PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Deutſche Geſchichte im Zeitalter der Reformation.
Zweiter Band.
Berlin,1839.Bei Duncker und Humblot.
[II][III]

Inhalt.

  • Seite
  • Drittes Buch. Verſuche einer nationalen Durchfuͤhrung der Reform. 1521 15251
  • Erſtes Capitel. Unruhen in Wittenberg. Octo - ber 1521 bis Maͤrz 15228
  • Friedrich der Weiſe 25. Zweites Capitel. Weltliche und geiſtliche Ten - denzen des Reichsregimentes 1521 2337
  • Reichstage zu Nuͤrnberg 1522, 1523. 40 ff. Entwurf eines Grenzzollſyſtemes 44. Drittes Capitel. Ausbreitung der Lehre. 1522 bis 152465
  • Viertes Capitel. Oppoſition gegen das Regi - ment, Reichstag von 1523, 24100
  • Sickingen und ſeine Gegner101
  • Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof124
  • Reichstag von 1524133
  • Fuͤnftes Capitel. Urſprung der Spaltung in der Nation145
  • Convent in Regensburg 158. Sechstes Capitel. Der Bauernkrieg182
  • Siebentes Capitel. Anfang entgegengeſetzter Buͤndniſſe, Reichstag zu Augsburg im Dez. 1525225
  • Erſte Saͤculariſationsverſuche233.
  • IV
  • Seite
  • Viertes Buch. Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe, Gruͤndung der Landeskirchen. 1521 1528249
  • Erſtes Capitel. Franzoͤſiſch-italieniſche Kriege bis zur Ligue von Cognac. 1521 1526251
  • Feldzug von 1521, 22260
  • Feldzug von 1523, 24. Angriff auf Frankreich283
  • Schlacht bei Pavia305
  • Mißverſtaͤndniſſe zwiſchen Papſt und Kaiſer320
  • Zweites Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr 1526346
  • Drittes Capitel. Eroberung von Rom im Jahr 1527372
  • Viertes Capitel. Beſitznahme von Boͤhmen und Ungern402
  • Fuͤnftes Capitel. Gruͤndung evangeliſcher Ter - titorien431
  • Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts 437. Viſitation in Sachſen 442. Heſſen 450. Fraͤnkiſch-brandenburgiſche Fuͤrſtenthuͤmer 452. Nuͤrnberg 454. Luͤneburg 459. Oſtfriesland 460. Schleswig und Holſtein 461. Schle - ſien 462. Preußen 466.
[1]

Drittes Buch. Verſuche einer nationalen Durchführung der Reform. 1521 1525.

Ranke d. Geſch. II. 1[2][3]

Wir haben geſehen, wie aus der einſeitigen Entwickelung welche das lateiniſche Kirchenweſen genommen, die Noth - wendigkeit entſprang daſſelbe zu reformiren, die allgemeine Lage der Weltverhältniſſe das forderte, die nationalen Re - gungen des deutſchen Geiſtes, die Fortſchritte der Gelehr - ſamkeit, die Gegenſätze der Theologie dazu vorbereiteten, wie endlich die Mißbräuche des Ablaßhandels, die daran ſich knüpfenden Streitigkeiten, ohne daß Jemand die bewußte Abſicht gehabt hätte, zu dem gewaltigſten Ausbruche der Oppoſition führten.

War das nun unvermeidlich, ſo dürfen wir doch nicht weiter gehn, ohne zu bemerken wie höchſt gefährlich es zu - gleich werden konnte.

Denn in der Totalität des Beſtehenden, wie es nun einmal geworden, iſt alles verbunden, unterſtützt ſich alles: ſind die innern Lebenskräfte einmal in Kampf geſetzt, wer kann ſagen, wo dem ſiegreichen Angriff wieder Einhalt ge - ſchehen, ob er nicht alles umſtürzen werde.

Bei welchem Inſtitute auf Erden wäre aber dieſe Ge - fahr größer geweſen, als bei dem Papſtthum, welches auf1*4Drittes Buch.das geſammte Leben der europäiſchen Nationen ſeit Jahr - hunderten einen ſo mächtigen Einfluß ausgeübt hatte.

Was in Europa beſtand, war doch im Grunde eben jener kriegeriſch-prieſterliche Staat, der im 8ten, 9ten Jahrhundert gebildet worden, und allen Veränderungen welche eingetreten ſeyn mochten zum Trotz, in ſeiner Tiefe, der Miſchung ſeiner Grundbeſtandtheile immer derſelbe ge - blieben war. Ja die Veränderungen welche geſchehen ſelbſt, hatten doch in der Regel das prieſterliche Element begünſtigt; eben vermöge ſeiner Siege hatte es alle For - men des öffentlichen und des Privat-Lebens, alle Adern der geiſtigen Bildung durchdrungen. Wie war es möglich, es anzugreifen, ohne alles zu erſchüttern, in Frage zu ſetzen, ohne das ganze gebildete Daſeyn zu gefährden.

Man dürfte nicht glauben, dem Dogma, in dem Fort - gange ſeiner hierarchiſch-ſcholaſtiſchen Formation, habe eine ſo unwiderſtehliche Kraft die Gemüther zu überzeugen, ſich zu ei - gen zu machen, beigewohnt. Dieſe Feſtſetzung ſelbſt hatte viel - mehr unaufhörlichen Widerſpruch gefunden; in der Regel wohl nur innerhalb des Kreiſes der einmal angenommenen Ideen, zuweilen aber auch jenſeit deſſelben in entſchloſſener Feindſeligkeit. Allein das enge Verhältniß, in dem ſich das Papſtthum zu allen beſtehenden Gewalten zu erhalten wußte, hatte immer bewirkt, daß die Oppoſitionen unterlagen. Wie hätte auch z. B. ein Kaiſer es wagen können, eine dem herrſchenden Syſtem der Gedanken nicht in einzelnen Beſtimmungen, worauf wenig ankam, ſondern innerlich und weſentlich entgegengeſetzte religiöſe Meinung in Schutz zu nehmen? Selbſt einem Papſte gegenüber, den er bekriegte,5Vorwort.durfte er es nicht wagen: er hätte fürchten müſſen den gei - ſtigen Grund zu untergraben auf welchem ſeine eigne Würde beruhte; übrigens hätte er ja auch erſt ſelbſt den Kreis der Vorſtellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüther feſ - ſelte. Die Staatsgewalten fühlten ſich immer in unauflös - lichen Beziehungen zur Hierarchie; die Verfolgungen der Andersgläubigen führten ſie in der Regel ſelber aus.

Dazu kam, daß ſich mit den letzten Angriffen auf das römiſche Kirchenweſen in der That Unternehmungen der ge - fährlichſten Art in Verbindung geſetzt hatten.

Es war nun anderthalb Jahrhunderte her, daß John Wicliffe in England ziemlich mit denſelben Waffen wie Lu - ther, und durch verwandte nationale Regungen unterſtützt, den Kampf mit dem Papſtthum unternommen hatte, aber auf der Stelle hatte ſich ihm eine ſtürmiſche Bewegung der unterſten Stände zugeſellt, die mit den Verbeſſe - rungen des Dogma oder der Emancipation von dem - miſchen Stuhle nicht zufrieden, auf die Vertilgung der geſammten Pfründen beſetzenden Geiſtlichkeit,1Vgl. Prioris et capituli Cantuarensis mandatum 16 Spt. 1381 bei Wilkins Concilia Magnae Britanniae III, 133. ja auf die Gleichmachung des Edelmanns und des Bauern, d. i. auf eine vollſtändige Umkehr der Kirche und des Staates aus - gieng. Mochte nun Wicliffe an dieſem Treiben Antheil haben oder nicht, genug, von der Ungunſt welche es er - weckte, ward auch er betroffen, und von dem Schauplatz ſeiner Thätigkeit, von Oxford, von wo er ſich unmittelbar in der Welt hätte Bahn machen können, auf den engen Wirkungskreis einer Landpfarre verwieſen.

6Drittes Buch.

Die Bewegungen in Böhmen, die in Folge der Leh - ren und der Verdammung Huſſens ausbrachen, hielten ſich zwar zunächſt an das geiſtliche Element von dem ſie aus - gegangen waren;1Ein Hauptmotiv der Bewegungen, das man gewoͤhnlich uͤber - ſieht, ſtellt der wohlunterrichtete Hemmerlin in ſeinem Tractat de libertate ecclesiastica heraus und ich will es doch hier mit ſeinen Worten in Erinnerung bringen. In regno Bohemiae quasi omnes possessiones et terrarum portiones et portiones portionum quasi per singulos passus fuerunt occupatae, intricatae et aggravatae per census, reditus et proventus clero debitos. Vnde populares nimis exasperati insultarunt in clerum et religiosos et ter - ram prius occupatam penitus liberarunt. allein der Widerſtand den ſie fanden erweckte gar bald eine höchſt verderbliche fanatiſche Rich - tung. Die Taboriten verwarfen nicht allein die Lehren der Kirchenväter, ſo gut wie die ſpäteſten Satzungen, ſondern ſie wollten die Bücher, in denen ſie enthalten, vertilgt wiſſen. Sie erklärten es für eitel und unevangeliſch, ja ſündlich, Studien zu treiben, Grade auf den Univerſitäten zu em - pfangen. 2Formula fidei Taboritarum ap. Laur. Byzynium (Brzezina): Ludewig Reliquiae MSS Tom. VI, p. 191.Sie predigten, daß Gott die Welt verderben wolle, und nur die gerechten Menſchen in fünf Städten erretten werde:3Byzynii Diarium belli Hussitici ib. p. 155 sq. ihre Prediger hielten ſich für die Racheen - gel Gottes, geſendet, um ſein Gebot der Vernichtung zu vollſtrecken. Sie würden die Welt im Namen Gottes in eine Wüſte verwandelt haben, wenn es in ihrer Macht geſtanden hätte.

Denn mit einer gelingenden Oppoſition pflegen ſich zerſtörende Tendenzen zu entwickeln; um ſo heftiger, je ge - waltiger der Feind noch iſt, mit dem ſie kämpfen muß.

7Vorwort.

Und ſollte nun in Deutſchland, wo der Papſt bis - her einen Theil der Reichsgewalt in Händen gehabt, nicht auch ein ähnlicher Sturm zu befürchten ſeyn?

Die Nation war von einer allgemeinen Gährung er - griffen: in der Tiefe hatte ſich, den geordneten Gewalten gegenüber, ſchon immer die drohende Empörung geregt: ſollte ſie durch den Angriff auf die höchſte irdiſche Gewalt die man anerkannte, nicht aufgerufen werden? ſollten ſich nicht die deſtructiven Kräfte erheben, welche jede Geſellſchaft birgt, und welche dieſer prieſterlich-kriegeriſche Staat ſchlech - terdings nicht hatte beſeitigen können?

Für die Zukunft der deutſchen Nation kam nun alles darauf an, ob ſie dieſe Gefahr beſtehen würde, oder nicht, ob es ihr gelingen würde, ſich von dem Papſtthum zu trennen, ohne zugleich den Staat und die allgemeine lang - ſam gewonnene Cultur zu gefährden, zu welcher Verfaſſung denn ohne große politiſche Veränderung konnte es nicht abgehen die Nation alsdann ſich entwickeln würde. Darauf beruhte zugleich die Möglichkeit einer Einwirkung auf die übrige Welt.

Zunächſt nahm der Gang der Ereigniſſe einen höchſt gefährlichen Character an.

[8]

Erſtes Capitel. Unruhen in Wittenberg. October 1521 bis März 1522.

Noch einmal hatte ſich in Deutſchland die höchſte welt - liche Gewalt mit dem Papſtthum verbündet, und im erſten Augenblick machte das doch einen großen Eindruck. Das Wormſer Edict ward allenthalben verkündigt, und hie und da wurden die Beichtväter von den Biſchöfen inſtruirt, Nie - manden zu abſolviren, der ſich lutheriſcher Meinungen ſchul - dig mache. Luthern ſelbſt wußte ſein Fürſt nur dadurch zu retten, daß er ihn auf der Reiſe im Thüringer Wald überfallen, zum Schein gefangen nehmen und nach der Wartburg führen ließ, wo er ihm eine Freiſtatt beſtimmt hatte. Man breitete aus, er ſey von einem Feinde des Churfürſten aufgehoben und vielleicht getödtet worden.

Allein ſehr bald zeigte ſich doch, wie wenig damit er - reicht war.

Wo Carl ſelbſt ſich aufhielt, in ſeinen niederländiſchen Städten brachte man wohl Luthers Schriften zu Hauf und verbrannte ſie; man ſah den Kaiſer ironiſch lächeln, wenn er über einen Marktplatz gehend an ſo einem Feuer vorüber kam; in dem innern Deutſchland hören wir nichts von9Unruhen in Wittenberg.dieſen Executionen. Vielmehr machte hier der Ruf der Ereigniſſe am Reichstag, das erſcheinende Edict Luthern neue Freunde. Daß er in Worms ſich zu ſeinen Büchern bekannt, ſich erboten, ſie zu widerrufen, wenn man ihn widerlege, und ſich doch Niemand an ihn gewagt habe, erſchien als ein großes Argument für die Wahrheit ſeiner Lehre. 1Ein ſchoner Dialogus und geſprech tzwiſchen eim Pfarrer und eim Schulthayß, betreffend allen uͤbel Stand der Geyſtlichen ꝛc. ; ohne Zweifel unmittelbar nach dem Reichstag: wo es heißt warum hand ir dan nit Doctor Luther mit Disputiren yez zu Worms uͤberwunden. Dieß iſt das Argument, durch welches der Schulze den Pfarrer auf ſeine Seite bringt. Je mehr man Luthers Lehre einſchränkt, ſagt Zaſius, deſto mehr breitet ſie ſich aus. 2Epp. I, 50.Machte man an der Univerſität Freiburg dieſe Erfahrung, wo die alt - geſinnte Partei ſo mächtig war, wie viel mehr anderwärts! Der Churfürſt von Mainz hielt es nicht für gut, den Mi - noriten die Erlaubniß zu geben, um die ihr Provinzial bat, in ſeinen Diöceſen gegen Luther zu predigen; er fürchtete die Bewegung nur zu vermehren. 3Capito ad Zwinglium Hallis IV Aug. 1521. (Epp. Zw. I, p. 178.) Er forderte Predigten citra perturbationem vulgi, absque tam atrocibus affectibus. Den Cenſurverord - nungen des Edictes zum Trotz erſchien Flugſchrift auf Flugſchrift im Sinne der Neuerung. Die meiſten waren anonym, Hutten wagte es ſogar, mit ſeines Namens Un - terſchrift, geradezu den Nuntius des Papſtes, den Ver - faſſer des Edictes, Aleander anzugreifen. Unter anderm fragt er ihn, ob er denn glaube mit einem einzigen Edictchen, das er einem jungen Fürſten liſtig abgepreßt, Religion und Freiheit zu unterdrücken. Gleich als ver -10Drittes Buch. Erſtes Capitel.möge ein kaiſerlicher Befehl etwas gegen das unwandelbare Gottes Wort. Sey nicht vielmehr die Meinung eines Für - ſten veränderlich? Der Kaiſer, meint er, werde mit der Zeit ſchon anders denken lernen. 1Invectiva in Aleandrum. Opera IV, 240.Dieſe römiſchen Agen - ten waren ſelbſt erſtaunt, daß die mit ſo vieler Mühe aus - gebrachte Verordnung ſo wenig nutzte. Sie ſagten, noch ſey die Tinte kaum trocken, mit welcher der Kaiſer das Edict unterzeichnet, ſo werde es ſchon allenthalben gebro - chen. Sie ſollen ſich damit getröſtet haben, wenn es zu weiter nichts führe, ſo ſey doch damit der Grund zu einer unausbleiblichen Entzweiung zwiſchen den Deutſchen ſelbſt gelegt.

Vor allem war es bedeutend, daß die Univerſität Wit - tenberg von dem kaiſerlichen Edict ſo wenig berührt wurde, wie früher von der päpſtlichen Bulle. Hier hatten die neuen Doctrinen bereits ein von der Perſönlichkeit und un - mittelbaren Theilnahme Luthers unabhängiges Leben ge - wonnen, und die Blüthe der deutſchen Jugend ſtrömte her - bei, ſie in ſich aufzunehmen; es trug fürs Erſte wenig aus, ob Luther zugegen war oder nicht; die Hörſäle wa - ren eben ſo voll:2Spalatini Annales 1521 Octob. Scholastici, quorum supra millia ibi tum fuerunt. Im Laufe des Winters ward je - doch die Univerſitaͤt den Braunſchweigiſchen und Brandenburgiſchen Unterthanen von ihren Fuͤrſten verboten. Mencken Scriptt. II, 611. Auch nahmen die Inſcriptionen beſonders im Winterſemeſter bedeu - tend ab. Sennert p. 59. ſeine Grundſätze wurden in Vortrag und Schrift mit dem gleichen Eifer verfochten. Ja die kühnſte Stellung nahm in dieſem Augenblick die neue kleine Uni - verſität. Als die Sorbonne ihr Stillſchweigen endlich11Unruhen in Wittenberg.brach und ſich gegen Luther erklärte, glaubte ſich Melanch - thon nicht nur verpflichtet für ſeinen abweſenden Freund das Wort zu nehmen, ihn zu vertheidigen, ſondern er wagte es, der Univerſität zu Paris, von der alle theologiſchen Doctrinen ausgegangen, von der die deutſchen Univerſitä - ten ſelbſt ſich nur abgezweigt, auf deren Entſcheidung die Welt von jeher gehorcht, der alma mater, die Anklage zurückzugeben die ſie erhob, ſie ſelbſt des Abfalls von dem wahren Chriſtenthum zu beſchuldigen. Er trug kein Be - denken, die ganze auf den Univerſitäten herrſchende Lehre, die Scholaſtik überhaupt, dem Inhalt der Schrift gegen - über, für abgewichen für ketzeriſch zu erklären. 1Adversus furiosum Parisiensium theologastrorum decre - tum Phil. Melanchthonis pro Luthero apologia. Corp. reforma - torum I, p. 398.Die höch - ſten Gewalten der Chriſtenheit hatten geſprochen; der Papſt hatte eine verdammende Bulle erlaſſen; die große Mutter - Univerſität unterſtützte ſeinen Ausſpruch mit dem ihren; der Kaiſer hatte befohlen ihn zu vollziehen; in dem kleinen, vor wenig Jahren kaum genannten Wittenberg wagte ein junger Profeſſor der noch im Anfang der zwanziger Jahre ſtand, in deſſen unſcheinbarer Geſtalt und beſcheidner Hal - tung Niemand Heldenmuth oder Kühnheit geſucht hätte, ſich allen dieſen Gewalten entgegenzuſtellen: die verdamm - ten Lehren zu vertheidigen, ja den Ruhm chriſtlich zu ſeyn für ſie allein in Anſpruch zu nehmen.

Das machte wohl auch: man beurtheilte die Sachen nicht nach dem grandioſen Anſchein den ſie trugen: man wußte, welche Motive namentlich dominicaniſcher Einwir - kung den römiſchen Hof beſtimmt hatten, mit welchen Mit -12Drittes Buch. Erſtes Capitel.teln dann das Edict bei dem Kaiſer ausgebracht, wie es publicirt worden war: man nannte die drei Männer, von welchen die Verdammung in Paris herrühre, und bezeich - nete ſie mit den verächtlichſten Namen. 1Glareanus ad Zwinglium Lutetiae 4 non. Julii 1521: Beda, Quercus, Christophorus: Belua, Stercus, Christotomus. Epp. Zw. p. 176. Das Schreiben Glareans p. 156, in welchem der Tod Leo’s X erwaͤhnt wird, gehoͤrt nicht in das Jahr 1520, ſondern in das folgende.Dagegen war man ſich hier einer reinen Geſinnung, eines feſten und uner - ſchütterlichen Grundes bewußt. Die Bedeutung des Für - ſten, der einen nicht ausgeſprochenen, aber auch nicht zwei - felhaften Schutz gewährte, ſicherte gegen alle unmittelbare Gewalt.

Wagte man es aber eine ſo unabhängige großartige Stellung zu ergreifen, allen anerkannten Gewalten entge - gengeſetzt und im Grunde nur mit der Meinung verbün - det, die ihren ganzen Inhalt ſelber noch nicht kannte, ihre poſitive Geſtaltung erſt noch empfangen ſollte, ſo liegt auch am Tage, welche Verpflichtung man damit über ſich nahm. Mit der Durchführung der Grundſätze, die man bekannte, hatte man einer zahlreichen, empfänglichen, har - renden Menge theilnehmender Geiſter voranzugehn. Hier zuerſt, wo doch alle Elemente des prieſterlich-kriegeriſchen Staates ſo gut vorhanden waren wie anderwärts, mußte es ſich zeigen, in wie fern es möglich ſey den Abfall von dem Prieſterthum zu wagen und doch nicht zugleich den Staat zu gefährden.

Unmöglich aber wäre es geweſen, ſtehen zu bleiben. Die Aufregung der Gemüther war zu groß, um ſich mit der Doctrin allein zu begnügen. Auf die Lehren die man13Unruhen in Wittenberg.erſchüttert, waren Gebräuche gegründet die jeden Augen - blick des täglichen Lebens beherrſchten; von dieſer thatkräf - tigen, ſich ſelber fühlenden, durch mächtig erwachende Ideen vorwärts getriebenen Generation ließ ſich nicht erwarten, daß ſie ihrer Überzeugung Gewalt anthun, und Ordnungen befolgen würde, die ſie zu verdammen anfieng.

Das Erſte was geſchah war das Allerperſönlichſte.

Ein paar Pfarrer in der Nähe, die ſich zu der Wit - tenberger Schule hielten, Jacob Seidler auf der Glashütte und Bartholomäus Bernhardi von Kemberg ſprachen ſich ſelbſt von der Pflicht des Cölibates los. Es war das die - jenige Einrichtung der Hierarchie, die wegen der natürli - chen Neigung der Deutſchen zu einem traulichen Familien - leben bei dem deutſchen Clerus von Anfang den meiſten Widerſpruch gefunden, und in ihren Folgen die Moral der Nation am tiefſten verletzt hatte. Die beiden Pfarrer ga - ben als ihren Grund an, daß es keinem Papſt und keiner Synode freigeſtanden, die Kirche mit einer Satzung zu be - ſchweren, welche Leib und Seele gefährde. 1Quid statuerint pontificii canones, nihil refert christia - norum. Schreiben der Wittenberger Theologen an den Biſchof von Meißen: Corp. Ref. I, 418.Hierauf wur - den beide von der geiſtlichen Gewalt in Anſpruch genom - men. Aber nur Seidler, in dem Gebiete des Herzog Georg von Sachſen, ward ihr überlaſſen: er iſt da in dem Ge - fängniß umgekommen. Gegen Bernhardi lieh Churfürſt Friedrich dem Erzbiſchof von Magdeburg ſeinen Arm nicht; er wollte ſich, wie Spalatin es ausdrückt, nicht zum Scher - gen brauchen laſſen. Carlſtadt faßte Muth, das Inſtitut des Cölibates in einer ausführlichen Schrift anzugreifen.

14Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Wie der Cölibat die Übertragung eines Mönchsge - lübdes auf den Prieſterſtand war, ſo ſtand die Auflöſung deſſelben auch mit den Ideen über das Kloſterweſen in Verbindung. In der kleinen Auguſtinerkirche in welcher Luther anfangs aufgetreten, hielt jetzt einer ſeiner geſchick - teſten Mitbrüder, Gabriel Zwilling, feurige Predigten, in denen er die Gelübde überhaupt, das ganze Mönchsweſen angriff, und es nicht allein für erlaubt, ſondern für noth - wendig erklärte, ſich von denſelben loszuſagen, denn in der Kutte könne man nicht ſelig werden. Dreizehn Au - guſtiner auf einmal traten aus, und nahmen ihre Woh - nung zum Theil unter den Bürgern zum Theil unter den Studenten; einer von ihnen, der das Tiſchlerhandwerk ver - ſtand, bat um das Bürgerrecht und gedachte ſich zu ver - heirathen. 1Bericht von Gregorius Bruͤck an den Churfuͤrſten 11 Octo - ber. C. Ev. I, p. 459.Eine allgemeine Aufregung entſtand; die noch in dem Kloſter verbliebenen Auguſtiner hielten ſich nicht mehr für ſicher; das Barfüßerkloſter in Wittenberg mußte des Nachts mit einer ſtarken Wache geſchützt werden.

Aber ſchon hatte derſelbe Bruder Gabriel noch einen andern weiter führenden Angriff gemacht. Die Grundſätze Luthers über das Sacrament dehnte er dahin aus, daß er die Anbetung deſſelben, ja die Celebration der Meſſe ohne Communicanten in der Idee des Opfers, die ſoge - nannte Privatmeſſe, für einen Mißbrauch für eine Sünde erklärte. 2Bericht des Auguſtinerpriors Helt an den Churfuͤrſten 12 Nov. C. Ev. 483.Zunächſt ſah ſich der Prior in dem Kloſter durch die allgemeine Bewegung, wie er ſagte um größeres Är -15Unruhen in Wittenberg.gerniß zu vermeiden, genöthigt die Privatmeſſen in ſeiner Kirche wirklich einzuſtellen. Das wirkte nun ſogleich in der Univerſität ſo wie in der Stadt nach. Als am 3ten Dez. 1521 die Meſſe in der Pfarrkirche geſungen werden ſollte, erſchienen einige Studenten und jüngere Bürger mit bloßen Meſſern unter den Röcken, nahmen die Meß - bücher weg und trieben die Prieſter vom Altar. Als der Rath die Schuldigen welche vor ſein Forum gehörten einzog, und zu beſtrafen Miene machte, erhob ſich Lärm in der Gemeine: ſie legte dem Rathe Artikel vor, in denen ſie faſt im Tone des Aufruhrs die Loslaſſung der Gefan - genen forderte. 1Der Rath zu Wittenberg an den Churfuͤrſten 3. 5 Dez. C. Ev. 487. Welchen Eindruck dieſe Neuerungen in weiter Ferne machten davon zeugt beſonders eine Stelle im 32ſten Band der ve - nezianiſchen Chronik Sanuto’s im Arch. zu Wien: Novita di uno ordine over uso de la fede christiana comenzada in Vintibergia. Li frati heremitani di S. Augustino hanno trovato e provato per le st. scripture che le messe secondo che se usano adesso si è gran peccato a dirle o a odirle (Man ſieht die ganze Neue - rung wird wie eine Entdeckung des Auguſtinerordens behandelt. ) e dapoi el zorno di S. Michiel 1521 in qua ogni zorno questo hanno predichado e ditto e stanno saldi in questa soa oppinione e questo etiam con le opre observano e da poi la domeniga di S. Michiel non hanno ditto piu messe nella chiesia del suo mo - nasterio e per questo è seguito gran scandalo tra el popolo li cantori e canonici spirituali e temporali

Verſuche, die einen völligen Umſturz des bisherigen Gottesdienſtes und zwar von unten her, ohne alle Bera - thung und Ordnung in ſich ſchloſſen. Der Churfürſt, an den alle dieſe Dinge zur Entſcheidung gebracht wurden, wünſchte nach ſeiner Weiſe das Urtheil einer oder der an - dern einigermaaßen conſtituirten Autorität zu vernehmen.

Zuerſt wurde ein Convent der Auguſtiner aus den16Drittes Buch. Erſtes Capitel.Provinzen Meißen und Thüringen nach Wittenberg beru - fen. Alle dieſe Auguſtiner waren mehr oder minder von Luthers Meinung: ſie hielten ſeine Sache für die ihre. Auch in ſeiner Abweſenheit trafen ſie, wie er ſpäter erklärt hat, in ihrem Urtheil mit dem ſeinen zuſammen. Sie giengen nicht ſo weit, wie Frater Gabriel, die Gelübde für ſündlich zu erklären; aber ſie wollten ſie auch nicht mehr für verbindlich halten. Ihre Meinung war: alle Creatur ſey dem Worte Gottes unterworfen, und brauche ſich nicht mit menſchlichen Satzungen beſchweren zu laſſen: Jedermann ſtehe frei, das Kloſter zu verlaſſen oder darin zu bleiben. 1Decreta Augustinianorum C. Ref. I, 456: nur iſt die Verſammlung nicht in den October zu ſetzen, ſondern eher in den Dezember oder Anfang Januar, wie das Seckendorf (Historia Luther. I. [s]54 § 129) aus einem gleichzeitigen Briefe anmerkt. Vgl. Spal. Ann. 610.Wer da gehe, müſſe nur ſeine Freiheit nicht nach dem Gelüſte des Fleiſches mißbrauchen: wer es vor - ziehe zu bleiben, möge auch die Kutte behalten und ſeinen Obern aus Liebe Gehorſam leiſten. Zugleich entſchloſſen ſie ſich, nicht mehr zu betteln, und jene geſtifteten für Geld abzuhaltenden Meſſen, die Votivmeſſen abzuſchaffen.

Indeſſen war auch die Univerſität von dem Fürſten aufgefordert worden, ihr Urtheil über die Meſſe im allgemei - nen auszuſprechen. Es ward eine Commiſſion niedergeſetzt, in der auch Melanchthon ſaß, und dieſe entſchied ſich für die Abſchaffung der Meſſe, nicht allein in Wittenberg ſondern im ganzen Lande, es möge daraus folgen was da wolle. 2Ernſtlich Handlung der Univerſitaͤt ꝛc. C. E. I, 465.Allein als nun die Geſammtheit der Corporationdieß17Unruhen in Wittenberg.dieß beſtätigen ſollte, war ſie nicht dahin zu bringen. Ei - nige der angeſehenſten Mitglieder blieben von der Verſamm - lung weg, mit der Erklärung: ſie ſeyen zu gering um die Kirche reformiren zu wollen. 1Bericht Chriſtian Beiers 13 Dez. ib. 500.

Da nun weder der Convent noch auch die Univerſi - tät ſich geradezu für die Neuerung erklärten, ſo war auch der Churfürſt nicht weiter zu bringen: er meinte, wenn man ſich ſchon in Wittenberg nicht vereinigen könne, wie ungleich würde die Welt über jede Änderung urtheilen! Man möge von der Sache leſen, disputiren und predigen, aber indeß bei dem alten Gebrauche bleiben. 2Inſtruction des Churfuͤrſten Lochau 19 Dez. ib. 507.

Schon waren aber die feurigen Gemüther durch An - ordnungen eines von jeher ſo nachgiebigen Fürſten nicht mehr in Zaum zu halten: dem Befehl deſſelben zum Trotz kündigte Dr Carlſtadt an, er werde zum Feſt der Beſchnei - dung Chriſti die Meſſe nach einem neuen Ritus feiern, das Abendmahl nach den Worten der Einſetzung austhei - len. Schon einmal, im October, hatte er etwas Ähnliches verſucht, jedoch in engerm Kreiſe, ganz nach dem Vorbild Chriſti, nur mit zwölf Theilnehmern. Da es ſchien, als werde man ihm jetzt Hinderniſſe in den Weg legen, ſo war - tete er nicht bis auf den angekündigten Tag. An dem Chriſttag 1521 predigte er in der Pfarrkirche von der Nothwendigkeit, von der bisherigen Weiſe abzulaſſen und beide Geſtalten des Sacraments zu empfangen: nach der Predigt trat er vor den Altar, ſprach die Meſſe, jedoch ohne die Worte welche ſich auf die Idee des Opfers be -Ranke d. Geſch. II. 218Drittes Buch. Erſtes Capitel.ziehen, ſo wie ohne die Ceremonie der Elevation, und theilte hierauf erſt das Brod, dann auch den Wein aus mit den Worten: das iſt der Kelch meines Blutes des neuen und ewigen Teſtamentes. Er traf damit den Sinn der Ge - meine: man wagte ihm nicht zu widerſprechen. Er wieder - holte ſeinen Ritus am Neujahrstag, den Sonntag darauf, und ſo weiter: auch des Freitags erſchien er auf dem Pre - digtſtuhl. 1Zeitung aus Wittenberg wie es ao̅ 1521 etc. ſey zugangen. In Strobels Miscellaneen V, p. 121.

Carlſtadt gehörte zu den nicht ſeltenen deutſchen Na - turen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefſinn den Muth verbinden, alles zu verwerfen was man feſtgeſetzt hat, oder alles zu behaupten was man verwirft, ohne daß ſie doch das Bedürfniß hätten, ſich zu voller Klarheit und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben. Carlſtadt hatte ſich früher den Lehrmeinungen der Schola - ſtiker hingegeben, dann war er von Luther zu dem Stu - dium der h. Schrift fortgeriſſen worden: doch hatte er nicht die Geduld gehabt wie dieſer, ſich der Grundſprachen zu be - mächtigen: er nahm ſich die ſeltſamſten willkührlichſten Er - klärungen nicht übel: er gieng nur dem Zuge ſeiner Ge - danken nach. Merkwürdig auf welche Bahnen er gerieth. Schon als man ſich zur Leipziger Disputation rüſtete, äußerte er ſich auf eine ſehr beſondre Weiſe über die hei - lige Schrift, auf deren Geſammtinhalt er anwandte was man ſonſt nur von dem Geſetz verſtand: ſie diene zu Über - tretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren Troſt deſſen die Seele bedürfe. Im Jahr 1520 ward es19Unruhen in Wittenberg.ihm zweifelhaft, ob Moſe die Bücher geſchrieben die ſeinen Namen tragen, ob die Evangelien in ihrer ächten Geſtalt auf uns gekommen: Ideen, welche Kritik und Gelehrſam - keit ſpäter ſo vielfach beſchäftigt haben: ſchon ihm ſtiegen ſie auf. 1Einige Auszuͤge aus ſeinen Schriften in Loͤſchers Historia motuum I, 15. Indeſſen beherrſchte ihn noch damals die Gegen - wart und Überlegenheit Luthers. Jetzt aber war er von Niemand mehr zurückgehalten: er hatte einen freien Schau - platz für ſeinen Ehrgeiz: ein enthuſiasmirtes Publicum um - gab ihn: er ſelbſt war unter dieſen Umſtänden nicht mehr der alte; mit der feurigſten Beredtſamkeit entwickelte der kleine, ſchwarzbraune, ſonnenverbrannte Mann, der ſich ſonſt nur undeutlich ausdrückte, eine Fülle tiefſinniger, ex - travaganter, eine neue Welt athmender Ideen, mit denen er Jedermann hinriß.

Da ereignete ſich nun, daß er, noch gegen Ende des Jahres 1521, Gehülfen bekam, die von einer andern Seite her auf gleichartige Bahnen gerathen waren, auf denen ſie ſogar noch verwegener einhergiengen.

Es iſt eine bekannte Thatſache, daß bei dem Beginn der huſſitiſchen Bewegungen, als Huß und Hieronymus entfernt waren, vor allem ein paar Fremde, Niclas und Peter von Dresden, verjagt von dem Biſchof von Meißen und in Prag aufgenommen, die geweſen ſind, welche die Menge auf die Abänderung des Ritus, namentlich im Sa - crament hinführten, womit ſich gar bald andre fanatiſche Meinungen vereinigten. 2Beſonders merkwuͤrdig iſt hieruͤber die Notiz bei Pelzel:

2*20Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Sey es nun, daß dieſe Meinungen nach den Gegen - den ihres Urſprunges zurückwirkten, oder daſelbſt eine tie - fere ältere Wurzel hatten, eben von dort her aus dem Erz - Gebirge, von Zwickan, wo ſich jener Peter von Dresden eine Zeitlang aufgehalten, erhob ſich eine verwandte Ten - denz, welche ſich der wittenbergiſchen Bewegung zu bemäch -[t]igen ſuchte, wie damals der prager.

Beſonders um einen ſchwärmeriſchen Tuchmacher des Namens Claus Storch, ſammelte ſich dort eine Secte, welche ſich zu den weitausſehendſten Meinungen be - kannte. Luther that dieſen Leuten bei weitem nicht genug: ſie fanden, es ſeyen noch ganz andre Männer als er, von höherm Geiſte, nothwendig. Denn was könne es helfen, ſich ſo enge an die Bibel zu halten? Zu wahrer Unter - weiſung eines Menſchen ſey ſie doch unkräftig, der Menſch könne nur durch den Geiſt gelehrt werden. 1So bezeichnete ein aus Zwickau an den Churfuͤrſten einge - gangener Bericht, von welchem dieſer der Univerſitaͤt Nachricht giebt, die Linie ihrer Meinungen. Acta Einsiedelii cum Melanthonio C. R. p. 536. Die Nachrichten in Enoch Widemann Chronicon Curiae bei Mencken Scriptt. R. G. III, 744 bezeichnen eine etwas ſpaͤtere Entwickelung der Storchiſchen Phantaſien. Tobias Schmidts Cronica Cygnea 1656 iſt fuͤr die Ereigniſſe des dreißigjaͤhrigen Kriegs nicht ohne Werth: fuͤr die Reformationszeit aber unzureichend.Sie ſteiger - ten ihren Enthuſiasmus bis zu dem Grade daß ſie ſich überzeugt hielten, ihnen ſey das beſchieden: Gott ſelbſt rede mit ihnen, gebe ihnen an, was ſie thun, was ſie predigen ſollten. 2Amtliche Erklaͤrung Melanchthons 1ſten Jan. 22. C. R. I,Auf den Grund dieſer tiefern unmittelbar inſpi -2Wenceslaus: II, Urkunden nr. 238 ex MS coaevo capituli. Sie erklaͤrten gleich im Anfang, quod papa sit antichristus cum clero sibi subjecto. 21Unruhen in Wittenberg.rirten Einſicht drangen auch ſie nun zunächſt auf Abände - rungen des kirchlichen Ritus. Vor allem verwarfen ſie, weil das Sacrament ohne den Glauben keinen Sinn habe, die Taufe der Unmündigen, die ja des Glaubens nicht - hig ſeyen. Aber noch viel weiter giengen ihre Gedanken. Sie hielten dafür, daß der Welt eine totale Verwüſtung, vielleicht durch die Türken, bevorſtehe. Kein Prieſter werde leben bleiben, ſelbſt keiner von denen die ſich jetzt verhei - rathen, überhaupt kein Unfrommer: aber nach dieſer bluti - gen Reinigung werde das Reich Gottes eintreten, Eine Taufe, Ein Glauben ſeyn. 1Zeitung aus Wittenberg p. 127. Natürlich brachten Lehren die - ſer Art in Zwickau ähnliche Bewegungen und Unruhen her - vor, wie die carlſtadtiſchen in Wittenberg; doch nahmen ſie dort eine andre Wendung. In Zwickau ſtand den Neue - rern nicht eine leicht aufzuregende akademiſche Jugend zur Seite: Rath und Pfarrer behielten die Oberhand und die Neuerer mußten die Stadt verlaſſen. Aber was ihnen zu Hauſe nicht gelungen, hofften ſie anderwärts um ſo voll - ſtändiger durchzuſetzen. Die einen begaben ſich nach Prag, um hier wo möglich die alte taboritiſche Geſinnung wieder zu beleben: was ihnen denn freilich mißlang. Die andern, auf die es uns ankommt, erſchienen in Wittenberg, wo ſie in der allgemeinen Aufregung der Geiſter, die nach einem Unbekannten Neuen trachteten, in dem Ubergewicht der Ge - meine und Jugend über den Rath der Stadt und den Se - nat der Univerſität einen für ihre Saat vortrefflich vor - bereiteten Boden fanden.

2533: aus der man zugleich ſieht, daß die Leute ein Halbjahr fruͤher ſich der goͤttlichen Geſpraͤche noch nicht geruͤhmt hatten.

22Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Auch zeigt ſich, daß nach ihrer Ankunft die Bewegung in Wittenberg noch einen kühnern Anlauf nahm.

Carlſtadt, mit dem ſie ſogleich in Verbindung traten, ſchritt von Tag zu Tag zu auffallendern Veränderungen fort. Das Meßgewand ward abgeſchafft; die Ohrenbeichte nicht mehr gefordert, ja ohne alle Vorbereitung gieng man zum Abendmahl, und ſuchte etwas darin, die Hoſtie ſich nicht mehr von dem Prieſter reichen zu laſſen, ſondern ſie mit den Händen ſelber zu ergreifen. Man hielt es für ein Zei - chen beſſerer Chriſtlichkeit, daß man eben an den Faſtta - gen Eier und Fleiſchſpeiſen genoß. Man begann ſchon, ſich an den Bildern in den Kirchen zu vergreifen. Carl - ſtadt nahm keine Rückſicht auf den Unterſchied zwiſchen Verehrung und Anbetung, den man immer gemacht hatte; alle Stellen der Schrift wider die Abgötterei wandte er auf den Bilderdienſt an; er hob hervor, daß man ſich vor ihnen krümme und beuge, ihnen Lichter anzünde, Opfer bringe; eben deshalb rieth er, ſie zu ſtürmen und zu zerſtören, dieſe Ölgötzen dieſe abgöttiſchen Klötze; ſelbſt das Crucifix wollte er nicht gelten laſſen, das man ſeinen Herrgott nenne, und das höchſtens an das fleiſchliche Lei - den Chriſti erinnere;1Von Abthuung der Bilder, eine Schrift die ich jedoch nur aus den Widerlegungen kenne namentlich Emſers welche ſie hervorrief, wo denn viele Stellen woͤrtlich angefuͤhrt ſind. es erhob ſich zum erſten Mal eine bilderſtürmeriſche Bewegung, wie ſie ſich ſeitdem über ein halb Jahrhundert hindurch an ſo viel andern Orten erzeugt hat; man riß die Bilder von den Altären, zerhieb und ver - brannte ſie. Es leuchtet ein, welch einen überaus gefähr -23Unruhen in Wittenberg.lichen drohenden Charakter die Bewegung dergeſtalt em - pfieng. Carlſtadt befand ſich im Widerſpruch nicht allein mit den geiſtlichen, ſondern auch mit den weltlichen Ge - walten. Er lehrte ſchon, wenn die Obrigkeit nachläßig ſey, dürfe die Gemeine die nothwendigen Änderungen voll - ziehen. Wirklich legte die Wittenberger Gemeine dem Rath einige Artikel vor, in denen ſie die förmliche Abſchaffung aller nicht ſchriftmäßigen Cerimonien, aller Meſſen, Vi - gilien, Begängniſſe, und für ihre Prediger eine unbedingte Freiheit forderte; der Rath ſah ſich gezwungen, bald in dem einen bald in dem andern nachzugeben. 1Artikel bei Strobel V, 128. Und noch um vieles umfaſſender waren ihre Ideen. Man ſuchte den Begriff einer ſtreng chriſtlichen Gemeine unverzüglich zu realiſiren; man forderte den Rath auf, alle Häuſer öffent - licher Vergnügung, verſteht ſich vor allem der unerlaubten, aber auch der erlaubten zu ſchließen, und unter andern keine Bettler mehr zu dulden, deren es in der Chriſtenheit nicht geben dürfe, ſondern die Güter der ohnedieß verderb - lichen Brüderſchaften zu deren Nutzen zu verwenden. Ja mit dieſen Beſtrebungen einer in ihrem einſeitigen Eifer die Natur der menſchlichen Geſellſchaft mißkennenden Recht - gläubigkeit verbanden ſich unmittelbar die verderblichſten Ideen der Taboriten. Ein alter Profeſſor wie Carlſtadt ließ ſich zu der Meinung fortreißen, man bedürfe keiner Gelehrten mehr, keines Studiums an den Univerſitäten, viel weniger ihrer Grade. In den Vorleſungen rieth er ſei - nen Zuhörern nach Hauſe zu gehn und Ackerbau zu trei - ben, denn im Schweiß ſeines Angeſichtes ſolle der Menſch24Drittes Buch. Erſtes Capitel.ſein Brod eſſen. Einer ſeiner entſchloſſenſten Anhänger war der Rector der Knabenſchule, Georg Mohr, der aus dem Schulfenſter heraus die verſammelten Bürger aufforderte, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Wozu bedurfte es auch ferner der Gelehrſamkeit? Hier waren die himm - liſchen Propheten aus Zwickau, Storch, Thomä und Stüb - ner, welche mit Gott redeten und die Fülle der Gnade und Wiſſenſchaft beſaßen ohne alles Studium. Leicht war der gemeine Mann zu überzeugen, daß auch ein Laie, ein Hand - werker zu dem Amte eines Prieſters und Predigers tauge.

So ließ man die conſervativen Ideen fallen, an die ſich Luther noch feſtgehalten; der Begriff der weltlichen Obrigkeit, von welchem aus er die Anmaaßungen des Prie - ſterthums bekämpfte, ward jetzt ebenfalls verworfen. Luther hatte die herrſchende Lehre mit den Waffen einer gründli - chern Gelehrſamkeit angegriffen: eine der roheſten Inſpira - tionstheorien welche je vorgekommen, wollte ſich jetzt an deren Stelle ſetzen. Nimmermehr wäre das durchzuführen geweſen. Gegen ein ſo wildes deſtructives Beginnen muß - ten ſich alle Kräfte der geordneten Welt erheben, und es entweder vernichten oder in den engſten Kreiſen beſchließen. Kam es zur Herrſchaft, ſo war jede Hofnung der Welt verloren, die ſich an die neue Bewegung knüpfen mochte.

In Wittenberg war Niemand, um dem allgemeinen Taumel zu widerſtehen. Dazu war Melanchthon zu jung und unerfahren, wenn er auch ſonſt Standhaftigkeit genug gehabt hätte; wenn er mit den Zwickauer Propheten ſprach, ſo fand er doch, daß ſie in den Hauptprinzipien des Glau - bens mit ihm einig und wohlbefeſtigt ſeyen; ihre Behaup -25Unruhen in Wittenberg.tungen in Hinſicht der Kindertaufe wußte er nicht zu wi - derlegen. Er ſah, daß ſie Geiſt hatten: ihn zu prüfen fühlte er ſich ſelbſt nicht ſtark genug.

Auch der Churfürſt war nicht fähig nachdrücklichen Widerſtand zu leiſten. Wir kennen dieſen Fürſten ſchon: ſein Temporiſiren, ſeine Abneigung perſönlich hervorzutre - ten, einzugreifen, ſeine Gewohnheit die Dinge ſich ſelbſt entwickeln zu laſſen. Es war die friedfertigſte Natur welche dieß kriegeriſche fehdeluſtige Zeitalter hervorgebracht hat: nie griff er zu den Waffen; zuletzt hatte dann immer ſeine ſtille, beobachtende, kluge und geiſtreiche Politik den Sieg davon getragen. Sein Vergnügen war, in ſeinem Lande das er ſo ſchön fand wie irgend ein anderes auf Erden ſeine Schlöſſer zu bauen, die Lochau, Altenburg, Weimar, Coburg: ſeine Kirchen mit Gemählden zu ſchmücken, wozu er den trefflichen Meiſter Lucas Kranach an ſich gezogen: ſeine Capelle und Singerey, die eine der beſten im Reiche war, im Stande zu halten: die hohe Schule die er geſtiftet emporzubringen. Obwohl er nicht ſehr zugänglich war, ſo liebte er doch das gemeine Volk. Er zahlte einſt den ſchon eingeſammelten gemeinen Pfennig zurück, da es zu der Un - ternehmung nicht kam, wozu er beſtimmt war. Wahr - lich, ſagt er von Einem, es iſt ein böſer Menſch, denn er iſt armen Leuten ungütig. Auf der Reiſe ließ er die Kinder beſchenken, die am Wege ſpielten: heut oder mor - gen werden ſie dann ſagen: es zog ein Herzog von Sach - ſen vorüber, der gab uns allen. Nunmehr war er zu Jah - ren gekommen: von den alten deutſchen Fürſten, mit denen er zu ſeiner Zeit in engerer Vertraulichkeit gelebt, ſeinen gu -26Drittes Buch. Erſtes Capitel.ten Geſellen und Freunden, wie er ſie nannte, waren die Meiſten geſtorben, und gar manches Unangenehme mußte er erfahren. An der Geſinnung des jungen Kaiſers war er irre geworden: ſelig der Mann, rief er aus, der nichts am Hofe zu ſchaffen hätte. Sein nächſter Nachbar, ſein ſtürmiſcher Vetter Georg, trat in immer ſtärkern Gegenſatz mit ihm. Ah mein Vetter Georg, ſagte er, Wahr - lich ich weiß keinen Freund, als meinen Bruder: dem er denn auch allmählig die Regierung zum großen Theil über - ließ. Wenn er Luthern beſchützte, ſo war das im Laufe der Zeit wohl ſehr natürlich ſo gekommen: anfangs nicht ohne Rückſichten der Politik, dann eine Pflicht der Ge - rechtigkeit;1Seine Raͤthe erklaͤrten 2 Jan. 22 in Wittenberg: S. Ch. G. hatt ſich Doctor Martinus Sachen bisher nicht anders an - genommen, denn allein weil er ſich zu Recht erboten, daß er nicht bewaͤltigt wuͤrde. (C. Ref. 537.) aber überdieß theilte er die unbedingte Vereh - rung für die heilige Schrift, welche Luther geltend machte; er fand, alles andre, ſo ſcharfſinnig es auch laute, laſſe ſich am Ende widerlegen: nur das göttliche Wort ſey hei - lig majeſtätiſch und die Wahrheit ſelbſt; er ſagte, dieß Wort ſolle rein ſeyn wie ein Auge. Ihm entgegenzutre - ten, zu widerſtehen, hatte er eine tiefe, eine ehrwürdige Scheu. Es iſt die Grundlage aller Religion, daß man das Heilige anerkennt, das ſittliche Geheimniß der Schö - pfung, und es nicht wagt, ihm mit den unreinen Trieben des Augenblicks zu nah zu treten. Darin beſtand vor al - lem die Religion unſers Fürſten; dieß hatte ihn abgehalten, in Luthers Sache ſelbſtthätig und mit eigener Willkühr ein -27Unruhen in Wittenberg.zugreifen: eben dieß aber bewirkte, daß er auch den Neue - rungen in Wittenberg, ſo wahrhaft ungern er ſie auch ſah, ſich doch nicht mit aller Kraft entgegenſtellte. Er wagte ſie nicht zu verdammen, ſo wenig wie Melanchthon. Als er einſt in Prettin die Bedenken ſeiner Gelehrten und Räthe in dieſer Sache vernommen, zeigte er ſich von der Mög - lichkeit, daß die Leute Recht haben möchten, betroffen und erſchüttert. Er ſagte, er verſtehe es nicht als ein Laie; ehe er ſich aber entſchließe gegen Gott zu handeln, wolle er lieber den Stab in die Hand nehmen und ſein Land ver - laſſen. 1Spalatin Leben Friedrichs des Weiſen. Vermiſchte Abhand - lungen zur ſaͤchſiſchen Geſch. B. V.

Gewiß: es hätte dahin kommen können. Die begon - nene Bewegung konnte zu nichts führen, als zu offenem Aufruhr, zur Umkehr auch des Staates in dem Sinne ei - ner neuen chriſtlichen Republik; allerdings würde alsdann Gewalt die Gewalt aufgerufen haben, und Gutes und Böſes wäre mit einander zerſtört worden.

Wie viel kam da noch einmal auf Luther an. Von der Grundlage ſeiner Ideen giengen auch dieſe Bewegungen aus, oder ſchloſſen ſich daran an. Wenn er ihnen beiſtimmte, wer wollte ihnen Schranken ſetzen? Widerſetzte er ſich aber, ſo fragte ſich, wie er das vermögen, ob er ſich dann ſel - ber behaupten würde.

Während dieſer ganzen Zeit war er auf der Wartburg. Anfangs hielt er ſich hier ganz innerhalb der Mauern, dann finden wir ihn noch zaghaft in die Erdbeeren am Schloßberg gehn; ſpäter, ſicherer geworden, durchſtreifte er28Drittes Buch. Erſtes Capitel.als Junker Georg mit einem Reiterbuben die Umgegend; einmal wagte er ſich ſogar in langem Haar und Bart, kaum noch wieder zu erkennen, in eiſernem Harniſch nach Wittenberg. Allein ſein Reiterleben hatte doch zugleich ei - nen ſehr theologiſchen Inhalt; ſeine Seele war immer in der Mitte des kirchlichen Kampfes. Auf der Jagd, ſagt er, theologiſirte ich; in den Netzen und Hunden des Jägers ſah er die Biſchöfe und Anwälte des Antichriſts, die den armen Seelen nachſtellen. 1An Spalatin 15 Aug. D. W. II, 43. In der Einſamkeit der Burg kehrten ihm auch andere Anfechtungen des Klo - ſters zurück. Hauptſächlich beſchäftigte er ſich damit das Neue Teſtament zu überſetzen: er faßte den Gedanken, der deutſchen Nation eine richtigere Bibel zu geben, als die lateiniſche Kirche in der Vulgata beſitze. 2An Amsdorf 13 Jan. p. 123. Indem er hiebei ſeinen Sinn tiefer und tiefer befeſtigte, und nur den Wunſch hegte, in Wittenberg zu ſeyn, um mit Hülfe ſeiner Freunde ein ſo wichtiges Werk zu vollenden, vernahm er von den dortigen Bewegungen und Unruhen. Er war über ihren Character keinen Augenblick in Zweifel. Er ſagt, nie in ſeinem Leben habe ihn etwas tiefer verletzt; was ihm ſonſt zu Leide gethan worden, ſey nichts dagegen. Auf ihn machte es keinen Eindruck, was man von den Inſpirationen der himmliſchen Propheten ſagte, ihren Geſprächen mit Gott. Auch er kannte die geheimnißvollen Tiefen der gei - ſtigen Welt; da hatte er andre Erfahrungen gemacht, ſich mit einem zu erhabenen Begriff von dem Weſen Gottes durchdrungen um ſich überreden zu laſſen, er erſcheine der29Unruhen in Wittenberg.Creatur, entzücke ſie, und ſpreche mit ihr. Willſt du wiſſen, ſchreibt er Melanchthon,113 Jan. 22 ib. p. 125. Zeit und Ort und Art der göttlichen Geſpräche, höre: wie der Löwe hat er meine Gebeine zerſchmettert, und: ich bin verworfen vor deinen Augen, meine Seele iſt mit Pein erfüllt, mit Vorgefühl der Hölle. Darum redet Gott durch die Menſchen, weil wir es nicht ertragen könnten, wenn er ſelber ſpräche. Er wünſchte ſeinem Fürſten Glück zu dem Kreuze das ihm Gott aufgelegt; wider das Evangelium müſſe nicht allein Annas und Caiphas toben, ſondern auch Judas müſſe unter den Apoſteln ſeyn. Er kündigt ihm an, er werde ſich ſelbſt dahin begeben. Der Churfürſt bat ihn, dieß noch nicht zu thun: es werde zur Zeit noch nicht zum Guten gereichen; er möge lieber ſeine Verantwortung für den nächſten Reichstag vorbereiten, an dem ſeine Sache, wie ſich hoffen laſſe, noch einmal zu rechtlichem Verhör ge - langen werde. 2Inſtruction an Oswald Corp. Ref. I, 561. Jedoch durch Vorſtellungen dieſer Art war Luther nun nicht mehr zurückzuhalten. Nie war er feſter überzeugt geweſen, daß er das Evangelium vom Him - mel habe, daß der Glaube ihn ſchützen werde; was in Wittenberg vorgefallen, ſchien ihm ein Schimpf, der ihn und das Evangelium treffe. 3An den Churfuͤrſten 5 Maͤrz II, 137. So brach er auf, ohne Rück - ſicht auf des Papſtes Bann oder die Acht des Kaiſers, indem er ſeinen Fürſten ſelbſt aufforderte ſich nicht um ihn zu kümmern. Er war in der großartigſten Stimmung. Ein paar junge Schweizer die nach Wittenberg zur Uni -30Drittes Buch. Erſtes Capitel.verſität reiſten trafen in Jena, in dem Gaſthof zum ſchwar - zen Bären, auf einen Reitersmann, der am Tiſch ſaß, ſeine rechte Hand auf dem Knopf des Schwertes, vor ſich den hebräiſchen Pſalter. Es war, wie ſie ſpäter inne wurden, Luther, und man muß in den Aufzeichnungen des einen von ihnen leſen, wie er ſie zu ſich an Tiſch lud, wie mild und groß er in alle ſeinem Bezeigen war. 1Aus der Chronik von Keßler in Bernet Leben Keßlers p. 27. Freitag am 7ten März langte er in Wittenberg an. Den Sonnabend fan - den ihn jene Schweizer im Kreiſe ſeiner Freunde wie er ſich näher über alles unterrichtete, was in ſeiner Abweſen - heit geſchehen. Am Sonntag fieng er an zu predigen. Er mußte verſuchen, ob man ihm anhängen, ob er noch eine Wirkſamkeit haben, ob es ihm gelingen werde die Bewe - gung zu beruhigen. Wie enge und unſcheinbar auch der Schauplatz war, auf den er zurückkehrte, ſo hatte doch ſein Unternehmen die Bedeutung einer Weltbegebenheit. Es mußte ſich zeigen, ob die Lehre, die ſich ihm ohne Willkühr, mit innerer Nothwendigkeit gebildet, und die einen ſo großen Mo - ment für die künftige Entwickelung des menſchlichen Ge - ſchlechts in ſich enthielt, auch fähig ſeyn werde die Elemente der Zerſtörung zu beſiegen, die nicht minder in den Gei - ſtern arbeiteten, allenthalben den Boden des öffentlichen Le - bens unterwühlt hatten und erzittern machten, und hier ihren erſten Ausdruck gefunden. Die Frage war, ob es möglich ſeyn werde, zu verbeſſern ohne zu zerſtören, einer neuen Entwickelung des Geiſtes Bahn zu machen ohne die Re - ſultate aller frühern zu vernichten. Luther faßte die Sache aus dem Geſichtspunct eines Seelſorgers und Predigers. 31Unruhen in Wittenberg.Er verwarf die Veränderungen, die man gemacht, nicht an und für ſich, noch die Lehre, aus der ſie gefloſſen; auch hütete er ſich wohl, die Wortführer der Neuerung perſönlich zu verletzen, auf ſie zu ſchelten; er urtheilte nur, man ſey zu raſch verfahren, man habe dadurch Ärgerniß bei den Schwachen verurſacht und das Gebot der Liebe nicht gehalten. Er gab zu, daß es Gebräuche gebe, die man wohl durchaus abſchaffen müſſe, z. B. die Privat - meſſen, obwohl man auch dabei alle Gewaltſamkeit, alles Ärgerniß zu vermeiden habe; von den meiſten andern aber ſey es für einen Chriſten gleichgültig, ob man ſie beobachte oder nicht. Es komme ſo viel nicht darauf an, ob man das Abendmahl unter Einer Geſtalt nehme oder unter bei - den; ob man beſondre oder allgemeine Beichte vorziehe; in dem Kloſter bleibe oder es verlaſſe; Bilder in den Kir - chen habe, die Faſten halte oder auch nicht; darüber Ge - ſetze zu machen, Lärmen zu veranlaſſen, ſchwächern Mit - brüdern Anſtoß zu geben, ſey eher ſchädlich als heilſam, und widerſtreite dem Gebote der Liebe. Die Gefahr der tumultuariſchen Neuerung lag darin, daß ſie ſich für noth - wendig, für die unmittelbare Forderung des ächten Chri - ſtenthums erklärte; beinahe eben ſo, wie man auf der päpſt - lichen Seite jedes kirchliche Gebot für einen unantaſtbaren Ausfluß der höchſten Idee ausgab, mit der man auch das geſammte bürgerliche Leben in engſten Zuſammenhang ge - ſetzt hatte. Es war ein unendlicher Gewinn, zu zeigen, daß die Religion ein freies Gebiet anerkenne, welches ſie nicht unmittelbar zu beherrſchen brauche, wo ſie ſich nicht um die Leitung jeder Einzelnheit zu bekümmern habe. Luther32Drittes Buch. Erſtes Capitel.that das mit der Milde und Schonung eines Vaters und Führers, mit der Überlegenheit eines weiter ſchauenden, tiefer begründeten Geiſtes. Dieſe Predigten gehören wohl zu den bedeutendſten von allen die er gehalten hat; es ſind zugleich Demegorien, wie die des Savonarola, aber nicht um aufzuregen, um fortzureißen, ſondern um einzuhalten auf einem verderblichen Wege, die Leidenſchaften zu be - ſchwichtigen, zu dämpfen. 1Sieben Predigten D. M. L. ſo er von dem Sontage In - vocavit bis auf den andern Sontag gethan, als er aus ſeiner Path - mos zu Wittenberg wieder ankommen. Alt. II, p. 99. Wie hätte die Gemeinde der wohlbekannten Stimme, dieſer überzeugten und überzeugen - den Beredſamkeit widerſtehen können, durch welche ſie zu - erſt auf die neuen Bahnen des Geiſtes geführt worden. Was ſonſt wohl einem ähnlichen Beginnen entgegnet wird, daß man Furcht habe, Rückſichten hege, war hier nicht vorzubringen. Nie war Luther heldenmüthiger erſchienen. Dem Banne des Papſtes und der Acht des Kaiſers bot er Trotz, indem er zu ſeiner Gemeine zurückkehrte; ſein Fürſt hatte ihm geſagt, daß er ihn nicht ſchützen könne; er hatte überdieß auf dieſen Schutz ausdrücklich Verzicht geleiſtet; er ſtürzte ſich in die größte perſönliche Gefahr, und zwar that er das, nicht, wie wohl auch Andre gethan, um einer Bewegung voranzugehn, ſondern um ihr entge - genzutreten; nicht um umzuſtürzen, ſondern um zu erhalten. Vor ihm verſtummte die Empörung, legte ſich das Ge - tümmel: die Ruhe ward wiederhergeſtellt; auch einige der am heftigſten aufgeregten Wortführer wurden überzeugt undſchloſ -33Unruhen in Wittenberg.ſchloſſen ſich an. Carlſtadt, der ſo weit nicht zu bringen war, wurde zum Schweigen verurtheilt; es ward ihm hauptſächlich zum Vorwurf gemacht, daß er ſich unberu - fen in das Pfarramt eingedrängt habe, und er durfte die Kanzel nicht mehr beſteigen. Die gemäßigtere Meinung wie ſie Luther verfocht und die von einer drohenden Ge - fahr befreite Staatsgewalt traten einander noch einen Schritt näher. Eine Schrift Carlſtadts, in ſeinem bisherigen Sinne abgefaßt, von der ſchon einige Bogen abgedruckt waren, wurde von der Univerſität, die dem Churfürſten darüber be - richtete, unterdrückt. Noch einmal ſtellten ſich die Zwi - ckauer Luthern dar. Er warnte ſie, ſich nicht von den Vor - ſpiegelungen des Satans verblenden zu laſſen: ſie antwor - teten ihm: zum Beweis ihrer göttlichen Miſſion würden ſie ihm angeben, was er in dieſem Augenblicke denke; da er es geſtattete, ſagten ſie ihm, er fühle jetzt in ſeiner Seele eine Hinneigung zu ihnen. Luther fuhr auf: ſtrafe dich Gott, Satan; er hat ſpäter geſtanden, das ſey in der That in ihm vorgegangen, aber eben daß ſie es getroffen hielt er für ein Zeichen ſataniſcher, nicht göttlicher Kräfte: er entließ ſie indem er gleichſam ihren Geiſt gegen ſeinen Gott herausforderte. 1Camerarius Vita Melanchthonis, cap. XV. Abſtrahiren wir von der Schroffheit ſei - nes Ausdrucks, ſo hat dieſer Kampf zwiſchen zwei entge - gengeſetzten Geiſtern, einem verderblichen und einem ſchützen - den Genius eine tiefe, grandioſe Wahrheit.

Hierauf ward es ruhiger in Wittenberg. Die Meſſe ward ſo weit als möglich hergeſtellt; vorhergehende Beichte und das Empfangen mit dem Munde; mit geweihten Klei -Ranke d. Geſch. II. 334Drittes Buch. Erſtes Capitel.dern, Geſang und allen gewöhnlichen Cerimonien, ſelbſt latei - niſch ward ſie gehalten; man ließ nichts weg als die Worte des Canon, die ſich unmittelbar auf die Idee vom Opfer be - ziehen. 1Luther von beider Geſtalt des Sacraments zu nehmen. Al - tenb. II, p. 126. Übrigens aber beſtand eine volle Freiheit, eine Un - beſtimmtheit aller Formen. Luther blieb im Kloſter und trug die Auguſtinerkutte nach wie vor; doch hatte er nichts dawi - der daß Andre weltlich wurden. Das Abendmahl ward un - ter Einer oder auch beiden Geſtalten ausgetheilt. Es war gleich viel, ob Jemand ſich mit der allgemeinen Abſolution begnügte, oder nach einer beſondern Verlangen trug. Gar oft wurden Fragen über die Grenzen des Unbedingt-ver - werflichen und des Noch-zuläßigen rege; die Maxime Lu - thers und Melanchthons war, nichts zu verdammen, was nicht eine unzweifelhafte Stelle der Bibel, wie man ſich aus - drückte, ganz klare und gründliche Schrift wider ſich hatte. Man dürfte dieß nicht für Gleichgültigkeit halten. Vielmehr: die Religion zog ſich in das ihr unmittelbar eigene Gebiet zurück und vertiefte ſich in ihre reinſten Ten - denzen. Dadurch wurde es möglich, die Lehre zu ent - wickeln und auszubreiten, ohne daß man geradezu in Kampf mit dem Beſtehenden gerathen wäre, ohne daß man durch raſchen Umſturz die deſtructiven Kräfte erweckt hätte, deren erſte Regung eben ſo gefährlich geworden war. Ja die Entwickelung der Lehre ſelbſt konnte nicht ohne Rückſicht auf dieſe Gegner von der andern Seite geſchehn. Luther ward ſchon damals inne, daß es gefährlich ſey, nur immer von der Kraft des Glaubens zu predigen:35Unruhen in Wittenberg.ſchon drang er darauf, daß der Glaube in guten Sitten, brüderlicher Liebe, Zucht und Ordnung ſich darſtellen müſſe. 1Eine merkwuͤrdige Stelle aus einer ſeiner Predigten fuͤhrt Eberlin von Guͤnzburg an: Vermanung an alle frumen Chriſten zu Augsburg am Lech. Ich hab gehort, ſagt er, von D Martin Luther, in ainer Predig ain groß war wort, das er ſagt, wie man die ſach anfacht, ſo felt unrat darauf; predigt man den glauben allein, als man thon ſol, ſo unterleßt man alle zucht und ordnung, predigt man zucht und ordnung ſo felt man ſo gantz darauff das man alle ſe - lickait darein ſetzt und vergißt des glauben; das mittel aber were gut, das man alſo den glauben yebte das er ausbreche in zucht und ordnung, und alſo uͤbte ſich in guten ſiten und in briederlicher liebe das man doch ſelikait allein durch den glauben gewertig were.Nach allen Seiten wies die ſich entwickelnde religiöſe Überzeugung das Ungleichartige von ſich und bildete ihren Inhalt zugleich individueller und allgemein gültiger, nach ihrer innern Nothwendigkeit aus. Noch mitten in den Stürmen, im Dezember 1521, war das erſte Lehrbuch der Theologie nach den neuen Grundſätzen erſchienen, Melanchthons loci communes, noch lange kein vollſtändiges Werk, in ſeinem Urſprung nur eine Zuſam - menſtellung der Grundſätze des Apoſtels Paulus über Sünde, Geſetz und Gnade, und zwar durchaus in den ſtrengen Begriffen, von denen Luthers Erweckung ausgegangen, aber dabei ſchon darum höchſt merkwürdig, weil es von der bisherigen Entwickelung der ſcholaſtiſchen Theologie ſo völ - lig abwich und ſeit ſo vielen Jahrhunderten in der lateini - ſchen Kirche zum erſten Mal ein Syſtem aus der Schrift allein zuſammenſtellte; von Luthers Beifall empfohlen machte es nun ſeinen Weg durch die Welt; in immer neuen Aus - gaben ward es umgebildet, vervollſtändigt. 2Man erkennt den Urſprung und die Zuſammenſetzung dieſerUnd eine noch3*36Drittes Buch. Erſtes Capitel.weiter reichende Wirkung, auf das Volk unmittelbar mußte die Überſetzung des Neuen Teſtamentes haben, die Luther nach ſeiner Rückkunft mit Melanchthon nochmals durchar - beitete, und mit der er im September 1522 hervortrat. Indem man ſich von den Formen los riß, welche Schule und Hierarchie der Lehre gegeben, bot man dagegen die erſte Urkunde des Chriſtenthums, in wortgetreuer Übertra - gung, verſtanden und verſtändlich, der Nation dar. Eben war ihr Geiſt dazu gereift ihren Inhalt in ſich aufzunehmen; von dem ächten Ausdruck der unvermittelten Religion ward er in den wichtigſten Momenten ſeiner Bildung in ſeiner Tiefe ergriffen und durchdrungen. Von den Wirkungen die - ſer Thätigkeit ließ ſich alles erwarten. Luther hegte die groß - artige Zuverſicht, daß die Lehre allein zum Ziele führen, daß wenn ſie durchdringe, ſchon ganz von ſelbſt eine Umge - ſtaltung der äußern Verhältniſſe eintreten werde.

Daß er dieſe Meinung hegen, und durch baldigen Erfolg darin beſtärkt werden konnte, dazu trug vor allem die Haltung bei, welche die indeß umgebildeten Reichsge - walten annahmen.

2Schrift durch eine Vergleichung des erſten Entwurfes von 1520, der handſchriftlich in viele Haͤnde kam, in Strobel’s Neuen Beitraͤ - gen V, p. 323 mit der erſten Ausgabe von 1521, abgedruckt in v. d. Hardts Hist. lit. ref. IV.

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Zweites Capitel. Weltliche und geiſtliche Tendenzen des Reichs - regimentes 1521 1523.

Es iſt ein großartiges Zuſammentreffen, daß eben in dem Momente, wo ſich dieſe gewaltigſte nationale Re - gung erhob, jene ſtändiſche Regierungsform, die das Ziel ſo anhaltender und mannichfaltiger Beſtrebungen gewe - ſen, wirklich ins Leben trat. Der mächtige Kaiſer hatte ſie als Bedingung ſeiner Wahl bewilligen müſſen; in Worms hatte man ſich über die Einrichtung verſtändigt; in dem Herbſt 1521 ſchritt man zur Ausführung. Die Churfürſten und die Kreiſe wählten ihre Abgeordneten, und wir finden wohl wie dieſelben der beſondern Vaſallenpflich - ten entlaſſen und nur auf das Beſte des Reiches zu den - ken angewieſen werden. Die alten Acten des Kammerge - richts, viele Centner ſchwer, bei vierthalbtauſend ältere noch nicht ausgemachte Proceſſe und eine große Anzahl neuer Klagen, auf die noch keine Ladung erkannt war, wurden nach Nürnberg geſchafft. 1Hans v. Planitz an Friedrich v. Sachſen 18 Octob. 1521, nach den Mittheilungen von Adam v. Beichlingen. Die Correſpon - denz von Planitz in zwei Baͤnden und einem kleinern Hefte des Wei -Nach und nach langten die Ab -38Drittes Buch. Zweites Capitel.geordneten an: am längſten ließen die kaiſerlichen auf ſich warten. Im Laufe des November kam man ſo weit, daß zuerſt das Reichsregiment, dann auch das Kammergericht eröffnet werden konnte.

Anfangs hatte man nun noch von den Einwirkungen der kaiſerlichen Hofräthe zu leiden,1Planitz ſagt ſchon am 18 Oct. Churfuͤrſten Fuͤrſten und Andre ſo itzund allhie vorhanden haben Beiſorge, es werde bei etz - lichen Kaiſeriſchen gefleißigt, ob ſuͤlch Vornemen des Regiments in Verhinderung oder Aͤnderung geſtellt werden mecht. 14 Mai ge - denkt er eines gewiſſen Rem, der nach langer Gefangenſchaft eine kaiſerliche Abſolution ausbringt. Iſt vermutlich, weil das Regi - ment die Sach zu ſich forderet und die Sach den Hofretten nicht geſtatten wollte, hierin zu handeln, das ſie die Abſolution gefuͤrdert, damit das Regiment auch nichts daran haben ſolt. Die Briefe ſind voll von aͤhnlichen Aͤußerungen. großentheils derſelben, mit denen die Stände ſchon unter Maximilian ſo oft ſich entzweit hatten, die noch immer keins ihrer lucrativen Rechte fallen laſſen wollten und nach wie vor der Beſtechlichkeit an - geklagt wurden. Es kamen ſehr ſonderbare Dinge vor. Un - ter andern hatte der Biſchof von Würzburg einen gewiſſen Raminger, der mit kaiſerlichem Geleite verſehen war, nie - derwerfen laſſen und hielt ihn gefangen; billigerweiſe nahm ſich das Regiment des Überwältigten an. Wie ſehr er - ſtaunte man aber als ein Erlaß des Kaiſers einlief, worin er erklärte, er habe jenes Geleit unbedachtſam gegeben; es könne nicht dafür gehalten werden, daß der Biſchof ein wahres kaiſerliches Geleite gebrochen habe. Es machte hierin keinen Unterſchied, ob die Stände dem Regiment zur Seite ſtanden oder nicht. Im März 1522 waren die1mar. Archivs iſt fuͤr das Folgende unſre Hauptquelle. Harpprecht und Muͤller (Staatscabinet I) berichten nur das Aͤußerlichſte.39Reichsregiment.Stände zuſammengekommen, und beide vereinigt verwandten ſich für den Biſchof von Hildesheim, der ſich über die Acht beklagte, die gegen ihn und ſeine Freunde ergangen war, ohne daß ſie citirt und verhört worden; aber der Kaiſer wollte nicht leiden, daß man ihm in ſeine Ge - ſchäfte greife; er wies die Verwendung mit einer kurzen nichtsſagenden Antwort zurück.

Ende Mai aber verließ der Kaiſer die Niederlande. Seine Gegenwart war in Spanien nothwendig, um die Unruhen der Comunidades vollends beizulegen. Seine Ge - danken wurden von den Verwickelungen des italieniſchen Krieges den er unternommen, von den großen Entdeckun - gen und Eroberungen welche eine Handvoll glücklicher und geiſtreicher caſtilianiſcher Abenteurer unter ſeinen Fahnen in einem entfernten Continent vollzogen, vollauf beſchäftigt. Auch die deutſchen Hofräthe die ihn begleiteten, konnten unmöglich von Spanien her auf die Einzelnheiten der deut - ſchen Verwaltung einwirken. Nun erſt kam das Regiment zu voller Selbſtändigkeit. Der junge Kaiſer hatte kommen müſſen um es zu autoriſiren, und ließ ihm durch ſeine Ent - fernung freie Hand.

Wir betrachten zunächſt die weltliche Seite ſeiner Ver - waltung.

Da waren nun ſchon mancherlei wichtige Geſchäfte in Gang gekommen. Beſonders ward auf eine Executionsord - nung gedacht, nach den im J. 1512 gemachten Vorſchlägen, und man ſetzte feſt, wogegen Maximilian ſich ſo lebhaft ge - ſträubt hatte, daß die Hauptleute der Kreiſe durch dieſe ſelbſt gewählt werden ſollten. Die ungriſch-türkiſchen Ver -40Drittes Buch. Zweites Capitel.hältniſſe nahmen die Aufmerkſamkeit dringend in Anſpruch. Während die beiden vorwaltenden Fürſten der Chriſtenheit ihre natürliche Eiferſucht in den italieniſchen Kriegen zu immer heftigerm Haß entflammten, hatte der Gewaltherr des osmaniſchen Reiches ſeine durch Chriſtenhaß und Er - oberungsluſt angefeuerten Kriegsſchaaren daher gewälzt und das alte Bollwerk der an jenen Grenzen nur wenig geſi - cherten Chriſtenheit, Belgrad, in ſeine Hände gebracht. Man war in Deutſchland nicht ſtumpf für dieſe Gefahr; aus - drücklich deshalb kamen die Stände im Frühjahr1Das Ausſchreiben iſt vom 12 Februar: auf den Sonntag Oculi (23 Maͤrz 1522), damit man noch Zeit habe ſich zu ruͤſten; am 28 Maͤrz war eine Anzahl Staͤnde zugegen und es wurden Pro - ceſſionen und Gebete angeordnet, damit S. goͤttlich Barmherzigkeit den Zorn, ob und wie wir den durch unſre Schuld und Miſſethat verſchuldet haͤtten, von uns wende. Die Propoſition geſchah am 7 April; der Kaiſer ließ darin erklaͤren, daß er ſich der zu ſeinem Romzug bewilligten Huͤlfe begebe, damit ſie zum Tuͤrkenkrieg angewendet werde. Die Staͤnde beſchloſſen von derſelben anderthalb Viertel () ins Feld zu ſtellen, jedoch nicht in Mannſchaft ſondern in Geld. Es gieng alles ſehr eilend her, da man eine beſſere Ruͤſtung auf eine Beſpre - chung mit ungriſchen Commiſſarien gruͤnden wollte. Der Frkf. Ge - ſandte meint, es werde nicht viel ausgerichtet werden, ſondern aufs fuͤrderlichſte wieder zum Thor hinaus. Am meiſten hielten die Seſ - ſionsirrungen auf. Der Sachen halber bleiben andre Haͤndel un - ausgerichtet und wir verzehren das Unſre ohne Nutzen. Der Ab - ſchied iſt vom 7 Mai. (Frankf. A.) Am folgenden Reichstag (Dez. 1522) wurden fernere zwei Viertel des Romzugs bewilligt. und noch einmal im Herbſt 1522 zuſammen; ein Theil der dem Kaiſer für ſeinen Romzug bewilligten Hülfe ward mit deſ - ſen Genehmigung zur Unterſtützung der Ungern beſtimmt: umfaſſende Entwürfe zu einer vollſtändigern und allzeit be - reiten Kriegsrüſtung zu dem nemlichen Zwecke wurden ge - macht und berathen. Worauf aber alles ankam, wovon alles abhieng, das war die Befeſtigung der Regierungs -41Reichsregiment.form ſelbſt. Man fühlte jeden Augenblick, wie mißlich es war, die Beſoldung der Mitglieder des Gerichts und des Regimentes auf Matricularanſchläge zu gründen, die von Jahr zu Jahr bewilligt werden mußten, und immer nur ſchwer beizutreiben waren; auch wollte man es nicht etwa dem Kaiſer überlaſſen, die Beſoldungen zu zahlen: man fürchtete mit Recht, dann werde er auch Anſpruch darauf machen, die Mitglieder zu ernennen. Man gerieth deshalb auf mancherlei andre Vorſchläge: Innebehaltung der An - naten, Judenſteuern, oder endlich auch im Zuſammenhang mit einer beharrlichen Rüſtung eine Erneuerung des ge - meinen Pfennigs. Allein es zeigte ſich alles gleich unaus - führbar. Für die Annaten wären erſt Vereinbarungen mit dem römiſchen Stuhl erforderlich geweſen, die nicht ſo leicht zu treffen waren; einer Anlage auf die Juden widerſetzten ſich die Städte, welche von frühern Kaiſern das Recht ihre Juden ſelbſt zu ſchatzen, erworben, und daſſelbe neuerdings auch gegen den kaiſerlichen Fiscal behauptet hatten; über einen neuen gemeinen Pfennig konnte man es nicht weiter als bis zum Entwurf, nicht einmal bis zu ernſtlicher Berathung bringen. Unter dieſen Umſtänden nahm das Regiment einen ſchon früher gehegten Plan auf, der auch an ſich eine große nationale Bedeutung entwickelt haben würde, und noch mit andern Abſichten der Reichs - verwaltung zuſammenhängt, welche unſrer Aufmerkſamkeit würdig ſind.

Unter den Beſchwerden, welche die verſchiedenen Stände in jener Zeit gegen einander erhoben, traf eine der allge - meinſten, lebhafteſten die Kaufmannſchaft.

Die alten Handelswege waren noch immer im Gange;42Drittes Buch. Zweites Capitel.noch immer genoß die Hanſe den größten Theil ihrer Pri - vilegien im Ausland: Venedig ſtellte nach dem Frieden ſei - nen Markt wieder her; allein der Glanz dieſes Betriebes erbleichte doch verglichen mit dem Aufſchwung welchen ſeit der Entdeckung beider Indien der überſeeiſche Verkehr nahm. Große Handelshäuſer von Oberdeutſchland ſetzten ſich mit Liſſabon in unmittelbare Berührung; oder ſie hatten an den weſtindiſchen Unternehmungen der Spanier Antheil. Antwerpen kam hauptſächlich mit dadurch empor, daß es die Niederlage für dieſen deutſch-überſeeiſchen Handel bildete.

In Deutſchland war jedoch nicht Jedermann hiemit zufrieden. Die Strenger-geſinnten mißbilligten die Einfüh - rung neuer Genüſſe und neuer Bedürfniſſe; Andre beklag - ten, daß man ſo viel Geld aus dem Land gehen laſſe; faſt Alles war mißvergnügt, daß man die Waaren ſo un - gebührlich theuer bezahlen müſſe. Beſonders in den Jah - ren 1516 bis 1522 bemerkte man ein allgemeines Steigen in den Preiſen derſelben. Das Pfund Zimmet, langer oder kurzer, war um mehr als einen Gulden; der Centner Zucker von 12 auf 20 G.: einige oſtindiſche Gewürze waren auf das Vierfache ihres früheren Preiſes geſtiegen. 1Aus einem Gutachten des kleinen Ausſchuſſes uͤber die Mo - nopolien 1523 (Fr. A.) entnehme ich folgende Tabelle. Z. B. der beſte Safran, cataloniſcher, der 1516 3 G. 6 Kr. gekoſtet, koſtet 1522 4 G. 15 Kr.geringerer 1519 2 G. 21 27 Kr. 4 G.Negelein 1512 19 Schill. 2 G.langer Zimmet 1516 1 G. 18 Kr. 1518 2 G. 3 Ortkurzer 1515 3 Ort. 1519 1 G. 21 Kr.Muscatnuß 1519 27 Kr. 1522 3 G. 28 Kr.Muscatbluͤth 1518 1 G. 6 Kr. 4 G. 6 Kr.beſter Pfeffer (in der Haut) 1518 18 Kr. 32 Kr.Es mochte43Reichsregiment.dazu mancherlei mitwirken: vermehrter Luxus und erhöhte Nachfrage; die Nachwirkung des venezianiſchen Krieges, der die alten Gewohnheiten unterbrochen hatte, wohl auch ein Sinken des Geldwerthes, nachdem die amerikaniſchen Zuflüſſe eröffnet worden, wiewohl noch nicht in ihrem ſpätern Reichthume; damals aber ſuchte man vor allem, und wohl auch dieß nicht ganz mit Unrecht, den Grund in dem monopoliſtiſchen Weſen, das durch die Geſellſchaf - ten der großen Handelshäuſer, den oft wiederholten An - ordnungen der Reichstäge zum Trotz, nur immer mehr um ſich gegriffen hatte. Schon an ſich, ſagte man, ſeyen ſie in Beſitz ſo großer Capitalien, ſo manniſchfaltiger und ver - breiteter Factoreien, daß Niemand neben ihnen aufkom - men könne. In Portugal ſeyen ſie bereit dem König ſelbſt noch höhere Preiſe, als er ſonſt fordere, zu zahlen, wenn er ihnen nur dagegen verſpreche, die Später-kommenden noch mehr zu ſteigern. Man berechnete, daß man in Deutſchland jährlich 30000 Centner Pfeffer, 2000 Centner Ingwer einführe; nun ſey der erſte binnen wenig Jah - ren das Pf. von 18 auf 32 K., der zweite von 21 Kr. auf 1 G. 3 Kr. geſtiegen: welch einen ungeheuren Vor - theil müſſe das geben!

Wie Rom wegen ſeiner Indulgenzen, die Ritterſchaft wegen ihrer Räubereien, ſo wurden die Kaufleute, die Städte1Ingwer fruͤher 21 24 Kr. 1516 1 G. 3 Kr.Galgant 1 G. 36 Kr. 1 G. 39 Kr.Zucker, der Centner, 1516 11 12 G. 1518 20 G.Zuckerkandis 16 17 G. 1522 20 21 G.Venedegiſch Mandeln, der Centner. 1518 8 G. 12 G. Weinberlein 1518 5 G. 9 G. Feigen 3 G. 2 Sch. 4 G. 1 Ort.44Drittes Buch. Zweites Capitel.wegen dieſer Übertheuerungen unaufhörlich angegriffen: die Ungunſt welche ſie ſeit einiger Zeit in Bezug auf ihre reichs - ſtändiſchen Verhältniſſe erfuhren, leiten wenigſtens die Frank - furter vor allem von dem Widerwillen gegen die Monopo - lien her.

Auf dem Reichstag von 1522 23 faßte man den förmlichen Beſchluß, jede Geſellſchaft zu verbieten welche über 50000 G. Capital habe: anderthalb Jahre ſollten ihnen gelaſſen werden, um ſich auseinanderzuſetzen. Man hoffte damit, den kleinern Häuſern eine Concurrenz mit den grö - ßern möglich zu machen, die Anſammlung von Waaren und Geldern in wenigen Händen zu verhüten.

Indem man aber den ungemeinen Vortheil überſchlug, den der Verkehr mit dem Ausland, er mochte nun geführt werden wie er wollte, den Kaufleuten verſchaffte, kam man auf den Gedanken das allgemeine Bedürfniß durch eine Beſteue - rung des Handels zu decken. Zog nicht auch jeder einzelne Fürſt ſeine beſten Einkünfte aus den Zöllen, welche frühere oder ſpätere Kaiſer ihnen verwilligt hatten? Man ſah, daß es mit keiner directen Steuer Fortgang gewinnen wollte; man faßte die Idee einer indirecten Beſteuerung, zu Gunſten des Reiches, in Form eines allgemeinen Grenzzollſyſtems.

Es iſt wohl der Mühe werth, bei dieſem Entwurf einen Moment zu verweilen. Die Ausführung deſſelben müßte unberechenbare Folgen entwickelt haben: aber auch ſchon an ſich iſt es merkwürdig, daß man ihn faſſen konnte.

Bereits im J. 1521 war die Sache zur Sprache gekom - men: Churfürſt Joachim I von Brandenburg faßte ſie da mit beſonderer Lebhaftigkeit auf und empfahl ſie unaufhörlich.

45Entwurf eines Grenzzollſyſtemes.

Im Frühjahr 1522 beſchloſſen dann die Stände wirk - lich, auf dieſen Plan einzugehn, vorzüglich deshalb, weil der gemeine Mann dadurch nicht beſchwert werde, um aber ihrer Sache ſicher zu ſeyn, vor jedem weitern Schritte den Kaiſer um ſeiner vorläufige Einwilligung zu erſuchen.

Nachdem dieſe von Spanien eingegangen, nur mit der Bedingung, daß die nähern Beſtimmungen noch einmal mitgetheilt werden möchten, ward[auf] dem Reichstag im Winter 1522 23 auf Veranlaſſung des großen Ausſchuſ - ſes der Stände eine Commiſſion niedergeſetzt, um einen ausführlichen Entwurf auszuarbeiten. 1Ordnung ains gemainen Reichs Zolls In Ratſchlag ver - faſt. (Fr. A. Bd 38.) Ein Actenſtuͤck das ich unter den Urkunden mitzutheilen denke.

Man gieng in demſelben von dem Grundſatz aus, die unentbehrlichen Lebensbedürfniſſe unbeſteuert zu laſſen. Als ſolche betrachtet man: Getraide, Wein und Bier, Zug - und Schlachtvieh, auch das Leder. Alle andern Artikel dagegen ſollten ſowohl bei der Ausfuhr als bei der Ein - fuhr verzollt werden. Man dachte ſie weder nach dem Gewicht noch nach einem Tarif, der zu mancherlei Nach - ſuchung genöthigt haben würde, anzuſchlagen, ſondern nach dem Einkaufspreis, den ein Jeder angeben müſſe: der Zoll ſollte 4 Procent deſſelben betragen.

Es ward der Entwurf gemacht, das ganze Gebiet des römiſchen Reiches deutſcher Nation durch eine Zollli - nie einzuſchließen. Sie iſt folgende.

Sie ſoll beginnen bei Nikolsburg in Mähren und von hier gegen Ungarn gewandt über Wien und Gräz nach46Drittes Buch. Zweites Capitel.Villach oder Tarvis im Canal gehen; von da wird ſie ſich längs der Alpen hinziehen, gegen Venedig und Mai - land, und ihre Zollſtätten in Trient, Brunegg, Insbruck, Feldkirchen aufrichten. Die Schweiz, welche ſich der Auf - lage die in dem Zoll liegt nicht unterwerfen würde, wird man durch einige Zölle an ihren Grenzen ausſchließen; die Grenzlinie wird dann jenſeit des Rheines ihre Rich - tung nach Strasburg nehmen, und ſich über Metz, Luxen - burg, Trier nach Aachen ziehen. So gelangt man bis in die Nähe der Küſte, in das Gebiet des überſeeiſchen Ver - kehrs. Man betrachtet die Niederlande ohne Bedenken als einen Theil des Reichsgebietes; als binnenländiſche Zoll - ſtätten werden Utrecht und Dordrecht ſo gut wie Cölln und Weſel, für den eigentlichen Seehandel namentlich mit England und Portugal Antwerpen, Brügge und Ber - genopzoom in Vorſchlag gebracht. Mit der Küſte nimmt dann die Linie ihre fernere Richtung nach Norden und Oſten. Gegen Dänemark ſtaatsrechtlich noch das Unionsreich ſollen die Hanſeſtädte von Hamburg bis Danzig, dieſes eingeſchloſſen; gegen Polen Königsberg in der Neumark und Frankfurt a. d. Oder als Reichszollplätze dienen, an die ſich einige andre in Schleſien und der Lauſitz anreihen ſollen.

Ein Entwurf der noch nicht zur Reife gediehen, bei dem noch Vieles unbeſtimmt gelaſſen war; wie man denn auch ſogleich beſchloß, die Grenzen noch einmal bereiſen zu laſſen, weil man vielleicht Plätze finden könne, die noch geeigneter ſeyen den Schleichhandel zu verhindern als die angegebenen; man zweifelte noch, ob man Böhmen einſchlie -47Entwurf eines Grenzzollſyſtemes.ßen könne oder nicht, und weder auf Preußen noch auf Liefland hatte man Rückſicht genommen; aber alles das be - trifft nur Modalitäten, die erſt bei der Ausführung feſt angeordnet werden konnten: mit der Hauptſache nahm man es ſehr ernſtlich, und war darüber entſchieden.

Es liegt in der Natur der Menſchen, daß der geſammte Handelsſtand dadurch beeinträchtigt zu werden glaubte, den Entwurf nur von der Ungunſt herleitete, die er über - haupt erfuhr, und ſich in tauſend mehr oder minder ge - gründeten Einwendungen vernehmen ließ. Man ſuchte ſie ihm ausführlich zu widerlegen. Man machte auf das Bei - ſpiel benachbarter Reiche aufmerkſam, wo die Beſchwerun - gen bei weitem ſtärker ſeyen und dennoch Handel und Wandel auf das beſte gedeihe. Man bemerkte, daß die Steuer ja keineswegs auf die Handelsleute falle, ſondern auf die Käufer, die Verbrauchenden; dem Handel ſelbſt werde es zum größten Vortheil gereichen wenn mit Hülfe dieſer Steuer den Unordnungen im Reiche endlich abgehol - fen, allgemeine Sicherheit eingeführt werden könne.

Und das iſt wenigſtens nicht zu leugnen, daß dieſer Entwurf die großartigſten Ausſichten für die Zukunft von Deutſchland in ſich ſchloß. Es war ſchon überaus nütz - lich, genau beſtimmte und beaufſichtigte Grenzen zu ha - ben, deren geſammter Umkreis in enger Beziehung zu ei - nem lebendigen Mittelpuncte geſtanden hätte: das Bewußt - ſeyn der Einheit des Reiches mußte dadurch an jeder Stelle belebt werden. Aber auch das geſammte Staatsweſen hätte einen andern Charakter bekommen. Das Reichs - regiment, die wichtigſte vaterländiſche Inſtitution, an der48Drittes Buch. Zweites Capitel.man ſo lange gearbeitet hatte, würde dadurch zu einer natür - lichen und ſichern Grundlage gelangt ſeyn, und hinreichende Kräfte zur Handhabung der Ordnung erhalten haben. Noch immer war kein Friede im Lande; alle Straßen waren un - ſicher; bei keinem Urtel, keinem Beſchluß konnte man auf ſeine Ausführung zählen; jetzt aber würde die beſchloſſene Executionsordnung Leben gewonnen, das Regiment würde Mittel erlangt haben, um die Hauptleute und Räthe in den Kreiſen, von denen ſo oft die Rede geweſen, mit Be - ſoldung zu verſehen, und einiges Kriegsvolk in ſeinem und ihrem Gehorſam aufzuſtellen.

Im Frühjahr 1523 ſchien es, als würden dieſe Ab - ſichten unfehlbar erreicht werden. Der Entwurf gieng nur noch zur Beſtätigung an den Kaiſer zurück, der durch ſeine vorläufige Einwilligung bereits gebunden war.

Wir ſehen wohl: das Reichsregiment hatte wirklich die Idee, eine kräftige centrale Gewalt zu conſtituiren, und ergriff, mit den Ständen in Verein, allen Einwendungen zum Trotz die dazu geeigneten Mittel.

Da war es nun von um ſo größerer Bedeutung, in welches Verhältniß dieſe emporkommende Gewalt zu den religiöſen Bewegungen treten würde.

Im Anfang des Jahres 1522 war die Stimmung des Regimentes denſelben ſehr abgeneigt. Herzog Georg von Sachſen war zugegen, ein Fürſt, in welchem natür - liche Anhänglichkeit an das Herkömmliche,1Herzog Georg ſagte unſerm Berichterſtatter Planitz: wenn S. F. Gn. nicht mit der Tatt und Gewalt dazu thaͤt wuͤrd S. Gn. alle der man -cher -49Reichsregiment, 1522.cherlei alte Hader den er gegen ſeine Vettern von der erneſtiniſchen Linie hegte, und ein perſönliches Mißfallen das ihm die Verwegenheit des rückſichtsloſen Mönches er - weckte, zu einem lebhaften und heftigen Widerwillen zu - ſammenwirkte. Die Wittenberger Unruhen kamen ihm eben gelegen, um ſeinen Klagen Nachdruck zu verſchaffen. Er brachte wirklich ein Edict aus, durch welches das Regi - ment die benachbarten Biſchöfe Naumburg, Meißen und Merſeburg aufforderte, die Neuerungen nicht einreißen zu laſſen, die bisher üblichen kirchlichen Gebräuche aufrecht zu erhalten. 1Reſolution und Deciſum etc. 20 Jan. 1522. Walch XV, 2616. Merkwuͤrdig iſt der Zuſatz nr. 10 bis ſo lang durch Ver - ſehung der gemeinen Reichsſtaͤnde, chriſtliche Verſammlung oder Con - cilia ſolcher Sachen halben eine bedaͤchtliche wohlerwogene gegruͤndete gewiſſe Erklaͤrung vorgenummen werde; woraus man doch zu - gleich eine andre Tendenz abnimmt, aber noch in ihrer ganzen Un - beſtimmtheit.

Schon in jenem Vierteljahr aber, ſo wie die Nach - richt von der Beilegung dieſer Bewegung anlangte, änderte ſich die Stimmung. Es war natürlich von der Rückkehr Luthers nach Wittenberg die Rede, durch welche einer kaiſerlichen Achtserklärung ſo gradezu Trotz geboten wurde, und Herzog Georg hatte wohl den Gedanken, die Inter - vention des Kaiſers unmittelbar anzurufen; aber er ver - letzte damit nur das Selbſtgefühl des Regimentes. Der Geſandte Churfürſt Friedrichs Hans von der Planitz wollte es nicht tadeln laſſen, daß ſein Herr Luthern in Witten -1Land ſchyr gar ketzeriſch: wollten alle die behemiſche Weis an ſich nemen, und sub utraque communiciren: er gedaͤcht es aber mit Gewalt zu weren. (Schreiben vom 2 Jan. 1522.)Ranke d. Geſch. II. 450Drittes Buch. Zweites Capitel.berg dulde; er wollte es nicht Wort haben daß der Mönch Ketzereien lehre. Daß dort das Abendmahl unter beiden Geſtalten genommen werde, ein und der andre Prieſter ſich verheirathe, ein paar Mönche ihr Kloſter verlaſſen, könne man nicht Ketzereien nennen; das betreffe Anordnungen, welche von Papſt und Concilien vor nicht gar langer Zeit gegeben worden, und daher auch am Ende zurückzunehmen ſeyen. Würde man dagegen Luthern entfernen, ſo würden ſich Nachahmer erheben, jedoch ohne ſeinen Geiſt; die möch - ten dann leicht nicht allein gegen Satzungen der Kirche, ſondern gegen Chriſtenthum und Gott predigen; ein Auf - ruhr, ja ein vollkommner Mißglaube dürfte ſich erheben. Dieſer Geſandte iſt überhaupt ein Mann von Geiſt, eben ſo entſchloſſen, wie gewandt; er iſt ganz für Luther, we - niger jedoch aus theologiſcher Überzeugung, obwohl er ihm auch darin beiſtimmt, als weil er in der Sache deſ - ſelben zugleich eine Sache ſeines Fürſten, des Regimentes und des Reiches ſieht.

Im Sommer 1522 traf nun die Reihe, an dem Re - giment perſönlich anweſend zu ſeyn, den Churfürſten Frie - drich ſelbſt. Er war noch aus der Schule jener alten Für - ſten, aus deren Ideen das Inſtitut des Regimentes her - vorgegangen: auch jetzt hatte er an der Feſtſetzung der Ver - faſſung perſönlich den lebendigſten Antheil genommen. Schon war er öfter wegen einzelner Förmlichkeiten zu Rathe ge - zogen worden. Die beſonnene Ruhe mit der er verfuhr, die Erfahrung die er beſaß, die allgemeine Hochachtung welche er ſich durch Redlichkeit und Geſchäftstalent erwor - ben, brachten ihm eine ungemeine Autorität zu Wege. 1Der Churf. v. Trier hoͤrte von einem Unwohlſeyn Friedrichs.51Reichsregiment, 1522.Man kann ſagen: er regierte in dieſem Momente das Reich, in ſo fern es überhaupt regiert werden konnte.

Da läßt ſich nun denken, daß Luther, der die Gnade dieſes Fürſten in ſo hohem Grade genoß, von dem Regi - ment nichts zu befürchten hatte. Herzog Georg fuhr fort, ihn bei dieſer Verſammlung zu verfolgen: er beſchwerte ſich zu wiederholten Malen über die Heftigkeit des Mönchs, über die Schmähungen die er gegen Reichsfürſten, Kaiſer und Papſt ausſtoße. Nichtsſagender aber war wohl nie eine Antwort, als die, welche ihm einſt das Regiment auf eine dieſer Klagen zuſtellte. Wir erſehen, ſchreibt es ihm am 16ten Aug. daß Ew. Liebden die Schmähungen gegen päpſtliche Heiligkeit und kaiſerliche Majeſtät mißfallen, ge - ben darauf E. L. zu erkennen, daß wir Kſr Mt Schmach und Schaden nicht gern gedulden wollten wo wir ſie er - führen und ſähen. 1Inſtruction ans Regiment zu Nuͤrnberg Antwort deſſel - ben Schreiben Herzog Georgs, Dienſtag nach Nativ. Mariaͤ (9 Sept.) Otto Packs an den Herzog, Montag vom XIten Virginum (20 Oct.) Dresdner Arch.Kein Wunder, wenn ſich der Her - zog ſpäter einmal bei dem Statthalter, Pfalzgraf Friedrich über dieſe Antwort beſchwerte: der antwortete, es habe ſich damals gegen Dinge dieſer Art nichts thun laſſen.

Überhaupt bildete ſich in dem Regiment eine Luthern geneigte Partei, die zwar in jedem Vierteljahr durch den Eintritt neuer Mitglieder unſicher ward, aber kraft der na - türlichen Conſequenz einmal aufgefaßter Grundſätze immer1Er ließ ihm durch die Geſandten ſagen: E. Ch. Gn. ſolten veſt hal - ten, nicht krank werden noch abgehn, denn man hett im Reich E. Ch. G. nye als wol bedurft als itzund, nachdem E. Ch. G. wußte, wye es allenthalben im Reiche ſtuͤnde. Planitz 1 Nov. 1521.4*52Drittes Buch. Zweites Capitel.wieder die Oberhand behielt, und in der That die Majo - rität conſtituirte. Wunderbarer Wechſel! Nachdem der Kaiſer 1521 Luthern in die Acht erklärt, nahm die Be - hörde welche die kaiſerliche Gewalt repräſentirte, 1522, 23, den Geächteten in Schutz und näherte ſich ſeinen Tenden - zen. Politiſchen Combinationen wie ſie auf den Kaiſer ein - gewirkt, war ſie natürlich unzugänglich.

Und um ſo mehr hatte das zu bedeuten, da in den letzten Monaten des einen, den erſten des andern Jahres die Stände beiſammen waren, und nun, auf Anregung des neuen Papſtes, Adrian VI, einen Beſchluß in der lu - theriſchen Sache faſſen ſollten.

Gewiß war Adrian VI ein überaus wohlgeſinnter Mann. Er war früher Profeſſor in Löwen geweſen und ſchon damals hatte er gegen den Übermuth der Geiſtlichen, gegen die Verſchwendung der kirchlichen Güter geeifert;1Excerpte aus ſeinem Commentar in quartum sententiarum in dem Schreiben von Joh. Lanoy an Heinr. Barillon bei Burmann Vita Adriani p. 360. dann war er Lehrer Carls V geworden; man hatte ihn zur Verwaltung von Spanien gezogen: da hatte er die Dinge der Welt noch mehr in der Nähe geſehen, und ſich mit Widerwillen gegen die weltlichen Tendenzen des Papſt - thums durchdrungen. Eine Reform zu verſuchen war er daher ſehr geneigt. Er erklärte, er habe ſeinen Nacken nur darum in das Joch der päpſtlichen Würde gebeugt, um die verunſtaltete Braut Chriſti in ihrer Reinheit wieder her - zuſtellen. Aber dabei war er doch auch ein entſchied - ner Gegner Luthers. Er gehörte mit zu jenen Magiſtri53Reichstag von 1522, 23.noſtri von Löwen, welche gegen die neuernde Literatur und Theologie ſo lange in Kampf gelegen: die Erklärungen dieſer Univerſität hatte er ausdrücklich gebilligt. Die dominica - niſch-orthodoxe Tendenz, welche ſich 1520 wieder aufs engſte mit dem römiſchen Hofe vereinigt, kam in ihm be - reits zu einer momentanen Herrſchaft.

In dem Sinne nun, der ihm natürlich war, inſtruirte Adrian den Nuntius Chieregati, welchen er an den deut - ſchen Reichstag ſendete. Er betrachtete das Aufkommen der lutheriſchen Meinungen als eine Strafe für die Sün - den der Prälaten. Wir wiſſen, ſagt er, daß bei dieſem Sitze einige Jahre daher viele Abſcheulichkeiten vor - gekommen ſind: alles iſt zum Böſen verkehrt worden, von dem Haupte hat ſich das Verderben in die Glieder, von dem Papſt über die Prälaten verbreitet. Indem er ſich nun bereit erklärte, die Übelſtände abzuſtellen, forderte er die deutſchen Stände zugleich auf, dem Um-ſich-greifen der lutheriſchen Meinungen ernſtlich Einhalt zu thun; acht Gründe führte er auf, welche ſie dazu bewegen müßten. 1Expergiscantur, excitentur et ad executionem senten - tiae apostolicae ac imperialis edicti praefati omnino procedant. Detur venia iis qui errores suos abjurare voluerint. Instructio pro Cheregato.

Auf dieſe Anträge ſollte nun Antwort gegeben, Be - ſchluß gefaßt werden; und dem Regiment kam es zu, einen Entwurf dazu abzufaſſen.

Gleich bei dem erſten Erſcheinen des Nuntius hatten ſich die beiden Parteien in dieſem Collegium mit einander gemeſſen. Die altgeſinnte Minorität hatte eine Beſchwerde54Drittes Buch. Zweites Capitel.des Nuntius über ein paar Prediger hervorgerufen, die zu ihrem und ſeinem Verdruß unter den Augen des Regimen - tes lutheriſche Meinungen verkündigten. Erzherzog Ferdi - nand, der jetzt ſelbſt das Statthalteramt verſah, der Chur - fürſt von Brandenburg, an den in dieſem Quartal die Reihe war, erklärten ſich für die Wünſche des Nuntius. Allein die Majorität leiſtete ihnen unter Anführung des Planitz entſchloſſenen Widerſtand. Es kam hierüber zu manchem lebhaften Wortwechſel. Ferdinand rief einmal aus: ich bin hier an des Kaiſers Statt. Ja wohl, fiel Planitz ein, jedoch neben dem Regiment und nach den Ordnungen des Reiches. Die Sache ward nach den Vorſchlägen dieſes Geſandten an die Stände gewieſen,1Planitz erzaͤhlt dieß ſelbſt 4 Jan. 1523. Die Staͤnde ant - worteten, es ſey eine große Sache die wohl uͤberlegt werden muͤſſe; ſie bitten ſich Abſchriften des Breves und der Inſtruction aus und wollen etzliche daruͤber verordnen, die die Sach mit Fleiß bewegen. In der Stadt iſt groß Murmeln, will nicht rathen, das man einen gefangen annehme. d. i. ins Weite geſchoben; und man kann ſich denken, daß die Prediger nun noch beherzter, ungeſtümer wurden. Und wenn der Papſt, rief einer zu St. Lorenz aus, zu ſeinen drei Kronen noch eine vierte auf dem Kopfe hätte, ſo ſollte er mich nicht von dem Worte Gottes abwendig machen. Vor den Augen ſeines Nuntius ward dem Papſt auf der Kanzel Trotz geboten.

Unter dieſen Eindrücken wählte das Regiment einen Ausſchuß, um die den Ständen vorzuſchlagende Antwort an den Nuntius zu entwerfen. Er ward ebenfalls aus beiden Parteien zuſammengeſetzt, einigen geiſtlichen und ei -55Reichstag von 1522, 23.nigen weltlichen Mitgliedern, und die Majorität ließ ſich einen Augenblick zweifelhaft an: aber gar bald war ſie ent - ſchieden.

Ohne Frage das einflußreichſte Mitglied deſſelben war Johann von Schwarzenberg, Hofmeiſter von Bamberg, ſchon ein Mann von höhern Jahren, den Sechzigen nahe, der einſt in ſeiner Jugend mitten in der Völlerei damali - gen Hoflebens, die auch ihn fortzureißen drohte, auf die Ermahnung ſeines Vaters ernſte ſittliche Entſchlüſſe gefaßt, und ſich ſeitdem mit unermüdlichem Eifer dem Staatsdienſt und den Studien gewidmet hatte. Wir haben Überſetzun - gen ciceronianiſcher Schriften unter ſeinem Namen, in de - nen er ſich beſonders eines reinen, der gebildetern Redeart entſprechenden Ausdrucks befleißigte. 1Z. B. de senectute. Die erſte Arbeit machte Neuber, Hut - ten verglich deſſen Uͤberſetzung noch einmal mit dem Text, Schwar - zenberg brachte ſie in Hoffraͤnkiſch Deutſch. An der erſten pein - lichen Halsgerichtsordnung, zu Bamberg, in der man ſich vor allem dem geſchriebenen, d. i. dem römiſchen Rechte zu nähern ſuchte, hatte er wenigſtens den größten Antheil, wenn er ſie nicht gradezu verfaßt hat. Er war, wie wir ſehen, nach beiden Seiten hin productiv: er wunderte ſich daß Jemand lange Weile haben könne. Der lutheriſchen Bewegung, in welcher er die wiſſenſchaftliche und prakti - ſche Richtung ſeiner eignen Sinnesweiſe wiederfand, und zwar durch die religiöſe Tendenz ſo großartig erweitert, hatte er ſich vom erſten Augenblick an mit Freuden ange - ſchloſſen, mit einem ſeiner Söhne darüber ernſte Schriften gewechſelt, eine ſeiner Töchter aus dem Kloſter genommen:56Drittes Buch. Zweites Capitel.er lebte und webte darin. 1Nachrichten von ihm bei Strobel Vermiſchte Beitraͤge 1775 nr. 1. Heller: Reformationsgeſch. von Bamberg p. 45.Mit der Überlegenheit einer vollen und nach allen Seiten begründeten, gegen jede Ein - wendung gerüſteten Überzeugung nahm er ſich nun an der ſo überaus wichtigen Stelle in die er gelangt war, derſel - ben an, und riß ſeine Collegen mit ſich fort, die einen, weil ſie ohnehin ſich zu derſelben Geſinnung neigten, wie Sebaſtian von Rotenhan und Dr. Zoch, die andern, weil ſie wenigſtens in dieſem Augenblick keinen Widerſtand zu leiſten wußten, wie der Biſchof von Augsburg. Wer dieſe Geſinnung nicht theilte, blieb lieber von den Verſammlun - gen weg, z. B. der Geſandte des Herzog Georg, Dr. v. Werthern, und der Erzbiſchof von Salzburg. Dergeſtalt kam in dieſem Ausſchuß, der jetzt die centrale Gewalt des Reiches darſtellte, ohne vielen Widerſpruch ein Gutachten zu Stande, durchaus im Sinne der Oppoſition gegen das Papſtthum, und von der größten Wichtigkeit für die ganze folgende Entwickelung.

Darin gieng man von den Eingeſtändniſſen und Re - formverſprechungen des Papſtes aus, die man annahm, aber ohne ſich nun dagegen, wie der Papſt forderte, zu einer Verfolgung der lutheriſchen Meinungen zu verſte - hen. Man erklärte vielmehr, daß es eben um der zuge - ſtandenen Mißbräuche willen unmöglich ſey, die Bulle Leos X und das Wormſer Edict zu vollziehen. Denn vor allem von Luther ſey man über die Mißbräuche un - terrichtet worden. Würde man ernſtlich gegen ihn verfah - ren, ſo würde Jedermann glauben man wolle durch Ty -57Gutachten des Ausſchuſſes.rannei evangeliſche Wahrheit unterdrücken und unchriſtliche Mißbräuche behaupten, woraus denn nur Widerſtand ge - gen die Obrigkeit, Empörung und Abfall hervorgehn könne. Man erinnerte den Papſt, die Concordate zu halten, die Beſchwerden der deutſchen Nation abzuſtellen, vor allem die Annaten fallen zu laſſen, doch war man nicht der Mei - nung, daß die Irrung jetzt noch hiemit beizulegen ſey. Das könne auf keine andre Weiſe geſchehen als durch ein Concilium. Die Forderung eines Conciliums, welche ein halbes Jahrhundert in Athem halten ſollte, war zuerſt in einem Geſpräch des Nuntius mit Planitz ernſtlich zur Sprache gekommen,〈…〉〈…〉 ekam nun durch den Ausſchuß des Reichsregimentes〈…〉〈…〉 liciſtiſch gültige Anregung. Zu - gleich gab er aber einige Beſtimmungen dafür an: es müſſe von päpſtlicher Heiligkeit mit Verwilligung kaiſerli - cher Majeſtät berufen werden, denn beiden Häuptern ſtehe das zu: an eine bequeme Malſtadt: unverzüglich: binnen eines Jahres müſſe es beginnen: und zwar weſentlich un - ter andern Formen als die frühern. Einmal nemlich müſſe darin auch den Weltlichen Sitz und Stimme zuſtehen, ſo - dann müſſe jede Verpflichtung aufgehoben ſeyn, durch die man abgehalten werde irgend etwas vorzutragen was zu göttlichen, evangeliſchen und andern gemeinnützigen Sa - chen nothwendig ſey. Eine Verſammlung welche der lu - theriſchen Idee über die Kirche bereits entſprochen und al - lerdings ganz eine andre Geſtalt gehabt haben würde als ſpäterhin die Tridentiner. Fragte man nun, wie man ſich bis zu den Entſcheidungen dieſes Conciliums zu verhalten habe, ſo war die Antwort des Ausſchuſſes: man hoffe,58Drittes Buch. Zweites Capitel.wenn der Papſt die Vorſchläge genehmige, bei Churfürſt Friedrich und bei Luther auszuwirken, daß weder von die - ſem noch von ſeinen Anhängern etwas geſchrieben oder ge - lehrt werde was zu Ärgerniß und Aufruhr Anlaß geben könne: nur das heilige Evangelium und bewährte Schrift nach rechtem chriſtlichen Verſtand ſolle man lehren. Auf dieſe letzten Beſtimmungen kam es beſonders an. Alles an - dre lag in der Ferne, dieſe aber enthielten eine Norm für den Augenblick. Sie waren, wie man leicht wahrnimmt, durchaus in dem Sinne der zu Wittenberg und an dem ſächſiſchen Hofe die Oberhand behalten, mit den Intentio - nen einer freien Entwickelung der Lehre, die dort gefaßt worden, übereinſtimmend. Der 13te Januar 1523 iſt der Tag, an welchem dieß auf ewig denkwürdige Gutachten den Ständen zu weiterer Berathung übergeben ward. Voll Freuden ſchickte es Hans von der Planitz noch an demſel - ben Tage ſeinem Herrn zu. 1Weß der Ausſchuß zu pepſtlicher Heiligkeit Antwurdt den lutheriſchen Handell betreffen verordnet derhalb gerathſchlagt hat. Frankf. RAA. Tom 38, f. 99.

In den Ständen war ohnehin eine ſtarke Gährung, eine lebhafte Reibung zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Mitgliedern zu bemerken. Früher ſchien es wohl, als wür - den beide Theile gemeinſchaftliche Sache gegen Rom ma - chen, und noch in Worms hatten die Biſchöfe den allge - meinen Beſchwerden der deutſchen Nation ihre beſondern hinzugeſellt; allein eben dort entſprang auch die Entzweiung: die Geiſtlichen ſahen ſich durch die Beſchwerden welche die Weltlichen aufgeſetzt ſelbſt angegriffen, und waren entſchloſ -59Debatten in den Staͤnden.ſen ihre hergebrachten Rechte zu vertheidigen. In der da - maligen Verſammlung war es ſchon ein paar Mal zu Aus - brüchen dieſer Feindſeligkeit gekommen. Eine Eingabe der Städte voll der heftigſten Invectiven war verleſen wor - den: das Oberhaupt der deutſchen Geiſtlichkeit, der Chur - fürſt von Mainz hatte ſein Mißfallen darüber ſehr lebhaft zu erkennen gegeben: er meinte, man wolle die Geiſtlichen wie Verbrecher behandeln, man wolle unmittelbar Hand an ſie legen. Aber auch die übrigens katholiſch-eifrigſten weltlichen Fürſten forderten Reformen. Hatte ein Fürſt ja keinen Auftrag dazu gegeben, ſo neigten ſeine Räthe von ſelber dahin. Die Beſchwerden der Nation wurden aufs neue zuſammengeſtellt, zwar dieß Mal ohne Theil - nahme der Geiſtlichen, aber übrigens vermehrt und ge - ſchärft, großentheils gegen die Geiſtlichen ſelber gerichtet. In den tauſendfältigen Unordnungen, die ſie aufzählen, drückt ſich das Bedürfniß einer Scheidung beider Gebiete und Jurisdictionen aus, welches nie dringender geweſen war.

Dieſe Gegenſätze nun weiter zu entwickeln, mit ein - ander in Kampf zu bringen war nichts geeigneter, als das Gutachten, das jetzt von dem Ausſchuß des Regimentes an die Stände gebracht ward.

In der That gelang es den Geiſtlichen, einige Modi - ficationen in demſelben durchzuſetzen.

Zunächſt wurden die aus dem päpſtlichen Breve wie - derholten Geſtändniſſe nur in ſo fern geduldet als ſie den Papſt angiengen: die Worte die ſich auf Prieſter und Prälaten bezogen, mußten weggelaſſen werden. Ferner wur - den der Anſprüche der Weltlichen auf Sitz und Stimme60Drittes Buch. Zweites Capitel.in dem Concilium nicht gedacht. 1In dem Entwurf heißt es: Iſt von Ppl. Heiligkeit woll angezeigt daß ſolches von wegen der Sund beſchee und daß die Sund des Volks von den Sunden der Prieſter und Praͤlaten herfließen, und daß darum dieſelben zufoͤrderſt und am erſten als die endlich Urſach ſolcher Krankheit von der Wurzel geheilt geſtraft und abgewendet werden ſoll. Dieſe Stelle fehlt in der Antwort welche dem paͤpſtlichen Nuntius wirklich gegeben. Vgl. den Abdruck bei Walch XV, p. 2551, nr. 8.Es kam hiebei oft über einen einzelnen Ausdruck zu heftigem Wortwechſel. Bei dem Artikel über die Verpflichtungen z. B. wollten die Geiſtlichen das Wort evangeliſch nicht aufnehmen. Hierüber fielen von der weltlichen Seite ſo anzügliche Reden, daß der Churfürſt von Mainz die Sitzung verließ und nach ſeiner Behauſung ritt. Die Majorität entſchied jedoch zuletzt für ihn, für die Weglaſſung des Wortes.

Was nun aber hiedurch im Einzelnen auch geändert werden mochte, ſo blieb doch die Hauptſache ſtehen: die Ausführung des Wormſer Edictes ward abgelehnt;2Es geſchah dieß in der dem Nuntius uͤbergebenen Antwort in folgenden Ausdruͤcken: Majori namque populi parti jam pridem persuasum est nationi Germanicae a curia Romana per certos abusus multa et magna gravamina et incommoda illata esse: ob id, si pro executione apostolicae sedis sententiae vel impe - ratoriae majestatis edicti quippiam acerbius attemptatum esset, mox popularis multitudo sibi hanc opinionem animo concepisset ac si talia facerent pro evertenda evangca veritate et sustinendis manutenendisque malis abusibus, unde nihil aliud quam gravis - simi tumultus populares intestinaque bella speranda essent. (Fr. A.) es ward ein Concilium gefordert, wo möglich binnen eines Jahres zu beginnen, in einer deutſchen Stadt, unter Mit - wirkung des Kaiſers; ſogar auf die Veränderung der For - men einer ſolchen Verſammlung ward Bezug genommen; die Theilnahme weltlicher Stände ward ſtillſchweigend vor -61Debatten in den Staͤnden.ausgeſetzt; für beide ſollten alle Verpflichtungen aufgeho - ben ſeyn, durch welche die Freiheit der Meinungsäußerung beſchränkt werden könnte. Ein ſo entſchiednes Übergewicht erlangte die nach einer Umbildung der kirchlichen Verhält - niſſe ſtrebende Tendenz in beiden Ständen des Reichs. Auch die Geiſtlichen ſahen die Nothwendigkeit einer Än - derung ein; die Weltlichen drangen darauf. Selbſt von Herzog Ludwig von Baiern verſichert man, er habe gegen den Widerſpruch der Geiſtlichen eifrig feſtgehalten. 1Planitz nennt ihn ſchon am 18 Jan. neben Schwarzenberg und Feilitzſch.

Da waren nur noch jene letzten, und für den Mo - ment bedeutendſten Beſtimmungen, wie es bis zur Ent - ſcheidung eines Conciliums gehalten, welche Thätigkeit Schriftſtellern und Predigern geſtattet werden ſolle, zu be - rathen übrig.

In Hinſicht der erſten gelang es den Geiſtlichen ei - nige weitre Beſchränkungen durchzuſetzen. Die Verwendung bei dem Churfürſten wollten ſie dahin gerichtet wiſſen, daß von Luther und deſſen Anhängern überhaupt nichts Neues geſchrieben, gedruckt, oder gethan werde; nicht allein daß das nicht zu Aufruhr gereiche. Auch ſollte dieſe Verwen - dung ſofort geſchehen, ohne daß man erſt die Zuſage des Conciliums von dem Papſt erwarte. Der ſächſiſche Reichs - tagsgeſandte Philipp von Feilitzſch ſuchte die Vorſchläge des Regimentes zu behaupten; da es ihm nicht gelang, ſo proteſtirte er wenigſtens: er erklärte, ſein Fürſt könne ſich durch dieſen Beſchluß nicht gebunden achten, er werde ſich chriſtlich, löblich und unverweislich zu halten wiſſen.

62Drittes Buch. Zweites Capitel.

Es iſt, wie wir ſehen, ein Kampf wo ſich der Sieg bald auf die eine, bald auf die andre Seite neigt. Bei dem letzten Punct, der vielleicht noch wichtiger war, bei den Beſtimmungen über die Predigt, welche die große Maſſe unmittelbar berührte, nahmen die beiden Parteien ihre Kräfte noch einmal zuſammen. Die Geiſtlichen wollten ſich mit der allgemeinen Anweiſung der Prediger auf Evan - gelium und bewährte Schriften nicht begnügen, ſie forder - ten eine nähere Bezeichnung der letztern und brachten die Nahmhaftmachung der vier großen lateiniſchen Kirchenvä - ter, Hieronymus, Auguſtin, Ambroſius und Gregor, de - nen man ein canoniſches Anſehen beimaß, in Vorſchlag. Es iſt das um ſo bezeichnender, wenn man ſich erinnert, daß hundert Jahr früher auch die entwickeltern huſſitiſchen Doctrinen zunächſt als eine Abweichung von dieſen vier Begründern der lateiniſchen Kirche betrachtet worden wa - ren. Aber ſo tief waren ſchon die Ideen Luthers in die Nation gedrungen, daß ſie ſich auf die particularen Bil - dungen des Latinismus nicht mehr verpflichten laſſen wollte. Der gemeine Menſchenverſtand ſperrte ſich dagegen, daß St. Paulus weniger gelten ſollte als Ambroſius. Dieß - mal konnten die Geiſtlichen nicht durchdringen. Nach mancherlei Hin und Widerreden gerieth man vielmehr auf eine Faſſung welche die Bedeutung des urſprünglichen Vor - ſchlags in Wahrheit nur noch ausdrücklicher ſicherte. Man beſchloß, es ſolle nichts gelehrt werden als das rechte reine lautere Evangelium, gütig ſanftmüthig und chriſtlich, nach der Lehre und Auslegung der bewährten und von der chriſt - lichen Kirche angenommenen Schriften. 1quod nihil praeter verum purum sincerum et sanctumVielleicht fühl -63Debatten in den Staͤnden.ten ſich die Anhänger des Alten dadurch befriedigt, weil doch zugleich die Auslegung der lateiniſchen Kirchenväter damit gutgeheißen war; allein wie dieſe Verweiſung all - gemein gehalten, dunkel und unbeſtimmt, in demſelben Grade war die Empfehlung der evangeliſchen Doctrin dagegen unzweifelhaft beſtimmt und dringend; dieſe allein konnte Eindruck machen.

Und ſo war dieſe Antwort zwar hie und da verän - dert, aber dem Geiſte nach in der Hauptſache mit dem urſprünglichen Entwurf durchaus übereinſtimmend, als ſie an das Regiment zurückkam. Wider Erwarten gab es hier noch einmal eine ſehr ſtürmiſche Sitzung. Einige Mitglieder, unter ihnen auch der Biſchof von Augs - burg, dem ſeine Theilnahme an dem Entwurf wieder leid geworden war, machten noch einmal einen Verſuch, die Nahmhaftmachung der vier Kirchenväter feſtzuhalten. Pla - nitz berichtet, er habe darüber viel hoffärtige böſe Worte hinnehmen, einen ſtarken Sturm beſtehen müſſen, beſonders zeigt er ſich über die Abtrünnigkeit des Biſchofs unwillig, der von Gott aus dem Staube erhoben und zu den Für - ſten ſeines Volkes geſetzt, dafür das Evangelium verfolge. 1Planitz 4 Februar. Ich will aber Patienz und Geduld tragen. Es haben die Staͤnde obangezeigte Wort (er hat ſie in ſein Schreiben eingeruͤckt) haben wollen und nit die vier Doctores zu benennen und ſulchs dem Regiment anzeigen laſſen, dabei es blieben. Aber durch Geduld und Standhaftigkeit, mit Hülfe Schwar - zenbergs, gelang es ihm die einmal durchgegangene Faſ - ſung zu behaupten: die Antwort ward, wie ſie aus der1evangelium et approbatam scripturam pie mansuete christiane juxta doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia chri - stiana receptae scripturae doceant. So lautet der Satz in der dem paͤpſtlichen Nuntius gegebenen Antwort.64Drittes Buch. Zweites Capitel.Ständeverſammlung zurückgekommen, dem Nuntius über - geben. 1Planitz 9ten Febr. Die Schrift iſt dem paͤpſtl. Nuntius auf die Maß uͤbergeben wie ich E Chf D. zugeſchickt. Der iſt der nicht zu frieden und hat darauf replicirt. Er will den Kayſer dabei nit haben, ſo gefaͤllt ihm auch nit daß es ſogar frei ſeyn ſoll wie begehrt.

Dieſer verbarg ſein Erſtaunen, ſeinen Mißmuth nicht: weder der Papſt, ſagt er, noch der Kaiſer noch irgend ein anderer Fürſt habe ſolch einen Beſchluß von ihnen erwartet: er erneuerte ſeine Anträge auf die Ausführung des Worm - ſer Edictes, die Einrichtung einer biſchöflichen Cenſur; allein wie hätte eine Verſammlung, die ſich ſo langſam und ſchwer bewegte, auf eine Zurücknahme einmal gefaßter Be - ſchlüſſe denken können? Es war alles vergeblich.

Der Inhalt der Antwort ward als ein kaiſerliches Edict in das Reich verkündigt. Der Churfürſt von Sach - ſen, Luther ſelbſt war damit höchlich zufrieden. Luther fand, daß Bann und Acht, die über ihn ausgeſprochen worden, dadurch eigentlich zurückgenommen ſeyen.

In der That waren dieſe Beſchlüſſe von Nürnberg das grade Gegentheil der Wormſiſchen. Was man von Carl V erwartet hatte, daß er ſich an die Spitze der na - tionalen Bewegung ſtellen würde, das that das Regiment nun wirklich. Die politiſche Oppoſition, die ſich ſchon ſo lange vorbereitet, trat dem Papſt kräftiger als jemals ent - gegen. Mit ihr verbündet, durch die Repräſentanten der kaiſerlichen Macht geſchützt konnte nun auch die religiöſe Bewegung ſich ungehindert entwickeln.

Drit -
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Drittes Capitel. Ausbreitung der Lehre. 1522 1524.

Es war keine Anſtalt zu treffen, kein Plan zu verab - reden: einer Miſſion bedurfte es nicht; wie über das be - ackerte Gefilde hin bei der erſten Gunſt der Frühlingsſonne die Saat allenthalben emporſchießt, ſo drangen die neuen Überzeugungen, durch alles was man erlebt und gehört hatte, vorbereitet, in dem geſammten Gebiete wo man deutſch redete, jetzt ganz von ſelbſt oder auf den leichteſten Anlaß zu Tage.

Eine Ordensverbindung mußte es ſeyn, welche die erſten Mittelpuncte für die allenthalben entſtehende Oppo - ſition bildete.

Hatten doch die thüringiſch-meißniſchen Auguſtiner durch förmlichen Beſchluß die Emancipation begonnen! Da ſtanden Luthern die alten Freunde zur Seite, die mit ihm denſelben Gang der Meinungen und Studien gemacht. Aber auch unter den entferntern Auguſtiner-Conventen - gen wenige geweſen ſeyn, wo ſich nicht verwandte Re - gungen hervorgewagt hätten; wir finden ſie namentlich verzeichnet: in Magdeburg, Osnabrück, Lippe, Antwerpen,Ranke d. Geſch. II. 566Drittes Buch. Drittes Capitel.in Regensburg und Dillingen,1Nach Eberlin’s Syben frumme aber troſtloſe Pfaffen, lehrte Dr Caspar Amon, ain erwirdig Man, zu Dillingen. Es iſt ohne Zweifel derſelbe, welcher 1523 einen Pſalter herausgab ge - teutſcht nach warhaftigem text der hebreiſchen Zungen; deſſen Zu - ſchrift von Lauingen datirt iſt. Panzer II, p. 131. Nürnberg, Straßburg, im Heſſiſchen und im Wirtenbergiſchen. Oft waren es äl - tere Männer, welche die Doctrinen denen ſie ſich ſeit der Zeit des Johann Proles gewidmet, jetzt mit Freuden zu voller Entwickelung gelangen, zur Herrſchaft emporſtreben ſahen: zuweilen aber auch jüngere feurige Gemüther, welche vor allem von Bewunderung für ihren ſiegreichen Wittenber - ger Mitbruder durchdrungen waren. Johann Stiefel zu Eßlingen erblickt in ihm den Engel der Offenbarung, der mitten durch den Himmel fliegt und ein ewiges Evange - lium in der Hand hält: er widmete ihm ein myſtiſch-he - roiſches Lobgedicht. 2Von der chriſtfoͤrmigen rechtgegruͤndeten Lehre Doctoris Martini Luthers. Er thut ſich worlich fyegen zu Got in rechten Muth, Gwalt mag ihn auch nit biegen: er geb er drum ſein Blut. Zu Worms er ſich erzeyget: er trat keck auf den Plan. Sein Feynd hat er geſchweyget: keiner dorft ihn wenden an. Vgl. Strobel Neue Beitraͤge I, p. 10.Auch hatten ſie den Ruhm, die erſten Verfolgungen auf ſich zu ziehen. Ein paar Auguſtiner zu Antwerpen waren die erſten Märtyrer der neuen Lehre.

Nicht unterſtützt von ihrem Orden, ſondern vielmehr ſich davon losreißend, aber wie man ſchon daraus ſieht, um ſo kräftigere Naturen, erhoben ſich eine ganze Anzahl Franciscaner. Zuweilen Gelehrte, wie Johann Brismann zu Cottbus, der eine lange Reihe von Jahren den ſchola - ſtiſchen Studien gewidmet, Doctor der Theologie gewor -67Ausbreitung der Lehre.den war, ſich aber jetzt nach dem Vorbild Luthers aus deſſen Schriften mit entgegengeſetzten Ideen durchdrang;1Auszug aus ſeinen Predigten bei Seckendorf Historia Lu - theranismi I, 272. oder Geiſter von tieferem religiöſen Bedürfniß, die daſſelbe im Kloſter nicht befriedigt fanden, wie Friedrich Myconius: man kennt den Traum den er die Nacht nach ſeiner Ein - kleidung gehabt haben ſoll: auf beſchwerlichen ermüdenden Irrwegen war ihm ein heiliger Mann erſchienen, kahlköpfig, in antikem Gewand, wie St. Paulus gemahlt wird, und hatte ihn zu einem Brunnen geführt an dem er ſich labte, deſſen Waſſer er, wie er um ſich ſchaute, von einem Ge - kreuzigten herabſtrömen ſah und dann nach einem unab - ſehlichen Gefilde voll reichen Getraides, wo die Schnitter ſich zur Arbeit der Ernte ſammelten:2Adami Vitae theologorum Ausg. v. 1705 p. 83. man ſieht ſeine Ge - müthsrichtung und nimmt den Eindruck ab, welchen nun die wiedererwachende apoſtoliſche Doctrin und die Aus - ſicht einer großen Wirkſamkeit auf ihn machen mußte. Oder es waren Männer die in den mancherlei Beziehungen zu den niedern Ständen, in welche ſie die Wirkſamkeit eines Barfüßerkloſters ſetzte, die verderblichen Folgen des Werk - dienſtes wahrgenommen und ihn nun aus allen Kräf - ten angriffen, wie Eberlin von Günzburg, Heinrich von Kettenbach, die beide aus demſelben Kloſter zu Ulm her - vorgiengen: ein paar außerordentliche Talente populärer Beredſamkeit; von Eberlin ſagten die Gegner, er könne wohl eine ganze Provinz verführen: ſo viel Eindruck mache er bei dem gemeinen Mann. Man fand unter ihnen die ſtand -5*68Drittes Buch. Drittes Capitel.hafteſten Streiter, wie Stephan Kempen, durch deſſen tapfere kampffertige Haltung man an die Bedeutung ſeines Namens erinnert ward: faſt überall haben Franciscaner an den erſten Bewegungen Theil genommen: dieſer hat die neue Lehre in Hamburg begründet, und drei Jahr lang ſo gut wie allein gegen alle Feindſeligkeiten vertheidigt.

Es mochte aber auch keinen andern Orden geben, aus dem nicht Genoſſen der Neuerung, oft eben die nahm - hafteſten hervorgegangen wären. Martin Butzer war von den Dominicanern zum Profeſſor der thomiſtiſchen Doc - trinen beſtimmt: jetzt löſte er ſeine Verbindung mit dieſem Orden durch eine Art von Proceß auf: an der Begrün - dung des neuen Lehrſyſtems nahm er von Stund an den lebendigſten, mithervorbringenden Antheil. Aus der Kar - thauſe zu Mainz gieng Otto Brunnfels hervor, der ſich dann unſerm Hutten mit wetteiferndem Feuer zur Seite ſtellte. In der Benedictinerabtei Alperſpach fühlte ſich der junge Leſemeiſter, P. Ambroſius Blaurer durch die begin - nenden Gährungen zu dem Studium der heil. Schrift er - weckt, und gerieth auf Meinungen die ihm den Aufent - halt im Kloſter gar bald unmöglich machten. In dem Brigittenkloſter zu Altomünſter erhob Öcolampadius, der erſt ſeit kurzem den Habit genommen, ſeine Stimme im Sinne der Neuerung: er hatte da für die gelehrten Arbeiten, die er beabſichtigte, ungeſtörte Muße zu finden gehofft: die Überzeugung die ſich ſeiner gar bald bemächtigte, riß ihn zur lebendigen Theilnahme an allen Bewegungen der Epoche mit fort. Zu den Brüdern U. L. Fr. den Carmelitern in Augsburg, welche den Prior an der Spitze gleich anfangs69Ausbreitung der Lehre.für Luther Partei genommen, gehörte wenigſtens eine Zeit - lang1Braun Geſchichte der Biſchoͤfe von Augsburg III, 239. Auch in Welſer’s Augsburger Chronik heißt er ein Carmelit. Urbanus Regius, einer der vertrauteſten ergebenſten Schüler Johann Ecks, der ſich aber jetzt von demſelben losmachte,2Ein paar Briefe die ſie wechſelten bei Adami p. 35. Eck zeigt ſich heftig und bitter: Regius (Koͤnig) ſetzt die gewohnte Ehr - erbietung gegen den Lehrer bei aller Feſtigkeit ſeiner Oppoſition doch nicht aus den Augen. und anfangs in dem obern, dann beſonders in dem niedern Deutſchland die großartigſte Wirkſamkeit entwickelt hat. Später ſtand ihm hier Johann Bugenhagen zur Seite, der damals lange Zeit in dem Prämonſtra - tenſer Kloſter zu Belbuck in Pommern eben auch auf ganz andern Wegen gegangen war. Bugenhagen war zwar, wie die pommerſche Geſchichte zeigt, welche er be - reits 1518 verfaßte, von der Nothwendigkeit einer Um - wandlung des geiſtlichen Standes überzeugt, und befehdete die Mißbräuche nach Kräften;3J. H. Balthasar Praefatio in Bugenhagii Pomeraniam p. 5. allein auch von Luther wollte er nichts wiſſen: als ihm deſſen Buch von der ba - byloniſchen Gefangenſchaft zu Geſicht kam einſt bei Tiſch rief er aus, einen verderblicheren Ketzer habe es ſeit dem Leiden Chriſti nicht gegeben. Aber eben dieß Buch machte ihn andern Sinnes. Er nahm es mit nach Hauſe, las es, ſtudirte es, und überzeugte ſich, daß die ganze Welt irre und Luther allein die Wahrheit ſehe. Dieſe Meinung theilte er ſeinen Collegen an der Kloſterſchule der er vor - ſtand, ſeinem Abte, allen ſeinen Freunden mit. 4Chytraei Saxonia p. 287. Lange: Leben Bugenhagens 1731 enthaͤlt nichts beſonderes. So70Drittes Buch. Drittes Capitel.war es nun in allen Orden. Nicht ſelten wurden die Obern am lebendigſten ergriffen: wie jene Prioren der Augu - ſtiner und Carmeliterconvente, ſo unter andern der Propſt am Johanniskloſter zu Halberſtadt, Eberhard Widenſee, und durch deſſen Einfluß die Pröpſte zu Neuenwerk, Gottes - Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem - berg zu Sagan, der ſich wohl vernehmen ließ, einen Mönch der ſich durch ſein Bleiben im Gewiſſen beſchwert fühle, würde er ſtatt ihn zurückzuhalten, lieber auf ſeinen Schul - tern aus dem Kloſter tragen. 1Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt. Rer. Siles. I, p. 457.

Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß Weltluſt, unordentliche Begierde ſich dem Kloſterzwange zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigſtens bei den Be - deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenoſſen aufbe - wahrt haben: da iſt es immer eine tiefere Überzeugung, ſey es daß ſie ſich allmählig entwickelt, oder daß ſie auch plötz - lich, etwa beim Anblick einer ſchlagenden Bibelſtelle ent - ſpringt; Viele giengen nicht von ſelbſt, ſie wurden ver - jagt; Andern, an und für ſich friedfertigen Gemüthern, ver - leideten doch die entſtehenden Zwiſtigkeiten den Aufenthalt in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte ſelbſt vor ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit ſeiner Büchſe in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meiſter, warum er ſich nicht lieber ſein Brod mit ſeiner Hände Arbeit verdiene: der ſtarke Menſch wirft den Habit von ſich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchſe ſchickt man an ſein Kloſter.

Wer erinnert ſich nicht der indiſchen Büßer, die in71Ausbreitung der Lehre.einſamer Waldung leben, in Baumrinde gekleidet, nur von Waſſer und Luft und Laub ſich nähren, frei von Begierde, Herrn ihrer Sinne, ſchon ſelig, eine ſichere Zuflucht der Be - drängten,1Nalas: Zwoͤlfter Geſang. von denen wohl auch das Mönchthum des Occidents eine Nachahmung war; aber wie ſo ganz hatte es ſich hier von ſeiner Idee entfernt! es nahm Antheil an allen Beſtrebungen, Entzweiungen, Verwirrungen der Welt; zur Aufrechthaltung einer geiſtlich-weltlichen Herr - ſchaft durch gleichgeſinnte gleichwirkende Maſſen war es angelegt; durch unfreie, häufig um eigennütziger Rückſich - ten willen geleiſtete Gelübde ward es zuſammengehalten, denen man ſich dann ſo viel irgend möglich entzog: ſo wie die Gültigkeit dieſer Gelübde, ihr religiöſer Werth für der Seelen Seligkeit zweifelhaft wurde, fiel alles auseinander; ja aus dem Inſtitut, auf welches die abendländiſche Kirche vornehmlich gegründet war, giengen eben die rüſtigſten Be - kämpfer ihrer hierarchiſchen Entwickelung hervor.

Dieſer allgemeinen Bewegung der Kloſtergeiſtlichkeit traten nun allenthalben Weltgeiſtliche von hohem und nie - derem Range zur Seite.

Unter den Biſchöfen gab es wenigſtens Einen, Polenz von Samland, der ſich offen für Luther erklärte, zuweilen wohl ſelbſt die Kanzel zu Königsberg beſtieg, hauptſächlich aber dafür ſorgte, daß an vielen Orten ſeiner Diöces Pre - diger dieſer Geſinnung aufgeſtellt wurden. Luthern gieng das Herz auf, indem er das wahrnahm: ſo eine ruhige geſetzmäßige Umwandlung entſprach ſeinen Wünſchen voll - kommen. 2Lutheri Dedicatio in Deuteronomium: Reverendo Ge -

72Drittes Buch. Drittes Capitel.

Auch von den übrigen Biſchöfen hielt man einige für günſtig. Johann Eberlin von Günzburg nennt den Bi - ſchof von Augsburg, der es nicht verhehle, daß die Lu - theraniſchen in ihrem Wandel minder ſträflich ſeyen als die Gegenpartei; den Baſeler, der es gern ſehe wenn man ihm lutheriſche Bücher bringe, die er fleißig leſe; den Bamber - ger, welcher die evangeliſche Lehre in ſeiner Stadt nicht verhindere; auch den Biſchof von Merſeburg, der nach ihm dem Verfaſſer ſelber geſchickt habe, um ſich über die vor - zunehmende Reform mit ihm zu beſprechen. Er verſichert daß noch mancher andre ſeine Chorherrn in Wittenberg ſtudiren laſſe. Die Namen die wir unter den Gönnern Reuchlins aufgeführt finden begegnen uns unter den Ge - noſſen der religiöſen Neuerung großentheils wieder.

An dieſe ſchloſſen ſich dann die patriciſchen Pröpſte in den großen Städten an, wie ein Wattenwyl in Bern, ſo die Besler und Bömer in Nürnberg, unter deren Schutze ſich die evangeliſche Predigt in ihren Kirchen feſtſetzte.

Auch ohne dieſe Unterſtützung erklärte ſich doch eine große Anzahl bereits angeſtellter Prediger und Prieſter im niedern und hauptſächlich im obern Deutſchland im Sinne Luthers. Bekannt iſt Hermann Taſt, einer der vier und zwan - zig päpſtlichen Vicarien in Schleswig; zu Huſum auf dem Kirchhof ſtanden zwei Linden, genannt die Mutter und die Tochter: unter der größern, der Mutter, pflegte Taſt zu predi -2orgio de Polentis vere episcopo. Tibi gratia donata est, ut non modo verbum susciperes et crederes, sed pro episcopali auto - ritate etiam palam et publice confessus doceres docerique per tuam diocesim curares, liberaliter his qui in verbo laborant pro - visis. Opp. III, f. 75. Hartknoch Preußiſche Kirchengeſchichte I, p. 273.73Ausbreitung der Lehre.gen: ſeine Zuhörer holten ihn bewaffnet aus ſeinem Hauſe ab und führten ihn bewaffnet dahin zurück. In Oſtfriesland zu Emden ward Georg von der Dare anfangs, als er nach Luthers Vorbild zu predigen anfieng, aus der großen Kirche vertrieben; aber das Volk hörte ihm eine Zeitlang un - ter freiem Himmel zu und bewirkte dann daß ihm die Kirche wieder geöffnet ward. In Bamberg eiferte der Cuſtos zu St. Gangolph Johann Schwanhäuſer in den Ausdrücken eines Carlſtadt wider die Verehrung der Heiligen. 1Auszuͤge aus ſeinen Predigten bei Heller a. a. O. S. 62.Der Pfarrer zu Cronach war einer der erſten Prieſter die ſich verheira - theten. In Mainz war es der Domprediger, Wolfgang Köpfl, eine Zeitlang der vertrauteſte Rathgeber des Chur - fürſten, in Frankfurt der Prediger zu St. Catharina, Hart - mann Ibach, in Straßburg der Pfarrer zu St. Lorenz, Matthäus Zell, in Memmingen der Prediger zu St. Mar - tin, Schappeler, welche den neuen Lehren zuerſt Bahn mach - ten. Im Kreichgau ſammelte ſich unter dem Schutze der Gemmingen um Erhard Schnepf her eine Verbrüderung gleichgeſinnter Landpfarrer. In Baſel ſah man wohl den Pfarrer zu St. Alban Röubli bei der Frohnleichnamspro - ceſſion ſtatt der Hoſtie eine Bibel in prächtigem Einband einhertragen, mit der Äußerung, nur er trage das rechte Heiligthum. Dann folgte am Münſter zu Zürich der große Leutprieſter Ulrich Zwingli, der eine politiſch und kirchlich gleich bedeutende kühne Stellung einnahm, in dem der Vi - car von Conſtanz gar bald einen zweiten Luther zu erken - nen glaubte. Bis in das hohe Gebirg können wir dieſe Regungen begleiten. Die Vornehmſten in Schwytz richte -74Drittes Buch. Drittes Capitel.ten ihren Spazirritt gern ſo ein, daß ſie noch zur Zeit des Gottesdienſtes in Freienbach anlangten, wo ein Freund Zwinglis predigte: des Mittags blieben ſie dann bei ihm zu Tiſch. 1Hottinger Geſchichte der Eidgenoſſen I, S. 415.Es macht keinen Unterſchied, daß dieß zur Schweiz gehört: in das Nationalgefühl war es dort noch nicht gedrungen daß ſie ſich von Deutſchland abgeſondert: in Wallis nannte man das Gebiet der eidgenöſſiſchen Städte Deutſchland. Dieſelben Doctrinen zogen ſich dann am Gebirg entlang nach dem Innthal, wo ſie zuerſt Johann Strauß vor vielen tauſend Gläubigen verkündigte, nach Salzburg, wo Paul von Spretten ſie im Dom erſchallen ließ, nach Öſtreich und nach Baiern. In Alten-öttingen, eben bei einem der beſuchteſten wunderthätigen Bilder, hatte der Geſellprieſter Wolfgang Ruß den Muth, die Wall - fahrten anzugreifen.

Es verſteht ſich, daß das alles nicht ohne Widerſtand und harten Kampf abgieng. Viele mußten weichen: ei - nige hielten ſich doch, und ſelbſt die Verfolgung ſchadete nichts. Als der noch eifrig katholiſche Bogislaw X von Pommern die neugläubige Reunion zu Belbuck zerſtörte, und die Kloſtergüter einzog denn von dieſer Seite fieng man zuerſt an, ſich der Kirchengüter zu bemächtigen, gab er nur Gelegenheit, daß mit den jungen Liefländern die dort ſtudirten, einer ihrer Lehrer nach Riga gieng und den Samen des Wortes in dieſen entfernteſten deutſchen Län - dern ausſtreute. 2Andreas Cnoph von Cuͤſtrin. Er hat viel herrlicher und geiſt - reicher Lieder, darin die Summa von der Lehre von der Gerechtig -Paul von Spretten ward von Salzburg75Ausbreitung der Lehre.verjagt: wir treffen ihn darauf bei St. Stephan in Wien, und als er auch von da verwieſen wird, in Iglau in Mähren; auch da aber gerieth er in nicht geringe Ge - fahr; endlich findet er eine Freiſtatt in Preußen. Dem feurigen Amandus genügte ſelbſt dieſer Schauplatz nicht: er zog von da wieder aus: wir finden ihn zu Stolpe die Mönche der Stadt zu einer Disputation über die Wahr - heit der bisherigen oder der neuen Auffaſſung herausfor - dern: er ſagt, man möge einen Scheiterhaufen errichten und ihn darauf verbrennen wenn er unterliege; ſiege er aber, ſo ſolle die Strafe der Gegner ſeyn, ſich bekehren zu müſſen.

Auf den Ort der Predigt ſah man noch nicht. Für die Bewegung der kirchlichen Oppoſition iſt es faſt ſym - boliſch, daß in Bremen eine unter dem Interdict ſte - hende Kirche es ſeyn muß, in der ein paar aus Antwer - pen dem Tod im Feuer entflohene Auguſtiner zuerſt eine Gemeinde um ſich ſammeln. In Goßlar wird die Lehre zuerſt in einer Kirche der Vorſtadt und als dieſe verſchloſ - ſen worden, von einem Eingebornen, der in Wittenberg ſtu - dirt hat, auf dem Lindenplan verkündigt: ihre Anhänger be - kommen den Namen der Lindenbrüder. 1Hamelmann Historia renati evangelii. Opp. hist. gen. p. 869.In Worms ſtellt man eine tragbare Kanzel außerhalb der Kirchenmauern auf. Zu Arnſtadt hält der Auguſtiner Caspar Güttel von Eis - leben, aufgefordert von den Einwohnern, nach alter Sitte auf dem Marktplatz ſieben Predigten. Bei Danzig war2keit, dem Glauben und deſſelbigen Fruͤchten verfaſſet. Hiaͤrn Lieflaͤndiſche Geſch. Bch V. p. 193.76Drittes Buch. Drittes Capitel.es ſogar eine Anhöhe vor der Stadt, wo man ſich um einen von drinnen verjagten Prediger ſammelte.

Und hätten ſich ja keine Geiſtlichen gefunden, ſo hät - ten Laien das Wort genommen. Unter den Augen des Doctor Eck zu Ingolſtadt las ein begeiſterter Webergeſell die Schriften Luthers dem verſammelten Haufen vor. Als man dort einen jungen Magiſter, des Namens Seehofer, der nach Melanchthons Heften zu dociren begann, zum Widerruf nöthigte, erhob ſich eine Dame zu ſeiner Ver - theidigung, Argula von Staufen, vermählte Grumbach, die von ihrem Vater auf Luthers Bücher hingewieſen, ſich ganz nach deren Anweiſung gebildet in die h. Schrift ver - ſenkt hatte; ſie forderte die geſammte Univerſität zu einer Dis - putation heraus: in Kenntniß der Schrift glaubte ſie ihr gewachſen zu ſeyn: vor den Fürſten, in Gegenwart der Gemeine hoffte ſie es zu bewähren. 1Winter Geſch. der evang. Lehre in Baiern I, 120 f.Darauf trotzten die Vorfechter der kirchlichen Bewegung. Freudig zählt Heinrich von Kettenbach Länder und Städte auf er nennt Nürnberg, Augsburg, Ulm, die Rheinlande, die Schweiz und Sachſen, wo Weiber und Jungfrauen, Knechte und Handwerker, Ritter und edle Herren mehr Kenntniß von der Bibel haben als die hohen Schulen. 2Ein new Apologia unnd Verantwortung Martini Luthers wyder der Papiſten Mortgeſchrey, die zehen klagen wyder jn ußbla - ſiniren ſo wyt die Chriſtenheyt iſt. 1523.

Wunderbarer Anblick: dieſe allgemeine, überall her - vorbrechende, in ihrem Urſprung wahrhaft religiöſe Über - zeugung, in Oppoſition gegen die Jahrhunderte lang verehrten Formen des kirchlich-politiſchen Lebens, in wel -77Ausbreitung der Lehre.chen man jetzt nur noch den Widerſpruch wahrnahm in den ſie mit dem ächten urſprünglichen Chriſtenthum gera - then, nur den Dienſt, der einer drückenden und verhaßten Gewalt durch ſie geleiſtet werde.

Wie nun aber der Action ſich allenthalben eine Reac - tion entgegenſetzte, dem Angriff die Verfolgung, ſo war es von hoher Wichtigkeit, daß es in Deutſchland wenig - ſtens Einen Punct gab, wo dieſe nicht Statt fand, das Churfürſtenthum Sachſen.

Noch einmal, im Jahr 1522, hatten auch hier die be - nachbarten Biſchöfe einen Verſuch gemacht, ihren Einfluß herzuſtellen, in Folge jenes erſten ihnen günſtigen Erlaſſes der Reichsregierung, und Churfürſt Friedrich hatte ſie ge - währen laſſen, ſo lang ſie davon ſprachen daß ſie Predi - ger ſenden würden, um dem Worte mit dem Worte zu begegnen;1Friedrich weiſt ſeine Amtsleute an, ſie an Verkuͤndigung des Wortes Gottes nicht zu hindern; er ſetzt voraus, ſie wuͤrden die Ehre Gottes und die Liebe des Naͤchſten ſuchen. als ſie aber dabei nicht ſtehn blieben, ſondern auf die Auslieferung der Abtrünnigen antrugen, der Prie - ſter welche ſich verheirathet, oder das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt auszutheilen gewagt, der ausgetretenen Mönche, erklärte er ihnen nach kurzem Bedenken, dazu verpflichte ihn das kaiſerliche Edict nicht. 2Geuterbock St Lucastag. Die ſehr merkwuͤrdige Corre - ſpondenz in der Sammlung vermiſchter Nachrichten zur ſaͤchſiſchen Geſchichte IV, 282.Daß er ihnen ſeinen Arm entzog, reichte ſchon hin, ihre ganze Wirkſam - keit zu vernichten.

Daher geſchah nun aber, daß Alle, die anderwärts78Drittes Buch. Drittes Capitel.flüchtig geworden, ſich hieher zurückzogen, wo ihnen keine geiſtliche Gewalt zu nahe kommen konnte. Eberlin, Stie - fel, Strauß, Seehofer, Ibach aus Frankfurt, Bugenha - gen aus Pommern, Kauxdorf aus Magdeburg, Muſteus aus Halberſtadt, den man grauſam verſtümmelt hatte,1Welche Greuel ſind damals geſchehen. Aliquot ministri canonicorum capiunt D. Valentinum Mustaeum (er hatte mit Be - willigung des Buͤrgermeiſters in der Neuſtadt das Evangelium ge - predigt) et vinctum manibus pedibusque injecto in ejus os freno deferunt per trabes in inferiores coenobii partes ibique in cella cerevisiaria eum castrant. (Hamelmann l. c. p. 880.) und wie viele andere aus allen Theilen von Deutſchland ſehen wir hier ankommen, eine Freiſtatt, vielleicht ſelbſt auf ei - nige Zeit eine Anſtellung finden, und dann durch den Um - gang mit Luther und Melanchthon in ihrer Überzeugung befeſtigt von hier wieder ausgehn. Wittenberg erſchien als ein Mittelpunct der geſammten Bewegung. Dadurch ward es erſt möglich, daß in den Tendenzen eine gewiſſe Einheit obwaltete, ein gemeinſamer Fortſchritt darin zu bemerken iſt; wir dürfen aber wohl hinzufügen, daß auch für die dor - tige Entwickelung der Zutritt der fremden Elemente von großem Werthe war. Namentlich erhielt die Univerſität den Character einer allgemein vaterländiſchen Vereinigung: ohne Zweifel der wahre Character einer großen deutſchen hohen Schule: aus allen deutſchen Landesarten kamen die Lehrer, die Zuhörer zuſammen, wie ſie von da wieder nach allen Seiten hin ausgiengen.

Eine eben ſo wichtige Metropole bildete Wittenberg für die Literatur.

Erſt mit dieſen Bewegungen kam die deutſche popu - läre Literatur zu allgemeiner Aufnahme und Wirkſamkeit.

79Ausbreitung der Lehre.

Bis zum Jahr 1518 waren ihre Productionen nicht zahlreich; der Kreis, in welchem ſie ſich bewegte, nur enge. Man zählte, wie in den 80er Jahren des 15ten Jahrhunderts, einige vierzig, ſo noch 1513 35, 1514 47, 1515 46, 1516 55, 1517 37 deutſche Drucke: haupt - ſächlich Laienſpiegel, Arzneibüchlein, Kräuterbücher, kleine Erbauungsſchriften, fliegende Zeitungsnachrichten, amtliche Bekanntmachungen, Reiſen: was der Faſſungskraft der Menge ungefähr gemäß iſt; das Eigenthümlichſte waren immer die Schriften der poetiſchen Oppoſition, der Sa - tyre und des Tadels, deren wir oben gedachten. Wie ge - waltig aber ſteigt die Anzahl deutſcher Drucke nachdem Lu - ther aufgetreten iſt. Im Jahr 1518 finden wir deren 71 verzeichnet: 1519 111, 1520 208, 1521 211, 1522 347, 1523 498. Fragen wir denn woher der Zuwachs kam, ſo iſt Wittenberg der Ort; der Autor vor allem Lu - ther ſelbſt. Wir finden unter ſeinem Namen im J. 1518 20, 1519 50, 1520 133, 1521 wo er durch die Reiſe nach Worms abgehalten und durch eine gezwungene Ver - borgenheit gefeſſelt war, etwa 40; dagegen 1522 wieder 130, 1523 183 neue Drucke. 1Ich fuße auf Panzers Annalen der aͤltern deutſchen Litera - tur 1788. 1802. Daß dieſe Verzeichniſſe, ſo viel Verdienſt ſie auch haben, doch nicht vollſtaͤndig ſind, iſt ein Fehler den ſie mit den meiſten ſtatiſtiſchen Arbeiten theilen. Das allgemeine Verhaͤltniß, um das es uns hier allein zu thun, laͤßt ſich daraus doch abnehmen.Selbſtherrſchender, gewal - tiger iſt wohl nie ein Schriftſteller aufgetreten, in keiner Nation der Welt. Auch dürfte kein anderer zu nennen ſeyn, der die vollkommenſte Verſtändlichkeit und Populari - tät, geſunden treuherzigen Menſchenverſtand mit ſo viel ächtem Geiſt, Schwung und Genius vereinigt hätte. Er80Drittes Buch. Drittes Capitel.gab der Literatur den Character den ſie ſeitdem behalten, der Forſchung, des Tiefſinnes und des Krieges. Er be - gann das große Geſpräch das die ſeitdem verfloſſenen Jahrhunderte daher auf dem deutſchen Boden Statt ge - funden hat, leider nur zu oft unterbrochen durch Gewalt - thaten und Einwirkungen fremder Politik. Anfangs war er allein: allmählig aber, beſonders ſeit 1521 erſcheinen ſeine Jünger, Freunde und Nebenbuhler: im Jahre 1523 gehören außer ſeinen eignen noch 215 Schriften von An - dern der Neuerung an, mehr als vier Fünftheile der gan - zen Hervorbringung; entſchieden katholiſche Schriften laſ - ſen ſich wohl nur 20 zählen. Es war das erſte Mal, daß der nationale Geiſt, ohne Rückſicht auf fremde Mu - ſter, nur wie er ſich unter den Einwirkungen der Welt - ſchickſale gebildet, zu einem allgemeinen Ausdruck gelangte; und zwar in der wichtigſten Angelegenheit die den Menſchen überhaupt beſchäftigen kann; er durchdrang ſich in ſeinem Werden, dem Momente ſeiner Geburt, mit den Ideen der religiöſen Befreiung.

Ein großes Schickſal war es, daß der Nation in dieſem Augenblick des vollen geiſtigen Erwachens die hei - ligen Schriften wie des neuen ſo nun auch des alten Teſtamentes dargeboten wurden. Man kannte die Bi - bel: vorlängſt gab es Überſetzungen; man muß ſich aber einmal die Mühe nehmen ſie anzuſehn, um inne zu wer - den, wie voller Irrthümer, roh im Ausdruck, und un - verſtändlich ſie ſind. Luther dagegen ließ ſich keine Mühe dauern, den Sinn unverfälſcht zu begreifen, und verſtand es, ſie deutſch reden zu laſſen: mit aller Reinheit und Ge -walt81Ausbreitung der Lehre.walt, deren die Sprache fähig iſt. Die unvergänglichen Denkmale der früheſten Jahrhunderte, in denen der Odem der jungen Menſchheit weht, die heiligen Urkunden ſpäterer Zeit, in denen ſich die wahre Religion in aller ihrer kind - lichen Ingenuität offenbart hat, bekam das deutſche Volk jetzt in der Sprache des Tages in die Hände, Stück für Stück; wie eine Flugſchrift, deren Inhalt ſich auf die un - mittelbarſten Intereſſen der Gegenwart bezieht, und die man mit Begierde in ſich aufnimmt.

Es giebt eine Production des deutſchen Geiſtes, die aus eben dieſem Zuſammentreffen unmittelbar hervor - gieng. Indem Luther die Pſalmen überſetzte, faßte er den Gedanken ſie für den Geſang der Gemeinde zu be - arbeiten. 1Luthers Vorrede auf Johann Walters geiſtliche Geſaͤnge erin - nert an das Exempel der Propheten und Koͤnige im alten Teſta - ment, die mit ſingen und klingen mit dichten und allerlei Seiten - ſpiel Gott gelobet haben. Altenb. A. II, p. 751.Denn eine ganz andere Theilnahme derſelben an dem Gottesdienſt als die bisherige machte die Idee der Kirche nothwendig, wie er ſie ausgeſprochen und ins Leben zu rufen begann. Bei der bloßen Bearbeitung je - doch, wie es wohl anderwärts geſchehen, konnte man hier nicht ſtehen bleiben. Das gläubige Gemüth, beruhigt in der Überzeugung das geoffenbarte Gottes Wort zu beſitzen, gehoben durch das Gefühl des Kampfes und der Gefahr in der man ſich befand, angehaucht von dem poetiſchen Genius des alten Teſtamentes, ergoß ſich in eigenen Her - vorbringungen religiöſer Lyrik, die zugleich Poeſie und Muſik waren. Denn das Wort allein hätte nicht vermocht, die Stimmung der Seele in ihrer ganzen Fülle auszudrücken,Ranke d. Geſch. II. 682Drittes Buch. Drittes Capitel.oder das Gemeingefühl zu entbinden, feſtzuhalten: durch die Melodie erſt geſchah das, in der ſich die alten Kirchen - tonarten mit ihrem Ernſt, und die anmuthenden Weiſen des Volksliedes durchdrangen. So entſtand das evange - liſche Kirchenlied. In das Jahr 1523 müſſen wir ſeinen Urſprung ſetzen. 1Riederer: von Einfuͤhrung des deutſchen Geſanges p. 95. Das merkwuͤrdige Schreiben an Spalatin, uͤber eine Bearbeitung der Pſalmen in deutſchen Verſen, bei de Wette II, p. 490 iſt ohne Zweifel fruͤher als das vom 14ten Januar 1524 datirte ib. p. 461. Da ſieht man erſt, was die Musae germanicae, woruͤber de Wette in Zweifel iſt, ſagen wollen. Aus den Briefen an Hausmann er - giebt ſich, daß Luther im Nov. und Dez. 1523 mit der Abfaſſung der Liturgie umgieng.Einzelne Lieder, von Spretten oder von Luther, fanden ſogleich eine allgemeine Verbreitung: in dieſen früheſten Bewegungen des reformatoriſchen Geiſtes wirkten ſie mit; aber erſt einige Jahrzehnde ſpäter entfaltete der deutſche Geiſt ſeinen ganzen Reichthum poetiſcher und be - ſonders muſikaliſcher Production in dieſer Gattung.

Und auch übrigens widmete ſich die volksthümliche Poeſie mit dem Geiſte der Lehrhaftigkeit und der Oppoſi - tion, der ihr überhaupt eigen war, den aufkommenden Ideen. Schon Hutten hatte ſeine bitterſten Anklagen in Reime ge - worfen: das Verderben der Geiſtlichkeit hatte Murner in langen, anſchaulichen Beſchreibungen geſchildert; der Ver - werfung und dem Tadel geſellte ſich jetzt, wenn nicht bei Murner, doch bei der Mehrzahl der Andern, die poſitive Überzeugung, die Bewunderung des Vorkämpfers hinzu. Da ward der Mann geprieſen, der inmitten der rothen Barette und Sammetſchauben die gerechte Lehre behauptet. In Faſtnachtsſpielen erſcheint der Papſt, der ſich freut daß83Ausbreitung der Lehre.man ſeiner Büberei zum Trotz ihm die Macht zuſchreibe, über den Himmel zu erheben, oder in die Hölle zu binden: darum könne er auch manchen Vogel rupfen: ihm falle der Schweiß des Armen zu, und mit tauſend Pferden könne er reiten: er heißt Entchriſtelo: neben ihm erſcheinen mit ähnlichen Expectorationen der Cardinal Hochmuth, der Bi - ſchof Goldmund Wolfsmagen, der Vicarius Fabeler, der Kirchherr Meeher, und wie ſie ſonſt ſchon in dieſen Na - menbildungen dem Spott und der Verachtung Preis gegeben werden: zuletzt aber tritt auch der Doctor auf, der die reine Lehre im Tone der Predigt verkündigt. 1Ein Faßnachtſpyl, ſo zu Bern uf der Hern Faßnacht in dem MDXXII Jare von Burgerßſonen offentlich gemacht iſt Darinn die Warheit in Schimpffswyß vom pabſt und ſiner prieſterſchaft ge - meldet wuͤrt. Neu gedruckt bei Gruͤneiſen: Nicl. Manuel p. 339.Unter dieſen Ein - drücken bildete ſich Burkard Waldis, der dann die alte Thierfabel mit ſo großem Erfolg auf die geiſtlichen Streitig - keiten angewendet hat. Unmittelbar aber ſtellte ſich das große poetiſche Talent, das es in der Nation gab, Luthern zur Seite. Das Gedicht von Hans Sachs: die Wittember - giſch Nachtigall iſt vom Jahr 1523. Er betrachtet darin die Lehre die ſeit 400 Jahren geherrſcht habe, wie den Mondſchein, bei dem man in Wüſteneien irre gegangen, jetzt aber kündigt die Nachtigall Sonne und Tageslicht an, und ſteigt über die trüben Wolken auf. Die Geſinnung eines durch das untrügliche Wort belehrten ſeiner Sache gewiß ge - wordenen geſunden Menſchenverſtandes iſt dann überhaupt die Grundlage der mannichfaltigen wohl nicht von dem Beigeſchmack des Handwerks freien, aber ſinnreichen, hei -6*84Drittes Buch. Drittes Capitel.teren und anmuthigen Gedichte, mit denen der ehrenfeſte Meiſter alle Claſſen der Nation erfreute.

In Deutſchland hatte auch die Kunſt den Zweck, Ideen zu verſinnbilden, zu lehren, niemals aus den Augen gelaſ - ſen. Darum war ſie ſo ernſt, und ihrer Symbolik halber doch ſo phantaſtiſch. Das Glück wollte, daß einer der großen Meiſter dieſer Epoche, Lucas Kranach zu Witten - berg Wohnung nahm, und hier in ununterbrochenem ver - trauten Umgang mit Luther ſich mit den reformatoriſchen Geſinnungen durchdrang, ſein Talent ihrer Darſtellung wid - mete. Zuweilen trat er mit kleinen Werken ſelbſt in die Schlachtreihen, z. B. mit dem Paſſional Chriſti und Antichriſti, in welchem die Gegenſätze der Niedrigkeit und Demuth des Stifters und der Pracht ſeines Statt - halters vor das Auge gebracht werden: man hat dieſe Holzſchnitte gradezu in Luthers Werke aufgenommen. Es verſteht ſich, daß ſich ſein keuſcher Pinſel auch übrigens keinen andern Arbeiten widmete, als ſolchen die mit der evangeliſchen Überzeugung harmonirten. Die Anmuth und Lieblichkeit, mit der er früher glückliche Gruppen weiblicher Heiligen ausgeſtattet, ergoß er nun über die Kinder die Chriſtus ſegnet. Das Geheimnißvolle, das die alte Kunſt andeutet, ſprach ſich in den beibehaltenen Sacramenten, die zuweilen auf derſelben Tafel erſcheinen, in dem My - ſterium der Erlöſung aus. Die merkwürdigen Männer die ihn in Staat und Kirche umgaben, boten ſeiner Auffaſ - ſung Geſtalten und Züge einer ſo bedeutenden Individualität dar, daß er nicht in Verſuchung kam, über ſie hinaus nach dem Ideale zu ſtreben. Auch Dürer, der ſeine Ausbildung be -85Ausbreitung der Lehre.reits vollendet hatte, ward doch von dieſer Bewegung noch ein - mal gewaltig angeregt. Das vielleicht vollkommenſte von allen ſeinen Werken, die beiden Evangeliſten Johannes und Marcus, und beiden Apoſtel, Petrus und Paulus, entſtand unter dem Einfluß dieſer Jahre: wir haben Stu - dien dazu, die mit der Jahrzahl 1523 bezeichnet ſind; ſie ſpiegeln den Begriff ab, den man aus der nunmehr einer friſchen Auffaſſung zugänglich gewordenen Schrift von dem Tiefſinn, der Hingebung und der Kraft dieſer äl - teſten Zeugen der Kirche faßte; Lebendigkeit und Großheit der Auffaſſung durchdringen ſich darin. 1Wie Pirkheimer und Duͤrer uͤber die Abendmahlsfrage ſtrit - ten in Gegenwart Melanchthons: Erzaͤhlung Peucers bei Strobel: Nachricht von Melanchthons Aufenthalt in Nuͤrnberg p. 27.

Die geſammte Entwickelung des deutſchen Geiſtes ſtand mit den neuen Ideen im Bunde; wie in den po - pulären, ſo gieng es in den gelehrten Zweigen der geiſtigen Thätigkeit.

Wittenberg war keineswegs die einzige Univerſität wo ſich der Gang der Studien veränderte. Auch in Freiburg, wo man von Luther nichts wiſſen wollte, hörte man doch auf, die ariſtoteliſchen Schriften nach der bisherigen Gewohnheit zu ſtudiren, einzuüben; mit Petrus Hispanus, ſagt Ulrich Zaſius, iſt es aus: die Bücher der Sentenzen ſchweigen: von unſern Theologen lieſt der eine Matthäus, der andre Paulus: auch die erſten Anfänger, die neueſten Ankömm - linge laufen in dieſe Vorleſungen. 2Zasii Epistolae I, 63.Ja Zaſius ſelbſt, ei - ner der ausgezeichnetſten deutſchen Juriſten jener Zeit, giebt86Drittes Buch. Drittes Capitel.ein merkwürdiges Zeugniß für die allgemeine Verbreitung des reformatoriſchen Geiſtes. Er klagt darüber daß ſein Hörſaal veröde: kaum ſechs Zuhörer zähle er noch und die ſeyen alle Franzoſen; zugleich aber weiß er doch ſein eignes wiſſenſchaftliches Bemühen nicht anders zu bezeichnen, als indem er es mit den Beſtrebungen Luthers vergleicht. Die Gloſſatoren der ächten Texte, mit denen er es zu thun hat, kommen ihm nicht anders vor, als die Scholaſtiker welche Luther bekämpft: er möchte das urſprüngliche römiſche Recht in ſeiner Reinheit wiederherſtellen, wie Luther die Theolo - gie der Bibel.

Von allen andern Studien aber, welchen wäre ein ähnliches Beſtreben nothwendiger geweſen als den hiſto - riſchen? Da war ein unermeßlicher Stoff aufgeſam - melt; aber die früheren Epochen verhüllte die noch im - mer in fortgehender Entwickelung begriffene gelehrte Fabel: die ſpätern kannte man nur höchſt fragmentariſch, nach der Darſtellung der jedes Mal ſiegreich gebliebenen Partei: die große kirchliche Fiction hatte die wichtigſten Theile ab - ſichtlich verfälſcht. Zu wahrhaft geiſtiger, lebendiger, zu - ſammenhangender Auffaſſung war nicht zu gelangen: der Geiſt, den nach ächter Erkenntniß dürſtet, ſchauderte doch vor dieſen unbezwinglichen Maſſen. Einen Ver - ſuch ſie zu durchbrechen, machte eben in dieſem Jahre Johann Aventin, ein Mann, der früher die literariſche Richtung der Neuerung mittheilnehmend begleitet und ſich jetzt der religiöſen mit lebendigem Eifer hingab. Er ließ ſich keine Mühe verdrießen, für ſeine bairiſche Chronik, die zugleich einen allgemein deutſchen, ja univerſalhiſtoriſchen87Ausbreitung der Lehre.Inhalt hat, Bibliotheken und Archive zu durchſuchen, um mit ächten Urkunden wenigſtens hie und da über die ſeichte und unglaubwürdige Tradition hinauszukommen; vor allem opponirte er ſich den Vorſtellungen der Unberufenen, die nie unter Leuten geweſen, nicht wiſſen wie es in Städten und Ländern zugeht, menſchlicher und himmliſcher Dinge uner - fahren ſind, und doch über alles urtheilen; er dagegen ſucht die Hiſtorie in ihrer Wahrheit zu begreifen, wie das ſeyn muß. Der Geiſt der nationalen Oppoſition gegen das Papſtthum arbeitet gewaltig in ihm. Wie er die Einfachheit der chriſtlichen Lehre zu vergegenwärtigen ſucht, wo er ihres Urſprungs gedenkt, ſo hebt er den Ge - genſatz der geiſtlichen Macht in ihrer Entſtehung Ent - wickelung und Wirkſamkeit an jeder Stelle hervor: die Ge - ſchichte Gregors VII muß man noch heute bei ihm leſen: von den Wirkungen, welche die Herrſchaft des hierarchi - ſchen Prinzipes hervorgebracht, hat er einen großartigen Begriff, den er freilich nicht zu vollkommener Evidenz zu erheben vermochte. Überhaupt vollendete er nicht. Aber er begann die Arbeit der gründlichen Erforſchung und le - bendigen Durchdringung der allgemeinen Geſchichte, in der wir noch heute begriffen ſind.

Es ſchien wohl einen Augenblick als würde die theo - logiſche Richtung alle andern verſchlingen. Erasmus klagt, man wolle nichts mehr leſen und kaufe nichts mehr als die Schriften für oder wider Luther: er fürchtete ſchon die kaum gegründeten humaniſtiſchen Studien einer neuen Scholaſtik unterliegen zu ſehen. In Chroniken hat man verzeichnet, daß die Mißachtung in welche der Clerus ge -88Drittes Buch. Drittes Capitel.rieth auf die Studien im Allgemeinen zurückwirkte; das Sprichwort: die Gelehrten die Verkehrten, nahm überhand, die Eltern trugen Bedenken ihre Kinder den Studien zu widmen, die nur eine zweifelhafte Ausſicht darboten. Das waren jedoch nur momentane Verirrungen. Wie hätte der erwachte, nach originaler Kenntniß trachtende Geiſt das Element wieder fallen laſſen können, das zu ſeiner Ent - ſtehung ſo weſentlich beigetragen? Im Jahr 1524 erließ Luther ein Sendſchreiben an die Bürgermeiſter und Raths - herrn aller Städte deutſchen Landes, daß ſie chriſtliche Schulen aufrichten ſollen. 1Altenb. Ausg. II, p. 804. Eoban Heß ließ die Briefe die er in dieſem Sinn empfangen, von Luther, Melanchthon, Jonas, Draco u. A. 1523 zuſammendrucken: in dem Hefte De non con - temnendis studiis humanioribus. Er meint damit vor allem Schulen für künftige Geiſtliche, denn nur durch das Stu - dium der Sprachen laſſe ſich das Evangelium feſthalten, wie es denn auch dazu ſchriftlich aufgezeichnet worden, ſonſt würde alles einer wilden, wüſten Unordnung, einem Gemenge von allerlei Meinungen verfallen; jedoch bleibt er dabei nicht ſtehen: er tadelt, daß die Schulen ſo ganz auf den geiſtlichen Stand berechnet werden: ſie von dieſer engen Beſtimmung loszureißen, einen weltlichen Gelehrten - ſtand zu gründen, iſt ſeine vornehmſte Abſicht. Er ſtellt die Erziehung der alten Römer ſeinen Deutſchen zum Mu - ſter vor; vor allem zur Regierung bedürfe man der Ge - lehrten, in Geſchichte Erfahrenen; er dringt darauf daß man Bibliotheken aufrichte, nicht allein für die Ausgaben und Auslegungen der heiligen Bücher, ſondern auch für Ora - toren und Poeten, ſie mögen Heiden ſeyn oder nicht, -89Ausbreitung der Lehre.cher von den freien Künſten, Recht und Arzneibücher, Chroniken und Hiſtorien, denn die ſeyen nütze, Gottes Wunder und Werke zu ſehen. Eine Schrift, die für die Entwickelung der weltlichen Gelehrſamkeit dieſelbe Beden - tung hat wie das Buch an den deutſchen Adel für den weltlichen Stand überhaupt. In Luther erhebt ſich ſchon die Idee eines gelehrten weltlichen Beamtenſtandes, die für das deutſche Leben eine ſo unendliche Wichtigkeit gewon - nen hat; die populäre Pflege der Wiſſenſchaften nach ihrem eignen Prinzip, getrennt von der Kirche, faßt er ins Auge; die norddeutſche univerſale Gelehrſamkeit ſtrebt er zu grün - den. Darin ſtand ihm nun der unermüdliche Melanchthon mit lebendiger Thätigkeit zur Seite. Von ihm ſtammt die lateiniſche Grammatik, welche die norddeutſchen Schulen bis in den Anfang des 18ten Jahrhunderts beherrſcht hat;1Strobel: von den Verdienſten Melanchthons um die Gram - matik zaͤhlt die bemerkenswertheſten Ausgaben auf, bis 1737. Neue Beitraͤge II, III, 43. um das Jahr 1524 erwuchs ſie ihm aus einigen für den Privatunterricht eines jungen Nürnbergers gemachten Auf - zeichnungen; eben damals bekam auch die griechiſche, die ſchon früher entworfen war, die Form, in der dieſer Unterricht Jahrhunderte gegeben worden iſt. Aus der Diſciplin Melanchthons giengen Lehrer hervor die ſich ganz nach ſeinem Muſter gebildet, und die deutſche Schulzucht zu gründen unternahmen. Beſonders iſt Valentin Trotzen - dorf merkwürdig, der 1523 von Wittenberg nach Gold - berg in Schleſien berufen ward, von dem man geſagt hat, er ſey zum Schulrector ſo gut geboren, wie Cäſar zum90Drittes Buch. Drittes Capitel.Feldherrn, Cicero zum Redner, der Bildner unzähliger an - derer deutſcher Schullehrer.

Überlegt man das alles, faßt es zuſammen, ſo ſieht man wohl, daß es hier nicht allein um das Dogma zu thun iſt: es bildet ſich ein Syſtem von Beſtrebungen und Gedanken aus, von eigenthümlichem Geiſt und gro - ßem eine neue Welt in ſich tragenden Inhalt, welches mit der theologiſchen Oppoſition, in der man ſich befindet, auf das engſte vereinigt iſt, an ihr und durch ſie ſich entwickelt, aber ſich weder von ihr herſchreibt, noch jetzt darin auf - geht. Die Oppoſition iſt ſelber ein Product dieſes Gei - ſtes, der auch außerhalb derſelben ſeine eigene Zukunft hat.

Fürs Erſte kam freilich alles darauf an, daß er von der gewaltigen Weltmacht frei würde, welche das gute Recht zu haben behauptete ihn zu vernichten.

Treten wir dieſem Kampfe, wie er ſich in allen Ge - genden von Deutſchland eröffnet hatte, noch einmal näher, ſo würden wir irren, wenn wir ſchon die Gegenſätze des nachherigen proteſtantiſchen und des weiterhin neu aufge - richteten katholiſchen Syſtems wahrnehmen wollten. Die Ideen und geiſtigen Mächte die jetzt wider einander zu Feld lagen, ſtanden in viel entſchiedenerm, großartigerm, einleuchtenderm Widerſpruch.

Einer der bedeutendſten Gegenſätze war der zwiſchen Werken und Glauben. Aber man würde ihn mißkennen, wenn man hier die tieferen und minderverſtändlichen Streit - fragen vorausſetzen wollte, welche der Scharfſinn oder die Hartnäckigkeit der Schulen ſpäterhin entwickelte. Damals, vor allem im populären Vortrag war die Sache ſehr ein -91Ausbreitung der Lehre.fach. Unter guten Werken verſtand man auf der einen Seite wirklich die kirchlichen Handlungen durch die man ſich Verdienſte für dieſe und jene Welt zu erwerben glaubte: das Wallfahrten, Faſten, Seelmeſſen-ſtiften, das Sprechen bevorzugter Gebete, Verehren beſondrer Heiligen, jenes Be - ſchenken der Kirchen und der Geiſtlichkeit, das in der Fröm - migkeit des Mittelalters eine ſo große Rolle ſpielt. Die - ſem Unweſen, das man auf eine unverantwortliche Weiſe um ſich greifen laſſen, ward nun auf der andern Seite die Doctrin von der Wirkſamkeit des Glaubens allein ohne die Werke entgegengeſetzt. Beſonders nach den Be - wegungen in Wittenberg hütete man ſich in den Predig - ten, von einem idealen, abſtracten, unthätigen Glauben zu reden. Wir haben noch eine ganze Anzahl Predigten aus dieſen Jahren. Man wird ſchwerlich eine finden, worin nicht Glaube und Liebe in untrennbarer Vereinigung gedacht würde. Wie dringend und lebhaft ſchärft Cas - par Güttel ein, daß alles darauf ankomme, wie man ſich um Gottes willen gegen ſeinen Nächſten verhalte. 1Schutzrede wider etzlich ungezemte Clamanten: eben die in Arnſtadt gehaltenen Predigten: abgedruckt hinter Olearii Syntagma rerum Thuringicarum II, 274; ein Abdruck, den Panzer Annalen II, 93 nicht verzeichnet.Viel - mehr eben das tadelte man, daß ſo Mancher ſein Geld verſchwende um die Geiſtlichen reich zu machen, ein Hei - ligenbild auszuſchmücken, oder auf einer fernen Wallfahrt, und dabei der Armen nicht gedenke.

Eben ſo verhält es ſich mit der Lehre von der Kirche. Man will dieſſeit vor allem nicht zugeſtehen, daß in den. Papſt und ſeinen Prälaten und Prieſtern die heilige92Drittes Buch. Drittes Capitel.alleinſeligmachende chriſtliche Kirche erſcheine: man findet es anſtößig zu ſagen, die heilige Kirche befehle etwas oder beſitze etwas: dieſes geiſtliche Inſtitut, das durch die Ver - werflichkeit ſeines Verhaltens die Idee Lügen ſtraft auf die es gegründet iſt, unterſcheidet man von dem geheimnißvol - len Daſeyn der ſeligen Gemeinſchaft, die nicht äußerlich er - ſcheint, an die man nach den Worten des Symbols nur glaubt, und die allerdings Himmel und Erde vereinigt, jedoch ohne den Papſt. 1Ain ſermon oder predig von der chriſtlichen kirchen welches doch ſey die hailig chriſtlich kirche, davon unſer glaub ſagt: gepredi - get zu Ulm von Bruder Heinrich von Kettenbach. 1522. Es ſey ferne, ſagte der Paſtor Schmidt zu Küßnacht in einer Predigt, die vielen Ein - druck machte, daß die chriſtliche Kirche ein ſo beflecktes, ſündenvolles Oberhaupt anerkenne wie der Papſt iſt, und von Chriſtus ſich abwende, der von dem h. Paulus ſo oft das Oberhaupt der Kirche genannt wird. 2Myconius ad Zwinglium. Epp. Zw. p. 195.

Damit hängt es zuſammen, daß man dem Zwange, alle ſeine Sünden zu beichten, jede inſonderheit, der zu ſo viel Greueln des Beichtſtuhls, zu ſo viel Gewaltſamkeiten einer ſtarren und herrſchſüchtigen Rechtgläubigkeit Anlaß gab und Anlaß giebt, die an keine prieſterliche Vermitte - lung gebundene Verheißung des Nachtmahls entgegenſetzte. Mit der Gewißheit der realen Gegenwart beſtreitet man die Willkühr welche die Prieſter bei der Abſolution ausüben; man widerräth ſogar das lange Durchdenken einzelner Sün - den, das nur erneuerten Kitzel oder Verzweiflung hervor - bringe, und fordert nichts als ein getroſtes, fröhliches und93Ausbreitung der Lehre.gelaſſenes Vertrauen auf den barmherzigen Gott und ſeine gegenwärtige Gnade. 1Eyn verſtendig troſtlich Leer uber das Wort St. Paulus: Der Menſch ſol ſich ſelbſt probieren und alßo von dem Brott eſſen und von dem Kelch trinken: zu Hall in Innthal von D. Jacob Strauß geprediget. MDXXII. Der Leib Chriſti und ſein Blut wird genommen als das allerſicherſte Zeichen ſeiner barmherzigen Zu - ſage uns im Glauben die Suͤnde zu vergeben. Auch in einigen ſpaͤ - tern Schriften dieſes Autors tritt dieſer Gegenſatz hervor.

Entſcheidend iſt endlich der Gegenſatz zwiſchen Men - ſchenlehre und Gotteswort. Auch da iſt aber nicht von der Tradition die Rede, etwa nach den feineren Auffaſſun - gen einer ſpäteren Zeit, ſo daß ſie nur der ſich fortpflan - zende chriſtliche Sinn, das im Herzen der Gläubigen le - bende Wort wäre:2Moͤhler Symbolik p. 361. es iſt vielmehr das ganze, im Laufe der Jahrhunderte, durch die hierarchiſche Gewalt und die Scholaſtik entwickelte, eine unbedingte Autorität in Anſpruch nehmende Syſtem der lateiniſchen Kirche, dem man ſich entgegenſetzt. Man bemerkt, daß die Kirchenväter geirrt, Hieronymus ſehr häufig, ſogar Auguſtin zuweilen, was ſie denn auch ſelber ſehr gut gewußt, dennoch habe man auf ihre Ausſprüche ein Syſtem gegründet, und mit Hülfe heidniſcher Philoſophie weiter ausgeſponnen, von dem keine Abweichung erlaubt ſeyn ſolle. Aber eben damit habe man ſich dem Menſchenwahn hingegeben: kein Lehrer führe mehr zu wahrem Verſtand des Evangeliums. Und dieſer Menſchenlehre nun, die in ſich widerſprechend, untröſt - lich, mit allen Mißbräuchen verbündet ſey, ſetzt man das ewige Gottes Wort entgegen, das ſo edel, rein, herzlich, feſt und tröſtlich iſt, das man denn auch ungefälſcht und94Drittes Buch. Drittes Capitel.ungemakelt erhalten ſoll. 1Das hailig ewig wort gots was das in im Kraft Sterke Frid Fred erleuchtung und leben in aym rechten chriſten zu erwecken ver - mag zugeſtelt dem edlen Ritter Hern Joͤrgen von Fronsperg; von Haug Marſchalk der genennt wirt Zoller zu Augsburg 1523. Er ruͤhmt in der Vorrede den Ritter daß Eur Geſtreng yetzumal ſo hoch benennt und gepreiſt wird, daß das edel rain lauter und unvermiſcht Wort Gottes das heilig Evangelium bey Eur Geſtreng Statt hat, und in eur ritterlich gemuͤt und herz eingemaurt und be - feſtiget ꝛc.Man ermahnt die Laien, ſelbſt zu ihrem Heile zu ſehen, ſich das göttliche Wort zu eigen zu machen, das nach langer Verborgenheit wieder in vol - lem Glanze hervorgehe, dieß Schwerd in die Hand zu neh - men und ſich damit gegen die Prediger der ſtreitigen Opi - nionen zu vertheidigen. 2Cunrad Diſtelmair von Arberg: ain trewe Ermannung u. ſ. w. 1523.

In dieſen Gegenſätzen hauptſächlich bewegt ſich der Kampf der populären Literatur, der Predigt. Auf der ei - nen Seite gewiſſe äußere kirchliche Beziehungen als ver - dienſtlich erachtet: die Idee der Kirche gebunden an die beſtehende Hierarchie: das Geheimniß der individuellen Be - ziehung zu Gott, das ſich in der Abſolution ausſpricht, von der Ergebenheit gegen den Clerus abhängig: das ſeine Gültigkeit mit Feuer und Schwerd verfechtende Lehrſyſtem. Auf der andern die Forderung von Glaube und Liebe: die Idee der unſichtbaren, in der Gemeinſchaft der Geiſter be - ſtehenden kirchlichen Einheit: Vergebung der Sünden durch den Glauben an die Erlöſung, durch Genuß des Sacra - mentes ohne Beichtzwang: die Schrift allein die Quelle des Glaubens und der Lehre. Es iſt hier nicht von den Modificationen die Rede, welche ein oder der andre Theo -95Ausbreitung der Lehre.log ſeinen Begriffen geben mochte: ſondern nur von den Ideen wie wir ſie auf dem weiten Boden des nationalen Kampfplatzes ſich allenthalben mit einander meſſen ſehen.

Schon im Jahr 1521 erſchien eine kleine Schrift, die dieſen Widerſtreit verſinnbildete: vom alten und vom neuen Gott. Auf dem Titel ſieht man als die Repräſentanten des neuen Gottes den Papſt, einige Kirchenlehrer, Ariſto - teles, und ganz unten Cajetan, Silveſter, Eck und Faber; ihnen gegenüber aber den wahren alten Gott in ſeiner Drei - faltigkeit: die vier Evangeliſten: Paulus mit ſeinem Schwert und weiterhin Luther. Dem entſpricht nun auch der In - halt. 1Panzer II, 20.Den Cerimonien Dienſten und Lehrmeinungen, welche unter dem Schutze der aufkommenden Hierarchie, ihres blu - tigen Schwertes erwachſen, bis das Chriſtenthum ein Ju - denthum geworden, wird der alte Gott entgegengeſetzt, ſein unverfälſchtes Wort, die einfache Lehre von der Erlöſung, von Hofnung, Glauben und Liebe. 2Vgl. Vorrede von Hartmann Dulich abgedruckt bei Veeſen - meier Sammlung von Aufſaͤtzen p. 135. Wie ſehr man uͤbrigens in jenen vornehmſten Tendenzen den Zweck der ganzen Bewegung ſah, davon zeugt auch folgende Stelle in Eberlin von Guͤnzburg fraindlicher Vermanung Bog. III. Ich halt, Luther ſey von Gott geſandt zu ſeubern die Biblia von der lerer auslegung und zwang, die gewiſſen zu erloͤſen von banden der menſchlichen gebot od bapſt - geſetzen und den gaiſtlichen abziehen den titel chriſti un̄ ſeiner kir - chen, dz fuͤrohyn nit mer ſollich groß buͤberey ſtrafflos ſey und dem heyligen namen gottes auch iſt der Luther geſant dz er lere das creutz und glauben, welche ſchier durch alle doctores vergeſ - ſen ſeindt; darzu iſt Luther beruft von got und got gibt im weyß - hait kunſt vernunft ſterke und herz dazu.

In dieſen harten Ausdrücken zeigt ſich doch, daß man96Drittes Buch. Drittes Capitel.in der Nation fühlte, womit man beſchäftigt war: der deutſche Geiſt war ſich bewußt, daß die Zeit ſeiner Reife gekommen: er widerſetzte ſich der unbedingten Alleingültig - keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie ſie denn die ganze Welt beherrſchten, und kehrte zurück zu den einzigen ächten Quellen religiöſer Belehrung. 1Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.

Bei dieſer großen Bewegung, dieſem ſtarken Gefühl des Kampfes iſt es doppelt merkwürdig wie ſehr man doch zugleich an ſich hielt, wie behutſam man in vielen Stücken zu Werke gieng.

Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die Kirche, in der er ſchon eine unſichtbare Gemeinſchaft ſieht, den Schatz der Verdienſte Jeſu Chriſti, Mariä und aller Auserwählten beſitze.

Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her ſeine Augsburger Freunde ermahnt, ſich das neue Teſta - ment anzuſchaffen, ſelbſt wenn ſie ſich den Preis an Klei - dung oder Nahrung abſparen müßten, erinnert er ſie doch zugleich, ſich nicht zu raſch zur Verwerfung der her - kömmlichen Meinungen fortreißen zu laſſen: es ſey vieles was Gott in ſeinem Geheimniß ſich vorbehalten, wonach man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das, was einen klaren Spruch der Schrift gegen ſich habe.

Es war von einem jungen böhmiſchen Gelehrten mit einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor - den, ob Petrus je in Rom geweſen; und auf der katholi -ſchen97Ausbreitung der Lehre.ſchen Seite ſah man ein, daß die Lehre von dem Primat durch die Verneinung dieſer Frage vollends umgeſtoßen werde; allein in Wittenberg ließ man ſich von dem glän - zenden Reſultat dieſer Argumentation nicht fortreißen:1Luther an Spalatin 17 Febr. 1520 bei de W. I, 559. man fand, ſie trage für Glauben und Frömmigkeit nichts aus; ja in einer Schrift, in welcher man dieſe Sache ausführ - lich behandelt, und die ſchlechten Folgen des mißverſtan - denen Primates lebhaft erörtert, wird doch ſogar die Hof - nung ausgeſprochen, daß der neue Papſt ſelbſt, Adrian VI, von den bisher gehegten Irrthümern zurückkommen und ſich ganz an die Schrift halten werde einige Stellen aus ſeinen Schriften ſchienen dieſe Hofnung begründen zu können: dann werde nicht allein die gegenwärtige Irrung beigelegt werden, ſondern auch die alte Spaltung ſich heben: auch von Seiten der Griechen und Böhmen werde man zur Einheit der Kirche zurückkehren. 2Apologia Simonis Hessi adv. dominum Roffensem episc. Anglicanum super concertatione ejus cum Vlrico Veleno. Julio mense 1523. Der Autor beweiſt hauptſaͤchlich, quod gentiliter et ambitiose pro Petri primatu a multis pugnetur, cum hinc nihil lucri accedat pietati: quod impie abusi sint potestate sua Ro - mani pontifices in statuendis quibusdam articulis seditiosis ma - gis quam piis. Die Stelle Adrians in titulo de sacram. baptismi iſt: Noverit ecclesia se non esse dominam sacramentorum sed ministram, nec posse magis formam sacramentalem destituere aut novam instituere quam legem aliquam divinam abolere vel novum aliquem fidei articulum instituere. Spero fore, heißt es dann, si ille perstat in sua sententia, ut tota catholica ecclesia, quae nunc in sectas videtur divisa, in unam fidei unitatem aggre - getur, adeo ut et Bohemos et Graecos dexteras daturos confi - dam bene praesidenti Romano pontifici. Ich hege die Vermu - thung, daß Simon Heſſus, der auch ſonſt zuweilen als tapferer Mit -

Ranke d. Geſch. II. 798Drittes Buch. Drittes Capitel.

Andre, die ſo kühne Hofnungen nicht hegten, waren doch der Meinung, daß man jede eigenmächtige Verände - rung vermeiden, die Abſtellung der Mißbräuche der Obrig - keit überlaſſen müſſe. Wohl lehrten einige, man müſſe ſich der Geiſtlichkeit entſchlagen, wie die Kinder Iſrael des Pharao: aber ſelbſt Männer wie der feurige Otto Brun - fels ſetzten ſich dem entgegen: das Wort werde ohne Mühe und Schwerd die Dinge beſſern. Was man unbeſonnen beginne, gedeihe nie zu einem guten Ende. 1Vom evangeliſchen Anſtoß, Neuenburg in Breisgau Simo - nis und Judaͤ 1523.

Eben dieß war Luthers Meinung und eine geraume Zeit folgte man ihr über das ganze Gebiet des Reiches hin.

Noch durfte man alles von der Leitung des Reichs - regimentes erwarten. Indem das Regiment die Predigt des lautern Gottes Wortes angeordnet und die Nahm - haftmachung der Kirchenlehrer, welche als die Grundlage des modernen Romanismus angeſehen wurden, glücklich vermieden hatte, war es ſelbſt auf die vornehmſten Ideen der reformatoriſchen Bewegung eingegangen.

Während des Jahres 1523 nahm es dieſelbe auch weiter in ſeinen Schutz.

Als der Vicar von Conſtanz, Faber, eine Commiſ - ſion von Rom empfangen wider Luther zu predigen, und nun um Geleit und Schutz bei dem Regiment nachſuchte, bekam er wohl ein dahin lautendes Schreiben, aber in ſol - chen Ausdrücken, daß er, wie Planitz ſagt, gern ein beſſeres gehabt hätte.

2kaͤmpfer erſcheint, der bekannte Euricius Cordus iſt, aus Sims oder Simshauſen in Heſſen.

99Ausbreitung der Lehre.

Herzog Georg hatte ſich bei dem Regimente aufs Neue über die Ausfälle Luthers beſchwert; und ein Theil der Bei - ſitzer hielt wohl auch dafür, der Churfürſt müſſe erinnert werden Luthern zu ſtrafen. Allein die Majorität war da - gegen. Pfalzgraf Friedrich, der Statthalter meinte, man könne die Briefe des Herzogs dem Churfürſten wenigſtens zuſchicken. Herr, ſagte Planitz, das Mehr iſt, daß meinem gnädigen Herrn nicht geſchrieben werde. Dem Herzog ward geantwortet, er möge ſich nur nochmals ſelbſt an den Chur - fürſten wenden.

Bei dem Ausſchreiben eines neuen Reichstages ward darauf Bedacht genommen, daß der Religionsirrungen gar nicht erwähnt ward. 1Schreiben von Planitz vom 28 Februar, 3 Maͤrz, 18 Aug. 1523.

Die Hauptſache endlich war, daß man ſo ganz und gar nicht daran dachte, das Edict von Worms auszufüh - ren, ſondern in Ausſicht auf das geforderte Concilium der Lehre völlig freien Lauf ließ.

Man ſieht, wie viel wie für den Staat ſo für die Kirche daran lag, ob eine Regierung, in der Geſinnungen dieſer Art herrſchten, ſich werde aufrecht erhalten können oder nicht.

7*[100]

Viertes Capitel. Oppoſition gegen das Regiment, Reichstag von 1523, 24.

Es waren zwei große Ideen welche den Geiſt der deutſchen Nation beſchäftigten, die eine einer zugleich na - tionalen, ſtändiſchen, und ſtarken Regierung, die andre einer Erneurung und Verjüngung der religiöſen Überzeugun - gen und Zuſtände: ſie hatten jetzt beide eine gewiſſe Re - präſentation empfangen, berührten unterſtützten einander, und ſchienen eine politiſch und geiſtig gleich bedeutende Zukunft anzukündigen.

Es liegt aber in der Natur der Sache, daß Kräfte die nach ſo umfaſſenden großartigen Zielen ſtreben, auch auf mannichfaltigen Widerſtand ſtoßen.

Nicht als wäre ihre Verbindung ſo ſtark geweſen um gerade einem Jeden einzuleuchten, als wären in den Geg - nern beide Seiten der Oppoſition zum Bewußtſeyn gekom - men: jedwede erweckte vielmehr ihre beſonderen Antipa - thien. Wenn man dem Regiment widerſtrebte, ſo folgte noch lange nicht, daß man auch der Reformation der Kirche entgegen geweſen wäre.

Überhaupt verfallen wir bei der Betrachtung der Ver -101Oppoſition gegen das Regiment.gangenheit nicht ſelten in den Irrthum, einem neu eintre - tenden Weltelement zu früh einen alles beherrſchenden Ein - fluß zuzuſchreiben. So mächtig es auch ſeyn mag, ſo giebt es doch neben ihm noch andere lebendige Kräfte, die nicht ſogleich geneigt ſind ſich unterzuordnen, ſondern nach ihren eigenen ſelbſtändigen Trieben ſich weiter entwickeln.

Was nun dem Regiment entgegenſtand waren im Grunde zwei entgegengeſetzte Dinge. Einmal ließ es die Ausſicht auf eine ſtarke und nachdrückliche Regierungsweiſe, mit der doch nicht Jedermann gedient war, in der Ferne erſcheinen. Sodann aber und zwar für den Augenblick war es ſehr ſchwach: es fehlte ihm an aller wirkſamen executiven Gewalt. Die Oppoſition auf die es ſtieß rührte dann auch zunächſt von Ungehorſam her.

Sickingen und ſeine Gegner.

Man dürfte nicht glauben, der Landfriede Carls V ſey beſſer gehalten worden als die früheren. Ein paar kaiſerliche Räthe, die von dem Reichstag zu Worms, wo ſie ihn hatten beſchließen helfen, nach Augsburg reiſten, Gregor Lamparter und der Schatzmeiſter Johann Lucas, wurden eben auf dieſer ihrer erſten Reiſe überfallen und gefangen genommen. Der Sitz der Regierung und des Gerichtes, in gewiſſem Sinn in dieſem Augenblick die Haupt - ſtadt des Reiches, Nürnberg, war auf allen Seiten von wilder Fehde umgeben. Hans Thomas von Absberg, dop - pelt gereizt, weil der ſchwäbiſche Bund Beſchlüſſe gegen ihn faßte, ſammelte im J. 1522 noch einmal die verwe - genſten Reitersmänner aus allen umliegenden Gebieten um102Drittes Buch. Viertes Capitel.ſich: immer neue Feindesbriefe trafen in Nürnberg ein: zuweilen fand man ſie in den nächſten Dörfern in die Mar - terſäule geſteckt: alle Straßen des Reiches nach Oſten und Weſten wurden unſicher. Bei Krügelſtein im Bambergi - ſchen war eine einſame Capelle, wo alle Woche dreimal Meſſe gehalten wurde. Unter dem Schein ſie zu hören fanden ſich hier die raubluſtigen Genoſſen und die Kund - ſchafter zuſammen: wehe dem Kaufmannszug der in ihr Bereich gerieth. Sie führten nicht allein die Waaren da - von: ſie hatten jetzt den furchtbaren Gebrauch, den Ge - fangenen die rechte Hand abzuhauen; vergebens baten wohl die armen Leute, ihnen wenigſtens nur die linke zu nehmen und die rechte zu laſſen; Hans Thomas von Absberg hat einem Krämerknecht die abgehauene Rechte in den Buſen geſteckt, mit den Worten: komme er nach Nürnberg, ſo möge er ſie in ſeinem Namen dem Bürgermeiſter bringen. 1Muͤllner’s Nuͤrnberger Annales bei den Jahren 1522 und 23 enthalten dieß und noch mancherlei anders Detail. Z. B. Ruͤ - digkheim und Reuſchlein haben im Junio 2 Waͤgen mit Kupfer be - laden zwo Meil von Frankfurt angenommen und die Fuhrleut un - geſcheut benoͤthiget, daß ſie das Kupfer in das Schloß Ruͤcking dem von Ruͤdigkheim zugehoͤrig fuͤhren muͤſſen. Dem Nuͤrnberger Buͤr - ger dem es gehoͤrt ſchreibt Ruͤdigkheim: wolle er das Kupfer wieder haben, ſo moͤge er kommen und es ihm abkaufen. Sie waren da - durch gereizt, daß Nuͤrnberg bei dem Kaiſer wider ſie geklagt hatte.

Ein ſehr bezeichnendes Beiſpiel der allgemeinen Un - ſicherheit bieten die Frankfurter Acten vom Jahr 1522 dar. Philipp Fürſtenberg, den die Stadt Frankfurt an das Regiment ſchickte, um an der Regierung des Reiches Theil zu nehmen, fand die Straße von Miltenberg nach Wertheim, die er kam, ſo unſicher, daß er ſeinen Wagen103Sickingen.verließ, und mit einigen Schneidergeſellen auf die er ge - troffen, als wäre er einer von ihnen zu Fuße einen Sei - tenweg einſchlug. Den Wagen ſprengten einige Reiter mit aufgeſpannten Armbrüſten an. Um nur nach Wertheim zu kommen, mußte er ſich noch auf dem Weg eine Bedeckung von fünf oder ſechs Gefährten nehmen, die mit Büchſen oder Armbrüſten bewaffnet waren. 1Fuͤrſtenberg aus Wertheim St. Petri und Pauli Tag ao̅ 22. alſo hab ich meyn gnedigen Herrn gebeten, uns gen Wirtzburg zu verhelfen: iſt er willig Gott helf uns furter Die Reiter ſind zor - nig , ſagt er, was ihnen anliege weiß ich nicht.

In dieſem Zuſtande nun, als das Regiment ſeine ei - genen Mitglieder nicht zu ſchützen vermochte, brach eine Fehde aus, wie zu Maximilians Zeiten keine ſo gewaltig das Reich in Bewegung geſetzt hatte. Franz von Sickin - gen wagte es, im Auguſt 1522, mit einem wohlgerüſteten Heer, Fußvolk Reiterei und Geſchütz, einen Churfürſten des Reiches, den Erzbiſchof von Trier in ſeinem Land, ſei - ner wohlbefeſtigten Reſidenz zu überziehen.

In der Hauptſache war das eben auch nur eine Fehde, wie ſo viele andere: entſprungen aus perſönlichem Mißver - ſtändniß, eben dieſer Churfürſt hatte früher einmal be - ſonders lebhaft die Hülfe des Reiches gegen Sickingens Gewaltthätigkeiten in Heſſen aufgerufen: begründet durch einige zweifelhafte Rechtsanſprüche, namentlich auf ein - ſegeld von welchem der Erzbiſchof losgeſprochen, und das dann auf Sickingen übertragen war: berechnet auf Brand - ſchatzung und wo möglich Eroberung der feſten Plätze. Man muß den Brief leſen, in welchem ein alter Vertrau -104Drittes Buch. Viertes Capitel.ter Sickingens denſelben von dieſem Unternehmen abmahnt, um zu erkennen, welche Möglichkeiten des Gelingens oder Mißlingens hier erwogen wurden. 1Balthaſar Schloͤrs Schreiben an Sickingen o. D. jedoch unmittelbar vor dem Ausbruch der Fehde: bei Guͤnther Codex di - plomaticus Rheno-Mosellanus V, p. 202.

Dabei kamen nun aber einige andre Beweggründe ins Spiel, welche dieſem Unternehmen eine univerſale Bedeu - tung gaben. Bei Sickingen war eine glückliche Feindſelig - keit nicht mehr das letzte Ziel: er hatte größere Intereſſen im Auge.

Es waren das vor allem die der Ritterſchaft über - haupt. Wir wiſſen, wie ſehr die Ritterſchaft über den da - maligen öffentlichen Zuſtand mißvergnügt war: über den ſchwäbiſchen Bund, der zugleich Ankläger Richter und Voll - ſtrecker der Urtel ſeyn wolle, das Kammergericht, das nur den Schwachen zu finden wiſſe, aber den Mächtigen in Ruhe laſſe, das Umſichgreifen der fürſtlichen Macht, die fürſtlichen Gerichte, Zölle und Lehensein - richtungen. Der oberrheiniſche Adel hatte ſich im Früh - jahr 1522 zu Landau vereinigt, ſeine Lehensſachen nur vor Lehnrichter und Mannen, wie vor Alters hergebracht, ſeine Streitigkeiten mit andern Ständen nur vor unpar - teiiſchen, mit rittermäßigen Leuten beſetzten Gerichten2 wo der Kleger den Antwurter erfordert vor ſein des Antwurters Genoß, oder ungefehrlich dem etwas gemeß oder dar - uͤber, unparteilichs Rechten oder Austrags, vor die, ſo inlendiſch der Sachen geſeſſen oder gelegen ſeyn. Bruͤderlicher Verein bei Muͤnch: Leben Sickingens Bd II, p. 188. ent - ſcheiden zu laſſen, und einem Jeden dem dieß verſagt werde zu Hülfe zu kommen: dazu hatte er Franz von Sickingen105Sickingen.zu ſeinem allgemeinen Hauptmann ernannt. Eine Schrift Huttens, ungefähr vom Mai 1522,1Beklagunge der Freiſtette deutſcher Nation. Die Zeit er - giebt ſich aus den Worten: Der (Kaiſer) zeucht nun von uns wider Mher; ſie wollen nit, daß er widerkheer. Dieſe Ideen reichen aber auch in das naͤchſte Jahr, wie wir aus einer Schrift von Kettenbach ſehen: Practica practicirt u. ſ. w. (Pan - zer II, p. 190) wo die Staͤdte ermahnt werden, ſich nicht in die Fehde zwiſchen Adel und Fuͤrſten einzulaſſen. an die Reichsſtädte iſt ein Manifeſt der Geſinnungen die man in der Umge - bung Sickingens hegte. Nie ſind die Fürſten heftiger der Gewaltthätigkeit und Unrechtlichkeit angeklagt worden: die Städte werden aufgefordert, die Freundſchaft des Adels anzunehmen und vor allem das Regiment zu zerſtören, das ihm als eine Repräſentation der fürſtlichen Gewalt erſchien.

Dazu kam nun aber ferner die religiöſe Neuerung. Zu einem Unternehmen gegen einen der mächtigſten geiſtli - chen Fürſten gab ſie noch einen beſondern Antrieb. Im Grunde iſt es die Ebernburg wo der evangeliſche Gottes - dienſt zuerſt in ſeinen neuen Formen eingeführt ward. In Sickingens Umgebung hielt man die Austheilung des Abend - mahls unter beiderlei Geſtalt nicht allein für erlaubt, wie damals noch in Wittenberg, ſondern für nothwendig. Jo - hann Öcolampadius war der erſte welcher die religiöſe Befriedigung, die das Volk darin findet, alle Tage dem unverſtandnen Murmeln der Meſſe zuzuhören, der Ceri - monie der Segenſprechung beizuwohnen, und ſich ohne viel Aufwand von Aufmerkſamkeit oder Zeit Gott zu befehlen, geradehin verdammte, und die Meſſe nur noch Sonntags, mit Weglaſſung der Elevation und nur noch in deutſcher106Drittes Buch. Viertes Capitel.Sprache hielt. 1Oecolampadii Epistola ad Hedionem bei Gerdeſius Histo - ria Evangelii: Tom. I, Monumenta p. 166.Von Sickingen ſelbſt haben wir einen Brief, worin er ſich gegen die Bilder ausſpricht, welche mehr für ſchöne Gemächer als für die Kirchen geeignet ſeyen, und wider die Anrufung der Heiligen eifert; einem ſeiner Prediger, Joh. Schwebel, richtete er die Hochzeit aus. Unter ſeinen Freunden finden wir einen, Hartmuth von Kronenberg, den man als den erſten im Style einer ſpätern Zeit frommen vollkommen überzeugten Lutheraner betrachten kann. 2Schreiben Kronenbergs an die vier Bettelorden 25 Juni 1522; an die Einwohner von Kronenberg: bei Muͤnch Sickingen II, p. 145. 153.

Durch die Verbindung mit dieſen mächtigen Elemen - ten bekamen nun die Unternehmungen Sickingens eine un - gemeine Wichtigkeit. Ein großer Theil der Ritterſchaft in dem ganzen Reiche war für ihn, und regte ſich um ihn zu unterſtützen. Auch die Unterſtützung Luthers, dem er frü - her oft ſeinen Schutz angeboten, nahm er in Anſpruch. In der That, es wäre kein ſchlechter Bund geweſen, wenn der Mönch, den die Nation wie einen Propheten verehrte, ſeinen Wohnſitz bei dem gewaltigen Rittersmann genom - men und ihn mit der Macht ſeines Wortes unterſtützt hätte. Aber Luther hatte den großen Sinn, ſich von allen politiſchen Verbindungen fern zu halten, keine Gewalt ver - ſuchen, einzig der Macht der Lehre vertrauen zu wollen. Von Sachſen bekam Sickingen überhaupt nur Abmahnun - gen. Wie ſehr er dennoch auf dieſe nationale Hinneigung zählte, beweiſt fein Manifeſt an die Unterthanen von Trier,107Sickingen.denen er verſpricht, ſie von dem ſchweren antichriſtlichen Geſetz der Pfaffen zu erlöſen und ſie zu evangeliſcher Frei - heit zu bringen. 1Auszuͤge aus den Manifeſten bei Meiners Leben Huttens p. 317.In ſeinem Kopfe durchdrangen ſich die Gedanken eines fehdeluſtigen, einem mächtigen Fürſten ſich gewachſen fühlenden Edelmannes, eines Oberhauptes aller Ritterſchaft, eines Vorfechters der neuen Religionsmeinungen. Es iſt nicht ohne Bedeutung, wenn Hutten in einem ſeiner Geſpräche dem Sickingen eine feurige Lobeserhebung Zis - ka’s in den Mund legt: des unüberwindlichen Helden, der ſein Vaterland von den Mönchen und unnützen Prieſtern geſäubert, ihre Güter zum allgemeinen Beſten vertheilt, den Räubereien der Römer ein Ende gemacht habe. 2Monitor secundus Opp. IV, p. 144.

Am 27 Aug. 1522 kündigte Sickingen dem Erzbiſchof Fehde an, vor allem um der Dinge willen die er gegen Gott und Kaiſerl. Maj. gehandelt; von dem Churfürſten von Mainz eher ins geheim unterſtützt als verhindert, langte er nachdem er St. Wendel genommen, am 7 Sep - tember vor Trier an: mit 1500 Pf., 5000 M. und nicht geringem Geſchütz zog er über den Marsberg daher. 3Dieſe Anzahl geringer als die gewoͤhnliche Angabe, enthaͤlt die Flersheimer Chronik: in Muͤnchs Sickingen III, p. 215.So viel wir ſehen, rechnete er darauf, daß hier ſeine Freunde zu ihm ſtoßen würden, Rennenberg, der in Cleve und - lich, der Baſtard von Sombreff, der im Erzſtift Cölln, Franz Voß, der im Limburgiſchen für ihn rüſtete: auch aus Braunſchweig ſollte Nickel Minkwitz 1500 M. her - beiführen. In ſeinem Lager ſprach man davon, daß er in108Drittes Buch. Viertes Capitel.Kurzem Churfürſt ſeyn werde, ja vielleicht noch mehr als das. Das ganze Reich wendete ſeine Augen dahin: der Abgeordnete des Herzog Georg von Sachſen ſchrieb an ſeinen Herrn, in viel hundert Jahren ſey nichts ſo ge - fährliches wider die Fürſten des Reiches unternommen wor - den. 1Schreiben im Koͤn. Saͤchſiſchen Archiv.Es ſey alles dahin gerichtet geweſen, behaupten Andre, daß man in Kurzem nicht hätte wiſſen ſollen, wer König oder Kaiſer, Fürſt oder Herr ſey.

So erhob ſich noch einmal das tumultuariſche Ritter - weſen zu einer das ganze Reich bedrohenden Gewalt.

Man kann es ſich nicht recht ausdenken, was daraus werden ſollte wenn es ihm gelang.

Konnte wirklich aus der ritterlichen Unabhängigkeit, die nun zu voller Herrſchaft gelangt wäre, eine einigermaaßen geordnete Regierung hervorgehn? Würde etwa die verwil - derte Selbſthülfe des damaligen Ritterthums durch die neue Predigt ſo leicht zu bezähmen geweſen ſeyn? Öcolampadius wenigſtens fand auf Sickingens Burg einen harten Boden für ſeine Saat. Auch waren es an ſich höchſt ungleich - artige Elemente die hier vereinigt erſchienen, das Ritter - thum, die eigenthümlichſte Hervorbringung der mittlern Jahr - hunderte, die auf einer Zerſetzung kräftiger Staatsgewalten beruhte, und die neue Lehre, welche die Tendenz in ſich ſchloß, und ſie ſchon ausgeſprochen, eben dieſer Staats - gewalt eine neue feſte Grundlage zu verſchaffen. Sickin - gen ſelbſt hatte eine ſehr anomale Stellung. Es wa - ren keineswegs ritterliche Kräfte die er ins Feld führte. Er ſtand an der Spitze eines geworbenen Heeres, das nur109Sickingen.durch Geld zuſammengehalten werden konnte, mit allem Apparat einer dem Ritterthum weſentlich entgegengeſetzten Kriegskunſt. Wunderbarer Anblick, wie die beherrſchenden Kräfte verſchiedener Zeitalter hier einander berühren und der Gedanke aufkommt, als könnten ſie ſich vereinigen, mit einander gehn. Wir können heut zu Tag wohl einſehn, wie unmöglich dieß war. Denn nur in lebendigem und wahrem Einverſtändniß mit dem Fortgang der Weltent - wickelung wird ſich etwas Haltbares gründen laſſen. Aber auch damals ſah man ein, daß wenn das Fürſtenthum beſiegt, die noch keineswegs feſt begründete Reichsordnung gewaltſam zertrümmert worden, nichts als ein ausſchlie - ßendes wildes und doch wieder in ſich ſelbſt widerſprechen - des Regiment des Adels zu erwarten ſey.

Es kam nun darauf an, wer die Vertheidigung der gefährdeten Ordnungen übernehmen würde.

Das Regiment that ſo viel es vermochte. Abmahnun - gen ergiengen an Sickingen: Mandate an alle benachbarte Fürſten, ſich ſeinem Vorhaben zu widerſetzen. Auf Sickingen jedoch machten die Mahnungen des Regimentes wenig Ein - druck. Er entgegnete, er ſelber gedenke eine neue Ord - nung im Reiche einzuführen. 1Planitz an Churf. Friedrich 13 Sept. Sickingen habe ge - ſagt, er wolle ſich eines Thuns unterſtehn, deſſen ſich kein Roͤmiſcher Kaiſer unterſtanden. 28 Spt. er habe den Boten des Regiments geſagt: er wißt vorwar, ſein Herr der Kaiſer werde nicht zuͤrnen, ob er den Pfaffen ein wenig ſtrafet und ihm die Kronen eintraͤnkt, die er genommen haͤtte. Wirklich fieng man an zu glauben der Kaiſer moͤge gar mit ihm einverſtanden ſeyn. Der Kaiſer ſagte ſpaͤter, Franz habe ihm nicht ſo gut gedient um ihm Dinge dieſer Art nachzuſehen.Von einer Entſcheidung des Kammergerichts wollte er nichts wiſſen: er ſagte, er110Drittes Buch. Viertes Capitel.habe ein Gericht um ſich, beſetzt mit Reiſigen, wo man mit Büchſen und Carthaunen diſtinguire. Wohl iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſein ganzes Heer gedacht habe wie er. Wenigſtens das Regiment verſichert, durch ſeinen Eifer ſey Franzens Anhang und Macht vermindert worden: allein um ihn zu Paaren zu treiben, waren doch ganz an - dre Kräfte nöthig, und alles lag daran, welchen Wider - ſtand Sickingen bei dem Angegriffenen und deſſen Verbün - deten finden werde.

Richard von Greiffenklau Erzbiſchof von Trier hatte die beſten Anſtalten getroffen. Das Kloſter S. Maximin, auf deſſen Vorräthe die Feinde gerechnet, hatte er in Brand ſtecken laſſen: er ſelbſt war mit der Fackel dazu herbeigeeilt: in der Stadt hielt ſeine Anweſenheit die Bewegungen nieder, die ſich allerdings regten. Die Geiſtlichen ſtellten ſich um den Dom her auf, die Bürger auf dem Markte: auf Mauern und Thürmen hielten die Söldner: der einheimiſche Adel, der ſich von dem Stift nicht trennen laſſen, hatte die An - führung.

Und indem nun Sickingen, der einen raſchen Schlag auszuführen gedacht, hier auf einen unerwarteten nachhal - tigen Widerſtand ſtieß, begegnete ihm, daß ſeine Freunde und Verbündeten, durch deren Zuzug er erſt in den Beſitz ſeiner vollen Macht gekommen wäre, allenthalben aufge - halten oder geſchlagen wurden. Der Herzog von Cleve und der Churfürſt von Cölln geboten den Reitern die in ihren Gebieten geworben waren, bei Verluſt ihrer Lehen, ja ihres Lebens, zu Hauſe zu bleiben. Dem jungen Land - grafen von Heſſen gelang es, die Minkwitziſche Truppe,111Sickingen.die von Braunſchweig daher zog, zu übermannen, ihren Anführer mit alle ſeinen Papieren in ſeine Gewalt zu be - kommen, hierauf dieſe Leute in ſeine eignen Dienſte zu zie - hen. 1Schreiben Landgr. Philipps an den Churf. v. Trier 5 Spt. 1522 in Rommels Geſch. von Heſſen Bd V, p. 858.Da wagten auch die weſtphäliſchen und lünebur - giſchen Reiſigen ſich nicht ins Feld.

Dagegen rüſteten ſich der Churfürſt von der Pfalz, der alte Gönner Sickingens, ſo gut wie der Landgraf von Heſſen, ſein erbitterter Gegner, ihrem Nachbar und Ver - bündeten von Trier zu Hülfe zu eilen.

Sickingen, im Angeſicht einer tapfer vertheidigten Stadt, im offenen, durch Verwüſtungen erbitterten Lande, ohne die erwartete Unterſtützung, wagte es nicht, das Zuſam - mentreffen ſo übermächtiger Streitkräfte zu erwarten: er ſelbſt entwickelte auch nicht die Kräfte und eigenen Hülfs - quellen des Talentes und der Tapferkeit, ohne die man ſich ſo kühner Wageſtücke nicht ungeſtraft unterfängt: am 14ten September mußte er ſich entſchließen, Trier zu ver - laſſen. 2Dieſe Trierſchen Ereigniſſe ſchildern Latomus, Browerus Annal. Trev. II, 340, der auch Latomus aufgenommen, Gesta Tre - virorum in Hontheims Prodromus p. 858, Chronicon S. Maximini ibid. p. 1035.

In dieſen acht Tagen liegt eine große Wendung der deutſchen Geſchicke.

Die drei Fürſten, Repräſentanten der gefährdeten fürſt - lichen Gewalt, bekamen jetzt die Oberhand über die em - pörte Ritterſchaft und ihren Anführer. Sie begnügten ſich nicht, das Erzſtift von dem Feinde zu ſäubern: merkwür -112Drittes Buch. Viertes Capitel.dig aber, auch Sickingen verfolgten ſie nicht: ſie wandten ſich zunächſt wider deſſen Verbündete.

Der Churfürſt von Mainz, dem ſie vorwarfen, einer Anzahl ſickingenſcher Pferde den Übergang über den Rhein nicht verwehrt zu haben, mußte ſeinen Frieden mit 25000 G. erkaufen. 1Der Geſandte des Herzog Georg ſagt, das ſey der Urſa - chen eine, die andern ſtecken in der Feder.

Hartmuth von Kronenberg, an dem der Landgraf vor allem den Antheil den er einſt an dem Darmſtadter Zuge Sickingens genommen, beſtrafen wollte, ward in ſeiner Burg unfern Frankfurt aufgeſucht. Der Landgraf wollte von Gnade und Unterhandlung nichts hören: er ſelbſt hat zuweilen das Geſchütz gerichtet. Der Ritter war noch zur rechten Zeit entwichen: ſeine Burg mußte ſich aber am 16ten October ergeben; die drei Fürſten nahmen die Hul - digung in Perſon ein und die Stadt iſt hierauf eine geraume Zeit hindurch als heſſiſche Landſtadt behandelt worden. 2Tendel: Beſchreibung der Belagerung von Kronenberg bei Muͤnch III, p. 28.

Dann gieng der Zug gegen Frowen von Hutten weil er ſich des Aufruhrs theilhaftig gemacht und erklärte Ächter bei ſich aufgenommen: ſeine Burg Saalmünſter ward erobert.

Daſſelbe geſchah dem Philipp Waiß zu Haußen in der Fuldiſchen Mark, dem Rudeken in Rukingen: andre ſuchten ſich durch Vertrag zu retten.

Und ſchon drohte ein ähnliches Ungewitter den Ver - bündeten Sickingens auch in entfernten Gegenden. Derfrän -113Sickingen.fränkiſche Adel hatte ihn zwar nicht eigentlich unterſtützt, aber in ſeinem Vorhaben beſtärkt, ſich im Ganzen zu ihm gehalten; der ſchwäbiſche Bund dagegen war mit den Für - ſten, namentlich mit der Pfalz in Einung getreten, und forderte jetzt die fränkiſchen Ritter vor ſein Bundesgericht, um ſie wegen einiger Landfriedensbrüche zu vernehmen; die Ritter hielten ſich nicht für verpflichtet, einer ſolchen Mah - nung Folge zu leiſten, und kamen in Schweinfurt zuſam - men, um Beſchluß dagegen zu faſſen: ſie waren noch ent - ſchloſſen ſich zu vertheidigen: dem Biſchof von Würzburg, der zuletzt in den Bund getreten war, kündigten ſeine Un - terſaſſen darüber entrüſtet im Anfang des Jahres 1523 alle ſeine Ämter auf. Ganz Schwaben und Franken ge - rieth hierüber in Bewegung. Bei der Übermacht des Bun - des ließ ſich das Ende des Kampfes leicht vorausſehn, wofern nicht das Regiment ihn zu verhindern wußte.

Für dieſe höchſte Reichsbehörde bekam überhaupt das Ereigniß jetzt eine ganz andre Bedeutung.

Früher war ſeine Autorität von Sickingen und deſſen Freunden verſpottet, bekämpft worden: auch hatte man dafür Sickingen auf die Anklage des Anwalts von Trier, ohne ihn den Reichsſatzungen gemäß vorgeladen und verhört zu haben, bereits am 8ten October in die Acht erklärt; allein in eine eben ſo trotzige, dem Regiment gefährliche Haltung warfen ſich nun die Gegner Sickingens: ſtatt den Geächteten zu verfolgen, griffen ſie deſſen vermeinte Ver - bündete an, deren Schuld nicht immer nachgewieſen war, und nahmen ihre feſten Häuſer ein: der ſchwäbiſche Bund, der ſchon ohnehin behauptete, nur mit Vorbehalt ſeinerRanke d. Geſch. II. 8114Drittes Buch. Viertes Capitel.Einung in das Regiment gewilligt zu haben, griff durch jene Ladungen offenbar in das Gebiet der Reichsgerichte über, und auf eine Erinnerung, Niemand über den Land - frieden zu beſchweren, hielt er es nicht für der Mühe werth, auch nur eine Antwort zu geben.

Denn mit der Macht iſt auch natürlich der Anſpruch verbunden. Wie die Unternehmungen Sickingens, die Gäh - rungen des fränkiſchen Adels nicht durch das Regiment unterdrückt worden waren, ſondern durch die Übermacht und Kriegsgewalt der Nachbarn, ſo ſetzten dieſe auch den Kampf nach ihren eignen Intereſſen fort, ohne viel Rück - ſicht auf die höchſte Gewalt im Reiche. 1Vgl. Schreiben des Chf. von Trier 2 Nov. 1522 bei Muͤnch III, 33.

Daher kam es, daß das Regiment gar bald Diejenigen in Schutz nahm, die es noch eben als ſeine Feinde betrach - tet hatte. Frowen von Hutten brachte ohne viel Mühe, nachdem die Meinungen der angeſehenſten Mitglieder des Kammergerichts vernommen worden, ein Mandat aus, durch welches die Fürſten aufgefordert wurden, ihm ſeine Häuſer zurückzugeben; kurz darauf erfolgte ein förmliches Urtel zu ſeinen Gunſten. Zugleich drang das Regiment in die Fürſten, Churmainz der ihm ſo gewaltſam auferlegten Verpflichtungen zu entlaſſen. 2Planitz vom 4ten Februar 1523: ſie ſollen ihm ſeine Ver - ſchreibung zuruͤckgeben und Sickingen zu guͤtlichem Verhoͤr kommen laſſen.Dieſe Fürſten hätten ge - wünſcht, gegen den geächteten Sickingen mit der Hülfe des Reiches unterſtützt zu werden: aber weder bei dem Regiment noch bei den Ständen in den erſten Monaten115Sickingen.des Jahres 1523 konnten ſie dieß auswirken: wäre die Acht nicht ſchon ausgeſprochen geweſen, ſo wäre ſie jetzt wohl unterblieben. 1Planitz meint ſchon am 24 Nov. jetzt wuͤrde man Sickin - gen nicht in die Acht erklaͤren, man haͤtte ihn denn citiert, aber geſchehn iſt geſchehn. Einige Mitglieder des ſchwäbiſchen Bundes trugen auf ein Verbot der ritterſchaftlichen Zu - ſammenkünfte und Verbindungen an: das Regiment war jetzt nicht mehr dahin zu bringen: es kündigte vielmehr den Rittern an, es werde ſie mit Ausnahme deren welche gegen den Landfrieden gehandelt in ſeinen Schutz nehmen.

Meines Erachtens bekam nun erſt die Sache der Rit - terſchaft ein wahres Intereſſe für die Reichsentwickelung. Mit jenem wilden Vorhaben eine unabhängige Macht zu gründen, war es vorüber. Ihr einziger Rückhalt war das Regiment: und mit dieſem mußten ſie ſich verbinden. Da - durch nun daß ſowohl die Ritter als das Regiment ſich für die evangeliſchen Doctrinen erklärten, bekamen die ge - trennten Elemente einen engern Zuſammenhang. Auch der Churfürſt von Sachſen, die Hauptſtütze des Regimentes, trat jetzt in eine gewiſſe Verbindung mit den Rittern. In dem zweiten Quartal des Jahres 1523, wo die Pflicht perſönlicher Anweſenheit auf den Churfürſten von Mainz traf, vertrat deſſen Vetter, der Hochmeiſter Albrecht von Preußen ſeine Stelle: der damals noch keine andre Idee hatte, als die Herrſchaft des Ordens, d. i. der deutſchen namentlich der fränkiſchen und ſchwäbiſchen Ritterſchaft in jenem Lande aufrecht zu erhalten, und die Kräfte des Reichs dafür in Bewegung zu ſetzen.

8*116Drittes Buch. Viertes Capitel.

So wenig man Sickingen vor dem Jahr die Erobe - rung von Trier hätte wünſchen können, ſo wichtig war es doch, daß er ſich gegen die Angriffe behauptete, die ſich im Frühjahr 1523 wider ihn vorbereiteten.

Sonderbares Schickſal! An die Erhaltung des Rit - ters der ſo oft den Landfrieden gebrochen und Gewaltſam - keiten ausgeübt, knüpfte ſich jetzt, nachdem er geächtet war, ein Intereſſe der Reichsordnung.

Auch gab er noch keineswegs ſeine Sache auf. Er glaubte Hülfe von Niederdeutſchland und vom Oberrhein erwarten zu dürfen: Zuzug fränkiſcher und böhmiſcher Rit - ter: Beiſtand der Lutheraner. Von Landſtuhl, wo er ſich aufhielt, ſah er eines Tages Reiter in den entfernten Ge - büſchen erſcheinen: er ſchmeichelte ſich, es ſeyen Luthera - ner, welche ſehen wollten was er mache;1Hubert Th. Leodius Acta et gesta Francisci de Sickin - gen bei Freher Scriptt. Rer. Germ. III, p. 305. aber ſie kamen nicht näher: ſie banden die Pferde in jenem Buſchwerk an: es war eben der Vortrab der Feinde, welche anlangten um ihn zu belagern.

Indeſſen war er unbeſorgt. Er zweifelte nicht, ſich in der Feſte die er erſt vor kurzem hergeſtellt hatte, we - nigſtens ein Vierteljahr halten zu können: ſeinen Verbün - deten werde Zeit bleiben zu kommen und ihn zu entſetzen.

Da aber zeigte ſich doch, daß er die Kriegskräfte, wie ſie ſich in dem letzten Jahrhundert entwickelt, nicht richtig berechnete. Er war jetzt darauf angewieſen ſich wie die alten Ritter zu vertheidigen: es kam darauf an, ob die Bergſpitze, die felſenfeſten Thurmgewölbe, die dicken Mauern noch eine Freiſtatt gegen das Geſchütz gewährten. Es117Sickingen.zeigte ſich ſehr bald, daß die neue Kriegskunſt der alten Vertheidigung zu mächtig war. Am 30ſten April 1523 fiengen die Fürſten an, die Burg aus ihren Carthaunen, Nothſchlangen und Scharfmetzen zu beſchießen: ſie waren ſehr wohl verſehen, ſehr wohl bedient: der junge Landgraf, der in der Tracht eines Landsknechtes erſchien, zeigte Muth und Geſchicklichkeit:1Lettera da Ispruch a 12 Mazo 1523 al Sr Mch. di Mantoa. Il Landgrafio si è portato magnanimamente, essendo sempre stato de li primi, in zuppone con le calze tagliate et in corsaletto da Lanzichenech, et è giovane di 18 anni. (Venez. Chronik von Sanuto Bd 34.) noch an demſelben Tag brach der große Thurm, von welchem ihr Lager überſehen und be - droht wurde, zuſammen. Eben ihrer Neuheit halber leiſte - ten die Mauern den Kugeln keinen rechten Widerſtand. Indem Sickingen dieſes unerwartete Unheil bemerkte, nach einer Schießluke gieng, und an das Sturmgeräth gelehnt, zu überblicken ſuchte wie es ſtehe, was ſich etwa thun laſſe, war eine Nothſchlange eben dahin gerichtet worden und traf nur allzugut: die Werkzeuge der Vertheidigung wurden auseinandergeworfen, Sickingen ſelbſt gegen einen ſpitzen Balken geſchleudert und in der Seite tödtlich ver - wundet.

Das ganze Haus war zerſchoſſen; in dem einzigen Burggewölbe das ſich gehalten, lag der Hauptmann ohne Hofnung; Hülfe wollte nicht erſcheinen. Wo ſind nun meine Herrn und Freunde, ſagte Sickingen, die mir ſo viel zugeſagt? wo iſt Fürſtenberg? wo bleiben die Schweizer die Strasburger? Er mußte ſich entſchließen zu capituliren. 2Bericht wie ſich Franz von Sickingen Krieg verlaufen hat bei Spalatin Sammlung zur ſaͤchſ. Geſch. V, 148.

118Drittes Buch. Viertes Capitel.

Die Fürſten wollten ihm keinen freien Abzug zuge - ſtehn, worauf er der Sitte gemäß angetragen: er ſagte, ich will nicht lange ihr Gefangner ſeyn. Kaum hatte er noch Kräfte die Artikel zu unterſchreiben; in ſeinem Burgge - wölbe lag er im Sterben, als die Fürſten daſelbſt eintraten.

Der Churfürſt von Trier ſagte: was haſt du mich geziehen Franz, daß du mich und meine armen Leute im Stift überfallen haſt? Und mich, fügte der Landgraf hinzu, daß du mein Land in meinen unmündigen Jahren überzo - geſt? Sickingen erwiederte: ich habe jetzt einem größern Herrn Rede zu ſtehen.

Sein Caplan Nicolaus fragte ihn, ob er zu beichten verlange. Er antwortete: ich habe Gott in meinem Her - zen gebeichtet.

Der Caplan rief ihm Worte des letzten Troſtes zu, und hob die Hoſtie empor. Die Fürſten entblöſten ihr Haupt und knieten nieder: in dieſem Augenblick verſchied Sickingen: die Fürſten beteten ein Vaterunſer für ſeine Seele. 1Den glaubwuͤrdigſten Bericht enthaͤlt die Flersheimer Chro - nik bei Muͤnch III, 222.

Sickingen wird immer unvergeßlich bleiben: nicht gerade wegen großer Thaten von nachwirkendem Gehalt die er ausgeführt, auch nicht wegen einer außerordentlichen Tapferkeit, moraliſch bedeutender Vorzüge die er entwickelt hätte, ſondern wegen der neuen und großartigen Stellung in die er allmählig gelangte. Was ihn zuerſt emporbrachte, war ſein Verhältniß zu dem Churfürſten von der Pfalz, der ihn gegen ſeine Feinde brauchte, ihm Raum machte,119Sickingen.Rückhalt verlieh, ihn insgeheim oder offen unterſtützte. Da ward er aus einem nicht ſehr bedeutenden Ritter, dem ein paar Burgen gehörten, in kurzer Zeit ein mächtiger Condottiere, der ein kleines Kriegsheer auf eigene Hand ins Feld ſtellen konnte. Je angeſehener er aber wurde, deſto mehr fühlte er ſich auch verſucht und berechtigt, ſeine eigne Politik zu befolgen. Zuerſt in dem wirtenbergiſchen Kriege riß er ſich von dem Churfürſten los, dem dieſe Un - ternehmung nicht eben ſehr erwünſcht kam. Doch auch an den ſchwäbiſchen Bund ſchloß er ſich darum nicht an: ſehr bald trat er vielmehr mit den fränkiſchen Rittern, die dieſer anfeindete, in das engſte Verſtändniß. Eben hierin liegt das Großartige ſeiner Haltung. Wir ſahen wie ſich einige Jahre früher Wirtenberg, die Pfalz, Würz - burg dem ſchwäbiſchen Bunde entgegenſetzten und dabei auch die Ritterſchaft auf ihrer Seite hatten. Jetzt hatten ſich die Fürſten genöthigt geſehen in den Bund zu treten: Wirtenberg war beſiegt worden: Sickingen und die Ritter - ſchaft hielten die Oppoſition allein aufrecht. Der Gedanke er - hob ſich in ihnen noch einmal die alten Grundlagen der Un - abhängigkeit des Adels zu beleben, ſich der Territorialherr - ſchaft geiſtlicher und weltlicher Fürſten zu entledigen, der neuen religiöſen Überzeugung Bahn zu brechen. Es iſt die eigenſte Combination: mitten in den Gewaltſamkeiten die man begeht, hat man doch einen lebendig offenen Sinn für groß - artige Ideen: eben in dieſer Verbindung beſteht das Weſen des Adels jener Zeit. Indeſſen war man weder geiſtig ſo kraftvoll, noch politiſch ſo mächtig, um Gedanken dieſer Art durchzuführen. Wie Sickingen endlich das Fürſten -120Drittes Buch. Viertes Capitel.thum nun entſchieden angreift, erheben ſich gewaltigere Mächte wider ihn: die Pfalz läßt ihn nicht allein fallen, ſondern ſie verbindet ſich ſogar mit ſeinen Gegnern zu ſei - nem Verderben. 1So ſahen das auch die Zeitgenoſſen an: wie das Geſpraͤch zwiſchen Fuchs und Wolf beweiſt. Wolf: Wie mainſtu hat der Pfalz - graff gethon, wir wolten gut feiſte Boͤlz erlangt han? Fuchs: Es iſt bei Got war, derſelb hat uns allein den Schaden thon des wir uns nit verſehen.Da muß er erfahren, daß er doch nicht ſo mächtig iſt wie er glaubte, daß die Kräfte die ihn ge - hoben, nicht ganz die ſeinen ſind, und ſich vielmehr wider ihn wenden: in dieſem Conflict geht er unter.

Die Eroberung von Landſtein war ein Sieg des Für - ſtenthums über das Ritterthum, des Geſchützes über die Burgen, in ſofern der neuen Zeit über die alte, eine Be - feſtigung der einmal emporgekommenen ſelbſtändigen Ge - walten im Reiche.

Alle Burgen Sickingens und ſeiner Freunde fielen nun in die Hände der Fürſten. Mit denen, welche im Herbſt erobert worden, ſind es im Ganzen 27. Was auf dem rechten Rheinufer lag, fiel dem Landgrafen zu, was auf dem linken theilten der Pfalzgraf und der Erzbiſchof. Auf der Ebernburg, dem einzigen Schloß das ſich eine Zeit - lang hielt, machte man eine prächtige Beute, herrliche Kleinodien zu weltlichem und geiſtlichem Gebrauch: vor allem 36 Stück Geſchütz, das ſchönſte die Nachtigall, vom Meiſter Stephan in Frankfurt gegoſſen, 13½ Schuh lang, bei 70 Centner ſchwer, mit dem Bilde des Ritters, ſeiner Gemahlin, ihrer beiderſeitigen Ahnen, und des Heiligen den ſie früher vor allem verehrten, des h. Franz. 2Bericht bei Spalatin: a. a. O. p. 151.Dieſe er -121Die fraͤnkiſche Ritterſchaft.hielt bei der Theilung der Landgraf. Die Fürſten verpflich - teten ſich, was ſie mit einander gewonnen, auch mit ein - ander zu behaupten. Hierauf ſchieden ſie am 6ten Juni von einander.

In demſelben Augenblick hielt der ſchwäbiſche Bund eine Verſammlung zu Nördlingen, wohin er die des Land - friedensbruches angeklagten fränkiſchen Ritter vorgeladen. Einigen gelang es wirklich ſich zu reinigen: andere waren zwar erſchienen, aber ohne mit ihrer Entſchuldigung durch - zukommen, ſie wurden nicht zum Eid gelaſſen: nicht we - nige hatten es überhaupt verſchmäht ſich vor den Bundes - räthen zu ſtellen. 1Schreiben von Noͤrdlingen im Dresdner Archiv Anf. Juni 1523: der Bund geht teglich zwir in Rath; vorzuͤglich Muͤllners Annalen, welche ein Tagebuch des ganzen Zuges enthalten.Gegen die beiden letzten Claſſen ver - ſammelte ſich am 15ten Juni zu Dünkelſpiel ein Heer von 1500 zu Pferd, 15000 z. F.: unter dem Feldhauptmann Georg Truchſeß: die Städte Augsburg, Ulm und Nürn - berg lieferten das Geſchütz. 2Nuͤrnberg gab 2 Scharfmetzen, 2 Carthaunen, 2 Nachti - gall, 2 Nothſchlangen, 6 Feldſchlangen, 6 Halbſchlangen, 60 Hacken auf Boͤcken.Einer ſo gewaltigen Kriegs - macht war nun jene Ritterſchaft nicht gewachſen. Für das feſteſte Schloß in Franken ward Bocksberg unfern Mer - gentheim gehalten und dahin wandte ſich auf den Rath der Nürnberger der Zug zuerſt; die Roſenberge, denen es gehörte, hatten anfangs ſich zu wehren gedacht, eine Schaar Landsknechte geworben und Büchſenmeiſter für ihr Geſchütz angenommen: als ſie dieſe Übermacht ſahen, gaben ſie den Widerſtand auf: das Schloß ward mit ſeinen ganzen Vor - räthen ohne weiteres überliefert. Da wagte auch kein an -122Drittes Buch. Viertes Capitel.deres zu widerſtehn. Der Absberg ward ausgebrannt; in jenem Krügelſtein war ein feſter Thurm, noch oben im Um - gang acht Schuh dick, man hob ihn mit Pulver aus dem Grund; Waldſtein, mitten in ſeiner Wildniß, wohin frü - her mancher Gefangene hatte wandern müſſen, ward von dem Hauptmann der Stadt Augsburg, Wolf von Frei - berg zerſprengt und zerſtört; es werden 26 Schlöſſer ge - zählt, die in Beſitz genommen wurden, denen großentheils daſſelbe geſchah. Es waren einige böhmiſche Lehen dabei, und anfangs hatten die Böhmen Miene gemacht am Ge - birge zu widerſtehn: allein der Bund befahl ſeinem Haupt - mann, darauf keine Rückſicht zu nehmen, ſondern nach ſeinen Inſtructionen zu verfahren: worauf die Böhmen zu - rückwichen und er ſeinen Auftrag vollſtändig ausführte.

Es war eine allgemeine Niederlage der unabhängigen Ritterſchaft. Eben indem ſie von religiöſem Feuer ergrif - fen, ſich eine neue Bahn zu eröffnen gedachte, ward ihre Macht auf immer gebrochen.

Es ſteht hiemit in innerm Zuſammenhange, daß der Mann der zuerſt die ritterliche Streitbarkeit mit der gei - ſtigen Bewegung in Verbindung gebracht, Ulrich von Hut - ten, nun auch in die Kataſtrophe verwickelt wurde. An den Unternehmungen Sickingens hatte er den unberechen - baren Antheil eines rathgebenden, antreibenden Freundes genommen: nothwendig ward er nun auch von der Nie - derlage betroffen. Seine Verwandten durfte er nicht mit ſeiner Anweſenheit gefährden, in Oberdeutſchland duldeten ihn weder die geiſtlichen noch auch nunmehr die ſiegreichen weltlichen Gewalten: wie andre nach Sachſen wanderte er123Tod Hutten’s.nach der Schweiz. Da kehrte ihm der ganze bittere und rathloſe Zuſtand wieder, den er ſchon in ſeiner Jugend einmal ausgehalten. Auch hier ward er nicht allenthalben gern geſehen, wir finden ihn von Ort zu Ort weichen: er war in der unglücklichen Nothwendigkeit, die Hülfe und das Geld ſeiner literariſchen Freunde in Anſpruch zu neh - men: Manchem ſchien ſchon ſeine Nähe verderblich: Eras - mus, der ſeine vornehmen Verbindungen ſorgfältig auf - recht erhielt, erſchrak bei dem Gedanken, von ihm einen Beſuch zu bekommen, vermied ihn, ſtieß ihn zurück; überdieß hatte ihn ſeine Krankheit noch einmal furcht - bar überfallen. Noch ließ der alte Streiter den Muth nicht ſinken. Eben gegen Erasmus, den er als einen Ab - gefallenen betrachtete, ergoß er noch einmal alle Heftigkeit ſeiner Rhetorik. Allein ſo gewaltſamen Erfahrungen und Anſtrengungen war er jetzt nicht mehr gewachſen. Ehe er noch die Antwort des Erasmus zu Geſichte bekam, machte die Krankheit ſeinem Leben ein Ende, zu Ufnau auf dem Zürcher See, wohin ihn Zwingli an einen in der Heilkunde erfahrenen Pfarrer empfohlen hatte. 1Zwingli an Wolfhardt 11 Oct. libros nullos habuit, su - pellectilem nullam praeter calamum. Epp. p. 313.

Ein Glück für Luther, daß er mit der Ritterſchaft nicht in engeren Bund getreten war. Die Ungunſt dieſes Geſchickes würde auch ihn und die Lehre die er verkündete betroffen haben.

Kehren wir dahin zurück wovon wir ausgiengen, ſo liegt am Tage, daß dieſe ganze Entwickelung nun vor al - lem dem Reichsregiment unerwünſcht ja gefährlich ſeyn mußte. Für Sickingen hätte es zwar niemals etwas thun124Drittes Buch. Viertes Capitel.können, da es ſich durch ſeine Achtserklärung die Hände ge - bunden hatte: die Ritterſchaft aber hätte es gern in Schutz genommen; allein was vermochte es gegen zwei ſo gewal - tige Heere, wie ſie jetzt zu Feld lagen, das des Bundes und das der Fürſten? Auch nahmen dieſe Gewalten durch ihren Sieg verſtärkt nunmehr eine doppelt trotzige ja feind - ſelige Haltung. Die Fürſten erklärten das zu Gunſten des Frowen von Hutten ausgefallene Urtel für nichtig und un - rechtmäßig,1Planitz 22 Juli. Er meint, unter ſolchen Umſtaͤnden werde das Regiment nicht lange beſtehen: denn der dreier Fuͤrſten und des Bunds Vornehmen will ſich mit unſern gethanen Pflichten gar nicht leiden. ſie verwarfen das Verfahren des Regimentes in dieſer und in allen andern Sachen.

Und indem geſellte ſich dieſer drohenden Feindſeligkeit noch eine andre von nicht minderer Bedeutung hinzu.

Die Städte und der kaiſerliche Hof.

Eben unter dieſen Umſtänden hätte es nun höchſt ein - flußreich werden müſſen, wenn jener Zoll, durch welchen dem Regiment eine bei weitem größere Macht zufallen mußte, eingerichtet worden wäre. Man hätte nicht daran zweifeln ſollen: die Stände hatten ihn beſchloſſen, der Kai - ſer ſchon im Voraus ſeine Zuſtimmung gegeben. Ein Fou - rier des Statthalters hatte bereits Acten und Abſchied des Reichstags nach Spanien überbracht.

Allein wir wiſſen, wie ſehr ſich die Städte dadurch verletzt und gefährdet glaubten: ſie waren entſchloſſen, ſich in dieſe Einrichtung nicht gutwillig zu ergeben.

Auch noch gar manche andere Beſchwerden hatten ſie.

125Oppoſition der Staͤdte.

Schon im Jahre 1521 war der Beſchluß über den Römerzug gefaßt worden, ohne daß man wie herkömmlich die Städte zur Mitberathung gezogen hätte. Die Städte ſäumten nicht ſich zu beſchweren: man gab ihnen noch eine Erklärung die ſie zufrieden ſtellte.

Seitdem aber war nun durch die Verſuche, die Be - dürfniſſe des Reiches mit Steuern zu decken, welche den Städten beſonders zur Laſt gefallen wären, durch den ent - ſchloſſenen Widerſtand den dieſe dagegen leiſteten, durch die Angriffe auf die Monopolien auf der einen, das Feſt - halten derſelben auf der andern Seite der üble Willen zwi - ſchen den Städten und den höhern Ständen gewachſen: auf dem Reichstag von 1522, 23 kam er zu völligem Ausbruch.

Am 11ten Dez. 1522 war eine allgemeine Verſamm - lung der Stände angeſagt: um die Vorſchläge welche Re - giment und Ausſchuß über eine den Ungern zu bewilligende Hülfe gemeinſchaftlich machen wollten zu vernehmen und zu berathſchlagen. Sonſt war die Sitte, daß nach ge - ſchehenem Vorſchlag das Regiment abtrat und die drei Collegien ihn in Berathung zogen. An dieſem Tag aber trat das Regiment nicht ab: ohne Auseinandertreten ward der Antrag deſſelben von Churfürſten und Fürſten geneh - migt: ſo ward er den Städten vorgelegt. Die Städte, bei Vorſchlägen dieſer Art beſonders ſtark betheiligt und ſchon immer etwas ſchwierig, baten ſich Bedenkzeit aus, nur bis Nachmittag. Da empfiengen ſie nun eine Ant - wort welche ſie nicht erwarteten. Man ſagte ihnen: der Gebrauch im Reiche ſey, was Churfürſten Fürſten und126Drittes Buch. Viertes Capitel.andre Stände beſchloſſen, das laſſe man ſich auch von Seiten der Städte gefallen. Die Städte dagegen mein - ten: ſollen ſie Lieb und Leid mit andern Ständen tragen, ſo müſſe man ſie auch zu den Berathſchlagungen ziehen: ſolle man thaten, müſſe man auch rathen. Beſonders die Geldhülfe war es, gegen die ſie ſich ſetzten: auch ſie woll - ten nur Mannſchaft ſtellen. Allein auf eine Eingabe, die ſie deshalb machten, ward in der Ständeverſammlung keine Rückſicht genommen: es ward ein Mandat verfaßt, worin ihnen die Leiſtung einer Hülfe die ſie nicht verwilligt hat - ten, angemuthet wurde: ſie baten ſich aufs neue Bedenk - zeit aus: man wiederholte ihnen, das ſey ſo nicht herge - bracht; ſie dachten zu antworten: da ſchlug es eilf Uhr und die Sitzung ward aufgehoben. 1Schreiben von Holzhauſen an Frankfurt Dez. 1522. Frankf. A. Bd 36, beſonders f. 110 die Supplik der Staͤdte.

Die Städte waren hierüber um ſo mehr betreten, da man ihnen zugleich ſagte, nur aus Gnaden ſey es, daß man zwei ihrer Abgeordneten in den Ausſchuß nehme, wäh - rend von den Grafen nur einer zugelaſſen werde: ſie glaub - ten, es ſey wohl die Abſicht, ſie auch von den Ausſchüſ - ſen auszuſchließen. Sie hatten im Jahr 1487 ihre alte Standesoppoſition aufgegeben, weil ihnen durch Vermittelung Churfürſt Bertholds weſentlicher Antheil an den Berathun - gen verſchafft wurde: und wir wiſſen, wie eingreifend dieſer zu Zeiten war: jetzt glaubten ſie, man wolle ihnen alle ihre Rechte entreißen und nur die Verpflichtungen feſt halten.

Da nun in Hinſicht auf die Monopolien und den Zoll Beſchlüſſe gefaßt wurden, die ihren Gewerben höchſt127Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.nachtheilig zu werden drohten, da eine neue Supplication, in der ſie ihre alten und neuen Beſchwerden zuſammen - faßten, ſo vergeblich war wie die frühern, ſo beſchloſſen ſie, ſich aus allen ihren Kräften zur Wehre zu ſetzen.

Sie weigerten ſich ſtandhaft, in die Beſchlüſſe des Reichstags zu willigen: eine Anleihe die man ihnen an - muthete, und die von dem Ertrage der Auflage zum Tür - kenzug wieder erſtattet werden ſollte, lehnten ſie hartnäckig ab. Hierauf ließen ihnen auch die Fürſten ihren Unwillen fühlen. Die Reichsſtädte, ſchreibt der Frankfurter Ge - ſandte,1Holzhauſen 25, 26, 29 Januar 1523: Bd 37 der Frankf, AA., hier meine Hauptquelle. ſcheiden in großen Ungnaden ab: die Zeit wird lehren was daraus entſteht: meine Heimfahrt wird mir ſchwer.

Da war es nun ein Glück für die Städte, daß die Beſchlüſſe der Stände nicht ſogleich Geſetzeskraft erlangten, daß ſie erſt nach Spanien geſchickt und dem Kaiſer zur Beſtätigung vorgelegt werden mußten. Eine andre Hülfe gab es nicht für ſie. Im März 1523 kamen die Städte in Speier zuſammen, und beſchloſſen, wie ihrer übrigen Beſchwerden ſo beſonders des Zolles wegen, eine eigene Geſandtſchaft an den Kaiſer nach Spanien zu ſenden.

Glücklicherweiſe haben wir einen Bericht über dieſe Geſandtſchaft übrig, dem wir wohl einen Augenblick folgen dürfen, da er uns an einem Beiſpiel vergegenwärtigt wie die deutſchen Angelegenheiten am kaiſerlichen Hofe in Spa - nien getrieben wurden.

Die Reiſe war doch ſehr beſchwerlich und langſam. 128Drittes Buch. Viertes Capitel.Am 15ten Juni vereinigten ſich die Geſandten in Lyon: erſt am 6ten Auguſt langten ſie in Valladolid an. Vor - nehmlich die drückende Hitze, von der einige Mitglieder ſo - gar erkrankten, hatte ſie aufgehalten.

Sie begannen damit, außer Markgraf Johann von Brandenburg und dem Großcanzler vor allem die Räthe aufzuſuchen, welchen die deutſchen Geſchäfte übertragen wa - ren, Hr. v. Röſch, Hannart, den Propſt Märklin von Waldkirchen, Maximilian von Zevenberghen.

Hierauf, am 9ten Auguſt, ertheilte ihnen der Kaiſer in Gegenwart einer glänzenden Verſammlung von Gran - den, Biſchöfen und Botſchaftern eine feierliche Audienz. Sie redeten ihn lateiniſch an: in dieſer Sprache antwor - tete ihnen in des Kaiſers Namen der Großcanzler.

Die Geſchäfte mit ihnen zu beſprechen, ward dann einer Commiſſion übertragen, die eben aus den genannten vier deutſchen Räthen beſtand: am 11ten Aug. begannen die Verhandlungen.

Die Geſandten hatten ihre Beſchwerden in 6 Artikeln zuſammengefaßt über Seſſion, Zoll, Kriegshülfe, Land - frieden, Monopolien, und einige minder bedeutende Sa - chen, die ſie den Commiſſarien zugleich deutſch und latei - niſch vorlegten und alsdann mit ihnen durchgiengen. Da - bei hatten ſie Gelegenheit, ihre Wünſche mündlich vorzu - tragen.

Die Räthe zeigten ſich anfangs abgeneigt. Sie fan - den es unbillig, daß man die Frage über die Seſſion jetzt erſt, zu den Zeiten dieſes jungen Kaiſers in Anregung bringe, beklagten es, daß im Reiche Niemand etwas thunwolle129Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.wolle, da ſich doch weder Regiment noch Gericht ohne Leiſtungen der Stände aufrecht erhalten laſſe; und forder - ten die Städte auf, ſich noch eine kurze Zeit zu fügen, ſich auch der Reichshülfe zu Gunſten der Ungern, welche der Reichstag beſchloſſen, nicht zu entziehen. Wirklich war bereits auf den Betrieb eines andern kaiſerlichen Rathes, des Doctor Lamparter eine Beſtätigung der Reichsſchlüſſe vorläufig entworfen worden. Allein die Geſandten ließen ſich ſo leicht nicht abweiſen. Die Städte, erklärten ſie, ſeyen bereit das Ihre zu leiſten, z. B. zwei Beiſitzer bei dem Kammergericht zu beſolden, oder auch den Coſtnitzer Anſchlag zu erlegen, aber nicht gemeint, die Unbilligkeiten zu dulden, die man gegen ſie in Gang bringe. Dieſe Er - klärung unterſtützten ſie dann mit einigen beſonders ein - dringlichen Bemerkungen. Wer könne vorausſagen, wie es mit den Zolleinkünften gehen werde? Man höre, ſchon ſey ein Anſchlag der Fürſten gemacht, ſie unter einan - der zu theilen. Aber wenn auch nicht man gehe damit um, einen römiſchen König zu wählen, der vermöge dieſes Einkommens im Stande ſeyn werde ſich zu behaup - ten. Genug ſie hoben hervor, daß der Zoll dem Kaiſer ſelber gefährlich werde: ſie machten ihn überdieß aufmerk - ſam, daß das Regiment nicht zum Beſten des Kaiſers be - ſetzt ſey; den Räthen perſönlich verſprachen ſie, ſich we - gen ihrer Mühe dankbarlich mit ihnen zu vergleichen.

Hiemit hatten die Städte nun eben die Mittel getrof - fen, durch die man am kaiſerlichen Hofe etwas ausrichtete.

Bei der nächſten Zuſammenkunft gab ihnen der Propſt von Waldkirchen nicht undeutlich zu verſtehen, der KaiſerRanke d. Geſch. II. 9130Drittes Buch. Viertes Capitel.ſey nicht geneigt den Zoll aufzurichten, als eine gehäßige Sache, auch denke er nicht das Regiment beizubehalten; aber er frage, wenn S. Mt die Regierung ſelbſt in die Hand nehme, was dann die Städte für Dieſelbe zu thun geſonnen ſeyen? Die Geſandten erwiederten, wenn der Kaiſer ihnen willfahre und hernach ein leidliches Anſinnen an die Städte mache, ſo werde man ſich dankbar und un - terthänig beweiſen. Waldkirchen erinnerte, man ſehe aus den alten Regiſtern, daß den letzten Kaiſern bei ihrer Thron - beſteigung von den Städten ein Ehrengeſchenk gegeben worden, warum habe man nur für dieſen jungen Kaiſer nichts gethan? Der ſetze ſein ganzes Vertrauen auf die Städte: wären nur die Kriege nicht, ſo würde er mit ihnen einen graden und königlichen Weg wandern.

Auch noch eine andre Sache kam hiebei zur Sprache. Der päpſtliche Nuntius hatte ſich beklagt, daß man zu Augsburg, Strasburg und Nürnberg den Lehren Luthers anhange und deſſen Bücher drucke. Die Geſandten hier - über zur Rede geſtellt, leugneten die Thatſache. Sie ver - ſicherten, daß ſeit mehreren Jahren nicht ein Buchſtabe von Luther bei ihnen gedruckt worden: durchziehende fremde Verkäufer dieſer Schriften habe man ſogar beſtraft: ſo ſehr der gemeine Mann nach dem Evangelium dürfte, die Men - ſchenlehre verwerfe, ſo ſeyen es doch die Städte nicht, bei denen Luther Schutz finde: man wiſſe wohl, wer ihn ver - theidige: die Städte ſeyen geſonnen nach wie vor der chriſt - lichen Kirche als chriſtliche Glieder anzuhängen.

Hierauf verſtändigte man ſich über die wichtigſten Puncte. Am 19ten Auguſt ward eine nochmalige Zuſam - menkunft der geſammten Commiſſion mit den Geſandten131Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.gehalten, der jetzt auch der Graf von Naſſau beiwohnte. Nachdem man die Thüren ſorgfältig verſchloſſen, ward den Geſandten eröffnet, der Kaiſer beabſichtige, die Regierung in ſeine Hand zu nehmen, einen tapfern Statthalter und ein ſtattliches Kammergericht zu verordnen: den Zoll aber nicht zur Ausführung kommen zu laſſen.

Die Bewilligung einer beſtimmten Summe ward den Geſandten erlaſſen: aber ſie verſprachen, mit Hannart, der als kaiſerlicher Commiſſar nach Deutſchland kommen werde, ein Abkommen zu treffen.

Auch wegen der Monopolien hatten die Geſandten, nicht eigentlich im Auftrag der geſammten Städte, aber im Namen der großen Geſellſchaften, zu unterhandeln. Die Allgewalt des Geldes und der Geldbeſitzer führte ſie ſehr bald zum Ziel. Dem Regiment ſollte aufgegeben werden, auch in Hinſicht der Monopolien keinen Beſchluß zu faſ - ſen, ohne nochmals bei S. Mt angefragt zu haben. 1Der gemeynen Frey und Reichs Stadt Potſchafften Hand - lung bey Romiſch Kayſerl. Majeſtadt zu Valedolid in Caſtilia. Im Monat Auguſti anno 1523. In den Frankf. AA. Tom. XXXIX fol. 39 56.

Hierauf, nach wohl ausgerichtetem Auftrag, verließen die Geſandten Spanien. In Lyon hatten ſie eine Audienz bei König Franz I, der ſeinen Unmuth über den Kaiſer gegen ſie ausſchüttete. Im Dezember langten ſie in Nürn - berg an, wo ſich eben ein neuer Reichstag verſammelte.

Die Summe iſt: zwiſchen den Städten und dem kai - ſerlichen Hofe war es zu einer Vereinbarung gegen den bisherigen Gang der Reichsverwaltung überhaupt, beſonders aber gegen das Regiment gekommen.

9*132Drittes Buch. Viertes Capitel.

Und war es nicht ſehr natürlich, daß die Hofräthe, die von Anfang mit dieſer Verwaltung in Competenzen ge - rathen waren, die in dem Innern ausgebrochenen Mißhel - ligkeiten benutzten um ſich derſelben zu entledigen?

Auch noch einen ganz beſondern Grund hatten ſie dazu. Wie die Städte es andeuteten, in Deutſchland war wirklich der Gedanke rege geworden, einen römiſchen - nig zu ernennen. Der eigene Bruder des Kaiſers war es, den man dazu beſtimmte: Ferdinand von Öſtreich. Man glaubte, ſo viel ich dieſe Sache überſehen kann,1Ich ſchoͤpfe aus einem Convolut des Weimariſchen Archivs, in welchem ſich eine Anzahl zerſtreuter Schreiben der vornehmſten Raͤthe des Erzherzogs an Churf. Friedrich finden, von denen ich in dem Anh. weitern Bericht zu thun gedenke. er werde im Einverſtändniß mit dem Regiment, in den Formen der gegründeten Verfaſſung regieren. Und am Tage liegt, daß dieſe erſt dadurch, daß man ein nicht ſehr mächtiges, von ihr abhängiges Oberhaupt in Deutſchland gehabt hätte, zu ihrer Vollendung gediehen wäre. Kein Wunder aber, daß man die Anregung einer ſolchen Idee in Spanien ſehr übel empfand: es hätte faſt eine Abdankung des Kaiſers darin gelegen.

Auch übrigens war man dort mit Ferdinand ſchlecht zufrieden. Er machte unaufhörlich Anforderungen; nicht ſelten liefen Beſchwerden gegen ihn ein; man hielt in Spa - nien ſeinen vertrauteſten Rathgeber Salamanca für eben ſo eigennützig als ehrgeizig. Als Hannart nach Deutſch - land gieng, bekam er den Auftrag, Salamanca wo möglich zu entfernen und ſich allen jenen hochfliegenden Plänen zu widerſetzen.

133

Reichstag von 1524.

Sahen wir früher welche große Intereſſen des Staates und der Religion ſich an das Beſtehen des Regimentes knüpften, ſo ſehen wir nun wie mächtige entſchloſſene Op - poſitionen ihm entgegentraten.

Drei kriegeriſche, ſiegreiche Fürſten: der ſchwäbiſche Bund, der über ſo bedeutende Kräfte gebot: die reichen Städte: endlich, was freilich noch Niemand wußte, die kaiſerliche Gewalt, die erſt durch den Fall dieſer ſtändiſchen Behörde wieder zu voller freier Wirkſamkeit zu gelangen hoffte.

Auch das Regiment hatte jedoch noch ſeine Stützen. Erzherzog Ferdinand verſprach, es nicht fallen zu laſſen, und einige ſeiner Räthe waren entſchiedne Anhänger deſ - ſelben. Knüpften ſich doch für ihn und für ſie ſo große Ausſichten daran. Der Churfürſt von Sachſen, dem es hauptſächlich ſein Daſeyn verdankte, kam in Perſon an den Reichstag um es aufrecht zu erhalten. Der Churfürſt von Mainz, der durch die drei Fürſten Gewalt erlitten, und das ganze brandenburgiſche Haus ſtanden auf ſeiner Seite. An Sympathien in der Ritterſchaft, deren Hof - nungen allein auf das Regiment ſich gründen konnten, und in den Männern der religiöſen Neuerung fehlte es ihm nicht.

Daher trat es denn auch noch immer ſehr ſicher auf. Aller Veränderung in den Perſonen zum Trotz erhielt ſich die einmal zu Stande gebrachte Majorität: wer nicht zu ihr gehörte, wie der Canzler von Trier, Otto Hundt von134Drittes Buch. Viertes Capitel.Heſſen, entfernte ſich lieber. 1Otto v. Pack an Herzog Georg von Sachſen Freitag nach Luciaͤ (Dresdn. A.) meint, ſie ſeyen ausgebiſſen. Darnach wiſ - ſen E. F. Gn. wer die andern ſeint, welche alle E. F. Gn. Abwe - ſen wol erdulden koͤnnen. Der Fiscal leitete den Pro - ceß gegen die großen Geſellſchaften ein. Es ward an ei - nem Strafurtel gegen die drei Fürſten gearbeitet. Dem Reichstag, welcher am 14ten Januar 1524 eröffnet ward, legte man die wichtigſten Propoſitionen vor, über die Mit - tel Regierung und Gericht zu erhalten, die Ausführung der Executionsordnung, die peinliche Gerichtsordnung und mehrere andre. 2Frankfurter Acten Band 39, in dem die Actenſtuͤcke, Bd 40, in dem die Briefe Holzhauſens von dieſem Reichstag enthalten ſind.

Allein für jede Gewalt der Welt iſt es ein Unglück, keine großen Erfolge für ſich zu haben. Das Regiment war ſchon in Nachtheil. Es hatte den Landfrieden nicht handhaben, weder Sickingen noch deſſen Gegner in Zaum halten können: der große Zoll-entwurf, auf den alles gegrün - det werden ſollte, war geſcheitert. Und jetzt erhob ſich An - griff auf Angriff.

Am 1ſten Februar erſchien der Anwalt der drei Für - ſten, Dr Venningen in der allgemeinen Verſammlung der Stände, und hielt einen langen, bittern und anzüglichen Vortrag wider das Verfahren des Regimentes.

Ein Befehl des Kaiſers ward vorgelegt, kraft deſſen der gegen die Kaufmannsgeſellſchaften begonnene Proceß eingehalten ward: der Hof in Spanien forderte die Acten in dieſer Sache an ſich.

Schon langte auch Hannart an. Er hielt ſich von135Reichstag von 1524.Anfang an die Gegner des Regimentes, den Churfürſten von Trier, in deſſen Begleitung er kam, die Städte, von denen er ein Geſchenk von 500 G. empfieng;1Schreiben Ferdinands bei Bucholtz II, 46. dem Erz - herzog begegnete er bei der erſten Zuſammenkunft nicht mit alle der Ehrerbietung die dieſer erwartete; er hatte kein Hehl daß der Kaiſer die Auflöſung der jetzigen Regierung wünſche.

Unter dieſen Umſtänden begannen nun die Berathun - gen in der Ständeverſammlung; bei dem Artikel über die zur Erhaltung des Regimentes nöthige Bewilligung mußte die Sache zur Entſcheidung kommen.

Das Regiment war doch der Ausdruck der ſtändiſchen Macht: war es zu glauben, daß die Stände ſelbſt ihre Hand dazu bieten würden, es aufzulöſen?

Wir haben wahrgenommen, daß das Regiment ſich in den frühern Reichsverſammlungen die Majorität verſchaffte, aber auch wie viel Mühe das machte, wie ſehr ſie ſchwankte. Jetzt waren nun eine Menge neue Antipathien hinzuge - kommen: die Intereſſen aller jener Fürſten und Städte, des Geldes und der Religion. Ungemein iſt doch der Ein - fluß der großen Geldbeſitzer auch in dieſer Zeit. Die Fug - ger begünſtigten die Wahl Carls V; wahrſcheinlich trugen ſie bei, die Bulle Leos X gegen Luther zu provociren; ſie vermittelten die Verbindung der mißvergnügten Städte mit dem Hofe; durch ſie hauptſächlich fiel der Entwurf des Zolles; jetzt waren ſie ſo kühn, die Sache der Monopole, wo ſo viele Reichsſchlüſſe gegen ſie ergangen, zu einer Anklage gegen das Regiment zu benutzen: denn, ſagten ſie, dieſe Behörde habe richterliche Befugniß darin aus -136Drittes Buch. Viertes Capitel.üben wollen, während das doch allein dem Kammergericht zuſtehe. 1Holzhauſen 12 Febr. 1524. Aus dieſem Schreiben ergiebt ſich, daß in der Monopolienſache nur Augsburg den Reichsbeſchluͤſ - ſen Widerſtand leiſtete. Alle uͤbrigen Staͤdte waren fuͤr die Abſchaf - fung derſelben. Dr Rolinger hatte den die Monopolien betreffenden Artikel eigenmaͤchtig in die den Geſandten nach Spanien mitgegebene Inſtruction gebracht.Der Biſchof von Würzburg warf dem Regi - mente unverholen Begünſtigung der neuen Meinungen vor: ein paar Capitularen, die er vor das geiſtliche Ge - richt geſtellt, weil ſie ſich verheirathet, habe es freigegeben: einen Chorherrn, der wegen lutheriſcher Grundſätze verjagt worden, habe es mit ſicherm Geleite unterſtützt. So vie - len feindſeligen Einflüſſen gegenüber war doch die bishe - rige Majorität nicht compact genug. Nach einigen De - batten einigem Schwanken ſchlug ſie zum Nachtheil des Regimentes um. So weit gieng man zwar nicht, daß man gradezu auf die Auflöſung deſſelben angetragen hätte, man beſchloß aber, am 20ſten Februar, über ſeine Erhal - tung nicht berathſchlagen zu wollen, wofern es nicht vor allen Dingen anders beſetzt ſey: in die bisherige Beſetzung könne man nicht mehr willigen.

Auch damit aber war doch ſchon die Sache entſchie - den. Es kam darauf an, aus der Mitte der Stände eine kräftige Regierung hervorgehn zu laſſen: was ließ ſich aber in Zukunft erwarten, wenn die Mitglieder des bisherigen Collegiums, welche ihre Pflicht ſehr ernſtlich genommen und wirklich einmal zu regieren angefangen hatten, abgeſetzt wurden, ohne daß man ihnen irgend eine der Rede werthe Verſchuldung hätte nachweiſen können. Welchen Muth, welche Selbſtändigkeit konnten Deren Nachfolger haben!

137Reichstag von 1524.

Es zeigte ſich aufs neue, daß die mächtigen Stände, welche das Reich ausmachten, von Einem Mittelpunct aus nicht zu regieren waren.

Friedrich der Weiſe von Sachſen fühlte die ganze Be - deutung dieſes Beſchluſſes. Die Idee einer ſtändiſchen Re - gierung, für welche er alle ſeine Lebtage gearbeitet, ſah er am Ende ſeiner Tage ſcheitern. Er ſagte: einen ſolchen Reichstag habe er noch nicht erlebt:1Wenigſtens entſchuldigte ihn der Dompropſt von Wien gegen Campeggi, der nach dem Grunde ſeiner Abweſenheit fragte, mit dieſen Worten. Schreiben von Wolfſtal 14 Maͤrz. Weimar. Arch. Die Ita - liener meinten, er ſey gegangen, eben weil der Legat gekommen, assai sdegnato wie der Venezianer Ziani ſich ausdruͤckt, Disp. 29 Martio. Derſelbe bemerkt daß Nuͤrnberg ſchon voͤllig vom Katholicismus abge - fallen: Di qui è totalmente scancellata la sincera fede. er verließ ihn am 24ſten Februar: er iſt nie wieder auf einem erſchienen.

Noch weigerte ſich zwar Erzherzog Ferdinand in den Beſchluß zu willigen: er hat ſogar die Städte noch ein - mal perſönlich für das Regiment zu gewinnen geſucht; al - lein nach einiger Zeit bemerkt der ſächſiſche Geſandte, ſeine Räthe ſeyen über dieſe Sache nicht mehr derſelben Mei - nungen: es ſcheint als habe Hannart, ſtatt Salamanca zu ſtürzen, ihn vielmehr auf ſeine Seite gezogen: die Zu - ſchrift wenigſtens, durch welche der Kaiſer den Churfürſten von Sachſen aufforderte, zur Entfernung Salamancas mit - zuwirken, lieferte er demſelben nicht aus: endlich wirkte das auch auf Ferdinand: nachdem er neun Wochen feſt - gehalten, ſchreibt der ſächſiſche Geſandte am 1ſten März, iſt er jähling abgefallen. Er gab zu, daß nicht ein einziges Mitglied des alten Regimentes in das neue auf - genommen werden dürfe. 2Nach einem Schreiben Wolf von Wolfſtals ſagte Ferdinand

138Drittes Buch. Viertes Capitel.

Auch das Kammergericht ward einer Reinigung un - terworfen. Man fragte nicht, ob die Beiſitzer fleißig oder nachläßig, geſchickt oder ungeſchickt ſeyen, ſondern nur, ob ſie dem Adel gegen die Fürſten beigeſtanden, ob einer den Fiscal in Verfolgung der Monopoliſten unterſtützt habe. Auch ihre religiöſe Haltung ward in Betracht gezogen. Dr. Kreutner, Aſſeſſor für den fränkiſchen Kreis, ward ſei - nes Amtes entlaſſen, weil er an einem Faſttage Fleiſch ge - geſſen, ohne Rückſicht darauf, daß er noch einen Rückſtand von mehr als 1000 G. zu fordern hatte.

Da kommen wir auf die Hauptfrage, in wie fern dieſe große Veränderung auf die Behandlung der religiöſen Angelegenheiten zurückwirkte. Die Sache des Regiments und der religiöſen Neuerung war, wie wir auch hier bei jedem Schritte ſehen, verbündet: wiewohl nicht ununter - ſcheidbar; es fragte ſich nun ob die Stände die das Re - giment fallen laſſen, auch der religiöſen Neuerung Ungunſt beweiſen würden.

Nach dem unerwartet frühen Tode Adrians VI war die ſtrengere Geſinnung, die ſich in ihm zu erheben be - gann, wieder beſeitigt worden. In Clemens VII hatte ein Papſt den Thron beſtiegen, der wie ſeine frühern Vor - gänger vor allem entſchloſſen war, die päpſtlichen Vor - rechte aufrecht zu erhalten, die weltlichen Kräfte des Kir - chenſtaats für perſönliche oder allgemeine politiſche Zwecke zu benutzen, ohne daß er ſich um die Nothwendigkeit einer Reform ernſtlich gekümmert hätte: einen Mann ſeiner eig -2ſchon am 17 April: daß Hannart ihn ſampt ihm ſelbſt verfuͤhrt, wie wenn ein Blinder den andern fuͤhrt.139Reichstag von 1524.nen Geſinnung, Lorenzo Campeggi ſendete derſelbe an den deutſchen Reichstag.

Campeggi fand Deutſchland, das er vor einigen Jah - ren noch im Glanze einer unerſchütterten, für heilig gehal - tenen Autorität durchzogen, in vollem Abfall begriffen. In Augsburg ward er verſpottet, als er bei ſeinem Einzug, dem Herkommen gemäß, mit erhobener Hand den Segen ertheilte. Hierauf rieth man ihm und auch er ſelbſt hielt für das Beſte, ohne alle Cerimonie in Nürnberg einzuziehen. Er kam ohne Cardinalshut: er machte kein Zeichen des Segnens, des Kreuzes: er ritt nicht nach der Sebaldus - kirche, wo die Cleriſei ſeiner wartete, ſondern ohne ſich aufzuhalten nach ſeiner Wohnung. 1Das Regiment ließ ihm ſagen: daß er ſeinen Segen und Kreuz zu thun vermeyd, angeſehen wie es deshalb jetzund ſtee. Fei - litzſch an Friedrich von Sachſen 11 Maͤrz.

Auch war es als ob ſeine Anweſenheit den Eifer der reformirenden Prediger ſtatt ihn zu dämpfen erſt recht ent - flammt hätte. Unter den Augen des Legaten bezeichneten ſie den Papſt als den Antichriſt. Am Palmſonntag wur - den keine Palmen geſtreut: in der Charwoche ward die Cerimonie der Niederlegung und Aufrichtung des Kreuzes unterlaſſen: bei Tauſenden nahm man das Abendmahl un - ter beiderlei Geſtalt. 2Planitz (28 Maͤrz) rechnet 4000. Iſt deshalb Muͤhe und Erbett, und ſunderlich, daß es des Regiments Perſonen eines Theyls alſo genommen. Er bemerkt daß Ferdinand uͤber das Bezeigen ſei - ner Schweſter ſehr unwillig ſey. Nicht weiß ich wie es gehn will. Nicht allein gemeine Leute thaten dieß: man bemerkte unter den Communicanten mehrere Mitglieder des Regimentes; ja die Schweſter des Erzher -140Drittes Buch. Viertes Capitel.zogs, Iſabella, Königin von Dänemark, auf dem Schloſſe zu Nürnberg, empfieng es auf dieſelbe Weiſe.

Es iſt wohl ſehr möglich, daß dieſe offenen Bezei - gungen in Ferdinand, auf den die neuen Doctrinen keinen Eindruck machten, wie er denn in der Strenge des ſpani - ſchen Katholicismus erzogen war, den Entſchluß, das Re - giment fallen zu laſſen, beförderten, und leicht mag es ſeyn, daß der päpſtliche Legat darauf Einfluß gehabt hat. We - nigſtens war der Fall des Regimentes, welches die neuen Meinungen in Schutz genommen, zugleich ein Vortheil für die Behauptung des Katholicismus.

Und vielleicht gründete der Legat hierauf die Hofnung, nun auch in den religiöſen Angelegenheiten überhaupt eine günſtige Entſcheidung der Stände hervorzurufen. Er be - ſchwerte ſich über die unter ſeinen Augen vorgenommenen Neuerungen. Er erinnerte die Stände an das zu Worms erlaſſene Edict: er könne nicht begreifen, wie es im Reiche zugehe, daß man Anordnungen dieſer Art doch ſo wenig ausführe. Auch Hannart forderte im Namen des Kaiſers die Beobachtung des Edictes.

Da zeigte ſich aber, daß bei dem bisherigen Gange der Dinge die Religion vielleicht bei Einzelnen mitgewirkt, jedoch die Sache keineswegs entſchieden hatte. Wären die politiſchen Beweggründe nicht geweſen, ihrer religiöſen Ten - denz halber würde man die Regimentsräthe niemals ab - geſetzt haben. Mit jenen Beſchwerden machte der Legat keinen Eindruck. Ein Theil iſt unwillig, ſchreibt Planitz, der mehrere Theil lacht. Die Städte, die ſo viel zum Sturze des Regiments beigetragen, geriethen bei der Er - innerung an das Edict in Feuer und Flammen. Sie er -141Reichstag von 1524.klärten: der gemeine Mann ſey voll Begierde nach dem Worte Gottes, es ihm entreißen zu wollen, würde Auf - ruhr, Blutvergießen und das allgemeine Verderben veran - laſſen: bei den Beſchlüſſen des vorigen Jahres müſſe man ſchlechterdings beharren. Mit einem Worte: in Sachen der Religion behauptete ſich die alte mit Rom unzufrie - dene Majorität in den Reichsſtänden. Bald nach ſeiner Ankunft erinnerte man den Legaten an die hundert Be - ſchwerden der Nation, welche man ſeinem letzten Vorgän - ger mitgegeben. Man hatte das in Rom erwartet, man hatte dem Abgeordneten die Inſtruction ertheilt, ſich an - zuſtellen als ſey die Beſchwerdeſchrift nicht wirklich im Namen der Fürſten in Empfang genommen worden. 1Pallavicini I, 222: che dissimulasse che la scrittura si fosse ricevulta per nome de principi. Demgemäß antwortete Campeggi mit ſehr unumwölkter Stirne, von jenen Beſchwerden ſey gar keine amtliche Kunde nach Rom gelangt: in drei Exemplaren möge der Druck nach Rom gekommen ſeyn, auch er habe eins ge - ſehen, ſich jedoch nicht überreden können, daß eine ſo übermäßig ungeſchickte Schrift von dem Reichstag aus - gegangen ſey. Eine Erklärung die ſich denn allerdings nicht eignete, die weltlichen Stände zu befriedigen, die es mit den ſo oft berathenen und ſo mühſam zu Stande gebrach - ten Beſchwerden ſehr ernſtlich gemeint hatten.

Auch das perſönliche Betragen des Legaten, dem man einen kleinlichen Geiz, empörende Übervortheilungen armer deutſcher Geiſtlichen Schuld gab, war ſeinen Unterhand - lungen nicht förderlich. 2Ausfuͤhrliche gleichzeitige Erzaͤhlung, wie der Legat durch das

142Drittes Buch. Viertes Capitel.

Als es nun zu den entſcheidenden Berathungen über die religiöſe Angelegenheit kam, ſo bewirkte wohl die Con - ſequenz des Geſchäftsganges, die Anweſenheit des kaiſerli - chen Commiſſars ſo viel, daß die Stände nicht in Abrede ſtellten, zur Ausführung des Wormſer Edictes verpflichtet zu ſeyn: allein ſie fügten dieſem Eingeſtändniß eine Clau - ſel hinzu, die doch wieder das Gegentheil enthielt: die Er - klärung: es ausführen zu wollen, ſo viel als möglich: eine Modification von ſo weitem Umfang, daß doch einem Jeden überlaſſen blieb was er thun wolle. Schon hatten die Städte weitläuftig vorgeſtellt, es ſey nicht möglich! Zugleich ward die Forderung eines Conciliums erneuert, welches der Papſt mit kaiſerlicher Bewilligung in deut - ſcher Nation ausſchreiben ſolle, und der Legat übernahm das bei S. Heiligkeit treulich zu fördern.

Konnte man ſich jedoch hiebei wirklich beruhigen? bei der allgemeinen Gährung der Geiſter das Zuſammen - treten einer in ſo weiter Ferne liegenden Kirchenverſamm - lung und ihre Beſchlüſſe erwarten? Konnte die deutſche Nation die Einheit ihrer antirömiſchen Tendenzen, die ſo tiefe Wurzeln geſchlagen, ſo weit aufgeben, um es auf die Reſultate einer Verſammlung aus allen Nationen ankom - men zu laſſen?

Eben in dem Augenblicke, als die Vertreter der re - formatoriſchen Abſichten, die im Regiment ſaßen, geſtürzt2Verſprechen einer Pfruͤnde den geſchickten armen Schoner dahin ge - bracht, ihm ſeine mathematiſchen Inſtrumente zu verehren, und ihm dann weder die Pfruͤnde verſchafft, noch die Inſtrumente verguͤtet habe, bei Strobel: Nachricht vom Aufenthalt Melanchthons in Nuͤrn - berg p. 18.143Reichstag von 1524.wurden, fühlte man die Nothwendigkeit doppelt, ihre Be - ſtrebungen auf irgend eine andre Weiſe zu erſetzen: die Vertheidiger der Neuerung nahmen ihre Kräfte um ſo mehr zuſammen und brachten es zu dem merkwürdigſten Be - ſchluß.

Noch war die Frage übrig, welche früher ſo wichtig geworden, wie es mittlerweile, bis zu dem Concilium, in Deutſchland gehalten werden ſolle. In dieſer Hinſicht faßte man allem Widerſpruch zum Trotz einen Beſchluß, der noch außerordentlicher und weitausſehender war, wie der vorjährige. Man ſetzte feſt, daß noch in dem laufen - den Jahre im November eine Verſammlung der Stände zu Speier gehalten werden ſolle, um darüber definitiv zu berathſchlagen. Zu dem Ende ſollten die Fürſten von ihren Räthen und Gelehrten die ſtreitigen Puncte verzeichnen laſſen, über die man dort zu Rathe gehn und Beſtimmung treffen wolle. Auch die Beſchwerden der Nation und ihre Abhülfe wollte man da aufs neue in Erwägung ziehen. Indeſſen ſollte, wie vor dem Jahr beſchloſſen, das heilige Evangelium und Gottes Wort gepredigt werden. 1Abſchied des Reichstags zu Nuͤrnberg aufgericht: 18ten April 1524. Wenn man nach dieſem Abſchied die Schrift Luthers lieſt: zwei kaiſerliche uneinige und widerwaͤrtige Gebote (Altenb. II, 762), ſo erſtaunt man daß er ſo wenig damit zufrieden iſt. Das ruͤhrt aber daher, daß in dem Mandat, welches auf den Abſchied gegruͤn - det wurde, die Beſtimmung daß das heilige Evangelium gelehrt wer - den ſolle weggelaſſen, und dafuͤr ein ganz außerordentlicher Nachdruck auf die Beobachtung des Wormſer Edictes gelegt iſt; die Clauſel ſo viel moͤglich findet ſich zwar darin, aber ſie verſchwindet faſt unter dem Schwall der Wiederholungen des Wormſer Edictes. Man ſieht daraus, welchen Einfluß nach Abſchaffung des alten Regimentes die Reichscanzlei empfieng. Den Abſchied ſelbſt ſcheint Luther nicht ge -

144Drittes Buch. Viertes Capitel.

Es iſt wohl wahr: die römiſch geſinnte Partei, durch den Sturz des Regimentes ermuthigt, hatte an dieſem Reichstag wieder etwas mehr Einfluß: jedoch noch war ſie durch eine überlegene Majorität beſchränkt: entſchiedner als je nahm die Nation, dem Papſt und der Einheit der lateiniſchen Chriſtenheit gegenüber, in kirchlichen Dingen die volle Autonomie in Anſpruch.

1kannt zu haben, noch weniger die demſelben vorhergegangenen Ver - handlungen.

Fuͤnf -
[145]

Fuͤnftes Capitel. Urſprung der Spaltung in der Nation.

Es iſt ſchon faſt herkömmlich geworden und wer hätte nicht einmal eine Anwandlung dazu gefühlt? die kirchliche Reform, wie ſehr man ſie auch ſonſt billigen mag, doch deshalb zu tadeln, weil ſie die Trennung unſrer Na - tion in zwei niemals ganz einverſtandene und ſo oft feind - ſelige Hälften veranlaßt habe: den Anhängern der Neue - rung giebt man Schuld, ſich von der Einheit des Reiches wie der Kirche abgeſondert zu haben.

So ſcheint es in der That, ſo lange man die Sachen aus der Ferne anſieht; wenn man ihnen dagegen näher tritt, und die Ereigniſſe ins Auge faßt welche die Spal - tung entſchieden haben, ſo ſtellt ſich, wenn ich nicht irre, ein ganz andres Reſultat heraus.

Welcher Confeſſion man auch heute angehören mag, kein Menſch kann leugnen, und die katholiſch-eifrigſten Zeit - genoſſen, z. B. Emſer, haben es bekannt, daß die latei - niſche Kirche einer Reform bedurfte. Ihre Verweltlichung überhaupt, der immer ſtarrer und unverſtandner ſich fort - bildende Particularismus ihrer Dogmen und Dienſte mach -Ranke d. Geſch. II. 10146Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.ten dieß zu einem religiöſen, die nicht allein pecuniär be - ſchwerlichen, den Überſchuß der finanziellen Erträge auf - zehrenden, ſondern auch übrigens die Einheit der Nation zerſetzenden, ja jede Bildung einer ſelbſtändigen Macht ver - hindernden Eingriffe des päpſtlichen Hofes machten es zu einem nationalen Bedürfniß.

Und dürfte man etwa ſagen, daß dieſe Verbeſſerung auf eine ungehörige Weiſe verſucht worden ſey?

Weder von der religiöſen noch von der nationalen Seite würde ſich das nachweiſen laſſen.

Noch abgeſehen von allen nähern Beſtimmungen des proteſtantiſchen Dogma, die ſich erſt nach und nach Gel - tung verſchafften, ſo lag die Summe der religiöſen Bewe - gung darin, daß der in die Tiefe des germaniſchen We - ſens geſenkte Geiſt des Chriſtenthums nach und nach zu dem Bewußtſeyn ſeines von allen zufälligen Formen un - abhängigen Selbſt gereift war, ſich nach ſeinem Urſprung zurückwandte, zu jenen Urkunden in welchen ſich der ewige Bund der Gottheit mit dem menſchlichen Geſchlecht un - vermittelt ausgeſprochen hat, hier ſeiner Wahrheit gewiß wurde, und ſich zu einer entſchloſſenen Verwerfung unhalt - barer Theorien und erdrückender Anſprüche ermannte.

Wer hätte ſich verbergen wollen, daß durch die hie - mit nothwendig gewordene Abweichung von den bisheri - gen kirchlichen Formen, die in das bürgerliche und öffent - liche Leben ſo mächtig eingriffen, der geſammte beſtehende Zuſtand der Nation bedroht wurde? Allein wir ſahen, wie ſorgfältig man alle deſtructiven Elemente zu beſeitigen ſuchte, wie man ſich ſelber bezwingend jede gewaltſame Verände -147Urſprung der Spaltung in der Nation.rung vermied und noch alles von den Beſchlüſſen des Rei - ches erwartete.

Man werfe nicht ein, daß Zwietracht eingetreten, wie wir bemerkten, Action und Reaction einander begegnet ſey: wo könnte es einen bedeutenden Lebensmoment in einer großen Nation geben, ohne dieß Hin und Wiederfluthen entgegengeſetzter Meinungen? Es kommt nur darauf an, daß die Entzweiungen nicht die Oberhand gewinnen, und über ihnen noch das Prinzip der Einheit anerkannt werde.

Darauf war in Deutſchland im Jahre 1524 noch alles angelegt.

Die der Neuerung Zugethanen hatten ſich der ver - faſſungsmäßigen Regierung des Reiches doch immer un - tergeordnet: unter dem Schutz und Vorgang derſelben hoff - ten ſie zu einer den Bedürfniſſen der Nation und den For - derungen des Evangeliums zugleich entſprechenden Umbil - dung der geiſtlichen Einrichtungen zu gelangen.

Die Majorität des Regiments wirkte wie wir ſahen in dieſem Sinne auf die Stände. Allen Bemühungen der Gegner und der mannichfachen anderweiten Verwirrung in der man war zum Trotz, bildete ſich auch in der Reichs - verſammlung eine der Neuerung geneigte Mehrheit. Es kamen zwei Reichsabſchiede in ihrem Sinne zu Stande. Auch als das Regiment gefallen war, erhielt ſich dieſe Mehrheit noch, und beſchloß auf einer Nationalverſamm - lung, auf einen nahen Termin angeſetzt, ſich ausſchließend mit einer definitiven Berathung über die religiöſen Ange - legenheiten zu beſchäftigen.

Gewiß gab es für die Einheit der Nation, für die10*148Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Fortentwickelung der Deutſchen auf dem einmal eingeſchla - genen Wege niemals eine großartigere Ausſicht.

Will man wiſſen wie ſehr ſie die Gemüther beſchäf - tigte, ſo braucht man nur Franken ins Auge zu faſſen, wo noch während des Sommers 1524 ſechs Gutachten alle im Geiſte der evangeliſchen Entwickelung zum Vorſchein kamen um auf dieſer Verſammlung vorgelegt zu werden. Luther fühlte ſich glücklich und befriedigt, als er den Rath - ſchlag der brandenburgiſchen Gelehrten zu Geſichte bekam: das ſagte er ſey Münze vom rechten Schlag, mit der er und ſeine Freunde in Wittenberg ſo lange ſchon umgegan - gen. Nicht ſo vollkommen übereinſtimmend war das Hen - neberger: die Lehre Luthers vom freien Willen ward darin beſtritten; allein übrigens war es gut evangeliſch: es ver - warf die Anrufung der Heiligen, die ſieben Sacramente, die Mißbräuche der Meſſe. Die Eingaben von Windsheim und Wertheim eiferten beſonders gegen die Heiligen, die nürnberger gegen den Papſt; von den zwei Parteien welche Rothenburg theilten erſchien wenigſtens die eine mit einem evangeliſchen Gutachten. 1Auszuͤge bei v. d. Lith Erlaͤuterung der Fraͤnk. Reforma - tionshiſt. p. 41.Aber nicht minder rüſtete ſich auch die andere, näher zum Alten haltende Seite. Unter andern forderte Ferdinand ſeinen Univerſitäten Wien und Freiburg ausführliche Erklärungen über die ſtreitigen Puncte ab. In Wien ſchickten ſich die Facultäten bereits an, ihre Gutachten aufzuſetzen, und die theologiſche ermahnte die übri - gen, daß keine die andre beleidigen möge. 2Raupach Evangel. Oͤſtreich II, 29. Einer aͤhnlichen An - mahnung von dem Churfuͤrſten v. d. Pfalz an die Univerſitaͤt Hei - delberg gedenkt Struve: Pfaͤlziſche Kirchenhiſtorie p. 19.Man ſieht,149Urſprung der Spaltung in der Nation.in Speier würden einander die mannichfaltigſten Modifi - cationen der Meinung entgegengetreten ſeyn, ſich gegen einander verſucht haben. Zu welchen Reſultaten hätte es führen müſſen, wenn man vermocht hätte, die Abſicht durch - zuführen die man ausgeſprochen hatte, ſich gemäßigt und friedlich zu unterreden, das Gute und Böſe von einander zu ſondern.

Es ließ ſich wohl nichts anders erwarten als aber - mals eine evangeliſche Majorität, wie denn der Vor - ſchlag von einer ſolchen herrührte; allein ſo war nun einmal die Lage der Dinge: wollte die Nation beſtehen, ſo mußte ſie ſich der römiſchen Eingriffe erwehren: die religiöſe Bewegung konnte nicht mehr erſtickt, ſie konnte nur noch geleitet werden. Eben dazu war die National - verſammlung beſtimmt. Und das wenigſtens läßt ſich nicht ſagen, daß ſie die Einheit der Nation gefährdet hätte. Vielmehr: wenn ſie ihren Zweck erreichte, ſo mußte ſie dieſelbe noch viel feſter begründen.

Fragen wir nun, wer in dieſem entſcheidenden Mo - mente ſich von der Einheit der Nation losgeriſſen hat, ſo müſſen wir unterſuchen, wie es geſchah daß die bereits ſo ernſtlich vorbereitete Verſammlung doch unterblieb.

Es iſt ſehr natürlich, daß ſich ihr der römiſche Stuhl widerſetzte. So bedeutend und Zukunfterfüllt die Ausſicht war, welche ſie der deutſchen Nation darbot, eben ſo ge - fährlich und verderblich mußte ſie in Rom erſcheinen.

Wir haben Nachricht von einer Congregation die un - ter dieſen Umſtänden vor Papſt Clemens VII gehalten ward, worin man die Mittel in Berathung zog, die Bulle150Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.gegen Luther und das Wormſer Edict den beſchränkenden Reichsabſchieden zum Trotz in Vollziehung zu ſetzen. Gar mancherlei Vorſchläge ſind da vorgekommen, z. B. den Herzog Friedrich von Sachſen der Chur zu berauben, wor - auf Aleander antrug, oder bei den Königen von England und von Spanien die Drohung hervorzurufen, allen Handelsverkehr mit den deutſchen Städten abbrechen zu wollen, wovon ſich der Papſt Erfolg verſprach; am Ende aber blieb man hauptſächlich dabei ſtehen, daß man ſich der Verſammlung in Speier widerſetzen müſſe: ſowohl bei dem Kaiſer, als bei den deutſchen Ständen, welche der Legat zu bearbeiten und gegen die Verſammlung zu ſtim - men beauftragt wurde. 1Pallavicini lib. II, c. X, p. 227.

Darauf kam es nun zunächſt an, und das iſt auch unſre Frage, ob ſich Stände in Deuſchland finden wür - den, die es vorzögen, ſich mit dem Papſte zu vereinigen, ſtatt die Beſchlüſſe einer allgemeinen Verſammlung zu er - warten.

Der päpſtliche Stuhl hatte ſchon dafür geſorgt, daß er auf Verbündete in Deutſchland rechnen durfte: eins der mächtigſten Fürſtenhäuſer, die Herzoge von Baiern hatte er gewonnen.

Früher hatte man auch in Baiern von Seiten der Regierung ſowohl wie von Seiten der Unterthanen die all - gemeine antirömiſche Stimmung der deutſchen Nation ge - theilt: man hatte dort weder der Bulle Leos X Folge ge - geben, noch das Wormſer Edict beobachtet:2Winter: Geſchichte der Schickſale der evangeliſchen Lehre in und durch Baiern I, p. 62. 76. die Herzöge151Verbindung des Papſtes mit Baiern.waren über die Eingriffe der geiſtlichen Gerichtsbarkeit in die weltliche ſo mißvergnügt wie andre Fürſten: bei Ge - lehrten, Geiſtlichen und Gemeinen griffen Luthers Meinun - gen eben ſo gut um ſich, wie anderwärts.

Schon gegen Ende des Jahres 1521 aber fiengen die Herzoge an, ſich dem römiſchen Stuhle zu nähern: und nahmen ſeitdem von Moment zu Moment immer entſchied - ner Partei für die alten Meinungen.

Die Zeitgenoſſen leiteten das daher, weil die Kloſter - Geiſtlichkeit in Baiern ſo mächtig ſey, ſo ausgebreiteten Beſitz habe;1Flugſchrift von Reckenhofer uͤber die Seehoferſche Sache: Denn ſobald du fuͤr Muͤnchen herauskompſt auf drey Meyl gegen Burg, und fragſt wes iſt der Grund, Antwort: iſt meines gnedigen Herrn von Degernſee, Chiemſee, Saunerſee, alſo daß mer denn der halb Teyl des Bayrlandes der Geiſtlichen iſt. (Panzer nr. 2462.) und gewiß hatte das Einfluß, wiewohl auf eine etwas andre Weiſe als man ſich dachte.

Das erſte Symptom des innern Zuſammenhanges iſt eine Bulle welche noch Leo X, unter dem 14ten Nov. 1521, entwerfen ließ; in der er einer Commiſſion von Prälaten, die von den Herzogen in Vorſchlag gebracht wurden, den Auftrag ertheilte, die Klöſter zu viſitiren, Zucht und Ord - nung in denſelben herzuſtellen. 2Winter a. a. O. II, p. 325.Er ſtarb ehe dieſe Bulle ausgefertigt wurde; allein er zeigte damit der bairiſchen Regierung was ſie auf dieſem Wege erreichen könne. Eine von dem Bisthum unabhängige, unter dem Einfluß des Fürſtenthums ſtehende Commiſſion ward mit den Befug - niſſen geiſtlicher Aufſicht beauftragt.

Zu dieſer Zeit war die Ingolſtadter Univerſität durch eine peſtartige Krankheit ſo gut wie aufgelöſt. Als die152Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Krankheit nachgelaſſen, und die Profeſſoren ſich wieder ver - ſammelten, ſahen ſie doch, daß ſie ihre ſtreng-katholi - ſche Haltung nicht würden behaupten können, wenn ſie nicht noch auf eine andre Weiſe als durch die geiſtliche Jurisdiction unterſtützt würden, wenn ihnen namentlich nicht ein herzogliches Mandat gegen die Neuerungen zu Hülfe käme, die ſonſt auch in ihrer Mitte um ſich greifen würden. Die drei reſoluteſten Kämpfer für das alte Sy - ſtem, Franz Burkhard, Georg Hauer und Johann Eck, der im Herbſt aufs neue in Rom geweſen war,1Erſt im October koͤnnte er dahin gegangen ſeyn, im Au - guſt und September finden wir ihn noch in Polling. Leben des be - ruͤhmten Joh. Eckii im Parnaſſus Boicus I, II, p. 521. drangen gemeinſchaftlich darauf. Der Canzler Herzog Wilhelms, einer der thätigſten und einflußreichſten Staatsmänner je - ner Zeit, Leonhard von Eck ward von der Nothwendig - keit der Sache überzeugt. 2Winter a. a. O. p. 81.

Auch die Herzöge wurden dafür gewonnen. Man darf wohl annehmen, daß das Gerücht von den damals in Wittenberg ausgebrochenen Unruhen, die Luther doch ſo bald zu dämpfen wußte, den Wunſch ähnliche Gährungen in ihrem Lande zu verhüten in ihnen erzeugt habe.

Am Aſchermittwoch, 5 März 1522, erließen die Her - zoge ein Mandat,3Erſtes baieriſches Religionsmandat. Muͤnchen am Eſcher - mittiche angeender Vaſſten ibid. p. 310. worin ſie allen ihren Unterthanen bei ſchweren Pönen geboten, bei dem Glauben ihrer Voreltern zu verbleiben. Was für die Univerſität nothwendig er - achtet worden, ward über das ganze Land ausgedehnt. Die153Verbindung des Papſtes mit Baiern.herzoglichen Amtleute wurden beauftragt, alle Ungehorſame, geiſtliche ſowohl wie weltliche, einzuziehen und ihnen Bericht über dieſelben zu erſtatten.

Anfangs hatte das jedoch, trotz aller Strenge die man anwandte, nicht den erwarteten Erfolg. In Sachſen lieh die weltliche Gewalt der biſchöflichen Autorität ihren Arm nicht: in Baiern dagegen kamen die Biſchöfe, die es wohl ahndeten, welche Gefahr ihrer Autonomie daher drohe, den Tendenzen der weltlichen Gewalt nicht mit dem gehörigen Eifer zu Hülfe. Die von den Amtleuten aufgebrachten Anhänger Luthers ließ das geiſtliche Gericht, dem ſie über - antwortet werden mußten, nicht ſelten wieder gehen, ohne ſie zu ſtrafen.

Als nun Dr. Johann Eck, und zwar auf die Einla - dung Papſt Adrians,1 Er entbot denſelben durch zwei Brevia nach Rom. Par - naſſus Boicus II, I, p. 206. ſich im Sommer 1523 aufs neue nach Rom begab, trugen ihm die Herzoge auf, eine förm - liche Klage hierüber gegen die Biſchöfe zu erheben, und auf eine ausgedehntere Befugniß der herzoglichen Gewalt bei den Unterſuchungen gegen die Irrgläubigen in Vor - ſchlag zu bringen. 2Fragmentum libelli supplicis, quem Bavariae Ducis ora - tores, quorum caput celebris ille Eckius, Adriano VI Romae ob - tulerunt anno 1521 ap. Oefele II, 274. Die Jahrzahl iſt jedoch ohne Zweifel falſch, da Adrian 1521 gar nicht Papſt war. Die nach den Worten der Supplik ausgefertigte Bulle iſt vom Juni 1523; erſt 1523 im Dez. reclamiren die bairiſchen Biſchoͤfe dawider, ſo daß ſich am Jahr 1523 nicht zweifeln laͤßt.Dem orthodoxen Doctor, welcher an den engſten Berathungen über das Religionsweſen Antheil nahm, konnte dieß nicht abgeſchlagen werden. Papſt Adrian154Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.erließ eine Bulle, in welcher einer geiſtlichen Commiſſion die Befugniß ertheilt ward, auch ohne Mitwirkung der Biſchöfe ſchuldig befundene Geiſtliche zu degradiren und der weltlichen Strafgewalt zu überliefern. Adrian fügte nur die Beſchränkung hinzu, daß die Biſchöfe noch einmal in einem beſtimmten Termin ihre Pflicht zu erfüllen erinnert werden ſollten: ſpäter iſt auch dieſe weggefallen.

Man ſieht wohl, nicht die Autonomie des großen geiſtlichen Inſtitutes iſt es, was die Herzoge in ihren Schutz nehmen: neben demſelben gründen ſie eine Autorität die unter ihrem Einfluß ſteht, und in die eigenſten Kreiſe der geiſtlichen Pflichten und Rechte eingreift.

Doctor Eck iſt nicht allein als ein Gegner Luthers auf dem theologiſchen Gebiete zu betrachten. Auf Staat und Kirche von Baiern hatte er einen außerordentlichen Einfluß. Ihm hauptſächlich iſt die Verbindung zwiſchen der herzoglichen Gewalt, der Univerſität Ingolſtadt und der päpſtlichen Autorität zuzuſchreiben, durch welche dort der nationalen Bewegung Einhalt geſchah.

Und nicht bloß um die geiſtliche Autorität war es zu thun, ſondern auch die geiſtlichen Güter wurden ſogleich in Anſpruch genommen.

Papſt Adrian bewilligte den Herzogen den fünften Theil ſämmtlicher geiſtlichen Einkünfte in ihrem Gebiete: denn die Herzöge, ſagt er, haben ſich erboten gegen die Feinde des rechten Glaubens die Waffen zu ergreifen. 1Bulle vom 1ſten Juni. Von den Herzogen heißt es da: ad arma contra perfidos orthodoxae fidei hostes sumenda sese obtulerunt. (ib. 279.) Damit ſind jedoch auch die Tuͤrken gemeint.155Verbindung des Papſtes mit Baiern.Als Papſt Clemens VII zur Tiara gelangte, widerrief er alle Bewilligungen ähnlicher Art: dieſe aber hielt er doch für gut auf die drei folgenden Jahre zu beſtätigen: ſie iſt dann von Zeit zu Zeit erneuert worden und eine Haupt - grundlage der baieriſchen Finanzwirthſchaft geblieben. 1Vgl. Winter II, 321.

Auch die Univerſität ward hiebei nicht vergeſſen. Adrian bewilligte, daß in jedem bairiſchen Capitel wenigſtens Eine Domherrnſtelle an einen Profeſſor der Theologie übertra - gen werden könne: zur Verbeſſerung dieſer Facultät und leichtern Ausrottung der Ketzereien, die ſich dort wie in andern deutſchen Ländern erheben. 230ſten Auguſt Oͤfele p. 277. Bei Mederer: Annales acad. Ingolstad. IV, 234 findet ſich die Bulle Clemens VII hier - uͤber, worin den Herzoͤgen vergoͤnnt wird, in den Capiteln zu Augs - burg Freiſingen Paſſau Regensburg Salzburg immer Einen ihrer Profeſſoren der Theologie zu Ingolſtadt zu einer Praͤbende vorzu - ſchlagen: Sie haben angegeben, quod ecclesie predicte a Duci - bus Bavarie fundate vel donationibus aucte fuerunt. Der Grund iſt daß ſie Theologen zu haben wuͤnſchen hoc tempore periculoso, quo Lutheriana et alie plurime hereses contra sedem apostolicam propagantur, qui se murum pro Israel exponant et contra he - reses predictas legendo predicando docendo et scribendo eas confutent dejiciant et exterminent. Das iſt um ſo wichtiger, da in dieſen Jahren nach der Peſt die Univerſitaͤt, wie die Statuten der Juriſtenfacultaͤt ſagen, faſt von neuem conſtituirt ward.

Noch ehe an irgend eine Staatsbildung im evange - liſchen Sinne zu denken war, tritt uns hier eine entgegen - geſetzte Organiſation zur Aufrechterhaltung des katholiſchen Prinzipes entgegen, die für die Geſchicke unſers Vaterlan - des von der größten Bedeutung geweſen iſt.

Wir ſahen ſchon, daß die Bewegungen der Epoche weſentlich auch aus den Competenzen der geiſtlichen mit156Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.der weltlichen Gewalt herrührten: der emporkommenden weltlichen Territorialhoheit wohnte das natürliche Beſtre - ben bei, ſich der Eingriffe der geiſtlichen Nachbarn zu er - wehren. Damit hatte dann die Anſicht Luthers von der Obrigkeit den genaueſten Zuſammenhang: er ſchied dadurch die beiden Gewalten auf immer. Die Herzoge von Baiern fanden jedoch, daß das nicht der einzige Weg ſey, zu dem erwünſchten Ziele zu gelangen: ſie ſchlugen vielmehr einen gerade entgegengeſetzten ein, der bei weitem kürzer und ſicherer war. Was man anderwärts im Kampfe mit dem Papſt zu erreichen ſuchte, das wußten ſie ſich im Einver - ſtändniß mit demſelben zu verſchaffen. Auf der Stelle er - langten ſie einen bedeutenden Antheil an dem Ertrage der geiſtlichen Güter, ein von dem päpſtlichen Stuhle beſtätig - tes Übergewicht über die ſie umgebenden Biſchöfe in dem nunmehr wichtigſten Zweige der geiſtlichen Gewalt ſelbſt, wie ſich das ſehr bald in der Wirkſamkeit des baieriſchen Religionsrathes ausſprach. Dinge, an welche die Anhän - ger der Neuerung zur Zeit noch nicht denken durften.

Nur war dabei der große Unterſchied, daß während dieſe die nationale Tendenz, ſich von Rom unabhängig zu machen, verfochten, Baiern dagegen in eine noch viel engere Unterordnung unter den römiſchen Hof gerieth, von deſſen Bewilligung die Gerechtſame abhiengen, deren es ſich erfreute.

Auf jeden Fall mußte nun aber eine ſo entſchiedene Haltung eines mächtigen deutſchen Hauſes, das Beiſpiel einer erneuerten vortheilhaften Verbindung mit Rom auf alle Nachbarn wirken.

157Convent in Regensburg.

Von ſehr glaubwürdiger Seite, aus den Verhand - lungen des Erzbiſchofs von Salzburg mit ſeinen Ständen, kommt uns die Notiz, daß bereits in dieſer Zeit ein Ver - ſtändniß zwiſchen Baiern und Öſtreich wider die lutheri - ſche Secte geſchloſſen worden ſey. 1Zauner Salzburger Chronik IV, 359.

Unzweifelhaft iſt, daß Erzherzog Ferdinand auch ſchon ohnehin in ein engeres Verhältniß zu dem römiſchen Stuhle getreten war und ſich von demſelben zum Behuf ſeiner Ver - theidigung gegen die Türken eine überaus ſtarke Bewilli - gung eines vollen Drittheils aller geiſtlichen Einkünfte verſchafft hatte.

In Rom verſäumte man nicht, neben den weltlichen auch die einflußreichſten geiſtlichen Fürſten zu bearbeiten. Dem Erzbiſchof von Salzburg wurde die oft ſtreitig gewe - ſene Beſetzung der Bisthümer Gurk, Chiemſee, Seckau und Lavant auch für die ſtreitigen Monate bewilligt.

So gelang es dem päpſtlichen Stuhl, in den Stän - den wieder eine Partei für ſich zu gewinnen. Daß die katholiſche Meinung auf dem Reichstag von 1524 ſtärker auftrat als das Jahr zuvor, hängt ohne Zweifel damit zuſammen.

Allein auf dem Reichstag konnte ſie wie wir wiſſen noch nicht durchdringen. Eine Anzahl von Biſchöfen ſelbſt, durch die von dem päpſtlichen Stuhl unterſtützten Anſprüche des Fürſtenthums verletzt, leiſtete allen Anmuthungen ent - ſchloſſenen Widerſtand.

Dem Legaten Campeggi ward es klar, daß auf einer allgemeinen Verſammlung, wo die lutheriſchen Sympa -158Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.thien mit ſo großer Stärke auftraten, nichts zu erreichen ſeyn werde. Er beklagte ſich, daß er ſich hier nicht mit voller Freiheit äußern dürfe. 1Aus einem Schreiben Ferdinands Stuttgard 19 Mai in Gemeiners Regensburger Chronik IV, VI, p. 514.

Dagegen, da er doch auch eine Anzahl von gleichge - ſinnten Freunden um ſich ſah, ſo faßte er die Hofnung, deſto mehr auf einer provinciellen Zuſammenkunft, in der eben dieſe anweſend wären, auszurichten.

Noch in Nürnberg, wo die Nationalverſammlung zu Speier beſchloſſen worden, brachte er eine andre in Vor - ſchlag, welche derſelben ſchon in der Idee geradezu entge - gengeſetzt war. Er verhehlte die Abſicht nicht, der Ge - fahr zuvorkommen zu wollen, die von einer Verſammlung zu erwarten ſey, wo man auf die Volksſtimme zu hören gedenke. 2Aus dem Schreiben des Legaten vom 8ten Mai bei Win - ter I, 156.

Darauf giengen zuerſt Erzherzog Ferdinand und ei - nige Biſchöfe, dann auch die Herzoge von Baiern ein. Ende Juni 1524 fand die Zuſammenkunft zu Regensburg Statt. Die Herzoge, der Erzherzog, der Legat, der Erz - biſchof von Salzburg und außer dieſen der Biſchof von Trient, der ohnehin im Gefolge des Erzherzogs war, und der Adminiſtrator von Regensburg waren perſönlich zuge - gen: durch Abgeordnete erſchienen die Biſchöfe von Bam - berg Augsburg Speier Strasburg Conſtanz Baſel Frei - ſing Paſſau und Brixen. Nicht allein Baiern und Öſtreich, ſondern auch die oberrheiniſchen Gebiete, ein guter Theil von Schwaben und Franken waren, wie man ſieht, hiebei betheiligt.

159Convent in Regensburg.

Der Legat eröffnete die Verſammlung mit einem Vor - trag über die Gefahren der religiöſen Bewegung für beide Stände: er ermahnte ſie, ihre Irrungen fahren zu laſſen und gemeinſchaftliche Anſtalten zu treffen, damit die ketze - riſche Lehre ausgerottet und der Ordnung der chriſtlichen Kirche gelebt werde. Erzherzog Ferdinand unterſtützte den Vortrag und legte den Verſammelten beſonders die ihm gewährten Geldbewilligungen ans Herz.

Die Prälaten traten hierauf in drei Commiſſionen auseinander, von denen die erſte die Irrungen zwiſchen Geiſtlichen und Weltlichen, die zweite die zunächſt vorzu - nehmenden Reformen, die dritte die über die Lehre zu tref - fenden Anordnungen in Berathung zog. 1Schreiben von Ebner und Nuͤtzel an Churfuͤrſt Friedrich, worin ſie ihm melden was eine Schrift enthaͤlt, die ihnen vom Hofe fuͤrſtlicher Durchleuchtigkeit (Ferdinands) zugekommen iſt. 8 Juli 1524. (Weim. A.)

Sechszehn Tag lang dauerten die Conferenzen auf dem Regensburger Rathhaus, Vormittag und Nachmittag. Einmal ward der Ernſt der Geſchäfte doch auch durch ei - nen feſtlichen Nachttanz unterbrochen.

Vor allem ward die Geldbewilligungsſache aufs Reine gebracht.

Den Biſchöfen leuchtete ein, daß die nach jedem Mo - ment des Einſchreitens gewaltſamer aufbrauſende populäre Gährung ihnen doch viel gefährlicher ſey als alle Ober - hoheit des Fürſtenthums. Unter denen die wir genannt, gab es wohl nur Wenige die nicht in ihrer Hauptſtadt mit immer wachſendem Widerſtand zu kämpfen gehabt hät - ten. Schon vor dem Jahr hatte es z. B. Cardinal Lang nothwendig gefunden, 6 Fähnlein geübten Kriegsvolks in160Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Salzburg einzuführen: an deren Spitze war er im rothen zerſchnittenen Wappenrock, unter dem ein blanker Har - niſch funkelte, in der Rechten ſeinen Regimentsſtab, da - ſelbſt eingeritten, und hatte die Gemeine zu neuen Ver - ſchreibungen des Gehorſams genöthigt. War vielleicht auch noch einer und der andre wie Dieſer mit neuen Conceſſio - nen des Papſtes begnadigt worden? Unter ihren Abge - ordneten finden wir einige entſchieden Römiſch-geſinnte, z. B. Andreas Hanlin von Bamberg, der ſelbſt einmal Vicerector in Ingolſtadt geweſen war. 1Heller: Bamberg Reform. p. 70.Eck und Faber waren anweſend. Genug, die geiſtlichen Herrn fügten ſich in das Nothwendige. Die bairiſchen bequemten ſich ſo viel ich finde den fünften, die öſtreichiſchen den vierten Pfennig ihrer Einkünfte der weltlichen Herrſchaft zu zahlen. 2Planitz, der damals in Eßlingen geweſen, an den Churfuͤr - ſten Friedrich, Nuͤrnberg 26ſten Juli: Die Geiſtlichen in des Erz - herzogs Landen haben bewilligt, ihm den vierten Pfennig zu geben, 5 Jahr lang, und die Geiſtlichen unter den Herrn von Baiern ge - ben ihren Fuͤrſten den 5ten Pfennig 5 Jahr, allein daß ſie in iren Fuͤrſtenthumen die lutheriſche Lehr nicht zulaſſen und veſt uͤber ihnen halten wollen. Ich habe nicht ermitteln koͤnnen, ob Planitz uͤber die Dauer der Auflagen recht berichtet war. Nach Winter II, p. 322 iſt ſie noch auf ſpaͤtere Jahre ausgedehnt worden.

Hierauf ſchritt man zu den Anordnungen über Lehre und Leben.

Die Hauptſache war, daß man jetzt eine Beſtimmung traf, welche 1523 bei den Reichsſtänden nicht durchzuſetzen geweſen war: man wies die Prediger für die Erklärung der ſchwierigern Stellen der Schrift vornehmlich an die la -tei -161Convent von Regensburg.teiniſchen Kirchenväter: was damals nicht hatte erreicht werden können, Ambroſius, Hieronymus, Gregorius und Auguſtin wurden als die Normen des Glaubens nahmhaft gemacht. Früherhin hätte das als eine Conceſſion gegen die literariſche Richtung der Zeitgenoſſen angeſehen werden können, weil man damit doch des Zwanges der ſcholaſti - ſchen Syſteme erledigt ward: jetzt lag vor allen Dingen ein Gegenſatz gegen Luther und die Majorität der Reichs - ſtände darin; wenigſtens die Grundlagen der ſpätern For - mationen des Latinismus wollte man fürs Erſte wieder ſanctioniren. Man beſchloß den Gottesdienſt nach der Weiſe der Väter ungeändert aufrecht zu erhalten; den Ein - fluß Luthers ſuchte man für die Zukunft unmöglich zu ma - chen. Seine Bücher wurden aufs neue verboten. Allen Unterthanen der vereinigten Fürſten ward die Univerſität Wittenberg bei ſchweren Strafen, ſogar dem Verluſte des Erbtheils unterſagt.

Bei alle dem war man doch auch bedacht, die Miß - bräuche abzuſtellen, welche eine ſo allgemeine Gährung ver - anlaßt hatten. Alle jene Erpreſſungen des niedern Clerus, die das gemeine Volk ſo ſchwierig machten, die Nöthigung zu theuren Begängniſſen, die drückenden Accidenzien, die Verſagung der Abſolution um einer Schuldforderung wil - len wurden aufgehoben; die Verhältniſſe der Pfarrer zu ihren Gemeinen ſollten durch eine geiſtlich-weltliche Com - miſſion neu geordnet werden. Die reſervirten Fälle wur - den verringert, die Feſttage bedeutend vermindert, die Sta - tionirer abgeſchafft. Man verpflichtete ſich, in Zukunft bei der Anſtellung der Geiſtlichen zu ſorgfältigerer Berückſich -Ranke d. Geſch. II. 11162Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.tigung perſönlicher Würdigkeit. Die Prediger wurden zu größerem Ernſt, zur Vermeidung aller Mährchen und un - haltbaren Behauptungen, die Prieſter zu ſittlichem unſträf - lichem Wandel angewieſen. 1Constitutio ad removendos abusus et ordinatio ad vitam Cleri reformandam per revdum Dm Laurentium etc. Ratis - ponae nonis Julii bei Goldaſt Constitutt. Impp. III, 487. Was Strobel aus einem alten Druck, der auch mir vorliegt, mittheilte (Misc. II, p. 109 etc.) umfaßt doch keineswegs den ganzen Inhalt der Conſtitution. Namentlich iſt die Abſchaffung einer großen An - zahl von Feſttagen im 21ſten Artikel, die bis auf weniges den ſpaͤ - tern proteſtantiſchen Einrichtungen entſpricht, ſehr bemerkenswerth.

Wir werden nicht irren, wenn wir dieſe Beſchlüſſe als die erſte Wirkung der Reformationsbewegung auf eine innere Reſtauration des Katholicismus bezeichnen. Wie die Verbindung des Fürſtenthums mit dem Papſtthum dem politiſchen, ſo entſprach dieſer Verſuch, der zunächſt freilich ſehr unvollſtändig ausfiel, dem religiöſen Bedürf - niß, aus dem das reformatoriſche Weſen hervorgegangen. Beſtrebungen, die gewiß wichtiger und einflußreicher ge - weſen ſind, als man bisher auch auf der katholiſchen Seite angenommen hat: der moderne Katholicismus beruht zum Theil darauf; allein kein Menſch dürfte ſie doch in Tiefe der religiöſen Anſchauung, oder weltumfaſſender, in den Lauf der Jahrhunderte eingreifender Genialität, in Kraft und Innerlichkeit des Antriebes mit den Bewegungen verglei - chen, denen Luther den Namen gab, die um ihn her ihren Mittelpunct hatten. Man eignete ſich nur die Analogien der letztern an: damit dachte man ſich ihnen gegenüber zu halten. Es iſt alles ungefähr wie Doctor Eck auf Cam - peggi’s Veranlaſſung dem Buche Loci communes von163Urſprung der Spaltung.Melanchthon ein ähnliches Handbuch,1Enchiridion seu loci communes contra haereticos: ge - druckt 1525, verfaßt, wie Eck ſich ausdruͤckt, hortatu Cardinalis de Campegiis, ut simpliciores, quibus cortice natare opus est, sum - marium haberent credendorum, ne a pseudoprophetis subverte - rentur. wie Emſer Lu - thern eine Bibelüberſetzung entgegenſetzte. Die Arbeiten der Wittenberger Lehrer waren in dem naturgemäßen Laufe ihrer innern Entwickelung, aus dem Bedürfniß ihres auf eigner Bahn vorwärts ſchreitenden Geiſtes hervorgegangen, voll urſprünglicher, die Gemüther hinreißender Kraft: dieſe katholiſchen Werke verdankten ihre Entſtehung äußern Ver - anlaſſungen, Berechnungen einer nach allen Mitteln des Widerſtandes greifenden gefährdeten Exiſtenz.

Eben damit aber riß man ſich von der großen freien Entwickelung los, in der die deutſche Nation begriffen war. Worüber in Speier unter dem Geſichtspunct der nationalen Einheit und ihrer Bedürfniſſe zu Rathe gegan - gen, Beſchluß hatte gefaßt werden ſollen, darüber ſetzten hier die vereinigten Gewalten einſeitige Maaßregeln feſt. Man ſagte wohl, einer einzelnen Nation komme es nicht zu, über Angelegenheiten der Religion, der Chriſtenheit überhaupt Beſtimmung zu treffen: das ließ ſich leicht behaupten: aber was war für die Nation zu thun, da ſie allein von allen durch die Eigenthümlichkeit ihrer Verfaſſung und Geiſtesentwickelung in dieſe Gährung ge - rathen war? Anfangs hatte man auf ein unverzüglich zu berufendes Concilium angetragen: da dieſe Hofnung ſich in weite Ferne verzog, ſo mußte man wohl Hand anle - gen, um für ſich ſelber zu ſorgen. Die Anordnungen von11*164Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Regensburg ſelbſt beweiſen das. Die Sache war nur: in Speier würden nach aller Wahrſcheinlichkeit Beſchlüſſe in Oppoſition gegen den römiſchen Papſt zu Tage gekom - men ſeyn: in Regensburg fand man aus tauſend Rück - ſichten für gut, ſich aufs neue mit demſelben zu vereini - gen. Es iſt unleugbar, daß eben darin der Urſprung un - ſrer Spaltungen liegt. Der nationalen Pflicht, die Ver - handlungen einer bereits beſchloſſenen großen Verſammlung zu erwarten, daran Theil zu nehmen, und fügen wir hinzu, nach beſtem Wiſſen darauf einzuwirken, zog man die Ver - bindung mit Rom einſeitig vor.

Und ſo war der eine Theil jener Beſchlüſſe der - miſchen Congregation über Erwarten glücklich ausgeführt: Campeggi machte darauf aufmerkſam wie nothwendig es nun auch ſey, den andern ins Werk zu ſetzen, den Kaiſer zu veranlaſſen, daß er ſich dieſer Sache lebhaft annehme. 1Er klagte: non haver quella causa (Luterana) di costà (della Spagna) il caldo che bisogneria, fa che d’ogni provisione che si faccia si trahe poco frutto. Giberto Datario agli oratori Fiorentini in Spagna, Lettere di principi I, f. 133.

Man verſäumte in Rom keinen Augenblick, um Carl V auf ſeine Seite zu ziehen. Während man in den officiel - len Erlaſſen von Regensburg diejenigen Puncte der Reichs - abſchiede heraushob, welche dem Papſtthum günſtig laute - teten, und die Miene annahm als ſey in ihnen das Edict von Worms eben nur beſtätigt, ſtellte man dem Kaiſer in Spanien vor, wie ſehr ſeine Autorität darunter leide, daß man in zwei Reichsabſchieden nach einander ſein Edict be - ſchränkt habe, ja es zurückzunehmen ſuche, was er ſelber ſich nicht getrauen würde: es ſey offenbar, daß man ſich165Urſprung der Spaltung.in Deutſchland von allem weltlichen und geiſtlichen Gehor - ſam loszureißen denke. Welch ein unerträglicher Übermuth liege darin, daß man dort eine Verſammlung angeſetzt habe, wo man über Dinge des Glaubens und die Angelegenhei - ten der allgemeinen Chriſtenheit Beſchlüſſe faſſen wolle. Gleich als komme es den Deutſchen zu, kaiſerlicher Ma - jeſtät und der ganzen Welt Geſetze vorzuſchreiben. 1Wir haben zwar das Schreiben des Papſtes an den Kaiſer nicht ſelbſt: aber eine hinreichende Notiz davon in der Depeſche des paͤpſtlichen Datars an ben Nuntius in England, Marchionne Lango Lettere di principi I, 124. N. Sre ha di ciò scritto efficacemente alla M Ces. accioche la confideri, che facendo quei popoli poco conto di dio tanto meno ne faranno alla giornata della M S. e degli altri signori temporali: l’absenza della M Cesarea ha accresciuta l’audacia loro tanto che ardiscono di ritrattar quell’editto, cosa che Cesare proprio non faria. Dagegen heißt es in dem zu Regensburg ergangenen Edict: Darumb ſo haben wir auf des hochwuͤrdigſten Herrn Lorenzen ꝛc. Erſuchen uns vergleycht daß wir und unſer Principal obgemelt kaiſerlich Edict zu Worms, auch die Abſchied auf beyden Reichstaͤgen zu Nuͤrnberg deshalb beſchloſſen vollziehen.

Mit ähnlichen Gründen beſtürmte man den Verbün - deten Carls, Heinrich VIII, der ſich in eine literariſche Fehde mit Luther eingelaſſen; man forderte ihn auf, mit ſeinem Einfluß bei Carl V die päpſtlichen Ermahnungen zu unterſtützen.

Überhaupt lagen die politiſchen Verhältniſſe für eine Einwirkung der päpſtlichen Gewalt auf den Kaiſer ſehr günſtig. Der Krieg deſſelben gegen Franz I war erſt im Mai 1524 förmlich ausgerufen worden und in ſeinem hef - tigſten Feuer. Der Kaiſer griff den König von Italien her in Frankreich ſelber an. Unmöglich konnte er den Papſt,166Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.der dieſen Angriff nicht ganz billigte, in ſeinem Rücken verletzen, oder ihm eine Bitte abſchlagen, die ohnehin der katholiſchen Unterweiſung entſprach, die er in ſeiner Ju - gend empfangen.

Carl V zögerte keinen Augenblick. Schon am 27 Juli erließ er ein Ausſchreiben ins Reich, welches ganz im Sinne des Papſtes und zwar in ungewöhnlich lebhaf - ten Ausdrücken abgefaßt war. Er beklagte ſich, daß man ſein Mandat von Worms nicht beobachte, daß man auf ein allgemeines Concilium angetragen habe, ohne ihn, wie ſich doch geziemt hätte, auch nur zu befragen. Er er - klärte, daß er die beſchloſſene Zuſammenkunft weder zuge - ben könne noch auch möge: die deutſche Nation wolle ſich einer Sache unterfangen die allen andern ſelbſt mit dem Papſt nicht erlaubt ſeyn würde, Ordnungen abändern die ſo lange her unangefochten gehalten worden. Luthers Mei - nungen erklärte er für unmenſchlich und verglich ihn, wie einſt ſein Lehrer Adrian, mit Mahomet. Bei Vermeidung des Verbrechens der beleidigten Majeſtät, Acht und Aber - acht, verbot er die Verſammlung. 1In den Frankfurter Acten. Aus einem Schreiben des Chur - fuͤrſten von Sachſen an Ebner bei Walch XV, 2711, October 1524, ergiebt ſich, daß man in dem ihm zugegangenen Schreiben die Aus - druͤcke bei Vermeidung criminis lese majestatis, unſer und des Reichs Acht etc. weggelaſſen hatte.

Dergeſtalt gelang es dem römiſchen Hof, wie er in Deutſchland einige mächtige Glieder des Reiches auf ſeine Seite gebracht, ſo auch deſſen Oberhaupt in Spanien zu gewinnen, auf dieſem Wege die ihm gefährlichen Beſchlüſſe der Reichsverſammlung rückgängig zu machen; es war167Urſprung der Spaltung.ſeine erſte kräftige Einwirkung auf die kirchlichen Angele - genheiten in Deutſchland.

Dahin führte es, daß der Kaiſer, von Spanien aus, eine von den innern Trieben des deutſchen Lebens unbe - rührte, nur nach ſeinen anderweiten Rückſichten berechnete Politik beobachtete. Überhaupt übte ſeine Regierung in dieſen erſten Jahren nur einen negativen zerſetzenden Ein - fluß aus. Ohne etwas Ernſtliches zu thun um die Be - ſchwerden gegen Rom zu heben, hatte er ſich durch ſeine politiſche Stellung zu dem Edict von Worms bewegen laſſen, was dann nicht ausgeführt werden konnte, auf der einen Seite die Antipathie der Nation erſt recht entflammte, auf der andern den Anhängern der Curie eine Waffe in die Hände gab. Die ſich bildende Conſolidation des Re - gimentes hinderte er durch die Verwerfung des Zolles, zu dem er doch erſt ſeine Zuſtimmung gegeben, und fand rath - ſam es darauf ganz zu zerſprengen. Wohl ward ein an - dres Regiment zu Eßlingen eingerichtet, das ſich aber daran ſpiegelte was an dem vorigen geſchehen, und weder Autorität genoß, noch Miene machte ſich deren zu verſchaffen, nur der Schatten einer Regierung. Wir be - trachteten, welche Ausſichten für die Religion ſo wie die nationale Einheit ſich an die Verſammlung von Speier knüpften. Von Spanien aus ward ſie verboten, gleich als liege ein Verbrechen darin.

Und nicht allein auf Regierungseinrichtungen, Reichs - tagsbeſchlüſſen, ſondern beſonders auf einem vertraulichern Verſtändniß der vorherrſchenden Fürſten hat von jeher die Einheit von Deutſchland beruht. Maximilian hatte in der168Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.zweiten Hälfte ſeiner Regierung empfunden, was ihm die Abneigung des Churfürſten von Sachſen bedeute, und nur durch eine Beſeitigung dieſer Zwiſtigkeit, durch das Ein - gehn einer engen Verbindung mit dem erneſtiniſchen Sach - ſen war die Wahl Carls V möglich geworden: auch ſeit - dem hatte man Churfürſt Friedrich wenigſtens in allen äußerlichen Beziehungen als einen unzweifelhaften Verbün - deten mit großer Rückſicht behandelt. Dieſes Verhältniß löſte der Kaiſer jetzt auf. Er fand es ſeiner Weltſtellung angemeſſener, vortheilhafter, ſeine Schweſter Catharina mit dem König von Portugal Johann III zu vermählen, als mit dem Neffen des Churfürſten von Sachſen, dem er ſie zugeſagt: er hatte Hannart beauftragt, dieſen Entſchluß dem ſächſiſchen Hofe anzuzeigen. 1Muͤller: Geſchichte der Proteſtation theilt hieruͤber die naͤ - hern Umſtaͤnde mit.Wir erinnern uns, wie ſchmeichelhaft dem Bruder Friedrichs, Herzog Johann, der Antrag geweſen war: wie er nur Einwendungen der Be - ſcheidenheit dagegen gemacht, und zuletzt erfreut nachgege - ben hatte. In demſelben Grade empfindlich war ihm nun die Eröffnung Hannarts. Der ſächſiche Hof war tief be - troffen. Die Freunde des Churfürſten in der Umgebung des Erzherzogs hätten gewünſcht, er möchte ſich dagegen regen:2In der ſchon oben angefuͤhrten geheimen Correſpondenz Friedrichs mit den Raͤthen Ferdinands findet ſich ein Zettel, wo ei - ner derſelben ſchreibt: S. fuͤrſtl. Durchlaucht begeren ſonderlich, das der Heirath vollzogen werd, damit S. F. Gn. deſto mer Fug und Statt hab, S. Chf. Gn. als irn angenommenen Vatern um Rath teglich anzuſuchen: eine Meinung die ſchwerlich von jenem ganzen Hofe getheilt ward. allein wie er früher keinen perſönlichen Antheil an169Urſprung der Spaltung.den Verhandlungen genommen, ſo ſagte er auch jetzt kein Wort: er bezwang ſeine Verſtimmung. Nicht ſo zurück - haltend war Herzog Johann. Mit beleidigtem Selbſtge - fühl wies er jede Eröffnung, jedes Anerbieten, das ihm dagegen geſchah, von ſich: er ließ ſich vernehmen, dieſe Sache ſey ihm tiefer zu Gemüthe gegangen als jemals eine andre in ſeinem Leben.

Auch mit den übrigen Fürſten ſtand Oſtreich nur ſchlecht. Das Haus Brandenburg, das ſich um der main - ziſchen ſo wie der preußiſchen Verhältniſſe willen an das alte Regiment geſchloſſen, war durch deſſen Sturz un - angenehm berührt, ſein Mißvergnügen ſo augenſcheinlich, daß dem Hochmeiſter Albrecht Anerbietungen von Frank - reich geſchahen, obwohl er ſie nicht annahm. Die rhei - niſchen Churfürſten hielten im Auguſt eine Zuſammen - kunft, von der Erzherzog Ferdinand, wie er ſagt, weder für ſich noch für ſeinen Bruder etwas Gutes erwartete. 1Schreiben von Ferdinand bei Bucholtz II, 68.Churfürſtliche Räthe verſchwiegen dem kaiſerlichen Com - miſſarius nicht, daß man unzufrieden mit dem Kaiſer ſey: man werde die Capitulation deſſelben vor die Hand nehmen, und da er ſie nicht erfüllt, zu der Einrichtung einer andern Art von Regierung ſchreiten, entweder unter einem Statthalter, oder unter den Reichsvicarien, oder un - ter einem römiſchen König, den man zu wählen gedenke. 2Schreiben von Hannart ib. 70.Auf einem großen Armbruſtſchießen zu Heidelberg, wo ſich mehrere Fürſten verſammelt, war davon die Rede; beſon - ders ward innerhalb des pfälziſch-bairiſchen Hauſes man -170Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.cherlei Verhandlung darüber gepflogen. Nicht ſo enge war der katholiſche Bund zwiſchen Baiern und Öſtreich, daß nicht in Herzog Wilhelm von Baiern die Idee aufgeſtiegen wäre, ſelber zur Krone zu gelangen.

Dergeſtalt löſte die kaum zum Bewußtſeyn ihrer Ten - denzen gelangte Einheit der Reichsregierung ſich wieder auf: in einem ſo unendlich wichtigen lebensvollen Momente, in welchem alle Kräfte der Nation in gewaltiger Reg - ſamkeit nach unbekannten Regionen drängten, ſich neue Zuſtände zu erſchaffen trachteten, fehlte es an jeder leiten - den Gewalt.

Daher kam es daß nunmehr die localen Mächte al - lenthalben nach den in ihnen zur Herrſchaft gekommenen Prinzipien verfuhren.

In den durch die Regensburger Beſchlüſſe vereinigten Gebieten begann die Verfolgung.

In Baiern finden wir Prieſter entſetzt, oder verjagt: adliche Beſitzer aus ihren Gütern getrieben, ſo lange bis ſie abſchwören: das Drückende, die ſchwüle Luft des all - gemeinen Zuſtandes bezeichnet beſonders, was einem her - zoglichen Beamten, Bernhard Tichtel von Tutzing begeg - nete. Er war in Geſchäften des Herzogs auf einer Reiſe nach Nürnberg begriffen, als ſich einer von jenen altgläu - bigen Profeſſoren von Ingolſtadt, Franz Burkhard auf der Landſtraße zu ihm geſellte: ſie kehrten mit einander in Pfaf - fenhofen ein: nach dem Abendeſſen kamen ſie auf die Re - ligionsſachen zu ſprechen. Tichtel mochte ſeinen Gefährten kennen: er erinnerte ihn, daß das neue Edict Geſpräche dieſer Art verbiete: Burkhard entgegnete, das ſolle zwiſchen171Urſprung der Spaltung. Verfolgungen.ihnen nichts zu bedeuten haben. Hierauf verhehlte Tichtel nicht, das Edict werde ſich nicht durchſetzen laſſen und den Herzogen eher zum Schimpf gereichen: er erklärte ſich ſelbſt etwas zweideutig über das Fegfeuer, die Faſtengebote: von blutigen Strafen wollte er nichts hören. In Burkhard, der den Herzogen bisher die gehäßigſten Rathſchläge gege - ben, entbrannte hierüber die wilde Wuth eines Verfolgers, er ſagte grade heraus, Kopfabhauen ſey die gerechte Strafe der Lutherſchen Böswichter: auch Tichtel nannte er einen Lutheraner. Obwohl er ſich beim Abſchied verſöhnt ange - ſtellt, eilte er doch von dem entdeckten Verbrechen Anzeige zu machen: Tichtel ward verhaftet, in den Falkenthurm geſperrt, einer Inquiſition unterworfen und zum Widerruf genöthigt: nur mit großer Mühe und durch gute Fürſprache entgieng er einer höchſt entehrenden Strafe, die dem Her - zog bereits vorgeſchlagen worden. 1Ein andrer aus jenem Bunde, der Canzler Leonhard v. Eck hatte nemlich vorgeſchlagen, der Herzog moͤge den barmherzigen Weg einſchlagen: daher ſolle Tichtel blos auf den Pranger geſtellt, ſeine Verbrechen dort abgeleſen, nochmals durch ihn dort muͤndlich bekannt und widerrufen und er darauf zum Zeichen ſeines ketzeriſchen Abfalls in den beiden Backen gebrannt, dann wieder in den Fal - kenthurm zuruͤckgefuͤhrt und bis auf weitern herzoglichen Befehl darin verwahret werden. S. die Auszuͤge aus den Acten bei Win - ter I, p. 182 199.

Im Salzburgiſchen war ein wegen des Lutherthums gefangener Prieſter, der nach Mitterſill geführt wurde, wo er lebenslänglich gefangen ſitzen ſollte, während ſeine Scher - gen im Wirthhaus zechten, von ein paar Bauerſöhnen be - freit worden; dafür ließ der Erzbiſchof die armen jungen Menſchen, ohne daß ſie in offenen Rechten verhört worden172Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.waren, an ungewohnter Richtſtatt, auf einer Wieſe vor der Stadt, im Nonnthal, eines Morgens früh heimlich ent - haupten. Selbſt der Scharfrichter hatte ein Bedenken, weil die Verurtheilten nicht rechtlich überwunden ſeyen: der Beamte des Biſchofs ſagte: Thu was ich dich heiße und laß es den Fürſten verantworten. 1Zauner IV, 381.

In Wien war ein Bürgersmann, Caspar Tauber, der über die Fürbitte der Heiligen, das Fegfeuer, die Beichte und das Geheimniß des Abendmahls unkatholiſche Meinungen geäußert, zum Widerruf verurtheilt worden: an einem hohen Feſttag, Mariä Geburt, wurden zu dem Ende auf dem Kirchhof bei St. Stephan zwei Kanzeln errichtet, die eine für den Chormeiſter, die andre für Tau - ber, dem man die Formel des Widerrufs einhändigte, die er ableſen ſollte. Aber ſey es nun, daß er das niemals verſprochen, oder daß ſich jetzt eine entgegengeſetzte ſtärkere Überzeugung plötzlich in ihm hervordrängte: als er die Kanzel beſtiegen, und alles Volk den Widerruf erwartete, erklärte er, daß er ſich für unwiderlegt halte, und appellirte an das heil. Röm. Reich. Er konnte wohl wiſſen, daß ihm dieß nichts helfen werde, er iſt kurz darauf enthaup - tet, ſeine Leiche verbrannt worden; aber ſein Muth, ſeine Beſtändigkeit hinterließen einen unauslöſchlichen Eindruck. 2Eyn warhafſtig geſchicht, wie Caspar Tawber Burger zu Wien in Oſterreich fuͤr ein Ketzer und zu dem Todt verurtaylt und außgefuͤrt worden iſt. 1524. (Die Hinrichtung am 17ten Sept.)

Noch einige andere waren mit Tauber gefangen worden: durch ſein Beiſpiel geſchreckt leiſteten ſie den Widerruf, den man ihnen auflegte, und kamen mit Verbannung davon. 3Sententia contra Joannem Vaesel, einer dieſer Verur -

173Urſprung der Spaltung. Verfolgungen.

Auch in den übrigen öſtreichiſchen Ländern ward mit großer Strenge verfahren. Die drei Regierungen von Ins - bruck, Stuttgart und Enſisheim ſetzten einen Ausſchuß zu Engen nieder, der ſich zum Geſchäft machte, die Bewe - gungen in ihren Gebieten zu unterdrücken. Es half den Waldshutern nichts, daß ſie ihren Prediger, Balthaſar Hub - meyer, entlaſſen hatten: man erklärte ihnen zu Engen, man werde ſie ſtrafen, man werde ihnen, ſo roh drückte man ſich aus, das Evangelium um die Ohren bläuen, daß ſie die Hände über den Kopf zuſammenſchlagen ſollen: man werde das Unkraut mit der Wurzel ausreißen; und ſchon war den übrigen Städten die Hülfe an Geſchütz und Fuß - volk aufgelegt, womit man Waldshut überziehen wollte, als eine Schaar freiwilliger Schweizer beſonders von - rich der Stadt zu Hülfe kam und den Regierungs-Aus - ſchuß doch bedenklich machte. 1Schreiben Balthaſar Hubmaier in dem Taſchenbuch fuͤr Suͤddeutſchland 1839 p. 67 aus ſchweizeriſchen und oberrheiniſchen Archiven.

Nicht ſo leicht kam Kenzingen weg. Dieſe kleine Stadt ward wirklich überzogen und beſetzt.

Weit und breit finden wir ähnliche Regungen. Zu - weilen blieb man bei unblutigen Maaßregeln ſtehen: man verbot die Bücher Luthers, duldete ſeine Anhänger nicht auf dem Predigtſtuhl, entfernte ſie aus den fürſtlichen - then, verjagte ſie aus dem Lande: die Wirtenberger Re - gierung ſuchte allen Verkehr mit Reutlingen abzubrechen, weil es evangeliſche Prediger dulde. Dabei fehlte es aber auch nicht an den grauſamſten Executionen. Wir finden3theilten ult. Sptmbr. 1524 bei Raupach Evangel. Oͤſtreich: Erſte Fortſetzung Beil. nr. V. 174Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Prädicanten, denen die Zunge an den Pranger genagelt wird, ſo daß ſie, ſich ſelber verſtümmelnd, ſich losreißen müſſen, wenn ſie wieder frei werden wollen. Der Fana - tismus beſchränkter Mönche erwachte und ſuchte im nie - dern wie im obern Deutſchland ſeine Opfer. Welch ein ſchreckliches Exempel ward an dem armen Heinrich von Zütphen zu Meldorf in Ditmarſchen ſtatuirt. Auch hier hatte ſich eine kleine Gemeinde gebildet, die dieſen Augu - ſtiner von Bremen auf eine Zeitlang zu ſich berief, und von den Regenten des Landes, den Acht und vierzig, die Zuſage erlangte, weil man ja doch eine Kirchenverſamm - lung erwarte, daß indeß das Evangelium lauter und rein gepredigt werden dürfe. Allein bei weitem ſtärker waren doch noch die Gegner, der Prior der Dominicaner von Meldorf, die Minoriten von Lunden: in Verbindung mit dem Vicarius des biſchöflichen Officials wirkten ſie einen entgegengeſetzten Beſchluß aus, durch den ihnen der arme Menſch, weil er gegen die Mutter Gottes predige, über - laſſen wurde. 1Neocorus herausg. v. Dahlmann II, p. 24. Das Urtheil des Vogts lautet: Deße Boſewicht hefft geprediget wedder de Mo - der Gadeß unnd wedder den Chriſten Gloven, uth welkerer Orſake ick ehn vorordele van wegen mines genedigen Herrn Biſchops van Bremen thom Vuere.Ein trunkener Volkshaufen Mönche trugen ihm die Fackeln voran holte hierauf, bei Nacht, im Januar, den Prädicanten aus dem Pfarrhauſe hervor: unter greulichen Martern, bei denen ſich Ungeſchick und Grauſamkeit vereinigten, brachten ſie ihn um.

Dem gegenüber aber ſchritt man nun auch auf der andern Seite zu entſchiednern Maaßregeln.

175Urſprung der Spaltung. Staͤdte und Herren.

Unmittelbar nach jenem Convent von Regensburg, hielten die Städte, die ſich durch die Unterſtützung bedroht ſahen, welche ihre Biſchöfe bei den Fürſten zu finden ſchie - nen, einen großen Städtetag zu Speier, und beſchloſſen, recht im Gegenſatz mit jener Feſthaltung der lateiniſchen Kirchenväter, daß von ihren Predigern nichts als das Evan - gelium, die Prophetiſche und Apoſtoliſche Schrift gepredigt werden ſolle. 1Staͤttag zu Speier Margaretha 1524. Summariſcher Ex - tract bei Fels Zweiter Beitrag p. 204.Damals erwarteten ſie noch die Verſamm - lung zu Speier: und ihre Abſicht war, einen gemeinſchaft - lichen Rathſchlag daſelbſt einzubringen. Nachdem dieſe aber von dem Kaiſer verboten worden, und es den Anſchein gewann, als werde man noch einmal den ernſtlichen Ver - ſuch machen das Wormſer Edict auszuführen, ſo vereinig - ten ſie ſich gegen Ende des Jahres zu Ulm, gegen alle dahin zielende Maaßregeln einander zu Hülfe zu kommen. Weißenburg, Landau und Kaufbeuren, die ſchon Anfechtun - gen erfuhren, empfiengen Anweiſung für ihr Benehmen dabei.

Den Städten geſellte ſich auch ein Theil der Herrn zu. Im Namen der Grafen am Rhein an der Eifel in Wetterau Weſterwald und Niederland erſchien Graf Bern - hard von Solms auf der Verſammlung und bat die Städte um ihr Bedenken, wie über einen Reichsanſchlag gegen die Türken, den man vorhatte, ſo in der lutheriſchen Sache. Die Städte urtheilten mit Recht, daß ihnen dieſe Verei - nigung ſehr nützlich ſeyn werde; nachdem einige Schriften gewechſelt worden, ſah man ſich einverſtanden, und be -176Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.ſchloß dort zu Ulm, ſich in dieſen wichtigen Sachen, ge - fährlichen Zeitläuften nicht von einander zu ſondern. 1Ibid. p. 206. Nicolai 1524.

Worauf es nun aber hauptſächlich ankam, auch eine ganze Anzahl von Fürſten erklärte ſich auf eine dem Re - gensburger Bündniß entgegengeſetzte Weiſe.

Markgraf Caſimir von Brandenburg, der ſonſt nicht eben einen großen religiöſen Schwung gezeigt hat, konnte doch der einmal aufgerufenen und zum Bewußtſeyn ge - brachten Meinung ſeines Landes nicht widerſtehen: er ver - warf den Antrag, zu jenem Bündniß zu treten, indem er ſich auf die Verſammlung zu Speier bezog, welche da - mals noch erwartet wurde. Als der Kaiſer ſie verbot, ergriff er das Mittel, nunmehr wenigſtens für ſein Terri - torium mit ſeinen Ständen übereinzukommen, daß daſelbſt nur das heilige Evangelium und Gotteswort alten und neuen Teſtamentes nach rechtem wahren Verſtand lauter und rein gepredigt werden ſolle. So lautet der Landtags - abſchied vom 1ſten October 1524. Sein Bruder Georg, der ſich zu Ofen am Hofe von Ungern aufhielt, war da - mit noch nicht einmal zufrieden. Er meinte, daß man das göttliche Wort nicht allein predigen, ſondern auch allen Men - ſchenſatzungen zum Trotz ſich ſonſt danach halten ſollte. 2Von der Lith p. 61 65.

Eine höchſt unerwartete Veränderung zeigte ſich in Heſſen. Man hatte geglaubt, jene drei Kriegsfürſten, welche Sickingen beſiegt und das Reichsregiment geſtürzt hatten, würden nun auch die reformatoriſchen Ideen bekämpfen,die177Urſprung der Spaltung. Evangel. Fuͤrſten.die von ihren Gegnern unterſtützt worden waren. Allein eben in dem kräftigſten von ihnen that ſich ſehr bald eine ganz entgegengeſetzte Richtung hervor.

Eines Tages, im Mai 1524, begegnete Landgraf Phi - lipp von Heſſen, indem er zu jenem Armbruſtſchießen nach Heidelberg ritt, in der Nähe von Frankfurt dem ihm durch den Ruf wohlbekannten Melanchthon, der eben in ſeiner Heimath in der Pfalz geweſen, und jetzt mit ein paar gu - ten Freunden, die ihn dahin begleitet, auf der Rückreiſe begriffen war. Der Landgraf hielt ihn an, legte ihm, in - dem er ihn eine Strecke mit ſich reiten ließ, einige Fragen vor, die ſein großes Intereſſe an den religiöſen Streitig - keiten bezeigten, und entließ endlich den überraſchten und verlegenen Profeſſor nur unter der Bedingung, daß er ihm ſeine Meinung über die wichtigſten angeregten Puncte ſchrift - lich kund thun möge. 1Camerarius Vita Melanchthonis cap. 26. Strobel N. Beitr. IV, 2, p. 88.Melanchthon that das mit gewohn - ter Virtuoſität: kurz bündig und überzeugend; er machte damit einen entſcheidenden Eindruck. Nicht lange nach ſeiner Rückkunft von dem Feſt erließ der Landgraf eben - falls in unverkennbarem Gegenſatz mit den Regensburger Beſchlüſſen, am 18ten Juli, ein Mandat, worin er unter andern befahl, das Evangelium lauter und rein zu predi - gen. Von Tag zu Tag vertiefte er ſich mehr in die ei - genthümlichen Anſichten des neuen Dogmas: ſchon im An - fang des folgenden Jahres hat er geſagt: er wolle eher Leib und Leben, Land und Leute laſſen, als von Gottes Wort weichen.

Ranke d. Geſch. II. 12178Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Es ſcheint wohl, als ſey in Heidelberg überhaupt eine auf die Religion bezügliche Abrede genommen worden. Phi - lipp von Heſſen zweifelte anfangs nicht, daß auch der Chur - fürſt von der Pfalz ihm nachfolgen werde. Und wenigſtens ließ ſich dieſer letztere zu keiner Verfolgung hinreißen, wenn es auch in ſeiner Natur nicht lag, ſo entſchieden zu Werke zu gehn.

Dagegen konnte man den verjagten Herzog von Wir - tenberg bereits für gewonnen achten. In Mümpelgard hielten ſich Prädicanten nach der neuen Weiſe bei ihm auf. Im October 1524 bezeigt Zwingli ſeine Verwunderung und Freude, daß aus dem Saulus ein Paulus geworden. 1Zwinglius Oecolampadio. Tiguri 9 Oct. Epp. Zwinglii I, 163.

Eine ähnliche unzweifelhafte Hinneigung bemerkte man an Herzog Ernſt von Lüneburg, Neffen Friedrichs von Sach - ſen, der in Wittenberg ſtudirt hatte und durch den Gang der Hildesheimiſchen Angelegenheit in der Oppoſition ge - gen Öſtreich feſtgehalten wurde. Die erſten Anfänge der Reformation in Celle, unter ſeinem Schutze, fallen in das Jahr 1524. 2Huͤne Geſchichte von Hannover I, 747.

Ihm geſellte ſich Friedrich I zu, König von Däne - mark, ſeit dem vorigen Jahre alleiniger Herr in Schles - wig und Holſtein. Sein Sohn Chriſtian und deſſen Hofmei - ſter Johann Ranzau waren auf dem Reichstag zu Worms geweſen: voll Bewundrung für Luther, durchdrungen von ſeiner Lehre, kehrten ſie zurück. Denſelben Mann der Lu - thern auf jener Reiſe begleitet, Peter Suave, zogen ſie in179Urſprung der Spaltung. Evangel. Fuͤrſten.das Land. Allmählig ward denn auch der Herzog ſelber gewonnen. Indem an ſo vielen Orten die blutige Verfol - gung ſich erhob, erließ Friedrich I am 7ten Aug. 1524 eine Verordnung, in welcher er bei Leib und Lebensſtrafe verbot, Jemanden der Religion halber ein Leides zuzufü - gen: ein Jeder, erklärte er vielmehr, möge ſich nur immer ſo verhalten wie er es gegen Gott den Allmächtigen ver - antworten könne. 1Muͤnter Kirchengeſchichte von Daͤnemark II, p. 565.

Und noch weitere Ausſichten eröffnete es, daß auch ein mächtiger geiſtlicher Fürſt, der Hochmeiſter Albrecht von Preußen, ſich von den Doctrinen des Papſtthums ab - wandte. Während des Reichstags von Nürnberg hatten beſonders die Predigten Oſianders Eindruck auf ihn ge - macht: er hatte die Schrift ſelbſt in die Hand genommen, und hielt ſich überzeugt, daß ſein Stand dem göttlichen Wort nicht eigentlich entſpreche. 2Memorial eines Geſpraͤchs zwiſchen Markgraf Albrecht und Achatius v. Zemen. Beitraͤge zur Kunde Preußens Bd IV. Dazu kam nun, daß ihm mit dem Sturze des Regimentes, den Unfällen des Adels überhaupt die letzte Hofnung verſchwand, Hülfe vom Reiche gegen Polen zu erlangen. In welche Gemüthsſtim - mung mußte er gerathen, da ihm jetzt keine Hofnung übrig blieb, ſich den alten Feinden gegenüber zu behaupten, und da er zugleich an ſeinem Berufe irre geworden war! In Begleitung des ſächſiſchen Regimentsbeiſitzers Planitz, deſ - ſen Geſinnung wir hinreichend kennen, nahm er nun ſeinen Rückweg durch Sachſen: hier ſah er Luther. Der entſchloſ - ſene Luther, der die Dinge in ihrer innern Nothwendigkeit12*180Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.anſchaute, gab ihm den Rath, die Ordensregel zu verlaſſen, ſich zu vermählen und Preußen in ein erbliches Fürſten - thum zu verwandeln. Der Hochmeiſter hatte fürſtliche Be - ſonnenheit und Zurückhaltung genug, um dazu nicht aus - drücklich ſeine Beiſtimmung auszuſprechen: aber in ſeinen Mienen las man, wie ſehr er dazu hinneigte. 1Schreiben Luthers an Brismann bei de W. II, 526.Wir wer - den ſehen, wie bald er, durch die Lage ſeines Landes, durch den Gang welchen ſeine Verhandlungen nahmen vorwärts getrieben, zur Ausführung dieſes Gedankens ſchritt.

Dieſe Folgen hatte es daß das angekündigte Natio - nalconcilium nicht zu Stande kam.

Man könnte nicht ſagen, daß der Gewalt die Gewalt entgegengetreten ſey, daß man dem entſchloſſenen Feſthalten des Alten mit einem eben ſo entſchloſſenen Ergreifen des Neuen geantwortet habe.

Wie wenig das der Fall war, zeigt ſich unter andern an dem Beiſpiele des Churfürſten von Sachſen, der, wie ſehr auch Luther dagegen eifern mochte, noch das ganze Jahr 1524 in ſeinem Allerheiligenſtift die Meſſe aufrecht erhielt, und den Mitgliedern deſſelben ihre clericaliſchen Pflichten unaufhörlich einſchärfte.

Die Summe des Ereigniſſes iſt vielmehr: Das Reich hatte beſchloſſen, in der großen Angelegenheit welche alle Geiſter der Nation beſchäftigte, mit gemeinſchaftlicher Be - rathung zu Werke zu gehn: dem Papſt gelang es, die Ausführung dieſer Abſicht zu verhindern, einen Theil der deutſchen Fürſten zu einer einſeitigen Vereinbarung in ſei - nem Sinne fortzuziehen: die übrigen aber verfolgten181Urſprung der Spaltung.die einmal im Einklang mit den Reichsgeſetzen eingeſchla - gene Bahn. Von der allgemeinen Verſammlung mußten ſie wohl zurückkommen, da der Kaiſer dieſelbe ſo ernſtlich ver - bot; aber die alten Beſchlußnahmen des Reiches dachten ſie ſich darum nicht wieder entreißen zu laſſen. Sie blie - ben dabei ſtehn, was im Reichsabſchiede von 1523 ver - ordnet, was dann 1524 einigen Einwendungen und Zu - ſätzen zum Trotz doch ſeinem weſentlichen Inhalt nach be - ſtätigt war. Alle die mancherlei Mandate dieſes Jahres haben im Grunde noch keinen andern Inhalt.

Dieß iſt der Urſprung der Spaltung, die ſeitdem noch nicht wieder hat beigelegt werden können: immer in Folge deſſelben auswärtigen Einfluſſes der ſie damals hervorrief. Höchſt merkwürdig, daß ſich ſchon in jener Zeit alle die Hin - neigungen offenbarten, die hernach Jahrhunderte lang aus - gehalten haben: ihre Feſtſetzung ihren Fortgang werden wir noch weiter zu beobachten haben; gleich im erſten Mo - ment aber zeigte ſich die ganze Unermeßlichkeit der Gefahr die man damit über ſich hereinzog.

[182]

Sechstes Capitel. Der Bauernkrieg.

Die öffentliche Ordnung beruht immer auf zwei Mo - menten, einmal dem ſichern Beſtehn der herrſchenden Ge - walten, ſodann der Meinung, die wenn nicht in jeder Ein - zelnheit, denn das wäre weder zu wünſchen noch auch mög - lich, doch im Allgemeinen das Beſtehende billigt, damit übereinſtimmt.

Zu jeder Zeit wird es Streitigkeiten über die Staats - verwaltung geben: ſo lange dabei die Grundlage der all - gemeinen Überzeugung unerſchüttert bleibt, haben ſie eine ſo große Gefahr nicht. Unaufhörlich ſchwanken die Mei - nungen, bilden ſich weiter: ſo lange ihnen eine ſtarke öf - fentliche Macht zur Seite ſteht, die ja an der Entwickelung ſelber Theil nehmen muß, iſt keine gewaltſame Bewegung da - von zu beſorgen.

Sobald aber in demſelben Augenblicke die conſtituir - ten Mächte irre werden, ſchwanken, ſich anfeinden, und Meinungen die Herrſchaft erlangen, die ſich dem Beſtehen - den in ſeinem Weſen entgegenſetzen, dann treten die gro - ßen Gefahren ein.

183Bauernkrieg.

Der erſte Anblick zeigt, daß Deutſchland jetzt in die - ſem Falle war.

Die Reichsregierung, die mit ſo vieler Mühe zu Stande gekommen und im Allgemeinen das Vertrauen der Nation genoß, war geſprengt: was an deren Stelle getreten, war nur ein Name ein Schatten. Der Kaiſer war entfernt, und in den letzten Jahren waren ſeine Einwirkungen nur negativer Art geweſen: er hatte nur immer das Beſchloſ - ſene verhindert. Die beiden Hierarchien, an deren Auf - richtung die vergangenen Jahrhunderte gearbeitet, die geiſt - liche und die weltliche, waren in einem tiefen allgemeinen Zwieſpalt. Das Verſtändniß der vorwaltenden Fürſten, worauf immer die Einheit des Reiches beruht hatte, war vernichtet. In der wichtigſten Angelegenheit, die jemals vorgekommen, war die Ausſicht verſchwunden, es zu ge - meinſchaftlichen Maaßregeln zu bringen.

Das hatte nun auch auf den Gang der Meinungen eine große Rückwirkung. Bisher hatte eine Art von Ein - verſtändniß, über das man keine Übereinkunft zu ſchließen brauchte, das ſich von ſelbſt ergab, zwiſchen den Tendenzen der Reichsregierung und der gemäßigten Haltung welche Luther angenommen, beſtanden: eben dadurch hatte man die deſtructiven Meinungen, die ſich 1522 regten, über - winden, beſeitigen können: jetzt aber, da ſich nun keine Veränderung durch einen Reichsſchluß weiter erwarten ließ, konnte auch Luther ſeine überlegene Stellung nicht mehr be - haupten, und die niedergekämpften Theorien brachen wieder hervor. In dem Gebiete ſeines Fürſten ſelbſt, in dem chur - fürſtlichen Sachſen, hatten ſie ſich Freiſtätten verſchafft.

184Drittes Buch. Sechstes Capitel.

In Orlamünde, einer von jenen dem Wittenberger Stift zu Gunſten der Univerſität incorporirten Pfarren, predigte Carlſtadt. Er hatte ſich hier nicht eben auf das regelmä - ßigſte, im Widerſpruch mit den ordentlichen Collatoren, kraft eines gewiſſen Anſpruchs den er als Mitglied des Stiftes erhob, doch hauptſächlich durch die Wahl der Ge - meine in Beſitz geſetzt, und nun die Bilder beſeitigt, den Gottesdienſt auf ſeine eigne Hand eingerichtet, über die Lehre von der Kirche, namentlich auch über die Verbind - lichkeit des moſaiſchen Geſetzes die wunderlichſten Anſichten verbreitet. Es kommt ein Mann vor, der auf Carlſtadts Rath zwei Frauen zu nehmen begehrt. 1Schreiben Luthers an Bruͤck 13 Jan. 1524 (de W. II, nr. 572.)So durchaus ver - miſchte dieſer kühne und verworrene Geiſt das nationale und das religiöſe Element des alten Teſtaments. Luther meinte, in Kurzem werde man in Orlamünde die Beſchnei - dung einführen. Er hielt es für nothwendig ſeinen Fürſten vor allen Unternehmungen dieſer Art ernſtlich zu warnen.

Schon war auch Johann Strauß zu Eiſenach auf einen ähnlichen Abweg gerathen. Er eiferte beſonders wi - der die Sitte, Zinſen von einem Darlehn zu nehmen: in - dem er meinte, an die heidniſchen Rechte der Juriſten ſey man nicht gebunden, und dagegen die moſaiſche Einrich - tung des Jubeljahrs, in welchem ein jeder wieder zuge - laſſen werden ſoll zu ſeinen verkauften Erbgütern, für ein noch immer gültiges Gebot Gottes erklärte, ſtellte er den geſammten bürgerlichen Zuſtand in Frage. 2Das wucher zu nemen und geben unſerm chriſtlichen Glau -

185Bauernkrieg.

Unfern von da hatte ſich Thomas Münzer eine Kirche nach den Ideen die einſt in Zwickau und Wittenberg un - terlegen waren gegründet. Er gieng nach wie vor von der innerlichen Offenbarung aus, der er allein Werth bei - legte; aber noch entſchiedner als früher predigte er die ta - boritiſche Doctrin, man müſſe die Ungläubigen mit dem Schwerd ausrotten und ein Reich aus lauter Gläubi - gen aufrichten.

Es konnte ſchon an und für ſich nicht anders ſeyn, als daß dieſe Lehren in ganz Deutſchland Anklang und Wieder - holung fanden. Auch im Wirtenbergiſchen predigte man den Bauern vom iſraelitiſchen Jubeljahr. O lieber Menſch, ſagte Dr Mantel, o armer frommer Menſch, wenn dieſe Jubeljahre kämen, das wären die rechten Jahre. 1Sattler Wuͤrtenbergiſche Geſchichte Herz. II, p. 105.Otto Brunfels, der ſich bisher ſehr gemäßigt ausgedrückt, ließ 1524 zu Strasburg eine Anzahl Sätze über den Zehn - ten erſcheinen, in denen er denſelben für eine Einrichtung des alten Teſtamentes erklärte, welche durch das neue auf - gehoben ſey, und den Geiſtlichen alles Recht dazu ab - ſprach. 2De ratione decimarum Ottonis Brunfelsii Propositiones. Unter andern prop. 115. Proditores Christi sunt Juda pejores et sacerdotibus Baal, qui pro missis papisticis et canonicis pre - culis decimas recipiunt. In Hof treffen wir noch einmal auf Nicolaus Storch, der auch da mit ſeinen Offenbarungen Glauben fand, und 12 Apoſtel um ſich ſammelte, die ſeine Lehre2ben entgegen iſt. 1524. C III heißt es: ſo dann in der ordnung des Jubel jars im Text offenbarlich außgedruckt wirt das Gebot, das die notuͤrfftig bruderlich lieb fordert, muß alle einrede ſtill halten und allen Chriſten desgleychen zu thun gebotten ungezweyffelt ſeyn.186Drittes Buch. Sechstes Capitel.in Deutſchland verbreiten ſollten. 1Widemann Chron. Curiense bei Mencken III, 744.Daß Münzer und Carl - ſtadt, und zwar nicht ohne Zuthun Luthers, endlich aus Sachſen entfernt wurden, trug zur Ausbreitung und Ver - ſtärkung dieſer Bewegung ſogar noch bei. 2Wer kennt nicht die Scenen in Jena, wo Luther dem Carl - ſtadt einen Gulden darauf gab, daß er gegen ihn ſchreiben, ſein Feind ſeyn wolle. Acta Jenensia bei Walch XV, 2422. L. hat ſich uͤber die Feindſeligkeit dieſer Erzaͤhlung immer beklagt. Daß ſie in L’s Werke aufgenommen ſind, kann ihre Wahrhaftigkeit nicht beweiſen, wie Fuͤßli im Leben Carlſtadts p. 65 meint. Luther ge - rieth dadurch in eine falſche Stellung, daß er angedeutet hatte, auch Carlſtadts Meinungen ſeyen aufruͤhreriſch, wie die von Muͤnzer, was ſo eigentlich nicht zu beweiſen war.Sie nahmen beide ihren Weg nach dem Oberrhein. Erſt jetzt trat Carl - ſtadt mit ſeiner Lehre vom Abendmahl unumwunden her - vor: ſo unhaltbar die Auslegung ſeyn mochte, die er ſel - ber vortrug, ſo mächtig und von unermeßlicher Wirkſam - keit war doch die Anregung die er damit gab. Münzer nahm ſeinen Weg über Nürnberg nach dem Hegau und Kletgau; wie um jenen die Gelehrten ſo ſammelten ſich um dieſen die Schwärmer: er predigte aber nicht allein von der Verwerfung der Kindertaufe, was nun allmählig das Wahrzeichen der auf einen allgemeinen Umſturz ſin - nenden Partei wurde, ſondern von der Erlöſung Iſraels und der Aufrichtung eines himmliſchen Reiches.

So kam zu dem Zerfall der herrſchenden Gewalten die Oppoſition der Meinung gegen alles Beſtehende: einer Meinung, welche unabſehbare Möglichkeiten einer neuen Ge - ſtaltung der Dinge in der Ferne zeigte.

Da geſchah dann das Unvermeidliche.

187Bauernkrieg.

Wir haben geſehen, wie es ſeit mehr als dreißig Jah - ren in den Bauerſchaften des Reiches gährte, wie man - chen Verſuch der Erhebung ſie machten, welch ein mäch - tiger Widerwille gegen alle conſtituirten Gewalten ſich in ihnen regte. Ihre politiſchen Tendenzen waren aber von jeher, lange ehe man an die Reformationsbewegungen dachte, von einem religiöſen Element durchdrungen. Es findet ſich bei jenen Barfüßern in Eichſtädt, dem Hans Behaim im Würzburgiſchen, den Bauern in Untergrum - bach. Joß Fritz, der 1513 den Bundſchuh zu Lehen im Breisgau erneuerte, ward durch den Pfarrer des Ortes in ſeinem Vorhaben beſtärkt, denn dadurch werde die Gerech - tigkeit einen Fürgang gewinnen: Gott wolle den Bund - ſchuh, wie man aus der Schrift beweiſen könne, es ſey ein göttlich Ding darum. 1Bekenntniß Hans Hummels bei Schneider: Bundſchuh zu Lehen p. 99.Der arme Kunz in Wirten - berg im J. 1514 erklärte, daß er der Gerechtigkeit und dem göttlichen Rechte einen Beiſtand thun wolle.

Es leuchtet ein, welche Nahrung Ideen dieſer Art in den reformatoriſchen Bewegungen, durch welche die Auto - rität der Geiſtlichkeit ſo tief erſchüttert ward, überhaupt fin - den mußten: aber nicht minder klar iſt es, wie die Pre - digt, die an und für ſich andre Geſichtspuncte verfolgte, von dieſen, ſchon vorher ſo mächtigen Regungen ergriffen werden konnte; ſie hat dieſelben nicht erzeugt: ſie ließ ſich vielmehr ſelber von ihnen hinreißen. Denn nicht Alle konn - ten die Geiſter unterſcheiden, wie Luther. Man lehrte wohl, weil alle eines Vaters Kinder und alle gleich mit dem188Drittes Buch. Sechstes Capitel.Blut Chriſti erlöſt ſeyen, müſſe es auch fortan keine Un - gleichheit geben, weder des Reichthums noch des Stan - des. 1 Kurz das es zugang auff Erden, wie mir Theutſchen von Schlauraffenland, die poeten de inſulis fortunatis, und die Juden von ihres Meſſias Zeytten dichten, alſo auch zum Tayl die Junger Chriſti gedachten vom reych Chriſti. Eberlin v. Guͤnzburg: Ein getrewe warnung an die Chriſten in der Burgau.Mit den Klagen über die Mißbräuche der Geiſt - lichkeit vereinigte man die alten Beſchwerden über Fürſten und Herrn, ihr Kriegführen, die ſtrenge und nicht immer rechtliche Verwaltung ihrer Beamten, den Druck unter wel - chem der Arme ſeufze, und behauptete endlich, daß wenn die geiſtliche Gewalt antichriſtlich ſey, es mit der weltli - chen nicht beſſer ſtehe: des Heidenthums und der Tyran - nei klagte man ſie an. Es wird nicht mehr ſo gehn wie bisher, ſchließt eine dieſer Schriften, des Spiels iſt zu viel, Bürger und Bauern ſind deſſelben überdrüßig, alles ändert ſich. Omnium rerum vicissitudo. 2Ein ungewonlicher und der Ander Sendtbrieff deß Bauern - feyndts zu Karſthannſen. Am Schluß: Gedruckt durch Johann Lo - cher von Muͤnchen. Panzer gedenkt II, nr. 2777 eines erſten Briefes des Karſthanſen unter 1525. In dieſem zweiten finde ich noch keine Andeutung von dem Bauernkrieg; er muß ſpaͤteſtens in die zweite Haͤlfte des Jahres 1524 fallen.

Die erſte Bewegung trat in den nemlichen Gegenden ein, wo ſich ſchon die meiſten frühern Regungen gezeigt, dort wo der Schwarzwald die Donauquellen von dem obern Rheinthal ſcheidet. Es kamen hier viele Umſtände zuſam - men: die Nähe der Schweiz, mit der man in den man - nichfaltigſten Verbindungen ſtand: die beſondre Strenge, mit der die öſtreichiſche Regierung zu Enſisheim, jene Com - miſſion zu Engen auch die unbeſcholtenen Prediger der189Bauernkrieg.neuen Lehre verfolgte: der Antheil den der Graf von Sulz, oberſter Regent zu Insbruck, Erbhofrichter zu Rothweil, perſönlich an dieſen Maaßregeln nahm, wie denn auch die Grafen von Lupfen und Fürſtenberg als beſondre Feinde der Lutheriſchen und der Bauern bezeichnet wurden: die Anweſenheit Thomas Münzers, den ein richtig treffendes Gefühl eben dahin gezogen: endlich wohl auch die Folgen eines Hagelſchlages, der im Sommer 1524 die Hofnun - gen der Ernte im Kletgau vernichtete. Schon am 24ſten Auguſt 1524 zog Hans Müller von Bulgenbach mit ei - ner anſehnlichen Bauernſchaar, unter ſchwarz-roth-weißer Fahne zur Kirchweih in Waldshut ein: er verheimlichte die Abſicht nicht, eine evangeliſche Brüderſchaft zu errich - ten, um die Bauerſchaften im ganzen Reiche frei zu ma - chen. Ein kleiner Beitrag, den die Mitglieder zahlten, war dazu beſtimmt, Boten zu beſolden, um die Verbin - dung über alle deutſche Gebiete zu verbreiten. 1Schreiber Taſchenbuch fuͤr Suͤddeutſchland I, 72.Die Un - terthanen der Grafen von Werdenberg, Montfort, Lupfen, Sulz erhoben ſich bereits. Die Sulziſchen fragten vorher bei Zürich an, in deſſen Bürgerrechte ihr Herr ſtand, und dieſe Stadt trug kein Bedenken, die Duldung evangeliſcher Prediger zur Bedingung des Gehorſams zu machen. 2Fuͤßlins Beitraͤge zur Hiſtorie der Kirchenreformation Bd II, p. 68.Es wäre der Mühe werth, dem Gange dieſer Bewegun - gen noch genauer nachzuforſchen, als es bisher geſchehen iſt. 3Nach Anshelm VI, p. 298 beklagten ſich die Unterthanen der Grafen von Lupfen und Fuͤrſtenberg, daß ſie am Fyrtag muͤß -Die verſchiednen Momente, welche den Bauernauf -190Drittes Buch. Sechstes Capitel.ruhr erzeugten, greifen hier am unterſcheidbarſten in einan - der. Auch wurden hier die erſten allgemeinen Ideen ge - faßt; wahrſcheinlich ſind hier die zwölf Artikel entſtanden die dann als das Manifeſt der Bauerſchaften durch das Reich giengen.

Fürs Erſte war man jedoch noch nicht ſo gut gerü - ſtet, um den Völkern des Erzherzogs und des ſchwäbiſchen Bundes zu widerſtehn. Man ward im Herbſt noch ein - mal genöthigt, die Waffen niederzulegen. Dagegen nahm das Ereigniß im Anfang des Jahres 1525 einen entſchei - denden Gang.

Beſonders ſchwierig waren immer die Unterthanen des Abtes zu Kempten geweſen: ſchon dreißig Jahr früher hatte ſich in ſeinem Gebiete ein Aufruhr erhoben, der nur mit großer Mühe gedämpft wurde. Hier war es nun auch, wo die Bauern im Januar 1525 den erſten Sieg erkämpf - ten. Ohne Zweifel erhielten ſie beſonders durch die Theil - nahme der Bürger die Oberhand. Der Abt konnte ſich auch auf dem Schloß, wohin er geflohen, nicht behaupten, ward nach der Stadt geführt und mußte hier einen ſehr nachtheiligen Vertrag unterſchreiben. Die Bauern begnüg - ten ſich mit der Beute, die ſie im Kloſter machten. 1Materialien zur Geſchichte des Bauernkriegs. Chemnitz 1791. Bd I, p. 28.

Dieſer erſte Vortheil war nun eine Aufmunterung für alle Gleichgeſinnte.

3tent Schneggenhuͤßli ſuchen, Garn winden, Erdbeer, Krieſen, Schle - hen gewinnen, und ander dergleichen thun, den Herren und Frouwen werken bei gutem Wetter, ihnen ſelbs im Ungewetter; das Gejaͤgd und d Hund luͤffent ohne Achtung einigs Schadens; die Sache ſey an das Kammergericht gekommen, man habe aber die Entſcheidung nicht erwartet.

191Bauernkrieg.

Im Februar erhoben ſich die Allgauer wider den Bi - ſchof von Augsburg: Dietrich Hurlewagen von Lindau führte ſie an. Auf ihre Aufforderung geſellten ſich ihnen die Seebauern zu, weit und breit an dem Bodenſee, unter Eitelhans von Theuringen: wer ſich nicht freiwillig an - ſchloß, ward mit Gewalt genöthigt; nirgends durfte die große Glocke zum Gottesdienſt angezogen werden: wenn man ſie hörte, bedeutete es Sturm, und alles Volk lief auf den Sammelplatz zu Bermatingen. 1Salmansweilerſche Beſchreibung bei Oͤchsle: Beitraͤge zur Geſchichte des Bauernkriegs p. 485.Anfang März er - hob ſich ein dritter Haufe, am Ried, dem das Volk an der Iller zulief, unter Ulrich Schmid von Sulingen. Ihr Glück war, daß der mächtige ſchwäbiſche Bund, der ſich auf der Stelle rüſtete,2Noch im Februar ward ein Drittheil der Huͤlfe einberufen; bald darauf die beiden andern Drittheil, die jedoch Manche, z. B. Nuͤrnberg, nur in Geld leiſteten. (Muͤllners Nuͤrnb. Annalen.) durch einen Einfall des Herzogs von Wirtenberg in ſein Land beſchäftigt wurde. Was würde geſchehen ſeyn, wenn die Eidgenoſſenſchaft, auf die ſich dieſer Fürſt abermals verließ, bei ihm ausgehalten und wozu ſie ein gewiſſes Intereſſe zu haben ſchien, zugleich die Partei der Bauern ergriffen hätte. Allein ſie berief ihre Leute auch dieß Mal ab: der Herzog mußte weichen, und der Anführer der Bundestruppen Georg von Truch - ſeß konnte in der zweiten Hälfte des März ſich gegen die Bauern wenden. Es gelang ihm in der That einige feſte Plätze zu nehmen, einige abgeſonderte Trupps auseinander zu ſprengen: die Maſſen aber waren durch den Verzug des Angriffs ſo ſtark geworden, daß man ihnen im Großen nichts anhaben konnte. Von dieſen Leuten waren nicht192Drittes Buch. Sechstes Capitel.Wenige ſelbſt unter den Fahnen der Landsknechte in den Waffen geweſen; das Gefühl der Wahrhaftigkeit hatte ſie zur Erhebung gereizt; in den Bundestruppen ſelbſt regte ſich wohl ein gewiſſes Einverſtändniß mit ihnen. Und in - deß wurden ſie durch immer neue Haufen verſtärkt. An - fang April ſammelte ſich alles Volk des Schwarzwaldes vom Wutachthal bis zum Dreiſamthal um jenen Hans Müller von Bulgenbach. Glänzend anzuſehen, mit rothem Mantel und rothem Barett, an der Spitze ſeiner Anhän - ger zog er von Flecken zu Flecken; auf einem mit Laub und Bändern geſchmückten Wagen ward die Haupt und Sturmfahne hinter ihm hergefahren. 1Schreiber: der Breisgau im Bauernkriege im Taſchenb. f. Suͤddeutſchland I, p. 235.Ein Zierhold bot allenthalben die Gemeinden auf und verlas die zwölf Ar - tikel. Denn nicht zu einer Empörung mit ganz unbeſtimm - ter Ausſicht forderte er auf: in dieſen zwölf Artikeln wa - ren ſehr poſitive Forderungen ausgeſprochen: ein Jeder erfuhr, was er zu erwarten habe, wofür er die Waffen er - greife. Die zwölf Artikel enthalten dreierlei Anſprüche. Vor allem wird darin die Freiheit der Jagd, des Fiſch - fanges, der Holzung, Abſtellung des Wildſchadens gefor - dert. Wie oft, ſeit der Gründung des feudaliſtiſchen Staats haben die Bauern in allen Ländern Klagen über ihre Be - ſchränkungen in dieſer Hinſicht ausgeſprochen; ſchon im Jahr 997 in der Normandie finden wir ſie. 2Guilielmus Gemeticensis lib V. Ferner dran - gen die Bauern auf die Abſtellung einiger neu aufgelegten Laſten, neuer Rechte und Strafen, ungewohnter Anmaa -ßun -193Bauernkrieg.ßungen der Herrn über die Gemeindegüter. Es wird durch die glaubwürdigſten Zeugniſſe beſtätigt, daß eben das Wei - ter-um-ſich-greifen der Herrſchaften den nächſten Anlaß zu der allgemeinen Aufregung gegeben hatte. Endlich aber traten auch hier die geiſtlich-reformirenden Beſtrebungen ein. Die Bauern wollen nicht mehr leibeigen ſeyn, denn Chriſtus hat auch ſie mit ſeinem koſtbaren Blute erlöſt; ſie wollen den kleinen Zehent nicht mehr zahlen, ſondern nur den großen,1Erlaͤutert ſich durch folgende Stelle der Muͤllnerſchen An - nalen: der Rath zu Nuͤrnberg ließ von allen Canzeln ausrufen, daß aller lebendige Zehent, als Fuͤllen Kaͤlber Laͤmmer ꝛc., desglei - chen der kleine Zehent, den man nennt den todten Zehent, als Hei - del Erbeiß Heu Hopfen ꝛc. ganz todt und abſeyn ſolle, aber den großen harten Zehenten von hernach benanntem Getreide, ſo man die fuͤnf Brand nennt, nemlich von Korn Duͤnkel Waitzen Gerſte Habern ſollte man zu geben ſchuldig ſeyn. (Nach dem Herkommen die 15te, 20ſte oder 30ſte Garbe.) denn dieſen allein hat Gott im alten Teſtamente feſtgeſetzt; endlich fordern ſie das Recht, ihre Prediger ſelbſt zu wählen, um von ihnen in dem wahren Glauben unterwieſen zu werden, ohne den ſie nichts ſeyn würden als Fleiſch und Blut und zu gar nichts nütze. 2Dye grundlichen und rechten Hauptartikel aller Bauerſchafft und Hynderſeſſen; abgedruckt unter andern bei Strobel Beitraͤge II, p. 9. Unter den Ausgaben fuͤhrt eine bei Panzer nr. 2705 den Zu -Man ſieht, nichts Geringes führten die Bauern im Schilde; mit wie vieler Vorſicht auch ihre Artikel abgefaßt ſind, ſo würden ſie doch eine totale Emancipation zur Folge ge - habt haben. Hans Müller ſprach die Hofnung aus, ſie ohne Schwerdſchlag ins Werk zu ſetzen. Wer ſich wei - gere ſie anzunehmen, werde von der chriſtlichen Vereini - gung in Bann erklärt, aller bürgerlichen und nachbarli -Ranke d. Geſch. II. 13194Drittes Buch. Sechstes Capitel.chen Hülfe beraubt werden. Auch die Herrn von den Schlöſſern, auch die Mitglieder der Klöſter und Stifter werde man in die Vereinigung aufnehmen, wenn ſie ein - treten und in Zukunft in gewöhnlichen Häuſern leben wol - len wie andre Leute; dann werde man ihnen alles verab - folgen, was ihnen aus göttlichem Rechte gebühre. Jene erſte noch vage Idee der evangeliſchen Brüderſchaft hatte nunmehr, wie man ſieht, einen beſtimmten Inhalt. Die Bauern faßten ihre Anſprüche in einer Formel zuſammen, zu deren Annahme ſie die Herrn zu zwingen gedachten.

Im Laufe des April 1525 ließ es ſich in der That an als würde es noch dahin kommen.

Schon gegen Ende März hatte ſich die Bewegung auch in Franken erhoben. In einem Thale des Odenwal - des, genannt der Schüpfergrund, verſammelten ſich ein paar tauſend Bauern, aufgeregt durch die zwölf Artikel, die ihnen zu Handen gekommen, und wählten den Wirth von Ballenburg, Georg Metzler, in deſſen Hauſe ſie die erſten Vorbereitungen getroffen, einen verwegenen Menſchen, der im Saus und Braus eines vielbeſuchten Wirthshauſes ſeine2ſatz: des Monadts Martii. Nach der einſtimmigen Angabe der Zeit - genoſſen, unter andern auch Melanchthons war Chriſtoph Schapp - ler ihr Verfaſſer; ſelbſt in der florentiniſchen Geſchichte von Nardi (VIII, 187) wird er genannt: uno scellerato rinnovatore della setta degli Anabatisti chiamato Scaflere. Schappeler jedoch hat das immer geleugnet (Bullinger p. 245) und es ſcheint in der That ein Irrthum. Wenn man ſpaͤter geneigter geweſen iſt, Joh. Heuglin von Lindau nach ſeinem eignen Bekenntniß (ſ. Strobel a. a. O. p. 76) dafuͤr zu halten, ſo bezieht ſich deſſen Erzaͤhlung doch nur auf Artikel welche den Bauern von Sernatingen zugeſtanden werden, damit ſie nicht zu den uͤbrigen Bauern treten: von den zwoͤlf be - ruͤhmten Artikeln wuͤrde wohl auf eine andre Weiſe die Rede ſeyn.195Bauernkrieg.Tage zugebracht, zu ihrem oberſten Hauptmann. 1Nach Hubert Thomas Leodius geſchah das um Mittfaſten, Laͤtare, 26 Maͤrz.In Böckingen, in Mergentheim, an gar manchen andern Or - ten wurden ähnliche Verſammlungen gehalten. Man be - gann in der Regel damit die Faſten zu brechen: ein Ge - lag ward veranſtaltet, bei dem dann der Beredteſte Un - zufriedenſte das Wort nahm: die zwölf Artikel wurden hervorgezogen geleſen und gebilligt: ein Anführer ward er - nannt, die Sturmglocke gezogen; ſo brach der Aufruhr los, der faſt allenthalben damit anfieng daß man ſich eines Mehlvorraths, eines Weinkellers bemächtigte, oder einen herrſchaftlichen Teich ausfiſchte. Einzeln wären dieſe Be - wegungen leicht zu erſticken geweſen: ihre Wiederholung an ſo vielen Orten gab ihnen Kraft. Den bedeutendſten Charakter entwickelten ſie in Rothenburg an der Tauber. Als ſich die Bauern in der Landwehre regten, fanden ſie in der Gemeine, die ſchon lange mit ihrem Rathe unzu - frieden war, vielmehr Beiſtimmung als Widerſtand: ein Ausſchuß ward gebildet, der den Rath ſtürzte und eine Verwaltung eben im Sinne der Empörung zu gründen unternahm. 2Anfang und Ende des Bauernkriegs zu Rothenburg bei Walch L. W. XVI, 180. Dr Benſen (hiſtor. Unterſuchungen uͤber Rotenburg p. 270) hat eine ausfuͤhrliche Arbeit uͤber dieſe merk - wuͤrdigen Ereigniſſe verſprochen.

Es muß unerörtert bleiben, wie viel jene Boten aus - gerichtet haben, von deren Abſendung Hans Müller vor dem Jahre geſprochen, ob eine wirkliche Verabredung Statt gefunden hat: ſo viel aber ſehen wir, daß man in Fran -13*196Drittes Buch. Sechstes Capitel.ken daſſelbe Verfahren einſchlug, welches Müller auf dem Schwarzwald angekündigt. Um frei zu werden, beſchloß man die einzelnen Herrſchaften zu nöthigen, die zwölf Ar - tikel anzunehmen: jedoch immer unter den localen Modi - ficationen die man nöthig erachtete und mit dem Vorbe - halt weiterer Reformen. Unverweilt ſchritt man an dieß Werk. Zwei Haufen begaben ſich ins Feld, der eine, der ſich den ſchwarzen nannte, von Rothenburg her, unter Hans Kolbenſchlag, der andre, der helle, vom Odenwald unter Georg Metzler. Die fränkiſchen Bauern hatten es bei weitem leichter als die ſchwäbiſchen: kein Bundesheer trat ihnen entgegen; der Junker von Roſenberg, der Com - thur des deutſchen Ordens zu Mergentheim,1Verſchreibung Diedrichs von Clee, Maiſter Teutſchordens, in den Urkk. bei Oͤchsle. Vgl. dieſe Schrift ſelbſt p. 135. die Grafen von Hohenlohe und Löwenſtein wurden genöthigt, die Be - dingungen zu unterſchreiben die ihnen die Bauern mach - ten, und ſich der Reform, die ſie einführen würden, im Voraus zu unterwerfen. Die Grafen Georg und Albrecht von Hohenlohe bequemten ſich, auf dem Grünbühl vor dem Heere der Bauern zu erſcheinen: Bruder Georg und Bruder Albrecht, rief ihnen ein Keßler von Öhringen zu, kommt her und gelobt den Bauern, bei ihnen als Brü - der zu halten, denn auch ihr ſeyd nun nicht mehr Herrn, ſondern Bauern. 2Schreiben des Grafen Georg an die Stadt Hall Dienſt. nach Palm. bei Oͤchsle 271.Wehe denen, die ſich widerſetzten, wie Graf Helfenſtein in Weinsberg. In den Bauern entzün - dete ſich bei dem erſten Widerſtand ihre angeborne Roheit zu dem wildeſten, übermüthigſten Blutdurſt: ſie ſchwuren197Bauernkrieg.alles zu tödten was Sporen trage; als ſie Helfenſteins mächtig geworden, war es vergebens, daß ſich ſeine Ge - mahlin, natürliche Tochter Kaiſer Maximilians, ihren Kna - ben auf dem Arm vor den Oberhäuptern niederwarf: man bildete eine Gaſſe, ein pfeifender Bauer ſchritt dem Schlacht - opfer voran: unter Trommeten und Schalmeienklang ward Helfenſtein in die Spieße ſeiner Bauern gejagt. Da beugte ſich Jedermann: der ganze Adel vom Odenwald bis an die ſchwäbiſche Grenze nahm die Geſetze der Bauern an: die Winterſtetten, Stettenfels, Zobel, Gemmingen, Frauen - berg, die Grafen von Wertheim und Rheineck: die Ho - henlohe gaben den Bauern jetzt auch ihr Geſchütz. 1Chronik der Truchſeſſen II, p. 195.Um der Sache ein Ende zu machen, nahmen beide Haufen ihren Weg wider den mächtigſten Herrn in Frankenland, der den Titel des Herzogs daſelbſt führte, wider den Bi - ſchof von Würzburg. Sie hatten ſich auf dem Zug nicht allein bereichert und verſtärkt, ſondern auch mit nahmhaf - ten Hauptleuten aus dem Ritterſtand verſehen. Die An - führung des Odenwalder Haufens hatte Götz vvn Berli - chingen übernommen zum Theil wohl, weil es gefährlich geweſen wäre, ſich zu widerſetzen, aber zugleich angezogen durch die kriegeriſche Thätigkeit die ſich ihm hier darbot, in der er nun einmal lebte und webte, zumal da ſie gegen ſeine alten Feinde im ſchwäbiſchen Bund gerichtet war:2Lebensbeſchreibung des Goͤtz p. 201. Vgl. ſeine Entſchul - digung in den Materialien p. 156. den Rothenburger führte Florian Geier. Am 6ten und 7ten Mai erſchienen ſie von verſchiednen Seiten her vor Würz - burg, freudig empfangen von den Bürgern der Stadt,198Drittes Buch. Sechstes Capitel.welche ſich jetzt zu reichsſtädtiſchen Freiheiten zu erheben gedachten,1Johann Reinhards Wuͤrzburgiſche Chronik in Ludwig Wuͤrzb. Geſchichtſchr. p. 886. und ſchwuren einander nicht zu verlaſſen, bis der Frauenberg erobert ſey, wo die letzte Kraft der Rit - terſchaft und des Fürſtenthums in Franken, die ſich jetzt vereinigt hatten, verſammelt war.

Und in dieſem Augenblick, Ende April, Anfang Mai 1525, war bereits in ganz Oberdeutſchland ein ähnlicher Zuſtand eingetreten. Allenthalben waren Bewegungen aus - gebrochen und im Grunde auch überall ſiegreich geblieben.

Der Biſchof von Speier hatte die Bedingungen der Bauern eingehen müſſen:2Gnodalius II, 142. der Churfürſt von der Pfalz hatte ſich in freiem Felde bei dem Dorfe Horſt vor ihnen geſtellt und ihnen Erledigung ihrer Beſchwerden auf die Grundlage der 12 Artikel verſprochen. 3Schreiben des Churfuͤrſten an Melanchthon: Haben uns mit ihnen der 12 Artikel wegen eines Landtags vereinigt, dergeſtalt was wir uns derſelben mit ihnen vergleichen moͤchten das hat ſeine Wege, weß wir uns aber nicht vertragen koͤnnen, das ſolt ſtehen zu Kur - fuͤrſten Fuͤrſten und Staͤnden des Reiches. Iſt das Prinzip der meiſten Abkommen die man traf. (Mel. Epp. I, 743.)Im Elſaß war ſelbſt die Reſidenz des Biſchofs, Zabern in die Hände der Bauern gefallen: die Einwohner der kleinen Städte erklär - ten, ſie hätten keine Spieße um die Bauern zu ſtechen: deren Hauptleute, der Schlemmerhans und der Deckerhans hatten einen Augenblick die Herrſchaft. Da Markgraf Ernſt von Baden die Bedingungen der Bauern nicht ein - gehn wollte, wurden ſeine Schlöſſer eingenommen, und er mußte flüchtig werden. Die Ritterſchaft des Hegau ward199Bauernkrieg.in der Stadt Zell am Unterſee von den Bauern eingeſchloſ - ſen und belagert. Auch der gewaltige Truchſeß an der Spitze der ſchwäbiſchen Bundesvölker mußte ſich endlich zum Vertrag mit den Bauern von Allgau, See und Ried bequemen und ihnen eine Erledigung ihrer Beſchwerden unter Vermittelung der Städte verſprechen. Ein Glück wenn ſie ſich nur noch auch auf die Zukunft verweiſen lie - ßen. In Wirtenberg wollten ſie von keinem Landtag mehr hören, ſondern alles augenblicklich ihrer chriſtlichen Ver - einigung unterwerfen, die ſich bereits über den größten Theil des Landes verbreitete: jeder Ort ſtellte eine beſtimmte Anzahl Leute ins Feld. Der Biſchof von Bamberg, der Abt von Hersfeld, der Coadjutor von Fulda hatten ſich zu geiſtlichen und weltlichen Conceſſionen verſtanden: der letzte mit beſonders leichtem Sinne: ſchon ließ er ſich als Fürſt von der Buchen begrüßen; auch ſein Bruder der alte Graf Wilhelm von Henneberg nahm den Bund der Bauern an und verſprach alles frei zu laſſen, was Gott der Allmächtige gefreiet in Chriſto ſeinem Sohn. 1Bundesformel bei Ludwig a. a. O. p. 879.Viel - leicht den kühnſten Verſuch einer Umgeſtaltung aller Ver - hältniſſe machten die Einwohner des Rheingau. Noch ein - mal verſammelten ſie ſich auf dem Grund und Boden ihrer uralten Malſtatt, der Lützelaue, zu St. Bartholomä,2Nach Bodmanns Rheingauiſchen Alterthuͤmern p. 461. Daß der Wachholder die alte Malſtatt geweſen, wie Vogt annimmt, be - ruht wohl auf einem Irrthnm. und vereinigten ſich, vor allem ihre alte Verfaſſung zurückzufor - dern, das Haingericht nach dem alten Rechte, die Herſtellung des Gebickes, welches das Land in eine Art von Feſtung200Drittes Buch. Sechstes Capitel.verwandelte, überdieß aber eine gleichmäßige Herbeiziehung der weltlichen und geiſtlichen Herrn zu den Laſten der Ge - meine, Verwendung der Kloſtergüter zum Nutzen der Land - ſchaft; gelagert auf dem Wachholder bei Erbach, in offe - ner Empörung nöthigten ſie Statthalter, Dechant und Ca - pitel, ihre Forderung in der That zu bewilligen. 1Artikel gemeiner Landſchaft bei Schunk Beitraͤge zur Main - zer Geſch. I, p. 191.Auch in Aſchaffenburg mußte der Statthalter des Erzbiſchofs von Mainz die Bedingungen der Bauern eingehn.

Dergeſtalt war der ganze ſchwäbiſche und fränkiſche Stamm der deutſchen Nation in einer Bewegung begrif - fen, die ſich zu einer vollſtändigen Umkehr aller Verhält - niſſe anließ; ſchon nahmen neben den Bauerſchaften auch eine ganze Anzahl von Städten daran Antheil.

Zuerſt geſellten ſich die kleineren Städte zu ihnen: wie Kempten, ſo Leipheim und Günzburg an der Donau, die freilich dafür ſehr bald geſtraft wurden, die neun oden - wäldiſchen Städte im Mainzer Oberſtift, die Städte im Breisgau, wo wohl hie oder da ein Stadtſchreiber den Bauern ſelbſt die Thore öffnete; ſie hätten ohnehin nicht die Kraft gehabt Widerſtand zu leiſten und theilten die mei - ſten Beſchwerden der Bauern; die bambergiſchen faßten die kühne Idee, die benachbarten Edelleute zu nöthigen, in ihre Ringmauern zu ziehen und Bürger zu werden; bei 50 Schlöſſer ſind hier geſtürmt worden. 2Lang Geſchichte von Baireuth I, 187. Heller a. a. O. p. 88. Dann wur - den auch einige Reichsſtädte zweiten und dritten Ranges in Güte oder mit Gewalt herbeigezogen, Heilbronn, Mem -201Bauernkrieg.mingen, Dünkelſpiel, Wimpfen; Rothenburg trat endlich in feierlicher Verſammlung in der Pfarrkirche auf hundert und ein Jahr in den Bund der Bauern. Windsheim ward nur durch die Abmahnungen von Nürnberg zurück - gehalten. Aber ſelbſt in den größern Städten regten ſich ähnliche Tendenzen. Mainz forderte die ihm nach dem letzten Aufruhr entriſſenen reichsſtädtiſchen Rechte wieder zurück. Der Rath von Trier drang nicht allein auf eine Herbeiziehung der Geiſtlichen zu den bürgerlichen La - ſten, ſondern nahm ſogar einen Antheil an den geiſtli - chen Gefällen in Anſpruch, die bei den Reliquien im Dome einkamen;1Scheckmann: Additamentum ad gesta Trevirorum in Wyt - tenbachs Ausg. der Gesta II, animadv. p. 51. in Frankfurt ſah ſich der Rath ge - nöthigt, die ihm von der Gemeine vorgelegten Artikel von Wort zu Wort anzunehmen. 2Lersners Frankfurter Chronik.Zu ſeiner Entſchuldigung führt er an daß das auch in gar manchen andern Reichs - ſtädten geſchehe. Man bemerkte, Strasburg nehme die Empörer als Bürger auf, Ulm unterſtütze ſie mit Waffen, Nürnberg mit Proviant. Schon findet ſich ein Gelehrter, der die Meinung hegt, die Bewegung rühre faſt noch mehr von den Städten her als von den Bauern, durch jüdiſche Emiſſäre habe man dieſe erſt aufgereizt: der Sinn der Städte ſey, ſich der fürſtlichen Gewalt überhaupt zu entziehen und zu leben wie Venedig oder die alten Repu - bliken. 3Conradi Mutiani Literae ad Fridericum electorem 27 April 1525 in Koͤhlers Beitraͤgen I, 270.

So wenig das auch Grund hatte, wir wiſſen ſehr202Drittes Buch. Sechstes Capitel.wohl, mit welchem Eifer manche Reichsſtadt, z. B. Nürn - berg, die beginnende Bewegung in ihrem eignen Gebiet zu unterdrücken bemüht war: wir ſehen allenthalben, wie die den bäuriſchen entſprechenden ſtädtiſchen Gährungen nur durch die Gelegenheit hervorgerufen werden, ſo ſpringt doch in die Augen, wie ſtark und umfaſſend durch das Hinzutreten dieſes zweiten Elementes die Empörung, die allgemeine Gefahr werden mußte.

Da iſt nun überaus merkwürdig, welche Ideen in dieſem Moment emporſtiegen.

Die Bauern in Franken faßten Pläne zu einer Re - formation des Reiches.

So tief lag dieſe Beſtrebung, man möchte ſagen, im Blute der Nation. Was die Fürſten auf ſo vielen Reichs - tagen vergebens verſucht hatten, was auch Sickingen drei Jahr früher mit den Rittern auf ſeine Weiſe auszufüh - ren beabſichtigt, das glaubten jetzt die Bauern durchſetzen zu können: natürlich in einem Sinne der ihrer Erhebung überhaupt entſprach.

Man wollte vor allem verſuchen, der in ſich zügel - loſen Bewegung eine allgemeine Leitung zu geben. In Heilbronn ſollte eine gemeinſchaftliche Canzlei für alle Hau - fen, eine Art von Regierung eingerichtet werden. Die Maſſen ſelbſt ſollten nach Hauſe an ihr Tagewerk gehn, nur ein Aufgebot ſollte im Felde bleiben, und es ſein Ge - ſchäft ſeyn laſſen, die noch Unüberwundenen zur Annahme der zwölf Artikel zu nöthigen.

Indem man dann weiter an eine definitive Einrichtung dachte, war die vornehmſte Idee, die alles beherrſchte, fol -203Bauernkrieg.gende. Die Bauern ſollten von allen drückenden Gerecht - ſamen geiſtlicher und weltlicher Herrſchaften befreit werden. Zu dem Ende wollte man zu einer allgemeinen Säculariſa - tion der geiſtlichen Güter ſchreiten. Indem dadurch die geiſtlichen Herrſchaften weggefallen wären, hätte man auch die Möglichkeit erhalten, die weltlichen zu entſchädigen: denn nicht ohne Entſchädigung wollte man die letztern ihrer Rechte berauben. Die Maſſe der Güter war aber ſo groß, daß man damit auch noch alle öffentlichen Bedürfniſſe des Rei - ches zu befriedigen hoffte. Alle Zölle ſollten aufhören, alle Geleite; nur immer im zehnten Jahr ſollte man eine Steuer zu bezahlen haben: für den römiſchen Kaiſer,1So ſchlug man dem Markgrafen Ernſt von Baden ab, ihn als Fuͤrſten zu erkennen, nur vom Kaiſer und von deſſen Statthal - ter wollten ſie in Zukunft regiert ſeyn. Etwas Aͤhnliches verſtanden ſie auch wohl unter dem goͤttlichen Recht das ſie dem Herzog von Wirtenberg bewilligten. Daß ſie den Kaiſer anerkannten, hatte ſeinen vornehmſten Grund darin daß er in dem N. Teſt. vorkam. deſ - ſen Schirm und Schutz in Zukunft allein herrſchen würde, ohne alle andre Verpflichtung. Die Gerichte ſollten nach einem umfaſſenden Grundſatz umgeſtaltet und populariſirt werden. Vier und ſechzig Freigerichte ſollten im Reiche beſtehen, mit Beiſitzern aus allen Ständen, auch aus den geringern; ſechzehn Landgerichte, vier Hofgerichte, Ein Kam - mergericht; alle auf ähnliche Weiſe organiſirt. Das Kam - mergericht ſollte folgende Mitglieder haben: zwei von Fürſten, zwei von Grafen und Herrn, zwei von der Ritterſchaft, drei von den Reichsſtädten, drei von den Fürſtenſtädten, vier von allen Communen im Reiche. Gedanken, die ſchon öfter ge - faßt waren, die z. B. ſchon in einer 1523 erſchienenen Schrift:204Drittes Buch. Sechstes Capitel.Nothdurft deutſcher Nation, ausgeſprochen ſind, jetzt aber von ein paar geſchickten und kühnen Bauernanführern, Fried - rich Weigant von Miltenberg, und Wendel Hipler, früher ho - henlohiſchem Canzler, aufgenommen und ausgebildet wurden. 1Vgl. Entwuͤrfe der Bauern bei Oͤchsle p. 163 und im An - hang. Es iſt ſchon von Eichhorn (Deutſche Staats und Rechtsgeſch. III, p. 119 Ausg. IV) bemerkt worden, daß durch dieſe Entwuͤrfe ein neues Licht auf die ſog. Reformation Friedrichs III faͤllt. Zwar traͤgt Goldaſt die Schuld nicht, die ihm Eichhorn beimißt, er hat dieß Werkchen nicht zuerſt fuͤr eine Reformation des Kaiſers ausgegeben; die alte Schrift, die er citirt, fuͤhrt wirklich den Titel: Teutſcher Nation Notturft: die Ordnung und Reformation aller Stend im Roͤm Reych, durch Kayſer Friedrich III Gott zu Lob, der ganzen Chriſtenheyt zu Nutz und Seligkeit fuͤrgenommen. (Panzer II, p. 226.) Allein das iſt ohne Zweifel nur eine ſchriftſtelleriſche Fiction: die Schrift athmet durchaus den Geiſt der erſten Reformationsjahre. Das Ungluͤck von Erfurt, deſſen dort unter den Communen gedacht wird, die durch eigen Nutz zu Grund gegangen, bezieht ſich auch wohl mehr auf die verderblichen Unruhen von 1510 als auf fruͤhere wenig bemerkte Er - eigniſſe.Beſonders die Doctoren des römiſchen Rechtes waren den Bauern verhaßt: zu keinem Gericht ſollten ſie zugelaſſen werden: nur an den Univerſitäten wollte man ſie dulden, um ſich in dringenden Fällen Raths bei ihnen zu erholen. Auch übrigens ſollten alle Stände auf ihre urſprüngliche Beſtimmung zurückgeführt werden: die Geiſtlichen nur die Hüter ihrer Gemeine ſeyn: Fürſten und Ritter ſich den Schutz der Schwachen angelegen ſeyn laſſen und ſich brü - derlich halten: alle Communen eine Reformation nach göttli - chem und natürlichem Recht erfahren: nur Eine Münze ſollte gelten: man wollte gleiches Maaß und Gewicht einführen.

Ideen einer radicalen Umwälzung, wie ſie erſt in der fran - zöſiſchen Revolution wieder zum Vorſchein gekommen ſind.

Allein ohne Ausſicht waren ſie nicht. Jeden Moment205Bauernkrieg.breitete ſich die Bewegung weiter aus. Sie hatte ſchon Heſſen ergriffen, und ſuchte von hier aus den ſächſiſchen, von Oberſchwaben den bairiſchen Stamm, von Elſaß her Lothringen zu erreichen und zu überfluthen. Übereinſtim - mende Regungen finden wir in Weſtphalen, z. B. in Mün - ſter, wo die Stadt ihrem Capitel gegenüber die nemlichen Forderungen aufſtellt wie dort Trier, und der Biſchof ſchon fürchtet, in Kurzem das ganze Land von dem Sturme ergriffen zu ſehen;1Alle und ſemptliche Artikel durch Die van Munſter by ſick ſolveſt upgericht, und beſonders das Schreiben des Biſchof Frederik 8 Mai bei Nieſert Beitraͤge zu einem muͤnſterſchen Urkundenbuch I, 113. So juw vorgekommen, was grotes Uprores jtzont im hylli - gen Ryke und daitſcher Nation weder alle chriſtliche Ordenunge Obe - richeit geiſtlich[und] weltlich vorhanden is werden wy berichtet, das ſulchs allhier in unſerm Geſtichte unſer Obericheit und inſonder - heit dem geiſtlichen Stande zu gyner geringen Verhonynge Inbrock und Beſweringe im Deile och vorgenommen und betenget. in den öſtreichiſchen Vorlanden, wo die Widerſtrebenden in der That mit jener Acht der Bauern heimgeſucht wurden; in allen Alpengegenden; in Tirol ſah ſich Erzherzog Ferdinand genöthigt, den Aus - ſchüſſen der zwei Stände von Inn und Wippthal in of - fenbarem Widerſpruch mit den Regensburger Beſchlüſſen die Bewilligung zu machen, daß das Evangelium in Zu - kunft lauter und klar, wie das der Text vermag, gepredigt werden ſolle; 2Excerpte bei Bucholtz VIII, 330. Es iſt ein Mißkennen der Sprache dieſer Zeit, wenn Bucholtz annimmt, in dieſen Bewil - ligungen ſey das Verfaͤngliche umgangen. im Stifte Brixen ſtellte ſich der Secretär des Biſchofs Michael Geißmayr an die Spitze des Auf - ruhrs; in Salzburg ſammelten ſich auf den Ruf der Sturm - glocke die Bergknappen bei den Kirchen. Selbſt zwiſchen206Drittes Buch. Sechstes Capitel.Wien und Neuſtadt ſprachen die Hauerknechte in den Wein - bergen von einer Verbindung, die es ihnen möglich mache, binnen wenigen Stunden bei zehntauſend Mann ins Feld zu ſtellen. 1Schreiben von Hofrath und Renntkammer bei Bucholtz VIII. p. 88.

Indeſſen war der Aufruhr auch in Thüringen losgebro - chen, und da in ein neues Stadium ſeiner Entwickelung getreten.

Es ſollte faſt ſcheinen, als hätten in Thüringen und am Harz Überlieferungen des flagellantiſchen Spiritualis - mus, deſſen Spuren wir dort noch bis ans Ende des funf - zehnten Jahrhunderts begleiten,2Nach Johann Lindners Onomaſticon (bei Mencken II, p. 1521) war dieſe Secte beſonders in Aſchersleben und Sangerhau - ſen im Gange. Nach einem Document welches Foͤrſtemann in den Provincialblaͤttern fuͤr Sachſen mittheilt (1838 nr. 232) finden wir noch eine Inquiſition auf dem Schloſſe Hoym gegen einen Geißler im J. 1481. Ein Anſchließungspunct moͤchte ſeyn, daß auch jene ihren Prediger als Propheten behandelten, in ihm den Richter am juͤngſten Tage zu ſehen meinten. Doch iſt freilich alles metamorphoſirt. den Boden für die bäuri - ſchen Unruhen vorbereitet. Wenigſtens waren hier die Mo - tive religiöſer Schwärmerei noch ſtärker als die politiſchen. Jene Meinungen, welche Luther einſt in Wittenberg be - ſiegt, gegen deren Feſtſetzung in Thüringen er ſeinen Fürſten gewarnt, fanden jetzt Gehör bei einer großen aufgeregten Po - pulation. Münzer war nach Thüringen zurückgekehrt: in Mühlhauſen, wo wie in Rothenburg durch das Einver - ſtändniß des Landvolkes und der geringeren Bürgerclaſſe eine Änderung der Verfaſſung und des Rathes herbeige - führt worden war, hatte er Aufnahme gefunden, und die Gährung in weiten Kreiſen um ſich her verbreitet. Er ver -207Bauernkrieg.achtete, wie wir wiſſen, das gedichtete Evangelium, das Luther predigte, ſeinen honigſüßen Chriſtus, ſeine Lehre daß der Widerchriſt zerſtört werden müſſe durch das Wort allein, ohne Gewalt: er behauptete, das Unkraut müſſe ausgerauft werden zur Zeit der Ernte, ſo habe Joſua die Völker des gelobten Landes mit der Schärfe des Schwer - tes getroffen. 1Auslegung des andern unterſchyds Danielis deß propheten gepredigt aufm Schloß zu Alſtedt vor den tetigen thewren Herzo - gen und Vorſtehern zu Sachſen durch Thomas Muͤntzer. 1524. Wohl eine ſeiner merkwuͤrdigſten Schriften. Er windet ſich ſehr, um einen Unterſchied zwiſchen der aͤchten Offenbarung und den falſchen Geſich - ten aufzuſtellen, z. B. ſie komme hernieder in eyner frohen Ver - wunderung, der Menſch muͤſſe abgeſchieden ſein von allem zeitli - chen Troſt ſeines Fleiſches, das Werk der Geſichte muͤſſe nit rauſſer quellen durch menſchliche anſchlege, ſondern einfaltig herfließen nach Gottes unvorrucklichen Willen; aber es leuchtet ein, daß er mit dem allen noch lange nicht ſo weit kommt wie Ignatius Loyola. Zu - gleich bekaͤmpft er die gemaͤßigte Theorie Luthers, die er einer ge - tichten Guͤte zuſchreibt. Er ſagt ganz offen, der Gottloſe habe kein Recht zu leben. Ich ſage mit Chriſto ꝛc., das man die gotloſen regenten, ſunderlich pfaffen und moͤnche toͤdten ſol. Die Fuͤrſten ſol - len die Gottloſen vertilgen, wo nicht ſo wird ihnen Gott ihr Schwerd nehmen. Ah lieben Herren, wie hubſch wirt der Herr unter die alten Topf ſchmeißen mit einer eyſern ſtangen. Auch mit den Verträgen, welche die Bauern in Schwaben und Franken ſchloſſen, war er unzufrieden. Viel weiter giengen ſeine Gedanken. Er fand es unmög - lich den Leuten die Wahrheit zu ſagen, ſo lange ſie von den Fürſten regiert würden. Er erklärte es für unerträg - lich, daß alle Creatur zum Eigenthum gemacht worden ſey, die Fiſche im Waſſer, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden: auch die Creatur müſſe frei werden, wenn das reine Wort Gottes aufgehen ſolle. Alle Begriffe, auf denen der Staat beruht, ſtößt er um: nur die Offenbarung208Drittes Buch. Sechstes Capitel.erkennt er an. Aber ein neuer Daniel, ſagt er, muß ſie auslegen und an der Spitze des Volkes einhergehn wie Moſe. In Mühlhauſen gelangte er zu dem Anſehn eines Herrn und Propheten. Er ſaß mit zu Rathe: er ſprach Recht, nach der Offenbarung, unter ſeiner Leitung wurden die Klöſter eingezogen, Geſchütze gegoſſen, mit gewaltigem Caliber, kriegeriſche Unternehmungen vollzogen. Erſt wur - den die Pfarren im Gebiet des Herzog Georg überfallen, dann wurden mit Hülfe des empörten Volkes die Klöſter geſtürmt, wie am Harz Michelſtein, Ilſenburg, Walken - ried, ſo in der güldnen Aue Kelbra, Donndorf, Roßleben, Memleben, alle andern in der großen Thüringer Ebene bis hinan in den Wald; in Reinhardsbrunn wurden die Denk - male der alten Landgrafen verwüſtet, die Bibliothek zer - ſtört. 1Thuringia sacra I, 173.Hierauf griff man, wie im Eichsfeld, ſo in Thü - ringen die Schlöſſer und Höfe der Herrn an. Hier hören wir nicht von Bedingung und Vertrag, von jener Aus - ſicht auf eine künftige Reformation: es war auf das all - gemeine erbarmungsloſe Verderben abgeſehen. Lieben Brü - der, ſchrieb Münzer an die Bergleute zu Mansfeld, laßt Euch nicht erbarmen, ob Euch Eſau gute Worte gebe; ſehet nicht an den Jammer der Gottloſen. Laſſet Euer Schwerd nicht kalt werden vom Blut: ſchmiedet Pinke - panke auf den Amboß Nimrod, werft ihm den Thurm zu Boden, weil ihr Tag habt. Daß du es wiſſeſt, ſchrieb er an Graf Ernſt zu Heldrungen, der allmächtige ewige Gott hat es geheißen dich mit der Gewalt die uns gege -ben,209Bauernkrieg.ben, vom Stuhl zu ſtoßen. 1Schreiben bei Strobel: Leben, Schriften und Lehren Thomaͤ Muͤnzers p. 95.Als das Landvolk von Schwarzburg ſich gegen den Grafen erhoben, auch hier ein - verſtanden mit den kleinen Städten, und ſich in einen ſtar - ken Haufen zu Frankenhauſen geſammelt, fürchtete Münzer nur den Abſchluß eines Vertrages, Betrug wie er ſich aus - drückt durch die Gerechtigkeit, und erhob ſich in Perſon aus dem feſten Mühlhauſen, um das zu verhindern, und das Neſt der Adler anzugreifen. Aus der Apocalypſe be - wies er, daß die Gewalt dem gemeinen Volk gegeben wer - den ſolle. Macht Euch mit uns an den Reigen, ſchrieb er an ſeine Freunde zu Erfurt: den wollen wir gar eben treten: wir wollen es den Gottesläſterern bezahlen, wie ſie der armen Chriſtenheit mitgeſpielt haben. Er unterzeichnet ſich Thomas Münzer mit dem Schwerd Gideonis.

Eine gewaltige Stellung hatte Thomas Münzer doch, ſo ſehr er auch ein Schwärmer war. Die ſpiritualiſtiſchen Meinungen früherer Jahrhunderte durchdrangen ſich in ihm mit den Tendenzen geiſtlicher und weltlicher Reform, welche jetzt emporgekommen. Er bildete eine Meinung aus, die ſich an das gemeine Volk wandte, es zur Vernichtung al - ler beſtehenden Ordnung aufforderte, und die unbedingte Herrſchaft eines Propheten vorbereitete. Rings umher auf allen Bergen von Thüringen und Meißen ſammelten ſich Volkshaufen,2Pauli Langii Chronica Numburgensia bei Mencken II, 67. erwartungsvoll nach einem erſten entſchied - nen Erfolg ſeines Unternehmens, dem ſie ſich anzuſchließenRanke d. Geſch. II. 14210Drittes Buch. Sechstes Capitel.geſonnen waren. Über ganz Deutſchland hätten dann die Fluthen in dieſer Richtung hingewogt.

So kam es endlich zu Tage, was ſich ſchon lange angekündigt: nachdem die Gewalten, welche den deutſchen Staat conſtituirten, an einander und unter ſich ſelber irre geworden, erhoben ſich die elementaren Kräfte, auf denen er beruhte. Aus dem Boden zuckten die Blitze auf: die Strömungen des öffentlichen Lebens wichen aus ihrem ge - wohnten Laufe: das Ungewitter der Tiefe, das man ſo lange brauſen gehört, entlud ſich gegen die obern Regionen: es ſchien ſich alles zu einer vollkommenen Umkehr anzu - laſſen.

Treten wir dieſem größten Naturereigniß des deutſchen Staates in ſeiner Totalität noch einmal näher, ſo können wir mehrere Stufen darin unterſcheiden.

Der Urſprung deſſelben lag ohne Zweifel in der grade in den letzten Jahren angewachſenen Bedrückung des Bauern - ſtandes, der Auflegung neuer Laſten, und zugleich in der Verfolgung der evangeliſchen Lehre, die den gemeinen Mann in Deutſchland mehr als früher oder ſpäter irgend ein gei - ſtiges Element ergriffen, zu ſelbſtthät[i]ger Theilnahme an - geregt hatte. Es hätte ſich denken laſſen, daß die Bauern dabei ſtehn geblieben wären, die willkührlichen Anforderun - gen zu verweigern, und ſich die Freiheit der Predigt zu ver - ſchaffen: damit würden ſie noch keineswegs alle Macht der beſtehenden Ordnung wider ſich aufgerufen, ſie würden ſich vielleicht eine bedeutende Zukunft geſetzlichen Fortſchrittes geſichert haben.

Ja ſelbſt noch mehr ließ ſich erreichen. An ſo vielen211Bauernkrieg.Orten ſehen wir Verträge ſchließen, in welchen die Herr - ſchaften von ihren früher erworbenen Rechten die drückend - ſten aufgaben: es ließe ſich denken, daß man dieſelben von beiden Seiten beobachtet hätte und dadurch in ein rechtlich beſtimmtes Verhältniß zu einander getreten wäre.

Allein es liegt nun einmal nicht in der Natur des Menſchen ſich mit einem beſchränkten Gewinn zu begnü - gen; und die ſiegreiche Menge wird niemals verſtehn inne zu halten. Es erwachte wohl hie und da eine verworrene Erinnerung an alte Gerechtſame der Volksgemeinden: oder man fühlte ſich nicht minder wehrhaft als die Ritter wie denn der Aufruhr zugleich als ein Symptom des wie - der emporkommenden Fußvolkes angeſehen werden muß: hauptſächlich aber Haß und Rachſucht die ſich lange ange - ſammelt fanden endlich Raum ſich zu entladen. Indem ei - nige Oberhäupter ſich vermaaßen, in dem Reiche eine beſ - ſere Ordnung zu ſtiften, fluthete die wilde Zerſtörung von Schloß zu Schloß von Kloſter zu Kloſter, und bedrohte be - reits die Städte die ſich nicht anſchloſſen: der Bauer meinte wohl, er dürfe nicht ruhn, bis es in Deutſchland nichts wei - ter gebe als Bauernhäuſer. 1Nach Muͤllners Annalen erklaͤrten die Bauern, verdrießlich uͤber eine abſchlaͤgliche Antwort, dem Rath zu Nuͤrnberg: es ſey wohl moͤglich, daß der Rath eher die Huͤlfe der Bauern beduͤrfe als die Bauern die Huͤlfe des Rathes: darauf ſind ſie mit einem ſolchen Trutz und Hochmuth abgeſcheiden, als wann die Welt ihr eigen waͤre; haben ſich auch ingeheim gegen etliche vernehmen laſſen, ſie gedenken kein Hauß im ganzen Land zu gedulden, das beßer ſey denn ein Bauernhaus. In der Lanndſordnung, ſo Michel Geismair ge - macht hat, im 1526 Jar bei Bucholtz IX, 651 iſt der fuͤnfte Artikel, daß alle Rinkmauern an den Stetten, dergl. alle Ge - ſchloͤſſer und Beveſtigung im Lannd niedergeprochen werden undUnd mit dieſer Wuth traf nun14*212Drittes Buch. Sechstes Capitel.der Fanatismus der ſchwärmeriſchen Predigt zuſammen, der die Zerſtörung rechtfertigte, ſich berufen glaubte, Blut zu ver - gießen und nach der Eingebung des Momentes, die er für göttlich erklärte, ein neues himmliſches Reich aufzurichten. Wäre es gelungen, ſo wäre es mit aller ruhigen Entwicke - lung nach den dem Geſchlechte der Menſchen nun einmal vorgeſchriebenen Geſetzen am Ende geweſen. Glücklicherweiſe konnte es nicht gelingen. Zu ſeinem gigantiſchen Unterneh - men war Münzer lange nicht Prophet noch Held genug. Dazu waren auch die beſtehenden Zuſtände doch zu gut befeſtigt. In der reformatoriſchen Bewegung ſelbſt war das ſtärkſte und in ſich wahrhaftigſte Element ihm entgegen.

Luther hatte ſich von Sickingen und den Rittern zu keinem politiſchen Unternehmen fortreißen laſſen: auch die Bewegung der Bauern konnte ihn nicht anfechten. An - fangs, als ſie noch unſchuldiger ausſah, redete er zum Frieden: er hielt den Fürſten und Herrn ihre Gewaltthä - tigkeiten vor: zugleich aber verdammte er doch den Auf - ruhr, der wider göttliches und evangeliſches Recht laufe, den beiden Reichen, dem weltlichen und dem geiſtlichen, der deutſchen Nation den Untergang drohe. 1Ermanung zum Friede auf die 12 Artikel der Baurſchaft in Schwaben. Altenb. III, p. 114.Wie ſich nun aber dieſe Gefahr ſo raſch entwickelte, ſeine alten Gegner, die Mordpropheten und Rottengeiſter, in dem Tumult ſo mächtig hervortraten, wie er wirklich fürchten mußte, die Bauern möchten obſiegen, was dann nichts als der Vorbote des jüngſten Tages ſeyn könne, brach ſein voller Ingrimm los. Bei dem unermeßlichen Anſehen das1hinfur nimmer ſtaͤtt ſonnder Doͤrfer ſein, damit Unterſchied der Men - ſchen (aufhoͤre) und ain gannze gleichait im Lannd ſei. 213Bauernkrieg.er genoß, was hätte es für Folgen haben müſſen wenn er ſich zu ihnen geſchlagen hätte! Aber er hielt feſt an der Trennung des Geiſtlichen und Weltlichen, die einen der erſten Grundbegriffe alles ſeines Denkens ausmacht: an der Lehre, daß das Evangelium die Seelen frei mache, nicht Leib und Gut. Man hat in der Predigt den Ur - ſprung des Aufruhrs ſehen wollen, wir wiſſen, wie es darum ſtand; vielmehr bedachte ſich Luther wie drei Jahr früher ſo auch jetzt keinen Augenblick, ſich dem Sturme entge - gen zu werfen, die allgemeine Zerſtörung, die er mit deutli - cher Vorausſicht kommen ſah, an ſeinem Theile zu verhüten. Hundertmal, ſagte er, ſolle ein frommer Chriſt den Tod leiden, ehe er ein Haar breit in die Sache der Bauern willige: die Obrigkeit ſolle kein Erbarmen haben, die Zeit des Zornes und des Schwerdes ſey gekommen, ſie ſolle drein ſchlagen weil ſie eine Ader regen könne, das ſey die göttliche Pflicht die ihr obliege. Wer in dieſem Dienſt um - komme, der ſey ein Märtyrer Chriſti. So kühn er die Eine Seite der beſtehenden Ordnungen, die geiſtliche angegriffen, ſo gewaltig hielt er an der andern, der weltlichen feſt. 1Wider die raͤubiſchen und moͤrdiſchen Bauern ib. 124. Vgl. das Schreiben an Ruͤhel II, 886. Uͤbrigens ſtand ihm Melanchthon auch hier mit uͤberzeugenden, dogmatiſirenden und doch ſehr klaren Schlußfolgen bei Z. B. an Spalatin 10 April 1525, zunaͤchſt wi - der die Einfuͤhrung der moſaiſchen Geſetze, aber auch allgemein zu verſtehn: Rationi humanae commisit Christus ordinationes politi - cas: debemus uti praesentibus legibus. (Corp. Ref. I, 733.)

Da ermannten ſich auch ſchon die weltlichen Gewalten ſelbſt, in dieſer größten Gefahr die ſie je beſtanden.

Zuerſt erhob ſich eben der, der gegen Sickingen das Beſte gethan, der junge Philipp von Heſſen. Gegen Aus -214Drittes Buch. Sechstes Capitel.gang April verſammelte er ſeine Ritter und Getreuen von den Städten in Alsfeld; auf ſeine Frage betheuerten ſie ihm mit aufgereckten Fingern, bei ihm leben und ſterben zu wollen. Vor allem ſuchte er nun ſeine eignen Grenzen zu ſchützen: er beruhigte Hersfeld und Fulda, und zwar nicht ohne Gewaltthat, obwohl ſie die Sage mythiſch vergrö - ßert hat; dann ſtieg er über das Gebirg nach Thüringen, um hier ſeinen ſächſiſchen Vettern, mit denen er in alter Erbeinigung ſtand, zu Hülfe zu kommen. 1Haarer. Warhafftige Beſchreibung des Bawernkriegs c. 49 in Goͤbels Beitraͤgen p. 139. Rommel I, 108.

Hier war in dem Augenblick, als ſich dieſe Stürme am gewaltigſten erhoben, der Churfürſt Friedrich geſtorben. Wie contraſtirt mit der ungeſtümen Kampfeswuth, welche Deutſchland erfüllte, das ſtille Zimmer zu Lochau, wo Frie - drich, gefaßt in ſeinen peinlichen Schmerzen, den Tod er - wartete. Ihr thut Recht, ſagte er zu ſeinem Prediger und Secretär Spalatin, der ſich nach langem Bedenken das Herz gefaßt hatte, ſich bei ihm melden zu laſſen, daß ihr zu mir kommt, denn Kranke ſoll man beſuchen, ließ den niedrigen Seſſel auf dem er ſaß an den Tiſch rollen, legte ſeine Hand in die Hand dieſes Vertrauten ſeiner letzten Jahre, und ſprach noch einmal mit ihm von den Dingen der Welt, von dem Bauernaufruhr, von Dr Luther, und von ſeinem nahen Heimgang. Er war ſeinen armen Leu - ten immer ein milder Herr geweſen: auch jetzt ermahnte er ſeinen Bruder, vorſichtig und nachgiebig zu Werke zu gehn;2Seine Briefe vom 14 April, 4 Mai bei Walch L. W. XVI, p. 140. vor der Gefahr daß die Bauern Herrn werden möch -215Tod Friedrichs d. W. ten erſchrak er nicht, ſo ernſtlich er ſie ſich auch vorſtellte: denn ſey es nicht Gottes Wille, ſo werde es doch nicht geſchehn. Dieſe Überzeugung, die ihn während der luthe - riſchen Bewegungen geleitet und muthig erhalten hatte, er - hob ſich ihm mit doppelter Zuverſicht in ſeinen letzten Mo - menten. Er hatte keinen Blutsverwandten um ſich: Nie - mand als ſeine Diener. Bis hieher war der Gegenſatz nicht gedrungen, der ſonſt allenthalben Herrſchende und Dienende entzweite. Lieben Kindlein, ſagte der Fürſt, habe ich Einen von Euch beleidigt, ſo bitte ich ihn mir es um Gottes Willen zu vergeben: wir Fürſten thun den armen Leuten mancherlei das nicht taugt. Es war nur von Gott die Rede, von dem frommen Gott der die Sterbenden trö - ſtet. Zum letzten Mal ſtrengte Friedrich das erſterbende Licht ſeiner Augen an, um eine Tröſtung ſeines Spalatin zu leſen; dann empfieng er von einem Geiſtlichen den er liebte, das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt. In ihm war die neue Lehre, die unter ſeinem vorſichtigen Schirme gediehen, ſchon nicht mehr jene Weltmacht die ſich im Kampfe zu behaupten hat und eine neue Zukunft ankün - digt: ihm war ſie nur das wahrhaftige Evangelium, chriſt - liches Bewußtſeyn, Andacht und Troſt der Seele. Der Menſch überläßt die Welt ſich ſelber und zieht ſich auf ſein perſönliches Verhältniß zu dem Unendlichen, zu Gott und der Ewigkeit zurück. So ſtarb er: 5ten Mai 1525. Er war ein Kind des Friedens, ſagte ſein Arzt, friedlich iſt er verſchieden. 1Spalatin Leben Friedrichs des Weiſen p. 60.

Es war ein ſchwerer Regierungsantritt, der ſeines216Drittes Buch. Sechstes Capitel.Nachfolgers, des nunmehrigen Churfürſten Johann, mit - ten in dem gefährlichſten wildeſten Aufruhr. An Nachgie - bigkeit war nicht mehr zu denken: zwiſchen Friedrich und Johann iſt ein Verhältniß wie zwiſchen Luthers erſter und zweiter[Schrift]: von Zweifel und gutem Rath zu entſchied - ner Feindſeligkeit. Zur guten Stunde kam ihm Philipp von Heſſen zu Hülfe: auch Herzog Georg und Herzog Hein - rich erſchienen im Felde; vier Fürſten mit ihren Reiſigen zogen dem Bauernhaufen entgegen.

Münzer hatte an der Anhöhe über Frankenhauſen eine Stellung genommen, wo man das lange Thal vor ſich hin überſieht, gleich als wollte er ihnen predigen; aber zur Vertheidigung bot ſie ihm keinen Vortheil dar. Münzer zeigte eine völlige Unfähigkeit. Nicht einmal Pulver für ſeine mühſam gegoſſenen Stücke hatte er ſich verſchafft: ſeine Leute waren auf das elendeſte bewaffnet: eine a[nn]ſe - lige Wagenburg hatten ſie um ſich geſchlagen. Der Pro - phete, der ſo viel von der Macht der Waffen geredet, der alle Gottloſen mit der Schärfe des Schwertes vertilgen wollen, ſah ſich genöthigt, auf ein Wunder zu zählen, deſ - ſen Ankündigung er in einem um die Mittagsſtunde ſich zeigenden farbigen Ringe um die Sonne erblickte; als das feindliche Geſchütz zu ſpielen anfieng, ſtimmten die Bauern ein geiſtliches Lied an; ſie wurden ganz geſchlagen und zum größten Theile umgebracht. Hierauf ergriff der Schrecken, den eine halbvollbrachte Miſſethat begleitet, das ganze Land. Alle Bauernhaufen liefen auseinander, alle Städte ergaben ſich; auch Mühlhauſen fiel, ohne eine rechte Vertheidigung zu wagen. 1Die Hiſtori Thomaͤ Muntzers des Anfengers der Doͤringi -In dem Lager vor Mühlhauſen, wo er eine217Bauernkrieg.Zeitlang geherrſcht, ward auch Münzer hingerichtet. Es war, als wäre er bis in die letzte Stunde von einem wil - den Dämon beherrſcht. Als man ihn an die Unzähligen erinnerte die er ins Verderben gebracht, in den Qualen der Tortur ſchlug er ein Gelächter auf und ſagte: ſie ha - ben es nicht anders haben wollen. Er beſann ſich nicht auf die Artikel des Glaubens als er zum Tode geführt ward.

In dieſem Momente bewegte ſich der Angriff auch von allen andern Seiten gegen die Haufen der Bauern daher.

Herzog Anton von Lothringen kam mit den Garni - ſonen aus der Champagne und Bourgogne, und einigen Fähnlein deutſcher Landsknechte und Reiter dem Landvogt Mörsperg in Elſaß zu Hülfe. Einige zerſtreute Haufen vernichtete er im freien Felde; dann capitulirten die in Za - bern Verſammelten; aber man gab ihnen Schuld, noch nachher ſey ein Verſuch von ihnen gemacht worden, die Landsknechte zum Übertritt zu bewegen; indem ſie auszo - gen, am Morgen des 17ten Mai, wurden ſie angefallen und niedergemetzelt: an Zahl ſiebzehntauſend. 1Bellay liv. III. Relation von Rappoltſtein in Vogts Rhei - niſchen Geſch. Bd IV, p. 49.

Da war auch Wirtenberg wieder in die Hände des Bun - des gefallen. Der Bundeshauptmann Truchſeß, durch ſeinen Vertrag mit den Seebauern in ſeinem Rücken einigermaaßen geſichert, hatte die wirtenbergiſchen Empörer bei Sindelfingen erreicht, ſie erſt durch ſein Feldgeſchütz außer Faſſung gebracht, dann mit ſeiner überlegenen wohlgewappneten Reiterei zuſam -1ſchen Ufrur. Hagenaw. Darin die bekannte Erzaͤhlung Melanch - thons, die auch in Luthers Werke (Altenb. III, 126) aufgenom - men iſt.218Drittes Buch. Sechstes Capitel.mengehauen; hierauf hatte er Amt für Amt, Stadt für Stadt beſetzt, und zog nun gegen Franken. Hier kamen ihm die beiden andern Fürſten die gegen Sickingen gefochten, die Churfürſten von Trier und Pfalz, von Bruchſal her, das ſie indeß eingenommen hatten, entgegen. Zwiſchen Helspach und Neckarſulm auf dem offenen Feld vereinigten ſich die beiden Heere am 29 Mai. Sie bildeten eine Maſſe von dritthalbtauſend M. zu Pferd und 8000 z. F.,1Das eigenhaͤndige Tagebuch Pfalzgraf Otto Heinrichs bei Freiberg: Urkunden und Schriften IV, S. 367, giebt dieſe Zahlen an. und nah - men nun vereint ihren Weg nach Franken.

Wie wichtig war es da, daß das Schloß von Würz - burg jenen beiden gewaltigen Haufen der fränkiſchen Bauern noch immer Widerſtand leiſtete. Anfangs hätte die Beſatzung ſich wohl bequemt, die zwölf Artikel anzunehmen, ſchon war ſie von dem Biſchof dazu ermächtigt: und ein Theil der Bauern wollte darauf eingehn, er wollte ſeinen be - drängten Verbündeten von andern Seiten Hülfe leiſten kön - nen. Aber die Bürger von Würzburg wollten das Schloß, das ihnen einen Zaum anlege, nicht länger über ſich dulden, und bewirkten, daß der Beſatzung die unannehmbarſten Be - dingungen vorgelegt wurden. Hierauf entſchloß ſich dieſe zu männlichem Widerſtand. Sebaſtian von Rotenhan, der an dem Reichsregiment dem Fortgang der lutheriſchen Lehre ſo großen Vorſchub geleiſtet, hatte die Feſtung mit allen Bedürfniſſen, auch mit Pulvermühlen und Zugmühlen ver - ſehen, in den Gräben ſtarke Zwerchzäune, um das Schloß den lichten Zaun aufgerichtet, und die Beſatzung zu dem Verſprechen bewogen, das auch ſie mit aufgereckten Fingern219Bauernkrieg.leiſtete, den Sturm redlich zu beſtehn. An dem 15ten Mai, dem Tag der Frankenhäuſer Schlacht, Abends um 9, liefen die Bauern den Sturm an: unter Trommeten, Pfeifen und lautem Geſchrei, mit fliegenden Fahnen. Von dem Schloß antwortete man ihnen mit Pechringen, Schwefelringen, Pulverblitzen und unaufhörlichem Schie - ßen aus allen Schießluken der Mauern und Thürme. Prächtig und ſtolz nahm ſich das einſame Schloß aus, unter dem Leuchten dieſes mannichfaltigen Feuers, durch das es den wilden Feind abwehrte, der Frankenland be - zwungen und Deutſchland gefährdete. Das Geſchütz ent - ſchied auch hier den Sieg, wie bei Frankenhauſen und bei Sindelfingen. Zwei Uhr nach Mitternacht wichen die Bauern zurück. 1Johand Reinhard bei Ludwig 889.

An eine Erneuerung ihres Angriffs war nicht zu den - ken. Von allen Seiten trafen die Nachrichten von den Niederlagen ihrer Freunde ein: von Moment zu Moment wälzte ſich die Gefahr gegen ſie ſelber drohender heran.

Einen Augenblick verſuchten ſie noch durch Unterhand - lung ſich zu ſchützen. Aufs neue boten ſie jetzt der würz - burgiſchen Beſatzung die zwölf Artikel an; den heranrücken - den Bundesoberſten Truchſeß luden ſie ein, Tag und Ort zu einer vermittelnden Zuſammenkunft zu beſtimmen: durch ein allgemeines Ausſchreiben an die Stände des Reichs ſuchten ſie die empfehlenswerthe Seite ihrer Abſichten hervor - zukehren; die fränkiſchen Stände insbeſondere forderten ſie auf, Abgeordnete nach Schweinfurt zu ſenden, um gemein - ſchaftlich über die Aufrichtung des Wortes Gottes, Friedens220Drittes Buch. Sechstes Capitel.und Rechtens zu berathſchlagen. 1Ausſchreiben bei Oͤchsle vom 27 Mai p. 302. Die Zuſam - menkunft war auf den 31ſten Mai beſtimmt.Allein das war jetzt alles zu ſpät. Zutrauen hatten ſie nie gehabt, jetzt war auch das Glück von ihnen gewichen: ſie mußten Herrn in dem Feld bleiben oder unterliegen.

Ohne Verzug rückte das vereinigte Heer gegen ſie heran: alle Ortſchaften die es berührte, ergaben ſich ihm auf Gnade und Ungnade: am 2ten Juni ſtieß es bei - nigshofen auf den erſten Haufen der Bauern. Es war der odenwäldiſche, er hatte den Muth gehabt, dem ſiegrei - chen Feinde entgegenzugehn. Allein er war bei weitem zu ſchwach, wohl nicht über 4000 M. ſtark2Ich halte das fuͤr die richtige Zahl, da der Bericht des Se - cretaͤr Spieß, der das Heer begleitete, bei Oͤchsle p. 197, und das Tagebuch des Pfalzgrafen p. 368 darin uͤbereinſtimmen; andere ha - ben viel hoͤhere. und hatte über - dieß nur die ſchlechteſten Anſtalten getroffen. Die Bauern verſäumten, die Furten der Tauber zu beſetzen: auf dem Mühlberg ſchlugen ſie um ihr Gepäck her ihr Lager hinter einer Wagenburg auf: glücklich wenn ſie den Feind nur noch hier erwartet hätten! Indem ſie aber erſchreckt durch die ſich entwickelnde Übermacht deſſelben einen nahen Wald zu gewinnen ſuchten, luden ſie ihn zu augenblicklichem Angriff ein: die Reiſigen fielen ihnen in die offne Flanke: die Fürſten ſelbſt waren bei dem Einhauen: im Nu, ehe noch die Landsknechte angekommen, war der ganze Bauernhaufe zerſtreut. 3Brower Annales Trevirenses lib. XX, p. 353.Da hatte eine falſche Siegesnach - richt auch den Rothenburger Haufen vermocht, ſeine Stel -221Bauernkrieg.lung bei Würzburg zu verlaſſen. Am 4ten Juni fiel auch er im freien Felde den Reiſigen in die Hände und wurde völlig aus einander geſprengt. Beide Siege waren mit gräßlichen Metzeleien verknüpft. Ihrer ſechshundert, die ſich in einem feſten Hauſe bei Ingolſtadt zur Wehre ge - ſetzt, wurden alle bis auf ſiebzehn niedergemacht.

Wie die Thüringer, Elſaſſer, Wirtenberger, ſo waren nun auch die beiden großen fränkiſchen Haufen, die ganz Deutſchland zu reformiren gedacht, vernichtet; wie jene Provinzen, ſo ward jetzt auch Franken von den alten Herr - ſchaften beſetzt und gezüchtigt.

Am 7ten Juni mußte ſich Würzburg auf Gnade und Ungnade ergeben. Wie war den alten Herrn vom Rathe zu Muthe, als ſie auf dem Markt verſammelt, ihr graues Haupt entblößt, die einrückenden Anführer des Bundeshee - res begrüßten, und ihnen Truchſeß erklärte, ſie ſeyen alle meineidig und ehrlos geworden, ihr Leben ſey verwirkt. In Würzburg allein wurden 60 Schuldige aus Stadt und Land hingerichtet: ſo bewegte ſich das ſchwere Blutgericht durch das ganze Stift: man zählte 211 in aller Form Hingerichtete; alle Waffen mußten ausgeliefert, neue Pflich - ten geleiſtet, Brandſchatzungen gezahlt werden: die alten Kirchengebräuche ſtellte man her. Indeſſen nahm Mark - graf Caſimir von Brandenburg das übrige Franken ein: Bamberg, Schweinfurt, Rothenburg; nirgends war an ei - gentlichen Widerſtand zu denken; dann ſuchte er die Wi - derſpenſtigen in ſeinen eignen Landſchaften heim.

Es war nun noch übrig, die Reſte der Empörer, die ſich am Oberrhein und Mittelrhein hielten, zu erſticken.

222Drittes Buch. Sechstes Capitel.

Den Mittelrheiniſchen begegnete das zurückziehende trieriſch-pfälziſche Heer bei Pfeddersheim;1Haarer c. 84 89. Uͤber das Verhaͤltniß des lateiniſchen Textes zu dem deutſchen, ſo wie des Gnodalius und Leodius zu Haa - rer denke ich im Anhange das Noͤthige beizubringen. es gieng wie bisher allenthalben: die Bauern wurden aus einander gejagt und niedergemacht: der kriegeriſche Erzbiſchof ſoll mehrere mit eigener Hand erlegt haben; hierauf unterwarfen ſich die Landſchaften. Auch die Rheingauer mußten ihre Waf - fen ausliefern und Brandſchatzung zahlen. Mainz mußte auf die kaum wiedererworbenen Freiheiten Verzicht leiſten: in Trier war man nur glücklich, daß man ſich nicht ernſtlich geregt hatte: alle Pläne die man gefaßt, ließ man fallen.

Eine bei weitem ſchwerere Aufgabe hatte das große Heer des Bundes am Oberrhein. Hier war der Aufruhr zuerſt entſprungen: und hatte daſelbſt ſeine tiefſten Wur - zeln: noch war dort nie etwas Entſcheidendes ausgerich - tet worden. Die Allgauer waren jetzt wieder im Feld er - ſchienen, eine nicht geringe Anzahl verſuchter Landsknechte ſtanden in ihren Reihen. Selbſt dem Geſchütz des Truch - ſeß wußten ſie zu antworten, und dachten noch einmal daran ſich ſelbſt in Angriff zu werfen. Glücklicherweiſe kam der in ſo vielen Feldzügen erprobte Georg Frunds - berg dem Truchſeß noch zur rechten Zeit zu Hülfe. Es iſt wohl ſehr wahrſcheinlich,2Reisner Kriegsthaten der Frundsberge. daß er auch perſönlich auf einige Anführer der Bauern, ſeine alten Kriegscameraden und Untergebnen, Einfluß ausübte. Oder geſchah es des - wegen, weil es ihnen an Kriegsvorräthen fehlte? Genug ſie trennten ſich und zogen ſich nach den Gebirgen. Truch -223Bauernkrieg.ſeß eilte ihnen nach und fieng an ihre Dörfer zu verbren - nen. Zwar verbot ihm das der Bund, aber er lachte die - ſer Befehle: er, der Baurenjörg, verſtand ſein Handwerk beſſer: er wußte, daß dieß das Mittel war, einen jeden an ſeine Heimath denken zu machen. Er hielt ſeine Trup - pen zuſammen: ſo wie dann die einzelnen Haufen ſich - herten, ward es ihm leicht ſie zu ſchlagen. Auch hier ward der gewohnte Gehorſam wiederhergeſtellt.

So ward die große Bewegung gedämpft, welche dem deutſchen Weſen eine vollſtändige Umkehr drohte. Mit allen jenen Plänen einer neuen Einrichtung des Reiches von unten her, oder gar der ſchwärmeriſchen Umbildung der Welt unter der Leitung eines fanatiſchen Propheten war es nun auf immer vorbei.

Wo die Waffen entſchieden hatten, galt das Kriegs - recht. Die grauſamſten Executionen wurden vollzogen: harte Brandſchatzungen eingefordert: hie und da wohl ſelbſt noch drückendere Geſetze aufgelegt.

Nur da, wo es nicht ſo weit gekommen war, wo die Bauern nicht gradezu Niederlagen erlitten hatten, ſind ihnen, nachdem nun alle jene weitausſehenden Ideen von ſelbſt beſeitigt waren, einige Erleichterungen gewährt worden.

Der Graf von Sulz kam mit ſeinen Unterthanen über - ein, einen Austrag ihrer Zwiſtigkeiten durch gemeinſchaft - liche Bevollmächtigte zu verſuchen: Erzherzog Ferdinand be - willigte, einen Obmann dazu zu geben. 1Der Vertrag, den auch die Zuͤricher vermitteln halfen, in Bullingers Reformationshiſtorie I, 249.

Für den Breisgau verſprach dann Ferdinand in ſei -224Drittes Buch. Sechstes Capitel.nem eignen Namen, daß von Amtleuten und Obrigkeiten in Hinſicht der Klagen der Unterthanen gebührende Ein - ſicht geſchehen ſolle. 1Offenburger Vertrag: Auszug in Schreibers Taſchenbuch p. 302.

In Oberöſtreich litten die Stände nicht, daß den Un - terthanen eine Brandſchatzung aufgelegt würde. 2Erklaͤrung der Staͤnde bei Bucholtz VIII, 104.

In Tirol ſchritt man noch unter der Einwirkung der Unruhen zur Abfaſſung eines Geſetzbuches, in welchem den Unterthanen alle Robothen, von denen nicht ein Herkom - men von wenigſtens 50 Jahren urkundlich nachgewieſen werde, ſo wie der kleine Feldzehend und gar manche andre Leiſtungen abgenommen, Fiſcherei und ſelbſt Antheil an der Jagd verſtattet wurde. Auch religiöſe Conceſſionen machte hier Erzherzog Ferdinand. Städte und Gerichte ſollten be - fugt ſeyn, ihre Geiſtlichen zu präſentiren: das Evangelium ſollte nach dem Buchſtaben gelehrt werden. 3Excerpte aus den Landtagsverhandlungen bei Bucholtz VIII, 337.

Salzburg war wohl das einzige Land, wo die Bauern gegen ein anrückendes geordnetes Heer ſogar das Feld be - hauptet. Als ſie endlich vor der Macht des ſchwäbiſchen Bundes ſich beugen mußten, erlangten ſie doch fürs Erſte ausnehmend günſtige Bedingungen. 4Zauner Chronik von Salzburg IV, p. 429.

Alles Ereigniſſe, die zugleich noch einer andern Ent - wickelung angehören, welche unmittelbar nach der Bewe - gung eintrat, und die wir nun näher zu betrachten haben.

Sie -
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Siebentes Capitel. Anfang entgegengeſetzter Bündniſſe, Reichstag zu Augsburg im Dez. 1525.

So war der Kampf mit den elementaren Geiſtern des deutſchen Weſens vollendet: wie die Ritter, ſo waren nun auch die empörten Bauerſchaften und der mit ihnen ver - bündete Theil der ſtädtiſchen Bevölkerung überwältigt; die im Laufe der Jahrhunderte allmählig entwickelten lo - calen Gewalten hatten ſich aufs neue in allen Stürmen behauptet; ohne Theilnahme des Kaiſers, oder des Re - gimentes, mitten im Zerfall aller centralen Autorität wa - ren ſie doch ſtark genug dazu geweſen.

Darum war aber der Friede nicht hergeſtellt: von den großen Fragen, die ſchon ſeit ſo langer Zeit die öffentliche Aufmerkſamkeit beſchäftigten, war keine dadurch erledigt.

Den Aufruhr hatte man ohne Rückſicht auf das re - ligiöſe Bekenntniß bekämpft: Freunde und Feinde der Neue - rung hatten mit gleichem Eifer wider die gemeinſchaftli - chen Gegner die Waffen ergriffen; nachdem dieſelben be - zwungen waren, traten die alten Antipathien in verdop - pelter Stärke hervor.

Ranke d. Geſch. II. 15226Drittes Buch. Siebentes Capitel.

Jene Regensburger Verbündeten, welche jetzt in dem ſchwäbiſchen Bunde den vorwaltenden Einfluß ausübten, ergriffen die Gelegenheit, um die dort beſchloſſenen Maaß - regeln mit Gewalt auszuführen. Die Siege des Bundes waren überall mit religiöſer Verfolgung verbunden. Unter denen, die in Würzburg enthauptet wurden, nannte man nicht Wenige, denen nicht der Aufruhr, an dem ſie keinen Antheil genommen, ſondern das evangeliſche Bekenntniß zum Verbrechen gemacht ward. Neun der reichſten Bür - ger wurden in Bamberg hingerichtet: man verſichert, daß Einige von ihnen grade zu den Ruhigſten gehörten, den Anfall des Landvolks auf die Reſidenz des Biſchofs eher verhindert hatten: man ſtrafte an ihnen und ſagte es laut daß ſie ſich zum Evangelium gehalten:1Ausfuͤhrliche Erzaͤhlung in Muͤllners Annalen. unerhör - ter Weiſe überließ man ihre Güter einigen Privatleuten, un - ter ihnen einem Secretär des Truchſeß. Alles was ſich zu der evangeliſchen Lehre bekannte wich fürs Erſte aus den beiden Bisthümern. Aber auch in allen andern Ge - bieten wurde den Bauern mit dem weltlichen zugleich der geiſtliche Gehorſam wieder aufgelegt; unter Denen die von der Begnadigung ausgeſchloſſen wurden, ſtanden die ſoge - nannten Lutheraner obenan; am meiſten wurden die Prä - dicanten verfolgt. Ein Profoß, Namens Aichili, durch - ſtreifte mit einer Anzahl Reiter Schwaben und Franken, um die Executionen die man beſchloſſen, ins Werk zu ſetzen; man rechnet ihm nach daß er in ziemlich engem Umkreiſe vierzig evangeliſche Prediger aufgehängt habe, die Landſtraßen entlang, hie und da an den Bäumen.2Bullingers 140ſtes Cap. handelt vom Profoßen Aichili. Auch Es227Katholiſche Reaction.war die erſte gewaltſame Reſtauration des Katholicismus im obern Deutſchland.

Und auch in dem nördlichen erhoben ſich ähnliche Be - ſtrebungen.

Nach der Unterwerfung von Mühlhauſen hatten dort die verbündeten Fürſten gemeinſchaftliche Maaßregeln gegen die Bauern verabredet. Herzog Georg erzählt, er ſey ei - nes Morgens als ſein Schwiegerſohn Philipp eben abrei - ſen wollen noch zu ihm gegangen, und habe ihn gebeten, ſich der Sache Luthers nicht anhängig zu machen, in Betrachtung des Böſen das daraus gefloſſen: das habe er in derſelben Stunde auch dem Churfürſten von Sach - ſen geſagt: ſowohl der Eine als der Andre habe ſeine War - nung freundlich aufgenommen. Georg hoffte nach dem Tode Friedrichs über ſeinen Vetter Johann und vermöge der natürlichen Stellung eines wohlwollenden Schwieger - vaters über Landgraf Philipp eine entſcheidende Autorität ausüben zu können.

Die drei Fürſten waren zu Mühlhauſen übereinge - kommen, ihre Beſchlüſſe auch ihren Nachbarn mitzutheilen, und zunächſt hielt Herzog Georg noch im Juli mit den Churfürſten von Mainz und Brandenburg, ſo wie dem Herzog von Braunſchweig eine Zuſammenkunft zu Deſ - ſau. Alle dieſe Fürſten waren noch katholiſch geſinnt, und ließen ihre Meinung, daß der Aufruhr von der neuen Predigt hergekommen, auf die Verabredungen einfließen welche ſie trafen. Wie dieſelben auch gelautet haben -2Anshelm gedenkt deſſelben VI, S. 291: er war ſunderlich gefliſſen, uf die lutheriſchen Pfaffen, fiengſ beroubtſ ſchatztſ und henktſ. 15*228Drittes Buch. Siebentes Capitel.gen, denn noch ſind ſie nicht authentiſch bekannt gewor - den, ſo viel iſt deutlich, daß ſie der religiöſen Verände - rung feindſelig ausfielen. Herzog Georg theilte ſie ſeinem Vetter und ſeinem Eidam mit: er erklärt, er habe bei ihnen keine lutheriſchen Meinungen mehr vorausgeſetzt. 1Die einzige zuverlaͤßige Notiz uͤber dieſe Zuſammenkunft habe ich in einem Schreiben des Herzog Georg in dem Dresdner Archiv gefunden. Danach war der Beſchluß ſich bei einander fin - den zu laſſen, wenn die Lutheriſchen einen von ihnen angreifen wuͤr - den, um ſolches Aufruhrs vertragen zu bleiben. Es laͤßt ſich je - doch nicht abſehen von wem ſie einen Angriff haͤtten beſorgen ſollen, wenn ſie Philipp und Churf. Johann wirklich fuͤr wieder bekehrt hielten, wie Herzog Georg ſagt, denn ſonſt wuͤrde er ihnen den Vertrag nicht mitgetheilt haben, er wiſſe wohl, daß man Schweizer mit Schweizern nicht ſchlage. Die Erklaͤrung liegt wohl darin, daß man bei allen Buͤndniſſen jener Zeit defenſive Formen liebt, wenngleich man deshalb nicht bei der Defenſion ſtehen zu bleiben gedenkt. Dem Kaiſer ſagte Herzog Heinrich: er habe mit ſeinen Freunden ein Buͤndniß geſchloſſen wider die Lutheriſchen, ob ſie ſich unterſtuͤnden, ſie mit Liſt oder Gewalt in ihren Unglauben zu bringen. Wenig - ſtens ließ er ſich keine Rückſicht auf ſie abhalten, in ſeinem Lande die ſchwerſten Executionen zu verhängen. In Leipzig wurden zwei Bürger blos deshalb mit dem Schwerte gerich - tet, weil man lutheriſche Bücher bei ihnen gefunden. 2Gretſchel: Leipzigs kirchliche Zuſtaͤnde p. 218.

Es ſchien faſt, nachdem ſich der lutheriſchen Bewegung ein Bauernaufruhr zugeſellt hatte, wie der wiklyffitiſchen, als würde jene wie dieſe nun auch von der Reaction dagegen betroffen und vielleicht zu Grunde gerichtet werden.

Allein ſie war doch ſchon bei weitem beſſer und feſter ge - gründet. In dem nördlichen wie in dem ſüdlichen Deutſch - land beſaß ſie entſchloſſene und mächtige Verfechter.

Landgraf Philipp hatte auch vor Mühlhauſen einen229Widerſtand der Evangeliſchen.evangeliſchen Prediger mit ſich gehabt und Herzog Georg war in dem Moment jener Vorhaltung durch den Anblick deſſelben betroffen worden. Immer mehr vertiefte ſich Phi - lipp ſeitdem in die evangeliſchen Überzeugungen. Man muß die Briefe leſen, welche er noch in dieſem Jahre an Herzog Georg ſchrieb, worin er bald die Lehre vom Ca - non und der Meſſe, bald die Idee von der Kirche oder die Verbindlichkeit der Gelübde beſtreitet: man ſieht da, mit welchem jugendlichen und doch ernſten Eifer er die neuen Doctrinen ergriff, welche ausgebreitete und lebendige Kunde der beweiſenden Stellen er ſich ſchon verſchafft hatte. 1Rommels Urkundenbuch p. 2.

Eben ſo war es in Sachſen. Statt die Bahn ſeines Vorfahren zu verlaſſen, ſchritt der neue Churfürſt noch viel entſchloſſener auf derſelben vorwärts. Als er im Auguſt 1525 Weimar verließ, ließ er die Prieſterſchaft dieſes Am - tes noch einmal zuſammenrufen es war der 16te die - ſes Monats und ihr, nachdem ſie durch zwei Predig - ten vorbereitet worden, ankündigen, daß ſie in Zukunft das lautere Wort Gottes ohne allen menſchlichen Zuſatz zu predigen habe. 2Das man das lauter rayn Evangelion on menſchliche Zu - ſatzung predigen ſoll, fuͤrſtlicher Befelch zu Weymar beſchehen. Send - ſchreiben des Pfarrers Kißwetter zu Erfurt an Herr Hainrichen Pfarher zu Elxleben a. d. Gera. 1525.Es waren einige ältere Prieſter dabei, welche die Meinung äußerten, es werde ihnen damit doch nicht verboten, Seelmeſſen zu halten, Salz und Waſſer zu weihen: ſie wurden bedeutet, was von dem Worte gelte, ſey auch von den Cerimonien zu verſtehn.

In Folge des Mühlhauſer Abſchiedes hielt der Chur -230Drittes Buch. Siebentes Capitel.fürſt eine Zuſammenkunft mit Markgraf Caſimir von Bran - denburg zu Saalfeld. Wie in Deſſau die katholiſchen, tra - ten hier die evangeliſchen Tendenzen hervor. Zu einem ei - gentlichen Bunde kam es nicht, aber Markgraf Caſimir er - klärte, bei dem Worte Gottes wolle er feſthalten. 1Nach einer Erzaͤhlung von Caſimir ſelbſt in einem Schrei - ben von Schrauttenbach an Landgraf Philipp 27 Dez. 1525 in Neu - deckers Urkunden S. 16.

Während die Kriegskräfte des ſchwäbiſchen Bundes den Fortgang des Evangeliums zu erſticken ſuchten, gaben ſich doch einige der mächtigſten Mitglieder deſſelben, die Städte, von denen der Bund urſprünglich ausgegangen, Augsburg, vor allem Nürnberg wir werden darauf zu - rückkommen eine evangeliſche Organiſation.

Dahin ſprach ſich ſelbſt jene von dem ſchwäbiſchen Bund eroberte Landſchaft aus, die wirtenbergiſche, von der es hätte ſcheinen ſollen, als dürfe ſie gar keinen eigenen Willen mehr haben: die Stände erklärten, die Ruhe des Landes hange davon ab, daß man dem Volke das lautere Gotteswort ohne menſchlichen Eigennutz und Vorwitz predige.

Und ſchon begannen die Evangeliſchen, ſich von der biſchöflichen Autorität förmlich loszuzählen. In Wittenberg entſchloß man ſich bereits im Mai 1525, auf eigne Hand zu ordiniren. Melanchthon rechtfertigt es damit, daß von den Biſchöfen ihre Pflicht verſäumt werde:2De jure reformandi. Corp. Reform. I, 765. wie die Bi - ſchöfe dem Papſt, ſo machen die Prediger den Biſchöfen gegenüber die Unmittelbarkeit ihres Berufes geltend. Me - lanchthon meint, man könne den Fürſten nicht zumuthen, eine Jurisdiction aufrecht zu erhalten, von deren Miß -231Widerſtand der Evangeliſchen.brauch und Verwerflichkeit ſie überzeugt worden. Auch in Heſſen und Brandenburg, auch in den Städten be - gann man ſich der biſchöflichen Jurisdiction zu entziehen.

Wir ſehen: ganz wie die beiden entgegengeſetzten Ten - denzen in den Kampf mit den Bauern eingetreten, ſo gien - gen ſie aus demſelben hervor: nur noch mit erhöhter Thä - tigkeit nach beiden Seiten.

Die päpſtliche Meinung hatte darin einen Vortheil daß ihr in einem großen Theile des Reiches die Strafge - walt in die Hände gerieth, die ſie ſo furchtbar ausübte, aber einen am Ende doch noch größern Gewinn hatten die Evangeliſchen davon getragen.

Es trat ein noch nie ſo ſtark bemerkter allgemeiner Wi - derwille gegen die geiſtliche Seite der deutſchen Verfaſſung hervor. Den Geiſtlichen wurden die härteſten Bedrückun - gen zugeſchrieben, durch welche der Aufruhr am meiſten veranlaßt worden: gegen ſie war die Feindſeligkeit des ge - meinen Volkes vorzugsweiſe gerichtet geweſen; die Allgauer Bauern z. B., welche wider Füßen lagerten, waren von dieſer Stadt zurückgewichen, als ſie ſich von ihrem Herrn dem Biſchof von Augsburg losſagte und die Fahne von Öſtreich fliegen ließ; zur Dämpfung des Aufruhrs hatten dagegen die geiſtlichen Fürſten das wenigſte gethan und hand - habten jetzt den gewonnenen Sieg auf das gewaltſamſte.

Daher kam es, daß die Evangeliſchen ſich ſo leicht der biſchöflichen Gewalt entziehen konnten, aber merkwür - diger Weiſe hatte das auch auf der entgegenſetzten, katho - liſchen Seite ſeine Analogie. Wurde dieſſeit die geiſtliche, ſo wurde jenſeit ſehr entſchieden die weltliche Jurisdiction des Bisthums angegriffen.

232Drittes Buch. Siebentes Capitel.

Eben hier müſſen wir der Ereigniſſe von Tirol und Salzburg nochmals gedenken. Die merkwürdigſte Stellung von der Welt nahm Erzherzog Ferdinand ein.

Auf jenem Tiroler Landtag waren nur Adel, Städte und Gerichte verſammelt: der geiſtliche Stand war gar nicht erſchienen. Die anti-geiſtliche Stimmung, die dieß veranlaßt, trat nun auch um ſo mehr in den Anordnun - gen hervor die man traf. In dem Landtagsabſchied be - ſchloß man, die Beſetzung der untern Stellen von den Bi - ſchöfen unabhängig zu machen: in Zukunft ſollten Städte und Gerichte präſentiren, der Landesfürſt beſtätigen, Kla - gen über die Geiſtlichen von jenen an dieſen gehn. 1Bucholtz VIII, p. 338.Dem Biſchof von Trient ward die Bitte, in ſeinem Stift die Aufrührer auch mit fremdem Kriegsvolk ſtrafen zu dürfen, abgeſchlagen: denn der gemeine Mann, ſagt Ferdinand, ſey der Meinung, daß den Geiſtlichen keine Adminiſtration im Weltlichen zuſtehe: gäbe er dem Biſchof eine ſolche Er - laubniß, ſo würden die Edelleute ſich beklagen, er veran - laſſe eine neue Empörung, die auch ihnen verderblich werde. 2Ferdinand an Biſchof Bernhard von Trient Insbruck 9ten Juli 1525 bei Bucholtz IX, 640.Und noch viel weiter gieng man. Als ſich der Biſchof von Brixen unfähig zeigte, in ſeinem Stifte, wo einer ſeiner Schreiber und Zolleinnehmer den Aufruhr anführte, die Ordnung wiederherzuſtellen, beſchloß die Tiroler Landſchaft, nicht etwa ihm zu Hülfe zu kommen, ſondern das Stift vorläufig geradezu zu ſäculariſiren. Erzherzog Ferdinand ließ es zu ſeinen Handen einnehmen, und übertrug die Ver -233Erſte Saͤculariſationsverſuche.waltung der Weltlichkeit einem ſeiner Räthe, bis auf ein künftiges Concilium oder die Reformation des Reiches; von allen Unterthanen und Amtleuten empfieng er die Hul - digung. 1Occupationspatent 21 Juli. auf Beger und mit R[at]ai - ner erſamen Landſchaft dieſer unſrer f. G. Tirol, zu furkumung nachtail ſchadens und geferlichait, ſo dieſelben unſer Grafſchaft und dem Stift zu Brichſen, des Vogt Schirm und Schutzherr wir dann ſein, entſtehen mechten. Bucholtz 642.Nicht eher kam der Hauptmann von Ehren - berg, das mit Tiroler Volke beſetzt war, der Stadt Füßen zu Hülfe, als bis die Stadt ſich erblich an das Haus Öſt - reich ergab und dem Erzherzog huldigte. 2Martin Furtenbach, Stadtſchreiber in Fuͤßen: Bericht we - gen der Bauern Empoͤrung, bei Oͤchsle Beitraͤge p. 478. Das Volk ſchrie Hei Oͤſtreich damit wir nicht gar verderbt werden, der Haupt - mann nahm die Erbhuldigung auf ein Hinterſichbringen an. Ab - geordnete der Stadt giengen nach Insbruck, die daſelbſt wohl be - gruͤßt wurden. Ferdinand erklaͤrte, er werde bald kommen und die Huldigung perſoͤnlich einnehmen.So wurden auch die Zillerthaler vermocht ſich von Salzburg zu tren - nen, ſich an Tirol anzuſchließen, und den Erzherzog, der ſchon ohnehin die hohe Obrigkeit über ſie habe, als ihren Herrn und Landesfürſten anzunehmen. 3Inſtruction an Liechtenſtein und Stoͤckel, was Sy mit dem Pfleger zu Kropfsberg, mit der Nachparſchaft im Zillerthal reden ſollen. Bucholtz IX, 630.Ja ſchon faßte man ſelbſt in Baiern ähnliche Gedanken. Als der Erz - biſchof Matthäus von Salzburg auf ſeiner Feſte von den Bauern belagert ward und ſich in der bedrängteſten Lage befand, erſchien Doctor Leſch, bairiſcher Canzler, bei dem Erzherzog, und ſchlug ihm eine gemeinſchaftliche Sequeſtra - tion des Erzſtiftes vor, ſo daß was an den Grenzen von Baiern liege, von den Herzogen, was an den öſtreichiſchen234Drittes Buch. Siebentes Capitel.von dem Erzherzog eingenommen werde, und mit Freuden gieng dieſer darauf ein: er beauftragte ſeine Commiſſarien bei den Bauerſchaften, jedoch mit Vorwiſſen des Erzbi - ſchofs, dahin zu wirken, daß das Stift an Öſtreich und Baiern überliefert werde. 1Inſtruction Ferdinands an die Vermittelungscommiſſarien. Bucholtz p. 621.Allein in Baiern war das wohl nur ein vorübergehender Gedanke; man verfolgte hier übrigens den Plan einer unbedingten Reſtauration, von deren Ausführung ſich die Herzoge eine noch größere Au - torität als die ſchon erworbene über die benachbarten Bis - thümer verſprechen konnten: nach allen Seiten leiſteten ſie Hülfe. In Tirol dagegen hatte ſich die Landſchaft mit dem Fürſten zu Conceſſionen gegen die Empörer verſtan - den: durch eine reſolute Beſeitigung der geiſtlichen Inter - eſſen gedachten ſie zugleich den Aufruhr zu ſtillen und ſich ſelber weiteren Raum zu machen. In Baiern trat man deshalb von jenem Plane ſehr bald wieder zurück und be - ſchloß dem bedrängten Erzbiſchof mit der Macht des ſchwä - biſchen Bundes zu Hülfe zu kommen. Nicht daß die Her - zoge hiebei ſehr uneigennützig geweſen wären: ſie dachten bei dieſer Gelegenheit ihrem Bruder Ernſt von Paſſau die Nachfolge im Erzſtift zuſichern zu laſſen; das war ihnen lieber, als daß ſie den größern Theil deſſelben an Öſtreich gebracht und ſich dabei mit ſich ſelber in Widerſpruch ge - ſetzt hätten. Vergebens machten die Tiroler Stände einen Verſuch, den ſchwäbiſchen Bund durch Vorſtellung alter Gerechtſame und Verbindungen mit Salzburg von ſeinem Kriegszug abzuhalten. 2Die vom Ausſchuß der dreier Staͤnde an Hauptleute und Raͤthe des Pundts zu Swaben 31 Juli. ib. IX, 624.In Insbruck hätte man nun wenig -235Baiern und Salzburg.ſtens gewünſcht, die Nachfolge an Don Georg von Öſt - reich, natürlichen Sohn Kaiſer Maximilians, zu bringen; man wäre ſelbſt geneigt geweſen, die Bauerſchaften in Schutz zu nehmen. 1Excerpte aus einem Reſcript von Ferdinand ib. VIII, 109.Allein ſchon waren die Herzöge in Vortheil. Herzog Ludwig von Baiern, oberſter Feldhaupt - mann des ſchwäbiſchen Bundes, führte gegen Ende Auguſt die Schaaren deſſelben wider Salzburg. Auch er fand es fürs Erſte gerathen und beſonders drang Georg Frunds - berg, Feldhauptmann der Grafſchaft Tirol, darauf den Bauern einen guten Vertrag zu verſchaffen; ſpäter ſind ſie hier denn doch ſo ſcharf gezüchtigt worden, wie nur ir - gendwo auch dabei ließen ſich alle andern Abſichten er - reichen. Das Domcapitel verſprach dem bairiſchen Prin - zen Ernſt die Nachfolge in Salzburg; wie denn der Erz - biſchof demſelben noch andre Zugeſtändniſſe machte: den Herzogen wurden für ihre Kriegskoſten die Herrſchaften Laufen, Geisfelden, Titmanning und Mattſee verpfändet. Sie erlangten überhaupt einen entſcheidenden Einfluß auf Salzburg. Nur zaghaft erinnert ſie ſpäter einmal der Erz - biſchof, nichts von ihm zu verlangen, was wider die Ho - heit und Gerechtigkeit des Stiftes laufe. 2Zauner Salzburger Chronik V, 225, 133.

Die Tendenzen des Bundes waren wie man ſieht ſtärker als die der Tiroler Landſchaft. Auch Füßen mußte der Erzherzog an Augsburg, das Zillerthal an Salzburg wieder abtreten.

Darum ließ aber Ferdinand von den einmal gefaß - ten Ideen nicht ab. Als die wirtenbergiſche Landſchaft236Drittes Buch. Siebentes Capitel.jene Forderungen aufſtellte und dabei ſehr unzweideutig auf eine Säculariſation der geiſtlichen Güter zu den Lan - desbedürfniſſen antrug, wies ſie Ferdinand damit keines - wegs zurück: er erlaubte ihr, Abgeordnete auf den nächſten Reichstag nach Augsburg zu ſchicken: was da in Hinſicht einer Reformation der Geiſtlichkeit beſchloſſen werde, ſolle in Wirtenberg, ſo wie in ſeinen übrigen Ländern gelten. 1Extractus landſchaftlicher Schlußerklaͤrung bei Sattler, Her - zoge, Beilagen zum zweiten Theil nr. 124, und Landtagsabſchied 30 Oct. 1525 nr. 125. (III, 1, 4.)

Erzherzog Ferdinand traf aber in dieſen Ideen un - mittelbar mit den Evangeliſch-geſinnten zuſammen. Ganz mit Recht erblickten dieſe die nächſte Urſache des letzten Aufruhrs in der Zurücknahme jener ſpeierſchen Verſamm - lung. Im Herbſt 1525 kam der Gedanke, die religiöſen Irrungen auf einer Reichsverſammlung zu beſeitigen und hier zu einer durchgreifenden Reformation zu ſchreiten, noch einmal in allgemeine Anregung.

Den Zuſammenkünften in Deſſau und Saalfeld ent - ſpricht eine dritte welche Landgraf Philipp mit dem Chur - fürſten von der Pfalz zu Alzey hielt. Sie kamen über - ein, den Dingen müſſe ein gleichmäßiges Weſen ge - macht, es müſſe alles gethan werden um die Stände zu vergleichen. 2Schreiben des Churfuͤrſten Ludwig v. d. Pfalz in Neu - deckers Actenſtuͤcken I, 16. Aus den Worten: von E. L. und unſerm Freund, von ir und uns, ſollte man ſchließen daß dort wahrſchein - lich auch der Churfuͤrſt von Trier zugegen war.

Von Saalfeld ging Markgraf Caſimir nach Auerbach zu einer Unterredung mit Pfalzgraf Friedrich, der die Ober -237Saͤculariſationsentwurf.pfalz im Namen ſeiner Neffen regierte. Sie beſchloſſen hier: einmal die Laſten des gemeinen Mannes ſo viel mög - lich zu erleichtern, ſodann aber beim Kaiſer nochmals auf eine Kirchenverſammlung in deutſcher Nation anzutragen, um ſich eines gleichen Verſtandes in Auslegung des gött - lichen Wortes zu entſchließen.

Im September hielten die Städte eine Verſammlung, und ſchon glaubte Ferdinand, widerwärtige Beſchlüſſe von derſelben fürchten zu müſſen; die Abkunft die ſie trafen war jedoch nur, bei ihm ſelbſt und dem Kaiſer die Noth - wendigkeit daß in Hinſicht der Cerimonien eine einhellige Ordnung im Reiche gemacht werde, in erneute Anregung zu bringen.

Indem man dieſe Dinge allenthalben in Berathung zog, die mancherlei Möglichkeiten ſich vergegenwärtigte, kamen Ideen und Pläne der außerordentlichſten Art in Umlauf.

In einem Entwurfe, der gegen Ende des Jahres 1525 gemacht und auf einer oder ein paar Reichsver - ſammlungen zur Sprache gebracht worden iſt, geht man davon aus, daß die geiſtlichen Güter zu nichts mehr nütze ſeyen, weder für die Religion noch für das Reich: eine Veränderung mit ihnen vorzunehmen, ſey unerläßlich, je - doch dürfe man das nicht dem gemeinen Mann überlaſſen, ſondern von der Obrigkeit, d. i. dem Kaiſer und den welt - lichen Ständen müſſe Hand angelegt werden.

Man hat keine Scheu, eine völlige Säculariſation al - ler geiſtlichen Güter in Vorſchlag zu bringen.

Den geiſtlichen Fürſten und Prälaten möge man da -238Drittes Buch. Siebentes Capitel.von ſo viel anweiſen, als zu einem anſtändigen Leben ge - höre, den Domherrn für den Augenblick nichts entziehen, aber dieſe wie jene nach und nach ausſterben laſſen. Von den Klöſtern könne man wohl nur einige Nonnenconvente behalten, für junge adliche Fräulein, jedoch mit dem Rechte wieder auszutreten.

Mit dem nun, was man hiedurch gewinne, müſſe man vor allem die neuen geiſtlichen Bedürfniſſe decken, Pfarrer und Prediger verſorgen, in jedem Kreiſe einen from - men gelehrten Mann mit beſtimmter Beſoldung zum Bi - ſchof beſtellen, der aber keine weltliche Verwaltung führen, ſondern nur der Vorſteher der übrigen Kirchendiener ſeyn dürfe, endlich auch eine hohe Schule in jedem Kreis ein - richten, um in den Sprachen zu unterweiſen und die h. Schrift nach ihrem rechten Sinn auszulegen.

Allein man dachte auf dieſe Weiſe auch Kräfte zu bekommen um der ganzen weltlichen Verfaſſung eine andre Geſtalt zu geben.

Der Vorſchlag in dieſem Entwurfe iſt, in jedem Kreiſe ein beſondres Regiment zu errichten: mit 12 Räthen, je drei von den vier Ständen, Fürſten Grafen und Herrn Adel und Reichsſtädten: unter einem Hauptmann, der von den Kreisſtänden zu wählen, aber von dem Kai - ſer zu beſtätigen ſey: ungefähr mit denſelben Rechten wie die Hauptleute und Räthe des ſchwäbiſchen Bundes. Dieſe ſollen jene Einrichtung ausführen, eine höhere Gerichtsbe - hörde bilden und vor allem den gemeinen Frieden hand - haben: hiezu aber immer eine ſtehende Truppe zu Pferd und zu Fuß im Felde halten. Statt der Stifte möge der239Saͤculariſationsentwurf.junge Adel im Heere dienen. Mit dieſen Leuten laſſe ſich dann jede von Kaiſer und Reich beſchloſſene Hülfe ins Werk ſetzen, ohne irgend Jemand damit beſchwerlich zu fallen. Es werde das eine ſo große beharrliche Hülfe bil - den, wie ſie kein Kaiſer ſeit Chriſti Geburt gehabt habe. 1Rathſchlag was man mit geiſtlichen Guͤtern zu gemeinem und des Reichs Nutz furnemen und handeln ſoll. Im Weimari - ſchen Archiv; zwar unter den Acten von 1526, aber da darin des Reichstags von Augsburg gedacht wird, ohne Zweifel urſpruͤnglich fuͤr dieſen beſtimmt.

Ein Entwurf bei welchem es nun auch nicht ſo ſehr auf die einzelnen Beſtimmungen ankommt als auf die Ideen die ihm im Allgemeinen zu Grunde liegen: Säculariſation der geiſtlichen Güter, das Reich allein aus weltlichen Ständen zuſammengeſetzt, deſſen Verfaſſung vor allem auf die Ausbildung der Kreiſe begründet, ein ſtehendes Heer vornehmlich zu Gunſten des jüngern Adels: alles Dinge, deren Ausführung die folgenden Jahrhunderte beherrſcht, das ſpätere Deutſchland conſtituirt hat!

Kühnlich faßte man die entfernteſten Reſultate ins Auge: allein welch einen weiten Weg hatte man noch bis dahin zurückzulegen!

Noch war das geiſtliche Fürſtenthum bei weitem zu ſtark; und man kann denken, daß es ſich durch Pläne dieſer Art, die ihm doch nicht verborgen bleiben konnten, ange - trieben fühlen mußte alle ſeine Kräfte zuſammenzunehmen. Die Geiſtlichkeit beſchwerte ſich ohnehin, daß man ihr Vie - les vorenthielt, deſſen ſie in dem letzten Sturme beraubt worden, ja daß man fortfuhr, ihr die gewohnte Jurisdiction zu entziehen: ſie zeigte ſich entſchloſſen, am nächſten Reichs -240Drittes Buch. Siebentes Capitel.tag den Angriff nicht zu erwarten, vielmehr auf eine voll - kommene Herſtellung zu dringen. Dazu machte ihr ein Ausſchreiben des Kaiſers Muth, worin von Abſtellung alle der Dinge die Rede war, von denen ſich eine Zerrüt - tung unſers h. Glaubens beſorgen laſſe: in ſo ſtrengen Ausdrücken, daß es auf eine Wiederherſtellung des geſamm - ten alten Zuſtandes abgeſehen zu ſeyn ſchien. 1Tolleten in Caſtilien 24 Mai 1525. (W. A.)Das Re - giment, das noch in Eßlingen ſaß, und von dem wir jetzt wieder einmal hören, bereitete ſich zu Vorſchlägen in die - ſem Sinne. 2Feilitſch: Eßlingen Montag nach Martini: er haͤlt genzli - chen dafuͤr, daß von denen die ſich der Aufruhr theilhaftig gemacht, auch denen die Kirchen und Kloͤſter gewaltiglich zerſtoͤrt, denſelbigen Guͤter eingenommen und davon wieder geben was ihnen gefaͤllig, daß wider dieſe auf dem Reichstag gehandelt werden ſoll.Dahin neigte ohnehin die ganze Richtung welche der ſchwäbiſche Bund genommen. Auf dem Bun - destag, den derſelbe im November hielt, empfieng er ein Schreiben des Papſt Clemens, worin er aufgefordert wurde, das Trefflich-begonnene mit gleichem Eifer weiter zu füh - ren, die herrlichſte That die ſeit vielen Jahrhunderten ge - ſchehen nun auch zu vollenden. 3Paͤpſtliches Breve bei Oͤchsle p. 305, im Nov. uͤbergeben.So waren auch jene öſt - lichen Fürſten geſinnt. Wir haben die Inſtruction welche Herzog Georg ſeinem Geſandten an dem Reichstag ertheilte. An ſehr lebhafte Klagen über den unüberwindlichen Scha - den, der von dem lutheriſchen Evangelium herrühre, wird darin die Forderung geknüpft, keinerlei Veränderung in den hergebrachten Ordnungen zuzugeben, ohne Bewilligung einesall -241Gefahren.allgemeinen Conciliums; ſelbſt wenn ein Engel vom Him - mel käme, ſo würde man ihm nicht folgen dürfen, es ge - ſchähe denn in einer vollſtändigen chriſtlichen Verſamm - lung. 1Inſtruction auf Otto v. Pack im Dresdner Archiv. Auch uͤber die Heirath Luthers wird darin geſcholten, der jetzt mit ſeiner Kaͤthe ſo viel brauche, wie ſonſt der ganze Auguſtinerconvent.Auch ein päpſtlicher Nuntius machte ſich auf, um den Reichstag zu beſuchen.

War die Abſicht eine Veränderung zu treffen eben ſo weit verbreitet wie umfaſſend, ſo war doch auch die entge - gengeſetzte Tendenz, die geiſtliche Verfaſſung wie ſie be - ſtand aufrecht zu erhalten, oder vielmehr in ihrer Integri - tät wieder herzuſtellen, noch ſehr kräftig. Indem man ſich auf der Seite der Neuerung zu den weitausſehendſten Plä - nen erhob, verbarg man ſich doch nicht, daß der Reichs - tag auch leicht eine widrige Wendung nehmen könne. Es ſchien Einigen als wolle man da Gutes und Böſes mit einander ausrotten, die Wahrheit mit der Unwahrheit unter - drücken: als werde man am Ende eine Ordnung des Glau - bens und Lebens nach dem alten Geſetz aufrichten, und daran gehn, Jeden der ſich nicht füge mit Gewalt dazu zu zwingen.

Wie ſich Churfürſt Johann und Landgraf Philipp am entſchloſſenſten für die Neuerung erklärten, ſo hatten ſie auch Grund die meiſten Beſorgniſſe zu hegen. Der Land - graf, weil er ſich ringsher von mächtigen geiſtlichen Gebie - ten umgeben ſah: der Churfürſt, weil man ſchon damals daran dachte, ihm als einem von der römiſchen Kirche Abgefallenen die Chur zu entziehen: er wurde erinnert, ſich mit ſeinen Nachbarn ohne Zweifel hauptſächlichRanke d. Geſch. II. 16242Drittes Buch. Siebentes Capitel.dem Herzog Georg beſſer zu ſtellen: eben von dieſer Seite ſey mancherlei Practik wider ihn im Gange.

Es war bei weitem weniger die Abſicht, etwas Neues durchzuſetzen, als nur zunächſt die Beſorgniß vor eigenen Gefahren, die Nothwendigkeit ſich in der einmal genom - menen Stellung zu behaupten, was die beiden Fürſten ver - anlaßte ſich näher mit einander zu vereinigen.

Den erſten Schritt hiezu that Landgraf Philipp, der im Anfang October 1525 ſeinen Kammermeiſter, Rudolf von Waiblingen nach Torgau ſchickte, wo Churfürſt Jo - hann Hof hielt, und demſelben den Antrag machte, ſich auf dem nächſten Reichstag gemeinſchaftlich alle dem zu widerſetzen, was zu Gunſten der Mißbräuche, zu Unter - drückung der Wahrheit verſucht werden könne, keine An - ordnung anzunehmen die dem Worte Gottes entgegenlaufe, ſich zu dem Ende mit allen Gleichgeſinnten zu vereinigen. Höchlich erfreut war der evangeliſch-überzeugte Churfürſt über dieſen Antrag, der ſeiner Geſinnung ſo wohl entſprach: Anfang November gieng ſein Sohn Johann Friedrich um mit dem Landgrafen perſönlich eine nähere Verabredung zu treffen. 1Inſtruction in Rommels Urkundenbuch p. 10. Credenz von demſelben Datum 5 Oct. im Weim. A. Ebenda Verzeichniß was Waiblingen auf die Werbung ſo er gethan zur Antwort ver - melden ſoll. Torgau 13 Octob.

Auf dem feſten Jagdſchloß Friedewalt am Sullinger Walde geſchah die Zuſammenkunft. Die beiden jungen Fürſten verſtanden ſich vollkommen. Im Weimariſchen Archiv findet ſich noch die Aufzeichnung eines Bedenkens unſres lieben Vetters und Bruders des Landgrafen von der eignen Hand Johann Friedrichs, welches ohne Zwei -243Zuſammenkunft zu Friedewalt.fel eben das Reſultat ihrer Unterredung iſt. Der Inhalt deſſelben lautet noch nicht auf ein eigentliches Bündniß, man beſchließt nur erſt was die Lage des Augenblicks for - dert. Die beiderſeitigen Geſandten ſollen ſich in Hinſicht des Evangeliums näher verſtändigen, von den gleichgeſinn - ten Fürſten, Grafen und Städten ſo viele als möglich an ſich ziehen noch hegte man ſogar die Hofnung den Churfürſten von Trier zu gewinnen, und ſich alsdann gemeinſchaftlich gegen die Ausdrücke des Ausſchreibens er - klären, welche der alten Gewohnheit günſtig, dem Worte Gottes nachtheilig ſeyen, in Sachen des Evangeliums über - haupt für Einen Mann ſtehn. An dem churfürſtlichen Hofe billigte man dieß nicht allein, man hielt es für gut, das Verſtändniß auch noch auf andre Sachen zu erſtrecken, darin einer vor dem andern Recht leiden könne. 1Verzaichniß des Bedenkens unſres lieben Vetters und Bru - ders auf die vertreuliche Unterrede, ſo wir mit S. L. jetzo allhie ge - habt, ſo vil das h. goͤttl. Wort belangen thut. Friedewalt Mittw. nach Bernardi d. i. 8 Nov. Die Ausarbeitung, die in Torgau ge - macht ward, iſt von der eigenhaͤndigen Aufzeichnung des Prinzen dadurch unterſchieden, daß wenn der Prinz nur geſchrieben hatte, man wolle ſich vereinigen des Evangeliums wegen, hier hinzugefuͤgt ward: auch ſunſten in andern Sachen, do eyner vor dem andern Recht leyden kunt, ausgeſchloſſen gegen den, ſo in der Erbeynung ſind. Ausfuͤhrlichere Auszuͤge denke ich im Anhang mitzutheilen.

So kam man von den verſchiednen Seiten im An - fang December mit ganz entgegengeſetzten Inſtructionen in Augsburg zuſammen.

Der Zwieſpalt der die Abgeordneten trennte, zeigte ſich ſelbſt in der kaiſerlichen Commiſſion. Außer Erzherzog Ferdinand, deſſen Haltung zweifelhaft ſeyn mußte, beſtand16*244Drittes Buch. Siebentes Capitel.ſie aus dem Herzog Wilhelm von Baiern, dem Vorfech - ter der Päpſtlich-geſinnten, und Markgraf Caſimir von Brandenburg, der ſich ſchon ſo lange zu den Evangeliſch - geſinnten gehalten. Zwar lehnte Caſimir ab, auf das Ver - ſtändniß einzugehn das ihm die Geſandten von Heſſen und Sachſen antrugen, aber er erklärte doch, er werde ſeine Über - zeugung innerhalb der Commiſſion verfechten, und dadurch mehr Nutzen ſtiften als durch ein förmliches Bündniß.

Da würde es nun wohl zu einem lebhaften ernſtli - chen und entſcheidenden Kampfe haben kommen müſſen, wären die Fürſten perſönlich zugegen geweſen: man würde ſogleich geſehen haben, wohin die Majorität ſich neige.

Allein noch war doch im Grunde weder die eine noch die andre Partei dazu ernſtlich entſchloſſen. Jedwede ſah zu gut was die Entſcheidung zu bedeuten habe, ſie wünſchte noch erſt, alle ihre Kräfte zu ſammeln, ſich alle mög - liche Unterſtützung zu verſchaffen. In Friedewalt war es gleich rathſam gefunden worden, den Reichstag nach Speier oder nach Worms zu verlegen. Von der andern Seite zögerte der mainziſche Abgeordnete, ohne den kein Schritt geſchehen konnte, da er die Canzlei mit ſich führte, unge - bührlich lange. Kein Fürſt war in Perſon erſchienen: ſelbſt die Commiſſion ward nicht vollzählig: eine große An - zahl von Abgeordneten wurde vermißt.

Die erſte vorläufige Verſammlung ward am elften De - zember gehalten. Erzherzog Ferdinand erſuchte die Erſchie - nenen noch einige Zeit Geduld zu haben, bis eine grö - ßere Anzahl angelangt ſey: den guten Willen der Anwe - ſenden werde er dem Kaiſer rühmen. 1Schreiben von Feilitſch an Chf. Johann 24 Dez. Weim. A.

245Reichstag zu Augsburg 1525.

Aber noch einige Wochen ſpäter war man nicht zahl - reicher beiſammen; auf erneuerte Anregung der Stände hiel - ten die Commiſſarien am 30 Dez. eine definitive Verſamm - lung. 1Feilitſch und Minkwitz an Churfuͤrſt Johann 2 Januar 1526.

So viel leuchtete einem Jeden ein, daß bei dieſer Un - vollzähligkeit der Stände und der Bedeutung der obſchwe - benden Fragen nichts Nachhaltiges geſchehen könne. Her - zog Wilhelm trug vor, ob man nicht beſſer thun werde, den Reichstag zu verſchieben. Die drei Collegien traten auseinander und waren einhellig dieſer Meinung. Sie ver - legten den Reichstag nach Speier auf den erſten Mai: da aber müſſe ein jeder Fürſt in Perſon erſcheinen, da wolle man von dem heiligen Glauben, Friede und Recht deſto ſtattlicher handeln.

Um jedoch wenigſtens Etwas gethan zu haben, und aus Rückſicht auf die noch fortdauernde Gährung der Un - terthanen, ſetzte man einen Ausſchuß nieder um einen Reichs - abſchied zu verfaſſen.

Bemerkenswerth iſt dabei wohl nur, daß man die Anordnungen der letzten Reichstage von 1523 und 1524, daß das Evangelium rein und klar nach Auslegung der angenommenen Lehrer gepredigt werden ſolle, wiederholte, ohne der lateiniſchen Kirchenväter namentlich, oder auch des Wormſer Edictes zu gedenken. Übrigens verſprach man einander, ſich gerüſtet zu halten, um jeden Empö - rungsverſuch ſogleich zu unterdrücken, und rehabilitirte die wegen ihrer Theilnahme an dem Aufruhr für infam erklär - ten in ſo weit, daß ſie an den Gerichtsſitzungen Theil246Drittes Buch. Siebentes Capitel.nehmen dürften. 1Reichsabſchied. N. Samml. II, 271 § 1. § 4. Man ſah das gleich damals als einen Sieg der Proteſtanten an. Schreiben der Nuͤrnberger bei Hortleder I, VIII, 1. Spalatin Annales bei Mencken II, 652: Concidit spes sperantium, eo conventu totum Baalem restitutum iri. Es war ihrer eine ſo große Anzahl, daß ſonſt die Dorfgerichte in Stocken gerathen ſeyn würden.

Schon war die allgemeine Aufmerkſamkeit, ſo wie die vorbereitende Thätigkeit, der nächſten Verſammlung, die dann auch entſcheidend geworden iſt, zugewendet.

Sachſen und Heſſen hatten für das evangeliſche Bünd - niß das ſie beabſichtigten, doch nicht die erwartete Theil - nahme gefunden: eigentlich nur die nürnbergiſchen Abge - ordneten hatten eine ernſtliche Hinneigung dazu blicken laſ - ſen; allein darum ließen ſie den Gedanken nicht fallen: die beiderſeitigen Geſandten waren der Meinung, die Sache müſſe in einer perſönlichen Zuſammenkunft ihrer Herrn, des Churfürſten ſelbſt und des Landgrafen, mit doppelter Kraft angegriffen werden.

Indeſſen trat auch die andre Partei enger zuſammen. Das Domcapitel zu Mainz ſuchte ſeine ſo lange vergeſ - ſenen Metropolitan-befugniſſe wieder hervor, und berief die Capitel ſeiner Suffraganen zu einer Verſammlung bei der Mutterkirche. Hier ward dann die Gefahr in Betracht gezogen in der ſich der Clerus überhaupt befinde, und der Beſchluß gefaßt eine Geſandtſchaft an Kaiſer und Papſt ab - zuordnen, um ihnen zu klagen daß die geiſtliche Jurisdiction von der weltlichen Gewalt occupirt werde, und die Verdienſte in Erinnerung zu bringen welche ſich die geiſtlichen Fürſten von jeher um Kaiſerthum und Kirche erworben: ſo viel und247Verbindung der Katholiſchen.noch mehr ſeyen ſie auch in Zukunft zu leiſten erbötig, aber dafür müſſe man ſie auch bei den hergebrachten Gerechtſamen ſchützen. Sie meinten, es ſey wohl am rathſamſten, einige nicht abgefallene Fürſten, welche ſie ſogleich nahmhaft mach - ten,1Schreiben des Grafen Albrecht von Mansfeld, der eine Co - pie des Bundes einſandte, an den Churfuͤrſten von Sachſen im Weim. A. Schreiben von Waldenfels an Vogler bei v. d. Lith p. 160. mit dieſem Schutze zu beauftragen.

Dahin ſchienen auch die Wünſche dieſer Fürſten ſelbſt zu gehn. Bei dem Churfürſten von Mainz, der in Halle reſidirte, kamen Herzog Georg von Sachſen und Herzog Heinrich von Braunſchweig zuſammen: in denſelben Tagen finden wir ſie nochmals zu Leipzig, zugleich mit dem Bi - ſchof von Straßburg: und auch ſie beſchloſſen, ſich an den Kaiſer zu wenden. Sie ſtellten ihm vor, bei dem unauf - hörlichen Fortgange der verdammten lutheriſchen Lehre ſey nichts als eine Wiederholung des Aufruhrs, ja ein off - ner Krieg zwiſchen den Fürſten und Herrn ſelbſt zu er - warten: auch ſie ſuche man täglich auf die lutheriſche Seite zu ziehen: da das in Güte nichts helfe, ſo ſcheine es als wolle man ſie durch ein Aufwiegeln der Unterthanen mit Gewalt dazu nöthigen. Hiegegen riefen ſie nun die Unterſtützung des Kaiſers an. 2Excerpt aus einem zu Leipzig verfaßten Gutachten bei Schmidt Deutſche Geſchichte VIII, 202. Doch weiß ich nicht, ob man eher in Leipzig oder eher in Halle war.Unmittelbar von der Verſammlung be - gab ſich Herzog Heinrich von Braunſchweig nach Spanien, um das Gewicht perſönlicher Anweſenheit in die Wag - ſchale zu werfen.

So rüſtete ſich alles zu dem entſcheidenden Kampfe. 248Drittes Buch. Siebentes Capitel.Hatten die Anhänger der Neuerung ihre vornehmſte Stütze in der nationalen Sympathie, in der großen Bewegung des Geiſtes überhaupt, ſo waren dagegen die Verfechter des Papſtthums durch die natürliche Kraft des Beſtehenden und den entſchloſſenen Widerwillen einiger mächtigen Für - ſten gegen alle Veränderung unterſtützt.

Aber überdieß ſuchten dieſe nun auch die beiden höch - ſten Gewalten für ſich in Thätigkeit zu ſetzen, deren An - ſehn mit der geiſtlichen Verfaſſung des Reiches ſo enge zu - ſammenhieng. Sie zweifelten nicht daß ihnen dieſelben mit allem ihrem Einfluß zu Hülfe kommen würden.

Damit berührten ſie aber zwei Weltkräfte die noch in ganz andern Beziehungen zu einander ſtanden als in den deutſchen; und deren Verhältniß durch die großen Er - eigniſſe in Italien und den Gang der europäiſchen Poli - tik jeden Moment anders beſtimmt ward.

Wir würden die Entwickelung der deutſchen Angele - genheiten nicht ferner verſtehn, wenn wir nicht vor allem dieſe Ereigniſſe näher betrachten wollten: an denen überdieß auch noch eine andre Seite des deutſchen Lebens hervortritt.

[249]

Viertes Buch. Auswärtige Verhältniſſe, Gründung der Landeskirchen. 1521 1528.

[250][251]

Erſtes Capitel. Franzöſiſch-italieniſche Kriege bis zur Ligue von Cognac. 1521 1526.

Im zehnten Jahrhundert, als die abendländiſchen Völker, noch in den Anfängen ihrer Bildung begriffen, auf allen Seiten von den Einfällen überlegener feindſeliger Weltele - mente heimgeſucht wurden, waren es die Deutſchen, welche die erſten großen Siege erfochten. Indem ſie ſich ſelber vertheidigten, leiſteten ſie auch allen andern unſchätzbare Dienſte. Sie verſchafften dem Abendlande wieder eine ſelb - ſtändige Haltung: mit ihren glücklichen Waffen erneuerten ſie die Idee eines occidentaliſchen Reiches: zwei Drittheil des großen carolingiſchen Erbes fielen ihnen anheim.

Im elften und zwölften Jahrhunderte erkannten noch alle umwohnenden Nationen die Hoheit des Reiches an: wie im Norden und Oſten, ſo im Süden und Weſten.

Arles und Lyon, ſo gut wie Mailand und Piſa ge - hörten zu demſelben.

Am Ende des zwölften, in der erſten Hälfte des drei - zehnten Jahrhunderts finden wir unſre Kaiſer ſich eine ſtarke Hausmacht in Italien gründen: mehr als einmal er -252Viertes Buch. Erſtes Capitel.hebt ſich in ihnen der Gedanke die Herbeibringung des orientaliſchen Reiches zu unternehmen; indeſſen werden im Norden und Oſten weite Gebiete mit Pflanzungen bedeckt, und in der Ferne vor ihnen her die großen Ritter-colonien gegründet, welche noch in dem folgenden Jahrhundert ohne Zweifel die beſteingerichtete und kräftigſte Macht in dem Norden bildeten.

Eine Weile giengen die Eroberungen auch dann noch fort, als die Reichsregierung ſchon nicht mehr die alte Energie beſaß; endlich aber mußte die Auflöſung der innern Ordnung, die Vernichtung eines wahrhaft ſelbſtändigen Kai - ſerthums auch auf die Grenzen zurückwirken: das Reich vermochte ſeine Stellung nicht mehr zu behaupten.

Den Anfang der Beraubung hatte der Papſt gemacht, der Rom, den Kirchenſtaat und Avignon vom Reiche los - riß: mit ihm verbündet bemächtigte ſich ohne viel Ge - räuſch, Stück für Stück, die franzöſiſche Krone des are - latenſiſchen Reiches: bald darauf erfocht die emporkom - mende polniſch-litthauiſche Macht entſcheidende Siege über die nicht mehr hinreichend unterſtützte Ritterſchaft: im funf - zehnten Jahrhundert machte ſich Böhmen unabhängig: die italieniſchen Staaten rechneten ſich kaum dem Namen nach zum Reiche: das Prinzip der Trennung wirkte endlich auch auf die deutſchredenden Stämme in den Alpen und den Niederlanden zurück. Der Anblick ſo vieler Verluſte er - weckte jenen Unmuth patriotiſcher Geiſter, deſſen wir zu - weilen gedachten.

Noch hatte man ſich jedoch zu keiner definitiven Ab - tretung von Seiten des Reiches verſtanden, ausgenommen253Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe.etwa zu Gunſten des Papſtes, mit dem man gleichwohl über die Grenzen der beiderſeitigen Befugniſſe auch noch nicht ſehr feſt übereingekommen war: noch konnte alles herbei - gebracht werden.

Beſonders war man nie der Meinung geweſen, das obere Italien aufzugeben. Noch im Anfang des funfzehn - ten Jahrhunderts machte der römiſche König Ruprecht ei - nen entſchloſſenen Angriff auf Mailand: in der Mitte deſ - ſelben regte ſich nach dem Ausſterben der Visconti in Mai - land ſelbſt eine Partei, welche der Meinung war ſich dem Kaiſer zu unterwerfen: wir ſahen in welch unaufhörlichen Verſuchen ſich Maximilian Zeit ſeines Lebens bewegte, die Lombardei zu erobern. Zwar war es ihm damit nicht geglückt: nach allem Wechſel der Kriegsereigniſſe hatten die Franzoſen Mailand und Genua zuletzt doch behauptet; allein die al - ten Anſprüche waren doch auf das lebendigſte in Erinne - rung gekommen: und in dem Reiche ſah man Franz I, der überdieß der Lehen entbehrte, mit nichten als einen le - gitimen Beſitzer an.

Indem nun Carl V den kaiſerlichen Thron beſtieg, eröffnete ſich für das Reich noch einmal die großartige Ausſicht zu alle ſeinen Rechten zu gelangen.

Wir müſſen uns erinnern, daß man gleich bei der erſten Annäherung zwiſchen Burgund und Öſtreich dieſen Geſichtspunct ins Auge gefaßt hatte. Als Carl der Kühne Friedrich dem III ſeinen Bund antrug, ſagte er demſelben, er wolle ihn furchtbarer machen, als irgend ein Kaiſer ſeit dreihundert Jahren geweſen: er ſtellte ihm vor, welch eine unwiderſtehliche Macht aus der Verbindung ihrer Beſitz -254Viertes Buch. Erſtes Capitel.thümer und Gerechtſame hervorgehen müſſe. 1Die einzige Nachricht hieruͤber, die jedoch als authentiſch angeſehen werden muß, theilte Schmidt aus dem kaiſ. Archiv mit, Buch VII, Cap. 24.Der junge Fürſt der jetzt den Thron beſtiegen, war der Urenkel und Erbe ſowohl des Einen als des Andern: noch viel weiter als man damals hätte ahnden können erſtreckten ſich ſeine Fürſtenthümer und Königreiche. Wie hätten Ideen dieſer Art nicht in ihm erwachen ſollen!

Noch war die deutſche von allen abendländiſchen Na - tionen ohne Zweifel am beſten bewaffnet. Der Adel riß ſich zuerſt von dem für die neuere Kriegskunſt nicht mehr geeigneten Formen des ritterlichen Lanzenweſens los: Herren und Diener fochten in Einem Glied. 2Eine Stelle in Pasqualigo’s Relation wird dieß naͤher er - laͤutern.Aus den Bauern gieng das Fußvolk der Landsknechte hervor, das außer in den Schweizern, die doch auch Deutſche waren, ſeines Glei - chen nicht hatte. Die Bürger waren die Meiſter des Ge - ſchützes: mit einer Vereinigung der hanſeatiſchen und der niederländiſchen Seemacht hätte ſich keine andre Nation der Welt meſſen können.

Es hatte nur immer daran gefehlt, daß der Kaiſer zu ſchwach geweſen war, um die Kräfte der Nation zu be - nutzen. Jetzt aber ſchien das anders werden zu müſſen. Die Landsknechte feierten es in einem Liede, daß ſie ei - nen Fürſten bekommen der im Stande ſeyn werde ſie zu beſolden, im Felde zu halten. Auf dem Reichstag zu Worms war auf das ernſtlichſte von der Wiedereroberung der ab - gekommenen Reichslande die Rede.

255Ausbruch des Krieges mit Frankreich.

Auch für dieſe Verhältniſſe dürfen wir jedoch keinen Augenblick vergeſſen, daß es nicht eine eigentlich nationale Entwickelung war, woraus die Vermehrung der kaiſerlichen Macht hervorgieng. Die Nation war nicht gemeint Carl dem V größere Rechte zu gewähren als ſeinen Vorfahren, ſchloß ſich nicht einmüthiger an ihn an. Der Unterſchied beruhte auf der Verbindung einer Hausmacht wie ſie noch niemals vorgekommen war, mit den Rechten des Kaiſer - thums. Aber ſo fremdartige Beſtandtheile umfaßte dieſelbe, daß ſie niemals mit der kaiſerlichen Gewalt verſchmelzen konnten. In der Stellung Carls V lag eine Doppelſeitig - keit, welche mit der Zeit eigenthümliche Schwierigkeiten entwickeln mußte, und für die Rechte des Reiches, in wie fern ſie von denen des jedesmaligen Kaiſers unterſchieden waren, auch wieder gefährlich[werden] konnte.

Gleich der Urſprung ſeiner Kriege liegt bei weitem mehr in der Geſammtheit ſeiner Verhältniſſe als in den Intereſ - ſen des Reiches.

Wir berührten ſchon, wie die alte Feindſeligkeit zwi - ſchen Frankreich und Burgund wieder erwachte.

Im Anfang des Jahres 1521 ſah man die erklärten Gegner des Kaiſers an dem franzöſiſchen Hofe auf das beſte aufgenommen und begünſtigt: Franz I trat mit den empörten Communen in Caſtilien in Verbindung: auch in Deutſchland glaubte der Kaiſer noch immer Machinationen ſeines Gegners wahrzunehmen: Briefe und Entwürfe des feindſeligſten Inhalts kamen ihm aus Italien zu Geſicht:1Tractat de subtrahendis omnibus Caesaris amicis, sollicitat licet frustra sacri imperii electores, concitat et literis256Viertes Buch. Erſtes Capitel.im Mai machte Franz I einen Verſuch, Alibret geradezu mit den Waffen nach Navarra zurückzuführen: auf die fried - lichen Erinnerungen der Engländer erklärte er, er könne ſich in ſeinem Siegeslauf nicht aufhalten laſſen. 1Auszuͤge aus den Depeſchen des engl. Geſandten Fitzwilliam in Paris vom 18 Febr. und 29 Mai bei Raumer: Pariſer Briefe I, p. 237.Er nahm Robert von der Mark, der um eine Verletzung ſeiner Ge - richtsbarkeit durch den Canzler von Brabant zu rächen, im Luxemburgiſchen zu Gewaltthätigkeiten ſchritt, öffentlich in ſeinen Schutz.

Dagegen ſchloß nun auch der Kaiſer ſein Bündniß mit Papſt Leo X, dem die Überlegenheit der Franzoſen in Italien ſchon jetzt höchſt beſchwerlich fiel und jeder neue Fortſchritt derſelben vollends unerträglich geworden wäre. 2Dieß Motiv, das die Italiener ſpaͤterhin vergeſſen hatten, ſtellt ſich beſonders in einer Unterredung Heinrichs VIII mit dem franzoͤſiſchen Geſandten heraus: fere off extreme subjection. State papers Henry VIII, I, p. 13.Der Bund war darauf berechnet, die Rechte des Kaiſer - thums und des Papſtthums gemeinſchaftlich zu erneuern. Schon auf die entferntere Zukunft ward darin Bedacht ge - nommen. Der Kaiſer verſprach die Anſprüche des Pap - ſtes auf Ferrara, der Papſt, die Rechte des Reiches gegen Venedig durchführen zu helfen. 3 omnibus viribus suis spiritualibus et temporalibus. Art. 19. Dumont IV, III, 99.Zunächſt aber beſchloß man, die Lombardei mit einander zu erobern. Parma undPia -1et nunciis turbatos Hispaniae populos. Aus dieſen und aͤhnli - chen Klagen in der Refutatio apologiae dissuasoriae bei Goldaſt P. Imp. p. 870 ſieht man was den Kaiſer außer den directen An - griffen noch beſonders verdroß.257Ausbruch des Krieges mit Frankreich.Piacenza ſollten dem Papſt anheimfallen, Mailand und Genua unter einheimiſchen Herrſchern die Hoheit des Kai - ſers anerkennen. Es iſt darin viel von der Herſtellung der geſetzlichen Unterordnung aller Fürſten unter den Papſt und den Kaiſer die Rede, von denen Gott einmal Rechen - ſchaft über den Zuſtand der chriſtlichen Republik fordern werde.

In Deutſchland dachte man gutmüthiger Weiſe daran, noch eine Vermittelung zwiſchen Kaiſer und König zu ver - ſuchen. Die Churfürſten entwarfen ein Schreiben, um den König von Frankreich zu friedfertigem Verhalten und einer Anerkennung der Rechte des Reiches aufzufordern. Aber der Kaiſer liebte ihre Einmiſchung nicht: er verbot dem Churfürſten von Mainz, das Schreiben abgehn zu laſſen; ſein Canzler erklärte dem Churfürſten von Trier, keine Un - terhandlung werde bei dem König anſchlagen, er werde nur dann Friede halten, wenn man ihn mit Gewalt dazu nöthige. 1 wurde keine Handlung leiden, er ſey denn dermaaßen zu - gericht, daß er des Friedens begere. Aus dem Munde des Chur - fuͤrſten von Trier Planitz an Friedrich v. Sachſen 1ſten Nov. 1521.

Wie wäre auch bei den Abſichten, die in dem Bunde mit dem Papſte feſtgeſetzt waren, noch ein Austrag mög - lich geweſen?

Im Auguſt 1521 kamen zwar die Abgeordneten des Kai - ſers und des Königs mit römiſchen und engliſchen Bevoll - mächtigten zu dieſem Zwecke noch einmal in Calais zuſam - men, allein es ließ ſich von vorn herein nicht viel davon erwarten. Von den Vermittlern ſtand der eine bereits inRanke d. Geſch. II. 17258Viertes Buch. Erſtes Capitel.Bund mit dem Kaiſer, der andere unterhandelte mit ihm ſchon lange über eine engere Allianz. Der Kaiſer, durch ſeine Siege in Spanien, von wo die Franzoſen hatten weichen müſ - ſen, mit neuem Selbſtgefühl erfüllt, ſtellte ſeine Forderungen ohne alle weitere Zurückhaltung auf: Räumung der Reichs - lehen Mailand und Genua: Verzichtleiſtung auf die nea - politaniſchen Anſprüche und die Oberlehnsherrſchaft der Krone Frankreich über Flandern und Artois, denn der Kai - ſer könne nie Vaſall eines andern Fürſten ſeyn: endlich Herausgabe des Herzogthums Burgund. 1Garnier Histoire de France 23, p. 359 aus den MSS von Bethune, die er jedoch nicht naͤher bezeichnet. Es waͤre wohl an der Zeit, daß in Frankreich etwas Weſentliches fuͤr die authentiſche Er - laͤuterung dieſer Geſchichte geſchaͤhe, was ſo leicht waͤre. In den Statepapers fehlt ungluͤcklicher Weiſe das Schreiben Wolſeys, das ſich hierauf bezogen haben wird.Forderungen die denn in der That nichts als den entſchloſſenen Willen das Kriegsglück zu verſuchen ausſprachen: ohne Niederla - gen erlitten zu haben konnte ſie Franz I nimmermehr be - willigen.

Von der Zuſammenkunft zu Calais hatte Carl V den Vortheil, daß er den König von England für ſich ge - wann. Heinrich VIII hatte ſich früher verpflichtet, ſich ge - gen Denjenigen von ſeinen beiden Nachbarn zu erklären, der den Frieden zuerſt brechen würde. Ein aufgefangenes Schreiben überzeugte ihn, daß die Schuld an Franz I liege. 2Letters sent unto Rome by the Frenshe King to the Counte de Carpye signed with his hande and subscribed by Robt Tett (Robertet), which I have seen, conteyning the hoole discourse of his intended enterprise, as well by Robt de la Mar -Um ſo weniger Bedenken trug er nun, auf die259Ausbruch des Krieges mit Frankreich.Seite des Kaiſers zu treten, von dem er ſich überdieß we - gen jedes pecuniären Schadens der ihm aus ſeiner Tren - nung von Frankreich entſpringen könne ſorgfältig ſicher ſtel - len ließ. Sein Bevollmächtigter, Cardinal Wolſey gieng von Calais nach Brügge, wo dann jene engere Verbin - dung geſchloſſen ward, von der früher die Rede geweſen.

Auch der Kaiſer wünſchte den Krieg nur mit guter Rechtfertigung zu unternehmen. Da ſich wegen der zwei - deutig geſtellten Friedensartikel zweifeln ließ, wer in der Sache von Navarra Recht habe, ſo war es ihm beinahe lieb, als man ihm von ernſtlichen Demonſtrationen der Franzoſen zu Gunſten Roberts von der Mark Nachricht brachte. Gelobt ſey Gott rief er aus ich bin es nicht, der Krieg an - fängt: Gott giebt mir Gelegenheit mich zu vertheidigen. Deſto entſchloſſener zeigte er ſich, das Unternehmen zu Ende zu führen. Ich müßte, ſagte er, ein erbärmlicher Kaiſer ſeyn, oder er ſoll ein kläglicher König von Frankreich werden. 1Aluigi Aleandro de Galeazzi Brusselles 3 Luglio 1521. Lettere di principi I, 93. Das iſt wohl ohne Zweifel der Sinn je - ner Rede.

So begann der Krieg zwiſchen Carl V und Franz I.

Es lag darin eine unmittelbare Fortſetzung der alten bur - gundiſch-franzöſiſchen Feindſeligkeiten. Zugleich hatte er aber für das deutſche Reich eine unermeßliche Bedeutung. Zum erſten Mal eröffnete ſich wieder die gegründete Ausſicht die Rechte und die Autorität deſſelben wiederherzuſtellen. Die2che in those parties, as the commotion of Italie and disturbance of Naples, wherby the invasion of his partie evidently apperithe. Wolsey to King Henry. Statepapers I, 27. Aus der Antwort von Pace p. 35 ergiebt ſich, daß dieſe Angabe dem Koͤnig entſcheidend vorkam.17*260Viertes Buch. Erſtes Capitel.Kriegführung und ihre Erfolge, die Wechſel der Politik muß - ten dann auf das Innere eine unaufhörliche Rückwirkung ausüben, wie wir ſchon vorläufig bemerkten, und bald deut - licher wahrnehmen werden.

Feldzug von 1521, 22.

Anfangs ſchien es, als würde die Entſcheidung auf den alten Schauplätzen der burgundiſchen Kriege, an den franzöſiſch-niederländiſchen Grenzen erfolgen.

Von dem ohne viel Mühe bezwungenen Gebiete Ro - berts von der Mark bewegte ſich ein ſtattliches kaiſerliches Heer, unter dem Grafen von Naſſau, Sickingen und Frunds - berg, gegen die franzöſiſchen Grenzen, eroberte Mouzon, be - lagerte Mezieres, und ſetzte die ganze Champagne in Ge - fahr; allein indeß ſammelte auch Franz ſeine beſten Streit - kräfte: er fühlte ſich gar bald ſo überlegen, daß er meinte, Gott ſelber zeige ſich franzöſiſch-geſinnt: die Kaiſerlichen mußten jene Belagerung aufheben, und als ſie hierauf den Franzoſen in der Nähe von Valenciennes begegneten, es für ein Glück halten, daß ſie ungeſchlagen davon kamen: Georg Frundsberg hielt dieſen Abzug für eine ſeiner rühm - lichſten Thaten. Eben dadurch aber daß die Franzoſen dieß geſchehen ließen, ſtellte ſich ein gewiſſes Gleichgewicht her: die Franzoſen nahmen einige feſte Plätze von Artois, die Kaiſerlichen Tournay weg: zu ernſtlichen Anſtrengungen, nahmhaften Erfolgen kam es an dieſer Stelle nicht. 1Die Memoiren von Bellay und Fleuranges von der einen, Pontus Heuterus und Sandoval von der andern Seite ſchildern die - ſen Krieg. Ich denke im Anhang noch ein unpoetiſches, aber doch belehrendes hiſtoriſches Lied beizubringen.

261Feldzug von 1521.

Dagegen entwickelten ſich die Ereigniſſe in Italien unerwartet zur Entſcheidung.

Hier kam es vor allem auf jene zwar noch immer zu dem Reiche ſich haltende, dazu gezählte, aber doch in ihrer Politik ſo gut wie unabhängige Genoſſenſchaft der Schweizer an, von welcher die großen Entſcheidungen in Oberitalien die letzten Jahrzehnde daher immer hauptſächlich abgehangen. Noch zuletzt hatten ſie im Jahr 1512 Mai - land für die Sforza’s zurückerobert; nur durch ihre Ent - zweiung war es, wiewohl auch dann noch nicht ohne eine der blutigſten Schlachten, verloren gegangen; im J. 1516 hatte Maximilian mit ihrer Hülfe einen abermaligen Zug in die Lombardei unternommen und hauptſächlich den Män - geln ſeiner Führung ſchrieb man es zu, daß er mißglückt war. Auch jetzt rechneten Papſt und Kaiſer bei ihren Plä - nen hauptſächlich auf die Hülfe dieſer nahen, kriegsfertigen und tapfern Mannſchaften. Ihre Abſicht war, 16000 Schweizer über die Gebirge kommen und zu derſelben Zeit in Mailand vorrücken zu laſſen, wenn eine kaiſerliche Flotte vor Genua, und ein neapolitaniſch-päpſtliches Heer am Po erſcheinen würde. 1Der Plan iſt in den Allianztractat aufgenommen. Art. 9.

Und wie hätten ſie an dem glücklichen Erfolg ihrer Bemühungen zweifeln ſollen? Die Eidgenoſſenſchaft hatte bei der Kaiſerwahl Partei für Öſtreich genommen: der - miſche Stuhl war in engem Bunde mit ihr, und ſchon im Anfang des Jahres waren einige tauſend Schweizer in den Dienſt Leo’s gezogen, der dann ihre Hauptleute in Rom mit goldnen Ketten beſchenkt hatte.

262Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Auch noch eine andre Partei aber gab es in der Schweiz, die ſich zu Frankreich hielt: die ſchon 1515 die Entzweiung in dem ausgezogenen Kriegsheer veranlaßt, hierauf den ewigen Frieden mit Frankreich durchgeſetzt hatte, zwar nicht eben darauf drang, den König zum Kaiſer zu erheben, wodurch er legitime Anſprüche auf ſie erlangt haben würde, aber von dieſer Beſorgniß frei nun um ſo lebhafter in das engſte Verhältniß mit dieſer Macht zu treten wünſchte. Die Fran - zoſen thaten alles, um ſie feſtzuhalten und zu unterſtützen. Ihr Mittel war einfach und unfehlbar. Sie verſprachen öffentlich Penſionen und wandten insgeheim Beſtechung an; Anshelm verſichert, es ſeyen nicht allein die Mitglie - der der Räthe und Bürgerſchaften, ſondern auch die lau - teſten Wortführer in den Landgemeinden beſtochen worden: mancher habe ſich mit 10 G. abfinden laſſen, in manches Haus dagegen ſeyen 3000 G. gefloſſen. 1Anshelm Berner Chronik VI, p. 25.Es fehlte wohl nicht an Widerſpruch. Man bemerkte wie ein ungleiches Verhältniß die Verpflichtung begründe, daß jeder Theil die Beſitzungen des andern vertheidigen ſolle: die Eidgenoſ - ſenſchaft die weitläuftigen Länder des Königs dieſſeit und jenſeit des Gebirges: der König das enge ſchweizeriſche Ge - biet: man ſagte, Franz I werde durch Werbungen und Pen - ſionen ſo gut Herr in der Eidgenoſſenſchaft;2Gegengruͤnde beſonders in dem Fuͤrtrag der Stadt Zuͤrich an ihre Landſchaft bei Bullinger I, p. 42. allein da die Majoritäten weniger durch Argumente als durch Intereſſen beſtimmt zu werden pflegen, richtete man damit nichts aus: es ward erwiedert, einen Rückhalt für unvorhergeſehene263Feldzug von 1521.Fälle bedürfe doch auch die Eidgenoſſenſchaft, und wo könne es je ein beſſeres Verhältniß geben? man laſſe dem König die muthwillige Jugend zulaufen, die man ohnehin nicht zurückzuhalten vermöge, und ziehe dafür von ihm ſo große Nutzung. Nur in Zürich bildete ſich, und zwar im Zu - ſammenhang mit einer tieferen religiöſen Überzeugung, ein fe - ſterer Widerſtand: alle andern Orte aber, zuletzt auch Schwyz und Glarus, die ſich am längſten gehalten, gaben nach: am 5ten Mai 1521, eben indem man zu Rom mit der Feſtſetzung jener Pläne beſchäftigt war, kam zu Lucern das Bündniß zu Stande, in welchem der König, der Eidgenoſ - ſenſchaft die ſchon früher bezahlten Penſionen um die Hälfte zu erhöhen,1 ut cognoscant intimum amorem liberalitatem benevo - lentiam et affectionem dicti christianissimi regis in eos. Du Mont IV, I, p. 334. dieſe dagegen dem König, ſo oft er in ſeinen Beſitzungen angegriffen werde, zu Hülfe zu kommen, ihm jedes Mal Werbung von 6000 bis 16000 M. zu geſtat - ten verſprach. Es iſt das die Grundlage aller ſpäteren Bündniſſe zwiſchen Frankreich und der Schweiz. Welch eine große Autorität in Europa hätte der Eidgenoſſenſchaft die Erneuerung eines Verhältniſſes zu Mailand geben müſ - ſen, wie es von 1512 bis 1515 beſtanden! Allein ſie ver - zichtete darauf: ſie machte ihren Arm und ihre Kraft, ihre ganze kriegeriſche Macht, durch die ſie einen Namen erwor - ben, um jener Geldzahlungen willen den Zwecken der fran - zöſiſchen Krone dienſtbar. Sie that einen neuen Schritt zu ihrer Trennung von dem Reiche, an das ſie durch die Bande der Nationalität und Geſchichte geknüpft war, an welches angelehnt ſie eine großartige Haltung unter den264Viertes Buch. Erſtes Capitel.Mächten der Welt hätte einnehmen können. Im Juli 1521 erhob ſich eine feierliche Abordnung nach Dijon zu König Franz I, um ihm das verſiegelte Bundesinſtrument zu über - bringen: und die Mutter des Königs hatte ihr Vergnügen daran, welche Ehrerbietung dabei ihrem Sohne bewieſen ward; unmittelbar hierauf zogen ſchweizeriſche Schaaren in den Krieg des Königs, ſo wohl in die Picardie als nach Italien.

Es leuchtet ein, wie ſehr nun hiedurch alle jene Pläne des Papſtes und des Kaiſers durchkreuzt wurden.

Auch in Italien beſchleunigte ein Angriff der Franzo - ſen und zwar ein ſehr ſchlecht überlegter auf die Stadt Reggio, wo ſie mailändiſche Ausgewanderte aufzuheben gedachten, den Ausbruch der Feindſeligkeiten. Schon im Juli 1521 brach Prospero Colonna, dem der Oberbefehl über die päpſtlich-kaiſerlichen Truppen anvertraut war, von Bologna auf, um Parma anzugreifen: eine Flotte ſetzte ſich gegen Genua in Bewegung: in Trient ſammelten ſich um Maximilian Sforza deutſche Fußvölker: auf dem Co - mer See erſchienen die ausgewanderten Gibellinen, die dort immer ſchon einen räuberartigen Krieg geführt, mit ein paar Schiffen. 1Benedictus Jovius Historia Novocomensis in Graevii Thes. Ital. IV, p. 71 nennt als Anfuͤhrer Johannes a Brinzia, cogno - mento stultus, doch wohl der Matto da Brinzi, wie er ſonſt heißt.

Allein wohin konnte alle das führen, da die Haupt - macht, von der man einen großen Einbruch im Mailän - diſchen erwartet, jetzt mit dem Feinde ſogar gemeinſchaft - liche Sache gemacht, deſſen Selbſtvertrauen dadurch an al -265Feldzug von 1521.len Puncten erhöht hatte. Die Unternehmungen auf Ge - nua und Como mißlangen vollſtändig. Ein Glück, daß wenigſtens die Deutſchen von Trient Mittel fanden, ſich mit dem Heere vor Parma zu vereinigen; dahin ſammelten ſich denn nicht minder die zum Angriff[auf] Genua beſtimmt geweſenen Mannſchaften: allein trotz alle dem fühlte man ſich auch dort nicht ſtark genug zu einem ernſtlichen letz - ten Angriff: am 12ten September ward die Belagerung aufgehoben. 1Das ziemlich controverſe Detail uͤber dieſe Aufhebung fin - det man bei Guicciardini, Capella, Jovius (Vita Pesc. II, 300. Leonis Xmi III, 100). Vgl. auch Nardi Storie fiorentine VI, 170.

Dagegen beſaßen die Franzoſen in dieſen Tagen das volle Übergewicht. Die Venezianer hatten 500 Hommes d’Armes und 6000 M. z. F. ins Feld geſtellt: der Her - zog von Ferrara, dem es nicht entging, in welcher Gefahr er ſchwebe, fiel in das päpſtliche Gebiet ein. Nach und nach kamen die Schweizer das Gebirg herab: die Berner voran, eben von den feurigſten Parteigängern der Franzoſen an - geführt. Der päpſtliche Commiſſarius bei der Armee, der Geſchichtſchreiber Guicciardini verſichert, wenn die Fran - zoſen in dieſem Moment, wo überdieß in dem verbündeten Heere Zwietracht und Unordnungen ausgebrochen, angegrif - fen hätten, ſo würden ſie ohne alle Mühe geſiegt haben. 2Guicciardini, XIV, p. 408: Se fosse sopravenuto Lau - trech, gli metteva facilissimamente in fuga.

Allein in dieſem Augenblicke zeigte ſich von eben dort wo die Gefahr entſprungen, auch die Hofnung eines beſ - ſeren Erfolges.

Kaiſerliche und päpſtliche Geſandte waren reich mit266Viertes Buch. Erſtes Capitel.Geld und Wechſeln verſehen in die Schweiz gekommen, und hatten doch auch wieder für ihre Anträge einen ſehr gün - ſtigen Boden gefunden. Indem ſie auf die ältern Verpflich - tungen drangen, wie gegen den Kaiſer und Öſtreich, ſo namentlich gegen den Papſt, brachten ſie erſt zu vollkom - mener Anſchauung in welche Gefahr man ſich geſtürzt hatte. Durch alte Bündniſſe war man verpflichtet, einige öſtrei - chiſche Gebiete, z. B. die freie Grafſchaft, alle Beſitzthümer der römiſchen Kirche zu beſchirmen: jetzt hatte man dage - gen einen Bund eingegangen, in welchem eine ausdrück - liche Clauſel beſagte, man werde auch gegen die Vorbehalte - nen hauptſächlich eben Öſtreich und den Papſt zu Felde ziehen, wenn ſie den König in ſeinem Gebiete angreifen würden. Noch dienten eine Anzahl Eidgenoſſen in dem päpſtlichen Heere, ſie waren bei der Unternehmung auf Parma, während andre unter Lautrec zu dem Entſatz die - ſes Platzes mitwirkten. Was ſollte daraus werden, wenn beide irgendwo auf einander ſtießen. Der franzöſiſche Bund war das Werk einer Partei: nichts war natürlicher als daß ſich ihr aller Orten eine andre entgegenſetzte. Auch die Unordnung des Aufbruches, zur ungelegenſten Zeit, machte man ihr zum Vorwurf: hie und da waren die Wei - ber genöthigt geweſen die Ernte einzubringen. Zürich, das den franzöſiſchen Bund, kraft eines gleichlautenden Beſchluſ - ſes des Rathes in der Stadt und der Gemeinde auf dem Lande, zurückgewieſen, war ohnehin entſchloſſen, den päpſt - lichen aufrecht zu halten. Aller dieſer Regungen bediente ſich nun der alte Meiſter ſchweizeriſcher Umtriebe, der Car - dinal von Sitten. In Zürich ward ihm eine große Wer -267Feldzug von 1521.bung geſtattet, von 2700 Mann, obwohl mit der ausdrück - lichen Bedingung daß ſie nur zur Vertheidigung der päpſt - lichen Beſitzungen, keineswegs zum Angriff auf Mailand gebraucht werden dürfe; dieß war aber nur der Kern, um den ſich faſt aus allen Orten päpſtlich-kaiſerliche Partei - gänger ſammelten: der Cardinal bewilligte einen noch reich - lichern Sold als die franzöſiſchen Bevollmächtigten: wir finden wohl, daß ein Fähnlein, das für Frankreich gewor - ben worden, wie es war, nur ohne den Hauptmann, in päpſtliche Dienſte trat: bei der Muſterung in Chur in der zweiten Hälfte des September fanden ſich über 6000 Mann, zu denen ſich dann noch graubündner und walliſer Mann - ſchaften geſellten. 1Die kaiſerlichen und paͤpſtlichen Anbringen finden ſich bei Ans - helm: die zuͤrcheriſchen Angelegenheiten hat Bullinger deutlicher c. 24 26. Vgl. Hottinger: Geſchichte der Eidgenoſſen: (Fortſetzung Muͤllers) I, p. 55, 63.

Indem der Papſt über den ſchlechten Erfolg ſeiner Unternehmung höchlich betreten war, empfieng er dieſe Nach - richten. Sein Nuncius Ennio verſicherte ihn, die Clauſel der zürcheriſchen Bewilligung werde die Truppen nicht ab - halten, Parma, Piacenza, ſelbſt Ferrara anzugreifen, da das kirchliche Beſitzungen ſeyen, ja er getraue ſich, wenn er nur bei einigen Hauptleuten Geld anwende, ſie auch zu jedem andern Unternehmen zu vermögen. 2Galeacius Capella giebt p. 180 einen Auszug des Brie - fes: Demum pecunia facile esse duces corrumpere, qui milites quo res postularet technis suasionibusque impellerent.

Hiedurch erneuerte ſich in den Verbündeten die faſt ſchon aufgegebene Hofnung. Es lag am Tage, daß das268Viertes Buch. Erſtes Capitel.Erſcheinen einer ſo ſtarken ſchweizeriſchen Mannſchaft in dem päpſtlich-kaiſerlichen Heere, wenn nichts weiter, doch die ganze Kraft des Feindes, die eben in ſeinen Schwei - zern beruhte, lähmen müſſe. Es kam nur darauf an, ſich mit ihr zu vereinigen. Hiezu ſetzte ſich das Heer ſofort in Bewegung. Cardinal Julius Medici war von Florenz her bei demſelben angelangt, hatte alle Streitigkeiten der Heerführer beſeitigt, den guten Willen der Truppen mit dem florentiniſchen Geld das er mitbrachte wiederhergeſtellt: 13 Saumthiere waren in ſeinem Gefolg: man ſagte ſie ſeyen alle mit Geld beladen. Prospero Colonna gieng am 1ſten October bei Caſal-maggiore über den Po und nahm ſeinen Marſch den Oglio aufwärts. Indeſſen kamen von Chiavenna her über den Morbegno die Schweizer von den Alpen herab: weder Gebirg noch Gewäſſer, weder die An - mahnungen der Landsleute, noch die Feindſeligkeiten der Franzoſen konnten ſie abhalten. Ende October erſchienen auch ſie am obern Oglio.

Augenſcheinlich lag nun das Heil der Franzoſen darin, die Vereinigung dieſer beiden Heeresmaſſen zu hindern. Prospero Colonna hatte ein ſo wenig vortheilhaftes Lager bei Rebecca bezogen, daß ſich ſelbſt bei den bedächtigen Venezianern die Meinung regte, man müſſe ihn angreifen: die Schweizer drangen darauf: ſie wollten ſchlagen, ehe ihre Eidgenoſſen drüben angekommen: in einem Kriegsrath der deshalb gehalten ward, waren beinahe alle Stimmen für den Angriff: nur der Oberbefehlshaber Lautrec war nicht dazu zu bewegen. 1Die Verſion welche Leferron (V, 130) aus dem MundeMan führt mancherlei Gründe an, die269Feldzug von 1521.er dafür gehabt haben könne: die Hauptſache war: er hatte die Entſchloſſenheit nicht: er war kein General für einen ernſtlichen Krieg. Er zog es vor, die nächſten Feſtungen beſſer zu beſetzen und eine feſte Stellung hinter der Adda zu nehmen. Ohne Hinderniß vereinigte ſich bald darauf Prospero Colonna mit den Schweizern zu Gambara. Wie es der Nuncius vorhergeſagt, nahm es ſich ein Theil der - ſelben nicht übel, mit gegen Mailand vorzurücken; die Ge - wiſſenhaftern, die durch keine Verſprechungen dazu zu brin - gen waren, zogen dagegen nach Reggio, um von hier aus die der Kirche zugehörenden Plätze Parma und Pia - cenza anzugreifen.

Hiedurch nun bekamen die kaiſerlich-päpſtlichen Schaa - ren das unzweifelhafte Übergewicht. Die franzöſiſchen Schweizer, mißvergnügt, daß ſie den Schlachtſold nicht verdient, überdieß unzufrieden mit Lautrec, der ſeiner deut - ſchen Garde den Vorzug vor ihnen gab, und von heimi - ſchen Geſandten ermahnt, um Gottes Willen nicht mit ihren Eidgenoſſen zu ſchlagen, giengen ſchaarenweiſe nach Hauſe. Hatte die Entzweiung der Schweizer im J. 1515 die Erobe - rung von Mailand den Franzoſen ſo weſentlich erleichtert, ſo war die Weiterentwickelung derſelben jetzt auch an ihrem Ver - luſte Schuld. Die Verbündeten bewirkten, in dieſem Au -1einiger Augenzeugen anfuͤhrt, Lautrec habe wirklich den andern Tag angreifen wollen, ſey aber durch die Venezianer gehindert worden, iſt doch wohl nur eine Ausflucht. Auch Bellay ſagt: La tardiveté de nos chefs fut cause de les nous faire perdre (Coll. univ. Tom. XXVII, p. 180). Das Naͤhere erzaͤhlen dann die glaubwuͤrdigſten Italiener wie Galeazzo. Aus den Chronicles of Rabbi Josef er - giebt ſich, welchen Eindruck die Sache machte. Er ſagt dabei von den Franzoſen: They are a nation voyd of counsel. 270Viertes Buch. Erſtes Capitel.genblick durch neu ankommende Graubündner unterſtützt, mit eben ſo viel Glück wie Geſchicklichkeit ihren Übergang über die Adda: Lautrec ſah ſich ganz auf die feſten Städte beſchränkt.

Da aber war alles ſchon lange in feindſeliger Gäh - rung. Die Gibellinen haßten die franzöſiſche Regierung: auch die Guelfen waren von ihr nicht mit alle der Rück - ſicht behandelt worden die ſie forderten: ihr vornehmſtes Oberhaupt, der alte Trivulzi, der eine Zeitlang mehr ver - mochte als der franzöſiſche Gouverneur, war eben darum in die Ungnade des Königs gefallen und darin geſtorben; dazu kamen die Erpreſſungen und Gewaltſamkeiten, welche die Herrſchaft der Franzoſen in fremden Ländern gewöhn - lich verhaßt machen: als Lautrec in Mailand anlangte, fand er eine ſo ſtarke Bewegung daß er eine ſtrenge Execu - tion für nothwendig hielt; den alten Chriſtoph Pallavicini, einen nahen Verwandten des Hauſes Medici, eins der Oberhäupter der gibelliniſchen Faction ließ er in dem Ca - ſtell enthaupten. 1Cronaca Grumello, bei Verri III, 221.Dieſe Grauſamkeit, der Anblick eines geſchlagenen Heeres, das Gerücht von der Annäherung ei - nes übermächtigen Feindes, man kann denken wie alle das wirkte. Schon immer hatten Prospero und Cardinal Ju - lius ihre Hofnung auf dieſe Stimmung geſetzt.2Sepulveda Praefatio in Aristotelem de parvis naturalibus (Cf. Sepulvedae Vita et Scripta p. CVII) ſagt von Julius: non ignarus, in uno Mediolano cetera oppida expugnari. Ganz gut druͤckt Vettori die Umwandlung des Zuſtandes aus. In Milano in facto la parte Ghibellina è superiore assai, i popoli sono sempre desiderosi di mutazioni: chi lascia la campagna e si ritira den - tro alle mura, perde di riputatione. Franz271Feldzug von 1521.Sforza hatte ſie durch einige Erlaſſe genährt, die nichts als Schonung und Milde athmeten, das väterliche Regi - ment eines angeſtammten Fürſten verſprachen, und mit Be - gierde geleſen wurden. Als die Verbündeten in die Nähe von Mailand kamen, wurden ſie aufgefordert, nur ohne Zögern heranzurücken, einen Angriff zu verſuchen: die ganze Stadt werde ſich für ſie erheben. Es war im November, Wetter und Weg ſo ſchlecht wie möglich: unter dieſen Um - ſtänden aber rückte man vorwärts. Abends am 19ten langte man an: und machte ſich daran ein Lager aufzu - ſchlagen. Indem meldeten ein paar leichte Reiter, wie ſchlecht die Verſchanzungen ſeyen, welche Lautrec in der Eile um die Stadt her aufgeworfen: der Marcheſe Pescara, Be - fehlshaber der ſpaniſchen Fußvölker, ſagte: wir müſſen das Nachtlager in den Vorſtädten nehmen: und unverzüglich machte er ſich an der Spitze von 60 ſpaniſchen Schützen nach der Porta Romana auf den Weg: ein Haufen Landsknechte lief hinter ihm her. Wie ein Spiel, wie ein Scherz begann das Ereigniß, das für die folgenden Jahr - hunderte von Italien entſcheidend werden ſollte. Wettei - fernd ſetzte ſich Prospero Colonna mit einer andern Schaar von Deutſchen und Spaniern nach der Porta Ticineſe in Marſch. Die Verſchanzungen waren leicht genommen: aber da faſt die ganze feindliche Armee in der Stadt lag, und ſich raſch zum Widerſtande ſammelte, ſo war die Sache doch noch zweifelhaft, und wenigſtens ein Theil der Angreifenden hielt bereits wieder für rathſam, ſich zurück - zuziehen. In dieſem Momente griff die Bevölkerung ein. Das Geſchrei erhob ſich in den Straßen: der Herzog, das272Viertes Buch. Erſtes Capitel.Reich, nieder mit den Franzoſen; eine allgemeine Empö - rung ſchien ſich vorzubereiten; da in dieſem Augenblick erſt die Maſſe der kaiſerlich-päpſtlichen Armee anrückte, die Landsknechte, bis an den Gürtel im Waſſer, an verſchiede - nen Stellen, durch die Gräben giengen und die Verſchan - zungen erſtiegen, verzweifelte Lautrec ſich zu behaupten, und verließ die Stadt durch die entgegengeſetzte Porta Coma - ſina. Die Venezianer waren leicht entwaffnet. Die ſchwei - zeriſchen Hauptleute wollten ſich von den Franzoſen nicht trennen laſſen und eilten ihnen nach. Binnen zwei Stun - den war die Stadt erobert. 1Die zugleich anſchaulichſte und glaubwuͤrdigſte Nachricht uͤber dieß Ereigniß enthaͤlt ein Schreiben des Marcheſe von Mantua an ſeine Mutter vom 21 Nov. 1521, im 32ſten Bande der Chronik des Sanuto. Ich werde es im Anhang mittheilen, ſo wie ein andres des Legaten Julius Medici vom 19ten Abends und 20ſten fruͤh.Alle Straßen waren feſtlich erleuchtet, als die Kaiſerlichen in die eigentliche Stadt ein - rückten. Noch an demſelben Abend ward ausgerufen, daß Kaiſer und Papſt ſich entſchloſſen, den Mailändern ihren angeſtammten Herzog Franz Sforza zurückzugeben. Deſſen vertrauter Rath, Hieronymus Morone, der die Verbin - dung mit den gibelliniſchen Familien unterhalten, überhaupt zum Gelingen der Unternehmung das Meiſte beigetragen hatte, übernahm die Verwaltung.

Dem Beiſpiel von Mailand folgten Pavia und Lodi dieſſeit, Parma und Piacenza jenſeit des Po. Gegen dieſe beiden Städte leiſteten jene Schweizer, Zuger und Züri - cher die nicht mit nach Mailand gegangen, hauptſächlich eine nunmehr auch hier ſehr willkommene Hülfe.

Da -273Feldzug von 1521.

Damit war aber die Sache noch keineswegs beendigt. Das franzöſiſche Heer ward nicht auseinandergeſprengt, wie man erwartet hatte: es nahm eine feſte Stellung in Cremona, von wo es auf der einen Seite Mailand, auf der andern Parma und Piacenza gefährdete: es hatte noch eine Anzahl Caſtelle, in Mailand Novara Trezzo Pizzighe - tone, die feſten Plätze in den Alpenpäſſen, Domo d’Oſſola und Arona ſammt allen andern am Lago maggiore inne. Der plötzliche Tod Leos X, den ſein Geſchick abrief, als er die erſten günſtigen Nachrichten empfangen, nöthigte die kaiſerlich-päpſtlichen Hauptleute ſparſam zu ſeyn, und von ihren Truppen ſo viel als irgend entbehrlich zu ent - laſſen. Für den Augenblick wenigſtens hätten ſie auf keine weitere Unterſtützung aus dem toscaniſchen oder kirchlichen Gebiete rechnen dürfen, die in eigene gewaltſame Bewe - gung geriethen, während die Franzoſen über die Unter - ſtützung von Genua und Venedig zu gebieten hatten. Was aber die Hauptſache war: die Schweizer nahmen nach die - ſem Verluſte, welchen ſie im Grunde allein verſchuldet, eine einträchtigere Haltung an. Der Kaiſer forderte ſie auf in ſeinen Bund zu treten: das Reichsregiment erinnerte ſie an ihre Pflichten als Glieder des Reiches: eine Ge - ſandtſchaft von Mailand bot ihnen Tribut an; aber es war alles vergebens: die franzöſiſche Partei, durch die aus Ita - lien zurückgekehrten mächtigen Kriegsanführer wieder er - gänzt, machte ihre Überlegenheit geltend:1Schon am 29 Nov. finden wir den franzoͤſiſchen Agenten Galeatio Visconti in Luzern: Queste lige, ſagt er, sono in grosso dixordine, ma a tuto spero troverase bono recapito, etiam che cum faticha et spexa. Molini Doc. I, p. 132. die GegnerRanke d. Geſch. II. 18274Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſelbſt waren von der Gefahr betroffen, in welche die Eid - genoſſenſchaft durch ihren Widerſpruch gegen die Mehrheit gerathen war: jetzt rief Zürich ſeine Angehörigen aus Ita - lien zurück: dagegen bewilligten die zwölf Orte dem König eine Werbung von 16000 Mann: ſie räumten den Be - vollmächtigten deſſelben Ausmuſterungen ein, die ſie ſonſt nie geſtattet; noch am Ende des Januar 1522, während der Schneefall die kaum gebahnten Wege immer wieder verwehte, brachen ſie auf über die Alpen.

Hiedurch nahm nun aber das ganze politiſche Ver - hältniß erſt eine vollkommener entwickelte Geſtalt an.

Die Schweizer ſetzten ſich den Anſprüchen des Kai - ſers und des Reiches entgegen: nur durch eigentlich deut - ſche Kräfte konnte man, wenn es überhaupt möglich war, dieſelben behaupten: keine Erbeinung, keine Unterhandlung half dem Kaiſer ferner: er war allein auf den Arm und die Treue der Landsknechte angewieſen.

Schon befand ſich eine nicht geringe Anzahl von Lands - knechten im Mailändiſchen. Sie waren im vorigen Jahr in Tirol und Schwaben hauptſächlich mit päpſtlichem Geld ge - worben worden: es findet ſich, daß damals unter andern die wirtenbergiſchen Amtleute den Auftrag bekamen, einen Je - den laufen zu laſſen, von dem es beſſer ſey, er ſey außer dem Lande:1Avvisi da Trento vom 9 Juli 1521 bei Molini I, p. 99. Am 15ten ergieng der Befehl im Wirtenbergiſchen. Sattler p. 77. fünf Fähnlein hatte Franz von Caſtelalt herüber geführt. 2Jovius Vita Alfonsi p. 185 nennt ihn.Jetzt aber ſetzte ſich der nahmhafteſte deutſche Feldhauptmann, Georg von Frundsberg ſelbſt in275Feldzug von 1522.Bewegung. Er war mit Franz Sforza perſönlich bekannt, der hatte ihn wohl einſt auf ſeinem Schloß zu Mindelheim beſucht: ein anderer italieniſcher Prätendent, Hieronymo Adorno, der in Genua hergeſtellt zu werden wünſchte, und ſich gleich um den Abſchluß des Bundes ſehr verdient gemacht hatte, erſchien mit hinreichenden Geldmitteln in Deutſchland; hierauf ward in Augsburg die Trommel gerührt: gar bald ſammelten ſich zwölf Fähnlein Lands - knechte zu Georg Frundsberg, mit denen er am 12ten Fe - bruar von Glurns aufbrach. Mit der Ungunſt der Jah - reszeit hatte er um ſo mehr zu kämpfen, da ihm die Grau - bündner den Weg über das Valtellin nicht geſtatteten: ei - nen weit beſchwerlichern, über das Wormſer Joch nach Lovere und dem Iſeoſee hin mußte er nehmen: er brauchte 200 Bauern, denſelben zu bahnen: aber noch zur rechten Zeit langte er an, eben als die Schweizer und Franzoſen von Monza her Mailand bedrohten. 1Reisner Hiſtoria Hern Georgen und Hern Casparen von Frundsberg.

Und noch ein drittes deutſches Heer ſammelte ſich um Maximilian Sforza zu Trient, 6000 M. ſtark; Adorno, deſſen perſönliche Hofnungen von dem Ausgang dieſes Feldzuges abhiengen, eilte zurück, um auch dieſes herbeizu - führen.

Die Franzoſen machten einen Verſuch auf Mailand: allein Prospero hatte ſich ſowohl gegen das Caſtell nach innen, als gegen den Feind nach außen auf das beſte in Vertheidigungsſtand geſetzt. Er gehörte zu der claſſiſchen Schule des damaligen Italiens, und man behauptet, eine18*276Viertes Buch. Erſtes Capitel.ähnliche Vertheidigung Cäſars vor Aleſia habe ihm zum Muſter ſeiner Anſtalten gedient. 1Jovius: Pescara p. 316. War es ein Muſter, ſo wuͤrde das der Thebaner, als ſie die Kadmea belagerten und ſich zugleich gegen Alexander zu vertheidigen ſuchten (Arrian I, 7), noch mehr zur Sache paſſen.

Einige Plätze, wie Novara, Vigevene, nahmen die Franzoſen und Schweizer: woran aber bei weitem mehr lag, die Vereinigung Franz Sforzas mit Prospero konn - ten ſie nicht verhindern: am 4ten April, nach 22jähriger Abweſenheit zog der neue Herzog in Mailand ein: unter dem Geläute der Glocken, unaufhörlichem Freudeſchießen, dem Jubel der Bevölkerung; ſie hatten nun gelernt, was ein einheimiſcher angeſtammter Fürſt zu bedeuten habe: ein ſolcher, meinten ſie, werde ſich mehr um ſie kümmern, ſie beſ - ſer zu ſchätzen wiſſen, als ein fremder König. Franz Sforza war in der unglücklichen Nothwendigkeit, mit Forderungen beginnen zu müſſen; Alles wetteiferte jedoch, ſie ihm zu erfüllen. Vornehme und Geringe brachten Geld und Gel - deswerth: ein Jeder wünſchte ihm Liebe zu beweiſen, ſeine Gnade zu verdienen. 2Grumello bei Verri p. 223.Ein Auguſtiner, Fra Andrea da Ferrara erhielt das Volk durch feurige Predigten in dieſer Stimmung: er ſtellte die Franzoſen als Feinde Gottes dar.

So wurden die Kaiſerlichen fähig, wieder im Felde zu erſcheinen. Nachdem ſie Pavia entſetzt, nahmen ſie eine feſte Stellung vor Mailand, bei Bicocca, in der Hofnung, daß der ungeſtüme Feind ſie hier aufſuchen würde.

In der That ließ dieſer nicht lange auf ſich warten. Wie es zu geſchehen pflegt, man ſuchte vor allem den zu -277Schlacht bei Bicocca.letzt begangenen Fehler zu vermeiden. Jedermann war der Meinung, daß es im vorigen Herbſt bei Rebecca nur ei - nes entſchloſſenen Angriffes bedurft hätte, um den Sieg zu erfechten: namentlich die Schweizer waren davon über - zeugt: ſie wollten ſich die Gelegenheit nicht wieder entgehn laſſen, und forderten ihren Feldherrn mit Ungeſtüm auf, ſie an den Feind zu führen. Auch Lautrec war wohl an ſich ſelbſt irre geworden. Obwohl er das Vorhaben der Schweizer nicht ganz billigte, ſo wagte er doch auch nicht ihnen abermals ſo ernſtlich zu widerſtehen: er ließ ſich von ihnen fortreißen. Am Morgen des 27ſten April ſetzten ſich Schweizer und Franzoſen gegen Bicocca in Bewegung.

Die Kaiſerlichen hatten ihr Lager in einem durch Sumpf, Hohlwege, Gräben und Hecken eingeſchloſſenen Landgut genommen und ſich hier nach den Regeln der Kunſt wie in einer Feſtung verſchanzt, ihr Geſchütz auf hohen Bruſtwehren aufgeſtellt. Das Heer beſtand aus jenen deut - ſchen Fähnlein, die unter Georg Frundsberg und Rudolf Häl die Front einnahmen, aus ſpaniſchen Fußvölkern, namentlich Hakenſchützen, die ſeit den frühern Kriegen in Italien geblieben, und ſchon unter Gonſalvo di Cordova an der Seite der Deutſchen gekämpft hatten, und italieniſchen Gibellinen, welche die Macht des Reiches hergeſtellt zu ſehen wünſchten, um unter deſſen Schutze ihrer Gegner Herr zu werden. Es war ein Heer, das die ſpaniſch-deut - ſche, auf der Idee des Reiches beruhende Macht des Kai - ſers vollkommen repräſentirte. Franz Sforza, deſſen Heil es hier zunächſt galt, beſetzte noch am Morgen mit mailän - diſchen Schaaren zu Fuß und zu Pferd eine Brücke, die278Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſonſt einen Zugang zu dem Lager eröffnet haben würde. Ein Prediger-mönch von S. Marco war mit ihm: er verkün - digte, daß der Himmel dem neuen Herzog den Sieg be - ſtimmt habe: dieſe patriotiſchen Regungen kamen der Idee des Kaiſerthums wieder einmal zu Hülfe.

Dagegen ſtanden die eidgenoſſiſchen Schaaren dießmal ungetheilt auf der Seite der Franzoſen So oft dieß früher der Fall geweſen, hatten ſie immer den Sieg entſchieden: auch waren ſie wieder von Siegeszuverſicht entflammt.

Ihre Kriegskunſt hatte bisher immer in dem wilden, ſtracken, graden Anlauf auf das Lager, das Geſchütz des Feindes beſtanden. So ſetzten ſie ſich auch jetzt in Marſch: in zwei großen Haufen, dem einen aus den Ländern, un - ter Arnold Winkelried von Unterwalden, dem andern aus den Städten, unter Albrecht von Stein. Sie litten keine Vermiſchung mit den Wälſchen: den Erinnerungen des Oberbefehlshabers, der ihren Sturm zu mäßigen ſuchte, begegneten ſie mit Geſchrei und Verwünſchungen: die Län - der hatten das erſte, die Städte das zweite Treffen bilden ſollen, aber in faſt parallelen Gliedern kamen ſie an, ſo daß jene den rechten, dieſe den linken Flügel ausmachten: auf das Geſchrei der Menge traten die Junker, Penſioner und Trippelſöldner in das vorderſte Glied: es war in ihnen ein wilder Kriegsmuth, ohne alle höhere Begeiſterung, der nur auf ſich ſelber trotzte, jede fremde Einwirkung, jede Rückſicht von ſich ſtieß: ſie wußten daß ſie Miethlinge wa - ren, aber ein Jeder ſollte und wollte ſeine Pflicht thun: den Sturmſold zu verdienen, ihre alten Gegner, die Schwa - ben, die Landsknechte zu bezwingen war am Ende ihr höch - ſtes Ziel.

279Schlacht bei Bicocca.

Das Lager aber das ſie jetzt angriffen war in beſ - ſerm Vertheidigungszuſtand als jemals ein anders. Indem ſie anrückten, wurden ſie in ihrer linken Flanke von dem wohlaufgeſtellten feindlichen Geſchütz furchtbar empfan - gen: gleich da ſchwankte ihre Schlachtordnung: die Länder drängten nach den Städten: da dieſe aber nicht wichen, ſo ordneten ſich auch jene wieder: dem unaufhörlichen Ku - gelregen der Hakenſchützen zum Trotz ſtürmten beide Haufen zugleich gegen die Linie der kaiſerlichen Verſchanzungen heran.

Als Georg Frundsberg den Feind ſich nähern ſah, ſtieg er vom Pferd, nahm eine Hallbarte und ſtellte ſich in die Reihen der Landsknechte. Sie ſanken auf ihre Knie und beteten. Indem kamen die Schweizer. Wohlauf, rief Frundsberg, in einer guten Stunde im Namen Got - tes. Die Landsknechte ſprangen auf. Die Schweizer drangen durch Graben und Hohlweg in tiefen Colonnen ge - gen die Reihen der Landsknechte vor, und begannen das Handgemenge. Ha treff ich dich hier alter Geſell, rief Ar - nold Winkelried aus, als er des Frundsberg anſichtig wurde, mit dem er wohl einſt unter Maximilian zuſam - men gedient, ſo mußt du von meiner Hand ſterben. Wills Gott, ſagte Frundsberg, du von der meinen. Frundsberg erhielt einen Stich im Schenkel, Winkelried fiel von einer Kugel. Weit über die Fronte hin gerieth man an einander. In Geſchichten und Liedern wird die Tapferkeit des Rudolf Häl, Caſtelalts, des Fähndrich Bran - deſſer, der Rotte des Strälin gerühmt. Aber auch die Schweizer hielten an, was um ſo bewundernswürdiger war, da ſie noch nicht aus dem Bereich des Geſchützes280Viertes Buch. Erſtes Capitel.gekommen: ſie hofften noch immer, den Feind ſeinem Vor - theil zum Trotz zu übermannen.

Da hatte indeß auch die franzöſiſche Reiterei einen Angriff auf jene Brücke gemacht und war abgeſchlagen wor - den: ihre rückgängige Bewegung wirkte auf die im Hinter - treffen aufgeſtellten Mannſchaften und zog ſie mit ſich fort. Das Geſchrei erhob ſich: hinten fliehen ſie. Zu der Wir - kung des Geſchützes, der Uneinnehmbarkeit der Verſchanzun - gen und dem hartnäckigen Widerſtand des Feindes kam die Gefahr, verlaſſen zu werden. So ungeſtüm die Schweizer herangeſtürmt, ſo gewaltſam erhob ſich in ihnen der Ent - ſchluß zurückzugehn. Ein paar tauſend Todte hatten ſie auf dem Schlachtfeld verloren: übrigens zogen ſie in ziemlich geſchloſſener Ordnung von dannen.

Die italieniſche Reiterei, die ſpaniſchen Fußvölker bra - chen nun hinter ihnen her aus den Verſchanzungen hervor, jedoch ohne ihnen vielen Schaden zu thun.

Auch Frundsberg ward aufgefordert, ihnen nachzu - ſetzen. Er war aber ſchon zufrieden, daß man den gewal - tigen Feind abgeſchlagen: er ſagte: für heute habe er ge - nug Ehre eingelegt; er fühlte was dieſer Sieg zu bedeuten hatte und wollte ihn nicht durch die Unordnung des Ver - folgens gefährden. 1In der Erzaͤhlung dieſer Schlacht halte ich mich an die aͤl - teſten einfachſten Quellen: unter den Schweizern Anshelm: unter den Italienern Galeazzo Capra: unter den Deutſchen das hiſtoriſche Lied, das ich im Anhang mitzutheilen gedenke, und Reisners Hiſtoria der Frundsberge. Es iſt mir nicht unbekannt, was namentlich Bullin - ger gegen einige Zuͤge der letztern eingewendet hat. Die Schweizer wollten nemlich nicht zugeſtehn, von den Landsknechten beſiegt wor - den zu ſeyn: den Liedern, worin dieſe ihre Thaten ruͤhmten, ſetzten

281Einnahme von Genua.

Da die Kriegscaſſe der Franzoſen erſchöpft war, ließen ſich die Schweizer hierauf nicht länger im Felde halten: ſie begaben ſich nach Hauſe. Auch die Franzoſen gaben jetzt den Feldzug verloren. Auf einem oder dem andern Weg giengen ſie über die Alpen zurück. Das ganze mailändiſche Gebiet kam bis auf ein paar Caſtelle wieder in die Hände Sforzas und erkannte den Kaiſer als ſeinen Lehnsherrn an.

Da konnte die franzöſiſch-geſinnte Partei ſich auch in Genua nicht länger behaupten. Unglücklicherweiſe war ſie zwar ſo mächtig, um den Abſchluß eines Vertrages zu verhindern, ſo lang es noch Zeit war, aber zu allem ei - gentlichen Widerſtand unfähig. Die Stadt ward mit Ge - walt genommen und geplündert. Die Adorni erreichten nun wirklich das Ziel das ſie von Anfang an ins Auge gefaßt, und gelangten zur Regierung.

Bei den italieniſchen Geſchichtſchreibern tritt der An - theil den die Deutſchen daran nahmen minder hervor. Deſto ausführlicher ſchildert das hiſtoriſche Lied,1Ein hüpſch neü lied von der Stat Genna vnd wie ſy die Lantzknecht erobert haben. Vgl. Vareſe: Storia di Genova IV, 315. wie man den Adler aufs neue fliegen läßt, unter dem ſich jetzt mancher1ſie andre entgegen, worin ſie ſich vertheidigten: ſehr bekannt wurde ein Lied des Nicl. Manuel, das uͤberaus groͤblich ausgefallen iſt. (Abgedruckt bei Gruͤneiſen p. 400.) Aber auch da wird doch ei - gentlich nicht geleugnet, wie Bullinger daraus entnimmt, daß es zu einem Handgemenge gekommen ſey. Sind doch nach den Erkundi - gungen die den andern Tag ein venezianiſcher Kundſchafter einbrachte, auch auf der kaiſerlichen Seite bei 1000 M. geblieben. Sehr un - klar fand ich den Bericht von Ugo Foscolo in der Chronik des Sa - nuto Bd XXXIII. Non si sa, ſchließt derſelbe, chel causasse, nostri si misseno a ritirare in gran desordine. Nach ſeiner Dar - ſtellung bleibt das auch allerdings ganz dunkel.282Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſchmiegen muß, der ſonſt die Stirn hochgetragen, und Georg Frundsberg auf des Kaiſers Befehl das Heer nach der Seeküſte gegen Genua führt. Gern folgen ihm die Lands - knechte: die Genueſen fühlen, daß ſie der kaiſerlichen Krone nicht widerſtehn können, aber die Ankunft franzöſiſcher Hülfe unter Peter Navarra bringt ſie doch dahin, es zu verſu - chen: hierauf führt man das Geſchütz herbei, das die Knechte freudig bedienen: es kommt zu einem Scharmützel vor den Mauern: Stürmen und Fechten iſt den Deut - ſchen eben ein Spiel: ſie ſind es welche die Stadt erobern: keiner fremden Theilnahme, keines ausländiſchen Anführers wird dabei gedacht. Gewiß iſt es, daß ſie großen An - theil ſo an dem Sieg wie an der Plünderung hatten. Sie maaßen das Tuch mit ihren Spießen: ſie kleideten ſich in Sammt und Seide: eine Anzahl reicher Familien kaufte die Plünderung mit Geld ab. Frundsberg war mißver - gnügt, daß ſo viele Reichthümer, mit denen das Heer lange Monate hindurch hätte im Feld können erhalten werden, demſelben ſo unordentlich in die Hände geriethen: für ſich ſelbſt nahm er aus der Beute vor allem einen ſchönen Compaß, gleichſam zum Andenken. So groß der Verluſt der Genueſen auch war, ſo machten ſie doch nicht viel Aufhebens davon: ſie hätten gefürchtet ihren Credit zu erſchüttern. 1Polydorus Virgilius Hist. Angl. 27, 64.

So wurden dieſe alten Reichskammerländer, Genua und Mailand nach langer Entfremdung wieder herbeigebracht: ein ſiegreiches kaiſerliches Heer, wie ſeit Heinrich VI keins ſo mächtig geweſen, ſetzte ergebene Herrſcher auf legitimem Wege daſelbſt ein.

283Idee einer Unternehmung auf Frankreich.

Der Erfolg war im Grunde noch größer als der Kai - ſer erwartet, ja ſelbſt als er zu beabſichtigen gewagt hatte. Man hatte die Schweizer nur zu gewinnen, ja noch im Anfang des Jahres durch eine jährliche Penſion zu befrie - digen gedacht, jetzt hatte man ſie überwunden und ausge - ſchloſſen. Kräfte des innern Deutſchlands, über welche der Kaiſer bei weitem mehr gebieten konnte, hatten den Sieg erfochten, die Eroberung vollbracht.

Und in dieſem Momente eröffnete ſich Ausſicht und Anlaß zu einer noch bei weitem umfaſſendern Unternehmung.

Feldzug von 1523, 24. Angriff auf Frankreich.

Die Rechte des Reiches erſtreckten ſich nicht allein auf Italien: ſie umfaßten zugleich einen großen Theil des ſüdlichen Frankreichs und waren auch hier noch keineswegs vergeſſen. Noch immer führte der Churfürſt von Trier den Titel eines Erzcanzlers in Arelat: noch im J. 1401 hatte Ruprecht ſeinen Sohn zum Vicarius dieſes Reiches beſtimmt: 1444 hatte Friedrich den Dauphin zu Hülfe gerufen als des heil. Reichs Verwandten und Vicarius. Seitdem war es öfter in Erinnerung gekommen, daß man von fran - zöſiſcher Seite die Lehen zu erneuern verſäumt hatte.

Und überdieß: Carl V war nicht allein Kaiſer: andre Rechte, die er niemals aufzugeben gedacht, hatte er als Prinz von Burgund: unaufhörlich forderte er die ſeinem Hauſe entriſſenen franzöſiſchen Beſitzungen zurück: es war noch etwas von dem Blute und den Beſtrebungen eines altfranzöſiſchen Vaſallen in ihm.

Für dieſe Unternehmungen dieſſeit der Alpen fand284Viertes Buch. Erſtes Capitel.nun Carl an König Heinrich VIII von England einen ſo mächtigen Verbündeten wie für die jenſeitigen am Papſt. Auch Heinrich VIII hatte die alten Anſprüche ſeiner Vor - fahren an Frankreich noch nicht vergeſſen: er führte noch den Titel davon: noch war Calais in engliſchen Händen. Gleich bei dem Abſchluß des Vertrags in Brügge, in wel - chem Kaiſer und König einander zuſagten, ihre Anſprüche mit gemeinſchaftlichen Anſtrengungen zu Land und See durchzufechten, ſtellte Wolſey ſeinem Herrn ein langes Ver - zeichniß der Provinzen Städte und Schlöſſer zu, die man den Franzoſen alle zu entreißen gedenke. 1Pace to Wolsey 10 Sept. 1521. State Papers I, 52.In der Correſpon - denz des Königs mit dem Cardinal iſt ſehr ernſtlich davon die Rede, daß er in Perſon in Frankreich einfallen werde:2Wolsey to Henry Sept. 1522. Ibid. p. 107. deshalb vor allem ſucht man an der ſchottiſchen Grenze Ruhe zu erhalten. Zuweilen ſcheint es den Engländern wohl das Beſte, ſich auf die zunächſtgelegenen franzöſiſchen Gebiete, von Calais bis an die Somme zu beſchränken, welche dann leichter zu behaupten ſeyn würden als das entfernte Guyenne; zuweilen aber erhebt ſich auch in Hein - rich VIII der Gedanke, die Krone von Frankreich ſelber zu tragen: bei einer Nachricht von der ſchlechten Lage der Dinge in dieſem Reiche ruft er aus: man bahne ihm dort den Weg, wie einſt Richard III in England ſeinem Vater: er ſelber denke noch einmal Frankreich zu regieren. 3More to Wolsey p. 111. The Kinges Grace saied that he trusted in God to be theyre governour hym selfe and that they shold by thys meanys make a way for hym, as King Richard did for his father. 21 Sept. 1522. Man wird nicht glauben wol - len, daß der Gedanke da erſt in ihm entſtanden ſey.285Theilnahme von England 1522.Ideen, die von Leo X nach Kräften gepflegt wurden. Er ließ eine Bulle entwerfen, in der er die Unterthanen Franz des I in aller Form von dem Eid der Treue entband. 1Excommunicatio lata per Leonem Papam X contra Fran - ciscum I qua etiam subditos ejus plenissime absolvit ab omni fidelitatis nexu et juramento. 4 Sept. 1521. Du Mont Supplé - ment III, p. 70.Dage - gen verſprach ihm auch der König wie der Kaiſer ſeine Un - terſtützung gegen die Irrgläubigen. 2Herbert Life of Henry VIII, p. 118.In dem Zuſammen - hang dieſer Umſtände gehört es, daß Heinrich VIII, gleich - wie ſein Cardinal ein eifriger Anhänger des Thomas von Aquino, für dieſen Kirchenlehrer eine Lanze mit Luther brach: er war glücklich über die gute Aufnahme die ſein Buch in Rom fand:3Pace to Wolsey 27 Oct. 1521. Itt is to Hys Graces grete contentacion and comforte. er erwarb ſich damit den Titel eines Ver - theidigers des Glaubens.

Im März 1522 ließ Heinrich VIII dem König von Frankreich durch ſeinen Herold den Krieg erklären. Schon hatten ſich die engliſchen Kaufleute aus den Häfen, die engliſchen Studenten von den Univerſitäten in Frankreich zurückgezogen: nur einige Güter fielen Franz I in die Hand. Im Juni griff Lord Surrey, zugleich Admiral des Kaiſers und des Königs, die Küſte von Cherbourg an: im Sep - tember vereinigte ſich ein niederländiſches und ein engliſches Heer und fiel in die Picardie ein; doch geſchah weder hier noch dort etwas Namhaftes: einige Städte wurden ge - plündert, einige Strecken Landes verwüſtet: dann kam die ungünſtige Jahreszeit und man zog ſich zurück.

Allein um ſo glänzender waren die Ausſichten die286Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſich für den Feldzug des nächſten Jahres 1523 eröffneten. Wie in den frühern Jahrhunderten, geſellte ſich den Fein - den der franzöſiſchen Krone ein mächtiger Vaſall zu. Der zweite Mann im Königreich, der Connetable Bourbon bot dem König und dem Kaiſer ſeine Hülfe an. Ein Ereigniß von ſo allgemeiner Bedeutung, daß wir auch in einer deut - ſchen Geſchichte wohl[einen] Augenblick dabei verweilen dürfen.

Schon Ludwig XI, der ſo viele Gebiete der großen Vaſallen zu unterwerfen wußte, hatte auch daran gedacht, den Heimfall der ausgebreiteten Beſitzungen des Hauſes Bourbon vorzubereiten. Als er ſeine Tochter mit Peter von Bourbon-Beaujeu vermählte, mußte dieſer verſprechen, wenn er keine männliche Nachkommenſchaft erhalte, daß dann, ſo viel es ihn angehe, alle Beſitzthümer ſeines Hau - ſes an die Krone fallen ſollten. 1En tant qu’il le touchoit ou pourroit toucher, que tous les duchez comtez et vicomtez de la maison de Bourbon, adve - nant qu’il n’eust enfans masles de son mariage, appartinssent au roi. Auszug aus der Urkunde bei Pasquier Recherches de la France liv. VI, c. XI. Noch blühte eine jün - gere Linie des Hauſes in den Grafen von Montpenſier: des Königs Abſicht war, dieſelbe auszuſchließen.

Nach einiger Zeit trat nun wirklich der vorgeſehene Fall ein: Herzog Peter hinterließ bei ſeinem Tode nur eine Tochter, Suſanna.

Allein der nunmehrige König Ludwig XII war nicht geneigt, die doch immer ſehr einſeitig erworbenen Rechte der Krone ſtrenge geltend zu machen. Er erkannte die Lehns - anſprüche des Hauſes Montpenſier an: auch ein gewiſſes287Bourbon.Erbrecht der nachgelaſſenen Prinzeſſin ſtellte er nicht in Ab - rede: um keine Irrung zu veranlaſſen, vermittelte er die Vermählung des jungen Grafen Carl von Montpenſier mit Suſanna: eine gegenſeitige wohlerwogene Schenkung vermiſchte alle ihre Rechte.

Eben hiedurch ward nun dieſer Carl, nunmehr Her - zog von Bourbon, ſo mächtig. Er vereinigte zwei Fürſten - thümer, zwei Herzogthümer, vier Grafſchaften, zwei Vi - comteen, ſieben nicht unbedeutende Herrſchaften: man be - rechnete ſeine Einkünfte davon auf 120000 Ecus: bei weitem mehr, als damals die reichſten deutſchen Fürſten bezogen. Er hatte feſte Plätze mit Garniſonen, berief ſeine Stände, zog Abgaben ein: König Franz erneuerte überdieß in ihm die Würde eines Connetable. Er war tapfer, frei - gebig, leutſelig, und ſeit es ihm gelungen den Anfall Kai - ſer Maximilians auf Mailand im Jahre 1516 zurückzu - weiſen, genoß er ein allgemeines Anſehen in dem Heer und in der Nation. Seine Gedanken nahmen ſchon damals den höchſten Flug. Da der König noch keine geſicherte Nachkommenſchaft hatte, ſo hoffte er, noch einmal den Thron zu beſteigen. Zwar beſaßen die Alençon nähere Rechte, aber er glaubte, durch eine frühere Empörung die - ſer Linie ſeyen ihre Anſprüche verwirkt worden. Er gieng ſo weit, die Republik Venedig für dieſen Fall um ihre Un - terſtützung bitten zu laſſen. 1Notizen beſonders aus Badoer Relatione di Milano 1516 in der Chronik von Sanuto. Bourbon ſetzte dem Geſandten dieſe Anſpruͤche auseinander und fuͤgte hinzu: perho in quel caso la serma Signoria volesse ajutarlo. Uͤbrigens ſchildert ihn Badoer folgender -

288Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Einen ganz andern Gang aber nahmen die Ereigniſſe. Die Succeſſion des Königs befeſtigte ſich: nur ſeine und ſeiner Mutter Vertraute hatten Antheil an der Regierung: Bourbon ward von Mailand zurückberufen und in Frank - reich von den Staatsgeſchäften ausgeſchloſſen: bei dem er - ſten Feldzug welchen man wieder unternahm, jenem nie - derländiſchen, wurden ihm die Rechte eines Connetable nicht mehr zugeſtanden. Er konnte ſchon als das Oberhaupt der zahlreichen Mißvergnügten gelten, welche ſich die Ver - waltung Franz I durch ihre Unordnungen zuzog, als im Jahr 1522 ſeine ganze großartige Stellung gefährdet ward.

Seine Gemahlin Suſanna ſtarb, ohne ihm Kinder zu hinterlaſſen. Zwar hatte ſie ihm die alte[Schenkung] nochmals beſtätigt, allein auf der Stelle erhoben ſich die mächtigſten Prätenſionen auf ihre Verlaſſenſchaft.

Die Mutter des Königs, Louiſe von Savoyen, Nichte des Herzog Peter, Mitglied demnach der ältern Linie, for - derte überhaupt in die Gerechtſame Suſannas einzutreten; kaum war aber ihr Proceß anhängig geworden, ſo trat die Krone ſelbſt mit noch viel umfaſſendern Anſprüchen hervor: ſie machte nicht allein jene Zuſage des Herzog Peter, ſon - dern noch eine Menge andere ganz plauſible Titel geltend: gar bald drang ſie mit den einleuchtendſten durch, und auch wegen der übrigen wußte man von Seiten des Parlamen - tes dem Herzog keinen andern Rath zu geben, als er möge ſich mit ſeinen Gegnern zu vergleichen ſuchen. 1Gaillard (Histoire de François I) hat, was man ſchon ſonſt von einer Leidenſchaft Louiſens fuͤr den Connetable erzaͤhlte,Der Con -ne -1maaßen: prosperoso, traze un pallo di ferro molto gaiardamente, teme dio, è devoto, piatoso, humano e liberalissimo. 289Bourbon.netable ſah ſich in der ernſtlichen Gefahr wieder zu einem kleinen Grafen von Montpenſier herabzuſinken. Aber er war entſchloſſen das nicht zu erleben. Er wendete ſich an dasjenige Haus, das ſich eben anſchickte, die unterdrück - ten Rechte großer Vaſallen an der franzöſiſchen Krone zu rächen. Nicht der Kaiſer hat ihn aufgeſucht: die erſten Anträge hat Bourbon ſelbſt gemacht, und zwar in demſel - ben Momente, in welchem ſein Proceß anfieng, im Auguſt 1522. Damals ſendete er Adrian von Beaurain an den niederländiſchen Hof, und Margareta wunderte ſich nur, daß er ſich einem ſo jungen Menſchen anvertraue. 1Notizen aus den oͤſtreichiſchen Archiven in Hormayrs Ar - chiv. Jahrg. 1810 nr. 6.Je gefährlicher der Rechtshandel für ihn ward, um ſo ernſt - licher warf er ſich auf dieſe Unterhandlung. Dem Kaiſer, dem König konnte nichts willkommener ſeyn. Mehr als einmal machte Beaurain den Weg hin und zurück: ſpäter hat im Namen Heinrichs VIII Sir John Ruſſel den Con - netable verkleidet beſucht:2Herbert aus ſeinen Records p. 119. Nach den Auszuͤgen bei Hormayr (p. 27) ward die Sache dem engliſchen Hofe vor dem 1ſten Juni 1523 nicht officiell mitgetheilt; und wenn ich niche irre, ſo bezieht ſich darauf der undatirte Brief Wolſeys in den Statepa - pers nr. 78 p. 148. Denn was ſonſt ſollte der mervailous fordell ſeyn, dem kein gleicher zu erwarten: for the atteynyng of Fraunce? Die Ligue ward Anfang Auguſt unterzeichnet. (Schreiben von de Praet vom 9ten Aug. ibid.) Es waͤre zu wuͤnſchen, daß das Bundesin - ſtrument authentiſch zum Vorſchein kaͤme. Am ausfuͤhrlichſten uͤber die Abſichten des Momentes verbreiten ſich die Schreiben Wolſeys man kam überein, daß zu glei -1pſychologiſch weiter ausgemahlt; etwas beſſer iſt ſeine Bemerkung uͤber den Proceß ſelbſt in dem Anhang. Doch wird er hierin von Garnier Bd 24, p. 17 bei weitem uͤbertroffen. Auch bei Sismondi treten die poſitiven Momente nicht hinreichend hervor.Ranke d. Geſch. II. 19290Viertes Buch. Erſtes Capitel.cher Zeit ein deutſches Heer in Bourgogne, ein ſpaniſches in Languedoc, ein engliſches in die Picardie einfallen, und Bourbon ſich unabhängig erklären ſolle. Er ſchmeichelte ſich, 500 Hommes d’Armes und 10000 M. zu Fuß ins Feld ſtellen zu können. Der Kaiſer verſprach, ihn mit ſei - ner Schweſter zu vermählen, zum König zu erheben: er dagegen ſagte zu, den König von England als ſeinen Lehns - herrn anzuerkennen, in ſo fern der Kaiſer es wünſche.

Eben hatte Franz I den Entſchluß gefaßt, nachdem ſeine Heerführer ſo unglücklich geweſen waren, noch ein - mal in Perſon einen Verſuch auf das Herzogthum Mailand zu machen. Ein ſtattliches Heer war zuſammengebracht wor - den, und der Admiral Bonnivet, der die Avantgarde be - fehligte, war ſchon voraus, um die Alpenpäſſe in Beſitz zu nehmen: der König ſetzte ſich in Bewegung demſelben zu folgen. Die Verbündeten dachten zur Ausführung ihrer Pläne zu ſchreiten, ſobald er Frankreich verlaſſen haben würde.

Allein die Sache war doch ſchon zu Vielen bekannt geworden, um nicht endlich zu tranſpiriren. Am nieder - ländiſchen Hofe fürchtete man, ſie möchte von England, am engliſchen, ſie möchte von den Niederlanden her ver - lauten: auch in Frankreich hatte man ſie doch einigen nicht ganz zuverläßigen Perſonen, die man eben gewinnen wollte, mittheilen müſſen. Genug, der König ſchöpfte Verdacht: Bourbon hatte von Glück zu ſagen, daß er noch entfliehen2an die engliſchen Geſandten in Spanien Sampſon und Jerningham in Fiddes Collections hinter deſſen Life of Wolsey nr. 70 und 69; die eigentlichen Beſtimmungen des Vertrages habe ich jedoch auch da vergebens geſucht.291Angriff auf Frankreich 1523.konnte. Hierauf fand ſich der König bewogen, die italieni - ſche Armee der alleinigen Führung des Admirals zu überlaſ - ſen, ſelbſt aber zurückzubleiben, um jeder innern oder äußern Gefahr ſeines Reiches zu begegnen.

Bourbon, der über Beſançon nach der Grafſchaft Pfirt geflohen war, hatte ſogleich die Abſicht, einen Einfall in Frankreich zu unternehmen. Ein paar tauſend Landsknechte unter dem Grafen von Fürſtenberg brachen in die Cham - pagne ein: und beſetzten einige Plätze in der Nähe von Chaumont und Langres;1Bellay Memoires I, p. 294. Petri Martyris Epp. nr. 790; welcher meint, man habe die deutſchen Hauptleute mit Geld bearbeitet. Bourbons Idee war ſchon im - mer geweſen, daß zu gleicher Zeit die Engländer von einer andern Seite her ſo tief wie möglich in das Innere vordrin - gen, ſich aber dabei der Plünderung enthalten, nur als Be - freier von der Tyrannei Franz des I erſcheinen ſollten: dann, meinte er, würden ihnen alle Städte die Thore eröffnen. 2More to Wolsey 20 Spt. St. P. p. 139: The Duke ad - viseth that the Kinges army shall in the marching proclayme li - bertie sparing the cuntre fro burnyng and spoile. Der Koͤnig meint: ſie wuͤrden gar bald rufen: Home home, if they shold also for - bere the profite of the spoile. Jedoch die Landsknechte wurden gar bald durch Mangel an Geld und Lebensmitteln zum Abzug genöthigt: das eng - liſch-niederländiſche Heer drang wohl von der Picardie her vor, und ſetzte ſelbſt Paris einen Augenblick in Schrecken, aber es führte ſeinen Krieg auf die einmal herkömmliche Weiſe, und konnte nirgends feſten Fuß faſſen. Der Kriegseifer der Spanier entlud ſich vor Fuenterrabia, das die Fran - zoſen eingenommen. Bourbon ward inne, daß er fürs19*292Viertes Buch. Erſtes Capitel.Erſte dieſſeit der Alpen nichts ausrichten werde, und be - gab ſich nach Italien.

Dahin zog ſich überhaupt auch dieß Mal die nächſte Entſcheidung des Krieges.

Als Bonnivet mit dem ſtattlichen Heere, das der - nig gerüſtet um damit ſeinen Ruhm und ſeine Eroberung zu erneuern man rechnete es auf 30000 M. z. F. und 4000 z. Pf., in der Lombardei erſchien, waren die Kai - ſerlichen nicht im Stande, ihm den Übergang über den Teſ - ſino oder überhaupt das freie Feld ſtreitig zu machen. Prospero Colonna ſah ſich genöthigt, ſich auf die Verthei - digung der vier wichtigſten Plätze, Como, Cremona, Mai - land und Pavia einzuſchränken.

Glücklicherweiſe brauchte er jetzt von den ſonſtigen ita - lieniſchen Verbündeten der Franzoſen nichts zu fürchten. Unmittelbar vor ihrer Ankunft hatte der Kaiſer einen anti - franzöſiſchen Bund mit den italieniſchen Mächten zu Stande gebracht. Es kam ihm hiebei außerordentlich zu Statten, daß ſein alter Lehrer, Adrian, auf dem päpſtlichen Stuhle ſaß: ſo wie dieſer von den Eroberungsplänen ſeiner Vor - fahren, z. B. den Anſchlägen auf Ferrara, nichts mehr - ren wollte, ſo gab auch der Kaiſer alle Abſichten auf Ve - nedig auf: die Venezianer traten in den Bund des Kai - ſers, des Papſtes und des Königs von England,1Aus Paruta p. 217 ſieht man, daß die Ruͤckſicht auf Eng - land wegen der Handelsverhaͤltniſſe hiebei gar nicht unwirkſam war. Wolſey ſagt ſeinem Herrn geradezu: der Tractat ſey zu Stande ge - kommen by your mediacion and moost for your sake. St. P. nr. 66. und verſprachen Sforza’n in ſeinem Herzogthum zu ſchützen.

Vor allem kam es dann noch auf die Mailänder an,293Feldzug in Italien 1523.und man hielt es doch für gut, als die Franzoſen in der Nähe erſchienen, ihre Geſinnung zu erforſchen. Sie zeig - ten noch einmal ihre ganze Ergebenheit für den Herzog und das Reich. Auf den erſten Ruf der Glocken, am 22ſten September, kamen ſie ſo zahlreich wie je auf die beſtimmten Sammelplätze: ein Jeder in ſeinen Waffen: auch Viele von denen erſchienen, die ſich nicht hatten bewaffnen können. 1Lettera di Milano, narra quelli successi de di 16 Stt. a di 22 in der Chronik des Sanuto Bd 35.Der Herzog ritt zu den verſammelten Haufen. Er ſagte ihnen, er werde ſie mit der Milde und Groß - muth ſeiner Vorfahren regieren: ſie zeigten ſich willig, ihn zu vertheidigen. Der alte Prospero Colonna war wie geſchaffen dieſe Stimmung zu erhalten. Er erfreute ſich des Rufes, daß er eben ſo gut das Glück ſeines Vater - landes, wie die Macht des Reiches vor Augen habe. In den wilden Kriegsbewegungen war er immer als der Be - ſchützer der Bürger und Bauern erſchienen. Auch jetzt war auf das beſte geſorgt. Man hatte noch Zeit ge - habt, die Vorräthe für den Winter reichlich einzubringen: man hatte Handmühlen und Windmühlen innerhalb der Mauern, Wein in Überfluß. So waren auch die Ver - ſchanzungen trotz des großen Umkreiſes der Stadt vor - trefflich in Stand geſetzt. Täglich machte man Aus - fälle, und faſt immer brachte man Gefangene ein. Das Volk ward ſo muthig, daß es öfter um die Erlaubniß bat, in Maſſe hinauszugehn die Franzoſen anzugreifen. 2Lettera di Gratiani 21 Ott. bei Sanuto: Tanto stimano Francesi e Sguizari come se fussero tante puttane. Wenn von Mangel in Mailand die Rede iſt, ſo konnte der nur in den erſten

294Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Aber ohnehin ſah ſich Bonnivet durch Froſt und Schnee genöthigt, die Belagerung aufzuheben; und ſchon verſammelten ſich ganz andre militäriſche Kräfte.

Nach und nach trafen die italieniſchen Fußvölker ein, die man geworben: der Vicekönig von Neapel, Lannoy, führte ſchwere und leichte Reiterei herbei: die Venezianer erſchienen im Felde: die wichtigſte Verſtärkung aber bil - deten 7000 Landsknechte, nicht ohne Fürſorge des Erz - herzog Ferdinand1Dafuͤr dankt ihm ſpaͤter der Kaiſer. Schreiben bei Bucholtz II, 264. zuſammengebracht, unter Ludwig von Lodron und Eitelfritz von Zollern. Georg Frundsberg war dieß Mal zu Hauſe geblieben, doch hatte er ſeinen Sohn Caspar mitziehen heißen. Einige unternehmende Hauptleute, wie Schärtlin von Burtenbach, kamen auf eigne Koſten. Auch der Marques von Pescara, der die ſpaniſchen Fußvölker mit demſelben angebornen Talent be - fehligte wie Frundsberg die deutſchen, kam wieder. Er langte eben in dem rechten Moment an: als Prospero ſtarb; die Leitung der Unternehmungen fiel dadurch vor - nehmlich ihm anheim.

War man nun aber wieder im Stande, den Feind im Felde zu beſtehen, ſo war damit auch kein Augenblick zu verſäumen: auch er erwartete jeden Moment Verſtär - kungen, die ihm die alte Überlegenheit wohl zurückgegeben haben würden. Er hatte einen neuen Vertrag mit den Graubündnern geſchloſſen: die Berner unterſtützten den - nig ſogar mit Geld: von beiden Seiten waren nicht un - bedeutende Schaaren unterwegs.

2Tagen Statt finden, ehe alles recht eingerichtet war. Vgl. Gal. Capella und Carpeſanus p. 1356.

295Feldzug in Italien 1524.

Indeſſen hielten es die Kaiſerlichen und ihre Verbün - deten auch jetzt noch nicht für rathſam, eine Schlacht zu wagen; namentlich war der venezianiſche Proveditore da - gegen. Ich glaube doch nicht, ſagte eines Tages der Feld - hauptmann der Venezianer, Herzog von Urbino, zu dem Proveditore, Pier da cha Peſaro, ich glaube nicht, daß die Republik ſo viel gepanzerte Pferde, eine ſo große An - zahl von Fußvolk, alle dieſe um uns leuchtenden Waffen aus einem andern Grunde im Stande hält, als um im Felde zu ſchlagen wenn es nöthig iſt. Herr, erwie - derte der Proveditore, welchen Vortheil hätte die Repu - blik davon wenn wir ſchlügen? Eine Niederlage brächte alle ihre Beſitzungen in Gefahr: der Sieg kann uns auch ohne Schlacht nicht entgehn: wäre der Kaiſer in Perſon hier, ſo würde er keine Schlacht wollen. Dieſe Mei - nung, die den Feldhauptmann überzeugte, machte ſich darauf auch in jedem Kriegsrath geltend. Man faßte den Plan den Feind nicht durch offenen Anfall ſondern ſtrategiſch zu überwinden.

Während eine Abtheilung des Heeres ſich im Gebiet von Como und Bergamo aufſtellte, um die Bündner ent - fernt zu halten, gieng die Hauptmacht, bei der nun auch Bourbon, mit dem Range eines kaiſerlichen Statthalters bekleidet, eintraf, in der Nähe von Pavia über den Teſ - ſino, und nahm in unerwartetem Überfall das feſte Gar - lasco, das alle dieſe Gegenden beherrſcht. Hiedurch wurde Bonnivet genöthigt, ebenfalls über den Teſſino zurückzu - gehen, ſein feſtes Lager von Abbiate-graſſo zu verlaſſen, um wenigſtens Vigevene und die reichen Ebenen des Lo - mellino zu behaupten, aus denen er ſeine Lebensmittel be -296Viertes Buch. Erſtes Capitel.zog. 1Galeatius Capella lib. III, p. 191, aus welchem die mei - ſten andern geſchoͤpſt haben. Selbſt Du Bellay hat hier nur eine Uͤberarbeitung des Capella mit einigen franzoͤſiſchen Zuſaͤtzen. Eini - ges Schweizeriſche fuͤgt Anshelm hinzu, einiges Spaniſche, wiewohl ſehr weniges, Sandoval: die ihn ſonſt beide ebenfalls uͤberſetzen. Schade daß nicht auch Einer ſich die Muͤhe genommen hat, ihn zu ergaͤnzen, der von den Thaten der Landsknechte Kunde hatte Da - her kommt es, daß wir von denſelben in dieſem Feldzug faſt nichts weiter wiſſen, als was in der Lebensbeſchreibung Sebaſtian Schaͤrt - lins vorkommt.Gleich darauf aber giengen die Kaiſerlichen auch über die Gogna und nahmen Sartirana weg. Während Bonnivet, hiedurch in ſeiner neuen Stellung gefährdet wie früher in der alten, ſich in Bewegung ſetzte um ſie von da zu vertreiben, gelang es ihnen vielmehr ſchon auch Ver - celli durch die Gunſt der dortigen gibelliniſchen Faction in ihre Hände zu bekommen, wodurch ſie jenſeit der Seſia Fuß faßten, und den Admiral von der Baſis ſeiner Ope - rationen abſchnitten. Es blieb ihm nichts übrig, als ſich nach der obern Seſia zurückzuziehen, nach Gattinara hin, wo eben die neuen Schweizer von Ivrea her angekommen waren. Er gab noch immer die Hofnung nicht auf, mit dieſer Verſtärkung gegen den Feind umkehren, ihm noch ein - mal eine Schlacht anbieten zu können. Allein ſchon auf dem Wege fand er kleinere Plätze von den Kaiſerlichen eingenommen. Als er an der Seſia anlangte, weigerten ſich die Schweizer zu ihm herüberzukommen, und er ſelbſt mußte Anſtalt treffen über den Fluß zu gehn. Indem er dieß that, ward er von Pescara angegriffen. Es entſtand eine allgemeine Unordnung: die Brücke brach ein: Gatti - nara gieng in Feuer auf; ſo gering auch die Anzahl der Kaiſerlichen jenſeit des Fluſſes noch war, etwa tauſend297Feldzug in Italien 1524.leichte Pferde, tauſend Mann zu Fuß, ſo groß war doch der Verluſt den die Franzoſen erlitten: es blieb ihnen nichts übrig, als Italien abermals zu verlaſſen. Über - haupt zeigte ſich, daß es mit der Kriegsweiſe vorbei war, durch welche ſie daſelbſt in den letzten dreißig Jahren ge - glänzt hatten. Einzelne Waffenthaten, momentane Über - legenheit, ritterliche Bravheit entſchieden nicht mehr. Die erwachte nationale Antipathie machte eine hartnäckigere re - gelmäßigere Vertheidigung möglich: im Felde hatten die Berechnungen der Strategie, der geſchickte Gebrauch der Hakenbüchſen die Oberhand. Auf dieſem Rückzug fiel un - ter andern der gute Ritter, der Ritter ohne Furcht und Tadel, Bayard, der alle rühmlichen Eigenſchaften des Ritterthums zur Bewunderung der Freunde und Feinde noch einmal in ſich vereinigte. Er hatte immer die Ha - kenſchützen von Herzen gehaßt: ungern hatte er einem das Leben geſchenkt, der in ſeine Hand gefallen war: es war ihm beſtimmt, jetzt ſelbſt durch eine Kugel umzukom - men. 1Bei den Umſtaͤnden des Todes will ich nicht ſtehn bleiben, auch deshalb weil ſie mir in der That zweifelhaft ſind. Die Franzoſen (Bellay 342) erzaͤhlen, in ſeinen letzten Augenblicken habe ihn Bour - bon angeſprochen, Bayard habe demſelben noch ſeinen Abfall verwieſen. Es iſt ſchon bedenklich, daß in dem Leben des Bayard, Coll. univ. XVII, 412, ſich davon nichts findet. Aber in Italien erzaͤhlte man ſogarEs liegt etwas Symboliſches, Allgemein-bedeutendes in dieſem von ſo viel Geſchichtſchreibern hervorgehobenen Tode, der Niederlage dieſes ritterlichen Heeres überhaupt, ſo wie in dem Untergange Sickingens. Der Harniſch ward von dem Handrohr, wie die Burg von dem Ge - ſchütze beſiegt.

298Viertes Buch. Erſtes Capitel.

An der Verfolgung nahmen auch die Landsknechte ſehr thätigen Antheil. Sebaſtian Schärtlin erzählt, drei Tag und Nacht ſey man ihnen bis an den Fuß des St. Bernhard nachgeeilt: aus dem Thal von Aoſta brachte man das eroberte Feldgeſchütz feſtlich bekränzt nach dem Lager. Hierauf giengen die Plätze, welche die Franzoſen noch in Italien beſaßen, ſämmtlich über: ihre Niederlage war ſo vollſtändig wie möglich.

Und ſogleich erhob ſich nun in den Siegern es liegt eine Art von Nothwendigkeit darin der Gedanke, den Angriff auf Frankreich, der vor dem Jahre mißlungen, nunmehr beſſer ins Werk zu ſetzen. Bourbon fand das kaiſer - liche Heer vortrefflich; auch er zeigte ſich tapfer und erweckte Vertrauen. Die Lage von Italien ſchien es ohnehin - thig zu machen. Entweder mußte man Friede haben, wozu noch wenig Ausſicht war,1Die Instruction secrète etc. bei Bucholtz II, p. 503 kann hieruͤber nicht taͤuſchen. Die Menge der dort gemachten Vorſchlaͤge es ſind ihrer nicht weniger als neun zeigt ſchon wie unaus - fuͤhrbar ein jeder war. Sehr gut bemerkte das Peter Martyr Ep. 798 p. 472, Juli 1524: Temperate hujus tam incompositi psal - terii chordas. Dira ferri acies et humano cruore fluentes rivi has diriment querelas. oder man mußte dem König von Frankreich ſonſt zu ſchaffen geben. Lannoy ſchrieb1das Gegentheil: er habe noch die Ungerechtigkeiten des Koͤnigs, die Unordnungen der franzoͤſiſchen Regierung beklagt; dann ſey er ge - ſtorben. Carpeſanus p. 1375: questus de injusta in Borbonium ira, de fortuna et male animatorum hominum factione cuncta in Gallia permiscente. Sein Gefuͤhl mag wohl zwiſchen dieſen bei - den Aͤußerungen geſchwankt haben, die beide ihre Wahrheit hatten. Die Spanier endlich laſſen ihn Gott loben, daß er ſtirbt en ser - vicio de su rey y a manos de la mejor nacion del mundo. Ba - talla de Pabia. MS Alb. 299Angriff auf Frankreich 1524.dem Kaiſer, der Herzog von Mailand werde ihm eine theure Waare ſeyn, wenn es ihm nicht gelinge den unru - higen Nachbar klein zu machen. Der Kaiſer zog in Be - tracht, daß es beſſer ſey, den Feind in ſeinem Lande auf - zuſuchen, als ihn in Italien zu erwarten, wo man das Heer doch würde mit vielen Koſten beiſammenhalten müſ - ſen, und gab ſeine Einwilligung.

Auch dieß Mal ſtieg wohl wieder der Gedanke auf, Frankreich von vier Seiten anzugreifen: allein nach den Erfahrungen des vorigen Jahres ließ er ſich nicht ernſt - lich feſthalten. Niemand hatte Geld dazu. Schon ge - nug wenn man nur das italieniſche Heer wieder auf ein paar Monat befriedigen konnte. Bourbon hoffte auch mit dieſem allein die glänzendſten Thaten auszuführen.

Ihre Angelegenheiten, Sire, ſchrieb er dem Kaiſer, werden gut gehn. Wenn wir dem König von Frankreich eine Schlacht zu liefern vermögen, und ſie gewinnen wie ich hoffe, werden Sie der größte Mann ſeyn den es je - mals gab, und der ganzen Welt Geſetze geben. 1Auszug bei Bucholtz II, 263.

Und ſo führte Bourbon im Juli 1524 das kaiſerliche Heer 5000 Deutſche unter Zollern und Lodron, 3000 Spanier unter Pescara, und eine Anzahl Italiener aus Italien nach Frankreich. König Franz hatte keine Nei - gung, ſich den kriegeriſchen ſieggewohnten Banden im offe - nen Feld entgegenzuſtellen. Ungehindert drang Bourbon vor, beſetzte Antibes, Frejus, Hieres, Toulon, und ließ ſich huldigen. Er führte den Titel eines Grafen von Pro - vence, doch hatte er dem König von England den Vaſal -300Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſalleneid geleiſtet. 1Guicciardini ſagt zwar XIV, 448: Borbone constante - mente ricusò di riconoscere il re d’Inghilterra. Es iſt aber nichts deſto minder gewiß, daß er den Eid leiſtete, wie dieß Herbert an - giebt (p. 133) und wir aus einem Schreiben de Praet’s bei Hor - mayr (p. 27) unzweifelhaft entnehmen. Auch war der Koͤnig von England noch ſehr mit der Unternehmung einverſtanden. Richard Pace erzaͤhlte dem Venezianer Suriano, daß ihm ſein Koͤnig noch durch ein Schreiben vom 28ſten Juni ermaͤchtigt, Bourbon in ſeinem Vorhaben zu beſtaͤrken, ja daß ſich der Cardinal Wolſey noch un - term 14ten September erboten habe eine Landung verſuchen zu laſ - ſen, wenn ſie zu etwas helfen koͤnne. Wenn Pace nicht alle Raten richtig gezahlt hatte, ſo entſchuldigte er ſich damit, daß das auch der Kaiſer nicht immer gethan habe. Indeſſen wiſſen wir, daß John Ruſſel 20000 Pf. noch in das Lager vor Marſeille brachte. Daß Pace hier ſehr aufrichtig zu Werke gieng, laͤßt ſich daraus abneh - men, daß er doch bei alle dem ſchon einen gewiſſen Verdacht gegen den guten Willen des Cardinals aͤußert, der ein ſchlechter Menſch ſey attenta la pessima natura del ditto Cardenal. Wie dem auch ſeyn mag, ſo iſt es offenbar, daß man den Ausgang der Unter - nehmung in England mit Spannung erwartete. Erkannte doch Bour - bon keinen andern Koͤnig an als eben Heinrich VIII. Am 9ten Auguſt nahm er Aix die Hauptſtadt des Landes ein, am 19ten langte er vor Mar - ſeille an: er wußte wohl, daß alles andre verloren ſey, wenn er dieſen feſten Platz nicht beſitze. Was wäre es dem Kaiſer werth geweſen,[über] einen Hafen von ſolcher Bedeutung zwiſchen Barcellona und Genua gebieten zu können. Mar - ſeille hätte die eigentliche Schutzwehr für Italien und eine unvergleichliche Grundlage für jede künftige Unternehmung auf Frankreich ſelbſt gebildet. Beaurain hatte daran ge - dacht, Toulon für den Kaiſer in Stand zu ſetzen: es fehlte ihm aber an allen Mitteln. 2Schreiben bei Hormayr a. a. O.: er meinte, er wuͤrde das mit 10000 Duc. bewerkſtelligen.Um ſo eifriger machte man ſich an die Belagerung von Marſeille.

301Angriff auf Frankreich 1524.

Jetzt aber zeigte ſich, wie ſehr ſich auch in Frank - reich die Zeiten geändert hatten. Italiener welche das Land kannten, wie der Biſchof von Bayeux Lodovico Ca - noſſa, hatten es immer vorausgeſagt. 1Z. B. Lettere di principi I, 132. E siate certo che Fran - cesi adorano il loro re, e non vi fondate nelle ribellioni altre volte seguite in Francia, perche non vi sono più di quei tali principi che le causavano. Trotz ſo mancher Unzufriedenheit, zu welcher der König Urſach gab, fanden ſie doch, im Allgemeinen ſey er angebetet: durch ſeinen bloßen Abfall habe Bourbon allen Credit verloren. Es kommt in Betracht daß Bourbons Anſehn, ſo mächtig er war, doch noch nicht Zeit gehabt hatte, ſich zu befeſtigen. In den meiſten Beſitzungen die ihm gehörten, war er ein ſehr neuer Herr. Auch gab es Niemand der von der Krone ſo unabhängig geweſen wäre, um das Herz zu ha - ben ſich ihm anzuſchließen. Eben dieſer Augenblick beweiſt wie weit die ſich im Stillen vollziehende Conſolidation von Frankreich bereits gediehen war. Es erhob ſich nicht allein Niemand für Bourbon, ſondern der Angriff ver - ſchaffte dem König noch unbedingtern Gehorſam. Er konnte drei überaus ſtarke Tailles, zuſammen von mehr als 5 Millionen, bald nach einander ausſchreiben: der Cle - rus bequemte ſich zu Contributionen, die guten Städte ge - währten freiwillige Unterſtützungen, ſelbſt der Adel mußte ſich gezwungenen Anleihen unterwerfen. Was wollten ge - gen ſo reiche Geldkräfte die langſamen und zweifelhaften Zahlungen ſagen, welche von Spanien oder von England mühſam aufgebracht wurden. 2Garnier XXIV, 102. Sismondi XVI. König Franz ſtellte ein302Viertes Buch. Erſtes Capitel.Heer ins Feld, ſo ſtattlich wie jemals, bei 2000 H. d’A., 7000 M. franzöſiſchen Fußvolks hauptſächlich aus den kriegeriſchen Bauern des Dauphinē, 6000 Schweizer; bei dem Verfall der deutſchen Regierung war es ihm nicht ſchwer geworden, auch eine Anzahl Landsknechte um guten Sold an ſich zu ziehen.

Während dieſe Schaaren in der Gegend von Avignon ſich ſammelten, ſetzten die Kaiſerlichen ihre Belagerung mit großer Beharrlichkeit fort; aus den genommenen franzö - ſiſchen Plätzen ſchafften ſie einiges taugliche Geſchütz her - bei; unter ungemeinen Schwierigkeiten brachten ſie Lauf - gräben, endlich eine Batterie zu Stande, mit der ſie wirk - lich Breſche ſchoſſen; in den Scharmützeln leuchtete vor allen Pescara hervor, der in ſeiner ſonderbaren Tracht er trug rothe Unterkleider, darüber einen kurzen ſchwarzen Rock ohne Ärmel, einen Hut wie die Landsknechte, aber mit großen wehenden Federn wie ein Kriegszeichen an - zuſehen war; mit ihm wetteiferte ſein Neffe Guaſto. Noch bis in die zweite Hälfte des Septembers hatte man den beſten Muth; noch am 24ſten dachte man zu ſtürmen. Pes - cara trank ſeinen Spaniern zu und machte ſie munter; Bourbon verſprach königliche Erkenntlichkeit; die Leute be - reiteten ſich durch die Beichte zu der äußerſten Gefahr vor. Allein auch die Beſatzung der Stadt, von einem Italie - ner der orſiniſchen Faction, Renzo da Ceri befehligt, hielt ſich wacker und hatte ſich auf das beſte in Vertheidigungs - ſtand geſetzt. Bei den erſten vorläufigen Verſuchen ſah man, mit wem man es zu thun hatte. Man vernahm von den Gefangenen, wie hinter der Breſche blinde Grä -303Angriff auf Frankreich 1524.ben mit Pulver angefüllt, Kanonen an den Straßenecken aufgeführt, die Truppen an den gefährdeten Orten ſchlag - fertig aufgeſtellt ſeyen. 1Sandoval lib. XI, P. I, p. 598, hier nichts als eine woͤrt - liche Wiederholung einer alten Erzaͤhlung unter dem Titel Batalla de Pabia, aus der Sandoval hie und da corrigirt werden muͤßte: wie denn ſtatt Pizarmo zu leſen ſeyn wird Pizaño. Plötzlich ward Pescara andern Sinnes. Wer ſein Abendbrod in der Hölle eſſen will, rief er aus, der mag ſtürmen. Es ward ein Kriegs - rath berufen, in welchem man nicht allein die Wahrſchein - lichkeit, hier eine Niederlage zu leiden, ſondern auch die Gefahr erwog, in die durch längeres Verweilen Italien gerathe. Man fieng an zu vermuthen, der König möchte, ohne ſich um Marſeille zu kümmern, ſeinen Weg unmit - telbar nach Italien nehmen. Ihr Herrn, rief Pescara, wer dem Kaiſer Italien erhalten will, der folge mir nach. Nur ungern ließ Bourbon von der Hofnung ab, in ſeinem Vaterlande wieder Fuß zu faſſen: aber auch die deutſchen Oberſten, Zollern und Lodron waren für Pescara: am 28ſten September ward die Belagerung aufgehoben.

Es mag dahingeſtellt bleiben, ob der König wirklich den vermutheten Plan hatte: wenigſtens ſo viel iſt gewiß, daß er ſo wie er von dem Abzug Bourbons hörte, dieſen Gedanken auf das lebhafteſte ergriff und ſich keine Vor - ſtellung abhalten ließ, die treffliche Armee die er nun wie - der um ſich ſah, auf der Stelle über die Alpen zu führen. Er war entſchloſſen, noch einmal alles an die Wiedererobe - rung von Mailand zu ſetzen. Auf den Ärmeln ſeiner Leibwache las man die Worte: noch einmal und nicht wieder. 2Carpeſanus lib. X bei Martene V, p. 1379.

304Viertes Buch. Erſtes Capitel.

In wetteifernder Eile giengen nun die beiden Armeen über die Alpen. Die Kaiſerlichen machten ſich ſo leicht wie möglich. Nur einen kleinen Theil ihres Geſchützes, das ſie zerſchlagen, führten ſie auf Maulthieren mit ſich fort; das übrige ward vergraben oder nach Toulon ge - ſchafft. In zwei Colonnen bewegten ſie ſich vorwärts, jedoch auf derſelben Straße, ſo daß immer die erſte das Quartier verließ wenn die andre ankam. Eines Tages hatten ſich ein paar Deutſche betrunken und waren nicht fortzubringen: ohne Erbarmen ließ Pescara das Haus an - zünden worin ſie lagen, ſo daß ſie daſelbſt verbrannten: er wollte auch nicht Einen Mann in die Hand der Bauern gerathen laſſen: er hätte gefürchtet ihre Wuth zu erwecken. So paſſirten ſie Nizza, Ventimiglia, die Seealpen: in ihrem Äußern ziemlich heruntergekommen, aber nicht entmuthigt: hatten ſie doch keinen Verluſt erlitten! in langem Zuge führten ſie ihr ganzes Gepäck, alle den Kriegserwerb der früheren Jahre mit ſich.

Indeſſen zog Franz I mit ſeiner friſchen glänzenden Armee über die Oberalpen, Briançon Pignerol, und unaufhaltſam ſofort nach den lombardiſchen Ebenen. Er hoffte der kaiſerlichen Armee noch zuvorzukommen.

Eine mailändiſche Chronik verſichert, ſie ſeyen beide an demſelben Tag über den Teſſino gegangen, die franzö - ſiſche bei Abbiate-graſſo, die kaiſerliche in der Nähe von Pavia. 1Martino Verri bei P. Verri III, 241.

Auf jeden Fall waren jedoch die Kaiſerlichen ingro -305Franz I in Italien.großem Nachtheil. Sie konnten ſich jetzt nicht einmal auf Mailand verlaſſen, wo die Peſt ausgebrochen war. Franz Sforza ſagte: er ſey kein Vogel, um ſich in dieſen Bauer ſperren zu laſſen. Nur das Caſtell hielten ſie beſetzt. Die übrigen Truppen vertheilten ſich nach Pavia, Lodi und Cre - mona. Dieſe gewaltige Kriegsmacht, die noch vor ein paar Monaten den Kaiſer zum Herrn der Welt machen zu wollen ſchien, war plötzlich aus dem Felde verſchwunden. Mei - ſter Pasquin zu Rom ließ ſich nicht unwitzig vernehmen: es ſey ein kaiſerliches Heer in den Alpen verloren gegan - gen, der ehrliche Finder werde gebeten, es gegen eine gute Belohnung abzuliefern. Dagegen hatten die Franzoſen un - beſtritten das Land inne. Sie machten ſich daran, nun auch die Feſtungen zu erobern, zunächſt Pavia. Der An - fall auf Frankreich, der Franz I jenſeit der Alpen feſſeln ſollte, hatte nur gedient, alle Kräfte ſeines Reiches noch einmal zu entbinden, und ihm das Übergewicht in Ober - italien zu verſchaffen.

Schlacht bei Pavia.

Allein noch war auch die Sache des Kaiſers nicht ſo ganz verloren, wie es ausſah. Wenn jemals ſo kam es ihm jetzt zu Statten, daß er Deutſche in ſeinen Dien - ſten hatte und ohne Mühe andre herbeiziehen konnte.

Als Franz I es unternahm von den Feſtungen in der Lombardei zunächſt Pavia zu belagern, ſoll ihn dazu die Hofnung vermocht haben, die Deutſchen, welche daſelbſt die Beſatzung bildeten, zum Abfall zu bewegen. Allein er ſollte ſie anders kennen lernen. Die beiden Oberſten, ZollernRanke d. Geſch. II. 20306Viertes Buch. Erſtes Capitel.und Lodron waren dem Haus Öſtreich mannichfaltig ver - pflichtet; auch die Hauptleute ihre Namen verdienen wohl genannt zu werden: es waren Martin Pfaff, Graf Chri - ſtoph von Lupfen, Michael Alting, Eiteleck von Reiſchach, Heinrich von Caſtelalt, Conradin Glürns, Michael Mer - tel, Caspar Schwegler hatten ſich nun ſchon eine Zeitlang daher unter den kaiſerlichen Fahnen eingelebt. Ich will nicht ſagen was ein Jeder gethan haben würde, wenn er zuerſt Dienſte zu nehmen gehabt hätte: allein die genom - menen, in denen er ſich Anſprüche erworben, jetzt wieder zu verlaſſen war gewiß keiner geneigt. 1Bei Sandoval findet ſich zwar, Zollern habe auf Verrath geſonnen, und ſey deshalb bei einem Gaſtmahl vergiftet worden. Auch bei G. Capella findet ſich hievon eine Andeutung, jedoch mit dem Zuſatz: multi existimavere, was dann auch von Andern mehr oder minder bedingt wiederholt worden iſt. Nach dem Bericht des Taͤgius, Phyſicus und Ritter, der waͤhrend der Belagerung in Pa - via war, (de obsidione urbis Ticinensis ed. Pez p. 9) ſtarb Zol - lern post longas vigilias et assiduos labores ex tabida febre XVI Cal. Febr. Man ſagte in Pavia, er ſey ein Verwandter des kaiſerlichen Hauſes: aliquali affinitate cum Caesare conjunctus. In den Liedern wird er gefeiert, als derjenige Mann der an der Vertheidigung den thaͤtigſten Antheil nahm.Auch wäre das gibelli - niſche Pavia nicht geeignet geweſen Gedanken dieſer Art zu erwecken. Hier ſah man vornehme Damen ſelber an der Ar - beit des Schanzens Theil nehmen: der reichſte Bürger Mat - teo Beccaria hatte auf ſeine Koſten aus ſeinem Anhang in der Stadt ein Fähnlein gebildet: er gab wohl den Haupt - leuten auch dann noch als man übrigens ſchon Mangel ſpürte, ein prächtiges Gaſtmahl, und den Gemeinen fehlte es wenigſtens nie an weißem Brod und kühlem Wein. Der kai - ſerliche Befehlshaber Antonio Leiva rühmt den jungen Cas -307Belagerung von Pavia.par Frundsberg, der ſich hier zum Hauptmann aufſchwang, daß er ihn ſelbſt bei gutem Muth erhalten habe. Antonio Leiva war übrigens ganz für Fälle dieſer Art gemacht: eben ſo klug wie entſchloſſen: ſelber voll Aufopferung für die Sache des Kaiſers: er zog ſeine goldne Kette vom Hals und ließ Ducaten daraus prägen. So hielt man ſich auf das beſte, und ſchlug alle Stürme ab. Den Deutſchen kamen zuweilen ihre berginänniſchen Fertigkeiten zu gute;1Carpeſanus ſchreibt das Sprengen einer Bruͤcke Germanis, ingeniosis viris zu; Taͤgius ruͤhmt deshalb beſonders den Gluͤrns, der dieſelbe instrumentis ferreis mirabili arte in medio rescindit. dem König dagegen ſetzte auch der Fluß unüberwindlichen Widerſtand entgegen: der freilich verwegene Verſuch den Teſſin abzuleiten, mißlang ihm vollſtändig: im Januar 1525 ſah er ſich darauf beſchränkt, die Stadt umſchloſſen zu hal - ten und wo möglich auszuhungern. 2Lettera di Pavia 10 Genn. Chr. Ven. MS. Man vernimmt, che il re Xmo avea deliberato di non voler piu dar battaglia a Pavia per non far morir gente, ma volea tener quella assediata et in simil modo averla. Einige tauſend Mann ſonderte er unter dem Herzog von Albanien ab, um eine Diverſion in dem mittlern oder untern Italien zu verſuchen.

Indem aber kamen auch ſchon andre deutſche Schaa - ren die Berge herab. Bourbon hatte die Juwelen ver - kauft die er bei ſeiner Flucht gerettet, war dann ſelbſt nach Insbruck, nach Augsburg gegangen; von Erzherzog Fer - dinand unterſtützt brachte er jetzt achtzehn Fähnlein Lands - knechte unter Marx Sittich von Ems herüber: Graf Ni - colaus von Salm begleitete ſie mit 200 Pferden vom Hofge - ſinde. Indeſſen ließ der Vicekönig in Neapel alles veräußern,20*308Viertes Buch. Erſtes Capitel.was einen Käufer fand: mit dem Geld ſchickte er dann einen Abgeordneten unmittelbar an Georg Frundsberg. Dem lag die italieniſche Macht des Kaiſers, die er mit grün - den helfen, wie eine eigne Sache am Herzen: ein neuer Beweggrund war es für ihn, daß er ſeinen Sohn zu ent - ſetzen hatte. Am 3ten Weihnachtsfeiertag muſterte auch er 11 Fähnlein zu Meran: 25 nahmhafte Hauptleute, viele Kriegsgefährten aus guten Häuſern umgaben ihn, es wa - ren die Junker, die kein Bleiben zu Hauſe hatten, und denen die überzähligen Bauernſöhne folgten. Am 24ſten Januar1Reisner: Hiſtoria Herrn Georgens und Herrn Casparen von Frundsberg p. 38. Vgl. G. Bartholds Frundsberg. vereinigten ſich die beiden Haufen mit dem ita - lieniſchen Heere in Lodi.

Sie ſahen ſich in der Nothwendigkeit, unmittelbar ins Feld zu gehn. Trotz aller jener Anſtrengungen war doch nicht Geld genug vorhanden, um die Truppen lange zu - frieden zu ſtellen. Die Meiſten hatten nichts weiter als das Laufgeld empfangen, ſie verſprachen nur auf eine be - ſtimmte Zeit ohne Sold zu dienen. Auch mußte Pavia errettet werden. Schon am 4ten Februar langte das Heer in der Nähe dieſer Stadt an, warf einige Leute mit Mu - nition hinein, und that alles, um den König zu reizen, aus ſeinem feſten Lager hervorzukommen.

Dieß waren jedoch vergebliche Anſtrengungen. Der König wollte die ſtarke Stellung, die er im Park vor Pavia genommen, nicht verlaſſen; da hatte man ſich auf das beſte befeſtigt:2Extrait des lettres ecrites en Allemand à Monseigneur l’archiduc Ferdinand par Messire George de Fronsberg. Urkun - denbuch zu Bucholtz: Ferdinand I, p. 1. man lebte bereits ziemlich bequem: man hatte Le -309Annaͤherung der Kaiſerlichen.bensmittel die Fülle: er hielt es für vortheilhafter, ange - griffen zu werden, wie ſchon einſt bei Marignano, als an - zugreifen, was den Seinen vor kurzem bei Bicocca ſo übel ausgeſchlagen war.

Dazu mußten ſich nun auch endlich die Kaiſerlichen entſchließen, aus Mangel ſo an Geld wie an Lebensmitteln:1In einer anonymen Zeitungsnachricht Lettere di principi I, 153, und daraus bei Sismondi Hist. de France XVI, 232, heißt es zwar, zwei Tag vor der Schlacht ſeyen 150000 Sc. aus Spanien im Lager angekommen: das muß aber eine falſche Nach - richt ſeyn: in dem Schlachtbericht des Pescara heißt es ausdruͤcklich: De ninguno canto nostra necessidad tenia rimedio; er habe ein - geſehen: que deshazer el exercito a lavio del enemigo era tan mal como perdillo con batalla. ſie urtheilten, es ſey eben ſo ſchlimm wenn man ſich im Angeſicht des Feinds auflöſe, wie wenn man eine Nie - derlage erleide. Gott gebe mir, ſagte Pescara, hundert Jahre Krieg und nicht Einen Schlachttag, aber heute iſt kein Ausweg. Er begab ſich in die Mitte ſeiner Spanier, und ſtellte ihnen vor, daß kein Fußbreit Landes ihnen an - gehöre, kein Stück Brot da ſey, um davon morgen zu le - ben, aber vor Euch, rief er, iſt das Lager, wo man Brot vollauf hat, und Fleiſch und Wein, und Karpfen vom Gardaſee. Wir müſſen es haben, wir müſſen den Feind herausjagen. Wir wollen den Tag des h. Matthäus be - rühmt machen. Schon hatte auch Georg Frundsberg auf ähnliche Weiſe ſeine Deutſchen angeredet. Mit erhobenen Händen hatten ſie ihm verſprochen, es mit dem prächtigen Feinde aufzunehmen ihre Brüder in Pavia zu erledigen.

Es war nicht eine jener glänzenden Feldſchlachten zu erwarten, in denen wohl ſonſt zwei Ritterſchaften um den Preis der Ehre ſchlugen: eine geldbedürftige, Mangel lei -310Viertes Buch. Erſtes Capitel.dende Söldnerſchaar, die ihren Dienſt nur noch auf eine beſtimmte Anzahl Tage zugeſagt, mußte unverzüglich an den Feind herangeführt werden, weil ſie ſich ſonſt aufge - löſt hätte. Sie wollte das reiche Lager des Feindes er - beuten, ihre Waffenbrüder entſetzen, das ſo oft eroberte Land endlich einmal ſichern. Daran gieng ſie auch unter den ungünſtigſten Umſtänden. Entweder, ſchreibt Pescara dem Kaiſer, mußte E. M. den erwünſchten Sieg er - langen, oder wir erfüllten mit unſerm Tode die Pflicht, Ihnen zu dienen.

Der Plan Pescaras gieng eigentlich auf einen nächt - lichen Überfall. Mitten in dem Park lag die Meierei Mi - rabella, wo der Markt des Lagers gehalten zu werden pflegte, und ein Theil der Reiterei aufgeſtellt war. Dort wollte er ſich, wo möglich, mit der Beſatzung von Pavia verei - nigen. Um Mitternacht fieng man an die Mauer des Par - kes einzureißen. Zweitauſend Deutſche, aus dem Frunds - bergiſchen wie dem Emſiſchen Regiment, tauſend Spanier, weiße Hemden über ihre Panzer, ſollten den Uberfall aus - führen. Allein die Mauer war feſter als man dachte: es wurde Tag, ehe eine hinreichende Lücke geriſſen war. Als jetzt an dem Morgen des 24ſten Februar jene Truppen eindrangen, waren die Franzoſen ſchon in voller Bewe - gung. 1Epitre du roi traitant de son partement de France et de sa prise devant Pavie, bei Lenglet und Goͤbel p. XXX. Au matin ils feirent leur entrée Et nous aussi estions ja en bataille. So viel war allerdings erreicht worden, daß ſie ihre feſte Stellung verließen und auf der Haide des Parks in das freie Feld kamen: allein das kaiſerliche Heer ſelbſt ge -311Schlacht bei Pavia.rieth dadurch in die größte Gefahr: das bei weitem über - legene franzöſiſche Geſchütz erreichte die Geſchwader der Landsknechte, indem ſie heranmarſchirten, und brachte ihnen nicht geringe Verluſte bei: auch die leichte Reiterei gerieth in Nachtheil: König Franz, der ſich hier ſelber in das erſte Handgemenge ſtürzte, und einen tapfern Ritter mit eigner Hand erlegte, war ſehr glücklich als er ein paar Fähnlein zerſprengt vor ſich her fliehen ſah: Heute, ſagte er zu einem ſeiner Begleiter, nenne ich mich Herr von Mai - land: er hielt inne, um die Pferde ein wenig verſchnau - fen zu laſſen. 1Lettera di Paulo Luzasco al Sr Marchese di Mantua, nach einer Erzaͤhlung des Koͤnigs ſelbſt, im Anhang.Seine Armee rückte in der beſten Ord - nung vor: unaufhörlich ſpielte ihr Geſchütz.

Allein in dieſem Augenblick ſollte die Schlacht erſt ei - gentlich beginnen. Pescara hatte jene dreitauſend, die nun nichts mehr ausrichten konnten, zumal da auch die Freunde aus Pavia nicht erſchienen, wieder an ſich gezogen: allmäh - lig kamen auch die beiden großen Schaaren Frundsbergs und Marx Sittichs von Ems heran: Frundsberg mit ſei - nen Gefährten, den Grafen von Ortenburg, Hag, Virne - burg, Herrn von Loſenſtein und Fleckenſtein, und ihm zur Seite Marx Sittich bildeten jetzt den linken Flügel:2Ergiebt ſich aus dem frundsbergiſchen Schlachtbericht, moy et ma bande tirasmes à la main senestre vers le dite Marchsith contre les dits françois; da findet ſich auch die Zahl der Haken - ſchuͤtzen. Man nimmt gewoͤhnlich 500 an: auch Taͤgius nennt ſo viel, doch moͤgen das blos die Spanier geweſen ſeyn. Daß auch die Landsknechte mit Buͤchſen bewaffnet waren, beweiſt unter andern der Vers des Liedes: Schießt Drein, ſchießt Drein ihr frumme Lands - knecht. (Bei Soltau p. 250.) denn zur Rechten hielt Pescara mit den Spaniern und312Viertes Buch. Erſtes Capitel.jenen zweitauſend Deutſchen. In deſſen Nähe hatte ſich auch die Reiterei wieder geordnet. Da ſie der franzö - ſiſchen augenſcheinlich nicht gewachſen war, ſo gaben ihr Pescara und Frundsberg 1500 Hakenſchützen zur Seite. Der Vicekönig, der noch immer geglaubt, man könne ſich dem Feinde gegenüber im Park verſchanzen, ſah jetzt wohl ein, daß das nicht mehr möglich war. Es iſt keine Hülfe, als bei Gott, ſagte er, ihr Herrn, macht es wie ich, bezeichnete ſich mit dem Kreuz und gab ſeinem Pferde die Sporen, zum Angriff.

So eröffnete ſich das Treffen zunächſt auf dem rechten Flügel: ein Theil der franzöſiſchen Hommes d’Armes, den König an ihrer Spitze, ſchlug hier mit der ſpaniſch-italieni - ſchen und der ſalmiſchen Reiterei: in dem Centrum, aber noch etwas weiter entfernt, rückten andre franzöſiſche Reiter un - ter Alençon mit 28 ſchweizeriſchen Fähnlein gegen Pescara und Guaſto mit ihren Spaniern und Deutſchen heran: ge - gen den linken Flügel der Kaiſerlichen, die beiden großen Landsknechthaufen, bewegten ſich, vortrefflich mit Geſchütz verſehen, die ſchwarzen Fähnlein, jene Deutſchen von Gel - dern und Lothringen, die unter dem König dienten.

Hier kam es zuerſt zur Entſcheidung. Die franzöſi - ſchen und die kaiſerlichen Deutſchen haßten einander am entſchiedenſten. Aus den Reihen der erſten trat ein Augs - burger, Haus Langenmantel hervor und forderte die beiden deutſchen Oberſten zum Zweikampf heraus. Aber er ward deſſen, da er den Franzoſen diente, gleichſam nicht mehr für würdig gehalten: auf der Stelle war er zu Boden ge - ſtreckt und getödtet: ein Knecht erhob die ihm abgehauene313Schlacht bei Pavia.Hand mit ihren goldnen Ringen wie ein Siegeszeichen. Hierauf ward man um ſo ernſtlicher handgemein. Marx Sit - tich von Ems warf ſich durch eine raſche Wendung den Schwarzen in die Flanke. 1Ein ſchoͤns neüwes Lied von der Schlacht newlich vor Pa - uia geſchehen, zwar nicht ſehr poetiſch, aber deſto richtiger, wie ſich aus ſeiner Uͤbereinſtimmung mit dem Berichte Frundsbergs ergiebt: Da das erſachen die Lanntzknecht, bey dem Frantzoſen, merkendt rechtt, zugendt vnns vnnder augen, Herr Joͤrgen Hauff gryffenn ſie an, vnnd thaͤtten in nitt fragenn. Da dz erſach herr Marxen hauff, an di - ſem orth gryffen ſie drauff gar tapfferlich durchtrungen.Sie wehrten ſich auf das ta - pferſte, ſie kamen faſt ſämmtlich um. Ihr Geſchütz gerieth den Kaiſerlichen in die Hände.

Unterdeſſen hatte ſich das Centrum genähert. Schon brachten die Hakenbüchſen eine furchtbare Wirkung auf die Hommes d’Armes hervor kein Harniſch war ſtark genug, um vor den Kugeln der Handrohre zu ſchützen, als Pescara mit ſeinen ſpaniſchen Veteranen die Schweizer angriff. 2Sein eigentlicher Schlachtbericht, uͤbereinſtimmend mit der Erzaͤhlung des Koͤnigs bei Luzasco. Wenn er ſagt, er habe Guaſto mit den Deutſchen gegen die Landsknechte des Koͤnigs geſchickt, ſo laͤßt ſich das nicht anders verſtehn, als daß auch Guaſto an jenem Anfall Sittichs Theil nahm. Denn daß dieſer ſelbſt und Frundsberg das Beſte dabei thaten, ſteht aus den deutſchen Nachrichten feſt.Es kam alles zuſammen: die Wuth dieſes Anfalles: die Wirkung des Handgeſchützes auf die Reiterei: der Anblick der Niederlage der ſchwarzen Fähnlein: und das Heran - dringen der ſiegreichen Geſchwader der kaiſerlichen Deut - ſchen: das ganze franzöſiſche Centrum gerieth in Unord - nung; von den Hommes d’Armes warf ſich zuerſt Alençon in die Flucht: die Schweizer wurden zum Theil mit fort - geriſſen, zum Theil durchbrochen: in dieſem Augenblick er -314Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei - chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.

Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute in voller Flucht erblickte. Mein Gott, was iſt das, rief er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän - gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei - nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte, unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. 1L’heureux present, par lequel te promys point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi. Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang - ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut - ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte, ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan - genen annahm.

Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000 die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa - ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die315Naͤchſte Folgen des Sieges.Anführer der Franzoſen, mit wenigen Ausnahmen, waren getödtet oder gefangen: vor allem den mächtigen König ſel - ber hatte man in ſeiner Gewalt: nie war ein Sieg voll - ſtändiger. 1Ich habe bei dieſer Schlachtbeſchreibung mich nicht an die fruͤhern Hiſtoriker, wie Capella, Guicciardini, Jovius, Bellay, hal - ten zu duͤrfen geglaubt, auch bei Reisner alles vermieden was er aus Jovius genommen; da wir jetzt authentiſchere Kunde aus den Be - richten der Befehlshaber ſelbſt ſchoͤpfen koͤnnen: 1) Frundsbergs, bei Bucholtz, wohl identiſch mit einem alten deutſchen Druck