PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ueber Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom fuͤr Liebhaber des Schoͤnen in der Kunſt
Erſter Theil.
Leipzig,bei Weidmanns Erben und Reich.1787.

An Seine Majeſtaͤt den Koͤnig von Grosbritannien, Meinem allergnaͤdigſten Herrn!

Allergnaͤdigſter Herr, Zu den Fuͤßen Ewr. Koͤniglichen Maje - ſtaͤt lege ich dieſen Verſuch zur Befoͤrde - rung des Geſchmacks an edleren Vergnuͤgungen mit einer ehrfurchtsvollen Zuverſicht. Dero allerhoͤchſten Huld und aufgeklaͤrtem Schutze verdanken Ihre Unterthanen jeden Genuß der Ruhe und des Wohlſtandes; die Kuͤnſte ihr ſchoͤnſtes Leben; und ich die allergnaͤdigſte Er - laubniß, die mir vor ein Paar Jahren wurde, mitten unter den Schaͤtzen des alten und neuen

3Roms,

Roms, die gluͤcklichſten Erinnerungen fuͤr die Zukunft einzuſammeln. Dankbarkeit und tiefe Ehrfurcht ſcheinen mir ein Opfer zur Pflicht zu machen: Das einzige was ich darbringen kann, wird durch die fromme Abſicht des Gebers einigen Werth gewinnen. So hoffe ich, und bin in tiefſter Devotion Ewr, Koͤniglichen Majeſtaͤt allerunterthaͤnigſter von Ramdohr.

Inhalt.

Inhalt.

  • Einleitung. S. 1 bis S. 6
  • Beſtimmung der Abſicht dieſes Werks. Erklaͤ - rung des Worts Liebhaber des Schoͤnen in der Kunſt. Ueber die Lehrart, die fuͤr den Liebhaber die paſſendſte iſt. Rechtfertigung des Verfaſſers, daß er dieſes Buch zu ſchreiben wagte. Seine Erwartungen: Die Art wie er ſchreiben zu koͤnnen wuͤnſchet.
  • Allgemeine Anmerkung uͤber die Sammlungen von ſchoͤnen Kunſtwerken der Mahlerei und Bildhauerarbeit in den Pallaͤſten und Kirchen von Rom. S. 7Man muß die Sammlungen in Pallaͤſten zu - erſt ſehen.
  • Pallaſt Farneſe. S. 8 bis S. 37Unter den Pallaͤſten muß man den groͤßeren Farneſiſchen zuerſt ſehen. Der Farneſiſche Hercules. Charakter des Hercules uͤberhaupt. Die Farneſi - ſche Flora. Willkuͤhrliche Beſtimmung der Nah - men weiblicher bekleideter Figuren uͤberhaupt. Gal - lerie der Carracci. Stil der Carracci, vorzuͤglich des Annibale. Noͤthige Erklaͤrung des Worts: Erfindung in der Mahlerei, um darnach das Ver - dienſt des Annibale in Anſehung dieſes Theils der Kunſt zu beurtheilen. Was mahleriſche, was dichteriſche Erfindung in der Kunſtſprache ſey. Stil des Ludovico Carraccio und des Agoſtino Carraccio. Grund warum der Autor auch in der Folge den Stil der vorzuͤglichſten Kuͤnſtler bei ſchick - licher Gelegenheit aus einander ſetzen wird. Be - urtheilung der Gemaͤhlde in dieſer Gallerie. Sta - tuen. Charakter des Mercurs. Caracalla. Farneſiſche Vaſe. Stil der Nachahmer Raphaels, des Michael Angelo und Tizians. Der Farneſiſche Stier. Sehr gehaͤufte Figuren ſind einem jeden Werke der Kunſt ſchaͤdlich. Gar zu beſorgte Ne - benwerke ſchaden dem Eindruck des Ganzen und vorzuͤglich der Hauptfiguren. Der Bildhauer - kunſt iſt die Ueberladung eines Werks mit uͤber - fluͤßigen Figuren viel nachtheiliger als der Mahlerei. Ueberhaupt ſind weitlaͤuftige Compoſitionen dem Bildhauer nicht anzurathen: Ueber der mahleri - ſchen Gruppirung geht die Schoͤnheit einzelner Fi - guren verlohren: Vielleicht iſt er nicht einmahl im Stande die Wuͤrkung einer mahleriſchen Gruppe vollſtaͤndig zu erreichen.
  • Der Vaticaniſche Pallaſt. S. 38 bis S. 199Grund warum dieſer Pallaſt in Ruͤckſicht auf den Zweck dieſes Buchs, in der Ordnung der zweite iſt.
  • Muſeum Clementinum. Eine Anmerkung uͤber den vortheilhafteſten Ort zur Aufſtellung der Statuen. Beſtimmung des ſogenannten Etruſciſchen Stils, ſowohl des ur - ſpruͤnglichen als des nachgeahmten. Der Liebha - ber vermengt den Begriff des Etruſciſchen und des Altgriechiſchen Stils aus guten Gruͤnden. Cha - rakter der Flußgoͤtter. Gruͤnde, warum ſich der Autor berechtiget haͤlt ein vollſtaͤndiges Verzeichniß der Kunſtwerke, die in dieſer Sammlung befind - lich ſind, in den Noten, am Ende der Beſchrei - bung eines jeden Zimmers zu liefern, ob es gleich ſonſt nicht ſeine Abſicht iſt, Nomenclaturen zu geben; (in der Note.) Allgemeine Anmerkung uͤber den Werth antiker Basreliefs. Ueber den aͤchten Aegyptiſchen Stil: Die Kennzeichen deſſel - ben werden angefuͤhrt, um den Autor zu rechtfer - tigen, wenn er die Werke, die ihn an ſich tragen, der Aufmerkſamkeit des Liebhabers unwerth haͤlt. Charakter des Bacchus. Hof mit einem Porticus, ſonſt auch Hof des Belvedere genannt. Nachtheil der Aufſtellung der Statuen an dieſem Orte fuͤr die Wahrnehmung ihrer Schoͤnheit im Einzelnen; Vortheil derſelben fuͤr den Eindruck ſo vieler ver - einigten Schoͤnheiten im Ganzen. Apollo im Bel - vedere. Wahrſcheinlicher Charakter des Apollo als Phoͤbus, verſchieden von demjenigen, worin5erInhalt. er als Beſchuͤtzer der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte vorgeſtellet wird. Antinous. Noͤthige Erinne - rung uͤber voreilige Beſtimmung moderner Zuſaͤtze zu antiken Statuen. Laocoon. Beſcheidene Zweifel uͤber die Wahl des Suͤjets, als Vorwurf der Bild - hauerkunſt; Die Bewegung des Koͤrpers ſcheint fuͤr den Marmor zu heftig; der ſchwerfaͤllige Stoff macht ſie unwahrſcheinlich, und die Anſtrengung der Muſkeln ſchadet der Harmonie der ſchoͤnen For - men: Hauptvorzug der Bildhauerkunſt! Das Verdienſt einer ſchoͤnen Gruppirung wird dieſem Werke gleichfalls bezweifelt; Gruppiren, in der Mahlerſprache ſetzt unter andern auch eine Maſſe von angenehmer Form zum Voraus, und dieſe fehlt; was der Form des Ganzen abgeht, ge - winnt der Eindruck der Hauptfigur. Torſo di Belvedere. In welcher Ruͤckſicht Wecke aus der ſpaͤteren Zeit, bei deutlichen Spuhren des Verfalls der Kunſt, dennoch intereſſant bleiben koͤnnen. Charakter eines Meleagers. Ueber den Begriff von Ehrwuͤrdigkeit, den die Alten mit den Locken verbunden zu haben ſcheinen, die ſich an der Wur - zel in die Hoͤhe heben, und deren Spitzen herab - ſinken. Beſondere Vorſtellungsart einer Diana von Epheſus. Sammlung von Thieren. Apollo und die Muſen. Herrlicher Kopf der tragiſchen Muſe. Charakter des Apollo Muſagetes. Vor - laͤufige Bemerkung uͤber Buͤſten mit angeblich an - tiken Nahmen. Ganymedes und deſſen Charakter. Genius. Unzuverlaͤßige Benennung der Nym - phen: Was man fuͤr einen Begriff mit derſelben verbindet. Charakter einer Amazone. HerrlicheBuͤſteInhalt. Buͤſte des Ajax. Sogenannte Gruppe des Cato, und der Porcia. Bedeutung der Goͤttin Nemeſis. Jupiter und deſſen Charakter. Cleopatra. Zwei weibliche Termen mit coloſſaliſchen Koͤpfen, bekannt unter dem Nahmen der Comoͤdie, und Tragoͤdie. Jupiter Serapis, deſſen Charakter und Bedeu - tung. Juno und deren Charakter.
  • Theil des Vaticaniſchen Pallaſts, in dem ſich die Mahlereien befinden. Mahlereien Raphaels. Stil dieſes Kuͤnſtlers. Naͤhere Beſtimmung des Worts: Ausdruck in der Mahlerei, in ſo fern man dadurch das Haupt - verdienſt unſers Kuͤnſtlers bezeichnet. Von den Beiwoͤrtern ſchoͤn, richtig, beſtimmt, fein ꝛc. in der Zeichnung, und welches derſelben von Ra - phaels Zeichnung gelten koͤnne. Mit welcher Vor - ſicht Raphael Bildniſſe lebender Perſonen in ſeinen hiſtoriſchen Gemaͤhlden anbrachte, und wie er die Antiken nutzte. Beſtimmtheit und Richtigkeit der Zeichnung. Raphaels Gewaͤnder. Was zu einem gut geworfenen Gewande, und zu einem wohlgeordneten Faltenſchlage erfordert wird. Zier - lichkeit der Zeichnung. Raphaels Colorit. Be - leuchtung, Helldunkles in dieſes Meiſters Gemaͤhl - den. Beilaͤufige Erklaͤrung des Worts: acci - dens de lumiere. Raphaels Loggie. Ueber Arabeſken. Raphaels Bibel. Plafonds ſcheinen kein ſchicklicher Ort zu ſeyn, um daran intereſſante Gemaͤhlde anzubrin - gen: Soll man die Figuren in horizontaler oderverticalerInhalt. verticaler Richtung in einem Plafond-Gemaͤhlde ſtellen? Der Autor entſcheidet fuͤr die verticale. Raphaels Stanze. Schlacht Conſtantins. Ueber den Ausdruck in Gemaͤhlden welche einzelne Figu - ren vorſtellen, beſonders allegoriſche. Heliodor. Attila. Die Meſſe zu Bolſena. Der heil. Petrus im Gefaͤngniſſe. Der Streit uͤber das Sacra - ment des heil. Abendmahls. Die Schule von Athen. Incendio del Borgo. Sixtiniſche Capelle. Michael Angelo Buonarotti. Deſſen juͤngſtes Ge - richt, und Gemaͤhlde am Plafond. Camera de Papiri. Anton Raphael Mengs. Unterſchied zwi - ſchen Genie und Talent in dem bildenden Kuͤnſtler in Ruͤckſicht auf Erfindſamkeit, Einbildungskraft, Empfindung und Geſchmack. Plafond des Mengs. Vorlaͤufige Beſtimmung der Eigenſchaften einer guten allegoriſchen Zuſammenſetzung fuͤr die ſchoͤne Kunſt. Fortſchritt zur Beurtheilung des mittel - ſten Gemaͤhldes am Plafond. Herrliche Genii und Kinder des Mengs. Saal des Conſiſtoriums, Plafond von Guido Reni.
  • Das Capitol. S. 200 bis S. 267Ritterſtatue Marc Aurels.
  • Muſeum Capitolinum. Marforio. Charakter eines Pan. Charakter der Diana. Kriegerſtatuen: Schwierigkeit, die unbekleideten von Heldenſtatuen zu unterſcheiden. Zimmer mit Aegyptiſchen Kunſtwerken. Griechi - ſche Bearbeitung Aegyptiſcher Ideen: entweder mit Beibehaltung der Aegyptiſchen Vorſtellungsart, oder mit Erfindung einer neuen, der SchoͤnheitmehrInhalt. mehr angemeſſenen. Capitoliniſche Vaſe, mit der Ara als Fußgeſtell. Capitoliniſcher Antinous. Schoͤnes Kind. Jupiter placidus, terminalis, ſonſt auch Plato genannt. Ueber Hermen und Termen uͤberhaupt. Die Bildhauerkunſt folgt in der Wahl der Gewaͤnder andern Grundſaͤtzen als die Mahlerei. Der Ludoviſiſche Fechter. Warum der Autor es nur ſelten wagt, die Epoche anzuge - ben, in der ein altes Kunſtwerk verfertiget iſt. Warnung vor dem Vorurtheil, daß der beigeſetzte Nahme des Kuͤnſtlers ein Beweis der Vortrefflich - keit des Werks ſey. Eine gewagte Erklaͤrung der ſogenannten Ptolomaͤer, als Ringerſtatuen, und Muthmaaßung uͤber ihr Wiedererkennungszeichen; (in der Note.) Griechiſche Iſis. Charakter der Faunen. Juno aus dem Pallaſt Ceſi. Bedeu - tung des Harpocrates, fruͤhere und ſpaͤtere Bil - dung deſſelben. Ueber Statuen die man fuͤr Ue - berbleibſel ehemaliger Gruppen der Familie der Niobe haͤlt. Zeno. Wie Buͤſten, als Bildniſſe beſtimmter Perſonen, intereſſiren koͤnnen, wenn wir gleich von den wenigſten den Nahmen mit Ge - wißheit anzugeben im Stande ſind: Gruͤnde die - ſer Ungewißheit: Selbſt von Alters her eingegra - bene Nahmen entſcheiden nichts fuͤr die Treue der Nachbildung. Perſeus und Andromeda, ein Ge - maͤhlde von Mengs; (in der Note.) Capitolini - ſche Flora, Capitoliniſche Venus. Diana Luci - fera. Kopf Alexanders des Großen. Tauben, die aus einem Gefaͤße trinken; ein beruͤhmtes antikes Moſaik. Hecate. Schoͤnes Gefaͤß aus Bronze. Kopf der Ariadne.
  • Pallaſt de Conſervatori. Begraͤbnißurne der Agrippina. Ueber die Gat - tung von Pferden, welche die Mahler vorzuͤglich gern in ihren Gemaͤhlden anbringen. Beruͤhmte Woͤlfin aus Bronze. Spinarius. Camillus. Hercules aus Bronze.
  • Gemaͤhldeſammlung. Giorgione, Tintoretto, Paolo Veroneſe. Be - urtheilung der einzelnen Gemaͤhlde. Die Perſiſche Sybille. Eine heilige Caͤcilia von Romanelli. Pietro Teſta; (in einer Note.) Giovanni Bellino; (in einer Note.) Fortuna des Guido Reni.
  • Pallaſt Borgheſe. S. 268 bis S. 310Wichtigkeit und Groͤße der Gemaͤhlde. Samm - lung in dieſem Pallaſte. Tizian und ſein Stil. Tizians Kinder. Gelegentliche Nachricht von zwei antiken Basreliefs mit Amorinen in Venedig; (in einer Note.) Tizians Colorit: Von den Er - forderniſſen eines guten Colorits uͤberhaupt. Local - farbe. Modification der Localfarbe vom hoͤchſten Lichte an, bis zum ſtaͤrkſten Schatten: Farben - miſchung, Faͤrbung im eigentlichſten Verſtande. Fra. Seb. del Piombo; (in einer Note.) Andrea del Sarto. Carita Romana. Der Schulmeiſter. Meiſterſtuͤck des Garofalo. Stil des Tibaldi. Diana mit ihren Nymphen von Domenichino. Fra. Sebaſtiano und der Cardinal Hyppolitus di Medices, gemeiniglich Borgia und Machiavell genannt. Gerhard Honthorſt; (in der Note.) Gemaͤhl -Inhalt. Gemaͤhlde Raphaels aus ſeiner erſten Manier. Raphaels Kreuzabnehmung aus ſeiner zweiten. Die Verſuchung des heil. Antonius, von Annibale Carraccio. Verloͤbniß der heil. Catharina, von Parmeggianino; Stil dieſes Meiſters. Heilige Caͤcilia, von Domenichino. Aeneas und Anchiſes, von Baroccio; Stil dieſes Meiſters. Zwei heili - ge Familien, von Tizian. Bildniß einer Blon - dine, von demſelben. Zeichnung von Raphael. Die goͤttliche und die irrdiſche Liebe, von Tizian. Liegender Hermaphrodit, Statue. Venus ver - bindet dem Amor die Augen mit Beiſtand eines ſeiner Bruͤder und der Grazien, von Tizian. David, von Giorgione. Ueber Giacomo Baſſano und ſeine Schuͤler, Leandro und Franceſco.
  • Gemaͤhldeſammlung des Prinzen Aldo - brandini. Eins der beſten Gemaͤhlde des Baroccio. Chriſt zwiſchen den Phariſaͤern, von Leonardo da Vinci. Chriſt der dem heil. Petrus erſcheint, von Annibale Carraccio. Heilige Familie, von Raphael aus ſeiner mittleren Zeit.
  • Villa Borgheſe. S. 311 bis S. 340Basreliefs an den aͤußern Mauern der Pallaͤfte angebracht: Dieſe Art der Verzierung iſt nicht vortheilhaft. Ueber verſchiedene Beinahmen, die man der Venus gibt, und uͤber die Abweichungen in der Art ſie vorzuſtellen. Charakter der Venus. Bedeutung dieſer Goͤttin in der Mythologie. Bor - gheſiſcher Floͤtenſpieler. Lucius Verus, ſchoͤne Buͤſte. ApolloInhalt. Apollo und Daphne, von Bernini. Die Bild - hauerkunſt, deren Werke die vollkommenſte Illu - ſion in Ruͤckſicht auf Geſtalt geben, ſcheint eine vorzuͤgliche Verbindlichkeit auf ſich zu haben, nichts Widriges darzuſtellen. Vermeinter Seneca. Fi - gur eines Sclaven. Borgheſiſche Vaſe. Bezeich - nung eines Apollo Sauroctonon. Der Borghe - ſiſche Faun oder Silen. Charakter eines Silens. Centaur vom Amor gebaͤndigt. Juno mit einem Gewande von Porphyr. Der Borgheſiſche Fech - ter. Ueber Fechterſtatuen uͤberhaupt; (in der Note.) Worauf der Bildhauer bei der Wahl ſeiner Suͤjets vorzuͤglich Ruͤckſicht nimmt; (gleich - falls in der Note.) Der Borgheſiſche Herma - phrodit. Charakter der Hermaphroditen.
Einlei -
[1]

Einleitung.

Der Titel des Buchs ſcheint deſſen Zweck anzuzei - gen, und es durch dieſen von andern Buͤchern abzuſondern, die bisher von Werken der Mahlerei und Bildhauerkunſt in Rom gehandelt haben.

Den Liebhaber uͤber die wahre Abſicht der KuͤnſteBeſtimmung der Abſicht dieſes Werks. zu verſtaͤndigen; ihn das Weſentliche zu ſeinem Ver - gnuͤgen von dem Zufaͤlligen ausſcheiden zu lehren; die Forderungen, welche er an Marmor und Flaͤche, an Pinſel und Meißel, und zwar an jeden insbeſondere zu machen berechtiget iſt, gehoͤrig zu beſchraͤnken; fuͤr die Vorzuͤge eines großen Kuͤnſtlers Verehrung, ge - gen deſſen Fehler Billigkeit einzufloͤßen; Lob und Tadel nach beſtimmteren Begriffen uͤber die verſchiede - nen Erforderniſſe zur Vollkommenheit genauer abzu - waͤgen; fuͤr Wahrheit und Schoͤnheit Sinn zu erwecken; gegen den Zauber des blendenden Witzes Herz und Auge zu verhaͤrten; kurz! zu zeigen, wie und auf was man bei einem Kunſtwerke ſehen ſoll, um wahren dauerhaften Genuß davon erwarten zu koͤnnen: das iſt die Abſicht, die der Verfaſſer bei Verfertigung ſeines Werkes ſich vor Augen ge - ſetzt hat.

Erſter Theil. ADer2Einleitung.
Erklaͤrung des Worts: Liebhaber des Schoͤnen in der Kunſt.

Der Liebhaber iſt der Mann, den Wohlſtand, Faͤhigkeiten und Kenntniſſe, wie ſie allen wohlerzoge - nen Menſchen gemein ſind, zu dem Genuß der Kuͤnſte berechtigen; der Kuͤnſte, die dem Herzen und der Einbildungskraft Nahrung, dem Verſtande eine geſchaͤfftloſe aber nicht entehrende Unterhaltung geben. Dieſer ſteht zwiſchen dem Gelehrten und dem Kuͤnſtler in der Mitte. Nicht Critiker genung, ſeine Gefuͤhle in metaphyſiſche Vernunftſchluͤſſe aufzuloͤſen, nicht Antiquar genung, jede Abweichung von dem Wuͤrk - lichgeſchehenen in der Art, wie es als moͤglich dar - geſtellt iſt, auszuſpaͤhen, endlich nicht Handwerker genung, jeden Kunſtgriff der Behandlung zu entraͤth - ſeln; vermag er den gegenwaͤrtigen Eindruck dennoch auf fruͤhere Empfindungen zuruͤckzufuͤhren, die oft wiederholte Erfahrungen als weſentliche Begleiter des Schoͤnen beſtaͤtiget haben; kennt Geſchichte und Fabel hinreichend, um den Grund der bildenden Zu - ſammenſetzung zu begreifen; und weiß von der mecha - niſchen Ausfuͤhrung ſo viel, als noͤthig iſt, das Ver - dienſt uͤberwundener Schwierigkeiten zu ſchaͤtzen.

Der Liebhaber ſucht zuerſt Vergnuͤgen an dem ſtummen Anblick ſchoͤner Kunſtwerke. Aber dies Vergnuͤgen wird oft Gegenſtand des Geſpraͤchs. Man ſucht ſich mitzutheilen, man lobt, man tadelt. Wie ſelten geſchieht dies, ohne ſich vor den Augen des Kuͤnſtlers oder des Gelehrten laͤcherlich zu machen! Man laͤßt arbeiten, man ſammlet Statuen und Gemaͤhlde, und wird, ein anderer Midas, bald Beſchuͤtzer der Mittelmaͤßigkeit, bald Verfolger des Talents, bald Spiel der Gewinnſucht eines Bro - canteurs.

Der3Einleitung.

Der Liebhaber bedarf alſo einiger Vorbereitung,Ueber die Lehrart, die fuͤr den Lieb - haber die paſſendſte iſt. um wahren dauerhaften Genuß von den Kuͤnſten zu erlangen: Er muß Grundſaͤtze, er muß Kenntniſſe haben. Aber kalte Buchgelehrſamkeit, die ſich nur mit todten Zeichen ins Gehirn druͤckt, iſt fuͤr den Mann, der nur zu ſeiner Unterhaltung lieſt, nicht brauchbar. Dieſer ſucht Beſchaͤfftigung, aber keine qualvolle Anſtrengung. Er weiß und lernt nur ge - rade ſo viel, als er zum Genuße des Augenblicks, zum Stoff der Unterredung in den gemiſchten Cirkeln geſel - liger Muͤſſiggaͤnger noͤthig zu haben glaubt. Kein Syſtem von hiſtoriſchen Datis, keine Aufloͤſung des Gewebes unſerer Empfindungen, keine Enthuͤllung der Geheimniſſe der Behandlung, kein Winkelmann, kein Hemſterhuis, kein Laireße werden die Kenntniſſe, ohne welche man ſich der Betrachtung eines Kunſt - werks nicht nahen ſollte, je in wahren Umlauf brin - gen. Nur eine praktiſche Anweiſung, die in einem allgemein verſtaͤndlichen Vortrage den Leſer, der wenig an anhaltende Aufmerkſamkeit gewoͤhnt iſt, bei jeder Lehre auf ein vorliegendes Beiſpiel, zu wiederholten Mahlen auf das ſchon Geſagte zuruͤckfuͤhrt, ſcheint zur Ausbreitung jeder Wahrheit unter dem groͤßeren Haufen geſchickt zu ſeyn. So erinnert man ſich ſtets: Wie? Wo? Warum? man etwas gelernt habe; und um mit den Worten eines großen Kunſtrichters und eines eben ſo großen Menſchenkenners fortzu - fahren:*)Leſſing im Nathan.

So haͤngt ſich Alles beſſer an:
So lernt mit eins die ganze Seele:
A 2Dieſe4Einleitung.

Dieſe Lehrart habe ich in dieſem Werke gewaͤhlt, und Rom als den groͤßten Sammelplatz von Meiſter - ſtuͤcken der Mahlerei und Bildhauerkunſt, als den Ort, in dem ich die bequemſte Veranlaſſung zu meinen Leh - ren finden wuͤrde. Ich ſchraͤnke mich blos auf Ge - maͤhlde, Statuen, und Basreliefs ein: uͤberzeugt, daß mit der Einleitung in ihre Kenntniß, die Kennt - niß aller uͤbrigen Werke der Bildnerei in Ruͤckſicht auf Schoͤnheit erleichtert werde.

Aber auch von den Werken dieſer Gattung habe ich eine vollſtaͤndige Beſchreibung, eine Nomenclatur, keinesweges liefern wollen. Nur dann wird mich der Vorwurf der Unvollſtaͤndigkeit treffen, wenn ich ein Stuͤck uͤbergangen haben ſollte, das den Sinn fuͤr das Schoͤne auf eine betraͤchtliche Art aufzuſchließen im Stande waͤre, oder zu beſchaͤfftigen verdiente.

Das Schoͤne kann ich nicht erklaͤren. Nur um einem Mißverſtaͤndniſſe vorzubeugen, bemerke ich, daß ich unter Schoͤnheit nicht blos das Wohlgefaͤllige der Formen, ſondern uͤberhaupt jede ſichtbare Voll - kommenheit in den bildenden Kuͤnſten verſtehe.

Man wird Unrichtigkeiten in dieſem Werke fin - den: in den Nachrichten, in den Urtheilen. Beides kann ſeyn, ich bin nicht anmaaßend genung, es zu leugnen.

Ich habe inzwiſchen keine Muͤhe geſpart, ſo viel an mir war, richtige Erkundigungen einzuziehen; und meine Urtheile ſind mit Gruͤnden unterſtuͤtzt. Jeder, der eigene Augen und eigenes Gefuͤhl hat, kann dieſe pruͤfen.

Rechtferti - gung des
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Ich muß hier Einiges von mir anfuͤhren, nicht um mir ein Anſehen zu geben, ſondern um mich zurecht -5Einleitung. rechtfertigen, daß ich, Liebhaber, andern LiebhabernVerfaſſers, daß er dieſes Buch zu ſchreiben wagte: Sei - ne Erwar - tungen: Die Art, wie er ſchreiben zu koͤnnen wuͤn - ſchet. meine Erfahrungen und meine Urtheile mitzutheilen gewagt habe.

Meine Hand hat ſich von Jugend auf im Zeich - nen und Mahlen geuͤbt, und wenn ſie gleich zu unge - horſam geblieben iſt, etwas betraͤchtliches hervorzu - bringen, ſo haben doch dieſe Verſuche, unterſtuͤtzt von dem Unterricht guter Kuͤnſtler, mein Auge an Rich - tigkeit der Zeichnung gewoͤhnt, und mich alle Hinder - niſſe kennen lehren, die Stoff und Mittel der ſichtba - ren Ausfuͤhrung eines Gedankens entgegen ſetzen.

Der Herr Hofrath Heyne iſt mein Lehrer in der Archaͤologie geweſen. Ein Mann, von dem ich es nicht erſt ſagen will, daß er den feinſten Geſchmack mit der aufgeklaͤrteſten Critik, und der ausgebreiteſten Gelehrſamkeit verbindet. Was ich von ihm ſagen moͤchte, iſt mir hier verwehrt: Wie er mir Freund und Fuͤhrer war, und iſt! wie ich ihm mehr als bloße Bildung des Geſchmacks in den Kuͤnſten, wie ich ihm die ganze Bildung meines Herzens verdanke!

Ich habe nachher die betraͤchtlichſten Gallerien in Frankreich, Deutſchland und Italien geſehen, und mit Rom habe ich geendiget. Sechs Monathe lang*)Im Jahre 1784. habe ich hier taͤglich bald allein, bald mit Kuͤnſtlern, bald mit Antiquaren, bald mit Liebha - bern die Meiſterſtuͤcke der Kunſt kennen zu lernen ge - ſucht. Endlich hat der Herr Hofrath Reifenſtein noch die Gefaͤlligkeit gehabt, mich durch die betraͤcht - lichſten Pallaͤſte und Kirchen von Rom zu fuͤhren.

Dieſer Mann, den Charakter und Kenntniſſe gleich ſchaͤtzbar machen, beſitzt das ausgezeichnete Ta -A 3lent,6Einleitung. lent, ſeine Anleitung zur Kenntniß der Kunſt nach den Faͤhigkeiten und dem Geſchmack eines jeden Betrach - ters beſonders einzurichten. Von ihm habe ich vor - zuͤglich die Art zu lernen geſucht, wie man die Lehren der Kunſt dem Liebhaber faßlich und willkommen ma - chen ſoll. Haͤtten wir Hoffnung, daß er jemals ſei - nen Unterricht durch den Druck allgemeiner ausbreiten, und auf die Nachwelt bringen wuͤrde; ſo haͤtte ich das gegenwaͤrtige Werk nicht unternommen.

Aber dieſe Hoffnung haben wir nicht, und ſo kann dieſer Verſuch wenigſtens bis dahin, daß wir etwas Beſſeres erhalten, von Nutzen ſeyn. Er iſt eigentlich fuͤr diejenigen beſtimmt, die ihn an Ort und Stelle mit Werken, von denen er handelt, ver - gleichen wollen. Inzwiſchen hoffe ich zu gleicher Zeit, daß dieſes Buch denen, die von Rom zuruͤckgekehret ſind, manche angenehme Erinnerung, denen, welche die Reiſe dahin noch anzutreten denken, keine ganz unnuͤtze Vorbereitung gewaͤhren werde.

Ich will nichts ſchreiben, was ich nicht geſehen und gefuͤhlt habe. Daß ich ſo daruͤber ſchreiben koͤnnte, wie ich es geſehen, wie ich es gefuͤhlet habe! Daß jenes ſanfte Feuer, das bei dem Anblick der Schoͤnheit in meinen Adern wallte, jetzt in meine Fe - der fließe! Daß aber auch jene heitere Ruhe, die ihrem Gefuͤhle ſo zutraͤglich iſt, meine Seele fuͤlle! Daß ich uͤber die Werke, welche die Grazien und die Muſen erzeugten, rede, wie ihre Lieblinge, die Kuͤnſtler, ſie dachten: mit Adel, mit Anmuth, ohne Kaͤlte und ohne Schwaͤrmerei!

Allgemeine7

Allgemeine Anmerkung Ueber die Sammlungen von ſchoͤnen Kunſt - werken der Mahlerei, und Bildhauerarbeit in den Pallaͤſten und Kirchen von Rom.

Man ſieht die Gemaͤhlde und Statuen, die inMan muß die Samm - lung n in Pall ſten zuerſt ſehen. den Pallaͤſten von Rom aufbewahrt werden, mit mehrerer Bequemlichkeit, als diejenigen, die in den Kirchen befindlich ſind. Denn hier werden ſie nicht allein oft in duͤſtern Capellen des Tageslichts beraubt, ſondern leiden noch uͤberher von dem Dampfe der Wachskerzen. Auch trifft man in dieſen Kirchen nur wenige Antiken an, und dieſe wenigen ſind noch dazu unbetraͤchtlich. Inzwiſchen muß der Liebhaber vorzuͤglich durch den Anblick der Kunſtwerke der Alten das richtige Maaß der Schoͤnheit zu erhalten hoffen. Ich fuͤhre den Liebhaber des Schoͤnen zuerſt in die Pallaͤſte.

A 4Pallaſt8

Pallaſt Farneſe.

Unter den Pallaͤſten muß man den groͤßeren Farneſiſchen zuerſt ſehen.
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Die Werke der Caracci, die man nirgends haͤu - figer als in dem Pallaſte Farneſe antrifft, gewoͤhnen das Auge an Richtigkeit, und an den großen Stil der Zeichnung, die man als Grundlagen der Schoͤnheit anſehen muß. Sie dienen zur Vorberei - tung, um diejenigen Werke, wo das Wahre und Nothwendige unter dem Reitzenden verſteckt iſt, beſſer zu fuͤhlen. 1)Bei dem Verzeichniſſe der Kunſtwerke, die dieſer Pallaſt enthaͤlt, ſind beinahe alle Reiſebeſchreibun - gen unrichtig. Verſchiedene Stuͤcke, die in dem kleineren Farneſiſchen Pallaſte, der ſogenannten Farneſina, ſtehen, geben ſie, als in dieſem groͤßeren befindlich, an. Es ſey daß die Nahmen verwechſelt worden, oder daß die Stuͤcke erſt in der Folge der Zeit verſetzet ſind.

Im Hofe.

2)Diejenigen Kunſtwerke, die mir einer fleißigern Betrachtung und haͤufigern Ruͤckerinnerung beſon - ders wuͤrdig geſchienen haben, habe ich mit einem bezeichnet. Der Farneſiſche Hercules.

Der Farne - ſiſche Hercu - les.
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Eine coloſſaliſche Statue, die aus dem letzten Bogen des Porticus, vom Eingange ab, betrachtet werden muß. Die erſte Sorge des Beobachtersgeht9Pallaſt Farneſe. geht auf die Wahl des Standortes, aus dem er uͤber Schoͤnheit und Wahrheit der Formen urtheilen kann. Dann ſucht er die Idee des Kuͤnſtlers, das was ſein Kunſtwerk ausdruͤcken ſoll, zu erforſchen.

Die Helden und Goͤtter, die bei den Alten einen Vorwurf bildlicher Darſtellung ausmachten, ſcheinen einen gewiſſen allgemein anerkannten Charakter ge - habt zu haben, deſſen Hauptzuͤge ſich gemeiniglich in jeder Vorſtellung wieder finden. Aber dieſer Charakter ward nach Verſchiedenheit des Alters und der Handlung, in der ihn das Auge erblickt, man - nigfaltig modificirt.

Hercules zeigt uͤberall einen Koͤrper, deſſen ur -Charakter des Hercules uͤberhaupt. ſpruͤnglich feſter Bau durch viele Thaten ausgebildet worden, der aber nicht abgehaͤrtet zu werden brauchte. Hercules iſt geſchmeidig aber nicht behende; er ſchlaͤgt nieder, und uͤberſchnellet nicht.

Der Kuͤnſtler ſcheint auf deſſen Bildung durch die Betrachtung des Stiers geleitet zu ſeyn. Wie an dieſem iſt der Kopf klein, der Nacken ſtark, die Bruſt erhoben und vordringend. Kraus ſind ſeine Haare, breit ſeine Schultern, die Stirne hebt ſich mit maͤchtiger Woͤlbung. 3)Vielen hat dieſe Vergleichung eines Stiers mit dem Gott Hercules zu niedrig geſchienen. Allein ſie wird es demjenigen nicht bleiben, der die edle Ge - ſtalt dieſes Thiers in den ſuͤdlichen Theilen von Eu - ropa geſehen hat.

Dieſen allgemeinen Charakter hat nun auch unſer Farneſiſche Hercules; aber er hat auch noch den beſondern: er ruht nach eben vollbrachter Helden - that. Daher die Bewegung des Bluts, von derA 5wir10Pallaſt Farneſe. wir noch ſeine Adern angeſchwellt ſehen; daher die angeſtrengten Muſkeln, die noch nicht wieder abge - ſpannt ſind. Die goldenen Aepfel die er in der Hand traͤgt, die auf den Ruͤcken gelegt iſt, duͤrfte vielleicht nur ein allgemeines Attribut des Siegers ſeyn.

Die Muſkeln ſind aͤußerſt beſtimmt in ihrer Form, in ihrer Lage, dabei ſehr deutlich angegeben, und ohne Haͤrte, wenn man ſie in der gehoͤrigen Ent - fernung betrachtet.

Der Marmor iſt weiß, von der kleinkoͤrnigten Art, den man durch den Nahmen: der Pariſche, von dem groskoͤrnigten unterſcheidet, der Salino genannt wird, weil er aus Lagen von Salzkoͤrnern zu beſtehen ſcheinet.

Die Beine ſind neu, und von Guglielmo della Porta gut4 a)Mengs iſt anderer Meinung: Der Bildhauer, ſagt er, hat an dieſen angeſetzten Beinen die Muſkeln ſo hart, und ſo geſpannt gebildet, daß ſie Stricken aͤhnlich ſehen. Opere di A. R. Mengs ed. di Parma 1780. T. I. p. 204. Ich geſtehe daß mir dieſes nicht aufgefallen iſt. ergaͤnzt. Der alte Meiſter hieß Glycon. Er war aus Athen, ſein Nahme und ſein Vaterland ſtehen am Tronk4 b)Der Hof von Neapel hat ſchon lange gewuͤnſcht, dieſe Statue nach Caſerta abfuͤhren zu koͤnnen. Aber man behauptet in Rom, ſie ſey ein Eigen - thum des roͤmiſchen Senats, welcher ſie dem Pabſt Paul dem Dritten nur zur Verzierung ſeines Fami - lien-Pallaſts in Rom geliehen habe..

Die11Pallaſt Farneſe.

Die Farneſiſche Flora.

Aus der Arcade nach dem Hofe zu geſehen,Die Farneſt - ſche Flora. ſcheint dieſe coloſſaliſche Figur mit aͤußerſter Leichtig - keit fort zu ſchweben. Es iſt eine weibliche Figur, be - kleidet, und in jugendlichem Alter. Mehr kann man von ihrer Bedeutung mit Zuverlaͤſſigkeit nicht ſagen. Nur der Sturz iſt alt. Kopf, Haͤnde und Fuͤße ſind von Guglielmo della Porta ergaͤnzt. Die will - kuͤhrliche Benennung nach dem neuen Kranze dient nur zur Wiedererkennung.

Der groͤßte Theil weiblicher Figuren, die beklei -Willkuͤhrli - che Beſtim - mung der Nahmen weiblicher bekleideter Figuren uͤberhaupt. det ſind, haben ſich ohne ihre Attribute erhalten. Selten zeigt der Ausdruck des Geſichts, oder das Ge - wand die ſymboliſche Vorſtellung an. Der Ergaͤn - zer nimmt ſeine Zuflucht zu dem Antiquar, der ſelten aufrichtig genung iſt, ſeine Unwiſſenheit zu bekennen; gemeiniglich heftet er dem Kuͤnſtler eine willkuͤhrliche oder gar ungereimte Behauptung auf. Man faͤngt jetzt in Rom an den Irrthum einzuſehen, und belegt im Allgemeinen jede bekleidete weibliche Figur, fuͤr die man keinen Nahmen mit Gewißheit anzugeben weiß, mit dem Nahmen: Muſe. Die unſrige wird eine tanzende Muſe genannt. 5)Dieſer Meinung iſt auch Winkelmann Geſchichte der Kunſt. Wiener Edition. S. 309.Allein ehe man die gewoͤhnliche Benennung nicht mit einer ſicherern aus - tauſcht, ſo lange, glaube ich, darf man ſich an die - jenige halten, bei der ſich alle verſtehen.

Das Swelte der Umriſſe, die Leichtigkeit der Stellung und des vortrefflich geworfenen Gewandes,Vorzuͤge,12Pallaſt Farneſe. Vorzuͤge, welche die Groͤße der Statue noch erhebt, geben ihr einen vorzuͤglichen Rang unter den ſchoͤnen Ueberreſten des Alterthums.

Dem Farneſiſchen Hercules gegenuͤber ein ande - rer Hercules. Die Idee iſt dieſelbe wie bei dem vorigen: die Ausfuͤhrung ſcheint keine Copie zu ſeyn. Sie iſt aber von geringem Werthe.

Eine wohlbekleidete Nymphe.

Ein junger Held: nur aus dem Groben ge - hauen, aber von gutem Stile.

Eine Figur im maͤnnlichen Alter, die einen todten Juͤngling auf der Schulter traͤgt; mit - telmaͤßig.

Auf der Treppe.

Zwei coloſſaliſche Statuen von Flußgoͤt - tern. Zwiſchen beiden ein kleiner Meergott, der vom Schwanze eines Delphins umſchlungen wird.

Jupiter, Caſtor, Pollux, Buͤſten.

Der Kopf eines Mannes mit Blumen be - kraͤnzt, von großem Charakter.

Zwei gefangene Koͤnige, von vortrefflichem Stile, deren Gewaͤnder dem Polydoro da Carra - vaggio oft zum Studio gedienet haben.

Gallerie der Carracci.

Gallerie der Carracci.
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Beide Bruͤder Annibale und Agoſtino nebſt ihrem Oncle Ludovico haben an dieſer Gallerie gearbeitet. Allein Annibale mehr als die beiden andern.

Alle13Pallaſt Farneſe.

Alle drei Carracci waren Stifter einer Schule zuStil der Carracci vorzuͤglich des Anniba - le. Bologna, in der ſie den guten Geſchmack, der zu ihrer Zeit ſchon verlohren gegangen war, wieder her - ſtellten: in der ſie den Grundſatz lehrten, durch den ſie, und viele ihrer Schuͤler nach ihnen groß geworden ſind: ahmet die Natur nach, verbeſſert ſie durch das Studium der Antike, und der beſten unter den neuern Meiſtern. Von dieſen waren Pellegrini il Tibaldo, Paolo Veroneſe, und vorzuͤglich Correggio ihre Lieb - lingsmuſter.

Die Carracci waren unter den Mahlern, was die Eclectiker unter den Philoſophen. Sie ſuchten die Vorzuͤge der verſchiedenen Schulen, alle diejeni - gen Vollkommenheiten in ſich zu vereinigen, die man vielleicht nur in dem Ideale des Mahlers vereinigt denken kann.

Ich kenne dies und jenes Bild des Annibale, das in keinem Theile der Kunſt etwas zu wuͤnſchen uͤbrig laͤßt. Allein in demjenigen, den man in der Kunſt - ſprache unter dem Nahmen, dichteriſche Erfindung kennt, iſt er ſich ſelbſt zu ungleich, als daß man ihm einen gegruͤndeten Anſpruch darauf einraͤumen koͤnnte.

Die Erfindſamkeit des Mahlers geht nicht aufNoͤthige Er - klaͤrung des Worts: Er - findung, in der Mahle - rei, um dar - nach das Verdienſt des Annibale in Anſehung dieſes Theils Neuheit des Vorwurfs; er bleibt gern in dem Be - zirke weniger ihm und dem Publico gelaͤufig geworde - ner Ideen. Wenn man von Erfindung in der Mah - lerei ſpricht, ſo denket man nie an Hervorbringung eines neuen dem Zuſchauer unbekannten Vorwurfs, ſondern an Erfindung einzelner Theile, wodurch ein bekannter Gegenſtand auf eine neue Art zuſammen ge - ſetzt wird. Inzwiſchen braucht der Gegenſtand nicht ſchon die bildenden Kuͤnſte beſchaͤfftiget zu haben umbekannt14Pallaſt Farneſe. der Kunſt zu beurtheilen.bekannt zu ſeyn. Genung wenn das Publicum, fuͤr welches das Kunſtwerk beſtimmt iſt, den dargeſtellten Gegenſtand nicht erſt aus der Darſtellung ken - nen lernt.

Was mahle - riſche, was dichteriſche Erfindung in der Kunſt - ſprache ſey?
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Die Figuren eines Gemaͤhldes ſo ſtellen, daß ſie durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange - nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und zugleich eine leichte Ueberſicht des Ganzen darbieten; ſolche Koͤrper auswaͤhlen, die zur Faͤrbung und Be - leuchtung beſonders geſchickt ſind; heißt in der Kunſt - ſprache: mahleriſch erfinden, oder auch: anordnen. Hingegen zeigt der Kuͤnſtler nach eben dieſer Sprache eine dichteriſche Erfindung, wenn er bei genauer Kenntniß der Graͤnzen ſeiner Kunſt ſolche Gegenſtaͤnde zur Darſtellung waͤhlt, die Kopf und Herzen Nah - rung geben, und dieſe durch Mittel, die in dem Ge - biete eben dieſer Kunſt liegen, dem Verſtaͤndniſſe des Zuſchauers moͤglichſt nahe zu bringen ſucht. Hieher gehoͤren Ausdruck, Allegorie, Hinſtellung der Figu - ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf - merkſamkeit anweiſet, den ihr Antheil an der Haupt - handlung verdient. Ja, es gehoͤren hieher alle Mit - tel deren ſich die mahleriſche Erfindung bedient, nur daß bei ihrer Anwendung das Intereſſe der Bedeu - tung die erſte Ruͤckſicht iſt.

Beide muͤſſen mit einander gehen, aber die mah - leriſche Erfindung muß der dichteriſchen untergeordnet ſeyn. Iſt ſie das nicht, ſo wird zur natuͤrlichen Folge, daß man nicht die Figuren ſo ſtellt, wie ſie die Handlung am deutlichſten machen, ſondern, wie ſie am beſten ins Auge fallen, die mehreſte Abwechſelung in die Stellungen bringen, und die Gruppen amſchick -15Pallaſt Farneſe. ſchicklichſten mit einander verbinden; daß man dem wahren Ausdruck, welchen die Handlung erfordert, einen andern unterſchiebt, den der Contraſt verlangt; daß man bei der Wahl der handelnden Perſonen, nicht auf dasjenige ſieht, was zur Handlung nothwendig iſt, ſondern auf dasjenige, was die Flaͤche ausfuͤllt.

Von dieſen Fehlern iſt Annibale ſelten frei. Sein Ausdruck iſt nicht immer wahr, ſelten edel, und bei - nahe nimmer lieblich. Er hatte wenig Gefuͤhl fuͤr Schoͤnheit, mehr fuͤr Staͤrke: Seine Weiber ſind zu maͤnnlich, ſeine jugendlichen Figuren zu ſchwerfaͤllig, ſeine Alten ohne Majeſtaͤt.

Sein Colorit iſt ohne Lieblichkeit und ohne Har - monie. In Oelgemaͤhlden grau, im al Freſco zie - gelroth. Das Helldunkle iſt in den mehreſten ſeiner Gemaͤhlde mit Einſicht angedeutet, aber ſelten thut es die Wuͤrkung, die ſich der Meiſter davon verſpro - chen zu haben ſcheint.

Das Hauptverdienſt dieſes Kuͤnſtlers iſt die mah - leriſche Anordnung, die Richtigkeit, und der große Stil ſeiner Zeichnung. Wenn das Ueberfluͤßige zur Verſtaͤrkung des Nothwendigen weggelaſſen iſt, wenn kleinere Partien dem Ganzen ſo untergeordnet ſind, daß die Aufmerkſamkeit dadurch nicht zerſtreuet wird, ſo nennt man dies: Groͤße in den Formen; und die Fertigkeit in der Beobachtung dieſer Regel: den großen Stil.

Dieſer zeigt ſich auch in den Gewaͤndern des An - nibale, die in große Falten geworfen das Nackende ſehr gut andeuten, aber jenes Reitzes entbehren, deſ - ſen Verſtaͤndniß kein Studium nach dem Gliedermann aufſchließt. So blickt allerwaͤrts der Mann hervor,der16Pallaſt Farneſe. der durch Nachdenken und lange Uebung groß gewor - den iſt. Der Profeſſor, und zwar der Profeſſor in den Theilen der Kunſt, die mehr zur mahleriſchen Erfindung und zur Ausfuͤhrung, als zur dichteriſchen Erfindung gehoͤren. Die Natur hatte ihm viel me - chaniſches Talent bei vielem Scharfſinn gegeben. Haͤtte er Gefuͤhl des Schoͤnen und diejenige Einbil - dungskraft beſeſſen, die mit dem Herzen in genaue - rem Verbande ſteht, er waͤre der Groͤßte der Kuͤnſt - ler geworden.

So leicht es iſt, die drei Carracci von andern Meiſtern zu unterſcheiden, ſo ſchwer wird die Unter - ſcheidung des Stils dieſer drei Kuͤnſtler unter einander fuͤr ein ungeuͤbtes Auge.

Stil des Lu - dovico Car - raccio,
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Ludovico wird inzwiſchen an ſeiner dunkeln hefen - artigen Farbe, an dem Mangel an Ausdruck und an der ſchwerfaͤlligen oft unrichtigen Zeichnung wieder er - kannt. Er drappierte ſeine Figuren beſſer als ſein Vetter, und ſtellte ſie wenigſtens eben ſo gut, in Ruͤckſicht auf die mahleriſche Wuͤrkung. Er mahlte gern kleine Figuren auf Schiefer.

und des Ago - ſtino Carrac - cio.
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Agoſtino war mehr Poet, und Kupferſtecher, als Mahler. Aber er hatte erhabenere Ideen als ſein Bruder und Oncle, und brachte mehr Ausdruck in ſeine Geſichtsbildungen. In der Ausfuͤhrung iſt er unter beiden.

Grund war - um der Au - tor auch in der Folge den Stil der vorzuͤglich -
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Ich hoffe leicht Entſchuldigung dafuͤr zu erhalten, daß ich den Stil der vorzuͤglichſten Kuͤnſtler bei Gele - genheit ihrer hauptſaͤchlichſten Werke kurz auseinander ſetze. Mit dem Nahmen des Meiſters weiß man alsdann, auf welche Vorzuͤge man in ſeinen Wer - ken zu achten, welche Fehler man zu uͤberſehen hat. Doch17Pallaſt Farneſe. Doch bitte ich bei der Pruͤfung meiner Urtheile ſichſten Kuͤnſtler bei ſchickli - cher Gele - genheit aus - einander ſe - tzen wird. ſtets zu erinnern, daß ich bei Beſtimmung weſent - licher, charakteriſtiſcher Zuͤge nur auf dasjenige Ruͤck - ſicht nehmen konnte, was ſich gemeiniglich wieder finden laͤßt, nicht aber auf Ausnahmen.

Ich gehe nun zu der Beſchreibung der Gallerie ſelbſt uͤber.

Der Triumph des Bacchus und der Ariadne.

Keine einzige Figur hat den Ausdruck, den derBeurthei - lung der Ge - maͤhlde in dieſer Galle - rie. Charakter und die Handlung erfordern. Bacchus hat den Anſtand eines ſchlechten Schauſpielers, der repraͤſentiret, und Ariadne, ſeine neuvermaͤhlte Gat - tin, kehrt ihm den Ruͤcken zu, um den Mahler eine ſchoͤne academiſche Figur im Contrapoſt darzu - bieten. Die Nymphen haben den gemeinen Fehler aller weiblichen Figuren dieſes Meiſters, ſie ſind zu maͤnnlich. Silen iſt ein ekelhaft berauſchter Alter. Hingegen iſt die mahleriſche Erfindung vortrefflich, die Gruppen greifen wohl in einander, und die ein - zelnen Figuren haben ſehr abwechſelnde Stellungen. Schoͤnheit und Reitz darf man beim Annibale nicht ſuchen. Das Colorit faͤllt ins Ziegelrothe, und iſt ohne Harmonie.

Mercur bringt dem Paris den Apfel.

Die Verkuͤrzung des Mercurs iſt unvergleichlich, nur iſt der Koͤrper nicht ſchlank genung. Der Kopf des Paris iſt ſchoͤn, aber der Koͤrper ſtimmt damit nicht ganz uͤberein. Die Schienbeinroͤhren ſind zu ausgebogen; ein Fehler, der mehreren Figuren dieſes Meiſters eigen iſt, und von der zu getreuen Nachah - mung einer gemeinen Natur herruͤhret.

Erſter Theil. BApollo18Pallaſt Farneſe.

Apollo entfuͤhrt den Hyacinth.

Die Stellung des letztern iſt ſehr gefaͤllig.

Polyphem ſpielt vor der Galathea, um - geben von ihren Nymphen.

Der Koͤrper des Polyphems iſt eine vortreffliche academiſche Figur. Kuͤnſtler koͤnnen die Verkuͤrzung des einen Knies nicht genung bewundern. Annibale hat ſich alle Muͤhe gegeben, das Widrige des einen Auges in der Mitte der Stirn zu verbergen; inzwi - ſchen wird doch ein Polyphem, wie ihn der Dichter mahlt, nie ein ſchicklicher Gegenſtand fuͤr den Mahler werden. Wenigſtens hat der Kuͤnſtler dafuͤr geſorgt, daß die Schoͤnheit der Nymphen den Contraſt nicht zu auffallend machte; dieſe ſind nichts weniger als ſchoͤn.

Andromeda und Perſeus.

Die Zuſammenſetzung dieſes Bildes iſt ſelbſt in Ruͤckſicht auf mahleriſche Anordnung fehlerhaft. Der Koͤrper der Andromeda, der an ſich ſchon zu maͤnnlich iſt, wird rieſenmaͤßig, wenn man ihn mit den Figu - ren der Aeltern auf dem zweyten Plane vergleicht. Das fliegende Gewand der Mutter iſt zu ſteif. Ge - waͤnder dieſer Art ſcheinen uͤberhaupt dem Annibale nicht gegluͤckt zu ſeyn.

Pan opfert Dianen Wolle.

Pan iſt unedel, und die Stellung der Diane zu affectirt.

Entfuͤhrung des Ganymedes.

Ein reitzendes Bild. Der Kopf des Ganymedes hat etwas Correggianiſches. Die Stellung iſt ange - nehm, und der Halbſchatten, in dem der Mahler den Koͤrper gehalten hat, thut eine vortreffliche Wuͤrkung. Man19Pallaſt Farneſe. Man verkennt nicht in dem Adler den Ausdruck der Zaͤrtlichkeit.

Polyphem ſchleudert Felſen auf Acis und Galathea.

Polyphem iſt eine vortreffliche Academie; das Bein in der Verkuͤrzung kann zum Muſter einer ſo ſchweren Stellung dienen.

Perſeus verwandelt den Phineus und ſeine Gefaͤhrten in Felſen.

Die Zuſammenſetzung iſt gut gedacht und gut geordnet. Bei der Ausfuͤhrung ſcheint der Kuͤnſtler wider ſeine Gewohnheit die Natur nicht genung zu Rathe gezogen zu haben. Die Figur des Perſeus iſt zu kurz und unedel.

Juno koͤmmt mit dem Guͤrtel der Venus zum Jupiter.

Gedanke und Ausdruck ſind gleich vortrefflich. Schamhaftigkeit die der Begierde weicht, iſt der Charakter der Juno. Inzwiſchen hat der Mahle[r]mit dem entlehnten Guͤrtel ihr nicht zugleich die Reitze der Venus zu geben gewußt. Die Gewaͤnder ſind gut geworfen, aber zu trocken ausgefuͤhrt.

Galathea von Nymphen, Tritonen und Amorinen umgeben, von Agoſtino Carraccio. Man erkennt die Verſchiedenheit des Stils in den Weibern und Kindern, die ohnſtreitig die ſchoͤnſten jugendlichen Figuren in dieſer Gallerie ſind. Daß der Kuͤnſtler die ſchoͤne Nereide aus der Galathea des Raphaels in der Farneſina zum Vorbilde gehabt habe, ſieht man, wie mich duͤnkt, ziemlich deutlich. Der Triton der die Nereide umfaßt, iſt zwar von gemei - nem aber aͤußerſt wahrem Charakter.

B 2Diane20Pallaſt Farneſe.

Diane und Endymion, von Annibale Car - raccio. Der Gedanke uͤbertrifft bei weitem die Aus - fuͤhrung.

Hercules und Jole. Eins der ſchoͤnſten Ge - maͤhlde dieſer Gallerie. Der Mahler hat hier ſogar ſeine gewoͤhnlichen Fehler vermieden. Der Koͤrper der Jole iſt reitzend, und die Faͤrbung iſt gut. Die Zufaͤlle des Lichts und Schattens hat der Kuͤnſtler ſehr gut zu benutzen gewußt. Hercules hat den Charakter der Antike.

Aurora entfuͤhrt den Cephalus. Argens - ville legt dieſes Stuͤck dem Agoſtino bei. Aurora iſt wieder zu maͤnnlich; Geſicht und Stellung haben einen unedlen Ausdruck. Ihr Gewand aber iſt vor - trefflich. Cephalus und Tithon, der auf dem Vor - grunde ſchlaͤft, ſind vortrefflich gezeichnet.

Venus und Anchiſes. Anchiſes zieht der Ve - nus den Schuh aus, und darunter ſtehen die Worte: Genus unde latinum. Sulzer6 a)Allgemeine Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte, Artikel: Allegorie. rechnet die Anbringung dieſer Schrift unter die ſchicklichen Mittel den Mangel guter ſymboliſcher Zeichen zu erſetzen. Ich will es dem Gefuͤhl eines jeden uͤberlaſſen, ob man mehr dabei gewinnt, den beſtimmten Liebhaber der Venus durch dieſe Worte zu erfahren, als man dabei verliert, durch eine Verdollmetſchung die der Kunſt fremd iſt, an die Armuth ihrer Sprache fuͤr gewiſſe Dinge erinnert zu werden. Der Anchiſes iſt ſehr ſchoͤn, der Venus fehlt es aber wieder an weibli - chem Reitze.

Verſchie -21Pallaſt Farneſe.

Verſchiedene Medaillons aus einer Farbe, die Domenichino und Lanfranco nach den Zeichnungen ihres Meiſters ausgefuͤhret haben. Sie ſtellen die Entfuͤhrung der Europa, Eurydice die zur Hoͤlle zuruͤckkehrt, die Entfuͤhrung der Ori - thyia, die Marter des Marſyas, Amor der einen Faun bindet, Salmacis und Herma - phrodit, die Verwandlung der Syrinx, und die Fabel des Leanders und der Hero vor. Dieſe Medaillons ſind ohnſtreitig verſchwendet; ſie werden zum Theil halb von den groͤßern Gemaͤhlden bedeckt.

In den vier Ecken des Saals zuſammen grup - pirte Genii. Stellung und Gruppirung ſind ſchoͤn, ſie haben nur nicht ganz den gehoͤrigen Charakter der Kindheit.

Ueber den Niſchen, in denen die antiken Statuen ſtehen, ſind folgende mythologiſche Suͤjets im Kleinen ausgefuͤhrt:

Arion vom Delphin getragen, Apollo em - pfaͤngt die Leier vom Mercur, Prometheus gibt dem geformten Thone das Leben, Hercu - les befreiet den Prometheus, der Fall des Jcarus (nicht des Phaetons, wie Volkmann ſchreibt) Hercules der den Drachen der Heſperiden toͤd - tet, Calliſto im Bade, die Verwandlung der Calliſto.

Die Charitas, oder die chriſtliche Liebe, die Maͤßigkeit, die Standhaftigkeit, die Gerech - tigkeit, ſcheinen von den Schuͤlern des Annibale nach deſſen Zeichnungen verfertigt zu ſeyn.

B 3Ein22Pallaſt Farneſe.

Ein junges Maͤdgen, das ein Einhorn liebkoſet, in einer Landſchaft. Eins der fruͤhe - ſten Gemaͤhlde des Domenichino. Es zeigt ſchon den Ausdruck naiver Grazie und Sittſamkeit, der dieſem Kuͤnſtler ſo ſehr eigen iſt.

Mehrere academiſche Figuren mehrentheils als Caryatiden rund umher vertheilt, ſind viel - leicht die nackten maͤnnlichen Koͤrper, die ſeit Wieder - herſtellung der Kuͤnſte am richtigſten gezeichnet ſind. Einige derſelben ſind von blaͤſſerem Colorit. Man haͤlt ſie fuͤr Arbeiten des Agoſtino Carraccio. Die Figur, die das Medaillon des Pans und der Syrinx haͤlt, iſt von Ludovico Carraccio.

Hin und wieder ſind auch einige Maſken von vor - trefflichem Ausdruck angebracht.

Sollte ich im Allgemeinen ein Urtheil uͤber dieſe Gallerie faͤllen; ſo wuͤrde ich ſagen: es iſt eine Sammlung richtig, und im großen Stile gezeich - neter academiſcher Figuren, die nach ungefaͤhren Verhaͤltniſſen der Fabel vereinigt, in ſchoͤne Grup - pen vertheilt, die Flaͤche vortrefflich ausfuͤllen.

Statuen in dieſer Gallerie.

Statuen.
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Ganymed. Kopf und Arme modern, ſo wie der Kopf des Adlers.

Eine weibliche bekleidete Figur. Der Kopf ſcheint ein Portrait.

Eine andere weibliche bekleidete Figur reſtaurirt als Ceres.

Ein23Pallaſt Farneſe.

Ein gefluͤgelter Genius reſtaurirt als Apollo. Die Haare auf der Stirn zuſammen ge - bunden, und der Koͤcher am Stamm haben zu dieſem Irrthume Gelegenheit gegeben. Beide Arme ſind modern. Der Charakter iſt vortrefflich. Man ſieht deutlich, daß dieſe Figur ehemals einen Theil einer Gruppe ausgemacht hat.

Ein junger Faun, der ein Kind auf ſeinen Armen haͤlt. Die Statue hat durch die Ergaͤn - zung viel gelitten.

Ein Torſo eines jungen Mannes, der durch einen modernen Kopf, moderne Arme und Beine als Antinous reſtauriret iſt. Das was alt an der Sta - tue iſt, iſt ſchoͤn.

Apollo aus ſchwarzem Marmor den einen Arm auf dem Kopfe, den andern auf der Leier; uͤber Lebensgroͤße. 6 b)Winkelmann G. d. K. Wiener Edit. S. 517.

Mercur. Die Haͤlfte des Caducaͤus iſt an - tik, daher uͤber die Idee des Kuͤnſtlers kein Zweifel ſeyn kann. Allein, ob die Idee des Kuͤnſtlers durch den Charakter erreicht ſey, den er ſeinem Werke gege - ben hat? dies iſt eine andere Frage. Mercur, BoteCharakter des Mer - curs. der Goͤtter, Vorſteher der Palaͤſtra, Sinnbild der Kriegsliſt, muß einen geſchmeidigen, behenden und gewandten Koͤrper haben, und von allen dieſen zeigt unſere Figur gerade das Gegentheil. Die große Aehnlichkeit derſelben mit dem ſogenannten Antinous im Belvedere hat viele bewogen, dieſe letzte nach der Farneſiſchen zu erklaͤren. Allein, kann es nicht moͤg - lich ſeyn, daß der Kuͤnſtler, der einen Mercur zu bil -B 4den24Pallaſt Farneſe. den hatte, hingeriſſen von der Schoͤnheit jener Statue im Belvedere, ſie zum Vorbilde ſeiner Vorſtellung genommen habe? Dieſes ſcheint mir mit vielen andern ſicherer als bei der auffallenden Schwerfaͤlligkeit der Statue im Belvedere, ihr einen Nahmen beizulegen, der dem allgemein beobachteten Charakter des Mer - curs ſo ſchnurſtracks widerſpricht. Es iſt zu bemer - ken, daß unſere Figur, wider die gewoͤhnliche Vor - ſtellungsart bei Goͤttern, Haare uͤber der Schaam traͤgt.

Bacchus. Kopf und Koͤrper ſcheinen allein alt.

Ein Faun, der einen jungen Bacchus traͤgt; eine ſehr ſwelte Figur.

Drei Koͤpfe des Domitians. So wenig Zuverlaͤßigkeit die Benennungen der Buͤſten uͤber - haupt haben, ſo wenig haben es beſonders diejenigen, die mit dem Nahmen dieſes Kaiſers belegt ſind. Man weiß, daß beinahe alle Bildniſſe deſſelben nach ſeinem Tode zerſchlagen wurden.

  • Zwei Caͤſars, Buͤſten.
  • Marc Aurel, Buͤſte.
  • Hadrian, Buͤſte.
Caracalla.
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Caracalla aus Marmor. Einer der ſchoͤn - ſten Koͤpfe des Alterthums. Der Ausdruck trotziger Grauſamkeit iſt vortrefflich.

Farneſiſche Vaſe.
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Eine Vaſe mit Figuren von der Art der - jenigen, die man Etruſciſch nennt. 6 c)Ueber den ſogenannten Etruſciſchen Stil ſehe man die Beſchreibung des Vaticaniſchen Pallaſts nach.Sie ſcheinen ein Opfer des Bacchus vorzuſtellen. Form und Aus - arbeitung ſind gleich vortrefflich.

Zwei -25Pallaſt Farneſe.

Zweites Zimmer. Statuen.

Zwei Hunde.

Ein ſchlafender Amor.

Ein ſehr freies Bacchanal an einem Sar - cophag. Die Ausfuͤhrung ziemlich mittelmaͤßig. Marc Antonio hat es nach einer Zeichnung Raphaels geſtochen, und in dieſer ſind viele Fehler verbeſſert.

Ein ſchoͤner Kopf eines Alten mit Wein - reben bekraͤnzt. Man nennt ihn gewoͤhnlich: Mi - thridates.

Ein Mercur aus Bronze uͤber den Mercur in der Großherzoglichen Gallerie zu Florenz abge - goſſen. 7 a)Winkelmann G. d. K. S. 323.

Figur eines bekleideten Juͤnglings aus Bronze von großer Schoͤnheit.

Zwei Koͤpfe des Pabſtes Paul III. aus Marmor. Der eine iſt von Michael Angelo, der andere, deſſen Gewand mit Stickerei gezieret iſt, von della Porta.

Ein anderes Basrelief mit einem Bac - chanale.

Eine verwundete Amazone, die vom Pferde faͤllt, des Coſtums wegen merkwuͤrdig. Sie traͤgt einen breiten Guͤrtel unter der Bruſt.

Ein Kleiner Meleager von rothem Marmor.

B 5Ein26Pallaſt Farneſe.

Ein Saal mit Gemaͤhlden von Vaſari, Salviati und Zuccari.

Dieſer Saal kann auf eine bequeme Art dazu dienen, den Liebhaber auf die Verdienſte aufmerkſam zu machen, welche die Carracci um die Wiederher - ſtellung des guten Geſchmacks gehabt haben. DieStil der Nachahmer Raphaels, des Michael Angelo, und Tizians. ſpaͤteren Schuͤler der großen Meiſter, Raphael, Mi - chael Angelo, Tizian, begnuͤgten ſich ihre Werke zu beſtehlen, ohne die Natur zu Rathe zu ziehen, ohne uͤber ihre Kunſt zu denken. Sie bedeckten handwerks - maͤßig die Waͤnde mit einer Menge entlehnter Figu - ren, und um neu zu ſcheinen, gaben ſie ihnen gezwun - gene Stellungen, verzerrte Gebaͤhrden, und Geſich - ter ohne Ausdruck. Wollten ſie Reitz anbringen, ſo ward er zur Affektation. Die weſentlichen Zuͤge der Wahrheit wurden der Genauigkeit in Nebendingen aufgeopfert. Kurz! Alles in dieſen Meiſtern zeigt die Nachahmer an, die durch Uebertreibung Originale zu werden hoffen.

Großer Saal mit Statuen.

Gruppe des Alexander Farneſe gekroͤnt von den Haͤnden des Sieges, zu ſeinen Fuͤßen die gefeſſelte Schelde und das kniende Flan - dern. Guasparo Celio hat ſie gezeichnet; die Aus - fuͤhrung iſt von Simone Maſſino. Das ganze Werk iſt mittelmaͤßig, aber merkwuͤrdig, weil dieſe unge - heure Maſſe aus einem einzigen Marmorblocke ge - hauen iſt, der von dem Sturze einer Saͤule aus dem Friedenstempel genommen ſeyn ſoll.

Hier27Pallaſt Farneſe.

Hier ſtehen auch die beiden Figuren der Chari - tas und des Ueberfluſſes von della Porta, welche fuͤr das Grabmal Pauls III. in der Peterskirche be - ſtimmt waren, von Michael Angelo aber verworfen wurden. Ich glaube mit Recht.

Unter den uͤbrigen Statuen bemerkt man einen ſitzenden Apollo und vier Figuren, welche fuͤr Ringer7 b)Ueber den Charakter der Ringer ſehe man die Be - ſchreibung des Capitols nach, imgleichen Villa Borgheſe. gehalten werden. Zwei derſelben haben die Haare reihenweiſe in laͤnglichte und geringelte Lo - cken gelegt. Winkelmann8)Geſchichte der Kunſt. Wiener Edit. S. 659. rechnet ſie unter die ſchoͤnſten Statuen von Rom; daran aber, duͤnkt mich, thut er der Sache zu viel.

Unter den Buͤſten in dieſem Saale iſt wenig Merkwuͤrdiges.

In einem Cabinette.

Mahlereien von Agoſtino und Annibale Carraccio. Sie dienten dem Cardinal Farneſe, der ſeinen Pallaſt mit Mahlereien zieren laſſen wollte, zur Probe der Geſchicklichkeit dieſer Kuͤnſtler.

Am Plafond Hercules zwiſchen Tugend und Laſter in Oel, eine Copie des Originalgemaͤhldes, das nach Neapel gegangen iſt.

Die uͤbrigen Gemaͤhlde ſind al Freſco.

Hercules haͤlt die Himmelskugel, waͤhrend, daß die Aſtronomie und die Mathematik, un -ter28Pallaſt Farneſe. ter der Geſtalt zweier alten Philoſophen, be - ſchaͤfftiget ſind ſie auszumeſſen.

Perſeus haut der Meduſa den Kopf ab, unter dem Beiſtande der Minerva und des Mercurs.

Anapias und Amphinomus retten ihre Ael - tern aus den Flammen.

Ulyſſes entgeht den Nachſtellungen der Sirenen. Eine Compoſition, die von einem ge - ſchnittenen Steine genommen iſt.

Ulyſſes, dem Circe den Zauberbecher dar - reichet.

Hercules, den ein edler Muth ergreift, da er Waffen und Ungeheuer um ſich ſieht.

Alle dieſe Gemaͤhlde haben die Vorzuͤge, die die - ſen Meiſtern eigen ſind. Schoͤne mahleriſche Anord - nung, Wahrheit und Beſtimmtheit der Zeichnung, Groͤße in den Formen.

Rund umher ſind grau in grau gemahlte Verzierungen nach Art der Stuccaturarbeit. Man kann den Betrug nicht hoͤher treiben.

In dem Porticus des Hofes nach dem Garten zu.

Eine bekleidete weibliche Figur coloſſa - liſch. Sie iſt derjenigen aͤhnlich, die im Muſeo Clementino ſtehet, und von großem und vortrefflichem Charakter. Sie traͤgt einen breiten Guͤrtel. Die hohen Sohlen ſcheinen eine tragiſche Muſe anzudeuten. 9 a)Es ſoll eine Urania ſeyn. Siehe Fea’s Italieni -ſche

In29Pallaſt Farneſe.

In einem Verſchlage von Brettern auf dem Hofe.

Der ſogenannte Farneſiſche Stier.

Unter dieſem Nahmen iſt eine Gruppe aus Mar -Der Farne - ſiſche Stier. mor, von ungeheurem Umfange bekannt. Sie ſtellt folgende Fabel vor: Zethus und Amphion, Soͤhne der Antiope und des Jupiter, der ſie unter der Ge - ſtalt eines Satyrs hintergangen hatte, waren am Fuße des Cithaͤron in Boͤotien ausgeſetzt, und unter den Hirten erzogen worden. Lycus Koͤnig von The - ben hatte die Antiope, auf Anreitzen ſeiner Gemahlin der Dirce, ſehr uͤbel behandelt; ſie entfloh; der Zu - fall fuͤhrte ſie zu ihren Soͤhnen auf dem Cithaͤron, die ſie fuͤr ihre Mutter erkannten, und ihre erlittenen Kraͤnkungen an der Dirce auf eine grauſame Weiſe taͤchten; Sie banden ſie an einen wilden Ochſen, und ließen ſie ſchleifen.

Das Werk, das wir hier vor uns haben, ſtellt beide Bruͤder vor, im Begriff die grauſame Strafe an der Dirce zu vollziehen. Außer dieſen Perſonen finden ſich noch dabei eine weibliche Figur, ein Juͤng - ling, und eine Menge Nebenfiguren auf einem Fel - ſenberge.

Dieſes Ganze macht weder eine ſchoͤne Gruppe, noch eine verſtaͤndliche Zuſammenſetzung aus. Es finden ſich einzelne Theile daran, die ſchoͤn ſind, aber als Werk betrachtet, das heißt, als ein vernuͤnftig gedachtes Ganze, kann es fuͤr den Liebhaber keinen Werth haben. Es fehlt durchaus an Ausdruck undZuſam -9 a)ſche Ueberſetzung der Winkelmanniſchen Geſch. d. Kunſt, T. I. p. 322. n. A. 30Pallaſt Farneſe. Zuſammenhang. Man kann es als eine Sammlung von ſchoͤnen Bruchſtuͤcken anſehen.

Winkelmann9 b)Geſch. d. K. W. Edit. S. 717. giebt die Stuͤcke an, die an dieſer Gruppe der gemeinen Meinung zuwider neu ſeyn ſollen, und nennt den Battiſta Bianchi einen Mai - laͤnder als den Ergaͤnzer. Es ſcheint, daß Winkel - mann bei dieſer Angabe zu keck verfahren ſey, und der Herr Hofrath Heyne10)Sammlung antiquariſcher Aufſaͤtze 2r Theil S. 182 und folgende. hat bereits den Irrthum in Anſehung des Nahmens des Ergaͤnzers geruͤgt.

Da die Gruppe als Kunſtwerk ganz außer mei - nem Plane liegt, ſo habe ich mich nicht dabei aufhal - ten wollen, die Wahrheit der Winkelmanniſchen Nachricht im Detail zu pruͤfen. 11)Wer mehr von dieſer Gruppe wiſſen, und zu glei - cher Zeit das Beiſpiel einer ſcharfſinnigen Erlaͤute - rung eines alten Kunſtwerks leſen will, der ſehe den Aufſatz des Herrn Hofraths Heyne uͤber den Farne - ſiſchen Stier in ſeiner Sammlung antiquariſcher Aufſaͤtze nach, im 2ten Theile S. 182. Dies iſt das Reſultat ſeiner Unterſuchung: Die Fabel iſt nach einem Trauerſpiel des Euripi - des gearbeitet. Nach dieſem ward die Strafe waͤh - rend der Orgien des Bacchus auf dem Berge Cithaͤ - ron vollzogen, und Dirce erſchien dabey als Bac - chante. Dies erklaͤrt verſchiedene Nebenwerke. Allein das jetzige Werk hat nicht mehr die Ausſicht des alten, deſſen Plinius erwehnt, von Apollonius und Tauriſcus verfertiget, und von Rhodus nach Rom in die Gebaͤude des Aſinius Pollio verſetzt. Es

Wichti -31Pallaſt Farneſe.

Wichtiger wird es mir hier ein Paar Anmerkun - gen einzuſchieben, wozu mir die Fehler dieſes Werks Anlaß geben: Die Ueberladung deſſelben mit Figuren, die zum Theil nur in entferntem Verhaͤltniſſe mit der Haupthandlung ſtehen, und der Fleiß, der auf die Nebenfiguren gewandt iſt.

Sehr gehaͤufte Figuren ſind jedem Werke derSehr ge - haͤufte Fi - guren ſind einem jeden Werke der Kunſt ſchaͤd - lich. Kunſt ſchaͤdlich. Sie machen ſelten die Abſicht des dargeſtellten Werks deutlicher; gemeiniglich dienen ſie nur dazu, den Begriff, den ſich der Zuſchauer von der Handlung machen ſoll, zu verwirren.

Zum Vergnuͤgen wird Beſchaͤfftigung der Seele erfordert, nicht qualvolle Anſtrengung. Je deutli - cher die Beziehung einer jeden Figur wird, die der Kuͤnſtler in die Compoſition ſeines Werks gebracht hat, um deſto groͤßer iſt die Wuͤrkung.

Sollen wir erſt muͤhſam nachſinnen, warum wir dieſe oder jene Figur hier ſehen, ſo faͤllt die Ruͤhrung weg, die gemeiniglich von dem erſten Blick abhaͤngt.

Es iſt daher jedem Kuͤnſtler anzurathen, daß er nur ſo viel Figuren in ſeinen Werken anbringe, als zum Verſtaͤndniß der Handlung nothwendig ſind. Bedarf11)Es iſt nicht nur in Ergaͤnzung der Figuren ſelbſt, ſondern auch in Beifuͤgung anderer Figuren und durch Ueberhaͤufung von Nebenfiguren geaͤndert. Dieſe Aenderung iſt wahrſcheinlicher Weiſe zu mehr als einer Zeit, erſt bei Aufſtellung in den Baͤdern des Caracalla, worinn es gefunden wurde, dann nach der Wiederentdeckung, einmal, da man es fuͤr einen Hercules mit dem Marathoniſchen Stier hielt, und nachher, da man es zur Fabel der Dirce umarbeitete, vorgegangen.32Pallaſt Farneſe. Bedarf er einiger Nebenfiguren, theils zum Grup - piren, theils dem Auge einen angenehmen RuhepunktGar zu be - ſorgte Ne - benwerke ſchaden dem Eindruck des Ganzen und vorzuͤglich der Haupt - figuren. darzubieten, ſo waͤhle er ſie mit moͤglichſter Sparſam - keit, und behandle ſie nicht mit einem Fleiße, der die Aufmerkſamkeit von den Hauptfiguren abzieht. Ich werde noch oft Gelegenheit finden, zu bemerken, mit welcher Weisheit die großen Kuͤnſtler des Alterthums, die Nebenfiguren mit anſcheinender Nachlaͤßigkeit den Hauptfiguren in ihren Werken aufgeopfert haben.

Ein anderer Grund, warum der Kuͤnſtler ſich der Ueberladung ſeiner Werke mit uͤberfluͤßigen Nebenfi - guren ſo viel moͤglich enthalten muß, iſt dieſer: Die gleichzeitige Beaͤugung aller Theile eines Kunſtwerks gibt dem Auge allein jenen deutlichen Begriff des ſichtbar Geordneten und Uebereinſtimmenden, der, noch weiß man nicht, aus welcher Urſach, der Seele ſo angenehm iſt. Selten bringt eine ſehr weitlaͤuftige Compoſition, an deren Theilen die Axe des Auges ſich langſam hinbewegen muß, dieſen Eindruck hervor.

Der Bild - hauerkunſt iſt die Ueber - ladung eines Werks mit uͤberfluͤßigen Figuren viel nachtheiliger als der Mah - lerei.
20

Der Mahler hat hier freiere Haͤnde als der Bild - hauer. Koͤrper, die an ſich flach ſind aber rund er - ſcheinen, koͤnnen in einem kleinen Raume hinter ein - ander nach den Regeln der Gruppirung oft nur mit halben Koͤrper hervorſtehend zuſammengebracht wer - den. Die Bildhauerarbeit liefert runde Koͤrper. Wollte man dieſe, wie in einem Gemaͤhlde hinter ein - ander ſtellen, ſo wuͤrde der Zuſchauer entweder die Muͤhe bedauern, die an die Ausarbeitung nicht zum Vorſchein kommender Theile verſchwendet iſt, oder er wuͤrde wohl gar dasjenige, was er nicht ſehen kann, und doch zu ſehen wuͤnſcht, fuͤr eine Entbehrung hal - ten, die den Genuß vermindert.

Ferner:33Pallaſt Farneſe.

Ferner: um ein ſolches weitlaͤuftiges Ganze alsUeberhaupt ſind weit - laͤuftige Compoſitio - nen dem Bildhauer nicht anzu - rathen: Ue - ber die mah - leriſche Gruppirung geht die Schoͤnheit einzelner Fi - guren ver - lohren: Vielleicht iſt er nicht ein - mahl im Stande die Wuͤrkung ei - ner mahleri - ſchen Gruppe vollſtaͤndig zu erreichen. eine mahleriſche Gruppe zu uͤberſehen, muß man ſich nothwendig ſo weit davon entfernen, daß die Schoͤn - heit des Details dem Auge entgeht. Soll man hinzu - gehen, die Schoͤnheit der einzelnen Formen zu bewun - dern, oder fern bleiben, und ſich den Eindruck der Form der Gruppe im Ganzen genuͤgen laſſen? Dieſer Streit hat nichts Angenehmes.

Die Wahl des Standorts, aus dem man ein Gemaͤhlde betrachtet, haͤngt von ganz andern Regeln ab, als die Wahl desjenigen, den man bei Betrach - tung eines Bildhauerwerks annehmen muß. Es iſt eine allgemeine Verabredung daruͤber, daß man die Handlung, die auf einem Gemaͤhlde vorgeſtellet wird, ſich denkt, als werde ſie aus einem Fenſter oder durch eine andere Oeffnung geſehen. Der Rahmen ſchneidet den Ort, wo die Handlung vor ſich geht, von dem Standorte ab, und wir denken nicht ſo genau an die Maaße der Entfernung. Bei einer Gruppe von Bildſaͤulen iſt eine ſolche willkuͤhrliche Verabredung nicht wohl moͤglich. Mit ihr ſehen wir zugleich Gar - ten, Zimmer u. ſ. w. und wir machen uns keine Illuſion daruͤber, daß dasjenige, was nur wenige Schritte von uns entfernt iſt, es um einige hundert ſeyn koͤnne.

Nicht das allein: Was macht die Schoͤnheit einer Gruppe? Der Zuſammenhang, das Ineinan - dergreifen der verſchiedenen Figuren, deren Umriſſe das Auge verfolgt, und unmerklich von einer auf die andere endlich zum Ganzen geleitet wird. Der Zipfel des Gewandes einer Figur fuͤhret zunaͤchſt auf die Hand einer andern u. ſ. w. In der Mahlerei ſindErſter Theil. Cſie34Pallaſt Farneſe. ſie an einander geheftet, die Abſaͤtze ſind bedeckt, man denkt ſie, man ſieht ſie nicht. Hingegen in der ganz runden Bildnerei haͤngt Alles von der Wahl des Standortes des Zuſchauers ab, ob die verſchiedenen Figuren in einander greifen: er darf ſich nur ein we - nig anders ſtellen, ſo iſt ein Abſatz da, ſo haͤngt die Gruppe nicht mehr zuſammen.

Die Bildhauerkunſt liefert den vollſtaͤndigſten Be - griff ſchoͤner Formen, in ſo weit dieſe aus Umriſſen, das heißt, aus Erhoͤhungen und Vertiefungen beſtehen. Wenn wir uns ſo weit entfernen, daß dieſe verlohren gehen, ſo opfern wir den erſten Anſpruch auf, den wir an dieſe Kunſt machen duͤrfen.

In der That, die Aufſtellung mehrerer Statuen in mahleriſche Gruppen ſcheint die gewuͤnſchte Wuͤr - kung nicht hervorzubringen.

Das Bad des Apollo vom Girardon zu Ver - ſailles beſtaͤtiget dieſen Grundſatz. Es thut, ſo wie es da ſteht, als ein fuͤr ſich beſtehendes Kunſtwerk keine Wuͤrkung, und ich zweifle, daß man Recht habe, ſich daruͤber zu beklagen, daß die Gruppe der Niobe zu Florenz nicht nach mahleriſchen Regeln neben - einander aufgeſtellt ſey.

Zuweilen werden weitlaͤuftige Compoſitionen von Bildhauerarbeit an Gebaͤuden angebracht, und thun Wuͤrkung. Allein nicht wie ſchoͤne Darſtellungen intereſſanter Handlungen, oder als Ideale ſchoͤner menſchlicher Formen, ſondern als architektoniſche Zierrathen.

Die Bildhauerkunſt verlangt unter den bildenden Kuͤnſten die langſamſte mechaniſche Behandlung. Sollte wohl waͤhrend einer Ausarbeitung, die mehrereJahre35Pallaſt Farneſe. Jahre erfordert, jene Idee von Schoͤnheit ſich in ihrer goͤttlichen Lebhaftigkeit erhalten koͤnnen, die gleich ei - nem Strahle des Lichts den Kuͤnſtler nur in Stunden der Begeiſterung erleuchtet?

Weitlaͤuftige Compoſitionen liegen, wie ich glau - be, ganz außer den Graͤnzen der runden Bildnerei in Stein.

Ein ſchoͤnes Basrelief. Bacchus lehnt ſich auf einen Faun, ein anderer traͤgt eine Vaſe, eine Nymphe ſpielt auf Floͤten, und eine andere ſchlaͤgt Becken zuſammen. Es hat gelitten, aber es bleibt dem ohngeachtet ſowohl in Anſehung der ſchoͤnen Um - riſſe, als der beſorgten Ausarbeitung eines der ſchoͤn - ſten Basreliefs, die ſich aus dem Alterthum auf uns erhalten haben.

Ein anderes gleichfalls beſchaͤdigt, aber gleichfalls ſchoͤn, ſtellt einen jungen Menſchen vor, der eine Leier haͤlt, und ſich auf eine junge weibliche Figur ſtuͤtzt, waͤhrend daß zwei andere auf einem Bette ſitzen.

Auf einem dritten, Amorinen, die ein Wett - rennen mit Wagen halten; einer ſtuͤrzt. In Anſe - hung der Ausfuͤhrung weniger bedeutend.

Auf einem vierten ſieht man eine Geſellſchaft mit Schauſpielern; man nennt es: Trimalcion, der zu ſeinen Gaͤſten kommt. Ein Schwelger, der mei - nen Leſern aus dem Petronius bekannt ſeyn wird. Die Benennung iſt aber ohne allen Grund. Es ſtellt ein Gaſtmahl vor, das vielleicht mit den Bacchiſchen Orgien in Verbindung geſtanden hat.

C 2In36Pallaſt Farneſe.

In dieſem Verſchlage ſtehen noch mehrere Bruch - ſtuͤcke von Statuen, die ſehr ſchoͤn ſind, einige große Fuͤße und viele kleine Koͤpfe.

In dem Gartengebaͤude hinter dem Pallaſte.

Am Plafond des Porticus: Venus findet den Adonis todt, vom Domenichino.

In einem Nebenzimmer: Apollo und Hya - cinth, von eben dem Meiſter.

In einem Zimmer gegenuͤber ſoll noch ein Pla - fond vom Domenichino ſeyn; ich habe es nicht geſehen. Was ich geſehen habe, war ſehr beſchaͤdigt, und ſchien nicht aus des Mahlers beſter Zeit zu ſeyn.

In dem Garten.

Mercur, der die Herſe umarmt, eine an - tike Gruppe. Mercur iſt unproportionirlich groß ge - gen die Herſe. Der Kopf und das eine Bein ſind neu, Rumpf und Haͤnde ſchoͤn, letztere vorzuͤglich be - ruͤhmt. An der Herſe iſt der Kopf mit der Haͤlfte der Bruſt neu, das uͤbrige alt und ſchoͤn. Die Haͤnde ver - dienen alle das Gute, was Winkelmann davon ſagt. 12)Winkelmann G. d. K. S. 282.

Pan lehrt einen Faun auf der Floͤte ſpielen.

Eine Bacchantinn. Kopf und Arme von weißem Marmor ſcheinen neu; das Gewand von ſchwarzem und umguͤrtet, zeigt das Nackte vortreff - lich an.

Eine37Pallaſt Farneſe.

Eine Nymphe. Das Gewand gleichfalls von ſchwarzem Marmor, uͤber den Huͤften geguͤrtet. Kopf und beide Arme ſcheinen neu, das uͤbrige iſt von außer - ordentlicher Leichtigkeit und ſchoͤner Execution13)Winkelmann bemerkt S. 396. Wiener Edition, einen ſchoͤnen Hermaphrodit, der aber hier nicht ſtehet, ſondern wahrſcheinlich nach Neapel gegan - gen iſt. In dem Garten ſoll nach ihm S. 431 eine Venus mit einem Kopfe der Marciana, des Trajans Schweſter Tochter (oder wie Fea in ſeiner Ueber - ſetzung T. I. p. 435. n. c ſagt: der Matidia des Trajans Schweſter) mit einem Schmuck wie eine Feder auf dem Kopfe vorgeſtellet ſeyn. Ich habe ſie bei dem Sculpteur Carlo Albicini reſtauriren ſehen. Sie iſt nach Neapel gegangen. Zwei Sta - tuen der Venus in Lebensgroͤße, deren er Seite 502. erwaͤhnt, ſind gleichfalls nach Neapel gegan - gen. Der Umſtand, den er angiebt, die eine habe ihren eigenen Kopf, iſt falſch, wie ich beim Albi - cini geſehen habe, der ſie reſtaurirte. Eben dies bemerkt auch Fea in ſeiner Ueberſetzung T. II. p. 135. n. B. So wie er ſagt: iſt auch der Kopf an der anderen aufgeſetzt..

C 3Der38

Der Vaticaniſche Pallaſt.

Grund war - um dieſer Pallaſt in Ruͤckſicht auf den Zweck dieſes Buchs in der Ordnung der zweite iſt.
22

Der Liebhaber, der zu mehreren Mahlen den Far - neſiſchen Pallaſt beſucht hat, wird ſein Auge an Groͤße des Stils und an Richtigkeit der Zeichnung gewoͤhnt haben. Jetzt iſt es Zeit, ihn in den Vati - caniſchen Pallaſt zu begleiten, um das Gefuͤhl fuͤr Schoͤnheit in ihm zu entwickeln.

Nicht ohne heilige Ehrfurcht nahe ich mich ſelbſt in der Erinnerung dem Orte, wo meine Seele die heiterſten und unvermiſchteſten Freuden genoſſen hat!

Muſeum Clementi-num.
22

Sammlung der antiken Statuen, die Clemens der XIV. angelegt und Pius der VI. vermehrt hat, gemeiniglich das Muſeum Clementinum genannt.

Eine Anmer - kung uͤber den Ort, der zur Aufſtel - lung der Statuen der vortheilhaf - teſte ſeyn duͤrfte.
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Man hat viel Pracht an das Behaͤltniß ver - ſchwendet, um den Liebhaber um den vollſtaͤndigen Genuß des Aufbehaltenen zu bringen.

Man hat die Statuen rund umher an die Waͤnde von Saͤlen aufgeſtellt, in denen ſie zum Theil gegen das Licht geſehen werden; in Rotunden, deren Fenſter ſie von allen Seiten beleuchten.

Wenn man jetzt von der wahren Wuͤrkung der Statuen urtheilen will, ſo muß man ſie bei Fackeln ſehen, und in Geſellſchaft eines aufgeklaͤrten Fuͤhrers, der die Beleuchtung dirigirt.

Warum39Der Vaticaniſche Pallaſt.

Warum iſt man nicht dem Beiſpiel der Alten in Aufſtellung ihrer Statuen gefolgt? Sie hatten lange Gallerien; an der einen Wand waren Niſchen, darin ſtanden die Statuen; an der andern gegen uͤber waren Fenſter in der Hoͤhe, dadurch fiel ein ſehr vortheilhaf - tes Licht herab.

Man haͤtte dieſen Vortheil mit ſo wenig Muͤhe haben koͤnnen! Ein langer Gang fuͤhrt zu dem gegen - waͤrtigen Behaͤltniß der Statuen, nur an der einen Seite ſind Fenſter. Haͤtte man doch hieher die be - traͤchtlichſten Kunſtwerke zum Anſchauen geſtellt! Die gelehrten Innſchriften, die in die Waͤnde incruſtirt ſind, haͤtte man ja anderswo eben ſo gut leſen koͤnnen.

Erſtes Zimmer.

Zwei Leuchter aus dem Hauſe Barberini. Sie ſtehen auf einem dreieckigten Fußgeſtelle, mit Figuren in Basrelief. Minerva Salutifera, oder Hygea, eine Iſis nach der Lotusblume zu urtheilen, die ſie in der Hand haͤlt, und Mars. Dieſe ſtehen auf dem einen: Auf dem andern Jupiter, Juno und Mercur.

Beide Leuchter ſind in doppelter Ruͤckſicht unſerer Aufmerkſamkeit werth.

Sie ſind von ſchoͤnſter Form: Sowohl im Gan - zen, als in den einzelnen Zierrathen, die mit aͤußerſter Liebe beſorgt, leicht und fließend gezeichnet, und weich behandelt ſind.

Der Stil der Zeichnung in den Figuren contra -Beſtimmung des ſoge - nannten ſtirt mit dieſer Leichtigkeit, mit dieſem Fließenden derC 4Zeichnung40Der Vaticaniſche Pallaſt. Etruſciſchen Stils, ſo - wohl des ur - ſpruͤngli - chen, als des nachgeahm - ten.Zeichnung in den Zierrathen. Er iſt hart und eckigt, dieſer Stil, wie wir ihn den Zeiten zutrauen koͤnnen, in denen man noch nicht bis zu dem Begriff der Schoͤnheit vorgeruͤckt war, ſondern ſich genau an beſtimmte Wahrheit hielt.

Dieſe Vermiſchung fuͤhrt auf die Vermuthung, daß der Kuͤnſtler ſich in einen Stil hineindachte, der dem ausgebildeten Zeitalter, in dem er lebte, nicht eigen war, den er aber beibehalten mußte, wenn er Tempelwerke arbeitete, wo Religion die Hauptabſicht war, wo, ſo zu ſagen, der Geſchmack der Religion nicht geaͤndert werden konnte.

Der groͤßte Theil religioͤſer Vorſtellungen der Al - ten ſtammt aus Zeiten her, in denen ſie von der Schoͤnheit noch keinen Begriff hatten. Bei zuneh - mender Cultur haben ſie dieſelben groͤßtentheils nach jenem Begriffe umgeſchaffen; zuweilen aber haben ſie, vielleicht um den Eindruck feierlicher zu machen, die aͤltere Form in ſo fern beibehalten, als ſie dem Begriffe von Schoͤnheit nicht gerade zu widerſprach.

Man bezeichnet die Figuren des mythiſchen Cir - kels der Alten, deren Vorſtellungsart in den Attribu - ten, in der Darſtellung gewiſſer Handlungen von den bekanntern Begriffen der Fabel abweichen, deren Stil (vielleicht beſſer, deren Manier) Beſtimmtheit, Ebenmaaß, Richtigkeit, aber auch Haͤrte, Trocken - heit, ſcharfe eckigte Umriſſe zeigt; Gewaͤnder, die an das Nackte kleben; mit dem Nahmen Etruſciſcher Werke, oder: Werke im Etruſciſchen Stile.

Dieſe Benennung dient blos zur Unterſcheidung der Werke dieſer Art von ſolchen, an denen wir verfeinerte Begriffe von Schoͤnheit und ſymboliſcherBedeu -41Der Vaticaniſche Pallaſt. Bedeutung bemerken, und daher den Griechen und ihren Nachfolgern den Roͤmern, als Voͤlkern bei denen die Cultur aufs Hoͤchſte geſtiegen iſt, eher zutrauen duͤrfen.

Abkoͤmmlinge aͤlterer Griechen haben ſich fruͤh mit den aͤltern Bewohnern Etruriens vermiſcht, und ihnen ihre religioͤſe Vorſtellungsarten mitgetheilt. EinDer Liebha - ber vermengt den Begriff des Etruſci - ſchen und Alt - griechiſchen Stils aus guten Gruͤn - den. ausgebreiteter Handel, die Nachbarſchaft von Groß - griechenland, haben nachher die Verwandtſchaft unter den Ideen beider Voͤlker unterhalten, und wahrſchein - lich haben ſie ſich bei ihrer gemeinſchaftlichen Ausbil - dung die Hand geboten. Allein zu einer Zeit als die Griechen noch nicht bis zur hoͤchſten Idee von Schoͤn - heit fortgeruͤckt waren, verlohr die foͤderative Repu - blik der Etruſcer Freiheit, oder wenigſtens Ruhe und Wohlſtand. Mit ihnen ging die Unbefangenheit und Hoheit des Geiſtes verlohren, durch die ſich dieſer al - lein zur Vollkommenheit in den Kuͤnſten hebt.

Die aufgeklaͤrteſten Kenner des Alterthums geſte - hen, daß ſowohl in Anſehung der Erfindung als der Ausfuͤhrung der Unterſchied zwiſchen den Werken Etruſciſcher Kuͤnſtler und Altgriechiſcher ſich nur ſehr unzuverlaͤßig angeben laͤßt, wenn nicht Etruſciſche Schrift oder der Ort der Findung die Beſtimmung erleichtert. Wir Liebhaber begnuͤgen uns unter dem allgemeinen Nahmen: Etruſciſcher Werke, ſowohl die Werke dieſes Volks als die Werke der aͤlteren Griechen zu begreifen.

Die Figuren an unſern Leuchtern ſind im Stile Etruſciſcher Werke gearbeitet, aber wie man ſelbſt ausC 5der42Der Vaticaniſche Pallaſt. der Behandlung ſieht, in Zeiten, wo dieſer Stil nicht der herrſchende war.

Ein dritter Leuchter vom Cardinal Zelada hieher geſchenkt. Auf dem dreieckigten Fußgeſtelle Fi - guren: Jupiter, Hercules der den Apollo verfolgt, Apollo der mit dem geſtohlnen Dreifuß flieht. Der letzte iſt beſonders ſchoͤn. Vorſtellungsart und Stil der Ausfuͤhrung an den Figuren ſind Etruſciſch. Der Leuchter ſelbſt ſteht weder an Schoͤnheit der Idee, noch beſorgter Ausfuͤhrung, dem vorigen nach.

Ein vierter Leuchter vom Piraneſe gekauft. Die Form iſt ſimpler als an dem vorigen. Die Fi - guren rund umher ſtellen Bacchantinnen vor. Der Stil, Etruſciſch.

Charakter der Flußgoͤt - ter.
22

Ein Flußgott. Der Charakter der Flußgoͤtter iſt im Ganzen rauhes Alter, aber ohne Graͤmelei, ohne abgemergelten Koͤrper. An unſerer Statue ſind Kopf und Arme von Michael Angelo ergaͤnzt.

Es iſt ſonderbar! Michael Angelo hatte die groͤßte Ehrfurcht fuͤr die Antiken; er hat ſie oft copirt, er hat ſie ergaͤnzt; Man ſollte denken, er muͤßte ſich ſelbſt wider ſeinen Willen in ihren Stil hinein gedacht haben. Aber nein! Sein Geſchmack an dem Auf - fallenden und Wilden, die Sucht, ſeine Kenntniß des Muſkeln - und Knochenbaues zu zeigen, haben ihn ſogar verfuͤhrt, wider die Geſetze der nothwendigen Uebereinſtimmung der Theile unter einander zu han - deln. Der antike Rumpf dieſes Flußgottes zeigt, der Beſtimmtheit unbeſchadet, ein ſanftes fließendes Muſkelnſpiel. Aber der Kopf, den der neuere Kuͤnſt -ler43Der Vaticaniſche Pallaſt. ler aufſetzte, gehoͤrt einem aufgetrockneten Alten, oder vielmehr einem ſkelettirten Studio der Anatomie. 1)So viel ich weiß, iſt noch nirgends ein vollſtaͤndi -Gruͤnde war - um ſich der Autor be - rechtigt haͤlt ein vollſtaͤn - diges Ver - zeichniß der Kunſtwerke, die in dieſer Sammlung befindlich ſind, in den Noten am Ende der Be - ſchreibung eines jeden Zimmers zu liefern: ob es gleich ſonſt nicht ſeine Abſicht iſt, Nomen - claturen zu geben. ges Verzeichniß der Kunſtwerke gedruckt worden, die ſich in dieſer Sammlung befinden. So wenig es ſonſt meine Abſicht iſt, eine bloße Nomenclatur zu liefern, und ſo ſehr ich es mir zum Geſetz ge - macht habe, dem Liebhaber nur dasjenige anzuzei - gen, was ich ſeiner Aufmerkſamkeit werth halke; ſo glaube ich doch hier eine Ausnahme machen, und in den Noten am Ende eines jeden Zimmers dasje - nige hinzuſetzen zu duͤrfen, was zur Vollſtaͤndigkeit eines bloßen Verzeichniſſes in dem Texte mangelt. Vielleicht iſt irgend einem, der aus anderer Ruͤck - ſicht, als des Schoͤnen ſieht, damit gedient; Viel - leicht habe ich in manchem hieher gereiheten Kunſt - werke das Schoͤne uͤberſehen; Oft habe ich nur, um die Aufmerkſamkeit des Leſers nicht zu ermuͤden, im Texte nicht weitlaͤuftiger ſeyn duͤrfen; und end - lich wird die große Menge der hier in kurzer Zeit verſammleten Bildhauerarbeit dankbare Freude uͤber die Schaͤtze des Alterthums die ſich auf uns erhalten haben, und ein ſtaunendes Nachdenken uͤber den unermeßlichen Reichthum des ehemaligen Roms gewaͤhren. Die uͤbrigen Kunſtwerke in dieſem Zimmer ſind: Ein Sarcopbag oder eine groͤßere Begraͤbniß - urne, auf deſſen Deckel eine Nymphe ruht. Zwei Sphynxe von rothem Granit.

Zweites Zimmer.

Ein Basrelief. Pluto, Proſerpine, Iſis, Amor. So ſagt man.

Ich44Der Vaticaniſche Pallaſt.
Allgemeine Anmerkung uͤber den Werth anti - ker Basre - liefs.
23

Ich fuͤhre dieſes Basrelief, das an ſich ſchlecht iſt, nur darum an, um uͤber dieſe Art von Kunſt - werken im Allgemeinen eine Anmerkung zu machen.

Die mehreſten Basreliefs, die ſich aus dem Al - terthume auf uns erhalten haben, und in den Samm - lungen von Antiken angetroffen werden, ſind von Sarcophagen, oder viereckt laͤnglichen Begraͤbnißur - nen, abgeſaͤgt. Von dieſen Begraͤbnißurnen haben wir nur wenige aus dem Flore der Kunſt. Sie wur - den in ſpaͤterer Zeit auf den Kauf und zwar von mit - telmaͤßigen Kuͤnſtlern verfertigt. Dies iſt der Grund, warum ſie nur ſelten des Liebhabers Anſpruͤche auf Schoͤnheit befriedigen. Inzwiſchen werde ich in der Folge einige anzeigen, welche Aufmerkſamkeit verdie - nen, und zu gleicher Zeit, durch welche Vorzuͤge ſie dieſelbe verdienen.

Zwei Leuchter. Sie ſtanden ehemals in der Kirche Santa Coſtanza fuor delle Mure. Von ſchoͤnſter Arbeit, allein, vielleicht ein wenig mit willkuͤhrlichem Blaͤtterwerk uͤberladen.

Vier maͤnnliche aegyptiſche Gottheiten von ſchwarzem Granit, der dem Baſalt gleich koͤmmt. Alle unter einander aͤhnlich, bis auf die Lotusblu - me, die zwei derſelben auf dem Kopfe tragen. Sie ſtehen auf Fußgeſtellen von griechiſcher Arbeit. Ei - nes derſelben iſt mit Figuren gezieret, aber dieſe ſind unbedeutend.

Ueber den aͤchten Ae - gyptiſchen Stil. Die Kennzeichen
23

Man kann an dieſen Statuen den aͤchten Aegypti - ſchen Stil kennen lernen.

Dieſer reine Aegyptiſche Stil iſt von demjenigen verſchieden, in welchem die Griechen die Vorſtellungs - arten religioͤſer Ideen der Aegyptier in die ihnen eigeneſchoͤne45Der Vaticaniſche Pallaſt. ſchoͤne Natur verwandelt haben. Von den Werkendeſſelben werden an - gefuͤhrt, um den Autor zu rechtferti - gen, wenn er die Werke, die ihn an ſich tragen, der Aufmerk - ſamkeit des Liebhabers unwerth haͤlt. dieſer Art werde ich bei der Sammlung der Statuen auf dem Capitol reden.

Die hoͤchſte Stufe des Aegyptiſchen Originalſtils iſt Ueberwindung der Schwierigkeiten in Behandlung der haͤrteren Marmorarten. Man bewundert in den Urhebern der Werke dieſer Art den Handwerker, nicht den Kuͤnſtler. Von Schoͤnheit zeigt ſich keine Ver - muthung, und Wahrheit haben ſie kaum in einzelnen Theilen beobachtet.

Werke in dieſem Stile ſind kein Gegenſtand der Aufmerkſamkeit des Liebhabers; inzwiſchen will ich, um die Abſonderung zu erleichtern, einige Kennzeichen derſelben angeben.

Die Gegenſtaͤnde, die wir in dieſem Stile behan - delt ſehen, ſcheinen alle mit der Verehrung der Gott - heiten dieſes Volks in genauem Verhaͤltniſſe geſtanden zu haben. Es ſind ſonderbahre Geſtalten, allegoriſche Ungeheuer, oder Nachahmungen einer individuellen Menſchenart in einem Coſtume, das ſich mit unſern Begriffen von Schoͤnheit nicht vertraͤgt.

In der Ausfuͤhrung haben ſie einiges mit dem rohen Stile der Kindheit der Kunſt bei jedem Volke gemein. Das Steife, das Gezwungene der Stel - lungen, die Unrichtigkeit der Zeichnung in den Extre - mitaͤten, das ſchlechte Verhaͤltniß der Gliedmaaßen unter einander, und die Sorgfalt, die wir auf die mechaniſche Behandlung gewandt ſehen.

Allein dadurch unterſcheiden ſie ſich von den un - vollkommenen Werken der Griechen, daß dieſe aus uͤbertriebenem Geſchmack am Ebenmaaß, ſtets mit dem Senkblei und dem Winkelmaaße in der Hand dieNatur46Der Vaticaniſche Pallaſt. Natur nachgeahmt zu haben ſcheinen, und daher eher das Geordnete und Regelmaͤßige als das Wahre in ihre Figuren brachten. Hingegen die Aegyptier ſchei - nen die Natur nach dem Augenmaaße nachgeahmt zu haben, theilweiſe, ohne oͤrtliches Verhaͤltniß, ohne Uebereinſtimmung; etwa wie Kinder, die bei ihren rohen Verſuchen die einzelnen Theile, die ſie treffen, in ein wahres Ganze nicht zu vereinigen wiſſen. Da - her das Scharfe, Eckigte, Gradlinigte in den aͤlteren Griechiſchen Werken; daher das Rundliche, Unbe - ſtimmte, Wellenfoͤrmige in den Aegyptiſchen.

Die erſten erſcheinen wie Geſchoͤpfe der Einbil - dungskraft, wie Weſen, deren Art wir nicht kennen: Die andern wie mißrathene Nachahmungen wuͤrklicher und bekannter Geſchoͤpfe.

Man findet außerdem an den Aegyptiſchen Figu - ren eine gezogene Phyſiognomie, laͤnglichte in den Winkeln hinauf gezerrte Augenlieder nach Art derjeni - gen, die wir auf Chineſiſchen Gemaͤhlden ſehen, hohe Backenknochen, platte zuweilen eingebogene Naſen, einen zuruͤckweichenden kleinlichen Kinn, hochliegende durch den Schleier gepreßte Ohren, große Bruͤſte, ſchlauchartige Arme, ſchmaale Lenden, platte Fuͤße mit langen Zehen.

Dieſe ſonderbaren Formen ſind zum Theil dem individuellen Charakter der Vorbilder ihrer Nachah - mung, zum Theil aber auch der Art, wie ſie nach - ahmten, zuzuſchreiben.

Die Bekleidung iſt zuweilen durch bloße Ringe um die Knoͤchel der Gelenke an Fuͤßen und Haͤnden, und auf den Bruͤſten durch eingeſchnittene Strahlen wie Speichen der Raͤder angegeben; zuweilen, (undvielleicht47Der Vaticaniſche Pallaſt. vielleicht zeigt dies die Epoche einer hoͤheren Ausbil - dung an) durch ſtrippenartige Falten.

So viel uͤber die Werke von Aegyptiſchem Origi - nalſtil. Ich wende nun mein Auge von ihnen auf immer.

Drittes Zimmer.

Bacchus lehnt ſich auf einen Faun; zu ſei - nen Fuͤßen ein Panther. Eine Gruppe, die mit einer andern zu Florenz Aehnlichkeit hat. Der Comte Giraud fand die unſrige zu Morena. Die Ergaͤn - zungen ſind ziemlich unbetraͤchtlich. Vielleicht iſt die Hand neu, die Bacchus dem Faun uͤber den Hals fallen laͤßt, und einer der Fuͤße des Fauns.

Der allgemeine Charakter eines Bacchus iſtCharakter des Bac - chus. weichliche Schoͤnheit maͤnnlicher Jugend, ein Koͤrper, wie Winkelmann ſpricht, unter Roſen gepflegt, und beſeelt von heiterer Froͤlichkeit. Die Umriſſe ſind ſanft, und verlieren ſich in einer maͤßigen Voͤlligkeit. Der rundliche aber nicht vorgeſtreckte Bauch und die ausgeſchweiften Huͤften, wie ſie bei Weibern zu ſeyn pflegen, ſind Hauptunterſcheidungszeichen dieſes Gottes.

Gemeiniglich wird er in dem Uebergange aus dem Knabenalter in die Juͤnglingsjahre gebildet, der un - ſrige iſt aber ſchon ausgewachſener Juͤngling. Er legt den Arm auf den Kopf, eine Stellung, die lie - genden Perſonen im Schlafe gewoͤhnlich iſt. Man hat ſie auf Stehende transferirt, als Symbol der Ruhe. Er traͤgt ein Diadem, Attribut der Koͤnigedes48Der Vaticaniſche Pallaſt. des Orients, woher die Griechen die Idee dieſer Gott - heit nahmen.

Ob man dieſe Statue gleich nicht als ein Ideal von Schoͤnheit betrachten kann, ſo iſt das Spiel der Muſkeln doch vortrefflich. Der Faun ſcheint dem Eindruck, den die Hauptfigur machen ſollte, aufge - opfert zu ſeyn.

Ganymed, bei ihm ein Adler. Die beiden Arme und ein Fuß des Knabens, wie auch der Kopf des Adlers ſind wahrſcheinlich neu. Der Kopf ſcheint ein Portrait zu ſeyn, und koͤmmt dem Koͤrper an Lieb - lichkeit nicht bei. Von dem allgemeinen Charakter der Bildniſſe dieſes ſchoͤnen Knabens rede ich weiter unten bei der weit beruͤhmtern Statue deſſelben in die - ſer Sammlung.

Zwei Leuchter, gleichfalls aus der Kirche Santa Coſtanza. Sie ſind hoͤher, als die vori - gen. Die Form ſcheint weniger ſchoͤn, aber die Zier - rathen ſind ſimpler und von beſſerm Geſchmack.

Ein anderer Leuchter von ganz beſonde - rer Form. Ein Pilaſter auf dem oben ein Capital befindlich iſt. Unten ruhet er auf einem Sockel. Auf der einen platten langen Seite iſt ein anderer Leuchter erhoben gearbeitet, und hinten iſt eine Frieſe; alles im ſchoͤnſten Geſchmacke.

Hof mit ei - nem Porti - cus, ſonſt auch Hof des Belvederegenannt.
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Hof des Belvedere nebſt dem Porticus der ihn umgibt.

In der Mitte dieſes Hofes ſteht ein großes Waſ - ſerbehaͤltniß von Porphyr, in deſſen Mitte eine Fon - taine ſpringt. Ein Porticus mit Arcaden geht rundumher49Der Vaticaniſche Pallaſt. umher. Hier ſind Statuen aufgeſtellt: die groͤßeren in den Niſchen der hinteren Wand; die kleineren in den Niſchen der ſtarken Pfeiler, die die Arcaden bil - den. Man ſahe hier außerdem zu meiner Zeit eine Menge von Vaſen, Sarcophagen, und Bruchſtuͤ - cken laͤngs den Waͤnden ohne beſondere Ordnung. Viele dieſer Stuͤcke erwarteten eine weitere Beſtimmung. Da mir dieſe unbekannt iſt, ſo habe ich ſie an dem Orte anzeigen muͤſſen, wo ich ſie gefunden habe. Sollte damit eine Veraͤnderung vorgegangen ſeyn, ſo wird ſich meine Anzeige leicht berichtigen laſſen.

Das Licht faͤllt durch die Mitte des oben offenenNachtheil der Aufſtel - lung der Sta - tuen an die - ſem Orte fuͤr die Wahr - nehmung ih - rer Schoͤn - heit im Ein - zelnen; Vor - theil derſel - ben fuͤr den Eindruck ſo vieler verei - nigten Schoͤnheiten im Ganzen. Hofes auf die rund umherſtehenden Statuen. Dieſe Beleuchtung, die nicht jeder Statue auf gleiche Art anpaſſend ſeyn kann, iſt im Einzelnen nicht zu billi - gen. Allein fuͤr den Eindruck des Ganzen, iſt dieſe Abſonderung der erhabenſten Werke der Kunſt der Menſchen von allen wuͤrklichen Gegenſtaͤnden in der Natur, nicht ohne Vortheil. Man ſieht neben ſich die Formen der hoͤchſten idealiſchen Schoͤnheit, und uͤber ſich den Himmel. Die Einbildungskraft ſteigt auf der bequemſten Leiter bald von den Umſtehenden zu den obern Regionen hinauf, bald von dieſen zu ihren wahrſcheinlichen Bewohnern herab; und das einfoͤrmige Getoͤne des ſtets ſteigenden, ſtets herabfal - lenden Waſſers der Fontaine unterhaͤlt die Seele in der feierlichen Stimmung, die dem Genuß des Schoͤnen ſo zutraͤglich iſt. Der Eintritt in dieſen Porticus oͤff - net das Thor zu einer neuen Schoͤpfung. Wir laſſen draußen Alles was wir vorher empfunden haben; quaͤ - lende Erinnerungen, eitle Wuͤnſche; ſtille Groͤße, ruhi - ger unvermiſchter Genuß fuͤllt unſere ganze Seele aus.

Erſter Theil. D Apollo. 50Der Vaticaniſche Pallaſt.
Apollo im Belvedere.
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Apollo. So wie ich zum erſten Mahle in meinem Leben an Genuas Kuͤſten die Sonne ſich aus dem Meere heben ſah, ſo ſchwebte mir im Belvedere die Statue des Apollo entgegen. Es ergriff mich das Gefuͤhl uͤbermenſchlicher Majeſtaͤt, und ich ward bil - lig gegen die Sterblichen, die bei andern Lehrbegriffen ſich vor dem Bilde eines hoͤheren Weſens zur Anbe - tung niederwerfen koͤnnen.

Der Eindruck, den das erhabenſte Schauſpiel in der Natur und die Darſtellung des erhabenſten Gei - ſtes durch menſchliche Formen auf aͤhnliche Art in mir hervorgebracht haben; fuͤhrt mich auf die Vermu - thung: Das Kunſtwerk iſt die ſymboliſche Vorſtel - lung eines Gegenſtandes in der Natur, den die Kunſt durch wuͤrkliche Nachahmung nur mangelhaft erreicht: Phoͤbus, der Beherrſcher des Himmels, der ſeine erſten Strahlen auf die Erde ſchießt.

So dachte ſich ſchon der Pſalmiſt die aufgehende Sonne:

Sie koͤmmt hervor, wie ein Braͤutigam aus ſeiner Kammer,

Und freuet ſich wie ein Held zu laufen den Weg.

Sicher! Kein Gleichniß iſt dieſes wuͤrkſamſten und praͤchtigſten Gegenſtandes in der Natur wuͤrdiger als der Mann, das Vollkommenſte unter den leben - den Creaturen, an deſſen ausgewachſenem Koͤrper die Kindheit nichts Mangelhaftes uͤbrig laͤßt, und deſſen edle Seele, angefuͤllt mit großen Planen, Majeſtaͤt uͤber jede ſeiner Bewegungen verbreitet.

Hoheit der Seele iſt der Ausdruck unſers Apollo. Aber Ausdruck der Hoheit, die an Stolz graͤnzt, wiedes51Der Vaticaniſche Pallaſt. des erſtgebohrnen Sohnes des Koͤnigs, der aufgehen - den Hoffnung des Volks, nicht ſeines Vaters; ohne jene Miſchung von Guͤte, welche die Groͤße zu gleicher Zeit ſo ehrwuͤrdig und ſo liebenswuͤrdig macht. Mit Ruͤckſicht auf dieſen Ausdruck hat der Kuͤnſtler den Meißel bis in die kleinſten Zuͤge gefuͤhrt, und einer der groͤßten Vorzuͤge dieſes ſchoͤnen Werks iſt die voll - kommene Harmonie, dieſer Geiſt des Ganzen, der uͤber jeden ſeiner Theile ausgegoſſen iſt.

Den Hohn, den Unmuth, den Winkelmann2)S. 814. der G. d. K. W. E. auf dem Geſichte des Gottes bemerkt, habe ich nie darauf finden koͤnnen. Ich glaube daher die Idee eines zuͤrnenden Siegers verwerfen zu duͤrfen, die ohnehin bei mir die Empfindung eines goͤttlich hohen Geiſtes um Etwas vermindert.

Ich halte die Deutung, die ich dieſer Statue gegeben habe, fuͤr nichts weniger als zuverlaͤßig, ob ich gleich finde, daß ſchon Hogarth3)Zergliederung der Schoͤnheit c. II. gegen das Ende. Imgleichen Sulzer allgem. Theorie der ſchoͤnen Wiſſenſch. und Kuͤnſte, Art. Allegorie. und Sulzer mit mir auf aͤhnliche Art daruͤber gedacht haben. Nur ſo viel glaube ich zu meiner Rechtfertigung ſa - gen zu koͤnnen: Wenn mit dem erſten Eindruck, den ein Kunſtwerk auf unſer Herz macht, unſer Verſtand zu gleicher Zeit einen befriedigenden Aufſchluß uͤber deſſen Beſtimmung erhaͤlt, ſo ſind wir wenigſtens bei der Erklaͤrung vor den Vorwurf eines unnoͤthigen Aufwandes von Scharfſinn und eitler Witzelei ge - ſichert.

D 2Darf52Der Vaticaniſche Pallaſt.
Wahrſchein - licher Cha - rakter des Apollo als Phoͤbus, ver - ſchieden von demjenigen worinn er als Beſchuͤ - tzer der Wiſ - ſenſchaften und Kuͤnſte vorgeſtellt wird.
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Darf ich eine Vermuthung wagen, uͤber den ſtrengen Ernſt, den wir in der Mine dieſer Statue bemerken? Apollo iſt als Phoͤbus Sinnbild der Sonne. Ihre Strahlen verbreiten Wachsthum und Leben uͤber die Natur, aber in heißeren Gegenden er - zeugen ſie auch Seuchen, die der erzuͤrnte Gott gleich Pfeilen auf die loſe Brut des Prometheus herab - ſchießt.

Die Seltenheit der Statuen des Apollo in die - ſem Charakter ſcheint die Andeutung einer beſonderen Natur zu beſtaͤtigen. Gemeiniglich finden wir ihn im Fruͤhlinge der Jugend mit dem Ausdruck unver - miſchter Heiterkeit dargeſtellet. Dann aͤhnelt er dem Bacchus, und ſtellt, wie ich glaube, den Geber je - ner Freuden vor, die Ruhe erzeugt, und zu deren Genuß wir der Ruhe und gutherzigen Frohſinns be - duͤrfen: Den Beſchuͤtzer der Kuͤnſte und Wiſſen - ſchaften.

Doch! Sey was es ſey, der Ausdruck eines goͤtt - lich hohen Geiſtes, in Formen ausgewachſener Jugend, macht die unverkennbare Abſicht dieſes Werks aus. Aus ihr muß man ſich erklaͤren, warum der Kuͤnſtler jene ſchlaͤngelnden Muſkeln, jene unzaͤhligen Aus - ſchweifungen des Umriſſes, die dem Marmor zwar den Charakter des wahren Fleiſches geben, allein durch die vielen kleinen Parthien, die ſie bilden, auch dem Charakter der Groͤße leicht gefaͤhrlich werden, nicht deutlich angegeben hat. Der Unterleib vorzuͤg - lich ſcheint gleichſam abgerundet, ohne jene muͤrbe Weichheit, welche die Italiener morbidezza nennen.

Dem53Der Vaticaniſche Pallaſt.

Dem angehenden Kuͤnſtler, der hauptſaͤchlich nach Wahrheit ſtreben muß, iſt nicht anzurathen, mit dem Copiren nach dieſer Statue den Anfang zu machen. Aber er ſchaue ſie oft an, um den Begriff hoher Schoͤnheit in ſeiner Seele zu gruͤnden, und um zu lernen, daß das Genie, wenn es ſeine Ideen ver - koͤrpert, mehr an das Geſetz der Natur, an ihre Ver - fahrungsart im Allgemeinen, als an die Treue der Nachahmung ihrer einzelnen Productionen gebunden iſt; daß die Disharmonie der einzelnen Theile allein die Unwahrſcheinlichkeit fuͤhlbar macht, und daß der große Kuͤnſtler durch die einfache belebende Idee, die er ſeinem Werke im Ganzen einhaucht, auch das nicht getreu Nachgeahmte als wahr darſtellen koͤnne.

Das Bein, mit welchem Apollo vortritt, iſt um 9 Minuten laͤnger als das hintere. So machte der Kuͤnſtler die Verkuͤrzung fuͤhlbarer, ohne Nachtheil der Verhaͤltniſſe.

Daß aber das eine Knie etwas eingebogen iſt, liegt wahrſcheinlich nicht an dem Kuͤnſtler des Werks, ſondern an dem Handwerker, den man dazu brauchte, die abgebrochenen Beine wieder anzuſetzen.

Neu ſind: die linke Hand, und die Finger der Rechten.

Antinous. So nennen wir die Statue einesAntinous. jungen Mannes im Belvedere, von deren wahren Bedeutung wir nichts wiſſen. 4)Antinous ein ſchoͤner Juͤngling aus Bythinien war der Liebling des Kaiſers Hadrian. Er ertrank im Nil, und zur Linderung des Schmerzens ſeines Freundes, vergoͤtterte ihn die Kunſt, die Hadrianbeſchuͤtzte,

D 3Dem54Der Vaticaniſche Pallaſt.

Dem Ohngefaͤhr in ſeiner Stellung uͤberlaſſen, voll ſorgloſer Unbefangenheit, nur mit dem Genuße einer heitern Unthaͤtigkeit beſchaͤfftigt, kurz! ohne allen Anſpruch hat dieſer ſchoͤne Juͤngling einen deſto ſichern, uns zu gefallen.

Die Natur iſt in mehreren Theilen dieſer Figur zum Ideal gehoben; aber die genaue Andeutung des Muſkelnſpiels, und das weiche Fleiſch, das ſie be - deckt, laſſen ihr alle Reitze einer Natur, die wir kennen: Selbſt die Unvollkommenheiten, die wir an andern Theilen bemerken, ſcheinen ſie mit demjenigen, was wir taͤglich um uns ſehen, auszugleichen. Ein Gefuͤhl, das vermoͤge des Ruͤckblicks des Zuſchauers auf ſich ſelbſt, nicht wenig zur Liebenswuͤrdigkeit eines Gegenſtandes beitraͤgt, den er durch einzelne Vorzuͤge ſeiner Aufmerkſamkeit werth haͤlt.

Der
4)

beſchuͤtzte, auf vielfache Weiſe. Allein der Kopf unſerer Statue hat mit einem Antinous nicht die geringſte Aehnlichkeit, und der Kopf, den man in Deutſchland unter dieſem Nahmen in Gyps ver - kauft, gehoͤrt nicht dieſer Statue, ſondern der an - dern dieſes Nahmens auf dem Capitol.

Viele halten ſie fuͤr einen Mercur, bewogen durch die Aehnlichkeit mit einer Statue im Pallaſt Farneſe. Ich habe ſchon dort die Gruͤnde ausge - fuͤhrt, warum ich eine unterſetzte Figur wie dieſe, die ſogar dem Vorwurf des Schwerfaͤlligen nicht ganz entgeht, dem Charakter dieſes Gottes nicht anpaſſend halte. Winkelmann Geſch. der Kunſt, S. 844. Wien. Edit. haͤlt ſie fuͤr einen Meleager. Sie ſcheint mir zu viel Sanftes fuͤr dieſen Jaͤger zu haben.

4)55Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der Kopf, die Bruſt, die Schultern und Huͤf - ten ſind ſchoͤn und treu. Dieſer Zuſatz von Treue hat einen Mengs und andere Kenner bewogen, dem jun - gen Kuͤnſtler das Studium unſers Antinous in An - ſehung der angezeigten Theile vorzuͤglich vor dem Stu - dio des Apollo zu empfehlen. Der Bauch und die Beine ſind nicht allein nicht ideal, ſie ſind auch ge - mein, unbeſtimmt und ſchwerfaͤllig.

Die Arme fehlen. Die Beine ſind angeſetzt. Davon zeigen ſich Spuren.

Es iſt ein Unterſchied zwiſchen dem AngeſetztenNoͤthige Er - innerung uͤber voreili - ge Beſtim - mung mo - derner Zuſaͤ - tze zu antiken Statuen. und dem Neuen. Oft haben ſich die alten Stuͤcke abgebrochen bei der Statue gefunden. Der Bruch iſt folglich kein ſicheres Zeichen, daß die angeſetzten Theile neu ſind. Selbſt die aͤußerlich anſcheinende Verſchiedenheit des Marmors iſt kein zuverlaͤßiges Merkmahl der Ergaͤnzung; wenigſtens nicht der Er - gaͤnzung in neueren Zeiten. Schon vor dem Ver - fall der Kuͤnſte ſind einige Stuͤcke an verſchiedenen Fi - guren ergaͤnzt worden. Dazu koͤmmt, daß man, um mit Gewißheit uͤber die Verſchiedenheit des Mar - mors zu urtheilen, denſelben ungeglaͤttet und im Pro - fil ſehen muß.

Das ſicherſte Unterſcheidungszeichen des Alten von dem Neuen iſt die Verſchiedenheit des Stils. Aber um dieſe wahrzunehmen, wird eine vertraute Bekanntſchaft mit dem Geiſt der Alten erfordert, hin - reichend, um ihn ſelbſt in den einzelnen Theilen unver - daͤchtig wieder zu erkennen.

D 4 Lao -56Der Vaticaniſche Pallaſt.
Laocoon.
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Laocoon. 5)Ich habe gleich zu Anfang dieſes Buchs erklaͤrt, daß meine Abſicht dahin geht, den Liebhaber auf die Spur des Schoͤnen der hauptſaͤchlichſten Kunſt - werke in Rom zu fuͤhren. Die Schickſale unſerer Statue, die Unterſuchung der Frage: ob der Kuͤnſt - ler den Dichter, oder der Dichter den Kuͤnſtler nach - geahmet habe, kurz! Alles dasjenige, was man nicht zu wiſſen braucht, um unſere Gruppe ſchoͤn zu fin - den, gehoͤrt nicht hieher. Wer hieruͤber das Vor - trefflichſte leſen will, und zu gleicher Zeit eine Ent - wickelung des Gedankens dieſes Kunſtwerks, die der Geiſt des Urhebers eingegeben zu haben ſcheint, der leſe des Herrn Hofraths Heyne Pruͤfung einiger Nachrichten und Behauptungen vom Lacoon im Belvedere. Sammlung antiquariſcher Aufſaͤtze, IItes Stuͤck n. 1.Eine Gruppe.

Darſtellung hoͤchſter Bewegung der Seele und des Koͤrpers, mit moͤglichſter Bewahrung der Schoͤn - heit, ſcheint, nebſt dem Eindruck des Mitleidens, der davon abhaͤngt, die Abſicht geweſen zu ſeyn, welche der Kuͤnſtler bei Bearbeitung der Geſchichte des Lao - coon ſich vor Augen geſetzt hat.

Laocoon hat den Zorn der Goͤtter auf ſich gela - den: Nach dem Virgil, weil er mit ver - wegener Hand den Speer in die Seite des Pferdes geſchleudert hatte, welches von den Griechen vor Troja zuruͤckgelaſſen, von dem groͤßten Theil der Einwohner dieſer Stadt zu einem geheiligten Geſchenke fuͤr den Tempel der Minerva beſtimmt wurde. Eben bringt er dem Neptun ein Opfer, und ſeine beiden Soͤhne leiſten ihm dabei Dienſte der Opferknaben, als zweiSchlan -57Der Vaticaniſche Pallaſt. Schlangen von ungewoͤhnlicher Groͤße, den Vater mit ſeinen Kindern umſchlingen, und ſie mit ſchmerz - haften Biſſen anfallen. Dies iſt der Zeitpunkt, den der Kuͤnſtler aus der Geſchichte zur Darſtellung ge - waͤhlt hat.

Er konnte nicht gluͤcklicher waͤhlen. Der Vater war mit den Soͤhnen bei einer Handlung beſchaͤfftigt: Sie opferten zuſammen: Die gemeinſchaftliche Ge - fahr, die Banden des Bluts, der Schutz, den das ſchwaͤchere Alter von dem ſtaͤrkeren erwartet, verei - nigte bei einem gleichzeitigen Anfall alle drei Figuren zu einer, und eben dadurch verſtaͤrkten, Vorſtellung des Leidens: aber die verſchiedenen Grade dieſes Lei - dens, die Verſchiedenheit des Alters und der Empfin - dungen die davon abhaͤngen, boten zu gleicher Zeit dem Genie des Kuͤnſtlers die groͤßte Abwechſelung in Formen, Stellungen und Ausdruck dar.

Der Vater, der jetzt den erſten Biß der Schlange fuͤhlt, deſſen Beine bis jetzt allein umſchlungen ſind, beſitzt noch den groͤßten Theil ſeiner Kraͤfte. Inzwi - ſchen unfaͤhig im Stehen das Gleichgewicht zu behal - ten, ſtaͤmmt er ſich ſitzend gegen den Wuͤrfel der Ara, und ſucht nun mit ausgeſpreiteten Armen die Schlan - gen von ſich abzuhalten, mit von einander geriſſenen Beinen ſich aus ihren Windungen loszuarbeiten. Aber zu gleicher Zeit fuͤhlt er den Biß des feindlichen Thiers, ſein Koͤrper beugt ſich ruͤckwaͤrts ab, ſein Auge kehrt ſich zum Himmel, und halb flehend, halb anklagend, ruft er mit gepreßter Stimme um Ret - tung und Gnade. 6)Wir haben eine[vortreffliche] Beſchreibung des Lao -coon

D 5Der58Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der juͤngere Sohn iſt von der einen Schlange ganz umklemmt, und das toͤdtliche Gift ihres Biſſes unter der Bruſt ſcheint bereits ſeine Adern zu durch - wuͤhlen. Sein Alter iſt das hinfaͤlligſte; Ermattet ſinkt er zuſammen, oder kruͤmmt ſich vor Schmerz, und wehrt nur mit ſchwacher Hand den Kopf der Schlange ab.

Der

6)coon von Winkelmann, G. d. K. W. Edit. S. 844. Allein in ſeiner Begeiſterung ſahe er mehr als das Werk zeigt. Der einfache Grundſatz, daß der Aus - druck der Schoͤnheit nicht nachtheilig ſeyn duͤrfe, hat den Kuͤnſtler ſehr natuͤrlich abgehalten, einen Men - ſchen darzuſtellen, den der Schmerz zur Raſerei treibt. Er braucht dabei an keinen idealiſchen, lei - denden, erhabenen Helden gedacht zu haben. Der Begriff von großer geſetzter Seele folgt von ſelbſt. Ganz vortrefflich ſetzt dies der Herr Hofrath Heyne, Samml. Ant. Aufſ. II. St. n. 1. S. 22. u. f. aus - einander. Ich fuͤge noch hinzu: Laocoon reißt die Augenlieder, und die Muſkeln um die Augenbrau - nen herum, in die Hoͤhe, die Unterlippe haͤngt ſchlaff herab. Dies iſt dem Ausdruck des Zuruͤckhaltens, des Verbeißens ganz zuwider. Hingegen moͤchte ich dem Herrn Hofrath Heyne einen Zweifel daruͤber machen, daß, wie er ſagt: Das ganze Angſtgefuͤhl des Vaters, der ſeine Kin - der Todesqualen leiden ſieht, den einen ſterbend roͤcheln, den andern um Huͤlfe ſchreien hoͤrt, ſich am Laocoon ausdruͤcke. Es iſt moͤglich, und in einer fortſchreitenden Vorſtellung moͤchte dies ein ſehr gluͤcklicher, und auch von der Bildhauerkunſt in einem andern Werke gluͤcklich auszudruͤckenderGedanke

59Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der aͤltere hingegen iſt blos um das linke Bein und den rechten Arm von den Schlangen umwunden. Zwar unaufloͤslich, aber doch ſo, daß er noch nicht durch wuͤrklichen Schmerz, durch heftige Beklem - mung leidet: deſto mehr von Schrecken und Angſt. Er ſchreiet, und er kann vielleicht allein ſchreien er ſtreckt Arme und Augen zum Vater, und flehet,deſſen6)Gedanke ſeyn. Allein bei dem gegenwaͤrtigen koͤn - nen wir uns dies blos denken: Wir ſehen es nicht. Laocoon iſt mit ſeinem eigenen Leiden beſchaͤfftigt. Sein Blick iſt nicht auf die Kinder, er iſt gen Him - mel gerichtet, von dort erflehet er Huͤlfe fuͤr ſie alle. Dieſe Wendung des ruͤckwaͤrts in die Hoͤhe gewand - ten Obertheils des Koͤrpers war dem Kuͤnſtler zu vortheilhaft, um ihr eine herabgebogene auf die Kinder, wie ſie doch wohl, um jene Idee deutlich zu machen, ſeyn muͤßte, nicht aufzuopfern. Einen aͤhnlichen Ausdruck finden wir an den ſchoͤnſten Toͤchtern der Niobe. Auch dort iſt koͤrperlicher Schmerz: auch dort Gefuͤhl eines unvermeidlichen Schickſals: auch dort wenden ſich die Augen gen Himmel mit ruͤckwaͤrts uͤbergebogenem Haupte und der geoͤffnete Mund ſtoͤßt Flehen und Klagen aus. Beim Virgil ſchreiet der Vater laut auf. Der Herr Hofrath Heyne hat den Grund, warum hier der Kuͤnſtler von dem Dichter abgeht, auch ohne Ruͤckſicht auf das Geſetz der Schoͤnheit, blos nach der Verſchiedenheit des Eindrucks, den ſie hervor - bringen wollten, vortrefflich aus einander geſetzt. Die Stelle, die ein ganzes Buch unnuͤtz machen koͤnnte, ſteht S. 51, am angefuͤhrten Orte. In der Gruppe, ſagt er, iſt Laocoon ein Leidender mit60Der Vaticaniſche Pallaſt. deſſen Angſtgefuͤhl zu vermehren, den Huͤlfsbeduͤrfti - gen um Beiſtand an.

So der Gedanke: Er iſt fein, er iſt reich, er iſt groß: Die Ausfuͤhrung ſteht ihm nicht nach.

Die Hauptfigur ſtellt einen Mann vor uͤber die Mitte des gewoͤhnlichen Menſchenalters. Laocoon graͤnzt an die Jahre des Greiſes, und dieſe Stufe des Alters gibt ſeinem edlen Koͤrper ganz das ehrwuͤrdigeAnſehen6) mit einem ſchoͤnen edlen Ausdrucke, der Mitleiden erregen ſoll; aber beim Dichter iſt er ein Mann, der Schrecken und Entſetzen verurſachen ſoll. Es wird hier die Fabel in ganz anderer Abſicht erzaͤhlt und beigebracht. Ein Portentum, ein Schreck - wunder ſollte da die Begebenheit ſeyn, welches auf die Gemuͤther der Trojaner wuͤrkte: diejenigen, welche abriethen, das Pferd in die Stadt zu brin - gen, und es der Minerva als ein geheiligtes Ge - ſchenk fuͤr die vermeinte Befreiung von der Bela - gerung in ihrem Tempel aufzuſtellen, ſollten durch das Schickſal des Laocoon abgeſchreckt werden; das Schickſal mußte alſo recht ſchrecklich beſchrie - ben ſeyn; und zum Schrecken wuͤrkt wohl ein groß Geſchrei mehr als Seufzen. Ich moͤchte ſogar behaupten, der Laocoon, den wir ſehen, habe ſchreien koͤnnen, den Augenblick vor, oder den Au - genblick nach demjenigen, in dem wir ihn vorgeſtellt ſehen. Hier ruft er die Unſterblichen um Huͤlfe an, und dieſe Handlung iſt von derjenigen, da uns koͤr - perlicher Schmerz zum Geſchrei zwingt, der Zeit - folge nach verſchieden. Der eine Sohn ſchreiet wuͤrklich, und ſchreiet zum Vater. Er fuͤhlt noch nicht, wie wenig ihm Sterbliche helfen koͤnnen.61Der Vaticaniſche Pallaſt. Anſehen, das ihr eigen iſt; aber ohne Spur einer Abnahme von Kraͤften. Seine Soͤhne ſind, den Verhaͤltniſſen ihrer Koͤrper nach, Juͤnglinge, deren juͤngſter aber kaum die Jahre der Pubertaͤt erreicht hat. So ſcheinen das herannahende Alter des Greiſes, das Alter unter dem ausgewachſenen jungen Manne, das Gefuͤhl des Schickſals, das dieſe Ungluͤckliche be - trifft, zu erhoͤhen. In dem einen durch einen groͤſ - ſeren Grad von Empfindbarkeit, durch Anhaͤnglichkeit an lang geknuͤpfte Verhaͤltniſſe: in dem andern durch harmloſe Unbekanntſchaft mit Leiden, durch mindere Staͤrke ihnen Spitze zu bieten.

Man denke ſich drei Figuren von Schlangen um - wickelt; wer wird ſich, ohne das Werk geſehen zu haben, nicht die widrigſte Vorſtellung von deſſen Wuͤrkung machen? Schlangen in Marmor? Stri - cke! unfoͤrmliche Maſſen! Um menſchliche Koͤrper ge - wunden? Hinderniſſe, die Schoͤnheit der Umriſſe, die Zierlichkeit der Formen wahrzunehmen!

Mit welcher Weisheit hat der Kuͤnſtler dieſe Windungen der Schlangen zu benutzen gewußt! Kein Theil des Koͤrpers, den das Auge zu ſehen wuͤnſcht, wird ihm dadurch entzogen, und dem Ganzen dienen ſie zur bequemſten und natuͤrlichſten Verbindung.

Die Figuren unter einander, jede Figur fuͤr ſich, bieten in Stellung und Lage der Glieder diejenige Ab - wechſelung dar, die vor Ueberdruß der Einfoͤrmigkeit ſichert. Die ſo oft mißverſtandene Regel des Con - trapoſts im Grunde keine andere als der Man - nichfaltigkeit in Einheit iſt hier mit gehoͤriger Maͤſ - ſigung beobachtet. Der Koͤrper des Vaters, deſſenOber -62Der Vaticaniſche Pallaſt. Obertheil ſich hinten uͤberbeugt, erhaͤlt durch dieſe Wendung die groͤßte Schoͤnheit.

Aber uͤber Alles iſt der Ausdruck zu bewundern. Das abwehrende Streben, die Spannung des Schmerzes zeigt ſich in der Hauptfigur von der zuſam - mengepreßten Stirn an, bis in die geſtaͤmmte Zehe mit gleicher Wahrheit in jeder auch der kleinſten Muſ - kel. Ewig wird dies Stuͤck dem Kuͤnſtler ein Stu - dium des Knochenbaues, des Muſkelnſpiels und der Richtigkeit der Zeichnung bleiben. Wie muß der Gedanke: daß der Urheber dieſes Werks nach keinem lebenden Modelle, das ihm in einer ſo gewaltſamen Anſtrengung haͤtte ſitzen koͤnnen, gearbeitet hat, uns zur ſtaunenden Bewunderung ſeiner Geſchicklichkeit heben!

Die Seite, in welche die Schlange den Biß thut, wird fuͤr den ſchoͤnſten Theil gehalten.

Sollten wir bei ſo viel Schoͤnheiten, die der nackte Koͤrper darbietet, dem Kuͤnſtler, der einen opfernden Prieſter vorzuſtellen hatte, aus dieſem nackten Koͤrper ein Verbrechen machen? Ihm eine Verletzung des Coſtume, eine Unſchicklichkeit vorwerfen? Doch! ein neuer ſcharfſichtiger Kunſtrichter7)Hr. Hofr. Heyne am angef. Orte. S. 29. Die Kopf - binde, die er an den Gypsabguͤſſen bemerkt zu ha - ben glaubt, habe ich am Originale nicht gefunden. glaubt, daß es nicht einſt der Entſchuldigung eines Mangels der Kleidung beduͤrfe. Die Gewaͤnder ſind wuͤrklich da. Sie liegen theils auf dem Wuͤrfel der Ara, theils flattern ſie auf den Schultern der Soͤhne, und es laͤßt ſich ſehr natuͤrlich annehmen, daß ſie bei einer ſogewalt -63Der Vaticaniſche Pallaſt. gewaltſamen Bewegung, als das Straͤuben und das Abwehren der Schlangen vorausſetzt, abgefallen ſind.

Der rechte ausgedehnte Arm iſt angeſetzt, und von gebrannter Erde. 8)Der Herr Hofrath Heyne a. a. O. S. 16. hat gezeigt, daß Fra. Giov. Agnolo den rechten Arm des Laocoon einmahl ergaͤnzt habe. Allein ſollte nicht der Arm, der dazumahl angeſetzt wurde, entweder aus ge - brannter Erde verfertigt, und gegen die Zeiten des Bernini abgaͤngig geworden, oder der Arm, den man noch jetzt aus dem Groben in Marmor gehauen ſieht, von dieſem Kuͤnſtler verfertigt ſeyn? Der Nahme des Ergaͤnzers iſt zu zweifelhaft, als daß ich wagen duͤrfte ihn anzugeben. Nach der Weich - heit der Behandlung zu urtheilen, iſt der gegenwaͤr - tige Arm nicht aus ſo fruͤhen Zeiten, als Giov. Agnolo, und Bandinelli vorausſetzen. Mir ſcheint er alle Kennzeichen der Berniniſchen Schule an ſich zu tragen. Er iſt wuͤrklich gut. Was Richardſon von der widrigen Farbe ſagt, hat ſeinen Grund darin, daß die braͤunliche gebrannte Erde (creta) gegen den weißen Marmor abſticht. Die Nachricht, die Winkelmann von dem nicht angeſetzten Arme gibt, daß derſelbe ſo gearbeitet ſey, daß er ſich oben uͤber den Kopf heruͤberzubeu - gen ſcheine, iſt wohl nicht ganz richtig; ſo wie es mir ſchien, hat er mit dem jetzigen beinahe einerlei Lage und Biegung.

An den Kindern ſind neu: ein Arm und eine Hand, auch verſchiedene Stuͤcke an den Schlangen.

Nach64Der Vaticaniſche Pallaſt.

Nach einem Urtheil unſers Mengs9)Opere di Mengs. Memorie concernenti la ſua Vita. p. LI. iſt das rechte Bein des einen Knaben zu lang. Dies Ur - theil trifft den aͤlteren.

Einige be - ſcheidene Zweifel uͤber die Wahl des Suͤjets, als Vorwurf der Bildhauer - kunſt.
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Mit derjenigen Beſcheidenheit, die jedes Urtheil uͤber ein vorzuͤgliches Werk der Kunſt begleiten ſollte, das laͤngſt im Beſitz allgemeiner Bewunderung iſt, aber auch mit derjenigen Freimuͤthigkeit, zu der eine oft wiederholte Pruͤfung, und eine genaue Aufmerk - ſamkeit auf meine Empfindungen mich berechtigen duͤrfen, geſtehe ich meinen Leſern, daß dieſe Gruppe aller ihrer nicht zu bezweifelnden Vorzuͤge ungeachtet, den angenehmen Eindruck, den ich bei der Schoͤnheit anderer Statuen erfahren habe, in mir nicht hervor - gebracht hat.

Wenn ich in den Porticus trat, wo ſo viele er - habene Werke der Kunſt um den Vorrang zu wettei - fern ſcheinen, ſo zog mich mein Gefuͤhl zuerſt zum Apollo, zum Antinous hin; und bei ihnen vergaß ich mich Stundenlang in dem entzuͤckenden Gefuͤhle der Schoͤnheit. Endlich verließ ich ſie, um vor den Lao - coon zu treten, wie man ein Lieblingsgeſchaͤfft um einer ernſten Berufsarbeit willen verlaͤßt, bewogen durch die Idee des Nutzens, den das Studium eines ſo kuͤnſtlichen Werks fuͤr meine Kenntniſſe in der Kunſt haben muͤßte. Bei der Bewunderung, die ich dem Laocoon zollte, lag nicht ſelten die Erinnerung an die Schwierigkeiten zum Grunde, die der Meißel bei deſſen Verfertigung uͤberwunden hatte.

Vielleicht65Der Vaticaniſche Pallaſt.

Vielleicht muͤßte ich hier ſtehen bleiben; und wer wuͤrde mich ſo dann tadeln, ein Gefuͤhl zu aͤußern, das ohnehin mehrere mit mir getheilt haben? 10)Unter andern Hemſterhuis lettre ſur la Sculptu - re. Edit. d Amſt. 1769. p. 24.Al - lein ich kann es nicht uͤber mich gewinnen, eine Ver - muthung uͤber die Gruͤnde dieſer Empfindung zuruͤck - zuhalten, von der ich glaube, daß ſie andere zu einer Berichtigung auffordern wird.

Marmor iſt ein harter, ſchwerfaͤlliger, unbeweg -Die Bewe - gung des Koͤrpers ſcheint fuͤr den Marmor zu heftig. Der ſchwer - faͤllige Stoff macht ſie un - wahrſchein - lich; und die Anſtrengung der Muſkeln ſchadet der Harmonie der ſchoͤnen Formen: Hauptvor - zug der Bildhauer - kunſt! licher Stoff. Ich werde dies nie ganz vergeſſen, die Behandlung mag ihm noch ſo viel Leben geben; ja! es ſcheint, ich wuͤrde um ſo leichter daran erinnert, je gewaltſamer die Bewegung iſt, zu deren Darſtellung ihn der Kuͤnſtler anwendet.

Die Kunſt, die ſich mit dieſem Marmor beſchaͤff - tigt, entzieht mir ganz denjenigen Theil der menſchli - chen Geſtalt, in dem der Ausdruck des Affekts haupt - ſaͤchlich liegt, das Auge: ſie entzieht mir auch eine Eigenſchaft, die ihn ſehr verſtaͤrkt, die Farbe. Ja! das feinere Muſkelnſpiel, jene beinahe unmerklichen Erhoͤhungen und Vertiefungen der Haut gehen fuͤr den Meißel, der den Standort des Zuſchauers immer et - was entfernter annehmen muß als der Pinſel, beinahe ganz verlohren. 11)S. hieruͤber Hemſterhuis am angez. Orte p. 10. la magie de l expreſſion ne ſauroit atteindre à une grande diſtance. An einer andern Stelle ſagt er: p. 9. Je veux bien croire que toute paſſion exprimée dans une figure quelconque doit di - minuer un peu de cette qualité deliée du con -tour,

UmErſter Theil. E66Der Vaticaniſche Pallaſt.

Um alſo dem Ausdruck gewaltſamer Anſtrengung der Seele die gehoͤrige Deutlichkeit zu geben, treibt der Bildhauer die Muſkeln auf, laͤßt die Adern an - ſchwellen, und hoͤhlt die Seiten aus. Dies geſchieht nicht ohne eine merkliche Menge von Erhoͤhungen und Vertiefungen hervorzubringen, die das Licht auffan - gen, und viele kleine Abtheilungen bald hell bald dun - kel bilden. Was iſt aber hiervon die Folge? Daß dieſe auf dem weißen Marmor grell gegen einander abſtechenden Flecken, eine Haͤrte hervorbringen, die dem Auge keinesweges gefaͤllig iſt. Die Bildhauer - kunſt entbehrt jenen Zauber der Faͤrbung und des Hell - dunkeln, durch den in der Mahlerei, mehrere ange - ſchwollene Muſkeln in eine lichte Maſſe zuſammen ver - einigt werden, und durch welche Vertiefung nebſt Er - hoͤhung ſelbſt im Hellen ſichtbar werden.

Sollte wohl der Bildhauer bei der Wahl der Geſchichte des Laocoon die Graͤnzen uͤberſchritten haben, die ihm die Materie, die er bearbeitete, vorſchrieb? 12)Derſelbe p. 24. le Laocoon appartient beaucoup plus à la Peinture qu à la Sculpture. Seine Gruͤnde ſind metaphyſiſcher gedacht und ausgedruͤckt. Ich citire ihn blos um die Uebereinſtimmung der Empfindung zu beweiſen.Sollte nicht jede Leidenſchaft deren Aeußerungen ſchnell entſtehen, und ſchnell verſchwinden, unſere Betrach -tung11)tour, qui le rend ſi facile à parcourir aux yeux. und ich moͤchte hinzuſetzen: die uns in der Bild - hauerkunſt, deren Hauptvorzug Harmonie der Schoͤnheit iſt, wichtiger ſeyn muß, als Ausdruck einer Leidenſchaft.67Der Vaticaniſche Pallaſt. tung von der Schoͤnheit koͤrperlicher Formen abziehen? Sollte wohl Schoͤnheit mit dem Ausdruck einer Seele in Ruhe, oder wenigſtens einer Seele in ſolcher Bewegung, die nicht von einer beſondern Situation abhaͤngt, die einen dauernden Eindruck auf Mine und Stellung hervorbringt, das was man eigentlich Phy - ſiognomie nennt, wahrer Zweck der Bildhauerkunſt ſeyn? Sollte endlich der Ausſpruch unſers Mengs: Man ſetze den Kopf des Laocoon in ruhige Faſſung, ſo weicht er dem Apollo wenig an Schoͤnheit, nicht zu gleicher Zeit das Lob der Ausfuͤhrung und den Tadel des gewaͤhlten Suͤjets enthalten?

Noch eins! Bei den vielen Verdienſten, die derDas Ver - dienſt einer ſchoͤnen Gruppirung wird dieſem Werke gleich - falls bezwei - felt. Gruppiren in der Mah - lerſprache, ſetzt unter andern auch eine Maſſe von ange - nehmer Form zum Voraus: und dieſe fehlt. Was der Form des Kuͤnſtler um die Anordnung der Figuren dieſer Gruppe hat, darf ich eines anfechten, welches man ihm wahr - ſcheinlich nach Kupferſtichen, die das Maaß der Kin - der im Verhaͤltniß zu dem Vater zu hoch angeben, in Anſehung der Gruppirung beigelegt hat. Gruppiren heißt in der Mahlerſprache unter andern auch ſo viel, als mehrere Figuren ſo neben einander ſtellen, daß ſie nicht allein bequem uͤberſehen werden koͤnnen, ſondern auch zuſammen eine Maſſe von angenehmer Form aus - machen, an deren aͤußeren Umriſſen die Axe des Au - ges mit Leichtigkeit ſich auf und niederwaͤlzt. In die - ſer Ruͤckſicht ſind die Figuren unſers Werks nicht gut gruppirt. Denn da die Kinder gegen den Vater ſehr klein ſind, ſo fuͤhlt das Auge auch ſehr merklich den Abſprung von einer Figur auf die andere. Aber eben dies hebt die Hauptfigur ſo ſehr heraus, und der ver - ſtaͤrkte Eindruck desjenigen Theiles des Werks, wel - cher unſerer Aufmerkſamkeit am meiſten werth iſt, haͤlt uns fuͤr den Abgang der ſchoͤneren Form des Gan -E 2zen,68Der Vaticaniſche Pallaſt. Ganzen ab - geht, ge - winnt der Eindruck der Haupt - figur.zen, die doch hauptſaͤchlich nur bei dem erſten Anblick auffaͤllt, hinreichend ſchadlos.

Das Werk iſt blos mit dem Meißel geendigt, und nicht polirt. Auch dies traͤgt das Seinige zur Haͤrte bei, wenn es gleich den Ausdruck unterſtuͤtzt.

Man glaubt die Aufſtellung muͤſſe hoͤher ſeyn, ein Piedeſtal ohngefehr von Mannshoͤhe ſey fuͤr eine Figur von Lebensgroͤße zu niedrig. 13)So ſcheint auch der Herr Hofrath Heyne zu ur - theilen. Sammlung antiquar. Aufſaͤtze. IItes Stuͤck. S. 29.Allein ich fuͤrchte, dann ginge ein großer Theil des Ausdrucks verlohren, und ich glaube nicht, daß dasjenige was bliebe, uns dafuͤr wuͤrde ſchadlos halten koͤnnen.

Torſo di Bel-vedere.
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Torſo oder Sturz einer maͤnnlichen Natur von reifern Jahren.

Man haͤlt dieſes Bruchſtuͤck einer ſitzenden nackten Bildſaͤule fuͤr das vollkommenſte, was ſich aus dem Alterthume auf uns erhalten hat, und es ſcheint allein hinreichend, Gewaͤhr fuͤr die Hoͤhe zu leiſten, auf der die Kuͤnſte ehemals ſtanden, und zu der ſie von uns noch nicht wieder gehoben ſind.

Von der Bedeutung dieſes Werks laͤßt ſich nichts mit Gewißheit ſagen. Kopf, Arme, Beine fehlen. Inzwiſchen iſt der Charakter eines Hercules in den Formen unverkennbar, und die Stellung des nach - laͤßig zuſammen gefallenen Leibes, die gleichfam abge - ſpannten Muſkeln fuͤhren ſehr natuͤrlich auf den Be - griff von Ruhe. Mengs14)Opere di Mengs. T. I. p. 203. und Winkelmann15)G. d. K. W. E. S. 742.haben69Der Vaticaniſche Pallaſt. haben den vergoͤtterten, den verklaͤrten Hercules in dieſem Bruchſtuͤcke geſehen. Dieſe edle Beſtimmung ſcheint der Vortrefflichkeit der Arbeit wuͤrdig; und wer wuͤrde dann noch weiter zweifeln, daß ſie die ur - ſpruͤngliche geweſen ſey?

Es iſt bekannt, daß die Formen des menſchlichen Koͤrpers aus einer unzaͤhlichen Menge von Erhoͤhun - gen und Vertiefungen beſtehen, die den Gliedmaaßen, den Muſkeln, der Haut das Wellenfoͤrmige, das Ausgeſchweifte, das in einander Fließende geben, von denen in der Bildhauerarbeit Leben und Wahrheit abzuhaͤngen ſcheinen: Kein Werk des Meißels koͤmmt hierin unſerm Bruchſtuͤck bei. Von keiner Muſkel ſieht man den Anfang oder das Ende, und dennoch zeichnet ſich eine jede mit der aͤußerſten Beſtimmtheit dem Auge vor.

Der Ruͤcken und die Schenkel haben mir die ſchoͤnſten Theile geſchienen. Wenn man die Probe machen will, bei zugeſchloſſenen Augen langſam mit der Hand uͤber die angezeigten Theile herzufahren, wird man wahres Fleiſch zu fuͤhlen glauben. Mehr will ich uͤber die Schoͤnheit dieſes Werks nicht hinzu - ſetzen. Man muß ſehen, und ſchon viel geſehen haben, um den ganzen Werth dieſes Rumpfes zu fuͤh - len. Aber denjenigen, der ihn fuͤhlt, muß ich dar - auf zuruͤckfuͤhren, daß es nicht Wichtigkeit der Be - deutung, nicht Intereſſe des Ausdrucks iſt, die ſeinen Blick an dieſes Bruchſtuͤck ohne Kopf, ohne Arme, ohne Beine feſſeln. Es iſt das Wohlgefaͤllige der Geſtalt, die koͤrperliche Schoͤnheit, verbunden mit der Betrachtung der Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, die uns dieſen Rumpf fuͤr unſer Vergnuͤgen ſo werth ma -E 3chen.70Der Vaticaniſche Pallaſt. chen. Sollte er wohl im Gemaͤhlde, wenn er auch in eben dem Grade der Vollkommenheit gemahlt waͤre als er gehauen iſt, einen gleichen Anſpruch auf unſer Vergnuͤgen, auf unſere Bewunderung haben? Gewiß nicht! Dergleichen Bemerkungen werden uns unver - merkt auf den vollſtaͤndigen Begriff des weſentlichen Unterſchiedes zwiſchen Mahlerei und Sculptur leiten koͤnnen.

Nach den Eiſen zu urtheilen, die man in dem Geſaͤße bemerkt, iſt dieſer Ueberreſt ſchon in aͤlte - ren Zeiten reſtaurirt geweſen. So urtheilet auch Mengs. 16)Opere. T. I. p. 203.Sehr ſcharfſinnig bemerkt eben dieſer Autor, daß der Schluß von der Vortrefflichkeit des - jenigen, was ſich auf uns erhalten hat, auf die Vor - trefflichkeit desjenigen, was verlohren gegangen iſt, nicht mit Sicherheit gelten koͤnne. Wie viele Statuen kennt man nicht, die einzelne vortreffliche Partien haben, und im Uebrigen mittelmaͤßig ſind?

Eine alte Innſchrift zeigt einen Apollonius den Sohn eines Neſtor als den Meiſter an.

Venus. Sie traͤgt ein Diadem, die Flechten der Haare fallen uͤber die Schultern. Der Kopf ſcheint ein Portrait zu ſeyn. Sie haͤlt ihr Gewand, das zu fallen ſcheint, halb uͤber den Unterleib zuſam - men, und bedeckt mit der andern die Bruſt. Neben ihr ein Amor. Die Innſchrift gibt ihr den Nahmen einer Veneris felicis, und nennt eine Salluſtia und einen Helpidius als Perſonen, welche die Statue der Goͤttin geweihet haben.

Die71Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die linke Hand und die Arme des Amors ſind unergaͤnzt geblieben. Das Werk iſt ziemlich mittel - maͤßig.

Der Herr Hofrath Heyne haͤlt dieſe Figur fuͤr eine Venus aus dem Bade. 17)Samml. Antiq. Aufſaͤtze. I. Stuͤck. S. 158.Ueber die Bedeutung des Beinahmen felix, und anderer die man der Ve - nus beigelegt hat, ſehe man die Beſchreibung der Villa Borgheſe nach.

In Rom ſieht man in den Figuren der Venus, die das Gewand auf den halben Unterleib herabfallend zuſammen halten, die Stellung der Goͤttin, wie ſie ſich vor dem Paris entkleidete. Die Idee iſt ſinnreich und fein, wenn ſie ſich auch nicht critiſch rechtfertigen laſſen ſollte. 18)Richardſon S. 520. Volkmann S. 141. erwaͤhnen einer Venus, die nackt mit der einen Hand die Na - tur bedeckt, und mit der linken das Gewand, das auf einer Vaſe ruhet, aufhebt. Herr Hofrath Heyne. Samml. antiq. Aufſaͤtze I. Stuͤck, S. 144. glaubt, ſie komme in der Stellung der Cnidiſchen am naͤch - ſten. Auch Fea in ſeiner Italieniſchen Ueberſetzung ſpricht davon mit uͤbertriebenen Lobeserhebungen. Daß ſie in dieſem Hofe nicht ſteht, weiß ich gewiß. In den folgenden Zimmern kommen noch einige Statuen der Venus vor. Allein, vielleicht ſollte ich mich ſchaͤmen es zu geſtehen; ein Werk von auſ - ſerordentlicher Schoͤnheit erinnere ich mich nicht darunter gefunden zu haben.

Commodus. So wird die Statue eines Mannes im reiferen Alter genannt, der auf ſeinem Arme einen Knaben traͤgt. Ein gewiſſer individuellerE 4Charakter72Der Vaticaniſche Pallaſt. Charakter von Froͤhlichkeit und der Lorbeer laſſen auf ein Portrait ſchließen. Ob aber des Commodus? Daran iſt zu zweifeln. Der Grund zu dieſer Be - nennung liegt in dem Charakter eines Hercules, den dieſe Statue an ſich traͤgt. Wir wiſſen, daß ſich Commodus gern als Hercules vorſtellen ließ, und eine Nachricht, die wir haben, ſagt: Daß ein kleiner Lieb - ling des Commodus die Liſte derer, die ſein Herr zum Tode verdammt hatte, zum Fenſter hinaus geworfen, und dadurch Veranlaſſung zu deſſen Ermordung gege - ben habe.

Andere halten dieſe Statue fuͤr einen Hercules, der den Ajax ſegnet; andere nennen den Knaben Hy - las; andere Telephus;19)Viſconti ſoll dieſer Meinung geweſen ſeyn. Feas ital. Ueberſ. d. G. d. K. T. II. p. 400. n. 1. andere ſchlechthin Amor.

Die Statue hat gute Verhaͤltniſſe, und dienet daher den Kuͤnſtlern als Studium der Maaßen des reiferen maͤnnlichen Alters. Uebrigens iſt ſie ziemlich mittelmaͤßig; Muſkeln und Junkturen ſind ſehr hart angedeutet.

Lucius Verus. Man ſchaͤtzt dieſe Statue wegen der beſorgten Ausfuͤhrung in den Beiwerken.

Dieſe Statuen ſtehen in den Niſchen der Wand des hintern Porticus.

Zu meiner Zeit ſtanden noch folgende Kunſtwerke, die Aufmerkſamkeit ver - dienten, laͤngs der Wand hin.

Eine Niſche, deren ehemalige Beſtimmung nicht wohl abzuſehen iſt, es waͤre denn, daß ſie zumBehaͤlt -73Der Vaticaniſche Pallaſt. Behaͤltniß einer Begraͤbnißurne gedient haͤtte. Sie iſt rund umher mit Figuren von halberhobener Arbeit geziert, und dieſe Arbeit iſt vortrefflich. Es ſind Stoͤrche, die neben Vaſen und Baͤumen ſtehen, und Schlangen verzehren.

Ein Sarcophag. Das Basrelief ſtellt einen Imperator vor, den eine Victorie kroͤnt. Zu ſeinen Fuͤßen ein gefangener Barbar: Ein anderer bringt ihm ein Kind, andere liegen in Feſſeln; uͤberher Wa - gen mit Beute beladen, Trophaͤen u. ſ. w. Die Ar - beit ſcheint aus ſpaͤterer Zeit zu ſeyn, aber aus einer ſolchen, in der der gute Stil noch nicht verlohren gegangen war.

Um dieſes Stils willen koͤnnen Werke, die uͤbri -In welcher Ruͤckſicht Werke aus der ſpaͤtern Zeit, bei deutlichen Spuren des Verfalls der Kunſt, den - noch intereſ - ſant bleiben koͤnnen? gens in der Ausfuͤhrung mittelmaͤßig ſind, dem Lieb - haber merkwuͤrdig werden. Er macht ſich mit der Denkungsart der alten Kuͤnſtler mit ihrer Vorſtel - lungsart bekannt, und gewoͤhnt ſein Auge an richtige Verhaͤltniſſe, leicht in einander laufender Junkturen, Simplicitaͤt der Stellungen, und guten Wurf der Gewaͤnder.

Ein Sarcophag mit einem Bacchanal von vortrefflichem Stile, und zum Erſtaunen fleißiger Ausfuͤhrung. Schade! daß dieſer Fleiß an Trocken - heit graͤnzt, und daß die Zeichnung mehrere Unrich - tigkeiten hat. Er iſt außerdem ſtark ergaͤnzt.

Eine Vaſe von ſchwarzem Baſalt, der wie angelaufene Bronze ausſieht. Sie iſt mit Maſken geziert, und von ſchoͤnſter Arbeit und Form. Ob ſie gleich in mehrere Stuͤcke zerbrochen gefunden wurde, ſo hat man ſie doch ſehr gut wieder zuſammen - geſetzt.

E 5Zwei74Der Vaticaniſche Pallaſt.

Zwei große laͤnglichte Urnen, oder viel - mehr Badewannen, von rothem orientaliſchem Granit.

Torſo eines gefangenen Barbaren aus dem Pallaſt Pichini, deſſen vortreffliches Gewand dem Raphael oft zum Studio gedient hat.

In den Niſchen der Pfeiler, die den Porticus ſtuͤtzen.

Eine ſitzende Venus oder vielmehr Nymphe mit einer großen Muſchel auf dem Schooße. Ich fuͤhre ſie an, weil eine Copie dieſer Idee zu einem ſchoͤnen Waſſerbehaͤlter in einem Zimmer dienen koͤnnte.

Ein Hercules mit einem antiken Fuͤllhorn, mit dieſem Attribute bezeichnet, nennt man den Her - cules gemeiniglich Placidus.

Zwei Moloſſen, oder große Hunde von vortrefflicher Arbeit, die ehemals im Pallaſt Pichini befindlich waren, ſtehen jetzt am Eingange des Saa - les der Thiere. 20)Folgende Kunſtwerke ſtanden zu meiner Zeit außer den angezeigten in dieſem Hofe. Ein Sarcophag mit dem Kampfe der Amazo - nen wider die Griechen. Ein anderer ohne Figuren. Ein anderer mit der Fabel der Niobe. Ein anderer mit Geniis die ein Bacchanal feiern. Ein anderer mit Figuren zweier Eheleute. Der Mann in roͤmiſcher Kleidung reicht dem be -ſchleier -Saal75Der Vaticaniſche Pallaſt. 20)ſchleierten Weibe die Hand. Eine aͤhnliche Vor - ſtellung aber ganz rund gearbeiteter Figuren ſteht im Pallaſt Giuſtiniani. Auf unſerm Basrelief ſieht man außerdem einen Amor mit der Fackel, und zu beiden Seiten ſtehen zwei Genii, die die Arme uͤber den Kopf kreuzweis zuſammen legen. Ein anderer mit der Fabel des Endymion. Ein anderer mit den vier Jahrszeiten. Eine Wanne von ſchwarzem Baſalt. Eine andere von gruͤnem Baſalt. Eine ſitzende Muſe. Der Sturz einer Conſular-Statue mit einem vortrefflichen Gewande. In den Niſchen der Pfeiler, die den Por - ticus ſtuͤtzen. Eine fortſchreitende Minerva. Eine ſtebende Minerva. Auf dem antiken Schilde ein Meduſenkopf. Priap. Ein wohl conſervirter Alter mit einem Kranze von Weinreben, einem Knebelbarte, und einem andern Barte, der in Locken herab faͤllt. Den langen Rock hat er aufgenommen, um in dem Schooße Weinbeeren zu tragen. Er zeigt auf ſolche Art ſein charakteriſtiſches Glied, und dies dient ihm zu gleicher Zeit die Laſt zu tragen. An den Beinen iſt er mit Halbſtiefeln bekleidet. Ich glaube, die Figur koͤnnte zur Beſtimmung des Coſtume eines ehemaligen italieniſchen Bauers dienen. Die Figur einer Stadt. In der antiken Hand ein Anker, in der reſtaurirten ein Ruder. Im Innern des Sofes uͤber den Arcaden Basreliefs. Triumph des Bacchus und der Ariadne. Hector reißt ſich aus den Armen ſeines Weibes und ſeines Sohnes los. Paris haͤlt die Leier. Nenn

76Der Vaticaniſche Pallaſt.

Saal der Thiere.

Die groͤßte Anzahl der hier befindlichen Bild - hauerarbeit ſtellt Thiere vor. Aber unter ihnen ſte - hen auch einige menſchliche Figuren; dieſe will ich zu - erſt anzeigen.

Meleager. Den wilden Schweinskopf an der einen, den Hund an der andern Seite. Der Pabſt kaufte ihn Anno 1772 fuͤr 6000 Scudi aus dem Pallaſt Pichini, wo er ehemals ſtand.

Charakter eines Melea - gers.
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Meleager hat den Charakter eines jungen Helden aus den roheren Zeiten, in denen Verachtung der Ge - fahren, Staͤrke, und Geſchicklichkeit in Leibesuͤbungen Anſpruch auf dieſen Nahmen gaben. Biederer gra - der Sinn, Feuer und Herzlichkeit zeichnen ihn aus. Aber dabei iſt er auch rauh und trotzig. Er verfolgt das Wild, wenn er mit Maͤnnern nicht kaͤmpfen kann, und hat dabei ſein Maͤdchen lieber als Mutter und ſich ſelbſt.

Unſere Statue verdient durch eine gut gedachte Stellung und durch Richtigkeit der Zeichnung eine Stelle unter den guten Antiken. Aber zu den beſten gehoͤrt ſie nicht. Man wirft der Ausfuͤhrung mit Recht eine gewiſſe Haͤrte vor; der Kopf wird durch eine zu ſtarke Naſe entſtellt; man ſagt, dieſe Naſe ſey neu. Der linke Arm fehlt.

Mit
20)Neun Muſen, Minerva, Apollo. Ein Bacchanal mit Maſken. Die Thaten des Hercules. Mehrere Larven.
20)77Der Vaticaniſche Pallaſt.

Mit Zuverlaͤßigkeit kann man uͤber dieſe Sta - tue nicht urtheilen, weil man ſie nicht im rechten Lichte ſieht.

Der Nil. Ein liegender Flußgott, um den 16 Kinder herum ſpielen. Eine Andeutung der El - lenzahl derjenigen Hoͤhe, auf welcher der Fluß bei ſei - nen Ueberſchwemmungen die groͤßte Fruchtbarkeit ver - breitet. Auch ſieht man noch andere Beiwerke, als Crocodilen, Schiffe u. ſ. w. an der Baſts. Der Flußgott ſelbſt ruhet auf einem Sphynx von großer Schoͤnheit. Die Kinder ſind unverhaͤltnißmaͤßig klein gegen die coloſſaliſche Hauptfigur, und zum Theil ergaͤnzt.

Ungeachtet der coloſſaliſchen Geſtalt dieſer Statue iſt das Spiel der Muſkeln vortrefflich, und das Fleiſch von aͤußerſter Weichheit. Der Kopf hat einen vortrefflichen Ausdruck von guͤtiger Groͤße.

Tiber. Er dient dem Nil zum Gegenſtuͤck, oder vielmehr, wenn ich das franzoͤſiſche Compagnon ſo uͤberſetzen darf, zum Gefaͤhrten. Aber er iſt vonUeber den Begriff von Ehrwuͤrdig - keit, den die Alten mit den Locken ver - bunden zu haben ſchei - nen, die ſich an der Wur - zel in die Hoͤ - he heben und deren Spi - tzen herab - ſinken. einer andern Hand und unter jenem an Schoͤnheit. Seine Haare an der Stirn heben ſich in die Hoͤhe, und fallen dann wieder herab. Die Alten ſcheinen einen Begriff von Ehrwuͤrdigkeit mit dieſer Art des Haarwuchſes verbunden zu haben, den ſie, wie man behauptet, von den Maͤhnen des Loͤwen entlehnten.

Ein kleines Basrelief. Bacchus mit ſei - nem Gefolge. Genii tragen theils deſſen Attribute, theils fuͤhren ſie dieſelben auf Waͤgen, die mit Thieren verſchiedener Gattung beſpannt ſind.

Eine ſogenannte Janusterme mit zwei Koͤ - pfen, deren einer einen Homer vorſtellt.

Pan78Der Vaticaniſche Pallaſt.

Pan zieht einem Faun einen Dorn aus dem Fuße. Der Ausdruck vortrefflich. Dies Stuͤck iſt aus Villa Mattei hieher gebracht.

Beſondere Vorſtel - lungsart ei - ner Diana von Ephe - ſus.
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Diana von Epheſus, Sinnbild der Natur, beſonders der Fruchtbarkeit und Feſtigkeit der Erde. Der Leib beſtehet aus Weiberbruͤſten, und einer Art von Windeln, aus denen zum Theil unerklaͤrbare Thiere, und andere Formen hervorragen. Bei einer ſolchen Vorſtellungsart koͤnnen nur Kopf und Extre - mitaͤten ein Gegenſtand der ſchoͤnen Zeichnung ſeyn, das Uebrige wird hoͤchſtens der beſorgten Ausfuͤhrung wegen merkwuͤrdig. In Ruͤckſicht beider verdient dieſe Statue Aufmerkſamkeit.

Ein Sarcophag mit Nereiden und Tri - tonen.

Sammlung von Thieren.
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Die Menge von Thieren, die man hier verſam - melt ſieht, fuͤhrt auf ſonderbare Betrachtungen. Selbſt die unbetraͤchtlichſten haben hier ein Bild. Wie groß muß der Luxus der Alten geweſen ſeyn, ihr Reichthum, die Menge ihrer Kuͤnſtler, ihre Lieb - haberei!

Ich will nur die vorzuͤglichſten dem Liebhaber anzeigen. Die Note enthaͤlt das vollſtaͤndige Ver - zeichniß.

Ein kleiner Loͤwe von Breccia. Die Farbe des Marmors iſt vortrefflich genutzt, und die Arbeit aͤußerſt fein. Man ſollte das Werkchen fuͤr eine Camee halten.

Ein großer Adler im Begriff aufzufliegen aus Villa Mattei.

Eine Ziege. Ein treffliches Stuͤck, das ehemals einen Theil einer Gruppe ausgemacht zuhaben79Der Vaticaniſche Pallaſt. haben ſcheint. Man bemerkt am Barte die Hand eines Kindes.

Ein Hahn aus Villa Mattei.

Ein wuͤthender Stier. So ſchoͤn, daß Kuͤnſtler ihn den Apollo unter den Thieren nennen. Der Ausdruck iſt vortrefflich. Das Werk iſt nur klein, aber mit aͤußerſter Beſtimmtheit gearbeitet. Ich pflege mich auf die Schoͤnheit der Geſtalt dieſes Thieres gegen diejenigen zu berufen, die jene Be - hauptung: die Geſtalt des Hercules ſey von einem Stiere entlehnt, unter der Wuͤrde dieſes Got - tes halten.

Ein Hirt traͤnkt eine Kuh, waͤhrend daß ein Kalb ſaugt; ſchoͤnes Basrelief.

Ein Hirſch, den zwei Hunde anfallen. Vor - trefflich von Ausdruck und Arbeit.

Zwei Windhunde, die mit einander ſpielen.

Ein Tigerkopf von Alabaſter.

Ein Storch, der eine Schlange frißt.

Kopf einer Ziege.

Maͤuſe beim Grabe des Nero gefunden.

Ein Kaninchen.

Ein Tiger von Breccia Granito aus dem Pallaſt Colonna.

Eine Windhuͤndin.

Ein todtes Lamm auf einem Altare aus Villa Mattei.

Ein Eſel von grauem Marmor. Das Weinlaub, mit dem der Kopf umkraͤnzt iſt, ſcheint den Eſel des Silen zu bezeichnen.

Ein Storch von rothem Marmor.

Eine80Der Vaticaniſche Pallaſt.

Eine Sau mit Ferken von vortrefflicher Arbeit.

Eine Gans in einer Schaale, die wahrſchein - lich zur Fontaine diente.

Der Fußboden von Moſaik beſteht aus drei Stuͤcken. Zwei derſelben ſtellen in natuͤrlichen Farben Thiere und Fruͤchte vor. Das mittelſte aber iſt aus ſchwarzen und weißen Steinen zuſammengeſetzt, und zeigt einen Adler, der einen Haſen frißt, einen Leoparden, und eine Woͤlfin.

Dieſer Fußboden iſt vortrefflich. 21)Uebrige Kunſtwerke in dieſem Zimmer: Ein Gefaͤß von ſchwarzem africaniſchen Mar - mor. Zwei Raben zu jeder Seite dienen zu Hand - griffen. Ein Sarcopbag mit dem Raube der Tochter des Leucippus durch Caſtor und Pollux. Ein Aegyptiſches Idol. Ein Raubvogel von ſchwarzem Baſalt. Ein Reh von Alabaſtro fiorito. Der Leib al - lein antik. Ein Triton, der eine Nymphe geraubt hat, ſtark reſtaurirt. Arme und Beine gewiß neu. Ein Sarcophag mit dem Tode des Agamemnon. Zwei Pfauen. Ein Vogel Ibis. Minotaur, Buͤſte. Eine andere Diana von Epheſus von der im Texte angezeigten verſchieden. Die letzte ſteht auf einem Altare, an dem ein Aegyptiſches Opfer im Griechiſchen Stile gearbeitet iſt. HerculesZimmer81Der Vaticaniſche Pallaſt. 21)Hercules, der den Diomedes umbringt. Bas - relief. Eine Saͤule mit Verzierungen auf einer Baſis mit einem Aegyptiſchen Opfer im griechiſchen Stile. Hercules, der den Geryon toͤdtet. Basrelief. Ein Knabe, der einen Vogel traͤgt. Eine Senne. Sie ſteht auf einem Sarcophag. Ein Gefaͤß. Ammonskoͤpfe dienen ſtatt der Griffe. Ein anderes mit Blaͤttern. Eine wilde Taube. Ein Hyppogryph von Alabaſtro fiorito. Ein liegender Stier. Ein Crocodill von ſchwarzem Marmor. Amor im Wagen von zwei wilden Schwei - nen gezogen. Basrelief. Eine Vaſe mit Ammonskoͤpfen ſtatt der Griffe. Ein verwundeter Krieger, der ſich im Fallen vertheidiget; er traͤgt eine phrygiſche Muͤtze. Ein Elephant. Basrelief. Ein Ziegenkopf. Zwei Sarcophagen. Eine Kroͤte von Roſſo antico. Ein Schaafskopf. Ein Kameel. Eine Kub von Marmo bigio. Ein Loͤwe von derſelben Materie. Ein Knabe der ein Crocodil haͤlt. Ein coloſſaliſcher Kameelskopf, der wahrſchein - lich zu einer Fontaine diente. Ein Sarcophag, gefunden bei dem Grabe des Nero. Das Basrelief ſtellt einen Wolf, oder wahrſcheinlicher einen Fuchs vor, der einer Katze ein geraubtes Huhn abnimmt. EinErſter Theil. F82Der Vaticaniſche Pallaſt. 21)Ein Tiger, der ſich hinter die Ohren kratzt. Eine wilde Taube auf einem Dattelbaum. Ein Stachelſchwein. Basrelief. Ein Sarcophag mit dem Raube des Gany - medes. Ein indianiſches Schwein. Kopf eines Rhinoceros. Hercules, der den Dreifuß des Apollo geraubt hat. Basrelief. Ein Tiger. Hercules, der den Cerberus feſſelt. Basrelief. Ein Loͤwe aus dem Pallaſt Mattei. Eine Katze. Ein Gefaͤß mit verſchiedenen Thieren in Bas - relief. Centaur der einen Saſen haͤlt, auf ſeinem Ruͤ - cken ein Amor. Nur der Torſo des Centauren iſt alt. Ein Aſchenkrug, dem Enten zu Griffen die - nen. Gut. Ein Sarcopbag. Charon fuͤhrt einige Schat - ten zur Unterwelt, in der man verſchiedene Hoͤllen - ſtrafen vorgeſtellt ſieht. Rehkopf von Roſſo antico. Eine abgebrochene Saͤule von Breccia d Egitto auf welche man eine moderne Vaſe aus dem alten ſeltenen Porphyr, der gruͤn und mit goldenen Adern durchſchlaͤngelt iſt, gearbeitet, geſetzt hat. Ein Basrelief mit einer weiblichen Figur auf halben Leib, die bekleidet iſt, und opfert. Unten ſteht die Innſchrift: Laberia Felicia Sacerdos Maxima Matris Deum. Kopf

83Der Vaticaniſche Pallaſt.

Zimmer der Muſen.

Man hat die Statuen aller Neun Muſen beiApollo und die Muſen. einander haben wollen. Einige derſelben ſind zu Ti - voli in der Villa des Hadrian auch wuͤrklich bei einan - der nebſt dem Apollo Muſagetes gefunden. Ob ſie alle von einer Hand verfertigt; ob ſie nicht ſchon bei Anlegung der Villa ſelbſt zuſammen geleſen worden; ob ſie in alten Zeiten in einer Gruppe vereinigt geſtan - den haben? ſind Fragen, die ich unbeantwortet laſſe. Inzwiſchen meine Meinung uͤber dergleichen weitlaͤuf - tige Compoſitionen in der Bildhauerkunſt habe ich be - reits geaͤußert. 22)Oben beim Pallaſt Farneſe.Der Kuͤnſtler, der die wahren Graͤnzen ſeiner Kunſt, das Maaß menſchlicher Kraͤfte genung kennt, wird ſich ſchwerlich an die Zuſammen - ſetzung vieler Figuren wagen, und als mahleriſche Gruppe aufgeſtellt, das glaube ich mit mehrerer Dreiſtigkeit behaupten zu koͤnnen, thun ſie keine Wuͤrkung.

Genung! Man hat in der Villa des Hadrian nur einige Figuren der Muſen zuſammen gefunden. Die fehlenden hat man von allen Seiten herbei geſchafft.

Die Benennungen ſind eben ſo willkuͤhrlich als der groͤßte Theil der Attribute, die ſie bezeichnen.

F 2 Mel -
21)Kopf und Arme ſind neu. Inzwiſchen ſieht man auf der Schulter die Spuren des Schleiers, den ihr der moderne Kuͤnſtler uͤber den Kopf gezogen hat; und ein antikes Stuͤck des Blumenkranzes, den ſie in der Hand traͤgt.
21)84Der Vaticaniſche Pallaſt.

Melpomene. Den Kopf mit Weinlaub be - kraͤnzt, haͤlt ſie in der rechten Hand eine ſcheußliche Maſke. Dieſe Hand iſt neu, aber die Haͤlfte der Maſke iſt alt. Den Fuß mit dem Cothurn bekleidet, ſetzt ſie auf den Stamm eines Baums, und lehnt den Arm mit vorgebeugtem Koͤrper auf das Knie. Die - ſer Arm iſt neu, nebſt der Hand, in welcher ſie den Dolch traͤgt.

Herrlicher Kopf der tragiſchen Muſe.
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Der Kopf dieſer Statue iſt wo nicht der ſchoͤnſte, gewiß der gefaͤlligſte von allen weiblichen, die ſich aus dem Alterthume auf uns erhalten haben. An vielen derſelben bemerken wir eine Ruhe, die an Ernſt graͤnzt. Die Uebereinſtimmung der Zuͤge, das Ver - haͤltniß der Theile zu einander, kurz! die eigentliche ruhige Schoͤnheit, oder die Schoͤnheit ohne Reitz iſt es, die uns Bewunderung abpreßt. Aber der Kopf unſerer Muſe hat den Reitz uͤberher, und feſſelt da - durch gleich beim erſten Anblicke unaufloͤslich. Wir ſehen ſie in dem Alter, in welchem unſer begeiſterte Winkelmann die Maͤdchen mit Roſen vergleicht, die nach einer ſchoͤnen Morgenroͤthe beim Aufgang der Sonne aufbrechen. Ihr Ausdruck iſt dem einer rei - nen unbefangenen Seele aͤhnlich, die unter muntern Geſaͤngen Blumen geleſen hat, und durch die Ankunft eines ſchoͤnen Juͤnglings unterbrochen wird. Ihr Auge ſcheint ihn zum erſten Mahle zu erblicken und die Ahndung der Empfindbarkeit, die durch ihre un - befangene heitere Mine durchſtrahlt, iſt vielleicht dasjenige, wodurch ſie unſer Herz am ſicherſten gewinnt.

Aber wie paßt dieſer Charakter zu dem Charak - ter einer tragiſchen Muſe? Dies bleibt mir Raͤthſel.

Der85Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der Reſt der Figur iſt mittelmaͤßig, und in der Ausfuͤhrung vernachlaͤßiget. Auch dieſer Abſtand des Kopfs zum Rumpf bleibt mir Raͤthſel.

Thalia. Hier iſt der Rumpf das Vorzuͤg - lichſte. Denn der Kopf hat durch die Ergaͤnzung ſtark gelitten. Der Putz deſſelben beſteht aus Wein - trauben und Epheu. Die Drapperie iſt eben ſo ſchoͤn gedacht, als gearbeitet. Beide Arme ſind neu; folglich mit ihnen die Klappertrommel, (tambour de basque). Aber der gekruͤmmte Stab oder Li - tuus in der andern wird durch die antike Haͤlfte, die ſich am Tronk erhalten hat, gerechtfertigt. Bei ihr liegt eine Maſke. Die Beine ſind ins Kreutz uͤber einander geſchlagen.

Urania. Der Kopf, eine ſchoͤne Natur, zeigt beinahe den Wunſch gefallen zu wollen. Aber wir bemerken ihn gern dieſen Ausdruck der Zuvorkom - mung ſo weit entfernt von aller Andringlichkeit. Die Haare ſind wie an der Venus hinten in einen Schopf zuſammen gebunden.

Dieſe Figur iſt eine der ſchoͤnſt bekleideten die wir haben. Durch den leichten Faltenſchlag wird dem Auge nichts von der Eleganz der Formen des reitzend geſtellten Koͤrpers entzogen.

Die beiden Arme ſind nebſt den Attributen der Weltkugel und des Griffels neu. Der Kopf iſt alt, aber aufgeſetzt.

Calliope. Der Kopf iſt ſehr ergaͤnzt. Die Arme mit dem Buche und der Trompete ſind neu.

Polyhymnia. Der Kopf mit Blumen be - kraͤnzt iſt ſchoͤn. Sie hat ſich in einen Mantel ge - wickelt; dieſer iſt gut gedacht, aber trocken ausgefuͤhrt.

F 3 Mel -86Der Vaticaniſche Pallaſt.

Melpomene aus dem Hauſe Mattei. *)Sie war daſelbſt unter dem Nahmen Livia bekannt. Winkelmann nennt ſie Melpomene. Fea Ediz. della Storia delle arti del diſegno preſſo gli an - tichi di Giov. Winkelmann, T. II. p. 329. n. A. nennt ſie Pudicizia und gibt ihr einen neuen Kopf.Der Kopf iſt aufgeſetzt, und hat einen Ausdruck von moderner Grazie, etwas Fremdes, das mir bald den Verdacht erwecken ſollte, daß er nicht alt ſey. Ich will inzwiſchen nicht daruͤber entſcheiden. Die Hand mit der ſie den Schleier haͤlt, iſt augenſcheinlich neu.

Das Gewand iſt vortrefflich.

Erato mit dem Diadem. Die Drapperie ein wenig ſchwerfaͤllig. Der Kopf ſoll aufgeſetzt ſeyn.

Euterpe ſitzend. Der Kopfputz iſt von Lor - beern. In den Haͤnden der modernen Arme haͤlt ſie eine Rolle, die durch den antiken Theil, der ſich mit dem Gewande erhalten hat, gerechtfertiget wird.

Terpſichore ſitzend. Der Kopf ſoll aufgeſetzt ſeyn. Die Arme groͤßtentheils neu.

Clio. Aus dem Pallaſt Lancelotti. Raphael ſcheint ſie bei einigen ſeiner Figuren zum Vorbilde ge - nommen zu haben. Das Gewand liegt ein wenig zu feſt an, und hat die Anſicht eines feinen Leinens. Der Schuh von beſonderer Form.

Charakter des Apollo Muſagetes.
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Apollo Muſagetes Anfuͤhrer der Muſen. Sein Charakter iſt der eines wolluͤſtigen Genießers der Kuͤnſte, die Friede und Muſe erzeugen, und die um genoſſen zu werden, eben ſo viel Ruhe von Qua - len eigennuͤtziger Leidenſchaften, als Abgezogenheit von lebhafter Thaͤtigkeit, gewaltſamer Anſtrengung,und87Der Vaticaniſche Pallaſt. und peinigenden Sorgen erfordern. Eine ſelige Stille, eine Genuͤgſamkeit, wie ſie das Anſchauen himmliſcher Vollkommenheit, und Fuͤllung der Ein - bildungskraft allein zu gewaͤhren im Stande ſind, und eine gutherzige Heiterkeit aͤußern ſich in der ſuͤßen Entzuͤckung ſeines Blicks, und in der ruhigen Lage ſeiner Geſichtszuͤge. Aber eine gewiſſe Weichlichkeit, wie ſie dem Geſchlechte eigen gehoͤrt, das vorzuͤglich vor dem unſrigen auf die Ausbildung angenehmer Ta - lente berechtiget ſcheint, oder wie wir ſie uns an den Bewohnern der Laͤnder unter heißeren Himmelsſtrichen denken, zeigt ſich zu gleicher Zeit in Formen und Kleidung.

Sein langer Rock wird mit einem Guͤrtel gerade unter der Bruſt zuſammengefaßt. Ein langer Mantel auf den Schultern befeſtigt, flattert weit umher, und ſein aufgebundenes Haar iſt mit einer Lorbeerkrone umgeben. Er ſchreitet fort, und dieſe Stellung hat einen eben ſo natuͤrlichen als edeln Aus - druck. Das Gewand iſt gut gedacht, aber nicht eben ſo gut ausgefuͤhrt.

Wenn mich meine Vermuthung nicht truͤgt, ſo iſt dies Werk die Copie nach einem viel ſchoͤnern, das verlohren gegangen iſt, aber ſchon die Seltenheit der Vorſtellungsart macht es unſerer ganzen Aufmerk - ſamkeit werth. 23)Eine aͤhnliche Statue iſt mit den neun Muſen nach Stockholm gegangen, die Volpato zu meiner Zeit an den Koͤnig von Schweden verkaufte.

Die Arme ſind bis auf die Haͤlfte neu. Aber die Leier wird durch das Band gerechtfertigt, mit dem ſie um ſeine Schultern haͤngt.

F 4 Zu88Der Vaticaniſche Pallaſt.

Zu den Fuͤßen dieſes Apollo ein herrli - cher Dreifuß mit allen Attributen des Gottes. Er iſt von Piraneſe gekauft. Das Gefaͤß von Gra - nit, das darauf ſteht, iſt ſchoͤn, aber neu.

Aſpaſia, Terme mit zuſammengeſetzten Fuͤßen, und dem griechiſchen Nahmen. Auf dem Kopfe, der nicht beſonders ſchoͤn iſt, traͤgt ſie einen Schleier.

Pericles. Schoͤne Terme mit dem griechiſchen Nahmen.

Vorlaͤufige Bemerkung uͤber Buͤſten mit angeb - lich antiken Nahmen.
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So ſehr man ſich im Allgemeinen huͤten muß, dergleichen Nahmen fuͤr alt anzunehmen, ſo haben mich doch glaubwuͤrdige Maͤnner verſichert, daß einige der Buͤſten, die hier mit Nahmen bezeichnet ſind, wuͤrklich bei dem Ausgraben in der Villa des Hadrian zu Tivoli mit der antiken Innſchrift gefunden ſind.

Von dem Betruge, der ſonſt in dieſen Faͤllen gewoͤhnlich iſt, ein Mehreres weiter unten, um nicht Alles auf einmahl zu ſagen.

Adonis. Eine der guten Statuen, die in neueren Zeiten geſunden ſind. In der Mine liegt ein Zug erhabener Melancholie, und dieſe zeigt ſich auch in der nachlaͤßigen, beinahe hinfaͤlligen Stellung, die einen Geiſt andeutet, der ganz mit ſeinem Kum - mer beſchaͤfftiget, auf aͤußere Dinge nicht achtet. Der Kopf iſt das ſchoͤnſte an dieſem Werke, und mit einer Hauptbinde umgeben. Der Koͤrper geht nicht uͤber die ſchoͤne Natur hinaus. Der Arbeit daran kann man einige Haͤrte vorwerfen. Man bemerkt viele Ergaͤnzungen, unter denen beide Arme, ein Bein mit der Huͤfte und ein Fuß die hauptſaͤchlich - ſten ſind.

Gany -89Der Vaticaniſche Pallaſt.

Ganymedes vom Volpato gefunden. ManGanymedes und deſſen Charakter. kann dieſe Statue dreiſt unter die ſchoͤnſten des Alter - thums ſetzen.

Ganymedes iſt das Ideal eines Knabens der Freuden, uͤber deren Rechtmaͤßigkeit die Alten von den unſrigen verſchiedene Begriffe hatten. Was der bekannte Geſchmack einer Glycera24)Sie gab Juͤnglingen die kaum zur Pubertaͤt ge - langt ſind, in den Spielen der Liebe den Vorzug. zu dem Charak - ter eines Lieblings verlangen koͤnnte, mit dem die Stunden unter Koſen und neckenden Scherzen ver - fließen, das liegt, der Mine nach, in dem Charakter des ſchoͤnen Knabens. Ich nenne ihn Knaben: Aber er hat ſchon die Anſpruͤche des Juͤnglings. Ein gewiſſer ſchalkhafter Zug um ſeine Lippen herum, das lichtvollere Auge verkuͤndigen, daß er die Rechte ent - deckt, die ihm zunehmende Staͤrke auf hoͤhere Freu - den gibt. Er iſt in dem Uebergange von ſorgen - loſer Gleichmuͤthigkeit zu dem Zuſtande, in dem man mit dem gegenwaͤrtigen Genuſſe das Bewußtſeyn ſei - nes Gluͤcks verbindet. Seine Dankbarkeit fuͤr das Vergnuͤgen das er theilet, wird das Vergnuͤgen, das er gibt, erhoͤhen; und ſeine muthwilligen Verſagun - gen werden nie zur eigenſinnigen Weigerung ausarten.

Sein Koͤrper vereinigt die ſchoͤnen Verhaͤltniſſe der Juͤnglingsjahre mit der Zartheit der Umriſſe des Knabenalters. Den Knochenbau hat er vom Juͤng - ling, ſogar die ſtaͤrkeren Muſkeln, die dem Fleiſche Feſtigkeit, Elaſticitaͤt und Woͤlbung geben. Aber das rundliche voͤllige Fleiſch, das zum Kneipen einla - det, die fettliche Haut, die die Hand zum Strei - cheln anzieht, hat er vom Kinde.

F 5So90Der Vaticaniſche Pallaſt.

So zeigt ſich unſer Ganymed. Der Kopf mit der phrygiſchen Muͤtze ſo ſchoͤn er noch iſt, hat doch ſchon durch die Ergaͤnzungen gelitten. Das Be - wundernswerthe aber iſt der Koͤrper, an dem ſich die Kunſt des Meißels erſchoͤpft hat. Das Spiel ſeiner Muſkeln iſt ſo gelehrt, ſo beſtimmt, und dennoch un - ter der weichen geſchmeidigen Haut ſo natuͤrlich, ſo fließend, daß ich unter allen antiken Statuen ihm in dieſer Ruͤckſicht nur den beruͤhmten Torſo des Belve - dere an die Seite ſetzen kann.

Der rechte Arm iſt modern. Die Beine ſind zu - ſammengeſtuͤckt. Der Adler der bei ihm ſteht, hat ſich bis auf den Schnabel und den linken Fluͤgel un - verſehrt erhalten. Der Ausdruck in dem Thiere iſt gut.

Eine weibliche Figur aus dem Pallaſt Bar - berini, bekannt unter dem Nahmen des Spartaniſchen Maͤdchens. Dieſe Benennung gruͤndet ſich auf die Stellung, die einen Antritt zum Laufen anzeigt, und auf die maͤnnlichen Fuͤße. Allein dieſer Ausdruck liegt wohl hauptſaͤchlich in den modernen Armen, die ſich wie beim Anſetzen zum Rennen zuruͤckſtemmen. Der breite Guͤrtel und die uͤbrige Kleidung fuͤhrt mich auf die Vermuthung, daß dies eine Amazone ſey. Die Falten ſind etwas gradlinigt, und verrathen einen alten Stil.

Aratus, ſchoͤner und vortrefflich gearbeiteter Kopf.

Sabina; Aus dem Gewande, das wahrſchein - lich nur ein feines Leinen vorſtellen ſoll, aber feſt an die Haut klebt, glaubt man ſchließen zu koͤnnen, daß dieſe Figur aus dem Bade komme. Der Koͤrper iſt ſchoͤn; die Ausfuͤhrung fein. Die Arme ſind neu.

Perian -91Der Vaticaniſche Pallaſt.

Periander, ſchoͤne Terme, mit der antiken Inn - ſchrift, und zuſammengeſchloſſenen Beinen.

Ein junger Hercules, ſchoͤne Terme. Der Kopf iſt mit Weinlaub und Trauben bekraͤnzt. Viel - leicht ein Hercules bibar. Die Enden der Haupt - binde fallen auf die Schultern herab. In der Mitte der Terme ſind die Zeugungsglieder angedeutet. Der unterſte Theil fehlt: Wahrſcheinlich waren Fuͤße daran.

Einige allgemeine Bemerkungen uͤber Termen werde ich anderswo geben.

Schoͤner Kopf des Mercurius.

Euripides. Die Naſe hat ſich an dieſem Kopfe unverſehrt erhalten. Er iſt ſchoͤn.

Diogenes und ein dabei ſtehender unbe - kannter Kopf: gut.

Zwei Basreliefs in dieſem Zimmer ſtellen ſo - genannte Kriegertaͤnze vor. Es ſind nackte Figuren, die Schilde auf den Armen, und Helme mit großen Federbuͤſchen auf dem Haupte tragen. Uebrigens ſind ſie nackt, und ſcheinen einen Reihetanz zu tanzen.

Domitia als Diana. Der Kopf voller Wahrheit und Ausdruck. Die Drapperie etwas trocken. Was man auf dergleichen Benennung zu geben hat, an einem andern Orte.

Terme des Bacchus mit Hoͤrnern. Schoͤ - ner Kopf voller Charakter. Sonderbar iſt das eine Ohr, welches mehr als das andere ausgearbei - tet iſt.

Ein Genius, der im Stehen ſchlaͤft. Der Ausdruck vortrefflich.

Jupiter placidus oder terminalis. Von dem Begriffe, den man mit Vorſtellungen dieſer Artverbin -92Der Vaticaniſche Pallaſt. verbinden muß, weiter unten. Der unſrige traͤgt eine auslaͤndiſche Muͤtze auf dem Kopfe. 25)Uebrige Kunſtwerke in dieſem Zimmer. Zwei Termen unbekannter Philoſophen. Terme des Heſiodus. Venus Victrix, von dem Cuſtode der Gallerie Pallas Victrix genannt. Fuͤr die Kunſt unbedeu - tend. Zum Beſten gelehrter Ausleger bemerke ich, daß der Kopf einer Venus gehoͤrt, und daß die Arme mit den Attributen modern ſind. Im Muſco Clementino T. II. folgt auf dieſe Venus Victrix ſo gleich die Pallas, die nach der folgenden Figur des Apollo von mir angezeigt iſt. Sie ſtehen aber nicht dicht bei einander. Ich habe dies anzeigen muͤſſen, damit man nicht glaube, ich haͤtte beide zuſammen geſchmolzen. Apollo mit der Eidexe, Sauroctonon. Arme und Beine neu, uͤbrigens mittelmaͤßig. Pallas, mit modernen Armen. Zeno, mit der Innſchrift. Ein paar unbekannte Koͤpfe. Homer. Bias, mit dem griechiſchen Nahmen. Drei unbekannte Koͤpfe. Heſiodus. Aeſchines mit dem griechiſchen Nahmen. Demoſthenes. Antiſtenes mit dem griechiſchen Nahmen. Alcibiades mit dem griechiſchen Nahmen. Sophocles mit dem griechiſchen Nahmen, klein und mittelmaͤßig. Das Meiſte von dieſen Kunſtwerken iſt in der Villa des Hadrians gefunden.

Große93Der Vaticaniſche Pallaſt.

Große Seitengallerie.

Neptun mit dem Trident und dem Del - phin. Arme und Fuͤße neu. Die Haare ſcheinen von Naͤſſe zu triefen.

Genius. Eine Figur auf halben Leib, ohneGenius. Arme, in einem Alter von ungefaͤhr 12 Jahren. Auf dieſes herrliche Bruchſtuͤck wuͤrde die Beſchrei - bung paſſen, die Winkelmann von dem Genius in der Villa Borgheſe macht, und der ſie weniger verdient. Von ihm wuͤrde man ſagen koͤnnen: Daß ſich der Leſer dies herrliche Bild in der Geſtalt eines Engels denken muͤſſe, der ihm im Schlafe erſcheint, wenn ſeine Einbildungskraft mit dem einzelnen Schoͤnen in der Natur angefuͤllt, ſich mit langer Betrachtung der von Gott ausflieſſenden, und zu Gott fuͤhrenden Schoͤn - heit beſchaͤfftiget hat. Von ihm koͤnnte man ſagen: Die Natur habe dieſe Schoͤnheit mit Genehmhaltung Gottes nach der Schoͤnheit der Engel gebildet Aber es iſt beſſer, daß man nichts ſage. Hier muß man ſehen, um zu fuͤhlen.

Ein Silen. 26)Ueber dieſe Vorſtellungsart ſiehe weiter unten Villa Borgheſe.Der Leib iſt mit Haaren be - wachſen. Arme und Beine ſind modern. Von ge - meinem aber wahrem Charakter.

Triton, oder Meerungeheuer. So nenne ich eine Statue auf halben Leib ohne Arme, die ehe - mals eine ganze ausgemacht hat. Ob ſich gleich die Benennung nicht ganz vertheidigen laͤßt, ſo zweifeleich94Der Vaticaniſche Pallaſt. ich doch, daß ſich eine mehr befriedigende geben laſſe. Die melancholiſch in die Hoͤhe gezogenen Augenbrau - nen, und die Locken an der Stirne, die nach einer maͤßigen Hebung wieder herabſinken, geben dem Kopfe eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Kopfe des Alexan - der zu Florenz. Der unſrige aber traͤgt Faunusohren, die nur zur Haͤlfte neu ſind, und eine Haut um den Leib gebunden, die mit Floßfedern und Schuppen bedeckt iſt. Die Arbeit iſt ſchoͤn, die Formen aber ſind nicht uͤber die gewoͤhnliche Natur erhaben.

Eine weibliche Statue als Danaide reſtau - rirt. Nackt auf halben Leib. Auf dem Geſichte herrſcht der Ausdruck der Melancholie.

Paris aus dem Hauſe Mattei. Beide Arme ſind neu. Demjenigen mit der Hand, worin er den Apfel haͤlt, hat man eine Stellung gegeben, die ver - ſchieden von der alten iſt, welche weit natuͤrlicher war. Man ſieht noch die Fugen des alten auf dem Knie. Dieſe Statue ſteht ihren Ruhm keinesweges. Der Kopf hat Ausdruck, aber er iſt verzeichnet. Das Gewand iſt hart und trocken gearbeitet. Die Beine ſind ſchlecht angeſetzt.

Eine weibliche Figur mit Weinlaub bekraͤnzt, und mit einem Rocke von geſtreiftem Zeuge bekleidet. Das Gewand iſt vortrefflich gearbeitet. Der Kopf, den man ihr aufgeſetzt hat, gehoͤrt ihr nicht.

Unzuverlaͤßi - ge Benen - nung der Nymphen. Was man fuͤr einen
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Man nennt dieſe Statue eine Nymphe. Ein Nahme, mit dem man ziemlich freigebig gegen weib - liche Figuren iſt, die keinen Charakter einer beſtimm - ten Gottheit haben, und dennoch vermoͤge ihrer weni - ger edlen, weniger ſanften Natur, nicht fuͤr Muſen gelten koͤnnen.

Ein95Der Vaticaniſche Pallaſt.

Ein Badeknecht aus weißem Marmor demBegriff mit derſelben verbindet. Borgheſiſchen ſogenannten Seneca aͤhnlich. Er haͤlt einen Eimer, welcher antik iſt, und ſtand ehemals in der Villa Pamfili.

Eine kleine Cybele. Sie ſteht auf der Figur eines Mannes, der ſie aus dem Waſſer hebt. Die Stellung iſt reizend.

Sardanapal. So bezeichnet dieſe Statue der Nahme der auf dem Rande des Gewandes einge - graben iſt. 27 a)Winkelmann G. d. K. S. 467. behauptet: der beruͤchtigte Koͤnig von Aſſyrien koͤnne es nicht ſeyn, weil dieſer ſich alle Tage den Bart habe abnehmen laſſen, unſere Figur aber einen Bart trage. Ein Grund, der viel Bekanntſchaft mit der fruͤheren Ge - ſchichte in dem griechiſchen Kuͤnſtler vorausſetzt. Er gibt zur Perſon, die ſie abbildet, einen fruͤheren Koͤnig dieſes Nahmens in Aſſyrien, welcher ein weiſer Mann war, an. Man koͤnnte immer noch fragen: iſt der Nahme von dem Kuͤnſtler eingegra - ben, der das Werk verfertigte, mithin eine ſichere Angabe der Bedeutung, die er damit verbinden wollte?Zu entſcheiden, welcher Sardanapal hier vorgeſtellet ſey? Dies gehoͤrt nicht vor mein Forum.

Der Kopf, der viel Guͤte und Adel hat, traͤgt einen Bart, und eine Kopfbinde, welche die Haare zur Haͤlfte zuſammenfaßt, die andere Haͤlfte faͤllt auf die Schultern in gekraͤuſelten Locken herab. Der Kopf hat uͤberhaupt Aehnlichkeit mit den Koͤpfen der Termen, die man Jupiter terminalis, Jupiter placi -dus,96Der Vaticaniſche Pallaſt. dus, auch wohl, irrig, Plato nennt. Das Ge - wand, welches aus einem Unterkleide von feinem Lei - nen, und einem daruͤber geſchlagenen Mantel beſteht, iſt von der ſchoͤnſten Wahl und Ausfuͤhrung. Der Arm, der vom Gewande nicht bedeckt wird, iſt neu.

Eine Bacchantin und Pan. Der Ge - danke iſt reitzend obgleich etwas frei. Dieſe Gruppe iſt aus dem Pallaſt Caraffa von Neapel hieher ge - kommen.

Charakter einer Ama - zone.
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Amazone aus dem Pallaſt Mattei. Der allgemeine Charakter dieſer Figuren iſt der einer Hel - din in den rohen Zeiten, in denen perſoͤnlicher Muth ein ſo allgemein geſchaͤtzter Vorzug war, daß auch dasjenige Geſchlecht darauf Anſpruch machte, welches in gebildetern Zeiten ſelbſt von uͤbertriebener Schuͤch - ternheit neue Reitze zu entlehnen glaubt. Die Be - kanntſchaft mit Gefahren des Krieges geben ihrer Mine eine gewiſſe ernſte Feſtigkeit, und die ſteten Lei - besuͤbungen den Gliedmaaßen etwas maͤnnliches, wel - ches man vorzuͤglich an den Junkturen der Knie, und an den breiten Fuͤßen bemerkt. Die Koͤpfe unter - ſcheiden ſich beſonders durch eine Art von Kante oder Einfaſſung, welche die Augenbraunen und Lippen um - gibt. Die eine Bruſt iſt unbedeckt, inzwiſchen zeigt ſich die andere deutlich unter dem Gewande. Das Geſetz der Schoͤnheit verhinderte den Kuͤnſtler, der Fabel, nach welcher ſich die Amazonen die eine Bruſt wegſengeten, zu folgen. Das Unterkleid, welches ſie ohne Mantel tragen, iſt aufgeſchuͤrzt, und gemei - niglich mit einem breiten Guͤrtel unter der Bruſt zu - ſammen gebunden. Ihre Waffen ſind, eine Streit - art, und dieſe fuͤhren ſie gemeiniglich auf Basreliefs,ein97Der Vaticaniſche Pallaſt. ein Schild in Form eines halben Mondes, Bogen, Pfeil und Koͤcher.

Unſere Statue, welche die beſte dieſer Art in Rom iſt, ſtimmt mit dem angegebenen Charakter voͤllig uͤberein. Von ihrer Stellung laͤßt ſich der wahre Grund nicht angeben, vorzuͤglich, weil beide Arme neu ſind. Das Gewand iſt vortrefflich. Sie traͤgt einen Koͤcher an der Seite: Zu ihren Fuͤßen liegt ein Helm: Schild und Axt haͤngen am Stamm, der ihr zum Halt dient.

Fuͤr die Aechtheit der Innſchrift: translata de ſchola medicorum, kann ich nicht einſtehen, ſo wenig als fuͤr das Alter der Beine, welche ich beinahe fuͤr neu halten moͤchte.

Trunkener Faun. Er iſt liegend vorgeſtellt. Der Koͤrper ſchoͤn; Arme und Fuͤße neu. Er ſtand ehemals im Pallaſt Mattei.

Ein Held in einem kurzen griechiſchen Mantel, oder Chlamys, der vorn und hinten her - abhaͤngt. Der Faltenſchlag iſt im großen Geſchmack, und ſchoͤn ausgefuͤhrt. Die Beine ſind modern.

Einige behaupten auch, der Kopf, der einen Bart traͤgt, ſey aufgeſetzt, und der Rumpf gehoͤre, nach aͤhnlichen Vorſtellungen auf geſchnittenen Stei - nen und Basreliefs zu urtheilen, einem Mercur.

Pyrrhus, oder wahrſcheinlicher Ajax,Herrliche Buͤſte des Ajax. Buͤſte; und eine der ſchoͤnſten des Alterthums. Er dreht den Kopf zur Seite, und wendet die Augen zum Himmel, mit einem Ausdruck, als wollte er den Goͤttern Hohn ſprechen. Die Mine iſt aͤußerſt edel. Die Muſkeln, die ſehr beſtimmt angegeben ſind, wer - den von der weichſten Haut bedeckt. Auch in denErſter Theil. GBeiwer -98Der Vaticaniſche Pallaſt. Beiwerken zeigt ſich ein ſchoͤner Geſchmack, und die ſorgſamſte Ausfuͤhrung. Die Haare ſcheinen ein Spiel der Winde zu ſeyn, und auf dem Helme ſind die Thaten des Hercules erhoben gearbeitet.

Ein lachender Faun, Buͤſte. Schoͤner Ausdruck naiver Froͤhlichkeit. Nie hat ein Kummer dieſe glatte Stirn gerunzelt.

Euclides, Ariſtophanes, Antiſtenes, Buͤ - ſten, die mit ihren griechiſchen Nahmen in der Villa des Hadrians zu Tivoli vom Conte Fede gefunden ſind.

Lyſimachus. Kopf eines jungen Helden, an deſſen Stirne man die Spuren der Ammonshoͤrner ſieht, die ehemals daran befindlich waren.

Balbinus aus Bronze. Der Seltenheit we - gen zu merken, wenn die Angabe ihre Richtigkeit hat.

Juba Koͤnig von Numidien, Buͤſte mit vielem Ausdruck der Verſchlagenheit.

Kopf eines jungen Nero als Apollo. Der Kopf iſt ſchoͤn. Die Benennung ohne Grund.

Coloſſaliſcher Weiberkopf. Man nennt ihn Julia, Tochter des Titus. Allein der gewoͤhnliche Haaraufſatz, der unſerm modernen Lockenbau ſo nahe koͤmmt, fehlt.

Ceres. Eine beruͤhmte Statue aus dem Pallaſt Mattei. Sie iſt nicht groß.

Der Kopf hat einen reitzenden Charakter, und iſt, ſo wie die Fuͤße ſehr weich und fein gearbeitet. Das Gewand klebt zu ſehr am Koͤrper, und die Fal - ten ſind zu kuͤnſtlich gelegt. Aber die Arbeit daran iſt ſo vortrefflich, daß man den Guͤrtel, der das Un - terkleid zuſammen haͤlt, durch den Mantel durch be - merkt.

Die99Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die Benennung iſt ſehr willkuͤhrlich, denn die Hand, in der ſie die Mohnſtengel und die Aehren haͤlt, iſt neu.

Eine kleine gefluͤgelte Victoria bey einer Trophaͤe. Sie ſetzt den Fuß auf ein Roſtrum. Die Figur iſt vortrefflich gedacht, und aͤußerſt reitzend geſtellt.

Ein Basrelief aus der Schule des M. Angelo Buonarotti. Coſmus der erſte hilft der Stadt Piſa auf. Die Gruppen ſind ſchoͤn componirt, und die Ausfuͤhrung iſt ſehr beſorgt. Allein Alles iſt in einer gewaltſamen Bewegung, von der man den Grund nicht abſieht. Der Arm, den die Stadt Piſa gegen den Coſmus ausſtreckt, iſt voͤllig ausgeſetzt, und der - jenige, den Coſmus ihr reicht, hat Muſkeln, die durch die heftigſte Anſtrengung angeſchwollen ſcheinen. Die Mine in dieſer letztern Figur iſt fuͤrchterlich. Man ſieht nicht ab, warum? Die aͤltern Koͤpfe haben den einfoͤrmigſten Ausdruck muͤrriſcher Flußgoͤt - ter, die juͤngeren gezogener Unbedeutung: die Ex - tremitaͤten ſind alle convulſiviſch verdreht.

Die Vergleichung dieſer Figuren mit den uͤbrigen um ſie herum, die ſo einfach, und doch ſo groß, ſo reitzend, ſo wahr ſind, kann fuͤr die Bildung des Ge - ſchmacks nicht gleichguͤltig ſeyn.

Ein Held, Gladiator genannt, und der viel - leicht ein Perſeus ſeyn koͤnnte.

Kopf einer Iſis unvorgleichlich gearbeitet, und ſchoͤn erhalten. Die Haare ſind in Form einer Lotusblume auf der Scheitel zuſammengebunden. Ei - nige aͤußerſt fein behandelte Locken fallen auf die Schul - tern herab.

G 2Sonder -100Der Vaticaniſche Pallaſt.

Sonderbahrer Kopf einer Schauſpielerin. Sie traͤgt eine Maſke vor dem Geſichte, die mit einem falſchen Haaraufſatze, worauf wieder eine Muͤtze haͤngt, verbunden iſt. Unter dieſer Mummerei be - merkt man das Geſicht und die natuͤrlichen Haare.

Ein dem vorigen aͤhnlicher Kopf von minde - rem Werthe.

Ein ſchoͤner runder Tiſch von weißem Mar - mor, wohl erhalten. Er ſteht auf Loͤwenfuͤßen, an denen Koͤpfe des Hercules, gleich Termen, befind - lich ſind.

Carricatur des Kopfs eines Pan als Bockskopf. Voller Ausdruck und ein deutlicher Be - weis der Entſtehungsart dieſer ſonderbaren Natur.

Auguſt, Buͤſte. In dem Alter worin man ihn gemeiniglich auf Muͤnzen abgebildet findet. Dieſer Kopf ſteht auf einem Leuchter.

Ein ſchoͤner Fuß. Bruchſtuͤck.

Sogenannte Gruppe des Cato und der Porcia.
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Zwei Figuren eines Mannes und eines Weibes auf halben Leib. Wahrſcheinlich Bildniſſe zweier Eheleute, der Kleidung nach Roͤmer, und von einem Sarcophag genommen. Man nennt ſie ohne allen Beweis Cato und Porcia. Der Mann um ein merkliches bejahrter, obgleich beide im Mit - telalter ſind, haͤlt mit der Rechten die eine Hand ſei - nes Weibes, und ſie lehnt ſich mit der andern auf ſeine Schulter. Es herrſcht ein trefflicher Ausdruck in dieſer Gruppe, des liebevolleſten Zutrauens, der ſicherſten Erwartung eines wechſelſeitigen Beiſtandes durchs Leben: ſanfter Hingebung auf der einen, billi - ger Feſtigkeit auf der andern Seite, Auch die Aus - arbeitung iſt gut.

Ein101Der Vaticaniſche Pallaſt.

Ein Faun aus Roſſo antico. Er lehnt ſich an einen Baum, blickt eine Traube an, die er in der Hand haͤlt, und traͤgt Fruͤchte in dem Schooße des Fells, das ihn umgiebt. Ueberhaupt ſcheint dieſer Faun eine Wiederholung desjenigen zu ſeyn, der auf dem Capitol ſteht. Die eingeſetzten Augen von Chri - ſtal ſind modern, ſo wie der Arm, den er in die Hoͤhe hebt. Die Fuͤße ſind ſtark reſtaurirt. An den uͤbri - gen Theilen der Figur duͤrften die Muſkeln etwas zu ſtark angegeben ſeyn, kaum ſcheint ſie eine Haut zu bedecken.

Caligula. Statue fuͤr deren Benennung ich nicht einſtehe. Der Koͤrper iſt unbekleidet, gut, aber ſtark ergaͤnzt. Der linke Arm iſt neu.

Narciſſus, oder vielmehr ein Adonis, nach der Wunde in der Lende zu urtheilen. Vielleicht hat ihm der uͤbergebeugte Koͤrper allein den Nahmen Nar - ciſſus zu Wege gebracht. Er ſtand ehemals im Pal - laſt Barberini, und war die erſte Statue, die zur Formirung des Muſei angekauft wurde. Der eine Arm ganz, der andere zur Haͤlfte, und beide Beine ſind gewiß neu. Der Kopf iſt zweifelhaft. Der Rumpf iſt ſchoͤn.

Eine Muſe, die Erato genannt wird. Der Kopf, der alt aber ergaͤnzt iſt, hat einen angenehmen Charakter, und iſt mit einem Lorbeerkranz umgeben. Die Haare fallen auf die Schultern herab. Beide Arme ſind nebſt der Leier neu. Sie iſt vorzuͤglich des Gewandes wegen merkwuͤrdig, welches eben ſo ſchoͤn gedacht, als fleißig ausgefuͤhrt iſt. Man ſieht Frangen an dem Mantel, und Stickerei auf dem Unterkleide. Den Mantel, der aus zwei Theilen beſteht, vonG 3denen102Der Vaticaniſche Pallaſt. denen der eine von vorn, der andere von hinten den Koͤrper hat bedecken ſollen, und auf den Schultern zuſammengeknuͤpft wurde, haͤngt uͤber den einen Arm herab. 27 b)Viſconti im Muſeo Clementino haͤlt dieſe Fi - gur fuͤr einen Apollo Muſagetes. T. I. tav. 23. Ich war auf dieſe Vermuthung gekommen, ehe ich die Meinung dieſes Autors wußte, und halte ſie daher nicht fuͤr unwahrſcheinlich. Dieſe Figur ſtand ehemals im Garten des Pallaſts Quirinale. Winkelmann G. d. K. W. Edit. S. 487. erwaͤhnt ihrer mit Ruhme, des reitzenden Kopfes wegen. Mich duͤnkt er hat Recht. Fea in ſeiner Ueberſe - tzung T. II. S. 118. not. B. ſagt: ſie verdiene das Lob nicht ganz, aber man ſehe ihr an, daß ſie nach einem guten Originale gearbeitet ſey.

Ein ſitzender Trajan aus Villa Mattei. Der Kopf ſcheint nicht aͤcht zu ſeyn, und iſt ſehr beſchaͤdigt.

Auguſt. Eine ſchoͤne edle Figur deren Ober - leib nackt iſt. Um die Lenden iſt ein Mantel geſchla - gen. Man behauptet, dieſe Figur ſey unverſehrt; aber die Beine ſind unſtreitig neu.

Eine kleine ſitzende Muſe, Urania ge - nannt. Sie traͤgt Federn auf dem Kopfe, ein Zei - chen des Sieges, den die Muſen uͤber die Sirenen davon trugen. Des reitzenden Charakters, und des Gewandes wegen zu bemerken.

Commodus zu Pferde, unter Lebensgroͤße, aus dem Pallaſt Mattei. Mittelmaͤßig. Ich zeige ſie an, weil Bernini die Idee des Pferdes ſeines Conſtantins davon entlehnt haben ſoll. Eine Hand - werkeranekdote!

Dieſe103Der Vaticaniſche Pallaſt.

Dieſe Statue ſtand zu meiner Zeit auf einem Sarcophag mit Basreliefs von ſehr artiger Erfindung. Unter andern erinnere ich mich der Vorſtellung zweier Amorinen, die ihre Fackeln an einen zwiſchen ihnen beiden ſtehenden Altar gelehnt hat - ten, an jeder Seite eine, ſo daß die Flammen zuſam - menſchlugen. Auf dieſem Feuer verbrannten oder erwaͤrmten ſie einen Schmetterling, von deſſen aus - geſpreiteten Fluͤgeln jeder einen hielt. Eine artige Idee, und in der Ausfuͤhrung ſo gefaͤllig geordnet!

Annius Verus. Ein ſchoͤner Kindeskopf.

Ein ſchoͤn gearbeiteter Kopf eines Weibes, in Jahren, die ſich dem Alter naͤhern, mit wahrem Ausdruck der Gutherzigkeit. Vielleicht iſt dies die Urſach, warum man ihn der Mutter des Titus beilegt.

Zwei ſitzende Schauſpieler aus Villa Mattei. Kleine Figuren. Sie tragen Maſken, Roͤcke mit langen Ermeln und Maͤntel. An den Fuͤßen ſind ſie mit hohen Schuhen und mit Halbſtiefeln von Filz nach Art der heutigen Italieniſchen Bauern be - kleidet.

Nemeſis. Der Seltenheit wegen zu bemerken. Sie hebt den einen Zipfel ihres Gewandes uͤber der Bruſt nach dem Kopfe zu. Eine Stellung, in der ſie auf geſchnittenen Steinen haͤufiger vorkoͤmmt.

Nemeſis iſt wahrſcheinlich, ſtrafende Gerechtigkeit. Bedeutung der Goͤttinn Nemeſis.Allein die Handlung des Spuckens in den Schooß, gehoͤrt unter die Allegorien, die keinen deutlichen Be - griff geben, weil der Gebrauch des Zeichens nicht zu gleicher Zeit mit dem Sinn deſſelben auf uns gekom - men iſt. Einige finden darin eine Art: von GottG 4ſey104Der Vaticaniſche Pallaſt. ſey bei uns, von Verwahrung gegen Zauberei; an - dere einen Ausdruck des Verabſcheuens des Laſters; wieder andere, in dem gebogenen Ellenbogen, ein Maaß der Suͤnden.

Eine Vaſe von durchſichtigem Orientaliſchen Alabaſter. Wenn man ein Licht hinein ſetzt, das uͤbrige Zimmer aber dunkel laͤßt, ſo verbreitet dies eine angenehme ſanfte Klarheit durch den Alabaſter. Die Farbe deſſelben iſt ſehr ſchoͤn, gelb mit braͤunli - chen Cirkeln, die ſich bis zu einem Punkte in der Mitte verkleinern. Die Form iſt nicht ſehr ſchoͤn. Sie ward zu St. Carlo al Corſo gefunden, woſelbſt ehemals das Grabmahl des Auguſts befindlich war, und es duͤrfte vielleicht nicht unwahrſcheinlich ſeyn, daß die Aſche einer der Perſonen ſeiner Familie darin aufgehoben geweſen waͤre.

Ein Kind mit einem geraubten Beutel. Die Formen ſehr reitzend, und der Ausdruck von Schalkheit unvergleichlich.

Auguſt, eine Figur, die opfert. Das Ge - wand iſt ſchoͤn. Ob aber der aufgeſetzte Kopf dan Rumpfe gehoͤrt, bleibt wenigſtens zweifelhaft.

Jupiter und deſſen Cha - rakter.
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Jupiter aus dem Hauſe Veroſpi.

Groͤße und Guͤte, wie man ſie ſich bei einem Manne in Verbindung denken darf, dem das reife Alter und lange Erfahrung Herrſchaft uͤber ſeine Lei - denſchaften, wahres Gefuͤhl von der Beſtimmung ſei - ner Vorzuͤge, und Billigkeit gegen die Schwaͤchen anderer gegeben haben, machen den Charakter des Vaters der Goͤtter und der Menſchen aus. Sein Wink erſchuͤttert das Weltall, aber ſein Wink beſchirmt auch den geringſten ſeiner Bewohner,und105Der Vaticaniſche Pallaſt. und dieſer naht ſich ihm mit Ehrfurcht und Ver - trauen.

Unſere Statue gibt dieſen Begriff mehr als jede andere dieſes Gottes; aber ſie laͤßt doch die Vermu - thung uͤbrig, daß ſie Wiederholung einer weit vor - zuͤglicheren ſey, die verlohren gegangen iſt. Sie iſt ſitzend vorgeſtellt. Kopf und Leib ſind die ſchoͤnſten Theile. Die Falten des Gewandes, das um die Huͤften geworfen iſt, mit einem Faltenſchlage in groſ - ſem Stile, zeigt das Nackte ſehr gut an.

Wahrſcheinlich hat dies Stuͤck ehemals eine hoͤhere Auſſtellung gehabt, wodurch die Beine von unten geſehen dem Auge entzogen geweſen ſind. Sie find vernachlaͤßigt; die Arme aber neu.

Die Statue ſteht dem Zuſchauer an dem gegen - waͤrtigen Orte zu nah, und in einem wenig vortheil - haften Lichte. Um ſie recht zu beurtheilen, muß man ſie bei Fackeln ſehen.

Cleopatra. Unter dieſem Nahmen iſt eineCleopatra. liegende weibliche Figur bekannt, die am Arme eine Schlange traͤgt. Dieſe Schlange iſt ein bloßes Arm - band, denn ich habe in Florenz und Portici zwar nicht Armbaͤnder, aber doch Ringe von aͤhnlicher Form geſehen. Wie kaͤme auch die Schlange an den Arm?

Daß folglich dieſe Figur eine Cleopatra nicht vor - ſtelle, bleibt bei mir gewiß; was ſie aber dagegen wuͤrklich vorſtelle, getraue ich mir nicht zu ent - ſcheiden. 28)Winkelmann G. d. K. S. 785. aͤußert die Vermu - thung, daß dieſe Figur entweder eine ſchlafendeNymphe

G 5Fuͤr106Der Vaticaniſche Pallaſt.

Fuͤr uns iſt es genung, in dieſer Figur den Aus - druck ſanfter Ruhe zu ſehen: Eine ſchlafende Frauens - perſon. Das Gewand iſt vortrefflich, die ſwelten Umriſſe des Koͤrpers zeichnen ſich ſehr deutlich dadurch hin, und der Wurf deſſelben, die Ordnung und Be - handlung der Falten machen es der Aufmerkſamkeit des Liebhabers beſonders werth. Die Stellung iſt ſehr reitzend.

Winkel -

28)Nymphe oder eine Venus vorſtellen koͤnne. Lens ſur le Coſtume des peuples de l antiquité, edit. de Dresde. 1785. S. 27. will von der gewoͤhnlichen Erklaͤrungsart nicht abgehen. 1) Weil die Schlange in ihren Windungen zu irregulaͤr ſey, um ein Arm - band vorzuſtellen. 2) Weil das Gewand, welches zwar fuͤr jede andere Koͤnigin als Cleopatra nicht anſtaͤndig genung ſeyn moͤchte, dennoch fuͤr eine Nymphe zu viel die Majeſtaͤt bezeichnendes habe. Den letzten Grund will ich auf ſeinen Werth und Un - werth beruhen laſſen, nur in Anſehung des erſten merke ich an, daß er auf eine falſche Behauptung gebauet ſey. Der Kopf der Schlange richtet ſich in die Hoͤhe, der Leib bildet zwei egale Windungen wie Cirkel um den Arm herum, und der Schwanz faͤllt unten in einer etwas ſich ſchlaͤngelnden Rich - tung herab. Eben ſo ſind die Ringe geſtaltet, die ich geſehen habe. Fea ital. Ueberſ. der Winkelm. G. d. K. T. II. S. 330. n. B. und C. fuͤhrt noch mehrere Widerlegungsgruͤnde an, aus denen ich den durchſchlagendſten heraushebe. Der Leib der Schlange im Armbande iſt platt: Sollte er einer wuͤrklichen Schlange gehoͤren; ſo muͤßte er rund ſeyn.

107Der Vaticaniſche Pallaſt.

Winkelmann29)S. 782. G. d. K. wirft dem Kopfe vor: er ſey verzeichnet. Der Fehler liegt an der Naſe und dem Munde, welche ergaͤnzt ſind.

Sie liegt jetzt auf einem Sarcophage mit einem mittelmaͤßigen Basrelief, den Streit der Titanen mit den Goͤttern vorſtellend.

Sturz einer Saͤule von vielfaͤrbigem Porphyr.

Sie iſt merkwuͤrdig wegen der Seltenheit der Materie, und wegen ihrer ehemaligen Beſtimmung. Sie diente lange zum Pfeiler, eine Faͤhre, die uͤber die Tiber fuͤhrt, daran zu binden, bis ein Zufall auf die Entdeckung ihres Werths fuͤhrte.

Eine Diane, im Laufe vorgeſtellt. Eine ge - woͤhnliche Idee, die aber hier vorzuͤglich gut ausge - fuͤhrt iſt.

Aeſculap und Hygea. Gruppe. Der Ge - danke beſſer als die Ausfuͤhrung. Der Kopf der Hy - gea aufgeſetzt.

Mehrere ſchoͤne Gefaͤße. 30)Uebrige Kunſtwerke in dieſem Zimmer. Ein Krieger als Gladiator reſtaurirt. Beide Arme neu. Er ſetzt den Fuß auf einen Helm. Fragment einer Aegyptiſchen Gottheit, aus ſchwarzem Granit. Anubis Aegyptiſches Idol mit einem Hundskopfe, von ſchwarzem Baſalt. Ein ſogenannter Diſcobolus Mythras. a)S. die Villa Negroni.EineRotunde108Der Vaticaniſche Pallaſt. 30)Eine ſitzende Juno, die einen Knaben ſaͤugt. Der Kopf iſt nicht ganz ſchlecht, aber das Uebrige ſehr mittelmaͤßig. Ehemals im Pallaſt Quirinale. Winkelmann G. d. K. Wiener Edit. S. 274. glaubte, der Knabe ſtelle einen Hercules vor. Viſconti in der Beſchreibung des Muſei Clementini haͤlt den Knaben fuͤr einen Mars. T. I. tav. 4. S. 4. 5. Koͤnnte die Gruppe wohl eine Venus Genitrix vorſtellen, in dem Verſtande wie ſie, zu Ehren der Kaiſerinnen als Kindbetterinnen, mit dem neugebohrnen Kinde vorgeſtellt wird? S. Hr. Hofrath Heyne Antiquar. Aufſ. I. Stuͤck. nr. 2. S. 160. Julia Mammaͤa, Mutter des Kaiſers Alexan - der Severus. Buͤſte. Maximiana Fauſta, Gemahlin Conſtantins. Buͤſte. Saloninus, Valerianus. Buͤſten. Ein unbekannter Kopf. Julia, Tochter des Titus, Auguſt mit Aehren bekraͤnzt, Caͤſar, Marcus Agrippa, Clodius Al - binus, Marcia Otacilia Severa, Kaiſers Philipp Severus Gemahlin, Pertinax, Criſpina, zwei un - bekannte Koͤpfe, lauter Buͤſten, fuͤr deren Benen - nung ich inzwiſchen nicht Gewaͤhr leiſte. Noch, Cicero, Mamea, Titus, Heliogaba - lus, Domitia, Septimius Severus, unbekannter Kopf. Ein Aegyptiſches Idol, Victoria, noch eine Aegyptiſche Gottheit von ſchwarzem Baſalt. Kopf des Scipio Africanus. Die Arbeit iſt ſchoͤn. Der Ausdruck gemein. Er ſteht auf einem Leuchter. Agrippina, Mutter des Nero als Ceres. Statue. Ein Basrelief, auf dem ein zweirudriges Schiff vorgeſtellt iſt. Ein109Der Vaticaniſche Pallaſt. 30)Ein Hirt mit einem Schaafe. Eine antike Copie im Kleinen des obenangefuͤhr - ten Kriegers mit der Chlamys. Die Statue eines jungen Roͤmers in der Toga. Ohne Beweis Nero genannt. Julius Caͤſar, Buͤſte, ganz verſtuͤmmelt. Antinous, Buͤſte, die ehemals Theil einer gan - zen Statue ausgemacht zu haben ſcheint. Eine Vaſe auf einem Cippus, an dem mehrere Handlungen ſowohl aus der griechiſchen Mytholo - gie, als der roͤmiſchen Geſchichte vorgeſtellet ſind. Fuͤr die Kunſt unbedeutend. Kopf eines griechiſchen Helden. Kopf der Sabina, Gemahlin des Hadrian. Unbekannter Kopf. Eine Urne aus Alabaſter. Kopf mit einem Helm, worauf die Spitze be - findlich iſt, an der man einen Flamen wieder erken - nen will. Mebrere unbekannte Koͤpfe. Kopf eines Silen. Eine kleine antike Copie der liegenden Nymphe, die unter dem Nahmen der Cleopatra bekannt iſt. Fragment der Statue einer Meergoͤttin. Wahr - ſcheinlich ſtand ſie auf einer Fontaine. Gut. Caracalla. Buͤſte. Pertinax, zwei unbekannte weibliche Koͤpfe. Fragment einer ſitzenden Frau mit guter Drap - perie. Eine weibliche bekleidete Figur beim Grabe des Nero gefunden, mit einem kuͤnſtlichen Kopfputz. Eine ſitzende Nympbe. Ein liegender Bacchus. Ein kleiner ſtehender Bacchus. Eine Venus. Eine Juno. Frag -110Der Vaticaniſche Pallaſt. 30)Fragment eines Apollo. Eine Juno mit einem modernen Kopfe. Eine Meergoͤrtin, vielmehr eine Venus. Der Haaraufſatz und das Individuelle der Geſichtsbil - dung laſſen auf ein Portrait ſchließen. Eine Conſularſtatue, die man Seneca nennt. Der Kopf modern. Ein Faun in der gewoͤhnlichen Stellung mit der Hand in der Seite. Einige unbekannte Koͤpfe. Ulyſſes, Plotina des Trajans Gemahlin, Clau - dius, Mammaͤa, Buͤſten. Ein altes Weib, aus dem Pallaſt Colonna hieher geſchenkt. Wahrſcheinlich aus der Schule des Michael Angelo. Commodus, aus dem Pallaſt Doria. Ein unbekannter Kopf. Meſſalina, noch ein unbekannter Kopf. Ein Apollino aus Bronze. Hadrian, Tiber, Buͤſten. Eine weibliche Figur mit einem Schleier. Auf dem Haupte ſieht man Schlangenkoͤpfe, welche ein bloßer Zierrath zu ſeyn ſcheinen. Inzwiſchen hat man ihr daher den Nahmen Iſis beigelegt. Ein Canopus aus Alabaſter. Ein Apollo mit der Leier, ſitzend. Der Kopf ſcheint ein Portrait zu ſeyn. Ob aber des Nero? wie behauptet wird, iſt wenigſtens zweifelhaft. Tribonianus Gallus, aus Bronze. Selten, aber ſchlecht. Schauſpieler mit der Maſke. Nur der Rumpf iſt alt. Ein Badeſclave. Junius Brutus. Ein Kopf voller Ausdruck, der aber den Nahmen ohne allen Beweis fuͤhret. Perti -

111Der Vaticaniſche Pallaſt.

Rotunde.

Dieſer Saal hat eine Kuppel mit Fenſtern, durch die das Licht von allen Seiten auf die Statuen faͤllt. Die Bauart iſt, wie mich duͤnkt, zu einer richtigen Beleuchtung von Statuen, auf die das Licht nur von einer Seite, und noch dazu nicht aus einer ſo uͤbermaͤßigen Hoͤhe fallen darf, wenig zweckmaͤßig. Uebrigens iſt die Hoͤhe des Zimmers der Groͤße der coloſſaliſchen Figuren angemeſſen.

Zwei Termen mit weiblichen Koͤpfen. Zwei weibli - che Termen mit colloſſa - liſchen Koͤ - pfen, bekannt unter dem Nahmen der Tragoͤdie und der Co - moͤdie.Coloſſal. Sie haben unter einander ſo viel Aehnlich - keit, daß man annehmen duͤrfte, ſie waͤren nach einer Idee gearbeitet, oder zu Gefaͤhrten urſpruͤnglich be - ſtimmt geweſen. Nur in dem Grade der Guͤte gehen ſie von einander ab, und in dem Kranze von Wein - laub und Trauben, den der beſte unter dieſen beiden Koͤpfen allein zum Haarſchmuck traͤgt.

Die Kenner ſind ſich uͤber die Bedeutung dieſer Koͤpfe nicht einig. Einige finden in ihnen idealiſirtePortraits30)Pertinax. Ein ausdrucksvoller Kopf. Fauſtina als Venus Victrix; mittelmaͤßig. Ein liegender Knabe mit einer Gans. Die Haͤnde ſollen alt ſeyn. 30 b)S. Fea’s Ueberſ. d. G. d. K. T.I. S. 382. n. A. Eine Roma. Ein Knabe der Flaſchen in der Hand traͤgt. Eine Ariadne. Eine unbekannte Statue, der man Scepter und Schild in die Hand gegeben hat. Zwei Saͤulen von Verde antico. Ein Tiſch von eben dieſem Marmor.112Der Vaticaniſche Pallaſt. Portraits einer Perſon aus der Familie des Ha - drians denn in deſſen Villa zu Tivoli ſind ſie gefunden, andere nennen den Kopf mit dem Kranze die Muſe der Tragoͤdie, den Kopf ohne Kranz aber die Muſe der Comoͤdie.

Sey was es ſey, der Kopf mit Weinlaub be - kraͤnzt, gehoͤrt unter die ſchoͤnſten, die ſich aus dem Alterthume auf uns erhalten haben, ſowohl in Ruͤck - ſicht auf Schoͤnheit der Formen, als Wahrheit des Charakters, und Zartheit der Ausfuͤhrung. Der bewundernswuͤrdigſte Fleiß zeigt ſich in den Beiwer - ken, ohne daß das Ganze dadurch trocken geworden waͤre. Der Lockenbau iſt ſonderbar, und laͤßt ſich nicht gut entwickeln, wenn man nicht einen Aufſatz von fremden Haaren annimmt. Uebrigens hat ſich dieſer Kopf bis auf die Spitze der Naſe, welche allein ergaͤnzt iſt, unverſehrt erhalten. Die Augenbrau - nen ſind genau angedeutet.

Der andere Kopf, wie bereits bemerket iſt, hat minderen Werth, aber fuͤr ſich betrachtet, allen An - ſpruch auf unſere Aufmerkſamkeit.

Neptun oder Ocean, eine Terme, mit einem coloſſaliſchen Kopfe. Er traͤgt Hoͤrner und einen Kranz von Weinreben und Trauben. Seine Haare heben ſich bei der Wurzel etwas in die Hoͤhe, und die Spitzen ſinken herab. Floßfedern bilden ſeine Augenbraunen, und gehen um die Backen herum. Im Barte ſieht man kleine Fiſche.

Der Ausdruck von Adel und Groͤße leidet wohl nicht, dieſen Kopf auf einen Triton oder einen andern Meergott einer geringeren Claſſe zu deuten. Wenig - ſtens haben die aͤhnlichen Vorſtellungen in der VillaAlbani113Der Vaticaniſche Pallaſt. Albani, die Winkelmann31)S. 294. G. d. K. mit dieſem Nahmen belegt, einen viel gemeineren Charakter.

Melpomene aus dem Hofe des Pallaſts der Cancellaria hieher gebracht. Eine edle majeſtaͤtiſche Figur von coloſſaliſcher Hoͤhe und großem Charakter. Die Haͤnde ſind neu. Ihr ſchoͤnes Gewand beſteht aus einem Rocke mit langen Ermeln, der von einem ſehr breiten Guͤrtel unter der Bruſt umſchuͤrzt iſt. Ein Mantel haͤngt auf der Schulter.

Coloſſaliſcher Kopf eines Jupiter aus weißem Marmor. Sehr gut.

Ein coloſſaliſcher Kopf aus ſchwarzem Baſalt aus Villa Mattei hieher gebracht und

Ein anderer aus weißem Marmor, wel -Jupiter Se - rapis. che beide einen Jupiter Serapis vorſtellen. Der letzte traͤgt eine Hauptbinde, an der man Loͤcher be - merkt, in denen ehemals Radii oder Strahlen aus Bronze eingefugt geweſen ſind.

Ich nehme dieſe beiden Koͤpfe zuſammen, weil ſie beide in einer Vorſtellungsart zuſammen kommen; obgleich der letzte den erſten an Schoͤnheit weit uͤber - trifft, und vorzuͤglich in Anſehung der ſchoͤnen Ar - beit unter die beſten des Alterthums gerechnet wer - den kann.

Ein Jupiter Serapis unterſcheidet ſich von einemBedeutung und Charak - ter eines Ju - piter Sera - pis. andern Jupiter durch den Scheffel (modius) auf dem Haupte, und durch einen ſtrengen ernſten Blick. Wahrſcheinlich liegt bei dieſer Vorſtellungsart eine Aegyptiſche Idee zum Grunde, die die Griechen ver -fei -Erſter Theil. H114Der Vaticaniſche Pallaſt. feinert haben. Vielleicht Beſchuͤtzer des Getraides, das durch Kraͤfte aus dem Schooße der Erde, und durch den Einfluß des Himmels Wachsthum und Gedeihen erhaͤlt. Winkelmann32)G. d. K. S. 289. nimmt ihn mit dem Pluto fuͤr eine und eben dieſelbe Gottheit an.

Eine ſitzende Figur coloſſaliſch. Man gibt ihr den Nahmen Nerva. Ich glaube ohne Grund. Sie iſt vom Cavaceppi ergaͤnzt, und, wie man ſagt, in der Mitte aus Bruchſtuͤcken zweier verſchiedenen Statuen zuſammengeſetzt. Beide Arme und die Drapperie, die daruͤber geworfen iſt, ſind unſtrei - tig neu.

Ich habe große Zweifel gegen das Alter des gan - zen Werks. Der Kopf ſieht dem Dante aͤhnlich. Stellung und Form des Koͤrpers haben viel vom Stil des M. Angelo.

Juno.
73

Juno coloſſaliſche Statue aus dem Pallaſte Barberini, und die ſchoͤnſte, die wir von dieſer Goͤt - tin haben. 33)Winkelmann S. 302. G. d. K.

Charakter der Juno.
74

Der allgemeine Charakter einer Juno iſt Hoheit und Wuͤrde ohne Lieblichkeit. Sie praͤgt Ehrfurcht ein, aber ſie zieht nicht an. Ihre Zuͤge ſetzen uns durch Regelmaͤßigkeit in Bewunderung, aber ſie ſind ohne gefaͤlligen Reitz. Ihre Augen liegen mit der Stirn in gleicher Erhoͤhung und ſind hoch gewoͤlbt. Um den Mund herum herrſcht etwas gebietriſches. Der voͤllige Buſen zeigt das reifere Alter an. Außer - dem bezeichnet ſie ein Diadem in Form eines laͤnglich -ten115Der Vaticaniſche Pallaſt. ten Dreiecks, deſſen kuͤrzeſte und zugeruͤndete Spitze wie ein Gipfel in die Hoͤhe gerichtet iſt.

Unſere Statue wird ſtaͤrker gefallen, je oͤfterer und laͤnger man ſie anſieht. Kopf und Gewand ſind gleich ſchoͤn. Beide Arme ſind modern.

Dieſe Statue ward zu meiner Zeit an einigen Stellen ausgebeſſert. Ich hatte Gelegenheit, auf das Geruͤſte zu ſteigen, und bemerkte bei dieſer Ge - legenheit, daß Kopf und Hals ſchon in aͤlteren Zeiten in den Rumpf eingefuͤget waren.

Claudius. Ein coloſſaliſcher Kopf, weich und ſein gearbeitet. Dir Naſe hat ſich erhalten; aber der Hinterkopf und ein Theil des Lorbeerkranzes ſind neu.

Juno Lanuvina, von Lanuvium, welcher Ort ihr beſonders heilig war. Sie iſt mit einer Ziegen - haut umgeben, deren Kopf uͤber den ihrigen in Form eines Helms gezogen iſt. Die Ziegenfuͤße ſind auf der Bruſt zuſammengebunden. Arme und Beine ſind neu. Man hat bei der Ergaͤnzung und der Be - nennung eine Muͤnze und ein Basrelief in der Villa Pamfili vor Augen gehabt. Die Schuhe hat der nunmehro verſtorbene Aufſeher des Muſei, Abbate Viſconti nach dem Bruchſtuͤcke eines Fußes von Por - phyr, welchen er beſaß, ergaͤnzen laſſen.

Im Ganzen iſt dieſe Figur mehr der Seltenheit als der Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig. Sie ſtand ehemals im Pallaſt Paganica.

Fauſtina eine coloſſaliſche Buͤſte. Es fehlt ihr zum Leben nur die Sprache.

In dieſer Rotunde wird man nunmehro einen Fußboden von Moſaik ſehen, der zu Utricoli ge - funden iſt. In der Mitte deſſelben ein Meduſenkopf -H 2und116Der Vaticaniſche Pallaſt. und rund herum in verſchiedenen Abtheilungen der Streit der Centauren und Lapithen, die Reiſen des Ulyſſes, einige Nereiden und Tritonen. Ein ſchoͤnes Werk! 34)Noch ſtehen in dieſen Zimmern: Plotina. Buͤſte. Eine Terme, die man fuͤr eine Ariadne ausgibt. Ein junger Menſch mit einer Bulle am Halſe, Commodus genannt.

Vorplatz.
75

Auf dem Vorplatze der zur Treppe nach der Bibliothek und den Zimmern des Cardinals Zelada fuͤhrt.

Zwei Aegyptiſche Idolen im griechiſchen Stile gearbeitet, aus rothem Granit. Sie ſind von ſchoͤnem Charakter, coloſſaliſch, und dienen der Ar - chitrave uͤber der Thuͤr zu Caryatiden, wozu ſie, der eckigten Saͤule an die ſie geſtellet ſind, dem Korbe auf dem Haupte, und dem feſten ſtemmigten Stande nach, auch von Anfang an beſtimmt geweſen zu ſeyn ſcheinen. Sie ſtanden ehemals zu Tivoli. Winkel - mann,35)S. 92. G. d. K. der uͤberhaupt eine weitlaͤuftige Beſchrei - bung derſelben gibt, findet in dem Geſichte eine dem Antinous aͤhnliche Bildung.

Ein Prieſter welcher opfert. Der ver - ſchleierte Kopf ſcheint modern zu ſeyn. Man ſchaͤtztdas117Der Vaticaniſche Pallaſt. das Gewand. Dieſe Figur ſtand ehemals zu Vene - dig im Pallaſt Guſtiniani. 36)Hier ſtehen noch: Eine Conſularſtatue. Ein Lucius Verus. Ein Auguſt mit der Toga. Eine Muſe. Eine Prieſterin, Figur mit dem Schleier, die man Juno nennt. Ueber der Thuͤr iſt ein großes Basrelief befind - lich: Kampf zweier Maͤnner mit einem Loͤwen und einem Tiger.37)In der Ital. Uberſ. der Winkelm. G. d. K. von Fea, finde ich einige Nachrichten uͤber dieſe Samm - lung, von denen ich geſtehe, daß ich nicht weiß, wel - che von den angezeigten Stuͤcken ſie betreffen; oder ob ſie ſich auf Stuͤcke beziehen, die zu meiner Zeit noch nicht aufgeſtellet waren. 1) T. I. S. 319. n. A. erwaͤhnt Fea einer Diana im langen Kleide aus Villa Pamfili.2) T. II. S. 422. n. A. Einer Cybele aus den Gaͤrten des Vaticans. Winkelmann nennt ſie Ne - meſis.3) T. II. S. 122. n. B. Eines Basreliefs. Ein kindlicher Faun, deſſen Winkelmann als in der Villa Albani befindlich gedenkt, aus einer Schaale trin - kend. Siehe Villa Albani.4) Endlich T. I. S. 316. n. c. zweier Statuen der Venus in der Stellung der Cnidiſchen.

H 3Theil118Der Vaticaniſche Pallaſt.

Theil des Vaticaniſchen Pallaſts, in dem ſich die Mahlereien befinden.

Mahlereiendes Raphael.
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Mahlereien des Raphael.

Die weitlaͤuftigſten Compoſitionen, die mehreſten wichtigen Werke Raphaels finden ſich in dieſem Pallaſte.

Raphael und ſein Stil.
78

Ich muß meine Leſer mit den Vorzuͤgen dieſes großen Kuͤnſtlers, mit ſeinem Geiſte in ſeinen Wer - ken bekannt zu machen ſuchen.

Leonardo da Vinci, Michael Angelo Buonarotti waren ihm vorausgegangen. Leonardo hatte ſeinen Figuren Ebenmaaß und Ausdruck zu geben gewußt: Michael Angelo hatte einen groͤßern Stil eingefuͤhrt, und dem Fleiße des Kuͤnſtlers die wahre Richtung ge - geben: Es blieb unſerm Raphael uͤbrig, jene verſchie - denen Vorzuͤge in einem erhoͤheten Grade in ſeiner Perſon zu vereinigen, und Schoͤnheit der Formen, Weisheit der Erfindung neu hinzuzuſetzen.

Rafaele Sanzio da Urbino, deſſen ruhmvoller Nahme auch bei uns das Buͤrgerrecht erhalten hat, Raphael ward zu Urbino im Jahre 1583 an einem Charfreitage mit allen den Anlagen gebohren, die ei - nen großen Kuͤnſtler ausmachen koͤnnen.

Er beſaß nicht blos jenes wilde Feuer, jene Reitz - barkeit zu ungebaͤndigten Leidenſchaften, die mit einer brennenden Einbildungskraft und fruchtbarem Witze verbunden, ſo oft mit Genie verwechſelt werden, oft auch dafuͤr gelten koͤnnen, ohne den bildenden Kuͤnſtenwahren119Der Vaticaniſche Pallaſt. wahren Vortheil zu bringen: Nein! Sein Herz ſcheint dauernder Waͤrme, ruhiger Fuͤlle faͤhig geweſen zu ſeyn, und ſeine Einbildungskraft, die einmahl er - waͤrmt ihre Bilder lange behielt, in dem richtigſten Verhaͤltniſſe mit Scharfſichtigkeit und geſunder Be - urtheilung geſtanden zu haben.

Dieſes ſeltenen Verbandes von Genie und Ge - ſchmack ungeachtet wuͤrde Raphael, ohne jene Ge - ſchicklichkeit, die Bilder, die in ſeiner Seele aufſtie - gen, mit dem groͤßten Theile der Wahrheit und Treue andern vor Augen zu ſtellen, womit ſie vor den ſeini - gen ſchwebten, doch nur ein ſehr mittelmaͤßiger Mah - ler geblieben ſeyn. Jene Richtigkeit des Auges, jene geſchmeidige Feſtigkeit der Hand, die in den bildenden Kuͤnſten den ſchwerern Theil, und die nothwendige Grundlage der kuͤnftigen Groͤße des Kuͤnſtlers aus - machen; zur Haͤlfte von natuͤrlicher Anlage, groͤße - ſtentheils aber von langjaͤhriger Uebung abhangen; dieſen mechaniſchen Vorzug verdankte Raphael dem ſorgfaͤltigen Unterrichte ſeines Vaters, und ſeines erſten Lehrmeiſters Pietro Perugino. Dieſer letzte hatte das Verdienſt, die Natur getreu, einfach und mit ge - nauer Beobachtung des Ebenmaaßes in einzelnen Thei - len denn im Ganzen ſind ſeine Verhaͤltniſſe oft unrichtig, nachzuahmen. Simplicitaͤt, Treue und Ebenmaaß ſind Grundlagen der Schoͤnheit. Sollten ſie auch Anfangs ſich mit trockener Haͤrte zei - gen; ſie iſt fuͤr den Lehrling beſſer als das Ausſchwei - fen in ungewiſſe Formen der Schoͤnheit, und unge - treuen Reitz!

Raphael hielt ſich eine Zeitlang an die Manier ſeines Lehrers. Doch zeigt ſich ſchon dazumahl derH 4Zuſatz120Der Vaticaniſche Pallaſt. Zuſatz von Ausdruck, den er in ſeine Figuren legte; Zu jeder Zeit der unterſcheidende Vorzug unſers Kuͤnſtlers! Uebrigens entging er durch gar zu große Beſtimmtheit, und durch den Fleiß, den er an Ne - benſachen verſchwendete, weder der Trockenheit noch der Haͤrte und der kleinen Manier ſeiner Schule.

Der Anblick der Werke des Leonardo da Vinci, des Michael Angelo, des Fra Bartholomeo und der Umgang mit einigen ſchoͤnen Genies ſeiner Zeit, er - hoͤheten ſeine Begriffe von der wahren Beſtimmung ſeiner Kunſt. Er lernte das Ueberfluͤſſige von dem Nothwendigen abſondern, ſein Stil wurde groͤßer. Die Fertigkeit ſeiner Hand machte es ihm leicht, nach demjenigen, was er in den Werken ſeiner Vorgaͤnger als gut erkannte, die ſeinigen umzuſchaffen.

Mit dieſen Vorzuͤgen ausgeruͤſtet, bot ſich ihm die gluͤckliche Gelegenheit dar, die Saͤle des Vati - cans mit ſeinen Arbeiten zu zieren. Nichts erhebt ein Genie, angefuͤllt mit großen Ideen, ſo ſehr, als ein Feld ſich zu zeigen, und die Gelegenheit, die Frucht ſeiner Meditationen in Anwendung zu bringen. Des Vertrauens ſeiner Zeitgenoſſen gewiß, ſtreitet es dann nur mit ſich ſelbſt und mit der Vergaͤnglichkeit eines gegenwaͤrtigen Rufs.

Inzwiſchen die Ausbildung macht keinen Sprung. Leichtigkeit und Zuverlaͤßigkeit, welche allein Grazie zeugen, laſſen ſich nur durch lange Uebung erhalten. Man ſieht den erſten Werken Raphaels im Vatican die aͤngſtliche Sorgſamkeit an, die uͤber neu zu erlan - gende Vorzuͤge, alte mindere, aber bewaͤhrte, auf - zuopfern fuͤrchtet. So entſtand ſeine zweite Ma -nier121Der Vaticaniſche Pallaſt. nier, die im Grunde nur eine Verbeſſerung der er - ſten iſt.

Ausdruck bleibt auch hier der charakteriſtiſche Vorzug unſers Meiſters. Die dichteriſche Erfindung zeigt ſchon die Kenntniß des Grundſatzes, daß alle Figuren in einem Gemaͤhlde einen ungetrennten An - theil an der Handlung nehmen muͤſſen: daß ſie fuͤr ſich, nicht fuͤr den Zuſchauer handeln.

Allein die mahleriſche Anordnung iſt zu ſymme - triſch. Die Zeichnung iſt richtig, iſt fein, aber zu hart, zu beſtimmt, im kleinlichen Stile. Die Ge - waͤnder ſind noch in zu viele Partien getheilt; die Ausfuͤhrung iſt noch zu trocken, der Fleiß zu ſehr auf Nebenſachen verſchwendet. Ja! ein gewiſſer gothi - ſcher Schmuck, z. E. goldener Schein um die Koͤpfe der Heiligen, goldene Stickerei auf den Gewaͤndern, iſt noch nicht abgelegt.

Aber der Begriff von Vollkommenheit war zu ſehr in Raphaels Seele gegruͤndet, als daß er lange auf dieſer Stufe haͤtte ſtehen bleiben ſollen. Wir fin - den ihn beſchaͤfftigt, ihr auf verſchiedenen Wegen nachzuſtreben. Bald zieht das Colorit alle ſeine Auf - merkſamkeit an ſich, wie in dem Gemaͤhlde der Meſſe zu Bolſena: Bald ſtrebt er dem Helldunkeln nach, wie in dem Gemaͤhlde der Befreiung des heiligen Pe - trus: Bald aber zwingt ihn uͤberhaͤufte Arbeit, ſei - nen Schuͤlern die Ausfuͤhrung ſeiner Ideen zu uͤber - laſſen, und da er die Concurrenz des Michael Angelo in der Zeichnung fuͤrchtet, ſo verwendet er ſeine ver - doppelten Kraͤfte an dieſen wichtigſten Theil ſeiner Kunſt. Hier aber ſteht er in Gefahr, den AnſcheinH 5von122Der Vaticaniſche Pallaſt. von Groͤße in den Werken ſeines Nebenbuhlers, das Rieſenmaͤßige, das Uebertriebene, mit der einfachen Groͤße der Antiken zu vertauſchen. So ſieht man ihn in der Figur der Gerechtigkeit im Sale Conſtan - tins, ſo ſieht man ihn in einigen Figuren im Ge - maͤhlde des Incendio del Borgo. Aber bald ent - deckt er den Abweg, er kehrt zu ſich ſelbſt zuruͤck, und bereichert mit Schoͤnheiten, die er ſelbſt ſeinen Irrun - gen zu verdanken hat, zeigt er ſich in aller ſeiner Groͤße in dem beruͤhmten Gemaͤhlde der Transfigu - ration, und geht zu den Unſterblichen uͤber.

Dieſe haͤufige Abwechſelung, dieſes unablaͤßige Streben nach Vollkommenheit, die er auf unzaͤhligen Stufen zu erreichen ſuchte, macht die Beſtimmung ſeiner Manier in der letzten Epoche ſeines Alters ziem - lich ungewiß. Jedes Bild aus dieſer Zeit hat ſeine eigene Manier, oder vielmehr, Raphael hat gar keine, er hat die Verfahrungs-Art der Natur. Sie ſtellt jeden Gegenſtand ſo vor, wie es der Zweck ſeiner Beſtimmung erfordert. Inzwiſchen laſſen ſich einige Grundſaͤtze angeben, die Raphael mit Haltſamkeit befolgt zu haben ſcheint, einige Vorzuͤge, einige Feh - ler, an denen man ihn in den beſten ſeiner Gemaͤhlde ſtets wieder erkennen wird.

Die poetiſche Erfindung und der Ausdruck ſind die Hauptvorzuͤge Raphaels.

Ich habe ſchon oben geſagt,37b)Pallaſt Farneſe. was poetiſche Erfindung iſt. Die Wahl der Gegenſtaͤnde, die Raphael darzuſtellen hatte, hing ſelten von ihm ab. Um123Der Vaticaniſche Pallaſt. Um ſo mehr iſt die Art, wie er ſie uns intereſſant zu machen gewußt hat, zu bewundern. Er waͤhlte im - mer den Zeitpunkt einer Handlung heraus, in wel - chem ſie der Zuſchauer am liebſten zu ſehen wuͤnſcht. Dann aber ließ er nicht mehr Perſonen auftreten, als zur Verſtaͤndlichkeit des Suͤjets noͤthig waren, und dieſe verband er durch den natuͤrlichſten und ungetrenn - teſten Antheil an der Haupthandlung. Die Haupt - figuren ziehen allemahl zuerſt unſere Aufmerkſamkeit auf ſich.

Die mahleriſche Erfindung oder eigentliche An - ordnung war weniger das Verdienſt Raphaels. Es zeigt ſich keine Spur in ſeinen Werken von einer uͤber - legten Zuſammenſtellung der Figuren, um dem Auge Gruppen von angenehmer Form, oder ſolche Gruppen darzubieten, die eines vortheilhaften Eindrucks von Licht und Schatten vorzuͤglich faͤhig waͤren.

Ausdruck, im weitlaͤuftigen Verſtande: Dar -Naͤhere Be - ſtimmung des Worts Ausdruck in der Mahle - rei, in ſo fern man da - durch das Hauptver - dienſt unſers Kuͤnſtlers be - zeichnet. ſtellung des Gedankens, den der Kuͤnſtler in ſein Bild zu legen geſucht hat; und im engeren: Darſtellung der Faſſung der Seele, der Geſinnung, womit jede einzelne Perſon handelt, iſt derjenige Theil der Kunſt, worin keiner der uns bekannten Kuͤnſtler Raphaeln gleich koͤmmt. Ohne Anmaaßung ſich dem Zu - ſchauer verſtaͤndlich zu machen, ſagt jede Figur genau und deutlich das was ſie fuͤr die Handlung und den Ort der Scene ſagen ſoll. Nie uͤberſchreitet er die feine Graͤnzlinie zwiſchen dem zu Viel, und dem zu Wenig, und nie opfert er die Schoͤnheit dem Aus - drucke ganz auf.

Man124Der Vaticaniſche Pallaſt.
In wie fern man der Zeichnung die Beiwoͤr - ter, ſchoͤn, beſtimmt, richtig, fein, beilegt, und welche derſel - ben von Ra - phaels Zeich - nung gelten koͤnnen.
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Man ſagt oft von der Zeichnung des Kuͤnſtlers, ſie ſey ſchoͤn: man ſagt aber auch von ihr, ſie ſey be - ſtimmt, richtig, fein, zierlich, im großen Stile, Dieſe Beiwoͤrter, die oft mit einander verwechſelt werden, haben jedoch jedes fuͤr ſich, eine von einander ſehr abweichende Bedeutung.

Schoͤnheit der Zeichnung geht eigentlich auf die Wahl der Formen. Raphael hat nie das Sublime der Antiken noch das Gefaͤllige des Correggio erreicht. Er waͤhlte ſeine Weiber aus der Natur, und er brachte, wie es ſcheint, keine große Abwechſelung in dieſe Wahl. Sie haben beinahe alle den Charakter eines ſanften Ernſtes, aber ſelten ſetzen ſie uns durch die majeſtaͤtiſche Uebereinſtimmung ihrer Zuͤge in Be - wunderung, oder ziehen uns durch holdſelige Lieblich - keit an. Seine Kinder ſind von gemeiner Natur, ſeine Juͤnglinge ſchoͤn, aber ohne die Erhabenheit der Formen, unter denen wir, berechtigt durch die Sta - tuen des Alterthums, uns eine Heldenſeele denken. Das reifere Alter des Mannes, und Greiſe gelangen ihm in der Darſtellung am beſten.

Mit welcher Vorſicht Ra - phael Bild - niſſe lebender Perſonen in ſeinen hiſto - riſchen Ge - maͤhlden an - brachte:
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Raphael brachte oft Abbildungen lebender Perſo - nen in ſeinen Gemaͤhlden an. Aber ſie blieben keine kalte Portraits; nein! er bildete ſie nach ſeinen Be - griffen von Schoͤnheit um, und wußte ſie durch den paſſendſten Ausdruck mit der Handlung zu verbinden: Bei dieſer Vorſicht ein vortreffliches Mittel, Leben und Wahrheit uͤber ein Gemaͤhlde zu verbreiten! Ja! oft erkennt man auf ihnen ſogar Bildſaͤulen der Alten wieder, und hauptſaͤchlich Figuren, die von antiken Basreliefs genommen ſind.

Raphael,125Der Vaticaniſche Pallaſt.

Raphael, ein anderer Deucalion, hatte dasund wie er die Antiken nutzte. Vorrecht, Steine zu beleben. Er hatte lange die Natur ſtudirt, und er verließ ſie nicht, als er die An - tike zu Rathe zog. Die erſte lieferte ihm Erfahrun - gen, die ihm das Ideal der letzteren bis zum Gefuͤhl der Wahrheit und des Lebens nahe bringen konnten. Seine Einbildungskraft zeigte ihm den lebloſen Mar - mor mit alle den Veraͤnderungen, die die Seele, die er ihm einbließ, oder beſſer, die Faſſung in die er ihn verſetzte, auf einen organiſirten Koͤrper mit aͤhnli - chen Formen haͤtte hervorbringen koͤnnen. Wenn er folglich dem Scheine nach copirte, ſo erhob er ſich im Grunde nur von der Natur zum Ideal. Er verbeſ - ſerte ſie durch einander, und ſein Scharfſinn zeigte ihm genau den Punkt, wo beide zuſammentrafen. Vielleicht iſt hierin die Urſach zu ſuchen, warum wir in den Gemaͤhlden Raphaels ſelten die ſchoͤnſten der antiken Statuen nachgeahmt finden: Warum er bei - nahe nie uͤber das Gute hinaus ging. Er verzwei - felte daran, in der Natur ſeines Landes etwas zu fin - den, das ihm den Begriff der hoͤchſten Schoͤnheit bis zur belebenden Nachahmung haͤtte nahe bringen koͤn - nen; und um ihr nicht Wahrheit und Ausdruck auf - zuopfern, enthielt er ſich lieber derſelben ganz.

Moͤchten doch junge Kuͤnſtler unſerer Zeiten dieſe Grundſaͤtze des groͤßten ihrer Vorgaͤnger beherzigen! Sie, die ſich oft verfuͤhren laſſen, durch einen colorir - ten Apollo oder Antinous ohne paſſenden Ausdruck eine unertraͤgliche Kaͤlte in ihre Gemaͤhlde zu bringen; ohne den Abfall zu erſetzen, den jede Nachbildung ſelbſt an Schoͤnheit der aͤußeren Form leidet! Wahr -heit126Der Vaticaniſche Pallaſt. heit iſt das erſte Geſetz der nachbildenden Kuͤnſte, Schoͤnheit das zweite, Ausdruck unzertrennlicher Zweck von beiden.

Beſtimmt - heit und Richtigkeit der Zeich - nung.
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Beſtimmt, fein, denn dies iſt nur ein hoͤhe - rer Grad des Beſtimmten, pflegt man eine Zeich - nung in Ruͤckſicht auf Wahrheit der Umriſſe einzelner Theile zu nennen: Richtig, in Ruͤckſicht auf das ge - naue Verhaͤltniß der Theile unter einander. Beide Vorzuͤge der Beſtimmtheit und der Richtigkeit beſaß Raphael, ſo weit der Liebhaber ſieht,38)Kenner werfen ihm vor, daß die Muſkeln nicht allemahl die Form und Lage haben, die das Ge - ſchlecht, das Alter, und die Arbeit, wozu ſie ge - braucht werden, erfordern. Daß ſeine Haͤnde nicht ſchoͤn, und die Muſkeln an den jugendlichen Koͤr - pern zu hart angedeutet ſind, bemerken auch un - geuͤbte Augen. in einem hohen Grade.

Er hatte die Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr - pers nach den antiken Basreliefs ſtudirt. Von die - ſen hatte er auch die gute Art, die Glieder in einander zu fuͤgen, und den guten Geſchmack, ſeine Gewaͤnder zu werfen, gelernt.

Raphaels Gewaͤnder. Was zu ei - nem gut ge - worfenen Gewande und zu ei - nem wohl - geordneten Faltenſchla - ge erfordert wird.
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Dieſe Gewaͤnder ſind vortrefflich, und wahr - ſcheinlich die ſchoͤnſten, die ſeit Wiederherſtellung der Kuͤnſte gemahlt ſind. Die fliegenden ſind vorzuͤglich zu bemerken. Das Hauptverdienſt eines gut gewor - fenen Gewandes beruht darin, daß das Nackte be - deckt, aber dem Auge nicht entzogen werde; daß man große Partien von Flaͤchen und Erhoͤhungen bilde,aber127Der Vaticaniſche Pallaſt. aber keine unfoͤrmliche Maſſen von Felſen und Thaͤ - lern, die blos dazu beſtimmt ſcheinen, das Licht auf - zufangen; daß dieſe Partien naͤtuͤrlich in ihren For - men abwechſeln; daß der Faltenſchlag nie willkuͤhrlich ſey, nie ohne hinreichenden Grund; und bei dem Al - lem die Ausfuͤhrung nichts Gradlinigtes, Steifes, oder gar kuͤnſtlich Zuſammengelegtes zeige.

Das Zierliche einer Zeichnung laͤßt ſich nicht gutZierlichkeit der Zeich - nung. beſchreiben, aber ein jeder fuͤhlt, was man damit ſagen will. Raphael iſt darin den Antiken nachge - kommen, erreicht hat er ſie nicht.

Die lange Gewohnheit al fresco zu mahlen, hatRaphaels Colorit. Raphaels Oehlmahlerei verdorben. Die meiſten ſei - ner Gemaͤhlde ſind nach ſeinen Zeichnungen von ſeinen Schuͤlern ausgefuͤhrt, und von ihm retouchirt. Aber dieſer letzte Auftrag iſt in der Folge der Zeit ausgewit - tert. Man kann daher uͤber ſeine Staͤrke im Colorit nicht mit Gewißheit urtheilen. Einige ſeiner Ge - maͤhlde zeigen Strahlen dieſes Theils der Kunſt. Aber im Ganzen hat er ſeine Farben nicht hinreichend mit Mitteltinten gebrochen; ſein Licht faͤllt ins Rothe, und ſeine Schatten fallen zu ſehr ins Schwarze.

Raphael hat bei der Beleuchtung ſeiner FigurenBeleuch - tung, Hel[l]dunkles in Raphaels Gemaͤhlden. mehr auf Ruͤndung jeder Figur im Einzelnen, als auf die Wuͤrkung des Lichts und Schattens im Gan - zen geſehen. Er ging dabei ſehr einfach zu Werke, legte auf die hoͤchſten Partien weiß auf, und brach daſſelbe mit ſchwarz bis in den Schlagſchatten: Von Reflexen wußte er nichts. Wenn er mehrere Figuren zuſammen ſtellte, ſo kamen die helleſten vorn hin, und die dunkelſten hinten, und auf ſolche Artſchwaͤchte128Der Vaticaniſche Pallaſt. ſchwaͤchte er die Lichter ab. Von den Repouſſoirs, oder den dunkeln Figuren auf dem Vorgrunde, die das hintere Licht heraus heben, zeigt ſich keine Idee in ſeinen Werken; ſo wenig, als von dem ausgeſpar -Beilaͤufige Erklaͤrung des Aus - drucks, accidens de lumiere. ten Fall des Lichts und Schattens, (dem ſogenannten accidens) jener weiſen Austheilung des Hellen und Dunkeln, wodurch gewiſſe Theile mehr als andere, gleichſam von Ohngefaͤhr hervorſtechend oder zuruͤck - weichend ſich zeigen: es ſey daß der Kuͤnſtler uͤber - haupt fuͤr das Auge des Zuſchauers hier und da eine kleine Ruhe noͤthig haͤlt, oder daß er daſſelbe auf ge - wiſſe vorzuͤgliche Partien beſonders aufmerkſam ma - chen moͤchte.

Darin liegt eine der Haupturſachen, warum ſeine Gemaͤhlde ſo wenig auf den erſten Blick anziehen.

Er ſcheint inzwiſchen nach kleinen Modellen von Wachs oder Thon gearbeitet zu haben, die er der Perſpective und der Anordnung wegen zuſammen - ſtellte. Wenn dieſe von Ohngefaͤhr eine gluͤckliche Abwechſelung von Licht und Schatten hervorbrachten, ſo trug er ſie getreu in ſeine Gemaͤhlde uͤber. Aber im Ganzen trifft man dieſen Vorzug zu ſelten in ſeinen Gemaͤhlden an, um ihm ein entſchiedenes Verdienſt daraus zu machen.

Raphael war nicht blos ein großer Kuͤnſtler, er war auch groß als Menſch. Aber dies gehoͤrt nicht in meinen Plan. Er genoß waͤhrend ſeines Lebens der Vorzuͤge des Ruhms, den die Nachwelt als den des groͤßten Mahlers neuerer Zeiten beſtimmt hat. Er ſtarb in der Bluͤthe ſeiner Kunſt, und ſeines Alters.

Coſa bella mortal paſſa e non dura.

Rapha -129Der Vaticaniſche Pallaſt.

Raphaels Logen oder vielmehr Loggie di Rafaele.

Dieſe Loggie, die auf deutſch ſehr uneigentlichRaphaels Logen. durch Logen uͤberſetzt werden, ſind weiter nichts, als ein offener Corridor, eine Gallerie mit Arcaden nach dem innern Hofe zu. 39)Richardſon (Deſcription des fameux tableaux, T. III. p. 324.) verwechſelt ſie mit denen Stanze oder Sales de Raphael. Sie ſind ſehr haͤufig in Italien, und dienen zur Communication der verſchie - denen Zimmer und Etagen eines Gebaͤudes.

Diejenige Gallerie nun, die zu den Stanze di Rafaele, zu den Zimmern fuͤhret, in denen die Hauptwerke Raphaels im Vaticaniſchen Pallaſte be - findlich ſind, iſt von eben dieſem Meiſter und ſeinen Schuͤlern mit Mahlereien und andern Verzierungen bekleidet, die fuͤr den Ort viel zu gut und nicht paſſend ſind: Zu gut, weil ſie bei offenen Arcaden dem Un - gemach des Wetters zu ſehr ausgeſetzt ſind; nicht paſ - ſend, aus Gruͤnden, die ich gleich weiter ausfuͤhren werde.

Die Bekleidung beſteht aus Arabeſken, oder Groteſken, untermiſcht mit gemahlten Figuren, Bas - reliefs aus Stuckaturarbeit, und Gemaͤhlden am Pla - fond, deren Suͤjets heilige Geſchichten vorſtellen, und deren Folge die Bibel Raphaels genannt wird.

Arabeſken ſcheinen fuͤr einen ſo großen Ort alsUeber Ara - beſken. dieſen keine ſchickliche Mahlerei zu ſeyn. So vielAchtungErſter Theil. J130Der Vaticaniſche Pallaſt. Achtung auch Raphaels Geſchmack an dieſer Art von Verzierung verdient; ich kann doch nicht umhin, mich auf die Seite des Vitruvius zu ſtellen, und ſo wie dieſer uͤber den herrſchenden Geſchmack ſeiner Zeiten an dieſen ſeltſamen Vorſtellungen ſeine Unzufriedenheit bezeugte, uͤber ein aͤhnliches Verderbniß zu der mei - nigen Klage zu erheben.

Wie einfoͤrmig iſt nicht ungeachtet aller Abwech - ſelung, die man in die Formen zu bringen ſucht, dieſe Art, die Waͤnde zu bedecken? Was ſagt ſie unſerm Geiſte? Ich billige, daß man Landhaͤuſer, Cabinets, Boudoirs damit ausziere; ſie ſchicken ſich hieher ihrer leichten Zierlichkeit wegen; aber wenn man die Waͤnde, die Plafonds großer Pallaͤſte, den einzigen Ort, wo der Kuͤnſtler noch ein Feld zu Ausfuͤhrung großer Compoſitionen findet, an Handwerker, an Decora - tionsmahler verſchwendet, das geht mir nahe. 40)In unſern noͤrdlichen Gegenden findet dieſes eine Ausnahme. Hier ſind ſie Nothbehelf. Denn wenn hier auch zuweilen ein Reicher im Stande iſt, das Talent zu lohnen, ſo iſt das Talent ſelten, das den Lohn verdient.

Freilich ſind Arabeſken, wie ſie Raphael mahlte, nur in Vergleichung mit ſeinen uͤbrigen Werken Ar - beiten des Handwerkers. Ob er gleich die Veranlaſ - ſung zu dieſer Art von Zierrathen in den Baͤdern des Titus fand, ſo bereicherte er ſie doch mit ſo vielen neuen Geſchoͤpfen ſeiner Einbildungskraft, daß ſchon dieſe allein ihm[den] Nahmen eines Genies ſichern koͤnnten. Sein Schuͤler Giovanni Nanni da Udina fuͤhrte ſeine Ideen aus, und er war gluͤcklich genung, in ihm zugleicher131Der Vaticaniſche Pallaſt. gleicher Zeit die Leichtigkeit der Hand, und die fleißige Beſorgung zu finden, die Werken dieſer Art den groͤßten Reitz geben.

Die Erfindung dieſer Mahlerei hat ihre eigenen Grundſaͤtze. Die Schoͤnheit der Formen, ſowohl in den einzelnen Zierrathen, als in den Gruppen, die ſie bilden; Simplicitaͤt, Symmetrie bei Mannichfaltig - keit und anſcheinender Unordnung; ſehr abwechſelnde und doch nicht kreiſchende Farben, ſcheinen Haupt - erforderniſſe dabei zu ſeyn. Im Grunde haͤngen Compoſitionen dieſer Art blos von der willkuͤhrlichen Schoͤpfung des Kuͤnſtlers ab; inzwiſchen verlangt der Zuſchauer dennoch eine gewiſſe Art von Wahrſchein - lichkeit, deren Vernachlaͤßigung ſeine Augen beleidiget. Wir bemerken dies, wenn der Kuͤnſtler Weſen, die wir uns als ſchwerfaͤllig denken, auf ſolche ſetzt, die ihrer ſchwankenden Eigenſchaft nach jenen nicht zum Halt dienen koͤnnten; z. E. Gebaͤude auf Blumen - ranken. So glaube ich auch, daß man ſich huͤten muß, das Wahre mit dem blos Conventionellen in eine ungeſchickte Verbindung zu ſetzen. Saͤulen in einem Zimmer, deſſen Waͤnde mit Laubwerk bedeckt ſind, oder ein Plafond, das eine hiſtoriſche Handlung durch Perſonen in Lebensgroͤße vorſtellet, uͤber Waͤnden, an denen ſich Arabeſken hinauf ſchlaͤngeln, bringen alle - mahl einen beleidigenden Uebelſtand hervor.

Unſere neueren Handwerker haben das Laubwerk, die eigentlichen Zierrathen der Raphaeliſchen Arabeſken ſchon lange als eine Schule genutzt, als einen Vor - rath, aus dem ſie die Verzierungen ihrer Meublen entlehnt haben: In den Figuren, die hin und wiederJ 2ange -132Der Vaticaniſche Pallaſt. angebracht ſind, findet der Kuͤnſtler Stoff, ſeine Ideen zu bereichern, und ſeinen Geſchmack durch Be - trachtung der reitzenden Formen zu verfeinern. Selbſt als poetiſche Erfindung kann manches Suͤjet, das in dieſe Arabeſken eingewebt iſt, ſeiner Aufmerkſamkeit werth werden. Wie ſchoͤn ſind zum Beiſpiel die drei Parzen gedacht! Die juͤngſte ſitzt auf einem Blumen - topfe, und dreht den Rocken, von dem die mittlere Schweſter, die auf einem Korbe mit Fruͤchten ruht, den Faden des Lebens abſpinnt, bis endlich die aͤlteſte, die aus einem Portale heraustritt, welches den Sitzen der uͤbrigen zur Stuͤtze dient, ſich bereit macht, ihn abzuſchneiden.

Hin und wieder ſind, wie ich bereits angemerkt habe, Cameen und Basreliefs angebracht; im Gan - zen wohl nicht mit gehoͤriger Sparſamkeit und ſchick - licher Verbindung, aber im Detail fuͤr den Liebhaber um ſo intereſſanter, da ein Theil wuͤrklich antik aus alten Gebaͤuden ausgehoben und hieher verſetzt, ein anderer im Geiſt der Alten von Raphael erfunden iſt. Eine reiche Erndte ſchoͤner Ideen fuͤr den Kuͤnſtler!

Gemaͤhlde am Plafond, Raphaels Bibel.

Raphaels Bibel.
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Eine Nomenclatur dieſer Gemaͤhlde ſcheint mir uͤberfluͤßig, denn da ſie die bekannteſten Suͤjets aus der heiligen Geſchichte enthalten, ſo erklaͤrt ſie der bloße Anblick. Auch werde ich mich nicht auf eine detaillirte Beſchreibung und Beurtheilung einlaſſen, ſondern nur hie und da einige Bemerkungen uͤber das Ganze und uͤber einzelne Vorſtellungen herausheben.

Iſt133Der Vaticaniſche Pallaſt.

Iſt ein Plafond uͤberhaupt ein ſchicklicher Ort zurPlafonds ſcheinen kein ſchicklicher Ort zu ſeyn, um daran intereſſante Gemaͤhlde anzubrin - gen. Aufbewahrung ſolcher Gemaͤhlde, welche die Aufmerk - ſamkeit lange feſſeln, und durch das Intereſſe, das ſie erwecken, die Augen anheften? Ich glaube nicht.

Zuerſt iſt die Stellung, die man annehmen muß, um eine Sache zu betrachten, die uͤber unſerer Scheitel ſchwebt, an ſich ſchon zwangvoll, und auf die Laͤnge quaͤlend. Ein Gemaͤhlde am Plafond muß den Blick fuͤllen, wenn man ihn hinaufſchlaͤgt, aber man muß ihn auch wieder abziehen koͤnnen, ohne zu bedauren, daß man ihn nicht laͤnger dort ruhen laſſen kann.

Eine andere Unbequemlichkeit iſt die Schwierig - keit bei der Wahl des Geſichtspunktes, aus dem der Zuſchauer ein Gemaͤhlde an der Decke wahrſcheinlich finden ſoll. Einige Kuͤnſtler ſtellen ihre Figuren ſo, wie ſie der unten ſtehende Zuſchauer ſehen wuͤrde, wenn ſie in offener Luft uͤber ihm ſchwebten. Man ſieht ſie alsdann in der Verkuͤrzung. Andere hinge - gen mahlen das Gemaͤhlde, als wenn es eigentlich be - ſtimmt geweſen waͤre, dem Zuſchauer gegen uͤber auf - geſtellet zu werden, und als haͤtte man es entweder als Tafel oder als Decke an den Boden angeheftet. So mahlte Raphael ſeinen Plafond, ſo hat Meng[s]einige der ſeinigen verfertiget.

Die Meinungen ſind getheilet uͤber den Vorzug,Soll man die Figuren in horizon - taler oder verticaler den jede dieſer Vorſtellungsarten verdient. Die An - haͤnger der letzten ſagen: Die Verpflichtung, nur ſolche Suͤjets an die Decke zu mahlen, die wuͤrklich in offener Luft vorgehen koͤnnen, beſchraͤnke zu ſehrJ 3das134Der Vaticaniſche Pallaſt. Richtung in einem Pla - fond Ge - maͤhlde ſtel - len? Der Autor ent - ſcheidet fuͤr die verticale.das Genie des Kuͤnſtlers, welches bei unſerer neueren Methode, die Waͤnde mit Tapeten zu behaͤngen, bei - nahe kein ander Feld als Decken zu weitlaͤuftigen Compoſitionen uͤbrig ſehe: Eine Menge der intereſ - ſanteſten Handlungen, die auf der Erde vorgegangen waͤren, wuͤrden dadurch von der Darſtellung ausge - ſchloſſen: Um verkuͤrzten Figuren Wahrheit zu geben, duͤrfe man ſie nur von einer Stelle ab betrachten, und von dieſer Stelle ab werde zwar eine einzelne Figur, nie aber eine weitlaͤuftige Compoſition den wahren Geſichtspunkt erhalten: Es ſey alſo unmoͤglich, eine gaͤnzliche Illuſion hervorzubringen: Koͤnnte dieſes aber auch der Fall ſeyn, ſo wuͤrde doch die Voraus - ſetzung, daß man einen offenen Himmel ſehe, ſich ſehr ſchlecht in ein vermauertes Zimmer paſſen: Jene andere, daß man bemahlte oder gewuͤrkte Decken an den Boden anſchlage, habe wenigſtens das Ver - dienſt einer groͤßeren Offenherzigkeit fuͤr ſich, und einer geringern Anmaaßung auf Betrug.

Dieſe Gruͤnde haben allerdings viel Anſcheinendes, inzwiſchen zieht mich meine Empfindung doch immer zu denjenigen Deckenſtuͤcken hin, die Figuren in Ver - kuͤrzung darſtellen, und es fehlt mir auch nicht an Gruͤnden, meinen Geſchmack zu rechtfertigen.

Freilich kann nur aus einem einzigen Stand - punkte, naͤmlich der Mitte des Zimmers, die wahre Wuͤrkung einer weitlaͤuftigen Compoſition dieſer Art beurtheilt werden, und ſelbſt von dort ab erhalten die entfernten Figuren ihren wahren Augenpunkt nicht: Allein dieſem Hinderniſſe laͤßt ſich leicht dadurch be - gegnen, daß man die Decke in mehrere Felder theile,die135Der Vaticaniſche Pallaſt. die alsdann, jedes fuͤr ſich, ihren eigenen Augenpunkt erhalten.

Wenn auch das Genie des Kuͤnſtlers durch die Nothwendigkeit ſolche Suͤjets zu waͤhlen, die in freier Luft vorgehen, beſchraͤnkt werden ſollte, ſo wuͤrde er eben dadurch vor der Verſuchung bewahrt, ſehr intereſ - ſante Suͤjets an einen Ort zu bringen, wo ich ſo viele Muͤhe habe, ſein Werk zu betrachten. Allerdings paßt ſich fuͤr den Boden eines vermauerten Zimmers ein aufgehangener Teppich beſſer als ein offener Him - mel; aber dieſer Teppich ſey nur nicht von dem Wer - the, daß ich ſagen muß: Schade, daß er dort haͤngt!

Dagegen koͤmmt vielmehr in Betracht, daß Fi - guren, die urſpruͤnglich gemahlet ſind, um auf einer Horizontalflaͤche geſehen zu werden, wenn ſie nachher in verticaler Richtung angeheftet werden, die unna - tuͤrlichſte Wuͤrkung hervorbringen. Sie ſchweben nicht, ſie ſcheinen zu fallen. Ja! da das Auge nach den bekannteſten Regeln der Optik die Figuren, die es in der Entfernung uͤber ſich ſiehet, verkuͤrzt, ſo darf ſie der Mahler, wenn er ihnen nicht ein ſchwer - faͤlliges Anſehen geben will, nicht in ihrer natuͤrlichen Lage laſſen: Er muß von den innerlichen Verhaͤlt - niſſen des darzuſtellenden Koͤrpers abweichen, um ſich nach den Verhaͤltniſſen, worin das Auge außer ihm ſiehet, zu richten.

Ich wiederhole alſo meine Meinung uͤber die Be - kleidung der Plafonds dahin, daß mir ein Plafond uͤberall kein ſchicklicher Ort fuͤr ein Gemaͤhlde ſcheinet,J 4das136Der Vaticaniſche Pallaſt. das eine intereſſante Handlung darſtellt. Geſchmack - volle Zierrathen aus Stuck, oder Grau in Grau ge - mahlt, die das Auge anziehen, ohne es zu feſſeln, ſcheinen mir hier an ihrer wahren Stelle zu ſtehen. Will man aber durchaus hiſtoriſche Figuren an Decken - ſtuͤcken ſehen, ſo wuͤnſche ich, daß man ſie ſchwebend vorſtellen moͤge.

Die Bibel Raphaels enthaͤlt Gemaͤhlde, die eigentlich von dem ſtehenden Zuſchauer in horizontaler Richtung geſehen werden ſollen. Die Figuren haben ohngefaͤhr eine Hoͤhe von zwei Fuß, welche der Ent - fernung, worin ſie das Auge ſieht, nicht angemeſſen iſt. Die Feinheit des Ausdrucks in den Minen, Raphaels Hauptvorzug, geht beinahe ganz ver - lohren.

Zu allen dieſen Stuͤcken hat Raphael Zeichnungen hergegeben, aber nur wenige hat er mit eigener Hand ausgefuͤhret. Diejenigen Schuͤler, die am meiſten Antheil daran hatten, ſind Perino del Vaga, Giulio Romano, Giovanni Francesco Penni, und Pelle - grino da Modena. 41)Dieſer letzte Kuͤnſtler heißt eigentlich Pellegrinus Munari da Modena, unter welchem Nahmen man ihn in Fueßlis Kuͤnſtlerlexicon ſuchen muß.

Den erſten Stuͤcken, die die Schoͤpfungsge - ſchichte vorſtellen, ſieht man deutlich an, daß ſich Raphael in die Ideen Michael Angelo’s hinein gedacht hat; wenn man ihm daruͤber einen Vorwurf machen will, ſo verdient er ihn weniger in Ruͤckſicht der Nach - ahmung, als vielmehr der Wahl des Vorbildes. Der137Der Vaticaniſche Pallaſt. Der Schoͤpfer hat beſtaͤndig den Ausdruck eines graͤm - lichen Alten, und ſeine Stellung hat oft etwas con - vulſiviſch Gedrehtes.

In dem Gemaͤhlde, welches das Ordnen des Chaos vorſtellt, hat Raphael dem Schoͤpfer den Ausdruck eines ruͤſtigen Alten gegeben, der mit ge - waltſamer Anſtrengung und ausgeſpreiteten Armen und Beinen die Elemente aus einander treibt. Wie ſehr verliert dieſe Vorſtellung, wenn man ſie mit der Idee vergleicht, welche die Worte: Gott ſprach, es werde Licht, und es ward Licht! hervorbringen. Das Erhabene dieſer Begebenheit beruht auf dem Ge - fuͤhl des geringen Aufwandes von Kraͤften, wodurch eine ſo große Wuͤrkung hervorgebracht iſt, und ich halte es fuͤr unmoͤglich, daß die Kunſt dies jemahls durch ſichtbare Darſtellung errege.

Mit eben ſo wenigem Gluͤcke hat uns Raphael die Begebenheit der Schoͤpfung der Thiere ſinn - lich machen wollen. Hier breitet der Schoͤpfer die Haͤnde uͤber eine Menge von Thieren verſchiedener Gattung aus, und gleichet einem Hausvater, der ſeine Menagerie beſieht. Um inzwiſchen die Idee des Werdens, des Entſtehens einiger Maaßen zu verſinn - lichen, laͤßt er verſchiedene Thiere zur Haͤlfte aus der Erde hervorragen, mit der voͤlligen Anſicht, als waͤ - ren ſie halb vergraben.

Die Mahlerei hat keine zulaͤngliche Mittel, Be - gebenheiten, die ſich ohne unaufhaltſame Progreſſion nicht denken laſſen, dem Auge deutlich zu machen.

J 5Aus138Der Vaticaniſche Pallaſt.

Aus der Geſchichte der Schoͤpfung des Wei - bes hat Raphael nicht den gluͤcklichſten Zeitpunkt her - ausgehoben. Er hat den Augenblick gewaͤhlt, in dem Adam ſagt: Das iſt Fleiſch von meinem Fleiſche. Wer Miltons Darſtellung von dem erſten Zuſam - mentreffen des erſten Mannes, des erſten Weibes kennt, der wird ſich eine intereſſantere Situation denken, die den Mahler haͤtte beſchaͤfftigen koͤnnen. Obgleich Richardſon42)Traité de la peinture et de la ſculpture ou Deſcription des ſtatues, tableaux et deſſeins en Italie T. III. p. 473. edit. d’Amſterdam 1728. behauptet, daß die Figur der Eva von Raphael ſelbſt gemahlt ſey, und daß die Zierlichkeit ihrer Umriſſe der Antike nichts nach - gebe; ſo fuͤllt ſie doch keinesweges die Idee von Schoͤn - heit aus, die Miltons Beſchreibung in unſerer Seele zuruͤckgelaſſen hat.

Um ſo zufriedener bin ich mit folgenden Compo - ſitionen:

Die erſten Eltern nach dem Falle. Eva wird in ihrer Arbeit durch den Streit ihrer Kinder geſtoͤrt, die ſie zur Schiedsrichterin uͤber einen Apfel zu machen ſcheinen, den der eine dem andern geraubt hat. Dieſe Idee zeigt hinreichend den Fall aus je - nem goldnen Zeitalter an, in dem Unſchuld und Ueberfluß kein ſtreitiges Eigenthum und keine Schieds - richter zuließ; das Unangenehme des Gedankens, daß nunmehro eigennuͤtzige Leidenſchaften den Men - ſchen beherrſchen, wird zwar auf der einen Seite durch ihre Aeußerung in dem zarten Alter der Kind - heit erhoͤhet; aber auch auf der andern Seite durchdie139Der Vaticaniſche Pallaſt. die Nachſicht, die wir gegen dieſes Alter und ſeine noch unſchaͤdlichen Fehler haben, um ſo mehr gemil - dert, da ſie zu den reitzendſten Stellungen und der angenehmſten Gruppe die Veranlaſſung gegeben haben.

Noah mit ſeiner Familie verlaͤßt die Arche. Abgeriſſen von allen Freunden ihrer Ju - gend, vielleicht die einzigen im eigentlichſten Ver - ſtande des Worts, ſtehen Noah und ſeine Frau in Kummer verſunken, uͤber den wuͤſten Anblick der Erde, an der ihr einſames Alter nur noch durch die Erinnerung haͤngt: Hingegen Hoffnung emporſtre - bender Jugend hebt den Buſen ſeines Sohnes, der eine neue Schoͤpfung vor ſich ſieht, deren Herr er ſeyn wird; und das Weib dieſes letzten o Ra - phael! wie fein! wie zaͤrtlich! das Weib ſchlingt ih - ren Arm um den Hals des geliebten Gatten, ſieht nur auf ihn, und achtet’s nicht: ob außer ihnen die Welt zu Truͤmmern wird.

In allen Gemaͤhlden erkennt man Raphaels Geiſt, ſeinen Ausdruck, ſeine Anordnung, ſeine Stellungen, ſeine Gewaͤnder. Folgende aber haben mir die merkwuͤrdigſten geſchienen: Die Engel kommen zu Abraham, Loth wandert aus So - dom, Iſaac erhaͤlt Befehl, nicht nach Aegyp - ten zu gehen, Jacob trifft Rahel und Lea am Brunnen, Joſeph erzaͤhlt ſeinen Bruͤdern den Traum, den er gehabt hat, Joſeph erklaͤrt dem Pharao einen Traum, Ein Bild das Pouſ - ſin ſehr geſchaͤtzt haben ſoll: die Findung Moſes, die Anbetung des guͤldenen Kalbes, Moſeszeigt140Der Vaticaniſche Pallaſt. zeigt den Kindern Iſrael die Geſetztafeln, Jo - ſua gebietet der Sonne und dem Monde, Eleaſar und Joſua vertheilen den Kindern Iſrael das gelobte Land, der Triumph Da - vids, die Koͤnigin von Saba, die Taufe Chriſti und das heilige Abendmahl.

Raphaels Stanze.

Raphaels Stanze.
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Unter dieſem Nahmen ſind vier Zimmer bekannt, deren Waͤnde Gemaͤhlde von der Hand dieſes Mei - ſters enthalten, und die, wenn nicht die ſchoͤnſten, doch gewiß die weitlaͤuftigſten Compoſitionen ſind, die wir von der Hand dieſes Meiſters kennen.

Es iſt ſchwer bei der Beſchreibung dieſer Ge - maͤhlde kurz zu ſeyn. Kein Kuͤnſtler gibt durch man - nichfaltige Bedeutung und Vorzuͤge, die ſich in jedem ſeiner Bilder mit Abwechſelung zeigen, ſo vielfachen Anlaß zu haͤufigen Bemerkungen. Ich will mich bemuͤhen, aus den vorzuͤglichſten Stuͤcken nur dasje - nige auszuheben, was zu ihrer oft mißverſtandenen Erlaͤuterung, und zur Kenntniß des Schoͤnen dienen kann, das dieſem Meiſter eigenthuͤmlich war.

Erſter Saal. Saal Conſtantins.

Schlacht Conſtantins.
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Schlacht Conſtantins wider Maxenz, von Raphael erfunden und gezeichnet, von ſeinem Schuͤler Giulio Romano43 a)Von dieſem Meiſter werde ich an einem andern Orte ſprechen. ausgefuͤhrt.

Rechter141Der Vaticaniſche Pallaſt.

Rechter Hand entſcheidet ſich der Streit zum Siege fuͤr Conſtantin. Das maͤchtige Roß des Ueberwinders ſtampft mit ſeinen Hufen die Feinde zu Boden. Er ſelbſt auf der Stelle, wo ihn das Auge frei erblickt, hebt den Speer, ihn auf ſeinen Neben - buhler zu ſchleudern. Aber ſicherer kaͤmpfen fuͤr ihn hoͤhere Geiſter, die uͤber ſeinem Haupte ſchweben.

Maxenz hat durch die Tiber mit ſeinem Pferde geſetzt, und wie dies ſich eben auf das gegenſeitige Ufer heben will, erſchrickt es vor dem obern Glanz, und ſtuͤrzt ruͤcklings in die Fluthen zuruͤck. Sein Reuter umklemmt noch mit wuͤthender Todesangſt ſei - nen Nacken, als ſchon Conſtantins Soldaten auf ihren Anfuͤhrer zuſprengen, und fuͤr die abgehauenen Koͤpfe, die ſie ihm entgegen halten, den Preis zu er - langen hoffen, der auf das Haupt des feindlichen Im - perators geſetzt war. Aber ein Dritter, neidiſch auf dieſen Vorzug, zeigt dem Conſtantin den wahren Maxenz, im Begriff, ein Opfer der Wellen zu werden.

Weiterhin ſuchen ſich Maxenzens Anhaͤnger auf der Flucht in Schiffen uͤber die Tiber zu retten. In ihrer Angſt vergeſſen ſie, daß ſie Genoſſen hatten, die mit ihnen denſelben Fahnen folgten. Sie ſtoßen un - barmherzig diejenigen zuruͤck, die ſich mit ihnen retten wollen. Im Hintergrunde zieht die ſiegreiche Armee ſchon uͤber die Bruͤcke Ponte Molle.

Auf der andern Seite ſieht man noch das ganze Gewuͤhl der unentſchiedenen Schlacht. Der Reuter ſtreitet gegen den Reuter, der Reiſig gegen den Rei -ſigen.142Der Vaticaniſche Pallaſt. ſigen. Maͤnner zu Pferde zermalmen Maͤnner zu Fuße, und dieſe kaͤmpfen wieder gegen jene an. Ueber - wundene wehren den letzten Todesſtreich ab, und um das Gemaͤhlde zu vollenden, hebt an der aͤußerſten Seite ein troſtloſer Vater den Leichnam des erſchlage - nen Sohnes auf.

Dies iſt der Gedanke des Bildes, die poetiſche Erfindung.

Die mahleriſche Erfindung, die eigentliche An - ordnung, in Ruͤckſicht auf Form und Beleuchtung der Gruppen, ſcheint vorzuͤglich im hintern Theile des Bildes Tadel zu verdienen; die Figuren ſind zu unor - dentlich auf einander gehaͤuft. Es iſt wahr, die Na - tur des Gegenſtandes ſcheint dies zu erfordern, aber ein geſchickter Anordner weiß Mittel zu treffen, durch welche das Auge bei anſcheinender Unordnung dennoch gewiſſe Gruppen abſondert, und ſich Ruhepunkte waͤhlt, welche die einzelnen Partien zwar nicht von dem Ganzen trennen duͤrfen, aber dieſe doch weniger als andere hervorſtechend machen.

Der Ausdruck iſt unvergleichlich. Jede Figur verlangt in dieſer Ruͤckſicht ein eigenes Studium, aber vorzuͤglich mache ich aufmerkſam: auf den Maxenz, auf die Gruppe der Krieger im Schiffe, auf den Reu - ter, der ſein niedergeſtoßenes Pferd beſchreitet, und ſich dennoch in dieſer unvortheilhaften Stellung wehrt, auf jenen andern, der dem Conſtantin den ſtuͤrzenden Maxenz zeigt, dann auf den, der ſeinen Gegner vom Pferde ſtoͤßt, auf den zu Boden geworfenen Krieger, der mit grimmigem Blicke dem Streich zu trotzenſcheint,143Der Vaticaniſche Pallaſt. ſcheint, der ihn durchbohren ſoll, und endlich auf die herrliche Gruppe des Vaters mit ſeinem Sohne.

Der Reichthum in der Wahl der Koͤpfe und der Stellungen iſt unendlich; er zeigt auch Raphaels ge - naue Bekanntſchaft mit der Antike. Hie und da er - kennt man deutlich ganze Figuren wieder, die er offen - bar von ihr entlehnet hat. Von dieſer Art iſt das Pferd, das von dem Stoß der Lanze, deren abgebro - chenen Schaft es noch in der Bruſt traͤgt, niederge - ſunken, den Kopf voll huͤlfloſen Schmerzes zum Reu - ter kehrt. Eine gluͤckliche Anwendung des Pferdes auf dem Capitol, das von einem Loͤwen zerriſſen wird. 43 b)Auch der Gedanke des Conſtantins der den Speer ſchleudert, und der Krieger, die ihm meh - rere abgehauene Koͤpfe der Feinde zeigen, ſcheint von einem Basrelief das jetzt am Triumpfbogen des Conſtantins befindlich iſt, entlehnt zu ſeyn. Bei der Vergleichung wird man finden wie gluͤcklich ihn Raphael verbeſſert hat.

Die Zeichnung in unſerm Bilde iſt ſehr beſtimmt; Inzwiſchen werfen ihr Kenner einige Unrichtigkeit in der Lage der Muſkeln, und einige Haͤrte in den Um - riſſen vor.

Das Colorit faͤllt zu ſehr ins Schwarze, und die Haltung, welche eine weiſe Austheilung der Lichter auf gewiſſe vorzuͤgliche Partien, Harmonie und Luft - perſpektive vorausſetzt, fehlt gaͤnzlich.

An -144Der Vaticaniſche Pallaſt.

Anrede des Conſtantin an ſeine Solda - ten, gleichfalls von Raphael gezeichnet, und von Giulio Romano, wahrſcheinlich mit einigen Zuſaͤtzen eigener Erfindung, ausgefuͤhrt.

Es iſt der Augenblick gewaͤhlt, in welchem der Kaiſer zuerſt das Kreuz in der Luft erblickt, und ſeine Soldaten darauf aufmerkſam macht.

Nimmt man dieſen Zeitpunkt nicht an, ſo wird man in vielen Figuren auf dieſem Bilde den Ausdruck des Erſtaunens vermiſſen, den die Erſcheinung noth - wendig auf ſie hervorbringen mußte.

Es laͤßt ſich einiges gegen die mahleriſche Anord - nung dieſes Bildes erinnern. Raphael, oder ſein Schuͤler, denn dieſem will Richardſon die meiſten Feh - ler dieſes Gemaͤhldes zur Laſt legen, hat antike Bas - reliefs dabei vor Augen gehabt; aber ein Basrelief iſt kein Gemaͤhlde.

Ein Basrelief iſt ungeſchickt, die Wuͤrkungen der Harmonie der Farben, und des eigentlichen Helldun - keln hervorzubringen. Es iſt nur einer ſehr einge - ſchraͤnkten Luft - und Linien-Perſpektive faͤhig, und die eigentliche Zuſammengruppirung thut nur ſehr ſelten die gewuͤnſchte Wuͤrkung. Es ſtellet daher die Fi - guren meiſtens iſolirt und neben einander dar. War - um aber ſoll das Gemaͤhlde dasjenige als Vorzug nachahmen, was Unvollkommenheit in dem ver - ſchwiſterten Kunſtwerke iſt?

Der poſſierliche Zwerg am Rande dieſes Bildes pflegt den Zuſchauern am erſten aufzufallen. Freilich ſteht er in dieſer ernſthaften Compoſition nicht an ſei - ner Stelle. Allein ich weiß nicht, ob derjenige, derfuͤr145Der Vaticaniſche Pallaſt. fuͤr Verdruß uͤber die haͤßliche Figur gegen die uͤbrigen Vorzuͤge des Bildes blind wird, oder fuͤr Vergnuͤgen uͤber den ſchnakiſchen Kerl nur ihn ſieht, nicht beide auf gleiche Art fuͤr Waͤhrung des Schoͤnen in der Kunſt verdorben ſind.

Die Figur Conſtantins iſt nicht edel genung, die Zeichnung der uͤbrigen Figuren iſt ſo zu ſagen, uͤber antike Basreliefs geformt; ſie hat die Beſtimmtheit und die guten Verhaͤltniſſe des Vorbildes erhalten, aber ſie iſt auch ſeiner Haͤrte nicht entgangen.

Das Colorit faͤllt, wie in allen Gemaͤhlden des Giulio Romano, in unharmoniſche Schwaͤrze.

Die Haltung iſt wie die Haltung eines Basre - liefs. Jede Figur iſt fuͤr ſich beleuchtet.

Die Taufe Conſtantins, die Schenkung Conſtantins; von dem Fattore nach Raphaels Zeichnungen ausgefuͤhrt. Sie ſind urſpruͤnglich ſchwach geweſen, und haben ſeitdem ſehr gelitten.

Die Gerechtigkeit und die Billigkeit oder Milde, zwei in Oehl gemahlte allegoriſche Figuren. Raphael hat ſie wenigſtens ſelbſt angelegt; vielleicht ſind ſie ausgefuͤhrt von ſeinen Schuͤlern.

Man wirft dieſen Figuren, vorzuͤglich der Ge - rechtigkeit, zu gedrehte Stellungen vor; Eine An - ſtrengung, von der man den Grund nicht abſieht. Man ſchiebt dieſen Fehler auf Rechnung des Florenti - niſchen Geſchmacks, den Raphael damahls ſeinen Zeit - genoſſen zu Gefallen annehmen mußte. Der Fehler mag liegen, woran er will, er fuͤhrt auf folgende Be - trachtungen:

Erſter Theil. KMich146Der Vaticaniſche Pallaſt.
Ueber den Ausdruck in Gemaͤhlden, welche einzel - ne Figuren vorſtellen, beſonders allegoriſche
86

Mich duͤnkt, wir wuͤnſchen bei jeder Figur, die wir mit einer heftigen ſtrebenden Gebaͤhrde vorgeſtellt ſehen, auch den Grund der Faſſung der Seele zu wiſ - ſen, die ſie hervorbringt. Bei iſolirten Figuren iſt dies nur alsdann moͤglich, wenn die gegenwaͤrtige Handlung entweder durch ein allgemeines Gefuͤhl von Situationen, die aͤhnliche Aeußerungen bei allen Zu - ſchauern hervorgebracht haben, oder durch eine allge - meine vorauszuſetzende Kenntniß einer individuellen Lage irgend einer beruͤhmten Perſon aus der Geſchichte gerechtfertiget wird.

Die Aeußerung des Zorns, der Andacht, der Reue, wird jedem Menſchen an und fuͤr ſich begreif - lich: es gibt der Veranlaſſungen zu dieſer leidenſchaft - lichen Thaͤtigkeit in dem menſchlichen Leben ſo viele, daß er nach der beſondern im gegenwaͤrtigen Falle nicht zu fragen braucht. Es iſt ſchlechtweg ein Zorni - ger, ein Andaͤchtiger, ein Reuiger, und daran ha - ben wir genung. Auch wird ſich unter ſolchen, die durch eine gebildetere Erziehung und Wohlſtand vorzuͤg - lich auf den Genuß der Kuͤnſte berechtigt ſind, nicht leicht einer finden, der eine Judith nicht verſtehen ſollte, die ihre Augen voll Dankbarkeit uͤber die Ret - tung ihres Vaterlandes und ihrer Unſchuld, die ihr durch ihren Arm verliehen iſt, zum Himmel auf - ſchlaͤgt.

Ganz anders verhaͤlt es ſich mit allegoriſchen Bil - dern abſtrakter Begriffe, die wir uns abgezogen von wuͤrkſamer Thaͤtigkeit denken koͤnnen. Sie muͤſſen Ausdruck haben. Aber dieſer Ausdruck darf nicht weiter gehen, als auf Darſtellung des Charaktersuͤber -147Der Vaticaniſche Pallaſt. uͤberhaupt. Auf die Darſtellung der Faſſung der Seele, in der die Eigenſchaft, die der abſtrakte Be - griff vorausſetzt, zu jeder Zeit und in jeder Lage, den unterſcheidenden, hervorſtechenden Zug ausmacht, und durch dieſen auf die ſichtbaren Formen des Koͤr - pers eine dauernde Wuͤrkung hervorbringt.

Eine Perſon, deren Seele vom Gefuͤhle der Ge - rechtigkeit durchdrungen iſt, wird ſich durch eine pruͤ - fende ernſte Mine, und durch die Stellung eines ruhigen Nachdenkens unterſcheiden; eine Perſon, in deren Charakter Milde den Hauptzug ausmacht, durch gefaͤllige, Zutrauen erweckende Freundlichkeit. So weit koͤnnen wir ſie begreifen, in ſo weit wird uns der Ausdruck deutlich. Finden wir aber einen ſolchen Charakter in einer lebhafteren Wuͤrkſamkeit in einem Affekte, auf den die Eigenſchaft, die der abſtrakte Begriff vorausſetzt, nicht nothwendig zuruͤckfuͤhrt, ſo verlangen wir die zufaͤllig einwuͤrkende Urſach zu wiſ - ſen, und finden wir ſie nicht, wie dies denn gemei - niglich der Fall bei iſolirten Figuren iſt, ſo koͤmmt uns die lebhafte Gebaͤhrde und Stellung gezwungen oder affektirt vor.

Noch ſchlimmer aber iſt es, wenn Ruhe eine un - zertrennliche Eigenſchaft des abſtrakten Begriffs zu ſeyn ſcheint, und lebhafte Thaͤtigkeit des allegoriſchen Bildes damit im Widerſpruche ſteht. Dies ſcheint der Fall bei der Gerechtigkeit ſowohl als der Milde zu ſeyn.

Die Figur der Gerechtigkeit hat einen Strauß neben ſich ſtehen, der wegen der gleichen Laͤnge ſeiner Federn, auf die gleiche Austheilung des Rechts deutenK 2ſoll.148Der Vaticaniſche Pallaſt. ſoll. Dieſes Hieroglyphiſche Zeichen ſcheint nicht gluͤcklich gewaͤhlt zu ſeyn, weil die Bedeutung weni - gen verſtaͤndlich ſeyn wird.

Saal des Heliodorus.

Raphael bekam den Auftrag, dieſes Zimmer fuͤr Julius II., den kecken Vertheidiger der Kirche, zu mahlen, und darin mehrere Begebenheiten vorzu - ſtellen, in denen der Himmel den beſondern Schutz, den er der Kirche und ihren Vorſtehern angedeihen laͤßt, deutlich an den Tag gelegt hat.

Heliodor.
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Die Vertreibung Heliodors aus dem Tempel den er pluͤndern wollte, iſt das erſte un - ter den Gemaͤhlden, womit die Waͤnde dieſes Zim - mers bedeckt ſind.

Der Gedanke dieſes Bildes iſt folgender:

Auf eifriges Gebet des Hohenprieſters Onias laͤßt ſich Pabſt Julius der Zweite in den Tempel zu Jeru - ſalem tragen. Engel, Diener ſeines Zorns, gehēn vor ihm voraus: Einer derſelben zu Pferde ſprengt den Kirchenraͤuber Heliodor nieder, und zerſtreuet ſeine Begleiter. Zwei andere ſchweben herzu, die Entehrer der Gottheit mit Ruthen zu zuͤchtigen. Un - terdeſſen fluͤchten erſchrockene Weiber zum Pabſte, und einige Zuſchauer ſuchen hoͤhere Plaͤtze, ihre Neu - gier zu befriedigen.

Es wuͤrde eine ſchaale Critik ſeyn, dem Kuͤnſtler einen Anachroniſmus vorzuwerfen, den zu vermeiden, nicht in ſeiner Gewalt ſtand.

Was149Der Vaticaniſche Pallaſt.

Was die Anordnung anbetrifft, ſo ſcheint mir die große Leere des Tempels, die ſchlechthin dem Hohen - prieſter, und noch dazu in der Entfernung aufgeopfert iſt, keine gute Wuͤrkung hervorzubringen. Die Gruppen werden dadurch ſo ſehr auseinander getrennt, daß das Auge Muͤhe hat, das Ganze auf einmahl zu faſſen. Die Compoſition wird dadurch unzuſam - menhaͤngend.

Die Form der einzelnen Gruppen unter ſich ſcheint mir hingegen als ein wahres Muſter aufgeſtellt werden zu koͤnnen, und die Gruppe des Heliodorus, den die Engel niederwerfen, wird beſonders von Kennern be - wundert. Nur darf man nicht vergeſſen, was ich ſchon oben erinnert habe: Daß dieſer Vorzug in Ra - phaels Gemaͤhlden zu ſelten vorkoͤmmt, um ihm ein eigenthuͤmliches Verdienſt daraus zu machen.

Der Ausdruck in dieſem Gemaͤhlde iſt unver - gleichlich. Der himmliſche Reuter nimmt ſein Pferd zuſammen, treibt ihm die Hacken in die Seite, und holt mit vorgebeugtem Koͤrper einen neuen Stoß wi - der den liegenden Feind aus. Ihm zur Seite ſchwe - ben ſeine Begleiter mit aller der Leichtigkeit, die wir ihren aͤtheriſchen Koͤrpern zutrauen duͤrfen. Ihre Koͤpfe haben den edelſten und wahreſten Ausdruck des raͤchenden Zorns.

Der eiskalte Schrecken, die ſchmerzhafte Betaͤu - bung Heliodors unterſcheidet ſich durch groͤßern An - ſtand von der Angſt ſeiner Gefaͤhrten. Sie ſchreien; ſie ſtieben auseinander; ſie verlieren ihren Raub. Einem von ihnen gleitet im Fliehen der Koffer vom Ruͤcken: Wie er ruͤckwaͤrts darnach greift, wie gernK 3er150Der Vaticaniſche Pallaſt. er ihn behielte! Aber ſein Geſicht gegen die furchtbaren Geiſter umzuwenden, das wagt er nicht.

Auf der andern Seite fluͤchten die erſchrockenen Weiber mit ihren Kindern zum Pabſte. Erſtaunen, Schrecken, der mit Neugier kaͤmpft, bildet ſich auf ihren Geſichtern, und dies mit der groͤßten Abwechſe - lung in Minen und Stellungen. Viele darunter ſind aͤußerſt reitzend. Man uͤberſehe nicht die beiden zu - ſammengruppirten Figuren, deren eine, um beſſer zu ſehen, ſich um eine Saͤule ſchlingt, waͤhrend, daß die andere ſich auf das Poſtamenut zu ſchwingen ſucht. Und wie in alle dem Gewuͤhle der Pabſt mit majeſtaͤ - tiſcher Ruhe thront!

Allein die uͤbrigen Begleiter des Pabſtes belei - digen durch den wenigen Antheil, den ſie an der Handlung nehmen. Die Schweizer, die ihn tragen, der Secretair, der voran geht, ſind bloße Bildniſſe damahls lebender Perſonen, denen man keine Art des Ausdrucks beilegen kann.

Ich weiß wohl, daß man den Raphael lobt, durch dieſe Gleichguͤltigkeit das unbedingte Vertrauen aus - gedruͤckt zu haben, welches dieſe Maͤnner auf die Gewalt ihres Herrn ſetzen. Allein dieſe ingenieuſe Idee contraſtirt zu ſehr mit dem Ausdrucke der thaͤti - gen Theilnehmung in den uͤbrigen Figuren, um an dieſer Stelle nicht zur Carrikatur zu werden.

Die Behandlung dieſes Gemaͤhldes zeigt uͤbri - gens ſchon die fertige Hand, die durch lange Uebung Sicherheit erhalten hat. Raphael ſcheint es ſelbſt ausgefuͤhrt zu haben.

Atti -151Der Vaticaniſche Pallaſt.

Attila, der Zerſtoͤhrer der Welt, dieAttila. Geißel Gottes, wie er ſich nannte, kehrt um vor den Mauren Roms, geruͤhrt durch die Ehrfurcht, die ihm der Statthalter Gottes einfloͤßt.

Man bedenke es wohl, hier iſt keine gewalt - ſame Zuruͤcktreibung, es iſt Wuͤrkung eines heiligen Schauders, der den Barbaren bei dem Gefuͤhl uͤber - natuͤrlicher Groͤße ergreift, und die auf ſeine Armee mit paniſchem Schrecken zuruͤck wuͤrkt. Der Pabſt Leo der Heilige, traͤgt auf ſeiner Figur die Wuͤrde ei - nes Heiligen, der ſich des unmittelbaren Schutzes des Himmels bewußt iſt. Er durchſchneidet, wie die Stellung der Hand es ſchließen laͤßt, die Luft mit dem allmaͤchtigen Zeichen des Kreuzes. Ihm zur Seite ſtehen ſeine Begleiter mit dem Gefuͤhle der Un - verletzlichkeit unter dem Schutze des Oberhaupts der Kirche. Auch verlaͤßt der Himmel ſeinen Diener nicht; die Apoſtel Petrus und Paulus ſchweben uͤber ſeinem Haupte, und befehlen dem Barbaren zu wei - chen; nicht mit dem Ausdrucke eines gewaltſamen Zorns, aber mit dem Ernſte, dem man nicht wider - ſteht, und ausgeruͤſtet mit Waffen, im Fall der Widerſpenſtigkeit zu ſtrafen.

Den Barbaren ergreift das Gefuͤhl der uͤber - menſchlichen Staͤrke, gegen die er nicht anzukaͤmpfen wagt. Die Augen gegen die himmliſche Erſcheinung gerichtet, beugt er den Koͤrper zuruͤck, und gibt mit wegweiſenden Haͤnden ſeiner Armee das Zeichen zuruͤck zu kehren. Er allein ſieht die Erſcheinung der hoͤhe - ren Weſen, aber ſeine Begleiter fuͤhlen den Schauer,K 4der152Der Vaticaniſche Pallaſt. der ſie umringt; das Heilige, das Hehre, das man ſich von der Gegenwart der Unſterblichen ſtets unge - trennt denkt. Der Himmel iſt heiter uͤber der Gruppe des Pabſtes, aber er ſchwaͤrzt ſich uͤber den Haͤuptern der feindlichen Armee; ein Sturmwind rollt die Wol - ken auf vor den Apoſteln her; kaum vermoͤgen die Traͤger ihre Fahnen zu halten; die Pferde werden ſcheu; man ſtoͤßt mit zuruͤckgewandtem Geſichte in die Trommeten zum Abmarſch; man flieht; man geraͤth in Unordnung; man weiß nicht wie, noch warum.

Dies iſt der Gedanke dieſes Gemaͤhldes, uͤber den man ſo viele und ſo uͤble Critiken gemacht hat.

In Anſehung der Anordnung wirft man der Fi - gur des Attila vor, daß ſie ſich nicht genung heraus hebe. Dieſer Fehler liegt in dem Mangel der Hal - tung, nicht an dem Orte, wohin ſie geſtellet iſt; denn ſie iſt frei genung, um geſehen zu werden. Da aber Raphael den Grundſatz hatte, ſeine entfernten Figu - ren dadurch zuruͤckweichend zu machen, daß er helle Maſſen auf den Vorgrund ſtellte, ſo zieht der vor - derſte Reuter auf dem weißem Pferde die Augen zu ſehr an ſich, um nicht den Eindruck der Figur des Koͤnigs, den man im Halbſchatten auf einem brau - nen Pferde ſieht, zu ſchwaͤchen. Raphael bediente ſich ſelten des Mittels, durch dunkle Maſſen auf dem Vorgrunde des Gemaͤhldes lichtere Gegenſtaͤnde ent - fernter erſcheinen zu laſſen. Er kannte nicht die ſoge - nannten Repouſſoirs.

Der Ausdruck iſt wieder unvergleichlich, die ru - hige Zuverſicht in der Gruppe des Pabſtes und ſeinerBeglei -153Der Vaticaniſche Pallaſt. Begleiter, contraſtirt ſehr gluͤcklich mit dem wilden Schrecken unter den Barbaren.

Raphael hat auch hier wieder mehrere Koͤpfe ſei - ner Zeitgenoſſen angebracht; und auch hier thut es die gewuͤnſchte Wuͤrkung: Es verbreitet Leben und Wahrheit.

Bei den Figuren der Apoſtel, die in einer an - ſehnlichen Hoͤhe uͤber die untern Figuren ſchweben ſol - len, ſcheint Raphael die Regel der Perſpektiv, nach welcher ſich das Entfernte verkleinert, nicht beobachtet zu haben. Er that es vielleicht, um das Ueber - menſchliche fuͤhlbarer zu machen; allein das Auge ſchmiegt ſich nicht ſo leicht in das Reſultat der Ueberle - gung; die Figuren ſcheinen ungeheuer und ſchwerfaͤl - lig, ſo ſchoͤn ſie gezeichnet ſind, ſo natuͤrlich ſie ſchwe - ben. Dies beſtaͤtigt Leſſings ſcharfſinnige Bemer - kung,44)S. Laocoon, zwoͤlfter Abſchnitt. daß eine anſchauliche Unwahrſcheinlichkeit durch eine kalte Ueberlegung nicht gehoben wird. Hingegen duͤrfte ich aus eben dieſem Bilde einen Ein - wurf hernehmen gegen jene Behauptung, die er an eben dieſer Stelle wagt: Die Mahlerei ſey ungeſchickt, uns zu verſtehen zu geben, daß in ihren Compoſitio - nen dies oder jenes als unſichtbar betrachtet werden muͤſſe. Es gibt dazu ein ſichereres Mittel, als die duͤnne Wolke, ſo er angibt, naͤmlich der Ausdruck desjenigen, der nicht ſieht, da er ſehen koͤnnte und ſollte, weil andere neben ihm ſehen. Mich duͤnkt, Raphael hat durch den verſchiedenen Ausdruck in den Figuren des Attila und ſeiner Begleiter es anſchaulichK 5genung154Der Vaticaniſche Pallaſt. genung gemacht, daß die Apoſtel ihm und nicht ſeinen Begleitern ſichtbar ſind.

Auch dieſes Bild zeigt Raphaels geuͤbtere Hand.

Wunder der Meſſe zu Bolſena.

Die Meſſe zu Bolſena.
87

Ein Prieſter, der an der Gegenwart Chriſti beim heiligen Abendmahl zweifelt, ſieht bei Conſecri - rung der Hoſtie das Kelchtuch mit Blut gefaͤrbt. Dies geſchieht in Gegenwart mehrerer Perſonen, worunter Pabſt Julius der Zweite mit ſeinem Ge - folge iſt.

Das Colorit in dieſem Gemaͤhlde iſt ſowohl an und fuͤr ſich ſelbſt, als in Vergleichung mit den uͤbri - gen Werken Raphaels der Aufmerkſamkeit des Lieb - habers beſonders werth.

Dieſer Vorzug iſt dem Gemaͤhlde eigenthuͤmlich: Es theilt aber uͤberher denjenigen, den man in allen uͤbrigen dieſes Meiſters antrifft, Wahrheit und Ab - wechſelung im Ausdruck. Der Pabſt iſt in ruhiger Faſſung, und mit Recht darf man glauben, daß Ueberlegung dem Kuͤnſtler dabei zur Seite geſtanden hat: Das Oberhaupt der Kirche darf das Wunder, welches eine ſo feſtſtehende Wahrheit als die Trans - ſubſtantiation beſtaͤtigt, nur als eine natuͤrliche Folge, hoͤchſtens als eine ſeltene Aeußerung eines taͤglich wie - derkehrenden Wunders anſehen. Hingegen zeigt ſich Beſchaͤmung und Schrecken auf dem Geſichte und in der Stellung des Prieſters. Dieſer Ausdruck con - traſtirt ſehr gluͤcklich mit dem materiellen Anſtaunen der Soldaten von der Schweizergarde. Die Neugier unter den uͤbrigen Zuſchauern hat dem Kuͤnſtler Ge -legenheit155Der Vaticaniſche Pallaſt. legenheit zu der Handlung einer ſchoͤnen weiblichen Fi - gur gegeben, welche die Koͤpfe derer, die vor ihr ſte - hen, zur Seite biegt, um ſich Licht zu machen.

Auch verdient die Weisheit unſere Aufmerkſam - keit, mit welcher der Kuͤnſtler den Ort des Gemaͤhl - des, der durch ein Fenſter getheilt wird, bei der An - ordnung ohne Nachtheil der Einheit zu nutzen wußte.

Dies Gemaͤhlde hat Raphael gleichfalls ſelbſt ausgefuͤhrt.

Die Befreiung des heiligen Petrus ausDer heilige Petrus im Gefaͤngniſſe. dem Gefaͤngniß.

Dieſes Gemaͤhlde muß in drei Unterabtheilungen abgeſondert werden, welche man als drei verſchiedene Scenen eines Schauſpiels anſehen kann: Drei auf einander folgende Auftritte einer Haupthandlung. Der Engel weckt den heiligen Petrus im Gefaͤngniſſe auf, der fuͤhrt ihn an der einen Seite dieſes Gefaͤng - niſſes ab, und an der andern Seite deſſelben werden die Waͤchter ſeine Flucht gewahr. Man kann ſich dieſe verſchiedenen Zeitpunkte als auf einander folgende fortſchreitende Handlungen einer Begebenheit denken, und ſo machen ſie ein dichteriſches Ganze aus: Aber da man ſie nicht als neben einander exiſtirend anneh - men darf; da ſie an verſchiedenen Orten und zu ver - ſchiedenen Zeiten vorgehen, ſo ſind es auch drei ganz von einander verſchiedene Gemaͤhlde.

So faͤllt denn auch der Vorwurf einer doppelten Handlung weg, der darin gefunden wird, daß man den heiligen Petrus einmahl vom Engel geweckt, das andere mahl von ihm fortgefuͤhrt zu gleicher Zeit er -blickt.156Der Vaticaniſche Pallaſt. blickt. Man erblickt ſie nur darum zu gleicher Zeit, weil die Gemaͤhlde an einer Wand, ohne Abſonde - rung durch Rahmen, zuſammengeſtellet ſind.

Dies Gemaͤhlde beſtaͤtiget wieder eine Bemer - kung, die ich oft gemacht habe, daß ungelehrte Au - gen durch Lichter, die ſtark vom Schatten abſtechen, am lebhafteſten geruͤhrt werden. Welch Aufhebens macht man nicht von dieſem Gemaͤhlde! Es hat Verdienſt, es iſt nicht zu leugnen, aber den wort - reichen Enthuſiasmus, den es ſo vielen Critikern ein - floͤßt, rechtfertiget es doch ſicherlich nicht.

Das mittelſte Gemaͤhlde zeigt den heiligen Pe - trus, der vom Engel aus dem Schlafe geweckt wird. Der Engel iſt von einer Glorie umgeben, die das Gemaͤhlde erleuchtet, und um die Wuͤrkung dieſes Lichts zu erhoͤhen, laͤßt der Kuͤnſtler mit großer Weis - heit ſeine Figuren durch ein Gitter ſehen, welches das Innere des Gefaͤngniſſes, als den Ort der Scene dem Auge aufſchließt.

Dies verdient Lob; Allein ſo weit als Richard - ſon45)Deſcription des ſtatues, tableaux etc. T. III. p. 399. darf man nicht gehen, und nun das Anzie - hende dieſer Anordnung mit dem Zauber der Beleuch - tung vergleichen, den Correggio in ſeine beruͤhmte Nacht gelegt hat. Der Chriſt des Correggio iſt ein erleuchtendes Weſen, von dem das Licht ausgeht, und deſſen lichter Koͤrper blos durch unzaͤhlige Degradatio - nen von Licht die Ruͤndung bekommt, die das Auge fuͤhlt, und der Verſtand kaum begreift. Hier aberumgibt157Der Vaticaniſche Pallaſt. umgibt den Engel eine Glorie, die ihn erleuchtet, und ihn des Eindrucks von Licht und Schatten, den man auch ganz deutlich angegeben ſieht, faͤhig macht. Die pikante Wuͤrkung liegt alſo in der Anordnung des Lichts, nicht aber in der magiſchen Behandlung der Darſtellung.

Auch weiß ich nicht, ob man mit eben dieſem Schriftſteller dem Raphael ein Verdienſt daraus ma - chen kann, daß er mehrere Lichter ſo neben einander geſtellet hat, daß ſich das mittelſte, als das Haupt - licht vor den uͤbrigen heraus hebt. Alles iſt hier Nacht, ſagt Richardſon, Alles iſt erleuchtet, aber die Lichter ſind ſich einander ſo untergeordnet, daß das eine dem andern keinen Schaden thut. Ich moͤchte dies ablaͤugnen. Mich duͤnkt, es thut dem Haupt - lichte allerdings Schaden, daß die Nebengemaͤhlde ſo erleuchtet ſind; und iſt es nicht unnatuͤrlich, daß der Engel, der in dem mittelſten Gemaͤhlde ſo hell beleuchtet wird, auf der Seite mit eben der Glorie im ſchwaͤchern Lichte erſcheint?

Der Ausdruck in dem erwachenden Petrus iſt wahr. Aber ſowohl dieſe Figur als die Figur des Engels ſind nicht ſehr edel.

Das zweite Gemaͤhlde zur Seite, oder die zweite Abtheilung ſtellt den heiligen Petrus vor, den der Engel aus dem Gefaͤngniſſe fuͤhrt. Der Engel iſt von wahrer himmliſcher Anmuth. Dieſe Handlung wird allein von der Glorie erleuchtet, in der der En - gel einhergeht; und auch hier erſcheint er nicht als er - leuchtender, ſondern als erleuchteter Koͤrper.

Die158Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die dritte Abtheilung ſtellt die Waͤchter vor, die durch einen ihrer Cameraden, der die Flucht gemerkt hat, aus dem Schlafe geweckt werden. Der Aus - druck dieſer Schlaftrunkenen, vorzuͤglich desjenigen, der ſich die Augen bedeckt, weil er den Schein des Lichts nicht vertragen kann, iſt unvergleichlich. Hier hat der Mahler ein doppeltes Licht auf ſehr gute Art benutzt, denn der weckende Waͤchter, der die Fackel traͤgt, erleuchtet die Koͤrper von vorn, und hinten hebt der Mond, der etwas mit Wolken bedeckt iſt, durch die Strahlen, welche durchbrechen, die Figuren von dem dunkeln Grunde ab.

In Vergleichung mit den uͤbrigen Gemaͤhlden Raphaels liegt das eigenthuͤmliche Hauptverdienſt des gegenwaͤrtigen in der Behandlung des Helldunkeln.

An der Decke dieſes Zimmers hat Raphael noch vier Suͤjets gemahlt: Noah, der nach uͤber - ſtandner Suͤndfluth dem Himmel dankt, Iſaacs Opfer, Moſes vor dem brennenden Buſche, und Jacobs Traum.

Drittes Zimmer. Camera di Segnatura.

Als Raphael den Auftrag erhielt, das Zimmer di Segnatura zu mahlen, ſo wurden ihm zu gleicher Zeit die Gegenſtaͤnde angezeigt, die er behandeln ſollte. Man gab ihm auf, die vier vornehmſten Wiſſenſchaften ſeines Jahrhunderts darzuſtellen, die Theologie, die Philoſophie, die Dichtkunſt und die Jurisprudenz.

Er159Der Vaticaniſche Pallaſt.

Er begnuͤgte ſich nicht, ſie durch bloße allegori - ſche Figuren zu bezeichnen, er ſtellte die beruͤhmteſten Maͤnner auf, die ſich in einer jeden von dieſen hervor - gethan haben, und brachte ſie in Handlung.

Der Streit uͤber das heilige SacramentDer Streit uͤber das Sacrament des h. Abend - mahls. des Abendmahls.

Man ſollte glauben, das Suͤjet dieſes Gemaͤhl - des koͤnnte dem Mahler nur wenig Gelegenheit darge - boten haben, ſeine Staͤrke in demjenigen Theile ſeiner Kunſt zu zeigen, in dem er alle diejenigen, die ſeit Wiederherſtellung der Mahlerei den Pinſel gefuͤhrt ha - ben, ſo weit uͤbertroffen hat: ich rede von der Darſtel - lung der Seele auf der Oberflaͤche des Koͤrpers, von dem Ausdrucke. Heilige Maͤnner, wie wir ſie hier vor uns ſehen, ſollen ihre Leidenſchaften zu ſehr in ih - rer Gewalt haben, um ſie durch ihre aͤußern Hand - lungen andern fuͤhlbar zu machen; und doch ſind es gerade dieſe, die dem Zuſchauer am intereſſanteſten zu ſehen, und dem Kuͤnſtler am leichteſten darzuſtellen werden.

Inzwiſchen, Raphaels Pinſel wußte dieſe Schwie - rigkeiten zu uͤberwinden: Der Ausdruck der feinſten Bewegungen der Seele macht wieder den Hauptvor - zug des gegenwaͤrtigen Gemaͤhldes aus.

Es iſt in zwei Theile getheilt, deſſen oberer mit dem untern blos durch die Aſſociation der Ideen, nicht aber durch eine gemeinſchaftliche Handlung zu - ſammenhaͤngt.

Der obere ſtellt die Perſonen der Gottheit mit den Patriarchen und den Heiligen in den Wohnungender160Der Vaticaniſche Pallaſt. der Seligen vor; Engel und Seraphims umſchwe - ben ſie.

Ich will die Anordnung nicht als Beiſpiel em - pfehlen. Die neben einander gereiheten Perſonen ſehen einem Cirkel in einer roͤmiſchen Converſazione nicht unaͤhnlich. Wenn man aber die Figuren einzeln betrachtet, ſo wird man große Schoͤnheiten finden.

Der untere Theil iſt viel beſſer angeordnet. In der Mitte ſieht man den Altar, auf dem der Kelch und die Hoſtie ausgeſtellt ſtehen, die die Veranlaſſung zu dem Streite unter den rund herum verſammleten Kir - chenvaͤtern geben, und ſogleich auf das Verſtaͤndniß des Ganzen fuͤhren.

Linker Hand ſieht man den heil. Hieronymus und den heiligen Gregorius, Koͤpfe voller Charakter, Das Pfaͤffchen hart am Altare, das mit gefalteten Haͤnden nachbetet, iſt von unvergleichlichem Aus - drucke.

Hinter dieſen kommen zwei ſehr ſchoͤn geordnete Gruppen, in deren letzterer man den Bramante ſieht, der aus einem Buche, welches er haͤlt, die Aufloͤſung des ganzen Geheimniſſes gefunden zu haben ſcheint. Man uͤbergehe nicht die Figur, die dem Anſehen nach den Streit nur auf einen Augenblick verlaſſen hat, eiligſt die vom Bramante aufgeſchlagene Stelle ein - ſieht, und nun mit Fingern, die ſchon zur Demon - ſtration aufgehoben ſind, mit neuen Gruͤnden bewaff - net, wieder forteilet. Der Juͤngling neben dem Bramante iſt eine der ſchoͤnſten Figuren des Bildes.

Linker161Der Vaticaniſche Pallaſt.

Linker Hand dem Altare ſitzen Scotus und Am - broſius. Wahreres laͤßt ſich nichts denken, als den heiligen Auguſtin, der diktirt, und die eilende Sorg - falt, mit der ſein Schreiber nachſchreibt. St. Tho - mas, Pabſt Anaclet, Bonaventura, Pabſt Inno - cenz der Dritte, Dante, Savanarola, ſind die be - kannteſten Koͤpfe unter den uͤbrigen.

Man bewundert mit Recht die Mannichfaltigkeit und die Wahrheit des Charakters in dieſen Koͤpfen. Sie ſind aber mit einem Fleiße ausgefuͤhrt, der an Trockenheit graͤnzt. Dieſe Trockenheit allein kann uns auf die Epoche ſchließen laſſen, in der dies Ge - maͤhlde von Raphael verfertigt wurde. Es iſt das erſte von ſeiner Hand in dieſem Pallaſte, folglich aus einer Zeit, in der er wider den Geſchmack des Pietro Perugino ankaͤmpfte, aber den Einfluß der fruͤhern Erziehung noch nicht ganz uͤberwinden konnte. Da - her auch das natuͤrliche Gold in den Glorien! Hinge - gen ſieht man auch die Bekanntſchaft mit den Floren - tinern, das Beſtreben ihre Vorzuͤge ſich zu eigen zu machen, in dem Stile der Gewaͤnder, in den For - men und Stellungen der jugendlichen Figuren, und in dem Colorit.

Es iſt aͤußerſt intereſſant zu bemerken, wie Ra - phael ſelbſt waͤhrend der Arbeit an dieſem Gemaͤhlde in der Kunſt zugenommen hat. Er fing mit der rechten Seite an, und ſeine furchtſame und ungewiſſe Hand wollte dem Kopfe noch nicht die rechte Folge lei - ſten. Aber auf der linken Seite merkt man ihm ſchon mehr Freiheit mehr Feſtigkeit an.

Erſter Theil. LRaphael162Der Vaticaniſche Pallaſt.

Raphael hat dies Bild ſehr ungleich colorirt. Einige Koͤpfe z. E. das Pfaͤffchen am Altare ſind ſehr treu und wahr behandelt. An andern Figuren ver - mißt man die Abwechſelung in den Tinten, die die Schoͤnheit des Colorits ausmachen. Haltung und Beobachtung der Regeln des Helldunkeln darf man gleichfalls hier nicht ſuchen.

Die Schulevon Athen.
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Die Schule von Athen.

Nichts ſcheint weniger ein Gegenſtand der mah - leriſchen Darſtellung zu ſeyn, als der Ausdruck des Nachdenkens, und des Antheils, den die Seele an dem Erkenntniſſe abſtrakter Wahrheiten nimmt. In der That jede Unterſuchung, die ſich auf Aneinander - reihung von Ideen gruͤndet, ſetzt ruhige Kaͤlte, Ab - gezogenheit von allen Dingen außer uns, und Unem - pfindlichkeit gegen die Eindruͤcke zum Voraus, die ſie auf uns machen koͤnnen. Wenn ſich alſo auch eine ſolche Lage des Gemuͤths auf unſere Geſichtszuͤge zeich - net, durch unſere Gebaͤhrden aͤußert, ſo wird man ſich doch dieſen Ausdruck entweder nur als unmerklich, oder als aͤußerſt einfoͤrmig denken.

Raphael, der ſeine Suͤjets nicht ſelbſt waͤhlte, bekam, als man von ſeiner Hand die beruͤhmteſten Philoſophen des Alterthums in einem Gemaͤhlde ver - ſammelt ſehen wollte, einen deſto ſchwerern Auftrag, als er eben mit einem Gemaͤhlde in dem naͤmlichen Zimmer fertig geworden war, wobei er keine von de - nen Situationen ungenutzt gelaſſen zu haben ſchien, die der Eifer der Sectirer, der Starrſinn der Halbklugen, das Anſtaunen der Schwachen, und der Zweifel des Weiſen der Einbildungskraft darbieten koͤnnen. Aber163Der Vaticaniſche Pallaſt. Aber einem ſo fruchtbaren und ſcharfſichtigen Kopfe wie Raphael, kam es zu, eben durch die Darſtellung des Streits uͤber das Sacrament ſich auf die Behand - lung eines aͤhnlichen Gegenſtandes vorzubereiten, und indem ſeine Hand an Feſtigkeit, ſein Geiſt an Deut - lichkeit und Klarheit der Ideen gewann, zu gleicher Zeit eine Menge neuer Erfahrungen zu ſammeln, durch deren Anwendung die Schule von Athen, in Ruͤckſicht auf Mannichfaltigkeit und Wahrheit, ein Meiſterſtuͤck des Ausdrucks wurde.

Der Cardinal Bembo hat wahrſcheinlich Ra - phaeln den Gedanken dieſes Gemaͤhldes an die Hand gegeben. Dies benimmt dem Kuͤnſtler nichts von ſeinem Verdienſte. Er hat dies mit einem Sha - keſpear und mit vielen andern großen Genies gemein, daß ſie zuweilen den Stoff zu ihren Werken entlehn - ten. Er ward darum nicht weniger ihr Eigenthum durch die Art wie ſie ihn bearbeiteten.

Der Grund dieſes Gemaͤhldes, der Ort, an dem die Handlung vorgeht, iſt ein Gebaͤude von ſimpler aber edler Architektur; die Statuen des Apollo und der Minerva bezeichnen ihn als den Ort, wo Weis - heit und Wiſſenſchaft gelehrt wird.

Die Nahmen der Perſonen, die ihn anfuͤllen, beruhen zwar nur auf ungewiſſen Traditionen. In - zwiſchen will ich mich hier derſelben bedienen, weil ſie genauer bezeichnen.

Oben an gegen die Oeffnung des Haupteingan - ges zu, ſo daß ihre Figuren durch den blauen Hori - zont gehoben werden, ſtehen Plato und AriſtotelesL 2als164Der Vaticaniſche Pallaſt. als Perſonen, die unſere Aufmerkſamkeit ſogleich auf ſich ziehen ſollen. Der liebenswuͤrdige Dichter der Philoſophie, deſſen Vernunft ſo gern auf der Leiter der Einbildungskraft dieſer Welt entklimmte, zeigt mit aufgehobener Hand jene obern Regionen, in denen er ſich dem Weſen zu naͤhern ſuchte, von dem er ſich als einen Ausfluß anſah. Ariſtoteles ſcheint ihm dieſe troͤſtende, aber freilich gefaͤhrliche, Schwaͤrmerei, zu verweiſen, er ſtreckt die Hand gegen die Erde aus, und ſucht ihn auf die Welt, die ihn umgiebt, zuruͤck - zufuͤhren.

Unter den Umſtehenden iſt der Ausdruck der Be - wunderung und der Aufmerkſamkeit unverkennbar. Der vordere ſchoͤne Alte linker Hand wird fuͤr den Cardinal Bembo gehalten. Mir hat auch der Juͤng - ling linker Hand ſehr gefallen, deſſen Blick und uͤber - einandergeſchlagene Arme einen aufwiegenden Denker anzeigen, dem man nicht leicht eine Idee aufdringt. Der Mahler ſoll durch ihn den Alexander haben vor - ſtellen wollen. Die beiden Perſonen, deren eine der andern die beiden Lehrer bekannt macht, ſind der Na - tur abgeſtohlen.

Linker Hand die Gruppe des Socrates. Dieſer Philoſoph, der ſich eben ſo ſehr durch die Gemein - nuͤtzigkeit ſeiner Lehren, als durch die Gabe, ſich ver - ſtaͤndlich zu machen, auszeichnete, zaͤhlt ſeine Lehr - ſaͤtze an den Fingern ab; ein Zeichen, welches nach einem beinahe jedem Volke eigenen Sprachgebrauche auf Klarheit und Ordnung in den Gedanken, und auf Deutlichkeit im Ausdruck zuruͤckfuͤhrt. Unter den Zuhoͤrern dieſes Weiſen charakteriſirt die nachlaͤßigeund165Der Vaticaniſche Pallaſt. und doch edle Stellung des jungen Helden im Helme, den Alcibiades, den Liebling der Natur, an den ſie ihre Gaben verſchwendet hatte.

Man braucht kein beſonderer Bemerker zu ſeyn, um in jenem andern Kopfe mit der Muͤtze den halb - aufgeklaͤrten Duͤnkel zu erkennen, der ſich gern den Anſtrich der Weisheit geben moͤchte, und nur hoͤrt, um Einwuͤrfe zu machen.

Die hinterſte Figur verbindet dieſe Gruppe mit den Perſonen, die durch einen Seiteneingang in das Gebaͤude eilen. Sie winket ſie zum Socrates herzu. Der Juͤngling, der dem Winke folgt, und beinahe nackt ſeine Schrift-Rollen unter dem Arme traͤgt, iſt ein Bild der rohen Natur, die vor Begierde brennt, ſich zu unterrichten.

Der wohlgemaͤſtete Wolluͤſtling mit Weinlaub bekraͤnzt, nicht Eichenlaub, wie Bellori traͤumt ſcheint Epicur zu ſeyn, nach der falſchen Vorſtellungs - art, die man ſich dazumahl von ſeinen Lehrbegriffen machte. Der Alte, der mit dem Kinde auf den Armen bei ihm ſteht, gilt einigen fuͤr den Epichar - mus, anderen, fuͤr einen Vater, der ſein Kind fruͤh in die Schule der Weiſen bringt. Ich glaube, bei - des wird ohne hinlaͤnglichen Grund behauptet: es iſt vielmehr zu glauben, der Kuͤnſtler habe damit ſagen wollen, die Philoſophie des Epicur ſey eine Philoſo - phie fuͤr ſchwache Koͤpfe, und ſelbſtiſche Herzen der Kinder und der Greiſe.

Pythagoras iſt der Philoſoph, der die Folge einer langen Reihe von Ideen in ein Buch ſchreibt,L 3welches166Der Vaticaniſche Pallaſt. welches er auf das Knie ſtuͤtzt. Neben ihm kniet ein ſchoͤner Juͤngling, der die Tafel der muſicaliſchen Nummern des Pythagoras einem Manne in mor - genlaͤndiſcher Tracht zeigt. Dieſer hat ganz den Aus - druck ablauernder Myſtik und Charlatanerie; Er geht unter dem Nahmen des Averrons.

Perſonificirte Lehrbegierde zeigt ſich in der Figur des ſogenannten Empidocles, der mit aͤngſtlicher Sorg - falt ſich vorbeugt, um dasjenige abzuſchreiben, was ſein Lehrer aufzeichnet.

Der Weiberkopf ſoll Aſpaſia ſeyn. In dem Knaben will man den Archytas ſehen, wahrſcheinlich weil die Geſchichte ſagt, daß dieſer Philoſoph Kinder mit phyſicaliſchen Experimenten von ſchaͤdlichen Be - luſtigungen zuruͤckgehalten habe.

Der junge Mann neben ihm ſoll Francesco Maria delle Rovere Duca d’Urbino ſeyn. Ich weiß nicht, ob die Schoͤnheit der Figur, und die Liebe dieſes Herrn zu den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten den Ra - phael entſchuldigen kann, dies Portrait in eine Stel - lung geſetzt zu haben, wodurch es der ganzen uͤbrigen Handlung fremd bleibt.

Die mahleriſch ſchoͤn geſtellte Figur, die den Py - thagoras auf eine Stelle in einem Buche aufmerkſam zu machen ſucht, mit der Mine, als ſagte er: was du ſuchſt, hier ſteht es! wird fuͤr den Terpander aus - gegeben, der ſchon vor dem Pythagoras ſich durch ſeine Kenntniſſe in der Muſik ausgezeichnet hatte.

Epictet ſitzt zunaͤchſt als ein Mann, der im Nachdenken verſunken, und in ſich ſelbſt zuruͤck gezo -gen,167Der Vaticaniſche Pallaſt. gen, unempfindlich gegen allen aͤußern Eindruck zu ſeyn ſcheint.

Der Cyniker Diogenes ſtreckt ſich mit anmaaßen - der Indifferenz auf die Treppe, und uͤberſchauet mit trotzender Selbſtgenuͤgſamkeit die Tafel, die er be - ſchrieben hat. Ort und Stellung ſcheinen mir beide im Charakter.

Hart an dem Diogenes ſteht ein Juͤngling, der Luſt zu haben ſcheint, der Secte des Diogenes zu fol - gen; aber ein aͤlterer Philoſoph zeigt ihm den Ariſto - teles an. Der Ausdruck dieſer beiden Figuren iſt unvergleichlich.

Ich komme nun auf die beruͤhmte Gruppe des Archimedes, die die bedeutendſten Figuren enthaͤlt, welche nach meiner Einſicht je in der Mahlerei hervor - gebracht ſind. Bramante unter der Figur des Ar - chimedes erklaͤrt ſeinen Schuͤlern eine mathematiſche Figur. Einer von ihnen, auf deſſen Stirne man die Unfaͤhigkeit des Geiſtes lieſt, der darin wohnt, ohne daß jedoch der Mahler ſie mit einer Carricatur von Stupiditaͤt gebrandmarkt haͤtte, ſtrengt alle die wenigen Seelenkraͤfte an, die ihm die Natur verlie - hen hat, um die Worte ſeines Lehrers zu verſtehen. Er zaͤhlt ſie an den Fingern nach, und huckt nieder, um dem Ausmeſſen des Cirkels deſto beſſer nachzu - ſtaunen. Derjenige, der bei ihm ſteht, iſt gerade in dem Augenblicke ergriffen, wo es anfaͤngt, hell in ſeiner Seele zu werden: Auch er hat, um beſſer zu ſehen, auf den Knien gelegen, aber nun hebt er ſich in die Hoͤhe, und die freudig geoͤffneten Lippen undL 4der168Der Vaticaniſche Pallaſt. der Zeigefinger, der von der Naſe herabſinkt, laſſen die Worte hoͤren: Ja, nun habe ich’s verſtanden!

Ein dritter Schuͤler hat die Aufgabe ſich ſchon ganz zu eigen gemacht, er kehrt ſich gegen den vierten, ihm die Erklaͤrung mitzutheilen, und dieſer zeigt in Stellung und Minen die freudige Bewunderung, die ihm die Aufloͤſung dieſes gelehrten Raͤthſels erweckt. In dem letzten will man den Herzog von Mantua, Friederich Gonzaga finden.

Hinter dieſer Gruppe ſtehen noch einige Maͤnner, in denen man den Raphael, den Pietro Perugino, neben dem Zoroaſter und Giovanni della Caſa erken - nen will.

Unter den Figuren, die den Hintergrund fuͤllen, zeichne ich nur den Juͤngling aus, der mit Eifer das - jenige nachſchreibt, was ihm ein aͤlterer Philoſoph dictirt.

Dies waͤre ungefaͤhr das Hauptſaͤchlichſte, was ſich uͤber den Gedanken und den Ausdruck dieſes Ge - maͤhldes ſagen ließe.

Die Anordnung iſt ſimpel, voller Ordnung und Weisheit. Die Zeichnung iſt fein, und vorzuͤglich in den Koͤpfen und Gewaͤndern zu bewundern. Kenner wollen hie und da einige nicht ganz gluͤckliche Verkuͤrzungen bemerken. Das Colorit und das Helldunkle ſind nicht Hauptvorzuͤge dieſes Gemaͤhldes, das ſehr von der Zeit und andern Unfaͤllen gelitten hat. Jedoch ſieht man der Ausfuͤhrung diejenige Trockenheit nicht mehr an, die man dem Gemaͤhlde des Streits uͤber das Sacrament vorwirft. Dem Schatten hat Raphael zuweilen durch Schraffirungen nach Zeichnungs-Art nachgeholfen.

Poeſie169Der Vaticaniſche Pallaſt.

Poeſie oder der Parnaß. Es ſtellt dies Ge - maͤhlde den Apollo mit den neun Muſen und mehrere Poeten vor.

Es iſt unter denen, die Raphael ſelbſt gemahlt hat, eines der ſchwaͤchſten.

Apollo ſitzt zwiſchen den Muſen auf dem Parnaß. Zu beiden Seiten ſtehen verſchiedene Dichter, die un - ter Geſpraͤchen den Berg auf und abgehen.

Ich halte mich bei der Nomenclatur der Perſo - nen, die hier einer ungewiſſen Tradition nach vorge - ſtellt ſeyn ſollen, nicht weitlaͤuftig auf. Man findet in der Gruppe zunaͤchſt dem Apollo Homer, Virgil, Dante und Raphael. Unten rechter Hand Pindar und Horaz, und linker Hand erkennt man Sappho an der Rolle, auf der ihr Nahme geſchrieben iſt.

Die Geige auf der Apollo ſpielt, hat ſchon oft den Tadel der Critiker auf ſich gezogen. Sie ver - dient ihn, des beleidigten Coſtums wegen, aber noch mehr wegen der Stellung, die der Spieler bei dieſem Inſtrumente annehmen muß, und die der Schoͤnheit und dem Reitz der Stellung ſehr zuwider iſt. Das Streichen des Bogens gibt dem Arme eine winklichte eckige Biegung. Ueberhaupt hat dieſe Figur, welche ſitzend vorgeſtellet iſt, nicht das Edle, welches man von der Hauptfigur in dieſem Gemaͤhlde erwar - ten ſollte.

Es ſcheint auch, als wenn die beiden ſitzenden Muſen zu ſeiner Seite zu ſymmetriſch dieſen Platz ein - nehmen. Sonſt gibt es wohl zuſammengeſtellte Gruppen auf dieſem Bilde.

L 5Der170Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der Ausdruck, die Wahl der Stellungen der Koͤpfe und der Formen, haben die dieſem Meiſter ge - woͤhnlichen Vorzuͤge.

Das vierte Gemaͤhlde ſtellet einige zur Aus - uͤbung der Gerechtigkeit erforderliche Eigenſchaften perſonificirt vor.

Die Klugheit nach der gewoͤhnlichen Vorſtellungs - art, die jedoch der weiſe Mahler ſo wenig unange - nehm als moͤglich gemacht hat, mit zwei Geſichtern. Die Figur iſt ſehr ſwelt, und vortrefflich drappirt. Ein Genius haͤlt ihr einen Spiegel vor. Zur Seite die Maͤßigkeit oder Maͤßigung mit dem Zaume in der Hand, und zur andern die Standhaftigkeit, die eine Eiche beugt, deren Zweige ein Genius um ihre Stirn windet. Ein Paar Genii.

Die Zuſammenſetzung hat nichts beſonders. Inzwiſchen ſind die einzelnen Figuren unver - gleichlich.

Unter dieſen Figuren zu beiden Seiten der Fenſter ſieht man auf der einen den Kaiſer Juſtinian, der die Pandecten aus den Haͤnden des Tribo - nians empfaͤngt. Auf der andern den Pabſt Gregorius den Neunten, der einer Magiſtrats - perſon die Decretalen uͤberreicht. Um ihn ſtehen Leo der Zehnte, der Cardinal del Monte, und der Cardinal Alexander aus dem Hauſe Farneſe. Dieſe Koͤpfe haben viel Wahrheit, wenn ſie gleich ſehr ge - litten haben. Die Magiſtratsperſon, welche die De - cretalen empfaͤngt, traͤgt das Gepraͤge unerſchuͤtterli - cher Anhaͤnglichkeit an geſchriebenes Recht an ſich, und treuer Sorgſamkeit bei der Behandlung der lang -weilig -171Der Vaticaniſche Pallaſt. weiligſten Geſchaͤffte, denen ſich je der Menſch fuͤr das Beſte ſeiner Mitbuͤrger aufgeopfert hat.

Man ſieht an dem Plafond dieſes Zimmers einige allegoriſche Figuren der Wiſſenſchaften, die an den Waͤnden behandelt ſind.

Ich uͤbergehe die Gemaͤhlde, die Polidoro da Caravaggio grau in grau als Basreliefs in dieſem und den vorigen Zimmern groͤßtentheils unter jenen groͤßeren Gemaͤhlden ausgefuͤhrt hat. Sie ſind ſo oft retouchirt, daß ſie das Meiſte von ihrem erſten Werthe verlohren haben.

Letztes Zimmer.

L Incendio del Borgo. Das Haupt - gemaͤhlde in dem letzten Saale.

Leo IV. ſoll durch ſeinen Segen einenIncendio del Borgo. Brand in der Gegend Roms Borgo di St. Spi - rito genannt, geloͤſchet haben. Dieſe Handlung iſt der Gegenſtand dieſes Gemaͤhldes.

Raphael waͤhlte bei der Darſtellung deſſelben dasjenige aus, was dem denkenden und gefuͤhlvollen Zuſchauer am intereſſanteſten ſeyn mußte, den Aus - druck der Bewegungen, die ein ſo unerwartetes und ſo ſchnell um ſich greifendes Uebel hervorbringen kann. Den Pabſt ſetzte er mit ſeinem Wunder in den Hinter - grund. Um aber doch den Zuſchauer darauf auf - merkſam zu machen, hat er einige Figuren auf den Vorgrund hingeſtellt, die den Pabſt um Beiſtand an - flehen, aͤhnliche Figuren in aͤhnlichen Stellungen hater172Der Vaticaniſche Pallaſt. er auf dem Mittelgrunde wiederholt, und ſo fuͤhrt er das Auge unvermerkt auf den Pabſt, der den Segen ertheilt, zuruͤck.

Man kann aufs neue in dieſem Gemaͤhlde Ra - phaels Gabe bewundern, womit er ſein Suͤjet moͤg - lichſt benutzt, um eine große Menge intereſſanter Si - tuationen herauszuziehen, und doch nicht mehr hinein - zulegen, als jeder Zuſchauer bei einer ſolchen Scene zu ſehen erwarten wird. Seine Compoſitionen ſind immer vollſtaͤndig, nie uͤberladen.

Es iſt Nacht. Die Flammen aber verbreiten ein Licht, das der Helle des Tages gleich koͤmmt. Ein heftiger Sturmwind treibt ſie umher, und ver - mehrt das Schreckenvolle der Gefahr durch die Schnelligkeit, mit der ſie ſich ausbreitet.

Auf der einen Seite hat das Feuer erſt eben ei - nen Pallaſt ergriffen, und hier iſt man mit Loͤſchen, mit Waſſertragen beſchaͤfftigt; Man ſchreiet nach Huͤlfe, nach Arbeitern. Ein Weib, deren abglei - tender unordentlicher Anzug anzeigt, daß ſie der Schrecken eben aus dem Schlafe geweckt hat, treibt blindlings ihre Kinder vor ſich her, aber ſo ſehr hat ihr die Beſtuͤrzung alle Beſinnungskraft geraubt ſie ſucht der Flamme an dem einen Orte zu entgehen, und eilt gerade auf die Flamme an dem andern zu. Ihre Tochter, das aͤlteſte Kind, ſcheint die Verwir - rung zu bemerken, ſie ſieht ſich um, und fragt aͤngſt - lich, wo ſie hin ſoll. Der weibliche Kopfputz zeigt das Geſchlecht an, ſonſt iſt dieſes Kind nackt, und zitternd ſucht es mit uͤber der Bruſt zuſammengeſchla - genen Armen einigen Schutz wider die Kaͤlte der Nacht. Das173Der Vaticaniſche Pallaſt. Das juͤngſte, ein Sohn ſchreiet: Sein Alter ſcheint kein anderes Gefuͤhl des gegenwaͤrtigen Uebels zu ken - nen, als das, im Schlafe geſtoͤrt zu ſeyn.

Auf der andern Seite zeigt ſich muͤtterliche Liebe in aller ihrer Staͤrke. Ein Weib reicht von der Mauer eines Hauſes, deſſen Inneres ſchon die Flam - men verzehrt haben, ihr Kind in Windeln dem unten ſtehenden Vater herab. Mit welcher Behutſamkeit; wie ſcheint ſie nur zu fuͤrchten, daß der Vater es nicht gehoͤrig auffange! Fuͤr ſich fuͤrchtet ſie nicht die Flam - men, die begleitet von dickem Rauch, ſchon uͤber ih - ren Kopf hinausſchlagen. Die uͤbrigen Bewohner dieſes Hauſes haben es verlaſſen. Ein ſtarker nervig - ter Mann in der Bluͤthe der Jahre traͤgt den er - ſchlafften, erſtarrten Vater weg, der kaum noch Kraͤfte genung hat, ſeinen Traͤger zu umklammern. Ein muntrer Knabe, unbekuͤmmert uͤber ſeinen kuͤnf - tigen Wohnort, ihm iſt die ganze Welt offen geht raſch neben ihnen her. Aber das alte Weib mit dem Korbe, in den ſie einige Habſeligkeiten in der Eile gepackt hat, ſieht traurend nach dem Orte zu - ruͤck, in dem ſie ungern das Uebrige hat zuruͤcklaſſen muͤſſen. Endlich laͤßt ſich ein Juͤngling, deſſen Koͤr - per Behendigkeit zeigt, von der Mauer herab. Dieſe Handlung bewegt eine unten ſitzende Mutter mit uͤber - gebeugtem Koͤrper ihr Kind zu bedecken, damit der herabſpringende Mann beim Fallen dies einzige ihr uͤbrig gebliebene Kleinod nicht beſchaͤdige.

In der Mitte des Bildes ſpreitet eine weibliche Figur ihre Haͤnde kniend gegen den Pabſt aus. Aber das huͤlfloſe Alter des Kindes iſt eher berechtigt Erbar -men174Der Vaticaniſche Pallaſt. men zu erwecken; eine andere Frauensperſon druͤckt ihr Kind zur Erden nieder, und hebt deſſen gefaltete Haͤnde zu ihrem Beſchuͤtzer empor.

Dies iſt ungefaͤhr der Gedanke dieſes Gemaͤhldes.

Die Anordnung als Theil der poetiſchen Erfin - dung iſt ſehr gut. Die Figuren, die am meiſten des Ausdrucks und der Schoͤnheit der Stellung faͤhig wa - ren, ſind vor dem minder Intereſſanten herausgeho - ben; Man uͤberſieht ohne Unordnung das Ganze, und verweilt bei dem Detail ohne Ermuͤdung.

Jede Figur hat ihren ihr eigenen und der Situa - tion angemeſſenen Ausdruck, ſowohl in Mine als Stellung.

In der Zeichnung ſcheint Raphael ſich zu ſehr an den Stil des Michael Angelo gehalten zn haben. Die Muſkeln ſind zu ſtark angedeutet, als daß ſie nicht eine gewiſſe Haͤrte in die Formen haͤtte bringen ſollen. Dem ohngeachtet werden die Frau, die den Eimer traͤgt, die Gruppe des Sohns, der den Va - ter auf den Schultern fortbringt, die Frau, die mit ausgeſpreiteten Armen die Huͤlfe des Pabſtes anfleht u. ſ. w. als Muſter ſchoͤn gezeichneter ganz im Stil der Antike gedachter Figuren angeſehen werden koͤnnen.

Die Gewaͤnder, vorzuͤglich die fliegenden, ſind vortreffllich. Das Bild, und folglich auch die Zeich - nung, haben gelitten.

Die Farbe iſt zu ziegelroth. Das Helldunkle iſt nicht beobachtet, und die Luftperſpektive iſt ganz ver - fehlt.

In175Der Vaticaniſche Pallaſt.

In dieſem naͤmlichen Saale ſind noch folgende Gemaͤhlde nach Raphaels Zeichnungen verfertiget.

Der Sieg des Pabſtes Leo IV. uͤber die Saracenen bei Oſtia.

Die Kroͤnung Carls des Großen durch Leo IV.

Leo IV. der zum Beweiſe ſeiner Unſchuld aufs Evangelium ſchwoͤrt.

Man wird bei einer genauen Unterſuchung den Geiſt Raphaels in dieſen Stuͤcken nicht verkennen. Da ſie aber ſehr beſchaͤdigt und oft retouchirt ſind, ſo wird der Liebhaber ſich gern bei unverdaͤchtigern Be - weiſen der Kunſt dieſes großen Meiſters aufhalten wollen.

Die Decke iſt von Pietro Perugino.

Michael Angelo Sixtiniſche Capelle.

Sixtiniſche Capelle.
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So wie der Reiſende, deſſen Auge ſich lange am Spiegel des Genfer Sees, an der Fuͤlle ſeiner frucht - baren Ufer und an den roͤthenden Schneebergen, die ihn von ferne umkraͤnzen, geweidet hat, nun ſich in den Gebuͤrgen Savoyens eingeſchloſſen ſieht, wo nackte Felſen mit uͤberhaͤngendem Haupte ſeiner Schei - tel drohen, und rauſchende Waldſtroͤme zu ſeinen Fuͤſ - ſen in Abgruͤnde ſtuͤrzen; ſo tritt der Liebhaber aus den Saͤlen der Antiken und Raphaels in die Sixtini - ſche Capelle.

Die176Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die Neuheit der Gegenſtaͤnde, das Hebende des Außerordentlichen, das Schaurige der rohen Wild - heit ergreifen ſeinen Geiſt mit Erſtaunen: aber bald wird ihm dieſe Empfindung gewoͤhnlich, der Zauber verfliegt, und er wuͤnſcht ſanftern Reitz zuruͤck, der ſein Herz zu fuͤllen im Stande ſey.

Dieſen Gang glaube ich, werden die Ideen des Liebhabers nehmen, wenn er ſeinen Geſchmack durch die Schoͤnheit der Antiken, und durch die Wahrheit des Ausdrucks in den Gemaͤhlden Raphaels gebildet hat. Sollte er aber mit dem Studio der Gemaͤhlde des Michael Angelo den Anfang machen, ſo fuͤrchte ich, er duͤrfte das Uebernatuͤrliche, das immer auf unſere rohe Einbildungskraft am ſtaͤrkſten wuͤrkt, der Simplicitaͤt; das Uebertriebene, wofuͤr der ungebil - dete Geiſt immer empfaͤnglichen Sinn hat, dem Na - tuͤrlichen vorziehen; und ſo vielleicht auf immer des Gefuͤhls des Schoͤnen unfaͤhig werden.

Michael An - gelo Buona - rotti.
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Michael Angelo Buonarotti lebte von 1474 bis 1564 Er beſaß bei einer brennenden Einbil - dungskraft und einem ſchnellen durchdringenden Witze ein Herz, dem Begriffe von Schoͤnheit und ſanfter Grazie fremd waren. Seine Bilder ſteigen vor ihm auf wie magiſche Erſcheinungen, und die Natur bil - dete ſich auf der Netzhaut ſeines Auges wie in einer Camera obſcura. Der Eindruck, den die Gegen - ſtaͤnde auf ihn machten, war heftig; er bemeiſterte ſich ihrer auffallendſten Unterſcheidungszeichen, und ſetzte dieſe vor den Anblick der Zuſchauer mit eben der Staͤrke hin, womit er ſie empfunden hatte. Allein wenn er nun die feineren Zuͤge hinzuthun wollte, diein177Der Vaticaniſche Pallaſt. in Verbindung mit den ſtaͤrkern einem Gegenſtand auſ - ſer der Deutlichkeit auch Wahrheit geben, ſo war das Bild verſchwunden, und was ſtehen blieb, war nur das Gerippe eines Bildes, das ſein ſinnreicher Ver - ſtand willkuͤhrlich auszufuͤllen ſuchte.

Michael Angelo hatte um die Kunſt fuͤr die Epoche, worin er lebte, große Verdienſte. Er war der erſte, der große Flaͤchen mit Figuren auszufuͤllen wagte, die mit dem Platze, fuͤr den ſie beſtimmt wa - ren, im Verhaͤltniſſe ſtanden. Er lehrte zuerſt das Ueberfluͤßige von dem Nothwendigen unterſcheiden, und das Auge durch große Maſſen in der Zeichnung anzuziehen. Er brachte die Lehre von Verhaͤltniſſen auf richtige Grundſaͤtze, und lehrte den Zuſammen - hang des Knochen - und Muſkelnbaues in ganzen Fi - guren.

Kurz! Er war der Mann von Genie, der die Kunſt aus ihrer kleinlichen Schuͤchternheit empor hob, und ſelbſt durch ſeine Fehler einen gegruͤndeten An - ſpruch auf unſere Dankbarkeit hat, weil ſie einen Ra - phael in der Gleiſe der Wahrheit erhielten.

Fuͤr den Kuͤnſtler iſt in den Werken des M. An - gelo eine reichere Erndte als fuͤr den Liebhaber. Die - ſen muß man vielleicht mehr auf die Fehler unſers Kuͤnſtlers als auf ſeine Vorzuͤge aufmerkſam machen, damit das Anziehende, was jene begleitet, ihn nicht verfuͤhre, ſie mit dieſen zu verwechſeln.

Die Gegenſtaͤnde, die den Pinſel des M. An - gelo beſchaͤfſtigten, waren ſelten angenehm, und wenn ſie es waren, ſo wurden ſie unangenehm durch die Art, wie er ſie behandelte.

Erſter Theil. MSei -178Der Vaticaniſche Pallaſt.

Seine Gedanken ſind oft ungeheuer, und dies wird zuweilen mit Groͤße verwechſelt. Seine Haupt - abſicht ging immer dahin, Erſtaunen zu erwecken. Unſere Seele wird bei dem Anblick ſeiner Werke er - ſchuͤttert, unſere Einbildungskraft beſchaͤfftigt, aber unſer Herz bleibt ungeruͤhrt.

Eine Menge von Figuren in ſchweren Stellungen neben einander zu vereinigen, ſcheint das Grundgeſetz ſeiner Anordnung geweſen zu ſeyn. Seine Perſonen ſo zu ſtellen, wie es der vorzuͤgliche Antheil, den ſie an der Handlung nehmen, oder die Regeln der Grup - pirung erfordern, daran ſcheint er nicht gedacht zu haben.

Die Aeußerung eines denkenden Weſens in dem feinern Spiele der Minen entging ihm. Er legte den Ausdruck in die Stellung der Glieder, und aus Furcht, nicht deutlich zu werden, hat er ihn beinahe immer uͤbertrieben; oft iſt er nicht ſchicklich, oft nicht einſt paſſend. Er nahm den Trotz fuͤr Heldenmuth, das Zuruͤckſcheuchende fuͤr Majeſtaͤt, und das Gezogene fuͤr Anmuth. Seine Formen ſind nicht einſt aus der ſchoͤnen Natur gewaͤhlt. Seine Weiber ſind zu maͤnnlich, ſeine Juͤnglinge zu ſchwerfaͤllig, ſeine Al - ten zu abgemergelt.

Er hatte eine genaue Kenntniß von der Form und der Lage der Knochen und Muſkeln in Ruhe. Aber er kannte ſie nur, wie man ſie durch die Zergliederung der Leichnahme kennen lernt: nicht mit den Abwechſe - lungen, die die Bewegungen des lebenden Koͤrpers hervorbringen, entbloͤßt von der weichen Haut, die ſie bedeckt.

Seine179Der Vaticaniſche Pallaſt.

Seine Extremitaͤten ſind ohne Noth verdreht, und convulſiviſch verzerrt; die Gewaͤnder willkuͤhrlich geworfen, und die Falten zu aͤngſtlich gelegt.

In ſeinem Colorit im Helldunkeln ſcheint er ſich gefaͤrbte Wachsbilder zum Vorbilde genommen zu haben, die ein Ungefaͤhr vereinigt hat. Dieſe Theile ſind ohne Wahrheit, ohne Abwechſelung, ohne Wahl in ſeinen Gemaͤhlden.

Ob Michael Angelo je in Oehl gemahlt hat? iſt zweifelhaft. Die Staffeleigemaͤhlde, die man fuͤr ſeine Arbeit ausgibt, ſind wahrſcheinlicher von ſeinen Schuͤlern. Sein weitlaͤuftigſtes Werk iſt die Sixti - niſche Capelle, daraus laͤßt ſich am ſicherſten ſein Verdienſt als Mahler beſtimmen.

Ich will nun das Urtheil, das ich im Allgemei - nen daruͤber gefaͤllet habe, durch eine detaillirtere Pruͤfung zu rechtfertigen ſuchen.

Das juͤngſte Gericht.

Das juͤngſte Gericht.
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Wenn meine Einbildungskraft ſich dieſes Suͤjet mahleriſch darſtellt, welches Bild ſteigt in meiner Seele auf?

Finſterniß, wie man ſie ſich nach der Zerruͤttung aller Elemente denkt, umhuͤllet die Erde: Aber die Glorie, in der der Weltrichter in Begleitung der Aus - erwaͤhlten vom Himmel herabſteigt, erleuchtet hinrei - chend den Vorgrund mit der Handlung die darauf vorgehet. Welche Situationen! Welche Charaktere! Welcher Ausdruck! Welche Stellungen!

M 2Hier180Der Vaticaniſche Pallaſt.

Hier ſteigt der Gerechte mit ruhiger Zuverſicht aus der Gruft hervor; dort betet ein anderer dankbar an. Geliebte, Eltern und Kinder, Bruͤder und Freunde erkennen ſich wieder, eilen aufeinander zu, und vergeſſen ſich in ihren Umarmungen. Engel tra - gen Gruppen von Seligen empor; der Weltrichter reicht ihnen mit dem Ausdrucke der Guͤte die Hand und ſchleudert mit zuruͤckgewandter Rechte den Don - ner auf die Verdammten, die man im Hintergrunde erblickt. Dort erleuchten die leckenden Flammen des feurigen Pfuhls die Scene des Grauſes und des Schreckens, hinreichend um ſie zu erkennen, aber nicht ſtark genung, um dem vordern Lichte zu ſchaden.

Ungluͤckliche, die ſich nun auf immer von demjeni - gen getrennt ſehen, was ihnen auf Erden das liebſte war, huͤlflos ihre Arme darnach ausſtrecken; Andere, die den Himmel verzweifelnd anklagen; Andere, die mit neidiſchem Blicke auf die Seligen ſich foltern, ſtehen auf dem zweiten Plane, und leiten das Auge in Verbindung mit dem Ganzen auf den Hintergrund, wo der Donner des Allmaͤchtigen die Frevler in den feurigen Abgrund ſtuͤrzt.

Aber was findet man von dieſen und andern Ideen, wodurch dies Suͤjet ſo reich an intereſſanten Eindruͤcken werden koͤnnte, in dieſem Gemaͤhlde? Nichts! Es gleicht einer Beſchreibung, wodurch eine feurige und fruchtbare Einbildungskraft, die we - der von Gefuͤhl noch Geſchmack geleitet wird, bei lan - gen Winterabenden, horchenden Kindern und Wei - bern, ein Grauſen wuͤrde abjagen wollen.

Oben181Der Vaticaniſche Pallaſt.

Oben in einer Glorie iſt Gott der Vater, unter ihm der heilige Geiſt als Taube, zu beiden Seiten ſtehen zwei Gruppen von Engeln, deren eine das Kreuz, die andere die Saͤule halten, woran Chriſtus gegeißelt wurde. Unter dem heiligen Geiſte ſitzt der Sohn, neben ihm ſeine Mutter, die Apoſtel, die Patriarchen, und rund herum Maͤrtirer, und an - dere Heilige die ihm die Inſtrumente ihrer Marter zeigen. Hier theilt ſich das Gemaͤhlde ungefaͤhr in der Mitte ab, und wird mit dem untern Theile durch iſolirte Figuren einiger Engel verbunden, die Selige in den Himmel heben, und Verdammte zuruͤck ſtoßen. Unten iſt Erde und Waſſer. Todte ſteigen aus den Graͤbern, Engel ſtreiten gegen Teufel, und nehmen dieſen ſchon entwandte Seelen ab. Einige Ver - dammte werden bereits gemartert.

In dem obern Theile iſt die Anordnung ſymme - triſch, unten aber ſo unordentlich, daß der Blick ſich immer darin verwirrt. Der Ausdruck iſt allenthal - ben uͤbertrieben und oft gemein; viele Gedanken ſind ſogar ekelhaft. Dahin gehoͤrt der heilige Bartholo - maͤus, der dem Chriſt ſeine abgeſtreifte Haut zeigt, der Wolluͤſtige, dem eine Schlange in die Schaam beißt ꝛc. Nichts iſt dem Kuͤnſtler beſſer gerathen, als der Ausdruck der Verworfenheit in den Teufeln.

Einzelne Schoͤnheiten, vorzuͤglich in Ruͤckſicht auf Zeichnung und Verſtaͤndniß der Anatomie, wird Niemand verkennen. Aber das Ganze? Des Mangels an Haltung, an Colorit nicht einſt zu ge - denken.

Dies Gemaͤhlde nimmt eine große Wand dem Eingange gegen uͤber ein.

M 3Am182Der Vaticaniſche Pallaſt.
Gemaͤhlde am Plafond.
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Am Plafond ſind einige Begebenheiten aus dem erſten Buch Moſes in verſchiedenen Abtheilungen vor - geſtellt. Man lobt darin die Figuren Gottes. Allein mir ſcheinen ſie durchaus den zuruͤckſtoßenden Ernſt zu haben, der ſich mehr fuͤr einen Zauberer als den Weltregierer paßt. In dem Bilde, wo der Schoͤ - pfer die beiden großen Lichter ans Firmament ſetzt, hat er den Anſtand eines ſchlechten Schauſpie - lers. Der Engel der ſich in eben dieſem Bilde in dem Schooße des Schoͤpfers aus Furcht vor dem Monde verkriecht, iſt eine laͤcherliche Idee.

In dem Bilde von der Erſchaffung Adams hat der Kuͤnſtler den Gedanken ausdruͤcken wollen: und er blies ihm einen lebendigen Odem ein. Der Schoͤpfer ſteht vor dem halbaufgerichteten Adam, und ruͤhrt ihn mit dem Finger an, gleichſam als wuͤrde er von der elektriſchen Kraft, die aus ihm herausgeht, belebt, oder vielmehr aus dem Schlafe geweckt. Allein fuͤr einen Zuſchauer, der nicht jene Worte in Gedanken hat, bleibt Adam immer ein Menſch, der ſich in die Hoͤhe richtet, und der Schoͤpfer immer ein Alter, der ihn mit dem Finger anruͤhrt. Die Figur Adams iſt ſonſt einer der richtigſt gezeichneten nackten Koͤrper neuerer Kunſt.

Auch der Fall der erſten Eltern wird der Zeichnung des Nackenden wegen geſchaͤtzt.

In dem Gemaͤhlde von der Erſchaffung der Eva hat Michael Angelo zuerſt Gott den Vater von einer Gruppe von Engeln tragen laſſen. Eine gluͤckliche Idee, die hernach oft wiederholt iſt.

Rund183Der Vaticaniſche Pallaſt.

Rund um den Plafond herum ſieht man meh - rere Sybillen und Propheten in academiſchen Stellungen. Sie zeichnen ſich durch eine repraͤſenti - rende Anmaaßung, durch eine Anſtrengung von Kraͤften aus, deren Grund man nicht abſieht, die uͤber die Graͤnze der Wahrheit verſtaͤrkt iſt.

Man ſieht wohl ein, daß ein Menſch in einer aͤhnlichen Lage ſich ſo ſtellen koͤnnte, daß er ſich aber gewiß nicht ſo ſtellen wuͤrde, wenn es ihm nicht dar - auf ankaͤme, recht bedeutungsvoll auszuſehen.

Der Ausdruck in den Figuren des Michael An - gelo verhaͤlt ſich zu dem Ausdrucke in den Figuren des Raphael, wie die Bewegung eines vorexercirenden Fluͤgelmanns zu den Bewegungen eines Soldaten in Reihe und Glieder.

Camera de Papiri mit einem PlafondCamera de - Papiri. von Anton Raphael Mengs.

Anton Raphael Mengs erhielt mit RaphaelAnton Ra - phael Mengs. Sanzio da Urbino beinahe dieſelbe fruͤhere Bildung. Auch er wurde jung an Treue der Nachahmung und ſorgfaͤltige Beobachtung der Verhaͤltniſſe gewoͤhnt, auch er beſaß beinahe von ſeiner Kindheit an, ein Auge das richtig ſahe, und eine Hand die willig folgte; die fruͤhere Bekanntſchaft mit den Meiſterſtuͤ - cken der alten und der neueren Kunſt hatte er vielleicht zum Voraus; er ward ein großer Mahler, ein brauchbarer Schriftſteller in ſeinem Fache; und ward kein Sanzio.

M 4Es184Der Vaticaniſche Pallaſt.

Es iſt wahr! Niemand kannte beſſer als unſer Landsmann die Maaße und den Umfang der Forde - rungen, die man an einen Kuͤnſtler in Ruͤckſicht auf das Talent der Ausfuͤhrung zu machen berechtigt iſt. Man darf auch dreiſt ſagen, daß er ſie in dieſem oder jenem ſeiner Bilder in einer Vereinigung befriediget hat, die uns bis dahin unbekannt geblieben war. Allein dies gilt nur von Werken von einfacher Zuſam - menſetzung, von einzelnen Figuren, deren wohlgefaͤl - lige Geſtalten ſich unter dem Charakter ſtiller Einge - zogenheit, heiterer Ruhe, und des kindlichen Reitzes zeigen. In groͤßeren Zuſammenſetzungen, deren In - tereſſe auf dem Ausdruck nach außen gerichteter Affek - ten, vollſtaͤndig ſichtbar motivirter Handlungen, hoher Bedeutung, und voͤlliger Uebereinſtimmung jedes ein - zelnen Theiles zum Ganzen beruhet, zeigen ſich alle die Maͤngel die das Talent von dem Genie unter - ſcheiden.

Unterſchied zwiſchen Ge - nie und Ta - lent in dem bildenden Kuͤnſtler: in Ruͤckſicht auf Erfindſam - keit, Einbil - dungskraft, Empfindung und Ge - ſchmack.
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Mengs erfand mit Muͤhe: er hatte keinen Reich - thum an Ideen, keine Erfindſamkeit, und was ſchlimmer war, er beſaß keine Einbildungskraft. Ich rede von der Einbildungskraft, die eigentlich den Mahler macht: von der Gabe in unſerer Seele ein Geſchoͤpf zu bruͤten, zu dem vielleicht unzaͤhlige Er - fahrungen im Einzelnen den Stoff gegeben haben, das aber wie ein Ganzes auf einmahl, mit allen den ergreifenden Details der Wahrheit aufſteigt, womit wir im Leben zum erſten Mahle einen Gegenſtand er - blicken; von der Gabe das Bild von mehreren zu einem Auftritt vereinigten Figuren jede mit ihrem eigenthuͤmlichen Ausdruck, Form, Farbe, Beleuch - tung, und dann wieder in ihrer Einheit, in ihrer Ueber -einſtim -185Der Vaticaniſche Pallaſt. einſtimmung die ganze Zeit der langwierigen mechani - ſchen Behandlung hindurch unverruͤckt feſtzuhalten, dazu zu ſetzen, davon abzunehmen, ohne daß die erſte urſpruͤngliche Idee eine weſentliche Veraͤnderung leiden koͤnnte.

Dieſe goͤttliche Gabe, mit der vielleicht nie ein Menſch jenſeits der Alpen gebohren worden iſt, ſcheint mir nicht der Antheil des Raphael Mengs geweſen zu ſeyn. Sanzio ſchuf in ſeinem Kopfe und verbeſſerte nach den Antiken und den Werken ſeiner Vorgaͤnger: Mengs las das Beſte aus den Antiken und den Neue - ren zuſammen, und ſchuf auf dem Plane des Bildes. Die Werke des erſten gleichen dem Guß eines Spie - gels, den ein Hauch uͤber die Flaͤche geblaſen hat, die Werke des letzten eingelegter Arbeit, die durch den Fleiß des Florentiners aus koſtbaren Ueberbleibſeln des Alterthums zuſammengefuget worden. Ich rede von weitlaͤuftigen Compoſitionen.

Das Gefuͤhl ſittlicher Schoͤnheit, und die Em - pfindung des ſinnlich Schoͤnen haͤngen vielleicht in dem Geiſte des Menſchen von einer und derſelben Faͤ - higkeit ab. Die verſchiedene Richtung, welche ihr aͤußere Verhaͤltniſſe und begleitende Seelenkraͤfte in der Anwendung geben, bringt vielleicht ihren Pro - ductionen bald den Nahmen eines ſchoͤnen Kunſtwerks zu Wege, bald den Nahmen einer ſchoͤnen That. Um in den ſtillen Scenen des Mittelſtandes, um im engen Cirkel haͤuslicher Verbindungen, als Weiſer, Freude und Heiterkeit um ſich her zu verbreiten, be - darf es nur eines ſanften Charakters, gemaͤßigter Affekten, und einer ruhigen Achtſamkeit auf das wasM 5andere186Der Vaticaniſche Pallaſt. andere um uns liebenswerth macht. Aber um als Held in den verwickelſten Lagen eines Staats deſſen Stuͤtze mit Aufopferung der theuerſten Verhaͤltniſſe zu werden, muͤſſen wir die Tugend mit Leidenſchaft lie - ben, wir muͤſſen ſie verkoͤrpert ſehen, ihr Glanz muß in uns das Ideal einer Vollkommenheit wecken, das nur unſern Verhaͤltniſſen, unſern Kraͤften, mit einem Worte: uns gehoͤrt. So wie der Ton eines muſi - caliſchen Inſtruments den Geiſt eines Compoſiteurs in eine Schwingung ſetzt, in der er ungehoͤrte Toͤne aus ſich ſelbſt hervorruft, ſo koͤnnen große Beiſpiele im Einzelnen zwar die Stimmung zur Groͤße nicht aber ihre voͤllige Harmonie hervorbringen. Der Geiſt des Alexanders belebte einen Caͤſar, durch Nachahmung ſeiner Thaten entſtand nur ein Carl der Zwoͤlfte.

Mengs ſah das Schoͤne in den Werken der Alten ein, er begriff es, und lieferte hier und dort gluͤckliche Nachbildungen ſchoͤner Geſtalten: Raphael ward durch ihren Anblick begeiſtert, er zuͤndete, dem Pro - metheus gleich, ſeine Fackel an dem himmliſchen Feuer an, und ihr Abglanz warf nicht Schatten von Goͤttern hin, ihre Waͤrme belebte Menſchen, ſeine eigenen Geſchoͤpfe.

Wahrnehmung des Guten und Schoͤnen heißt im Allgemeinen Geſchmack. Aber in der Art der An - wendung iſt deſſen Weſen ſehr verſchieden. Der eine Menſch hat ihn durchs Gefuͤhl, der andere hat ihn durch Nachdenken: Der eine weiß die Gruͤnde ſeines Urtheils trefflich auseinander zu ſetzen, der andere ſchafft ſtatt aller Antwort. Es ſcheint daß bei dem erſten die Vernunft im genaueren Verbande mit demScharf -187Der Vaticaniſche Pallaſt. Scharfſinn ſteht, bei dem andern der Scharfſinn mit dem Herzen und der Einbildungskraft. Dem bilden - den Kuͤnſtler iſt die letzte Art zu wuͤnſchen, dem Be - ſchauer des Gebildeten kann die erſte genuͤgen. Mengs hat viel uͤber den Geſchmack geſchrieben; wir vermiſſen ihn oft in ſeinen Gemaͤhlden.

Dieſe Betrachtungen koͤnnen dem Urtheil uͤber das Verdienſt unſers Mengs, als Mahler, zur Grundlage dienen. Er hat einzelne Figuren mit dem Charakter einer lieblichen Heiterkeit vortrefflich gedacht und ausgefuͤhrt. Dies erſtreckt ſich jedoch bei weib - lichen und maͤnnlichen ſelten weiter als auf das Alter dem jene Eigenſchaften vorzuͤglich eigen ſind: des Kindes, des Juͤnglings, und des Maͤdchens, beide an den Graͤnzen der Pubertaͤt. Menſchen, die bei wachſender Geiſtesſtaͤrke Formen von hoher Bedeu - tung, den Ausdruck heftiger Affekten zeigen, ſind ihm ſelten gegluͤckt. Seine groͤßeren Compoſitionen ſind nicht haͤufig mit wahrer Ruͤckſicht auf den Zweck und die Wuͤrkung der Kunſt erfunden und angeordnet, und es fehlt beinahe durchaus an jener Harmonie aller Theile zum Ganzen, die eine Arbeit zu einem Werke macht.

Mengs hatte eine harte Erziehung genoſſen, er hatte lange in Miniatur gemahlt. Seine Behand - lung iſt immer aͤngſtlich geblieben.

Der Plafond in dieſem Zimmer iſt das ſchoͤnſtePlafond des Mengs. Werk, das wir von ihm kennen.

Man urtheilt ſo verſchieden daruͤber in Rom, einige erheben, andere erniedrigen es ſo ſehr, daß ſchon dies allein die Vermuthung erweckt, man unter -ſcheide188Der Vaticaniſche Pallaſt. ſcheide bei deſſen Beurtheilung nicht genungſam die verſchiedenen Theile der Kunſt, deren Vereinigung Vollkommenheit ausmacht.

Der Gedanke des mittelſten Gemaͤhldes iſt fol - gender: Die Geſchichte iſt im Begriff, dasjenige auf - zuzeichnen, was Janus ihr dictirt. Wahrſcheinlich ſoll Janus, der Mann mit dem gedoppelten Antlitz, hier die Scharfſichtigkeit und das Gedaͤchtniß vorſtel - len. Die Zeit, ein ruͤſtiger Alter, liegt gekruͤmmt vor der Geſchichte, die ihr Buch auf ſeinen Ruͤcken ſtuͤtzt. Ein Genius bringt Documente herzu. Eine Reno - mee, eine Fama, ſtoͤßt in die Trompete, indem ſie auf das Muſeum Clementinum zeigt, welches man im Hintergrunde ſieht.

Dieſe Erfindung ſcheint mir nicht gluͤcklich. Hier ſind meine Gruͤnde.

Vorlaͤufige Beſtimmung der Eigen - ſchaften einer guten allego - riſchen Zu - ſammenſe - tzung fuͤr die ſchoͤnen Kuͤn - ſte.
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Es iſt, wie mich duͤnkt, den ſchoͤnen Kuͤnſten bis jetzt ſehr nachtheilig geweſen, daß man das eigent - liche Symbol von dem ſchoͤnen Kunſtwerke nicht be - ſtimmt genung unterſchieden hat.

Das Symbol will belehren. Es will durch an - ſchauliche Erkenntniß den nicht ſinnlichen Begriff ſchneller, lebhafter und mit mehr umfaſſender Bedeu - tung in die Seele bringen, mithin mehr und beſſer ſagen, als durch bloße Worte; darum nimmt es Form und Koͤrper zu Huͤlfe.

Aber das ſchoͤne Kunſtwerk beſorgt mein Vergnuͤ - gen. Es gibt meinem Herzen, meiner Einbildungs - kraft Nahrung, es unterhaͤlt meinen Verſtand, aber leicht, und immer, entweder mittelbar durch die Be - ſchaͤfftigung, die es jenen Geiſteskraͤften gibt, oderwenig -189Der Vaticaniſche Pallaſt. wenigſtens in deren Begleitung; Belehrung liegt gaͤnz - lich außer deſſen Zweck. Wenn alſo die ſchoͤne Kunſt ihren Werken eine allegoriſche Bedeutung unterlegt, ſo geſchieht es um dasjenige, was durch den ſichtba - ren Ausdruck ſchon intereſſant ſeyn wuͤrde, durch Ver - knuͤpfung mit einer geheimen Bedeutung noch intereſ - ſanter zu machen. Sucht ſie abſtrakte Ideen zu ih - ren ſinnlichen Bildern, ſo ſucht ſie dieſe nur um jene zu ſchmuͤcken, nicht um ihnen Weſen und Gehalt zu geben.

Alle bildende Kunſt hat endlich Nutzen zum End - zweck. Aber die ſchoͤne Kunſt nutzt im Allgemeinen, indem ſie durch den Genuß edlerer Vergnuͤgungen den Keim fuͤr alles Gute und Schoͤne in dem Menſchen entwickelt und erhaͤlt. Eine beſtimmtere Abſicht in ihren einzelnen Werken aufzuſuchen leiden ihre weſent - licheren Vorzuͤge nicht. Doch, dies weiter auszu - fuͤhren, behalte ich mir an einem andern Orte vor.

Weil man meine Gruͤnde dort pruͤfen kann, ſo ſetze ich hier die Sache als ausgemacht feſt, und fol - gere daraus einen wichtigen Unterſchied zwiſchen der bildenden Kunſt, die fuͤr den Verſtand, fuͤr Wiſſen - ſchaft arbeitet, und derjenigen, die fuͤr den Sinn des Schoͤnen ſchafft. So wie bei den Alten das Bild, das Zeichen einer religioͤſen Verehrung, nach ganz andern Grundſaͤtzen verfertigt wurde, als das Werk, das durchs Beſchauen genoſſen werden ſollte: So wie ihnen eine Diana von Epheſus ganz etwas anders war, als ein Antinous; ſo iſt auch noch jetzt ein Symbol von einer ſchoͤnen allegoriſchen Vorſtellung weſentlich verſchieden.

Auf190Der Vaticaniſche Pallaſt.

Auf Muͤnzen, auf Denkmaͤhlern, auf allen Werken, die wiſſenſchaftliche Bedeutung, Belehrung, Aufbewahrung des Geſchehenen zur Abſicht haben, laufen Nutzen und Vergnuͤgen in einander, und der Unterſchied zwiſchen Symbol, Zeichen, und allegori - ſcher Vorſtellung, ſchoͤnem Bilde, wird, dem Zweck und der Verfahrungsart des Verfertigers nach, we - niger fuͤhlbar. Hier tritt ſchriftliche und muͤnd - liche Ueberlieferung dem Ausdruck des Bildes zur Seite: Die Entraͤthſelung der Abſicht macht keine Schwierigkeit, und ſollte ſie welche machen, ſo belohnt dafuͤr der Vortheil der Belehrung, die Be - ſchaͤfftigung des Witzes in Aufſpuͤhrung feiner Ver - haͤltniſſe zwiſchen Bild und Gedanken. Geht dar - uͤber der Eindruck der Schoͤnheit verlohren, wohl! wir halten uns an den Gewinn von Ideen, die neu in unſerm Kopfe aufſteigen.

Aber das Werk einer Kunſt, welches den Sinn des Auges durch Schoͤnheit der Geſtalt vergnuͤgen, das Herz durch den Ausdruck intereſſanter Affekten zur Mitempfindung einladen, und die Einbildungskraft durch Darſtellung deſſen, was ſie ſich als Bild zu denken gewohnt geweſen iſt, ausfuͤllen, nicht ſpannen will; das Werk einer ſolchen Kunſt, ſage ich, muß auf den erſten Blick verſtanden werden. Findet der Beſchauer nicht in ſeiner eigenen Erfahrung den Schluͤſſel zu deſſen Verſtaͤndigung, ſoll er erſt einen gelehrten Ausleger herbeirufen, uͤber die Bedeutung nachſinnen und rathen, ſo geht ſeine Begierde, von der ſichtbaren Vollkommenheit geruͤhrt zu werden, verlohren, und das, was uͤbrig bleibt, iſt nicht Ver - gnuͤgen ſeines Auges und ſeines Herzens, nicht Aus -fuͤllung191Der Vaticaniſche Pallaſt. fuͤllung ſeiner Einbildungskraft; es iſt kalte Beſchaͤff - tigung ſeines Witzes.

Wie unſicher iſt die Rechnung, die der Kuͤnſtler auf das Maaß von Kenntniſſen macht, die der Lieb - haber zu dem Anblick ſeines Werkes herzubringt! Wie abhaͤngig von unzaͤhligen Nebenumſtaͤnden und Ver - haͤltniſſen der Erziehung, des Nationalcharakters, der Neigungen, der Beſchaͤfftigungen! In der That die allegoriſche Schrift, in ſo fern ſie fuͤr ſich ſteht, iſt die eingeſchraͤnkteſte von der Welt, kaum einigen Per - ſonen aus einer Claſſe unter einem Volke verſtaͤndlich!

Schon dieſe Betrachtung allein ſollte dem Kuͤnſt - ler die Verbindlichkeit auflegen, jenes Intereſſe, das von der Kenntniß der geheimen Bedeutung abhaͤngt, und nur von wenigen empfunden wird, demjenigen unterzuordnen, das dem Weſen der Kunſt angemeſſe - ner, von jedem wohlerzogenen Menſchen getheilt wird. Ich rede von dem Ausdruck der Affekten, die jedem Menſchen mit einem Herzen gemein ſind, der ſichtbare Handlung motivirt, und von dieſer wieder motivirt wird.

Bei einzelnen Figuren faͤllt die Nothwendigkeit weniger auf. Iſt es nicht die Gerechtigkeit, die wir ſehen, ſo iſt es eine ſchoͤne Frau; die Waage in der Hand, ſelbſt der unverſtaͤndliche Strauß zu ihrer Seite, wird den Eindruck ihrer ſchoͤnen Geſtalt nicht ſtoͤren. Es iſt die koͤrperliche Form, auf die wir bei einzelnen Figuren unſere erſte und hauptſaͤchlichſte Ruͤckſicht nehmen.

Aber ganz anders verhaͤlt es ſich mit weitlaͤufti - geren Zuſammenſetzungen, mit den ſogenannten hiſto -riſchen192Der Vaticaniſche Pallaſt. riſchen Compoſitionen, mit Werken, auf denen wir mehrere Perſonen neben einander handeln ſehen. Ein ſolches Bild iſt fuͤr uns ein wahrer pantomimiſcher Auftritt, nur mit dem Unterſchiede, daß die Akteurs in einem gewiſſen Momente, wie vom Anblick des Me - duſenkopfs geruͤhrt, angeheftet ſtehen bleiben, und durch Stellung, Mine und Blick die Gedanken, Lage, und Empfindungen anzeigen, in der ſie ſich in dem Augenblicke befanden, in dem ſie auf immer fortzu - handeln aufhoͤrten.

Die erſten Fragen, die nun der Zuſchauer an dieſe bezauberten Figuren thut, ſind dieſe: Was iſt eure Beſtimmung? Wie kommt ihr hieher? Was habt ihr mit einander gemein, daß ich euch hier zuſammen ſehe? Und die Antwort der Zauberin, der Mah - lerei: Sie ſind von der Huͤlfe der Rede entbloͤßt; aber ſeht auf ihre Gebaͤhrden; Der Ausdruck des einen Mimikers enthaͤlt immer den vollſtaͤndigſten Grund des Ausdrucks in dem andern: ſo haͤngen ſie zuſam - men, und dieſer Zuſammenhang erklaͤrt die Hand - lung, an der ſie gemeinſchaftlich Theil nehmen, als ihre fernere Bewegung gehemmet wurde!

Nun wird der Zuſchauer uͤber den Zweck des Ganzen mit Leichtigkeit verſtaͤndiget ſeyn, nun wird er ohne Schwierigkeit den Ausdruck in jeder einzelnen Figur pruͤfen, und beurtheilen. Er fuͤhlt die Einheit in der Mannichfaltigkeit, dieſes wichtige Beſtandtheil der Schoͤnheit, welches es allein entſchuldigen kann, daß der Kuͤnſtler mehrere Figuren an einen Ort zu - ſammendraͤngt, wo ſie dem Ausdruck immer ſchaden, wenn ſie ihm nicht helfen, und wo die Schoͤnheit derGeſtalt193Der Vaticaniſche Pallaſt. Geſtalt immer durch die Vereinigung mit mehreren Schoͤnheiten verlieret.

Eine Darſtellung nach dieſen Grundſaͤtzen iſt im - mer als die Staffel der Kunſt und des Vergnuͤgens angeſehen worden, und derjenige, der eine Menge perſonificirter Ideen von Symbolen nur darum an ei - nen Ort vereiniget, weil ſie ſich als Begriffe in ſeinem Kopfe unter einen allgemeinen Satz bringen laſſen, ſcheint ſich anſehnlich von derſelben zu entfernen.

Denn bleiben dieſe Zeichen von Ideen in unthaͤti - ger Ruhe, ſo wird die Scene fuͤr lebende, aber ſtumme eingewurzelte Perſonen zu einer Gallerie ihrer ſteiner - nen Nachbildungen: und erhaͤlt jedes Symbol fuͤr ſich den Ausdruck der Wuͤrkung aus der wir uns deſſen Kraft abſtrahirt haben; ſo wird aus dem ernſthaften Auftritt ein Narrenhaus, in dem jeder ſich nicht ohne Nachtheil fuͤr den andern herumtummelt, und wo der Witz, als ein beſonders dazu angeſetzter Cuſtode, uns erſt mit den Schickſalen und der Beſtimmung eines jeden bekannt machen muß.

Mein Rath iſt alſo dieſer: Wo der Mahler eine allegoriſche Bedeutung in ein Gemaͤhlde legt, das aus mehreren Figuren zuſammengeſetzt iſt, da ordne er ſie immer der Darſtellung einer Begebenheit, eines Vorfalls unter, der uns als Bild, wiewohl mit Ab - weſenheit derjenigen zufaͤlligen Beſtimmungen, welche die Allegorie bezeichnen, aus der Erfahrung des ge - meinen Lebens bekannt iſt, oder doch aus wuͤrklich geſehenen Gegenſtaͤnden leicht als ein ſichtbares Bild von dem Beſchauer zuſammengeſetzt wird. Um recht deutlich zu werden, will ich einige Beiſpiele alle -Erſter Theil. Ngoriſcher194Der Vaticaniſche Pallaſt. goriſcher Gemaͤhlde anfuͤhren, welche dieſe Forde - rung zu befriedigen ſcheinen.

Ein Kind reutet auf einem gezaͤumten Loͤwen. Wie der ſchalkhafte Knabe laͤchelt, wie er ſich ſeines Spieles freuet! Wie ſich das gutmuͤthige Thier ſei - ner Staͤrke gegen den neckiſchen Knaben entaͤußert! Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der Majeſtaͤt des Loͤwen contraſtirt!

Aber was ſeh ich? Das Kind hat Fluͤgel, es traͤgt Koͤcher und Bogen. Ha! es iſt Amor, und die geheime Bedeutung: Liebe zaͤhmt Staͤrke.

Zwei verworfene Menſchen ſind im Begriff eine huͤlfloſe Schoͤne in einen Abgrund zu ſtuͤrzen. Sie iſt entbloͤßt, der Raub ihres koſtbaren Schmucks iſt wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu dieſer Grauſamkeit. Die Spuhr des begangenen Verbrechens ſoll durch ein ſchaͤndlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die Vorſehung es zugibt, aber ich zittre umſonſt: Ein nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent - reißt ſie dem Verderben.

Wozu traͤgt dieſer Alte Senſe und Stundenglas, warum ſind die ſchaͤndlichen Verfolger der nackten Schoͤnen mit zugeſpitzten Ohren gezeichnet? Es ſind Mißgunſt und Neid, welche die Wahrheit im Ab - grunde der Vergeſſenheit zu begraben dachten, aber die Zeit zieht ſie hervor.

Mit der ganzen Staͤrke, mit aller Lebhaftigkeit einer ſinnlichen Erkenntniß uͤberſeh ich auf einmahl alle ſchrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde des Rubens in dem Pallaſt Pitti zu Florenz. Marswird195Der Vaticaniſche Pallaſt. wird durch die Goͤttin der Rache, die flammende Blicke und brennende Fackel verkuͤndigen, gewaltſam fortgeriſſen. Umſonſt wirft ſich Venus in Thraͤnen in die Arme des Geliebten, umſonſt umſchlingen Amo - rinen ſeine Knie; er zertritt mit ſeinen Fuͤßen halbzer - riſſene Buͤcher, vor ſeinem Anblick ſtuͤrzen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften zu Boden. Verzweiflungsvoll ver - birgt ein Weib ihr Kind in ihren Buſen, auf der Schwelle des geoͤffneten Janustempels ſitzt die troſt - loſe Erde, und im Hintergrunde laͤßt die Flamme brennender Doͤrfer ein verheertes Land und Gruppen von Kriegern ſehen.

Jedem iſt die Allegorie begreiflich; aber geſetzt, ſie waͤre es nicht! Werden wir darum das ganze Bild nicht erklaͤrbar finden, weil einige Nebenfiguren, Nebendinge, uns ohne die geheime Bedeutung nicht verſtaͤndlich ſind? Liefert die Hauptgruppe nicht einen Ausdruck von Empfindungen, der durch den bloßen Anblick hinreichend motivirt, durch die Vergleichung mit den gemeinſten Erfahrungen uͤberfluͤßig gerecht - fertigt wird? Hat der erzuͤrnte Held, der ſich aus den Armen ſeiner Familie reißt, nur denn ein Anrecht auf unſere Theilnehmung, wenn er der Gott des Krie - ges, ſeine Gattin die Goͤttin der Liebe, und ſeine Kin - der Amorinen ſind? Iſt es die Verknuͤpfung der Ideen, die uns dieſes Bild ſo ſchaͤtzbar macht, oder iſt es die Situation, welche zum Ausdruck intereſſan - ter Affecte die Veranlaſſung gibt?

Genung! Jede zuſammengeſetzte allegoriſche Vor - ſtellung, die ein Gegenſtand der ſchoͤnen Kunſt ſeyn ſoll, liefere uns die Darſtellung eines Vorfalls, einerN 2Bege -196Der Vaticaniſche Pallaſt. Begebenheit, einer Situation, die an ſich eines zu - ſammenhaͤngenden, und fuͤr Herz und Einbildungs - kraft intereſſanten Ausdrucks faͤhig iſt. Die geheime Bedeutung verſtaͤrke den Antheil, den wir an dem Sichtbaren nehmen, nie aber ſey ſie einziger Schluͤſ - ſel, einziges Motiv, einziger Grund der Vereinigung mehrerer unthaͤtigen oder handelnden Weſen.

So wird der Verſtand nicht auf Koſten des Herzens Unterhaltung finden, ſo wird das Bild durch den Gedanken, der Gedanke durch das Bild ge - winnen.

Und nun zur Beurtheilung des Gemaͤhldes, das wir vor uns haben.

Fortſchritt zur Beurthei - lung des mittleren Ge - maͤhldes an dieſem Pla - fond.
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Iſt der Gedanke der hier zum Grunde liegt, uͤber - haupt einer Verkoͤrperung faͤhig? Nein! er iſt zu complicirt, um je in einer ſinnlichen coexiſtirenden Vorſtellung zuſammengefaßt zu werden. Die Ge - ſchichte ſchreibt die Thaten auf, die Gedaͤchtniß und Scharfſichtigkeit ihr darbieten; Sie bedient ſich dazu auch der Urkunden; ſo fixirt, ſo heftet ſie die Zeit an, und die Renommee breitet den Ruf der Anſtalten aus, die zum Beſten der Geſchichte gemacht ſind.

Dies ſind eine Menge progreſſiver Handlungen, die ſich nicht einſt in den Begriff von dem Vor - theile aufbewahrter Urkunden zuſammen zwaͤngen laſſen, viel weniger in ein coexiſtirendes, mit einem Blick zu uͤberſehendes, Ganze vereiniget werden moͤgen.

Waͤre aber auch die Verſinnlichung moͤglich, ſo ſind doch die Mittel, die Mengs dazu gebraucht hat, fehlerhaft gewaͤhlt. Es iſt unnatuͤrlich, die Befeſti -gung197Der Vaticaniſche Pallaſt. gung, das Anheften der Zeit durch die Stellung eines ruͤſtigen Alten ſinnlich zu machen, den ein Foliant zu Boden druͤckt. Dieſe Laſt ſteht in keinem Verhaͤlt - niſſe mit der Schnellkraft ſeines Ruͤckens.

Nun aber denke man vollends nicht an die Alle - gorie. Wie kommen die Figuren zuſammen, an welcher ſichtbar gemeinſchaftlichen Handlung nehmen ſie Theil? Die Renommee, die auf das Muſeum Clementinum zeigt, kann, dem Verſtaͤndniſſe des Ganzen unbeſchadet, ganz aus dem Gemaͤhlde weg - genommen werden: So der Genius, der die Urkun - den herzutraͤgt ꝛc.

Weiter! Zu welchem intereſſanten Ausdrucke ge - ben die Beſchaͤfftigungen des Schreibens, des Dic - tirens, des Zuſammentragens, ja! ſelbſt des kalten Forſchens Veranlaſſung? Ich glaube, zu einem ſehr geringen; und was das ſchlimmſte iſt, auch die - ſer iſt verfehlt.

Die Geſchichte zeigt in Minen und Stellung eine Begeiſterung, die nicht der kalten Forſcherin, viel - mehr der Odendichtkunſt zukommen wuͤrde. Der Genius, der die Urkunden herzutraͤgt, ſieht die Zu - ſchauer an, nicht auf den Ort, auf den er zugeht. Janus, der mit der Geſchichte redet, wendet beide Koͤpfe ab, und dreht ihr das Ohr zu, ſo, daß wenn man ſeiner Handlung Wahrheit beilegen wollte, man durchaus annehmen muͤßte: er beſitze die ſeltene Kunſt, durch den Bauch zu reden.

So viel uͤber die Erfindung.

Auch die Anordnung iſt nicht zu loben. Die Fi - guren ſtehen zu iſolirt, ſie gruppiren nicht zuſammen.

N 3So -198Der Vaticaniſche Pallaſt.

Sobald man ſich aber zu dem Einzelnen wendet, ſo erſcheint Mengs in aller ſeiner Groͤße.

Den Koͤrper der Zeit allein ausgenommen denn dieſer iſt fuͤr das Uebrige zu unedel, zeigt ſich die ſchoͤnſte Wahl in Koͤpfen und Formen. Die Zeichnung iſt aͤußerſt correct. Das Colorit, ſowohl an und fuͤr ſich ſelbſt als in Ruͤckſicht auf die Schwie - rigkeiten der Freſco, Mahlerei erweckt durch Wahrheit, Kraft und Lieblichkeit Bewunderung, und eben dies kann man von der Haltung ſagen. Als ausgezeichnet ſchoͤne Theile bemerke ich die Bruſt der Geſchichte, den Kopf des Genius, die Leichtigkeit des Flugs der Renommee.

Ueber der einen Thuͤr St. Petrus ſitzend. Ich finde ihn nicht ſehr edel, aber ſehr wahr.

Herrliche Ge - nii und Kin - der von Mengs
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Zu beiden Seiten deſſelben zwei Genii, de - ren Koͤrper zu den ſchoͤnſten gehoͤren, vielleicht die ſchoͤnſten ſind, die die neuere Mahlerei aufzuweiſen hat. Die Koͤpfe wuͤrden noch reitzender ſeyn, wenn nicht in dem Untertheile derſelben eine zu kleinliche Suͤßlichkeit herrſchte. Uebrigens ſind ſie mit dem Griffel der Antike gezeichnet, mit Tizians Pinſel colo - rirt, und mit Correggios Zauberfackel beleuchtet.

Gegen uͤber Moſes. Man ſagt, der Kopf ſey ein Portrait des Pabſtes Lambertini. Gewiß iſt es, daß er nicht den Charakter der Groͤße an ſich traͤgt, die man von einem Geſetzgeber erwartet. Die ver - kuͤrzte Hand iſt unvergleichlich, das Gewand iſt ein wenig ſchwerfaͤllig, und die Falten ſind zu muͤhſam gelegt[;]ein Fehler, in den dieſer Kuͤnſtler oͤfterer verfiel.

An199Der Vaticaniſche Pallaſt.

An den Seiten dieſer Figur ſtehen wieder zwei herrliche Genii, und an den beiden Seitenwaͤnden vier ſehr ſchoͤne Kinder.

Das ganze Zimmer iſt unter der Aufſicht des Raphael Mengs mit vielem Geſchmack decoriret, und ich kenne keines, in dem ich gleich beim erſten Eintritte ſo gern geweſen waͤre, als in dieſem.

Kleiner Saal des Conſiſtoriums mitSaal des Conſiſto - riums, Pla - fond des Guido Reni. einem Plafond vom Guido Reni.

Das mittelſte Gemaͤhlde ſtellet die Ausgießung des heiligen Geiſtes vor. Es iſt ſchoͤn angeordnet, auch ſieht man gute Koͤpfe voller Ausdruck und eine kraͤftige Faͤrbung darin.

Die Verklaͤrung und die Himmelfahrt Chriſti zu beiden Seiten. Von geringerm Werthe.

Ich uͤbergehe eine Menge von Gemaͤhlden, die ſich in dieſem Pallaſte finden, und die von Herrn Volkmann,*)Hiſtoriſch kritiſche Nachrichten uͤber Italien. Leipzig Ed. von 1777. S. 102 u. f. wiewohl in ſchlechter Ordnung, ange - zeigt ſind. Nach alle dem Schoͤnen, was der Lieb - haber geſehen hat, kann man billig den Vers des Dante auf ſie anwenden: Non raggionam di lor, ma guarda e paſſa.

Inzwiſchen wird es gut ſeyn, zu bemerken, daß die 25 Cartons vom Domenichino, deren Volkmann erwaͤhnt, und die die Aufmerkſamkeit des Liebhabers reitzen koͤnnten, hier nicht mehr angetroffen werden.

N 4Das200

Das Capitol. 1)Hrn. Volkmanns Beſchreibung dieſes Pallaſts wim - melt von Fehlern. Diejenigen, denen daran liegt, ein genaues Verzeichniß all und jeder Kunſtwerke in dieſem Pallaſte zu haben, verweiſe ich auf die Deſcrizione delle Statue, Baſſirilievi, Buſti etc. che ſi cuſtodiscono ne Palazzi di Campidoglio. Ich habe die letzte und dritte Auflage vor mir, ſie iſt von 1775. Freilich blos Nomenclatur und noch dazu ſehr unrichtige. Allein ihre Verbeſſerung ge - hoͤrt nicht in meinen Plan.

Beym Aufgange der Treppe, die auf den Berg fuͤhret auf dem der Pallaſt ſteht,

Zwei Loͤwen aus Baſalt, von großem Charakter. 2)Winkelmann G. d. K. S. 68. haͤlt ſie fuͤr aͤgy - ptiſch.Zur Seite an der Treppe, die nach Santa Maria della Scala fuͤhrt, eine Statue von Porphyr ohne Kopf. Man haͤlt ſie fuͤr eine Roma, das Gewand iſt vortrefflich.

Auf der Baluͤſtrade, die den obern Hof einfaßt, zwei Coloſſal-Statuen, Juͤnglinge, deren je - der ein Pferd haͤlt. Man nennt ſie Caſtor und Pollux. Auf der Stelle, wo ſie ſtehen, thun ſie Wuͤrkung. Mehr kann der Liebhaber nicht davon ſagen, denn ſie ſind durch viele Ergaͤnzungen zu ſehrentſtellt,201Das Capitol. entſtellt, als daß man uͤber ihre urſpruͤngliche Schoͤn - heit ein Urtheil faͤllen koͤnnte. 3)Winkelmann G. d. K. S. 640. haͤlt dieſe Statuen fuͤr Werke aus der aͤlteſten Zeit, und laͤßt die Ver - muthung blicken, als ob ſie dieſelben waͤren, die ehemals vor dem Tempel des Jupiter Tonans ſtan - den, und vom Hegeſias gearbeitet waren. Wenig - ſtens, ſagt er, waͤren ſie an dieſem Orte gefunden. Viſconti Muſ. Clem. T. I. tav. 37. p. 73. hat dieſe Vermuthung als ungegruͤndet verworfen.

Zwei ſchoͤne Trophaͤen. Vortrefflich gedacht und ausgefuͤhrt. Sie werden gemeiniglich Trophaͤen des Marius genannt. Winkelmann ſchreibt ſie dem Domitian zu. 4)G. d. K. S. 821.

Zwei Soͤhne Conſtantins, die Winkelmann vielmehr fuͤr Bildniſſe ihres Vaters haͤlt. 5)G. d. K. S. 866.

Ein antiker und ein moderner Meilenzei - ger.

In der Mitte des Hofes.

Marc Aurel zu Pferde, aus Bronze. Ritterſtatue Marc Au - rels.Er ſtreckt die Hand aus, gleich als wollte er uͤber die Welt Gluͤck und Frieden austheilen. Dies ſcheint der Gedanke dieſes Werks zu ſeyn.

Die Maſſe des Ganzen und beſonders Marc Aurel iſt es, der die Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen ſoll; nicht das Pferd. Wenn dies doch diejenigenN 5bedaͤch -202Das Capitol. bedaͤchten, die ſo viel an dieſem Pferde auszuſetzen wiſſen! Ueber die Figur Marc Aurels iſt ſtille Ruhe und Majeſtaͤt ausgegoſſen, ſie herrſcht auf ſeiner Mine, ſie liegt in ſeinem feſten natuͤrlichen Sitze. Dieſe ſtille Groͤße contraſtirt unvergleichlich mit dem Muthe, mit dem Leben, die ſich in jeder Muſkel des Pferdes zeigen. Zu dieſem Ausdrucke traͤgt vielleicht ſelbſt die ſonderbare Stellung deſſelben etwas bei. Es hebt naͤmlich beide Fuͤße auf eine Art, die ſo ſelten und ſo tranſitoriſch iſt, daß man nothwendig eine Idee von Unruhe und Schnelligkeit damit verbinden muß. Uebrigens iſt dies Pferd nicht ſchoͤn, nicht groß. Aber das durfte es auch wohl nicht ſeyn, wenn es der Wuͤr - kung des Ganzen und der Hauptfigur nicht ſchaden ſollte. 6)Man ſehe daruͤber, was bei dem Basrelief mit dem Bruſtbilde des Antinous in der Villa Albani erinnert iſt. Ohnedem ſcheint dies Pferd ein Por - trait, und der kurze Schweif deſſelben damahls ſo gewoͤhnlich geweſen zu ſeyn, wie jetzt unſere Stumpf - ſchwaͤnze.

Das Mittelgebaͤude

dienet dem Senatore di Roma zur Wohnung.

An demſelben, uͤber einer Fontaine, eine kleine ſitzende Roma mit einem Gewande von Porphyr zwiſchen zwei coloſſaliſchen Fluß - goͤttern.

Linker203Das Capitol.

Linker Fluͤgel

enthaͤlt die Sammlung von Antiken, die unterMuſeum Ca - pitolinum. dem Nahmen des Muſei Capitolini be - kannt iſt.

In dem Hofraume, dem Eingange gegenMarforio. uͤber, die colloſſaliſche Statue eines Fluß - gottes oder des Ocean. Sie iſt unter dem Nah - men Marforio bekannt,7)Dieſe Statue ſtand ehemals auf einem Platze, den man fuͤr das forum martis hielt, daher die cor - rumpirte Benennung Marſorio. und ſcheint wahrſchein - lich fuͤr eine Fontaine beſtimmt geweſen zu ſeyn. Der Charakter iſt: ehrwuͤrdiges Alter, und dieſer iſt un - vergleichlich ausgedruͤckt. Ungeachtet der colloſſalen Groͤße ſind die Muſkeln ſehr weich und fließend an - gegeben. Der rechte Arm und die linke Hand ſcheinen von einem großen Meiſter reſtaurirt zu ſeyn. Neu ſind ferner: die Naſe, und ein Theil des Fußes.

Zwei Panes, mit Fruchtkoͤrben auf den Koͤpfen, als Caryatiden. Sie haben Ver - dienſt.

Pan iſt eine Figur mit Ziegenfuͤßen, mit einerCharakter eines Pan. rauheren, wildern Geſichtsbildung als man gemeini - glich bei den Faunen oder Satyren antrifft, mit Hoͤr - nern, ſtarken zugeſpitzten Ohren, ſtraͤubigten Baͤrten, krummen Naſen. Man hat lange ſolche Geſtalten Satyren genannt: Allein Satyr iſt der griechiſche Nahme der roͤmiſchen Gottheit, Faun, und von die - ſem an Geſtalt nicht verſchieden. Der Herr HofrathHeyne204Das Capitol. Heyne8)S. ſeine Sammlung antiquariſcher Aufſaͤtze, II. St. S. 69 u. f. Es war der Pan, ſagt er daſelbſt, ein altes philoſophiſches Symbol, bald fuͤr die Na - tur uͤberhaupt, bald fuͤr die Zeugungskraft. Erſt ſpaͤt wurden ſie in die Bacchiſchen Religionsideen aufgenommen. hat zuerſt, ſo viel ich weiß, dieſen Irr - thum aufgedeckt.

In dem Porticus der zur Treppe fuͤhrt.

Mehrere Aegyptiſche Statuen aus Granit und Baſalt.

Ein Sturz eines barbariſchen Koͤnigs aus Pavonazetto. Er ſoll ehemals auf dem Triumph - bogen des Kaiſers Conſtantin des Großen geſtanden haben.

Eine große antike Begraͤbnißurne, oder ein Sarcophag, auf dem Deckel, liegende Fi - guren zweier Eheleute in Lebensgroͤße. Man hat lange darin den Kaiſer Alexander Severus mit ſeiner Mutter Julia Mammaͤa erkennen wollen. Allein Winkelmann9)Geſch. d. K. S. 861. hat mit Recht bemerkt, daß die maͤnnliche Figur in einem Alter von mehr als funf - zig Jahren abgebildet ſey, und daß daher die Benen - nung jenes Kaiſers, der bereits im dreißigſten Jahre ſeines Alters ſtarb, auf dieſe Vorſtellung nicht paſſe. Die Basreliefs haben eben ſo ſchiefe Auslegungen er - litten. Alle Figuren auf denſelben ſind zwar nicht zuerklaͤren;205Das Capitol. erklaͤren; allein daß die Suͤjets aus dem Homer ge - nommen ſind, leidet keinen Zweifel. Wahrſcheinlich ſtellt die vordere Seite den Agamemnon vor, der die Briſeis von dem zuͤrnenden Achill fordert, waͤhrend, daß dieſen ſeine Mutter Thetis zu beſaͤnftigen ſucht. Auf der rechten Seite Chryſeis, die zu ihrem Vater wiederkehrt. Auf der linken Patroclus, der den Achill troͤſtet. Hinten Priamus, der fußfaͤllig den Leichnahm ſeines Sohns vom Achill erflehet.

Der Stil dieſes Basreliefs iſt gut, die Ausfuͤh - rung aber mittelmaͤßig, und die Figuren am hintern Theile ſind uͤberhaupt viel ſchlechter, als die an den uͤbrigen. 10)Ueber das glaͤſerne Aſchengefaͤß, welches in dieſem Sarcophag gefunden, (Winkelmann Geſch. d. K. S. 38.) ſehe man die Beſchreibung des Pallaſtes Barberini nach. Der Herzog von Marlborough hat es aus dem Muſeo der verſtorbenen Herzogin von Portland erſtanden.

Sturz eines Apollo, wird gelobt, ſteht aber ſo, daß man ihn nicht beurtheilen kann.

Ein ſchoͤner Altar. Die Basreliefs ſtellen die Geburt und Erziehung Jupiters vor. Die Ar - beit iſt vortrefflich, und kann unter die beſten dieſer Art gerechnet werden.

Maſke eines weiblichen Kopfs. Beides, Gedanke und Ausfuͤhrung, gut.

Jupiter. Die beſte Vorſtellung dieſes Gottes in dieſer Sammlung.

Eine206Das Capitol.

Eine coloſſaliſche Statue der Minerva mit einer ſchoͤnen Drapperie und einem majeſtaͤtiſchen Cha - rakter.

Eine Vaſe auf drei Fuͤßen, die zur Fon - taine dient, mit Laubwerk von erhobener Ar - beit. Vortrefflich.

Eine Diana, in leichtem aufgeſchuͤrztem Ge - wande fortſchreitend: Voller Leben und Ausdruck. Das Gewand iſt vortrefflich. Aber alt ſcheint daran blos der Koͤrper. Der Kopf iſt wenigſtens aufgeſetzt, denn der Hals iſt modern.

Eine andere Diana. Ihr langes ſimples Ge - wand reicht ihr bis auf die Fuͤße. Dies Gewand iſt im uralten Stile, aber ſchoͤn ausgefuͤhrt. Kopf und Arme modern, daher die Benennung zweifelhaft.

Charakter der Diana.
99

Es haben ſich keine Statuen von dieſer Goͤttin auf uns erhalten, die zu Hauptwerken gehoͤren koͤnnten.

Die urſpruͤngliche Idee der Diana war Luna, de - ren Strahlen durch Pfeile ausgedruͤckt wurden. In ihren Hainen wurden geweihete Hirſche erhalten, die vielleicht ein ſymboliſches Attribut waren. So kam man in der Folge der Zeit auf den Begriff einer Jaͤge - rin, einer Waldgoͤttin. Der Kuͤnſtler fand die Na - tur einer weiblichen Schoͤnheit, die ſich durch Eigen - ſchaften auszeichnet, welche die Beſchaͤfftigung der Jagd vorausſetzet und ausbildet, Schnelligkeit und Abhaͤrtung, eines Ideals faͤhig. Gemeiniglich be - zeichnete er ſie durch den halben Mond als Haupt - ſchmuck, durch den aufgeſchuͤrzten Rock zum beque - meren Laufe, durch Pfeil, Koͤcher, Bogen und Jagdhund.

Pyrr -207Das Capitol.

Pyrrhus,11)Zu dieſer Benennung haben die Elephantenkoͤpfe Anlaß gegeben, die man an den Zierrathen des Har - niſches wahrnimmt. nach Winkelmann,12)Winkelm. G. d. K. S. 722. Die Aehnlichkeit, die Winkelmann zwiſchen der Figur Agamemnons auf dem obenbeſchriebenen ſogenannten Sarcophag des Alexander Severus und der unſrigen fand, duͤrfte die Benennung nicht allein rechtfertigen. Viel - leicht paßt der Nahme irgend eines andern Kriegs - helden eben ſo gut darauf. Aga - memnon, und vielleicht uͤberhaupt nur Kriegsheld mit Bruſtharniſch und griechiſchem Kriegsgewand.

Der Koͤrper eines Kriegers zeichnet ſich immerKriegerſta - tuen. Schwierig - keit die unbe - kleideten von Heldenſta - tuen zu un - terſcheiden. durch ausgearbeitete Feſtigkeit aus. Aber da man immer die gemeine Natur ſelbſt in Portraitſtatuen ins Heldenideal hineinarbeitete,13)Vortrefflich nennt der Hr. Hofrath Heyne, S. An - tiquar. Aufſ. II. St. S. 241. kriegeriſche Tugend die ſinnlichſte von allen Tugenden, die durch eine Menge von Nebenvorſtellungen maͤchtig auf die Einbildungskraft wuͤrkte. Bewunderung des Al - terthums, Dichterbegeiſterung, Anhaͤnglichkeit an Nationalvorurtheile, Ahnenſtolz, Sitte der Vor - fahren. Was Wunder alſo, daß der groͤßte Theil der Denkmaͤhler eben dieſer Tugend geweihet war! ſo wird es ſchwer, ei - nen gewoͤhnlichen Krieger von einem Helden bei nack - ten Statuen zu unterſcheiden.

Leichter wird die Beſtimmung bei ſolchen Krieger - ſtatuen, die in ihrer Ruͤſtung vorgeſtellet ſind. Denn Vorſtellungen aus einer idealiſchen Welt, ſagt derſcharf -208Das Capitol. ſcharfſinnige Autor, den ich in der Note angefuͤhrt habe, wird man wohl nicht anders als ohne Beklei - dung finden. Man will die roͤmiſchen Krieger von den griechiſchen an der verſchiedenen Laͤnge des Man - tels unterſcheiden: denn dieſer ſoll bei den Griechen laͤnger als bei den Roͤmern geweſen ſeyn. 14)S. Winkelmann G. d. K. S. 439. Ganz richtig duͤrfte dies Unterſcheidungszeichen wohl nicht ſeyn.Die Roͤmer nannten den ihrigen Paludamentum.

Unſere Statue hat viel Adel und Wuͤrde, und iſt ſelbſt in Nebenwerken ſehr fleißig gearbeitet. Die Beine ſind unſtreitig modern, und eben dies Ur - theil ſcheint auch von den Armen zu gelten.

Damit die Neugier nicht irr gefuͤhret werde, zeige ich eine abgebrochene Saͤule an, worauf verſchie - denes Handwerkszeug eines Maurers abgebil - det ſtehet. Es iſt weiter nichts als der Sturz eines cippi ſepulchralis, womit das Grabmahl eines gewoͤhnlichen Maurers geziert war. Man findet ih - rer mehrere mit den Werkszeugen anderer Handwer - ker. 15)So findet man z. E. gleich hier das Grabmahl eines Mahlers, Aper genannt, mit einem wilden Schweine und einigen Mahlerwerkzeugen; und oben auf der Treppe ein anderes von einem Schmie - de, mit deſſen Handwerkszeuge.

Zimmer mit Aegyptiſchen Kunſtwer-ken.
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Zimmer mit Aegyptiſchen Kunſtwerken.

In der Tiburtiniſchen Villa des Kaiſer Hadria - nus ſtand ein Tempel, welchen er Canopus nannte,und209Das Capitol. und mit Statuen Aegyptiſcher Gottheiten beſetzte. Die Figuren, die in dieſem Zimmer ſtehen, ſind von dort hergeholt. An einigen finden wir eine genaue Nachah - mung des aͤlteſten Aegyptiſchen Stils, und dieſe ge - hoͤren aus Gruͤnden, die ich bereits bei der Beſchrei - bung der Vaticaniſchen Statuen angefuͤhrt habe, nicht vor unſer Forum: An andern legte die griechiſche KunſtGriechiſche Bearbeitung Aegyptiſcher Ideen: Ent - weder mit Beibehal - tung der Ae - gyptiſchen Vorſtel - lungsart, oder mit Er - findung einer neuen, der Schoͤnheit mehr ange - meſſenen. nur Objekte religioͤſer Verehrung der Aegyptier zum Grunde, und verfeinerte ſie nach denen ihr eigenthuͤm - lichen Ideen von Schoͤnheit.

Aber auch unter Werken dieſer Art findet ſich ein merklicher Unterſchied. Entweder haben ſich die grie - chiſchen Kuͤnſtler mehr oder minder in die hieroglyphi - ſche Allegorie zu ſchicken geſucht, oder ſie haben dieſe Feſſeln ganz abgeworfen. Von dieſer letzten Art zu verfahren werde ich weiter hin durch die griechiſche Iſis und den griechiſchen Harpocrates auffallende Bei - ſpiele geben. Die erſte finden wir an verſchiedenen Statuen in dieſem Zimmer beobachtet.

Die Idee deutet Barbarei an, die Ausfuͤhrung Cultur: Das Steife der Stellung, das Unbedeutende der Mine und Gebaͤhrde, die hieroglyphiſche Zuſam - menſetzung von Thier und Menſch, oder gar von leb - loſen Gegenſtaͤnden mit dem Menſchen, widerſprechen der Regelmaͤßigkeit in der Zeichnung, dem Reitz in den Formen, und der Weichheit in der Behand - lung.

Canopus, ein Kopf mit zwei Angeſichtern, auf einer laͤnglicht runden Vaſe. Das eine Angeſicht ſtellt eine Iſis vor mit einer Lotusblume als Haupt - ſchmuck, das andere einen Ochſenkopf. Dieſes ſehrErſter Theil. Ofleißig210Das Capitol. fleißig und artig gearbeitete Werk iſt aus ſchwarzem Marmor.

Ein Aegyptiſcher Altar. Man ſieht dar - auf den Anubis mit einem Hundskopfe, der einen Palmzweig und einen Caducaͤus haͤlt, und an den Fuͤſ - ſen Fluͤgel traͤgt. Auf einer andern Seite Harpocra - tes, oder Orus. Auf der dritten ein Korb, um deſ - ſen Deckel ſich eine Schlange geſchlungen hat, und auf der vierten die Innſchrift: Iſidi Sacr:

Auf der Treppe und dem Vorplatze vor den obern Zimmern.

Zwei Basreliefs. Figuren beinahe in Lebens - groͤße. Es ſind Ueberreſte der Zierrathen an dem ehemaligen Triumphbogen Marc Aurels. Der Stil iſt gut, der Zeichnung aber fehlt es an Richtigkeit, und die Figuren ſcheinen zu kurz. Das Schoͤnſte dar - an iſt die Gruppe der Fauſtina, die ein Genius zum Himmel traͤgt. Sie haben ſehr gelitten.

Ein altes Moſaik. Hercules ſpinnend und einige Liebesgoͤtter, die einen Loͤwen baͤndigen. In Anſehung des Gedankens merkwuͤrdig.

Einige Fragmente coloſſaliſcher Statuen, aus weißem Marmor, ſind der aͤußerſt delicaten Be - handlung wegen merkwuͤrdig.

Ein Fuß aus Bronze von ungeheurer Groͤße, ſoll, wie die meiſten behaupten, zu der Statue des Cajus Ceſtius, die bei ſeinem Grabmahle angebracht war, gehoͤret haben.

Erſtes211Das Capitol.

Erſtes Zimmer. Zimmer der Vaſe genannt.

Basreliefs.

In der Mitte eins der ſchoͤnſten GefaͤßeCapitolini - ſche Vaſe, mit der Ara als Fußge - ſtell. von denen, die ſich aus dem Alterthume erhalten ha - ben, ſowohl in Anſehung der Form, als der Arbeit in den Zierrathen. Es ſtehet auf einem Altare mit Figuren von erhobener Arbeit. 16)Winkelmann G. d. K. S. 161. ſagt, das Werk ſey urſpruͤnglich eine Brunnenruͤndung geweſen.Dieſer iſt rund, und ſtellt zwoͤlf Gottheiten aus der aͤlteren My - thologie vor, in dem Stile, den wir unter dem Nah - men des Etruſciſchen kennen.

Ein Sarcophag. Auf dem Deckel ein Bacchanal, an den Ecken Maſten, auf der Urne ſelbſt die neun Muſen. Sie haben ſehr reitzende und unter einander abwechſelnde Geſichtszuͤge und Stellungen. Die Gewaͤnder ſind beſſer gedacht; als ausgefuͤhrt. Mengs hat dieſes Basrelief bei dem Plafond in der Villa Albani ſehr genutzt, und ſich vorzuͤglich in Anſehung des Coſtume darnach gerichtet.

An den beiden Seiten ſtehen Homer und Socra - tes. Wahrſcheinlich ein neuerer Zuſatz, wie die Ver - ſchiedenheit des Stils es anzuzeigen ſcheint.

Ein Sarcophag mit der Fabel des Endy - mions. In der Mitte des Basreliefs ſteht ein weib - licher Genius mit Fluͤgeln, der auf gewiſſe Weiſe das Ganze in zwei gleiche Haͤlften theilt. Auf der einen ſteigt Diana von ihrem Wagen, und naͤhert ſich vonO 2Liebes -212Das Capitol. Liebesgoͤttern gefuͤhrt, dem Endymion, der in den Armen des Morpheus ruht. Auf der andern ſenkt ſich Diana wieder ins Meer. Auf dem Deckel Pluto, Proſerpina und Mercur. Es verlohnt ſich nicht der Muͤhe, ſich lange bei der Erklaͤrung jeder einzelnen Figur aufzuhalten, da die Zuſammenſetzung ſchwer - lich als Muſter angeprieſen werden duͤrfte. Einzelner Schoͤnheiten hat es viele. Die Gewaͤnder ſind gut gedacht, die Stellungen reitzend, und jede Figur, ſelbſt die Pferde, haben Handlung und Leben.

Ein Sarcophag mit eben dieſer Fabel. Dieſe Vorſtellung hat in Anſehung des Gedankens Vorzuͤge vor jener. Die Zuſammenſetzung iſt ſimpler und gefaͤlliger. Endymion ruht wieder in Morpheus Armen. Ein Amor zieht Dianen herbei, ſeine Bruͤ - der halten ihren Wagen.

Ein Sarcophag mit dem Streite der Amazonen wider die Griechen. Ein Basrelief von eben ſo trefflicher Arbeit als Zuſammenſetzung und unſtreitig eins der ſchoͤnſten, die ich kenne. An den Ecken zwei ſchoͤne Maſken.

Statuen.

Eine ſchoͤne Figur eines jungen Man - nes, der mit dem Arme auf dem Knie des Bei - nes ruht, das er auf einen Stein ſetzt. Man nennt ihn ohne allen Grund einen Pancratiaſten. 17)Winkelm. G. d. K. S. 370. Er hat nicht einſt die geſchwollenen Ohren. Andere halten ihn des Man - tels wegen, den er umgeworfen hat, fuͤr einen Redner, Sophiſten ꝛc.Das213Das Capitol. Das gekruͤmmte Bein, auf welches er ſich ſtuͤtzt, iſt nebſt der Naſe neu, und der Koͤrper in der Mitte aus zweien Stuͤcken zuſammengeſetzt. Der Kopf iſt ſchoͤn.

Amor ſpannt den Bogen. Kopf, Leib und Schenkel ſind allein antik und ſchoͤn. Vorzuͤglich die letzten. Arm, Beine, Tronk, ein Theil der Fluͤgel und Bogen ſind modern. Man ſieht aus den Spuhren, wo der alte Bogen geſeſſen hat, daß die Art, denſelben zu ſpannen, ganz von derjenigen ver - ſchieden geweſen ſey, die der moderne Kuͤnſtler ange - nommen hat. Denn jetzt legt er den Bogen vor die Beine, und nach der ehemaligen Stellung muͤßte er ihn zwiſchen den Beinen gehalten haben.

Maſke eines Satyrs von gutem Charakter.

Zweites Zimmer oder Zimmer des Hercules.

Statue eines jungen Mannes, den manCapitolini - ſcher Anti - nous. gemeiniglich Antinous nennt, und deſſen Kopf unter dieſer Benennung in Deutſchland vielfaͤltig in Gipsabdruͤcken verkauft wird. Man hat bereits lange den Ungrund dieſer Benennung eingeſehen, indem nicht die geringſte Aehnlichkeit zwiſchen dieſem und andern als ſolchen anerkannten Koͤpfen ſich findet. Der Ort, wo die Statue gefunden worden, naͤmlich die Villa Hadrians zu Tivoli, kann das Gegentheil allein nicht darthun, fuͤhrt aber auf eine andere Ver - muthung, die viel mehr Wahrſcheinlichkeit zu habenO 3ſcheint.214Das Capitol. ſcheint. Man glaubt naͤmlich den Kopf des Kaiſers Hadrian als Juͤngling darin zu ſehen. Ich vermag daruͤber nicht zu entſcheiden. So viel ſcheint mir ge - wiß, daß der Kopf das idealiſirte Portrait eines jun - gen Mannes vorſtellt. Die Augenbraunen ſind ſo wie die Augaͤpfel angedeutet. Der Kopf iſt augen - ſcheinlich aufgeſetzt, er iſt aber darum nicht weniger antik, und wahrſcheinlich iſt er fuͤr die Statue ſelbſt urſpruͤnglich beſtimmt geweſen.

Die ganze Stellung zeigt einen Menſchen an, der von aller Anmaaßung zu gefallen entfernt iſt, und dieſe Nachlaͤßigkeit iſt voller Reitz. Die Umriſſe ſind aͤußerſt fließend.

Der Marmor iſt ſchoͤn, und die Arbeit vor - trefflich. Das eine Bein, beide Fuͤße, ein Arm, und die beiden erſten Finger der rechten Hand ſind neu.

Man kann von dieſer Statue nicht ſagen, daß ihre Schoͤnheit an das hohe Ideal reiche, aber ſie zieht dem ohngeachtet ſehr an, und vielleicht eben dar - um, weil ſie uns nicht zu ſehr uͤber das gewoͤhnliche Maaß menſchlicher Schoͤnheit hinaus ruͤckt.

Was man am meiſten daran lobt, ſind die gu - ten Verhaͤltniſſe: Darum haben Fiammingo und Pouſſin auch viel nach ihr ſtudirt. Sonſt wirft man der Lage und der Form der Muſkeln mit Recht einige Unbeſtimmtheit vor.

Ein coloſſaliſcher Apollo. Er lehnt den ei - nen Arm auf den Kopf, mit der Hand des andern haͤlt er eine Leier; zu ſeinen Fuͤßen ſteht ein Greif. Es koͤmmt mir vor, als ſey die Stellung unedel, und alscontraſtire215Das Capitol. contraſtire die Weichheit der Form mit der Groͤße der Figur. Die Bruſt iſt nicht genung erhoben. Die ganze Figur hat ſehr gelitten.

Ein Hercules als Knabe, der die Schlan - gen erdruͤckt. Der Kopf, der ein Portrait zu ſeyn ſcheint, hat viel Charakter, aber der Koͤrper, etwas ſchlauchartig, koͤmmt ihm an Schoͤnheit nicht bei. Der rechte Arm iſt modern.

Ein altes Weib mit einer Flaſche, aus dem Pallaſt Veroſpi. Der Kopf iſt mit Weinlaub be - kraͤnzt. Es hat wenig Verdienſt in Anſehung der Kunſt, auch ſcheinen mir ſowohl der Kopf als die eine Hand und der eine Fuß modern zu ſeyn.

Ein Kind, das ſich mit der Maſke bedeckt. Ein ſehr ſchoͤnes Werk, woran die Beine modern ſind.

Hercules, der die Hydra toͤdtet, und zwar ſo, daß er die Koͤpfe der Schlangen mit einer Fackel verbrennet. Sie ſtand ehemals im Pallaſt Veroſpi. Kopf und Rumpf ſind allein antik, und nicht außer - ordentlich. Der antike untere Theil dieſer Statue findet ſich in dem Porticus des Hofes dieſes Pallaſtes. Der moderne iſt vom Algardi.

Das ſchoͤnſte Kind, was ſich aus demSchoͤnes Kind. Alterthume erhalten hat, mit einem Schwane ſpielend. 18)Winkelmann, S. 489. G. d. K.Man hat Recht, ſich auf daſſelbe ge - gen das gemeine Vorurtheil zu berufen, als haͤtten die Alten keine ſchoͤnen Kinder gebildet. An dem unſrigen iſt der Ausdruck vortrefflich, und das Fleiſch von großer Wahrheit.

O 4 Pſyche216Das Capitol.

Pſyche mit Papillons-Fluͤgeln. In dem Augenblick, wo ſie dem fliehenden Amor nachſieht. Der Ausdruck iſt eben ſo ſchoͤn als die Stellung. Man ſieht eine Wiederholung dieſer Statue in Flo - renz, unter der Sammlung der Statuen, die zur Gruppe der Niobe gehoͤren, aber ſie koͤmmt dieſer an Schoͤnheit nicht bei. Der linke Arm, und die rechte Hand, die auf die Bruſt gelegt iſt, ſind modern, und moderne Unwiſſenheit war es, durch die man bei der Reſtauration eine ſtarke Warze in die Bruſt fuͤgte, die ſich mit dem zarten Alter der Schweſter und de[r]Geſpielin der Grazien nicht raͤumen laͤßt.

Venus und Mars. Beide Koͤpfe ſind Pa - traits. Der Kopf der Venus gleicht der Fauſtina, welches auch das Diadem anzudeuten ſcheinet. Der Kopf des Mars iſt von gemeiner Natur, und traͤgt einen Knebelbart. Wahrſcheinlich ſind beide Figuren ohne Koͤpfe gefunden worden. Man hat ſie fuͤr eine Fauſtina mit dem Gladiator gehalten, und ihnen in Gemaͤßheit dieſer Idee zwei fuͤr ſie nicht paſſende Koͤpfe aufgeſetzt. Die Italieniſche Beſchreibung nennt dieſe Gruppe Coriolan mit der Mutter, ohne allen Grund. 19)Winkelmann, Vorrede zur Geſch. d. K. S. XII. ſagt: weil man ſie fuͤr ein roͤmiſches Werk anſah, hielt man es fuͤr ſchlechter als es iſt. Herr Hofrath Heyne, Samml. Antiq. Aufſ. I. Stuͤck. S. 162. bemerkt die Laͤcherlichkeit der Idee: die unartige Lei - denſchaft der Kaiſerin durch Statuen dem Volke zur Schau ausgeſetzt anzunehmen. Er haͤlt es fuͤr glaublicher, daß auf Fauſtina und Marc Antoninange -Die Hand, womit Mars die Lanzehaͤlt,217Das Capitol. haͤlt, iſt neu. Die Figur der Venus iſt dadurch noch merkwuͤrdiger geworden, daß Winkelmann20)G. d. K. S. 404. Der Herr Hofrath Heyne hat dieſe gewagte Erklaͤrung widerlegt. Samml. Ant. Aufſaͤtze, St. I. S. 148. in der Note. Er haͤlt es fuͤr unerwieſen, daß der untere Guͤrtel der Venus allein eigen ſey, und κεςος heiße. in dem unterſten der beiden Guͤrtel, von denen die weibliche Figur einen hart unter den Bruͤſten, den zweiten uͤber den Huͤften traͤgt, den beruͤhmten Ceſtus der Venus zu finden glaubte.

Coloſſaliſche Statue eines Jaͤgers, der an einen Baum gelehnt, einen Haſen in die Hoͤhe haͤlt. Sie muß aus einem Basrelief in der Villa Albani erklaͤrt werden. Dort iſt ein Hund hin - zugefuͤgt, der nach dem Haſen ſpringt. Hier aber iſt der Hund verlohren gegangen. Doch findet man auf der Baſe noch die Spuhr, wo derſelbe geſtanden hat. Die Figur des Mannes, an der ſich keine Hauptergaͤnzungen finden, iſt von ſchoͤner, jedoch nicht uͤber die Natur gehobener Form.

Amor und Pſyche. Amor druͤckt Kuͤſſe auf Pſychens Lippen. Eine bekannte Gruppe, an der Gedanke und Ausdruck mehr als die AusfuͤhrungO 5zu19)angeſpielt ſey. Man habe, ſagt er, ein Paar be - kannte Muͤnzen von der Fauſtina, worauf dieſe Gruppe vorkomme; auf der einen ſtehe veneri vi - ctrici. S. C. etc. Wahrſcheinlich ſtellten die Statuen eine Venus Victrix vor, die den Mars liebkoſet. S. Villa Borgheſe.218Das Capitol. zu loben ſind. Andere nennen dieſe Figuren Kaunus und Biblis: Ohne hinreichenden Grund. 21)Eine andere ſchoͤnere Gruppe vom le Gros als Biblis und Kaunus reſtaurirt, iſt nach England gegangen.

Ein Dreifuß mit drei Greiffen.

Eine ſchoͤne Buͤſte, der man den Nah - men Miltiades beilegt, und die vielmehr ein Hercu - les zu ſeyn ſcheinet.

Eine ſchoͤne Herme eines ſogenannten Plato, oder vielmehr eines Jupiter placidus.

Jupiter pla - cidus, ter - minalis, ſonſt auch Plato ge - nannt. Ueber Her - men und Termen uͤberhaupt.
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Daß dieſe Koͤpfe nicht den Plato vorſtellen, hat Winkelmann22)G. d. K. S. 466. ausgefuͤhrt. Es ſind Hermen mit dem Kopfe irgend eines Gottes, entweder des Jupi - ters, oder auch des indiſchen Bacchus.

Hermen ſind urſpruͤnglich Pfaͤhle in Geſtalt eines Cubus, und in Athen Sinnbilder des Mercurs gewe - ſen. Bei der Verfeinerung der Kunſt hat man dieſen Pfaͤhlen Koͤpfe gegeben, und da man nachher fand, daß dieſes eine bequeme Art ſey, einen Kopf aufzuſtel - len, ſo ſchraͤnkte man ſich nicht blos auf den Mercur ein, man gab auch den Koͤpfen anderer Goͤtter, ja der Helden und beruͤhmter Leute uͤberhaupt, ſolche Un - tergeſtelle. Sie wurden vorzuͤglich in Gymnaſien und Bibliotheken ſehr gebraͤuchlich. Die Roͤmer be - nutzten nachher dieſe Vorſtellungsart bei der Bildung ihrer Termen, ihrer Graͤnzſteine: Termen, beruhen auf religioͤſen Ideen, ſind ſelten Gegenſtand der ſchoͤ - nen Kunſt, und den Griechen nicht bekannt geweſen. Wer219Das Capitol. Wer alſo mit Beſtimmtheit ſprechen will, wird Herme und Terme nicht verwechſeln. Allein dem Liebhaber, der ſich nach dem gemeinen Sprachge - brauch richtet, gelten beide Nahmen fuͤr einen Kopf auf einem viereckigten Pfeiler, der ſich nach unten zu - ſpitzt, und mit dem er zuſammenhaͤngt.

Diejenigen, welche unter dem Nahmen Plato bekannt ſind, werden durch einen guͤtigen offenen Blick voll Adel, durch einen geraden und zugeſpitzten Bart, und durch lange vorn auf die Bruſt theils hinten her - abhaͤngende Locken, die ſich an den Tronk anſchließen, bezeichnet. Man kennt ſie auch unter dem Nahmen eines Jupiter terminalis.

Zwei junge Faunen als Floͤtenſpieler. Wie - derholung des beruͤhmten Floͤtenſpielers in der Villa Borgheſe. Der Kopf des einen, zu deſſen Fuͤßen ein Ochſe ruhet, iſt modern.

Ein ſchoͤner weiblicher Kopf, Sappho ge - nannt, als Herme. Die Haare haͤngen theils hin - ten lang herunter, theils in zwei gekraͤuſelten Locken auf die Bruſt. Ich halte dieſen Kopf fuͤr ein Ne - benſtuͤck des Jupiter terminalis.

Eine weibliche ſitzende und drappirte Fi - gur, die unter dem Nahmen Agrippina bekannt iſt. Die Stellung hat Wahrheit, und die Wahl in dem Wurfe der Gewaͤnder und in der Faltenordnung wei - ſen ihr einen vorzuͤglichen Platz in der Sammlung die - ſer Statuen an. Die Idee, den Arm in der um den Stuhl geſchlagenen Drapperie ruhen zu laſſen, iſt ſehr gluͤcklich.

Großer220Das Capitol.

Großer Saal.

Die beiden Paͤbſte Innocenz X. und Cle - mens XII. aus Bronze. Die Statue Innocenz des X. iſt vom Algardi, und hat den Vorzug einer ſehr weiſen und wohlverſtandenen Compoſition. Sie iſt auch ſehr richtig gezeichnet. Inzwiſchen ſcheinet ein Mantel von reichem Stoffe nie ein ſchicklicher Ge - genſtand fuͤr den Meiſſel zu ſeyn. Er gibt große haͤß - liche Maſſen von Falten, die eher Felſen als Gewaͤn - dern gleichen.

Die Bild - hauerkunſt folgt in der Wahl der Gewaͤnder andern Ge - ſetzen als die Mahlerei.
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Die Bemerkung, daß in der Mahlerei dieſe groſ - ſen Flaͤchen ſehr geſchickt ſind, das Licht oder den Schatten zuſammen zu halten, hat die Bildhauer, welche die Graͤnzen ihrer Kunſt verkannten, zur Nach - ahmung dieſer Behandlung der Gewaͤnder verfuͤhrt. Allein ſie haben dadurch nicht allein dem Auge dasje - nige entzogen, was es in der Bildhauerei am liebſten zu ſehen wuͤnſcht, die Formen nackter Koͤrper, ſon - dern ſie haben auch die Wahrheit in Darſtellung der Stoffe verfehlt, welche in der Mahlerei durch Farben ſinnlich gemacht werden, in der Bildhauerei aber durch die Schlaffheit, womit ſie ſich den Formen feſter Koͤrper anſchmiegen.

Der Ludo - viſiſche Fech - ter.
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Der ſterbende Fechter, ſonſt auch der Lu - doviſiſche genannt, weil er ehemals in der Villa Ludo - viſi ſtand. In Anſehung der hiſtoriſchen Bedeutung dieſer Statue beziehe ich mich auf die Note. 23)Ich geſtehe, daß ich mich an die Benennung des Fechters halte, weil ich keine ſchicklichere weiß. DerGrund,

Dem221Das Capitol.

Dem Liebhaber der Kunſt ſtellt ſie einen ſterben - den Menſchen vor, der niedergefallen, noch einmahl alle ſeine Kraͤfte zuſammenrafft, um ſich wieder em - por zu heben, aber unter Schwaͤche erliegt. DieſerAus -23)Grund, den Winkelmanna)Geſch. d. K. S. 661. zur Widerlegung dieſer Meinung angibt, thut mir kein Genuͤge, ſo wenig als ſeine neue Erklaͤrung. Denn daß gerade dieſe Statue aus den bluͤhendſten Zeiten der Kunſt unter den Griechen ſeyn muͤſſe, in denen keine Fechter - ſpiele bekannt waren, laͤßt ſich ſo wenig von dieſer als von den meiſten andern Statuen mit Zuverlaͤſ - ſigkeit behaupten. Daß Cteſilas, unter deſſen Sta - tuen ein vulneratus deficiens beruͤhmt war, keinen Fechter gebildet habe, will ich gern glauben. Aber daraus folgt noch nicht, daß unſere Statue nicht von einer andern Hand nach einem Fechter gebildet ſeyn koͤnnte. Was ſeine Erklaͤrung anbetrifft, daß naͤmlich dieſe Figur nach dem Stricke um den Hals und dem Horne zu urtheilen, ein Herold ſey, und zwar ein beſtimmter Herold aus der Geſchichte: So hat der Herr Hofrath Heyneb)Antiquar. Abhandl. H. St. S. 233 das Gewagte dieſer Muthmaßung hinreichend gezeigt. Da der Herr Hofrath Heyne an gedachter Stelle wuͤnſcht, daß Reiſende genau darauf achten moͤchten, was an dieſer Statue alt oder neu ſey; ſo will ich diejenigen Bemerkungen herſetzen, die ich daruͤber zu machen Gelegenheit gefunden habe. Die Hauptſchwierigkeit bei dieſer Figur macht der Kopf, deſſen Knebelbart die Antiquarier ſo wenig als den Strick um den Hals zu erklaͤren wiſſen. Daß222Das Capitol. Ausdruck iſt unvergleichlich, und kann der Natur nicht naͤher kommen. Ein Reſt von Wuth zwaͤngt ſeine Augenbraunen zuſammen, ſonſt lieſt man in jeder Muſkel das Ohnmaͤchtige der letzten Spannung. Man muß vorzuͤglich die Kunſt bewundern, mit der der Kuͤnſtler das Schlaffe desjenigen Theils des Koͤr - pers ausgedruͤckt hat, den er beim Heben nicht beſon - ders anſtrengt. Die Zeichnung iſt ſehr richtig, und das Spiel der Muſkeln vortrefflich. Wenn Winkel -mannb)Daß dieſer Kopf gerade unter dem Stricke von dem Rumpfe einſt abgeſondert geweſen ſey, erkennt man an den nicht ganz verdeckten Fugen. Man bemerkt ſogar an dieſem Halſe Spuhren von einem Stuͤcke abgebrochenen Marmors, womit der Kopf leicht mit etwas anderm zuſammen gehaͤngt haben koͤnnte. Inzwiſchen laͤßt ſich darum gar nicht behaupten, der Kopf gehoͤre nicht zu dem Koͤrper. Denn auf der andern Seite ſpricht wieder die Uebereinſtimmung, die ſich ſowohl was Stil als Marmor anbetrifft, zwiſchen dem Kopfe und dem Rumpfe findet, fuͤr ihre urſpruͤngliche Beſtimmung fuͤr einander. Ja, was dieſe Meinung außer Zweifel ſetzt: Es haben ſich auf dem Rumpfe ausgeſprungene Stuͤcke von dem Stricke erhalten, die bei der Reſtauration in denjenigen Theil des Stricks, der an dem Kopfe ſitzen geblieben war, wieder eingepaſſet ſind. Der Kopf gehoͤrt alſo, wie ich glaube, der Statue an. Der rechte Arm iſt modern, und ſo ſind die Zehen beider Fuͤße, wie auch der aͤußere Rand der Baſe, worauf er liegt, nebſt einem Stuͤcke des Degens und des Schildes. Der groͤßte Theil des Horns iſt unſtreitig alt.223Das Capitol. mann24)Siehe deſſen Annotazioni ſopra le Statue di Ro - ma, hinter ſeinen Briefen an einen Freund in Lief - land. Coburg 1784. S. 40. Ich bemerke uͤbrigens, daß dieſe blos hingeworfenen Blaͤtter, die nie zum Druck beſtimmt waren, billig demſelben nicht haͤt - ten uͤberliefert werden ſollen. ſagt, daß dieſes Werk nicht aus der beſten Zeit der Kunſt ſey, ſo hat er in dieſem Urtheile auf den Mangel des Adels im Ausdrucke und auf den Mangel des Ideals der Schoͤnheit Ruͤckſicht genom - men. Dieſe beiden Stuͤcke fehlen freilich. Der ganze Koͤrper iſt von gemeiner Natur, und vorzuͤglich der Kopf mit dem Knebelbarte. Aber in Anſehung der aͤußerſt wahren Nachahmung der Natur, die vielleicht in die - ſem Stuͤcke ſo hoch als je in einem andern getrieben iſt, wird es ein merkwuͤrdiges Denkmahl jenes Zeitalters bleiben, in dem die Kuͤnſte bluͤheten.

Man wird vielleicht die Frage aufwerfen: War -Warum der Autor es nur ſelten wagt, die Epoche anzugeben, in der ein al - tes Kunſt - werk verfer - tiget iſt. um ich nicht bei den Werken des Alterthums, mehr Ruͤckſicht auf die Beſtimmung der Epochen nehme, in denen ſie verfertigt worden; auf Feſtſtellung von Stilen nach verſchiedenen Zeitaltern. Es ſcheint, daß nach dem was Winkelmann darunter vorgearbei - tet hat, die Sache an ſich leicht, und ohne beſondere Schwierigkeit ſeyn duͤrfte. Allein man darf nur den vortrefflichen Aufſatz des Herrn Hofraths Heyne25)Antiquariſche Aufſaͤtze I. Stuͤck, dritte Nummer. uͤber die Kuͤnſtlerepochen beim Plinius leſen, um meine Behutſamkeit in dieſem Stuͤcke zu billigen. Nach dieſem Aufſatze leidet es keinen Zweifel mehr,daß224Das Capitol. daß der ganze hiſtoriſche Theil im Winkelmanniſchen Werke ſo gut wie unbrauchbar iſt.

Es iſt keine Sache fuͤr den Liebhaber, die Pruͤ - fung der Quellen, und darnach eine beſtimmte Zeit - ordnung der Kuͤnſtler, von deren Werken noch Nach - richten vorhanden ſind, vorzunehmen. Den rohen Anfang der Kunſt koͤnnen wir allerdings von ihrer Ausbildung, und dieſe wieder von ihrem gaͤnzlichen Verfall unterſcheiden: und Werke, welche dieſe Ab - ſtufung anzeigen, ſind auch mit dieſem charakteriſti - ſchen Unterſcheidungszeichen, da wo ſie vorkommen, angezeigt. Aber die feinern Nuͤancen, die Grade der Vollkommenheit und des Abfalls in ununterbroche - ner Folge zu beſtimmen, leidet die Abſicht dieſes Werks nicht: theils der Unſicherheit, theils des weni - gen Nutzens wegen, den es fuͤr die Kenntniß des Schoͤnen haben duͤrfte.

Ein anderer Gladiator, an dem Kopf, Arm und Beine neu und von Monot ergaͤnzt ſind. Der Ergaͤnzung nach, hat er die Stellung eines Menſchen, der im Liegen ſich gegen einen Angriff, der von oben koͤmmt, vertheidigt. Der Stil hat in dem was alt iſt, etwas aͤhnliches mit demjenigen, den wir in eini - gen Soͤhnen der Niobe bemerken, daher man ihn zu der Claſſe dieſer Statuen rechnet. Andere halten ihn, der Aehnlichkeit wegen mit der Statue im Pal - laſt Maſſimi, urſpruͤnglich fuͤr einen Diſcobolus.

Die beiden Centauren des Furietti aus ſchwarzem Marmor. Der Stil iſt etwas trocken, und beide Figuren haben ſehr gelitten. Sie ſtellen einen alten und einen jungen Centauren vor. Derjuͤngere225Das Capitol. juͤngere ſchlaͤgt einen Schnipper mit den Fingern, dem aͤltern ſind die Haͤnde auf den Ruͤcken gebunden. 26)Winkelmann, S. 841. d. G. d. K. haͤlt ihn des Hirtenſtabes wegen fuͤr einen Chiron.Der juͤngere hat ganz den Charakter eines Fauns und ſogar kleine Hoͤrner auf der Stirne. Man ſieht an beiden Spuhren, daß ein Amor auf ihrem Ruͤcken ge - ſeſſen hat. Man fand ſie mit hohlen Augen, und ſetzte ihnen Augaͤpfel von Chriſtall ein. Sie ſind an Schoͤnheit beide weit unter dem Centauren in der Villa Borgheſe.

An dem Sockel ſteht der griechiſche Nahme des Meiſters. Ich fuͤhre dies nur an, um fuͤr das Vor -Warnung fuͤr das Vor - urtheil: daß der beige - fuͤgte Nah - me des Kuͤnſtlers ein Beweis der Vortreff - lichkeit des Werks ſey. urtheil zu warnen, daß der beigefuͤgte Nahme des Kuͤnſtlers immer auf einen beſondern Grad der Vor - trefflichkeit eines Kunſtwerks ſchließen laſſe.

Eine coloſſaliſche Statue eines jungen Mannes im Aegyptiſch-griechiſchen Stile. Viele nennen dieſelbe einen Aegyptiſchen Prieſter; andere einen Antinous. Sie hat einen außerordentlichen Ausdruck von Staͤrke, den der Kuͤnſtler herausge - bracht hat, indem er das Aegyptiſche Idol das er wahrſcheinlich zum entfernten Vorbilde hatte, veredelte, und das Unbehuͤlfliche an jenem hier in ſtaͤmmige Statur, die ſteife Stellung in feſten Antritt umſchuf.

Ueberhaupt ſieht man an dieſer Figur die deutliche Vermiſchung des Aegyptiſchen und griechiſchen Stils. Sie traͤgt einen Schurz und einen Aegyptiſchen Kopf - putz. Wahrſcheinlich diente ſie zur Caryatide, wel - ches die Aehnlichkeit mit den beiden Statuen aus ro -themErſter Theil. P226Das Capitol. them Granit, die ehemals zu Tivoli ſtanden, und jetzt im Muſeo Vaticano aufgehoben werden, noch mehr beſtaͤtigt. Die unſrige ſoll aus zwei Stuͤcken in der Mitte zuſammengeſetzt ſeyn. 27)Siehe Winkelmann Geſch. d. K. S. 93. und 97.

Eine Muſe mit drei Federn auf dem Kopfe zum Zeichen des uͤber die Syrenen erhaltenen Sieges. Die Drapperie iſt unvergleichlich. Die Haͤnde ſind reſtauriret mit Attributen einer Ceres.

Hygea. Die Haͤnde ſind modern, ſo wie die Attribute. Drapperie und Kopfputz ſchoͤn. Der Kopf ſcheint ein Portrait.

Die beruͤhmte Praefica. Ein ekelhaftes altes Weib. Die Ausfuͤhrung iſt ſo ſchlecht als die Idee. 28)Winkelmann G. d. K. S. 419. haͤlt dieſe Figur fuͤr eine Hecuba, die ihr Haupt in die Hoͤhe gerichtet hat, als wenn ſie ihren Enkel Aſtianax von Trojas Mauren herunterſtuͤrzen ſaͤhe.

Marc Aurel. Der Torſo ſchoͤn.

Ein junger Mann mit einer Hauptbinde. Arm und Beine modern. Man nennt ihn: Ptolo - maͤus. Ich halte ihn fuͤr die Siegerſtatue eines jun - gen Athleten. Denn dies bezeuget nicht nur die große Aehnlichkeit zwiſchen dieſer Statue und den andern, die im Pallaſt Farneſe als Ringer anerkannt werden, ſondern ſelbſt die Hauptbinde. 29)Die Kopfbinden bezeichneten den Sieg der Ringer. Polyclets Diadumeni waren wahrſcheinlich junge Ringer, die ſich die Kopfbinde umbanden. S. Herrn Hofraths Heynen Antiq. Aufſaͤtze. S. 257. II. Stuͤck.Die Haate ſind inlaͤnglich -227Das Capitol. laͤnglichte Locken reihenweiſe neben einander gelegt, und unten geringelt. Der Stil hat ein wenig Haͤrte. 30)Ich wuͤnſchte ſehr, daß ich einige AntiquarenEine gewag - te Erklaͤrung der ſoge - nannten Ptolomaͤer, als Ringer - ſtatuen, und Muthmaaſ - ſung uͤber deren Wie - dererken - nungszei - chen. darauf aufmerkſam machen moͤchte, ob nicht die Kopfbinde und die reihenweis neben einander ge - legten Locken, nach welchen Kennzeichen man ge - meiniglich die Koͤpfe Ptolomaͤer tauft, Ringerſta - tuen anzeigen. Dieſe Lage der Haare findet ſich nicht nur an den vier Statuen im Pallaſt Farneſe, und einigen andern in der Villa Borgheſe, ſondern auch an dem Genius oder ſogenannten, deus praeſtes, in Florenz, den der Herr Hofrath Heyne mit ſo vielem Rechte unter die Claſſe der Ringer zaͤhlt. Th. II. Antiq. Aufſ. S. 255. Imgleichen an einem Kopfe in dem Zimmer der Miſcellanien, gleichfalls mit der Kopfbinde; und an einer Statue, an die wir gleich kommen werden, mit eben dieſem Haupt - ſchmuck.

Die beruͤhmte griechiſche Iſis. 31)Die Griechen verfeinerten die Idee der Aegyptier. Man erkennt ſie hauptſaͤchlich an der Kleidung, die ich daher in dem Texte genau beſchrieben habe.DieGriechiſche Iſis. Haͤnde mit einem Theile des Armes ſind neu. Sie iſt vorzuͤglich wegen des Eigenthuͤmlichen der Kleidung merkwuͤrdig. Sie traͤgt einen Schleier auf dem Kopfe, der mit Frangen gezieret iſt, und oben dar - auf eine Lotusblume. Unter dieſem Schleier hervor fallen zwei Locken auf die Schultern. Sie traͤgt ein Unterkleid von feiner Leinewand, deſſen Ermeln wahr - ſcheinlich an den Knoͤcheln eng zugegangen ſind. Der Mantel iſt auf eine der Iſis ganz eigenthuͤmliche ArtP 2umge -228Das Capitol. umgeworfen, und hat wahrſcheinlich vier Zipfel ge - habt. Zwei davon ſind uͤber die Schultern geſchla - gen, und in der Mitte der Bruſt in einen Knoten zu - ſammen geſchuͤrzt.

Dieſe Statue iſt ein Beiſpiel einer nach griechi - ſchen Begriffen umgeformten Vorſtellungsart einer ur - ſpruͤnglich Aegyptiſchen religioͤſen Idee.

Ein Apollo der die Leier anſchlaͤgt, und den Blick gen Himmel kehrt. Der Kopf hat einen ſchoͤ - nen Ausdruck. Der Kopfputz iſt zu bemerken, denn die Haare ſind hinten zuſammen und aufgebunden, wie es ſonſt bei den Statuen der Grazien und der Venus gewoͤhnlich iſt. Zu den Fuͤßen dieſer Statue ein Schwan. Der Charakter des Apollo aͤhnelt hier dem Bacchus. 32)Winkelm. Geſch. d. K. S. 285.

Eine bekleidete Muſe, deren Gewand ſchoͤn geworfen iſt. Sie iſt als Ceres, den modernen Haͤnden nach, reſtauriret. Der Kopf iſt aufgeſetzt, und ſcheint eine Lucilla, Gemahlin des Lucius Ve - rus, zu ſeyn.

Ein junger unbekleideter Mann, dem man den Kopf eines Auguſtus aufgeſetzt hat. In den mo - dernen Haͤnden haͤlt er eine Weltkugel und einen Scepter.

Eine ſtehende bekleidete maͤnnliche Figur, Conſular-Statue. Man hat ihr einen ſehr aus - drucksvollen Kopf aufgeſetzt, und ihr deswegen ohne weitern Grund den Nahmen Marius beigelegt. 33)Winkelm. G. d. K. S. 780.

Ein229Das Capitol.

Ein Faun, der ſich auf einen Stamm lehnt, die linke Hand in die Seite ſtuͤtzt, und in der rechten eine Floͤte haͤlt. Ich habe keine betraͤchtliche Ergaͤn - zungen daran bemerkt. Unter den vielen Wiederho - lungen aͤhnlicher Vorſtellungen, die man in Rom ſiehet, iſt dieſe unſtreitig die ſchoͤnſte. Das Geſicht hat etwas ſehr gefaͤlliges, und nichts von dem baͤuri - ſchen Laͤcheln, das man gemeiniglich in andern Sta - tuen von Faunen ſieht. Es iſt vielmehr die Darſtel - lung einer ſchoͤnen aber unverfeinerten Natur.

Ich habe bereits oben den ungegruͤndeten Unter -Charakter der Faunen. ſchied bemerkt, den man gemeiniglich zwiſchen Fau - nen und Satyren macht. Der Herr Hofrath Heyne34)In dem II. Stuͤck ſeiner Antiquar. Aufſaͤtze. hat, wie mich duͤnkt, unwiderlegbar dar - gethan: daß Faun der roͤmiſche Nahme des griechi - ſchen Satyrs ſey. Der allgemeine Charakter der Faunen oder Satyren uͤberhaupt iſt laͤndliche Einfalt, unverfeinerte Natur: Die auffallendſten Beſtim - mungszeichen ſind ſpitze Ohren und Geisſchwanz, im - gleichen Warzen unter dem Kinn, (letztere ſind jedoch an den edleren Figuren ſelten,) die ſie wahrſcheinlich der Bekleidung roher Menſchen mit Thierhaͤuten zu verdanken haben.

Allein es iſt mir keine Vorſtellungsart unter den Antiken bekannt, die die alten Kuͤnſtler von der rohen baͤuriſchen Ausgelaſſenheit an, bis zur Grazie laͤndli - cher Unbefangenheit auf ſo mannichfaltige Art modifi - ciret haͤtten. Der Faun in Florenz und der Faun im Capitol ſcheinen kaum Weſen einer Art zu ſeyn.

P 3Dieſer230Das Capitol.

Dieſer letzte, (Muſ. Cap. nr. 32.) iſt aber der - jenige, deſſen Charakter und Stellung am haͤufigſten wiederholt ſind, und von ihm und ſeinen Geſellen gilt, was Winkelmann35)G. d. K. S. 275. ſagt: Da ſich in Rom uͤber dreißig Statuen junger Satyre oder Faunen befinden, die ſich aͤhnlich im Stande und Gebaͤhrden ſind, ſo iſt glaublich, daß das Original dieſer Figuren der be - ruͤhmte Satyr des Praxiteles geweſen ſey.

Der Herr Hofrath Heyne36)am angef. Orte. aͤußert die Ver - muthung, daß die Faunen dieſer Art Copeien nach dem Gemaͤhlde des Protogenes, eines an einer Saͤule ruhenden Satyrs mit einer Floͤte in der Hand, des Anapavomenos, ſeyn koͤnne. Auf unſern Satyr paßt ferner jenes andere Zeugniß Winkelmanns, daß ſich unter den jungen Faunen ſo ſchoͤne finden, daß ſie mit dem Bacchus verwechſelt werden koͤnnen.

Juno aus dem Pallaſt Ceſi.
130

Juno, ehemals im Pallaſt Ceſi. Die eine Bruſt, beide Arme und der eine Fuß ſind modern. Sie wird fuͤr eine der ſchoͤnſten Statuen in dieſer Sammlung gehalten. Die ganze Figur praͤgt Ehr - furcht ein, ohne etwas zuruͤckſtoßendes zu haben. Es iſt die Schoͤnheit des reiferen Alters. Das Gewand iſt vorzuͤglich ſchoͤn, doch ſcheint es ein wenig zu ge - kuͤnſtelt.

Eine weibliche bekleidete Figur, die in den Haͤnden, um die ſie den Mantel gewickelt hat, ein Gefaͤß traͤgt. Man nennt ſie des Schleiers wegen, Veſtalin, und gibt ihr ſogar, ohne allen Grund,den231Das Capitol. den beſtimmten Nahmen Tuſcia. 37)Winkelmann glaubt, es ſey Pſyche mit dem Gefaͤße voll Waſſers aus dem unterirrdiſchen Fluſſe Cocytus. S. Annotazioni ſopra le Statue di Roma. p. 41. Der Gedanke iſt reitzend, und das Gewand ſehr ſchoͤn. Der Kopf der ſehr gefaͤllig iſt, ſcheint ein Portrait zu ſeyn. Die Arme ſind in Proportion mit der uͤbrigen Figur zu kurz.

Eine Amazone. Unten ſtehet die Innſchrift: ϹΩϹΙΚΛΗ. Die Mine hat etwas melancholiſches. Sie blickt auf eine Wunde, die ſie auf der Bruſt hat, und dieſe Wendung iſt reitzend. 38 a)Die deſcrizzione gibt dieſer Statue einen Koͤcher auf der linken Seite, Schild und Helm zu den Fuͤßen und eine Streitaxt am Tronk. Dieſe Attri - bute finden ſich nicht bei dieſer Statue, ſondern bei der Statue im Muſeo Clementino. Winkelmann, S. 313. behauptet: der Kopf gehoͤre nicht zu dem Rumpfe.

Ein junger Mann mit einer Hauptbinde. Einige Haare fallen in laͤnglichten reihenweiſe neben einander gelegten und unten geringelten Locken auf die Schultern. Der Kopf und Koͤrper beide ſchoͤn, ha - ben doch eine gewiſſe Haͤrte, die auf einen aͤltern Stil ſchließen laͤßt. Die Haare uͤber der Schaam ſind angegeben.

Ich halte dieſe Figur wieder fuͤr einen Ringer. Sie iſt als Apollo reſtaurirt, und wird gemeiniglich: Ptolomaͤus genannt.

Venus in der Stellung der Mediceiſchen, aber ſehr viel groͤßer. Der Torſo iſt ſchoͤn. KopfP 4und232Das Capitol. und Arme koͤnnen modern ſeyn. Sie ſtand ehemals in der Villa Eſte.

Eine coloſſaliſche weibliche Statue mit ei - nem ſchoͤnen Gewande. Man nennt ſie Clemen - tia. In dem Muſeo Capit. wird ſie Juno genannt. Die Arme ſind modern.

Harpocrates. Unter der Figur eines zwoͤlf - jaͤhrigen Knabens. Auf dem Kopfe traͤgt er eine Lo - tusblume, und ſeine Haare haͤngen lang herab. Er iſt ein wenig zu feiſt, zu wohl genaͤhrt: Die Mus - keln ſind zu ungewiß angegeben. Die Behandlung des Marmors iſt vortrefflich. Die Figur hat ſich beinahe un - beſchaͤdigt auf uns erhalten. Auch hier iſt die gaͤnzliche Umſchaffung einer urſpruͤnglich religioͤſen Idee der Ae - gyptier nach griechiſchen Schoͤnheitsbegriffen auffallend.

Bedeutung des Harpo - crates, fruͤ - here und ſpaͤ - tere Bildung deſſelben.
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Harpocrates war das Sinnbild der Sonne, die ſich nach dem kuͤrzeſten Tage dem Aequinoctio naͤhert: Orus aber Sinnbild der Sonne, die ſich nach dem laͤngſten Tage dem Aequinoctio naͤhert. Urſpruͤnglich ſaß er mit krummen Beinen den Finger am Munde auf einer Lotusblume. Er hatte einen kahlen Kopf, eine Locke auf der rechten Seite und krumme Beine. Die Griechen verfeinerten die Vorſtellung, und leg - ten ihr die fremde Bedeutung des Stillſchweigens bei.

Zimmer der Philoſophen.

Man ſieht hier einige ſehr ſchoͤne Basreliefs, die aus einem Tempel des Neptuns genommen ſind, und allerhand Opfergeraͤthe vorſtellen, imgleichen Schiffsſchnabel, Anker und dergleichen. Sie ſind gut gearbeitet.

An233Das Capitol.

An Statuen finden ſich in dieſem Zimmer:

Ein Sohn und eine Tochter der Niobe. Ueber die Statuen die man fuͤr Ue - berbleibſel ehemaliger Gruppen der Familie der Niobe haͤlt.So nennt man in Rom diejenigen nackten Statuen, die ihrer Stellung nach zu jener Fabel paſſen, und in dem Stile, der etwas hart und trocken iſt, den Figu - ren der Gruppe in Florenz nahe kommen. Daß das ungluͤckliche Schickſal der Kinder der Niobe ein oft wiederholter Gegenſtand der alten Kunſt geweſen ſey, leidet keinen Zweifel. Darum moͤchte ich aber die Gewaͤhr nicht uͤbernehmen, daß alle die Figuren, die man fuͤr zerſtreute Ueberbleibſel ſolcher Vorſtellungen ausgibt, es wuͤrklich ſind. Die maͤnnlichen wer - den gewiß oft mit Ringern verwechſelt, und die weiblichen haben ſchon oft fuͤr Pſyche u. ſ. w. gelten muͤſſen.

Sonderbar ſind hier die angedeuteten Haare uͤber der Schaam des Juͤnglings.

Eine ſtehende bekleidete Figur eines al -Zeno. ten Mannes, wahrſcheinlich eines Philoſophen, be - kannt unter dem Namen Zeno. Eine Statue voller Wahrheit. Die Zeichnung iſt ſehr richtig, und das Gewand vortrefflich. Als Vorſtellung des ernſten, nicht uͤber die gemeine Natur erhabenen, Alters, kann man dieſes Werk claſſiſch nennen. Der Nahme iſt ihm ohne Grund beigelegt.

Buͤſten.

Unter der großen Menge von denen, die hier ſtehen, und die groͤßeſtentheils Dichter, Philoſophen und griechiſche Helden abzubilden ſcheinen, bemerkeP 5ich:234Das Capitol. ich: Epicur und Metrodor, eine Herme mit zwei Koͤpfen, Diogenes, Mithridates, und den letz - ten unter den vier Koͤpfen Homers, als die vor - zuͤglichſten.

Wie Buͤſten, als Bildniſſe beſtimmter Perſonen, in - tereſſiren koͤnnen, wenn wir gleich von den wenig - ſten den Nah - men mit Ge - wißheit an - zugeben im Stande ſind: Gruͤnde die - ſer Ungewiß - heit.
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Inzwiſchen verdienen die meiſten eine beſondere Aufmerkſamkeit. Ich kenne nichts Intereſſanteres, als in Geſichtsbildungen aus ſo entfernten und das Ge - fuͤhl der inneren Wuͤrde des Menſchen ſo hebenden Zei - ten, Seelen aufzuſpuͤhren, die wir nach unſerer durch Erfahrung unterſtuͤtzten Einbildungskraft paſſend fuͤr ſie halten.

Das Vergnuͤgen wuͤrde unſtreitig um ein großes lebhafter ſeyn, wenn wir mit einiger Gewißheit den Charakter, den jede Figur in ihrem Leben behauptet, die Rolle, die jede in der Geſchichte geſpielet hat, an - zugeben wuͤßten. Allein darauf muͤſſen wir gemeini - glich Verzicht thun, und uns den Genuß genuͤgen laſ - ſen, den der Anblick einer edeln aber unbekannten Ge - ſichtsbildung denen gewaͤhrt, die Sinn fuͤr das aͤußere Gepraͤge der Seelengroͤße haben.

Wir folgen bei der Bezeichnung einer Buͤſte mit einem gewiſſen Nahmen immer nur ſehr unſichernSelbſt die von Alters her eingegra - benen Nah - men entſchei - den nichts fuͤr die Treue der Nachbil - dung. Wegweiſern. Die Nahmen, die ſich auf der Baſe der Buͤſten eingegraben finden, ſind ſelten alt, und wenn ſie es ſind, ſo gehoͤren oft Kopf und Baſe nicht zuſammen. Ja! ſchon in alten Zeiten waren die Bildniſſe großer Maͤnner oft verlohren gegangen, und die Begierde, ihr Andenken lebhaft zu erhalten, ver - fuͤhrte zuweilen die Liebhaber großen Nahmen eine Bil - dung andichten zu laſſen, mit der man ſich ungefaͤhr ihren bekannten Charakter zuſammen denken konnte.

Eine235Das Capitol.

Eine andere Erklaͤrungsart nimmt man von den Bildniſſen auf Muͤnzen, die mit den Buͤſten, die man erklaͤren will, einige Aehnlichkeit haben. Allein, wie verſchieden iſt das Gefuͤhl fuͤr Aehnlichkeit bei der verſchiedenen Art zu ſehen der meiſten Menſchen. Die kleine Form der Bildniſſe auf Muͤnzen, ihre zum Theil unbeſtimmte Zeichnung macht die Wiedererken - nung ſehr unzuverlaͤßig. Sie ſind ſelbſt unter einan - der in der Bildung einer und eben der Perſon verſchie - den. Oft bringt das Alter allein dieſe Verſchiedenheit hervor. Oft die Erhoͤhung der gemeinen Natur zum Ideal. Selbſt die Uebereinſtimmung in der Klei - dung, in dem Kopfputze mehrerer Perſonen deſſelben Zeitalters muß zu Verwechſelungen und folglich auch zu Irrungen verfuͤhren. Zu geſchweigen, daß ſich von beruͤhmten Maͤnnern nur wenige ungekroͤnte auf Muͤnzen finden.

Bei Erklaͤrungen, die man von geſchnittenen Steinen hernimmt, wird die Schwierigkeit der richti - gen Beſtimmung noch durch die Beſorgniß vor Be - trug in dem Urbilde, das man zum Grunde legt, vermehrt.

Das Zimmer der Kaiſer.

Unter den Basreliefs ſind zwei mit Figuren wenig unter Lebensgroͤße merkwuͤrdig.

Das eine ſtellet Perſeus und Andromeda vor. Perſeus hilft der befreieten Andromeda von dem Fel - ſen herabſteigen. Das Ungeheuer liegt todt zu ſeinenFuͤßen.236Das Capitol. Fuͤßen. Dieſes Basrelief hat unſerm Mengs zum Suͤjet eines Gemaͤhldes gedienet. 38 b)Perſeus und Andromeda: Gemaͤhlde von Mengs.Mengs ging inzwiſchen, wie man mir ſagt, denn geſehen habe ich das Bild nicht, von dem Basrelief, ſelbſt in Ruͤckſicht des Gedankens ab. Er ließ den Perſeus der Andromeda zwar die Hand reichen, das Geſicht, und den Blick aber von der Schoͤnen abwenden. Eine Heldenſeele wie Perſeus, angefuͤllt mit griechiſchen Ideen von Anſtand, wird es nicht gewagt haben, ſeinen Blick auf Andromeda zu werfen; er wird ihr die Verwirrung haben er - ſpahren wollen, ſich nackt vor ihrem Beſchuͤtzer ſehen zu laſſen; er wird ſie auch auf die entfernteſte Art nicht an die Rechte haben erinnern wollen, welche die empfangene Wohlthat ihm uͤber die errettete Schoͤne gab. So dachte Mengs. Aber dachte er recht? Ich zweifle. Wenn auch keine Kaͤlte auf dem Bilde geherrſcht hat, wie doch alle verſichern die es geſe - hen haben, wenn es auch wuͤrklich wahr iſt, daß die Griechen ſo gotiſch edel gehandelt haben; durfte der Kuͤnſtler durch den Ausdruck einer ſittlichen Schoͤn - heit, die in den ſtummen Kuͤnſten zur Unempfind - lichkeit wird, ſeinen Zeitgenoſſen, welche die Wahr - heit des Affects in der dargeſtellten Perſon nach dem - jenigen beurtheilen, der ſie ſelbſt bei einem aͤhnlichen Vorfall in Bewegung geſetzt haben wuͤrde, die ſich ſchlechterdings in dem Acteur wieder finden wollen; durfte Mengs, frage ich, dieſen unverſtaͤndlich wer - den? Laͤßt ſich denn der Eindruck den die Schoͤn - heit auf uns macht, an dem der ſie empfindet, nicht anders ausdruͤcken, als durch thieriſche Begierde, oder durch prahlenden Uebermuth?

Der237Das Capitol.

Der ſchlafende Endymion. Sein treuer Hund ſcheint gegen die ſich naͤhernde Luna anzubellen, und ſeinen Herrn vertheidigen zu wollen. Dieſe Fi - gur hat viel Ausdruck, und die Stellung iſt ſchoͤn. Schade, daß der Kopf mit dem Rumpfe nicht recht zuſammenhaͤngt.

Eine wilde Schweins-Jagd von guter An - ordnung und gutem Ausdruck. Alles hat Leben.

Statuen.

Eine drappirte Muſe, dem Kopfe und denCapitolini - ſche Flora. Haͤnden nach als Flora reſtaurirt. Denn man be - hauptet, daß dieſe beiden Theile entweder ganz mo - dern oder doch angeſetzet ſind. Andere wollen hinge - gen, nur die linke Hand ſey modern. 38 c)So Winkelmann, welcher behauptet, die Hand mit dem Blumenſtrauß ſey modern. Den Kopf mit dem Blumenkranze ſcheint er fuͤr antik, aber nicht von idealiſcher Schoͤnheit, ſondern fuͤr ein Portrait einer ſchoͤnen Perſon zu halten. G. d. K. Wiener Edit. S. 309. Fea in der italieniſchen Ueberſetzung, T. I. p. 323. haͤlt ſie mit dem Abbate Viſconti fuͤr eine Polymnia. Warum?So viel iſt gewiß, die rechte Hand iſt ſchoͤn. Das Gewand iſt im kleinlichen Geſchmacke gedacht, aber in der Ausfuͤhrung ein Beiſpiel von Gedult.

Ein junger Hercules von gruͤnem Baſalt. Die linke Hand, in der er die Aepfel haͤlt, und der rechte Arm ſind modern. In Anſehung der Schoͤn - heit von geringem Werthe.

Ve -238Das Capitol.
Capitolini - ſche Venus.
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Venus in der Stellung der Mediceiſchen, das iſt, eines entkleideten Weibes, die ſich uͤberraſcht ſieht, und im Gefuͤhl der Schaamhaftigkeit, ohne welches der Liebreitz ſich nicht denken laͤßt, die Bruſt und die Natur bedeckt. Neben ihr eine Vaſe, auf die ihr Gewand gefallen iſt, und daher deutlich zeigt, daß ſie aus dem Bade koͤmmt, oder im Begriff iſt, ins Bad zu ſteigen. 39 a)Der Herr Hofrath Heyne Sammlung Antiquari - ſcher Aufſaͤtze II. Stuͤck S. 118 und 145 glaubt an - nehmen zu duͤrfen, daß alle Vorſtellungen der Ve - nus auf dieſe der unſrigen aͤhnliche Art, die Venus aus dem Bade kommend bezeichnen. Er verwirft die Erklaͤrung der Mediceiſchen Venus zu Florenz, als einer ſolchen, die aus der See hervorkoͤmmt, ganz, weil ſie ein ſo ſchoͤn geflochtenes Haar hat. Ich geſtehe es gern, daß dieſer Grund mir jene Idee des Emporſteigens aus dem Meere nicht ganz benehmen koͤnne. Der Herr Hofrath Heyne wird ſchwerlich eine Statue von Werthe anzeigen koͤnnen, an der das triefende Haar einer Venus Anadyo - mene, das doch auf Muͤnzen, geſchnittenen Stei - nen und Basreliefs vorkoͤmmt, ausgedruͤckt waͤre. Die Urſache liegt offenbar darin, weil ein ſolches Haar in Strippen herabfallend in ganz runden Bildhauerwerken einen Uebelſtand machen wuͤrde. Sollte der Kuͤnſtler dieſem Uebelſtande nicht einen Fehler wider das Coſtume aufgeopfert haben? Vor - zuͤglich hier, wo er ein Portrait bildete? Vielleicht duͤrfte man auch dann, wann man ins Bad geht, die Haare nicht ſo kuͤnſtlich flechten. Wozu der Delphin? Der Herr Hofrath Heyne ſagt: es iſteinEs iſt nichts daran neu, alszwei239Das Capitol. zwei Finger der linken Hand, und vier Finger der rechten. 39 b)Fea in der neuſten Ueberſetzung der Winkelman - niſchen G. d. K. L. V. c. II. T. I. p. 315. Note A. behauptet, die Naſe ſey angeſetzt, und zwar ſchlecht, ſo daß ihr dies viel von ihrer urſpruͤnglichen Schoͤn - heit nehme.

Die Groͤße dieſer Figur ſchadet ihrer Schoͤnheit, und der Kopf, der zu wenig weiblichen Reitz hat, ſcheint ein nicht einſt idealiſirtes Portrait zu ſeyn. Dem ohngeachtet verdient dieſe Figur in denjenigen Theilen, die an der Mediceiſchen theils ergaͤnzt, theils uͤbel angeſetzt ſind, z. E. Arme und Schenkel, den Vorzug vor ihrer Nebenbuhlerin. Der Marmor der unſrigen iſt bei weitem nicht ſo ſchoͤn, als an jener.

Buͤſten.

Im Ganzen kann man ſich auf die Nahmen, die ſie fuͤhren, mehr als auf diejenigen der Buͤſten in dem vorigen Zimmer verlaſſen. Allein hin und wieder iſt auch hier große Ungewißheit. Z. E. Eine der Lucil - len iſt wahrſcheinlicher eine Sabina; Einer der Ha - drianen ein Commodus; und die Buͤſte des Nerva,was39 a)ein allgemeines Attribut der Venus. Recht wohl! aber woher iſt es anders entlehnt, als von ihrer Herkunft aus dem Meere? Und dann! konnte der Kuͤnſtler nicht eben ſo gut, als andere vor, oder nach ihm an aͤhnlichen Statuen gethan haben, eine Vaſe neben ihr ſtellen, die ihr ſtatt Tronks diente? Worin liegt der Grund der Abweichung?240Das Capitol. was auch immer Winkelmann40)G. d. K. S. 825. davon ſagen mag, ein neueres Werk des Algardi.

Die vorzuͤglichſte Aufmerkſamkeit verdienen:

  • Ein junger Marc Aurel.
  • Die juͤngere Fauſtina.
  • Commodus.
  • Caligula aus Baſalt.
  • Meſſalina.
  • Nero, Druſus und Germanicus.
    41)Winkelm. G. der K. S. 787. erwaͤhnt eines Kopfs des M. Agrippa. Er ſey ſchoͤn, ſagt er, und gebe das deutlichſte Bild des groͤßten Mannes ſeiner Zeit. Ich erinnere mich nicht, ihn hier bemerkt zu haben.
    41)

Die Gallerie.

Unter den Statuen, Buͤſten und Basreliefs ſind wenige außerordentlich. Ich will einige davon be - merken.

Eine Muſe, die einen jungen Nero auf dem Schooße haͤlt. Eine wuͤrdige Erzieherin eines jungen Prinzen! *)Vielleicht ſtellt aber auch die Figur eine Venus Ge - nitrix vor, in dem Verſtande, da ſie zu Ehren der Kaiſerinnen, als Kindbetterinnen mit ihren neu - gebohrnen Kindern auf dem Schooße vorgeſtellt wird. Man vergleiche Hrn. Hofraths Heyne An - tiquar. Aufſaͤtze. l. Stuͤck. nr. 2. S. 160.

Eine241Das Capitol.

Eine Marciana, wie andere wollen, eine Ju - lia, Tochter des Titus, oder vielmehr richtiger eine Venus, der man einen fremden Kopf aufgeſe - tzet hat.

Eine ſchoͤne Buͤſte einer Muſe mit durch - bohrten Ohren zu Ohrgehaͤngen.

Ein Jupiter und ein Aeſculap, beide aus ſchwarzem Marmor.

Noch eine Muſe mit durchbohrten Ohren.

Eine Diana Lucifera. Sie traͤgt in der rech -Diana Luci - fera. ten Hand eine Fackel, und mit der linken ein Gewand, das uͤber dem Kopfe zirkelfoͤrmig flattert. Der Vor - ſtellungsart wegen merkwuͤrdig, die eine individuelle Beſtimmung anzuzeigen ſcheint. Vielleicht hat das Gewand die Nacht, die Fackel das Mondenlicht an - zeigen ſollen.

Eine unbekannte weibliche Buͤſte, von ſchoͤ - nem Charakter.

Ein ſogenannter Scipio Africanus, Buͤſte.

Nereiden. Basrelief von guter Zeichnung und Arbeit.

Zimmer der Miſcellaneen.

Ein Faun aus rothem Marmor, der eine Traube in die Hoͤhe haͤlt; zu ſeinen Fuͤßen ein Korb nebſt einem Bocke. Im Muſeo Clementino iſt ein aͤhnlicher. Der Stamm des Baums, ein Arm, beide Beine, jedoch ohne Fuͤße, ſind modern, undErſter Theil. Qvon242Das Capitol. von Cavaceppi ſehr gut reſtaurirt. 42)Andere ſagen von Bracci.Er iſt vorzuͤg - lich der Marmorart wegen merkwuͤrdig.

Er ſtehet auf einem Altare mit einem Bas - relief von gutem Stile.

Ein ſchoͤner Kopf einer Bacchantin mit hohlen Augen.

Kopf Alexan - ders des Großen.
141

Ein ſehr ſchoͤner Kopf Alexanders des Großen, im Charakter des Jupiter Serapis. Der Haarwuchs iſt nicht nur der den Koͤpfen dieſes Gottes gewoͤhnliche, ſondern man ſieht noch Spuhren, wo der modius und die Radii geſeſſen haben. In der Mine viel Melancholiſches.

Tauben die aus einem Gefaͤße trin - ken: ein be - ruͤhmtes an - tikes Moſaik.
141

Ein antikes beruͤhmtes Moſaik. Tau - ben, die aus einem Gefaͤße trinken. Das Hauptverdienſt dieſes Werks beſtehet in der feinen Zu - ſammenfuͤgung der harten natuͤrlichen Steine. Denn uͤbrigens kommt es an Wahrheit der Schattirung, und an Mannichfaltigkeit in einander fließender Tin - ten, unſern modernen Moſaiken aus verglaſeter Com - poſition nicht bei.

Hecate.
141

Diana triformis oder Hecate, aus Bronze. Es ſind drei kleine Statuen, die durch den Ruͤcken zuſammenhaͤngen. Die eine mit einer Lotusblume auf dem Kopfe haͤlt zwei Fackeln in der Hand; die andere haͤlt einen Schluͤſſel und eine Schlinge, und die dritte, deren Kopf mit einer Art von Phrygiſcher Muͤtze bedeckt iſt, an welcher Strahlen befindlich ſind, ein Schwerdt und eine Art von Bohrer, den einige fuͤr eine Schlange halten. Dieſes ſonderbare Denk - mahl iſt auch in Anſehung der Kunſt nicht ohne Werth.

Ein243Das Capitol.

Ein ſehr ſchoͤnes Gefaͤß von Bronze. Mi -Schoͤnes Ge - faͤß aus Bronze. thridates ſchenkte es, der Innſchrift nach, einem Gym - naſio, welches er geſtiftet hatte. Auf dem Rande ſtehen auf Griechiſch die Worte: Halte es rein. Die Handgriffe und der Fuß ſind modern.

Ein Basrelief mit mehreren Vorſtellungen aus der Iliade, verdienet in Anſehung der Kunſt keine Aufmerkſamkeit.

Ich komme nun zu den Buͤſten, die rund im Zimmer herum ſtehen. Ich will aber nur die vor - zuͤglichſten herausheben.

Ein Kopf eines Mercurs.

Ein unbekannter Kopf, mit einer Art von Peruͤcke.

Ein Kopf, der viel vom Charakter einer der Toͤchter der Niobe hat.

Ein ſogenannter Marcus Brutus.

Ein Pompejus der Große.

Eine ſchoͤne Bacchantin.

Ein Faun.

Ein Paris mit der Phrygiſchen Muͤtze; Schoͤn, und voller Charakter.

Ein ſchoͤner Jupiter Hammon.

Am Fenſter auf dem zweiten Abſatze.

Ein unbekannter Kopf von vortrefflichem Charakter.

Eine Matidia.

Der darauf folgende unbekannte Kopf iſt vortrefflich.

Zwei ſchoͤne Koͤpfe von Amazonen. Ich habe bereits bei dem Muſeo Clementino bemerkt, daßQ 2Koͤpfe244Das Capitol. Koͤpfe dieſer Art ſich außer der Vermiſchung des maͤnnlichen Charakters mit dem weiblichen auch noch beſonders durch eine Art von Kante oder Einfaſſung um Augenlieder und Lippen unterſcheiden.

Ein ſogenannter Cecrops, der aber vielmehr ein Kopf aus der Familie Hadrians iſt.

Ein lachender Faun.

Ein Apollo, deſſen Haare auf dem Kopfe zu - ſammen gebunden ſind.

Kopf eines Ringers mit einer Hauptbinde. Wahrſcheinlich Zeichen des Siegers.

Kopf der Ariadne.
141

Zuletzt bemerke ich den herrlichen Kopf der Ariadne mit herabhaͤngenden geringelten Locken voll hoher Schoͤnheit, der oft copirt und in Gips geformt in und außer Italien zu ſehen iſt.

Zwiſchen den Buͤſten ſtehen noch ein Paar klei - ne Statuen.

Ein Kind das mit einer Taube ſcherzet, und zwei Epheſiſche Dianen, deren eine, Kopf, Haͤnde und Fuͤße von Bronze hat. Die andere, und von beiden die ſchoͤnſte, ſteht auf einem Altare, wor - auf ein Basrelief mit einem Opfer befindlich iſt.

Rechter Fluͤgel. Pallaſt de Conſerva - tori.Pallaſt de Conſervatori.

In dem Porticus.

Caͤſar und ein Auguſt, an beiden vielleicht nichts als der Torſo alt. Letzterer hat ein Steuer -ruder245Das Capitol. ruder zu ſeinen Fuͤßen, als eine Deutung auf die Schlacht bei Actium. 43)Winkelm. G. d. K. S. 784.

In dem Hofe.

Mehrere coloſſaliſche Haͤnde und Fuͤße, der Weichheit der Behandlung wegen merkwuͤrdig. 44)Winkelm. G. d. K. S. 498.

Ein antiker Loͤwe, der ein Pferd anfaͤllt. Der Loͤwe iſt voller Ausdruck, aber das ganze Hinter - theil deſſelben, Kopf und Beine des Pferdes ſind neu.

Eine ſitzende Roma, woran Kopf und Haͤnde neu ſind. Auf der Baſe ſitzt eine ſchoͤne uͤberwundene Provinz bei einer Trophaͤe. Sie iſt oft und vorzuͤg - lich auf geſchnittenen Steinen copirt. Der Ausdruck und der Gedanke ſind ſchoͤn. Kopf und Hand neu.

Zwei gefangene Koͤnige, von ſchwarzem Marmor.

Zwei Aegyptiſche Statuen.

Ein großer coloſſaliſcher Kopf von Bronze. Man legt ihn ohne Grund dem Kaiſer Commodus bei. 45)Winkelm. G. d. K. S. 541.

Vor der Begraͤbnißurne der Agrippina, desBegraͤbniß - urne der Agrippina. großen Weibes des Germanicus, wird niemand un - geruͤhrt vorbei gehen, ob ſie gleich in Anſehung der Kunſt ohne beſondern Werth iſt.

Q 3Ein246Das Capitol.

Ein coloſſaliſcher Kopf, den man fuͤr einen Domitian haͤlt, und darunter wieder eine Provinz, von der es jedoch glaublicher iſt, daß ſie nur einen jungen Mann vorſtelle, deſſen Bruͤſte ein wenig ſtark angegeben ſind.

Mehrere ſchoͤne Fragmente von Coloſſal - Statuen in Marmor und Bronze.

Beim Hinaufſteigen auf die Treppe trifft man eine Columna Roſtrata an.

Ferner, vier ſchoͤne Basreliefs mit Figuren in Lebensgroͤße. Sie ſind von dem Triumphbogen Marc Aurels genommen. Das erſte ſtellt dieſen Kaiſer vor, dem Rom die Weltkugel uͤberreicht. Im zweiten reitet er neben einer andern Figur, die man fuͤr den Antoninus Pius haͤlt. Zwei gefan - gene Koͤnige liegen zu ſeinen Fuͤßen, und mehrere Soldaten ſind um ihn. In dem dritten wird Marc Aurel in einem mit vier Pferden beſpannten Triumph - wagen gezogen, eine Victoria kroͤnt ihn. 46 a)Die ſitzende Roma zwiſchen dem Neptun und ei - ner Minerva, ſind als Basrelief auf dieſem Wagen ausgedruͤckt. Volkmann begeht einen laͤcherlichen Fehler, dieſe Figuren als den Triumphwagen be - gleitend anzufuͤhren.Auf dem vierten opfert Marc Aurel den Goͤttern. Dies letzte iſt das ſchoͤnſte. Man wird darauf einen Fla - men bemerken, deſſen Muͤtze oder Helm, wie man behauptet, zu der Form der heutigen Biſchoffsmuͤtzen die Veranlaſſung gegeben haben ſoll. Alle dieſeBasre -247Das Capitol. Basreliefs ſind gut zuſammengeſetzt, und wegen der ſchoͤnen Koͤpfe, der guten Drapperien und vorzuͤg - lich des Coſtums wegen aͤußerſt merkwuͤrdig. In - zwiſchen wird man finden, daß die Figuren hin und wieder zu kurz und in einzelnen Theilen verzeichnet ſind.

Man ſiehet hier auch ein ziemlich mittelmaͤßiges Basrelief, welches einen Curtius vorſtellen ſoll.

In dem großen Saale hat Giuſeppe d’Arpino verſchiedene roͤmiſche Geſchichten gemahlt. Man ſieht dieſen Gemaͤhlden an, daß der Meiſter Raphaeln und die Florentiner ſtudirt hat, und da, wo er ſich einer von ihnen vorgezeichneten Parthie erinnerte, hat er zu - weilen einen gluͤcklichen Zug angebracht. Aber im Ganzen ſind dieſe Gemaͤhlde recht Handwerksmaͤßig gemahlt, und der Kuͤnſtler iſt hin und wieder bis zum Tapetenanſtreicher erniedrigt. Nirgends iſt Wahrheit anzutreffen. Inzwiſchen ſind die Schlachten das Beſte darunter. Sie ſind mit einem Feuer entwor - fen, das nur durch Correktion und Studium in den wahren Schranken haͤtte gehalten werden muͤſſen. Man trifft gute Pferde darin an, die der Kuͤnſtler vorzuͤglich gern mahlte.

Man wird ſelten finden, daß die Mahler, welcheUeber die Gattung von Pferden, welche die Mahler vor - zuͤglich gern in ihren Ge - Pferde in ihren Gemaͤhlden angebracht haben, in ih - rer Wahl auf eine feine Race gefallen ſind. Gemei - niglich ſind ſie von ſtarkem Schlage, breiten Koͤpfen, zottigen Maͤhnen, behangenen Beinen, und krauſen Schweifen. Im Ganzen ſcheinen Pferde dieſer NaturQ 4mahle -248Das Capitol. maͤhlden an - bringen.mahleriſcher zu ſeyn, als jene glatten, feinen, die we - niger Abwechſelung in Formen, und Licht und Schat - ten zulaſſen. Ein anderer Grund aber liegt darin, daß zu der Zeit, als die Kuͤnſte in Italien und den Niederlanden bluͤheten, Frieſiſche Pferde, welche von ſtarkem ſchwerfaͤlligem Schlage ſind, ſowohl zu Zug - pferden, als ihrer beſondern Dauerhaftigkeit und Staͤrke wegen im Kriege ſehr geſchaͤtzt wurden.

Die Thuͤren ſind in Holz nach Zeichnungen des Fiamingo geſchnitzt, und haben viel vom Stil alter Basreliefs.

Man findet hier vier Statuen einiger Paͤbſte. Die beſte darunter iſt Urban der Achte vom Cava - liere Bernini.

Folgendes Zimmer.

Die Mahlereien, die ſehr ſchlecht ſind, ſind von Tomaſo Laureti.

Die Buͤſten und Statuen, von denen Volkmann ſowohl als die Deſcrizzione reden, ſtehen hier nicht mehr; es iſt nichts darin befindlich, als zwei Saͤu - len von Verde Antico, auf welchen zwei Koͤpfe, deren einer einen Septimius Severus vorſtellet, ſtehen, und vom Cardinal Albani hieher geſchenket ſind.

Folgendes Zimmer.

Daniel da Volterra hat in den Frieſen den Triumph des Marius vorgeſtellet. Der Stil iſtgut,249Das Capitol. gut, inzwiſchen ſind ſie manierirt, und die Zeichnung iſt nicht correkt.

Hier ſtehet jetzt die beruͤhmte WoͤlfinBeruͤhmte Woͤlfin aus Bronze. aus Bronze, welche den Romulus und Remus ſaͤu - get. Sie iſt am linken Hinterfuße beſchaͤdiget, daher man ſie fuͤr dieſelbige haͤlt, welche am Tage des Todes Caͤſars vom Blitz getroffen worden. 46 b)Dieſe Vermuthung hat wenig Wahrſcheinlichkeit fuͤr ſich. S. Fea’s Ueberſetzung der Geſch. d. Kunſt. 1783. T. l. L. III. c. III. p. 202. nota*So inte - reſſant dieſes Stuͤck in Anſehung der Geſchichte ſeyn kann, ſo wenig iſt es in Anſehung der Kunſt von Be - deutung.

Die beruͤhmte Statue des ſitzenden Kna -Spinarius. ben, den man fuͤr einen jungen Hirten haͤlt, und der ſich einen Dorn aus dem Fuße zieht. Er wird deswegen Spinarius genannt. Er iſt in dem Alter der Pubertaͤt, und in natuͤrlicher Groͤße. Seine Augen ſind ausgehoͤhlt. Der Ausdruck iſt vor - trefflich. Die Umriſſe und das Spiel der Muſkeln ſind mit einer Zartheit behandelt, von der man in Bronze wenig Beiſpiele findet. 47 a)Winkelmann G. d. K. S. 541.47 b)Richardſons Urtheil Traité de la peinture etc. p. 180. wodurch dieſem Werke eine gewiſſe Haͤrte vorgeworfen wird, die man als eine Folge der Kind - heit der Kunſt anſehen koͤnne, worin ſie verfertigt ſey, iſt ungerecht. Die Formen ſind nicht bis zum Ideal erhoben, aber auch keinesweges hart und ſteif.

Q 5Hecate250Das Capitol.

Hecate triformis aus Marmor. Beinahe eine Wiederholung der aͤhnlichen Vorſtellung in Bronze im andern Pallaſte. Doch findet ſich einige Verſchieden - heit in dem Kopfputze.

Camillus.
148

Ein ſogenannter Camillus oder Opfer - knabe von Bronze. Eine Figur mit einem auf - geſchuͤrzten Unterkleide; von angenehmer Form, und wohl behandeltem Gewande. 48)Winkelmann, G. d. K. S. 541.Sie ſteht auf einem Leuchter von gutem Stile aber mittelmaͤßiger Ausfuͤh - rung.

Ein ſchoͤner Kopf aus Bronze, welcher den Lucius Junius Brutus vorſtellen ſoll. Mit Au - gen von verglaſeter Compoſition. 49)Die Benennung mag wohl ziemlich zweifelhaft ſeyn. Winkelmann G. d. K. S. 541. ſagt: Ein Bruſtbild unter dem Nahmen Brutus. Richardſon Traité de la peinture. p. 177. beruft ſich auf die Aehnlichkeit mit einer Medaille, die Marcus auf die - ſen ſeinen Ahnherrn ſoll haben ſchlagen laſſen. Wer weiß, wie viel Aehnlichkeit ſchon jenes Bildniß mit dem wahren Urbilde gehabt haben mag?

In dem Audienzzimmer.

Eine moderne aber gute Buͤſte einer Me - duſe.

Der Kopf des Michael Angelo von Bronze.

Eine251Das Capitol.

Eine Buͤſte eines jungen Hercules aus ro - them Marmor.

Zwei Gaͤnſe, vielmehr Enten, aus vergol - deter Bronze; ſehr ſchoͤn.

Ein Iſiskopf als Vaſe mit Ohrgehaͤngen. Gleichfalls aus Bronze.

Die heilige Familie, welche man fuͤr die Ar - beit des Giulio Romano ausgibt, ſcheint nicht einſt nach dieſem Meiſter copirt zu ſeyn.

In dem Zimmer der Tapeten

werden Frieſen gezeiget, welche die Thaten des Scipio vorſtellen, von Annibale Caraccio, wie man ſagt: Wenigſtens iſt es nicht ſeine beſte Arbeit.

Unter den vier Buͤſten, die in dieſem Zimmer ſtehen, iſt der Kopf der ſogenannten Ariadne die beſte. 50)Herr Volkmann macht hier einen laͤcherlichen Feh - ler. Die italieniſche Beſchreibung ſetzt zur Erklaͤ - rung dieſes Kopfes hinzu: Ariadne, welche einſt dem Theſeus den Faden gab, (diede) und fuͤhrt ſie ausdruͤcklich als eine Buͤſte auf. Herr Volkmann der dieſes uͤberſetzt, macht eine Statue daraus: Ariadne, die dem Theſeus den Faden gibt. Ueber - haupt iſt Herr Volkmann bei dieſer ganzen Beſchrei - bung voller Unrichtigkeiten.

Zimmer des Hercules.

Hier ſieht man Mahlereien, die fuͤr die Arbeit des Pietro Perrugino ausgegeben wer - den. Sie ſind ſehr ſchlecht.

Ferner252Das Capitol.

Ferner eine gute Buͤſte Hadrians.

Hercules aus Bronze.
151

Hercules aus vergoldeter Bronze, uͤber Lebensgroͤße. Er haͤlt Aepfel in der linken, und die Keule in der rechten Hand. Mehr des Metalls als der Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig. Der eine Arm wuͤrde weniger ſteif ſcheinen, wenn man die Keule, ſo wie ſie ehemals war, (denn ſie ſcheint wenigſtens angeſetzt) auf einem Piedeſtal haͤtte ruhen laſſen. 51)Der Kopf, ſagt Winkelmann, S. 745. der G. d. K. iſt verhaͤltnißmaͤßig kleiner als am Farneſi - ſchen Hercules.

Drei ſitzende Statuen, die man, das Still - ſchweigen, Cybele, und Ceres nennet, ſind ſehr mit - telmaͤßig und ſehr reſtaurirt.

Eben dieſes gilt auch von den beiden Conſular - Statuen.

Wir gehen nun endlich zu demjenigen Theile des Capitols uͤber, in dem

Gemaͤhlde-ſammlung.
152

Die Gemaͤhldeſammlung

befindlich iſt.

Dieſe Sammlung von Staffeleigemaͤhlden ge - hoͤrt im Ganzen nicht unter die vorzuͤglichſten von Rom, und wenn man erwaͤgt, daß ſie die einzige oͤffentliche daſelbſt iſt, ſo muß man ſie gar unbetraͤchtlich nennen.

Inzwiſchen hat dieſe Sammlung doch den Vor - zug, einige der beſten Gemaͤhlde des Giorgione, Tin - toretto, und Paolo Veroneſe zu enthalten, die wir von dieſen Venetianiſchen Meiſtern in Rom haben. Sieſind253Das Capitol. ſind freilich weder außerordentlich in Vergleichung mit andern außerhalb Roms, noch hinreichend, den Geiſt, den Charakter ihrer Urheber kennen zu lernen. Aber ſie geben mir die Veranlaſſung, meinen Leſern dasje - nige mitzutheilen, was ich uͤber die Vorzuͤge und die Fehler der genannten Meiſter an andern Orten bemer - ket habe. Die Abſicht dieſes Werks umgreift aller - dings auch die Vorbereitung des Liebhabers auf die Kenntniß des Vorzuͤglichen in der Kunſt in dem uͤbri - gen Italien.

Giorgio Barbarelli da Caſtel Franco,Giorgione. gemeiniglich Giorgione genannt, lebte von 1478 bis 1512. Seine aͤchten Werke und vorzuͤglich groͤße - ren Compoſitionen ſind ſelten. Das Wenige, was ich davon geſehen habe, ſcheint nicht viel Talent dafuͤr zu verrathen.

Sie haben weder das Verdienſt einer guten An - ordnung, noch eines wahren Ausdrucks. Giorgione zeichnete ſchwerfaͤllige Figuren, und noch dazu un - richtig. Aber er war der erſte, der in Venedig einen wohlgenaͤhrten Pinſel mit Freiheit fuͤhren lehrte. Er nahm den Umriſſen der Figuren die Haͤrte, die ſie bis dahin gehabt hatten, er ruͤndete ſie, hielt Licht und Schatten in groͤßern Maſſen zuſammen, und brachte vorher unbekannte Drucker, Blicke, Halbtin - ten an: Kurz! den Dienſt, den Michael Angelo der Zeichnung leiſtete, den leiſtete Giorgione dem Co - lorit: er fuͤhrte einen groͤßeren Stil ein. Man legt ihm auch die Erfindung des Contrapoſto und der Re - pouſſoirs bei, allein ſie gehoͤrt eher dem Correggio.

Inzwi -254Das Capitol.

Inzwiſchen iſt der Stil des Giorgione doch nur Manier, Schein von Wahrheit, nicht die Wahrheit ſelbſt. Seine Faͤrbung faͤllt im Lichte zu ſehr in brennende Roͤthe, und im Dunkeln zu ſehr ins Schwarze.

Man wird in ſeinen Gemaͤhlden oft Federbuͤſche und Panzer finden. Es iſt zuweilen gut, ſich der - gleichen Wiedererkennungszeichen zu merken.

Tintoretto.
152

Giacomo Robuſti, il Tintoretto, genannt, lebte von 1512 bis 1592 und war ein gebohrner Venetianer.

Er lernte die Kunſt unter Tizian: Aber bald verfiel er darauf, die Vorzuͤge mehrerer Meiſter mit einander vereinigen zu wollen. Er war einer der er - ſten Eclectiker in der Mahlerei. Er folgte dem Cor - reggio in der Zuſammenſetzung und im Helldunkeln, dem Michael Angelo in der Zeichnung, dem Tizian, und vielleicht noch mehr dem Giorgione, im Colorit. Was folgte daraus? Daß er den Schein ihrer Vor - zuͤge: Das Auffallende ihrer Werke in die ſeinigen uͤbertrug, und im Ganzen mittelmaͤßig blieb.

Tintoretto hatte einen großen Reichthum an Ideen, und einen großen Mangel an Gefuͤhl, und Bildern. Er verſtand vortrefflich die Zuͤge, durch die ſich jede Sache unſerer Erinnerung einpraͤgt, aus - zuwaͤhlen, und ſie nach den Begriffen, welche die groͤßten Mahler unter ſeinen Vorgaͤngern daruͤber ge - habt hatten, zu reproduciren. Durch haͤufiges Stu - dium hatte er ſich ein Alphabet von Formen, von co - lorirten Parthien, und erleuchteten Maſſen gebildet, mit dem er ſeine Gedanken ſehr deutlich aufſchrieb. Wir255Das Capitol. Wir verſtehen ſie, ohne uͤberzeugt zu werden. Sein ungebaͤndigter Witz wirft die Figuren zuſammen, die den Platz, nicht aber die Vorſtellung ausfuͤllen, die wir uns von der Begebenheit machen, an der ſie Theil nehmen. Seine Formen ſind ohne Wahl: Seine Koͤpfe haben Leben, Charakter, aber ſelten paſſenden Ausdruck, und ſeine Stellungen ſind uͤbertrieben. Seine Zeichnung iſt oft incorrekt, nie aber beſtimmt oder fein: Der Faltenſchlag im kleinlichen Stile, ohne Zuſammenhang, ohne Deutlichkeit. Sein Co - lorit hat einen Schein von Wahrheit, faͤllt aber ge - meiniglich ins Gelbe und ins Schwarze; oft iſt es ſchmutzig. Sein Helldunkles iſt conventionell, aber es thut Effect. Er liebte die Verkuͤrzungen, wie man ſie bei einem hoch angenommenen Horizont an - trifft. Er ſtellt den Zuſchauer zu nahe an ſeine Fi - guren; auf dem Vorgrunde gleichen ſie Rieſen, auf dem Hintergrunde Zwergen, und hier findet man gemeiniglich die intereſſanteſten. Fertigkeit in Be - handlung des Pinſels iſt das Hauptverdienſt dieſes Meiſters.

Mit einem Worte: Tintoret war ein ſehr erfin - driſcher Handwerker, deſſen broßirte Skizzen von weitem frappiren: Man naͤhert ſich und der Zauber verſchwindet. Inzwiſchen iſt er ſich ſelbſt ſehr un - gleich in ſeinen Werken, von denen die groͤßeren bei weitem die beſſern ſind.

Paolo Caliari, von ſeiner Vaterſtadt VeroneſePaolo Vero - neſe. genannt, lebte von 1532 bis 1588. Er iſt in der Kunſt das, was die Sophiſten in der Philoſophie wa - ren. Er hatte die Lieblingsſchwaͤchen des groͤßern Hau -fens256Das Capitol. fens ſtudirt: Er wußte, daß wer dieſen ſchmeichelt, fuͤr beleidigte Wahrheit leicht Nachſicht erhaͤlt. Er ſuchte die Phantaſie des Poͤbels unter den Zuſchauern zu entflammen, er ſuchte zu verblenden, und es iſt ihm nur zu oft, und zu lange gegluͤckt.

Nichts zieht Menſchen von ungebildetem Gefuͤhle ſo ſehr an, als Pracht und Reichthum. Dies war Hauptzweck der Zuſammenſetzungen unſers Meiſters. Die Gelegenheit, Pomp und Aufzuͤge anzubringen, leiteten ihn in der Wahl ſeiner Gegenſtaͤnde. Gemei - niglich ſtellte er Gaſtmaͤhler vor, wo reich bekleidete Fi - guren in großer Menge an wohlbeſetzten Tafeln in Saͤlen von ſchimmernder Architektur ſitzen. Sie ziehen durch dieſelbe Empfindung an, die den Poͤbel zu den oͤffent - lichen Tafeln der Großen ruft. Selbſt dann, wann ihm irgend eine intereſſante Begebenheit zur Behand - lung in die Haͤnde fiel, ſo ſcheint Spectakel, Pomp, ſtets ſein Hauptaugenmerk geweſen zu ſeyn.

Die poetiſche Erfindung iſt ſelten gluͤcklich in ſeinen Gemaͤhlden. Ein gemeinſchaftlicher Antheil an einer Handlung vereinigt nie die Figuren, mit denen er ſie ausſtaffirte. Selten ſtellte er ſie dahin, wo ſie des mehreren oder minderen Intereſſe wegen, welches der denkende Zuſchauer an ihnen nehmen kann, ſtehen ſoll - ten. Die mahleriſche Anordnung in ſo fern ſie ſich damit beſchaͤfftigt, die Gruppen eines Bildes zu einem Ganzen aneinander zu haͤngen, durch Abwechſelung der Groͤßen einzelner Figuren und der Lage ihrer Glied - maaßen angenehme Formen einzelner Parthien zu bil - der, verſtand er deſto beſſer.

In257Das Capitol.

In dieſem Theile der Mahlerei kann Paolo Ve - roneſe zum Muſter dienen. Er war darin Schuͤler des Correggio, und ward Meiſter der Carracci.

Den Ausdruck ſuchte er in der Stellung. Denn dadurch wird er dem unaufmerkſamen Zuſchauer am auffallendſten. Was wahr iſt, darum bekuͤmmerte er ſich nicht, was wahr ſcheint, was Wuͤrkung thut, war der Gegenſtand ſeiner Sorge. Ein gefaͤhrlicher Betruͤger!

Seine Koͤpfe haben Charakter: Aber es iſt der Charakter eines fuͤr ſich beſtehenden Bildniſſes: Nicht der, den die Handlung erfordert. Darin unter - ſchied ſich ſeine Verfahrungsart von der eines Ra - phaels. Beide brachten oft Bildniſſe in ihren Ge - maͤhlden an, aber der eine modificirte ihre Zuͤge nach den Verhaͤltniſſen, in die er ſie ſetzte, der andere be - gnuͤgte ſich gemeiniglich ſie ſo hinzuſtellen, wie er ſie ſahe.

Dieſes Mittel gibt inzwiſchen ſeinen Figuren einen Charakter individueller Wahrheit: So viel Koͤpfe, ſo viel Portraits. Idealiſirte Formen duͤrfen wir nicht ſuchen, aber der ungebildete Zuſchauer will dieſe auch nicht finden. Natur! Natur! ruft er: die iſt mir lieber, als eure colorirten Statuen. Er hat Recht, wenn die Darſtellung der Antike ohne Aus - druck, wenn das Ideal blos Copei bleibt: Allein auch die Natur ohne den Ausdruck, den die Handlung erfordert, verliert den Vorzug der Wahrheit: und Copei fuͤr Copei, iſt die eine dem aufmerkſamen Beob - achter ſo viel werth als die andere. Aber freilich, das ſind die wenigſten, und dies ſichert bei dem großen Haufen der erſteren den Vorzug vor der letzten.

Erſter Theil. RDie258Das Capitol.

Die Zeichnung des Paolo Veroneſe iſt ohne Be - ſtimmtheit, und oft incorrekt. Allein auch hier ſind wieder die Fehler fuͤr ein ungeuͤbtes Auge nicht ſo auf - fallend, den Eindruck des Ganzen zu zerſtoͤhren.

Er liebte Koͤpfe in einer niedergebuͤckten Stellung zu mahlen, und uͤberhaupt Verkuͤrzungen, wie man ſie von einem hohen Standorte ab an Figuren auf ei - nem niedrigem Horizonte erblickt. Sie ſetzen am meiſten in Verwunderung, und ungeuͤbte Zeichner koͤnnen hier der Richtigkeit der Formen und der Ver - haͤltniſſe am wenigſten nachſpuͤhren. Allenthalben Blendwerk!

Seine Gewaͤnder ſind ſchlecht geworfen: Sie entziehen dem Auge beinahe immer die Umriſſe des Nackten: Dabei ſchlagen ſie ſich in kleinliche Falten. Aber er mahlte ſchoͤne reiche Stoffe: Auch das verblendet.

Sein Colorit iſt mehr glaͤnzend als wahr. Es faͤllt zu ſehr ins Rothe in den Lichtern, und zu ſehr ins Violette in den Schatten. Seine Halbſchatten aber zeichnen ſich durch ſchoͤne perlgraue und durchſich - tige Tinten aus.

Das Helldunkle iſt conventionell, aber oft thut es Wuͤrkung. Zuweilen zerſtoͤhren die gar zu glaͤnzen - den Farben die Harmonie.

Das Coſtume iſt auf das groͤbſte in allen ſeinen Gemaͤhlden beleidigt. Gemeiniglich trifft man Hunde darauf an. Ich fuͤhre beides an, mehr als Wieder - erkennungszeichen, als in der Abſicht ihm einen Vor - wurf daruͤber zu machen.

Ein259Das Capitol.

Ein Hauptvorzug unſers Meiſters iſt die vortreff - liche Behandlung des Pinſels. Er arbeitete aͤußerſt geſchwind, und mit großer Zuverlaͤßigkeit. Wahr - ſcheinlich legte er ſeine Gemaͤhlde, und vorzuͤglich die Gewaͤnder mit gewiſſen breiten Maſſen von Mittel - farben an, auf die er hernach mit der feſten Hand eines Schreibmeiſters die Pinſelzuͤge, die dem Bilde Leben und Ruͤndung geben ſollten, aufſetzte. Durch dieſe einfache Verfahrungsart erhielten ſeine Farben das friſche reinliche Anſehen, das ſelten mit oft wie - derholter Bearbeitung geht.

Erſtes Zimmer.

Venus fuͤhrt den Bacchus zur verlaßnenBeurthei - lung der Ge - maͤhlde. Ariadne. Ein Gemaͤhlde des Guido. Dies Bild iſt ſo ſchwach von Farbe, daß es nur angelegt zu ſeyn ſcheint. Um ſo mehr fallen die Fehler der Zuſammen - ſetzung auf. Viele Figuren koͤnnen nach ihrer Be - ſtimmung keinen Antheil an der Handlung haben, und die ihn haben koͤnnten, druͤcken ihn nicht aus. Es gibt aber einige ſehr ſchoͤne Frauenskoͤpfe auf dieſem Bilde, die uns mit dem Uebrigen ausſoͤhnen.

Die Perſiſche Sybille, vom Guercino. Die Perſiſche Sybille.Es iſt ein huͤbſches kleines Geſicht voller Phyſiogno - mie, das wahrſcheinlich nach der Natur gemahlt iſt. Das Gefaͤllige der Mine, und das gute Colorit hat dieſes Bild vorzuͤglich Liebhabern ſehr angenehm ge - macht, ſo daß es mit zu den beruͤhmten Bildern ge - hoͤret, deren Copien in und außer Italien ſo aͤußerſt haͤufig ſind. Ich bitte diejenigen, welche die Kaͤlte beleidigen koͤnnte, mit der ich von dieſem KopfeR 2ſpreche,260Das Capitol. ſpreche, um Verzeihung: aber eine einzelne Figur auf einem Bilde, und nun gar ein Bruſtſtuͤck, kann nur durch Hoheit des Ausdrucks, oder idealiſche Schoͤnheit meinen Enthuſiasmus rege machen. Man vergleiche mit dieſer Sybille eine Magdalena von Guido, oder eine der vorzuͤglichen antiken Buͤſten, und ich ſtehe gewiß gerechtfertigt.

Die heilige Helena, von Paolo Veroneſe. Es iſt das beſte Gemaͤhlde, was man von dieſem Meiſter in Rom kennt. Der Schein von Wahrheit, der in dieſem Bilde herrſcht, die ſchoͤnen Stoffe und die meiſterhafte Behandlung geben ihm vorzuͤglich bei Kuͤnſtlern einen großen Werth.

Der heilige Hieronymus, aus der erſten Manier des Guido.

Eine heilige Magdalena vom Albano, halbe Figur, Lebensgroͤße.

Eine heilige Familie vom Garofalo.

Verloͤbniß der heiligen Catharina, von dem - ſelben.

Ein ſchoͤnes Bruſtbild eines Mannes der mit ſeinem Hunde ſpielt, von Ludovico Carraccio.

Eine heilige Magdalena, halbe Figur, vom Tintoretto. Adel des Ausdrucks muß man hier nicht ſuchen, aber es iſt unbegreiflich, wie der Kuͤnſtler mit ſo wenigen Pinſelſtrichen den niedrigen, den es hat, andeuten, und ſo viel Leben in das Ganze habe legen koͤnnen.

Eine heilige Caͤcilia von Romanelli.
152

Eine heilige Caͤcilia von Romanelli. Man ſieht nicht gleich das ganze Verdienſt dieſesKopfes261Das Capitol. Kopfes ein. Aber man wird es voll Seele und Aus - druck finden, wenn man es laͤnger betrachtet, und dieſer Vorzug hat um ſo mehr Anrecht auf unſere Be - wunderung, da er ſelten in andern Gemaͤhlden dieſes Meiſters angetroffen wird. Das Gewand iſt ſchlecht.

Taufe Chriſti, vom Tizian.

Ein kleines Gemaͤhlde, vom Auguſtino Carraccio. Es ſtellt die Communion des heiligen Hieronymus vor, und iſt deswegen merkwuͤrdig, weil man behauptet, Domenichino habe die Idee zu ſeinem Gemaͤhlde, welches eben dieſes Suͤjet vorſtellet, von dieſem Gemaͤhlde entlehnet. Ich will mich weiter daruͤber erklaͤren, wenn ich an das beruͤhmte Gemaͤhlde des Domenichino komme.

Zwei halbe Figuren, deren eine auf der Floͤte ſpielt. Wahrſcheinlich Portraits aus der Venetianiſchen Schule, und ſchoͤn.

Eine heilige Magdalena, Skizze des Guido.

Ein Sabinen-Raub, von Pietro da Cor - tona. Die Zuſammenſetzung und die Anordnung ſind vortrefflich, auch iſt die Faͤrbung harmoniſch; aber uͤbrigens ſind Zeichnung, Ausdruck, Colorit und das Helldunkle gleich conventionell.

Hochzeit der Rahel und Jacobs, vom Ciroferri.

Kopf eines Juͤnglings, aus der Venetiani - ſchen Schule.

Romulus und Remus mit der Woͤlfin. Schule des Rubens.

R 3Die262Das Capitol.

Die Darſtellung im Tempel, von Gio - vanni Bellino, wie man behauptet. Sonderbar iſt der heilige Rochus, der hinter dem heiligen Simeon ſtehet, und zu deſſen Fuͤßen nicht allein ſein Hund, ſondern auch ein Crucifix lieget. In wie fern derglei - chen Fehler wider die Zeitrechnung dem Kuͤnſtler an - gerechnet werden koͤnnen, in wie fern ſie das Verdienſt eines Gemaͤhldes beſtimmen, daruͤber werde ich mich bei dem Pallaſt Boccapadouli erklaͤren.

Die Entfuͤhrung der Europa, von Guido.

Zwei ſchoͤne Koͤpfe von Ludovico Car - raccio.

Eine heilige Caͤcilia von demſelben. Eine angenehme Figur, obgleich die Zeichnung etwas tro - cken und die Faͤrbung zu grau iſt.

Der Triumph der Flora, von Pouſſin. Schoͤn gedacht und angeordnet.

Ein Genius. Skizze von Guido.

Eine heilige Familie mit vielen Heiligen. Man gibt ſie fuͤr ein Werk des Paolo Veroneſe aus, ſie iſt aber wahrſcheinlich nur eine Copie.

Hagar und Iſmael.

Ahasverus und Eſther. Zwei mittelmaͤßige Gemaͤhlde von Mola.

Die Madonna, die den Chriſt das Leſen lehrt. Ein großes Gemaͤhlde vom Giorgione. Es wird von Kuͤnſtlern ſehr geſchaͤtzt.

Zwei Landſchaften, von Annibale Car - raccio. In der einen iſt eine heilige Magdalena.

Joſeph263Das Capitol.

Joſeph wird von ſeinen Bruͤdern ver - kauft, von Teſta. 52)Pietro Teſta, gebohren zu Lucca 1611. geſtorben zuPietro Teſta. Rom 1648. Anfangs Schuͤler des Domenichino, nachher des Pietro von Cortona. Er uͤbertrieb den Ausdruck bis zur Carricatur; ſein wildes Feuer ver - fuͤhrte ihn zu abentheuerlichen Gedanken und Un - richtigkeiten in der Zeichnung, und es fehlte ihm durchaus an Wahrheit und Lieblichkeit des Colo - rits, und an Haltung.

Der Triumph des Bacchus, von Pietro da Cortona.

Flora, Lucretia, Cleopatra, drei halbe Fi - guren von Guido, aber nur angelegt.

Das Opfer der Polyxena, von Pietro da Cortona. Es hat ſehr gelitten, und es fehlt an Ausdruck.

Magdalena im Hauſe des Phariſaͤers, von der Frau des Subleyras, hat als Miniaturge - maͤhlde Verdienſt.

Kopf eines Frauenzimmers, von Bron - zino.

Eine liegende Frauensperſon mit Kron und Scepter zu ihren Fuͤßen. Oben lieſt man: Omnia vanitas. Es wird fuͤr Tizians Arbeit ge - halten, verdient aber nicht von dieſem Meiſter zu ſeyn.

Einige Ausſichten, von Vanvitelli. 53)Guaspro Vanvitelli, genannt degli Ochiali, lebte um das Jahr 1700. Ein guter Architekturmahler.

R 4 Die264Das Capitol.

Die Providenz von Ludovico Carraccio. Hamilton hat es in der Scola Italiana ſtechen laſſen.

Eine heilige Familie mit St. Catharina und dem heiligen Antonius von Padua, von Annibale Carraccio, aus der Zeit als er die Vene - tianiſchen Meiſter ſtudirte. Man erkennt ihn nur in dem Kopfe des heiligen Antonius wieder. Die Com - poſition iſt ſchoͤn. Der Chriſt und die heilige Catha - rina ſind von lieblichem Charakter. Der Kopf der Madonna iſt des Meiſters nicht wuͤrdig.

Ein ſeltenes Bild eines Apoſtels, Grau in Grau, von Polidoro da Caravaggio.

Zweiter Saal.

Die Entfuͤhrung der Europa. Ein großes Gemaͤhlde von Paolo Veroneſe. Die Zu - ſammenſetzung iſt mittelmaͤßig, ſo wie die Zeichnung. Die Gefaͤhrtinnen der Europa ſind voller Affectation. Aber die Wuͤrkung dieſes Bildes und die vortreffliche Behandlung der Farben und des Pinſels, machen es ungemein ſchaͤtzbar.

Die Schlacht des Darius und des Alexan - ders, von Pietro da Cortona. Eine Menge auf einander gehaͤufter Figuren, denen zuſammengezogene Augenbraunen, aufgeſperrte Maͤuler, geſchwollene Augen ſtatt Ausdrucks dienen.

Die heilige Maria aus Aegypten, die ſich geißelt, aus der Schule des Guercino.

Der265Das Capitol.

Der heilige Sebaſtian und ein Patri - arch. Zwei Bilder, Figuren beinahe in Lebensgroͤße von Giovanni Bellino. 54)Giovanni Bellino lebte bis 1514. Er that wasGiovanni Bellino. wenige thun, er verbeſſerte ſeine Manier in ſeinem Alter, und zwar nach ſeinen Schuͤlern, dem Gior - gione und Tizian. Die erſte war trocken und hart, und hatte viel von der Manier der alten deutſchen Schule. In der letzten bekam ſeine Faͤrbung, mehr Saftiges, Friſches, Kraͤftiges.Dieſe Gemaͤhlde ver - dienen eine deſto groͤßere Aufmerkſamkeit, da ſie von kraͤftiger Farbe ſind, und ſo friſch, als ob ſie eben aus der Hand des Mahlers gekommen waͤren.

Die Geißelung und die Dornenkroͤnung, beide vom Tintoret.

Eine Wiederholung der Caͤcilia des Dome - nichino im Pallaſt Borgheſe. Viele halten ſie fuͤr ein Original.

Eine Landſchaft von Pietro da Cortona.

Ein Portrait des Giovanni Bellino mit ſeinem Nahmen, von ihm ſelbſt gemahlt.

Eine Madonna mit dem Kinde: Ein En - gel fuͤhrt den heiligen Franciſcus herbei. Ein ſchoͤn componirtes Bild von Annibale Carraccio.

Cleopatra zu den Fuͤßen Caͤſars vom Gu - ercino, in ſeiner rothen Manier.

Johannes der Taͤufer mit einem Bock, von Caravaggio. Eine Wiederholung desjenigen Bildes, welches im Pallaſt Doria unter dem Nah - men der Wolluſt und der Unſchuld bekannt iſt. Schoͤn.

R 5Einige266Das Capitol.

Einige Skizzen zu Plafonds, von Paolo Veroneſe.

Der Chriſt und der heilige Johannes als Kinder, Skizze des Guido.

Erminia mit dem Hirten von Lamfranco.

Ein ſitzender Soldat und eine Zauberin. Beide vom Salvator Roſa.

Amor in der Schmiede Vulkans, ſchoͤner Baſſan.

Galathee nach Raphael von Pietro da Cortona.

Der heilige Matthaͤus mit dem Engel, vom Guercino.

David, der den Saul verlaͤßt, um in den Streit gegen Goliath zu eilen, und der Triumph Davids nach dem Siege; zwei Ge - maͤhlde aus der Schule des Pietro da Cortona.

Zwei gute Koͤpfe voller Charakter, aus der deutſchen Schule.

Eine heilige Familie von Schiavone.

Der Teich zu Bethesda, Skizze vom Do - menichino.

Ein heiliger Sebaſtian aus der Schule der Carracci.

Noch ein heiliger Sebaſtian, wahrſcheinlich aus derſelben Schule.

Eine heilige Magdalena. Manier des Paolo Veroneſe.

Ein Bildniß des Michael Angelo, ſchoͤn gezeichnet und voller Charakter. Man ſagt, es ſey von ihm ſelbſt, aber da es ſehr zweifelhaft iſt, ob er jein267Das Capitol. in Oehl gemahlt habe, ſo geht man ſicherer, wenn man es fuͤr ein Werk aus ſeiner Schule haͤlt.

Zwei allerliebſte Landſchaften des Do - menichino.

Ein heiliger Johannes vom Salviati.

Das ſchoͤnſte Bild in dieſem Pallaſte iſt dieFortuna des Guido Reni. beruͤhmte Fortuna des Guido Reni. Sie fliegt um den Erdball herum, und Amor ſucht ſie bei den Haaren und bei dem Schleier feſtzuhalten. Der Ge - danke iſt vortrefflich, nur Schade, daß der Mahler die Haͤlfte ihrer Beine hinter die Weltkugel verſteckt hat, denn dadurch ſehen ſie wie in der Mitte abge - ſchnitten aus. Der Kopf der Fortuna iſt nicht beſon - ders ſchoͤn, aber die Stellung iſt ſehr reitzend, und die Umriſſe ſind ſehr ſwelt. Der Amor iſt aͤußerſt lieblich. Die Zeichnung iſt mehr fein als correkt, aber die Faͤrbung iſt friſcher und kraͤftiger als in den meiſten Bildern dieſes Meiſters. Das unſrige iſt aus ſeiner hellen Manier. Die Figuren haben viele Ruͤndung.

Judith im Dankgebeth fuͤr die Rettung ih - res Vaterlandes und ihrer Unſchuld, die ihr durch ihre Hand verliehen iſt, eine Copie von Carlo Maratti nach dem beruͤhmten Gemaͤhlde des Guido Reni im Pallaſt Spada.

Pallaſt268

Pallaſt Borgheſe.

Wichtigkeit und Groͤße der Gemaͤhl - deſammlung in dieſem Pallaſte.
155

Keine Gemaͤhldeſammlung in Rom koͤmmt derjeni - gen, die ſich in dieſem Pallaſte befindet, an Groͤße und Wichtigkeit bei, und man haͤlt ſie mit Recht fuͤr eine der erſten in Europa.

Man wird nicht leicht einen großen Meiſter aus irgend einer Schule Italiens nennen koͤnnen, den ein - zigen Correggio ausgenommen, von dem hier nicht vorzuͤgliche Werke anzutreffen waͤren. Allein die Menge der Tizianſchen Gemaͤhlde, die man hier haͤufiger als in andern Gallerien Roms antrifft, gibt mir beſonders Gelegenheit, eine Anleitung zur Kennt - niß dieſes großen Mahlers vorauszuſchicken.

Tizian Ve - celli; Unter - ſcheidungs - zeichen ſeines Stils.
155

Tiziano Vecelli da Cadore, deſſen Nahme Tizian, mit dem Begriffe eines unendlichen Werthes in der Mahlerei, in unſere Sprache aufgenommen iſt, lebte von 1477 1576. Giovanni Bellini, nicht Gentile Bellini, wie d Argensville irrig ſchreibt, war der erſte Meiſter unſers Kuͤnſtlers. Sein trocke - ner, kleinlicher Stil zeigt ſich in den Umriſſen der er - ſten Werke des Schuͤlers, ſo wie die uͤbertriebene Kraft in der Faͤrbung, die er vom Giorgione entlehnte. Doch ſind Werke dieſer Art außerhalb Venedig aͤuſ - ſerſt ſelten.

In der Folge ward die Natur ſeine einzige Fuͤhre - rin, und da dieſe ſich unter unendlichen Abwechſelun - gen zeigt, keine einſeitige Art die Gegenſtaͤnde zu ſehen und darzuſtellen zulaͤßt; ſo darf man auch eine gewiſſebeſtimmte269Pallaſt Borgheſe. beſtimmte Manier in den Gemaͤhlden aus der zwei - ten Epoche nicht ſuchen.

Im Alter verließ er ſich zu ſehr auf ſeine erlangte Fertigkeit, vernachlaͤßigte die treue Nachfolge der Na - tur, und ward unbeſtimmt.

Ohngeachtet dieſer Abwechſelung in der Verfah - rungsart unſers Meiſters, laſſen ſich doch gewiſſe Kennzeichen angeben, an denen man ſeine Werke wie - der erkennt. Nur erinnere ich hier wieder an den Un - terſchied, den man zwiſchen Vorzuͤgen und Fehlern machen muß, die von der Wahl des Kuͤnſtlers ab - haͤngen, und ſolchen, die blos Werk des Zufalls ſind.

Ich habe einige vortrefflich gedachte Gemaͤhlde Tizians geſehen, aber noch viel mehr, die von Seiten der poetiſchen Erfindung keinen Werth hatten. Einen vortrefflichen Compoſiteur darf man ihn nicht nennen.

In der mahleriſchen Anordnung folgte er blos dem Grundſatze, ſolche Gegenſtaͤnde zuſammen zu ſtellen, die ſich durch ihre Localfarben wechſelſeitig hervorheben. Dieſer Grundſatz iſt zu eingeſchraͤnkt, vielen andern, die bei dieſem Theile der Kunſt in Betrachtung kom - men, zu untergeordnet, als daß man auch hier einen Hauptvorzug Tizians aufſuchen koͤnnte.

Ich habe es ſchon oͤfterer bemerkt, es gibt einen doppelten Ausdruck: Den Ausdruck der Seele in Ruhe, den Ausdruck der Seele in der Thaͤtigkeit, welche die Handlung erfordert, bei der ſie intereſſirt iſt. Der erſte iſt der Charakter, den jeder Portraitmahler ſei - nen Figuren geben ſollte: Der letzte, der Affect, nach welchem jeder Hiſtorienmahler den Charakter in Darſtel - lung der Begebenheit, wobei die aufgeſtellte Perſoneine270Pallaſt Borgheſe. eine Rolle ſpielt, modificiren ſollte. Der Ausdruck eines denkenden Weſens in Ruhe iſt dem Tizian beſſer und oͤfterer gegluͤckt, als der Ausdruck einer beſtimm - ten Thaͤtigkeit. Er mahlte viel Bildniſſe, und ſtellte den Menſchen dar, wie er ſich am bequemſten beob - achten laͤßt.

In der Wahl ſeiner Formen folgte er der ſchoͤnen Natur ſeines Landes. Er mahlte ſeine Weiber mit den Reitzen, die auf die groͤbern Sinne Eindruck ma - chen: nicht mit ſolchen, die den Geiſt entflammen. Ein gewiſſer Nationalcharakter, den man in allen ſei - nen Koͤpfen wieder findet, macht dieſe ziemlich unter einander aͤhnlich. Die Koͤrper ſind fleiſchigt, die Arme ſtark, und die Finger etwas zu laͤnglicht.

Tizians Kin - der.
155

Tizians Kinder haben von jeher den groͤßten Kuͤnſtlern zu Modellen gedient, und, wie man be - hauptet, hatte er den Begriff der Schoͤnheit dieſes Alters von ein Paar antiken Basreliefs in der Kirche Sta. Maria de Miracoli in Venedig entlehnt. 1 a)Nachricht von zwei an - tiken Basre - liefs mit Amorinen in Venedig.Da, ſo viel mir bekannt iſt, noch keine genaue Nachricht uͤber dieſe beiden Basreliefs gedruckt iſt, ſo will ich kurz die Bemerkungen, die ich daruͤber bei meiner Durchreiſe durch Venedig zu machen Gelegenheit gefunden habe, hieher ſetzen. Sie ſtehen im Chor der Kirche St. Maria de Miracoli, und ſtellen beide Amorinen vor, auf jeglichem zwei, die mit den Waffen des Mars be - laden ſind. Dasjenige, auf welchem Amorinen den Koͤcher des Gottes wegtragen, hat einen großen Vorzug vor demjenigen, wo ſie mit dem Wegſchlep - pen ſeines Schwerdtes beſchaͤfftigt ſind. Die Koͤpfeſind

Maͤnner271Pallaſt Borgheſe.

Maͤnner reiferen Alters haben auf ſeinen Gemaͤhl - den zuweilen viel Edles. Aber ich erinnere mich nicht einen ſchoͤnen Juͤngling von ihm gemahlt geſehen zu haben; es muͤßte denn auf Bildniſſen ſeyn.

Tizian zeichnete mit dem Pinſel, und folgte haupt - ſaͤchlich ſeinem Augenmaaße. Da dieſes ziemlich rich - tig war, und da er ſorgfaͤltig ſchwere Stellungen ver - mied, ſo fallen die Incorrektionen ſeiner Zeichnung nicht ſo ſehr auf. Unbeſtimmt iſt ſie inzwiſchen immer, wozu auch der Umſtand vieles beitrug, daß er die Um - riſſe ſehr in den Grund zu vertreiben ſuchte. Die Haare und Nebenwerke vernachlaͤßigte er. Seine Gewaͤnder ſind ſchlecht geworfen, und die Falten ohne Deutlichkeit angegeben. Aber die Behandlung der Stoffe iſt aͤußerſt wahr.

Tizians groͤßtes Verdienſt beſteht in der Vortreff - lichkeit ſeines Colorits.

Es wird ſchwer, etwas Befriedigendes uͤber dieTizians Co - lorit. Von den Erfor - derniſſen ei - nes guten Colorits uͤberhaupt. Grundſaͤtze zu ſagen, die er dabei befolgt hat. Die groͤßten Meiſter haben Muͤhe, ihm mit dem Pinſel zu folgen: Wie waͤre es moͤglich, mit Worten ſeineVerfah -1 a)ſind ſehr beſchaͤdigt, und wenn ich mich nicht irre, ſo iſt ſogar ein Kopf an dem einen der Amorinen bei dem Koͤcher ganz neu. Die Natur und die Ver - haͤltniſſe des Alters ſind ſo gut beobachtet, als in irgend einer Vorſtellung deſſelben unter den Neueren. Das Fleiſch iſt weich ohne ſchlaff zu ſeyn, und die Arbeit leicht und doch beſorgt. Sie verdienen das Lob unter die vorzuͤglichſten antiken Abbildungen des kindlichen Alters zu gehoͤren.272Pallaſt Borgheſe. Verfahrungsart zu entziffern? Inzwiſchen, da es hier nur darauf ankoͤmmt, dem Liebhaber die Verdienſte unſers Kuͤnſtlers um dieſen Theil der Kunſt zu entwi - ckeln, und ihm zugleich eine Richtſchnur zu geben, wor - nach er die Verdienſte aͤhnlicher Art bei andern Mei - ſtern pruͤfen kann; ſo will ich kurz die einfachſten Er - forderniſſe eines guten Colorits in Erinnerung bringen, um ſo mehr, da wir uns ohne vorlaͤufige Beſtim - mung der Schwierigkeiten, ſchwerlich uͤber das Lob, ſie uͤberwunden zu haben, verſtehen wuͤrden.

Colorit iſt die Bekleidung eines Gegenſtandes mit den Farben, die ihn in der Natur von andern ſichtba - ren Gegenſtaͤnden unterſcheiden.

Jeder Gegenſtand hat ſeine ihm eigenthuͤmliche Farbe, aber das unaufmerkſame Auge uͤbergeht die Nuͤancen und theilt ſie nach einigen Hauptfarben ein, als ſchwarz, weiß, gelb, roth u. ſ. w. Zur Wie - dererkennung iſt dies genung, aber nicht zum Gefuͤhl der Wahrheit. Es gibt unzaͤhlige Nuͤancen einer Hauptfarbe, und nirgends aͤußert ſich dieſe Verſchie - denheit auffallender und ſtaͤrker als in der Carnation. Jedes Glied des menſchlichen Koͤrpers, jedes Alter, jede Conſtitution, jede Leidenſchaft haben ihre eigen - thuͤmliche Farbe, die wir alle unter dem allgemeinen Nahmen: Fleiſchfarbe begreifen.

Dieſe eigenthuͤmliche Farbe nun findet ſich ſelten rein auf der Palette: ſie muß gemeiniglich gemiſcht wer - den: und wenn wir von Localfarben reden, ſo iſt dies nicht in der Maaße zu verſtehen, daß man eine Farbe, ſo wie ſie eines der Reiche der Natur liefert, wie ſie der Mahler auf die Palette bringt, gerade zu auf dieFlaͤche273Pallaſt Borgheſe. Flaͤche des Gemaͤhldes aufſetzen koͤnnten: ſondern ſie wird nur in Verhaͤltniß mit andern mehr gemiſchten Farben im hoͤchſten Lichte, im Halbſchatten, im gan - zen Schatten: Localfarbe genannt. 1 b)Die Localfarbe wird auf der Palette gemiſcht: Die vollſtaͤndige Miſchung der Farben, wie ſie zu ei - nem guten Colorit erfordert wird, geſchieht halb auf der Palette, halb auf der Flaͤche des Gemaͤhldes, und hier hauptſaͤchlich.Localfarbe iſt alſo die Farbe, die wir in groͤßeren Parthien auf derLocalfarbe. Flaͤche des Gegenſtandes antreffen, die weder durch eine merkliche Erhoͤhung oder Vertiefung eine Veraͤn - derung von Licht und Schatten erfordert; von der wir annehmen, daß jeder Theil unter denſelben Geſichts - punkt gebracht, ihr aͤhnlich ſeyn wuͤrde; und die mit - hin den Ton des Ganzen beſtimmt.

Es iſt ſchon eine große Kunſt, die jedem Objekte eigenthuͤmliche Localfarbe zu waͤhlen, oder zu miſchen: und darin war Tizian Meiſter.

Allein, das iſt noch bei weitem das Geringſte vonModiflca - tion der Lo - calfarbe vom hoͤch - ſten Lichte an bis zum ſtaͤrkſten Schatten: Farbenmi - ſchung, Faͤr - bung, im eigentlich - ſten Verſtan - de. dem, was zu einem guten Coloriſten erfordert wird. Der Mahler, der ein Objekt auf einer Flaͤche vor - ſtellt, muß mir daſſelbe rund erſcheinen laſſen; das heißt, er muß durch die Modification von Licht und Schatten mir alle Umriſſe der Profile zeigen, die der runde Gegenſtand haben wuͤrde, wenn ſich das Auge oder der Gegenſtand darnach drehete. Er muß Er - hoͤhungen und Vertiefungen zeigen, die dann noth - wendig eine Veraͤnderung in der Localfarbe hervorbrin - gen, ohne daß ich ſie aller dieſer Veraͤnderungen ohn -geach -Erſter Theil. S274Pallaſt Borgheſe. geachtet je vermiſſen darf. Mit einem Worte, im hoͤchſten Lichte und im tiefſten Schatten muß ich die Localfarbe immer deutlich wieder erkennen.

Die Art, wie die Roͤmiſche und Florentiniſche Schule darunter zu Werke ging, widerſprach der Na - tur. Sie mahlten jeden Gegenſtand, als wenn die Brechung der Lichtſtrahlen auf jede Farbe nur einerlei Veraͤnderung hervorbraͤchte: ſie hoͤheten alles mit Weiß, verdunkelten alles mit Schwarz. Dies iſt falſch. Jede Localfarbe, auch des einfachſten Ge - wandes erfordert im Schatten und im Lichte einen Zu - ſatz fremder, zuweilen, dem erſten Anſchein nach, ganz heterogener Farben. Allein hier ſind die Neueren wieder ausgeſchweift. Um Abwechſelung hervorzu - bringen, ſind ſie oft bunt geworden, ſo daß ihre Lich - ter und ihre Schatten wie aufgeheftete Lappen koſtba - rer Stoffe ausſehen, waͤhrend daß Raphaels und Michael Angelos Gemaͤhlde wenigſtens den Vorzug wohlgetuſchter Zeichnungen haben. Beides muß ver - mieden werden. Blicke, Localfarbe, Halbſchatten, Drucker, Alles muß ein harmoniſches Ganze ausma - chen, das mir die Ueberzeugung gibt, es liege blos an meiner Stellung, daß ich gewiſſe Stellen dunkler, andere heller an Farbe ſehe. Aber eben dieſe Blicke, dieſe Halbſchatten, dieſe Localfarben, dieſe Drucker muͤſſen auch ſo abwechſelnd unter einander ſeyn, daß ich die Verſchiedenheit der Farbe eines Gegenſtandes von der Farbe eines andern, in jeder Modification des Lichts und des Schattens, fuͤr ſich betrachtet, wieder erkenne. Vielleicht iſt kein Mahler in der Welt dem Tizian hierin gleich gekommen.

Die275Pallaſt Borgheſe.

Die große Kenntniß, die unſer Kuͤnſtler von dem Effect jeder auch der feinſten Nuͤance der Farben hatte, in wie fern ſie durch ſich ſelbſt, ohne Zuſatz von Weiß und Schwarz hervorſticht, oder zuruͤckweicht, je nach - dem man ſie nur bei einer andern hellern oder dunklern hinſtellt, zeigt ſich am auffallendſten in der Wahl ſei - ner Gewaͤnder. Wie oft hat er das Blut in den Adern hervorſcheinen laſſen, blos durch das weiße Ge - wand, womit er nackte Koͤrper bekleidete! Allein bei einer genaueren Pruͤfung wird man die ganze Wuͤr - kung ſeiner Carnation beinahe auf keinen andern Grund - ſatz als den eines feinen Contraſts verſchiedener Nuͤan - cen gebauet finden. Da ſind eine Menge heller Tin - ten neben einander geſtellt, die man, einzeln betrachtet, wenig verſchieden von einander findet. Aber zuſam - men geſtellt heben ſie ſich wechſelſeitig und mit bewun - dernswuͤrdigem Effect hervor.

Durch dies Geheimniß unterſtuͤtzt, konnte nun Tizian die ſtarken breiten Schatten zur Ruͤndung bei - nahe ganz entbehren. Selbſt die perlgrauen Halb - ſchatten hat er nur ſelten gebraucht. Alles ſcheint Licht, und doch iſt alles rund. So ſieht man die Gegenſtaͤnde in der Natur bei Tage, wo ein ſtarker Schatten ſelten, und der Schoͤnheit gewiß nicht vor - theilhaft iſt.

Auch ließ Tizian dies Licht von oben herabfallen, und ſtellte ſeine Figuren ganz hinein. Daher die ſchoͤnen breiten und hellen Parthien, die ein froͤhliches Anſehen geben: Man verfolgt ſie unmerklich in die roͤthlichen Halbſchatten, die bis hart an den Umriß fortlaufen, und ſich dort in den braͤunlichen ſchmalenS 2Haupt -276Pallaſt Borgheſe. Hauptſchatten verlieren, der wieder den Uebergang in den Grund macht. Doch iſt er ſich hierin nicht gleich; einige ſeiner Bilder ſind in einem helleren, andere in einem dunkleren Tone gemahlt.

Seine Behandlung war vortrefflich: Wahrſchein - lich legte er ſeine Gemaͤhlde ſehr hell an, und arbei - tete ſie zu mehreren Mahlen uͤber. Er wandte eine unglaubliche Sorgfalt darauf. Inzwiſchen bemerkt man ſie nicht. Alles ſcheint auf den erſten Strich, mit einer Lage, fertig gemacht zu ſeyn: Kaum daß das grobe Tuch, auf dem er oͤfters mahlte, mit Farbe bedeckt zu ſeyn ſcheint.

Daß Tizian ſeine Figuren fuͤr ſich zu runden wußte, haben wir geſehen; aber das eigentliche Ge - heimniß des Helldunkeln beſaß er nicht. Man findet in ſeinen Werken wenig Spuhren von Reflexen.

Tizian iſt der groͤßte Portraitmahler geweſen, der je gelebt hat. Er war aber auch, bis auf die Luftperſpektiv, die er wenig beobachtete, ein guter Landſchaftsmahler. Paul Brill, Breughel, Ru - bens und die Carracci haben dieſe Art von Mahlerei in ſeinen Werken ſtudirt. Ein Wiedererkennungs - zeichen ſeines Stils in der Landſchaftsmahlerei iſt die unverhaͤltnißmaͤßige Groͤße der Blaͤtter gegen den Stamm der Baͤume. 1 c)Man vergleiche mit dieſer Beurtheilung Tizians, das, was Zanetti, della Pittura Veneziana e delle opere pubbliche de Veneziani Maeſtri in Venezia 1771. p. 95. uͤber dieſen Meiſter geſagt hat.

Erſtes277Pallaſt Borgheſe.

Erſtes Zimmer.

Petrus und der Engel von Mola. 2)Pietro Franceſco Mola, ward zu Coldre im Mai - laͤndiſchen 1621. gebohren, und ſtarb zu Rom 1666. Er war ein Schuͤler des Albani und des Guercino. Sonderbare Anordnung, gemeine Natur, ſchwer - faͤllige Zeichnung ohne auffallende Fehler, und dunkle Faͤrbung zeichnen dieſen Meiſter aus.Es iſt eins der beſten Bilder dieſes Meiſters in Rom. Der Engel ſteigt auf einer Wolke herunter, und bei ſeiner Annaͤherung zerſpringen die Feſſeln des Petrus. Man ſieht beide Figuren uͤber einander in der Verkuͤr - zung. Sie iſt dem Mahler zwar wohl gelungen, aber ſie gibt der Gruppe keine angenehme Form. Die Farbe iſt uͤbertrieben, die Schatten haben nach - geſchwaͤrzt.

Tizian mit ſeinem Weibe. Ob die Farbe gleich gelitten hat, ſo erkennt man doch die Manier wieder. Der Kopf des Mannes iſt ſchoͤn.

Judith und ihre Magd, von demſelben, ein ſchoͤnes Gemaͤhlde. Der Kopf der Judith iſt ein Portrait voller Charakter, und gut gezeichnet. Die Faͤrbung faͤllt etwas ins Gelbe; die Schatten ſind ſehr durchſichtig; der Ruͤcken des Weibes tritt unge - mein vor.

Die Heimſuchung Mariaͤ von Sebaſtiano del Piombo. 3)Fra (Frate) Sebaſtiano del Piombo, geb. 1485. zuFra Seb. del Piombo. Venedig, geſt. 1547. zu Rom. Anfangs Zoͤgling der Venetianiſchen Schule. Nachher Schuͤler desMichaelSo geben es die Kenner an. S 3Die278Pallaſt Borgheſe. Die Anordnung iſt ziemlich gut, aber der Ausdruck fehlt; die Zeichnung iſt hart und ſteif, und die Faͤr - bung aͤußerſt ſchwach.

Die Himmelfahrt Mariaͤ von Palma dem aͤltern:4)Giacomo Palma il Vechio geb. 1540. zu Serinalto im Gebiet Bergamo, geſt. zu Venedig 1588. Schuͤ - ler Tizians, dem er in ſeinen beſten Werken ſo nahe koͤmmt, daß man ſie mit des Meiſters gewoͤhnli - chen verwechſelt. iſt aͤußerſt zweifelhaft.

Eine heilige Familie, wird ohne Grund dem Andrea del Sarto zugeſchrieben.

Wir haben von dieſem Meiſter in Rom kaum ein einziges Werk, das man mit Zuverlaͤßigkeit fuͤr das ſeinige ausgeben kann, vielweniger eines ſeiner vor - zuͤglichen. Man muß ihn nach demjenigen beurthei - len, was man von ſeiner Hand in Florenz ſieht.

Andrea

3)Michael Angelo Buonarotti. Dieſer Mahler bewei - ſet, wie ſchwer es iſt, in mehreren Theilen der Mah - lerei zu gleicher Zeit groß zu ſeyn. Als er Venedig verließ, hatte er die ganze Staͤrke der Venetiani - ſchen Faͤrbung. Er wollte es dem Michael Angelo in der Zeichnung gleich thun, und durch die Verei - nigung dieſer beiden Vorzuͤge hoffte er dem Raphael den Preiß abzugewinnen. Raphael ſagte: Poca lode ſarebbe a me, di vincere uno che non ſa diſegnare. Fra Sebaſtiano erreichte nie ſeinen Zweck in der Zeichnung, und verlohr ſein kraͤftiges Colorit. Seine Zuſammenſetzung iſt gemeiniglich ſteif, ſein Ausdruck kalt. In Bildniſſen war er gluͤcklicher. Man nannte ihn Fra del Piombo von der Stelle, die ihm der Pabſt anvertrauete.

279Pallaſt Borgheſe.

Andrea del Sarto ward gebohren 1488. ErAndrea del Sarto. bildete ſich hauptſaͤchlich nach Leonardo da Vinci, aber er nutzte auch die Werke des M. Angelo, des Fra Bartholomeo und Raphaels. Die meiſten ſeiner Gemaͤhlde waren beſtellte Werke, die Aſſembleen von Heiligen, ohne Verbindung durch eine gemeinſchaft - liche Handlung, vorſtellen. Dabei konnte er keine Staͤrke in der Compoſition zeigen.

Seine Anordnung iſt zu ſymmetriſch. In ſei - nen Koͤpfen herrſcht zu wenig Abwechſelung. Der Charakter iſt kleinlich, und kraͤnklich furchtſam. Man bemerkt, wenn ich ſo ſprechen darf, einen Leonardiſch ſuͤßlichen Zug darin.

Als auffallende Kennzeichen kann man die knoͤrp - lichten, eckigen Naſen, die hagern Wangen, und die hoch liegenden Augenknochen anſehen.

Er zeichnete mit vieler Feinheit, aber nicht ganz richtig. Seine Extremitaͤten ſind zu knoͤchern. Die Gewaͤnder haben viel vom Geſchmack des Fra Bar - tholomeo, aber ſie ſind viel ſtudirter und weniger wahr. Seine Faͤrbung iſt ſehr angenehm, friſch, durchſich - tig und harmoniſch. Aber in den Schatten faͤllt der Ton zu ſehr ins graͤulich blaue. Wenige Mahler ha - ben ihre Farben ſo in einander zu vertreiben gewußt, und ſo friſche durchſichtige Halbſchatten gemahlt; dieſe ſind inzwiſchen zu blaͤulich.

Andrea del Sarto war ſich ſelbſt ſehr ungleich in ſeinen Werken. Man hat Figuren von ihm, die Nichts zu wuͤnſchen uͤbrig laſſen, in denen ſogar eine Niederlaͤndiſche Ruͤndung herrſcht: Andere wieder ſind verzeichnet, hart in den Umriſſen, ohne Harmonie,S 4und280Pallaſt Borgheſe. und abgeſtanden in der Faͤrbung. Er ſtarb 1530. Seine beſten Gemaͤhlde ſind zu Florenz.

Tobias mit dem Engel, vom Rafaelino da Reggio. 5)Rafaele Motta, gemeiniglich Rafaelino da Reggio genannt geb. 1552. geſt. 1580. Schuͤler der Zucheri und ihrer Zeitgenoſſen. Stil der Nachahmer Ra - phaels und der Florentiner in der Zeichnung; des Baroccio im Colorit.Ich zeige dieſes Bild an, weil es Auguſtino Caraccio in Kupfer geſtochen hat.

Carita Ro - mana, vom Guercino.
164

Das ſchoͤnſte Bild in dieſem Zimmer iſt ein alter Greis in Feſſeln geſchlagen, der den Kopf um - drehet, waͤhrend daß eine junge Frauensperſon durch das Gitter des Fenſters des Gefaͤngniſ - ſes guckt. Dies Bild iſt vom Guercino. Man nennt es gemeiniglich eine Carita Romana. 6)Carita Romana nennt man die Vorſtellung der zaͤrtlichen Tochter, die ihren Vater, der verurtheilt war, im Gefaͤngniſſe Hungers zu verſchmachten, mit ihrer Milch ernaͤhrte.Da die Bedeutung zweifelhaft iſt, ſo mag ich nicht uͤber die Richtigkeit des Ausdrucks urtheilen. Jeder Kopf fuͤr ſich betrachtet, iſt voll Charakter und Wahrheit. Die Muſkeln fließen vortrefflich in einander, und ſind mit der ſchoͤnſten Haut bedeckt. Die Faͤrbung iſt aus des Meiſters beſten Zeit; vorzuͤglich aber muß man das Helldunkle und die Behandlung bewundern. Ich werde Gelegenheit finden, von dieſem Meiſter noch anderswo zu reden.

Zwei -281Pallaſt Borgheſe.

Zweites Zimmer.

Der ſogenannte Schulmeiſter. So nenntEin ſchoͤnes Portrait, be - kannt unter dem Nah - men: der Schulmei - ſter. man das Bildniß eines Mannes, welcher ſitzend ein Buch haͤlt. Viele nehmen es fuͤr ein Werk Tizians an, aber von dieſem Meiſter iſt es gewiß nicht. An - dere legen es dem Moroni7)Giovanni Battiſta Moroni, gebohren zu Albino im Gebiet Bergamo geſt. 1578. aus der Vene - tianiſchen Schule. In Bildniſſen vorzuͤglich be - ruͤhmt. Man kennt ſeine Werke unter Tizians Werken vielleicht nur an der ſchwaͤchern Faͤrbung aus. Mir ſind wenige zu Geſicht gekommen, die man ihm mit Zuverlaͤßigkeit haͤtte beilegen koͤnnen. Niuno ſi accoſtò più a Tiziano nei rittratti del celebre Giam battiſta Morone d Albino. Zanetti della Pittura Veneziana. p. 99. bei. Endlich hat Mengs es fuͤr ein Werk des Guido erkannt, und dieſem trete ich, der Behandlung des Pinſels wegen, bei. Das Verdienſt dieſes Gemaͤhldes rechtfertigt die Sorgfalt, mit der man den Nahmen des Meiſters aufſucht. Stellung und Geſichtszuͤge kuͤndigen den Pedanten an. Dieſer Kopf iſt ſehr beſtimmt gezeichnet, und von ſchoͤner Faͤrbung. Man ſollte glauben das Werk ſey von einem Niederlaͤnder, ſo weiſe iſt das Helldunkle behandelt, mit ſo vieler Liebe ſind die Beiwerke aus - gefuͤhrt.

Ein anderes Bildniß eines dicken Man - nes, der in einem Brevier lieſet. Eine Inn - ſchrift nennt wahrſcheinlich den Meiſter des Bildes,S 5der282Pallaſt Borgheſe. der ſich ſelbſt gemahlt hat, J. P. Licinio anno ae - tatis 55. Man hat alſo Recht, dieſes Bild einem der Pordenone beizulegen. Es fraͤgt ſich nur, wel - chem? In der Note8)Es gibt zwei Kuͤnſtler, die man von dem gemein - ſchaftlichen Geſchlechtsnahmen, Licinio, von der ge - meinſchaftlichen Vaterſtadt im Friaul, Pordenone nennt. Der beruͤhmteſte von beiden, und Lehr - meiſter des andern, hieß Giovanni Antonio Licinio. Dieſer ſoll nachher ſeinen Nahmen, aus Haß gegen ſeinen Bruder, in Regillo verwandelt haben. An - dere nennen ihn auch, Cucitello, ja noch andere, Sachi. Er lebte von 1480 1540. und naͤherte ſich in ſeiner Manier ſeinem Lehrmeiſter Giorgione. Von dieſem aber kann das oben angezeigte Bild ſchwerlich ſeyu; denn 1) treffen die Anfangsbuch - ſtaben J. P. nicht mit den Vornahmen Giovanni Antonio zuſammen, 2) ſcheint es nicht glaublich, daß Regillo, der nur 56. Jahr alt geworden iſt, wenn er ſeinen Nahmen veraͤndern wollte, ihn noch bis auf das Jahr vor ſeinem Tode beibehalten ha - ben wuͤrde. Ich rathe daher eher auf ſeinen Vetter Giulio Licinio; denn hier trifft der eine Vornahme zu, und wenn die uͤbrigen uns zwar ſo wenig als ſein Geburtsjahr bekannt ſind, (er ſtarb 1561.) ſo treffen wir wenigſtens in ſeiner Lebensgeſchichte keine Umſtaͤnde an, die der Angabe des Bildes widerſpre - chen. wage ich daruͤber eine Muthmaaßung. Die Zeichnung iſt gut, und der Ausdruck vortrefflich. Die Faͤrbung faͤllt ins - Rothe.

Eine heilige Familie. Der Chriſt ſchlaͤft, eine Heilige haͤlt ihn, die Madonna betet ihnan,283Pallaſt Borgheſe. an, und der kleine Johannes kuͤßt ihm die Fuͤße. Kenner halten dies Bild fuͤr ein Werk Ti - zians, geſtehen aber, daß es keins ſeiner ſchoͤn - ſten ſey.

Eine andere heilige Familie, wo die Mutter gleichfalls den Chriſt anbetet. Die uͤbrigen Figuren ſind, ein kleiner heiliger Johannes, eine heilige Catharina, und ein heiliger Auguſtin. Dies Bild iſt ungezweifelt vom Tizian, und eins ſei - ner ſchoͤnſten aus der dunklern Manier. Die Koͤpfe des heiligen Auguſtins und der heiligen Catharina ſind ſchoͤn und wahr. Es iſt viel Harmonie in dieſem Bilde, und die Schatten ſind ſehr durchſichtig. Der Chriſt auf einem weißen Kuͤſſen, ohne alle dunkle Schatten, hebt ſich durch die unerklaͤrbare Gradation der Tinten.

Der Chriſt auf einem Throne, ein Buch in der Hand. Auf der einen Seite die Apoſtel, auf der andern eine Frau auf den Knien, ein Mann im reifen Alter, der die Hand auf die Bruſt legt, und ein Juͤngling. Wahrſcheinlich aus der Venetianiſchen Schule. Viele halten es fuͤr ein Werk Tizians, und es iſt ſeiner nicht unwerth. Die Figur des Mannes, der die Hand auf die Bruſt legt, iſt edel und wahr.

Chriſt am Kreutze zwiſchen der Jungfrau und dem heiligen Johannes, angeblich vom Giulio Romano. Ich halte es fuͤr ein Werk der Florentiniſchen Schule. Der Ausdruck fehlt ganz und gar.

Eine Hirten-Anbetung, eins der ſchoͤnſten Bil - der des Baſſano. Man muß die leichte Behand -lung284Pallaſt Borgheſe. lung des Pinſels, die Kraft und den Auftrag der Far - ben bewundern. Außerdem herrſcht eine gewiſſe nie - drige Wahrheit darin, die das Verdienſt einer ge - treuen Nachahmung hat. Der Chriſt ſcheint in der Naͤhe ein Fleck hingeworfener ungemiſchter Farbe, der zu unſerm Erſtaunen Wahrheit und Leben in der Ferne erhaͤlt. Ein junger Hirt, und der Kopf des Joſephs, ſind gleichfalls nicht aus der Acht zu laſſen. Ich werde weiter unten von dieſem Meiſter reden.

Meiſterſtuͤck des Garo - falo.
167

Ein todter Chriſt mit der Mutter und mehreren Heiligen. Ein Meiſterſtuͤck des Garo - falo. 9)Benvenuto Garofalo genannt Tiſio, ward zu Fer - rara 1481. gebohren und ſtarb 1559. Ob die Nelke, die er ſo gern in ſeinen Gemaͤhlden anbrachte, ein Anagram ſeines Nahmens oder Grund ſeines Beinah - mens geweſen ſey? iſt zweifelhaft. Er hat unſtreitig den groͤßten Theil ſeiner Ausbildung dem fleißigen Studio nach den Werken Raphaels und zwar aus deſ - ſen fruͤheren Manier zu verdanken. Ein Verdienſt, welches alle ſeine Bilder haben, iſt die reine, dauer - hafte Localfarbe der Gewaͤnder, vorzuͤglich der rothen und der gruͤnen. Sie haben ſich bis auf dieſe Stunde ſo friſch erhalten, als ob ſie eben gemahlt waͤren. Man trifft auch zuweilen einen ſchoͤnen Kopf, ſelbſt eine ſchoͤne Figur in ſeinen Gemaͤhlden an. Nur das Ganze iſt ſelten zu loben. Die Ausfuͤhrung iſt ge - meiniglich trocken.Erfindung und Anordnung ſind zwar nicht zu loben; auch iſt die Luftperſpektiv nicht beobachtet, und die Zeichnung trocken und ſteif. Allein das Bild hat doch viele einzelne Schoͤnheiten. Die Stellung der Magdalena iſt ſehr reitzend, und der Ausdruck zutreffend. Der heilige Hieronymus hat einen ſchoͤ -nen285Pallaſt Borgheſe. nen Kopf, und bei dem heiligen Johannes ſcheint der Mahler ſehr gluͤcklich einen der Soͤhne des Laocoon zum Vorbilde genommen zu haben. Die friſchen Localfarben, welche immer das charakteriſtiſche Ver - dienſt unſers Meiſters ausmachen, ſind auch in die - ſem Bilde unſerer Aufmerkſamkeit werth.

Moſes, der Waſſer aus einem Felſen ſchlaͤgt; (auf Seide) Wahrſcheinlich von Lucas von Leiden,10)Lucas von Leiden in Italien Luca d Ollanda ge - nannt, geb. 1494. geſt. 1533. aus der aͤltern Nie - derlaͤndiſchen Schule. Nichts iſt gewoͤhnlicher, als daß man in den Gallerien Roms jedes aͤltere Nie - derlaͤndiſche Werk, deſſen Nahmen die Cuſtodes nicht wiſſen, dem Luca d Ollanda beilegen hoͤrt. Allein die wenigſten koͤnnen ihm mit Gewißheit zugeſchrie - ben werden. denn es iſt ſein Stil, und man ſieht einen L. mit der Jahrzahl 1527 darauf. Die Kin - der Iſrael ſind alle in Spaniſcher Tracht vorgeſtellt.

Die Anbetung der Hirten von Bronzino. Die Zeichnung iſt trocken, und ohne Ausdruck, die Engel, die uͤber dem Chriſt fliegen, ſind beſſer ge - dacht als ausgefuͤhrt.

Der Chriſt vom Engel geſtaͤrkt, vom Paolo Veroneſe.

Alle Welt betet den Herrn an, von Pe - regrino Tibaldi, wie folgende Aufſchrift lehret: Pe - regrinus Tibaldi Bonon. faciebat Anno aeta - tis ſuae 22. MDXLVIII. Vorn ſitzt eine Sybille, die auf den Chriſt zeigt, zu ihren Fuͤßen liegt ein Zet - tel mit lateiniſchen Verſen, welche anzeigen, daß derHerr286Pallaſt Borgheſe. Herr bei ſeiner Ankunft auf Erden, Glaͤubige und Unglaͤubige richten werde. Die Bilder dieſes Mei - ſters ſind ſehr rar, vorzuͤglich in Rom. Dieſes hier enthaͤlt eine Menge Academiſcher Figuren, die ſo ſehr im Stile des Michael Angelo gezeichnet ſind, daß man ſie beinahe dieſem Meiſter zuſchreiben ſollte.

Stil des Tibaldi.
169

Wenn Tibaldi der Manier des M. Angelo gefolgt iſt; ſo muß man doch geſtehen, daß er mehr im Geiſte ſeines Lehrers gedacht, als ihn ſclaviſch nachgeahmt hat. Daher nannten ihn auch die Carracci: il M. Angelo riformato. Durch ihn erhielt ſich der große Stil in Bologna.

Diana mit ihren Nym - phen von Domenichi - no.
169

Diana die ihren Nymphen, die nach einem Ziele ſchießen, Preiſe austheilt. Da dies Gemaͤhlde unter die vorzuͤglichſten Werke des Dome - nichino gerechnet wird, ſo glaube ich berechtiget zu ſeyn, es etwas genauer zu beurtheilen.

Das Suͤjet iſt gut gewaͤhlt. Es bietet dem Kuͤnſtler ein weites Feld dar, den Ausdruck der Ge - ſchicklichkeit, der Aufmerkſamkeit, des Frohſinns bei einem unterhaltenden Spiele, und ſchoͤne weibliche Koͤrper in reitzenden Stellungen zu zeigen. Wir wiſ - ſen aber ſchon, daß die Wahl des Vorwurfs der ge - ringſte Theil bei der dichteriſchen Erfindung des Mah - lers iſt; es koͤmmt bei ihm hauptſaͤchlich auf die Er - findung der einzelnen Theile an, wodurch er den Vor - wurf ſinnlich macht: und hier wollen wir unſern Kuͤnſt - ler zuerſt verfolgen.

Er wollte uns auf Dianen, als Goͤttin, als diejenige, welche die Preiſe austheilt, auf die Haupt - perſon in dem Bilde vorzuͤglich aufmerkſam machen. Er287Pallaſt Borgheſe. Er hatte den Gedanken des Dichters vor Augen: Hoch ragt Diana uͤber ihre Nymphen empor. Und wie druͤckte er ihn aus? Er ſtellte die Goͤttin auf den dritten Plan ſeines Gemaͤhldes, und gab ihr eine Hoͤhe, mit der ſie die Baͤume ausgleicht, und die Nymphen, die ſie umgeben, zu Zwerginnen verklei - nert. Unſtreitig uͤberſchritt hier Domenichino die Graͤnzen ſeiner Kunſt. Denn eine Figur, die an dem Orte, wo ſie ſteht, nach den Regeln der Perſpektiv ungeheuer wird, zerſtoͤhrt den Sinnebetrug, und alle Wuͤrkung, die wir von einer wohlgeordneten Gruppe erwarten. Mehr Adel, mehr Wuͤrde in Mine und Bildung wuͤrde die Goͤttin hinreichend von den um - ſtehenden Nymphen unterſchieden haben. Allein ge - rade daran fehlt es unſerer Diana. Ihr Kopf iſt ohne Ausdruck, die Figur wird vorzuͤglich durch das ſonder - bar geworfene Gewand ſchwerfaͤllig; die Stellung iſt gezwungen, und die Haͤnde ſind incorrekt gezeichnet.

Unter den umſtehenden Nymphen gibt es herrliche Koͤpfe, und der Ausdruck des freudigen Erſtaunens, mit welchem die eine die Geſchicklichkeit ihrer Geſpie - lin bewundert, iſt unvergleichlich.

Etwas weiter zur Linken auf dem zweiten Plane ſieht man die Gruppe der Nymphen, die wuͤrklich mit Schießen beſchaͤfftigt ſind, oder doch naͤheren An - theil daran nehmen. Sie hat ganz meinen Beifall. Es herrſcht in Minen und Stellungen die groͤßte Wahrheit und Mannichfaltigkeit des Ausdrucks. Die eine Nymphe hat gerade den Pfeil abgedruͤckt, der den aufgeſteckten Vogel getroffen hat: Ihr Arm liegt noch in der Stellung des Abſchnellens. Eine andere macht ihr freudig den gluͤcklichen Schuß bemerklich. Eine288Pallaſt Borgheſe. Eine dritte, die mit ihr geſchoſſen hat, ſcheint ihr das Verdienſt des Treffens abzuſtreiten. Eine vierte zieht einen Pfeil aus dem Koͤcher, und eine fuͤnfte betrach - tet mit beſorglichem Intereſſe den Flug des Pfeils. Vielleicht ruͤckte der Mahler bei der Darſtellung dieſer letzten Figur die Handlung um einige Augenblicke zu - ruͤck, und vergaß, daß die Mahlerei ſich mit Darſtel - lung einer ſichtbar ſtehenden Handlung begnuͤgen muß. Die Nymphe ſieht, daß der Vogel getroffen iſt, wie kann ſie noch beſorgen, daß er nicht getroffen werden moͤge? Hinter dieſer Gruppe zwei Figuren, die beifaͤl - lig zuſehen.

Auf dem Vorgrunde eine dritte Gruppe. Von zwei Nymphen, die ſich baden, ſucht die eine die an - dere auf den gluͤcklichen Schuß aufmerkſam zu machen. Dieſe beiden Figuren ſcheinen mir vorzuͤglich ſchoͤn. Der Schlagſchatten, der von den Baͤumen auf ſie faͤllt, thut eine ſehr gute Wuͤrkung. Vielleicht aber ſind die Koͤpfe zu groß. Eine dritte Nymphe, die den Schuh anlegt, und die man von hinten zu ſieht, iſt im Halbſchatten gehalten, und zeigt bei den reitzend - ſten Formen eine Menge der zarteſten Tinten. Zwei Schaͤfer, die im Buſchwerk verſteckt ſind, belauſchen die Badenden, und die Faͤrbung ihrer Koͤpfe iſt aͤuſ - ſerſt kraͤftig. Ein Hund, der auf ſie zuſpringen will, wird mit aller Staͤrke von einer Nymphe aufgehalten. Form und Ausdruck dieſer Figur ſind vortrefflich.

So viel von der poetiſchen Erfindung dieſes Bil - des, wobei ich beilaͤufig ſchon einige Fehler gegen an - dere Theile der Kunſt geruͤgt, und einige Vorzuͤge in Anſehung eben dieſer Theile herausgehoben habe.

Die289Pallaſt Borgheſe.

Die mahleriſche Anordnung iſt im Ganzen keinesweges zu billigen. Die Gruppen haben nicht die Verbindung mit einander, die das Ge - maͤhlde als ein Ganzes beim erſten Anblicke darſtellen ſollte. Auch ſind zu viel Figuren auf dem Bilde: im Hintergrunde iſt Gewuͤhl. Aber einzelne Grup - pen ſind vortrefflich componirt.

Von dem Ausdruck habe ich bereits geredet; er iſt vortrefflich. Man findet Koͤpfe von großer Schoͤn - heit. Die Zeichnung iſt fein, aber nicht ganz ohne Incorrektionen. Die Gewaͤnder ſind ſchlecht. Das Colorit iſt angenehm, aber nicht immer wahr; die Beleuchtung hin und wieder gluͤcklich geleitet: Allein im Ganzen mangelt es doch an Harmonie, und eben dies kann man noch dem Colorit vorwerfen. Auch die Luftperſpektiv iſt vernachlaͤßigt.

Drittes Zimmer.

Zwei Portraits auf einem Bilde, halbeFra Seba ſtiano und der Cardinal Hippolytus di Medices, gemeiniglich Borgia und Machiavell genannt. Figuren. Die eine Figur mit dem Siegel in der Hand ſcheint den Fra Sebaſtiano del Piombo vorzu - ſtellen, die andere aber den Cardinal Hippolytus di Medices.

Man hat dies Bild, ſeiner Vortrefflichkeit we - gen, oft dem Raphael zugeſchrieben. Allein es iſt wahrſcheinlicher vom Fra Sebaſtiano del Piombo. Das Siegel in der Hand zeigt ſein Amt und ſeinen Beinahmen an. Hippolytus, deſſen Nahme auf dem Bilde ſteht, war des Sebaſtiano Goͤnner. Wir wiſ - ſen, daß dieſer ihn gemahlt hat, und daß er in Bild -Erſter Theil. Tniſſen290Pallaſt Borgheſe. niſſen ſeine groͤßte Staͤrke beſaß. Fuͤr einen Raphael iſt die Zeichnung vorzuͤglich an den Haͤnden nicht be - ſtimmt genung: die Faͤrbung hingegen fuͤr ihn zu kraͤftig.

Man nennt die Perſonen auf dieſem Bilde auch Machiavell und Borgia, aber ohne Grund.

Das heilige Abendmahl von Schia - vone. 11)Andrea Schiavone (geb. 1522. zu Sebenigo in Dalmatien, geſt. zu Venedig 1582.) Die beruͤhm - teſten Meiſter der Venetianiſchen Schule waren ſeine Lebrer. Kraͤftige Faͤrbung war ſein Hauptverdienſt, dabei ahmte er die Natur ſo genau nach, als es ſeine geringe Fertigkeit in der Zeichnung zuließ. Gemeiniglich mahlte er nur kleine Figuren 1 oder 2 Fuß hoch, und die unbeſtimmt gezeichneten Ex - tremitaͤten bei der kraͤftigen Faͤrbung koͤnnen den Meiſter nachweiſen.Ein Bild, welches von Tizian zu ſeyn verdiente: So ſchoͤn ſind die Koͤpfe, ſo wahr und mannichfaltig die Charaktere, obgleich von gemeiner Natur, ſo kraͤftig iſt die Faͤrbung.

Ein ſchoͤner Moſeskopf von Guido Reni, aus ſeiner dunkeln Manier.

Lucine und Norandin welche, in Schaafs - fellen gehuͤllet, unter der Heerde des Rieſen aus ſeiner Hoͤhle zu entfliehen ſuchen. Eins der beſten Gemaͤhlde des Lanfranco in Oehl. Die Figur des Rieſen iſt gut, die andern haben Ausdruck. Vielleicht haͤtte dies Suͤjet, welches aus dem 17ten Buche des Arioſts entlehnt iſt, nicht gemahlt werden ſollen.

Simſon, eine Academie, die man dem Tizian zuſchreibt. Der Nahme des Meiſters iſt zweifelhaft.

Joſeph291Pallaſt Borgheſe.

Joſeph und Potiphars Frau von Lanfranco.

Loth zwiſchen ſeinen Toͤchtern von Hont - horſt. 12)Gerhard Honthorſt, in Italien Gherardo dellaGerhard Honthorſt. Notte genannt, geb. zu Utrecht 1592. geſt. nach 1662. Ein Schuͤler des Caravaggio, dem er in der niedrigen Wahl der Gegenſtaͤnde, des Ausdrucks und der Formen, auch in dem Grundſatze folgte, durch pikante Wuͤrkung des Lichts und Schattens zu gefallen. Er mahlte hauptſaͤchlich Nachtſtuͤcke; daher der Beinahme. Sein Colorit faͤllt zu ſehr ins Gelbe und Rothe, und iſt, mit allem Scheine von Wahrheit, doch conventionell. Schalken hat unendlich mehr Wahrheit.

Ein Lamm, das von einem Schaafe ge - ſaͤuget wird, von Paolo Veroneſe.

Cleopatra und ein Ecce Homo, zwei Ge - maͤhlde vom Tizian. Der Nahme iſt zweifelhaft.

Eine junge Nonne, die man gleichfalls dem Tizian zuſchreibt. Faͤrbung und Haͤnde beweiſen den Ungrund dieſer Angabe. Sie iſt wahrſcheinlicher von Vanni da Siena. 13)Franceſco Vanni da Siena, geb. 1563. geſt. 1609. Schuͤler des Salimbene und vorzuͤglich des Baro - zio, deſſen Colorit er jedoch milderte, und mit einer correkteren Zeichnung verband.Es iſt eine ſehr angenehme Fi - gur, die ſich ihrer Reitze nicht bewußt zu ſeyn ſcheint.

Der Leichnam Chriſti zwiſchen zwei En - geln, auf Kupfer, von Guercino. Ein Gemaͤhlde aus ſeiner guten Zeit.

Eine heilige Familie in einem ovalen Rah - men. Man haͤlt ſie fuͤr Raphaels Werk, aber dieT 2Zeich -292Pallaſt Borgheſe. Zeichnung iſt nicht correkt genung, um es fuͤr etwas mehreres, als fuͤr ein Werk aus ſeiner Schule zu hal - ten. Einige Kenner behaupten, es ſey ein hoͤchſt ſel - tenes Oehlgemaͤhlde vom Polydoro da Caravaggio. Der Kopf der Madonna iſt gut.

Viertes Zimmer.

Gemaͤhlde Raphaels aus ſeiner erſten Ma - nier.
172

Ein bewaffneter Ritter, der in einer Landſchaft ſchlaͤft, und von zwei Heiligen be - wacht wird. Dies kleine Gemaͤhlde iſt ſehr intereſ - ſant, weil es aus der erſten Manier Raphaels iſt, wahrſcheinlich als er noch unter ſeinem Meiſter Peru - gino arbeitete. Es hat viel aͤhnliches in der Behand - lung mit dem heiligen Georg, der den Lindwurm toͤd - tet, in der koͤnigl. Sammlung zu Paris. Man er - kennt ſchon das Ausdrucksvolle, das Bedeutende in den Minen, das unſern Kuͤnſtler immer ausgezeich - net hat. Uebrigens iſt der Geſchmack der Zeichnung kleinlich, trocken und ſteif.

Zu beiden Seiten hat Il Fattore zwei andere Figuren gemahlt, die zwar in einem großen Stil ge - zeichnet ſind, aber lange nicht den Ausdruck und die Beſtimmtheit der Vorigen haben.

Eine Madonna mit dem Chriſt, dem ſie einen Vogel ſchenkt. Anmuthiger Gedanke. Aber das Licht iſt zu grell, und die Schatten ſind zuſchwarz. Wahrſcheinlich von Guercino.

Der heilige Johannes der Taͤufer, angeb - lich von Raphael. Es iſt der, den man ſo oft ſieht, und fuͤr deſſen Originalitaͤt man allerwaͤrts mit glei -chem293Pallaſt Borgheſe. chem Eifer kaͤmpft. Inzwiſchen duͤrfte dieſer hier doch ſchwerlich der aͤchte ſeyn.

Eine Madonna mit dem Kinde, von Ser - monetta. Die Stellung iſt uͤbertrieben, und die Farbe faͤllt ins Rothe.

Eine Kreutzabnehmung, von Raphael. Raphaels Kreutzabneh - mung aus ſeiner zwei - ten Manier.So ſagt es die Innſchrift und die Jahrzahl 1508. Vaſari meldet, er habe das Bild fuͤr den großen Al - tar von Perugia gemacht, nachdem er von Florenz zuruͤckgekehrt war. Der Kuͤnſtler ſtand noch nicht auf der Hoͤhe der Vollkommenheit, die er nachher er - reicht hat, als er dieſes Bild verfertigte, aber er hatte ſchon den gothiſchen Geſchmack der Schule des Per - rugino verlaſſen. Man findet kein natuͤrliches Gold mehr, weder in den Glorien um die Koͤpfe der Heili - gen, noch in den Stickereien auf den Kleidern. Die Hand iſt noch etwas furchtſam, demohngeachtet aber der Ausdruck unvergleichlich. Die Koͤpfe ſind ſchoͤn, die Zeichnung iſt fein und correkt, die Faͤrbung, ohne kraͤftig zu ſeyn, friſch und durchſichtig; die Behand - lung geleckt, und bis zur Kaͤlte ſorgſam in den gering - ſten Beiwerken. Hieran, und an dem Stile in den Gewaͤndern, erkennt man die Bekanntſchaft des Mei - ſters mit den Werken des Leonardo da Vinci, und des Fra Bartholomeo. Die Luftperſpektive und das Helldunkle fehlen ganz. Die Umriſſe ſind etwas hart und nicht genung verſchmolzen.

Die heilige Catharina, von demſelben. Derſelbe Stil, ja ſogar dieſelben Blumen auf der Erde. Der Kopf voller Ausdruck hat viel von ſei - ner Galathee im kleinen Pallaſt Farneſe, der ſogenann - ten Farneſina.

T 3 Die294Pallaſt Borgheſe.
Die Verſu - chung des h. Antonius.
172

Die Verſuchung des heiligen Antonius, von Annibale Carraccio. Eins der ſchoͤnſten Ge - maͤhlde der Gallerie. Mengs hatte Recht zu ſagen, daß Zuſammenſetzung und Zeichnung italieniſch waͤren, der Pinſel aber niederlaͤndiſch ſey. Der Kopf des hei - ligen Antonius, der viel Edles hat, zeigt eine muthige Ergebung in den goͤttlichen Willen. Die Teufel ſind mit wahrhaft poetiſcher Einbildungskraft geſchaffen, in jeder Muſkel ſieht man ihre Staͤrke, in jeder Mine ihre Bosheit. Weniger iſt dem Kuͤnſtler der Aus - druck majeſtaͤtiſcher Guͤte in der Figur Gottes des Vaters gegluͤckt. Seine Mine iſt zu ſuͤßlich.

Eine heilige Magdalena, von demſelben. Man ſieht, daß er den Correggio hat nachahmen wol - len, aber er hat ihn nicht erreicht.

Eine andere Magdalena mit dem Engel, von demſelben, oder wie andere wollen, von Ludo - vico Carraccio. An Faͤrbung und Haltung unter der Vorigen.

Man zeigt hier einige Michael Angelo’s, die man allerwaͤrts zeigt, und die wahrſcheinlich hier ſo wenig als dort Originale ſind. 14)Ich habe ſchon erinnert, daß es aͤußerſt zweifel - haft ſey, ob M. Angelo je in Oehl gemahlt habe.

Eine heilige Familie mit der Magdalena, von Tizian, und wahrſcheinlich Original.

Mann und Weib die ſich umarmen. Dieſes Bild geht in der Scuola Italiana von Ha - milton unter dem Nahmen des Giorgione. Er ſelbſt iſt aber jetzt uͤberzeugt, daß es nicht von ihm ſey. Inzwi -295Pallaſt Borgheſe. Inzwiſchen es ſey von wem es wolle, ſo bleibt es ein ſchoͤnes Gemaͤhlde, deſſen Farbe nur etwas gelitten hat.

Schoͤne Landſchaft, von Domenichino, mit Welbern die Voͤgel fangen.

Verloͤbniß der heiligen Catharina, vonVerloͤbniß der heil. Ca - tharina von Parmeggia - nino. Parmeggianino. Dies Gemaͤhlde iſt voller Reitz, das Helldunkle ſchoͤn gewaͤhlt, nur ſind die Figuren etwas lang, und die Faͤrbung faͤllt ins Graue. Der Kopf des heiligen Hieronymus unten auf dem Bilde, der aus der Erde hervorzuragen ſcheint, ſteht ſehr am unrechten Orte. Strange hat es ſchlecht ge - ſtochen.

Franceſco Mazzuoli ward 1504. zu Parma ge -Stil des Parmeggia - nino. bohren, und wird daher auch Parmeggianino ge - nannt. Er ſuchte die Zeichnung des Raphael, mit den Vorzuͤgen des Correggio zu vereinigen. Er hatte weder Begriffe von Zuſammenſetzung noch von An - ordnung und Ausdruck. Aber er wußte ſeinen Figu - ren einen gewiſſen falſchen Reitz zu geben, der ſehr anzieht. Seine Umriſſe ſind ſehr fein und ſehr ſwelt; ſeine Koͤpfe haben viel Gefaͤlliges. Aber bei einer ge - naueren Unterſuchung wird man finden, daß Alles in - correkt und manierirt iſt. Seine Figuren ſind zu lang, die Finger an den Haͤnden ſind ſpindelmaͤßig. Ge - waͤnder, und beſonders der Kopfputz haben etwas rei - tzend Phantaſtiſches. Seine Faͤrbung faͤllt ins Graue und iſt ohne Harmonie. Man kann Liebhaber nicht genung vor den verfuͤhreriſchen Reitzen dieſes Meiſters warnen. Er ſtarb 1540.

Die Auferweckung des Lazarus von Ludo - vico Carraccio, auf Schiefer. Sehr correkt ge -T 4zeichnet,296Pallaſt Borgheſe. zeichnet, und ſchoͤn angeordnet, aber es fehlt an Aus - druck, und die Farbe faͤllt ins Schwarze.

Eine Charitas, ſchoͤnes Gemaͤhlde von Guercino auf Kupfer, ſehr lieblich und aus ſeiner letzten hellen Manier.

Ein Kopf, angeblich vom Tizian.

Chriſt treibt die Kaͤufer aus, ferner die Grablegung Chriſti, zwei der beſten Werke des Venuſto. 15)Marcello Venuſto von Mantua war einer der ge - treuſten Nachahmer des Michael Angelo. Die mei - ſten kleineren Werke in Oehl, die man dem letztern beilegt, ſind vom Venuſto.

Heilige Catharina, die in einem Buche lie - ſet, halbe Figur, aus der Bologneſiſchen Schule.

Ein todter Chriſt zwiſchen den Weibern und ſeinen Schuͤlern, von Paſſignano.

Heilige Caͤci - lia von Do - menichino.
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Eine heilige Caͤcilia von Domenichino, halbe Figur. Eins der beruͤhmteſten Gemaͤhlde die - ſer Gallerie. Der Mahler hatte die Idee, den naiven Ausdruck eines ſchuͤchternen Aufhorchens auf den Klang der himmliſchen Harmonie darzuſtellen. Ich fuͤrchte, er hat den Ausdruck des ſtumpfen Stau - nens ein wenig geſtreift. Dieſer Vorwurf macht mich nicht blind gegen die regelmaͤßigen, und doch ange - nehmen Zuͤge dieſes ſchoͤnen Kopfes. Daran muß man ſich aber auch allein halten. Die Hand, die das Papier mit Noten haͤlt, iſt vielleicht ein wenig verzeichnet, der Kopfputz zu unbehuͤlflich, und der Faltenſchlag zu unbeſtimmt. Die Faͤrbung iſt zukreide -297Pallaſt Borgheſe. kreideweiß im Lichte, und zu gruͤn in den Schatten. Ueberhaupt fehlt es dieſem Bilde an Waͤrme und Harmonie.

Es iſt bekannt, daß Raphael eine große Com - poſition von dieſem Suͤjet gemahlt hat, welche in Bo - logna haͤngt. Es iſt intereſſant, die Verſchiedenheit des Charakters beider Meiſter aufzuſpuͤhren, in der verſchiedenen Art, wie ſie ſich den Charakter der Hei - ligen und die Stimmung ihrer Seele in dem Augen - blicke, wie ſie die himmliſche Muſik hoͤrt, gedacht haben. Raphael mahlte das Entzuͤcken eines Gei - ſtes, der zu uͤberirrdiſchen Empfindungen hingeriſſen wird; Domenichino den ſinnlichen Eindruck des furcht - ſamen Aufhorchens. So zeigt ſich der eine als Mann von hoher Einbildungskraft, und großen Gefuͤhlen, der andere als feiner Bemerker wahrer aber nicht un - gewoͤhnlicher Empfindungen. Man koͤnnte ſagen, beide waͤren nur in der Wahl des Augenblicks verſchie - den, denn man denke ſich ſehr wohl die Regung, die Domenichino darſtellte als den Anfang des Eindrucks, der ſich nachher beim Raphael bis zum kuͤhneren En - thuſiasmus verſtaͤrkte. Allein die Phyſiognomie einer Caͤcilia des Domenichino wuͤrde ſich zu dem Ausdruck der Caͤcilia eines Raphaels nie paſſen, und die Wahl des Augenblicks allein beſtaͤtigt die angezeigte Verſchie - denheit des Charakters beider Meiſter.

Fuͤnftes Zimmer.

Aeneas, der ſeinen Vater traͤgt, vonAeneas und Anchiſes von Baroccio. Barozio oder Baroccio wie andere ſchreiben. DerT 5Mahler298Pallaſt Borgheſe. Mahler hat dieſes Bild fuͤr ſein Meiſterſtuͤck gehalten, und ſeinen Nahmen mit goldenen Buchſtaben darauf geſetzt. Dem ohngeachtet bleibt es ein buntſcheckiges Fechtelgemaͤhlde, an dem Ausdruck, Zeichnung und Colorit gleich unwahr ſind. Auguſtino Carraccio ſtach es in Kupfer, und verbeſſerte die Fehler in der Zeichnung. Allein Baroccio wußte ihm wenig Dank fuͤr dieſe angemaaßte Fuͤrſorge.

Baroccio.
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Federico Baroccio lebte von 1528 bis 1612. Er fuͤhrte zu ſeiner Zeit einen ihm eigenen Geſchmack ein, aber es war der falſcheſte, der ſich denken laͤßt. Es iſt nichts Wahres darin, weder in Anſehung des Ausdrucks, der Zeichnung, noch des Colorits.

Seine Grazie iſt Affectation. Das Fließende ſeiner Umriſſe wird zur Unbeſtimmtheit, und der bunte Glanz ſeiner gelben Lichter und blauen Schatten, ge - ben ſeinem Colorit das voͤllige Anſehen der modernen franzoͤſiſchen Fechtelmahlerei. Inzwiſchen hat er einiges Verdienſt im Helldunklen, und er ſcheint darin, wie uͤberhaupt in der Grazie, den Correggio zum Vorbilde gewaͤhlt zu haben.

Venus und Cupido, der ſeinen Bogen ſpannt, von Paolo Veroneſe.

Chriſt als Kind von zwei Engeln gehalten, von Salimbene.

Eine heilige Caͤcilia voller Ausdruck. In Anſehung des Helldunklen hat dies Bild viel von der Manier des Guercino. Es iſt vom Cavaliere Maſſini.

Vier runde Gemaͤhlde vom Albano. Sie haben gelitten, und ſind nicht von ſeinen beſten Wer -ken,299Pallaſt Borgheſe. ken, was die Ausfuͤhrung betrifft, aber die Zuſam - menſetzung iſt reitzend.

Zwei heilige Familien von Tizian. AufZwei heilige Familien von Tizian. der einen betet ein Hirte den Chriſt an, auf dem an - dern bietet ihm eine Heilige einen Korb mit Blumen dar. Beide ſind aus ſeiner dunklen Manier, und beide ſehr ſchoͤn. Vorzuͤglicher ſcheint das Bild mit dem Hirten zu ſeyn. Hier hat jedes Alter, jedes Ge - ſchlecht ſeinen ihm eigenthuͤmlichen Ton der Faͤrbung. Das Kind iſt in einem angenehmen Halbſchatten ge - halten; auch iſt der Hirte ſehr wahr und gut geſtellet. In dem zweiten verdient vorzuͤglich der Arm des Chriſts, der Kopf und die Stellung der Heiligen Auf - merkſamkeit.

Die Schuͤler zu Emmaus von Caravag - gio. Ein ſehr pikantes Gemaͤhlde. Ungeachtet der ſchlechten Wahl der aufgefuͤhrten Perſonen, denn man trifft auch ſogar den Koch darauf an; ungeachtet der gemeinen Charaktere und der uͤbertriebenen Schatten, kann man dieſem Gemaͤhlde dennoch das Zeugniß nicht verſagen, daß man die Nachahmung niedriger Wahr - heit, vorzuͤglich durch den Zauber der Ruͤndung, nicht hoͤher treiben koͤnne.

Die Auferweckung des Lazarus von Ludo - vico Carraccio. Vielleicht herrſcht in dieſem Ge - maͤhlde mehr Ausdruck, als in dem vorigen, auf dem derſelbe Meiſter daſſelbe Suͤjet vorgeſtellet hat.

Sechstes Zimmer oder Saal.

Es iſt ganz mit Spiegeln bekleidet, die mit Fi - guren und Blumen bemahlt ſind. Die Figuren ſindvon300Pallaſt Borgheſe. von Ciroferri, die Blumen aber von Morell, wie man behauptet.

Siebendes Zimmer.

Die drei Grazien von Vanni.

Venus und der Liebesgott von Cambiaſi.

Amor von demſelben.

Ein nacktes Weib bis auf den halben Leib von Salviati. Man ſchreibt es dem Giulio Ro - mano zu.

Meernymphen mit vielen Muſcheln von Lavinia Fontana.

Andromeda vom Cavaliere d’Arpino.

Das Uebrige beſteht groͤßtentheils aus Copien.

In dieſem Zimmer iſt auch eine Venus, in dem Augenblicke dargeſtellt, worin ſie ihr Gewand ſo weit fallen laͤßt, daß ſie nur den Ort noch bedeckt, den die Schaamhaftigkeit dem Auge zu entziehen be - fielt. Ich habe ſchon an einem andern Orte bemerkt, daß dieſe Vorſtellungsart in Rom durch den Nahmen: Venus Victrix, bezeichnet wird. Der Koͤrper iſt ſchoͤn; Naſe, Arm und ein Theil der Drapperie ſind modern.

Das Piedeſtal, auf dem ſie ſtehet, iſt mit einem Bacchanale gezieret.

Ein kleines Zimmer mit lauter Cabinetſtuͤcken.

Schoͤne Zeichnung
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Eine kleine Zeichnung Raphaels, die ein erſter Gedanke zu ſeyn ſcheint. Sie ſtellet einen tod -ten301Pallaſt Borgheſe. ten Chriſt unter den Weibern und Juͤngern vor. Ge -von Ra - phael. danke, Ausdruck und Zeichnung ſind vortrefflich. Jeder Federzug gibt Leben und Seele.

Eine heilige Familie, die man dem Andrea del Sarto zuſchreibt.

Die drei Grazien aus der Schule Raphaels. Zu unrichtig gezeichnet, um von ihm ſelbſt zu ſeyn.

Der heilige Petrus, von Ludovico Carraccio.

Ein kleiner Kopf von Tizian, welcher eineBildniß ei - ner Blondine von Tizian. ſchoͤne Blondine vorſtellet. Er iſt ſehr hell gehalten, und das blonde Haar umgibt ihn von allen Seiten. Dem ohngeachtet hebt er ſich ungemein hervor.

Kopf einer Nonne von Vanni.

Heilige Familie von Albano. Sehr ſchoͤn gedacht.

Die Madonna, die ihr Kind ſtillt, von demſelben.

Ein Weib, das einen Vogel fliegen laͤßt, von Domenichino.

Drei Grazien mit Blumen umwunden, von demſelben.

Neſſus, der Dejaniren raubt, von dem - ſelben.

Eine Flucht nach Aegypten. Zuſammen - ſetzung im Geſchmack des Correggio, von Ludovico Carraccio.

In dem letzten Zimmer mit der durchge - brochenen Ausſicht auf die Tiber.

Zwei antike drappirte Figuren, die Ver - dienſt haben.

Beim302Pallaſt Borgheſe.

Beim Zuruͤckgehen durch den Spiegelſaal trifft man auf der linken Seite noch drei Zimmer mit Ge - maͤhlden an.

In dem Erſten.

Die goͤttliche und die irr - diſche Liebe von Tizian.
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Zwei Weiber bei einem Brunnen, der mit Basreliefs geziert iſt. Ein Amor tunkt die Hand in den Brunnen. Dies iſt eins der ſchoͤnſten Gemaͤhlde vom Tizian, und dem angehen - den Kuͤnſtler um ſo ſchaͤtzbarer, weil es gut conſervirt, und aus derjenigen Zeit iſt, in der er das Geheimniß ſeiner Faͤrbung noch nicht unter dem Scheine einer gar zu großen Leichtigkeit verſteckte. Man kann die Idee dieſes Gemaͤhldes nicht ganz begreifen. Die eine Fi - gur iſt bekleidet, die andere nicht. Dies mag viel - leicht Gelegenheit zu der Benennung der goͤttlichen und profanen Liebe gegeben haben. Die Faͤrbung iſt das Hauptverdienſt dieſes Gemaͤhldes.

Eine heilige Familie aus der Schule des An - drea del Sarto.

Kopf eines Cardinals, vom Andrea del Sarto ſelbſt.

Julius der Zweite aus Raphaels Schule.

Carrikatur eines Menſchen, der auf einem Eſel reitet, vom Annibale Carraccio.

Der heilige Johannes von Simone da Pe - ſaro.

Einige Zeichnungen von Giulio Romano.

Eine ſehr geſchaͤtzte Copie von der Transfi - guration Raphaels.

Ein303Pallaſt Borgheſe.

Ein liegender Hermaphrodit auf einemLiegender Hermaphro - dit, eine Statue. Gewande, welches von Leinen zu ſeyn ſcheinet. Dieſe ſchoͤne Statue iſt mehr beſchaͤdigt, als jene dieſer aͤhn - liche in der Villa Borgheſe, von der ſie uͤberhaupt eine antike Wiederholung ſeyn koͤnnte.

Zweites Zimmer.

Venus verbindet dem Amor die Augen. Venus ver - bindet dem Amor die Au - gen mit Bei - ſtand eines ſeiner Bruͤ - der und der Grazien.Ein anderer Amor ſcheint ihr dazu zu rathen. Die Grazien bemaͤchtigen ſich ſeiner Waffen. Figuren bis auf halben Leib vom Tizian. Dieſes Gemaͤhlde aus ſeiner beſten Zeit hat zwar gelitten, bleibt aber doch noch in manchen Parthien ein Meiſter - ſtuͤck ſeines Pinſels. Man ſieht hier wahres Fleiſch, deſſen Tinten ſo in einander getrieben ſind, daß die Sinne ihre Wahrheit fuͤhlen, aber der Verſtand ſie nicht entraͤthſelt. Die Gewaͤnder ſind dem Anſchein nach mit der erſten Arbeit fertig geworden.

Der heilige Johannes in der Wuͤſten von Paolo Veroneſe. Keins der beſten Gemaͤhlde dieſes Meiſters, obgleich die Koͤpfe ſchoͤn ſind.

Der heilige Antonius predigt den Fiſchen von demſelben.

Die Jungfrau zerdruͤckt der Schlange den Kopf, indem der Chriſt ſeinen Fuß auf den ih - rigen ſetzt, von Caravaggio.

David im reiferen Alter mit dem KopfeDavid vom Giorgione. Goliaths und ſeinem Schildtraͤger. Ridolfi ſprach von dieſem Gemaͤhlde des Giorgione, und ſagte,daß304Pallaſt Borgheſe. daß es in dem Pallaſt Borgheſe befindlich ſey. Es war dem ohngeachtet verlohren gegangen. Hamilton fand es auf, ließ es reinigen, und ſtellte eins der be - ſten und wohlerhaltendſten Gemaͤhlde dieſes Meiſters wieder her. Die Figuren ſind ſehr kraͤftig gemahlt, und treten ungemein vor. David traͤgt einen Panzer.

Kopf einer alten Frau vom aͤltern Baſ - ſano, ein Bildniß voller Wahrheit. Der Charakter zeigt viele Gutmuͤthigkeit.

Ein Bildniß eines jungen Maͤdchens von Leandro Baſſano. Man kann nichts reitzenderes, nichts wahreres, nichts ausdruckvolleres ſehen.

Ueber Gia - como Baſſa - no, und ſei - ne Schuͤler Leandro und Franceſco.
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Giacomo da Ponte aus Baſſano im Venetiani - ſchen, gemeiniglich Baſſano der aͤltere genannt, ward 1510 gebohren. Er ſtudirte nach Tizian, und nach der Natur. Wahrheit ohne Wahl, niedrige Wahrheit war der einzige Grundſatz, nach dem er ar - beitete. Er erreichte ſie bis zu einer gewiſſen Stufe, und damit hoͤrte er auf. Seine unzaͤhlichen Werke haben alle nur einen Charakter, und ſind daher auf den erſten Blick zu kennen. Niedrige Gedanken, ohne Ordnung zuſammengeworfene Figuren, incor - rekte Zeichnung trifft man in allen an. Er konnte keine Extremitaͤten zeichnen, darum verſteckte er bei - nahe immer die Fuͤße ſeiner Figuren. Sein Haupt - vorzug iſt der vortreffliche Auftrag der Farben, ein großer Schein von Wahrheit in dem Fleiſche. Die Localfarbe in ſeinen Carnationen iſt vortrefflich, friſch, rein und kraͤftig. Er ſtarb im Jahre 1592. Fran - ceſco und Leandro Baſſano ſeine Soͤhne und Schuͤler haben ſich genau an die Manier ihres Vaters gehalten. Man305Pallaſt Borgheſe. Man unterſcheidet ihre Werke nur durch ein weniger kraͤftiges Colorit, deſſen Schatten ins Graue fallen.

Judith mit dem Kopfe des Holofernes von Muziano. 16)Girolano Muziano (geb. in dem Gebiet Breſcia 1528. geſt. 1590. zu Rom.) Dieſer Meiſter ver - einigte eine correkte Zeichnung mit dem Stile der Venetianiſchen Faͤrbung. Schade, daß letztere in allen ſeinen Gemaͤhlden verblichen iſt, und daß der Ton zu ſehr ins Gruͤnlichte faͤllt. Seine alten Koͤpfe waͤhlte er ſehr gut, und gab ihnen viel Ausdruck.

Zwei heilige Familien von Pintoricchio.

Zwei Statuen antiker Kinder. Das eine, welches einen Vogel neckt, iſt von großer Schoͤn - heit, aber Haͤnde und Fuͤße ſind modern.

Letztes Zimmer.

Eine Madonna mit dem Kinde von Giu - lio Romano. Man findet im Palais Royal zu Paris eine Wiederholung dieſes Gemaͤhldes, und legt es dem Raphael bei. Die Extremitaͤten ſind ein we - nig hart und incorrekt; die Faͤrbung faͤllt ins Graue. Dem ohngeachtet macht die reitzende und edle Geſtalt der Madonna und die Schoͤnheit der Gruppe dieſes Bild aͤußerſt pikant.

Eine heilige Familie von Vaſari.

Eine heilige Familie von Luini.

Ein heiliger Johannes von Bronzino.

Ein heiliger Franciſcus mit einer Glorie von Annibale Carraccio.

WeiberErſter Theil. U306Pallaſt Borgheſe.

Weiber weinen uͤber den todten Chriſt. Ein Bild, das ſeines Autors wegen merkwuͤrdig iſt. Man findet den Nahmen Lazari Bramante darauf, welches den Nahmen des beruͤhmten Architekten anzuzeigen ſcheint.

Bildniß eines andern Architekten des Vi - gnola von ihm ſelbſt gemahlt.

Eine kleine antike weibliche Figur mit einem ſchoͤnen Gewande, Statue.

In dem nahe liegenden Garten.

Einige Basreliefs vom guten Stil. Baccha - nalen, Opfer und einige Gegenſtaͤnde aus dem Homer.

Unter den Statuen iſt außer einer Terpſichore nicht viel Gutes.

Oben in dem Zimmer der Prinzeſſin ſind einige Landſchaften von Vernet, die Aufmerkſam - keit verdienen. Die Faͤrbung iſt darinnen viel beſſer, als in ſeinen ſpaͤtern Werken, die ich in Paris geſehen habe.

Winkelmann ſpricht von einer coloſſaliſchen Buͤſte eines Kaiſers, die ſich in den obern Zimmern des Pal - laſts finden ſoll. Ich habe ſie nicht geſehen.

Theil des Pallaſts der von dem Prinzen Al - dobrandini
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In dieſem Pallaſte bewohnet nun auch der Prinz Aldobrandini, Oncle des Prinzen Borgheſe, einige Zimmer, in denen ſich noch eine Auswahl von Gemaͤhlden findet, die demLieb -307Pallaſt Borgheſe. Liebhaber um ſo intereſſanter ſeyn muͤſſen, dabewohnt wird. es ſogenannte Cabinetsſtuͤcke von der Hand der groͤßten Meiſter ſind.

Eine Flucht nach Aegypten von Baroccio. Eins der be - ſten Gemaͤhl - de des Ba - roccio.Man kennt zwei Wiederholungen dieſes Gemaͤhldes. Die eine, die ſchoͤner als die gegenwaͤrtige ſeyn ſoll, iſt nach England gegangen, eine andere von minderem Werth findet ſich in dem Pallaſt Quirinale. Die Zu - ſammenſetzung iſt ſehr reitzend. Die Madonna ſchoͤpft Waſſer; Joſeph reicht dem Kinde Kirſchen. Die Figuren haben, wider die Gewohnheit des Meiſters, vielen Reitz ohne Affectation. Die Faͤrbung iſt lieb - lich, und doch ziemlich wahr.

Chriſt zwiſchen den Phariſaͤern von Leo -Chriſt zwi - ſchen den Phariſaͤern, von Leonar - do da Vinci. nardo da Vinci, halbe Figur. Der Kopf des Chriſts hat den Charakter von Sanftmuth, die ihm die Schrift vor andern Tugenden vorzuͤglich beilegt, und die Formen ſind ſchoͤn, ohne ſich jedoch uͤber die Graͤnzen der Menſchheit zu erheben. Die Haͤnde ſind ſehr ſchoͤn. Außer dem Chriſt, ſind auch die uͤbrigen Koͤpfe voller Ausdruck, vielleicht aber ein wenig zur Carrikatur gehoben. Die Zeichnung iſt ſehr correkt, die Faͤrbung weniger braun als gewoͤhnlich, und die Ausfuͤhrung ſo beſorgt, daß ſie beinahe ins Trockene faͤllt.

Ich verſpare die Auseinanderſetzung des Stils dieſes Kuͤnſtlers auf einen andern Ort.

Der heilige Petrus von Guido.

Die Heimſuchung Mariaͤ von Bonvin - cino. 17)Aleſſandro Bonvincino, genannt Morello, geb. zuDie Koͤpfe haben einen gewiſſen AusdruckU 2von308Pallaſt Borgheſe. von Traurigkeit, der dem Suͤjet nicht angemeſ - ſen iſt.

Die Himmelfahrt Mariaͤ, von Annibale Carraccio. Nach der Idee des Correggio in Parma im Großen. Was es an Richtigkeit der Zeichnung gewonnen hat, das hat es an der Faͤrbung verlohren.

In einer Reihe von Zimmern uͤber dieſen, die der Prinz be - wohnt.

Chriſt der dem Petrus erſcheint von Annibale Carraccio.
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Chriſtus erſcheint dem Petrus beim Ponte Molle, und befiehlt ihm, nach Rom zuruͤck zu kehren, von Annibale Carraccio. Der Gedanke iſt gut, der Ausdruck des heiligen Petrus ſcheint mir uͤbertrieben. Die Zeichnung iſt vortrefflich, die Figur Chriſti iſt Alles, was man Schoͤnes ſehen kann. Jede Muſkel iſt angezeigt, und dennoch mit dem ſchoͤnſten Fleiſche bedeckt. Die Verkuͤrzung des Arms iſt unvergleichlich. Die Drapperie des heiligen Petrus ſcheint mir zu hart und eckig. Die Faͤrbung iſt kraͤftig und angenehm, auch fehlt es den Figuren nicht an Ruͤndung, und der Fall des Schattens auf den Leib Chriſti, den der aufgehobene Arm verurſacht, thut eine vortreffliche Wuͤrkung.

Eine Anbetung der Hirten von Guido Reni. Ein kleines allerliebſtes Gemaͤhlde aus ſeiner dunklen Manier mit ſehr edlen Koͤpfen.

Chriſti

17)zu Breſcia 1514. geſt. Schuͤler Tizians. Er un - terſcheidet ſich von dieſem durch eine Faͤrbung, die ins Violette, ins Weinhefenartige, faͤllt.

309Pallaſt Borgheſe.

Chriſti Leichnam unter den Weibern. Ein Gemaͤhlde al Freſco aus einer Mauer gebrochen, von Annibale Carraccio. Zuſammenſetzung und Zeich - nung ſind vortrefflich. Der Ausdruck der Madonna iſt eben ſo edel als wahr.

Eine ſehr ſchoͤne Landſchaft von Domeni - chino.

Ein Kopf von Perugino, trocken aber wahr.

Eine heilige Familie von Garofalo.

Ein Kopf des heiligen Johannes des Taͤu - fers vom Rumpfe getrennt auf einer Schuͤſſel von Giovanni Bellino.

Zwei Kinder, die ſich umarmen, von Giu - lio Romano, wahrſcheinlicher von Luini.

Zwei Ausſichten von Pannkni. Die eine ſtellt den Platz von Monte Cavalla, die andre den Platz von Sanct Peter vor. Sie gehoͤren unter ſeine beſten Werke, und ſind mit Figuren voller Geiſt und Leben ausſtaffiret.

Eine heilige Familie von Raphael. EinEine heilige Familie von Raphael, aus ſeiner mittleren Zeit. aͤußerſt koſtbares kleines Gemaͤhlde aus ſeiner mittleren Zeit. Die Zuſammenſetzung iſt ſehr gut. Der Chriſt iſt ſchoͤn, und der heilige Johannes wahr, nur der Kopf der Madonna mit den andern verglichen, weniger ſchoͤn. Die Zeichnung iſt aͤußerſt fein. Der Faͤrbung merkt man an, daß der Meiſter in der Zeit viel al Freſco gemahlt hatte. Die Tinten ſind nicht ſehr vertrieben.

Von einigen Landſchaften des Orizonte18)Julius Franciſcus von Bloemen, gebohren zuAnt - rede ich nicht.

U 3Die310Pallaſt Borgheſe.

Die Freſcogemaͤhlde in dieſen Zimmern ſind von einem neuern Mahler, der ſich Stiern nennet. Der Prinz hat die Beſchreibung derſelben auf Franzoͤſiſch drucken laſſen. Der Mahler hat ſich einen Gegen - ſtand von nicht geringem Umfange gewaͤhlet. Alle dieſe Mahlereien, ſagt die Beſchreibung, haben nur einen Gegenſtand, naͤmlich das große Weltall (L’uni - vers.)

In dem Hofe des Pallaſtes ſtehen einige Statuen, denen aber fremde Koͤpfe aufgeſetzt ſind, die mit dem Rumpfe in gar keiner Proportion ſtehen.

18)Antwerpen 1656. ſtarb zu Rom 1748. Wahrſchein - lich bildete er ſich nach Guaſpre Duͤghet oder Pouſ - ſin. Er componirte ſeine Landſchaften in deſſen Manier, aber nicht mit deſſen Geiſt. Man erkennt ihn hauptſaͤchlich an dem hochrothen Horizont, wo - von er den Nahmen erhielt. Seine Werke ſind Mittelgut, man ſieht ſie uͤberall.

Villa311

Villa Borgheſe. 1)Hr. Dr. Volkmanns Beſchreibung in ſeinen hiſto - riſch - kritiſchen Nachrichten von Italien, 2ter Band, S. 861. iſt durch die neueren Einrichtungen, die mit dieſer Villa vorgenommen ſind, beinahe un - brauchbar geworden.Hauptgebaͤude.

An den aͤußern Mauern rund umher ſind BasreliefsBasreliefs an den aͤuſ - ſern Mauern der Pallaͤſte angebracht. Dieſe Art der Verzierung iſt nicht zu billigen. angebracht, die aber theils in Anſehung der Kunſt zu wenig Aufmerkſamkeit verdienen, theils auch zu unvortheilhaft geſehen werden, um mich bei einer Anzeige und Beurtheilung derſelben zu verweilen. Der Geſchmack der vorigen Jahrhunderte, Basre - liefs an die aͤußeren Mauern eines Pallaſts anzubrin - gen, ſchadete dem Zierrathe und der Sache, die er zieren ſollte, auf gleiche Weiſe.

Eins hebe ich inzwiſchen heraus, vortrefflich dem Gedanken nach, und wie es ſcheint, nicht unter dem Gedanken in der Ausfuͤhrung: Priamus, der vom Achill den Leichnam Hektors, ſeines Sohns, erbittet. Er liegt flehend zu ſeinen Fuͤßen, Achill uͤberlaͤßt ihm ſeine Hand, aber wendet ſein Geſicht von ihm ab. Man findet ziemlich haͤufige Wiederholungen von die - ſem Suͤjet, aber hier hat es mir am beſten ausge - fuͤhrt geſchienen.

Unter den Statuen, die vor dem Hauſe ſtehen: zwei gefangene Koͤnige von Porphyr.

U 4Ich312Villa Borgheſe.

Ich uͤbergehe die ziemlich mittelmaͤßigen Statuen und Basreliefs in dem Porticus beim Eintritt in den Pallaſt.

Das Innere des Hauſes an der Erde be - ſtehet aus zweien Saͤlen und aus drei Kammern an jeder Seite dieſer Saͤle.

Der erſte Saal.

Plafond mit der Geſchichte des Camillus von Mariano Roſſi, einem neuern Sicilianer. Es herrſcht ein wildes Feuer in der Compoſition, deren Weisheit und Wahrheit, in Plan und Ausfuͤhrung, gerade die Probe eines Blicks aushaͤlt. Wir wiſſen ſchon, daß man von einem Plafond nichts mehr zu fordern berechtiget iſt. Inzwiſchen kann dieſer Blick den erſten Begriff von demjenigen geben, was die Italie - ner Spirito, nennen: ihnen ein geprieſener Vorzug, und dem aufgeklaͤrten Liebhaber ein ſchimmernder Feh - ler, den wir Deutſchen vielleicht durch blendenden Witz uͤberſetzen koͤnnten. Ich rede davon an einem andern Orte weiter.

Auf eine ſehr unſchickliche Art contraſtiren mit dieſem Plafond die Arabeſken, womit die Waͤnde ge - ziert ſind. Sie ſind gut an ſich, aber ſie gehoͤren nicht hieher, theils weil dieſe conventionelle Mahlerei zu der wuͤrklichen Darſtellung an der Decke keineswe - ges paßt; theils weil der Saal durch die edlen Werke der Kunſt, die darin aufgeſtellt ſind, außerdem ſchon hinreichend geſchmuͤckt iſt.

Statuen.313Villa Borgheſe.

Statuen.

Mercur. Es iſt diejenige Vorſtellung dieſes Gottes, von der Winkelmann2)G. d. K. S. 283. ſagt, es ſey die einzige, welche ſich aus dem Alterthume mit dem Beutel in der Hand auf uns erhalten habe. Aber mir bleibt es zweifelhaft, ob nicht ein neuer Kuͤnſtler dieſen aus dem Aſte des Baums, der ihm zur Stuͤtze dient, verfertiget habe.

Mars. Wird auch Achill genannt, weil er am Fuß eine Art von Verband traͤgt. 2 b)Ich vermuthe daß dies der Mars ſey, den Win - kelmann (Verſuch einer Allegorie fuͤr die Kunſt, Dresden 1766. S. 42.) als in dem Pallaſt Bor - gheſe befindlich anfuͤhrt. Er erklaͤrt die Binde fuͤr Feſſeln, Schelleiſen, womit Mars, nach der Fabel, von den gewaltigen Rieſen, den Soͤhnen des Aloni, gebunden worden.Keine der vor - zuͤglichſten Statuen.

Marc Aurel nackt als Held. Die Benennung iſt zweifelhaft.

Eine Muſe mit dem Cothurn.

Eine andere Muſe mit einer ſehr ſchoͤnen Drapperie.

Ein Paar Gladiatoren.

Basreliefs.

Ein Opfer.

Einige Meergottheiten.

Nymphen, die einen Tempel mit Blu - men bekraͤnzen. Sehr ſchoͤn gedacht und ausge - fuͤhrt.

U 5Curtius314Villa Borgheſe.

Curtius, der ſich in den Abgrund ſtuͤrzt. Ein großes und ſehr erhobenes Basrelief. In An - ſehung der Kunſt von geringem Werthe.

Priamus, der ſeinen Sohn vom Achill fordert.

Die tanzenden Horen. Trefflich gedacht. Der vernachlaͤßigten Ausfuͤhrung nach zu urtheilen, nur eine Copie nach einem beſſern Werke.

Die Fabel der Niobe, von der Winkelmann3)G. d. K. S. 658. redet. Apollo und Diana fehlen, ſind aber vielleicht, da ſie an den Ecken ſtanden, davon abgekommen.

In den Niſchen umher ſtehen einige Buͤſten.

Zweiter Saal.

Auch dieſer Saal, ſo wie die angraͤnzenden Zim - mer haben Plafonds, die von neueren Mahlern ver - fertiget ſind. Allein ſie ſind nicht von dem Werthe, daß ſie unſere Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen koͤnnten.

Statuen.

Unter vier Statuen der Venus die ſchoͤnſte, in Anſehung des Gedankens und vorzuͤglich des ſchoͤ - nen Kopfs, diejenige, die ſich mit dem Schwerdte guͤrtet; bei ihr ein Amor, der den Helm des Mars aufſetzt. Eine Vorſtellung der Venus Victrix.

Ueber ver - ſchiedene Beinahmen
183

Unter dem Nahmen einer Venus Victrix gehen, wie der Herr Hofrath Heyne ſehr ſcharfſichtig bemerkt,4)Sammlung antiquar. Aufſaͤtze I. St. nr. 2. S. 156. verſchiedene Antiken, die dieſen Nahmen nur demApfel315Villa Borgheſe. Apfel zu verdanken haben, den ihnen der neuere Kuͤnſt -die man der Venus bei - legt, und uͤber die Ab - weichungen in der Art ſie vorzuſtellen. ler in die Hand gab.

Die Benennung einer ſiegenden Venus, ſagt eben dieſer Kunſtrichter an einem andern Orte,5)Ebendaſelbſt. S. 129 u. folg. gibt man mehr als einer Art der Vorſtellung. Einmahl benennt man ſo die Venus, die den goldenen Apfel durch den Ausſpruch des Paris erhalten hat: Zwei - tens iſt es die Venus mit Helm und Spieß, und hier wird es wahrſcheinlich, daß der Kuͤnſtler auf den ent - waffneten Mars gedacht hat:

Drittens: hat man die Vorſtellung einer ſiegen - den Venus in Beziehung und Ruͤckſicht auf gewiſſe Zeitumſtaͤnde gebraucht: vorzuͤglich auf Muͤnzen, um die Siege der Caͤſaren zu bezeichnen, da alsdann auch andere Attribute hinzu kommen: Endlich belegt man in Rom, wie ich ſchon oben bei dem Pallaſt des Vaticans bemerkt habe, die Statuen der Venus, die ihr Gewand fallen zu laſſen ſcheinen, mit dem Nah - men einer Venus Victrix.

Wahrſcheinlich ſind die Beinahmen einer Venus Victrix, Felix, Genitrix, oft verwechſelt worden. Venus ward fuͤr die Stammmutter des Geſchlechts des Julius Caͤſar gehalten, und ſeine Nachfolger machten auf eben dieſe Ehre Anſpruch. Sie hat die - ſer Eigenſchaft ungeachtet doch bewaffnet vorgeſtellet ſeyn koͤnnen. Sie war es, die ihren Abkoͤmmlingen Sieg uͤber ihre Feinde gab, und ſo ward ſie auch Ge - berin des Gluͤcks, die man oft mit der Siegesgoͤttin auf der Hand, oft mit dem Apfel, vermittelſt einer allegoriſchen Uebertragung ihres eigenen davon getra -genen316Villa Borgheſe. genen Sieges, auf alle die folgenden die ſie gewaͤhrte, bezeichnete.

Wahrſcheinlich hat auch die Geſchlechtsableitung der Caͤſaren von der Venus die haͤufigen Statuen die - ſer Goͤttin, von denen ſich auch jetzt noch ſo viele fin - den, veranlaßt.

Inzwiſchen kann man auch mit eben ſo vieler Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß ein großer Theil dieſer Figuren bloße Tronke weiblicher Koͤrper ohne alle Beſtimmung, vielleicht Portraitſtatuen ſchoͤner Frauen geweſen ſind, die der neuere Kuͤnſtler zu Bil - dern der Venus umgeſchaffen hat.

Am wenigſten darf man ſich an die verſchiedenen Beinahmen kehren, die man den neuergaͤnzten Sta - tuen hat geben, und darnach beſondere Vorſtellungs - arten der Venus beſtimmen wollen. Es iſt von den wenigſten dieſer Benennungen erwieſen, daß ſie in al - ten Zeiten durch beſondere Abweichungen in der Dar - ſtellung unterſchieden ſind.

Charakter der Venus.
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Dem Kuͤnſtler war die Venus, das Ideal der weiblichen Schoͤnheit mit Reitz. Dieſes ſuchte er in mannichfaltiger Stellung, Handlung, und Ausdruck dem Auge darzuſtellen. Wir Liebhaber uͤbergehen alſo alle die Benennungen der Urania, Cnidia, Pon - tia, Marina, Anadyomene, Genitrix u. ſ. w. Nur dann, wenn wir durch die Attribute auf eine von andern Vorſtellungsarten abweichende Idee des Kuͤnſt -Bedeutung der Venus in der My - thologie. lers gefuͤhret werden, bedienen wir uns eines beſondern Nahmens als Wiedererkennungszeichens. Als Sym - bol der Natur, des Werdens der Erde nachdem ſich die fluͤſſigen Theile des Chaos von den ſolideren ge -trennt317Villa Borgheſe. trennt hatten, kam Venus, von den Phoͤniciern Aſtarte genannt, aus dem Orient zu den Griechen, deren aͤl - tere Philoſophen den Ocean als den Vater des Welt - alls annahmen. Die handelnde Schiffahrt der Phoͤ - nicier brachte die Idee und die Verehrung der Venus zuerſt nach Cypern. Die Einbildungskraft der Grie - chen, die alles verſchoͤnerte, machte daraus ein Maͤd - chen voll Reitz, welches die Zephyrs uͤbers Meer ge - ſchwemmt haͤtten. Der groͤberen Einfalt war ſie aus dem Meere entſtanden.

Ein Mars.

Ein Jupiter.

Ein junger Roͤmer mit der Bulle am Halſe. Man nennet ihn einen jungen Nero. Sehr gut.

Ein anderer von minderem Werth.

Ein Faun, der auf der Floͤte ſpielt, vonBorgheſi - ſcher Floͤten - ſpieler. hoͤchſter Schoͤnheit, und unter dem Nahmen des Borgheſiſchen Floͤtenſpielers als ein claſſiſches Werk bekannt.

An Buͤſten.

Ein coloſſaliſcher Kopf des Lucius Ve -Lucius Ve - rus, ſchoͤne Buͤſte. rus, von aͤußerſter Schoͤnheit. Charakter und Aus - fuͤhrung ſind gleich vortrefflich. Man bewundert die Behandlung der Haare.

Vier antike Copien nach dieſem Kopfe, von denen eine ſchoͤn iſt.

Ein ſchoͤner coloſſaliſcher Kopf Marc Aurels.

Ein ſehr ſchoͤner Kopf Alexanders.

Ein Kopf einer Roma, von großem Charak - ter. Die Naſe iſt reſtaurirt.

Apollo. 318Villa Borgheſe.

Apollo. Sein Haupthaar iſt, wie an Wei - bern hinten auf dem Hintertheile des Kopfs zuſam - men gebunden.

Eine Berenice.

Ein ſchoͤner Weiberkopf, der viel aͤhnliches mit den Koͤpfen der Toͤchter der Niobe hat.

Es ſind in dieſem Zimmer auch einige moderne Basreliefs aus Stucco angebracht.

Erſtes Zimmer zur Rechten.

Statuen.

Ein Held, das Haupt mit Strahlen umge - ben. Einige nennen ihn Apollo radiatus. Andere Caſtor. Mehr ſeiner Seltenheit als ſeiner Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig.

Ein liegender Bacchus. Am Piedeſtal ein Basrelief mit dem Tode Meleagers. Winkel - mann6)Winkelm. G. d. K. S. 499. redet davon als von einem der ſchoͤnſten aus dem Alterthume. Der Stil iſt gut, die Ausfuͤhrung aber mittelmaͤßig.

Der gefluͤgelte Genius, von dem Winkel - mann eine herrliche Beſchreibung macht. 7)Winkelm. G. d. K. S. 279. Ich habe ſie bei Ge - legenheit des ſchoͤnen Genius im Vatikan angefuͤhrt. In den annotazioni ſopra le Statue di Roma. S. 51. ſagt Winkelmann: la teſta e vergine in tutte le ſue parti. Das heißt unverſehrt, nicht jungfraͤulich, wie es uͤberſetzt iſt.Der Kopfver -319Villa Borgheſe. verdienet ſeine Lobeserhebungen. So ſchoͤn der Koͤrper iſt, er koͤmmt dem Kopfe nicht bei, und die Stellung iſt gezwungen.

Apollo und Daphne von Bernini. DaphneApollo und Daphne von Bernini. iſt in dem Augenblicke der angehenden Verwandlung vorgeſtellet. Ihre Finger werden zu belaubten Aeſten, ihre Zehen wurzeln ein, die Baumrinde faͤngt ſchon an ihren Leib zu umſchließen. Dieſe Vorſtellung ſcheint mir vorzuͤglich in Marmor eine ſchlechte Wuͤr - kung zu thun. Die Extremitaͤten, die ſich in Aeſte und Wurzeln zuſpitzen, erwecken eine widerliche Em - pfindung. Ich weiß nicht, ob ich Recht habe: AberDie Bild - hauerkunſt, deren Werke die vollkom - menſte Illu - ſion in Ruͤck - ſicht auf Ge - ſtalt geben, ſcheint eine vorzuͤgliche Verbindlich - keit auf ſich zu haben, nichts Wi - driges dar - zuſtellen. Vermeinter Seneca, Fi - gur eines Sclaven. es ſcheint mir, als ob der hoͤhere Anſpruch, den die Bildhauerei auf Illuſion hat, die angenehmen und unangenehmen Senſationen, die die Kunſt hervorzu - bringen im Stande iſt, auf gleiche Art verſtaͤrke. Es fehlt uͤbrigens den Figuren an Ausdruck. Die Behandlung des Marmors iſt, handwerksmaͤßig be - trachtet, ſchoͤn, aber das Fleiſch gleicht mehr dem Porcellain, als einem weichen Koͤrper, unter deſſen Haut Muſkeln von verſchiedener Form liegen.

Der ſogenannte ſterbende Seneca. Es leidet wohl keinen Zweifel, daß dieſe Figur einen Sclaven vorſtelle. Ob aber gerade einen Sclaven, der im Bade aufwartet, wie Winkelmann8)G. d. K. S. 810. glaubt, laſſe ich dahin geſtellet ſeyn. Figuren aͤhnlicher Art finden ſich in dem Clementiniſchen Muſeo. Dieſe Figur iſt aus ſchwarzem Marmor, und in Anſehung der Arbeit keine der vorzuͤglichſten. Der ganze untere Theil iſt modern.

Aeneas,320Villa Borgheſe.

Aeneas, der ſeinen Vater Anchiſes traͤgt, von dem Vater des Bernini.

An Buͤſten.

Eine ſchoͤne Juno, die aber vielmehr eine Venus zu ſeyn ſcheinet. 8 b)Das Diadem hat zu der Benennung, Juno, ver - fuͤhrt. Wahrſcheinlich iſt der Kopf ein Portrait einer Kaiſerin im Charakter der Venus. Winkelmann (Verſuch einer Allegorie S. 52.) haͤlt ihn fuͤr den Kopf einer himmliſchen Venus, welche ſich durch das Diadem von der Venus Aphrodite unterſcheide. Dieſe Behauptung wird ihre Waͤhrung durch das - jenige erhalten, was im Allgemeinen uͤber die Bei - nahmen der Venus geſagt iſt. Das was unſern Kopf als Venus charakteriſirt, iſt der anziehende Reitz.

Eine Livia gleichfalls ſchoͤn, mit Diadem und Schleier. Im Charakter einer Juno.

Scipio, die Benennung iſt zweifelhaft. Er iſt den uͤbrigen Koͤpfen, die unter dieſem Nahmen gehen, nicht aͤhnlich.

Ein Lucius Verus, ein Marc Aurel und einige andere Unbekannte.

In der Mitte dieſes Zimmers Eine Vaſe, ſchoͤn an Form und Zierrathen, worunter auch Maſ - ken befindlich ſind. Sie ſteht auf einem ſchoͤnen ſechs - eckigen Piedeſtal, welches antik iſt.

Zweites Zimmer zur Rechten.

Borgheſiſche Vaſe.
189

In der Mitte dieſes Zimmers Eine vor - treffliche Vaſe, deren Fuß aber modern und zugroß321Villa Borgheſe. groß iſt. Die Figuren an der Vaſe gehoͤren zu den ſchoͤnſten, die man in erhobener Arbeit hat. Sie ſtellen einen Bacchus vor, der ſich auf Ariadnen lehnt, waͤhrend daß dieſe auf der Leier ſpielt; dann einen tan - zenden Faun; einen trunkenen Silen, den wieder ein Faun haͤlt; eine Nymphe, die Becken ſchlaͤgt; noch einen Faun, der auf zwei Floͤten blaͤſt; eine Nymphe, die eine Leier unter dem Arme haͤlt, und der ein vier - ter Faun den Schleier rauben will; und endlich eine Nymphe die tanzend auf der Klappertrommel (Tam - bour de basque, oder dem geſpannten Trommel - fell mit Schellen) ſpielt. Dieſe Figuren ſind an Form, Stellung und Ausdruck gleich wahr, gleich ſchoͤn. Rund herum geht ein ſchoͤn gearbeiteter Kranz von Weinreben.

Statuen.

Apollo Sauroctonon. So nennt manBezeichnung eines Apollo Saurocto - non. die Vorſtellung dieſes Gottes, wenn man ihn neben einer Eidexe ſieht. Ein Attribut, welches ein Sym - bolum der Weiſſagung ſeyn ſoll, weil man glaubte, dieſe Thiere koͤnnten die Veraͤnderungen des Wetters zum Voraus anzeigen. Winkelmann9)G. d. K. S. 679. glaubt: Apollo ſey hier in ſeinem Hirtenſtande vorgeſtellet, als er dem Koͤnige Admet in Theſſalien diente.

Unſere Statue iſt in einem Alter auf der Graͤnze der Pubertaͤt. Der nicht ſehr ſchoͤne Kopf iſt dem Rumpfe aufgeſetzt. Der Koͤrper iſt deſto ſchoͤner, und uͤbertrifft weit die aͤhnliche Vorſtellung aus BronzeinErſter Theil. X322Villa Borgheſe. in der Villa Albani. Winkelmann10)G. d. K. S. 375. rechnet die Beine dieſes Apollo unter die ſchoͤnſten, die ſich aus dem Alterthume auf uns erhalten haben. Die beiden Haͤnde ſind modern.

Ein Faun, als Narciß ergaͤnzt. Man ſieht deutlich, daß er nach dem beruͤhmten Faun zu Florenz copirt iſt. Er traͤgt ſogar die Crotalen11)Ein Inſtrument in Form einer Klapper, welches wahrſcheinlich dazu diente, den Takt anzugeben. unter dem Fuße. Der Kopf ſcheint modern.

Bacchus. Ein Arm, eine Hand und ein Bein modern. Der Koͤrper von großer Schoͤnheit. Die Vermiſchung der weiblichen und maͤnnlichen Natur, die den Charakter dieſes Gottes ausmacht, wird vor - zuͤglich an dieſer Statue ſichtbar.

David von Bernini. Der Meiſter ſoll bei Verfertigung dieſer Statue keine geringere Anmaaßung gehabt haben, als den beruͤhmten Gladiator zu uͤber - treffen. Allein er hat nichts weiter als einen niedrigen Laſttraͤger hervorgebracht. Schon der Stellung fehlt es an Gleichgewicht. Der Ausdruck iſt Verzerrung, die Muſkeln ſind willkuͤhrliche Geſchwuͤlſte.

Ein junger Faun, deſſen Kopf beſchaͤdigt iſt. Arme und Fuͤße ſind modern.

Zwei Figuren, deren Gewand antik und von Bronze iſt. Die Koͤpfe und die uͤbrigen Extremitaͤ - ten ſind von Alabaſter, modern aber gut.

In die Waͤnde ſind mehrere Basreliefs einge - mauert.

Die323Villa Borgheſe.

Die untern ſechs ſind antik, und unter dieſen eins von vorzuͤglichem Werthe. Es ſtellet eine Nymphe vor, die ein Reh haͤlt; Stellung und Form aͤußerſt ſwelt, Gewand leicht und vortrefflich geworfen. Es war ehemals an der aͤußern Seite des Pallaſtes befindlich.

Die ſechs obern Basreliefs ſind modern.

Einige moderne Vaſen, unter denen eine von Roſſo Antico, ſehr ſchoͤn iſt.

Folge von Zimmern linker Hand.

Erſtes Zimmer.

In der Mitte ſtehet Der ſogenannte Bor -Der Borghe - ſiſche Faun, oder Silen. gheſiſche Faun mit dem Kinde. Man nennt ihn auch wohl Saturn, der ſeine Kinder frißt. Aber wahr - ſcheinlicher iſt es ein Silen mit dem kleinen Bacchus. Starkes und munteres Alter macht den Charakter dieſer Figur aus. Welch ein Mann in ſeiner Jugend! In dem Kopfe ein Ausdruck von vaͤterlicher Guͤte und Froͤhlichkeit. Die Stellung ſehr natuͤrlich und wahr.

Dieſe Statue, ſo wie die meiſten andern in dieſer Villa, ſteht in keinem vortheilhaften Lichte.

Silen war in der Bacchiſchen Fabel der ErzieherCharakter eines Si - lens. und Begleiter des Bacchus. Urſpruͤnglich war nur einer, nachher nahm man ihrer mehrere an, und nun wurden alle alte Faunen oder Satyri, Silenen ge - nannt. Inzwiſchen ſcheint doch immer ein Silen, den man Vater Silen nennen kann, an der Spitze des Chors der Satyri oder Faunen geſtanden zu haben. Der kurze dicke Koͤrper iſt nur bei VorſtellungenX 2bemerk -324Villa Borgheſe. bemerklich, die auf dem Eſel reitend in den ſogenann - ten Bacchanalien vorkommen. 12 a)S. Hr. Hofrath Heynens Abhandlung von dem vorgeblichen und wahren Unterſchiede zwiſchen Fau - nen, Satyren, Silenen und Panen. Antiquar. Aufſaͤtze, II. Stuͤck. Imgleichen Winkelmann G. d. K. Wiener Ausg. S. 277.

Eine ſehr ſchoͤn drappirte Muſe.

Eine Ceres mit einem Kopfe, der ihr nicht zu gehoͤren ſcheint.

Eine Venus Victrix. Kopf und Haͤnde modern.

Noch eine Ceres mit aufgeſetztem Kopfe, wel - cher ein Portrait zu ſeyn ſcheinet. Haͤnde modern.

Centaur vom Amor gebaͤn - digt.
193

Centaur vom Amor gebaͤndigt. Hat große Vorzuͤge vor der aͤhnlichen Voeſtellung auf dem Capitol. Die Muſkeln greifen vortrefflich in einan - der. Das Fleiſch iſt ſehr weich, und der Uebergang der beiden Naturen in einander unvergleichlich. 12 b)Winkelmann in den oft angefuͤhrten Annotazio - ni ſopra le Statue. S. 52. ſagt: ſie ſey blos mit dem Meißel geendigt.

Die Basreliefs in dieſem Zimmer ſind modern.

Zweites Zimmer.

In der Mitte ein großes Gefaͤß von Por - phyr auf vier Crocodilen von Bronze, welche mo - dern ſind.

Juno mit einem Ge - wande von Porphyr.
194

Das merkwuͤrdigſte Denkmahl der Kunſt in die - ſem Zimmer iſt Die ſogenannte Juno. Sietraͤgt325Villa Borgheſe. traͤgt auf ihrem Haupte ein Diadem; ihr Gewand iſt von Porphyr. Winkelmann ſagt, daß dies Ge - wand ein Wunderwerk der Kunſt ſey. Dieſes iſt vor - zuͤglich wahr in Anſehung der Materie; denn die Haͤrte des Porphyrs erhoͤht die Schwierigkeiten der Bearbei - tung.

Eine drappirte weibliche Figur von weißem Marmor. Kopf und Haͤnde ſind von Bernini aus Bronze reſtaurirt. Die Drapperie iſt gut.

Winkelmann13)S. 73. G. d. K. ſpricht von einem Gott Anu - bis mit dem Kopfe einer Katze, er hat aber nicht be - merkt, daß dieſe Statue der großen Bruͤſte wegen eine weibliche Figur vorſtellen muß. Sie ſtellet eine Bu - baſtis vor. 14)Bubaſtis, eine Figur mit einem Katzenkopfe. Symbol des Mondes. Weil Katzen bei Nacht ſehen.

Eine kleine Diana von Alabaſter. Kopf Haͤnde und Fuͤße ſind von Bronze und neu. Das Gewand iſt gut. 15)Winkelmann, S. 519.

Die ſogenannte Egiziaca oder Zigeunerin. Eine Figur mit einem antiken Gewande von ſchwarzem Marmor. Man hat ihr ein weißes Hemd mit golde - nen Frangen, und einen vergoldeten Kopfputz in neue - ren Zeiten gegeben. Kopf, Haͤnde und Fuͤße von Bronze ſind gleichfalls modern. 16)Winkelm. Vorrede zur G. d. K. S. VI.

X 3Drittes326Villa Borgheſe.

Drittes Zimmer.

Man findet hier vier Landſchaften von einem fran - zoͤſiſchen Mahler, der ſich Tiers nennet.

In der Mitte ſteht

Der Borghe - ſiſche Fech - ter.
198

Der beruͤhmte Borgheſiſche Fechter. Ich nenne dieſe Figur bei dem gewoͤhnlichen Nahmen, weil ich nicht Gruͤnde genung vor mir ſehe, ihn als un - paſſend zu verwerfen. 17)Ueber Fech - terſtatuen uͤberhaupt.Da ich von der beruͤhmteſten unter den Fechter - ſtatuen rede, ſo wird zugleich die Beſtimmung der Ideen uͤber Figuren dieſer Art hier am bequemſten einzuſchalten ſeyn. Fechterſpiele waren Roͤmiſchen und Etruſciſchen Urſprungs, und nicht im Geſchmack der Griechen. Erſt von der Zeit an, da die Grie - chen Fechterſpiele von den Roͤmern anſtellen ſahen, und da griechiſche Kuͤnſtler in Rom lebten, iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß ſelbſt griechiſche Kuͤnſt - ler dieſe Vorſtellungsarten gewaͤhlt haben. Allein es laͤßt ſich vielleicht von keiner einzigen unter denen, die uns als ſolche gezeigt werden, mit Gewißheit behaupten, daß ſie wuͤrkliche Fechter ſind. Es fehlt dazu an hinreichenden Beſtimmungszeichen. Die meiſten Attribute, die ſie uns jetzt bezeichnen, ſind neu, und der ſtarke, unterſetzte ſtaͤmmige Koͤrper, der vielleicht am meiſten die Kuͤnſtler auf die Idee von Gladiatoren bei der Ergaͤnzung geleitet hat, iſt wahrſcheinlich den Kriegern, und vielen unter den Athleten mit ihnen, eigen geweſen. Die Benennung unſerer Statue als Fechter be - ruhet auf keinen gewiſſeren Gruͤnden, als diejenigenſind

Die327Villa Borgheſe.

Die Stellung zeigt einen Mann an, der im Aus - fall mit vorgeſtrecktem Koͤrper von unten auf einen Streich ausholt, waͤhrend daß er mit vorgeworfenemX 4Schilde17)ſind, die fuͤr die Benennung ſo vieler andern ange - geben werden. Der Herr Hofrath Heyne, Samm - lung Antiq. Aufſ. II. Stuͤck. S. 229. nennt ſie gar: unſchicklich. Er ſagt: Dieſe edle, ſchoͤne Figur eines ſo vortrefflich athletiſch ausgearbeiteten Koͤr - pers eines jungen Kriegers, im hoͤchſten Grad der Spannung aller Muſkeln, und doch ohne Ueber - treibung; wie konnte man ſich einfallen laſſen, ei - nen elenden Gladiator daraus zu machen? Wahr - ſcheinlicher Weiſe machte er eine Gruppe mit an - dern Figuren aus, und vor ihm ſtand eine Figur zu Pferde, gegen die er ſich vertheidigte. Ohn - geachtet ich uͤber die Ergaͤnzung des Stuͤcks nichts Genaues weiß, und es von der andern Seite ein Wunder waͤre, wenn eine Figur von ſo ausgeſtreck - ten Theilen, als hier Beine und Haͤnde ſind, un - verſehrt erhalten worden ſeyn ſollte: ſo lehrt doch die Richtung des Kopfes, daß er ſich gegen einen Angriff von oben her verwahret, und daß er eine Wunde von unten auf, wie in des Pferdes Bauch oder Bruſt anbringen will. Daß es ein hiſtori - ſches Stuͤck iſt, iſt mir ſehr wahrſcheinlich. Win - kelmann ſagt auch: ſein Geſicht ſey offenbar nach der Aehnlichkeit einer bekannten Perſon gebildet. Ich habe im Ganzen Nichts gegen die Moͤglich - keit dieſer Erklaͤrung. Aber ich geſtehe zugleich, daß ich die groͤßere Wahrſcheinlichkeit nicht fuͤhle. Das ausgezeichnet Edle habe ich der angeſtellten Unter - ſuchung ohngeachtet ſo wenig finden koͤnnen, als daß der Arm mit dem Schilde neu ſey, wie derHerr328Villa Borgheſe. Schilde einen Streich von oben aufzufangen ſucht, an den ſein Blick geheftet iſt.

Dieſer

17)Herr Hofrath Heyne in der Note eben daſelbſt ver - muthet. Es ſcheint mir nicht nothwendig, daß der Streich von oben, den unſere Figur abzuwen - den ſcheint, von einer Figur zu Pferde komme. Es konnte ſehr wohl ein Hieb ſeyn, den der Gegner mit aufgehobenem Arme ausholte. Selbſt der aufwaͤrts gerichtete Blick ſcheint das Gegentheil nicht anzu - zeigen. Denn die Richtung des Auges folgt eher dem Schwerdte, als der Mine des Gegners. Warum ſoll ſchlechterdings dieſe ſwelte Figur mit dem Begriffe contraſtiren, den wir uns von einem Fechter zu machen berechtiget ſind? Verlangt denn ihr Talent weniger Geſchmeidigkeit, als die des Ringers, des Kriegers? Weniger ſchlanken Wuchs, weniger ausgearbeitete Glieder? Der Herr Hofrath Heyne geſteht ſelbſt ein, daß ihre Koͤrper zum Aus - druck, zumahl in Marmor, ſehr geſchickt geweſen ſeyn muͤßten. Aber warum blos zum Ausdruck? Das iſt wie mich duͤnkt, erſt die zweite Ruͤckſicht des Kuͤnſtlers. Die erſte iſt ihm die Stellung, die die Formen des Koͤrpers in ihrer groͤßten Schoͤnheit und Abwechſelung zeigt. Warum ſoll nun eben dieſes Stuͤck ein hiſtori - ſches Stuͤck ſeyn? Weil der Kopf Aehnlichkeit mit einer beſtimmten Perſon zu haben ſcheint? Wie leicht kann nicht ein ſchoͤner Fechter Gelegenheit zu dieſer Nachbildung gegeben haben, den entweder das Volk, oder der Kaiſer gerade in dieſer Stel - lung bewunderte! Worauf der BildhauerAber es ſey mir erlaubt, hier etwas anzufuͤhren, was ich an einem andern Orte noch weiter auszu -fuͤhren

329Villa Borgheſe.

Dieſer Mann hat einen voͤllig ausgewachſenen Koͤrper, der durch Ausarbeitung ſchlank und feſt ge - worden iſt. Ins Ideal iſt er nicht gehoben, aberX 5die17)fuͤhren Gelegenheit finden werde: Des Bildhauersbei der Wahl eines Suͤjets vorzuͤglich Ruͤckſicht nimmt. erſte Ruͤckſicht kann nicht auf Bedeutung, auf Aus - druck, in Beziehung auf ein gewiſſes beſtimmtes Suͤjet aus der Geſchichte gehen. Sie geht viel - mehr auf die Wahl ſolcher Gegenſtaͤnde, die ihm Gelegenheit geben, ſeine Ideen von Schoͤnheit ſinn - lich darzuſtellen, oder ſeine Kunſt in der Nachbil - dung des menſchlichen Koͤrperbaues fuͤr ihn ein hohes Verdienſt! zu zeigen. Wenn wir dies gehoͤrig in Erwaͤgung ziehen, ſo fuͤhlen wir, daß der Kuͤnſtler eben ſo gern einen Gladiator habe darſtellen koͤnnen, daß man ſogar in den Zeiten des Enthuſiasmus fuͤr die Fechterſpiele, einen Gladiator, den das Volk oft vor ſeinen Augen hatte ſiegen ſehen, eben ſo gern habe ſehen wollen, als irgend einen Helden, der ſich in der Schlacht auf eben die Art wie ein Gladiator, zum Angriff oder zur Vertheidigung ſtellen mußte. Wenn man nun ferner die groͤßere Bequemlich - keit hinzu nimmt, die der Kuͤnſtler fand, im Circo eine Idee zu einer ausgezeichneten Stellung zu ſamm - len, als in der Schlacht; ſo gleicht man die Wahr - ſcheinlichkeit der Benennung eines Fechters, mit der eines Kriegers, bis zur Moͤglichkeit auf beiden Sei - ten aus. Und wenn es nun gar ein Nero, eine Fauſtina geweſen waͤren, die dieſes Werkzeug ihrer Unterhal - tung haͤtten nachbilden laſſen wollen? Ich hoffe, man verſteht mich nicht unrecht, wenn ich ſage: es iſt moͤglich, daß unſere Statue einenFechter330Villa Borgheſe. die Natur iſt gewaͤhlt. Der Kopf hat den Ausdruck des kalten Muths, und viele wollen ſogar eine indivi - duelle Geſichtsbildung darin bemerken.

Was dieſe Statue der Aufmerkſamkeit des Lieb - habers vorzuͤglich werth macht, iſt die Beſtimmtheit der Umriſſe, die Richtigkeit der Lage und der Form der Muſkeln, und vorzuͤglich ihr Spiel, ihr Inein - andergreifen, wenn ich ſo ſagen darf, unter der wei - chen Bekleidung des Fleiſches. Weichheit und Ela - ſticitaͤt: die wahre Graͤnze zwiſchen Haͤrte und Unbe - ſtimmtheit.

Der Kuͤnſtler bringt bei Beſtimmung der Vor - zuͤge dieſes Werks auch beſonders die ſchwere Stellung mit in Anſchlag. Es iſt unmoͤglich, daß der Urhe - ber ein lebendiges Modell in dieſer Lage lange vor ſich habe ſtehen laſſen koͤnnen. Die Figur iſt ſo ſehr ge - ſtreckt, daß ſie bei einer weiteren Spannung unfehlbar aus dem Gleichgewicht kommen muͤßte. Er hat folglich nur durch Huͤlfe des Gedaͤchtniſſes den Augen - blick anheften koͤnnen, in dem er etwa einmahl ein Vor - bild in dieſer voruͤbergehenden Stellung ſahe. Man wirft der Lage des Ruͤckgrades vor, daß ſie mit der Lage des vordern Leibes nicht uͤbereinſtimme. Bei der Unterſuchung, die Kenner angeſtellt haben, hat ſicherge -17)Fechter vorſtellen koͤnne. Ich will damit nichts an - deuten, als: Man kann nichts Gewiſſes uͤber ihre Bedeutung beſtimmen. Aber daß ſie keinen Diſco - bolus vorſtelle, wie der Baron von Stoſch meinte, noch einen Chabrias, wie Leſſing eine Zeitlang glaubte, dies ſcheint die Stellung hinreichend anzu - zeigen.331Villa Borgheſe. ergeben, daß dieſe Lage moͤglich ſey, und daher nichts Unnatuͤrliches enthalte. Selten iſt ſie, das iſt wahr, und daher duͤrfte ſie vielleicht nicht ohne allen Grund gezwungen ſcheinen.

Eine Innſchrift nennt den Agaſias, Sohn des Doſitheus aus Epheſus, als den Verfertiger dieſes Werks.

So viel ich habe bemerken koͤnnen, iſt nur der rechte Arm mit dem Stuͤck Lanze ganz neu. Doch finden ſich noch einige geringere Ergaͤnzungen und Aus - beſſerungen.

Man hat ſie mit wenigem Geſchmack auf ein Pie - deſtal geſtellt, woran verſchiedene Basreliefs von ſehr mittelmaͤßiger moderner Hand angebracht ſind; ſie ſtellen verſchiedene Arten von Fechterſpielen vor. Uebri - gens iſt auch die Aufſtellung in der Mitte eines Zim - mers, in welches das Licht von mehreren Seiten hin - einfaͤllt, wenig vortheilhaft.

Eine Muſe in einer vortrefflichen Stellung. Sie ſtuͤtzt den Kopf auf den Arm, deſſen Ellbogen ſich auf das Knie des Fußes lehnt, den ſie auf einen Stamm ſetzt. Nur der untere Theil der Figur iſt alt, der obere iſt neu und von Penna reſtaurirt.

Ein Tiſchblatt von Probierſtein auf einen Sarcophag gelegt, deſſen Basrelief den Tod des Ak - taͤon vorſtellt, nebſt vielen Zierrathen. Winkel - mann18 a)G. d. K. S. 499. rechnet es unter die ſchoͤnſten des Alter - thums: Allein es bleibt demohngeachtet, als ſchoͤnes Werk der Kunſt betrachtet, nur mittelmaͤßig.

Der332Villa Borgheſe.

Der Schlaf aus ſchwarzem Marmor, von Algardi. Er iſt mit Mohnhaͤuptern bekroͤnt, und bei ihm liegt eine Fledermaus. 18 b)Dies Thier iſt ein Symbol des Schlafs, weil es den ganzen Winter hindurch ſchlafen ſoll. Winkelm. Verſuch einer Allegorie. S. 138.

Ein Diſcobolus. 19)Diſcobolus.Diſcobolus. Eine Figur, die mit dem Diſco, oder einer Scheibe von Metall wirft.Obgleich beide Arme neu ſind, ſo rechtfertigt ſich doch die Benennung durch ein Stuͤck des Diſcus, der ſich an dem Stamm erhalten hatte.

Ein Pancratiaſt. 20)Pancratiaſt.Pancratiaſten ſind Fauſtkaͤmpfer, deren Haͤnde mit Schlagriemen oder dem Caͤſtus umwunden wa - ren, womit ſie vorzuͤglich den Kopf ihres Gegners zu treffen ſuchten. Die Ohren litten dabei am meiſten. Winkelmann gab daher die gequetſchten und ge - ſchwollenen Ohren, die man an verſchiedenen Fi - guren findet, als Wiedererkennungszeichen ſolcher Perſonen an, die dieſes Spiel ausuͤbten. Allein der Herr Hofrath Heyne, S. Samml. Antiquar. Aufſaͤtze II. St. S. 253. erinnert mit Recht, daß uͤberhaupt an ſtarken Koͤrpern die Ohren etwas ſtaͤr - ker und wie geſchwollen ausſehen duͤrften. Solche Ohren finden ſich vorzuͤglich auch an Koͤpfen des Hercules, und mich duͤnkt, ich haͤtte uͤberhaupt an den Einwohnern der mittaͤglichen Gegenden bemerkt, daß die knorpelichten Theile des Ohrs ſtaͤrker und hervorragender ſind, als bei noͤrdlichen Voͤlkern.Arme und Fuͤße neu.

Ein333Villa Borgheſe.

Ein Ringer,21)Ueber den Charakter der Ringer, ſ. die Beſchrei - bung des Capitols. der ſich mit Oehle ſalbt. Wenn die Arme alt ſind, ſo ſind ſie wenigſtens ange - ſetzt.

Ein anderer Ringer, der eine Krone und einen Palmzweig haͤlt. Kopf und Leib ſind alt und ſehr ſchoͤn. Arme und Fuͤße ſind aber neu.

Eine Woͤlfin von Roſſo Antico. Sie ſaͤugt den Romulus und Remus. Vielleicht ein modernes Werk.

Ein antikes wildes Schwein.

Eine ſogenannte Ceres. Die Drapperie iſt ſchoͤn, die Arme ſind modern. Zu ihren beiden Sei - ten ſind zwei Fuͤllhoͤrner, die antik ſind.

An dem Piedeſtal ſieht man eine Venus, die aus dem Bade ſteigt, bei ihr ein Amor, ein Basrelief aus der Florentiniſchen Schule. 22)Herr Volkmann in ſeinen Nachrichten uͤber Italien, S. 866. des 2ten Bandes ſagt: Dies Basrelief werde ſeiner Vortrefflichkeit wegen fuͤr ein Werk des Praxiteles gehalten. Es hat nicht den geringſten Anſpruch auf dieſe ehrbringende Vermuthung.

Eine ſehr ſchoͤne Buͤſte, Fauſtina die aͤltere.

Viertes Zimmer.

Man ſieht hier vier Landſchaften von Wutky, ei - nem neueren deutſchen Kuͤnſtler aus dem Oeſterrei - chiſchen.

An334Villa Borgheſe.

An Statuen.

Eine Gruppe des Pylades und Oreſts. Man nennt ſie auch Caſtor und Pollux. Sehr gut.

Eine Muſe, als Flora reſtaurirt.

Noch eine Muſe.

Ein kleiner Prieſter der Cybele.

Amor der den Bogen ſpannt.

Venus die den Mars liebkoſet. Die Koͤpfe ſind Portraits. Dieſe Gruppe wird ſonſt auch Coriolan mit der Mutter genannt, oder auch Fauſtine mit dem Fechter. Aber ohne allen Grund. 23)Winkelmann, Vorrede zur G. d. K. S. V. ſagt: man habe die Gruppe der falſchen Benennung we - gen fuͤr roͤmiſch und ſchlechter gehalten, als ſie wuͤrk - lich ſey. Inzwiſchen ſcheint mir die Arbeit doch nicht beſonders ſchoͤn. Die Idee iſt artig: und der Herr Hofrath Heyne, Antiq. Aufſaͤtze I. St. nr. 1. S. 161. hat eine vortreffliche Aufloͤſung ihrer Ent - ſtehungsart gegeben. Die Venus, die den Mars liebkoſet, iſt keine andere, als eine Abaͤnderung der Idee einer ſie - genden Venus. An dieſem Beiſpiel laͤßt ſich recht deutlich machen, wie eine urſpruͤnglich ganz phi - loſophiſche Idee ſymboliſch ausgedruͤckt, endlich ein Suͤjet fuͤr die Kunſt werden kann. In den alten Coſmogonien ward der vorausgeſetzte Streit der Elemente, und ihre nachherige Vereinigung zur Schoͤpfung oder Bildung der Welt, auf viel - fache Weiſe vorgeſtellt. Dahin gehoͤrt Mars und Venus vereinigt, und als Aeltern der Har - monie. Die Dichter zogen nachher, und zwar ſchon fruͤh, die Fabel von der Liebe des Marsund

Ein335Villa Borgheſe.

Ein ſtehender Hermaphrodit, der gemeini - glich verſchloſſen, und mehr der unzuͤchtigen Stellung als ſeiner Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig iſt.

Der beruͤhmte Borgheſiſche Hermaphro -Der Borghe - ſiſche Herma - phrodit. dit. Er liegt auf dem Ruͤcken, jedoch mit dem Kopfe zur Seite gekehrt, ſo daß man das Geſicht im Pro - fil ſieht. Die Stellung iſt aͤußerſt reitzend an ſich ſelbſt, und auch darum wohl gewaͤhlt, weil ſie die Zeichen verſchiedener Geſchlechter, die leicht durch den Mißſtand beleidigen koͤnnten, dem Auge entzieht. Man kann die Weichheit des Fleiſches, den ſanftenGuß23)und der Venus daraus; die Kuͤnſtler verwandel - ten es in eine angenehme Idee zwei ſchoͤner Ideal - figuren, einer maͤnnlichen und einer weiblichen, mit verſchiedenem Ausdrucke. Unſer Kunſtrichter verwirft nachher aus Gruͤnden, die ich ſchon bei der aͤhnlichen Vorſtellung im Ca - pitol angezeigt habe, die Erklaͤrung einer Fauſtine mit dem Fechter. Eher, faͤhrt er fort: Ehrr ließ ſich noch denken, daß auf Fauſtine und Marc Antonin angeſpielt ſey. Man hat ein Paar bekannte Muͤnzen von der Fauſtine, wor - auf dieſe Gruppe vorkoͤmmt: auf der einen ſteht dabei Veneri Victrici. S. C. Es kann ſeyn, daß ſie bei einem Aufbruch des Kaiſers in den Krieg, oder bei einer andern Gelegenheit, mit Ruͤckſicht darauf gepraͤgt worden. Allein es fol - get nicht, daß fuͤr die Muͤnze die Idee zuerſt er - funden, und nachher an Statuen copirt iſt. Eben ſo wohl und wahrſcheinlicher, wie aus mehreren Beiſpielen erhellet, war die Statue fruͤher vorhanden, und ward auf Muͤnzen copirt. 336Villa Borgheſe. Guß der Muſkeln, die dadurch von ihrer Beſtimmt - heit Nichts verlohren haben, nicht genung bewundern. Er ſcheint zu ſchlummern, und durch einen ſuͤßen Traum entzuͤckt zu werden. Hauptergaͤnzungen habe ich nicht bemerkt. Inzwiſchen gibt man Guillaume Berthelot, einen Franzoſen, als den Ergaͤnzer an. Bernini verfertigte die Matrazze, die von eini - gen als ein Wunderwerk einer getreuen Nachah - mung der Natur geprieſen wird, andern aber, der gar zu hart angegebenen Durchnaͤhung wegen, mit Steinen angefuͤllt ſcheint. Auf jeden Fall thut der Fleiß, der an dieſes Beiwerk verſchwendet iſt, der Hauptfigur Schaden.

Charakter der Herma - phroditen.
211

Der Charakter der Hermaphroditen iſt Vermi - ſchung maͤnnlicher und weiblicher Schoͤnheit. Die Zuͤge des Geſichts, das Gewaͤchs und die Bruſt ſind weiblich. Die maͤnnlichen Zeugungsglieder ſcheinen ſie hauptſaͤchlich von den weiblichen Figuren zu unter - ſcheiden.

Ein antikes Moſaik auf dem Fußboden.

Als ich Rom verließ, arbeitete man noch an ei - nem neuen Zimmer, fuͤr welches mehrere Buͤſten be - ſtimmt waren, imgleichen an Statuen: ein Jupiter, und ein vermeinter Beliſar mit hohler Hand, von dem Winkelmann24)G. d. K. S. 876. glaubt, ſie koͤnne einen Auguſt vorſtellen, der zur Verſoͤhnung der Nemeſis alle Jahr einen Tag uͤber bettelte. Allein ich kann dieſer Er - klaͤrung meinen Beifall nicht geben. Es ſtellet dieſeStatue337Villa Borgheſe. Statue einen gebrechlichen Alten vor, deſſen Fleiſch aͤußerſt ſchlaff und haͤngend iſt. Die hohle Hand iſt wahrſcheinlich modern. 25)Man trifft im Vatican, und zwar in der Gallerie, die zur Bibliothek fuͤhret, eine dieſer aͤhnliche Sta - tue an.

Außerdem iſt fuͤr dieſes Zimmer beſtimmt eine Vaſe mit einigen Bacchantinnen in Basrelief, ein kleiner Sphynx aus Baſalt u. ſ. w.

In dem obern Stockwerk und zwar In dem erſten Saale

Neun Landſchaften von Hackert.

Der Plafond, der eine Goͤtterverſammlung vorſtellet, war zuerſt von Lanfranco gemahlt, und iſt nachher von Corvi uͤbermahlet worden.

In dem zweiten Zimmer

findet man einen Plafond von Domenigo Corvi.

Mehrere Familienportraits aus der Fa - milie Borgheſe.

Drei moderne Buͤſten von Bernini. Zwei derſelben ſtellen den Pabſt Paul den Fuͤnften, die dritte den Cardinal Scipio Borgheſe vor.

InErſter Theil. Y338Villa Borgheſe.

In einem andern Zimmer hat Hamilton die Geſchichte des Paris in mehreren Abtheilungen am Plafond gemahlet.

Die beiden Statuen des Paris und der He - lena ſind von Penna.

In dem darauf folgenden Zimmer

ſtellt der Plafond die Geſchichte der Pſyche vor, von Novello, einem Venetianer.

Rund herum findet man Landſchaften von Orizonte in großer Menge.

Man geht alsdann uͤber eine Terraſſe, auf wel - cher man einige gute Statuen und zwei ſehr mit - telmaͤßige Basreliefs antrifft.

Dann in ein Zimmer, an deſſen Plafond Un - terberger, ein deutſcher noch lebender Kuͤnſtler in Rom, die Thaten des Hercules vorgeſtellet hat.

Man trifft hier auch einige ſchaͤtzbare Gemaͤhl - de an:

Der Cardinal Scipio Borgheſe nimmt die Republik Marino in Schutz, eins der beſten Werke des Battoni. Die Koͤpfe vorzuͤglich der weib - lichen Figur, welche die Republik vorſtellt, brav.

Einige Thierſtuͤcke, von Peters, einem deut - ſchen Mahler.

Eine339Villa Borgheſe.

Eine Flucht nach Aegypten, von Luca Giordano.

Chriſt vor dem Pilatus,

Chriſt vor dem Hohenprieſter, zwei Bilder von demſelben Meiſter, in der Manier des Paolo Veroneſe.

Einige ſehr ſchoͤne Niederlaͤnder.

Eine Venus, von Tizian, die in Anſehung der Stellung viele Aehnlichkeit mit der von Florenz hat. In dem Grunde findet man auch die Weiber wieder, die in einem Koffer ſuchen. Einige andere Figuren, die muſiciren, ſcheinen von einer fremden Hand hinzugefuͤgt zu ſeyn. Der Kopf der Haupt - figur iſt verſchieden von dem in Florenz. Dies Bild, welches urſpruͤnglich ſehr ſchoͤn geweſen iſt, ſcheint hin und wieder ſtark retouchirt zu ſeyn.

In dem letzten Zimmer findet man einen Pla - fond von Maron; er ſtellet den Tod der Dido vor.

Im Garten findet man mehrere Statuen, die einzelne gute Parthien haben.

Auch ſieht man hier zwei Sphynxe,26)Winkelmann. S. 68. von denen der eine aus Baſalt ſehr groß iſt.

Y 2Wenn340Villa Borgheſe.

Wenn man aus dem Garten heraus geht, nach der Porta Pinciana zu, ſo trifft man uͤber dem Thore zwei Basreliefs an, das eine ſtellt die Ver - goͤtterung eines Kaiſers, das andere ein Opfer vor.

Man war zu meiner Zeit mit Aufſtellung und Anordnung der Kunſtwerke in dieſem Pallaſte noch nicht ganz fertig. Es iſt daher leicht moͤglich, daß ich Einiges, was der Aufmerkſamkeit des Liebhabers werth ſeyn koͤnnte, nicht geſehen habe. Inzwiſchen hoffe ich, daß das Wichtigſte von mir nicht uͤbergan - gen iſt.

Ende des erſten Theils.

About this transcription

TextÜber Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst
Author Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr
Extent365 images; 73029 tokens; 10265 types; 514319 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationÜber Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst Erster Theil Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr. . [8] Bl., 340 S. WeidmannLeipzig1787.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Kunst; Wissenschaft; Kunstgeschichte; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:54Z
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ShelfmarkSBB-PK, HA 6 Fc 4240-1
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