macht es glaublich, daß mehr als eine bloße Moͤg - lichkeit im Werke war. Aber eben damals ward Irene zu Conſtantinopel geſtuͤrzt. Ihr Nachfolger Nicephorus war mit dem, was zu Rom geſchehen war, ſo wenig zufrieden, daß es vielmehr in dem untern Theile von Italien daruͤber noch zum Kriege kam. Doch die Hauptſache konnte einmal von Con - ſtantinopel aus nicht mehr ruͤckgaͤngig gemacht wer - den. Die Graͤnzen des Gebietes, das den Grie - chen noch in Italien uͤbrig blieb, wurden in Frie - densſchluͤſſen beſtimmt, die Nicephorus und ſein Nachfolger Michael mit Carln machten.

Sobald einmal die Abhaͤngigkeit, worin bis -XV. her die Roͤmer vom Hofe zu Conſtantinopel geweſen waren, gehoben war; ſo hatten es allerdings die Roͤmer in ihrer Gewalt, die Kaiſerwuͤrde, wie ſie ehedem auf ihrer Stadt und ihrem Gebiete gehaf - tet hatte, zu erneuern; zumal wenn ſich ein Herr dazu fand, der der Sache den gehoͤrigen Nachdruck geben konnte, um auch von anderen Voͤlkern und Staaten die Anerkennung dieſer neuen Wuͤrde zu bewirken. In ſo weit liegt der wahre rechtliche Grund der ganzen Sache in der uͤbereinſtimmen - den Geſinnung, welche gleich am Weinachtstage 800. das damals in der Kirche verſammelte Volk an Tag legte. Es ließ ſich wohl vorherſehen, wie es auch wuͤrklich erfolgte, daß ſowohl die uͤbrigen Roͤmer, als die Longobarden und Franken der Sache ihren Beyfall geben wuͤrden, und daß nicht leicht irgend ein anderes Volk ſich widerſetzen duͤrfte, Carln in dieſer neuen Wuͤrde anzuerken - nen; Gerade ſo, wie die erſt im gegenwaͤrtigen Jahrhunderte neu errichtete Preuſſiſche Krone ihrenwahren62I. Alte Zeiten bis 888. wahren Rechtsgrund darin hatte, daß die Preuſſi - ſche Landſchaft mit ihrem Regenten aus dem Hauſe Brandenburg einig geworden war, daß derſelbe den koͤniglichen Titel annahm; den nicht nur ſeine uͤbrige Unterthanen, ſondern auch nach und nach die anderen Staaten von Europa anerkannten.

XVI.
26

Was der Pabſt fuͤr ſeine Perſon dazu beytrug, Carln die Kaiſerwuͤrde zu verſchaffen, war aller - dings von großer Erheblichkeit, weil ſonſt aus der ganzen Sache vielleicht nichts geworden waͤre, wenn nicht der Pabſt den Ton dazu angegeben haͤtte. Geſetzt aber, an ſtatt des gleich in der Kirche erfolgten allgemeinen Beyfalls haͤtte es Wi - derſpruͤche und Laͤrm in der Kirche daruͤber gege - ben; ſo wuͤrde aller paͤbſtlichen Erklaͤrung und Be - muͤhung ungeachtet doch nichts daraus geworden ſeyn. In der That verhielt es ſich alſo damit eben ſo, wie es in der Geſchichte mehrere Beyſpiele von Revolutionen und unerwarteten Thronbeſteigungen gibt, wozu manchmal nur ein Soldat den erſten Ton angegeben hatte. So wenig alsdann dieſem ein Recht beygelegt werden kann, das zu bewirken, was durch die Revolution geſchah; ſo wenig kann die paͤbſtliche Gewalt als die rechtliche Quelle an - geſehen werden, welcher die Kaiſerwuͤrde ihren Urſprung zu danken habe.

XVII.
26

Was die Wirkungen der fuͤr Carl den Großen erneuerten Roͤmiſchen Kaiſerwuͤrde anbetrifft, ſo war derſelbe nunmehr unſtreitig unabhaͤngiger Re - gent in der Stadt und dem Gebiete von Rom, und zugleich zu allem demjenigen berechtiget, wasdieſe636) Carolinger im Flor 752-814. dieſe Erneuerung der Kaiſerwuͤrde von Seiten der Roͤmer, und deren Anerkennung von Seiten der uͤbrigen damaligen Voͤlker und Staaten mit ſich bringen konnte. Laͤnder, die einmal auf recht - maͤßige Art von dem ehemaligen Roͤmiſchen Kai - ſerthume abgekommen waren, konnten darunter freylich nicht begriffen ſeyn. Viele derſelben hatte Carl ohnedem ſchon als Koͤnig der Franken und Longobarden in Beſitz. Auf einige konnte uͤber kurz oder lang vielleicht einiger Anſpruch gemacht wer - den. Allemal ſah ſich jetzt Carl nicht ohne Grund als den erſten Monarchen im Range an.

Doch die Vorrechte der erneuerten KaiſerwuͤrdeXVIII. und die davon abhangenden Land und Leute moch - ten nun beſtehen, worin ſie wollten, ſo beſtand das Verhaͤltniß, worin alles das gegen Carls uͤbrige Staaten kam, doch offenbar in einer nur perſoͤnlichen Verbindung, ohne daß weder mit dem Longobardiſchen noch mit dem Fraͤnkiſchen Reiche, die Carl vorhin ſchon beſaß, irgend einige Real - vereinigung geſchehen waͤre; gerade ſo, wie das Churhaus Brandenburg die koͤnigliche Wuͤrde von Preuſſen annahm, ohne daß das eigentliche Koͤnig - reich Preuſſen mit den uͤbrigen Laͤndern des Chur - hauſes Brandenburg gleichſam in eine Maſſe ge - ſchmolzen waͤre; oder nach einem andern Beyſpiele eben ſo, wie das Haus Hannover die Krone von Großbritannien erhalten hat, ohne daß deswegen Hannover und England mit einander vermenget werden darf; keinesweges hingegen ſo, wie die zwey Koͤnigreiche England und Schottland unter dem Namen Großbritannien eine Realvereinigungin64I. Alte Zeiten bis 888. in Geſtalt eines einigen Reichs unter ſich errichtet haben.

XIX.
26

Carl behielt immer ſorgfaͤltig die unterſchiede - nen Titulaturen 1) als Roͤmiſcher Kaiſer, 2) als Koͤnig der Franken, und 3) als Koͤnig der Longo - barden bey. Freylich moͤgen ſchon damals ſeine Befehlshaber eine Ehre darin geſucht haben, daß ſie den Kaiſer zum Herrn hatten, ſo wie ſeit 1701. nicht mehr Churbrandenburgiſche, ſondern koͤniglich Preuſſiſche Truppen genannt werden, oder wie im Churbraunſchweigiſchen jeder Beamter an der Ehre Theil nimmt, ſich koͤniglicher Beamter nennen zu laßen, ob er gleich nicht von der Krone Großbri - tannien abhaͤngt, ſondern nur zu des Koͤnigs chur - fuͤrſtlichen oder herzoglich Bremiſchen und anderen Laͤndern gehoͤret. Zuverlaͤßig dachte aber zu Carls Zeiten wohl noch niemand daran, daß ſein Fraͤn - kiſches Reich oder unſer jetziges Teutſchland durch den von ihm angenommenen Titel eines Roͤmi - ſchen Kaiſers gleichſam in das Roͤmiſche Reich ver - wandelt, oder auch mit dieſem auf den Fuß einer Realvereinigung verbunden ſeyn ſollte. Wenn Carl auch vielleicht zu Rom in Sachen, welche die dortige Regierung betrafen, ſich als Nachfolger der ehemaligen Roͤmiſchen Kaiſer anſehen konnte; ſo that er es doch gewiß nicht in Fraͤnkiſchen und Teutſchen Sachen. Georg der I. war als Koͤnig von Großbritannien freylich ein Nachfolger der Koͤniginn Anna; wem wollte es aber deswegen einfallen, von Parlamentsacten dieſer Koͤniginn nunmehr in Hannoveriſchen Landesſachen Gebrauch zu machen? Und doch hat man in ſpaͤterenZeiten656) Carolinger im Flor 752-814. Zeiten ſo geurtheilet, Carl der Große ſey Nachfol - ger Juſtinians geweſen; folglich muͤßte auch das Juſtinianiſche Geſetzbuch in Teutſchland eben ſo - wohl als in Rom gelten. Man nahm ſo gar aus dem Propheten Daniel eine Weiſſagung von vier Monarchien an, deren letzte, die bis ans Ende der Welt waͤhren wuͤrde, die Roͤmiſche ſey, wel - che von den Griechen auf die Franken ſey uͤbertra - gen worden. Im Grunde war es keine Uebertra - gung der Kaiſerwuͤrde von Conſtantinopel; denn die oͤſtliche Kaiſerwuͤrde behielt daſelbſt nach wie vor ihren Fortgang. Es war nur eine Erneuerung der weſtlichen Kaiſerwuͤrde, ſo wie ſie ehemals ſchon in Oſten und Weſten abgetheilt geweſen war. So hieß es auch auf damaligen Muͤnzen ganz richtig: Renouatio imperii, nicht translatio. Dieſen letztern Ausdruck hat man aber in folgen - den Jahrhunderten zu Rom gebraucht, und nun noch den großen Satz damit verbunden: der Pabſt ſey es, der auf goͤttlichen Befehl oder vielleicht gar nach eignem Gutfinden als Statthalter Gottes das Reich von Oſten nach Weſten zuruͤckgebracht, und die Kaiſerwuͤrde von den Griechen auf die Franken uͤbertragen habe. So dachte man zu Carls des Großen Zeiten gewiß noch nicht. Es war inzwi - ſchen der Muͤhe werth, hier einsweilen die Sache in ihrem wahren Lichte vorzuſtellen, weil in der Folge ſo ungemein vieles auf ſo irrigen Vorſtel - lungen doch mit unglaublichem Erfolge gebauet worden iſt.

Die Kaiſerkrone hatte Carl ſchon etliche JahreXX. im Beſitz, als er endlich im Jahre 804. mit den804ESach -66I. Alte Zeiten bis 888. Sachſen fertig wurde. Seit den oben erwehn - ten Siegen, die er 783. uͤber ſie erfochten hatte, bequemten ſich nach und nach diejenigen Staͤmme der Saͤchſiſchen Nation, die damals unter den Namen Weſtphalen, Engern und Oſtphalen begrif - fen waren. Aber die Wihmoder und Nordalbin - ger, wie man damals die Einwohner der heuti - gen Herzogthuͤmer Bremen und Holſtein nannte, waren noch ſchwer unter das Fraͤnkiſche Joch zu bringen. Noch in den Jahren 796. 797. 798. ließ Carl hier große Verwuͤſtungen anrichten, ohne doch ſeinen Zweck zu erreichen. Zuletzt ſchritt er zu dem gewaltſamen Mittel, zehn tauſend Familien aus dem Bremiſchen und Holſteiniſchen in andere Gegenden ſeines Reichs abfuͤhren zu laßen, und ihre Wohnplaͤtze ſeinen Obotritiſchen Bundesgenoſ - ſen einzuraͤumen. Die Hauptbedingung, unter welcher ſich die Sachſen zum Frieden bequemten, beſtand darin, daß ſie nicht als ein unterwuͤrfiges Volk dem Fraͤnkiſchen Reiche einverleibt, ſondern mit demſelben voͤllig gleich gehalten werden ſollten, um gleichſam als zwey einander gleiche Voͤlker an Carln nur einen gemeinſamen Oberherrn zu haben. (Davon ſind durch alle folgende Zeiten bis auf den heutigen Tag ſichtbare Folgen geblieben, daß Sachſen immer ſein eignes Recht gehabt hat, wo - durch es ſich vom uͤbrigen Teutſchlande unterſchie - den. Selbſt das zweyfache Reichsvicariat, da die Saͤchſiſchen Lande ihr eignes Saͤchſiſches Vicariat haben, und alle andere Teutſche Laͤnder unter dem Rheinpfaͤlziſchen Vicariate ſtehen, ſcheint hier ſeinen erſten urſpruͤnglichen Grund zu haben.)

Die676) Carolinger im Flor 752-814.

Die groͤßte Schwierigkeit in den Friedenshand -XXI. lungen mit den Sachſen machte unſtreitig der Punct der Religion. So wohlthaͤtig und vortrefflich die Chriſtliche Religion an ſich iſt, wenn man ſie nach ihrer urſpruͤnglichen Lauterkeit kennen lernt; ſo be - denklich mußte es den Sachſen nothwendig vor - kommen, als ſie ſahen, was fuͤr gewaltſame Mit - tel angewandt wurden, ſie zu dieſem Glauben zu zwingen, wenn man z. B. tauſenden auf einmal die Wahl ließ, entweder ſich taufen zu laßen, oder ſich in die Weſer geſprengt zu ſehen; oder wenn Carl in ausdruͤcklichen Geſetzen verordnete: Wer unter den Sachſen ſich noch verborgen hielte und ſich nicht taufen laßen wollte, ſollte des Todes ſterben(a)Capitul. de partibus Saxoniae cap. 8..

Inſonderheit ſchien es den Sachſen laͤſtig, daßXXII. die Prieſter der Religion, die man ihnen aufdrin - gen wollte, zugleich einen Zehnten ihrer Fruͤchte haben ſollten. Ungeachtet Carls Freund, der Eng - laͤnder Alcuin, ſelbſt Carln rieth, darauf nicht zu beſtehen, wurde es doch als eine Bedingung des Friedens mit durchgeſetzt; wiewohl es doch kaum ſcheint, daß dieſe Zehnten wuͤrklich in allgemeine Uebung haben gebracht werden koͤnnen(b)Moͤſers Osnabruͤckiſche Geſchichte Th. 1. (Aufl. 2. Berl. 1780.) S. 224. 238. 321..

Gleich beym erſten Anfange dieſes Krieges ließXXIII. Carl ſchon zu Paderborn eine Kirche bauen, und von dortaus pflegte er jeden Feldzug eine AnzahlMiſ -E 268I. Alte Zeiten bis 888. Miſſionarien, ſo weit es gehen wollte, zur Aus - breitung des Chriſtenthums vorruͤcken zu laßen. Seitdem er hernach vom Jahre 783. an etwas tie - fer ins Land feſten Fuß gewann, konnte er allmaͤlig auf feſtere Begruͤndung ordentlicher Biſthuͤmer Be - dacht nehmen; wie ohne Zweifel auf ſolche Art nach und nach zu den Biſthuͤmern zu Osnabruͤck(c)Moͤſer am a. O. S. 275., Min - den, Halberſtadt, Verden, Bremen, Muͤnſter der erſte Grund geleget worden. Zum Sitz des heu - tigen Biſthums Hildesheim beſtimmte Carl erſt Elze (einen auf der Straße zwiſchen Hannover und Eimbeck gelegenen Ort), weil er nicht nur die dor - tige Gegend vorzuͤglich angenehm fand, ſondern auch glaubte, daß ein kleiner Fluß, an dem Elze liegt, der ſich in die Leine ergießt, mittelſt der Schifffahrt aus der Leine in die Weſer zu einiger Grundlage zur Handlung dienen koͤnnte.

XXIV.
29

Ueberhaupt hatte es mit dieſen Biſthuͤmern eine ganz andere Bewandtniß, als mit denen, die zu Conſtantins Zeiten in Staͤdten am Rheine und an der Donau, die ſchon da waren, aufkamen. Hier gab der Sitz eines jeden Biſchofs erſt ſelbſt Anlaß dazu, daß derſelbe nach und nach angebauet und zur Stadt gebildet wurde. Hier war alſo auch noch an keine geiſtliche Hauptſtadt (Metro - polis) zu denken. Daher die Erzbiſchoͤfe von Mainz und Coͤlln ihre erzbiſchoͤfliche Aufſicht auch uͤber dieſe Gegenden erſtreckten(d) So vortheilhaft auch dieſe Einrichtung fuͤr das Anſehen der beiden Rheiniſchen Metropo - liten zu ſeyn ſchien, die dadurch Provinzen beka -men,. (Erſt 834. wur -696) Carolinger im Flor 752-814. wurde fuͤr die noͤrdlichere Gegenden ein Erzbiſchof zu Hamburg angeſtellt, deſſen Sitz hernach 849. nach Bremen verleget wurde.)

Unmittelbar nach geendigtem Sachſenkriege ließXXV. Carl noch 805. und 806. zwey Feldzuͤge in Boͤh -805 men vornehmen, weil von dortaus ein Einfall in das heutige Oeſterreichiſche geſchehen war. Die Boͤhmen mußten ſich bequemen, Carl dem Großen und ſeinen Nachfolgern jaͤhrlich einen Tribut von 120. fetten Ochſen und 50. Mark Silber zu ent - richten. Seitdem zehlte Carl auch Boͤhmen unter die von ihm beherrſchten Laͤnder. Es hielt aber in der Folge ſchwer, dieſe Unterwuͤrfigkeit zu behaupten.

Der letzte Krieg ſchien Carl dem Großen nochXXVI. mit den Normaͤnnern bevorzuſtehen. Unter die - ſem Namen begriff man damals die Voͤlker, die das heutige Schleswig, Juͤtland, Daͤnemark, Nor - wegen, und Schweden bewohnten. Dieſe Voͤlker waren wegen ihrer Schifffahrt und Seeraͤuberey beruͤhmt und fuͤrchterlich. Sie hatten ſchon mehr - malen die Franzoͤſiſche Kuͤſte beunruhiget, und da - mit Carln wegen der Zukunft beſorgt gemacht, ober(d)men, dergleichen keine in der ganzen Chriſtenheit waren; ſo lag doch in eben dieſer weiten Entfer - nung ihrer untergebenen Biſthuͤmer eine der Haupt - urſachen, warum die Rechte der Erzbiſchoͤfe, die hauptſaͤchlich in der Direction der Wahl, der Con - ſecration, und der Aufſicht uͤber die Biſchoͤfe be - ſtanden, in Teutſchland nie in eine ſo genaue Er - fuͤllung gekommen ſind, wie in anderen Laͤndern. Schmidts Geſchichte der Teutſchen Th. 1. S. 571.E 370I. Alte Zeiten bis 888. er es gleich an dienlichen Gegenanſtalten zu Waſſer und zu Lande nicht fehlen ließ. Seit dem Frieden mit den Sachſen bekam ſie Carl auch zu Lande an dieſem nunmehrigen aͤuſſerſten noͤrdlichen Ende ſeines Reiches zu Nachbaren, ohne daß hier noch eine rich - tige Graͤnzbeſtimmung vorhanden war. Von beiden Seiten zogen ſich hier ſchon Kriegsheere zuſammen. Jedoch eine unvermuthete Veraͤnderung auf dem Normaͤnniſchen Throne brachte einen baldigen Frie - densſchluß zuwege, vermoͤge deſſen hier die Eider zur Graͤnze feſtgeſetzt wurde, wie ſie noch jetzt die Graͤnze zwiſchen Holſtein und Schleswig, und eben damit auch die Graͤnze des Teutſchen Reichs in dieſer Gegend ausmacht.

XXVII.
31

Auſſer allen dieſen Begebenheiten, deren An - denken uns die Geſchichte auf behalten hat, haben wir noch ein ſchaͤtzbares Denkmaal von Carl dem Großen in ſeinen Geſetzen, die unter den ſo ge - nannten Capitularien der Fraͤnkiſchen Koͤnige den groͤßten und wichtigſten Theil ausmachen; Ein Werk, das zwar ſchon in den Jahren 827. und 845. eigne Sammler beſchaͤfftiget hatte, aber auch wieder ganze Jahrhunderte hindurch in Vergeſſen - heit gerathen war, als es in den Jahren 1531. und 1545, die Aufmerkſamkeit etlicher Teutſchen Gelehrten zuerſt wieder aus dem Staube hervor - brachte; worauf ſeitdem erſt mehrere Franzoͤſiſche, freylich ungleich praͤchtigere Ausgaben davon er - ſchienen ſind. Dieſe Capitularien kann man nicht leſen, ohne mit Bewunderung wahrzunehmen, wel - che Fortſchritte Carl der Große auch mittelſt der Geſetzgebung that, um die Cultur der ſeinem Sce -pter716) Carolinger im Flor 752-814. pter unterworfenen Voͤlker, inſonderheit der Teut - ſchen, auf eine hoͤhere Stuffe zu bringen. Der Geiſt dieſer Geſetzgebung ruhet zwar vorzuͤglich auf Gegenſtaͤnden, die in das Kriegsweſen ein - ſchlagen; wie es auch heutiges Tages noch gnug in die Augen faͤllt, daß in manchen Staaten das Kriegsweſen den groͤßten Einfluß in die Geſetzge - bung hat. So beſtimmte damals Carl der Große, wie nicht nur jeder Lehnmann, ſondern auch jeder freyer Guͤterbeſitzer, wenn er nur drey Hufen Lan - des zum Eigenthum habe, ſich ſelbſt zum Kriege geruͤſtet halten, oder in anderen Faͤllen fuͤnf zuſam - men einen ſechſten Mann ausruͤſten ſollten(e)Capitulare Car. M. 807. in Georgisch corp. iur. Germ. p. 733. ſq. . Dieſe Ruͤſtung verſtand man aber ſo, daß ein jeder auf eigne Koſten nicht nur mit Kleidung und Waf - fen, ſondern auch mit Lebensmitteln auf drey Mo - nathe verſehen ſeyn mußte, und zwar letzteres von einem vorgeſchriebenen Ziele an zu rechnen, wie z. B. fuͤr Rheinlaͤnder nach Spanien zu von der Loire an, oder fuͤr Franzoſen nach Teutſchland zu vom Rheine, oder gegen Sachſen zu gar von der Elbe an zu rechnen(f)Capitulare Car. M. 812. cap. 8. Geor - gisch l. c. p. 764., woraus man abnehmen mag, wie beſchwerlich damals die Kriegszuͤge fuͤr die ganze Nation geweſen ſeyn muͤßen.

Inzwiſchen ließ Carl es auch nicht an anderenXXVIII. wohlthaͤtigen Anſtalten fehlen; unter denen wohl die erſte Stelle verdient, wie er uͤberall Schulen zu errichten verordnete, damit die Jugend durch -gaͤn -E 472I. Alte Zeiten bis 888. gaͤngig im Leſen, Schreiben, Rechnen, Singen, und demnaͤchſt ferner in der Dialectik, Rhetorik, Geometrie und Aſtronomie unterrichtet werden ſoll - te. Selbſt die Teurſche Sprache hat Carln in ſo weit ihre erſte Aufnahme zu danken, als er zuerſt dieſe Sprache in Regeln faſſen, und ſchreib - bar machen ließ; wie er dann auch ſelbſt den Win - den und Monathen Teutſche Namen beylegte, wo - von jene in den Benennungen Oſtwind, Weſtwind, Suͤdwind, Nordwind, oder Suͤdoſt, Suͤdweſt, Nordoſt, Nordweſt u. ſ. w. ſelbſt in mehreren Eu - ropaͤiſchen Sprachen ſich bis auf den heutigen Tag erhalten haben.

XXIX.
33

Ich uͤbergehe, was Carl uͤber Gegenſtaͤnde der Landespolizey und Landwirthſchaft verordnet, inglei - chen was er der Handlung fuͤr Aufnahme zu ver - ſchaffen, und wie er die Zoͤlle und das Muͤnzwe - ſen einzurichten geſucht hat. Das einzige muß ich aber noch bemerklich machen, wie er auch in An - ſehung der Religion und Kirche die Rechte der Majeſtaͤt noch zu wahren gewußt, wie davon in - ſonderheit eine Kirchenverſammlung, die er 794. zu Frankſurt am Main unter ſeinen Augen halten laßen, zur Probe dienen kann. Unter andern wurde da verſchiedenes, was den Dienſt der Heiligen be - trifft, ganz gegen den damals zu Rom herrſchenden Sinn verfuͤget; obgleich ſonſt Carl von einer Samm - lung von Kirchenſchluͤſſen, die ihm der Pabſt Hadrian der I. zu Rom uͤberreicht hatte, manches in ſeine Capitularien einfließen laßen. Soviel iſt allemal gewiß, daß Carl alle Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe ſei - nes Reichs, unter letzteren nur den zu Rom als den erſten im Range, als ſeine geiſtliche Beam -ten736) Carolinger im Flor 752-814. ten angeſehen, und weder von der Immunitaͤt des geiſtlichen Standes, noch von der geiſtlichen Ge - richtbarkeit, ſolche Grundſaͤtze, wie man ſie in der Folge behaupten wollen, hat gelten laßen(g)Doch ward in den Capitularien ſchon eine Verordnung aufgenommen, die Conſtantin dem Großen zugeſchrieben, aber untergeſchoben war, vermoͤge deren Biſchoͤfen nicht nur geſtattet werden ſollte, als Schiedsrichter mit gutem Willen beider Theile, ſondern auch nur auf Anſuchen des einen Theils, Rechtsſachen zu entſcheiden. Capitularia reg. Francor. lib. 6. cap. 366. in Georgisch corp. iur. Germ. p. 1585. Auch war den Biſchoͤ - fen eine allgemeine Aufſicht uͤber die Sitten anver - trauet. Capitulare 755. c. 3. Georgisch l. c. p. 515. Woraus bey den Viſitationen, welche die Biſchoͤfe jaͤhrlich in ihren Kirchenſprengeln anzuſtel - len hatten, eine Art von Sittengerichte unter dem Namen Send (Synode) erwuchs. Schmidts Geſchichte der Teutſchen Th. 1. S. 577. u. f.. Was ſich von Hoheitsrechten uͤber Religion und Kirche ſagen laͤßt, war noch vollſtaͤndig gnug in Carls Haͤnden(h)Sowohl unter Carl dem Großen als den vorigen Fraͤnkiſchen Koͤnigen war es uͤblich, daß der Koͤnig die Biſchoͤfe meiſt ſelbſt ernannte; daß er die vollkommene Gerichtbarkeit uͤber Biſchoͤfe, Aebte und andere Geiſtliche ausuͤbte; daß er ihre Beſchwerden annahm, wenn ſie von ihren Oberen Unrecht zu leiden glaubten; daß er Buß - und Bet - tage anſetzte; daß ohne beſondere koͤnigliche Er - laubniß kein freygebohrner in geiſtlichen Stand treten durfte; daß Kirchenverſammlungen nur vomKoͤni -; konnte es auch deſto ſicherer ſeyn, da er mit ſeinen Unterthanen ſich zu einer - ley Religion bekannte, und alſo die Vermuthung, fuͤr ſich hatte, daß er ſeine Gewalt nicht zum Nach - theil eben der Religion mißbrauchen wuͤrde.

DurchE 574I. Alte Zeiten bis 888.
XXX.
35

Durch Carls Veranſtaltung wurde unter andern im Jahre 798. auch noch uͤber die uͤbrigen Bairi - ſchen Biſchoͤfe der bisherige Biſchof von Salzburg zum Erzbiſchofe erhoben. Auf Carls Befehl gab demſelben der Pabſt das Pallium und die erz - biſchoͤfliche Weihe(i)So ſchrieb Leo der III. hieruͤber ſelbſt an Carl den Großen: intonuit nobis, quod veſtra regalis excellentia mandaſſet nobis, quod Ar - noni epiſcopo pallium tribueremus et li - benti ſecundum veſtram regalem demandationem accommodauimus animo, et praefato Arnoni vſum pallii conceſſimus, et in prouincia Baioa - riorum eum canonice ordinauimus archiepiſcopum. etc. Nachrichten von Juvavia im Urkundenbuche Num. 11. S. 52..

XXXI.
36

Allen ſeinen Anſtalten gab endlich Carl dadurch das rechte Leben, daß er theils ſelbſt in den vielerley Gegenden ſeines Reichs von Zeit zu Zeit perſoͤnlich erſchien, und alsdann ſelbſt Gericht hielt und mit eignen Augen ſah, theils uͤberall, wo er nicht ſelbſt ſeyn konnte, durch eigne Commiſſarien (miſſos re - gios) alles in ſteter Wachſamkeit und Aufmerkſam - keit erhalten ließ; daher inſonderheit ſeine Capitula - rien faſt auf allen Blaͤttern genaue Vorſchriften ent - halten, wie ſolche Commiſſarien uͤberall zu Werk gehen ſollten.

(h)Koͤnige veranſtaltet wurden; daß ihre Schluͤſſe nur von der koͤniglichen Beſtaͤtigung ihre Kraft erhiel - ten u. ſ. w. Schmidt am a. O. S. 338. 605. u. f.

VII. 757) Carolinger im Verfall 814-888.

VII. Abnahme und Verfall des Fraͤnkiſchen Reichs unter Ludewig dem Frommen und ſeinen Nachkommen.

I. Theilung, die Carl der Große unter ſeinen Soͤhnen gemacht hatte. II. Ludewigs des Frommen unzeitige Nachahmung dieſes Beyſpiels. III. Ueble Folgen davon ſchon bey ſeinem Leben. IV. Succeſſionskrieg nach ſei - nem Tode unter ſeinen Soͤhnen bis zum Verduͤniſchen Ver - trage 843. Inhalt dieſes Vertrages. V. Urſprung des Koͤnigreichs Lothringen. Weitere Vertheilungen und Succeſſionsirrungen. VI. Andere auf die Reichsverfaſſung in Beziehung ſtehende Umſtaͤnde dieſer Zeit. Schwaͤche der Regierung. Zunehmendes Anſehen der Staͤnde. VII. Einbruͤche frem - der Voͤlker, inſonderheit Normaͤnner und Wenden. VIII. Herſtellung einiger Herzoge und deren groͤßere Gewalt. IX. Vertheidigungsanſtalten in Bergſchloͤſſern und mit ange - nommenen Lehnleuten. X. Ueberhandnehmung des Fauſt - rechts und Lehnsweſens. XI-XIII. Zunehmender Einfluß der Reichsſtaͤnde in die Regierung des Reichs. XIV. Ver - fall der Schulanſtalten und Kenntniſſe. XV. Geſchichte eines außerordentlich merkwuͤrdigen Buches, das unter dem Namen Iſidors von Sevilla aus - gebreitet wurde als eine angebliche Sammlung paͤbſtlicher Briefe und Concilienſchluͤſſe. XVI. Deren Inhalt die paͤbſtliche Gewalt ſchon vom erſten Jahrhunderte her uͤber alles ſetzte mit erdichteten oder verfaͤlſchten Briefen und Concilienſchluͤſſen. XVII. XVIII. Wahrſcheinlicher Ver - faſſer dieſes Buchs, und wie es unter die Leute gebracht worden. Wie der Betrug zuerſt im XVI. Jahrhunderte recht entdeckt worden. XIX. XX. Einfluß des Iſidoriſchen Buchs auf die Thron - folge Lothars des II. XXI. Weitere Erbfolge in Lothrin - gen, und deſſen Vereinigung mit dem Teutſchen Reiche. XXII-XXIV. Urſprung zwey Burgundiſcher Koͤnigreiche, und deren Vereinigung. XXV. Weitere Thronfolgen in Teutſch - land und Frankreich Streit uͤber die Franzoͤſiſche Thron -folge76I. Alte Zeiten bis 888. folge nach Ludewigs des Stammlers Tode wegen deſſen zweyerley Ehen. Ausſchließung Carls des Einfaͤltigen von der damaligen Thronfolge. Vereinigung der Monar - chie unter Carl dem Dicken. XXVI. Deſſen Sturz.

I.
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Wie bedenklich die Theilung eines Reichs unter mehreren Bruͤdern ausfallen koͤnne, mußte Carl dem Großen aus ſeiner eignen Erfahrung noch lebhaft vor Augen ſchweben, wenn er ſich der Theilung erinnerte, die ehedem zwiſchen ihm und ſeinem Bruder Carlmann geſchehen war. De - ſto mehr iſt es zu bewundern, daß Carl dennoch, als er drey erwachſene Soͤhne am Leben hatte, im Jahre 806. eine Theilung unter denſelben verord - nete. Nur der Tod ſeiner zwey aͤlteren Soͤhne, Carls und Pipins, machte dieſe Theilung ruͤck - gaͤngig. Vermoͤge einer neuen Verfuͤgung ſollte zwar Pipins Sohn Bernhard Italien haben; aber in allen uͤbrigen Reichen beſtimmte jetzt Carl ſei - nen nun allein noch uͤbrigen Sohn Ludewig den Frommen zum Thronfolger, den er auch nach dem Beyſpiele der ehemaligen Roͤmiſchen Kaiſer ſchon bey ſeinem Leben zum Mitkaiſer ernannte.

II.
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Carl, der endlich bald darauf als ein Herr von 72. Jahren die Welt verließ, hatte alle dieſe Verfuͤgungen wegen ſeiner Thronfolge doch erſt in ſeinen letzten Jahren und hohem Alter vorgenom - men. Sein nunmehriger Nachfolger, Ludewig der Fromme, war aber erſt 36. Jahre alt, als er zur Regierung kam, und ahmte nur hierin das vaͤter - liche Beyſpiel ſehr zur Unzeit nach. Schon in814 ſeinem erſten Regierungsjahre 814. ernannte er ſeinen Sohn Lothar, der eben 18. Jahre alt war,zum777) Carolinger im Verfall 814-888. zum Koͤnige in Baiern(k) Von dieſer Zeit an kommen in Bairiſchen Urkunden die Unterſchriften vor: anno II. Ludoui - ci Imp. et anno I., ex quo rex Hlodarius Baioaria feliciter intrauit; oder: Hlothario dominante rege Baiuariorum I.; oder: anno I. Hlotharii re - gis in Baioaria. Lori Geſch. v. Baiern S. 140.; und drey Jahre her - nach, da noch zwey Soͤhne, Pipin und Ludewig, hinzugekommen waren, ließ der fromme Ludewig eine feierliche Reichsverſammlung zuſammenberu - fen, mit deren Zuziehung er unter vielerley Um - ſtaͤnden von dreytaͤgigen Faſten und Gebeten eine Verordnung bekannt machte, wie nach ſeinem Tode ſeine juͤngere Soͤhne Pipin und Ludewig ihm als Koͤnige in Aquitanien und Baiern folgen, jedoch Lotharen, dem er die Kaiſerwuͤrde und alles uͤbrige zudachte, als Erſtgebohrnem in gewiſſer Abſicht untergeordnet ſeyn ſollten.

Ueber dieſe Theilung bekam Ludewig gleichIII. damals Verdruß mit ſeinem Neven Bernhard in Italien, der daruͤber ſeines Geſichts und Lebens beraubt wurde. Aber noch ungleich groͤßer war der Verdruß, den Ludewig ferner erlebte, als er nach Abſterben ſeiner erſten Gemahlinn ſich mit Judith vom beruͤhmten Welfiſchen Geſchlechte das zweytemal vermaͤhlte, und zum Vortheile eines mit derſelben erzeugten Sohnes, Carls des Kahlen, in der Folge mehrmalige neue Theilungen machte. Hieruͤber ward die ganze uͤbrige Lebenszeit Lude - wigs des Frommen nur ein Gewebe von innerli - chen Cabalen und mehrmalen aufs aͤußerſte getrie - benen Irrungen bald zwiſchen Vater und Soͤhnen, bald zwiſchen dieſen unter einander. Der Kai - ſer gerieth etlichemal in Gefangenſchaft ſeinerSoͤh -78I. Alte Zeiten bis 888. Soͤhne, ward genoͤthiget, oͤffentliche Kirchenbuße zu thun, und ſich der Regierung zu begeben. Rettete ihn noch der juͤngere Sohn gegen uͤbertrie - bene Unternehmungen des aͤltern; ſo ward bald auch jener wider ihn aufgebracht. So ſtarb er840 endlich ſelbſt auf einem Feldzuge, da er ſeinem juͤngern Sohne Ludewig dem Teutſchen entgegen gieng.

IV.
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Sein Tod ſetzte dennoch weder ſein Haus noch ſein Reich in Ruhe. Seine Soͤhne geriethen viel - mehr unter einander (und zwar zuletzt Lothar auf einer, und Ludewig der Teutſche nebſt Carl dem Kahlen auf der andern Seite,) in einen verderb - lichen Krieg, dem nach einer blutigen Schlacht843 bey Fontenai (841. Jun. 25.) erſt im Jahre 843. ein bruͤderlicher Theilungsvertrag zu Verdun ein Ende machte. Dieſer Verduͤniſche Vertrag iſt in ſo weit noch immer, als eines unſerer erſten Grundgeſetze, merkwuͤrdig, weil darin die Graͤnz - beſtimmung gemacht wurde, worauf noch jetzt der urſpruͤngliche Grund der Graͤnzen zwiſchen Frank - reich und Teutſchland beruhet. Das weſtliche Fraͤnkiſche Reich oder das heutige Frankreich, das Carl dem Kahlen zu Theil wurde, bekam gegen Oſten die vier Stroͤhme Rhone, Saone, Maas und Schelde zur Graͤnze angewieſen. Was dieſ - ſeits dieſer Fluͤſſe lag, bekam damals Lotharius nebſt der Kaiſerwuͤrde und den Fraͤnkiſchen Staa - ten in Italien; von deſſen Sohne gleiches Na - mens hernach jene Gegend, nachdem Italien da - von getrennt war, das Lothringiſche Reich oder kuͤrzer Lothringen genannt worden. Dieſes Lothrin - giſche Reich erſtreckte ſich von obigen vier Fluͤſſenbis797) Carolinger im Verfall 814-888. bis an den Rhein, wo Ludewigs des Teutſchen Erbtheil angieng, außer daß derſelbe auch vom linken Ufer des Rheines ſich noch die Gegenden von Speier, Worms und Mainz ausbedungen hatte. In der Folge iſt aber auch dieſes Lothrin - giſche Reich mit dem Teutſchen vereiniget worden; ſo daß ſeitdem nicht mehr der Rhein die weſtliche Graͤnze von Teutſchland geblieben, ſondern dieſe bis an jene vier Fluͤſſe ausgedehnt worden iſt; welche hingegen ſeitdem bis jetzt noch zur Grund - lage der Franzoͤſiſchen oͤſtlichen Graͤnze dienen muͤßen.

Kaum waren zwoͤlf Jahre nach der zu Ver -V. duͤn gemachten Theilung des Fraͤnkiſchen Reichs verfloſſen, als Lothars Erbtheil 855. wieder in855 drey Theile vertheilt wurde, da von ſeinen drey Soͤhnen der aͤlteſte, Ludewig der II. Italien mit der Kaiſerwuͤrde, der juͤngſte, Carl, Provence, der mittlere, Lothar der II., das von ihm eigentlich ſo genannte Lothringiſche Reich an der Moſel, Maas und Schelde bekam. Zwanzig Jahre hernach war aber auch von dieſen drey Bruͤdern, die nach ein - ander bis dahin ſtarben, keine rechtmaͤßige maͤnn - liche Nachkommenſchaft mehr uͤbrig. Alſo entſtan - den an ſtatt der drey Staͤmme, unter welchen das Fraͤnkiſche Reich ſeit 843. getheilt war, nunmehr mit dem Jahre 875. deren nur zwey; die aber uͤber die Art, wie das ſolchergeſtalt erledigte Loth - ringiſche, Longobardiſche und Roͤmiſche Reich jetzt mit dem oͤſtlich oder weſtlich Fraͤnkiſchen Reiche vereiniget werden ſollte, nichts weniger als einig waren. Ehe ſich inzwiſchen davon der fernere Verlauf uͤberſehen laͤßt, ſind hier einige Haupt - umſtaͤnde zu bemerken, die ſowohl auf die dama -ligen80I. Alte Zeiten bis 888. ligen Zeitlaͤufte, als auf die Verfaſſung der fol - genden Zeiten den groͤßten Einfluß gehabt haben.

VI.
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Schon die perſoͤnliche Schwaͤche in der Geſin - nung Ludewigs des Frommen, und die Kette von haͤuslichen und oͤffentlichen Verwirrungen, worin er lebte, veranlaßten einen gewaltigen Abfall in dem Anſehen, das die Krone zur Zeit Carls des Großen ſowohl einheimiſch als auswaͤrts gehabt hatte. Im innerlichen Zuſtande des Reichs wurde es ſchon unter Ludewig dem Frommen ſelbſt merk - lich, wie das Anſehen der Staͤnde zunahm, da Ludewig theils in Schenkungen und anderen Gna - denverleihungen zu freygebig war, theils in Faͤllen, wo er des Rathes oder Beyſtandes der Staͤnde benoͤthiget war, bald aus Gutherzigkeit, bald aus Noth ihnen ungleich mehr, als fuͤr die Krone zu - traͤglich und bisher gewoͤhnlich war, einraͤumte. Damit gieng es aber noch weiter, als nach Lude - wigs Tode ſeine Soͤhne und Nachkommen noch in Kriege und weitere Irrungen zerfielen, da jedem Theile damit gedient ſeyn mußte, nur mehrere von den Großen des Reichs auf ſeiner Seite zu haben, denen daher gerne groͤßere Freyheiten und Vor - rechte bewilliget oder nachgeſehen wurden. So ward es bald merklich, daß die Koͤnige in wich - tigen Sachen ohne Einwilligung der Staͤnde nichts unternehmen durften.

VII.
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Hiermit verband ſich nun zugleich der aͤuſſer - liche Verfall des Reichs, da unter anderen Anſtal - ten Carls des Großen, die nach und nach zu Grun - de giengen, auch die waren, die er an den Graͤn -zen817) Carolinger im Verfall 814-888. zen gemacht hatte, und da nach Ludewigs Tode unter deſſen in Streit begriffenen und hernach ab - getheilten Soͤhnen faſt von allen Seiten Angriffe auf die Graͤnzen, oder unerhoͤrte Einbruͤche und Streifereyen bis in das Innerſte des Reichs er - folgten. So gieng nicht nur das bisherige Fraͤn - kiſche Gebiet in Spanien verlohren, ſondern auf der einen Seite wurde jetzt das heutige Frankreich alle Jahre nach einander von Normaͤnnern heim - geſucht, die mit leichten, aber deſto zahlreicheren Schiffen die Seine und Loire hinaufzogen, und ver - heerten, oder pluͤnderten und mitſchleppten, was ſie konnten. Auf der andern Seite geſchahen auf Teutſchem Boden faſt beſtaͤndige Streifereyen der Wendiſchen Voͤlker, die aus allen Gegenden von der Elbe her einbrachen, und gleiche Verwuͤſtun - gen anrichteten; ohne zu gedenken, was von Sa - racenen an der Kuͤſte von Provence und Italien geſchah, und was in der Folge noch fuͤr neue Ge - fahren von Madſcharen oder Ungarn, die ſeit 862. in Pannonien und 892. bis auf Teutſchen Boden vordrangen, ſich der Teutſchen Graͤnze naͤherten.

Dieſe Umſtaͤnde gaben erſtlich Anlaß, daß ſol -VIII. che Provinzen, die dergleichen Einbruͤchen fremder Voͤlker am meiſten ausgeſetzt waren, wieder groͤ - ßeren Befehlshabern anvertrauet wurden. An ſtatt daß Carl der Große die Herzoge nach und nach hatte abkommen laßen, ward nun ſchon 847. von Ludewig dem Teutſchen wieder ein Herzog in Thuͤringen zur Beſchuͤtzung dieſer Graͤnzen gegen die Sorben-Wenden angeſetzt; und unter eben dieſer Regierung war auch ſchon wieder ein eigner Herzog in Sachſen, Namens Ludolf, der ſein An -Fden -82I. Alte Zeiten bis 888. denken dadurch verewiget hat, daß er die noch jetzt bluͤhende Abtey Gandersheim geſtiftet. Solche Her - zoge waren freylich noch nicht das, was wir uns heutiges Tages unter Teutſchen Herzogen vorſtellen, die als erbliche Regenten in ihrem eignen Namen Land und Leute zu regieren, und in dieſer ihnen eignen landesherrlichen Macht alle Hoheitsrechte auszuuͤben haben. Mancher Herzog fieng aber doch bald an ſich ſo zu fuͤhlen, daß die Koͤnige es nicht immer in ihrer Gewalt hatten, ſie in den Schran - ken bloßer Befehlshaber zu halten, oder auch zu verhuͤten, daß nicht bisweilen eines Herzogs Sohn das vaͤterliche Herzogthum in Beſitz naͤhme, ohne erſt die koͤnigliche Ernennung dazu abzuwarten.

IX.
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Die Befehlshabung ganzer Provinzen mochte aber beſtellt ſeyn, wie ſie wollte, ſo lehrte doch die Noth meiſt jeden Guͤterbeſitzer fuͤr ſeine eigne Sicherheit ſo gut beſorgt zu ſeyn, als er konnte. Und wer wollte es ihm verdenken, da ihn der Staat gegen Ueberfaͤlle fremder Voͤlker, die ihm taͤglich das ſeinige rauben oder verheeren konnten, keine Gewaͤhr mehr zu leiſten im Stande war, alle ihm nur moͤgliche Anſtalten zu treffen, um ſich und die Seinigen und ſein Eigenthum nur in Sicherheit zu ſetzen? Wer alſo irgend die Kraͤfte dazu hatte, der baute ſich eine Burg, oder einen mit Mauern und Thoren befeſtigten Wohnſitz; wo moͤglich auf einem Berge, je unzugaͤnglicher je beſſer. War es ein Biſchof oder Abt, oder ein Graf oder Dy - naſt, dem es nicht an Guͤtern dazu fehlte, die er andern verleihen konnte; ſo gab er gerne eine Anzahl Laͤndereyen an Ritter, die ſich dafuͤr ver - bindlich machten, ihm als Vaſallen im Felde gegenjeden837) Carolinger im Verfall 814-888. jeden Angriff zu dienen, oder als Burgmaͤn - ner in Beſatzung einer angegriffenen oder bedro - heten Burg zu fechten, oder auch ihre eigne Burge in vorkommenden Nothfaͤllen ihm und ſei - nen Leuten zu oͤffnen. Durch ſolche Mittel konnte manche Kirche oder manche große Familie ihr Ei - genthum und ihren Vorrath an Vieh, Fruͤchten und anderen Habſeligkeiten unter noch ſo gefaͤhr - lichen feindlichen Einfaͤllen retten. So darf man ſich aber auch nicht wundern, wenn Frankreich und Teutſchland daruͤber nach und nach ſo voll Bergſchloͤſſer wurde, daß in der Folge wieder nicht anders als uͤble Folgen davon zu erwarten waren, wenn es dem Beſitzer eines ſolchen Berg - ſchloſſes einfiel, ſich obrigkeitlichen Vorſchriften zu widerſetzen, oder mit Ausfaͤllen und Plackereyen die oͤffentliche Ruhe und Sicherheit zu ſtoͤhren. In der That war ein jedes Bergſchloß eine Art von Feſtung, die wider Willen ihres Inhabers nicht anders als mit foͤrmlicher Belagerung und Eroberung bezwungen werden konnte. So billig nach richtigen Grundſaͤtzen des allgemeinen Staats - rechts niemanden als der hoͤchſten Gewalt ſelbſten das Recht geſtattet wird, Feſtungswerke anzule - gen; ſo maßte ſich dieſes Recht damals ein jeder an, der nur die Kraͤfte dazu hatte. War es aber einmal erlaubt, zu ſeiner Vertheidigung Feſtungen zu bauen, und ſich der Waffen zu bedienen; wie leicht war nun der Schritt, von beiden auch in Streitigkeiten mit Nachbaren Gebrauch zu ma - chen, oder gar Vorbeyreiſende zu uͤberfallen, und anzugreifen, zu pluͤndern, zu berauben, gefangen weg zu ſchleppen u. ſ. w.!

F 2So84I. Alte Zeiten bis 888.
X.
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So zeigt ſich hier der wahre Urſprung des bar - bariſchen Fauſtrechts des mittlern Zeitalters, da nicht nur ein jeder ſich zur Selbſthuͤlfe berechtiget hielt, um ſich mit eignen Kraͤften Recht zu ſchaf - fen, ſondern da auch niemand ſicher war, ohne allen Grund und Schein von einem Maͤchtigern oder mehreren verbundenen uͤberfallen und berau - bet zu werden. Dagegen mochten nun Koͤnige in Geſetzen oder in Vorſchriften auf Veranlaßung einzelner Faͤlle eifern, wie ſie wollten(l)So hieß es z. B. in einem capitulari Ca - roli calui in Balvzii capitul. reg. Franc. tom. 2. p. 195.: expreſſe mandamus, vt, quicum - que iſtis temporibus caſtella et firmitates et hajas ſine noſtro verbo fecerunt, Calendis Auguſti omnes tales firmitates disfactas habeant, quia vi - cini et circum manentes exinde multas depraedatio - nes et impedimenta ſustinent. etc. Struben Nebenſtunden Th. 5. S. 158., ſo war unter ſolchen Umſtaͤnden an keine Aenderung zu denken.

XI.
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Merkwuͤrdig iſt es inſonderheit, wie gleich in dieſen erſten Zeiten, da die Gefahr und Noth we - gen der oͤfteren Einbruͤche fremder Voͤlker bald all - gemein wurde, die damaligen Fraͤnkiſchen Koͤnige, ihrer Vertheilungen ungeachtet, doch noͤthig fan - den, gemeine Sache zu machen, und deswegen in den Jahren 847. und 851. zu Merſen an der Maas, und 860. zu Coblenz eigne Zuſammenkuͤnfte anzu - ſtellen. Hier fuͤhlten ſchon die Koͤnige, wie ſehr ſie Urſache hatten, eben ſo ſehr gegen das einhei - miſche Fauſtrecht, als gegen die Einbruͤche frem - der Voͤlker auf ihrer Hut zu ſeyn. Sie eiferten deswegen gemeinſchaftlich gegen ſolche Raͤubereyenund857) Carolinger im Verfall 814-888. und Gewaltthaͤtigkeiten, die der Adel ſchon anfieng gleichſam als eine rechtmaͤßig hergebrachte Befug - niß anzuſehen; wowider ſie ſchon mit goͤttlichem und koͤniglichem Banne droheten(m)Conuentus I. apud Marsnam a. 847. c. 6. Balvz. tom. 2. p. 42.: vt rapinae et depraeda - tiones, quae quaſi iure legitimo hactenus factae ſunt, penitus interdicantur. etc. Adnunciatio pacti Confluentini 860. c. 6., Balvz. tom. 2. p. 143.: De iſtis rapinis et depraedationibus, quas iam quaſi pro lege multi per conſuetudinem tenent, ab hoc die de Dei banno et de noſtro verbo ban - nimus. etc. . Der Er - folg hat aber bald gewieſen, daß dieſe Drohungen unwirkſam geblieben ſind, und nur Uebel aͤrger geworden iſt. Es kam vielmehr bald dahin, daß alle Nationaleinrichtungen nur auf kriegeriſche An - ſtalten, auf Angriff oder Vertheidigung giengen, und zwar nicht etwa nur zum Behuf ſolcher Krie - ge, die fuͤr die ganze Nation zu fuͤhren waren, ſondern zu Vertheidigungen oder Angriffen, die ein jeder fuͤr ſich zu machen gut fand. Daruͤber vergaß man bald die weſentlichen Vorrechte der hoͤchſten Gewalt, der es alleine zukommen ſollte, Krieg mit Auswaͤrtigen zu fuͤhren, und Streitig - keiten der Mitbuͤrger unter einander richterlich zu ſchlichten, durchaus aber keine Selbſthuͤlfe zu ge - ſtatten. Statt deſſen ward jetzt das Lehnsweſen beynahe das Hauptwerk aller Voͤlker. Nur der war maͤchtig und angeſehen, der viele Lehnleute hatte, und ſeine Burge mit vielen Burgmaͤnnern beſetzen konnte. Nur der war geachtet, der als Lehnmann ſeinen Dienſt mit vorzuͤglicher Geſchick - lichkeit und Tapferkeit zu verrichten wußte. Dar -aufF 386I. Alte Zeiten bis 888. auf ward alſo die ganze Erziehung gerichtet, der ganze Sinn geſchaͤrft, und beynahe das ganze Band der buͤrgerlichen Geſellſchaft gebauet. That der Lehnmann nur dem Lehnherrn ſeine Dienſte, ſo hatte einer um den andern ſich weiter nicht zu be - kuͤmmern. Nun mochte der Lehnmann im Seini - gen machen, was er wollte; nun mochte er mit ſeinem Eigenthume, und in ſeinem Hausweſen, in ſeiner Familie, und inſonderheit mit ſeinen Bauern oder Eigenbehoͤrigen zu Werk gehen, wie es ihm gut duͤnkte; daruͤber hatte er keine Einſchraͤnkun - gen einer hoͤhern Gewalt zu beſorgen.

XII.
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In ſo weit ſtieg freylich der Genuß der Frey - heit fuͤr den Stand, der ſich derſelben zu ruͤhmen hatte, d. i. fuͤr Fuͤrſten, Grafen und Herren, oder auch fuͤr jeden freyen Guͤterbeſitzer, oder, nach unſerer jetzigen Art zu reden, fuͤr den hohen und niedern Adel, bis zur hoͤchſten Stuffe; aber auch bis zu unvermeidlichen Mißbraͤuchen; deſto erbar - menswuͤrdiger mußte hingegen nothwendig der Zu - ſtand nichtfreyer Leute werden, d. i. gerade des zahlreichſten und wichtigſten Standes, der Bauern.

XIII.
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Die Krone verlohr dabey zuſehends. Jetzt verſtand ſichs ſchon von ſelbſten, daß ohne Ein - willigung der Staͤnde von Koͤnigen nichts erhebli - ches geſchehen durfte. Selbſt auf jenen bruͤder - lichen Verſammlungen der Fraͤnkiſchen Koͤnige ſahen dieſe ſich genoͤthiget, einander wechſelsweiſe die Zuſage zu thun, daß ſie nicht nur ihre Staͤnde, einen jeden in ſeinen Rechten und Wuͤrden laßen und ſchuͤtzen, ſondern auch ihren gemeinſchaftlichen Rath in Geſchaͤfften der Kirche und des Staatsgebrau -877) Carolinger im Verfall 814-888. gebrauchen, und ſie als wahre Mitgehuͤlfen und Beywirker in ihren Reichsgeſchaͤfften anſehen woll - ten(n)Conuentus II. apud Marsnam 851. cap 6., Balvz. tom. 2. p. 46., und Pactum Confluenti - num 860. cap. 10., Balvz. tom 2. p. 141.: vt noſtri fideles, vnusquisque in ſuo ordine et ſtatu veraciter ſint de nobis ſecuri et illorum communi conſilio ad reſtitutionem eccleſiae et ſtatum regni adſenſum praebebimus, in hoc vt illi etiam ſint nobis fideles, et obedientes ac veri adiutores atque cooperatores etc. . Wegen dieſer Stelle wird deswegen vor - zuͤglich der Coblenzer Vertrag (pactum Confluen - tinum) vom Jahre 860. von vielen als eines der erſten Reichsgrundgeſetze, zu Begruͤndung der durch Reichsſtaͤnde eingeſchraͤnkten Teutſchen Reichsver - faſſung angeſehen; wiewohl dieſe Stelle mit eben den Worten auch ſchon bey der vorigen Verſamm - lung zu Merſen im Jahre 851. vorkam, und alſo ſchon wenigſtens neun Jahre fruͤher in ihrer erſten Quelle aufzuſuchen iſt.

Unter ſolchen Umſtaͤnden, da inſonderheit Kloͤ -XIV. ſter und Stifter, die fuͤr den Unterricht der Jugend beſtimmt ſeyn ſollten, mehr auf Kriegsanſtalten als auf Schulſachen dachten, war nun freylich an Aufklaͤrung des Volkes ſo wenig zu denken, daß vielmehr alle gute Anſtalten, die Carl der Große auch in der Abſicht gemacht, oder doch zu machen angefangen hatte, bald ganz ruͤckgaͤngig und frucht - los wurden. Kaum ließ ſich noch das bewerk - ſtelligen, daß diejenigen, die ſich dem geiſtlichen Stande widmeten, ſoviel Unterricht im Leſen und Schreiben und in der Lateiniſchen Sprache erhal -tenF 488I. Alte Zeiten bis 888. ten konnten, als es ihre Beſtimmung zur hoͤchſten Nothdurft erforderte. Und doch trug der Vorzug, den ſie dadurch vor anderen ganz unwiſſenden erhielten, nicht wenig dazu bey, daß das Ueber - gewicht des geiſtlichen Standes uͤber den weltli - chen von dieſer Zeit an noch ganz außerordentlich zunahm.

XV.
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Ein Umſtand, der gleich damals, aber noch ungleich mehr, und in der That ganz uͤber alle Erwartung in der Folge mit dazu wirkte, beſtand in einem Buche, das in ſeiner Art gewiß das ein - zige iſt. Schon ſeit mehreren Jahrhunderten hat - ten ein und andere Gelehrte ſich angelegen ſeyn laßen, Schluͤſſe aͤlterer Kirchenverſammlungen und zum Theil auch Briefe Roͤmiſcher Biſchoͤfe in eig - nen Buͤchern zu ſammlen. Ein gewiſſer Diony - ſius Exiguus zu Rom hatte ums Jahr 526. in einer ſolchen Sammlung Briefe vom Pabſte Siri - cius bis auf den Pabſt Anaſtaſius vom Jahre 385. an bis zum Jahre 498. geliefert. Eine aͤhnliche Sammlung hatte in Spanien der Biſchof Iſidor von Sevilla ( 636.) veranſtaltet; ein Mann, der ſich durch ſeine Gelehrſamkeit und Verdienſte einen großen Ruhm erworben hatte. Dieſen Namen mißbrauchte um dieſe Zeit (wahrſcheinlich um die Mitte des neunten Jahrhunderts) ein Betruͤger, um eine von ihm geſchmiedete Sammlung in Um - lauf zu bringen, worin Briefe Roͤmiſcher Biſchoͤfe nicht erſt von 385. an, ſondern ſchon vom Jahre 93. her enthalten ſeyn ſollten. Deren Inhalt gieng hauptſaͤchlich dahin, daß der Roͤmiſche Bi - ſchof des Apoſtel Peters Nachfolger ſey; daß aufihm897) Carolinger im Verfall 814-888. ihm deswegen die Gewalt der Schluͤſſel und die Grundfeſte der Kirche ruhe, wie ſolche Peter von Chriſto erhalten habe; daß alle Biſchoͤfe und Die - ner der Kirche, nach dem Ausſpruch des Prophe - ten Zacharias (Zach. 2, 8.) als Gottes Augapfel in Ehren zu halten ſeyen; daß alle geiſtliche Perſo - nen und Guͤter von aller weltlichen Macht und vom allen Abgaben befreyt ſeyn muͤßten; daß die Ge - richtbarkeit nicht nur uͤber geiſtliche Perſonen, ſon - dern in Gegenſtaͤnden, wo die Religion Einfluß habe, als in Eheſachen, Eidesangelegenheiten, Zehntſtreitigkeiten u. d. g. auch uͤber weltliche Per - ſonen ſowohl Regenten als Unterthanen nur den Biſchoͤfen und geiſtlichen Gerichten gebuͤhre; daß aber alle Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe nur als unter - geordnete Kirchenvorſteher dem Roͤmiſchen Biſchofe unterworfen waͤren, und von demſelben ihre ganze Gewalt bekommen muͤßten; daß von allen Bi - ſchoͤfen und Erzbiſchoͤfen die Appellation nach Rom gienge; daß groͤßere und wichtigere Sachen ſelbſt unmittelbar zu Rom vorgenommen werden koͤnn - ten; daß der Pabſt allein berechtiget ſey, Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe abzuſetzen und andere an ihrer Stelle zu ernennen, auch Koͤnige und Fuͤrſten mit dem Banne zu belegen und ihrer Regierung unfaͤ - hig zu erklaͤren; daß auf ihn der goͤttliche Aus - ſpruch anzuwenden ſey: Sieh ich ſetze dich uͤber Voͤlker und Koͤnigreiche, daß du ausreißen, zer - brechen, verſtoͤhren und verderben ſollſt, und bauen und pflanzen. (Jerem. 1, 10.)

Alle dieſe Grundſaͤtze wurden ſchon den aͤlteſtenXVI. Roͤmiſchen Biſchoͤfen in den Mund gelegt, als ob ſie ſchon damals allgemein anerkannt worden waͤ -F 5ren.90I. Alte Zeiten bis 888. ren. Auch Schluͤſſe der Kirchenverſammlungen wurden hier in ſolcher Geſtalt geliefert, daß mit Weglaßungen oder Zuſaͤtzen und Einſchiebungen ungefaͤhr ein gleicher Sinn herauskam, wie er mit jenen Grundſaͤtzen uͤbereinſtimmte. So hatte z. B. der 28. Canon einer Kirchenverſammlung zu Car - thago verordnet: daß von den Africaniſchen Kir - chen nicht jenſeits des Meeres appellirt werden ſollte; hier ward aber der Zuſatz beygefuͤgt: es ſey dann an den Stuhl zu Rom. Zu den Nicaͤi - ſchen Kirchenſchluͤſſen waren gar 50. falſche Schluͤſſe hinzugedichtet. Anderen Stellen, worin die Pa - triarchen zu Alexandrien und Conſtantinopel den Roͤmiſchen Biſchoͤfen gleich geſetzt waren, wurde durch eine eingeflickte Verneinung ein ganz gegen - theiliger Sinn gegeben u. ſ. w.

XVII.
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Wahrſcheinlich war der Verfaſſer dieſer Samm - lung ein Biſchof oder ein Geiſtlicher von einer ge - ringern Stuffe, dem die damalige Kirchenzucht nicht anſtand, da oft ein Erzbiſchof fuͤr ſich alleine oder vollends mit Zuziehung ſeiner Suffraganbi - ſchoͤfe in Provincialſynoden uͤber Biſchoͤfe und an - dere geiſtliche Perſonen ſtrenge Verfuͤgungen erge - hen ließ, wowider keine Rettung und Huͤlfe zu finden war. Um dazu Rath zu ſchaffen, muß ihm kein beſſer Mittel geſchienen haben, als den Roͤmiſchen Biſchof zum allgemeinen oberſten Haupte der ganzen Chriſtlichen Kirche zu machen, und dadurch den Weg zu bahnen, daß von allen bi - ſchoͤflichen und erzbiſchoͤflichen Ausſpruͤchen nach Rom appellirt, oder auch jede andere Beſchwer - de uͤber Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe dort angebracht werden koͤnnte. Die dahin fuͤhrenden Behauptun -gen917) Carolinger im Verfall 814-888. gen waren an ſich nicht ganz neu; ſie waren ein - zeln ſchon bey manchen Gelegenheiten geaͤußert worden; aber ſie waren nichts weniger als allge - meiner Volksglaube. In dieſer Einkleidung und Verbindung waren ſie neu; ſie waren uͤberdies jetzt mit Saͤtzen verwebt, die noch weit uͤber jene Ab - ſichten hinausfuͤhren konnten.

Aber wie ſollte ſo ein Buch in Gang gebrachtXVIII. werden? wie durfte man nur hoffen, daß das Publicum, daß das folgende Zeitalter ein ſolch erdichtetes Werk dafuͤr, wofuͤr man es ausgab, annehmen ſollte? Freylich zu jeder andern Zeit, wenn nur etwas mehr Aufklaͤrung geweſen waͤre, wenn hellſehende Koͤpfe auf Thronen geſeſſen, oder auch nur aufgeklaͤrte Rathgeber gehabt, und in Ruhe und Friede regiert haͤtten, ſo ließ ſich kaum die Moͤglichkeit gedenken, ſolche unaͤchte Waare als aͤcht in Gang zu bringen, und damit die ganze Ver - faſſung der Kirche und aller Chriſtlichen Staaten zu untergraben. Allein fuͤr Nationen, die in der Auf - klaͤrung ſo weit zuruͤckgeworfen waren, wie die Fraͤn - kiſche unter Ludewig dem Frommen und ſeinen Nach - kommen, fuͤr Regenten, die in ſolchen Verwir - rungen, wie dieſe lebten, kurz fuͤr ein ſolches Zeitalter, wie das neunte und zehnte Jahrhundert, da ließ ſich vieles wagen, das unter anderen Umſtaͤn - den unmoͤglich geweſen waͤre. Der Anſtrich, den man dem Buche gab, als einem aus entfernten Gegen - den von Spanien her erſt kuͤrzlich herbeygekomme - nen Schatze, als einem Werke eines beruͤhmten noch in großer Achtung ſtehenden Iſidors, als einer alle bisherige Buͤcher aͤhnlicher Art weit uͤbertref - fenden Sammlung, das alles kam dem Vor -haben92I. Alte Zeiten bis 888. haben ungemein vortheilhaft zu ſtatten. Wer ſich kein Gewiſſen daraus machte, die Welt mit einer ſo untergeſchobenen Gebuhrt zu hintergehen, dem war es auch nicht zu viel, die beſonderen Um - ſtaͤnde zu erdichten, daß ein Erzbiſchof Riculf von Mainz (der ſchon 814. oder 815., allem Anſehen nach lange vor der Exiſtenz dieſer erſt ſpaͤter geſchmie - deten Sammlung, geſtorben war,) dieſes Buch aus Spanien bekommen, und ſeines Beyfalls werth geachtet habe. Kurz es gelang dem Urheber oder den Befoͤrderern dieſer Sammlung unter ſolchen Vorſpiegelungen ſie vorerſt in Gang zu bringen. Selbſt der Erzbiſchof Hincmar von Rheims, einer der gelehrteſten und verſtaͤndigſten Praͤlaten ſeiner Zeit, ſcheint das Vorgeben, daß Riculf die Samm - lung verbreitet habe, fuͤr wahr angenommen zu haben(o)Hincmarvs Rhemensis opusc. 33. cap. 24. De libro collectarum epiſtolarum, quem de Hiſpania illatum Riculphus epiſcopus Moguntinus, in huiusmodi ſicut et in capitulis regiis ſtudio - ſus, obtinuit, et iſtas regiones ex illo repleri fecit. . Er kam ſelbſt ſchon in den Fall, daß ein Biſchof von Soiſſons, der in ſeiner Provin - cialſynode 863. verurtheilet war, davon nach Rom appellirte, wo man die Appellation in Ruͤckſicht auf die Pſeudoiſidoriſche Sammlung willig aufnahm. So kam dieſelbe nicht nur bald nach ihrer Ent - ſtehung ſchon in practiſchen Gebrauch; ſondern, ſobald hernach gewiſſe Zeitlaͤufte, welche die Sache noch auf einige Zeit wieder hemmten, nur vor - uͤber waren, ſo wurde dieſe Sammlung zuletzt ſo allgemein als aͤcht fuͤr bekannt angenommen, daß man das meiſte davon in das paͤbſtliche Geſetz - buch, das noch jetzt die Quelle des catholiſchenKir -937) Carolinger im Verfall 814-888. Kirchenrechts iſt, einfließen ließ, und daß ganze Nationen und allgemeine Kirchenverſammlungen ſich nicht zu rathen wußten, den unertraͤglichſten Folgen, die hieraus zur wahren Unterdruͤckung der Menſchheit gezogen wurden, zu widerſtehen, wie doch ſonſt ein leichtes geweſen ſeyn muͤßte, wenn der Welt die Augen uͤber die wahre Beſchaf - fenheit dieſer truͤben Quellen geoͤffnet waͤren. (Dieſe Ehre blieb erſt einer Geſellſchaft proteſtantiſcher Gottesgelehrten vorbehalten, die unter dem Na - men Magdeburgiſcher Centurien in der Mitte des XVI. Jahrhunderts ein groͤßeres Werk von der Kirchengeſchichte ausarbeiteten, und zuerſt die un - aͤchte Gebuhrt des angeblich Iſidoriſchen Wer - kes der Welt vor Augen legten. Dawider ergriff zwar anfangs ein Jeſuit, Franz Turrian, die Fe - der. Aber nun erſchien 1635. ein eignes Buch daruͤber von David Blondel, das ohne Widerle - gung blieb, und ſelbſt catholiſchen Schriftſtellern das Geſtaͤndniß abnoͤthigte, daß es unaͤchte Waare ſey(p)Am leſenswuͤrdigſten uͤber dieſe ganze Sache iſt (Spittlers) Geſchichte des canoniſchen Rechts bis auf die Zeiten des falſchen Iſidors, Halle 1778. 8. ; und was um eben die Zeit ein catholiſcher claſſiſcher Schriftſteller davon geſchrie - ben, Mich. Ign. Schmidt in der Geſch. der Teut - ſchen Th. I. (Ulm 1778.) S. 614. u. f.. Dennoch ſeufzt ein großer Theil des catholiſchen Teutſchlands noch immer unter einem Joche von Beſchwerden, die eigentlich nichts als den Pſeudoiſidor zum Grunde haben.)

Doch, um erſt wieder auf jene Zeiten der Ent -XIX. ſtehung und erſten Verbreitung des falſchen Iſidors zuruͤckzukommen, ſo hatte gleich damals die Sacheeinen94I. Alte Zeiten bis 888. einen Einfluß auf einen Vorfall, wovon ſelbſt eine koͤnigliche Thronfolge und ein großer Theil der gan - zen folgenden Geſchichte abhieng.

XX.
43

Der Koͤnig Lothar der II., von dem der Na - me Lothringen noch jetzt in einem Theile der von ihm beherrſchten Laͤnder uͤbrig iſt, hatte geglaubt Urſachen zu haben, ſich von ſeiner Gemahlinn864 Thietberg ſcheiden zu laßen. Die Erzbiſchoͤfe von Trier und Coͤlln hatten auf einer Synode zu Metz dieſe Eheſcheidung gebilliget. Darauf nahm der Koͤnig eine andere Gemahlinn Waldrade, mit der er einen Sohn Hugo erzeugte, der alſo ſein Thron - folger geweſen ſeyn wuͤrde, weil von der Thietberg kein Sohn vorhanden war. Allein die verſtoßene Koͤniginn wandte ſich nach Rom. Der Pabſt nahm die Appellation an; vernichtete nicht nur den Aus - ſpruch der Synode zu Metz, ſondern ſetzte ſo gar die beiden Erzbiſchoͤfe von Trier und Coͤlln, weil ſie ſich der Appellation widerſetzten, ab; und noͤthigte den Koͤnig, die Waldrade wieder zu entlaßen, und die Thietberg als Koͤniginn wieder aufzunehmen. Alſo konnte ſein Sohn Hugo, den er mit der Waldrade erzeugt hatte, auch nicht ſein Erbe ſeyn. Sondern Lothringen ward mit Lothars des II. Tode ein erledigtes Erbtheil; an ſtatt, daß, wenn kein Pſeudoiſidor geweſen waͤre, vielleicht noch jetzt ein Stamm von nurgedachtem Hugo uͤbrig ſeyn koͤnn - te, der die dreyfache Vertheilung des Fraͤnkiſchen Reichs nach dem Verduͤniſchen Vertrage von 843. fortgefuͤhrt haͤtte, wovon jetzt in den beiden Rei - chen Teutſchland und Frankreich nur noch zwey Theile uͤbrig ſind.

Nach957) Carolinger im Verfall 814-888.

Nach Lothars des II. Tode wurde damals imXXI. Jahre 870. das ſolchergeſtalt erledigte Lothringiſche870 Koͤnigreich zwiſchen Ludewig dem Teutſchen und Carl dem Kahlen in zwey Haͤlften nach Oſten und Weſten zu vertheilet. Es waͤhrte aber nicht lange, als nach dieſer beiden Herren Tode ihre Soͤhne in neue Zwiſtigkeiten geriethen, und daruͤber im Jahre 880. auch die weſtliche Haͤlfte des Lothrin -880 giſchen Reichs durch einen neuen Tractat von Frankreich an Teutſchland kam, deſſen Graͤnzen alſo nunmehr uͤber den Rhein bis an die vier Graͤnzſtroͤhme von Frankreich erweitert wurden.

Nur an der Rhone und Saone gab es umXXII. eben dieſe Zeit eine wichtige Veraͤnderung, da in dem Striche Landes von dieſen Stroͤhmen an bis an die Juraiſchen Gebirge die dortigen geiſtlichen und weltlichen Staͤnde von den damaligen Fran - zoͤſiſchen Koͤnigen gegen die Normaͤnniſchen Strei - fereyen ſich nicht gnug gedeckt hielten, und lieber 879. einen eignen Koͤnig Namens Boſo uͤber ſich wehlten. Daher dieſe Gegend vom heutigen Pro - vence und Dauphine damals nicht mit an das Teut - ſche Reich kam, ſondern ein eignes Burgundi - ſches Koͤnigreich ausmachte.

Nicht lange hernach folgten dem BeyſpieleXXIII. auch die Einwohner an der andern Seite der Ju - raiſchen Gebirge in dem heutigen Savoyen und in der Schweiz, und wehlten Rudolfen von der Wel - fiſchen Familie zu ihrem Koͤnige. So entſtanden zwey Burgundiſche Koͤnigreiche dieſſeits und jenſeits der Juraiſchen Gebirge. Sie wurden aber bald in der Welfiſchen Familie mit einander vereiniget,und96I. Alte Zeiten bis 888. und blieben ſeitdem unter dem gemeinſamen Na - men des Burgundiſchen oder Arelatiſchen Reichs beyſammen, bis erſt 1033. nach Abgang dieſes Welfiſch-Burgundiſchen Mannsſtamms das ganze Koͤnigreich mit der Teutſchen Krone vereiniget wurde.

XXIV.
43

Beide Fraͤnkiſche Reiche erlitten nach Abgang Ludewigs des Teutſchen und Carls des Kahlen in kurzer Zeit nach einander vielerley Todesfaͤlle, wel - che große Veraͤnderungen nach ſich zogen. In Teutſchland hinterließ Ludewig der Teutſche ( 876.) drey Soͤhne, Carlmann, Ludewig den juͤngern, und Carl den Dicken, die ſich in Baiern, Sach - ſen und Schwaben theilten; von denen aber der letztere die beiden erſtern uͤberlebte, ohne daß dieſe rechtmaͤßige maͤnnliche Nachkommenſchaft hinter - ließen. In Frankreich folgte Carl dem Kahlen ( 877.) ſein Sohn Ludewig der Stammler ( 879.). Nach deſſen Tode ereignete ſich aber ein großer Anſtand wegen der Soͤhne, die aus zweyerley Ehen von ihm vorhanden waren. Seine erſte Gemah - linn Ansgard hatte Ludewig der Stammler wider Willen ſeines Vaters, Carls des Kahlen, genom - men, aber auf deſſen Verlangen ſie endlich ver - ſtoßen, und ſich anderweit mit Adelheid vermaͤhlet. Dieſer verſagte der Pabſt die Kroͤnung, weil jene Ansgard noch lebte, die er nicht fuͤr rechtmaͤßig geſchieden anerkannte. Nun waren von der Ans - gard zwey Soͤhne, Ludewig und Carlmann; und Adelheid gebahr erſt nach ihres Gemahls Tode Carl den Einfaͤltigen. War jene Ehe rechtmaͤßig geſchieden, ſo gebuͤhrte dieſem die Thronfolge. War hingegen die Eheſcheidung nicht rechtmaͤßig, ſoblie -977) Carolinger im Verfall 814-888. blieben die Soͤhne erſter Ehe zur Thronfolge berech - tiget, und dann konnte Carl der Einfaͤltige nie dar - auf Anſpruch machen, weil ſeine Mutter bey Leb - zeiten der erſten Gemahlinn nicht in guͤltiger Ehe mit Ludewig dem Stammler leben konnte. Bei - der Ehen Soͤhnen konnte die Thronfolge unmoͤglich zugeſtanden werden; wenn der eine Theil ſucceſ - ſionsfaͤhig war, ſo war es der andere nicht. (Die Sache iſt ſelbſt fuͤr die Teutſche Geſchichte erheb - lich, weil davon die Frage abhaͤngt, ob Carl der Einfaͤltige, der zuletzt alle uͤbrige Carolinger uͤber - lebt hat, auch auf die Teutſche Krone allenfalls habe Anſpruch machen koͤnnen? wie noch in ganz neueren Zeiten manche Schriftſteller ein vermeyntes Recht der Krone Frankreich an Teutſchland daraus herleiten wollen.)

Die Franzoͤſiſche Nation entſchied damals ſelbſtXXV. gaͤnzlich gegen Carl den Einfaͤltigen zum Vortheile der beiden Soͤhne erſter Ehe, Ludewigs und Carl - manns, die mit Ausſchließung Carls des Einfaͤlti - gen, der eben damit fuͤr unaͤcht erklaͤrt wurde, ganz allein zur Thronfolge gelangten. Ja auch nach dieſer Herren baldigem unbeerbten Tode unter - warf ſich Frankreich doch nicht Carl dem Einfaͤl - tigen, ſondern vielmehr Carl dem Dicken, der auf ſolche Art ſeit 882. ganz Teutſchland und Lothrin -882 gen, und nunmehr ſeit 884. auch Frankreich, nebſt884 Italien und der Kaiſerwuͤrde, in ſeiner Perſon ver - einigte; beynahe in eben dem Umfange, wie Carl der Große die ganze Monarchie beſeſſen hatte, außer daß die Spaniſche Mark und die Inſeln des Mittellaͤndiſchen Meers inzwiſchen davon abgekom - men waren.

GVon98I. Alte Zeiten b. 888. 7 ) Carol. im Verf.
XXVI.
43

Von dieſer wieder vereinigten Macht der gan - zen Monarchie verſprach man ſich damals ſowohl in Frankreich als in Teutſchland die erwuͤnſchteſten Wirkungen in den zu Rettung der Nation gegen die fuͤrchterlichen Einbruͤche der Normaͤnner zu tref - fenden Anſtalten. In der That kam auch ein großes Kriegsheer zuſammen, als eben damals die Normaͤnner die Stadt Trier uͤberfallen und in Brand geſteckt hatten. Allein an ſtatt ein entſcheiden - des Treffen zu liefern, ließ Carl der Dicke mit dem Normaͤnniſchen Fuͤrſten Gottfried ſich in Friedens - handlungen ein, die ſich mit dem Verſprechen einer großen Geldſumme und der Anweiſung eines Stuͤcks Landes in Friesland auf eine ſehr demuͤthigende, der Erwartung der Nation nichts weniger als ent - ſprechende Art endigten. Hieruͤber entſtand ein ſo allgemeines Mißvergnuͤgen, daß ſich alles zu einer Revolution anließ, da nach einem Wiedervergel - tungsrechte, wie ehedem die Merovinger vom Ca - rolinger Stamme geſtuͤrzt waren, dieſem in der Perſon Carls des Dicken ein gleicher Umſturz be - vorſtand.

Zwey -99

Zweytes Buch. Des mittlern Zeitalters erſter Abſchnitt vom Abgang der Carolinger und den nachherigen Saͤchſiſchen, Fraͤnkiſchen und Schwaͤbiſchen Kaiſern bis zum Jahre 1235.

I. Vom Abgange der Carolinger bis zum Anfange der Saͤchſiſchen Kaiſer 888-919.

I. Arnulfs Thronbeſteigung und Ende der Carolinger mit Carl dem Dicken II. Lothringen bleibt mit Teutſch - land vereiniget; nur Burgund gehet ab. III. IV. Frank - reich und Italien ſondern ſich ebenfalls ab. V. Weitere Thronfolge in Teutſchland. Ludewig das Kind, und Conrad der I. VI-IX. Verfall des Reichs in dieſem Zeitraume; inſonderheit bey uͤberhand nehmenden Befehdungen und fort - waͤhrenden Einbruͤchen fremder Voͤlker.

Carlmann, Ludewigs des Teutſchen aͤlteſterI. Sohn, der in der Theilung des Teutſchen Reichs mit ſeinen Bruͤdern Baiern zu ſeinem An - theile bekommen hatte, war zwar ohne rechtmaͤßige Nachkommenſchaft verſtorben; hatte aber einen natuͤrlichen Sohn Arnulf hinterlaßen, den er zum Herzoge in Kaͤrnthen beſtellt hatte. Dieſer Arnulf war bey dem unter Carl dem Dicken gegen die Normaͤnner zuſammengezogenen Kriegsheere mitG 2an -100II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. anweſend, und ganz anderer Meynung, als daß man mit den Normaͤnnern auf ſchimpfliche Bedin - gungen Frieden machen ſollte. Als bald hernach887 887. zu Tribur (einem noch jetzt im Darmſtaͤdti - ſchen Amte Ruͤſſelsheim zwiſchen Oppenheim und Mainz gelegenen Orte) eine Reichsverſammlung veranſtaltet war; erſchien ploͤtzlich Arnulf mit einem tapfern Gefolge aus Baiern und Kaͤrnthen, und ward bald als Koͤnig ausgerufen, ohne daß Carl der Dicke ſich nur entgegenſetzen konnte, wiewohl er dieſen Unfall auch nicht lange mehr uͤberlebte888 ( 888. Jan. 12.). So endigte ſich zugleich mit Carls des Dicken Tode der ganze rechtmaͤßige Carolinger Mannsſtamm; da zwar noch Carl der Einfaͤltige vorhanden war, dem aber der Vorwurf wegen Unrechtmaͤßigkeit der Ehe ſeiner Mutter entgegenſtand; ſo daß nach dem Sturz Carls des Dicken auch weder in Frankreich noch in Teutſch - land auf ihn Ruͤckſicht genommen wurde.

II.
43

Ganz Teutſchland erkannte jetzt einmuͤthig Ar - nulfen fuͤr ſeinen Koͤnig; und nach der Verbin - dung, worin 880. ganz Lothringen mit Teutſch - land gekommen war, galt das auch von ſelbſten fuͤr ganz Lothringen, ohne daß auch nur widrige Bewegungen dagegen entſtanden waͤren. Nur das Burgundiſche Koͤnigreich, das an der weſtli - chen Seite der Juraiſchen Gebirge ſchon im Gange war, und an der oͤſtlichen Seite eben jetzt bey die - ſer Gelegenheit zu Stande kam, gieng ab.

III.
43

Die Franzoͤſiſche Nation ließ ſich zwar den Umſturz Carls des Dicken gefallen; nahm aber an der Thronbeſteigung Arnulfs keinen Antheil,woll -1011) Arnulf Conr. I. 888-919. wollte auch von Carl dem Einfaͤltigen nichts wiſſen, ſondern wehlte ſich zum Koͤnige den Gra - fen Odo von Paris, dem ſie ſchon die Rettung dieſer Hauptſtadt von den Normaͤnnern, die ſie belagert hatten, zu danken hatte. So blieben von dieſer Zeit an bis auf den heutigen Tag Teutſchland und Frankreich zwey getrennte von einander un - abhaͤngige Reiche.

Ueber Italien und die Kaiſerkrone ſtritten dieIV. zwey Herzoge, Berengar von Friaul, und Wido von Spoleto. Arnulf zog zwar ebenfalls dahin, und empfieng ſelbſt 895. zu Rom die Kaiſerkrone. Allein mit ſeiner Ruͤckkehr ward auch alles wieder ruͤckgaͤngig, da ganz andere Partheyen die Ober - hand gewannen, und Italien uͤberhaupt in ſolche Verwirrung gerieth, daß auf mehrere Jahre hin alle Verbindung der Teutſchen jenſeits der Alpen auf hoͤrte.

In Teutſchland ſelbſt war uͤbrigens mit dieſerV. Revolution eigentlich keine Veraͤnderung in der innern Staatsverfaſſung verbunden. Wenn Ar - nulf laͤnger gelebt, und erwachſene Soͤhne und weitere Nachkommen hinterlaßen haͤtte, wuͤrde ohne Zweifel die Regierungsform und ganze Verfaſſung geblieben ſeyn, wie ſie zur Zeit der Carolinger war. Selbſt ſeinem unmuͤndigen Sohne Lude -900 wig dem Kinde wurde deswegen lieber die vaͤ - terliche Thronfolge zugeſtanden, als daß man von der bisherigen Erblichkeit des regierenden Stammes abweichen wollte. Aber mit Ludewigs fruͤhzeitigem unbeerbtem Tode ( 911.) hoͤrte dieſer Stamm ſchon wieder auf. Und da auch der an deſſen912G 3Stelle102II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Stelle gewehlte Koͤnig Conrad der I. nach einer nur ſechsjaͤhrigen Regierung unbeerbt abgieng918 ( 918. Dec. 23.); ſo mußte noch einmal eine freye Wahl geſchehen, bis erſt mit dem nunmehr919 erwehlten Henrich dem I. ein neuer regierender Stamm von Saͤchſiſcher Herkunft wieder etwas mehr Feſtigkeit erhielt.

VI.
43

Schon dieſe Umſtaͤnde, da in einer Zeit von 32. Jahren vier Koͤnige auf einander folgten, de - ren jeder ſeine Thronbeſteigung einer freyen Wahl zu danken hatte, worunter uͤberdies ein minder - jaͤhriger war, und dem einen nur Ruhe, dem an - dern das Gluͤck fehlte, dieſe Umſtaͤnde zuſam - mengenommen machten, daß der Zeitraum nach dem Sturz Carls des Dicken gewiß nicht der be - quemſte war, um das herſtellen zu koͤnnen, was ſeit Carls des Großen Zeiten einen Verfall in ſei - ner Monarchie ſchon ſo merklich gemacht hatte. Es traten vielmehr noch manche Umſtaͤnde hinzu, die das Uebel noch aͤrger machen halfen.

VII.
43

Dem geiſtlichen Stande verſchafften die Iſido - riſchen Grundſaͤtze bald merklich immer groͤßere Vor - theile, bald in koͤniglichen Befreyungen von her - zoglichen oder graͤflichen Rechten, bald in auſſer - ordentlichen Gnadenverleihungen, bald in betraͤcht - lichen Schenkungen von allerley Gattungen. Eben damit wuchs aber auch die Eiferſucht der weltli - chen uͤber die geiſtlichen Herren zuſehends. Dar - uͤber brachen oft namhafte Befehdungen aus, die zwar noch von Zeit zu Zeit ſelbſt durch Todesſtra - fen, die der Koͤnig mit Fuͤrſtenrecht darauf er - kannte, geahndet wurden; aber ohne daß doch daszuneh -1031) Arnulf Conr. I. 888-919. zunehmende Unweſen des Fauſtrechts gehoben oder gehemmt werden konnte.

Dazu kamen die anhaltenden Streifereyen derVIII. Normaͤnner, nebſt neuen Unternehmungen Wendi - ſcher Voͤlker, und noch fuͤrchterlicheren jaͤhrlichen Einbruͤchen der Ungarn, die jetzt bis ins Herz von Teutſchland vordrangen. Deſto groͤßere Gewalt konnten ſich jetzt die Herzoge herausnehmen, auf deren Vertheidigungsanſtalten meiſt die Rettung eines jeden Landes ankam. Deſto tiefer mußte aber auch natuͤrlicher Weiſe das Anſehen der Krone ſinken.

Am fuͤhlbarſten ward das dem guten KoͤnigeIX. Conrad dem I., der in ſeiner kurzen Regierung mit drey Herzogen zu kaͤmpfen hatte, ohne ihrer Meiſter werden zu koͤnnen. Das Herzogthum Lothringen ward daruͤber gar auf einige Zeit vom Teutſchen Reiche abwendig gemacht. In Sachſen fieng der junge Herzog an eigenmaͤchtig zu regie - ren. Und Baiern ſchien ſich beynahe vom Teut - ſchen Reiche los zu reiſſen.

G 4II. 104II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.

II. Von Henrich dem I. 919-936.

I. Baiern und Lothringen in Verbindung mit Teutſch - land erhalten. II-V. Angefangener Staͤdteban im innern Teutſchlande. VI-IX. Davon in der Folge abgehangene Verſchiedenheit der Staͤnde. X. Errichtung der Burg Meiſſen und der Marggrafſchaft Schleswig.

I.
43

Erſt Henrich dem I. ſchien es vorbehalten zu919 ſeyn, dem ſo tief verfallenen Anſehen der Krone wieder etwas mehr aufzuhelfen. Um Baiern in der Verbindung mit dem Teutſchen Reiche zu erhalten, machte er nur ein kleines Opfer, indem er dem Herzoge von Baiern uͤber die Biſchoͤfe ſel - biger Gegend die ſonſt nur in der koͤniglichen Ge - walt begriffenen Rechte zugeſtand. Ob das als ein bloß perſoͤnliches Vorrecht nur fuͤr den damaligen Herzog beſtimmt geweſen, oder ob es auch auf alle folgende Herzoge habe gehen ſollen; daruͤber wird noch jetzt, inſonderheit zwiſchen Bairiſchen und Salzburgiſchen Schriftſtellern, geſtritten(q)Einige hieher gehoͤrige Stellen gleichzeitiger Geſchichtſchreiber habe ich ſchon im Hauptfaden der Reichsgeſchichte S. 131. y. angefuͤhrt. Die Bairiſchen Schriftſteller berufen ſich auf Urkunden von 926. und folgenden Jahren, da Biſchoͤfe von Freiſingen und Erzbiſchoͤfe von Salzburg ihre Tauſch - und Kaufhandlungen vom Herzoge von Baiern haben beſtaͤtigen laßen. Als der Koͤnig Henrich im Jahre 932. eine Synode zu Erfurt halten ließ, hielt Arnulf eine aͤhnliche zu Regens - burg und noch eine zu Dingelfingen wegen Her - ſtellung der von den Hunnen verwuͤſteten Kirchen,wo. DasBand1052) Henrich der I. 919-936. Band zwiſchen Lothringen und Teutſchland wur - de 923. und 935. durch wiederholte Vertraͤge mit den damaligen Koͤnigen in Frankreich auf den vo - rigen Fuß geſetzt.

Hauptſaͤchlich aber haben wir dieſer RegierungII. die große Veraͤnderung zu verdanken, die im in - nern Zuſtande von ganz Teutſchland davon ab - haͤngt, daß es jetzt mit Staͤdten angebauet iſt, da bisher auſſer Bergſchloͤſſern und Ritterſitzen oder Kloͤſtern, die etwa mit Mauern umgeben wa -ren,(q)wo zugleich den Biſchoͤfen und anderen Geiſtlichen Vorſchriften ihres Lebenswandels gegeben wurden. Arnulf hatte erſt ſelbſt den koͤniglichen Titel ange - nommen; aber nach dem Frieden mit Henrich dem I. ſchrieb er ſich: diuina clementia d v x Ba - ioariorum et etiam adiacentium regionum. Noch ward Baiern ſelbſt zu Zeiten regnum genannt: regni huius principibus. Von Arnulf und ſeinem Nachfolger Berthold ſind auch noch Muͤnzen vor - handen mit der Aufſchrift: Arnulfus, oder Ber - tholdus, dux, und auf der Gegenſeite: Regina ciuitas; die erſten fuͤrſtlichen Muͤnzen in Teutſch - land, vielleicht auch die aͤlteſten von jetzt regie - renden Haͤuſern in Europa; und zwar nicht aus kaiſerlicher beſonderer Begnadigung, ſondern aus eigner landesherrlicher Macht. Otto der Große fieng zuerſt an den herzoglichen Vorrechten Ein - halt zu thun, und die Biſchoͤfe naͤher an ſich zu ziehen, um die koͤnigliche Macht dadurch zu erhoͤ - hen. Doch in einer Chronik vom XI. Jahrhundert (Chron. Tegernſ. bey Petz tom. 3. part. 3. p. 494.) heißt es noch: Geraldus, cuius ſucceſſores vsque hodie regni habent iura praeter coronam. Hen - ricus (Arnulpho) pro pace epiſcopatus terrae ſuae et abbatias regio iure iuxta antiquum conceſſit. Lori Bair. Geſch. S. 246. 261. 263. 264.G 5106II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. ren, alles uͤbrige nur aus einzelnen Hoͤfen und Doͤrfern beſtand, oder wo ſich auch etwa bey einem Schloſſe oder bey einer Kirche nach und nach einige Leute angebauet hatten, doch alles nur offene Orte waren.

III.
45

Eine traurige Erfahrung, wie wenig in einer ſolchen Lage gegen die immer zunehmende Noth von Einbruͤchen fremder Voͤlker ſich gruͤndliche Ge - genanſtalten machen ließen, brachte Henrichen zu - erſt auf die Gedanken, daß es beſſer gehen wuͤr - de, wenn Staͤdte, mit Mauern und Thuͤrmen und Thoren umgeben, vorhanden waͤren, die eine zahl - reichere Menge Einwohner faßten, und ſowohl ſel - bigen, als den hereinzufluͤchtenden Habſeligkeiten der Nachbarſchaft in Nothfaͤllen zur Sicherheit die - nen koͤnnten. Andere Bewegungsgruͤnde, als wel - che die Noth an die Hand gab, moͤchten ſchwerlich die Nation von ihrer urſpruͤnglichen Abneigung von Staͤdten zuruͤckgebracht haben. In der Folge gab es ſich von ſelbſten, auch andere Vortheile dieſer Einrichtung kennen zu lernen, und zur Erbauung immer mehrerer Staͤdte wirkſam zu machen.

IV.
45

Aber wie ſollte der erſte Anfang gleich zu Stande gebracht werden? Da verdient es ge - wiß allen Beyfall, wie Henrich die Einrichtung traf, daß je der neunte Mann vom Lande in die Stadt ziehen, und alle oͤffentliche Verſammlungen in Staͤdten gehalten werden ſollten. Von ande - ren Einrichtungen, die gleich damals zu Bevoͤlke - rung der Staͤdte und zur Befoͤrderung ihres Nah - rungsſtandes gemacht ſeyn moͤgen, haben wir kei - ne genaue Nachricht. Viel weniger wiſſen wir,wie -1072) Henrich der I. 919-936. wieviel und welche Staͤdte eigentlich gleich da - mals erbauet ſeyn moͤgen(r)Wahrſcheinlich iſt Soeſt in Weſtphalen eine der erſten von Henrich erbauten Staͤdte. We - niaſtens findet ſich ſchon eine Urkunde von Otto dem Großen von 062., wo es heißt: Actum in Suoſacz. Schaten. annal. Paderborn. tom. 1. p. 266. Sonſt nennt man auch noch Quedlinburg, Nordhauſen, Duderſtadt, Merſeburg ꝛc..

Wahrſcheinlich ſind manche Staͤdte ſo entſtan -V. den, daß Orte, wo ſchon mehrere Gebaͤude, etwa bey einer biſchoͤflichen Kirche oder bey einem Klo - ſter, oder Schloſſe beyſammen waren, in ver - groͤßertem Umfange mit Mauern umgeben wurden. Da hieng die Eintheilung der Straßen natuͤrlicher Weiſe ſehr vom Zufall ab, wie nach und nach ein Haus am andern angebauet wurde. Doch wo auch Staͤdte von Grundaus neu erbauet ſind, darf man ſich doch nicht wundern, wenn ſo wenige Regelmaͤßigkeit dabey beobachtet, und von Voll - kommenheiten einer Stadtpolizey nach den Begrif - fen, die wir uns jetzt davon machen, ſo wenig in Anwendung gebracht worden, da dieſe Geſchichte theils in Zeiten der aͤrgſten Unwiſſenheit faͤllt, theils nur eine Zeit von neun Jahren, die ſich Henrich in einem Waffenſtillſtande mit den Ungarn ausbe - dungen hatte, zur Erbauung der erſten Staͤdte ge - braucht werden konnte. Unter ſolchen Umſtaͤnden iſt vielmehr zu bewundern, daß ſchon ſoviel geſche - hen iſt, und daß die vorher von dieſer Art Lebens ſo entfernt geweſene Nation noch ſobald in den Geſchmack des ſtaͤdtiſchen Lebens eingeleitet werden koͤnnen; wovon die groͤßte Probe war, daß auchnach108II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. nach geendigter Gefahr wegen der Ungarn doch die Anzahl neuer Staͤdte immer haͤufiger wurde.

VI.
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Zwar was die ſtaͤdtiſche Lebensart und die un - ter andern davon abhangende beſondere Gattung in der Verſchiedenheit der Staͤnde anbetrifft, wuͤrde man ſich ſehr irren, wenn man das, was die jetzige Verfaſſung der Staͤdte mit ſich bringt, gleich von ihrem erſten Urſprunge an herleiten wollte. Von den erſten Bewohnern einer jeden Stadt wußte ein jeder, wes Standes er war, frey oder nicht frey. In den erſten Generationen hat auch wahrſcheinlich niemand leicht anders als in ſeinem Stande geheirathet. Da waͤre dann der bloße Aufenthalt in einer Stadt noch kein hinlaͤng - licher Grund geweſen, daraus einen eignen Stand zu machen; wie daher noch jetzt in mancher alten Stadt adeliche Geſchlechter ſind, die ſich von un - denklichen alten Zeiten her in ihrem Stande erhal - ten haben.

VII.
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Erſt in der Folge mehrerer Generationen kam es dahin, daß Einwohner in Staͤdten, deren Vor - fahren freye Leute geweſen waren, keinen ſonder - lichen Anſtoß mehr darin fanden, ſich in Heira - then mit Perſonen einzulaßen, bey denen man in Ruͤckſicht auf ihr Vermoͤgen oder andere perſoͤn - liche Eigenſchaften allenfalls gerne vergaß, daß ihre Voreltern vielleicht ehedem urſpruͤnglich leib - eigen geweſen, und zuerſt als Geſinde in die Stadt gekommen waren.

VIII.
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So verlohr ſich auch nach und nach die Ab - neigung gegen Kaufmannſchaft und Gewerbe derIn -1092) Henrich der I. 919-936. Induͤſtrie. Nur diejenigen, die ihre Wohnſitze nach alter Manier auf dem Lande behielten, ſuch - ten bald einen Vorzug darin, daß ſie auch nach althergebrachter Lebensart ihrer Vorfahren aus Jagd und Krieg ihr Hauptgeſchaͤfft machten, und kein ander Gewerbe als mit den Producten ihrer eignen Laͤndereyen und Viehzucht trieben. Dazu kam noch, daß Hof - und Lehnsdienſte nur von ih - nen, nicht von Einwohnern der Staͤdte geleiſtet wurden, und daß endlich auch in Stiftern und bey Turnieren ſo gar Ahnenbeweiſe ſowohl von muͤtterlicher als vaͤterlicher Seite erfordert wurden. So wird es begreiflich, wie nach etlichen Jahr - hunderten der Freye auf dem Lande, dem ſonſt ſeine Freyheit und Gebuhrt keinen Vorzug vor gleichfalls freygebohrnen Einwohnern der Staͤdte gab, ſich als einen vom ſtaͤdtiſchen Buͤrger verſchie - denen Stand anſah, und dagegen dem Herren - ſtande, als dem bisherigen wahren Teutſchen Adel, ſich zu naͤhern ſuchte; obgleich dieſer Herrenſtand als nunmehriger hoher Adel von jenem Stande der Freyen, der jetzt den ſo genannten niedern Adel ausmacht, immer weſentlich unterſchieden blieb. Auf der andern Seite blieb jedoch der Buͤrger in der Stadt, vermoͤge ſeiner entweder urſpruͤnglich von ſeinen Voreltern ererbten, oder ſelbſt durch das Buͤrgerrecht erlangten Freyheit, vom Bauern, der entweder noch leibeigen war, oder doch noch unter Fronen und Abgaben ſeufzte, eben ſo we - ſentlich unterſchieden. Daher demnaͤchſt die vierer - ley Staͤnde, des hohen Adels, der Fuͤrſten, Gra - fen und Herren, des niedern Adels derer, die ehe - dem keinen weitern Vorzug als die bloße Frey -heit110II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. heit hatten, ſodann des Buͤrger - und Bauern - ſtandes in Teutſchland zum Vorſchein kommen.

IX.
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Der gleichzeitige Geſchichtſchreiber, dem wir die Nachricht von der von Henrichen veranſtalte - ten Erbauung der Staͤdte zu danken haben, be - dient ſich von der erſten Bevoͤlkerung der Staͤdte durch den neunten Mann vom Lande(s)Witichind. Corb. lib. 1.: ex agra - riis militibus nonum quemque eligens in vrbibus habitare fecit. eines Ausdrucks, den einige ſo deuten wollen, als ob die erſten Einwohner der Teutſchen Staͤdte nur Bauern geweſen waͤren. Aber er nennt ſie aus - druͤcklich milites agrarios, das man nach der Sprache der folgenden Zeiten uͤberſetzen muͤßte: Ritter vom Lande, oder Kriegsmaͤnner, die auf ihren Landguͤtern wohnen. Der Zuſatz vom Lande (agrarius) mußte nur dazu dienen, ſolche Ritter oder freye Guͤterbeſitzer von denen zu unterſchei - den, die als Vaſallen zu Kriegsdienſten im Felde, oder als Burgmaͤnner zu Beſatzungsdienſten in Schloͤſſern, oder als Miniſterialen zu Hofdienſten verbunden waren; eben ſo, wie noch jetzt ſo ge - nannte Landjunker von Edelleuten bey Hofe oder in Kriegsdienſten unterſchieden ſind.

X.
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Auſſer dem großen Verdienſte, ſo ſich Henrich durch Erbauung der Staͤdte erwarb, hatte Teutſch - land ihm noch zu verdanken, daß er die Graͤn - zen gegen die Wenden durch Errichtung der Burg Meiſſen und gegen die Normaͤnner durch eine Marggrafſchaft, die er jenſeits der Eider in Schles -wig1113) Otto der Große 936-974. wig anlegte, fuͤr die Zukunft in groͤßere Sicher - heit ſetzte. Mit der letztern Marggrafſchaft ward zugleich die noͤrdliche Graͤnze von Teutſchland noch uͤber das von Carl dem Großen beſtimmte Ziel der Eider hinaus erſtrecket. Schade nur, daß Henrichs Sohn und Nachfolger Otto der Große ſich durch Ehrbegierde und auswaͤrtige Reizungen blenden ließ, die weitere Aufnahme des innern Zuſtandes des Reiches nicht mit gleichem Eifer zu befoͤrdern.

III. Von Otto dem Großen 936-974.

I. II. Merkwuͤrdigkeiten bey Otto’s Thronfolge. Erſte Spuhr der Untheilbarkeit des Reichs und des Rechts der Erſtgebuhrt. III-V. Erſter Keim der nachherigen churfuͤrſt - lichen Vorrechte der Erzbiſchoͤfe von Mainz, Trier, Coͤlln, und vier weltlicher Erzbeamten. VI. VII. Erneuerte Verbin - dung mit Rom und Italien. VIII-XII. Folgen der er - neuerten Kaiſerwuͤrde. XIII-XV. Neue Eroberungen Wendiſcher Laͤnder, und neue geiſtliche Stiftungen in dieſen Gegenden, inſonderheit zu Magdeburg, Hamburg, Prag. XVI-XVIII. Freygebigkeit gegen Geiſtliche und Befoͤrderung ihrer groͤßeren Aufnahme. XIX-XXI. Verhaͤltniß der damaligen Herzogthuͤmer. XXII. Urſprung der Pfalzgraf - ſchaften. XXIII-XXV. Verſchiedene Gruͤnde zum nach - herigen Verfall des Reichs.

Bey Otto des Großen Thronfolge darf derI. Umſtand nicht außer Acht gelaßen werden,936 daß dieſes der erſte Fall war, da von mehreren Soͤhnen eines Koͤniges nur Einer auf den Thron kam; an ſtatt daß nach der Merovinger und Ca - rolinger Regierungsform in ſolchen Faͤllen Theilun -gen112II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. gen geſchahen, wie noch Ludewigs des Teutſchen drey Soͤhne das Teutſche Reich unter ſich in drey Theile getheilet hatten. Ohne daß ſich Spuhren eines daruͤber errichteten Grundgeſetzes faͤnden, ſcheint aus den vier letzteren Regierungen, da Ar - nulf, Ludewig das Kind, Conrad der I. und Hen - rich der I. jeder nur alleine ganz Teutſchland re - gierte, von ſelbſten unvermerkt ein ſolches Herkom - men ſich gebildet zu haben, daß ſeitdem bis auf den heutigen Tag an keine weitere Vertheilung des Teutſchen Reichs gedacht worden.

II.
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Gleich damals drang Otto’s juͤngerer Bruder, Henrich, nicht ſowohl auf eine Theilung, als viel - mehr darauf, daß ihm in der ganzen Thronfolge der Vorzug gebuͤhre, weil damals, wie ihn ſein Vater erzeuget, derſelbe ſchon Koͤnig, hingegen als Otto zur Welt kam, nur noch Herzog geweſen war. Dieſen Vorzug ließ zwar die Nation nicht gelten. Man kann doch aber auch nicht behaup - ten, daß ſchon ein Recht der Erſtgebuhrt in der Thronfolge anerkannt worden waͤre. Es ergibt ſich vielmehr aus der Folge, daß bey jeder Thronfolge, wenn ſie gleich wieder nach der alten Fraͤnkiſchen Staatsverfaſſung dem regierenden Stamme zugeſtanden ward, dennoch die Nation in Beſtimmung der Perſon nicht ohne Einfluß blieb; daher es bald in Gang kam, daß meiſt jeder Va - ter noch bey ſeinen Lebzeiten ſeinem Sohne die Thronfolge gelegentlich zum voraus verſichern ließ. Man kann das zwar noch nicht mit dem, was wir jetzt Roͤmiſche Koͤnigswahl nennen, in voͤllige Gleichheit ſetzen. Aber beides ſteht doch unſtrei - tig in einiger Beziehung auf einander. In Frank -reich1133) Otto der Große 936-974. reich kam die Untheilbarkeit der Krone zuerſt 954. nach dem Tode des damaligen Koͤnig Ludewigs in Gang, da von deſſen beiden Soͤhnen nur Lotha - rius auf den Thron kam, deſſen juͤngerer Bruder Carl doch noch auf eine Theilung zu dringen ſich berechtiget hielt; wiewohl er nicht nur gegen ſei - nen aͤltern Bruder und deſſen Sohn, ſondern auch nach deſſen Abgang gegen Hugo Capet, den Stamm - vater aller nachherigen Koͤnige in Frankreich, zu - ruͤckſtehen mußte.

Noch zeichnet ſich Otto’s Thronbeſteigung da -III. durch aus, daß er nicht, wie ſein Vater gethan hatte, die Kroͤnung verbat, ſondern allen dabey uͤblichen Feierlichkeiten ihren vollen Lauf ließ. Da - von iſt nur deswegen hier etwas zu erwehnen, weil ſich bey dieſer Gelegenheit ſchon der erſte Keim der nachher ſo erheblich gewordenen chur - fuͤrſtlichen Vorrechte, wiewohl freylich noch in einer großen Entfernung, wahrnehmen laͤßt.

Die Kroͤnung geſchah zu Aachen. Daher be -IV. gehrte der Erzbiſchof von Coͤlln ſie zu verrichten, weil Aachen in ſeiner Dioeces lag. Der Erzbi - ſchof von Trier aber behauptete, ſein Erzſtift ſey aͤlter, als das zu Coͤlln, und muͤße deswegen bey dieſer feierlichen Handlung billig den Vorzug haben. Endlich uͤberließen beide Erzbiſchoͤfe diesmal die Ehre dem Erzbiſchofe zu Mainz. Dieſe Ge - ſchichte iſt nur darum merkwuͤrdig, weil ſie uns belehret, wie die drey Erzbiſchoͤfe von Mainz, Trier und Coͤlln ſchon von ſelbigen Zeiten her einen Vorzug in der Kroͤnung geſucht haben, woruͤber ein bis in die neueſten Zeiten fortgeſetzterHStreit114II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Streit erſt 1658. auf den jetzigen Fuß beygelegt iſt; unter andern ſo, daß bey Aufſetzung der Krone alle drey Erzbiſchoͤfe Hand mit anlegen; obgleich die eigentliche Conſecration nur derjenige Erzbiſchof verrichtet, in deſſen Dioeces ſie geſchieht, oder außerdem abwechſelnd entweder der Erzbiſchof zu Mainz oder der zu Coͤlln. Merkwuͤrdig iſt es alle - mal, daß ſchon bey Otto dem Großen nur die drey Erzbiſchoͤfe von Mainz, Trier und Coͤlln ſich um die Ehre der Kroͤnung beeiferten, ohne daß weder die Erzbiſchoͤfe von Salzburg, noch die von Bre - men, Biſanz, und andere als Mitwerber oder Theilnehmer dieſer Ehre erſchienen. Sehr glaub - lich mag deswegen dieſer Umſtand in der Folge mit dazu beygetragen haben, daß, wenn hernach andere von der Wahl und Kroͤnung wegblieben, dieſe drey nicht wegbleiben konnten, und eben dar - uͤber zu einem ſo großen Vorzuge gelangten, daß von geiſtlichen Staͤnden, die bey der Wahl zu ſprechen hatten, nur dieſe drey Erzbiſchoͤfe uͤbrig blieben; die freylich auch das fuͤr ſich hatten, daß ſie als die erſten urſpruͤnglichen Erzbiſchoͤfe des Teutſchen Reichs angeſehen werden konnten.

V.
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Faſt eine gleiche Bewandtniß hatte es mit den feierlichen Hofdienſten, die ſich Otto an ſeinem Kroͤnungstage, da er offene Tafel hielt, leiſten ließ. Da werden vier Herzoge namhaft gemacht, mit ſolchen Verrichtungen, welche noch jetzt zu den vier Hofaͤmtern, Marſchall, Kaͤmme - rer, Truchſeß und Schenk gerechnet werden. Da - mals waren dieſe Hofaͤmter noch nicht erblich. Sie wurden es aber in der Folge. Und bald darauf erſcheinen dieſe vier erſten weltlichen Reichs -ſtaͤnde1153) Otto der Große 936-974. ſtaͤnde mit jenen drey geiſtlichen als ſieben Wahl - fuͤrſten.

Von dem, was Otto waͤhrend ſeiner Regie -VI. rung ausgerichtet hat, iſt nichts, das auf die fol - gende Geſchichte und zum Theil bis auf den heu - tigen Tag ſo wirkſam geweſen waͤre, als die von ihm erneuerte Verbindung mit Rom und Italien. Mit dem Abgange der Carolinger hatte dieſe Ver - bindung gaͤnzlich aufgehoͤret; ſie ſchien nur auf Carls des Großen Nachkommenſchaft zu beruhen, und auf keinem ſeiner Reiche zu haften. Seit Arnulfs Zeiten war kein Teutſcher Koͤnig mehr uͤber die Alpen gekommen. Nach vielerley Factionen und Verwirrungen ſpielte zuletzt Berengar der II. (deſſen Mutter eine Tochter Berengars des I. war,) in Italien den Meiſter. Wider denſelben bewog erſt die Koͤniginn Adelheid, des vorigen Koͤnigs Lothars Wittwe, eine gebohrne Burgundiſche Prin - zeſſinn, Otto zu einem Zuge nach Italien, wodurch951 ſie, bis dahin in Canoſſa eingeſperrt, ihre Be - freyung und ſeine Hand erhielt.

Fuͤr dasmal blieb aber noch Berengar Koͤnig,VII. nur mit der Bedingung, daß er ſein Koͤnigreich erſt in Teutſchland von Otto zu Lehn empfangen mußte. Das zweytemal zog Otto auf Betrieb des960 Pabſtes Johannes des XII. nach Italien, in der Abſicht, Berengarn wegen der wider ihn vorge - kommenen Beſchwerden zu ſtuͤrzen, und ſich ſelbſt ſowohl die Kaiſerkrone als die Longobardiſche Krone zuzueignen. Beides geſchah, indem Otto 961. zu Mailand vom dortigen Erzbiſchofe und 962. 962H 2(Febr.116II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. (Febr. 2.) zu Rom vom Pabſte Johann dem XII. gekroͤnet, Berengar hingegen, nachdem er ſich noch einige Zeit vergeblich gewehret hatte, zuletzt nach Bamberg verwieſen wurde. Auf einem nochma - ligen Roͤmerzuge ließ hernach Otto auch ſchon ſei - nen Sohn Otto den II. als Mitkaiſer kroͤnen.

VIII.
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So hatte freylich Otto die Ehre, auf aͤhnliche Art, wie ehedem Carl der Große gethan hatte, ſowohl die Roͤmiſche Kaiſerwuͤrde als die Longo - bardiſche Krone auf ſich und ſein Haus zu brin - gen; ohne daß man doch noch zur Zeit ſagen konnte, daß eine Realverbindung zwiſchen Italien und Teutſchland damit auf beſtaͤndig eingegangen worden waͤre. Nur darin gieng Otto noch einen Schritt weiter, als Carl der Große gethan hatte, da er mit Weglaßung ſeiner uͤbrigen Titel zuletzt ſich nur Roͤmiſcher Kaiſer ſchrieb. Das gab wenigſtens in der Folge Anlaß, daß man anfieng zu glauben, das Reich, das ein Roͤmiſcher Kaiſer beherrſchte, ſey ſelbſt das Roͤmiſche Reich; ohne zu unterſcheiden, was ein Kaiſer als Beherrſcher der Stadt Rom und der Lombardey, und was er eigentlich als Oberhaupt des Teutſchen Reichs zu ſagen habe; ſo wie etwa ein Unwiſſender ſich vorſtellen mag, alle Laͤnder, die der Koͤnig in Preuſ - ſen beherrſche, machten das Koͤnigreich Preuſſen aus; ohne daran zu denken, daß das Churfuͤrſten - thum Brandenburg, die Herzogthuͤmer Schleſien, Magdeburg, Pommern, Cleve u. ſ. w. mit dem Koͤnigreiche Preuſſen an ſich weiter nichts zu thun haben, ſondern ein jedes dieſer Laͤnder ſeine eigne Verfaſſung hat.

Otto1173) Otto der Große 936-974.

Otto und ſeine Nachfolger glaubten jetzt ohneIX. Unterſchied auf ſich anwenden zu koͤnnen, was ehedem nicht nur Carl der Große, ſondern auch ſonſt irgend jemals einer der alten Roͤmiſchen Kai - ſer fuͤr Vorzuͤge gehabt haben moͤchte. Unter an - dern ſcheint man fruͤhzeitig alles das benutzt zu haben, was in aͤlteren Zeiten von der Stadt Rom als Beherrſcherinn der Welt und von Roͤmiſchen Kaiſern als Herren der Welt zum Theil in Ge - dichten oder in der Sprache der Schmeicheley vor - gekommen war. Schon die Ottonen ſcheinen ge - glaubt zu haben, daß ſie als Roͤmiſche Kaiſer eine gewiſſe Oberherrſchaft ſowohl uͤber auswaͤrtige Koͤ - nige als uͤber Teutſche Fuͤrſten ausuͤben koͤnnten. Bald kam noch der Gedanke hinzu, daß die ganze Chriſtenheit, als eine kirchliche Geſellſchaft betrach - tet, ein ſichtbares geiſtliches Oberhaupt habe; alſo auf gleiche Art auch alle Chriſtliche Voͤlker und Staaten ein weltliches Oberhaupt haben koͤnnten; wozu wegen des Schutzes, den die Roͤmiſche Kir - che vom Roͤmiſchen Kaiſer zu erwarten habe, niemand naͤher als dieſer waͤre. Bald verband man endlich noch uͤberdies damit eine Deutung des Propheten Daniels von vier Koͤnigreichen, wo - von das letztere alle andere zermalmen und zer - ſtoͤhren, fuͤr ſich aber ewig bleiben wuͤrde(t)Dan. 2, 31-45..

Nach ſolchen Vorſtellungen darf man ſichs weni -X. ger befremden laßen, wenn von dieſen Zeiten her anderen Koͤnigreichen und ſonſt unabhaͤngigen Voͤl - kern zugemuthet wurde, eine gewiſſe Oberhoheit unſerer Kaiſer uͤber ſich zu erkennen; wie bald nach einander mit Daͤnemark, Polen, Ungarn der Fall na -H 3ment -118II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. mentlich eintrat, auch bey vorkommenden Gelegen - heiten die Kaiſer ſich ruͤhmten, daß Spanien, Frank - reich und England ihre Unterwuͤrfigkeit unter ihnen nicht verkaͤnnten(u)So ſchrieb wenigſtens der Kaiſer Conrad der III. an den Griechiſchen Kaiſer. Otto Fri - sing. de Fried. I. lib. 1. cap. 23. in Mvratori ſcriptor. Ital. tom. 6. p. 657.. In der That erwuchs dar - aus ein ganz beſonderes Voͤlkerrecht des mittlern Zeit - alters, das alle Chriſtliche Reiche und Laͤnder gegen den Roͤmiſchen Kaiſer in ein aͤhnliches Verhaͤltniß ſetzte, wie alle einzelne Chriſtliche Kirchen gegen die Roͤmiſche Kirche; ſo daß auf eben die Art, wie Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe vom Pabſte abhiengen, ſo Fuͤrſten und Koͤnige in gewiſſer Abhaͤngigkeit unter dem Kaiſer ſtehen ſollten. In einigen Faͤl - len war das nicht ohne Wirkung, wie ſich in der Folge zum Theil mehrere Jahrhunderte hindurch bey den ſo genannten Kreuzzuͤgen und nachherigen Tuͤrkenkriegen, ingleichen bey allgemeinen Kirchen - verſammlungen, bey Standeserhoͤhungen, beym Gebrauche der kaiſerlichen Notarien u. ſ. w. gezei - get hat. Sehr oft entſtanden aber auch An - maßungen daraus, wodurch ſich unſere Kaiſer auf manche ſchwindelnde Hoͤhe fuͤhren ließen, ohne doch der Sache den gehoͤrigen Nachdruck geben zu koͤnnen.

XI.
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Unter andern erneuerte Otto durch einen beſon - dern Vertrag mit der Geiſtlichkeit und dem Volke zu Rom auch den ehemaligen Carolinger Grund - ſatz: daß ohne kaiſerliche Genehmigung kein Pabſt gewehlt und eingeweihet werden ſollte. Hingegen ließ er ſich auch ſchon in ein eidliches Verſprechen ein: die Roͤmiſche Kirche und ihren Regierer nachſei -1193) Otto der Große 936-974. ſeinen Kraͤften zu erhoͤhen, und in Dingen, die den Pabſt oder die Roͤmer betraͤfen, keine Ver - ordnung ohne Zuziehung des Pabſtes zu machen.

Endlich mußte ſchon Otto uͤber dieſe neue Ver -XII. bindung mehr als einmal nach Italien ziehen, und mehrere Jahre dort verweilen, wie ſeitdem auch faſt alle ſeine Nachfolger thun mußten. Daruͤber konnte unſer gutes Teutſchland in ſolcher Entfer - nung und anhaltenden Abweſenheit ſeines Ober - haupts nicht anders als in Verwirrung gerathen, und in Anſtalten, die zur Aufklaͤrung und Auf - nahme der Nation erforderlich geweſen waͤren, ganz vernachlaͤßigt zuruͤckkommen; ohne zu gedenken, wie viel Teutſches Blut ſeitdem in Italien aufgeopfert werden muͤßen, und was vollends fuͤr neuer Stoff zu Mißhelligkeiten zwiſchen Staat und Kirche dar - aus erwachſen, der zuletzt in die ungluͤcklichſten Folgen fuͤr Teutſchland und fuͤr alle weltliche Maͤchte ausgebrochen iſt.

Vortheilhafter fuͤr Teutſchland ſchien das, wasXIII. Otto in Anſehung der Wendiſchen Laͤnder vor - nahm. Durch Kriege, die er gleich in den erſten Jahren ſeiner Regierung anfieng, brachte er Boͤh - men und die Niederlauſitz zum Gehorſam. Zu - letzt glaubte er auch in den uͤbrigen Wendiſchen Laͤndern am rechten Ufer der Elbe dergeſtalt feſten Fuß gefaſſet zu haben, daß er auf eben die Art, wie Carl der Große ſeine Saͤchſiſche Erobe - rung mit den in Sachſen errichteten Biſthuͤmern erſt recht befeſtiget hatte, ſo auch das Band mit den Wendiſchen Laͤndern dadurch feſter zuH 4knuͤpfen120II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. knuͤpfen hoffte, wenn er ſie mit Biſchoͤfen verſehen ließ, und unter die Aufſicht eines tuͤchtigen Erz - biſchofs ſetzte. Zum Sitze dieſes Erzbiſthums be - ſtimmte er Magdeburg, das wegen ſeiner Lage an der Elbe ſeiner erſten Gemahlinn Edgid, einer Engliſchen Prinzeſſinn, einige Aehnlichkeit mit Lon - don an der Themſe zu haben geduͤnkt, und daher vielerley Vorzuͤge erhalten hatte. Schon im Jahre 937. war daſelbſt eine Benedictiner-Abtey mit einer dem heiligen Moritz gewidmeten Kirche an - gelegt. Eine andere Moritzkirche ward bey Otto’s erſtem Zuge in Italien verwuͤſtet. Das gab noch einen Bewegungsgrund mehr dazu, daß Otto da - mit umgieng, zu Beſaͤnftigung des heil. Moritz ihm zu Ehren die Moritzkirche zu Magdeburg aus einer Kloſterkirche in eine erzbiſchoͤfliche Kirche zu verwandeln. Wegen Widerſpruchs des Erzbiſchofs zu Mainz und des Biſchofs zu Halberſtadt brachte Otto die Sache erſt 968. muͤhſam zu Stande. Den erſten Erzbiſchof ernannte er ſelbſt, ließ ihn aber zu Rom das Pallium holen, wozu er des - wegen vom Pabſte Johann dem XII. 962., und von Johann dem XIII. 967. die Bewilligung er - halten hatte. Den Benedictinern wurde ein an - derer Platz in der Naͤhe angewieſen, wo das Klo - ſter Bergen noch jetzt von dieſer Stiftung her uͤbrig iſt. Der neue Erzbiſchof zu Magdeburg bekam gleich ſechs Wendiſche Biſchoͤfe unter ſich, nehm - lich die zu Meiſſen, Merſeburg, Zeiz, Havelberg, Brandenburg und Poſen; woraus man zugleich abnehmen kann, wie weit dieſe Gegenden da - mals unter Teutſche Botmaͤßigkeit gekommen waren.

So1213) Otto der Große 936-974.

So erweiterte Otto auch den Umfang des Ge -XIV. bietes des Erzſtifts Hamburg, da er nach einem Zuge, den er gegen den Koͤnig Harald von Daͤne - mark zur Vertheidigung der Marggrafſchaft Schles - wig unternommen hatte, drey neue Biſthuͤmer zu Schleswig und zu Ripen und Arhaus anlegte; die ſowohl als noch ein neues Biſthum zu Alten - burg im Wagerlande (das nachher nach Luͤbeck ver - legt worden,) unter das Erzſtift Hamburg kamen. Noch errichtete unter dieſer Regierung der Herzog Boleslav der II. von Boͤhmen ein Biſthum zu Prag, das unter Aufſicht des Erzbiſchofs zu Mainz kam.

Alle dieſe neue Stiftungen ließen nicht nurXV. einen gruͤndlichern Fortgang des Chriſtenthums, ſondern auch uͤberhaupt mehr Aufklaͤrung und Cul - tur fuͤr die Wendiſchen Voͤlker hoffen. Sie wur - den aber in der Folge noch oͤfters unterbrochen. Die nach der Oſtſee naͤher gelegenen Laͤnder, als das heutige Mecklenburg und Pommern, hatten ohnedem an dieſen Stiftungen noch keinen Antheil.

Uebrigens hat auch ſonſt Otto nicht nur geiſt -XVI. liche Stiftungen mit ausnehmender Freygebigkeit beſchenkt und mit vielerley Vorrechten begnadiget, ſondern uͤberall vorzuͤglich Biſchoͤfe und Erzbi - ſchoͤfe in Ehren gehalten; wozu ihn mehr als eine Urſache bewegen konnte. Erſtlich waren ſie diejenigen, deren er ſich allein in Geſchaͤfften bedie - nen konnte, wenn Schriften auszufertigen, oder aus Schriften Vortraͤge zu thun waren. Wie unwiſſend der weltliche Stand nach der damaligenH 5Er -122II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Erziehung war, laͤßt ſich daraus abnehmen, daß Otto ſelbſt erſt nach dem Tode ſeiner erſten Ge - mahlinn etwas Latein, und alſo leſen und ſchrei - ben lernte (denn man ſchrieb damals nichts als in dieſer Sprache.) Alle Ausfertigungen geſcha - hen unter Aufſicht eines Erzbiſchofs, der eben bey Hofe war, oder in deſſen Dioeces die Sache ein - ſchlug. So vertrat damals noch nicht allein der Erzbiſchof von Mainz die Stelle eines Erzcanzlers, ſondern eben die Stelle bekleideten auch die Erz - biſchoͤfe von Trier, Coͤlln, Salzburg, wenn ſie eben bey Hofe waren, oder wenn Geſchaͤffte aus ihren Gegenden vorkamen. Es hat aber nicht lange mehr gewaͤhrt, daß dem Erzſtifte Mainz alleine die Erzcanzlerſtelle in Teutſchen Sachen zu Theil geworden.

XVII.
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Auf der andern Seite fiengen Herzoge und Grafen an ſich in ihren Gebieten mehr heraus - zunehmen, als die Eigenſchaft bloßer Befehlsha - ber, wie ſie nach der Carolinger-Fraͤnkiſchen Staats - verfaſſung ſeyn ſollte, ihnen zu geſtatten ſchien; in - ſonderheit begann es ſchon merklich zu werden, daß ſie damit umgiengen ihre Stellen erblich zu machen, und Kronguͤter, die ſie nur zur Benutzung haben ſollten, mit ihrem Eigenthume zu vermengen. In dieſer Ruͤckſicht konnten die Biſchoͤfe und Erzbi - ſchoͤfe uͤberall von der Krone zu einem guten Gleich - gewichte gebraucht werden; auch fuͤhlten das die Herzoge bald ſo, daß ſie die Biſchoͤfe ihrer Ge - genden gleichſam wie Spionen des Hofes anſahen. Dieſe hingegen kamen ſchon ſo empor, daß man zu Einſchraͤnkung ihres Uebermuthes noͤthig fand zu verordnen, daß bey Kirchenviſitationen ein Bi -ſchof1233) Otto der Große 936-974. ſchof nicht mit mehr als 50. Pferden erſcheinen ſollte.

Das alles kam der Krone deswegen zu Gute,XVIII. weil Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe doch meiſt nur Crea - turen des Hofes waren. Sie ſollten zwar jedesmal von der Geiſtlichkeit und dem Volke in jedem Stifte oder Erzſtifte frey gewehlt, und demnaͤchſt erſt vom Koͤnige mit Ring und Stab belehnet werden; aber nicht ſelten ward die Be - lehnung einem verſagt, der nicht nach des Hofes Sinne war, und mancher wurde ohne vorgaͤngige Wahl nur von Hofe aus ernannt. Je groͤßer alſo der Einfluß des Hofes auf die Perſonen war, die zu den hoͤheren geiſtlichen Ehrenſtellen befoͤr - dert wurden; je ſicherer konnte der Hof auch auf ihre Wachſamkeit und Unterſtuͤtzung gegen den weltlichen Stand rechnen, wenn dieſer zu hoch hin - aus wollte.

Mit den Herzogthuͤmern ſelbſt giengen un -XIX. ter dieſer Regierung einige wichtige Veraͤnderungen vor. Das Herzogthum Sachſen war unter der vorigen Regierung mit der Perſon des Koͤnigs ver - einiget geblieben. Otto ſcheint das nach ſeiner Ehrbegierde fuͤr minder anſtaͤndig gehalten zu ha - ben. Gleich in den erſten Jahren ſeiner Regie - rung beſtellte er in Sachſen einen eignen Fuͤrſten, Hermann Billung, deſſen maͤnnlicher Stamm, ſo lange er gebluͤhet hat, nachher im Beſitz des Her - zogthums Sachſen geblieben iſt. Als eignes Erb - gut beſaß dieſer Stamm zugleich das Schloß und Gebiet von Luͤneburg, das hernach auf eine Toch -ter124II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. ter des Hauſes fiel, die in die Welfiſche Familie vermaͤhlt wurde, und damit das Luͤneburgiſche zu - erſt an die Vorfahren des Hauſes Hannover und Braunſchweig brachte.

XX.
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Das Herzogthum Schwaben hatte Otto an ſeinen eignen Sohn, das Herzogthum Lothringen an ſeinen Schwiegerſohn vergeben. Beiden nahm er aber auch wieder ihre Herzogthuͤmer, weil ſie ſich eine Empoͤrung hatten zu Schulden kommen laßen. Die Verwaltung des Lothringiſchen Herzog - thums vertraute er gar einem geiſtlichen Herrn an. Das war ſein eigner Bruder Bruno, Erzbiſchof zu Coͤlln, der endlich gut fand, um die Macht dieſes Herzogthums zu brechen, aus Lothringen zwey Herzogthuͤmer zu machen; wie ſeitdem Oberloth - ringen von Niederlothringen immer unterſchie - den worden iſt, und am Ende jenes nur allein den Namen Lothringen behalten hat.

XXI.
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In Baiern hatte Arnulfs des Boͤſen aͤlteſter Sohn ſich das Herzogthum erblich anmaßen wol - len. Otto nahm es ihm aber, und vergab es erſt an Arnulfs Bruder Berthold, hernach an ſeinen eignen Bruder Henrich. So nahm Otto uͤber - haupt zur Maxime, die groͤßten weltlichen und geiſt - lichen Stellen ſoviel moͤglich mit Herren ſeines eignen Hauſes zu beſetzen(v)Auch ſeine Tochter Mathildis (geb. 955.) verſorgte Otto ſchon 966. mit der im Anfange ſei - ner Regierung geſtifteten Abtey Quedlinburg. Sowohl dieſe als die Abtey Gandersheim kamen auch in der Folge noch an Enkelinnen von Otto dem Großen. Hannoveriſches Magazin 1785. S. 737. u. f.. Inzwiſchen ward allemaldoch1253) Otto der Große 936-974. doch ſchon eine gewiſſe Criſis merklich, worin ſich das Verhaͤltniß zwiſchen der Krone und den Her - zogthuͤmern jetzt fand.

Um die Herzoge nicht zu maͤchtig werden zuXXII. laßen, ward deswegen um dieſe Zeit noch eine be - ſondere Veranſtaltung in Gang gebracht, da man ihnen ſo genannte Pfalzgrafen an die Seite ſetzte. Unter dieſem Namen verſtand man nach der Caro - linger Verfaſſung nur ſolche Perſonen, die bey Hofe die Stelle eines Richters vertraten, und alſo unter den Augen des Koͤnigs oder an deſſen Stelle zu Gerichte ſaßen. Jetzt wurden Pfalzgrafen in Pro - vinzen angeſetzt, zu deren Beſtimmung man angab, daß ſie in Sachen ſolcher Partheyen, die von der herzoglichen oder graͤflichen Gewalt befreyet waren, als koͤnigliche Landrichter das Recht handhaben, oder auch in Abweſenheit der Herzoge deren Stelle vertreten, und uͤbrigens die koͤniglichen Cammer - guͤter verwalten ſollten; Aber auch die Herzoge wurden angewieſen, ohne ihre Beyſtimmung in wichtigen Dingen nichts zu unternehmen. Solche Pfalzgrafen finden ſich ſeitdem in Lothringen, Sach - ſen, Schwaben und Baiern(w)In Baiern ernannte Otto nach Arnulfs des Boͤſen Tode ( 937. Jun. 12.) deſſen zweyten Sohn Arnulf zum Pfalzgrafen, nicht nur als ober - ſten Landrichter, ſondern auch als Oberaufſeher uͤber die Cammerguͤter in Baiern, die er großen - theils damals dem Herzog Berthold entzog, und ſich zueignete. Dieſe Pfalzgrafen in Baiern haben hernach fortgewaͤhrt bis 1249. Lori Geſch. von Baiern S. 264.. Sie wurden aber bald ſelbſt ſo gut, wie die Herzoge, erblich, und zuletzt in jedem Herzogthume mit der herzog -lichen126II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. lichen Familie ſelbſt vereiniget. Nur die Lothrin - giſchen oder ſo genannten Rheiniſchen Pfalzgrafen haben ſich in beſonderen Geſchlechtern oder Linien erhalten, wovon eines unſerer erſten Haͤuſer noch jetzt den Namen fuͤhret, obgleich die urſpruͤngliche Realitaͤt der Pfalzgrafſchaft laͤngſt in Vergeſſenheit gerathen iſt. Nur Wuͤrde und Rang haben ſich in ſo weit erhalten, daß der pfalzgraͤfliche Titel, wie ihn das einzige Haus Pfalz noch jetzt fuͤhret, dem herzoglichen Titel gleich geſchaͤtzt, und alſo uͤber den bloß graͤflichen Titel weit erhaben gehalten wird.

XXIII.
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So ſehr uͤbrigens alles dieſes dahin uͤberein - ſtimmend wirken konnte, daß das Hauptwerk von der Carolinger Staatsverfaſſung noch aufrecht er - halten, oder wo es in Abnahme gekommen war, wo moͤglich hergeſtellt werden moͤchte; ſo begreif - lich wird es, wie ſehr dieſe Zwecke natuͤrlicher Weiſe verfehlt werden mußten, ſo bald in der Folge die Mittel, die man dazu veranſtaltet hatte, ſelbſt aus der Art ſchlugen; wie ich nicht nur von den Pfalz - grafen eben erwehnt habe, ſondern bald Gelegen - heit haben werde noch weiter bemerklich zu machen, wie der Einfluß des Hofes in Anſehung der Biſthuͤ - mer und Erzbiſthuͤmer nachher ganz eine entgegen - geſetzte Wendung bekommen hat.

XXIV.
51

Das groͤßte Ungluͤck war, daß mit dem Ver - falle der Schulanſtalten, wie ſie Carl der Große nur zu machen angefangen hatte, die ganze Nation in die aͤußerſte Unwiſſenheit zuruͤckfiel. Woruͤber das Fauſtrecht immer tiefere Wurzeln ſchlug, und unerhoͤrte Sitten allen Wohlſtand verdunkelten. Selbſt1273) Otto der Große a) 936-974. Selbſt das, was bey einer wohl geordneten Ge - richtsverfaſſung nach rechtlichem Gehoͤre beider Theile und nach unpartheyiſcher Pruͤfung der Be - weiſe und in Anwendung zu bringenden Geſetze durch Urtheil und Recht entſchieden werden ſollte, ward jetzt großentheils auf den Ausſchlag des De - gens geſetzt. Sogar der Geſetzgebung Stelle ſollte dadurch vertreten werden. Man ſtritt z. B. uͤber die Frage: ob Enkel in Beerbung ihrer Großeltern mit deren noch lebenden Kindern gleichgeſetzt wer - den ſollten? Es kam in Vorſchlag, zu Pruͤfung dieſer Frage eine Commiſſion niederzuſetzen Otto ſelbſt hielt es aber fuͤr anſtaͤndiger, die Sache durch einen Zweykampf entſcheiden zu laßen; da dann derjenige, der zum Vortheil der Enkel focht, den Sieg davon trug(x)Den Ausſchlag eines ſolchen Kampfes hielt man fuͤr Gottes Urtheil. Eben ſo gut haͤtte Otto die Sache auf das Loos ankommen laßen koͤnnen. Nach der damaligen Denkungsart ſchien das alle - mal weniger bedenklich, als einem willkuͤhrlichen Ausſpruche zu folgen, der zum Abbruche der her - gebrachten Autonomie gereichen konnte. So recht - fertiget Moͤſer dieſes Verfahren Otto des Großen in der Berliner Monathsſchrift 1785. Oct. S. 289..

Seiner eignen Tochter Ehre ließ Otto gegenXXV. uͤble Nachreden eines gewiſſen Grafen auf den Aus - ſchlag eines Zweykampfs ankommen, der zum Gluͤck zu ihrem Vortheile ausfiel. Auch in buͤrgerlichen Rechtshaͤndeln uͤber Geld oder anderes Eigenthum ließ man lieber mit dem Degen fechten, um Par - theyen mit Eidesleiſtungen nicht in Gefahr von Meineid zu ſetzen, wie man ſonſt beſorgte. Unter ſolchen Umſtaͤnden darf man ſich wohl nichtwun -128II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. wundern, wenn hernach der Hang zur Selbſthuͤlfe ſo uͤberhand nahm, daß Gewaltthaͤtigkeiten und Mordthaten in unerhoͤrter Menge vorgiengen.

IV. Von den drey letzten Saͤchſiſchen Kaiſern, Otto dem II. und III., und Henrich dem II. 974-1024.

I. Unveraͤnderte Verfaſſung dieſer Zeit. II. Zwey Herzogthuͤmer in einer Perſon. III. Lothringen aufs neue in Teutſcher Verbindung befeſtiget. IV. Otto des III. Minderjaͤhrigkeit und muͤtterliche und großmuͤtterliche Vor - mundſchaft. V. Realvereinigung des Roͤmiſchen Kaiſer - thums mit dem Teutſchen Reiche. VI. Henrichs des II. neue Vertraͤge mit dem paͤbſtlichen Stuhle. VII. Errich - tung des Biſthums Bamberg.

I.
52

Unter den beiden folgenden Regierungen, da Otto dem Großen Sohn und Enkel gleiches Namens folgten, wie jeder bey Lebzeiten des Va - ters ſchon die Verſicherung der Thronfolge erhal - ten hatte, gieng in der Verfaſſung des Teutſchen Reichs keine Veraͤnderung vor.

II.
52

Von Otto dem II., der nur neun Jahre974 an der Regierung war, verdient nur das bemerk - lich gemacht zu werden, daß ſeines Bruders Sohn Otto, der ſeit 973. Herzog in Schwaben war, im Jahre 976. auch noch das Herzogthum Baiern dazu bekam; Ein Umſtand, der deswegen erheb - lich iſt, weil er zum Beweiſe dient, daß es dem Staatsrechte ſelbiger Zeiten nicht zuwider war, daß ein Fuͤrſt zwey Herzogthuͤmer zugleich beſitzenkoͤn -1294) Letzte Saͤchſ. Kaiſer 974-1024. koͤnne; wie doch in der folgenden Zeit zum Nach - theile der Welfiſchen Familie behauptet werden wollen.

Ein Krieg, der zwiſchen Otto dem II. und demIII. damaligen Koͤnige Lothar von Frankreich von neuem zum Ausbruch kam, hatte vorzuͤglich wieder die Abſicht der Krone Frankreich auf Lothringen zum Gegenſtande; ward aber im Jahre 980. mittelſt perſoͤnlicher Zuſammenkunft beider Monarchen durch einen feierlichen Frieden geendiget. Von deſſen Bedingungen haben wir zwar keine gleichzeitige beſtimmte Nachrichten. Der Erfolg zeigt jedoch, daß die Koͤnige in Frankreich nachher bey allen Gelegenheiten die Teutſchen Koͤnige ferner als recht - maͤßige Beſitzer von ganz Lothringen anerkannt haben. In ſo weit iſt hier der Inhalt der vori - gen Vertraͤge von 843. und 880. von neuem der - geſtalt befeſtiget, daß die Grundlage der jetzigen Graͤnzen von dieſer Seite des Teutſchen Reichs noch immer davon herzuleiten iſt.

Bey Otto dem III. zeigt ſich gleich anfangsIV. ein von der gegenwaͤrtigen Verfaſſung des Teut -983 ſchen Reichs noch ſehr verſchiedener Umſtand, da waͤhrend ſeiner Minderjaͤhrigkeit erſt ſeine Mutter Theophania, und nach deren Tode ſeine Großmut - ter Adelheid die vormundſchaftliche Regierung fuͤhr - te; wovon bisher noch kein Beyſpiel in unſerer Geſchichte vorgekommen war, auch in der Folge nur noch eines in der Minderjaͤhrigkeit Henrichs des IV. vorkoͤmmt. Bey der nachher aufgekom - menen Wahlfreyheit ließ ſich dergleichen in der FolgeJnicht130II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. nicht mehr erwarten. (Unſere neuere Reichsgeſetze(y)Wahlcapitulation Joſephs des I. (1690.) Art. 7. Wahlcap. Carls des VII. und Joſephs des II. Art. 13. §. 9. geben den Reichsvicarien die Adminiſtration des Reichs, im Fall ein minderjaͤhriger Prinz zur kaiſerlichen Regierung gelangen ſollte, doch ſo, daß in deſſen Namen die Ausfertigungen geſche - hen ſollen.)

V.
53

Allem Anſehen nach iſt uͤbrigens zwiſchen Otto dem III. und dem Pabſte Gregor dem V. (der ſei - nes Vaters Schweſter Enkel war,) eine neue Ver - fuͤgung getroffen worden, daß von nun an jedes Oberhaupt des Teutſchen Reichs von ſelbſten be - rechtiget ſeyn ſollte, ſowohl das Longobardiſche Koͤnigreich als das Roͤmiſche Kaiſerthum fuͤr ſich in Anſpruch zu nehmen; ohne daß alſo beides, wie bisher, nur noch an einen gewiſſen Stamm gebunden ſeyn ſollte. Von dieſer Zeit an wurde es alſo eine wahre Realverbindung, welche die Kaiſerkrone auf ewig mit dem Beſitze der Teut - ſchen Krone vereinigte. In der erſten Zeit gab es zwar noch einige Bewegungen daruͤber. Allein die Sache wurde gegen wiederholte Anſpruͤche durch - geſetzt. Daß aber Gregor bey dieſer Gelegen - heit die ſieben Churfuͤrſten zu jedesmaliger Verrich - tung der Kaiſerwahlen ernannt haben ſollte, iſt eine offenbare Erdichtung der folgenden Zeiten.

VI.
53

Schon bey Henrich dem II. ereignete ſich ein1002 Widerſpruch in Italien, weil er kein Nachkoͤmm - ling, ſondern nur ein Seitenverwandter der Ottonenwar,1314) Letzte Saͤchſ. Kaiſer 974-1024. war, und den Teutſchen Thron durch freye Wahl beſtiegen hatte. Gegen Arduin von Ivrea, der ihm die Lombardiſche Krone ſtreitig machte, hatte er Muͤhe aufzukommen. Nach deſſen Tode kam er jedoch zum ruhigen Beſitze. Nur mit dem Pabſte Benedict dem VIII. gieng er deſto nachthei - ligere Bedingungen ein. Derſelbe uͤbergab ihm vorerſt einen goldenen Apfel als ein Sinnbild der Erdkugel, zum Zeichen, daß er als Roͤmiſcher Kai - ſer ſich ſolle ſchmeichlen koͤnnen, Herr der Welt zu ſeyn; aber auch zur Erinnerung, daß er die - ſen Vorzug aus den Haͤnden des Pabſtes empfan - gen habe. Und dann wurde feſtgeſetzt, daß kein Fuͤrſt jemals die kaiſerliche Wuͤrde ſich anmaßen ſollte, wenn ihn nicht der Pabſt erſt dazu tuͤchtig befunden und gekroͤnt haͤtte. So ſieng ſchon Hen - rich das Canzleyceremoniel an, daß er bis zum Empfang der Kaiſerkrone ſich nur Roͤmiſcher Koͤ - nig, nach der Kroͤnung erſt Roͤmiſcher Kaiſer ſchrieb. Hingegen an ſtatt, daß ſeit Carls und Otto des Großen Zeiten keine Pabſtwahl fuͤr rechtmaͤßig an - erkannt worden war, wenn ſie nicht der Kaiſer genehmiget hatte, ſo ward jetzt die Pabſtwahl von dieſer Einſchraͤnkung frey gemacht.

Auch im Teutſchen Kirchenſtaate zeigte ſichVII. endlich unter dieſer Regierung ein bisher nicht ſo bemerklich geweſener Einfluß des paͤbſtlichen Stuhles, da mehr unter deſſelben, als unter des Kaiſers eignem Anſehen das neue Biſthum Bam - berg errichtet wurde; nicht wie bisher unſere Kaiſer und Koͤnige Biſthuͤmer errichtet hatten, wo erſt neue Laͤnder von ihnen erobert und zur Chriſt - lichen Religion gebracht worden waren; ſondernJ 2mit -132II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. mitten in Teutſchland, wo ſchon lange die Kirchen - verfaſſung ihre Einrichtung hatte, und dieſe neue Dioeces erſt anderen Biſchoͤfen entzogen werden mußte. Ueberdies bekam aber dieſes neue Bis - thum ſolche Vorzuͤge und Befreyungen, daß es als ein dem paͤbſtlichen Stuhle unmittelbar unter - gebenes Biſthum von aller erzbiſchoͤflichen Gewalt befreyet, und allen bisherigen Teutſchen Biſthuͤ - mern im Range vorgeſetzt wurde, wie es bis auf den heutigen Tag auf unſerem Reichstage ſeinen Platz unmittelbar nach den Erzbiſchoͤfen behauptet. Noch ſeltſamer iſt es, daß dieſes Biſthum eben die Churfuͤrſten, welche ſich eine Ehre daraus ma - chen, bey der Kaiſerkroͤnung die vier Erzaͤmter des Reichs auszuuͤben, auch zu ſeinen Erbhof - aͤmtern hat; wiewohl damit wieder adeliche Fa - milien von ihnen belehnt ſind.

V. 1335) Conrad der II. 1024-1039.

V. Von Conrad dem II. 1024-1039.

I. Nach Abgang des Saͤchſiſchen Stamms mußte zwar ein neuer Koͤnig gewehlt werden; aber noch war deswegen Teutſch - land kein Wahlreich. II. Art und Weiſe der damaligen Wahl. III. Erhaltene Verbindung mit Italien. IV. V. Vereinigung des Burgundiſchen Reichs mit dem Teutſchen. VI. Ganz anderes Verhaͤltniß mit Italien. VII. Verluſt von Schleswig und Herſtellung der ehemaligen Graͤnze der Eider.

Nach Henrichs des II. Tode war vom bisheri -I. gen Saͤchſiſchen regierenden Stamme kein1024 zur Thronfolge berechtigter maͤnnlicher Nachkoͤmm - ling mehr vorhanden. Alſo war es eine voͤllig freye Wahl, die Conrad den II. auf den Thron erhub; ohne daß jedoch deswegen Teutſchland noch zur Zeit ein Wahlreich war. Jetzt kam vielmehr abermals ein regierender Stamm von dieſem her - zoglich Fraͤnkiſchen Hauſe in Gang. Nur dafuͤr ward auf eben den Fuß, wie es unter den zwey erſten Ottonen ſchon geſchehen war, immer von Vater auf Sohn geſorget, daß dem Sohne ſchon bey Lebzeiten des Vaters die Thronfolge zugeſichert wurde; zumal wenn ſonſt etwa die Minderjaͤhrig - keit oder ein anderer aͤhnlicher Umſtand ein Hinder - niß haͤtte machen koͤnnen.

Von der Art und Weiſe, wie Conrad der II.II. gewehlt wurde, iſt nur noch zu bemerken, daß die Wahl noch nicht von ſieben Churfuͤrſten geſchah, wie doch haͤtte geſchehen muͤßen, wenn obgedachte Erdichtung, daß Gregor der V. die ChurfuͤrſtenJ 3errich -134II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. errichtet habe, Grund gehabt haͤtte. Sie geſchah vielmehr von der ganzen Volksmenge, wie ſie zwi - ſchen Mainz und Worms an beiden Ufern des Rheins gelagert war; alſo auch noch nicht zu Frank - furt am Main. Nur vom Erzbiſchofe von Mainz wird ſchon erwehnt, daß er die erſte Stimme da - bey zu fuͤhren gehabt habe.

III.
53

In Italien fand Conrad der II. wieder aͤhn - liche Schwierigkeiten, wie ſie Henrich der II. gefun - den hatte. Er ſetzte aber auch diesmal die Beybe - haltung der einmal zwiſchen Teutſchland und Italien eingegangenen Verbindung gegen alle Widerſpruͤche durch; wobey es hernach bis auf den heutigen Tag in ſo weit geblieben iſt, daß ſeitdem einem jeden einmal rechtmaͤßig in Teutſchland erwehlten Koͤnige das Recht zur Roͤmiſchen und Longobardiſchen Krone weiter nicht mehr beſtritten worden iſt. Als Conrad der II. die Einwohner von Pavia, die nach Henrichs des II. Tode den dortigen koͤniglichen Pallaſt verwuͤſtet hatten, daruͤber zur Verantwortung zog; ſuchten ſie darin eine Entſchuldigung, daß ſie nach Hen - richs Tode keinen Koͤnig gehabt haͤtten, alſo auch keines Verbrechens einer beleidigten Majeſtaͤt ſchul - dig erklaͤrt werden koͤnnten. Conrad fuͤhrte ihnen aber zu Gemuͤthe, wenn gleich der Koͤnig geſtor - ben, waͤre doch das Reich immer uͤbrig geblieben. Dieſer Grundſatz findet ſeitdem bis auf den heu - tigen Tag ſtatt.

IV.
53

Eine andere Gelegenheit um das Teutſche Reich ſich verdient zu machen benutzte Conrad vor - trefflich, als mit dem Koͤnige Rudolf dem III. von Burgund der Mannsſtamm dieſes Hauſes erloſch. Auf1355) Conrad der II. 1024-1039. Auf dieſen Fall waren zwar ſchon unter der vori - gen Regierung gewiſſe Verabredungen getroffen, die ſich aber mehr auf die perſoͤnliche Abſtammung Henrichs des II. von Rudolfs Schweſter, als auf eine Realverbindung zwiſchen dem Teutſchen und Burgundiſchen Reiche zu beziehen ſchienen. Con - rad mußte erſt mit gewaffneter Hand die Erneue - rung dieſer Verabredung zu ſeinem und des Teut - ſchen Reichs Vortheile bewirken; war auch gluͤck - lich gnug, nach eingetretenem Falle den Beſitz zu ergreifen und ſich wider alle Gegenbemuͤhungen dar - in zu erhalten. Damit wurde nun die Graͤnze des Teutſchen Reichs auch von dieſer Seite wieder bis an die Rhone und Saone, als die ſchon im Verduͤniſchen Vertrage 843. beſtimmten Graͤnzfluͤſſe des Weſtfraͤnkiſchen Reichs, erweitert. Alſo wurde nicht nur die heutige Schweiz nebſt Savoyen, ſon - dern auch Provence und Dauphine, nebſt der Graf - ſchaft Burgund, wie auch Moͤmpelgard und an - dere Gebiete dieſer Gegend von nun an mit dem Teutſchen Reiche vereiniget. Dieſe Vereinigung geſchah aber nicht ſo, wie die Lombardey von de - ren erſter Eroberung her als ein nur unterwuͤrfiges Land behandelt worden war, ohne an Teutſchen Reichsverſammlungen und anderen Indigenatsvor - zuͤgen Theil zu nehmen; ſondern ſo, daß die Staͤnde des Burgundiſchen Reichs den uͤbrigen Teutſchen Reichsſtaͤnden wieder voͤllig gleich gehalten, und ſowohl mit Sitz und Stimme zu ihren Reichs - verſammlungen als zu allen anderen Nationalvor - zuͤgen in gleicher Maaße zugelaßen wurden. So war alſo ſeitdem zwiſchen Burgundiſchen und Teut - ſchen oder auch ehedem Lothringiſchen Staͤnden kein Unterſchied. Ueberall ſtanden Biſchoͤfe, ErzbiſchoͤfeJ 4und136II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. und andere Praͤlaten, ſodann Herzoge, Marggra - fen, Pfalzgrafen, und andere Grafen, wie auch Reichsſtaͤdte oder andere Staͤdte unter einander in einerley Verhaͤltniſſen.

V.
53

Wenn man ſelbſt bis auf den urſpruͤnglichen Umfang der Fraͤnkiſchen Monarchie zuruͤckgehet, ſo war der Zuwachs ſowohl von Burgund als Lothrin - gen in der That nur eine Wiedervereinigung meh - rerer nur von einander abgekommenen Theile eines Ganzen. Deſto natuͤrlicher war es, daß dieſe Voͤlker mit den uͤbrigen Teutſchen nur als von neuem verbruͤdert behandelt wurden. Deſto gruͤnd - licher waren auch die Vortheile, die ſich von die - ſer Wiedervereinigung erwarten ließen. Die Vor - theile waren aber ſelbſt deswegen ungemein be - traͤchtlich, weil dadurch das Teutſche Gebiet jetzt nach Suͤden bis an das Mittellaͤndiſche Meer, wie nach Norden zu an die Nord - und Oſtſee ſich er - ſtreckte. Toulon und Marſeille wurden jetzt Teut - ſche Haͤfen. (Schade nur, daß dieſe Vortheile nicht in ihrer Vollſtaͤndigkeit die folgenden Zeiten hindurch geblieben ſind, weil die Folge der Zeit die wichtigſten Laͤnder dieſer Gegend theils in Fran - zoͤſiſche Haͤnde gebracht, theils in unabhaͤngige Frey - heit geſetzt hat; wie jenes mit Provence, Dau - phine und Franchecomte, letzteres mit der Schweiz der Fall iſt. Doch zehlt die Teutſche Reichsver - ſammlung noch jetzt den Biſchof von Baſel, das Herzogthum Savoyen, die gefuͤrſtete Grafſchaft Moͤmpelgard, ja dem Namen nach ſelbſt den Erz - biſchof von Biſanz noch unter die Mitglieder un - ſers Reichsfuͤrſtenraths.)

Mit1375) Conrad der II. 1024-1039.

Mit der Verbindung, worin Italien mit Teutſch -VI. land ſtehet, hat es uͤberall eine ganz andere Be - wandtniß. Sie hat ſelbſt in Anſehung der Lage, des Himmelsſtrichs und der urſpruͤnglichen Verſchie - denheit der Voͤlker, bey weitem nicht ſoviel natuͤr - liches, als jene Vereinigung mit Burgund und Lothringen. Aber auch was das politiſche Ver - haͤltniß betrifft, iſt unter andern der auffallende Un - terſchied, daß nie weder ein Erzbiſchof noch ein Herzog von Mailand, oder irgend ein anderer Ita - liaͤniſcher Fuͤrſt auf Teutſchen Reichsverſammlun - gen Sitz und Stimme gehabt hat. Der Koͤnig von Sardinien kann wegen Savoyen, aber nicht wegen Piemont einen Comitialgeſandten nach Regensburg ſchicken, weil dieſes zum Longobardiſchen, und nur jenes zum Burgundiſchen Reiche gehoͤret.

Gegen eine ſolche Errungenſchaft, wie ConradVII. der II. mit dem Burgundiſchen Koͤnigreiche gemacht hat, kann man ihm ſchon eine Einbuße zu gut halten, wodurch an einer andern Seite den Graͤnzen des Teutſchen Reichs unter ſeiner Regierung ein engeres Ziel geſetzt worden. Der damalige maͤchtige Koͤnig Canut, der die drey Koͤnigreiche, Daͤnemark, Nor - wegen und England zuſammen beſaß, vermochte Con - raden dahin, daß er ihm die Marggrafſchaft Schles - wig zuruͤckgab, und alſo die Eider, wie ſie es ſchon zu Carls des Großen Zeiten geweſen war, von neuem zur noͤrdlichen Graͤnze des Teutſchen Reichs beſtimm - te. Sie iſt es noch jetzt ſo genau, daß in Rendsburg dieſſeits der Eider noch im Kirchengebete des Kaiſers gedacht wird, hingegen in dem Theile der Stadt, der jenſeits der Eider liegt, nicht mehr.

J 5VI. 138II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.

VI. Von Henrich dem III. 1039-1056.

I. Erweiterte Graͤnze gegen Ungarn. II. Neue Verſuche die kaiſerliche Hoheit wieder empor zu bringen. III. Hergeſtellte Abhaͤngigkeit der Pabſtwahlen vom kaiſer - lichen Hofe; IV. wie auch der Biſchofswahlen. V. Un - terbrochene Erblichkeit der Herzogthuͤmer.

I.
53

Ein Vorfall, der Henrich den III. veranlaßte, einen Zug in Ungarn vorzunehmen, iſt fuͤr unſere Zeiten nur noch deswegen merkwuͤrdig, weil bey dieſer Gelegenheit der Leithafluß zur Graͤnze zwiſchen Oeſterreich und Ungarn feſtgeſetzt wurde, womit die oͤſtliche Graͤnze des Teutſchen Reichs an dem Striche Landes vom Kahlenberge bey Wien bis an die Leitha doch immer einiges Gebiet gewann.

II.
53

Am meiſten zeichnete ſich aber dieſe Regierung dadurch aus, daß ganz andere Entwuͤrfe ſowohl in Anſehung des Kirchenſtaats als der weltlichen Hoheit im Werke waren, womit die kaiſerliche Gewalt wieder ihren hoͤchſten Gipfel zu erreichen ſchien, wenn anders nicht bald darauf ein voͤlli - ger Umſchlag der Sachen einen deſto tiefern Sturz veranlaßt haͤtte.

III.
53

Im Kirchenſtaate wußte Henrich eine damalige dreyfache Trennung des paͤbſtlichen Stuhls ſo gut zu benutzen, daß mit Abſtellung der widrigen Ein - richtung, die unter Henrich dem II. gemacht war, die Pabſtwahl wieder auf den vorigen Fuß geſetztwur -1396) Henrich der III. 1039-1056. wurde, daß keine ohne kaiſerliche Genehmigung gelten ſollte. Nun ward der paͤbſtliche Stuhl ſo gar viermal nach einander mit Teutſchen Biſchoͤ - fen beſetzt; ſchien alſo bald ſelbſt in voͤllige Ab - haͤngigkeit vom kaiſerlichen Hofe zu kommen.

Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe ſollten zwar nachIV. der bisherigen urſpruͤnglichen Verfaſſung von der Geiſtlichkeit und dem Volke gewehlt, und vom Kai - ſer alsdann nur mit Ring und Stab belehnet werden. Allein die Wahlen geſchahen ſelten anders, als nach dem Sinne des kaiſerlichen Hofes; meiſt beſtimmte derſelbe gerade zu, wer alleine die Belehnung zu erwarten habe. So behielt der Kaiſer es in ſei - ner Gewalt, die geiſtlichen Stellen nur an ſolche, die ihm angenehm waren, zu vergeben, und nur ſolche, die ihm zugethan waren, zu jenen Stellen zu befoͤrdern, deren Vorzuͤge auf ſolche Art ſelbſt zu Unterſtuͤtzung der kaiſerlichen Vorrechte und zum Gleichgewichte gegen weltliche Staͤnde mit Nutzen gebraucht werden konnten. Doch auch mit den weltlichen Staͤnden ſuchte Henrich ein ganz anderes Verhaͤltniß aufzubringen.

Bisher war es ſchon haͤufig geſchehen, daßV. Herzogthuͤmer von Vater auf Sohn vererbt, und beynahe als eigenthuͤmliche Laͤnder behandelt worden waren. Jetzt ließ Henrich ganze Herzog - thuͤmer nach Gefallen mehrere Jahre unbeſetzt, wie namentlich mit Kaͤrnthen der Fall war. Oder er ſetzte ab und ein, wie es ihm gut duͤnkte. Einem Herzoge von Baiern nahm er ſein Herzog - thum, und vergab es an ſeinen eignen noch ganzunmuͤn -140II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. unmuͤndigen Prinzen, und nach deſſen Abgang, was noch unerhoͤrter war, an ſeine eigne Gemah - linn. Einer, der in Ober - und Niederlothrin - gen zugleich Herzog war, wuͤnſchte vergeblich, beide Herzogthuͤmer auf ſeine zwey Soͤhne zu bringen. In Niederlothringen ſetzte Henrich Frie - derichen von Luͤxenburg, in Oberlothringen Albrecht von Elſaß zum Herzoge. (Von des letztern Bruders Sohne ſtammten hernach alle fernere Herzoge von Lothringen ab, in gerader maͤnnli - cher Linie fort bis auf Vater und Sohn, Franz und Joſeph den II.)

VII. 1417) Henrich der IV. 1056-1106.

VII. Vorbereitungen zu großen Revolutionen im Staate und in der Kirche unter Henrich dem IV. 1056-1106.

I. Unter der Minderjaͤhrigkeit Henrichs des IV. ver - einigte Bemuͤhungen des Pabſtes und Teutſcher Mißvergnuͤg - ten, um die kaiſerliche Macht mehr einzuſchraͤnken. II. Vorbereitungen hierzu von Hildebrand, nachherigem Gre - gor dem VII. III. Untergrabene Abhaͤngigkeit der Pabſt - wahlen vom Kaiſer. IV. Angriff auf das kaiſerliche Recht die Biſchoͤfe mit Ring und Stab zu belehnen. V. VI. Verbot der Prieſterehe. VII. In Gang gebrachte Excommunication des Kaiſers. Abſicht Teutſchland in ein freyes Wahlreich zu verwandeln. VIII. IX. Zuſam - menhang des hiebey vor Augen gehabten Entwurfes eines ganz neuen Staats - und Voͤlkerrechts: von zwey ſichtbaren Haͤuptern der Welt, Pabſt und Kaiſer; aber jener uͤber alles. X-XV. Großer Antheil, den an allem dem die um dieſe Zeit in Gang gebrachten Kreuzzuͤge bekommen haben.

Alles, was Henrich der III. gethan und verſuchtI. hatte, um die kaiſerliche Gewalt wieder em - por zu bringen, bekam bald eine ganz entgegen - geſetzte Wendung, da nach Henrichs des III. nur zu fruͤhzeitigem Tode ſein Sohn Henrich der IV. als ein unmuͤndiger Prinz zur Regierung kam, deſ - ſen muͤtterliche Vormundſchaft nicht im Stande war, eine Revolution zu verhindern, von welcher der groͤßte Theil der nachherigen Verfaſſung ab - haͤngt, wie ſie meiſt noch jetzt iſt. Zwey maͤch - tige Triebfedern waren es, die auf dieſe Revolu - tion bald wechſelsweiſe bald zu gleicher Zeit wirk - ten: eine von Rom aus, eine von einheimiſchenMiß -142II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Mißvergnuͤgten. Beide waren einander gegenſei - tig befoͤrderlich, und liefen am Ende auf einerley Hauptzweck hinaus, der kaiſerlichen Macht weit engere Graͤnzen zu ſetzen.

II.
53

Zu Rom lebte um dieſe Zeit ein Mann, dem es vorbehalten zu ſeyn ſchien, die Iſidoriſchen Grund - ſaͤtze, denen es bisher noch großentheils an ihrer Ausfuͤhrung fehlte, erſt recht vollkommen, und ge - wiß noch weit uͤber ihre eigentliche Abſicht hinaus, in Gang zu bringen. Sowohl den paͤbſtlichen Stuhl als alle Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe ohne Ausnahme, ja den geſammten geiſtlichen Stand aus aller Ab - haͤngigkeit vom Kaiſer und von allen weltlichen Maͤchten los zu machen; den weltlichen Stand hingegen, vom Bauern bis zum Monarchen hin - auf, in voͤllige Unterwuͤrfigkeit unter die geiſtliche Gewalt zu ſetzen; das war das Hauptziel aller Entwuͤrfe, die Hildebrand ſchon von langer Hand machte, da er anfangs nur noch als Rathgeber anderer Paͤbſte hinter dem Vorhange arbeitete, bis er zuletzt den paͤbſtlichen Stuhl ſelbſt beſtieg, und nunmehr als Gregor der VII. erſt uͤberall recht die letzte Hand anlegte.

III.
53

Das erſte, was in dieſer Abſicht vorbereitet werden mußte, betraf ſelbſt die Pabſtwahl. Um dieſe Wahl erſt bloß in geiſtliche Haͤnde zu brin - gen, erſchien vorerſt ſchon im Jahre 1059. eine Verordnung, die den Weg dazu bahnte, daß nicht, wie bisher, das Volk und die geſammte Geiſtlich - keit zu Rom, ſondern nur die Cardinaͤle (ſo nannte man in der Folge diejenigen Praͤlaten, die als Bi - ſchoͤfe zu der Roͤmiſchen Kirche eignem Sprengelgehoͤr -1437) Henrich der IV. 1056-1106. gehoͤrten, oder zu der paͤbſtlichen Hauptkirche in gleichem Verhaͤltniſſe, wie unſere Domherren zu den biſchoͤflichen oder erzbiſchoͤflichen Kirchen, ſtehen) den Pabſt wehlen ſollten. Dabey konnte man die Vorrechte, die nach der bisherigen Verfaſſung dem jedesmaligen Kaiſer bey der Pabſtwahl zuſtanden, nicht ganz verkennen. Man nahm ſie aber auf den Fuß, als ob ſie ein jeder Kaiſer nur fuͤr ſeine Perſon in Geſtalt einer beſonderen Begnadigung vom paͤbſtlichen Stuhle erlangen muͤßte. In der Minderjaͤhrigkeit Henrichs des IV. und in den uͤbri - gen damaligen Zeitumſtaͤnden fanden ſich nur zu viele Reizungen, um ſchon damals den Verſuch zu machen, den paͤbſtlichen Stuhl ohne Genehmigung des kaiſerlichen Hofes zu beſetzen; Einen Verſuch, der ſelbſt im Widerſpruche gleich das erſtemal gluͤcklich durchgeſetzt wurde, da die verwittwete Kaiſerinn Agnes zwar dem auf ſolche Art gewehl - ten Pabſte Alexander dem II. einen andern unter dem Namen Honorius der II. entgegenſetzen ließ, dieſer aber jenem weichen mußte, nachdem ſelbſt der Kaiſerinn inzwiſchen ihr eigner Prinz aus den Haͤnden geſpielt, und ihre vormundſchaftliche Re - gierung daruͤber geſtuͤrzt worden war.

Um auch andere biſchoͤfliche und erzbiſchoͤflicheIV. Stellen von allem Einfluſſe zu befreyen, den bis - her weltliche Maͤchte auf ihre Beſetzung gehabt hatten, ward erſt von langer Hand her der Miß - brauch geruͤget, da ſo haͤufig dergleichen Stellen mit Geld erkauft waren, dergleichen Simonie bey Ver - luſt der Pfruͤnde verboten wurde. Bald hernach ward darauf das allgemeine Verbot aller Inveſti - tur mit Ring und Stab gebauet.

Mit144II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
V.
53

Mit allem dem vereinigte ſich endlich das all - gemeine Verbot der Prieſterehe, das vollends am wirkſamſten war, um den ganzen geiſtlichen Stand uͤber alle Verbindung mit dem weltlichen Stande voͤllig hinauszuſetzen. Bisher thaten nur Moͤnche und Ordensleute das Geluͤbde eines ehe - loſen Standes. Mit anderen Geiſtlichen, Biſchoͤ - fen, Pfarrern, Domherren oder anderen Stifts - herren hatte es, verſchiedener aͤlteren und neueren Verordnungen ungeachtet, noch nicht dahin gebracht werden koͤnnen, daß ſie nicht haͤufig verheirathet geweſen waͤren, oder doch Beyſchlaͤferinnen gehal - ten haͤtten. So großen Widerſtand es auch jetzt fand, als nach dem Hildebrandiſchen Entwurfe allen Geiſtlichen ohne Unterſchied ein unwiederrufliches Geluͤbde einer beſtaͤndigen Eheloſigkeit zugemuthet wurde; ſo gluͤcklich wurde es doch am Ende durch - geſetzt. Eben damit ward aber auch das große Gebaͤude der Hierarchie erſt recht zu ſeiner Vollkom - menheit gebracht, weil nunmehr ein jeder Geiſtlicher, von welcher Gattung er auch ſeyn mochte, kein groͤßer Intereſſe in der Welt haben konnte, als das Ueber - gewicht ſeines Standes nur bey ſeinem Leben moͤg - lichſt zu benutzen. Fuͤr eigne Familie und recht - maͤßige Nachkommenſchaft hatte er jetzt weiter nicht zu ſorgen. Keine weltliche Obrigkeit konnte ihm nunmehr weiter befoͤrderlich ſeyn. Je hoͤher hin - gegen die Vorzuͤge des geiſtlichen Standes uͤber - haupt nun noch hinauf getrieben werden konnten, je mehr konnte er ſich ſchmeicheln, daß es auch ihm zu ſtatten kommen koͤnnte. Waren alſo bisher nur Ordensgeiſtliche der Welt abgeſtorben, und nur ihrem Orden zugethan, ſo galt eben das jetzt von allen Geiſtlichen ohne Unterſchied.

Der1457) Henrich der IV. 1056-1106.

Der Erfolg hat nur zu ſehr gezeigt, wie ge -VI. nau erſt dadurch dieſer geſammte Stand unter ſei - nem gemeinſamen Oberhaupte unter einander ver - kettet worden iſt. Nimmt jeder Soldat Theil dar - an, wenn der Kriegsſtaat in einem Lande vermehrt, oder mit groͤßerer Achtung behandelt wird; ſo iſt das noch nichts gegen die Theilnehmung eines jeden Geiſtlichen an den gemeinſamen Vorzuͤgen ſeines Standes, dem er in Colliſionsfaͤllen ſelbſt das In - tereſſe ſeiner Eltern und Verwandten ohne große Muͤhe aufopfern wird. Sobald er vollends Kirche und Staat in eben dem Verhaͤltniſſe, wie Seele und Leib, oder wie das Ewige und Zeitliche, gegen einander ſchaͤtzen zu muͤßen glaubt; ſo wird er das Wohl der Kirche noch als einen weit hoͤhern Grundſatz uͤber das Wohl des Staats gelten laßen. In der beſten Meynung wird er dann letzteres dem erſtern aufopfern. Was konnte aber ſicherer eine ewige Scheidewand zwiſchen Staat und Kirche be - feſtigen, als die allgemeine Eheloſigkeit des geiſt - lichen Standes, die ſelbſt das natuͤrliche Band der Blutsverwandtſchaft reiſſen mußte; geſchweige dann, daß irgend ein Verhaͤltniß im Staate da - wider ein Gegengewicht zu bewirken vermoͤgend ge - weſen waͤre?

Ein wichtiger Schritt, um alles dieſes, undVII. was ſich noch irgend damit in Verbindung ſetzen ließ, geltend zu machen, beſtand in dem Kirchen - bann, den von allen Teutſchen Kaiſern das erſte - mal Henrich der IV. uͤber ſich ergehen laßen mußte. Unter anderen Umſtaͤnden wuͤrde derſelbe vielleicht wenig Eindruck gemacht haben. Aber Gregor der VII. nahm hierzu ſeine wohl uͤberlegte ZufluchtKgera -146II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. gerade um die Zeit, als der groͤßte Theil von Teutſch - land ohnedem wider ihn aufgebracht war. Theils hatten uͤberhaupt die Sachſen zu dieſer Fraͤnki - ſchen Regierung kein rechtes Herz. Theils ſieng ein gegenſeitiges Mißtrauen ſchon an, in oͤffent - liche Gaͤhrungen auszubrechen. Daruͤber kam es zu einem foͤrmlichen buͤrgerlichen Kriege, der ge - wiſſermaßen damit feierlich eroͤffnet ward, daß un - ter Anfuͤhrung eines paͤbſtlichen Botſchafters an ſtatt des mit dem Kirchenbanne belegten und der Regierung unfaͤhig erklaͤrten Kaiſers Henrichs des IV. ein anderer Fuͤrſt auf den kaiſerlichen Thron erho - ben werden ſollte; mit der ausdruͤcklich zugleich erklaͤrten Abſicht, daß von nun an nicht mehr, wie bisher, ein regierender koͤniglicher Stamm zur Krone berechtiget ſeyn, ſondern bey jeder Erledi - gung des Thrones, wenn derſelbe auch von Va - ter auf Sohn gehen wuͤrde, dieſer doch nicht aus einem Erbfolgsrechte, ſondern nur mittelſt freyer Wahl dazu gelangen ſollte. Kurz: von nun an ſollte aller Schatten eines Erbreichs aufhoͤren, und Teutſchland nebſt dem Roͤmiſchen Kaiſerthume in ein voͤllig freyes Wahlreich verwandelt werden.

VIII.
53

Wenn ſich das alles durchſetzen ließ, ſo war auf der einen Seite keine weltliche Macht der geiſt - lichen Gewalt mehr gewachſen, und auf der andern Seite ſchien ſelbſt das Intereſſe der Teutſchen Reichsſtaͤnde, ſowohl der weltlichen als der geiſt - lichen, in eben dem Verhaͤltniſſe zu gewinnen, wie die kaiſerliche Macht geſchwaͤcht wurde. In ſo weit konnte es nicht fehlen, daß dieſe beide Triebfedern einander freundſchaftlich die Hand bieten mußten.

Dann1477) Henrich der IV. 1056-1106.

Dann mochte nun immer dem Kaiſer die Ein -IX. bildung gelaßen werden, daß er als Nachfolger der ehemaligen Roͤmiſchen Kaiſer, wie ſelbige ſich hatten ſchmeichlen laßen, Herr der Welt ſey. So ließ ſich ſelbſt ein ſcheinbares Lehrgebaͤude auf - fuͤhren, daß zwey ſichtbare Oberhaͤupter der Welt von Gott angeordnet waͤren, ein geiſtliches, unter dem alle Biſchoͤfe und Erzbiſchoͤfe mit ihren untergebenen Geiſtlichen ſtaͤnden, und ein weltli - ches, das uͤber alle Koͤnige und Fuͤrſten gehe. Nur durfte nicht dabey außer Acht gelaßen werden, daß alle weltliche Gewalt zur geiſtlichen ſich ſo, wie der Leib zur Seele, das Zeitliche zur Ewigkeit, der Mond zur Sonne, verhalte. So vereinigte ſich doch am Ende der hoͤchſte Gipfel aller menſch - lichen Gewalt in der uͤber alles erhabenen Macht des Roͤmiſchen Biſchofs, oder, wie nun ihm al - leine dieſer Name eigen wurde, des Pabſtes(z) Vorher war der Name Pabſt gemeiner Name aller Biſchoͤfe. Gregor nahm ſich denſelben ganz eigenthuͤmlich; und ein Schriftſteller des damaligen Zeitalters braucht ſchon den Ausdruck: das Wort Pabſt in der mehreren Zahl ſey eben ſo gotteslaͤſterlich, als den Namen Gottes in der mehreren Zahl zu gebrauchen. Spittlers Geſch. der Chriſtl. Kirche (Aufl. II. 1785.) S. 220. Ein leſenswuͤrdiger Vorſchlag, den Titel: Fuͤrſtbiſchof zu Rom, gaͤng und gaͤbe zu machen, findet ſich in Schloͤzers Staatsanzeigen B. 5. Heft 19. S. 265-273..

Wuͤrklich waren alle dieſe Entwuͤrfe zu großX. und zu weit umfaſſend, als daß ſie auf einmal und nur durch einerley ganz einfache Mittel haͤtten zur Vollziehung gebracht werden koͤnnen. War aberirgendK 2148II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. irgend noch ein Mittel, das zu eben dem Zwecke mit fuͤhren konnte, fuͤr die dabey intereſſirten Theile erwuͤnſchlich; ſo kam keines dem gleich, das um eben dieſe Zeit noch vor dem Beſchluſſe der Regie - rung Henrichs des IV. mit den bekannten Kreuz - zuͤgen in Gang gebracht wurde.

XI.
54

Kaum laͤßt ſich zwar vom wahren Geiſte der Chriſtlichen Religion, die Gott nur im Geiſte und in der Wahrheit angebetet wiſſen will, etwas ent - fernters gedenken, als daß gottesdienſtliche Hand - lungen, nachdem ſie an dieſem oder einem andern Orte ausgeuͤbet werden, Gott wohlgefaͤlliger ſeyn ſollten, und daß gegen unglaͤubige Voͤlker, nur um ihnen ſolche Orte, wo Chriſtus ſichtbar gelebt, zu entreiſſen, die Waffen ergriffen werden ſollten. Inzwiſchen war das nun einmal ſchon lange ein - gefuͤhrte Volksgeſinnung, daß Wallfahrten an Orte, die der Aufenthalt heiliger Perſonen oder das An - denken geſchehener Wunderthaten ſchaͤtzbar mache, Gott vorzuͤglich gefallen muͤßten, und daß Men - ſchen ſich ſelbſt um Gott verdient machen koͤnnten, wenn ſie ihm zu Ehren das Schwerdt gegen Unglaͤu - bige zuckten. So laͤßt ſichs begreifen, wie ſchon von langen Zeiten her Teutſche und andere Europaͤiſche Chriſten tauſendweiſe vorzuͤglich ihre Wallfahrten nach Palaͤſtina gerichtet, um zu Bethlehem, Na - zareth, Jeruſalem, als an den Orten, wo Chri - ſtus ſelbſt gelebt und gelitten, ihre Andacht zu ver - richten; und wie zu einer Zeit, da dieſen Wall - fahrten von einer in ſelbige Gegenden neu vorge - ruͤckten Nation mehrere Schwierigkeiten in Weg gelegt worden, ſolche ungeheure Zuͤge in Gang gebracht werden koͤnnen, daß in weniger als zweyhun -1497) Henrich der IV. 1056-1106. hundert Jahren uͤber ſechs Millionen Menſchen, wovon nur wenige zuruͤckgekommen, ſich dahin ſprengen laßen.

Wenn man hieruͤber weiter nachdenkt, und tie -XII. fer auf die Quellen zuruͤckgehet, die ſolche Folgen ſowohl fuͤr die Teutſche als anderer Europaͤiſchen Voͤlker Verfaſſung hervorbringen koͤnnen; ſo war der erſte Grundſatz, wovon man ausgieng, daß es hier nicht um einen Krieg zu thun ſey, der um Zwiſtigkeiten dieſer oder jener Voͤlker oder um An - ſpruͤche auf dieſe oder jene Laͤnder, als bloß welt - liche und zeitliche Angelegenheiten mehrerer oder weniger Menſchen gefuͤhret werden ſollte, ſondern um einen Krieg, worin ſelbſt Gottes und Chriſti eigene Sache zu verfechten ſey, der alſo unmittel - bar geiſtliche Gegenſtaͤnde und ewige Belohnungen zur Abſicht habe. Daraus zog man den Folgeſatz, daß, wenn die Theilnehmung an dieſem heiligen und fuͤr Gottes Sache zu fuͤhrenden Kriege mit irgend bloß menſchlichen Verbindlichkeiten und Ver - haͤltniſſen in Colliſion kaͤme, allenfalls Gott mehr als Menſchen zu gehorchen ſey; daß alſo weder Obrigkeit, noch Lehnherrſchaft, noch Leibeigenſchaft, noch irgend ein Stand oder Geluͤbde, noch Ver - haͤltniß zwiſchen Herren und Unterthanen, Eltern und Kindern, Mann und Frau, Glaͤubiger und Schuldner, jemanden davon zuruͤckzuhalten mit Recht vermoͤgend ſey.

Dann hieß es ferner, ein ſolcher Krieg ſeyXIII. nicht unter Befehlshabung irgend einer weltlichen Macht, ſondern nur nach Vorſchrift des Statt - halters Chriſti, unter deſſen oberſter Aufſicht zuK 3fuͤh -150II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. fuͤhren. So bekam der Pabſt das Heft in die Haͤnde, um allen Chriſtlichen Voͤlkern Geſetze vor - ſchreiben zu koͤnnen, und um Kaiſer und Koͤnige und Fuͤrſten und Edle nach Gutfinden zu entfer - nen, ſo oft ihre naͤhere Anweſenheit nur den Ab - ſichten des paͤbſtlichen Stuhls im Wege zu ſtehen ſchien. Was haͤtte aber kraͤftiger wirken koͤnnen, als auf ſolche Art die Lenkung aller weltlichen Maͤchte in ſeiner Gewalt zu haben, und auf alle Faͤlle ſo - wohl die Macht der Koͤnige und Fuͤrſten als den Kern ganzer Voͤlker und Staaten zu entkraͤften?

XIV.
54

Freylich hatten dieſe Zuͤge auf der andern Seite in der Folge wieder heilſame Wirkungen, da eine ſolche Gemeinſchaft zwiſchen abend - und morgen - laͤndiſchen Gegenden aus letzteren in jene mehr Kenntniſſe und Geſchicklichkeiten verbreitete, und neue Reizungen und Gegenſtaͤnde zur Schifffahrt und Handlung an die Hand gab. Aber das ent - ſtand dann doch ganz unabſichtlich daraus, ohne daß es zum eigentlichen Entwurfe und Hauptzwecke gehoͤrte. Auch zeigten ſich ſolche heilſame Folgen meiſt erſt in entfernteren Zeiten, und nach Art der goͤttlichen Vorſehung, wie ſolche ganz uͤber alle Er - wartung oft Boͤſes noch zum Guten zu lenken weiß. Allemal waren es fuͤr diejenigen, denen es zu gute kam, ſehr theuer erkaufte Vortheile.

XV.
54

Alles das zeigte nun zwar noch nicht gleich un - ter Henrich dem IV. ſeine volle Wirkung, auch nach - her nicht zu gleicher Zeit auf einmal, ſondern ſo, wie in der Natur die meiſten Veraͤnderungen bey - nahe unbemerkt und nur ſtuffenweiſe hervorgebracht werden. Aber die wirkende Kraft blieb doch nieunthaͤ -1518) Henrich der V. 1106-1125. unthaͤtig; und ſo kam eine Staatsveraͤnderung nach der andern zum Vorſchein, ſo wie ſie nach den Zeitlaͤuften und Umſtaͤnden zur Reife gedeihen konnten.

VIII. Erfolg großer Veraͤnderungen unter Henrich dem V., erſtlich in Anſehung der Kirche 1106-1125.

I. Concordat zwiſchen Henrich dem V. und Calixt dem II., II. vermoͤge deſſen der Kaiſer zwar die Belehnung mit Ring und Stab verlohr, III. aber doch jeden erwehlten Biſchof mittelſt Scepters belehnen, und ſtreitige Wahlen entſcheiden ſollte. IV. Doch auch dieſes letztere Recht iſt den Kaiſern nachher aus den Haͤnden geſpielt worden. V-VIII. Die Biſchofswahlen ſelbſt kamen ausſchließlich an die Domcapi - tel, die inzwiſchen ihr Moͤnchsleben verlaßen hatten, und nach eingefuͤhrter Ahnenprobe meiſt nur aus Adelichen beſtanden; IX. jetzt auch anfiengen den Biſchoͤfen Wahl - capitulationen vorzulegen, und in der Sedisvacanz zu regie - ren. X. So wurden Biſthuͤmer und Domherrenpfruͤnden meiſt nur Stiftungen fuͤr hohen und niedern Adel. XI. Eben ſolche Veraͤnderungen gab es in der Kloſterzucht. Neue Moͤnchsorden. XII. Geiſtliche Ritterorden.

Den erſten Abſchnitt von dem, was von denI. bisherigen Entwuͤrfen und daraus erwachſe -1122 nen Streitigkeiten zur Entſcheidung kam, machte ein Vergleich (Concordat), ſo im Jahre 1122. zwiſchen dem Kaiſer Henrich dem V. und dem Pabſte Calixt dem II. uͤber die Inveſtitur der Biſchoͤfe - geſchloſſen wurde; ein Vergleich, der von Rechts wegen noch jetzt zur Richtſchnur des Ver - haͤltniſſes der kaiſerlichen und paͤbſtlichen Rechte bey Beſetzung der Teutſchen Biſthuͤmer dienen ſollte. K 4In152II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. In der That iſt dieſes Concordat auch noch immer als eines der erſten Grundgeſetze anzuſehen, die noch bis auf den heutigen Tag ihre Wirkſamkeit behalten haben; eben deswegen noch jetzt der Muͤhe werth, naͤher erkannt zu werden; obgleich nicht alles mehr nach dem erſten urſpruͤnglichen Sinne deſſelben in wuͤrklicher Uebung iſt.

II.
54

Die Belehnung mit Ring und Stab, als geiſtlichen Sinnbildern der Vermaͤhlung eines Bi - ſchofs mit der Kirche und der hirtenmaͤßigen Pflege derſelben, mußte der Kaiſer gaͤnzlich fahren laſ - ſen(a) Ego Henricus dimitto (hieß es) omnem inueſtituram per annulum et baculum, et concedo in omnibus eccleſiis fieri electionem et liberam conſecrationem.; wie bis jetzt weder der Kaiſer noch irgend eine andere catholiſche weltliche Macht dergleichen mehr in Uebung hat. Weil aber unſere Teutſche Praͤlaten zugleich Land und Leute mit Regalien be - ſitzen, die ſie vom Kaiſer zu Lehn tragen; ſo ſollte jeder erwehlter Biſchof daruͤber die Belehnung mit - telſt eines Scepters vom Kaiſer empfangen(b) Electus regalia per ſceptrum a te re - cipiat. So erklaͤrte ſich hinwiederum Calixt ge - gen Henrich den V. . Ich ſage, jeder erwehlter Biſchof. Denn dieſe Wahlen ſollten jedem Stifte frey bleiben. Nur ſollte der Kaiſer das Recht behalten, daß die Wah - len in ſeiner Gegenwart geſchehen muͤßen, (wie noch jetzt deswegen kaiſerliche Geſandten zu Bi - ſchofswahlen geſchickt zu werden pflegen.) Und dann ſollte der Kaiſer, wenn eine Wahl ſtreitig ausfiele, ſolche Streitigkeiten mit Zuziehung desErz -1538) Henrich der V. 1106-1125. Erzbiſchofs und der uͤbrigen Biſchoͤfe eben der Provinz zu entſcheiden berechtiget ſeyn(c) Ego Calliſtus concedo electiones epi - ſcoporum et abbatum Teutonici regni in prae - ſentia tua fieri, vt, ſi qua discordia emerſerit, metropolitani et prouincialium conſilio vel iudi - cio ſaniori parti aſſenſum et auxilium praebeas. Das ſind die Hauptworte dieſes Concordats. Schmauß corp. iur. publ. S. 2..

In den Worten: erwehlter Biſchof, lag des -III. wegen noch ein beſonderer Nachdruck, weil nach der Wahl ein jeder Biſchof noch einer paͤbſtlichen Beſtaͤtigung bedurfte, vor deren Empfange er eigent - lich noch nicht den Titel: Biſchof, ſondern nur erwehlter Biſchof oder kurz weg: Erwehlter, (electus) fuͤhren durfte. Indem es alſo hieß: der erwehlte Biſchof ſollte die Belehnung vom Kaiſer ſuchen, ſo verſtand ſich das von jedem er - wehlten noch nicht vom Pabſte beſtaͤtigten Biſchofe. Alſo mußte nach dem Sinne dieſes Concordates ein jeder Biſchof unmittelbar nach der Wahl ſich zuerſt an den Kaiſer, um belehnt zu werden, und dann erſt an den Pabſt, um die Beſtaͤtigung zu er - langen, wenden. Folglich war es dann auch ganz natuͤrlich, daß ſtreitige Biſchofswahlen nicht an den Pabſt, ſondern an den Kaiſer zur Entſchei - dung gelangten. Der Pabſt mußte hernach denje - nigen, den der Kaiſer belehnt hatte, auch in ſeiner geiſtlichen Wuͤrde beſtaͤtigen. So behielt der Kai - ſer doch noch immer einen betraͤchtlichen Einfluß in die Beſetzung der Teutſchen Biſthuͤmer, indem er nur ſolchen Competenten, die nach ſeinem Sinne waren, die Belehnung gab, und nicht ſelten nochimmerK 5154II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. immer Biſthuͤmer nur nach ſeinem Gutfinden be - ſetzte.

IV.
57

(Doch ſo blieb die Sache kaum noch hundert Jahre. Da hernach ſelbſt einige Kaiſerwahlen ſtreitig ausfielen, und von zwey Herren, deren jeder ſich die Kaiſerwuͤrde zueignete, in ebenmaͤßig vor - gefallenen ſtreitigen Biſchofswahlen der eine dieſem, der andere einem andern die Belehnung ertheilen, und damit die biſchoͤfliche Wuͤrde zuwenden wollte; ſo trat der Pabſt ins Mittel, und eignete ſich die Entſcheidung zu; mit ſo gluͤcklichem Erfolge, daß ſeitdem ein ganz umgekehrtes Herkommen bis auf den heutigen Tag daraus erwuchs. Denn nun - mehr hat ein Teutſcher Biſchof nicht unmittelbar nach ſeiner Wahl, ſondern erſt nach erhaltener paͤbſtlicher Beſtaͤtigung die Belehnung beym Kai - ſer zu ſuchen, wozu ſelbſt ein paͤbſtliches Schrei - ben ihn dem Kaiſer empfiehlt. Wenn alſo jetzt, wie noch vor einigen Jahren der Fall zu Luͤttich war, in einer ſtreitigen Wahl ein Theil z. B. einen Saͤchſiſchen Prinzen, ein anderer einen Grafen von Outremont wehlet; ſo wird die Entſcheidung nicht erſt vom Kaiſer, ſondern nur vom Pabſte erwartet. Derjenige, den der Pabſt beſtaͤtiget, ſieht es jetzt als ein ausgemachtes Recht an, daß ihm nunmehr auch die kaiſerliche Belehnung nicht verſagt wer - den kann. So hat der Pabſt uͤber den Kaiſer, die geiſtliche Macht uͤber die weltliche, auch in dieſem Stuͤcke, zwar nicht auf einmal, aber doch in Gefolg eines von langer Hand gemachten, nie außer Acht gelaßenen Entwurfs, am Ende den Sieg davon getragen.)

Da1558) Henrich der V. 1106-1125.

Da ich einmal von Biſchofswahlen ſpreche,V. kann ich hier am fuͤglichſten bemerklich machen, daß auch in den Wahlen ſelbſt von dieſer Zeit an ſich eine Veraͤnderung entſpann, die bis auf den heutigen Tag ihren Fortgang behalten hat. Nehm - lich nach der urſpruͤnglichen Beſtimmung eines Bi - ſchofs, da ihm die Seelſorge oder doch eine Auf - ſicht uͤber diejenigen, die zur Seelſorge und zum Gottesdienſte beſtimmt waren, anvertrauet ſeyn ſollte, war es, der Billigkeit und der Natur der Sache ſehr gemaͤß, einer jeden Gemeinde oder der geſammten Geiſtlichkeit und dem ganzen Volke, woruͤber der Biſchof geſetzt werden ſollte, uͤber - laßen, einen ihnen anſtaͤndigen Mann, bis zur Genehmigung der hoͤchſten Gewalt, dazu zu weh - len. Alſo war es nicht der Clerus alleine, der zu wehlen hatte, ſondern die Buͤrgerſchaft der Stadt, worin der Biſchof ſeinen Sitz hatte, und die Rit - terſchaft des ganzen Sprengels, dem der Biſchof vorſtehen ſollte, waren berechtiget, an der jedesmali - gen Biſchofswahl Theil zu nehmen. Selbſt, was die Geiſtlichkeit betrifft, war nicht, wie jetzt, bloß eine gewiſſe Anzahl Domherren, die unmittelbar zur biſchoͤflichen Hauptkirche mit gehoͤrten, ſondern die ganze Cleriſey der Stadt und des Landes zu glei - cher Theilnehmung an jeder Wahl berechtiget.

Es war aber vorerſt mit den Domherren nachVI. und nach in den meiſten Biſthuͤmern eine merk - liche Veraͤnderung vorgegangen. Seit Ludewigs des Frommen Zeiten ſollten ſie eigentlich, nach der von einem gewiſſen Biſchof Chrodogang zu Metz aufgebrachten Regel, auf aͤhnliche Art, wie Moͤnche, ein gemeinſames Leben fuͤhren, beyſam -men156II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. men wohnen, an einem Tiſche eſſen, in einem Hauſe ſchlafen u. ſ. w. Verſchiedene biſchoͤfliche Kirchen waren ſelbſt urſpruͤnglich mit Benedicti - ner-Moͤnchen beſetzt(d)In Teutſchland kann man wenigſtens ſie - ben Domkirchen zehlen, deren Geiſtliche erſt Moͤn - che waren, nehmlich Freiſingen, Salzburg, Uetrecht, Eichſtaͤdt, Wuͤrzburg, Bremen und Regensburg. Abele Magazin fuͤr Kirchenrecht und Kirchenge - ſchichte St. 1. (Lpz. 1778. 8.) S. 80. Auch dem Biſchofe zu Ratzeburg ward eine Congregation von 12. regulaͤren Capitularen zugeordnet, welcher Pabſt Hadrian der IV. (1157.) die Regel des heil. Auguſtins nebſt dem Praͤmonſtratenſer-Habit vorſchrieb, und das freye Wahlrecht ertheilte. Fried. Aug. Rud - loffs pragmatiſches Handbuch der Mecklenburgi - ſchen Geſchichte Th. 1. (Schwerin 1780. 8.) S. 161.. Allmaͤlig kam es aber in einem Biſthume nach dem andern dahin, daß an ſtatt der gemeinſchaftlichen Wohnung und Ta - fel ein jeder Domherr ſeine eigne Einkuͤnfte zog, ſeine eigne Wohnung nahm, ſeine eigne Wirth - ſchaft fuͤhrte, und alſo ſeine Pfruͤnde nach Gutfin - den benutzte, auch ſelbſt die ihm obliegenden got - tesdienſtlichen Handlungen durch andere (Vicarien) an ſeiner Stelle verrichten ließ. Nur allgemeine Geſammtangelegenheiten blieben collegialiſchen Zu - ſammenkuͤnften und Berathſchlagungen vorbehal - ten, die dann bey verſammeltem Capitel gehal - ten wurden. In ſolcher Abſicht war von Zeit zu Zeit die perſoͤnliche Anweſenheit (Reſidenz) eines jeden Domherrn erforderlich. So entſtand unge - faͤhr die erſte Grundlage der Verfaſſung unſerer heutigen Domcapitel.

VII.
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Sowohl die Pfruͤnden der Domherren als die biſchoͤflichen Einkuͤnfte waren in den meiſten Stif -tern1578) Henrich der V. 1106-1125. tern ſo betraͤchtlich, daß nicht nur um Biſthuͤmer und andere Praͤlaturen, ſondern auch um domherr - liche Pfruͤnden die edelſten Geſchlechter von hohem und niedern Adel ſich bewarben. Wo es nur irgend die Umſtaͤnde und Zeitlaͤufte beguͤnſtigten, wurden bald Stiftsgeſetze (Statute) zum ausſchließ - lichen Vortheile des Adels errichtet, daß niemand, als wer eine gewiſſe Anzahl adelicher Ahnen be - weiſen koͤnne, zu Domherrenſtellen, geſchweige gar zur biſchoͤflichen Wuͤrde zugelaßen werden ſollte. Auf ſolche Art vereinigte ſich ein gewiſſes gemein - ſchaftliches Intereſſe der Domcapitel und der Rit - terſchaft, um wo moͤglich den Buͤrgerſtand ſowohl von aller activen als paſſiven Theilnehmung an den Biſchofswahlen auszuſchließen. Dazu war aber kein bequemeres Mittel, als dem jetzt ohne - dem in das hierarchiſche Syſtem eingeflochtenen Grundſatze nachzugehen, daß es uͤberall unſchick - lich ſey, weltliche Stimmen an Beſetzung geiſt - licher Stellen Theil nehmen zu laßen. Fuͤgte ſichs nun etwa, wie der Fall nicht ſelten war, daß bey einer Biſchofswahl die Buͤrgerſchaft einen andern Competenten beguͤnſtigte, als der Clerus und die Ritterſchaft; ſo vereinigte dieſe ſich lie - ber mit der Geiſtlichkeit, oder opferte lieber ihre bisherige Theilnehmung am ganzen Wahlrechte auf, um nur auch den Buͤrgerſtand deſto eher und ſicherer ganz von allen Biſchofswahlen zu entfernen.

So kamen alſo die Biſchofswahlen, hier fruͤ -VIII. her, dort ſpaͤter, meiſt ausſchließlich in die Haͤnde der Domherren; faſt auf gleiche Art, wie die Cardinaͤle nach und nach alleine zur Pabſtwahl, und die Churfuͤrſten zur Kaiſerwahl gelangten. Auch158II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Auch in anderen Ruͤckſichten entſtanden daraus aͤhnliche Verhaͤltniſſe. Ein Biſchof, dem es nicht gleichguͤltig war, was er fuͤr einen Nachfolger be - kam, ſuchte gern die Domherren zu Freunden zu haben. Sie waren ohnedem gleichſam Beſtand - theile eines Leibes, da der Biſchof mit ihnen zu - ſammengenommen die Kirche vorzuſtellen ſchien. Sie wurden alſo zu Rathe gezogen; bald durfte ohne ihre Einwilligung nichts wichtiges vorgenom - men werden.

IX.
58

Wenn das alles zum Theil ein ſtillſchweigendes Herkommen zu begruͤnden angefangen hatte; ſo kam man bald ferner auf die Gedanken, bey der Wahl eines neuen Biſchofs ihm eine Capitula - tion vorzulegen, worin er eidlich verſprechen mußte, die darin enthaltenen Vorſchriften zu beobachten(e)Schon vom XIII. Jahrhunderte finden ſich Urkunden, worin neu erwehlte Biſchoͤfe ihren Dom - capiteln gewiſſe Vorrechte zuſichern, z. B. vom Biſchof Bechtold von Paſſau 1252. in Hansitz Germ. ſacra tom. 1. p. 391. Von foͤrmlich be - ſchwornen Capitulationen iſt eine der erſten vom Erzbiſchof Albrecht zu Magdeburg 1383. in Lv - dewig reliqu. MStor. tom. 12. p. 471. Andere vorzuͤgliche Beyſpiele ſind hernach die von Wuͤrz - burg 1411. und von Bamberg 1422., jene in Luͤnigs Reichsarchiv ſpicil. eccl. tom. 2. p. 969., letztere in der Pruͤfung der Schriften des Bamber - giſchen Domcapitels (1745.) Th. 2. §. 23. Adolf Felix Henr. Poſſe uͤber die Rechtsbeſtaͤndigkeit der Wahicapitulationen catholiſch geiſtlicher Teutſcher Fuͤrſten (Goͤttingen 1784. 4.) S. 36. 38.. So entſtand ein ganz neues Verhaͤltniß zwiſchen Biſchoͤfen und Domcapiteln, welche letztere waͤh - render Zwiſchenzeit (Sedisvacanz), wenn derbiſchoͤf -1598) Henrich der V. 1106-1125. biſchoͤfliche Stuhl durch Todesfall, Reſignation oder ſonſt erlediget war, ohnedem alle biſchoͤfliche Ge - rechtſame auszuuͤben bekamen.

So verlohr ſich aber auch beynahe ganz dieX. urſpruͤngliche Beſtimmung der Biſchoͤfe und Dom - herren. Beide kamen jetzt in ſolche Umſtaͤnde, daß man kaum mehr daran dachte, daß Gottes - dienſt und geiſtliche Verrichtungen ihr Geſchaͤfft ſeyn ſollten. Biſthuͤmer und Pfruͤnden wurden jetzt als Stiftungen angeſehen, die zum Vortheile des hohen und niedern Adels errichtet waren, und Soͤhnen, die mit Geſchlechtsguͤtern nicht verſorgt werden konnten, zur Verſorgung dienen mußten.

Eben ſo gieng es mit den Kloͤſtern, derenXI. Reichthuͤmer ihren Mitgliedern ſovielen Stoff zu Bequemlichkeiten des Lebens verſchafften, daß ſie bald von der erſten Abſicht ihrer Stifter und von der Vorſchrift ihrer Ordensregeln faſt gaͤnzlich abwi - chen. Dieſem Uebel abzuhelfen, dachte man zwar hin und wieder auf eine Umbildung des Benedicti - nerordens, wie im XI. Jahrhunderte inſonderheit zu Clugny in Bourgogne und zu Hirſchau im Wuͤrtenbergiſchen geſchah(f)Den Anfang machte der Abt Odo zu Clu - gny, deſſen Moͤnchszucht gegen das Ende des XI. Jahrhunderts ſich in ganz Europa verbreitete. Zu Hirſchau fuͤhrte der Abt Wilhelm zwiſchen 1069. und 1091. eine neue Zucht ein. Er war ein gebohrner Baier, erſt Religios zu St. Emmeran. Nach ſeiner Vorſchrift mußten beſtaͤndig 12. Moͤn - che die Buͤcher der heiligen Schrift und verſchie - dene Tractate der aͤlteren Kirchenvaͤter abſchreiben,die; oder es entſtandenſelbſt160II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. ſelbſt neue Orden, wie 1086. die Carthaͤuſer(g)Carthaͤuſer entſtanden zu Chartreuſe bey Grenoble in Dauphine, auf Veranſtaltung eines Teutſchen, Namens Bruno aus Coͤlln, der Chor - herr in Rheims war. Erſt 1174. kamen ſie nach Baiern. Lori Bair. Geſch. S. 659., 1098. Ciſtercienſer(h) Der Ciſtercienſerorden breitete ſich in Teutſchland bald aus, und ſeine Glieder bekamen Antheil an kirchlichen Bedienungen. Schon im Jahre 1122. rief ſie der Erzbiſchof Friedrich von Coͤlln in ſein Land, und ſtiftete ihnen das Kloſter Altkampen (Camp), deſſen Abt ſich noch jetzt Pri - mas der Ciſtercienſer in Teutſchland ſchreibt. Un - ter die aͤlteſten und erſten Kloͤſter dieſes Ordens in Teutſchland gehoͤren auch Ebrach (1126. oder 1127.), Walkenried (1129.), Volkerode (1131.), Heils - brunn (1133.), Michelfeld (1133.), Kaiſersheim, deſſen Moͤnche von Lucelle kamen (1134.), Maul - born (1139.) und noch mehr andere. Verſchie - dene Ciſtercienſer bekamen auch bald Biſthuͤmer; z. B. Otto von Oeſterreich das von Freiſingen (1139.), und ſchon vorher (1133.) Benno das von Mecklenburg, der ſeine Ordensbruͤder ſtatt der Domherren einfuͤhrte, und dadurch anderen Kir - chen in der Folge Anlaß gab, regulirte Chorher - ren des Ciſtercienſerordens bey ſich einzufuͤhren. Manriquez annales Ciſtercienſes ad a. 1122. 1133. cap. 3. Abele Magazin fuͤr Kirchenrecht ꝛc. St. 1. S. 84. Lori Bair. Geſch. S. 658., 1121. Praͤmonſtratenſer(i)Norbert, ein Niederrheiniſcher Edelmann, nachheriger Erzbiſchof zu Magdeburg, kam zuerſt auf den Gedanken, die Regel des heil. Auguſtins mit einigen ſtrengen Geſetzen zu vermehren, und in der Wuͤſte zu Praͤmonſtrat im Biſthum Laon1120.. Aber(f)die er hernach in die Kloͤſter austheilte. Die Congre - gationen von Clugny und Hirſchau wurden hernach beruͤhmte Namen. Lori Bair. Geſch. S. 656.1618) Henrich der V. 1106-1125. Aber ſo groß der Ruf dieſer neuen Stiftungen we - gen ihrer ſtrengeren Einrichtung anfangs war, ſo bald zog die eben dadurch vermehrte Freygebigkeit milder Stifter wieder eben die Fehler nach ſich, die man den vorigen Stiftungen vorgeworfen hatte. Die aͤltere Kloſterzucht fieng aber vollends an Noth zu leiden, da erſt einzelne Kloͤſter, hernach gar ganze Orden durch paͤbſtliche Gnadenbriefe der bis - herigen Aufſicht der Biſchoͤfe entzogen, und un - mittelbar dem paͤbſtlichen Stuhle unterworfen wur - den, und da man endlich durch Aufnahme eigner Laienbruͤder die Moͤnche von ihren bisherigen nuͤtz - lichen Beſchaͤfftigungen mit Handarbeiten und Kuͤn - ſten ganz abbrachte(k) Nach der erſten Einrichtung in den Kloͤſtern wurden alle Handarbeiten durch die Moͤnche ver - richtet; ſie waren Zimmerleute und Maurer, und Becker, und ſorgten fuͤr alles, was zur Erhal - tung der Kloſteroͤconomie noͤthig war. Vielleicht Bequemlichkeit, vielleicht Liebe zum ungehinderteren Studieren veranlaßte im Anfange des elften Jahr - hunderts erſt nur in einigen Kloͤſtern die Veraͤnde - rung, daß Laien ins Kloſter aufgenommen wur - den, deren Fleiſſe der vornehmere Moͤnch alle dieſe niedrige Verrichtungen uͤberließ, die er dafuͤr mit dem Brudertitel beehrte, und mit dem reicheſten Segen ſeiner Kloſtergebete und ſeiner Kloſtermeſſen. Zu Hirſchau in Schwaben hatte ein redlichgeſinn - ter Abt einen Anfang dieſer Art gemacht. Aber in kurzem wurde es allgemeine Kloſterſitte, weildas, ſtatt deren jetzt Muͤßig -gang(i)1120. einen neuen Orden von regulirten Chorher - ren aufzurichten, welche man Praͤmonſtratenſer, auch weiſſe Canonicos nannte. Wegen ihrer ſchar - fen Kloſterzucht wurden ſie bald in ganz Europa eingefuͤhrt; unter andern in Baiern 1127 1147. an ſechs Orten. Lori Bair. Geſch. S. 655.L162II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. gang mit allen davon zu erwartenden uͤblen Folgen ein - riß, die ſeitdem dem catholiſchen Theile von Europa und Teutſchland bis auf den heutigen Tag nicht anders als zur druͤckenden Laſt gereichen koͤnnen(l)Man ſehe z. B. nur die Menge der Kloͤſter, die nur in Baiern in den Jahren 1074 1156. nach einander geſtiftet wurden, bey Lori am a. O. S. 656. Auch die Nonnenkloͤſter wurden von allerley Orden ſo vermehrt, daß ſchier neben jedem Mannskloſter eines derſelben erbauet wurde. Lori eben daſ. S. 659..

XII.
67

Noch eine neue Gattung geiſtlicher Stiftun - gen eroͤffnete ſich endlich mit den geiſtlichen Rit - terorden, wozu die Kreuzzuͤge den Anlaß gaben; anfangs in der Hauptabſicht, die kranken Pilgri - me zu Jeruſalem im Hoſpitale zu pflegen; bald zugleich in der damit verbundenen Abſicht, ſie ge - gen Anfaͤlle der Unglaͤubigen zu ſchuͤtzen, woraus am Ende der allgemeine Zweck erwuchs, ſich zu Kriegen gegen Feinde der Chriſtlichen Religion ge - brauchen zu laßen. So entſtanden 1099. Johan -niter,(k)das neue Inſtitut den Stolz und die Bequemlich - keit der Moͤnche zu ſehr beguͤnſtigte, und fuͤr die Kloſteroͤconomie eine Ausbreitung erlaubte, welche ſie nach der alten Einrichtung nie haͤtte erhalten koͤnnen. Spittlers Geſch. der Chriſtl. Kirche (Aufl. 2.) S. 298. Der Abt Wilhelm zu Hirſchau unterhielt 150. Moͤnche, die dem Chore gewidmet waren; dann 60. Laienbruͤder oder fratres conuerſos, wie man ſie nannte, die zwar den Ordenshabit tru - gen, aber arbeiten mußten; und uͤberdas noch 50. andere Bruͤder (oblatos) in weltlichen Kleidern, die alles nothwendige zum Kloſter bringen mußten, damit auch jene Laienbruͤder nicht Urſache haͤtten, außer dem Kloſter herumzuſchweifen. Lori Bair. Geſch. S. 657.1639) Henrich der V. 1106-1125. niter, 1118. Tempelherren, 1190. Marianer oder Teutſche Ritter; beide erſte ohne Einſchraͤnkung auf eine Nation, der letztere nur fuͤr Teutſchen Adel; alle mit unglaublicher Ausbreitung.

IX. Erfolg großer Veraͤnderungen unter Henrich dem V. in der Staatsverfaſſung des Teutſchen Reichs.

I. Erblichkeit der weltlichen Reichsſtaͤnde; II. inſon - derheit der Grafſchaften, in den Niederlanden eher, im uͤbri - gen Teutſchlande ſpaͤter. III. IV. Verwandelung der Gaue in Grafſchaften, mit erblichen Geſchlechtsnamen von den Schloͤſſern als Stammſitzen eines jeden Hauſes; V. wor - in nur mit neu gebauten Schloͤſſern oder vorgenommenen Todtheilungen zu Zeiten eine Aenderung vorgieng. VI. Gebrauch erblicher Wappen. VII. Schwierigkeit genea - logiſcher Eroͤrterungen uͤber das XII. Jahrhundert hinauf. Abſtammung unſerer meiſten fuͤrſtlichen Haͤuſer von ehemaligen graͤflichen. VIII. Erblichkeit der Herzogthuͤmer Her - kunft der Haͤuſer Lothringen und Braunſchweig-Luͤneburg von dieſen Zeiten her; IX. X. ingleichen der Haͤuſer Heſſen und Baden. XI. Art der Vererbung in fuͤrſtlichen Haͤuſern auf mehrere Soͤhne, XII. noch ohne Recht der Erſtge - buhrt. XIII. Nachherige vielfaͤltige Veraͤnderungen durch haͤufiges Ausſterben vieler Haͤuſer. XIV. Zuſtand der Wendiſchen Laͤnder um dieſe Zeit.

Ein anderer Erfolg der bisherigen StreitigkeitenI. betraf die Erblichkeit der Grafſchaften und Herzogthuͤmer, die man nach ihrer urſpruͤnglichen Beſchaffenheit als Befehlshabungen, die von der Krone abhaͤngig und mit jeder Perſon wandelbar waͤren, behandelt hatte, jetzt aber als erbliches Ei - genthum eines jeden Geſchlechts, das ſie einmal be - ſaß, zu behaupten anfieng.

L 2Was164II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
II.
68

Was die Grafſchaften anbetrifft, war es in den Gegenden, die ehedem zum Herzogthum Ober - und Niederlothringen gehoͤret hatten, ſchon lange gewoͤhnlich, daß Flandern, Namuͤr, Luͤxenburg, Hennegau, Holland, Friesland als erbliche Fami - lienguͤter angeſehen wurden, und die Geſchlechter, die in ihrem Beſitze waren, darnach ihren Namen fuͤhrten. Aber in den uͤbrigen Gegenden des Teut - ſchen Reichs zwiſchen dem Rheine und der Elbe gebrauchte man das Wort Grafſchaft (comitia, comitatus) vor dem zwoͤlften Jahrhunderte noch nicht, wie jetzt, im geographiſchen Verſtande fuͤr einen gewiſſen Strich Landes, ſondern nur zu Be - zeichnung der graͤflichen Ehrenſtelle und Befehls - habung um ſie von der herzoglichen, marggraͤfli - chen, pfalzgraͤflichen u. ſ. w. zu unterſcheiden. Geo - graphiſch waren die Laͤnder nur in Gaue einge - theilt. Man ſprach alſo nicht von Guͤtern, die in dieſer oder jener Grafſchaft gelegen waͤren, ſon - dern man bezeichnete ſie nach dem Gaue, worin ſie lagen, und nannte allenfalls nur den perſoͤnlichen Namen des Grafen, der demſelben vorgeſetzt war; z. B. ſo und ſoviel Hufen Landes oder das Dorf N. N. in dem und dem Gaue gelegen, zur Be - fehlshabung dieſes oder jenen Grafen gehoͤrig. Dann war aber keine Folge, daß, wenn dieſer Graf ſtarb, ſein Sohn ſein Nachfolger ſeyn muͤße. Dem Koͤnige blieb es immer unbenommen, einen jeden andern zum Grafen in eben dem Gaue zu ernennen. So gewiß war es, daß Gaue keine erbliche Geſchlechtsguͤter waren.

III.
68

Allein mit dem Anfange des zwoͤlften Jahr - hunderts ward es in ganz Teutſchland merklich,was1659) Henrich der V. 1106-1125. was vorher nur in Lothringen und in den heuti - gen Niederlanden uͤblich geweſen war, daß graͤf - lichen Geſchlechtern ihr Erbrecht nicht mehr beſtrit - ten werden konnte. Es kam zwar nicht dahin, daß man ganze Gaue gerade zu in erbliche Ge - ſchlechtsguͤter verwandelt haͤtte. Aber ein jeder Graf hatte ordentlicher Weiſe ſo, wie ein jeder Dynaſt, ſeinen Wohnſitz in einem Schloſſe, das vielleicht von ihm oder ſeinen Vorfahren erbauet war, und deſſen Zugehoͤre nicht bloß aus urſpruͤng - lichen Lehnguͤtern beſtanden, die eigentlich von der Krone den Befehlshabern zur Benutzung an ſtatt ihrer Beſoldung angewieſen waren, ſondern auch großentheils aus eigenthuͤmlichen Geſchlechtsguͤtern, die ſich jetzt ſchwer von jenen abſondern ließen. So mochte leicht ein oder zweymal die Befehls - habung eines Gaues von Vater auf Sohn gehen; das drittemal ließ ſich das Gegentheil ſchon ſchwe - rer durchſetzen; endlich ward es zum Herkommen, den Sohn eines Grafen in Wiederbeſetzung des ihm anvertrauten Gaues nicht zu uͤbergehen. So war die Erblichkeit der graͤflichen Haͤuſer gemacht.

Davon war eine natuͤrliche Folge, daß manIV. nicht mehr die Gaue nach ihren Namen, und die ihnen vorgeſetzten Grafen nur perſoͤnlich mit ihren Taufnamen Henrich, Wilhelm, Conrad u. ſ. w. nannte. Sondern nun nannte man die Grafen, wie die Dynaſten, nach den Schloͤſſern, worin ſie ihren Wohnſitz hatten, z. B. Grafen von Wittgen - ſtein, von Stollberg, von Tecklenburg u. ſ. w. Und von eben dieſen Schloͤſſern bekamen die dazu ge - hoͤrigen Gebiete als Dynaſtien oder Grafſchaften ihre Namen; die ſich deswegen gemeiniglich mitL 3der166II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Silbe Burg, Berg, Stein, Fels, Heim oder Au endigten, als Iſenburg, Stollberg, Witgenſtein, Braunfels, Wertheim, Hanau, Naſſau u. ſ. w. Die Namen der Gaue verſchwanden hingegen, beynahe mit dem Jahre 1100., faſt gaͤnzlich(m)Die Societaͤt der Wiſſenſchaften zu Man - heim hat eine Preisfrage hieruͤber aufgeſtellt. Den Preis gewann der Badiſche Regterungsrath Hector Wilh. von Guͤnderrode. S. deſſen Preisſchrift von den vornehmſten Urſachen, welche den Verfall der Eintheilung Teutſchlandes, beſonders der Rhei - niſchen Provinzen, in Gaue veranlaßt haben, in ſeinen Beytraͤgen zur Rechtsgelehrſamkeit, Geſchich - te ꝛc. (Gieſſen 1778. 8.) S. 1-26. S. auch 10. Dan. Henr. Mvsaevs de cauſis praecipuis, cur diuiſio Germaniae in pagos ſenſim deſierit? Kil. 1778. 4.. (Nur in einigen Abtheilungen der Reichsritterſchaft kommen noch ſolche Namen vor, als Creichgau, oder zu Bezeichnung gewiſſer Gegenden, als Rhein - gau, Nordgau ꝛc. Von Grafſchaften und Herr - ſchaften iſt keine, deren Namen ſich mit Gau en - digte.) Es war aber auch nicht leicht ein Gau, der ſeinen urſpruͤnglichen Umfang behalten haͤtte. In den meiſten waren Guͤter geiſtlicher Stiftun - gen vorhin ſchon von der Gerichtbarkeit der Gra - fen befreyet. Kurz an ſtatt der ehemaligen Ein - theilung der Teutſchen Voͤlker in Gaue zeigte ſich jetzt mit dem zwoͤlften Jahrhunderte eine unuͤber - ſehliche Menge erblicher Herrſchaften und Grafſchaf - ten, deren Beſitzer von ihren Stammſitzen nun auch ihre Geſchlechtsnamen bald voͤllig erblich machten.

V.
69

In der erſten Zeit geſchah es nicht ſelten, daß eine Familie ſo, wie ſie etwa ein neues Schloßerbaue -1679) Henrich der V. 1106-1125. erbauete, auch damit ihren Namen veraͤnderte; wie auf ſolche Art die Grafen von Wittelsbach vorher Grafen von Scheiern, die Grafen von Nas - ſau vorher Grafen von Laurenburg, die Herren von Anhalt vorher Herren von Ballenſtaͤdt hießen u. ſ. f. Oder wenn zwey Bruͤder etwa in zwey ver - ſchiedenen Schloͤſſern und dazu gehoͤrigen Gebieten ſich vertheilten, behielten ſie weder ihre Laͤnder noch ihre Namen in Gemeinſchaft, ſondern nannten ſich und ihre Nachkommen jeder nur nach ſeinem Schloſſe; wie z. B. von zwey Bruͤdern der eine ſich Graf von Sain, der andere Graf von Sponheim nannte, ohne einen gemeinſchaftlichen Geſchlechtsnamen beyzubehalten, wie jetzt die Haͤuſer Iſenburg, Solms, Hohenlohe, Oettingen u. ſ. w. thun, wenn ſie gleich in mehrere Linien, als Iſenburg-Birſtein und Buͤdingen; Solms-Braunfels, Solms-Lau - bach, Solms-Hohenſolms; Hohenlohe Waldenburg und Neuenſtein; Oettingen-Spielberg und Waller - ſtein u. ſ. w. abgetheilt ſind. Eine Bemerkung, die deswegen von Wichtigkeit iſt, weil ſie zugleich auf die urſpruͤnglich Teutſche Art der Erbfolge in Geſchlechtern des hohen Adels ein großes Licht wirft. Denn nach ſelbiger mußten zwar Toͤchter gegen Soͤhne zuruͤckſtehen. Wenn aber ein Vater mehrere Soͤhne hinterließ, ſo beerbten dieſe einan - der nur in ſo weit, als ſie die vaͤterlichen Guͤter in Gemeinſchaft zu beſitzen fortgefahren, oder bey Theilungen ſich die Gemeinſchaft des Eigenthums und die kuͤnftige gegenſeitige Erbfolge mit Aus - ſchließung der Toͤchter vorbehalten hatten. Im widrigen Falle, wenn zwey oder mehr Bruͤder ſich gaͤnzlich von einander abſonderten, oder eine ſo genannte Todtheilung ſchloſſen, wie inſonderheitL 4bey168II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. bey ganz verſchiedenen Guͤtern, die ſie unter ſich vertheilten, haͤufig geſchah, konnten in nachherigen Succeſſionsfaͤllen entfernte Stammsvettern vor Toͤchtern eines erloſchenen maͤnnlichen Stamms kein Vorzugsrecht, oder vielmehr gar kein Erbfolgs - recht behaupten. So kam z. B. nach Abgang der Grafen von Sain ihre Grafſchaft nicht an die Grafen von Sponheim, ob dieſe gleich ihre wahre Stammsvettern waren, ſondern durch Toͤchter an ganz andere Haͤuſer; (ganz anders, als wie in unſeren Zeiten nach Abgang des marggraͤflichen Hauſes Badenbaden das Haus Badendurlach ge - erbt hat, oder wie auf den Fall, wenn das Haus Anhalt-Zerbſt abgehen ſollte, die drey uͤbrigen Li - nien des Hauſes Anhalt zur Erbfolge im Zerbſti - ſchen Landesantheile berechtiget ſeyn werden. Eben darum war nach Abgang des Hauſes Baiern im Jahre 1777. die Frage ſo wichtig, ob zwiſchen den ehemaligen Stammvaͤtern der Haͤuſer Pfalz und Baiern eine Todtheilung vorgegangen ſey? wovon freylich ſowohl aus den Hausvertraͤgen als aus der beybehaltenen Gemeinſchaft des Geſchlechtsnamens und Wappens ſich das Gegentheil ergab.)

VI.
69

Selbſt der Gebrauch der Wappen war des - wegen von dieſer Zeit an wichtig, weil ſie unge - faͤhr zu gleicher Zeit mit den von den Schloͤſſern oder Laͤndern angenommenen Geſchlechtsnamen gleich - maͤßig erblich wurden. Nur alsdann, wenn meh - rere Herren eines Hauſes nach erfolgten Todthei - lungen aufhoͤrten, eine Gemeinſchaft der Stamm - guͤter und die Befugniß der gegenſeitigen kuͤnfti - gen Erbfolge unter einander zu unterhalten, hoͤrte auch die Gemeinſchaft des Wappens auf. Außer -dem1699) Henrich der V. 1106-1125. dem war die Beybehaltung eines gemeinſamen Na - mens und Wappens ein ſicheres Zeichen gleicher Abkunft und gleichen gegenſeitigen Rechts zur Erb - folge. In der Folge ſetzten die meiſten Geſchlech - ter des hohen und niedern Adels faſt ihre ganze Wohlfahrt darin, Namen und Wappen mit ihren Geſchlechtsguͤtern auf die ſpaͤteſte Nachkommenſchaft fortzuſetzen. (Faſt alle unſere fuͤrſtliche und graͤfliche alte Haͤuſer ſind in dem Falle, daß ſie noch jetzt eben die Laͤnder beſitzen, und eben die Namen und Wappen fuͤhren, die ihre Vorfahren vom zwoͤlf - ten Jahrhundert her gehabt haben. Zuwachs von mehreren Laͤndern und hoͤheren Wuͤrden haben zwar viele bekommen. Verluſt haben ſie nicht anders als durch ganz außerordentliche Faͤlle, etwa von Achtserklaͤrungen oder Krieg und Frieden, erlitten, wo Noth kein Geſetz hatte; wie die Beyſpiele von der Welfiſchen Familie, die auf ſolche Art um Sach - ſen und Baiern gekommen, bald vorkommen werden.)

Von allem dem werden die hiſtoriſchen undVII. genealogiſchen Eroͤrterungen dadurch ungemein er - leichtert, weil bis zum zwoͤlften Jahrhundert hin - auf die erblichen Geſchlechtsnamen eines jeden Hau - ſes zum ſicherſten Leitfaden dienen. Hoͤher hinauf ſind jene Eroͤrterungen deſto ſchwerer, weil da in Urkunden einerley Zeit oft mehrere Perſonen mit einerley Namen benannt vorkommen, ohne daß es immer mit Zuverlaͤßigkeit zu beſtimmen iſt, z. B. welcher von mehreren, die zu gleicher Zeit den Namen Wilhelm oder Conrad gefuͤhret, zu den Vorfahren dieſes oder jenen Hauſes gehoͤret habe. Nur die zugleich etwa benannten Kloͤſter, oder Schloͤſſer, Ritterguͤter und Doͤrfer, moͤgen allen -L 5falls170II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. falls Spuhren an die Hand geben, von welchem Geſchlechte ihr Beſitzer geweſen ſey. So hat das Haus Habsburg-Oeſterreich noch ganze Jahr - hunderte uͤber das zwoͤlfte hinauf ſeine Ahnen glaublich beybringen koͤnnen. Und ungefaͤhr eben der Fall zeigt ſich bey den Vorfahren der jetzigen Haͤuſer Pfalz, Sachſen, Brandenburg in Nach - forſchung ihrer Abſtammung von den ehemaligen Grafen von Wittelsbach, Wettin und Zollern, und deren hoͤherer Stammvaͤter, ehe ſie noch dieſe erb - liche Geſchlechtsnamen fuͤhrten Uebrigens ſon - derbar gnug, daß die Vorfahren dieſer unſerer groͤßten Haͤuſer, als der vier urſpruͤnglichen welt - lichen Churfuͤrſten im zwoͤlften Jahrhunderte nur noch als Grafen erſcheinen, deren Nachkommen erſt ſpaͤter in die Stelle der damaligen nachher erloſchenen Churhaͤuſer getreten ſind.

VIII.
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Mit den alten Herzogthuͤmern oder anderen weltlichen Fuͤrſtenthuͤmern hielt es weit haͤrter, als mit den Grafſchaften, ehe ihnen die Erblichkeit zugeſtanden wurde. Aber auch das war endlich eine Frucht des ungluͤcklichen Verlaufs der Unru - hen, worin ſich Henrich der IV. verwickelt ſah. Eben die Geſchlechter, die in ſeinen letzten Jahren und unter den folgenden beiden Regierungen un - ſere Herzogthuͤmer und Fuͤrſtenthuͤmer beſaßen, ha - ben ſie auch in der Folge behalten, ſofern ſie nicht etwa ſelbſt ausgeſtorben, oder durch ſolche Revo - lutionen, wie Achtserklaͤrungen und Kriege, um ihre Laͤnder gekommen ſind. Namentlich iſt das Herzogthum Oberlothringen immer von Vater auf Sohn bey den Nachkommen eben des Herzogs Gerhards geblieben, der ſchon unter Henrich dem III. (1048.)1719) Henrich der V. 1106-1125. (1048.) daſſelbe beſaß, bis erſt Franz Stephan, der Vater Joſephs des II., im Wiener Frieden 1735. genoͤthiget wurde, es gegen Toscana zu vertauſchen. So wuͤrden auch die Vorfahren des Hauſes Braunſchweig-Luͤneburg vom Welfi - ſchen Stamme das Herzogthum Baiern von 1070. her, und das Herzogthum Sachſen von 1137. her behalten haben, wenn nicht die Achtserklaͤrun - gen Henrichs des Stolzen 1138. und Henrichs des Loͤwen 1180. ſie darum gebracht haͤtten.

Dieſen beiden Haͤuſern kann uͤbrigens in An -IX. ſehung ihrer altherzoglichen Herkunft von ſo hohen Zeiten hinauf von allen jetzt bluͤhenden Haͤuſern keines an die Seite geſetzt werden; außer daß das Haus Heſſen von den ehemaligen Herzogen von Brabant, und das Haus Baden von ehema - ligen Herzogen von Zaͤhringen abſtammt. Doch dieſes Zaͤhringen war nur ein Schloß, das nur den Stammſitz eines graͤflichen oder dynaſtiſchen Geſchlechts im Breisgau ausmachte, und nur da - durch das Praͤdicat eines Herzogthums bekam, weil die Beſitzer dieſes Schloſſes eine Zeitlang (1060 - 1073.) Herzoge in Kaͤrnthen geweſen waren, und nachher das Verſprechen erhalten hatten, Herzoge in Schwaben zu werden, ohne doch dazu zu ge - langen; da ſie dann den herzoglichen Titel zwar fortgefuͤhrt haben, jedoch nur in Verbindung mit ihrem Stammſitze, ungefaͤhr eben ſo, wie jetzt im gemeinen Leben Herzoge von Weimar, Gotha, Hildburghauſen, und Landgrafen von Darmſtadt u. ſ. w. genannt werden, ungeachtet dieſes an ſich keine Fuͤrſtenthuͤmer und Laͤnder, ſondern nur Reſi - denzſtaͤdte ſind, deren Beſitzer wegen der Wuͤrdedes172II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. des Hauſes, zu welchem ſie gehoͤren, den herzog - lichen oder landgraͤflichen Titel fuͤhren.

X.
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Die Vorfahren des heutigen Hauſes Heſſen waren ſeit 1106. Herzoge von Niederlothringen, oder, wie ſie ſich in der Folge nach ihren meiſt im Brabantiſchen Gaue gelegenen Erbguͤtern ſchrie - ben, Herzoge von Brabant, und wuͤrden es noch jetzt ſeyn, wenn nicht der Mannsſtamm von der Linie, welche Brabant beſaß, im vierzehnten Jahr - hundert erloſchen waͤre. Durch eine Prinzeſſinn von Thuͤringen, welche an einen Herzog von Bra - bant vermaͤhlt war, kam inzwiſchen im dreyzehn - ten Jahrhundert Heſſen an eine andere Linie die - ſes Hauſes, die zwar jenen Brabantiſchen Manns - ſtamm uͤberlebet, aber die Erbfolge in Brabant ſelbſt nicht erhalten hat, weil man die Abtheilung der beiden Bruͤder, wovon der eine Brabant, der andere Heſſen erhielt, als eine Todtheilung anſah. So geſchah es uͤberhaupt nicht ſelten, daß von zwey Bruͤdern, deren einer von vaͤterlicher, der andere von muͤtterlicher Seite her, oder ſonſt aus verſchiedenen Rechtsquellen, jeder ein beſonderes Land bekam, zwey Staͤmme gebildet wurden, die ſich nicht anders, als wie zwey ganz verſchiedene Familien gegen einander verhielten (ſo wie in un - ſeren Tagen wieder beynahe ein aͤhnlicher Fall mit dem Hauſe Oeſterreich und Toſcana ſich ereignet.)

XI.
69

Noch haͤufiger geſchah es in der erſten Zeit, daß, wenn auch von mehreren Soͤhnen eines Her - zogs oder Marggrafen, Pfalzgrafen, oder anderen Grafen einer, wie gemeiniglich der aͤlteſte, die vaͤterlichen Lande und Wuͤrden bekam, dennoch diejuͤn -1739) Henrich der V. 1106-1125. juͤngeren Soͤhne nicht eben die Wuͤrde erhielten; ſondern ein Sohn Herzog, der andere Marggraf, ein dritter Graf, ein vierter Dynaſt wurde, (wie noch jetzt in Frankreich von mehreren Bruͤdern oft einer Duc, der andere Marquis, der dritte Comte, der vierte Chevalier heißt)(n)Noch 1333. hieß es in einer graͤflich Bentheimiſchen Urkunde: Nos Ecbertus nobilis de Benthem a dilecto nobis quondam Iohanne comite in Benthem fratre noſtro. Ivng hiſtor. Benthem. diplom. p. 149.. Es kam aber bald mit der Erblichkeit der weltlichen Laͤnder dahin, daß mehrere Soͤhne eines Fuͤrſten oder Grafen ſowohl an dem vaͤterlichen Lande, als am Titel gleichen Antheil bekamen; (wie noch jetzt die Titel Herzog, Pfalzgraf, Marggraf, Landgraf und Graf auf alle Soͤhne eines Vaters, der ſol - che Titel fuͤhret, forterben.) Ja man vergaß die urſpruͤngliche Eigenſchaft der ſonſt mit ſolchen Ti - teln verbunden geweſenen Befehlshaberſtellen der - geſtalt, daß Herzogthuͤmer oder andere Fuͤrſtenthuͤ - mer und Grafſchaften, die als Befehlshaberſtellen ſo, wie z. B. ein Franzoͤſiſches Gouvernement, ihrer Natur nach untheilbar haͤtten ſeyn ſollen, dennoch zuletzt, wie vaͤterliche Erbſchaften, unter mehreren Soͤhnen vertheilet, oder doch in Gemeinſchaft bey - behalten wurden; außer daß etwa ein oder ande - rer Sohn im geiſtlichen Stande ſeine Verſorgung erhielt, und dann dem wuͤrklichen Mitbeſitze und Genuſſe ſeiner vaͤterlichen Guͤter zum Beſten der weltlich bleibenden und gemeiniglich alsdann ſich vermaͤhlenden Bruͤder entſagte.

An174II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
XII.
70

An ein Recht der Erſtgebuhrt dachte man ſo wenig, daß vielmehr haͤufig ſelbſt dem Erſtge - bohrnen und mehr aͤlteren Soͤhnen der geiſtliche Stand angewieſen, und ſoviel Pfruͤnden als moͤg - lich zugewandt wurden, um dem juͤngern, den man alsdann zum Stammhalter zu beſtimmen pflegte, die vaͤterliche Erbfolge deſto vortheilhafter zu ma - chen, (wie noch jetzt in catholiſchen graͤflichen und adelichen Haͤuſern auf aͤhnliche Art haͤufig geſchieht.)

XIII.
70

Was aber endlich den ehemaligen Zuſtand des Teutſchen Reichs in Anſehung der weltlichen Reichs - ſtaͤnde und Laͤnder in den folgenden Zeiten haupt - ſaͤchlich geaͤndert hat, beſtehet in dem ſonderba - ren Umſtande, daß unglaublich viele fuͤrſtliche und inſonderheit noch weit mehr graͤfliche und dynaſtiſche Haͤuſer in dem großen Zeitraume vom zwoͤlften Jahr - hundert bis auf unſere Tage ausgeſtorben und erlo - ſchen ſind. Die Anzahl graͤflicher und dynaſtiſcher Haͤuſer, die ehedem geweſen, und jetzt nicht mehr ſind, geht gewiß in tauſende; wovon die meiſten das Schickſal gehabt haben, daß ihre Laͤnder durch Lehnsconſolidationen, oder Anwartſchaften, Vermaͤh - lungen, Erbverbruͤderungen oder andere Mittel und Wege an fuͤrſtliche Haͤuſer gekommen ſind, und von denſelben entweder noch jetzt als beſondere Grafſchaften oder Herrſchaften beſeſſen werden, oder als Aemter groͤßeren Laͤndern einverleibet ſind. Dadurch hat ſich nicht nur die perſoͤnliche An - zahl der weltlichen Reichsſtaͤnde nach und nach ungemein verringert, ſondern auch ein ganz ver - aͤndertes Verhaͤltniß in dem urſpruͤnglichen Gleich - gewichte ſowohl zwiſchen Kaiſer und Staͤnden,als1759) Henrich der V. 1106-1125. als dieſen unter einander gebildet. So lange Fuͤrſtenthuͤmer unter mehreren Bruͤdern oder Stammsvettern vertheilt zu werden pflegten, und der Grafſchaften ſo unzehlig viele waren, war vors erſte der Unterſchied zwiſchen Fuͤrſten und Grafen und Herren bey weitem ſo groß nicht, als er in der Folge geworden iſt. Wenn die Herzogthuͤmer Baiern, Pommern, Mecklenburg, u. ſ. w. oft unter vier, ſechs und mehr Staͤmmen vertheilet waren, und hingegen Hanau, Hohen - lohe, Solms u. ſ. w. jedes nur einen Herrn hat - te; ſo konnte der Abſtand zwiſchen dieſen und jenen ſo groß nicht ſeyn. Oder wenn man das Gewicht der Staͤnde fuͤr ganz Teutſchland in An - ſchlag brachte, ſo konnte die uͤbergroße Anzahl Grafen gegen die weit mindere Anzahl Fuͤrſten leicht ein gewiſſes Gegengewicht halten. Aber auch bey ſo gar vielen Theilen, worin ganz Teutſchland unter ſo vielen Fuͤrſten und Grafen zerſtuͤckelt war, konnte die kaiſerliche Macht leicht noch immer ein gewiſſes Uebergewicht behaupten, das hingegen zuſehends in eben dem Verhaͤltniſſe abnehmen mußte, wie nach und nach mehrere Laͤnder einigen wenigeren Haͤuſern zu Theil wur - den, und dieſe durch das Recht der Erſtgebuhrt und andere Mittel ſich noch mehr zu vergroͤßeren wußten.

Von den Wendiſchen Laͤndern habe ichXIV. ſchon oben bemerklich gemacht, daß es da mit der Landesherrſchaft urſpruͤnglich eine ganz andere Bewandtniß gehabt hat, als mit dem Urſprunge der Landeshoheit der uͤbrigen Fuͤrſten des Teut -ſchen176II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. ſchen Reichs(o)Oben S. 7. Wilh. Aug. Rudloffs allge - meine Anmerkungen uͤber die Verſchiedenheit der Laͤnder Teutſchlandes, deren aͤltere Bewohner Slaviſchen Urſprunges, und derjenigen, deren alte Einwohner Teutſche geweſen, in den gelehr - ten Beytraͤgen zu den Schweriniſchen Anzeigen 1771. St. 4. Fried. Aug. Rudloffs Handbuch der Mecklenburgiſchen Geſchichte Th. 1. S. 240.. Indeſſen bekamen auch hier im XII. Jahrhundert haͤufig einzelne Landſchaften ihren Namen nach Staͤdten oder Schloͤſſern, un - ter deren Schutz ſie lagen, z. B. das Land Meck - lenburg, das Land Ilow, das Land Werle(p)Rudloffs Mecklenb. Geſch. Th. 1. S. 151.. So ſieng man auch ſchon an die Obotritiſchen Fuͤrſten Herren von Mecklenburg zu nennen, und den Pommeriſchen Fuͤrſten den Beynamen von Dem - min zu geben(q)Rudloff eben daſelbſt S. 156..

X. 17710) Lothar. II Fried. II. 1125-1235.

X. Noch weitere Staatsveraͤnderungen unter Lothar dem II., und deſſen Nachfolgern bis auf Friedrich den II. 1125-1235. ; inſonderheit Wahlfreyheit und Churfuͤrſten; Roͤmiſches und canoniſches Recht; und Achtserklaͤrung Henrichs des Loͤwen.

I. II. Voͤllige Verwandelung des Teutſchen Reichs in ein freyes Wahlreich. III. Allmaͤlig zugleich entſtande - nes ausſchließliches Wahlrecht drey geiſtlicher und vier welt - licher Churfuͤrſten. IV. Paͤbſtliche Anmaßung einer Hoheit uͤber den Kaiſer. V. Aufgekommenes Anſehen des Roͤmiſch - juſtinianiſchen und paͤbſtlichcanoniſchen Geſetzbuches. VI. Beziehung fremder Univerſitaͤten, und dadurch verſtaͤrkter Gebrauch der fremden Geſetzbuͤcher. VII. Vorſorge der Teutſchen reichsſtaͤndiſchen Haͤuſer, ihr bisheriges Erbfolgs - recht durch Verzichte der Toͤchter und Geſchlechtsvertraͤge aufrecht zu erhalten. VIII. Ueberhandnehmung des Fauſt - rechts; ſelbſt im kaiſerlichen Landfrieden gebilligte Befehdun - gen. IX. Merkliche Zunahme der landesherrlichen Macht der Reichsſtaͤnde. Gebrauch der Achtserklaͤrungen, und noch zur Zeit beybehaltene Teutſche Gerichtsverfaſſung. X. Beſondere Umſtaͤnde bey der Achtserklaͤrung Henrichs des Stolzen, XI. und Henrichs des Loͤwen. XII. Wider - rechtlichkeit der letztern; aber ungluͤcklicher Erfolg fuͤr das Welfiſche Haus. XIII. Verluſt des Herzogthums Sach - ſen XIV. nebſt den Wendiſchen Laͤndern Pommern und Mecklenburg. XV. Schickſal des Herzogthums Baiern; deſſen Ueberlaßung an das Haus Wittelsbach. XVI. Uebrig gebliebene Erblande des Welfiſchen Hauſes, XVII. wor - aus das Herzogthum Braunſchweig-Luͤneburg entſtanden.

Noch ein wichtiger Erfolg der Staatsirrungen,I. die ſich unter Henrich dem IV. entſponnen hatten, zeigte ſich darin, daß Teutſchland voͤllig in ein Wahlreich verwandelt, und ſelbſt aller Schein eines Erbrechts, wie es bisher immer ein koͤniglicher Stamm gehabt hatte, aufgehoben undMver -178II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. vermieden wurde. Die Zeitumſtaͤnde kamen da - bey gluͤcklich zu ſtatten, da mit Henrich dem V. der bisherige regierende Stamm wieder erloſch, und alſo ohnedem eine neue Wahl geſchehen mußte. Dieſe wurde mit gutem Bedacht auch nicht auf weibliche Nachkommen des vorigen Stamms gelen - ket, obgleich Henrichs des V. Schweſterſoͤhne (erſt Friedrich von Schwaben, hernach Conrad von Franken,) ſich alle Hoffnung dazu gemacht hatten. 1125Man wehlte vielmehr Lotharn von Sachſen, der wieder nur eine Tochter hinterließ; deren Ge - mahl, Herzog Henrich der Stolze von Baiern und Sachſen, hernach abermals uͤbergangen, und jetzt1137 vielmehr Conrad der III., auch nach deſſen Tode wieder nicht ſein Sohn, ſondern ſein Vetter1152 Friedrich der I. durch voͤllig freye Wahl auf den Thron erhoben wurde. Durch dieſe drey nach einander erfolgte voͤllig freye Wahlen gedieh die - ſes Stuͤck der Teutſchen Staasverfaſſung zu einem ſo feſten Herkommen, daß an der Richtigkeit des Satzes, daß Teutſchland, oder, wie man damals ſprach, das Roͤmiſche Reich kein Erbreich, ſondern ein voͤllig freyes Wahlreich ſey, ſeitdem nicht mehr gezweifelt wurde.

II.
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Friedrich der I. ließ zwar ſchon im Jahre 1169. ſeinen damals erſt vierjaͤhrigen Prinzen Henrich den VI. zum Roͤmiſchen Koͤnige wehlen. Und dieſer wagte (1196.) ſchon einen Verſuch, das Reich wieder voͤllig erblich zu machen. Allein er mußte ſich wieder nur mit der Roͤmiſchen Koͤnigs - wahl ſeines Sohnes Friedrichs des II. begnuͤ - gen. Deſto eifriger ward aber nunmehr von Rom aus dagegen gearbeitet, da nach der zwiſtigenWahl17910) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. Wahl Philipps und Otto des IV. der paͤbſtliche Stuhl immer groͤßern Einfluß in die Kaiſerwah - len bekam, und bald anfieng, Kaiſern, die nicht nach ſeinem Sinne waren, Gegenkaiſer entgegen - zuſetzen, als Otto dem IV. erſt Friedrich den II., hernach dieſem Henrich von Thuͤringen, Wilhelm von Holland u. ſ. w.

Mit der voͤlligen Wahlfreyheit ſtand aber auchIII. nunmehr die Begruͤndung eines ausſchließlichen Wahlrechts einiger weniger Wahlfuͤrſten in ge - nauer Verbindung. Bey der Wahl Lothars er - ſchien zwar noch auf eben den Fuß, wie es ehe - dem in aͤhnlichen Faͤllen, wenn nach Abgang eines regierenden Stamms eine neue Wahl geſchah, ge - woͤhnlich war, die ganze Menge geiſtlicher und weltlicher Reichsſtaͤnde mit ihrem Gefolge, mehr in Geſtalt eines gelagerten Kriegsheeres, als einer Wahlverſammlung. Aber das Geſchaͤfft ſelbſt kam ſchon durch eine Art von Compromiß, oder wenig - ſtens unter der Geſtalt einer Vorberathſchlagung, in die Haͤnde einiger weniger Fuͤrſten, die hernach nur die Zuſtimmung der uͤbrigen erwarteten. Die Veraͤnderungen, die ſeit kurzem ſowohl mit der Pabſtwahl als mit den Biſchofswahlen angeſtiftet waren, ſchienen ſelbſt ein gutes Beyſpiel abzuge - ben, wie auch bey den Kaiſerwahlen mehr Ord - nung zu erwarten ſeyn wuͤrde, wenn man die Be - rathſchlagungen daruͤber auf weniger Perſonen an - kommen ließe. Bey der Wahl Friedrichs des I. wird ſchon ausdruͤcklich erwehnt, daß ſie von ſechs bis acht Reichserzbeamten geſchehen ſey. Unter eben dieſer Regierung erſcheinen aber auch ſchon Boͤhmen als Erzſchenk, Pfalz als Erztruchſeß,M 2Sach -180II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Sachſen als Erzmarſchall und Brandenburg als Erzkaͤmmerer, wie dieſe Haͤuſer ſeitdem bis auf unſere Tage bey dieſen Erzaͤmtern und den damit verbundenen Vorrechten geblieben ſind. In einer Urkunde, die das Haus Oeſterreich im Jahre 1156. von Friedrich dem I. erhalten hat, koͤmmt ſchon ausdruͤcklich der Name Churfuͤrſt (electo - res) vor, indem gedachtem Hauſe der naͤchſte Platz unmittelbar nach den Churfuͤrſten zugeſtanden wird. Auch wird ſeitdem ſchon fuͤr bekannt angenommen, daß die Stadt Frankfurt am Main die eigentliche Wahlſtadt ſey; ſo wie es ſchon gewoͤhnlich war, daß der neu gewehlte Kaiſer die Teutſche Kroͤnung zu Aachen empfieng, und hernach den Roͤmerzug antrat, um ſowohl die Longobardiſche Krone zu Mailand, als die Kaiſerkrone zu Rom zu empfan - gen, welche letztere erſt das Recht zu Annehmung des kaiſerlichen Titels mit ſich brachte.

IV.
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Die Verbindung des Teutſchen Reichs mit dem Longobardiſchen und Roͤmiſchen war jetzt außer allem Streite, aber auch von ganz ſonderbaren Folgen. Zu Rom ſprach man nun ſchon ganz laut, daß die Teutſche Nation die auf ſie geſche - hene Uebertragung des Roͤmiſchen Reichs nur dem paͤbſtlichen Stuhle zu danken habe. Es fehlte nicht viel, daß man nicht ein paͤbſtliches Lehn daraus machte, da man die Kroͤnung gleichſam als eine Belehnung anſah, und den Kaiſer vor - her einen Eid ſchwoͤren ließ, der einem Vaſallen - eide nicht ſehr unaͤhnlich war.

V.
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Auf der andern Seite ward der Gedanke von der mit der Kaiſerwuͤrde verbundenen Beherrſchungder18110) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. der Welt immer lebhafter; damit ward aber auch der Wahn, daß das Roͤmiſche Geſetzbuch wenig - ſtens unter Chriſtlichen Voͤlkern allgemein verbind - lich ſey, immer tiefer gewurzelt. Nur den Ge - ſetzen, deren Verbindlichkeit auf dem Anſehen des Pabſtes beruhete, ward nach dem nunmehr ein - mal angenommenen Verhaͤltniſſe zwiſchen Pabſte und Kaiſer, gleich dem zwiſchen Seele und Leib, noch der Vorzug zugeeignet. Ein Moͤnch, Namens Gratian, machte von neuem eine Sammlung davon, die bis auf den heutigen Tag einen Haupt - beſtandtheil unſers paͤbſtlich canoniſchen Geſetzbu - ches ausmacht. So boten ſeitdem die beiden Ge - ſetzbuͤcher, das paͤbſtliche und kaiſerliche, oder geiſt - liche und weltliche, einander die Hand; zumal da vieles aus dem letztern ins erſtere aufgenommen wurde, das deswegen ohne jenes nicht gruͤndlich zu verſtehen war; obgleich im Widerſpruche das paͤbſtliche uͤber dem kaiſerlichen immer den Vor - zug behielt.

Zur Kenntniß und Anwendung des in dieſenVI. beiden Geſetzbuͤchern enthaltenen Rechts wurde nicht nur eine Bekanntſchaft mit der Lateiniſchen Sprache, worin ſie geſchrieben waren, ſondern auch ſonſt ungleich mehr Wiſſenſchaft und Geſchicklichkeit er - fordert, als ſonſt nach der Teutſchen Gerichtsver - faſſung noͤthig war, ſo lange man nur nach ein - heimiſchen Gebraͤuchen und der natuͤrlichen Billig - keit zu urtheilen brauchte. Eben deswegen machte jetzt auf den ſo genannten hohen Schulen oder Univerſitaͤten, die nunmehr in England, Frank - reich und Italien immer in groͤßere Aufnahme ka - men, die Rechtswiſſenſchaft nach den beiden Ge -M 3ſetz -182II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. ſetzbuͤchern einen Hauptgegenſtand der damaligen allgemeinen Studien aus. Und von dieſen hohen Schulen aus verbreitete es ſich hinwiederum zuſe - hends immer mehr, daß man ſich unvermerkt ge - woͤhnte, jene beide Geſetzbuͤcher als die einzigen Quellen aller Rechte in der Welt, oder doch im ganzen Umfange des Roͤmiſchen Reichs zu ſchaͤtzen, wovon man Teutſchland als einen Theil, und alle uͤbrige Europaͤiſche Laͤnder als untergeordnete De - pendenzen anſah.

VII.
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Nach den haͤufigen Zuͤgen, die Studierens hal - ber inſonderheit aus Teutſchland nach Bologna ge - ſchahen, mag wohl mit einigem Unterſchiede in den nach den Alpen zu naͤher gelegenen Laͤndern eher, als in entfernteren Gegenden, die Wir - kung von dem allem ſich gezeiget haben. Un - glaublich aber iſt es, wie fruͤhzeitig, wie haͤufig, und wie maͤchtig die beiden an ſich fremden Ge - ſetzbuͤcher auf Teutſchland zu wirken, und deſſen einheimiſche Gewohnheitsrechte zu verdunkeln und zu verdraͤngen angefangen haben. Unter andern kamen die uralthergebrachten Grundſaͤtze des Erbfolgsrechts, vermoͤge deren ererbte Stamm - guͤter zum Nachtheile der Nachkommen des erſten Erwerbers nicht veraͤußert werden ſollten, und der Mannsſtamm Toͤchter ausſchloß, beynahe in Ge - fahr, von den ganz entgegengeſetzten Verordnun - gen des Roͤmiſchen Rechts, das jedem Beſitzer die freye Dispoſition uͤber ſeine Guͤter geſtattet, und Toͤchter mit Soͤhnen gleich erben laͤßt, verdraͤnget zu werden; womit ein großer Theil der Teutſchen Verfaſſung, der in der Aufnahme unſerer großen Haͤuſer beruhet, bald eine ganz andere Wendunggenom -18310) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. genommen haben wuͤrde. Doch eben deswegen finden ſich auch uͤber alle Erwartung fruͤhzeitige Spuhren, daß graͤfliche und fuͤrſtliche Haͤuſer ihre Toͤchter ausdruͤckliche Verzichte auf alle Erbfolge leiſten laßen, und uͤberhaupt durch Geſchlechts - vertraͤge das zu befeſtigen geſucht haben, was ſich vorher von ſelbſten verſtand, und nur durch Einfuͤhrung Roͤmiſcher Rechtsgrundſaͤtze Noth zu leiden ſchien. Dennoch hat in manchen Faͤllen nicht verhuͤtet werden koͤnnen, daß man zu Zeiten uͤbel angewandten Roͤmiſchen Rechtsſaͤtzen nachge - gangen iſt. Selbſt jene Verzichte und Geſchlechts - vertraͤge konnten nach ſolchen Grundſaͤtzen nicht unangefochten bleiben, wenn nicht eine paͤbſtliche Geſetzgebung noch damit geholfen haͤtte, daß we - nigſtens eine eidliche Beſtaͤrkung ſolcher Vertraͤge ſie wider alle Anfechtung ſichern koͤnnte. Wovon die natuͤrliche Folge war, daß man ſeitdem alle Erb - folgsvertraͤge und Verzichte mit einem koͤrperlichen Eide betheuern ließ; obgleich in der That ein ſol - cher Eid von Rechts wegen nicht erforderlich war.

Ganz natuͤrlich hatte der Begriff, den manVIII. ſich von der Verbindlichkeit des Roͤmiſchen und canoniſchen Rechts machte, auch ſeinen großen Ein - fluß auf die ganze Gerichtsverfaſſung. Doch dieſe war durch das nun ſchon ſeit Jahrhunderten ein - gewurzelte Fauſtrecht mit dem Gebrauche der Selbſt - huͤlfe ſo verunſtaltet, daß Streitigkeiten ungleich haͤufiger durch Befehdungen, oder allenfalls dazwi - ſchen gekommene Austraͤge, als durch richterliche Ausſpruͤche unter kaiſerlichem Anſehen abgethan wurden. Selbſt ein Landfriede, den der Kaiſer Friedrich der I. noch in ſeinen letzten Jahren (1187.) M 4als184II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. als ein feierliches Grundgeſetz bekannt machen ließ, war ſo eingerichtet, daß zwar Mordbrenner und Stoͤhrer der oͤffentlichen Ruhe in die Acht erklaͤrt werden ſollten; jedoch mit der ausdruͤcklichen Aus - nahme, daß es einem jeden vorbehalten blieb, ſein Recht gegen den andern mit Gewalt auszumachen, wenn er es ſeinem Widerſacher nur drey Tage vor - her verkuͤndigen, und ihm alſo den Frieden abſa - gen ließe.

IX.
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Daneben enthielt dieſer Landfriede die merk - wuͤrdige Clauſel, daß ſowohl Herzoge als Marg - grafen, Pfalzgrafen, Landgrafen und andere Gra - fen diejenigen, die ſich eine widerrechtliche Stoͤh - rung der oͤffentlichen Ruhe zu Schulden kommen ließen, nicht nur im Namen des Kaiſers, ſondern auch aus ihrer eignen herzoglichen oder fuͤrſtlichen und graͤflichen Befugniß in die Acht erklaͤren ſoll - ten. (Woraus ſich theils die damalige Einthei - lung der weltlichen Staͤnde, wie ſie meiſt noch jetzt iſt, theils ſchon der große Fortſchritt zur landes - herrlichen Gewalt derſelben abnehmen laͤßt.) In - zwiſchen verſtand ſichs, daß Achtserklaͤrungen und aͤhnliche Verurtheilungen nicht anders, als vor feierlich gehegtem Gerichte, geſchehen konnten. Und darin erhielt ſich noch lange die Altteutſche Ge - richtsverfaſſung, daß ein jeder durch ſeines Glei - chen, und zwar unter dem Vorſitz des Regenten oder eines von demſelben dazu ernannten Richters, aber mit Zuziehung und nach dem Ausſpruche meh - rerer Beyſitzer oder ſo genannter Schoͤppen, geur - theilt werden mußte.

X.
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Eines der wichtigſten Beyſpiele dieſer Art fand ſich in den Achtserklaͤrungen, welche unter denbei -18510) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. beiden erſten Schwaͤbiſchen Regierungen (in den Jahren 1138. und 1180.) wider die damaligen Haͤupter des noch jetzt bluͤhenden Welfiſchen Hau - ſes nach einander ergiengen. Ohne hier aus der Geſchichte ſelbiger Zeiten alle perſoͤnliche Verhaͤlt - niſſe zu wiederholen, worin die beiden Henriche, Vater und Sohn, deren Andenken die Geſchichte unter den Beynamen, der Stolze und der Loͤwe, erhalten hat, gegen die damaligen Oberhaͤupter des Teutſchen Reichs, Conrad den III. und Friedrich den I., ſtanden, kann ich nur ſoviel als bekannt vorausſetzen, daß die große Uebermacht des Wel - fiſchen Geſchlechts, ſeitdem Henrich der Stolze nebſt dem Herzogthume Baiern und ſovielen Erb - guͤtern, die er in Baiern, Schwaben und Sachſen beſaß, von ſeinem Schwiegervater Lothar auch das Herzogthum Sachſen erhalten hatte, unſtreitig der groͤßte politiſche Bewegungsgrund war, warum die regierende Staufiſche Familie die erſte beſte Gelegenheit hervorſuchte, um wo moͤglich durch das Mittel einer Achtserklaͤrung die Macht des Welfiſchen Hauſes zu brechen. Bey der erſten Achtserklaͤrung, die wider Henrich den Stolzen er - gieng, wußte man kaum einen anderen Vorwand zu nehmen, als daß zwey Herzogthuͤmer, wie die von Baiern und Sachſen, nicht in einer Perſon vereiniget ſeyn koͤnnten; ungeachtet ſchon mehrere unangefochten gebliebene Beyſpiele das Gegentheil bewaͤhret hat - ten(r)Z. B. oben S. 128.. Auch bey der Art und Weiſe, wie man mit dieſer Achtserklaͤrung zu Werke gieng, fand Henrich der Stolze ſoviel zu erinnern, daß er ſichs getroſt zu gute hielt, der Vollziehung dieſer Acht ſich mit gewaffneter Hand zu widerſetzen. Mitten im ZugeM 5des186II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. des Gluͤcks, womit dieſe ſeine Unternehmungen begleitet waren, unterbrach ſolche zwar ein uner - warteter Tod, der ihn nur mit Hinterlaßung eines minderjaͤhrigen Sohnes wegraffte. Es ſey aber, daß man das Widerrechtliche dieſer Achtserklaͤrung erkannte, oder daß man wenigſtens fuͤr unrecht hielt, wenn der unſchuldige Sohn und weitere Stamm darunter leiden ſollte, ſo erfolgte 1156. die Herſtellung Henrichs des Loͤwen nicht nur im Herzogthume Sachſen, deſſen Beſitz ſein Vater noch mit den Waffen behauptet hatte, ſondern auch im Herzogthume Baiern, das ſchon dem damaligen Marggrafen von Oeſterreich in Beſitz gegeben wor - den war; nur daß dieſer dagegen zur Schadlos - haltung aus einem Marggrafen in einen Herzog von Oeſterreich verwandelt, und mit außerordent - lichen Vorzuͤgen begnadiget ward, wovon ich ſchon oben geſprochen habe.

XI.
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Deſto ungluͤcklicher war hernach der Erfolg1180 der zweyten Achtserklaͤrung, die (1180.) Henrich der Loͤwe ſelbſt uͤber ſich ergehen laßen mußte. Deren wahre Staatsurſache war wohl keine an - dere, als die man wegen der Uebermacht dieſes Hauſes ſchon bey ſeinem Vater vor Augen gehabt hatte, zumal da nach ſeiner Scheidung von der erſten Gemahlinn, die ihm nur eine Tochter ge - bohren hatte, ſeine zweyte Ehe mit mehreren Soͤh - nen geſegnet war, und alſo die Hoffnung, daß ohnedem mit ſeinem Tode die Macht des Hauſes gebrochen werden wuͤrde, auf einmal vereitelt wurde. Zur Einleitung nahm man aber diesmal einen andern Vorwand, da nach Friedrichs un - gluͤcklich abgelaufenem Feldzuge in Italien, deſſenuͤblen18710) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. uͤblen Erfolg man einer Verunwilligung zwiſchen Henrichen und dem Kaiſer zuſchrieb, verſchiedene Klagen wider jenen gefuͤhret wurden, zu deren Eroͤrterung Henrichen mehrere Tagfahrten nach ein - ander angeſetzt wurden, auf denen er aber nicht erſchien; daher die Acht als eine Strafe des Un - gehorſams wider ihn erkannt wurde. Je gewoͤhn - licher es war, daß eine ſolche Ungehorſams-Acht wieder aufgehoben wurde, wenn binnen Jahr und Tag dagegen Vorſtellungen geſchahen; je weniger mochte Henrich wegen der Folgen dieſer Acht be - ſorgt ſeyn, zumal da er ſich des Ungrundes der Beſchwerden, die man wider ihn vorbrachte, be - wußt war, und da er ſich uͤberzeugt hielt, daß ſelbſt in der Art und Weiſe, wie man das Ge - richt beſtellt, und die Acht wider ihn erkannt hat - te, manches widerrechtliche vorgegangen war.

Die Beſetzung des Gerichts ſchien zwar inXII. ſo weit ihre verfaſſungsmaͤßige Richtigkeit zu ha - ben, als eine Anzahl Fuͤrſten dazu gezogen waren, und alſo dem Grundſatze ein Gnuͤge geſchah, daß niemand anders, als durch ſeines Gleichen, ver - urtheilet werden koͤnne. Aber das verſtand ſich doch von ſelbſten, daß ein Gericht auch nicht an - ders, als mit unpartheyiſchen Richtern, nicht mit ſolchen, die ſelbſt Widerſacher des zu verurtheilen - den waren, beſetzt ſeyn mußte. Darum war un - ſtreitig die Beſchwerde Henrichs des Loͤwen ſehr gegruͤndet, da der Erzbiſchof Philipp von Coͤlln und andere, die ſchon als Anklaͤger und Widerſa - cher gegen ihn aufgetreten waren, jetzt auch als Mitglieder des Gerichts erſchienen, vor welchem er zur Verantwortung gezogen werden ſollte. Da -neben188II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. neben berief ſich Henrich auf ein Herkommen, ver - moͤge deſſen uͤber einen Teutſchen Fuͤrſten an kei - nem andern Orte, als in dem Lande, wo er geboh - ren ſey, Gericht gehalten werden duͤrfe. Er war aber in Schwaben gebohren, hielt ſich alſo nicht fuͤr ſchuldig, außerhalb Schwaben vor irgend ei - nem Gerichte zu erſcheinen. Kurz Henrich glaubte das Recht auf ſeiner Seite zu haben, und er hoffte, mit eben dem Erfolge, wie es ſeinem Va - ter gelungen war, ſeine Sache mit den Waffen auszumachen. Allein dieſe Hoffnung ſchlug fehl. Nach einem zwar in der erſten Zeit nicht ungluͤck - lich gemachten Anfange mußte er endlich der Ueber - macht weichen, da Friedrich 1182. mit einer aus einem großen Theile von Teutſchland vereinigten Macht wider ihn anzog, und ihn zu Luͤbeck ſich zu unterwerfen noͤthigte.

XIII.
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Darauf erfolgte jetzt eine gaͤnzliche Verthei - lung der bisherigen Staaten des Welfiſchen Hau - ſes, die ſeitdem bis auf den heutigen Tag in mehr als einerley Betracht ihre wichtige Folgen behal - ten hat. Das Herzogthum Sachſen, das Al - brechts des Baͤren Sohne, Bernharden von Anhalt, zugedacht war, kam zwar ſo, wie es bisher ge - weſen war, demſelben nicht zu gute. Der Weſt - phaͤliſche Theil des Herzogthums kam groͤßtentheils an das Erzſtift Coͤlln, wie es von dieſer Zeit her noch jetzt das Herzogthum Weſtphalen beſitzet. Andere einzelne Stuͤcke kamen an Mainz, Magde - burg, Bremen, Paderborn, Hildesheim, Verden, Minden. Vieles war Welfiſches Erbgut oder Lehn von anderen Stiftern, das mit der kaiſer - lichen Achtserklaͤrung nicht verlohren gieng. Bern -hard18910) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. hard von Anhalt nahm jedoch, wiewohl mit Wi - derſpruch der Welfiſchen Familie, den Titel: Her - zog in Sachſen, an, der eben damit auf ganz andere Gegenden uͤbertragen wurde. Denn er baute an der Stelle des Schloſſes Erteneburg, das Henrich der Loͤwe zerſtoͤhrt hatte, das Schloß Lauenburg, und in dem heutigen Churkreiſe, den ſein Vater Albrecht der Baͤr ſchon den Wenden entriſſen hatte, die Stadt Wittenberg. Von die - ſen beiden Orten kamen hernach fuͤr ſeine Nach - kommen, die ſich in zwey Linien theilten, die Be - nennungen von Sachſen-Lauenburg und Sachſen - Wittenberg. An ſich waren beides urſpruͤnglich Wendiſche Laͤnder, auf die nun nur von der Wuͤrde ihrer Beſitzer der herzoglich Saͤchſiſche Titel kam.

Die Pommeriſchen Fuͤrſten, die Henrich derXIV. Loͤwe unter ſeiner Botmaͤßigkeit gehalten hatte, er - klaͤrte der Kaiſer 1181. zu Herzogen, und die Stadt Luͤbeck 1182. zur Reichsſtadt. Auch die Meck - lenburgiſchen Fuͤrſten, die Henrich als ſeine Vaſallen behandelt hatte, und die nach ſeinem Fall beynahe unter Daͤniſche Hoheit gekommen waͤ - ren, erhielten 1225. ihre Reichsunmittelbarkeit wieder, die durch die Daͤniſche Niederlage bey Bornhoͤvede (1227.) vollends befeſtiget wurde(s)Rudloffs Mecklenb. Geſch. Th. 1. S. 237.. Von dieſer Zeit an behielt dieſer alte Fuͤrſten - ſtamm(t)Von der Abſtammung dieſes Hauſes von Niclot ( 1161.) und deſſen von den ehemaligen Obotritiſchen Koͤnigen wahrſcheinlich abzuleitender Herkunft S. Thom. Nugent’s hiſtory of Van -dalia, nur in mehrere Linien vertheilt, ſeinennoch190II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. noch jetzt bluͤhenden Fortgang; durch den herzog - lichen Titel, den hernach (1348. Jul. 8.) der Kai - ſer Carl der IV. dieſem Hauſe verlieh, ward deſ - ſen Band mit dem Teutſchen Reiche noch feſter geknuͤpft(u)Rudloffs Meckl. Geſch. Th. 2. S. 298..

XV.
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In Baiern gelang es der Wittelsbachiſchen Familie beſſer zum voͤlligen Beſitze des ganzen Her - zogthums zu kommen, wie dieſelbe bis auf den heutigen Tag dabey geblieben iſt; außer daß in Tirol ein neues Herzogthum Meran entſtand, und die Stadt Regensburg zur Reichsſtadt erklaͤret wur - de. Hier hatte auch das neue herzogliche Haus Wittelsbach von Henrich dem Loͤwen und ſeiner Nachkommenſchaft nicht ſoviele Anfechtung, als das Haus Anhalt wegen des Herzogthums Sachſen. Zum Vortheile Herzog Ludwigs und ſeiner Nach -1208 kommen ließ ſich ſchon Otto der IV. bewegen 1208. eine Verzichtsurkunde auszuſtellen(v)Der Hauptinhalt dieſer im Archive zu Muͤnchen auf bewahrten Urkunde von 1208. war folgender: Otto quartus D. G. Rom. rex et ſem - per Auguſtus. Notum facimus quod nos in - ſpecta deuotione, quam circa promotionem no - ſtram illuſtris vir Lodevicus dux Bawarorum erit omni tempore habiturus, confirmamus tam ipſi quam vniuerſis ſuis ſucceſſuris heredibus ducatum Bawariae cum vniuerſis terris et poſſeſ - ſionibus, quas idem dux adhuc viuente anteceſ - ſore noſtro in manu ſua et poſſeſſione tenuit Et cum fratribus noſtris, H. Palatino comite Rhe -ni,; die jedocheben(t)dalia tom. 1. (Lond. 1766.) append. 1. p. 435 - 440., und andere, die in Rudloffs Meckl. Geſch. Th. 1. S. 99[.]angefuͤhret ſind.19110) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. eben deswegen, weil ſie nicht unbeſchraͤnkt, ſon - dern nur zum Vortheile des Wittelsbachiſchen Stammes gefaſſet iſt, noch immer zum unwider - leglichen Rechtsgrunde dienen kann, daß, wenn das Haus Braunſchweig-Luͤneburg das Haus Wittels - bach uͤberleben ſollte, die ehemaligen Rechte des Welfiſchen Hauſes wieder aufleben, und deſſen Nach - kommen alsdann immer naͤher, als irgend ein an - deres Haus, zum Herzogthum Baiern berechtiget ſeyn wuͤrden(w)Im Roͤmiſchen Geſetzbuche iſt eine be - kannte Stelle L. 7. §. 8. D. de pactis, wo es der Natur der Sache ſehr gemaͤß heißt: Pactorum quaedam in rem ſunt, quaedam in perſonam. In rem ſunt, quoties generaliter paciſcor: ne petam; In perſonam, quoties, ne a perſona pe - tam, id eſt, ne a Lucio Titio petam. Dieſe ganz richtige Unterſcheidung zweyerley Gattungen von Vertraͤgen trifft inſonderheit auch Verzichtleiſtun - gen, wo es bald in die Augen faͤllt, daß es ſehr unterſchieden iſt, ob ich mich eines Rechts ſchlech - terdings und unbeſchraͤnkt begebe, oder ob ich nur gewiſſen Perſonen und deren Nachkommen zum Beſten Verzicht leiſte. Hier iſt die Anwendung offenbar. Die Vorfahren des Hauſes Braunſchweig - Luͤneburg haben ſich 1208. erklaͤrt, wegen ihres Rechts auf Baiern an den damaligen Herzog Lu - dewig und deſſen Erben keinen Anſpruch machen zu wollen. Dieſe Verzichtleiſtung muß allerdings ihre Kraft verliehren, ſobald keine Nachkommen von gedachtem Herzoge mehr da ſind..

Bey

(v)ni, et W. duce taliter ordinauimus, quod de bonis et hominibus quondam incliti patris noſtri aduerſus ducem Bawariae et heredes eius numquam actionem habebunt. Orig. Guelf. tom. 3. praef. §. 11. p. 33.

192II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
XVI.
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Bey allem dem behielt Henrich der Loͤwe die von ſeinen muͤtterlichen und großmuͤtterlichen Vor - fahren auf ihn vererbten Laͤnder Braunſchweig, Nordheim und Luͤneburg. Er hoͤrte auch nie auf den herzoglichen Titel zu fuͤhren. Eben das tha - ten ſeine Soͤhne, Henrich, Otto und Wilhelm, die anfangs, wie es unter Bruͤdern damals haͤu - fig geſchah, in Gemeinſchaft ihrer Guͤter blieben, bis ſie ſich im Jahre 1203. in Zelle, Braun - ſchweig und Luͤneburg abtheilten. Henrich der Loͤwe erlebte auch noch die Hoffnung, daß zu eini - ger Entſchaͤdigung ſeines Hauſes die Pfalz am Rhein demſelben zu Theil werden wuͤrde, da ſein aͤlteſter Sohn Henrich mit einer Staufiſchen Prin - zeſſinn Agnes, deren Vater Conrad Pfalzgraf am Rheine war, vermaͤhlet wurde, auch wuͤrklich her - nach zum Beſitz der Pfalz gelangte. Allein auch dieſer gerieth nachher 1215. in die Acht, und mit ſeiner Tochter Agnes, die an den Herzog Otto von Baiern vermaͤhlt ward, kam auch die Pfalz wieder vom Welfiſchen Hauſe an das Haus Wittelsbach.

XVII.
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Endlich wurde erſt im Jahre 1235. die ganze1235 Sache damit auf den heutigen Fuß geſetzt, daß vermoͤge eines zwiſchen dem Kaiſer Friedrich dem II. und Henrichs des Loͤwen einzig uͤbrig gebliebenem Enkel von ſeinem juͤngern Sohne Wilhelm, Otto dem Knaben, feierlich errichteten Vergleichs, die - ſer Otto ſeine Braunſchweig-Luͤneburgiſche Erblaͤn - der dem Kaiſer zu Lehn auftrug, und als ein Her - zogthum, das auf der Stadt Braunſchweig und dem Schloſſe Luͤneburg haften ſollte, zuruͤck empfieng. An ſtatt, daß urſpruͤnglich Herzogthuͤ - mer von ganzen Voͤlkern, wie von Baiern, Sach -ſen,19310) Lothar. II. Fried. II. 1125-1235. ſen, Schwaben, Franken, benannt waren, hatte man ſchon die Beyſpiele der Herzoge von Zaͤhringen und Meran vor ſich, die nur von Schloͤſſern den Namen fuͤhrten. Jetzt ſchien es uͤberhaupt ein Grundſatz zu ſeyn, daß ein fuͤrſtliches Lehn wenigſtens auf einer Stadt und auf einem Schloſſe haften muͤße (wie hernach 1292. auch die Stadt Eſchwege und das Schloß Boineburg als der Sitz der Landgrafſchaft Heſſen angegeben worden). So erlaͤutert ſich vor - erſt die von den beiden Orten Braunſchweig und Luͤneburg zuſammengeſetzte Benennung dieſes her - zoglichen Hauſes. Man wuͤrde ſich aber ſehr irren, wenn man das, was 1235. deshalb vorgieng, als eine Standeserhoͤhung, wie viele graͤfliche Haͤu - ſer nachher in Fuͤrſtenſtand erhoben worden, an - ſehen wollte. Hier war die Sache in einer ganz andern Lage. Die Herren des Welfiſchen Hauſes behaupteten, daß ihnen der herzoglich Saͤchſiſche Titel mit Unrecht genommen ſey, und noch immer vielmehr ihnen, als den Herren vom Hauſe Anhalt, die im eigentlichen Sachſen keinen feſten Fuß hat - ten, zukaͤme. Sie hatten ſich auch immer im Beſitz des herzoglichen Titels erhalten, und es ward ihnen nie beſtritten, daß ſie nach wie vor von Gebuhrt zum Fuͤrſtenſtande gehoͤrten. Jetzt ward nur verglichen, daß ſie nur nicht von Sach - ſen, ſondern von ihren Braunſchweig-Luͤneburgi - ſchen Erblaͤndern den herzoglichen Titel fuͤhren ſoll - ten. Ein Allodial-Herzogthum, das nur auf Erb - guͤtern, nicht auf Lehnguͤtern beruhete, ward aber damals noch als etwas widerſprechendes angeſehen. Darum mußte das Erbgut erſt in Lehn verwan - delt werden. Das war nichts weniger als eine Standeserhoͤhung. So war es auch den Umſtaͤn -Nden194II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. den gemaͤß, daß noch manche Vortheile dabey aus - bedungen wurden, als daß, der Lehnseigenſchaft ungeachtet, nach Abgang des Mannsſtamms auch Toͤchtern die Erbfolge zu gute kommen ſollte; und daß die Zehnten von den Harzbergwerken, welche ſonſt die Koͤnige gehabt hatten, den Herzogen als Landesherren uͤberlaßen wurden.

XI. Weitere Veraͤnderungen in Italien und in der Kirche unter Friedrich dem I., Henrich dem VI., Otto dem IV. und Friedrich dem II. 1152-1235. ; inſonderheit neue Unternehmungen des Pabſtes Innocenz des III.

I. Vereitelte Entwuͤrfe der Roͤmer, ſich von neuem zum Freyſtaate und Sitze der Kaiſerwuͤrde zu machen. II. Errungenſchaft von Sicilien fuͤr das Haus Hohenſtaufen. Deſto wichtigere Unternehmungen des Pabſtes Innocenz des III. III. Unterdruͤckung der Waldenſer. IV-VI. Neue Orden der Franciſcaner, Dominicaner und anderer Bettelmoͤnche. VII. Stiftung der Inquiſition. VIII. Paͤbſtliche Anmaßung Biſthuͤmer, Abteyen und Pfruͤnden zu vergeben; auch uͤber Kaiſer und Koͤnige ſich zu erhe - ben. Einfuͤhrung des Interdicts. IX. Abwuͤrdigung der Kirchenverſammlungen. Transſubſtantiation wird zum Glaubensartikel.

I.
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So ſehr das alles, was mit der Achtserklaͤrung Henrichs des Loͤwen vorgieng, den Staats - abſichten des Hohenſtaufiſchen kaiſerlichen Hauſes entſprach; ſo widrig war der Erfolg der Unter - nehmungen dieſes Hauſes in Italien. Der Kai - ſer Lothar hatte ſchon in Herabſetzung der kaiſer - lichen Wuͤrde unter der paͤbſtlichen Anmaßung einerArt19511) Fried. I. II. 1152-1235. Art von Lehnshoheit einen uͤblen Grund gelegt, den Conrad vielleicht noch haͤtte herſtellen koͤnnen, wenn nicht der eben deswegen deſto eifriger be - triebene Kreuzzug dazwiſchen gekommen waͤre. Derſelbe hielt ihn ab, einer Einladung der Roͤ - mer zu folgen, welche eben damals damit umgien - gen, mit Errichtung eines Senates die Herrſchaft in Rom dem Pabſte zu entreiſſen und auf den ehemaligen republicaniſchen Fuß, jedoch mit Vor - behalt der kaiſerlichen Hoheit, zu ſetzen. Friedrich der I. verkannte den Vortheil dieſer Neuerung, und ließ ſich wieder auf dem vorigen Fuß mit dem paͤbſtlichen Stuhle ein. Er verunwilligte ſich jedoch bald ſowohl mit dem Pabſte, als mit den Staͤdten in der Lombardey. Doch konnte er mit aller Haͤrte, die er die Mailaͤnder empfinden ließ, in mehreren Feldzuͤgen weiter nichts ausrichten, als daß er am Ende demjenigen Pabſte, dem er in einer ſtreitigen Wahl ſich entgegengeſetzt hatte, ſich (1176.) wider ſeinen Willen unterwerfen mußte. Auch mit den verbundenen Staͤdten in der Lom - bardey mußte er hernach (1183.) zu Coſtnitz einen Frieden eingehen, der ihnen ihre Republikenmaͤßige Einrichtung groͤßtentheils gewaͤhrte, und der kaiſer - lichen Hoheit nur wenige Rechte uͤbrig ließ.

Dagegen legte zwar noch Friedrich der I. denII. Grund dazu, daß die Krone von Sicilien, wie ſie zu Lothars Zeiten zu Stande gekommen war, auf ſei - nen Sohn Henrich den VI. fiel, und nach deſſen Tode auch wieder auf deſſen Sohn Friedrich den II. fort - erbte. Allein dieſer ward eben daruͤber auch wie - der in deſto mehr Haͤndel verwickelt, an welchen vorzuͤglich der damalige Pabſt Innocenz der III. N 2großen196II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. großen Antheil hatte. Derſelbe wußte nicht nur bald abzuſtellen, was Henrich der VI. ſchon zu Rom und im Kirchenſtaate zum Nachtheile der paͤbſtlichen Hoheit unternommen hatte, ſondern in den achtzehn Jahren, da er auf dem paͤbſtlichen Stuhle ſaß, kamen noch ganz andere Dinge in Gang, die auf den Zuſtand der Kirche und der Staaten ſeitdem den groͤßten Einfluß hatten.

III.
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Peter Waldus, ein Kaufmann zu Lion, hatte zu Ende des zwoͤlften Jahrhunderts in der bis - herigen Kirchenverfaſſung einen Anſtoß gefunden, und verſchiedene Verſuche neuer Einrichtungen ge - macht. Er glaubte in der Bibel weder die Vor - zuͤge des Pabſtes und der Biſchoͤfe, noch die Leh - ren vom Fegefeuer, vom Ablaße, von Seelmeſſen, von Anrufung der Heiligen, vom Verbote der Prieſterehe u. ſ. w. gegruͤndet zu finden. Er hielt nicht dafuͤr, daß man den Laien den Kelch im Abendmahle entziehen ſollte. Er ſah hingegen die Bibel als die einzige Quelle der ganzen Chriſt - lichen Religion an, und ließ einige Hauptbuͤcher derſelben, inſonderheit die vier Evangeliſten, ins Franzoͤſiſche uͤberſetzen, und half ſie unter das Volk verbreiten. Er glaubte nicht, daß nur ge - weihete Prieſter Gottes Wort verkuͤndigen duͤrften; da nicht abzuſehen ſey, warum nicht ein jeder Bru - der den andern daraus belehren koͤnnte. Er ſelbſt verkaufte ſein Hab und Gut, vertheilte es unter Arme, und gieng als Lehrer aus. Sein Anhang, der von ihm den Namen Waldenſer bekam, ver - breitete ſich bald unglaublich ſowohl in Italien als in Frankreich. Unter andern bot der damali - ge Graf von Toulouſe dieſen Neuerungen die Hand,indem19711) Fried. I. II. 1125-1235. indem er den Waldenſern alle oͤffentliche Uebung geſtattete. Dawider ließ nun Innocenz der III. nicht nur ſeine Bannfluͤche ergehen, ſondern auch das Kreuz, wie bisher gegen Tuͤrken und Unglaͤu - bige geſchehen war, predigen, und zwar mit ſol - chem Erfolge, daß Simon Graf von Montfort (1215.) mit einem Kriegsheere von 500. tauſend Mann ſich der ganzen Grafſchaft bemaͤchtigte.

Sehr gelegen kamen um dieſe Zeit zwey Stif -IV. ter neuer Moͤnchsorden, die nicht, wie die bis - herigen Moͤnchsgeſellſchaften, Andachtsuͤbungen nur zu eigner hoͤherer Vollkommenheit, ſondern vielmehr Thaͤtigkeit unter dem Volke mit Predi - gen, Unterweiſen und Ketzerbekehren zu ihrer Hauptabſicht nahmen(x)Spittlers Kirchengeſch. (Aufl. 2.) S. 307.. Den bisherigen Moͤn - chen ſchien ſelbſt der Reichthum an liegenden Gruͤn - den und Einkuͤnften, womit bald jede Stiftung uͤberhaͤuft wurde, ihre Betriebſamkeit unter dem Volke zu benehmen. Beide Stifter dieſer neuen Orden, der eine, ein vornehmer Spanier, Domi - nicus Guzmann, der andere, eines Italiaͤniſchen Kaufmanns Sohn Franz von Aſſiſſi, die beynahe zu gleicher Zeit von einerley enthuſiaſtiſchem Triebe belebt wurden, machten ſich und ihren Ordensbruͤ - dern es zur Pflicht ihren Unterhalt nur zu erbet - teln. Ein Kloſter von dieſer Art zu ſtiften, wur - de alſo weiter nichts erfordert, als nur fuͤr den Bau des Kloſters und der Kirche zu ſorgen. So gab Innocenz gern ſeine Einwilligung zur Errich - tung dieſer beiden Orden, der Dominicaner oder Prediger, und der Franciſcaner, oder wie ſie ſich hernach aus Demuth nannten, der Minori -N 3ten198II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. ten(y)Franz, der 1182. zu Aſſiſſi im Herzog - thume Spoleto gebohren war, und nach einer Krankheit, die er ſich durch jugendliche Ausſchwei - fungen zugezogen, im Jahre 1208. ſich entſchloſſen hatte, ein frommes Leben zu fuͤhren, und einen neuen Orden zu ſtiften, erhielt von Innocenz dem III. 1215. die paͤbſtliche Beſtaͤtigung. Zur Ausbrei - tung ſeines Ordens that er theils ſelbſt große Rei - ſen, theils verſchickte er andere in dieſer Abſicht. Schon 1216. ſchickte er 60. von ſeinen Moͤnchen nach Teutſchland, die aber wegen Unkunde der Landesſprache nicht zu recht kamen. Der zweyte Verſuch 1221. war gluͤcklicher. Von dieſer Zeit an finden ſich Franciſcaner 1221. zu Trident, 1222. zu Wuͤrzburg, Worms, Speier, 1223. zu Freyburg, Hildesheim, Braunſchweig, Goslar, Halberſtadt, 1224. zu Nuͤrnberg, Coͤlln, Mainz, Erfurt, Lindau, Prag, 1225. zu Eiſenach, Go - tha, Nordheim, Muͤhlhauſen u. ſ. w. Abele Magazin fuͤr Kirchenrecht St. 1. S. 87-98. Do - minicaner finden ſich ſchon 1219. zu Metz, 1220. zu Frieſach in Kaͤrnthen, und zu Brixen, 1251. zu Coͤlln ꝛc. Abele am a. O. S. 86.; welchen in der folgenden Zeit unter dem Namen Auguſtiner und Carmeliter bald noch meh - rere Orden aͤhnlicher Bettelmoͤnche, wie man ſie nachher insgeſammt nannte, folgten.

V.
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Dieſen Bettelmoͤnchen gaben die Paͤbſte die Er - laubniß uͤberall zu predigen, Beichte zu hoͤren, Meſſe zu leſen, und Ablaß zu ertheilen, ohne an irgend einen Sprengel gebunden zu ſeyn. Bald benutzten ſie die Meynung, die ſchon andere Moͤnchsorden dem Volke beygebracht hatten, daß ſie vom Ueber - fluſſe der guten Werke eines ganzen Ordens ande - ren Chriſten, von denen ſie zeitliche Wohlthaten erhielten oder zu erhalten hofften, etwas abgeben koͤnnten; welches durch ſo genannte Affiliations -briefe19911) Fried. I. II. 1152-1235. briefe geſchah, dergleichen ſich faſt jede adeliche Familie und jeder wohlhabender Buͤrger geben ließ(z)Beyſpiele ſolcher Affiliationsbriefe von 1302. 1308. 1341. finden ſich in Steph. Alex. Würdtwein ſubſidiis diplomaticis iuris eccle - ſiaſt. tom. 1. p. 396. 404., tom. 5. p. 227.. Das alles verſchaffte den Bettelorden bald ſolchen Zulauf, daß faſt alle Pfarrkirchen dar - uͤber leer wurden(a)So verlohren die Biſchoͤfe als Seelſorger ihrer Gemeinden, und jeder Dorfprieſter in ſeinem kleinen Sprengel alle Liebe und alles Zutrauen, und endlich ſelbſt auch alle Kenntniß der einzelnen Mitglieder ihrer Gemeinden. Alles eilte dem Pa - ter Franciſcaner zu, wenn er ins Dorf kam. Das rohe Volk lachte der Seelſorge und der Ermah - nung ſeines Pfarrers; der Pater Franciſcaner abſolvirte fuͤr leichtere Strafen, oder man beich - tete wenigſtens lieber bey dem, der als ein Frem - der im Orte uͤber die Vollſtaͤndigkeit und Wahrheit der Beichte minder gewiß urtheilen konnte. Spitt - ler am a. O. S. 309., hingegen nicht leicht eine Stadt von einigem Belange uͤbrig blieb, wo nicht ein oder ander Kloſter von Dominicanern, Fran - ciſcanern, oder auch von den hernach noch hinzu - gekommenen Auguſtinern und Carmelitern errichtet worden waͤre(b)In der Folge kamen noch die ſo genann - ten Bruͤderſchaften hinzu, da die darin vereinig - ten Bruͤder und Schweſtern unter Direction eines der vier Bettelorden ſich einander ihrer guten Werke theilhaftig machten. So entſtanden die Roſenkranz - bruͤderſchaft bey den Dominicanern, die Scapulier - bruͤderſchaft bey den Carmelitern, die Guͤrtel - bruͤderſchaft bey den Auguſtinern, die Kordelbruͤ - derſchaft bey den Franciſcanern, wodurch die Laien zu Beytraͤgen an Wachs oder Geld und Geldeswerthzu. Auch unterſchieden ſich dieſeKloͤ -N 4200II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Kloͤſter von den aͤlteren Moͤnchsorden darin, daß ſie nicht Einoͤden und Waldungen oder unbearbei - tetes Land, ſondern gleich bewohnte Staͤdte zu ihrem Sitze wehlten.

VI.
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Jeder Bettelorden bekam nun ſeinen General, der zu Rom ſeinen Sitz hatte, durch den der paͤbſtliche Stuhl unmittelbar, wo er es gut fand, in allen Laͤndern den wirkſamſten Einfluß haben konnte; ohne daß von den Verhaͤltniſſen, worin Biſchoͤfe und be - guͤterte Kloͤſter wegen ihrer Guͤter gegen weltliche Obrigkeiten ſtanden, weiter einige Hinderniſſe zu beſorgen waren(c)Wollte von dieſer Zeit an ein Pabſt in irgend einem Reiche Unruhen anrichten; wer war ihm dazu geſchickter, als dieſe Bettelmoͤnche? Kein anderer Geiſtlicher und kein anderer Moͤnch kam ſo unter dem niedrigſten Volke und ſo weit und breit herum, als Franciſcaner und Dominica - ner. Biſchoͤfe und reiche Benedictinermoͤnche konn - ten bey ſo vielen liegenden Gruͤnden, die ſie hat - ten, gegen die Gnade und Ungnade der Koͤnige nicht ganz gleichguͤltig ſeyn. Sie wagten es alſo nicht, nach jeder Laune des Pabſtes ſich zu empoͤ - ren. Aber der Moͤnch, deſſen ganzes Vermoͤgen eine braune Kutte oder ein Bettelſack war, konnte nichts verliehren; er konnte trotzen, wie Diogenes in ſeiner Tonne. Spittlers Kirchengeſch. S. 309.. Selbſt bey Univerſitaͤten, welche ſonſt als geſchloſſene privilegirte Geſell - ſchaften ſich bald fuͤhlen gelernt haͤtten, und bey der gluͤcklichen Unabhaͤngigkeit, welche ihnen theils ihr Ruf, theils die ganze Art ihrer Einkuͤnfte ſicherte,ent -(b)zu den Kloͤſtern und ihren Kirchen angelockt wur - den. Zweytes Sendſchreiben eines Laien uͤber das waͤhrend der Jeſuiter-Epoche ausgeſtreute Unkraut. (Frkf. und Lpz. 1786.) S. 12.20111) Fried. I. II. 1152-1235. entſchloſſene Gegner des paͤbſtlichen Deſpotiſmus geworden waͤren, kamen die Bettelmoͤnche dem paͤbſtlichen Stuhle zu ſtatten, da ſie ſich in die theologiſche und philoſophiſche Facultaͤten eindran - gen, jede Facultaͤtsſtatute aber nur mit Vorbehalt ihrer Ordensregel und des darin begriffenen Ge - horſams gegen den Pabſt beſchworen, und dann jedem Schluſſe, der gegen eine paͤbſtliche Uſurpa - tion gefaſſet werden ſollte, ſich maͤchtig widerſetz - ten(d)Spittlers Kirchengeſch. S. 309. u. f.. Das hatte aber auch bald auf den Zu - ſtand der ganzen Gelehrſamkeit den Einfluß, daß ſie faſt uͤberall nur in caſuiſtiſche Disputirſucht aus - artete, hingegen Volksaberglaube von allen Gat - tungen deſto allgemeiner unterhalten wurde(e)Spittler eben daſ. S. 310..

Nichts konnte dem allem noch einen groͤßerenVII. Nachdruck geben, als da vollends noch die In - quiſition in Gang gebracht wurde, indem die Dominicaner zu Tilgung der im ſuͤdlichen Frank - reich noch uͤbrig gebliebenen Ketzereyen anfangs den Auftrag erhielten, jeden Ketzer, den ſie ver - geblich zu bekehren ſuchten, der weltlichen Obrig - keit zur Beſtrafung anzuzeigen, und, da weder das, noch ein bald hernach in jeder betraͤchtlichen Stadt mit einem Praͤlaten und drey weltlichen Perſonen beſetztes eignes Inquiſitionscollegium der Sache ein Gnuͤge zu thun ſchien, endlich (1233.) der Dominicanerorden ſelbſt die unbeſchraͤnkte Macht erhielt, uͤberall Ketzer auszuſpaͤhen und ohne alle Weitlaͤuftigkeit eines geſetzmaͤßigen Verfahrens auf den Scheiterhaufen zu bringen(f)Spittler eben daſ. S. 311. u. f..

N 5Noch202II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
VIII.
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Noch bediente ſich Innocenz der III. des Vor - wandes, damit nicht ketzeriſche Hirten in den Schaaf - ſtall der Kirche ſich einſchleichen moͤchten, um ſo - wohl Biſthuͤmer und Abteyen als andere Pfruͤn - den unmittelbar von Rom aus zu vergeben. Selbſt uͤber Kaiſer und Koͤnige hielt er ſich nicht weniger berechtiget, ihre Wuͤrdigkeit erſt genau zu unter - ſuchen, ehe ſie ſich im Beſitz ihrer Kronen geſichert halten koͤnnten. Schien es aber nicht hinlaͤnglich, einzelne Perſonen mit dem Kirchenbanne zu bele - gen, um ſeinen Verfuͤgungen den noͤthigen Nach - druck zu geben; ſo brachte er das fuͤrchterliche Interdict in Gang, wodurch ganzen Staͤdten oder Laͤndern und Voͤlkern der oͤffentliche Gottes - dienſt unterſagt wurde(g)Ein ſchauervoller Anblick, wenn ein gan - zes Land mit dem Interdicte beleget wurde. Aller aͤußere Gottesdienſt mußte auf einmal auf - hoͤren; die Altaͤre wurden entkleidet; alle Statuͤen der Heiligen, alle Kreuze wurden zu Boden gewor - fen; keine Glocke koͤnte mehr; kein Sacrament wurde ausgetheilt; kein Todter kam auf die heilige Erde des Gottesackers, er wurde ohne Gebet und Geſang in unheiliges Land eingeſcharrt. Ehen wurden nicht vor dem Altare, ſondern in dem Todtengarten eingeſegnet. Niemand durfte den andern auf der Straße gruͤßen; jeder Anblick ſollte verkuͤndigen, daß das ganze Land ein Land des Fluches ſey. Welchen unausloͤſchlichtiefen Eindruck mußte das nicht auf ein Zeitalter voll Aberglaubens machen, welches den ganzen Got - tesdienſt in jene aͤußere Ceremonien ſetzte? Wie mußte ein Volk nicht ſeinen Regenten verfluchen, der durch ſeine Suͤnden ein ganzes Land auf ſol - che Art um zeitliche und ewige Gluͤckſeligkeit brachte? Spittlers Kirchengeſch. S. 305..

So20311) Fried. I. II. 1152-1235.

So erſtieg die paͤbſtliche Gewalt von Inno -IX. cenz dem III. an noch eine weit hoͤhere Stuffe, als ſie unter Gregor dem VII. erreicht hatte. Selbſt Kirchenverſammlungen, die Gregor zu Befoͤrderung ſeiner Abſichten noch in einiger Ach - tung erhalten hatte, wurden jetzt kaum einer Be - rathſchlagung gewuͤrdiget. Dem Namen nach hielt zwar Innocenz noch 1215. eine allgemeine Kirchenverſammlung im Lateran; aber die ver - ſammelten Biſchoͤfe mußten unterſchreiben, was er ihnen vorſchrieb(h)Spittler am a. O. S. 306.. Unter andern ward hier noch die Transſubſtantiation zum Glaubensartikel gemacht.

XII. 204II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.

XII. Merkliche Abnahme der kaiſerlichen Gewalt, und Zuwachs der reichsſtaͤndiſchen landesherrlichen Rechte unter Friedrich dem II. 1220-1235.

I-IV. Zwey Urkunden Friedrichs des II. fuͤr die geiſt - lichen und weltlichen Reichsſtaͤnde zu Befeſtigung ihrer lan - desherrlichen Rechte. V-VIII. Befoͤrderung dieſer landes - herrlichen Gewalt von Seiten der Landſchaften. IX. So bekam Teutſchland die Geſtalt eines zuſammengeſetzten Staats - koͤrpers, der ſich in viele beſondere Staaten vertheilte. X. XI. Urſprung und Beſchaffenheit des kaiſerlichen Hofge - richts, das um dieſe Zeit angelegt wurde. XII. Vor - zuͤge und Unbequemlichkeiten der damaligen Gerichtsverfaſ - ſung. XIII. XIV. Urſprung und Gebrauch der Austraͤge.

I.
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Wenn ſoviele Mittel zuſammen wirkten, der paͤbſtlichen Gewalt und dem Uebergewichte des geiſtlichen Standes noch einen betraͤchtlichen Zuwachs zu verſchaffen; ſo ward hingegen immer merklicher, wie ſehr die kaiſerliche Macht zuſehends abnahm, aber das Anſehen der Teutſchen Reichs - ſtaͤnde deſto mehrere Fortſchritte machte. Zwey Urkunden, die daruͤber der Kaiſer Friedrich der II. im Jahre 1220. den geiſtlichen, und im Jahre 1232. den weltlichen Reichsſtaͤnden gab, koͤnnen als die erſten Grundfeſten angeſehen werden, wo - mit von Seiten des Kaiſers die landesherrlichen Rechte, die nur durch Herkommen nach und nach bis auf dieſen Punct gebracht waren, zuerſt aus - druͤcklich bekraͤftiget wurden(i)Schmauß corp. iur. publ. S. 4-8. Mein Hauptfaden der Reichsgeſchichte S. 276-279..

Beide20512) Friedrich der II. 1220-1235.

Beide Urkunden machen ſchon einen großenII. Unterſchied zwiſchen Staͤdten des Kaiſers und der Fuͤrſten. Auch in den letzteren werden zwar noch kaiſerliche Hoheitsrechte zur Ausuͤbung geſtattet, ſo - fern ein feierliches kaiſerliches Hoflager daſelbſt ge - halten wuͤrde, wie gewoͤhnlicher Weiſe damals der kaiſerliche Hof noch immer von einem Orte zum an - dern herumzog, und alsdann ſowohl waͤhrend eines feierlich angeſagten Hoflagers, als acht Tage vorher und acht Tage nachher, alles unter kaiſerlicher Hoheit ſtand. Auſſerdem aber ſollte beſage der erſtern Urkunde kein kaiſerlicher Beamter in einer biſchoͤflichen Stadt irgend einiges Recht haben; ſondern ihr Fuͤrſt und Herr ſollte ſich der voͤlligen Gewalt darin zu erfreuen haben(k)Princeps et dominus eius (ciuitatis) ple - na in ea gaudeat poteſtate. Corp. iur. publ. P. 5. §. 9. . So hieß es auch in der anderen Urkunde fuͤr die weltlichen Staͤnde: daß ein jeder Fuͤrſt alle Freyheiten und Gerichtbarkeiten nach Gewohnheit ſeines Landes in ruhiger Uebung haben ſolle, er moͤge damit belehnt ſeyn, oder es als Eigenthum beſitzen(l)Vnusquisque principum libertatibus, iu - risdictionibus, comitatibus, centis, ſiue liberis ſiue infeodatis, vtatur quiete, ſecundum terrae ſuae conſuetudinem approbatam. Corp. iur. publ. p. 7.; ohne was noch von beſonderen Verordnungen in beiden Ur - kunden enthalten war, als daß eines geiſtlichen Fuͤrſten Verlaßenſchaft nicht dem Kaiſer, ſondern dem Nachfolger des Fuͤrſten heimfallen ſollte; daß im Gebiete der Kirchen weder Schloͤſſer noch Staͤdte vom Kaiſer erbauet werden ſollten; daß keine neueZoͤlle206II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Zoͤlle und Muͤnzen in ihren Laͤndern angelegt, die - jenigen aber, ſo ihnen einmal geſtattet worden, unverbruͤchlich gehalten werden ſollten ꝛc.

III.
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Dieſe kaiſerliche Verſicherungen enthielten zwar manches, das ſchon vorher einzeln hergebracht oder ausdruͤcklich zugeſtanden war. Im Ganzen war es aber doch ein wichtiger Vortheil fuͤr die Reichs - ſtaͤnde, daß ſie jetzt eine ſo allgemeine ausdruͤck - liche kaiſerliche Erklaͤrung fuͤr ſich hatten. Bey weltlichen Reichsſtaͤnden dachte jetzt niemand mehr daran, daß ſie ihrem Urſprunge nach nur koͤnig - liche Beamten waͤren. Nebſt ihrer jetzt unbeſtrit - tenen Erblichkeit war ein jeder Fuͤrſt oder Graf und Herr nunmehr ein wahrer Regent in ſeinem Lande. So war es auch ein jeder Biſchof und Abt in dem Gebiete, das zu ſeinem Stifte gehoͤrte.

IV.
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War nun vorher der jedesmalige Kaiſer der einzige Regent in ganz Teutſchland geweſen, ſo konnte freylich ohne deſſen Einwilligung keine ſol - che neue Einrichtung, die nicht anders als mit Abbruch der kaiſerlichen Gewalt den Reichsſtaͤn - den ſoviel einraͤumte, als voͤllig rechtsgeſichert zu Stande kommen. Es gehoͤrte alſo ſehr dazu, daß die kaiſerliche Gewalt durch die bisherigen Zeit - laͤufte in ſolche Umſtaͤnde war geſetzt worden, daß von ihrer Seite kein Widerſpruch die Sache laͤnger aufhalten konnte. Es war jedoch auch nicht von Seiten des Kaiſers alleine, daß die Sache ihren voͤlligen Rechtsbeſtand erlangen konnte.

V.
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Es galt um eine veraͤnderte Regierung uͤber Kloͤſter, Ritterſchaft und Staͤdte, die ſonſt nurden20712) Friedrich der II. 1220-1235. den Kaiſer als ihren Regenten verehret hatten, jetzt aber Fuͤrſten und Grafen zu Landesherren bekom - men, und den Kaiſer nur als Oberherrn behalten ſollten. Dazu wuͤrde nach aͤchten Grundſaͤtzen eines allgemeinen Staatsrechts eine bloße Erklaͤrung des Kaiſers nicht hinlaͤnglich geweſen ſeyn. Kloͤſter, Ritterſchaft und Staͤdte haͤtten mit Recht behaupten koͤnnen, daß auch ihre Einwilligung dazu noͤthig waͤre, ſo wie kein freyes Volk ſchuldig iſt, eine andere Regierungsform, als in die es gewilliget hat, ſich gefallen zu laßen. Ohne ihr Zuthun wuͤrde auch ſchwerlich aus der Sache was gewor - den ſeyn, da in ihnen ſelbſt zugleich die vollzie - hende Gewalt beruhete, ſo lange der Soldat kei - nen beſonderen Stand ausmachte.

Allein eben das befoͤrderte hauptſaͤchlich denVI. Fortgang der ganzen Sache, weil die Landſchaf - ren ſelbſt ihren Vortheil dabey fanden, ihre Landesregierung lieber in den Haͤnden ihres Fuͤr - ſten oder Grafen, als in den Haͤnden des Kai - ſers zu ſehen. Ganz Teutſchland war in ſei - nem Umfange zu groß, als daß nach der da - maligen Art, Regierungsgeſchaͤffte zu behandeln, die kaiſerliche Regierung einer jeden Landſchaft glei - che Vorſorge und Schutz haͤtte gewaͤhren koͤnnen. Fuͤr den Umfang einer oder einiger Quadratmei - len, auf die ſich etwa eine Landſchaft erſtreckte, war es eher moͤglich, von einem Landesherrn wahre landesvaͤterliche Vorſorge zu erwarten.

Umgekehrt konnte die kaiſerliche Macht, wennVII. ſie abſichtlich oder zufaͤllig einer gewiſſen Landſchaft zur Laſt fiel, derſelben unwiderſtehlich fuͤrchterlichwer -208II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. werden, wie z. B. Henrich der IV. den Sachſen, inſonderheit in der Gegend um Goslar, mit ſei - nem dortigen Aufenthalte, und den damit ver - knuͤpften Beſchwerden von Dienſten und Lieferun - gen zur Laſt fiel. Das war von einer landesherr - lichen Macht eines Fuͤrſten oder Grafen weniger zu beſorgen; nicht nur, weil ſie an ſich maͤßiger war, ſondern auch weil es den Landſchaften nicht an Mitteln fehlte, einem Landesherrn, wenn er deſpotiſch regieren wollte, ſich mit Nachdruck ent - gegen zu ſetzen, und allenfalls ſelbſt beym Kaiſer als Oberherrn noch Huͤlfe wider ihn zu ſuchen. An deſpotiſche oder auch nur unbeſchraͤnkte Regierung war ohnedem nicht zu denken. Denn ſo, wie man gewohnt war, daß Kaiſer und Koͤnige in wichti - gen Dingen mit ihren Reichsſtaͤnden zu Rathe gien - gen; ſo gab es ſich von ſelbſten, daß Fuͤrſten und Grafen, wenn ſie nun ihre Laͤnder aus eigner Macht regieren wollten, dennoch Praͤlaten, Ritterſchaft und Staͤdte mit ihrem guten Rathe hoͤren mußten. Widrigenfalls fehlte es nicht nur den Landesherren an Zwangsmitteln, um wider Willen ihrer Land - ſchaften etwas durchzuſetzen, ſondern dieſe hatten vielmehr mit dem Rechte der Selbſthuͤlfe auch die Waffen in ihren Haͤnden. So kamen daher mit dem Urſprunge der landesherrlichen Gewalt auch Landſtaͤnde und Landtage in Gang.

VIII.
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Das alles befoͤrderte aber noch vorzuͤglich der Umſtand, daß ſowohl Biſchoͤfe und Praͤlaten, als weltliche Fuͤrſten und Grafen und Herren, jene von wegen ihrer Stiftungen, dieſe an dem, was ſie von Familienguͤtern als Lehn oder Eigen beſaßen, Einkuͤnfte gnug hatten, ohne daß ihnen erſt dieLand -20912) Friedrich der II. 1220-1235. Landſchaften Guͤter oder Einkuͤnfte anweiſen durften. In ſo weit behielten beide Theile, ſowohl die Landes - herren als die Landſchaften, jede ihre Guͤter und Einkuͤnfte fuͤr ſich. In eben dem Verhaͤltniſſe, wor - in der Landesherr zu den Bauern in ſeinen Cam - merguͤtern ſtand, hielt ſich auch meiſt der Praͤlat und der Edelmann gegen ſeine Bauern. Aus Staͤd - ten zogen die Landesherren gewiſſe jaͤhrliche Abgaben unter dem Namen der Urbede. Sonſt aber war an Landſteuern, oder Geldbeytraͤgen, die von den Unterthanen oder ihren Guͤtern zu erheben waͤren, gar nicht zu denken, wenn nicht ein Landtagsſchluß ſolche bewilligte. Nur ganz außerordentliche Um - ſtaͤnde konnten zu Zeiten Anlaß geben, Bittweiſe eine kleine Auflage von Seiten der Landſchaften zu bewilligen.

Auf ſolche Art kam nun Teutſchland zu der beſon -IX. deren Verfaſſung, die es noch jetzt von allen anderen Europaͤiſchen Reichen unterſcheidet. Es blieb zwar im Ganzen genommen ein Reich, aber nunmehr als ein zuſammengeſetzter Staatskoͤrper, deſ - ſen einzelne Glieder wieder eigne Staaten ausmach - ten, die nur als Theile des Ganzen noch demſelben untergeordnet waren. So mancher Erzbiſchof, Biſchof oder anderer Praͤlat, und ſo mancher Her - zog, Pfalzgraf, Marggraf, Landgraf oder Graf und Herr nur Land und Leute hatte; ſo manche beſondere Staaten bildeten ſich jetzt, die nur noch in ſo weit zuſammen einen Staat ausmachten, als ſie ihre vorige Verbindung unter einem gemeinſa - men Oberhaupte beybehielten. Das einzige kam dieſem damals noch zu gute, daß es Staͤdte gab, die keinem andern Reichsſtande unterworfen waren,Oſon -210II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. ſondern nur noch den Kaiſer als ihren Landesherrn verehrten, und daß auch ſonſt der Kaiſer noch eigne Cammerguͤter und Einkuͤnfte hatte, die aber theils durch Freygebigkeit, theils durch Verſilbe - rungen mittelſt Verkaufs oder Verpfaͤndung immer weniger wurden.

X.
96

Von Hoheitsrechten, die dem Kaiſer in ganz Teutſchland auszuuͤben blieben, war das wichtig - ſte die Handhabung der Gerechtigkeit in der Reichs - ſtaͤnde eignen Sachen, oder ſofern von ihren Aus - ſpruͤchen Appellationen oder andere Berufungen an den Kaiſer ergiengen. Fuͤr dieſe in des Kaiſers Namen auszuuͤbende Rechtspflege ward auf eben dem Reichstage zu Mainz, auf welchem Friedrich der II. im Jahre 1235. das Herzogthum Braun - ſchweig-Luͤneburg errichtete, eine neue Anſtalt ge - troffen, wovon einige den heutigen Reichshofrath herleiten, wiewohl ohne Grund, da vielmehr die nachherige Errichtung des heutigen Cammergerichts damit in einiger Verbindung ſtehet. Es ward nehmlich feſtgeſetzt, daß beſtaͤndig ein gewiſſer Hofrichter ſeyn ſollte, der an des Kaiſers Stelle alle Tage zu Gericht ſitzen, und uͤber alle Klagen, die bey ihm angebracht wuͤrden, in des Kaiſers Namen Recht ſprechen ſollte. Dieſe Anſtalt kam wuͤrklich zu Stande. Man hat aus Urkunden meiſt die ganze Folge der Hofrichter ausfuͤndig gemacht, wie ſie vom Jahre 1235. an bis in die Haͤlfte des XV. Jahrhunderts im Gange geblieben ſind(m)Henr. Balth. Blvm de iudicio curiae imperialis Germanico, Frf. 1745. 4., Harpprechts Staatsarchiv des Cammergerichts Th. 1. S. 24-46.. Es verſtand ſich, daß dieſe Hofrichter Perſonen vomhohen21112) Friedrich der II. 1220-1235. hohen Adel ſeyn mußten, weil ſie uͤber Perſonen von eben dem Stande Urtheile ſprechen ſollten. Die Urtheile durften ſie aber nicht nach eignem Gutduͤnken ausſprechen, ſondern nach dem Aus - ſpruche einer gewiſſen Zahl Urtheiler oder Beyſitzer, die jedesmal dazu gezogen wurden. Darin war bey der damaligen Einrichtung noch ein Unter - ſchied von der jetzigen Gerichtsverfaſſung, da man damals noch kein beſtaͤndiges Juſtitzcolle - gium hatte, deſſen ſaͤmmtliche Mitglieder immer einerley geweſen waͤren; ſondern nur die Perſon des Richters war beſtimmt, die Beyſitzer waren veraͤnderlich, wie ſie zur Beurtheilung einer jeden Sache eben bey der Hand waren. Die collegia - liſche Gerichtsverfaſſung iſt hernach erſt mit Errich - tung des noch jetzt beſtehenden Cammergerichts in Gang gekommen.

Mit dem heutigen Cammergerichte hatte uͤbri -XI. gens jenes Hofgericht noch dieſes gemein, daß es die kaiſerliche Gerichtbarkeit doch nicht ganz unbe - ſchraͤnkt in allen und jeden Sachen auszuuͤben hatte. Wo es Fuͤrſten und anderen hohen Leu - ten an ihren Leib, ihre Ehre, an ihr Recht, au ihr Erbe, an ihr Lehn gieng; das behielt der Kaiſer ſich vor ſelber zu richten. Nehmlich da ſollte das gewoͤhnliche Fuͤrſtenrecht unter des Kai - ſers eignem Vorſitze gehalten werden. (So ſoll auch das Cammergericht nicht ſprechen in Sachen ganze Fuͤrſtenthuͤmer und Grafſchaften betreffend. Vom Reichshofrathe iſt von allem dem nichts ausgenommen. Alſo kann eher das Cammerge - richt, als der Reichshofrath in Beziehung auf jenes Hofgericht geſetzt werden.)

O 2Der212II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
XII.
97

Der Umſtand, daß nach der Gerichtsverfaſ - ſung des mittlern Zeitalters ein jeder nur von ſei - nes Gleichen, alſo Fuͤrſten nur von Fuͤrſten oder doch nur von Perſonen des hohen Adels, geur - theilt werden konnten, war ganz unvergleichlich. Man konnte immer hoffen, daß ein jeder das, was unter Perſonen ſeines Standes gewoͤhnlich war, am beſten wiſſen wuͤrde; und keiner durfte leicht beſorgen, daß Perſonen von eben dem Stan - de, die vielleicht wieder in den Fall kommen koͤnn - ten, von ihm verurtheilet zu werden, ohne Grund zu ſeinem Nachtheile ſprechen duͤrften. Auch war es ein großer Vortheil, daß alles kurz und gut gieng, ohne große Weitlaͤuftigkeiten zu machen, und ohne viele Subtilitaͤten ins Spiel zu bringen. Es hatte aber auch ſeine Unbequemlichkeiten, daß man bey dem wandelbaren Aufenthalte des Kaiſers ihn immer erſt aufſuchen und oft lange nachreiſen mußte, ehe ſichs thun ließ, ein Fuͤrſtenrecht zu Stande zu bringen. Und dann blieb ſowohl beym Fuͤrſtenrechte als beym Hofgerichte noch immer eine wichtige Frage: wie ein Rechtsſpruch, wenn er an einem oder andern Orte ergieng, nun zur Huͤlfsvollſtreckung gebracht werden ſollte?

XIII.
97

Dieſen Maͤngeln der damaligen Gerichtsver - faſſung war es wohl mit zuzuſchreiben, daß die meiſten Streitigkeiten der Fuͤrſten mehr durch Be - fehdungen und Selbſthuͤlfe, als durch kaiſerliche Rechtsſpruͤche, ausgemacht wurden. Wie aber Kriege ſelten geendiget werden, ohne daß eine dritte Macht den Frieden vermitteln hilft; ſo ge - ſchah es auch haͤufig in den Fehden Teutſcher Fuͤr - ſten, daß ein dritter Fuͤrſt ſich ins Mittel legte,und21312) Friedrich der II. 1220-1235. und den Streit zum guͤtlichen Austrag zu bringen ſuchte. Nicht ſelten ließen ſich ſtreitende Par - theyen, wenn ſie der Thaͤtlichkeiten muͤde waren, oder ſolchen auch lieber vorbeugen wollten, den Austrag eines dritten Freundes gefallen. Damit war dann gemeiniglich mehr gewonnen, als mit dem mißlichen Ausgange einer ans Fuͤrſtenrecht oder an den Hofrichter gebrachten Rechtsſache. Daher ward der Gebrauch ſolcher Austraͤge bald ſo gemein, daß man weit haͤufiger dergleichen Aus - tragsvermittelungen oder auch Austragsweiſe er - theilte Rechtsſpruͤche, als kaiſerliche oder Hofge - richts-Erkenntniſſe ſelbiger Zeiten findet.

Viele Reichsſtaͤnde trafen in ihren VertraͤgenXIV. eigne Abreden daruͤber, daß, wenn unter ihnen oder ihren Nachkommen Streit entſtehen wuͤrde, derſelbe weder mit Gewaltthaͤtigkeiten, noch mit Klagen beym Kaiſer oder beym kaiſerlichen Hof - richter, ſondern mittelſt Austrages eines dritten Standes oder auch beider Theile dazu zu ernen - nender Vaſallen geſchlichtet werden ſollte. Man nannte das gewillkuͤhrte Austraͤge(n)Cammergerichtsordnung 1495. Tit. 24.. Da - durch wurde der Gebrauch ſolcher Austraͤge ſo gaͤng und gaͤbe, daß auch Partheyen, die keine Vertraͤge daruͤber errichtet hatten, doch darauf anzutragen pflegten. Man hielt es beynahe fuͤr unanſtaͤndig, einen Fuͤrſten beym Kaiſer zu ver - klagen, wenn man ihn nicht vorher erſucht hatte, ob er ſich nicht den Austrag eines dritten Fuͤrſten wollte gefallen laßen. Noch uͤbler nahm man es einem Fuͤrſten, den man auf ſolche Art um Aus -O 3trag214II. Mittl. Zeiten a) 888-1235. 12) Frdr. II. trag der Sache erſucht hatte, wenn er ſich nicht dar - auf einlaſſen wollte. War aber einmal die Sache wuͤrklich zum Austrag gediehen, ſo wuͤrde man es beynahe fuͤr ehrlos gehalten haben, wenn man als - dann den Austragsweiſe erfolgten Spruch nicht befol - gen wollte. So laͤßt ſichs begreifen, wie daraus ein Recht erwachſen koͤnnen, das bis auf den heu - tigen Tag als ein Kleinod des Fuͤrſtenſtandes und derer, die es hergebracht haben, angeſehen wird; daß nehmlich ein ſolcher Beklagter ordentlicher Weiſe nicht gleich bey einem der hoͤchſten Reichs - gerichte belanget werden kann, ſondern erſt vom Klaͤger erſucht werden muß, vor einem von bei - den Theilen zu vergleichenden dritten Fuͤrſten oder andern Schiedsrichter zu Recht zu ſtehen. Das heißt noch jetzt das Recht der Austraͤge oder Auſtraͤgalinſtanz Teutſcher Fuͤrſten.

Drit -215

Drittes Buch. Des mittlern Zeitalters zweyter Abſchnitt von den letzten Schwaͤbiſchen Kaiſern und den folgenden Kaiſern und Koͤnigen aus verſchie - denen Haͤuſern ſeit 1235. bis 1493.

I. Von den letzten Schwaͤbiſchen Kaiſem und den erſten Kaiſern oder Koͤnigen aus verſchiedenen anderen Haͤuſern von 1235. bis 1308.

I. II. Angeblich großes Zwiſchenreich, und Folge der Kaiſer in dieſer Zeit. III. Beyſpiel einer Abſetzung des Kaiſers in der Perſon Adolfs von Naſſau. IV. Wichtige Veraͤnderungen in verſchiedenen großen Haͤnſern und Laͤn - dern, als in Oeſterreich, V. in Kaͤrnthen, VI. in Thuͤringen, VII. in Franken, Schwaben und Elſaß. Urſprung der Reichsſtaͤdte, Reichspraͤlaten und der Reichs - ritterſchaft in Franken und Schwaben. VIII. Vielerley Verbindungen dieſer Zeit; inſonderheit der Rheiniſche Bund und die Hanſe; IX. wie auch die Schweizer Eid - genoſſenſchaft. X. Beſchwerung der Stroͤhme und Straßen mit uͤberhaͤuften Zoͤllen. XI. Eingefuͤhrte Nothwendig - keit der churfuͤrſtlichen Einwilligung mit ſo genannten Wille - briefen. XII. Siebenzahl der Churfuͤrſten.

Von dem Reichstage, den Friedrich der II. I. 1235. zu Mainz gehalten hatte, war er kaum nach Italien zuruͤckgekehrt, als er mit dem Pabſte Gregor dem IX. in neue Haͤndel verwickeltO 4ward,216III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. ward, die am Ende ſo weit giengen, daß Inno - cenz der IV. im Jahre 1245. auf einer Kirchen - verſammlung zu Lion durch einen foͤrmlichen Pro - ceß den kaiſerlichen Thron fuͤr erledigt erklaͤrte. Von dieſer Zeit an wird von paͤbſtlich geſinnten Schriftſtellern ein ſo genanntes großes Zwiſchen - reich (interregnum magnum) bis zur Wahl Ru - dolfs von Habsburg (1273.) behauptet. Inzwi - ſchen wurden ſelbſt auf paͤbſtlichen Betrieb vorerſt am 22. May 1246. der Landgraf Henrich Raſpo von Thuͤringen ( 1247. Febr. 16.), und nach deſſen Tode im October 1247. Graf Wilhelm von Holland, zu Roͤmiſchen Koͤnigen erwehlt; Gegen die jedoch nicht nur Friedrich der II., ſo lange er lebte ( 1250. Dec. 13.), ſondern auch deſſen Sohn Conrad der IV. ( 1254. May 23.) ihre Krone behaupteten. Letztern uͤberlebte zwar noch Wilhelm von Holland, doch nur auf kurze Zeit ( 1256. Jan. 28.). Worauf 1257. wieder eine zwiſtige Wahl Richards von Cornwall und Al - fonſens von Caſtilien erfolgte; bis endlich nach des erſtern Tode (1272. Apr. 2.) im Jahre 1273. Ru - dolf Graf von Habsburg zum Kaiſer erwehlt wurde, und bis 1291. Jul. 15. an der Regierung blieb.

II.
98

Unter dieſer Regierung bekam die Kaiſerwuͤrde wieder einen ſolchen Glanz, daß es ſeitdem der - ſelben nie an Bewerbern fehlte. Rudolf ſelbſt wuͤnſchte ſchon durch das ehemalige Mittel der Roͤmiſchen Koͤnigswahl ſeine Krone auf ſeinen Sohn zu bringen. Allein eben das, daß man nicht wuͤnſchte, die Regierung unmittelbar von Va - ter auf Sohn kommen zu laßen, war ein Haupt -grund2171) Fried. II. Alb. I. 1235-1308. grund mit, daß nach Rudolfen erſt der Graf Adolf von Naſſau, und erſt nach demſelben wieder Rudolfs Sohn Albrecht auf den Thron erhoben wurde.

Adolf von Naſſau verfehlte aber nicht nur dieIII. Vortheile, die er ſich nach dem Beyſpiele ſeines Vorgaͤngers von der Teutſchen Krone verſprochen hatte; ſondern ſeine Achtung ſank zuletzt ſo tief, daß ſein eigner Befoͤrderer und Verwandter, der damalige Churfuͤrſt Gerhard von Mainz, der jetzt in Teutſchland das, was der Roͤmiſche Fuͤrſtbiſchof in Anſehung der ganzen Chriſtenheit, zu ſeyn glaub - te, auf eine Art, die noch ohne Beyſpiel war, ihn vom Throne wieder zu entfernen ſuchte. Mit Zuziehung der Churfuͤrſten von Sachſen und Bran - denburg, und der Geſandten von Coͤlln und Boͤh - men hielt der Churfuͤrſt von Mainz ein foͤrmliches Gericht, wovor Adolf vorgeladen, und, als er nicht erſchien, wegen der wider ihn vorgebrachten Beſchwerden ſeiner Krone verluſtig erklaͤret wurde. Doch bey den uͤbrigen Churfuͤrſten und Reichs - ſtaͤnden fand dieſes Verfahren nicht ſolchen Bey - fall, daß man daraus ein rechtliches Herkommen zur Abſetzung eines regierenden Kaiſers haͤtte be - gruͤnden koͤnnen. Nur das Gluͤck der Waffen ent - ſchied diesmal gegen Adolfen, da er im Treffen mit Albrecht von Oeſterreich ſein Leben einbuͤßte, und damit erſt Platz machte, daß Albrecht der I. nunmehr einmuͤthig auf den Thron erhoben wurde.

Waͤhrend dieſer Zeit ereigneten ſich nun vorerſtIV. in verſchiedenen großen Haͤuſern und Laͤndern eini - ge wichtige Veraͤnderungen. Mit dem HerzogeO 5Frie -218III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Friedrich dem Streitbaren von Oeſterreich ( 1246. Jun. 25.) erloſch der bisherige Bambergiſch-Oeſter - reichiſche Mannsſtamm. Seine aͤlteſte Schweſter Margarethe war an den Roͤmiſchen Koͤnig Henrich den VII., K. Friedrichs des II. Sohn, vermaͤhlt geweſen, und hatte in dieſer Ehe zwey Soͤhne ge - bohren. Dieſe waren zwar ſchon geſtorben. Der Kaiſer Friedrich der II. wollte aber doch einen Vor - wand davon nehmen, Anſpruch auf Oeſterreich zu machen. Eine andere Schweſter Conſtantia war an den Marggrafen Henrich von Meiſſen vermaͤhlt, den die Oeſterreichiſchen Landſtaͤnde durch Abgeord - nete ihres Mittels zu ſich einladen ließen. Dieſe Abgeordneten ließ Ottocar von Boͤhmen anhalten, vermaͤhlte ſich mit jener verwittweten Roͤmiſchen Koͤniginn Margarethe, und nahm Oeſterreich nebſt Steiermark und Krain eigenmaͤchtig in Beſitz. Als aber Ottocar hernach Rudolfen von Habsburg we - gen ſeiner Kaiſerwahl Schwierigkeit machte, ließ dieſer jene Laͤnder fuͤr erledigte Reichslehne erklaͤ - ren, und noͤthigte Ottocarn ſie herauszugeben; worauf Rudolf ſeinem Sohne Albrecht anfangs die Reichsſtatthalterſchaft, bald darauf aber die erb - liche Belehnung daruͤber verſchaffte.

V.
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Auch das Herzogthum Kaͤrnthen hatte Otto - car 1269. vermoͤge eines mit dem letzten Herzoge Ulrich geſchloſſenen Kaufs in Beſitz genommen. Aber auch darin mußte er auf Rudolfs Veranſtal - tung Mainharden von Tirol weichen, mit deſſen Tochter Eliſabeth Rudolfs Sohn Albrecht vermaͤhlt wurde, und kraft einer dabey genommenen Abrede nach Abgang des Tiroliſchen Mannsſtamms, der ſchon in der erſten Generation erfolgte, auch die -ſes2191) Fried. II. Alb. I. 1235-1308. ſes Herzogthum an ſein Haus brachte. So hatte Rudolf von Habsburg von der Kaiſerwuͤrde uͤber alle Erwartung den Vortheil, daß er alle dieſe Laͤnder, Oeſterreich, Steiermark, Kaͤrnthen und Krain ſeinem Hauſe verſchaffte, das ſeitdem bis auf den heutigen Tag hier ſeinen Hauptſitz behalten hat.

Ein anderer Erledigungsfall ereignete ſich mitVI. dem Tode des oben als Gegenkoͤnig aufgefuͤhrten Landgrafen Henrichs von Thuͤringen ( 1247. Febr. 16.), der ebenfalls der letzte vom Manns - ſtamm ſeines Hauſes war. Hieruͤber kam es zu einem Succeſſionskriege zwiſchen den Vorfahren der jetzigen Haͤuſer Sachſen und Heſſen. Marg - graf Henrich von Meiſſen (eben der, der auch in der Oeſterreichiſchen Succeſſionsſache vorkam, und von dem uͤbrigens das heutige Haus Sachſen ab - ſtammt,) hatte in Betracht deſſen, daß ſeine Mut - ter Jutha eine Schweſter des letzten Landgrafen von Thuͤringen war, auf die Reichslehne, die der - ſelbe beſeſſen hatte, als namentlich auf die Land - grafſchaft Thuͤringen und Pfalzgrafſchaft Sachſen eine kaiſerliche Anwartſchaft erhalten. Von des letz - ten Landgrafen Bruder Ludewig war aber eine Toch - ter Sophia an den Herzog Henrich von Brabant vermaͤhlt, mit dem ſie einen Sohn Henrich geboh - ren, von dem das jetzige Haus Heſſen abſtammt. Dieſe Sophia von Brabant nahm eigentlich alles, was Allodial war, in Anſpruch, wozu ſelbſt die Stadt Eiſenach und mehr Orte in Thuͤringen ge - rechnet wurden. Als ſolche der Marggraf Henrich nicht herausgeben wollte, kam es daruͤber ſeit 1256. zum Kriege, der erſt 1264. ſo beygelegtwurde,220III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. wurde, daß Sophia von Brabant nebſt ihrem Sohne auf alles, was in Thuͤringen lag, Ver - zicht thun, und ſich mit Heſſen begnuͤgen mußte. Zum Heſſiſchen Landesantheile wurde aber noch ein Strich Landes an der Werre geſchlagen, den das Haus Braunſchweig bey dieſer Gelegenheit ein - buͤßte. Herzog Albrecht von Braunſchweig hatte der Sophia von Brabant und ihrem Sohne, mit dem er doppelt verſchwaͤgert war, Huͤlfe geleiſtet, ward aber (1263. Oct. 28.) von Marggraf Hen - richs Soͤhnen bey Wettin gefangen, und mußte, um ſeine Befreyung zu erhalten, dieſes Opfer ma - chen(o)Namentlich traf es folgende Orte: Eſch - wege, Allendorf, Witzenhauſen, Fuͤrſtenſtein, Arenſtein, Bielſtein, Wannfried, Ziegenberg und Sontra, die damals vom Hauſe Braunſchweig an das Haus Heſſen kamen. Saͤchſiſche Merk - wuͤrdigkeiten S. 305.. Der Titel Landgraf von Thuͤringen blieb noch einige Zeit in Streit, bis im Jahre 1292. hernach Adolf von Naſſau Heſſen ſelbſt zur Landgrafſchaft erklaͤrte; ungefaͤhr eben ſo, wie Braunſchweig und Luͤneburg 1235. zum Herzog - thum erklaͤrt worden war. Henrich von Heſſen trug ſein Land, das bis dahin allodial war, dem Reiche zu Lehn auf, und bekam es vom K. Adolf als eine Landgrafſchaft zuruͤck, die eigentlich auf dem Schloſſe Boineburg und der Stadt Eſch - wege haften ſollte. An Brabant behielt das Haus Heſſen keinen Antheil. Ein aͤlterer Sohn, den Henrich der II. von Brabant mit ſeiner erſten Gemahlinn gezeugt hatte, Henrich der III., ver - erbte es auf ſeinen Mannsſtamm. Dieſer iſt zwar hernach 1355. erloſchen; daher noch in neuerenZei -2211) Fried. II. Alb. I. 1235-1308. Zeiten von Anſpruͤchen des Hauſes Heſſen auf Bra - bant die Rede geweſen. Man hat aber die Ab - theilung der beiden Bruͤder, Henrichs von Bra - bant, und Henrichs von Heſſen, als eine Todthei - lung angeſehen, die kein gegenſeitiges Erbrecht fuͤr die Zukunft begruͤnden koͤnnte.

Das widrigſte Schickſal erlitten die drey Her -VII. zogthuͤmer Franken, Schwaben und Elſaß, die zuletzt des Roͤmiſchen Koͤnigs Conrads des IV. Sohn Conradin zuſammen beſaß. Als aber der - ſelbe, um ſein vaͤterliches Erbkoͤnigreich Neapel Carln d’Anjou zu entreiſſen, nach Neapel gezogen, und nach der verlohrnen Schlacht bey Palenza (1268. Aug. 23.) als der Letzte ſeines Hauſes zu Neapel enthauptet worden war (1269. Oct. 29.); bekam er in obigen Herzogthuͤmern keinen Nach - folger. In einem jeden derſelben benutzte alſo jeder anderer dieſe Revolution, ſo gut er konn - te. Inſonderheit kamen daruͤber die Haͤuſer Ba - den, Wuͤrtenberg und andere zu mehreren Kraͤf - ten. Auch die Biſchoͤfe in dieſen Gegenden hat - ten ihren Vortheil davon; wiewohl der Titel: Herzog in Franken, den der Biſchof von Wuͤrz - burg fuͤhrt, erſt weit ſpaͤter, und auf eine ſehr zufaͤllige Weiſe(p)Bis auf den am 20. Jan. 1440. erwehl - ten Biſchof Sigismund, der ein gebohrner Prinz von Sachſen war, fuͤhrten alle vorige Biſchoͤfe nur den Titel: Biſchof zu Wuͤrzburg, ohne wei - tern Zuſatz. Sigismund verband zuerſt mit dem biſchoͤflichen Titel den Titel Herzog zu Sachſen, und fuͤhrte auch das Saͤchſiſche Schwerdt in ſei - nem Wappen. Sein Nachfolger, Gottfried ausdem aufgekommen iſt. Der Vor -theil222III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. theil ſolcher groͤßeren geiſtlichen und weltlichen Staͤnde wuͤrde noch betraͤchtlicher geweſen ſeyn, wenn nicht die mindermaͤchtigen Staͤnde und Guͤ - terbeſitzer in gemeinſchaftlichen Verbindungen ihr Heil gefunden haͤtten. Eben dadurch geſchah es aber, daß hauptſaͤchlich nur in dieſen drey Laͤndern ſoviele Reichsſtaͤdte und Reichspraͤlaturen auf - kamen, und daß ſelbſt der Adel ſich von aller lan - desherrlichen Gewalt frey hielt, und zu dem dar - aus erwachſenen Syſteme der unmittelbaren Reichs - ritterſchaft in Franken, Schwaben und am Rheine den erſten Grund legte.

VIII.
100

Aehnliche Verbindungen waren zu Erhaltung der oͤffentlichen Ruhe auch in anderen Gegenden inſonderheit von Staͤdten ſchon mehrmalen geſchloſ - ſen worden, als namentlich unter Wilhelm von Holland (1254.) von 70. Rheiniſchen Staͤdten. Doch keine von der Art war fuͤr die folgenden Zei - ten wichtiger, als im noͤrdlichen Teutſchland ein Bund, den die Staͤdte Luͤbeck und Hamburg im Jahre 1241. ſchloſſen, um mittelſt einiger auf gemeinſchaftliche Koſten auszuruͤſtender Kriegsſchiffe das Gewaͤſſer von Hamburg bis in die Nordſee, und mit der noͤthigen Mannſchaft zu Lande die Landſtraße zwiſchen der Elbe und Trave in Sicher - heit zu ſetzen. Dieſe Verbindung erreichte ihrenZweck,(p)freyherrlichen, nachher graͤflichen Geſchlechte der Schenken von Limburg, behielt hernach nicht nur das Schwerdt im Wappen, ſondern fuhr auch fort ſich Herzog zu ſchreiben, nur nicht von Sach - ſen, ſondern Herzog in Franken; welches ſeitdem die folgenden Biſchoͤfe beybehalten haben. S. meine Rechtsfaͤlle B. 1. Th. 2. S. 328. und die daſelbſt angefuͤhrten Schriftſteller.2231) Fried. II. Alb. I. 1235-1308. Zweck, der damals fuͤr alle handelnde Staͤdte das groͤßte Beduͤrfniß war, ſo gluͤcklich, daß ſie in kur - zem durch den Beytritt mehrerer Staͤdte(q)Schon 1247. trat die Stadt Braunſchweig hinzu, wo damals die Hauptniederlage der aus Italien und dem Reiche nach Norden beſtimm - ten Waaren war. Dann folgten nach einan - der Wismar, Roſtock, Stralſund, Greifswalde, Colberg, Stolpe, Stettin, Anclam, Wisby, Riga; ferner 1280. Bremen, 1284. die Nieder - laͤndiſchen Staͤdte Groͤningen, Kampen, Stavern; 1289. Luͤneburg, 1293. Elbingen, 1294. Stade. Magdeburg, Halle, Goslar; und ſo nach und nach immer mehrere; nicht bloß Seeſtaͤdte, ſon - dern auch andere, die theils zur Factorey gebraucht wurden, theils ihre Manufacturwaaren durch den Bund vortheilhaft vertreiben konnten. Die we - nigſten waren Reichsſtaͤdte, hatten aber an dem Bunde zum Theil ſelbſt gegen ihre Landesherren ſolche Stuͤtze, daß ihnen an der voͤlligen Freyheit wenig abgieng. maͤch - tig vergroͤßert wurde(r)Wie der Bund in ſeiner voͤlligen Conſiſtenz war, beſtand er aus 64. Staͤdten, die zu Unter - haltung der Bedienten und anderen gemeinſchaft - lichen Unkoſten jaͤhrlich das ihrige beytrugen. An - dere nur zugewandte Staͤdte mitgerechnet, waren ihrer zuſammen uͤber 80. Sie waren insgeſammt in vier Quartiere vertheilt, unter den vier Haupt - ſtaͤdten Luͤbeck, Coͤlln am Rhein, Braunſchweig und Danzig., und unter dem Namen der Teutſchen Hanſe(s)Der Name Hanſe war ſchon vorher von Handlungsgeſellſchaften gebraͤuchlich. Jetzt wurde er dieſer Verbindung eigen, die nebſt der Hand - lungsverbindung zugleich ein wahres Staats - und Kriegs-Buͤndniß wurde. etliche Jahrhunderte hin - durch ſich in dem vorzuͤglichſten Beſitz der Schiff -fahrt224III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. fahrt(t)Mit der Schifffahrt erhob ſich die Hanſe bis zur betraͤchtlichſten Seemacht. Noch 1428. ward von Wismar aus eine Flotte von 260. Schif - fen mit 12. tauſend Mann ausgeruͤſtet, um Cop - penhagen anzugreifen. und Handlung(u)Zur Handlung waren vier allgemeine Marktplaͤtze fuͤr die Hanſe beſtimmt; fuͤr England, Schottland, Irland London; fuͤr Daͤnemark, Nor - wegen, Schweden Bergen; fuͤr Polen, Preuſſen, Liefland, Rußland, Kleinaſien, Perſien Novogrod nachher Narva; fuͤr die Niederlande und Ober - teutſchland, Frankreich, Spanien, Portugall, Italien und Ungarn Bruͤgge, nachher Antwerpen. Der groͤßte Vortheil der Hanſe war, daß ſie in fremden Laͤndern ſolche Begnadigungen zu erlan - gen gewußt hatte, daß ihre Bundesverwandten uͤberall als einheimiſch behandelt wurden, und an Zoͤllen und anderen Abgaben weniger als andere entrichten durften. Moͤſer von den wahren Urſa - chen des Steigens und Fallens der hanſeatiſchen Handlung in ſeinen Phantaſien Th. 1. (Berl. 1775. 8.) S. 269. Fried. Chriſt. Jon. Fiſchers Geſchichte des Teutſchen Handels Th. 2. (Hannov. 1785. 8.) S. 1. 126. u. f. befand, bis endlich mit dem Ausgange des XV. Jahrhunderts mehrere Urſachen zuſammentrafen, die nach und nach ihren Untergang befoͤrderten(v)Die Urſachen und die Geſchichte des Ver - falls der Hanſe finden ſich in der Kuͤrze am gruͤnd - lichſten entwickelt in Buͤſch Geſchichte der Welt - haͤndel (Aufl. 2. Hamb. 1783. 8.) S. 136-140. Auf einem Hanſetage 1630., da faſt alle andere Staͤdte ausblieben und die uͤbrigen ihre Abneigung erklaͤrten, ward der Bund nur von den drey Staͤd - ten Luͤbeck, Hamburg und Bremen erneuert, die ſeitdem den Namen Hanſeſtaͤdte allein fortfuͤhren.; ſo daß jetzt von den drey Staͤdten Luͤbeck, Bremen und Hamburg nurnoch2251) Fried. II. Alb. I. 1235-1308. noch das Andenken dieſes ehedem ſo maͤchtigen Bundes einigermaßen erhalten wird(w)Im Weſtphaͤliſchen Frieden Art. 10. §. 16. ward noch den Hanſeſtaͤdten die Freyheit ihrer Schifffahrt und Handlung, wie ſie ſolche vor dem dreyßigjaͤhrigen Kriege gehabt hatten, von der Kro - ne Schweden ferner ausbedungen. Darauf bezieht ſich auch noch eine Stelle in den neueren Wahl - capitulationen (1742.) Art. 7. §. 2.: die Hand - lung treibenden Staͤdte, inſonderheit die vor an - dern zum gemeinen Beſten zur See trafiquirenden Staͤdte Luͤbeck, Bremen und Hamburg bey ihrer Schifffahrt und Handlung, Rechten und Freyheiten zu erhalten und kraͤftigſt zu ſchuͤtzen..

Ein anderer Bund, der anfangs unbedeutendIX. ſcheinen konnte, aber in der Folge ſich bis zu ei - ner der unabhaͤngigen Europaͤiſchen Maͤchte empor geſchwungen hat, und in dieſer Geſtalt unter dem Namen der Schweizer Eidgenoſſenſchaft noch jetzt bluͤhet, entſtand zuerſt in den drey ſo genan - ten Waldſtaͤdten Uri, Schwitz und Unterwalden, wo am 17. Oct. 1307. eigentlich nur drey Bieder - maͤnner, Walther Fuͤrſt von Uri, Werner von Staufachen von Schwitz, und Arnold von Melch - thal von Unterwalden ſich verbanden, um ihre bisherige Freyheit und Rechte gegen neue Anmaßun - gen des Hauſes Habsburg zu vertheidigen. Nach einem Treffen bey Murgarten im Gebiete von Un - terwalden (1315. Nov. 16.), wo Herzog Leopold von Oeſterreich den kuͤrzern zog, ward dieſer Bund zuerſt (1315. Dec. 9.) auf beſtaͤndig erneuert, und vom damaligen Kaiſer Ludewig von Baiern, der ſelbſt uͤber die Kaiſerwuͤrde mit einem Oeſterreichi -ſchenP226III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. ſchen Prinzen ſtritt, auf einer Reichsverſammlung zu Nuͤrnberg (1316. Maͤrz 23.) beſtaͤtiget. Wor - auf in der Folge noch 1332. die Stadt Lucern, 1351. die im Range oben an geſetzte Stadt Zuͤ - rich, 1352. die Landſchaft Glarus, ingleichen die Stadt und das Amt Zug, und 1353. die Stadt Bern hinzutraten, welche ſeitdem vorerſt 130. Jah - re ohne weitern Beytritt dieſe Eidgenoſſenſchaft gluͤcklich unterhielten, bis hernach noch fuͤnf neue Orte hinzukamen, von welchen jene als die acht alten Orte in der Benennung ſich unterſchieden. Die Abſicht dieſer Eidgenoſſenſchaft war von An - fang nichts weniger als auf eine Unabhaͤngigkeit oder Losreiſſung vom Teutſchen Reiche gerichtet, ſondern ſie ſollte den verbundenen Staͤdten nur ge - gen die Uebermacht des Hauſes Habsburg und ge - gen den Adel zur Schutzwehr dienen. Aber der ungluͤckliche Erfolg eines Krieges, den der Kaiſer Max der I. (1499.) gegen ſie unternahm, konnte ihnen freylich den Gedanken einfloͤßen, ſich zu einer voͤllig unabhaͤngigen Macht umzubilden.

X.
108

Sowohl in der Schweiz als fuͤr alle Teutſche Staͤdte beſtand eine der groͤßten Beſchwerden, und zugleich eines der groͤßten Hinderniſſe fuͤr den Han - del in den Zoͤllen, womit beſonders die großen Stroͤhme, als der Rhein, die Weſer, die Elbe, die Oder und die Donau uͤberladen waren, weil faſt ein jeder Reichsſtand, deſſen Gebiet ein ſolcher Strohm beruͤhrte, einen oder mehrere Zoͤlle erhob. Manche derſelben waren durch kaiſerliche Gnaden - briefe bewilliget; manche mochten aber auch eigen - maͤchtig in Gang gebracht worden ſeyn.

Mit2271) Fried. II. Alb. I. 1235-1308.

Mit kaiſerlichen Verleihungen von der Art er -XI. eignete ſich jedoch um dieſe Zeit eine wichtige Ver - aͤnderung. Der vorzuͤgliche Einfluß, den die Chur - fuͤrſten ſeit ihrem ausſchließlichen Rechte den Kaiſer zu wehlen, nach und nach auch auf andere Geſchaͤffte bekamen, gab bald Anlaß, daß in Faͤllen, wo der Kaiſer nicht noͤthig hatte, das ganze Reich zu Ra - the zu ziehen, doch die Einwilligung der Chur - fuͤrſten nicht fuͤr uͤberfluͤſſig gehalten wurde (wie z. B. ſchon vom Roͤmiſchen Koͤnige Henrich dem VII. ein im Jahre 1228. dem Herzoge Leopold von Oeſter - reich ertheilter Gnadenbrief vorhanden iſt, worin ausdruͤcklich angefuͤhrt wird, daß er mit gutem Rathe und Willen der Churfuͤrſten ertheilt wor - den ſey.) (x)Luͤnigs Reichsarchiv ſpicileg. eccleſ. part. ſpec. cont. 1. p. 6.Doch bey der Belehnung, die Ottocar von Boͤhmen von Richard von Cornwall uͤber Oeſterreich erhalten hatte, waren die Chur - fuͤrſten nicht zugezogen worden. Eben das nahm hernach Rudolf von Habsburg als den Hauptgrund an, warum dieſe Belehnung nicht zu Recht beſte - hen koͤnne. Davon war aber ferner eine natuͤr - liche Folge, daß nunmehr ein allgemeiner Grund - ſatz daraus wurde, daß in wichtigen Dingen keine kaiſerliche Gnadenverleihung ihren voͤlligen Rechts - beſtand erhielt, wenn ſie nicht mit der churfuͤrſt - lichen Einwilligung verſehen war. So koͤnnen alſo kaiſerliche Gnadenbriefe uͤber Anwartſchaften, Zoͤlle oder aͤhnliche wichtige Gegenſtaͤnde ſchon von dieſer Zeit an nicht fuͤr vollguͤltig angeſehen werden, wenn nicht die Churfuͤrſten ihre Einwil - ligung dazu gegeben haben. Dieſe pflegte aberP 2da -228III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. damals nicht ſowohl durch einen gemeinſchaftlich gefaßten Collegialſchluß ertheilt zu werden, als durch einzelne Willebriefe, um die man ſich bey jedem Churfuͤrſten beſonders bewarb. So finden ſich z. B. im Heſſiſchen Archive uͤber die Urkunde Adolfs von Naſſau vom Jahre 1292. zugleich die Willebriefe ſaͤmmtlicher Churfuͤrſten.

XII.
109

Was die Zahl der Churfuͤrſten betrifft, ſchien es nicht bloß zufaͤllig zu ſeyn, daß nur die drey erſten Erzbiſchoͤfe, welche die Kroͤnung verrichteten, und vier weltliche Fuͤrſten, welche die vier Reichs - erzaͤmter zu verſehen hatten, alſo zuſammen an der Zahl ſieben, deren Gegenwart bey jeder Wahl und Kroͤnung weſentlich war, an der Churwuͤrde Anſpruch machen konnten. Vielleicht war die Siebenzahl auch hier deſto angenehmer, da hin und wieder in der Bibel ſieben Leuchter, ſieben Saͤulen u. ſ. w. gedacht werden, und da auch an der Pabſtwahl urſpruͤnglich vorzuͤglich die ſie - ben Cardinalbiſchoͤfe des Roͤmiſchen Kirchſpren - gels Antheil hatten. Wenigſtens finde ich zuerſt in einem Schreiben, das der Pabſt Urban der IV. (1263.) an den Roͤmiſchen Koͤnig Richard erließ, namentlich ausgedruͤckt, daß der Fuͤrſten, die ihre Stimme zur Kaiſerwahl zu geben haͤtten, ſieben an der Zahl waͤren(y)Pfeffinger ad Vitriar. tom. 1. p. 159.; an ſtatt daß ſie vorher zu Zeiten an der Zahl ſechs oder acht(z)Amandvs de primis actis a Friederico I. in imperio peractis, apud Gewoldvm de ſeptem - viratu cap. 6. p. 78. n. 69. oder auf unbeſtimmteArt2291) Fried. II. Alb. I. 1235-1308. Art angegeben werden(a)Innocenz der III. ſchrieb noch: tot vel plu - res ex his, ad quos principaliter ſpectat imperato - ris electio. Steph. Balvz. epiſtolae Innocentii III. epiſt. 29. Von der Wahl Conrads des IV. heißt es in einem fragmento hiſtorico ad a. 1237. in Vrstisii ſcript. rer. Germ.: quem elegerunt Moguntinus et Treuirenſis et rex Bohemiae, et dux Bauariae, qui et Palatinus Rheni, conſentien - tibus ceteris, qui aderant, tamen paucis. Pfef - finger ad Vitriar. tom. 1. p. 156.. Die Siebenzahl kam gerade auf den nachherigen Fuß heraus, wenn man dabey zum Grunde legt, daß unter dem Kaiſer Fried - rich dem I. im Jahre 1184. Boͤhmen als Erz - ſchenk, Pfalz als Erztruchſeß, Sachſen als Erz - marſchall, Brandenburg als Erzkaͤmmerer vorge - kommen ſind, und daß ſeit 1215. der Herzog in Baiern zugleich zum Pfalzgrafen am Rheine er - nannt worden war. Außerdem laͤßt ſich kaum begreifen, wie der Herzog in Baiern nicht auch zugleich unter der Zahl der urſpruͤnglichen Chur - fuͤrſten begriffen geweſen ſeyn ſollte. Wohl aber ſcheint gleich von Anfang einiger Zweifel wegen der Boͤhmiſchen Chur geweſen zu ſeyn, da den Beſitzern von Boͤhmen als Wendiſchen Fuͤrſten des - halb Streit erreget worden(b)Albertvs Stadensis ad a. 1240.: Rex Bohemiae non eligit, quia non eſt Teuto - nicus. Pfeffinger l. c. p. 613.. Inzwiſchen hat Rudolf von Habsburg (1290.) der Krone Boͤh - men ſowohl wegen der Churwuͤrde als wegen des Erzſchenkenamts eine neue Verſicherung gegeben(c)Goldast conſtit. imp. tom. 2. p. 85. Hert de renouato Bohemiae nexu fect. 2. §. 10.,nach -P 3230III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. nachdem er vorher ſchon (1275.) erklaͤrt hatte, daß zwar ſowohl Pfalz als Baiern an der Chur - wuͤrde Antheil haben, aber nur fuͤr eine Stimme gelten ſollten(d)Gewold de ſeptemuiratu p. 756. Tol - ner cod. diplom. Palat. n. 107. p. 75.. Dieſe Frage mußte natuͤrlicher Weiſe zur Sprache kommen, da nicht nur ſeit 1253. das Haus Baiern in zwey Staͤmme von Ober - und Niederbaiern abgetheilt war, wovon nur der erſte zugleich die Pfalz am Rheine beſaß, ſondern ſeit 1294. auch in jenem Stamme wie - der Pfalz von Baiern ganz abgeſondert wurde(e)Verſchiedene hier einſchlagende Umſtaͤnde finden ſich noch genauer entwickelt in Fried. Chriſt. Jon. Fiſchers Abhandlung von dem herzoglich Bairiſchen und Pfalzgraͤflich Rheiniſchen Churrechte, in ſeinen kleinen Schriften B. 1. (Halle 1781. 8.) S. 17. und in eben deſſelben Abhandlung uͤber die Bairiſche Churwuͤrde und die damit verknuͤpfte Untrennbarkeit der Pfalzbairiſchen Laͤnder, Berlin 1785. 8. (2. B.).

II. 2312) Henr. VII. Carl IV. 1308-1356.

II. Von Henrich dem VII., Ludewig von Baiern, und Carl dem IV. von 1308. bis 1356., inſon - derheit von der Churverein.

I. Verlegung des paͤbſtlichen Stuhls nach Avignon. II. Henrich der VII. III. Zwieſpaͤltige Wahl Ludewigs von Baiern und Friedrichs von Oeſterreich IV. Veranlaßung und Inhalt der Churverein. V. Boͤhmen nahm keinen Theil darau, ſondern nur die uͤbrigen ſechs Churfuͤrſten. Die Rheiniſchen Churfuͤrſten ſchloſſen hernach noch beſondere Vereine. VI. Reichsſchluß von Unabhaͤngigkeit des Teut - ſchen Reichs. VII. Wahlen Carls des IV. und Guͤnthers von Schwarzburg. Veranlaßung der goldenen Bulle.

Aus anderen Theilen der Geſchichte muß ich hierI. als bekannt vorausſetzen, wie die uͤbertriebe - nen Grundſaͤtze, welche der Pabſt Bonifaz der VIII. zur Behauptung der paͤbſtlichen Gewalt uͤber welt - liche Maͤchte auch in politiſchen Gegenſtaͤnden, in - ſonderheit gegen Frankreich durchſetzen wollen, den unerwarteten Erfolg veranlaßet, daß Bonifaz dar - uͤber um Freyheit und Leben gekommen, und der hernach auf Franzoͤſiſche Veranſtaltung gewehlte Pabſt Clemens der V. in Frankreich bleiben muͤßen. Unter dieſen Umſtaͤnden ſchien die Krone Frankreich das Uebergewicht, das die paͤbſtliche Gewalt bis - her uͤber alle Maͤchte erlanget hatte, zu ihrem Vor - theile benutzen zu koͤnnen, da ſie den Pabſt jetzt in ihrer Gewalt hatte, und alles ſich dazu anließ, als ob der Sitz des paͤbſtlichen Stuhls und der geſammten Cardinaͤle jetzt auf beſtaͤndig zu Avignon bleiben wuͤrde.

P 4Nur232III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493.
II.
116

Nur zu fruͤh ſuchte der Koͤnig Philipp von Frankreich durch Einfluß des Pabſtes Clemens des V. ſchon an Albrechts des I. Stelle ſeinen Bruder Carl von Valois auf den kaiſerlichen Thron zu bringen. Eben das war vielmehr dazu befoͤrderlich, daß die Churfuͤrſten, da ſie insgeheim von den Fran - zoͤſiſchen Abſichten benachrichtiget waren, die Kaiſer - wahl beſchleunigten, und, ohne weder auf Albrechts Sohn noch auf andere damalige Competenten Ruͤck - ſicht zu nehmen, den Grafen Henrich von Luͤxen - burg einmuͤthig zum Kaiſer erwehlten. Demſel - ben gluͤckte es wieder, was ſeinen letzten beiden Vorfahren nicht ſo hatte gelingen wollen, die Kai - ſerwuͤrde zur Vergroͤßerung ſeines Hauſes zu be - nutzen, indem er nach Abgang des bisherigen Wendiſch-Boͤhmiſchen Mannsſtamms, an ſtatt der Verſuche, die theils das Haus Oeſterreich, theils Henrich von Kaͤrnthen, der des letzten Koͤnigs Schweſter Anne zur Gemahlinn hatte, auf die Krone Boͤhmen gemacht hatten, bald Mittel und Wege fand, ſeinen Sohn Johannes mit einer an - dern Schweſter des letzten Koͤnigs zu vermaͤhlen, und ihm damit dieſe Krone zuzuwenden.

III.
116

Doch der Streit, der uͤber das Recht zur Krone Boͤhmen zwiſchen Henrich von Kaͤrnthen und Johann von Luͤxenburg vorerſt noch uͤbrig blieb, und ein anderer Zwiſt, der nun noch hinzukam, da im Hauſe Sachſen vom Aſcaniſchen Stamme die beiden Linien Sachſen-Lauenburg und Sach - ſen-Wittenberg um die Churwuͤrde ſtritten, dieſe Umſtaͤnde, ſage ich, veranlaßten nach dem fruͤh - zeitigen Abſterben Henrichs des VII. ( 1313. Aug. 24.) eine zwieſpaͤltige Wahl, da eine Par -they,2332) Henr. VII. Carl IV. 1308-1356. they, worunter Coͤlln, Pfalz, Sachſen-Witten - berg und Henrich von Kaͤrnthen begriffen waren, den Herzog Friedrich von Oeſterreich wehlte, eine andere Parthey aber den Herzog Ludewig von Batern, auf deſſen Seite nebſt Mainz, Trier und Brandenburg der Herzog von Sachſen-Lauen - burg und Johann von Luͤxenburg als Koͤnig in Boͤhmen ſtanden. Dieſem Zwiſte ſchien zwar der Ausſchlag der Waffen die Entſcheidung zu ge - ben, da Ludewig von Baiern nach einem ſieben - jaͤhrigen Kriege das Gluͤck hatte, (1322. Sept. 28.) bey Muͤhldorf ſeinen Gegner nicht nur zu ſchla - gen, ſondern auch gefangen zu bekommen. Aber da nunmehr Ludewig in Italien die Gegenparthey des Pabſtes unterſtuͤtzte, nahm Clemens des V. Nachfolger Johann der XXII. ſolche Maßregeln, daß er wegen der ſtreitigen Kaiſerwahl den kaiſer - lichen Thron fuͤr ledig erklaͤrte, und ſich den rich - terlichen Ausſpruch daruͤber zueignete. Er befahl Ludewigen, die Regierung niederzulegen, und that ihn ſeines angeblichen Ungehorſams wegen nicht nur in Bann, ſondern er belegte auch ganz Teutſch - land daruͤber mit einem Interdicte. Waͤhrend der Zeit ſtarb Friedrich von Oeſterreich. Und Johan - nes des XXII. Nachfolger Benedict der XII. machte Hoffnung Ludewigen wieder mit dem paͤbſtlichen Stuhle ausſoͤhnen zu laßen. Aber nunmehr ward es merklich, daß ſelbſt die Krone Frankreich den Pabſt von der Ausſoͤhnung zuruͤckhielt.

Das alles machte endlich den Churfuͤrſten fuͤhl -IV. bar, wie ſehr ihre Vorrechte darunter litten, wenn einem Kaiſer, den ſie einmal gewehlt und dafuͤr anerkannt hatten, von irgend einer auswaͤrtigenP 5Macht234III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Macht noch Zweifel erreget oder etwas in Weg gelegt werden ſollte. Sie giengen deswegen von einer allgemeinen Reichsverſammlung, die Ludewig dieſer Umſtaͤnde wegen zu Frankfurt veranſtaltet hatte, noch erſt bey Seite nach Renſe, und ſchloſ - ſen hier (1338. Jul. 15.) die ſo genannte Chur - verein, die ſeitdem bis auf den heutigen Tag eine wichtige Grundfeſte der churfuͤrſtlichen Vorrechte geblieben iſt. Sie erkannten, daß mit dem Betra - gen des paͤbſtlichen Stuhles und der Krone Frank - reich in Anſehung des Kaiſer Ludewigs ſowohl das ganze Reich, als inſonderheit das churfuͤrſtliche Collegium, jenes an ſeiner Unabhaͤngigkeit, dieſes an ſeiner Wahlfreyheit, angegriffen ſey. Sie ver - einigten ſich deswegen, zu Vertheidigung ihrer churfuͤrſtlichen Rechte bey jeder Gelegenheit gemeine Sache zu machen, und nach aller ihrer Macht einander beyzuſtehen. Auch befeſtigten ſie den Hauptgrund ihrer collegialiſchen Verfaſſung damit, daß ſie ſich ausdruͤcklich vereinbarten, die Mehr - heit der Stimmen unter ihnen gelten zu laßen. (Dieſe Churverein iſt ſeitdem von Zeit zu Zeit er - neuert, und verſchiedentlich erweitert worden; in - ſonderheit noch zuletzt 1559., von welchem Jahre ſie noch jetzt zum Grunde gelegt wird, wie ſie noch 1745. und 1764. von allen und jeden Chur - fuͤrſten beſchworen worden iſt.)

V.
116

An der erſten Churverein nahm nur der Koͤ - nig in Boͤhmen keinen Antheil, weil derſelbe damals ſelbſt mit dem Kaiſer Ludewig zerfallen, und vielmehr mit der Krone Frankreich in eigner Verbindung war. Es waren alſo nur die ſechs Churfuͤrſten Mainz, Trier, Coͤlln, Pfalz, Sach -ſen,2352) Henr. VII. Carl IV. 1308-1356. ſen, Brandenburg, ſo die erſte Churverein ſchloſ - ſen. Zufaͤlliger Weiſe war Boͤhmen auch in den naͤchſtfolgenden Churvereinen nicht begriffen, wo - mit ſchon fruͤhzeitig der Grund dazu gelegt wur - de, daß Boͤhmen endlich beynahe ganz aus dem Beſitze der churfuͤrſtlichen Vorrechte kam, und die nachherigen Reichsgeſetze, ſo oft von wuͤrklicher Ausuͤbung churfuͤrſtlicher Vorrechte die Rede iſt, immer nur von ſechs Churfuͤrſten ſprechen. Viere derſelben, deren Laͤnder meiſt am Rheine gelegen ſind, oder, wie man ſie deswegen zu nennen pflegt, die Rheiniſchen Churfuͤrſten, von Mainz, Trier, Coͤlln und Pfalz, haben nachher oft noch beſondere Vereine geſchloſſen, um uͤber ſolche Gegenſtaͤnde, worin ſie ein eignes gemeinſames Intereſſe haben, einander gemeinſchaftlich beyzuſtehen.

Jene erſte Churverein machte gleich damalsVI. dem ganzen Reiche Muth, daß nach der Ruͤck - kunft der Churfuͤrſten von Renſe zu Frankfurt (1338. Aug. 8.) ein allgemeiner Reichsſchluß ge - faſſet wurde, der die Erklaͤrung enthielt: daß der - jenige, der von den Churfuͤrſten einmuͤthig oder durch Mehrheit der Stimmen dazu erwehlt ſey, bloß vermoͤge dieſer Wahl fuͤr den wahren Roͤmi - ſchen Koͤnig und Kaiſer zu halten ſey, ohne weder einer paͤbſtlichen oder irgend jemand anders Be - ſtaͤtigung oder Einwilligung zu beduͤrfen; und daß ein jeder, der ſich hierwider etwas zu Schul - den kommen laße, des Verbrechens der beleidig - ten Majeſtaͤt ſchuldig erklaͤrt werden ſolle.

Ludewig, vielleicht in zu großer Zuverſicht aufVII. dieſe von den Churfuͤrſten und vom ganzen Rei -che236III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. che gefaßte Schluͤſſe, und zugleich unterſtuͤtzt von einigen Schriften, die einige wider den paͤbſtli - chen Stuhl aufgebrachte Mitglieder des Franciſca - nerordens damals herausgaben, that nur zu auf - fallende neue Schritte, da er nunmehr gar unter - nahm eine Eheſcheidung zu erkennen, und uͤber verbotene Grade zu dispenſiren, um ſeinem Sohne mit der Vermaͤhlung mit einer von einem Boͤh - miſchen Prinzen geſchiedenen Erbtochter von Ti - rol die Hoffnung zur Vererbung dieſes Landes auf ſeine Nachkommen zu verſchaffen. Aber eben da - durch gab er Anlaß, daß Benedicts des XII. Nachfolger Clemens der VI. nicht nur alle vorige paͤbſtliche Ausſpruͤche gegen ihn erneuerte, ſondern auch fuͤnf churfuͤrſtliche Stimmen vermochte, in der Perſon des damaligen Boͤhmiſchen Kronprin - zen, der in unſerer Geſchichte hernach unter dem Namen Carl der IV. erſcheint, ihm einen Ge - genkaiſer entgegenzuſetzen. Derſelbe konnte zwar gegen Ludewigen, ſo lange derſelbe lebte, noch nicht aufkommen. Und ſelbſt nach Ludewigs Tode ward von anderen Churfuͤrſten ihm noch Graf Guͤnther von Schwarzburg entgegenge - ſetzt, den er erſt uͤberleben mußte, ehe er ſich eines ruhigen Beſitzes der Kaiſerkrone getroͤſten durfte. Da aber an allen dieſen unter den Churfuͤrſten entſtandenen Trennungen und daraus erwachſenen zwieſpaͤltigen Kaiſerwahlen die noch immer fort - waͤhrenden Zwiſtigkeiten uͤber einige Churſtimmen großen Antheil hatten; ſo gab eben das Carl dem IV. ohne Zweifel den groͤßten Bewegungsgrund, auf Beylegung und kuͤnftige Verhuͤtung ſolcher Strei - tigkeiten Bedacht zu nehmen, wie ſolches in dem beruͤhmten Reichsgrundgeſetze geſchah, das unterdem2373) Goldene Bulle 1356. dem Namen der goldenen Bulle bekannt iſt, und nun noch eine beſondere Beſchreibung verdienet.

III. Von der goldenen Bulle 1356.

I. Grund der Benennung der goldenen Bulle, und wie ſie ſtuͤckweiſe gemacht worden. II. III. Hauptabſicht die - ſes Reichsgrundgeſetzes. Genaue Beſtimmung der ſieben Churfuͤrſten; IV. mit Uebergehung des Hauſes Baiern wird nur Pfalz auf der fuͤnften Stelle benannt; V. des - gleichen auf der ſechſten Stelle Sachſen-Wittenberg mit Ueber - gehung des Hauſes Sachſen Lauenburg. VI. VII. Ver - ordnung des Rechts der Erſtgebuhrt fuͤr die kuͤnftige Erb - folge in den weltlichen Churfuͤrſtenthuͤmern; VIII. IX. mit hinzugefuͤgter Erforderniß einer rechten ehelichen Gebuhrt, und des weltlichen Standes. X-XII. Spaͤtere Einfuͤh - rung der Erſtgebuhrtsfolge in nicht churfuͤrſtlichen Laͤndern. XIII. Vormundſchaft uͤber minderjaͤhrige Churfuͤrſten. XIV. Rang der Churfuͤrſten unter einander. XV. Ihre Dienſtverrichtungen an feierlichen Tagen des kaiſerlichen Hofes, oder die ſo genannten Reichserzaͤmter. XVI. Davon abhangende Reichserbaͤmter. XVII. Art und Weiſe der kaiſerlichen Wahl und Kroͤnung. XVIII. Roͤmiſche Koͤnigs - wahl. XIX. XX. Reichsvicariate, und deren Rechte. XXI. Pfaͤlziſches beſonderes richterliches Vorrecht. XXII. Verbrechen der beleidigten Majeſtaͤt gegen Churfuͤrſten. XXIII. Andere Vorrechte der Churfuͤrſten. XXIV. XXV. Verordnungen der goldenen Bulle gegen das Fauſtrecht; XXVI. inſonderheit gegen unzeitige Lehnsaufkuͤndigungen; XXVII. XXVIII. ohne daß dem Unweſen des Fauſtrechts da - mit abgeholfen worden.

Bey kaiſerlichen Ausfertigungen von vorzuͤglicherI. Wichtigkeit iſt es von alten Zeiten her uͤb - lich geweſen, ſie dadurch vor anderen auszuzeich - nen, daß nicht bloß waͤchſerne, oder auch in Cap - ſeln verwahrte auf Wachs abgedruckte Siegel, ſon -dern238III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. dern ſo genannte goldene Bullen angehaͤnget wer - den, wo das Siegel ſelbſt in Gold gearbeitet iſt, in zwey in Geſtalt einer Medaille vereinigten gol - denen Platten, die inwendig hohl und mit Wachs ausgefuͤllt ſind, wodurch die Schnuͤre gehen, wo - mit ſie an der Urkunde befeſtiget iſt. Von ſol - chen angehaͤngten Bullen hat man die damit be - feſtigten Urkunden ſelbſt oft goldene Bullen ge - nannt, (wie auf gleiche Art die Benennung der paͤbſtlichen Bullen gewoͤhnlich iſt.) So hat auch dieſes Reichsgrundgeſetz, deſſen Ausfertigungen mit der goldenen Bulle verſehen worden, den Namen der goldenen Bulle erhalten(f)Dieſe hat nur den Vorzug, daß ſie ſchlecht - weg goldene Bulle genannt wird, an ſtatt daß ſonſt eine naͤhere Beſtimmung, z. B. Brabantiſche goldene Bulle gewoͤhnlich iſt. Die Bulle ſelbſt ſtellt auf einer Seite Carl den IV. mit den In - ſignien auf dem Throne ſitzend vor mit Beyfuͤgung ſeiner Wappen und der Umſchrift ſeiner Titel; auf der andern Seite das Bild der Stadt Rom, mit den Worten aurea Roma, und mit der Um - ſchrift: Roma caput mundi regit orbis fraena rotundi. . Eigentlich beſteht ſie aus fuͤnf Verordnungen, die Carl der IV. auf zweyerley nach einander gehaltenen Reichs - verſammlungen, zu Nuͤrnberg vom 10. Jan. 1356. an, und zu Metz vom 25. Dec. 1356. an, mit Zuthun der Churfuͤrſten und zum Theil mit Zuzie - hung des ganzen Reichs errichtet hat; die hernach in 30. Hauptſtuͤcke abgetheilt zuſammen in ein ganzes Werk gebracht ſind. Jeder Churfuͤrſt hat damals eine Originalausfertigung davon erhalten; der Stadt Frankfurt hat man ebenfalls ein authen - tiſches Exemplar gegeben, das noch jetzt jedem Fremden daſelbſt gezeiget wird.

Die2393) Goldene Bulle 1356.

Die Hauptabſicht, die Carl der IV. bey Er -II. richtung dieſes Grundgeſetzes hatte, gieng unſtrei - tig dahin, daß er die Anſtaͤnde, die ſich bisher in Anſehung der Churſtimmen geaͤußert hatten, wie er ſie bey ſeiner eignen Wahl noch erfahren hatte, zu heben ſuchte, um fuͤr die Zukunft die Kaiſer - wahl, und alles, was damit in Verbindung ſtand, auf feſtern Fuß zu ſetzen. Alle bisherige Strei - tigkeiten mußten deswegen entſchieden werden; und fuͤrs kuͤnftige galt es darum, gewiſſe beſtimmte Grundſaͤtze fuͤr beſtaͤndig feſtzuſetzen. In beiden Ruͤckſichten wurde fuͤr bekannt angenommen, daß nicht mehr und nicht weniger als ſieben Chur - fuͤrſten ſeyn koͤnnten; daher in der goldenen Bulle die Anſpielung auf die heilige Siebenzahl der ſieben Saͤulen und ſieben Leuchter nicht ver - geſſen wurde. Auch nahm man fuͤr bekannt an, daß unter dieſen ſieben Churfuͤrſten drey geiſtliche und vier weltliche zu verſtehen waͤren.

Wegen der geiſtlichen Churfuͤrſten war garIII. kein Zweifel, daß nur die Erzbiſchoͤfe von Mainz, Trier und Coͤlln auf dieſe Ehre Anſpruch machen koͤnnten; denen insgeſammt zugleich der Vorſitz vor den weltlichen Churfuͤrſten zugeſtanden wurde. Unter den weltlichen behielt der Koͤnig in Boͤh - men (ſo damals Carl der IV. ſelbſt war,) vor allen uͤbrigen den erſten Platz. Außer dem, was in der goldenen Bulle davon vorkam, mußte Chur - mainz ſowohl uͤber die Boͤhmiſche Churſtimme, als uͤber das damit verknuͤpfte Erzſchenkenamt, jedoch ſo, daß der jedesmalige Koͤnig von wuͤrklicher Aus - uͤbung des Dienſtes befreyet ſey, noch eine beſondere Urkunde ausſtellen(g)Gvdenvs cod. diplom. tom. 3. p. 411..

Die240III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493.
IV.
118

Die wichtigſte bisher ſchon beſtrittene Frage war nun: ob die zweyte weltliche Chur auf der Pfalz am Rheine oder auf dem Herzogthume Baiern haftete? Dieſe Frage ſchien ſchon von Rudolf von Habsburg ihre Erledigung dahin er - halten zu haben, daß beide Haͤuſer Pfalz und Baiern fuͤr einen Mann ſtehen, und an der Churſtimme gleichen Antheil haben ſollten. Seitdem hatte ſelbſt ein feierlicher Vertrag, den Ludewig von Baiern 1329. zu Pavia mit ſeines Bruders Soͤh - nen gemacht hatte, eine Abwechſelung in Ausuͤbung der Churſtimme zwiſchen beiden Haͤuſern feſtge - ſetzt(h)Dieſer Vertrag von Pavia iſt erſt in un - ſeren Tagen recht ins Licht geſetzt worden in F. C. J. Fiſchers Geſchichte des Bairiſch-Pfaͤlziſchen Hausvertrages von Pavia aus Archivalurkunden beleuchtet, 1779. 4., und in deſſen kleinen Schrif - ten Th. 2. S. 403-720.. Nichts deſto weniger geſchieht in der goldenen Bulle des Hauſes Baiern gar keine Mel - dung. Nur Pfalz alleine wird als der zweyte weltliche Churfuͤrſt namhaft gemacht. Wenn man bedenkt, daß Carl der IV. anfangs gegen Ludewig von Baiern als deſſen Gegenkaiſer gewehlt war, und daß er hingegen eine Tochter des Churfuͤrſten von der Pfalz zur Gemahlinn gehabt hatte; ſo kann man ſich kaum zuruͤckhalten auf die Vermu - thung zu kommen, ob nicht eine Partheylichkeit, die Carl der IV. perſoͤnlich fuͤr Pfalz gegen Baiern haben konnte, in dieſem Stuͤck auf die goldene Bulle einen Einfluß gehabt haben moͤchte? Lude - wig von Baiern hatte zwar als Kaiſer Gelegen - heit gefunden, die Mark Brandenburg 1322. als ein durch den damaligen Abgang des Aſcaniſch -Bran -2413) Goldene Bulle 1356. Brandenburgiſchen Stamms erledigtes Reichslehn einzuziehen, und einem ſeiner Soͤhne zu vergeben, der jetzt als Marggraf von Brandenburg im Be - ſitz der Churwuͤrde war. Konnte das aber einen hinlaͤnglichen Rechtsgrund abgeben, einen andern Bruder derſelben als Herzog von Baiern von der Churwuͤrde auszuſchließen? Oder ſollte auch bey der Colliſion, die nach vorausgeſetzter Siebenzahl zwiſchen Boͤhmen und Baiern hier einzutreten ſchien, mit dazu beygetragen haben, das Uebergewicht ge - gen letzteres zu bewirken? Doch dem allem ſey, wie ihm wolle, in der goldenen Bulle wurde nun einmal an Baiern als ein Churfuͤrſtenthum gar nicht gedacht. Das Haus Baiern erſcheint auch in der folgenden Geſchichte bis auf den dreyßigjaͤhrigen Krieg nicht als ein churfuͤrſtliches Haus, ſondern nur als herzoglich.

Ein anderer Streit, der bisher zwiſchen Sach -V. ſen-Lauenburg und Sachſen Wittenberg wegen der Saͤchſiſchen Churſtimme obgewaltet hatte, ward ebenfalls ſo entſchieden, daß es ſchwer faͤllt, Carl den IV. vom Verdacht eines perſoͤnlich partheyi - ſchen Einfluſſes frey zu ſprechen. So lange Carl noch mit Ludewig von Baiern und Guͤnthern von Schwarzburg uͤber die Kaiſerwuͤrde zu ſtreiten hatte, war immer nur Sachſen-Wittenberg auf ſeiner Seite, Sachſen-Lauenburg gegen ihn geweſen. Nun wird in der goldenen Bulle Sachſen-Lauen - burg gar nicht genannt; Sachſen-Wittenberg aber als unbeſtrittener Churfuͤrſt fuͤr bekannt angenom - men. In der Folge iſt zwar noch einmal (1437.) von Sachſenlauenburgiſchen Anſpruͤchen auf dieſeQChur -242III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Churſtimme Anregung geſchehen(i)Senkenbergs Sammlung ungedruckter und rarer Schriften Th. 1. (1745.) S. 28.; aber ohne alle Wirkung. So ſehr hat die Beſtimmung der goldenen Bulle in Anſehung deſſen, was bisher beſtritten worden war, durchgegriffen und ihren voͤlligen Zweck erreicht.

VI.
120

Mit den Grundſaͤtzen fuͤr die Zukunft war ſie nicht weniger gluͤcklich. Sie ſetzte jetzt ein vor allemal feſt, daß, ſo wie die drey geiſtlichen Chu - ren auf den Erzſtiftern Mainz, Trier, Coͤlln haf - teten, ſo die vier weltlichen Churen von nun an unveraͤnderlich auf dem Koͤnigreiche Boͤhmen, der Pfalz am Rheine, dem Churkreiſe Sachſen-Witten - berg, und der Mark Brandenburg haften ſollten. Ein jedes von dieſen vier Churfuͤrſtenthuͤmern ſollte von nun an untheilbar ſeyn, und immer nur auf den Erſtgebohrnen vererbt werden. Folglich konnte nunmehr weder Theilung noch Gemeinſchaft noch Abwechſelung in einer Churwuͤrde mehr in Frage kommen.

VII.
120

Das einzige hat nur in der Folge noch einer etwas naͤhern Beſtimmung bedurft, wie die Erb - folge nach der Erſtgebuhrt unter Seitenver - wandten zu verſtehen ſey. Die goldene Bulle hatte ſich nur ſo erklaͤret: wenn der Erſtgebohrne ohne ſucceſſionsfaͤhige Soͤhne verſtuͤrbe, ſollte ſein aͤlte - ſter Bruder zur Erbfolge in der Chur gelangen(k)Goldene Bulle Cap. 7. §. 3.: Si prime - genitus absque heredibus masculis ab haeluce. Nicht2433) Goldene Bulle 1356. Nicht lange hernach ereignete ſich der Fall, daß der Churfuͤrſt Rudolf der II. von Sachſen (1371.) unbeerbt ſtarb, deſſen Bruder Otto ſchon 1350. mit Hinterlaßung eines Sohns Albrechts geſtorben war, der dritte Bruder Wenzel aber noch lebte. Hier ſprach ſelbſt Carl der IV. fuͤr den dritten Bruder, mit Zuruͤckſetzung des Sohnes von dem vorher verſtorbenen aͤlteren Bruder; vermuthlich, weil man ſich buchſtaͤblich an die Worte: aͤlte - rer Bruder, hielt, und daher dem Bruder, der aͤlter an Jahren war, als des vorher verſtorbenen aͤltern Bruders Sohn, den Vorzug gab. Auf gleiche Art iſt es noch einmal im XVI. Jahrhun - dert mit einem Falle in der Pfalz gehalten wor - den, da nach Ludewigs des V. Tode nicht deſſen vorher verſtorbenen Bruders Ruprechts Sohn Otto Henrich, ſondern der dritte Bruder Friedrich der II. Churfuͤrſt wurde. (Jetzt hat man aber von der Erbfo[i]gsordnung nach dem Rechte der Erſtgebuhrt richtigere Begriffe, daß nicht das natuͤrliche Alter, als worauf nur bey Senioraten zu ſehen iſt, ſon - dern die Ordnung der Gebuhrt und der davon ab - hangenden Linien den Ausſchlag gibt; daß alſo nie ein Nachgebohrner, oder wer davon abſtammt, zur Succeſſion gelangen kann, ſo lange noch ein Vorhergebohrner oder ein davon abſtammender ſucceſſionsfaͤhiger Nachkoͤmmling vorhanden iſt. Sonſt haͤtte nach jenen Beyſpielen auf den Fall, wenn der jetzige Koͤnig in Preuſſen abgehen wird, nichtder(k)luce migraret; poteſtas electionis ad ſenio - rem fratrem laicum per veram paternalem lineam deſcendentem, et deinceps ad illius primogenitum laicum deuoluatur. Q 2244III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. der jetzige Prinz von Preuſſen, ſondern des Koͤnigs noch lebender dritter Bruder Prinz Henrich zur Succeſſion beſtimmt werden muͤßen. Das wird aber jetzt keinem churfuͤrſtlichen oder andern das Recht der Erſtgebuhrt beobachtenden Hauſe mehr einfallen.)

VIII.
122

Als eine naͤhere Beſtimmung, wie ein jeder Nachfolger in der Chur beſchaffen ſeyn muͤße, fuͤgt die goldene Bulle noch hinzu, daß er rechter ehe - licher Gebuhrt und weltlichen Standes ſeyn muͤße. Einen unehelich gebohrnen Sohn, wenn er auch nachher durch prieſterliche Trauung ſeiner Eltern legitimirt waͤre, wuͤrde man, ohne der gol - denen Bulle Gewalt anzuthun, nie zur Churfolge laßen koͤnnen. Gemeiniglich wuͤrde dabey noch ein Hinderniß eintreten, das zwar die goldene Bulle nicht ausdruͤcklich erwehnet, das ſie aber als eine ſchon nach dem Herkommen bekannte Sache vor - ausſetzen konnte; nehmlich daß auch nicht anders als aus ſtandesmaͤßigen Ehen gebohrne Kinder nach uralthergebrachten Rechten des Teutſchen ho - hen Adels zur Erbfolge in Land und Leuten berech - tiget ſind. Unter Perſonen von gleichem Stande wird ſich aber der Fall nicht leicht ereignen, daß ihre Kinder erſt eine nachherige Legitimation noͤthig haͤtten.

IX.
122

Was aber den andern Beyſatz vom weltlichen Stande anbetrifft, oder, wie ſich die goldene Bulle ausdruͤckt, daß der Churfolger ein Laie ſeyn muͤße, das verdient noch wohl eine naͤhere Erlaͤuterung. In catholiſchen Haͤuſern geſchieht es noch jetzt ſehr haͤufig, daß von mehreren Soͤhnen die aͤlterenfruͤh -2453) Goldene Bulle 1356. fruͤhzeitig dem geiſtlichen Stande gewidmet wer - den, um einsweilen deſto reichlicher mit Pfruͤn - den ſich verſorgen zu koͤnnen, waͤhrend daß einem oder mehreren juͤngeren Soͤhnen die kuͤnftige Erb - folge in den Guͤtern des Hauſes und zugleich die Beſtimmung als Stammhalter das Haus fortzu - pflanzen zugedacht wird. In der Vorausſetzung, daß eben das in churfuͤrſtlichen Haͤuſern geſchehen koͤnnte, ward in der goldenen Bulle ſehr zweck - maͤßig geordnet, daß alsdann, wenn etwa der erſtgebohrne Sohn eines Churfuͤrſten den geiſtli - chen Stand erwehlt haͤtte, nicht derſelbe, ſondern nur derjenige Erſtgebohrne oder darauf in der Reihe folgende Prinz, der Laie ſeyn wuͤrde, zur Succeſ - ſion gelangen ſollte. Damit war jedoch nicht ge - ſagt, daß ein Prinz, der im geiſtlichen Stande lebte, ganz und gar nicht in weltlichen Laͤndern zur Erbfolge gelangen koͤnnte. Nur bey den weltli - chen Churfuͤrſtenthuͤmern hatte man vorzuͤglich Ur - ſache darauf zu ſehen, daß zu deren Beſitz keiner gelangte, der durch ſeinen Stand abgehalten wuͤr - de, ſein Geſchlecht fortzuſetzen. Vielleicht kam auch das dabey in Betrachtung, daß ohnedem ſchon drey Churen in geiſtlichen Haͤnden waren. So lange es alſo in einem Churhauſe nicht an welt - lichen Herren fehlte, wurden billig geiſtliche zu - ruͤckgeſetzt. Wenn ein ganzes Haus bis auf einen einzigen Herrn geiſtlichen Standes abgegangen waͤ - re; ob alsdann dieſer nicht dennoch ſuccediren koͤnnte? wuͤrde noch eine andere Frage ſeyn. In fuͤrſtlichen Haͤuſern wuͤrde es wenigſtens kein Be - denken haben. Daß fuͤr einen evangeliſchen Prin - zen die biſchoͤfliche und churfuͤrſtliche Wuͤrde nicht mit einander in Widerſpruch ſtehe, hat ſchon dasQ 3Bey -246III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Beyſpiel des erſten Churfuͤrſten von Braunſchweig - Luͤneburg gelehret(l)Ernſt Auguſt der I. (geb. 1629.) ward 1662. Biſchof zu Osnabruͤck, 1692. Churfuͤrſt zu Hannover 1698..

X.
123

Uebrigens verſtand ſich die Erbfolge nach dem Rechte der Erſtgebuhrt vermoͤge der goldenen Bulle nur von jedem eigentlichen Churfuͤrſtenthume, nicht von anderen Fuͤrſtenthuͤmern oder Grafſchaften, die ein churfuͤrſtliches Haus noch neben her haben moͤchte. So ward lange nach der goldenen Bulle nicht nur das Haus Baiern (ſo doch immer als ein Nebenſtamm des Pfaͤlziſchen Churhauſes anzu - ſehen war,) noch in drey Linien von Ingolſtadt, Landshut und Muͤnchen abgetheilt, ſondern auch ſelbſt im Hauſe Pfalz geſchahen noch mehrere Ab - theilungen von Pfalz-Simmern, Pfalz-Lantern, Pfalz-Neuburg, Pfalz-Zweybruͤcken, Pfalz-Vel - denz u. ſ. w. Auch im Hauſe Sachſen entſtanden noch lange nachher die verſchiedenen Linien von Weimar, Eiſenach, Gotha, Altenburg, Coburg, Meinungen, Hildburghauſen u. ſ. w.

XI.
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Die erſte Verordnung in ihrer Art uͤber die - ſen Gegenſtand war diejenige, die der Churfuͤrſt Albrecht Achilles von Brandenburg im Jahre 1473. errichtete. Vermoͤge derſelben ſollten von ſeinen Nachkommen zwey juͤngere Herren in Anſpach und Bayreuth regieren. Alles uͤbrige aber, was das Haus Brandenburg ſchon beſaß oder noch kuͤnf - tig erlangen wuͤrde, ſollte unzertrennlich dem jedes - maligen Churfuͤrſten zufallen. So ward zwar fuͤr das Churhaus das Recht der Erſtgebuhrt mit allendavon2473) Goldene Bulle 1356. davon zu erwartenden Vortheilen eingefuͤhrt, aber doch auch in den zwey Nebenlinien von Anſpach und Bayreuth dafuͤr geſorgt, daß außer dem re - gierenden Churfuͤrſten noch immer zwey andere regierende Fuͤrſten vom Hauſe waren, die ſich ſtan - desmaͤßig vermaͤhlen konnten, um deſto weniger den Abgang des Hauſes beſorgen zu duͤrfen. Und doch ſcheint jetzt ſchon das zweytemal der Fall be - vorzuſtehen, daß das Churhaus beide Nebenlinien uͤberlebt.

Augenſcheinlich hat inzwiſchen dieſes Erſtge -XII. buhrtsrecht, wie es das Haus Brandenburg vor den uͤbrigen Churhaͤuſern zuerſt eingefuͤhrt hat, den eigentlichen Grund dazu gelegt, daß ſeitdem dieſes Haus in ſeiner Groͤße ſo merklich geſtiegen iſt, da nie von keiner weitern Vertheilung mehr die Frage ſeyn konnte, ſondern ein jeder neuer Zuwachs von Land und Leuten immer nur dem regierenden Churfuͤrſten zu gute kam. Nichts deſto weniger haben andere Haͤuſer dieſes Beyſpiel erſt weit ſpaͤter nachgeahmt. Manche fuͤrſtliche Haͤu - ſer haben noch im XVI. Jahrhunderte einen Fluch darauf gelegt, wenn auch einer ihrer Nachkommen das Recht der Erſtgebuhrt einfuͤhren wollte. Man hielt es zum Theil der Religion zuwider, wenn man es nicht bey dem Spruche laßen wollte: Sind wir dann Kinder, ſo ſind wir auch Erben.

Ein Umſtand, der mit dem Rechte der Erſt -XIII. gebuhrt verbunden zu ſeyn pfleget, daß oͤfters Min - derjaͤhrige an die Regierung kommen, iſt bey Ab - faſſung der goldenen Bulle nicht unbemerkt geblie - ben. Fuͤr dieſen Fall enthaͤlt ſie die ausdruͤcklicheQ 4Vor -248III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Vorſchrift, daß alsdann der aͤltere Bruder des verſtorbenen Churfuͤrſten uͤber deſſen minderjaͤhrigen Sohn bis zu ſeinem zuruͤckgelegten achtzehnten Jah - re die Vormunoſchaft fuͤhren ſolle; (wie auf ſolche Art noch, als das neueſte Beyſpiel, der Prinz Xavier von Sachſen uͤber den jetzigen Chur - fuͤrſten von Sachſen einige Jahre die Vormund - ſchaft gefuͤhret hat.) Vermuthlich hatte es damit die Meynung, die Sache dergeſtalt anzuordnen, damit auch auf den Fall, wenn ein Vater, ohne eine Verordnung uͤber die Vormundſchaft ſeiner Kin - der zu hinterlaßen, ſtuͤrbe, es doch nie an einem geſetz - lich beſtimmten Vormunde fehlen moͤchte. Daß ein Vater nicht befugt bleiben ſollte, wie es allen ge - meinen Rechten gemaͤß iſt, ſeinen Kindern ſelbſt einen Vormund auszuerſehen, mag wohl nicht die Abſicht der goldenen Bulle geweſen ſeyn. Den - noch iſt nachher im Churhauſe Pfalz zweymal nach einander Streit daruͤber geweſen, da einmal ein Lutheriſcher teſtamentariſcher Vormund zuruͤckſtehen muͤßen, ein andermal ein reformirter teſtamenta - riſcher Vormund vor einem Lutheriſchen naͤhern Stammsvetter den Vorzug behalten hat(m)Mein Handbuch von den beſonderen Teut - ſchen Staaten S. 390. 394.. Vie - le behaupten deswegen noch jetzt, daß in chur - fuͤrſtlichen Haͤuſern keine teſtamentariſche Vormund - ſchaft ſtatt finde. Daß nicht des Minderjaͤhrigen Mutter oder Großmutter, ſondern ein Stamms - vetter die Vormundſchaft fuͤhren ſolle, ſcheint frey - lich eine Hauptabſicht bey dieſer Verordnung der goldenen Bulle geweſen zu ſeyn.

Den2493) Goldene Bulle 1356.

Den Rang der Churfuͤrſten unter einanderXIV. nimmt die goldene Bulle in folgender Ordnung als bekannt an: Mainz, Trier, Coͤlln, Boͤhmen, Pfalz, Sachſen, Brandenburg. In eben dieſer Reihe ſollen ſie auch nach einander ihre Stimmen ablegen, außer daß Mainz, nachdem es die uͤbri - gen Stimmen erſt aufgefordert, die ſeinige zuletzt geben ſoll; wie das auch noch heutiges Tages uͤblich iſt. Ueber die Plaͤtze aber, wo bey Anweſen - heit des Kaiſers ſich ein jeder ſetzen ſollte, war ein Streit unter den geiſtlichen Churfuͤrſten, den die goldene Bulle ſo beylegt, daß Churtrier allemal dem Kaiſer gegen uͤber ſitzen ſoll, von Mainz und Coͤlln aber immer derjenige dem Kaiſer zur Rech - ten, in deſſen Dioeces oder Erzcanzlers-Gebiete der Kaiſer ſich eben aufhaͤlt, der andere zur Lin - ken. Dann ſollten ferner zur Rechten des Kaiſers Churboͤhmen und Churpfalz, zur Linken Churſach - ſen und Churbrandenburg ſitzen. Von dieſer Vor - ſchrift ruͤhrt noch bis auf den heutigen Tag eine zweyfache Einrichtung her, wie die Churfuͤrſten entweder nach der Reihe (ſecundum lineam) oder nach beiden Seiten (ſecundum latera) ihren Sitz nehmen. In Proceſſionen geht immer unmittelbar nach dem Kaiſer Churboͤhmen, an beiden Seiten des Kaiſers Mainz und Coͤlln, unmittelbar vor ihm Churtrier, und vor demſelben die uͤbrigen Chur - fuͤrſten Paarweiſe. Nur wenn die Inſignien vor - getragen werden, geht Churtrier ganz voran, und unmittelbar vor dem Kaiſer der Erzmarſchall oder Erbmarſchall mit dem Schwerdte.

Die Dienſtverrichtungen, wie ſie bey feier -XV. lichen kaiſerlichen Hoflagern geſchehen ſollen, wer -Q 5den,250III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. den, als damals ſchon althergebracht, in der gol - denen Bulle ſo beſchrieben, wie ſie noch jetzt bey der Kaiſerkroͤnung uͤblich ſind. Die geiſtlichen Churfuͤrſten ſollen das Gebet bey der Tafel ver - richten, und die Siegel, deren ſie ſich bey ihren Erzcanzlersausfertigungen zu bedienen haben, be - kommen. Der Churfuͤrſt von Sachſen, als Erz - marſchall, ſoll in einen Haufen Haber reiten, und ein ſilbernes Maaß voll Haber ſchoͤpfen. Der Churfuͤrſt von Brandenburg als Erzkaͤmmerer ſoll dem Kaiſer, um die Haͤnde zu waſchen, ein ſilbern Waſchbecken nebſt einem feinen Handtuche, dar - reichen. Der Churfuͤrſt von der Pfalz ſoll vier ſilberne Schuͤſſeln mit Speiſen auf die kaiſerliche Tafel ſetzen. Der Koͤnig in Boͤhmen ſoll dem Kaiſer einen ſilbernen Becher mit Wein und Waſ - ſer zum Trinken reichen.

XVI.
124

Bey dieſen Dienſtverrichtungen ſoll einem jeden Erzbeamten ein von ihm belehnter Reichserb - beamter zur Hand gehen, und dafuͤr das dabey gebrauchte Pferd und Silbergeſchirr zum Geſchenke haben, oder auch in Abweſenheit oder Verhinde - rung des Churfuͤrſten das Erzamt ſelbſt verrich - ten. Dieſe Erbbeamten muͤßen deswegen auch vom Herrenſtande ſeyn. Zur Zeit der goldenen Bulle war ſchon das freyherrliche jetzt graͤfliche Haus Pappenheim in Beſitz des Reichserbmarſchallamts, das es noch jetzt mit vielen Vorzuͤgen in Mit - beſorgung der Polizey und anderen Anſtalten in voͤlliger Uebung hat; wie deswegen bisher noch bey allen Kaiſerwahlen ein Graf von Pappenheim in Perſon gegenwaͤrtig geweſen, und beym Reichs - tage noch immer eine Reichserbmarſchallamtscanz -ley2513) Goldene Bulle 1356. ley von ihm unterhalten wird. Die Beſitzer der uͤbrigen Erbaͤmter haben ſich ſeit der goldenen Bulle alle geaͤndert. Damals waren Reichserbſchenken die Herren und Grafen von Limburg in Franken, jetzt ſind es (ſeit 1713.) die Grafen von Althann. An ſtatt der Erbtruchſeſſe von Nortenberg ſind erſt die von Seldeneck, hernach 1594. die Reichserb - truchſeſſe von Waldburg in Schwaben gekommen; An ſtatt der Erbkaͤmmerer von Weinsberg erſt die von Falkenſtein, und ſeit dem Anfange des XVI. Jahrhunderts die Grafen, jetzt Fuͤrſten von Ho - henzollern.

Die Art und Weiſe, wie es mit einer jedes -XVII. maligen Kaiſerwahl gehalten werden ſoll, wird mit allen dabey zu beobachtenden Feierlichkeiten aufs genaueſte beſchrieben. Der Churfuͤrſt von Mainz ſoll binnen Monathsfriſt nach Erledigung des kaiſerlichen Thrones Botſchafter und Briefe an alle und jede Churfuͤrſten ſchicken, um ſie zur Wahl binnen drey Monathen einzuladen. Jeder Chur - fuͤrſt ſoll in Perſon, oder durch Botſchafter, die mit einer Vollmacht, wie ſie die goldene Bulle vorſchreibt, verſehen ſind, erſcheinen. Die Buͤr - ger der Wahlſtadt, wozu eigentlich Frankfurt am Main beſtimmt iſt, ſollen einen feierlichen Sicher - heitseid ſchwoͤren, damit kein Churfuͤrſt oder deſſen Gefolg waͤhrenden Aufenthalts daſelbſt etwas zu beſorgen habe. Ehe zur Wahl ſelber geſchritten wird, muͤßen die Churfuͤrſten oder ihre Wahlbotſchafter einen vorgeſchriebenen Eid ſchwoͤren, daß ſie einen Kaiſer nach ihrem beſten Verſtaͤndniß wehlen wollen. Ein jeder muß auch noch die Verſicherung von ſich geben, daß er denjenigen, der die meiſten Stim -men252III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. men bekommen werde, als rechtmaͤßig erwehlten Kaiſer erkennen wolle. Die Stimmen ſelbſt wer - den hernach im Conclave (in der Sacriſtey) bey verſchloſſenen Thuͤren abgegeben; wobey eines der wichtigſten Stuͤcke der goldenen Bulle in den Verordnungen beſteht, daß hier ſchlechterdings die Mehrheit der Stimmen gilt, ohne daß auch die Abweſenheit oder Entfernung eines Churfuͤrſten der - ſelben Abbruch thun kann, und hingegen ſo, daß auch die Stimme mitgerechnet wird, die ſich ein Chur - fuͤrſt ſelber geben kann. Auch die Kroͤnung, wel - che vermoͤge der goldenen Bulle eigentlich zu Aachen geſchehen ſoll, aber jetzt eben da, wo die Wahl geſchehen, vollzogen zu werden pflegt, hat ihre althergebrachte Feierlichkeiten; wie ſie zur Ehre des Alterthums ſoviel moͤglich bis auf den heuti - gen Tag beybehalten werden.

XVIII.
124

Zu bewundern war es, daß Carl der IV. bey Abfaſſung der goldenen Bulle nicht auch darauf Be - dacht genommen hatte, wie noch bey Lebzeiten eines regierenden Kaiſers ein Roͤmiſcher Koͤnig zum Thronfolger erwehlt werden koͤnne. Sollte er viel - leicht beſorgt geweſen ſeyn, daß er mehr Schwie - rigkeiten finden moͤchte, wenn er die Sache rege machte, als wenn er ſie mit Stillſchweigen uͤber - gienge, und, wie bisher, dem Herkommen, oder kuͤnftigen guͤnſtigen Zeitlaͤuften uͤberließe? Fuͤr das Herkommen vergangener Zeiten konnten ſchon die Beyſpiele der Roͤmiſchen Koͤnigswahlen zur Zeit der Schwaͤbiſchen Kaiſer Buͤrge ſeyn. Carln gelang es auch nach der goldenen Bulle fuͤr ſeinen Sohn Wenzel die Roͤmiſche Koͤnigswahl zu Stande zu bringen. Hernach vergiengen zwar uͤber hundertJah -2533) Goldene Bulle 1356. Jahre, ehe wieder eine ſolche Wahl geſchah. Aber daß doch eine geſchehen koͤnne, war nun, des Still - ſchweigens der goldenen Bulle uͤber dieſen Punct ungeachtet, eine ausgemachte Sache.

Bey Gelegenheit deſſen, was in der goldenenXIX. Bulle von der Kaiſerwahl geordnet wurde, war es ſehr natuͤrlich, daß Carl der IV. auch auf die Frage kam, wie es waͤhrender Erledigung des kaiſer - lichen Throns bis zur vollzogenen Wahl mit einswei - liger Regierung des Reichs gehalten werden ſollte. Hier beſtimmt die goldene Bulle, daß der Chur - fuͤrſt von der Pfalz in den Rheiniſchen, Schwaͤ - biſchen und denen Laͤndern, wo Fraͤnkiſch Recht gelte, der Churfuͤrſt von Sachſen hingegen in Laͤn - dern, wo Saͤchſiſche Rechte gelten, Reichsverwe - ſer ſey. Wahrſcheinlich mag die pfalzgraͤfliche Wuͤrde, die urſpruͤnglich einer Richtersſtelle an - klebte, zuerſt Anlaß gegeben haben, daß die Ver - waltung der Juſtitz, die am wenigſten Aufſchub oder Unterbrechung leidet, auch waͤhrender Erledi - gung des kaiſerlichen Thrones vom Pfalzgrafen erwartet wurde, und damit dann auch mehrere ſolche Rechte, die auch im Zwiſchenreiche nicht fuͤg - lich ruhen konnten, nach und nach in Gang ka - men. Dieſe Pfaͤlziſche Reichsverweſung wuͤrde ſich nun eigentlich auf ganz Teutſchland erſtreckt haben. Aber das beſondere Vorrecht, das den Sachſen gleich bey ihrer erſten Vereinigung mit der Fraͤn - kiſchen Nation zugeſtanden war, hat vermuthlich den Grund dazu hergegeben, daß die Sachſen, oder, wie die goldene Bulle ſagt, die Orte (oder Laͤnder) in welchen Sachſenrecht beobachtet wird, nicht un - ter der Pfaͤlziſchen Reichsverweſung, ſondern lieberunter254III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. unter ihrem eignen Herzoge ſtehen wollen. (Die eigentlichen Graͤnzen der beiden Reichsvicariate ſind erſt den 9. Jun. 1750. unter den damaligen Vi - cariatshoͤfen verglichen worden. Das Saͤchſiſche Vicariat ſoll in Franken noch Henneberg unter ſich haben, und in Weſtphalen Paderborn, Osna - bruͤck, Corvey, Oldenburg, Delmenhorſt, Hoya, Diepholz, Pyrmont, Lippe, Schaumburg und Rittberg. Zum Rheiniſchen Vicariate ſoll nicht nur das Erzſtift Coͤlln gehoͤren, ſondern auch das Herzogthum Weſtphalen, das Hochſtift Muͤnſter, das Fuͤrſtenthum Minden, die Abtey Hervorden, ſodann Oſtfriesland, Ravensberg, Tecklenburg und Bentheim. Dieſer Vergleich iſt jedoch noch nicht vom Reichstage beſtaͤtiget.)

XX.
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Beide Reichsvicarien behaupten zwar als Reichs - verweſer (prouiſores imperii, wie die goldene Bulle ſie nennt,) der Regel nach alle Rechte der kai - ſerlichen Regierung ausuͤben zu koͤnnen. Allein die goldne Bulle eignet ihnen nur einige benannte Rechte zu, als Gericht zu halten, geiſtliche Pfruͤn - den zu vergeben, Einkuͤnfte zu erheben, und Be - lehnungen, nur nicht uͤber Fahnenlehne (d. i. uͤber ganze Fuͤrſtenthuͤmer, deren Belehnung dem zu er - wehlenden Kaiſer vorbehalten bleiben ſoll,) zu er - theilen. Sie verbietet ihnen hingegen alle Ver - aͤußerungen.

XXI.
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Dem Churfuͤrſten von der Pfalz wird uͤberdies noch das beſondere Vorrecht zugeſtanden, daß er uͤber Beſchwerden, die gegen den Kaiſer angebracht wuͤrden, an deſſen Hoflager Gericht halten koͤnne. (Vermuthlich ſo, wie auch andere Monarchen undTeut -2553) Goldene Bulle 1356. Teutſche Fuͤrſten geſchehen laßen, daß in ihren Cammerſachen Klagen bey ihren eignen Gerichten wider ſie angebracht werden.)

Uebrigens werden alle Churfuͤrſten mit derXXII. Perſon des Kaiſers fuͤr ſo genau verbunden erklaͤ - ret, daß einer, der ſich an der Perſon eines Chur - fuͤrſten vergreife, eben ſo angeſehen werden ſolle, als wenn er ſich an der Perſon des Kaiſers ver - griffen haͤtte.

Von anderen Vorrechten werden endlichXXIII. namentlich der Krone Boͤhmen, aber auch in glei - cher Maße allen uͤbrigen Churfuͤrſten, die beſonde - ren Rechte zugeeignet, daß in erſter Inſtanz einer ihrer Unterthanen weder an kaiſerliche oder andere Gerichte gezogen (evocirt), noch auch in hoͤherer In - ſtanz von ihren Rechtsſpruͤchen an den Kaiſer oder deſſen Gerichte appellirt werden ſolle; nur mit Vor - behalt des Falles, wenn uͤber verzoͤgertes oder ver - ſagtes Recht geklaget wuͤrde. Auch ſollen alle Chur - fuͤrſten berechtiget ſeyn, in ihren Laͤndern Gold - und Silberbergwerke, ingleichen Zinn, Kupfer, Eiſen, Bley, oder jede andere Metalle, wie auch Salzwerke zu haben, desgleichen Gold - und Silbermuͤnzen zu praͤgen, Zoͤlle zu haben und Juden in Schutz zu nehmen. Lauter Rechte, die von anderen Fuͤrſten erſt durch eigne kaiſerliche Verleihungen erworben werden mußten.

Das alles machte einen Haupttheil der golde -XXIV. nen Bulle aus, der in ſo weit in genauem Zu - ſammenhange ſtand, als alles dahin abzweckte, die Kaiſerwahl, und was damit in Verbindungſtand,256III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. ſtand, ſoviel moͤglich auf ſichere Beſtimmungen zu ſetzen. Damit hat auch Carl der IV. ſeinen Zweck meiſt voͤllig erreicht, da dieſe Vorſchriften der goldenen Bulle groͤßtentheils bis auf den heutigen Tag ihren Gebrauch erhalten haben. Außerdem gieng bey Abfaſſung dieſes Reichsgrundgeſetzes auch noch eine Hauptabſicht dahin, dem damaligen Un - weſen des Fauſtrechts Einhalt zu thun. Da - mit gelang es aber nicht zum Zwecke zu kommen, weil man die Sache nicht an der Wurzel angriff, ſondern nur einige Zweige beſchneiden wollte.

XXV.
124

Kein Mittel ließ ſich erdenken, hierin gruͤndlich zu helfen, als man haͤtte das ganze Fauſtrecht, d. i. allen Gebrauch der Selbſthuͤlfe, ſchlechterdings auf - heben und abſchaffen muͤßen. Statt deſſen blieb man aber bey dem, was ſchon Friedrich der I. und Rudolf von Habsburg geordnet hatten, daß nur dann Befehdungen unerlaubt ſeyn ſollten, wenn ſie nicht drey Tage vorher erweislich angekuͤndiget waͤren. So wenig damit bisher Ordnung und Ruhe im Reiche hatte beſtehen koͤnnen, eben ſo gewiß konnte man wohl vorausſehen, daß es auch kuͤnftig nicht beſſer gehen wuͤrde, ſo lange man dieſes Recht der dreytaͤgigen Ankuͤndigung der Fehde beybehielt. Alle beſondere Verordnungen, die uͤbri - gens die goldene Bulle hieruͤber enthielt, verrie - then an ſich ſchon, wie wenig auch fuͤr die Zu - kunft zu hoffen war, da ſchon ſolche Mißbraͤuche eingeriſſen waren, woruͤber die goldene Bulle ſelbſt zu klagen hatte.

XXVI.
124

So geſchah es, um nur ein Beyſpiel anzu - fuͤhren, haͤufig, daß Edelleute ihre eigne Lehnherrenbefeh -2573) Goldene Bulle 1356. befehdeten, ohne ſich dadurch abſchrecken zu laßen, daß nach den Lehnrechten der Verluſt des Lehns darauf ſtehet, wenn ein Vaſall gegen ſeinen Lehn - herrn Gewalt braucht. Um dieſem Vorwurfe aus - zuweichen, ſchickte ein ſolcher Lehnmann ſeinem Herrn erſt einen Boten, durch den er ihm ſein Lehn aufkuͤndigen ließ, mit der Nachricht, daß er das Lehngut mit den Seinigen verlaße, und dem Lehnherrn heimſtelle, es in Beſitz zu nehmen. Er zog alsdann auch wuͤrklich mit ſeiner ganzen Hab - ſeligkeit von ſeinem Gute weg; ſchickte aber dann gleich einen zweyten Boten mit Fehdebriefen an den Lehnherrn. Und nun machte er damit den Anfang ſeiner Feindſeligkeit, daß er ſein kaum ver - laßenes Schloß, ehe der Lehnherr von der Auf - kuͤndigung des Lehns Gebrauch machen konnte, wieder einnahm. So verwandelte er ſich aus einem Lehnmann in einen Feind, ohne ſein Lehn dabey aufs Spiel zu ſetzen. Wider dieſen und andere aͤhnliche Mißbraͤuche eiferte nun zwar die goldene Bulle mit Androhung der Ehrloſigkeit und Achtserklaͤrung. Allein der Erfolg lehrte, daß noch immer Uebel aͤrger wurde, bis man ſich erſt nach beynahe anderthalb hundert Jahren angelegen ſeyn ließ, mit gaͤnzlicher Aufhebung aller Befeh - dungen die Quelle des Uebels ganz zu verſtopfen.

Unglaublich iſt es faſt, was ſelbſt zu CarlsXXVII. des IV. Zeiten noch fuͤr Dinge im Schwange gien - gen. So iſt z. B. nur aus einer einzigen Urkunde vom Jahre 1362. zu erſehen, wie die Grafen von Schwarzburg mit Beyſtand des Chur - fuͤrſten von Mainz gegen die Marggrafen von Meiſſen und gegen die Stadt Erfurt Krieg gefuͤh -Rret,258III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. ret, aber wohl 40. Ritter und Knechte verlohren, die jene zu Gefangenen gemacht; wie hingegen der Mainziſche Hauptmann von Virneburg in die - ſem Kriege den Meißnern und Erfurtern wiederum wohl 50. Ritter und Knechte abgefangen, die er ihr Gefaͤngniß zu Arnſtadt angeloben laßen. Sel - bige haͤtten dem Churfuͤrſten von Mainz, ſo heißt es ferner in dieſer Urkunde, wohl zwey tauſend loͤthige Mark Silbers geben muͤßen; Die Grafen von Schwarzburg haͤtten aber ohne des Churfuͤr - ſten Vorwiſſen die Gefangenen losgelaſſen, und die ihrigen damit frey gemacht. In einer Fehde mit denen von Hanſtein waͤren die Grafen von Schwarzburg in ein Mainziſches Dorf eingefallen, und haͤtten darin des Churfuͤrſten eigne Leute, die mit denen von Hanſtein nichts zu thun gehabt, zum Theil mit ihren Pferden todt gebrannt; auch ſonſt haͤtten ſie wohl zehn Kirchhoͤfe abgebrannt und niedergebrochen, und die Leute darin todt ge - brannt. Desgleichen haͤtten die Grafen von Ho - henſtein vier Mainziſche Burgmaͤnner aufhaͤngen laßen. Auch, heißt es in eben der Urkunde, kamen ſie wohl mit 200. Pferden bey Nacht vor Duderſtadt, und fiengen da zwey Buͤrger, und hiengen die ohne Gericht und ohne Recht(n)Gvdenvs cod. diplom. tom. 3. p. 456-458. . So kann man ſicher behaupten, daß in dieſen Zei - ten des XIV. und folgenden Jahrhunderts kaum ein bewohnter Strich Landes von etlichen Quadrat - meilen zu finden geweſen, wo nicht beynahe un - aufhoͤrlich ſolche Plackereyen und Befehdungen vor - gefallen waͤren.

Zu2593) Goldene Bulle 1356.

Zu bewundern iſt es, wie unter ſolchen Um -XXVIII. ſtaͤnden Handlung, Gewerbe und Bevoͤlkerung noch ſo in Aufnahme kommen und ſich erhalten koͤnnen, wie es ſich doch von dieſen Zeiten her noch findet. Doch dazu dienten hauptſaͤchlich ſolche Verbindun - gen der Staͤdte, wie die Hanſe und die Schweizer Eidgenoſſenſchaft. Andere Verbindungen waren aber auch der oͤffentlichen Ruhe wieder eben ſo nachtheilig; inſonderheit ſolche, deren zahlreiche Mitglieder einzelne Ritter waren, die ſich nach gewiſſen Zeichen oder Sinnbildern benannten, wo - mit ſie ſich unter einander zu erkennen gaben, und gegen jede angebliche Beleidigung oder gemeinig - lich vielmehr in eigentlichen Angriffsentwuͤrfen bald gegen Staͤdte und deren Einwohner, bald gegen Fuͤrſten und Grafen gemeine Sache machten. Von der Art waren z. B. die ſo genannten Hoͤrner, Sterner, Schlaͤgeler, die mit den rothen Ermeln(o)So findet ſich z. B. eine Urkunde vom Jahre 1331. bey Gvdenvs tom. 2. p. 1048., worin die Churfuͤrſten von Trier und Coͤlln, und die mit den rothen Ermeln an einer Seite, und Simon von Kempenich und Johann von El - zen an der andern Seite, nebſt ihren Helfern von beiden Seiten einen foͤrmlichen Frieden ſchlie - ßen. u. ſ. w. Eine ſelbſt in der goldenen Bulle wider alle unerlaubte Verbindungen mit vielem Eifer ge - faßte Stelle(p)Goldene Bulle Cap. 15. §. 1. 2. war ohne Zweifel ganz eigentlich gegen ſolche Geſellſchaften gemeynet. Die Ge - ſchichte ſelbiger Zeiten enthaͤlt aber Beyſpiele gnug,wieR 2260III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. wie unwirkſam dieſe Verordnung noch geblieben iſt(q)Ich kann mich nicht enthalten, hier einen recht nach dem Leben geſchilderten Zug von der Art aus Spittlers Wuͤrtenbergiſcher Geſchichte S. 30. 31. einzuruͤcken. Ungefaͤhr um das Jahr 1367. vereinigten ſich viele Schwaͤbiſche Ritter, kuͤnftig in guter Geſellſchaft ihre ritterliche Thaten auszufuͤhren, einander Nachricht zu geben, wo ein guter Fang zu thun ſeyn moͤchte, und aller Welt das ihrige abzujagen. Martinsvoͤgel oder Schlaͤg - ler nannte ſich die loͤbliche Genoſſenſchaft, denn ihre ſilberne Keulen (Schlaͤgel) waren das Zeichen ihres Ritterbundes, und am Tage Martini hatten ſie die große Allianz geſchloſſen. Gleich in der erſten Zeit zeigte ſich eine gute Gelegenheit einen luſtigen Ritt mit einander zu thun. Graf Eber - hard (von Wuͤrtenberg) mit ſeiner ganzen Familie war ohne allen Argwohn im Wildbad, und genoß hier die Ruhe von ſo vielen bisher erduldeten Kriegsbeſchwerden. Denn auch ſein altes Schwerdt von Stahl und Eiſen fieng an bruͤchig zu werden, es wurde gar zu ſtreng abgenutzt. Den Martins - voͤgeln fiel ein, daß hier ſtattliche Ranziongelder zu holen ſeyn wuͤrden, und es war ſchon Ritter - ſpaß gnug, einen ſolchen zu fangen, wie Eber - hard war. Angefuͤhrt von dem Grafen von Eber - ſtein, umringten ſie ploͤtzlich das Staͤdtchen Wild - bad, und alles, was Wuͤrtenbergiſcher Graf oder Graͤfinn war, wuͤrde ihnen wahrſcheinlich zur Beute geworden ſeyn, wenn nicht ein Hirte Eber - harden und ſeiner Familie einige Fußpfade zwiſchen Waͤldern und Felſen hindurch gezeigt und ſie gluͤck - lich gerettet haͤtte. So abgeſagt feind konnte Eber - hard den Reichsſtaͤdten nicht werden, als er jetzt dieſen Martinsvoͤgeln gram war; den verwuͤnſch - ten Raubvoͤgeln, die, ohne vorher einen Abſagbrief zu ſchicken, wie Schelme ihn uͤberfallen hatten, die ihn gerade ſo angegriffen, daß er ſich ent - weder ohne Schwerdtſtreich ergeben, oder wieeine. 2613) Goldene Bulle 1356. (q)eine Memme hinwegſtehlen mußte. Eberhard bot alles auf, ſich blutig an ihnen zu raͤchen; aber die Rache war nicht ſo gar leicht zu vollbrin - gen. Denn Pfalzgraf Rupert und Marggraf Rudolf von Baden waren in gutem Verſtaͤndniß mit den Schlaͤglern, und lachten mit heimlicher Freude des uͤberraſchten Eberhards; nur Schade, daß der Vogel nicht gefangen worden war. Selbſt die Schwaͤbiſchen Reichsſtaͤdte mußten auf kaiſer - lichen Befehl Eberharden zu Huͤlfe ziehen, das Reichspanier wurde aufgeworfen, Carl (der IV. ) ſelbſt unterſtuͤtzte ſeinen Lehnmann. Aber der Eifer dieſer Bundsgenoſſen erkaltete ſehr fruͤhe, und Eber - hard allein war nicht ſtark gnug, dieſe Feinde zu ſtrafen. Noch vier Jahre nachher machte er es zu einem Artikel ſeines Buͤndniſſes mit der Stadt und dem Biſchof von Straßburg, daß ſie ihm gegen ſeine Wildbader Feinde helfen ſollten.

R 3IV. 262III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493.

IV. Andere Veraͤnderungen in der Reichsverfaſſung unter Carl dem IV. und ſeinen erſten Nachfol - gern bis 1414.

I. Verſchiedene Keime nachheriger Staatsveraͤnderun - gen. II. Abnahme der kaiſerlichen Hoheitsrechte und Cammerguͤter. III. Nothwendigkeit einen Kaiſer zu weh - len, der eigne Erblande hat. IV. Kaiſerliche Reſidenz in den Erblanden an ſtatt des ehemaligen wandelbaren Hof - lagers. V. Anfang eigentlicher Standeserhoͤhungen, VI. inſonderheit gefuͤrſteter Praͤlaten und Grafen, VII. und Erhoͤhung graͤflicher Haͤuſer und Laͤnder zu herzoglichen. VIII. IX. Wirkungen dieſer Standeserhoͤhungen in Anſehung der Stimmen auf dem Reichstage, und zum Nachtheile des Grafenſtandes. X. Art der Erbfolge in fuͤrſtlichen Haͤu - ſern, ohne noch der Erſtgebuhrt einen Vorzug zu geben. XI. Bedenkliche Beyſpiele vom Einfluſſe Roͤmiſcher Rechts - grundſaͤtze zum Nachtheile der ſtammsvetterlichen Erbfolge. XII. Verdoppelte Vorſicht dagegen in fuͤrſtlichen Hausver - traͤgen. XIII. Beſondere Vergroͤßerung der Macht des Hauſes Burgund. XIV. Univerſitaͤt zu Prag, die erſte in allen Wendiſchen und Teutſchen Laͤndern. XV. Nach - her mehrere derſelben zu Wien, Heidelberg, Leipzig ꝛc. XVI. Einfluß dieſer hohen Schulen auf mehr verbreitete Aufklaͤrung.

I.
129

Außer dem, was die goldene Bulle enthielt, und doch zum Theil ſelbſt nur aus Herkom - men in ein ſchriftliches Grundgeſetz verwandelt hatte, blieb die Teutſche Reichsverfaſſung im uͤbri - gen meiſt, wie ſie war. Nur einige Umſtaͤnde, die ſich in der Folge noch immer mehr entwickel - ten, fiengen ſchon hier an in ihren erſten Kei - men merklich zu werden.

II.
129

Wie von der Zeit her, da Teutſchland ſo ent - ſchieden die Eigenſchaft eines Wahlreichs angenom -men2634) Carl IV. Sigism. 1356-1414. men hatte, die Reichsſtaͤnde nicht nur in ihrer Theilnehmung an wichtigen Reichsgeſchaͤfften, ſon - dern auch in ihrer Eigenſchaft, als Landesherren oder wahre Regenten in ihren Laͤndern, ungefaͤhr in eben dem Verhaͤltniſſe geſtiegen waren, als die kaiſerliche Gewalt in Abnahme gerieth; haͤtte man vielleicht erwarten koͤnnen, daß nunmehr ein jeder Kaiſer den Ueberreſt der kaiſerlichen Hoheitsrechte und Einkuͤnfte deſto ſorgſamer in Acht nehmen wuͤrde, um ſie nicht noch in tiefern Verfall gera - then zu laßen. Allein gerade im Gegentheile ſchien es jetzt noch weniger Ueberwindung als vor - her zu koſten, wenn ein Kaiſer um Begnadigun - gen angeſprochen wurde, deren nachtheilige Folgen er ſelbſt eben nicht zu erleben beſorgen durfte. Ungewiß, ob die Kaiſerwuͤrde bey ſeinem Hauſe bleiben wuͤrde, nahm er an den Folgen entfernte - rer Zeiten weniger Antheil. So laͤßt ſichs wenig - ſtens einigermaßen begreiflich machen, wie von die - ſen Zeiten her eine ſo uͤbermaͤßige Anzahl kaiſerlicher Begnadigungen von allen Gattungen aufgekommen. Man konnte jetzt merklich wahrnehmen, daß ein jeder Kaiſer, der ſeiner Wuͤrde nur fuͤr ſeine Perſon, nicht fuͤr ſeine Nachkommen geſichert war, den Genuß derſelben ſoviel nur moͤglich zu ſeinem und der Seinigen Vortheile zu benutzen ſuchte. Gab es alſo Gelegenheit ganze Cammerguͤter oder eintraͤg - liche Hoheitsrechte durch Verkauf oder Verpfaͤn - dung zu verſilbern, ſo mußte es einem Kaiſer, der nicht wußte, ob er ſeinen Sohn zum Nachfolger bekam, angenehmer ſeyn, auf ſolche Art den gan - zen Werth davon auf einmal in die Haͤnde zu be - kommen, als mit der ſich nur noch auf ungewiſſe Zeit zu hebenden Nutzung zu begnuͤgen. So wur -R 4den264III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. den immer haͤufiger eintraͤgliche Cammerguͤter und Rechte verpfaͤndet oder ſonſt veraͤußert; ſo, daß am Ende, ſo zahlreich und ergiebig ſie vorher ge - weſen waren, ſchon im XIV. Jahrhunderte wenig mehr davon uͤbrig blieb.

III.
129

Davon zeigte ſich bald eine Wirkung, die ſich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, und immer weſentlicher geworden iſt. An ſtatt daß ſonſt ein Kaiſer von ſeinen Cammerguͤtern und Einkuͤnften uͤberfluͤſſig zu leben hatte, und, wenn er vorher Herzog geweſen war, nach ſeiner Thronbeſteigung das Herzogthum meiſt abzugeben pflegte, ſo wa - ren jetzt ſchon die Umſtaͤnde ſo, daß man nicht wohl einen Kaiſer wehlen konnte, der nicht eigne Erblande hatte, um aus ſelbigen zu erſetzen, was die Kaiſerwuͤrde zu ihrer eignen Unterhaltung nicht mehr hinlaͤnglich abwarf.

IV.
129

So war es auch ganz natuͤrlich, daß die ehe - malige Wandelbarkeit des kaiſerlichen Hoflagers unvermerkt aufhoͤrte, da der Kaiſer nicht mehr uͤber - all ſolche Cammerguͤter fand, wie ehedem ganz Teutſchland voll davon geweſen war. Schon bey Ludewig von Baiern ward es merklich, daß er ſich großentheils in Muͤnchen aufhielt, und noch mehr bey Carl dem IV., daß man Prag als ſeine eigent - liche Reſidenz anſehen konnte; wie ſeitdem immer ſeltener die Kaiſer die Reſidenz, die ein jeder nun in ſeinem Erblande hatte, verließ, um etwa einer Reichsverſammlung oder einem Reichsfeldzuge bey - zuwohnen. Ganz natuͤrlich war es aber auch, daß unter ſolchen Umſtaͤnden einem Kaiſer meiſt ſeine Erblande noch naͤher am Herzen lagen, als dieRegie -2654) Carl IV. Sigism. 1356-1414. Regierung des Teutſchen Reichs, das nun ſchon meiſt in lauter beſondere Staaten vertheilet war, wovon er nur die Ehre hatte, das hoͤchſte Ober - haupt zu ſeyn. Wer wollte es alſo Carl dem IV. verdenken, wenn er ſeine groͤßte Aufmerkſamkeit auf ſein Koͤnigreich Boͤhmen wandte? Wie war es zu verhuͤten, daß nicht ein Kaiſer ſeines Hau - ſes und Landes Vortheil auch durch die Kaiſer - wuͤrde zu befoͤrdern ſuchen ſollte, um z. B. aus ſeinen Haus - und Landeskriegen, wenn ſichs thun ließ, Reichskriege zu machen? Oder wie war es zu aͤndern, daß, wenn die Ruͤckſicht auf die Kai - ſerwuͤrde mit dem Staatsintereſſe der Erblande in Colliſion kam, dieſes nicht oft das Uebergewicht bekommen ſollte? (Auch von anderen Nationen und neueren Zeiten kann es zwar Faͤlle geben, daß z. B. ein Koͤnig in Polen zugleich Churfuͤrſt von Sachſen war. Aber da war es doch bloß zufaͤllig, indem die Polniſche Nation ihrem Koͤnige doch noch Kron - einkuͤnfte anweiſen kann, die ihm eigne Erblaͤnder entbehrlich machen. Aber fuͤr das Teutſche Reich iſt es in der Folge noch immer weſentlicher gewor - den, daß es kein anderes Oberhaupt wehlen kann, als einen Herrn, der eigne Kraͤfte hat, um ſeine Wuͤrde behaupten zu koͤnnen.)

Ein anderer Umſtand, der jetzt anfieng merk -V. lich zu werden, und in der Folge noch groͤßere Veraͤnderungen hervorgebracht hat, beſtand in Standeserhoͤhungen, die aus kaiſerlicher Ge - walt, wie man ſie als die hoͤchſte Quelle aller Wuͤrden anſah, jetzt immer haͤufiger in Gang ka - men. Von aͤlteren Zeiten her waren eigentlichR 5kei -266III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. keine andere Standeserhoͤhungen uͤblich, als was in der That Befoͤrderungen zu hoͤheren Ehrenſtel - len oder Erwerbungen eines mit einer hoͤheren Wuͤrde verbundenen Landes waren, wie z. B. ein Graf von Wettin Marggraf von Meiſſen, ein Marggraf von Oeſterreich Herzog von Baiern wur - de. Als ein ganz außerordentlicher Fall war es nur anzuſehen, daß Oeſterreich ſelbſt, da deſſen Beſitzer das der Welfiſchen Familie mit der Achts - erklaͤrung Henrichs des Stolzen entzogene Herzog - thum Baiern derſelben zuruͤckgeben mußte, aus einer Marggrafſchaft in ein Herzogthum verwan - delt wurde. So waren es auch ganz beſondere Umſtaͤnde, wie den Haͤuſern Braunſchweig und Heſſen die Fortfuͤhrung ihrer ſchon vorher gehabten herzoglichen oder landgraͤflichen Titel nur mit Be - nennung von anderen Laͤndern zugeſichert wurde. Auch hatte es endlich noch eine andere Bewandt - niß, wenn der Kaiſer etwa einen Wendiſchen Fuͤr - ſten zum Herzoge ernannte, um ihn dadurch gleich - ſam des Indigenats eines Teutſchen Reichsfuͤrſten naͤher theilhaftig zu machen, wie Pommern auf ſolche Art von Friedrich dem I., und Mecklenburg (1349.) von Carl dem IV. die herzogliche Wuͤrde erhielt. Jetzt zeigte ſich ein ganz anderer Begriff von Standeserhoͤhungen, da es darum galt, die fuͤrſtliche Wuͤrde als eine hoͤhere Stuffe des Her - renſtandes jemanden angedeihen zu laßen.

VI.
129

Dem Stande nach waren Herzoge und Grafen eigentlich nicht von einander unterſchieden; ein Herzog konnte, ohne ſich an ſeinem Stande etwas zu vergeben, eine Graͤfinn zur Gemahlinn nehmen, oder ſeine Tochter einem Grafen zur Gemahlinngeben.2674) Carl IV. Sigism. 1356-1414. geben. Aber der Vorzug, der am Reichstage ſo - wohl Herzogen, wie auch Pfalzgrafen und Marg - grafen, uͤber bloße Reichsgrafen, als Biſchoͤfen und Erzbiſchoͤfen uͤber Aebte und andere Reichs - praͤlaten zugeſtanden wurde, hatte zuerſt die allge - meine Benennung der Fuͤrſten aufgebracht, um eben den Vorzug anzudeuten, den Herzoge und Biſchoͤfe in Anſehung ihres beiderſeitigen Ranges uͤber Grafen und Praͤlaten mit einander gemein hatten. Nun konnte es freylich geſchehen, daß z. B. ein Graf von Wettin, indem ihn der Kaiſer zum Marggrafen von Meiſſen ernannte, eben damit auch dem Kaiſer die fuͤrſtliche Wuͤrde zu danken hatte. Aber nicht ſo hatte es der Kaiſer in ſeiner Gewalt, einen Abt zum Biſchofe zu machen, um ihn dadurch zur fuͤrſtlichen Wuͤrde zu erhoͤhen. Doch eine und andere Abtey, namentlich inſon - derheit Fulda, wurde wegen der Groͤße ihres Ge - bietes und anderer Vorzuͤge beynahe urſpruͤnglich ſchon als eine fuͤrſtliche Abtey behandelt(r)In einer Urkunde Kaiſer Conrads des II. wird Fulda ſchon principalis abbstia genannt. Brower antiquit. Fuldenſ. lib. 3. cap. 17. . Das mag vielleicht den erſten Anlaß gegeben haben, daß nach und nach mehr Aebte nur die fuͤrſtliche Wuͤrde durch kaiſerliche Begnadigung zu erlangen geſucht haben(s)So findet ſich eine Urkunde vom K. Ru - dolf von Habsburg vom Jahre 1274. in Herr - gott origin. Habsburg. wo es heißt: abbatem monaſterii Heremitarum in principum S. R. I. con - ſortium adſciſcimus. In einer andern Urkunde von eben dieſem Rudolf vom Jahre 1290. heißt es vom Abte zu Murbach und Luͤder: ipſum tam -quam. Die nannte man hernach gefuͤrſterePraͤ -268III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Praͤlaten(t)In einer Urkunde vom K. Sigismund heißt es: gefuͤrſtete Aebte. Limnaei ius publ. lib. 2. cap. 9. n. 25. . Konnten aber auf ſolche Art Praͤ - laten vom Kaiſer gefuͤrſtet werden, was hinderte ihn dann, nicht auch Grafen zu fuͤrſten? So entſtan - den demnach vorerſt gefuͤrſtete Grafen von Flan - dern(u)Meier annal. rer. Belgicar. p. 91.: Eo - dem anno (1262) Richardus Caeſar petente Mar - garetha (comitiſſa Flandriae) Guidonem filium eius recepit in fidem, et principem ſalutauit S. imperii. Gebauers Leben Richards S. 50., Gebhardi genealogiſche Geſchichte der Reichsſtaͤn - de B. 1. S. 220., Henneberg(v)Von Henneberg heißt es in der Urkunde K. Henrichs des VII. von 1310.: conferimus eidem Bertholdo ac ſuis heredibus omnia iura principum, quod ipſe comes et liberi ſui de - beant iure et more aliorum principum noſtrorum et imperii coruſcare. Meibom ſcriptor. rer. Germ. tom. 3. p. 208. , Naſſau(w)Von Naſſau hieß es in der Urkunde K. Carls des IV. 1366.: illuſtres principes co - mites creamus, et in collegio principum co - mitum, qui vulgari Teutonico gefuͤrſtete Grafen dicuntur, computemini. Luͤnigs Reichsarchiv part. ſpec. 4. Abth. 22. S. 458. u. ſ. w. Beide Gattungen von gefuͤrſteten Grafen und Praͤ - laten bekamen hernach wieder einen gemeinſchaft - lichen Namen, da man ſie als Fuͤrſtenmaͤßigevon(s)quam noſtrum et imperii principem admit - tentes regalia feuda principatus abbatiae, quem obtinet etc. Luͤnigs Reichsarchiv ſpicil. eccleſ. contin. p. 978. 2694) Carl IV. Sigism. 1356-1414. von Churfuͤrſten und Fuͤrſten unterſchied, aber doch uͤbrigens ſie mit denſelben in eine Claſſe ſetzte(x)Ge. Fried. Car. Robert diſſ. de ſtatu corum, qui ſecundum leges imperii dicuntur Fuͤrſten - maͤßige, Marb. 1785..

Nun gieng die Sache bald noch einen SchrittVII. weiter, da der Kaiſer Ludewig von Baiern den bisherigen Grafen von Geldern zum Herzoge von Geldern, und Carl der IV. die Grafen von Luͤxen - burg, Bar, Juͤlich und Berg zu Herzogen eben dieſer Laͤnder umſchuf; worauf unter den folgenden Regierungen bald noch mehrere ſolche herzogliche Standeserhoͤhungen der bisher graͤflichen Haͤu - ſer und Laͤnder Savoyen, Cleve, Holſtein, und Wuͤrtenberg, nachfolgten. Durch dieſe Standes - erhoͤhungen wurde der Name eines Herzogthums, der vorher nur von ganzen Voͤlkern, als Baiern, Schwaben, Franken, Sachſen, Lothringen, ge - braͤuchlich geweſen war, nunmehr auch auf bis - herige bloße Grafſchaften und deren Stammſitze uͤbertragen. Wenn alſo mit der in Schwaben und Franken vorgegangenen Zerruͤttung ein Paar ur - ſpruͤngliche Herzogthuͤmer abgegangen waren, ſo oͤffnete ſich jetzt ein neuer Weg, wie die Zahl der Herzogthuͤmer ſich kuͤnftig immer noch weiter er - gaͤnzen und vermehren ließ.

Nach der Reichstagsverfaſſung dieſer ZeitenVIII. wurden wohl die Stimmen noch nicht ſo genau berechnet, wie jetzt. Es laͤßt ſich wenigſtens noch nicht ſo ganz zuverlaͤßig beſtimmen, was eigent - lich fuͤr ein Verhaͤltniß zwiſchen graͤflichen und herzoglichen Stimmen obgewaltet haben moͤge. Doch270III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Doch wahrſcheinlich moͤgen ſchon damals mehrere Grafen aus einer Gegend zuſammengenommen kaum hinlaͤnglich geweſen ſeyn, einem der urſpruͤng - lichen Herzoge, z. B. die Schwaͤbiſchen Grafen dem Herzoge von Schwaben u. ſ. w. das Gegen - gewicht zu halten. Dem ſey aber wie ihm wolle, dieſen erſten Standeserhoͤhungen, wodurch Grafen in Herzoge verwandelt wurden, hat man alle moͤg - liche Wirkungen angedeihen laßen. Nicht nur im Range ſind dieſe Herzoge den aͤlteren gleich geſetzt, und uͤber alle Grafen erhoben worden, ſondern auch in der Art am Reichstage zu ſtimmen, in der Art ihre Belehnung vom Kaiſer zu empfangen, im Canzleyceremoniel ſowohl als in allen uͤbrigen Ceremonielſachen hat man ſie ohne Anſtand den uͤbri - gen Herzogen gleich gehalten.

IX.
137

Fuͤr diejenigen, die noch im Grafenſtande blie - ben, konnte es nicht anders als von nachtheiligen Folgen ſeyn, wenn ſoviele anſehnliche bisherige graͤfliche Haͤuſer ihren Stand jetzt verließen, und ſich den Herzogen zugeſellten; zumal da noch hin - zukam, daß viele graͤfliche Haͤuſer nach einander ausſtarben, deren Laͤnder nicht eben wieder an andere Grafen, ſondern haͤufig an Fuͤrſten kamen; es ſey nun, daß ſie ihnen als Lehnherren zufielen, oder durch Vermaͤhlungen mit graͤflichen Erbtoͤch - tern, oder Abſtammung von graͤflichen Stamm - muͤttern, oder auch durch Vertraͤge in fuͤrſtliche Haͤnde geriethen. Durch dieſe Umſtaͤnde wurde der Unterſchied zwiſchen Fuͤrſten und Grafen in Teutſchland immer merklicher. Wenn auch vor - mals die Anzahl der Grafen und Herren, die etwa einer Reichsverſammlung beywohnten, leicht dieAnzahl2714) Carl IV. Sigism. 1356-1414. Anzahl der Fuͤrſten uͤbertraf, und nach dem Um - fange ihrer Laͤnder auch wenigſtens ein gewiſſes Gleichgewicht ausmachte; ſo fieng jetzt die Schale der Grafen an merklich zu ſinken. (Die Grafen dachten ſich nachher durch Vereine zu helfen, wo - zu ihnen die Churverein vielleicht zum Beyſpiele dienen mochte. Allein der Sache war ſchwer zu helfen. Eben die Grafenvereine gaben vielmehr Anlaß, daß es zuletzt eine ganz ausgemachte Sache wurde, daß man mehrere Grafen, die in einer Verein begriffen waren, auf dem Reichstage nur fuͤr eine Stimme rechnete; an ſtatt daß ein jeder Fuͤrſt fuͤr ſeine Perſon gezehlt wurde. Sobald die - ſer Unterſchied zwiſchen graͤflichen Curiatſtimmen und fuͤrſtlichen Virilſtimmen ſeine voͤllige Richtig - keit hatte, war es noch erheblicher, wenn eine kaiſerliche Standeserhoͤhung vermoͤgend war, einem Grafen an ſtatt ſeiner bisherigen Theilnehmung an einer graͤflichen Curiatſtimme zu einer herzoglichen Virilſtimme zu verhelfen. Eben darum fieng man aber auch in der Folge an, darauf Bedacht zu nehmen, dieſem Rechte der kaiſerlichen Standes - erhoͤhungen etwas engere Graͤnzen zu ſetzen.)

In Anſehung des Fuͤrſtenſtands war nur nochX. der beſondere Umſtand, daß nicht, wie ehedem, von mehreren Soͤhnen eines Herzogs nur Einer wieder Herzog, ein anderer vielleicht Graf, ein dritter Freyherr wurde; ſondern nunmehr war es ſchon durchgaͤngig eingefuͤhrt, daß alle Titel von Herzog, Marggraf, Pfalzgraf u. ſ. w., eben ſo - wohl als der graͤfliche Character, von jedem Va - ter auf alle ſeine Soͤhne fortgiengen. Dieſes diente in ſo weit noch den Fuͤrſtenſtand einiger -maßen272III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. maßen zu ſchwaͤchen, als ein Fuͤrſtenthum, das zur Zeit nur einen Beſitzer hatte, nach deſſen Tode oft mehreren Soͤhnen, und in der Folge oft meh - reren in verſchiedene Zweige ausgebreiteten Staͤm - men zu Theil wurde. Selbige hatten alsdann zwar den Vortheil, daß, wenn ſie alle auf einen Reichs - tag kamen, auch ihrer ſoviel Stimmen als Koͤpfe gezehlt wurden. Aber die Beziehung eines Reichs - tages in ſo großer Anzahl war auch dann deſto koſtbarer, und geſchah deswegen ſeltener. Das Gewicht eines jeden Fuͤrſten, der nun nach Ver - haͤltniß der Zahl ſeiner Bruͤder oder Stammsvet - tern an Land und Leuten nur ſeinen Antheil hatte, war auch deſto geringer, wo nicht etwa auf an - dere Art geholfen wurde. Gemeiniglich bekam man dadurch einige Huͤlfe, daß von mehreren Bruͤ - dern verſchiedene den geiſtlichen Stand erwehlten, und alſo in Pfruͤnden und Biſthuͤmern oder Rit - terorden, einige auch wohl in Dienſten bey groͤße - ren Hoͤfen ihre Verſorgung ſuchten, oder auch ſonſt doch unvermaͤhlt blieben, ohne daß auf ſolche Art das Haus mit Verſorgungen mehrerer fuͤrſtlichen Wittwen und Kinder uͤbermaͤßig belaͤſtiget wurde. Uebrigens war zwar das Recht der Erſtgebuhrt, außer dem, was die goldene Bulle von Churfuͤr - ſten verordnete, noch gar nicht gaͤng und gaͤbe. Man ſchritt aber doch deswegen nicht immer zu foͤrmlichen Theilungen eines ganzen Landes, ſon - dern half ſich, wo es nur irgend thunlich war, mit gemeinſchaftlichen oder von gewiſſen Jahren zu Jahren abwechſelnden Regierungen, dergleichen Einrichtung man Mutſchierung zu nennen pflegte.

Am2734) Carl IV. Sigism. 1356-1414.

Am nachtheiligſten fuͤr die Aufnahme der fuͤrſt -XI. lichen Haͤuſer ſchien jetzt der Gebrauch zu ſeyn, den man je laͤnger je mehr vom Roͤmiſchen Rechte machte, womit unter andern die demſelben unbe - kannten Grundſaͤtze von Unveraͤußerlichkeit geerbter Guͤter und vom Vorzuge des Mannsſtamms vor Toͤchtern, als die Hauptſtuͤtzen des unerſchuͤtterli - chen Glanzes unſerer hohen Haͤuſer, ſchon merklich wankend gemacht wurden. Auffallend waren in - ſonderheit die Beyſpiele, wie die Mark Branden - burg in weniger als einem halben Jahrhundert durch unternommene freye Dispoſitionen vom Hauſe Baiern an das Haus Luͤxenburg, und von dieſem an das Haus Hohenzollern kam(y)Im Jahre 1373. brachte Carl der IV. die Mark Brandenburg von ihrem damaligen Beſitzer, Otto aus dem Hauſe Baiern, kaͤuflich an ſich. Im Jahre 1415. uͤberließ ſie Carls Sohn Sigis - mund ſchon wieder an Friedrich den I. Burggrafen von Nuͤrnberg aus dem Hauſe Hohenzollern, den Stammvater des Hauſes Brandenburg, wie es noch jetzt bluͤhet.; und die Herzogthuͤmer Luͤneburg(z)Da der Herzog Wilhelm von Luͤneburg 1369. als der letzte ſeiner Linie geſtorben war, machte deſſen Tochter Sohn Albrecht von Sachſen den Stammsvettern des Hauſes Braunſchweig die Succeſſion ſtreitig, erhielt auch einen guͤnſtigen Ausſpruch von Carl dem IV., und kam zum Theil ſchon in Beſitz. Erſt ein Treffen bey Winſen an der Aller im Jahre 1388. entſchied zum Vortheile der Braunſchweigiſchen Stammsvettern. und Lothringen(a)Nach Abgang des Herzogs Carls des Kuͤh - nen von Lothringen ( 1430.) wurde deſſenBru -durchS274III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. durch Toͤchter mit Zuruͤckſetzung noch vorhandener Stammsvettern beynahe an andere Haͤuſer gekom - men waͤren.

XII.
140

Solche Beyſpiele konnten unſere hohe Haͤuſer deſto mehr bewegen, ſich durch Hausvertraͤge und Erbeinigungen oder auch Erbverbruͤderungen noch naͤher zuſammen zu ſetzen, um ihren Nach - kommen ihre Laͤnder deſto zuverlaͤßiger zu verſichern, und Toͤchtern bey fortwaͤhrendem Mannsſtamm alle Anſpruͤche zu benehmen. Je haͤufiger dergleichen Zuſammenſetzungen mit vorbehaltener kuͤnftigen gegenſeitigen Erbfolge geſchahen, je ſeltener wur - den von dieſer Zeit an die ehemaligen ſo genann - ten Todtheilungen. Jetzt kann man es wenigſtens fuͤr ausgemacht annehmen, daß die Abtheilungen, die z. B. im Hauſe Baiern zwiſchen dem Pfaͤlzi - ſchen und Bairiſchen Stamme, und in dieſem wie - der zwiſchen Ober - und Niederbaiern, wie auch ferner zwiſchen den Linien von Ingolſtadt, Lands - hut, Muͤnchen gemacht waren, und ſo wohl alle Abtheilungen mehrerer Staͤmme in anderen fuͤrſt - lichen Haͤuſern, nicht die Abſicht einer Todtheilung hatten.

Ein

(a)Bruders Sohne Anton die Succeſſion von des erſtern Tochtermanne Renat von Anjou ſtreitig gemacht. Auch hier ſprach ſo gar das Baſeliſche Concilium, und darauf auch Sigismund, fuͤr den Tochter - mann. Erſt eine Vermaͤhlung zwiſchen Antons Sohne Friedrich und Renats Tochter Jolantha (1444.) leitete die Sache wieder in die Wege, daß in der Nachkommenſchaft aus dieſer Ehe das Herzogthum Lothringen bey ſeinem alten Manns - ſtamme blieb.

2754) Carl IV. Sigism. 1356-1414.

Ein in ſeiner Art einziges Haus, das umXIII. dieſe Zeit anfieng uͤber alle andere fuͤrſtliche Haͤu - ſer in Teutſchland und Frankreich hervorzuragen, war das Haus Burgund. Deſſen Stammvater, Philipp der Kuͤhne, hatte nach dem Tode des Koͤ - nigs Johannes von Frankreich ( 1364.), als deſ - ſen juͤngerer Sohn, das eigentlich zur Krone Frank - reich gehoͤrige Herzogthum Burgund, deſſen vorige Beſitzer vom Capetinger Stamm 1361. erloſchen waren, von neuem von der Krone abgeſondert be - kommen. Durch ſeine Vermaͤhlung mit der Graͤ - finn Margarethe von Flandern (1369.) brachte er hernach noch die Grafſchaft Burgund, nebſt Flan - dern. Artois, Mecheln, Antwerpen, Nevers und Rethel an ſein Haus. Dazu kam ferner unter ſeinem Enkel, Philipp dem Guͤtigen, 1428 Na - mur, 1430. Brabant und Limburg, 1433. Hol - land, Seeland, Hennegau, Friesland, und 1444. Luͤxenburg; ſo wie unter deſſen Sohne, Carl dem Kuͤhnen, 1473. endlich auch noch Geldern und Zuͤtphen. Dieſe Niederlaͤndiſche Provinzen und die Grafſchaft Burgund gehoͤrten unſtreitig zum Teutſchen Reiche; deſſen Hoheit aber das Haus Burgund nicht achtete. Daher handelte man ſchon auf einem Reichstage zu Frankfurt 1435.: von des Herzogs von Burgund wegen, der viel Landes inne hat, die dem Reiche zugehoͤren, wie dem zu thun ſey. Es ergieng auch eine Kriegsankuͤn - digung vom K. Sigismund an Philipp den Guͤ - tigen von Burgund; aber freylich ohne Wirkung. Die Sache blieb noch weit groͤßeren Revolutionen fuͤr die Zukunft aufbehalten.

S 2An276III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493.
XIV.
141

An dem, was ich hin und wieder von groͤße - rer Aufnahme und weiterer Ausbreitung des Roͤ - miſchen Rechts geſagt habe, hatte nicht geringen Antheil, daß Carl der IV. unter anderen neuen Einrichtungen in ſeinem Erbkoͤnigreiche Boͤhmen auch eine Univerſitaͤt zu Prag angelegt hatte; die erſte in ihrer Art auf Wendiſchem und Teutſchem Boden. Vorher waren in ganz Europa nur die hohen Schulen zu Oxford, Bologna und Paris im Gan - ge. Von der letztern nahm Carl der IV. zunaͤchſt das Muſter. Nach der damaligen Art, die Uni - verſitaͤten in Nationen einzutheilen, machte Carl die Abtheilung der Prager Univerſitaͤt in vier Na - tionen, Boͤhmen, Baiern, Sachſen, Polen(b)Zur Boͤhmiſchen Nation rechnete man noch Maͤhren und Ungarn; zur Bairiſchen Oeſterreich, Schwaben, Franken und die Rheinlaͤnder; zur Saͤchſiſchen Ober - und Niederſachſen, Daͤnen und Schweden; zur Polniſchen Schleſier, Litthauer, Ruſſen. Pelzels Geſchichte der Boͤhmen (Aufl. 3. Prag 1782.) S. 244.. Nach dieſer Eintheilung waren ſowohl die Stipen - dien als die Stimmen in der Wahl des Rectors und anderen Angelegenheiten der Univerſitaͤt ver - theilt. Carl ließ ſich ſehr angelegen ſeyn, alle vier Facultaͤten mit geſchickten Maͤnnern zu verſehen, die er zum Theil von Paris und aus Italien nach Prag berufen ließ. In kurzer Zeit gelang es ihm, die Univerſitaͤt in ſolche Aufnahme zu bringen, daß die Anzahl der Studierenden bald auf viele Tau - ſende anwuchs. Auch ſein Nachfolger Wenzel wuͤrdigte dieſe hohe Schule noch ſeines Schutzes. Doch beguͤnſtigte er eine neue Einrichtung, die der Univerſitaͤt einen Stoß gab, von dem ſie ſichnie2774) Carl IV. Sigism. 1356-1414. nie wieder voͤllig erholen konnte. Bey der Wahl eines neuen Rectors, da bisher die Boͤhmen von den drey uͤbrigen Nationen immer waren uͤber - ſtimmt worden, ſollten von nun an die Stimmen der Boͤhmiſchen Magiſter mehr gelten, als der uͤbri - gen. Daruͤber giengen in kurzem meiſt alle Teut - ſche, viele tauſend an der Zahl, von Prag weg, zum unwiederbringlichen Nachtheile dieſer neuen Univerſitaͤt.

Die Vortheile, die Carl ſeiner Reſidenz mitXV. Anlegung der dortigen Univerſitaͤt verſchafft hatte, hatten inzwiſchen ſchon mehrere Teutſche Fuͤrſten be - wogen, dieſem Beyſpiele zu folgen. Zu Wien hatte der Herzog Albrecht der III. von Oeſterreich im Jahre 1365., zu Heidelberg der Churfuͤrſt Rupprecht der I. von der Pfalz 1386. eine Univer - ſitaͤt errichtet. Nunmehr benutzte Marggraf Fried - rich von Meiſſen den Unfall, der ſich 1409. zu Prag ereignete, um ebenfalls eine hohe Schule zu Leipzig anzulegen. Zu allen dieſen gelehrten An - ſtalten hielt man damals nur eine paͤbſtliche Ver - leihung noͤthig, womit gemeiniglich dem Biſchofe, in deſſen Dioeces der Sitz der Univerſitaͤt war, die Canzlerwuͤrde mit der Gerichtbarkeit uͤber die zur Univerſitaͤt gehoͤrigen geiſtlichen Perſonen, und mit der Aufſicht uͤber die zu ertheilenden academiſchen Wuͤrden, vorbehalten wurde. Das uͤbrige wurde durch landesherrliche Privilegien beſtimmt. Von der Univerſitaͤt zu Leipzig koͤmmt es zuerſt vor, daß nebſt der paͤbſtlichen Begnadigung auch eine kaiſer - liche Beſtaͤtigung derſelben geſchehen iſt. Von ſpaͤter errichteten Univerſitaͤten werden nur kaiſer - liche Privilegien namhaft gemacht, als von Greifs -S 3wal -278III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. walde vom 16. Oct. 1456., und von Marburg vom 16. Jul. 1541. Ueberhaupt ward die Zahl der Teutſchen Univerſitaͤten bald anſehnlich nach ein - ander vermehrt(c)Als 1388. zu Coͤlln, 1403. zu Wuͤrzburg, 1409. zu Leipzig, 1415. zu Roſtock, 1426. zu Loͤ - wen, 1457. zu Greifswalde, 1459. zu Baſel, 1460. zu Freyburg, 1472. zu Ingolſtadt, 1477. zu Tuͤ - bingen, 1482. zu Mainz, 1502. zu Wittenberg, 1506. zu Frankfurt an der Oder ꝛc. Pfeffin - ger ad Vitriar. tom. 3. p. 233. ſq. .

XVI.
143

Alle dieſe hohe Schulen ſowohl in Teutſchland als auswaͤrts zeigten bald in mehreren Stuͤcken ge - wiſſe Wirkungen, die nur von einer vereinbarten Kraft aus gemeinſchaftlichem Intereſſe erwartet werden konnten. Zwar herrſchten uͤberall noch un - gemein eingeſchraͤnkte Einſichten, beſonders aus Mangel philologiſcher und hiſtoriſcher Kenntniſſe, und aus Mangel einer geſunden Philoſophie. Auch waren viele Lehrſtuͤhle nur mit Geiſtlichen, und zwar großentheils mit Ordensgeiſtlichen beſetzt, von denen aus mehreren Urſachen ſchwerlich große Aufklaͤrung zu erwarten war. Inzwiſchen gab es doch nun ein - mal ſchon an allen den Orten, wo hohe Schulen waren, mehrere Maͤnner, deren Beruf es war, ſich bloß mit Wiſſenſchaften und Kenntniſſen zu beſchaͤff - tigen, und deren Lage ihnen eine andere Stimmung und Denkungsart, als bloßen Moͤnchen, gab. Da - von war allemal eine vortheilhafte Folge, daß etwas mehr Aufklaͤrung und mehr Freyheit im Denken, Lehren, Schreiben, nach und nach an mehreren Or - ten ſich hervorthat.

V. 2795) Carl IV. Sigism. 1376-1414.

V. Veraͤnderungen in der Kirche ſeit dem Aufent - halte der Paͤbſte zu Avignon und dem daraus entſtandenen Schisma des paͤbſtlichen Stuhls.

I. Folgen des Aufenthalts der Paͤbſte zu Avignon. II. Neue paͤbſtliche Anmaßungen in Vergebung geiſtlicher Stellen. III. IV. Vermehrte Geldzufluͤſſe fuͤr die paͤbſt - liche Cammer. V. VI. Aufſehen uͤber Wiclefs Lehren und uͤber das Schisma zweyer Paͤbſte und zweyerley Cardi - naͤle. VII. Letzteres unterhalten durch eine gleichmaͤßige Zwieſpalt zwiſchen Wenzel und Ruprechten von der Pfalz. VIII. IX. Vergebliche Anſtellung einer Kirchenverſammlung zu Piſa. X. Nochmalige Zwieſpalt in der Kaiſerwuͤrde, bis Sigismund endlich Jobſt von Maͤhren uͤberlebt.

War je ein Gegenſtand, auf den AufklaͤrungI. und Denkfreyheit ihrem wirkſamen Einfluß haben, und ſich in ihrem vollen Werthe zeigen konnte, ſo war es der Zuſtand der Religion und Kirchenverfaſſung im XIV. Jahrhunderte. Schon der Umſtand, daß der erſte Biſchof und das ſicht - bare hoͤchſte Oberhaupt der Chriſtlichen Kirche von dem eigentlichen Sitze ſeiner Kirche entfernt lebte, mußte mehreren Biſchoͤfen und Erzbiſchoͤfen zur Rechtfertigung dienen, wenn ſie die Orte, die zum Sitze ihrer Kirchen beſtimmt waren, verließen, und nach ihrer Convenienz ſich einen andern Aufenthalt wehlten, oder in fremde Laͤnder reiſeten, und die ihnen zur geiſtlichen Obſicht anvertrauten Laͤnder ohne Aufſicht ließen, oder wieder anderen Mieth - lingen Preis gaben. Aber dem Pabſte ſelbſt muß - ten in der Entfernung, worin er nun von Rom lebte, nothwendig manche Einkuͤnfte und andereS 4Vor -280III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Vortheile entgehen, die ein zu Rom anweſender Pabſt als Regent der Stadt und des ganzen Kir - chenſtaats genießen konnte, aber in der auf die Laͤnge anhaltenden Abweſenheit nicht im Stande war, gegen alle Gattungen von Uſurpatoren und boͤſen Zahlern zu retten. Dieſen Abgang zu er - ſetzen waren die Paͤbſte zu Avignon gluͤcklich gnug, mehrere neue Quellen fuͤr ihre Einnahmen ergie - big zu machen. Vorausgeſetzt, was ſich auf die jetzt uͤber allen Widerſpruch erhobenen und fuͤr alle critiſche Unterſuchungen geſicherten Iſidoriſchen Grundſaͤtze, in Fortfuͤhrung der ſchon von Gregor dem VII., Innocenz dem III. und Bonifaz dem VIII. darauf errichteten Gebaͤude, noch weiter dar - auf bauen ließ, war es freylich ein leichtes, der einmal zum Gehorſam unter der Kirche und ihrem Oberhaupte gewohnten Welt neue Vorſchriften zu geben, und das ſchon tragende Joch nur noch mit einigen neuen Laſten zu beſchweren.

II.
143

War es doch ſchon ſeit der Waldenſer Zeiten in Gang gekommen, daß zur Vorſorge, damit nicht Ketzer als reudige Schafe in den Schafſtall der Kirche eindringen moͤchten, das Oberhaupt der Kirche es uͤbernommen hatte, erledigte Biſthuͤmer und Erzbiſthuͤmer mit zuverlaͤßigen Maͤnnern zu beſetzen; was war es jetzt anders, als ein aus eben der Quelle herfließender preiswuͤrdiger Eifer, wenn Johann der XXII. jetzt (1317.) verordnete: daß niemand zwey Pfruͤnden mehr beyſammen ha - ben, ſondern, wo dergleichen Mißbrauch eingeriſ - ſen, ein jeder Beſitzer mehrerer Pfruͤnden dieſelben bis auf eine reſigniren ſollte, da dann fuͤr die Wiederbeſetzung der ſolchergeſtalt erledigten geiſt -lichen2815) Carl IV. Sigism. 1376-1414. lichen Stellen der heilige Vater ſchon getreulich ſorgen wollte? Welche vaͤterliche Vorſorge war es nicht ferner, wenn Benedict der XII. (1335.) ſich vorbehielt, alle Stellen, deren Inhaber waͤhrend ihres Aufenthalts beym paͤbſtlichen Stuhle abgien - gen, ſelbſt wieder beſetzen zu wollen, ohne daß ſich die auf ſolche Art verwaiſeten Kirchen oder Stifter deshalb Sorge und Muͤhe machen duͤrften? Wie billig war es, wenn hernach auf gleiche Art der paͤbſtliche Stuhl es uͤbernahm, die Stellen de - rer, die etwa vom Pabſte abgeſetzt oder anders - wohin verſetzt waͤren, oder die auch nur auf der Hin - und Herreiſe zum oder vom paͤbſtlichen Stuhle mit Tode abgiengen, wieder zu beſetzen, oder in Faͤllen, wenn Cardinaͤle, die zugleich Biſchoͤfe oder Erzbiſchoͤfe waͤren, abgiengen, nicht nur ihre Car - dinalsſtellen, ſondern auch ihre erledigte Kirchen wieder mit tuͤchtigen Maͤnnern zu verſehen? Ja wenn endlich das unbeſchraͤnkte und untruͤgliche hoͤchſte Oberhaupt der Kirche gerade zu erklaͤrte, daß es aus hoͤchſter Machtvollkommenheit Biſthuͤ - mer und Pfruͤnden zum Beſten der Kirche dieſem oder jenem zugedacht habe; wer wollte ſich unter - ſtehen, dagegen etwas zu erinnern?

Hatte nun aber jemand das Gluͤck, aus den Haͤn -III. den des goͤttlichen Statthalters ſelbſt eine geiſtliche Wuͤrde zu bekommen; ſollte er dann gegen ſeinen Wohlthaͤter, deſſen bisherige Unterhaltungsquellen ohnedem zum Theil eben verſieget waren, nicht auch billig ſich erkenntlich bezeigen? Verſteht ſich, daß die der Canzley fuͤr die Ausfertigungen zukom - menden Gebuͤhren ohnehin ihren Gang giengen; aber zur unmittelbaren ErkenntlichkeitsbezeigungS 5gegen282III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. gegen den Wohlthaͤter ſelbſt war es da nicht billig, noch etwas mehreres zu thun? Fand man doch ſchon von aͤlteren Zeiten Spuhren, daß man in aͤhnlichen Faͤllen eines Jahres Einkuͤnfte dem uͤber - laßen hatte, dem man die Erhebung derſelben fuͤr die unbeſtimmte Zukunft verdanken mußte! Alſo Annaten! eine Erkenntlichkeit von den Ein - kuͤnften des erſten Jahres, die man der paͤbſtlichen Cammer zufließen ließ, die ließ ſich der hei - lige Vater gefallen, die glaubte er von jedem dank - baren Sohne mit Recht erwarten zu koͤnnen. Das vorzuͤgliche Ehrenzeichen der Erzbiſchoͤfe und exi - mirten Biſchoͤfe, das ſo genannte Pallium, mußte ſo ſchon mit betraͤchtlichen Geldſummen geloͤſet werden.

IV.
143

Nun dazu gerechnet, was von geiſtlichen und weltlichen Haͤnden, und zwar nicht nur aus einem Reiche, ſondern aus allen Chriſtlichen Reichen und Staaten, aus Teutſchland, Frankreich, Spanien, England, Italien, Polen, Daͤnemark, Schwe - den u. ſ. w. fuͤr Dispenſationen, Gnadenbriefe, rechtliche Erkenntniſſe, und fuͤr den bey mehr als einer Gelegenheit leicht in allgemeinen Umlauf zu bringenden Ablaß erhoben werden konnte; ſo wird es vielleicht einigermaßen begreiflich, wenn man nun hoͤret oder lieſet, daß auch zu Avignon die Paͤbſte an gewoͤhnlichem und außerordentlichem Aufwande ſich nichts abgehen ließen, und doch noch ſolche Schaͤtze ſammelten, daß z. B. Johann der XXII. ( 1334.) nicht weniger als 18. Mil - lionen Goldgulden an baarem Gelde nebſt 7. Mil - lionen an koſtbaren Geraͤthſchaften hinterließ(d)Schmidts Geſchichte der Teutſchen Th. 3. S. 529.. Wel -2835) Carl IV. Sigism. 1376-1414. Welcher Monarch konnte ſolche Schaͤtze aufweiſen, oder ſo vielerley reichhaltiger Quellen ſich ruͤhmen! Wie druͤckend mußte es aber auch bald allen Voͤl - kern vorkommen, denen, bey ohnedem noch ſo geldloſen Zeiten, ſolche Geldſummen unaufhoͤrlich und ohne alle Wiederkehr entzogen wurden! Fuͤhl - bar mußte es bald auch ohne großes Nachdenken werden; mit irgend einiger Aufklaͤrung und Denk - freyheit war es gar nicht zu vermeiden, daß end - lich laute Beſchwerden ganzer Nationen daraus er - wachſen mußten.

Mußte ſichs nun gerade fuͤgen, daß ein Engli -V. ſcher Univerſitaͤtsgelehrter, Johann Wiclef, tiefer auf den wahren Grund der ganzen Religion for - ſchend, die Augen noch weiter oͤffnete, um Hierar - chie und Moͤnchsweſen von einer andern Seite, als es bisher der große Haufe gethan hatte, an - zuſehen; Und kam nun vollends hinzu, daß eine von Gregor dem XI. (1376.) von Avignon nach Rom verſuchte Ruͤckkehr nach deſſen Tode den unerwarteten Erfolg hatte, daß ein zu Rom an deſſen Stelle erwehlter Pabſt Urban der VI. zwar zu Rom blieb, aber ein anderer Pabſt Clemens der VII., den bald hernach eben die Cardinaͤle zu Fondi unter dem Schutze der Krone Neapel erwehlt hatten, in Begleitung dieſer Cardinaͤle nach Avi - gnon zuruͤckgieng, jedoch auch Urban zu Rom ſich wieder ein Cardinalscollegium ſchuf, alſo jetzt ſo - wohl Rom als Avignon, jedes ſeinen eignen Pabſt, und jedes ſein eignes Cardinalscollegium hatte ; ſo mußten fuͤr jeden nachdenkenden Kopf ſich ge - waltige Anſtaͤnde aͤußern, deren Hebung nieman - den gleichguͤltig ſeyn konnte. Und doch ließ ſichgar284III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. gar nicht abſehen, wie dieſes Schisma (ſo nannte man dieſen uͤber die paͤbſtliche Wuͤrde ſelbſt ent - ſtandenen Zwiſt,) je gehoben werden ſollte, da ſelbſt die Nationen nichts weniger als einig waren, wel - chem von beiden Paͤbſten ſie ihren Beyfall geben, oder nach damaliger Art zu reden, Obedienz leiſten ſollten. So waren natuͤrlich Frankreich und Neapel, wie auch außerdem noch Spanien und einige Teut - ſche Reichsſtaͤnde, von der Obedienz Clemens des VII., auf Urbans des VI. Seite hingegen der Kai - ſer nebſt den meiſten Teutſchen und Italiaͤniſchen Staͤnden und die Kronen England, Ungarn, Por - tugall, nebſt den Nordiſchen Reichen.

VI.
144

Wiclef gab zwar den guten Rath, wenn Ur - ban mit Tode abgehen wuͤrde, an deſſen Stelle keinen andern Pabſt wehlen zu laßen, da er glaub - te, eine jede Nation koͤnne mit ihrer kirchlichen Einrichtung ſchon fuͤr ſich fertig werden, ohne daß man ein allgemeines ſichtbares Oberhaupt der Chriſt - lichen Kirche noͤthig haͤtte. Doch dazu ſchien die Welt noch nicht reif zu ſeyn; am wenigſten war das nach dem Sinn der Cardinaͤle. So wie alſo zu Rom oder Avignon ein Pabſt ſtarb, ſaͤumte das dortige Cardinalscollegium nicht, einen andern an ſeiner Stelle zu wehlen. Alſo folgten Urban dem VI. ( 1389.) zu Rom nach einander Bonifaz der IX. ( 1404.) und Gregor der XII., und zu Avi - gnon Clemens dem VII. ( 1394.) Benedict der XIII.

VII.
144

Endlich beſchloſſen doch einige weltliche Maͤchte, beiden Paͤbſten ihre bisherige Obedienz aufzukuͤndi - gen, um zu einer einmuͤthigen neuen Pabſtwahl ſchreiten zu koͤnnen. Benedict erhielt auch ſchoneine2855) Carl IV. Sigism. 1376-1414. eine ſolche Aufkuͤndigung (im Jul. 1398.) Allein Bonifaz der IX. wußte es vielmehr dahin zu brin - gen, daß der Churfuͤrſt von Mainz nebſt einigen ſeiner Mitchurfuͤrſten ſelbſt dem damaligen Kaiſer Wenzel den Gehorſam aufkuͤndigte, und der Chur - fuͤrſt Ruprecht von der Pfalz an deſſen Stelle zum Kaiſer erklaͤret wurde. Alſo war nunmehr uͤber beide ſichtbare Oberhaͤupter der Chriſtenheit, ſowohl das weltliche als das geiſtliche, ein ſo ge - nanntes Schisma, wovon eines dem andern die Hand zu bieten ſchien.

Nun blieb nichts uͤbrig, als die Zuflucht zuVIII. einem Mittel, das ſchon viele Jahrhunderte hin - durch nicht mehr im Gange geweſen war, jetzt aber von vielen fuͤr das einzige gehalten wurde, wo - durch der Sache noch geholfen, und zugleich zu Abthuung jener Beſchwerden, die uͤber Mißbraͤuche des paͤbſtlichen Stuhls und der Kirche uͤberhaupt ſo laut und allgemein zu werden anfiengen, viel - leicht noch Rath geſchafft werden koͤnnte. Man dachte nehmlich auf eine Kirchenverſammlung, wo - von man glaubte, daß bey der gegenwaͤrtigen Lage der Sache eine Anzahl vereinigter Cardinaͤle von beiden Obedienzen die noͤthige Anſtalt dazu machen koͤnnte.

Die Rirchenverſammlung kam gluͤcklichIX. (1409.) zu Piſa zu Stande, entſetzte auch beide Paͤbſte, ſowohl Gregor den XII. als Benedict den XIII., ihrer paͤbſtlichen Wuͤrde, und ernannte (1409. Jun. 26.) Alexander den V. ( 1410. Apr.), hernach Johann den XXIII. zum neuen Pabſte. Allein jene beide Paͤbſte wollten ſich nicht dazu ver -ſtehen,286III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. ſtehen, der Kirchenverſammlung zu gehorchen. Sie mußten zwar ihre bisherige Wohnplaͤtze verlaßen, fanden aber noch anderwaͤrts Unterſtuͤtzung, Gre - gor zu Rimini von der Krone Neapel, Benedict zu Perpignan von der Krone Spanien. Was außerdem von der Reformation der Kirche und Ab - helfung der Beſchwerden uͤber den paͤbſtlichen Stuhl zu Piſa vorkam, ward bald abgebrochen, und allen - falls auf eine anderweite neue Kirchenverſammlung ausgeſetzt.

X.
144

Zum Gluͤck endigte ſich indeſſen die auch uͤber die Kaiſerwuͤrde zwiſchen Wenzel und Ruprecht ent - ſtandene Trennung, da der letztere (1410. May 19.) ſtarb, und Wenzel endlich geſchehen ließ, daß ſein Bruder Sigismund, der anfangs ſeinen Vetter Jobſt von Maͤhren, vermoͤge einer von einigen Churfuͤrſten (am 1. Oct. 1410.) auf ihn gerichte - ten Kaiſerwahl, noch gegen ſich gehabt hatte, nach deſſen Tode von neuem gewehlt wurde, und nun - mehr die kaiſerliche Regierung allein zu fuͤhren uͤbernahm. Doch der Erfolg von dieſer Regierung verdient nun noch eine beſondere Eroͤrterung.

VI. 2876) Sig. 1414-1437. Coſtn. Concil.

VI. Kirchenverſammlung zu Coſtnitz, und was damit in Verbindung ſtehet.

I. Einrichtung der Kirchenverſammlung zu Coſtnitz in der Art ihrer Berathſchlagung. II. Hebung der bisheri - gen paͤbſtlichen Zwieſpalt. III. Wahl eines neuen Pabſtes, und deſſen Concordate mit den Nationen, inſonderheit der Teutſchen. IV. Vereitelte Hoffnung zur Verbeſſerung der bisherigen Kirchenverfaſſung. V. VI. Abſchreckendes Schick - ſal des Johann Huß. VII. Neuer Streit uͤber die Her - ſtellung des Kelchs im Abendmahle. VIII. IX. Ausbruch und Fortgang des Huſſitenkrieges. X. Guͤtliche Unter - handlungen mit der neuen Kirchenverſammlung zu Baſel. XI. Andere durch den Huſſitenkrieg veranlaßte Veraͤnderun - gen. Erſte Reichsmatrikel. Verwahrung der Reichs - inſignien zu Nuͤrnberg.

Sigismund machte ſich ein rechtes Geſchaͤfft dar -I. aus, eine neue allgemeine Kirchenverſamm - lung zu Coſtnitz zu Stande zu bringen. Vier Nationen, die Teutſche, Italiaͤniſche, Franzoͤſiſche und Engliſche, nahmen gleich anfangs Theil dar - an, und vermoͤge eines vorlaͤufig gefaßten Schluſ - ſes wurden die Berathſchlagungen ſo eingerichtet, daß nicht die Mehrheit jeder einzelnen Stimmen zuſammengerechnet wurde, (worin ſonſt die Ita - liaͤniſchen Praͤlaten an der Zahl das Uebergewicht gehabt haben moͤchten;) ſondern die Mehrheit der Stimmen ſollte nur nach den Schluͤſſen der Na - tionen gerechnet werden, deren jede deswegen un - ter ihrem eignen Praͤſidenten ihre Berathſchlagun - gen anſtellte. Dieſe Einrichtung hatte ihren guten Einfluß darauf, daß nach einem anderweiten Con - eilienſchluſſe alle drey damalige Paͤbſte in gleicheVer -288III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. Verbindlichkeit geſetzt wurden, ihre Wuͤrde nieder - zulegen, um das anſtoͤßige Schisma damit zu heben.

II.
144

Gregor der XII. bequemte ſich in Guͤte. Jo - hann der XXIII. ſuchte zwar durch ſeine heim - liche Entfernung von Coſtnitz ſich zu retten, und vielleicht das ganze Concilium zu ſprengen. Er ward aber eingeholt, und nach einem foͤrmlichen Proceß, worin ihm unter andern 54. geheime Ar - rikel vorgehalten wurden, ward er abgeſetzt und gefangen gehalten. Eine Reiſe, die Sigismund von Coſtnitz aus ſelbſt nach Spanien that, bewirkte zwar, daß die Spaniſche Nation als die fuͤnfte noch zur Kirchenverſammlung beytrat. Aber Be - nedict der XIII. war ſo wenig zu bewegen, ſich den Coſtnitzer Schluͤſſen zu unterwerfen, daß ſo - gar nach ſeinem Tode ( 1424.) die bey ihm ge - weſenen Cardinaͤle noch Clemens den VIII. an ſei - ner Stelle zum Pabſte ernannten, wiewohl derſelbe endlich (1429. Jul. 26.) auch nachgab, und da - mit auch dieſes Ueberbleibſel der bisherigen Tren - nung des paͤbſtlichen Stuhles ein Ende nahm.

III.
144

Nun waͤre die rechte Zeit geweſen, nach der foͤrmlichen Abſetzung Johannes des XXIII. erſt die Materie von der Kirchenreformation und die Beſchwerden der Nationen vorzunehmen, ehe man einen neuen Pabſt wehlen ließe. Allein jetzt hieß es, ohne Oberhaupt koͤnne die Kirche nicht fuͤg - lich Schluͤſſe machen. Man wehlte alſo (1417. Nov. 11.) Martin den V. Derſelbe verſchob aber nun jene wichtigen Gegenſtaͤnde auf eine ander - weite Kirchenverſammlung, die er in fuͤnf Jahren zu halten verſprach. Einsweilen ſuchte er ſich abermit2896) Sig. 1414-1437. Coſtn. Concil. mit jeder einzelnen Nation in eignen Vertraͤgen (Concotdaten) zu ſetzen, die jedoch weit entfernt waren, irgend einige der bisherigen Beſchwerden aus dem Grunde zu heben, oder auch nur zu gruͤndlicher Hebung ſovieler allgemein erkannter Miß - braͤuche den Weg zu bahnen. In den Concorda - ten, die Martin der V. (1417.) mit der Teutſchen Nation eingieng, war kein Gedanke, die Haupt - beſchwerden uͤber die Vergebung der Pfruͤnden und vielerley Geldabgaben zu heben, geſchweige dann den Klagen uͤber den Verfall der Kirchenzucht ab - zuhelfen. Die Annaten ſollten nur auf gewiſſe Taxen geſetzt werden, wie ſie ſich in den Buͤchern der paͤbſtlichen Cammer angeſchrieben faͤnden. We - gen des Ablaßes ſollte der Pabſt nur ſorgen, daß man nicht zu verſchwenderiſch damit umgienge, um ihn nicht zu gemein und veraͤchtlich zu machen. Dabey ward zwar ausbedungen, daß die dem Pab - ſte von neuem zugeſtandenen Vortheile nur auf fuͤnf Jahre guͤltig ſeyn ſollten. Allein zu Rom fand man ſchon Mittel, den Beſitz fortzufuͤhren. Hin - gegen manches, das zu Rom vermoͤge dieſer Con - cordate haͤtte geſchehen ſollen, kam gar nicht zur Ausfuͤhrung; als inſonderheit der gleich anfangs ausbedungene Umſtand, daß nicht uͤber 24. Cardi - naͤle, und zwar von jeder Nation in verhaͤltniß - maͤßiger Anzahl ſeyn ſollten u. ſ. w.(e)Sammlung der Reichsabſchiede (Frkf. 1747. Fol.) Th. 1. S. 112. u. f..

So kam man alſo mit der Coſtnitzer Kirchen -IV. verſammlung, nach der großen Erwartung, die man fuͤr eine verbeſſerte Kirchenverfaſſung davon gehabthatte,T290III. Mittl. Zeiten b) 1235-1493. hatte, nicht um einen Schritt weiter. Ein ande - rer Umſtand, der ſich zu Coſtnitz ereignete, machte vielmehr, daß man in Anſehung alles deſſen, was ſo allgemeine Wuͤnſche, von dem uͤbertriebenen Joche unter dem paͤbſtlichen Stuhle und deſſen ſo genannten Curialiſten los zu kommen, hatten hoffen laſſen, jetzt noch ungleich weiter zuruͤckge - worfen wurde, als vorher.

V.
145

Nach dem Beyſpiele, das Wiclef als ein aca - demiſcher Gelehrter in England gegeben hatte, war zu Prag ein dortiger Lehrer der Theologie, Johann Huß, aufgetreten, der es ebenfalls wagte, mit mehr als bisher gewoͤhnlicher Freymuͤthigkeit den Verfall der Kirchenzucht und des geiſtlichen Stan - des in ſeinen Lehren und Schriften aufzudecken. Eine Veraͤnderung, die auf ſeine Veranlaßung in der innerlichen Einrichtung der Prager Univerſitaͤt vorgieng, hatte zwar bey der