Ich habe mir vorgenommen, zu Anfang dieſesUeber die Wahl der Suͤjets zur ſichtbaren Darſtellung. Was das ſa - gen wolle: der Kuͤnſtler kann ſie nicht intereſſant genung waͤh - len. dritten Theils meines Verſuchs uͤber die Mah - lerei und Bildhauerkunſt nach Anleitung ihrer Werke, die in Rom angetroffen werden, uͤber eine wichtige Frage zu reden: uͤber eine Frage, die auf den Genuß der bildenden Kuͤnſte von dem groͤßten Einfluſſe iſt: uͤber eine Frage, die man oft entſchie - den und nie eroͤrtert hat: uͤber die Frage naͤmlich, auf welche Wuͤrkung von ſeinen Werken der Kuͤnſtler bei dem Beſchauer vorzuͤglich rechnen, und ſich dar - nach bei der Wahl der Gegenſtaͤnde zur Darſtellung beſtimmen muͤſſe.
Und dieſe Frage iſt keinesweges weit hergeholt; ſteht keinesweges am unrechten Orte bei einem Pal - laſte, der von unzufriedenen Liebhabern gemeiniglich als Rechtfertigung ihrer Klagen uͤber die wenig in - tereſſanten Suͤjets, welche viele Italieniſche Mei - ſter beſchaͤfftiget haben, angefuͤhret wird.
Dies Fußwaſchen, dieſer heil. Matthaͤus dem ein Engel beim Schreiben die Hand fuͤhrt, dieſe Juͤnger zu Emmaus die wir hier aufgeſtellet ſehen,Dritter Theil. Awas2Pallaſt Giuſtiniani. was ſagen ſie, ſo wie viele andere aus der Geſchichte des neuen Teſtaments entlehnte Begebenheiten, un - ſerm Herzen, unſerer Einbildungskraft? Ich raͤume ein: Nicht viel! Es waͤre zu wuͤnſchen, daß man aus einem Buche, das ſo reich an Handlung iſt, immer ſolche Suͤjets waͤhlen moͤchte, die außer mah - leriſcher Wuͤrkung auch wohlgefaͤllige Formen und einen edeln Ausdruck motiviren.
Wenn man aber nun fortfaͤhrt zu klagen, wenn man ſogar verlangen will: nichts ſolle man mahlen, was nicht das ſittliche Gefuͤhl unmittelbar beſſere, den Verſtand aufklaͤre, und alle Vorſtellung bibli - ſcher Geſchichte muͤſſe gaͤnzlich von dem Gebiete der ſchoͤnen Kuͤnſte ausgeſchloſſen werden; ſo merkt man, daß dieſe Forderungen ſo unbeſtimmt und ausſchwei - fend ſind, daß ſie in die Claſſe der Anmaaßungen geſetzt werden muͤſſen, denen man nichts einraͤumen kann, weil ſie zu viel Aufopferung nach ſich ziehen wuͤrden.
Die Differenz, auf deren Entſcheidung es hier ankommen wird, muß dahin genauer beſtimmt werden:
Soll der Kuͤnſtler bei der Wahl ſeiner Suͤjets auf unmittelbare Beſſerung des moraliſchen Gefuͤhls fuͤr das Gute, und Aufklaͤrung des Verſtandes, des Erkenntniß, Urtheilsvermoͤgen, ja! ſelbſt auf Verſtaͤrkung eines vorhin von Werken anderer Kuͤnſte, die mehr als ſie fuͤr das intellektuelle Ver - gnuͤgen arbeiten, erhaltenen Eindrucks ſeine erſte Ruͤckſicht nehmen: kurz! ſoll er auf Nutzbarkeit zu - erſt und hauptſaͤchlich rechnen;
Oder3Pallaſt Giuſtiniani.Oder ſoll ihn das beſtimmen: ob die Einbil - dungskraft des Beſchauers, deſſen Gefuͤhl fuͤr das ſichtbar Vollkommene und Wahre, fuͤr den Augen - blick der Beſchauung ſeines Werks, ohne Ruͤckſicht auf Vorempfindung und kuͤnftigen Gewinn, an der Darſtellung Unterhaltung finden werde: kurz! ob gegenwaͤrtiges Vergnuͤgen im eigentlichſten Verſtande, Vergnuͤgen des Augenblicks, der Wegweiſer ſeiner Bemuͤhungen ſeyn muͤſſe.
Ich fuͤhle, daß ich hier noch nicht ganz verſtaͤnd - lich bin, aber ich werde es in der Folge werden, wenn Beiſpiele zur Lehre hinzutreten. Nur um einem Misverſtande vorzubeugen, erklaͤre ich hier nochmals, daß ich Vergnuͤgen, als Wuͤrkung bil - dender Kuͤnſte, fuͤr den gegenwaͤrtig wohlgefaͤlligen Eindruck nehme, den der bloße Anblick eines fuͤr ſich ſtehenden Bildes giebt: Unter Nutzen aber auch das Vergnuͤgen begreife, welches uͤberhaupt die Veran - laſſung zu ferneren angenehmen Senſationen jeder Art durch den Anblick des Bildes gewaͤhrt.
Nur unſere Erfahrungen uͤber die weſentlichenDer ange - nehme Ein - druck des Anblicks, der Ideen und Gefuͤhle die mit demſel - ben fuͤr den Augenblick in der Seele jedes wohl - erzogenen Beſtandtheile des angenehmen Eindrucks, den wir von den Kuͤnſten empfangen haben, koͤnnen uns bei Entſcheidung dieſer Frage zur Richtſchnur dienen: nicht das Ideal, welches wir uns von dem hoͤchſten Zwecke der Kunſt ohne Kenntniß ihrer Kraͤfte ma - chen: nicht der Eindruck, den wir von ihnen zum Beſten des einzelnen Menſchen, oder zum Beſten eines idealiſchen Ganzen, erwarten moͤchten.
Jener Torſo di Belvedere ohne Kopf, Arm und Beine, was giebt er fuͤr den Augenblick meinemA 2Herzen4Pallaſt Giuſtiniani. und unbe - fangenen Beſchauers aufſteigen muͤſſen, ſind die zuverlaͤſ - ſigſten Weg - weiſer bei der Wahl eines Suͤjets fuͤr bildende Kuͤnſte.Herzen fuͤr eine beſſere Richtung; meinem Verſtande fuͤr eine neue oder verſtaͤrkte Vorſtellung einer auf fernere Schluͤſſe fuͤhrenden Wahrheit; oder endlich der reproducirenden Kraft meiner Seele fuͤr ein Bild, durch die Darſtellung eines Dichters vorherempfun - den? Mir, ſage ich, und ich nenne den Haufen, der auf den Genuß der Kuͤnſte mit mir berechtigt iſt; nicht den Antiquar, nicht den Litterator, nicht den Kuͤnſtler. Denn um einen Eindruck aͤſthetiſch zu nennen, muß er nicht particulair, er muß ſo allge - mein ſeyn, als der Wuͤrkungskreis der Kuͤnſte es uͤberhaupt zulaͤßt.
Jener flinke raſche Bauerkerl, der ſein Maͤd - chen ſo herzlich durchs Waſſer traͤgt; jene Spieler des Carravaggio, die den Neuling hintergehen; jene gute Mutter des Gerhard Daw, ſind ſie von dem Gebiete der ſchoͤnen Kuͤnſte ausgeſchloſſen, weil mein moraliſches Gefuͤhl nichts durch ihren Anblick ge - winnt, weil keine neue, oder verſtaͤrkte Vorſtellung einer nuͤtzlichen Wahrheit, einer ſchoͤnen Stelle aus einem Dichter dadurch in meiner Seele aufſteigt?
Wer wird das behaupten? Ich habe die Schoͤn - heit jenes Rumpfes angeſtaunt, die Wahrheit ſeines Fleiſches, ſo wie die Geſchicklichkeit der Behandlung des Marmors bewundert; Ich habe den Ausdruck des guten Jungens, der die Gelegenheit ſein Maͤd - chen zu umarmen ſo beſcheiden zu nutzen weiß, die Wahrheit, die Abwechſelung in Minen und Stel - lung der Betruͤger gefuͤhlt, und das Lachen uͤber den dummen Betrogenen nicht zuruͤckhalten koͤnnen; Ich habe ſelbſt da wo weder Schoͤnheit der Geſtalt nochWahr -5Pallaſt Giuſtiniani. Wahrheit des Ausdrucks der Affekte mein Empfin - dungsvermoͤgen in Bewegung ſetzte, in der Wahr - nehmung einer treuen Nachbildung, in der mahleri - ſchen Wuͤrkung der Farben und des Helldunkeln, endlich in dem Ruͤckblick auf die Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, Quellen eines Vergnuͤgens gefunden, das der Mann mit ſeinen nuͤtzlichen Ruͤckſichten da, mir auf keine Weiſe wegſophiſtiſiren ſoll.
Er ſelbſt, wenn er nicht durch lange Gewohn - heit ſeinen Sinn fuͤr das ſichtbar Angenehme des bloßen Anblicks abgeſtumpft hat, er muß ein Ver - gnuͤgen mit mir theilen, das ſelbſt ein Friedrich der Große als Gegenſtand ſeiner Erholung ſtets gewuͤr - digt hat.
Ich wuͤrde nun von ihm den Beweis erwarten duͤrfen, daß die Idee eines Nutzens fuͤr den Ver - ſtand und fuͤr das moraliſche Gefuͤhl des Guten, den Mangel der Schoͤnheit, der Wahrheit des Aus - drucks der Affekte, der kuͤnſtlichen Behandlung je - mals wieder gut gemacht habe. Er wird ihn mir in Ewigkeit ſchuldig bleiben, und dann wuͤrde ſo viel bewieſen ſeyn, daß dieſe, nicht jene Stuͤcke als Be - ſtandtheile des Weſens der bildenden Kuͤnſte ange - ſehen werden muͤßten.
Aber ſagen jene Stoiker, die ſo gern Aufklaͤrung und Beſſerung durch die Kuͤnſte verbreiten wollen: Ihr Epicuraͤer, die ihr nur fuͤr den Augenblick ge - nießet, ihr thut uns Unrecht! Wir verlangen nicht, daß jene Grundlagen des ſichtbar Angenehmen der Conſideration des Nutzens, des außer dem Anblick liegenden Vergnuͤgens, je aufgeopfert werden ſollen;A 3ſondern6Pallaſt Giuſtiniani. ſondern wir wollen nur, daß der wohlgefaͤllige Ein - druck des bloßen Anblicks eine nuͤtzliche Richtung er - halte, und daß in allen Faͤllen wo Vergnuͤgen und Nutzen nicht mit einander beſtehen koͤnnen, die Werke der Kunſt, welche nur jenes bezielen, wo nicht als Peſt der Sitten, wenigſtens als unnuͤtzes Spielwerk, mit den Worten Ludwig des XIV. otez moi ces magots là! aus unſerm Anblick weggeſchafft wer - den ſollen.
Alſo: das Nuͤtzliche ſoll nicht gebildet werden, wenn es nicht zu gleicher Zeit wohlgefaͤllig ſeyn kann: aber das Wohlgefaͤllige ſoll auch nicht gebildet wer - den, wenn es nicht zu gleicher Zeit nuͤtzlich ſeyn kann.
Dieſer Ausſpruch ſcheint eine Art von Compoſi - tion beider ſtreitenden Partheien zu enthalten, er hat den Anſchein eines billigen Vergleichs. Allein wohl - erwogen, iſt der Nachtheil ganz auf unſerer Seite. Wir verlieren, wenn wir jenes Interim, jenes Ver - einigungsmittel annehmen, die halbe Italieniſche und Hollaͤndiſche Schule, ganze Arten von Gegenſtaͤnden, der Mahlerei, Stilleben, Blumenſtuͤcke, unbelebte Landſchaften: Und ſie, unſre Gegner, opfern hoͤch - ſtens einige Klecker auf, deren Schattenriſſe nuͤtzli - cher Wahrheiten, und merkwuͤrdiger Geſchichten ih - nen ohnehin kein dauerndes Vergnuͤgen machen konn - ten. Ich habe laͤngſt die Gemaͤhlde aus der Aeneis von Coypel, und die Sinnbilder des Octavius van Veen vergeſſen, und erinnere mich immer mit dem groͤßten Intereſſe an die vache qui piſſe von Paul Potter.
[ Doch]7Pallaſt Giuſtiniani.Doch man wird die eigentliche beſchreibende Mahlerei, von der dramatiſchen abſondern, ſich blos auf hiſtoriſche Compoſitionen einſchraͤnken, und von dieſen erwarten wollen, daß ſie nur dem moraliſchen Gefuͤhle, dem Erkenntnißvermoͤgen, der Erinnerung an mehr intellektuale Schoͤnheiten, intereſſante Ge - genſtaͤnde darſtellen ſollen.
Aber ſelbſt in Anſehung dieſer, darf man ſich billigere Grundſaͤtze verſprechen, wenn man erwaͤgt: Einmal, daß die bildenden Kuͤnſte ſelbſt dann, wann ſie nicht unmittelbar durch jedes einzelne Werk beſ - ſern, aufklaͤren, an intellektuelle Schoͤnheiten ſinn - lich erinnern, dennoch im Ganzen fuͤr Bildung des Geiſtes und des Herzens von dem wichtigſten Ein - fluſſe ſind.
Zweitens: daß die Ruͤckſicht auf unmittelbaren Nutzen, ein Wort, welches hier die Verſtaͤrkung eines vorher empfundenen Vergnuͤgens anderer Art mit umfaßt, in den bildenden Kuͤnſten zu Irrthuͤ - mern verfuͤhre, welche fuͤr unſer gegenwaͤrtiges Ver - gnuͤgen an dem ſichtbar Angenehmen aͤußerſt gefaͤhr - lich werden koͤnnen.
Das Urtheil uͤber das ſichtbar Vollkommene,Die bilden - den Kuͤnſte klaͤren den Verſtand auf, ſtaͤrken ihn, beſſern das Herz, unterſtuͤtzen den Eindruck des unſicht - uͤber Wahrheit des Ausdrucks, uͤber mahleriſche Wuͤrkung, uͤber das Verdienſt der mechaniſchen Behandlung, mit einem Worte: der Geſchmack in den bildenden Kuͤnſten, haͤngt von der Wahrneh - mung ſo feiner Verhaͤltniſſe ab, daß der Mann, der ſich anhaltend darin uͤbt, den Einfluß der hierbei er - langten Fertigkeit nothwendig in alle den Lagen erfah - ren muß, worin das Verhalten, die Entſcheidung,A 4nicht8Pallaſt Giuſtiniani. bar Schoͤ - nen nicht im Einzelnen, ſondern im Ganzen.nicht von der Befolgung feſtgeſetzter Regeln, ſondern von dem Zuſammentreffen der jedesmaligen Umſtaͤnde abhaͤngt. Der Geiſt des Menſchen, der ſich mit ernſthaften, und fuͤr das Wohl ſeiner Mitbuͤrger wichtigen Angelegenheiten beſchaͤfftigt, wuͤrde der ſteten Anſtrengung ſeiner Kraͤfte erliegen, wenn er nicht zuweilen eine Erholung faͤnde, die ihn abſpannt, ohne ihn zu erſchlaffen, oder vielmehr gaͤnzlich ein - zuſchlaͤfern.
Die Unterhaltung, welche die bildenden Kuͤnſte gewaͤhren, ſcheint dazu beſonders geſchickt. Sie iſt leicht, weil ſie ſinnlich iſt; ſie iſt beſchaͤfftigend, weil ſie die Einbildungskraft ausfuͤllt, und das Empfin - dungsvermoͤgen zur ſanften Theilnehmung einladet. Dieſe Kraͤfte der Seele, wenn ſie gleich nicht zu den obern gehoͤren, ſind bei der Ausfuͤhrung vieler Ge - ſchaͤffte nicht ohne Wuͤrkſamkeit, ſie werden durch die bildenden Kuͤnſte erhalten, ausgebildet, ohne in die lebhafte Spannung und Thaͤtigkeit geſetzt zu wer - den, welche die obern Erkenntniß und Urtheilskraͤfte ſchwaͤchen koͤnnte.
Der groͤßte Vorzug der bildenden Kuͤnſte in Ruͤckſicht auf Gewinn des Verſtandes aber ſcheint mir dieſer zu ſeyn, daß ſie die Seele zuweilen von der wuͤrklichen Welt abziehen, ohne ſie dieſer uͤber die Idealiſche vergeſſen zu machen. Wir erblicken vollkommnere Menſchen, aber nur der Geſtalt nach, nur als Geſtalten. Wir werden ruhig, heiter, und nicht unbillig. Wir kehren von dem Anblick der Welt im Bilde, gleichſam als durch einen ſanften Traum geſtaͤrkt zuruͤck, und finden uns geſchickter, die Buͤrde des Lebens wieder aufzunehmen.
So9Pallaſt Giuſtiniani.So ſchaͤrfen die Kuͤnſte, ſo ſtaͤrken die Kuͤnſte den Verſtand im Ganzen. Aber auch fuͤr das mo - raliſche Gefuͤhl kann das bloße Vergnuͤgen an dem ſichtbar Vollkommenen, ohne unmittelbare Ruͤckſicht auf deſſen Beſſerung wieder im Ganzen, von den ſeligſten Folgen ſeyn.
Wer wird den Anſpruch des Menſchen auf Er - holung, auf Muße, aufs uneigennuͤtzige Vergnuͤgen, auf jenes dolce far niente der Italiener, ver - kennen! Und wie oft wird es nur mit Verderben fuͤr Geiſt und Koͤrper aufgeſucht! Eine Kunſt die ohne der geſelligen Beſtimmung zu ſchaden, ohne eigen - nuͤtzige oder groͤbere Triebe zu naͤhren, dieſe Erho - lung, dieſe geſchaͤfftloſe Beſchaͤfftigung gewaͤhrt, ſoll ſie nicht wenigſtens mit dem ſo oft misbrauchten Kar - tenſpiele, und andern Unterhaltungen dieſer Art in eine Claſſe geſetzt werden? Doch! ſie hat Anſpruͤche auf einen hoͤheren Rang unter den Befoͤrderungs - mitteln der Tugend! Das Gefuͤhl des ſichtbar Voll - kommenen, waͤre es auch nur dasjenige, was durch die Wahrnehmung der Harmonie der Farben und der Lichter, alſo durch die unterſte Art des Schoͤnen erweckt wird, haͤngt mit dem Gefuͤhl des moraliſch Vollkommenen ſo genau zuſammen, ſcheint ſo ſehr auf einer und derſelben Grundfaͤhigkeit zu beruhen, daß man ſie dreiſt fuͤr Sproͤßlinge einer und derſelben Wurzel anſehen kann, oder, wenn man lieber will, fuͤr verſchiedene Trompen, mit denen eine gemein - ſchaftliche Nahrung zur Erhaltung und Entwickelung des einfachen Keims des Guten und Schoͤnen einge - ſogen wird. Schwerlich wird der Hollaͤnder der die ſichtbare Vollkommenheit in den Theilen, worinA 5Teniers10Pallaſt Giuſtiniani. Teniers Bauerſchenken wuͤrklich ſchoͤn ſind, in der Harmonie der Farben und des Helldunkeln, uneigen - nuͤtzig empfindet, gegen die moraliſche Vollkommen - heit der Harmonie unſerer Handlungen mit unſern Geſinnungen ganz unempfindlich bleiben koͤnnen.
Iſt ſo viel bewieſen, daß das Nachſtreben der bildenden Kuͤnſte nach bloßer Unterhaltung des Be - ſchauers dem Verſtande und den Sitten keinesweges nachtheilig ſey; — und ich brauche hier nicht zu er - innern, daß beabſichtete Ausbildung unſers Ver - ſtandes und Herzens von dem Misbrauche der bild - lichen Darſtellung zu unanſtaͤndigen, unſittlichen Gegenſtaͤnden ſehr verſchieden ſey; — ſo fraͤgt ſich nun noch, ob die abſichtliche Ruͤckſicht auf Nutzen bei der Wahl einzelner Gegenſtaͤnde zur bildlichen Darſtellung eben ſo unnachtheilig fuͤr unſer Ver - gnuͤgen ſeyn moͤchte?
Ich wende mich zuerſt zur Pruͤfung der Forde - rung, daß unſer Herz zur Tugend durch den Anblick ſolcher Bilder aufgefordert werden ſolle, welche edle und erhabene Thaten verewigen, oder die Folgen der Tugend und des Laſters allegoriſch verſinnlichen.
Edle und erhabene Thaten! Hier herrſcht un - ſtreitig Verwechſelung der Begriffe, oder uͤbertriebene Anmaaßung. Man kann die edle Faſſung mahlen, mit der eine edle That gethan wird, man kann eine edle Handlung mahlen, nie aber die edle Geſinnung die in der Handlung liegt, und dieſe allein zur edlen That macht.
Alle11Pallaſt Giuſtiniani.Alle Handlungen ſelbſt unintereſſante und ge -im Bilde, wird von der gewoͤhnlich - ſten That ge - ſagt, die mit einem edeln Anſtande von edeln Geſtalten unternom - men werden kann. Eine edle That ſetzt edle Ge - ſinnungen in der handeln - den Perſon zum Voraus, und dieſe mahlt man ſelten gluͤck - lich. woͤhnliche koͤnnen fuͤr das waͤgende Auge mit einem gewiſſen Anſtande unternommen werden, der, weil er auf die Idee eines zu edeln und erhabenen Thaten faͤhigen Geiſtes zuruͤck fuͤhrt, den Nahmen eines edeln eines erhabenen Ausdrucks verdient, und der Zuſatz einer ſchoͤnen und dem Charakter von Erhaben - heit angemeſſenen Form, macht das Sitzen eines ruhenden Hercules in dem Bilde, zu einer ſichtbar edlen oder erhabenen Handlung.
Aber nicht zu einer edeln zu einer erhabenen That! die trauen wir dem Manne im Bilde zu, ſehen aber koͤnnen wir ſie ſelten mit Gluͤck. Denn es muß bei dem Begriff derſelben die Vorſtellung von Ueberwindung niedriger Leidenſchaften, von ei - nem wuͤrklichen Aufwande großer Seelenkraͤfte hinzu - treten; und dieſe Vorſtellung erweckt eine Kunſt, die nur einen ſtillſtehenden Augenblick ſchildert, entweder gar nicht, oder aͤußerſt mangelhaft. David der ſeinem Feinde Saul einen Zipfel des Rocks abſchnitt, anſtatt ihn, da er in ſeiner Gewalt war, zu toͤdten, begieng eine erhabene eine edle That: aber dieſer Augen - blick, der einzige der in dieſer Begebenheit der ſichtba - ren Darſtellung faͤhig iſt, enthaͤlt keine edle, erhabene Handlung im Bilde. Dagegen ſagen wir von den ſo - genannten Pieta’s, oder Madonnen die uͤber den er - ſchlagenen Chriſtus trauren, daß ſie einen edlen erha - benen Gegenſtand fuͤr die Kunſt ausmachen, obgleich das Trauren einer Mutter uͤber ihren erſchlagenen Sohn, gewiß keine erhabene, edle That, vielmehr eine aͤußerſt gewoͤhnliche iſt. Man vergleiche damit die Mutter der Gracchen, die auf die Nachricht vondem12Pallaſt Giuſtiniani. dem Tode des letzten ihrer beiden Soͤhne antwortet: Er iſt fuͤrs Vaterland geſtorben! Gewiß eine viel edlere That; aber welch eine kalte todte Figur muͤßte ſie im Bilde machen!
Dasjenige was uns bei einer edeln That am meiſten intereſſirt, die ruhige Geiſtesſtaͤrke der han - delnden Perſon, laͤßt ſich nie auf dem Bilde verſinn - lichen: ſie wird zur Apathie, zur Inaktion, und verfehlt aller Ruͤhrung.
Edel und erhaben ſind alſo Woͤrter, welch[e]in der Mahlerei von den Formen, von dem Ausdrucke der oft gewoͤhnlichſten Affekte gebraucht werden: auf das Erhabene, auf das Edle der hiſtoriſchen That, wenn ſie auf Affekten beruhet, die ſich nicht beſtimmt durch Gebaͤrden ausdruͤcken laſſen, ſoll, darf der Kuͤnſtler keine Ruͤckſicht nehmen, ſie iſt fuͤr ihn un - brauchbar.
Wie unbedeutend wuͤrde der Ausdruck eines: Soyons amis Cinna! des Auguſtus, gegen den Mord des heil. Petrus des Maͤrtirers; wie kalt der des Vaters der Horazier mit ſeinem: qu’ il mou - rut! gegen die Camilla die von ihrem Bruder er - ſtochen wird, in dem Bilde ſtehen!
Ein edles Suͤjet heißt alſo in den bildenden Kuͤnſten ein Suͤjet, das Veranlaſſung zu edlen For - men und einem edlen Ausdruck gewaͤhrt. Es giebt edle Thaten, die fuͤr die Kunſt auch edle Suͤjets ſind, und als ſichtbare Darſtellung Wuͤrkung thun: aber dies haͤngt nicht von dem Edlen der That ſelbſt, ſondern von der zufaͤlligen Veranlaſſung ab, einen ſichtbar deutlichen, vollſtaͤndigen, abwechſelnden,und13Pallaſt Giuſtiniani. und dabei edeln Ausdruck zu motiviren. Die Ge - ſchichte des Regulus, des Herzogs Leopold von Braun - ſchweig1)Haͤtte man nicht vergeſſen, daß Veranlaſſung zur Empfindung und percipirte Empfindung ſelbſt, ſo weit von einander verſchieden ſind; ſo wuͤrde man bei der juͤngſthin geſchehenen Aufgabe, die Aufo - pferung des großen Herzogs Leopold zu mahlen, nicht auf allegoriſche Zeichen des Edeln das in der That liegt, gefallen ſeyn. Sie gehoͤrt zu den we - nigen, die ſich durch den bloßen Anblick verſtaͤnd - lich machen laſſen, weil ſie bei den handelnden Per - ſonen Affekte in Bewegung ſetzt, die ſich gern durch Gebaͤrden mittheilen, und mehr ſanfter als ſtarker Art ſind. Der wahre Augenblick zur Darſtellung der Ge - ſchichte des Herzogs Leopold zum Vortheil der Kunſt iſt der, wo er in das Boot ſteigt. Eine Ausſicht auf den Fluß kann die halb von den Wel - len bedeckten Ungluͤcklichen zeigen, deren einer am Zweige eines Baumes haͤngend nach Rettung ruft. Das Boot muß leer ſeyn: Der Prinz haͤlt ſelbſt das Ruder in der Hand des Arms, an den ſich ſeine Freunde haͤngen wollen, ihn aufzuhalten. Er ſtoͤßt ſie zuruͤck, er zeigt auf die Ungluͤcklichen, und tritt ins Boot. Ein paar Schiffer die mit ent - ſchuldigender Gebaͤrde am Ufer ſtehen, blickt der Fuͤrſt mit einer Mine an, die ihnen ihre Zaghaf - tigkeit vorwirft. Dies iſt der intereſſanteſte Augenblick der Be - gebenheit: er motivirt einen vollſtaͤndigen, be - ſtimmten und abwechſelnden Ausdruck. Jeder - mann der dies Bild ſieht, wird ſich ſagen koͤnnen:Hier ſind von dieſer Art. Aber die Geſchichteder14Pallaſt Giuſtiniani. der Decier, des Codrus ſind es nicht: und ein Vo - gelſchießen von Domenichino, eine Grablegung von Raphael ſind es in eben dem Grade.
Ich gehe weiter, und finde in den Verſuchen die Folgen des Laſters und der Tugenden zu meiner moraliſchen Beſſerung zu verkoͤrpern, eben dieſelbe Gefahr fuͤr mein Vergnuͤgen.
Den erſten Beweis nehme ich aus einem unter uns bekannten Drama, dem deutſchen Hausvater, her.
Eine der handelnden Perſonen iſt ein Mahler, der neben ſeinem Enthuſiasmus fuͤr die Kunſt, eine Tochter zum einzigen Reichthum hat. Ein vornehmer Weichling, ein Graf, hat uͤber die Unſchuld des Maͤd - chens geſiegt, und iſt nun im Begriff ſich von ihr zu trennen. Dem Vater iſt das Verhaͤltniß ſeiner Tochter mit dem Grafen, der ehemals ſein Schuͤler in der Kunſt geweſen war, ein Geheimniß. Er zeigt dem Verfuͤhrer einige ſeiner letzten Arbeiten, und bei dieſer Gelegenheit legt ihm der Dichter folgende Worte in den Mund:
„ Hoͤren Sie, Graf, die Kuͤnſtler des Alter - „ thums wußten ſo ſtark auf ihre Nation zu wuͤrken: „ Ich denke wir koͤnnten das auch, ſtellten wir Ge - „ genſtaͤnde vor, die jeden beſonders angiengen. Es„ iſt1)Hier hat ſich ein Prinz in eine große Gefahr bege - ben wollen, um einige Ungluͤckliche zu retten. Die Deutlichkeit, die Vollſtaͤndigkeit, die dadurch ent - ſtehende Abwechſelung des Ausdrucks iſt Grund - lage des Vergnuͤgens; Die Betrachtung: das iſt edel! unſinnlicher Zuſatz.15Pallaſt Giuſtiniani. „ iſt zum Beiſpiel ein abſcheuliches Ding, ein Kin - „ dermord! Ich nach meinem Gefuͤhl kenne nichts „ ſchrecklicheres in der Natur! — Ich daͤchte es „ wuͤrde Vortheile haben, wenn unſere Kunſt ſolche „ Gegenſtaͤnde darſtellte. Sehen Sie, Graf, ich „ habe hier die Skizzen gemacht; hier das ungluͤck - „ liche Maͤdchen wie es ihr Kind wuͤrgt, merken „ Sie, da oben in dem Strich da, die Verzweiflung, „ die Raſerei der Mutter! Fuͤhlen Sie das, Graf!
Vortrefflich! Vortrefflich! aber das gilt nur dem Dichter. Dem Mahler, der das haͤtte ſprechen koͤnnen, duͤrften die Alten, auf die er ſich beruft, die Kunſt ſogleich nach dieſer Rede gelegt haben. Ein Kindermord! Nichts ſcheußlicheres in der Natur! Und dennoch ſoll die Vorſtellung eine Quelle des Vergnuͤgens ſeyn! Fuͤr wen? Fuͤr den Grafen ge - wiß nicht; und der ruhige Beobachter! Was weiß der von der Veranlaſſung zu dieſer ſchrecklichen That! Er ſieht die Mutter zum erſten Male, und das Un - geheuer das ihr Kind wuͤrgt, mit Zuͤgen entſtellt durch Verzweiflung, verzerrt durch Raſerei, — auf immer. Ja! wird man ſagen, das hat der Dichter im Schauſpiel den Mahler wohl ſagen laſſen koͤnnen, was kuͤmmert den der Kuͤnſtler, wo er den Menſchen braucht; aber in der Natur, in der wuͤrklichen Welt — Sind vielleicht keine Hogarths, keine Chodo - wieky’s bekannt? Habe ich nicht in Paris die voͤllige Anwendung dieſer Lehre auf einer ausgefuͤhrten Skizze des Greuze geſehen? Ich wollte, ich haͤtte nicht: Denn auf folgende Art hatte er die Allegorie einer un - gluͤcklichen Ehe entworfen:
Zwei16Pallaſt Giuſtiniani.Zwei Ehegatten fahren in einem Kahne uͤber den Strom des Lebens hin, von dem ſich ein Arm zu einem ſchrecklichen Catarakt bildet. Das Weib, ein feiſtes faules Geſchoͤpf, ſchlaͤft auf dem Hintertheile des Nachens. Der abgehaͤrmte ausgemergelte Mann erſchoͤpft ſeine letzten Kraͤfte unter der Laſt des Ruders. Ihre[ausgehungerten] Kinder liegen ſich in den Haaren uͤber ein Stuͤck Brod: Dies giebt der einen Seite des Nachens das Uebergewicht, er ſchlaͤgt um, er ſinkt in den Abgrund!
Welche Gegenſtaͤnde fuͤr die Mahlerei! Wohin wird noch endlich die Sucht fuͤhren, die Vorzuͤge des Kuͤnſtlers fuͤr die Vorzuͤge des Sittenlehrers hin - zugeben!
Greuze hat einen Pendant zu jenem Gemaͤhlde gemacht: Es iſt die Allegorie der gluͤcklichen Ehe:
Zwei Perſonen deren Geſtalten jede Schoͤnheit, jeden Reiz ihrer verſchiedenen Geſchlechter darbieten, fuͤhren in liebevoller Vereinigung das Ruder zu dem Nachen, auf dem ſie gleichfalls uͤber den Strom des Lebens hinfahren. Ihre beiden liebenswuͤrdigen Kin - der ſchlafen ſorglos auf dem Vordertheile des Schiffs, und Amor ſteuert.
Gut! hier iſt beabſichtete Beſſerung mit einer Vorſtellung verbunden, die mein Auge angenehm ausfuͤllt: hier iſt vielleicht durch die Verſtaͤrkung der Lebhaftigkeit einer an ſich unſinnlichen Idee, wuͤrk - licher Gewinn fuͤr das moraliſche Gefuͤhl. Aber ge - ſetzt! ſie waͤre es nicht; der Mann und ſein Eheweib waͤren der Verfuͤhrer Paris, und die bundbruͤchige Helena; ſtatt der ſchlafenden Kinder ſaͤhen wir als -dann17Pallaſt Giuſtiniani. dann einen ſchlafenden Hymen, den der loſe Amor gebunden mit ſich wegfuͤhrte: Wie dann? Wollen wir behaupten, daß hier Gefahr fuͤr unſere Seele ſey; daß der Ehebruch hoͤchſt ſinnlich angerathen werde; und daß man mit Aufopferung alles Ver - gnuͤgens, dem Bilde denſelben Weg muͤſſe nehmen laſſen, den einmal die Ritterromane des Ritters de la Manche genommen haben?
Was wir bloß ſehen, was wir mit dem Auge ohne Zuthun des Verſtandes, ohne hinzutretende Auslegung percipiren, was mithin unmittelbar auf unſere groͤberen Sinne wuͤrkt, kann zuweilen unſerm ſittlichen Gefuͤhle ſchaͤdlich werden. Die nackenden Formen, die der Kuͤnſtler zur Darſtellung der recht - maͤßigen Liebe unſerer erſten Eltern braucht, ver - moͤgen unſere Sinne in Aufruhr zu bringen; nicht die Darſtellung der Entfuͤhrung eines Eheweibes, die das Auge als ſittſame Schoͤne ſieht.
Alles koͤmmt auf die leidenſchaftliche Diſpoſition der Seele des particulairen Beſchauers an, ob er in einem Bilde mehr als das bloße Bild, die ſittliche Idee ſehe, und darauf kann der Kuͤnſtler bei der Wahl ſeiner Suͤjets nicht rechnen. Er rechnet auf den ruhigen Beſchauer. Le Brun der die buͤßende la Valliere gemahlt hat, durfte bei der Wahl des Suͤjets nicht daran denken, daß der Anblick dieſes Gemaͤhldes dereinſt eine Buhlerin zur Bekehrung auf - fordern wuͤrde.
Das Schlimmſte iſt, daß dergleichen aſcetiſche Mittel, ſo lange ſie in den Graͤnzen der Schoͤnheit bleiben, fuͤr die beiden erſten Tage Wuͤrkung thun,Dritter Theil. Bals18Pallaſt Giuſtiniani. als Erinnerung des gefaßten Vorſatzes Wuͤrkung thun, und in der Folge ſo wie der Vorſatz erkaltet, oder die Leidenſchaft dem Nachdenken keinen weitern Raum laͤßt, vergeſſen werden. Einer meiner Be - kannten; der dem Jaͤhzorn unterworfen war, ſchaffte ſich das Kupfer an, welches die Beſchaͤmung des heftigen Yoricks durch den ſanftmuͤthigen Moͤnch Lo - renzo vorſtellt. Er ließ es hinter Glas faſſen, und legte es auf ſeinen Tiſch, um es an der Wand aufzu - haͤngen. Sein Diener brachte ihm einen Nagel von unangemeſſener Groͤße, und das beſſernde Bild er - fuhr die erſte Probe der Unzulaͤnglichkeit ſeiner Macht gegen einen eingeriſſenen Fehler anzukaͤmpfen: ein heftiger Fauſtſchlag auf den Tiſch zerſchmetterte das Glas, und beſchaͤdigte das Kupfer.
Mein Rath iſt alſo dieſer: Der Kuͤnſtler huͤte ſich vor abſichtlicher Veranlaſſung, die groͤberen Sinne in Aufruhr zu ſetzen, vor unedlen Formen, und niedrigem unſchicklichem Ausdruck. Dies ſey ſeine Sittlichkeit, ſeine Sittenlehre: und wegen des Einfluſſes der Kuͤnſte auf das moraliſche Gefuͤhl, ver - laſſe er ſich uͤbrigens auf das Weſen der bildenden Kuͤnſte ſelbſt, auf ihre Wuͤrkung im Ganzen. Didiciſſe fideliter artes, emollit mores, nec ſinit eſſe feros.
Aber die Kuͤnſtler des Alterthums, wie ſtark wußten die auf ihre Nation zu wuͤrken! Frei - lich, bei ihnen ſtanden die Kuͤnſte in beſonderer Verbindung mit der Regierungsform, mit der politiſchen Erziehung; und die einen wuͤrkten auf die andern. Wie weit ſind wir von ihrerBuͤr -19Pallaſt Giuſtiniani. Buͤrgertugend, von ihren Begriffen uͤber Ehrgeiz als Triebfeder, uͤber oͤffentliche Bewunderung als Belohnung derſelben entfernt! Und doch! daß dieſe Kuͤnſtler jemals die ſittliche Ruͤckſicht, der Ruͤckſicht auf ſchoͤne Darſtellung zum Vergnuͤgen vorgezogen haͤtten, mithin daß dieſe nicht Hauptabſicht, jene aber nur accidenteller Vortheil geweſen ſey, daruͤ - ber erwarte ich den Beweis.
Ich fuͤr mich kenne keine Vorſtellung aus der alten Kunſt, welche als Verewigung einer edeln That, oder als Verſinnlichung von Tugend und Laſter, zu edeln Thaten oder zu ſittlicher Vollkommenheit uͤber - haupt haͤtte auffordern ſollen.
Ich habe oft Liebhaber aus Gallerien, angefuͤlltIn wiefern das intellek - tuelle Ver - gnuͤgen Zweck der bildenden Kuͤnſte ſey. mit den groͤßten Meiſterſtuͤcken, mit dem unmuths - vollen Ausruf weggehen ſehen: Was lernt man hier!
In der That die Worte jenes Mathematikers: Was beweiſt das? mit denen er die Phaͤdra des Racine zuruͤckgab, ſind um keinen Gran laͤcherlicher.
Maͤnner die nur der Affekte des Wiſſens und Erkennens faͤhig ſind, ſollten auf andern Wegen als der Beſchauung der Kunſtwerke, eine Unterhaltung aufſuchen, welche dieſe nicht im Stande ſind, ihnen zu gewaͤhren.
Was will man denn damit ſagen, wenn man etwas von den ſchoͤnen Kuͤnſten lernen will? Sollte Jemand ſo ſehr die Graͤnzen der bildenden Kuͤnſte verkennen koͤnnen, um zu verlangen, daß ihre Werke ihm Vorſtellungen von ganz neuen GegenſtaͤndenB 2lieferen?20Pallaſt Giuſtiniani. lieferen? So koͤnnen ſie keine ſchoͤne Kuͤnſte weiter bleiben, ſo werden ſie zu Handwerken, hoͤchſtens zu Ueberlieferungen von Geſtalten herabgewuͤrdigt: So dienen ſie nur dazu, eine elende Neugierde zu befrie - digen, und ihr hoͤchſtes Lob wuͤrde darin beſtehen, einem Forſter, einem Banks und Solander durch ihre Huͤlfsleiſtung die Aufbewahrung der Form aus - laͤndiſcher Gewaͤchſe, fremder Thiere erleichtert, ei - nem Haller dazu genutzt zu haben, anatomiſche Ent - deckungen anzuheften.
Freilich! ſo weit geht Niemand; aber auf eine weniger auffallende Art beruhen die Forderungen der - jenigen, welche die bildenden Kuͤnſte zu Verſtaͤrkung der Lebhaftigkeit wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe, oder ſinnlicher aber nicht ſichtbarer Eindruͤcke des Schoͤnen brauchen wollen, auf keinen beſſern Gruͤnden.
Die unbeſtimmten Aeußerungen mancher Kunſt - richter: daß man auch die ſubtileſten Gedanken, die abgezogenſten Begriffe auf der Leinewand ausdruͤ - cken, und durch ſichtbare Zeichen ins Gedaͤchtniß zu - ruͤckbringen koͤnne: daß dies die Seele ſchildern, fuͤr den Verſtand mahlen heiße; daß die feinen philoſo - phiſchen Ideen des Kuͤnſtlers nicht genung zu loben waͤren u. ſ. w. haben die abentheuerlichſten und den Kuͤnſten gerade zu widerſprechenden Vorſchlaͤge zu Gemaͤhlden und Statuen hervorgebracht, die zum Theil auch wuͤrklich ausgefuͤhrt ſind.
Ich darf es dreiſt ſagen, daß Winkelmanns Verſuch einer Allegorie fuͤr die Kunſt, auf einer gaͤnz - lichen Verkennung ihrer Graͤnzen beruhe, und daß die groͤßte Anzahl der von ihm angegebenen neuenAllego -21Pallaſt Giuſtiniani. Allegorien weiter nichts als Symbole von abſtrakten Begriffen ſind, welche die Seele mit weit groͤßerem Vergnuͤgen und groͤßerer Leichtigkeit unſinnlich denkt, oder ſinnlich hoͤrt, als ſinnlich ſieht.
Da ich ſchon an mehreren Orten ausgefuͤhrt habe, unter welchen Bedingungen ich eine Allegorie fuͤr einen ſchicklichen Gegenſtand der Kunſt halte, ſo will ich hier daruͤber ſchweigen. Ich wiederhole nur kurz, daß der Kuͤnſtler nicht vergeſſen muß, daß er zwar mit unſerer Seele, aber nur mit ihren unteren Kraͤften redet; daß ſobald Ueberlegung, Nachden - ken und Anſtrengung des Witzes erfordert werden, die Bedeutung des Zeichens zu errathen, dieſes auf - hoͤre, ſinnlich zu ſeyn: und damit wuͤrden gerade die intereſſanteſten Ideen aus der Reihe ſichtbarer Dar - ſtellungen wegfallen.
Gut! ſagen diejenigen, welche ſo gern bei Kunſt - werken denken, von ihnen etwas lernen wollen: die ſichtbare Darſtellung gebe mir nur die Veranlaſſung, mich an merkwuͤrdige Thaten und Geſinnungen, an die meiſterhaften Darſtellungen derſelben durch Dich - ter und Geſchichtſchreiber zu erinnern.
Ich, Comteſſe de Genlis, moͤchte gern meinen Untergebenen die Geſchichte durch eine Folge von Gemaͤhlden beibringen, die ihre Hauptbegebenheiten darſtellten: Ich, Graf Caylus und viele Franzoſen und Engellaͤnder vor und nach mir, wir moͤchten den ganzen Homer, Virgil und die beruͤhmteſten Dichter aller Nationen dergeſtalt in Gemaͤhlde gebracht ſe - hen, daß, erlaͤuternden Kupferſtichen gleich, mit dem Anblick des Bildes zugleich die Stellen, dieB 3ſich22Pallaſt Giuſtiniani. ſich ſo ſchoͤn haben leſen laſſen, ins Gedaͤchtniß zu - ruͤckgebracht wuͤrden.
Alſo ſoll die Mahlerei durchaus zum bloßen Huͤlfsmittel lebhafterer Erkenntniß der Gegenſtaͤnde ernſthafter und ſchoͤner Wiſſenſchaften werden?
Die Mahlerei ſo wenig wie die Bildhauerkunſt ſind nicht Ueberlieferinnen, Erzaͤhlerinnen geſchehe - ner Begebenheiten. Sie ſind es darum nicht, weil ſie aͤußerſt mangelhaft und aͤußerſt untrau erzaͤhlen: Sie ſind es darum nicht, weil uͤber dieſe Nebenab - ſicht, wenn ſie zur Hauptabſicht wuͤrde, ihre weſent - licheren Vorzuͤge aufgeopfert werden muͤßten: Sie ſind es endlich darum nicht, weil ſie alsdann, wenn jene Hauptzwecke verlohren gehen ſollten, mit ihren elenden Produktionen ſelbſt des Vortheils der Lebhaf - tigkeit des Eindrucks verluſtig gehen wuͤrden, den man durch ſie intendirt.
Ich habe dieſen Grundſatz ſchon an andern Or - ten ausgefuͤhrt, und will daher nur das hinzufuͤgen: Die beſondern Verhaͤltniſſe, deren Entwickelung eine hiſtoriſche Begebenheit wichtig macht, ſetzt eine Folge von Handlungen zum Voraus, welche die bildenden Kuͤnſte nicht ſichtbar darſtellen koͤnnen. Wer daher nur Veranlaſſung ſucht, ſich einer Reihe von vorherge - gangenen und nachfolgenden Auftritten lebhaft zu er - innern; wer nur ein ſichtbares Zeichen verlangt, welches ihn auf die Spur des unſichtbaren helfen koͤnne; der ſchaffe ſich eine Folge von Medaillen an, die durch Bildniſſe beruͤhmter Perſonen, und durch Symbole der merkwuͤrdigſten Begebenheiten jenen intendirten Vortheil vollſtaͤndig befoͤrdern, ohne dieMahlerei23Pallaſt Giuſtiniani. Mahlerei des Vorzugs, durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich und ſchoͤn zu ſeyn, ohne Noth zu berauben.
Wie wenig ohne dieſe weſentlicheren Vorzuͤge der Kuͤnſte, der Vorzug eines lebhafteren Eindrucks ge - ſchehener Begebenheiten erreicht werde, kann man daraus abnehmen, daß die Deutung ſchlechter Mo - numente, die bloß uͤberliefern, in kurzer Zeit ver - geſſen wird, weil ſich Niemand die Muͤhe giebt, ſie aufzubewahren.
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen mag nun auch dieVon der hi - ſtoriſchen Treue bei Bekleidung der Bildſaͤu - len, als oͤf - fentliche Denkmaͤler. Frage beantwortet werden, ob man bei den oͤffent - lichen Monumenten die großen Maͤnnern geſetzt wer - den, die wahre Form der Gewaͤnder u. ſ. w. die ſie in ihrem Leben getragen haben, beibehalten ſolle? Iſt das Coſtume dem Eindruck des Schoͤnen zu - traͤglich; warum nicht? Iſt ſie es nicht; keines - weges.
Gegen einen Beſchauer der in dem Manne mit Stiefeln von gebranntem Leder den Comte de Saxe, und in dem mit der Allongenperuͤcke den Praͤſident de Montesquieu leichter wieder erkennt, giebt es hundert, deren Verſtaͤndigung durch Beibe - haltung dieſer, der Schoͤnheit der Formen ſo unguͤn - ſtigen Tracht nicht um ein Haar erleichtert wird, denen man dem ohngeachtet ſagen muß: dies war Moritz, dies war Monteſquieu.
Ein Kunſtwerk iſt kein Garde-meuble: der große Mann verliert durch die Veraͤnderung der Tracht nichts von ſeiner Individualitaͤt: und die Kuͤnſte leiden ohnehin genung dadurch, daß ſie gegen die Wahrheit der individuellen, groͤßtentheils unvoll -B 4komme -24Pallaſt Giuſtiniani. kommenen Form des Koͤrpers ankaͤmpfen muͤſſen, als daß man ihnen den Streit durch die Nachbildung cenventioneller Beiwerke noch erſchweren ſollte.
Das ſchoͤne Bildniß wird immer verſtaͤndlich bleiben, wenn es nur in der Hauptſache, im Aus - druck des individuellen Charakters des vorgeſtellten Helden in Formen, Mine und Stellung des Koͤr - pers, aͤhnlich bleibt: Hingegen das was durch gar zu große Treue ſchlecht geworden iſt, wandert auf der Troͤdelbude nach dem Abſterben der naͤchſten Verwandten, oder man geht, wenn es als oͤffent - liches Monument aufgeſtellt wird, ohne aufzublicken voruͤber.
Die Gefahr die mit der treuen Uebereinſtimmung des Dichters und des bildenden Kuͤnſtlers zum Nach - theil beider verbunden iſt, hat ein ſcharfſinniger Kunſtrichter vor mir zu gut und ausfuͤhrlich ausein - ander geſetzt,2)Leſſing im Laokoon. als daß ich mich lange dabei auf - halten ſollte. Ich kann hier nicht uͤbergehen, was noch ein anderer Philoſoph nach ihm und wie mich duͤnkt, nicht minder wahr geſagt hat. 3)Mendelſohn uͤber die Hauptgrundſaͤtze der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften.
„ Die ſchwerſte und faſt unmoͤgliche Verbindung „ der Kuͤnſte iſt, wenn Kuͤnſte, welche Schoͤnheiten „ in einer Folge neben einander vorſtellen, mit Kuͤn - „ ſten, welche Schoͤnheiten auf einander folgend vor - „ ſtellen, vereinigt werden ſollen.
Ich25Pallaſt Giuſtiniani.Ich verkenne keinesweges das erhoͤhete Maaß von Intereſſe, welches ein Gemaͤhlde dadurch erhaͤlt, daß wir uns bei demſelben einer ſchoͤnen Stelle des Homers oder Virgils erinnern. Aber abgerechnet, daß die ſchoͤnſten Stellen beim Leſen oder Hoͤren ge - rade diejenigen ſind, die ſich am wenigſten mahlen laſſen, ſo bin ich auch nicht ſo unbillig zu verlangen, daß alle Menſchen die Augen zum ſehen, und ein Herz zum empfinden haben, ſich dieſer Stellen aus alten Dichtern lebhaft mit mir erinnern ſollen: DaDie heilige Geſchichte, als Stoff zur bildlichen Darſtellung, iſt der Sculptur, nicht der Mahlerei unguͤnſtig. vielmehr die Ideen, welche den Ausdruck der Affek - ten hiſtoriſch beſtimmen, allen zu den Kuͤnſten be - rechtigten Menſchen durch ein Volksbuch ſo gelaͤu - fig geworden ſeyn muͤſſen, daß uͤber das Nachſinnen und Rathen des Verſtandes die Einbildungskraft und das Herz nicht erkalten; ſo ſehe ich den großen Nach - theil nicht ab, den die Mahlerei dadurch erlitten haben ſollte, daß die Bibel dieſes Volksbuch gewor - den iſt. Die Sculptur hat allerdings dadurch ge - litten, wie ich an einem andern Orte zeigen werde: aber die Mahlerei, wie ich glaube, gar nicht oder wenig.
Der kleine Kreis von Affekten, die zur Mah - lerei geſchickt ſind, weil ſie ſich deutlich an den Koͤr - per durch Gebaͤrden aͤußern, muß in jedem Geſchicht - ſchreiber, in jedem handelnden Gedichte von groͤßerem Umfange wieder in Umlauf kommen, da alle den Menſchen in einer gewiſſen Folge von Zeiten ſchildern. Die Bibel hat den Vorzug, daß ſie von jedem et - was cultivirten Europaͤer, dem es um Erkenntniß der Wahrheit zu thun iſt, geleſen, oder wenigſtens ihr hiſtoriſcher Innhalt bei der erſten ErziehungB 5deſſelben26Pallaſt Giuſtiniani. deſſelben eingefloͤßet werden muß. Sie erzaͤhlt in einem leichten faßlichen Tone, und da ſie mehr erzaͤhlt als darſtellt, ſo behaͤlt die Imagination des Mah - lers freieres Spiel. Die Affekten zu deren Ausdruck die Begebenheiten, die ſie aufgezeichnet hat, Anlaß geben, ſind groͤßtentheils von der Art, daß ſie ſich gut mahlen laſſen, weil ſie mehr die zaͤrtlichen, ſanf - teren Triebe des Herzens die ſich gerne mittheilen, als jene hohen großen Empfindungen zur Grundlage ha - ben, die mehr concentriſch als excentriſch wuͤrken. Wir haben unſtreitig dabei gewonnen, daß nicht der Tacitus ſtatt der Bibel das Handbuch der Kuͤnſtler geworden iſt.
Ich habe mich oft gewundert, daß ein Caylus und andere Kunſtrichter, ſtatt des Homers und an - derer epiſchen Dichter, nicht auf die dramatiſchen, auf einen Sophocles, Euripides, gefallen ſind, um ſie dem Kuͤnſtler als Vorrathshaͤuſer intereſſanter Suͤjets zu empfehlen. Dichter, welche ihre ganze Kunſt in der Darſtellung der Affekte ſetzen und dabei die Schilderung des verſtaͤrkenden Ausdrucks durch Gebaͤrden dem Akteur uͤberlaſſen, ſcheinen beſonders dazu geſchickt, Auftritte fuͤr die Mahlerei, die ſelbſt ein pantomimiſches Drama iſt, zu liefern.
Doch! ich fuͤhle wohl, daß ich hier mannichfaltige Einwendungen fuͤrchten muß, welche daher genom - men werden koͤnnen, daß der Dichter bei ſeinen Ak - teurs hauptſaͤchlich auf Worte rechnet, und daß der Mahler auf dieſe gar nicht rechnen ſoll. Es ſey alſo nur hingeworfene Idee, die andern zur Pruͤfung vor - behalten bleiben mag.
Ich27Pallaſt Giuſtiniani.Ich will ſtatt deſſen lieber zuletzt vor einer GefahrDas Neue, das Feine, das Ueber - raſchende: mit welcher Behutſam - keit der Kuͤnſtler auf angenehme Eindruͤcke davon rech - nen duͤrfe. warnen, welche uns von ſolchen Kuͤnſtlern drohet, die bei Darſtellung eines der Kunſt angemeſſenen Suͤjets, welches aber ſchon von ihren Vorgaͤngern behandelt iſt, da ſie fuͤr Einbildungskraft und Herz nicht mehr neu ſeyn koͤnnen, durch Hinzufuͤgung eines neuen, witzigen und feinen Gedankens unſern Verſtand zu uͤberraſchen hoffen. Zuweilen geſchieht dies mit gu - tem Gluͤcke. Ich erinnere mich von Greuze eine ſchoͤne Veraͤnderung in der gewoͤhnlichen Vorſtellung der Fabel der Danae geſehen zu haben. Waͤhrend daß eine alte Duegna oder Aufſeherin uͤber die Unſchuld des Maͤdchens beſchaͤfftiget war den goldenen Regen einzu - ſammeln, ſchluͤpfte Jupiter in die Arme der unbewach - ten Danae. Schoͤn! Aber nicht ſowohl darum, weil der Gedanke: „ nicht das Herz und die Unſchuld, „ wohl aber die Gelegenheit ſind um Geld zu Kauf “ſein und neu iſt; ſondern vielmehr, weil dadurch ein viel vollſtaͤndigerer, beſtimmterer, mehr abwechſeln - der Ausdruck als durch die gewoͤhnliche Vorſtellungs - art motivirt wird, und wir die Feinheit und Neuheit des Gedankens uͤberher haben.
Wenn hingegen Guercino, auf eine in Ruͤckſicht des Gedankens eben ſo neue und feine Art, die fuͤr das Herz und die Einbildungskraft ſo intereſſante Fabel der Diana und des Endymion dahin deſalle - goriſirt, daß letzterer als der erſte Erfinder der Aſtro - nomie, mit dem Sehrohr nach dem Monde guckt; ſo werden wir ihm fuͤr ſeine Fuͤrſorge fuͤr unſern Ver - ſtand wenig Dank wiſſen.
Aus28Pallaſt Giuſtiniani.Aus alle dieſem folgt der Schluß: der Bildhauer ſuche bei der Wahl ſeiner Suͤjets ſein Augenmerk zu - erſt dahin zu richten, ob es ihm die Veranlaſſung gebe, ſchoͤne Geſtalten, reizende Stellungen, Indi - vidualitaͤt des Charakters einer gewiſſen Art von Menſchen, die ſich durch fortdauernde Eigenſchaften des Herzens und Faͤhigkeiten des Geiſtes und des Koͤrpers auszeichnet, darzuſtellen: und dabei ſeine Geſchicklichkeit in der Bildung des Koͤrperbaues zu zeigen.
Der Mahler ſuche ſolche Suͤjets aus, die einen edeln Ausdruck ſolcher Affekten motiviren, die ſich gern durch Gebaͤrden mittheilen, ohne der Wohlge - faͤlligkeit der Geſtalten zu ſchaden, und ihm dabei Gelegenheit geben, mahleriſche Wuͤrkung durch Ab - wechſelung und Einheit in Geſtalten, Farbe, und im Hellen und Dunkeln hervorzubringen. Koͤnnen beide zu gleicher Zeit das Herz unmittelbar beſſern, dem Verſtande durch Erweckung neuer Vorſtellungen, oder durch Reproduktion alter Bilder unter neuen Verhaͤltniſſen Beſchaͤfftigung geben; gut! Wo nicht, ſo werde nie der erſte Zweck dem letztern aufgeopfert.
Ueberhaupt: Wahl des Suͤjets in den bilden - den Kuͤnſten iſt etwas, aber ungleich mehr die Wahl der Mittel zur Ausfuͤhrung, und am meiſten die Be - handlung.
Haͤtte Hemſterhuys dies bedacht, er wuͤrde nicht jene Stelle in ſeinen Brief uͤber die Bildhauerei ein - geruͤckt haben, welche es anzuzeigen ſcheinet, daßdieſer29Pallaſt Giuſtiniani. dieſer feine Kopf in den wahren Genuß der KuͤnſteBilder erwe - ckende, die Spannung der reprodu - cirenden Kraft unſe - rer Seele, iſt keinesweges Zweck eines vollkomme - nen Kunſt - werks. Ue - ber Skizzen, beilaͤufig. nicht voͤllig initiirt war.
„ Es iſt bekannt, ſagt er, daß die erſten Ent - „ wuͤrfe einem Manne von Genie und dem wahren „ Kenner am mehrſten gefallen; der Grund hiezu „ ſcheint doppelt zu ſeyn. Erſtlich enthalten dieſe „ erſten Entwuͤrfe mehr von der goͤttlichen Lebhaftig - „ keit der erſten gefaßten Idee, als die vollendeten „ Werke, welche viel Zeit gekoſtet haben; aber zwei - „ tens ſetzen ſie auch die dichtende und reproducirende „ Faͤhigkeit der Seele in Bewegung und Thaͤtigkeit, „ welche ſogleich das, was der Wahrheit nach nur „ angefangen und hingeworfen war, vollendet. Und „ hierdurch werden ſie der Beredſamkeit und der „ Dichtkunſt ſehr aͤhnlich, die, indem ſie ſich der Zei - „ chen und der Worte ſtatt des Crayons und des „ Pinſels bedienen, nur auf die reproducirenden Faͤ - „ higkeiten der Seele wuͤrken, und folglich groͤßere „ Wuͤrkung hervorbringen, als weder Mahlerei noch „ Bildhauerkunſt, ſogar in ihrer groͤßten Vollkom - „ menheit hervorzubringen vermoͤgen. Ein vortreff - „ licher Zug in irgend einem großen Redner oder „ Dichter macht das Herz beklemmt, macht zittern „ und erblaſſen, erſchuͤttert unſer ganzes Syſtem; „ aber nie traͤgt ſich dieſes bei dem Anblick auch des „ allerſchoͤnſten Gemaͤhldes oder der allerſchoͤnſten „ Statue zu. Es ſcheint, als ob der beruͤhmte Leo - „ nard da Vinci ungefaͤhr eben ſo uͤber die erſten Ent - „ wuͤrfe gedacht habe, weil er will, daß die Mahler „ auf die Mauern und Waͤnde, welche Flecken und „ Makel ohn’ allen Plan haben, aufmerkſam ſeyn „ ſollen; dieſe unregelmaͤßigen Flecken meint er, er -zeugten30Pallaſt Giuſtiniani. „ zeugten oft Ideen zu den vortrefflichſt angeordneten „ Landſchaften. “
Waͤre dieſer Satz, waͤren dieſe ihm unterge - legten Gruͤnde wahr, ſo waͤre alle die Zeit verloh - ren, welche die groͤßten Kuͤnſtler auf die langweilige mechaniſche Ausfuͤhrung ihrer Meiſterſtuͤcke gewandt haben: So waͤre ein Tintoretto, ein Tempeſta, ein la Fage, ein Fuͤßli, weit uͤber Raphael, Correggio und Tizian zu ſetzen: So wuͤrden wir endlich zu den Punkten des Leonardo zuruͤckkommen, welche die re - producirende Faͤhigkeit der Seele noch mehr als die Skizze in Bewegung und Thaͤtigkeit verſetzen. Zum Gluͤck iſt weder Satz, noch Grund, noch erlaͤuternde Analogie wahr, und buͤndig.
Der Mann von Genie, der zu gleicher Zeit Kenner iſt, wird nie die Skizzen zu Raphaels Ge - maͤhlde von der Transfiguration, oder zu Correggio’s heiligen Magdalena mit dem Hieronymus, oder zu Tizians Peter dem Maͤrtyrer, den ausgefuͤhrten Gemaͤhlden ſelbſt vorziehen.
Er wird die Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers eine ſchoͤne Skizze zu entwerfen, ſchaͤtzen, ſie wird ihm das Vergnuͤgen machen, welches jede Wahrnehmung der Vollkommenheit des Kuͤnſtlers, ſeines Geiſtes in ſeinem Werke, hervorbringt. Aber dies Vergnuͤ - gen wird er genau von demjenigen zu unterſcheiden wiſſen, welches die Vollkommenheit des Werkes ſelbſt erweckt, und wenn er vollkommene Skizze ge - gen vollkommenes Gemaͤhlde haͤlt, ſo wird das letzte gewiß das Uebergewicht bei ihm erhalten.
Die31Pallaſt Giuſtiniani.Die goͤttliche Lebhaſtigkeit der erſten gefaßten Ideen muß dem Kenner bei der geringen Anzahl eben ſo gut ausgefuͤhrter als gedachter Gemaͤhlde unſtreitig aͤußerſt willkommen ſeyn. Aber wenn er nun eben dieſe goͤttliche Lebhaftigkeit, der langſamen Behand - lung ungeachtet, ungeſchwaͤcht in dem letzten Pinſel - ſtrich des vollendeten Gemaͤhldes antrifft; dann wird er eben fuͤhlen, warum in der Mahlerei Erfindung ſo weit unter Ausfuͤhrung ſteht.
Dasjenige was Hemſterhuys aus der Aktivitaͤt der reproducirenden Faͤhigkeit der Seele folgert, was er von der Dicht - und Rednerkunſt hier analogiſch zur Anwendung bringt, beruhet auf einer gaͤnzlichen Vermengung der Graͤnzen verſchiedener Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, auf Verwechſelung der beſonderen Modificationen der bildenden Kraft der Seele, auf welche ſie verſchieden wuͤrken ſollen. Es wuͤrde zu weitlaͤuftig ſeyn, dies hier auseinander zu ſetzen, und ich kann deſſen billig uͤberhoben ſeyn, da Herr Her - der4)Kritiſche Waͤlder: 1ſtes Waͤldchen nr. 9. Abhandlung: Ob Mahlerei oder Tonkunſt eine groͤßere Wuͤrkung gewaͤhre? an zweien Orten wie mich duͤnkt deutlich ge - zeigt hat, daß das Bild als Werk fuͤr einen ewigen Anblick geſchaffen, nicht als Energie, nicht als Folge von Eindruͤcken, die ſich wechſelſeitig verſtaͤrken, auf uns wuͤrke.
Ich finde noͤthig, die Saͤtze dieſes Schriftſtel - lers nach meinen Ideen dahin naͤher zu beſtimmen: Die Mahlerei ſpannt nicht die Einbildungskraft, ſiefuͤllt32Pallaſt Giuſtiniani. fuͤllt ſie aus. Sie giebt die hellſte, klaͤrſte Vorſtel - lung von dem, was wir zu ſehen wuͤnſchen, und als ſichtbar zu denken gewohnt ſind. Die Mahlerei er - ſchuͤttert das Herz nicht, macht nicht erblaſſen oder zittern: aber ſie ladet es zur ruhigen heiteren Mit - empfindung ein.
Kurz! die Mahlerei hat den ausgezeichneten Charakter, (Fehler oder Vorzug?) der ſie von an - dern Kuͤnſten, die mit ihr fuͤr Einbildungskraft und Empfindungsvermoͤgen arbeiten, unterſcheidet: Sie giebt wenig, aber das Wenige ſo gut als eine. So viel umfaſſend wie die Dichtkunſt, ſo maͤchtig hin - reiſſend wie die Muſik iſt ſie nicht; aber den Ein - druck, den wir von der eingeſchraͤnkten Gelegenheit die ſtumme Natur deutlich mit einem Blicke zu ver - ſtehen, erhalten; den gewaͤhrt ſie mit einer ſolchen Ausfuͤllung aller Forderungen, welche Bildungs - und Empfindungsvermoͤgen daran zu machen berech - tigt ſind, als die Dichtkunſt und Muſik ihn nicht zu geben im Stande ſind. Dieſer Satz muß unum - ſtoͤßlich bleiben, bis Dichtkunſt und Muſik durch hoͤrbare Schilderung der Form und des Ausdrucks der Gebaͤrden einer reuigen Magdalena, eben den Eindruck auf mich machen werden, den der Anblick des Bildes ſelbſt von Guido Reni auf mich gemacht hat. Staͤrker, vollſtaͤndiger klagen koͤnnen ſie mich die Heilige hoͤren laſſen, und dies Hoͤren wird ſtaͤrker, vollſtaͤndiger auf mich wuͤrken, als das bloße Sehen; Aber mich die Heilige mit Thraͤ - nenvollem Auge und zerknirſchter Bruſt vollſtaͤndi - ger, ſtaͤrker erblicken laſſen, das koͤnnen ſie nicht. Alles was der bloße ſtumme Anblick gewaͤhrt, giebtdie33Pallaſt Giuſtiniani. die Mahlerei am ſtaͤrkſten: Dies Staͤrkſte iſt nicht ſo ſtark als das Staͤrkſte der verſchwiſterten Kuͤnſte; gut! dafuͤr iſt es ſchmeichelnder, ſicherer. Alles was der bloße ſtumme Anblick liefert, liefert die Mahlerei am vollſtaͤndigſten: Dies Vollſtaͤndigſte iſt nicht ſo voll - ſtaͤndig als das Vollſtaͤndigſte der verſchwiſterten Kuͤnſte; gut! dafuͤr iſt es leichter, faßlicher. Der Wuͤrkungskreis der Mahlerei iſt eingeſchraͤnkt; thut nichts! um deſto eifriger ſind wir auf die Vertheidi - gung ſeiner Graͤnzen bedacht.
Was endlich Hemſterhuys uͤber die Punkte des Leonardo da Vinci ſagt, kann auf keine Art zum Beweiſe ſeines Satzes dienen. Man darf einen Kunſtgriff die Erfindungskraft des Schoͤpfers rege zu machen, nicht mit der Wuͤrkung des bereits er - fundenen auf den Beſchauer, der genießen, nicht er - finden will, und groͤßtentheils nicht kann, verwech - ſeln. Der Klang des Saitenſpiels eines Nardini weckt in der Seele der Corilla die poetiſche Ader auf: will man daraus folgern, daß der Zuhoͤrer den vor - geſetzten Innhalt, den Plan des Gedichts ſchoͤner fin - den ſolle als das Gedicht ſelbſt? 5)Hemſterhuys ſcheint uͤberhaupt von Skizze keinen rechten Begriff zu haben, und ſie mit der ſublimen Darſtellung eines hervorſtechenden Zuges der Lei - denſchaft, der ſich ohne die ganze Reihe von Ge - danken und Empfindungen die ihn veranlaßt haben, nicht denken laͤßt, der gleichſam das Summum aller vorhergehenden und nachfolgenden iſt, zu verwechſeln. Das Virgilianiſche: Quos ego! Das beredte Stillſchweigen in Trauerſpielen, wor -
SoDritter Theil. Cauf34Pallaſt Giuſtiniani.So endige ich denn eine Unterſuchung, die mir in meinem philoſophiſch ſchwaͤrmeriſchen Jahrhun - derte, wo man ſo gern denken will, wo man nur fuͤhlen ſollte, und ſo gern fuͤhlen will, wo man nur denken ſollte, ein Wort zu ſeiner Zeit geſagt zu ſeyn geſchienen hat.
Ich gehe nun zur eigentlichen Beſchreibung der Kunſtwerke in dieſem Pallaſte uͤber, zu deren billi - gen Beurtheilung ich den Liebhaber in etwas vorbe - reitet zu haben glaube.
In dem Hofe des Pallaſts Giuſtiniani ſieht man mehrere Basreliefs in die aͤußeren Waͤnde des Hauſes eingemauert. Sie verdie - nen in der ſchon oft angegebenen Ruͤckſicht Aufmerk - ſamkeit.
Auch ſieht man hier in Niſchen einige coloſſa - liſche Koͤpfe von großem Charakter.
Eine weibliche gut bekleidete Figur.
Eine Hygea. Die Idee iſt beſſer als die Ausfuͤhrung.
AufEin Aeſculap, ein Marcus Aurclius, Ca - ligula, ein ſeltener Domitian,6)Winkelmann, G. d. K. S. 822. haͤlt ihn fuͤr aͤcht. Antinous, Jupiter, Mercur. Saͤmmtlich von geringem Werthe und zweideutiger Benennung.
† Amalthea, die dem Jupiter als Kind aus dem Horne der Ziege (die andere ſelbſt Amalthea nennen,) zu trinken reicht. Ein Bas - relief von guter Erfindung aber mittelmaͤßiger Aus - fuͤhrung. Ein geſchickter Kuͤnſtler, der ſich des Ge - dankens bemeiſtern wollte, koͤnnte daraus ein ſehr reizendes Werk machen.
† Zwei Faunen, beide in der gewoͤhnlichen Stellung, den einen Arm auf den Stamm eines Baums gelehnt, den andern in die Seite geſtuͤtzt. Sie tragen ein Ziegenfell. Einer derſelben gehoͤrt unter die beſten Vorſtellungen dieſer Art.
Eine ſitzende Roma.
Eine Conſularſtatue.
Eine Gruppe von zwei Streitern, deren einer im Begriff iſt, den andern, den er nie - dergeworfen hat, zu durchſtechen. Man nennt ſie ohne Grund Hercules und Antaͤus. Das ganze Werk iſt mittelmaͤßig und wahrſcheinlich modern. Wenigſtens ſind die Koͤpfe unſtreitig neu.
Die Juͤnger zu Emmaus von Carravag - gio. Der Hund iſt das Beſte auf dieſem Bilde.
† Mariaͤ Verkuͤndigung von demſelben und eines ſeiner beſten Werke. Die heil. Jungfrau iſt reizend, und die Schatten ſind nicht uͤbertrieben ſchwarz.
Bildniß eines Cardinals, ſcheint beinahe von demſelben, es iſt wahr und pikant.
Grablegung von Carravaggio.
Dieſer Pallaſt enthaͤlt uͤberhaupt ſehr viele Ge - maͤhlde vom Carravaggio.
Sein ganzer Name heißt Michael Angelo Ame - rigi und weil er 1569. zu Carravaggio im Mailaͤn - diſchen gebohren war, ſo nennt man ihn gewoͤhnlich: Il Carravaggio.
Er waͤhlte gemeiniglich ſehr niedrige Suͤjets, und die edlen fuͤhrte er auf die niedrigſte Art aus. Er hatte die Praͤtenſion, die Natur getreu nachzu - ahmen, aber er erreichte ſie nur in einem Stuͤcke, naͤmlich in der Ruͤndung. Er wußte wie ſehr die Abwechſelung von hellen und dunkeln Partien das Auge feſſelu, daher ſtellte er ſeine Modelle in ſchwarz gefaͤrbte Zimmer, und ließ das Licht von oben herab - fallen. Aber ſo ſieht man die Gegenſtaͤnde ſelten in der Natur.
Seine Zeichnung iſt unrichtig und ſchwerfaͤllig. Seine Carnation iſt im Lichte gelb, in den Schatten ſchwarz. Zuweilen mahlte er heller, dann iſt er amſchaͤtz -37Pallaſt Giuſtiniani. ſchaͤtzbarſten. Seine Behandlung war gut. Dies und die Ruͤndung ſeiner Figuren ſind ſeine Hauptvor - zuͤge. Er ſtarb 1609.
Die Marter des heil. Petrus von Salta - relli.
Flucht nach Aegypten von Valentin.
Bildniß des Carravaggio, der ſich vermit - telſt eines Spiegels, ſowohl von vorn als von hinten zu abgebildet hat.
Eine Carita. Der Meiſter iſt unbekannt, die Compoſition allerliebſt, nur haͤtte die Ausfuͤh - rung eine geſchicktere Hand verdient. Die Carita iſt im Coſtume der Weiber auf der Inſel Procida gekleidet.
Eine Madonna mit dem Kinde, ſtehend in einer Glorie, von Carravaggio.
† Chriſt, der den Juͤngern die Fuͤße waͤſcht von Carravaggio. Dies Bild iſt von großer, wiewohl gemeiner Wahrheit, und die Figuren tre - ten ſtark hervor. Die Schatten ſind zu ſchwarz.
† Ein nacktes Weib von Tizian. Andere halten es von Paolo Veroneſe. Dieſem letzten ſpreche ich es zu, wegen der aͤußerſten Keckheit, mit der der Kopf behandelt iſt. Arme und Haͤnde ſind unvergleichlich.
† Ein Juͤngling hat die Zerſtoͤrung Jeruſalems vorherverkuͤndigt, und ſoll des - wegen von der Wache ergriffen werden; aber er entwiſcht, und laͤßt den Mantel im Stich. Gherardo della Notte ſoll der Autor ſeyn. Das Bild iſt von der pikanteſten Wuͤrkung.
Koͤpfe einer Madonna, eines Engels, und eines Alten, al Freſco, von Correggio. Es ſind Bruchſtuͤcke aus der Kuppel von Parma. Die Farbe iſt ganz verblichen.
Die zwoͤlf Apoſtel, der Chriſt, die Ma - donna und Johannes der Taͤufer. Alle dieſe Bilder ſind von Albano, aber aus ſeiner erſten Zeit, als er ſich noch genau an die Schule der Carracci hielt. Die Figuren ſind etwas ſteif, und die Falten der Gewaͤnder zu eckigt und trocken.
Der Chriſt vor dem Pilatus, von Ghe - rardo della Notte. Der Ausdruck iſt ſehr gemein, aber die Wuͤrkung pikant.
Das Wunder der Austheilung der Broͤdte und der Fiſche, von Carravaggio.
Der39Pallaſt Giuſtiniani.Der heil. Johannes von Guercino, wie man ſagt: Ich zweifle.
Auferweckung der Tochter des Jairus, wahrſcheinlich von Vouet.
Eine nackte Frau vor dem Spiegel den ein Amor haͤlt, von Paolo Veroneſe. Das Bild hat gute Halbtinten.
Eine Landſchaft des Domenichino mit der Taufe Chriſti.
† St. Matthaͤus mit dem Engel, der ihm die Hand beim Schreiben fuͤhrt von Car - ravaggio. Die Zuſammenſetzung dieſes Bildes iſt ſchlecht. Der Engel hat eine ſehr affektirte Stel - lung; der Ausdruck iſt gemein, und beide Figuren ſind mitten aus dem ſchlechteſten Poͤbel hervorgeſucht. Aller dieſer Fehler ungeachtet iſt dies Bild eines der pikanteſten die man ſehen kann: So viel vermag Ruͤndung und ein wohl gewaͤhltes und behandeltes Detail zum Gefuͤhl der Wahrheit beim erſten Blick; denn unterſuchen darf man nicht. Man ſollte die Gemaͤhlde des Carravaggio nur im Vorbeigehen in einer gewiſſen Entfernung betrachten, in der man wieder erkennen, aber nicht pruͤfen kann.
Ganymed vom Adler weggefuͤhrt, aus der Schule des M. A. Buonarotti.
Vertreibung der Verkaͤufer aus dem Tem - pel. Schule des Carravaggio.
† St. Peter vom Engel geweckt, von Hont - horſt. Das Licht, welches weit ſchicklicher in an - dern Vorſtellungen dieſes Suͤjets vom Engel ausgeht, faͤllt hier durch die Thuͤr ins Gefaͤngniß. Der Aus - druck des ſchlaftrunkenen St. Peters, der graͤmelnd, daß man ihn im Schlafe geſtoͤrt hat, ſich den Kopf kratzt, iſt eben ſo wahr als gemein.
Geiſſelung Chriſti von Carravaggio.
Die Austreibung der Verkaͤufer aus dem Tempel. Wahrſcheinlich von Gerhard Laireſſe. Wenigſtens laͤßt ſich der Nahme des Meiſters aus der Vermiſchung des niederlaͤndiſchen Stils mit dem italiaͤniſchen, aus dem einſichtsvollen Helldunkeln, und aus der aͤußerſt reichen Architektur ſchließen.
Ein ſchoͤner Baſſan.
† Heil. Johannes von Giulio Romano nach Raphaels Zeichnung. Er ſchwebt in den Luͤften auf einem Adler. Sein Auge iſt zu dem Gotte gekehrt, der ihn inſpirirt. Er ſchreibt, und erhebt ſich uͤber irdiſche Gegenſtaͤnde. Eine ſublime Idee! Der Kopf hat viel Adel. Vielleicht iſt die Stellung des Koͤrpers ein wenig gezwungen. Die Faͤrbung faͤllt ins Braune.
† Schoͤnes Bildniß eines Weibes, die einen Blumenſtrauß vor die Bruſt heftet. Wahrſcheinlich von einem der Carracci.
† Die heil. Caͤcilia von Carravaggio. Ein Gemaͤhlde voller Wahrheit. Aber der Charakter der Heiligen erhebt ſich nicht uͤber den einer ge - meinen Zitherſpielerin. Die Copie iſt im Pallaſt Barberini.
Chriſt und das Cananaͤiſche Weib, man ſagt, von Albano.
† Der Bethlehemitiſche Kindermord vonDer Bethle - hemitiſche Kindermord von Pouſſin. Pouſſin. So viel Aufhebens als viele Kenner von der Schoͤnheit der Zuſammenſetzung dieſes Bildes ma - chen, ſcheint ſie mir nicht zu verdienen. Freilich iſt die Weisheit zu loben, mit der uns der Kuͤnſtler nur einen Theil einer Scene des Schreckens vor Augen gelegt hat, welche die Einbildungskraft ſo vieler Mahler bis zum Ekel auszudehnen, und unter ver - ſchiedenen Geſtalten zu vervielfaͤltigen gewußt hat. Hier hat ein Henker ſchon dem kleinen ungluͤcklichen Opfer ſeiner Wuth, das vor ihm zur Erde geſtreckt liegt, einen Stich in die Seite gegeben, er ſetzt ihm den Fuß auf die Bruſt, es zu erdruͤcken, und holt mit dem Arm einen neuen Streich aus, der ihm vollends den Reſt geben ſoll. Die verzweifelnde Mutter nimmt ihre Zuflucht zum Flehen, indem ſie zu gleicher Zeit alle ihre Staͤrke zuſammenrafft, um dieſe letzte ihrer Hoffnungen zu retten. Sie liegt zuC 5des42Pallaſt Giuſtiniani. des Grauſamen Fuͤßen, ſie ſtreckt den einen Arm aus, den Streich aufzufangen und klammert ſich mit dem andern an ſeine Schulter, den Streich zu hindern. Wilde Verzweiflung und Angſtgeſchrei lieſt man auf ihrem Geſichte, ihre ganze Stellung zeigt das Streben nach Rettung an. Aber der Henker hoͤrt auf ihr Geſchrei nicht, er iſt ihr an Staͤrke uͤberlegen, er reißt ſie mit der Hand, die er frei behaͤlt, bei den Haaren zuruͤck. Das Kind gedruͤckt durch den ſtar - ken Koͤrper ſtreckt Haͤnde und Fuͤße, ſein Kopf ſchwillt, es kneift die Augen zu, und ſchnapt mit dem letzten Athemzuge nach Luft.
Dieſe Gruppe iſt mit vieler Einſicht gedacht, aber zu ſchrecklich und daher dem Weſen der Kunſt nicht angemeſſen. Warum fuͤgte der Mahler noch andere Weiber hinzu, die ihre entleibten Kinder weg - tragen, und ſich die Haare ausraufen? Entweder haͤtte der Mahler dieſe ganz weg, oder alle ſich gegen den gemeinſchaftlichen Feind ihres Geſchlechts verei - nigen laſſen ſollen. So viel uͤber den Gedanken. Der Ausdruck in dieſem Gemaͤhlde iſt wahr, aber unedel. Die Zeichnung iſt ſehr correkt. Die graue finſtere Faͤrbung, die ſonſt Fehler bei dieſem Meiſter iſt, ſcheint hier die Wuͤrkung des Eindrucks zu verſtaͤrken.
† Der heil. Johannes von Domenichino, Zwei Engel halten ihm ſeine Buͤcher. Die Zu - ſammenſetzung iſt ſchoͤn, aber ſchoͤner noch der Aus - druck. Der Kopf des Johannes zeigt den ſanfteſten und gefuͤhlvolleſten der Menſchen. Suͤßigkeit ſchwebt auf ſeinem Munde und ſeine Augen belebt das Anſchauen der Gottheit, die alle niedere Regungenaus43Pallaſt Giuſtiniani. aus ſeinem Herzen entfernet. Raphaels heil. Jo - hannes iſt ein Gott, der heil. Johannes des Dome - nichino der erſte ſeiner Diener, ein Engel. Die Zeichnung iſt ſehr correkt, aber das Gewand etwas zu trocken. Der Faͤrbung, die ein wenig kalt iſt, und ins Graue faͤllt, fehlt es wohl uͤberhaupt an Harmonie. Die Landſchaft iſt ſehr ſchoͤn.
† St. Paul der Eremit, und St. An - tonius mit der Madonna und mit Engeln. Großes ſchoͤnes Gemaͤhlde des Guido aus ſeiner dunkeln Manier. Die Koͤpfe der Alten ſind von großer Wahrheit.
St. Marcus, aus der Schule der Car - racci.
Chriſt im Oelgarten, aus der Schule des M. A. Buonarotti.
Mehrere heilige Familien, die man fuͤr Arbeiten Raphaels, des Andreas del Sarto, des Parmeggiano und anderer ausgiebt, und entweder nur aus der Schule dieſer Meiſter oder Copien nach denſelben ſind.
In der Mitte dieſes Zimmers ſteht eine Vaſe, die aber in ihrer urſpruͤnglichen Form keine Vaſe war. Denn das mittelſte Stuͤck hat wahr - ſcheinlich zur Einfaſſung eines Brunnens gedient, und iſt nebſt dem daran befindlichen Basrelief die Copie eines ſchoͤnen Originals, welches ſich in Spa - nien befindet. Der Fuß und der Rand der Vaſe ſind angeſetzt.
Rund herum ſtehen einige Buͤſten, unter denen aber Nichts ſonderlich merkwuͤrdig iſt. Die beſten ſind:Ein44Pallaſt Giuſtiniani. Ein Lucius Verus, ein Marc Aurel, ein An - tonin der Fromme, ein Faunuskopf, Ha - drian.
Beim Zuruͤckkehren durch die naͤmlichen Zimmer kann man noch einige Bildhauerarbei - ten bemerken.
Alexander, Tiber, Buͤſten.
Septimius Severus, Trajan, Caracalla, Buͤſten.
Diana von Epheſus, eine Muſe, Statuen.
Schoͤner Kopf eines jugendlichen Marc Aurels in Bronze.
Jupiter.
Ein Indiſcher Bacchus.
Eine ſchlechte als Paris ergaͤnzte Statue.
Eine kleine Statue des Marſyas.
Kopf eines Juͤnglings.
Zwei Buͤſten von Muſen oder von Gra - zien mit ſehr geſchmackvollem Kopfputz. Die eine hat ein Netz auf dem Haupte nach Art Italieni - ſcher Maͤdchen.
Eine45Pallaſt Giuſtiniani.Eine kleine Ariadne von lieblichem Aus - drucke.
Eine Vaſe mit drei ſchlafenden Kindern. Die Arbeit iſt ſchlecht.
Dem erſten Zimmer zur Seite von dem Vorſaale an rechter Hand zu rechnen, tritt man in eine andere Folge von Zimmern, die noch mit Gemaͤhlden gezieret ſind. Die beſten ſcheinen:
† Ein auferſtandener Chriſt, wahrſchein - lich von Carravaggio. Die Figur tritt ſehr vor, und iſt nicht ganz unedel. Das weiße Gewand faͤllt ſehr auf. Ganz wahr iſt es nicht vorzuͤglich in den Halbtinten, aber blendend weiß im Lichte.
Der Chriſt heilt einen Blinden, wahr - ſcheinlich von demſelben.
Von hier aus koͤmmt man in die beruͤhmteGallerie der Statuen. Statuengallerie, die durch die Kupferſtiche San - drarts ſo ſehr, und wenn ich es ſagen darf, uͤber Ver - dienſt beruͤhmt geworden iſt. Die Statuen ſind meiſtens ſehr reſtaurirt, und zum Theil ſehr ſchlecht.
Hier iſt das genaue Verzeichniß von demjenigen, was noch vorhanden iſt. Ich bin mit Fleiß ſo um - ſtaͤndlich dabei geweſen, um diejenigen, die nach dem Sandrart eine Statue als hier befindlich anfuͤh - ren ſollten, vor allem Irrthume zu ſichern. Die Vergleichung wird zeigen, daß die Sammlung ſeit Sandrarts Zeiten um ein Betraͤchtliches vermin - dert iſt.
† Der46Pallaſt Giuſtiniani.† Der beruͤhmte Bock. Der Kopf iſt nach dem einſtimmigen Urtheile aller Kenner neu, und uͤberhaupt ſteht das Werk ſeinen Ruhm nicht.
Meleager. Der Kopf iſt neu.
Noch ein Meleager. Arme und Beine neu, ſo wie der wilde Schweinskopf.
Mann und Frau eine Gruppe. Der Mann umarmt ſein Weib, und haͤlt ihre Hand. Die Ausfuͤhrung iſt dem Gedanken nicht gleich. Der Kopf des Mannes iſt modern.
Eine Amazone. Kopf und Arme ſind modern.
Eine Venus mit einem Gewande, das von ihren Huͤften zu gleiten ſcheint.
Eine Frauensperſon mit einem Schleier, man nennt ſie, eine Veſtalin.
Jupiter.
Juno.
Eine ſchlechte Diana, an welcher Kopf und Arme modern ſind.
Hercules mit Weinlaub bekraͤnzt. Arme und Beine neu. 7)Es ſcheint ein trunkener Hercules zu ſeyn.
Leda mit dem Schwane. Kopf und Arme modern.
† Venus aus dem Bade ſich aufrichtend. Sie ruhet mit untergeſchlagenem Beine und geboge - ner Spitze des Fußes auf den Zehen und dem Knie. Ihr Koͤrper iſt vorgebuͤckt, ihre Arme ſind vor der Bruſt uͤber einander geſchlagen. Sie blickt zur Seite und ſcheint im Begriff zu ſeyn, aufzuſtehen, oder ſich aus dem Bade zu erheben. Neben ihr eineVaſe47Pallaſt Giuſtiniani. Vaſe oder Salbengefaͤß. Man nennt ſie Cleopatra wegen des Armbandes in Form einer Schlange. Des Gedankens wegen hauptſaͤchlich zu bemerken. 8)Hr. Bernoulli (Zuſaͤtze zu den neueſten Italieni - ſchen Reiſebeſchreibungen, Theil I. S. 444.) hat dieſe Stellung mit dem niederſaͤchſiſchen Provin - cialismus huckend ausgedruͤckt. Im Franzoͤſiſchen hat man dafuͤr das Wort accroupié. Der Herr Hofrath Heyne Antiquar. Aufſ. 1ſtes Stuͤck. S. 154. haͤlt ſie mit Recht fuͤr eine Venus aus dem Bade. Dies zeigt auch das Salbenge - faͤß bei ihr an. Eine aͤhnliche Vorſtellung wird von dem Du Cavallieri Venus Corollaria, vielleicht von dem Armbande genannt. Der Herr Hofrath Heyne zeigt aus dem Epiſcopius, nr. 77. wo dieſe Figur vor der Ergaͤnzung gezeichnet ſeyn ſoll, daß Kopf und Haͤnde neu ſind. Dies iſt mir jedoch nicht aufgefallen, ob ich gleich ziemlich genau die Statuen in dieſer Sammlung auch in der Ruͤck - ſicht, das Alte von dem Neuen abzuſondern, un - terſucht habe. Es kann aber auch ſehr wohl ſeyn, daß mir dieſe Bemerkung entgangen iſt, weil das Werk als ſchoͤnes Kunſtwerk wenig Aufmerkſamkeit verdient. Dem Herrn Hofrath Heyne wird es wahrſcheinlich, daß dieſe Figur urſpruͤnglich eine Venus war, die das Haar mit der einen Hand trocknete.
Sylen mit dem Schlauche. Frauensper - ſon als Bacchantin reſtaurirt.
Gladiator.
Muſe.
Zwei48Pallaſt Giuſtiniani.Zwei Statuen, deren Gewaͤnder von ſchwarzem Baſalt nach Art der Iſis umgewor - fen, und auf der Bruſt zuſammen geknuͤpfet ſind. Der Putz der aufgeſetzten Koͤpfe und die At - tribute, die man ihnen in die modernen Haͤnde gege - ben hat, deuten eine Ceres an.
Ein Juͤngling mit aufgehobenen Armen. Sie ſind ſo wie die Beine neu. Der antike Koͤrper iſt gut.
† Die beruͤhmte Pallas Giuſtiniani. Aus der Zeit, als die Kunſt noch nicht ihre ganze Fein - heit erreicht hatte. Die Umriſſe ſind beſtimmt, aber etwas hart und eckigt. Die Formen haben viel Groͤße. Das Gewand, welches das Nackte ſehr gut andeutet, iſt trocken, und in viele kleine Falten gelegt. Die Lippen haben einen Rand, eine Art Einfaſſung, wie man ſie an mehreren Statuen be - merkt. Nur der rechte Arm iſt neu. Man nennt ſie Medica wegen des Attributs der Schlange.
Hercules.
Ein ſtehender Hermaphrodit. Er hat viel Aehnlichkeit mit dem ſtehenden Hermaphroditen in der Villa Borgheſe. Der Kopf iſt neu.
Harpocrates.
Ein Bock.
† Ein Kopf des Vitellius. Dieſer Kopf iſt ſchoͤn, obgleich der Ausdruck in Carricatur uͤber - geht. Er iſt aber nicht alt, wie viele glauben, ſon - dern eine Copie nach einem andern der zu Genua ſteht und deſſen Alter zweifelhaft iſt.
Ein49Pallaſt Giuſtiniani.Ein Faun als Floͤtenſpieler. Im Cha - rakter desjenigen, der in der Villa Borgheſe ſteht, er koͤmmt dieſem zwar nicht an Schoͤnheit bei, iſt aber nicht ohne Verdienſt.
Apollo ſtehend. Die Beine ſind ein wenig zu kurz: Kopf und Haͤnde neu.
† Veſtalin aus der Zeit des fruͤheſten AltersVeſtalin. der Kunſt. Alles iſt ſteif, geradelinigt und eckigt. Der rechte Arm iſt ſchlecht gearbeitet, und der linke neu. Die Falten fallen ganz gerade herab. Der Mund hat dieſelbe Einfaſſung, die ich vorher bei der Pallas bemerkt habe. Großheit in den Formen findet man ſchon. Dies uralte Werk iſt wahrſchein - lich griechiſch; die Benennung einer Veſtalin uner - weislich; der Kopf mit einen Schleier bedeckt, der nur bis auf die Schultern faͤllt. Die Arme ſind nackt.
Mercur.
Eine Muſe.
Genius mit einer Fackel und Mohnſten - geln. Kopf, Arme und Fuͤße neu.
Diana mit einem Hunde. Sie zieht einen Pfeil aus dem Koͤcher. Der Kopf iſt modern.
Amor ſpannt den Bogen. Kopf, Arme und Beine modern. Der Koͤrper iſt ſchoͤn.
Venus aus dem Bade ſich aufrichtend, eine Wiederholung der vorigen Statue in eben dieſer Sammlung. Wie die vorige traͤgt ſie das Armband in Form einer Schlange, wird wie jeneDritter Theil. DCleopa -50Pallaſt Giuſtiniani. Cleopatra getauft, und hat an Werth nichts vor der andern zum Voraus. 9)Hr. Volkmann Hiſt. kritiſche Nachrichten, Edit. von 1777. Th. II. S. 463. haͤlt dieſe Copie fuͤr ein Werk des Bernini.
Nymphe oder Bacchantin. Bei ihr der Stamm eines Baums, um den ſich eine Weinrebe ſchlaͤngelt. Dieſe Figur iſt nicht uͤbel. Die Arme ſind neu.
Gladiator.
Diana.
† Eine Veſtalin oder eine Figur mit dem Schleier in reizender Stellung und mit einem gut ge - worfenen Gewande. Sie iſt wohl erhalten, denn ſelbſt die Haͤnde ſind alt. Inzwiſchen ſcheint der Kopf, der ein Portrait iſt, aufgeſetzt.
Statue eines jungen Helden mit dem Pa - ludamento. Man hat ihr einen neuen Kopf des Marc Aurels, und zwei neue Arme gegeben.
Ein Faun mit der Schale. Gut.
In einem Hofe hart an der Gallerie ſtanden zu meiner Zeit dem Wind und Wetter ausgeſetzt:
Titus Veſpaſianus, Paris, Plotina, Julia Schweſter des Titus, Buͤſten.
Ein Amor in gewoͤhnlicher Groͤße, der einen kleinen Amor betrachtet, der als Em - bryo bei ſeinem Koͤcher und ſeinen Pfeilenſchlaͤft.51Pallaſt Giuſtiniani. ſchlaͤft. Eine ſonderbare Idee, die ſehr mittel - maͤßig ausgefuͤhrt iſt.
Von allen Statuen, die ehemals in dieſem Pallaſte ſtanden, ſind nur noch drei uͤbrig, und dieſe gehoͤren unter die mittelmaͤßigſten, daher ich ſie uͤbergehe. Sie ſtehen im Hofe.
In einem kleinen Porticus dieſes Hofes ſieht man am Plafond zwei Freſco-Gemaͤhlde des Albano. Das eine ſtellt Galathea mit ih - ren Nymphen vor, die dem Geſange des Po - lyphems zuhoͤren; Das andere Acis und Ga - lathea, die der Wuth des Rieſen zu entfliehen ſuchen. In beiden erkennt man an der Zeichnung die Schule der Carracci, und die dem Schuͤler eigenthuͤmliche liebliche Faͤrbung wieder. Letztere iſt in dieſen Gemaͤhlden der beſſere Theil.
In der obern Gallerie des Hauſes iſt der Plafond von Albano gemahlt, und die weitlaͤuf - tigſte Compoſition, die man dieſem Meiſter kennt.
Das Mittelgemaͤhlde ſtellet den Apollo im Thierkreiſe in Begleitung des Bacchus, der Ceres, des Vulcans und der Flora, als Symbolen der vier Jahrszeiten vor. Die Zu - ſammenſetzung iſt ſchoͤn. Der Ausdruck im Apollo zu ſuͤßlich. Er ſieht mehr einem huͤbſchen Jungen als einem Gotte aͤhnlich. In der Zeichnung der Koͤrper maͤnnlicher Figuren findet man den Stil der Carracci, wiewohl ausgeartet, wieder. Hingegenſind53Pallaſt Veroſpi. ſind die Koͤrper der Weiber viel ſwelter, und weni - ger eckigt gezeichnet. Die Faͤrbung iſt lieblich, wenn ſie gleich ein wenig ins Rothe faͤllt.
Linker Hand in einem andern Felde Amor, der unter der Geſtalt des Abends, oder des Heſperus, ſeine Pfeile auf die Erde ſtreuet. Ein angenehmer und feiner Gedanke.
In einer andern Abtheilung iſt die Nacht unter der Geſtalt einer Frauensperſon abgebil - det, die zwei Kinder mit ihren Fluͤgeln be - deckt. Der Gedanke iſt gleichfalls gut, aber die Ausfuͤhrung entſpricht ihm nicht.
Gerade gegen uͤber Aurora, die von dem jungen Tag gefuͤhrt Blumen uͤber die Erde ausſtreuet. Dieſe Figuren ſind ſchlecht gezeichnet, und bei dem Wurf der Gewaͤnder iſt die Natur nicht zu Rathe gezogen.
Der Morgenſtern ſchuͤttet den Thau uͤber die Erde aus.
Dieſe vier Gemaͤhlde enthalten allegoriſche Vor - ſtellungen der vier Tageszeiten.
Es folgen noch: Die Vorſtellungen von ſechs Planeten in einigen Handlungen die aus der Mythologie entlehnt ſind.
Venus nimmt dem Amor Pfeil und Bo - gen, die dieſer wieder zu erhaſchen ſucht. Der Gedanke iſt reizend. Die Ausfuͤhrung koͤmmt ihm nicht gleich. Der Kopf der Venus iſt von ſchoͤnem Charakter, aber er iſt zu ſtark im Verhaͤltniſſe zum Koͤrper, und der Arm haͤngt nicht recht mit der Schulter zuſammen. Die Farbe faͤllt ins Violette. Der Blick der Venus iſt ausdrucksvoll.
D 3Mercur.54Pallaſt Veroſpi.Mercur. Die Umriſſe ſeines Koͤrpers ſind fließend und ſwelt. Die Faͤrbung iſt kraͤftig. Eine der ſchoͤnſten Figuren dieſer Gallerie.
Diana. Schlechte Figur in ſehr gezwungener Stellung.
Saturn zieht ein Kind uͤber die Achſeln hervor. Der Stil der Zeichnung hat viel von der Schule der Carracci. Inzwiſchen iſt ſie zu ſchwer - faͤllig und zu wenig correkt, um den Abſtand des Schuͤlers zum Meiſter nicht fuͤhlbar zu machen.
Jupiter und Ganymed. Der Kopf des Ju - piters laͤßt mehr Gutmuͤthigkeit und Ueberreſte ehe - maliger Schoͤnheit, als Wuͤrde und Adel blicken. Der Kopf des Ganymeds iſt ſehr reizend.
Mars, eine ſchlechte Figur.
Zwiſchen dieſen Gemaͤhlden ſind noch ei - nige kleinere von aͤußerſt artiger Erfindung zur Fuͤllung angebracht.
Rechter Hand vom Haupteingange ab:
Ein wolluͤſtiger Kampf zwiſchen Nymphen und Panen.
Eine Nymphe, die ein Satyr belauſcht.
Satyren und Nymphen, die der Venus ein Opfer bringen.
Noch ein Opfer.
Venus an der Toilette.
Des Adonis Abſchied von der Venus.
Eine nackte Frauensperſon, die zwei Pa - nen auf den Ruͤcken eines weiblichen Pans ſetzen.
Galathea von Meerungeheuern umgeben.
Trito -55Pallaſt Veroſpi.Tritonen, die um eine Nereide ſtreiten. Waͤhrend, daß der eine den andern umbringt, entfuͤhrt ſie ein Dritter.
Opfer dem Priap.
An den Waͤnden der Fenſteroͤffnungen ſieht man noch einige artige Taͤnze von Kindern und Nymphen.
Dieſe Gallerie kann einen ſehr ſichern Aufſchluß uͤberDas Cha - rakteriſtiſche in dem Stil des Albano. das Charakteriſtiſche in dem Stile des Albano geben.
Ich will dies mit ein paar Worten zuſammen zu faſſen ſuchen. Er hatte mehr Talent zu kleinen ange - nehmen Vorſtellungen, als zu großen und edlen Zu - ſammenſetzungen. Er war der Mahler kindlicher Reize, der Unbefangenheit und der Schalkheit des gluͤcklichen Alters, dem das Leben ein lieblicher Traum iſt. Kinder ſind das Beſte was er gemahlt hat: Weiber haben bei ihm oft einen ſuͤßlichen, oft gar keinen Ausdruck, und ſehen ſich alle einander aͤhnlich. Von ſeinen Juͤnglingen gilt daſſelbe. Maͤnner und Alte verſtand er gar nicht zu mahlen.
Er zeichnete im Stile der Carracci, die maͤnn - lichen Figuren jedoch ſchwerfaͤlliger, die weiblichen ſwelter; haͤufige Incorrektionen abgerechnet, wo - durch er ſich gleichfalls von ſeinen Meiſtern unter - ſchied. Seine Gewaͤnder ſind in dem Faltenſchlage eckigt, und nicht ſchoͤn geworfen. Sein Colorit hat einen ſehr angenehmen roͤthlichen Ton im Oel, ob dieſer gleich nicht ganz wahr iſt. Im al Freſco faͤllt er zu ſehr ins Rothe.
Er beobachtete das Helldunkle ſehr gluͤcklich, mahlte harmoniſch und mit einem leichten und wohl - genaͤhrten Pinſel. Er lebte von 1578 — 1660.
Unten im Hofe ſtehen mehrere Statuen, die keiner ſonderlichen Aufmerkſamkeit werth, und groͤße - ſten Theils, (um mich des Lieblingsausdrucks des Cardinals Albani zu bedienen) sfacciatamente re - ſtaurirt ſind.
† Zwei ſchoͤne Statuen Silens, der einen jungen Bacchus traͤgt. Wiederholungen des Silens in der Villa Borgheſe. Die eine dieſer Sta - tuen hat einen modernen Kopf. 1)Winkelmann, G. d. K. S. 324. redet noch von zwei jungen Faunen, die die Beine uͤbereinander geſchlagen haben. Allein andere als dieſe beiden alten habe ich in dieſem Pallaſte nicht gefunden. Von dieſen redet er G. d. K. S. 277.
† Eine beruͤhmte Gruppe der drei Gra - zien mit alten Koͤpfen. Die Mine derſelben, ſagt Winkelmann, deutet weder auf Froͤlichkeit, noch Ernſt, ſondern bietet eine ſtille Zufriedenheit dar, die der Unſchuld der Jahre eigen iſt. 2)Winkelmann Geſch. d. Kunſt, S. 307.Dies Urtheil iſt voͤllig wahr. Sie ſind ſich der Staͤrke ihrer Reize nicht bewußt, und ohne Anmaaßung auf Beifall.
† Ein57Pallaſt Ruſpoli.† Ein beruͤhmtes Basrelief, welches denEin ſchoͤnes Basrelief. Telephus mit ſeiner Mutter Auge, ſeinem Waf - fentraͤger und einem Pferde vorſtellt. Dies Basrelief gehoͤrt unſtreitig unter die vorzuͤglichen un - ter den antiken. Es iſt gut gedacht und ausgefuͤhrt. Auch ſind die Figuren perſpektiviſch richtig geſtellt. Die Vorderſten treten mehr als die Hinterſten vor.
Winkelmann3)G. d. K. S. 307. W. E. beruft ſich mit Recht auf dies Basrelief als auf einen Beweis, daß die alten Kuͤnſt - ler die Zuruͤckweichung der Figuren nach der verſchie - denen Entfernung zu beobachten gewußt haben. In - zwiſchen iſt dies noch immer der ſeltnere Fall, der zur Vertheidigung der alten Kuͤnſtler in Anſehung dieſer Vernachlaͤßigung in vielen andern Faͤllen allein nicht zureicht. Am wenigſten aber wird man etwas fuͤr eine auf Regeln gebrachte Kenntniß der Linien und Luftperſpektiv bei den Alten daraus folgern koͤnnen. Ganz etwas anders iſt es durch bloße Aufmerkſam - keit und Treue der Nachahmung, mithin durch das Augenmaaß auf die Bemerkung geleitet zu werden, daß von drei oder vier Perſonen in einer Gruppe die eine vortrete, die andere zuruͤckweiche, die eine uͤber die andere hervorrage; und wieder ganz etwas anders die merkliche Abweichung mehrerer Gruppen belebter und unbelebter Gegenſtaͤnde von einander, durch die Verhaͤltniſſe ihrer Formen, und nach dem Grade der Staͤrke des darauf fallenden Lichts dem Auge des Zuſchauers fuͤhlbar zu machen. Zu jenem wird eine blos empiriſche Kenntniß erfordert, die nur gar zuD 5oft58Pallaſt Ruſpoli. oft truͤgt, zu dieſer eine auf Regeln gebrachte Wiſſen - ſchaft der Optik und der Perſpektiv.
Da viele Gruppen auf verſchiedenen Planen dem Zwecke und dem Eindruck eines Basreliefs ganz zuwider ſind, wie ich an einem andern Orte zeigen werde; ſo gebe ich es gern zu, daß mehrere Kuͤnſtler unter den Alten vollkommen ſo viel von der Perſpektiv gewußt haben, als zur Compoſition ei - nes Basreliefs gehoͤrt. Allein fuͤr ihre Gemaͤhlde iſt daraus nichts zu folgern, vielmehr kann ich die Beweiſe, die man bis jetzt von ihren Kenntniſſen in der Perſpektiv als einer auf Regeln gebaueten Wiſ - ſenſchaft angiebt, nicht als zulaͤnglich anſehen.
Man findet hier eine Menge Buͤſten, unter denen freilich die meiſten modern, einige aber auch antik ſind. Unter dieſen ſchien mir ein Hadrian auf halben Leib, der vorzuͤglichſte.
Man pflegt durch eine Nebentreppe zu den obern Zimmern gefuͤhrt zu werden. Hier geht man durch ein Cabinet, worin einige Zeichnungen, nebſt einem Portrait des vorigen Duca haͤngen. Dies letztere iſt des beſondern Coſtums wegen merk - wuͤrdig. Es ſtellt dieſen Herrn als Apollo unbe - kleidet, mit der Leier in der Hand, dabei aber in einer Allongeperuͤcke, vor.
Den Plafond des obern Saals hat Tad - deo Zuccari gemahlt. 4)Titi: Descrizione delle Pitture, Sculture e Ar - chitetture, espoſte al Publico in Roma. Ed. de 1763. S. 370. giebt Giacomo Zuchi, einen Floren - tiner und Schuͤler des Vaſari, als den Meiſter an.Ich kenne von dieſemMeiſter59Pallaſt Ruſpoli. Meiſter keine weitlaͤuftigere und beſſer erhaltene Com - poſition in Rom. Er ſtellet mehrere Gegenſtaͤnde aus der Mythologie vor, die die ſonderbare und rei - che Erfindung des Mahlers hin und wieder mit eige - nen Zuſaͤtzen zu bereichern gewußt hat. Die Zu - ſammenſetzung zeigt einen erfinderiſchen und witzigen Kopf an, dem es an Herz, und folglich an Ge - ſchmack, Empfindung des Schoͤnen, und Kenntniß des wahren Zwecks der Mahlerei gefehlt hat. Die Figuren ſind auf einander gehaͤuft, und ohne Ord - nung zuſammen geworfen. Die Zeichnung iſt ſehr manierirt, und eine Vermiſchung des roͤmiſchen und florentiniſchen Stils, ohne die Natur zu Rathe zu ziehen. Faͤrbung und Haltung ſind gleichfalls ganz conventionell. Inzwiſchen leuchtet aus dem Ganzen viel Feuer hervor, und es iſt zu bedauern, daß der Meiſter ihm nicht durch Studium der Natur und der Antike eine beſſere Richtung zu geben gewußt hat.
Dieſer Pallaſt iſt zwiſchen dem Principe Ga - gliano1)Ich glaube daß der Nahme dieſes juͤngeren Prin - zen der Familie Roſpiglioſi ſo geſchrieben wird. Ich ſtehe inzwiſchen nicht mit Gewißheit dafuͤr ein. und dem Duca Zaccarolli, ſo wie die Sammlung der darin befindlichen Gemaͤhlde getheilt.
Ein Opfer der Diana, von P. da Cortona.
Pouſſins Bildniß, von ihm ſelbſt ge - mahlt.
Einige Thierſtuͤcke von Sneyders.
Einige Perſpektiven von Viviani.
Einige Landſchaften von Tempeſta.
Einige große hiſtoriſche Compoſitionen von Romanelli.
Eine Skizze zu einem Plafond in der Ma - nier des Paolo Veroneſe.
Die drei Marien von Muziano.
Eine Madonna mit dem Kinde von Ba - roccio, lieblich, aber zu blau.
Rinaldo und Armida von Albano.
Eine ſchoͤne Landſchaft mit Waſſerfaͤllen von J. Both.
Eine Marine, angeblich von Claude le Lor - rain.
Ein61Pallaſt Roſpiglioſi.Ein heiliger Sebaſtian von Valentin.
Der Tod des Kaiſers Julianus Apoſtata; und des Saulus Bekehrung beide von Luca Giordano.
† Der Chriſt und die zwoͤlf Apoſtel, halbe Figuren, in dreizehn verſchiedenen Stuͤcken von Rubens.
Die Mutter Gottes mit dem Leichname ihres Sohnes auf dem Schooße, eine Copie nach dem beruͤhmten Gemaͤhlde des Annibale Car - raccio zu Capo di Monte.
† Chriſtus traͤgt das Kreuz, ein ſchoͤnes Stuͤck von Daniel di Volterra.
Eine heilige Familie von Leandro Baſſano.
Sophoniſbe von Calabreſe.
Die fuͤnf Sinne von Cignani.
Eine heilige Magdalena von demſelben.
Loth mit ſeinen Toͤchtern von Hiacinto Brandi.
Ein Genius, der uͤber einem Fuͤllhorn liegt, von Pouſſin.
Andromeda von Guido.
Adam und Eva, und
Chriſtus beide von Palma.
Ein ganzes Zimmer mit Landſchaften von Paul Brill al Freſco gemahlt, ſtark retouchirt.
Zwei Plafonds von Giovanni da St. Giovanni.
† Einige Seeſtuͤrme, Landſchaften und Proſpekte von Landſitzen, die der Familie Roſpiglioſi gehoͤren, von Manglar, dem Lehr - meiſter Vernets. Sie ſind ſchoͤn gedacht.
Mehrere Proſpekte von Viviani.
Ein Ecce Homo von Calabreſe.
Einige Niederlaͤnder.
Einige Bamboſchaden von M. A. delle Bambocciate.
Ein paar hiſtoriſche Gemaͤhlde von Ro - manelli.
Flora mit zwei Geniis, von Guercino in ſeiner rothen Manier.
† Die vier Jahrszeiten von Pouſſin. Sie drehen ſich im ewigen Reihetanz nach der Harmonie der Zeit. Dieſe, ein Alter, lehnt ſich an ein Poſta - ment und ſpielt die Leier: Neben ihm ſitzt ein Ge - nius mit einem Stundenglaſe. Gegenuͤber eine Terme mit einem Januskopf, und ein anderer Ge - nius der mit Seifenblaſen ſpielt. Dieſe Figuren ſieht man in einer wohlgedachten Landſchaft. Am Himmel faͤhrt die Sonne in ihrem Wagen; um ſie herum tanzen die Horen, und Aurora geht vorauf und ſaͤet Blumen.
Dieſe Zuſammenſetzung befriedigt vorzuͤglich in dem unteren Theile alle Erforderniſſe einer guten Al - legorie. Sie iſt allgemein verſtaͤndlich, und ſollte ſie es auch nicht ſeyn, ſo bleibt der Ausdruck der ver -einigten63Pallaſt Roſpiglioſi. einigten Perſonen auch ohnehin erklaͤrbar, und in - tereſſant. Sind es nicht die Jahrszeiten, nicht die Bilder des Kreislaufs der Zeit, des Voruͤbergehens und des Wiederwerdens; gut! ſo ſind es uͤberhaupt Perſonen, die nach dem Klange einer Leier tanzen, mit ihren ſpielenden Kindern; das Alles laͤßt ſich in einer laͤndlichen Scene wohl zuſammen denken, und der Ausdruck von Froͤlichkeit, welcher durch die Handlung hinreichend motivirt wird, kann das Auge und den innern Sinn nicht gleichguͤltig laſſen. Die Figuren in der obern Haͤlfte des Bildes haͤtten eben ſo gut wegbleiben koͤnnen. Zur Verſtaͤndigung des Betrachters tragen ſie nichts bei, und zur mahleri - ſchen Wuͤrkung eben ſo wenig. Inzwiſchen ſtehen ſie hier nicht unſchicklich, und das iſt bei dem haͤufi - gen Misbrauche allegoriſcher Vorſtellungen ſchon Etwas.
Die Ausfuͤhrung ſcheint mir hier beſſer als in vielen andern Bildern unſers Meiſters. Die Zeich - nung iſt correkt, die Koͤrper der tanzenden Figuren haben ſwelte Formen und abwechſelnde Stellungen, und die Kinder den wahren Charakter ihres Alters. Die gewoͤhnlichen Fehler Pouſſins ſind indeß nicht alle vermieden. Der Kopf der Zeit iſt unbedeutend, um nicht ſtupide zu ſagen; das Laͤcheln des Fruͤhlings wird zur grinzenden Ziererei; die Gewaͤnder ſind trocken, und an Haltung und Colorit mangelt es gaͤnzlich.
† Ein anderes allegoriſches Gemaͤhlde eben dieſes Meiſters, ſtellt die Wahrheit vor, welche die Zeit aus dem Abgrunde hervorzieht, in den ſie Neid und Misgunſt zu ſtuͤrzen be -muͤht64Pallaſt Roſpiglioſi. muͤht waren. Der Gedanke iſt mir in dieſem Ge - maͤhlde noch lieber als in dem vorigen, weil er zu einem reichhaltigern und intereſſantern Ausdruck Ge - legenheit giebt. In der Ausfuͤhrung vermiſſe ich an der Figur der Wahrheit, die edle Uebefangenheit, die Domenichino der ſeinigen in dem Plafond des Pal - laſts Coſtaguti zu geben gewußt hat. Der Ausdruck der uͤbrigen Figuren iſt zum mindeſten wahr, wenn er gleich edler und in dem Neide und der Misgunſt weniger Carricatur ſeyn konnte. Die Anordnung, die Zeichnung, und das Helldunkle ſind zu loben. Die Farbe iſt zu finſter.
† Eine ſehr ſchoͤne Landſchaft mit einer Bruͤcke von Claude le Lorrain.
Eine Geiſſelung von Valentin.
Eine Fruchtkraͤmerin mit einem Kinde an - geblich von Guercino.
Zwei Skizzen von P. da Cortona, die man eben ſo gern dem L. Giordano zuſchreiben ſollte.
Eine Glasfabrik von Honthorſt.
Damon und Pythias vor dem Tyrannen Dionyſius, von Guercino. Die Geſchichte die - ſer beiden Freunde iſt bekannt. Der eine von ihnen ſaß auf den Tod, und da er, um in ſeiner Familie die letzten Einrichtungen zu treffen, auf eine Zeitlang aus der Verwahrung losgelaſſen zu werden wuͤnſchte, ſo ſtellte ſich der andere mittlerweile zum Buͤrgen, und erbot ſich die Todesſtrafe zu leiden, wenn ſein Freund an dem zu ſeiner Hinrichtung beſtimmten Tage nicht wiederkehren wuͤrde. Aber dieſer kehrte wieder, und der erſtaunte Tyrann bat um die dritte Stelle in ihrer Freundſchaft. Die Wahl des Suͤ -jets65Pallaſt Roſpiglioſi. jets iſt bei weitem das Intereſſanteſte in dieſem Bilde. Aber es fraͤgt ſich noch, ob das Intereſſe, ſelbſt bei der vollkommenſten ſichtbaren Darſtellung, nicht mehr in der Veranlaſſung zu intereſſanten Vorſtel - lungen, in den Ideen liegen wuͤrde, die der Be - trachter hinzubringt, als in der gegenwaͤrtigen Percep - tion intereſſanter Vorſtellungen aus dem Anblick des Bildes ſelbſt: mithin ob uͤberhaupt dieſe Begebenheit ein mahleriſch intereſſantes Suͤjet ausmachen koͤnne. 2)Man vergleiche das, was bei Gelegenheit der Pal - laͤſte Barberini und Giuſtiniani, uͤber dieſe Ma - terie geſagt wird.
Kopf des heil. Johannes wird dem Leo - nardo da Vinci beigelegt.
† Loth und ſeine Soͤhne ein ſchoͤnes Bild von A. Sacchi.
Eine Darſtellung im Tempel nach Paolo Veroneſe.
† Eine heilige Magdalena im ſchwarzen Gewande. Ein ſchoͤnes Gemaͤhld von Rubens.
Eine Hirtenanbetung von Baſſano.
Ein heiliger Hieronymus der von dem Schall der Trompete in die ein Engel ſtoͤßt, geweckt wird, von Guercino.
Eine heilige Familie von Pouſſin. Die heilige Eliſabeth bringt den heil. Johannes als Kind zum Heilande. Die Zuſammenſetzung iſt artig, die Koͤpfe ſind ſchlecht, die Zeichnung iſt trocken.
Noch eine heilige Familie von demſelben.
Ein heiliger Philippus Neri, und Clemens der Neunte, von Carlo Maratti.
† Aurora von Guido. Eine der beruͤhm - teſten Freſcomahlereien in Rom.
Phoͤbus faͤhrt in ſeinem Wagen unter Beglei - tung der tanzenden Horen. Der Morgenſtern, un - ter dem Bilde eines lieblichen Knabens, fliegt vor - aus, und ſchwenkt die Fackel. Aber noch vor ihm ſchwebt Aurora, und ſtreuet Roſen aus.
Dieſer Gedanke iſt ſchoͤn, und ſowohl in Ruͤck - ſicht auf die heiteren Ideen die er erweckt, als auf die lieblichen Stellungen und Formen, zu denen er Anlaß giebt, gleich vortheilhaft fuͤr die ſichtbare Darſtellung.
Unter den Koͤpfen ſcheinen die der Horen die rei - zendſten zu ſeyn. Sie haben den angenehmen Cha - rakter jugendlicher Froͤlichkeit. Die Geſichtsbil - dungen der Aurora und des Phoͤbus ſind nicht bis zum Ideal gehoben. Die ſitzende Stellung des letztern verhindert ſeine uͤbrige Geſtalt in aller ihrer Schoͤnheit zu ſehen. Hingegen ſind die Koͤrper der Aurora und der Horen ſehr reizend in ihren abwech - ſelnden Formen und Stellungen. Die erſte dieſer Goͤttinnen ſchwebt mit unbeſchreiblicher Leichtigkeit dahin, und mit eben dieſer Leichtigkeit flattert der ſchoͤne Genius mit der Fackel. Kopfputz und Ge - waͤnder, vorzuͤglich die fliegenden, ſind vortrefflich. Die Zeichnung iſt fein: Das Colorit hingegen weder ganz wahr, noch ſehr harmoniſch. Der Grund, der eine Ausſicht aufs Meer zeigt, iſt zu blau ge - worden. Ueberhaupt hat dies Gemaͤhlde ſehr gelitten.
Die67Pallaſt Roſpiglioſt.Die Anordnung iſt zu loben, aber die Beleuch - tung zu willkuͤhrlich. Wenn dieſe lichtverbreitenden Koͤrper ſich auch unter einander ſelbſt nicht beleuchten konnten, ſo ſollte wenigſtens die Fackel in der Hand des Genius einige Wuͤrkung hervorbringen. Aber das Licht iſt ganz außer dem Bilde angenommen.
In eben dieſem Zimmer Frieſen von Tem - peſta, und Landſchaften auf naſſen Kalk von Paul Brill.
In einem Nebenzimmer Simſon, der die Saͤulen einreißt, ein großes Bild, das dem Lu - dovico Carraccio beigelegt wird.
† Das Paradies von Caſtiglione: die Figuren der erſten Eltern ſind von Domeni - chino. Gleichfalls ein großes Bild.
† Davids Triumph uͤber den beſiegten Goliath, in Gegenwart Sauls, von Dome - nichino. Eine große Compoſition, in der man ſchoͤne Weiberkoͤpfe antrifft.
Man zeigt hier eine Statue des Domitians als eine der groͤßten Seltenheiten in Rom. Nach dem was Winkelmann3)G. d. K. S. 822. uͤber die Bildniſſe dieſes Kaiſers im Allgemeinen ſagt, wird die Aechtheit der - ſelben immer zweifelhaft bleiben.
Eine Etruſciſche Pallas mit einem Seeunge - heuer zu ihren Fuͤßen. Der Kopf ſcheint neu. Die Hand in den Schleier gewickelt ſtaͤmmt ſie in die Seite.
E 2Der68Pallaſt Roſpiglioſt.† Der ſchoͤnſte Kopf des Scipio Africa - nus aus gruͤnlichtem Baſalt ſteht in dieſem Pallaſte. Dieſer Kopf mit voͤllig beſchorner Scheitel, und der Narbe einer Wunde auf derſelben, hat allen uͤbrigen Koͤpfen, die dieſem aͤhnlich waren, den Nahmen ge - geben. Den Grund zu ſeiner Benennung nimmt man daher, daß derſelbe in den Truͤmmern der Villa des aͤltern Scipio Africanus zu Liternum ausgegra - ben iſt. Ob dieſer durchſchlagend ſey, will ich nicht entſcheiden, wenigſtens bleibt es zweifelhaft, ob man hier das Bildniß des aͤlteren oder des juͤngeren Sci - pio ſehe. 4)S. Winkelmann, G. d. K. S. 764.
Die mehreſten Reiſebeſchreibungen gehen ſehr leicht uͤber dieſen Pallaſt weg, inzwiſchen verdient er die Aufmerkſamkeit des Liebhabers, einiger ſchaͤtz - baren Mahlereien wegen, die man darin antrifft.
Am Plafond des erſten Zimmers Hercules und Dejanira von Albano. Die Figuren ſind nicht außerordentlich, aber die Landſchaft iſt gut.
In eben dieſem Zimmer eine Landſchaft in Waſſerfarben von Caſpar Pouſſin.
Im zweiten Zimmer am Plafond, Acis und Galathea von Lanfranco: mittelmaͤßig.
Zwei Landſchaften in Waſſerfarben von Pouſſin und wie man behauptet, eine von Claude le Lorrain.
Ein Concert von M. Angelo delle Bam - bocciate.
† Der Plafond des dritten Zimmers iſtPlafond von Domenichi - no. von Domenichino und hat große Schoͤnheiten.
Ueber einer reichen und perſpektiviſch richtig ge - mahlten Architektur ſieht man den Himmel offen, an dem der Tag mit ſeinen vier Pferden hinfaͤhrt. Ge - gen ihn zu erhebt ſich die Wahrheit, und die Zeit zerreißt den Mantel, der ſie bedeckt. In den vier Winkeln fliegen Amorinen. Der eine traͤgt eineE 3Loͤwen -70Pallaſt Coſtaguti. Loͤwenhaut mit einer Keule, der andere einen Schaͤ - ferſtab, und ein Hund ſteht zu ſeiner Seite: Der dritte haͤlt einen Pfeil, der vierte eine Violine. Wie dieſe Amorinen zu der ſonſt gut gedachten und leicht erklaͤrbaren Allegorie paſſen, iſt ſchwer zu begreifen.
Der Tag unter der Figur des Apollo hat ein ſuͤßliches und geziertes Weſen. Hingegen hat die Wahrheit ganz den Charakter edler Unbefangenheit und beſcheidener Zuverſicht, welche Begleiterinnen eines ſchuldloſen Herzens zu ſeyn pflegen. Ihre Fi - gur iſt ſchoͤn: nur finde ich die Warzen auf den Bruͤ - ſten zu ſtark angegeben, und in der Zeichnung der Beine einige Unbeſtimmtheit. Die Figur der Zeit iſt wahr, ohne edel zu ſeyn. Die Kinder ſind ſchoͤn, und vorzuͤglich hat das mit dem Hirtenſtabe einen vortrefflichen Ausdruck ſchwebender Leichtigkeit.
Irre ich, oder hat Domenichino in der Faͤrbung den Guercino, ſeinen Nachbar im naͤchſten Zimmer, vor Augen gehabt?
† Der Plafond des vierten Zimmers iſt von Guercino. Er ſtellt die Armida vor, die den ſchlafenden Rinaldo in einem Wagen mit Dra - chen beſpannt entfuͤhrt. Dieſer Plafond iſt vortreff - lich componirt. Doch rechne ich einen Fehler wider die Perſpektiv ab. Rinaldo konnte ſo nicht liegen, ohne aus dem Wagen herabzufallen.
Die Figur der Armida macht kein vollkomme - nes Ideal aus. Aber wie verfuͤhreriſch ſind nicht ihre Reize! wie luͤſtern wacht ſie uͤber den Juͤngling! Dieſer iſt mehr Schaͤfer als Held; aber ſeine Formenſind71Pallaſt Coſtaguti. ſind der Natur abgeſtohlen, und ſo auch der Aus - druck des Schlafs.
Die Wuͤrkung, die dieſer Plafond durch Ab - wechſelung des Lichts und Schattens, und durch die Kraft der Farben hervorbringt, iſt vorzuͤglich im al Freſco bewundernswuͤrdig. Inzwiſchen kann man nicht leugnen, daß wenn dieſe Vorzuͤge zuerſt den Blick auf ſich gezogen haben, der Mangel an Harmonie, die gar zu ſchneidenden Lichter dem Auge auf die Laͤnge wehe thun.
Den Plafond des fuͤnften Zimmers hat der Cavaliere Giuſeppe d’ Arpino gemahlt. Juno ſchlaͤft; ihr Sohn ſaugt an ihren Bruͤſten; Jupiter und einige andere Gottheiten ſehen zu.
Man begreift nicht, warum alle dieſe Perſonen da beiſammen ſind. Sie ſind ohne allen Ausdruck.
In dieſem Zimmer trifft man auch einige Staf - felei-Gemaͤhlde an.
Eine Aufnehmung der heiligen Magdalena in den Himmel von A. Sacchi. Sie hat viel von der Aufnehmung der Madonna des Guido im Pallaſt Sta Croce.
Eine heilige Agatha und heilige Praſſeda von Lanfranco, von ſehr kraͤftigem Colorit.
Bildniß des Cardinals Barberini von A. Sacchi.
Daͤdalus der dem Icarus die Fluͤgel an - bindet von demſelben Meiſter: richtige Zeichnung, und ſchoͤne Farbe.
Zwei Landſchaften von Pouſſin.
E 4Heili -72Pallaſt Coſtaguti.Heiliger Franciſcus, halbe Figur von Guido.
Ein anderer heil. Franciſcus von Guercino.
Judith im Begriff dem Holofernes den Kopf abzuhauen von Mola: gemeiner Ausdruck und ſchlechte Wahl der Formen: uͤbrigens kraͤftig von Farbe, und von pikanter Wuͤrkung des Hell - dunkeln.
Zwei Bildniſſe aus der Venetianiſchen Schule.
In einem andern Zimmer, der Friede und die Gerechtigkeit von Lanfranco. Er hat die Manier des Guercino nachzuahmen geſucht.
Wieder in einem andern, am Plafond: Bac - chus und Ariadne. Man legt dies Werk dem Ludovico Carraccio bei: allein dies iſt nicht glaublich, da der Meiſter ſich nur wenige Tage in Rom aufge - halten hat.
† Ein ſchoͤner Sarcophag mit dem Triumph des Bacchus und der Ariadne vom ſchoͤnſten Stile. Unter andern Figuren ſieht man einen Faun, der ſich auf die Spitzen der Zehen hebt, und die Hand uͤber die Augen haͤlt, um beſſer zu ſehen.
Ein ſchlafender Faun, an dem die Theile, die nicht reſtaurirt ſind, ſehr ſchoͤn ſind.
† Der beruͤhmte Kopf des Caͤſars, derSchoͤner Kopf des Caͤſars. beſte, der von ihm bekannt iſt. Er iſt aus Bronze. 1)Herr Volkmann Hiſt. krit. Nachricht, S. 357 f. nennt ihn irrig: Cicero.
Ein ſchoͤnes antikes Moſaik, welches ehemals zum Fußboden gedient hat. Es ſtellt die Entfuͤhrung der Europa vor, rund herum ſind Arabesken ange - bracht.
Dieſe Stuͤcke ſtanden zu meiner Zeit zum Ver - kauf. Man konnte nur die Genehmigung des Pab - ſtes nicht erhalten. So viel mir erinnerlich iſt, ſtand der Kopf des Caͤſars in der beſondern Wohnung ei - nes Praͤlats aus dieſem Hauſe. Man kann hier nachfragen.
Im Hofe ſind einige Basreliefs angebracht. Sie ſind im Ganzen unbetraͤchtlich. Dieſer Hof, die Treppen und die Vorzimmer ſind mit Statuen beſetzt. Die beſten darunter ſcheinen zu ſeyn: Ein Paris, ein Faun, eine Diana von Epheſus, und zwei Muſen. Unter dieſen hat die eine Aehn - lichkeit mit derjenigen, die unter dem Nahmen Clio aus dieſem Pallaſte ins Muſeum Clementinum ge - kommen iſt, aber ſie hat nicht ihren Werth.
Ein Amor von weißem Marmor. Er hat gute Partien.
Angelika und Medor von Guercino, ſehr verdorben.
Eine Copie des beruͤhmten Gemaͤhldes von Tizian in Spanien, mehrere Gruppen von Kindern vorſtellend. Es war ehemals in der Villa Ludoviſi befindlich, Pouſſin und Fiamingo haben viel darnach ſtudirt.
Eine Frauensperſon, die auf der Leier ſpielt, von P. Veroneſe.
Eine Muſe, moderne Statue.
† Loth mit ſeinen Toͤchtern von Guido. Drei Figuren auf halben Leib, aber Lebensgroͤße. Die Koͤpfe ſind vortrefflich, und die Faͤrbung iſt gut. Man75Pallaſt Lancellotti. Man findet dieſes Bild in Hamiltons Scuola Ita - liana in Kupfer geſtochen.
† Suſanna zwiſchen den beiden Alten: ein Gegenſtuͤck zu dem vorigen, von demſelben Mei - ſter. Dies Gemaͤhlde ſcheint vor dem vorigen noch Vorzuͤge zu haben, aber es hat ſehr gelitten. Die Koͤpfe ſind ſehr ſchoͤn, ſo wie der ganze Koͤrper des Weibes.
Der verlohrne Sohn von Guercino. Der Vater bekleidet ſeinen juͤngſten Sohn, waͤhrend daß er dem aͤlteren Vorwuͤrfe macht. Die Compoſition iſt nicht zu loben, und die Farbe faͤllt zu ſehr ins Rothe. Hamilton hat es in die Scuola Italiana aufgenommen.
† Ein junger Bacchus ſpielt dem Silen auf der Floͤte vor, ein Gemaͤhlde in Waſſerfarben, von Annibale Carraccio, welches ehemals zum Deckel eines Clavecins gedient hat. Hamilton hat es gleichfalls ſtechen laſſen. Die Figuren ſind nur klein, aber mit vielem Geiſte und vieler Delicateſſe behandelt. Der Ausdruck iſt vortrefflich, die Formen ſind nach der Antike gemodelt. Das eine Bein in der Verkuͤrzung iſt unvergleichlich. Am Silen ſind viel - leicht einige Partien zu trocken ausgefuͤhrt. Fuͤr Waſſerfarbe iſt die Faͤrbung ſehr kraͤftig.
† Einige Faunen tragen einen Silen, und Amorinen wiegen ſich auf Weinreben. Ein Gemaͤhlde auf einem Goldgrunde von Annibale Car - raccio. Eine allerliebſte Compoſition, die mit der vorigen zur Verzierung eines und deſſelben Inſtru - ments gedient zu haben ſcheint.
Ein Bildniß eines Frauenzimmers von Paolo Veroneſe.
Die mehreſten Stuͤcke, welche Herr Dr. Volk - mann1)Hiſtoriſch kritiſche Nachrichten uͤber Italien, II. Th. S. 431. Edit. von 1777. als hier befindlich angiebt, ſind ver - kauft. Ein großer Theil iſt in die Villa Albani ge - kommen. Die Etruſciſchen Vaſen hat der Cardinal Zelada gekauft.
Der Aeſculap, eine Statue, die hier noch ſteht, iſt unbedeutend. Dagegen iſt ein betraͤchtlicheres Stuͤck:
† Ein Diſcobolus,2)Fea liefert in ſeiner Italieniſchen Ueberſetzung der G. d. K. Tav. II. eine Zeichnung dieſer Figur. T. II. p. 211. n. A. giebt er auch davon eine Be - ſchreibung. Er findet eine ſo große Aehnlichkeit zwiſchen ihr, und derjenigen, die uns Lucian von einer aͤhnlichen des Myrons aufbewahret hat, daß er die unſrige fuͤr eine Copie von jener halten moͤchte. eine Statue in Lebens - groͤße, hinzugekommen. Dieſe iſt 1781. gefunden.
Die Figur legt ſich vorn uͤber, ſtreckt den rechten Arm hinten aus, um den Diſcus zu werfen, richtet den Blick des umgedrehten Kopfs nach dieſen Diſcus, ſteht auf dem rechten Fuße mit gekruͤmmtem Knie, und ſtreckt das linke Bein mit umgebogenen Zehen, gleichſam um ſich dadurch einen Schwung zu geben, hinter ſich zuruͤck. Die linke Hand legt ſie an das rechte Knie, wahrſcheinlich um ſich dadurch im Gleich - gewichte zu erhalten.
Dieſe Stellung hat etwas unnatuͤrliches. Die Figur ſcheint außer dem Gleichgewichte zu ſeyn, undfallen77Pallaſt Maſſini. fallen zu muͤſſen. Auch thun die unterwaͤrts gebo - genen Zehen des linken Fußes dem Auge wehe; um ſo mehr, als ſie an den Block befeſtigt ſind, und der Koͤrper darauf zu ruhen ſcheint. 3)Fea geſteht das Unnatuͤrliche dieſer Stellung am angefuͤhrten Orte ein; glaubt aber, daß ſich von einem ſo großen Meiſter wie Myron nicht anders vermuthen laſſe, als daß ſie nach der Natur ge - nommen ſey.Ich ſtelle mir vor, der Kuͤnſtler hat die Idee gehabt, der Be - ſchauer ſolle den Fuß als im Freien ſchwebend be - trachten: dann ließe ſich die Kruͤmmung der Zehen als eine Folge der heftigen Anſtrengung leicht entſchul - digen. Allein aus Furcht, das Bein moͤchte als - dann nicht Halt genung haben, hat er die Zehen in den Marmorblock gefugt, und wahrſcheinlich haben wir auch nur dieſem Umſtande deſſen Erhaltung zu verdanken .. Der Kuͤnſtler ſcheint uͤberhaupt beſondere Sorge fuͤr die Conſervation ſeines Werks getragen zu haben. Ein Stuͤck Marmor hielt den aufgehobenen Arm an den Koͤrper feſt, als die Statue gefunden wurde. Weil man aber fand, daß es dem Ganzen ſchadete, ward es ab - genommen. Es iſt weiter nichts an der Figur er - gaͤnzt, als das rechte Bein vom Knie an, bis auf die Knoͤchel, und einige Finger. Der Leib iſt der ſchoͤnſte Theil an dieſer Figur, doch hat auch der Kopf viel Verdienſt. Das linke Bein mit dem Knie, auch ein Theil des Halſes ſind nicht ganz ausgearbeitet. Der Marmor iſt von der ſchoͤnſten Art. Vielleicht iſt der Arm, mit dem der Diſcus geworfen wird, et - was verzeichnet.
Unter78Pallaſt Albani.Unter den Gemaͤhlden in dieſem Pallaſte habe ich nichts beſonders gefunden, als einen heiligen Mat - thaͤus in der Wechſelbank von Guercino.
Die Bildhauerwerke die hier ehemals ſtanden, ſind nach der Villa gebracht. Doch findet ſich noch im Hofe ein coloſſaliſcher Fuß mit einem Schuh, der des Coſtume wegen zu bemerken iſt.
Folgendes ſind die Gemaͤhlde, die mir Aufmerk - ſamkeit zu verdienen geſchienen haben.
Eine Verlobung der heiligen Catharina von Siena, von Pietro da Cortona.
Zwei Studien von Andrea Sacchi zu dem Gemaͤhlde dieſes Meiſters: dem heil. Remualdus.
Maria ſtehend; der Chriſt als Kind um - armt den heiligen Johannes. Eine Copie nach dem beruͤhmten Bilde aus Raphaels erſter Manier im Palais Royal zu Paris, deſſen Wiederholung man auch zu Capo di Monte bei Neapel findet.
Judith mit dem Kopfe des Holofernes, von Carravaggio.
Eine Maria mit dem Kinde von Carlo Maratti.
Der heilige Januarius der ſeine Hand von einem Geiſtlichen kuͤſſen laͤßt, ein ſehr mittel - maͤßiges Bild von Solimene.
Jacob mit der Leiter im Traum von Feti. Die Leiter iſt ſehr dunſtig, wie eine Erſcheinung ge -mahlt79Pallaſt Albani. mahlt. Dem ohngeachtet bleibt die Darſtellung eines Traums in Gegenwart des Schlafenden mit geſchloſſenen Augen immer eine Abſurditaͤt.
† Eine Copie im Kleinen nach der Transfi - guration Raphaels, mit großem Fleiße, und wahrſcheinlich von einem Niederlaͤnder verfertigt.
† Eine ſehr ſchoͤne Landſchaft im hellen Ton von Salvator Roſa.
† Ein van der Werf. Der einzige ſeiner Art in Rom.
† Eine heilige Familie von Pietro Perrug - gino, ſonderbar componirt, aber fuͤr den Meiſter außerordentlich richtig in der Zeichnung.
Mehrere, aber wenig betraͤchtliche Statuen. Inzwiſchen erinnere ich mich der Figur eines Philoſophen, welche werth ſchien, der Stellung wegen ausgezeichnet zu werden. Die Ausfuͤhrung war trocken.
† Acht Basreliefs. Sie ſtellen Suͤjets aus der Mythologie vor. Z. B. Paris als Hirte die Kuͤhe huͤtend: Perſeus und ſein Pferd: Pa - ſiphae und Daͤdalus: Meleager ꝛc. Der uͤbrigen Suͤjets erinnere ich mich nicht mehr. Sie ſind in einem guten Stile gezeichnet, und von beſorgterer Ar - beit als diejenigen, ſo man an den gewoͤhnlichen Sar - cophagen antrifft.
Lange hatten dieſe Basreliefs zum ſteinernen Fuß - boden in den Gewoͤlbern einer Kirche gedient. Zum Gluͤck hatte die Seite mit den erhoben gearbeiteten Figuren unten gelegen, und dadurch waren dieſe un - beſchaͤdigt geblieben.
† Die Bildſaͤule Pompejus des Groſ - ſen, coloſſal. Man glaubt es ſey diejenige, zu de - ren Fuͤßen der groͤßte der Sterblichen, Caͤſar ermordet worden. Ein heiliger Schauer hat mich bei dem Ge - danken mehr als bei dem Anblick dieſer Statue ergrif - fen, denn ich habe in den Formen die Idee vonSchoͤn -81Pallaſt Spada. Schoͤnheit vermißt, welche die Geſchichte dieſem Hel - den beilegt, und dagegen einen Ausdruck von Feſtig - keit des Charakters in der Mine gefunden, welche ſie ihm ableugnet. Auch ſcheint mir das nackte Coſtume fuͤr den Roͤmer nicht zu paſſen.
Inzwiſchen Maͤnner, deren Urtheil meine ganze Achtung verdient, haben mich verſichert, bei der Ver - gleichung des Gypsabguſſes des Kopfes mit dem Bruſtbilde auf der Medaille viele Aehnlichkeit zwiſchen beiden gefunden zu haben.
Iſt es wahr, daß die Statue bei der Cancellaria auf dem Platze des ehemaligen Rathhauſes des Pompe - jus gefunden ſey, ſo wuͤrde dieſer Umſtand die Angabe des Nahmens beſtaͤtigen. Man ſetzt hinzu, der Leib der Figur habe in dem Keller des einen, der Kopf aber in dem Keller des andern Buͤrgers gelegen; die Scheidewand beider Haͤuſer habe daruͤber geſtanden. Wem gehoͤrte das Eigenthum? Der eine Nachbar verlangte es, weil der Kopf als der vornehmſte Theil auf ſeinem Grund und Boden gelegen haͤtte. Der andere behauptete, der groͤßte und nicht der vorzuͤg - lichſte Theil entſcheide, und dieſer, als der Rumpf, waͤre auf ſeiner Beſitzung gefunden. Die Sache kam vor Gericht, und der Richter that einen Aus - ſpruch, der ſeiner Kunſtliebhaberei ſo wenig Ehre machte, als ſeiner Jurisprudenz. Die Statue, er - kannte er, ſoll getheilt werden; den Kopf, der herab - geſchlagen werden muß, nehme der Eigenthuͤmer des Bodens hin wo er lag, den Rumpf der andere. Der Pabſt Julius der Dritte hinderte die Ausfuͤhrung die - ſes ſonderbaren Erkenntniſſes durch ſeine Freigebigkeit. Er kaufte die Statue fuͤr 150 Ducaten, und ſchenkteDritter Theil. Fſie82Pallaſt Spada. ſie dem Cardinal Capo di Ferro. Wie es mit der Theilung des zahlbaren Werthes dieſes Kopfs und dieſes Rumpfs gehalten ſey; davon ſagt uns die Nach - richt nichts.
Die Statue iſt gut, aber zu den vorzuͤglichen gehoͤrt ſie nicht. Man wirft der Ausfuͤhrung mit Recht einige Haͤrte vor. Die Arme ſind modern.
Eine Frieſe al Freſco. Man legt ſie dem Perrino del Vaga bei. Ich glaube, ſie iſt von einem der Zuccheri; ſo bezeichnen den Meiſter die ſchlechte Anordnung, die faden Geſichtsbildungen, und die ver - zerrten Extremitaͤten. Hin und wieder zeigt ſich eine gute Partie.
Lucretia wahrſcheinlich nur eine Copie nach Guido.
† Judith ſtuͤtzt ſich auf ihr Schwerdt mit der einen Hand, mit der andern haͤlt ſie das abgehauene Haupt des Holofernes: Ihre Augen gen Himmel gerichtet verkuͤndigen die Dankempfindung ihres Herzens: von Guido. Wie weiſe iſt der Zeitpunkt der intereſſanteſten Dar - ſtellung aus dieſer Begebenheit herausgehoben! Wie edel der Ausdruck in Mine und Stellung! Wie be - deutend, wie vollſtaͤndig die Handlung in dieſer ein - zelnen Figur! Mit welcher Sorge fuͤr unſer Vergnuͤ - gen das Widrige des Anblicks eines abgehauenen undbluti -83Pallaſt Spada. blutigen Kopfs im Schatten gehalten! Wirklich die - ſes Bild iſt ein Muſter fuͤr jeden angehenden Kuͤnſtler, wie man aus einer jeden Begebenheit nur das zur Darſtellung herausheben ſolle, was der Anſchauer am liebſten dargeſtellt zu ſehen wuͤnſcht. Iſt in der ganzen Folge von Situationen, welche die Geſchichte des Holofernes der ſichtbaren Darſtellung darbietet, eine einzige, die uns mehr intereſſiren kann, als die - jenige, in der ſich Judith nach dem Tode des Holo - fernes befand? Ich rede von dem Mahler. Dem Dichter kann vielleicht das zweifelhafte Anſtehen einer empfindungsvollen Seele in dem Augenblicke vor einer Handlung, die nur die Nothwendigkeit entſchuldigt: der Ermordung des Feindes im Schlafe, noch intereſ - ſanter ſeyn. Aber kaum weiß ich, ob die Aeußerung dieſer Empfindung durch eine ſtillſtehende Pantomime deutlich genug werden duͤrfte.
Und wie hat der Mahler die Verfechterin ihres Vaterlandes und ihrer Unſchuld, mit dem ganzen Gefuͤhle der Rechtmaͤßigkeit ihrer That, der Zuver - ſicht und des Dankes ergriffen, den das ſchwache Werkzeug der Leitung einer hoͤheren Gewalt bei einer ſo muthigen That ſchuldig zu ſeyn glaubte.
Die Zeichnung iſt vortrefflich, vorzuͤglich an dem Arme und der Hand, die das Schwerdt halten. Durch das ſchoͤn geworfene Gewand zeichnet ſich der Koͤrper einer Heldin hin. Die Farbe iſt nachge - ſchwaͤrzt, aber ſie muß ſehr kraͤftig geweſen ſeyn. Kurz! dies Bild iſt eins der ſchoͤnſten von Guido und mir das liebſte in dieſer Gallerie. Schade! daß es beim Reinigen gelitten hat.
F 2Eine84Pallaſt Spada.Eine Heimſuchung Mariaͤ. Wenn das Bild, wie man ſagt, von Andrea del Sarto iſt, ſo iſt es aus ſeiner erſten Manier, und keines ſeiner ſchoͤnſten.
St. Anna lehrt die heilige Jungfrau ſpin - nen. Wahrſcheinlich von Carravaggio. Der Aus - druck iſt ſo wahr als moͤglich, aber unedel. Beide Figuren ſind aus der unterſten Claſſe des Poͤbels her - vorgeſucht, und die Tracht iſt dieſem Stande ange - meſſen. Die Verkuͤrzung des Arms der heil. Jung - frau iſt dem Mahler nicht wohl gelungen.
Die Gefangennehmung des Heilandes von Gerhard Honthorſt.
Die Entfuͤhrung der Helena. Eine Copie nach dem Originalgemaͤhlde von Guido Reni im Pal - laſt Toulouſe zu Paris.
Einige Gemaͤhlde von Seuter einem teutſchen Kuͤnſtler, von dem man in ſeinem Vaterlande mehr Aufhebens macht, als nach dieſen Werken zu urthei - len, der Muͤhe werth iſt.
† Der Tod der Dido von Guercino. Dido faͤllt in ihr Schwerdt, vor einer großen Verſammlung des Volks. Dies iſt der Augenblick, den der Mah - ler aus einer Begebenheit herausgehoben hat, deren Darſtellung beim Virgil kein gefuͤhlvolles Herz je ohne Thraͤnen geleſen hat.
Ob der Mahler nicht haͤtte intereſſanter waͤhlen koͤnnen, ob die Situation, in welcher Dido mit ver - wirrtem Blicke das Licht des Tages aufſucht, es fin - det und tief aufſeufzet; in welcher ihre Schweſter uͤber die Sterbende jammert, und das Volk die Empfin - dungen der Neugier, des Erſtaunens, des Antheilsin85Pallaſt Spada. in verſchiedenen Modificationen zu erkennen giebt: ob, ſage ich, eine ſolche Situation nicht eben ſo ſehr einer vollſtaͤndigen Erklaͤrung durch den bloßen An - blick, und einer viel groͤßeren Abwechſelung im Aus - drucke der Affekte faͤhig geweſen waͤre, mag ich hier nicht entſcheiden.
Das was wir ſehen, hat zu weſentliche Fehler, um zu bedauern, daß das, was wir zu ſehen wuͤnſch - ten, in dieſe Hand zur Ausfuͤhrung nicht gekom - men ſey.
Eine Menge von Figuren fuͤllet die Flaͤche: aber keine einzige nimmt wahren Antheil an der Haupt - handlung. Sie ſtehen da — weil ſie da ſtehen, und noch dazu ohne leicht zu uͤberſehende Ordnung: Die Perſpektiv iſt gar nicht beobachtet.
Dido liegt in einer unnatuͤrlichen Stellung. Das Schwerdt ohne Ende, deſſen Spitze eine Elle jenſeits des Ruͤckens herausragt, muß den ernſthafteſten Be - ſchauer zum Lachen bringen. Aber bewundernswuͤr - dig ſchoͤn gemahlt ſind Kopf und Bruſt: Voll Aus - druck und Schoͤnheit: Das Blut ſcheint den Wan - gen zu entfliehen. 1)Man ſagt Guercino haͤtte dieſen Kopf und dieſe Bruſt noch einmal genutzt, um das Bruſtbild einer Magdalena zu mahlen, das denn auſſerordentlich ſchoͤn gerathen ſey. Ich will es glauben, und ich habe mir oft gewuͤnſcht, dieſe Partie aus dem großen Bilde wegſchneiden zu koͤnnen. Jenes Bild der Magdalena ſoll ehemals im Pallaſt Mat - tei befindlich geweſen ſeyn, aber ſeitdem die Bruͤder ſich in die Gemaͤhldeſammlung getheilt haben, weiß man nicht, wo es hingekommen iſt.
F 3Das86Pallaſt Spada.Das Gewand iſt aus der Troͤdelbude genommen, ſo wie die Kleidung der uͤbrigen Figuren. Ans Co - ſtume darf man nicht denken. Man ſieht Maͤnner in ſpaniſcher Tracht.
Das Bild hat ſo ſehr gelitten, daß man uͤber die Farbe des Ganzen nicht mit Zuverlaͤßigkeit ur - theilen kann. Viele behaupten, dies Gemaͤhlde ſey nur die Copie eines nach Frankreich verkauften Origi - nals. Allein das unſrige traͤgt zu viel Merkmale der Originalitaͤt an ſich, um dieſer Vermuthung Platz zu geben. 2)Man vergleiche Richardſon Deſcription des plus fameux tabl. etc. p. 319. et ſuivantes.
Das Bildniß des Pabſts Paul des Drit - ten aus dem Hauſe Farneſe. 3)Herr Dr. Volkmann Hiſt. kritiſche Nachrichten, II. Theil. S. 459. legt dies Werk dem Vaſari bei. Mich duͤnkt ohne Grund. Titi deſcrizione di Roma, ſtimmt ihm darunter bei.Eine Copie des Originals von Tizian zu Capo di Monte.
Das Opfer der Iphigenia von Teſta. Mittelmaͤßig.
Die Veſtalinnen mit dem heiligen Feuer von Ciroferri, eine mittelmaͤßige Skizze.
† Das Bildniß des Cardinals Spada von Guido. Die Haͤnde ſind vorzuͤglich ſchoͤn. 4)Richardſon Deſcription des plus fameux tabl. etc. p. 318. giebt eine ſehr detaillirte Beſchreibung von dieſem Portrait.
Der Aufruhr des Maſaniello: von M. A. dem Schlachtenmahler oder Cerquozzi.
Einer87Pallaſt Spada.Einer ſehr artigen Erfindung des Boromini kann man noch einen Blick ſchenken, ehe man dieſen Pallaſt verlaͤßt.
Es hat naͤmlich dieſer Meiſter in dem innern Hofe einen Saͤulengang gebauet, deſſen aͤußerſte Colonnen nach den Regeln der Perſpektiv an Hoͤhe und Dicke wuͤrklich abnehmen, und daher das Auge verfuͤhren, die Verkuͤrzung einer weiten Entfernung zuzuſchreiben, obgleich an ſich die Saͤulen ziemlich gedraͤngt ſtehen. Vielleicht ließe ſich dieſer Kunſt - griff anderwaͤrts mit Nutzen wiederholen, aber wohl - gemerkt: Der Zuſchauer muß nur einen Standpunkt in einiger Entfernung von der erſten Saͤule waͤhlen koͤnnen.
Das Meiſte iſt daraus verkauft. Man trifft noch in dem Hauſe an:
Eine Statue Antonius des Frommen, im Panzer und Mantel. Der Kopf iſt voller Charakter.
Einen Kopf eines Alexanders mit dem Helme.
Einige bekleidete Figuren.
Eine ſchlechte Iſis.
Einen Septimius Severus.
Einige ſchlechte Fragmente.
Ein Paar gefangene Koͤnige. Kopf und Haͤnde von ſchwarzem Marmor: Gewand von Pa - vonazzo.
Im Garten iſt das einzige merkwuͤrdige † der ſchoͤne coloſſaliſche Kopf des Auguſtus von weißem Marmor.
Die Urne mit dem Bachanale, die hier ehemals befindlich war, iſt nach dem Pallaſte in der Stadt gebracht.
Eine andere Urne mit dem Opfer der Iphigenia iſt nach Engelland verkauft.
Im Hauſe ſteht eine ſchoͤn bekleidete Figur einer Minerva, an der aber alle Extremitaͤten neu ſind.
Das uͤbrige was ſich hier an Statuen, Basre - liefs und Urnen findet, iſt von keinem Belange, und meiſtens ſehr reſtaurirt.
Beim Hereintreten bemerkt man:
† Die Statue eines Antinous als Bacchus mit Weinreben bekraͤnzt. Der Kopf wird von vielen fuͤr den ſchoͤnſten unter denen gehal - ten, die ſich von dieſem Guͤnſtlinge Hadrians erhal - ten haben. Wenigſtens kann man ihn den Koͤpfen in den Villen Mondragone und Albani an die Seite ſetzen. Das uͤbrige der Statue iſt mittelmaͤßig.
Ceres. Sie hat dieſen Nahmen nur den Er - gaͤnzungen zu danken. Ihr Gewand kann in Ruͤck - ſicht auf den Gedanken des Wurfs nicht zum Modell dienen, aber es iſt ein Modell von fleißiger Ausar - beitung.
Dieſe Figur ſteht auf einer Begraͤbnißurne von beſonderer Form. Das daran befindliche Bas - relief ſtellet in ſehr kleinen Figuren eine Stadt vor, die vor einem Kaiſer kniet, dem eine Victoria eine Krone aufſetzt.
Das Bruſtbild der Julia Meſa des He - liogabalus Großmutter. Man ſieht noch um den Kopf die Loͤcher der Stralen, womit daſſelbe als Zeichen ihrer Vergoͤtterung umgeben geweſen iſt.
Kopf einer ſchoͤnen Muſe, den man auf eine moderne Buͤſte geſetzt hat.
Eine kleine Statue einer Victoria.
Ein alter Faun, der Wildprett traͤgt, an dem aber Kopf, Arm und Fuͤße neu ſind. Der Rumpf iſt gut.
Eine91Villa Caſali.Eine Venus, die das von den Huͤften gleitende Gewand aufhaͤlt, oder eine ſoge - nannte Venus Victrix, mittelmaͤßig und ſtark reſtaurirt. Wahrſcheinlich iſt dieſes die Schaam - haftigkeit, von der Herr Dr. Volkmann redet. 1)Hiſtoriſch kritiſche Nachrichten von Italien S. 192. Edition von 1777.
† Mercur, an dem Kopf, Arme und Fuͤße neu ſind. Der Koͤrper, der ſchoͤn iſt, koͤmmt mit dem Mercur im Pallaſt Farneſe uͤberein: und folg - lich auch mit dem ſogenannten Antinous im Bel - vedere.
† Ein kleiner Bacchus mit einem Satyr. Der Gedanke iſt artig.
Eine Buͤſte eines jungen Mannes, der ein Nero zu ſeyn ſcheinet. Die Drapperie iſt von Afri - caniſchem Marmor.
Am Ende einer Allee im Garten ſtehet auf einem Sarcophag eine ſchoͤne Meta Circi.
† Man zeigt in dieſem Pallaſte eines der beſten Gemaͤhlde des Carlo Maratti: Tu - ſcia oder die Veſtalin, die zum Beweiſe ihrer Unſchuld Waſſer in einem Siebe traͤgt. Eine halbe Figur von lieblicher aber unbedeutender Ge - ſichtsbildung. Die Faͤrbung iſt angenehm, auch herrſcht ein ſehr harmoniſcher Ton in dem Ganzen, und vorzuͤglich in dem weißen Gewande. An dieſen Vorzuͤgen erkennt man den Schuͤler des Andrea Sacchi wieder.
Von Caſpar Pouſſin findet man hier ein paar Landſchaften, die aber unbedeutend ſind; hingegen ſieht man eben daſelbſt:
Drei Landſchaften von Schwanefeld ganz im Stile des Claude le Lorrain. Nur faͤllt der Ton zu ſehr ins braͤunlich Gruͤne.
Zwei Marinen in der Manier des Sal - vator Roſa.
Eine heilige Familie aus Tizians erſter Manier.
Zwei Gemaͤhlde von Ciroferri.
Einige Landſchaften von Orizonte, und
Eine der beſten Sammlungen von Ge - maͤhlden niederlaͤndiſcher Meiſter in Rom.
Beim Eintritt durch das große Thor, welches zu dieſen Gaͤrten fuͤhret, trifft man in einer Art von Schuppen die Materialien zu einem Triumph - bogen an, der von dem Hauſe Farneſe jedesmal er - richtet wird, wenn ein neuer Pabſt Poſſeſſion vom Lateran nimmt.
Hier ſteht † der beruͤhmte Torſo eines jun - gen Helden, von dem Winkelmann mit Recht viel Gutes ſagt. Die Umriſſe ſind aͤußerſt fließend, und die Arbeit iſt ſehr beſorgt.
Weiterhin unter den Terraſſen trifft man meh - rere mittelmaͤßige Statuen an, die aus dem Co - loſſeo hieher gebracht ſeyn ſollen.
Auf der erſten Terraſſe findet man einen Porticus mit Arcaden und einer Grotte. Hier ſtehen wieder mehrere Statuen: Eine ſitzende Frauensperſon, zwei gefangene Barbaren auf halben Leib, an denen Koͤpfe und Haͤnde neu ſind, und einige an - dere meiſtens unbetraͤchtliche Figuren: imgleichen einige Buͤſten. Das Vorzuͤglichſte was hier ehe - mals ſtand, iſt nach Neapel gegangen, unter an - dern auch die ſchoͤne Statue der Agrippina.
Auf94Villa Farneſe.Auf der Terraſſe daruͤber: Ein Caſino mit einer Grotte: Zu beiden Seiten zwei weibliche Figu - ren von Baſalt. Der Tracht nach zu urtheilen iſt die eine, eine Iſis. Koͤpfe und Haͤnde ſind an beiden von weißem Marmor. Sollten dieſe Theile auch antik ſeyn, woran ich jedoch zweifle, ſo haben ſie urſpruͤnglich dieſen Figuren nicht gehoͤrt. Sie be - zeichnen jetzt die Figur einer Juno. Die Drapperie der Iſis iſt ſchoͤn.
† Zwei gefangene Barbaren mit phrygi - ſcher Muͤtze als Caryatiden, von Baſalt; ſchoͤn. 2)Herr Dr. Volkmann am angefuͤhrten Orte, S. 618. fuͤhrt eine Venus Callypiga an. Sie ſteht nicht hier, ſondern in dem kleinern Farneſiſchen Pallaſt, der Farneſina. Winkelmann G. d. K. S. 653. in der Note, ſpricht von einer unbekleideten Figur etwas unter Lebensgroͤße, die ſich ein Band um die Stirn bin - det, welches als etwas ſeltenes ſich nebſt der Hand die das Band faßt, erhalten habe. Er haͤlt ſie fuͤr eine Copie des Diadumenus des Polyclets. Sie iſt hier nicht mehr zu finden.
In dem Kuͤchengarten weiterhin ſollen die Baͤder des Auguſts und der Livia liegen. Ich habe nur drei Saͤle finden koͤnnen: Das uͤbrige iſt wieder zugeworfen. In dieſen erkannte man mit Muͤhe einige Verzierungen von Gold und an - dern Farben, und ein Paar ſchlechterhaltene Gemaͤhlde. Dagegen fand man viele Spuren von ſolchen die ausgehoben worden, um ſie nach Neapel zu bringen, und dort zwei Zimmer damit zu ver - zieren.
Im Hofe ſteht in einem Verſchlage uͤber einer Fontaine, eine Gruppe des Mars und der Venus in einer etwas freien Stellung. Sie ſoll von Moſchino, oder Franceſco Moſca einem Sohne des Simone Moſca ſeyn. Die Zeichnung iſt ganz im Florentiniſchen Geſchmack, und die Aus - arbeitung zu wenig beſorgt. Es fehlt nicht ganz an Ausdruck, aber es iſt doch nicht derjenige, den man wuͤnſchen ſollte, der Grazie, und der Waͤrme, die der Vorwurf zu erfordern ſcheint.
Dieſe Villa iſt zuletzt von einem Franzoſen be - ſeſſen worden, der ſie wieder an den kaiſer - lichen Agenten, deſſen Nahmen mir entfallen iſt, verkauft hat.
Der Franzoſe hat ſtark darin graben laſſen, und bald ſo viel Antiken gefunden als noͤthig war, ihm das Kaufgeld zu erſetzen, und ein anſehnliches Capital vor ſich zu bringen.
In dieſen Excavationen findet man große Ge - woͤlber, Saͤle, Zimmer, die ehemals mit Marmor und Mahlereien bekleidet geweſen ſind: aber alles dies iſt uͤber die Seite geſchafft.
In dem Gebaͤude findet man mehrere nackte Figuren von Nymphen und andern Goͤt - tinnen. Sie ſind aus der Schule Raphaels, und Marc Antonio hat mehrere derſelben in Kupfer ge - ſtochen.
Am Plafond ſieht man zwei Gemaͤhlde im Stil antiker Basreliefs, gleichfalls von Raphaels Schuͤlern, wahrſcheinlich nach deſſen Zeichnungen ausgefuͤhrt. Das eine ſchien mir den Hercules mit der Alceſte vorzuſtellen, das andere habe ich nicht entziffern koͤnnen.
Ein anderes Zimmer war als Grotte, man ſagt, nach Raphaels Angabe decorirt.
Noch ein anderes iſt von den Zuccheri vermahlt.
Einige moderne Frieſen, welche Meerun - geheuer vorſtellen.
Einige Basreliefs, welche von antiken Sar - cophagen genommen zu ſeyn ſcheinen, und Opfer - handlungen vorſtellen. Sie ſind nicht betraͤchtlich.
Einige Statuen; mittelmaͤßig.
Ein Kind mit einer Gans, von angenehmen Charakter.
Ein Kind von Bronze, aus der Schule des Fiamingo.
† Hiob auf dem Miſthaufen umgeben vonHiob von Salvator Roſa. ſeinen Freunden die ihm Vorwuͤrfe machen: von Salvator Roſa, und eines ſeiner beſten Stuͤcke. Die Figuren ſind in Lebensgroͤße. DerDritter Theil. GAus -98Pallaſt Santa Croce. Ausdruck graͤnzt an Carricatur. Die Farben ſind ſehr kraͤftig aufgetragen.
Eine Zeichnung von Giuſeppe d’ Arpino. Sie ſtellt eine Schlacht vor, und hat Verdienſt.
† St. Sebaſtian von Guercino. Die Ge - ſichtsbildung iſt von gewaͤhlter Natur, und die Zeich - nung im Ganzen wahr. Was man aber vorzuͤglich bewundern muß, iſt die Ruͤndung dieſer Figur, vor - zuͤglich in den Lenden und Beinen. Gewiß! dies Bild gehoͤrt zu den ſchoͤnſten, die aus dem Pinſel des Meiſters gekommen ſind. Die Farbe iſt aus ſeiner beſten Zeit.
Herodias empfaͤngt den Kopf Johannes des Taͤufers aus den Haͤnden des Henkers von Guido.
Eine heilige Familie. Man ſagt aus der erſten Manier Raphaels. Aber Raphael mahlte nicht ſo gut zur Zeit als er ſchon beſſer zeichnete. Wahrſcheinlicher iſt dies Bild von einem andern Schuͤler des Perrugino.
Der heilige Hieronymus von Guercino, halbe Figur. Der Ton zu braunroth.
† Derſelbe Heilige auf den Knien liegend, indem er einen Brief zuſiegelt: gleichfalls von Guercino. Sehr brav.
Ein Homerskopf, aus der Schule des Car - ravaggio.
Einige Landſchaften von Coſtanzi.
Andere von Heinrich von Lint, in Italien Studio genannt.
Eine99Pallaſt Santa Croce.Eine kleine Galathea. Die Zuſammen - ſetzung iſt allerliebſt: Die Ausfuͤhrung ſelbſt wahr - ſcheinlich Copie nach Albano.
Einige Landſchaften von Pandolfino, Schuͤ - ler des Bourguignone.
† Venus von Amorinen umgeben. Große Figuren von Albano. Dies Gemaͤhlde iſt um ſo intereſſanter, weil es gegen die Gewohnheit des Meiſters bei Figuren in Lebensgroͤße, richtig gezeich - net iſt. Die Geſichtsbildung der Venus iſt diejenige, die er gewoͤhnlich ſeinen Weibern giebt, aber ſie hat hier nicht das Fade, was ſie anderwaͤrts ſo oft ent - ſtellt. Das Colorit iſt aͤußerſt angenehm.
Die Entfuͤhrung der Europa von Guido.
Schoͤne Schlacht von Salvator Roſa.
† Die Aſſumption der heiligen JungfrauAſſumption der Maria von Guido. von Guido. Ein Hauptſtuͤck in dieſer Galierie. Die Figur der heiligen Jungfrau hat die edelſte Stel - lung, und zeigt die ſwelteſten Formen durch ein vortrefflich geworfenes Gewand durch. Ihr Kopf ohne jene idealiſche Schoͤnheit, die Guido in andern Gemaͤhlden zu erreichen wußte, hat jedoch einen er - habenen Ausdruck. Die Engel die ſie tragen, ſind huͤbſch aber unbedeutend. Das Colorit hat gelitten. aber es bleibt noch angenehm.
G 2† Die100Pallaſt Santa Croce.† Die vier Jahrszeiten von Albano, gehoͤ - ren zu den artigſten und weitlaͤuftigſten Compoſitio - nen, die dieſer Meiſter im Kleinen ausgefuͤhrt hat. Es ſind vier Ovale. Flora ſchlaͤft, Amorinen pfluͤ - cken Blumen: dies iſt das Bild des Fruͤhlings. Die Hitze treibt die Amorinen ins Bad, Bacchus feiert die geendigte Weinleſe mit einem Triumph: ſo wer - den Sommer und Herbſt bezeichnet. Der Winter, mir das liebſte Bild unter den vieren, ſtellt die Vor - uͤbungen der loſen Amorinen zu dem Unheil vor, das ſie im kommenden Fruͤhling anzurichten denken: Sie ſchmieden Pfeile, und ſchießen damit nach angenom - menen Zielen. Herrliche Cabinetſtuͤcke, die denen, die man zu Turin von dieſem Meiſter ſieht, voͤllig an die Seite geſetzt zu werden verdienen!
Ein Chriſtuskopf von Guercino ſehr ſorg - ſam gearbeitet.
In einigen Zimmern zur Seite trifft man meh - rere Copien nach guten Gemaͤhlden an. Merkwuͤr - dig iſt diejenige, die Giulio Romano nach Ra - phaels Madonna zu Loretto verfertigt hat.
Der Pallaſt iſt vor nicht gar langer Zeit gebauet: und ſo viel ich weiß, ſind die darin befindlichen Kunſtwerke noch von keinem Reiſebeſchreiber angezeigt.
† Kopf eines Poeten mit Lorbeern be - kraͤnzt von Carravaggio, mit bewundernswuͤrdi - ger Wahrheit gemahlt.
† Eine Hirtenanbetung von Baroccio: ei - nes ſeiner angenehmſten Bilder. Die Idee iſt zum Theil aus einem aͤhnlichen Gemaͤhlde des Correggio zu Florenz entlehnt. Die heilige Jungfrau betet das Kind Jeſus in der Krippe an, und der heilige Joſeph oͤffnet die Thuͤr, durch welche die Hirten hereintreten. Es iſt ein Reiz uͤber dieſes Gemaͤhlde ausgegoſſen, der wider die Gewohnheit dieſes Meiſters nicht bis zur Affektation getrieben iſt.
† Das Bildniß des Annibale Carraccio von ihm ſelbſt gemahlt.
† Moſes wird als Kind dem Pharao vor - geſtellt, und laͤßt deſſen Krone fallen. Skizze von Guido, mit vortrefflichen Geſichtsbildungen und Gewaͤndern. Aus der Behandlung der letzten laͤßt ſich vorzuͤglich viel lernen.
Bacchus troͤſtet die verlaſſene Ariadne. Skizze zu dem Gemaͤhlde, welches Guido im Großen auf dem Capitole ausgefuͤhrt hat. Hier ſind mehrG 3Figuren.102Pallaſt Altieri. Figuren. Frey hat ſeinen Kupferſtich nach dieſer Skizze verfertigt.
† Eine Madonna von Guido. Sie blickt gen Himmel mit dem Ausdruck des hoͤchſten Zutrauens und der froͤmmſten Zaͤrtlichkeit. Ihre Haͤnde liegen kreuzweiſe auf ihrer Bruſt. Die Zeichnung iſt cor - rekt, die Farbe von hoͤchſt angenehmen Tone. Man kann nichts wahreres, edleres, ſchoͤneres ſehen.
Mehrere Gemaͤhlde von Carravaggio: Unter andern ein Chriſt, der im Tempel lehret.
† In der Capelle, ein Crucifix aus Bronze, in natuͤrlicher Groͤße von Algardi. Der Chriſt, ohne von idealiſcher Schoͤnheit zu ſeyn, iſt doch von gewaͤhlter Natur, und das Spiel der Mus - keln mit großer Einſicht behandelt.
Sturz eines gefangenen Koͤnigs von weiſ - ſem Marmor.
Mehrere Statuen. Beinahe alle mittelmaͤſ - ſig. Ein Septimius Severus iſt darunter zu bemerken, weil ihn Winkelmann1)G. d. K. S. 860. irrig fuͤr einen Peſcennius Niger hielt.
Mehrere Buͤſten. Die merkwuͤrdigſten ſind:
Ein Septimius Severus aus Bronze.
Marc Aurel, Antonin der Fromme, Ha - drian.
† Ein Faun: Statue von weißem Marmor, die auf den Guͤtern des Prinzen gefunden iſt. Er haͤlt eine Schale in der Hand. Der Kopf iſt von der aͤußerſten Wahrheit, und man kann uͤberhaupt von dem ganzen Werke viel Gutes ſagen.
† Eine Lucrezia von Guido Reni, iſt das be -Lucrezia von Guido Reni. ruͤhmteſte unter den Gemaͤhlden in dieſer Gallerie. Der Ausdruck iſt gut, und der Ton der Farbe kraͤftiger als gewoͤhnlich. Inzwiſchen wenn ich dem großen Rufe, den das Bild hat, unterſchreiben ſollte; ſo wuͤrde ich wuͤnſchen, daß die Geſtalt edler, und vorzuͤg - lich die Haͤnde mit mehrerer Feinheit gezeichnet waͤren.
Das Bildniß einer Aebtiſſin von Engeln gehalten. Man nennt Bernini als den Meiſter.
Eine Carita Romana. Das Originalge - maͤhlde iſt beim Pallaſt Borgheſe angezeigt, und vom Guercino.
Ein Bethlehemitiſcher Kindermord von Pouſſin, hat ſehr gelitten.
Eine Grablegung Chriſti von Vandyck.
Eine Schlacht von Bourguignone.
† Eine Sibylla Cumana von Guercino, die viel Verdienſt hat.
† Einige kleine aber allerliebſte Landſchaf - ten von S. Roſa.
† Zwei Landſchaften von Claude le Lor - rain, die zu den ſchoͤnſten Werken dieſes Meiſters gehoͤren. Die eine ſtellt die Landung des Aeneas in Italien, und die andere ein Opfer vor, das in dem Tempel der Sibylla zu Tivoli der Fortuna gebracht wird.
Den Plafond eines Saals hat Carlo Ma - ratti gemahlt: eine große aber mittelmaͤßige Com - poſition.
In einer großen Reihe von Zimmern in dem obern Theile des Hauſes finden ſich noch eine Menge Ge - maͤhlde, die aber nicht betraͤchtlich genung ſind, um den Liebhaber darauf aufmerkſam zu machen. Herr Dr. Volkmann2)Hiſt. krit. Nachrichten uͤber Italien, S. 503. hat verſchiedene derſelben als Ori - ginale angefuͤhrt, die gewiß Copien ſind.
Ein heiliger Antonius von Bacciccio.
† Zwei Gemaͤhlde von Pouſſin, welche Kinderſpiele vorſtellen. Sie ſind ein wenig zu voll von Figuren, uͤbrigens aber von artiger Zuſam - menſetzung.
Ein heiliger Franciscus.
Eine heilige Magdalena. Beide in der Manier des Guercino.
† Eine heilige Caͤcilia, die ein Engel kroͤ - net. Eines der beſten Gemaͤhlde von Romanelli. Der Kopf der Heiligen wuͤrde eines Guido nicht un - werth ſeyn.
Ein heiliger Johannes unter andern Hei - ligen.
Noch eine Verſammlung von Heiligen.
Eine Himmelfahrt, drei Gemaͤhlde von Ga - rofalo.
Eine liegende Frauensperſon. Amorinen laſſen Perlen auf ſie herabfallen, die ſich in einem ſchluͤpfrigen Orte verlieren. Ein ziem - lich mittelmaͤßiges Gemaͤhlde des Albano, welches in der Scuola Italiana unter dem Nahmen: Ne - reide, geſtochen iſt.
Eine heilige Familie. Wahrſcheinlich aus Tizians erſter Manier.
Ein Ecce homo, ohne Grund dem L. da Vinci zugeſchrieben.
G 5Ein106Pallaſt Chigi.Ein Schutzengel von P. da Cortona.
Eine Geiſſelung von Guercino, kraͤftig an Faͤrbung.
† Venus an der Toilette. Allerliebſte Compoſition von Albano.
Zwei gute Koͤpfe, aus der Venetianiſchen Schule.
† Mehrere Kinder mit ihren Schutzengeln, ein Bild voll des lieblichſten Ausdrucks, von Albano.
† Ein Satyr inſpirirt einen Poeten. Großes Gemaͤhlde von Salvator Roſa.
Eine Skizze zu einem Plafond, den An - drea Sacchi im Pallaſt Barberini ausgefuͤhrt hat.
Eine Schlacht von S. Roſa.
† Amorinen, die einen ihrer Bruͤder tra - gen, allerliebſte Gruppe von Salimbeni, oder Vanni da Siena. Das Colorit iſt ſehr ange - nehm, und warm. Die Geſichtsbildungen ſind rei - zend, aber die Zeichnung incorrekt.
Ein Gegenſtuͤck zu dieſem Bilde ſtellt einen Amor vor, der den andern ſchlaͤgt. Man legt es demſelben Meiſter bei, aber es macht ihm weni - ger Ehre.
Zwei ſehr verdorbene Landſchaften von Claude le Lorrain.
† Mercur ſchlaͤfert den Argus ein, in der ſchoͤnſten Landſchaft, die man von Salvator Roſa in Rom kennt.
Eine107Pallaſt Chigi.Eine Lucrezia von Guido. Schwach.
Eine Madonna, die dem Kinde Roſen reicht, von Guercino.
Einige andere Gemaͤhlde, die man den beiden letztgenannten Meiſtern beilegt, ſcheinen verdaͤchtig.
Ein heiliger Joſeph, dem von einem En - gel befohlen wird, zu fliehen, und
Eine Ruhe auf der Flucht, von Mola.
† St. Peter und St. Paul, von demſel - ben. Gut.
† Eine ſchoͤne Landſchaft von Claude le Lorrain. Die Figuren darauf ſind von fremder Hand.
† Zwei Marinen von Claude le Lorrain, vortrefflich, aber die See zu gruͤn.
Ein heiliger Johannes von Cignani.
Hymen verbrennt die Pfeile des Amors, der gebunden iſt, von Guido Reni.
Ein ſchlafender Amor, in der Geſtalt eines Juͤnglings. Man ſagt von Guido Reni. Aber man hat Muͤhe, es zu glauben.
In dem Zimmer der Zeichnungen hat Baccic - cio die Fabel der Diana mit dem Endymion am Plafond gemahlt. 1)Die uͤbrigen von Herrn Dr. Volkmann, S. 339. angefuͤhrten Gemaͤhlde habe ich nicht gefunden, oder ihrer mir anſcheinenden Unbetraͤchtlichkeit we - gen uͤberſehen.
Der Plafond von Pietro da Cortona iſt ein mittelmaͤßiges Werk, dem man die Eilfertig - keit anmerkt, mit der es verfertiget worden.
Der Ausdruck fehlt gaͤnzlich, die Stellungen hingegen ſind uͤbertrieben, und die Incorrektionen haͤufig. Inzwiſchen, die gewoͤhnlichen Vorzuͤge die - ſes Meiſters, die angenehme Farbe und die aͤußerſt kecke Behandlung des Pinſels zeichnen auch dieſe ſeine Arbeit aus.
Die Staffeleigemaͤhlde von denen Herr Dr. Volkmann ſpricht, ſind nicht mehr hier.
Hier haͤngen einige Cartons von Franceschini, welche in der Kuppel von S. Peter in Moſaik gebracht ſind. Figuren in uͤbertriebener Stellung ohne wahren Ausdruck.
Einige andere Saͤle ſind von Salviati, Va - ſari und andern Meiſtern vermahlt. Die Mah - lereien von Vaſari ſind der Innſchrift nach in hundert Tagen auf Befehl des Pabſtes verfertiget. Man koͤnnte wuͤnſchen, daß man dem Meiſter mehr Zeit gelaſſen haͤtte. Denn alles zeigt, daß die Natur nicht von ihm zu Rathe gezogen ſey, ſondern daß er ſein Werk aus der Erinnerung verfertiget habe.
Der Plafond iſt nach Raphaels Zeichnun -Plafond von Raphael. gen unter ſeiner Aufſicht groͤßtentheils von ſeinen Schuͤlern ausgefuͤhrt. Er ſelbſt hat aber auch an verſchiedene Figuren ſelbſt Hand angelegt.
Dieſe Mahlereien beſtehen zum Theil aus zwei großen Gemaͤhlden, die als Tapeten oder Decken an das mittelſte Gewoͤlbe angenagelt zu ſeyn ſchei - nen, mithin nicht plafonniren. Rund herum ſind aber auch Gemaͤhlde von einer weniger weit - laͤuftigen Compoſition angebracht, und jedes dieſer einzelnen Gemaͤhlde, ſo wie der Umfang des Plafonds uͤberhaupt, iſt mit Kraͤnzen von Laubwerk und Fruͤchten umgeben. Das Ganze hat Be - zug auf die Fabel der Pſyche.
Ich finde den Einfall eine Decke oder jede an -Von mehre - ren Gemaͤhl - den, deren verſchiedene Suͤjets aus einer Ge - ſchichte her - genommen, und an einen Ort zuſam - dere ſehr weitlaͤuftige Flaͤche mit Darſtellungen aus - zufuͤllen, welche aus einer Reihe von Begebenheiten hergenommen ſind, die unter ſich zu einer Geſchichte zuſammen haͤngen, ſehr gluͤcklich. Die Verſtaͤndi - gung uͤber die hiſtoriſch beſtimmte Vorſtellung jedes einzelnen Gemaͤhldes wird dadurch erleichtert, und der Eindruck des Ganzen durch wechſelſeitige Huͤlfe verſtaͤrkt. Allein ſo wie ich es an einem andern Ortegeta -110Der kleine Pallaſt Farneſe. mengeſtellet ſind, muß jedes fuͤr ſich ſeinen eige - nen vollſtaͤn - digen und beſtimmten Ausdruck haben.getadelt habe, daß man Vorſtellungen, die unter ſich kein ſichtbares Ganze ausmachen, unabgetheilt in einem Gemaͤhlde, Gruppen gleich, vereiniget;1)S. den Pallaſt Barberini. ſo muß ich es auch misbilligen, wenn die abgetheilten Gemaͤhlde, jedes fuͤr ſich, keine Werke der Art ausmachen, welche ohne das ſie vereinigende Local - verhaͤltniß, oder den nicht ſichtbaren Zuſammenhang, einen beſtimmten und vollſtaͤndigen Ausdruck dar - bieten. Der Mahler darf auf die Erklaͤrung eines Bildes durch die Aufſtellung neben mehreren, die aus einer Reihe von Begebenheiten genommen ſind, welche zuſammen eine Geſchichte, das Suͤjet zu einer Er - zaͤhlung, zu einem Buche ausmachen, nicht als Grundlage, ſondern nur als Huͤlfsmittel der Ver - ſtaͤndigung rechnen. Das Auge muß den Ausdruck eines Gemaͤhldes fuͤr ſich betrachtet, beſtimmt und vollſtaͤndig finden; tritt die Erinnerung an die un - ſichtbare Bedeutung hinzu, ſo wird jene Aufloͤſung durch den bloßen Anblick an Deutlichkeit und Voll - ſtaͤndigkeit gewinnen, nie aber wird die Erinnerung allein den Mangel derſelben erſetzen. Wo das Auge eine Abtheilung ſieht, da geht der innere Sinn aus dem Kreiſe ſeiner vorigen Vorſtellungen heraus, und bildet ſich einen neuen, der aus dem vorigen nur ſo viel Ideen in ſich aufnimmt, als zur Verſtaͤrkung des Eindrucks noͤthig iſt. Bei dem Gedichte iſt dies etwas anders. Arioſt der in einem Geſange die Angelica beſchrieben hat, nennt ſie mir nur in dem folgenden, und rechnet darauf, daß mit dem Nahmen, der mein Erinnerungs - und Bildungsvermoͤgen inBewe -111Der kleine Pallaſt Farneſe. Bewegung ſetzt, die vorher beſchriebene Geſtalt in meiner Seele wieder reproduciret werde. Der Mah - ler aber, der in einem Gemaͤhlde die Angelica ge - mahlt hat, wie ſie den Medor von ſeinen Wunden heilt, muß im folgenden, wo ſie ihn umarmt, eben dieſe Angelica wieder mahlen, um ihr Bild in meiner Seele zu erwecken.
Kurz! Mehrere an einander gereihete, unter ſich aber abgetheilte Gemaͤhlde, muͤſſen jedes fuͤr ſich als Werk, beſtimmt und vollſtaͤndig erklaͤrbar ſeyn: warum aber dieſe verſchiedene Werke neben einander an einem Orte vorgeſtellet ſind; warum ſie zuſammen ein Werk ausmachen? das muß mir jene unſichtbare Vorſtellung erklaͤren, daß die ver - ſchiedenen ſichtbaren Situationen aus einer Reihe von Begebenheiten, aus einer Geſchichte genommen ſind.
Dann wird auch die hiſtoriſche Beſtimmung der an ſich aus der alltaͤglichen Erfahrung bekannten Vor - faͤlle an Deutlichkeit gewinnen, und wir werden die allgemein natuͤrlichen Affekte darum[nicht] weniger den Helden einer bekannten Geſchichte beilegen koͤnnen.
Ich habe ſchon mehrere Male auf die Vermu - thung zu fuͤhren geſucht, daß in Ruͤckſicht auf Wahl des Ausdrucks, das heißt deſſen, was das Bild im Ganzen dem Beſchauer ſagen ſoll, die gewoͤhnliche Abtheilung verſchiedener Gattungen der Mahlerei in Bildniß, Landſchaft, Blumen, hiſtoriſche Mahle - rei u. ſ. w. mir kein Genuͤge thue. Ich ſubſtituire ihr eine andere, die in Ruͤckſicht auf die Wahl des Aus - drucks von wichtigern Folgen zu ſeyn ſcheint.
Alles112Der kleine Pallaſt Farneſe.Alles gebildete Kunſtwerk welches Gegenſtand des Vergnuͤgens iſt, theile ich ab, in beſchreibende, und in handelnde Darſtellung fuͤr das Auge.
Die beſchreibende nenne ich darum ſo, weil man dabei analogiſch verfaͤhrt, als wollte man Je - manden im Geſpraͤch einen Begriff von einer Geſtalt beibringen. Das beruͤhmte Bild der Angelica von Arioſt: di Perſona era tanto ben formata, quanto mai finger ſan Pittori induſtri etc. iſt eine Aufzaͤhlung der verſchiedenen Merkmale wo - durch ſich die Geſtalt dieſer Perſon von der Geſtalt anderer, ohne Ruͤckſicht auf das was ſie gethan hat, unterſcheidet. Die bildenden Kuͤnſte haben nur hier den beſondern Vorzug, dieſe Merkmale durch eine gleichzeitige Beaͤugung zur ſinnlich ſichtbaren Vor - ſtellung zu bringen. Inzwiſchen, in allen Faͤllen, wo der Kuͤnſtler mir nur die Geſtalt ſichtbar ſinnlich hat erkennen laſſen wollen, nicht eine beſtimmte Thaͤ - tigkeit der Geſtalt: da nenne ich das Bild, das die Abſicht hat, mir die Geſtalt in Ruhe zu liefern, analogiſch: ein beſchreibendes Bild. Charakter aber, Zeichen einer innern Kraft die thaͤtig ſeyn koͤnnte an der aͤußeren Geſtalt, Phiſiognomie, ge - hoͤrt mit zu ihren Merkmalen, und macht einen Theil derſelben aus. Alſo, Landſchaft, Blumenſtuͤck, Stilleben, Bildniß, wuͤrkliches und idealiſirtes einer Menſchenart, (die Gottheit der Alten,) allegoriſch idealiſirte Eigenſchaft der Seele, (unſer neueres alle - goriſches Abſtraktum,) Kurz! alle Geſtalt in Ruhe, wobei der Kuͤnſtler nicht den Begriff ihrer ſichtbaren Thaͤtigkeit hat liefern wollen; — iſt beſchreibendes Bild.
Die113Der kleine Pallaſt Farneſe.Die handelnde Darſtellung ſetzt[h]ingegen im - mer den Begriff und die Erwartung einer innern wuͤrklich thaͤtigen Kraft zum Voraus, die ſich an der aͤußern Geſtalt durch merkliche Abweichung von ihrer Lage in Ruhe zeiget; und da dieſes ohne einen gewiſſen Grad von Affekt nicht geſchehen kann, ſo kann man ſich dieſe Gattung von Bildern, als Darſtellung des Affekts, jene als Darſtellung der ruhigen Geſtalt deutlicher denken.
Hier aber findet ſich wieder ein merkwuͤrdiger Unterſchied zwiſchen dem einfachen Bilde des Affekts, und zwiſchen der zuſammengeſetzten Vorſtellung einer affektvollen Lage mehrerer Perſonen gegen einander.
Das einfache Bild des Affekts braucht mir die Veranlaſſung, die ihn rege macht, nicht zu ſagen, ſo bald dieſer nur einen Ausdruck motivirt, der ſich auf mehrere Situationen einer Art anwenden laͤßt: z. E. der Ausfall eines Menſchen, der ſich verthei - diget, im Borgheſiſchen Fechter: die reuige Zerknir - ſchung, in der Magdalena von Guido: der Ausdruck des Sterbens, im Ludoviſiſchen Fechter: die nach - denkende Schwermuth, in der Statue aus der Villa Medicis, die ich Elektra genannt habe. Alle dieſe Bilder ſind mir voͤllig verſtaͤndlich, ob ich gleich nichts von der beſondern Lage concurrirender Umſtaͤnde weiß, welche die allgemein gewoͤhnliche Thaͤtigkeit veranlaßt.
Ich verlange daher von dem Kuͤnſtler nichts als Treue in der Darſtellung der Aeußerung einer beweg - ten Seele am Koͤrper: und man duͤrfte dieſe Art der bildenden Kunſt, in Ruͤckſicht auf Ausdruck, mit der lyriſchen Poeſie vergleichen, in der der Dichter den Empfindungen ſeines Herzens Luft macht, und alleDritter Theil. Hdieje -114Der kleine Pallaſt Farneſe. diejenigen, die ſich ungefaͤhr in gleicher Situation befinden, mit ihm denſelben Gang der Gefuͤhle zu gehen einladet. Man nehme an, daß der Poet ſich in eine fremde Lage verſetze, die ſo allgemein ſey, daß er ſo gut, wie jeder andere, ſie taͤglich theilen koͤnnte; ſo wird die Vergleichung noch zutreffender. Z. E. das Lied eines Froͤlichen, Klagen eines Mismuͤthigen ꝛc.
Die zweite Gattung der handelnden Bildnerei iſt die dramatiſche: ein Wort, welches ich dem unbeſtimmten der hiſtoriſchen, in ſo manchem Be - tracht vorziehen moͤchte. Dieſe giebt den handelnden Perſonen Abſichten, die ſie in Thaͤtigkeit ſetzen, und erklaͤrt den Grund, warum ſie thaͤtig ſind, aus con - currirenden Umſtaͤnden. Hier iſt voͤlliges Drama: nur mit dem Unterſchiede, daß Knoten und Aufloͤ - ſung mit einem Blicke erkannt werden.
Damit man aber nicht etwa glaube, als laͤge bei der ganzen Abtheilung in beſchreibende, lyriſch handelnde, und dramatiſch handelnde Darſtellung blos ein witziger Einfall zum Grunde, ſo wende man nur einen Augenblick von Aufmerkſamkeit auf fol - gende Erfahrungen:
Drei Kuͤnſtler reiſen mit in Wachs boſſirten Fi - guren umher, um ſie dem Publico fuͤr Geld ſehen zu laſſen.
Der erſte, der in meiner Vaterſtadt ankoͤmmt, kuͤndigt den hochſeligen Koͤnig von Preußen an, und wie auf dem Anſchlagzettel ſteht, ſehr natuͤrlich nach dem Leben. Was wird man anders dabei denken, als, der Kuͤnſtler will eine ſichtbar ſinnliche Beſchrei - bung des großen Friedrich geben. Den großen Friederich in dem Augenblicke der Schlacht, oder ineiner115Der kleine Pallaſt Farneſe. einer andern affektvollen Thaͤtigkeit zu ſehen, wird das Jemand erwarten? keinesweges! ſondern man will den Ausdruck individueller Faͤhigkeiten der Seele zum Handeln uͤberhaupt, an den individuellen For - men des Koͤrpers in Ruhe wahrnehmen.
Der zweite folgt nach: er kuͤndigt einen Kopf an, der ſo natuͤrlich weint, daß, wie das Anſchlag - zettel wieder ſagt, es unmoͤglich ſey, ihn anzuſehen ohne mitzuweinen. Kein Menſch wird hier daran denken, neben dem Ausdruck dieſer beſtimmten Thaͤ - tigkeit der Seele, nun auch die Veranlaſſung dazu zu ſehen. Die denkt ſich jeder von ſelbſt hinzu: je - der macht ſich ſeine Expoſition, ſeine Erzaͤhlung. Es iſt die ſinnlich ſichtbare Beſchreibung des Aus - drucks einer beſtimmten Faſſung der Seele.
Zuletzt langt ein Kuͤnſtler mit einer Punſchge - ſellſchaft an. Er annoncirt ſie als eine Menge Fi - guren, Prieſter, Parlamentsglieder u. ſ. w. mit allen Modificationen einer luſtigen Geſellſchaft, welche Punſch trinkt. Iſt es glaublich, daß wir unſere Erwartungen erfuͤllt halten wuͤrden, wenn uns der Kuͤnſtler nun den einzelnen Prieſter, das einzelne Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers hin aufgeſtellt zeigen, und uns Tiſch und Punſch und Geſellſchaft hinzudenken laſſen wollte? Gewiß nicht! Wir wollen die voͤllige Vorſtellung des Auftrittes mit dem Grade der Illuſion haben, daß, wenn wir unvorbereitet die Thuͤr des Verſammlungs - zimmers geoͤffnet, und aus Discretion ſogleich wieder zugeſchloſſen haben wuͤrden, der ganze Begriff, den uns der Kuͤnſtler durch ſein An -H 2ſchlag -116Der kleine Pallaſt Farneſe. ſchlagzettel hat geben wollen, von ſelbſt in unſerer Seele haͤtte aufſteigen muͤſſen.
Aber wozu dieſe ganze Ausfuͤhrung hier? Weil Raphael dieſe Regeln bei der Wahl ſeiner Suͤjets zum Theil beobachtet, zum Theil beleidiget hat, und wir bei der Vergleichung finden, wie ſehr wir dabei ge - wonnen haben wuͤrden, wenn er ſie durchaus beobach - tet haͤtte.
Die beiden Mittelgemaͤhlde enthalten vollſtaͤndige ſichtbare pantomimiſche Auftritte. Ein Gaſtmahl, ein Gerichthalten oder lit de juſtice.
Die Ecken des Gemaͤhldes an den Seiten ver - hinderten die Vorſtellung von Compoſitionen, die zur Verſtaͤndlichkeit einigen Umfang erfordern. Was haͤtte der Kuͤnſtler thun ſollen? Entweder wie der Wachsboſſirer, der den Koͤnig von Preußen herum - fuͤhrte, blos beſchreibende Bilder der Hauptakteurs liefern: der Venus, des Amors, der Pſyche, ihrer Schweſtern ꝛc. die uns durch Form und Individua - litaͤt des Charakters wuͤrden intereſſirt haben; Oder, gleich dem Herumfuͤhrer des weinenden Kopfs, dieſe Bilder beſtimmter Perſonen in einer fuͤr ſich erklaͤrba - ren affektvollen Situation zeigen: die traurige Pſyche, den fliegenden Amor, die erzuͤrnte Venus; oder am beſten, ſolche dramatiſche Handlungen waͤhlen, die durch die gemeinſchaftliche Thaͤtigkeit von zwei bis drei Perſonen voͤllig verſtaͤndlich werden: z. E. Amor und Pſyche, die ſich umarmen, Pſyche, die ihren Liebhaber ſchlafend betrachtet, Amor, der den Armen ſeiner Geliebten entfliehet u. ſ. w.
Eine117Der kleine Pallaſt Farneſe.Eine detaillirtere Beurtheilung der Gemaͤhlde ſelbſt wird den Grund dieſer Forderungen noch mehr ins Licht ſetzen.
Vierzehn fliegende Amorinen fuͤllen die Win - kel, die das Gewoͤlbe bildet. Sie tragen die Attri - bute verſchiedener Goͤtter, welche der Macht der Liebe gehuldiget haben, als Siegeszeichen. Dieſe Figuren erfuͤllen den Anſpruch, den wir an die einzelne Darſtellung in Thaͤtigkeit zu machen berech - tigt ſind, vollkommen, durch den allgemein verſtaͤnd - lichen Ausdruck des loſen Frohſinns und des Fliegens. Man kann die aͤußerſte Fruchtbarkeit der Einbildungs - kraft des Meiſters in den verſchiedenen Stellungen dieſer Amorinen, deren kein einziger dem andern aͤhn - lich iſt, nicht genung bewundern. Ihre Koͤpfe ſind reizend. Inzwiſchen iſt die Natur des Alters nicht treu genung beobachtet. Die Koͤpfe ſind zu klein, die Koͤrper zu ausgebildet, der Muskelnbau zu ſtark an - gedeutet.
Die groͤßern Felder, an der Zahl zehn, nehmen Vorſtellungen einiger Begebenheiten aus der Fabel der Pſyche ein.
1) Venus zeigt ihrem Sohne ihre Neben - buhlerin an Schoͤnheit, und fordert ihn auf, ſie dadurch zu raͤchen, daß er ihr eine unzuͤch - tige Liebe einfloͤße. Amor macht ſich dazu be - reit, er zielt auf Pſyche mit dem Pfeile; allein man ſieht dieſen Gegenſtand nicht. Bei dieſer dramatiſchen Darſtellung fehlt die beſtimmte Veran - laſſung zur Thaͤtigkeit. Das Gemaͤhlde wuͤrde ohne das Localverhaͤltniß mit den uͤbrigen Gemaͤhlden nicht verſtaͤndlich ſeyn: Die Vorſtellung iſt alſo mangelhaft.
H 3Einen118Der kleine Pallaſt Farneſe.Einen aͤhnlichen Fehler kann man
† 2) dem Gemaͤhlde der drei Grazien vor - werfen, denen Amor ſeine Geliebte zeigt; Sie fehlt wieder. Die Grazien ſind vortrefflich zu - ſammen gruppirt, und in reizenden abwechſelnden Stellungen. Die Verſchiedenheit des Charakters iſt ſelbſt in den Tinten des Fleiſches treu beobachtet. Man bewundert vorzuͤglich den Ruͤcken der einen Goͤt - tin, an dem man deutliche Spuren der eigenhaͤndigen Behandlung des Meiſters erkennt.
Ueberhaupt wird dieſes Stuͤck fuͤr das Beſte in der Gallerie gehalten. Annibale Carraccio hat es copirt. Inzwiſchen ſind die Formen der Weiber nicht von hoher Schoͤnheit.
† 3) Venus beſchwert ſich gegen die Juno und die Ceres, daß ſie die Pſyche vor ihr ver - bergen. Der Ausdruck des zuͤrnenden Vor - wurfs in der Venus, und der Ablehnung deſſelben in den beiden andern Goͤttinnen iſt ſchoͤn: Er iſt aber auch vollſtaͤndig. Ich ſehe ein Frauenzimmer das Vorwuͤrſe macht, zwei andere, welche ſie ablehnen. Dies iſt dem Herzen genung, die Billigkeit des Aus - drucks zu pruͤfen. Ob die Vorwuͤrfe gegruͤndet ſind? Wer kennt nicht die Empfindlichkeit der Damen! Wer wird ſich auf ihre Streitigkeiten einlaſſen! Die Figur der Ceres verdient eine beſondere Aufmerkſam - keit. Annibale Carraccio hat gleichfalls dieſes Ge - maͤhlde copirt.
4) Venus faͤhrt durch die Luͤfte in einem Wagen mit vier Tauben beſpannt, um beim Jupiter um die Strafe der Pſyche zu bitten. Die Begierde anzukommen, die aͤngſtliche Eile derGoͤttin119Der kleine Pallaſt Farneſe. Goͤttin iſt vortrefflich ausgedruͤckt, und allgemein durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich: das Suͤjet iſt dem Raum zur Darſtellung angemeſſen.
5) Venus beſchwert ſich beim Jupiter uͤber das ihr angethane Unrecht. Venus hat ganz den Ausdruck eines Weibes, die gern ihrer Sache eine gute Wendung geben moͤchte, und Jupiter ſcheint ihre Beſchwerden mit einer Guͤte anzuhoͤren, die gern durch die Aufmerkſamkeit auf die Klagen der Ge - kraͤnkten beruhigen moͤchte. Auch dies Suͤjet iſt nach den vorhero feſtgeſetzten Grundſaͤtzen gut gewaͤhlt.
6) Mercur durchſtreicht die Luͤfte, und kuͤndigt unter dem Klange der Trompete dem - jenigen eine Belohnung an, der den Aufent - halt der Pſyche entdecken wird. Der Kopf des Mercurs ſtimmt mit der Schoͤnheit des Koͤrpers nicht uͤberein. Man ſchiebt die Schuld auf die Ausbeſſe - rung. Gegen das Suͤjet laͤßt ſich nichts erinnern; ſo wenig als gegen folgendes:
7) Pſyche von Liebesgoͤttern unterſtuͤtzt, bringt aus der Hoͤlle die Buͤchſe, welche zu oͤffnen ihr verboten war, und die das Recept zur Wiedererhaltung verlohren gegangener Schoͤnheit enthielt. Dieſe Gruppe iſt ſchoͤn ge - dacht. Der Kopf der Pſyche iſt ſehr reizend, aber die Stellung iſt ein wenig gezwungen.
8) Pſyche uͤberreicht der Venus dieſe Buͤchſe. Pſyche hat einen vortrefflichen Ausdruck von beſcheidener Hingebung in ihr Schickſal, und eben ſo vortrefflich iſt der Ausdruck des Erſtaunens der Goͤttin untermiſcht mit Aerger uͤber die Erfuͤllung einer Aufgabe, an der ihre Feindin ſcheitern ſollte. Die beſchei -H 4dene120Der kleine Pallaſt Farneſe. dene Ueberreichung einer Gabe, die misfaͤllt, iſt ein allge - mein verſtaͤndliches Suͤjet zur ſichtbaren Darſtellung.
† 9) Amor bittet den Jupiter, den Qualen ſeiner Geliebten ein Ende zu machen. Jupiter liebkoſet den artigen Knaben mit ein wenig zu viel Innbrunſt, um nicht ſchluͤpfrige Nebenideen zu veranlaſſen. Dieſer Vorwurf trifft aber nur die Art der Ausfuͤhrung, nicht die Wahl des Suͤjets. Ein Alter, der einen Knaben liebkoſet, iſt ein ge - woͤhnlicher Auftritt. Sind es nicht Jupiter und Amor, ſo ſind es Vater und Sohn.
10) Mercur fuͤhrt Pſyche zum Himmel. Der Kopf der Pſyche iſt ſehr ſchoͤn, aber der Koͤrper etwas ſchwerfaͤllig, und eben dieſen Vorwurf kann man auch dem Mercur machen, ſo ſchoͤn er auch uͤbrigens iſt.
Eine wohlgefaͤllige Anordnung der Stellungen, eine ſehr richtige Zeichnung, ſowohl des Nackenden als der Gewaͤnder, ein unvergleichlicher Ausdruck, machen die allgemeinen Vorzuͤge dieſer Gemaͤhlde aus: Aber eben ſo allgemein verdienen ſie auch den Tadel zu ſtark angedeuteter Muskeln, vorzuͤglich in den weiblichen Koͤrpern, und einer Faͤrbung, die zu ſehr ins Rothe und Schwarze faͤllt. Vielleicht kom - men dieſe Fehler nicht auf die Rechnung Raphaels, ſondern ſeiner Schuͤler, und derjenigen, die dieſe Gemaͤhlde ausgebeſſert haben.
Ich gehe nun zu den groͤßeren Compoſitionen uͤber, in denen ich unſern Raphael in aller ſeiner Groͤße finde. Raphael war zum dramatiſchen Mah - ler gebohren, das zeigen alle ſeine Werke. Aus - druck einer thaͤtigen Seele, iſt ſo ſehr Hauptzug inſeinem121Der kleine Pallaſt Farneſe. ſeinem Charakter, daß er ihn auch dahin gebracht hat, wo bloße ſichtbar ſinnliche Beſchreibung, Dar - ſtellung einer ruhigen Seele, dem Suͤjet angemeſſe - ner geweſen waͤre. 1)Man vergleiche den erſten Theil, S. 145.
Das eine große Gemaͤhlde an der Mitte der Decke, und zwar rechter Hand vom Eingange in den Saal ab, zeigt die Goͤtterverſammlung, vor denen Venus und ihr Sohn ihre Sache vertheidigen.
Dieſer Zeitpunkt iſt aus der Geſchichte der Pſyche ſehr gluͤcklich herausgehoben, um einen beſtimmten, vollſtaͤndigen und abwechſelnden Ausdruck zu motivi - ren. Ich will von dieſem und der Anordnung zu - erſt reden.
Venus und Amor ſtehen am rechten Orte, um dem Beſchauer in die Augen zu fallen; Mit der Stellung zeigen ſie den gegenſeitigen Streit an, aber ihre Augen ſind wie billig auf den Praͤſidenten des Gerichts, auf Jupiter gerichtet. Dieſer ſitzt an dem einen Ende des Bildes als dem vornehmſten Platz der Scene in allen Gemaͤhlden, welche den Ort einer großen Verſammlung im Profil zeigen: Und dies duͤrfen wir bei keinem Gemaͤhlde Raphaels vergeſſen. Zu ſeiner Zeit waren die Regeln der Luft und Linien - perſpektiv, der Haltung, noch nicht zu der Vollkom - menheit gebracht als jetzt. Man nahm das Licht noch außerhalb dem Bilde, nicht in dem Bilde ſelbſt, uͤberhaupt aber den Rahmen nicht als ein abgeſonder - tes Theater an. Man durfte alſo die Scene nicht ſo vorſtellen, als wenn man ſie von vorn zu ſaͤhe, und nun die Figur, welche den vorzuͤglichſten PlatzH 5bei122Der kleine Pallaſt Farneſe. bei großen Verſammlungen einnehmen ſollte, wel - cher dem Eingange des Gebaͤudes immer gegenuͤber iſt, in die Mitte des Bildes, die Umſtehenden aber perſpektiviſch zu beiden Seiten hinſetzen: Denn da - durch wuͤrde die Hauptfigur zu ſehr ins Dunkle gehal - ten ſeyn; Sondern man nahm an, der Beſchauer ſtehe mitten auf dem Plane des Bildes, und ſehe die handelnden Perſonen ſich gegen uͤber, die vornehmſte Perſon oben, die niedrigſte unterhalb, und das Ganze meiſtens im Profil. Dieſe Anmerkung ſcheint mir nicht uͤberfluͤßig.
Jupiter alſo ſitzt an dem einen Ende des Bildes und zwar auf einem erhoͤheten Sitze von Wolken. Auf ſeiner einen Seite Juno, Pallas, Diana, auf der andern Neptun und Pluto.
Jupiter zeigt die pruͤfende ernſte Mine der Un - partheilichkeit; aber dieſe ſowohl als die Stellung wuͤrden ſich mehr fuͤr einen irrdiſchen Richter als fuͤr den himmliſchen ſchicken. Er lehnt ſich auf den Ellnbogen, den er aufs Knie ſtuͤtzt. Neptun hat das Anſehen eines gutherzigen Murrkopfs, mit mehr lebhaftem als ſicherem Gefuͤhl fuͤr Recht und Unrecht; und dem Pluto duͤrfte man ſchon wagen, im Ver - trauen auf die in ſich gezogene ſchnellblickende Mine da, ein Suͤmmchen Gold bei Wegelang in die Hand zu druͤcken. Beiden Bruͤdern ſcheint die Venus nicht miszubehagen, aber Pluto blickt ſie nur verſtoh - len und von der Seite an. Dagegen ſinkt die Schale bei den drei Goͤttinnen auf des Cupido Seite.
Mars iſt ganz fuͤr die Venus: und Apollo, der Ricaneur, ſcheint mit dem Bacchus daruͤber zu ſcher - zen. Das gute ehrliche Blut, der Hercules, iſtziem -123Der kleine Pallaſt Farneſe. ziemlich indifferent bei dem Ausgange der Sache, ſo ſcheinen es auch Vulkan und zwei Flußgoͤtter, von denen der eine doch beinahe uͤngeduldig werden moͤchte, daß uͤber das Hin - und Herſprechen ſeine Ambroſia verraucht. Vielleicht ſehe ich aber auch hier mehr, als der Mahler hat ſehen laſſen wollen, darum mag ich von dem Ausdruck in der Figur des Janus lieber ganz ſchweigen.
Zuletzt kommen noch zwei Figuren, welche ſich freilich nicht ganz in dieſen ſichtbaren Auftritt ſchicken. Es iſt Mercur, welcher der Pſyche die Schale der Unſterblichkeit reicht. Wird hier bereits, wie es ſcheint, das Urtheil vollſtreckt, uͤber deſſen kuͤnfti - gen Inhalt man noch am obern Ende ſtreitet; ſo geht hier eine doppelte Handlung vor, und das Bild ent - haͤlt eine fehlerhafte Zuſammenſtellung progreſſiver Momente.
Die Fabel hat den Mahler verfuͤhrt, denn nach dieſer ließ Jupiter zu gleicher Zeit, als er die Ver - ſammlung der Goͤtter hielt, die Pſyche durch den Mercur in den Himmel bringen: aber man ſieht aus dieſem Beiſpiele aufs neue, wie wenig dem Kuͤnſtler mit der Autoritaͤt des Dichters gerathen iſt. 2)Einige glauben in der Figur der Pſyche eine Hebe zu ſehen. Aber dieſe Meinung wird dadurch wi - derlegt, daß der Kuͤnſtler den Ganymedes in dem folgenden Bilde ſchon Mundſchenkers Dienſte thun laͤßt.
Um die Knie der Pſyche windet ſich ein kleiner Amor, der luͤſtern nach der Schale blickt.
Die124Der kleine Pallaſt Farneſe.Die Figuren ſind nach Art eines Basreliefs an - geordnet, und in dieſer Vorausſetzung gut.
Roch ein Wort von der Wahl der Formen und der Stellungen. Weder Venus noch Amor haben die idealiſche Schoͤnheit, die man an ihnen erwarten ſollte. Die drei Bruͤder, Jupiter, Neptun und Pluto ſtimmen in einem aͤhnelnden Familienzuge uͤberein, der ſich jedoch in jedem zu einem indivi - duellen Charakter modificirt. Minerva hat einen Reiz, der ſich nicht zu ihrem Charakter ſchickt. Die beiden Goͤttinnen neben ihr ſind nicht ſchoͤn. Mercur nebſt der Pſyche und dem Amor, der ſich um ihre Knie windet, machen die ſchoͤnſte Gruppe auf dem Bilde aus. Am Hercules und an den Flußgoͤttern ſind die Muſkeln mit einer Staͤrke angedeutet, wor - in ſie ſich nur bei geſchundenen Koͤrpern denken laſſen. Im Ganzen iſt die Zeichnung mehr richtig als edel. Die Gewaͤnder ſind vortrefflich. Die Faͤrbung faͤllt ins Rothe in den Lichtern, ins Schwarze in den Schatten. Maratti hat an dieſem Gemaͤhlde vieles retouchirt.
† Das andere von dieſen beiden Mittel - Gemaͤhlden ſtellet die Vermaͤhlung der Pſyche und des Amor, oder vielmehr den Schmaus, den die Goͤtter bei dieſer Gelegenheit halten, vor. Die Ausfuͤhrung ſoll von Fattore ſeyn.
Gedanke, Anordnung, Ausdruck, Stellungen, Zeichnung und Drapperie ſind lauter ausgezeichnet ſchoͤne Theile in dieſem Bilde. Amor und Pſyche ſitzen in der Mitte des Tiſches, verſunken im Ent - zuͤcken, ſich, nach ſo vielen uͤberſtandenen Gefahren, forthin ungeſtoͤrt dem Genuß der Liebe uͤberlaſſen zukoͤnnen.125Der kleine Pallaſt Farneſe. koͤnnen. Sie ſind nur mit ſich ſelbſt beſchaͤfftigt: Aber die froͤliche Veranlaſſung des Feſtes ſetzt auch die uͤbrigen Gaͤſte in muntere Stimmung. Jupiter ſcheint die Sorgen der Regierung beim ſuͤßen Nektar vergeſſen zu wollen: Ganymed reicht ihm kniend die volle Schale; ſein Weib ſucht ihn einzuladen, ſich mehr mit ihr zu beſchaͤfftigen. Neptun uͤberlaͤßt ſich der Umarmung der Amphytrite; Hercules koſet mit Hebe, und dieſe Gruppe iſt vorzuͤglich ſchoͤn; Vulcan iſt Koch; Bacchus beſorgt den Wein: die lieblichen Horen ſtreuen Blumen aus; die Grazien ſalben das Haupt der Neuvermaͤhlten; Apollo fuͤhrt ſpielend die Muſen an, und Venus, eine der ſchoͤnſten Figuren des Bildes, Venus ſelbſt tanzt zu Ehren des feſt - lichen Tages. Nur Pluto und ſein Weib ſcheinen an der allgemeinen Freude keinen Antheil zu neh - men.
Dieſes Gemaͤhlde, ſo wie alle uͤbrigen in dieſer vorhin offenen Gallerie, waren dem Wind und Wet - ter beſtaͤndig ausgeſetzet. Sie hatten ſehr gelitten, als Carlo Maratti es uͤbernahm, ſie auszubeſſern. Vielleicht ward er dieſen herrlichen Kunſtwerken ein gefaͤhrlicherer Feind, als der Unbeſtand der Jahrs - zeiten. Der grelle blaue Grund, den er ihnen gab, zerſtoͤrt alle Haltung, ſo daß die Figuren wie ausge - ſchnitten darauf geklebt ſcheinen.
Nur das Gemaͤhlde der Galathea iſt demRaphaels Galathea. Raphael beizulegen. Die uͤbrigen Mahlereien ſind nicht vom ihm, wie Hr. Dr. Volkmann ganzirrig126Der kleine Pallaſt Farneſe. irrig behauptet,3)Hiſtor. kritiſche Nachrichten uͤber Italien. Th. II. S. 644. ſondern von Baldaſſero Peruz - zi da Siena und von Sebaſtiano del Piombo.
† Die Galathea Raphaels iſt ſtehend abge - bildet in einem Wagen beſpannt mit zwei Delphinen, deren Zuͤgel ſie ſelbſt leitet. Zur Seite umarmt ein Triton eine Nereide, ein anderer Triton ſtoͤßt in eine Meer-Trompete, und weiterhin ſitzt noch eine andere Nereide auf dem Ruͤcken eines dritten Tritons. Amor fuͤhrt den Wagen der Galathea, Amorinen ſchießen fliegend Pfeile herab. Die Anordnung iſt nicht zu loben, die Figuren ſind zu abgeriſſen von einander, und das Ganze thut wenig Wuͤrkung. Dem Kopfe der Galathea ſieht man es an, daß vieles von der ur - ſpruͤnglichen Idee ihrer Schoͤnheit, durch die Reiſe von dem Kopfe des Kuͤnſtlers ab in die Hand, ver - lohren gegangen iſt. Die Augen ſind zu klein, die Naſe iſt zu ſtark. Der Koͤrper der Galathea bis an die Knie iſt ſchoͤn, aber dies Knie iſt zu muſkuloͤs. Die Nereide die der Triton umarmt, iſt ſehr reizend, allein die Schenkel ſind wieder viel zu ſtark. Dieſer Triton ſelbſt ſcheint in der Mitte abgebrochen, und das Untertheil des Koͤrpers koͤmmt mit der Bewegung der Arme der Schultern nicht uͤberein. Der Amor der den Wagen fuͤhrt, iſt ſchoͤn gezeichnet. In dem Kopfe deſſelben erkennt man daſſelbe Modell wieder, nach welchem Raphael den Chriſt della Madonna della Seggia zu Florenz gemahlt hat. Die Amo - rinen in den Luͤften haben ſehr reizende Stellungen. Dieſe Verſchiedenheit in der Guͤte gewiſſer Theilegegen127Der kleine Pallaſt Farneſe. gegen andere laͤßt mich glauben, daß entweder das Gemaͤhlde gleich bei der erſten Verfertigung von mehr als einer Hand ausgefuͤhrt ſey, oder daß es in ſpaͤtern Zeiten retouchiret worden.
Man zeigt hier einen coloſſaliſchen Faunus - kopf, den Michael Angelo, um des kleinlichten Ge - ſchmacks in der Galathea Raphaels zu ſpotten, mit Kohlen an die Wand gezeichnet haben ſoll. Jetzt - lebende Kenner ziehen dieſe Geſchichte ſehr in Zweifel, und ich glaube, mit Recht. Es laͤßt ſich der Stil des Michael Angelo in dieſem Kopfe nicht erkennen, und er ſcheint im Ganzen dieſes Meiſters nicht werth zu ſeyn.
In dieſen beiden und einem anſtoßenden Saale ſtehen auch mehrere Bildhauerwerke, und zwar,
Ein ſehr angenehmer reizender Kopf ei - ner weiblichen Figur mit dem Helme.
† Ein Jupiter terminalis, von dem Win - kelmann4)S. Winkelmann, G. d. K. S. 467. ſagt, daß er einer der ſchoͤnſten Koͤpfe in Rom ſey.
Ein Euripides.
Eine Fauſtina. Beide Buͤſten.
Ein bekleideter Hercules mit einem Sal - bengefaͤße, und Jole. Die Charaktere der Koͤpfe gut.
† Venus Callipyga oder Callipygas,5)Die Venus hatte unter dieſem Nahmen einen Tem - pel in Sicilien, der durch folgende Begebenheit entſtanden war. Zwei ſchoͤne ſicilianiſche Bauer - maͤgdchen ſtritten daruͤber, wer von ihnen beiden den ſchoͤnſten Hintern haͤtte, und zwar auf oͤffent - licher Landſtraße. Ein voruͤbergehender Juͤngling ward herbeigerufen, den Streit zu entſcheiden, und nachdem man ihn in den Stand geſetzt hatte, ein ſachverſtaͤndiges Urtheil durch die Vergleichung der Theile, die den Streit veranlaßten, zu faͤllen, ſo fiel dies fuͤr die aͤlteſte aus. Er hatte ſich nicht ungeſtraft mit den geheimen Reizen dieſes ſchoͤnen Maͤgdchens bekannt machen duͤrfen. Er verliebte ſich in ſie, und verfiel nach ſeiner Zuhauſekunft in eine Krankheit. Die Urſach derſelben entdeckte er ſeinem Bruder; dieſer ſuchte die Maͤgdchens auf, und verliebte ſich in die juͤngſte. Der Vater, der einen anſehnlichen Rang unter ſeinen Mitbuͤrgern behauptete, wollte anfaͤnglich nicht in die Heirath ſeiner Soͤhne mit Perſonen von ſo ungleicher Ab - kunft willigen. Endlich ſiegte die Liebe, und die Maͤgdchen widmeten der Venus einen Tempel, worin ihre Bildſaͤule in derjenigen Stellung auf - geſtellet wurde, die den Grund zu ihrem gelegt hatte. Der Herr Hofrath Heyne Antiq. Aufſaͤtze, 1ſtes Stuͤck, S. 153. glaubt, daß auch bei dieſer Vor - ſtellung die Idee von einer Venus, die aus dem Bade koͤmmt, zum Grunde liege. Statue. Die Goͤttin ſieht mit zur Seite gebogenemKopfe129Der kleine Pallaſt Farneſe. Kopfe auf den ſchoͤnen Hintern zuruͤck, der ihr den Nahmen gegeben hat. Der Kopf, der linke Arm und beide Beine ſind modern; und ſelbſt dasjenige, was alt iſt, verdient im Ganzen nicht das groͤßte Lob. Inzwiſchen ſind diejenigen Theile, durch die ſie ge - fallen ſoll, nicht ohne Reiz. Das Gewand, das unterwaͤrts in ſteife Falten ausgehet, dient der Figur zu gleicher Zeit zum Tronk. Ein ſehr ungluͤcklicher Gedanke.
Zwei Statuen der Venus, die halb kniend mit vorgebogenem Koͤrper auf den Zehen ruhen, und wahrſcheinlich in der Stellung abgebildet ſind, wie ſie ſich aus dem Bade erheben. 6)S. den Pallaſt Giuſtiniani.
Ein ſchoͤner Kopf mit einem Schleier bis unter das Kinn verhuͤllt. Man giebt ihm die Benennung einer Veſtalin.
Buͤſte eines Antinous, die nicht vollendet iſt, und modern ſcheint.
† Ein ſchoͤner Kopf, der in die Hoͤhe ſiehtBuͤſte des Demoſthe - nes. und den Hals zur Seite wendet. Die Naſe iſt modern. In Rom nennet man dieſen Kopf Demoſthenes, in Deutſchland haͤlt man den Gips - obdruck fuͤr den Kopf des Schleifers in Florenz. Beide Benennungen ſind gewiß falſch. Man ſieht die Spur eines Riemens, welcher ein Degengehenk geweſen ſeyn kann, und deutlich anzeigt, daß dieſer Kopf zu einem verloren gegangenen Rumpfe gehoͤret hat. Er iſt ſchoͤn.
† EinDritter Theil. J130Der kleine Pallaſt Farneſe.† Ein ſchoͤner Homerskopf. Er hat zwar viel gelitten, und iſt an einigen Stellen reſtaurirt, dem ohngeachtet von vortrefflichem Charakter und ſchoͤner Ausfuͤhrung. Es iſt der beſte von den Koͤ - pfen, die man unter dieſer Benennung kennt.
Euripides, Socrates und einige Unbe - kannte.
† Ein vortrefflicher coloſſaliſcher Kopf des Jul. Caͤſar. Er erfuͤllet beſſer als die uͤbri - gen, die Idee, die wir uns von dem Groͤßten der Sterblichen machen. Aber eine kraͤnkliche Mine be - haͤlt er immer. 7)Wir wiſſen, daß Caͤſar mit der Epilepſie behaftet war.Der Hinterkopf fehlet. Er ſteht auf einem Altare, an dem man mehrere Gottheiten in Basrelief ſiehet.
Ein ſchoͤner Kopf Jupiters.
† Eine ſchoͤne Begraͤbnißurne, oder Sar - cophag mit mehreren Gottheiten.
Eine Gruppe, die der Sonderbarkeit we - gen merkwuͤrdig iſt. Ein Fleiſcher ſteckt ein Schwein in einen Keſſel, waͤhrend daß ein Knabe das Feuer anblaͤſt.
Ein Kopf eines Sclaven der im Bade auf - wartet. Er hat viele Aehnlichkeit mit den Koͤpfen der Statuen, die man unter dem Nahmen des Se - neca kennt.
Ein weiblicher Kopf, der einer der Toͤchter der Niobe gleicht.
Eine131Der kleine Pallaft Farneſe.Eine Statue zu Pferde, halb Lebensgroͤße. Man hat dem Reiter einen modernen Kopf des Dru - ſus aufgeſetzt. Dies iſt nicht die einzige Ergaͤnzung, die das Werk hat leiden muͤſſen, das uͤberhaupt zu den mittelmaͤßigen gehoͤrt.
Die Werkſtatt des Vulcan. Man giebt dies Gemaͤhlde al Freſco fuͤr Raphaels Arbeit aus. Es iſt aber ſo uͤbermahlet, daß man kaum von der erſten Idee des Kuͤnſtlers urtheilen darf.
Rund herum findet man Mahlereien zu denen die Gegenſtaͤnde aus den Verwand - lungen des Ovidius genommen ſind. Sie ſcheinen von Giulio Romano zu ſeyn. Man findet ſehr vernuͤnftig gedachte Figuren bei Figuren in ſehr uͤbertriebenen Stellungen.
Ganz mit Mahlereien von Giulio RomanoZimmer mit Mahlereien von Giullo Romano. verzieret. Sie haben ſtark gelitten, und ſind re - touchirt.
Das erſte ſtellt die Hochzeit des Alexan - der mit der Roxane vor. Die Compoſition iſt allerliebſt, obgleich hauptſaͤchlich aus einer aͤhnlichen Vorſtellung Raphaels in der Villa Olgiati, wovon bereits geredet iſt, entlehnt. Ja! der Kuͤnſtler hat ſogar einzelne Figuren aus dem eben angezeigten Ge - maͤhlde, und aus andern Gemaͤhlden ſeines MeiſtersJ 2genom -132Der kleine Pallaſt Farneſe. genommen: z. E. die Frau die das Gefaͤß auf dem Kopfe traͤgt, aus dem Incendio del Borgo. Dem ohngeachtet bleibt dem Giulio Romano noch das Verdienſt einiger ſehr reizenden Zuſaͤtze von ſeiner eigenen Erfindung: z. E. einiger ſchoͤnen Koͤpfe, und des aͤußerſt lieblichen Amors, der Roxanen aus - kleidet.
Das zweite Gemaͤhlde ſtellet den Alexan - der und die Familie des Darius vor. Die Compoſition iſt ſchoͤn, man ſieht, wie le Brun ſie zu nutzen gewußt hat. Aber uͤber die Ausfuͤhrung wage ich nicht zu urtheilen, da von des Meiſters Hand nur einige wenige Figuren linker Hand uͤbrig ſind. Der Reſt iſt uͤbermahlt. 8)Nachricht uͤber die Fa - milie des Darius von Paolo Ve - roneſe, im Pallaſt Piſa - ni zu Vene - dig.Ich kann mir hier nicht das Vergnuͤgen verſagen, einer Vorſtellung der Familie des Darius im Pal - laſt Piſani zu Venedig zu erwaͤhnen, die mir unter mehreren aͤhnlichen, durch die vortreffliche Abwech - ſelung in dem Ausdruck der Affekten eine vorzuͤgli - che Aufmerkſamkeit zu verdienen ſcheint. Sie iſt von Paolo Veroneſe, und nach meinem Gefuͤhle die beſte Compoſition dieſes Meiſters. Ich will nur mit ein Paar Worten den Gedanken beruͤhren. Die ungluͤckliche Familie liegt zu des Helden Fuͤßen, der noch nicht troͤſtet, ſondern die erſte Regung des Mitleids zu empfinden, den erſten beſtuͤrzten Ruͤck - blick auf die Unbeſtaͤndigkeit des Schickſals zu wer - fen ſcheint. Dieſer Augenblick iſt ſehr gluͤcklich ge - waͤhlt, denn er intereſſirt uns ſchon fuͤr den Ale - xander, und nimmt uns nichts von der Theilneh - mung an der Ungewißheit, worin wir die Familie des Darius uͤber ihr Schickſal ſehen. Die Mutter,eine
Das133Der kleine Pallaſt Farneſe.Das dritte ſtellet den Alexander vor, der den Bucephal zaͤhmt. Auch hier hat der Kuͤnſt - ler den Heliodor ſeines Meiſters vor Augen gehabt.
An dem Plafond ſiehet man einige kleine Ge - maͤhlde grau in grau gemahlt, von demſelben. Man erkennt zu wenig davon, um mit einiger Zu - verlaͤßigkeit daruͤber urtheilen zu duͤrfen.
Giulio Romano ward 1492 zu Rom gebohren,Bemerkun - gen uͤber den Stil des Giulio Ro - mano. und ſtarb 1546. So lange er nach den Zeichnun - gen ſeines Meiſters, Raphaels, und unter deſſen Augen arbeitete, war ſeine Zuſammenſetzung weiſe, und ſeine Zeichnung richtig: aber in der Faͤrbung unterſchied er ſich gleich durch gar zu ſchwarze Schat - ten und zu rothe Lichter der Carnation. Seine Aus - fuͤhrung war uͤbrigens ſehr beſorgt, und man kann ſogar ſagen, geleckt.
J 3SobaldSobald er ſich aber nach Raphaels Tode ſeiner eigenen Willkuͤhr uͤberlaſſen ſahe, ward er durch ſeine brennende Einbildungskraft zu Ausſchweifungen jeder Art fortgeriſſen. Vielleicht darf man auch ſagen, daß er nur uͤbertrieb, um dem Vorwurf, blos Kopiſt zu ſeyn, zu entgehen. Denn haͤufig findet man noch Diebſtaͤhle, die er an den Werken ſeines Vor - gaͤngers begangen hat. Er ſetzte ſie aber auf eine biſarre Art mit ſeinen eigenen nicht minder biſarren Erfindungen zuſammen. Daran, und an ſeinen graͤmlichen Maͤnnerkoͤpfen, an den Gelenken, die mit Muskeln und Knoͤrpeln uͤberladen ſind, an der krebsrothen Fleiſchfarbe erkennt man ihn am leichte - ſten wieder. Seine Zeichnung ward nun incorrekt, er fieng an, im Geſchmack der Florentiniſchen Schule, die Muskeln zu ſtark anzudeuten, und weil er gar zu geſchwind arbeitete, ſo ward die Behandlung ver - nachlaͤßigt.
Seitdem Academien, Kunſtſchulen, errichtet wor -Urſachen des Verfalls der Kuͤnſte in neuern Zei - ten. den, ſagt man, ſind keine große Kuͤnſtler mehr gezogen!
Daß ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, ſeit der Zeit als die Schulen der Kuͤnſtler oͤffentliche Anſtalten wurden, die großen Meiſter ſeltener ge - worden ſind, iſt durch die Erfahrung außer Zweifel geſetzt: Nicht aber dadurch die Frage entſchieden: ob die Errichtung der Academien eine begleitende Er - ſcheinung des Verfalls der Kunſt ſey, oder der Grund deſſelben und die Urſach?
In dem Begriff einer Academie an ſich ſelbſt, ſcheint wenigſtens nichts nachtheiliges fuͤr die Ausbil - dung des jungen Kuͤnſtlers zu liegen. Eine Anſtalt, die ihm taͤglich Gelegenheit verſchafft, nach den ge - waͤhlteſten Formen nackender maͤnnlicher Koͤrper zu arbeiten: Eine Anſtalt, die rund um den Zoͤgling her Sammlungen von Gemaͤhlden, von Kupferſti - chen, von Gipsabguͤßen der Antiken, von Buͤchern verſammlet; in der geſchickte Maͤnner in jedem Theile der Kunſt ihre Erfahrungen und den darauf gebaue - ten Rath mittheilen; mit der nicht ſelten Penſionen verbunden ſind, die den angehenden Kuͤnſtler uͤber die ſtoͤrende Sorge fuͤr druͤckende Beduͤrfniſſe hinaus - ſetzen: die endlich durch die Vereinigung mehrerer Juͤnglinge von den beſten Hoffnungen den groͤßten Sporn zu hoͤherem Verdienſt, die Nacheiferung, er -J 4weckt136Pallaſtweckt und unterhaͤlt; Was, frage ich, kann eine ſolche Anſtalt der Ausbildung des jungen Kuͤnſtlers fuͤr Hinderniſſe in den Weg legen? In der That! es ſcheint, als ſetze man auf die Rechnung der guten Academien viel mehr, als ſie verſchuldet haben.
Denn wie viel andere Urſachen dieſes nicht abzu - leugnenden Verfalls der Kuͤnſte laſſen ſich bei einigem Nachſuchen nicht auffinden? Zuerſt: — man mag es fuͤr Aberglauben halten oder nicht, — die gleiche Faͤhigkeit der Koͤpfe zu allen Kuͤnſten in jedem Jahr - hundert, kann ich nach meiner Kenntniß der Geſchichte der bildenden Kunſt nicht annehmen. Dem begraͤnz - ten Auge des Sterblichen ſcheint der Umſtand, daß Raphael, Correggio, Tizian, alle beinahe zu der naͤmlichen Zeit an verſchiedenen Orten als Lichter der Kunſt hervorgiengen, daß gleich nach ihrem Tode die Kunſt wieder ſank, bis in Bologna die Carracci mit ihren Schuͤlern ohne beſondere Aufmunterung ſich wiederum hervorthaten, zum Theil nur dadurch er - klaͤrbar, daß dieſe Genien ſo gluͤcklich fuͤr die Kuͤnſte gebohren wurden. Was hindert uns anzunehmen, daß, ſo wie die Fruchtbarkeit der Erde in Hervorbrin - gung der Kornarten in gewiſſen Jahren abwechſelt, ſo auch gewiſſe Zeiten in Zeugung beſonders organi - ſirter Koͤpfe ergiebiger ſind als andere?
Ganz will ich inzwiſchen die Erſcheinung großer Kuͤnſtler in gewiſſen Epochen, aus einer ſo wenig erklaͤrenden Urſache nicht erklaͤren. Nein! der Ge - ſchmack gewiſſer Zeitalter an beſtimmten Arten des Vergnuͤgens aͤndert ſich, und muß ſich aͤndern, da die Beduͤrfniſſe deſſelben nicht in der Nothwendigkeit, ſondern im Wohlſtande ihren Grund haben. Sobald137der Franzoͤſiſchen Academie. bald der verſatile luͤſterne Gaumen der bloßen Schluͤr - fer fuͤr den Reiz der einen Koſt unempfindlich gewor - den iſt, ſo verfaͤllt er auf eine andere, welche wenig - ſtens die Neuheit vor jener zum Voraus hat. Seit - dem die Kirchen und Pallaͤſte Roms mit Schildereien und Statuen ſattſam gefuͤllt ſind, um die Nachkom - men der ausſtattenden Stifter und der Beſitzer der - ſelben der Muͤhe, ſie zu meubliren, zu uͤberheben: ſeit - dem die Meiſterſtuͤcke der bildenden Kuͤnſte denen, die darunter aufgewachſen ſind, haben gewoͤhnlich werden muͤſſen, und nur beibehalten werden, um den weniger geſaͤttigten Fremden zur Bewunderung und zum Geldaufwande herbeizulocken; ſeitdem hat die Muſik die Mahlerei und Sculptur verdrungen. Um - ſonſt laͤßt hier und da ein Fremder noch ſparſam ein oder das andere Stuͤck verfertigen, um es in entfernte Gegenden des Nordens mit ſich fortzuſchleppen: Die groͤßte Belohnung des Kuͤnſtlers, der Werth, der vor ſeinen Augen auf ſein Werk gelegt wird, die Achtung des ihn umgebenden Publici, ſelbſt der Neid ſeiner Nebenbuhler, faͤllt weg: taͤglich wird der Geldgewinnſt mehr und mehr die Verguͤtung ſeiner Arbeit, und taͤglich ſinkt die Kunſt tiefer zum Mittel des Erwerbes herab.
Monarchen, die ihr die Kuͤnſte beſchuͤtzet, ſie ſind Toͤchter republikaniſcher Freiheit! Ihr verdient unſere Verehrung, wenn ihr Liebkoſung und Geld - ſummen an den Kuͤnſtler mit milder Hand ausſpendet: aber glaubt nicht, daß ihr etwas anders damit ver - moͤget, als ſie vor dem gaͤnzlichen Erſterben zu be - wahren! Nur der allgemeine Enthuſiasmus eures Volks giebt ihnen wahre Nahrung und Leben! KeinJ 5genuͤg -138Pallaſtgenuͤgſameres Geſchoͤpf als ein Kuͤnſtler, aber auch kein ſtolzeres! Trocken Brod, ein aufgeſpanntes Tuch und das Gefuͤhl oͤffentlicher allgemeiner Achtung, das iſt ſein Beduͤrfniß, ſein Leben und ſein Himmel!
Ein ſehr wichtiger Grund, warum unſere gegen - waͤrtige Kuͤnſtler ihren Vorgaͤngern nicht mehr gleich kommen, liegt darin, — daß ſie ihre Nachfolger ſind. In den ernſthafteren Wiſſenſchaften iſt die Grundlage der Kenntniſſe, durch welche wir zur Entdeckung neuer Wahrheiten gefuͤhrt werden, immer das leichteſte. Der Schuͤler ſteht nach ein Paar Jahren anhaltenden Fleißes immer da, wo der Meiſter aufhoͤrt und faͤhrt nun fort zu bauen. Das Werk geht von Genera - tion zu Generation: Wer vermag deſſen Hoͤhe und Umfang zu beſtimmen? Oft reißt man wieder ein, oft flickt man an: der letzte hat immer den groͤßten Anſpruch auf unſere dankbare Bewunderung, wenn er ſeinen Zeitgenoſſen als Erfinder erſcheint. Beſitzt er die Kenntniſſe ſeiner Vorgaͤnger neben ſeinen eige - nen: gut! wo nicht, er iſt darum nicht der minder große Mann, weil er der kleinere Gelehrte iſt.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit den ſchoͤnen Kuͤn - ſten. In ein Paar Menſchenaltern koͤmmt man uͤber die rohen Verſuche der Nachahmung weg, und hier gewinnt der Nachfolger jener Meiſter, die durch zeit - ſpillige Irrungen die Handgriffe der mechaniſchen Be - handlung, die Regeln der Symmetrie, der Propor - tionen, des Knochenbaues, der Perſpektive u. ſ. w. erſt ausfinden mußten. Aber nun iſt auch alles ge - ſchehen, was das fruͤhere Jahrhundert fuͤr die folgen - den thun konnte, das heißt: Das Wenige blos Wiſ - ſenſchaftliche, was dabei zur Anwendung kommenkann,139der Franzoͤſtſchen Academie. kann, iſt ausgefunden. Nach dieſer Zeit faͤngt nun jeder angehende Kuͤnſtler in denſelben Jahren ſeines Lebens wieder da an, wo ſein Vorgaͤnger nicht auf - hoͤrte, ſondern anfieng. Er muß ſo wie jener ſeine Hand und ſein Auge an Richtigkeit gewoͤhnen: er muß ſo wie jener Handwerker werden, ehe er Kuͤnſtler werden kann: er muß alle Vorzuͤge des erſten in ſich vereinigen, und was ſchlimmer iſt, er muß noch ſolche hinzufuͤgen, die ihm einen beſondern Grad der Auf - merkſamkeit von ſeinen Zeitgenoßen ſichern koͤnnen. Hier aber haͤufen ſich die Schwierigkeiten mit jedem Jahre.
Der Umfang der Vorwuͤrfe, durch deren Dar - ſtellung Herz und Einbildungskraft intereſſiret werden, koͤmmt in keine Vergleichung mit dem Umfange von Kenntniſſen, die unſerm Kopfe Beſchaͤfftigung ge - waͤhren. Der erſte der waͤhlt, ſucht das Praͤgnan - teſte heraus: der naͤchſtfolgende nimmt den Ueberreſt, und die darauf folgenden ſtellen dasjenige vor, was ſchon gewaͤhlt iſt, oder ſtellen dieſelben Suͤjets, im - mer den Menſchen mit ſeinen Leidenſchaften, immer die Natur mit ihren Grundmodifikationen, unter den zufaͤlligen Abwechſelungen des Coſtume vor. Die er - ſten ſind eigentlich nur Schoͤpfer, Erfinder des Suͤ - jets; die Nachfolger nur Bekleider, Ueberlieferer in einem andern Vortrage: und wehe dieſen letzten, wenn ſie Erfinder ſeyn wollen! Sie werden witzig an - ſtatt wahr zu ſeyn, und endlich gar nur gelehrt.
So viel ſchwerer iſt der Stand des neuen Mei - ſters gegen den des alten in Ruͤckſicht auf die Erfindung: ſehen wir auf die Schwierigkeiten der Ausfuͤhrung, wir finden ſie nicht vermindert.
Das140PallaſtDas Genie, das die Kunſt aufnimmt, wenn ſie das Alter der Kindheit verlaſſen hat, fuͤrchtet noch keine Vergleichung, keinen beſtimmten Geſchmack, keine feſtgeſetzte Begriffe uͤber Wahrſcheinlichkeit unter ſeinen Zeitgenoſſen. Findet es wie Raphael, daß Zeichnung und Ausdruck die Wege ſind, von der Darſtellung eines lebenden Weſens zu uͤberzeugen, es geht ihnen nach: ſieht es wie Correggio den Zauber der Harmonie und des Helldunkeln fuͤr die wuͤrkſam - ſten Ueberredungsmittel an, es ergreift ſie: und haͤlt es endlich, wie Tizian, die Faͤrbung fuͤr den weſent - lichen Theil der Nachahmung; gut! ſo wendet es alle ſeine Kraͤfte an, ſich dieſen zu eigen zu machen. Es liefert mithin die Gegenſtaͤnde, wie es ſie ſieht, und da es dem großen Haufen, der immer blindlings folgt, im Wahrnehmen vorgeht, ſo leitet es deſſen Auge nach Gefallen.
Nicht ſo der Nachfolger, und wuͤrde er ein Ra - phael, Tizian und Correggio mit allen ihren Anlagen aufs neue gebohren, er kann nicht ſie ſeyn, weil er nach ihnen koͤmmt, weil ihm die Unbefangenheit fehlt, die Sicherheit, die Freiheit ſeiner eigenen Anſchau - ungsart zu folgen. Ihm fallen die Contouren der Form am meiſten auf, aber weil er in Venedig wohnt, ſo muß er ſeine Kraͤfte aufs Colorit wenden: Er fuͤhlt wie Correggio, aber er lebt in Rom und mahlt wie Raphael. Leuchtet es nicht klar in die Augen, daß derjenige, der einen beſtimmten Stil vor ſich ſieht, der ſchon Gluͤck gemacht hat, nur mit der aͤuſ - ſerſten Aengſtlichkeit einen andern waͤhlen duͤrfe, der nur ihm der wahre ſcheint; einen Stil, der, wenn er auch der wahre ſeyn ſollte, in einer Kunſt, deren Wahr -heit141der Franzoͤſiſchen Academie. heit nur Wahrſcheinlichkeit iſt, ſeinen Zeitgenoßen im - mer unwahr ſcheinen wird?
Aber der Nachfolger iſt ein kuͤhnes Originalge - nie: kuͤhn und ehrſuͤchtig, wie alle diejenigen, die fremde Feſſeln nicht vertragen koͤnnen. Er geht ſei - ne eigene Bahn: Aber wie? Er ſtudirt den Be - ſchauer, und ſeine Schwaͤchen mehr als die Natur; er waͤhlt nicht was wahr iſt, ſondern was Aufſehn machen kann; ſtellt ſo hin, wie man mit ſchiefem Blicke ſieht, wird von ſeinen Zeitgenoſſen beſtaunt, beſungen und bezahlt wie ſein wahrerer Vorgaͤnger, und von den Nachkommen uͤber ſeinen noch dreiſteren Schuͤler vergeſſen.
So zeigt uns die Geſchichte der Kunſt einen Ba - roccio, einen Tintoretto, einen Zuccheri.
Eben ſo haͤufig aber hatten auch die erſten Kuͤnſt - ler ſclaviſche Nachahmer angezogen, welche nicht die Natur, ſondern die Werke ihrer Vorgaͤnger ſtudir - ten, und ihren Darſtellungen die verdoppelte Untreue, des Abfalls des Originals gegen die Natur, und der Copie gegen das Original, mittheilten.
Unterdeſſen waren Critiker aufgeſtanden, welche in ihrem Kopfe das Ideal einer vollkommenen Dar - ſtellung aus verſchiedenen Gemaͤhlden, die in einzel - nen Theilen ihre Forderungen befriedigt hatten, zu - ſammenſetzten. Zeichnet wie Raphael, ſagten ſie zu dem angehenden Kuͤnſtler, faͤrbet wie Tizian, beleuch - tet wie Correggio, und ihr werdet neu ſeyn, indem ihr zuerſt vollkommen ſeyd. Es fanden ſich Maͤn - ner von Scharfſinn, welche dieſe Bahn betraten. Die Carracci und ihre Schuͤler leiſteten ſo viel, — als man in der Vereinigung ſo vieler Vollkommenhei -ten142Pallaſtten leiſten kann, d. h. weniger als ihre Muſter in ein - zelnen Theilen, und mehr als jene in der Zuſammen - ſtimmung derſelben in einem Werke.
Das war noch nicht hinreichend. Die Forde - rungen wurden immer groͤßer. Die Franzoſen und Engellaͤnder bemeiſterten ſich der Kunſt. Dieſe Na - tionen, die immer noch mehr denken als empfinden wol - len, legten dem Kuͤnſtler eine vollkommene Kenntniß der Geſchichte, der Fabel, u. ſ. w. auf. Nun ſoll er ihren Witz beſchaͤfftigen, ſie auf philoſophiſche Betrach - tungen leiten, und der Himmel weiß! was nicht alles leiſten. Will er ſein Gluͤck machen, er muß ein Mann von Welt ſeyn, ſeine artliche Manieren ha - ben, uͤber die Kunſt poetiſch philoſophiſch ſchwatzen koͤnnen, und das in mehreren Sprachen.
Wie unendlich hat ſich alſo der Umfang von For - derungen vermehrt, die man ſeit Raphaels, Correg - gio’s und Tizians Zeiten an den Kuͤnſtler macht! Kaum weiß er, womit er unter ſo vielen Beſchaͤffti - gungen den Anfang machen ſoll. Bald zeichnet er, bald lernt er tanzen, bald ſtudirt er die Aeſthetik, bald nimmt er Unterricht in fremden Sprachen; erhaͤlt von Allem eine ſuperficielle Kenntniß, und kommt im - mer von ſeinem Hauptzwecke mehr und mehr ab.
Dies ſind, wie ich glaube, die Hauptgruͤnde, war - um wir gegenwaͤrtig ſo viel weniger große Kuͤnſtler zaͤhlen als ſonſt. Einmal, weil wahrſcheinlich nicht ſo viele Menſchen mit ſo beſtimmten Faͤhigkeiten zur Kunſt gebohren werden, als ſonſt: Zweitens, weil dieſe Faͤhigkeiten durch die verminderte Liebhaberei eine andere Richtung bekommen haben; und Drittens, weil die Schwierigkeiten zur Ausbildung durch dieabſchre -143der Franzoͤſiſchen Academie. abſchreckenden großen Beiſpiele der vorausgegange - nen Kuͤnſtler, und durch die erhoͤheten Forderungen der Zeitgenoßen, welche nur anſchauen, vermehret ſind.
Alſo waͤren die Academien bei dem Verfall derUeber den Antheil den die Lehrart in den Aca - demien an der vermin - derten An - zahl großer Kuͤnſtler hat. Kuͤnſte wohl auſſer aller Schuld? Das ſage ich nicht. Ich ſage nur, daß ſie nicht erſte einzige Urheber des Unheils ſind; daß ſie ihren Theil dazu beigetragen ha - ben, mag ich nicht leugnen. 1)Ich bitte ſehr das, was ich hier von Academien uͤberhaupt ſage, nicht von jeder einzelnen zu ver - ſtehen. Ich kenne deren ſehr wenige.
Man kann den Kuͤnſten nachhelfen, man kann ſie nicht zeugen; Man muß das Genie nicht belehren wollen, man muß es nur aufmerkſam erhalten; Will man Schwierigkeiten wegraͤumen, ſo koͤnnen es nur diejenigen ſeyn, bei deren Ueberwindung die Kunſt, die Fertigkeit in der Kunſt, nichts gewinnen.
Nicht blos bei dem einzelnen Kuͤnſtler, bei gan -Die Natur, erſte Lehre - rin des Kuͤnſtlers. zen Nationen koͤnnen wir es bemerken, wie ſehr es ihnen vortheilhaft geweſen iſt, daß ſie in ihrer Aus - bildung ſtufenweiſe vorgeruͤckt ſind. Die Muͤhe, die Unzuverlaͤßigkeit mit der ſie ihre erſten Verſuche mach - ten, belehrte ſie von der Nothwendigkeit, von dem Nutzen ſicherer Regeln: hinreichend mit dieſen be - kannt, ſchritten ſie erſt zum Reize fort. Eben die - ſen Weg ſollte jeder angehende Kuͤnſtler machen; man ſollte ihn zuerſt ſich ſelbſt uͤberlaſſen, und ihn nach und nach auf das eigene Ausfinden der nothwendigſten Beſtandtheile zur Wahrheit leiten: Waͤren dieſe ſei - nem Kopfe und ſeiner Hand gelaͤufig geworden, dann koͤnnte man den Begriff von Schoͤnheit hinzuſetzen.
Dies144PallaſtDies geſchieht nicht bei uns. Man ſetzt, mit dem Ausdruck: „ Der junge Mann muß erſt ſehen lernen, “dieſen hinter eine fein geſtrichelte Zeichnung ſeines Meiſters, deren ungetreuer Reiz dieſem viel - leicht den Platz eines Profeſſors bei der Academie er - worben hat, und laͤßt ihn wieder nachſtricheln. Der junge Mann denkt viel an die Uebereinſtim - mung ſeines Vorbildes mit der Natur; er denkt nur an deſſen wohlgefaͤllige Form, und ahmt das Zuͤfaͤl - lige zur Wahrheit mit eben der Treue nach, wie das Nothwendige.
Anders genießt man, anders lernt man, das ſollte bedacht werden. Selbſt wenn man den Juͤng - ling zur ſteinernen Nachbildung der Figur bringt, ſo lehrt man ihn doch nur wieder, wiewohl in erſchwer - ter Maaße, die Natur mit fremden Augen ſehen. Was iſt die Folge? Daß der junge Kuͤnſtler, bei der Reproducirung eines Gegenſtandes aus der Natur, nicht das liefert, was ihm, ſondern was ſeinem Mei - ſter daran aufgefallen iſt: nur mit dem Unterſchiede, weder ſo eigenthuͤmlich, noch ſo richtig, und wahr. Der Copiſt kann das Weſentliche von dem Unwe - ſentlichen nicht ſo genau unterſcheiden, wie der erſte Nachbilder der Natur; er kann unter dem Weſentli - chen nicht dasjenige ausſuchen, wodurch es ihm am auffallendſten wird, oder wodurch er es wenigſtens dem Beſchauer ſeiner Nachbildung vermoͤge eines be - ſondern Talents vorzuͤglich auffallend wuͤrde ge - macht haben. Das junge Genie, das durch ein wahres Colorit eine mittelmaͤßig gezeichnete Figur als wahr erſcheinen laſſen koͤnnte, wird, wenn es viel nach Raphael copirt, nur eine Andeutung einesBeſtand -145der Franzoͤſiſchen Academie. Beſtandtheils der Wahrheit, durch Contouren, ge - ben, die er an dem naͤmlichen Objekte, welches er mit ſeinem Vorgaͤnger in der Natur geſehen haben koͤnnte, gar nicht, oder nur ſchwach bemerket haben wuͤrde. In weniger auffallender Maaße iſt zwiſchen der Zeichnungsmanier eines Raphaels und der eines Guido, als Charakter von Wahrheit, ebenderſelbe Unterſchied. Ueber dies Erzwingen fremder Vor - ſtellungs und Verfahrungsarten geht das Ergreifende der Originalitaͤt, und der Wahrheit des Details ver - loren: Der Kuͤnſtler wird nur manierirt.
Ferner: es iſt wahr, man macht den jungen Kuͤnſtler auf die Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr - pers aufmerkſam, man praͤgt ſie ihm ein. Aber wie? Mit Woͤrtern, mit todlen Zeichen von Zahlen: er ſieht nicht das Eckigte, das Winkligte, welches den ausgeſchweiften Formen des Reizes zur Grund - lage dient. Man laͤßt ihn nicht eine Zeitlang in dem Geſchmack des erſten Griechiſchen Zeitalters, ſymme - triſch, trocken, ſteif fortarbeiten. Nur gar zu gern ſetzt ſich der junge Kuͤnſtler uͤber das Nachmeſſen die - ſer unter Reiz verſteckten Verhaͤltniſſe weg, verlaͤßt ſich immer zu ſehr auf die Richtigkeit ſeines Augen - maaßes, und immer noch mehr auf die des Verferti - gers ſeines Vorbildes. Wenn er dies, ſo wie es ſieht, vollſtaͤndig liefere, ſo glaubt er, folgten die Verhaͤlt - niſſe von ſelbſt.
Endlich bringt man ihn zum Copiren nach der Natur, aber was er nun ſieht, iſt nicht die Natur mehr, es iſt nur die Modifikation derſelben nach dem Schleier, der ihm uͤber die Augen geworfen iſt.
Dritter Theil. KIch146PallaſtIch kann bei dieſer Gelegenheit nicht genung dar - uͤber klagen, daß man ſo wenig Sorge dafuͤr traͤgt, die Einbildungskraft des jungen Kuͤnſtlers, neben der Ausbildung der mechaniſchen Fertigkeit ſeiner Hand zu unterhalten und zu erweitern. Erſt ſpaͤt giebt man ihm Veranlaſſung ſich im eigenen Compo - niren zu uͤben. Erſt, ſagt man, ſoll er treu copiren lernen, dann ſoll er die Anatomie, die Lehre der Ver - haͤltniſſe, die Mathematik, die Statik, die Perſpek - tive, die Architektur und der Himmel weiß! was alles, inne haben. Dann lieſt man ihm ein Colle - gium, giebt ihm Buͤcher in die Haͤnde uͤber Compo - ſition, Anordnung, Leidenſchaften, Sittenlehre u. ſ. w. und wenn er nun in dem allen perfekt iſt; — dann iſt er gerade zum Kuͤnſtler verdorben.
Zum Profeſſor mag er taugen, alte Statuen von Kopf bis zu Fuß ſehr richtig und ſehr ſauber zu copiren, ein Modell ſehr geſchickt zu ſtellen, Collegia zu leſen, Kunſtbuͤcher zu ſchreiben; aber der Keim des Genies iſt erſtickt, und fuͤr lauter Sorge keine der ihm gegebenen Regeln zu beleidigen, erkaltet in ihm der Trieb etwas Genievolles hervorzubringen.
Dazu nehme man die pedantiſche Methode, die willkuͤhrlichſten Sachen nach einer gewiſſen vorgeſchrie - benen Form, mit einem gewiſſen Apprêt zu thun, den nur die ſalarirte Unthaͤtigkeit eines mittelmaͤßigen Kopfs zur Nothwendigkeit machen kann. Iſt es er - laubt, den Schuͤler wochenlang an einer Zeichnung ſchraffiren oder tuſchen zu laſſen, die er in einem Tage à maniere eſtompée ruͤnden kann! Dem Kupfer - ſtecher mag das helfen, aber der Mahler und Bild - hauer zeichnet nicht um zu zeichnen. Wenn er denCon -147der Franzoͤſiſchen Academie. Contour genau zu machen weiß, und Begriffe von Ruͤndung hat, das iſt ihm genung.
Selten aber kann der Profeſſor vielmehr als ſau - ber zeichnen, und dennoch glaubt er auf der Staffel der Kunſt zu ſtehen, und einem Raphael gleich zu ſeyn, wenn nur die Liebhaber jetzt wie damals den Kuͤnſtler bezahlen wollten. Er dreſſirt zwanzig und mehr Lehrlinge an einer Linie. Wer am beſten ſtri - chelt und fleißig die Stunden beſucht, wird als der ge - lehrigſte hervorgezogen, erhaͤlt Recommendation, Un - terſtuͤtzung zur Reiſe und Arbeit. Wie oft ſind die ungelehrigſten Juͤnglinge gerade diejenigen, die ſich ſelbſt uͤberlaſſen am mehreſten lernen wuͤrden!
Raphaels Schuͤler, die Schuͤler Tizians, der Carracci, des Rubens wurden ganz anders angefuͤhrt. Wenn ſie zu ihren Meiſtern kamen, waren ſie keine Kinder mehr, ſie hatten ſchon ihre eigene Art die Sachen anzuſehen. Es ward ihnen kein Collegium daruͤber geleſen, wie ſie den Pinſel oder den Crayon halten ſollten; ſie mußten die Augen aufmachen, zu - ſehen: und ſie ſahen auch mit ganz anderer Aufmerk - ſamkeit zu, weil alles weniger leicht gemacht wurde. A bon entendeur bonne entente! Mit dem Beiſpiel die Lehre, und gemeiniglich die Ausfuͤhrung.
Die großen Meiſter hatten ſo viel zu thun, daß ſie nicht ſelten die Hand ihrer Schuͤler zu ihren Arbei - ten mit gebrauchen mußten. Sie machten die Zeich - nungen, ließen die Gemaͤhlde von jenen anlegen, re - touchirten das Ganze, oder mahlten nur die Haupt - partien. Kurz! Alles diente dazu, den Schuͤler praktiſch zu lehren; und wie viel anders lernt man, wenn man bei jeder neu eingeſammelten Kenntniß dieK 2Ver -148PallaſtVeranlaſſung zur Lehre, und die Gelegenheit ſie wie - der zu nutzen, vor ſich ſieht!
Dabei waren dieſe aͤlteren Mahler keine Pedan - ten; einmal, weil ſie wahre Genies waren, und dann, weil ſie zu viel zu thun hatten, um auf Kleinigkeiten großen Werth zu legen. Wenn ihr Schuͤler nur ſo viel lernte, daß ſie ihn brauchen konnten; wie er es lernte, das galt ihnen gleich viel.
Es iſt wahr! Sie machten ihnen das Ablernen ihrer Kunſtgriffe etwas ſchwer, aber mich duͤnkt, das Genie, das Scharfſinn genung hat, ſie dennoch ab - zulauern, gewinnt dabei mehr, als wenn man ihm das Wenige, was es durch Mittheilung erhalten kann, gar zu leicht zu erhalten macht.
Derjenige Weg, auf dem ſich der Mann von Geſchmack, der Beſchuͤtzer, der Fuͤhrer des Talents, um die Ausbildung des jungen Kuͤnſtlers am mehre - ſten verdient machen kann, iſt, wie ich glaube, der, daß er den Geiſt der Originalitaͤt in ihm bewahre; vor irrigen Begriffen uͤber das Weſen der Kuͤnſte, und vor fehlerhaften Mitteln zur Ausbildung warne; ihm die Gelegenheiten zur Erlernung derjenigen Theile, de - ren eigene Ausfindung einen unnuͤtzen Zeitverluſt nach ſich ziehen wuͤrde, naͤher bringe; ſeine Einbildungs - kraft und ſein Gefuͤhl fuͤr das Schoͤne immer rege er - halte; und endlich uͤber ſeinen Fleiß und ſeine morali - ſche Auffuͤhrung wache.
Ich will einen Erziehungsplan fuͤr einen jungen Kuͤnſtler beifuͤgen, nicht ſowohl mit der Anmaaßung, dieſen als nicht zu uͤbertretende Schranken fuͤr den Weg zur Vollkommenheit auszuſtecken, als welches ich bei der Verſchiedenheit der Koͤpfe und Charakterebeinahe149der Franzoͤſiſchen Academie. beinahe gar nicht fuͤr moͤglich halte; ſondern vielmehr, um mich deutlich zu machen, andern aber Veranlaſ - ſung zu geben, uͤber die Sache nachzudenken, und etwas Beſſeres auszufinden.
Die Anlagen, welche den Kuͤnſtler ausmachen, ſcheinen zwiſchen denen in der Mitte zu ſtehen, die auf der einen Seite bei dem Genie des Dichters, auf der andern bei dem Talent des Mechanikers zum Grunde liegen. Seine Einbildungskraft darf einge - ſchraͤnkter als bei jenem, die Geſchicklichkeit ſeiner Hand minder als bei dieſem ſeyn. Aber allemal ſind dieſe Faͤhigkeiten nothwendige Grundlagen bei der kuͤnftigen Ausbildung zum Darſteller des ſicht - bar Schoͤnen, und es iſt in dieſem Sinne wahr, daß der Kuͤnſtler gebohren, nicht gezogen werde. Ich halte es daher fuͤr gefaͤhrlich, den Faͤhigkeiten eines jungen Kopfs gerade Richtung zu den bildenden Kuͤn - ſten geben zu wollen, ehe man mit Sicherheit weiß, ob die Natur ihm die ſeltenen Gaben dazu verliehen habe. Und dieſe Vorſicht ſcheint um ſo noͤthiger zu einer Zeit, wo, bei der verminderten Anzahl der Lieb - haber, die Beſtimmung eines jungen Mannes zum Kuͤnſtler, keine ſichere Anwartſchaft auf eine gluͤckli - che Lage in der buͤrgerlichen Welt zu geben ſcheint.
Bis ins vierzehnte Jahr, duͤnkt mich, wuͤrde ich das Kind als Kind betrachten: ihm dasjenige lehren, was in jeder ſeiner dereinſtigen Beſtimmungen nuͤtz - lich, was zu erlernen ihm alsdann am leichteſten wird: Sprachen, Nahmenkenntniß. Aber ich wuͤr - de zu gleicher Zeit ſuchen, ſein Gefuͤhl fuͤr das mora - liſch und phyſiſch Schoͤne uͤberhaupt auszubilden, ihm gute Dichter, vorzuͤglich epiſche und dramatiſche le -K 3ſen,150Pallaſtſen, und ſchoͤne Kunſtwerke ſehen laſſen. Die Bekanntſchaft mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten macht die Sitten ſanft, wie die Alten ſagen, und mildert eigennuͤtzige Leidenſchaften.
Dieſer Zeitraum wuͤrde nun auch dazu dienen koͤnnen, Erfahrungen uͤber die beſtimmte Neigung, und das Talent eines jungen Kopfs zu den bildenden Kuͤnſten anzuſtellen. Macht er dieſe anhaltend zum Gegenſtande ſeiner liebſten Unterhaltung; bemerke ich, daß die bildende Kraft ſeiner Seele durch die Leſung der Dichter und Geſchichtſchreiber, durch den Anblick der Kunſtwerke leicht zur Zuſammenſetzung von Ge - ſtalten aufgefordert wird; erkenne ich an ſeinen rohen Verſuchen, im Detail untruͤgliche Merkmale einer ge - nauen Wahrnehmung des Weſentlichen zur Wahr - heit; iſt ſeine Hand eben ſo leicht in der Ausfuͤhrung, als ſein Kopf erfindriſch iſt; ſind ſeine Leidenſchaften mehr ſanft, theilnehmend, als ſtark und aͤuſſerlich wuͤrkend; hat er endlich Haltſamkeit bei ſeinen Arbei - ten ohne Quaͤlerei; gut! ſo wuͤrde ich ihm alle Gele - genheiten erleichtern, einen ſo entſchiedenen Geſchmack, ein ſo wahrſcheinliches Talent auszubilden, und einen ſo anſcheinenden Anſpruch auf Kuͤnſtler Gluͤck ferner zu begruͤnden.
Dieſe Hauptſorge des Fuͤhrers wuͤrde jedoch in dieſer Zeit wohl mehr dahin gehen, zu verhindern, daß nichts Schaͤdliches, als dafuͤr zu ſorgen, daß et - was Gutes geſchehe. Kein Meiſter, wenn ich bitten darf, wenigſtens keiner, der nach ſeinen Zeichnungen oder nach Kupferſtichen copiren laͤßt! Das Kind liebt dieſen Zwang nicht, und es iſt ihm gut, daß es, —nach151der Franzoͤſiſchen Academie. nach Art der Kuͤnſtler in der Kindheit der Kunſt, — nach der Natur zu tappen lerne.
Man ſetze den Knaben vor den Kopf eines leben - den Modelles hin, man laſſe ihm ein Bildniß darnach verfertigen, und gebe ihm, beſſer als Papier oder Tuch, Thon zur Bearbeitung in die Hand. Durch Plaſtick iſt wahrſcheinlich das erſte Bild von Menſchenhand ent - ſtanden, und ſo entſtehe es durch die Hand des Kna - ben. Es wird ihm ſein Verſtaͤndniß uͤber Ruͤndung oͤffnen, es wird ihm die Verhaͤltniſſe des Originales leichter auszufinden lehren, weil die Unvollkommen - heit der Nachbildung auffallender iſt. Jedes Objekt werde ſo viel moͤglich in ſeiner natuͤrlichen Groͤße nach - gebildet: Man lobe das Gute mit Maaße: man tadle das Schlechte, indem man lieber wieder von neuem anzufangen, als das Alte zu verbeſſern befiehlt. Selbſt das Spiel kann unterrichten: ein kleines Thea - ter wird gebauet, man ſtaffirt es mit Wachs - oder Thonfiguren aus, man gruppiret, illuminirt, beleuch - tet ſie nach den Regeln der Luft, der Linienperſpektiv, des Contrapoſto, der Harmonie der Farben und des Helldunkeln. Der Zoͤgling beluſtiget ſich damit, und lernt, was das Kind am leichteſten begreifen kann, daß die rohe Einbildungskraft an Abwechſelung und Einheit im Scheine das lebhafteſte Vergnuͤgen fin - det. Inzwiſchen die eigene Handanlegung ans Co - lorit, das in dieſem Alter nur verfuͤhreriſche Schmiere - rei werden kann, moͤchte ich ganz davon entfernet halten.
So wird der Knabe Juͤngling, und nun keine Spielerei mehr, ſondern ernſthaftes, ſtrenges Stu - dium, und zwar zuerſt, als Grundlage aller Schoͤn - heit, der Verhaͤltniſſe.
K 4Wir152PallaſtWir meſſen, wir rechnen, wir bringen die unge - wiſſen Formen unſerer fruͤheren Verſuche in eckigt〈…〉〈…〉 Winkel und gerade Linien zuruͤck. So werden wir in dem Alter, — das mit der Epoche der fruͤheren griechiſchen Kunſt ſo viel Analogie hat, — hart, trocken, ſteif, aber richtig, um einſt ſchoͤn zu ſeyn. Bei der Entwerfung der Contours ſind wir aͤuſſerſt genau; die Ruͤndung deuten wir nur an, und zwar nicht mit Schraffirungen, als welche fuͤr jeden Kuͤnſt - ler, auſſer dem Kupferſtecher, ganz unnuͤtz ſind, ſon - dern mit verwiſchter Kreide. (à maniere eſtom - pée).
Soll denn der junge Kuͤnſtler blos zeichnen, nicht mahlen? Allerdings ſoll er zuweilen daran erinnert werden, warum er zeichnet: alle vier bis ſechs Wo - chen ſoll er einen Kopf mahlen, und zwar nach der Natur, und einen Tizian zur Seite.
Daß ich aber nie vergeſſe, daß, waͤhrend der Ver - ſtand Kenntniſſe einſammelt und die Hand ſich an Treue gewoͤhnt, die Bluͤthe der Einbildungskraft ſo leicht verloren gehe; und daß wenn es gefaͤhrlich wird, den jungen Kuͤnſtler uͤber das Vergnuͤgen Schoͤ - pfer zu ſeyn, die Sorge gut zu ſchaffen vergeſſen zu laſſen, es auf der andern Seite eben ſo gefaͤhrlich werde, die Mittel zur Vollkommenheit mit der Voll - kommenheit ſelbſt zu verwechſeln, und ewig Copiſt zu bleiben.
Fruͤh und haͤufig muß der Kuͤnſtler ſich uͤben, das abweſende Bild gegenwaͤrtig und dauernd in ſei - ner Seele zu erhalten, fruͤh aus dieſen aufbewahrten Bildern neue zuſammen ſetzen lernen. Ich werde dem jungen Kuͤnſtler rathen, die Figur, die er treunach153der Franzoͤſiſchen Academie. nach der Natur gebildet hat, entfernt von dem Ori - ginale und ſeiner Copie, aufs Neue aus dem Kopfe zu bilden. Ich werde ihm rathen, es eben ſo mit der Antike zu machen, und dann aus beiden ein zu - ſammengeſetztes Bild, ein Ideal zu ſchaffen.
Aber dieſes Ideal muß Ausdruck haben, be - ſtimmten Ausdruck des ruhigen Charakters einer ge - wiſſen Menſchenart, oder eines gewiſſen Affekts.
Ich werde dem Kuͤnſtler die Elektra des So - phocles zu leſen geben, oder ſeinen Philoktet: Durch - drungen von den Hauptzuͤgen des Charakters dieſer Perſonen, die in jedem Worte dieſes muſterhaften Darſtellers der Menſchen ſo deutlich, ſo beſtimmt, und doch, nach der Bemerkung des Ariſtoteles, ſo allge - mein nach einer Gattung von Charakteren gezeichnet ſind, wird er den hohen weiblichen Geiſt der Elektra, den hohen maͤnnlichen des Philoktets zuerſt in ihren ruhigen Formen errathen laſſen wollen, bald ſie zei - gen erbittert uͤber erlittenes Unrecht. Endlich wird er, wenn er Mahler iſt, ſie mir gar in einer vollſtaͤn - digen leidenſchaftlichen Lage zeigen: den Philoktet, wie er ſeinen Feind durchbohren will, die Elektra, die ihren Bruder wiedererkennt.
Und ſo wird der Kuͤnſtler nach und nach zur Treue im Nachbilden und im Zuſammenſetzen; von da zur Schoͤnheit, — zum Zeitalter des Praxite - les, — vorgeruͤckt ſeyn. Denn ſein ſtetes Studium nach den Antiken und den beſten Werken der Neuern, die er noch mehr betrachtet, uͤberdenkt, umſchafft, als copirt, haben nach und nach ſeine Seele ſo ge - ſtimmt, daß jede Vorſtellung, die ſie aus der Na - tur aufnimmt und wiedergiebt, gleichſam wie der TonK 5der154Pallaſtder alten Akteurs von den ehernen Gefaͤßen in ihren Theatern, mit wohlgefaͤlligerem Wiederhall zuruͤck - ſchallt.
Aber dazu muß der Kuͤnſtler fruͤh, ſehr fruͤh, ſo bald nur das eigentliche ſtrenge Studium der Kunſt anfaͤngt, nach Rom gehen. Dies iſt der einzige Ort, wo der gute Geſchmack gleichſam in Reſerve ruht. Hier thut der Kuͤnſtler keinen Schritt, der nicht ſeinen Geſchmack fuͤr das Schoͤne entweder aus - fuͤllt oder rege macht. Hier buhlt er nicht um die Gunſt verwahrloſeter Weichlinge, und ihrer verzaͤr - telten Freundinnen. Hier leidet die Vergleichung mit edler Schoͤnheit, mit bedeutungsvoller Wahrheit keine witzige Carricaturen, keine Schattenriſſe gezier - ter Anmuth. Hier endlich iſt allein Freiheit, Nach - eiferung, Antike und Raphael.
Und daß ich mir hier die Ausfuͤhrung eines Pro - jekts zu einer Anſtalt denken duͤrfte, die fuͤr Sitt - lichkeit und Ausbildung fremder Kuͤnſtler von ſo un - endlichem Nutzen waͤre! Ich wuͤnſchte naͤmlich Maͤn - ner von gutem Herkommen und guter Erziehung, die bei gehoͤrig gebildetem Geſchmack und einer Liebhabe - rei zu den Kuͤnſten, die bis zur Aufopferung aller uͤbri - gen Neigungen gienge, den Penſionairs, die ein oder mehrere Hoͤfe hier erhalten, ſtatt der Direkteurs der Academien, welche Kuͤnſtler ſind, vorgeſetzt zu ſehen.
Ich wuͤnſchte daß es Maͤnner von gewiſſen Jahren waͤren, die, verheirathet und reichlich beſol - det, ſich der moraliſchen Erziehung der jungen Kuͤnſt - ler annehmen, ihnen bei ihrer Bildung als Kuͤnſtler mit Rath und That zu Huͤlfe kommen koͤnnten, ohnegerade155der Franzoͤſiſchen Academie. gerade zu ihre Lehrer in der Kunſt ſeyn zu wollen. Sie koͤnnten ihnen den Zutritt in ihrem Hauſe ver - goͤnnen, wo ſie gute Geſellſchaft zu ihrer Bibliothek, wo ſie Buͤcher und Kupferſtiche antreffen wuͤrden. Sie koͤnnten ihnen Gelegenheit verſchaffen, nach na - ckenden Modellen zu zeichnen, ihnen den Eintritt in die Gallerien erleichtern, und ſie vorzuͤglich in die Werkſtaͤtte der Kuͤnſtler bringen, wo ſie Gelegenheit zur Arbeit, und dadurch Kenntniß der mechaniſchen Behandlung, erhalten wuͤrden. Das eigentlich Wiſſenſchaftliche der Kunſt, die Perſpektive, die Optik, die Statik zu lehren, dazu moͤchte ein eigener Profeſſor mit geringen Koſten angeſetzt ſeyn. Die oͤffentlichen Ausſtellungen blieben, und was eben ſo wichtig waͤre, jeder Hof beſtellte jaͤhrlich einige Ar - beiten, die nach ihrer Guͤte bezahlt werden muͤßten.
Eine ſolche Anſtalt wuͤrde, wie ich glaube, alle Vortheile einer Academie, und keinen ihrer Nach - theile haben.
Das merkwuͤrdigſte, was der Pallaſt der Fran -Beſchrei - bung der Kunſtwerke in dem Pal - laſt der Franzoͤſi - ſchen Aeade - mie. zoͤſiſchen Academie enthaͤlt, iſt die Sammlung von Gipsabguͤſſen der vorzuͤglichſten antiken und einiger modernen Bildhauerwerke. Sie iſt bei weitem die betraͤchtlichſte unter denen, die mir bekannt ſind.
Eine ſolche Sammlung kann an einem Orte wie Rom, wo ſo viele Originale der Meiſterſtuͤcke der alten und neuen Kunſt angetroffen werden, uͤberfluͤßig ſcheinen, aber ſie iſt es nicht aus mehr als einem Grunde.
Einmal ſind jene Originale nicht immer ſo auf - geſtellt, daß der angehende Kuͤnſtler ſie aus verſchie -denen156Pallaſtdenen Geſichtspunkten, und eben ſo wenig immer aus dem vortheilhafteſten zeichnen und ſtudiren koͤnnte. Die Abguͤſſe laſſen ſich bequemer ruͤcken, in der vortheilhafteſten Stellung zeigen, und in dem zutraͤglichſten Lichte zur Nachbildung hinſtellen.
Zweitens dient die Verſammlung mehrerer Mei - ſterſtuͤcke zur naͤheren Vergleichung mit einander, und drittens, werden hier einige Abguͤſſe von Werken aufbewahrt, die nicht in Rom befindlich, oder gar verloren gegangen ſind.
Von dieſer letzten Art iſt der Cincinnatus, der nunmehro zu Verſailles gezeigt wird:2)Nachricht uͤber den Cin - cinnatus zu Verſailles.Dieſe Statue ſtand ehemals in der Villa Montal - to, nachher Negroni. Es iſt eine voͤllig unbe - kleidete maͤnnliche Figur in der Natur eines Helden. Sie bindet uͤber dem rechten Fuß den Schuh zu, der linke Fuß iſt blos, und neben dieſem ſtehet der andere Schuh. Hinten auf dem Sockel liegt eine Pflugſchaar. Wahrſcheinlich ein moderner Zuſatz, den die fruͤheren Abbildungen dieſer Statue nicht anfuͤhren. Winkelmann G. d. K. W. E. S. 783 f. haͤlt ſie fuͤr einen Jaſon. Als dieſer nach der Stadt Jollos gehen wollte, mußte er uͤber den Fluß Anaurus. Eine alte Frau befand ſich in eben der Noth. Er brachte ſie uͤber, verlor aber dabei ſei - nen Schuh. Schnell verwandelte ſich die Alte in die Juno und erſetzte ihm den Verluſt. Ob dieſe Erklaͤrung die wahre ſey, laſſe ich dahin geſtellet ſeyn. So viel aber ſcheint ausgemacht zu ſeyn, die unbekleidete Figur laͤßt ſich nicht gut auf den roͤmiſchen Conſul deuten. Wie wir denn uͤber - haupt wenig Vorſtellungen der alten Kunſt aus derfruͤhern Der Ger -mani -157der Franzoͤſiſchen Academie. manicus3)Die Statue des Germanicus ſtand ehemals in derNachricht uͤber den Germanicus ebendaſelbſt. Villa Montalti. Der Nahme des Meiſters: Cleomenes aus Athen, ſteht am Tronke. Unten liegt eine Schildkroͤte. Man haͤlt den Kopf nicht fuͤr genuin. ebendaſelbſt: Ferner die ſchoͤne Gruppe des Caſtor und Pollux, welche jetzt auf einem der Koͤnigl. Luſtſchloͤſſer in Spanien ſteht. 4)Dieſe Gruppe ſtellt zwei Genien vor, die ſich mitNachricht uͤber die Gruppe des Caſtor und Pollux in Spanien. Ruhe umarmen. Sie tragen Fackeln, deren eine zur Erde geſenkt iſt, und eine Schale. Ihre Koͤpfe ſind bekraͤnzt. Auf einer Ara neben ihnen ſteht eine kleine weibliche Figur mit einem Schef - fel auf dem Haupte. Der Stil an dieſer letzten Figur iſt etruſciſch, die Ara ergaͤnzt. Dies Stuͤck hat ſehr verſchiedene Auslegungen erlitten. Montfaucon hielt die Figuren fuͤr Lares. Richardſon Voyage d’ Italie T. III. p. 279. ſahe darin den Caſtor und den Pollux mit ihrer Mut - ter, der Leda. Andere fanden darin bald die bei - den Dacier, die ſich fuͤrs Vaterland devoviren, bald den Heſperus und Phoſphorus. Winkelmann in der Vorrede zu ſeinen Monumenti inediti nahm ſie fuͤr den Oreſtes und Pylades die das Todten - opfer verrichten. Die kleine weibliche Figur war ihm Elektra. Schade! daß Oreſtes an dem Opfer, der Fabel nach, keinen Theil nahm. Leſſing in der Abhandlung: Wie die Alten den Tod gebildet, glaubte, hier ſey der Schlaf und der Tod vorge - ſtellt, und die Nebenfigur die Nacht. Herder imHannoͤv.End -2)fruͤhern roͤmiſchen Geſchichte erklaͤren koͤnnen: ſon - dern immer lieber auf die griechiſche Mythologie zuruͤckgehen muͤſſen.158Pallaſt der Franz. Academie. Endlich ein ſchoͤnes Kind, welches auf dem Ruͤcken eines Delphins ausgeſtreckt liegt, und bereits erſtarret zu ſeyn ſcheint. Dieſes Werk iſt nach Engelland gegangen.
Wichtig wuͤrde die ganze Folge der Abguͤſſe uͤber die Basreliefs an der Trajaniſchen Saͤule ſeyn, wenn ſie nicht mit Staub beladen, in den Winkeln der Zimmer unter andern Monumenten ver - ſteckt laͤgen.
Ueberhaupt ſcheint mir in der Aufbewahrung dieſer Gipsabguͤſſe nicht die beſte Ordnung zu herr - ſchen, und undienlich ſcheint es mir nicht, zu bemer -Gipsabguͤſſe weit unter den Origi - nalen. ken, daß ſelbſt der beſte Gipsabguß noch immer ſehr in Vergleichung mit dem Originale verliert.
Die Zimmer dieſer Academie ſind in einem Nebengebaͤude der Kirche St. Martina e Luca befindlich.
Ein Gemaͤhlde von Philipp Wouvermann.
Die Caſcatellen von Tivoli, von Philipp Roos genannt da Tivoli.
Eine Maſke des Michael Angelo in Gips.
Die Hirnſchale Raphaels.
Eine Alte die ſpinnt, von Mola.
Ein Thierſtuͤck von Roſa di Tivoli.
Einige Ausſichten von Pannini.
Einige Landſchaften von Bourguignone.
Eine Danae angeblich von Lanfranco.
Ein anatomiſches Studium entweder in Gips, oder von gebrannter Erde, welches ich mir nicht ſo genau mehr erinnere. Man ſchreibt dieſes Stuͤck dem M. Angelo zu.
Eine ſchoͤne Marine mit einem Sonnen - aufgang von Manglar.
Ein Sturm von Tempeſta.
Mehrere Katzenkoͤpfe in verſchiedenen Stel - lungen, von Salvator Roſa.
Der Tod der heiligen Magdalena von Carlo Maratti.
† Der heilige Lucas von Raphael. DerDer heilige Lucas von Raphael. heilige Lucas mahlt die Madonna, die ihm erſcheinet, und hinter ſeinem Stuhle ſteht der Mahler ſelbſt inPer -160Academia di S. Luca. Perſon. Das Stuͤck iſt ſehr beſchaͤdigt, inzwiſchen verraͤth der Kopf des Heiligen, und deſſen Arm noch den Meiſter. Ausdruck und Zeichnung ſind vor - trefflich. Die Gewaͤnder ſcheinen nicht gluͤcklich ge - worfen zu ſeyn.
Eine Madonna. Wenn ſie vom Guido iſt, wie man ſagt, ſo iſt es wenigſtens keines ſeiner beſten Werke.
Juno uͤberraſcht ihren Gemahl mit der Jo, und verwandelt dieſe in eine Kuh. Zwei ver - ſchiedene Vorſtellungen deſſelben Suͤjet: Die eine von Antonio da Carpentano, die andere von Nolle - kens: Beide von gebrannter Erde.
Abguͤſſe von den Basreliefs an der traja - niſchen Saͤule.
Landſchaft mit Figuren von Berghem.
Ein Amor, angeblich von Guido.
Zwei Landſchaften von Pouſſin.
Siſſera von Carlo Maratti.
St. Hieronymus von Salvator Roſa.
Eine Landſchaft mit Thieren von Stan - dardo, gut.
† Eine herrliche Marine von Vernet. Die Farbe vortrefflich.
Eine161Academia di S. Luca.Eine Zeichnung von Salvator Roſa.
Ein Knabe mit Silbergeſchirr von Sub - leyras.
Die Hoffnung von Angelica Kaufmann.
Ein kleiner Chriſtuskopf von Tizian, ſchoͤn.
† Ein Berghem, von groͤßter Schoͤnheit.
Ein kleines Miniaturgemaͤhlde von der Ro - ſalba.
Der Heiland erſcheint der heiligen Catha - rina von Genua. Oben Gott der Vater in einer Glorie mit Engeln. Ein Gemaͤhlde, deſſen obern Theil Mengs angelegt hat, und deſſen unterer Theil von ſeinen Schuͤlern ausgefuͤhrt iſt.
Man trifft hier noch mehrere Gemaͤhlde neuerer, zum Theil noch lebender Kuͤnſtler an. Unter dieſen ſind einige von dem Caſſelſchen Tiſchbein.
Ich will nach alphabetiſcher Ordnung gehen.
Pallaſt Acaramboni enthaͤlt Copien oder unbe - traͤchtliche Originale. Ich habe die Sammlung ge - ſehen.
Die Pallaͤſte Altemps und Alberini, ſonſt Cicciaporci, ſind der Verſicherung nach leer von Kunſtwerken: ſo wie der Pallaſt Baldaſſini. Im Garten des Pallaſts Bufalo hat Polydoro da Car - ravaggio einige Gemaͤhlde grau in grau gemahlt, die ich aber nicht geſehen habe.
Im Pallaſt Bracciano, ehemals Odeſcalchi, iſt eine ſchoͤne Sammlung von Medaillen. Man ſieht ſie aber nicht anders, als wenn die Herzogin ſie ſelbſt zeigt. Vortrefflicher Gemaͤhlde und Statuen wegen iſt dieſer Pallaſt nicht bekannt.
Den eingezogenen Nachrichten nach, verdienten in dieſer Ruͤckſicht auch folgende Pallaͤſte nicht ge - ſehen zu werden.
Caffarelli, Capizucchi, Cenci, Ceſi, Con - ti, Corca, Creſcenzi.
Im Collegio Clementino waren ehemals zwei große Badewannen aus einem ſeltenen gruͤnenBaſalt163uͤber verſchied. Pallaͤſte u. Villen. Bafalt befindlich, und Hr. Dr. Volkmann1)S. 396. Hiſt. krit. Nachrichten. fuͤhrt ſie hier an. Aber ſie ſind jetzt ins Muſeum Clemen - tinum gekommen.
Die Pallaͤſte del Drago, Ferrini, ſind fuͤr die Liebhaber der bildenden Kuͤnſte unbedeutend.
Der Pallaſt Falconieri enthaͤlt einige Ge - maͤhlde, die ich aber groͤßtentheils fuͤr Copien halte. Eine heilige Familie von Pouſſin, welche Herr Dr. Volkmann2)S. 437. Hiſt. krit. Nachrichten. anfuͤhrt, iſt es gewiß: Das Original iſt nach Engelland gegangen. Die Madonna mit dem Chriſt von Guido gleichfalls. Die uͤbrigen von ihm angezeigten Gemaͤhlde fehlen. Der Raphael ſollte in dem Schlafzimmer der Prinzeſſin haͤngen, ſo ſagte der Cuſtode; ich habe ihn nicht geſehen.
Die Pallaͤſte Giraud, del Gran Duca, Imperiali enthalten nichts merkwuͤrdiges.
Im Pallaſt Lanti ſoll nach Winkelmann3)G. d. K. S. 311. ein Perſeus mit einem Meduſenkopfe in der Hand ſeyn. Ich ſelbſt habe ihn nicht gefunden, aber auch Anti - quare die ich gefragt habe, kannten ihn nicht. Im Hofe des Pallaſts ſtehen:
Ein Kopf einer Juno.
Eine Minerva.
Zwei Amorinen, die den Bogen ſpannen, und welche nicht zu den beſten Vorſtellungen dieſer Art gehoͤren.
Ein Ringer.
L 2Eine164Allgemeine NachrichtenEine weibliche Figur mit einem Kinde auf dem Schooß. Der Gedanke iſt beſſer als die Ausfuͤhrung.
Die Pallaͤſte: Madama oder del Governo, Maffei, Muti, St. Marco, Nari, Gabrieli, ſonſt Orſini, Ottoboni, Paluzzi ſind in Ruͤck - ſicht auf Gemaͤhlde und Statuen jetzt eben ſo unbe - traͤchtlich, als die Pallaͤſte: Picchini, Pio,4)Ich finde inzwiſchen in der Scuola Italiana von Hamilton einen Jupiter und Antiope nach Palma, aus dieſem Pallaſte genommen, in Kupfer ge - ſtochen. Propaganda Fide, Ricci, Ranuccini, Rocci.
Der Pallaſt Rondimini ſoll eine vortreffliche Sammlung von Kunſtwerken enthalten, und dar - unter einige Freſcomahlereien von Correggio aus der Kuppel des Doms zu Parma. Er war aber zu meiner Zeit, weil der Beſitzer lange Jahre abweſend war, verſchloſſen.
Die Pallaͤſte: Sacchetti und Sacripanti, enthalten, der Verſicherung nach, nichts, was die Aufmerkſamkeit des Liebhabers zu reizen im Stande waͤre.
Im Pallaſt Salviati ſollen einige Mahlereien aͤlterer Florentiniſcher Meiſter anzutreffen ſeyn. Der geringe Geſchmack den ich an Werken dieſes Stils finde, hat mich gehindert, ſie zu ſehen.
Das Gute, was im Pallaſt Santobuono ſtand, ſoll nach dem Tode des Cardinals dieſes Nahmens, nach Neapel gegangen ſeyn.
Endlich ſollen die Pallaͤſte Savelli, di Sciarra, Serlupi nichts Intereſſantes fuͤr dieKuͤnſte165uͤber verſchied. Pallaͤſte u. Villen. Kuͤnſte enthalten, mit denen ſich das gegenwaͤrtige Buch beſchaͤfftigt.
Villa Altieri. Das Gemaͤhlde aus dem Gra -Villen. be der Naſonen, von dem Winkelmann5)G. d. K. S. 560. redet, iſt hier oft vergebens geſucht worden. Die beſten Sta - tuen ſind auf entlegene Landguͤter des Prinzen ge - bracht, und der Reſt verdient wenig Aufmerkſamkeit.
Villa Madama und Villa Mellini ſind mehr der herrlichen Ausſicht wegen zu bemerken, die man von ihnen aus uͤber Rom und die umliegende Ge - gend hat, als der Truͤmmer von Statuen wegen, die hier noch aufbehalten werden.
Villa Pia, Sciarra und Strozzi ſind gleich - falls in Anſehung der dort befindlichen Kunſtwerke unbetraͤchtlich.
Auf gewiſſe Weiſe gehoͤren die antiken Mah -Nachricht uͤber die Baͤ - der des Ti - tus. lereien und Stuccaturarbeiten in den Baͤdern des Titus zu den Kunſtwerken in den Villen, weil ſie in der Vigna eines Particuliers befindlich ſind. Ich will die wenigen Bemerkungen, die ich daruͤber gemacht habe, herſetzen; geſtehe aber zu gleicher Zeit, daß ſie ſehr mangelhaft ſind. Ich liebe ein Kunſt - werk mit Ruhe und Bequemlichkeit zu ſehen: und beides wurde mir hier verſagt. Dieſe Souterrains ſind ſo verſchuͤttet, daß man auf allen Vieren kriechen muß, um aus einem Zimmer ins andere zu kommen: dabei ſo feucht, daß ſich der Salpeter allenthalben in Zapfen anſetzet, und derjenige, deſſen GeſundheitL 3nicht166Allgemeine Nachrichtennicht feſt iſt, Gefahr laͤuft, ſie ohne den geringſten Gewinn fuͤr ſein Vergnuͤgen zu verderben. Denn die Mahlereien und Stuccaturarbeiten ſind durch den haͤufigen Dampf der Fackeln ſo angeſchwaͤrzt, daß man Muͤhe hat, etwas davon zu erkennen.
Die ſogenannten Baͤder des Titus ſind weit - laͤuftige Souterrains, die wahrſcheinlich nicht blos zum Baden, ſondern uͤberhaupt zu einem kuͤhlen Sommeraufenthalte gedienet haben. Man kann in einem Garten oder Vigna durch zwei Eingaͤnge ſo - wohl nach den alten bekannten, als zu den neu wie - der aufgefundenen Saͤlen gelangen, und beide haͤngen durch unterirrdiſche Communicationen zuſammen.
Der neuaufgefundenen Zimmer iſt eine unzaͤh - liche Menge, aber bemahlt ſind hoͤchſtens drei bis vier. Den Fußboden hat man bis jetzt noch nicht aufgefun - den, noch gereiniget.
Dieſe Souterrains ſind von unendlichem Um - fange: in einigen findet man Spuren einer ehemali - gen Waſſerleitung.
Die Mahlereien und Verzierungen aus Stucco ſind an den Decken und an einem Theil der Waͤnde angebracht. Die beſten in den fruͤher entdeckten Kammern ſcheinen diejenigen zu ſeyn, die auf einen ſchwarzen Grund gemahlt ſind. Hier zeigt man auch das ſogenannte Gemaͤhlde der Mutter des Coriolanus vor ihrem Sohne. Ich konnte kaum die Figuren er - kennen. Die Verzierungen ſind in dieſer Reihe von Zimmern von gutem Geſchmack, aber ſehr leicht weggemacht. Ueberhaupt iſt das Ganze doch nur eine bloße Decorationsarbeit.
Unter167uͤber verſchied. Pallaͤſte u. Villen.Unter den neuaufgefundenen Kammern ver - dient vorzuͤglich ein langer Saal oder Corridor be - merkt zu werden, der ſehr ſchmal und hoch iſt. Die Waͤnde ſind mit einer Art von Mahlerei bedeckt, die der chineſiſchen Architektur oder Landſchaftsmahlerei aͤhnelt: an der Decke aber ſind drei Gemaͤhlde von dramatiſcher Compoſition. Kaum daß man den Umriß, und Spuren einer ſehr rothen Carnation darin erkennt. Die Figuren von Stucco ſind mei - ſtens abgefallen.
Die Verzierungen aus Stucco in einem andern Zimmer dieſer Suite ſind, wie man noch jetzt ſieht, vergoldet geweſen.
Die Stuccaturarbeit in dieſen Kammern uͤber - haupt iſt gemeiniglich in Felder abgetheilt. Dieſe ſowohl, als die Mahlereien, ſind von vielfacher Erfin - dung. Die Frieſen ſtellen Opferthiere, Vaſen, Ge - nien, Seeungeheuer, Weinranken, Arabesken u. ſ. w. vor. 6)Wer mehr von dieſen Verzierungen und den groͤße - ren Gemaͤhlden wiſſen will, den verweiſe ich auf ein Werk, welches vor ein Paar Jahren unter dem Titel: le antiche Camerae delle terme di Ti - to etc. da Ludovico Mirri, herausgekommen iſt. Man muß aber wiſſen, daß die Einbildungskraft der Kuͤnſtler, vorzuͤglich beim Illuminiren, vieles hinzugeſetzt hat.Alle haben den Charakter des Swelten, Leichten, Fliegenden an ſich, der dem lieblichen Ein - druck von Verzierungen ſo unentbehrlich iſt.
Man beſchuldigt den Raphael, daß er dieſe Kammern, nachdem er manches Suͤjet, und vor -L 4zuͤglich168Allgemeine Nachrichten uͤber ꝛc. zuͤglich die Arabeſken daraus entlehnt, wieder zu - ſchuͤtten laſſen. Gewiß iſt es, daß eine große Aehn - lichkeit zwiſchen ſeiner Decoration der Loggie del Va - ticano, und der dieſer neuaufgefundenen Souterrains herrſcht. Inzwiſchen ſind letztere viel ſparſamer an - gebracht, und ſimpler in der Erfindung; hingegen auch weniger fleißig ausgefuͤhrt. Ludovico Mirri hat die neueren entdeckt.
In dem Garten, worin der Tempel der Minerva Medica ſteht, findet man ein ſogenanntes Columbarium. An der Decke ſieht man einige artige Ornamente aus Stucco, und Spuren aͤhnlicher bereits abgefallener, die man leicht fuͤr Zeichnungen aus einer Farbe, fuͤr Monochromata, halten koͤnnte.
Ich verlaſſe die Pallaͤſte und Villen in Rom, um noch einen Blick auf Kunſtwerke in Kirchen, und nachher auf einige andere an offenen oder freien Plaͤtzen daſelbſt zu werfen. Aber meine Anmerkun - gen duͤrfen hier kuͤrzer ſeyn: Die Schriftſteller, welche ſich mit der Beſchreibung Roms beſchaͤfftigt haben, ſind wenigſtens bei der Nomenclatur der Kunſtwerke in oͤffentlichen Gebaͤuden und an freien Plaͤtzen genauer und umſtaͤndlicher geweſen, als bei der Anzeige der Sammlungen in Privatgebaͤuden, woruͤber ſich mehr als eine Urſache zur Erklaͤrung angeben laͤßt.
Ich habe auch bereits bei den Pallaͤſten das Meiſte von dem geſagt, was ich uͤber die Kuͤnſte em - pfunden habe, und ich habe es beſſer und ſchicklicher ſagen koͤnnen, weil die Anzahl belehrender Beiſpiele dort groͤßer iſt, und die Gelegenheit ſie gut zu ſehen, bequemer.
Sollte ich mich mit der Hoffnung ſchmeicheln duͤrfen, daß die Liebhaber, welche mein Buch mit den Kunſtwerken, von denen es handelt, verglichen haben werden, die darin enthaltenen Grundſaͤtze ſich zu eigen gemacht haben koͤnnten; ſo wuͤrden ſie vonſelbſt172Vorerinnerung. ſelbſt und ohne fernere Leitung, die wenigen, noch nicht beſchriebenen Kunſtwerke ausfinden, die ihrer Auf - merkſamkeit werth ſeyn moͤgen.
Inzwiſchen, vielleicht beduͤrfen meine Saͤtze, meine Vermuthungen, meine Zweifel noch mehrerer beſtaͤtigenden Erfahrungen, und vielleicht muß ich noch ſelbſt dieſe Erfahrungen zu machen helfen, den Geſichtspunkt anzeigen, aus dem ich die Werke der Kunſt angeſehen habe, um, wenn mich der Vorwurf treffen ſollte, nicht den richtigen gewaͤhlt zu haben, wenigſtens denjenigen abzulehnen, aus dem einmal falſch gefaßten nicht alles geſehen zu haben, was ſich daraus ſehen ließ.
Ein anderer Grund tritt hinzu, warum zur Vollſtaͤndigkeit meines Werks auch Bemerkungen uͤber die Kirchen Roms erfordert werden.
Der Stil der Kunſtwerke, die ſie zieren, weicht, vorzuͤglich in der Sculptur, merklich von demjenigen ab, den wir an den Kunſtwerken in den Pallaͤſten kennen gelernt haben. Iſt jener nach meinen Ideen nicht ge - macht, ſeiner Vorzuͤge wegen zum Muſter der Befol - gung aufgeſtellt zu werden, ſo werden wenigſtens ſeine Fehler zum warnenden Beiſpiel dienen: und der gute Geſchmack, der durch den Anblick der alten Kunſt - werke jetzt befeſtiget ſeyn muß, kann nur dabei gewin - nen, neben der praktiſchen Lehre von dem, wie esſeyn173Vorerinnerung. ſeyn ſoll, auch diejenige zu finden, wie es nicht haͤtte ſeyn muͤſſen.
Ich wuͤrde aber in unzaͤhlige und unnuͤtze Wie - derholungen fallen, wenn ich bei jedem einzelnen Denkmale des ſchlechten Geſchmacks die Kennzeichen, durch die es ſich von dem ſchoͤnen Kunſtwerke unter - ſcheidet, anzeigen wollte. Ich will lieber eine allge - meine Vergleichung der Kunſtwerke in den Kirchen mit den Kunſtwerken in den Pallaͤſten, eine allge - meine Einleitung in den Kirchenſtil voraus ſchicken; hernach dasjenige, was unſrer Aufmerkſamkeit im Einzelnen werth bleibt, herausheben, und den Reſt mit einem Stillſchweigen, oder mit einer ſo kurzen Beruͤhrung uͤbergehen, daß das Urtheil, welches ich daruͤber faͤllen zu muͤſſen glaube, ſich von ſelbſt aus - ſprechen wird.
Nichts kann beim Eintritt in die Kirchen von Rom auffallender ſeyn, als die Verſchiedenheit, die wir zwiſchen den mehreſten der neueren Statuen und den Werken der alten Bildhauerei antreffen, die wir in den Pallaͤſten verlaſſen haben.
Hier lauter verhuͤllete Figuren; dort beinahe lauter nackte, oder doch ſo bekleidet, daß dem Auge von dem Reize der Formen des Koͤrpers nichts entzo - gen wird: Hier oft niedrige und gemeine Natur, immer demuͤthige, hoͤchſtens liebliche Geſichtsbildung; dort idealiſche Schoͤnheit, Hoheit des Geiſtes, große Bedeutung in Mine und Tragen des Koͤrpers: Hier das ſteinerne Bild in unbeſtimmter Bewegung; dort in Ruhe oder vollſtaͤndig deutlicher Handlung: End - lich, hier den deutlichſten Anſpruch das Werk aus rundem Stein, als ein flaches Gemaͤhlde erſcheinen zu laſſen; dort die Beſcheidenheit von der Statue nicht mehr zu verlangen als ſie giebt, naͤmlich die treueſte Abbildung eines von mehr als einer Seite zu beſchauenden Koͤrpers.
Es iſt intereſſant die Gruͤnde dieſer Verſchieden - heit in den inneren und aͤußeren Verhaͤltniſſen aufzu - ſpuͤren, unter denen die Kuͤnſtler beider Epochen ge - arbeitet haben.
Die Griechen ſahen die Darſtellung der nacken - den Geſtalt des Menſchen als den Triumph der Bild -hauer -175in der Bildhauerei. hauerkunſt an. Ich glaube mit Recht. Sie iſt es,Warum der neue Kuͤnſt - ler das Na - ckende ſelte - ner und nicht mit gleichem Gluͤcke wie der alte bil - det. die mit Treue darzuſtellen der Meiſſel die groͤßten Schwierigkeiten zu uͤberwinden hat. Sie iſt es, die ihrer glatten und weißen Oberflaͤche wegen, dem bearbeiteten Marmor am meiſten aͤhnelt. Sie iſt es, welche die mehreſte Abwechſelung angenehmer Formen den aͤußeren Sinnen darbietet, und ſie iſt es endlich, die auch der innere durch ſelbſtiſche Vergleichung mit ſeiner eigenen Huͤlle am intereſſanteſten in der Nach - bildung findet.
Dieſe nackende Geſtalt ſtellt der neue Kuͤnſtler nicht mit gleichem Gluͤcke dar: er kann es nicht, er will es nicht, er darf es nicht, wenn er es auch koͤnnte und wollte.
An und fuͤr ſich iſt das Blut der Griechen ſchoͤ - ner als aller uͤbrigen Voͤlker der Erde. So finden es alle Reiſende in dieſem von der Natur beguͤnſtigten Lande noch jetzt, zu einer Zeit, wo mit der Ernie - drigung des moraliſchen Menſchen der phyſiſche von ſeiner urſpruͤnglichen Vollkommenheit gewiß herab - geſunken iſt.
Denn dem Menſchen, deſſen Eltern nie unter dem Druck von Tirannei geſeufzt haben, wird eine Geſtalt angebohren, die das Gepraͤge der ſorgloſen Heiterkeit an ſich traͤgt, unter der er gezeugt iſt. Dieſe angebohrne Heiterkeit, deren ſich die Griechen als eines eigenthuͤmlichen Geſchenks der Goͤtter ruͤhm - ten, gehoͤrte daher ſowohl ihrer Regierungsform zu, als dem Clima, unter dem ſie lebten. Gemaͤßigte Leidenſchaften waren die Folge von beiden. Kein Luxus, der den Koͤrper unmittelbar zerſtoͤret, keine Krankheit, die mit der Befriedigung des natuͤrlich -ſten176Ueber die Kennz. des Kirchenſtilsſten Triebes die ſchrecklichſten Folgen der Entſtellung des Koͤrpers verbunden haͤtte, vermochten dazumal die urſpruͤngliche Anlage zur Schoͤnheit zu verderben; hingegen diente die ganze, mit den Beduͤrfniſſen des Staats und der engern Geſelligkeit ſo genau verbun - dene Erziehung dazu, jene Anlage zur koͤrperlichen Schoͤnheit bis zum hoͤchſten Grade der Vollkommen - heit auszubilden.
Die Art der Alten Krieg zu fuͤhren, Mann an Mann, machte Uebungen von Kampf und Spielen nothwendig, in denen der Koͤrper Behendigkeit und Feſtigkeit gewinnen ſollte. Die Art der Alten, in dem Umgange mit dem weicheren Geſchlechte Unter - haltung aufzuſuchen, erhoͤhete den Werth ſolcher Ta - lente, die von koͤrperlichen Vorzuͤgen den hoͤchſten Reiz entlehnen. Daher Gymnaſien, Baͤder, Spiele des Wettrennens, des Diſcuswerfens, des Ringens, pantomimiſche Taͤnze bei oͤffentlichen Feſten: Ja! ſo - gar Wettſtreite der Schoͤnheit unter Juͤnglingen und Maͤdchen unter Autoritaͤt der Geſetze.
Wie viel anders dies alles bei uns! Weniger urſpruͤngliche Anlage zur Schoͤnheit, und beinahe durchaus keine Veranlaſſung, fuͤr die Ausbildung die - ſes Vorzugs eine ausgezeichnete Sorge zu tragen. Selbſt das Weib, das bei uns einen beſonderen Werth auf ihre Geſtalt legt, macht ſich nach unſern Begrif - fen von ſittlicher Vollkommenheit laͤcherlich.
Warum ſoll der neue Kuͤnſtler das vorzuͤglich gern vorſtellen wollen, was nicht vorzuͤglich gern ge - ſehen wird? Doch es ſey! Angefeuert durch das Bei - ſpiel der Griechen, haͤlt er die nackte Geſtalt noch jetzt fuͤr den wuͤrdigſten Vorwurf des Meiſſels; wieſelten177in der Bildhauerei. ſelten bietet ſich ihm ihr Anblick dar, und wie noch ſel - tener in der Vollkommenheit, die ihn zur Nachbil - dung anfeuern koͤnnte!
Bei den Griechen ſahe der Kuͤnſtler die nackten Formen der edelſten Jugend beider Geſchlechter in dem Grade von Vollkommenheit, wozu ſie beſorgte Erziehung, die Folge des Wohlſtandes, nur immer zu bringen im Stande war. Er ſahe ſie taͤglich, bei ihren Feſten, bei ihren Spielen, uͤberall, indem Clima und falſche Begriffe von Anſtand gaͤnzliche Verhuͤllung des Koͤrpers nicht nothwendig machten. Die ſchoͤnſten der griechiſchen Maͤdchen und Juͤnglin - ge hielten es ſich zur Ehre, als eine Venus, als ein Apollo der Gegenſtand oͤffentlicher Verehrung zu werden.
Hingegen bei uns waͤhnt ſich die Buhlerin, die ihre Reize zu jedem andern Gebrauche feil bietet, durch den Antrag entehrt, dem Kuͤnſtler zum Mo - delle zu dienen. Rauheres Clima, andere Begriffe von Anſtand, und phantaſtiſche Mode haben eine gaͤnzliche Verhuͤllung nothwendig gemacht; und ſel - ten gluͤckt ſeitdem dem Bildhauer der Anblick eines nackten Koͤrpers. Auge und Hand entwoͤhnen ſich der Bekanntſchaft mit Gegenſtaͤnden, deren Nach - bildung nothwendig Sicherheit des Blicks, und Ue - bung der Hand erfordert. Es iſt eine bekannte Er - fahrung, daß der neuere Kuͤnſtler die Extremitaͤten des Koͤrpers, die er oft entbloͤßt ſieht und nachahmt, wenn gleich nicht mit gleicher Schoͤnheit, dennoch mit gleicher Wahrheit als der alte bildet; nur die uͤbri - gen Theile des Koͤrpers erfuͤllen ſelten die Forderungen, zu denen uns die Werke der Alten berechtigt haben.
Dritter Theil. MDer178Ueber die Kennz. des KirchenſtilsDer neue Kuͤnſtler arbeitet alſo groͤßtentheils aus der Erinnerung, oder wenn ihm auch ein lebendes Modell zur Nachbildung zu Theil wird, wie erhaͤlt er es? Entſtellt durch preſſende Bekleidungen, die dem Wuchs des Koͤrpers eine ſchiefe Richtung gegeben ha - ben1)Z. E. Schnuͤrbruͤſte, Schuhe. Beinahe kein Fuß iſt noch jetzt in ſeiner urſpruͤnglichen Form.: gewelkt durch Sorgen der Nahrung, abge - mergelt durch muͤhſelige Arbeit, erſchlafft durch ent - ehrenden Genuß der Freuden des Lebens, oder gar durch Krankheiten, ihre Folgen.
In der That! ſolch ein Anblick iſt eher im Stande Ekel als Enthuſiasmus zu erregen, und ich weiß nicht, ob der Bildhauer Urſach hat, ſich zu be - klagen, daß das, was er ſo ungern darſtellen moͤchte, da er es nur ſo mangelhaft darſtellen kann, ihm nun auch nach den Begriffen ſeiner Religion ſogar darzu - ſtellen verwehrt wird.
Denn ſeitdem ſich die Begriffe uͤber den Umgang beider Geſchlechter und deren endlichen Zweck ſehr ver - aͤndert haben; ſeitdem die nackte Geſtalt ſo ſelten ge - worden iſt, daß ihre Erſcheinung allemal mit einer maͤchtigen Regung der Einbildungskraft, und durch dieſe mit einer ſtarken Wuͤrkung auf die Sinne ver - knuͤpft iſt; ſeitdem hat man ſehr wohl gethan, die Ver - huͤllung des Koͤrpers an Orten, wo unſer Geiſt mit Dingen dieſer Welt nicht beſchaͤfftigt ſeyn ſoll, zur Nothwendigkeit zu machen.
Dieſe Gruͤnde entwickeln den erſten Unterſchied zwiſchen dem Stile der Alten und dem neuen Kirchen - ſtile in der Sculptur. Jene verſchleiert die nackteForm179in der Bildhauerei. Form des menſchlichen Koͤrpers weniger als dieſe, und entzieht ſie nie dem Auge ganz.
Unvermerkt und gleichſam von ſelbſt, komme ichDem alten Kuͤnſtler war Gewand Be - kleidung des Koͤrpers: dem neuern iſt ſie Haupt - ſache, von deren will - kuͤhrlichen Bildung er fuͤr ſich be - ſtehenden Reiz erwar - tet. hier auf ein zweites charakteriſtiſches Unterſcheidungs - zeichen. Die Alten, wenn ſie ja bekleideten, thaten es immer auf eine Art, bei der die nackte Form eher gewinnen als verlieren mußte. Man verfolgt deren Umriſſe noch immer unter dem Gewande, und es ſcheint nur darum ihr angelegt zu ſeyn, um die ſtets ſich ſchlaͤngelnden Linien des fleiſchigten und muſcu - loͤſen Koͤrpers, durch einige eckigter und gerader lau - fende zu unterbrechen, und contraſtiren zu laſſen. Hingegen nach unſerm Kirchenſtile iſt ein Gewand ein Laken oder Teppich, den der Kuͤnſtler nach Art des Tuchhaͤndlers vor den Augen des Kaufluſtigen aus - breitet, oder einem Seegel gleich dem Spiel der Winde uͤberlaͤßt. Er verfaͤhrt mit der Bildung der Falten ſo willkuͤhrlich, als der Arabeſken - oder Car - touchenmahler mit ſeinem Laub - und Muſchelwerk. Es ſind nicht Gewaͤnder mehr, es ſind Felsklumpen, Marmorbloͤcke taillirt en Facettes, auf denen das Licht buntſcheckig ſpielt, und die man nie fuͤr dasjenige er - kennen wuͤrde, was ſie ſeyn ſollen, wenn nicht Kopf und Beine an den Ecken hervorragten. Gewand iſt alſo in unſerer neuen Bildhauerkunſt eine fuͤr ſich ſte - hende Hauptſache geworden: eine Schadloshaltung fuͤr die entzogene nackte Geſtalt: oder, wenn man lie - ber will, ein Werkzeug der Rache des beleidigten Ehr - geitzes, indem man durch die neue Erfindung ſelbſt der Andeutung des Verſagten entbehren zu koͤnnen ge - glaubt hat.
M 2Aber180Ueber die Kennz. des KirchenſtilsAber ſelbſt in den Theilen des Nackenden, welche dem neueren Kuͤnſtler mit den alten zum Vorwurf bildlicher Darſtellung auf gleiche Art geblieben ſind: in den Koͤpfen, in den Extremitaͤten, treffen wir eine weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen beiden an. Der letzte ſcheint vermittelſt des idealen Schoͤnen immer uͤber die Graͤnze der uns bekannten Natur hinauszu - gehen, waͤhrend daß der erſte nicht blos aus Unver - moͤgen, ſondern mit Vorbedacht bei der Darſtellung der gewoͤhnlichen Natur ſtehen bleibt.
Mehr! der Ausdruck in den Koͤpfen der Figuren des mythiſchen Cirkels der Alten, der phyſiognomiſche, nicht der pathalogiſche Charakter iſt viel bedeutungs - voller, hoͤher, edler, als in den Koͤpfen der Perſonen unſerer Gottheit, unſerer Patriarchen, Apoſtel und Heiligen, welche mehreſtentheils das Gepraͤge finſte - rer Eingezogenheit, oder duldſamer Demuth auf ih - ren Geſichtsbildungen tragen. Es iſt hier der Ort, die Gruͤnde dieſes neuen Unterſcheidungszeichen des alten und des Kirchenſtils aufzuſuchen.
Einer derſelben iſt durch die vorhergegangene Be - merkung angezeigt, daß die Griechen von einer ſchoͤ - neren Natur umgeben waren. Aber dieſer Grund allein erklaͤrt nicht Alles. Die brittiſche Nation iſt ſeit langer Zeit die ſchoͤnſte des heutigen Europa; aber erſt ſpaͤt haben dieſe Inſulaner die Kuͤnſte geliebt, und noch jetzt iſt nicht Schoͤnheit der erſte Zweck der Bemuͤhungen, die ſie ihnen widmen.
War der phyſiſche Nervenbau der Griechen em - pfaͤnglicher fuͤr die Empfindung des Schoͤnen? Es iſt nicht unwahrſcheinlich. War ihre politiſche, ſittliche und religioͤſe Erziehung mehr dazu gemacht, denSinn181in der Bildhauerei. Sinn des Schoͤnen in ihnen zu entwickeln? Das iſtſchiedenen Gange, den die Kuͤnſte bei ihrer Ausbildung genommen haben, ent - wickelt. gewiß.
Jedes Individuum eines ſo freien, und in ſo viele kleine Staaten getheilten Volkes als die Griechen waren, ſahe ſich als ein weſentliches Stuͤck des Gan - zen an, welches zur voͤlligen Ausbildung ſeiner Kraͤfte durch Patriotismus, Ehrgeitz und Selbſtgefuͤhl auf - gefordert wurde. Der Antheil an der Adminiſtra - tion des Staats, der Dienſt im Kriege, nahmen nur einen Theil derſelben hin, und mit dem Ueberreſt wu - cherten ſie zum Beſten der Kuͤnſte: es ſey durch den unmittelbaren Antheil, den ſie an ihrer Ausuͤbung nahmen, es ſey durch den Fleiß, den ſie auf ſolche Talente wandten, die mit jenen in Verbindung ſtan - den, oder doch das Gefuͤhl fuͤr ſichtbare Schoͤnheit mittelbar entwickelten.
Denn das Denken um zu denken, das Wiſſen um zu wiſſen, war bei den Griechen, zur Zeit wie die Kuͤnſte aufbluͤheten, weniger gewoͤhnlich. Sie ſpeculirten gemeiniglich mit unmittelbarer Beziehung aufs handelnde Leben, und Kenntniſſe, welche den Affekt des Wiſſens, des Erkennens ſpannen, waren zu ſchwer zu erlangen, um die bloße Neugierde nicht ab - zuſchrecken. Nichts natuͤrlicher alſo, als daß ſie ihre Muße auf ſolche Gegenſtaͤnde wandten, die, ohne ei - nen großen Umfang von Vorerkenntniſſen vorauszu - ſetzen, dennoch eine ſolche Unterhaltung geben, welche die Thaͤtigkeit in ernſthafteren Geſchaͤfften nicht hin - dert, vielmehr in manchen Faͤllen unterſtuͤtzt: Dies ſind die ſchoͤnen Kuͤnſte. Der Geſchmack an denſel - ben war alſo viel ausgebreiteter, viel allgemeiner, und da die Schoͤnheit der menſchlichen Geſtalt desM 3Nutzens182Ueber die Kennz. des KirchenſtilsNutzens im Kriege und der Annehmlichkeit im Frie - den wegen, ein eben ſo allgemein geſchaͤtzter Vorzug war, ſo erhielt natuͤrlicher Weiſe jener Geſchmack die Richtung, die Darſtellung der ſchoͤnen koͤrperlichen Form als die hoͤchſte Stufe der Kunſt zu betrachten.
Vieles muß auch daraus erklaͤrt werden, daß die ſchoͤne Geſtalt des Menſchen bei den Griechen das Symbol der Weſen war, denen ſie ihre religioͤſe Ver - ehrung widmeten.
Der rohe Menſch, der den Stein oder Klotz, bei dem ihm die hoͤchſte Kraft ein beſonderes Gluͤck oder Ungluͤck hatte wiederfahren laſſen, erſt als das Wiedererkennungszeichen ſeiner Hoffnung oder ſeiner Furcht geliebt und geſcheuet, bald als Urſach von bei - den angebetet hatte, gerieth bei ſtufenweiſer Verfeine - rung auf den Gedanken, erſt dieſen Klotz in Kopf, Arme und Beine zu ſpalten, dann als treue Abbil - dung des Menſchen, endlich als Ideal ſeiner Geſtalt in ſeinem Tempel aufzuſtellen.
Denn als die lebhafte Thaͤtigkeit der Griechen, welche durch die Unabhaͤngigkeit und durch die Wett - eiferung ſo vieler nahe an einander liegenden Staaten immer unterhalten wurde, ihnen hohe Ideen von thaͤtiger Tugend, Freiheit, Ehre, Vaterlandsliebe, und zu gleicher Zeit ein ſtarkes Gefuͤhl ihrer eigenen Wuͤrde gegeben hatte; ſo wurden ſie durch den En - thuſiasmus zur Vergoͤtterung ihres Gleichen getrieben und legten jenen rohen Ahndungen einer hoͤheren Kraft erſt den Begriff des Menſchen uͤberhaupt, bald aber von menſchlicher Vollkommenheit in dem hoͤchſten Grade, den ſie ſich denken konnten, bei.
In183in der Bildhauerei.In dieſen Begriff von Vollkommenheit nahmen ſie koͤrperliche Schoͤnheit aus den angefuͤhrten Urſa - chen als ein nothwendiges Ingredienz auf: ſie ſetzten aus den verſchiedenen Erfahrungen, die ſie im Ein - zelnen gemacht hatten, ein ſchoͤneres Ganze zuſammen, und verehrten nun das vollkommenſte Weſen unter der Bildung des ſchoͤnſten ſeiner Geſchoͤpfe.
Anfangs war eine ſolche bildliche Darſtellung nur idealiſche Verſinnlichung hoͤherer Kraͤfte, nach Er - fahrungen aͤhnlicher aber bekannter Tugenden. Ju - piter war wuͤrklich Gott, der beſte aller Beherrſcher nach dem Zuſchnitt der guten wuͤrklichen Regierer der Voͤlker. Nachher verdiente der Menſch, der dieſen Begriff am mehreſten in ſeinem irrdiſchen Leben aus - fuͤllte, der naͤchſte nach dem hoͤheren Weſen, der Halbgott, der Held, eine Erhaltung ſeines Anden - kens von ſeinen dankbaren Mitbuͤrgern. Man idea - liſirte ſeine Form, um ihn zu vergoͤttern, oder wenig - ſtens ſeine Nachkommen durch den ſinnlichſten aller Eindruͤcke zur fernen Verehrung und Nacheiferung anzufeuren.
So wurden Tempel, oͤffentliche Plaͤtze, jedes Privatgebaͤude bevoͤlkert. Das Kind, deſſen Haͤnde zum erſtenmale von der Mutter zum Dienſt der Gott - heit gefaltet wurden, ſahe in dem Bilde der hoͤchſten Kraft nur den ſchoͤnſten der Sterblichen; und der aͤltere Sohn, dem der Vater das oͤffentliche Monu - ment, den Zierrath ſeiner Wohnung erklaͤrte, erblickte in dem ſchoͤnſten der Menſchen nur das Bild der inne - ren Wuͤrde ſeiner Vorgaͤnger. Soll ich es erſt ſa - gen, wie ſich Hoheit der Seele und Gefuͤhl der Schoͤn - heit hier wechſelſeitig verſtaͤrkten, wie ſich kein ſchoͤnerM 4Koͤrper184Ueber die Kennz. des KirchenſtilsKoͤrper denken ließ, ohne eine ſchoͤne Seele, und keine ſchoͤne Seele ohne einen ſchoͤnen Koͤrper! Soll ich es erſt ſagen, wie ſehr der Kuͤnſtler, der fuͤr die innere Bildung ſeiner Landsleute, wie fuͤr ihr Vergnuͤgen arbeitete, der Mann des Staats, der Liebling der Nation wurde! Wie das Bewußtſeyn dieſes wichti - gen Antheils an dem allgemeinen Wohl ihn zu hohen Ideen emporhob, den Begriff des wahrhaft Großen und Edeln in ihm gruͤndete, und wie die Bezeugung oͤffentlicher Achtung ihn ſpornte, an hoͤhere Vollkom - menheit ſtets hinanzuſtreben!
So trug ſittliche, religioͤſe und politiſche Erzie - hung zu dem ausgezeichneten Geſchmack der Griechen an Schoͤnheit der Geſtalten bei: an Geſtalten mit hoher Bedeutung eines zum Beſten der Menſchheit thaͤtigen Weſens, an Geſtalten, die neben jener Be - deutung auch das Bewußtſeyn ihres Werthes zu ha - ben ſcheinen: An ſchoͤnen, an maͤchtigen, aber auch an ſtolzen Geſtalten!
Ehe ich zu der Abweichung unſerer Begriffe uͤber die Bildung der Perſonen, die den Gegenſtand unſe - rer religioͤſen Verehrung ausmachen, uͤbergehe, muß ich noch eine Anmerkung uͤber den Gang der Kuͤnſte bei den Griechen hinzufuͤgen, welche es erklaͤren wird, warum ſie bei ihrem unaufhoͤrlichen Streben nach Schoͤnheit und hoher Bedeutung, dennoch die Grund - regeln derſelben, Simplicitaͤt, Ebenmaaß, Regelmaͤſ - ſigkeit, Richtigkeit der Verhaͤltniſſe, kurz! alle Grund - lagen unſers Vergnuͤgens an dem Wohlgeordneten und Uebereinſtimmenden der Geſtalt nie verlaſſen ha - ben. Denn dieſe Schranken finden wir nicht uͤber - ſchritten, ſelbſt in den ſpaͤteſten Werken der altenKunſt185in der Bildhauerei. Kunſt nicht, und die Fehler, die dagegen begangen ſind, ſcheinen mehr dem Unvermoͤgen zuzugehoͤren, die Vollkommenheit, zu der ſie fuͤhren, zu erreichen, als der wiſſentlichen Abſicht, ſie Feldein auf einem andern Wege zu verfolgen.
Fruͤh, in den erſten Zeiten des Wachsthums der Kuͤnſte, finden wir die Bildſaͤulen menſchlicher Figu - ren als Symbole derſelben behandelt: nicht anders wie Gebaͤude Symbole von Huͤtten ſind, mit dem Senkblei und dem Winkelmaaß in ſymmetriſche Ge - ſtalten geſchnitten. Es ſind keine Nachbildungen der Menſchen, es ſind fuͤr ſich ſtehende Geſchoͤpfe, an denen die einzelnen Theile zu dem Ganzen nach inne - ren, aus der Maſſe ſelbſt hergenommenen, Verhaͤlt - niſſen harmoniren. Alles iſt viereckigt, ſteif und oh - ne Wahrheit; aber alles ſtimmt an der willkuͤhrlichen Compoſition zu einem leicht von der Seele zu faſſen - den Begriff uͤberein: alles iſt wohlgeordnet. Von dort iſt man zur Wahrheit fortgeſchritten, man hat die urſpruͤngliche Simplicitaͤt, das Ebenmaaß der Theile zu einander, das Verhaͤltniß derſelben zum Ganzen beibehalten; man hat aber auch mehr Ver - ſchiedenheit der Formen in die Theile gebracht, und uͤberhaupt die Uebereinſtimmung des Nachgebildeten mit dem Vorbilde mehr beſorgt. Das Viereckigte hat mehr Rundheit, die Linie mehr Ausſchweifung, das Detail mehr Treue erhalten. Endlich hat man den Reiz hinzugefuͤgt, die wellenfoͤrmigen Contouren, die Abwechſelung in den Stellungen und Formen der ein - zelnen Glieder. Auf ſolche Art iſt die ſymmetriſche Verfahrungsart unter Leichtigkeit, unter Schein des Regelloſen, und unter Mannichfaltigkeit der FormenM 5zwar186Ueber die Kennz. des Kirchenſtilszwar verſteckt, nicht aber ganz aus den Augen geſetzt worden: und hierbei iſt man ſtehen geblieben.
Dieſe Erziehung der Idee von Schoͤnheit ſcheint nun mehrere gluͤckliche Folgen gehabt zu haben. Ein - mal hat man nie das Nothwendige dem Ueberfluͤſſi - gen, nie Treue und Wahrheit, am wenigſten aber den leichten Begriff des Wohlgeordneten und ſchnell zu Faſſenden der Sucht aufgeopfert, eine Menge von unbeſtimmten Gefuͤhlen durch Abwechſelung ungewiſ - ſer Formen in dem Beſchauer zu erwecken. Sim - plicitaͤt in Mine und Stellung, Simplicitaͤt und Ebenmaaß in den Verhaͤltniſſen der Theile zum Gan - zen, jene Grundpfeiler der Schoͤnheit, und hoher Be - deutung, ſind ſtets mit aͤußerſter Gewiſſenhaftigkeit beobachtet worden.
Ferner: Da die alten Kuͤnſtler die Schoͤnheit immer auf einer und derſelben Straße verfolgt ha - ben, ſo haben ſie auch alles was darauf lag, viel voll - ſtaͤndiger aufſammeln koͤnnen, als unſere neueren, wel - che, bald auf dieſem, bald auf jenem Wege, Vergnuͤ - gen und Unterhaltung fuͤr uns aufzuſuchen bemuͤht geweſen ſind.
Dies ſcheinen mir die hauptſaͤchlichſten Urſachen der Hoͤhe zu ſeyn, auf der die Alten gegen die Neueren in Ruͤckſicht auf idealiſche Form, und auf Bedeutung idealiſcher Geiſtesgroͤße ſtehen. Phyſiſche Anlage und moraliſche Verfeinerung des Gefuͤhls fuͤr Schoͤnheit: ein erhabener, mit der Religion und politiſchen Ver - faſſung in genauer Verbindung ſtehender Zweck der Kunſt: die davon abhaͤngende Achtung des Kuͤnſt - lers: und endlich der einfache Gang der Kuͤnſte, dieaus187in der Bildhauerei. aus der Grundquelle der Uebereinſtimmung der Theile zum Ganzen entwickelte Idee der Schoͤnheit.
Alle dieſe Urſachen fallen bei uns weg. Wir denken uns den ſittlich vollkommenen Menſchen wohl ganz getrennt von dem phyſiſch vollkommenen: we - nigſtens braucht der moraliſche Held nach unſern Be - griffen nicht der ſchoͤnſte Menſch zu ſeyn. Unſere po - litiſchen Verhaͤltniſſe geben uns gar keine, und unſere geſelligen nur eine ſehr geringe Veranlaſſung, auf koͤrperliche Geſtalt einen beſondern Werth zu legen. Unſere groͤberen Sinne werden durch fleiſchigte aus - geſchweifte Formen viel ſtaͤrker in Bewegung geſetzt, als durch einfache und uͤbereinſtimmende Ordnung der Theile zum Ganzen.
Das Vergnuͤgen, was wir an einer ſchoͤnen Ge - ſtalt empfinden, gehoͤrt unſerm Verſtande, unſerm Nachdenken: es iſt ein gequaͤltes Werk, ein fremder von den Griechen hergeholter Geſchmack, der hier, wie in ſo vielen andern Dingen, mit unſern ſittlichen und religioͤſen Begriffen gerade zu im Widerſpruche ſteht.
Denn unſere von der Religion gebildete Moral verbietet uns auf einen ſo zufaͤlligen Vorzug, als der einer ſchoͤnen Geſtalt iſt, irgend einigen Werth zu le - gen, und es hat Zeiten gegeben, in denen man es zur Gewiſſensſache hat machen wollen, den Heiland, der uns zum Vorbilde menſchlicher Vollkommenheit aufgeſtellet iſt, der ſich aber aller weltlichen Vortheile entaͤuſſert, Schmerzen und Leiden in ſeinem Leben auf ſich genommen hatte, unter einer ſchoͤnen und geſun - den Geſtalt zu denken.
Am wenigſten aber laͤßt eben dieſe chriſtliche Sittenlehre den Ausdruck des Bewußtſeyns einerthaͤti -188Ueber die Kennz. des Kirchenſtilsthaͤtigen Seelengroͤße zu, jenen Charakter von Ho - heit, der uns bei dem Anblick einer Statue der Alten den Ausruf abpreßt: Welch ein Mann! Welche Thaten duͤrften wir von ihm erwarten, wenn er wie - der ins Leben hervorgienge!
Es iſt intereſſant zu ſehen, welchen Begriff die neueren Kuͤnſtler mit den Perſonen der Gottheit, und ihrer hauptſaͤchlichſten Verehrer verknuͤpft haben.
Sie haben das alte Teſtament von dem Neuen getrennt. Aber der Gott Iſraels iſt ihnen in der Geſchichte des neuen Bundes die erſte Perſon der Dreieinigkeit geblieben. Gott der Vater alſo, der die Suͤnden der Vaͤter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied ſtraft, der erzuͤrnt uͤber das menſch - liche Geſchlecht nur durch das Leiden ſeines Sohnes verſoͤhnt werden konnte, hat die ernſte, finſtre und ſtrenge Mine eines aufgebrachten Richters2)Ich bin ſehr weit entfernt, die Art, wie die Kuͤnſt - ler die Perſonen unſerer heiligen Geſchichte aus Irrthum und falſchen Begriffen ſich gedacht haben, zu der meinigen zu machen. Man ſieht hier leicht, daß ich blos davon ſpreche, wie es iſt, nicht da - von wie es ſeyn koͤnnte und ſollte. er - halten, und die Patriarchen, von Adam an bis auf den juͤngſten Propheten, ſcheinen durch das lange Harren auf die Zukunft des Mittlers in nicht geringe Sorgen, Schwermuth und Graͤmelei verſunken. Lauter unaufgeraͤumte Graubaͤrte, die mit den muͤr - riſchen Flußgoͤttern der Alten die groͤßte Aehnlichkeit haben. Zeichnet ſich einmal ein Joſeph oder David unter ihnen aus; die Geſchichte des PatriarchaliſchenZeit -189in der Bildhauerei. Zeitalters zeigt dieſe Koͤnigsſoͤhne als Hirten: und ſo erſcheinen ſie in unſern Gemaͤhlden.
Der Heiland wird uns in der Bibel als der ſanftmuͤthigſte, duldſamſte, liebendſte aller Menſchen geſchildert. Dieſer Charakter laͤßt ſich mit einer ſchoͤnen Figur verbunden als moͤglich denken, aber die Nothwendigkeit dazu liegt ſo wenig am Tage, daß man vielmehr bei alle dem Leiden, welches er waͤh - rend ſeines Wallens hienieden ausgeſtanden hat, nur durch eine kraͤnkliche abgehaͤrmte Figur den Begriff ſeines hiſtoriſchen Daſeyns in der Kunſt voͤllig deut - lich zu machen glauben kann. Auch finden wir ſo wenig ihn als ſeine Nachfolger, die Apoſtel und Hei - ligen unter ſehr ſchoͤnen Geſtalten gebildet. Und das nicht ſowohl aus Unvermoͤgen, als aus Abſicht. Der Begriff von chriſtlicher Entaͤußerung und Demuth hat dies verhindern muͤſſen, bei einigen haben be - ſtimmte Nachrichten und Legenden im Wege ge - ſtanden. Die Apoſtel waren Perſonen von gemeiner Herkunft und ſchon bei Jahren: Nur Paulus und Johannes machen hier Ausnahmen; der letzte wird mit ſchuͤchterner Lieblichkeit gebildet. Der heil. Pe - trus iſt der Tradition zufolge kurz, unterſetzt und von eckigter Form geweſen, andere Apoſtel waren eben dieſer Tradition nach nicht ſchoͤner: die Stifter der Orden aber meiſtens ausgehungerte, durch Krank - heiten, Faſten und Caſteien abgemergelte Menſchen. Ahndung von Geiſtesgroͤße finden wir nirgends. Thaͤtige Tugend wie die Griechen ſie bildeten, ſchien dem Geiſte einer Religion zuwider, nach deren Lehren man Kindern aͤhneln ſoll, um das Reich Gottes zu erwerben. Bewußtſeyn unſers Werthes, Ausdruckdes190Ueber die Kennz. des Kirchenſtilsdes Geelenadels graͤnzt in der ſichtbaren Darſtellung an Stolz. Man haͤtte den Maͤrtyrern den Aus - druck der Standhaftigkeit geben koͤnnen, aber in den bildenden Kuͤnſten iſt dieſer Ausdruck nicht beſtimmt genung, und mit ſanfter Einfalt verbunden, wird er unbedeutend.
Die Gottheiten der Alten unterſcheiden ſich noch beſonders von den Heiligen der Neueren und ſelbſt von der letztern Vorſtellungsart des hoͤchſten Weſens da - durch, daß jene perſonifiirte Menſchengattungen wa - ren, dieſe hingegen perſonifiirte einzelne Individuen von Menſchen oder perſonifiirte Abſtrakte, allegoriſche Bilder unſinnlicher Eigenſchaften ſind. Es iſt naͤm - lich eine bekannte Erfahrung, daß ſich nicht blos die hervorſtechenden Neigungen des Herzens, die Faͤhig - keiten der Seele und des Koͤrpers, an der Geſtalt des Menſchen aͤußern, ſondern daß auch die Lage in der ſie ſich im handelnden Leben befinden, die be - ſondere Richtung, welche die Eigenſchaften ihrer Seele und ihres Koͤrpers zu einer beſtimmten und an - haltenden Thaͤtigkeit oder Beſchaͤfftigung erhalten ha - ben, ſich auf die aͤußere Form des Koͤrpers ein - druͤcken. 3)Dies geht ſo weit, daß Maͤnner, die es in der Be - merkungskraft zu einem gewiſſen Grade von Fer - tigkeit gebracht haben, auf den erſten Blick die ver - ſchiedenen Handwerker: Schneider, Schuſter u. ſ. w. blos nach der Geſtalt zu unterſcheiden wiſſen.
Die Alten ſcheinen aus vielen Erfahrungen, aus mehreren Beiſpielen im Einzelnen, die praͤgnanteſten Zuͤge der Geſtalt herausgehoben zu haben, worinmehrere191in der Bildhauerei. mehrere Menſchen von gleichen Neigungen, Faͤhig - keiten, unter aͤhnlichen Lagen, und mit gemeinſchaft - licher Beſchaͤfftigung zuſammentreffen, und ſich da - durch unverkennbar von andern unterſcheiden, die von entgegengeſetzten Neigungen und Faͤhigkeiten ſind, unter andern Lagen handeln, und ihrer Thaͤtigkeit eine verſchiedene Richtung geben. Indem ſie nun dieſe beſondere Gattung von Zuͤgen um etwas uͤber die Natur verſtaͤrkten, erhielten ihre Gottheiten jene idealiſirte Phyſiognomien, welche der Beſchauer fuͤr individuelle Bildungen, nicht des einzelnen Menſchen, ſondern einer gewiſſen Art von Menſchen, erklaͤrt.
Jede Gottheit der Alten war Individuum, wenn man ihre Bildung gegen die einer andern Gottheit hielt; nicht aber Individuum in Vergleichung mit dem einzelnen Menſchen. Jupiter, der große und guͤtige Beherrſcher, bekam den Ausdruck einer Ehrfurcht und Vertrauen einfloͤßenden Majeſtaͤt: Apollo den ſanften und edeln Charakter eines Beſchuͤ - tzers der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften: Mercur den ei - nes gewandten und behenden Ringers: Hercules den eines biedern und ſtarken Kaͤmpfers: Juno den einer vorſichtigen, aber ſtolzen Hausfrau: Minerva den eines kalten aber geſchickten Weibes u. ſ. w. Kurz! jeder Gott war ein Individuum mit einer Art von Charakter, wie die Alten glaubten, daß er unzaͤhli - gen Beiſpielen der naͤmlichen Gattung zufolge ſeyn ſollte, um ſich von Charakteren einer andern, nach eben ſo unzaͤhligen Beiſpielen abſtrahirten Gattung, deutlich und beſtimmt zu unterſcheiden.
Dies hatte ſehr gluͤckliche Folgen fuͤr die Kunſt. Die Alten gaben ihrenEs brachte Bedeutung und Abwechſelung in den Aus -druck192Ueber die Kennz. des KirchenſtilsStatuen mehr phy - ſiognomi - ſchen als pa - thalogiſchen Ausdruck; die Neueren umgekehrt, geben ihnen mehr patha - logiſchen als phyſiogno - miſchen.druck und in die Formen, ohne jener ruhigen Ord - nung und Uebereinſtimmung der Zuͤge zu ſchaden, welche die Schoͤnheit fordert. Der alte Kuͤnſtler konnte ſeine Begriffe von Wohlgefaͤlligkeit der For - men nur mit dieſem Ausdruck eines allgemein indivi - duellen Charakters vereinigen; ſo war die voͤllige Schoͤnheit da, die ſich ohne Ahndung eines lebenden Weſens eben ſo wenig denken laͤßt, als dieſe Ahn - dung ohne wohlgefaͤlligen Eindruck der Formen. 4)Und von dieſer Vereinigung, nicht von dem Wohl - gefaͤlligen der Formen allein, iſt das zu verſtehen, was Cicero Orat. 2. ſpeciem pulchritudinis exi - miam quandam nennt. Hier iſt die ganze Stelle, die zur Erklaͤrung desjenigen, was im Texte geſagt iſt, dienen kann. Nec enim Phidias, cum fa - ceret Jovis formam aut Miuervae, contemplaba - tur aliquem, e quo ſimilitudinem duceret: ſed ipſius in mentem incidebat ſpecies pulchritudi - nis eximia quaedam, quam intuens in eaque de - fixus ad illius ſimilitudinem artem et manum dirigebat. Der Beſchauer fand ſich bei der Aufloͤſung des Ge - dankens hinreichend beſchaͤfftigt, ſeine Anſpruͤche auf Treue und Bedeutung wurden hinreichend ausgefuͤllt, ohne gerade Aehnlichkeiten mit beſtimmten Perſonen ausfinden zu wollen, oder gar eine affektvolle Thaͤtig - keit von dem Steine zu verlangen. Mit einem Worte, die phyſiognomiſche Darſtellung des Men - ſchen war ſchon eine ſo ſchwere und unterhaltende Auf - gabe fuͤr den Kuͤnſtler, als daß man ihm die patha - logiſche nicht gern geſchenket haben ſollte.
Unſere193in der Bildhauerei.Unſere Neueren entbehren dieſes Vortheils ganz oder groͤßtentheils. Ihr hoͤchſtes Weſen iſt ein ſolches Abſtraktum aller moͤglichen Vollkommenhei - ten, daß ſie die eine zum Nachtheil der uͤbrigen nicht hervor heben duͤrfen. Sie haben es zuweilen gewagt, gewiſſe Tugenden zu perſonifiiren, gewiſſen Figuren einen allgemeinen Charakter zu geben; aber hier iſt der allgemeine Charakter zu allgemein geworden, das heißt, die beſondere Modification, welche die eine tugendhafte Neigung der Geſtalt giebt, laͤuft ſo ſehr mit den Modificationen, welche tugendhafte Neigun - gen der Geſtalt uͤberhaupt geben, zuſammen, daß man nothwendig Attribute zu Huͤlfe nehmen muß, um die beſondere Beſtimmung dem Beſchauer zu er - leichtern, und dem Ueberdruß, der aus Einfoͤrmig - keit entſteht, vorzubeugen.
Ein Apollo der Alten, deſſen Leier verloren ge - gangen iſt, unterſcheidet ſich noch deutlich von einem Jupiter ohne Adler und Donnerkeil: Eine Klugheit ohne Spiegel aber iſt von einer Gerechtigkeit ohne Waage nicht auszukennen. Haben die Neueren auf den Phyſiognomien der Heiligen einen allgemeinen Charakter hervorſtechend zeigen wollen; ſo hat es, ſo lange die Figur in Ruhe blieb, hauptſaͤchlich nur der ſehr eingeſchraͤnkte und der Schoͤnheit wenig vortheil - hafte eines demuͤthigen, mit ſteten Uebungen der An - dacht beſchaͤfftigten Menſchen ſeyn koͤnnen.
Dieſen Mangel von Schoͤnheit der Geſtalt, und beſtimmten Ausdruck einer allgemein indwiduellen Phyſiognomie, haben die neuen Kuͤnſtler dadurch zu erſetzen geſucht, daß ſie durch Abwechſelung particu - laͤr individueller Bildungen und durch den pathalo -Dritter Theil. Ngiſchen194Ueber die Kennz. des Kirchenſtils. giſchen Ausdruck tranſitoriſcher Bewegungen der Seele, wo nicht ſchoͤn, wenigſtens treuer, wo nicht ſo bedeu - tungsvoll, wenigſtens repraͤſentirender und gezierter, wo nicht ſo faͤhig zur Thaͤtigkeit, wenigſtens emſiger, befliſſener in ihren Figuren erſcheinen wollten. Mich duͤnkt das Mittel iſt ſchlimmer als das Uebel ſelbſt.
Denn da man nun recht abwechſelnd in den Bil - dungen ſeyn wollte, und doch gewiſſe Phyſiognomien, nach den vorher angegebenen Grundſaͤtzen nothwendig ausfallen mußten, ſo konnte man, um immer neu zu bleiben, in der Wahl nicht ekel ſeyn. Nicht ſelten entlehnte man daher die Geſtalten der Heiligen von den niedrigſten Pilgrimmen, Einſiedlern und andern Bettlern dieſer Art.
Mit dem pathalogiſchen Ausdruck, den die Neue - ren beinahe in allen ihren Statuen dem phyſiognomi - ſchen vorgezogen haben, hat es in der Sculptur, wie ſchon oͤfterer bemerkt iſt, ſeine eigenen Bedenklichkei - ten. Selten beſteht damit der Eindruck des Wohl - geordneten und leicht zu Faſſenden, der dem Gefuͤhl der Wohlgefaͤlligkeit der Formen zur Grundlage dient. Gegen eine Figur in Affekt haben die Alten zehn in Ruhe gebildet. Aber wenn ſie auch zuweilen (und zwar hauptſaͤchlich, um dem Meiſſel Veranlaſſung zu geben, ſeine Kunſt in der Darſtellung des Muskeln - ſpiels zu zeigen:) den Koͤrper in thaͤtige Anſtrengung verſetzt haben, ſo iſt doch wenigſtens dieſer patha - logiſche Ausdruck zu gleicher Zeit hinreichend motivirt, deutlich und erklaͤrbar.
Man erinnere ſich, was ich bei dem Pallaſte der Farneſina in dieſem Theile meines Buchs von dem Unterſchiede zwiſchen dem analogiſch lyriſchen Aus -druck195in der Bildhauerei. druck des Affekts, und dem analogiſch dramatiſchen geſagt habe. Der erſte iſt allemal durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich. Die Abſicht, in der die Seele dem Koͤrper eine gewiſſe Richtung giebt, beruht auf einer ſo allgemein bekannten Situation, oder affektvollen Faſſung der Seele, daß der Beſchauer uͤber die Frage, was ſie in dem beſondern Falle veranlaßt haben koͤnne, freiwillig weggeht. Der lachende Faun, die ſchwer - muͤthige Elektra ſind von dieſer Art. Geſetzt aber auch die Vorſtellung iſt dramatiſch, das heißt, das Bild will mir mit der affektvollen Faſſung zu gleicher Zeit die concurrirenden Umſtaͤnde wiſſen laſſen, deren Folge ſie iſt; ſo haben die Alten dieſe dramatiſche Vorſtellung doch immer ſo gewaͤhlt, daß die Lage der einzelnen Figur, oder die Zuſammenſtellung derſelben mit einem Gegenſtande von geringem Umfange zu gleicher Zeit die Expoſition und die Aktion, oder, ſo zu ſagen, den Prologus und den Exodus der alten Tragiker enthielte.
Ein Verwundeter, der ſeine letzten Kraͤfte an - ſtrengt, um ſich in die Hoͤhe zu richten: eine im Aus - fall geſtreckte Figur mit Schild und Degen: ein Al - ter, der ihn umwindende Schlangen abwehrt,5)In einer Landſchaft von Pouſſin ſehen wir eine ſolche Vorſtellung. Es iſt nicht Laocoon; es iſt ein Mann, der von Schlangen angefallen iſt. Mehr wiſſen wir von ihm nicht, aber es iſt genung, um ſeine Lage zu verſtehen und zu fuͤhlen. ſind lauter einzelne Figuren, die eine vollſtaͤndig deutliche Handlung mit Urſach und Wuͤrkung dem bloßen Auge darbieten.
N 2Bei -196Ueber die Kennz. des KirchenſtilsBeinahe alle neueren Statuen haben nun einen pathalogiſchen Ausdruck: d. h. ihr Koͤrper zeigt eine Anſtrengung, die auf eine thaͤtige Lage der Seele ſchließen laͤßt; aber zum Ungluͤck wiſſen wir ſelten, was ſie mit ihrer Thaͤtigkeit intendiret. Es ſind groͤß - tentheils bloße akademiſche Stellungen nach der Regel des Contrapoſto geordnet. Der Kuͤnſtler, der ſie darin verſetzt hat, hatte keine andere Abſicht, als eine wohl - gefaͤllige Abwechſelung in die Lage der Glieder zu brin - gen. Die Abſicht gehoͤrte alſo ihm, nicht dem le - benden Weſen in der Figur. Wenn der eine Arm ausgeſtreckt iſt, ſo muß der andere ſich zuruͤckziehen: tritt das eine Beine vor, ſo muß das andere zuruͤck - weichen: beugt ſich der Obertheil des Koͤrpers auf die rechte Seite, ſo muß ſich der untere auf die linke wen - den. Sehr ſelten wiſſen wir warum?
Der Kuͤnſtler rechnet oft zur Verſtaͤndigung die - ſer beſondern Thaͤtigkeit auf unſere Vorerkenntniſſe von den Lebensumſtaͤnden ſeines Helden; aber er ſoll nur in ſofern darauf rechnen, als die Situation aus der Geſchichte einen an ſich durch den bloßen Anblick erklaͤrbaren Ausdruck motivirt. Der weinende Petrus kann von jedermann verſtanden und gefuͤhlt werden, es iſt die Darſtellung e[ine]r allgemein bekannten leiden - ſchaftlichen Faſſung der Seele; aber eben dieſer Hei - lige, der in den dritten Himmel entzuͤckt wird, macht eine viel zu particulaire Situation aus, als daß wir bei der Auslegung des Ausdrucks, bei der Pruͤfung ſeiner Billigkeit nicht leicht in die Irre gefuͤhret wer - den ſollten.
Dazu koͤmmt, daß die Legenden der Heiligen ge - meiniglich dem Inhalte und der Schreibart nach vielzu197in der Bildhauerei. zu unintereſſant ſind, um einem Manne von Ge - ſchmack anmuthen zu koͤnnen, ſich damit bekannt zu machen.
Ein Vorzug, dem die neueren Bildhauer vorLetztes Unter - ſcheidungs - zeichen des Stils der al - ten Bild - hauer von dem der Neueren: dieſe ſtreben mit ihren Werken aus rundem Steine zu ſehr der Wuͤrkung eines flachen Gemaͤhldes nach. jedem andern nachgeſtrebt haben, beſteht in der mah - leriſchen Wuͤrkung der Bildhauerarbeit. Ich habe ſchon mehrere Male geſagt: daß mahleriſche Wuͤr - kung von Einheit und Abwechſelung in Farben, For - men und Helldunkeln abhaͤnge. Keines von dieſen drei Stuͤcken darf zur wahren mahleriſchen Wuͤrkung fehlen, und die Farben machen ein Hauptingredienz derſelben aus. Inzwiſchen muß ſich die Sculptur, wenn ſie anders nicht in bloße Spielerei, in kindiſche Nachaͤffung verfallen will, die uns ihre Unvollkom - menheit in dieſem Stuͤcke eher auffallend macht, als zu verſtecken im Stande iſt, ganz enthalten. Schon aus dieſem Grunde erhellet, daß man ihr mahleriſche Wuͤrkung nur unvollſtaͤndig einraͤumen koͤnne, und ſie blos auf die Wuͤrkung des Helldunkeln, und der eigentlichen Gruppirung einſchraͤnken muͤſſe.
Daß dieſe eingeſchraͤnktere Art durch das Wohl - gefaͤllige der eigentlichen Beſtandtheile des Scheins, oder durch den angenehmen Eindruck der Maſſe bei dem erſten Anblicke zu ruͤhren, kein gleichguͤltiger Zu - ſatz zu unſerm Vergnuͤgen ſey, iſt nicht zu leugnen. Die Alten haben dieſe Art mahleriſcher Wuͤrkung be - ſorgt, an mehreren Statuen der Neueren thut ſie die gewuͤnſchte Wuͤrkung. Es koͤmmt auf den Ort der Aufſtellung, auf die Art wie das Licht geleitet wird, auf die Lage der Glieder unendlich viel an, ob unſer Auge den Begriff des Ganzen mit Leichtigkeit faßt, auf die intereſſanteſten Theile zuerſt gezogen, und imN 3Detail198Ueber die Kennz. des KirchenſtilsDetail angenehm unterhalten wird. Der Jupiter Veroſpi thut bei Tage wenig Wuͤrkung, und bei der hoch gehaltenen Fackel am Abend ſehr viel: Warum? Weil das Auge gleich die großen Maſſen von Schat - ten von den hellen Partien abſondert, von dieſen hellen, welche die ſchoͤnſten ſind, zuerſt angezogen wird, und nun, ohne Nachtheil fuͤr das ſchon ge - ordnete Ganze, gern bei dem Einzelnen verweilet.
Wer wird es leugnen wollen, daß die abwech - ſelnde Lage der Glieder im Laocoon, die ſich zu einer leicht zu umfaſſenden Form vereinigen, dem Auge angenehmer ſey, als die gar zu einfoͤrmige Stellung der Pallas Giuſtiniani? 6)Naͤhere Be - ſtimmung des Herder - ſchen Grund - ſatzes: die Sculptur arbeitet fuͤrs taſtende Ge - fuͤhl.Darf ich nicht glauben, daß dieſe Erfahrungen ſchon allein den vielleicht nur zu weit getriebenen Grundſatz widerlegen, daß die Sculptur fuͤrs ta - ſtende Gefuͤhl arbeite? Herr Herder hat dieſen in ſeiner Plaſtik (Riga 1778.) feſtzuſetzen geſucht. Aber ſo viel Verehrung ich auch fuͤr dieſen ſcharf - ſinnigen Gelehrten habe, ſo glaube ich doch, daß es ihm zu ſehr an praktiſchen Vorerkenntniſſen in der Kunſt fehle, als daß ſeine Saͤtze und die dar - aus gezogenen Folgerungen nicht das Gepraͤge bloßer Speculationen an ſich tragen ſollten. Mich duͤnkt unſere Sinne werden zu fruͤh gewoͤhnt, ſich wechſelſeitig zu Huͤlfe zu kommen, als daß wir in der Epoche unſers Lebens, wo wir die Kuͤnſte zu genießen anfangen, dem Auge befehlen koͤnnten, der Hand nicht weiter ins Amt zu greifen. Auch ſey es mir erlaubt zu bemerken, daß die taſtende Hand des Blinden zwar uͤber die Wahrheit der Koͤrper von geringerem Umfange urtheilen, vonder
Aber199in der Bildhauerei.Aber dies Vergnuͤgen muß nie mit Aufopferung weſentlicherer Anſpruͤche beſorget werden, die der Be -N 4ſchauer6)der eigentlichen Schoͤnheit der Formen aber, welche auf Uebereinſtimmung vieler Theile zu einem Gan - zen beruht, und eine gleichzeitige Beaͤugung vor - ausſetzt, ſchwerlich einen richtigen Begriff erhalten moͤge: vorzuͤglich bei Koͤrpern von groͤßerem Um - fange. Daß die Statue in allen Faͤllen, wo wir, ſo zu ſagen, einen Koͤrper mit der Hand greifen moͤchten, die Pruͤfung des taſtenden Gefuͤhls muͤſſe beſtehen koͤnnen, iſt augenſcheinlich gewiß: und dies iſt eine ſchoͤne Bemerkung, die wir Herrn Herder verdanken. Allein außerdem daß der an - genehme Eindruck einer Statue noch von etwas mehr abhaͤngt als von der bloßen Illuſion, ſo iſt es auch ſicher, daß ſelbſt dieſe durch das taſtende Gefuͤhl allein nicht abſolviret wird. Die Wahrnehmung der Verhaͤltniſſe iſt ein Haupt - ingredienz des Gefuͤhls der Wahrſcheinlichkeit, und dieſe wird die nach und nach oder progreſſiv fort - ſchreitende Hand ſchwerlich genau ausfinden. Die Anekdoten von blinden Plaſtikern ſind viel zu unzu - verlaͤßig, als daß man einen Gegenbeweis daraus fuͤhren koͤnnte. Sind es Blindgebohrne geweſen? Haben ſie nicht von fremden Augen Lehren uͤber blos ſichtbare Verhaͤltniſſe erhalten? Und dann: was haben ſie geliefert? Bildniſſe, Copien, und zwar von Koͤpfen, nicht von ganzen Figuren. Auch ſcheinen die Folgerungen, die Herr Herder aus dieſem Grundſatze herleitet, zu weit getrieben, laſſen ſich aus andern concurrirenden Urſachen leichter erklaͤren, und haben zum Theil die Erfah - rung wider ſich. Am ſicherſten geht man, wie ichglaube,200Ueber die Kennz. des Kirchenſtilsſchauer an Wahrheit und Schoͤnheit einzelner Theile zu machen berechtigt iſt. Nie muß der bloßen Ab - wechſelung ohne begleitende und die einzelnen Theile vereinigende Ordnung nachgeſtellet werden.
Dies iſt der Fehler in den die neueren Kuͤnſtler gefallen ſind. Sie haben vergeſſen, daß der Mahler dem Beſchauer nur ein Profil ſeiner durch Licht und Schatten geruͤndeten Figuren zeigt, und daß der an - ſchauende Blick nur dieſes pruͤfen koͤnne, um ſich von der Wahrheit der Formen zu uͤberzeugen; daß hin - gegen der Blick, der die Wahrheit der Form an der wuͤrklich runden Statue unterſucht, nach Art der be - taſtenden Hand verfaͤhrt, ſich bald ausdehnt, bald zuruͤckzieht, bald von dieſer, bald von jener Seite herumwendet, mithin den runden Koͤrper in mehrals6)glaube, wenn man Herrn Herders Satz als eine ſehr brauchbare Regel, aber nicht in allen Faͤllen, nicht als die einzige annimmt, nach der ſich der Bildhauer zu richten habe. Dieſer bilde nicht fuͤr den blos anſchauenden allein, ſondern zugleich fuͤr den betaſtenden Blick: das heißt, wenn der An - blick, das eigentliche Anſchauen ſeines Werks der Eindruck der Schoͤnheit, der Uebereinſtimmung der leicht zu faſſenden Ordnung, der Abwechſelung und Einheit auf das Auge gemacht hat, ſo rechne er darauf, daß dies naͤmliche Auge nun auch uͤber Treue und Wahrheit, die es vorzuͤglich aus den Modificationen der Ruͤndung eines jeden Thals wahrnimmt, urtheilen will: daß es mithin das Detail nun analogiſch betaſtet, es aus mehreren Profilen beſchauet, und ſich rund an dem Kerper herwendet.201in der Bildhauerei. als einem Profile ſieht. Wie oft iſt es nun hier ge - ſchehen, daß der Bildhauer, weil er zu ſehr auf einen feſten Geſichtspunkt von dem Beſchauer rech - nete, daraus die Umriſſe recht in den Grund ver - ſchmolzen, Licht und Schatten recht abwechſelnd er - ſcheinen laſſen wollte, aus allen uͤbrigen unwahr werden mußte! Wie oft wird ein Arm im neueren Geſchmack des Bernini von der einen Seite weiches Fleiſch, und von der andern ein unfoͤrmlicher Wachs - klumpe! Wie oft ein Gewand im Geſchmack deſſelben Meiſters von der einen Seite ein Flor, und von der andern eine willkuͤhrlich gereifte Steinmaſſe.
Ein Werk von runder Bilderei, kann aus einem Geſichtspunkte ſchoͤner als aus dem andern ſeyn: aber es muß aus allen gleich wahr erſcheinen.
Ferner! Man haͤtte bedenken ſollen, daß es Koͤr - per giebt, bei denen die Farbe ein weſentliches Merk - mal ihrer Verſchiedenheit von andern Koͤrpern aus - macht: daß die innere Beſchaffenheit dieſer Farben, je nachdem ſie mehr oder weniger Lichtſtrahlen auf - fangen, auch gewiſſe Theile mehr hervorſtechend, an - dere mehr zuruͤckweichend darſtellen. Wenn wir jetzt an ſo mancher neueren Statue das flatternde Haar, den wallenden Bart, mit ſo vieler Liebe beſorgt ſehen, und um mahleriſche Wuͤrkung hervorzubringen, mit anſcheinender Unordnung in große Gruppen gelegt finden, die einem Netz gleich das Licht und den Schat - ten auffangen; ſo wird das Auge mehr auf die Be - deckung des Antlitzes, als auf das Antlitz ſelbſt ge - zogen, und wenn auch das marmorne Haar nicht dar - uͤber zu Kletten werden ſollte, ſo ſchadet doch das zu beſorgte Nebenwerk dem Eindruck des Haupttheils.
N 5Aus202Ueber die Kennz. des KirchenſtilsAus eben dieſer laͤcherlichen Anmaaßung mit Marmor mahlen zu wollen, ſind nun auch die ſchlaf - fen Formen entſtanden, die Bernini und ſeine Schuͤ - ler von den fleiſchigten Weibern des Rubens fuͤr ihre weiblichen Statuen entlehnt haben. Sie haben ge - glaubt, wahres Fleiſch zu bilden, und haben vergeſ - ſen, daß dieſes nicht ſchlaff, ſondern elaſtiſch iſt, und daß die blos convexen Formen gerade den Ueberdruß verbreiten muͤßten, den zu vermeiden ſie ſo aͤngſtlich bemuͤht waren.
Endlich haben ſie geſehen, daß in Gemaͤhlden von groͤßerer Compoſition Abwechſelung in den Stel - lungen nothwendig wurde, theils der Gruppirung we - gen, theils auch die Einfoͤrmigkeit zu unterbrechen. Ohne dieſen wahren Zweck des Contrapoſto zu beden - ken, haben ſie ihn nun auf die abentheuerlichſte Weiſe in ihre einzelnen Figuren uͤbertragen. Wie oft iſt ſeitdem uͤber die unnatuͤrliche, unerklaͤrbare Drehung des Koͤrpers, die Idee von zweckmaͤſſiger Ordnung verloren gegangen, ohne welche Schoͤnheit und Wahr - heit nicht beſtehen koͤnnen!
So’ wuͤrden denn die Hauptunterſcheidungszei - chen des Kirchenſtils in der Sculptur aus ihren Grundurſachen hergeleitet, und zu gleicher Zeit be - ſtimmt ſeyn. Er hat verſchiedene Epochen gehabt, in denen man ſich weniger oder mehr von dem Stile der Alten entfernt hat. Von den beſondern Stilen der hauptſaͤchlichſten neueren Meiſter, werde ich bei Gelegenheit noch weiter reden. Auszeichnungsweiſe kann man aber denjenigen Stil, der aus dem Algar -diſchen203in der Bildhauerei. diſchen und Berniniſchen zuſammengeſetzt iſt, und den le Gros, Puget, Monnot, Raggi, Mazzuoli, Fer - rata, Rusconi, und ſo weiter, angenommen haben, den Kirchenſtil nennen, weil er in den Bildhauerwer - ken, welche die Kirchen zieren, am haͤufigſten ange - troffen wird.
Eine Figur alſo mit einer particulair individuel - len Bildung, einer verzerrten oder unbedeutend reizen - den Mine, einer academiſchen, nach den Regeln des Contrapoſto angeordneten Stellung, einer raͤthſelhaf - ten Bewegung, knoͤchernen und magern oder wachs - aͤhnlichen glatten Formen, ohne auffallende Incor - rektionen in der Zeichnung, eingehuͤllet in ein Gewand, in welches ſich noch vier andere mit ihr huͤllen koͤnnten, und mit unverkennbarer Ruͤckſicht auf mahleriſche Wuͤr - kung gearbeitet, — iſt eine Statue im Kirchenſtile: ein Werk das auf den erſten Blick durch Wuͤrkung des Ganzen frappirt, aber bei der Pruͤfung des De - tails kein anderes Vergnuͤgen nachlaͤßt, als der Be - wunderung des kuͤnſtlich behandelten Marmors, und einer Treue, die an die Haupttheile ſo wie an die Ne - benſachen verſchwendet iſt.
Falconet, das ſind deine Goͤtter! 7)Ich habe ſchon an einer andern Stelle geſagt, daß wir dem Cardinal Albani, wo nicht die Ausrottung dieſes Stils, wenigſtens den Sieg des wahren Ge - ſchmacks uͤber den falſchen ſchuldig ſind. Seitdem ſind einige neuere Kuͤnſtler aufgeſtanden, die ſich dem Stil der Alten mehr genaͤhert haben. Allein die Verblendung der Franzoͤſiſchen Schule dauert noch fort. Natur! Natur! rufen ſie, und ver -geſſen
Das Charakteriſtiſche des Kirchenſtils in der Mahlerei beruhet hauptſaͤchlich in dem Fehler, daß die Nachfolger des Andrea Sacchi, und Pietro da Cortona den angenehmen Eindruck des bloßen Scheins, der eigentlichen mahleriſchen Wuͤrkung, auf Koſten der Wahrheit und Schoͤnheit im Einzelnen verfolgt haben.
Da die Flaͤchen, welche die Kuͤnſtler in den Kir - chen zu bedecken hatten, von großem Umfange wa - ren, ſo ſtrebten ſie vorzuͤglich nach Vollkommenheit in den Theilen der Mahlerei, welche ein großes Ganze dem erſten Anblick wohlgefaͤllig machen. Welchesdieſe7)geſſen, daß es auch eine ausgeſonderte Natur, eine vernuͤnftige Auswahl in den Gegenſtaͤnden der Treue giebt. Zu meiner Zeit that ſich ein junger Kuͤnſtler, ein Venetianer, Canova genannt, (der vielleicht mit der Zeit die Ehre der alten Kunſt auf die Neueren bringen kann,) durch zwei Werke her - vor. Das erſte hatte er in Venedig gearbeitet, ehe er die Antike kannte. Es ſtellte den Daͤdalus vor, der ſeinem Sohne die Fluͤgel anbindet: Das Ver - dienſt daran war treue Nachbildung der Natur. Die Franzoͤſiſche Academie ſchrie: Wunder! Bald darauf bildete derſelbe Kuͤnſtler einen Theſeus, der auf dem erſchlagenen Minotaur ruhet. Die Haupt - figur war im Stile der Antike gedacht, und die Franzoſen glaubten, das junge Genie ſey verloren.205des Kirchenſtils in der Mahlerei. dieſe Theile ſind, habe ich ſchon fruͤher geſagt, und werde es bei Gelegenheit meiner Anmerkungen uͤber die Kirche St. Remualdo noch weiter ausfuͤhren. Hier will ich nur einige Kennzeichen des Kirchenſtils im Allgemeinen vorausſchicken.
Alle Werke dieſer Art treffen darin zuſammen, daß die poetiſche Erfindung gemeiniglich ſchlecht iſt, dagegen die mahleriſche Anordnung deſto beſſer: daß der Ausdruck in den Minen unbedeutend iſt, hinge - gen in den Stellungen uͤbertrieben und anmaaßend geziert: daß kein gemeinſchaftlicher Antheil an einer Handlung die Figuren verbindet, ſondern blos die Regel des Contrapoſto und der Gruppirung: daß die Nebenfiguren den Hauptfiguren ſelten aufgeopfert ſind: daß man beinahe alle Glieder in Verkuͤrzung ſieht; daß die Gewaͤnder das Nackende nicht anzei - gen: daß das Colorit nach der Palette ausgedacht iſt: daß man das Helldunkle mit der bloßen Abwech - ſelung von Licht und Schatten verwechſelt hat: und endlich daß ſich durchaus keines dieſer Werke uͤber die Harmonie einer ſeligen Mittelmaͤßigkeit in den einzel - nen Theilen der Zeichnung des Colorits und des Hell - dunkeln hervorhebt.
Inzwiſchen muͤſſen die Kuͤnſtler in der Epoche von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an, bis auf Mengs, welches die eigentliche Lebenszeit des Kir - chenſtils (hoffentlich) geweſen iſt, noch in drei Bran -Drei Bran - chen des Kir - chenſtils wer - den beſon - ders bezeich - net. chen abgetheilt werden, die ſich durch beſondere cha - rakteriſtiſche Kennzeichen von einander abgeſondert haben. —
Einige206Ueber die UnterſcheidungszeichenEinige ſind blos der Manier des Pietro da Cor - tona gefolgt, und haben ſie noch verſchlimmert. Dies ſind die eigentlichen Mahler con Brio, ſpirito e fuoco, an deren Spitze Luca Giordano, Solime - ne, Corrado, Tiepolo ſtehen, und deren Troß die ganze neuere Venetianiſche, Neapolitaniſche Schule, und ein Theil der Franzoͤſichen ſeit le Moine, in Deutſchland aber die Augsburgiſche Academie aus - macht. Dieſe haben ſich ſo wenig um Wahrheit und Richtigkeit bekuͤmmert, daß ſie auch ſogar den Schein derſelben vernachlaͤſſigt haben. Ihre Contouren ſind auseinandergefloſſen, die Gewaͤnder in willkuͤhrliche Falten geworfen, die Farben und die Lichter willkuͤhr - lich geleitet. Dagegen aber herrſcht große Harmonie im Ton der Farbe, das Helldunkle iſt aͤuſſerſt pikant, die Figuren haben einen repraͤſentirenden Ausdruck, die Weiber beſonders buhleriſche Reize, und das Ganze ſcheint wie ein Hauch auf die Flaͤche gezaubert8)In Werken, die nicht fuͤr Kirchen beſtimmt gewe - ſen ſind, kann man den Stil dieſer Meiſter auch an den witzigen Allegorien ohne Vernunft, die ſie ſo oft zur Darſtellung, beſonders an Plafonds, ge - waͤhlt haben, wieder erkennen..
Die andern ſind dem Stile der Carracci treuer geblieben. Sie haben ſich angelegen ſeyn laſſen, durch keine auffallende Fehler in der Zeichnung zu be - leidigen, bei der Wahl der Formen zuweilen die ge - meine Natur zu Rathe zu ziehen, große Maſſen von Falten in den Gewaͤndern anzubringen, und ihre Gruppen gut anzuordnen. Dagegen iſt auch ihreBehand -207des Kirchenſtils in der Mahlerei. Behandlung weniger leicht, und ihr Colorit matter, als bei jenen. Carlo Maratti, Coſtanzi, Cignani, der groͤßte Theil der neueren Roͤmiſchen und Bolo - gneſiſchen Schule, unter der Franzoͤſiſchen einige aͤltere Mahler, Mignard, Boulogne, Soubleyras u. ſ. w. ſind dieſer Manier gefolgt.
Endlich haben einige Kuͤnſtler beide Manieren mit einander zu verbinden geſucht, und zu dieſem rechne ich Benedetto Lutti, Pompeo Battoni9)Unſtreitig der beſte von dieſem Geſchwader. und einen großen Theil der Franzoͤſiſchen und der neueren Deutſchen Schule.
O Imitatores, ſervum pecus!
Wie groß erſcheint unſer Landsmann Mengs, wenn wir ihn nach dieſen Menſchen nennen!
Ich gehe nun zur Pruͤfung einiger Kunſtwerke in verſchiedenen einzelnen Kirchen uͤber. Eine ſehr detaillirte Anzeige liegt aber, wie ſchon oft geſagt iſt, außer meinem Zweck: vorzuͤglich wo bereits Beſchrei - bungen vorhanden ſind. Ich verweiſe meine Leſer theils auf das, was Hr. Dr. Volkmann in ſeinen hiſtoriſch kritiſchen Nachrichten uͤber Italien Ed. 1777 im 2ten Theile uͤber die Kirchen von Rom aufgezeich - net hat, theils auf folgendes Buch: Descrizione delle Pitture, Sculture e Architetture eſpoſte al Pubblico in Roma, da Filippo Titi. Ich habe eine neuere Edition mit Zuſaͤtzen, vom Jahre 1763, vor mir. Beide Schriftſteller will ich zum Grunde legen, und die Nachrichten des erſten bei Wegelang zu berichtigen ſuchen.
Mit der St. Peterskirche mache ich den Anfang, da ſie die Neugierde des Liebhabers zuerſt zu reizen pflegt.
Nachher will ich der alphabetiſchen Ordnung folgen, weil es mir nun nicht mehr darauf ankoͤmmt, den Liebhaber ſtuſenweiſe von gewiſſen Ideen zu an - dern fortzufuͤhren.
Die209uͤber die einzelnen Kirchen.Dies merkwuͤrdigſte unter allen neueren Gebaͤuden in Ruͤckſicht auf Baukunſt, ſcheint in Anſe - hung der Mahlerei und Bildhauerkunſt nicht einen ganz gleichen Anſpruch auf die Aufmerkſamkeit des Liebhabers zu verdienen. Dieſe haben ſich, gefaͤlli - gen Schweſtern gleich, mit ihrer Schoͤnheit hinter die Baukunſt zuruͤckgezogen, und dieſer nur ihren Schmuck geliehen, damit ihre eigene beſſer zu zieren.
Zwei Stuͤcke dieſes von den verſchwiſterten Kuͤn - ſten entlehnten Schmucks dienen dem Gebaͤude beſon - ders zur Verſchoͤnerung. Die Gemaͤhlde in Moſaik, und die Statuen an den Grabmaͤlern oder Monu - menten.
Ueber beide muß ich einige Bemerkungen voraus - ſchicken.
Moſaiſche, oder beſſer Muſiviſche GemaͤhldeBemerkun - gen uͤber die Moſaiſche oder beſſer Muſiviſche Mahlerei. (von dem Lateiniſchen Worte opus Muſivum) ſind, wie bekannt iſt, Mahlereien, welche durch Zuſammenſetzung feiner Glasſtifte von verſchiedenen Farben verfertigt werden.
Es iſt mir unbegreiflich, wie der Herr von Scheib in ſeinem Koͤremon2)S. 393. im 2ten Theile. habe ſagen koͤnnen; „ daß dieſe „ Gemaͤhlde ſo vortrefflich in Moſaik glaͤnzten, als ſie „ kunſtreich auf ihrer Leinewand erſchienen; daß ſie das „ Auge der ſcharfſinnigſten Kenner entzuͤckten u. ſ. w.
MitDritter Theil. O210AnmerkungenMit aller Billigkeit beurtheilt koͤnnen Mahle - reien dieſer Art nie fuͤr Werke der ſchoͤnen Kunſt gel - ten, es ſind Kunſtſtuͤcke, unvergleichliche Handwer - kerarbeiten, an denen man den Kunſtfleiß nicht ge - nung bewundern kann, welche als architektoniſche Verzierungen des Innern eines großen Gebaͤudes ei - nen vorzuͤglichen Werth haben, und den zufaͤlligen fuͤr die Nachkommen haben koͤnnen, ihnen gewiſſe Ideen uͤber die Art, wie wir ein großes Ganze gefaͤllig an - ordneten und beleuchteten, ſicherer zu uͤberliefern. Aber als fuͤr ſich beſtehende, treue und ſchoͤne Nach - bildungen der Natur, duͤrfen und koͤnnen ſie nicht angeſehen werden.
Andere vor mir3)Hr. D. Volkmann S. 677. und Koͤremon, S. 388. im 2ten Theile. Peretti Lexicon der bildenden Kuͤnſte, in dem Anhange: von verſchiedenen Arten der Mahlerei S. 41. haben die mechaniſche Ver - fahrungsart bei Verfertigung moſaiſcher Gemaͤhlde umſtaͤndlich beſchrieben, und ich will hier nur in ſo fern einige Nachrichten daruͤber in Erinnerung brin - gen, als ſie noͤthig ſind, mein Urtheil zu rechtfertigen.
Moſaiſche Gemaͤhlde ſind immer Copien nach Gemaͤhlden in Oel, oder nach Cartons in Waſſer - farben, welche eigends zu dieſer Nachbildung eben ſo ausfuͤhrlich verfertigt worden, als ſie nachher in Mo - ſaik gebracht werden ſollen. Denn daß man Origi - nale nach bloßen Skizzen, oder gar nach Zeichnungen in dieſer Art von Mahlerei verfertigen koͤnne, laͤßt ſich bei der ſtuͤckweiſen und langſamen Behandlung, wobei der Effekt des Ganzen nicht ſo zu uͤberſehen iſt,kaum211uͤber die einzelnen Kirchen. kaum denken. Selten aber wird ſich der Kuͤnſtler, der Genie genung hat, eine eigene Erfindung zu ent - werfen, zu einer ſo tedieuſen Ausfuͤhrung, als das Moſaik erfordert, verſtehen.
Der Kuͤnſtler alſo, der ein Original, oder einen ausgefuͤhrten Carton in Moſaik bringen will, ſucht ſich zuerſt eine genaue Zeichnung von ſeinem Originale in gleicher Groͤße mit dieſem zu verſchaffen. Dann ſtellt er das Original ſelbſt ſich zur Seite, und gerade vor ſich hin eine ſteinerne Platte auf. Nachher wird ein Netz von Quadraten uͤber das Original gezogen und eben ein ſolches auch uͤber die Zeichnung und uͤber die ſteinerne Flaͤche. Die Quadrate ſind ſaͤmmtlich numerirt, und correſpondiren in ihren Nummern auf allen drei Flaͤchen. In der Naͤhe hat der Arbeiter ſein Kaͤſtchen mit den Stiften von verglaſeter Compo - ſition, die in ſehr verſchiedenen Nuͤancen, jeder zwei Zoll lang und ohngefaͤhr drei Linien eines Zolls ins Ge - vierte breit, in eben ſo viel verſchiedenen Faͤchern liegen.
Nun faͤngt der Kuͤnſtler ſeine Arbeit an: bringt z. E. auf das Quadrat nr. 1. ſo viel Kitt, als er den Tag mit Stiften beſetzen zu koͤnnen glaubt: denn wuͤrde er viel mehr nehmen, ſo laͤuft er Gefahr, daß der Kitt vertrockne, und die Stifte nicht halten. Auf dieſen Kitt traͤgt er die Zeichnung des Quadrats nr. 1. von ſeiner Vorzeichnung, welche der Bequemlichkeit des Auflegens wegen in mehrere Stuͤcke getheilt zu ſeyn pflegt. Er ſtaͤubt ſie entweder durch, oder druͤckt ſie mit einem Griffel ein. Endlich richtet er ſich in Anſehung der Farben nach dem Quadrate nr. 1. aufO 2dem212Anmerkungendem Originalgemaͤhlde,4)Peretti giebt eine andere Verfahrungsart an, die ſich aber nicht wohl denken laͤßt. indem er er eine Nuͤance von Stiften neben der andern in den weichen Kitt einfugt.
So wie ein Quadrat fertig iſt, geht der Arbeiter zu dem folgenden uͤber; zuweilen arbeiten auch meh - rere zu gleicher Zeit an verſchiedenen Quadraten; und endlich, nachdem das Ganze geendigt iſt, wird es, falls nicht die Stuͤcke beſtimmt ſind, an einem Pla - fond befeſtiget zu werden, mit feinem Schmergel und Waſſer polirt.
Wenn nun ſchon jede Copie an Harmonie des Ganzen und zuverlaͤßiger Behandlung des Details verliert: ſo ſieht man, wie beſonders bei dieſer Ver - fahrungsart jene Maͤngel noch vergroͤßert und mit neuen vermehrt werden muͤſſen.
Wie laͤßt ſich ein freier Schwung bei Umriſſen denken, die ſo abgebrochen und ſtuͤckweiſe angelegt wer - den! Wie Beſtimmtheit der Zeichnung bei Stiften, die, wenn ſie auch noch ſo verſchieden an Form ſind, in die feine Linie des im Originale dem Auge des Be - ſchauers oft ganz entzogenen Contours nicht gleichmaͤſ - ſig paſſen koͤnnen! Wenn alſo auch die Kuͤnſtler, die bei dieſen Arbeiten gebraucht werden, einen Raphael in der Zeichnung uͤbertraͤfen, (ſie ſind aber gemeini - glich ſehr unwiſſend in der Zeichnung,) ſo wuͤrden ſie doch nie im Stande ſeyn, ihre Staͤrke darin bei einer ſo widerſtrebenden Verfahrungsart zu zeigen.
Aus eben dieſem Grunde muß auch die Wahrheit des Ausdrucks verloren gehen, die auf Beſtimmtheitder213uͤber die einzelnen Kirchen. der Zeichnung vorzuͤglich in den kleinern Theilen des Geſichts beruhet, welche mit den ziemlich breiten Stiften aͤußerſt unvollſtaͤndig und unzuſammenhaͤn - gend dargeſtellt werden.
An Wahrheit des Colorits iſt ſo wenig als an Harmonie deſſelben zu denken. Colorit iſt Farben - miſchung, Modification einer Localfarbe von dem hoͤchſten Grade des Lichts an, bis in den tiefſten Schatten. Man ſpricht von 3000 Nuͤancen der muſiviſchen Farben: Ich bin uͤberzeugt, daß Tizian eine dieſe Anzahl weit uͤberſteigende Menge zur Faͤr - bung eines einzigen Kopfes gebraucht hat. Jeder Pinſelſtrich iſt fuͤr den geſchickten Coloriſten eine neue Nuͤance: und wo der Moſaikenmahler, ſeiner Mei - nung nach, zwei ſich genau vermaͤhlende Farben an einander geſetzt hat, da wuͤrde der Mahler in Oel blos durch das Vertreiben der einen in die andere, wieder eine dritte ſchaffen. Nimmer laufen daher die Schattirungen ſo in einander, daß man den An - fang und das Ende nicht deutlich erkennen ſollte. Das Aufblicken des Lichts, die Drucker im Schatten, die kecke Andeutung der Haare und der Falten der Haut, den Schmelz der Farben, das sfumato, kurz! alle Kunſtgriffe der Behandlung des Pinſels, welche die Franzoſen le faire nennen, druͤckt das Moſaik ent - weder gar nicht oder hoͤchſt unvollkommen aus.
Wahre Harmonie iſt gleichfalls von einem ſo ſtuͤckweiſen Auftrage der Farben nicht zu erwarten. Nun nehme man hinzu: die Fugen die allemal zwiſchen den Stiften bleiben, und fuͤr gute Augen, in der Entfernung, worin ein Gemaͤhlde beurtheilt werden muß, immer ein Steinpflaſter bilden: denO 3falſchen214Anmerkungenfalſchen Widerſchein der Glaͤtte, welcher verhindert, die Figuren anders als aus einem Geſichtspunkte zu erkennen; — Genung! Ein Gemaͤhlde in Moſaik iſt die ſchoͤnſte Tapete eines großen Gebaͤudes, gemacht die Flaͤchen der Waͤnde bequem zu fuͤllen, und den Eindruck von Pracht und Dauerhaftigkeit, den ein Gebaͤude geben muß, durch den Ruͤckblick auf die Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, und die Feſtigkeit und Koſtbarkeit der Materie zu erhoͤhen.
Doch! ich will noch billiger ſeyn: Moſaiken koͤnnen ſchaͤtzbare Ueberlieferungen ſolcher Gemaͤhlde werden, deren Hauptvorzug in den Theilen beſteht, die ein großes Ganze dem erſten Anblick wohlgefaͤllig machen. Sie geben uns die gute Anordnung der Gruppen des Vorbildes, den Gedanken der Stel - lung einzelner Figuren, den Stil der Gewaͤnder, die Wahl des herrſchenden Tons der Farbe und des Lichts, die Leitung dieſes letztern ziemlich getreu wieder. Aber an Schoͤnheit und Wahrheit des Details iſt nicht zu denken.
Und ſo wuͤrde ſich das beſtaͤtigen, was ich an einem andern Orte bereits geaͤußert habe: Die muſi - viſche Mahlerei ſteht auf der Graͤnze zwiſchen dem ſchoͤnen Kunſtwerke und der bloßen Handwerkerarbeit. Sie hat einen gegruͤndeten Anſpruch auf unſere dank - bare Verehrung, weil ſie die ſinnliche Erinnerung manches Gemaͤhldes erhaͤlt, deſſen leicht zu zerſtoͤ - render Stoff nach Verlauf von einigen Jahren, nicht einſt den Schatten ſeiner ehemaligen Vortrefflichkeit zeigen wird. Dadurch erhaͤlt ſie den Vorzug vor den tapiſſeries des Gobelins, ſie erhaͤlt ihn aber auch dadurch, daß ſie fuͤr ein feſtes, maſſives, undin215uͤber die einzelnen Kirchen. in allen ſeinen Theilen praͤchtiges Gebaͤude, einen mehr harmonirenden Schmuck abgiebt.
Ich komme nun zu der Bildhauerarbeit anEtwas uͤber Denkmaͤler, Ehrenſaͤulen und Grab - maͤler. Monumenten.
Monument, Denkmal, ſcheint mir von zweier - lei Art ſeyn zu koͤnnen. Die oͤffentliche Achtung hat es aufgerichtet, und zwar an einem Orte, wo es das Auge des Publicums zur Dankbarkeit und Nacheife - rung auf ſich ziehen ſoll; dann nenne ich es Ehren - ſaͤule, und darauf hat der große Mann im Leben wie noch dem Tode Anrecht.
Je ſimpler eine ſolche Ehrenſaͤule iſt, um deſto mehr ſcheint ſie den Begriff der Groͤße auszufuͤllen, die ſich ohne Einfachheit, oder wenn man lieber will, Einfalt, nicht denken laͤßt. Jede bezeichnende Alle - gorie ſcheint ihm etwas zu entziehen: es waͤre denn, daß ſie irgend eine merkwuͤrdige Handlung zu gleicher Zeit mit dem Charakter des großen Mannes auf die Nachwelt braͤchte, oder daß der wohlgefaͤllige Ein - druck der Form anſehnlich dabei gewoͤnne. Sonſt iſt der bloße Nahme ein ſattſam treuer und verſtaͤnd - licher Ueberlieferer der großen Eigenſchaften der Ge - ſtalt; ein Text, den die Bewunderung des Volks von einer Generation zur andern commentirt.
Monumente, Denkmaͤler in Kirchen, auf Kirch - hoͤfen, ſind aber von anderer Art. Ordentlicher Weiſe errichtet dieſe nicht die Achtung des Volks, ſondern die Anhaͤnglichkeit der Freunde, der naͤchſten Verwandte: und es ſind Grabſtaͤtte, Grabmaͤler, oder werden wenigſtens dafuͤr angenommen.
Dieſe Veranlaſſung, dieſe Beſtimmung, bringt den Grabmaͤlern einen von der Ehrenſaͤule verſchie -O 4denen216Anmerkungendenen Charakter zu Wege, auf den bei der Erfin - dung Ruͤckſicht zu nehmen iſt.
Die Urne, das Sarcophag, abgerechnet, wel - ches die Grabſtaͤtte unter der Erde oberhalb derſelben uͤberhaupt bezeichnet; kann auch in der Compoſition etwas liegen, welches zur Mitempfindung derjenigen Stimmung der Seele einladet, in der ſich die Nach - gelaſſenen bei Errichtung des Monuments befunden haben. Iſt es Traurigkeit; traurende Figuren am Grabe: Iſt es troͤſtende Hoffnung; allegoriſche An - deutung des Schlafs des Gerechten, der Wiederauſ - ſtehung u. ſ. w.
Ferner: das Grabmal darf ſchon mehr durch ſich ſelbſt uͤberliefern, da es weniger auf das allge - meine Intereſſe des lebenden und kommenden Jahr - hunderts rechnen kann: Daher Symbol, allego - riſche Vorſtellung der Tugenden, Eigenſchaften, Faͤ - higkeiten, Beſchaͤfftigungen des Verſtorbenen: Ja! auch Innſchrift. Sehr oft wird beides, die Andeu - tung deſſen, was der Mann im Leben war, und deſſen, was er ſeinen Freunden nach dem Tode geblieben iſt, bequem mit einander in einer Figur verbunden; z. E. die traurende Gerechtigkeit u. ſ. w.
Endlich tritt die Ueberlieferung des Verſtorbenen ſelbſt hinzu. Sie iſt dasjenige, was den Nachge - bliebenen der Erhaltung am meiſten werth bleibt: und mit Recht! Es iſt wahr, was ich mich erinnere einmal geleſen zu haben, daß die Geſtalt des Men - ſchen oft den beſten Commentar zu ſeinem Charakter mache.
So wuͤrde dann ein Grabmal ein ſehr compo - nirtes Kunſtwerk ſeyn, bei dem ſich mehrere Kuͤnſteund217uͤber die einzelnen Kirchen. und Kunſtarten die Hand bieten, den Eindruck: Wan - derer ſtehe ſtill! hier liegt ein Mann begraben, der deiner Sehnſucht werth war! hervorzubringen. In - zwiſchen bleibt auch hier immer erſte Ruͤckſicht: iſt das Ganze ein Werk der ſchoͤnen Kunſt? und alle Beſtimmungen, die ich daruͤber bisher feſtzuſetzen ge - ſucht habe, treffen auch hier zu.
Das Werk muß durch Zweckmaͤßigkeit und Schoͤnheit der Form im Ganzen, als Gebaͤude: durch Schoͤnheit der Form und Ausdruck der Individuali - taͤt des Charakters im Einzelnen, als Bildhauerwerk: da wo Handlung angebracht iſt, durch einen beſtimm - ten, vollſtaͤndigen, abwechſelnden Ausdruck, als dra - matiſche Darſtellung, einen wohlgefaͤlligen Eindruck auf den ſtillſtehenden Anblick machen. Selbſt die eigentliche mahleriſche Wuͤrkung, Abwechſelung und Einheit im Helldunkeln, in vielfaͤrbigen Steinarten, in der Gruppirung, koͤmmt hier in Anſchlag. Ver - anlaſſung zum weitern Nachdenken, Reiz und Be - friedigung der Neugierde uͤber das nicht mit dem An - blick zu Faſſende, Spannung des Herzens und der reproducirenden Kraft unſerer Seele zu hoͤheren un - ſinnlichen Empfindungen und Bildern, — iſt ſo wie anderwaͤrts, auch bei dem Grabmal hinzutretendes, verſtaͤrkendes Vergnuͤgen: Jedoch mit dem Unter - ſchiede, daß der Beſchauer hier mehr berechtigt iſt, es zu erwarten.
Dieſe Regel im Allgemeinen iſt auf die Erfah - rung gegruͤndet, daß das ſchoͤne Werk der Kunſt un - ſere Aufmerkſamkeit immer feſſelt und anzieht, da hin - gegen das blos dichteriſch oder philoſophiſch gut zu -O 5ſammen -218Anmerkungenſammengeſetzte in der Beſchreibung lieber geleſen oder gehoͤrt, als in der Ausfuͤhrung geſehen wird.
Durch naͤhere Beſtimmungen mag ich die Wahl unter den Mitteln zu Erreichung jenes Eindrucks dem Kuͤnſtler nicht beſchraͤnken. Inzwiſchen will ich ei - nige Bemerkungen aufleſen, welche hin und wieder zur Richtung dienen koͤnnen.
Wie weit darf der Kuͤnſtler mit ſeinen allegori - ſchen Bezeichnungen gehen? So weit als er allen Menſchen, die zu dem Genuß der Kuͤnſte berechtigt ſind, verſtaͤndlich zu bleiben glauben darf: und er darf es alsdann, wann das Zeichen von der Art iſt, daß wir dabei mehr an die bezeichnete Sache, als an das Zeichen ſelbſt denken. Das Zeichen kann aber zwiefacher Art ſeyn, entweder ein bloßes Sym - bol, ein allegoriſches Bild, oder eine allegoriſche Vor - ſtellung.
Die einzige Art, wie wir in den bildenden Kuͤn - ſten daruͤber verſtaͤndigt werden, daß ein vorgeſtell - tes Objekt das Merkmal einer von ſeiner natuͤrli - chen Bedeutung abweichenden Vorſtellung ſey, iſt die oͤrtliche Zuſammenſtellung eines Objekts mit ei - nem andern, das wir in der Natur mit dieſem zuſam - men anzutreffen nicht gewohnt ſind. Indem wir dem Grunde der Vereinigung nachſpuͤren, ſo treffen wir auf das unſichtbare Verhaͤltniß, und dies Verhaͤlt - niß muß die unſichtbare Vorſtellung ausfuͤllen.
Ein Hirt mit einem Lamme, iſt fuͤr den bloßen Anblick ein Hirt mit einem Lamme. Ein Heiliger mit einem Lamme, iſt ein Menſch voll Sanftmuth: denn das Verhaͤltniß zwiſchen beiden iſt die Eigen - ſchaft, worin ſie beide zuſammentreffen, und ohnewelche219uͤber die einzelnen Kirchen. welche wir die Vereinigung uns nicht erklaͤren koͤnnen.
Wenn man alle guten, das heißt, leichtver - ſtaͤndlichen Symbole durchgehen will, ich bin gewiß, man wird meinen Satz beſtaͤtigt finden.
Eine Hieroglyphe iſt vom Symbol dadurch un - terſchieden, daß ihre Verſtaͤndlichkeit blos auf Ver - abredung beruht. Sie ſollte eigentlich ganz von dem Gebiete einer Kunſt ausgeſchloſſen ſeyn, die blos durch den Anblick lehrt. Aber viele derſelben ſind einmal aufgenommen. Der Kuͤnſtler wende bei ihrem Ge - brauche nur die Behutſamkeit an, daß er pruͤfe: ob ſie allgemein anerkannte Attribute ſind; das heißt, ob ſie in der Welt des Kuͤnſtlers in Gemaͤhlden, Sta - tuen u. ſ. w. ſtets mit einem gewiſſen Objekt verbun - den angetroffen werden? Von dieſer Art ſind die Nachteule der Weisheit, der Spiegel der Klugheit u. ſ. w.
Die beſten Symbole in Ruͤckſicht auf Deutlich - keit, ſind diejenigen, welche die Natur der Attribute haben; und unter dieſen ſcheinen wieder diejenigen die beſten zu ſeyn, welche die unſinnliche Kraft, die bezeichnet werden ſoll, als Werkzeug anwendet, wenn die Menſchen ihr Daſeyn aus ihren Wuͤrkungen er - kennen. Das Buch des Gelehrten, der Pinſel des Mahlers, die Keule des Starken u. ſ. w. ſind von dieſer Art5)Vielleicht aber gehoͤren dieſe Wiedererkennungszei - chen auch gar nicht zu Symbolen..
Den zweiten Rang nach dieſen ſcheinen diejeni - gen Symbole einzunehmen, welche ſich durch eine Ei -gen -220Anmerkungengenſchaft auszeichnen, die der Eigenſchaft, die ich be - zeichnen will, voͤllig aͤhnlich iſt. Z. E. das Lamm, Bild der Sanftmuth, der Adler, Bild des Scharf - ſinns, der Loͤwe, Bild der Staͤrke u. ſ. w. Die allergewoͤhnlichſten Erfahrungen leiten auf die Aehn - lichkeit, auf den Grund des Verhaͤltniſſes, den ich mir ſichtbar nicht erklaͤren wuͤrde.
Aus dieſer Bemerkung ſind, wie ich glaube, jene allegoriſchen Bilder entſtanden, welche unter menſch - lichen Figuren die Abſtrakta gewiſſer Tugenden oder moraliſcher Vollkommenheiten darſtellen, und blos in dieſer Ruͤckſicht koͤnnen ſie fuͤr deutlich, mithin fuͤr gut gehalten werden. Man hat naͤmlich bemerkt, daß eine hervorſtechende Eigenſchaft der Seele, die Fertigkeit nach gewiſſen Regeln uͤbereinſtimmend zu handeln, auf die Formen des Koͤrpers einen ſolchen dauernden Eindruck mache, daß man ſich auf gewiſſe Weiſe berechtigt halten koͤnne, in allen Faͤllen, wo man dieſelbe Form antrifft, auf einen aͤhnlichen Hauptzug im Charakter zu ſchließen. Dieſe Form hat man nach den einzelnen Erfahrungen zu einem Architypus, zu einem Modell aller aͤhnlichen Cha - rakterbezeichnungen verſtaͤrkt, und daraus ſind nun unſere Sanftmuth, Glaube, Gerechtigkeit, und wie die uͤbrigen Abſtrakta alle heißen moͤgen, entſtanden. Das Ungluͤck iſt, daß viele dergleichen Beſchaffenhei - ten der Seele der bloßen Form nach nicht wohl von einander zu unterſcheiden ſind, daher denn eine große Unbeſtimmtheit uͤber diejenige, die hier eigentlich ge - meinet ſey, entſtehen wuͤrde. Um dieſem Uebel ab - zuhelfen, hat man wieder ſeine Zuflucht zu unbelebten Symbolen nehmen, auch wohl, um die Einfoͤrmig -keit221uͤber die einzelnen Kirchen. keit zu vermeiden, die Figuren in Handlung ſetzen muͤſſen.
Hier warne ich den Kuͤnſtler nur vor dem Fehler: ſeiner allegoriſchen Menſchenfigur keine Form zu ge - ben, ihr keine Handlung beizulegen, welche der ur - ſpruͤnglichen Faͤhigkeit oder Faſſung der Seele wider - ſpricht, welche die bezeichnete Eigenſchaft vorausſetzt. Das Attribut wird den Fehler der Zweideutigkeit und Unverſtaͤndlichkeit eher verſtaͤrken, als verbeſſern.
So viel uͤber allegoriſche Bilder. Wie ich uͤber allegoriſche Vorſtellungen denke, daruͤber habe ich mich ſchon an mehreren Orten erklaͤrt; ich will hier weiter nichts daruͤber anfuͤhren.
Bei Grabmaͤlern kann eine beſondere Art von allegoriſchen Bildern und Vorſtellungen angebracht werden, welche Algarotti6)Saggio ſopra la pittura. und nach ihm Mendel - ſohn7)Ueber die Hauptgrundſaͤtze der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften. angerathen haben: naͤmlich die Darſtellung ſpecieller Begebenheiten aus der Geſchichte, bei denen die unſinnliche Eigenſchaft, von der man einen Be - griff geben moͤchte, bei aͤhnlichen Veranlaſſungen be - ſonders geſchaͤfftig geweſen iſt.
So hat die Kaiſerin von Rußland auf die Dien - ſte, welche der Fuͤrſt Orlow dem Vaterlande durch ſeine nuͤtzlichen Anſtalten zur Abwendung der Peſt, ſelbſt mit der augenſcheinlichſten Gefahr des Lebens, geleiſtet hat, eine Medaille ſchlagen laſſen, auf deren einen Seite das Bruſtbild des Fuͤrſten, auf der an - dern aber Curtius, der ſich in den Abgrund ſtuͤrzt, umſein222Anmerkungenſein Vaterland von einer verderblichen Plage zu ret - ten, ſehr gluͤcklich abgebildet ſind. In ein aͤhnliches Verhaͤltniß ließe ſich ein Basrelief von dieſer Bege - benheit mit dem Grabmale des Fuͤrſten bringen. Andere, aber, wie ich glaube, minder gluͤcklich ge - waͤhlte Beiſpiele fuͤhren die angezogenen Schriftſteller an; nur darin haben ſie voͤllig Unrecht, wenn ſie glauben, daß die Darſtellung einer ſolchen wuͤrklichen Begebenheit auch im Gemaͤhlde allgemein verſtaͤnd - liche Allegorie ſeyn koͤnne. Ein Gemaͤhlde iſt ein fuͤr ſich beſtehendes Ganze, wobei das oͤrtliche Verhaͤlt - niß wenig oder gar nicht in Anſchlag koͤmmt: Kein unbefangener Beſchauer wird darauf fallen, daß der gemahlte Curtius etwas anders bedeuten ſolle als die Geſchichte ſelbſt: und als gemahlte Erklaͤrung des gemahlten! — dafuͤr eben ſo gut den Zettel aus dem Munde. Muͤnzen hingegen, Grabmaͤler, Kunſtwerke, wo viele Kuͤnſte und Kunſtarten zuſam - mentreten, um ein Ganzes zu bilden, das nebenbei abſichtlich uͤberliefern ſoll; da giebt das oͤrtliche Ver - haͤltniß des einen Theils zu den uͤbrigen die Bezie - hung, die ich auffinden moͤchte.
Soll die Figur des Verſtorbenen handelnd oder ruhend gebildet werden?
Ich will die Gruͤnde fuͤr und gegen hier nicht eroͤrtern. Nur die einzige Bemerkung: Die Alten, bei denen die liegende Figur, außer in Flußgoͤttern, un - gewoͤhnlich war: legten gemeiniglich die Abbildungen der Verſtorbenen auf den Deckel ihrer Sarcophagen nieder. War es blos die beſſere Form des Sarco - phags, oder war es die Nebenidee von Ruhe im Tode, die ihnen dieſes anrieth?
Ich223uͤber die einzelnen Kirchen.Ich entſcheide nichts! Allein darum bitte ich denWarnung aufgewor - fen. Kuͤnſtler: keine Handlung, die dem Eindruck von Schoͤnheit ſchade, keine, die eine Thaͤtigkeit anzeige, deren Grund nicht vollſtaͤndig aus dem Bilde ſelbſt zu erkennen ſey! 8)Ich muß bei dieſer Gelegenheit ein Wort uͤber dasZweifel uͤber das Grab - mal der Ma - dame Lang - hans von Hrn. Nahl. Grabmal der Madame Langhans von Hrn. Nahl ſagen, welches ſehr beruͤhmt iſt — bei Schriftſtel - lern. Ich habe es nicht geſehen, aber nach dem Kupfer zu urtheilen, muß es doch viel wider ſich haben. Der Stein zerſpringt bei dem Schall des himmliſchen Machtworts der Auferweckung, die Auferſtehende ſteigt hervor mit dem Kinde, deſſen Geburt ihr das Leben gekoſtet hatte, und das gleich darauf ſeiner Mutter folgte. Der Ausdruck dieſer Handlung, ſagt man, ſey vortrefflich. Allein Ausdruck einer Handlung iſt in der Sculptur nicht Hauptſache, es ſind die Formen des Koͤrpers, und dieſe ſind durch den zerſpringen - den Stein groͤßtentheils verſteckt. Dazu hat der Kuͤnſtler nicht bedacht, daß ein zerſpringender Stein in der Sculptur immer nur ein halbzerſprungener bleibe, der die arme Frau, die dazwiſchen ſteckt, fuͤr das Auge kneift. — Die aͤhnliche Idee der Mut - ter des le Brun, die beim Schall der Poſaune aus dem Grabe ſteigt, in der Kirche St. Nicolas du Chardonnet zu Paris, mag wohl zu dieſer die Ver - anlaſſung gegeben haben.
Ich gehe nun zu den Kunſtwerken ſelbſt uͤber. Bemerkun - gen uͤber die Kunſtwerke im Einzel - nen.
Die Ritterſtatuen Conſtantins, und Carls des Großen, die erſte von Bernini, die zweitevon224Anmerkungenvon Cornaccini: beide mittelmaͤßig. Die Statue des Bernini gleicht einem Theatergott, der auf einer Maſchine durch die Luͤfte fahren will, und ſich fuͤrch - tet, daß das Seil zerreiſſe.
Nicht weit vom Eingange, vier Kinder von weißem Marmor, welche Gefaͤße von gelben Marmor halten, worin Weihwaſſer aufbehalten wird. Die Kinder ſind ſo aufgebla - ſen ſchwuͤlſtig, daß man ſie fuͤr waſſerſuͤchtig halten ſollte. Die Gefaͤße haben die Form von Muſcheln. Der Geſchmack, der darin herrſcht, ſcheint mir zu willkuͤhrlich.
In den Niſchen der Pilaſter des Schiffs und des Kreuzganges: Statuen der Stifter verſchiedener geiſtlichen Orden, von weißem Marmor. Die mehreſten ſind unter aller Kritik. St. Domenico von le Gros, und St. Bruno von Slodz, verdienen vielleicht allein eine Ausnah - me von dieſem Urtheil. Der erſte hat einen guten Kopf, ob gleich nicht von edlem Charakter. Die Stellung iſt immer noch zu gezwungen, weil der Kuͤnſtler die Regel des Contrapoſto ohne Ueberlegung angewandt hat; das gewaltſame Vor - und Zuruͤck - ſtrecken der Glieder ohne ſichtbare Veranlaſſung zur Bewegung, wird, vorzuͤglich bei einzelnen Figuren, immer eine Thorheit bleiben. Das Nackende ſcheint richtig, aber hart und eckig gezeichnet zu ſeyn. Man vermißt in dem Spiele der Muskeln das Fließende, die feinen und zarten Uebergaͤnge, die man ſelbſt in den coloſſaliſchen Figuren der Alten bewundert. DerFalten -225uͤber die einzelnen Kirchen. Faltenſchlag iſt ſchlecht, und der Bildhauerei nicht angemeſſen.
St. Bruno iſt in der Handlung vorgeſtellt, wie er die Biſchoffsmuͤtze ausſchlaͤgt, die ein Engel ihm darbietet, und ſich an dem Roſenkranze und dem Todtenkopfe genuͤgen laͤßt. Der Ausdruck iſt gut, weil er beſtimmt, deutlich und vollſtaͤndig iſt; aber der Stellung merkt man doch wieder die unſelige Ma - nier des Contrapoſto an. Die Gewaͤnder ſind ſo ſchwer - faͤllig, daß man ſie eher fuͤr ſteinernes Symbol von Gewaͤndern, als fuͤr wuͤrkliche Darſtellung derſelben halten ſollte.
In den Niſchen unter der großen Kuppel, vier Statuen, unter denen allein bemerkt zu wer - den verdient:
† Der heilige Andreas von Fiammingo. Der heilige Andreas von Fiammingo.Man hatte mir immer dieſe Figur unter den beruͤhm - teſten der neueren Zeit genannt. Es kann ſeyn, daß mein Geſchmack durch den Anblick der Antiken ver - woͤhnt war, als ich zu dieſer Statue hinzutrat; ich fand nichts als eine große Maſſe von Stein, die ei - nem Menſchen ſehr aͤhnlich ſahe, und der der Bild - ner gern recht viel Leben und Thaͤtigkeit haͤtte geben moͤgen. Es kam mir vor, ſage ich, als wenn Fiammingo, um dem prophezeienden Vorwurf des Bernini zu entgehen, daß er nur ein großes Kind bilden wuͤrde, den Einfall jenes alten Kuͤnſtlers habe realiſiren wollen, der ſich erbot, dem Berge Athos die Geſtalt Alexanders des Großen zu geben.
Die Wahl der Formen paßt ſich zu dem Begriff eines gemeinen Fiſchers; Schoͤnheit der Formen,Dritter Theil. PIndi -226AnmerkungenIndividualitaͤt eines allgemeinen Charakters ſucht man vergebens. Die Stellung iſt academiſch, der Ausdruck affektirt. Die Gewaͤnder bilden Falten von großen Maſſen, in denen das Licht vortrefflich aufgefangen, und bequem vom Schatten abgetheilet wird: aber ſie verhuͤllen das Nackende anſtatt es zu bedecken. Die Zeichnung, die Verhaͤltniſſe ſind im Ganzen richtig, inzwiſchen wirft man dem linken Beine vor, daß es nicht recht mit der Huͤfte zuſam - menhaͤnge. Und wie ſehr fehlen die feinen Ueber - gaͤnge einer Muskel in die andere, welche die coloſ - ſaliſchen Statuen der Alten auszeichnen!
Die Moſaiken an der Kuppel ſind ſchlecht gezeichnet, und viel zu ſein fuͤr die Entfernung und die Groͤße des Orts.
† Eine beruͤhmte Pieta, oder Madonna bei dem todten Chriſt, Gruppe aus Marmor von M. Angelo Buonarotti. Hr. Dr. Volk - mann ruͤhmt den Ausdruck von Traurigkeit in der heil. Jungfrau: aber mir ſcheint er verfehlt, und mehr muͤrriſche Unzufriedenheit als Schwermuth auszudruͤcken. Die Figur Chriſti iſt zu mager, zu knoͤchern, und die Gelenke ſind wie zerſchlagen. Die Madonna iſt zu jung gegen ihren Sohn. Taille und Huͤften ſind zu lang, die Extremitaͤten zu klein. Man wirft dem einen Arm vor, daß er ausgeſetzt ſey. Ihr Gewand beutelt ſich ſtatt Falten zu ſchla - gen: eine Wuͤrkung die man von einem naſſen Ge - wande, das an der Haut klebt, vermuthen kann. Dieſe227uͤber die einzelnen Kirchen. Dieſe Fehler abgerechnet, iſt die Zeichnung richtig, und die Behandlung weich.
Ein antiker Sarcophag, in dem ehemals die Gebeine des Probus Anicius geruhet haben, mit ei - nigen Basreliefs. Er diente lange in dieſer Kirche zum Taufſtein.
Das Grabmal der Koͤnigin Chriſtina von Schweden. 9)Nicht das Ganze, wie Hr. Volkmann ſchreibt, iſt von Theodon, ſondern nur das Basrelief.Das Sarcophag iſt ſehr klein, und das Medaillon mit ihrem Bildniſſe, von Giar - dini in Metall gegoſſen, ſehr groß. Der Rumpf dieſes Kopfes koͤnnte in dem Sarcophag nicht liegen. Dies macht einen Uebelſtand. Der Todtenkopf mit einer Krone von gefluͤgelten Seraphims iſt eine laͤcher - liche Idee. Die Kinder aus Marmor ſind von Ottoni, das Basrelief iſt von Theodon.
Eine Copie des heiligen Sebaſtians nach Domenichino, von Chriſtofari10)Fabius und Petrus Paulus Chriſtofori oder Chri - ſtofari, Vater und Sohn, die Fuͤßli irrig Chriſto - fano nennt, haben die muſiviſche Mahlerei zuerſt zu einem gewiſſen Grade von Vollkommenheit ge - bracht. in Moſaik gebracht.
P 2Zwiſchen228AnmerkungenZwiſchen dieſer Capelle und der dritten.
Grabmal des Pabſtes Innocentius XII. Der Pabſt iſt ſitzend vorgeſtellt. Die Gerechtigkeit und die chriſtliche Liebe ſtehen zur Seite. Das Werk iſt von Filippo della Valle, und mittelmaͤßig.
Grabmal der Graͤfin Mathildis. Ihre Figur ſteht in einer Niſche. Unter ihr ein Sarcophag mit einem Basrelief, und dabei zwei Engel, welche ein Schild mit der Innſchrift halten. Bernini hat das Ganze angegeben, die Statue der Graͤfin aber ſelbſt verfertigt. Der Kopf iſt reizend, die Figur aber zu kurz: die Gewaͤnder haben keine Wahrheit. Die Engel ſind ſchlecht componirt. Der eine beißt ſich in den Finger, der andere ſtuͤtzt ſich auf den Elnbogen.
Das Basrelief ſtellt den Kaiſer Heinrich den IV. vor, der zu Canoſſa vor dem Pabſte Gregorius dem VII. auf den Knien liegt. Es iſt von guter Anordnung, aber ſchlecht ausgefuͤhrt.
Die uͤbrige Arbeit, ſelbſt an den Zierrathen iſt ſehr beſorgt, und das Ganze bildet eine ſchoͤne Gruppe.
Die heilige Dreieinigkeit von Pietro da Cortona. Der Ausdruck in der Figur Gottes des Vaters iſt uͤbertrieben. Die Faͤrbung aber kraͤftig.
Grabmal Gregors XIII. von Camillo Ruſ - coni. Der Sarg iſt gegen die Statue des Pabſtes zu klein. Zu den Seiten, die Statuen der Religionund229uͤber die einzelnen Kirchen. und der Staͤrke; die eine haͤlt die Werke des Pabſtes, die andere hebt das Tuch auf, womit der Sarg be - deckt iſt. Die Stellungen ſind uͤbertrieben. Das Fleiſch ſcheint von Wachs zu ſeyn, und das Gewand iſt zu ſchwerfaͤllig, zu eckigt in den Falten. Die Figur des Pabſtes iſt die beſte unter den dreien. Das Vasrelief an dem Sarcophag ſtellt die von Grego - rius dem XIII. veranſtaltete Verbeſſerung des Kalen - ders vor.
† Die Communion des heil. Hieronymus, nach Domenichino von Chriſtofari in Moſaik gebracht. Es iſt eines der beſten in der Kirche, und wird immer dazu hinreichend ſeyn, die muſterhafte Anordnung in dieſem Gemaͤhlde auf die Nachwelt zu bringen.
Der heilige Baſilius der vor dem Kaiſer Valens, der in Ohnmacht faͤllt, Meſſe lieſt, nach Subleyras in Moſaik gebracht. Es ge - hoͤrt zu den guten muſiviſchen Arbeiten.
Dieſem Altare gegen uͤber iſt jetzt das Grabmal Benedikt des XIV. von den Cardinaͤlen die er ernannt hatte, errichtet worden. Es iſt von Guaſpro Sibilla, einem Roͤmer. Die Zuſammen - ſetzung iſt nicht ſchlecht. Der Pabſt ſteht, und er ſcheint der erſte zu ſeyn, der in dieſer Stellung, we - nigſtens in der St. Peterskirche, vorgeſtellet iſt. Die Figur hat etwas edles: inzwiſchen wuͤnſchte ich ſieP 3noch230Anmerkungennoch natuͤrlicher, weniger gedreht in der Stellung. Von den zwei Figuren zur Seite ſtellt die eine die Uneigennuͤtzigkeit vor: ſie ſchlaͤgt das Geld aus, das ihr angeboten wird. Die Bedeutung der andern habe ich vergeſſen. Sie haben keinen Ausdruck, und das Gewand traͤgt das Gepraͤge des Kirchen - ſtils an ſich.
Auf dem Altare zur Rechten iſt der heilige Wenceslaus nach Caroſelli,11)Schuͤler des M. Angelo da Carravaggio. ein hoͤchſt mittel - maͤßiges Gemaͤhlde.
Auf dem Altare zur Linken, die Marter des heiligen Eraſmus, nach Pouſſin, von Chriſtofari in Moſaik gebracht.
Das Gewoͤlbe iſt blos mit vergoldeter Stuccaturarbeit geziert, nicht, wie Herr Volk - mann berichtet, zu gleicher Zeit mit Mahlereien nach Tapeten von Raphael.
Am großen Kuppelpfeiler linker Hand, Petrus der auf dem Meere wandelt. Moſaik nach Lanfranco.
Ueber dem folgenden Altare zur Rechten.
Der Erzengel Michael, Moſaik nach Gui - do Reni, nicht nach Giuſeppe d’ Arpino, wie es Hr. Dr. Volkmann anzudeuten ſcheint. Die Arbeit iſt von Calandra.
† Die heilige Petronilla nach Guercino, das Meiſterſtuͤck des Chriſtofari und das ſchoͤnſte muſiviſche Gemaͤhlde, das mir bekannt iſt.
Das231uͤber die einzelnen Kirchen.Das Monument des Pabſts Clemens X. iſt in jedem Betracht mittelmaͤßig.
An dem Gewoͤlbe der hinterſten Tribuͤne ſind keine Gemaͤhlde, wie Hr. Dr. Volkmann ſchreibt, ſondern blos Zierrathen von Stucco.
Der Stuhl des heil. Petrus, la CatedraCatedra di St. Pietro. di St. Pietro, iſt in einem andern Stuhle von ver - goldetem Bronze aufbewahrt. Dieſen halten die vier Kirchenlehrer: Ambroſius, Auguſtinus, Athana - ſius, und Chryſoſtomus, alle in Bronze. Sie ſtehen auf einem Poſtamente von Marmor. Am Fuße des Ganzen iſt ein Altar, uͤber dem Stuhle aber iſt die paͤbſtliche Krone befindlich, und noch hoͤher ſchwebt eine Glorie von Engeln. Dieſe wird von den hinterſten Fenſtern, welche gelb ſind, er - leuchtet, und der heilige Geiſt ſchwebt dazwiſchen in Geſtalt einer Taube.
Die Erfindung dieſer Maſſe iſt ſehr ingenioͤs: aber in der Ausfuͤhrung frappirt ſie nur das erſte Mal, nachher verliert ſie immer mehr und mehr. Selbſt bei dem erſten Anblick bemerkt man eine gewiſſe Un - ordnung die misfaͤllt. Aber wenn man nun im Ein - zelnen zu unterſuchen anfaͤngt, ſo wird man ſo un - willig, daß ich fuͤr mein Individuum dies fuͤr die bildende Kunſt ſo unbetraͤchtliche Werk nie habe an - ſehen koͤnnen, ohne das Metall zu bedauern, was daran verſchwendet iſt. Theatraliſche Stellungen, unbedeutende oder gezierte Geſichtsbildungen, Ge - waͤnder wie Felſen, uͤberladene Zierrathen von ſchlech - tem Geſchmack: Alles erinnert an die Fehler des Kirchenſtils, deſſen Hauptbefoͤrderer, Bernini, auch Verfertiger dieſes Werkes iſt.
P 4Zur232AnmerkungenZur Rechten von dem Stuhle Petri ab:
Das Grabmal Urbans VIII. gleichfalls von Bernini. Der Kopf an der Figur des Pabſtes aus Bronze iſt ein gutes Bildniß, obgleich das Spiel der Muskeln fließender ſeyn koͤnnte. Aber der Koͤr - per iſt zu kurz: und der Faltenſchlag des Gewandes unnatuͤrlich, und dem Nackenden wenig vortheilhaft. Um ſich davon zu uͤberzeugen, darf man nur die Partie auf dem rechten Knie betrachten.
Unter dieſer Statue ein Sarcophag an dem der gebrochene Giebel keinen reinen Geſchmack verraͤth. Zu beiden Seiten eine Carita und die Gerechtigkeit. Die Carita hat ganz das Ausſehn einer niederlaͤndi - ſchen Amme: ihr Laͤcheln wuͤrde einer Buhlerin anſte - hen, und die ſchlaffen Formen, die ungeheuren Bruͤ - ſte mit großen Warzen widerſprechen dieſem Charakter nicht. Die Kinder ſind von gemeiner Natur und waſſerſuͤchtig; ihre Stellungen ſind ſchlecht gewaͤhlt. Die Gerechtigkeit hat noch weniger Anſpruch auf un - ſern Beifall. Das Gewand ſchwerfaͤllig, im kleinli - chen Stile, entzieht das Nackende dem Auge ganz. Der Tod als Skelett, der den Nahmen des Pabſtes in ein Buch zeichnet, iſt eine ekelhafte, und die drei Bienen, die von dem Wappen des Pabſtes aus an den Sarg hinaufkriechen, eine kindiſche Idee.
Was hat denn dieſes Werk fuͤr ſich, daß es ungebildete Augen noch anzieht? Niederlaͤndiſche Treue im Detail, den Schein mahleriſcher Wuͤrkung, und die Behandlung des Marmors, der unter Ber - ninis Haͤnden zu Wachs wurde. Mit dem Bronze verſtand er nicht ſo gut umzugehen.
† Das Grabmal Pauls des Dritten vonGrabmal Pauls III. von M. An - gelo Buona - rotti, und della Porta. M. Angelo Buonardtti angegeben, und von Guglielmo della Porta ausgefuͤhrt.
Es ſcheint mir das Beſte in der Kirche zu ſeyn, weil es die meiſten Schoͤnheiten im Detail hat. Die Maſſe des Ganzen kann hingegen nicht zum Muſter dienen, und die Zierrathen ſind von ſchlechtem Ge - ſchmack. Die Figur des Pabſtes in der Hoͤhe iſt gut gedacht, und hat der Incorrektionen in der Zeich - nung ungeachtet, (denn das Obertheil iſt zu lang und das Untertheil zu kurz,) einen wahren und beſtimm - ten Ausdruck. Es iſt der eines gutmuͤthigen Alten. Die unten liegenden allegoriſchen Figuren ſtellen die Klugheit und Gerechtigkeit vor12)Nicht die Religion, wie Hr. Volkmann ſchreibt, ſie haͤlt die Faſces.. Der Kopf die - ſer letzten Tugend ſcheint ein Portrait zu ſeyn, und laͤßt auf einen muntern Charakter und viel Tempe - rament ſchließen. Er iſt nicht idealiſch ſchoͤn, aber doch wohlgefaͤllig. Die Haare ſind nicht gut gear - beitet, und aͤhneln Schlangen. Das Ohr ſcheint unproportionirlich klein zu ſeyn. Die Stellung iſt fuͤr den Ort zu wolluͤſtig. Man kann das bronzene Gewand, mit dem ſie bedecket iſt, abnehmen laſſen, dann bemerkt man an dem Koͤrper, was auch ſchon die Extremitaͤten anzeigen, daß die Formen zu rund gearbeitet ſind, und das Spiel der Muskeln nicht ge - nung andeuten. Inzwiſchen bleibt es immer eine ſchoͤne Figur.
P 5Die234AnmerkungenDie Klugheit iſt unter der Figur eines alten Wei - bes abgebildet; ſie aͤhnelt aber mehr einem ruͤſtigen Greiſe, dem man Frauenskleidung angezogen hat. Das Spiel der Muskeln iſt gut. Das Gewand zeigt das Nackende gehoͤrig an.
Man darf von dieſen Statuen im Ganzen ſagen, daß wenn ſie gleich keineswegs fehlerfrei ſind, ſie dennoch ihrer ausdrucksvollen Koͤpfe, natuͤrlichen Stellungen, vieler Schoͤnheiten im Einzelnen, und der guten Behandlung des Marmors wegen, unter die beſten neueren Werke gehoͤren.
Das Grabmal Alexanders des VIII. von Roſſi iſt mittelmaͤßig. Das Basrelief, welches eine Canoniſation vorſtellt, iſt daran das Beſte.
Linker Hand am erſten Altar des Kreuz - ganges: Der Apoſtel Petrus der einen Lah - men heilt, nach Mancini, einem Schuͤler des Ci - gnani, in Moſaik.
† Das beruͤhmte Basrelief des Algardi. Attila wird auf Befehl des Pabſtes Leo von den Apoſteln Paulus und Petrus vor den Mauern Roms weg vertrieben.
So hat unſer Kuͤnſtler die Idee Raphaels, der den Barbaren geruͤhrt von einem heiligen Schauer zuruͤckkehren laͤßt, abgeaͤndert, und dadurch mehr Feuer in ſeine Compoſition gebracht. Ich will ihn nicht ganz tadeln; vielleicht iſt der letzte Ausdruck be - ſtimmter, und allgemein verſtaͤndlicher.
Hier haben wir ein Basrelief, ganz nach Art ei - nes Gemaͤhldes angeordnet: Es ſind nicht blos meh - rere Figuren, ſondern auch mehrere Gruppen auf ver -ſchiedenen235uͤber die einzelnen Kirchen. ſchiedenen Planen nach den Regeln der Gruppirung und des Helldunkeln hinter einander geſtellt. Dies war die Art der Alten nicht. In ihren guten Bas - reliefs, ſtellten ſie die Figuren entweder neben einan - der, oder doch auf einen Plan, oder wenigſtens nicht mehr als zwei derſelben hinter einander.
Ich glaube, die Alten hatten Recht, und wir Neu - eren, die wir ein Basrelief als ein Gemaͤhlde betrach - ten, wir vermengen die Graͤnzen, welche die Natur der Sache fuͤr beide Kunſtarten feſtgeſetzt hat.
Es laͤßt ſich beſſer fuͤhlen als beſchreiben, welcherEin Basre - lief iſt kein Gemaͤhlde: die Anord - nung deſſel - ben folgt be - ſondern Re - geln. Nachtheil fuͤr Illuſion und Harmonie der Schatten und Lichter aus der mahleriſchen Anordnung eines Basreliefs zu befuͤrchten ſteht. Ich will nur einen Theil deſſelben angeben, auf die Gefahr von dem bloſ - ſen Leſer nicht ganz verſtanden zu werden. —
Wenn mehrere weiße runde Koͤrper auf einer weißen Flaͤche von einander abſtehend erſcheinen ſol - len, ſo kann dies nicht anders geſchehen, als wenn der Kuͤnſtler dieſe Flaͤche aushoͤlet: Die groͤßte Er - hobenheit fuͤr die erſte Figur, die nachfolgende fuͤr die zweite, und ſo immer ſtufenweiſe weiter ausſpare. Natuͤrlicher Weiſe muͤſſen aber der Plan, auf dem dieſe Figuren ſtehen, der Himmel, unter dem ſie han - deln, die Seitenwaͤnde, die ſie umſchlieſſen, u. ſ. w. mit ausgehoͤlet werden. Hier iſt es nun faſt unmoͤglich, dem Beſchauer einen Raum zu zeigen, der mit dem Umfange der Koͤrper, die darin befindlich ſind, nur in einem entfernten Verhaͤltniſſe ſtaͤnde. Die Figuren ſcheinen auf einem abhaͤngenden Orte zu ſchwanken, und wir verſehen uns zu ihnen mit jedem Augenblicke, daß ſie herabglitſchen, und uns entgegen rollen werden. —
Es236AnmerkungenEs liegt ſchon bei dem Basrelief, das eine ein - zige Figur erhoben zeigt, eine gewiſſe Verabredung zum Grunde, die halbrunde Form als ganz rund an - zunehmen. So hart an die Flaͤche gepreßt ſteht kein runder Koͤrper, daß der ſeitwaͤrts fallende Lichtſtrahl nicht durch die Abweichungen jenes Koͤrpers von der Mauer an einigen Stellen durchfallen ſollte: und allemal wird der Umfang des Schlagſchattens, die Staͤrke des hoͤchſten Lichts, und die Degradation der Halbſchatten uns gar leicht belehren, ob die Figur halb oder ganz rund ſey. Inzwiſchen dieſe kleine Unwahrſcheinlichkeit ſchenken wir zu Gunſten des Ver - gnuͤgens, das uns die Darſtellung uͤbrigens macht. Wenn nun aber der Kuͤnſtler mehrere Koͤrper auf einander poͤckelt, mir reſpektive ſechsachtel, vierachtel, zweiachtel, einachtel runde Figuren fuͤr vier Ganze verſellen, und das Streiflicht, welches durch die Ab - weichungen eines Koͤrpers von dem andern nothwen - dig durchfallen muß, uͤberher in den Kauf haben will, ſo heißt dies doch offenbar meine Gutherzigkeit misbrauchen. —
Man pflegt oft die vorher angegebene ſtufen - weiſe Proportion zu uͤberſchreiten, die dem Beſchauer zunaͤchſt ſtehende Figur einer Gruppe ſtark hervorzu - heben, die entfernteren aber ſehr flach zu halten, ſo daß ohngefaͤhr die erſte ſich zu der folgenden wie ſiebenachtel zu einachtel oder wenigſtens wie drei - viertel zu einviertel verhaͤlt: Neue Unwahrſchein - lichkeit! Warum erſcheint von zwei bis drei Fi - guren, die ſich einander ſo nahe ſtehen, um eine Grup - pe zu bilden, die eine meinem Auge ſo nahe, die an - dere ſo fern? Sie ſind alle drei noch in der Diſtanz,in237uͤber die einzelnen Kirchen. in der ich die Form voͤllig pruͤfen, das Runde als wuͤrklich rund wuͤrde betaſten koͤnnen. —
Geht nicht ohnehin bei dieſer Verfahrungsart alle Harmonie von Licht und Schatten verloren? Die ſtarken und ungleichen Abſaͤtze bringen Schlag - ſchatten von ſo verſchiedenem Umfange hervor, daß die zum wohlgefaͤlligen Eindruck des Ganzen ſo noͤ - thige Degradation des Hellen zum Dunkeln gaͤnzlich zerſtoͤrt, und mein Auge durch unangenehme Spruͤn - ge von dem ſehr hellen Lichte, und dem damit corre - ſpondirenden ſtarken Schatten der hoch erhobenen Fi - gur, auf das matte Licht, auf den damit wieder im Verhaͤltniß ſtehenden matten Schatten der flach ge - haltenen Figur gefuͤhret wird. —
Bei der Darſtellung großer Fernen hat der Kuͤnſtler im Basrelief mit noch groͤßeren Schwierig - keiten zu kaͤmpfen. Verkleinert, verſchmaͤlert er ſeine Figur nach den Regeln der Linienperſpektiv in einem betraͤchtlichen Grade, ſo wird, wenn er zu gleicher Zeit die Regeln der Luftperſpektiv beobachten will, die ent - fernte Figur ſo flach, ſo duftig erſcheinen muͤſſen, daß ſie einer Erhobenheit nicht mehr faͤhig bleibt, mithin fuͤr den Meiſſel, der ihr Daſeyn nur durch Erhoben - heit begreiflich machen kann, verſchwindet. Beob - achtet er die Luftperſpektiv nicht, will er die Figur erhobener bilden als die Ferne, als das Ziel des vorn zufallenden Lichtſtrahls es zulaͤßt; ſo wird die kleine aber dicke Figur zum nahen Zwerge. —
Man hat Unrecht ein Basrelief mit einem Ge - maͤhlde aus dem Grunde zu vergleichen, weil beide auf einer Flaͤche arbeiten. Der Pinſel hat ganz an - dere Mittel Cavitaͤten zu bilden, ſich Raum zu ver -ſchaffen,238Anmerkungenſchaffen, als der Meiſſel. Er ſtellt den Beſchauer an einen dunkeln Ort, und zieht den Vorhang eines er - leuchteten Theaters auf. Die dunkle Figur auf dem Vorgrunde, die nicht anders, als zwiſchen jenem und dem Orte im Hellen angenommen werden kann, loͤ - ſet ſich gleich von dem uͤbrigen ab, tritt vor, und ſtoͤßt die hellerere Partie zuruͤck. Dieſe wird durch ein Licht erleuchtet, deſſen Quelle in dem Bilde ſelbſt liegt. Der Mahler kann es daher leiten wie er will: er kann es hinter die Figuren her fallen, und dieſe dadurch rund erſcheinen laſſen: er kann, wenn er ein neues Repouſſoir fuͤr noͤthig haͤlt, nur einen Streif - ſchatten in der Mitte des Bildes anbringen, der wie - der den helleren, aber nach den Regeln der Luftper - ſpektiv abgeſchwaͤchten Hintergrund zuruͤckſchiebt. Er braucht nicht zu fuͤrchten, daß das Licht, das er hinten wieder zuſtroͤmen laͤßt, dem vorderen Schaden thue: Er hat den Grad der Staͤrke der Farben in ſei - ner Gewalt, er laͤßt ſie ſo erſcheinen, wie die Maaße der zwiſchentretenden Luft ſie in der Ferne modificirt, mithin unterſcheidet mein Auge durch den bloßen An - blick der Farbe das Licht auf zehn Schritt von dem Lichte auf hundert. Endlich darf man nicht vergeſ - ſen, daß in einer ſehr großen Entfernung, wo die Im - preſſion, welche das Licht auf Erhoͤhung und Vertie - fung der Formen macht, den Koͤrper von der Flaͤche nicht mehr abheben wuͤrde, wo dieſer ſo zu ſagen mit der Luſt zuſammen fließt, die Wahrnehmung der bloßen Farbe dieſen als Form von der Flaͤche abhebt.
Dieſe Gruͤnde, der Mangel an Wahrheit, und eigentlich mahleriſcher Wuͤrkung, hingegen der hoͤhere Anſpruch, den die runde oder halbrunde Bildnereiauf239uͤber die einzelnen Kirchen. auf Darſtellung ſchoͤner Formen im Einzelnen hat, beſtimmen meinen Geſchmack fuͤr ſolche Basreliefs, die eine Reihe ſchoͤner Geſtalten in abwechſelnden Stel - lungen neben, nicht hinter einander, vorſtellen. IchDie zweck - maͤßigſten Suͤjets fuͤr ein Basrelief ſind diejeni - gen, welche reihenweiſe Aufſtellung der Figuren neben einan - der in ab - wechſelnden Stellungen motiviren. finde dazu ſolche Suͤjets am geſchickteſten, die ich mir als Proceſſionen, Taͤnze u. ſ. w. an einer Wand her - gehend denken kann: und dieſe finde ich von den Alten am haͤufigſten vorgeſtellt.
Vielleicht tritt auch dieſer Grund hinzu: das Basrelief iſt ſeiner urſpruͤnglichen Beſtimmung nach nicht dazu auserſehen geweſen, als fuͤr ſich beſtehendes Kunſtwerk zu gefallen. Es iſt eigentlich architekto - niſcher Zierrath: Frieſe, in der die menſchliche Figur ſtatt Laubwerks dient. Leichtigkeit, die mit der An - haͤufung mehrerer Figuren in Gruppen ſchwerlich be - ſteht, muß deſſen Hauptcharakter ausmachen.
Das Basrelief, die halberhobene Arbeit wuͤrde ſich demnach von der runden Bildnerei dadurch bei mir unterſcheiden, daß ſie die einzelne Geſtalt neben der einzelnen Geſtalt in ſolchen Handlungen vorſtellt, die abwechſelnde Stellungen, ſich reizend ſchlaͤngelnde Formen motiviren und in der Natur mit der Abſicht vorgenommen werden, vor dem Beſchauer aufzuzie - hen. Bacchusfeſte, Taͤnze, triumphaliſcher Ein - zug, Begraͤbniſſe, Hochzeiten u. ſ. w. ſcheinen mir hierzu beſonders geſchickt. Auch glaube ich, daß das Basrelief dazu beſtimmt ſey, mir Perſonen aus der Geſchichte oder Fabel aufzuzaͤhlen, die ich mir in numerirter Vereinigung neben einander denke, z. E. die neun Muſen, eine Goͤtterverſammlung u. ſ. w. Denn Ausdruck einer dramatiſchen Situation vermag das Basrelief, ſo wie das runde Bild, aus ander -waͤrts240Anmerkungenwaͤrts angegebenen Urſachen, nur ſelten vollſtaͤndig zu liefern.
So ſtaͤnde alſo das Basrelief zwiſchen der Sta - tue und dem Gemaͤhlde in der Mitte, ſowohl was Erfindung, als Anordnung betrifft.
Auf mahleriſche Wuͤrkung aber, glaube ich, muß das Basrelief ganz Verzicht leiſten. Unter an - dern auch darum: Jene Wuͤrkung beſteht nicht ohne ſtarke Abwechſelung von Licht und Schatten, mithin im Basrelief nicht ohne ſtarke Erhoͤhung und Vertiefung. Ich habe aber gefunden, daß diejenigen BasreliefsDiejenigen Basreliefs ſind die ſchoͤnſten, auf denen die Umriſſe der Figuren ſanft in den Grund lau - fen. Fortgeſetzte Beurthei - lung unſers Basreliefs. den wohlgefaͤlligſten Eindruck auf mich gemacht haben, die wie ein ſanfter Hauch auf die Flaͤche geblaſen wa - ren, und vorzuͤglich am Rande des Umriſſes ſanft und ohne Kante in den Grund liefen. Selten wird dies erreichbar ſeyn, wo die Figuren gar zu hoch her - ausgearbeitet ſind.
Kann man ſich daruͤber hinausſetzen, daß das Werk des Algardi Basrelief iſt, ſo wird es als Ge - maͤhlde großen Anſpruch auf eine ſchoͤne Erfindung und Anordnung haben.
Die Figuren ſtehen jede am rechten Orte, die mahleriſche Gruppirung, die Linien und Luftperſpektiv ſind gut angedeutet.
Der Ausdruck des Zorns in den Apoſteln ſcheint mir uͤbertrieben: Man kann ihnen mit Recht zurufen:
Tantaene animis coeleſtibus irae!
Die Wahl der Formen iſt nicht die edelſte, und in den Koͤpfen herrſcht zu viel Einfoͤrmigkeit. Die Zeichnung ſcheint ziemlich correkt zu ſeyn: Die Gewaͤnder der Apoſtel ſind in Ruͤckſicht auf mahleri - ſche Wuͤrkung gut, in Ruͤckſicht auf Wahrheit undSchoͤn -241uͤber die einzelnen Kirchen. Schoͤnheit der Form zu willkuͤhrlich und ſchwerfaͤllig. An der Behandlung des Marmors iſt die Kunſt, mit der die vorderſten Figuren von dem Grunde abgeloͤſet ſind, zu bewundern.
Ich habe von Mengs[geſagt], daß ein vortreff -Charakter des Algardi. licher Bildhauer an ihm verloren gegangen ſey, ich moͤchte vom Algardi ſagen, es ſey Schade, daß er kein Mahler geworden. Er war der Annibale Car - raccio unter den Bildhauern: Ein großer Freund der Beſtimmtheit und der Treue, und ein noch groͤßerer von mahleriſcher Wuͤrkung. Idee von Schoͤnheit war ihm fremd: daher waͤhlte er nicht immer edle Ge - ſtalten und opferte das Gewand dem Nackenden nicht genung auf. Er legte jenes in willkuͤhrliche Falten, die zwar das Licht gut auffangen, denen man aber das Willkuͤhrliche, das Studirte zu ſehr anmerkt. Den Ausdruck der Minen uͤbertrieb er, ordnete die Stellungen nach der Regel des Contrapoſto, und dachte ſich uͤberhaupt das Werk aus rundem Stein als ein flaches Gemaͤhlde. Seine Verhaͤltniſſe ſind richtig, aber nicht von ſwelten Figuren genommen. Ich erinnere mich nicht ſehr ſchoͤne weibliche Figuren von ihm geſehen zu haben: aber deſto mehr Kinder von treuer aber gewoͤhnlicher Natur, Crucifixe und alte Koͤpfe. Seine Behandlung war fertig, aber nicht ſo weich und beſorgt als die des Michael Angelo, Fiamingo und Bernini. Er lebte von 1598 — 1654. Er iſt der Held des neueren Kirchenſtils: die Mei - ſter, die ſich darin ausgezeichnet haben, haben vom Bernini nur den Zuſatz einer weichern Behandlung entlehnt.
Dritter Theil. QGrab -242AnmerkungenGrabmal Alexanders des VII. uͤber der kleinen Kirchthuͤre von S. Martha angegeben von Bernini, der ſelbſt die Figur der Wahrheit ver - fertigt hat. Ich mag nicht daruͤber ſprechen. Es iſt die Staffel des ſchlechten Geſchmacks, ohne Wahr - heit, ohne Richtigkeit, ohne Adel.
Fall Simon des Zauberers von Vami, Schuͤler des Baroccio. Man erkennt die Schule in einigen Geſichtsbildungen, die jedoch nicht ſo geziert ſind, als die ſeines Meiſters, und in der Faͤrbung, die lieblich iſt. Die Anordnung verdient Lob.
Auf den folgenden Altaͤren bemerke ich noch: St. Thomas und den Chriſt von Paſſignani.
Den heil. Petrus, der einen Beſeſſenen heilt, von Romanelli.
Statt des Gemaͤhldes der Kreuzigung Petri, welches Hr. Dr. Volkmann hier anfuͤhrt, hat man jetzt eine Copie von der Transfiguration Ra - phaels in Moſaik, aufgeſtellt. Sie iſt, wie vor - auszuſehen war, ſehr ſchlecht gerathen. Solche Bil - der, deren Schoͤnheit hauptſaͤchlich auf Beſtimmtheit der Zeichnung und des Ausdrucks beruhet, bildet das Moſaik nicht nach. Beſſer:
Den heil. Gregorius, der ein blutiges Kelchtuch zeigt, von A. Sacchi. Ich halte mich bei der Beurtheilung dieſes Moſaiks nicht auf, da ich ſchon Gelegenheit gefunden habe, von dem Originale ſelbſt zu reden. 13)Dies gilt auch von den uͤbrigen Moſaiken nachguten
An243uͤber die einzelnen Kirchen.An einem andern Altare:
Der Tod der Sapphira von Roncalli, Moſaik.
Das Grabmal Leo des XI. von Algardi ge - hoͤrt gewiß nicht zu den beſten Arbeiten dieſes Meiſters. Die Figur des Pabſtes iſt zu kurz und ſchwerfaͤllig: das Sarcophag zu klein.
Die beiden Tugenden haben ganz artige Koͤpfe und gute Gewaͤnder.
Das Basrelief, welches Heinrich des IV. Ab - ſchwoͤrung der reformirten Religion und Wiederver - einigung mit der katholiſchen vorſtellt, verdient außer dem Vorwurf einer doppelten Handlung, auch den mehrerer Incorrektionen.
Das Grabmal Innocentius XI. iſt hoͤchſt mittelmaͤßig.
Das Altargemaͤhlde der Empfaͤngniß Ma - riaͤ nebſt dem heil. Franciſcus und Antonius von Padua iſt nicht, wie Hr Volkmann ſchreibt, von, ſondern nach Bianchi in Moſaik gebracht.
Das Grabmal Innocentius des VIII. ganz in Bronze von Antonio Pallajolo.
Darſtellung Mariaͤ im Tempel nach Ro - manelli in Moſaik.
Das Grabmal der Maria Clementina So - biesky iſt von guter Erfindung. Es macht ein mah - leriſches Ganze aus, und dieſer Vorzug iſt hier nicht am unrechten Orte.
In der letzten Capelle die Taufe Chriſti nach Carlo Maratti. Moſaik.
Q 2DasDas Taufgefaͤß von Porphyr, das ehemals zum Deckel des Grabes Otto des II. gedient hat. 14)Bald wird in dieſer Kirche das Grabmal Cle - mens des XIII. von der Hand eines geſchickten jun - gen Kuͤnſtlers, Canova, eines Venetianers, zu ſehen ſeyn. Die Figur des Pabſtes, die zu meiner Zeit ſchon modellirt war, iſt ſtehend gebildet.
An Kunſtwerken findet man hier
Die Statue des Pabſtes Pius des VI. von Agoſtino Penna einem Roͤmer. Sie war waͤhrend meines Aufenthalts in Rom noch in der Arbeit.
Auf dem Altare der Sacriſtei war zu mei - ner Zeit ein ſchoͤnes Moſaik nach Guido Reni, die Kreuzigung des heil. Petrus, befindlich. Der Ort war aber ſo ſchlecht erleuchtet, daß man we - nig davon erkennen konnte. Man vermuthete, es wuͤrde weggenommen werden, um ein Basrelief an deſſen Stelle zu ſetzen.
In der Capelle der Canoniker haͤngt auf dem Altare ein Bild, welches die heil. Jungfrau, St. Anna und die Apoſtel Petrus und Paulus vorſtellt. Viele halten es fuͤr ein Werk des Fatto - rino, andere des Carravaggio. Ich glaube, daß es aus der Schule des A. del Sarto ſey.
Gegen uͤber eine Madonna mit dem Kinde, die man fuͤr eine Arbeit des Giulio Romano ausgiebt. Wahrſcheinlicher gehoͤrt ſie einem andern Schuͤler Ra - phaels.
Ueber245uͤber die einzelnen Kirchen.Ueber den Thuͤren ein Paar Gemaͤhlde von einem neueren Meiſter, Cavallucci da Sermoneta. Sie ſind ſehr ſchlecht.
In dem Zimmer, worin ſich das Capitel verſammelt.
Eine aͤußerſt ſchlechte Statue des heil. Pe - trus aus weißem Marmor.
Eine Grablegung von Lorenzo Sabbatini. Wie man behauptet, nach einer Zeichnung des M. A. Buonarotti.
Mehrere mittelmaͤßige Gemaͤhlde von Ghezzi.
† Sieben ziemlich wohl erhaltene Ge - maͤhlde von Giotto: Der Heiland mit Engeln, der h. Petrus mit einem Cardinale, die Enthauptung des h. Paulus, die Kreuzigung des h. Petrus, meh - rere Apoſtel und Heilige. Sie ſind auf Goldgrund gemahlt, und ganz im Stile der Moſaiken aus der mittleren Zeit, in dem man eine uͤberlieferte, aber freilich ſehr alterirte Idee von dem Stile der Alten antrifft.
In der Capelle bei der Sacriſtei der Bene - ficiaten.
Der heil. Petrus, der die Schluͤſſel em - pfaͤngt, von Muziano, ſehr retouchirt.
Zwei ſchlechte Gemaͤhlde von Cavallucci.
In der Garderobe des Capitels.
Ein ſehr verdorbenes Bild von Domeni - chino, den h. Joh. Chryſoſtomus vorſtellend.
Zwei kleinere von Muziano, gleichfalls ſehr verdorben.
Q 3Die246AnmerkungenDie h. Veronica von Ugo da Carpi, ohne Pinſel gemahlt.
In der Gallerie die zur Kirche fuͤhret.
Die Buͤſten des Cardinals Barberini, Benedikts VIII. und Pauls IV.
In einer Rotunde dicht vor dem Eingange in die Peterskirche.
Der heilige Andreas, eine Statue, die 1570 vom Cardinal Piccolomini verfertigt worden. Der Himmel bewahre, daß ſich die Car - dinaͤle nicht viel mit Verfertigung von Statuen ab - geben! Dieſes Probeſtuͤckchen iſt graͤßlich gera - then. 15)Eine ſehr umſtaͤndliche Beſchreibung dieſer Sa - criſtei findet man in einem Buche unter dem Titel: Sagreſtia Vaticana eretta dal regnante Pontefi - ce Pio VI. e deſcritta da Franceſco Cancellieri Romano 1784. Im Poſaunentone geſchrieben.
Der heil. Nolaſcus von Engeln getragen, am Altare bei der Sacriſtei, wird von einigen dem Carlo Veneziano, von andern dem Savonanzio Bo - logneſe, und wieder von andern, dem Guercino zuge - ſchrieben. Die Behauptung der Letztern ſcheint kei -nen247uͤber die einzelnen Kirchen. nen andern Grund fuͤr ſich zu haben, als daß die Schatten ſehr ſchwarz ſind: Denn uͤbrigens hat es nichts von dem Stile des Guercino. Die Gruppe iſt gut componirt.
Eine Statue der heil. Agneſe. Gewand von orientaliſchem Alabaſter, Extremitaͤten von Bronze. Der Meiſter iſt Cordieri.
Alte Moſaiken, von ſchlechter Erfindung, und eben ſo ſchlechter Ausfuͤhrung. Sie ſtellen Wein - ranken, Faunen, Knaben, Wagen mit Ochſen be - ſpannt, und mit Oliven ꝛc. beladen, vor.
Ein ſchoͤner antiker Leuchter.
Eine große Begraͤbnißurne von Porphyr, mit Kindern, welche Bullen am Halſe tragen, Blu - menranken u. ſ. w. in Basrelief. Die Arbeit iſt ſchlecht, allein man ſieht, daß ſie eine Copie nach ei - ner viel beſſeren iſt.
Ich vermuthe, daß beide Stuͤcke jetzt ins Muſeum Clementinum gekommen ſeyn werden. Wenigſtens hatte man dazumal, als ich in Rom war, die Abſicht, ſie dahin zu bringen.
Sie iſt voll von Basreliefs und Statuen, die aber alle mittelmaͤßig ſind.
Das Basrelief der heil. Agnes iſt von Al - gardi. Es ſtellt die Geſchichte dieſer Heiligen vor, wie ihre Unſchuld vor den Begierden der unzuͤchtigen Soldaten, denen ſie Preis gegeben war, gerettet iſt. Der Himmel ließ naͤmlich durch ein Wunder ſeiner Allmacht ihr Haupthaar zu einer ſolchen Laͤnge an - wachſen, daß ihr ganzer Leib unabloͤslich damit bede - cket wurde. Die Wahl des Suͤjets iſt nicht vortheil - haft, und die Ausfuͤhrung mittelmaͤßig.
Das Wichtigſte in dieſer Kirche iſt † der Eſaias von Raphael, der an dem dritten Pfeiler linker Hand haͤngt. Man kann das Bild nicht recht mehr beurtheilen, da es aͤuſſerſt gelitten hat.
Der Kopf ſcheinet von großem Charakter, und im Stile der Antiken gedacht zu ſeyn. Der Stel - lung und den Gewaͤndern merkt man Raphaels Be - kanntſchaft mit dem Fra Bartolomeo da S. Marco an. Dieſe ſind in große Falten geſchlagen, welche das Nackende gut bezeichnen. Das Knie iſt bei den aͤltern Kuͤnſtlern ſehr beruͤhmt geweſen, es hat aber am meiſten gelitten5)Einige Anekdoten, welche dies Bild betreffen, kannman.
Drei249uͤber die einzelnen Kirchen.Drei Gemaͤhlde von Guercino in einer Capelle des Kreuzganges rechter Hand. Das Mittelgemaͤhlde ſtellet die Heiligen, Franciscus, Rochus und Gregorius vor. Gedanke und Anord - nung ſind ſchlecht, Koͤpfe und Stellungen gut. Die Farbe, ob ſie gleich kraͤftig iſt, faͤllt in den nachge - ſchwaͤrzten Schatten zu ſehr ins finſtre Rothe6)Hr. D. Volkmann nennt die Heiligen im Bilde anders..
Der heil. Franciscus, der die Ketzerei zu Boden wirft, iſt ein ziemlich mittelmaͤßiges Ge - maͤhlde; dagegen iſt
Der heilige Jacob mit einem Alten und zwei Kindern ein deſto merkwuͤrdigeres Bild. Vielleicht gehoͤren die Koͤpfe des Alten und eines der Kinder zu den beſten, die Guercino je gemahlet hat; der Reſt aber iſt ſo ſchwach an Farbe, daß man ihn kaum dieſem Meiſter beilegen ſollte.
† Die andere Capelle im linken Kreuz - gange hat Lanfranco gemahlt. Die Decke ſtellt die Himmelfahrt der Maria vor; das Altar - blatt, die Kroͤnung der Maria; eins der Sei - tengemaͤhlde den heil. Auguſtinus, der uͤber das Geheimniß der Dreieinigkeit nachdenkt: Bei ihm ſteht ein Knabe, der Waſſer aus dem Meere ſchoͤpft. Man will in dieſem Knaben einen Engel ſehen, der dem heiligen Auguſtinus die War - nung giebt: es ſey leichter das Meer auszuſchoͤpfen, als jenes große Geheimniß zu ergruͤnden.
Q 5WaͤreWaͤre dies wuͤrklich der Gedanke des Kuͤnſtlers geweſen, welches ich dahin geſtellet ſeyn laſſe, ſo waͤ - re es ein ſehr ungluͤcklicher. Aber wenn ich den En - gel aus dem Bilde wegnehme, oder mir blos einen ſpielenden Knaben darunter denke; ſo iſt der Aus - druck des Bildes vortrefflich, und ganz der Faſſung angemeſſen, mit der die Seele uͤber einen wichtigen Gegenſtand nachdenkt. Die pruͤfende Mine des Heiligen ſtimmt ſehr gut mit dem oͤden Orte, mit der Ausſicht auf die unabſehliche Flaͤche des Meers, und mit der finſtern Farbe des Bildes, die einer Daͤmmerung aͤhnelt, uͤberein.
Das Gemaͤhlde auf dem Hauptaltare iſt die ſchoͤnſte unter dieſen von mir angegebenen Mahle - reien des Lanfranco. Es ſind Partien darin, welche Annibale Carraccio nicht beſſer haͤtte angeben koͤnnen. Ueberhaupt gehoͤren dieſe Werke unter die beſten, die ich von dieſem Meiſter kenne.
Der heil. Thomas, welcher Almoſen aus - theilt, von Romanelli, iſt beinahe ganz verblichen.
In der erſten Capelle beim Eingange lin - ker Hand eine Hirtenanbetung von Michael Angelo da Carravaggio, von niedriger Wahrheit.
In der Capelle Pamfili † der heil. Tho - mas von Villanuova, welcher einer ſchoͤnen Bettlerin, die ihr Kind ſaͤugt, ein Almoſen reichet, von Ercole Ferrata in Marmor7)Richardſon behauptet, Ercole Ferrata habe das Werk blos geendigt. Die Idee gehoͤre einem ge - wiſſen Caffa, einem Maltheſer.. Der Ausdruck in dem Heiligen ſcheint verfehlt. Die Bettlerin zeigt eine reizende, obgleich etwas ge -drehete251uͤber die einzelnen Kirchen. drehete Stellung. Das Ganze hat viel vom Stil des Bernini, aber der Gedanke iſt vernuͤnftiger.
† Das Monument des Cardinals Impe - riali iſt beſſer gedacht als ausgefuͤhrt. Eine Fama hebt den Deckel des Sarges ab, aus dem der Adler zum Himmel fliegt, welchen dieſe Familie im Wap - pen fuͤhrt. Der Tod und die Zeit ſind zu beiden Seiten des Grabmals in Feſſeln geſchlagen. Ueber dem Ganzen zu oberſt, das Bruſtbild des Cardinals. Der Kuͤnſtler dieſes Werks iſt Domenico Guidi8)Hr. Volkmann muß hier verbeſſert werden. Der Adler hebt nicht im Fluge den Deckel des Sarges ab, ſondern die Figur der Fama, welche zu denen von dieſem Schriftſteller angefuͤhrten Figuren der Zeit und des Todes hinzuzufuͤgen iſt..
Es giebt noch einige andere Bildhauerwerke aus der Florentiniſchen Schule in dieſer Kirche, und einige nicht ſchlechte Gemaͤhlde. Man kann beim Titi nachſehen.
Die inwendige Verzierung dieſer Kirche iſt artig.
Einige Gemaͤhlde von Baciccio, manierirt in der Zeichnung, und gruͤngelb in der Farbe.
Die Mahlereien von Hiacynthus Brandi ſind ſehr ſchwarz, und gleichfalls manierirt.
Der heilige Andreas, dem ein Engel auf der Geige vorſpielt, ein laͤcherlicher Einfall, der ſehr mittelmaͤßig ausgefuͤhrt iſt.
Im252AnmerkungenIm Kloſter, und zwar in der Capelle des heil. Coſka, dieſer Heilige ſterbend auf ſeinem Lager, von le Gros. Das Bette iſt von gelben, das Gewand von ſchwarzem, Kopf, Haͤnde und Fuͤße ſind von weißem Marmor.
Dieſe Art mit vielfaͤrbigem Steine die natuͤrliche Faͤrbung eines Gegenſtandes nachzuaͤffen, iſt nur fuͤr Kinder verfuͤhreriſches Spielwerk. Der Mann ſtutzt bei dem erſten Anblick, und fuͤhlt, ſo bald erſich ſammelt, das Unharmoniſche der Farbenverbindung, und den auffallender gemachten Mangel der Illuſion in dem was durch das bloße Anſchauen erkannt wird.
Das Gewand iſt hart und willkuͤhrlich gefaltet: Die Haͤnde und Fuͤße ſind weich und wahr. Der Kopf aber hat keine ſchoͤne Form, und man vermißt den Ausdruck einer edlen Reſignation, die man er - warten duͤrfte.
Die Mahlereien des Domenichino machen dieſe Kirche der Aufmerkſamkeit des Liebhabers beſonders werth.
An den Pfeilern der Kuppel hat Domenichino † die vier Evangeliſten gemahlt. Es ſind aca - demiſche Figuren in etwas gezwungenen Stellungen. Die Koͤpfe, und beſonders der des Johannes ſind gut gewaͤhlt. Die Engel, die zu ſeinen Fuͤßen ſpie - len, ſind ſehr ſchoͤn, und ganz im Geiſt des Correg - gio gedacht. Die Gewaͤnder ſind nicht gluͤcklich ge -worfen.253uͤber die einzelnen Kirchen. worfen. Die Farbe iſt von auſſerordentlicher Staͤrke fuͤr al Freſco; ſie koͤmmt der Faͤrbung in den guten Oelgemaͤhlden des Annibale Carraccio bei.
Im Chor ſieht man folgende Mahlereien vom Domenichino:
Johannes der Taͤufer zeigt den Chriſt und iſt von zweien Apoſteln umgeben.
Die Aſſumption des heil. Andreas.
Die Vocation des heil. Andreas.
Die Geißelung des heil. Andreas und ſeine Hinfuͤhrung zum Richtplatze.
Außerdem ſieht man oben ſechs Tugenden in coloſſaliſcher Groͤße, von eben dieſem Meiſter.
Calabreſe hat die Kreuzigung des Apo - ſtels, denſelben wie er am Kreuze haͤngt, und ſeine Grablegung gemahlt.
Dieſe letzten Gemaͤhlde ſind ſchwerfaͤllig, ohne Praͤciſion und Wahrheit.
† Die Kuppel von Lanfranco zeigt das Ta -Kuppel von Lanfranco. lent dieſes Mahlers, ein ſo weitlaͤuftiges Feld, wie ein Plafond, mit ſehr abwechſelnden Stellungen zu beſaͤen.
Dies war wuͤrklich das vorzuͤglichſte Talent die -Hauptvor - zug und Hauptfehler dieſes Mei - ſters. ſes Meiſters, der 1581. gebohren wurde, und 1647. ſtarb. Erlernte bei dem Carracci, und bil - dete ſich beſonders nach dem Correggio, von dem er aber doch hauptſaͤchlich nur die Verkuͤrzungen ent - lehnte, in denen er ein großer Meiſter wurde. Er war zu manierirt. Seine Farbe iſt ſehr unange - nehm.
In der erſten Capelle rechter Hand ſieht man ein Basrelief von Raggi. Es ſtellt denBefehl254AnmerkungenBefehl vor, den der heil. Joſeph vom Engel erhielt, nach Aegypten zu fliehen. In der Anordnung hat es viel vom Stil des Pietro da Cortona, und in der Ausfuͤhrung vom Bernini.
† Die Capelle Strozzi iſt vielleicht eine der ſchoͤnſten in Rom, was die Einrichtung und archi - tektoniſche Verzierung anbetrifft. Michael Angelo hat ſie angegeben, und wie man ſagt, auch die Mo - delle zu der Bildhauerarbeit verfertiget. Die bron - zenen Statuen, die Sarcophage von ſchwarzem Marmor, die edle Einfalt der Baukunſt fuͤllen ganz den Begriff aus, den man ſich von einer Begraͤbniß - capelle macht. Der Stil in den Figuren iſt etwas manierirt, aber die Leuchter ſind von ſchoͤner Form.
St. Andrea Avellino von Lanfranco, ein Bild, welches man im Kreuzgange antrifft, faͤllt zu ſehr ins Schwarze.
Der heil. Sebaſtian von Giovanni de Vecchi hat viel von der Manier des Rubens.
St. Maria mit dem Kinde von Giulio Ro - mano, welche Hr. Volkmann angiebt, wird hier nicht mehr vorgefunden. Nach Titi ſoll in dieſer Kirche eine Copie nach einem Gemaͤhlde von Giulio Romano haͤngen; aber ſie ſtellet ein ganz anderes Suͤjet vor, und haͤngt an einem andern Orte als Herr Volkmann anzeigt.
Die Mahlereien in der Capelle Barberini, nicht Barberi, wie Herr Volkmann ſchreibt, ſind von Domenico Paſſignano, und haben viel vom Stil des Ludovico Carraccio.
† Der Erzengel Michael ſchlaͤgt den uͤber -Der Erzengel Michael von Guido Reni. wundenen Satan in Feſſeln. Der Engel ſchwebt uͤber dem Satan in einer ſehr theatraliſchen Stellung. Sein flatterndes Gewand und ſeine ausgebreiteten Fluͤgel bilden uͤbrigens eine angenehme Maſſe, welche die Flaͤche vortrefflich ausfuͤllt. Der Kopf iſt kleinlich an Charakter, und unbedeutend an Ausdruck. Der Teufel iſt eine Carricatur von Haͤßlichkeit und Ver - worfenheit.
Worin liegt der Grund, daß unſere neuerenUeber En - gels - und Teufelsge - ſtalt in der neueren Mahlerei. Mahler, wenn ſie den oberen Geiſtern Koͤrper bil - deten, ſelten ſolche Formen gewaͤhlt haben, welche auf Hoheit und Groͤße des Geiſtes ſchließen laſſen? Warum hat eben der Guido, der einen Erzengel Michael als einen huͤbſchen blonden Jungen mahlte, eine Judith mit ſo erhabenen Formen und einem ſo hohen Ausdrucke von Seelenſtaͤrke dargeſtellt?
Ich glaube ein Theil dieſer Erſcheinung iſt auf Rechnung unſerer Religionsbegriffe zu ſetzen. Ho - heit des Geiſtes laͤßt ſich bei dem Manne ohne ein ge - wiſſes Gefuͤhl ſeines Werthes nicht denken, das bei der Aeußerung in Mine und Stellung gar leicht mit Stolz und Uebermuth verwechſelt wird. In einer Religion, wo Derjenige, der uͤber Engel thront,als11)Herr Volkmann S. 264. Titi S. 336.256Anmerkungenals der ſanfteſte duldendſte, der Menſchen zum Muſter der Demuth und der Ergebung in den goͤttlichen Wil - len aufgeſtellet wird; wo Ehrgeiz, Selbſtgefuͤhl als Fehler gezeichnet werden; wie koͤnnen da die Kuͤnſtler darauf verfallen, vollkommene aber dienſtbare Gei - ſter wie Helden, wie Maͤnner in der Bluͤthe der Jahre und im ganzen Gefuͤhl ihrer Kraͤfte zu bilden? Der Ausdruck der Seelenſtaͤrke im Weibe iſt immer mehr Kraft der Duldung, leidende Kraft, oder, wenn auch wuͤrkende, wenigſtens Kraft des Augenblicks der Situation, die durch Verzweiflung oder Schwaͤr - merei auch dem Schwaͤchſten eingefloͤßet wird.
Man muß aber mehr ſagen: Ausdruck einer Heldenſeele, wenn er nicht zur Carricatur werden ſoll, iſt in allen darſtellenden Kuͤnſten immer das Schwerſte. Wie ſelten gerathen ſie auf dem Theater und im Bilde! Ein Ruͤckblick auf den Apollo im Belvedere, wird meine vorigen Bemerkungen, und auch dieſe beſtaͤtigen.
Noch ein Wort von dem Teufel. Dieſer Ge - genſtand gehoͤrt uns Neueren allein: wir konnten hier Schoͤpfer ſeyn, und ſind es auch geworden. Aber wie? Wir haben ihm nicht allein eine ſcheußliche, ſondern auch laͤcherliche Bildung gegeben. Die neueren Kuͤnſtler konnten zwar nicht wie der Dichter entweder ins Gigantiſche gehen, oder den Abſcheu fuͤr ein Weſen, das ſein Vergnuͤgen im Boͤſes thun findet, durch die Wichtigkeit der Veranlaſſung, durch das Planmaͤßige in der Ausfuͤhrung mildern. Aber wenn ſie die Geſtalt der guten Geiſter veredelt haͤtten, ſo waͤren fuͤr die ſchlimmen gemeine Formen uͤbrig geblieben, die mit dem Ausdruck der Staͤrke undlauren -257uͤber die einzelnen Kirchen. laurender Bosheit vereinigt, den Begriff des Weſens voͤllig haͤtten ausfuͤllen koͤnnen.
Man wuͤrde Unrecht thun, wenn man die Sa - tyren, die Centauren und andere willkuͤhrliche Zuſam - menſetzungen der Alten mit einem Ungeheuer, wie der Teufel bei uns iſt, vergleichen wollte. Aber die Art wie die Griechen viele religioͤſe Ideen der Aegyp - tier verfeinert haben, koͤnnte zu einem naͤher liegenden Muſter dienen, wie man Geſchoͤpfe des Aberglau - bens zum Vortheil angenehmer Eindruͤcke nutzen ſoll. Der Kopf eines Carracalla mit vergrelltem ſcheelen Blicke auf dem ſtaͤmmigen Rumpfe des aͤgyptiſchen Antinous duͤrfte in Vereinigung mit einigen bezeich - nenden Attributen des Pluto (z. E. der braͤunlichen Farbe, der zweizackigten Gabel, des ſtraͤubigten Haars und Bartes, allenfalls auch mit einem Zuſatz von Fluͤgeln ſchwarzer Nachtvoͤgel) den Begriff des Wi - derſachers Gottes, und des Feindes der Menſchen, eben ſo vollſtaͤndig verſinnlichen, als eine Figur mit Ochſenſchwanz, Hoͤrnern, Pferdefuß, und Krallen. 12)In Guido’s Bilde findet man dieſe Attribute nicht: Aber wie haͤufig in vielen andern!
Die Giganten der Alten, die Beſtuͤrmer des Him - mels, finden wir ſie nicht auf einigen ihrer geſchnitte - nen Steine als bloße Menſchen von ungewoͤhnlicher Groͤße und Staͤrke vorgeſtellt! Und wenn ich gleich jene andere Vorſtellung zur Nachahmung nicht em - pfehlen moͤchte, wo die Giganten als Menſchen auf halben Leib mit einem Untertheile von Schlangen ge -bildetDritter Theil. R258Anmerkungenbildet ſind;13)Man ſehe das Titelkupfer zu dem 2ten Theile der Winkelmanniſchen G. d. K. Wiener Ed. wie viel vortheilhafter fuͤr die Kunſt iſt dennoch ſelbſt dieſe Zuſammenſetzung, als die mo - derne Abbildung unſerer Teufel!
Ich kehre zu Guido’s Bilde zuruͤck. Die Zeich - nung iſt nicht ganz fehlerfrei, aber ſehr fein. Die Faͤrbung kraͤftiger und wahrer als in den mehreſten Bildern, die ich von dieſem Meiſter kenne. Die Figuren heben ſich gut vom Grunde ab, und im Ganzen iſt das Licht wohl geleitet.
† Der heilige Franciſcus in den Armen des Engels von Domenichino: eine ſchoͤne Zu - ſammenſetzung. Der Grund ſtellt eine Landſchaft vor, die Koͤpfe ſind wohl gewaͤhlt, und haben Aus - druck; aber die Farbe faͤllt, wider die Gewohnheit des Meiſters, zu ſehr ins Graue.
Der heilige Antonius, der einen Todten auferwecket von Andrea Sacchi. Der Gedanke iſt nicht uͤbel; Schade! daß in der Ausfuͤhrung ſo viel Unbeſtimmtheit herrſcht.
Linker Hand an dem Grabmale des Koͤ - nigs in Polen Johann Sobiesky: Zwei Genii von Rusconi, welche ausſehen, als haͤtte man ihnen, Kaͤlbern gleich, die Haut aufgeblaſen.
In259uͤber die einzelnen Kirchen.In der erſten Capelle vom Altare ab.
Maria mit dem Kinde und dem heiligen Buonaventura, von Andrea Sacchi, mittel - maͤßig.
Die Geburt Chriſti von Lanfranco, bei - nahe eine Copie von der beruͤhmten Nacht des Cor - reggio.
† Saul der vom Ananias ſein Geſicht wieder erhaͤlt, unſtreitig eins der ſchoͤnſten Staffe - leigemaͤhlde, die ich von Pietro da Cortona kenne. Die Anordnung iſt gut, die Farbe angenehm, kraͤf - tig, und aͤußerſt harmoniſch; das Helldunkle ſehr gut behandelt; der Grund zeigt eine reiche Architektur. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß der Ausdruck wahrer, und die Zeichnung richtiger ſeyn moͤchten.
Auf dem Altare ſieht man † die heilige Jung - frau in einer Glorie von Lanfranco. Der Kopf der Heiligen iſt lieblicher als ich ſie gewoͤhnlich von dieſem Meiſter kenne. Die Gewaͤnder ſind in zu willkuͤhrliche Falten geſchlagen, aber ſie zeigen die ſwelten und reizenden Contouren ſehr gut an. Die Farbe iſt zu grau, man kann inzwiſchen dies Bild unter die vorzuͤglichen des Lanfranco ſetzen.
Ein heiliger Franciſcus von Muziano. 14)Dieſer Franciſcus, der die Naͤgelmale empfaͤngt, haͤngt nicht, wie Hr. Volkmann und Titi ſchreiben,in
St. Yvo, der als Advocat der Armen ihre Memoriale empfaͤngt, von Pietro da Cortona. Da der Raum zu hoch war, um durch dies Suͤjet gefuͤllt zu werden, ſo hat der Kuͤnſtler eine Decke bis auf die Haͤlfte des Gemaͤhldes herabfallen laſſen, und darauf den Chriſt in einer Glorie vorgeſtellt, dem ein Heiliger ein Buch uͤberreicht.
Dieſer Einfall, ein Gemaͤhlde im Gemaͤhlde an - zubringen, ſcheint mir unter der Bedingung gluͤcklich zu ſeyn, daß er den Ausdruck der Haupthandlung unterſtuͤtze, und daß das Nebengemaͤhlde dem Haupt - gemaͤhlde hinreichend untergeordnet ſey, um der mah - leriſchen Wuͤrkung keinen Schaden zu thun. Alsdann wird das Gemaͤhlde im Gemaͤhlde zur Tragoͤdie des Herzogs in der Tragoͤdie Hamlets. Allein hier iſt die bemahlte Decke viel kraͤftiger gehalten, als der wuͤrk - liche Auftritt, deſſen Beiwerk jene ausmacht, und uͤberher theilt ſie das Gemaͤhlde in zwei Theile. Die Zeichnung iſt unrichtig, und die Farbe ohne Har - monie: Oben zu roth, unten zu gran.
KircheSie enthielt zu meiner Zeit nichts Merkwuͤrdiges an Kunſtwerken. 17)Hr. Volkmann fuͤhrt ein antikes Basrelief an, welches ich uͤberſehen habe.Bald aber wird
Das Grabmal Clemens des XIV. von der Hand eines jungen geſchickten Kuͤnſtlers Canova, eines Venetianers, den ich ſchon mehrere Male mit Ruhm genannt habe, da es hier ſeinen Platz finden ſoll, die Aufmerkſamkeit kuͤnftiger Reiſenden zu reizen im Stande ſeyn.
† Die Statue der heiligen Bibiana iſt einsSanta Bi - biana von Bernini. der beſten Werke des Bernini. In der Hand haͤlt ſie einen Palmzweig, und nicht eine Schuͤſſel, wie Hr. Volkmann irrig ſchreibt. Auch iſt es unrichtig, was ich mich erinnere, beim Winkelmann gefunden zu haben, daß die Heilige einen Guͤrtel uͤber den Mantel trage. Wenn man genau darauf achtet, ſo ſind es dreierlei Kleidungsſtuͤcke, welche ſie traͤgt: ein Hemd oder Unterkleid, ein Maͤntelchen auf hal - ben Leib mit Stickerei, und noch einen großen Man - tel daruͤber.
Das Hauptverdienſt dieſes Werkes iſt die mecha - niſche Behandlung des Marmors. Den Fleiß iſtR 3bis262Anmerkungenbis zu den geringſten Beiwerken verſchwendet. Die Stellung iſt zwar weniger gezwungen als in den uͤbri - gen Werken des Bernini, es fehlt ihr aber immer noch ſehr viel, um natuͤrlich zu ſeyn. Die ſuͤßlich laͤchelnde Mine des Kopfs misfaͤllt auf die Laͤnge. Das Fleiſch ſcheint wahres Wachs zu ſeyn. Das Gewand iſt in zu viele kleine Falten getheilet, und zeigt das Nackende nicht hinreichend an.
Der Cavaliere Giovanni Laurentio Bernini, der von 1598 bis 1680. lebte, ward von der Wuth in Stein zu mahlen, zu gleicher Zeit mit dem Algardi ergriffen. Aber er begnuͤgte ſich nicht wie dieſer, der ernſten Manier der Carracci und ihrer Schuͤler treu zu bleiben; er verfiel auf die falſche Manier des Pie - tro da Cortona, und was ſchlimmer war, zuletzt in die Manier des Rubens. Die große Fertigkeit die dieſer Kuͤnſtler in der Behandlung des Marmors hatte, welcher wuͤrklich unter ſeinem Meiſſel zu Wachs wurde, hat ihn wahrſcheinlich zu den ausſchweifen - den Irrthuͤmern verfuͤhrt, in die er verfallen iſt. Michael Angelo vergaß, daß der menſchliche Koͤrper mit Fleiſch und Haut bedeckt iſt: Bernini vergaß, daß das Fleiſch ohne elaſtiſche Muskeln und Knochen, die zum Halt dienen, zum Schlauch, und die Haut zur Porcellainglaſur wird. Niedrige, ja! kindi - ſche Gedanken, oft unedler immer gezierter Ausdruck, haͤufige Incorrektionen, ſchlaffe Formen, nach Art der Figuren des Rubens, Gewaͤnder in kleine Falten gekniffen, oder in große geworfen, die das Nackende gar nicht anzeigen, endlich verſchwendeter Fleiß an Nebenwerke, ſind die Hauptunterſcheidungszeichen dieſes Meiſters, als Fehler. Ein gewiſſer Schwungin263uͤber die einzelnen Kirchen. in der Erfindung, Treue in der Nachahmung indi - vidueller Geſichtsbildungen, und eine vortreffliche Behandlung des Marmors ſind hingegen Vorzuͤge, denen der Liebhaber in den Werken des Bernini Ge - rechtigkeit wiederfahren laſſen wird. 19)Eine ſehr intereſſante Lebensbeſchreibung von die - ſem Meiſter liefert Mellizia Memorie degli Ar - chitetti. Parma 1781. T. II. p. 221.
Unter dem großen Altar, ein Sarcophag aus orientaliſchem Alabaſter.
Man ſieht hier Mahlereien von Pietro da Cortona. Sie haben ſtark gelitten. So viel man noch urtheilen kann, fehlen ihnen nicht die ge - woͤhnlichen Vorzuͤge und Fehler des Meiſters.
In dem Hofe ſteht eine vortreffliche Vaſe mit ſehr ſchoͤn gearbeiteten Griffen. Sie iſt antik und ſehr groß. Aus derſelben heraus iſt ein Lorbeer - baum gewachſen. 21)Hr. Volkmann hat unrecht, dieſe Vaſe, Prachtge - faͤß, fuͤr eine Begraͤbnißurne auszugeben, wozu ſie niemals gedient zu haben ſcheint.
Inwendig in der Kirche ſieht man † eineSanta Caͤci - lia von Stc - fano Ma - derno. Statue der heiligen Caͤcilia, in der Lage wie ſie im Grabe gefunden worden, von Stefano Maderno. 22)Nicht von Carlo Maderno, wie Hr. Volkmann ſchreibt. Dieſer war Baumeiſter. Stefano ar - beitete im Stil des Bernini.Der Gedanke, den Kopf zu ver -R 4huͤllen,264Anmerkungenhuͤllen, iſt ungluͤcklich. Sonſt iſt die liegende Stel - lung ſehr natuͤrlich: und dieſer Vorzug giebt ihr auch einen Anſpruch auf die Achtung der Kenner.
Die Proceſſion des heil. Carls waͤhrend der Peſtzeit in Malland, von Pietro da Cortona, iſt mittelmaͤßig und ſchlecht erhalten.
Von einem Gemaͤhlde des Guido hinter dem Altare, welches den heiligen Carl bis auf den halben Leib vorſtellen ſoll, ſieht man beinahe nichts, da der Ort ſchlecht erleuchtet iſt.
† Der Tod der heil. Anna von Andrea Sacchi, iſt ein ſehr beruͤhmtes Gemaͤhlde in Rom, welches aber meiner Einſicht nach keinesweges ſeinen Ruhm ſtehet. Die heil. Anna liegt ſterbend im Bette, der heil. Joachim ſoll im Schmerz verſunken ſeyn, die Madonna bringt das Kind Jeſus zu ihrer Mutter, der heil. Joſeph ſteht zur Seite der Kran - ken, einige andere Perſonen nehmen einen etwas ent - ferntern Antheil an der Handlung. Kurz! der Mahler ſcheint den Augenblick zur Darſtellung ge - waͤhlt zu haben, in dem die heilige Anna von dem - jenigen was ihr hiernieden theuer war, den letzten Abſchied nimmt. Dieſe Wahl iſt in Ruͤckſicht auf Ausdruck gar nicht ungluͤcklich, nur muͤßte die Aus - fuͤhrung beſſer ſeyn. Der heil. Joachim ſieht wieein265uͤber die einzelnen Kirchen. ein Kalb aus, dem man die Gurgel abſchneidet. Die heil. Jungfrau iſt ganz gleichguͤltig, und eben ſo unbedeutend ſind die uͤbrigen Figuren. Die Zeich - nung iſt incorrekt, die Faͤrbung falſch. Hingegen diejenigen Theile der Mahlerei, in denen Andrea Sacchi ſeine groͤßte Staͤrke beſaß, die Anordnung, die Vertheilung heller und dunkler Partien in Ruͤck - ſicht auf mahleriſche Wuͤrkung, die Harmonie der Farben und der Ton, ſind auch hier vortrefflich.
Oben an den Pfeilern unter der KuppelDie vier Car - dinaltugen - den von Do - menichino. hat Domenichino † vier Cardinaltugenden, die Klugheit, die Staͤrke, die Maͤſſigkeit und Gerechtigkeit, auf naſſen Kalk gemahlt.
Unter jeder dieſer vier Tugenden ſieht man noch eine andere Figur, die in geſelliger Bezie - hung mit der Eigenſchaft ſtehen ſoll, deren Abſtrak - tum uͤber ihr abgebildet worden, z. E. Milde bei Gerechtigkeit.
Dieſe Mahlereien zeigen die ſchoͤnſten Frauens - koͤpfe in Ruͤckſicht auf Uebereinſtimmung der Zuͤge und den Ausdruck des ſittſamen Reizes und ruhiger Lie - benswuͤrdigkeit, die mir in der neueren Kunſt vorge - kommen ſind. Die Gerechtigkeit nebſt der unter ihr liegenden weiblichen Figur, welche Milch aus ihrer Bruſt druͤckt, und die Milde vorſtellen ſoll, haben einen Eindruck auf mich gemacht, den ich von keiner einzelnen Figur in Ruhe (oder nach meiner gewagten Claſſification, von keiner ſichtbaren Beſchreibung der Geſtalt,) in einem Gemaͤhlde der Neueren erfahren habe. Es liegt in dieſen edlen Formen der unver - kennbare Ausdruck einer ſchoͤnen Seele, einer Liebens - wuͤrdigkeit des Herzens, die keine Bewegung zu ma -R 5chen266Anmerkungenchen braucht, um ihren Beſchauern reizend zu erſchei - nen. Domenichino ſcheint den Ausſpruch jenes Alten gerechtfertiget zu haben: daß, wenn die Tugend ver - koͤrpert erſchiene, die ganze Welt ſie lieben wuͤrde. Selbſt der eifrigſte Verehrer des Alterthums, deſſen Auge durch den Anblick ihrer Meiſterſtuͤcke verwoͤhnt iſt, wird durch Geſichtsbildungen, die ſo ſehr in ih - rem Geiſte gedacht ſind, in dieſem Stuͤcke ſeine For - derungen an die neuere Kunſt ausgefuͤllt finden, und ſie dienen zum Beweiſe, daß es eben ſo ſehr an dem Mangel innerer Faͤhigkeiten, als an dem Widerſtre - ben aͤußerer Verhaͤltniſſe liegt, wenn der moderne Bildhauer ſeinem fruͤheren Vorgaͤnger in der Bildung ſchoͤner weiblicher Koͤpfe nicht gleich gekommen iſt.
Die Farbe iſt dem Charakter des Geſchlechts an - gemeſſen, und fuͤr eine Freſkomahlerei ziemlich kraͤftig; die Gewaͤnder koͤnnten beſſer ſeyn.
Die Mahlereien des Lanfranco in dieſer Kirche zeigen das Talent dieſes Meiſters, die Flaͤche, die ſie ausfuͤllen ſoll, auf eine gute Art zu bedecken: das iſt ſein Charakter, das iſt ſein Verdienſt.
In der Sacriſtei, das Bildniß des heil. Carls von Pietro da Cortona, von kraͤftigerer Faͤrbung und beſtimmterer Zeichnung, als ſie ſonſt dieſem Meiſter gewoͤhnlich ſind.
Auf dem Hauptaltare die Jungfrau Maria, welche den heil. Carlo ihrem Sohne vorſtellet,von267uͤber die einzelnen Kirchen. von Carlo Maratti. Ein ſehr ſchwaches Bild, wel - ches dadurch noch mehr an Wuͤrkung verliert, daß es in einem ſehr ſchlechten Lichte geſehen wird. Die mahleriſche Anordnung iſt das Beſte darin.
Das Gemaͤhlde des Mola, welches den heil. Barnabas, wie er das Evangelium prediget, vorſtellt, hat gleichfalls kein anderes Verdienſt, als das einer guten Gruppirung. Die Farbe hat ſehr nachgeſchwaͤrzt.
Eine Verkuͤndigung und die heilige Dreieinig - keit auf dem Hauptaltare ſind, von Mignard, grau und ſchwach gemahlt.
Eine Madonna mit dem Kinde und einem Engel mit Paſſionsinſtrumenten, von Roma - nelli.
Die Communion der heil. Magdalena von Benedetto Lutto. Die Zeichnung iſt incorrekt, der Ausdruck manierirt, die Farbe weinhefenartig.
Titi iſt in der Anzeige der Gemaͤhlde umſtaͤndlicher als Hr. Dr. Volkmann.
Was268AnmerkungenWas mir am meiſten aufgefallen iſt, ſind Moſai - ken aus den Zeiten der erſten Chriſtenheit. Ich mag die Empfindungen nicht beſchreiben, die bei ihrem Anblick in mir rege geworden ſind. Die zwoͤlf Apoſtel ſind hier unter den Symbolen von zwoͤlf Laͤmmern abge - bildet! Ich glaube, ich darf nichts weiter hinzuſetzen.
Der Plafond iſt von Corrado. Bunt, nach der Palette ausgedacht, und bloßer Schimmer.
In dem Kloſter wird man ein ſehr beruͤhmtes Gemaͤhlde von Carlo Maratti finden. Titi nennt es, Sciſma di Pietro Leone; ich ſelbſt habe ver - geſſen das Suͤjet aufzuzeichnen.
Ferner einige Gemaͤhlde von Rubens, aus ſeiner erſten Zeit. Sie ſtellen die Geiſſelung und die Kreuzigung Chriſti vor. Man findet einige gute Partien und Ausdruck darin. In der Faͤrbung und im Helldunkeln aͤhnelt er dem Guercino, oder wenn man lieber will, dem Carravaggio.
In der erſten vom Bernini angegebenen Ca - pelle ein noli me tangere, Gruppe der Magda - lena, die den Chriſt beruͤhren will, von Raggi: un - bedeutend ſowohl in Ruͤckſicht des Ausdrucks als derZeich -269uͤber die einzelnen Kirchen. Zeichnung. Selbſt die mechaniſche Behandlung iſt nicht ſonderlich.
Maria, die einer Nonne einen Roſenkranz giebt, von Romanelli. In der Stellung und in dem Luxurioͤſen der Formen hat dieſe Figur viel vom Stil des Pietro da Cortona: aber das Verblaſene der Um - riſſe, der Schwung von Originalitaͤt, und die Har - monie der Farben, welche uns mit der conventionel - len Manier des letzten Meiſters verſoͤhnen, fehlen hier.
Drei heilige Frauen, die einem Moͤnche das Bildniß des heil. Domenicus bringen, von Mola: grau und hart.
Nicht hier, ſondern in S. Lorenzo muß man das Capital mit dem Froſche und der Eidexe ſuchen, deſ - ſen H. Volkmann erwaͤhnt.
Das Merkwuͤrdigſte in dieſer Kirche iſt † einPlafond von Mengs. Plafond von Mengs, welcher die Himmelfahrt des heil. Euſebius vorſtellt.
Der Grund des Gemaͤhldes iſt die Luft, wie man ſie bei durchgebrochener Decke der Kirche ſehen wuͤrde. Hier wird der Heilige von einer Gruppe von Engeln durch eine Glorie von andern Engeln durch, in die oberſten Regionen des Himmels getragen. Dies iſt der Gedanke.
Der Mahler hat den Standpunkt fuͤr den Be - ſchauer an der Thuͤr der Kirche angenommen: Mit - hin erſcheinen die Engel, welche der Thuͤr zunaͤchſtbefind -270Anmerkungenbefindlich ſind, groͤßer als diejenigen, welche dem Altare in der Laͤnge des Bildes die naͤchſten ſind, der Heilige in der Mitte aber nebſt denen ihn tragenden Engeln am allergroͤßten, um anzuzeigen, daß ſie von einer untern uns naͤheren Region zu einer hoͤheren aufſteigen.
Dieſe Beſtimmung des Standpunktes wider - ſpricht aber der Natur der Sache, und der Gewohn - heit des Betrachters. Man wirſt bei dem Eintritte in ein Gebaͤude nicht zuerſt den Blick in die Hoͤhe, ſondern um ſich herum. Gegen dem, daß man da - mit fertig geworden iſt, und nun auch nach der De - coration der Decke ſieht, iſt man in die Mitte des Gebaͤudes, mithin auch des Plafonds gekommen, und nun findet man die Perſpektiv falſch. Freilich konnte der Mahler aus einem andern Geſichtspunkte das Emporſteigen des Heiligen uͤber die Engel auf gleicher Sphaͤre hin nicht wohl ſinnlich machen; aber ſo haͤtte er es unſinnlich laſſen ſollen.
Die Gruppe des Heiligen iſt ſchoͤn gedacht, nur der Kopf der Hauptfigur iſt nicht edel genung, auch ſcheint das weiße Gewand der Carnation Schaden zu thun, und die Hand fehlerhaft gezeichnet zu ſeyn. Hingegen ſind unter den Engeln verſchiedene, die nichts zu wuͤnſchen uͤbrig laſſen: welche die ganze Lieblichkeit der Engel des Correggio mit den richtigern Contouren eines Genius der Antike verbinden.
Um bei der Beurtheilung des Colorits mit Bil - ligkeit zu verfahren, muß man wiſſen, wie dies Ge - maͤhlde verfertiget iſt. Mengs wuͤnſchte ſich durch ein Gemaͤhlde al Freſco bekannt zu machen. Er erbot ſich gegen einen ſehr geringen Preis, der ihnnur271uͤber die einzelnen Kirchen. nur der Koſten wegen ſchadlos halten koͤnnte, dieſen Plafond zu mahlen. Es ward ihm zugeſtanden: allein er hatte noch nie al Freſco gemahlt, und ver - ſtand daher nichts von der Behandlung dieſer Art von Mahlerei. Sein Schwager Maron gab ihm darin den erſten Unterricht, und um die Anwendung mit der Lehre zu verbinden, legte dieſer einige Figuren nach den Zeichnungen des Mengs mit Farbe an. Dies iſt der einzige Antheil, den Maron an dieſem Werke hat, das Uebrige iſt ganz von der Hand des Mengs. Wie unter ſolchen Umſtaͤnden die Faͤrbung ſo gut habe gerathen koͤnnen, bleibt zu bewundern. Inzwiſchen ſieht man auch deutlich, wie waͤhrend der Arbeit ſeine Hand an Fertigkeit zugenommen hat. Die unterſte Gruppe nach der Thuͤr zu iſt falſch an Faͤrbung, und faͤllt ins Rothe und Gruͤnliche. Die zweite iſt ſchon beſſer gerathen, und die dritte iſt ſo kraͤftig und warm colorirt, daß ſie einem Oelge - maͤhlde nichts nachgiebt. Aber eben dieſe Verſchie - denheit zerſtoͤrt die Harmonie des Ganzen. Der Himmel iſt uͤbrigens ſehr duftig gehalten.
Man ſieht in dieſer Kirche ein Paar Gemaͤhlde von Solmiena, die ich anfuͤhre, weil ſie von die - ſem Meiſter in Rom ſelten ſind.
Die Statue der ſterbenden heil. Albertoni iſt von Bernini. Dem Ausdrucke nach zu urtheilen, ſcheint ſie an heftigem Bauchgrimmen zu leiden. Siereißt272Anmerkungenreißt den Mund auf und verdreht die Augen. Ihre Finger ſind wie Spindeln geſtaltet. Die Gewaͤnder von ſchlechtem Geſchmack. Bernini, der immer in der Sculptur mahlen wollte, hat wenigſtens den Vor - theil daraus gezogen, daß er ſeine Statue[vortrefflich] zu ſtellen wußte. Die unſrige ſteht in einem vortheil - haften Lichte.
Das Bild der heil. Maria, welche der heil. Anna das Kind Jeſus uͤbergiebt, von Baciccio, hat viel von der Manier des Pietro da Cortona; aber es iſt incorrekter gezeichnet, und nicht ſo leicht behandelt.
† Die Mutter Gottes bei dem Leichnam Chriſti, von Annibale Carraccio. Winkel - mann fuͤhrt aus dieſem Gemaͤhlde die Figur Chriſti, als Muſter einer edlen, dem Begriff des Gottmen - ſchen angemeſſenen Geſtalt an. 32)G. d. K. S. 297.
Die Anordnung dieſes Bildes iſt ſehr gut. Der Leichnam Chriſti ruhet nur auf halben Leib an den Knien der Madonna, welches mir viel natuͤrli - cher ſcheinet, als ſie mit dem ganzen Gewicht eines todten Koͤrpers erdruͤcken zu laſſen. Auf der einen Seite ſteht die heil. Magdalena, und auf der andern der heil. Franciſcus. Zwei Engel zeigen die Wun - den des Heilands. Man ſieht, daß unſere Compoſi - tion ganz verſchieden von den Wiederholungen dieſes Suͤjets zu Capo di Monte und im Pallaſt Doria iſt.
Der Ausdruck in den Koͤpfen iſt ſehr wahr und ſehr edel. Daſſelbe kann man von den Stellungen uͤberhaupt ſagen, und von der der heil. Magdalena noch beſonders, daß ſie reizend iſt.
Die273uͤber die einzelnen Kirchen.Die Zeichnung iſt vortrefflich, nur ſcheinen die Gewaͤnder, vorzuͤglich das der heil. Magdalena, et - was trocken. Der Farbe fehlt es an Harmonie: ſie iſt vortrefflich in der heil. Magdalena, und ſehr ſchlecht in dem heil. Franciſcus. Ueberhaupt ſcheint dieſe Figur nicht die beſte zu ſeyn. Schade, daß man das Bild in keinem beſſern Lichte ſiehet!
Das antike Basrelief an dem Grabmale der Laura Mattei, welches Herr D. Volkmann anfuͤhrt, habe ich hier nicht finden koͤnnen. Dage - gen ſind zwei andere Grabmaͤler, das eine von einem Herzog von Zaccarolli, das andere von einer Perſon aus dem Hauſe Pallavicini, hier befindlich, an denen Figuren mit reizenden Geſichts - bildungen ſtehen.
† Die Religion, welche die Ketzereien unter der Geſtalt eines Mannes und eines Weibes zu Boden ſchleudert, von le Gros.
Die Compoſition iſt voller Feuer und die Gruppe gut geordnet, aber die Ausfuͤhrung des Details ſcheint mir weniger Verdienſt zu haben. Die Figur der Religion iſt ohne wahren Ausdruck und ohne Schoͤnheit. Die Stellung iſt gezwungen. Der alte Mann zu ihren Fuͤßen iſt eine wahre Carricatur und das alte Weib ekelhaft; inzwiſchen das Muſ - kelnſpiel am Ruͤcken des Alten iſt leicht und natuͤrlich, und die Gewaͤnder ſind gut geworfen.
† DieDritter Theil. S274Anmerkungen† Die Religion vertilgt die heidniſche Ab - goͤtterei und der Koͤnig von Bungo in Japan nimmt die chriſtliche Religion an: eine Grup - pe von Theodon. Die Zuſammenſetzung iſt nicht uͤbel, und die Figur der Religion hat einen ziemlich edeln Ausdruck.
In dem Paradieſe des Baſſano ſind ſchoͤne Koͤpfe.
Das Bild des heil. Ignatius von Carlo Maratti hat ſehr nachgeſchwaͤrzt.
Die Beſchneidung Chriſti auf dem Haupt - altare von Muziano hat ſchoͤne Gewaͤnder, und iſt im großen Stile gezeichnet.
Der heil. Franciſcus Xaverius von An - nibale Carraccio haͤngt zu ſchlecht, als daß man daruͤber urtheilen koͤnnte.
Titi redet von einem Ecce homo von Guido Reni, als in der Sacriſtei befindlich. Herr D. Volkmann fuͤhrt dieſes Bild gleichfalls an. Es iſt aber nicht mehr daſelbſt anzutreffen.
Man ſieht hier ein großes Basrelief von le Gros, welches den heil. Franciſcus auf den Wolken vorſtellet, wie er ein Marienbild um Geneſung der unter ihm befindlichen Kranken anflehet. Die Anordnung iſt daran zu loben.
In der Capelle des heil. Diego, iſt das Altar - blatt von Annibale Carraccio. Der heil. Franciſcus ſegnet den jungen Diego ein, oben der Chriſt unter vielen Engeln.
Dies Bild, welches man fuͤr eins der letzten des Annibale Carraccio haͤlt, gehoͤrt nicht zu ſeinen ſchoͤn - ſten. Die Zeichnung hat nicht einmal die dieſem Mei - ſter gewoͤhnliche Correktion. Zum Beweiſe moͤgen die Haͤnde des heil. Franciſcus dienen. Inzwiſchen iſt der junge Diego eine ſchoͤne Figur. Hingegen ſind die Gewaͤnder wieder ſehr willkuͤhrlich geworfen, und die Farbe des Ganzen iſt unangenehm.
In den Verzierungen des Altars ſieht man noch, den heil. Petrus und Paulus nebſt andern Mahlereien, welche von der Hand des Annibale ſeyn ſollen. Dieſe Gemaͤhlde ſind alle in Oel.
Zu den Freſcomahlereien ſoll Annibale blos die Zeichnungen verfertiget haben. Sie ſind gewaltig verdorben.
Gott der Vater in der Kuppel ſcheint von Albano ausgefuͤhrt zu ſeyn.
Zur rechten Hand in der naͤmlichen Ca - pelle: St. Ivo, der einen Kranken mit dem Oele aus der Lampe heilet, von Domenichino, der dieſes Suͤjet oͤfterer behandelt hat. Die aus - drucksvollen Koͤpfe und Stellungen ſind dieſes Mei - ſters wuͤrdig; doch moͤchte ich den erſchrockenen Mann auf dem Vorgrunde tadeln. Er iſt eine wahre Car - ricatur.
S 2An276AnmerkungenAn dem Grabmale des Praͤlaten Montoja ſieht man einen Kopf von der Hand des Ber - nini.
Eben dieſer Kuͤnſtler hat in der Sacriſtei einen mit Blumen bekraͤnzten Weiberkopf mit dem Ausdrucke lachender Froͤlichkeit, und einen Mannskopf mit aufgeſperrtem Maule und vorge - ſtreckter Zunge gebildet. Man will darin die Vor - ſtellungen eines Seligen und eines Verdammten er - kennen. Sie ſind ſehr manierirt, aber von vortreffli - cher Behandlung.
Man zeigt hier außerdem ein Basrelief, wel - ches die Taufe Chriſti vorſtellet, und gleichfalls dem Bernini beigelegt wird.
Die Statue des heil. Jacobs von San - ſovino iſt eine ſehr vernuͤnftig componirte Figur. Die Gewaͤnder ſind im Stil des Albert Duͤrer ge - kniffen, und hart anliegend, aber die Ausfuͤhrung iſt vortrefflich.
Das mittlere Gewoͤlbe iſt von Corrado ge - mahlet, von dem man noch mehrere Mahlereien in dieſer Kirche antrifft.
Wer noch mehr von dieſer Flaͤchen-Schminke wiſſen will, den verweiſe ich auf Herrn D. Volk - manns Anmerkungen uͤber dieſe Kirche. Ich un - terſchreibe ſein daruͤber gefaͤlltes Urtheil.
Das Gemaͤhlde des Lenardi, worin dieſer Meiſter die Seelen im Fegefeuer gebildet hat, welchezu277uͤber die einzelnen Kirchen. zu ihrer Erfriſchung von einem Engel mit Waſſer beſprenget werden, iſt allerdings ein ſehr laͤcherlicher Einfall.
Dieſe Kirche ſcheint von Hrn. D. Volkmann ganz ausgelaſſen zu ſeyn. Sie liegt zwiſchen dem Pallaſt Spada und Farneſe.
† Auf dem Hauptaltar ein Gemaͤhlde von Domenichino. Es ſtellt eine Madonna mit dem Kinde Jeſus, und in der Hoͤhe eine Glorie von Engeln vor, deren einige muſica - liſche Inſtrumente halten: Unten ſieht man den heil. Johannes und den heil. Petronius. Weder Erfindung noch Anordnung ſind zu loben, aber das Detail iſt hin und wieder vortrefflich. Der Kopf der Madonna hat viel Aehnliches mit den Koͤ - pfen des Guido. Unter den Engeln rund herum haben einige einen Reiz, der ſie des Pinſels des Correggio wuͤrdig machen wuͤrde, und die Halbſchatten ſind aͤußerſt zart behandelt. Der heil. Johannes iſt eine ſchoͤne Figur, die der Vorſtellung im Pallaſt Giuſti - niani von eben demſelben Meiſter aͤhnelt.
Das Bild hat im Ganzen ſehr gelitten, behaͤlt aber noch hin und wieder eine ſchoͤne Faͤrbung. Die Gewaͤnder ſind nicht gut.
Man traͤgt ſich mit der Nachricht, daß Mengs den Auftrag gehabt habe, dieſes Bild um 30000S 3Scudi278AnmerkungenScudi fuͤr die Gallerie zu Dresden zu erſtehen, daß aber aus dem Handel nichts geworden ſey, weil man die Summe zu gering gefunden habe.
Auf dem Altare der Capelle Nerli ſieht man den heil. Cosmus und den heil. Damianus auf dem Scheiterhaufen, welche durch die Erſcheinung einiger Engel von den Flammen gerettet werden: ein abentheuerliches Werk des Salvator Roſa. Zwei an der einen Seite her - vorragende Beine ſehen wie abgehauen aus. Nach der Idee des Kuͤnſtlers ſoll man ſich den Koͤrper auſ - ſer dem Rahmen hinzu denken. Das Beſte an dem Bilde iſt die Behandlung.
Das Grabmal des Praͤlaten Corſini hat Algardi, und das des Praͤlaten Acciajoli, Ercole Ferrata verfertiget.
Von den Mahlereien einiger Florentiner will ich nicht reden. Man kennt bereits das unbedeutend Gezogene ihrer Phyſiognomien, und das Verdrehete ihrer Stellungen.
† Das Grabmal des Marcheſe Capponi von Michael Angelo Slodz, ſcheint mir eins der edelſten Monumente in Rom zu ſeyn. Eine weib - liche Figur lehnt ſich auf einen Sarcophag, auf deſſen Deckel zwei Genii das Bildniß des Marcheſe halten, und betrachtet daſſelbe mit traurigem Blicke. Zuihren279uͤber die einzelnen Kirchen. ihren Fuͤßen liegt ein Lamm auf einem Buche. Der Kuͤnſtler hat dadurch, wie mich duͤnkt, die beſchei - dene Gelehrſamkeit des Verſtorbenen ſehr gluͤcklich angedeutet. 39)Vielleicht duͤrfte eine von dieſem Monumente ab -Vorſchlag zu einem Sym - bol an einem unſerm Leib - nitz kuͤnftig zu errichten - den Grab - male. ſtrahirte Allegorie eines Adlers, der ſich von einem Buche aufſchwingt, an dem Grabmale, — nicht an der Ehrenſaͤule, — welches man unſerm großen Leibnitz ſetzen koͤnnte, nicht ungluͤcklich gewaͤhlt ſeyn. Der weit umfaſſende Scharfblick des Adlers kann in der Zuſammenſtellung mit dem Buche, und der Figur des Philoſophen, nicht leicht einer Misdeu - tung oder Unverſtaͤndlichkeit unterworfen ſeyn: und wie ſehr wuͤrde das Werk als Gruppe dabei gewinnen!Die weibliche Figur iſt reizend ge - dacht, und die Gewaͤnder haben nicht den unnatuͤr - lichen Faltenſchlag des neuern Kirchenſtils. Inzwi - ſchen wuͤrde man doch wuͤnſchen, daß ſie die Umriſſe des Koͤrpers ein wenig genauer bezeichneten.
Das Taufgefaͤß von Porphyr hat die Form eines antiken Sarcophags. Es ſtehen aber nicht die Statuen des Pabſts Sylveſter und Conſtantins dar - auf, wie Hr. D. Volkmann ſchreibt, ſondern es iſt blos mit einigen Basreliefs aus Bronze geziert, welche neu ſcheinen.
S 4Die280AnmerkungenDie Gemaͤhlde in der Kuppel ſind von An - drea Sacchi. Sie ſtellen nicht blos Suͤjets aus dem Leben der Maria, ſondern auch andere heilige Geſchichten des neuen Teſtaments, vorzuͤglich aus dem Leben Johannes des Taͤufers, vor. Sie haben das Verdienſt einer guten mahleriſchen Anordnung, ein Vorzug der dieſem Meiſter eigen iſt. Uebrigens gehoͤren ſie nicht unter ſeine beſten Sachen.
Unten in der Capelle ſieht man an den Waͤnden mehrere Gemaͤhlde von Giminiani, Camaſſei und Carlo Maratti. Die Zerſtoͤ - rung des Goͤtzendienſtes von Carlo Maratti wird fuͤr das Beſte gehalten. Es iſt aber ſehr be - ſchaͤdigt, und ſo viel man noch urtheilen kann, iſt der Ausdruck uͤbertrieben und doch kalt geweſen.
In der Nebencapelle, die dem heiligen Jo - hannes dem Taͤufer gewidmet iſt, findet man auf dem Altare die Figur dieſes Heiligen von Donatello.
In der Capelle Johannes des Evange - liſten aber, eine Statue in Bronze nach dem Modelle des Giov. Batiſta della Porta.
In der vordern Halle ſind einige mittelmaͤßige Basreliefs von Bracci befindlich.
Hier ſieht man auch die antike Statue Con - ſtantins des Großen, die jedoch mehr des Alters, als der Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig iſt.
In281uͤber die einzelnen Kirchen.In der Kirche ſelbſt findet man eine Menge Mahlereien von aͤlteren und neueren Roͤmiſchen und Venetianiſchen Meiſtern. Sie ſind von geringem Werthe. Titi hat ſie ſehr ſorgfaͤltig ange - geben.
Das beſte darunter iſt die Himmelfahrt Chriſti von Cavaliere d’ Arpino uͤber dem Altare des hei - ligen Sacraments.
In den Niſchen ſtehen: die Statuen der zwoͤlf Apoſtel. Sie ſind coloſſaliſch.
Dieſe Figuren koͤnnen beſonders dazu dienen, uns mit dem Kirchenſtile bekannt zu machen. Sie gehoͤren unter die beſten dieſer Art.
Ich habe bereits oben die Kennzeichen dieſes Stils angegeben, und beziehe mich darauf. Man kann ſagen, daß die ebengenannten Meiſter den Stil des Algardi in der Zeichnung mit dem des Bernini in der Behandlung des Fleiſches und der Gewaͤnder zu vereinigen geſucht haben. Sie copirten uͤbrigensS 5die282Anmerkungendie Natur. Ihre Werke ſtehen auf der ſeligen Stufe der Mittelmaͤßigkeit, die durch keine ausgezeichnete Vorzuͤge und Fehler das Auge beſonders anzieht oder beleidigt.
In der Sacriſtei findet ſich eine Verkuͤndi - gung Mariaͤ von Venuſti nach der Zeichnung des Michael Angelo Buonarotti.
Die Capelle des Hauſes Corſini, worin † das Grabmal des Pabſtes Clemens des XII. aus dieſem Hauſe befindlich iſt, iſt die ſchoͤnſte Partie in dieſer Kirche. Dies Grabmal iſt unſtreitig eines der ſchoͤnſten Monumente, die in neuerer Zeit errichtet ſind. Die Urne in der die Gebeine des Pabſtes ruhen, und die ehemals das Behaͤltniß der Gebeine des Agrippa geweſen ſeyn ſoll, weil ſie unter der Halle des Pantheons ſtand, iſt von ſchoͤnſter Form, und ſehr fleißig bis auf die geringſten Zier - rathen ausgefuͤhrt. Die Statue des Pabſtes aus Bronze nach Maini hat viel Gutes. Rund umher ſtehen mehrere Statuen im Stil des Bernini. Die beſte iſt die Maͤßigkeit von Filippo Valle.
Das Altargemaͤhlde iſt ein beruͤhmtes Moſaik von Chriſtofani nach dem ſchoͤnen Originale des Guido Reni im Pallaſt Barberini. Es ſtellet den heil. Corſini vor, und iſt ſo gut, als ein Moſaik ſeyn kann.
Man trifft in dieſer Kirche auch das Monu - ment des Cardinals Caſanata von le Gros an. Es iſt von guter Erfindung, aber von kleinlichem Geſchmacke in der Ausfuͤhrung, und manierirt.
Ich bemerke zuletzt, daß die ſogenannten Sellae Stercorariae hier nicht mehr befindlich ſind, unddaß283uͤber die einzelnen Kirchen. daß der große porphyrne Sarg der heil. Helena nach dem Muſeo Clementino gebracht iſt.
Hier findet ſich ein Moſaik, welches Chri - ſtum unter den zwoͤlf Apoſteln vorſtellt. Die von Benedikt dem XIV. hinzugefuͤgte Innſchrift zeigt, daß es nur die Copie nach einem ganz verdor - benen alten Moſaik ſey.
† Die letzte Communion des heil. Hierony -Die letzte Communion des heil. Hie - ronymus von Dome - nichino. mus von Domenichino. Eins der Hauptgemaͤhlde in Rom.
Man hat behauptet, daß der Meiſter den Ge - danken ſeines Gemaͤhldes vom Agoſtino Carraccio44)Hr. D. Volkmann ſchreibt irrig Annibale Carraccio. entlehnt habe, der daſſelbe Suͤjet in der Karthauſe zu Bologna behandelt hat. Die Sache iſt an ſich nicht zu leugnen: die erſte Veranlaſſung zu Erfindung des Ganzen und einiger Details hat Domenichino ſei - nem Vorgaͤnger zu danken; aber er hat auch viel darin veraͤndert, und es fraͤgt ſich, mit welchem Gluͤcke?
Unſtreitig iſt der Heilige in dem Gemaͤhlde des Agoſtino edler gedacht. Er faltet die Haͤnde uͤber die Bruſt, und dieſe Gebaͤrde ſowohl als ſeine Mine zeigen die andaͤchtige Innbrunſt, mit der er das letzte Liebesmahl zu empfangen bereit iſt. Hingegen indem284Anmerkungendem Gemaͤhlde des Domenichino iſt er ein bloßer Sterbender, der kaum ſo viel Kraͤfte uͤbrig hat, ſich zu dieſer heiligen Handlung von den Umſtehenden ſchleppen zu laſſen.
Aber dies abgerechnet, hat auch das Gemaͤhlde des Domenichino in allen uͤbrigen Theilen der Mah - lerei den augenſcheinlichſten Vorzug vor dem Vorbilde, und man kann ſagen, daß ihm dieſes nicht mehr Dienſte geleiſtet habe, als ein ſchlechtes antikes Bas - relief dem Raphael, wenn dieſes durch die ſchwache Andeutung eines guten Gedankens der Keim zu der ſchoͤnſten Darſtellung wurde.
Ich habe das Originalgemaͤhlde des Agoſtino in Bologna geſehen. Die Compoſition iſt mit Figuren uͤberladen, von denen mehrere nicht den geringſten Antheil an der Handlung nehmen. Die Vertheilung der Figuren iſt ſehr unordentlich. Der Ausdruck iſt wahre Carricatur, das Helldunkle fehlt gaͤnzlich, und die Farbe iſt ſehr finſter.
Hingegen beſteht das Gemaͤhlde des Domeni - chino aus wenigeren Figuren, die vortrefflich ange - ordnet ſind. Dieſe haben einen aͤußerſt wahren Aus - druck, durch den ſie einen gut motivirten Antheil an der Haupthandlung nehmen. 45)Ich rechne jedoch die Alte, welche dem Heiligen die Hand kuͤßt, ab. Dieſe Epiſode iſt fuͤr die feier - liche Handlung ſtoͤrend; aber eine gluͤckliche Um - ſchmelzung der Idee des Loͤwen, der in dem Bilde des Agoſtino ſeinem Begleiter die Fuͤße leckt.Die Stellungen, vorzuͤglich die des jungen Mannes auf dem Vorgrun - de, ſind ſehr reizend.
Die285uͤber die einzelnen Kirchen.Die Zeichnung iſt fein, nur moͤchte man ſie in den Extremitaͤten correkter wuͤnſchen.
Die Gewaͤnder ſind im Ganzen von kleinlichem Geſchmack, und zu eckigt in den Falten.
Man ſieht, daß dies Bild kraͤftig, harmoniſch und wahr colorirt geweſen iſt. Auch das Helldunkle kann dieſes Verdienſt gehabt haben. Die Figur des jungen Mannes, der auf dem Hintergrunde im Halb - ſchatten gehalten iſt, thut vortreffliche Wuͤrkung. Aber ungluͤcklicher Weiſe hat das Bild ſehr nachge - ſchwaͤrzt, und man urtheilt nur ſehr unzuverlaͤſſig uͤber die Vorzuͤge deſſelben in Ruͤckſicht auf dieſe Theile der Mahlerei.
Die Capelle Spada iſt ſehr ingenioͤs decorirt. Zwei Engel von Marmor halten ein ausgeſpanntes Tuch, welches ſtatt der Baluſtrade dient.
Herr D. Volkmann ruͤhmt die Marien beim Grabe Chriſti von Giuſeppe del Baſtaro. Seine Manier hat in Anſehung abſtechender Lichter von den Schatten, Aehnlichkeit mit der Manier des Guercino; aber Zeichnung und Farbe, die dieſem eigen ſind, fehlen, und die Koͤpfe ſind ſehr gemein.
Die heil. Maria mit dem Kinde und einem Engel, welcher den heil. Joſeph aus demSchlafe286AnmerkungenSchlafe wecket, von Andrea Sacchi, gehoͤrt nicht unter ſeine beſten Werke.
Die heil Thereſia mit der Maria von Lan - franco. Hat gute Koͤpfe und Haͤnde und viel vom Stil der Carracci. Schade, daß die Farbe zu ſehr ins Nußbraune faͤllt!
Der Plafond der Kirche von Plazido Co - ſtanzi ſtellt die Aufnahme des heiligen Grego - rius in den Himmel vor. Er iſt ſchlecht.
Das Merkwuͤrdigſte in der Kirche iſt ein Ge - maͤhlde des Battoni, welches einige Heiligen in der Anbetung eines Marienbildes vorſtellet. Es ſind vortreffliche Koͤpfe darauf, inzwiſchen iſt die Geſichtsbildung der heiligen Jungfrau unbedeutend. Die Faͤrbung iſt ſehr harmoniſch.
† Das Gemaͤhlde des Altars ſtellt den heil. Gregorius vor, welcher zwiſchen zwei Engeln betet. In der Hoͤhe eine Glorie von Engeln von Annibale Carraccio. Die Figur des Heiligen iſt weder ſehr edel noch ſehr ausdrucksvoll; aber die Engel ſind von großer Schoͤnheit. Die Geſichtsbil - dungen haben viel Correggianiſches. Ueberhaupt ſieht man auch, wie Annibale den Correggio in der Farbe und im Helldunkeln nachzuahmen geſucht habe. Dieſe Theile der Mahlerei ſind in dieſem Bilde beſſerbeſorgt287uͤber die einzelnen Kirchen. beſorgt als in vielen andern dieſes Meiſters. Inzwi - ſchen fehlt der Schmelz der Farben.
Man ſieht hier noch ein Basrelief, welches den Einzug unſers Heilandes in Jeruſalem vor - ſtellet und einen gewiſſen Coſti, einen Florentiniſchen Kuͤnſtler, zum Meiſter hat.
Capelle der heiligen Silvia. Guido Reni hat hier ein Concert von Engeln gemahlt, wel - ches in Anſehung der Zuſammenſetzung nicht gluͤcklich gerathen iſt. Die Figuren ſtehen gerade und ohne Verbindung. Das Gemaͤhlde iſt uͤbrigens ſo ſehr ver - blichen, und hin und wieder retouchirt, daß man nicht weiter daruͤber urtheilen kann.
Die Statue der heiligen Silvia von Cor - dieri iſt mittelmaͤßig.
Capelle des heil. Andreas. Sie iſt ſehrCapelle des heiligen An - dreas mit Mahlereien von Guido Reni und Domenichi - no. merkwuͤrdig, weil Guido Reni und Domeni - chino hier in die Wette gemahlt haben.
† Das Gemaͤhlde des Guido ſtellet den heil. Andreas vor, der zum Tode gefuͤhrt wird. Der heil. Andreas wirft ſich, als er das Kreuz von weitem erblickt, auf die Knie nieder, es anzubeten; aber die Henker noͤthigen ihn wieder aufzuſtehen. Die Anordnung iſt gut, das Colorit faͤllt zu ſehr ins Rothe. Die Figur des Heiligen iſt vor - trefflich.
† Domenichino hat die Geiſſelung des naͤmlichen Heiligen vorgeſtellt.
Man ſagt, daß, wie Annibale Carraccio die Mah - lereien dieſer ſeiner beiden Schuͤler verglichen, er den Ausſpruch gefaͤllet habe, Domenichino habe als ein Lehrling, Guido als ein ausgelernter Kuͤnſtler gear -beitet;288Anmerkungenbeitet; aber der erſtere werde dereinſt ein groͤßerer Meiſter als der letzte werden.
Dieſer Ausſpruch ſcheint mir viel Wahres zu enthalten. Domenichino hatte noch nicht ſeine ganze Staͤrke, als er mit Guido Reni wetteiferte. An - ordnung, Helldunkles und Perſpektiv, kurz! alle Theile, welche zur mahleriſchen Erfindung einer groͤſ - ſeren Compoſition gehoͤren, und Ueberlegung, Wiſ - ſenſchaft vorausſetzen, ſind hier weniger gut, als in dem Bilde ſeines Nebenbuhlers. Hingegen uͤber - trifft er dieſen an Richtigkeit der Zeichnung, vorzuͤg - lich in den Extremitaͤten, und an Wahrheit des Co - lorits. Wenn ich die einzelne Figur des Heiligen in dem Bilde des Guido ausnehme; ſo leidet es keinen Zweifel, daß Domenichino auch an Wahrheit des Ausdrucks jenem uͤberlegen iſt.
Man ſieht hier einige Mahlereien in einerlei Farbe, welche viele dem Domenichino beilegen.
St. Petrus und Paulus zu beiden Seiten des Altars, ſind von Guido Reni.
In der Sacriſtei ein ſchlechtes Gemaͤhlde von Federico Zuccari.
Die Aſſumption des Schutzpatrons dieſer Kirche von Guercino an der Decke, iſt eine ſchlechte Compoſition. Form und Ausdruck ſind ſchlecht ge - waͤhlt. Die Lichter ſind zerſtreuet, die Schatten haben nachgeſchwaͤrzt; der Grund iſt zu blau, die Farbe uͤbrigens kraͤftig.
Man289uͤber die einzelnen Kirchen.Man ſieht außer denen von Hrn. D. Volkmann angezeigten Monumenten noch ein neueres des Cardinals Milo, welches jedoch nicht viel Ver - dienſt zu haben ſcheint.
Die architektoniſchen Mahlereien des Pater Pozzi ſind ſehr verblichen. Dem ohngeachtet ma - chen ſie noch Illuſion.
An Gemaͤhlden iſt die Kirche ziemlich arm, hin - gegen enthaͤlt ſie einige gute neuere Bildhauerwerke.
Das Monument des Pabſts Gregorius des XV. und ſeines Neffen des Cardinals Lu - doviſi zu ſeinen Fuͤßen, iſt eine gute Zuſammen - ſetzung, die auf den erſten Blick Wuͤrkung thut. Schade, daß die Ausfuͤhrung vernachlaͤßigt iſt. Es iſt theils von le Gros ſelbſt, theils nach deſſen Zeich - nungen von Monot ausgefuͤhrt. Die Koͤpfe des Ue - berfluſſes und der Religion haben eine zu ſuͤßliche Mine, und die Gewaͤnder ſind zu eckigt. Die beiden Figu - ren der Fama von Monot, zieren ſich auf eine uner - traͤgliche Weiſe.
Die Capelle des heil. Ludewig Gonzaga iſt eine der praͤchtigſten in Rom.
† Das Basrelief am Altare ſtellet dieſen Heiligen vor, wie er in den Himmel getragen wird.
So beruͤhmt dieſes Werk des le Gros iſt, ſo ge - ſtehe ich doch, daß auſſer dem Verdienſt einer guten Anordnung, welches in der Mahlerei intereſſanterſeynDritter Theil. T290Anmerkungenſeyn wuͤrde, als in der Sculptur, ich dieſem Basre - lief kein ſonderliches beizulegen wiſſe. Die Figur des Heiligen iſt affektirt; ſein Kopf gleicht mehr einem gu - ten Kinde, als einem heiligen Manne. Die Engel haben uͤbertriebene Stellungen, die ganz nach der Re - gel des Contrapoſto erfunden ſind. Die Wolken von Stein thun eine ſehr ſchlechte Wuͤrkung. Die Ge - waͤnder haben lauter viereckigte Falten, und ſind oh - ne Zartheit behandelt.
Die Engel der Baluſtrade von Ludoviſi ſind ganz im Stile des Bernini gedacht und ausge - fuͤhret.
Gerade gegen uͤber die Capelle della S. S. Nun - ciata. Das darin befindliche Basrelief von Fi - lippo della Valle iſt mittelmaͤßig.
Die Engel auf der Baluſtrade ſind von Bracci.
Die Gemaͤhlde von Pozzi, die nicht archi - tektoniſch ſind, ſind unter der Critik.
Man findet hier ein Paar antike Begraͤbniß - urnen, deren eine ſehr groß und von Porphyr, mit Weinreben, Trauben und Voͤgeln in erhobener Ar - beit geziert iſt.
Von den beiden Grabmaͤlern an den Sei - ten der Thuͤre, die zu den Catacomben fuͤhret, hat das eine Pietro da Cortona angegeben.
Die Saͤule mit der Eidexe und dem Fro - ſche im Capitale, die Winkelmann in dem Ver -ſuche291uͤber die einzelnen Kirchen. ſuche uͤber die Baukunſt der Alten auf dem Titelku - pfer hat ſtechen laſſen, muß man bey der Kanzel ſuchen. Es ſoll dieſes Capital die Nahmen der Bau - meiſter Saurus und Batracus anzeigen.
Der gekreuzigte Chriſtus von Guido wird unter die beruͤhmten Gemaͤhlde von Rom gezaͤhlet. Ich geſtehe es zu, daß das Spiel der Muskeln wahr, und die Zeichnung ſehr fleißig iſt. Aber uͤbrigens ſcheint mir die Figur ſteif, ohne edlen Ausdruck und ohne Ruͤndung. Die Farbe faͤllt zu ſehr ins Graue.
Auf dem Hauptaltare hat Pietro da Cortona die Marter des heil. Laurentius gemahlt. Das Bild ſieht ſeinen uͤbrigen aͤhnlich, und iſt nicht ein - mal eins von ſeinen beſten.
Die heil. Maria mit den beiden Apoſteln Andreas und Jacobus von Domenichino iſt kaum noch zu erkennen. Titi ſagt, daß der Cava - liere Vanni es verwaſchen habe. So viel man noch urtheilen kann, war es eine ſchlechte Compoſition mit einigen guten Koͤpfen.
Auf dem Hauptaltare iſt die Aſſumption der Maria von Francesco Baſſano gemahlt.
Die Anordnung hat viel vom Paolo Veroneſe. Die Gewaͤnder ſind gut, auch finde ich die Formen weniger unedel, als gewoͤhnlich gewaͤhlt; die Koͤpfe aber ſind alle nach einem Modelle gebildet.
† Die zweite Capelle rechter Hand iſt wegen verſchiedener Mahlereien des Domenichino be - ruͤhmt.
Beim Eintritt, rechts, ſieht man die heilige Caͤcilia, welche ihre Kleider unter die Armen vertheilt. Die Anordnung iſt ſchlecht. Die heil. Caͤcilia ſteht ſo verſteckt, daß man ſie beinahe gar nicht ſieht. Der Ausdruck iſt niedrig, aber aͤußerſt wahr. Jede Figur ſagt das, was ſie ſagen ſoll; Schade nur, daß dies Geſagte nicht viel werth iſt! Hin und wieder faͤllt der Ausdruck gar ins Niedrige: Zum Beiſpiel, der Jude, der von weitem den Preis, den er fuͤr ein Kleidungsſtuͤck bietet, mit den Fingern anzeigt; die Mutter, die ihrem Sohne ein Paar Ohr - ſeigen giebt, da er ſeinem Bruder ein Camiſol weg - nehmen will; die Straßenjungen, die ſich uͤber ein Stuͤck Zeug in den Haaren liegen. Inzwiſchen muß man immer die Kunſt bewundern, mit der Domeni - chino die geheimſten Affekten der Seele durch die Be - wegung des Koͤrpers dem Auge des Beſchauers ver - ſtaͤndlich zu machen gewußt hat.
Die293uͤber die einzelnen Kirchen.Die Zeichnung iſt incorrekt, die Luftperſpektiv ſcheint vernachlaͤßigt; inzwiſchen will ich uͤber dieſe nicht urtheilen, da das Bild durch Feuchtigkeit des Orts und durchs Retouchiren ſo ſehr gelitten hat.
Der Tod der heil. Caͤcilia gegen uͤber. Dies Suͤjet war eines edleren Ausdrucks faͤhig und der Kuͤnſtler hat ihn zu erreichen gewußt. Die Anord - nung iſt ſehr gut, und die Gruppen greifen gut in ein - ander. Die heil. Caͤcilia hat einen vortrefflichen Ausdruck von duldender Hingebung: jedoch duͤrfte dieſer mehr einem gutmuͤthigen Kinde als einer Heili - gen mit wahrer Standhaftigkeit gehoͤren. Die Figur ſcheint mir im Ganzen zu klein gegen die Umſtehenden. An dieſen bemerke ich einen ſehr ſchoͤnen Ausdruck und herrliche Stellungen. Die Gewaͤnder ſind ſchlecht. Das Bild hat ſehr gelitten.
Die heil. Caͤcilia vor dem Richter, der ſie zwingen will, den falſchen Gdttern zu opfern, eine Compoſition im Stil alter Basreliefs. Unter den Koͤpfen, welche die dieſem Meiſter gewoͤhnlichen ſind, ſind einige ſehr ſchoͤn. Die Figur der Heili - gen ſcheint ſich ein wenig zu zieren.
Dies Gemaͤhlde iſt beſſer als die vorigen erhalten.
Dieſem Bilde gegen uͤber eben dieſe Heilige, welche in Geſellſchaft eines andern Heiligen die Maͤrtyrerkrone von einem Engel erhaͤlt. Eine allerliebſte Compoſition; der Ausdruck in Minen und Stellungen iſt vorzuͤglich zu bemerken.
In der Mitte die Aſſumption der heil. Caͤ - cilia. Die Anordnung iſt nicht zu loben, aber ſonſt hat das Bild viel Gutes. Der Ausdruck der Heili - gen iſt voller Adel und himmliſcher Heiterkeit. SieT 3kniet294Anmerkungenkniet auf einem Gewande, welches ein Engel uͤber ſeinem Kopfe ausgeſpannet haͤlt. Dieſe Idee iſt aus einem Basrelief in der Villa Medicis genommen, welches das Urtheil des Paris vorſtellt. Die Engel ſind liebliche Geſtalten und angenehm colorirt.
Man zeigt in dieſer Kirche † eine Madonna mit dem Kinde und legt ſie dem Correggio bei; andere halten ſie von Procaccini. Ich halte ſie von Cambiaſi. Man erkennt an dem Mangel des Schmel - zes der Farben, daß das Bild nicht vom Correggio ſey: obgleich ſonſt der Ausdruck viel von der dieſem Meiſter gewoͤhnlichen Lieblichkeit hat.
Die Schoͤpfung der erſten Eltern, und die bei - den Evangeliſten S. Marcus und S. Johan - nes ſind von Perrino del Vaga angefangen und von Daniel da Volterra geendiget.
Die Bekehrung Pauli iſt eins der beſten Ge - maͤhlde von Federico Zuccheri und die umſtehende Mahlerei al Freſko, in der naͤmlichen Capelle von ſeinem Bruder Taddeo.
Salviati hat hier einige Gemaͤhlde verfertigt. Algardi, Raggi, Naldini haben die Kirche mit ver - ſchiedener Bildhauerarbeit gezieret, deren Verzeichniß beim Titi nachzuſehen iſt.
† Der heil. Hieronymus von Muziano. Ein ſchoͤnes Bild, das immer die Augen des Kenners auf ſich ziehen wird, wenn gleich die Farbe verblichen iſt. Der Gedanke iſt gut, die Koͤpfe und die Ge - waͤnder ſind wohl gewaͤhlt, und die Zeichnung iſt correkt.
† Der Fall Simons des Zauberers, vonBeurthei - lung eines Gemaͤhldes von Pompeo Battoni. Pompeo Battoni, verdient als eins der Haupt - werke dieſes braven neueren Meiſters57)Gerade als ich im Begriff bin, das Mſpt. mei - nem Herrn Verleger zu ſchicken, erfahre ich, daß der alte verdienſtvolle Kuͤnſtler geſtorben iſt. Er hatte große Fehler, aber ſie wurden auch durch große Vorzuͤge, beſonders in der mechaniſchen Ausfuͤh - rung, compenſirt: und ich fuͤrchte, ſeitdem die Mahler zu ſehr Philoſophen und Dichter geworden ſind, moͤchte der geſchickte Handwerker, der an je - nem verloren gegangen iſt, ſo bald nicht wieder er - ſetzt werden. einige beſon - dere Aufmerkſamkeit.
Zuerſt Gedanke und Anordnung: Der heilige Petrus flehet mit in die Hoͤhe gerichteten Augen den Himmel an, daß er die Werke des Teufels zerſtoͤren moͤge, und ſeine Hand, gegen die Erde ausgeſtreckt, zeigt den Wunſch, daß der fliegende Zauberer herab - geſchleudert werden moͤge. Um ihn herum ſtehenT 4mehrere296Anmerkungenmehrere Glaͤubige, welche voll Zuverſicht dieſes Zei - chen der hoͤheren Allmacht erwarten. Sie bilden die erſte Gruppe unter einem Porticus. Weiterher liegt ein Sclave, der mit dem Ausdruck, der ſeinem nie - drigen Stande eigen iſt, den fallenden Simon angafft und einen Hund, der dieſen anzubellen ſcheint, zuruͤck - haͤlt. Dies auf dem rechten Theile des Vordergrun - des. Zur Linken, mehrere Zuſchauer, die Erſtaunen und Furcht durch ihre Gebaͤrden zu erkennen geben: Eine Mutter, die ſich ſitzend uͤber ihr Kind herbeugt, und es außerdem durch den ausgeſtreckten Arm vor der Zerſchmetterung durch den fallenden Zauberer zu beſchuͤtzen ſucht. Ein Mann, der, um ein aͤhnliches Ungluͤck von ſich ſelbſt abzuwehren, die Haͤnde uͤber den Kopf ausbreitet. Etwas tiefer herab eine Gruppe dreier Perſonen, die in der Beſtuͤrzung uͤber einander ſtolpern. Im Hintergrunde: eine Statue des Hercules, und der Praͤtor auf der Sella curu - lis, umgeben von Senatoren, Tribunen und Kriegs - knechten. In der Hoͤhe: der Zauberer in Begleitung von ein Paar Teufeln bereits fallend.
Das Bild iſt zu voll; die Gruppen ſind zu un - ordentlich geſtellt; das Auge findet nirgends Ruhe. Der Ausdruck iſt ziemlich wahr, aber zu niedrig. In der Wahl der Koͤpfe herrſcht zu viel Monotonie, ſie ſcheinen beinahe alle nach einem Modelle verfer - tigt zu ſeyn. Die Zeichnung iſt keinesweges ohne Incorrektionen, vorzuͤglich in dem fallenden Zaube - rer, durchaus aber ohne Feinheit und Beſtimmtheit. Die Gewaͤnder ſind von kleinlichem Stile ohne hin - reichende Bezeichnung des Nackenden. Das rothe Gewand der Frauen mit dem Kinde zeigt inzwi -ſchen297uͤber die einzelnen Kirchen. ſchen ſehr mahleriſche Maſſen heller und dunkler Partien.
Das Colorit iſt nicht wahr, aber es hat den Vorzug, welcher dieſem Meiſter vorzuͤglich eigen zu ſeyn ſcheinet: Die Farben der ganzen Tafel machen ein fuͤr ſich beſtehendes harmoniſches Ganze aus. Der Ton iſt, von der oberſten Spitze des Gemaͤhldes an bis unten hinaus, einer und derſelbe. Es iſt eine ſchoͤn gefaͤrbte Tafel, eine liebliche Farbenleiter, ein angenehm in einander fließender Regenbogen. 58)Wenn man weiß, auf welche Art Battoni ſeine Gemaͤhlde verfertigt hat, wird dieſes Verdienſt der Farbenharmonie noch groͤßer. Er bedeckte ſeine großen Gemaͤhlde mit einem Tuche, und mahlte nun von oben bis unten hinunter, ſo wie er eine Stelle aufdeckte, das Gemaͤhlde auf den erſten Strich fertig.
In Ruͤckſicht auf Haltung hat aber das Ge - maͤhlde nicht dieſelben Verdienſte. Der Mahler hat naͤmlich gewagt, das Bild durch den Blitz zu er - leuchten, durch den er den fliegenden Zauberer her - abſchleudern laͤßt. Dieſer kuͤhne Gedanke bringt zwar einige pikante Schlagſchatten hervor, zerſtreuet aber zu gleicher Zeit das Licht, und erhellet den Hin - tergrund zu ſehr. Denn nun tritt der Praͤtor, der dort ſitzt, ſo nahe an die Perſonen der vorderſten Gruppe, daß man nicht abſieht, wohin der Zaube - rer fallen ſoll, ohne alles Lebende unter ſich zu zer - ſchmettern.
Der Kaiſer Conſtanz, der bei der Cele - bration der Meſſe durch den heil. Baſilius in Ohnmacht faͤllt, von Subleyras. Das BildT 5iſt298Anmerkungeniſt nicht ohne Verdienſt, inzwiſchen hat die poetiſche Erfindung allerdings große Fehler. Die Gruppe des Knaben, der auf dem Vordergrunde das Brod aus den Haͤnden eines nackten Mannes empfaͤngt, unterbricht die Einheit der Handlung, und paßt nicht fuͤr Zeit und Ort. Die Anordnung aber kann zum Muſter dienen. Der Ausdruck in dem Kaiſer iſt zu affektirt. Die Gruppe der Prieſter iſt das Beſte im Bilde: Man ſieht darunter gute Koͤpfe. Die Zeichnung iſt ohne auffallende Fehler, die Faͤr - bung ſchlecht, und das Helldunkle beſſer gedacht als ausgefuͤhrt.
Die Auferweckung des Lazarus von Co - ſtanzi. Die Anordnung iſt gut, der Ton der Faͤrbung, obgleich harmoniſch, faͤllt zu ſehr ins Schwarze.
† Die Marter des heiligen Sebaſtians von Domenichino. Weder die poetiſche Erfin - dung noch die mahleriſche Anordnung verdienen ein beſonderes Lob. Die Menge der hier vorgeſtellten Figuren iſt dergeſtalt auf einander gehaͤuft, daß das Auge Muͤhe hat, ſie aus einander zu ſondern. Die Epiſode des Soldaten zu Pferde, der das Volk aus einander treibt, ſchadet der Einheit der Handlung, weil ſie die Aufmerkſamkeit zu ſehr an ſich zieht, und den Eindruck, den die Lage der Hauptfigur auf uns machen ſollte, auf keine Weiſe unterſtuͤtzt. Man muß die Figuren einzeln ſehen, um ſich von ihrer Schoͤnheit zu uͤberzeugen: Jede ſagt das, was ſie ſagen ſoll. Man ſieht vortreffliche Koͤpfe; bei dem des Heiligen ſcheint der Mahler den Laocoon vor Au - gen gehabt zu haben. Der Koͤrper iſt nicht ſo edelDie299uͤber die einzelnen Kirchen. Die Figur Chriſti in der Glorie iſt ſchlecht. In der Zeichnung, vorzuͤglich der Haͤnde, trifft man meh - rere Incorrektionen an. Die Farbe iſt gut aufge - tragen, und kraͤftig. Ueber Luftperſpektiv, Hal - tung und Harmonie kann man nicht mehr urtheilen. Das Bild hat ſehr gelitten; indeſſen ſcheinen dieſe Theile niemals vorzuͤglich geweſen zu ſeyn. 59)Dies Gemaͤhlde iſt al Freſto. Ueber die Art, wie es aus der Wand genommen, und von ſeiner vor - maligen Stelle hieher gebracht iſt, liefert Koͤremon im 2ten Theile intereſſante Nachrichten.
Die Darſtellung Mariaͤ im Tempel von Romanelli. Das Bild iſt zu ſehr verdorben, um mit Zuverlaͤßigkeit ein Urtheil daruͤber zu faͤllen. Sollte man etwas daruͤber ſagen, ſo waͤre es dies: Die poetiſche Erfindung iſt ſchlecht, die mahleriſche Anordnung gut; der Ausdruck unbedeutend, die Stellung reizend; die Zeichnung unbeſtimmt, aber ohne auffallende Unrichtigkeiten; die Faͤrbung falſch, aber die Harmonie gut; Kurz! die charakteriſtiſchen Fehler und Vorzuͤge des Kirchenſtils finden ſich neben einander.
Die Taufe Chriſti von Carlo Maratti. Ich wuͤßte nicht, welches Verdienſt dieſes Bild ha - ben koͤnnte. Alle Theile der Mahlerei ſind darin ſchlecht; die Stellungen Chriſti und des heil. Johan - nes ekelhaft geziert.
Die Strafe des Ananias und der Sapphira von Roncalli oder Pomeranzio, auf Schiefer: ganz verdorben. Herr Volkmann ſagt, daß dieſes Bild in einem großen Stile gemahlt ſey. Dieſeskann300Anmerkungenkann nur ſo viel heißen, daß die Gewaͤnder große Maſſen darbieten, welche das Licht gut auffangen; denn uͤbrigens iſt weder Hoheit des Ausdrucks noch Richtigkeit der Zeichnung darin anzutreffen.
† Madonna mit dem Chriſtkinde, ein heiliger Jacob betet es an; der heilige Joſeph lehnt ſich auf den Ellnbogen, und ſieht zu; der heil. Rochus wird dem Heiland durch den heil. Johannes vorgeſtellt, und hinten futtert die heil. Anna die Huͤner: von Giulio Romano.
Es iſt ein Hauptbild dieſes Meiſters, ob es gleich auf mancherlei Art, durch Retouchiren, ſchlech - ten Firniß ꝛc. gelitten hat. Auch ſind Erfindung und Anordnung nicht zu loben; man muß allein auf das Detail ſehen. Der Kopf der Madonna hat viel Aehnlichkeit mit dem der Madonna in der heil. Familie von Raphael zu Verſailles. Eben daher iſt auch die Stellung des heil. Joſephs genommen, der ſich auf den Arm ſtuͤtzt; aber, recht nach Art der Nachahmer, hier ſehr uͤbertrieben wieder ange - bracht. Die Madonna iſt die reizendſte Figur auf dem Bilde, dabei in vortrefflichem Geſchmack drap - pirt. Der Kopf des heil. Rochus, und einige Engel ſind auch ſehr ſchoͤn. Dagegen gehoͤren die Knie des Chriſtkindes einem ausgewachſenen Bootsknechte, und die Beine des heil. Johannes ſind offenbar zu klein gegen die uͤbrige Figur.
† Ein301uͤber die einzelnen Kirchen.† Ein Paar Kinder von Franceſco Fiam -Kinder von Fiammingo. mingo an dem Grabmale Ferdinands van der Einda, — irrig ſchreibt Hr. Volkmann: Monu - ment von Ferdinand Vander, — eines Antwer - pers. Sie ſind aͤußerſt delicat behandelt, und haben ſehr liebliche Phyſiognomien. Vielleicht duͤrften ſie ein wenig zu fleiſchigt ſeyn.
In der dritten Capelle rechter Hand, der heil. Franciscus Xaverius von le Gros. Die Stel - lung iſt affektirt, der Kopf ohne Ausdruck, und das Gewand in zu viel kleine Falten gelegt.
† Die heilige Suſanna von Fiammingo. DieſeH. Suſanna von Fiam - mingo. Statue iſt unſtreitig eine der beſten von denen, die in neueren Zeiten verfertigt ſind. Der Kopf hat Reiz, aber er reicht nicht an das hohe Ideal von Schoͤnheit der Alten. Man kann nur ſagen: er ſey gefaͤllig. Vielleicht ſind die Wangenknochen ein wenig zu ſtark.
Die Stellung iſt ſimpel, und der Kuͤnſtler hat die Regel des Contrapoſto, die unter ſeinen Zeitge - noſſen ſo oft gemisbraucht wurde, auf eine vernuͤnf - tige Art genutzt. Inzwiſchen werfen einige Kennerdem302Anmerkungendem linken Fuße immer noch eine unnatuͤrliche Stel - lung vor. Der Wurf des Gewandes iſt gut gedacht, ſo auch der Faltenſchlag. Die Uebergaͤnge aus einer Falte in die andere duͤrfte man in der Ausfuͤhrung weicher wuͤnſchen.
Man kann den Werth dieſer Statue nicht beſſer beurtheilen, als wenn man den Gipsabdruck der - ſelben auf der Franzoͤſiſchen Academie mit dem der heil. Bibiena vom Bernini, der ihr dort gegen uͤber ſteht, vergleicht. Man wird alsdann finden, daß Fiammingo’s Werk vielleicht nur darum einen ſo großen Vorzug vor dem Werk ſeines Nebenbuhlers erhaͤlt, weil er ſich weniger von dem Stile der Antike entfernt hat. Der Ausdruck iſt der einer ſanften, gottesfuͤrchtigen Seele voll ſittſamen Reizes, und ſtiller Tugend. Die Hand, mit der ſie auf den Altar zeigt, duͤrfte ein wenig zu groß und zu ſteif ſeyn. In der andern haͤlt ſie einen Palmzweig.
Sie ſteht nicht in der Niſche uͤber der Thuͤre, wie Hr. Volkmann ſagt, ſondern in einer Niſche dem Altare zur Seite.
Franßois Queſnoy, genannt Fiammingo, lebte von 1594 bis 1648. Er verdient mit Recht den Nahmen des groͤßten Bildhauers neuerer Zeiten. Er hat mehr als alle andere im Stil der Antike gedacht, und er wuͤrde vielleicht ſeinen Muſtern noch naͤher gekom - men ſeyn, wenn der zu ſeiner Zeit herrſchende Kir - chenſtil ihn nicht wider ſeinen Willen davon zuruͤckge - halten haͤtte. In Kindern hatte er ſeine groͤßte Staͤrke: Er bildete ſie mit der anſchmiegenden Lieb - lichkeit die ihrem Alter eigen iſt. Der Kopf ſeiner Suſanna zeigt gefaͤllige Unbefangenheit, ſanfte Zu -vor -303uͤber die einzelnen Kirchen. vorkommung. Der Ausdruck des Affekts in ſeinem heil. Andreas in der Peterskirche, iſt hingegen uͤber - trieben und affektirt. Mehr Werke kenne ich nicht von dieſem Meiſter. Wenn ſie mich nicht hinreichend berechtigen, ein allgemeines Urtheil uͤber die Vorwuͤrfe zu faͤllen, in deren Darſtellung unſer Meiſter ſeine groͤßte Staͤrke beſaß; ſo ſcheinen jedoch jene Erfah - rungen in Verbindung mit der Nachricht, die wir von dem ausgezeichnet ungluͤcklichen Schickſal haben, womit Fiammingo in ſeinem Leben zu kampfen hatte, die Vermuthung zu beſtaͤrken, daß der Ausdruck ei - ner holden Seele in einem zart organiſirten Koͤrper ihm am beſten gegluͤckt ſey, daß er ſich hingegen ſchwerlich bis zur Bildung eines hohen Geiſtes, zur Darſtellung ſtarker Affekte werde hinaufgeſchwungen haben.
† Die heil. Magdalena, der die Engel die Inſtrumente der Paſſion zeigen, ein ſehr ſchoͤ - nes Bild von Guercino. Schade, daß die Schatten zu ſehr nachgeſchwaͤrzt haben, und daß es zu ſchlecht im Lichte ſtehet, um es genau zu erken - nen. Die Geſichtsbildungen ſind, ſo viel man noch ſehen kann, wohl gewaͤhlt. Vielleicht duͤrfte es ein wenig an Ausdruck fehlen. Die Zeichnung iſt gut, vorzuͤglich fallen der Arm und die Haͤnde des Engels, der den Chriſt in den Wolken zeigt, ſehr auf. Auch loͤſen ſich die Figuren gut von dem Grunde ab.
Dieſe Kirche kann ſowohl in Ruͤckſicht auf Bau - kunſt als Mahlerei und Bildhauerarbeit, fuͤr ein Modell des ſchlechten Geſchmacks dienen.
Die Sixtiniſche Capelle hat fuͤr die Kunſt nichts Merkwuͤrdiges.
hat Gemaͤhlde von Giuſeppe d’Arpino, und Guido Reni, ſie ſind aber dem Auge zu entfernt, und zu ſchlecht erleuchtet, als daß man ſie gehoͤrig beurthei - len koͤnnte. Sie ſtellen verſchiedene Patriarchen und Lehrer des neuen Teſtaments vor.
Die Sculptur in dieſer Capelle iſt durchaus mit - telmaͤßig. Die Urne die zum Altar dient iſt aber ſehr ſchoͤn.
Das Beſte von Bildhauerarbeit in dieſer Kirche ſcheint das Grabmal Clemens IX. zu ſeyn. Die Arbeit iſt von Schuͤlern des Bernini.
Gegen uͤber das Grabmal Nicolaus IV. Beide tragen viel zur Auszierung der Kirche bei.
Das Grabmal des Agoſtino Favoriti hat der Biſchoff von Fuͤrſtenberg errichten laſſen; es iſt aber nicht, wie Hr. D. Volkmann irrig ſchreibt, das Grabmal dieſes Praͤlaten ſelbſt.
Die305uͤber die einzelnen Kirchen.Die Capelle Ceſi iſt von guter Erfindung. Man ſchreibt ſie dem Martino Lunghi zu. Die Grabmaͤler ſind von della Porta, und beſſer gedacht als ausgefuͤhrt. 66)Titi fuͤhrt hier zwei Grabmaͤler des Santarelli und des Coſtanzo Patrizi an, die vom Algardi verfertigt ſeyn ſollen.
Die Capelle Sforzi ſoll nach den Zeichnun - gen des Michael Angelo Buonarotti decorirt ſeyn.
Die Auferweckung des Lazarus von Muziano, von der Hr. Dr. Volkmann redet, iſt nicht mehr hier, ſondern ſoll, wie Titi berichtet, nach dem Pal - laſt des Quirinals gebracht ſeyn.
Im Eingange der Sacriſtei ſieht man ein Monument des Antonio Grata, Geſandten des Koͤnigs von Congo. Es iſt von der Hand des Ber - nini, aber mittelmaͤßig. Ein gleiches Urtheil darf von der Himmelfahrt Mariaͤ, einem Basrelief auf dem Altare im Chor, gelten. Es iſt von dem Vater des Bernini.
In der dritten Capelle von der Sacriſtei ab ſieht man eine Verkuͤndigung von Pompeo Battoni.
Die Statue der Madonna von LorenzettoMadonna von Loren - zetto. wird fuͤr das beſte Kunſtwerk in dieſer Kirche gehal -ten.Dritter Theil. U306Anmerkungenten. Der Kopf der Madonna iſt von ſchlechter Wahl, und ohne Ausdruck; das Chriſtkind ſchlecht gezeichnet, und ſo hart ausgefuͤhrt, daß es aus Holz geſchnitzt zu ſeyn ſcheint. Ueberhaupt iſt das Na - ckende nicht mit genugſamer Zartheit behandelt. Beſſer iſt das Gewand, immer aber bleibt es noch zu ſchwerfaͤllig und unbeſtimmt in dem Faltenſchlage, wenn man gleich die Nachahmung der Antiken darin ſpuͤrt.
Man trifft hier noch mehrere Bildhauerarbeit und verſchiedene Mahlereien an, welche aber der Aufmerkſamkeit des Liebhabers weniger werth zu ſeyn ſcheinen.
Zu denen von Hrn. Dr. Volkmann angezeigten Grabmaͤlern ſind noch folgende in neuern Zeiten hinzugekommen.
Das Monument von Mengs, welches ihm der Cavaliere Azara mit der Innſchrift: Pictori Philoſopho, hat ſetzen laſſen.
Das Monument Pouſſins, welches auf Koſten des Marquis d’Azincourt errichtet iſt.
Das Monument Winkelmanns verdanken wir dem Patriotismus des Herrn Hofraths Reiffen - ſtein, und mit wenigem Anſpruch auf eine ſo ehrbrin - gende Geſellſchaft, hat ein neuerer Mahler Bene - fiali, ein eingebohrner Roͤmer, von den Kuͤnſtlern unter ſeinen Landesleuten gleichfalls hier ein Monu - ment erhalten.
† Chriſtus von Michael Angelo, ſteht meinerChriſtus von Michael An - gelo. Einſicht nach nicht ſeinen Ruhm. Er iſt von gemei - ner Natur, ſowohl was Kopf als Koͤrper anbetrifft. Er traͤgt einen Stutzbart; die Beine ſind ſchwerfaͤl - lig, die Haͤnde unnatuͤrlich; die ganze Stellung iſt verdreht und unedel; die Muskeln ſind viel zu ſtark angegeben. Inzwiſchen iſt die Kenntniß des Kno - chen - und Muskelnbaues und die Behandlung des Marmors unſerer Aufmerkſamkeit werth.
Die Gruppe gegen uͤber von Franceſco Si - ciliano, welche Hr. Dr. Volkmann eine heilige Magdalena nennt, iſt eine Carita, und ein mittel - maͤßiges Werk.
Das Monument Benedict des XIII. iſt von den Schuͤlern des Bernini ziemlich mittel - maͤßig ausgefuͤhrt.
Die beiden Monumente Leo X. und Cle - mens VII. ſind von ſchoͤner Erfindung. Sie ſind wie Triumphboͤgen gebauet, welches eine gute Wuͤr - kung thut. Die daran befindliche Bildhauerei im Stile des Michael Angelo iſt unbedeutend.
Die beiden Monumente der Cardinaͤle Aleſſandrino und Pimentelli, das erſte von Gia - como della Porta, das andere von Schuͤlern des Bernini, verdienen gleichfalls keine ſonderliche Aufmerkſamkeit.
Eben daſſelbe Urtheil kann von der uͤbrigen Bildhauerarbeit in dieſer Kirche gelten.
U 2Unter308AnmerkungenUnter den Gemaͤhlden iſt gleichfalls nichts auſ - ſerordentliches.
Das Bild des Carlo Maratti gehoͤrt nicht zu ſeinen beſten.
Mit mehrerem Intereſſe wird man die Mahle - reien des Venuſti betrachten.
Titi bemerkt ein Abendmahl von Federico Ba - roccio auf dem Altare der Capelle Aldobrandini. Ich habe es uͤberſehen.
In der erſten Capelle zur rechten Hand hat Salvator Roſa einige Mahlereien verfertigt, welche, wie gewoͤhnlich, von ſchlechter Anordnung, uͤbertriebenem Ausdrucke und incorrekter Zeichnung, zugleich aber auch kraͤftig an Farbe und pikant an Wuͤrkung des Helldunkeln ſind.
Eine heilige Familie von Carlo Maratti im Stile des Pietro da Cortona.
Der heil. Franciſcus und Rochus, welche die Madonna anbeten, von demſelben Meiſter. Die Figur der Madonna hat etwas edles.
Die Frieſe von Giulio Romano und Perrino del Vaga ſind uͤbermahlt und verdienen daher die Aufmerkſamkeit des Liebhabers nicht mehr.
† Vor309uͤber die einzelnen Kirchen.† Vor der Kirche liegt ein antiker Kahn aus Marmor. Er iſt des Coſtums wegen merk - wuͤrdig.
Die Mahlereien in dieſer Kirche ſind ſo verdorben, daß wenn ſie auch jemals Verdienſt gehabt haben, dies nicht mehr zu erkennen iſt.
† Die Mahlereien von Raphael, die unter dem Nahmen der Sibyllen bekannt ſind, haben aͤußerſt gelitten. Das Wenige, was man ſieht, verraͤth den Meiſter.
In der zweiten Capelle rechter Hand hat Ma - ratti die Empfaͤngniß der Maria gemahlt. Un - ten ſteht der heil. Johannes in Unterredung mit dem heil. Gregorius, der in einem Lehnſtuhl ſitzt und ſich von dem heil. Geiſt, in Geſtalt einer Taube, etwas ins Ohr ſagen laͤßt. Dieſer Gedanke iſt laͤcherlich, der Ausdruck aber uͤbertrieben. Die Stellungen ſind theatraliſch. Ueberhaupt kann man bei einer ſehr in - correkten Zeichnung, einer ſchlechten Wahl der Falten,U 3einer310Anmerkungeneiner Farbe, die nach der Palette riecht, und einem gaͤnzlichen Mangel an Ruͤndung dieſem Bilde keinen andern Werth beilegen, als den, daß der Kopf der Madonna viel vom Stil des Guido hat.
In der dritten Capelle ſind Gemaͤhlde von Pintoricchio, mit artigen Koͤpfen.
In dem Gemaͤhlde von der Heimſuchung Mariaͤ von Morandi trifft man Aehnlichkeit mit dem Stile des Andrea Sacchi an.
† In der erſten Capelle zur Linken: die Himmelfahrt Mariaͤ von Annibale Carraccio.
Der Mahler hat nicht Raum gehabt, ſeine Ideen in der Maaße auszufuͤhren, wie er ſie in der Skizze zu dieſem Gemaͤhlde im Pallaſt Doria ange - zeigt hat. Die Figuren ſind daher zu ſehr auf einan - der gehaͤuft. Dieſen Fehler abgerechnet, hat das Bild große Schoͤnheiten. Der Ausdruck in den Koͤpfen iſt vortrefflich und die Zeichnung ſehr correkt. Vorzuͤg - lich ſchoͤn iſt die Hand des heil. Petrus in Verkuͤrzung. Die Gewaͤnder ſind trocken ausgefuͤhrt und die Farbe iſt im Ganzen ſchlecht.
Zu den beiden Seiten hat Michael Angelo Carravaggio die Bekehrung Pauli und die Kreuzigung Petri gemahlt, an denen die Ruͤn - dung das Merkwuͤrdigſte iſt.
Hr. Volkmann iſt hier zu verbeſſern. Dieſe beiden Bilder des Carravaggio haͤngen nicht in einer beſondern Capelle zu Ende der Seiten Navaten; und in der erſten zur Linken vom Altare ab, finden ſich keine andere, welche aufgemahlt ſeyn koͤnnten, als diejenigen, welche angegeben ſind.
Die311uͤber die einzelnen Kirchen.Die Capelle Chigi iſt vorzuͤglich wegen derJonas von Lorenzetto nach Ra - phaels Zeich - nung. Statue des Propheten Jonas beruͤhmt, zu der Raphael die Zeichnung angegeben hat. Die Aus - fuͤhrung iſt von Lorenzetto.
Ob die Stellung gleich nicht ſo uͤbertrieben ge - ziert als viele andere neuerer Meiſter iſt, ſo fehlt ihr doch der ruhige Reiz der Antiken. Der Kopf hat viel aͤhnliches mit dem Antinous im Belvedere, aber der feine Ausdruck des Originals iſt nicht erreicht. Der Koͤrper iſt mit einer Zartheit behandelt, die ſich auf eine ſehr gluͤckliche Art von der uͤbertriebenen Muskelnandeutung des Michael Angelo unterſchei - det, aber der Meiſſel hat die Feinheit von Ra - phaels Crayon nicht ganz erreicht.
Iſt dieſe Statue, wie man behauptet, das Meiſterſtuͤck der neueren Bildhauerkunſt in nackenden Figuren, ſo verdient ſie dieſen ehrenvollen Platz haupt - ſaͤchlich durch die weiſe Einfalt des Gedankens. Wie viel mangelt ihr noch an Schoͤnheit, Beſtimmtheit der Zeichnung, und Ausdruck des Charakters, um mit einem Apollo, Antinous, und andern Meiſter - ſtuͤcken der Alten in Vergleichung geſetzt zu werden!
Die Statue des Propheten Elias gegen uͤber ſoll gleichfalls von Lorenzetto nach Raphaels Zeichnung verfertiget ſeyn. Sie iſt mittelmaͤßig. und nur die Gewaͤnder verdienen Aufmerkſamkeit. Dieſe Statue ſteht der vorigen ins Kreuz gegen uͤber.
Die beiden andern Statuen ſtellen den Pro - pheten Habacuc und den Propheten Daniel vor. Sie ſind von Bernini, und nach Gewohnheit ſehr manierirt.
U 4Man312AnmerkungenMan will, daß die Mahlereien in dieſer Ca - peile von Sebaſtiano del Piombo und Sal - viati nach den Zeichnungen Raphaels ausge - fuͤhrt ſeyn ſollen. Iſt dies gegruͤndet, ſo haben jene Meiſter bei der Ausfuͤhrung ſich vieler Freiheiten be - dienet. Doch, ich mag daruͤber nicht urtheilen: Der Ort iſt viel zu ſchlecht erleuchtet, um es mit Zu - verlaͤßigkeit zu thun.
† In der erſten Capelle rechter Hand hat Ger - hard Honthorſt die Enthauptung des heil. Johannes vorgeſtellet. Es iſt eins ſeiner ſchoͤnſten Bilder. Die Koͤpfe ſind voller Wahrheit: Die Farbe iſt voller Kraft, die Wuͤrkung der Fackel ſehr pikant.
Die uͤbrigen Kunſtwerke in dieſer Kirche kann man beim Titi und Volkmann nachſehen.
Hr. Dr. Volkmann wuͤrde hier eine Berichtigung beduͤrfen: Allein da ſeine Fehler blos die Architektur und einige antiquariſch hiſtoriſche Nachrichten be - treffen, ſo gehoͤren ſie nicht in meinen Plan.
Das Moſaik in der Tribune von 1143 wird die Liebhaber Gothiſcher Mahlereien reizen; wir gehen dabei voruͤber.
An der Kuppel ſieht man eine ſchoͤne Aſ - ſumption der Jungfrau von Domenichino. Der Ausdruck des Kopfs in der heil. Jungfrau iſt vortrefflich, auch ſind die Formen ſchoͤn. Daran und an den Haͤnden erkennt man den Domenichino wieder. Auch die kraͤftige Farbe al Freſco gehoͤrt ihm. Die Gewaͤnder und die Engel haben viel vom Stil des Carraccio.
In der ſechſten Capelle ſieht man noch die Spuren eines Kindes, welches Blumen aus - ſtreuet, von Domenichino. Man hat dieſes Kind aus Reſpekt fuͤr den Meiſter ſtehen laſſen; der Reſt iſt uͤbergeweißet.
Wenn man Hr. Volkmann lieſet, ſollte man glauben, daß noch andere Gemaͤhlde, nach den Zeich - nungen des Domenichino ausgefuͤhrt, an der Decke befindlich waͤren. Aber dieſes iſt nicht. Alles uͤbrige iſt vergoldetes Schnitzwerk. 77)Der Irrthum iſt daher entſtanden, daß Titi ſagt, di cui, naͤmlich Domenichino, e diſegno bizarriſſimo tutta la ſoffita; das heißt, er hat die Zeichnungen zu den Verzierungen angegeben, nicht zu den Mahlereien.
In der Capelle des heil. Johannes iſt dieſer Heilige in der Wuͤſte, von Antonio Carraccio, einem natuͤrlichen Sohne des Agoſtino, gemahlt. Es hat viel von der erſten Manier des Guido Reni.
† Die Kreuzabnehmung von Michael Angelo Carravaggio iſt eins der ſchoͤnſten Gemaͤhlde dieſes Meiſters. Der Gedanke und die Anordnung ſind nicht beſonders, und die Formen nicht ſehr edel ge - waͤhlt. Aber man kann ihnen wenigſtens nicht das Ekelhafte und niedrig Haͤßliche vorwerfen, was man in ſo vielen andern Bildern dieſes Meiſters antrifft. Der Ausdruck iſt ſehr wahr, die Faͤrbung ſehr kraͤf - tig. Was man aber vorzuͤglich bewundern muß, iſt die Ruͤndung. Die Figuren treten wuͤrklich aus dem Grunde hervor. Die Zeichnung, vorzuͤglich in den Extremitaͤten, iſt incorrekt.
Am mittelſten Gewoͤlbe hat Pietro da Cortona die Legende vorgeſtellet, wie die Jung - frau Maria auf Vorbitte des heiligen Phi - lippus Neri die alte Kirche vor dem Einſturz bewahret. Maria haͤlt die Kirche, und das Volk nimmt die Flucht. Dieſe Mahlerei iſt eine huͤbſche Schminke, welche den Platz auf eine angenehme Art ausfuͤllt. Die Perſpektiv in der Architektur verdienet Lob.
Von eben dieſem Meiſter iſt die Himmel - fahrt der Maria an der Tribune, wie auch die Kuppel, woran man Chriſtum ſieht, welcher Gott dem Vater die von Engeln getragene Paſſionsinſtrumente zeigt.
In315uͤber die einzelnen Kirchen.In der dritten Capelle rechter Hand iſt das Gemaͤhlde der Himmelfahrt von Muziano. Die Koͤpfe und die Gewaͤnder haben Verdienſt, und die Faͤrbung iſt kraͤftiger, wie gewoͤhnlich.
In der Capelle Spada ſieht man den heil. Carl Barromaͤus und den heil. Ignatius, welche die Maria anbeten. Sie ſind von Carlo Maratti. Dem Kopf der Madonna fehlt es an Seele, die uͤbrigen ſind geziert. Die Farbe iſt an - genehm und harmoniſch.
Neben dem Altare haͤngen drei Bilder von Rubens, aus ſeiner fruͤheren Manier. Man er - kennt ſchon ſeinen Stil in der Zeichnung der Koͤrper und Gewaͤnder, aber die Faͤrbung hat noch nicht den angenehmen Glanz, der ihn in der Folge beruͤhmt gemacht hat.
In der Capelle des heil. Philippus Neri haͤngt das Bildniß dieſes Heiligen im Gebete an die Maria, nach Guido in Moſaik.
† In der naͤchſtfolgenden Capelle, die Darſtellung der Maria im Tempel, von Fede - rico Barroccio. Die Figur der Maria hat den Reiz, der dieſem Meiſter gewoͤhnlich iſt, und einen angenehmen Ton der Farbe im Ganzen. Man ſieht aber ſchon allerwaͤrts deutliche Spuren des Verfalls des guten Geſchmacks: Uebertriebenen Contrapoſto, gezierte Grazie, Mangel an wahrem Ausdruck, an - genehme aber falſche Farben, und ſchwerfaͤllige Drapperien.
Eben dieſes kann man von der Heimſuchung der Maria von demſelben Meiſter ſagen. Es haͤngt in der vierten Capelle.
Die316AnmerkungenDie Decke der Sacriſtei hat Pietro da Cortona al Freſco ausgemahlt. Ein großer Erzengel fliegt mit dem Kreuze, und kleine Cherubims tragen die uͤbrigen Paſſionsin - ſtrumente. Die Figur des Erzengels fliegt ſehr gut, hat nur eine etwas gezwungene Stellung. Das Kreuz, welches er traͤgt, und welches in der Ver - kuͤrzung von unten auf geſehen wird, iſt ein Meiſter - ſtuͤck von Perſpektiv. Die Farbe iſt friſch, kraͤftig, und hat ſchoͤne Mitteltinten.
Die Gruppe des heil. Philippus Neri mit dem Engel iſt von Algardi. Sie iſt nicht ohne alle Incorrektion, aber dennoch ein gutes Werk, an dem die Koͤpfe ſchoͤn, das Fleiſch zart, und die Ge - waͤnder gut geworfen ſind.
In dem zu dieſer Kirche gehoͤrigen Kloſter ſieht man zwei Capellen.
In der unterſten, wo der Stuhl des heiligen Philippus Neri aufbewahrt wird, hat Guercino † den Heiligen gemahlt, dem ein Engel erſcheint. Dieſes Bild iſt aus ſeiner beſten Manier. Man bewundert ſeine Kunſt vorzuͤglich an dem Kopfe und an den Haͤnden des Heiligen, in denen, was Guer - cino’s Staͤrke uͤberhaupt war, die feinen Uebergaͤnge einer Muskel in die andere vortrefflich ausgedruͤckt ſind.
Das Gemaͤhlde iſt ſchlecht erleuchtet, man muß ein Licht fordern, um es recht zu ſehen.
In der obern Capelle, wo das Gemaͤhlde des Heiligen aufbewahrt wird, hat Pietro da Cor - tona die Aſſumption des Heiligen gemahlt. Es iſt eine ſchoͤne Verkuͤrzung, die mit einem friſchen und kraͤftigen Pinſel ausgefuͤhrt iſt.
Hie -317uͤber die einzelnen Kirchen.Hieher hat man auch das † Originalbild des heil. Philippus Neri im Gebet an die Madon - na von Guido gebracht, deſſen Copie in Moſaik in der Kirche haͤngt. Es hat viel Aehnlichkeit mit dem heil. Andreas Corſini im Pallaſt Barberini; nur die Stellung und die Beiwerke ſind in etwas veraͤndert. Auch ſteht es an Werth weit unter jenen.
Es giebt auch noch einige andere Gemaͤhlde in dieſer Capelle, die nicht ohne alles Verdienſt ſind.
Der heilige Franciscus, der das Kind Jeſus aus den Haͤnden der Maria empfaͤngt, von Domenichino. Man ſollte eher glauben, daß es nur in der Manier dieſes Meiſters gemahlt waͤre. Inzwiſchen der heilige Franciscus iſt voller Ausdruck, und die Maria von angenehmen Charakter; aber der Chriſt und die Engel in der Glorie ſind des Meiſters unwuͤrdig.
Eine heilige Dreieinigkeit von Guercino. Es hat ſo ſehr nachgeſchwaͤrzt, daß man nur mit Muͤhe einige ſchoͤne Figuren von Engeln erkennet. Gott der Vater iſt eine unedle Figur, Chriſtus gleich - falls, und dieſer letzte iſt noch dazu eine ſehr ſteife.
Chriſtus am Kreuze von Guido. Das Bild iſt ſo ſchlecht aufgehangen, daß man beinahe nichts davon erkennen kann.
† Die Gruppe der heiligen Thereſia, der die goͤttliche Liebe unter der Geſtalt eines Amors mit dem Pfeile das Herz durchbohrt, von Bernini, und von ihm ſelbſt fuͤr das beſte ſeiner Werke erklaͤrt. Ausdruck der hoͤchſten Empfindung von Wolluſt macht den Charakter der Figur der heili - gen Thereſia aus. Ihre Augen ſchließen ſich halb ſchmachtend, und ihre Nerven ſind erſchlafft von uͤber - triebener Spannung des Vergnuͤgens: Sie ruht auf Wolken in Geſtalt elaſtiſcher Polſter: Ihre Haͤnde ſinken matt herab, ihre Beine ſcheinen der Kraft be - raubt, ihr Huͤlfe irgend einer Art zu leiſten: Sie laͤßt ſich zu allem gehen, was mit ihr vorgenommen wer - den kann: Ihre Bruſt ſcheint ſich zu heben, und der halbgeoͤffnete Mund mit Muͤhe Odem zu ſchoͤpfen. — In dieſem gefaͤhrlichen Zuſtand naht ſich ihr ein En - gel mit grimaſſirender Suͤßlichkeit, ſucht das Ge - wand von ihrer Bruſt abzuheben, und neckt ſie mit dem Pfeile, der ſeine Hand bewaffnet.
Dieſe Gruppe hat der Kuͤnſtler in eine Capelle geſtellt, durch deren in der Hoͤhe angebrachtes Fen - ſter der Tag durch gelbe Glasſcheiben faͤllt, und das den Geheimniſſen der Liebe ſo guͤnſtige matte Licht in der uͤbrigens duͤſtern Capelle verbreitet.
Beim Himmel! an dieſem Orte moͤchte ich nicht beten. Eine Stunde hier, duͤrfte ich mit Emilia Galotti ſagen, und welcher Tumult wuͤrde ſich in meiner Seele erheben, den die Uebungen der ſtreng -ſten319uͤber die einzelnen Kirchen. ſten Andacht auszuloͤſchen nicht im Stande ſeyn moͤchten.
Kurz! das ganze Werk gehoͤrt nicht in eine Kir - che. Im dem Boudoir eines Pariſer Freudenmaͤd - chens, da wuͤrde es an ſeiner Stelle ſtehen.
Gegen die Ausfuͤhrung habe ich zu erinnern, daß die Mine des Engels wahre Ziererei iſt. Die Formen des Nackenden an der heiligen Thereſe ſind zu weichlich, im Geſchmack des Fleiſches eines Ru - bens; das Gewand, welches nach Art der Gewaͤn - der des Pietro da Cortona in zu viele kleinliche Fal - ten gelegt iſt, bezeichnet nicht genung die Umriſſe des Koͤrpers.
Bernini hat ſich uͤberhaupt den mahleriſchen Effekt zu ſehr zum Zweck gemacht. Man muß in - zwiſchen geſtehen, daß unter allen Werken runder Bildnerei, die mir bekannt geworden ſind, dieſes die Forderungen, die man an ein Gemaͤhlde machen kann, am meiſten ausfuͤllet. Der Grund iſt dieſer: weil die Gruppe in einer ſolchen Lage angebracht iſt, ſo ſehr ein ihr eigen adaptirtes Licht erhaͤlt, und dergeſtalt von andern Koͤrpern ſeparirt iſt, daß man ſie nicht wohl anders als mit ſtillſtehendem Blicke aus einem beſtimmten Geſichtspunkte anſchauen kann.
Die Behandlung des Marmors iſt ein Meiſter - ſtuͤck von Sorgſamkeit und Zartheit. 81)Herr Bernoulli in ſeinen Zuſaͤtzen zu den neueſten Reiſebeſchreibungen von Italien, Leipzig 1777. 1ſter Theil, S. 401. bemerkt, daß die Gruppe der heiligen Thereſia bis auf wenige Veraͤnderungen nach aus einem in der Kirche zu Grotta Ferratabefind -
Ein antiker Sarcophag von ſchwarzgruͤnem Porphyr dient zum Altare. Die Koͤpfe daran ſind aber nicht, wie Herr Dr. Volkmann meint, aͤgyptiſch, ſondern griechiſch.
Corrado,83)Corrado, ein Neapolitaner, und Schuͤler des Solimene, war Koͤnigl. Hofmahler in Spanien, zur Zeit als Mengs dahin berufen wurde. Seine Werke ſind das non plus ultra des Spirito der neueren Italieniſchen Mahler. ein neuerer Mahler, hat dieſe Kirche mit Gemaͤhlden al Freſco und in Oelgezieret. 81)befindlichen Gemaͤhlde, welches man dem Guido Reni zuſchreibe, entlehnt ſey. Dieſe Nachricht iſt voͤllig falſch. Das Bild zu Grotta Ferrata iſt keinesweges von Guido, und gleicht unſerm Bilde in keinem Stuͤcke als in der Hauptidee, welche aber in den katholiſchen Kirchen aus einer allgemein an - genommenen Legende ſehr gewoͤhnlich iſt. So trifft man ſie in der Kirche S. Maria della Traſpontina, in dem Chore der gegenwaͤrtig beſchriebenen, und in vielen andern an; die Ausfuͤhrung gehoͤrt un - ſerm Kuͤnſtler eigenthuͤmlich. Noch faͤllt mir eine aͤhnliche Vorſtellung von Guido Cagnacci bei, im Pallaſt Colonna. Ob dieſe es ſeyn mag, die Hrn. Bernoulli irre gefuͤhrt hat?321uͤber die einzelnen Kirchen. gezieret. Die letzten uͤbertreffen bei weitem die er - ſten. So unbeſtimmt die Zeichnung, ſo unbedeu - tend der Ausdruck, ſo falſch und blos nach der Pal - lette ausgedacht die Farbe iſt; ſo muß man doch den Pinſel bewundern, der dieſes Blendwerk auf die Flaͤche hingezaubert hat.
Das Monument des Torquato Taſſo wird allen, welche die ſchoͤnen Wiſſenſchaften lieben, nicht gleichguͤltig ſeyn. Man ſieht daran ſein Bildniß, das nicht ſehr ſchoͤn iſt, nebſt einer Innſchrift, welche den Cardinal Bevilacqua als den Errichter angiebt.
In der andern Capelle rechter Hand, hat Annibale Carraccio die Madonna di Loretto gemahlt. Es iſt eine laͤcherliche Compoſition, wel - che aber wahrſcheinlich nicht von der Wahl des Kuͤnſt - lers abgehangen hat. Einige Engel tragen das hei - lige Haus durch die Luͤfte; auf dem Dache ſitzt die heil. Jungfrau mit dem Kinde, welche drei Engel halten, damit ſie nicht auf die Erde falle. Unten im Bilde ſieht man ein Stuͤckgen Erde, auf dem ein Mann die heil. Jungfrau anruft.
Die Zeichnung iſt vortrefflich, die Engel haben ſehr angenehme Koͤpfe. Die Gewaͤnder ſind etwas trocken, die Farbe aber iſt kraͤftig.
Auswendig uͤber der Thuͤre iſt eine Ma - donna hinter Glas. Man giebt ſie fuͤr des Do - menichino Arbeit aus. Das vorgeſetzte Glas ver -hindertDritter Theil. X322Anmerkungenhindert die Wahrheit dieſer Angabe zu beurtheilen. Mir ſchien ſie unrichtig. Ich vermuthe vielmehr, daß dieſe Madonna diejenige ſey, welche Vaſari als hier befindlich, dem Leonardo da Vinci unter vielen Lobeserhebungen beilegt. Ich habe wenigſtens kein anderes Bild mit dieſer Vorſtellung hier finden koͤnnen.
In der aͤuſſern Halle hat Domenichino drei Gemaͤhlde al Freſco gemahlt. Sie ſchei - nen ſchoͤn zu ſeyn, aber ſie ſind dergeſtalt durch das Glas, womit man ſie bedeckt hat, verfinſtert, daß man kein zuverlaͤßiges Urtheil daruͤber faͤllen kann.
Das erſte ſtellt die Taufe des heil. Hiero - nymus vor. Die Zuſammenſetzung iſt vernuͤnftig, und der Ausdruck vorzuͤglich in den Catechumenen unvergleichlich. Man erkennet von dieſem Bilde noch mehr als von den uͤbrigen.
Das zweite ſtellet die Zuͤchtigung dieſes Heiligen vor, die er daruͤber erlitt, daß er den Cicero geleſen hatte. Was man davon ſieht, zeigt ſchoͤne Koͤpfe und einen guten Ausdruck.
In dem dritten ſieht man eben dieſen Hei - ligen, wie er nach langen Faſten, in einer Ein - oͤde in den Himmel entzuͤckt wird. Der Aus - druck in dem Heiligen ſcheint etwas kleinlicht.
In dem Hofe ſind Mahlereien von Giu - ſeppe d’ Arpino, die, wenn ſie gleich manierirt, und aus dem Gedaͤchtniße gemahlt, dennoch nicht ohne alles Verdienſt ſind.
Transfiguration von Raphael. Ein jungerRaphaels Transfigu - ration. Beſeſſener wird zu den Juͤngern Chriſti gebracht, damit ſie ihn heilen moͤgen; aber dieſe koͤnnen ihm nicht helfen, ihr Meiſter iſt abweſend: — er wird auf dem Berge Thabor verklaͤrt. Dies iſt der Ge - danke des Bildes.
Es wuͤrde eine ſchwere Aufgabe ſeyn, uns die beſtimmte Ab veſenheit Chriſti, als Urſach des Un - vermoͤgens der Juͤnger den Kranken zu heilen, auf andere Art begreiflich zu machen, als daß wir den Chriſt vor unſern Augen bei einer andern Handlung beſchaͤfftigt ſehen, die mit derjenigen, wo ſeine Ge - genwart vermißt wurde, keinen ſichtbaren Zuſammen - hang hat. Beide Handlungen laſſen ſich nicht nur als coexiſtirend,86)Richardſon Deſcription des plus fameux ta - bleaux etc. en Italie p. 614. leugnet dies. Er will aus dem Evangeliſten Lucas den Beweis fuͤhren, daß die Verklaͤrung Chriſti den Tag vorher geſche - hen ſey, ehe man den Beſeſſenen zu ſeinen Juͤngern gebracht habe. Wie er zur Unzeit gelehrt iſt! Der Evangeliſt Lucas ſagt davon kein Wort. Zu Chriſto ward der Beſeſſene den Tag nach der Ver - klaͤrung gebracht, nicht zu den Juͤngern. Der Vater des Beſeſſenen ſagt ausdruͤcklich: Und ich habe deine Juͤnger gebeten, daß ſie ihn austrieben, aber ſie konnten es nicht. Seit dieſem Vorfall, war ein Haufen Volks mit dem Kranken Chriſts entgegen gekommen. ſondern auch als zuſammen ſicht -X 2bar324Anmerkungenbar in einer großen Entfernung fuͤr den Zuſchauer denken. Ueberdem brauchte der Kuͤnſtler dieſe Ver - bindung der Begebenheit, die ſich mit den Juͤngern zutrug, und derjenigen, die ihrem Meiſter wieder - fuhr, zur Fuͤllung ſeiner Flaͤche.
Aber aller dieſer Gruͤnde ohngeachtet kann ich doch die Vereinigung der ausfuͤhrlichen Darſtellung der Verklaͤrung Chriſti mit der Darſtellung der Be - gebenheit, die ſich zu gleicher Zeit aber an einem ent - fernten Orte zutrug, weder der ſichtbaren Wahrſchein - lichkeit gemaͤß, noch dem wohlgefaͤlligen Eindruck des Ganzen fuͤr zutraͤglich halten. Um beide zuſammen ſehen zu koͤnnen, muͤßte der Zuſchauer in ſolcher Ent - fernung ſtehen, daß die obere Glorie nur ein heller Punkt, die Juͤnger unten aber Lilliputter wuͤrden. Weiter: der Raum war zu eng, als daß der Berg eine betraͤchtliche Hoͤhe haͤtte erhalten koͤnnen, vorzuͤg - lich da der Kuͤnſtler ſeinen Figuren in der Hoͤhe bei - nahe natuͤrliche Menſchengroͤße gelaſſen hat. Dar - aus aber entſteht die Unbequemlichkeit, daß die unten handelnden Perſonen, welche mit ihrer Statur bei - nahe den Berg ausgleichen, zu wenig von den Perſo - nen oberhalb deſſelben abgeſondert werden, um ſie ſich nicht, dem erſten Anblick nach, bei der obern Erſcheinung mit intereſſirt zu denken. Von dem Nachtheil, den es fuͤr mahleriſche Wuͤrkung hat, will ich nicht einmal reden. Warum beleuchtet der nahe obere Glanz nicht die unteren Figuren? Und wenn er ſie beleuchtet, wie kann er es aus der Ferne? Zer - ſtoͤrt er nicht die Harmonie? Wird das Bild nicht zu vollgepfropft von Figuren? u. ſ. w.
Daß325uͤber die einzelnen Kirchen.Daß ich ſogleich das Hauptverdienſt unſers Ra - phaels, den dramatiſchen Ausdruck, in dieſem Ge - maͤhlde wie in jedem ſeiner uͤbrigen aufſuche! Und um dies beſſer zu koͤnnen, daß ich die obere Partie von der unteren trenne!
Raphael iſt bei der Darſtellung der Verklaͤrung Chriſti den Nachrichten gefolgt, die uns der Evan - geliſt Lucas87)Lucas Cap. 9. V. 32. von dieſer Begebenheit liefert: „ Pe - „ trus aber und die mit ihm waren, (Johannes und „ Jacobus) waren voll Schlafs. Da ſie aber auf - „ wachten, ſahen ſie ſeine (naͤmlich Chriſti) Klarheit „ und die zween Maͤnner (den Moſes und Elias) bei „ ihm ſtehen. “ Dies iſt der Zeitpunkt, den der Kuͤnſtler aus dieſer Begebenheit herausgehoben hat. 88)Ganz falſch nimmt Richardſon den Augenblick an, wo die Apoſtel eine Stimme aus der Wolke ver - nahmen, welche ſie uͤberſchattete. Der Beweis davon liegt am Tage. Damals waren Moſes und Elias, wie der Evangeliſt ausdruͤcklich ſagt, ſchon wieder verſchwunden. Anderer Gruͤnde, der Ab - weſenheit der Wolke, des Ausdrucks des Erwa - chens in den Apoſteln nicht zu gedenken. Richard - ſons Raiſonnements, die auf dieſe falſche Suppo - ſition gebauet ſind, fallen alſo von ſelbſt weg. S. Deſcription des plus fameux tableaux etc. p. 617.
Chriſtus ſchwebt gen Himmel: Seine Haͤnde ſind mit dem Ausdruck der dankbarſten Verehrung fuͤr dies beſtaͤtigende Zeugniß ſeiner goͤttlichen Sendung in die Hoͤhe gerichtet. Eine Glorie umgiebt ihn. Zu ſeinen Seiten, aber etwas niedriger und kleiner anX 3Statur,326AnmerkungenStatur, ſchweben Moſes und Elias. Der Ausdruck dieſes Schwebens iſt vortrefflich: aber die Formen ſind weder ſehr edel, noch ſehr ſchoͤn.
Unter dieſen Figuren auf der oberen Platte des Berges ruhen die Juͤnger, die in ſeiner Begleitung waren. Jacobus ſcheint zuerſt erwacht zu ſeyn: durchdrungen von der uͤbernatuͤrlichen Erſcheinung hat er ſich mit dem Antlitz zur Erde geworfen und betet an. Der heilige Johannes iſt eben erwacht, er er - ſchrickt vor der unerwarteten Klarheit, ſtuͤrzt mit dem Obertheile des Koͤrpers zuruͤck, und haͤlt die Hand vor die geblendeten Augen. Petrus hingegen hat die ſei - nigen noch nicht geoͤffnet, er iſt im Uebergange vom Schlaf zum Wachen gebildet, er reibt ſich die ge - ſchloſſenen Augenlieder. Dieſe drei Figuren ſind ſehr wahr in ihrem Ausdruck und ihre Stellungen ſchoͤn und abwechſelnd.
Zur Seite des Berges ſtehen zwei junge Moͤnche, die ihr frommes Erſtaunen zu erkennen geben. Sie ſind bloße Zuſchauer, der Handlung fremd, und ſcheinen als Bildniſſe der ehemaligen Beſitzer des Ge - maͤhldes hier ihren Platz aus zu weit getriebener Ge - faͤlligkeit des Kuͤnſtlers gefunden zu haben.
Unten geht nun die Begebenheit mit dem Beſeſſe - nen vor. Der Kranke, ein junger Menſch, be - koͤmmt eben einen Anfall von Convulſionen. Seine Augen verdrehen ſich, er reißt den Mund auf, er ſpreitet die Arme mit den gezuckten Fingern aus, ſein Koͤrper erhaͤlt eine gezerrte Stellung. So ſchrecklich wahr dieſer Ausdruck iſt, er hat nichts Widriges, nichts Ekelhaftes. Der Vater faßt ihn von hintenmit327uͤber die einzelnen Kirchen. mit beiden Haͤnden um die Bruſt,39)Laͤcherlich iſt Richardſons Critik: der Vater haͤtte ihn an den Armen halten ſollen, der Kranke koͤnnte leicht mit dieſen den Umſtehenden einen boͤſen Schlag ins Geſicht geben. ſein aͤngſtlich rollendes Auge, ſeine bebenden Lippen, der vorge - ſtreckte Kinn, ſprechen die ſublimen Worte der Schrift: Sehet meinen Sohn, er iſt mein einziger Sohn! Mutter, Schweſtern, Anverwandten, alles um ihn herum unterſtuͤtzen durch Minen und Stellung dies aͤngſtliche Flehen nach Beſſerung fuͤr den Gelieb - ten ihres Herzens. Einige ſuchen die Juͤnger auf die ſchrecklichen Symptome dieſer Krankheit aufmerkſam zu machen, andere wollen ſie von der Urſache derſelben verſtaͤndigen, andere begnuͤgen ſich zu bitten.
Dieſer Anblick bringt bei den Apoſteln die natuͤr - lichſten und abwechſelndſten Bewegungen des Herzens hervor, die ſich auf das beſtimmteſte durch die Ge - baͤrden ihres Koͤrpers aͤußern.
Der heil. Andreas, auf dem Vorgrunde ſitzend, hat bis jetzt in einem Buche geleſen: durch das Ge - ſchrei in ſeiner Meditation geſtoͤrt, ſchlaͤgt er ſeine Au - gen auf, und erſchrickt vor dem Anblick des Leidens. Ein kaͤlterer Alter, ihm zur Seite, zeigt auf den Berg, und bedeutet die Huͤlfe ſuchenden Perſonen, daß ſie dort allein zu finden ſey. Ein anderer Juͤn - ger neben ihm im Juͤnglingsalter, deſſen großes offe - nes Auge, glattes Antlitz und ſchoͤngelocktes Haupt - haar ein weiches theilnehmendes, aber mit eigenem Lei - den noch unbekanntes Herz verrathen, beugt ſich aͤngſt - lich vorwaͤrts, geht gleichſam aus ſich ſelbſt heraus,X 4und328Anmerkungenund moͤchte mit zur Bruſt gekehrten Haͤnden ſein In - neres oͤffnen, und, damit der Kranke weniger litte, einen Theil ſeiner Marter in ſich ſelbſt aufnehmen. Nicht von weicherem Herzen, aber von reizbarerm Nervenbau ſcheint der aͤltere Juͤnger zu ſeyn, der ihm zunaͤchſt kniet: man ſieht an ſeiner zuruͤckſchaudernden Mine, an ſeinen weggekehrten Haͤnden, daß nicht blos ſeine Seele, daß auch ſein Koͤrper den Schmerz des vor ihm Leidenden mitempfindet: Es iſt der Cha - rakter eines phyſiſch ſympathiſirenden Menſchen.
Hinter dieſen Apoſteln oder Juͤngern drei andere, in einer Unterredung begriffen. So viel man aus den Gebaͤrden ſchließt, bedauern ſie, daß ihr Mei - ſter abweſend iſt, und daß ihre Kraͤfte nicht hin - reichen, eine ſo ſchwere Krankheit zu heilen.
Im Hintergrunde, hart am Berge, erblickt man zwei Figuren, von denen die eine der anderen, die eben herzu gekommen zu ſeyn ſcheint, das Suͤjet des Auftritts erklaͤrt. Beide ſcheinen kalte unempfind - liche Seelen zu ſeyn; aber der Zuhoͤrende hat be - ſonders einen ſolchen Ausdruck von ſtumpfen Egois - mus, daß nur das moraliſche Ungeheuer, das in der Folge ſeinen Wohlthaͤter und Lehrer um dreißig Silber - linge verrieth, zum Voraus damit gebrandmarkt werden konnte. Dennoch fraͤgt es ſich, ob der Kuͤnſt - ler nicht zu weit gegangen ſey.
So viel uͤber die poetiſche Erfindung und den Ausdruck. Die mahleriſche Anordnung iſt in ſo fern zu loben, daß der Raum gut genutzt iſt, ſo viele Perſonen ohne Unordnung neben einander zu vereini - gen. Aber in Ruͤckſicht auf leichte Ueberſicht desGanzen329uͤber die einzelnen Kirchen. Ganzen, auf mahleriſche Wuͤrkung, moͤchten dieſer Figuren doch zu viel ſeyn.
Die Formen ſind, ſo wie die Stellungen, ſehr ab - wechſelnd, und gut gewaͤhlt: Einige reizend. Zu dieſen gehoͤrt das kniende Maͤdchen auf dem Vor - grunde.
Weder das Colorit noch das Helldunkle haben Wahrheit und Harmonie. Aber vielleicht iſt dem Kuͤnſtler hiervon nichts zur Laſt zu legen. Die Farbe iſt verblichen, die Schatten haben nachgeſchwaͤrzt.
Ich glaube meinen Leſern einen Gefallen zu thun, wenn ich ihnen die Bemerkungen, die Mengs90)Opere di Mengs edit. di Parma, T. I. p. 145. uͤber das Colorit dieſes Gemaͤhldes gemacht hat, hier im Auszuge liefere. Der Liebhaber konnte dieſe nicht machen, er war nicht Kenner genung, das Gemaͤhlde hieng zu entfernt von ihm, und in keinem vortheilhaf - ten Lichte.
„ Man bemerkt, ſagt Mengs, in einigen Thei - „ len des Gemaͤhldes von der Transfiguration ein „ ſehr gutes Colorit. Aber es iſt ſich nicht allenthal - „ ben gleich; die maͤnnlichen Figuren ſind von beſſerer „ Faͤrbung als die Weiber. Einige Partien ſind nicht „ von Raphael gemahlt:91)Dies vielgeltende Zeugniß mag Richardſons Be - hauptung widerlegen, daß das Gemaͤhlde ganz von Raphaels Hand ſey. Z. E. die Gruppe des „ Beſeſſenen, in der man den furchtſamen Pinſel des „ Giulio Romano wahrnimmt. Die Koͤpfe der „ Apoſtel gegen uͤber hat Raphael retouchirt, denn „ hier zeichnen ſich ſeine kecken und meiſterhaften Pin -X 5„ ſelzuͤge330Anmerkungen„ ſelzuͤge aus. Inzwiſchen iſt der Ton des Colorits „ hier dennoch zu einfoͤrmig: das Fleiſch ſcheint hart „ und aufgetrocknet zu ſeyn .......
„ Es iſt zu bedauern, “faͤhrt eben dieſer Schrift - ſteller bald darauf fort: „ Es iſt zu bedauern, daß „ Raphael ſeine Gemaͤhlde von ſeinen Schuͤlern anle - „ gen ließ, und daß er in dieſer (naͤmlich ſeiner letz - „ ten) Zeit kein einziges Bild mit eigner Hand aus - „ fuͤhrte. Wir wuͤrden dann geſehen haben, wie „ viel er im Colorit vermocht habe. Denn die Koͤpfe „ der Apoſtel, die er uͤbermahlt hat, und die ihrer „ Natur nach einen kraͤftigen und wohlgenaͤhrten Auf - „ trag zulaſſen, ſind von vortrefflichem Colorit. Der „ Kopf des Weibes auf dem Vorgrunde iſt ſehr kalt „ und grau. Ich glaube jedoch, daß er gleich nach „ der Verfertigung des Bildes dieſen Fehler nicht „ hatte. Aber um die beſorgte und beinahe geleckte „ Behandlung des Giulio Romano nicht zu zerſtoͤren, „ mußte Raphael die Ueberlage der Farbe beim Re - „ touchiren nur ſehr duͤnn machen. Dieſe hat nun „ dem Einfluß der. Zeit nicht widerſtehen koͤnnen. „ Hingegen bemerkt man an den großen Zehen der „ naͤmlichen Figur, eine Verbeſſerung, bei der, um „ den Fehler der Anlage zu bedecken, der Auftrag „ ſtark ſeyn mußte; und dieſer Fleck iſt viel beſſer „ gemahlt und colorirt als der Reſt. Eben eine ſolche „ Verbeſſerung findet man an dem Daumen der ver - „ kuͤrzten Hand des Apoſtels auf dem Vorgrunde, „ und aus dem naͤmlichen Grunde iſt dieſer Theil „ gleichfalls beſſer gemahlt und erhalten auf uns ge - „ kommen. “
† Eine331uͤber die einzelnen Kirchen.† Eine Kreuzabnehmung. Man kann ſich uͤber den Nahmen des Meiſters nicht vereinigen. Wahrſcheinlich war er ein Niederlaͤnder und Schuͤler des Carravaggio. Der Gedanke iſt zum Theil aus dieſes Meiſters Kreuzabnehmung in der Chieſa nuova genommen. Die Farbe iſt kraͤftig, und die Behandlung meiſterhaft. Dies Bild wird in Rom ſehr geſchaͤtzt. 92)So ſehr, daß, als ich einmal einen Franzoſen fragte, ob er dieſes Gemaͤhlde kennte, dieſer aus - rief: Wie! kennen? Mein Herr, wiſſen Sie, daß Raphaels Transfiguration viel darum geben ſollte, nicht an der Seite eines ſo gefaͤhrlichen Nachbars zu haͤngen! Wie viel anders dies Bild gemahlt iſt! Mit welcher Keckheit! Cric, Crac! und dabei machte er die Pantomime des Luft durchſaͤgenden Anſtreichers.
Die Geiſſelung Chriſti von Sebaſtiano del Piombo, nach der Zeichnung des Michael An - gelo Buonarotti. Man ſagt, dies Bild ſey mit dem Gemaͤhlde Raphaels in die Wette gemahlt. Wahr - ſcheinlich um ihm zur Folie zu dienen.
Einige Bildhauerarbeit aus der Floren - tiniſchen Schule.
† Die beruͤhmte Statue des Moſes von Mi -Moſes von Michael An - gelo. chael Angelo iſt dasjenige, was in dieſer Kirche am meiſten Aufmerkſamkeit verdient. Sie iſt amGrab -332AnmerkungenGrabmale Julius des II. befindlich, und mit allen ihren Fehlern eines der beſten Werke, das die neuere Kunſt hervorgebracht hat. Eine große Kenntniß der Anatomie, Praͤciſion der Zeichnung, und ſchoͤne Be - handlung des Marmors ſind die Hauptverdienſte dieſer Figur. Aber eben weil ſie dieſe Verdienſte hat, die den jungen Kuͤnſtler und den Liebhaber leicht zu ſehr anziehen koͤnnten, muß ich die Fehler der - ſelben um ſo genauer anzeigen. Wie leicht koͤnnten ſie verfuͤhrt werden, nach dieſem Vorbilde ihren Ge - ſchmack uͤberhaupt bilden zu wollen!
So ruhig die Stellung iſt, ſo hat ſie doch etwas Gezwungenes, welches um ſo mehr beleidigt, weil ſich kein Grund dazu angeben laͤßt. Moſes haͤlt das Gewand mit einer Anſtrengung als wenn er Zentner - laſten zu halten haͤtte, und die Lage des Arms iſt zu gedreht. Er ſcheint beſchaͤfftigt und iſt doch muͤßig. Dies gegen den Gedanken im Ganzen. Der Kopf hat nichts Edles, nichts das auf den Gedanken eines Geſetzgebers und Fuͤhrers ſeines Volks zuruͤckfuͤhren koͤnnte. Die vielen kleinen Partien, die durch die gar zu ſtarke Andeutung der Muskeln entſtehen, con - traſtiren mit den großen Maſſen des Bartes, zum Nachtheil des Charakters von Groͤße der in dem Kopfe liegen muͤßte. Dieſer Bart iſt viel zu lang, und gleicht in der Ausfuͤhrung mehr einem wollar - tigen Stoffe als wuͤrklichen Haaren. 94)Vielleicht iſt es dieſem Barte zuzuſchreiben, daß einige Liebhaber eine ſo auffallende Aehnlichkeit mit einem Bocke in dieſem Kopfe gefunden haben.Die Be - kleidung iſt gleichfalls nicht paſſend. Die thraziſchenBein -333uͤber die einzelnen Kirchen. Beinkleider gehoͤren nicht hieher. Auch hat das Gewand viel zu gekuͤnſtelte Falten. Man ſieht ihm an, daß der Kuͤnſtler es mit Vorbedacht ſo gelegt hat.
Ueber das Grabmal im Ganzen mag ich nicht urtheilen. Man weiß, daß die Idee des M. Angelo nicht ausgefuͤhrt iſt. So wie es da ſteht, iſt es von ſchlechtem Geſchmacke.
Die uͤbrigen Figuren ſind nach den Zeichnungen des Michael Angelo von ſeinen Schuͤlern ausgefuͤhrt. Sie ſind ziemlich mittelmaͤßig. Die ſogenannte theologia contemplativa hat den Ausdruck fin - ſterer Grillenfaͤngerei, und die theologia activa ſtumpfer froͤmmelnder Andacht.
Wir kennen Michael Angelo Buonarotti be - reits als Mahler: wir muͤſſen ſuchen ihn auch als Bildhauer kennen zu lernen.
Als die Bildhauerkunſt durch Donatello, derUeber den Stil des M. Angelo und ſeiner Nach - folger in der Bildhauerei. 1466. ſtarb, aus ihrer erſten Kindheit gezogen, Wahrheit und Beſtimmtheit wenigſtens in den aͤuſ - ſeren Umriſſen der Glieder eingefuͤhrt waren; ſo be - maͤchtigte ſich M. Angelo dieſer Kunſt, und verbeſ - ſerte ſie nach der Lehre des Knochen - und Muskeln - baues und nach den Verhaͤltniſſen der Antike. Un - ſtreitig beſteht ſein Hauptverdienſt in dem großen Stile der Zeichnung, in der tiefen Kenntniß der aͤuſſeren Anatomie, und in der vortrefflichen Behandlung des Marmors. Dieſer ſieht man eine ſolche Gewißheit des Meiſſels an, daß man glauben ſollte, er habe den Marmor wie Holz geſpalten. Aber ungluͤcklicher Weiſe beſaß er keinen wahren Begriff von dem Haupt - zwecke ſeiner Kunſt, der Schoͤnheit der Formen, unddem334Anmerkungendem Ausdruck eines einer Gattung von Menſchen all - gemein individuellen Charakters. Er dachte ſich ſei - ne particulair individuellen Bildungen in zu ſtarken Bewegungen, deren Abſicht gemeiniglich raͤthſelhaft bleibt. Er waͤhlte die Natur nicht aus der edelſten Claſſe der Menſchen, und bildete ſeine Maͤnner fin - ſter muͤrriſch, ſeine Weiber aber gezogen unbedeu - tend. Bei den erſten ſcheint er die Flußgoͤtter der Alten, bei den letzten ein ſchlankes Florentiniſches Bauermaͤdchen zum Vorbilde genommen zu haben. In den Koͤpfen herrſcht große Einfoͤrmigkeit. Sei - ne Koͤrper ſind gemeiniglich zu geſtreckt, zu rieſen - maͤßig, und um ſeine Kenntniß im Muskeln - und Knochenbau zu zeigen, vergaß er oft, daß ſie von Fleiſch und Haut bedeckt werden. 95)Viele Kenner behaupten, daß M. Angelo mit alle ſeinem Prunk von Anatomie, ſie dennoch weder gut verſtanden, noch gut angewandt habe; daß ſeine Gelenke zu ſteif, die Muskeln zu aͤhnlich an Form und Dicke ſind; daß keine Muskel je in Ruhe bleibt; daß die Sehnen ſich alle gleich ſind, die Umriſſe viel zu ſtark ausſchweifen, und daher nicht ſanft wieder einlenken. Ja, ſie ſagen ſogar: M. An - gelo ſey ſo manierirt geweſen, daß man mit einer Figur, alle uͤbrigen geſehen habe. Ganz moͤchte ich dieſes harte Urtheil nicht unterſchreiben, aber zum Theil iſt es nicht ungegruͤndet.
Giovanni Bologna aus Flandern, Bandi - nelli und Guglielmino della Porta dachten in M. Angelo’s Geiſte. Aber als Nachahmer, die ſie waren, uͤbertrieben ſie ſeine Fehler, ohne ſeine V[or]- zuͤge zu erreichen.
Man335uͤber die einzelnen Kirchen.Man legte nunmehro den Ausdruck allein in die Stellung, verdrehte dieſe, uͤberhaͤufte die Muskeln, die nicht mehr in ihrer wahren Lage und Form blieben, und verſchwendete den mechaniſchen Fleiß an Neben - werke. Man erkennt Werke aus dieſer Zeit noch auſſerdem an den gezogenen Geſichtern der Weiber ohne beſtimmten Ausdruck, an dem poͤbelhaften An - ſtande der Helden, an dem finſtern Charakter der Alten, an den großen Bruͤſten, dicken Huͤften und Schenkeln, an den unproportionirlich kleinen Extre - mitaͤten, und den convulſiviſch verzerrten Fingern.
Ueber M. Angelo als Bildhauer finde ich noch noͤthig zu erinnern, daß er zwei verſchiedene Manie - ren hatte. Die erſte aͤhnelt der des Donatello. Der Geſchmack iſt kleinlich, Koͤpfe und Koͤrper fuͤhren auf den Begriff durch Krankheit niedergedruͤckter und abgemergelter Perſonen zuruͤck, und die Gewaͤnder, wenn ſie gleich das Nackende gut andeuten, ſcheinen doch, als naß, zu feſt daran zu kleben: Die Falten gleichen den Beuteln des Albert Duͤrers. In der Folge vergroͤßerte er ſeine Manier: Hier iſt der Fal - tenſchlag freier, groͤßer, und zeigt die Bekanntſchaft des Meiſters mit der Antike.
In der erſten Capelle rechter Hand ein heiliger Auguſtin mit andern Heiligen von Guercino da Cento, aber ſo ſehr verdorben, daß man wenig davon erkennt.
Ueber dem Grabmale des Cardinals Mar - gotti, deſſen Bildniß von Domenichino. 96)Ob das Bildniß des Cardinals Agucchi an deſſen Grabmale gegen uͤber gleichfalls von Domenichi -no
Auf336AnmerkungenAuf dem Altare der zweiten Capelle, die Befreiung des Apoſtels Petrus, eine Copie nach Domenichino. Das Original iſt vom Kloſter.
In der letzten Capelle am Ende dieſes Ganges: Die heilige Margaretha von Guercino. Es iſt keines der beſten Werke dieſes Meiſters.
Hr. D. Volkmann hat Unrecht, hier einen hei - ligen Johannes vom Guercino anzufuͤhren. Er iſt nicht vorhanden.
Beilaͤufig bemerke ich, daß der Brunnen im Hofe des Kloſters nicht von M. Angelo, ſondern von Simone Moſca, einem Florentiner, iſt.
In der zweiten Capelle rechter Hand iſt die Kuppel von Borguignone, von dem man ſonſt wenig geiſtliche Gegenſtaͤnde behandelt ſieht.
In der Capelle Olgiati iſt das Altarbild, eine Kreutztragung, von Federico Zuccheri, das Gewoͤlbe aber von Cavaliere d’ Arpino. Dieſer Kuͤnſtler hat ſich einen Stil gemacht, der aus dem Roͤmiſchen und Florentiniſchen zuſammengeſetzt iſt. Allein er hat die Natur dabei vergeſſen, und von der Wahrheit nur den Schein, von dem Reize nur das Ungezwungene erborgt.
InIn der Sacriſtei haͤngt † die Geiſſelung Chriſti von Giulio Romano. Die Figuren ha - ben keinen Ausdruck, und Chriſtus ſteht wie ein Taͤn - zer. Die Umriſſe ſind hart, die Muskeln ſind zu ſtark angegeben. Das Colorit iſt nußbraun.
Die Frieſen am Altare dieſer Sacriſtei ſollen von demſelben Meiſter ſeyn.
Die beiden Schriftſteller, welche ich bei den Anmer - kungen uͤber die Kirchen von Rom zum Grunde lege, kannten die Kirche in ihrer gegenwaͤrtigen Form nicht. Sie iſt neuerlich von Piraneſe decorirt worden.
Die Zierrathen ſind uͤberhaͤuft und von keinem ganz reinen Geſchmacke.
Bei dem Eingange rechter Hand, ein anti - ker Sarcophag mit den neun Muſen, Apollo und Minerva. Dies Basrelief ſcheint eine Wiederholung derer zu ſeyn, die man im Pallaſt Mattei, auf dem Capitol und im Pallaſt Barberini antrifft. Auf dem unſrigen tragen die Muſen ſaͤmmtlich Federn auf dem Kopfe. Die Figur, welche Hr. D. Volkmann fuͤr einen Roͤmer haͤlt, iſt der Apollo Muſagetes. An den beiden Ecken ſieht man ſitzende Figuren, welche Poeten oder Philoſophen vorſtellen. Die Arbeit iſt ſehr ſchlecht. Was an dieſem Werke allein intereſſi - ren kann, iſt das Gewand der komiſchen Muſe, wel - ches mit kleinen Loͤchern beſaͤet iſt. Vielleicht um ein vielfarbiges Kleid anzudeuten?
Grab -Dritter Theil. Y338AnmerkungenGrabmal des Cardinals Portocarrero. Zwei Engel halten ſein Portrait in Moſaik.
Auf dem Hauptaltar die Aſſumption des heil. Baſilius aus Stucco.
† Das Merkwuͤrdigſte in dieſer Kirche iſt ein antiker Leuchter, den Piraneſe, deſſen Bild - ſaͤule man nahe dabei antrifft, der Kirche geſchenkt hat. Er iſt einer der groͤßten von denen, die ſich aus dem Alterthum erhalten haben, und mit vielen Zier - rathen an Blaͤtterwerk, Loͤwenkoͤpfen, Masken, Rohrpfeiffen, ganzen Figuren, welche Zweige anhef - ten u. ſ. w. nicht blos verſehen, ſondern uͤberladen. Dies ſchadet der Form im Ganzen, aber die Arbeit des Details iſt vortrefflich. Die Figuren ſind im guten Stile gezeichnet. Dieſer Leuchter ſtehet auf einem Piedeſtal mit Widderkoͤpfen, Sphynxen, die in Drachenſchwaͤnzen endigen u. ſ. w. Das Urtheil, welches uͤber den Leuchter gefaͤllet iſt, kann auch von dem Piedeſtal gelten.
Die Kunſtwerke, die hier befindlich ſind, verdienen nicht die Aufmerkſamkeit des Liebhabers. Wer nur eine gemeſſene Zeit zum Aufenthalt in Rom hat, dem rathe ich nicht, ſich dabei aufzuhalten.
Der heil. Romualdus wie er den Camaldo -Der heil. Ro - mualdus von Andrea Sacchi. lenſern in der Wuͤſte predigt, von Andrea Sacchi. Eines der beruͤhmteſten Gemaͤhlde in Rom.
Der Gegenſtand iſt keines ſehr intereſſanten Ausdrucks faͤhig, und bei der erſten Wahl hat die Einfoͤrmigkeit der weißen Gewaͤnder der Camaldolen - ſer ſelbſt der mahleriſchen Wuͤrkung gefaͤhrlich ſchei - nen muͤſſen.
Dieſe letzte Schwierigkeit hat der Mahler gluͤck - lich zu uͤberwinden gewußt. Durch den Schatten eines Baums, den er auf einen Theil der handelnden Perſonen fallen laͤßt, hat er die Weiße der Gewaͤn - der gebrochen, und Abwechſelung in die Farbe ge - bracht.
Die poetiſche Erfindung iſt keinesweges fehler - frei. Die Figur, die ſich umdreht und fortgeht, ſcheint der Aufmerkſamkeit nicht angemeſſen, welche die Rede des heil. Romualdus von ſeinen ihm unter - gebenen Moͤnchen verdient. Die mahleriſche An - ordnung iſt dagegen vortrefflich.
Die Stellungen ſind gut gewaͤhlt, ſo auch der Faltenſchlag. Die Zeichnung iſt incorrekt und un - beſtimmt, vorzuͤglich an dem einen Camaldolenſer Moͤnch, der den Kopf auf die Hand ſtuͤtzt. Der Ausdruck null. Das Colorit ohne wahr zu ſeyn, hat einen ſehr angenehmen und harmoniſchen Ton. DasY 2Haupt -340AnmerkungenHauptverdienſt dieſes Gemaͤhldes iſt das Helldunkle, welches, einige wenige Fehler abgerechnet, als Muſter angeprieſen werden kann. 101)Dieſe Fehler ſcheinen mir zu ſeyn: in der erſten Gruppe der Kopf, der, um den dunkeln vor ihm vom Grunde abzuheben, zu hell gehalten iſt, um nicht der Haltung zu ſchaden; der Baum hinter dem heil. Romuald, der zu hart ſeyn moͤchte; end - lich die weißen Moͤnche, welche den Calvarienberg hinaufgehen, und die Luftperſpektiv unterbrechen. Ueberhaupt iſt der Hintergrund nicht der vorzuͤg - lichſte Theil des Gemaͤhldes.
Andrea Sacchi lebte von 1599 bis 1661.
Raphael und ſeine Schuͤler hatten ein groͤßeres hiſtoriſches, oder beſſer dramatiſches Gemaͤhlde als die Darſtellung eines Auftritts betrachtet, der in eini - ger Entfernung von dem Beſchauer, aber an einem von ihm durch keine Abtheilung des Raums, durch kein fremdes Licht abgeſondertem Orte vorgeht. Ihre Mahlereien ſind auf gewiſſe Weiſe mehr Basreliefs als Gemaͤhlde. Wir treten in ein Zimmer, in eine offene Straße, in der Mitte geht die Handlung vor ſich; nichts trennt uns von den vor uns aufgeſtellten Perſonen; daſſelbe Licht, das ſie beleuchtet, beleuch - tet uns; ſind ihre Formen, iſt ihr Ausdruck in - tereſſant, wir duͤrfen nur wenige Schritte thun, ſo ſind wir mitten unter ihnen.
Nicht ſo Correggio, Paolo Veroneſe, die Schule der Carracci, Pietro da Cortona, Andrea Sacchi und alle neuere Mahler nach ihnen. Wer von meinen Leſern iſt je durch eine finſtere Hoͤle durch -gegan -341uͤber die einzelnen Kirchen. gegangen, und hat am Ende derſelben jenſeits des Ausgangs die wieder erhellte Natur geſehen? Oder beſſer: wer von ihnen hat ſich in einem dunkeln Saale befunden, ſchnell iſt ein Fenſter geoͤffnet, ſchnell ein Vorhang aufgezogen, und er hat auf der Straße erleuchtet durch das Licht der Sonne, auf dem Theater erleuchtet durch unzaͤhlige Laͤmpchen, ei - nen Haufen Volks erblickt, angethan mit vielfarbi - gen Kleidern, diſponirt in abwechſelnde Stellungen und Gruppen, umgeben von einer reichen Architek - tur oder einer reizenden Landſchaft? Die Wuͤrkung, die dieſer erſte Anblick auf ihn hervorgebracht hat, die erwarten dieſe neueren Kuͤnſtler fuͤr ihre Beſchauer von jedem ihrer Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition.
Von groͤßerer Compoſition ſage ich, und ich glaube mit Recht zwiſchen dieſen und Gemaͤhlden, die aus einer oder zwei Figuren beſtehen, einen Unter - ſchied machen zu muͤſſen, den viele Critiker vor mir uͤberſehen zu haben ſcheinen, uͤber deſſen Wichtigkeit in Ruͤckſicht auf Ausdruck und poetiſche Erfindung ich ſchon mehrere Winke gegeben habe, und den ich in Ruͤckſicht auf eigentliche mahleriſche Wuͤrkung, und Wahl der Mittel ſie zu erreichen, gleichfalls von dem wichtigſten Einfluſſe halte.
Denn die einzelne Figur oder die Gruppe von zwei bis drei Perſonen ohne Bezeichnung einer be - ſondern Scene, was ſind ſie viel mehr als Statuen, hoͤchſtens als Figuren in Basrelief, die von dem erſten Lichtſtrahle beleuchtet werden, den mein Auge außer dem Gemaͤhlde aufnimmt, und zur Pruͤfung ihrer Ruͤndung zu ihnen hinbringt? Nichts zwingt mich ſie an einem andern Orte handeln zu ſehen, alsY 3an342Anmerkungenan demjenigen auf dem ich mich mit ihnen befinde: ich ſehe ſie von Angeſicht zu Angeſicht, wie ich den Menſchen wahrnehmen wuͤrde, der mit mir auf dem naͤmlichen Boden eines Zimmers ſtaͤnde.
Aber das Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition zeigt mir gemeiniglich mit den handelnden Perſonen, zugleich den Ort wo ſie gehandelt haben: ein Gebaͤude, eine Landſchaft; und dieſer Ort, der nicht das Zim - mer oder Tempel iſt, aus dem ich beſchaue, der von dem Lichtſtrahle der mich beleuchtet, ſo fernhin nicht erhellet werden koͤnnte, hat allen Anſpruch darauf, mir als ein beſonders aufgeſchlagener Schauplatz zu erſcheinen.
Irre ich, oder liegt wuͤrklich in dieſem, von Raphael und den Nachfolgern des Correggio ſo ver - ſchieden angenommenen, Standpunkte des Bo - ſchauers einer dramatiſchen Compoſition, ein Theil des Grundes, warum ſie ſo verſchiedene Wege einge - ſchlagen ſind, fuͤr mein Vergnuͤgen zu arbeiten?
Ich denke mir die Einrichtung des Franzoͤſiſchen Theaters, als noch die eifrigſten Liebhaber deſſelben ihren Platz auf der Scene ſelbſt einnahmen. Der Eindruck des Ganzen war unſtreitig geringer als jetzt, wo das Theater frei iſt; aber jedes Wort, jede Mine des Akteurs ward genauer gewogen: der Menſchen die genoſſen, waren weniger; aber dieſe genoſſen ſtaͤr - ker und beſſer.
Vielleicht duͤrfte das Gleichniß nicht unpaſſend ſeyn. Eine Perſon die mit mir in einem Zimmer, in einem Lichte handelt, iſt ein Weſen wie ich, an dem ich alle Beſtandtheile der Wahrheit, Ausdruck, Richtig - keit der Form, Treue des Colorits, der Beleuchtung,der343uͤber die einzelnen Kirchen. der Stellung genau pruͤfe. Aber ein Gegenſtand den ich auf dem Theater, aus einem offenen Fenſter er - blicke, wird, ſo zu ſagen, ſelbſt ein Coup de theatre, ein Schein, der mich im Ganzen frap - piren ſoll, und mit dem ich es ſchon ſo genau nicht nehme, wenn er auch hier und da ein wenig untreu iſt. Wie fern die Darſtellung von mir! Wie ſchwach mein Auge, das, wie der Apoſtel ſagt, aus einem dunkeln Orte in ein helles Licht ſieht! genung, wenn ich durch Harmonie des Tons, der Farben, durch Helldunkles, durch Gruppirung, kurz! durch alle die Theile, die eine ſo weitlaͤuftige Erſcheinung zu einem wohlgefaͤlligen Ganzen machen, fuͤr einige Un - beſtimmtheit, Incorrektion, und Unwahrheit im Einzelnen, — wenn dieſe Fehler anders nicht zu arg ſind, — wieder ſchadlos gehalten werde.
So wie ich hier raiſonnire, ſo und nicht anders iſt A. Sacchi verfahren. Es iſt der Muͤhe werth ſeine Vorzuͤge, ſeine Fehler etwas genauer zu pruͤfen.
Einer der Hauptvorzuͤge eines großen Gemaͤhldes iſt die Harmonie des Tons und der Farben. Ich will ſie genauer beſtimmen, ich will ſagen, wie ſie erreicht werden.
Es iſt bekannt, daß die weſentliche Farbe eines jeden Objekts, diejenige, welche ich unter jedem Grade des Lichts, und unter jeder Art deſſelben wie - dererkenne, und auf gleiche Art benenne, dennoch nach der Verſchiedenheit in dem Grade der Staͤr - ke und der Art des darauf zuſtroͤmenden Lichtes, verſchiedene Modificationen annimmt. Man er - leuchte ein Zimmer mit der Flamme des Wein - geiſtes; alle Gegenſtaͤnde in demſelben werden einenY 4blaͤu -344Anmerkungenblaͤulichen Anſtrich erhalten, und dennoch werde ich die blaue Carnation von dem blaurothen Gewande noch immer zu unterſcheiden im Stande ſeyn: der Schein der brennenden Oellaͤmpchen faͤrbt die Gegen - ſtaͤnde gelb; inzwiſchen das gelblich weiße Gewand iſt noch deutlich von dem gelblich rothen zu unter - ſcheiden: eben ſo verhaͤlt es ſich mit dem roͤthlichen Abglanz der Morgenroͤthe, mit dem finſtern Lichte der Daͤmmerung u. ſ. w.
Nun nehme man an: der Decorateur eines Theaters ließe die Perſonen zur Rechten der Scene von der Flamme des Weingeiſtes beleuchtet werden, die zur Linken von der Flamme brennender Oel - laͤmpchen; weiterhin aber ließe er das Tageslicht auf die daſelbſt ſtehenden Figuranten fallen; was wuͤrde daraus entſtehen? natuͤrlicher Weiſe eine große Disharmonie der Farben. Das Auge wuͤrde Abtheilungen machen, und die einzelnen gefaͤrbten Theile zu einem faͤrbigten Ganzen nicht vereinigen koͤnnen. Hingegen wenn alle Figuren mit einer und derſelben Lichtart beleuchtet wuͤrden, mithin einen gleichfaͤrbigen Anſtrich erhielten; ſo muͤßte daraus ein einſtimmiger Ton der Farbe entſtehen, und es wuͤrde alsdann ein Hauptgrund zur Harmonie vor - handen ſeyn.
Der einſtimmige Ton der Lichtſtrahlfarbe un - terſtuͤtzt zwar die Harmonie der Farben unter ſich, aber er macht ſie nicht allein aus. Die verſchiede - nen weſentlichen Farben eines jeden Objekts haben ohne Ruͤckſicht auf die Art des zuſtroͤmenden Lichts die Beſchaffenheit, daß ſie in der Zuſammenſtellungſich345uͤber die einzelnen Kirchen. ſich mehr oder minder mit einander vermaͤhlen. Der vielfarbige Regenbogen giebt das Beiſpiel wohl - harmonirender Grundfarben. Hingegen die Beklei - dung eines Menſchen mit einem hochrothen Mantel uͤber einem hochgelben Unterkleide das Beiſpiel einer ſchreienden Vereinigung heterogener Farben. Dieſe innere Uebereinſtimmung der weſentlichen Farben mehrerer Objekte nennen viele Kunſtbuͤcher, unter andern Mengs, auszeichnungsweiſe, Harmonie der Farben.
Inzwiſchen beruht auf dieſer doppelten Uebereinſtimmung des Tons, (oder des An - ſtrichs, den eine Art des zuſtroͤmenden Lich - tes den verſchiedenen weſentlichen Farben meh - rerer Gegenſtaͤnde auf einem Bilde giebt,) und auf jener eigentlichen Harmonie der Farben, (die aus der Zuſammenſtellung mehrerer, ihrer inneren Beſchaffenheit nach ſanft in einander uͤbergehenden Farben entſpringt,) das Geheim - niß der Einheit in der Abwechſelung, oder der Harmonie der Farben, in einem ausge - breiteterm Sinne.
Das Mittel, deſſen ſich der Kuͤnſtler bedient, um ſeinen vielfaͤrbigen Gegenſtaͤnden den einſtimmigen Ton des faͤrbenden Lichts zu geben, beſteht darin: er macht ſich eine Miſchung, welche der Farbe des beſondern Abglanzes einer gewiſſen Lichtart nahe koͤmmt, und ſucht damit in jede Farbe zu ſpielen, die er in ſeinem Gemaͤhlde anbringt. Aber hierbei iſt mehr als eine Behutſamkeit anzuwenden. Der Mahler muß ſo treu im Einzelnen und ſo angenehmY 5im346Anmerkungenim Ganzen ſeyn, als das Geſetz der Harmonie im weitlaͤuftigern Verſtande es nur immer zulaſſen will.
Hier zeigt ſich eine große Verſchiedenheit zwi - ſchen einem Correggio und einem Sacchi, und noch mehr zwiſchen jenem und den neueren Neapolitani - ſchen und Venetianiſchen Meiſtern.
Wenn ich eine Wange, jeden andern fleiſchigten Theil in einem Gemaͤhlde des Correggio fuͤr ſich be - trachte, und das Uebrige des Bildes bedecke; ſo er - kenne ich dieſe gefaͤrbte Stelle fuͤr das, was ſie ſeyn ſoll, fuͤr Fleiſch. Hingegen eben dieſer Theil in ei - nem Gemaͤhlde des Corrado oder Tiepolo unter eben der Bedingung geſehen, iſt nur ein bunter Fleck, den ich eben ſo gut fuͤr ein roͤthliches Gewand, oder fuͤr ſonſt etwas halten koͤnnte. Woher koͤmmt dieſer Unter - ſchied? Natuͤrlich daher, weil der letzte Kuͤnſtler zu viel von ſeiner Lichtſtralfarbe in die weſentliche Far - be des Objekts gemiſcht hat, um dieſe letzte nicht zu zerſtoͤren: oder, weil er auf den Effekt der Tafel im Ganzen, auf die Vergleichung eines Theils mit den uͤbrigen zu viel, und zu wenig auf die Vergleichung des einzelnen Koͤrpers in der Nachbildung mit dem Vorwurfe in der Natur, gerechnet hat. Mit einem Worte, weil das Colorit nach der Palette ausge - dacht iſt.
Es fließt aus dieſer doppelten Art, das Colorit ei - nes Gemaͤhldes in Ruͤckſicht auf Harmonie, und in Ruͤckſicht auf treue Nachbildung zu beurtheilen, auch eine doppelte Art, die Wahrheit deſſelben zu pruͤfen.
Eine conventionelle, die blos nach der Verſchie - denheit und Uebereinſtimmung der einzelnen Theile zum Ganzen angeſtellet wird, und eine urſpruͤngliche nachden347uͤber die einzelnen Kirchen. den Grundſaͤtzen der treuen Nachahmung der Natur.
Selten, ſehr ſelten iſt es moͤglich, die Wahrheit der Farbe im Einzelnen mit der Harmonie im Gan - zen zu verbinden. Vielleicht iſt dies ſelbſt einem Correggio nicht immer gegluͤckt. Wenn man aber von der Wahrheit des Colorits eines Andrea Sacchi redet, ſo kann man nur ſoviel damit ſagen wollen, daß er einen Schein von Treue in der weſentlichen Farbe des Objekts mit einer ziemlich treuen Nachbil - dung des faͤrbenden Anſtrichs des Lichtſtrals zu ver - binden gewußt habe.
Denn auch der faͤrbende Lichtſtrahl kann hoͤchſt untreu dargeſtellt werden. Ich kenne dieſe und jene neuere Fechtelmahlerei mit einem Tone, wie wir ihn gar nicht in der Natur finden. Blau, Ponßoroth, Hochgelb, Gruͤn, u. ſ. w. Dergleichen decidirte Miſchungen, die den Hauptton des Gemaͤhldes be - ſtimmen ſollen, ſind an und fuͤr ſich unnatuͤrlich, und den weſentlichen Farben uͤberher gefaͤhrlich. Der Ton muß nie decidirt ſeyn, er muß ſich ſchwer ent - raͤthſeln laſſen. Wenn man von einem Gemaͤhlde ſagt, es faͤllt ins Rothe, ſo heißt dies nichts weiter, als: die Farbe des Ganzen koͤmmt der rothen naͤher als der gelben, der weißen, und andern: ſie iſt mehr roth als gelb u. ſ. w.
Der beſte, angenehmſte Ton, den der Mahler ſeinen gefaͤrbten Gegenſtaͤnden geben zu koͤnnen ſcheint, iſt der, den der Abglanz des warmen Sonnenſtrals uͤber ſie verbreitet. Aber in ſeiner urſpruͤnglichen Staͤrke wuͤrde ihn die Kunſt des Mahlers nicht errei - chen. Er nimmt ihn alſo lieber gebrochen an, wieer348Anmerkungener ungefaͤhr von einem bemooßten Mauerwerk von Backſteinen auf die Gegenſtaͤnde zuruͤckprallen wuͤrde. Der Anſtrich, den die Objekte dadurch erhalten, ſteht ungefaͤhr zwiſchen roth, gelb und braun in der Mitte. Ich ſage ungefaͤhr, decidirt darf der Ton nimmer ſeyn. Aber ſo erſcheint er in vielen Bildern von Cor - reggio, von Albano, und dies macht auch in den mehreſten des A. Sacchi den kraͤftigen warmen Ton aus, den wir ſo ſehr darin lieben.
Die Harmonie des Helldunkeln, oder wie an - dere es zu eingeſchraͤnkt nennen, die Harmonie von Licht und Schatten, iſt von Harmonie des faͤrben - den Lichtſtrahls oder des Tons und von Harmonie der weſentlichen Farben eines jeden Objekts noch ſehr ver - ſchieden.
Die hellen Theile muͤſſen mit den dunkeln durch ſanfte Uebergaͤnge und leicht zu ordnende Maſſen zu einem Ganzen vereinigt werden. Dies wird, wie ſchon an einem andern Orte ausgefuͤhrt iſt, durch Wahl der Farben, die ihrer innern Conſiſtenz nach mehr oder weniger Lichtſtrahlen auffangen, mithin lichter oder dunkler ſind, und durch Wahl in der Lei - tung des zuſtroͤmenden Lichts erreicht.
Es iſt begreiflich, daß die Wuͤrkung, welche dieſe Harmonie des Helldunkeln hervorbringt, von der Wuͤrkung, die von der Abwechſelung in Licht und Schatten uͤberhaupt abhaͤngt, weſentlich verſchieden ſey. In Guercinos Gemaͤhlden ſind die Lichter oft ſehr zerſtreuet, ohne alle Harmonie ausgetheilet, und dennoch thun ſie auf ungebildete Augen Wuͤrkung. Auch iſt das begreiflich, daß die Harmonie des Hell -dunkeln349uͤber die einzelnen Kirchen. dunkeln entweder die Natur zur Begleiterin haben, oder von derſelben getrennt ſeyn koͤnne.
Ich kann, um Harmonie hervorzubringen, helle Partien dahin ſetzen, wo der Haltung102)Haltung iſt Ingredienz der Wahrheit: Gehalt an Staͤrke in Licht und Farbe eines Gegenſtandes, gegen den Gehalt des andern an Staͤrke in eben dieſen Stuͤcken, nach dem Tariff der Naͤhe und Entfernung. Im Grunde von Luftperſpektiv we - nig verſchieden: außer daß man dieſen letzten Aus - druck hauptſaͤchlich von Fernen braucht, wo man das Hervorſtechende nicht mehr nach der Staͤrke der Schlagſchatten, ſondern hauptſaͤchlich nach der Staͤrke der weſentlichen Farbe abmißt. zufolge dunkle ſtehen muͤßten: Ich kann wieder zu Gunſten der Harmonie das Licht dahin zufließen laſſen, wo ein vorſtehender Koͤrper es eigentlich hemmen wuͤrde u. ſ. w.
Dieſe Forderungen der Harmonie und der Treue des Helldunkeln ſind wieder ſchwer mit einander zu befriedigen. Dem Correggio iſt es oft gelungen, dem A. Sacchi ſeltener; bei ihm iſt Treue immer mehr Heuchelei als Gewiſſenhaftigkeit.
Aus dem bisher Geſagten wird man beilaͤufig ge - merkt haben, wie ſehr der Kuͤnſtler durch Erbauung eines eigenen Theaters fuͤr Ton und Harmonie des Lichts gewonnen habe. Er kann ſich die Art ſeines Lichtſtrals beſſer waͤhlen, da er die Quelle deſſelben in dem Bilde ſelbſt annimmt; er kann es beſſer leiten, da der Beſchauer durch die Wahl eines unrichtigen Standpunkts die Zuſtroͤmung des Lichts, die der Kuͤnſtler intendirt hat, nicht hemmen mag. Wir werden nun auch ſehen, was der Gruppirung darausfuͤr350Anmerkungenfuͤr Vortheile geworden ſind, indem wir die Verdienſte des Andrea Sacchi um dieſe Vollkommenheit eines groͤßeren Gemaͤhldes noch zu pruͤfen haben. Indem ich aus einem dunkeln Orte in einen hellen ſehe, ſo ruͤckt die Figur, die der Mahler zwiſchen mir und dem Anfang des Lichtſtrals hinſtellt, merklich hervor. Dieſer dunkele Gegenſtand auf dem Vorgrunde iſt das, was wir le Repouſſoir nennen, er ſchiebt den Auftritt der handelnden Perſonen im Hellen weiter hinaus. Schon durch dieſes Mittel allein koͤmmt eine groͤßere Cavitaͤt, Vertiefung in die Flaͤche des Gemaͤhldes. Hierzu tritt der Umſtand, daß der Lichtſtral, den ich erſt in der Mitte des Gemaͤhldes aufnehme, viel weiter reicht, als derjenige, den ich außer demſelben aufnehme und in den Rahmen hinein - bringe. Ja! der Mahler, der die Quellen des Lichts ganz in ſeiner Gewalt hat, laͤßt dieſes weiter - hin aus neuen zuſtroͤmen, und fuͤhrt meinen Blick ſo weit hinaus, als das Auge nur immer reichen kann. Durch alle dieſe Kunſtgriffe aber gewinnt er Raum mir viele Gruppen auf verſchiedenen Planen hinter - einander auf einmal vorzuſtellen; und dieſer Reich - thum iſt bei einer guten Anordnung der Gruppen kei - nesweges unbedeutend.
Die abwechſelnde Lage der Glieder einer Figur, der ſogenannte Contrapoſto, wird in einem Gemaͤhlde, das mehrere Figuren enthaͤlt, zur wahren Nothwen - digkeit, um das Einfoͤrmige gleicher Stellungen zu unterbrechen. Dieſe Figuren in abwechſelnden Stel - lungen zu einer Gruppe vereinigt, deren breite Flaͤche ſich unvermerkt zu einer ſchmaͤleren Hoͤhe zuſpitzt, und die Form einer Traube, einer Pyramide bildet, habenden351uͤber die einzelnen Kirchen. den Reiz einer Maſſe von angenehmer Form vor ſich. Laſſe ich dieſe Gruppen mit andern von verſchiedener Form abwechſeln, und ſich unter einander bequem verbinden, ſo entſteht daraus ein ſo leicht zu ordnen - des, und eben dadurch wohlgefaͤlliges Ganze, daß ich durch dieſe Wuͤrkung in Verbindung mit der Har - monie des Tons, der Farben, des Helldunkeln, uͤber die Maͤngel in einzelnen Theilen, wenigſtens auf den erſten Blick beſchwichtiget werde. Freilich darf der Ausdruck nicht ganz unedel und unnatuͤrlich, die Zeichnung nicht auffallend unrichtig, das Colorit und das Helldunkle nicht voͤllig conventionell ſeyn; aber wenn nur ein Schein von Wahrheit in allen die - ſen Theilen vorhanden iſt, — wie ihn denn A. Sacchi mit jenen Vorzuͤgen zu verbinden wußte, — ſo giebt ſich der voruͤbergehende Beſchauer ziemlich leicht zu - frieden.
Und ſo wuͤrde die Beſtimmung des Verdienſtes unſers Meiſters ſo ziemlich vorbereitet ſeyn: Er war der beſte Flaͤchendecorateur, den wir kennen; aber auch nur das: Anſchminker, nicht treuer Darſteller der verſchoͤnerten Natur. Pietro da Cortona, Luca Giordano, die ganze neuere Neapolitaniſche und Ve - netianiſche Schule, die im Grunde ſo wie er, nur fuͤr den erſten voruͤbergehenden Anblick arbeiteten, nur den Vorhang eines Theaters aufziehen, und wieder fallen laſſen, nur frappiren, nur blenden; ſtehen ihm dennoch nach. Er hat einen Schein von Ausdruck der Minen, da wo ſie nur Schein des Ausdrucks in Stellungen haben: Er hat einen Schein von Carracciſch richtiger Zeichnung, da wo ſie ungeſcheut Incorrektionen begehen: Er hat einenSchein352AnmerkungenSchein von Correggianiſch wahrer Faͤrbung, da wo ſie nur nach der Palette mahlen: Er wandte endlich Gedult auf die Ausfuͤhrung, und ſie ſetzten ihr groͤß - tes Verdienſt in eilfertiger Geſchwindigkeit.
Man zeigte hier zu meiner Zeit den untern Theil eines Helden im Panzer. Er war gut gearbeitet.
Die Mahlereien von Tempeſta und Po - meranzio ſind ſchlecht.
† Ein heil. Franciscus von Treviſani, eins der beſten Gemaͤhlde dieſes Meiſters.
In dem Gemaͤhlde des Hyacintus Brandi von tauſend Maͤrtyrern, welchen dieſe Kirche ge - widmet iſt, ſieht man zwar nur wenige, aber doch noch immer zu viel dieſer unintereſſanten Figuren.
Nur eine Capelle zur Linken des Kreuzganges, wel - che man unter dem Nahmen Capelle Bandini er - fragen kann, ſcheint der Aufmerkſamkeit des Liebha - bers werth zu ſeyn. An der Kuppel derſelben hatDome -353uͤber die einzelnen Kirchen. Domenichino an den Pfeilern † vier runde Ge -Vier runde Gemaͤhlde von Domeni - chino, be - kannt unter dem Nah - men: tondi del Domeni - chino. maͤhlde gemahlt, welche unter dem Nahmen gli tondi del Domenichino bekannt ſind. Die Figuren haben ungefaͤhr zwei bis drei Fuß Hoͤhe.
Das erſte Gemaͤhlde ſtellet die heilige Judith vor, welche dem Volke den Kopf des Holo - fernes zeigt. Die Anordnung und der Ausdruck ſind gut. Die Figur der Judith ſteht am rechten Orte; Kopf und Stellung ſind edel. Die Gruppe zweier Kinder, deren eines dem andern den Kopf des Holofernes zeigt, uͤber deſſen Anblick das letzte die Haͤnde freudig in die Hoͤhe hebt, iſt gut gedacht, voller Wahrheit und Reiz. Die Gewaͤnder zeigen das Nackte gut an, ſie ſind nur ſchwerfaͤllig. Die Faͤrbung iſt harmoniſch.
David tanzt vor der Bundeslade. Die Anordnung iſt nicht ſo gut als in dem vorigen, aber der Ausdruck und die Stellung der einzelnen Figuren, deren Zeichnung im Geſchmack der Antike iſt, halten dafuͤr ſchadlos. Die Gewaͤnder ſind ſchlecht.
Salomon empfaͤngt die Koͤnigin von Saba. Dies Bild ſcheint das ſchoͤnſte unter den vieren zu ſeyn, und wuͤrde, wenn die Faͤrbung kraͤfti - ger waͤre, in allen Theilen der Mahlerei vollkommen ſeyn.
Ahasverus und Eſther. Sehr gut gedacht und angeordnet. Alle Figuren des Bildes nehmen einen ſehr wahren und ſehr wohl ausgedruͤckten Antheil an der Handlung. Eſther, die in Ohnmacht faͤllt, zeigt eine reizende, decente und aͤußerſt wahre Stellung.
In eben dieſer Capelle ſieht man zwei Figu - ren von Algardi, den heil. Johannes und dieDritter Theil. Zheil. 354Anmerkungenheil. Maria, Schweſter der Magdalena. Beide ſind von Stucco, und gehoͤren nicht zu den beſten Ar - beiten dieſes Meiſters. An der letzten Figur iſt der Ausdruck des Geſichts grimmaſſirend, und an dem Gewande, dem Hr. Volkmann ein ſo großes Lob bei - legt, finde ich nichts außerordentliches: vielmehr ſcheinen die Falten am Beine eine unangenehme Er - hoͤhung zu bilden.
In der zweiten Capelle rechter Hand vom Eingange ab haͤngt ein Gemaͤhlde des Giacomo Palma, welches aber ſehr verdorben iſt.
Die Camayeux von Polydoro und Mar - tino da Carravaggio, in der Capelle der heil. Magdalena, ſind ſehr leicht weggemacht, und die Mahlereien des Giuſepped’ Arpino ſehr manierirt.
Titi fuͤhrt eine Geburt Chriſti von Venuſti und ein Paar Gemaͤhlde von Raphaelino da Reggio als hier befindlich an, auf welche ich die Liebhaber, des Nahmens der Meiſter wegen, aufmerkſam mache. Denn uͤber den Werth der Werke ſelbſt kann ich nicht urtheilen, da ich ſie uͤberſehen habe.
Es iſt nur das Gemaͤhlde des † Daniel da Volterra, die Kreuzabnehmung Chriſti, welches dieſe Kirche der Aufmerkſamkeit des Liebhabers werth macht. Der Gedanke dieſes Bildes iſt folgender: Sieben Men - ſchen ſind beſchaͤfftiget, den Leichnam Chriſti vom Kreuz abzunehmen. Einige derſelben laſſen ihn herunter, andere fangen ihn auf, andere halten die Leiter, aufder355uͤber die einzelnen Kirchen. der wieder andere auf - und abſteigen. Sie ſind alle gut in Handlung gebracht. Joſeph von Arimathia, der den Leichnam Chriſti in ſeine Arme faßt, ſcheint bei dieſem traurigen Liebesdienſte aͤußerſt bewegt zu ſeyn.
Am Fuß des Kreuzes liegt die Mutter Gottes in Ohnmacht, und mehrere Weiber ſind beſchaͤfftiget, ſie wieder zu ſich ſelbſt zu bringen. Der heil. Jo - hannes laͤuft herzu, und breitet ſeine Arme aus, im Begriff den Leichnam darin aufzufaſſen. Alle dieſe Figuren ſind edel, natuͤrlich und wahr.
Inzwiſchen der Figuren ſind ohnſtreitig zu viel. Sie bedecken die Flaͤche anſtatt ſie zu fuͤllen, und ſind zu unordentlich vertheilt. Die Gruppe der Frauen am Fuße des Kreuzes verdient von dieſem Urtheil ausgenommen zu werden. Die Figuren derſelben ſind ſehr gut zuſammen geſtellt.
Der Ausdruck iſt wahr, nur ſollte die heil. Mag - dalena, welche die in Ohnmacht gefallene Mutter Gottes in den Armen haͤlt, auf dieſe blicken, nicht zur Seite. Der Chriſt iſt nicht ſehr edel.
Die Koͤpfe ſehen ſich alle aͤhnlich, aber das ge - meinſchaftliche Vorbild iſt gut gewaͤhlt, und die Zeich - nung durchaus richtig. Die Gewaͤnder zeigen das Nackte gut an, aber die Ausfuͤhrung iſt etwas trocken. Die Stellungen haben nichts von der Florentiniſchen Affektation: die Verkuͤrzungen ſind vortrefflich. Es wuͤrde ſchwer ſeyn, uͤber das Helldunkle und die Farbe zu urtheilen, da das Bild ſchon ſehr verdorben iſt, und noch taͤglich mehr verdirbt.
Zu beiden Seiten ſind noch Gemaͤhlde deſ - ſelben Meiſters. Im Ganzen mittelmaͤßig, aber in einzelnen Partien nicht ohne Verdienſt.
Z 2Hr. Volk -356Anmerkungen uͤber einzelne ꝛc.Hr Volkmann iſt in der uͤbrigen Beſchreibung dieſer Kirche ziemlich unrichtig. Es iſt aber nicht der Muͤhe werth, ihn zu verbeſſern.
Auf dem Hauptaltare hat † Guido die Drei - einigkeit auf eine ſonderbare Weiſe vorgeſtellet. Oben ſieht man Gott den Vater, der die Arme aus - breitet, mit Koͤpfen von Cherubims, die reihenweiſe geſetzt ſind, umgeben. Gleich unter dem Barte von Gott dem Vater iſt der heil. Geiſt als Taube vorge - ſtellet, welche auf den Kopf Chriſti herabzufliegen ſcheint. Chriſtus haͤngt gleich darunter am Kreuze, welches auf einer Kugel ruhet, und auf den Seiten von ein Paar Engeln ſehr zierlich gehalten wird. Ein Paar große Engel in den Wolken beten das Kreuz auf den Knien an. Die Ausfuͤhrung iſt nicht viel beſſer als der Gedanke, und das Bild gehoͤrt ſowohl in An - ſehung der Stellungen, welche affektirt ſind, als der Zeichnung, welche incorrekt iſt, und der Farbe, wel - cher es an Kraft und Harmonie fehlet, zu den ſchwaͤch - ſten Werken dieſes Meiſters.
† Zwei Basreliefs, welche den Triumph des Kaiſers Titus, nach erfochtenem Siege uͤber die Juden, und Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſalem vorſtellen. Sie gehoͤren zu den ſchoͤnſten des Alterthums, und ſind nicht nur in einem richtigen, ſondern auch ſchoͤnen Stile gezeich - net. Schade! daß ſie ſo ſehr gelitten haben.
Die Frieſen ſtellen den fernern Zug des Triumphs, und beſonders die Prieſter mit den Opferthieren vor.
Die Apotheoſe des Kaiſers. Er beſchreitet einen Adler, der ihn gen Himmel traͤgt.
† Vier Victorien außen am Bogen, ſind Muſter leicht ſchwebender Figuren.
Die daran befindlichen groͤßeren Basreliefs ſtellen Begebenheiten vor, die auf den Krieg des Kaiſers mit den Parthern Bezug haben.
Z 3So358Ueber einige KunſtwerkeSo ſehr die Ausfuͤhrung den Verfall der Kunſt verraͤth, der Gedanke zeigt immer treue Anhaͤnglich - keit an dem urſpruͤnglichen Stile ihres Flors. Im - mer ſind noch die Verhaͤltniſſe ziemlich richtig, die Juncturen natuͤrlich, die Stellungen ſimpel, und die Gewaͤnder vernuͤnftig. Die Arbeit iſt manierir - tes Handwerk; aber die Manier iſt gut: die Hand verraͤth den Schuͤler; aber den Schuͤler, der einer guten Lehre entlaufen iſt. In Koͤpfen und Stellun - gen herrſcht große Einfoͤrmigkeit: Man ſieht, — wenn ich mich dieſes erklaͤrenden Beiſpiels bedienen darf — daß die Figuren auswendig gelernte Woͤrter einer uͤberlieferten Kunſtſprache ſind.
Die Frieſen ſtellen Triumphzuͤge vor.
In den Ecken uͤber den Bogens ſieht man Genien mit den Attributen der Jahrszeiten. Victo - rien, Flußgoͤtter, u. ſ. w.
Das Ganze iſt mit Figuren uͤberhaͤuft. 1)Die Zeichnung, die Bellori Veteres arcus Augu - ſtorum etc. liefert, hat viele Zuſaͤtze nach Muͤnzen, welche dieſen Triumphbogen vorſtellen, erhalten. Die Quadriga, nebſt den uͤbrigen Figuren oben auf der Spitze, ſind in der Natur nicht mehr vor - handen.
Auf den Saͤulen ſtehen ſieben Statuen von gefangenen Daciern. Die achte iſt ins Muſeum Capitolinum gekommen. Unter den noch ſtehendenſoll359an offenen Plaͤtzen der Stadt. ſoll die eine ganz neu ſeyn, die andern ſollen neu auf - geſetzte Koͤpfe haben. So meldet Hr. D. Volkmann.
Die Basreliefs die hier angebracht ſind, ſind von ſehr verſchiedener Guͤte. Einige, die man wahr - ſcheinlich von alten Monumenten des Trajans genom - men hat, zeichnen ſich, wo nicht durch Schoͤnheit, wenigſtens durch vernuͤnftige Anordnung, Ausdruck und Richtigkeit der Zeichnung aus. Hingegen die Figuren aus der Zeit Conſtantins ſind auf einander gehaͤuft, incorrekt, unbedeutend: Kurz! Alles zeigt in dieſen letztern den gaͤnzlichen Verfall der Kunſt. Nur der alte Stil iſt noch immer vorhanden; noch immer zeigen ſich Spuren vortrefflicher Grundſaͤtze, bei der Ohnmacht ſie in Ausuͤbung zu bringen. Die alten Kuͤnſtler aus dieſer Epoche kommen mir wie Invaliden vor, denen man die Dreſſur der Jugend, ſelbſt in der Art wie ſie die zitternden Glieder fort - ſchleppen, anmerkt.
Unter den Basreliefs aus der Zeit des Trajans ſind vorzuͤglich zwei beruͤhmt.
† Das eine ſtellt eine Schlacht dieſes Kai - ſers wider die Dacier: das andere eine alle - goriſche Vorſtellung des Sieges, ſeine Kroͤ - nung mit einem Lorbeerkranze durch die Hand einer Victorie, vor. Die Figuren ſind ein wenig ſchwerfaͤllig, und vielleicht ſchon zu ſehr nach einer gewiſſen Manier gearbeitet, ohne die Natur gehoͤrig zu Rathe zu ziehen. Dies abgerechnet, haben ſie viel Verdienſt.
Die uͤbrigen Basreliefs ſind meiſtens Ovale. Sie ſtellen den Trajan in verſchiedenen Handlungen vor: wie er den Parthern einen Koͤnig giebt, wie erZ 4ſeine360Ueber einige Kunſtwerkeſeine Soldaten anredet, wie er opfert, zur Stadt zuruͤckkehrt, verſchiedene Arten von Jagden haͤlt u. ſ. w. Auch ſieht man hier zwei allegoriſche Vorſtellungen, die eine des Occidents, und die andere des Orients, unter zwei weiblichen Figuren, deren eine mit ihrem Wagen in die Hoͤhe, die andere ins Meer faͤhrt.
Ein geſchickter Compoſiteur koͤnnte hier Veran - laſſung zu mancher guten Idee finden.
So nennt man zwei Juͤnglinge, welche an - ſpringende Pferde halten, in coloſſaliſcher Groͤße. Sie ſtehen auf dem Monte Cavallo. Auf der Baſis der einen Figur ſteht die lateiniſche Innſchrift: Phidiae opus; auf der Baſis der an - dern: Praxitelis opus, Wahrſcheinlich neuere Zuſaͤtze: wenn es gleich moͤglich bleibt, daß dieſe Nahmen zur Aufbewahrung einer Ueberlieferung ſchon von den aͤltern Roͤmern hinzugefuͤgt ſind.
Die richtigſte Erklaͤrung ſcheint dieſe zu ſeyn: Die Figuren ſtellen den Caſtor und Pollux vor.
Bildhauer von großer Einſicht ſetzen dieſe beiden Statuen unter das Beſte, was ſich aus dem Alter - thume auf uns erhalten hat, und M. Angelo nannte ſie ſeine Lieblinge. Ich will nur dasjenige ſagen, was ich ſelbſt geſehen, ſelbſt gefuͤhlt habe. Die Pferde ſind den Menſchen aufgeopfert. Letztere ha - ben etwas ſehr großes und ſehr edles in Stellung und Koͤpfen. Dieſer Eindruck des Ganzen bleibt, wenn gleich mehrere Beſchaͤdigungen und Ergaͤnzungen der urſpruͤnglichen Schoͤnheit im Einzelnen vieles entzo -gen361an offenen Plaͤtzen der Stadt. gen haben. Den Gipsabguß des einen Kopfs ha - be ich in der Naͤhe geſehen: es iſt zum Erſtaunen, mit welcher Delicateſſe der Marmor behandelt iſt, und dennoch thut dieſe Weichheit der Wuͤrkung in der Ferne keinen Schaden.
Fuͤr den Liebhaber der bildenden Kunſt haben ſie durch die neuere Ruͤckung, die mit ihnen vorgenom - men iſt, eher verloren als gewonnen.
Das Piedeſtal, worauf die Saͤule ruht, iſt mit Waffen in erhobener Arbeit geziert. Sie ſchei - nen zu unordentlich gelegt, uͤbrigens von ſchoͤner Aus - fuͤhrung zu ſeyn.
Vier Adler ſtehen auf den Seiten, die im Verhaͤltniß zum Ganzen zu klein ſcheinen, aber eben ſowohl als der Lorbeerkranz, auf dem der Schafft der Saͤule ruht, vortrefflich gearbeitet ſind.
An dem Schaffte der Saͤule ſind mehrere Begebenheiten, die mit den Feldzuͤgen des Tra - jans in Beziehung ſtehen, abgebildet. Sie lau - fen ſchneckenfoͤrmig von unten bis oben hinauf, und die Figuren in der Hoͤhe ſind groͤßer als die untern, damit ſie durch die weitere Entfernung dem Auge nicht entzogen wuͤrden. Inzwiſchen dieſe Vorſicht ſcheint nicht viel geholfen zu haben. Ich kann mich ziem - lich guter Augen ruͤhmen, aber in der Hoͤhe, worin ſich dieſe ungefaͤhr drei hoͤchſtens vier Fuß großen Fi - guren befinden, habe ich ſie nicht deutlich unterſchei - den koͤnnen.
Z 5Ich362Ueber einige KunſtwerkeIch kenne nur einige Theile dieſer weitlaͤuftigen Compoſition aus Gipsabguͤſſen, und das Ganze aus Kupfern. Nach dieſen glaube ich auf folgende Art daruͤber urtheilen zu muͤſſen.
Die Forderungen, die wir an eine gute drama - tiſche Darſtellung, und an einen damit correſpondi - renden Ausdruck zu machen berechtigt ſind, werden wenig befriedigt; die Regeln der mahleriſchen Anord - nung, der Luft und Linienperſpektiv, ſind auf das ent - ſetzlichſte beleidigt. Ich tadle die Kuͤnſtler nicht ſo - wohl darum, daß ſie die davon abhaͤngende Wuͤrkung nicht erreicht, als vielmehr darum, daß ſie ihr uͤber - haupt nachgeſtrebt haben.
Alles was nicht menſchliche Form und Gewand iſt, hat nicht den mindeſten Schein von Wahrheit. Hingegen iſt der phyſiognomiſche Ausdruck der Koͤpfe ſo abwechſelnd, als die beinahe durchaus wohlgefaͤlli - gen Stellungen verſchieden ſind. Der Liebhaber wird an den richtigen Verhaͤltniſſen, an der natuͤrli - chen Einfuͤgung der Juncturen, an der Simplicitaͤt der Stellungen und der Zweckmaͤßigkeit der Gewaͤn - der und des Faltenſchlags Vergnuͤgen finden: Der Kuͤnſtler Veranlaſſung zu neuen Ideen, und Auf - klaͤrung uͤber das Coſtume der Alten.
An der Stelle, wo dieſe Werke angebracht ſind, thun ſie ſo weit das Auge ihnen folgen kann, gut: Abgenommen, einzeln beſehen, verlieren ſie den An - ſpruch auf ſchoͤne, fuͤr ſich beſtehende Kunſtwerke. Die Wahl der Formen iſt gut, aber nicht ſchoͤn, nicht edel. Die Verhaͤltniſſe ſind richtig, aber nicht von ſwelten Figuren genommen. Die Umriſſe ſind be - ſtimmt, aber nicht zierlich.
Die363an offenen Plaͤtzen der Stadt.Die Behandlung verraͤth die fertige Hand, die oft den naͤmlichen Vorwurf oder aͤhnliche ausgefuͤhrt hat, ſie hat aber nicht die Weichheit eines mit ſorg - ſamer Liebe behandelten Werkes. Auch fehlt die In - dividualitaͤt von Treue, die nicht erreicht wird, ohne die Natur zu Rathe zu ziehen. Es iſt und bleibt Handwerk, Manier, von ſo vortrefflicher Art ſie im - mer ſeyn mag.
Laͤcherlich iſt es zu behaupten, die 2500 halbe und ganze Figuren, die an dieſer Saͤule befindlich ſind, waͤren alle von einer Hand verfertigt. Von der Hand einer Schule, das zeigt die aͤhnliche Ver - fahrungsart, aber von der Hand eines Meiſters, das iſt aus mehr als einem Grunde unmoͤglich.
Die Umriſſe der Figuren heben ſich kantig von der Flaͤche ab. Fuͤr den Ort gut; fuͤr den angeneh - men Eindruck im Einzelnen, nicht gut.
Die Statue des heiligen Petrus aus Bronze oben auf der Saͤule, iſt nach dem Modelle des Tho - mas della Porta gegoſſen, und mittelmaͤßig.
Die daran befindlichen Basreliefs ſtellen Bege - benheiten aus den Feldzuͤgen des Marcus Au - relius Antoninus vor. Es iſt der naͤmliche Stil, der ſich in den Figuren an der Trajaniſchen Saͤule findet: nur die Ausfuͤhrung iſt ſchlechter, die Arbeit mehr beſchaͤdigt, und die Compoſition noch fehlerhaf -ter364Ueber einige Kunſtwerketer als an jener. Man ſieht hier Fluͤſſe, die in per - pendiculairer Richtung an den Figuren hinauf lau - fen. Verſchanzungen, Mauern, welche die Men - ſchen von Kopf bis zu Fuß mit einem Zirkel umſchlieſ - ſen, und worin dieſe wie Voͤgel in einem Reife ſte - hen u. ſ. w. Schoͤn gedachte Stellungen, Koͤpfe, Gewaͤnder, Juncturen, kurz! der Stil der Alten, ziehen immer noch unſere Aufmerkſamkeit auf ſich.
Sonderbar iſt die Idee des Jupiter Pluvialis, wie man ihn nennt.
Die Roͤmer litten von der Duͤrre, und vom Durſt, deſſen Folge. Die Quadi hielten ſie einge - ſchloſſen. Es erfolgte ein Gewitter. Blitz, Hagel und Schloßen fielen auf die Quadi und zerſtreueten dieſe. Die Roͤmer erhielten Labung, den gewuͤnſch - ten Regen. Dieſe Begebenheit iſt auf folgende Art allegoriſch vorgeſtellt. Ein gefluͤgelter Genius, dem Waſſer vom Kopfe, Augenbraunen, Bart, und von dem uͤbrigen Theile des Koͤrpers auf halben Leib herabſtroͤmt, hebt die Rechte gegen die Roͤmer auf, von der der ſparſamere Regen ſanft herabtreufelt, den die Soldaten in aufwaͤrts gehaltene Schilde aufſam - meln; die Linke laͤßt der Genius auf ihre Feinde ſchwer herabſinken, und hier ſtuͤrzet alles zu Boden. Zur Nachahmung will ich die Vorſtellung eben nicht anrathen, wenigſtens nicht als Vorwurf der ſchoͤnen Sculptur.
Das Poſtament zur Antoniniſchen Saͤule iſt mit † Basreliefs geziert, welche zu den beſten Kunſtwerken dieſer Art in Rom gehoͤren.
Auf der einen Seite ſieht man die Vergoͤtterung des Antonins und der Fauſtina. Ein Genius traͤgt ſie auf den Fluͤgeln, und haͤlt eine Kugel mit einer Schlange in der Hand. Zu den Fuͤßen des Genius eine allegoriſche Figur mit einem Obelisk, den man fuͤr das Symbol der Unſterblichkeit haͤlt. Gegen uͤber eine Roma mit einem Schilde, worauf die Woͤl - fin, die den Romulus und Remus ſaͤuget, abgebildet iſt. Alle dieſe Figuren ſind ſchoͤn, aber die Figur der Roma wird den uͤbrigen vorgezogen.
Die beiden andern Basreliefs ſtellen das Leichen - begraͤbniß des Kaiſers vor.
† Zwei Loͤwen von Baſalt mit Platten von der - ſelben Materie, worauf Hieroglyphen befindlich ſind: antik. Sie ſind voller Kraft und Majeſtaͤt.
Zwei andere von weißem Marmor, unbe - deutend.
Moſes, der das Waſſer aus dem Felſen ſchlaͤgt, eine Statue aus weißem Marmor. Sie iſt plump, unbedeutend in Ausdruck der Mine, af - fektirt in der Stellung, und ſchlecht bekleidet.
Die Bildhauerarbeit an dieſer Fontaine kann nur als architektoniſcher Zierrath betrachtet werden. Sie thut im Ganzen Wuͤrkung, und wuͤrde noch mehr thun, wenn der Platz groͤßer waͤre, um ſie aus der Ferne zu betrachten. Im Detail verdient ſie nicht, daß man daruͤber ſpreche: Der Neptun in der Mitte ſieht aus wie ein Tanzmeiſter.
Obgleich die Bildhauerarbeit auch hier wieder mehr im Ganzen als im Detail betrachtet werden muß, ſo haͤt ſie doch mehr Verdienſt als diejenige, welche an der Fontaine di Trevi befindlich iſt.
Das Ganze iſt nach der Angabe des Ber - nini verfertigt, und bildet eine ſchoͤne Maſſe. Ein großer Obelisk von orientaliſchem Granit mit Hieroglyphen ruhet auf einem großen durchgebrochenen Felſen, aus dem ein Loͤwe und ein Waſſerpferd hervorgehen, und an den Seiten ruhen vier coloſſaliſche Figuren, wel - che die groͤßten Fluͤſſe aus den vier Weltthei - len vorſtellen.
Der Loͤwe und das Pferd ſind von Lazaro Morelli. 2)Mellizia Memorie degli Architetti, T. II. p. 246. legt ſie dem Bernini bei.Der Fels von Bernini ſelbſt, andem367an offenen Plaͤtzen der Stadt. dem man die Verbindung der Feſtigkeit und Groͤße mit der ſwelten Form bewundert.
Der Fluß della Plata iſt von Franceſco Baratta.
Die Donau von einem gewiſſen Claudio. 3)Hr. D. Volkmann nennt ihn[Claudio] Frameſe. Aber dies iſt ganz falſch. Titi ſagt: Claudio Franceſe. Der Nahme Claudio iſt Vornahme. Ob der Zuſatz Franceſe auf die Nation uͤberhaupt gehe, oder einen beſtimmten Zunahmen anzeige, daruͤber bin ich ungewiß. Ich finde beim Fueßli einen gewiſſen Claude Francin, einen Pariſer; aber die Zeitrechnung trifft nicht zu. Dieſer lebte 1736. Vielleicht befindet ſich in der Lebensbeſchreibung des Bernini von Baldinucci, die ich nicht bei der Hand habe, beſſere Auskunft.Sie wird beſonders geſchaͤtzt.
Der Nil von Giacomo Antonio Fancelli. Er verhuͤllt das Haupt: eine witzige Allegorie ſeines ungewiſſen Urſprungs, die eben ſo gut in der Bild - hauerei unausgefuͤhrt haͤtte bleiben koͤnnen.
Der Ganges als Mohr von Antonio Raggi.
Auf der einen kleineren Fontaine zur SeiteKleinere Fontaine ebendaſelbſt. ſteht ein aͤlterer Triton von der Hand des Ber - nini. Er iſt beruͤhmt. Die vier kleineren Tri - tonen, die ihn umgeben, ſind von der Hand des Flaminio Bacca und anderer Meiſter.
Oben: vier Masken von Michael Angelo.
So nennt man eine ſehr verſtuͤmmelte Statue aus weißem Marmor. Sie bekam den Nahmen von einem luſtigen Schuhflicker, der in der Naͤhe wohnte, und ſeine witzigen Einfaͤlle daran anklebte. Wenn Bernini, wie man behauptet, geſagt hat, daß die - ſer Sturz das ſchoͤnſte Ueberbleibſel des Alterthums ſey, ſo iſt dies wahrſcheinlich auch nur ein witziger Einfall im Geſchmack des Paſquino, auf die Vor - liebe des M. Angelo zu dem beruͤhmten Torſo di Belvedere. Inzwiſchen Verdienſt hat das Stuͤck immer, nur muß die Maaße nicht uͤbertrieben wer - den. Es iſt zu ſehr beſchaͤdigt, um mit Zuverlaͤßig - keit daruͤber zu urtheilen.
Die Figur ſcheint eine andere zu tragen. Dieſe Handlung hat zu mehreren Auslegungen Gelegenheit gegeben. Wahrſcheinlich ſtellt ſie einen Krieger vor, der ſeinen verwundeten Cameraden aus der Schlacht wegbringt, und der verſtorbene Abbate Visconti hat darin den Menelaus mit dem Leichnam des Pa - troclus beſtimmt wieder erkennen wollen. 4)S. Fea in der Ital. Ueberſ. der Winkelmanniſchen Geſch. der Kunſt, T.I. Prefaz. p. 26. n. A.
Einige Landſchaften mit den Thaten des Apol - lo von Domenichino, ſie haben ſehr gelitten.
Einige Gemaͤhlde von Cav. Giuſeppe d’Ar - pino.
Dasjenige, welches Judith mit der Magd vor - ſtellet, iſt das beſte.
Einige ſchoͤne Landſchaften von Philipp Hackert.
† Coloſſaliſcher Kopf des Antinous. Von he - her Schoͤnheit, mit Weinreben ſtatt der Haare bedeckt.
Dritter Theil. A a† Ein370Nachtrag.† Ein Kopf des Cardinals Scipio Bor - gheſe, von Bernini. Ein wahrer Vandyk in Mar - mor. Die mechaniſche Behandlung vortrefflich.
Mehrere Plafonds von Carlo Maratti. Schwach in allen Theilen der Mahlerei: kaum daß ein Paar huͤbſche Weiberkoͤpfe den Blick belohnen, den man auf dieſe Gemaͤhlde wirft.
Einige Carricaturen von Ghezzi.
Einige Landſchaften von — kaum weiß ich, ob ich den Nahmen des Meiſters, den ich nicht beim Fueßli finde, nicht verhoͤret habe, — von Hetzen - dorf.
Mehrere Plafonds von Domenichino und ſeinen Schuͤlern. Die Himmelfahrt des Elias iſt von ihm ſelbſt.
Hier ſoll ein † beruͤhmtes Crucifix von Guido Reni haͤngen, welches ich aber nicht zu ſehen bekom - men konnte, weil die Kirche verſchloſſen war.
Im Hofe: ein ſchoͤnes antikes Basrelief, welches den Leichnam des Patroclus vorſtellt, den man aus der Schlacht wegtraͤgt.
Eine371Nachtrag.Eine ſeitwaͤrts von der Kirche liegende Capelle hat Domenichino mit Mahlereien ge -Mahlereien von Dome - nichino. ziert. Sie machen das weitlaͤuftigſte Werk aus, das man von dieſem Meiſter kennt; die Suͤjets ſind aus der Geſchichte des heil. Nilus genommen.
† Der heilige Nilus heilet einen Befeſ - ſenen mit dem Oel aus einer Kirchenlampe.
Der Gedanke des Bildes iſt gut, und die An - ordnung vernuͤnftig. Aber der Theil, der am meh - reſten unſere Aufmerkſamkeit auf ſich zieht, iſt der Ausdruck der Affekte.
Der Vater, der in dem Augenblicke der Cur den Sohn mit der aͤngſtlichen Unruhe haͤlt, welche die Folge eines heftigen aber zaͤrtlichen Wunſches iſt: die Mutter, die mit glaͤubiger Zuverſicht die erſten Symptome der Beſſerung ausſpaͤhet: die aͤlteren Bruͤder, die mit Staunen und Furcht der Dinge warten, die da kommen werden: das juͤngſte Kind, das ſich bange hinter die Mutter verkriecht: der An - verwandte voll des geruͤhrteſten Antheils: endlich der Heilige im inbruͤnſtigen Gebete zum Himmel; alles dies iſt ſo wahr, ſo ſprechend, daß wir keiner Stimme beduͤrfen, um die ganze Lage einer jeden dieſer hier verſammelten Perſonen deutlich zu verſtehen und zu fuͤhlen. Edel kann man den Ausdruck nicht nennen, aber treu. Die Zeichnung iſt ſehr fein, in den Ex - tremitaͤten duͤrfte man ſie correkter wuͤnſchen. Die Stellung der Mutter iſt reizend. Fuͤr Freſco iſt das Bild ziemlich kraͤftig colorirt.
† Der heilige Nilus wird vom Kaiſer Otto dem Dritten umarmt.
A a 2Das372Nachtrag.Das Bild iſt nicht gut angeordnet; aber der Ausdruck iſt wieder vortrefflich. Man bewundert vorzuͤglich die guͤtige Zuvorkommung in dem Kaiſer, den beſcheidenen Anſtand in dem Heiligen, die Maͤn - ner im Gefolge des Kaiſers, die das Horn blaſen und in die Trompete ſtoßen, die Gruppe des Juͤnglings, der ſein wildes Pferd nicht halten kann, und dem der Vater zu Huͤlfe kommt u. ſ. w. Die Koͤpfe ſind ſchoͤn gewaͤhlt, der des Kaiſers koͤnnte edler ſeyn: der Heilige thut ihm Schaden. Sehr ausdrucksvoll ſind noch die Cavaliere, die dem Kaiſer zur Seite ſtehen: der Juͤngling, der den Hut mit dem Federbuſche traͤgt u. ſ. w.
† Der heilige Nilus betet ein Crucifix in der Wuͤſte an, das ihn ſegnet. Die Figur des Heiligen iſt von unvergleichlichem Ausdrucke.
Der heilige Nilus betet um Regen zur Zeit der Erndte; weniger ſchoͤn als die vorigen.
Dem heiligen Nilus wird der Plan einer Kirche vorgelegt: auf dem naͤmlichen Bilde haͤlt er eine Saͤule, welche fallen will.
Außer dem Vorwurf einer doppelten Handlung, die man dem Bilde machen kann, verdient es auch den Tadel, mit zu vieler Eilfertigkeit ausgefuͤhrt zu ſeyn. Man ſieht inzwiſchen einzelne ſchoͤne Gruppen und unvergleichliche Koͤpfe darauf.
Die Madonna erſcheint dem heil. Nilus in Begleitung eines andern Heiligen, und giebt ihm einen Apfel.
Auf dem Altare Gott der Vater.
Rund373Nachtrag.Rund herum, Engel und einige weibliche allegoriſche Figuren in Ovalen. Eine darun - ter iſt unter dem Nahmen la frascatana ſehr beruͤhmt.
Mehrere Suͤjets aus der heiligen Ge - ſchichte en Camayeu. Sie haben ſehr gelitten. 1)Das Bild der heiligen Thereſia in der Kirche, iſt nicht von Guido und keinesweges die Veranlaſſung zu der Gruppe der Thereſia von Bernini in der Kirche Madonna della Vittoria geweſen, wie Hr. D. Volkmann dem Hrn. Bernoulli Hiſtor. krit. Nachr. uͤber Italien, Th. I. S. 923. nachſchreibt. Ich habe es ſchon bei Gelegenheit meiner Anmer - kungen uͤber dieſe Kirche geſagt. Das hieſige iſt ganz verſchieden gedacht, und von ſchlechter Aus - fuͤhrung.
Bei dem letzten Werke, welches ich vom Dome - nichino anzeige, will ich deſſen Charakter noch zu zeichnen ſuchen.
Seit Raphael iſt kein Mahler wieder aufgeſtanden,Charakter des Domeni - chino. der den Ausdruck der dramatiſchen Mahlerei, der Affekte, die ſich durch Gebaͤrden gerne mittheilen und verſtaͤndlich machen, ſo ſehr in ſeiner Gewalt gehabt haͤtte als Domenico Zampieri, il Domenichino ge - nannt. Sein Talent in dieſem Stuͤcke war aber weniger ausgebreitet als das ſeines Vorgaͤngers. Die - ſer ſahe wie ein Mann, weitumfaſſend, klar, deutlich, richtig: jener wie ein Weib, fein, ſcharf, aber ein - zeln und unzuverlaͤßig. Domenichino bemerkte und empfand, Raphael that beides in weit groͤßerem Um - fange, dachte und ſchuf uͤberher.
Domenichino ſchraͤnkte ſich hauptſaͤchlich auf die gewoͤhnlichen Affekte der Naivetaͤt, der Unſchuld un -A a 3erfahr -374Nachtrag. erfahrner Jugend, der Schwaͤche des Alters ein. Ueber die meiſten ſeiner Gemaͤhlde iſt ein Zug von kraͤnklicher Schuͤchternheit ausgegoſſen, welcher in dem perſoͤnlichen Charakter des Meiſters nach den vielen Verſagungen, Leiden und Kraͤnkungen, die er in ſeinem Leben erfahren hatte, der herrſchende wer - den und ſich nothwendig ſeinen Werken mittheilen mußte.
Das Genie des Domenichino ſcheint zwiſchen dem eines Guido und eines Raphaels in der Mitte geſtanden zu haben. Er fuͤhlte feiner und ausgebrei - teter als der erſte, aber er hatte weniger Sinn fuͤr edle hohe Affekte, und viel weniger mechaniſches Ta - lent zur Ausfuͤhrung. Raphael hatte den Reichthum der Ideen in Verbindung mit jenen Vorzuͤgen vor beiden zum Voraus. Haͤtten alle drei Meiſter ihre Talente zur Dichtkunſt angewandt; Raphael, glaube ich, waͤre als Dichter des hiſtoriſchen Schauſpiels oder als epiſcher groß geworden, Guido haͤtte den hohen aber eingeſchraͤnkten Flug der Ode oder Elegie ge - nommen, und Domenichino wuͤrde in der Fabel, in der Idylle, oder uͤberhaupt in der poetiſchen Darſtel - lung der Scenen des gewoͤhnlichen Lebens im buͤrger - lichen Drama, im Romane, unſer Herz zur ſanften Theilnehmung eingeladen haben.
Domenichino wechſelte nicht oft mit der Wahl ſeiner Suͤjets ab; er entlehnte ſie oft von andern. Nicht ſelten, wenn er ſich ſeinem eigenen Flu - ge uͤberließ, opferte er die Hauptperſonen den Neben - figuren auf, und verwebte Epiſoden mit der Haupt - handlung, welche dieſer gefaͤhrlich wurden. Erha - bene Ideen ſind bei ihm ſehr ſelten.
Das375Nachtrag.Das Verdienſt ſeiner Anordnung iſt ſich nicht immer gleich, doch in Ruͤckſicht auf mahleriſche Wuͤr - kung groͤßer, als in Ruͤckſicht auf poetiſchen Ausdruck des Ganzen.
Von dem Ausdruck der einzelnen Figuren habe ich ſchon geredet. Ich muß noch hinzuſetzen, daß ſchmerzhafte Empfindungen ſehr oft zur Carricatur in ſeinen Gemaͤhlden wurden.
Seine Weiberkoͤpfe haben vortreffliche Formen. Es iſt nicht die hohe Schoͤnheit des Guido die ſie ziert, aber es iſt der gefaͤllige, ſittſame Reiz der unbe - fangenen Jahre. Guido ſcheint die Mutter Niobe belebt zu haben; Domenichino die Toͤchter. Seine Juͤnglinge ſind nicht ſo ſchoͤn: Die Alten abgehaͤrmte Einſiedler, gute aber ſchwache Menſchen. Die Ex - tremitaͤten ſind plump, und vorzuͤglich die Finger ſeiner Haͤnde kurz und dick.
In allen Theilen der Mahlerei, die neben einer weiſen Wahl mechaniſches Talent der Hand erfordern, merkt man ihm an, wie mich duͤnkt, daß er zum Handwerker nicht gebohren war: daß ein feiner Ge - ſchmack ihn bei der Ausfuͤhrung leitete, aber daß die - ſer den Mangel angebohrner Faͤhigkeiten nicht ganz erſetzen konnte. Er ſtand hoͤher als Pouſſin in die - ſem Stuͤcke, aber er war doch weit unter Mengs, vor - zuͤglich in einzelnen Figuren. Seine Zeichnung iſt ſchwerfaͤllig und nicht durchaus correkt. Inzwiſchen hat er oft ſehr beſtimmt gezeichnet, und er iſt ſich hier wie in andern Talenten, die eine fertige Hand erfor - dern, ungleich: Die Gewaͤnder ſind nicht als Muſter anzupreiſen. Der Kopfputz gluͤckte ihm beſſer.
A a 4Sein376Nachtrag.Sein Colorit naͤhert ſich, ſo wie bei allen Schuͤ - lern der Carracciſchen Schule, in den beſten Wer - ken und in einzelnen Partien dem Correggio. In andern faͤllt er zu ſehr ins Kreideweiße und gruͤn - lich Schwarze. Ueberhaupt fehlt es wohl an Waͤrme, Harmonie und Haltung.
Die Lichter theilte er gemeiniglich ſehr gut aus, aber den ſanften Uebergang der hellen zu den dunkeln Partien, die Luftperſpektiv finden wir gleichfalls oft vernachlaͤßigt.
Seine Behandlung iſt ſehr fleißig: ſo fleißig, daß ſie zuweilen ins Aengſtliche und Trockene faͤllt. Man zieht ſeine Freſcogemaͤhlde den Oelgemaͤhl - den vor.
Dieſer Meiſter mahlte allerliebſt gedachte Land - ſchaften, deren Ausfuͤhrung nur nicht immer wahr und treu iſt.
Er lebte von 1581 — 1641.
So endige ich denn dieſen Verſuch uͤber die bil - denden Kuͤnſte in Rom, nicht ohne eine Beſorg - niß zu empfinden, die derjenigen aͤhneln muß, mit der ein Vater ſich von ſeinem Kinde trennt, ehe deſ - ſen Bildung vollendet iſt.
Ich habe mein dreißigſtes Jahr noch nicht er - reicht, und ein Werk wie dieſes, haͤtte, um dem Pu - blico vor Augen gelegt zu werden, das reifſte Alter erfordert.
Aber ich fuͤhlte, daß mit jedem Tage die Ein - druͤcke ſchwaͤcher wurden, welche die Kunſtwerke Roms auf mich gemacht hatten: ich lief Gefahr zu einer Zeit, wo ich an Staͤrke im Raiſonniren wuͤrde ge - wonnen haben, die Bilder, welche noch lebhaft in meiner Seele ſchweben, verloſchen, meine noch war - men Empfindungen erkaltet zu ſehen. Ich hatte keine Hoffnung meine Erinnerungen durch eine zweite Reiſe nach Rom wieder aufzufriſchen, wohl aber die Ausſicht zu einer Lage vor mir, in der eine anhaltende Beſchaͤfftigung mit den ſchoͤnen Kuͤnſten, mir auf im - mer verwehrt werden duͤrfte.
Dieſe Gruͤnde haben mich bewogen, mein Buch ſchon jetzt dem Druck zu uͤbergeben, und als mir zur Bedingung des Verlags gemacht wurde, daß alle drei Theile auf Oſtern 1787. zu gleicher Zeit er - ſcheinen ſollten, auch dieſe einzugehen.
Dies geſchah um Michaelis vorigen Jahrs. Die Materialien waren geſammelt, mir blieb Zeit zum Ord -A a 5nen378Schluß. nen und Feilen. Haͤtte ich an ſich nichts auſſeror - dentliches hervorgebracht; ich haͤtte das Wenige was ich geben konnte, ſo gut geliefert, als meine gegen - waͤrtigen Kraͤfte es zulaſſen.
Aber auch hieran bin ich behindert, durch eben ſo unvermeidliche, als unvorhergeſehene Abhaltungen behindert; und ich darf es behaupten, daß ſelten ein Buch unter ſo unguͤnſtigen Verhaͤltniſſen fuͤr ruhige Sorgfalt ausgearbeitet worden.
Meinen mir naͤheren Landesleuten iſt meine Lage bekannt: ſie werden ſie bei der Pruͤfung des Werths meines Buchs in Anſchlag bringen; bei Fremden darf ich aus dieſem Grunde auf Billigkeit keinen An - ſpruch machen.
Dennoch belebt mich eine Hoffnung auf allgemei - nere Nachſicht. Mein Verſuch wird die Nothwen - digkeit einer Anleitung zur Kenntniß der Kunſt fuͤr Liebhaber, eben durch ſeine Maͤngel, fuͤhlbarer machen.
Es wird ein Mann aufſtehen, der mit eben ſo vieler Liebe zu den Kuͤnſten als ich, mehr Genie und Muße verbindet, der meine Nachrichten ergaͤnzt, meine Saͤtze naͤher beſtimmt. Daß ſo wenigſtens mein ſchwaches Bemuͤhen die naͤhere Veranlaſſung zu einem Werke werde, das Aller Forderungen in der Maaße befriedigt, — wie ſie in Sachen des Ge - ſchmacks zu befriedigen nur immer moͤglich bleiben!
Kann ich mit einem ſchoͤnern, kann ich mit ei - nem fuͤr das Publicum und mich gluͤcklichern Wun - ſche endigen?
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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