PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Deutſche Geſchichte im Zeitalter der Reformation.
Zweiter Band.
Berlin,1839.Bei Duncker und Humblot.
[II][III]

Inhalt.

  • Seite
  • Drittes Buch. Verſuche einer nationalen Durchfuͤhrung der Reform. 1521 15251
  • Erſtes Capitel. Unruhen in Wittenberg. Octo - ber 1521 bis Maͤrz 15228
  • Friedrich der Weiſe 25. Zweites Capitel. Weltliche und geiſtliche Ten - denzen des Reichsregimentes 1521 2337
  • Reichstage zu Nuͤrnberg 1522, 1523. 40 ff. Entwurf eines Grenzzollſyſtemes 44. Drittes Capitel. Ausbreitung der Lehre. 1522 bis 152465
  • Viertes Capitel. Oppoſition gegen das Regi - ment, Reichstag von 1523, 24100
  • Sickingen und ſeine Gegner101
  • Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof124
  • Reichstag von 1524133
  • Fuͤnftes Capitel. Urſprung der Spaltung in der Nation145
  • Convent in Regensburg 158. Sechstes Capitel. Der Bauernkrieg182
  • Siebentes Capitel. Anfang entgegengeſetzter Buͤndniſſe, Reichstag zu Augsburg im Dez. 1525225
  • Erſte Saͤculariſationsverſuche233.
  • IV
  • Seite
  • Viertes Buch. Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe, Gruͤndung der Landeskirchen. 1521 1528249
  • Erſtes Capitel. Franzoͤſiſch-italieniſche Kriege bis zur Ligue von Cognac. 1521 1526251
  • Feldzug von 1521, 22260
  • Feldzug von 1523, 24. Angriff auf Frankreich283
  • Schlacht bei Pavia305
  • Mißverſtaͤndniſſe zwiſchen Papſt und Kaiſer320
  • Zweites Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr 1526346
  • Drittes Capitel. Eroberung von Rom im Jahr 1527372
  • Viertes Capitel. Beſitznahme von Boͤhmen und Ungern402
  • Fuͤnftes Capitel. Gruͤndung evangeliſcher Ter - titorien431
  • Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts 437. Viſitation in Sachſen 442. Heſſen 450. Fraͤnkiſch-brandenburgiſche Fuͤrſtenthuͤmer 452. Nuͤrnberg 454. Luͤneburg 459. Oſtfriesland 460. Schleswig und Holſtein 461. Schle - ſien 462. Preußen 466.
[1]

Drittes Buch. Verſuche einer nationalen Durchführung der Reform. 1521 1525.

Ranke d. Geſch. II. 1[2][3]

Wir haben geſehen, wie aus der einſeitigen Entwickelung welche das lateiniſche Kirchenweſen genommen, die Noth - wendigkeit entſprang daſſelbe zu reformiren, die allgemeine Lage der Weltverhältniſſe das forderte, die nationalen Re - gungen des deutſchen Geiſtes, die Fortſchritte der Gelehr - ſamkeit, die Gegenſätze der Theologie dazu vorbereiteten, wie endlich die Mißbräuche des Ablaßhandels, die daran ſich knüpfenden Streitigkeiten, ohne daß Jemand die bewußte Abſicht gehabt hätte, zu dem gewaltigſten Ausbruche der Oppoſition führten.

War das nun unvermeidlich, ſo dürfen wir doch nicht weiter gehn, ohne zu bemerken wie höchſt gefährlich es zu - gleich werden konnte.

Denn in der Totalität des Beſtehenden, wie es nun einmal geworden, iſt alles verbunden, unterſtützt ſich alles: ſind die innern Lebenskräfte einmal in Kampf geſetzt, wer kann ſagen, wo dem ſiegreichen Angriff wieder Einhalt ge - ſchehen, ob er nicht alles umſtürzen werde.

Bei welchem Inſtitute auf Erden wäre aber dieſe Ge - fahr größer geweſen, als bei dem Papſtthum, welches auf1*4Drittes Buch.das geſammte Leben der europäiſchen Nationen ſeit Jahr - hunderten einen ſo mächtigen Einfluß ausgeübt hatte.

Was in Europa beſtand, war doch im Grunde eben jener kriegeriſch-prieſterliche Staat, der im 8ten, 9ten Jahrhundert gebildet worden, und allen Veränderungen welche eingetreten ſeyn mochten zum Trotz, in ſeiner Tiefe, der Miſchung ſeiner Grundbeſtandtheile immer derſelbe ge - blieben war. Ja die Veränderungen welche geſchehen ſelbſt, hatten doch in der Regel das prieſterliche Element begünſtigt; eben vermöge ſeiner Siege hatte es alle For - men des öffentlichen und des Privat-Lebens, alle Adern der geiſtigen Bildung durchdrungen. Wie war es möglich, es anzugreifen, ohne alles zu erſchüttern, in Frage zu ſetzen, ohne das ganze gebildete Daſeyn zu gefährden.

Man dürfte nicht glauben, dem Dogma, in dem Fort - gange ſeiner hierarchiſch-ſcholaſtiſchen Formation, habe eine ſo unwiderſtehliche Kraft die Gemüther zu überzeugen, ſich zu ei - gen zu machen, beigewohnt. Dieſe Feſtſetzung ſelbſt hatte viel - mehr unaufhörlichen Widerſpruch gefunden; in der Regel wohl nur innerhalb des Kreiſes der einmal angenommenen Ideen, zuweilen aber auch jenſeit deſſelben in entſchloſſener Feindſeligkeit. Allein das enge Verhältniß, in dem ſich das Papſtthum zu allen beſtehenden Gewalten zu erhalten wußte, hatte immer bewirkt, daß die Oppoſitionen unterlagen. Wie hätte auch z. B. ein Kaiſer es wagen können, eine dem herrſchenden Syſtem der Gedanken nicht in einzelnen Beſtimmungen, worauf wenig ankam, ſondern innerlich und weſentlich entgegengeſetzte religiöſe Meinung in Schutz zu nehmen? Selbſt einem Papſte gegenüber, den er bekriegte,5Vorwort.durfte er es nicht wagen: er hätte fürchten müſſen den gei - ſtigen Grund zu untergraben auf welchem ſeine eigne Würde beruhte; übrigens hätte er ja auch erſt ſelbſt den Kreis der Vorſtellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüther feſ - ſelte. Die Staatsgewalten fühlten ſich immer in unauflös - lichen Beziehungen zur Hierarchie; die Verfolgungen der Andersgläubigen führten ſie in der Regel ſelber aus.

Dazu kam, daß ſich mit den letzten Angriffen auf das römiſche Kirchenweſen in der That Unternehmungen der ge - fährlichſten Art in Verbindung geſetzt hatten.

Es war nun anderthalb Jahrhunderte her, daß John Wicliffe in England ziemlich mit denſelben Waffen wie Lu - ther, und durch verwandte nationale Regungen unterſtützt, den Kampf mit dem Papſtthum unternommen hatte, aber auf der Stelle hatte ſich ihm eine ſtürmiſche Bewegung der unterſten Stände zugeſellt, die mit den Verbeſſe - rungen des Dogma oder der Emancipation von dem - miſchen Stuhle nicht zufrieden, auf die Vertilgung der geſammten Pfründen beſetzenden Geiſtlichkeit,1Vgl. Prioris et capituli Cantuarensis mandatum 16 Spt. 1381 bei Wilkins Concilia Magnae Britanniae III, 133. ja auf die Gleichmachung des Edelmanns und des Bauern, d. i. auf eine vollſtändige Umkehr der Kirche und des Staates aus - gieng. Mochte nun Wicliffe an dieſem Treiben Antheil haben oder nicht, genug, von der Ungunſt welche es er - weckte, ward auch er betroffen, und von dem Schauplatz ſeiner Thätigkeit, von Oxford, von wo er ſich unmittelbar in der Welt hätte Bahn machen können, auf den engen Wirkungskreis einer Landpfarre verwieſen.

6Drittes Buch.

Die Bewegungen in Böhmen, die in Folge der Leh - ren und der Verdammung Huſſens ausbrachen, hielten ſich zwar zunächſt an das geiſtliche Element von dem ſie aus - gegangen waren;1Ein Hauptmotiv der Bewegungen, das man gewoͤhnlich uͤber - ſieht, ſtellt der wohlunterrichtete Hemmerlin in ſeinem Tractat de libertate ecclesiastica heraus und ich will es doch hier mit ſeinen Worten in Erinnerung bringen. In regno Bohemiae quasi omnes possessiones et terrarum portiones et portiones portionum quasi per singulos passus fuerunt occupatae, intricatae et aggravatae per census, reditus et proventus clero debitos. Vnde populares nimis exasperati insultarunt in clerum et religiosos et ter - ram prius occupatam penitus liberarunt. allein der Widerſtand den ſie fanden erweckte gar bald eine höchſt verderbliche fanatiſche Rich - tung. Die Taboriten verwarfen nicht allein die Lehren der Kirchenväter, ſo gut wie die ſpäteſten Satzungen, ſondern ſie wollten die Bücher, in denen ſie enthalten, vertilgt wiſſen. Sie erklärten es für eitel und unevangeliſch, ja ſündlich, Studien zu treiben, Grade auf den Univerſitäten zu em - pfangen. 2Formula fidei Taboritarum ap. Laur. Byzynium (Brzezina): Ludewig Reliquiae MSS Tom. VI, p. 191.Sie predigten, daß Gott die Welt verderben wolle, und nur die gerechten Menſchen in fünf Städten erretten werde:3Byzynii Diarium belli Hussitici ib. p. 155 sq. ihre Prediger hielten ſich für die Racheen - gel Gottes, geſendet, um ſein Gebot der Vernichtung zu vollſtrecken. Sie würden die Welt im Namen Gottes in eine Wüſte verwandelt haben, wenn es in ihrer Macht geſtanden hätte.

Denn mit einer gelingenden Oppoſition pflegen ſich zerſtörende Tendenzen zu entwickeln; um ſo heftiger, je ge - waltiger der Feind noch iſt, mit dem ſie kämpfen muß.

7Vorwort.

Und ſollte nun in Deutſchland, wo der Papſt bis - her einen Theil der Reichsgewalt in Händen gehabt, nicht auch ein ähnlicher Sturm zu befürchten ſeyn?

Die Nation war von einer allgemeinen Gährung er - griffen: in der Tiefe hatte ſich, den geordneten Gewalten gegenüber, ſchon immer die drohende Empörung geregt: ſollte ſie durch den Angriff auf die höchſte irdiſche Gewalt die man anerkannte, nicht aufgerufen werden? ſollten ſich nicht die deſtructiven Kräfte erheben, welche jede Geſellſchaft birgt, und welche dieſer prieſterlich-kriegeriſche Staat ſchlech - terdings nicht hatte beſeitigen können?

Für die Zukunft der deutſchen Nation kam nun alles darauf an, ob ſie dieſe Gefahr beſtehen würde, oder nicht, ob es ihr gelingen würde, ſich von dem Papſtthum zu trennen, ohne zugleich den Staat und die allgemeine lang - ſam gewonnene Cultur zu gefährden, zu welcher Verfaſſung denn ohne große politiſche Veränderung konnte es nicht abgehen die Nation alsdann ſich entwickeln würde. Darauf beruhte zugleich die Möglichkeit einer Einwirkung auf die übrige Welt.

Zunächſt nahm der Gang der Ereigniſſe einen höchſt gefährlichen Character an.

[8]

Erſtes Capitel. Unruhen in Wittenberg. October 1521 bis März 1522.

Noch einmal hatte ſich in Deutſchland die höchſte welt - liche Gewalt mit dem Papſtthum verbündet, und im erſten Augenblick machte das doch einen großen Eindruck. Das Wormſer Edict ward allenthalben verkündigt, und hie und da wurden die Beichtväter von den Biſchöfen inſtruirt, Nie - manden zu abſolviren, der ſich lutheriſcher Meinungen ſchul - dig mache. Luthern ſelbſt wußte ſein Fürſt nur dadurch zu retten, daß er ihn auf der Reiſe im Thüringer Wald überfallen, zum Schein gefangen nehmen und nach der Wartburg führen ließ, wo er ihm eine Freiſtatt beſtimmt hatte. Man breitete aus, er ſey von einem Feinde des Churfürſten aufgehoben und vielleicht getödtet worden.

Allein ſehr bald zeigte ſich doch, wie wenig damit er - reicht war.

Wo Carl ſelbſt ſich aufhielt, in ſeinen niederländiſchen Städten brachte man wohl Luthers Schriften zu Hauf und verbrannte ſie; man ſah den Kaiſer ironiſch lächeln, wenn er über einen Marktplatz gehend an ſo einem Feuer vorüber kam; in dem innern Deutſchland hören wir nichts von9Unruhen in Wittenberg.dieſen Executionen. Vielmehr machte hier der Ruf der Ereigniſſe am Reichstag, das erſcheinende Edict Luthern neue Freunde. Daß er in Worms ſich zu ſeinen Büchern bekannt, ſich erboten, ſie zu widerrufen, wenn man ihn widerlege, und ſich doch Niemand an ihn gewagt habe, erſchien als ein großes Argument für die Wahrheit ſeiner Lehre. 1Ein ſchoner Dialogus und geſprech tzwiſchen eim Pfarrer und eim Schulthayß, betreffend allen uͤbel Stand der Geyſtlichen ꝛc. ; ohne Zweifel unmittelbar nach dem Reichstag: wo es heißt warum hand ir dan nit Doctor Luther mit Disputiren yez zu Worms uͤberwunden. Dieß iſt das Argument, durch welches der Schulze den Pfarrer auf ſeine Seite bringt. Je mehr man Luthers Lehre einſchränkt, ſagt Zaſius, deſto mehr breitet ſie ſich aus. 2Epp. I, 50.Machte man an der Univerſität Freiburg dieſe Erfahrung, wo die alt - geſinnte Partei ſo mächtig war, wie viel mehr anderwärts! Der Churfürſt von Mainz hielt es nicht für gut, den Mi - noriten die Erlaubniß zu geben, um die ihr Provinzial bat, in ſeinen Diöceſen gegen Luther zu predigen; er fürchtete die Bewegung nur zu vermehren. 3Capito ad Zwinglium Hallis IV Aug. 1521. (Epp. Zw. I, p. 178.) Er forderte Predigten citra perturbationem vulgi, absque tam atrocibus affectibus. Den Cenſurverord - nungen des Edictes zum Trotz erſchien Flugſchrift auf Flugſchrift im Sinne der Neuerung. Die meiſten waren anonym, Hutten wagte es ſogar, mit ſeines Namens Un - terſchrift, geradezu den Nuntius des Papſtes, den Ver - faſſer des Edictes, Aleander anzugreifen. Unter anderm fragt er ihn, ob er denn glaube mit einem einzigen Edictchen, das er einem jungen Fürſten liſtig abgepreßt, Religion und Freiheit zu unterdrücken. Gleich als ver -10Drittes Buch. Erſtes Capitel.möge ein kaiſerlicher Befehl etwas gegen das unwandelbare Gottes Wort. Sey nicht vielmehr die Meinung eines Für - ſten veränderlich? Der Kaiſer, meint er, werde mit der Zeit ſchon anders denken lernen. 1Invectiva in Aleandrum. Opera IV, 240.Dieſe römiſchen Agen - ten waren ſelbſt erſtaunt, daß die mit ſo vieler Mühe aus - gebrachte Verordnung ſo wenig nutzte. Sie ſagten, noch ſey die Tinte kaum trocken, mit welcher der Kaiſer das Edict unterzeichnet, ſo werde es ſchon allenthalben gebro - chen. Sie ſollen ſich damit getröſtet haben, wenn es zu weiter nichts führe, ſo ſey doch damit der Grund zu einer unausbleiblichen Entzweiung zwiſchen den Deutſchen ſelbſt gelegt.

Vor allem war es bedeutend, daß die Univerſität Wit - tenberg von dem kaiſerlichen Edict ſo wenig berührt wurde, wie früher von der päpſtlichen Bulle. Hier hatten die neuen Doctrinen bereits ein von der Perſönlichkeit und un - mittelbaren Theilnahme Luthers unabhängiges Leben ge - wonnen, und die Blüthe der deutſchen Jugend ſtrömte her - bei, ſie in ſich aufzunehmen; es trug fürs Erſte wenig aus, ob Luther zugegen war oder nicht; die Hörſäle wa - ren eben ſo voll:2Spalatini Annales 1521 Octob. Scholastici, quorum supra millia ibi tum fuerunt. Im Laufe des Winters ward je - doch die Univerſitaͤt den Braunſchweigiſchen und Brandenburgiſchen Unterthanen von ihren Fuͤrſten verboten. Mencken Scriptt. II, 611. Auch nahmen die Inſcriptionen beſonders im Winterſemeſter bedeu - tend ab. Sennert p. 59. ſeine Grundſätze wurden in Vortrag und Schrift mit dem gleichen Eifer verfochten. Ja die kühnſte Stellung nahm in dieſem Augenblick die neue kleine Uni - verſität. Als die Sorbonne ihr Stillſchweigen endlich11Unruhen in Wittenberg.brach und ſich gegen Luther erklärte, glaubte ſich Melanch - thon nicht nur verpflichtet für ſeinen abweſenden Freund das Wort zu nehmen, ihn zu vertheidigen, ſondern er wagte es, der Univerſität zu Paris, von der alle theologiſchen Doctrinen ausgegangen, von der die deutſchen Univerſitä - ten ſelbſt ſich nur abgezweigt, auf deren Entſcheidung die Welt von jeher gehorcht, der alma mater, die Anklage zurückzugeben die ſie erhob, ſie ſelbſt des Abfalls von dem wahren Chriſtenthum zu beſchuldigen. Er trug kein Be - denken, die ganze auf den Univerſitäten herrſchende Lehre, die Scholaſtik überhaupt, dem Inhalt der Schrift gegen - über, für abgewichen für ketzeriſch zu erklären. 1Adversus furiosum Parisiensium theologastrorum decre - tum Phil. Melanchthonis pro Luthero apologia. Corp. reforma - torum I, p. 398.Die höch - ſten Gewalten der Chriſtenheit hatten geſprochen; der Papſt hatte eine verdammende Bulle erlaſſen; die große Mutter - Univerſität unterſtützte ſeinen Ausſpruch mit dem ihren; der Kaiſer hatte befohlen ihn zu vollziehen; in dem kleinen, vor wenig Jahren kaum genannten Wittenberg wagte ein junger Profeſſor der noch im Anfang der zwanziger Jahre ſtand, in deſſen unſcheinbarer Geſtalt und beſcheidner Hal - tung Niemand Heldenmuth oder Kühnheit geſucht hätte, ſich allen dieſen Gewalten entgegenzuſtellen: die verdamm - ten Lehren zu vertheidigen, ja den Ruhm chriſtlich zu ſeyn für ſie allein in Anſpruch zu nehmen.

Das machte wohl auch: man beurtheilte die Sachen nicht nach dem grandioſen Anſchein den ſie trugen: man wußte, welche Motive namentlich dominicaniſcher Einwir - kung den römiſchen Hof beſtimmt hatten, mit welchen Mit -12Drittes Buch. Erſtes Capitel.teln dann das Edict bei dem Kaiſer ausgebracht, wie es publicirt worden war: man nannte die drei Männer, von welchen die Verdammung in Paris herrühre, und bezeich - nete ſie mit den verächtlichſten Namen. 1Glareanus ad Zwinglium Lutetiae 4 non. Julii 1521: Beda, Quercus, Christophorus: Belua, Stercus, Christotomus. Epp. Zw. p. 176. Das Schreiben Glareans p. 156, in welchem der Tod Leo’s X erwaͤhnt wird, gehoͤrt nicht in das Jahr 1520, ſondern in das folgende.Dagegen war man ſich hier einer reinen Geſinnung, eines feſten und uner - ſchütterlichen Grundes bewußt. Die Bedeutung des Für - ſten, der einen nicht ausgeſprochenen, aber auch nicht zwei - felhaften Schutz gewährte, ſicherte gegen alle unmittelbare Gewalt.

Wagte man es aber eine ſo unabhängige großartige Stellung zu ergreifen, allen anerkannten Gewalten entge - gengeſetzt und im Grunde nur mit der Meinung verbün - det, die ihren ganzen Inhalt ſelber noch nicht kannte, ihre poſitive Geſtaltung erſt noch empfangen ſollte, ſo liegt auch am Tage, welche Verpflichtung man damit über ſich nahm. Mit der Durchführung der Grundſätze, die man bekannte, hatte man einer zahlreichen, empfänglichen, har - renden Menge theilnehmender Geiſter voranzugehn. Hier zuerſt, wo doch alle Elemente des prieſterlich-kriegeriſchen Staates ſo gut vorhanden waren wie anderwärts, mußte es ſich zeigen, in wie fern es möglich ſey den Abfall von dem Prieſterthum zu wagen und doch nicht zugleich den Staat zu gefährden.

Unmöglich aber wäre es geweſen, ſtehen zu bleiben. Die Aufregung der Gemüther war zu groß, um ſich mit der Doctrin allein zu begnügen. Auf die Lehren die man13Unruhen in Wittenberg.erſchüttert, waren Gebräuche gegründet die jeden Augen - blick des täglichen Lebens beherrſchten; von dieſer thatkräf - tigen, ſich ſelber fühlenden, durch mächtig erwachende Ideen vorwärts getriebenen Generation ließ ſich nicht erwarten, daß ſie ihrer Überzeugung Gewalt anthun, und Ordnungen befolgen würde, die ſie zu verdammen anfieng.

Das Erſte was geſchah war das Allerperſönlichſte.

Ein paar Pfarrer in der Nähe, die ſich zu der Wit - tenberger Schule hielten, Jacob Seidler auf der Glashütte und Bartholomäus Bernhardi von Kemberg ſprachen ſich ſelbſt von der Pflicht des Cölibates los. Es war das die - jenige Einrichtung der Hierarchie, die wegen der natürli - chen Neigung der Deutſchen zu einem traulichen Familien - leben bei dem deutſchen Clerus von Anfang den meiſten Widerſpruch gefunden, und in ihren Folgen die Moral der Nation am tiefſten verletzt hatte. Die beiden Pfarrer ga - ben als ihren Grund an, daß es keinem Papſt und keiner Synode freigeſtanden, die Kirche mit einer Satzung zu be - ſchweren, welche Leib und Seele gefährde. 1Quid statuerint pontificii canones, nihil refert christia - norum. Schreiben der Wittenberger Theologen an den Biſchof von Meißen: Corp. Ref. I, 418.Hierauf wur - den beide von der geiſtlichen Gewalt in Anſpruch genom - men. Aber nur Seidler, in dem Gebiete des Herzog Georg von Sachſen, ward ihr überlaſſen: er iſt da in dem Ge - fängniß umgekommen. Gegen Bernhardi lieh Churfürſt Friedrich dem Erzbiſchof von Magdeburg ſeinen Arm nicht; er wollte ſich, wie Spalatin es ausdrückt, nicht zum Scher - gen brauchen laſſen. Carlſtadt faßte Muth, das Inſtitut des Cölibates in einer ausführlichen Schrift anzugreifen.

14Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Wie der Cölibat die Übertragung eines Mönchsge - lübdes auf den Prieſterſtand war, ſo ſtand die Auflöſung deſſelben auch mit den Ideen über das Kloſterweſen in Verbindung. In der kleinen Auguſtinerkirche in welcher Luther anfangs aufgetreten, hielt jetzt einer ſeiner geſchick - teſten Mitbrüder, Gabriel Zwilling, feurige Predigten, in denen er die Gelübde überhaupt, das ganze Mönchsweſen angriff, und es nicht allein für erlaubt, ſondern für noth - wendig erklärte, ſich von denſelben loszuſagen, denn in der Kutte könne man nicht ſelig werden. Dreizehn Au - guſtiner auf einmal traten aus, und nahmen ihre Woh - nung zum Theil unter den Bürgern zum Theil unter den Studenten; einer von ihnen, der das Tiſchlerhandwerk ver - ſtand, bat um das Bürgerrecht und gedachte ſich zu ver - heirathen. 1Bericht von Gregorius Bruͤck an den Churfuͤrſten 11 Octo - ber. C. Ev. I, p. 459.Eine allgemeine Aufregung entſtand; die noch in dem Kloſter verbliebenen Auguſtiner hielten ſich nicht mehr für ſicher; das Barfüßerkloſter in Wittenberg mußte des Nachts mit einer ſtarken Wache geſchützt werden.

Aber ſchon hatte derſelbe Bruder Gabriel noch einen andern weiter führenden Angriff gemacht. Die Grundſätze Luthers über das Sacrament dehnte er dahin aus, daß er die Anbetung deſſelben, ja die Celebration der Meſſe ohne Communicanten in der Idee des Opfers, die ſoge - nannte Privatmeſſe, für einen Mißbrauch für eine Sünde erklärte. 2Bericht des Auguſtinerpriors Helt an den Churfuͤrſten 12 Nov. C. Ev. 483.Zunächſt ſah ſich der Prior in dem Kloſter durch die allgemeine Bewegung, wie er ſagte um größeres Är -15Unruhen in Wittenberg.gerniß zu vermeiden, genöthigt die Privatmeſſen in ſeiner Kirche wirklich einzuſtellen. Das wirkte nun ſogleich in der Univerſität ſo wie in der Stadt nach. Als am 3ten Dez. 1521 die Meſſe in der Pfarrkirche geſungen werden ſollte, erſchienen einige Studenten und jüngere Bürger mit bloßen Meſſern unter den Röcken, nahmen die Meß - bücher weg und trieben die Prieſter vom Altar. Als der Rath die Schuldigen welche vor ſein Forum gehörten einzog, und zu beſtrafen Miene machte, erhob ſich Lärm in der Gemeine: ſie legte dem Rathe Artikel vor, in denen ſie faſt im Tone des Aufruhrs die Loslaſſung der Gefan - genen forderte. 1Der Rath zu Wittenberg an den Churfuͤrſten 3. 5 Dez. C. Ev. 487. Welchen Eindruck dieſe Neuerungen in weiter Ferne machten davon zeugt beſonders eine Stelle im 32ſten Band der ve - nezianiſchen Chronik Sanuto’s im Arch. zu Wien: Novita di uno ordine over uso de la fede christiana comenzada in Vintibergia. Li frati heremitani di S. Augustino hanno trovato e provato per le st. scripture che le messe secondo che se usano adesso si è gran peccato a dirle o a odirle (Man ſieht die ganze Neue - rung wird wie eine Entdeckung des Auguſtinerordens behandelt. ) e dapoi el zorno di S. Michiel 1521 in qua ogni zorno questo hanno predichado e ditto e stanno saldi in questa soa oppinione e questo etiam con le opre observano e da poi la domeniga di S. Michiel non hanno ditto piu messe nella chiesia del suo mo - nasterio e per questo è seguito gran scandalo tra el popolo li cantori e canonici spirituali e temporali

Verſuche, die einen völligen Umſturz des bisherigen Gottesdienſtes und zwar von unten her, ohne alle Bera - thung und Ordnung in ſich ſchloſſen. Der Churfürſt, an den alle dieſe Dinge zur Entſcheidung gebracht wurden, wünſchte nach ſeiner Weiſe das Urtheil einer oder der an - dern einigermaaßen conſtituirten Autorität zu vernehmen.

Zuerſt wurde ein Convent der Auguſtiner aus den16Drittes Buch. Erſtes Capitel.Provinzen Meißen und Thüringen nach Wittenberg beru - fen. Alle dieſe Auguſtiner waren mehr oder minder von Luthers Meinung: ſie hielten ſeine Sache für die ihre. Auch in ſeiner Abweſenheit trafen ſie, wie er ſpäter erklärt hat, in ihrem Urtheil mit dem ſeinen zuſammen. Sie giengen nicht ſo weit, wie Frater Gabriel, die Gelübde für ſündlich zu erklären; aber ſie wollten ſie auch nicht mehr für verbindlich halten. Ihre Meinung war: alle Creatur ſey dem Worte Gottes unterworfen, und brauche ſich nicht mit menſchlichen Satzungen beſchweren zu laſſen: Jedermann ſtehe frei, das Kloſter zu verlaſſen oder darin zu bleiben. 1Decreta Augustinianorum C. Ref. I, 456: nur iſt die Verſammlung nicht in den October zu ſetzen, ſondern eher in den Dezember oder Anfang Januar, wie das Seckendorf (Historia Luther. I. [s]54 § 129) aus einem gleichzeitigen Briefe anmerkt. Vgl. Spal. Ann. 610.Wer da gehe, müſſe nur ſeine Freiheit nicht nach dem Gelüſte des Fleiſches mißbrauchen: wer es vor - ziehe zu bleiben, möge auch die Kutte behalten und ſeinen Obern aus Liebe Gehorſam leiſten. Zugleich entſchloſſen ſie ſich, nicht mehr zu betteln, und jene geſtifteten für Geld abzuhaltenden Meſſen, die Votivmeſſen abzuſchaffen.

Indeſſen war auch die Univerſität von dem Fürſten aufgefordert worden, ihr Urtheil über die Meſſe im allgemei - nen auszuſprechen. Es ward eine Commiſſion niedergeſetzt, in der auch Melanchthon ſaß, und dieſe entſchied ſich für die Abſchaffung der Meſſe, nicht allein in Wittenberg ſondern im ganzen Lande, es möge daraus folgen was da wolle. 2Ernſtlich Handlung der Univerſitaͤt ꝛc. C. E. I, 465.Allein als nun die Geſammtheit der Corporationdieß17Unruhen in Wittenberg.dieß beſtätigen ſollte, war ſie nicht dahin zu bringen. Ei - nige der angeſehenſten Mitglieder blieben von der Verſamm - lung weg, mit der Erklärung: ſie ſeyen zu gering um die Kirche reformiren zu wollen. 1Bericht Chriſtian Beiers 13 Dez. ib. 500.

Da nun weder der Convent noch auch die Univerſi - tät ſich geradezu für die Neuerung erklärten, ſo war auch der Churfürſt nicht weiter zu bringen: er meinte, wenn man ſich ſchon in Wittenberg nicht vereinigen könne, wie ungleich würde die Welt über jede Änderung urtheilen! Man möge von der Sache leſen, disputiren und predigen, aber indeß bei dem alten Gebrauche bleiben. 2Inſtruction des Churfuͤrſten Lochau 19 Dez. ib. 507.

Schon waren aber die feurigen Gemüther durch An - ordnungen eines von jeher ſo nachgiebigen Fürſten nicht mehr in Zaum zu halten: dem Befehl deſſelben zum Trotz kündigte Dr Carlſtadt an, er werde zum Feſt der Beſchnei - dung Chriſti die Meſſe nach einem neuen Ritus feiern, das Abendmahl nach den Worten der Einſetzung austhei - len. Schon einmal, im October, hatte er etwas Ähnliches verſucht, jedoch in engerm Kreiſe, ganz nach dem Vorbild Chriſti, nur mit zwölf Theilnehmern. Da es ſchien, als werde man ihm jetzt Hinderniſſe in den Weg legen, ſo war - tete er nicht bis auf den angekündigten Tag. An dem Chriſttag 1521 predigte er in der Pfarrkirche von der Nothwendigkeit, von der bisherigen Weiſe abzulaſſen und beide Geſtalten des Sacraments zu empfangen: nach der Predigt trat er vor den Altar, ſprach die Meſſe, jedoch ohne die Worte welche ſich auf die Idee des Opfers be -Ranke d. Geſch. II. 218Drittes Buch. Erſtes Capitel.ziehen, ſo wie ohne die Ceremonie der Elevation, und theilte hierauf erſt das Brod, dann auch den Wein aus mit den Worten: das iſt der Kelch meines Blutes des neuen und ewigen Teſtamentes. Er traf damit den Sinn der Ge - meine: man wagte ihm nicht zu widerſprechen. Er wieder - holte ſeinen Ritus am Neujahrstag, den Sonntag darauf, und ſo weiter: auch des Freitags erſchien er auf dem Pre - digtſtuhl. 1Zeitung aus Wittenberg wie es ao̅ 1521 etc. ſey zugangen. In Strobels Miscellaneen V, p. 121.

Carlſtadt gehörte zu den nicht ſeltenen deutſchen Na - turen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefſinn den Muth verbinden, alles zu verwerfen was man feſtgeſetzt hat, oder alles zu behaupten was man verwirft, ohne daß ſie doch das Bedürfniß hätten, ſich zu voller Klarheit und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben. Carlſtadt hatte ſich früher den Lehrmeinungen der Schola - ſtiker hingegeben, dann war er von Luther zu dem Stu - dium der h. Schrift fortgeriſſen worden: doch hatte er nicht die Geduld gehabt wie dieſer, ſich der Grundſprachen zu be - mächtigen: er nahm ſich die ſeltſamſten willkührlichſten Er - klärungen nicht übel: er gieng nur dem Zuge ſeiner Ge - danken nach. Merkwürdig auf welche Bahnen er gerieth. Schon als man ſich zur Leipziger Disputation rüſtete, äußerte er ſich auf eine ſehr beſondre Weiſe über die hei - lige Schrift, auf deren Geſammtinhalt er anwandte was man ſonſt nur von dem Geſetz verſtand: ſie diene zu Über - tretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren Troſt deſſen die Seele bedürfe. Im Jahr 1520 ward es19Unruhen in Wittenberg.ihm zweifelhaft, ob Moſe die Bücher geſchrieben die ſeinen Namen tragen, ob die Evangelien in ihrer ächten Geſtalt auf uns gekommen: Ideen, welche Kritik und Gelehrſam - keit ſpäter ſo vielfach beſchäftigt haben: ſchon ihm ſtiegen ſie auf. 1Einige Auszuͤge aus ſeinen Schriften in Loͤſchers Historia motuum I, 15. Indeſſen beherrſchte ihn noch damals die Gegen - wart und Überlegenheit Luthers. Jetzt aber war er von Niemand mehr zurückgehalten: er hatte einen freien Schau - platz für ſeinen Ehrgeiz: ein enthuſiasmirtes Publicum um - gab ihn: er ſelbſt war unter dieſen Umſtänden nicht mehr der alte; mit der feurigſten Beredtſamkeit entwickelte der kleine, ſchwarzbraune, ſonnenverbrannte Mann, der ſich ſonſt nur undeutlich ausdrückte, eine Fülle tiefſinniger, ex - travaganter, eine neue Welt athmender Ideen, mit denen er Jedermann hinriß.

Da ereignete ſich nun, daß er, noch gegen Ende des Jahres 1521, Gehülfen bekam, die von einer andern Seite her auf gleichartige Bahnen gerathen waren, auf denen ſie ſogar noch verwegener einhergiengen.

Es iſt eine bekannte Thatſache, daß bei dem Beginn der huſſitiſchen Bewegungen, als Huß und Hieronymus entfernt waren, vor allem ein paar Fremde, Niclas und Peter von Dresden, verjagt von dem Biſchof von Meißen und in Prag aufgenommen, die geweſen ſind, welche die Menge auf die Abänderung des Ritus, namentlich im Sa - crament hinführten, womit ſich gar bald andre fanatiſche Meinungen vereinigten. 2Beſonders merkwuͤrdig iſt hieruͤber die Notiz bei Pelzel:

2*20Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Sey es nun, daß dieſe Meinungen nach den Gegen - den ihres Urſprunges zurückwirkten, oder daſelbſt eine tie - fere ältere Wurzel hatten, eben von dort her aus dem Erz - Gebirge, von Zwickan, wo ſich jener Peter von Dresden eine Zeitlang aufgehalten, erhob ſich eine verwandte Ten - denz, welche ſich der wittenbergiſchen Bewegung zu bemäch -[t]igen ſuchte, wie damals der prager.

Beſonders um einen ſchwärmeriſchen Tuchmacher des Namens Claus Storch, ſammelte ſich dort eine Secte, welche ſich zu den weitausſehendſten Meinungen be - kannte. Luther that dieſen Leuten bei weitem nicht genug: ſie fanden, es ſeyen noch ganz andre Männer als er, von höherm Geiſte, nothwendig. Denn was könne es helfen, ſich ſo enge an die Bibel zu halten? Zu wahrer Unter - weiſung eines Menſchen ſey ſie doch unkräftig, der Menſch könne nur durch den Geiſt gelehrt werden. 1So bezeichnete ein aus Zwickau an den Churfuͤrſten einge - gangener Bericht, von welchem dieſer der Univerſitaͤt Nachricht giebt, die Linie ihrer Meinungen. Acta Einsiedelii cum Melanthonio C. R. p. 536. Die Nachrichten in Enoch Widemann Chronicon Curiae bei Mencken Scriptt. R. G. III, 744 bezeichnen eine etwas ſpaͤtere Entwickelung der Storchiſchen Phantaſien. Tobias Schmidts Cronica Cygnea 1656 iſt fuͤr die Ereigniſſe des dreißigjaͤhrigen Kriegs nicht ohne Werth: fuͤr die Reformationszeit aber unzureichend.Sie ſteiger - ten ihren Enthuſiasmus bis zu dem Grade daß ſie ſich überzeugt hielten, ihnen ſey das beſchieden: Gott ſelbſt rede mit ihnen, gebe ihnen an, was ſie thun, was ſie predigen ſollten. 2Amtliche Erklaͤrung Melanchthons 1ſten Jan. 22. C. R. I,Auf den Grund dieſer tiefern unmittelbar inſpi -2Wenceslaus: II, Urkunden nr. 238 ex MS coaevo capituli. Sie erklaͤrten gleich im Anfang, quod papa sit antichristus cum clero sibi subjecto. 21Unruhen in Wittenberg.rirten Einſicht drangen auch ſie nun zunächſt auf Abände - rungen des kirchlichen Ritus. Vor allem verwarfen ſie, weil das Sacrament ohne den Glauben keinen Sinn habe, die Taufe der Unmündigen, die ja des Glaubens nicht - hig ſeyen. Aber noch viel weiter giengen ihre Gedanken. Sie hielten dafür, daß der Welt eine totale Verwüſtung, vielleicht durch die Türken, bevorſtehe. Kein Prieſter werde leben bleiben, ſelbſt keiner von denen die ſich jetzt verhei - rathen, überhaupt kein Unfrommer: aber nach dieſer bluti - gen Reinigung werde das Reich Gottes eintreten, Eine Taufe, Ein Glauben ſeyn. 1Zeitung aus Wittenberg p. 127. Natürlich brachten Lehren die - ſer Art in Zwickau ähnliche Bewegungen und Unruhen her - vor, wie die carlſtadtiſchen in Wittenberg; doch nahmen ſie dort eine andre Wendung. In Zwickau ſtand den Neue - rern nicht eine leicht aufzuregende akademiſche Jugend zur Seite: Rath und Pfarrer behielten die Oberhand und die Neuerer mußten die Stadt verlaſſen. Aber was ihnen zu Hauſe nicht gelungen, hofften ſie anderwärts um ſo voll - ſtändiger durchzuſetzen. Die einen begaben ſich nach Prag, um hier wo möglich die alte taboritiſche Geſinnung wieder zu beleben: was ihnen denn freilich mißlang. Die andern, auf die es uns ankommt, erſchienen in Wittenberg, wo ſie in der allgemeinen Aufregung der Geiſter, die nach einem Unbekannten Neuen trachteten, in dem Ubergewicht der Ge - meine und Jugend über den Rath der Stadt und den Se - nat der Univerſität einen für ihre Saat vortrefflich vor - bereiteten Boden fanden.

2533: aus der man zugleich ſieht, daß die Leute ein Halbjahr fruͤher ſich der goͤttlichen Geſpraͤche noch nicht geruͤhmt hatten.

22Drittes Buch. Erſtes Capitel.

Auch zeigt ſich, daß nach ihrer Ankunft die Bewegung in Wittenberg noch einen kühnern Anlauf nahm.

Carlſtadt, mit dem ſie ſogleich in Verbindung traten, ſchritt von Tag zu Tag zu auffallendern Veränderungen fort. Das Meßgewand ward abgeſchafft; die Ohrenbeichte nicht mehr gefordert, ja ohne alle Vorbereitung gieng man zum Abendmahl, und ſuchte etwas darin, die Hoſtie ſich nicht mehr von dem Prieſter reichen zu laſſen, ſondern ſie mit den Händen ſelber zu ergreifen. Man hielt es für ein Zei - chen beſſerer Chriſtlichkeit, daß man eben an den Faſtta - gen Eier und Fleiſchſpeiſen genoß. Man begann ſchon, ſich an den Bildern in den Kirchen zu vergreifen. Carl - ſtadt nahm keine Rückſicht auf den Unterſchied zwiſchen Verehrung und Anbetung, den man immer gemacht hatte; alle Stellen der Schrift wider die Abgötterei wandte er auf den Bilderdienſt an; er hob hervor, daß man ſich vor ihnen krümme und beuge, ihnen Lichter anzünde, Opfer bringe; eben deshalb rieth er, ſie zu ſtürmen und zu zerſtören, dieſe Ölgötzen dieſe abgöttiſchen Klötze; ſelbſt das Crucifix wollte er nicht gelten laſſen, das man ſeinen Herrgott nenne, und das höchſtens an das fleiſchliche Lei - den Chriſti erinnere;1Von Abthuung der Bilder, eine Schrift die ich jedoch nur aus den Widerlegungen kenne namentlich Emſers welche ſie hervorrief, wo denn viele Stellen woͤrtlich angefuͤhrt ſind. es erhob ſich zum erſten Mal eine bilderſtürmeriſche Bewegung, wie ſie ſich ſeitdem über ein halb Jahrhundert hindurch an ſo viel andern Orten erzeugt hat; man riß die Bilder von den Altären, zerhieb und ver - brannte ſie. Es leuchtet ein, welch einen überaus gefähr -23Unruhen in Wittenberg.lichen drohenden Charakter die Bewegung dergeſtalt em - pfieng. Carlſtadt befand ſich im Widerſpruch nicht allein mit den geiſtlichen, ſondern auch mit den weltlichen Ge - walten. Er lehrte ſchon, wenn die Obrigkeit nachläßig ſey, dürfe die Gemeine die nothwendigen Änderungen voll - ziehen. Wirklich legte die Wittenberger Gemeine dem Rath einige Artikel vor, in denen ſie die förmliche Abſchaffung aller nicht ſchriftmäßigen Cerimonien, aller Meſſen, Vi - gilien, Begängniſſe, und für ihre Prediger eine unbedingte Freiheit forderte; der Rath ſah ſich gezwungen, bald in dem einen bald in dem andern nachzugeben. 1Artikel bei Strobel V, 128. Und noch um vieles umfaſſender waren ihre Ideen. Man ſuchte den Begriff einer ſtreng chriſtlichen Gemeine unverzüglich zu realiſiren; man forderte den Rath auf, alle Häuſer öffent - licher Vergnügung, verſteht ſich vor allem der unerlaubten, aber auch der erlaubten zu ſchließen, und unter andern keine Bettler mehr zu dulden, deren es in der Chriſtenheit nicht geben dürfe, ſondern die Güter der ohnedieß verderb - lichen Brüderſchaften zu deren Nutzen zu verwenden. Ja mit dieſen Beſtrebungen einer in ihrem einſeitigen Eifer die Natur der menſchlichen Geſellſchaft mißkennenden Recht - gläubigkeit verbanden ſich unmittelbar die verderblichſten Ideen der Taboriten. Ein alter Profeſſor wie Carlſtadt ließ ſich zu der Meinung fortreißen, man bedürfe keiner Gelehrten mehr, keines Studiums an den Univerſitäten, viel weniger ihrer Grade. In den Vorleſungen rieth er ſei - nen Zuhörern nach Hauſe zu gehn und Ackerbau zu trei - ben, denn im Schweiß ſeines Angeſichtes ſolle der Menſch24Drittes Buch. Erſtes Capitel.ſein Brod eſſen. Einer ſeiner entſchloſſenſten Anhänger war der Rector der Knabenſchule, Georg Mohr, der aus dem Schulfenſter heraus die verſammelten Bürger aufforderte, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Wozu bedurfte es auch ferner der Gelehrſamkeit? Hier waren die himm - liſchen Propheten aus Zwickau, Storch, Thomä und Stüb - ner, welche mit Gott redeten und die Fülle der Gnade und Wiſſenſchaft beſaßen ohne alles Studium. Leicht war der gemeine Mann zu überzeugen, daß auch ein Laie, ein Hand - werker zu dem Amte eines Prieſters und Predigers tauge.

So ließ man die conſervativen Ideen fallen, an die ſich Luther noch feſtgehalten; der Begriff der weltlichen Obrigkeit, von welchem aus er die Anmaaßungen des Prie - ſterthums bekämpfte, ward jetzt ebenfalls verworfen. Luther hatte die herrſchende Lehre mit den Waffen einer gründli - chern Gelehrſamkeit angegriffen: eine der roheſten Inſpira - tionstheorien welche je vorgekommen, wollte ſich jetzt an deren Stelle ſetzen. Nimmermehr wäre das durchzuführen geweſen. Gegen ein ſo wildes deſtructives Beginnen muß - ten ſich alle Kräfte der geordneten Welt erheben, und es entweder vernichten oder in den engſten Kreiſen beſchließen. Kam es zur Herrſchaft, ſo war jede Hofnung der Welt verloren, die ſich an die neue Bewegung knüpfen mochte.

In Wittenberg war Niemand, um dem allgemeinen Taumel zu widerſtehen. Dazu war Melanchthon zu jung und unerfahren, wenn er auch ſonſt Standhaftigkeit genug gehabt hätte; wenn er mit den Zwickauer Propheten ſprach, ſo fand er doch, daß ſie in den Hauptprinzipien des Glau - bens mit ihm einig und wohlbefeſtigt ſeyen; ihre Behaup -25Unruhen in Wittenberg.tungen in Hinſicht der Kindertaufe wußte er nicht zu wi - derlegen. Er ſah, daß ſie Geiſt hatten: ihn zu prüfen fühlte er ſich ſelbſt nicht ſtark genug.

Auch der Churfürſt war nicht fähig nachdrücklichen Widerſtand zu leiſten. Wir kennen dieſen Fürſten ſchon: ſein Temporiſiren, ſeine Abneigung perſönlich hervorzutre - ten, einzugreifen, ſeine Gewohnheit die Dinge ſich ſelbſt entwickeln zu laſſen. Es war die friedfertigſte Natur welche dieß kriegeriſche fehdeluſtige Zeitalter hervorgebracht hat: nie griff er zu den Waffen; zuletzt hatte dann immer ſeine ſtille, beobachtende, kluge und geiſtreiche Politik den Sieg davon getragen. Sein Vergnügen war, in ſeinem Lande das er ſo ſchön fand wie irgend ein anderes auf Erden ſeine Schlöſſer zu bauen, die Lochau, Altenburg, Weimar, Coburg: ſeine Kirchen mit Gemählden zu ſchmücken, wozu er den trefflichen Meiſter Lucas Kranach an ſich gezogen: ſeine Capelle und Singerey, die eine der beſten im Reiche war, im Stande zu halten: die hohe Schule die er geſtiftet emporzubringen. Obwohl er nicht ſehr zugänglich war, ſo liebte er doch das gemeine Volk. Er zahlte einſt den ſchon eingeſammelten gemeinen Pfennig zurück, da es zu der Un - ternehmung nicht kam, wozu er beſtimmt war. Wahr - lich, ſagt er von Einem, es iſt ein böſer Menſch, denn er iſt armen Leuten ungütig. Auf der Reiſe ließ er die Kinder beſchenken, die am Wege ſpielten: heut oder mor - gen werden ſie dann ſagen: es zog ein Herzog von Sach - ſen vorüber, der gab uns allen. Nunmehr war er zu Jah - ren gekommen: von den alten deutſchen Fürſten, mit denen er zu ſeiner Zeit in engerer Vertraulichkeit gelebt, ſeinen gu -26Drittes Buch. Erſtes Capitel.ten Geſellen und Freunden, wie er ſie nannte, waren die Meiſten geſtorben, und gar manches Unangenehme mußte er erfahren. An der Geſinnung des jungen Kaiſers war er irre geworden: ſelig der Mann, rief er aus, der nichts am Hofe zu ſchaffen hätte. Sein nächſter Nachbar, ſein ſtürmiſcher Vetter Georg, trat in immer ſtärkern Gegenſatz mit ihm. Ah mein Vetter Georg, ſagte er, Wahr - lich ich weiß keinen Freund, als meinen Bruder: dem er denn auch allmählig die Regierung zum großen Theil über - ließ. Wenn er Luthern beſchützte, ſo war das im Laufe der Zeit wohl ſehr natürlich ſo gekommen: anfangs nicht ohne Rückſichten der Politik, dann eine Pflicht der Ge - rechtigkeit;1Seine Raͤthe erklaͤrten 2 Jan. 22 in Wittenberg: S. Ch. G. hatt ſich Doctor Martinus Sachen bisher nicht anders an - genommen, denn allein weil er ſich zu Recht erboten, daß er nicht bewaͤltigt wuͤrde. (C. Ref. 537.) aber überdieß theilte er die unbedingte Vereh - rung für die heilige Schrift, welche Luther geltend machte; er fand, alles andre, ſo ſcharfſinnig es auch laute, laſſe ſich am Ende widerlegen: nur das göttliche Wort ſey hei - lig majeſtätiſch und die Wahrheit ſelbſt; er ſagte, dieß Wort ſolle rein ſeyn wie ein Auge. Ihm entgegenzutre - ten, zu widerſtehen, hatte er eine tiefe, eine ehrwürdige Scheu. Es iſt die Grundlage aller Religion, daß man das Heilige anerkennt, das ſittliche Geheimniß der Schö - pfung, und es nicht wagt, ihm mit den unreinen Trieben des Augenblicks zu nah zu treten. Darin beſtand vor al - lem die Religion unſers Fürſten; dieß hatte ihn abgehalten, in Luthers Sache ſelbſtthätig und mit eigener Willkühr ein -27Unruhen in Wittenberg.zugreifen: eben dieß aber bewirkte, daß er auch den Neue - rungen in Wittenberg, ſo wahrhaft ungern er ſie auch ſah, ſich doch nicht mit aller Kraft entgegenſtellte. Er wagte ſie nicht zu verdammen, ſo wenig wie Melanchthon. Als er einſt in Prettin die Bedenken ſeiner Gelehrten und Räthe in dieſer Sache vernommen, zeigte er ſich von der Mög - lichkeit, daß die Leute Recht haben möchten, betroffen und erſchüttert. Er ſagte, er verſtehe es nicht als ein Laie; ehe er ſich aber entſchließe gegen Gott zu handeln, wolle er lieber den Stab in die Hand nehmen und ſein Land ver - laſſen. 1Spalatin Leben Friedrichs des Weiſen. Vermiſchte Abhand - lungen zur ſaͤchſiſchen Geſch. B. V.

Gewiß: es hätte dahin kommen können. Die begon - nene Bewegung konnte zu nichts führen, als zu offenem Aufruhr, zur Umkehr auch des Staates in dem Sinne ei - ner neuen chriſtlichen Republik; allerdings würde alsdann Gewalt die Gewalt aufgerufen haben, und Gutes und Böſes wäre mit einander zerſtört worden.

Wie viel kam da noch einmal auf Luther an. Von der Grundlage ſeiner Ideen giengen auch dieſe Bewegungen aus, oder ſchloſſen ſich daran an. Wenn er ihnen beiſtimmte, wer wollte ihnen Schranken ſetzen? Widerſetzte er ſich aber, ſo fragte ſich, wie er das vermögen, ob er ſich dann ſel - ber behaupten würde.

Während dieſer ganzen Zeit war er auf der Wartburg. Anfangs hielt er ſich hier ganz innerhalb der Mauern, dann finden wir ihn noch zaghaft in die Erdbeeren am Schloßberg gehn; ſpäter, ſicherer geworden, durchſtreifte er28Drittes Buch. Erſtes Capitel.als Junker Georg mit einem Reiterbuben die Umgegend; einmal wagte er ſich ſogar in langem Haar und Bart, kaum noch wieder zu erkennen, in eiſernem Harniſch nach Wittenberg. Allein ſein Reiterleben hatte doch zugleich ei - nen ſehr theologiſchen Inhalt; ſeine Seele war immer in der Mitte des kirchlichen Kampfes. Auf der Jagd, ſagt er, theologiſirte ich; in den Netzen und Hunden des Jägers ſah er die Biſchöfe und Anwälte des Antichriſts, die den armen Seelen nachſtellen. 1An Spalatin 15 Aug. D. W. II, 43. In der Einſamkeit der Burg kehrten ihm auch andere Anfechtungen des Klo - ſters zurück. Hauptſächlich beſchäftigte er ſich damit das Neue Teſtament zu überſetzen: er faßte den Gedanken, der deutſchen Nation eine richtigere Bibel zu geben, als die lateiniſche Kirche in der Vulgata beſitze. 2An Amsdorf 13 Jan. p. 123. Indem er hiebei ſeinen Sinn tiefer und tiefer befeſtigte, und nur den Wunſch hegte, in Wittenberg zu ſeyn, um mit Hülfe ſeiner Freunde ein ſo wichtiges Werk zu vollenden, vernahm er von den dortigen Bewegungen und Unruhen. Er war über ihren Character keinen Augenblick in Zweifel. Er ſagt, nie in ſeinem Leben habe ihn etwas tiefer verletzt; was ihm ſonſt zu Leide gethan worden, ſey nichts dagegen. Auf ihn machte es keinen Eindruck, was man von den Inſpirationen der himmliſchen Propheten ſagte, ihren Geſprächen mit Gott. Auch er kannte die geheimnißvollen Tiefen der gei - ſtigen Welt; da hatte er andre Erfahrungen gemacht, ſich mit einem zu erhabenen Begriff von dem Weſen Gottes durchdrungen um ſich überreden zu laſſen, er erſcheine der29Unruhen in Wittenberg.Creatur, entzücke ſie, und ſpreche mit ihr. Willſt du wiſſen, ſchreibt er Melanchthon,113 Jan. 22 ib. p. 125. Zeit und Ort und Art der göttlichen Geſpräche, höre: wie der Löwe hat er meine Gebeine zerſchmettert, und: ich bin verworfen vor deinen Augen, meine Seele iſt mit Pein erfüllt, mit Vorgefühl der Hölle. Darum redet Gott durch die Menſchen, weil wir es nicht ertragen könnten, wenn er ſelber ſpräche. Er wünſchte ſeinem Fürſten Glück zu dem Kreuze das ihm Gott aufgelegt; wider das Evangelium müſſe nicht allein Annas und Caiphas toben, ſondern auch Judas müſſe unter den Apoſteln ſeyn. Er kündigt ihm an, er werde ſich ſelbſt dahin begeben. Der Churfürſt bat ihn, dieß noch nicht zu thun: es werde zur Zeit noch nicht zum Guten gereichen; er möge lieber ſeine Verantwortung für den nächſten Reichstag vorbereiten, an dem ſeine Sache, wie ſich hoffen laſſe, noch einmal zu rechtlichem Verhör ge - langen werde. 2Inſtruction an Oswald Corp. Ref. I, 561. Jedoch durch Vorſtellungen dieſer Art war Luther nun nicht mehr zurückzuhalten. Nie war er feſter überzeugt geweſen, daß er das Evangelium vom Him - mel habe, daß der Glaube ihn ſchützen werde; was in Wittenberg vorgefallen, ſchien ihm ein Schimpf, der ihn und das Evangelium treffe. 3An den Churfuͤrſten 5 Maͤrz II, 137. So brach er auf, ohne Rück - ſicht auf des Papſtes Bann oder die Acht des Kaiſers, indem er ſeinen Fürſten ſelbſt aufforderte ſich nicht um ihn zu kümmern. Er war in der großartigſten Stimmung. Ein paar junge Schweizer die nach Wittenberg zur Uni -30Drittes Buch. Erſtes Capitel.verſität reiſten trafen in Jena, in dem Gaſthof zum ſchwar - zen Bären, auf einen Reitersmann, der am Tiſch ſaß, ſeine rechte Hand auf dem Knopf des Schwertes, vor ſich den hebräiſchen Pſalter. Es war, wie ſie ſpäter inne wurden, Luther, und man muß in den Aufzeichnungen des einen von ihnen leſen, wie er ſie zu ſich an Tiſch lud, wie mild und groß er in alle ſeinem Bezeigen war. 1Aus der Chronik von Keßler in Bernet Leben Keßlers p. 27. Freitag am 7ten März langte er in Wittenberg an. Den Sonnabend fan - den ihn jene Schweizer im Kreiſe ſeiner Freunde wie er ſich näher über alles unterrichtete, was in ſeiner Abweſen - heit geſchehen. Am Sonntag fieng er an zu predigen. Er mußte verſuchen, ob man ihm anhängen, ob er noch eine Wirkſamkeit haben, ob es ihm gelingen werde die Bewe - gung zu beruhigen. Wie enge und unſcheinbar auch der Schauplatz war, auf den er zurückkehrte, ſo hatte doch ſein Unternehmen die Bedeutung einer Weltbegebenheit. Es mußte ſich zeigen, ob die Lehre, die ſich ihm ohne Willkühr, mit innerer Nothwendigkeit gebildet, und die einen ſo großen Mo - ment für die künftige Entwickelung des menſchlichen Ge - ſchlechts in ſich enthielt, auch fähig ſeyn werde die Elemente der Zerſtörung zu beſiegen, die nicht minder in den Gei - ſtern arbeiteten, allenthalben den Boden des öffentlichen Le - bens unterwühlt hatten und erzittern machten, und hier ihren erſten Ausdruck gefunden. Die Frage war, ob es möglich ſeyn werde, zu verbeſſern ohne zu zerſtören, einer neuen Entwickelung des Geiſtes Bahn zu machen ohne die Re - ſultate aller frühern zu vernichten. Luther faßte die Sache aus dem Geſichtspunct eines Seelſorgers und Predigers. 31Unruhen in Wittenberg.Er verwarf die Veränderungen, die man gemacht, nicht an und für ſich, noch die Lehre, aus der ſie gefloſſen; auch hütete er ſich wohl, die Wortführer der Neuerung perſönlich zu verletzen, auf ſie zu ſchelten; er urtheilte nur, man ſey zu raſch verfahren, man habe dadurch Ärgerniß bei den Schwachen verurſacht und das Gebot der Liebe nicht gehalten. Er gab zu, daß es Gebräuche gebe, die man wohl durchaus abſchaffen müſſe, z. B. die Privat - meſſen, obwohl man auch dabei alle Gewaltſamkeit, alles Ärgerniß zu vermeiden habe; von den meiſten andern aber ſey es für einen Chriſten gleichgültig, ob man ſie beobachte oder nicht. Es komme ſo viel nicht darauf an, ob man das Abendmahl unter Einer Geſtalt nehme oder unter bei - den; ob man beſondre oder allgemeine Beichte vorziehe; in dem Kloſter bleibe oder es verlaſſe; Bilder in den Kir - chen habe, die Faſten halte oder auch nicht; darüber Ge - ſetze zu machen, Lärmen zu veranlaſſen, ſchwächern Mit - brüdern Anſtoß zu geben, ſey eher ſchädlich als heilſam, und widerſtreite dem Gebote der Liebe. Die Gefahr der tumultuariſchen Neuerung lag darin, daß ſie ſich für noth - wendig, für die unmittelbare Forderung des ächten Chri - ſtenthums erklärte; beinahe eben ſo, wie man auf der päpſt - lichen Seite jedes kirchliche Gebot für einen unantaſtbaren Ausfluß der höchſten Idee ausgab, mit der man auch das geſammte bürgerliche Leben in engſten Zuſammenhang ge - ſetzt hatte. Es war ein unendlicher Gewinn, zu zeigen, daß die Religion ein freies Gebiet anerkenne, welches ſie nicht unmittelbar zu beherrſchen brauche, wo ſie ſich nicht um die Leitung jeder Einzelnheit zu bekümmern habe. Luther32Drittes Buch. Erſtes Capitel.that das mit der Milde und Schonung eines Vaters und Führers, mit der Überlegenheit eines weiter ſchauenden, tiefer begründeten Geiſtes. Dieſe Predigten gehören wohl zu den bedeutendſten von allen die er gehalten hat; es ſind zugleich Demegorien, wie die des Savonarola, aber nicht um aufzuregen, um fortzureißen, ſondern um einzuhalten auf einem verderblichen Wege, die Leidenſchaften zu be - ſchwichtigen, zu dämpfen. 1Sieben Predigten D. M. L. ſo er von dem Sontage In - vocavit bis auf den andern Sontag gethan, als er aus ſeiner Path - mos zu Wittenberg wieder ankommen. Alt. II, p. 99. Wie hätte die Gemeinde der wohlbekannten Stimme, dieſer überzeugten und überzeugen - den Beredſamkeit widerſtehen können, durch welche ſie zu - erſt auf die neuen Bahnen des Geiſtes geführt worden. Was ſonſt wohl einem ähnlichen Beginnen entgegnet wird, daß man Furcht habe, Rückſichten hege, war hier nicht vorzubringen. Nie war Luther heldenmüthiger erſchienen. Dem Banne des Papſtes und der Acht des Kaiſers bot er Trotz, indem er zu ſeiner Gemeine zurückkehrte; ſein Fürſt hatte ihm geſagt, daß er ihn nicht ſchützen könne; er hatte überdieß auf dieſen Schutz ausdrücklich Verzicht geleiſtet; er ſtürzte ſich in die größte perſönliche Gefahr, und zwar that er das, nicht, wie wohl auch Andre gethan, um einer Bewegung voranzugehn, ſondern um ihr entge - genzutreten; nicht um umzuſtürzen, ſondern um zu erhalten. Vor ihm verſtummte die Empörung, legte ſich das Ge - tümmel: die Ruhe ward wiederhergeſtellt; auch einige der am heftigſten aufgeregten Wortführer wurden überzeugt undſchloſ -33Unruhen in Wittenberg.ſchloſſen ſich an. Carlſtadt, der ſo weit nicht zu bringen war, wurde zum Schweigen verurtheilt; es ward ihm hauptſächlich zum Vorwurf gemacht, daß er ſich unberu - fen in das Pfarramt eingedrängt habe, und er durfte die Kanzel nicht mehr beſteigen. Die gemäßigtere Meinung wie ſie Luther verfocht und die von einer drohenden Ge - fahr befreite Staatsgewalt traten einander noch einen Schritt näher. Eine Schrift Carlſtadts, in ſeinem bisherigen Sinne abgefaßt, von der ſchon einige Bogen abgedruckt waren, wurde von der Univerſität, die dem Churfürſten darüber be - richtete, unterdrückt. Noch einmal ſtellten ſich die Zwi - ckauer Luthern dar. Er warnte ſie, ſich nicht von den Vor - ſpiegelungen des Satans verblenden zu laſſen: ſie antwor - teten ihm: zum Beweis ihrer göttlichen Miſſion würden ſie ihm angeben, was er in dieſem Augenblicke denke; da er es geſtattete, ſagten ſie ihm, er fühle jetzt in ſeiner Seele eine Hinneigung zu ihnen. Luther fuhr auf: ſtrafe dich Gott, Satan; er hat ſpäter geſtanden, das ſey in der That in ihm vorgegangen, aber eben daß ſie es getroffen hielt er für ein Zeichen ſataniſcher, nicht göttlicher Kräfte: er entließ ſie indem er gleichſam ihren Geiſt gegen ſeinen Gott herausforderte. 1Camerarius Vita Melanchthonis, cap. XV. Abſtrahiren wir von der Schroffheit ſei - nes Ausdrucks, ſo hat dieſer Kampf zwiſchen zwei entge - gengeſetzten Geiſtern, einem verderblichen und einem ſchützen - den Genius eine tiefe, grandioſe Wahrheit.

Hierauf ward es ruhiger in Wittenberg. Die Meſſe ward ſo weit als möglich hergeſtellt; vorhergehende Beichte und das Empfangen mit dem Munde; mit geweihten Klei -Ranke d. Geſch. II. 334Drittes Buch. Erſtes Capitel.dern, Geſang und allen gewöhnlichen Cerimonien, ſelbſt latei - niſch ward ſie gehalten; man ließ nichts weg als die Worte des Canon, die ſich unmittelbar auf die Idee vom Opfer be - ziehen. 1Luther von beider Geſtalt des Sacraments zu nehmen. Al - tenb. II, p. 126. Übrigens aber beſtand eine volle Freiheit, eine Un - beſtimmtheit aller Formen. Luther blieb im Kloſter und trug die Auguſtinerkutte nach wie vor; doch hatte er nichts dawi - der daß Andre weltlich wurden. Das Abendmahl ward un - ter Einer oder auch beiden Geſtalten ausgetheilt. Es war gleich viel, ob Jemand ſich mit der allgemeinen Abſolution begnügte, oder nach einer beſondern Verlangen trug. Gar oft wurden Fragen über die Grenzen des Unbedingt-ver - werflichen und des Noch-zuläßigen rege; die Maxime Lu - thers und Melanchthons war, nichts zu verdammen, was nicht eine unzweifelhafte Stelle der Bibel, wie man ſich aus - drückte, ganz klare und gründliche Schrift wider ſich hatte. Man dürfte dieß nicht für Gleichgültigkeit halten. Vielmehr: die Religion zog ſich in das ihr unmittelbar eigene Gebiet zurück und vertiefte ſich in ihre reinſten Ten - denzen. Dadurch wurde es möglich, die Lehre zu ent - wickeln und auszubreiten, ohne daß man geradezu in Kampf mit dem Beſtehenden gerathen wäre, ohne daß man durch raſchen Umſturz die deſtructiven Kräfte erweckt hätte, deren erſte Regung eben ſo gefährlich geworden war. Ja die Entwickelung der Lehre ſelbſt konnte nicht ohne Rückſicht auf dieſe Gegner von der andern Seite geſchehn. Luther ward ſchon damals inne, daß es gefährlich ſey, nur immer von der Kraft des Glaubens zu predigen:35Unruhen in Wittenberg.ſchon drang er darauf, daß der Glaube in guten Sitten, brüderlicher Liebe, Zucht und Ordnung ſich darſtellen müſſe. 1Eine merkwuͤrdige Stelle aus einer ſeiner Predigten fuͤhrt Eberlin von Guͤnzburg an: Vermanung an alle frumen Chriſten zu Augsburg am Lech. Ich hab gehort, ſagt er, von D Martin Luther, in ainer Predig ain groß war wort, das er ſagt, wie man die ſach anfacht, ſo felt unrat darauf; predigt man den glauben allein, als man thon ſol, ſo unterleßt man alle zucht und ordnung, predigt man zucht und ordnung ſo felt man ſo gantz darauff das man alle ſe - lickait darein ſetzt und vergißt des glauben; das mittel aber were gut, das man alſo den glauben yebte das er ausbreche in zucht und ordnung, und alſo uͤbte ſich in guten ſiten und in briederlicher liebe das man doch ſelikait allein durch den glauben gewertig were.Nach allen Seiten wies die ſich entwickelnde religiöſe Überzeugung das Ungleichartige von ſich und bildete ihren Inhalt zugleich individueller und allgemein gültiger, nach ihrer innern Nothwendigkeit aus. Noch mitten in den Stürmen, im Dezember 1521, war das erſte Lehrbuch der Theologie nach den neuen Grundſätzen erſchienen, Melanchthons loci communes, noch lange kein vollſtändiges Werk, in ſeinem Urſprung nur eine Zuſam - menſtellung der Grundſätze des Apoſtels Paulus über Sünde, Geſetz und Gnade, und zwar durchaus in den ſtrengen Begriffen, von denen Luthers Erweckung ausgegangen, aber dabei ſchon darum höchſt merkwürdig, weil es von der bisherigen Entwickelung der ſcholaſtiſchen Theologie ſo völ - lig abwich und ſeit ſo vielen Jahrhunderten in der lateini - ſchen Kirche zum erſten Mal ein Syſtem aus der Schrift allein zuſammenſtellte; von Luthers Beifall empfohlen machte es nun ſeinen Weg durch die Welt; in immer neuen Aus - gaben ward es umgebildet, vervollſtändigt. 2Man erkennt den Urſprung und die Zuſammenſetzung dieſerUnd eine noch3*36Drittes Buch. Erſtes Capitel.weiter reichende Wirkung, auf das Volk unmittelbar mußte die Überſetzung des Neuen Teſtamentes haben, die Luther nach ſeiner Rückkunft mit Melanchthon nochmals durchar - beitete, und mit der er im September 1522 hervortrat. Indem man ſich von den Formen los riß, welche Schule und Hierarchie der Lehre gegeben, bot man dagegen die erſte Urkunde des Chriſtenthums, in wortgetreuer Übertra - gung, verſtanden und verſtändlich, der Nation dar. Eben war ihr Geiſt dazu gereift ihren Inhalt in ſich aufzunehmen; von dem ächten Ausdruck der unvermittelten Religion ward er in den wichtigſten Momenten ſeiner Bildung in ſeiner Tiefe ergriffen und durchdrungen. Von den Wirkungen die - ſer Thätigkeit ließ ſich alles erwarten. Luther hegte die groß - artige Zuverſicht, daß die Lehre allein zum Ziele führen, daß wenn ſie durchdringe, ſchon ganz von ſelbſt eine Umge - ſtaltung der äußern Verhältniſſe eintreten werde.

Daß er dieſe Meinung hegen, und durch baldigen Erfolg darin beſtärkt werden konnte, dazu trug vor allem die Haltung bei, welche die indeß umgebildeten Reichsge - walten annahmen.

2Schrift durch eine Vergleichung des erſten Entwurfes von 1520, der handſchriftlich in viele Haͤnde kam, in Strobel’s Neuen Beitraͤ - gen V, p. 323 mit der erſten Ausgabe von 1521, abgedruckt in v. d. Hardts Hist. lit. ref. IV.

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Zweites Capitel. Weltliche und geiſtliche Tendenzen des Reichs - regimentes 1521 1523.

Es iſt ein großartiges Zuſammentreffen, daß eben in dem Momente, wo ſich dieſe gewaltigſte nationale Re - gung erhob, jene ſtändiſche Regierungsform, die das Ziel ſo anhaltender und mannichfaltiger Beſtrebungen gewe - ſen, wirklich ins Leben trat. Der mächtige Kaiſer hatte ſie als Bedingung ſeiner Wahl bewilligen müſſen; in Worms hatte man ſich über die Einrichtung verſtändigt; in dem Herbſt 1521 ſchritt man zur Ausführung. Die Churfürſten und die Kreiſe wählten ihre Abgeordneten, und wir finden wohl wie dieſelben der beſondern Vaſallenpflich - ten entlaſſen und nur auf das Beſte des Reiches zu den - ken angewieſen werden. Die alten Acten des Kammerge - richts, viele Centner ſchwer, bei vierthalbtauſend ältere noch nicht ausgemachte Proceſſe und eine große Anzahl neuer Klagen, auf die noch keine Ladung erkannt war, wurden nach Nürnberg geſchafft. 1Hans v. Planitz an Friedrich v. Sachſen 18 Octob. 1521, nach den Mittheilungen von Adam v. Beichlingen. Die Correſpon - denz von Planitz in zwei Baͤnden und einem kleinern Hefte des Wei -Nach und nach langten die Ab -38Drittes Buch. Zweites Capitel.geordneten an: am längſten ließen die kaiſerlichen auf ſich warten. Im Laufe des November kam man ſo weit, daß zuerſt das Reichsregiment, dann auch das Kammergericht eröffnet werden konnte.

Anfangs hatte man nun noch von den Einwirkungen der kaiſerlichen Hofräthe zu leiden,1Planitz ſagt ſchon am 18 Oct. Churfuͤrſten Fuͤrſten und Andre ſo itzund allhie vorhanden haben Beiſorge, es werde bei etz - lichen Kaiſeriſchen gefleißigt, ob ſuͤlch Vornemen des Regiments in Verhinderung oder Aͤnderung geſtellt werden mecht. 14 Mai ge - denkt er eines gewiſſen Rem, der nach langer Gefangenſchaft eine kaiſerliche Abſolution ausbringt. Iſt vermutlich, weil das Regi - ment die Sach zu ſich forderet und die Sach den Hofretten nicht geſtatten wollte, hierin zu handeln, das ſie die Abſolution gefuͤrdert, damit das Regiment auch nichts daran haben ſolt. Die Briefe ſind voll von aͤhnlichen Aͤußerungen. großentheils derſelben, mit denen die Stände ſchon unter Maximilian ſo oft ſich entzweit hatten, die noch immer keins ihrer lucrativen Rechte fallen laſſen wollten und nach wie vor der Beſtechlichkeit an - geklagt wurden. Es kamen ſehr ſonderbare Dinge vor. Un - ter andern hatte der Biſchof von Würzburg einen gewiſſen Raminger, der mit kaiſerlichem Geleite verſehen war, nie - derwerfen laſſen und hielt ihn gefangen; billigerweiſe nahm ſich das Regiment des Überwältigten an. Wie ſehr er - ſtaunte man aber als ein Erlaß des Kaiſers einlief, worin er erklärte, er habe jenes Geleit unbedachtſam gegeben; es könne nicht dafür gehalten werden, daß der Biſchof ein wahres kaiſerliches Geleite gebrochen habe. Es machte hierin keinen Unterſchied, ob die Stände dem Regiment zur Seite ſtanden oder nicht. Im März 1522 waren die1mar. Archivs iſt fuͤr das Folgende unſre Hauptquelle. Harpprecht und Muͤller (Staatscabinet I) berichten nur das Aͤußerlichſte.39Reichsregiment.Stände zuſammengekommen, und beide vereinigt verwandten ſich für den Biſchof von Hildesheim, der ſich über die Acht beklagte, die gegen ihn und ſeine Freunde ergangen war, ohne daß ſie citirt und verhört worden; aber der Kaiſer wollte nicht leiden, daß man ihm in ſeine Ge - ſchäfte greife; er wies die Verwendung mit einer kurzen nichtsſagenden Antwort zurück.

Ende Mai aber verließ der Kaiſer die Niederlande. Seine Gegenwart war in Spanien nothwendig, um die Unruhen der Comunidades vollends beizulegen. Seine Ge - danken wurden von den Verwickelungen des italieniſchen Krieges den er unternommen, von den großen Entdeckun - gen und Eroberungen welche eine Handvoll glücklicher und geiſtreicher caſtilianiſcher Abenteurer unter ſeinen Fahnen in einem entfernten Continent vollzogen, vollauf beſchäftigt. Auch die deutſchen Hofräthe die ihn begleiteten, konnten unmöglich von Spanien her auf die Einzelnheiten der deut - ſchen Verwaltung einwirken. Nun erſt kam das Regiment zu voller Selbſtändigkeit. Der junge Kaiſer hatte kommen müſſen um es zu autoriſiren, und ließ ihm durch ſeine Ent - fernung freie Hand.

Wir betrachten zunächſt die weltliche Seite ſeiner Ver - waltung.

Da waren nun ſchon mancherlei wichtige Geſchäfte in Gang gekommen. Beſonders ward auf eine Executionsord - nung gedacht, nach den im J. 1512 gemachten Vorſchlägen, und man ſetzte feſt, wogegen Maximilian ſich ſo lebhaft ge - ſträubt hatte, daß die Hauptleute der Kreiſe durch dieſe ſelbſt gewählt werden ſollten. Die ungriſch-türkiſchen Ver -40Drittes Buch. Zweites Capitel.hältniſſe nahmen die Aufmerkſamkeit dringend in Anſpruch. Während die beiden vorwaltenden Fürſten der Chriſtenheit ihre natürliche Eiferſucht in den italieniſchen Kriegen zu immer heftigerm Haß entflammten, hatte der Gewaltherr des osmaniſchen Reiches ſeine durch Chriſtenhaß und Er - oberungsluſt angefeuerten Kriegsſchaaren daher gewälzt und das alte Bollwerk der an jenen Grenzen nur wenig geſi - cherten Chriſtenheit, Belgrad, in ſeine Hände gebracht. Man war in Deutſchland nicht ſtumpf für dieſe Gefahr; aus - drücklich deshalb kamen die Stände im Frühjahr1Das Ausſchreiben iſt vom 12 Februar: auf den Sonntag Oculi (23 Maͤrz 1522), damit man noch Zeit habe ſich zu ruͤſten; am 28 Maͤrz war eine Anzahl Staͤnde zugegen und es wurden Pro - ceſſionen und Gebete angeordnet, damit S. goͤttlich Barmherzigkeit den Zorn, ob und wie wir den durch unſre Schuld und Miſſethat verſchuldet haͤtten, von uns wende. Die Propoſition geſchah am 7 April; der Kaiſer ließ darin erklaͤren, daß er ſich der zu ſeinem Romzug bewilligten Huͤlfe begebe, damit ſie zum Tuͤrkenkrieg angewendet werde. Die Staͤnde beſchloſſen von derſelben anderthalb Viertel () ins Feld zu ſtellen, jedoch nicht in Mannſchaft ſondern in Geld. Es gieng alles ſehr eilend her, da man eine beſſere Ruͤſtung auf eine Beſpre - chung mit ungriſchen Commiſſarien gruͤnden wollte. Der Frkf. Ge - ſandte meint, es werde nicht viel ausgerichtet werden, ſondern aufs fuͤrderlichſte wieder zum Thor hinaus. Am meiſten hielten die Seſ - ſionsirrungen auf. Der Sachen halber bleiben andre Haͤndel un - ausgerichtet und wir verzehren das Unſre ohne Nutzen. Der Ab - ſchied iſt vom 7 Mai. (Frankf. A.) Am folgenden Reichstag (Dez. 1522) wurden fernere zwei Viertel des Romzugs bewilligt. und noch einmal im Herbſt 1522 zuſammen; ein Theil der dem Kaiſer für ſeinen Romzug bewilligten Hülfe ward mit deſ - ſen Genehmigung zur Unterſtützung der Ungern beſtimmt: umfaſſende Entwürfe zu einer vollſtändigern und allzeit be - reiten Kriegsrüſtung zu dem nemlichen Zwecke wurden ge - macht und berathen. Worauf aber alles ankam, wovon alles abhieng, das war die Befeſtigung der Regierungs -41Reichsregiment.form ſelbſt. Man fühlte jeden Augenblick, wie mißlich es war, die Beſoldung der Mitglieder des Gerichts und des Regimentes auf Matricularanſchläge zu gründen, die von Jahr zu Jahr bewilligt werden mußten, und immer nur ſchwer beizutreiben waren; auch wollte man es nicht etwa dem Kaiſer überlaſſen, die Beſoldungen zu zahlen: man fürchtete mit Recht, dann werde er auch Anſpruch darauf machen, die Mitglieder zu ernennen. Man gerieth deshalb auf mancherlei andre Vorſchläge: Innebehaltung der An - naten, Judenſteuern, oder endlich auch im Zuſammenhang mit einer beharrlichen Rüſtung eine Erneuerung des ge - meinen Pfennigs. Allein es zeigte ſich alles gleich unaus - führbar. Für die Annaten wären erſt Vereinbarungen mit dem römiſchen Stuhl erforderlich geweſen, die nicht ſo leicht zu treffen waren; einer Anlage auf die Juden widerſetzten ſich die Städte, welche von frühern Kaiſern das Recht ihre Juden ſelbſt zu ſchatzen, erworben, und daſſelbe neuerdings auch gegen den kaiſerlichen Fiscal behauptet hatten; über einen neuen gemeinen Pfennig konnte man es nicht weiter als bis zum Entwurf, nicht einmal bis zu ernſtlicher Berathung bringen. Unter dieſen Umſtänden nahm das Regiment einen ſchon früher gehegten Plan auf, der auch an ſich eine große nationale Bedeutung entwickelt haben würde, und noch mit andern Abſichten der Reichs - verwaltung zuſammenhängt, welche unſrer Aufmerkſamkeit würdig ſind.

Unter den Beſchwerden, welche die verſchiedenen Stände in jener Zeit gegen einander erhoben, traf eine der allge - meinſten, lebhafteſten die Kaufmannſchaft.

Die alten Handelswege waren noch immer im Gange;42Drittes Buch. Zweites Capitel.noch immer genoß die Hanſe den größten Theil ihrer Pri - vilegien im Ausland: Venedig ſtellte nach dem Frieden ſei - nen Markt wieder her; allein der Glanz dieſes Betriebes erbleichte doch verglichen mit dem Aufſchwung welchen ſeit der Entdeckung beider Indien der überſeeiſche Verkehr nahm. Große Handelshäuſer von Oberdeutſchland ſetzten ſich mit Liſſabon in unmittelbare Berührung; oder ſie hatten an den weſtindiſchen Unternehmungen der Spanier Antheil. Antwerpen kam hauptſächlich mit dadurch empor, daß es die Niederlage für dieſen deutſch-überſeeiſchen Handel bildete.

In Deutſchland war jedoch nicht Jedermann hiemit zufrieden. Die Strenger-geſinnten mißbilligten die Einfüh - rung neuer Genüſſe und neuer Bedürfniſſe; Andre beklag - ten, daß man ſo viel Geld aus dem Land gehen laſſe; faſt Alles war mißvergnügt, daß man die Waaren ſo un - gebührlich theuer bezahlen müſſe. Beſonders in den Jah - ren 1516 bis 1522 bemerkte man ein allgemeines Steigen in den Preiſen derſelben. Das Pfund Zimmet, langer oder kurzer, war um mehr als einen Gulden; der Centner Zucker von 12 auf 20 G.: einige oſtindiſche Gewürze waren auf das Vierfache ihres früheren Preiſes geſtiegen. 1Aus einem Gutachten des kleinen Ausſchuſſes uͤber die Mo - nopolien 1523 (Fr. A.) entnehme ich folgende Tabelle. Z. B. der beſte Safran, cataloniſcher, der 1516 3 G. 6 Kr. gekoſtet, koſtet 1522 4 G. 15 Kr.geringerer 1519 2 G. 21 27 Kr. 4 G.Negelein 1512 19 Schill. 2 G.langer Zimmet 1516 1 G. 18 Kr. 1518 2 G. 3 Ortkurzer 1515 3 Ort. 1519 1 G. 21 Kr.Muscatnuß 1519 27 Kr. 1522 3 G. 28 Kr.Muscatbluͤth 1518 1 G. 6 Kr. 4 G. 6 Kr.beſter Pfeffer (in der Haut) 1518 18 Kr. 32 Kr.Es mochte43Reichsregiment.dazu mancherlei mitwirken: vermehrter Luxus und erhöhte Nachfrage; die Nachwirkung des venezianiſchen Krieges, der die alten Gewohnheiten unterbrochen hatte, wohl auch ein Sinken des Geldwerthes, nachdem die amerikaniſchen Zuflüſſe eröffnet worden, wiewohl noch nicht in ihrem ſpätern Reichthume; damals aber ſuchte man vor allem, und wohl auch dieß nicht ganz mit Unrecht, den Grund in dem monopoliſtiſchen Weſen, das durch die Geſellſchaf - ten der großen Handelshäuſer, den oft wiederholten An - ordnungen der Reichstäge zum Trotz, nur immer mehr um ſich gegriffen hatte. Schon an ſich, ſagte man, ſeyen ſie in Beſitz ſo großer Capitalien, ſo manniſchfaltiger und ver - breiteter Factoreien, daß Niemand neben ihnen aufkom - men könne. In Portugal ſeyen ſie bereit dem König ſelbſt noch höhere Preiſe, als er ſonſt fordere, zu zahlen, wenn er ihnen nur dagegen verſpreche, die Später-kommenden noch mehr zu ſteigern. Man berechnete, daß man in Deutſchland jährlich 30000 Centner Pfeffer, 2000 Centner Ingwer einführe; nun ſey der erſte binnen wenig Jah - ren das Pf. von 18 auf 32 K., der zweite von 21 Kr. auf 1 G. 3 Kr. geſtiegen: welch einen ungeheuren Vor - theil müſſe das geben!

Wie Rom wegen ſeiner Indulgenzen, die Ritterſchaft wegen ihrer Räubereien, ſo wurden die Kaufleute, die Städte1Ingwer fruͤher 21 24 Kr. 1516 1 G. 3 Kr.Galgant 1 G. 36 Kr. 1 G. 39 Kr.Zucker, der Centner, 1516 11 12 G. 1518 20 G.Zuckerkandis 16 17 G. 1522 20 21 G.Venedegiſch Mandeln, der Centner. 1518 8 G. 12 G. Weinberlein 1518 5 G. 9 G. Feigen 3 G. 2 Sch. 4 G. 1 Ort.44Drittes Buch. Zweites Capitel.wegen dieſer Übertheuerungen unaufhörlich angegriffen: die Ungunſt welche ſie ſeit einiger Zeit in Bezug auf ihre reichs - ſtändiſchen Verhältniſſe erfuhren, leiten wenigſtens die Frank - furter vor allem von dem Widerwillen gegen die Monopo - lien her.

Auf dem Reichstag von 1522 23 faßte man den förmlichen Beſchluß, jede Geſellſchaft zu verbieten welche über 50000 G. Capital habe: anderthalb Jahre ſollten ihnen gelaſſen werden, um ſich auseinanderzuſetzen. Man hoffte damit, den kleinern Häuſern eine Concurrenz mit den grö - ßern möglich zu machen, die Anſammlung von Waaren und Geldern in wenigen Händen zu verhüten.

Indem man aber den ungemeinen Vortheil überſchlug, den der Verkehr mit dem Ausland, er mochte nun geführt werden wie er wollte, den Kaufleuten verſchaffte, kam man auf den Gedanken das allgemeine Bedürfniß durch eine Beſteue - rung des Handels zu decken. Zog nicht auch jeder einzelne Fürſt ſeine beſten Einkünfte aus den Zöllen, welche frühere oder ſpätere Kaiſer ihnen verwilligt hatten? Man ſah, daß es mit keiner directen Steuer Fortgang gewinnen wollte; man faßte die Idee einer indirecten Beſteuerung, zu Gunſten des Reiches, in Form eines allgemeinen Grenzzollſyſtems.

Es iſt wohl der Mühe werth, bei dieſem Entwurf einen Moment zu verweilen. Die Ausführung deſſelben müßte unberechenbare Folgen entwickelt haben: aber auch ſchon an ſich iſt es merkwürdig, daß man ihn faſſen konnte.

Bereits im J. 1521 war die Sache zur Sprache gekom - men: Churfürſt Joachim I von Brandenburg faßte ſie da mit beſonderer Lebhaftigkeit auf und empfahl ſie unaufhörlich.

45Entwurf eines Grenzzollſyſtemes.

Im Frühjahr 1522 beſchloſſen dann die Stände wirk - lich, auf dieſen Plan einzugehn, vorzüglich deshalb, weil der gemeine Mann dadurch nicht beſchwert werde, um aber ihrer Sache ſicher zu ſeyn, vor jedem weitern Schritte den Kaiſer um ſeiner vorläufige Einwilligung zu erſuchen.

Nachdem dieſe von Spanien eingegangen, nur mit der Bedingung, daß die nähern Beſtimmungen noch einmal mitgetheilt werden möchten, ward[auf] dem Reichstag im Winter 1522 23 auf Veranlaſſung des großen Ausſchuſ - ſes der Stände eine Commiſſion niedergeſetzt, um einen ausführlichen Entwurf auszuarbeiten. 1Ordnung ains gemainen Reichs Zolls In Ratſchlag ver - faſt. (Fr. A. Bd 38.) Ein Actenſtuͤck das ich unter den Urkunden mitzutheilen denke.

Man gieng in demſelben von dem Grundſatz aus, die unentbehrlichen Lebensbedürfniſſe unbeſteuert zu laſſen. Als ſolche betrachtet man: Getraide, Wein und Bier, Zug - und Schlachtvieh, auch das Leder. Alle andern Artikel dagegen ſollten ſowohl bei der Ausfuhr als bei der Ein - fuhr verzollt werden. Man dachte ſie weder nach dem Gewicht noch nach einem Tarif, der zu mancherlei Nach - ſuchung genöthigt haben würde, anzuſchlagen, ſondern nach dem Einkaufspreis, den ein Jeder angeben müſſe: der Zoll ſollte 4 Procent deſſelben betragen.

Es ward der Entwurf gemacht, das ganze Gebiet des römiſchen Reiches deutſcher Nation durch eine Zollli - nie einzuſchließen. Sie iſt folgende.

Sie ſoll beginnen bei Nikolsburg in Mähren und von hier gegen Ungarn gewandt über Wien und Gräz nach46Drittes Buch. Zweites Capitel.Villach oder Tarvis im Canal gehen; von da wird ſie ſich längs der Alpen hinziehen, gegen Venedig und Mai - land, und ihre Zollſtätten in Trient, Brunegg, Insbruck, Feldkirchen aufrichten. Die Schweiz, welche ſich der Auf - lage die in dem Zoll liegt nicht unterwerfen würde, wird man durch einige Zölle an ihren Grenzen ausſchließen; die Grenzlinie wird dann jenſeit des Rheines ihre Rich - tung nach Strasburg nehmen, und ſich über Metz, Luxen - burg, Trier nach Aachen ziehen. So gelangt man bis in die Nähe der Küſte, in das Gebiet des überſeeiſchen Ver - kehrs. Man betrachtet die Niederlande ohne Bedenken als einen Theil des Reichsgebietes; als binnenländiſche Zoll - ſtätten werden Utrecht und Dordrecht ſo gut wie Cölln und Weſel, für den eigentlichen Seehandel namentlich mit England und Portugal Antwerpen, Brügge und Ber - genopzoom in Vorſchlag gebracht. Mit der Küſte nimmt dann die Linie ihre fernere Richtung nach Norden und Oſten. Gegen Dänemark ſtaatsrechtlich noch das Unionsreich ſollen die Hanſeſtädte von Hamburg bis Danzig, dieſes eingeſchloſſen; gegen Polen Königsberg in der Neumark und Frankfurt a. d. Oder als Reichszollplätze dienen, an die ſich einige andre in Schleſien und der Lauſitz anreihen ſollen.

Ein Entwurf der noch nicht zur Reife gediehen, bei dem noch Vieles unbeſtimmt gelaſſen war; wie man denn auch ſogleich beſchloß, die Grenzen noch einmal bereiſen zu laſſen, weil man vielleicht Plätze finden könne, die noch geeigneter ſeyen den Schleichhandel zu verhindern als die angegebenen; man zweifelte noch, ob man Böhmen einſchlie -47Entwurf eines Grenzzollſyſtemes.ßen könne oder nicht, und weder auf Preußen noch auf Liefland hatte man Rückſicht genommen; aber alles das be - trifft nur Modalitäten, die erſt bei der Ausführung feſt angeordnet werden konnten: mit der Hauptſache nahm man es ſehr ernſtlich, und war darüber entſchieden.

Es liegt in der Natur der Menſchen, daß der geſammte Handelsſtand dadurch beeinträchtigt zu werden glaubte, den Entwurf nur von der Ungunſt herleitete, die er über - haupt erfuhr, und ſich in tauſend mehr oder minder ge - gründeten Einwendungen vernehmen ließ. Man ſuchte ſie ihm ausführlich zu widerlegen. Man machte auf das Bei - ſpiel benachbarter Reiche aufmerkſam, wo die Beſchwerun - gen bei weitem ſtärker ſeyen und dennoch Handel und Wandel auf das beſte gedeihe. Man bemerkte, daß die Steuer ja keineswegs auf die Handelsleute falle, ſondern auf die Käufer, die Verbrauchenden; dem Handel ſelbſt werde es zum größten Vortheil gereichen wenn mit Hülfe dieſer Steuer den Unordnungen im Reiche endlich abgehol - fen, allgemeine Sicherheit eingeführt werden könne.

Und das iſt wenigſtens nicht zu leugnen, daß dieſer Entwurf die großartigſten Ausſichten für die Zukunft von Deutſchland in ſich ſchloß. Es war ſchon überaus nütz - lich, genau beſtimmte und beaufſichtigte Grenzen zu ha - ben, deren geſammter Umkreis in enger Beziehung zu ei - nem lebendigen Mittelpuncte geſtanden hätte: das Bewußt - ſeyn der Einheit des Reiches mußte dadurch an jeder Stelle belebt werden. Aber auch das geſammte Staatsweſen hätte einen andern Charakter bekommen. Das Reichs - regiment, die wichtigſte vaterländiſche Inſtitution, an der48Drittes Buch. Zweites Capitel.man ſo lange gearbeitet hatte, würde dadurch zu einer natür - lichen und ſichern Grundlage gelangt ſeyn, und hinreichende Kräfte zur Handhabung der Ordnung erhalten haben. Noch immer war kein Friede im Lande; alle Straßen waren un - ſicher; bei keinem Urtel, keinem Beſchluß konnte man auf ſeine Ausführung zählen; jetzt aber würde die beſchloſſene Executionsordnung Leben gewonnen, das Regiment würde Mittel erlangt haben, um die Hauptleute und Räthe in den Kreiſen, von denen ſo oft die Rede geweſen, mit Be - ſoldung zu verſehen, und einiges Kriegsvolk in ſeinem und ihrem Gehorſam aufzuſtellen.

Im Frühjahr 1523 ſchien es, als würden dieſe Ab - ſichten unfehlbar erreicht werden. Der Entwurf gieng nur noch zur Beſtätigung an den Kaiſer zurück, der durch ſeine vorläufige Einwilligung bereits gebunden war.

Wir ſehen wohl: das Reichsregiment hatte wirklich die Idee, eine kräftige centrale Gewalt zu conſtituiren, und ergriff, mit den Ständen in Verein, allen Einwendungen zum Trotz die dazu geeigneten Mittel.

Da war es nun von um ſo größerer Bedeutung, in welches Verhältniß dieſe emporkommende Gewalt zu den religiöſen Bewegungen treten würde.

Im Anfang des Jahres 1522 war die Stimmung des Regimentes denſelben ſehr abgeneigt. Herzog Georg von Sachſen war zugegen, ein Fürſt, in welchem natür - liche Anhänglichkeit an das Herkömmliche,1Herzog Georg ſagte unſerm Berichterſtatter Planitz: wenn S. F. Gn. nicht mit der Tatt und Gewalt dazu thaͤt wuͤrd S. Gn. alle der man -cher -49Reichsregiment, 1522.cherlei alte Hader den er gegen ſeine Vettern von der erneſtiniſchen Linie hegte, und ein perſönliches Mißfallen das ihm die Verwegenheit des rückſichtsloſen Mönches er - weckte, zu einem lebhaften und heftigen Widerwillen zu - ſammenwirkte. Die Wittenberger Unruhen kamen ihm eben gelegen, um ſeinen Klagen Nachdruck zu verſchaffen. Er brachte wirklich ein Edict aus, durch welches das Regi - ment die benachbarten Biſchöfe Naumburg, Meißen und Merſeburg aufforderte, die Neuerungen nicht einreißen zu laſſen, die bisher üblichen kirchlichen Gebräuche aufrecht zu erhalten. 1Reſolution und Deciſum etc. 20 Jan. 1522. Walch XV, 2616. Merkwuͤrdig iſt der Zuſatz nr. 10 bis ſo lang durch Ver - ſehung der gemeinen Reichsſtaͤnde, chriſtliche Verſammlung oder Con - cilia ſolcher Sachen halben eine bedaͤchtliche wohlerwogene gegruͤndete gewiſſe Erklaͤrung vorgenummen werde; woraus man doch zu - gleich eine andre Tendenz abnimmt, aber noch in ihrer ganzen Un - beſtimmtheit.

Schon in jenem Vierteljahr aber, ſo wie die Nach - richt von der Beilegung dieſer Bewegung anlangte, änderte ſich die Stimmung. Es war natürlich von der Rückkehr Luthers nach Wittenberg die Rede, durch welche einer kaiſerlichen Achtserklärung ſo gradezu Trotz geboten wurde, und Herzog Georg hatte wohl den Gedanken, die Inter - vention des Kaiſers unmittelbar anzurufen; aber er ver - letzte damit nur das Selbſtgefühl des Regimentes. Der Geſandte Churfürſt Friedrichs Hans von der Planitz wollte es nicht tadeln laſſen, daß ſein Herr Luthern in Witten -1Land ſchyr gar ketzeriſch: wollten alle die behemiſche Weis an ſich nemen, und sub utraque communiciren: er gedaͤcht es aber mit Gewalt zu weren. (Schreiben vom 2 Jan. 1522.)Ranke d. Geſch. II. 450Drittes Buch. Zweites Capitel.berg dulde; er wollte es nicht Wort haben daß der Mönch Ketzereien lehre. Daß dort das Abendmahl unter beiden Geſtalten genommen werde, ein und der andre Prieſter ſich verheirathe, ein paar Mönche ihr Kloſter verlaſſen, könne man nicht Ketzereien nennen; das betreffe Anordnungen, welche von Papſt und Concilien vor nicht gar langer Zeit gegeben worden, und daher auch am Ende zurückzunehmen ſeyen. Würde man dagegen Luthern entfernen, ſo würden ſich Nachahmer erheben, jedoch ohne ſeinen Geiſt; die möch - ten dann leicht nicht allein gegen Satzungen der Kirche, ſondern gegen Chriſtenthum und Gott predigen; ein Auf - ruhr, ja ein vollkommner Mißglaube dürfte ſich erheben. Dieſer Geſandte iſt überhaupt ein Mann von Geiſt, eben ſo entſchloſſen, wie gewandt; er iſt ganz für Luther, we - niger jedoch aus theologiſcher Überzeugung, obwohl er ihm auch darin beiſtimmt, als weil er in der Sache deſ - ſelben zugleich eine Sache ſeines Fürſten, des Regimentes und des Reiches ſieht.

Im Sommer 1522 traf nun die Reihe, an dem Re - giment perſönlich anweſend zu ſeyn, den Churfürſten Frie - drich ſelbſt. Er war noch aus der Schule jener alten Für - ſten, aus deren Ideen das Inſtitut des Regimentes her - vorgegangen: auch jetzt hatte er an der Feſtſetzung der Ver - faſſung perſönlich den lebendigſten Antheil genommen. Schon war er öfter wegen einzelner Förmlichkeiten zu Rathe ge - zogen worden. Die beſonnene Ruhe mit der er verfuhr, die Erfahrung die er beſaß, die allgemeine Hochachtung welche er ſich durch Redlichkeit und Geſchäftstalent erwor - ben, brachten ihm eine ungemeine Autorität zu Wege. 1Der Churf. v. Trier hoͤrte von einem Unwohlſeyn Friedrichs.51Reichsregiment, 1522.Man kann ſagen: er regierte in dieſem Momente das Reich, in ſo fern es überhaupt regiert werden konnte.

Da läßt ſich nun denken, daß Luther, der die Gnade dieſes Fürſten in ſo hohem Grade genoß, von dem Regi - ment nichts zu befürchten hatte. Herzog Georg fuhr fort, ihn bei dieſer Verſammlung zu verfolgen: er beſchwerte ſich zu wiederholten Malen über die Heftigkeit des Mönchs, über die Schmähungen die er gegen Reichsfürſten, Kaiſer und Papſt ausſtoße. Nichtsſagender aber war wohl nie eine Antwort, als die, welche ihm einſt das Regiment auf eine dieſer Klagen zuſtellte. Wir erſehen, ſchreibt es ihm am 16ten Aug. daß Ew. Liebden die Schmähungen gegen päpſtliche Heiligkeit und kaiſerliche Majeſtät mißfallen, ge - ben darauf E. L. zu erkennen, daß wir Kſr Mt Schmach und Schaden nicht gern gedulden wollten wo wir ſie er - führen und ſähen. 1Inſtruction ans Regiment zu Nuͤrnberg Antwort deſſel - ben Schreiben Herzog Georgs, Dienſtag nach Nativ. Mariaͤ (9 Sept.) Otto Packs an den Herzog, Montag vom XIten Virginum (20 Oct.) Dresdner Arch.Kein Wunder, wenn ſich der Her - zog ſpäter einmal bei dem Statthalter, Pfalzgraf Friedrich über dieſe Antwort beſchwerte: der antwortete, es habe ſich damals gegen Dinge dieſer Art nichts thun laſſen.

Überhaupt bildete ſich in dem Regiment eine Luthern geneigte Partei, die zwar in jedem Vierteljahr durch den Eintritt neuer Mitglieder unſicher ward, aber kraft der na - türlichen Conſequenz einmal aufgefaßter Grundſätze immer1Er ließ ihm durch die Geſandten ſagen: E. Ch. Gn. ſolten veſt hal - ten, nicht krank werden noch abgehn, denn man hett im Reich E. Ch. G. nye als wol bedurft als itzund, nachdem E. Ch. G. wußte, wye es allenthalben im Reiche ſtuͤnde. Planitz 1 Nov. 1521.4*52Drittes Buch. Zweites Capitel.wieder die Oberhand behielt, und in der That die Majo - rität conſtituirte. Wunderbarer Wechſel! Nachdem der Kaiſer 1521 Luthern in die Acht erklärt, nahm die Be - hörde welche die kaiſerliche Gewalt repräſentirte, 1522, 23, den Geächteten in Schutz und näherte ſich ſeinen Tenden - zen. Politiſchen Combinationen wie ſie auf den Kaiſer ein - gewirkt, war ſie natürlich unzugänglich.

Und um ſo mehr hatte das zu bedeuten, da in den letzten Monaten des einen, den erſten des andern Jahres die Stände beiſammen waren, und nun, auf Anregung des neuen Papſtes, Adrian VI, einen Beſchluß in der lu - theriſchen Sache faſſen ſollten.

Gewiß war Adrian VI ein überaus wohlgeſinnter Mann. Er war früher Profeſſor in Löwen geweſen und ſchon damals hatte er gegen den Übermuth der Geiſtlichen, gegen die Verſchwendung der kirchlichen Güter geeifert;1Excerpte aus ſeinem Commentar in quartum sententiarum in dem Schreiben von Joh. Lanoy an Heinr. Barillon bei Burmann Vita Adriani p. 360. dann war er Lehrer Carls V geworden; man hatte ihn zur Verwaltung von Spanien gezogen: da hatte er die Dinge der Welt noch mehr in der Nähe geſehen, und ſich mit Widerwillen gegen die weltlichen Tendenzen des Papſt - thums durchdrungen. Eine Reform zu verſuchen war er daher ſehr geneigt. Er erklärte, er habe ſeinen Nacken nur darum in das Joch der päpſtlichen Würde gebeugt, um die verunſtaltete Braut Chriſti in ihrer Reinheit wieder her - zuſtellen. Aber dabei war er doch auch ein entſchied - ner Gegner Luthers. Er gehörte mit zu jenen Magiſtri53Reichstag von 1522, 23.noſtri von Löwen, welche gegen die neuernde Literatur und Theologie ſo lange in Kampf gelegen: die Erklärungen dieſer Univerſität hatte er ausdrücklich gebilligt. Die dominica - niſch-orthodoxe Tendenz, welche ſich 1520 wieder aufs engſte mit dem römiſchen Hofe vereinigt, kam in ihm be - reits zu einer momentanen Herrſchaft.

In dem Sinne nun, der ihm natürlich war, inſtruirte Adrian den Nuntius Chieregati, welchen er an den deut - ſchen Reichstag ſendete. Er betrachtete das Aufkommen der lutheriſchen Meinungen als eine Strafe für die Sün - den der Prälaten. Wir wiſſen, ſagt er, daß bei dieſem Sitze einige Jahre daher viele Abſcheulichkeiten vor - gekommen ſind: alles iſt zum Böſen verkehrt worden, von dem Haupte hat ſich das Verderben in die Glieder, von dem Papſt über die Prälaten verbreitet. Indem er ſich nun bereit erklärte, die Übelſtände abzuſtellen, forderte er die deutſchen Stände zugleich auf, dem Um-ſich-greifen der lutheriſchen Meinungen ernſtlich Einhalt zu thun; acht Gründe führte er auf, welche ſie dazu bewegen müßten. 1Expergiscantur, excitentur et ad executionem senten - tiae apostolicae ac imperialis edicti praefati omnino procedant. Detur venia iis qui errores suos abjurare voluerint. Instructio pro Cheregato.

Auf dieſe Anträge ſollte nun Antwort gegeben, Be - ſchluß gefaßt werden; und dem Regiment kam es zu, einen Entwurf dazu abzufaſſen.

Gleich bei dem erſten Erſcheinen des Nuntius hatten ſich die beiden Parteien in dieſem Collegium mit einander gemeſſen. Die altgeſinnte Minorität hatte eine Beſchwerde54Drittes Buch. Zweites Capitel.des Nuntius über ein paar Prediger hervorgerufen, die zu ihrem und ſeinem Verdruß unter den Augen des Regimen - tes lutheriſche Meinungen verkündigten. Erzherzog Ferdi - nand, der jetzt ſelbſt das Statthalteramt verſah, der Chur - fürſt von Brandenburg, an den in dieſem Quartal die Reihe war, erklärten ſich für die Wünſche des Nuntius. Allein die Majorität leiſtete ihnen unter Anführung des Planitz entſchloſſenen Widerſtand. Es kam hierüber zu manchem lebhaften Wortwechſel. Ferdinand rief einmal aus: ich bin hier an des Kaiſers Statt. Ja wohl, fiel Planitz ein, jedoch neben dem Regiment und nach den Ordnungen des Reiches. Die Sache ward nach den Vorſchlägen dieſes Geſandten an die Stände gewieſen,1Planitz erzaͤhlt dieß ſelbſt 4 Jan. 1523. Die Staͤnde ant - worteten, es ſey eine große Sache die wohl uͤberlegt werden muͤſſe; ſie bitten ſich Abſchriften des Breves und der Inſtruction aus und wollen etzliche daruͤber verordnen, die die Sach mit Fleiß bewegen. In der Stadt iſt groß Murmeln, will nicht rathen, das man einen gefangen annehme. d. i. ins Weite geſchoben; und man kann ſich denken, daß die Prediger nun noch beherzter, ungeſtümer wurden. Und wenn der Papſt, rief einer zu St. Lorenz aus, zu ſeinen drei Kronen noch eine vierte auf dem Kopfe hätte, ſo ſollte er mich nicht von dem Worte Gottes abwendig machen. Vor den Augen ſeines Nuntius ward dem Papſt auf der Kanzel Trotz geboten.

Unter dieſen Eindrücken wählte das Regiment einen Ausſchuß, um die den Ständen vorzuſchlagende Antwort an den Nuntius zu entwerfen. Er ward ebenfalls aus beiden Parteien zuſammengeſetzt, einigen geiſtlichen und ei -55Reichstag von 1522, 23.nigen weltlichen Mitgliedern, und die Majorität ließ ſich einen Augenblick zweifelhaft an: aber gar bald war ſie ent - ſchieden.

Ohne Frage das einflußreichſte Mitglied deſſelben war Johann von Schwarzenberg, Hofmeiſter von Bamberg, ſchon ein Mann von höhern Jahren, den Sechzigen nahe, der einſt in ſeiner Jugend mitten in der Völlerei damali - gen Hoflebens, die auch ihn fortzureißen drohte, auf die Ermahnung ſeines Vaters ernſte ſittliche Entſchlüſſe gefaßt, und ſich ſeitdem mit unermüdlichem Eifer dem Staatsdienſt und den Studien gewidmet hatte. Wir haben Überſetzun - gen ciceronianiſcher Schriften unter ſeinem Namen, in de - nen er ſich beſonders eines reinen, der gebildetern Redeart entſprechenden Ausdrucks befleißigte. 1Z. B. de senectute. Die erſte Arbeit machte Neuber, Hut - ten verglich deſſen Uͤberſetzung noch einmal mit dem Text, Schwar - zenberg brachte ſie in Hoffraͤnkiſch Deutſch. An der erſten pein - lichen Halsgerichtsordnung, zu Bamberg, in der man ſich vor allem dem geſchriebenen, d. i. dem römiſchen Rechte zu nähern ſuchte, hatte er wenigſtens den größten Antheil, wenn er ſie nicht gradezu verfaßt hat. Er war, wie wir ſehen, nach beiden Seiten hin productiv: er wunderte ſich daß Jemand lange Weile haben könne. Der lutheriſchen Bewegung, in welcher er die wiſſenſchaftliche und prakti - ſche Richtung ſeiner eignen Sinnesweiſe wiederfand, und zwar durch die religiöſe Tendenz ſo großartig erweitert, hatte er ſich vom erſten Augenblick an mit Freuden ange - ſchloſſen, mit einem ſeiner Söhne darüber ernſte Schriften gewechſelt, eine ſeiner Töchter aus dem Kloſter genommen:56Drittes Buch. Zweites Capitel.er lebte und webte darin. 1Nachrichten von ihm bei Strobel Vermiſchte Beitraͤge 1775 nr. 1. Heller: Reformationsgeſch. von Bamberg p. 45.Mit der Überlegenheit einer vollen und nach allen Seiten begründeten, gegen jede Ein - wendung gerüſteten Überzeugung nahm er ſich nun an der ſo überaus wichtigen Stelle in die er gelangt war, derſel - ben an, und riß ſeine Collegen mit ſich fort, die einen, weil ſie ohnehin ſich zu derſelben Geſinnung neigten, wie Sebaſtian von Rotenhan und Dr. Zoch, die andern, weil ſie wenigſtens in dieſem Augenblick keinen Widerſtand zu leiſten wußten, wie der Biſchof von Augsburg. Wer dieſe Geſinnung nicht theilte, blieb lieber von den Verſammlun - gen weg, z. B. der Geſandte des Herzog Georg, Dr. v. Werthern, und der Erzbiſchof von Salzburg. Dergeſtalt kam in dieſem Ausſchuß, der jetzt die centrale Gewalt des Reiches darſtellte, ohne vielen Widerſpruch ein Gutachten zu Stande, durchaus im Sinne der Oppoſition gegen das Papſtthum, und von der größten Wichtigkeit für die ganze folgende Entwickelung.

Darin gieng man von den Eingeſtändniſſen und Re - formverſprechungen des Papſtes aus, die man annahm, aber ohne ſich nun dagegen, wie der Papſt forderte, zu einer Verfolgung der lutheriſchen Meinungen zu verſte - hen. Man erklärte vielmehr, daß es eben um der zuge - ſtandenen Mißbräuche willen unmöglich ſey, die Bulle Leos X und das Wormſer Edict zu vollziehen. Denn vor allem von Luther ſey man über die Mißbräuche un - terrichtet worden. Würde man ernſtlich gegen ihn verfah - ren, ſo würde Jedermann glauben man wolle durch Ty -57Gutachten des Ausſchuſſes.rannei evangeliſche Wahrheit unterdrücken und unchriſtliche Mißbräuche behaupten, woraus denn nur Widerſtand ge - gen die Obrigkeit, Empörung und Abfall hervorgehn könne. Man erinnerte den Papſt, die Concordate zu halten, die Beſchwerden der deutſchen Nation abzuſtellen, vor allem die Annaten fallen zu laſſen, doch war man nicht der Mei - nung, daß die Irrung jetzt noch hiemit beizulegen ſey. Das könne auf keine andre Weiſe geſchehen als durch ein Concilium. Die Forderung eines Conciliums, welche ein halbes Jahrhundert in Athem halten ſollte, war zuerſt in einem Geſpräch des Nuntius mit Planitz ernſtlich zur Sprache gekommen,〈…〉〈…〉 ekam nun durch den Ausſchuß des Reichsregimentes〈…〉〈…〉 liciſtiſch gültige Anregung. Zu - gleich gab er aber einige Beſtimmungen dafür an: es müſſe von päpſtlicher Heiligkeit mit Verwilligung kaiſerli - cher Majeſtät berufen werden, denn beiden Häuptern ſtehe das zu: an eine bequeme Malſtadt: unverzüglich: binnen eines Jahres müſſe es beginnen: und zwar weſentlich un - ter andern Formen als die frühern. Einmal nemlich müſſe darin auch den Weltlichen Sitz und Stimme zuſtehen, ſo - dann müſſe jede Verpflichtung aufgehoben ſeyn, durch die man abgehalten werde irgend etwas vorzutragen was zu göttlichen, evangeliſchen und andern gemeinnützigen Sa - chen nothwendig ſey. Eine Verſammlung welche der lu - theriſchen Idee über die Kirche bereits entſprochen und al - lerdings ganz eine andre Geſtalt gehabt haben würde als ſpäterhin die Tridentiner. Fragte man nun, wie man ſich bis zu den Entſcheidungen dieſes Conciliums zu verhalten habe, ſo war die Antwort des Ausſchuſſes: man hoffe,58Drittes Buch. Zweites Capitel.wenn der Papſt die Vorſchläge genehmige, bei Churfürſt Friedrich und bei Luther auszuwirken, daß weder von die - ſem noch von ſeinen Anhängern etwas geſchrieben oder ge - lehrt werde was zu Ärgerniß und Aufruhr Anlaß geben könne: nur das heilige Evangelium und bewährte Schrift nach rechtem chriſtlichen Verſtand ſolle man lehren. Auf dieſe letzten Beſtimmungen kam es beſonders an. Alles an - dre lag in der Ferne, dieſe aber enthielten eine Norm für den Augenblick. Sie waren, wie man leicht wahrnimmt, durchaus in dem Sinne der zu Wittenberg und an dem ſächſiſchen Hofe die Oberhand behalten, mit den Intentio - nen einer freien Entwickelung der Lehre, die dort gefaßt worden, übereinſtimmend. Der 13te Januar 1523 iſt der Tag, an welchem dieß auf ewig denkwürdige Gutachten den Ständen zu weiterer Berathung übergeben ward. Voll Freuden ſchickte es Hans von der Planitz noch an demſel - ben Tage ſeinem Herrn zu. 1Weß der Ausſchuß zu pepſtlicher Heiligkeit Antwurdt den lutheriſchen Handell betreffen verordnet derhalb gerathſchlagt hat. Frankf. RAA. Tom 38, f. 99.

In den Ständen war ohnehin eine ſtarke Gährung, eine lebhafte Reibung zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Mitgliedern zu bemerken. Früher ſchien es wohl, als wür - den beide Theile gemeinſchaftliche Sache gegen Rom ma - chen, und noch in Worms hatten die Biſchöfe den allge - meinen Beſchwerden der deutſchen Nation ihre beſondern hinzugeſellt; allein eben dort entſprang auch die Entzweiung: die Geiſtlichen ſahen ſich durch die Beſchwerden welche die Weltlichen aufgeſetzt ſelbſt angegriffen, und waren entſchloſ -59Debatten in den Staͤnden.ſen ihre hergebrachten Rechte zu vertheidigen. In der da - maligen Verſammlung war es ſchon ein paar Mal zu Aus - brüchen dieſer Feindſeligkeit gekommen. Eine Eingabe der Städte voll der heftigſten Invectiven war verleſen wor - den: das Oberhaupt der deutſchen Geiſtlichkeit, der Chur - fürſt von Mainz hatte ſein Mißfallen darüber ſehr lebhaft zu erkennen gegeben: er meinte, man wolle die Geiſtlichen wie Verbrecher behandeln, man wolle unmittelbar Hand an ſie legen. Aber auch die übrigens katholiſch-eifrigſten weltlichen Fürſten forderten Reformen. Hatte ein Fürſt ja keinen Auftrag dazu gegeben, ſo neigten ſeine Räthe von ſelber dahin. Die Beſchwerden der Nation wurden aufs neue zuſammengeſtellt, zwar dieß Mal ohne Theil - nahme der Geiſtlichen, aber übrigens vermehrt und ge - ſchärft, großentheils gegen die Geiſtlichen ſelber gerichtet. In den tauſendfältigen Unordnungen, die ſie aufzählen, drückt ſich das Bedürfniß einer Scheidung beider Gebiete und Jurisdictionen aus, welches nie dringender geweſen war.

Dieſe Gegenſätze nun weiter zu entwickeln, mit ein - ander in Kampf zu bringen war nichts geeigneter, als das Gutachten, das jetzt von dem Ausſchuß des Regimentes an die Stände gebracht ward.

In der That gelang es den Geiſtlichen, einige Modi - ficationen in demſelben durchzuſetzen.

Zunächſt wurden die aus dem päpſtlichen Breve wie - derholten Geſtändniſſe nur in ſo fern geduldet als ſie den Papſt angiengen: die Worte die ſich auf Prieſter und Prälaten bezogen, mußten weggelaſſen werden. Ferner wur - den der Anſprüche der Weltlichen auf Sitz und Stimme60Drittes Buch. Zweites Capitel.in dem Concilium nicht gedacht. 1In dem Entwurf heißt es: Iſt von Ppl. Heiligkeit woll angezeigt daß ſolches von wegen der Sund beſchee und daß die Sund des Volks von den Sunden der Prieſter und Praͤlaten herfließen, und daß darum dieſelben zufoͤrderſt und am erſten als die endlich Urſach ſolcher Krankheit von der Wurzel geheilt geſtraft und abgewendet werden ſoll. Dieſe Stelle fehlt in der Antwort welche dem paͤpſtlichen Nuntius wirklich gegeben. Vgl. den Abdruck bei Walch XV, p. 2551, nr. 8.Es kam hiebei oft über einen einzelnen Ausdruck zu heftigem Wortwechſel. Bei dem Artikel über die Verpflichtungen z. B. wollten die Geiſtlichen das Wort evangeliſch nicht aufnehmen. Hierüber fielen von der weltlichen Seite ſo anzügliche Reden, daß der Churfürſt von Mainz die Sitzung verließ und nach ſeiner Behauſung ritt. Die Majorität entſchied jedoch zuletzt für ihn, für die Weglaſſung des Wortes.

Was nun aber hiedurch im Einzelnen auch geändert werden mochte, ſo blieb doch die Hauptſache ſtehen: die Ausführung des Wormſer Edictes ward abgelehnt;2Es geſchah dieß in der dem Nuntius uͤbergebenen Antwort in folgenden Ausdruͤcken: Majori namque populi parti jam pridem persuasum est nationi Germanicae a curia Romana per certos abusus multa et magna gravamina et incommoda illata esse: ob id, si pro executione apostolicae sedis sententiae vel impe - ratoriae majestatis edicti quippiam acerbius attemptatum esset, mox popularis multitudo sibi hanc opinionem animo concepisset ac si talia facerent pro evertenda evangca veritate et sustinendis manutenendisque malis abusibus, unde nihil aliud quam gravis - simi tumultus populares intestinaque bella speranda essent. (Fr. A.) es ward ein Concilium gefordert, wo möglich binnen eines Jahres zu beginnen, in einer deutſchen Stadt, unter Mit - wirkung des Kaiſers; ſogar auf die Veränderung der For - men einer ſolchen Verſammlung ward Bezug genommen; die Theilnahme weltlicher Stände ward ſtillſchweigend vor -61Debatten in den Staͤnden.ausgeſetzt; für beide ſollten alle Verpflichtungen aufgeho - ben ſeyn, durch welche die Freiheit der Meinungsäußerung beſchränkt werden könnte. Ein ſo entſchiednes Übergewicht erlangte die nach einer Umbildung der kirchlichen Verhält - niſſe ſtrebende Tendenz in beiden Ständen des Reichs. Auch die Geiſtlichen ſahen die Nothwendigkeit einer Än - derung ein; die Weltlichen drangen darauf. Selbſt von Herzog Ludwig von Baiern verſichert man, er habe gegen den Widerſpruch der Geiſtlichen eifrig feſtgehalten. 1Planitz nennt ihn ſchon am 18 Jan. neben Schwarzenberg und Feilitzſch.

Da waren nur noch jene letzten, und für den Mo - ment bedeutendſten Beſtimmungen, wie es bis zur Ent - ſcheidung eines Conciliums gehalten, welche Thätigkeit Schriftſtellern und Predigern geſtattet werden ſolle, zu be - rathen übrig.

In Hinſicht der erſten gelang es den Geiſtlichen ei - nige weitre Beſchränkungen durchzuſetzen. Die Verwendung bei dem Churfürſten wollten ſie dahin gerichtet wiſſen, daß von Luther und deſſen Anhängern überhaupt nichts Neues geſchrieben, gedruckt, oder gethan werde; nicht allein daß das nicht zu Aufruhr gereiche. Auch ſollte dieſe Verwen - dung ſofort geſchehen, ohne daß man erſt die Zuſage des Conciliums von dem Papſt erwarte. Der ſächſiſche Reichs - tagsgeſandte Philipp von Feilitzſch ſuchte die Vorſchläge des Regimentes zu behaupten; da es ihm nicht gelang, ſo proteſtirte er wenigſtens: er erklärte, ſein Fürſt könne ſich durch dieſen Beſchluß nicht gebunden achten, er werde ſich chriſtlich, löblich und unverweislich zu halten wiſſen.

62Drittes Buch. Zweites Capitel.

Es iſt, wie wir ſehen, ein Kampf wo ſich der Sieg bald auf die eine, bald auf die andre Seite neigt. Bei dem letzten Punct, der vielleicht noch wichtiger war, bei den Beſtimmungen über die Predigt, welche die große Maſſe unmittelbar berührte, nahmen die beiden Parteien ihre Kräfte noch einmal zuſammen. Die Geiſtlichen wollten ſich mit der allgemeinen Anweiſung der Prediger auf Evan - gelium und bewährte Schriften nicht begnügen, ſie forder - ten eine nähere Bezeichnung der letztern und brachten die Nahmhaftmachung der vier großen lateiniſchen Kirchenvä - ter, Hieronymus, Auguſtin, Ambroſius und Gregor, de - nen man ein canoniſches Anſehen beimaß, in Vorſchlag. Es iſt das um ſo bezeichnender, wenn man ſich erinnert, daß hundert Jahr früher auch die entwickeltern huſſitiſchen Doctrinen zunächſt als eine Abweichung von dieſen vier Begründern der lateiniſchen Kirche betrachtet worden wa - ren. Aber ſo tief waren ſchon die Ideen Luthers in die Nation gedrungen, daß ſie ſich auf die particularen Bil - dungen des Latinismus nicht mehr verpflichten laſſen wollte. Der gemeine Menſchenverſtand ſperrte ſich dagegen, daß St. Paulus weniger gelten ſollte als Ambroſius. Dieß - mal konnten die Geiſtlichen nicht durchdringen. Nach mancherlei Hin und Widerreden gerieth man vielmehr auf eine Faſſung welche die Bedeutung des urſprünglichen Vor - ſchlags in Wahrheit nur noch ausdrücklicher ſicherte. Man beſchloß, es ſolle nichts gelehrt werden als das rechte reine lautere Evangelium, gütig ſanftmüthig und chriſtlich, nach der Lehre und Auslegung der bewährten und von der chriſt - lichen Kirche angenommenen Schriften. 1quod nihil praeter verum purum sincerum et sanctumVielleicht fühl -63Debatten in den Staͤnden.ten ſich die Anhänger des Alten dadurch befriedigt, weil doch zugleich die Auslegung der lateiniſchen Kirchenväter damit gutgeheißen war; allein wie dieſe Verweiſung all - gemein gehalten, dunkel und unbeſtimmt, in demſelben Grade war die Empfehlung der evangeliſchen Doctrin dagegen unzweifelhaft beſtimmt und dringend; dieſe allein konnte Eindruck machen.

Und ſo war dieſe Antwort zwar hie und da verän - dert, aber dem Geiſte nach in der Hauptſache mit dem urſprünglichen Entwurf durchaus übereinſtimmend, als ſie an das Regiment zurückkam. Wider Erwarten gab es hier noch einmal eine ſehr ſtürmiſche Sitzung. Einige Mitglieder, unter ihnen auch der Biſchof von Augs - burg, dem ſeine Theilnahme an dem Entwurf wieder leid geworden war, machten noch einmal einen Verſuch, die Nahmhaftmachung der vier Kirchenväter feſtzuhalten. Pla - nitz berichtet, er habe darüber viel hoffärtige böſe Worte hinnehmen, einen ſtarken Sturm beſtehen müſſen, beſonders zeigt er ſich über die Abtrünnigkeit des Biſchofs unwillig, der von Gott aus dem Staube erhoben und zu den Für - ſten ſeines Volkes geſetzt, dafür das Evangelium verfolge. 1Planitz 4 Februar. Ich will aber Patienz und Geduld tragen. Es haben die Staͤnde obangezeigte Wort (er hat ſie in ſein Schreiben eingeruͤckt) haben wollen und nit die vier Doctores zu benennen und ſulchs dem Regiment anzeigen laſſen, dabei es blieben. Aber durch Geduld und Standhaftigkeit, mit Hülfe Schwar - zenbergs, gelang es ihm die einmal durchgegangene Faſ - ſung zu behaupten: die Antwort ward, wie ſie aus der1evangelium et approbatam scripturam pie mansuete christiane juxta doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia chri - stiana receptae scripturae doceant. So lautet der Satz in der dem paͤpſtlichen Nuntius gegebenen Antwort.64Drittes Buch. Zweites Capitel.Ständeverſammlung zurückgekommen, dem Nuntius über - geben. 1Planitz 9ten Febr. Die Schrift iſt dem paͤpſtl. Nuntius auf die Maß uͤbergeben wie ich E Chf D. zugeſchickt. Der iſt der nicht zu frieden und hat darauf replicirt. Er will den Kayſer dabei nit haben, ſo gefaͤllt ihm auch nit daß es ſogar frei ſeyn ſoll wie begehrt.

Dieſer verbarg ſein Erſtaunen, ſeinen Mißmuth nicht: weder der Papſt, ſagt er, noch der Kaiſer noch irgend ein anderer Fürſt habe ſolch einen Beſchluß von ihnen erwartet: er erneuerte ſeine Anträge auf die Ausführung des Worm - ſer Edictes, die Einrichtung einer biſchöflichen Cenſur; allein wie hätte eine Verſammlung, die ſich ſo langſam und ſchwer bewegte, auf eine Zurücknahme einmal gefaßter Be - ſchlüſſe denken können? Es war alles vergeblich.

Der Inhalt der Antwort ward als ein kaiſerliches Edict in das Reich verkündigt. Der Churfürſt von Sach - ſen, Luther ſelbſt war damit höchlich zufrieden. Luther fand, daß Bann und Acht, die über ihn ausgeſprochen worden, dadurch eigentlich zurückgenommen ſeyen.

In der That waren dieſe Beſchlüſſe von Nürnberg das grade Gegentheil der Wormſiſchen. Was man von Carl V erwartet hatte, daß er ſich an die Spitze der na - tionalen Bewegung ſtellen würde, das that das Regiment nun wirklich. Die politiſche Oppoſition, die ſich ſchon ſo lange vorbereitet, trat dem Papſt kräftiger als jemals ent - gegen. Mit ihr verbündet, durch die Repräſentanten der kaiſerlichen Macht geſchützt konnte nun auch die religiöſe Bewegung ſich ungehindert entwickeln.

Drit -
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Drittes Capitel. Ausbreitung der Lehre. 1522 1524.

Es war keine Anſtalt zu treffen, kein Plan zu verab - reden: einer Miſſion bedurfte es nicht; wie über das be - ackerte Gefilde hin bei der erſten Gunſt der Frühlingsſonne die Saat allenthalben emporſchießt, ſo drangen die neuen Überzeugungen, durch alles was man erlebt und gehört hatte, vorbereitet, in dem geſammten Gebiete wo man deutſch redete, jetzt ganz von ſelbſt oder auf den leichteſten Anlaß zu Tage.

Eine Ordensverbindung mußte es ſeyn, welche die erſten Mittelpuncte für die allenthalben entſtehende Oppo - ſition bildete.

Hatten doch die thüringiſch-meißniſchen Auguſtiner durch förmlichen Beſchluß die Emancipation begonnen! Da ſtanden Luthern die alten Freunde zur Seite, die mit ihm denſelben Gang der Meinungen und Studien gemacht. Aber auch unter den entferntern Auguſtiner-Conventen - gen wenige geweſen ſeyn, wo ſich nicht verwandte Re - gungen hervorgewagt hätten; wir finden ſie namentlich verzeichnet: in Magdeburg, Osnabrück, Lippe, Antwerpen,Ranke d. Geſch. II. 566Drittes Buch. Drittes Capitel.in Regensburg und Dillingen,1Nach Eberlin’s Syben frumme aber troſtloſe Pfaffen, lehrte Dr Caspar Amon, ain erwirdig Man, zu Dillingen. Es iſt ohne Zweifel derſelbe, welcher 1523 einen Pſalter herausgab ge - teutſcht nach warhaftigem text der hebreiſchen Zungen; deſſen Zu - ſchrift von Lauingen datirt iſt. Panzer II, p. 131. Nürnberg, Straßburg, im Heſſiſchen und im Wirtenbergiſchen. Oft waren es äl - tere Männer, welche die Doctrinen denen ſie ſich ſeit der Zeit des Johann Proles gewidmet, jetzt mit Freuden zu voller Entwickelung gelangen, zur Herrſchaft emporſtreben ſahen: zuweilen aber auch jüngere feurige Gemüther, welche vor allem von Bewunderung für ihren ſiegreichen Wittenber - ger Mitbruder durchdrungen waren. Johann Stiefel zu Eßlingen erblickt in ihm den Engel der Offenbarung, der mitten durch den Himmel fliegt und ein ewiges Evange - lium in der Hand hält: er widmete ihm ein myſtiſch-he - roiſches Lobgedicht. 2Von der chriſtfoͤrmigen rechtgegruͤndeten Lehre Doctoris Martini Luthers. Er thut ſich worlich fyegen zu Got in rechten Muth, Gwalt mag ihn auch nit biegen: er geb er drum ſein Blut. Zu Worms er ſich erzeyget: er trat keck auf den Plan. Sein Feynd hat er geſchweyget: keiner dorft ihn wenden an. Vgl. Strobel Neue Beitraͤge I, p. 10.Auch hatten ſie den Ruhm, die erſten Verfolgungen auf ſich zu ziehen. Ein paar Auguſtiner zu Antwerpen waren die erſten Märtyrer der neuen Lehre.

Nicht unterſtützt von ihrem Orden, ſondern vielmehr ſich davon losreißend, aber wie man ſchon daraus ſieht, um ſo kräftigere Naturen, erhoben ſich eine ganze Anzahl Franciscaner. Zuweilen Gelehrte, wie Johann Brismann zu Cottbus, der eine lange Reihe von Jahren den ſchola - ſtiſchen Studien gewidmet, Doctor der Theologie gewor -67Ausbreitung der Lehre.den war, ſich aber jetzt nach dem Vorbild Luthers aus deſſen Schriften mit entgegengeſetzten Ideen durchdrang;1Auszug aus ſeinen Predigten bei Seckendorf Historia Lu - theranismi I, 272. oder Geiſter von tieferem religiöſen Bedürfniß, die daſſelbe im Kloſter nicht befriedigt fanden, wie Friedrich Myconius: man kennt den Traum den er die Nacht nach ſeiner Ein - kleidung gehabt haben ſoll: auf beſchwerlichen ermüdenden Irrwegen war ihm ein heiliger Mann erſchienen, kahlköpfig, in antikem Gewand, wie St. Paulus gemahlt wird, und hatte ihn zu einem Brunnen geführt an dem er ſich labte, deſſen Waſſer er, wie er um ſich ſchaute, von einem Ge - kreuzigten herabſtrömen ſah und dann nach einem unab - ſehlichen Gefilde voll reichen Getraides, wo die Schnitter ſich zur Arbeit der Ernte ſammelten:2Adami Vitae theologorum Ausg. v. 1705 p. 83. man ſieht ſeine Ge - müthsrichtung und nimmt den Eindruck ab, welchen nun die wiedererwachende apoſtoliſche Doctrin und die Aus - ſicht einer großen Wirkſamkeit auf ihn machen mußte. Oder es waren Männer die in den mancherlei Beziehungen zu den niedern Ständen, in welche ſie die Wirkſamkeit eines Barfüßerkloſters ſetzte, die verderblichen Folgen des Werk - dienſtes wahrgenommen und ihn nun aus allen Kräf - ten angriffen, wie Eberlin von Günzburg, Heinrich von Kettenbach, die beide aus demſelben Kloſter zu Ulm her - vorgiengen: ein paar außerordentliche Talente populärer Beredſamkeit; von Eberlin ſagten die Gegner, er könne wohl eine ganze Provinz verführen: ſo viel Eindruck mache er bei dem gemeinen Mann. Man fand unter ihnen die ſtand -5*68Drittes Buch. Drittes Capitel.hafteſten Streiter, wie Stephan Kempen, durch deſſen tapfere kampffertige Haltung man an die Bedeutung ſeines Namens erinnert ward: faſt überall haben Franciscaner an den erſten Bewegungen Theil genommen: dieſer hat die neue Lehre in Hamburg begründet, und drei Jahr lang ſo gut wie allein gegen alle Feindſeligkeiten vertheidigt.

Es mochte aber auch keinen andern Orden geben, aus dem nicht Genoſſen der Neuerung, oft eben die nahm - hafteſten hervorgegangen wären. Martin Butzer war von den Dominicanern zum Profeſſor der thomiſtiſchen Doc - trinen beſtimmt: jetzt löſte er ſeine Verbindung mit dieſem Orden durch eine Art von Proceß auf: an der Begrün - dung des neuen Lehrſyſtems nahm er von Stund an den lebendigſten, mithervorbringenden Antheil. Aus der Kar - thauſe zu Mainz gieng Otto Brunnfels hervor, der ſich dann unſerm Hutten mit wetteiferndem Feuer zur Seite ſtellte. In der Benedictinerabtei Alperſpach fühlte ſich der junge Leſemeiſter, P. Ambroſius Blaurer durch die begin - nenden Gährungen zu dem Studium der heil. Schrift er - weckt, und gerieth auf Meinungen die ihm den Aufent - halt im Kloſter gar bald unmöglich machten. In dem Brigittenkloſter zu Altomünſter erhob Öcolampadius, der erſt ſeit kurzem den Habit genommen, ſeine Stimme im Sinne der Neuerung: er hatte da für die gelehrten Arbeiten, die er beabſichtigte, ungeſtörte Muße zu finden gehofft: die Überzeugung die ſich ſeiner gar bald bemächtigte, riß ihn zur lebendigen Theilnahme an allen Bewegungen der Epoche mit fort. Zu den Brüdern U. L. Fr. den Carmelitern in Augsburg, welche den Prior an der Spitze gleich anfangs69Ausbreitung der Lehre.für Luther Partei genommen, gehörte wenigſtens eine Zeit - lang1Braun Geſchichte der Biſchoͤfe von Augsburg III, 239. Auch in Welſer’s Augsburger Chronik heißt er ein Carmelit. Urbanus Regius, einer der vertrauteſten ergebenſten Schüler Johann Ecks, der ſich aber jetzt von demſelben losmachte,2Ein paar Briefe die ſie wechſelten bei Adami p. 35. Eck zeigt ſich heftig und bitter: Regius (Koͤnig) ſetzt die gewohnte Ehr - erbietung gegen den Lehrer bei aller Feſtigkeit ſeiner Oppoſition doch nicht aus den Augen. und anfangs in dem obern, dann beſonders in dem niedern Deutſchland die großartigſte Wirkſamkeit entwickelt hat. Später ſtand ihm hier Johann Bugenhagen zur Seite, der damals lange Zeit in dem Prämonſtra - tenſer Kloſter zu Belbuck in Pommern eben auch auf ganz andern Wegen gegangen war. Bugenhagen war zwar, wie die pommerſche Geſchichte zeigt, welche er be - reits 1518 verfaßte, von der Nothwendigkeit einer Um - wandlung des geiſtlichen Standes überzeugt, und befehdete die Mißbräuche nach Kräften;3J. H. Balthasar Praefatio in Bugenhagii Pomeraniam p. 5. allein auch von Luther wollte er nichts wiſſen: als ihm deſſen Buch von der ba - byloniſchen Gefangenſchaft zu Geſicht kam einſt bei Tiſch rief er aus, einen verderblicheren Ketzer habe es ſeit dem Leiden Chriſti nicht gegeben. Aber eben dieß Buch machte ihn andern Sinnes. Er nahm es mit nach Hauſe, las es, ſtudirte es, und überzeugte ſich, daß die ganze Welt irre und Luther allein die Wahrheit ſehe. Dieſe Meinung theilte er ſeinen Collegen an der Kloſterſchule der er vor - ſtand, ſeinem Abte, allen ſeinen Freunden mit. 4Chytraei Saxonia p. 287. Lange: Leben Bugenhagens 1731 enthaͤlt nichts beſonderes. So70Drittes Buch. Drittes Capitel.war es nun in allen Orden. Nicht ſelten wurden die Obern am lebendigſten ergriffen: wie jene Prioren der Augu - ſtiner und Carmeliterconvente, ſo unter andern der Propſt am Johanniskloſter zu Halberſtadt, Eberhard Widenſee, und durch deſſen Einfluß die Pröpſte zu Neuenwerk, Gottes - Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem - berg zu Sagan, der ſich wohl vernehmen ließ, einen Mönch der ſich durch ſein Bleiben im Gewiſſen beſchwert fühle, würde er ſtatt ihn zurückzuhalten, lieber auf ſeinen Schul - tern aus dem Kloſter tragen. 1Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt. Rer. Siles. I, p. 457.

Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß Weltluſt, unordentliche Begierde ſich dem Kloſterzwange zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigſtens bei den Be - deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenoſſen aufbe - wahrt haben: da iſt es immer eine tiefere Überzeugung, ſey es daß ſie ſich allmählig entwickelt, oder daß ſie auch plötz - lich, etwa beim Anblick einer ſchlagenden Bibelſtelle ent - ſpringt; Viele giengen nicht von ſelbſt, ſie wurden ver - jagt; Andern, an und für ſich friedfertigen Gemüthern, ver - leideten doch die entſtehenden Zwiſtigkeiten den Aufenthalt in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte ſelbſt vor ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit ſeiner Büchſe in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meiſter, warum er ſich nicht lieber ſein Brod mit ſeiner Hände Arbeit verdiene: der ſtarke Menſch wirft den Habit von ſich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchſe ſchickt man an ſein Kloſter.

Wer erinnert ſich nicht der indiſchen Büßer, die in71Ausbreitung der Lehre.einſamer Waldung leben, in Baumrinde gekleidet, nur von Waſſer und Luft und Laub ſich nähren, frei von Begierde, Herrn ihrer Sinne, ſchon ſelig, eine ſichere Zuflucht der Be - drängten,1Nalas: Zwoͤlfter Geſang. von denen wohl auch das Mönchthum des Occidents eine Nachahmung war; aber wie ſo ganz hatte es ſich hier von ſeiner Idee entfernt! es nahm Antheil an allen Beſtrebungen, Entzweiungen, Verwirrungen der Welt; zur Aufrechthaltung einer geiſtlich-weltlichen Herr - ſchaft durch gleichgeſinnte gleichwirkende Maſſen war es angelegt; durch unfreie, häufig um eigennütziger Rückſich - ten willen geleiſtete Gelübde ward es zuſammengehalten, denen man ſich dann ſo viel irgend möglich entzog: ſo wie die Gültigkeit dieſer Gelübde, ihr religiöſer Werth für der Seelen Seligkeit zweifelhaft wurde, fiel alles auseinander; ja aus dem Inſtitut, auf welches die abendländiſche Kirche vornehmlich gegründet war, giengen eben die rüſtigſten Be - kämpfer ihrer hierarchiſchen Entwickelung hervor.

Dieſer allgemeinen Bewegung der Kloſtergeiſtlichkeit traten nun allenthalben Weltgeiſtliche von hohem und nie - derem Range zur Seite.

Unter den Biſchöfen gab es wenigſtens Einen, Polenz von Samland, der ſich offen für Luther erklärte, zuweilen wohl ſelbſt die Kanzel zu Königsberg beſtieg, hauptſächlich aber dafür ſorgte, daß an vielen Orten ſeiner Diöces Pre - diger dieſer Geſinnung aufgeſtellt wurden. Luthern gieng das Herz auf, indem er das wahrnahm: ſo eine ruhige geſetzmäßige Umwandlung entſprach ſeinen Wünſchen voll - kommen. 2Lutheri Dedicatio in Deuteronomium: Reverendo Ge -

72Drittes Buch. Drittes Capitel.

Auch von den übrigen Biſchöfen hielt man einige für günſtig. Johann Eberlin von Günzburg nennt den Bi - ſchof von Augsburg, der es nicht verhehle, daß die Lu - theraniſchen in ihrem Wandel minder ſträflich ſeyen als die Gegenpartei; den Baſeler, der es gern ſehe wenn man ihm lutheriſche Bücher bringe, die er fleißig leſe; den Bamber - ger, welcher die evangeliſche Lehre in ſeiner Stadt nicht verhindere; auch den Biſchof von Merſeburg, der nach ihm dem Verfaſſer ſelber geſchickt habe, um ſich über die vor - zunehmende Reform mit ihm zu beſprechen. Er verſichert daß noch mancher andre ſeine Chorherrn in Wittenberg ſtudiren laſſe. Die Namen die wir unter den Gönnern Reuchlins aufgeführt finden begegnen uns unter den Ge - noſſen der religiöſen Neuerung großentheils wieder.

An dieſe ſchloſſen ſich dann die patriciſchen Pröpſte in den großen Städten an, wie ein Wattenwyl in Bern, ſo die Besler und Bömer in Nürnberg, unter deren Schutze ſich die evangeliſche Predigt in ihren Kirchen feſtſetzte.

Auch ohne dieſe Unterſtützung erklärte ſich doch eine große Anzahl bereits angeſtellter Prediger und Prieſter im niedern und hauptſächlich im obern Deutſchland im Sinne Luthers. Bekannt iſt Hermann Taſt, einer der vier und zwan - zig päpſtlichen Vicarien in Schleswig; zu Huſum auf dem Kirchhof ſtanden zwei Linden, genannt die Mutter und die Tochter: unter der größern, der Mutter, pflegte Taſt zu predi -2orgio de Polentis vere episcopo. Tibi gratia donata est, ut non modo verbum susciperes et crederes, sed pro episcopali auto - ritate etiam palam et publice confessus doceres docerique per tuam diocesim curares, liberaliter his qui in verbo laborant pro - visis. Opp. III, f. 75. Hartknoch Preußiſche Kirchengeſchichte I, p. 273.73Ausbreitung der Lehre.gen: ſeine Zuhörer holten ihn bewaffnet aus ſeinem Hauſe ab und führten ihn bewaffnet dahin zurück. In Oſtfriesland zu Emden ward Georg von der Dare anfangs, als er nach Luthers Vorbild zu predigen anfieng, aus der großen Kirche vertrieben; aber das Volk hörte ihm eine Zeitlang un - ter freiem Himmel zu und bewirkte dann daß ihm die Kirche wieder geöffnet ward. In Bamberg eiferte der Cuſtos zu St. Gangolph Johann Schwanhäuſer in den Ausdrücken eines Carlſtadt wider die Verehrung der Heiligen. 1Auszuͤge aus ſeinen Predigten bei Heller a. a. O. S. 62.Der Pfarrer zu Cronach war einer der erſten Prieſter die ſich verheira - theten. In Mainz war es der Domprediger, Wolfgang Köpfl, eine Zeitlang der vertrauteſte Rathgeber des Chur - fürſten, in Frankfurt der Prediger zu St. Catharina, Hart - mann Ibach, in Straßburg der Pfarrer zu St. Lorenz, Matthäus Zell, in Memmingen der Prediger zu St. Mar - tin, Schappeler, welche den neuen Lehren zuerſt Bahn mach - ten. Im Kreichgau ſammelte ſich unter dem Schutze der Gemmingen um Erhard Schnepf her eine Verbrüderung gleichgeſinnter Landpfarrer. In Baſel ſah man wohl den Pfarrer zu St. Alban Röubli bei der Frohnleichnamspro - ceſſion ſtatt der Hoſtie eine Bibel in prächtigem Einband einhertragen, mit der Äußerung, nur er trage das rechte Heiligthum. Dann folgte am Münſter zu Zürich der große Leutprieſter Ulrich Zwingli, der eine politiſch und kirchlich gleich bedeutende kühne Stellung einnahm, in dem der Vi - car von Conſtanz gar bald einen zweiten Luther zu erken - nen glaubte. Bis in das hohe Gebirg können wir dieſe Regungen begleiten. Die Vornehmſten in Schwytz richte -74Drittes Buch. Drittes Capitel.ten ihren Spazirritt gern ſo ein, daß ſie noch zur Zeit des Gottesdienſtes in Freienbach anlangten, wo ein Freund Zwinglis predigte: des Mittags blieben ſie dann bei ihm zu Tiſch. 1Hottinger Geſchichte der Eidgenoſſen I, S. 415.Es macht keinen Unterſchied, daß dieß zur Schweiz gehört: in das Nationalgefühl war es dort noch nicht gedrungen daß ſie ſich von Deutſchland abgeſondert: in Wallis nannte man das Gebiet der eidgenöſſiſchen Städte Deutſchland. Dieſelben Doctrinen zogen ſich dann am Gebirg entlang nach dem Innthal, wo ſie zuerſt Johann Strauß vor vielen tauſend Gläubigen verkündigte, nach Salzburg, wo Paul von Spretten ſie im Dom erſchallen ließ, nach Öſtreich und nach Baiern. In Alten-öttingen, eben bei einem der beſuchteſten wunderthätigen Bilder, hatte der Geſellprieſter Wolfgang Ruß den Muth, die Wall - fahrten anzugreifen.

Es verſteht ſich, daß das alles nicht ohne Widerſtand und harten Kampf abgieng. Viele mußten weichen: ei - nige hielten ſich doch, und ſelbſt die Verfolgung ſchadete nichts. Als der noch eifrig katholiſche Bogislaw X von Pommern die neugläubige Reunion zu Belbuck zerſtörte, und die Kloſtergüter einzog denn von dieſer Seite fieng man zuerſt an, ſich der Kirchengüter zu bemächtigen, gab er nur Gelegenheit, daß mit den jungen Liefländern die dort ſtudirten, einer ihrer Lehrer nach Riga gieng und den Samen des Wortes in dieſen entfernteſten deutſchen Län - dern ausſtreute. 2Andreas Cnoph von Cuͤſtrin. Er hat viel herrlicher und geiſt - reicher Lieder, darin die Summa von der Lehre von der Gerechtig -Paul von Spretten ward von Salzburg75Ausbreitung der Lehre.verjagt: wir treffen ihn darauf bei St. Stephan in Wien, und als er auch von da verwieſen wird, in Iglau in Mähren; auch da aber gerieth er in nicht geringe Ge - fahr; endlich findet er eine Freiſtatt in Preußen. Dem feurigen Amandus genügte ſelbſt dieſer Schauplatz nicht: er zog von da wieder aus: wir finden ihn zu Stolpe die Mönche der Stadt zu einer Disputation über die Wahr - heit der bisherigen oder der neuen Auffaſſung herausfor - dern: er ſagt, man möge einen Scheiterhaufen errichten und ihn darauf verbrennen wenn er unterliege; ſiege er aber, ſo ſolle die Strafe der Gegner ſeyn, ſich bekehren zu müſſen.

Auf den Ort der Predigt ſah man noch nicht. Für die Bewegung der kirchlichen Oppoſition iſt es faſt ſym - boliſch, daß in Bremen eine unter dem Interdict ſte - hende Kirche es ſeyn muß, in der ein paar aus Antwer - pen dem Tod im Feuer entflohene Auguſtiner zuerſt eine Gemeinde um ſich ſammeln. In Goßlar wird die Lehre zuerſt in einer Kirche der Vorſtadt und als dieſe verſchloſ - ſen worden, von einem Eingebornen, der in Wittenberg ſtu - dirt hat, auf dem Lindenplan verkündigt: ihre Anhänger be - kommen den Namen der Lindenbrüder. 1Hamelmann Historia renati evangelii. Opp. hist. gen. p. 869.In Worms ſtellt man eine tragbare Kanzel außerhalb der Kirchenmauern auf. Zu Arnſtadt hält der Auguſtiner Caspar Güttel von Eis - leben, aufgefordert von den Einwohnern, nach alter Sitte auf dem Marktplatz ſieben Predigten. Bei Danzig war2keit, dem Glauben und deſſelbigen Fruͤchten verfaſſet. Hiaͤrn Lieflaͤndiſche Geſch. Bch V. p. 193.76Drittes Buch. Drittes Capitel.es ſogar eine Anhöhe vor der Stadt, wo man ſich um einen von drinnen verjagten Prediger ſammelte.

Und hätten ſich ja keine Geiſtlichen gefunden, ſo hät - ten Laien das Wort genommen. Unter den Augen des Doctor Eck zu Ingolſtadt las ein begeiſterter Webergeſell die Schriften Luthers dem verſammelten Haufen vor. Als man dort einen jungen Magiſter, des Namens Seehofer, der nach Melanchthons Heften zu dociren begann, zum Widerruf nöthigte, erhob ſich eine Dame zu ſeiner Ver - theidigung, Argula von Staufen, vermählte Grumbach, die von ihrem Vater auf Luthers Bücher hingewieſen, ſich ganz nach deren Anweiſung gebildet in die h. Schrift ver - ſenkt hatte; ſie forderte die geſammte Univerſität zu einer Dis - putation heraus: in Kenntniß der Schrift glaubte ſie ihr gewachſen zu ſeyn: vor den Fürſten, in Gegenwart der Gemeine hoffte ſie es zu bewähren. 1Winter Geſch. der evang. Lehre in Baiern I, 120 f.Darauf trotzten die Vorfechter der kirchlichen Bewegung. Freudig zählt Heinrich von Kettenbach Länder und Städte auf er nennt Nürnberg, Augsburg, Ulm, die Rheinlande, die Schweiz und Sachſen, wo Weiber und Jungfrauen, Knechte und Handwerker, Ritter und edle Herren mehr Kenntniß von der Bibel haben als die hohen Schulen. 2Ein new Apologia unnd Verantwortung Martini Luthers wyder der Papiſten Mortgeſchrey, die zehen klagen wyder jn ußbla - ſiniren ſo wyt die Chriſtenheyt iſt. 1523.

Wunderbarer Anblick: dieſe allgemeine, überall her - vorbrechende, in ihrem Urſprung wahrhaft religiöſe Über - zeugung, in Oppoſition gegen die Jahrhunderte lang verehrten Formen des kirchlich-politiſchen Lebens, in wel -77Ausbreitung der Lehre.chen man jetzt nur noch den Widerſpruch wahrnahm in den ſie mit dem ächten urſprünglichen Chriſtenthum gera - then, nur den Dienſt, der einer drückenden und verhaßten Gewalt durch ſie geleiſtet werde.

Wie nun aber der Action ſich allenthalben eine Reac - tion entgegenſetzte, dem Angriff die Verfolgung, ſo war es von hoher Wichtigkeit, daß es in Deutſchland wenig - ſtens Einen Punct gab, wo dieſe nicht Statt fand, das Churfürſtenthum Sachſen.

Noch einmal, im Jahr 1522, hatten auch hier die be - nachbarten Biſchöfe einen Verſuch gemacht, ihren Einfluß herzuſtellen, in Folge jenes erſten ihnen günſtigen Erlaſſes der Reichsregierung, und Churfürſt Friedrich hatte ſie ge - währen laſſen, ſo lang ſie davon ſprachen daß ſie Predi - ger ſenden würden, um dem Worte mit dem Worte zu begegnen;1Friedrich weiſt ſeine Amtsleute an, ſie an Verkuͤndigung des Wortes Gottes nicht zu hindern; er ſetzt voraus, ſie wuͤrden die Ehre Gottes und die Liebe des Naͤchſten ſuchen. als ſie aber dabei nicht ſtehn blieben, ſondern auf die Auslieferung der Abtrünnigen antrugen, der Prie - ſter welche ſich verheirathet, oder das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt auszutheilen gewagt, der ausgetretenen Mönche, erklärte er ihnen nach kurzem Bedenken, dazu verpflichte ihn das kaiſerliche Edict nicht. 2Geuterbock St Lucastag. Die ſehr merkwuͤrdige Corre - ſpondenz in der Sammlung vermiſchter Nachrichten zur ſaͤchſiſchen Geſchichte IV, 282.Daß er ihnen ſeinen Arm entzog, reichte ſchon hin, ihre ganze Wirkſam - keit zu vernichten.

Daher geſchah nun aber, daß Alle, die anderwärts78Drittes Buch. Drittes Capitel.flüchtig geworden, ſich hieher zurückzogen, wo ihnen keine geiſtliche Gewalt zu nahe kommen konnte. Eberlin, Stie - fel, Strauß, Seehofer, Ibach aus Frankfurt, Bugenha - gen aus Pommern, Kauxdorf aus Magdeburg, Muſteus aus Halberſtadt, den man grauſam verſtümmelt hatte,1Welche Greuel ſind damals geſchehen. Aliquot ministri canonicorum capiunt D. Valentinum Mustaeum (er hatte mit Be - willigung des Buͤrgermeiſters in der Neuſtadt das Evangelium ge - predigt) et vinctum manibus pedibusque injecto in ejus os freno deferunt per trabes in inferiores coenobii partes ibique in cella cerevisiaria eum castrant. (Hamelmann l. c. p. 880.) und wie viele andere aus allen Theilen von Deutſchland ſehen wir hier ankommen, eine Freiſtatt, vielleicht ſelbſt auf ei - nige Zeit eine Anſtellung finden, und dann durch den Um - gang mit Luther und Melanchthon in ihrer Überzeugung befeſtigt von hier wieder ausgehn. Wittenberg erſchien als ein Mittelpunct der geſammten Bewegung. Dadurch ward es erſt möglich, daß in den Tendenzen eine gewiſſe Einheit obwaltete, ein gemeinſamer Fortſchritt darin zu bemerken iſt; wir dürfen aber wohl hinzufügen, daß auch für die dor - tige Entwickelung der Zutritt der fremden Elemente von großem Werthe war. Namentlich erhielt die Univerſität den Character einer allgemein vaterländiſchen Vereinigung: ohne Zweifel der wahre Character einer großen deutſchen hohen Schule: aus allen deutſchen Landesarten kamen die Lehrer, die Zuhörer zuſammen, wie ſie von da wieder nach allen Seiten hin ausgiengen.

Eine eben ſo wichtige Metropole bildete Wittenberg für die Literatur.

Erſt mit dieſen Bewegungen kam die deutſche popu - läre Literatur zu allgemeiner Aufnahme und Wirkſamkeit.

79Ausbreitung der Lehre.

Bis zum Jahr 1518 waren ihre Productionen nicht zahlreich; der Kreis, in welchem ſie ſich bewegte, nur enge. Man zählte, wie in den 80er Jahren des 15ten Jahrhunderts, einige vierzig, ſo noch 1513 35, 1514 47, 1515 46, 1516 55, 1517 37 deutſche Drucke: haupt - ſächlich Laienſpiegel, Arzneibüchlein, Kräuterbücher, kleine Erbauungsſchriften, fliegende Zeitungsnachrichten, amtliche Bekanntmachungen, Reiſen: was der Faſſungskraft der Menge ungefähr gemäß iſt; das Eigenthümlichſte waren immer die Schriften der poetiſchen Oppoſition, der Sa - tyre und des Tadels, deren wir oben gedachten. Wie ge - waltig aber ſteigt die Anzahl deutſcher Drucke nachdem Lu - ther aufgetreten iſt. Im Jahr 1518 finden wir deren 71 verzeichnet: 1519 111, 1520 208, 1521 211, 1522 347, 1523 498. Fragen wir denn woher der Zuwachs kam, ſo iſt Wittenberg der Ort; der Autor vor allem Lu - ther ſelbſt. Wir finden unter ſeinem Namen im J. 1518 20, 1519 50, 1520 133, 1521 wo er durch die Reiſe nach Worms abgehalten und durch eine gezwungene Ver - borgenheit gefeſſelt war, etwa 40; dagegen 1522 wieder 130, 1523 183 neue Drucke. 1Ich fuße auf Panzers Annalen der aͤltern deutſchen Litera - tur 1788. 1802. Daß dieſe Verzeichniſſe, ſo viel Verdienſt ſie auch haben, doch nicht vollſtaͤndig ſind, iſt ein Fehler den ſie mit den meiſten ſtatiſtiſchen Arbeiten theilen. Das allgemeine Verhaͤltniß, um das es uns hier allein zu thun, laͤßt ſich daraus doch abnehmen.Selbſtherrſchender, gewal - tiger iſt wohl nie ein Schriftſteller aufgetreten, in keiner Nation der Welt. Auch dürfte kein anderer zu nennen ſeyn, der die vollkommenſte Verſtändlichkeit und Populari - tät, geſunden treuherzigen Menſchenverſtand mit ſo viel ächtem Geiſt, Schwung und Genius vereinigt hätte. Er80Drittes Buch. Drittes Capitel.gab der Literatur den Character den ſie ſeitdem behalten, der Forſchung, des Tiefſinnes und des Krieges. Er be - gann das große Geſpräch das die ſeitdem verfloſſenen Jahrhunderte daher auf dem deutſchen Boden Statt ge - funden hat, leider nur zu oft unterbrochen durch Gewalt - thaten und Einwirkungen fremder Politik. Anfangs war er allein: allmählig aber, beſonders ſeit 1521 erſcheinen ſeine Jünger, Freunde und Nebenbuhler: im Jahre 1523 gehören außer ſeinen eignen noch 215 Schriften von An - dern der Neuerung an, mehr als vier Fünftheile der gan - zen Hervorbringung; entſchieden katholiſche Schriften laſ - ſen ſich wohl nur 20 zählen. Es war das erſte Mal, daß der nationale Geiſt, ohne Rückſicht auf fremde Mu - ſter, nur wie er ſich unter den Einwirkungen der Welt - ſchickſale gebildet, zu einem allgemeinen Ausdruck gelangte; und zwar in der wichtigſten Angelegenheit die den Menſchen überhaupt beſchäftigen kann; er durchdrang ſich in ſeinem Werden, dem Momente ſeiner Geburt, mit den Ideen der religiöſen Befreiung.

Ein großes Schickſal war es, daß der Nation in dieſem Augenblick des vollen geiſtigen Erwachens die hei - ligen Schriften wie des neuen ſo nun auch des alten Teſtamentes dargeboten wurden. Man kannte die Bi - bel: vorlängſt gab es Überſetzungen; man muß ſich aber einmal die Mühe nehmen ſie anzuſehn, um inne zu wer - den, wie voller Irrthümer, roh im Ausdruck, und un - verſtändlich ſie ſind. Luther dagegen ließ ſich keine Mühe dauern, den Sinn unverfälſcht zu begreifen, und verſtand es, ſie deutſch reden zu laſſen: mit aller Reinheit und Ge -walt81Ausbreitung der Lehre.walt, deren die Sprache fähig iſt. Die unvergänglichen Denkmale der früheſten Jahrhunderte, in denen der Odem der jungen Menſchheit weht, die heiligen Urkunden ſpäterer Zeit, in denen ſich die wahre Religion in aller ihrer kind - lichen Ingenuität offenbart hat, bekam das deutſche Volk jetzt in der Sprache des Tages in die Hände, Stück für Stück; wie eine Flugſchrift, deren Inhalt ſich auf die un - mittelbarſten Intereſſen der Gegenwart bezieht, und die man mit Begierde in ſich aufnimmt.

Es giebt eine Production des deutſchen Geiſtes, die aus eben dieſem Zuſammentreffen unmittelbar hervor - gieng. Indem Luther die Pſalmen überſetzte, faßte er den Gedanken ſie für den Geſang der Gemeinde zu be - arbeiten. 1Luthers Vorrede auf Johann Walters geiſtliche Geſaͤnge erin - nert an das Exempel der Propheten und Koͤnige im alten Teſta - ment, die mit ſingen und klingen mit dichten und allerlei Seiten - ſpiel Gott gelobet haben. Altenb. A. II, p. 751.Denn eine ganz andere Theilnahme derſelben an dem Gottesdienſt als die bisherige machte die Idee der Kirche nothwendig, wie er ſie ausgeſprochen und ins Leben zu rufen begann. Bei der bloßen Bearbeitung je - doch, wie es wohl anderwärts geſchehen, konnte man hier nicht ſtehen bleiben. Das gläubige Gemüth, beruhigt in der Überzeugung das geoffenbarte Gottes Wort zu beſitzen, gehoben durch das Gefühl des Kampfes und der Gefahr in der man ſich befand, angehaucht von dem poetiſchen Genius des alten Teſtamentes, ergoß ſich in eigenen Her - vorbringungen religiöſer Lyrik, die zugleich Poeſie und Muſik waren. Denn das Wort allein hätte nicht vermocht, die Stimmung der Seele in ihrer ganzen Fülle auszudrücken,Ranke d. Geſch. II. 682Drittes Buch. Drittes Capitel.oder das Gemeingefühl zu entbinden, feſtzuhalten: durch die Melodie erſt geſchah das, in der ſich die alten Kirchen - tonarten mit ihrem Ernſt, und die anmuthenden Weiſen des Volksliedes durchdrangen. So entſtand das evange - liſche Kirchenlied. In das Jahr 1523 müſſen wir ſeinen Urſprung ſetzen. 1Riederer: von Einfuͤhrung des deutſchen Geſanges p. 95. Das merkwuͤrdige Schreiben an Spalatin, uͤber eine Bearbeitung der Pſalmen in deutſchen Verſen, bei de Wette II, p. 490 iſt ohne Zweifel fruͤher als das vom 14ten Januar 1524 datirte ib. p. 461. Da ſieht man erſt, was die Musae germanicae, woruͤber de Wette in Zweifel iſt, ſagen wollen. Aus den Briefen an Hausmann er - giebt ſich, daß Luther im Nov. und Dez. 1523 mit der Abfaſſung der Liturgie umgieng.Einzelne Lieder, von Spretten oder von Luther, fanden ſogleich eine allgemeine Verbreitung: in dieſen früheſten Bewegungen des reformatoriſchen Geiſtes wirkten ſie mit; aber erſt einige Jahrzehnde ſpäter entfaltete der deutſche Geiſt ſeinen ganzen Reichthum poetiſcher und be - ſonders muſikaliſcher Production in dieſer Gattung.

Und auch übrigens widmete ſich die volksthümliche Poeſie mit dem Geiſte der Lehrhaftigkeit und der Oppoſi - tion, der ihr überhaupt eigen war, den aufkommenden Ideen. Schon Hutten hatte ſeine bitterſten Anklagen in Reime ge - worfen: das Verderben der Geiſtlichkeit hatte Murner in langen, anſchaulichen Beſchreibungen geſchildert; der Ver - werfung und dem Tadel geſellte ſich jetzt, wenn nicht bei Murner, doch bei der Mehrzahl der Andern, die poſitive Überzeugung, die Bewunderung des Vorkämpfers hinzu. Da ward der Mann geprieſen, der inmitten der rothen Barette und Sammetſchauben die gerechte Lehre behauptet. In Faſtnachtsſpielen erſcheint der Papſt, der ſich freut daß83Ausbreitung der Lehre.man ſeiner Büberei zum Trotz ihm die Macht zuſchreibe, über den Himmel zu erheben, oder in die Hölle zu binden: darum könne er auch manchen Vogel rupfen: ihm falle der Schweiß des Armen zu, und mit tauſend Pferden könne er reiten: er heißt Entchriſtelo: neben ihm erſcheinen mit ähnlichen Expectorationen der Cardinal Hochmuth, der Bi - ſchof Goldmund Wolfsmagen, der Vicarius Fabeler, der Kirchherr Meeher, und wie ſie ſonſt ſchon in dieſen Na - menbildungen dem Spott und der Verachtung Preis gegeben werden: zuletzt aber tritt auch der Doctor auf, der die reine Lehre im Tone der Predigt verkündigt. 1Ein Faßnachtſpyl, ſo zu Bern uf der Hern Faßnacht in dem MDXXII Jare von Burgerßſonen offentlich gemacht iſt Darinn die Warheit in Schimpffswyß vom pabſt und ſiner prieſterſchaft ge - meldet wuͤrt. Neu gedruckt bei Gruͤneiſen: Nicl. Manuel p. 339.Unter dieſen Ein - drücken bildete ſich Burkard Waldis, der dann die alte Thierfabel mit ſo großem Erfolg auf die geiſtlichen Streitig - keiten angewendet hat. Unmittelbar aber ſtellte ſich das große poetiſche Talent, das es in der Nation gab, Luthern zur Seite. Das Gedicht von Hans Sachs: die Wittember - giſch Nachtigall iſt vom Jahr 1523. Er betrachtet darin die Lehre die ſeit 400 Jahren geherrſcht habe, wie den Mondſchein, bei dem man in Wüſteneien irre gegangen, jetzt aber kündigt die Nachtigall Sonne und Tageslicht an, und ſteigt über die trüben Wolken auf. Die Geſinnung eines durch das untrügliche Wort belehrten ſeiner Sache gewiß ge - wordenen geſunden Menſchenverſtandes iſt dann überhaupt die Grundlage der mannichfaltigen wohl nicht von dem Beigeſchmack des Handwerks freien, aber ſinnreichen, hei -6*84Drittes Buch. Drittes Capitel.teren und anmuthigen Gedichte, mit denen der ehrenfeſte Meiſter alle Claſſen der Nation erfreute.

In Deutſchland hatte auch die Kunſt den Zweck, Ideen zu verſinnbilden, zu lehren, niemals aus den Augen gelaſ - ſen. Darum war ſie ſo ernſt, und ihrer Symbolik halber doch ſo phantaſtiſch. Das Glück wollte, daß einer der großen Meiſter dieſer Epoche, Lucas Kranach zu Witten - berg Wohnung nahm, und hier in ununterbrochenem ver - trauten Umgang mit Luther ſich mit den reformatoriſchen Geſinnungen durchdrang, ſein Talent ihrer Darſtellung wid - mete. Zuweilen trat er mit kleinen Werken ſelbſt in die Schlachtreihen, z. B. mit dem Paſſional Chriſti und Antichriſti, in welchem die Gegenſätze der Niedrigkeit und Demuth des Stifters und der Pracht ſeines Statt - halters vor das Auge gebracht werden: man hat dieſe Holzſchnitte gradezu in Luthers Werke aufgenommen. Es verſteht ſich, daß ſich ſein keuſcher Pinſel auch übrigens keinen andern Arbeiten widmete, als ſolchen die mit der evangeliſchen Überzeugung harmonirten. Die Anmuth und Lieblichkeit, mit der er früher glückliche Gruppen weiblicher Heiligen ausgeſtattet, ergoß er nun über die Kinder die Chriſtus ſegnet. Das Geheimnißvolle, das die alte Kunſt andeutet, ſprach ſich in den beibehaltenen Sacramenten, die zuweilen auf derſelben Tafel erſcheinen, in dem My - ſterium der Erlöſung aus. Die merkwürdigen Männer die ihn in Staat und Kirche umgaben, boten ſeiner Auffaſ - ſung Geſtalten und Züge einer ſo bedeutenden Individualität dar, daß er nicht in Verſuchung kam, über ſie hinaus nach dem Ideale zu ſtreben. Auch Dürer, der ſeine Ausbildung be -85Ausbreitung der Lehre.reits vollendet hatte, ward doch von dieſer Bewegung noch ein - mal gewaltig angeregt. Das vielleicht vollkommenſte von allen ſeinen Werken, die beiden Evangeliſten Johannes und Marcus, und beiden Apoſtel, Petrus und Paulus, entſtand unter dem Einfluß dieſer Jahre: wir haben Stu - dien dazu, die mit der Jahrzahl 1523 bezeichnet ſind; ſie ſpiegeln den Begriff ab, den man aus der nunmehr einer friſchen Auffaſſung zugänglich gewordenen Schrift von dem Tiefſinn, der Hingebung und der Kraft dieſer äl - teſten Zeugen der Kirche faßte; Lebendigkeit und Großheit der Auffaſſung durchdringen ſich darin. 1Wie Pirkheimer und Duͤrer uͤber die Abendmahlsfrage ſtrit - ten in Gegenwart Melanchthons: Erzaͤhlung Peucers bei Strobel: Nachricht von Melanchthons Aufenthalt in Nuͤrnberg p. 27.

Die geſammte Entwickelung des deutſchen Geiſtes ſtand mit den neuen Ideen im Bunde; wie in den po - pulären, ſo gieng es in den gelehrten Zweigen der geiſtigen Thätigkeit.

Wittenberg war keineswegs die einzige Univerſität wo ſich der Gang der Studien veränderte. Auch in Freiburg, wo man von Luther nichts wiſſen wollte, hörte man doch auf, die ariſtoteliſchen Schriften nach der bisherigen Gewohnheit zu ſtudiren, einzuüben; mit Petrus Hispanus, ſagt Ulrich Zaſius, iſt es aus: die Bücher der Sentenzen ſchweigen: von unſern Theologen lieſt der eine Matthäus, der andre Paulus: auch die erſten Anfänger, die neueſten Ankömm - linge laufen in dieſe Vorleſungen. 2Zasii Epistolae I, 63.Ja Zaſius ſelbſt, ei - ner der ausgezeichnetſten deutſchen Juriſten jener Zeit, giebt86Drittes Buch. Drittes Capitel.ein merkwürdiges Zeugniß für die allgemeine Verbreitung des reformatoriſchen Geiſtes. Er klagt darüber daß ſein Hörſaal veröde: kaum ſechs Zuhörer zähle er noch und die ſeyen alle Franzoſen; zugleich aber weiß er doch ſein eignes wiſſenſchaftliches Bemühen nicht anders zu bezeichnen, als indem er es mit den Beſtrebungen Luthers vergleicht. Die Gloſſatoren der ächten Texte, mit denen er es zu thun hat, kommen ihm nicht anders vor, als die Scholaſtiker welche Luther bekämpft: er möchte das urſprüngliche römiſche Recht in ſeiner Reinheit wiederherſtellen, wie Luther die Theolo - gie der Bibel.

Von allen andern Studien aber, welchen wäre ein ähnliches Beſtreben nothwendiger geweſen als den hiſto - riſchen? Da war ein unermeßlicher Stoff aufgeſam - melt; aber die früheren Epochen verhüllte die noch im - mer in fortgehender Entwickelung begriffene gelehrte Fabel: die ſpätern kannte man nur höchſt fragmentariſch, nach der Darſtellung der jedes Mal ſiegreich gebliebenen Partei: die große kirchliche Fiction hatte die wichtigſten Theile ab - ſichtlich verfälſcht. Zu wahrhaft geiſtiger, lebendiger, zu - ſammenhangender Auffaſſung war nicht zu gelangen: der Geiſt, den nach ächter Erkenntniß dürſtet, ſchauderte doch vor dieſen unbezwinglichen Maſſen. Einen Ver - ſuch ſie zu durchbrechen, machte eben in dieſem Jahre Johann Aventin, ein Mann, der früher die literariſche Richtung der Neuerung mittheilnehmend begleitet und ſich jetzt der religiöſen mit lebendigem Eifer hingab. Er ließ ſich keine Mühe verdrießen, für ſeine bairiſche Chronik, die zugleich einen allgemein deutſchen, ja univerſalhiſtoriſchen87Ausbreitung der Lehre.Inhalt hat, Bibliotheken und Archive zu durchſuchen, um mit ächten Urkunden wenigſtens hie und da über die ſeichte und unglaubwürdige Tradition hinauszukommen; vor allem opponirte er ſich den Vorſtellungen der Unberufenen, die nie unter Leuten geweſen, nicht wiſſen wie es in Städten und Ländern zugeht, menſchlicher und himmliſcher Dinge uner - fahren ſind, und doch über alles urtheilen; er dagegen ſucht die Hiſtorie in ihrer Wahrheit zu begreifen, wie das ſeyn muß. Der Geiſt der nationalen Oppoſition gegen das Papſtthum arbeitet gewaltig in ihm. Wie er die Einfachheit der chriſtlichen Lehre zu vergegenwärtigen ſucht, wo er ihres Urſprungs gedenkt, ſo hebt er den Ge - genſatz der geiſtlichen Macht in ihrer Entſtehung Ent - wickelung und Wirkſamkeit an jeder Stelle hervor: die Ge - ſchichte Gregors VII muß man noch heute bei ihm leſen: von den Wirkungen, welche die Herrſchaft des hierarchi - ſchen Prinzipes hervorgebracht, hat er einen großartigen Begriff, den er freilich nicht zu vollkommener Evidenz zu erheben vermochte. Überhaupt vollendete er nicht. Aber er begann die Arbeit der gründlichen Erforſchung und le - bendigen Durchdringung der allgemeinen Geſchichte, in der wir noch heute begriffen ſind.

Es ſchien wohl einen Augenblick als würde die theo - logiſche Richtung alle andern verſchlingen. Erasmus klagt, man wolle nichts mehr leſen und kaufe nichts mehr als die Schriften für oder wider Luther: er fürchtete ſchon die kaum gegründeten humaniſtiſchen Studien einer neuen Scholaſtik unterliegen zu ſehen. In Chroniken hat man verzeichnet, daß die Mißachtung in welche der Clerus ge -88Drittes Buch. Drittes Capitel.rieth auf die Studien im Allgemeinen zurückwirkte; das Sprichwort: die Gelehrten die Verkehrten, nahm überhand, die Eltern trugen Bedenken ihre Kinder den Studien zu widmen, die nur eine zweifelhafte Ausſicht darboten. Das waren jedoch nur momentane Verirrungen. Wie hätte der erwachte, nach originaler Kenntniß trachtende Geiſt das Element wieder fallen laſſen können, das zu ſeiner Ent - ſtehung ſo weſentlich beigetragen? Im Jahr 1524 erließ Luther ein Sendſchreiben an die Bürgermeiſter und Raths - herrn aller Städte deutſchen Landes, daß ſie chriſtliche Schulen aufrichten ſollen. 1Altenb. Ausg. II, p. 804. Eoban Heß ließ die Briefe die er in dieſem Sinn empfangen, von Luther, Melanchthon, Jonas, Draco u. A. 1523 zuſammendrucken: in dem Hefte De non con - temnendis studiis humanioribus. Er meint damit vor allem Schulen für künftige Geiſtliche, denn nur durch das Stu - dium der Sprachen laſſe ſich das Evangelium feſthalten, wie es denn auch dazu ſchriftlich aufgezeichnet worden, ſonſt würde alles einer wilden, wüſten Unordnung, einem Gemenge von allerlei Meinungen verfallen; jedoch bleibt er dabei nicht ſtehen: er tadelt, daß die Schulen ſo ganz auf den geiſtlichen Stand berechnet werden: ſie von dieſer engen Beſtimmung loszureißen, einen weltlichen Gelehrten - ſtand zu gründen, iſt ſeine vornehmſte Abſicht. Er ſtellt die Erziehung der alten Römer ſeinen Deutſchen zum Mu - ſter vor; vor allem zur Regierung bedürfe man der Ge - lehrten, in Geſchichte Erfahrenen; er dringt darauf daß man Bibliotheken aufrichte, nicht allein für die Ausgaben und Auslegungen der heiligen Bücher, ſondern auch für Ora - toren und Poeten, ſie mögen Heiden ſeyn oder nicht, -89Ausbreitung der Lehre.cher von den freien Künſten, Recht und Arzneibücher, Chroniken und Hiſtorien, denn die ſeyen nütze, Gottes Wunder und Werke zu ſehen. Eine Schrift, die für die Entwickelung der weltlichen Gelehrſamkeit dieſelbe Beden - tung hat wie das Buch an den deutſchen Adel für den weltlichen Stand überhaupt. In Luther erhebt ſich ſchon die Idee eines gelehrten weltlichen Beamtenſtandes, die für das deutſche Leben eine ſo unendliche Wichtigkeit gewon - nen hat; die populäre Pflege der Wiſſenſchaften nach ihrem eignen Prinzip, getrennt von der Kirche, faßt er ins Auge; die norddeutſche univerſale Gelehrſamkeit ſtrebt er zu grün - den. Darin ſtand ihm nun der unermüdliche Melanchthon mit lebendiger Thätigkeit zur Seite. Von ihm ſtammt die lateiniſche Grammatik, welche die norddeutſchen Schulen bis in den Anfang des 18ten Jahrhunderts beherrſcht hat;1Strobel: von den Verdienſten Melanchthons um die Gram - matik zaͤhlt die bemerkenswertheſten Ausgaben auf, bis 1737. Neue Beitraͤge II, III, 43. um das Jahr 1524 erwuchs ſie ihm aus einigen für den Privatunterricht eines jungen Nürnbergers gemachten Auf - zeichnungen; eben damals bekam auch die griechiſche, die ſchon früher entworfen war, die Form, in der dieſer Unterricht Jahrhunderte gegeben worden iſt. Aus der Diſciplin Melanchthons giengen Lehrer hervor die ſich ganz nach ſeinem Muſter gebildet, und die deutſche Schulzucht zu gründen unternahmen. Beſonders iſt Valentin Trotzen - dorf merkwürdig, der 1523 von Wittenberg nach Gold - berg in Schleſien berufen ward, von dem man geſagt hat, er ſey zum Schulrector ſo gut geboren, wie Cäſar zum90Drittes Buch. Drittes Capitel.Feldherrn, Cicero zum Redner, der Bildner unzähliger an - derer deutſcher Schullehrer.

Überlegt man das alles, faßt es zuſammen, ſo ſieht man wohl, daß es hier nicht allein um das Dogma zu thun iſt: es bildet ſich ein Syſtem von Beſtrebungen und Gedanken aus, von eigenthümlichem Geiſt und gro - ßem eine neue Welt in ſich tragenden Inhalt, welches mit der theologiſchen Oppoſition, in der man ſich befindet, auf das engſte vereinigt iſt, an ihr und durch ſie ſich entwickelt, aber ſich weder von ihr herſchreibt, noch jetzt darin auf - geht. Die Oppoſition iſt ſelber ein Product dieſes Gei - ſtes, der auch außerhalb derſelben ſeine eigene Zukunft hat.

Fürs Erſte kam freilich alles darauf an, daß er von der gewaltigen Weltmacht frei würde, welche das gute Recht zu haben behauptete ihn zu vernichten.

Treten wir dieſem Kampfe, wie er ſich in allen Ge - genden von Deutſchland eröffnet hatte, noch einmal näher, ſo würden wir irren, wenn wir ſchon die Gegenſätze des nachherigen proteſtantiſchen und des weiterhin neu aufge - richteten katholiſchen Syſtems wahrnehmen wollten. Die Ideen und geiſtigen Mächte die jetzt wider einander zu Feld lagen, ſtanden in viel entſchiedenerm, großartigerm, einleuchtenderm Widerſpruch.

Einer der bedeutendſten Gegenſätze war der zwiſchen Werken und Glauben. Aber man würde ihn mißkennen, wenn man hier die tieferen und minderverſtändlichen Streit - fragen vorausſetzen wollte, welche der Scharfſinn oder die Hartnäckigkeit der Schulen ſpäterhin entwickelte. Damals, vor allem im populären Vortrag war die Sache ſehr ein -91Ausbreitung der Lehre.fach. Unter guten Werken verſtand man auf der einen Seite wirklich die kirchlichen Handlungen durch die man ſich Verdienſte für dieſe und jene Welt zu erwerben glaubte: das Wallfahrten, Faſten, Seelmeſſen-ſtiften, das Sprechen bevorzugter Gebete, Verehren beſondrer Heiligen, jenes Be - ſchenken der Kirchen und der Geiſtlichkeit, das in der Fröm - migkeit des Mittelalters eine ſo große Rolle ſpielt. Die - ſem Unweſen, das man auf eine unverantwortliche Weiſe um ſich greifen laſſen, ward nun auf der andern Seite die Doctrin von der Wirkſamkeit des Glaubens allein ohne die Werke entgegengeſetzt. Beſonders nach den Be - wegungen in Wittenberg hütete man ſich in den Predig - ten, von einem idealen, abſtracten, unthätigen Glauben zu reden. Wir haben noch eine ganze Anzahl Predigten aus dieſen Jahren. Man wird ſchwerlich eine finden, worin nicht Glaube und Liebe in untrennbarer Vereinigung gedacht würde. Wie dringend und lebhaft ſchärft Cas - par Güttel ein, daß alles darauf ankomme, wie man ſich um Gottes willen gegen ſeinen Nächſten verhalte. 1Schutzrede wider etzlich ungezemte Clamanten: eben die in Arnſtadt gehaltenen Predigten: abgedruckt hinter Olearii Syntagma rerum Thuringicarum II, 274; ein Abdruck, den Panzer Annalen II, 93 nicht verzeichnet.Viel - mehr eben das tadelte man, daß ſo Mancher ſein Geld verſchwende um die Geiſtlichen reich zu machen, ein Hei - ligenbild auszuſchmücken, oder auf einer fernen Wallfahrt, und dabei der Armen nicht gedenke.

Eben ſo verhält es ſich mit der Lehre von der Kirche. Man will dieſſeit vor allem nicht zugeſtehen, daß in den. Papſt und ſeinen Prälaten und Prieſtern die heilige92Drittes Buch. Drittes Capitel.alleinſeligmachende chriſtliche Kirche erſcheine: man findet es anſtößig zu ſagen, die heilige Kirche befehle etwas oder beſitze etwas: dieſes geiſtliche Inſtitut, das durch die Ver - werflichkeit ſeines Verhaltens die Idee Lügen ſtraft auf die es gegründet iſt, unterſcheidet man von dem geheimnißvol - len Daſeyn der ſeligen Gemeinſchaft, die nicht äußerlich er - ſcheint, an die man nach den Worten des Symbols nur glaubt, und die allerdings Himmel und Erde vereinigt, jedoch ohne den Papſt. 1Ain ſermon oder predig von der chriſtlichen kirchen welches doch ſey die hailig chriſtlich kirche, davon unſer glaub ſagt: gepredi - get zu Ulm von Bruder Heinrich von Kettenbach. 1522. Es ſey ferne, ſagte der Paſtor Schmidt zu Küßnacht in einer Predigt, die vielen Ein - druck machte, daß die chriſtliche Kirche ein ſo beflecktes, ſündenvolles Oberhaupt anerkenne wie der Papſt iſt, und von Chriſtus ſich abwende, der von dem h. Paulus ſo oft das Oberhaupt der Kirche genannt wird. 2Myconius ad Zwinglium. Epp. Zw. p. 195.

Damit hängt es zuſammen, daß man dem Zwange, alle ſeine Sünden zu beichten, jede inſonderheit, der zu ſo viel Greueln des Beichtſtuhls, zu ſo viel Gewaltſamkeiten einer ſtarren und herrſchſüchtigen Rechtgläubigkeit Anlaß gab und Anlaß giebt, die an keine prieſterliche Vermitte - lung gebundene Verheißung des Nachtmahls entgegenſetzte. Mit der Gewißheit der realen Gegenwart beſtreitet man die Willkühr welche die Prieſter bei der Abſolution ausüben; man widerräth ſogar das lange Durchdenken einzelner Sün - den, das nur erneuerten Kitzel oder Verzweiflung hervor - bringe, und fordert nichts als ein getroſtes, fröhliches und93Ausbreitung der Lehre.gelaſſenes Vertrauen auf den barmherzigen Gott und ſeine gegenwärtige Gnade. 1Eyn verſtendig troſtlich Leer uber das Wort St. Paulus: Der Menſch ſol ſich ſelbſt probieren und alßo von dem Brott eſſen und von dem Kelch trinken: zu Hall in Innthal von D. Jacob Strauß geprediget. MDXXII. Der Leib Chriſti und ſein Blut wird genommen als das allerſicherſte Zeichen ſeiner barmherzigen Zu - ſage uns im Glauben die Suͤnde zu vergeben. Auch in einigen ſpaͤ - tern Schriften dieſes Autors tritt dieſer Gegenſatz hervor.

Entſcheidend iſt endlich der Gegenſatz zwiſchen Men - ſchenlehre und Gotteswort. Auch da iſt aber nicht von der Tradition die Rede, etwa nach den feineren Auffaſſun - gen einer ſpäteren Zeit, ſo daß ſie nur der ſich fortpflan - zende chriſtliche Sinn, das im Herzen der Gläubigen le - bende Wort wäre:2Moͤhler Symbolik p. 361. es iſt vielmehr das ganze, im Laufe der Jahrhunderte, durch die hierarchiſche Gewalt und die Scholaſtik entwickelte, eine unbedingte Autorität in Anſpruch nehmende Syſtem der lateiniſchen Kirche, dem man ſich entgegenſetzt. Man bemerkt, daß die Kirchenväter geirrt, Hieronymus ſehr häufig, ſogar Auguſtin zuweilen, was ſie denn auch ſelber ſehr gut gewußt, dennoch habe man auf ihre Ausſprüche ein Syſtem gegründet, und mit Hülfe heidniſcher Philoſophie weiter ausgeſponnen, von dem keine Abweichung erlaubt ſeyn ſolle. Aber eben damit habe man ſich dem Menſchenwahn hingegeben: kein Lehrer führe mehr zu wahrem Verſtand des Evangeliums. Und dieſer Menſchenlehre nun, die in ſich widerſprechend, untröſt - lich, mit allen Mißbräuchen verbündet ſey, ſetzt man das ewige Gottes Wort entgegen, das ſo edel, rein, herzlich, feſt und tröſtlich iſt, das man denn auch ungefälſcht und94Drittes Buch. Drittes Capitel.ungemakelt erhalten ſoll. 1Das hailig ewig wort gots was das in im Kraft Sterke Frid Fred erleuchtung und leben in aym rechten chriſten zu erwecken ver - mag zugeſtelt dem edlen Ritter Hern Joͤrgen von Fronsperg; von Haug Marſchalk der genennt wirt Zoller zu Augsburg 1523. Er ruͤhmt in der Vorrede den Ritter daß Eur Geſtreng yetzumal ſo hoch benennt und gepreiſt wird, daß das edel rain lauter und unvermiſcht Wort Gottes das heilig Evangelium bey Eur Geſtreng Statt hat, und in eur ritterlich gemuͤt und herz eingemaurt und be - feſtiget ꝛc.Man ermahnt die Laien, ſelbſt zu ihrem Heile zu ſehen, ſich das göttliche Wort zu eigen zu machen, das nach langer Verborgenheit wieder in vol - lem Glanze hervorgehe, dieß Schwerd in die Hand zu neh - men und ſich damit gegen die Prediger der ſtreitigen Opi - nionen zu vertheidigen. 2Cunrad Diſtelmair von Arberg: ain trewe Ermannung u. ſ. w. 1523.

In dieſen Gegenſätzen hauptſächlich bewegt ſich der Kampf der populären Literatur, der Predigt. Auf der ei - nen Seite gewiſſe äußere kirchliche Beziehungen als ver - dienſtlich erachtet: die Idee der Kirche gebunden an die beſtehende Hierarchie: das Geheimniß der individuellen Be - ziehung zu Gott, das ſich in der Abſolution ausſpricht, von der Ergebenheit gegen den Clerus abhängig: das ſeine Gültigkeit mit Feuer und Schwerd verfechtende Lehrſyſtem. Auf der andern die Forderung von Glaube und Liebe: die Idee der unſichtbaren, in der Gemeinſchaft der Geiſter be - ſtehenden kirchlichen Einheit: Vergebung der Sünden durch den Glauben an die Erlöſung, durch Genuß des Sacra - mentes ohne Beichtzwang: die Schrift allein die Quelle des Glaubens und der Lehre. Es iſt hier nicht von den Modificationen die Rede, welche ein oder der andre Theo -95Ausbreitung der Lehre.log ſeinen Begriffen geben mochte: ſondern nur von den Ideen wie wir ſie auf dem weiten Boden des nationalen Kampfplatzes ſich allenthalben mit einander meſſen ſehen.

Schon im Jahr 1521 erſchien eine kleine Schrift, die dieſen Widerſtreit verſinnbildete: vom alten und vom neuen Gott. Auf dem Titel ſieht man als die Repräſentanten des neuen Gottes den Papſt, einige Kirchenlehrer, Ariſto - teles, und ganz unten Cajetan, Silveſter, Eck und Faber; ihnen gegenüber aber den wahren alten Gott in ſeiner Drei - faltigkeit: die vier Evangeliſten: Paulus mit ſeinem Schwert und weiterhin Luther. Dem entſpricht nun auch der In - halt. 1Panzer II, 20.Den Cerimonien Dienſten und Lehrmeinungen, welche unter dem Schutze der aufkommenden Hierarchie, ihres blu - tigen Schwertes erwachſen, bis das Chriſtenthum ein Ju - denthum geworden, wird der alte Gott entgegengeſetzt, ſein unverfälſchtes Wort, die einfache Lehre von der Erlöſung, von Hofnung, Glauben und Liebe. 2Vgl. Vorrede von Hartmann Dulich abgedruckt bei Veeſen - meier Sammlung von Aufſaͤtzen p. 135. Wie ſehr man uͤbrigens in jenen vornehmſten Tendenzen den Zweck der ganzen Bewegung ſah, davon zeugt auch folgende Stelle in Eberlin von Guͤnzburg fraindlicher Vermanung Bog. III. Ich halt, Luther ſey von Gott geſandt zu ſeubern die Biblia von der lerer auslegung und zwang, die gewiſſen zu erloͤſen von banden der menſchlichen gebot od bapſt - geſetzen und den gaiſtlichen abziehen den titel chriſti un̄ ſeiner kir - chen, dz fuͤrohyn nit mer ſollich groß buͤberey ſtrafflos ſey und dem heyligen namen gottes auch iſt der Luther geſant dz er lere das creutz und glauben, welche ſchier durch alle doctores vergeſ - ſen ſeindt; darzu iſt Luther beruft von got und got gibt im weyß - hait kunſt vernunft ſterke und herz dazu.

In dieſen harten Ausdrücken zeigt ſich doch, daß man96Drittes Buch. Drittes Capitel.in der Nation fühlte, womit man beſchäftigt war: der deutſche Geiſt war ſich bewußt, daß die Zeit ſeiner Reife gekommen: er widerſetzte ſich der unbedingten Alleingültig - keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie ſie denn die ganze Welt beherrſchten, und kehrte zurück zu den einzigen ächten Quellen religiöſer Belehrung. 1Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.

Bei dieſer großen Bewegung, dieſem ſtarken Gefühl des Kampfes iſt es doppelt merkwürdig wie ſehr man doch zugleich an ſich hielt, wie behutſam man in vielen Stücken zu Werke gieng.

Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die Kirche, in der er ſchon eine unſichtbare Gemeinſchaft ſieht, den Schatz der Verdienſte Jeſu Chriſti, Mariä und aller Auserwählten beſitze.

Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her ſeine Augsburger Freunde ermahnt, ſich das neue Teſta - ment anzuſchaffen, ſelbſt wenn ſie ſich den Preis an Klei - dung oder Nahrung abſparen müßten, erinnert er ſie doch zugleich, ſich nicht zu raſch zur Verwerfung der her - kömmlichen Meinungen fortreißen zu laſſen: es ſey vieles was Gott in ſeinem Geheimniß ſich vorbehalten, wonach man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das, was einen klaren Spruch der Schrift gegen ſich habe.

Es war von einem jungen böhmiſchen Gelehrten mit einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor - den, ob Petrus je in Rom geweſen; und auf der katholi -ſchen97Ausbreitung der Lehre.ſchen Seite ſah man ein, daß die Lehre von dem Primat durch die Verneinung dieſer Frage vollends umgeſtoßen werde; allein in Wittenberg ließ man ſich von dem glän - zenden Reſultat dieſer Argumentation nicht fortreißen:1Luther an Spalatin 17 Febr. 1520 bei de W. I, 559. man fand, ſie trage für Glauben und Frömmigkeit nichts aus; ja in einer Schrift, in welcher man dieſe Sache ausführ - lich behandelt, und die ſchlechten Folgen des mißverſtan - denen Primates lebhaft erörtert, wird doch ſogar die Hof - nung ausgeſprochen, daß der neue Papſt ſelbſt, Adrian VI, von den bisher gehegten Irrthümern zurückkommen und ſich ganz an die Schrift halten werde einige Stellen aus ſeinen Schriften ſchienen dieſe Hofnung begründen zu können: dann werde nicht allein die gegenwärtige Irrung beigelegt werden, ſondern auch die alte Spaltung ſich heben: auch von Seiten der Griechen und Böhmen werde man zur Einheit der Kirche zurückkehren. 2Apologia Simonis Hessi adv. dominum Roffensem episc. Anglicanum super concertatione ejus cum Vlrico Veleno. Julio mense 1523. Der Autor beweiſt hauptſaͤchlich, quod gentiliter et ambitiose pro Petri primatu a multis pugnetur, cum hinc nihil lucri accedat pietati: quod impie abusi sint potestate sua Ro - mani pontifices in statuendis quibusdam articulis seditiosis ma - gis quam piis. Die Stelle Adrians in titulo de sacram. baptismi iſt: Noverit ecclesia se non esse dominam sacramentorum sed ministram, nec posse magis formam sacramentalem destituere aut novam instituere quam legem aliquam divinam abolere vel novum aliquem fidei articulum instituere. Spero fore, heißt es dann, si ille perstat in sua sententia, ut tota catholica ecclesia, quae nunc in sectas videtur divisa, in unam fidei unitatem aggre - getur, adeo ut et Bohemos et Graecos dexteras daturos confi - dam bene praesidenti Romano pontifici. Ich hege die Vermu - thung, daß Simon Heſſus, der auch ſonſt zuweilen als tapferer Mit -

Ranke d. Geſch. II. 798Drittes Buch. Drittes Capitel.

Andre, die ſo kühne Hofnungen nicht hegten, waren doch der Meinung, daß man jede eigenmächtige Verände - rung vermeiden, die Abſtellung der Mißbräuche der Obrig - keit überlaſſen müſſe. Wohl lehrten einige, man müſſe ſich der Geiſtlichkeit entſchlagen, wie die Kinder Iſrael des Pharao: aber ſelbſt Männer wie der feurige Otto Brun - fels ſetzten ſich dem entgegen: das Wort werde ohne Mühe und Schwerd die Dinge beſſern. Was man unbeſonnen beginne, gedeihe nie zu einem guten Ende. 1Vom evangeliſchen Anſtoß, Neuenburg in Breisgau Simo - nis und Judaͤ 1523.

Eben dieß war Luthers Meinung und eine geraume Zeit folgte man ihr über das ganze Gebiet des Reiches hin.

Noch durfte man alles von der Leitung des Reichs - regimentes erwarten. Indem das Regiment die Predigt des lautern Gottes Wortes angeordnet und die Nahm - haftmachung der Kirchenlehrer, welche als die Grundlage des modernen Romanismus angeſehen wurden, glücklich vermieden hatte, war es ſelbſt auf die vornehmſten Ideen der reformatoriſchen Bewegung eingegangen.

Während des Jahres 1523 nahm es dieſelbe auch weiter in ſeinen Schutz.

Als der Vicar von Conſtanz, Faber, eine Commiſ - ſion von Rom empfangen wider Luther zu predigen, und nun um Geleit und Schutz bei dem Regiment nachſuchte, bekam er wohl ein dahin lautendes Schreiben, aber in ſol - chen Ausdrücken, daß er, wie Planitz ſagt, gern ein beſſeres gehabt hätte.

2kaͤmpfer erſcheint, der bekannte Euricius Cordus iſt, aus Sims oder Simshauſen in Heſſen.

99Ausbreitung der Lehre.

Herzog Georg hatte ſich bei dem Regimente aufs Neue über die Ausfälle Luthers beſchwert; und ein Theil der Bei - ſitzer hielt wohl auch dafür, der Churfürſt müſſe erinnert werden Luthern zu ſtrafen. Allein die Majorität war da - gegen. Pfalzgraf Friedrich, der Statthalter meinte, man könne die Briefe des Herzogs dem Churfürſten wenigſtens zuſchicken. Herr, ſagte Planitz, das Mehr iſt, daß meinem gnädigen Herrn nicht geſchrieben werde. Dem Herzog ward geantwortet, er möge ſich nur nochmals ſelbſt an den Chur - fürſten wenden.

Bei dem Ausſchreiben eines neuen Reichstages ward darauf Bedacht genommen, daß der Religionsirrungen gar nicht erwähnt ward. 1Schreiben von Planitz vom 28 Februar, 3 Maͤrz, 18 Aug. 1523.

Die Hauptſache endlich war, daß man ſo ganz und gar nicht daran dachte, das Edict von Worms auszufüh - ren, ſondern in Ausſicht auf das geforderte Concilium der Lehre völlig freien Lauf ließ.

Man ſieht, wie viel wie für den Staat ſo für die Kirche daran lag, ob eine Regierung, in der Geſinnungen dieſer Art herrſchten, ſich werde aufrecht erhalten können oder nicht.

7*[100]

Viertes Capitel. Oppoſition gegen das Regiment, Reichstag von 1523, 24.

Es waren zwei große Ideen welche den Geiſt der deutſchen Nation beſchäftigten, die eine einer zugleich na - tionalen, ſtändiſchen, und ſtarken Regierung, die andre einer Erneurung und Verjüngung der religiöſen Überzeugun - gen und Zuſtände: ſie hatten jetzt beide eine gewiſſe Re - präſentation empfangen, berührten unterſtützten einander, und ſchienen eine politiſch und geiſtig gleich bedeutende Zukunft anzukündigen.

Es liegt aber in der Natur der Sache, daß Kräfte die nach ſo umfaſſenden großartigen Zielen ſtreben, auch auf mannichfaltigen Widerſtand ſtoßen.

Nicht als wäre ihre Verbindung ſo ſtark geweſen um gerade einem Jeden einzuleuchten, als wären in den Geg - nern beide Seiten der Oppoſition zum Bewußtſeyn gekom - men: jedwede erweckte vielmehr ihre beſonderen Antipa - thien. Wenn man dem Regiment widerſtrebte, ſo folgte noch lange nicht, daß man auch der Reformation der Kirche entgegen geweſen wäre.

Überhaupt verfallen wir bei der Betrachtung der Ver -101Oppoſition gegen das Regiment.gangenheit nicht ſelten in den Irrthum, einem neu eintre - tenden Weltelement zu früh einen alles beherrſchenden Ein - fluß zuzuſchreiben. So mächtig es auch ſeyn mag, ſo giebt es doch neben ihm noch andere lebendige Kräfte, die nicht ſogleich geneigt ſind ſich unterzuordnen, ſondern nach ihren eigenen ſelbſtändigen Trieben ſich weiter entwickeln.

Was nun dem Regiment entgegenſtand waren im Grunde zwei entgegengeſetzte Dinge. Einmal ließ es die Ausſicht auf eine ſtarke und nachdrückliche Regierungsweiſe, mit der doch nicht Jedermann gedient war, in der Ferne erſcheinen. Sodann aber und zwar für den Augenblick war es ſehr ſchwach: es fehlte ihm an aller wirkſamen executiven Gewalt. Die Oppoſition auf die es ſtieß rührte dann auch zunächſt von Ungehorſam her.

Sickingen und ſeine Gegner.

Man dürfte nicht glauben, der Landfriede Carls V ſey beſſer gehalten worden als die früheren. Ein paar kaiſerliche Räthe, die von dem Reichstag zu Worms, wo ſie ihn hatten beſchließen helfen, nach Augsburg reiſten, Gregor Lamparter und der Schatzmeiſter Johann Lucas, wurden eben auf dieſer ihrer erſten Reiſe überfallen und gefangen genommen. Der Sitz der Regierung und des Gerichtes, in gewiſſem Sinn in dieſem Augenblick die Haupt - ſtadt des Reiches, Nürnberg, war auf allen Seiten von wilder Fehde umgeben. Hans Thomas von Absberg, dop - pelt gereizt, weil der ſchwäbiſche Bund Beſchlüſſe gegen ihn faßte, ſammelte im J. 1522 noch einmal die verwe - genſten Reitersmänner aus allen umliegenden Gebieten um102Drittes Buch. Viertes Capitel.ſich: immer neue Feindesbriefe trafen in Nürnberg ein: zuweilen fand man ſie in den nächſten Dörfern in die Mar - terſäule geſteckt: alle Straßen des Reiches nach Oſten und Weſten wurden unſicher. Bei Krügelſtein im Bambergi - ſchen war eine einſame Capelle, wo alle Woche dreimal Meſſe gehalten wurde. Unter dem Schein ſie zu hören fanden ſich hier die raubluſtigen Genoſſen und die Kund - ſchafter zuſammen: wehe dem Kaufmannszug der in ihr Bereich gerieth. Sie führten nicht allein die Waaren da - von: ſie hatten jetzt den furchtbaren Gebrauch, den Ge - fangenen die rechte Hand abzuhauen; vergebens baten wohl die armen Leute, ihnen wenigſtens nur die linke zu nehmen und die rechte zu laſſen; Hans Thomas von Absberg hat einem Krämerknecht die abgehauene Rechte in den Buſen geſteckt, mit den Worten: komme er nach Nürnberg, ſo möge er ſie in ſeinem Namen dem Bürgermeiſter bringen. 1Muͤllner’s Nuͤrnberger Annales bei den Jahren 1522 und 23 enthalten dieß und noch mancherlei anders Detail. Z. B. Ruͤ - digkheim und Reuſchlein haben im Junio 2 Waͤgen mit Kupfer be - laden zwo Meil von Frankfurt angenommen und die Fuhrleut un - geſcheut benoͤthiget, daß ſie das Kupfer in das Schloß Ruͤcking dem von Ruͤdigkheim zugehoͤrig fuͤhren muͤſſen. Dem Nuͤrnberger Buͤr - ger dem es gehoͤrt ſchreibt Ruͤdigkheim: wolle er das Kupfer wieder haben, ſo moͤge er kommen und es ihm abkaufen. Sie waren da - durch gereizt, daß Nuͤrnberg bei dem Kaiſer wider ſie geklagt hatte.

Ein ſehr bezeichnendes Beiſpiel der allgemeinen Un - ſicherheit bieten die Frankfurter Acten vom Jahr 1522 dar. Philipp Fürſtenberg, den die Stadt Frankfurt an das Regiment ſchickte, um an der Regierung des Reiches Theil zu nehmen, fand die Straße von Miltenberg nach Wertheim, die er kam, ſo unſicher, daß er ſeinen Wagen103Sickingen.verließ, und mit einigen Schneidergeſellen auf die er ge - troffen, als wäre er einer von ihnen zu Fuße einen Sei - tenweg einſchlug. Den Wagen ſprengten einige Reiter mit aufgeſpannten Armbrüſten an. Um nur nach Wertheim zu kommen, mußte er ſich noch auf dem Weg eine Bedeckung von fünf oder ſechs Gefährten nehmen, die mit Büchſen oder Armbrüſten bewaffnet waren. 1Fuͤrſtenberg aus Wertheim St. Petri und Pauli Tag ao̅ 22. alſo hab ich meyn gnedigen Herrn gebeten, uns gen Wirtzburg zu verhelfen: iſt er willig Gott helf uns furter Die Reiter ſind zor - nig , ſagt er, was ihnen anliege weiß ich nicht.

In dieſem Zuſtande nun, als das Regiment ſeine ei - genen Mitglieder nicht zu ſchützen vermochte, brach eine Fehde aus, wie zu Maximilians Zeiten keine ſo gewaltig das Reich in Bewegung geſetzt hatte. Franz von Sickin - gen wagte es, im Auguſt 1522, mit einem wohlgerüſteten Heer, Fußvolk Reiterei und Geſchütz, einen Churfürſten des Reiches, den Erzbiſchof von Trier in ſeinem Land, ſei - ner wohlbefeſtigten Reſidenz zu überziehen.

In der Hauptſache war das eben auch nur eine Fehde, wie ſo viele andere: entſprungen aus perſönlichem Mißver - ſtändniß, eben dieſer Churfürſt hatte früher einmal be - ſonders lebhaft die Hülfe des Reiches gegen Sickingens Gewaltthätigkeiten in Heſſen aufgerufen: begründet durch einige zweifelhafte Rechtsanſprüche, namentlich auf ein - ſegeld von welchem der Erzbiſchof losgeſprochen, und das dann auf Sickingen übertragen war: berechnet auf Brand - ſchatzung und wo möglich Eroberung der feſten Plätze. Man muß den Brief leſen, in welchem ein alter Vertrau -104Drittes Buch. Viertes Capitel.ter Sickingens denſelben von dieſem Unternehmen abmahnt, um zu erkennen, welche Möglichkeiten des Gelingens oder Mißlingens hier erwogen wurden. 1Balthaſar Schloͤrs Schreiben an Sickingen o. D. jedoch unmittelbar vor dem Ausbruch der Fehde: bei Guͤnther Codex di - plomaticus Rheno-Mosellanus V, p. 202.

Dabei kamen nun aber einige andre Beweggründe ins Spiel, welche dieſem Unternehmen eine univerſale Bedeu - tung gaben. Bei Sickingen war eine glückliche Feindſelig - keit nicht mehr das letzte Ziel: er hatte größere Intereſſen im Auge.

Es waren das vor allem die der Ritterſchaft über - haupt. Wir wiſſen, wie ſehr die Ritterſchaft über den da - maligen öffentlichen Zuſtand mißvergnügt war: über den ſchwäbiſchen Bund, der zugleich Ankläger Richter und Voll - ſtrecker der Urtel ſeyn wolle, das Kammergericht, das nur den Schwachen zu finden wiſſe, aber den Mächtigen in Ruhe laſſe, das Umſichgreifen der fürſtlichen Macht, die fürſtlichen Gerichte, Zölle und Lehensein - richtungen. Der oberrheiniſche Adel hatte ſich im Früh - jahr 1522 zu Landau vereinigt, ſeine Lehensſachen nur vor Lehnrichter und Mannen, wie vor Alters hergebracht, ſeine Streitigkeiten mit andern Ständen nur vor unpar - teiiſchen, mit rittermäßigen Leuten beſetzten Gerichten2 wo der Kleger den Antwurter erfordert vor ſein des Antwurters Genoß, oder ungefehrlich dem etwas gemeß oder dar - uͤber, unparteilichs Rechten oder Austrags, vor die, ſo inlendiſch der Sachen geſeſſen oder gelegen ſeyn. Bruͤderlicher Verein bei Muͤnch: Leben Sickingens Bd II, p. 188. ent - ſcheiden zu laſſen, und einem Jeden dem dieß verſagt werde zu Hülfe zu kommen: dazu hatte er Franz von Sickingen105Sickingen.zu ſeinem allgemeinen Hauptmann ernannt. Eine Schrift Huttens, ungefähr vom Mai 1522,1Beklagunge der Freiſtette deutſcher Nation. Die Zeit er - giebt ſich aus den Worten: Der (Kaiſer) zeucht nun von uns wider Mher; ſie wollen nit, daß er widerkheer. Dieſe Ideen reichen aber auch in das naͤchſte Jahr, wie wir aus einer Schrift von Kettenbach ſehen: Practica practicirt u. ſ. w. (Pan - zer II, p. 190) wo die Staͤdte ermahnt werden, ſich nicht in die Fehde zwiſchen Adel und Fuͤrſten einzulaſſen. an die Reichsſtädte iſt ein Manifeſt der Geſinnungen die man in der Umge - bung Sickingens hegte. Nie ſind die Fürſten heftiger der Gewaltthätigkeit und Unrechtlichkeit angeklagt worden: die Städte werden aufgefordert, die Freundſchaft des Adels anzunehmen und vor allem das Regiment zu zerſtören, das ihm als eine Repräſentation der fürſtlichen Gewalt erſchien.

Dazu kam nun aber ferner die religiöſe Neuerung. Zu einem Unternehmen gegen einen der mächtigſten geiſtli - chen Fürſten gab ſie noch einen beſondern Antrieb. Im Grunde iſt es die Ebernburg wo der evangeliſche Gottes - dienſt zuerſt in ſeinen neuen Formen eingeführt ward. In Sickingens Umgebung hielt man die Austheilung des Abend - mahls unter beiderlei Geſtalt nicht allein für erlaubt, wie damals noch in Wittenberg, ſondern für nothwendig. Jo - hann Öcolampadius war der erſte welcher die religiöſe Befriedigung, die das Volk darin findet, alle Tage dem unverſtandnen Murmeln der Meſſe zuzuhören, der Ceri - monie der Segenſprechung beizuwohnen, und ſich ohne viel Aufwand von Aufmerkſamkeit oder Zeit Gott zu befehlen, geradehin verdammte, und die Meſſe nur noch Sonntags, mit Weglaſſung der Elevation und nur noch in deutſcher106Drittes Buch. Viertes Capitel.Sprache hielt. 1Oecolampadii Epistola ad Hedionem bei Gerdeſius Histo - ria Evangelii: Tom. I, Monumenta p. 166.Von Sickingen ſelbſt haben wir einen Brief, worin er ſich gegen die Bilder ausſpricht, welche mehr für ſchöne Gemächer als für die Kirchen geeignet ſeyen, und wider die Anrufung der Heiligen eifert; einem ſeiner Prediger, Joh. Schwebel, richtete er die Hochzeit aus. Unter ſeinen Freunden finden wir einen, Hartmuth von Kronenberg, den man als den erſten im Style einer ſpätern Zeit frommen vollkommen überzeugten Lutheraner betrachten kann. 2Schreiben Kronenbergs an die vier Bettelorden 25 Juni 1522; an die Einwohner von Kronenberg: bei Muͤnch Sickingen II, p. 145. 153.

Durch die Verbindung mit dieſen mächtigen Elemen - ten bekamen nun die Unternehmungen Sickingens eine un - gemeine Wichtigkeit. Ein großer Theil der Ritterſchaft in dem ganzen Reiche war für ihn, und regte ſich um ihn zu unterſtützen. Auch die Unterſtützung Luthers, dem er frü - her oft ſeinen Schutz angeboten, nahm er in Anſpruch. In der That, es wäre kein ſchlechter Bund geweſen, wenn der Mönch, den die Nation wie einen Propheten verehrte, ſeinen Wohnſitz bei dem gewaltigen Rittersmann genom - men und ihn mit der Macht ſeines Wortes unterſtützt hätte. Aber Luther hatte den großen Sinn, ſich von allen politiſchen Verbindungen fern zu halten, keine Gewalt ver - ſuchen, einzig der Macht der Lehre vertrauen zu wollen. Von Sachſen bekam Sickingen überhaupt nur Abmahnun - gen. Wie ſehr er dennoch auf dieſe nationale Hinneigung zählte, beweiſt fein Manifeſt an die Unterthanen von Trier,107Sickingen.denen er verſpricht, ſie von dem ſchweren antichriſtlichen Geſetz der Pfaffen zu erlöſen und ſie zu evangeliſcher Frei - heit zu bringen. 1Auszuͤge aus den Manifeſten bei Meiners Leben Huttens p. 317.In ſeinem Kopfe durchdrangen ſich die Gedanken eines fehdeluſtigen, einem mächtigen Fürſten ſich gewachſen fühlenden Edelmannes, eines Oberhauptes aller Ritterſchaft, eines Vorfechters der neuen Religionsmeinungen. Es iſt nicht ohne Bedeutung, wenn Hutten in einem ſeiner Geſpräche dem Sickingen eine feurige Lobeserhebung Zis - ka’s in den Mund legt: des unüberwindlichen Helden, der ſein Vaterland von den Mönchen und unnützen Prieſtern geſäubert, ihre Güter zum allgemeinen Beſten vertheilt, den Räubereien der Römer ein Ende gemacht habe. 2Monitor secundus Opp. IV, p. 144.

Am 27 Aug. 1522 kündigte Sickingen dem Erzbiſchof Fehde an, vor allem um der Dinge willen die er gegen Gott und Kaiſerl. Maj. gehandelt; von dem Churfürſten von Mainz eher ins geheim unterſtützt als verhindert, langte er nachdem er St. Wendel genommen, am 7 Sep - tember vor Trier an: mit 1500 Pf., 5000 M. und nicht geringem Geſchütz zog er über den Marsberg daher. 3Dieſe Anzahl geringer als die gewoͤhnliche Angabe, enthaͤlt die Flersheimer Chronik: in Muͤnchs Sickingen III, p. 215.So viel wir ſehen, rechnete er darauf, daß hier ſeine Freunde zu ihm ſtoßen würden, Rennenberg, der in Cleve und - lich, der Baſtard von Sombreff, der im Erzſtift Cölln, Franz Voß, der im Limburgiſchen für ihn rüſtete: auch aus Braunſchweig ſollte Nickel Minkwitz 1500 M. her - beiführen. In ſeinem Lager ſprach man davon, daß er in108Drittes Buch. Viertes Capitel.Kurzem Churfürſt ſeyn werde, ja vielleicht noch mehr als das. Das ganze Reich wendete ſeine Augen dahin: der Abgeordnete des Herzog Georg von Sachſen ſchrieb an ſeinen Herrn, in viel hundert Jahren ſey nichts ſo ge - fährliches wider die Fürſten des Reiches unternommen wor - den. 1Schreiben im Koͤn. Saͤchſiſchen Archiv.Es ſey alles dahin gerichtet geweſen, behaupten Andre, daß man in Kurzem nicht hätte wiſſen ſollen, wer König oder Kaiſer, Fürſt oder Herr ſey.

So erhob ſich noch einmal das tumultuariſche Ritter - weſen zu einer das ganze Reich bedrohenden Gewalt.

Man kann es ſich nicht recht ausdenken, was daraus werden ſollte wenn es ihm gelang.

Konnte wirklich aus der ritterlichen Unabhängigkeit, die nun zu voller Herrſchaft gelangt wäre, eine einigermaaßen geordnete Regierung hervorgehn? Würde etwa die verwil - derte Selbſthülfe des damaligen Ritterthums durch die neue Predigt ſo leicht zu bezähmen geweſen ſeyn? Öcolampadius wenigſtens fand auf Sickingens Burg einen harten Boden für ſeine Saat. Auch waren es an ſich höchſt ungleich - artige Elemente die hier vereinigt erſchienen, das Ritter - thum, die eigenthümlichſte Hervorbringung der mittlern Jahr - hunderte, die auf einer Zerſetzung kräftiger Staatsgewalten beruhte, und die neue Lehre, welche die Tendenz in ſich ſchloß, und ſie ſchon ausgeſprochen, eben dieſer Staats - gewalt eine neue feſte Grundlage zu verſchaffen. Sickin - gen ſelbſt hatte eine ſehr anomale Stellung. Es wa - ren keineswegs ritterliche Kräfte die er ins Feld führte. Er ſtand an der Spitze eines geworbenen Heeres, das nur109Sickingen.durch Geld zuſammengehalten werden konnte, mit allem Apparat einer dem Ritterthum weſentlich entgegengeſetzten Kriegskunſt. Wunderbarer Anblick, wie die beherrſchenden Kräfte verſchiedener Zeitalter hier einander berühren und der Gedanke aufkommt, als könnten ſie ſich vereinigen, mit einander gehn. Wir können heut zu Tag wohl einſehn, wie unmöglich dieß war. Denn nur in lebendigem und wahrem Einverſtändniß mit dem Fortgang der Weltent - wickelung wird ſich etwas Haltbares gründen laſſen. Aber auch damals ſah man ein, daß wenn das Fürſtenthum beſiegt, die noch keineswegs feſt begründete Reichsordnung gewaltſam zertrümmert worden, nichts als ein ausſchlie - ßendes wildes und doch wieder in ſich ſelbſt widerſprechen - des Regiment des Adels zu erwarten ſey.

Es kam nun darauf an, wer die Vertheidigung der gefährdeten Ordnungen übernehmen würde.

Das Regiment that ſo viel es vermochte. Abmahnun - gen ergiengen an Sickingen: Mandate an alle benachbarte Fürſten, ſich ſeinem Vorhaben zu widerſetzen. Auf Sickingen jedoch machten die Mahnungen des Regimentes wenig Ein - druck. Er entgegnete, er ſelber gedenke eine neue Ord - nung im Reiche einzuführen. 1Planitz an Churf. Friedrich 13 Sept. Sickingen habe ge - ſagt, er wolle ſich eines Thuns unterſtehn, deſſen ſich kein Roͤmiſcher Kaiſer unterſtanden. 28 Spt. er habe den Boten des Regiments geſagt: er wißt vorwar, ſein Herr der Kaiſer werde nicht zuͤrnen, ob er den Pfaffen ein wenig ſtrafet und ihm die Kronen eintraͤnkt, die er genommen haͤtte. Wirklich fieng man an zu glauben der Kaiſer moͤge gar mit ihm einverſtanden ſeyn. Der Kaiſer ſagte ſpaͤter, Franz habe ihm nicht ſo gut gedient um ihm Dinge dieſer Art nachzuſehen.Von einer Entſcheidung des Kammergerichts wollte er nichts wiſſen: er ſagte, er110Drittes Buch. Viertes Capitel.habe ein Gericht um ſich, beſetzt mit Reiſigen, wo man mit Büchſen und Carthaunen diſtinguire. Wohl iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſein ganzes Heer gedacht habe wie er. Wenigſtens das Regiment verſichert, durch ſeinen Eifer ſey Franzens Anhang und Macht vermindert worden: allein um ihn zu Paaren zu treiben, waren doch ganz an - dre Kräfte nöthig, und alles lag daran, welchen Wider - ſtand Sickingen bei dem Angegriffenen und deſſen Verbün - deten finden werde.

Richard von Greiffenklau Erzbiſchof von Trier hatte die beſten Anſtalten getroffen. Das Kloſter S. Maximin, auf deſſen Vorräthe die Feinde gerechnet, hatte er in Brand ſtecken laſſen: er ſelbſt war mit der Fackel dazu herbeigeeilt: in der Stadt hielt ſeine Anweſenheit die Bewegungen nieder, die ſich allerdings regten. Die Geiſtlichen ſtellten ſich um den Dom her auf, die Bürger auf dem Markte: auf Mauern und Thürmen hielten die Söldner: der einheimiſche Adel, der ſich von dem Stift nicht trennen laſſen, hatte die An - führung.

Und indem nun Sickingen, der einen raſchen Schlag auszuführen gedacht, hier auf einen unerwarteten nachhal - tigen Widerſtand ſtieß, begegnete ihm, daß ſeine Freunde und Verbündeten, durch deren Zuzug er erſt in den Beſitz ſeiner vollen Macht gekommen wäre, allenthalben aufge - halten oder geſchlagen wurden. Der Herzog von Cleve und der Churfürſt von Cölln geboten den Reitern die in ihren Gebieten geworben waren, bei Verluſt ihrer Lehen, ja ihres Lebens, zu Hauſe zu bleiben. Dem jungen Land - grafen von Heſſen gelang es, die Minkwitziſche Truppe,111Sickingen.die von Braunſchweig daher zog, zu übermannen, ihren Anführer mit alle ſeinen Papieren in ſeine Gewalt zu be - kommen, hierauf dieſe Leute in ſeine eignen Dienſte zu zie - hen. 1Schreiben Landgr. Philipps an den Churf. v. Trier 5 Spt. 1522 in Rommels Geſch. von Heſſen Bd V, p. 858.Da wagten auch die weſtphäliſchen und lünebur - giſchen Reiſigen ſich nicht ins Feld.

Dagegen rüſteten ſich der Churfürſt von der Pfalz, der alte Gönner Sickingens, ſo gut wie der Landgraf von Heſſen, ſein erbitterter Gegner, ihrem Nachbar und Ver - bündeten von Trier zu Hülfe zu eilen.

Sickingen, im Angeſicht einer tapfer vertheidigten Stadt, im offenen, durch Verwüſtungen erbitterten Lande, ohne die erwartete Unterſtützung, wagte es nicht, das Zuſam - mentreffen ſo übermächtiger Streitkräfte zu erwarten: er ſelbſt entwickelte auch nicht die Kräfte und eigenen Hülfs - quellen des Talentes und der Tapferkeit, ohne die man ſich ſo kühner Wageſtücke nicht ungeſtraft unterfängt: am 14ten September mußte er ſich entſchließen, Trier zu ver - laſſen. 2Dieſe Trierſchen Ereigniſſe ſchildern Latomus, Browerus Annal. Trev. II, 340, der auch Latomus aufgenommen, Gesta Tre - virorum in Hontheims Prodromus p. 858, Chronicon S. Maximini ibid. p. 1035.

In dieſen acht Tagen liegt eine große Wendung der deutſchen Geſchicke.

Die drei Fürſten, Repräſentanten der gefährdeten fürſt - lichen Gewalt, bekamen jetzt die Oberhand über die em - pörte Ritterſchaft und ihren Anführer. Sie begnügten ſich nicht, das Erzſtift von dem Feinde zu ſäubern: merkwür -112Drittes Buch. Viertes Capitel.dig aber, auch Sickingen verfolgten ſie nicht: ſie wandten ſich zunächſt wider deſſen Verbündete.

Der Churfürſt von Mainz, dem ſie vorwarfen, einer Anzahl ſickingenſcher Pferde den Übergang über den Rhein nicht verwehrt zu haben, mußte ſeinen Frieden mit 25000 G. erkaufen. 1Der Geſandte des Herzog Georg ſagt, das ſey der Urſa - chen eine, die andern ſtecken in der Feder.

Hartmuth von Kronenberg, an dem der Landgraf vor allem den Antheil den er einſt an dem Darmſtadter Zuge Sickingens genommen, beſtrafen wollte, ward in ſeiner Burg unfern Frankfurt aufgeſucht. Der Landgraf wollte von Gnade und Unterhandlung nichts hören: er ſelbſt hat zuweilen das Geſchütz gerichtet. Der Ritter war noch zur rechten Zeit entwichen: ſeine Burg mußte ſich aber am 16ten October ergeben; die drei Fürſten nahmen die Hul - digung in Perſon ein und die Stadt iſt hierauf eine geraume Zeit hindurch als heſſiſche Landſtadt behandelt worden. 2Tendel: Beſchreibung der Belagerung von Kronenberg bei Muͤnch III, p. 28.

Dann gieng der Zug gegen Frowen von Hutten weil er ſich des Aufruhrs theilhaftig gemacht und erklärte Ächter bei ſich aufgenommen: ſeine Burg Saalmünſter ward erobert.

Daſſelbe geſchah dem Philipp Waiß zu Haußen in der Fuldiſchen Mark, dem Rudeken in Rukingen: andre ſuchten ſich durch Vertrag zu retten.

Und ſchon drohte ein ähnliches Ungewitter den Ver - bündeten Sickingens auch in entfernten Gegenden. Derfrän -113Sickingen.fränkiſche Adel hatte ihn zwar nicht eigentlich unterſtützt, aber in ſeinem Vorhaben beſtärkt, ſich im Ganzen zu ihm gehalten; der ſchwäbiſche Bund dagegen war mit den Für - ſten, namentlich mit der Pfalz in Einung getreten, und forderte jetzt die fränkiſchen Ritter vor ſein Bundesgericht, um ſie wegen einiger Landfriedensbrüche zu vernehmen; die Ritter hielten ſich nicht für verpflichtet, einer ſolchen Mah - nung Folge zu leiſten, und kamen in Schweinfurt zuſam - men, um Beſchluß dagegen zu faſſen: ſie waren noch ent - ſchloſſen ſich zu vertheidigen: dem Biſchof von Würzburg, der zuletzt in den Bund getreten war, kündigten ſeine Un - terſaſſen darüber entrüſtet im Anfang des Jahres 1523 alle ſeine Ämter auf. Ganz Schwaben und Franken ge - rieth hierüber in Bewegung. Bei der Übermacht des Bun - des ließ ſich das Ende des Kampfes leicht vorausſehn, wofern nicht das Regiment ihn zu verhindern wußte.

Für dieſe höchſte Reichsbehörde bekam überhaupt das Ereigniß jetzt eine ganz andre Bedeutung.

Früher war ſeine Autorität von Sickingen und deſſen Freunden verſpottet, bekämpft worden: auch hatte man dafür Sickingen auf die Anklage des Anwalts von Trier, ohne ihn den Reichsſatzungen gemäß vorgeladen und verhört zu haben, bereits am 8ten October in die Acht erklärt; allein in eine eben ſo trotzige, dem Regiment gefährliche Haltung warfen ſich nun die Gegner Sickingens: ſtatt den Geächteten zu verfolgen, griffen ſie deſſen vermeinte Ver - bündete an, deren Schuld nicht immer nachgewieſen war, und nahmen ihre feſten Häuſer ein: der ſchwäbiſche Bund, der ſchon ohnehin behauptete, nur mit Vorbehalt ſeinerRanke d. Geſch. II. 8114Drittes Buch. Viertes Capitel.Einung in das Regiment gewilligt zu haben, griff durch jene Ladungen offenbar in das Gebiet der Reichsgerichte über, und auf eine Erinnerung, Niemand über den Land - frieden zu beſchweren, hielt er es nicht für der Mühe werth, auch nur eine Antwort zu geben.

Denn mit der Macht iſt auch natürlich der Anſpruch verbunden. Wie die Unternehmungen Sickingens, die Gäh - rungen des fränkiſchen Adels nicht durch das Regiment unterdrückt worden waren, ſondern durch die Übermacht und Kriegsgewalt der Nachbarn, ſo ſetzten dieſe auch den Kampf nach ihren eignen Intereſſen fort, ohne viel Rück - ſicht auf die höchſte Gewalt im Reiche. 1Vgl. Schreiben des Chf. von Trier 2 Nov. 1522 bei Muͤnch III, 33.

Daher kam es, daß das Regiment gar bald Diejenigen in Schutz nahm, die es noch eben als ſeine Feinde betrach - tet hatte. Frowen von Hutten brachte ohne viel Mühe, nachdem die Meinungen der angeſehenſten Mitglieder des Kammergerichts vernommen worden, ein Mandat aus, durch welches die Fürſten aufgefordert wurden, ihm ſeine Häuſer zurückzugeben; kurz darauf erfolgte ein förmliches Urtel zu ſeinen Gunſten. Zugleich drang das Regiment in die Fürſten, Churmainz der ihm ſo gewaltſam auferlegten Verpflichtungen zu entlaſſen. 2Planitz vom 4ten Februar 1523: ſie ſollen ihm ſeine Ver - ſchreibung zuruͤckgeben und Sickingen zu guͤtlichem Verhoͤr kommen laſſen.Dieſe Fürſten hätten ge - wünſcht, gegen den geächteten Sickingen mit der Hülfe des Reiches unterſtützt zu werden: aber weder bei dem Regiment noch bei den Ständen in den erſten Monaten115Sickingen.des Jahres 1523 konnten ſie dieß auswirken: wäre die Acht nicht ſchon ausgeſprochen geweſen, ſo wäre ſie jetzt wohl unterblieben. 1Planitz meint ſchon am 24 Nov. jetzt wuͤrde man Sickin - gen nicht in die Acht erklaͤren, man haͤtte ihn denn citiert, aber geſchehn iſt geſchehn. Einige Mitglieder des ſchwäbiſchen Bundes trugen auf ein Verbot der ritterſchaftlichen Zu - ſammenkünfte und Verbindungen an: das Regiment war jetzt nicht mehr dahin zu bringen: es kündigte vielmehr den Rittern an, es werde ſie mit Ausnahme deren welche gegen den Landfrieden gehandelt in ſeinen Schutz nehmen.

Meines Erachtens bekam nun erſt die Sache der Rit - terſchaft ein wahres Intereſſe für die Reichsentwickelung. Mit jenem wilden Vorhaben eine unabhängige Macht zu gründen, war es vorüber. Ihr einziger Rückhalt war das Regiment: und mit dieſem mußten ſie ſich verbinden. Da - durch nun daß ſowohl die Ritter als das Regiment ſich für die evangeliſchen Doctrinen erklärten, bekamen die ge - trennten Elemente einen engern Zuſammenhang. Auch der Churfürſt von Sachſen, die Hauptſtütze des Regimentes, trat jetzt in eine gewiſſe Verbindung mit den Rittern. In dem zweiten Quartal des Jahres 1523, wo die Pflicht perſönlicher Anweſenheit auf den Churfürſten von Mainz traf, vertrat deſſen Vetter, der Hochmeiſter Albrecht von Preußen ſeine Stelle: der damals noch keine andre Idee hatte, als die Herrſchaft des Ordens, d. i. der deutſchen namentlich der fränkiſchen und ſchwäbiſchen Ritterſchaft in jenem Lande aufrecht zu erhalten, und die Kräfte des Reichs dafür in Bewegung zu ſetzen.

8*116Drittes Buch. Viertes Capitel.

So wenig man Sickingen vor dem Jahr die Erobe - rung von Trier hätte wünſchen können, ſo wichtig war es doch, daß er ſich gegen die Angriffe behauptete, die ſich im Frühjahr 1523 wider ihn vorbereiteten.

Sonderbares Schickſal! An die Erhaltung des Rit - ters der ſo oft den Landfrieden gebrochen und Gewaltſam - keiten ausgeübt, knüpfte ſich jetzt, nachdem er geächtet war, ein Intereſſe der Reichsordnung.

Auch gab er noch keineswegs ſeine Sache auf. Er glaubte Hülfe von Niederdeutſchland und vom Oberrhein erwarten zu dürfen: Zuzug fränkiſcher und böhmiſcher Rit - ter: Beiſtand der Lutheraner. Von Landſtuhl, wo er ſich aufhielt, ſah er eines Tages Reiter in den entfernten Ge - büſchen erſcheinen: er ſchmeichelte ſich, es ſeyen Luthera - ner, welche ſehen wollten was er mache;1Hubert Th. Leodius Acta et gesta Francisci de Sickin - gen bei Freher Scriptt. Rer. Germ. III, p. 305. aber ſie kamen nicht näher: ſie banden die Pferde in jenem Buſchwerk an: es war eben der Vortrab der Feinde, welche anlangten um ihn zu belagern.

Indeſſen war er unbeſorgt. Er zweifelte nicht, ſich in der Feſte die er erſt vor kurzem hergeſtellt hatte, we - nigſtens ein Vierteljahr halten zu können: ſeinen Verbün - deten werde Zeit bleiben zu kommen und ihn zu entſetzen.

Da aber zeigte ſich doch, daß er die Kriegskräfte, wie ſie ſich in dem letzten Jahrhundert entwickelt, nicht richtig berechnete. Er war jetzt darauf angewieſen ſich wie die alten Ritter zu vertheidigen: es kam darauf an, ob die Bergſpitze, die felſenfeſten Thurmgewölbe, die dicken Mauern noch eine Freiſtatt gegen das Geſchütz gewährten. Es117Sickingen.zeigte ſich ſehr bald, daß die neue Kriegskunſt der alten Vertheidigung zu mächtig war. Am 30ſten April 1523 fiengen die Fürſten an, die Burg aus ihren Carthaunen, Nothſchlangen und Scharfmetzen zu beſchießen: ſie waren ſehr wohl verſehen, ſehr wohl bedient: der junge Landgraf, der in der Tracht eines Landsknechtes erſchien, zeigte Muth und Geſchicklichkeit:1Lettera da Ispruch a 12 Mazo 1523 al Sr Mch. di Mantoa. Il Landgrafio si è portato magnanimamente, essendo sempre stato de li primi, in zuppone con le calze tagliate et in corsaletto da Lanzichenech, et è giovane di 18 anni. (Venez. Chronik von Sanuto Bd 34.) noch an demſelben Tag brach der große Thurm, von welchem ihr Lager überſehen und be - droht wurde, zuſammen. Eben ihrer Neuheit halber leiſte - ten die Mauern den Kugeln keinen rechten Widerſtand. Indem Sickingen dieſes unerwartete Unheil bemerkte, nach einer Schießluke gieng, und an das Sturmgeräth gelehnt, zu überblicken ſuchte wie es ſtehe, was ſich etwa thun laſſe, war eine Nothſchlange eben dahin gerichtet worden und traf nur allzugut: die Werkzeuge der Vertheidigung wurden auseinandergeworfen, Sickingen ſelbſt gegen einen ſpitzen Balken geſchleudert und in der Seite tödtlich ver - wundet.

Das ganze Haus war zerſchoſſen; in dem einzigen Burggewölbe das ſich gehalten, lag der Hauptmann ohne Hofnung; Hülfe wollte nicht erſcheinen. Wo ſind nun meine Herrn und Freunde, ſagte Sickingen, die mir ſo viel zugeſagt? wo iſt Fürſtenberg? wo bleiben die Schweizer die Strasburger? Er mußte ſich entſchließen zu capituliren. 2Bericht wie ſich Franz von Sickingen Krieg verlaufen hat bei Spalatin Sammlung zur ſaͤchſ. Geſch. V, 148.

118Drittes Buch. Viertes Capitel.

Die Fürſten wollten ihm keinen freien Abzug zuge - ſtehn, worauf er der Sitte gemäß angetragen: er ſagte, ich will nicht lange ihr Gefangner ſeyn. Kaum hatte er noch Kräfte die Artikel zu unterſchreiben; in ſeinem Burgge - wölbe lag er im Sterben, als die Fürſten daſelbſt eintraten.

Der Churfürſt von Trier ſagte: was haſt du mich geziehen Franz, daß du mich und meine armen Leute im Stift überfallen haſt? Und mich, fügte der Landgraf hinzu, daß du mein Land in meinen unmündigen Jahren überzo - geſt? Sickingen erwiederte: ich habe jetzt einem größern Herrn Rede zu ſtehen.

Sein Caplan Nicolaus fragte ihn, ob er zu beichten verlange. Er antwortete: ich habe Gott in meinem Her - zen gebeichtet.

Der Caplan rief ihm Worte des letzten Troſtes zu, und hob die Hoſtie empor. Die Fürſten entblöſten ihr Haupt und knieten nieder: in dieſem Augenblick verſchied Sickingen: die Fürſten beteten ein Vaterunſer für ſeine Seele. 1Den glaubwuͤrdigſten Bericht enthaͤlt die Flersheimer Chro - nik bei Muͤnch III, 222.

Sickingen wird immer unvergeßlich bleiben: nicht gerade wegen großer Thaten von nachwirkendem Gehalt die er ausgeführt, auch nicht wegen einer außerordentlichen Tapferkeit, moraliſch bedeutender Vorzüge die er entwickelt hätte, ſondern wegen der neuen und großartigen Stellung in die er allmählig gelangte. Was ihn zuerſt emporbrachte, war ſein Verhältniß zu dem Churfürſten von der Pfalz, der ihn gegen ſeine Feinde brauchte, ihm Raum machte,119Sickingen.Rückhalt verlieh, ihn insgeheim oder offen unterſtützte. Da ward er aus einem nicht ſehr bedeutenden Ritter, dem ein paar Burgen gehörten, in kurzer Zeit ein mächtiger Condottiere, der ein kleines Kriegsheer auf eigene Hand ins Feld ſtellen konnte. Je angeſehener er aber wurde, deſto mehr fühlte er ſich auch verſucht und berechtigt, ſeine eigne Politik zu befolgen. Zuerſt in dem wirtenbergiſchen Kriege riß er ſich von dem Churfürſten los, dem dieſe Un - ternehmung nicht eben ſehr erwünſcht kam. Doch auch an den ſchwäbiſchen Bund ſchloß er ſich darum nicht an: ſehr bald trat er vielmehr mit den fränkiſchen Rittern, die dieſer anfeindete, in das engſte Verſtändniß. Eben hierin liegt das Großartige ſeiner Haltung. Wir ſahen wie ſich einige Jahre früher Wirtenberg, die Pfalz, Würz - burg dem ſchwäbiſchen Bunde entgegenſetzten und dabei auch die Ritterſchaft auf ihrer Seite hatten. Jetzt hatten ſich die Fürſten genöthigt geſehen in den Bund zu treten: Wirtenberg war beſiegt worden: Sickingen und die Ritter - ſchaft hielten die Oppoſition allein aufrecht. Der Gedanke er - hob ſich in ihnen noch einmal die alten Grundlagen der Un - abhängigkeit des Adels zu beleben, ſich der Territorialherr - ſchaft geiſtlicher und weltlicher Fürſten zu entledigen, der neuen religiöſen Überzeugung Bahn zu brechen. Es iſt die eigenſte Combination: mitten in den Gewaltſamkeiten die man begeht, hat man doch einen lebendig offenen Sinn für groß - artige Ideen: eben in dieſer Verbindung beſteht das Weſen des Adels jener Zeit. Indeſſen war man weder geiſtig ſo kraftvoll, noch politiſch ſo mächtig, um Gedanken dieſer Art durchzuführen. Wie Sickingen endlich das Fürſten -120Drittes Buch. Viertes Capitel.thum nun entſchieden angreift, erheben ſich gewaltigere Mächte wider ihn: die Pfalz läßt ihn nicht allein fallen, ſondern ſie verbindet ſich ſogar mit ſeinen Gegnern zu ſei - nem Verderben. 1So ſahen das auch die Zeitgenoſſen an: wie das Geſpraͤch zwiſchen Fuchs und Wolf beweiſt. Wolf: Wie mainſtu hat der Pfalz - graff gethon, wir wolten gut feiſte Boͤlz erlangt han? Fuchs: Es iſt bei Got war, derſelb hat uns allein den Schaden thon des wir uns nit verſehen.Da muß er erfahren, daß er doch nicht ſo mächtig iſt wie er glaubte, daß die Kräfte die ihn ge - hoben, nicht ganz die ſeinen ſind, und ſich vielmehr wider ihn wenden: in dieſem Conflict geht er unter.

Die Eroberung von Landſtein war ein Sieg des Für - ſtenthums über das Ritterthum, des Geſchützes über die Burgen, in ſofern der neuen Zeit über die alte, eine Be - feſtigung der einmal emporgekommenen ſelbſtändigen Ge - walten im Reiche.

Alle Burgen Sickingens und ſeiner Freunde fielen nun in die Hände der Fürſten. Mit denen, welche im Herbſt erobert worden, ſind es im Ganzen 27. Was auf dem rechten Rheinufer lag, fiel dem Landgrafen zu, was auf dem linken theilten der Pfalzgraf und der Erzbiſchof. Auf der Ebernburg, dem einzigen Schloß das ſich eine Zeit - lang hielt, machte man eine prächtige Beute, herrliche Kleinodien zu weltlichem und geiſtlichem Gebrauch: vor allem 36 Stück Geſchütz, das ſchönſte die Nachtigall, vom Meiſter Stephan in Frankfurt gegoſſen, 13½ Schuh lang, bei 70 Centner ſchwer, mit dem Bilde des Ritters, ſeiner Gemahlin, ihrer beiderſeitigen Ahnen, und des Heiligen den ſie früher vor allem verehrten, des h. Franz. 2Bericht bei Spalatin: a. a. O. p. 151.Dieſe er -121Die fraͤnkiſche Ritterſchaft.hielt bei der Theilung der Landgraf. Die Fürſten verpflich - teten ſich, was ſie mit einander gewonnen, auch mit ein - ander zu behaupten. Hierauf ſchieden ſie am 6ten Juni von einander.

In demſelben Augenblick hielt der ſchwäbiſche Bund eine Verſammlung zu Nördlingen, wohin er die des Land - friedensbruches angeklagten fränkiſchen Ritter vorgeladen. Einigen gelang es wirklich ſich zu reinigen: andere waren zwar erſchienen, aber ohne mit ihrer Entſchuldigung durch - zukommen, ſie wurden nicht zum Eid gelaſſen: nicht we - nige hatten es überhaupt verſchmäht ſich vor den Bundes - räthen zu ſtellen. 1Schreiben von Noͤrdlingen im Dresdner Archiv Anf. Juni 1523: der Bund geht teglich zwir in Rath; vorzuͤglich Muͤllners Annalen, welche ein Tagebuch des ganzen Zuges enthalten.Gegen die beiden letzten Claſſen ver - ſammelte ſich am 15ten Juni zu Dünkelſpiel ein Heer von 1500 zu Pferd, 15000 z. F.: unter dem Feldhauptmann Georg Truchſeß: die Städte Augsburg, Ulm und Nürn - berg lieferten das Geſchütz. 2Nuͤrnberg gab 2 Scharfmetzen, 2 Carthaunen, 2 Nachti - gall, 2 Nothſchlangen, 6 Feldſchlangen, 6 Halbſchlangen, 60 Hacken auf Boͤcken.Einer ſo gewaltigen Kriegs - macht war nun jene Ritterſchaft nicht gewachſen. Für das feſteſte Schloß in Franken ward Bocksberg unfern Mer - gentheim gehalten und dahin wandte ſich auf den Rath der Nürnberger der Zug zuerſt; die Roſenberge, denen es gehörte, hatten anfangs ſich zu wehren gedacht, eine Schaar Landsknechte geworben und Büchſenmeiſter für ihr Geſchütz angenommen: als ſie dieſe Übermacht ſahen, gaben ſie den Widerſtand auf: das Schloß ward mit ſeinen ganzen Vor - räthen ohne weiteres überliefert. Da wagte auch kein an -122Drittes Buch. Viertes Capitel.deres zu widerſtehn. Der Absberg ward ausgebrannt; in jenem Krügelſtein war ein feſter Thurm, noch oben im Um - gang acht Schuh dick, man hob ihn mit Pulver aus dem Grund; Waldſtein, mitten in ſeiner Wildniß, wohin frü - her mancher Gefangene hatte wandern müſſen, ward von dem Hauptmann der Stadt Augsburg, Wolf von Frei - berg zerſprengt und zerſtört; es werden 26 Schlöſſer ge - zählt, die in Beſitz genommen wurden, denen großentheils daſſelbe geſchah. Es waren einige böhmiſche Lehen dabei, und anfangs hatten die Böhmen Miene gemacht am Ge - birge zu widerſtehn: allein der Bund befahl ſeinem Haupt - mann, darauf keine Rückſicht zu nehmen, ſondern nach ſeinen Inſtructionen zu verfahren: worauf die Böhmen zu - rückwichen und er ſeinen Auftrag vollſtändig ausführte.

Es war eine allgemeine Niederlage der unabhängigen Ritterſchaft. Eben indem ſie von religiöſem Feuer ergrif - fen, ſich eine neue Bahn zu eröffnen gedachte, ward ihre Macht auf immer gebrochen.

Es ſteht hiemit in innerm Zuſammenhange, daß der Mann der zuerſt die ritterliche Streitbarkeit mit der gei - ſtigen Bewegung in Verbindung gebracht, Ulrich von Hut - ten, nun auch in die Kataſtrophe verwickelt wurde. An den Unternehmungen Sickingens hatte er den unberechen - baren Antheil eines rathgebenden, antreibenden Freundes genommen: nothwendig ward er nun auch von der Nie - derlage betroffen. Seine Verwandten durfte er nicht mit ſeiner Anweſenheit gefährden, in Oberdeutſchland duldeten ihn weder die geiſtlichen noch auch nunmehr die ſiegreichen weltlichen Gewalten: wie andre nach Sachſen wanderte er123Tod Hutten’s.nach der Schweiz. Da kehrte ihm der ganze bittere und rathloſe Zuſtand wieder, den er ſchon in ſeiner Jugend einmal ausgehalten. Auch hier ward er nicht allenthalben gern geſehen, wir finden ihn von Ort zu Ort weichen: er war in der unglücklichen Nothwendigkeit, die Hülfe und das Geld ſeiner literariſchen Freunde in Anſpruch zu neh - men: Manchem ſchien ſchon ſeine Nähe verderblich: Eras - mus, der ſeine vornehmen Verbindungen ſorgfältig auf - recht erhielt, erſchrak bei dem Gedanken, von ihm einen Beſuch zu bekommen, vermied ihn, ſtieß ihn zurück; überdieß hatte ihn ſeine Krankheit noch einmal furcht - bar überfallen. Noch ließ der alte Streiter den Muth nicht ſinken. Eben gegen Erasmus, den er als einen Ab - gefallenen betrachtete, ergoß er noch einmal alle Heftigkeit ſeiner Rhetorik. Allein ſo gewaltſamen Erfahrungen und Anſtrengungen war er jetzt nicht mehr gewachſen. Ehe er noch die Antwort des Erasmus zu Geſichte bekam, machte die Krankheit ſeinem Leben ein Ende, zu Ufnau auf dem Zürcher See, wohin ihn Zwingli an einen in der Heilkunde erfahrenen Pfarrer empfohlen hatte. 1Zwingli an Wolfhardt 11 Oct. libros nullos habuit, su - pellectilem nullam praeter calamum. Epp. p. 313.

Ein Glück für Luther, daß er mit der Ritterſchaft nicht in engeren Bund getreten war. Die Ungunſt dieſes Geſchickes würde auch ihn und die Lehre die er verkündete betroffen haben.

Kehren wir dahin zurück wovon wir ausgiengen, ſo liegt am Tage, daß dieſe ganze Entwickelung nun vor al - lem dem Reichsregiment unerwünſcht ja gefährlich ſeyn mußte. Für Sickingen hätte es zwar niemals etwas thun124Drittes Buch. Viertes Capitel.können, da es ſich durch ſeine Achtserklärung die Hände ge - bunden hatte: die Ritterſchaft aber hätte es gern in Schutz genommen; allein was vermochte es gegen zwei ſo gewal - tige Heere, wie ſie jetzt zu Feld lagen, das des Bundes und das der Fürſten? Auch nahmen dieſe Gewalten durch ihren Sieg verſtärkt nunmehr eine doppelt trotzige ja feind - ſelige Haltung. Die Fürſten erklärten das zu Gunſten des Frowen von Hutten ausgefallene Urtel für nichtig und un - rechtmäßig,1Planitz 22 Juli. Er meint, unter ſolchen Umſtaͤnden werde das Regiment nicht lange beſtehen: denn der dreier Fuͤrſten und des Bunds Vornehmen will ſich mit unſern gethanen Pflichten gar nicht leiden. ſie verwarfen das Verfahren des Regimentes in dieſer und in allen andern Sachen.

Und indem geſellte ſich dieſer drohenden Feindſeligkeit noch eine andre von nicht minderer Bedeutung hinzu.

Die Städte und der kaiſerliche Hof.

Eben unter dieſen Umſtänden hätte es nun höchſt ein - flußreich werden müſſen, wenn jener Zoll, durch welchen dem Regiment eine bei weitem größere Macht zufallen mußte, eingerichtet worden wäre. Man hätte nicht daran zweifeln ſollen: die Stände hatten ihn beſchloſſen, der Kai - ſer ſchon im Voraus ſeine Zuſtimmung gegeben. Ein Fou - rier des Statthalters hatte bereits Acten und Abſchied des Reichstags nach Spanien überbracht.

Allein wir wiſſen, wie ſehr ſich die Städte dadurch verletzt und gefährdet glaubten: ſie waren entſchloſſen, ſich in dieſe Einrichtung nicht gutwillig zu ergeben.

Auch noch gar manche andere Beſchwerden hatten ſie.

125Oppoſition der Staͤdte.

Schon im Jahre 1521 war der Beſchluß über den Römerzug gefaßt worden, ohne daß man wie herkömmlich die Städte zur Mitberathung gezogen hätte. Die Städte ſäumten nicht ſich zu beſchweren: man gab ihnen noch eine Erklärung die ſie zufrieden ſtellte.

Seitdem aber war nun durch die Verſuche, die Be - dürfniſſe des Reiches mit Steuern zu decken, welche den Städten beſonders zur Laſt gefallen wären, durch den ent - ſchloſſenen Widerſtand den dieſe dagegen leiſteten, durch die Angriffe auf die Monopolien auf der einen, das Feſt - halten derſelben auf der andern Seite der üble Willen zwi - ſchen den Städten und den höhern Ständen gewachſen: auf dem Reichstag von 1522, 23 kam er zu völligem Ausbruch.

Am 11ten Dez. 1522 war eine allgemeine Verſamm - lung der Stände angeſagt: um die Vorſchläge welche Re - giment und Ausſchuß über eine den Ungern zu bewilligende Hülfe gemeinſchaftlich machen wollten zu vernehmen und zu berathſchlagen. Sonſt war die Sitte, daß nach ge - ſchehenem Vorſchlag das Regiment abtrat und die drei Collegien ihn in Berathung zogen. An dieſem Tag aber trat das Regiment nicht ab: ohne Auseinandertreten ward der Antrag deſſelben von Churfürſten und Fürſten geneh - migt: ſo ward er den Städten vorgelegt. Die Städte, bei Vorſchlägen dieſer Art beſonders ſtark betheiligt und ſchon immer etwas ſchwierig, baten ſich Bedenkzeit aus, nur bis Nachmittag. Da empfiengen ſie nun eine Ant - wort welche ſie nicht erwarteten. Man ſagte ihnen: der Gebrauch im Reiche ſey, was Churfürſten Fürſten und126Drittes Buch. Viertes Capitel.andre Stände beſchloſſen, das laſſe man ſich auch von Seiten der Städte gefallen. Die Städte dagegen mein - ten: ſollen ſie Lieb und Leid mit andern Ständen tragen, ſo müſſe man ſie auch zu den Berathſchlagungen ziehen: ſolle man thaten, müſſe man auch rathen. Beſonders die Geldhülfe war es, gegen die ſie ſich ſetzten: auch ſie woll - ten nur Mannſchaft ſtellen. Allein auf eine Eingabe, die ſie deshalb machten, ward in der Ständeverſammlung keine Rückſicht genommen: es ward ein Mandat verfaßt, worin ihnen die Leiſtung einer Hülfe die ſie nicht verwilligt hat - ten, angemuthet wurde: ſie baten ſich aufs neue Bedenk - zeit aus: man wiederholte ihnen, das ſey ſo nicht herge - bracht; ſie dachten zu antworten: da ſchlug es eilf Uhr und die Sitzung ward aufgehoben. 1Schreiben von Holzhauſen an Frankfurt Dez. 1522. Frankf. A. Bd 36, beſonders f. 110 die Supplik der Staͤdte.

Die Städte waren hierüber um ſo mehr betreten, da man ihnen zugleich ſagte, nur aus Gnaden ſey es, daß man zwei ihrer Abgeordneten in den Ausſchuß nehme, wäh - rend von den Grafen nur einer zugelaſſen werde: ſie glaub - ten, es ſey wohl die Abſicht, ſie auch von den Ausſchüſ - ſen auszuſchließen. Sie hatten im Jahr 1487 ihre alte Standesoppoſition aufgegeben, weil ihnen durch Vermittelung Churfürſt Bertholds weſentlicher Antheil an den Berathun - gen verſchafft wurde: und wir wiſſen, wie eingreifend dieſer zu Zeiten war: jetzt glaubten ſie, man wolle ihnen alle ihre Rechte entreißen und nur die Verpflichtungen feſt halten.

Da nun in Hinſicht auf die Monopolien und den Zoll Beſchlüſſe gefaßt wurden, die ihren Gewerben höchſt127Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.nachtheilig zu werden drohten, da eine neue Supplication, in der ſie ihre alten und neuen Beſchwerden zuſammen - faßten, ſo vergeblich war wie die frühern, ſo beſchloſſen ſie, ſich aus allen ihren Kräften zur Wehre zu ſetzen.

Sie weigerten ſich ſtandhaft, in die Beſchlüſſe des Reichstags zu willigen: eine Anleihe die man ihnen an - muthete, und die von dem Ertrage der Auflage zum Tür - kenzug wieder erſtattet werden ſollte, lehnten ſie hartnäckig ab. Hierauf ließen ihnen auch die Fürſten ihren Unwillen fühlen. Die Reichsſtädte, ſchreibt der Frankfurter Ge - ſandte,1Holzhauſen 25, 26, 29 Januar 1523: Bd 37 der Frankf, AA., hier meine Hauptquelle. ſcheiden in großen Ungnaden ab: die Zeit wird lehren was daraus entſteht: meine Heimfahrt wird mir ſchwer.

Da war es nun ein Glück für die Städte, daß die Beſchlüſſe der Stände nicht ſogleich Geſetzeskraft erlangten, daß ſie erſt nach Spanien geſchickt und dem Kaiſer zur Beſtätigung vorgelegt werden mußten. Eine andre Hülfe gab es nicht für ſie. Im März 1523 kamen die Städte in Speier zuſammen, und beſchloſſen, wie ihrer übrigen Beſchwerden ſo beſonders des Zolles wegen, eine eigene Geſandtſchaft an den Kaiſer nach Spanien zu ſenden.

Glücklicherweiſe haben wir einen Bericht über dieſe Geſandtſchaft übrig, dem wir wohl einen Augenblick folgen dürfen, da er uns an einem Beiſpiel vergegenwärtigt wie die deutſchen Angelegenheiten am kaiſerlichen Hofe in Spa - nien getrieben wurden.

Die Reiſe war doch ſehr beſchwerlich und langſam. 128Drittes Buch. Viertes Capitel.Am 15ten Juni vereinigten ſich die Geſandten in Lyon: erſt am 6ten Auguſt langten ſie in Valladolid an. Vor - nehmlich die drückende Hitze, von der einige Mitglieder ſo - gar erkrankten, hatte ſie aufgehalten.

Sie begannen damit, außer Markgraf Johann von Brandenburg und dem Großcanzler vor allem die Räthe aufzuſuchen, welchen die deutſchen Geſchäfte übertragen wa - ren, Hr. v. Röſch, Hannart, den Propſt Märklin von Waldkirchen, Maximilian von Zevenberghen.

Hierauf, am 9ten Auguſt, ertheilte ihnen der Kaiſer in Gegenwart einer glänzenden Verſammlung von Gran - den, Biſchöfen und Botſchaftern eine feierliche Audienz. Sie redeten ihn lateiniſch an: in dieſer Sprache antwor - tete ihnen in des Kaiſers Namen der Großcanzler.

Die Geſchäfte mit ihnen zu beſprechen, ward dann einer Commiſſion übertragen, die eben aus den genannten vier deutſchen Räthen beſtand: am 11ten Aug. begannen die Verhandlungen.

Die Geſandten hatten ihre Beſchwerden in 6 Artikeln zuſammengefaßt über Seſſion, Zoll, Kriegshülfe, Land - frieden, Monopolien, und einige minder bedeutende Sa - chen, die ſie den Commiſſarien zugleich deutſch und latei - niſch vorlegten und alsdann mit ihnen durchgiengen. Da - bei hatten ſie Gelegenheit, ihre Wünſche mündlich vorzu - tragen.

Die Räthe zeigten ſich anfangs abgeneigt. Sie fan - den es unbillig, daß man die Frage über die Seſſion jetzt erſt, zu den Zeiten dieſes jungen Kaiſers in Anregung bringe, beklagten es, daß im Reiche Niemand etwas thunwolle129Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.wolle, da ſich doch weder Regiment noch Gericht ohne Leiſtungen der Stände aufrecht erhalten laſſe; und forder - ten die Städte auf, ſich noch eine kurze Zeit zu fügen, ſich auch der Reichshülfe zu Gunſten der Ungern, welche der Reichstag beſchloſſen, nicht zu entziehen. Wirklich war bereits auf den Betrieb eines andern kaiſerlichen Rathes, des Doctor Lamparter eine Beſtätigung der Reichsſchlüſſe vorläufig entworfen worden. Allein die Geſandten ließen ſich ſo leicht nicht abweiſen. Die Städte, erklärten ſie, ſeyen bereit das Ihre zu leiſten, z. B. zwei Beiſitzer bei dem Kammergericht zu beſolden, oder auch den Coſtnitzer Anſchlag zu erlegen, aber nicht gemeint, die Unbilligkeiten zu dulden, die man gegen ſie in Gang bringe. Dieſe Er - klärung unterſtützten ſie dann mit einigen beſonders ein - dringlichen Bemerkungen. Wer könne vorausſagen, wie es mit den Zolleinkünften gehen werde? Man höre, ſchon ſey ein Anſchlag der Fürſten gemacht, ſie unter einan - der zu theilen. Aber wenn auch nicht man gehe damit um, einen römiſchen König zu wählen, der vermöge dieſes Einkommens im Stande ſeyn werde ſich zu behaup - ten. Genug ſie hoben hervor, daß der Zoll dem Kaiſer ſelber gefährlich werde: ſie machten ihn überdieß aufmerk - ſam, daß das Regiment nicht zum Beſten des Kaiſers be - ſetzt ſey; den Räthen perſönlich verſprachen ſie, ſich we - gen ihrer Mühe dankbarlich mit ihnen zu vergleichen.

Hiemit hatten die Städte nun eben die Mittel getrof - fen, durch die man am kaiſerlichen Hofe etwas ausrichtete.

Bei der nächſten Zuſammenkunft gab ihnen der Propſt von Waldkirchen nicht undeutlich zu verſtehen, der KaiſerRanke d. Geſch. II. 9130Drittes Buch. Viertes Capitel.ſey nicht geneigt den Zoll aufzurichten, als eine gehäßige Sache, auch denke er nicht das Regiment beizubehalten; aber er frage, wenn S. Mt die Regierung ſelbſt in die Hand nehme, was dann die Städte für Dieſelbe zu thun geſonnen ſeyen? Die Geſandten erwiederten, wenn der Kaiſer ihnen willfahre und hernach ein leidliches Anſinnen an die Städte mache, ſo werde man ſich dankbar und un - terthänig beweiſen. Waldkirchen erinnerte, man ſehe aus den alten Regiſtern, daß den letzten Kaiſern bei ihrer Thron - beſteigung von den Städten ein Ehrengeſchenk gegeben worden, warum habe man nur für dieſen jungen Kaiſer nichts gethan? Der ſetze ſein ganzes Vertrauen auf die Städte: wären nur die Kriege nicht, ſo würde er mit ihnen einen graden und königlichen Weg wandern.

Auch noch eine andre Sache kam hiebei zur Sprache. Der päpſtliche Nuntius hatte ſich beklagt, daß man zu Augsburg, Strasburg und Nürnberg den Lehren Luthers anhange und deſſen Bücher drucke. Die Geſandten hier - über zur Rede geſtellt, leugneten die Thatſache. Sie ver - ſicherten, daß ſeit mehreren Jahren nicht ein Buchſtabe von Luther bei ihnen gedruckt worden: durchziehende fremde Verkäufer dieſer Schriften habe man ſogar beſtraft: ſo ſehr der gemeine Mann nach dem Evangelium dürfte, die Men - ſchenlehre verwerfe, ſo ſeyen es doch die Städte nicht, bei denen Luther Schutz finde: man wiſſe wohl, wer ihn ver - theidige: die Städte ſeyen geſonnen nach wie vor der chriſt - lichen Kirche als chriſtliche Glieder anzuhängen.

Hierauf verſtändigte man ſich über die wichtigſten Puncte. Am 19ten Auguſt ward eine nochmalige Zuſam - menkunft der geſammten Commiſſion mit den Geſandten131Die Staͤdte und der kaiſerliche Hof.gehalten, der jetzt auch der Graf von Naſſau beiwohnte. Nachdem man die Thüren ſorgfältig verſchloſſen, ward den Geſandten eröffnet, der Kaiſer beabſichtige, die Regierung in ſeine Hand zu nehmen, einen tapfern Statthalter und ein ſtattliches Kammergericht zu verordnen: den Zoll aber nicht zur Ausführung kommen zu laſſen.

Die Bewilligung einer beſtimmten Summe ward den Geſandten erlaſſen: aber ſie verſprachen, mit Hannart, der als kaiſerlicher Commiſſar nach Deutſchland kommen werde, ein Abkommen zu treffen.

Auch wegen der Monopolien hatten die Geſandten, nicht eigentlich im Auftrag der geſammten Städte, aber im Namen der großen Geſellſchaften, zu unterhandeln. Die Allgewalt des Geldes und der Geldbeſitzer führte ſie ſehr bald zum Ziel. Dem Regiment ſollte aufgegeben werden, auch in Hinſicht der Monopolien keinen Beſchluß zu faſ - ſen, ohne nochmals bei S. Mt angefragt zu haben. 1Der gemeynen Frey und Reichs Stadt Potſchafften Hand - lung bey Romiſch Kayſerl. Majeſtadt zu Valedolid in Caſtilia. Im Monat Auguſti anno 1523. In den Frankf. AA. Tom. XXXIX fol. 39 56.

Hierauf, nach wohl ausgerichtetem Auftrag, verließen die Geſandten Spanien. In Lyon hatten ſie eine Audienz bei König Franz I, der ſeinen Unmuth über den Kaiſer gegen ſie ausſchüttete. Im Dezember langten ſie in Nürn - berg an, wo ſich eben ein neuer Reichstag verſammelte.

Die Summe iſt: zwiſchen den Städten und dem kai - ſerlichen Hofe war es zu einer Vereinbarung gegen den bisherigen Gang der Reichsverwaltung überhaupt, beſonders aber gegen das Regiment gekommen.

9*132Drittes Buch. Viertes Capitel.

Und war es nicht ſehr natürlich, daß die Hofräthe, die von Anfang mit dieſer Verwaltung in Competenzen ge - rathen waren, die in dem Innern ausgebrochenen Mißhel - ligkeiten benutzten um ſich derſelben zu entledigen?

Auch noch einen ganz beſondern Grund hatten ſie dazu. Wie die Städte es andeuteten, in Deutſchland war wirklich der Gedanke rege geworden, einen römiſchen - nig zu ernennen. Der eigene Bruder des Kaiſers war es, den man dazu beſtimmte: Ferdinand von Öſtreich. Man glaubte, ſo viel ich dieſe Sache überſehen kann,1Ich ſchoͤpfe aus einem Convolut des Weimariſchen Archivs, in welchem ſich eine Anzahl zerſtreuter Schreiben der vornehmſten Raͤthe des Erzherzogs an Churf. Friedrich finden, von denen ich in dem Anh. weitern Bericht zu thun gedenke. er werde im Einverſtändniß mit dem Regiment, in den Formen der gegründeten Verfaſſung regieren. Und am Tage liegt, daß dieſe erſt dadurch, daß man ein nicht ſehr mächtiges, von ihr abhängiges Oberhaupt in Deutſchland gehabt hätte, zu ihrer Vollendung gediehen wäre. Kein Wunder aber, daß man die Anregung einer ſolchen Idee in Spanien ſehr übel empfand: es hätte faſt eine Abdankung des Kaiſers darin gelegen.

Auch übrigens war man dort mit Ferdinand ſchlecht zufrieden. Er machte unaufhörlich Anforderungen; nicht ſelten liefen Beſchwerden gegen ihn ein; man hielt in Spa - nien ſeinen vertrauteſten Rathgeber Salamanca für eben ſo eigennützig als ehrgeizig. Als Hannart nach Deutſch - land gieng, bekam er den Auftrag, Salamanca wo möglich zu entfernen und ſich allen jenen hochfliegenden Plänen zu widerſetzen.

133

Reichstag von 1524.

Sahen wir früher welche große Intereſſen des Staates und der Religion ſich an das Beſtehen des Regimentes knüpften, ſo ſehen wir nun wie mächtige entſchloſſene Op - poſitionen ihm entgegentraten.

Drei kriegeriſche, ſiegreiche Fürſten: der ſchwäbiſche Bund, der über ſo bedeutende Kräfte gebot: die reichen Städte: endlich, was freilich noch Niemand wußte, die kaiſerliche Gewalt, die erſt durch den Fall dieſer ſtändiſchen Behörde wieder zu voller freier Wirkſamkeit zu gelangen hoffte.

Auch das Regiment hatte jedoch noch ſeine Stützen. Erzherzog Ferdinand verſprach, es nicht fallen zu laſſen, und einige ſeiner Räthe waren entſchiedne Anhänger deſ - ſelben. Knüpften ſich doch für ihn und für ſie ſo große Ausſichten daran. Der Churfürſt von Sachſen, dem es hauptſächlich ſein Daſeyn verdankte, kam in Perſon an den Reichstag um es aufrecht zu erhalten. Der Churfürſt von Mainz, der durch die drei Fürſten Gewalt erlitten, und das ganze brandenburgiſche Haus ſtanden auf ſeiner Seite. An Sympathien in der Ritterſchaft, deren Hof - nungen allein auf das Regiment ſich gründen konnten, und in den Männern der religiöſen Neuerung fehlte es ihm nicht.

Daher trat es denn auch noch immer ſehr ſicher auf. Aller Veränderung in den Perſonen zum Trotz erhielt ſich die einmal zu Stande gebrachte Majorität: wer nicht zu ihr gehörte, wie der Canzler von Trier, Otto Hundt von134Drittes Buch. Viertes Capitel.Heſſen, entfernte ſich lieber. 1Otto v. Pack an Herzog Georg von Sachſen Freitag nach Luciaͤ (Dresdn. A.) meint, ſie ſeyen ausgebiſſen. Darnach wiſ - ſen E. F. Gn. wer die andern ſeint, welche alle E. F. Gn. Abwe - ſen wol erdulden koͤnnen. Der Fiscal leitete den Pro - ceß gegen die großen Geſellſchaften ein. Es ward an ei - nem Strafurtel gegen die drei Fürſten gearbeitet. Dem Reichstag, welcher am 14ten Januar 1524 eröffnet ward, legte man die wichtigſten Propoſitionen vor, über die Mit - tel Regierung und Gericht zu erhalten, die Ausführung der Executionsordnung, die peinliche Gerichtsordnung und mehrere andre. 2Frankfurter Acten Band 39, in dem die Actenſtuͤcke, Bd 40, in dem die Briefe Holzhauſens von dieſem Reichstag enthalten ſind.

Allein für jede Gewalt der Welt iſt es ein Unglück, keine großen Erfolge für ſich zu haben. Das Regiment war ſchon in Nachtheil. Es hatte den Landfrieden nicht handhaben, weder Sickingen noch deſſen Gegner in Zaum halten können: der große Zoll-entwurf, auf den alles gegrün - det werden ſollte, war geſcheitert. Und jetzt erhob ſich An - griff auf Angriff.

Am 1ſten Februar erſchien der Anwalt der drei Für - ſten, Dr Venningen in der allgemeinen Verſammlung der Stände, und hielt einen langen, bittern und anzüglichen Vortrag wider das Verfahren des Regimentes.

Ein Befehl des Kaiſers ward vorgelegt, kraft deſſen der gegen die Kaufmannsgeſellſchaften begonnene Proceß eingehalten ward: der Hof in Spanien forderte die Acten in dieſer Sache an ſich.

Schon langte auch Hannart an. Er hielt ſich von135Reichstag von 1524.Anfang an die Gegner des Regimentes, den Churfürſten von Trier, in deſſen Begleitung er kam, die Städte, von denen er ein Geſchenk von 500 G. empfieng;1Schreiben Ferdinands bei Bucholtz II, 46. dem Erz - herzog begegnete er bei der erſten Zuſammenkunft nicht mit alle der Ehrerbietung die dieſer erwartete; er hatte kein Hehl daß der Kaiſer die Auflöſung der jetzigen Regierung wünſche.

Unter dieſen Umſtänden begannen nun die Berathun - gen in der Ständeverſammlung; bei dem Artikel über die zur Erhaltung des Regimentes nöthige Bewilligung mußte die Sache zur Entſcheidung kommen.

Das Regiment war doch der Ausdruck der ſtändiſchen Macht: war es zu glauben, daß die Stände ſelbſt ihre Hand dazu bieten würden, es aufzulöſen?

Wir haben wahrgenommen, daß das Regiment ſich in den frühern Reichsverſammlungen die Majorität verſchaffte, aber auch wie viel Mühe das machte, wie ſehr ſie ſchwankte. Jetzt waren nun eine Menge neue Antipathien hinzuge - kommen: die Intereſſen aller jener Fürſten und Städte, des Geldes und der Religion. Ungemein iſt doch der Ein - fluß der großen Geldbeſitzer auch in dieſer Zeit. Die Fug - ger begünſtigten die Wahl Carls V; wahrſcheinlich trugen ſie bei, die Bulle Leos X gegen Luther zu provociren; ſie vermittelten die Verbindung der mißvergnügten Städte mit dem Hofe; durch ſie hauptſächlich fiel der Entwurf des Zolles; jetzt waren ſie ſo kühn, die Sache der Monopole, wo ſo viele Reichsſchlüſſe gegen ſie ergangen, zu einer Anklage gegen das Regiment zu benutzen: denn, ſagten ſie, dieſe Behörde habe richterliche Befugniß darin aus -136Drittes Buch. Viertes Capitel.üben wollen, während das doch allein dem Kammergericht zuſtehe. 1Holzhauſen 12 Febr. 1524. Aus dieſem Schreiben ergiebt ſich, daß in der Monopolienſache nur Augsburg den Reichsbeſchluͤſ - ſen Widerſtand leiſtete. Alle uͤbrigen Staͤdte waren fuͤr die Abſchaf - fung derſelben. Dr Rolinger hatte den die Monopolien betreffenden Artikel eigenmaͤchtig in die den Geſandten nach Spanien mitgegebene Inſtruction gebracht.Der Biſchof von Würzburg warf dem Regi - mente unverholen Begünſtigung der neuen Meinungen vor: ein paar Capitularen, die er vor das geiſtliche Ge - richt geſtellt, weil ſie ſich verheirathet, habe es freigegeben: einen Chorherrn, der wegen lutheriſcher Grundſätze verjagt worden, habe es mit ſicherm Geleite unterſtützt. So vie - len feindſeligen Einflüſſen gegenüber war doch die bishe - rige Majorität nicht compact genug. Nach einigen De - batten einigem Schwanken ſchlug ſie zum Nachtheil des Regimentes um. So weit gieng man zwar nicht, daß man gradezu auf die Auflöſung deſſelben angetragen hätte, man beſchloß aber, am 20ſten Februar, über ſeine Erhal - tung nicht berathſchlagen zu wollen, wofern es nicht vor allen Dingen anders beſetzt ſey: in die bisherige Beſetzung könne man nicht mehr willigen.

Auch damit aber war doch ſchon die Sache entſchie - den. Es kam darauf an, aus der Mitte der Stände eine kräftige Regierung hervorgehn zu laſſen: was ließ ſich aber in Zukunft erwarten, wenn die Mitglieder des bisherigen Collegiums, welche ihre Pflicht ſehr ernſtlich genommen und wirklich einmal zu regieren angefangen hatten, abgeſetzt wurden, ohne daß man ihnen irgend eine der Rede werthe Verſchuldung hätte nachweiſen können. Welchen Muth, welche Selbſtändigkeit konnten Deren Nachfolger haben!

137Reichstag von 1524.

Es zeigte ſich aufs neue, daß die mächtigen Stände, welche das Reich ausmachten, von Einem Mittelpunct aus nicht zu regieren waren.

Friedrich der Weiſe von Sachſen fühlte die ganze Be - deutung dieſes Beſchluſſes. Die Idee einer ſtändiſchen Re - gierung, für welche er alle ſeine Lebtage gearbeitet, ſah er am Ende ſeiner Tage ſcheitern. Er ſagte: einen ſolchen Reichstag habe er noch nicht erlebt:1Wenigſtens entſchuldigte ihn der Dompropſt von Wien gegen Campeggi, der nach dem Grunde ſeiner Abweſenheit fragte, mit dieſen Worten. Schreiben von Wolfſtal 14 Maͤrz. Weimar. Arch. Die Ita - liener meinten, er ſey gegangen, eben weil der Legat gekommen, assai sdegnato wie der Venezianer Ziani ſich ausdruͤckt, Disp. 29 Martio. Derſelbe bemerkt daß Nuͤrnberg ſchon voͤllig vom Katholicismus abge - fallen: Di qui è totalmente scancellata la sincera fede. er verließ ihn am 24ſten Februar: er iſt nie wieder auf einem erſchienen.

Noch weigerte ſich zwar Erzherzog Ferdinand in den Beſchluß zu willigen: er hat ſogar die Städte noch ein - mal perſönlich für das Regiment zu gewinnen geſucht; al - lein nach einiger Zeit bemerkt der ſächſiſche Geſandte, ſeine Räthe ſeyen über dieſe Sache nicht mehr derſelben Mei - nungen: es ſcheint als habe Hannart, ſtatt Salamanca zu ſtürzen, ihn vielmehr auf ſeine Seite gezogen: die Zu - ſchrift wenigſtens, durch welche der Kaiſer den Churfürſten von Sachſen aufforderte, zur Entfernung Salamancas mit - zuwirken, lieferte er demſelben nicht aus: endlich wirkte das auch auf Ferdinand: nachdem er neun Wochen feſt - gehalten, ſchreibt der ſächſiſche Geſandte am 1ſten März, iſt er jähling abgefallen. Er gab zu, daß nicht ein einziges Mitglied des alten Regimentes in das neue auf - genommen werden dürfe. 2Nach einem Schreiben Wolf von Wolfſtals ſagte Ferdinand

138Drittes Buch. Viertes Capitel.

Auch das Kammergericht ward einer Reinigung un - terworfen. Man fragte nicht, ob die Beiſitzer fleißig oder nachläßig, geſchickt oder ungeſchickt ſeyen, ſondern nur, ob ſie dem Adel gegen die Fürſten beigeſtanden, ob einer den Fiscal in Verfolgung der Monopoliſten unterſtützt habe. Auch ihre religiöſe Haltung ward in Betracht gezogen. Dr. Kreutner, Aſſeſſor für den fränkiſchen Kreis, ward ſei - nes Amtes entlaſſen, weil er an einem Faſttage Fleiſch ge - geſſen, ohne Rückſicht darauf, daß er noch einen Rückſtand von mehr als 1000 G. zu fordern hatte.

Da kommen wir auf die Hauptfrage, in wie fern dieſe große Veränderung auf die Behandlung der religiöſen Angelegenheiten zurückwirkte. Die Sache des Regiments und der religiöſen Neuerung war, wie wir auch hier bei jedem Schritte ſehen, verbündet: wiewohl nicht ununter - ſcheidbar; es fragte ſich nun ob die Stände die das Re - giment fallen laſſen, auch der religiöſen Neuerung Ungunſt beweiſen würden.

Nach dem unerwartet frühen Tode Adrians VI war die ſtrengere Geſinnung, die ſich in ihm zu erheben be - gann, wieder beſeitigt worden. In Clemens VII hatte ein Papſt den Thron beſtiegen, der wie ſeine frühern Vor - gänger vor allem entſchloſſen war, die päpſtlichen Vor - rechte aufrecht zu erhalten, die weltlichen Kräfte des Kir - chenſtaats für perſönliche oder allgemeine politiſche Zwecke zu benutzen, ohne daß er ſich um die Nothwendigkeit einer Reform ernſtlich gekümmert hätte: einen Mann ſeiner eig -2ſchon am 17 April: daß Hannart ihn ſampt ihm ſelbſt verfuͤhrt, wie wenn ein Blinder den andern fuͤhrt.139Reichstag von 1524.nen Geſinnung, Lorenzo Campeggi ſendete derſelbe an den deutſchen Reichstag.

Campeggi fand Deutſchland, das er vor einigen Jah - ren noch im Glanze einer unerſchütterten, für heilig gehal - tenen Autorität durchzogen, in vollem Abfall begriffen. In Augsburg ward er verſpottet, als er bei ſeinem Einzug, dem Herkommen gemäß, mit erhobener Hand den Segen ertheilte. Hierauf rieth man ihm und auch er ſelbſt hielt für das Beſte, ohne alle Cerimonie in Nürnberg einzuziehen. Er kam ohne Cardinalshut: er machte kein Zeichen des Segnens, des Kreuzes: er ritt nicht nach der Sebaldus - kirche, wo die Cleriſei ſeiner wartete, ſondern ohne ſich aufzuhalten nach ſeiner Wohnung. 1Das Regiment ließ ihm ſagen: daß er ſeinen Segen und Kreuz zu thun vermeyd, angeſehen wie es deshalb jetzund ſtee. Fei - litzſch an Friedrich von Sachſen 11 Maͤrz.

Auch war es als ob ſeine Anweſenheit den Eifer der reformirenden Prediger ſtatt ihn zu dämpfen erſt recht ent - flammt hätte. Unter den Augen des Legaten bezeichneten ſie den Papſt als den Antichriſt. Am Palmſonntag wur - den keine Palmen geſtreut: in der Charwoche ward die Cerimonie der Niederlegung und Aufrichtung des Kreuzes unterlaſſen: bei Tauſenden nahm man das Abendmahl un - ter beiderlei Geſtalt. 2Planitz (28 Maͤrz) rechnet 4000. Iſt deshalb Muͤhe und Erbett, und ſunderlich, daß es des Regiments Perſonen eines Theyls alſo genommen. Er bemerkt daß Ferdinand uͤber das Bezeigen ſei - ner Schweſter ſehr unwillig ſey. Nicht weiß ich wie es gehn will. Nicht allein gemeine Leute thaten dieß: man bemerkte unter den Communicanten mehrere Mitglieder des Regimentes; ja die Schweſter des Erzher -140Drittes Buch. Viertes Capitel.zogs, Iſabella, Königin von Dänemark, auf dem Schloſſe zu Nürnberg, empfieng es auf dieſelbe Weiſe.

Es iſt wohl ſehr möglich, daß dieſe offenen Bezei - gungen in Ferdinand, auf den die neuen Doctrinen keinen Eindruck machten, wie er denn in der Strenge des ſpani - ſchen Katholicismus erzogen war, den Entſchluß, das Re - giment fallen zu laſſen, beförderten, und leicht mag es ſeyn, daß der päpſtliche Legat darauf Einfluß gehabt hat. We - nigſtens war der Fall des Regimentes, welches die neuen Meinungen in Schutz genommen, zugleich ein Vortheil für die Behauptung des Katholicismus.

Und vielleicht gründete der Legat hierauf die Hofnung, nun auch in den religiöſen Angelegenheiten überhaupt eine günſtige Entſcheidung der Stände hervorzurufen. Er be - ſchwerte ſich über die unter ſeinen Augen vorgenommenen Neuerungen. Er erinnerte die Stände an das zu Worms erlaſſene Edict: er könne nicht begreifen, wie es im Reiche zugehe, daß man Anordnungen dieſer Art doch ſo wenig ausführe. Auch Hannart forderte im Namen des Kaiſers die Beobachtung des Edictes.

Da zeigte ſich aber, daß bei dem bisherigen Gange der Dinge die Religion vielleicht bei Einzelnen mitgewirkt, jedoch die Sache keineswegs entſchieden hatte. Wären die politiſchen Beweggründe nicht geweſen, ihrer religiöſen Ten - denz halber würde man die Regimentsräthe niemals ab - geſetzt haben. Mit jenen Beſchwerden machte der Legat keinen Eindruck. Ein Theil iſt unwillig, ſchreibt Planitz, der mehrere Theil lacht. Die Städte, die ſo viel zum Sturze des Regiments beigetragen, geriethen bei der Er - innerung an das Edict in Feuer und Flammen. Sie er -141Reichstag von 1524.klärten: der gemeine Mann ſey voll Begierde nach dem Worte Gottes, es ihm entreißen zu wollen, würde Auf - ruhr, Blutvergießen und das allgemeine Verderben veran - laſſen: bei den Beſchlüſſen des vorigen Jahres müſſe man ſchlechterdings beharren. Mit einem Worte: in Sachen der Religion behauptete ſich die alte mit Rom unzufrie - dene Majorität in den Reichsſtänden. Bald nach ſeiner Ankunft erinnerte man den Legaten an die hundert Be - ſchwerden der Nation, welche man ſeinem letzten Vorgän - ger mitgegeben. Man hatte das in Rom erwartet, man hatte dem Abgeordneten die Inſtruction ertheilt, ſich an - zuſtellen als ſey die Beſchwerdeſchrift nicht wirklich im Namen der Fürſten in Empfang genommen worden. 1Pallavicini I, 222: che dissimulasse che la scrittura si fosse ricevulta per nome de principi. Demgemäß antwortete Campeggi mit ſehr unumwölkter Stirne, von jenen Beſchwerden ſey gar keine amtliche Kunde nach Rom gelangt: in drei Exemplaren möge der Druck nach Rom gekommen ſeyn, auch er habe eins ge - ſehen, ſich jedoch nicht überreden können, daß eine ſo übermäßig ungeſchickte Schrift von dem Reichstag aus - gegangen ſey. Eine Erklärung die ſich denn allerdings nicht eignete, die weltlichen Stände zu befriedigen, die es mit den ſo oft berathenen und ſo mühſam zu Stande gebrach - ten Beſchwerden ſehr ernſtlich gemeint hatten.

Auch das perſönliche Betragen des Legaten, dem man einen kleinlichen Geiz, empörende Übervortheilungen armer deutſcher Geiſtlichen Schuld gab, war ſeinen Unterhand - lungen nicht förderlich. 2Ausfuͤhrliche gleichzeitige Erzaͤhlung, wie der Legat durch das

142Drittes Buch. Viertes Capitel.

Als es nun zu den entſcheidenden Berathungen über die religiöſe Angelegenheit kam, ſo bewirkte wohl die Con - ſequenz des Geſchäftsganges, die Anweſenheit des kaiſerli - chen Commiſſars ſo viel, daß die Stände nicht in Abrede ſtellten, zur Ausführung des Wormſer Edictes verpflichtet zu ſeyn: allein ſie fügten dieſem Eingeſtändniß eine Clau - ſel hinzu, die doch wieder das Gegentheil enthielt: die Er - klärung: es ausführen zu wollen, ſo viel als möglich: eine Modification von ſo weitem Umfang, daß doch einem Jeden überlaſſen blieb was er thun wolle. Schon hatten die Städte weitläuftig vorgeſtellt, es ſey nicht möglich! Zugleich ward die Forderung eines Conciliums erneuert, welches der Papſt mit kaiſerlicher Bewilligung in deut - ſcher Nation ausſchreiben ſolle, und der Legat übernahm das bei S. Heiligkeit treulich zu fördern.

Konnte man ſich jedoch hiebei wirklich beruhigen? bei der allgemeinen Gährung der Geiſter das Zuſammen - treten einer in ſo weiter Ferne liegenden Kirchenverſamm - lung und ihre Beſchlüſſe erwarten? Konnte die deutſche Nation die Einheit ihrer antirömiſchen Tendenzen, die ſo tiefe Wurzeln geſchlagen, ſo weit aufgeben, um es auf die Reſultate einer Verſammlung aus allen Nationen ankom - men zu laſſen?

Eben in dem Augenblicke, als die Vertreter der re - formatoriſchen Abſichten, die im Regiment ſaßen, geſtürzt2Verſprechen einer Pfruͤnde den geſchickten armen Schoner dahin ge - bracht, ihm ſeine mathematiſchen Inſtrumente zu verehren, und ihm dann weder die Pfruͤnde verſchafft, noch die Inſtrumente verguͤtet habe, bei Strobel: Nachricht vom Aufenthalt Melanchthons in Nuͤrn - berg p. 18.143Reichstag von 1524.wurden, fühlte man die Nothwendigkeit doppelt, ihre Be - ſtrebungen auf irgend eine andre Weiſe zu erſetzen: die Vertheidiger der Neuerung nahmen ihre Kräfte um ſo mehr zuſammen und brachten es zu dem merkwürdigſten Be - ſchluß.

Noch war die Frage übrig, welche früher ſo wichtig geworden, wie es mittlerweile, bis zu dem Concilium, in Deutſchland gehalten werden ſolle. In dieſer Hinſicht faßte man allem Widerſpruch zum Trotz einen Beſchluß, der noch außerordentlicher und weitausſehender war, wie der vorjährige. Man ſetzte feſt, daß noch in dem laufen - den Jahre im November eine Verſammlung der Stände zu Speier gehalten werden ſolle, um darüber definitiv zu berathſchlagen. Zu dem Ende ſollten die Fürſten von ihren Räthen und Gelehrten die ſtreitigen Puncte verzeichnen laſſen, über die man dort zu Rathe gehn und Beſtimmung treffen wolle. Auch die Beſchwerden der Nation und ihre Abhülfe wollte man da aufs neue in Erwägung ziehen. Indeſſen ſollte, wie vor dem Jahr beſchloſſen, das heilige Evangelium und Gottes Wort gepredigt werden. 1Abſchied des Reichstags zu Nuͤrnberg aufgericht: 18ten April 1524. Wenn man nach dieſem Abſchied die Schrift Luthers lieſt: zwei kaiſerliche uneinige und widerwaͤrtige Gebote (Altenb. II, 762), ſo erſtaunt man daß er ſo wenig damit zufrieden iſt. Das ruͤhrt aber daher, daß in dem Mandat, welches auf den Abſchied gegruͤn - det wurde, die Beſtimmung daß das heilige Evangelium gelehrt wer - den ſolle weggelaſſen, und dafuͤr ein ganz außerordentlicher Nachdruck auf die Beobachtung des Wormſer Edictes gelegt iſt; die Clauſel ſo viel moͤglich findet ſich zwar darin, aber ſie verſchwindet faſt unter dem Schwall der Wiederholungen des Wormſer Edictes. Man ſieht daraus, welchen Einfluß nach Abſchaffung des alten Regimentes die Reichscanzlei empfieng. Den Abſchied ſelbſt ſcheint Luther nicht ge -

144Drittes Buch. Viertes Capitel.

Es iſt wohl wahr: die römiſch geſinnte Partei, durch den Sturz des Regimentes ermuthigt, hatte an dieſem Reichstag wieder etwas mehr Einfluß: jedoch noch war ſie durch eine überlegene Majorität beſchränkt: entſchiedner als je nahm die Nation, dem Papſt und der Einheit der lateiniſchen Chriſtenheit gegenüber, in kirchlichen Dingen die volle Autonomie in Anſpruch.

1kannt zu haben, noch weniger die demſelben vorhergegangenen Ver - handlungen.

Fuͤnf -
[145]

Fuͤnftes Capitel. Urſprung der Spaltung in der Nation.

Es iſt ſchon faſt herkömmlich geworden und wer hätte nicht einmal eine Anwandlung dazu gefühlt? die kirchliche Reform, wie ſehr man ſie auch ſonſt billigen mag, doch deshalb zu tadeln, weil ſie die Trennung unſrer Na - tion in zwei niemals ganz einverſtandene und ſo oft feind - ſelige Hälften veranlaßt habe: den Anhängern der Neue - rung giebt man Schuld, ſich von der Einheit des Reiches wie der Kirche abgeſondert zu haben.

So ſcheint es in der That, ſo lange man die Sachen aus der Ferne anſieht; wenn man ihnen dagegen näher tritt, und die Ereigniſſe ins Auge faßt welche die Spal - tung entſchieden haben, ſo ſtellt ſich, wenn ich nicht irre, ein ganz andres Reſultat heraus.

Welcher Confeſſion man auch heute angehören mag, kein Menſch kann leugnen, und die katholiſch-eifrigſten Zeit - genoſſen, z. B. Emſer, haben es bekannt, daß die latei - niſche Kirche einer Reform bedurfte. Ihre Verweltlichung überhaupt, der immer ſtarrer und unverſtandner ſich fort - bildende Particularismus ihrer Dogmen und Dienſte mach -Ranke d. Geſch. II. 10146Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.ten dieß zu einem religiöſen, die nicht allein pecuniär be - ſchwerlichen, den Überſchuß der finanziellen Erträge auf - zehrenden, ſondern auch übrigens die Einheit der Nation zerſetzenden, ja jede Bildung einer ſelbſtändigen Macht ver - hindernden Eingriffe des päpſtlichen Hofes machten es zu einem nationalen Bedürfniß.

Und dürfte man etwa ſagen, daß dieſe Verbeſſerung auf eine ungehörige Weiſe verſucht worden ſey?

Weder von der religiöſen noch von der nationalen Seite würde ſich das nachweiſen laſſen.

Noch abgeſehen von allen nähern Beſtimmungen des proteſtantiſchen Dogma, die ſich erſt nach und nach Gel - tung verſchafften, ſo lag die Summe der religiöſen Bewe - gung darin, daß der in die Tiefe des germaniſchen We - ſens geſenkte Geiſt des Chriſtenthums nach und nach zu dem Bewußtſeyn ſeines von allen zufälligen Formen un - abhängigen Selbſt gereift war, ſich nach ſeinem Urſprung zurückwandte, zu jenen Urkunden in welchen ſich der ewige Bund der Gottheit mit dem menſchlichen Geſchlecht un - vermittelt ausgeſprochen hat, hier ſeiner Wahrheit gewiß wurde, und ſich zu einer entſchloſſenen Verwerfung unhalt - barer Theorien und erdrückender Anſprüche ermannte.

Wer hätte ſich verbergen wollen, daß durch die hie - mit nothwendig gewordene Abweichung von den bisheri - gen kirchlichen Formen, die in das bürgerliche und öffent - liche Leben ſo mächtig eingriffen, der geſammte beſtehende Zuſtand der Nation bedroht wurde? Allein wir ſahen, wie ſorgfältig man alle deſtructiven Elemente zu beſeitigen ſuchte, wie man ſich ſelber bezwingend jede gewaltſame Verände -147Urſprung der Spaltung in der Nation.rung vermied und noch alles von den Beſchlüſſen des Rei - ches erwartete.

Man werfe nicht ein, daß Zwietracht eingetreten, wie wir bemerkten, Action und Reaction einander begegnet ſey: wo könnte es einen bedeutenden Lebensmoment in einer großen Nation geben, ohne dieß Hin und Wiederfluthen entgegengeſetzter Meinungen? Es kommt nur darauf an, daß die Entzweiungen nicht die Oberhand gewinnen, und über ihnen noch das Prinzip der Einheit anerkannt werde.

Darauf war in Deutſchland im Jahre 1524 noch alles angelegt.

Die der Neuerung Zugethanen hatten ſich der ver - faſſungsmäßigen Regierung des Reiches doch immer un - tergeordnet: unter dem Schutz und Vorgang derſelben hoff - ten ſie zu einer den Bedürfniſſen der Nation und den For - derungen des Evangeliums zugleich entſprechenden Umbil - dung der geiſtlichen Einrichtungen zu gelangen.

Die Majorität des Regiments wirkte wie wir ſahen in dieſem Sinne auf die Stände. Allen Bemühungen der Gegner und der mannichfachen anderweiten Verwirrung in der man war zum Trotz, bildete ſich auch in der Reichs - verſammlung eine der Neuerung geneigte Mehrheit. Es kamen zwei Reichsabſchiede in ihrem Sinne zu Stande. Auch als das Regiment gefallen war, erhielt ſich dieſe Mehrheit noch, und beſchloß auf einer Nationalverſamm - lung, auf einen nahen Termin angeſetzt, ſich ausſchließend mit einer definitiven Berathung über die religiöſen Ange - legenheiten zu beſchäftigen.

Gewiß gab es für die Einheit der Nation, für die10*148Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Fortentwickelung der Deutſchen auf dem einmal eingeſchla - genen Wege niemals eine großartigere Ausſicht.

Will man wiſſen wie ſehr ſie die Gemüther beſchäf - tigte, ſo braucht man nur Franken ins Auge zu faſſen, wo noch während des Sommers 1524 ſechs Gutachten alle im Geiſte der evangeliſchen Entwickelung zum Vorſchein kamen um auf dieſer Verſammlung vorgelegt zu werden. Luther fühlte ſich glücklich und befriedigt, als er den Rath - ſchlag der brandenburgiſchen Gelehrten zu Geſichte bekam: das ſagte er ſey Münze vom rechten Schlag, mit der er und ſeine Freunde in Wittenberg ſo lange ſchon umgegan - gen. Nicht ſo vollkommen übereinſtimmend war das Hen - neberger: die Lehre Luthers vom freien Willen ward darin beſtritten; allein übrigens war es gut evangeliſch: es ver - warf die Anrufung der Heiligen, die ſieben Sacramente, die Mißbräuche der Meſſe. Die Eingaben von Windsheim und Wertheim eiferten beſonders gegen die Heiligen, die nürnberger gegen den Papſt; von den zwei Parteien welche Rothenburg theilten erſchien wenigſtens die eine mit einem evangeliſchen Gutachten. 1Auszuͤge bei v. d. Lith Erlaͤuterung der Fraͤnk. Reforma - tionshiſt. p. 41.Aber nicht minder rüſtete ſich auch die andere, näher zum Alten haltende Seite. Unter andern forderte Ferdinand ſeinen Univerſitäten Wien und Freiburg ausführliche Erklärungen über die ſtreitigen Puncte ab. In Wien ſchickten ſich die Facultäten bereits an, ihre Gutachten aufzuſetzen, und die theologiſche ermahnte die übri - gen, daß keine die andre beleidigen möge. 2Raupach Evangel. Oͤſtreich II, 29. Einer aͤhnlichen An - mahnung von dem Churfuͤrſten v. d. Pfalz an die Univerſitaͤt Hei - delberg gedenkt Struve: Pfaͤlziſche Kirchenhiſtorie p. 19.Man ſieht,149Urſprung der Spaltung in der Nation.in Speier würden einander die mannichfaltigſten Modifi - cationen der Meinung entgegengetreten ſeyn, ſich gegen einander verſucht haben. Zu welchen Reſultaten hätte es führen müſſen, wenn man vermocht hätte, die Abſicht durch - zuführen die man ausgeſprochen hatte, ſich gemäßigt und friedlich zu unterreden, das Gute und Böſe von einander zu ſondern.

Es ließ ſich wohl nichts anders erwarten als aber - mals eine evangeliſche Majorität, wie denn der Vor - ſchlag von einer ſolchen herrührte; allein ſo war nun einmal die Lage der Dinge: wollte die Nation beſtehen, ſo mußte ſie ſich der römiſchen Eingriffe erwehren: die religiöſe Bewegung konnte nicht mehr erſtickt, ſie konnte nur noch geleitet werden. Eben dazu war die National - verſammlung beſtimmt. Und das wenigſtens läßt ſich nicht ſagen, daß ſie die Einheit der Nation gefährdet hätte. Vielmehr: wenn ſie ihren Zweck erreichte, ſo mußte ſie dieſelbe noch viel feſter begründen.

Fragen wir nun, wer in dieſem entſcheidenden Mo - mente ſich von der Einheit der Nation losgeriſſen hat, ſo müſſen wir unterſuchen, wie es geſchah daß die bereits ſo ernſtlich vorbereitete Verſammlung doch unterblieb.

Es iſt ſehr natürlich, daß ſich ihr der römiſche Stuhl widerſetzte. So bedeutend und Zukunfterfüllt die Ausſicht war, welche ſie der deutſchen Nation darbot, eben ſo ge - fährlich und verderblich mußte ſie in Rom erſcheinen.

Wir haben Nachricht von einer Congregation die un - ter dieſen Umſtänden vor Papſt Clemens VII gehalten ward, worin man die Mittel in Berathung zog, die Bulle150Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.gegen Luther und das Wormſer Edict den beſchränkenden Reichsabſchieden zum Trotz in Vollziehung zu ſetzen. Gar mancherlei Vorſchläge ſind da vorgekommen, z. B. den Herzog Friedrich von Sachſen der Chur zu berauben, wor - auf Aleander antrug, oder bei den Königen von England und von Spanien die Drohung hervorzurufen, allen Handelsverkehr mit den deutſchen Städten abbrechen zu wollen, wovon ſich der Papſt Erfolg verſprach; am Ende aber blieb man hauptſächlich dabei ſtehen, daß man ſich der Verſammlung in Speier widerſetzen müſſe: ſowohl bei dem Kaiſer, als bei den deutſchen Ständen, welche der Legat zu bearbeiten und gegen die Verſammlung zu ſtim - men beauftragt wurde. 1Pallavicini lib. II, c. X, p. 227.

Darauf kam es nun zunächſt an, und das iſt auch unſre Frage, ob ſich Stände in Deuſchland finden wür - den, die es vorzögen, ſich mit dem Papſte zu vereinigen, ſtatt die Beſchlüſſe einer allgemeinen Verſammlung zu er - warten.

Der päpſtliche Stuhl hatte ſchon dafür geſorgt, daß er auf Verbündete in Deutſchland rechnen durfte: eins der mächtigſten Fürſtenhäuſer, die Herzoge von Baiern hatte er gewonnen.

Früher hatte man auch in Baiern von Seiten der Regierung ſowohl wie von Seiten der Unterthanen die all - gemeine antirömiſche Stimmung der deutſchen Nation ge - theilt: man hatte dort weder der Bulle Leos X Folge ge - geben, noch das Wormſer Edict beobachtet:2Winter: Geſchichte der Schickſale der evangeliſchen Lehre in und durch Baiern I, p. 62. 76. die Herzöge151Verbindung des Papſtes mit Baiern.waren über die Eingriffe der geiſtlichen Gerichtsbarkeit in die weltliche ſo mißvergnügt wie andre Fürſten: bei Ge - lehrten, Geiſtlichen und Gemeinen griffen Luthers Meinun - gen eben ſo gut um ſich, wie anderwärts.

Schon gegen Ende des Jahres 1521 aber fiengen die Herzoge an, ſich dem römiſchen Stuhle zu nähern: und nahmen ſeitdem von Moment zu Moment immer entſchied - ner Partei für die alten Meinungen.

Die Zeitgenoſſen leiteten das daher, weil die Kloſter - Geiſtlichkeit in Baiern ſo mächtig ſey, ſo ausgebreiteten Beſitz habe;1Flugſchrift von Reckenhofer uͤber die Seehoferſche Sache: Denn ſobald du fuͤr Muͤnchen herauskompſt auf drey Meyl gegen Burg, und fragſt wes iſt der Grund, Antwort: iſt meines gnedigen Herrn von Degernſee, Chiemſee, Saunerſee, alſo daß mer denn der halb Teyl des Bayrlandes der Geiſtlichen iſt. (Panzer nr. 2462.) und gewiß hatte das Einfluß, wiewohl auf eine etwas andre Weiſe als man ſich dachte.

Das erſte Symptom des innern Zuſammenhanges iſt eine Bulle welche noch Leo X, unter dem 14ten Nov. 1521, entwerfen ließ; in der er einer Commiſſion von Prälaten, die von den Herzogen in Vorſchlag gebracht wurden, den Auftrag ertheilte, die Klöſter zu viſitiren, Zucht und Ord - nung in denſelben herzuſtellen. 2Winter a. a. O. II, p. 325.Er ſtarb ehe dieſe Bulle ausgefertigt wurde; allein er zeigte damit der bairiſchen Regierung was ſie auf dieſem Wege erreichen könne. Eine von dem Bisthum unabhängige, unter dem Einfluß des Fürſtenthums ſtehende Commiſſion ward mit den Befug - niſſen geiſtlicher Aufſicht beauftragt.

Zu dieſer Zeit war die Ingolſtadter Univerſität durch eine peſtartige Krankheit ſo gut wie aufgelöſt. Als die152Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Krankheit nachgelaſſen, und die Profeſſoren ſich wieder ver - ſammelten, ſahen ſie doch, daß ſie ihre ſtreng-katholi - ſche Haltung nicht würden behaupten können, wenn ſie nicht noch auf eine andre Weiſe als durch die geiſtliche Jurisdiction unterſtützt würden, wenn ihnen namentlich nicht ein herzogliches Mandat gegen die Neuerungen zu Hülfe käme, die ſonſt auch in ihrer Mitte um ſich greifen würden. Die drei reſoluteſten Kämpfer für das alte Sy - ſtem, Franz Burkhard, Georg Hauer und Johann Eck, der im Herbſt aufs neue in Rom geweſen war,1Erſt im October koͤnnte er dahin gegangen ſeyn, im Au - guſt und September finden wir ihn noch in Polling. Leben des be - ruͤhmten Joh. Eckii im Parnaſſus Boicus I, II, p. 521. drangen gemeinſchaftlich darauf. Der Canzler Herzog Wilhelms, einer der thätigſten und einflußreichſten Staatsmänner je - ner Zeit, Leonhard von Eck ward von der Nothwendig - keit der Sache überzeugt. 2Winter a. a. O. p. 81.

Auch die Herzöge wurden dafür gewonnen. Man darf wohl annehmen, daß das Gerücht von den damals in Wittenberg ausgebrochenen Unruhen, die Luther doch ſo bald zu dämpfen wußte, den Wunſch ähnliche Gährungen in ihrem Lande zu verhüten in ihnen erzeugt habe.

Am Aſchermittwoch, 5 März 1522, erließen die Her - zoge ein Mandat,3Erſtes baieriſches Religionsmandat. Muͤnchen am Eſcher - mittiche angeender Vaſſten ibid. p. 310. worin ſie allen ihren Unterthanen bei ſchweren Pönen geboten, bei dem Glauben ihrer Voreltern zu verbleiben. Was für die Univerſität nothwendig er - achtet worden, ward über das ganze Land ausgedehnt. Die153Verbindung des Papſtes mit Baiern.herzoglichen Amtleute wurden beauftragt, alle Ungehorſame, geiſtliche ſowohl wie weltliche, einzuziehen und ihnen Bericht über dieſelben zu erſtatten.

Anfangs hatte das jedoch, trotz aller Strenge die man anwandte, nicht den erwarteten Erfolg. In Sachſen lieh die weltliche Gewalt der biſchöflichen Autorität ihren Arm nicht: in Baiern dagegen kamen die Biſchöfe, die es wohl ahndeten, welche Gefahr ihrer Autonomie daher drohe, den Tendenzen der weltlichen Gewalt nicht mit dem gehörigen Eifer zu Hülfe. Die von den Amtleuten aufgebrachten Anhänger Luthers ließ das geiſtliche Gericht, dem ſie über - antwortet werden mußten, nicht ſelten wieder gehen, ohne ſie zu ſtrafen.

Als nun Dr. Johann Eck, und zwar auf die Einla - dung Papſt Adrians,1 Er entbot denſelben durch zwei Brevia nach Rom. Par - naſſus Boicus II, I, p. 206. ſich im Sommer 1523 aufs neue nach Rom begab, trugen ihm die Herzoge auf, eine förm - liche Klage hierüber gegen die Biſchöfe zu erheben, und auf eine ausgedehntere Befugniß der herzoglichen Gewalt bei den Unterſuchungen gegen die Irrgläubigen in Vor - ſchlag zu bringen. 2Fragmentum libelli supplicis, quem Bavariae Ducis ora - tores, quorum caput celebris ille Eckius, Adriano VI Romae ob - tulerunt anno 1521 ap. Oefele II, 274. Die Jahrzahl iſt jedoch ohne Zweifel falſch, da Adrian 1521 gar nicht Papſt war. Die nach den Worten der Supplik ausgefertigte Bulle iſt vom Juni 1523; erſt 1523 im Dez. reclamiren die bairiſchen Biſchoͤfe dawider, ſo daß ſich am Jahr 1523 nicht zweifeln laͤßt.Dem orthodoxen Doctor, welcher an den engſten Berathungen über das Religionsweſen Antheil nahm, konnte dieß nicht abgeſchlagen werden. Papſt Adrian154Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.erließ eine Bulle, in welcher einer geiſtlichen Commiſſion die Befugniß ertheilt ward, auch ohne Mitwirkung der Biſchöfe ſchuldig befundene Geiſtliche zu degradiren und der weltlichen Strafgewalt zu überliefern. Adrian fügte nur die Beſchränkung hinzu, daß die Biſchöfe noch einmal in einem beſtimmten Termin ihre Pflicht zu erfüllen erinnert werden ſollten: ſpäter iſt auch dieſe weggefallen.

Man ſieht wohl, nicht die Autonomie des großen geiſtlichen Inſtitutes iſt es, was die Herzoge in ihren Schutz nehmen: neben demſelben gründen ſie eine Autorität die unter ihrem Einfluß ſteht, und in die eigenſten Kreiſe der geiſtlichen Pflichten und Rechte eingreift.

Doctor Eck iſt nicht allein als ein Gegner Luthers auf dem theologiſchen Gebiete zu betrachten. Auf Staat und Kirche von Baiern hatte er einen außerordentlichen Einfluß. Ihm hauptſächlich iſt die Verbindung zwiſchen der herzoglichen Gewalt, der Univerſität Ingolſtadt und der päpſtlichen Autorität zuzuſchreiben, durch welche dort der nationalen Bewegung Einhalt geſchah.

Und nicht bloß um die geiſtliche Autorität war es zu thun, ſondern auch die geiſtlichen Güter wurden ſogleich in Anſpruch genommen.

Papſt Adrian bewilligte den Herzogen den fünften Theil ſämmtlicher geiſtlichen Einkünfte in ihrem Gebiete: denn die Herzöge, ſagt er, haben ſich erboten gegen die Feinde des rechten Glaubens die Waffen zu ergreifen. 1Bulle vom 1ſten Juni. Von den Herzogen heißt es da: ad arma contra perfidos orthodoxae fidei hostes sumenda sese obtulerunt. (ib. 279.) Damit ſind jedoch auch die Tuͤrken gemeint.155Verbindung des Papſtes mit Baiern.Als Papſt Clemens VII zur Tiara gelangte, widerrief er alle Bewilligungen ähnlicher Art: dieſe aber hielt er doch für gut auf die drei folgenden Jahre zu beſtätigen: ſie iſt dann von Zeit zu Zeit erneuert worden und eine Haupt - grundlage der baieriſchen Finanzwirthſchaft geblieben. 1Vgl. Winter II, 321.

Auch die Univerſität ward hiebei nicht vergeſſen. Adrian bewilligte, daß in jedem bairiſchen Capitel wenigſtens Eine Domherrnſtelle an einen Profeſſor der Theologie übertra - gen werden könne: zur Verbeſſerung dieſer Facultät und leichtern Ausrottung der Ketzereien, die ſich dort wie in andern deutſchen Ländern erheben. 230ſten Auguſt Oͤfele p. 277. Bei Mederer: Annales acad. Ingolstad. IV, 234 findet ſich die Bulle Clemens VII hier - uͤber, worin den Herzoͤgen vergoͤnnt wird, in den Capiteln zu Augs - burg Freiſingen Paſſau Regensburg Salzburg immer Einen ihrer Profeſſoren der Theologie zu Ingolſtadt zu einer Praͤbende vorzu - ſchlagen: Sie haben angegeben, quod ecclesie predicte a Duci - bus Bavarie fundate vel donationibus aucte fuerunt. Der Grund iſt daß ſie Theologen zu haben wuͤnſchen hoc tempore periculoso, quo Lutheriana et alie plurime hereses contra sedem apostolicam propagantur, qui se murum pro Israel exponant et contra he - reses predictas legendo predicando docendo et scribendo eas confutent dejiciant et exterminent. Das iſt um ſo wichtiger, da in dieſen Jahren nach der Peſt die Univerſitaͤt, wie die Statuten der Juriſtenfacultaͤt ſagen, faſt von neuem conſtituirt ward.

Noch ehe an irgend eine Staatsbildung im evange - liſchen Sinne zu denken war, tritt uns hier eine entgegen - geſetzte Organiſation zur Aufrechterhaltung des katholiſchen Prinzipes entgegen, die für die Geſchicke unſers Vaterlan - des von der größten Bedeutung geweſen iſt.

Wir ſahen ſchon, daß die Bewegungen der Epoche weſentlich auch aus den Competenzen der geiſtlichen mit156Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.der weltlichen Gewalt herrührten: der emporkommenden weltlichen Territorialhoheit wohnte das natürliche Beſtre - ben bei, ſich der Eingriffe der geiſtlichen Nachbarn zu er - wehren. Damit hatte dann die Anſicht Luthers von der Obrigkeit den genaueſten Zuſammenhang: er ſchied dadurch die beiden Gewalten auf immer. Die Herzoge von Baiern fanden jedoch, daß das nicht der einzige Weg ſey, zu dem erwünſchten Ziele zu gelangen: ſie ſchlugen vielmehr einen gerade entgegengeſetzten ein, der bei weitem kürzer und ſicherer war. Was man anderwärts im Kampfe mit dem Papſt zu erreichen ſuchte, das wußten ſie ſich im Einver - ſtändniß mit demſelben zu verſchaffen. Auf der Stelle er - langten ſie einen bedeutenden Antheil an dem Ertrage der geiſtlichen Güter, ein von dem päpſtlichen Stuhle beſtätig - tes Übergewicht über die ſie umgebenden Biſchöfe in dem nunmehr wichtigſten Zweige der geiſtlichen Gewalt ſelbſt, wie ſich das ſehr bald in der Wirkſamkeit des baieriſchen Religionsrathes ausſprach. Dinge, an welche die Anhän - ger der Neuerung zur Zeit noch nicht denken durften.

Nur war dabei der große Unterſchied, daß während dieſe die nationale Tendenz, ſich von Rom unabhängig zu machen, verfochten, Baiern dagegen in eine noch viel engere Unterordnung unter den römiſchen Hof gerieth, von deſſen Bewilligung die Gerechtſame abhiengen, deren es ſich erfreute.

Auf jeden Fall mußte nun aber eine ſo entſchiedene Haltung eines mächtigen deutſchen Hauſes, das Beiſpiel einer erneuerten vortheilhaften Verbindung mit Rom auf alle Nachbarn wirken.

157Convent in Regensburg.

Von ſehr glaubwürdiger Seite, aus den Verhand - lungen des Erzbiſchofs von Salzburg mit ſeinen Ständen, kommt uns die Notiz, daß bereits in dieſer Zeit ein Ver - ſtändniß zwiſchen Baiern und Öſtreich wider die lutheri - ſche Secte geſchloſſen worden ſey. 1Zauner Salzburger Chronik IV, 359.

Unzweifelhaft iſt, daß Erzherzog Ferdinand auch ſchon ohnehin in ein engeres Verhältniß zu dem römiſchen Stuhle getreten war und ſich von demſelben zum Behuf ſeiner Ver - theidigung gegen die Türken eine überaus ſtarke Bewilli - gung eines vollen Drittheils aller geiſtlichen Einkünfte verſchafft hatte.

In Rom verſäumte man nicht, neben den weltlichen auch die einflußreichſten geiſtlichen Fürſten zu bearbeiten. Dem Erzbiſchof von Salzburg wurde die oft ſtreitig gewe - ſene Beſetzung der Bisthümer Gurk, Chiemſee, Seckau und Lavant auch für die ſtreitigen Monate bewilligt.

So gelang es dem päpſtlichen Stuhl, in den Stän - den wieder eine Partei für ſich zu gewinnen. Daß die katholiſche Meinung auf dem Reichstag von 1524 ſtärker auftrat als das Jahr zuvor, hängt ohne Zweifel damit zuſammen.

Allein auf dem Reichstag konnte ſie wie wir wiſſen noch nicht durchdringen. Eine Anzahl von Biſchöfen ſelbſt, durch die von dem päpſtlichen Stuhl unterſtützten Anſprüche des Fürſtenthums verletzt, leiſtete allen Anmuthungen ent - ſchloſſenen Widerſtand.

Dem Legaten Campeggi ward es klar, daß auf einer allgemeinen Verſammlung, wo die lutheriſchen Sympa -158Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.thien mit ſo großer Stärke auftraten, nichts zu erreichen ſeyn werde. Er beklagte ſich, daß er ſich hier nicht mit voller Freiheit äußern dürfe. 1Aus einem Schreiben Ferdinands Stuttgard 19 Mai in Gemeiners Regensburger Chronik IV, VI, p. 514.

Dagegen, da er doch auch eine Anzahl von gleichge - ſinnten Freunden um ſich ſah, ſo faßte er die Hofnung, deſto mehr auf einer provinciellen Zuſammenkunft, in der eben dieſe anweſend wären, auszurichten.

Noch in Nürnberg, wo die Nationalverſammlung zu Speier beſchloſſen worden, brachte er eine andre in Vor - ſchlag, welche derſelben ſchon in der Idee geradezu entge - gengeſetzt war. Er verhehlte die Abſicht nicht, der Ge - fahr zuvorkommen zu wollen, die von einer Verſammlung zu erwarten ſey, wo man auf die Volksſtimme zu hören gedenke. 2Aus dem Schreiben des Legaten vom 8ten Mai bei Win - ter I, 156.

Darauf giengen zuerſt Erzherzog Ferdinand und ei - nige Biſchöfe, dann auch die Herzoge von Baiern ein. Ende Juni 1524 fand die Zuſammenkunft zu Regensburg Statt. Die Herzoge, der Erzherzog, der Legat, der Erz - biſchof von Salzburg und außer dieſen der Biſchof von Trient, der ohnehin im Gefolge des Erzherzogs war, und der Adminiſtrator von Regensburg waren perſönlich zuge - gen: durch Abgeordnete erſchienen die Biſchöfe von Bam - berg Augsburg Speier Strasburg Conſtanz Baſel Frei - ſing Paſſau und Brixen. Nicht allein Baiern und Öſtreich, ſondern auch die oberrheiniſchen Gebiete, ein guter Theil von Schwaben und Franken waren, wie man ſieht, hiebei betheiligt.

159Convent in Regensburg.

Der Legat eröffnete die Verſammlung mit einem Vor - trag über die Gefahren der religiöſen Bewegung für beide Stände: er ermahnte ſie, ihre Irrungen fahren zu laſſen und gemeinſchaftliche Anſtalten zu treffen, damit die ketze - riſche Lehre ausgerottet und der Ordnung der chriſtlichen Kirche gelebt werde. Erzherzog Ferdinand unterſtützte den Vortrag und legte den Verſammelten beſonders die ihm gewährten Geldbewilligungen ans Herz.

Die Prälaten traten hierauf in drei Commiſſionen auseinander, von denen die erſte die Irrungen zwiſchen Geiſtlichen und Weltlichen, die zweite die zunächſt vorzu - nehmenden Reformen, die dritte die über die Lehre zu tref - fenden Anordnungen in Berathung zog. 1Schreiben von Ebner und Nuͤtzel an Churfuͤrſt Friedrich, worin ſie ihm melden was eine Schrift enthaͤlt, die ihnen vom Hofe fuͤrſtlicher Durchleuchtigkeit (Ferdinands) zugekommen iſt. 8 Juli 1524. (Weim. A.)

Sechszehn Tag lang dauerten die Conferenzen auf dem Regensburger Rathhaus, Vormittag und Nachmittag. Einmal ward der Ernſt der Geſchäfte doch auch durch ei - nen feſtlichen Nachttanz unterbrochen.

Vor allem ward die Geldbewilligungsſache aufs Reine gebracht.

Den Biſchöfen leuchtete ein, daß die nach jedem Mo - ment des Einſchreitens gewaltſamer aufbrauſende populäre Gährung ihnen doch viel gefährlicher ſey als alle Ober - hoheit des Fürſtenthums. Unter denen die wir genannt, gab es wohl nur Wenige die nicht in ihrer Hauptſtadt mit immer wachſendem Widerſtand zu kämpfen gehabt hät - ten. Schon vor dem Jahr hatte es z. B. Cardinal Lang nothwendig gefunden, 6 Fähnlein geübten Kriegsvolks in160Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Salzburg einzuführen: an deren Spitze war er im rothen zerſchnittenen Wappenrock, unter dem ein blanker Har - niſch funkelte, in der Rechten ſeinen Regimentsſtab, da - ſelbſt eingeritten, und hatte die Gemeine zu neuen Ver - ſchreibungen des Gehorſams genöthigt. War vielleicht auch noch einer und der andre wie Dieſer mit neuen Conceſſio - nen des Papſtes begnadigt worden? Unter ihren Abge - ordneten finden wir einige entſchieden Römiſch-geſinnte, z. B. Andreas Hanlin von Bamberg, der ſelbſt einmal Vicerector in Ingolſtadt geweſen war. 1Heller: Bamberg Reform. p. 70.Eck und Faber waren anweſend. Genug, die geiſtlichen Herrn fügten ſich in das Nothwendige. Die bairiſchen bequemten ſich ſo viel ich finde den fünften, die öſtreichiſchen den vierten Pfennig ihrer Einkünfte der weltlichen Herrſchaft zu zahlen. 2Planitz, der damals in Eßlingen geweſen, an den Churfuͤr - ſten Friedrich, Nuͤrnberg 26ſten Juli: Die Geiſtlichen in des Erz - herzogs Landen haben bewilligt, ihm den vierten Pfennig zu geben, 5 Jahr lang, und die Geiſtlichen unter den Herrn von Baiern ge - ben ihren Fuͤrſten den 5ten Pfennig 5 Jahr, allein daß ſie in iren Fuͤrſtenthumen die lutheriſche Lehr nicht zulaſſen und veſt uͤber ihnen halten wollen. Ich habe nicht ermitteln koͤnnen, ob Planitz uͤber die Dauer der Auflagen recht berichtet war. Nach Winter II, p. 322 iſt ſie noch auf ſpaͤtere Jahre ausgedehnt worden.

Hierauf ſchritt man zu den Anordnungen über Lehre und Leben.

Die Hauptſache war, daß man jetzt eine Beſtimmung traf, welche 1523 bei den Reichsſtänden nicht durchzuſetzen geweſen war: man wies die Prediger für die Erklärung der ſchwierigern Stellen der Schrift vornehmlich an die la -tei -161Convent von Regensburg.teiniſchen Kirchenväter: was damals nicht hatte erreicht werden können, Ambroſius, Hieronymus, Gregorius und Auguſtin wurden als die Normen des Glaubens nahmhaft gemacht. Früherhin hätte das als eine Conceſſion gegen die literariſche Richtung der Zeitgenoſſen angeſehen werden können, weil man damit doch des Zwanges der ſcholaſti - ſchen Syſteme erledigt ward: jetzt lag vor allen Dingen ein Gegenſatz gegen Luther und die Majorität der Reichs - ſtände darin; wenigſtens die Grundlagen der ſpätern For - mationen des Latinismus wollte man fürs Erſte wieder ſanctioniren. Man beſchloß den Gottesdienſt nach der Weiſe der Väter ungeändert aufrecht zu erhalten; den Ein - fluß Luthers ſuchte man für die Zukunft unmöglich zu ma - chen. Seine Bücher wurden aufs neue verboten. Allen Unterthanen der vereinigten Fürſten ward die Univerſität Wittenberg bei ſchweren Strafen, ſogar dem Verluſte des Erbtheils unterſagt.

Bei alle dem war man doch auch bedacht, die Miß - bräuche abzuſtellen, welche eine ſo allgemeine Gährung ver - anlaßt hatten. Alle jene Erpreſſungen des niedern Clerus, die das gemeine Volk ſo ſchwierig machten, die Nöthigung zu theuren Begängniſſen, die drückenden Accidenzien, die Verſagung der Abſolution um einer Schuldforderung wil - len wurden aufgehoben; die Verhältniſſe der Pfarrer zu ihren Gemeinen ſollten durch eine geiſtlich-weltliche Com - miſſion neu geordnet werden. Die reſervirten Fälle wur - den verringert, die Feſttage bedeutend vermindert, die Sta - tionirer abgeſchafft. Man verpflichtete ſich, in Zukunft bei der Anſtellung der Geiſtlichen zu ſorgfältigerer Berückſich -Ranke d. Geſch. II. 11162Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.tigung perſönlicher Würdigkeit. Die Prediger wurden zu größerem Ernſt, zur Vermeidung aller Mährchen und un - haltbaren Behauptungen, die Prieſter zu ſittlichem unſträf - lichem Wandel angewieſen. 1Constitutio ad removendos abusus et ordinatio ad vitam Cleri reformandam per revdum Dm Laurentium etc. Ratis - ponae nonis Julii bei Goldaſt Constitutt. Impp. III, 487. Was Strobel aus einem alten Druck, der auch mir vorliegt, mittheilte (Misc. II, p. 109 etc.) umfaßt doch keineswegs den ganzen Inhalt der Conſtitution. Namentlich iſt die Abſchaffung einer großen An - zahl von Feſttagen im 21ſten Artikel, die bis auf weniges den ſpaͤ - tern proteſtantiſchen Einrichtungen entſpricht, ſehr bemerkenswerth.

Wir werden nicht irren, wenn wir dieſe Beſchlüſſe als die erſte Wirkung der Reformationsbewegung auf eine innere Reſtauration des Katholicismus bezeichnen. Wie die Verbindung des Fürſtenthums mit dem Papſtthum dem politiſchen, ſo entſprach dieſer Verſuch, der zunächſt freilich ſehr unvollſtändig ausfiel, dem religiöſen Bedürf - niß, aus dem das reformatoriſche Weſen hervorgegangen. Beſtrebungen, die gewiß wichtiger und einflußreicher ge - weſen ſind, als man bisher auch auf der katholiſchen Seite angenommen hat: der moderne Katholicismus beruht zum Theil darauf; allein kein Menſch dürfte ſie doch in Tiefe der religiöſen Anſchauung, oder weltumfaſſender, in den Lauf der Jahrhunderte eingreifender Genialität, in Kraft und Innerlichkeit des Antriebes mit den Bewegungen verglei - chen, denen Luther den Namen gab, die um ihn her ihren Mittelpunct hatten. Man eignete ſich nur die Analogien der letztern an: damit dachte man ſich ihnen gegenüber zu halten. Es iſt alles ungefähr wie Doctor Eck auf Cam - peggi’s Veranlaſſung dem Buche Loci communes von163Urſprung der Spaltung.Melanchthon ein ähnliches Handbuch,1Enchiridion seu loci communes contra haereticos: ge - druckt 1525, verfaßt, wie Eck ſich ausdruͤckt, hortatu Cardinalis de Campegiis, ut simpliciores, quibus cortice natare opus est, sum - marium haberent credendorum, ne a pseudoprophetis subverte - rentur. wie Emſer Lu - thern eine Bibelüberſetzung entgegenſetzte. Die Arbeiten der Wittenberger Lehrer waren in dem naturgemäßen Laufe ihrer innern Entwickelung, aus dem Bedürfniß ihres auf eigner Bahn vorwärts ſchreitenden Geiſtes hervorgegangen, voll urſprünglicher, die Gemüther hinreißender Kraft: dieſe katholiſchen Werke verdankten ihre Entſtehung äußern Ver - anlaſſungen, Berechnungen einer nach allen Mitteln des Widerſtandes greifenden gefährdeten Exiſtenz.

Eben damit aber riß man ſich von der großen freien Entwickelung los, in der die deutſche Nation begriffen war. Worüber in Speier unter dem Geſichtspunct der nationalen Einheit und ihrer Bedürfniſſe zu Rathe gegan - gen, Beſchluß hatte gefaßt werden ſollen, darüber ſetzten hier die vereinigten Gewalten einſeitige Maaßregeln feſt. Man ſagte wohl, einer einzelnen Nation komme es nicht zu, über Angelegenheiten der Religion, der Chriſtenheit überhaupt Beſtimmung zu treffen: das ließ ſich leicht behaupten: aber was war für die Nation zu thun, da ſie allein von allen durch die Eigenthümlichkeit ihrer Verfaſſung und Geiſtesentwickelung in dieſe Gährung ge - rathen war? Anfangs hatte man auf ein unverzüglich zu berufendes Concilium angetragen: da dieſe Hofnung ſich in weite Ferne verzog, ſo mußte man wohl Hand anle - gen, um für ſich ſelber zu ſorgen. Die Anordnungen von11*164Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Regensburg ſelbſt beweiſen das. Die Sache war nur: in Speier würden nach aller Wahrſcheinlichkeit Beſchlüſſe in Oppoſition gegen den römiſchen Papſt zu Tage gekom - men ſeyn: in Regensburg fand man aus tauſend Rück - ſichten für gut, ſich aufs neue mit demſelben zu vereini - gen. Es iſt unleugbar, daß eben darin der Urſprung un - ſrer Spaltungen liegt. Der nationalen Pflicht, die Ver - handlungen einer bereits beſchloſſenen großen Verſammlung zu erwarten, daran Theil zu nehmen, und fügen wir hinzu, nach beſtem Wiſſen darauf einzuwirken, zog man die Ver - bindung mit Rom einſeitig vor.

Und ſo war der eine Theil jener Beſchlüſſe der - miſchen Congregation über Erwarten glücklich ausgeführt: Campeggi machte darauf aufmerkſam wie nothwendig es nun auch ſey, den andern ins Werk zu ſetzen, den Kaiſer zu veranlaſſen, daß er ſich dieſer Sache lebhaft annehme. 1Er klagte: non haver quella causa (Luterana) di costà (della Spagna) il caldo che bisogneria, fa che d’ogni provisione che si faccia si trahe poco frutto. Giberto Datario agli oratori Fiorentini in Spagna, Lettere di principi I, f. 133.

Man verſäumte in Rom keinen Augenblick, um Carl V auf ſeine Seite zu ziehen. Während man in den officiel - len Erlaſſen von Regensburg diejenigen Puncte der Reichs - abſchiede heraushob, welche dem Papſtthum günſtig laute - teten, und die Miene annahm als ſey in ihnen das Edict von Worms eben nur beſtätigt, ſtellte man dem Kaiſer in Spanien vor, wie ſehr ſeine Autorität darunter leide, daß man in zwei Reichsabſchieden nach einander ſein Edict be - ſchränkt habe, ja es zurückzunehmen ſuche, was er ſelber ſich nicht getrauen würde: es ſey offenbar, daß man ſich165Urſprung der Spaltung.in Deutſchland von allem weltlichen und geiſtlichen Gehor - ſam loszureißen denke. Welch ein unerträglicher Übermuth liege darin, daß man dort eine Verſammlung angeſetzt habe, wo man über Dinge des Glaubens und die Angelegenhei - ten der allgemeinen Chriſtenheit Beſchlüſſe faſſen wolle. Gleich als komme es den Deutſchen zu, kaiſerlicher Ma - jeſtät und der ganzen Welt Geſetze vorzuſchreiben. 1Wir haben zwar das Schreiben des Papſtes an den Kaiſer nicht ſelbſt: aber eine hinreichende Notiz davon in der Depeſche des paͤpſtlichen Datars an ben Nuntius in England, Marchionne Lango Lettere di principi I, 124. N. Sre ha di ciò scritto efficacemente alla M Ces. accioche la confideri, che facendo quei popoli poco conto di dio tanto meno ne faranno alla giornata della M S. e degli altri signori temporali: l’absenza della M Cesarea ha accresciuta l’audacia loro tanto che ardiscono di ritrattar quell’editto, cosa che Cesare proprio non faria. Dagegen heißt es in dem zu Regensburg ergangenen Edict: Darumb ſo haben wir auf des hochwuͤrdigſten Herrn Lorenzen ꝛc. Erſuchen uns vergleycht daß wir und unſer Principal obgemelt kaiſerlich Edict zu Worms, auch die Abſchied auf beyden Reichstaͤgen zu Nuͤrnberg deshalb beſchloſſen vollziehen.

Mit ähnlichen Gründen beſtürmte man den Verbün - deten Carls, Heinrich VIII, der ſich in eine literariſche Fehde mit Luther eingelaſſen; man forderte ihn auf, mit ſeinem Einfluß bei Carl V die päpſtlichen Ermahnungen zu unterſtützen.

Überhaupt lagen die politiſchen Verhältniſſe für eine Einwirkung der päpſtlichen Gewalt auf den Kaiſer ſehr günſtig. Der Krieg deſſelben gegen Franz I war erſt im Mai 1524 förmlich ausgerufen worden und in ſeinem hef - tigſten Feuer. Der Kaiſer griff den König von Italien her in Frankreich ſelber an. Unmöglich konnte er den Papſt,166Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.der dieſen Angriff nicht ganz billigte, in ſeinem Rücken verletzen, oder ihm eine Bitte abſchlagen, die ohnehin der katholiſchen Unterweiſung entſprach, die er in ſeiner Ju - gend empfangen.

Carl V zögerte keinen Augenblick. Schon am 27 Juli erließ er ein Ausſchreiben ins Reich, welches ganz im Sinne des Papſtes und zwar in ungewöhnlich lebhaf - ten Ausdrücken abgefaßt war. Er beklagte ſich, daß man ſein Mandat von Worms nicht beobachte, daß man auf ein allgemeines Concilium angetragen habe, ohne ihn, wie ſich doch geziemt hätte, auch nur zu befragen. Er er - klärte, daß er die beſchloſſene Zuſammenkunft weder zuge - ben könne noch auch möge: die deutſche Nation wolle ſich einer Sache unterfangen die allen andern ſelbſt mit dem Papſt nicht erlaubt ſeyn würde, Ordnungen abändern die ſo lange her unangefochten gehalten worden. Luthers Mei - nungen erklärte er für unmenſchlich und verglich ihn, wie einſt ſein Lehrer Adrian, mit Mahomet. Bei Vermeidung des Verbrechens der beleidigten Majeſtät, Acht und Aber - acht, verbot er die Verſammlung. 1In den Frankfurter Acten. Aus einem Schreiben des Chur - fuͤrſten von Sachſen an Ebner bei Walch XV, 2711, October 1524, ergiebt ſich, daß man in dem ihm zugegangenen Schreiben die Aus - druͤcke bei Vermeidung criminis lese majestatis, unſer und des Reichs Acht etc. weggelaſſen hatte.

Dergeſtalt gelang es dem römiſchen Hof, wie er in Deutſchland einige mächtige Glieder des Reiches auf ſeine Seite gebracht, ſo auch deſſen Oberhaupt in Spanien zu gewinnen, auf dieſem Wege die ihm gefährlichen Beſchlüſſe der Reichsverſammlung rückgängig zu machen; es war167Urſprung der Spaltung.ſeine erſte kräftige Einwirkung auf die kirchlichen Angele - genheiten in Deutſchland.

Dahin führte es, daß der Kaiſer, von Spanien aus, eine von den innern Trieben des deutſchen Lebens unbe - rührte, nur nach ſeinen anderweiten Rückſichten berechnete Politik beobachtete. Überhaupt übte ſeine Regierung in dieſen erſten Jahren nur einen negativen zerſetzenden Ein - fluß aus. Ohne etwas Ernſtliches zu thun um die Be - ſchwerden gegen Rom zu heben, hatte er ſich durch ſeine politiſche Stellung zu dem Edict von Worms bewegen laſſen, was dann nicht ausgeführt werden konnte, auf der einen Seite die Antipathie der Nation erſt recht entflammte, auf der andern den Anhängern der Curie eine Waffe in die Hände gab. Die ſich bildende Conſolidation des Re - gimentes hinderte er durch die Verwerfung des Zolles, zu dem er doch erſt ſeine Zuſtimmung gegeben, und fand rath - ſam es darauf ganz zu zerſprengen. Wohl ward ein an - dres Regiment zu Eßlingen eingerichtet, das ſich aber daran ſpiegelte was an dem vorigen geſchehen, und weder Autorität genoß, noch Miene machte ſich deren zu verſchaffen, nur der Schatten einer Regierung. Wir be - trachteten, welche Ausſichten für die Religion ſo wie die nationale Einheit ſich an die Verſammlung von Speier knüpften. Von Spanien aus ward ſie verboten, gleich als liege ein Verbrechen darin.

Und nicht allein auf Regierungseinrichtungen, Reichs - tagsbeſchlüſſen, ſondern beſonders auf einem vertraulichern Verſtändniß der vorherrſchenden Fürſten hat von jeher die Einheit von Deutſchland beruht. Maximilian hatte in der168Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.zweiten Hälfte ſeiner Regierung empfunden, was ihm die Abneigung des Churfürſten von Sachſen bedeute, und nur durch eine Beſeitigung dieſer Zwiſtigkeit, durch das Ein - gehn einer engen Verbindung mit dem erneſtiniſchen Sach - ſen war die Wahl Carls V möglich geworden: auch ſeit - dem hatte man Churfürſt Friedrich wenigſtens in allen äußerlichen Beziehungen als einen unzweifelhaften Verbün - deten mit großer Rückſicht behandelt. Dieſes Verhältniß löſte der Kaiſer jetzt auf. Er fand es ſeiner Weltſtellung angemeſſener, vortheilhafter, ſeine Schweſter Catharina mit dem König von Portugal Johann III zu vermählen, als mit dem Neffen des Churfürſten von Sachſen, dem er ſie zugeſagt: er hatte Hannart beauftragt, dieſen Entſchluß dem ſächſiſchen Hofe anzuzeigen. 1Muͤller: Geſchichte der Proteſtation theilt hieruͤber die naͤ - hern Umſtaͤnde mit.Wir erinnern uns, wie ſchmeichelhaft dem Bruder Friedrichs, Herzog Johann, der Antrag geweſen war: wie er nur Einwendungen der Be - ſcheidenheit dagegen gemacht, und zuletzt erfreut nachgege - ben hatte. In demſelben Grade empfindlich war ihm nun die Eröffnung Hannarts. Der ſächſiche Hof war tief be - troffen. Die Freunde des Churfürſten in der Umgebung des Erzherzogs hätten gewünſcht, er möchte ſich dagegen regen:2In der ſchon oben angefuͤhrten geheimen Correſpondenz Friedrichs mit den Raͤthen Ferdinands findet ſich ein Zettel, wo ei - ner derſelben ſchreibt: S. fuͤrſtl. Durchlaucht begeren ſonderlich, das der Heirath vollzogen werd, damit S. F. Gn. deſto mer Fug und Statt hab, S. Chf. Gn. als irn angenommenen Vatern um Rath teglich anzuſuchen: eine Meinung die ſchwerlich von jenem ganzen Hofe getheilt ward. allein wie er früher keinen perſönlichen Antheil an169Urſprung der Spaltung.den Verhandlungen genommen, ſo ſagte er auch jetzt kein Wort: er bezwang ſeine Verſtimmung. Nicht ſo zurück - haltend war Herzog Johann. Mit beleidigtem Selbſtge - fühl wies er jede Eröffnung, jedes Anerbieten, das ihm dagegen geſchah, von ſich: er ließ ſich vernehmen, dieſe Sache ſey ihm tiefer zu Gemüthe gegangen als jemals eine andre in ſeinem Leben.

Auch mit den übrigen Fürſten ſtand Oſtreich nur ſchlecht. Das Haus Brandenburg, das ſich um der main - ziſchen ſo wie der preußiſchen Verhältniſſe willen an das alte Regiment geſchloſſen, war durch deſſen Sturz un - angenehm berührt, ſein Mißvergnügen ſo augenſcheinlich, daß dem Hochmeiſter Albrecht Anerbietungen von Frank - reich geſchahen, obwohl er ſie nicht annahm. Die rhei - niſchen Churfürſten hielten im Auguſt eine Zuſammen - kunft, von der Erzherzog Ferdinand, wie er ſagt, weder für ſich noch für ſeinen Bruder etwas Gutes erwartete. 1Schreiben von Ferdinand bei Bucholtz II, 68.Churfürſtliche Räthe verſchwiegen dem kaiſerlichen Com - miſſarius nicht, daß man unzufrieden mit dem Kaiſer ſey: man werde die Capitulation deſſelben vor die Hand nehmen, und da er ſie nicht erfüllt, zu der Einrichtung einer andern Art von Regierung ſchreiten, entweder unter einem Statthalter, oder unter den Reichsvicarien, oder un - ter einem römiſchen König, den man zu wählen gedenke. 2Schreiben von Hannart ib. 70.Auf einem großen Armbruſtſchießen zu Heidelberg, wo ſich mehrere Fürſten verſammelt, war davon die Rede; beſon - ders ward innerhalb des pfälziſch-bairiſchen Hauſes man -170Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.cherlei Verhandlung darüber gepflogen. Nicht ſo enge war der katholiſche Bund zwiſchen Baiern und Öſtreich, daß nicht in Herzog Wilhelm von Baiern die Idee aufgeſtiegen wäre, ſelber zur Krone zu gelangen.

Dergeſtalt löſte die kaum zum Bewußtſeyn ihrer Ten - denzen gelangte Einheit der Reichsregierung ſich wieder auf: in einem ſo unendlich wichtigen lebensvollen Momente, in welchem alle Kräfte der Nation in gewaltiger Reg - ſamkeit nach unbekannten Regionen drängten, ſich neue Zuſtände zu erſchaffen trachteten, fehlte es an jeder leiten - den Gewalt.

Daher kam es daß nunmehr die localen Mächte al - lenthalben nach den in ihnen zur Herrſchaft gekommenen Prinzipien verfuhren.

In den durch die Regensburger Beſchlüſſe vereinigten Gebieten begann die Verfolgung.

In Baiern finden wir Prieſter entſetzt, oder verjagt: adliche Beſitzer aus ihren Gütern getrieben, ſo lange bis ſie abſchwören: das Drückende, die ſchwüle Luft des all - gemeinen Zuſtandes bezeichnet beſonders, was einem her - zoglichen Beamten, Bernhard Tichtel von Tutzing begeg - nete. Er war in Geſchäften des Herzogs auf einer Reiſe nach Nürnberg begriffen, als ſich einer von jenen altgläu - bigen Profeſſoren von Ingolſtadt, Franz Burkhard auf der Landſtraße zu ihm geſellte: ſie kehrten mit einander in Pfaf - fenhofen ein: nach dem Abendeſſen kamen ſie auf die Re - ligionsſachen zu ſprechen. Tichtel mochte ſeinen Gefährten kennen: er erinnerte ihn, daß das neue Edict Geſpräche dieſer Art verbiete: Burkhard entgegnete, das ſolle zwiſchen171Urſprung der Spaltung. Verfolgungen.ihnen nichts zu bedeuten haben. Hierauf verhehlte Tichtel nicht, das Edict werde ſich nicht durchſetzen laſſen und den Herzogen eher zum Schimpf gereichen: er erklärte ſich ſelbſt etwas zweideutig über das Fegfeuer, die Faſtengebote: von blutigen Strafen wollte er nichts hören. In Burkhard, der den Herzogen bisher die gehäßigſten Rathſchläge gege - ben, entbrannte hierüber die wilde Wuth eines Verfolgers, er ſagte grade heraus, Kopfabhauen ſey die gerechte Strafe der Lutherſchen Böswichter: auch Tichtel nannte er einen Lutheraner. Obwohl er ſich beim Abſchied verſöhnt ange - ſtellt, eilte er doch von dem entdeckten Verbrechen Anzeige zu machen: Tichtel ward verhaftet, in den Falkenthurm geſperrt, einer Inquiſition unterworfen und zum Widerruf genöthigt: nur mit großer Mühe und durch gute Fürſprache entgieng er einer höchſt entehrenden Strafe, die dem Her - zog bereits vorgeſchlagen worden. 1Ein andrer aus jenem Bunde, der Canzler Leonhard v. Eck hatte nemlich vorgeſchlagen, der Herzog moͤge den barmherzigen Weg einſchlagen: daher ſolle Tichtel blos auf den Pranger geſtellt, ſeine Verbrechen dort abgeleſen, nochmals durch ihn dort muͤndlich bekannt und widerrufen und er darauf zum Zeichen ſeines ketzeriſchen Abfalls in den beiden Backen gebrannt, dann wieder in den Fal - kenthurm zuruͤckgefuͤhrt und bis auf weitern herzoglichen Befehl darin verwahret werden. S. die Auszuͤge aus den Acten bei Win - ter I, p. 182 199.

Im Salzburgiſchen war ein wegen des Lutherthums gefangener Prieſter, der nach Mitterſill geführt wurde, wo er lebenslänglich gefangen ſitzen ſollte, während ſeine Scher - gen im Wirthhaus zechten, von ein paar Bauerſöhnen be - freit worden; dafür ließ der Erzbiſchof die armen jungen Menſchen, ohne daß ſie in offenen Rechten verhört worden172Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.waren, an ungewohnter Richtſtatt, auf einer Wieſe vor der Stadt, im Nonnthal, eines Morgens früh heimlich ent - haupten. Selbſt der Scharfrichter hatte ein Bedenken, weil die Verurtheilten nicht rechtlich überwunden ſeyen: der Beamte des Biſchofs ſagte: Thu was ich dich heiße und laß es den Fürſten verantworten. 1Zauner IV, 381.

In Wien war ein Bürgersmann, Caspar Tauber, der über die Fürbitte der Heiligen, das Fegfeuer, die Beichte und das Geheimniß des Abendmahls unkatholiſche Meinungen geäußert, zum Widerruf verurtheilt worden: an einem hohen Feſttag, Mariä Geburt, wurden zu dem Ende auf dem Kirchhof bei St. Stephan zwei Kanzeln errichtet, die eine für den Chormeiſter, die andre für Tau - ber, dem man die Formel des Widerrufs einhändigte, die er ableſen ſollte. Aber ſey es nun, daß er das niemals verſprochen, oder daß ſich jetzt eine entgegengeſetzte ſtärkere Überzeugung plötzlich in ihm hervordrängte: als er die Kanzel beſtiegen, und alles Volk den Widerruf erwartete, erklärte er, daß er ſich für unwiderlegt halte, und appellirte an das heil. Röm. Reich. Er konnte wohl wiſſen, daß ihm dieß nichts helfen werde, er iſt kurz darauf enthaup - tet, ſeine Leiche verbrannt worden; aber ſein Muth, ſeine Beſtändigkeit hinterließen einen unauslöſchlichen Eindruck. 2Eyn warhafſtig geſchicht, wie Caspar Tawber Burger zu Wien in Oſterreich fuͤr ein Ketzer und zu dem Todt verurtaylt und außgefuͤrt worden iſt. 1524. (Die Hinrichtung am 17ten Sept.)

Noch einige andere waren mit Tauber gefangen worden: durch ſein Beiſpiel geſchreckt leiſteten ſie den Widerruf, den man ihnen auflegte, und kamen mit Verbannung davon. 3Sententia contra Joannem Vaesel, einer dieſer Verur -

173Urſprung der Spaltung. Verfolgungen.

Auch in den übrigen öſtreichiſchen Ländern ward mit großer Strenge verfahren. Die drei Regierungen von Ins - bruck, Stuttgart und Enſisheim ſetzten einen Ausſchuß zu Engen nieder, der ſich zum Geſchäft machte, die Bewe - gungen in ihren Gebieten zu unterdrücken. Es half den Waldshutern nichts, daß ſie ihren Prediger, Balthaſar Hub - meyer, entlaſſen hatten: man erklärte ihnen zu Engen, man werde ſie ſtrafen, man werde ihnen, ſo roh drückte man ſich aus, das Evangelium um die Ohren bläuen, daß ſie die Hände über den Kopf zuſammenſchlagen ſollen: man werde das Unkraut mit der Wurzel ausreißen; und ſchon war den übrigen Städten die Hülfe an Geſchütz und Fuß - volk aufgelegt, womit man Waldshut überziehen wollte, als eine Schaar freiwilliger Schweizer beſonders von - rich der Stadt zu Hülfe kam und den Regierungs-Aus - ſchuß doch bedenklich machte. 1Schreiben Balthaſar Hubmaier in dem Taſchenbuch fuͤr Suͤddeutſchland 1839 p. 67 aus ſchweizeriſchen und oberrheiniſchen Archiven.

Nicht ſo leicht kam Kenzingen weg. Dieſe kleine Stadt ward wirklich überzogen und beſetzt.

Weit und breit finden wir ähnliche Regungen. Zu - weilen blieb man bei unblutigen Maaßregeln ſtehen: man verbot die Bücher Luthers, duldete ſeine Anhänger nicht auf dem Predigtſtuhl, entfernte ſie aus den fürſtlichen - then, verjagte ſie aus dem Lande: die Wirtenberger Re - gierung ſuchte allen Verkehr mit Reutlingen abzubrechen, weil es evangeliſche Prediger dulde. Dabei fehlte es aber auch nicht an den grauſamſten Executionen. Wir finden3theilten ult. Sptmbr. 1524 bei Raupach Evangel. Oͤſtreich: Erſte Fortſetzung Beil. nr. V. 174Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.Prädicanten, denen die Zunge an den Pranger genagelt wird, ſo daß ſie, ſich ſelber verſtümmelnd, ſich losreißen müſſen, wenn ſie wieder frei werden wollen. Der Fana - tismus beſchränkter Mönche erwachte und ſuchte im nie - dern wie im obern Deutſchland ſeine Opfer. Welch ein ſchreckliches Exempel ward an dem armen Heinrich von Zütphen zu Meldorf in Ditmarſchen ſtatuirt. Auch hier hatte ſich eine kleine Gemeinde gebildet, die dieſen Augu - ſtiner von Bremen auf eine Zeitlang zu ſich berief, und von den Regenten des Landes, den Acht und vierzig, die Zuſage erlangte, weil man ja doch eine Kirchenverſamm - lung erwarte, daß indeß das Evangelium lauter und rein gepredigt werden dürfe. Allein bei weitem ſtärker waren doch noch die Gegner, der Prior der Dominicaner von Meldorf, die Minoriten von Lunden: in Verbindung mit dem Vicarius des biſchöflichen Officials wirkten ſie einen entgegengeſetzten Beſchluß aus, durch den ihnen der arme Menſch, weil er gegen die Mutter Gottes predige, über - laſſen wurde. 1Neocorus herausg. v. Dahlmann II, p. 24. Das Urtheil des Vogts lautet: Deße Boſewicht hefft geprediget wedder de Mo - der Gadeß unnd wedder den Chriſten Gloven, uth welkerer Orſake ick ehn vorordele van wegen mines genedigen Herrn Biſchops van Bremen thom Vuere.Ein trunkener Volkshaufen Mönche trugen ihm die Fackeln voran holte hierauf, bei Nacht, im Januar, den Prädicanten aus dem Pfarrhauſe hervor: unter greulichen Martern, bei denen ſich Ungeſchick und Grauſamkeit vereinigten, brachten ſie ihn um.

Dem gegenüber aber ſchritt man nun auch auf der andern Seite zu entſchiednern Maaßregeln.

175Urſprung der Spaltung. Staͤdte und Herren.

Unmittelbar nach jenem Convent von Regensburg, hielten die Städte, die ſich durch die Unterſtützung bedroht ſahen, welche ihre Biſchöfe bei den Fürſten zu finden ſchie - nen, einen großen Städtetag zu Speier, und beſchloſſen, recht im Gegenſatz mit jener Feſthaltung der lateiniſchen Kirchenväter, daß von ihren Predigern nichts als das Evan - gelium, die Prophetiſche und Apoſtoliſche Schrift gepredigt werden ſolle. 1Staͤttag zu Speier Margaretha 1524. Summariſcher Ex - tract bei Fels Zweiter Beitrag p. 204.Damals erwarteten ſie noch die Verſamm - lung zu Speier: und ihre Abſicht war, einen gemeinſchaft - lichen Rathſchlag daſelbſt einzubringen. Nachdem dieſe aber von dem Kaiſer verboten worden, und es den Anſchein gewann, als werde man noch einmal den ernſtlichen Ver - ſuch machen das Wormſer Edict auszuführen, ſo vereinig - ten ſie ſich gegen Ende des Jahres zu Ulm, gegen alle dahin zielende Maaßregeln einander zu Hülfe zu kommen. Weißenburg, Landau und Kaufbeuren, die ſchon Anfechtun - gen erfuhren, empfiengen Anweiſung für ihr Benehmen dabei.

Den Städten geſellte ſich auch ein Theil der Herrn zu. Im Namen der Grafen am Rhein an der Eifel in Wetterau Weſterwald und Niederland erſchien Graf Bern - hard von Solms auf der Verſammlung und bat die Städte um ihr Bedenken, wie über einen Reichsanſchlag gegen die Türken, den man vorhatte, ſo in der lutheriſchen Sache. Die Städte urtheilten mit Recht, daß ihnen dieſe Verei - nigung ſehr nützlich ſeyn werde; nachdem einige Schriften gewechſelt worden, ſah man ſich einverſtanden, und be -176Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.ſchloß dort zu Ulm, ſich in dieſen wichtigen Sachen, ge - fährlichen Zeitläuften nicht von einander zu ſondern. 1Ibid. p. 206. Nicolai 1524.

Worauf es nun aber hauptſächlich ankam, auch eine ganze Anzahl von Fürſten erklärte ſich auf eine dem Re - gensburger Bündniß entgegengeſetzte Weiſe.

Markgraf Caſimir von Brandenburg, der ſonſt nicht eben einen großen religiöſen Schwung gezeigt hat, konnte doch der einmal aufgerufenen und zum Bewußtſeyn ge - brachten Meinung ſeines Landes nicht widerſtehen: er ver - warf den Antrag, zu jenem Bündniß zu treten, indem er ſich auf die Verſammlung zu Speier bezog, welche da - mals noch erwartet wurde. Als der Kaiſer ſie verbot, ergriff er das Mittel, nunmehr wenigſtens für ſein Terri - torium mit ſeinen Ständen übereinzukommen, daß daſelbſt nur das heilige Evangelium und Gotteswort alten und neuen Teſtamentes nach rechtem wahren Verſtand lauter und rein gepredigt werden ſolle. So lautet der Landtags - abſchied vom 1ſten October 1524. Sein Bruder Georg, der ſich zu Ofen am Hofe von Ungern aufhielt, war da - mit noch nicht einmal zufrieden. Er meinte, daß man das göttliche Wort nicht allein predigen, ſondern auch allen Men - ſchenſatzungen zum Trotz ſich ſonſt danach halten ſollte. 2Von der Lith p. 61 65.

Eine höchſt unerwartete Veränderung zeigte ſich in Heſſen. Man hatte geglaubt, jene drei Kriegsfürſten, welche Sickingen beſiegt und das Reichsregiment geſtürzt hatten, würden nun auch die reformatoriſchen Ideen bekämpfen,die177Urſprung der Spaltung. Evangel. Fuͤrſten.die von ihren Gegnern unterſtützt worden waren. Allein eben in dem kräftigſten von ihnen that ſich ſehr bald eine ganz entgegengeſetzte Richtung hervor.

Eines Tages, im Mai 1524, begegnete Landgraf Phi - lipp von Heſſen, indem er zu jenem Armbruſtſchießen nach Heidelberg ritt, in der Nähe von Frankfurt dem ihm durch den Ruf wohlbekannten Melanchthon, der eben in ſeiner Heimath in der Pfalz geweſen, und jetzt mit ein paar gu - ten Freunden, die ihn dahin begleitet, auf der Rückreiſe begriffen war. Der Landgraf hielt ihn an, legte ihm, in - dem er ihn eine Strecke mit ſich reiten ließ, einige Fragen vor, die ſein großes Intereſſe an den religiöſen Streitig - keiten bezeigten, und entließ endlich den überraſchten und verlegenen Profeſſor nur unter der Bedingung, daß er ihm ſeine Meinung über die wichtigſten angeregten Puncte ſchrift - lich kund thun möge. 1Camerarius Vita Melanchthonis cap. 26. Strobel N. Beitr. IV, 2, p. 88.Melanchthon that das mit gewohn - ter Virtuoſität: kurz bündig und überzeugend; er machte damit einen entſcheidenden Eindruck. Nicht lange nach ſeiner Rückkunft von dem Feſt erließ der Landgraf eben - falls in unverkennbarem Gegenſatz mit den Regensburger Beſchlüſſen, am 18ten Juli, ein Mandat, worin er unter andern befahl, das Evangelium lauter und rein zu predi - gen. Von Tag zu Tag vertiefte er ſich mehr in die ei - genthümlichen Anſichten des neuen Dogmas: ſchon im An - fang des folgenden Jahres hat er geſagt: er wolle eher Leib und Leben, Land und Leute laſſen, als von Gottes Wort weichen.

Ranke d. Geſch. II. 12178Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Es ſcheint wohl, als ſey in Heidelberg überhaupt eine auf die Religion bezügliche Abrede genommen worden. Phi - lipp von Heſſen zweifelte anfangs nicht, daß auch der Chur - fürſt von der Pfalz ihm nachfolgen werde. Und wenigſtens ließ ſich dieſer letztere zu keiner Verfolgung hinreißen, wenn es auch in ſeiner Natur nicht lag, ſo entſchieden zu Werke zu gehn.

Dagegen konnte man den verjagten Herzog von Wir - tenberg bereits für gewonnen achten. In Mümpelgard hielten ſich Prädicanten nach der neuen Weiſe bei ihm auf. Im October 1524 bezeigt Zwingli ſeine Verwunderung und Freude, daß aus dem Saulus ein Paulus geworden. 1Zwinglius Oecolampadio. Tiguri 9 Oct. Epp. Zwinglii I, 163.

Eine ähnliche unzweifelhafte Hinneigung bemerkte man an Herzog Ernſt von Lüneburg, Neffen Friedrichs von Sach - ſen, der in Wittenberg ſtudirt hatte und durch den Gang der Hildesheimiſchen Angelegenheit in der Oppoſition ge - gen Öſtreich feſtgehalten wurde. Die erſten Anfänge der Reformation in Celle, unter ſeinem Schutze, fallen in das Jahr 1524. 2Huͤne Geſchichte von Hannover I, 747.

Ihm geſellte ſich Friedrich I zu, König von Däne - mark, ſeit dem vorigen Jahre alleiniger Herr in Schles - wig und Holſtein. Sein Sohn Chriſtian und deſſen Hofmei - ſter Johann Ranzau waren auf dem Reichstag zu Worms geweſen: voll Bewundrung für Luther, durchdrungen von ſeiner Lehre, kehrten ſie zurück. Denſelben Mann der Lu - thern auf jener Reiſe begleitet, Peter Suave, zogen ſie in179Urſprung der Spaltung. Evangel. Fuͤrſten.das Land. Allmählig ward denn auch der Herzog ſelber gewonnen. Indem an ſo vielen Orten die blutige Verfol - gung ſich erhob, erließ Friedrich I am 7ten Aug. 1524 eine Verordnung, in welcher er bei Leib und Lebensſtrafe verbot, Jemanden der Religion halber ein Leides zuzufü - gen: ein Jeder, erklärte er vielmehr, möge ſich nur immer ſo verhalten wie er es gegen Gott den Allmächtigen ver - antworten könne. 1Muͤnter Kirchengeſchichte von Daͤnemark II, p. 565.

Und noch weitere Ausſichten eröffnete es, daß auch ein mächtiger geiſtlicher Fürſt, der Hochmeiſter Albrecht von Preußen, ſich von den Doctrinen des Papſtthums ab - wandte. Während des Reichstags von Nürnberg hatten beſonders die Predigten Oſianders Eindruck auf ihn ge - macht: er hatte die Schrift ſelbſt in die Hand genommen, und hielt ſich überzeugt, daß ſein Stand dem göttlichen Wort nicht eigentlich entſpreche. 2Memorial eines Geſpraͤchs zwiſchen Markgraf Albrecht und Achatius v. Zemen. Beitraͤge zur Kunde Preußens Bd IV. Dazu kam nun, daß ihm mit dem Sturze des Regimentes, den Unfällen des Adels überhaupt die letzte Hofnung verſchwand, Hülfe vom Reiche gegen Polen zu erlangen. In welche Gemüthsſtim - mung mußte er gerathen, da ihm jetzt keine Hofnung übrig blieb, ſich den alten Feinden gegenüber zu behaupten, und da er zugleich an ſeinem Berufe irre geworden war! In Begleitung des ſächſiſchen Regimentsbeiſitzers Planitz, deſ - ſen Geſinnung wir hinreichend kennen, nahm er nun ſeinen Rückweg durch Sachſen: hier ſah er Luther. Der entſchloſ - ſene Luther, der die Dinge in ihrer innern Nothwendigkeit12*180Drittes Buch. Fuͤnftes Capitel.anſchaute, gab ihm den Rath, die Ordensregel zu verlaſſen, ſich zu vermählen und Preußen in ein erbliches Fürſten - thum zu verwandeln. Der Hochmeiſter hatte fürſtliche Be - ſonnenheit und Zurückhaltung genug, um dazu nicht aus - drücklich ſeine Beiſtimmung auszuſprechen: aber in ſeinen Mienen las man, wie ſehr er dazu hinneigte. 1Schreiben Luthers an Brismann bei de W. II, 526.Wir wer - den ſehen, wie bald er, durch die Lage ſeines Landes, durch den Gang welchen ſeine Verhandlungen nahmen vorwärts getrieben, zur Ausführung dieſes Gedankens ſchritt.

Dieſe Folgen hatte es daß das angekündigte Natio - nalconcilium nicht zu Stande kam.

Man könnte nicht ſagen, daß der Gewalt die Gewalt entgegengetreten ſey, daß man dem entſchloſſenen Feſthalten des Alten mit einem eben ſo entſchloſſenen Ergreifen des Neuen geantwortet habe.

Wie wenig das der Fall war, zeigt ſich unter andern an dem Beiſpiele des Churfürſten von Sachſen, der, wie ſehr auch Luther dagegen eifern mochte, noch das ganze Jahr 1524 in ſeinem Allerheiligenſtift die Meſſe aufrecht erhielt, und den Mitgliedern deſſelben ihre clericaliſchen Pflichten unaufhörlich einſchärfte.

Die Summe des Ereigniſſes iſt vielmehr: Das Reich hatte beſchloſſen, in der großen Angelegenheit welche alle Geiſter der Nation beſchäftigte, mit gemeinſchaftlicher Be - rathung zu Werke zu gehn: dem Papſt gelang es, die Ausführung dieſer Abſicht zu verhindern, einen Theil der deutſchen Fürſten zu einer einſeitigen Vereinbarung in ſei - nem Sinne fortzuziehen: die übrigen aber verfolgten181Urſprung der Spaltung.die einmal im Einklang mit den Reichsgeſetzen eingeſchla - gene Bahn. Von der allgemeinen Verſammlung mußten ſie wohl zurückkommen, da der Kaiſer dieſelbe ſo ernſtlich ver - bot; aber die alten Beſchlußnahmen des Reiches dachten ſie ſich darum nicht wieder entreißen zu laſſen. Sie blie - ben dabei ſtehn, was im Reichsabſchiede von 1523 ver - ordnet, was dann 1524 einigen Einwendungen und Zu - ſätzen zum Trotz doch ſeinem weſentlichen Inhalt nach be - ſtätigt war. Alle die mancherlei Mandate dieſes Jahres haben im Grunde noch keinen andern Inhalt.

Dieß iſt der Urſprung der Spaltung, die ſeitdem noch nicht wieder hat beigelegt werden können: immer in Folge deſſelben auswärtigen Einfluſſes der ſie damals hervorrief. Höchſt merkwürdig, daß ſich ſchon in jener Zeit alle die Hin - neigungen offenbarten, die hernach Jahrhunderte lang aus - gehalten haben: ihre Feſtſetzung ihren Fortgang werden wir noch weiter zu beobachten haben; gleich im erſten Mo - ment aber zeigte ſich die ganze Unermeßlichkeit der Gefahr die man damit über ſich hereinzog.

[182]

Sechstes Capitel. Der Bauernkrieg.

Die öffentliche Ordnung beruht immer auf zwei Mo - menten, einmal dem ſichern Beſtehn der herrſchenden Ge - walten, ſodann der Meinung, die wenn nicht in jeder Ein - zelnheit, denn das wäre weder zu wünſchen noch auch mög - lich, doch im Allgemeinen das Beſtehende billigt, damit übereinſtimmt.

Zu jeder Zeit wird es Streitigkeiten über die Staats - verwaltung geben: ſo lange dabei die Grundlage der all - gemeinen Überzeugung unerſchüttert bleibt, haben ſie eine ſo große Gefahr nicht. Unaufhörlich ſchwanken die Mei - nungen, bilden ſich weiter: ſo lange ihnen eine ſtarke öf - fentliche Macht zur Seite ſteht, die ja an der Entwickelung ſelber Theil nehmen muß, iſt keine gewaltſame Bewegung da - von zu beſorgen.

Sobald aber in demſelben Augenblicke die conſtituir - ten Mächte irre werden, ſchwanken, ſich anfeinden, und Meinungen die Herrſchaft erlangen, die ſich dem Beſtehen - den in ſeinem Weſen entgegenſetzen, dann treten die gro - ßen Gefahren ein.

183Bauernkrieg.

Der erſte Anblick zeigt, daß Deutſchland jetzt in die - ſem Falle war.

Die Reichsregierung, die mit ſo vieler Mühe zu Stande gekommen und im Allgemeinen das Vertrauen der Nation genoß, war geſprengt: was an deren Stelle getreten, war nur ein Name ein Schatten. Der Kaiſer war entfernt, und in den letzten Jahren waren ſeine Einwirkungen nur negativer Art geweſen: er hatte nur immer das Beſchloſ - ſene verhindert. Die beiden Hierarchien, an deren Auf - richtung die vergangenen Jahrhunderte gearbeitet, die geiſt - liche und die weltliche, waren in einem tiefen allgemeinen Zwieſpalt. Das Verſtändniß der vorwaltenden Fürſten, worauf immer die Einheit des Reiches beruht hatte, war vernichtet. In der wichtigſten Angelegenheit, die jemals vorgekommen, war die Ausſicht verſchwunden, es zu ge - meinſchaftlichen Maaßregeln zu bringen.

Das hatte nun auch auf den Gang der Meinungen eine große Rückwirkung. Bisher hatte eine Art von Ein - verſtändniß, über das man keine Übereinkunft zu ſchließen brauchte, das ſich von ſelbſt ergab, zwiſchen den Tendenzen der Reichsregierung und der gemäßigten Haltung welche Luther angenommen, beſtanden: eben dadurch hatte man die deſtructiven Meinungen, die ſich 1522 regten, über - winden, beſeitigen können: jetzt aber, da ſich nun keine Veränderung durch einen Reichsſchluß weiter erwarten ließ, konnte auch Luther ſeine überlegene Stellung nicht mehr be - haupten, und die niedergekämpften Theorien brachen wieder hervor. In dem Gebiete ſeines Fürſten ſelbſt, in dem chur - fürſtlichen Sachſen, hatten ſie ſich Freiſtätten verſchafft.

184Drittes Buch. Sechstes Capitel.

In Orlamünde, einer von jenen dem Wittenberger Stift zu Gunſten der Univerſität incorporirten Pfarren, predigte Carlſtadt. Er hatte ſich hier nicht eben auf das regelmä - ßigſte, im Widerſpruch mit den ordentlichen Collatoren, kraft eines gewiſſen Anſpruchs den er als Mitglied des Stiftes erhob, doch hauptſächlich durch die Wahl der Ge - meine in Beſitz geſetzt, und nun die Bilder beſeitigt, den Gottesdienſt auf ſeine eigne Hand eingerichtet, über die Lehre von der Kirche, namentlich auch über die Verbind - lichkeit des moſaiſchen Geſetzes die wunderlichſten Anſichten verbreitet. Es kommt ein Mann vor, der auf Carlſtadts Rath zwei Frauen zu nehmen begehrt. 1Schreiben Luthers an Bruͤck 13 Jan. 1524 (de W. II, nr. 572.)So durchaus ver - miſchte dieſer kühne und verworrene Geiſt das nationale und das religiöſe Element des alten Teſtaments. Luther meinte, in Kurzem werde man in Orlamünde die Beſchnei - dung einführen. Er hielt es für nothwendig ſeinen Fürſten vor allen Unternehmungen dieſer Art ernſtlich zu warnen.

Schon war auch Johann Strauß zu Eiſenach auf einen ähnlichen Abweg gerathen. Er eiferte beſonders wi - der die Sitte, Zinſen von einem Darlehn zu nehmen: in - dem er meinte, an die heidniſchen Rechte der Juriſten ſey man nicht gebunden, und dagegen die moſaiſche Einrich - tung des Jubeljahrs, in welchem ein jeder wieder zuge - laſſen werden ſoll zu ſeinen verkauften Erbgütern, für ein noch immer gültiges Gebot Gottes erklärte, ſtellte er den geſammten bürgerlichen Zuſtand in Frage. 2Das wucher zu nemen und geben unſerm chriſtlichen Glau -

185Bauernkrieg.

Unfern von da hatte ſich Thomas Münzer eine Kirche nach den Ideen die einſt in Zwickau und Wittenberg un - terlegen waren gegründet. Er gieng nach wie vor von der innerlichen Offenbarung aus, der er allein Werth bei - legte; aber noch entſchiedner als früher predigte er die ta - boritiſche Doctrin, man müſſe die Ungläubigen mit dem Schwerd ausrotten und ein Reich aus lauter Gläubi - gen aufrichten.

Es konnte ſchon an und für ſich nicht anders ſeyn, als daß dieſe Lehren in ganz Deutſchland Anklang und Wieder - holung fanden. Auch im Wirtenbergiſchen predigte man den Bauern vom iſraelitiſchen Jubeljahr. O lieber Menſch, ſagte Dr Mantel, o armer frommer Menſch, wenn dieſe Jubeljahre kämen, das wären die rechten Jahre. 1Sattler Wuͤrtenbergiſche Geſchichte Herz. II, p. 105.Otto Brunfels, der ſich bisher ſehr gemäßigt ausgedrückt, ließ 1524 zu Strasburg eine Anzahl Sätze über den Zehn - ten erſcheinen, in denen er denſelben für eine Einrichtung des alten Teſtamentes erklärte, welche durch das neue auf - gehoben ſey, und den Geiſtlichen alles Recht dazu ab - ſprach. 2De ratione decimarum Ottonis Brunfelsii Propositiones. Unter andern prop. 115. Proditores Christi sunt Juda pejores et sacerdotibus Baal, qui pro missis papisticis et canonicis pre - culis decimas recipiunt. In Hof treffen wir noch einmal auf Nicolaus Storch, der auch da mit ſeinen Offenbarungen Glauben fand, und 12 Apoſtel um ſich ſammelte, die ſeine Lehre2ben entgegen iſt. 1524. C III heißt es: ſo dann in der ordnung des Jubel jars im Text offenbarlich außgedruckt wirt das Gebot, das die notuͤrfftig bruderlich lieb fordert, muß alle einrede ſtill halten und allen Chriſten desgleychen zu thun gebotten ungezweyffelt ſeyn.186Drittes Buch. Sechstes Capitel.in Deutſchland verbreiten ſollten. 1Widemann Chron. Curiense bei Mencken III, 744.Daß Münzer und Carl - ſtadt, und zwar nicht ohne Zuthun Luthers, endlich aus Sachſen entfernt wurden, trug zur Ausbreitung und Ver - ſtärkung dieſer Bewegung ſogar noch bei. 2Wer kennt nicht die Scenen in Jena, wo Luther dem Carl - ſtadt einen Gulden darauf gab, daß er gegen ihn ſchreiben, ſein Feind ſeyn wolle. Acta Jenensia bei Walch XV, 2422. L. hat ſich uͤber die Feindſeligkeit dieſer Erzaͤhlung immer beklagt. Daß ſie in L’s Werke aufgenommen ſind, kann ihre Wahrhaftigkeit nicht beweiſen, wie Fuͤßli im Leben Carlſtadts p. 65 meint. Luther ge - rieth dadurch in eine falſche Stellung, daß er angedeutet hatte, auch Carlſtadts Meinungen ſeyen aufruͤhreriſch, wie die von Muͤnzer, was ſo eigentlich nicht zu beweiſen war.Sie nahmen beide ihren Weg nach dem Oberrhein. Erſt jetzt trat Carl - ſtadt mit ſeiner Lehre vom Abendmahl unumwunden her - vor: ſo unhaltbar die Auslegung ſeyn mochte, die er ſel - ber vortrug, ſo mächtig und von unermeßlicher Wirkſam - keit war doch die Anregung die er damit gab. Münzer nahm ſeinen Weg über Nürnberg nach dem Hegau und Kletgau; wie um jenen die Gelehrten ſo ſammelten ſich um dieſen die Schwärmer: er predigte aber nicht allein von der Verwerfung der Kindertaufe, was nun allmählig das Wahrzeichen der auf einen allgemeinen Umſturz ſin - nenden Partei wurde, ſondern von der Erlöſung Iſraels und der Aufrichtung eines himmliſchen Reiches.

So kam zu dem Zerfall der herrſchenden Gewalten die Oppoſition der Meinung gegen alles Beſtehende: einer Meinung, welche unabſehbare Möglichkeiten einer neuen Ge - ſtaltung der Dinge in der Ferne zeigte.

Da geſchah dann das Unvermeidliche.

187Bauernkrieg.

Wir haben geſehen, wie es ſeit mehr als dreißig Jah - ren in den Bauerſchaften des Reiches gährte, wie man - chen Verſuch der Erhebung ſie machten, welch ein mäch - tiger Widerwille gegen alle conſtituirten Gewalten ſich in ihnen regte. Ihre politiſchen Tendenzen waren aber von jeher, lange ehe man an die Reformationsbewegungen dachte, von einem religiöſen Element durchdrungen. Es findet ſich bei jenen Barfüßern in Eichſtädt, dem Hans Behaim im Würzburgiſchen, den Bauern in Untergrum - bach. Joß Fritz, der 1513 den Bundſchuh zu Lehen im Breisgau erneuerte, ward durch den Pfarrer des Ortes in ſeinem Vorhaben beſtärkt, denn dadurch werde die Gerech - tigkeit einen Fürgang gewinnen: Gott wolle den Bund - ſchuh, wie man aus der Schrift beweiſen könne, es ſey ein göttlich Ding darum. 1Bekenntniß Hans Hummels bei Schneider: Bundſchuh zu Lehen p. 99.Der arme Kunz in Wirten - berg im J. 1514 erklärte, daß er der Gerechtigkeit und dem göttlichen Rechte einen Beiſtand thun wolle.

Es leuchtet ein, welche Nahrung Ideen dieſer Art in den reformatoriſchen Bewegungen, durch welche die Auto - rität der Geiſtlichkeit ſo tief erſchüttert ward, überhaupt fin - den mußten: aber nicht minder klar iſt es, wie die Pre - digt, die an und für ſich andre Geſichtspuncte verfolgte, von dieſen, ſchon vorher ſo mächtigen Regungen ergriffen werden konnte; ſie hat dieſelben nicht erzeugt: ſie ließ ſich vielmehr ſelber von ihnen hinreißen. Denn nicht Alle konn - ten die Geiſter unterſcheiden, wie Luther. Man lehrte wohl, weil alle eines Vaters Kinder und alle gleich mit dem188Drittes Buch. Sechstes Capitel.Blut Chriſti erlöſt ſeyen, müſſe es auch fortan keine Un - gleichheit geben, weder des Reichthums noch des Stan - des. 1 Kurz das es zugang auff Erden, wie mir Theutſchen von Schlauraffenland, die poeten de inſulis fortunatis, und die Juden von ihres Meſſias Zeytten dichten, alſo auch zum Tayl die Junger Chriſti gedachten vom reych Chriſti. Eberlin v. Guͤnzburg: Ein getrewe warnung an die Chriſten in der Burgau.Mit den Klagen über die Mißbräuche der Geiſt - lichkeit vereinigte man die alten Beſchwerden über Fürſten und Herrn, ihr Kriegführen, die ſtrenge und nicht immer rechtliche Verwaltung ihrer Beamten, den Druck unter wel - chem der Arme ſeufze, und behauptete endlich, daß wenn die geiſtliche Gewalt antichriſtlich ſey, es mit der weltli - chen nicht beſſer ſtehe: des Heidenthums und der Tyran - nei klagte man ſie an. Es wird nicht mehr ſo gehn wie bisher, ſchließt eine dieſer Schriften, des Spiels iſt zu viel, Bürger und Bauern ſind deſſelben überdrüßig, alles ändert ſich. Omnium rerum vicissitudo. 2Ein ungewonlicher und der Ander Sendtbrieff deß Bauern - feyndts zu Karſthannſen. Am Schluß: Gedruckt durch Johann Lo - cher von Muͤnchen. Panzer gedenkt II, nr. 2777 eines erſten Briefes des Karſthanſen unter 1525. In dieſem zweiten finde ich noch keine Andeutung von dem Bauernkrieg; er muß ſpaͤteſtens in die zweite Haͤlfte des Jahres 1524 fallen.

Die erſte Bewegung trat in den nemlichen Gegenden ein, wo ſich ſchon die meiſten frühern Regungen gezeigt, dort wo der Schwarzwald die Donauquellen von dem obern Rheinthal ſcheidet. Es kamen hier viele Umſtände zuſam - men: die Nähe der Schweiz, mit der man in den man - nichfaltigſten Verbindungen ſtand: die beſondre Strenge, mit der die öſtreichiſche Regierung zu Enſisheim, jene Com - miſſion zu Engen auch die unbeſcholtenen Prediger der189Bauernkrieg.neuen Lehre verfolgte: der Antheil den der Graf von Sulz, oberſter Regent zu Insbruck, Erbhofrichter zu Rothweil, perſönlich an dieſen Maaßregeln nahm, wie denn auch die Grafen von Lupfen und Fürſtenberg als beſondre Feinde der Lutheriſchen und der Bauern bezeichnet wurden: die Anweſenheit Thomas Münzers, den ein richtig treffendes Gefühl eben dahin gezogen: endlich wohl auch die Folgen eines Hagelſchlages, der im Sommer 1524 die Hofnun - gen der Ernte im Kletgau vernichtete. Schon am 24ſten Auguſt 1524 zog Hans Müller von Bulgenbach mit ei - ner anſehnlichen Bauernſchaar, unter ſchwarz-roth-weißer Fahne zur Kirchweih in Waldshut ein: er verheimlichte die Abſicht nicht, eine evangeliſche Brüderſchaft zu errich - ten, um die Bauerſchaften im ganzen Reiche frei zu ma - chen. Ein kleiner Beitrag, den die Mitglieder zahlten, war dazu beſtimmt, Boten zu beſolden, um die Verbin - dung über alle deutſche Gebiete zu verbreiten. 1Schreiber Taſchenbuch fuͤr Suͤddeutſchland I, 72.Die Un - terthanen der Grafen von Werdenberg, Montfort, Lupfen, Sulz erhoben ſich bereits. Die Sulziſchen fragten vorher bei Zürich an, in deſſen Bürgerrechte ihr Herr ſtand, und dieſe Stadt trug kein Bedenken, die Duldung evangeliſcher Prediger zur Bedingung des Gehorſams zu machen. 2Fuͤßlins Beitraͤge zur Hiſtorie der Kirchenreformation Bd II, p. 68.Es wäre der Mühe werth, dem Gange dieſer Bewegun - gen noch genauer nachzuforſchen, als es bisher geſchehen iſt. 3Nach Anshelm VI, p. 298 beklagten ſich die Unterthanen der Grafen von Lupfen und Fuͤrſtenberg, daß ſie am Fyrtag muͤß -Die verſchiednen Momente, welche den Bauernauf -190Drittes Buch. Sechstes Capitel.ruhr erzeugten, greifen hier am unterſcheidbarſten in einan - der. Auch wurden hier die erſten allgemeinen Ideen ge - faßt; wahrſcheinlich ſind hier die zwölf Artikel entſtanden die dann als das Manifeſt der Bauerſchaften durch das Reich giengen.

Fürs Erſte war man jedoch noch nicht ſo gut gerü - ſtet, um den Völkern des Erzherzogs und des ſchwäbiſchen Bundes zu widerſtehn. Man ward im Herbſt noch ein - mal genöthigt, die Waffen niederzulegen. Dagegen nahm das Ereigniß im Anfang des Jahres 1525 einen entſchei - denden Gang.

Beſonders ſchwierig waren immer die Unterthanen des Abtes zu Kempten geweſen: ſchon dreißig Jahr früher hatte ſich in ſeinem Gebiete ein Aufruhr erhoben, der nur mit großer Mühe gedämpft wurde. Hier war es nun auch, wo die Bauern im Januar 1525 den erſten Sieg erkämpf - ten. Ohne Zweifel erhielten ſie beſonders durch die Theil - nahme der Bürger die Oberhand. Der Abt konnte ſich auch auf dem Schloß, wohin er geflohen, nicht behaupten, ward nach der Stadt geführt und mußte hier einen ſehr nachtheiligen Vertrag unterſchreiben. Die Bauern begnüg - ten ſich mit der Beute, die ſie im Kloſter machten. 1Materialien zur Geſchichte des Bauernkriegs. Chemnitz 1791. Bd I, p. 28.

Dieſer erſte Vortheil war nun eine Aufmunterung für alle Gleichgeſinnte.

3tent Schneggenhuͤßli ſuchen, Garn winden, Erdbeer, Krieſen, Schle - hen gewinnen, und ander dergleichen thun, den Herren und Frouwen werken bei gutem Wetter, ihnen ſelbs im Ungewetter; das Gejaͤgd und d Hund luͤffent ohne Achtung einigs Schadens; die Sache ſey an das Kammergericht gekommen, man habe aber die Entſcheidung nicht erwartet.

191Bauernkrieg.

Im Februar erhoben ſich die Allgauer wider den Bi - ſchof von Augsburg: Dietrich Hurlewagen von Lindau führte ſie an. Auf ihre Aufforderung geſellten ſich ihnen die Seebauern zu, weit und breit an dem Bodenſee, unter Eitelhans von Theuringen: wer ſich nicht freiwillig an - ſchloß, ward mit Gewalt genöthigt; nirgends durfte die große Glocke zum Gottesdienſt angezogen werden: wenn man ſie hörte, bedeutete es Sturm, und alles Volk lief auf den Sammelplatz zu Bermatingen. 1Salmansweilerſche Beſchreibung bei Oͤchsle: Beitraͤge zur Geſchichte des Bauernkriegs p. 485.Anfang März er - hob ſich ein dritter Haufe, am Ried, dem das Volk an der Iller zulief, unter Ulrich Schmid von Sulingen. Ihr Glück war, daß der mächtige ſchwäbiſche Bund, der ſich auf der Stelle rüſtete,2Noch im Februar ward ein Drittheil der Huͤlfe einberufen; bald darauf die beiden andern Drittheil, die jedoch Manche, z. B. Nuͤrnberg, nur in Geld leiſteten. (Muͤllners Nuͤrnb. Annalen.) durch einen Einfall des Herzogs von Wirtenberg in ſein Land beſchäftigt wurde. Was würde geſchehen ſeyn, wenn die Eidgenoſſenſchaft, auf die ſich dieſer Fürſt abermals verließ, bei ihm ausgehalten und wozu ſie ein gewiſſes Intereſſe zu haben ſchien, zugleich die Partei der Bauern ergriffen hätte. Allein ſie berief ihre Leute auch dieß Mal ab: der Herzog mußte weichen, und der Anführer der Bundestruppen Georg von Truch - ſeß konnte in der zweiten Hälfte des März ſich gegen die Bauern wenden. Es gelang ihm in der That einige feſte Plätze zu nehmen, einige abgeſonderte Trupps auseinander zu ſprengen: die Maſſen aber waren durch den Verzug des Angriffs ſo ſtark geworden, daß man ihnen im Großen nichts anhaben konnte. Von dieſen Leuten waren nicht192Drittes Buch. Sechstes Capitel.Wenige ſelbſt unter den Fahnen der Landsknechte in den Waffen geweſen; das Gefühl der Wahrhaftigkeit hatte ſie zur Erhebung gereizt; in den Bundestruppen ſelbſt regte ſich wohl ein gewiſſes Einverſtändniß mit ihnen. Und in - deß wurden ſie durch immer neue Haufen verſtärkt. An - fang April ſammelte ſich alles Volk des Schwarzwaldes vom Wutachthal bis zum Dreiſamthal um jenen Hans Müller von Bulgenbach. Glänzend anzuſehen, mit rothem Mantel und rothem Barett, an der Spitze ſeiner Anhän - ger zog er von Flecken zu Flecken; auf einem mit Laub und Bändern geſchmückten Wagen ward die Haupt und Sturmfahne hinter ihm hergefahren. 1Schreiber: der Breisgau im Bauernkriege im Taſchenb. f. Suͤddeutſchland I, p. 235.Ein Zierhold bot allenthalben die Gemeinden auf und verlas die zwölf Ar - tikel. Denn nicht zu einer Empörung mit ganz unbeſtimm - ter Ausſicht forderte er auf: in dieſen zwölf Artikeln wa - ren ſehr poſitive Forderungen ausgeſprochen: ein Jeder erfuhr, was er zu erwarten habe, wofür er die Waffen er - greife. Die zwölf Artikel enthalten dreierlei Anſprüche. Vor allem wird darin die Freiheit der Jagd, des Fiſch - fanges, der Holzung, Abſtellung des Wildſchadens gefor - dert. Wie oft, ſeit der Gründung des feudaliſtiſchen Staats haben die Bauern in allen Ländern Klagen über ihre Be - ſchränkungen in dieſer Hinſicht ausgeſprochen; ſchon im Jahr 997 in der Normandie finden wir ſie. 2Guilielmus Gemeticensis lib V. Ferner dran - gen die Bauern auf die Abſtellung einiger neu aufgelegten Laſten, neuer Rechte und Strafen, ungewohnter Anmaa -ßun -193Bauernkrieg.ßungen der Herrn über die Gemeindegüter. Es wird durch die glaubwürdigſten Zeugniſſe beſtätigt, daß eben das Wei - ter-um-ſich-greifen der Herrſchaften den nächſten Anlaß zu der allgemeinen Aufregung gegeben hatte. Endlich aber traten auch hier die geiſtlich-reformirenden Beſtrebungen ein. Die Bauern wollen nicht mehr leibeigen ſeyn, denn Chriſtus hat auch ſie mit ſeinem koſtbaren Blute erlöſt; ſie wollen den kleinen Zehent nicht mehr zahlen, ſondern nur den großen,1Erlaͤutert ſich durch folgende Stelle der Muͤllnerſchen An - nalen: der Rath zu Nuͤrnberg ließ von allen Canzeln ausrufen, daß aller lebendige Zehent, als Fuͤllen Kaͤlber Laͤmmer ꝛc., desglei - chen der kleine Zehent, den man nennt den todten Zehent, als Hei - del Erbeiß Heu Hopfen ꝛc. ganz todt und abſeyn ſolle, aber den großen harten Zehenten von hernach benanntem Getreide, ſo man die fuͤnf Brand nennt, nemlich von Korn Duͤnkel Waitzen Gerſte Habern ſollte man zu geben ſchuldig ſeyn. (Nach dem Herkommen die 15te, 20ſte oder 30ſte Garbe.) denn dieſen allein hat Gott im alten Teſtamente feſtgeſetzt; endlich fordern ſie das Recht, ihre Prediger ſelbſt zu wählen, um von ihnen in dem wahren Glauben unterwieſen zu werden, ohne den ſie nichts ſeyn würden als Fleiſch und Blut und zu gar nichts nütze. 2Dye grundlichen und rechten Hauptartikel aller Bauerſchafft und Hynderſeſſen; abgedruckt unter andern bei Strobel Beitraͤge II, p. 9. Unter den Ausgaben fuͤhrt eine bei Panzer nr. 2705 den Zu -Man ſieht, nichts Geringes führten die Bauern im Schilde; mit wie vieler Vorſicht auch ihre Artikel abgefaßt ſind, ſo würden ſie doch eine totale Emancipation zur Folge ge - habt haben. Hans Müller ſprach die Hofnung aus, ſie ohne Schwerdſchlag ins Werk zu ſetzen. Wer ſich wei - gere ſie anzunehmen, werde von der chriſtlichen Vereini - gung in Bann erklärt, aller bürgerlichen und nachbarli -Ranke d. Geſch. II. 13194Drittes Buch. Sechstes Capitel.chen Hülfe beraubt werden. Auch die Herrn von den Schlöſſern, auch die Mitglieder der Klöſter und Stifter werde man in die Vereinigung aufnehmen, wenn ſie ein - treten und in Zukunft in gewöhnlichen Häuſern leben wol - len wie andre Leute; dann werde man ihnen alles verab - folgen, was ihnen aus göttlichem Rechte gebühre. Jene erſte noch vage Idee der evangeliſchen Brüderſchaft hatte nunmehr, wie man ſieht, einen beſtimmten Inhalt. Die Bauern faßten ihre Anſprüche in einer Formel zuſammen, zu deren Annahme ſie die Herrn zu zwingen gedachten.

Im Laufe des April 1525 ließ es ſich in der That an als würde es noch dahin kommen.

Schon gegen Ende März hatte ſich die Bewegung auch in Franken erhoben. In einem Thale des Odenwal - des, genannt der Schüpfergrund, verſammelten ſich ein paar tauſend Bauern, aufgeregt durch die zwölf Artikel, die ihnen zu Handen gekommen, und wählten den Wirth von Ballenburg, Georg Metzler, in deſſen Hauſe ſie die erſten Vorbereitungen getroffen, einen verwegenen Menſchen, der im Saus und Braus eines vielbeſuchten Wirthshauſes ſeine2ſatz: des Monadts Martii. Nach der einſtimmigen Angabe der Zeit - genoſſen, unter andern auch Melanchthons war Chriſtoph Schapp - ler ihr Verfaſſer; ſelbſt in der florentiniſchen Geſchichte von Nardi (VIII, 187) wird er genannt: uno scellerato rinnovatore della setta degli Anabatisti chiamato Scaflere. Schappeler jedoch hat das immer geleugnet (Bullinger p. 245) und es ſcheint in der That ein Irrthum. Wenn man ſpaͤter geneigter geweſen iſt, Joh. Heuglin von Lindau nach ſeinem eignen Bekenntniß (ſ. Strobel a. a. O. p. 76) dafuͤr zu halten, ſo bezieht ſich deſſen Erzaͤhlung doch nur auf Artikel welche den Bauern von Sernatingen zugeſtanden werden, damit ſie nicht zu den uͤbrigen Bauern treten: von den zwoͤlf be - ruͤhmten Artikeln wuͤrde wohl auf eine andre Weiſe die Rede ſeyn.195Bauernkrieg.Tage zugebracht, zu ihrem oberſten Hauptmann. 1Nach Hubert Thomas Leodius geſchah das um Mittfaſten, Laͤtare, 26 Maͤrz.In Böckingen, in Mergentheim, an gar manchen andern Or - ten wurden ähnliche Verſammlungen gehalten. Man be - gann in der Regel damit die Faſten zu brechen: ein Ge - lag ward veranſtaltet, bei dem dann der Beredteſte Un - zufriedenſte das Wort nahm: die zwölf Artikel wurden hervorgezogen geleſen und gebilligt: ein Anführer ward er - nannt, die Sturmglocke gezogen; ſo brach der Aufruhr los, der faſt allenthalben damit anfieng daß man ſich eines Mehlvorraths, eines Weinkellers bemächtigte, oder einen herrſchaftlichen Teich ausfiſchte. Einzeln wären dieſe Be - wegungen leicht zu erſticken geweſen: ihre Wiederholung an ſo vielen Orten gab ihnen Kraft. Den bedeutendſten Charakter entwickelten ſie in Rothenburg an der Tauber. Als ſich die Bauern in der Landwehre regten, fanden ſie in der Gemeine, die ſchon lange mit ihrem Rathe unzu - frieden war, vielmehr Beiſtimmung als Widerſtand: ein Ausſchuß ward gebildet, der den Rath ſtürzte und eine Verwaltung eben im Sinne der Empörung zu gründen unternahm. 2Anfang und Ende des Bauernkriegs zu Rothenburg bei Walch L. W. XVI, 180. Dr Benſen (hiſtor. Unterſuchungen uͤber Rotenburg p. 270) hat eine ausfuͤhrliche Arbeit uͤber dieſe merk - wuͤrdigen Ereigniſſe verſprochen.

Es muß unerörtert bleiben, wie viel jene Boten aus - gerichtet haben, von deren Abſendung Hans Müller vor dem Jahre geſprochen, ob eine wirkliche Verabredung Statt gefunden hat: ſo viel aber ſehen wir, daß man in Fran -13*196Drittes Buch. Sechstes Capitel.ken daſſelbe Verfahren einſchlug, welches Müller auf dem Schwarzwald angekündigt. Um frei zu werden, beſchloß man die einzelnen Herrſchaften zu nöthigen, die zwölf Ar - tikel anzunehmen: jedoch immer unter den localen Modi - ficationen die man nöthig erachtete und mit dem Vorbe - halt weiterer Reformen. Unverweilt ſchritt man an dieß Werk. Zwei Haufen begaben ſich ins Feld, der eine, der ſich den ſchwarzen nannte, von Rothenburg her, unter Hans Kolbenſchlag, der andre, der helle, vom Odenwald unter Georg Metzler. Die fränkiſchen Bauern hatten es bei weitem leichter als die ſchwäbiſchen: kein Bundesheer trat ihnen entgegen; der Junker von Roſenberg, der Com - thur des deutſchen Ordens zu Mergentheim,1Verſchreibung Diedrichs von Clee, Maiſter Teutſchordens, in den Urkk. bei Oͤchsle. Vgl. dieſe Schrift ſelbſt p. 135. die Grafen von Hohenlohe und Löwenſtein wurden genöthigt, die Be - dingungen zu unterſchreiben die ihnen die Bauern mach - ten, und ſich der Reform, die ſie einführen würden, im Voraus zu unterwerfen. Die Grafen Georg und Albrecht von Hohenlohe bequemten ſich, auf dem Grünbühl vor dem Heere der Bauern zu erſcheinen: Bruder Georg und Bruder Albrecht, rief ihnen ein Keßler von Öhringen zu, kommt her und gelobt den Bauern, bei ihnen als Brü - der zu halten, denn auch ihr ſeyd nun nicht mehr Herrn, ſondern Bauern. 2Schreiben des Grafen Georg an die Stadt Hall Dienſt. nach Palm. bei Oͤchsle 271.Wehe denen, die ſich widerſetzten, wie Graf Helfenſtein in Weinsberg. In den Bauern entzün - dete ſich bei dem erſten Widerſtand ihre angeborne Roheit zu dem wildeſten, übermüthigſten Blutdurſt: ſie ſchwuren197Bauernkrieg.alles zu tödten was Sporen trage; als ſie Helfenſteins mächtig geworden, war es vergebens, daß ſich ſeine Ge - mahlin, natürliche Tochter Kaiſer Maximilians, ihren Kna - ben auf dem Arm vor den Oberhäuptern niederwarf: man bildete eine Gaſſe, ein pfeifender Bauer ſchritt dem Schlacht - opfer voran: unter Trommeten und Schalmeienklang ward Helfenſtein in die Spieße ſeiner Bauern gejagt. Da beugte ſich Jedermann: der ganze Adel vom Odenwald bis an die ſchwäbiſche Grenze nahm die Geſetze der Bauern an: die Winterſtetten, Stettenfels, Zobel, Gemmingen, Frauen - berg, die Grafen von Wertheim und Rheineck: die Ho - henlohe gaben den Bauern jetzt auch ihr Geſchütz. 1Chronik der Truchſeſſen II, p. 195.Um der Sache ein Ende zu machen, nahmen beide Haufen ihren Weg wider den mächtigſten Herrn in Frankenland, der den Titel des Herzogs daſelbſt führte, wider den Bi - ſchof von Würzburg. Sie hatten ſich auf dem Zug nicht allein bereichert und verſtärkt, ſondern auch mit nahmhaf - ten Hauptleuten aus dem Ritterſtand verſehen. Die An - führung des Odenwalder Haufens hatte Götz vvn Berli - chingen übernommen zum Theil wohl, weil es gefährlich geweſen wäre, ſich zu widerſetzen, aber zugleich angezogen durch die kriegeriſche Thätigkeit die ſich ihm hier darbot, in der er nun einmal lebte und webte, zumal da ſie gegen ſeine alten Feinde im ſchwäbiſchen Bund gerichtet war:2Lebensbeſchreibung des Goͤtz p. 201. Vgl. ſeine Entſchul - digung in den Materialien p. 156. den Rothenburger führte Florian Geier. Am 6ten und 7ten Mai erſchienen ſie von verſchiednen Seiten her vor Würz - burg, freudig empfangen von den Bürgern der Stadt,198Drittes Buch. Sechstes Capitel.welche ſich jetzt zu reichsſtädtiſchen Freiheiten zu erheben gedachten,1Johann Reinhards Wuͤrzburgiſche Chronik in Ludwig Wuͤrzb. Geſchichtſchr. p. 886. und ſchwuren einander nicht zu verlaſſen, bis der Frauenberg erobert ſey, wo die letzte Kraft der Rit - terſchaft und des Fürſtenthums in Franken, die ſich jetzt vereinigt hatten, verſammelt war.

Und in dieſem Augenblick, Ende April, Anfang Mai 1525, war bereits in ganz Oberdeutſchland ein ähnlicher Zuſtand eingetreten. Allenthalben waren Bewegungen aus - gebrochen und im Grunde auch überall ſiegreich geblieben.

Der Biſchof von Speier hatte die Bedingungen der Bauern eingehen müſſen:2Gnodalius II, 142. der Churfürſt von der Pfalz hatte ſich in freiem Felde bei dem Dorfe Horſt vor ihnen geſtellt und ihnen Erledigung ihrer Beſchwerden auf die Grundlage der 12 Artikel verſprochen. 3Schreiben des Churfuͤrſten an Melanchthon: Haben uns mit ihnen der 12 Artikel wegen eines Landtags vereinigt, dergeſtalt was wir uns derſelben mit ihnen vergleichen moͤchten das hat ſeine Wege, weß wir uns aber nicht vertragen koͤnnen, das ſolt ſtehen zu Kur - fuͤrſten Fuͤrſten und Staͤnden des Reiches. Iſt das Prinzip der meiſten Abkommen die man traf. (Mel. Epp. I, 743.)Im Elſaß war ſelbſt die Reſidenz des Biſchofs, Zabern in die Hände der Bauern gefallen: die Einwohner der kleinen Städte erklär - ten, ſie hätten keine Spieße um die Bauern zu ſtechen: deren Hauptleute, der Schlemmerhans und der Deckerhans hatten einen Augenblick die Herrſchaft. Da Markgraf Ernſt von Baden die Bedingungen der Bauern nicht ein - gehn wollte, wurden ſeine Schlöſſer eingenommen, und er mußte flüchtig werden. Die Ritterſchaft des Hegau ward199Bauernkrieg.in der Stadt Zell am Unterſee von den Bauern eingeſchloſ - ſen und belagert. Auch der gewaltige Truchſeß an der Spitze der ſchwäbiſchen Bundesvölker mußte ſich endlich zum Vertrag mit den Bauern von Allgau, See und Ried bequemen und ihnen eine Erledigung ihrer Beſchwerden unter Vermittelung der Städte verſprechen. Ein Glück wenn ſie ſich nur noch auch auf die Zukunft verweiſen lie - ßen. In Wirtenberg wollten ſie von keinem Landtag mehr hören, ſondern alles augenblicklich ihrer chriſtlichen Ver - einigung unterwerfen, die ſich bereits über den größten Theil des Landes verbreitete: jeder Ort ſtellte eine beſtimmte Anzahl Leute ins Feld. Der Biſchof von Bamberg, der Abt von Hersfeld, der Coadjutor von Fulda hatten ſich zu geiſtlichen und weltlichen Conceſſionen verſtanden: der letzte mit beſonders leichtem Sinne: ſchon ließ er ſich als Fürſt von der Buchen begrüßen; auch ſein Bruder der alte Graf Wilhelm von Henneberg nahm den Bund der Bauern an und verſprach alles frei zu laſſen, was Gott der Allmächtige gefreiet in Chriſto ſeinem Sohn. 1Bundesformel bei Ludwig a. a. O. p. 879.Viel - leicht den kühnſten Verſuch einer Umgeſtaltung aller Ver - hältniſſe machten die Einwohner des Rheingau. Noch ein - mal verſammelten ſie ſich auf dem Grund und Boden ihrer uralten Malſtatt, der Lützelaue, zu St. Bartholomä,2Nach Bodmanns Rheingauiſchen Alterthuͤmern p. 461. Daß der Wachholder die alte Malſtatt geweſen, wie Vogt annimmt, be - ruht wohl auf einem Irrthnm. und vereinigten ſich, vor allem ihre alte Verfaſſung zurückzufor - dern, das Haingericht nach dem alten Rechte, die Herſtellung des Gebickes, welches das Land in eine Art von Feſtung200Drittes Buch. Sechstes Capitel.verwandelte, überdieß aber eine gleichmäßige Herbeiziehung der weltlichen und geiſtlichen Herrn zu den Laſten der Ge - meine, Verwendung der Kloſtergüter zum Nutzen der Land - ſchaft; gelagert auf dem Wachholder bei Erbach, in offe - ner Empörung nöthigten ſie Statthalter, Dechant und Ca - pitel, ihre Forderung in der That zu bewilligen. 1Artikel gemeiner Landſchaft bei Schunk Beitraͤge zur Main - zer Geſch. I, p. 191.Auch in Aſchaffenburg mußte der Statthalter des Erzbiſchofs von Mainz die Bedingungen der Bauern eingehn.

Dergeſtalt war der ganze ſchwäbiſche und fränkiſche Stamm der deutſchen Nation in einer Bewegung begrif - fen, die ſich zu einer vollſtändigen Umkehr aller Verhält - niſſe anließ; ſchon nahmen neben den Bauerſchaften auch eine ganze Anzahl von Städten daran Antheil.

Zuerſt geſellten ſich die kleineren Städte zu ihnen: wie Kempten, ſo Leipheim und Günzburg an der Donau, die freilich dafür ſehr bald geſtraft wurden, die neun oden - wäldiſchen Städte im Mainzer Oberſtift, die Städte im Breisgau, wo wohl hie oder da ein Stadtſchreiber den Bauern ſelbſt die Thore öffnete; ſie hätten ohnehin nicht die Kraft gehabt Widerſtand zu leiſten und theilten die mei - ſten Beſchwerden der Bauern; die bambergiſchen faßten die kühne Idee, die benachbarten Edelleute zu nöthigen, in ihre Ringmauern zu ziehen und Bürger zu werden; bei 50 Schlöſſer ſind hier geſtürmt worden. 2Lang Geſchichte von Baireuth I, 187. Heller a. a. O. p. 88. Dann wur - den auch einige Reichsſtädte zweiten und dritten Ranges in Güte oder mit Gewalt herbeigezogen, Heilbronn, Mem -201Bauernkrieg.mingen, Dünkelſpiel, Wimpfen; Rothenburg trat endlich in feierlicher Verſammlung in der Pfarrkirche auf hundert und ein Jahr in den Bund der Bauern. Windsheim ward nur durch die Abmahnungen von Nürnberg zurück - gehalten. Aber ſelbſt in den größern Städten regten ſich ähnliche Tendenzen. Mainz forderte die ihm nach dem letzten Aufruhr entriſſenen reichsſtädtiſchen Rechte wieder zurück. Der Rath von Trier drang nicht allein auf eine Herbeiziehung der Geiſtlichen zu den bürgerlichen La - ſten, ſondern nahm ſogar einen Antheil an den geiſtli - chen Gefällen in Anſpruch, die bei den Reliquien im Dome einkamen;1Scheckmann: Additamentum ad gesta Trevirorum in Wyt - tenbachs Ausg. der Gesta II, animadv. p. 51. in Frankfurt ſah ſich der Rath ge - nöthigt, die ihm von der Gemeine vorgelegten Artikel von Wort zu Wort anzunehmen. 2Lersners Frankfurter Chronik.Zu ſeiner Entſchuldigung führt er an daß das auch in gar manchen andern Reichs - ſtädten geſchehe. Man bemerkte, Strasburg nehme die Empörer als Bürger auf, Ulm unterſtütze ſie mit Waffen, Nürnberg mit Proviant. Schon findet ſich ein Gelehrter, der die Meinung hegt, die Bewegung rühre faſt noch mehr von den Städten her als von den Bauern, durch jüdiſche Emiſſäre habe man dieſe erſt aufgereizt: der Sinn der Städte ſey, ſich der fürſtlichen Gewalt überhaupt zu entziehen und zu leben wie Venedig oder die alten Repu - bliken. 3Conradi Mutiani Literae ad Fridericum electorem 27 April 1525 in Koͤhlers Beitraͤgen I, 270.

So wenig das auch Grund hatte, wir wiſſen ſehr202Drittes Buch. Sechstes Capitel.wohl, mit welchem Eifer manche Reichsſtadt, z. B. Nürn - berg, die beginnende Bewegung in ihrem eignen Gebiet zu unterdrücken bemüht war: wir ſehen allenthalben, wie die den bäuriſchen entſprechenden ſtädtiſchen Gährungen nur durch die Gelegenheit hervorgerufen werden, ſo ſpringt doch in die Augen, wie ſtark und umfaſſend durch das Hinzutreten dieſes zweiten Elementes die Empörung, die allgemeine Gefahr werden mußte.

Da iſt nun überaus merkwürdig, welche Ideen in dieſem Moment emporſtiegen.

Die Bauern in Franken faßten Pläne zu einer Re - formation des Reiches.

So tief lag dieſe Beſtrebung, man möchte ſagen, im Blute der Nation. Was die Fürſten auf ſo vielen Reichs - tagen vergebens verſucht hatten, was auch Sickingen drei Jahr früher mit den Rittern auf ſeine Weiſe auszufüh - ren beabſichtigt, das glaubten jetzt die Bauern durchſetzen zu können: natürlich in einem Sinne der ihrer Erhebung überhaupt entſprach.

Man wollte vor allem verſuchen, der in ſich zügel - loſen Bewegung eine allgemeine Leitung zu geben. In Heilbronn ſollte eine gemeinſchaftliche Canzlei für alle Hau - fen, eine Art von Regierung eingerichtet werden. Die Maſſen ſelbſt ſollten nach Hauſe an ihr Tagewerk gehn, nur ein Aufgebot ſollte im Felde bleiben, und es ſein Ge - ſchäft ſeyn laſſen, die noch Unüberwundenen zur Annahme der zwölf Artikel zu nöthigen.

Indem man dann weiter an eine definitive Einrichtung dachte, war die vornehmſte Idee, die alles beherrſchte, fol -203Bauernkrieg.gende. Die Bauern ſollten von allen drückenden Gerecht - ſamen geiſtlicher und weltlicher Herrſchaften befreit werden. Zu dem Ende wollte man zu einer allgemeinen Säculariſa - tion der geiſtlichen Güter ſchreiten. Indem dadurch die geiſtlichen Herrſchaften weggefallen wären, hätte man auch die Möglichkeit erhalten, die weltlichen zu entſchädigen: denn nicht ohne Entſchädigung wollte man die letztern ihrer Rechte berauben. Die Maſſe der Güter war aber ſo groß, daß man damit auch noch alle öffentlichen Bedürfniſſe des Rei - ches zu befriedigen hoffte. Alle Zölle ſollten aufhören, alle Geleite; nur immer im zehnten Jahr ſollte man eine Steuer zu bezahlen haben: für den römiſchen Kaiſer,1So ſchlug man dem Markgrafen Ernſt von Baden ab, ihn als Fuͤrſten zu erkennen, nur vom Kaiſer und von deſſen Statthal - ter wollten ſie in Zukunft regiert ſeyn. Etwas Aͤhnliches verſtanden ſie auch wohl unter dem goͤttlichen Recht das ſie dem Herzog von Wirtenberg bewilligten. Daß ſie den Kaiſer anerkannten, hatte ſeinen vornehmſten Grund darin daß er in dem N. Teſt. vorkam. deſ - ſen Schirm und Schutz in Zukunft allein herrſchen würde, ohne alle andre Verpflichtung. Die Gerichte ſollten nach einem umfaſſenden Grundſatz umgeſtaltet und populariſirt werden. Vier und ſechzig Freigerichte ſollten im Reiche beſtehen, mit Beiſitzern aus allen Ständen, auch aus den geringern; ſechzehn Landgerichte, vier Hofgerichte, Ein Kam - mergericht; alle auf ähnliche Weiſe organiſirt. Das Kam - mergericht ſollte folgende Mitglieder haben: zwei von Fürſten, zwei von Grafen und Herrn, zwei von der Ritterſchaft, drei von den Reichsſtädten, drei von den Fürſtenſtädten, vier von allen Communen im Reiche. Gedanken, die ſchon öfter ge - faßt waren, die z. B. ſchon in einer 1523 erſchienenen Schrift:204Drittes Buch. Sechstes Capitel.Nothdurft deutſcher Nation, ausgeſprochen ſind, jetzt aber von ein paar geſchickten und kühnen Bauernanführern, Fried - rich Weigant von Miltenberg, und Wendel Hipler, früher ho - henlohiſchem Canzler, aufgenommen und ausgebildet wurden. 1Vgl. Entwuͤrfe der Bauern bei Oͤchsle p. 163 und im An - hang. Es iſt ſchon von Eichhorn (Deutſche Staats und Rechtsgeſch. III, p. 119 Ausg. IV) bemerkt worden, daß durch dieſe Entwuͤrfe ein neues Licht auf die ſog. Reformation Friedrichs III faͤllt. Zwar traͤgt Goldaſt die Schuld nicht, die ihm Eichhorn beimißt, er hat dieß Werkchen nicht zuerſt fuͤr eine Reformation des Kaiſers ausgegeben; die alte Schrift, die er citirt, fuͤhrt wirklich den Titel: Teutſcher Nation Notturft: die Ordnung und Reformation aller Stend im Roͤm Reych, durch Kayſer Friedrich III Gott zu Lob, der ganzen Chriſtenheyt zu Nutz und Seligkeit fuͤrgenommen. (Panzer II, p. 226.) Allein das iſt ohne Zweifel nur eine ſchriftſtelleriſche Fiction: die Schrift athmet durchaus den Geiſt der erſten Reformationsjahre. Das Ungluͤck von Erfurt, deſſen dort unter den Communen gedacht wird, die durch eigen Nutz zu Grund gegangen, bezieht ſich auch wohl mehr auf die verderblichen Unruhen von 1510 als auf fruͤhere wenig bemerkte Er - eigniſſe.Beſonders die Doctoren des römiſchen Rechtes waren den Bauern verhaßt: zu keinem Gericht ſollten ſie zugelaſſen werden: nur an den Univerſitäten wollte man ſie dulden, um ſich in dringenden Fällen Raths bei ihnen zu erholen. Auch übrigens ſollten alle Stände auf ihre urſprüngliche Beſtimmung zurückgeführt werden: die Geiſtlichen nur die Hüter ihrer Gemeine ſeyn: Fürſten und Ritter ſich den Schutz der Schwachen angelegen ſeyn laſſen und ſich brü - derlich halten: alle Communen eine Reformation nach göttli - chem und natürlichem Recht erfahren: nur Eine Münze ſollte gelten: man wollte gleiches Maaß und Gewicht einführen.

Ideen einer radicalen Umwälzung, wie ſie erſt in der fran - zöſiſchen Revolution wieder zum Vorſchein gekommen ſind.

Allein ohne Ausſicht waren ſie nicht. Jeden Moment205Bauernkrieg.breitete ſich die Bewegung weiter aus. Sie hatte ſchon Heſſen ergriffen, und ſuchte von hier aus den ſächſiſchen, von Oberſchwaben den bairiſchen Stamm, von Elſaß her Lothringen zu erreichen und zu überfluthen. Übereinſtim - mende Regungen finden wir in Weſtphalen, z. B. in Mün - ſter, wo die Stadt ihrem Capitel gegenüber die nemlichen Forderungen aufſtellt wie dort Trier, und der Biſchof ſchon fürchtet, in Kurzem das ganze Land von dem Sturme ergriffen zu ſehen;1Alle und ſemptliche Artikel durch Die van Munſter by ſick ſolveſt upgericht, und beſonders das Schreiben des Biſchof Frederik 8 Mai bei Nieſert Beitraͤge zu einem muͤnſterſchen Urkundenbuch I, 113. So juw vorgekommen, was grotes Uprores jtzont im hylli - gen Ryke und daitſcher Nation weder alle chriſtliche Ordenunge Obe - richeit geiſtlich[und] weltlich vorhanden is werden wy berichtet, das ſulchs allhier in unſerm Geſtichte unſer Obericheit und inſonder - heit dem geiſtlichen Stande zu gyner geringen Verhonynge Inbrock und Beſweringe im Deile och vorgenommen und betenget. in den öſtreichiſchen Vorlanden, wo die Widerſtrebenden in der That mit jener Acht der Bauern heimgeſucht wurden; in allen Alpengegenden; in Tirol ſah ſich Erzherzog Ferdinand genöthigt, den Aus - ſchüſſen der zwei Stände von Inn und Wippthal in of - fenbarem Widerſpruch mit den Regensburger Beſchlüſſen die Bewilligung zu machen, daß das Evangelium in Zu - kunft lauter und klar, wie das der Text vermag, gepredigt werden ſolle; 2Excerpte bei Bucholtz VIII, 330. Es iſt ein Mißkennen der Sprache dieſer Zeit, wenn Bucholtz annimmt, in dieſen Bewil - ligungen ſey das Verfaͤngliche umgangen. im Stifte Brixen ſtellte ſich der Secretär des Biſchofs Michael Geißmayr an die Spitze des Auf - ruhrs; in Salzburg ſammelten ſich auf den Ruf der Sturm - glocke die Bergknappen bei den Kirchen. Selbſt zwiſchen206Drittes Buch. Sechstes Capitel.Wien und Neuſtadt ſprachen die Hauerknechte in den Wein - bergen von einer Verbindung, die es ihnen möglich mache, binnen wenigen Stunden bei zehntauſend Mann ins Feld zu ſtellen. 1Schreiben von Hofrath und Renntkammer bei Bucholtz VIII. p. 88.

Indeſſen war der Aufruhr auch in Thüringen losgebro - chen, und da in ein neues Stadium ſeiner Entwickelung getreten.

Es ſollte faſt ſcheinen, als hätten in Thüringen und am Harz Überlieferungen des flagellantiſchen Spiritualis - mus, deſſen Spuren wir dort noch bis ans Ende des funf - zehnten Jahrhunderts begleiten,2Nach Johann Lindners Onomaſticon (bei Mencken II, p. 1521) war dieſe Secte beſonders in Aſchersleben und Sangerhau - ſen im Gange. Nach einem Document welches Foͤrſtemann in den Provincialblaͤttern fuͤr Sachſen mittheilt (1838 nr. 232) finden wir noch eine Inquiſition auf dem Schloſſe Hoym gegen einen Geißler im J. 1481. Ein Anſchließungspunct moͤchte ſeyn, daß auch jene ihren Prediger als Propheten behandelten, in ihm den Richter am juͤngſten Tage zu ſehen meinten. Doch iſt freilich alles metamorphoſirt. den Boden für die bäuri - ſchen Unruhen vorbereitet. Wenigſtens waren hier die Mo - tive religiöſer Schwärmerei noch ſtärker als die politiſchen. Jene Meinungen, welche Luther einſt in Wittenberg be - ſiegt, gegen deren Feſtſetzung in Thüringen er ſeinen Fürſten gewarnt, fanden jetzt Gehör bei einer großen aufgeregten Po - pulation. Münzer war nach Thüringen zurückgekehrt: in Mühlhauſen, wo wie in Rothenburg durch das Einver - ſtändniß des Landvolkes und der geringeren Bürgerclaſſe eine Änderung der Verfaſſung und des Rathes herbeige - führt worden war, hatte er Aufnahme gefunden, und die Gährung in weiten Kreiſen um ſich her verbreitet. Er ver -207Bauernkrieg.achtete, wie wir wiſſen, das gedichtete Evangelium, das Luther predigte, ſeinen honigſüßen Chriſtus, ſeine Lehre daß der Widerchriſt zerſtört werden müſſe durch das Wort allein, ohne Gewalt: er behauptete, das Unkraut müſſe ausgerauft werden zur Zeit der Ernte, ſo habe Joſua die Völker des gelobten Landes mit der Schärfe des Schwer - tes getroffen. 1Auslegung des andern unterſchyds Danielis deß propheten gepredigt aufm Schloß zu Alſtedt vor den tetigen thewren Herzo - gen und Vorſtehern zu Sachſen durch Thomas Muͤntzer. 1524. Wohl eine ſeiner merkwuͤrdigſten Schriften. Er windet ſich ſehr, um einen Unterſchied zwiſchen der aͤchten Offenbarung und den falſchen Geſich - ten aufzuſtellen, z. B. ſie komme hernieder in eyner frohen Ver - wunderung, der Menſch muͤſſe abgeſchieden ſein von allem zeitli - chen Troſt ſeines Fleiſches, das Werk der Geſichte muͤſſe nit rauſſer quellen durch menſchliche anſchlege, ſondern einfaltig herfließen nach Gottes unvorrucklichen Willen; aber es leuchtet ein, daß er mit dem allen noch lange nicht ſo weit kommt wie Ignatius Loyola. Zu - gleich bekaͤmpft er die gemaͤßigte Theorie Luthers, die er einer ge - tichten Guͤte zuſchreibt. Er ſagt ganz offen, der Gottloſe habe kein Recht zu leben. Ich ſage mit Chriſto ꝛc., das man die gotloſen regenten, ſunderlich pfaffen und moͤnche toͤdten ſol. Die Fuͤrſten ſol - len die Gottloſen vertilgen, wo nicht ſo wird ihnen Gott ihr Schwerd nehmen. Ah lieben Herren, wie hubſch wirt der Herr unter die alten Topf ſchmeißen mit einer eyſern ſtangen. Auch mit den Verträgen, welche die Bauern in Schwaben und Franken ſchloſſen, war er unzufrieden. Viel weiter giengen ſeine Gedanken. Er fand es unmög - lich den Leuten die Wahrheit zu ſagen, ſo lange ſie von den Fürſten regiert würden. Er erklärte es für unerträg - lich, daß alle Creatur zum Eigenthum gemacht worden ſey, die Fiſche im Waſſer, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden: auch die Creatur müſſe frei werden, wenn das reine Wort Gottes aufgehen ſolle. Alle Begriffe, auf denen der Staat beruht, ſtößt er um: nur die Offenbarung208Drittes Buch. Sechstes Capitel.erkennt er an. Aber ein neuer Daniel, ſagt er, muß ſie auslegen und an der Spitze des Volkes einhergehn wie Moſe. In Mühlhauſen gelangte er zu dem Anſehn eines Herrn und Propheten. Er ſaß mit zu Rathe: er ſprach Recht, nach der Offenbarung, unter ſeiner Leitung wurden die Klöſter eingezogen, Geſchütze gegoſſen, mit gewaltigem Caliber, kriegeriſche Unternehmungen vollzogen. Erſt wur - den die Pfarren im Gebiet des Herzog Georg überfallen, dann wurden mit Hülfe des empörten Volkes die Klöſter geſtürmt, wie am Harz Michelſtein, Ilſenburg, Walken - ried, ſo in der güldnen Aue Kelbra, Donndorf, Roßleben, Memleben, alle andern in der großen Thüringer Ebene bis hinan in den Wald; in Reinhardsbrunn wurden die Denk - male der alten Landgrafen verwüſtet, die Bibliothek zer - ſtört. 1Thuringia sacra I, 173.Hierauf griff man, wie im Eichsfeld, ſo in Thü - ringen die Schlöſſer und Höfe der Herrn an. Hier hören wir nicht von Bedingung und Vertrag, von jener Aus - ſicht auf eine künftige Reformation: es war auf das all - gemeine erbarmungsloſe Verderben abgeſehen. Lieben Brü - der, ſchrieb Münzer an die Bergleute zu Mansfeld, laßt Euch nicht erbarmen, ob Euch Eſau gute Worte gebe; ſehet nicht an den Jammer der Gottloſen. Laſſet Euer Schwerd nicht kalt werden vom Blut: ſchmiedet Pinke - panke auf den Amboß Nimrod, werft ihm den Thurm zu Boden, weil ihr Tag habt. Daß du es wiſſeſt, ſchrieb er an Graf Ernſt zu Heldrungen, der allmächtige ewige Gott hat es geheißen dich mit der Gewalt die uns gege -ben,209Bauernkrieg.ben, vom Stuhl zu ſtoßen. 1Schreiben bei Strobel: Leben, Schriften und Lehren Thomaͤ Muͤnzers p. 95.Als das Landvolk von Schwarzburg ſich gegen den Grafen erhoben, auch hier ein - verſtanden mit den kleinen Städten, und ſich in einen ſtar - ken Haufen zu Frankenhauſen geſammelt, fürchtete Münzer nur den Abſchluß eines Vertrages, Betrug wie er ſich aus - drückt durch die Gerechtigkeit, und erhob ſich in Perſon aus dem feſten Mühlhauſen, um das zu verhindern, und das Neſt der Adler anzugreifen. Aus der Apocalypſe be - wies er, daß die Gewalt dem gemeinen Volk gegeben wer - den ſolle. Macht Euch mit uns an den Reigen, ſchrieb er an ſeine Freunde zu Erfurt: den wollen wir gar eben treten: wir wollen es den Gottesläſterern bezahlen, wie ſie der armen Chriſtenheit mitgeſpielt haben. Er unterzeichnet ſich Thomas Münzer mit dem Schwerd Gideonis.

Eine gewaltige Stellung hatte Thomas Münzer doch, ſo ſehr er auch ein Schwärmer war. Die ſpiritualiſtiſchen Meinungen früherer Jahrhunderte durchdrangen ſich in ihm mit den Tendenzen geiſtlicher und weltlicher Reform, welche jetzt emporgekommen. Er bildete eine Meinung aus, die ſich an das gemeine Volk wandte, es zur Vernichtung al - ler beſtehenden Ordnung aufforderte, und die unbedingte Herrſchaft eines Propheten vorbereitete. Rings umher auf allen Bergen von Thüringen und Meißen ſammelten ſich Volkshaufen,2Pauli Langii Chronica Numburgensia bei Mencken II, 67. erwartungsvoll nach einem erſten entſchied - nen Erfolg ſeines Unternehmens, dem ſie ſich anzuſchließenRanke d. Geſch. II. 14210Drittes Buch. Sechstes Capitel.geſonnen waren. Über ganz Deutſchland hätten dann die Fluthen in dieſer Richtung hingewogt.

So kam es endlich zu Tage, was ſich ſchon lange angekündigt: nachdem die Gewalten, welche den deutſchen Staat conſtituirten, an einander und unter ſich ſelber irre geworden, erhoben ſich die elementaren Kräfte, auf denen er beruhte. Aus dem Boden zuckten die Blitze auf: die Strömungen des öffentlichen Lebens wichen aus ihrem ge - wohnten Laufe: das Ungewitter der Tiefe, das man ſo lange brauſen gehört, entlud ſich gegen die obern Regionen: es ſchien ſich alles zu einer vollkommenen Umkehr anzu - laſſen.

Treten wir dieſem größten Naturereigniß des deutſchen Staates in ſeiner Totalität noch einmal näher, ſo können wir mehrere Stufen darin unterſcheiden.

Der Urſprung deſſelben lag ohne Zweifel in der grade in den letzten Jahren angewachſenen Bedrückung des Bauern - ſtandes, der Auflegung neuer Laſten, und zugleich in der Verfolgung der evangeliſchen Lehre, die den gemeinen Mann in Deutſchland mehr als früher oder ſpäter irgend ein gei - ſtiges Element ergriffen, zu ſelbſtthät[i]ger Theilnahme an - geregt hatte. Es hätte ſich denken laſſen, daß die Bauern dabei ſtehn geblieben wären, die willkührlichen Anforderun - gen zu verweigern, und ſich die Freiheit der Predigt zu ver - ſchaffen: damit würden ſie noch keineswegs alle Macht der beſtehenden Ordnung wider ſich aufgerufen, ſie würden ſich vielleicht eine bedeutende Zukunft geſetzlichen Fortſchrittes geſichert haben.

Ja ſelbſt noch mehr ließ ſich erreichen. An ſo vielen211Bauernkrieg.Orten ſehen wir Verträge ſchließen, in welchen die Herr - ſchaften von ihren früher erworbenen Rechten die drückend - ſten aufgaben: es ließe ſich denken, daß man dieſelben von beiden Seiten beobachtet hätte und dadurch in ein rechtlich beſtimmtes Verhältniß zu einander getreten wäre.

Allein es liegt nun einmal nicht in der Natur des Menſchen ſich mit einem beſchränkten Gewinn zu begnü - gen; und die ſiegreiche Menge wird niemals verſtehn inne zu halten. Es erwachte wohl hie und da eine verworrene Erinnerung an alte Gerechtſame der Volksgemeinden: oder man fühlte ſich nicht minder wehrhaft als die Ritter wie denn der Aufruhr zugleich als ein Symptom des wie - der emporkommenden Fußvolkes angeſehen werden muß: hauptſächlich aber Haß und Rachſucht die ſich lange ange - ſammelt fanden endlich Raum ſich zu entladen. Indem ei - nige Oberhäupter ſich vermaaßen, in dem Reiche eine beſ - ſere Ordnung zu ſtiften, fluthete die wilde Zerſtörung von Schloß zu Schloß von Kloſter zu Kloſter, und bedrohte be - reits die Städte die ſich nicht anſchloſſen: der Bauer meinte wohl, er dürfe nicht ruhn, bis es in Deutſchland nichts wei - ter gebe als Bauernhäuſer. 1Nach Muͤllners Annalen erklaͤrten die Bauern, verdrießlich uͤber eine abſchlaͤgliche Antwort, dem Rath zu Nuͤrnberg: es ſey wohl moͤglich, daß der Rath eher die Huͤlfe der Bauern beduͤrfe als die Bauern die Huͤlfe des Rathes: darauf ſind ſie mit einem ſolchen Trutz und Hochmuth abgeſcheiden, als wann die Welt ihr eigen waͤre; haben ſich auch ingeheim gegen etliche vernehmen laſſen, ſie gedenken kein Hauß im ganzen Land zu gedulden, das beßer ſey denn ein Bauernhaus. In der Lanndſordnung, ſo Michel Geismair ge - macht hat, im 1526 Jar bei Bucholtz IX, 651 iſt der fuͤnfte Artikel, daß alle Rinkmauern an den Stetten, dergl. alle Ge - ſchloͤſſer und Beveſtigung im Lannd niedergeprochen werden undUnd mit dieſer Wuth traf nun14*212Drittes Buch. Sechstes Capitel.der Fanatismus der ſchwärmeriſchen Predigt zuſammen, der die Zerſtörung rechtfertigte, ſich berufen glaubte, Blut zu ver - gießen und nach der Eingebung des Momentes, die er für göttlich erklärte, ein neues himmliſches Reich aufzurichten. Wäre es gelungen, ſo wäre es mit aller ruhigen Entwicke - lung nach den dem Geſchlechte der Menſchen nun einmal vorgeſchriebenen Geſetzen am Ende geweſen. Glücklicherweiſe konnte es nicht gelingen. Zu ſeinem gigantiſchen Unterneh - men war Münzer lange nicht Prophet noch Held genug. Dazu waren auch die beſtehenden Zuſtände doch zu gut befeſtigt. In der reformatoriſchen Bewegung ſelbſt war das ſtärkſte und in ſich wahrhaftigſte Element ihm entgegen.

Luther hatte ſich von Sickingen und den Rittern zu keinem politiſchen Unternehmen fortreißen laſſen: auch die Bewegung der Bauern konnte ihn nicht anfechten. An - fangs, als ſie noch unſchuldiger ausſah, redete er zum Frieden: er hielt den Fürſten und Herrn ihre Gewaltthä - tigkeiten vor: zugleich aber verdammte er doch den Auf - ruhr, der wider göttliches und evangeliſches Recht laufe, den beiden Reichen, dem weltlichen und dem geiſtlichen, der deutſchen Nation den Untergang drohe. 1Ermanung zum Friede auf die 12 Artikel der Baurſchaft in Schwaben. Altenb. III, p. 114.Wie ſich nun aber dieſe Gefahr ſo raſch entwickelte, ſeine alten Gegner, die Mordpropheten und Rottengeiſter, in dem Tumult ſo mächtig hervortraten, wie er wirklich fürchten mußte, die Bauern möchten obſiegen, was dann nichts als der Vorbote des jüngſten Tages ſeyn könne, brach ſein voller Ingrimm los. Bei dem unermeßlichen Anſehen das1hinfur nimmer ſtaͤtt ſonnder Doͤrfer ſein, damit Unterſchied der Men - ſchen (aufhoͤre) und ain gannze gleichait im Lannd ſei. 213Bauernkrieg.er genoß, was hätte es für Folgen haben müſſen wenn er ſich zu ihnen geſchlagen hätte! Aber er hielt feſt an der Trennung des Geiſtlichen und Weltlichen, die einen der erſten Grundbegriffe alles ſeines Denkens ausmacht: an der Lehre, daß das Evangelium die Seelen frei mache, nicht Leib und Gut. Man hat in der Predigt den Ur - ſprung des Aufruhrs ſehen wollen, wir wiſſen, wie es darum ſtand; vielmehr bedachte ſich Luther wie drei Jahr früher ſo auch jetzt keinen Augenblick, ſich dem Sturme entge - gen zu werfen, die allgemeine Zerſtörung, die er mit deutli - cher Vorausſicht kommen ſah, an ſeinem Theile zu verhüten. Hundertmal, ſagte er, ſolle ein frommer Chriſt den Tod leiden, ehe er ein Haar breit in die Sache der Bauern willige: die Obrigkeit ſolle kein Erbarmen haben, die Zeit des Zornes und des Schwerdes ſey gekommen, ſie ſolle drein ſchlagen weil ſie eine Ader regen könne, das ſey die göttliche Pflicht die ihr obliege. Wer in dieſem Dienſt um - komme, der ſey ein Märtyrer Chriſti. So kühn er die Eine Seite der beſtehenden Ordnungen, die geiſtliche angegriffen, ſo gewaltig hielt er an der andern, der weltlichen feſt. 1Wider die raͤubiſchen und moͤrdiſchen Bauern ib. 124. Vgl. das Schreiben an Ruͤhel II, 886. Uͤbrigens ſtand ihm Melanchthon auch hier mit uͤberzeugenden, dogmatiſirenden und doch ſehr klaren Schlußfolgen bei Z. B. an Spalatin 10 April 1525, zunaͤchſt wi - der die Einfuͤhrung der moſaiſchen Geſetze, aber auch allgemein zu verſtehn: Rationi humanae commisit Christus ordinationes politi - cas: debemus uti praesentibus legibus. (Corp. Ref. I, 733.)

Da ermannten ſich auch ſchon die weltlichen Gewalten ſelbſt, in dieſer größten Gefahr die ſie je beſtanden.

Zuerſt erhob ſich eben der, der gegen Sickingen das Beſte gethan, der junge Philipp von Heſſen. Gegen Aus -214Drittes Buch. Sechstes Capitel.gang April verſammelte er ſeine Ritter und Getreuen von den Städten in Alsfeld; auf ſeine Frage betheuerten ſie ihm mit aufgereckten Fingern, bei ihm leben und ſterben zu wollen. Vor allem ſuchte er nun ſeine eignen Grenzen zu ſchützen: er beruhigte Hersfeld und Fulda, und zwar nicht ohne Gewaltthat, obwohl ſie die Sage mythiſch vergrö - ßert hat; dann ſtieg er über das Gebirg nach Thüringen, um hier ſeinen ſächſiſchen Vettern, mit denen er in alter Erbeinigung ſtand, zu Hülfe zu kommen. 1Haarer. Warhafftige Beſchreibung des Bawernkriegs c. 49 in Goͤbels Beitraͤgen p. 139. Rommel I, 108.

Hier war in dem Augenblick, als ſich dieſe Stürme am gewaltigſten erhoben, der Churfürſt Friedrich geſtorben. Wie contraſtirt mit der ungeſtümen Kampfeswuth, welche Deutſchland erfüllte, das ſtille Zimmer zu Lochau, wo Frie - drich, gefaßt in ſeinen peinlichen Schmerzen, den Tod er - wartete. Ihr thut Recht, ſagte er zu ſeinem Prediger und Secretär Spalatin, der ſich nach langem Bedenken das Herz gefaßt hatte, ſich bei ihm melden zu laſſen, daß ihr zu mir kommt, denn Kranke ſoll man beſuchen, ließ den niedrigen Seſſel auf dem er ſaß an den Tiſch rollen, legte ſeine Hand in die Hand dieſes Vertrauten ſeiner letzten Jahre, und ſprach noch einmal mit ihm von den Dingen der Welt, von dem Bauernaufruhr, von Dr Luther, und von ſeinem nahen Heimgang. Er war ſeinen armen Leu - ten immer ein milder Herr geweſen: auch jetzt ermahnte er ſeinen Bruder, vorſichtig und nachgiebig zu Werke zu gehn;2Seine Briefe vom 14 April, 4 Mai bei Walch L. W. XVI, p. 140. vor der Gefahr daß die Bauern Herrn werden möch -215Tod Friedrichs d. W. ten erſchrak er nicht, ſo ernſtlich er ſie ſich auch vorſtellte: denn ſey es nicht Gottes Wille, ſo werde es doch nicht geſchehn. Dieſe Überzeugung, die ihn während der luthe - riſchen Bewegungen geleitet und muthig erhalten hatte, er - hob ſich ihm mit doppelter Zuverſicht in ſeinen letzten Mo - menten. Er hatte keinen Blutsverwandten um ſich: Nie - mand als ſeine Diener. Bis hieher war der Gegenſatz nicht gedrungen, der ſonſt allenthalben Herrſchende und Dienende entzweite. Lieben Kindlein, ſagte der Fürſt, habe ich Einen von Euch beleidigt, ſo bitte ich ihn mir es um Gottes Willen zu vergeben: wir Fürſten thun den armen Leuten mancherlei das nicht taugt. Es war nur von Gott die Rede, von dem frommen Gott der die Sterbenden trö - ſtet. Zum letzten Mal ſtrengte Friedrich das erſterbende Licht ſeiner Augen an, um eine Tröſtung ſeines Spalatin zu leſen; dann empfieng er von einem Geiſtlichen den er liebte, das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt. In ihm war die neue Lehre, die unter ſeinem vorſichtigen Schirme gediehen, ſchon nicht mehr jene Weltmacht die ſich im Kampfe zu behaupten hat und eine neue Zukunft ankün - digt: ihm war ſie nur das wahrhaftige Evangelium, chriſt - liches Bewußtſeyn, Andacht und Troſt der Seele. Der Menſch überläßt die Welt ſich ſelber und zieht ſich auf ſein perſönliches Verhältniß zu dem Unendlichen, zu Gott und der Ewigkeit zurück. So ſtarb er: 5ten Mai 1525. Er war ein Kind des Friedens, ſagte ſein Arzt, friedlich iſt er verſchieden. 1Spalatin Leben Friedrichs des Weiſen p. 60.

Es war ein ſchwerer Regierungsantritt, der ſeines216Drittes Buch. Sechstes Capitel.Nachfolgers, des nunmehrigen Churfürſten Johann, mit - ten in dem gefährlichſten wildeſten Aufruhr. An Nachgie - bigkeit war nicht mehr zu denken: zwiſchen Friedrich und Johann iſt ein Verhältniß wie zwiſchen Luthers erſter und zweiter[Schrift]: von Zweifel und gutem Rath zu entſchied - ner Feindſeligkeit. Zur guten Stunde kam ihm Philipp von Heſſen zu Hülfe: auch Herzog Georg und Herzog Hein - rich erſchienen im Felde; vier Fürſten mit ihren Reiſigen zogen dem Bauernhaufen entgegen.

Münzer hatte an der Anhöhe über Frankenhauſen eine Stellung genommen, wo man das lange Thal vor ſich hin überſieht, gleich als wollte er ihnen predigen; aber zur Vertheidigung bot ſie ihm keinen Vortheil dar. Münzer zeigte eine völlige Unfähigkeit. Nicht einmal Pulver für ſeine mühſam gegoſſenen Stücke hatte er ſich verſchafft: ſeine Leute waren auf das elendeſte bewaffnet: eine a[nn]ſe - lige Wagenburg hatten ſie um ſich geſchlagen. Der Pro - phete, der ſo viel von der Macht der Waffen geredet, der alle Gottloſen mit der Schärfe des Schwertes vertilgen wollen, ſah ſich genöthigt, auf ein Wunder zu zählen, deſ - ſen Ankündigung er in einem um die Mittagsſtunde ſich zeigenden farbigen Ringe um die Sonne erblickte; als das feindliche Geſchütz zu ſpielen anfieng, ſtimmten die Bauern ein geiſtliches Lied an; ſie wurden ganz geſchlagen und zum größten Theile umgebracht. Hierauf ergriff der Schrecken, den eine halbvollbrachte Miſſethat begleitet, das ganze Land. Alle Bauernhaufen liefen auseinander, alle Städte ergaben ſich; auch Mühlhauſen fiel, ohne eine rechte Vertheidigung zu wagen. 1Die Hiſtori Thomaͤ Muntzers des Anfengers der Doͤringi -In dem Lager vor Mühlhauſen, wo er eine217Bauernkrieg.Zeitlang geherrſcht, ward auch Münzer hingerichtet. Es war, als wäre er bis in die letzte Stunde von einem wil - den Dämon beherrſcht. Als man ihn an die Unzähligen erinnerte die er ins Verderben gebracht, in den Qualen der Tortur ſchlug er ein Gelächter auf und ſagte: ſie ha - ben es nicht anders haben wollen. Er beſann ſich nicht auf die Artikel des Glaubens als er zum Tode geführt ward.

In dieſem Momente bewegte ſich der Angriff auch von allen andern Seiten gegen die Haufen der Bauern daher.

Herzog Anton von Lothringen kam mit den Garni - ſonen aus der Champagne und Bourgogne, und einigen Fähnlein deutſcher Landsknechte und Reiter dem Landvogt Mörsperg in Elſaß zu Hülfe. Einige zerſtreute Haufen vernichtete er im freien Felde; dann capitulirten die in Za - bern Verſammelten; aber man gab ihnen Schuld, noch nachher ſey ein Verſuch von ihnen gemacht worden, die Landsknechte zum Übertritt zu bewegen; indem ſie auszo - gen, am Morgen des 17ten Mai, wurden ſie angefallen und niedergemetzelt: an Zahl ſiebzehntauſend. 1Bellay liv. III. Relation von Rappoltſtein in Vogts Rhei - niſchen Geſch. Bd IV, p. 49.

Da war auch Wirtenberg wieder in die Hände des Bun - des gefallen. Der Bundeshauptmann Truchſeß, durch ſeinen Vertrag mit den Seebauern in ſeinem Rücken einigermaaßen geſichert, hatte die wirtenbergiſchen Empörer bei Sindelfingen erreicht, ſie erſt durch ſein Feldgeſchütz außer Faſſung gebracht, dann mit ſeiner überlegenen wohlgewappneten Reiterei zuſam -1ſchen Ufrur. Hagenaw. Darin die bekannte Erzaͤhlung Melanch - thons, die auch in Luthers Werke (Altenb. III, 126) aufgenom - men iſt.218Drittes Buch. Sechstes Capitel.mengehauen; hierauf hatte er Amt für Amt, Stadt für Stadt beſetzt, und zog nun gegen Franken. Hier kamen ihm die beiden andern Fürſten die gegen Sickingen gefochten, die Churfürſten von Trier und Pfalz, von Bruchſal her, das ſie indeß eingenommen hatten, entgegen. Zwiſchen Helspach und Neckarſulm auf dem offenen Feld vereinigten ſich die beiden Heere am 29 Mai. Sie bildeten eine Maſſe von dritthalbtauſend M. zu Pferd und 8000 z. F.,1Das eigenhaͤndige Tagebuch Pfalzgraf Otto Heinrichs bei Freiberg: Urkunden und Schriften IV, S. 367, giebt dieſe Zahlen an. und nah - men nun vereint ihren Weg nach Franken.

Wie wichtig war es da, daß das Schloß von Würz - burg jenen beiden gewaltigen Haufen der fränkiſchen Bauern noch immer Widerſtand leiſtete. Anfangs hätte die Beſatzung ſich wohl bequemt, die zwölf Artikel anzunehmen, ſchon war ſie von dem Biſchof dazu ermächtigt: und ein Theil der Bauern wollte darauf eingehn, er wollte ſeinen be - drängten Verbündeten von andern Seiten Hülfe leiſten kön - nen. Aber die Bürger von Würzburg wollten das Schloß, das ihnen einen Zaum anlege, nicht länger über ſich dulden, und bewirkten, daß der Beſatzung die unannehmbarſten Be - dingungen vorgelegt wurden. Hierauf entſchloß ſich dieſe zu männlichem Widerſtand. Sebaſtian von Rotenhan, der an dem Reichsregiment dem Fortgang der lutheriſchen Lehre ſo großen Vorſchub geleiſtet, hatte die Feſtung mit allen Bedürfniſſen, auch mit Pulvermühlen und Zugmühlen ver - ſehen, in den Gräben ſtarke Zwerchzäune, um das Schloß den lichten Zaun aufgerichtet, und die Beſatzung zu dem Verſprechen bewogen, das auch ſie mit aufgereckten Fingern219Bauernkrieg.leiſtete, den Sturm redlich zu beſtehn. An dem 15ten Mai, dem Tag der Frankenhäuſer Schlacht, Abends um 9, liefen die Bauern den Sturm an: unter Trommeten, Pfeifen und lautem Geſchrei, mit fliegenden Fahnen. Von dem Schloß antwortete man ihnen mit Pechringen, Schwefelringen, Pulverblitzen und unaufhörlichem Schie - ßen aus allen Schießluken der Mauern und Thürme. Prächtig und ſtolz nahm ſich das einſame Schloß aus, unter dem Leuchten dieſes mannichfaltigen Feuers, durch das es den wilden Feind abwehrte, der Frankenland be - zwungen und Deutſchland gefährdete. Das Geſchütz ent - ſchied auch hier den Sieg, wie bei Frankenhauſen und bei Sindelfingen. Zwei Uhr nach Mitternacht wichen die Bauern zurück. 1Johand Reinhard bei Ludwig 889.

An eine Erneuerung ihres Angriffs war nicht zu den - ken. Von allen Seiten trafen die Nachrichten von den Niederlagen ihrer Freunde ein: von Moment zu Moment wälzte ſich die Gefahr gegen ſie ſelber drohender heran.

Einen Augenblick verſuchten ſie noch durch Unterhand - lung ſich zu ſchützen. Aufs neue boten ſie jetzt der würz - burgiſchen Beſatzung die zwölf Artikel an; den heranrücken - den Bundesoberſten Truchſeß luden ſie ein, Tag und Ort zu einer vermittelnden Zuſammenkunft zu beſtimmen: durch ein allgemeines Ausſchreiben an die Stände des Reichs ſuchten ſie die empfehlenswerthe Seite ihrer Abſichten hervor - zukehren; die fränkiſchen Stände insbeſondere forderten ſie auf, Abgeordnete nach Schweinfurt zu ſenden, um gemein - ſchaftlich über die Aufrichtung des Wortes Gottes, Friedens220Drittes Buch. Sechstes Capitel.und Rechtens zu berathſchlagen. 1Ausſchreiben bei Oͤchsle vom 27 Mai p. 302. Die Zuſam - menkunft war auf den 31ſten Mai beſtimmt.Allein das war jetzt alles zu ſpät. Zutrauen hatten ſie nie gehabt, jetzt war auch das Glück von ihnen gewichen: ſie mußten Herrn in dem Feld bleiben oder unterliegen.

Ohne Verzug rückte das vereinigte Heer gegen ſie heran: alle Ortſchaften die es berührte, ergaben ſich ihm auf Gnade und Ungnade: am 2ten Juni ſtieß es bei - nigshofen auf den erſten Haufen der Bauern. Es war der odenwäldiſche, er hatte den Muth gehabt, dem ſiegrei - chen Feinde entgegenzugehn. Allein er war bei weitem zu ſchwach, wohl nicht über 4000 M. ſtark2Ich halte das fuͤr die richtige Zahl, da der Bericht des Se - cretaͤr Spieß, der das Heer begleitete, bei Oͤchsle p. 197, und das Tagebuch des Pfalzgrafen p. 368 darin uͤbereinſtimmen; andere ha - ben viel hoͤhere. und hatte über - dieß nur die ſchlechteſten Anſtalten getroffen. Die Bauern verſäumten, die Furten der Tauber zu beſetzen: auf dem Mühlberg ſchlugen ſie um ihr Gepäck her ihr Lager hinter einer Wagenburg auf: glücklich wenn ſie den Feind nur noch hier erwartet hätten! Indem ſie aber erſchreckt durch die ſich entwickelnde Übermacht deſſelben einen nahen Wald zu gewinnen ſuchten, luden ſie ihn zu augenblicklichem Angriff ein: die Reiſigen fielen ihnen in die offne Flanke: die Fürſten ſelbſt waren bei dem Einhauen: im Nu, ehe noch die Landsknechte angekommen, war der ganze Bauernhaufe zerſtreut. 3Brower Annales Trevirenses lib. XX, p. 353.Da hatte eine falſche Siegesnach - richt auch den Rothenburger Haufen vermocht, ſeine Stel -221Bauernkrieg.lung bei Würzburg zu verlaſſen. Am 4ten Juni fiel auch er im freien Felde den Reiſigen in die Hände und wurde völlig aus einander geſprengt. Beide Siege waren mit gräßlichen Metzeleien verknüpft. Ihrer ſechshundert, die ſich in einem feſten Hauſe bei Ingolſtadt zur Wehre ge - ſetzt, wurden alle bis auf ſiebzehn niedergemacht.

Wie die Thüringer, Elſaſſer, Wirtenberger, ſo waren nun auch die beiden großen fränkiſchen Haufen, die ganz Deutſchland zu reformiren gedacht, vernichtet; wie jene Provinzen, ſo ward jetzt auch Franken von den alten Herr - ſchaften beſetzt und gezüchtigt.

Am 7ten Juni mußte ſich Würzburg auf Gnade und Ungnade ergeben. Wie war den alten Herrn vom Rathe zu Muthe, als ſie auf dem Markt verſammelt, ihr graues Haupt entblößt, die einrückenden Anführer des Bundeshee - res begrüßten, und ihnen Truchſeß erklärte, ſie ſeyen alle meineidig und ehrlos geworden, ihr Leben ſey verwirkt. In Würzburg allein wurden 60 Schuldige aus Stadt und Land hingerichtet: ſo bewegte ſich das ſchwere Blutgericht durch das ganze Stift: man zählte 211 in aller Form Hingerichtete; alle Waffen mußten ausgeliefert, neue Pflich - ten geleiſtet, Brandſchatzungen gezahlt werden: die alten Kirchengebräuche ſtellte man her. Indeſſen nahm Mark - graf Caſimir von Brandenburg das übrige Franken ein: Bamberg, Schweinfurt, Rothenburg; nirgends war an ei - gentlichen Widerſtand zu denken; dann ſuchte er die Wi - derſpenſtigen in ſeinen eignen Landſchaften heim.

Es war nun noch übrig, die Reſte der Empörer, die ſich am Oberrhein und Mittelrhein hielten, zu erſticken.

222Drittes Buch. Sechstes Capitel.

Den Mittelrheiniſchen begegnete das zurückziehende trieriſch-pfälziſche Heer bei Pfeddersheim;1Haarer c. 84 89. Uͤber das Verhaͤltniß des lateiniſchen Textes zu dem deutſchen, ſo wie des Gnodalius und Leodius zu Haa - rer denke ich im Anhange das Noͤthige beizubringen. es gieng wie bisher allenthalben: die Bauern wurden aus einander gejagt und niedergemacht: der kriegeriſche Erzbiſchof ſoll mehrere mit eigener Hand erlegt haben; hierauf unterwarfen ſich die Landſchaften. Auch die Rheingauer mußten ihre Waf - fen ausliefern und Brandſchatzung zahlen. Mainz mußte auf die kaum wiedererworbenen Freiheiten Verzicht leiſten: in Trier war man nur glücklich, daß man ſich nicht ernſtlich geregt hatte: alle Pläne die man gefaßt, ließ man fallen.

Eine bei weitem ſchwerere Aufgabe hatte das große Heer des Bundes am Oberrhein. Hier war der Aufruhr zuerſt entſprungen: und hatte daſelbſt ſeine tiefſten Wur - zeln: noch war dort nie etwas Entſcheidendes ausgerich - tet worden. Die Allgauer waren jetzt wieder im Feld er - ſchienen, eine nicht geringe Anzahl verſuchter Landsknechte ſtanden in ihren Reihen. Selbſt dem Geſchütz des Truch - ſeß wußten ſie zu antworten, und dachten noch einmal daran ſich ſelbſt in Angriff zu werfen. Glücklicherweiſe kam der in ſo vielen Feldzügen erprobte Georg Frunds - berg dem Truchſeß noch zur rechten Zeit zu Hülfe. Es iſt wohl ſehr wahrſcheinlich,2Reisner Kriegsthaten der Frundsberge. daß er auch perſönlich auf einige Anführer der Bauern, ſeine alten Kriegscameraden und Untergebnen, Einfluß ausübte. Oder geſchah es des - wegen, weil es ihnen an Kriegsvorräthen fehlte? Genug ſie trennten ſich und zogen ſich nach den Gebirgen. Truch -223Bauernkrieg.ſeß eilte ihnen nach und fieng an ihre Dörfer zu verbren - nen. Zwar verbot ihm das der Bund, aber er lachte die - ſer Befehle: er, der Baurenjörg, verſtand ſein Handwerk beſſer: er wußte, daß dieß das Mittel war, einen jeden an ſeine Heimath denken zu machen. Er hielt ſeine Trup - pen zuſammen: ſo wie dann die einzelnen Haufen ſich - herten, ward es ihm leicht ſie zu ſchlagen. Auch hier ward der gewohnte Gehorſam wiederhergeſtellt.

So ward die große Bewegung gedämpft, welche dem deutſchen Weſen eine vollſtändige Umkehr drohte. Mit allen jenen Plänen einer neuen Einrichtung des Reiches von unten her, oder gar der ſchwärmeriſchen Umbildung der Welt unter der Leitung eines fanatiſchen Propheten war es nun auf immer vorbei.

Wo die Waffen entſchieden hatten, galt das Kriegs - recht. Die grauſamſten Executionen wurden vollzogen: harte Brandſchatzungen eingefordert: hie und da wohl ſelbſt noch drückendere Geſetze aufgelegt.

Nur da, wo es nicht ſo weit gekommen war, wo die Bauern nicht gradezu Niederlagen erlitten hatten, ſind ihnen, nachdem nun alle jene weitausſehenden Ideen von ſelbſt beſeitigt waren, einige Erleichterungen gewährt worden.

Der Graf von Sulz kam mit ſeinen Unterthanen über - ein, einen Austrag ihrer Zwiſtigkeiten durch gemeinſchaft - liche Bevollmächtigte zu verſuchen: Erzherzog Ferdinand be - willigte, einen Obmann dazu zu geben. 1Der Vertrag, den auch die Zuͤricher vermitteln halfen, in Bullingers Reformationshiſtorie I, 249.

Für den Breisgau verſprach dann Ferdinand in ſei -224Drittes Buch. Sechstes Capitel.nem eignen Namen, daß von Amtleuten und Obrigkeiten in Hinſicht der Klagen der Unterthanen gebührende Ein - ſicht geſchehen ſolle. 1Offenburger Vertrag: Auszug in Schreibers Taſchenbuch p. 302.

In Oberöſtreich litten die Stände nicht, daß den Un - terthanen eine Brandſchatzung aufgelegt würde. 2Erklaͤrung der Staͤnde bei Bucholtz VIII, 104.

In Tirol ſchritt man noch unter der Einwirkung der Unruhen zur Abfaſſung eines Geſetzbuches, in welchem den Unterthanen alle Robothen, von denen nicht ein Herkom - men von wenigſtens 50 Jahren urkundlich nachgewieſen werde, ſo wie der kleine Feldzehend und gar manche andre Leiſtungen abgenommen, Fiſcherei und ſelbſt Antheil an der Jagd verſtattet wurde. Auch religiöſe Conceſſionen machte hier Erzherzog Ferdinand. Städte und Gerichte ſollten be - fugt ſeyn, ihre Geiſtlichen zu präſentiren: das Evangelium ſollte nach dem Buchſtaben gelehrt werden. 3Excerpte aus den Landtagsverhandlungen bei Bucholtz VIII, 337.

Salzburg war wohl das einzige Land, wo die Bauern gegen ein anrückendes geordnetes Heer ſogar das Feld be - hauptet. Als ſie endlich vor der Macht des ſchwäbiſchen Bundes ſich beugen mußten, erlangten ſie doch fürs Erſte ausnehmend günſtige Bedingungen. 4Zauner Chronik von Salzburg IV, p. 429.

Alles Ereigniſſe, die zugleich noch einer andern Ent - wickelung angehören, welche unmittelbar nach der Bewe - gung eintrat, und die wir nun näher zu betrachten haben.

Sie -
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Siebentes Capitel. Anfang entgegengeſetzter Bündniſſe, Reichstag zu Augsburg im Dez. 1525.

So war der Kampf mit den elementaren Geiſtern des deutſchen Weſens vollendet: wie die Ritter, ſo waren nun auch die empörten Bauerſchaften und der mit ihnen ver - bündete Theil der ſtädtiſchen Bevölkerung überwältigt; die im Laufe der Jahrhunderte allmählig entwickelten lo - calen Gewalten hatten ſich aufs neue in allen Stürmen behauptet; ohne Theilnahme des Kaiſers, oder des Re - gimentes, mitten im Zerfall aller centralen Autorität wa - ren ſie doch ſtark genug dazu geweſen.

Darum war aber der Friede nicht hergeſtellt: von den großen Fragen, die ſchon ſeit ſo langer Zeit die öffentliche Aufmerkſamkeit beſchäftigten, war keine dadurch erledigt.

Den Aufruhr hatte man ohne Rückſicht auf das re - ligiöſe Bekenntniß bekämpft: Freunde und Feinde der Neue - rung hatten mit gleichem Eifer wider die gemeinſchaftli - chen Gegner die Waffen ergriffen; nachdem dieſelben be - zwungen waren, traten die alten Antipathien in verdop - pelter Stärke hervor.

Ranke d. Geſch. II. 15226Drittes Buch. Siebentes Capitel.

Jene Regensburger Verbündeten, welche jetzt in dem ſchwäbiſchen Bunde den vorwaltenden Einfluß ausübten, ergriffen die Gelegenheit, um die dort beſchloſſenen Maaß - regeln mit Gewalt auszuführen. Die Siege des Bundes waren überall mit religiöſer Verfolgung verbunden. Unter denen, die in Würzburg enthauptet wurden, nannte man nicht Wenige, denen nicht der Aufruhr, an dem ſie keinen Antheil genommen, ſondern das evangeliſche Bekenntniß zum Verbrechen gemacht ward. Neun der reichſten Bür - ger wurden in Bamberg hingerichtet: man verſichert, daß Einige von ihnen grade zu den Ruhigſten gehörten, den Anfall des Landvolks auf die Reſidenz des Biſchofs eher verhindert hatten: man ſtrafte an ihnen und ſagte es laut daß ſie ſich zum Evangelium gehalten:1Ausfuͤhrliche Erzaͤhlung in Muͤllners Annalen. unerhör - ter Weiſe überließ man ihre Güter einigen Privatleuten, un - ter ihnen einem Secretär des Truchſeß. Alles was ſich zu der evangeliſchen Lehre bekannte wich fürs Erſte aus den beiden Bisthümern. Aber auch in allen andern Ge - bieten wurde den Bauern mit dem weltlichen zugleich der geiſtliche Gehorſam wieder aufgelegt; unter Denen die von der Begnadigung ausgeſchloſſen wurden, ſtanden die ſoge - nannten Lutheraner obenan; am meiſten wurden die Prä - dicanten verfolgt. Ein Profoß, Namens Aichili, durch - ſtreifte mit einer Anzahl Reiter Schwaben und Franken, um die Executionen die man beſchloſſen, ins Werk zu ſetzen; man rechnet ihm nach daß er in ziemlich engem Umkreiſe vierzig evangeliſche Prediger aufgehängt habe, die Landſtraßen entlang, hie und da an den Bäumen.2Bullingers 140ſtes Cap. handelt vom Profoßen Aichili. Auch Es227Katholiſche Reaction.war die erſte gewaltſame Reſtauration des Katholicismus im obern Deutſchland.

Und auch in dem nördlichen erhoben ſich ähnliche Be - ſtrebungen.

Nach der Unterwerfung von Mühlhauſen hatten dort die verbündeten Fürſten gemeinſchaftliche Maaßregeln gegen die Bauern verabredet. Herzog Georg erzählt, er ſey ei - nes Morgens als ſein Schwiegerſohn Philipp eben abrei - ſen wollen noch zu ihm gegangen, und habe ihn gebeten, ſich der Sache Luthers nicht anhängig zu machen, in Betrachtung des Böſen das daraus gefloſſen: das habe er in derſelben Stunde auch dem Churfürſten von Sach - ſen geſagt: ſowohl der Eine als der Andre habe ſeine War - nung freundlich aufgenommen. Georg hoffte nach dem Tode Friedrichs über ſeinen Vetter Johann und vermöge der natürlichen Stellung eines wohlwollenden Schwieger - vaters über Landgraf Philipp eine entſcheidende Autorität ausüben zu können.

Die drei Fürſten waren zu Mühlhauſen übereinge - kommen, ihre Beſchlüſſe auch ihren Nachbarn mitzutheilen, und zunächſt hielt Herzog Georg noch im Juli mit den Churfürſten von Mainz und Brandenburg, ſo wie dem Herzog von Braunſchweig eine Zuſammenkunft zu Deſ - ſau. Alle dieſe Fürſten waren noch katholiſch geſinnt, und ließen ihre Meinung, daß der Aufruhr von der neuen Predigt hergekommen, auf die Verabredungen einfließen welche ſie trafen. Wie dieſelben auch gelautet haben -2Anshelm gedenkt deſſelben VI, S. 291: er war ſunderlich gefliſſen, uf die lutheriſchen Pfaffen, fiengſ beroubtſ ſchatztſ und henktſ. 15*228Drittes Buch. Siebentes Capitel.gen, denn noch ſind ſie nicht authentiſch bekannt gewor - den, ſo viel iſt deutlich, daß ſie der religiöſen Verände - rung feindſelig ausfielen. Herzog Georg theilte ſie ſeinem Vetter und ſeinem Eidam mit: er erklärt, er habe bei ihnen keine lutheriſchen Meinungen mehr vorausgeſetzt. 1Die einzige zuverlaͤßige Notiz uͤber dieſe Zuſammenkunft habe ich in einem Schreiben des Herzog Georg in dem Dresdner Archiv gefunden. Danach war der Beſchluß ſich bei einander fin - den zu laſſen, wenn die Lutheriſchen einen von ihnen angreifen wuͤr - den, um ſolches Aufruhrs vertragen zu bleiben. Es laͤßt ſich je - doch nicht abſehen von wem ſie einen Angriff haͤtten beſorgen ſollen, wenn ſie Philipp und Churf. Johann wirklich fuͤr wieder bekehrt hielten, wie Herzog Georg ſagt, denn ſonſt wuͤrde er ihnen den Vertrag nicht mitgetheilt haben, er wiſſe wohl, daß man Schweizer mit Schweizern nicht ſchlage. Die Erklaͤrung liegt wohl darin, daß man bei allen Buͤndniſſen jener Zeit defenſive Formen liebt, wenngleich man deshalb nicht bei der Defenſion ſtehen zu bleiben gedenkt. Dem Kaiſer ſagte Herzog Heinrich: er habe mit ſeinen Freunden ein Buͤndniß geſchloſſen wider die Lutheriſchen, ob ſie ſich unterſtuͤnden, ſie mit Liſt oder Gewalt in ihren Unglauben zu bringen. Wenig - ſtens ließ er ſich keine Rückſicht auf ſie abhalten, in ſeinem Lande die ſchwerſten Executionen zu verhängen. In Leipzig wurden zwei Bürger blos deshalb mit dem Schwerte gerich - tet, weil man lutheriſche Bücher bei ihnen gefunden. 2Gretſchel: Leipzigs kirchliche Zuſtaͤnde p. 218.

Es ſchien faſt, nachdem ſich der lutheriſchen Bewegung ein Bauernaufruhr zugeſellt hatte, wie der wiklyffitiſchen, als würde jene wie dieſe nun auch von der Reaction dagegen betroffen und vielleicht zu Grunde gerichtet werden.

Allein ſie war doch ſchon bei weitem beſſer und feſter ge - gründet. In dem nördlichen wie in dem ſüdlichen Deutſch - land beſaß ſie entſchloſſene und mächtige Verfechter.

Landgraf Philipp hatte auch vor Mühlhauſen einen229Widerſtand der Evangeliſchen.evangeliſchen Prediger mit ſich gehabt und Herzog Georg war in dem Moment jener Vorhaltung durch den Anblick deſſelben betroffen worden. Immer mehr vertiefte ſich Phi - lipp ſeitdem in die evangeliſchen Überzeugungen. Man muß die Briefe leſen, welche er noch in dieſem Jahre an Herzog Georg ſchrieb, worin er bald die Lehre vom Ca - non und der Meſſe, bald die Idee von der Kirche oder die Verbindlichkeit der Gelübde beſtreitet: man ſieht da, mit welchem jugendlichen und doch ernſten Eifer er die neuen Doctrinen ergriff, welche ausgebreitete und lebendige Kunde der beweiſenden Stellen er ſich ſchon verſchafft hatte. 1Rommels Urkundenbuch p. 2.

Eben ſo war es in Sachſen. Statt die Bahn ſeines Vorfahren zu verlaſſen, ſchritt der neue Churfürſt noch viel entſchloſſener auf derſelben vorwärts. Als er im Auguſt 1525 Weimar verließ, ließ er die Prieſterſchaft dieſes Am - tes noch einmal zuſammenrufen es war der 16te die - ſes Monats und ihr, nachdem ſie durch zwei Predig - ten vorbereitet worden, ankündigen, daß ſie in Zukunft das lautere Wort Gottes ohne allen menſchlichen Zuſatz zu predigen habe. 2Das man das lauter rayn Evangelion on menſchliche Zu - ſatzung predigen ſoll, fuͤrſtlicher Befelch zu Weymar beſchehen. Send - ſchreiben des Pfarrers Kißwetter zu Erfurt an Herr Hainrichen Pfarher zu Elxleben a. d. Gera. 1525.Es waren einige ältere Prieſter dabei, welche die Meinung äußerten, es werde ihnen damit doch nicht verboten, Seelmeſſen zu halten, Salz und Waſſer zu weihen: ſie wurden bedeutet, was von dem Worte gelte, ſey auch von den Cerimonien zu verſtehn.

In Folge des Mühlhauſer Abſchiedes hielt der Chur -230Drittes Buch. Siebentes Capitel.fürſt eine Zuſammenkunft mit Markgraf Caſimir von Bran - denburg zu Saalfeld. Wie in Deſſau die katholiſchen, tra - ten hier die evangeliſchen Tendenzen hervor. Zu einem ei - gentlichen Bunde kam es nicht, aber Markgraf Caſimir er - klärte, bei dem Worte Gottes wolle er feſthalten. 1Nach einer Erzaͤhlung von Caſimir ſelbſt in einem Schrei - ben von Schrauttenbach an Landgraf Philipp 27 Dez. 1525 in Neu - deckers Urkunden S. 16.

Während die Kriegskräfte des ſchwäbiſchen Bundes den Fortgang des Evangeliums zu erſticken ſuchten, gaben ſich doch einige der mächtigſten Mitglieder deſſelben, die Städte, von denen der Bund urſprünglich ausgegangen, Augsburg, vor allem Nürnberg wir werden darauf zu - rückkommen eine evangeliſche Organiſation.

Dahin ſprach ſich ſelbſt jene von dem ſchwäbiſchen Bund eroberte Landſchaft aus, die wirtenbergiſche, von der es hätte ſcheinen ſollen, als dürfe ſie gar keinen eigenen Willen mehr haben: die Stände erklärten, die Ruhe des Landes hange davon ab, daß man dem Volke das lautere Gotteswort ohne menſchlichen Eigennutz und Vorwitz predige.

Und ſchon begannen die Evangeliſchen, ſich von der biſchöflichen Autorität förmlich loszuzählen. In Wittenberg entſchloß man ſich bereits im Mai 1525, auf eigne Hand zu ordiniren. Melanchthon rechtfertigt es damit, daß von den Biſchöfen ihre Pflicht verſäumt werde:2De jure reformandi. Corp. Reform. I, 765. wie die Bi - ſchöfe dem Papſt, ſo machen die Prediger den Biſchöfen gegenüber die Unmittelbarkeit ihres Berufes geltend. Me - lanchthon meint, man könne den Fürſten nicht zumuthen, eine Jurisdiction aufrecht zu erhalten, von deren Miß -231Widerſtand der Evangeliſchen.brauch und Verwerflichkeit ſie überzeugt worden. Auch in Heſſen und Brandenburg, auch in den Städten be - gann man ſich der biſchöflichen Jurisdiction zu entziehen.

Wir ſehen: ganz wie die beiden entgegengeſetzten Ten - denzen in den Kampf mit den Bauern eingetreten, ſo gien - gen ſie aus demſelben hervor: nur noch mit erhöhter Thä - tigkeit nach beiden Seiten.

Die päpſtliche Meinung hatte darin einen Vortheil daß ihr in einem großen Theile des Reiches die Strafge - walt in die Hände gerieth, die ſie ſo furchtbar ausübte, aber einen am Ende doch noch größern Gewinn hatten die Evangeliſchen davon getragen.

Es trat ein noch nie ſo ſtark bemerkter allgemeiner Wi - derwille gegen die geiſtliche Seite der deutſchen Verfaſſung hervor. Den Geiſtlichen wurden die härteſten Bedrückun - gen zugeſchrieben, durch welche der Aufruhr am meiſten veranlaßt worden: gegen ſie war die Feindſeligkeit des ge - meinen Volkes vorzugsweiſe gerichtet geweſen; die Allgauer Bauern z. B., welche wider Füßen lagerten, waren von dieſer Stadt zurückgewichen, als ſie ſich von ihrem Herrn dem Biſchof von Augsburg losſagte und die Fahne von Öſtreich fliegen ließ; zur Dämpfung des Aufruhrs hatten dagegen die geiſtlichen Fürſten das wenigſte gethan und hand - habten jetzt den gewonnenen Sieg auf das gewaltſamſte.

Daher kam es, daß die Evangeliſchen ſich ſo leicht der biſchöflichen Gewalt entziehen konnten, aber merkwür - diger Weiſe hatte das auch auf der entgegenſetzten, katho - liſchen Seite ſeine Analogie. Wurde dieſſeit die geiſtliche, ſo wurde jenſeit ſehr entſchieden die weltliche Jurisdiction des Bisthums angegriffen.

232Drittes Buch. Siebentes Capitel.

Eben hier müſſen wir der Ereigniſſe von Tirol und Salzburg nochmals gedenken. Die merkwürdigſte Stellung von der Welt nahm Erzherzog Ferdinand ein.

Auf jenem Tiroler Landtag waren nur Adel, Städte und Gerichte verſammelt: der geiſtliche Stand war gar nicht erſchienen. Die anti-geiſtliche Stimmung, die dieß veranlaßt, trat nun auch um ſo mehr in den Anordnun - gen hervor die man traf. In dem Landtagsabſchied be - ſchloß man, die Beſetzung der untern Stellen von den Bi - ſchöfen unabhängig zu machen: in Zukunft ſollten Städte und Gerichte präſentiren, der Landesfürſt beſtätigen, Kla - gen über die Geiſtlichen von jenen an dieſen gehn. 1Bucholtz VIII, p. 338.Dem Biſchof von Trient ward die Bitte, in ſeinem Stift die Aufrührer auch mit fremdem Kriegsvolk ſtrafen zu dürfen, abgeſchlagen: denn der gemeine Mann, ſagt Ferdinand, ſey der Meinung, daß den Geiſtlichen keine Adminiſtration im Weltlichen zuſtehe: gäbe er dem Biſchof eine ſolche Er - laubniß, ſo würden die Edelleute ſich beklagen, er veran - laſſe eine neue Empörung, die auch ihnen verderblich werde. 2Ferdinand an Biſchof Bernhard von Trient Insbruck 9ten Juli 1525 bei Bucholtz IX, 640.Und noch viel weiter gieng man. Als ſich der Biſchof von Brixen unfähig zeigte, in ſeinem Stifte, wo einer ſeiner Schreiber und Zolleinnehmer den Aufruhr anführte, die Ordnung wiederherzuſtellen, beſchloß die Tiroler Landſchaft, nicht etwa ihm zu Hülfe zu kommen, ſondern das Stift vorläufig geradezu zu ſäculariſiren. Erzherzog Ferdinand ließ es zu ſeinen Handen einnehmen, und übertrug die Ver -233Erſte Saͤculariſationsverſuche.waltung der Weltlichkeit einem ſeiner Räthe, bis auf ein künftiges Concilium oder die Reformation des Reiches; von allen Unterthanen und Amtleuten empfieng er die Hul - digung. 1Occupationspatent 21 Juli. auf Beger und mit R[at]ai - ner erſamen Landſchaft dieſer unſrer f. G. Tirol, zu furkumung nachtail ſchadens und geferlichait, ſo dieſelben unſer Grafſchaft und dem Stift zu Brichſen, des Vogt Schirm und Schutzherr wir dann ſein, entſtehen mechten. Bucholtz 642.Nicht eher kam der Hauptmann von Ehren - berg, das mit Tiroler Volke beſetzt war, der Stadt Füßen zu Hülfe, als bis die Stadt ſich erblich an das Haus Öſt - reich ergab und dem Erzherzog huldigte. 2Martin Furtenbach, Stadtſchreiber in Fuͤßen: Bericht we - gen der Bauern Empoͤrung, bei Oͤchsle Beitraͤge p. 478. Das Volk ſchrie Hei Oͤſtreich damit wir nicht gar verderbt werden, der Haupt - mann nahm die Erbhuldigung auf ein Hinterſichbringen an. Ab - geordnete der Stadt giengen nach Insbruck, die daſelbſt wohl be - gruͤßt wurden. Ferdinand erklaͤrte, er werde bald kommen und die Huldigung perſoͤnlich einnehmen.So wurden auch die Zillerthaler vermocht ſich von Salzburg zu tren - nen, ſich an Tirol anzuſchließen, und den Erzherzog, der ſchon ohnehin die hohe Obrigkeit über ſie habe, als ihren Herrn und Landesfürſten anzunehmen. 3Inſtruction an Liechtenſtein und Stoͤckel, was Sy mit dem Pfleger zu Kropfsberg, mit der Nachparſchaft im Zillerthal reden ſollen. Bucholtz IX, 630.Ja ſchon faßte man ſelbſt in Baiern ähnliche Gedanken. Als der Erz - biſchof Matthäus von Salzburg auf ſeiner Feſte von den Bauern belagert ward und ſich in der bedrängteſten Lage befand, erſchien Doctor Leſch, bairiſcher Canzler, bei dem Erzherzog, und ſchlug ihm eine gemeinſchaftliche Sequeſtra - tion des Erzſtiftes vor, ſo daß was an den Grenzen von Baiern liege, von den Herzogen, was an den öſtreichiſchen234Drittes Buch. Siebentes Capitel.von dem Erzherzog eingenommen werde, und mit Freuden gieng dieſer darauf ein: er beauftragte ſeine Commiſſarien bei den Bauerſchaften, jedoch mit Vorwiſſen des Erzbi - ſchofs, dahin zu wirken, daß das Stift an Öſtreich und Baiern überliefert werde. 1Inſtruction Ferdinands an die Vermittelungscommiſſarien. Bucholtz p. 621.Allein in Baiern war das wohl nur ein vorübergehender Gedanke; man verfolgte hier übrigens den Plan einer unbedingten Reſtauration, von deren Ausführung ſich die Herzoge eine noch größere Au - torität als die ſchon erworbene über die benachbarten Bis - thümer verſprechen konnten: nach allen Seiten leiſteten ſie Hülfe. In Tirol dagegen hatte ſich die Landſchaft mit dem Fürſten zu Conceſſionen gegen die Empörer verſtan - den: durch eine reſolute Beſeitigung der geiſtlichen Inter - eſſen gedachten ſie zugleich den Aufruhr zu ſtillen und ſich ſelber weiteren Raum zu machen. In Baiern trat man deshalb von jenem Plane ſehr bald wieder zurück und be - ſchloß dem bedrängten Erzbiſchof mit der Macht des ſchwä - biſchen Bundes zu Hülfe zu kommen. Nicht daß die Her - zoge hiebei ſehr uneigennützig geweſen wären: ſie dachten bei dieſer Gelegenheit ihrem Bruder Ernſt von Paſſau die Nachfolge im Erzſtift zuſichern zu laſſen; das war ihnen lieber, als daß ſie den größern Theil deſſelben an Öſtreich gebracht und ſich dabei mit ſich ſelber in Widerſpruch ge - ſetzt hätten. Vergebens machten die Tiroler Stände einen Verſuch, den ſchwäbiſchen Bund durch Vorſtellung alter Gerechtſame und Verbindungen mit Salzburg von ſeinem Kriegszug abzuhalten. 2Die vom Ausſchuß der dreier Staͤnde an Hauptleute und Raͤthe des Pundts zu Swaben 31 Juli. ib. IX, 624.In Insbruck hätte man nun wenig -235Baiern und Salzburg.ſtens gewünſcht, die Nachfolge an Don Georg von Öſt - reich, natürlichen Sohn Kaiſer Maximilians, zu bringen; man wäre ſelbſt geneigt geweſen, die Bauerſchaften in Schutz zu nehmen. 1Excerpte aus einem Reſcript von Ferdinand ib. VIII, 109.Allein ſchon waren die Herzöge in Vortheil. Herzog Ludwig von Baiern, oberſter Feldhaupt - mann des ſchwäbiſchen Bundes, führte gegen Ende Auguſt die Schaaren deſſelben wider Salzburg. Auch er fand es fürs Erſte gerathen und beſonders drang Georg Frunds - berg, Feldhauptmann der Grafſchaft Tirol, darauf den Bauern einen guten Vertrag zu verſchaffen; ſpäter ſind ſie hier denn doch ſo ſcharf gezüchtigt worden, wie nur ir - gendwo auch dabei ließen ſich alle andern Abſichten er - reichen. Das Domcapitel verſprach dem bairiſchen Prin - zen Ernſt die Nachfolge in Salzburg; wie denn der Erz - biſchof demſelben noch andre Zugeſtändniſſe machte: den Herzogen wurden für ihre Kriegskoſten die Herrſchaften Laufen, Geisfelden, Titmanning und Mattſee verpfändet. Sie erlangten überhaupt einen entſcheidenden Einfluß auf Salzburg. Nur zaghaft erinnert ſie ſpäter einmal der Erz - biſchof, nichts von ihm zu verlangen, was wider die Ho - heit und Gerechtigkeit des Stiftes laufe. 2Zauner Salzburger Chronik V, 225, 133.

Die Tendenzen des Bundes waren wie man ſieht ſtärker als die der Tiroler Landſchaft. Auch Füßen mußte der Erzherzog an Augsburg, das Zillerthal an Salzburg wieder abtreten.

Darum ließ aber Ferdinand von den einmal gefaß - ten Ideen nicht ab. Als die wirtenbergiſche Landſchaft236Drittes Buch. Siebentes Capitel.jene Forderungen aufſtellte und dabei ſehr unzweideutig auf eine Säculariſation der geiſtlichen Güter zu den Lan - desbedürfniſſen antrug, wies ſie Ferdinand damit keines - wegs zurück: er erlaubte ihr, Abgeordnete auf den nächſten Reichstag nach Augsburg zu ſchicken: was da in Hinſicht einer Reformation der Geiſtlichkeit beſchloſſen werde, ſolle in Wirtenberg, ſo wie in ſeinen übrigen Ländern gelten. 1Extractus landſchaftlicher Schlußerklaͤrung bei Sattler, Her - zoge, Beilagen zum zweiten Theil nr. 124, und Landtagsabſchied 30 Oct. 1525 nr. 125. (III, 1, 4.)

Erzherzog Ferdinand traf aber in dieſen Ideen un - mittelbar mit den Evangeliſch-geſinnten zuſammen. Ganz mit Recht erblickten dieſe die nächſte Urſache des letzten Aufruhrs in der Zurücknahme jener ſpeierſchen Verſamm - lung. Im Herbſt 1525 kam der Gedanke, die religiöſen Irrungen auf einer Reichsverſammlung zu beſeitigen und hier zu einer durchgreifenden Reformation zu ſchreiten, noch einmal in allgemeine Anregung.

Den Zuſammenkünften in Deſſau und Saalfeld ent - ſpricht eine dritte welche Landgraf Philipp mit dem Chur - fürſten von der Pfalz zu Alzey hielt. Sie kamen über - ein, den Dingen müſſe ein gleichmäßiges Weſen ge - macht, es müſſe alles gethan werden um die Stände zu vergleichen. 2Schreiben des Churfuͤrſten Ludwig v. d. Pfalz in Neu - deckers Actenſtuͤcken I, 16. Aus den Worten: von E. L. und unſerm Freund, von ir und uns, ſollte man ſchließen daß dort wahrſchein - lich auch der Churfuͤrſt von Trier zugegen war.

Von Saalfeld ging Markgraf Caſimir nach Auerbach zu einer Unterredung mit Pfalzgraf Friedrich, der die Ober -237Saͤculariſationsentwurf.pfalz im Namen ſeiner Neffen regierte. Sie beſchloſſen hier: einmal die Laſten des gemeinen Mannes ſo viel mög - lich zu erleichtern, ſodann aber beim Kaiſer nochmals auf eine Kirchenverſammlung in deutſcher Nation anzutragen, um ſich eines gleichen Verſtandes in Auslegung des gött - lichen Wortes zu entſchließen.

Im September hielten die Städte eine Verſammlung, und ſchon glaubte Ferdinand, widerwärtige Beſchlüſſe von derſelben fürchten zu müſſen; die Abkunft die ſie trafen war jedoch nur, bei ihm ſelbſt und dem Kaiſer die Noth - wendigkeit daß in Hinſicht der Cerimonien eine einhellige Ordnung im Reiche gemacht werde, in erneute Anregung zu bringen.

Indem man dieſe Dinge allenthalben in Berathung zog, die mancherlei Möglichkeiten ſich vergegenwärtigte, kamen Ideen und Pläne der außerordentlichſten Art in Umlauf.

In einem Entwurfe, der gegen Ende des Jahres 1525 gemacht und auf einer oder ein paar Reichsver - ſammlungen zur Sprache gebracht worden iſt, geht man davon aus, daß die geiſtlichen Güter zu nichts mehr nütze ſeyen, weder für die Religion noch für das Reich: eine Veränderung mit ihnen vorzunehmen, ſey unerläßlich, je - doch dürfe man das nicht dem gemeinen Mann überlaſſen, ſondern von der Obrigkeit, d. i. dem Kaiſer und den welt - lichen Ständen müſſe Hand angelegt werden.

Man hat keine Scheu, eine völlige Säculariſation al - ler geiſtlichen Güter in Vorſchlag zu bringen.

Den geiſtlichen Fürſten und Prälaten möge man da -238Drittes Buch. Siebentes Capitel.von ſo viel anweiſen, als zu einem anſtändigen Leben ge - höre, den Domherrn für den Augenblick nichts entziehen, aber dieſe wie jene nach und nach ausſterben laſſen. Von den Klöſtern könne man wohl nur einige Nonnenconvente behalten, für junge adliche Fräulein, jedoch mit dem Rechte wieder auszutreten.

Mit dem nun, was man hiedurch gewinne, müſſe man vor allem die neuen geiſtlichen Bedürfniſſe decken, Pfarrer und Prediger verſorgen, in jedem Kreiſe einen from - men gelehrten Mann mit beſtimmter Beſoldung zum Bi - ſchof beſtellen, der aber keine weltliche Verwaltung führen, ſondern nur der Vorſteher der übrigen Kirchendiener ſeyn dürfe, endlich auch eine hohe Schule in jedem Kreis ein - richten, um in den Sprachen zu unterweiſen und die h. Schrift nach ihrem rechten Sinn auszulegen.

Allein man dachte auf dieſe Weiſe auch Kräfte zu bekommen um der ganzen weltlichen Verfaſſung eine andre Geſtalt zu geben.

Der Vorſchlag in dieſem Entwurfe iſt, in jedem Kreiſe ein beſondres Regiment zu errichten: mit 12 Räthen, je drei von den vier Ständen, Fürſten Grafen und Herrn Adel und Reichsſtädten: unter einem Hauptmann, der von den Kreisſtänden zu wählen, aber von dem Kai - ſer zu beſtätigen ſey: ungefähr mit denſelben Rechten wie die Hauptleute und Räthe des ſchwäbiſchen Bundes. Dieſe ſollen jene Einrichtung ausführen, eine höhere Gerichtsbe - hörde bilden und vor allem den gemeinen Frieden hand - haben: hiezu aber immer eine ſtehende Truppe zu Pferd und zu Fuß im Felde halten. Statt der Stifte möge der239Saͤculariſationsentwurf.junge Adel im Heere dienen. Mit dieſen Leuten laſſe ſich dann jede von Kaiſer und Reich beſchloſſene Hülfe ins Werk ſetzen, ohne irgend Jemand damit beſchwerlich zu fallen. Es werde das eine ſo große beharrliche Hülfe bil - den, wie ſie kein Kaiſer ſeit Chriſti Geburt gehabt habe. 1Rathſchlag was man mit geiſtlichen Guͤtern zu gemeinem und des Reichs Nutz furnemen und handeln ſoll. Im Weimari - ſchen Archiv; zwar unter den Acten von 1526, aber da darin des Reichstags von Augsburg gedacht wird, ohne Zweifel urſpruͤnglich fuͤr dieſen beſtimmt.

Ein Entwurf bei welchem es nun auch nicht ſo ſehr auf die einzelnen Beſtimmungen ankommt als auf die Ideen die ihm im Allgemeinen zu Grunde liegen: Säculariſation der geiſtlichen Güter, das Reich allein aus weltlichen Ständen zuſammengeſetzt, deſſen Verfaſſung vor allem auf die Ausbildung der Kreiſe begründet, ein ſtehendes Heer vornehmlich zu Gunſten des jüngern Adels: alles Dinge, deren Ausführung die folgenden Jahrhunderte beherrſcht, das ſpätere Deutſchland conſtituirt hat!

Kühnlich faßte man die entfernteſten Reſultate ins Auge: allein welch einen weiten Weg hatte man noch bis dahin zurückzulegen!

Noch war das geiſtliche Fürſtenthum bei weitem zu ſtark; und man kann denken, daß es ſich durch Pläne dieſer Art, die ihm doch nicht verborgen bleiben konnten, ange - trieben fühlen mußte alle ſeine Kräfte zuſammenzunehmen. Die Geiſtlichkeit beſchwerte ſich ohnehin, daß man ihr Vie - les vorenthielt, deſſen ſie in dem letzten Sturme beraubt worden, ja daß man fortfuhr, ihr die gewohnte Jurisdiction zu entziehen: ſie zeigte ſich entſchloſſen, am nächſten Reichs -240Drittes Buch. Siebentes Capitel.tag den Angriff nicht zu erwarten, vielmehr auf eine voll - kommene Herſtellung zu dringen. Dazu machte ihr ein Ausſchreiben des Kaiſers Muth, worin von Abſtellung alle der Dinge die Rede war, von denen ſich eine Zerrüt - tung unſers h. Glaubens beſorgen laſſe: in ſo ſtrengen Ausdrücken, daß es auf eine Wiederherſtellung des geſamm - ten alten Zuſtandes abgeſehen zu ſeyn ſchien. 1Tolleten in Caſtilien 24 Mai 1525. (W. A.)Das Re - giment, das noch in Eßlingen ſaß, und von dem wir jetzt wieder einmal hören, bereitete ſich zu Vorſchlägen in die - ſem Sinne. 2Feilitſch: Eßlingen Montag nach Martini: er haͤlt genzli - chen dafuͤr, daß von denen die ſich der Aufruhr theilhaftig gemacht, auch denen die Kirchen und Kloͤſter gewaltiglich zerſtoͤrt, denſelbigen Guͤter eingenommen und davon wieder geben was ihnen gefaͤllig, daß wider dieſe auf dem Reichstag gehandelt werden ſoll.Dahin neigte ohnehin die ganze Richtung welche der ſchwäbiſche Bund genommen. Auf dem Bun - destag, den derſelbe im November hielt, empfieng er ein Schreiben des Papſt Clemens, worin er aufgefordert wurde, das Trefflich-begonnene mit gleichem Eifer weiter zu füh - ren, die herrlichſte That die ſeit vielen Jahrhunderten ge - ſchehen nun auch zu vollenden. 3Paͤpſtliches Breve bei Oͤchsle p. 305, im Nov. uͤbergeben.So waren auch jene öſt - lichen Fürſten geſinnt. Wir haben die Inſtruction welche Herzog Georg ſeinem Geſandten an dem Reichstag ertheilte. An ſehr lebhafte Klagen über den unüberwindlichen Scha - den, der von dem lutheriſchen Evangelium herrühre, wird darin die Forderung geknüpft, keinerlei Veränderung in den hergebrachten Ordnungen zuzugeben, ohne Bewilligung einesall -241Gefahren.allgemeinen Conciliums; ſelbſt wenn ein Engel vom Him - mel käme, ſo würde man ihm nicht folgen dürfen, es ge - ſchähe denn in einer vollſtändigen chriſtlichen Verſamm - lung. 1Inſtruction auf Otto v. Pack im Dresdner Archiv. Auch uͤber die Heirath Luthers wird darin geſcholten, der jetzt mit ſeiner Kaͤthe ſo viel brauche, wie ſonſt der ganze Auguſtinerconvent.Auch ein päpſtlicher Nuntius machte ſich auf, um den Reichstag zu beſuchen.

War die Abſicht eine Veränderung zu treffen eben ſo weit verbreitet wie umfaſſend, ſo war doch auch die entge - gengeſetzte Tendenz, die geiſtliche Verfaſſung wie ſie be - ſtand aufrecht zu erhalten, oder vielmehr in ihrer Integri - tät wieder herzuſtellen, noch ſehr kräftig. Indem man ſich auf der Seite der Neuerung zu den weitausſehendſten Plä - nen erhob, verbarg man ſich doch nicht, daß der Reichs - tag auch leicht eine widrige Wendung nehmen könne. Es ſchien Einigen als wolle man da Gutes und Böſes mit einander ausrotten, die Wahrheit mit der Unwahrheit unter - drücken: als werde man am Ende eine Ordnung des Glau - bens und Lebens nach dem alten Geſetz aufrichten, und daran gehn, Jeden der ſich nicht füge mit Gewalt dazu zu zwingen.

Wie ſich Churfürſt Johann und Landgraf Philipp am entſchloſſenſten für die Neuerung erklärten, ſo hatten ſie auch Grund die meiſten Beſorgniſſe zu hegen. Der Land - graf, weil er ſich ringsher von mächtigen geiſtlichen Gebie - ten umgeben ſah: der Churfürſt, weil man ſchon damals daran dachte, ihm als einem von der römiſchen Kirche Abgefallenen die Chur zu entziehen: er wurde erinnert, ſich mit ſeinen Nachbarn ohne Zweifel hauptſächlichRanke d. Geſch. II. 16242Drittes Buch. Siebentes Capitel.dem Herzog Georg beſſer zu ſtellen: eben von dieſer Seite ſey mancherlei Practik wider ihn im Gange.

Es war bei weitem weniger die Abſicht, etwas Neues durchzuſetzen, als nur zunächſt die Beſorgniß vor eigenen Gefahren, die Nothwendigkeit ſich in der einmal genom - menen Stellung zu behaupten, was die beiden Fürſten ver - anlaßte ſich näher mit einander zu vereinigen.

Den erſten Schritt hiezu that Landgraf Philipp, der im Anfang October 1525 ſeinen Kammermeiſter, Rudolf von Waiblingen nach Torgau ſchickte, wo Churfürſt Jo - hann Hof hielt, und demſelben den Antrag machte, ſich auf dem nächſten Reichstag gemeinſchaftlich alle dem zu widerſetzen, was zu Gunſten der Mißbräuche, zu Unter - drückung der Wahrheit verſucht werden könne, keine An - ordnung anzunehmen die dem Worte Gottes entgegenlaufe, ſich zu dem Ende mit allen Gleichgeſinnten zu vereinigen. Höchlich erfreut war der evangeliſch-überzeugte Churfürſt über dieſen Antrag, der ſeiner Geſinnung ſo wohl entſprach: Anfang November gieng ſein Sohn Johann Friedrich um mit dem Landgrafen perſönlich eine nähere Verabredung zu treffen. 1Inſtruction in Rommels Urkundenbuch p. 10. Credenz von demſelben Datum 5 Oct. im Weim. A. Ebenda Verzeichniß was Waiblingen auf die Werbung ſo er gethan zur Antwort ver - melden ſoll. Torgau 13 Octob.

Auf dem feſten Jagdſchloß Friedewalt am Sullinger Walde geſchah die Zuſammenkunft. Die beiden jungen Fürſten verſtanden ſich vollkommen. Im Weimariſchen Archiv findet ſich noch die Aufzeichnung eines Bedenkens unſres lieben Vetters und Bruders des Landgrafen von der eignen Hand Johann Friedrichs, welches ohne Zwei -243Zuſammenkunft zu Friedewalt.fel eben das Reſultat ihrer Unterredung iſt. Der Inhalt deſſelben lautet noch nicht auf ein eigentliches Bündniß, man beſchließt nur erſt was die Lage des Augenblicks for - dert. Die beiderſeitigen Geſandten ſollen ſich in Hinſicht des Evangeliums näher verſtändigen, von den gleichgeſinn - ten Fürſten, Grafen und Städten ſo viele als möglich an ſich ziehen noch hegte man ſogar die Hofnung den Churfürſten von Trier zu gewinnen, und ſich alsdann gemeinſchaftlich gegen die Ausdrücke des Ausſchreibens er - klären, welche der alten Gewohnheit günſtig, dem Worte Gottes nachtheilig ſeyen, in Sachen des Evangeliums über - haupt für Einen Mann ſtehn. An dem churfürſtlichen Hofe billigte man dieß nicht allein, man hielt es für gut, das Verſtändniß auch noch auf andre Sachen zu erſtrecken, darin einer vor dem andern Recht leiden könne. 1Verzaichniß des Bedenkens unſres lieben Vetters und Bru - ders auf die vertreuliche Unterrede, ſo wir mit S. L. jetzo allhie ge - habt, ſo vil das h. goͤttl. Wort belangen thut. Friedewalt Mittw. nach Bernardi d. i. 8 Nov. Die Ausarbeitung, die in Torgau ge - macht ward, iſt von der eigenhaͤndigen Aufzeichnung des Prinzen dadurch unterſchieden, daß wenn der Prinz nur geſchrieben hatte, man wolle ſich vereinigen des Evangeliums wegen, hier hinzugefuͤgt ward: auch ſunſten in andern Sachen, do eyner vor dem andern Recht leyden kunt, ausgeſchloſſen gegen den, ſo in der Erbeynung ſind. Ausfuͤhrlichere Auszuͤge denke ich im Anhang mitzutheilen.

So kam man von den verſchiednen Seiten im An - fang December mit ganz entgegengeſetzten Inſtructionen in Augsburg zuſammen.

Der Zwieſpalt der die Abgeordneten trennte, zeigte ſich ſelbſt in der kaiſerlichen Commiſſion. Außer Erzherzog Ferdinand, deſſen Haltung zweifelhaft ſeyn mußte, beſtand16*244Drittes Buch. Siebentes Capitel.ſie aus dem Herzog Wilhelm von Baiern, dem Vorfech - ter der Päpſtlich-geſinnten, und Markgraf Caſimir von Brandenburg, der ſich ſchon ſo lange zu den Evangeliſch - geſinnten gehalten. Zwar lehnte Caſimir ab, auf das Ver - ſtändniß einzugehn das ihm die Geſandten von Heſſen und Sachſen antrugen, aber er erklärte doch, er werde ſeine Über - zeugung innerhalb der Commiſſion verfechten, und dadurch mehr Nutzen ſtiften als durch ein förmliches Bündniß.

Da würde es nun wohl zu einem lebhaften ernſtli - chen und entſcheidenden Kampfe haben kommen müſſen, wären die Fürſten perſönlich zugegen geweſen: man würde ſogleich geſehen haben, wohin die Majorität ſich neige.

Allein noch war doch im Grunde weder die eine noch die andre Partei dazu ernſtlich entſchloſſen. Jedwede ſah zu gut was die Entſcheidung zu bedeuten habe, ſie wünſchte noch erſt, alle ihre Kräfte zu ſammeln, ſich alle mög - liche Unterſtützung zu verſchaffen. In Friedewalt war es gleich rathſam gefunden worden, den Reichstag nach Speier oder nach Worms zu verlegen. Von der andern Seite zögerte der mainziſche Abgeordnete, ohne den kein Schritt geſchehen konnte, da er die Canzlei mit ſich führte, unge - bührlich lange. Kein Fürſt war in Perſon erſchienen: ſelbſt die Commiſſion ward nicht vollzählig: eine große An - zahl von Abgeordneten wurde vermißt.

Die erſte vorläufige Verſammlung ward am elften De - zember gehalten. Erzherzog Ferdinand erſuchte die Erſchie - nenen noch einige Zeit Geduld zu haben, bis eine grö - ßere Anzahl angelangt ſey: den guten Willen der Anwe - ſenden werde er dem Kaiſer rühmen. 1Schreiben von Feilitſch an Chf. Johann 24 Dez. Weim. A.

245Reichstag zu Augsburg 1525.

Aber noch einige Wochen ſpäter war man nicht zahl - reicher beiſammen; auf erneuerte Anregung der Stände hiel - ten die Commiſſarien am 30 Dez. eine definitive Verſamm - lung. 1Feilitſch und Minkwitz an Churfuͤrſt Johann 2 Januar 1526.

So viel leuchtete einem Jeden ein, daß bei dieſer Un - vollzähligkeit der Stände und der Bedeutung der obſchwe - benden Fragen nichts Nachhaltiges geſchehen könne. Her - zog Wilhelm trug vor, ob man nicht beſſer thun werde, den Reichstag zu verſchieben. Die drei Collegien traten auseinander und waren einhellig dieſer Meinung. Sie ver - legten den Reichstag nach Speier auf den erſten Mai: da aber müſſe ein jeder Fürſt in Perſon erſcheinen, da wolle man von dem heiligen Glauben, Friede und Recht deſto ſtattlicher handeln.

Um jedoch wenigſtens Etwas gethan zu haben, und aus Rückſicht auf die noch fortdauernde Gährung der Un - terthanen, ſetzte man einen Ausſchuß nieder um einen Reichs - abſchied zu verfaſſen.

Bemerkenswerth iſt dabei wohl nur, daß man die Anordnungen der letzten Reichstage von 1523 und 1524, daß das Evangelium rein und klar nach Auslegung der angenommenen Lehrer gepredigt werden ſolle, wiederholte, ohne der lateiniſchen Kirchenväter namentlich, oder auch des Wormſer Edictes zu gedenken. Übrigens verſprach man einander, ſich gerüſtet zu halten, um jeden Empö - rungsverſuch ſogleich zu unterdrücken, und rehabilitirte die wegen ihrer Theilnahme an dem Aufruhr für infam erklär - ten in ſo weit, daß ſie an den Gerichtsſitzungen Theil246Drittes Buch. Siebentes Capitel.nehmen dürften. 1Reichsabſchied. N. Samml. II, 271 § 1. § 4. Man ſah das gleich damals als einen Sieg der Proteſtanten an. Schreiben der Nuͤrnberger bei Hortleder I, VIII, 1. Spalatin Annales bei Mencken II, 652: Concidit spes sperantium, eo conventu totum Baalem restitutum iri. Es war ihrer eine ſo große Anzahl, daß ſonſt die Dorfgerichte in Stocken gerathen ſeyn würden.

Schon war die allgemeine Aufmerkſamkeit, ſo wie die vorbereitende Thätigkeit, der nächſten Verſammlung, die dann auch entſcheidend geworden iſt, zugewendet.

Sachſen und Heſſen hatten für das evangeliſche Bünd - niß das ſie beabſichtigten, doch nicht die erwartete Theil - nahme gefunden: eigentlich nur die nürnbergiſchen Abge - ordneten hatten eine ernſtliche Hinneigung dazu blicken laſ - ſen; allein darum ließen ſie den Gedanken nicht fallen: die beiderſeitigen Geſandten waren der Meinung, die Sache müſſe in einer perſönlichen Zuſammenkunft ihrer Herrn, des Churfürſten ſelbſt und des Landgrafen, mit doppelter Kraft angegriffen werden.

Indeſſen trat auch die andre Partei enger zuſammen. Das Domcapitel zu Mainz ſuchte ſeine ſo lange vergeſ - ſenen Metropolitan-befugniſſe wieder hervor, und berief die Capitel ſeiner Suffraganen zu einer Verſammlung bei der Mutterkirche. Hier ward dann die Gefahr in Betracht gezogen in der ſich der Clerus überhaupt befinde, und der Beſchluß gefaßt eine Geſandtſchaft an Kaiſer und Papſt ab - zuordnen, um ihnen zu klagen daß die geiſtliche Jurisdiction von der weltlichen Gewalt occupirt werde, und die Verdienſte in Erinnerung zu bringen welche ſich die geiſtlichen Fürſten von jeher um Kaiſerthum und Kirche erworben: ſo viel und247Verbindung der Katholiſchen.noch mehr ſeyen ſie auch in Zukunft zu leiſten erbötig, aber dafür müſſe man ſie auch bei den hergebrachten Gerechtſamen ſchützen. Sie meinten, es ſey wohl am rathſamſten, einige nicht abgefallene Fürſten, welche ſie ſogleich nahmhaft mach - ten,1Schreiben des Grafen Albrecht von Mansfeld, der eine Co - pie des Bundes einſandte, an den Churfuͤrſten von Sachſen im Weim. A. Schreiben von Waldenfels an Vogler bei v. d. Lith p. 160. mit dieſem Schutze zu beauftragen.

Dahin ſchienen auch die Wünſche dieſer Fürſten ſelbſt zu gehn. Bei dem Churfürſten von Mainz, der in Halle reſidirte, kamen Herzog Georg von Sachſen und Herzog Heinrich von Braunſchweig zuſammen: in denſelben Tagen finden wir ſie nochmals zu Leipzig, zugleich mit dem Bi - ſchof von Straßburg: und auch ſie beſchloſſen, ſich an den Kaiſer zu wenden. Sie ſtellten ihm vor, bei dem unauf - hörlichen Fortgange der verdammten lutheriſchen Lehre ſey nichts als eine Wiederholung des Aufruhrs, ja ein off - ner Krieg zwiſchen den Fürſten und Herrn ſelbſt zu er - warten: auch ſie ſuche man täglich auf die lutheriſche Seite zu ziehen: da das in Güte nichts helfe, ſo ſcheine es als wolle man ſie durch ein Aufwiegeln der Unterthanen mit Gewalt dazu nöthigen. Hiegegen riefen ſie nun die Unterſtützung des Kaiſers an. 2Excerpt aus einem zu Leipzig verfaßten Gutachten bei Schmidt Deutſche Geſchichte VIII, 202. Doch weiß ich nicht, ob man eher in Leipzig oder eher in Halle war.Unmittelbar von der Verſammlung be - gab ſich Herzog Heinrich von Braunſchweig nach Spanien, um das Gewicht perſönlicher Anweſenheit in die Wag - ſchale zu werfen.

So rüſtete ſich alles zu dem entſcheidenden Kampfe. 248Drittes Buch. Siebentes Capitel.Hatten die Anhänger der Neuerung ihre vornehmſte Stütze in der nationalen Sympathie, in der großen Bewegung des Geiſtes überhaupt, ſo waren dagegen die Verfechter des Papſtthums durch die natürliche Kraft des Beſtehenden und den entſchloſſenen Widerwillen einiger mächtigen Für - ſten gegen alle Veränderung unterſtützt.

Aber überdieß ſuchten dieſe nun auch die beiden höch - ſten Gewalten für ſich in Thätigkeit zu ſetzen, deren An - ſehn mit der geiſtlichen Verfaſſung des Reiches ſo enge zu - ſammenhieng. Sie zweifelten nicht daß ihnen dieſelben mit allem ihrem Einfluß zu Hülfe kommen würden.

Damit berührten ſie aber zwei Weltkräfte die noch in ganz andern Beziehungen zu einander ſtanden als in den deutſchen; und deren Verhältniß durch die großen Er - eigniſſe in Italien und den Gang der europäiſchen Poli - tik jeden Moment anders beſtimmt ward.

Wir würden die Entwickelung der deutſchen Angele - genheiten nicht ferner verſtehn, wenn wir nicht vor allem dieſe Ereigniſſe näher betrachten wollten: an denen überdieß auch noch eine andre Seite des deutſchen Lebens hervortritt.

[249]

Viertes Buch. Auswärtige Verhältniſſe, Gründung der Landeskirchen. 1521 1528.

[250][251]

Erſtes Capitel. Franzöſiſch-italieniſche Kriege bis zur Ligue von Cognac. 1521 1526.

Im zehnten Jahrhundert, als die abendländiſchen Völker, noch in den Anfängen ihrer Bildung begriffen, auf allen Seiten von den Einfällen überlegener feindſeliger Weltele - mente heimgeſucht wurden, waren es die Deutſchen, welche die erſten großen Siege erfochten. Indem ſie ſich ſelber vertheidigten, leiſteten ſie auch allen andern unſchätzbare Dienſte. Sie verſchafften dem Abendlande wieder eine ſelb - ſtändige Haltung: mit ihren glücklichen Waffen erneuerten ſie die Idee eines occidentaliſchen Reiches: zwei Drittheil des großen carolingiſchen Erbes fielen ihnen anheim.

Im elften und zwölften Jahrhunderte erkannten noch alle umwohnenden Nationen die Hoheit des Reiches an: wie im Norden und Oſten, ſo im Süden und Weſten.

Arles und Lyon, ſo gut wie Mailand und Piſa ge - hörten zu demſelben.

Am Ende des zwölften, in der erſten Hälfte des drei - zehnten Jahrhunderts finden wir unſre Kaiſer ſich eine ſtarke Hausmacht in Italien gründen: mehr als einmal er -252Viertes Buch. Erſtes Capitel.hebt ſich in ihnen der Gedanke die Herbeibringung des orientaliſchen Reiches zu unternehmen; indeſſen werden im Norden und Oſten weite Gebiete mit Pflanzungen bedeckt, und in der Ferne vor ihnen her die großen Ritter-colonien gegründet, welche noch in dem folgenden Jahrhundert ohne Zweifel die beſteingerichtete und kräftigſte Macht in dem Norden bildeten.

Eine Weile giengen die Eroberungen auch dann noch fort, als die Reichsregierung ſchon nicht mehr die alte Energie beſaß; endlich aber mußte die Auflöſung der innern Ordnung, die Vernichtung eines wahrhaft ſelbſtändigen Kai - ſerthums auch auf die Grenzen zurückwirken: das Reich vermochte ſeine Stellung nicht mehr zu behaupten.

Den Anfang der Beraubung hatte der Papſt gemacht, der Rom, den Kirchenſtaat und Avignon vom Reiche los - riß: mit ihm verbündet bemächtigte ſich ohne viel Ge - räuſch, Stück für Stück, die franzöſiſche Krone des are - latenſiſchen Reiches: bald darauf erfocht die emporkom - mende polniſch-litthauiſche Macht entſcheidende Siege über die nicht mehr hinreichend unterſtützte Ritterſchaft: im funf - zehnten Jahrhundert machte ſich Böhmen unabhängig: die italieniſchen Staaten rechneten ſich kaum dem Namen nach zum Reiche: das Prinzip der Trennung wirkte endlich auch auf die deutſchredenden Stämme in den Alpen und den Niederlanden zurück. Der Anblick ſo vieler Verluſte er - weckte jenen Unmuth patriotiſcher Geiſter, deſſen wir zu - weilen gedachten.

Noch hatte man ſich jedoch zu keiner definitiven Ab - tretung von Seiten des Reiches verſtanden, ausgenommen253Auswaͤrtige Verhaͤltniſſe.etwa zu Gunſten des Papſtes, mit dem man gleichwohl über die Grenzen der beiderſeitigen Befugniſſe auch noch nicht ſehr feſt übereingekommen war: noch konnte alles herbei - gebracht werden.

Beſonders war man nie der Meinung geweſen, das obere Italien aufzugeben. Noch im Anfang des funfzehn - ten Jahrhunderts machte der römiſche König Ruprecht ei - nen entſchloſſenen Angriff auf Mailand: in der Mitte deſ - ſelben regte ſich nach dem Ausſterben der Visconti in Mai - land ſelbſt eine Partei, welche der Meinung war ſich dem Kaiſer zu unterwerfen: wir ſahen in welch unaufhörlichen Verſuchen ſich Maximilian Zeit ſeines Lebens bewegte, die Lombardei zu erobern. Zwar war es ihm damit nicht geglückt: nach allem Wechſel der Kriegsereigniſſe hatten die Franzoſen Mailand und Genua zuletzt doch behauptet; allein die al - ten Anſprüche waren doch auf das lebendigſte in Erinne - rung gekommen: und in dem Reiche ſah man Franz I, der überdieß der Lehen entbehrte, mit nichten als einen le - gitimen Beſitzer an.

Indem nun Carl V den kaiſerlichen Thron beſtieg, eröffnete ſich für das Reich noch einmal die großartige Ausſicht zu alle ſeinen Rechten zu gelangen.

Wir müſſen uns erinnern, daß man gleich bei der erſten Annäherung zwiſchen Burgund und Öſtreich dieſen Geſichtspunct ins Auge gefaßt hatte. Als Carl der Kühne Friedrich dem III ſeinen Bund antrug, ſagte er demſelben, er wolle ihn furchtbarer machen, als irgend ein Kaiſer ſeit dreihundert Jahren geweſen: er ſtellte ihm vor, welch eine unwiderſtehliche Macht aus der Verbindung ihrer Beſitz -254Viertes Buch. Erſtes Capitel.thümer und Gerechtſame hervorgehen müſſe. 1Die einzige Nachricht hieruͤber, die jedoch als authentiſch angeſehen werden muß, theilte Schmidt aus dem kaiſ. Archiv mit, Buch VII, Cap. 24.Der junge Fürſt der jetzt den Thron beſtiegen, war der Urenkel und Erbe ſowohl des Einen als des Andern: noch viel weiter als man damals hätte ahnden können erſtreckten ſich ſeine Fürſtenthümer und Königreiche. Wie hätten Ideen dieſer Art nicht in ihm erwachen ſollen!

Noch war die deutſche von allen abendländiſchen Na - tionen ohne Zweifel am beſten bewaffnet. Der Adel riß ſich zuerſt von dem für die neuere Kriegskunſt nicht mehr geeigneten Formen des ritterlichen Lanzenweſens los: Herren und Diener fochten in Einem Glied. 2Eine Stelle in Pasqualigo’s Relation wird dieß naͤher er - laͤutern.Aus den Bauern gieng das Fußvolk der Landsknechte hervor, das außer in den Schweizern, die doch auch Deutſche waren, ſeines Glei - chen nicht hatte. Die Bürger waren die Meiſter des Ge - ſchützes: mit einer Vereinigung der hanſeatiſchen und der niederländiſchen Seemacht hätte ſich keine andre Nation der Welt meſſen können.

Es hatte nur immer daran gefehlt, daß der Kaiſer zu ſchwach geweſen war, um die Kräfte der Nation zu be - nutzen. Jetzt aber ſchien das anders werden zu müſſen. Die Landsknechte feierten es in einem Liede, daß ſie ei - nen Fürſten bekommen der im Stande ſeyn werde ſie zu beſolden, im Felde zu halten. Auf dem Reichstag zu Worms war auf das ernſtlichſte von der Wiedereroberung der ab - gekommenen Reichslande die Rede.

255Ausbruch des Krieges mit Frankreich.

Auch für dieſe Verhältniſſe dürfen wir jedoch keinen Augenblick vergeſſen, daß es nicht eine eigentlich nationale Entwickelung war, woraus die Vermehrung der kaiſerlichen Macht hervorgieng. Die Nation war nicht gemeint Carl dem V größere Rechte zu gewähren als ſeinen Vorfahren, ſchloß ſich nicht einmüthiger an ihn an. Der Unterſchied beruhte auf der Verbindung einer Hausmacht wie ſie noch niemals vorgekommen war, mit den Rechten des Kaiſer - thums. Aber ſo fremdartige Beſtandtheile umfaßte dieſelbe, daß ſie niemals mit der kaiſerlichen Gewalt verſchmelzen konnten. In der Stellung Carls V lag eine Doppelſeitig - keit, welche mit der Zeit eigenthümliche Schwierigkeiten entwickeln mußte, und für die Rechte des Reiches, in wie fern ſie von denen des jedesmaligen Kaiſers unterſchieden waren, auch wieder gefährlich[werden] konnte.

Gleich der Urſprung ſeiner Kriege liegt bei weitem mehr in der Geſammtheit ſeiner Verhältniſſe als in den Intereſ - ſen des Reiches.

Wir berührten ſchon, wie die alte Feindſeligkeit zwi - ſchen Frankreich und Burgund wieder erwachte.

Im Anfang des Jahres 1521 ſah man die erklärten Gegner des Kaiſers an dem franzöſiſchen Hofe auf das beſte aufgenommen und begünſtigt: Franz I trat mit den empörten Communen in Caſtilien in Verbindung: auch in Deutſchland glaubte der Kaiſer noch immer Machinationen ſeines Gegners wahrzunehmen: Briefe und Entwürfe des feindſeligſten Inhalts kamen ihm aus Italien zu Geſicht:1Tractat de subtrahendis omnibus Caesaris amicis, sollicitat licet frustra sacri imperii electores, concitat et literis256Viertes Buch. Erſtes Capitel.im Mai machte Franz I einen Verſuch, Alibret geradezu mit den Waffen nach Navarra zurückzuführen: auf die fried - lichen Erinnerungen der Engländer erklärte er, er könne ſich in ſeinem Siegeslauf nicht aufhalten laſſen. 1Auszuͤge aus den Depeſchen des engl. Geſandten Fitzwilliam in Paris vom 18 Febr. und 29 Mai bei Raumer: Pariſer Briefe I, p. 237.Er nahm Robert von der Mark, der um eine Verletzung ſeiner Ge - richtsbarkeit durch den Canzler von Brabant zu rächen, im Luxemburgiſchen zu Gewaltthätigkeiten ſchritt, öffentlich in ſeinen Schutz.

Dagegen ſchloß nun auch der Kaiſer ſein Bündniß mit Papſt Leo X, dem die Überlegenheit der Franzoſen in Italien ſchon jetzt höchſt beſchwerlich fiel und jeder neue Fortſchritt derſelben vollends unerträglich geworden wäre. 2Dieß Motiv, das die Italiener ſpaͤterhin vergeſſen hatten, ſtellt ſich beſonders in einer Unterredung Heinrichs VIII mit dem franzoͤſiſchen Geſandten heraus: fere off extreme subjection. State papers Henry VIII, I, p. 13.Der Bund war darauf berechnet, die Rechte des Kaiſer - thums und des Papſtthums gemeinſchaftlich zu erneuern. Schon auf die entferntere Zukunft ward darin Bedacht ge - nommen. Der Kaiſer verſprach die Anſprüche des Pap - ſtes auf Ferrara, der Papſt, die Rechte des Reiches gegen Venedig durchführen zu helfen. 3 omnibus viribus suis spiritualibus et temporalibus. Art. 19. Dumont IV, III, 99.Zunächſt aber beſchloß man, die Lombardei mit einander zu erobern. Parma undPia -1et nunciis turbatos Hispaniae populos. Aus dieſen und aͤhnli - chen Klagen in der Refutatio apologiae dissuasoriae bei Goldaſt P. Imp. p. 870 ſieht man was den Kaiſer außer den directen An - griffen noch beſonders verdroß.257Ausbruch des Krieges mit Frankreich.Piacenza ſollten dem Papſt anheimfallen, Mailand und Genua unter einheimiſchen Herrſchern die Hoheit des Kai - ſers anerkennen. Es iſt darin viel von der Herſtellung der geſetzlichen Unterordnung aller Fürſten unter den Papſt und den Kaiſer die Rede, von denen Gott einmal Rechen - ſchaft über den Zuſtand der chriſtlichen Republik fordern werde.

In Deutſchland dachte man gutmüthiger Weiſe daran, noch eine Vermittelung zwiſchen Kaiſer und König zu ver - ſuchen. Die Churfürſten entwarfen ein Schreiben, um den König von Frankreich zu friedfertigem Verhalten und einer Anerkennung der Rechte des Reiches aufzufordern. Aber der Kaiſer liebte ihre Einmiſchung nicht: er verbot dem Churfürſten von Mainz, das Schreiben abgehn zu laſſen; ſein Canzler erklärte dem Churfürſten von Trier, keine Un - terhandlung werde bei dem König anſchlagen, er werde nur dann Friede halten, wenn man ihn mit Gewalt dazu nöthige. 1 wurde keine Handlung leiden, er ſey denn dermaaßen zu - gericht, daß er des Friedens begere. Aus dem Munde des Chur - fuͤrſten von Trier Planitz an Friedrich v. Sachſen 1ſten Nov. 1521.

Wie wäre auch bei den Abſichten, die in dem Bunde mit dem Papſte feſtgeſetzt waren, noch ein Austrag mög - lich geweſen?

Im Auguſt 1521 kamen zwar die Abgeordneten des Kai - ſers und des Königs mit römiſchen und engliſchen Bevoll - mächtigten zu dieſem Zwecke noch einmal in Calais zuſam - men, allein es ließ ſich von vorn herein nicht viel davon erwarten. Von den Vermittlern ſtand der eine bereits inRanke d. Geſch. II. 17258Viertes Buch. Erſtes Capitel.Bund mit dem Kaiſer, der andere unterhandelte mit ihm ſchon lange über eine engere Allianz. Der Kaiſer, durch ſeine Siege in Spanien, von wo die Franzoſen hatten weichen müſ - ſen, mit neuem Selbſtgefühl erfüllt, ſtellte ſeine Forderungen ohne alle weitere Zurückhaltung auf: Räumung der Reichs - lehen Mailand und Genua: Verzichtleiſtung auf die nea - politaniſchen Anſprüche und die Oberlehnsherrſchaft der Krone Frankreich über Flandern und Artois, denn der Kai - ſer könne nie Vaſall eines andern Fürſten ſeyn: endlich Herausgabe des Herzogthums Burgund. 1Garnier Histoire de France 23, p. 359 aus den MSS von Bethune, die er jedoch nicht naͤher bezeichnet. Es waͤre wohl an der Zeit, daß in Frankreich etwas Weſentliches fuͤr die authentiſche Er - laͤuterung dieſer Geſchichte geſchaͤhe, was ſo leicht waͤre. In den Statepapers fehlt ungluͤcklicher Weiſe das Schreiben Wolſeys, das ſich hierauf bezogen haben wird.Forderungen die denn in der That nichts als den entſchloſſenen Willen das Kriegsglück zu verſuchen ausſprachen: ohne Niederla - gen erlitten zu haben konnte ſie Franz I nimmermehr be - willigen.

Von der Zuſammenkunft zu Calais hatte Carl V den Vortheil, daß er den König von England für ſich ge - wann. Heinrich VIII hatte ſich früher verpflichtet, ſich ge - gen Denjenigen von ſeinen beiden Nachbarn zu erklären, der den Frieden zuerſt brechen würde. Ein aufgefangenes Schreiben überzeugte ihn, daß die Schuld an Franz I liege. 2Letters sent unto Rome by the Frenshe King to the Counte de Carpye signed with his hande and subscribed by Robt Tett (Robertet), which I have seen, conteyning the hoole discourse of his intended enterprise, as well by Robt de la Mar -Um ſo weniger Bedenken trug er nun, auf die259Ausbruch des Krieges mit Frankreich.Seite des Kaiſers zu treten, von dem er ſich überdieß we - gen jedes pecuniären Schadens der ihm aus ſeiner Tren - nung von Frankreich entſpringen könne ſorgfältig ſicher ſtel - len ließ. Sein Bevollmächtigter, Cardinal Wolſey gieng von Calais nach Brügge, wo dann jene engere Verbin - dung geſchloſſen ward, von der früher die Rede geweſen.

Auch der Kaiſer wünſchte den Krieg nur mit guter Rechtfertigung zu unternehmen. Da ſich wegen der zwei - deutig geſtellten Friedensartikel zweifeln ließ, wer in der Sache von Navarra Recht habe, ſo war es ihm beinahe lieb, als man ihm von ernſtlichen Demonſtrationen der Franzoſen zu Gunſten Roberts von der Mark Nachricht brachte. Gelobt ſey Gott rief er aus ich bin es nicht, der Krieg an - fängt: Gott giebt mir Gelegenheit mich zu vertheidigen. Deſto entſchloſſener zeigte er ſich, das Unternehmen zu Ende zu führen. Ich müßte, ſagte er, ein erbärmlicher Kaiſer ſeyn, oder er ſoll ein kläglicher König von Frankreich werden. 1Aluigi Aleandro de Galeazzi Brusselles 3 Luglio 1521. Lettere di principi I, 93. Das iſt wohl ohne Zweifel der Sinn je - ner Rede.

So begann der Krieg zwiſchen Carl V und Franz I.

Es lag darin eine unmittelbare Fortſetzung der alten bur - gundiſch-franzöſiſchen Feindſeligkeiten. Zugleich hatte er aber für das deutſche Reich eine unermeßliche Bedeutung. Zum erſten Mal eröffnete ſich wieder die gegründete Ausſicht die Rechte und die Autorität deſſelben wiederherzuſtellen. Die2che in those parties, as the commotion of Italie and disturbance of Naples, wherby the invasion of his partie evidently apperithe. Wolsey to King Henry. Statepapers I, 27. Aus der Antwort von Pace p. 35 ergiebt ſich, daß dieſe Angabe dem Koͤnig entſcheidend vorkam.17*260Viertes Buch. Erſtes Capitel.Kriegführung und ihre Erfolge, die Wechſel der Politik muß - ten dann auf das Innere eine unaufhörliche Rückwirkung ausüben, wie wir ſchon vorläufig bemerkten, und bald deut - licher wahrnehmen werden.

Feldzug von 1521, 22.

Anfangs ſchien es, als würde die Entſcheidung auf den alten Schauplätzen der burgundiſchen Kriege, an den franzöſiſch-niederländiſchen Grenzen erfolgen.

Von dem ohne viel Mühe bezwungenen Gebiete Ro - berts von der Mark bewegte ſich ein ſtattliches kaiſerliches Heer, unter dem Grafen von Naſſau, Sickingen und Frunds - berg, gegen die franzöſiſchen Grenzen, eroberte Mouzon, be - lagerte Mezieres, und ſetzte die ganze Champagne in Ge - fahr; allein indeß ſammelte auch Franz ſeine beſten Streit - kräfte: er fühlte ſich gar bald ſo überlegen, daß er meinte, Gott ſelber zeige ſich franzöſiſch-geſinnt: die Kaiſerlichen mußten jene Belagerung aufheben, und als ſie hierauf den Franzoſen in der Nähe von Valenciennes begegneten, es für ein Glück halten, daß ſie ungeſchlagen davon kamen: Georg Frundsberg hielt dieſen Abzug für eine ſeiner rühm - lichſten Thaten. Eben dadurch aber daß die Franzoſen dieß geſchehen ließen, ſtellte ſich ein gewiſſes Gleichgewicht her: die Franzoſen nahmen einige feſte Plätze von Artois, die Kaiſerlichen Tournay weg: zu ernſtlichen Anſtrengungen, nahmhaften Erfolgen kam es an dieſer Stelle nicht. 1Die Memoiren von Bellay und Fleuranges von der einen, Pontus Heuterus und Sandoval von der andern Seite ſchildern die - ſen Krieg. Ich denke im Anhang noch ein unpoetiſches, aber doch belehrendes hiſtoriſches Lied beizubringen.

261Feldzug von 1521.

Dagegen entwickelten ſich die Ereigniſſe in Italien unerwartet zur Entſcheidung.

Hier kam es vor allem auf jene zwar noch immer zu dem Reiche ſich haltende, dazu gezählte, aber doch in ihrer Politik ſo gut wie unabhängige Genoſſenſchaft der Schweizer an, von welcher die großen Entſcheidungen in Oberitalien die letzten Jahrzehnde daher immer hauptſächlich abgehangen. Noch zuletzt hatten ſie im Jahr 1512 Mai - land für die Sforza’s zurückerobert; nur durch ihre Ent - zweiung war es, wiewohl auch dann noch nicht ohne eine der blutigſten Schlachten, verloren gegangen; im J. 1516 hatte Maximilian mit ihrer Hülfe einen abermaligen Zug in die Lombardei unternommen und hauptſächlich den Män - geln ſeiner Führung ſchrieb man es zu, daß er mißglückt war. Auch jetzt rechneten Papſt und Kaiſer bei ihren Plä - nen hauptſächlich auf die Hülfe dieſer nahen, kriegsfertigen und tapfern Mannſchaften. Ihre Abſicht war, 16000 Schweizer über die Gebirge kommen und zu derſelben Zeit in Mailand vorrücken zu laſſen, wenn eine kaiſerliche Flotte vor Genua, und ein neapolitaniſch-päpſtliches Heer am Po erſcheinen würde. 1Der Plan iſt in den Allianztractat aufgenommen. Art. 9.

Und wie hätten ſie an dem glücklichen Erfolg ihrer Bemühungen zweifeln ſollen? Die Eidgenoſſenſchaft hatte bei der Kaiſerwahl Partei für Öſtreich genommen: der - miſche Stuhl war in engem Bunde mit ihr, und ſchon im Anfang des Jahres waren einige tauſend Schweizer in den Dienſt Leo’s gezogen, der dann ihre Hauptleute in Rom mit goldnen Ketten beſchenkt hatte.

262Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Auch noch eine andre Partei aber gab es in der Schweiz, die ſich zu Frankreich hielt: die ſchon 1515 die Entzweiung in dem ausgezogenen Kriegsheer veranlaßt, hierauf den ewigen Frieden mit Frankreich durchgeſetzt hatte, zwar nicht eben darauf drang, den König zum Kaiſer zu erheben, wodurch er legitime Anſprüche auf ſie erlangt haben würde, aber von dieſer Beſorgniß frei nun um ſo lebhafter in das engſte Verhältniß mit dieſer Macht zu treten wünſchte. Die Fran - zoſen thaten alles, um ſie feſtzuhalten und zu unterſtützen. Ihr Mittel war einfach und unfehlbar. Sie verſprachen öffentlich Penſionen und wandten insgeheim Beſtechung an; Anshelm verſichert, es ſeyen nicht allein die Mitglie - der der Räthe und Bürgerſchaften, ſondern auch die lau - teſten Wortführer in den Landgemeinden beſtochen worden: mancher habe ſich mit 10 G. abfinden laſſen, in manches Haus dagegen ſeyen 3000 G. gefloſſen. 1Anshelm Berner Chronik VI, p. 25.Es fehlte wohl nicht an Widerſpruch. Man bemerkte wie ein ungleiches Verhältniß die Verpflichtung begründe, daß jeder Theil die Beſitzungen des andern vertheidigen ſolle: die Eidgenoſ - ſenſchaft die weitläuftigen Länder des Königs dieſſeit und jenſeit des Gebirges: der König das enge ſchweizeriſche Ge - biet: man ſagte, Franz I werde durch Werbungen und Pen - ſionen ſo gut Herr in der Eidgenoſſenſchaft;2Gegengruͤnde beſonders in dem Fuͤrtrag der Stadt Zuͤrich an ihre Landſchaft bei Bullinger I, p. 42. allein da die Majoritäten weniger durch Argumente als durch Intereſſen beſtimmt zu werden pflegen, richtete man damit nichts aus: es ward erwiedert, einen Rückhalt für unvorhergeſehene263Feldzug von 1521.Fälle bedürfe doch auch die Eidgenoſſenſchaft, und wo könne es je ein beſſeres Verhältniß geben? man laſſe dem König die muthwillige Jugend zulaufen, die man ohnehin nicht zurückzuhalten vermöge, und ziehe dafür von ihm ſo große Nutzung. Nur in Zürich bildete ſich, und zwar im Zu - ſammenhang mit einer tieferen religiöſen Überzeugung, ein fe - ſterer Widerſtand: alle andern Orte aber, zuletzt auch Schwyz und Glarus, die ſich am längſten gehalten, gaben nach: am 5ten Mai 1521, eben indem man zu Rom mit der Feſtſetzung jener Pläne beſchäftigt war, kam zu Lucern das Bündniß zu Stande, in welchem der König, der Eidgenoſ - ſenſchaft die ſchon früher bezahlten Penſionen um die Hälfte zu erhöhen,1 ut cognoscant intimum amorem liberalitatem benevo - lentiam et affectionem dicti christianissimi regis in eos. Du Mont IV, I, p. 334. dieſe dagegen dem König, ſo oft er in ſeinen Beſitzungen angegriffen werde, zu Hülfe zu kommen, ihm jedes Mal Werbung von 6000 bis 16000 M. zu geſtat - ten verſprach. Es iſt das die Grundlage aller ſpäteren Bündniſſe zwiſchen Frankreich und der Schweiz. Welch eine große Autorität in Europa hätte der Eidgenoſſenſchaft die Erneuerung eines Verhältniſſes zu Mailand geben müſ - ſen, wie es von 1512 bis 1515 beſtanden! Allein ſie ver - zichtete darauf: ſie machte ihren Arm und ihre Kraft, ihre ganze kriegeriſche Macht, durch die ſie einen Namen erwor - ben, um jener Geldzahlungen willen den Zwecken der fran - zöſiſchen Krone dienſtbar. Sie that einen neuen Schritt zu ihrer Trennung von dem Reiche, an das ſie durch die Bande der Nationalität und Geſchichte geknüpft war, an welches angelehnt ſie eine großartige Haltung unter den264Viertes Buch. Erſtes Capitel.Mächten der Welt hätte einnehmen können. Im Juli 1521 erhob ſich eine feierliche Abordnung nach Dijon zu König Franz I, um ihm das verſiegelte Bundesinſtrument zu über - bringen: und die Mutter des Königs hatte ihr Vergnügen daran, welche Ehrerbietung dabei ihrem Sohne bewieſen ward; unmittelbar hierauf zogen ſchweizeriſche Schaaren in den Krieg des Königs, ſo wohl in die Picardie als nach Italien.

Es leuchtet ein, wie ſehr nun hiedurch alle jene Pläne des Papſtes und des Kaiſers durchkreuzt wurden.

Auch in Italien beſchleunigte ein Angriff der Franzo - ſen und zwar ein ſehr ſchlecht überlegter auf die Stadt Reggio, wo ſie mailändiſche Ausgewanderte aufzuheben gedachten, den Ausbruch der Feindſeligkeiten. Schon im Juli 1521 brach Prospero Colonna, dem der Oberbefehl über die päpſtlich-kaiſerlichen Truppen anvertraut war, von Bologna auf, um Parma anzugreifen: eine Flotte ſetzte ſich gegen Genua in Bewegung: in Trient ſammelten ſich um Maximilian Sforza deutſche Fußvölker: auf dem Co - mer See erſchienen die ausgewanderten Gibellinen, die dort immer ſchon einen räuberartigen Krieg geführt, mit ein paar Schiffen. 1Benedictus Jovius Historia Novocomensis in Graevii Thes. Ital. IV, p. 71 nennt als Anfuͤhrer Johannes a Brinzia, cogno - mento stultus, doch wohl der Matto da Brinzi, wie er ſonſt heißt.

Allein wohin konnte alle das führen, da die Haupt - macht, von der man einen großen Einbruch im Mailän - diſchen erwartet, jetzt mit dem Feinde ſogar gemeinſchaft - liche Sache gemacht, deſſen Selbſtvertrauen dadurch an al -265Feldzug von 1521.len Puncten erhöht hatte. Die Unternehmungen auf Ge - nua und Como mißlangen vollſtändig. Ein Glück, daß wenigſtens die Deutſchen von Trient Mittel fanden, ſich mit dem Heere vor Parma zu vereinigen; dahin ſammelten ſich denn nicht minder die zum Angriff[auf] Genua beſtimmt geweſenen Mannſchaften: allein trotz alle dem fühlte man ſich auch dort nicht ſtark genug zu einem ernſtlichen letz - ten Angriff: am 12ten September ward die Belagerung aufgehoben. 1Das ziemlich controverſe Detail uͤber dieſe Aufhebung fin - det man bei Guicciardini, Capella, Jovius (Vita Pesc. II, 300. Leonis Xmi III, 100). Vgl. auch Nardi Storie fiorentine VI, 170.

Dagegen beſaßen die Franzoſen in dieſen Tagen das volle Übergewicht. Die Venezianer hatten 500 Hommes d’Armes und 6000 M. z. F. ins Feld geſtellt: der Her - zog von Ferrara, dem es nicht entging, in welcher Gefahr er ſchwebe, fiel in das päpſtliche Gebiet ein. Nach und nach kamen die Schweizer das Gebirg herab: die Berner voran, eben von den feurigſten Parteigängern der Franzoſen an - geführt. Der päpſtliche Commiſſarius bei der Armee, der Geſchichtſchreiber Guicciardini verſichert, wenn die Fran - zoſen in dieſem Moment, wo überdieß in dem verbündeten Heere Zwietracht und Unordnungen ausgebrochen, angegrif - fen hätten, ſo würden ſie ohne alle Mühe geſiegt haben. 2Guicciardini, XIV, p. 408: Se fosse sopravenuto Lau - trech, gli metteva facilissimamente in fuga.

Allein in dieſem Augenblicke zeigte ſich von eben dort wo die Gefahr entſprungen, auch die Hofnung eines beſ - ſeren Erfolges.

Kaiſerliche und päpſtliche Geſandte waren reich mit266Viertes Buch. Erſtes Capitel.Geld und Wechſeln verſehen in die Schweiz gekommen, und hatten doch auch wieder für ihre Anträge einen ſehr gün - ſtigen Boden gefunden. Indem ſie auf die ältern Verpflich - tungen drangen, wie gegen den Kaiſer und Öſtreich, ſo namentlich gegen den Papſt, brachten ſie erſt zu vollkom - mener Anſchauung in welche Gefahr man ſich geſtürzt hatte. Durch alte Bündniſſe war man verpflichtet, einige öſtrei - chiſche Gebiete, z. B. die freie Grafſchaft, alle Beſitzthümer der römiſchen Kirche zu beſchirmen: jetzt hatte man dage - gen einen Bund eingegangen, in welchem eine ausdrück - liche Clauſel beſagte, man werde auch gegen die Vorbehalte - nen hauptſächlich eben Öſtreich und den Papſt zu Felde ziehen, wenn ſie den König in ſeinem Gebiete angreifen würden. Noch dienten eine Anzahl Eidgenoſſen in dem päpſtlichen Heere, ſie waren bei der Unternehmung auf Parma, während andre unter Lautrec zu dem Entſatz die - ſes Platzes mitwirkten. Was ſollte daraus werden, wenn beide irgendwo auf einander ſtießen. Der franzöſiſche Bund war das Werk einer Partei: nichts war natürlicher als daß ſich ihr aller Orten eine andre entgegenſetzte. Auch die Unordnung des Aufbruches, zur ungelegenſten Zeit, machte man ihr zum Vorwurf: hie und da waren die Wei - ber genöthigt geweſen die Ernte einzubringen. Zürich, das den franzöſiſchen Bund, kraft eines gleichlautenden Beſchluſ - ſes des Rathes in der Stadt und der Gemeinde auf dem Lande, zurückgewieſen, war ohnehin entſchloſſen, den päpſt - lichen aufrecht zu halten. Aller dieſer Regungen bediente ſich nun der alte Meiſter ſchweizeriſcher Umtriebe, der Car - dinal von Sitten. In Zürich ward ihm eine große Wer -267Feldzug von 1521.bung geſtattet, von 2700 Mann, obwohl mit der ausdrück - lichen Bedingung daß ſie nur zur Vertheidigung der päpſt - lichen Beſitzungen, keineswegs zum Angriff auf Mailand gebraucht werden dürfe; dieß war aber nur der Kern, um den ſich faſt aus allen Orten päpſtlich-kaiſerliche Partei - gänger ſammelten: der Cardinal bewilligte einen noch reich - lichern Sold als die franzöſiſchen Bevollmächtigten: wir finden wohl, daß ein Fähnlein, das für Frankreich gewor - ben worden, wie es war, nur ohne den Hauptmann, in päpſtliche Dienſte trat: bei der Muſterung in Chur in der zweiten Hälfte des September fanden ſich über 6000 Mann, zu denen ſich dann noch graubündner und walliſer Mann - ſchaften geſellten. 1Die kaiſerlichen und paͤpſtlichen Anbringen finden ſich bei Ans - helm: die zuͤrcheriſchen Angelegenheiten hat Bullinger deutlicher c. 24 26. Vgl. Hottinger: Geſchichte der Eidgenoſſen: (Fortſetzung Muͤllers) I, p. 55, 63.

Indem der Papſt über den ſchlechten Erfolg ſeiner Unternehmung höchlich betreten war, empfieng er dieſe Nach - richten. Sein Nuncius Ennio verſicherte ihn, die Clauſel der zürcheriſchen Bewilligung werde die Truppen nicht ab - halten, Parma, Piacenza, ſelbſt Ferrara anzugreifen, da das kirchliche Beſitzungen ſeyen, ja er getraue ſich, wenn er nur bei einigen Hauptleuten Geld anwende, ſie auch zu jedem andern Unternehmen zu vermögen. 2Galeacius Capella giebt p. 180 einen Auszug des Brie - fes: Demum pecunia facile esse duces corrumpere, qui milites quo res postularet technis suasionibusque impellerent.

Hiedurch erneuerte ſich in den Verbündeten die faſt ſchon aufgegebene Hofnung. Es lag am Tage, daß das268Viertes Buch. Erſtes Capitel.Erſcheinen einer ſo ſtarken ſchweizeriſchen Mannſchaft in dem päpſtlich-kaiſerlichen Heere, wenn nichts weiter, doch die ganze Kraft des Feindes, die eben in ſeinen Schwei - zern beruhte, lähmen müſſe. Es kam nur darauf an, ſich mit ihr zu vereinigen. Hiezu ſetzte ſich das Heer ſofort in Bewegung. Cardinal Julius Medici war von Florenz her bei demſelben angelangt, hatte alle Streitigkeiten der Heerführer beſeitigt, den guten Willen der Truppen mit dem florentiniſchen Geld das er mitbrachte wiederhergeſtellt: 13 Saumthiere waren in ſeinem Gefolg: man ſagte ſie ſeyen alle mit Geld beladen. Prospero Colonna gieng am 1ſten October bei Caſal-maggiore über den Po und nahm ſeinen Marſch den Oglio aufwärts. Indeſſen kamen von Chiavenna her über den Morbegno die Schweizer von den Alpen herab: weder Gebirg noch Gewäſſer, weder die An - mahnungen der Landsleute, noch die Feindſeligkeiten der Franzoſen konnten ſie abhalten. Ende October erſchienen auch ſie am obern Oglio.

Augenſcheinlich lag nun das Heil der Franzoſen darin, die Vereinigung dieſer beiden Heeresmaſſen zu hindern. Prospero Colonna hatte ein ſo wenig vortheilhaftes Lager bei Rebecca bezogen, daß ſich ſelbſt bei den bedächtigen Venezianern die Meinung regte, man müſſe ihn angreifen: die Schweizer drangen darauf: ſie wollten ſchlagen, ehe ihre Eidgenoſſen drüben angekommen: in einem Kriegsrath der deshalb gehalten ward, waren beinahe alle Stimmen für den Angriff: nur der Oberbefehlshaber Lautrec war nicht dazu zu bewegen. 1Die Verſion welche Leferron (V, 130) aus dem MundeMan führt mancherlei Gründe an, die269Feldzug von 1521.er dafür gehabt haben könne: die Hauptſache war: er hatte die Entſchloſſenheit nicht: er war kein General für einen ernſtlichen Krieg. Er zog es vor, die nächſten Feſtungen beſſer zu beſetzen und eine feſte Stellung hinter der Adda zu nehmen. Ohne Hinderniß vereinigte ſich bald darauf Prospero Colonna mit den Schweizern zu Gambara. Wie es der Nuncius vorhergeſagt, nahm es ſich ein Theil der - ſelben nicht übel, mit gegen Mailand vorzurücken; die Ge - wiſſenhaftern, die durch keine Verſprechungen dazu zu brin - gen waren, zogen dagegen nach Reggio, um von hier aus die der Kirche zugehörenden Plätze Parma und Pia - cenza anzugreifen.

Hiedurch nun bekamen die kaiſerlich-päpſtlichen Schaa - ren das unzweifelhafte Übergewicht. Die franzöſiſchen Schweizer, mißvergnügt, daß ſie den Schlachtſold nicht verdient, überdieß unzufrieden mit Lautrec, der ſeiner deut - ſchen Garde den Vorzug vor ihnen gab, und von heimi - ſchen Geſandten ermahnt, um Gottes Willen nicht mit ihren Eidgenoſſen zu ſchlagen, giengen ſchaarenweiſe nach Hauſe. Hatte die Entzweiung der Schweizer im J. 1515 die Erobe - rung von Mailand den Franzoſen ſo weſentlich erleichtert, ſo war die Weiterentwickelung derſelben jetzt auch an ihrem Ver - luſte Schuld. Die Verbündeten bewirkten, in dieſem Au -1einiger Augenzeugen anfuͤhrt, Lautrec habe wirklich den andern Tag angreifen wollen, ſey aber durch die Venezianer gehindert worden, iſt doch wohl nur eine Ausflucht. Auch Bellay ſagt: La tardiveté de nos chefs fut cause de les nous faire perdre (Coll. univ. Tom. XXVII, p. 180). Das Naͤhere erzaͤhlen dann die glaubwuͤrdigſten Italiener wie Galeazzo. Aus den Chronicles of Rabbi Josef er - giebt ſich, welchen Eindruck die Sache machte. Er ſagt dabei von den Franzoſen: They are a nation voyd of counsel. 270Viertes Buch. Erſtes Capitel.genblick durch neu ankommende Graubündner unterſtützt, mit eben ſo viel Glück wie Geſchicklichkeit ihren Übergang über die Adda: Lautrec ſah ſich ganz auf die feſten Städte beſchränkt.

Da aber war alles ſchon lange in feindſeliger Gäh - rung. Die Gibellinen haßten die franzöſiſche Regierung: auch die Guelfen waren von ihr nicht mit alle der Rück - ſicht behandelt worden die ſie forderten: ihr vornehmſtes Oberhaupt, der alte Trivulzi, der eine Zeitlang mehr ver - mochte als der franzöſiſche Gouverneur, war eben darum in die Ungnade des Königs gefallen und darin geſtorben; dazu kamen die Erpreſſungen und Gewaltſamkeiten, welche die Herrſchaft der Franzoſen in fremden Ländern gewöhn - lich verhaßt machen: als Lautrec in Mailand anlangte, fand er eine ſo ſtarke Bewegung daß er eine ſtrenge Execu - tion für nothwendig hielt; den alten Chriſtoph Pallavicini, einen nahen Verwandten des Hauſes Medici, eins der Oberhäupter der gibelliniſchen Faction ließ er in dem Ca - ſtell enthaupten. 1Cronaca Grumello, bei Verri III, 221.Dieſe Grauſamkeit, der Anblick eines geſchlagenen Heeres, das Gerücht von der Annäherung ei - nes übermächtigen Feindes, man kann denken wie alle das wirkte. Schon immer hatten Prospero und Cardinal Ju - lius ihre Hofnung auf dieſe Stimmung geſetzt.2Sepulveda Praefatio in Aristotelem de parvis naturalibus (Cf. Sepulvedae Vita et Scripta p. CVII) ſagt von Julius: non ignarus, in uno Mediolano cetera oppida expugnari. Ganz gut druͤckt Vettori die Umwandlung des Zuſtandes aus. In Milano in facto la parte Ghibellina è superiore assai, i popoli sono sempre desiderosi di mutazioni: chi lascia la campagna e si ritira den - tro alle mura, perde di riputatione. Franz271Feldzug von 1521.Sforza hatte ſie durch einige Erlaſſe genährt, die nichts als Schonung und Milde athmeten, das väterliche Regi - ment eines angeſtammten Fürſten verſprachen, und mit Be - gierde geleſen wurden. Als die Verbündeten in die Nähe von Mailand kamen, wurden ſie aufgefordert, nur ohne Zögern heranzurücken, einen Angriff zu verſuchen: die ganze Stadt werde ſich für ſie erheben. Es war im November, Wetter und Weg ſo ſchlecht wie möglich: unter dieſen Um - ſtänden aber rückte man vorwärts. Abends am 19ten langte man an: und machte ſich daran ein Lager aufzu - ſchlagen. Indem meldeten ein paar leichte Reiter, wie ſchlecht die Verſchanzungen ſeyen, welche Lautrec in der Eile um die Stadt her aufgeworfen: der Marcheſe Pescara, Be - fehlshaber der ſpaniſchen Fußvölker, ſagte: wir müſſen das Nachtlager in den Vorſtädten nehmen: und unverzüglich machte er ſich an der Spitze von 60 ſpaniſchen Schützen nach der Porta Romana auf den Weg: ein Haufen Landsknechte lief hinter ihm her. Wie ein Spiel, wie ein Scherz begann das Ereigniß, das für die folgenden Jahr - hunderte von Italien entſcheidend werden ſollte. Wettei - fernd ſetzte ſich Prospero Colonna mit einer andern Schaar von Deutſchen und Spaniern nach der Porta Ticineſe in Marſch. Die Verſchanzungen waren leicht genommen: aber da faſt die ganze feindliche Armee in der Stadt lag, und ſich raſch zum Widerſtande ſammelte, ſo war die Sache doch noch zweifelhaft, und wenigſtens ein Theil der Angreifenden hielt bereits wieder für rathſam, ſich zurück - zuziehen. In dieſem Momente griff die Bevölkerung ein. Das Geſchrei erhob ſich in den Straßen: der Herzog, das272Viertes Buch. Erſtes Capitel.Reich, nieder mit den Franzoſen; eine allgemeine Empö - rung ſchien ſich vorzubereiten; da in dieſem Augenblick erſt die Maſſe der kaiſerlich-päpſtlichen Armee anrückte, die Landsknechte, bis an den Gürtel im Waſſer, an verſchiede - nen Stellen, durch die Gräben giengen und die Verſchan - zungen erſtiegen, verzweifelte Lautrec ſich zu behaupten, und verließ die Stadt durch die entgegengeſetzte Porta Coma - ſina. Die Venezianer waren leicht entwaffnet. Die ſchwei - zeriſchen Hauptleute wollten ſich von den Franzoſen nicht trennen laſſen und eilten ihnen nach. Binnen zwei Stun - den war die Stadt erobert. 1Die zugleich anſchaulichſte und glaubwuͤrdigſte Nachricht uͤber dieß Ereigniß enthaͤlt ein Schreiben des Marcheſe von Mantua an ſeine Mutter vom 21 Nov. 1521, im 32ſten Bande der Chronik des Sanuto. Ich werde es im Anhang mittheilen, ſo wie ein andres des Legaten Julius Medici vom 19ten Abends und 20ſten fruͤh.Alle Straßen waren feſtlich erleuchtet, als die Kaiſerlichen in die eigentliche Stadt ein - rückten. Noch an demſelben Abend ward ausgerufen, daß Kaiſer und Papſt ſich entſchloſſen, den Mailändern ihren angeſtammten Herzog Franz Sforza zurückzugeben. Deſſen vertrauter Rath, Hieronymus Morone, der die Verbin - dung mit den gibelliniſchen Familien unterhalten, überhaupt zum Gelingen der Unternehmung das Meiſte beigetragen hatte, übernahm die Verwaltung.

Dem Beiſpiel von Mailand folgten Pavia und Lodi dieſſeit, Parma und Piacenza jenſeit des Po. Gegen dieſe beiden Städte leiſteten jene Schweizer, Zuger und Züri - cher die nicht mit nach Mailand gegangen, hauptſächlich eine nunmehr auch hier ſehr willkommene Hülfe.

Da -273Feldzug von 1521.

Damit war aber die Sache noch keineswegs beendigt. Das franzöſiſche Heer ward nicht auseinandergeſprengt, wie man erwartet hatte: es nahm eine feſte Stellung in Cremona, von wo es auf der einen Seite Mailand, auf der andern Parma und Piacenza gefährdete: es hatte noch eine Anzahl Caſtelle, in Mailand Novara Trezzo Pizzighe - tone, die feſten Plätze in den Alpenpäſſen, Domo d’Oſſola und Arona ſammt allen andern am Lago maggiore inne. Der plötzliche Tod Leos X, den ſein Geſchick abrief, als er die erſten günſtigen Nachrichten empfangen, nöthigte die kaiſerlich-päpſtlichen Hauptleute ſparſam zu ſeyn, und von ihren Truppen ſo viel als irgend entbehrlich zu ent - laſſen. Für den Augenblick wenigſtens hätten ſie auf keine weitere Unterſtützung aus dem toscaniſchen oder kirchlichen Gebiete rechnen dürfen, die in eigene gewaltſame Bewe - gung geriethen, während die Franzoſen über die Unter - ſtützung von Genua und Venedig zu gebieten hatten. Was aber die Hauptſache war: die Schweizer nahmen nach die - ſem Verluſte, welchen ſie im Grunde allein verſchuldet, eine einträchtigere Haltung an. Der Kaiſer forderte ſie auf in ſeinen Bund zu treten: das Reichsregiment erinnerte ſie an ihre Pflichten als Glieder des Reiches: eine Ge - ſandtſchaft von Mailand bot ihnen Tribut an; aber es war alles vergebens: die franzöſiſche Partei, durch die aus Ita - lien zurückgekehrten mächtigen Kriegsanführer wieder er - gänzt, machte ihre Überlegenheit geltend:1Schon am 29 Nov. finden wir den franzoͤſiſchen Agenten Galeatio Visconti in Luzern: Queste lige, ſagt er, sono in grosso dixordine, ma a tuto spero troverase bono recapito, etiam che cum faticha et spexa. Molini Doc. I, p. 132. die GegnerRanke d. Geſch. II. 18274Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſelbſt waren von der Gefahr betroffen, in welche die Eid - genoſſenſchaft durch ihren Widerſpruch gegen die Mehrheit gerathen war: jetzt rief Zürich ſeine Angehörigen aus Ita - lien zurück: dagegen bewilligten die zwölf Orte dem König eine Werbung von 16000 Mann: ſie räumten den Be - vollmächtigten deſſelben Ausmuſterungen ein, die ſie ſonſt nie geſtattet; noch am Ende des Januar 1522, während der Schneefall die kaum gebahnten Wege immer wieder verwehte, brachen ſie auf über die Alpen.

Hiedurch nahm nun aber das ganze politiſche Ver - hältniß erſt eine vollkommener entwickelte Geſtalt an.

Die Schweizer ſetzten ſich den Anſprüchen des Kai - ſers und des Reiches entgegen: nur durch eigentlich deut - ſche Kräfte konnte man, wenn es überhaupt möglich war, dieſelben behaupten: keine Erbeinung, keine Unterhandlung half dem Kaiſer ferner: er war allein auf den Arm und die Treue der Landsknechte angewieſen.

Schon befand ſich eine nicht geringe Anzahl von Lands - knechten im Mailändiſchen. Sie waren im vorigen Jahr in Tirol und Schwaben hauptſächlich mit päpſtlichem Geld ge - worben worden: es findet ſich, daß damals unter andern die wirtenbergiſchen Amtleute den Auftrag bekamen, einen Je - den laufen zu laſſen, von dem es beſſer ſey, er ſey außer dem Lande:1Avvisi da Trento vom 9 Juli 1521 bei Molini I, p. 99. Am 15ten ergieng der Befehl im Wirtenbergiſchen. Sattler p. 77. fünf Fähnlein hatte Franz von Caſtelalt herüber geführt. 2Jovius Vita Alfonsi p. 185 nennt ihn.Jetzt aber ſetzte ſich der nahmhafteſte deutſche Feldhauptmann, Georg von Frundsberg ſelbſt in275Feldzug von 1522.Bewegung. Er war mit Franz Sforza perſönlich bekannt, der hatte ihn wohl einſt auf ſeinem Schloß zu Mindelheim beſucht: ein anderer italieniſcher Prätendent, Hieronymo Adorno, der in Genua hergeſtellt zu werden wünſchte, und ſich gleich um den Abſchluß des Bundes ſehr verdient gemacht hatte, erſchien mit hinreichenden Geldmitteln in Deutſchland; hierauf ward in Augsburg die Trommel gerührt: gar bald ſammelten ſich zwölf Fähnlein Lands - knechte zu Georg Frundsberg, mit denen er am 12ten Fe - bruar von Glurns aufbrach. Mit der Ungunſt der Jah - reszeit hatte er um ſo mehr zu kämpfen, da ihm die Grau - bündner den Weg über das Valtellin nicht geſtatteten: ei - nen weit beſchwerlichern, über das Wormſer Joch nach Lovere und dem Iſeoſee hin mußte er nehmen: er brauchte 200 Bauern, denſelben zu bahnen: aber noch zur rechten Zeit langte er an, eben als die Schweizer und Franzoſen von Monza her Mailand bedrohten. 1Reisner Hiſtoria Hern Georgen und Hern Casparen von Frundsberg.

Und noch ein drittes deutſches Heer ſammelte ſich um Maximilian Sforza zu Trient, 6000 M. ſtark; Adorno, deſſen perſönliche Hofnungen von dem Ausgang dieſes Feldzuges abhiengen, eilte zurück, um auch dieſes herbeizu - führen.

Die Franzoſen machten einen Verſuch auf Mailand: allein Prospero hatte ſich ſowohl gegen das Caſtell nach innen, als gegen den Feind nach außen auf das beſte in Vertheidigungsſtand geſetzt. Er gehörte zu der claſſiſchen Schule des damaligen Italiens, und man behauptet, eine18*276Viertes Buch. Erſtes Capitel.ähnliche Vertheidigung Cäſars vor Aleſia habe ihm zum Muſter ſeiner Anſtalten gedient. 1Jovius: Pescara p. 316. War es ein Muſter, ſo wuͤrde das der Thebaner, als ſie die Kadmea belagerten und ſich zugleich gegen Alexander zu vertheidigen ſuchten (Arrian I, 7), noch mehr zur Sache paſſen.

Einige Plätze, wie Novara, Vigevene, nahmen die Franzoſen und Schweizer: woran aber bei weitem mehr lag, die Vereinigung Franz Sforzas mit Prospero konn - ten ſie nicht verhindern: am 4ten April, nach 22jähriger Abweſenheit zog der neue Herzog in Mailand ein: unter dem Geläute der Glocken, unaufhörlichem Freudeſchießen, dem Jubel der Bevölkerung; ſie hatten nun gelernt, was ein einheimiſcher angeſtammter Fürſt zu bedeuten habe: ein ſolcher, meinten ſie, werde ſich mehr um ſie kümmern, ſie beſ - ſer zu ſchätzen wiſſen, als ein fremder König. Franz Sforza war in der unglücklichen Nothwendigkeit, mit Forderungen beginnen zu müſſen; Alles wetteiferte jedoch, ſie ihm zu erfüllen. Vornehme und Geringe brachten Geld und Gel - deswerth: ein Jeder wünſchte ihm Liebe zu beweiſen, ſeine Gnade zu verdienen. 2Grumello bei Verri p. 223.Ein Auguſtiner, Fra Andrea da Ferrara erhielt das Volk durch feurige Predigten in dieſer Stimmung: er ſtellte die Franzoſen als Feinde Gottes dar.

So wurden die Kaiſerlichen fähig, wieder im Felde zu erſcheinen. Nachdem ſie Pavia entſetzt, nahmen ſie eine feſte Stellung vor Mailand, bei Bicocca, in der Hofnung, daß der ungeſtüme Feind ſie hier aufſuchen würde.

In der That ließ dieſer nicht lange auf ſich warten. Wie es zu geſchehen pflegt, man ſuchte vor allem den zu -277Schlacht bei Bicocca.letzt begangenen Fehler zu vermeiden. Jedermann war der Meinung, daß es im vorigen Herbſt bei Rebecca nur ei - nes entſchloſſenen Angriffes bedurft hätte, um den Sieg zu erfechten: namentlich die Schweizer waren davon über - zeugt: ſie wollten ſich die Gelegenheit nicht wieder entgehn laſſen, und forderten ihren Feldherrn mit Ungeſtüm auf, ſie an den Feind zu führen. Auch Lautrec war wohl an ſich ſelbſt irre geworden. Obwohl er das Vorhaben der Schweizer nicht ganz billigte, ſo wagte er doch auch nicht ihnen abermals ſo ernſtlich zu widerſtehen: er ließ ſich von ihnen fortreißen. Am Morgen des 27ſten April ſetzten ſich Schweizer und Franzoſen gegen Bicocca in Bewegung.

Die Kaiſerlichen hatten ihr Lager in einem durch Sumpf, Hohlwege, Gräben und Hecken eingeſchloſſenen Landgut genommen und ſich hier nach den Regeln der Kunſt wie in einer Feſtung verſchanzt, ihr Geſchütz auf hohen Bruſtwehren aufgeſtellt. Das Heer beſtand aus jenen deut - ſchen Fähnlein, die unter Georg Frundsberg und Rudolf Häl die Front einnahmen, aus ſpaniſchen Fußvölkern, namentlich Hakenſchützen, die ſeit den frühern Kriegen in Italien geblieben, und ſchon unter Gonſalvo di Cordova an der Seite der Deutſchen gekämpft hatten, und italieniſchen Gibellinen, welche die Macht des Reiches hergeſtellt zu ſehen wünſchten, um unter deſſen Schutze ihrer Gegner Herr zu werden. Es war ein Heer, das die ſpaniſch-deut - ſche, auf der Idee des Reiches beruhende Macht des Kai - ſers vollkommen repräſentirte. Franz Sforza, deſſen Heil es hier zunächſt galt, beſetzte noch am Morgen mit mailän - diſchen Schaaren zu Fuß und zu Pferd eine Brücke, die278Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſonſt einen Zugang zu dem Lager eröffnet haben würde. Ein Prediger-mönch von S. Marco war mit ihm: er verkün - digte, daß der Himmel dem neuen Herzog den Sieg be - ſtimmt habe: dieſe patriotiſchen Regungen kamen der Idee des Kaiſerthums wieder einmal zu Hülfe.

Dagegen ſtanden die eidgenoſſiſchen Schaaren dießmal ungetheilt auf der Seite der Franzoſen So oft dieß früher der Fall geweſen, hatten ſie immer den Sieg entſchieden: auch waren ſie wieder von Siegeszuverſicht entflammt.

Ihre Kriegskunſt hatte bisher immer in dem wilden, ſtracken, graden Anlauf auf das Lager, das Geſchütz des Feindes beſtanden. So ſetzten ſie ſich auch jetzt in Marſch: in zwei großen Haufen, dem einen aus den Ländern, un - ter Arnold Winkelried von Unterwalden, dem andern aus den Städten, unter Albrecht von Stein. Sie litten keine Vermiſchung mit den Wälſchen: den Erinnerungen des Oberbefehlshabers, der ihren Sturm zu mäßigen ſuchte, begegneten ſie mit Geſchrei und Verwünſchungen: die Län - der hatten das erſte, die Städte das zweite Treffen bilden ſollen, aber in faſt parallelen Gliedern kamen ſie an, ſo daß jene den rechten, dieſe den linken Flügel ausmachten: auf das Geſchrei der Menge traten die Junker, Penſioner und Trippelſöldner in das vorderſte Glied: es war in ihnen ein wilder Kriegsmuth, ohne alle höhere Begeiſterung, der nur auf ſich ſelber trotzte, jede fremde Einwirkung, jede Rückſicht von ſich ſtieß: ſie wußten daß ſie Miethlinge wa - ren, aber ein Jeder ſollte und wollte ſeine Pflicht thun: den Sturmſold zu verdienen, ihre alten Gegner, die Schwa - ben, die Landsknechte zu bezwingen war am Ende ihr höch - ſtes Ziel.

279Schlacht bei Bicocca.

Das Lager aber das ſie jetzt angriffen war in beſ - ſerm Vertheidigungszuſtand als jemals ein anders. Indem ſie anrückten, wurden ſie in ihrer linken Flanke von dem wohlaufgeſtellten feindlichen Geſchütz furchtbar empfan - gen: gleich da ſchwankte ihre Schlachtordnung: die Länder drängten nach den Städten: da dieſe aber nicht wichen, ſo ordneten ſich auch jene wieder: dem unaufhörlichen Ku - gelregen der Hakenſchützen zum Trotz ſtürmten beide Haufen zugleich gegen die Linie der kaiſerlichen Verſchanzungen heran.

Als Georg Frundsberg den Feind ſich nähern ſah, ſtieg er vom Pferd, nahm eine Hallbarte und ſtellte ſich in die Reihen der Landsknechte. Sie ſanken auf ihre Knie und beteten. Indem kamen die Schweizer. Wohlauf, rief Frundsberg, in einer guten Stunde im Namen Got - tes. Die Landsknechte ſprangen auf. Die Schweizer drangen durch Graben und Hohlweg in tiefen Colonnen ge - gen die Reihen der Landsknechte vor, und begannen das Handgemenge. Ha treff ich dich hier alter Geſell, rief Ar - nold Winkelried aus, als er des Frundsberg anſichtig wurde, mit dem er wohl einſt unter Maximilian zuſam - men gedient, ſo mußt du von meiner Hand ſterben. Wills Gott, ſagte Frundsberg, du von der meinen. Frundsberg erhielt einen Stich im Schenkel, Winkelried fiel von einer Kugel. Weit über die Fronte hin gerieth man an einander. In Geſchichten und Liedern wird die Tapferkeit des Rudolf Häl, Caſtelalts, des Fähndrich Bran - deſſer, der Rotte des Strälin gerühmt. Aber auch die Schweizer hielten an, was um ſo bewundernswürdiger war, da ſie noch nicht aus dem Bereich des Geſchützes280Viertes Buch. Erſtes Capitel.gekommen: ſie hofften noch immer, den Feind ſeinem Vor - theil zum Trotz zu übermannen.

Da hatte indeß auch die franzöſiſche Reiterei einen Angriff auf jene Brücke gemacht und war abgeſchlagen wor - den: ihre rückgängige Bewegung wirkte auf die im Hinter - treffen aufgeſtellten Mannſchaften und zog ſie mit ſich fort. Das Geſchrei erhob ſich: hinten fliehen ſie. Zu der Wir - kung des Geſchützes, der Uneinnehmbarkeit der Verſchanzun - gen und dem hartnäckigen Widerſtand des Feindes kam die Gefahr, verlaſſen zu werden. So ungeſtüm die Schweizer herangeſtürmt, ſo gewaltſam erhob ſich in ihnen der Ent - ſchluß zurückzugehn. Ein paar tauſend Todte hatten ſie auf dem Schlachtfeld verloren: übrigens zogen ſie in ziemlich geſchloſſener Ordnung von dannen.

Die italieniſche Reiterei, die ſpaniſchen Fußvölker bra - chen nun hinter ihnen her aus den Verſchanzungen hervor, jedoch ohne ihnen vielen Schaden zu thun.

Auch Frundsberg ward aufgefordert, ihnen nachzu - ſetzen. Er war aber ſchon zufrieden, daß man den gewal - tigen Feind abgeſchlagen: er ſagte: für heute habe er ge - nug Ehre eingelegt; er fühlte was dieſer Sieg zu bedeuten hatte und wollte ihn nicht durch die Unordnung des Ver - folgens gefährden. 1In der Erzaͤhlung dieſer Schlacht halte ich mich an die aͤl - teſten einfachſten Quellen: unter den Schweizern Anshelm: unter den Italienern Galeazzo Capra: unter den Deutſchen das hiſtoriſche Lied, das ich im Anhang mitzutheilen gedenke, und Reisners Hiſtoria der Frundsberge. Es iſt mir nicht unbekannt, was namentlich Bullin - ger gegen einige Zuͤge der letztern eingewendet hat. Die Schweizer wollten nemlich nicht zugeſtehn, von den Landsknechten beſiegt wor - den zu ſeyn: den Liedern, worin dieſe ihre Thaten ruͤhmten, ſetzten

281Einnahme von Genua.

Da die Kriegscaſſe der Franzoſen erſchöpft war, ließen ſich die Schweizer hierauf nicht länger im Felde halten: ſie begaben ſich nach Hauſe. Auch die Franzoſen gaben jetzt den Feldzug verloren. Auf einem oder dem andern Weg giengen ſie über die Alpen zurück. Das ganze mailändiſche Gebiet kam bis auf ein paar Caſtelle wieder in die Hände Sforzas und erkannte den Kaiſer als ſeinen Lehnsherrn an.

Da konnte die franzöſiſch-geſinnte Partei ſich auch in Genua nicht länger behaupten. Unglücklicherweiſe war ſie zwar ſo mächtig, um den Abſchluß eines Vertrages zu verhindern, ſo lang es noch Zeit war, aber zu allem ei - gentlichen Widerſtand unfähig. Die Stadt ward mit Ge - walt genommen und geplündert. Die Adorni erreichten nun wirklich das Ziel das ſie von Anfang an ins Auge gefaßt, und gelangten zur Regierung.

Bei den italieniſchen Geſchichtſchreibern tritt der An - theil den die Deutſchen daran nahmen minder hervor. Deſto ausführlicher ſchildert das hiſtoriſche Lied,1Ein hüpſch neü lied von der Stat Genna vnd wie ſy die Lantzknecht erobert haben. Vgl. Vareſe: Storia di Genova IV, 315. wie man den Adler aufs neue fliegen läßt, unter dem ſich jetzt mancher1ſie andre entgegen, worin ſie ſich vertheidigten: ſehr bekannt wurde ein Lied des Nicl. Manuel, das uͤberaus groͤblich ausgefallen iſt. (Abgedruckt bei Gruͤneiſen p. 400.) Aber auch da wird doch ei - gentlich nicht geleugnet, wie Bullinger daraus entnimmt, daß es zu einem Handgemenge gekommen ſey. Sind doch nach den Erkundi - gungen die den andern Tag ein venezianiſcher Kundſchafter einbrachte, auch auf der kaiſerlichen Seite bei 1000 M. geblieben. Sehr un - klar fand ich den Bericht von Ugo Foscolo in der Chronik des Sa - nuto Bd XXXIII. Non si sa, ſchließt derſelbe, chel causasse, nostri si misseno a ritirare in gran desordine. Nach ſeiner Dar - ſtellung bleibt das auch allerdings ganz dunkel.282Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſchmiegen muß, der ſonſt die Stirn hochgetragen, und Georg Frundsberg auf des Kaiſers Befehl das Heer nach der Seeküſte gegen Genua führt. Gern folgen ihm die Lands - knechte: die Genueſen fühlen, daß ſie der kaiſerlichen Krone nicht widerſtehn können, aber die Ankunft franzöſiſcher Hülfe unter Peter Navarra bringt ſie doch dahin, es zu verſu - chen: hierauf führt man das Geſchütz herbei, das die Knechte freudig bedienen: es kommt zu einem Scharmützel vor den Mauern: Stürmen und Fechten iſt den Deut - ſchen eben ein Spiel: ſie ſind es welche die Stadt erobern: keiner fremden Theilnahme, keines ausländiſchen Anführers wird dabei gedacht. Gewiß iſt es, daß ſie großen An - theil ſo an dem Sieg wie an der Plünderung hatten. Sie maaßen das Tuch mit ihren Spießen: ſie kleideten ſich in Sammt und Seide: eine Anzahl reicher Familien kaufte die Plünderung mit Geld ab. Frundsberg war mißver - gnügt, daß ſo viele Reichthümer, mit denen das Heer lange Monate hindurch hätte im Feld können erhalten werden, demſelben ſo unordentlich in die Hände geriethen: für ſich ſelbſt nahm er aus der Beute vor allem einen ſchönen Compaß, gleichſam zum Andenken. So groß der Verluſt der Genueſen auch war, ſo machten ſie doch nicht viel Aufhebens davon: ſie hätten gefürchtet ihren Credit zu erſchüttern. 1Polydorus Virgilius Hist. Angl. 27, 64.

So wurden dieſe alten Reichskammerländer, Genua und Mailand nach langer Entfremdung wieder herbeigebracht: ein ſiegreiches kaiſerliches Heer, wie ſeit Heinrich VI keins ſo mächtig geweſen, ſetzte ergebene Herrſcher auf legitimem Wege daſelbſt ein.

283Idee einer Unternehmung auf Frankreich.

Der Erfolg war im Grunde noch größer als der Kai - ſer erwartet, ja ſelbſt als er zu beabſichtigen gewagt hatte. Man hatte die Schweizer nur zu gewinnen, ja noch im Anfang des Jahres durch eine jährliche Penſion zu befrie - digen gedacht, jetzt hatte man ſie überwunden und ausge - ſchloſſen. Kräfte des innern Deutſchlands, über welche der Kaiſer bei weitem mehr gebieten konnte, hatten den Sieg erfochten, die Eroberung vollbracht.

Und in dieſem Momente eröffnete ſich Ausſicht und Anlaß zu einer noch bei weitem umfaſſendern Unternehmung.

Feldzug von 1523, 24. Angriff auf Frankreich.

Die Rechte des Reiches erſtreckten ſich nicht allein auf Italien: ſie umfaßten zugleich einen großen Theil des ſüdlichen Frankreichs und waren auch hier noch keineswegs vergeſſen. Noch immer führte der Churfürſt von Trier den Titel eines Erzcanzlers in Arelat: noch im J. 1401 hatte Ruprecht ſeinen Sohn zum Vicarius dieſes Reiches beſtimmt: 1444 hatte Friedrich den Dauphin zu Hülfe gerufen als des heil. Reichs Verwandten und Vicarius. Seitdem war es öfter in Erinnerung gekommen, daß man von fran - zöſiſcher Seite die Lehen zu erneuern verſäumt hatte.

Und überdieß: Carl V war nicht allein Kaiſer: andre Rechte, die er niemals aufzugeben gedacht, hatte er als Prinz von Burgund: unaufhörlich forderte er die ſeinem Hauſe entriſſenen franzöſiſchen Beſitzungen zurück: es war noch etwas von dem Blute und den Beſtrebungen eines altfranzöſiſchen Vaſallen in ihm.

Für dieſe Unternehmungen dieſſeit der Alpen fand284Viertes Buch. Erſtes Capitel.nun Carl an König Heinrich VIII von England einen ſo mächtigen Verbündeten wie für die jenſeitigen am Papſt. Auch Heinrich VIII hatte die alten Anſprüche ſeiner Vor - fahren an Frankreich noch nicht vergeſſen: er führte noch den Titel davon: noch war Calais in engliſchen Händen. Gleich bei dem Abſchluß des Vertrags in Brügge, in wel - chem Kaiſer und König einander zuſagten, ihre Anſprüche mit gemeinſchaftlichen Anſtrengungen zu Land und See durchzufechten, ſtellte Wolſey ſeinem Herrn ein langes Ver - zeichniß der Provinzen Städte und Schlöſſer zu, die man den Franzoſen alle zu entreißen gedenke. 1Pace to Wolsey 10 Sept. 1521. State Papers I, 52.In der Correſpon - denz des Königs mit dem Cardinal iſt ſehr ernſtlich davon die Rede, daß er in Perſon in Frankreich einfallen werde:2Wolsey to Henry Sept. 1522. Ibid. p. 107. deshalb vor allem ſucht man an der ſchottiſchen Grenze Ruhe zu erhalten. Zuweilen ſcheint es den Engländern wohl das Beſte, ſich auf die zunächſtgelegenen franzöſiſchen Gebiete, von Calais bis an die Somme zu beſchränken, welche dann leichter zu behaupten ſeyn würden als das entfernte Guyenne; zuweilen aber erhebt ſich auch in Hein - rich VIII der Gedanke, die Krone von Frankreich ſelber zu tragen: bei einer Nachricht von der ſchlechten Lage der Dinge in dieſem Reiche ruft er aus: man bahne ihm dort den Weg, wie einſt Richard III in England ſeinem Vater: er ſelber denke noch einmal Frankreich zu regieren. 3More to Wolsey p. 111. The Kinges Grace saied that he trusted in God to be theyre governour hym selfe and that they shold by thys meanys make a way for hym, as King Richard did for his father. 21 Sept. 1522. Man wird nicht glauben wol - len, daß der Gedanke da erſt in ihm entſtanden ſey.285Theilnahme von England 1522.Ideen, die von Leo X nach Kräften gepflegt wurden. Er ließ eine Bulle entwerfen, in der er die Unterthanen Franz des I in aller Form von dem Eid der Treue entband. 1Excommunicatio lata per Leonem Papam X contra Fran - ciscum I qua etiam subditos ejus plenissime absolvit ab omni fidelitatis nexu et juramento. 4 Sept. 1521. Du Mont Supplé - ment III, p. 70.Dage - gen verſprach ihm auch der König wie der Kaiſer ſeine Un - terſtützung gegen die Irrgläubigen. 2Herbert Life of Henry VIII, p. 118.In dem Zuſammen - hang dieſer Umſtände gehört es, daß Heinrich VIII, gleich - wie ſein Cardinal ein eifriger Anhänger des Thomas von Aquino, für dieſen Kirchenlehrer eine Lanze mit Luther brach: er war glücklich über die gute Aufnahme die ſein Buch in Rom fand:3Pace to Wolsey 27 Oct. 1521. Itt is to Hys Graces grete contentacion and comforte. er erwarb ſich damit den Titel eines Ver - theidigers des Glaubens.

Im März 1522 ließ Heinrich VIII dem König von Frankreich durch ſeinen Herold den Krieg erklären. Schon hatten ſich die engliſchen Kaufleute aus den Häfen, die engliſchen Studenten von den Univerſitäten in Frankreich zurückgezogen: nur einige Güter fielen Franz I in die Hand. Im Juni griff Lord Surrey, zugleich Admiral des Kaiſers und des Königs, die Küſte von Cherbourg an: im Sep - tember vereinigte ſich ein niederländiſches und ein engliſches Heer und fiel in die Picardie ein; doch geſchah weder hier noch dort etwas Namhaftes: einige Städte wurden ge - plündert, einige Strecken Landes verwüſtet: dann kam die ungünſtige Jahreszeit und man zog ſich zurück.

Allein um ſo glänzender waren die Ausſichten die286Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſich für den Feldzug des nächſten Jahres 1523 eröffneten. Wie in den frühern Jahrhunderten, geſellte ſich den Fein - den der franzöſiſchen Krone ein mächtiger Vaſall zu. Der zweite Mann im Königreich, der Connetable Bourbon bot dem König und dem Kaiſer ſeine Hülfe an. Ein Ereigniß von ſo allgemeiner Bedeutung, daß wir auch in einer deut - ſchen Geſchichte wohl[einen] Augenblick dabei verweilen dürfen.

Schon Ludwig XI, der ſo viele Gebiete der großen Vaſallen zu unterwerfen wußte, hatte auch daran gedacht, den Heimfall der ausgebreiteten Beſitzungen des Hauſes Bourbon vorzubereiten. Als er ſeine Tochter mit Peter von Bourbon-Beaujeu vermählte, mußte dieſer verſprechen, wenn er keine männliche Nachkommenſchaft erhalte, daß dann, ſo viel es ihn angehe, alle Beſitzthümer ſeines Hau - ſes an die Krone fallen ſollten. 1En tant qu’il le touchoit ou pourroit toucher, que tous les duchez comtez et vicomtez de la maison de Bourbon, adve - nant qu’il n’eust enfans masles de son mariage, appartinssent au roi. Auszug aus der Urkunde bei Pasquier Recherches de la France liv. VI, c. XI. Noch blühte eine jün - gere Linie des Hauſes in den Grafen von Montpenſier: des Königs Abſicht war, dieſelbe auszuſchließen.

Nach einiger Zeit trat nun wirklich der vorgeſehene Fall ein: Herzog Peter hinterließ bei ſeinem Tode nur eine Tochter, Suſanna.

Allein der nunmehrige König Ludwig XII war nicht geneigt, die doch immer ſehr einſeitig erworbenen Rechte der Krone ſtrenge geltend zu machen. Er erkannte die Lehns - anſprüche des Hauſes Montpenſier an: auch ein gewiſſes287Bourbon.Erbrecht der nachgelaſſenen Prinzeſſin ſtellte er nicht in Ab - rede: um keine Irrung zu veranlaſſen, vermittelte er die Vermählung des jungen Grafen Carl von Montpenſier mit Suſanna: eine gegenſeitige wohlerwogene Schenkung vermiſchte alle ihre Rechte.

Eben hiedurch ward nun dieſer Carl, nunmehr Her - zog von Bourbon, ſo mächtig. Er vereinigte zwei Fürſten - thümer, zwei Herzogthümer, vier Grafſchaften, zwei Vi - comteen, ſieben nicht unbedeutende Herrſchaften: man be - rechnete ſeine Einkünfte davon auf 120000 Ecus: bei weitem mehr, als damals die reichſten deutſchen Fürſten bezogen. Er hatte feſte Plätze mit Garniſonen, berief ſeine Stände, zog Abgaben ein: König Franz erneuerte überdieß in ihm die Würde eines Connetable. Er war tapfer, frei - gebig, leutſelig, und ſeit es ihm gelungen den Anfall Kai - ſer Maximilians auf Mailand im Jahre 1516 zurückzu - weiſen, genoß er ein allgemeines Anſehen in dem Heer und in der Nation. Seine Gedanken nahmen ſchon damals den höchſten Flug. Da der König noch keine geſicherte Nachkommenſchaft hatte, ſo hoffte er, noch einmal den Thron zu beſteigen. Zwar beſaßen die Alençon nähere Rechte, aber er glaubte, durch eine frühere Empörung die - ſer Linie ſeyen ihre Anſprüche verwirkt worden. Er gieng ſo weit, die Republik Venedig für dieſen Fall um ihre Un - terſtützung bitten zu laſſen. 1Notizen beſonders aus Badoer Relatione di Milano 1516 in der Chronik von Sanuto. Bourbon ſetzte dem Geſandten dieſe Anſpruͤche auseinander und fuͤgte hinzu: perho in quel caso la serma Signoria volesse ajutarlo. Uͤbrigens ſchildert ihn Badoer folgender -

288Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Einen ganz andern Gang aber nahmen die Ereigniſſe. Die Succeſſion des Königs befeſtigte ſich: nur ſeine und ſeiner Mutter Vertraute hatten Antheil an der Regierung: Bourbon ward von Mailand zurückberufen und in Frank - reich von den Staatsgeſchäften ausgeſchloſſen: bei dem er - ſten Feldzug welchen man wieder unternahm, jenem nie - derländiſchen, wurden ihm die Rechte eines Connetable nicht mehr zugeſtanden. Er konnte ſchon als das Oberhaupt der zahlreichen Mißvergnügten gelten, welche ſich die Ver - waltung Franz I durch ihre Unordnungen zuzog, als im Jahr 1522 ſeine ganze großartige Stellung gefährdet ward.

Seine Gemahlin Suſanna ſtarb, ohne ihm Kinder zu hinterlaſſen. Zwar hatte ſie ihm die alte[Schenkung] nochmals beſtätigt, allein auf der Stelle erhoben ſich die mächtigſten Prätenſionen auf ihre Verlaſſenſchaft.

Die Mutter des Königs, Louiſe von Savoyen, Nichte des Herzog Peter, Mitglied demnach der ältern Linie, for - derte überhaupt in die Gerechtſame Suſannas einzutreten; kaum war aber ihr Proceß anhängig geworden, ſo trat die Krone ſelbſt mit noch viel umfaſſendern Anſprüchen hervor: ſie machte nicht allein jene Zuſage des Herzog Peter, ſon - dern noch eine Menge andere ganz plauſible Titel geltend: gar bald drang ſie mit den einleuchtendſten durch, und auch wegen der übrigen wußte man von Seiten des Parlamen - tes dem Herzog keinen andern Rath zu geben, als er möge ſich mit ſeinen Gegnern zu vergleichen ſuchen. 1Gaillard (Histoire de François I) hat, was man ſchon ſonſt von einer Leidenſchaft Louiſens fuͤr den Connetable erzaͤhlte,Der Con -ne -1maaßen: prosperoso, traze un pallo di ferro molto gaiardamente, teme dio, è devoto, piatoso, humano e liberalissimo. 289Bourbon.netable ſah ſich in der ernſtlichen Gefahr wieder zu einem kleinen Grafen von Montpenſier herabzuſinken. Aber er war entſchloſſen das nicht zu erleben. Er wendete ſich an dasjenige Haus, das ſich eben anſchickte, die unterdrück - ten Rechte großer Vaſallen an der franzöſiſchen Krone zu rächen. Nicht der Kaiſer hat ihn aufgeſucht: die erſten Anträge hat Bourbon ſelbſt gemacht, und zwar in demſel - ben Momente, in welchem ſein Proceß anfieng, im Auguſt 1522. Damals ſendete er Adrian von Beaurain an den niederländiſchen Hof, und Margareta wunderte ſich nur, daß er ſich einem ſo jungen Menſchen anvertraue. 1Notizen aus den oͤſtreichiſchen Archiven in Hormayrs Ar - chiv. Jahrg. 1810 nr. 6.Je gefährlicher der Rechtshandel für ihn ward, um ſo ernſt - licher warf er ſich auf dieſe Unterhandlung. Dem Kaiſer, dem König konnte nichts willkommener ſeyn. Mehr als einmal machte Beaurain den Weg hin und zurück: ſpäter hat im Namen Heinrichs VIII Sir John Ruſſel den Con - netable verkleidet beſucht:2Herbert aus ſeinen Records p. 119. Nach den Auszuͤgen bei Hormayr (p. 27) ward die Sache dem engliſchen Hofe vor dem 1ſten Juni 1523 nicht officiell mitgetheilt; und wenn ich niche irre, ſo bezieht ſich darauf der undatirte Brief Wolſeys in den Statepa - pers nr. 78 p. 148. Denn was ſonſt ſollte der mervailous fordell ſeyn, dem kein gleicher zu erwarten: for the atteynyng of Fraunce? Die Ligue ward Anfang Auguſt unterzeichnet. (Schreiben von de Praet vom 9ten Aug. ibid.) Es waͤre zu wuͤnſchen, daß das Bundesin - ſtrument authentiſch zum Vorſchein kaͤme. Am ausfuͤhrlichſten uͤber die Abſichten des Momentes verbreiten ſich die Schreiben Wolſeys man kam überein, daß zu glei -1pſychologiſch weiter ausgemahlt; etwas beſſer iſt ſeine Bemerkung uͤber den Proceß ſelbſt in dem Anhang. Doch wird er hierin von Garnier Bd 24, p. 17 bei weitem uͤbertroffen. Auch bei Sismondi treten die poſitiven Momente nicht hinreichend hervor.Ranke d. Geſch. II. 19290Viertes Buch. Erſtes Capitel.cher Zeit ein deutſches Heer in Bourgogne, ein ſpaniſches in Languedoc, ein engliſches in die Picardie einfallen, und Bourbon ſich unabhängig erklären ſolle. Er ſchmeichelte ſich, 500 Hommes d’Armes und 10000 M. zu Fuß ins Feld ſtellen zu können. Der Kaiſer verſprach, ihn mit ſei - ner Schweſter zu vermählen, zum König zu erheben: er dagegen ſagte zu, den König von England als ſeinen Lehns - herrn anzuerkennen, in ſo fern der Kaiſer es wünſche.

Eben hatte Franz I den Entſchluß gefaßt, nachdem ſeine Heerführer ſo unglücklich geweſen waren, noch ein - mal in Perſon einen Verſuch auf das Herzogthum Mailand zu machen. Ein ſtattliches Heer war zuſammengebracht wor - den, und der Admiral Bonnivet, der die Avantgarde be - fehligte, war ſchon voraus, um die Alpenpäſſe in Beſitz zu nehmen: der König ſetzte ſich in Bewegung demſelben zu folgen. Die Verbündeten dachten zur Ausführung ihrer Pläne zu ſchreiten, ſobald er Frankreich verlaſſen haben würde.

Allein die Sache war doch ſchon zu Vielen bekannt geworden, um nicht endlich zu tranſpiriren. Am nieder - ländiſchen Hofe fürchtete man, ſie möchte von England, am engliſchen, ſie möchte von den Niederlanden her ver - lauten: auch in Frankreich hatte man ſie doch einigen nicht ganz zuverläßigen Perſonen, die man eben gewinnen wollte, mittheilen müſſen. Genug, der König ſchöpfte Verdacht: Bourbon hatte von Glück zu ſagen, daß er noch entfliehen2an die engliſchen Geſandten in Spanien Sampſon und Jerningham in Fiddes Collections hinter deſſen Life of Wolsey nr. 70 und 69; die eigentlichen Beſtimmungen des Vertrages habe ich jedoch auch da vergebens geſucht.291Angriff auf Frankreich 1523.konnte. Hierauf fand ſich der König bewogen, die italieni - ſche Armee der alleinigen Führung des Admirals zu überlaſ - ſen, ſelbſt aber zurückzubleiben, um jeder innern oder äußern Gefahr ſeines Reiches zu begegnen.

Bourbon, der über Beſançon nach der Grafſchaft Pfirt geflohen war, hatte ſogleich die Abſicht, einen Einfall in Frankreich zu unternehmen. Ein paar tauſend Landsknechte unter dem Grafen von Fürſtenberg brachen in die Cham - pagne ein: und beſetzten einige Plätze in der Nähe von Chaumont und Langres;1Bellay Memoires I, p. 294. Petri Martyris Epp. nr. 790; welcher meint, man habe die deutſchen Hauptleute mit Geld bearbeitet. Bourbons Idee war ſchon im - mer geweſen, daß zu gleicher Zeit die Engländer von einer andern Seite her ſo tief wie möglich in das Innere vordrin - gen, ſich aber dabei der Plünderung enthalten, nur als Be - freier von der Tyrannei Franz des I erſcheinen ſollten: dann, meinte er, würden ihnen alle Städte die Thore eröffnen. 2More to Wolsey 20 Spt. St. P. p. 139: The Duke ad - viseth that the Kinges army shall in the marching proclayme li - bertie sparing the cuntre fro burnyng and spoile. Der Koͤnig meint: ſie wuͤrden gar bald rufen: Home home, if they shold also for - bere the profite of the spoile. Jedoch die Landsknechte wurden gar bald durch Mangel an Geld und Lebensmitteln zum Abzug genöthigt: das eng - liſch-niederländiſche Heer drang wohl von der Picardie her vor, und ſetzte ſelbſt Paris einen Augenblick in Schrecken, aber es führte ſeinen Krieg auf die einmal herkömmliche Weiſe, und konnte nirgends feſten Fuß faſſen. Der Kriegseifer der Spanier entlud ſich vor Fuenterrabia, das die Fran - zoſen eingenommen. Bourbon ward inne, daß er fürs19*292Viertes Buch. Erſtes Capitel.Erſte dieſſeit der Alpen nichts ausrichten werde, und be - gab ſich nach Italien.

Dahin zog ſich überhaupt auch dieß Mal die nächſte Entſcheidung des Krieges.

Als Bonnivet mit dem ſtattlichen Heere, das der - nig gerüſtet um damit ſeinen Ruhm und ſeine Eroberung zu erneuern man rechnete es auf 30000 M. z. F. und 4000 z. Pf., in der Lombardei erſchien, waren die Kai - ſerlichen nicht im Stande, ihm den Übergang über den Teſ - ſino oder überhaupt das freie Feld ſtreitig zu machen. Prospero Colonna ſah ſich genöthigt, ſich auf die Verthei - digung der vier wichtigſten Plätze, Como, Cremona, Mai - land und Pavia einzuſchränken.

Glücklicherweiſe brauchte er jetzt von den ſonſtigen ita - lieniſchen Verbündeten der Franzoſen nichts zu fürchten. Unmittelbar vor ihrer Ankunft hatte der Kaiſer einen anti - franzöſiſchen Bund mit den italieniſchen Mächten zu Stande gebracht. Es kam ihm hiebei außerordentlich zu Statten, daß ſein alter Lehrer, Adrian, auf dem päpſtlichen Stuhle ſaß: ſo wie dieſer von den Eroberungsplänen ſeiner Vor - fahren, z. B. den Anſchlägen auf Ferrara, nichts mehr - ren wollte, ſo gab auch der Kaiſer alle Abſichten auf Ve - nedig auf: die Venezianer traten in den Bund des Kai - ſers, des Papſtes und des Königs von England,1Aus Paruta p. 217 ſieht man, daß die Ruͤckſicht auf Eng - land wegen der Handelsverhaͤltniſſe hiebei gar nicht unwirkſam war. Wolſey ſagt ſeinem Herrn geradezu: der Tractat ſey zu Stande ge - kommen by your mediacion and moost for your sake. St. P. nr. 66. und verſprachen Sforza’n in ſeinem Herzogthum zu ſchützen.

Vor allem kam es dann noch auf die Mailänder an,293Feldzug in Italien 1523.und man hielt es doch für gut, als die Franzoſen in der Nähe erſchienen, ihre Geſinnung zu erforſchen. Sie zeig - ten noch einmal ihre ganze Ergebenheit für den Herzog und das Reich. Auf den erſten Ruf der Glocken, am 22ſten September, kamen ſie ſo zahlreich wie je auf die beſtimmten Sammelplätze: ein Jeder in ſeinen Waffen: auch Viele von denen erſchienen, die ſich nicht hatten bewaffnen können. 1Lettera di Milano, narra quelli successi de di 16 Stt. a di 22 in der Chronik des Sanuto Bd 35.Der Herzog ritt zu den verſammelten Haufen. Er ſagte ihnen, er werde ſie mit der Milde und Groß - muth ſeiner Vorfahren regieren: ſie zeigten ſich willig, ihn zu vertheidigen. Der alte Prospero Colonna war wie geſchaffen dieſe Stimmung zu erhalten. Er erfreute ſich des Rufes, daß er eben ſo gut das Glück ſeines Vater - landes, wie die Macht des Reiches vor Augen habe. In den wilden Kriegsbewegungen war er immer als der Be - ſchützer der Bürger und Bauern erſchienen. Auch jetzt war auf das beſte geſorgt. Man hatte noch Zeit ge - habt, die Vorräthe für den Winter reichlich einzubringen: man hatte Handmühlen und Windmühlen innerhalb der Mauern, Wein in Überfluß. So waren auch die Ver - ſchanzungen trotz des großen Umkreiſes der Stadt vor - trefflich in Stand geſetzt. Täglich machte man Aus - fälle, und faſt immer brachte man Gefangene ein. Das Volk ward ſo muthig, daß es öfter um die Erlaubniß bat, in Maſſe hinauszugehn die Franzoſen anzugreifen. 2Lettera di Gratiani 21 Ott. bei Sanuto: Tanto stimano Francesi e Sguizari come se fussero tante puttane. Wenn von Mangel in Mailand die Rede iſt, ſo konnte der nur in den erſten

294Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Aber ohnehin ſah ſich Bonnivet durch Froſt und Schnee genöthigt, die Belagerung aufzuheben; und ſchon verſammelten ſich ganz andre militäriſche Kräfte.

Nach und nach trafen die italieniſchen Fußvölker ein, die man geworben: der Vicekönig von Neapel, Lannoy, führte ſchwere und leichte Reiterei herbei: die Venezianer erſchienen im Felde: die wichtigſte Verſtärkung aber bil - deten 7000 Landsknechte, nicht ohne Fürſorge des Erz - herzog Ferdinand1Dafuͤr dankt ihm ſpaͤter der Kaiſer. Schreiben bei Bucholtz II, 264. zuſammengebracht, unter Ludwig von Lodron und Eitelfritz von Zollern. Georg Frundsberg war dieß Mal zu Hauſe geblieben, doch hatte er ſeinen Sohn Caspar mitziehen heißen. Einige unternehmende Hauptleute, wie Schärtlin von Burtenbach, kamen auf eigne Koſten. Auch der Marques von Pescara, der die ſpaniſchen Fußvölker mit demſelben angebornen Talent be - fehligte wie Frundsberg die deutſchen, kam wieder. Er langte eben in dem rechten Moment an: als Prospero ſtarb; die Leitung der Unternehmungen fiel dadurch vor - nehmlich ihm anheim.

War man nun aber wieder im Stande, den Feind im Felde zu beſtehen, ſo war damit auch kein Augenblick zu verſäumen: auch er erwartete jeden Moment Verſtär - kungen, die ihm die alte Überlegenheit wohl zurückgegeben haben würden. Er hatte einen neuen Vertrag mit den Graubündnern geſchloſſen: die Berner unterſtützten den - nig ſogar mit Geld: von beiden Seiten waren nicht un - bedeutende Schaaren unterwegs.

2Tagen Statt finden, ehe alles recht eingerichtet war. Vgl. Gal. Capella und Carpeſanus p. 1356.

295Feldzug in Italien 1524.

Indeſſen hielten es die Kaiſerlichen und ihre Verbün - deten auch jetzt noch nicht für rathſam, eine Schlacht zu wagen; namentlich war der venezianiſche Proveditore da - gegen. Ich glaube doch nicht, ſagte eines Tages der Feld - hauptmann der Venezianer, Herzog von Urbino, zu dem Proveditore, Pier da cha Peſaro, ich glaube nicht, daß die Republik ſo viel gepanzerte Pferde, eine ſo große An - zahl von Fußvolk, alle dieſe um uns leuchtenden Waffen aus einem andern Grunde im Stande hält, als um im Felde zu ſchlagen wenn es nöthig iſt. Herr, erwie - derte der Proveditore, welchen Vortheil hätte die Repu - blik davon wenn wir ſchlügen? Eine Niederlage brächte alle ihre Beſitzungen in Gefahr: der Sieg kann uns auch ohne Schlacht nicht entgehn: wäre der Kaiſer in Perſon hier, ſo würde er keine Schlacht wollen. Dieſe Mei - nung, die den Feldhauptmann überzeugte, machte ſich darauf auch in jedem Kriegsrath geltend. Man faßte den Plan den Feind nicht durch offenen Anfall ſondern ſtrategiſch zu überwinden.

Während eine Abtheilung des Heeres ſich im Gebiet von Como und Bergamo aufſtellte, um die Bündner ent - fernt zu halten, gieng die Hauptmacht, bei der nun auch Bourbon, mit dem Range eines kaiſerlichen Statthalters bekleidet, eintraf, in der Nähe von Pavia über den Teſ - ſino, und nahm in unerwartetem Überfall das feſte Gar - lasco, das alle dieſe Gegenden beherrſcht. Hiedurch wurde Bonnivet genöthigt, ebenfalls über den Teſſino zurückzu - gehen, ſein feſtes Lager von Abbiate-graſſo zu verlaſſen, um wenigſtens Vigevene und die reichen Ebenen des Lo - mellino zu behaupten, aus denen er ſeine Lebensmittel be -296Viertes Buch. Erſtes Capitel.zog. 1Galeatius Capella lib. III, p. 191, aus welchem die mei - ſten andern geſchoͤpſt haben. Selbſt Du Bellay hat hier nur eine Uͤberarbeitung des Capella mit einigen franzoͤſiſchen Zuſaͤtzen. Eini - ges Schweizeriſche fuͤgt Anshelm hinzu, einiges Spaniſche, wiewohl ſehr weniges, Sandoval: die ihn ſonſt beide ebenfalls uͤberſetzen. Schade daß nicht auch Einer ſich die Muͤhe genommen hat, ihn zu ergaͤnzen, der von den Thaten der Landsknechte Kunde hatte Da - her kommt es, daß wir von denſelben in dieſem Feldzug faſt nichts weiter wiſſen, als was in der Lebensbeſchreibung Sebaſtian Schaͤrt - lins vorkommt.Gleich darauf aber giengen die Kaiſerlichen auch über die Gogna und nahmen Sartirana weg. Während Bonnivet, hiedurch in ſeiner neuen Stellung gefährdet wie früher in der alten, ſich in Bewegung ſetzte um ſie von da zu vertreiben, gelang es ihnen vielmehr ſchon auch Ver - celli durch die Gunſt der dortigen gibelliniſchen Faction in ihre Hände zu bekommen, wodurch ſie jenſeit der Seſia Fuß faßten, und den Admiral von der Baſis ſeiner Ope - rationen abſchnitten. Es blieb ihm nichts übrig, als ſich nach der obern Seſia zurückzuziehen, nach Gattinara hin, wo eben die neuen Schweizer von Ivrea her angekommen waren. Er gab noch immer die Hofnung nicht auf, mit dieſer Verſtärkung gegen den Feind umkehren, ihm noch ein - mal eine Schlacht anbieten zu können. Allein ſchon auf dem Wege fand er kleinere Plätze von den Kaiſerlichen eingenommen. Als er an der Seſia anlangte, weigerten ſich die Schweizer zu ihm herüberzukommen, und er ſelbſt mußte Anſtalt treffen über den Fluß zu gehn. Indem er dieß that, ward er von Pescara angegriffen. Es entſtand eine allgemeine Unordnung: die Brücke brach ein: Gatti - nara gieng in Feuer auf; ſo gering auch die Anzahl der Kaiſerlichen jenſeit des Fluſſes noch war, etwa tauſend297Feldzug in Italien 1524.leichte Pferde, tauſend Mann zu Fuß, ſo groß war doch der Verluſt den die Franzoſen erlitten: es blieb ihnen nichts übrig, als Italien abermals zu verlaſſen. Über - haupt zeigte ſich, daß es mit der Kriegsweiſe vorbei war, durch welche ſie daſelbſt in den letzten dreißig Jahren ge - glänzt hatten. Einzelne Waffenthaten, momentane Über - legenheit, ritterliche Bravheit entſchieden nicht mehr. Die erwachte nationale Antipathie machte eine hartnäckigere re - gelmäßigere Vertheidigung möglich: im Felde hatten die Berechnungen der Strategie, der geſchickte Gebrauch der Hakenbüchſen die Oberhand. Auf dieſem Rückzug fiel un - ter andern der gute Ritter, der Ritter ohne Furcht und Tadel, Bayard, der alle rühmlichen Eigenſchaften des Ritterthums zur Bewunderung der Freunde und Feinde noch einmal in ſich vereinigte. Er hatte immer die Ha - kenſchützen von Herzen gehaßt: ungern hatte er einem das Leben geſchenkt, der in ſeine Hand gefallen war: es war ihm beſtimmt, jetzt ſelbſt durch eine Kugel umzukom - men. 1Bei den Umſtaͤnden des Todes will ich nicht ſtehn bleiben, auch deshalb weil ſie mir in der That zweifelhaft ſind. Die Franzoſen (Bellay 342) erzaͤhlen, in ſeinen letzten Augenblicken habe ihn Bour - bon angeſprochen, Bayard habe demſelben noch ſeinen Abfall verwieſen. Es iſt ſchon bedenklich, daß in dem Leben des Bayard, Coll. univ. XVII, 412, ſich davon nichts findet. Aber in Italien erzaͤhlte man ſogarEs liegt etwas Symboliſches, Allgemein-bedeutendes in dieſem von ſo viel Geſchichtſchreibern hervorgehobenen Tode, der Niederlage dieſes ritterlichen Heeres überhaupt, ſo wie in dem Untergange Sickingens. Der Harniſch ward von dem Handrohr, wie die Burg von dem Ge - ſchütze beſiegt.

298Viertes Buch. Erſtes Capitel.

An der Verfolgung nahmen auch die Landsknechte ſehr thätigen Antheil. Sebaſtian Schärtlin erzählt, drei Tag und Nacht ſey man ihnen bis an den Fuß des St. Bernhard nachgeeilt: aus dem Thal von Aoſta brachte man das eroberte Feldgeſchütz feſtlich bekränzt nach dem Lager. Hierauf giengen die Plätze, welche die Franzoſen noch in Italien beſaßen, ſämmtlich über: ihre Niederlage war ſo vollſtändig wie möglich.

Und ſogleich erhob ſich nun in den Siegern es liegt eine Art von Nothwendigkeit darin der Gedanke, den Angriff auf Frankreich, der vor dem Jahre mißlungen, nunmehr beſſer ins Werk zu ſetzen. Bourbon fand das kaiſer - liche Heer vortrefflich; auch er zeigte ſich tapfer und erweckte Vertrauen. Die Lage von Italien ſchien es ohnehin - thig zu machen. Entweder mußte man Friede haben, wozu noch wenig Ausſicht war,1Die Instruction secrète etc. bei Bucholtz II, p. 503 kann hieruͤber nicht taͤuſchen. Die Menge der dort gemachten Vorſchlaͤge es ſind ihrer nicht weniger als neun zeigt ſchon wie unaus - fuͤhrbar ein jeder war. Sehr gut bemerkte das Peter Martyr Ep. 798 p. 472, Juli 1524: Temperate hujus tam incompositi psal - terii chordas. Dira ferri acies et humano cruore fluentes rivi has diriment querelas. oder man mußte dem König von Frankreich ſonſt zu ſchaffen geben. Lannoy ſchrieb1das Gegentheil: er habe noch die Ungerechtigkeiten des Koͤnigs, die Unordnungen der franzoͤſiſchen Regierung beklagt; dann ſey er ge - ſtorben. Carpeſanus p. 1375: questus de injusta in Borbonium ira, de fortuna et male animatorum hominum factione cuncta in Gallia permiscente. Sein Gefuͤhl mag wohl zwiſchen dieſen bei - den Aͤußerungen geſchwankt haben, die beide ihre Wahrheit hatten. Die Spanier endlich laſſen ihn Gott loben, daß er ſtirbt en ser - vicio de su rey y a manos de la mejor nacion del mundo. Ba - talla de Pabia. MS Alb. 299Angriff auf Frankreich 1524.dem Kaiſer, der Herzog von Mailand werde ihm eine theure Waare ſeyn, wenn es ihm nicht gelinge den unru - higen Nachbar klein zu machen. Der Kaiſer zog in Be - tracht, daß es beſſer ſey, den Feind in ſeinem Lande auf - zuſuchen, als ihn in Italien zu erwarten, wo man das Heer doch würde mit vielen Koſten beiſammenhalten müſ - ſen, und gab ſeine Einwilligung.

Auch dieß Mal ſtieg wohl wieder der Gedanke auf, Frankreich von vier Seiten anzugreifen: allein nach den Erfahrungen des vorigen Jahres ließ er ſich nicht ernſt - lich feſthalten. Niemand hatte Geld dazu. Schon ge - nug wenn man nur das italieniſche Heer wieder auf ein paar Monat befriedigen konnte. Bourbon hoffte auch mit dieſem allein die glänzendſten Thaten auszuführen.

Ihre Angelegenheiten, Sire, ſchrieb er dem Kaiſer, werden gut gehn. Wenn wir dem König von Frankreich eine Schlacht zu liefern vermögen, und ſie gewinnen wie ich hoffe, werden Sie der größte Mann ſeyn den es je - mals gab, und der ganzen Welt Geſetze geben. 1Auszug bei Bucholtz II, 263.

Und ſo führte Bourbon im Juli 1524 das kaiſerliche Heer 5000 Deutſche unter Zollern und Lodron, 3000 Spanier unter Pescara, und eine Anzahl Italiener aus Italien nach Frankreich. König Franz hatte keine Nei - gung, ſich den kriegeriſchen ſieggewohnten Banden im offe - nen Feld entgegenzuſtellen. Ungehindert drang Bourbon vor, beſetzte Antibes, Frejus, Hieres, Toulon, und ließ ſich huldigen. Er führte den Titel eines Grafen von Pro - vence, doch hatte er dem König von England den Vaſal -300Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſalleneid geleiſtet. 1Guicciardini ſagt zwar XIV, 448: Borbone constante - mente ricusò di riconoscere il re d’Inghilterra. Es iſt aber nichts deſto minder gewiß, daß er den Eid leiſtete, wie dieß Herbert an - giebt (p. 133) und wir aus einem Schreiben de Praet’s bei Hor - mayr (p. 27) unzweifelhaft entnehmen. Auch war der Koͤnig von England noch ſehr mit der Unternehmung einverſtanden. Richard Pace erzaͤhlte dem Venezianer Suriano, daß ihm ſein Koͤnig noch durch ein Schreiben vom 28ſten Juni ermaͤchtigt, Bourbon in ſeinem Vorhaben zu beſtaͤrken, ja daß ſich der Cardinal Wolſey noch un - term 14ten September erboten habe eine Landung verſuchen zu laſ - ſen, wenn ſie zu etwas helfen koͤnne. Wenn Pace nicht alle Raten richtig gezahlt hatte, ſo entſchuldigte er ſich damit, daß das auch der Kaiſer nicht immer gethan habe. Indeſſen wiſſen wir, daß John Ruſſel 20000 Pf. noch in das Lager vor Marſeille brachte. Daß Pace hier ſehr aufrichtig zu Werke gieng, laͤßt ſich daraus abneh - men, daß er doch bei alle dem ſchon einen gewiſſen Verdacht gegen den guten Willen des Cardinals aͤußert, der ein ſchlechter Menſch ſey attenta la pessima natura del ditto Cardenal. Wie dem auch ſeyn mag, ſo iſt es offenbar, daß man den Ausgang der Unter - nehmung in England mit Spannung erwartete. Erkannte doch Bour - bon keinen andern Koͤnig an als eben Heinrich VIII. Am 9ten Auguſt nahm er Aix die Hauptſtadt des Landes ein, am 19ten langte er vor Mar - ſeille an: er wußte wohl, daß alles andre verloren ſey, wenn er dieſen feſten Platz nicht beſitze. Was wäre es dem Kaiſer werth geweſen,[über] einen Hafen von ſolcher Bedeutung zwiſchen Barcellona und Genua gebieten zu können. Mar - ſeille hätte die eigentliche Schutzwehr für Italien und eine unvergleichliche Grundlage für jede künftige Unternehmung auf Frankreich ſelbſt gebildet. Beaurain hatte daran ge - dacht, Toulon für den Kaiſer in Stand zu ſetzen: es fehlte ihm aber an allen Mitteln. 2Schreiben bei Hormayr a. a. O.: er meinte, er wuͤrde das mit 10000 Duc. bewerkſtelligen.Um ſo eifriger machte man ſich an die Belagerung von Marſeille.

301Angriff auf Frankreich 1524.

Jetzt aber zeigte ſich, wie ſehr ſich auch in Frank - reich die Zeiten geändert hatten. Italiener welche das Land kannten, wie der Biſchof von Bayeux Lodovico Ca - noſſa, hatten es immer vorausgeſagt. 1Z. B. Lettere di principi I, 132. E siate certo che Fran - cesi adorano il loro re, e non vi fondate nelle ribellioni altre volte seguite in Francia, perche non vi sono più di quei tali principi che le causavano. Trotz ſo mancher Unzufriedenheit, zu welcher der König Urſach gab, fanden ſie doch, im Allgemeinen ſey er angebetet: durch ſeinen bloßen Abfall habe Bourbon allen Credit verloren. Es kommt in Betracht daß Bourbons Anſehn, ſo mächtig er war, doch noch nicht Zeit gehabt hatte, ſich zu befeſtigen. In den meiſten Beſitzungen die ihm gehörten, war er ein ſehr neuer Herr. Auch gab es Niemand der von der Krone ſo unabhängig geweſen wäre, um das Herz zu ha - ben ſich ihm anzuſchließen. Eben dieſer Augenblick beweiſt wie weit die ſich im Stillen vollziehende Conſolidation von Frankreich bereits gediehen war. Es erhob ſich nicht allein Niemand für Bourbon, ſondern der Angriff ver - ſchaffte dem König noch unbedingtern Gehorſam. Er konnte drei überaus ſtarke Tailles, zuſammen von mehr als 5 Millionen, bald nach einander ausſchreiben: der Cle - rus bequemte ſich zu Contributionen, die guten Städte ge - währten freiwillige Unterſtützungen, ſelbſt der Adel mußte ſich gezwungenen Anleihen unterwerfen. Was wollten ge - gen ſo reiche Geldkräfte die langſamen und zweifelhaften Zahlungen ſagen, welche von Spanien oder von England mühſam aufgebracht wurden. 2Garnier XXIV, 102. Sismondi XVI. König Franz ſtellte ein302Viertes Buch. Erſtes Capitel.Heer ins Feld, ſo ſtattlich wie jemals, bei 2000 H. d’A., 7000 M. franzöſiſchen Fußvolks hauptſächlich aus den kriegeriſchen Bauern des Dauphinē, 6000 Schweizer; bei dem Verfall der deutſchen Regierung war es ihm nicht ſchwer geworden, auch eine Anzahl Landsknechte um guten Sold an ſich zu ziehen.

Während dieſe Schaaren in der Gegend von Avignon ſich ſammelten, ſetzten die Kaiſerlichen ihre Belagerung mit großer Beharrlichkeit fort; aus den genommenen franzö - ſiſchen Plätzen ſchafften ſie einiges taugliche Geſchütz her - bei; unter ungemeinen Schwierigkeiten brachten ſie Lauf - gräben, endlich eine Batterie zu Stande, mit der ſie wirk - lich Breſche ſchoſſen; in den Scharmützeln leuchtete vor allen Pescara hervor, der in ſeiner ſonderbaren Tracht er trug rothe Unterkleider, darüber einen kurzen ſchwarzen Rock ohne Ärmel, einen Hut wie die Landsknechte, aber mit großen wehenden Federn wie ein Kriegszeichen an - zuſehen war; mit ihm wetteiferte ſein Neffe Guaſto. Noch bis in die zweite Hälfte des Septembers hatte man den beſten Muth; noch am 24ſten dachte man zu ſtürmen. Pes - cara trank ſeinen Spaniern zu und machte ſie munter; Bourbon verſprach königliche Erkenntlichkeit; die Leute be - reiteten ſich durch die Beichte zu der äußerſten Gefahr vor. Allein auch die Beſatzung der Stadt, von einem Italie - ner der orſiniſchen Faction, Renzo da Ceri befehligt, hielt ſich wacker und hatte ſich auf das beſte in Vertheidigungs - ſtand geſetzt. Bei den erſten vorläufigen Verſuchen ſah man, mit wem man es zu thun hatte. Man vernahm von den Gefangenen, wie hinter der Breſche blinde Grä -303Angriff auf Frankreich 1524.ben mit Pulver angefüllt, Kanonen an den Straßenecken aufgeführt, die Truppen an den gefährdeten Orten ſchlag - fertig aufgeſtellt ſeyen. 1Sandoval lib. XI, P. I, p. 598, hier nichts als eine woͤrt - liche Wiederholung einer alten Erzaͤhlung unter dem Titel Batalla de Pabia, aus der Sandoval hie und da corrigirt werden muͤßte: wie denn ſtatt Pizarmo zu leſen ſeyn wird Pizaño. Plötzlich ward Pescara andern Sinnes. Wer ſein Abendbrod in der Hölle eſſen will, rief er aus, der mag ſtürmen. Es ward ein Kriegs - rath berufen, in welchem man nicht allein die Wahrſchein - lichkeit, hier eine Niederlage zu leiden, ſondern auch die Gefahr erwog, in die durch längeres Verweilen Italien gerathe. Man fieng an zu vermuthen, der König möchte, ohne ſich um Marſeille zu kümmern, ſeinen Weg unmit - telbar nach Italien nehmen. Ihr Herrn, rief Pescara, wer dem Kaiſer Italien erhalten will, der folge mir nach. Nur ungern ließ Bourbon von der Hofnung ab, in ſeinem Vaterlande wieder Fuß zu faſſen: aber auch die deutſchen Oberſten, Zollern und Lodron waren für Pescara: am 28ſten September ward die Belagerung aufgehoben.

Es mag dahingeſtellt bleiben, ob der König wirklich den vermutheten Plan hatte: wenigſtens ſo viel iſt gewiß, daß er ſo wie er von dem Abzug Bourbons hörte, dieſen Gedanken auf das lebhafteſte ergriff und ſich keine Vor - ſtellung abhalten ließ, die treffliche Armee die er nun wie - der um ſich ſah, auf der Stelle über die Alpen zu führen. Er war entſchloſſen, noch einmal alles an die Wiedererobe - rung von Mailand zu ſetzen. Auf den Ärmeln ſeiner Leibwache las man die Worte: noch einmal und nicht wieder. 2Carpeſanus lib. X bei Martene V, p. 1379.

304Viertes Buch. Erſtes Capitel.

In wetteifernder Eile giengen nun die beiden Armeen über die Alpen. Die Kaiſerlichen machten ſich ſo leicht wie möglich. Nur einen kleinen Theil ihres Geſchützes, das ſie zerſchlagen, führten ſie auf Maulthieren mit ſich fort; das übrige ward vergraben oder nach Toulon ge - ſchafft. In zwei Colonnen bewegten ſie ſich vorwärts, jedoch auf derſelben Straße, ſo daß immer die erſte das Quartier verließ wenn die andre ankam. Eines Tages hatten ſich ein paar Deutſche betrunken und waren nicht fortzubringen: ohne Erbarmen ließ Pescara das Haus an - zünden worin ſie lagen, ſo daß ſie daſelbſt verbrannten: er wollte auch nicht Einen Mann in die Hand der Bauern gerathen laſſen: er hätte gefürchtet ihre Wuth zu erwecken. So paſſirten ſie Nizza, Ventimiglia, die Seealpen: in ihrem Äußern ziemlich heruntergekommen, aber nicht entmuthigt: hatten ſie doch keinen Verluſt erlitten! in langem Zuge führten ſie ihr ganzes Gepäck, alle den Kriegserwerb der früheren Jahre mit ſich.

Indeſſen zog Franz I mit ſeiner friſchen glänzenden Armee über die Oberalpen, Briançon Pignerol, und unaufhaltſam ſofort nach den lombardiſchen Ebenen. Er hoffte der kaiſerlichen Armee noch zuvorzukommen.

Eine mailändiſche Chronik verſichert, ſie ſeyen beide an demſelben Tag über den Teſſino gegangen, die franzö - ſiſche bei Abbiate-graſſo, die kaiſerliche in der Nähe von Pavia. 1Martino Verri bei P. Verri III, 241.

Auf jeden Fall waren jedoch die Kaiſerlichen ingro -305Franz I in Italien.großem Nachtheil. Sie konnten ſich jetzt nicht einmal auf Mailand verlaſſen, wo die Peſt ausgebrochen war. Franz Sforza ſagte: er ſey kein Vogel, um ſich in dieſen Bauer ſperren zu laſſen. Nur das Caſtell hielten ſie beſetzt. Die übrigen Truppen vertheilten ſich nach Pavia, Lodi und Cre - mona. Dieſe gewaltige Kriegsmacht, die noch vor ein paar Monaten den Kaiſer zum Herrn der Welt machen zu wollen ſchien, war plötzlich aus dem Felde verſchwunden. Mei - ſter Pasquin zu Rom ließ ſich nicht unwitzig vernehmen: es ſey ein kaiſerliches Heer in den Alpen verloren gegan - gen, der ehrliche Finder werde gebeten, es gegen eine gute Belohnung abzuliefern. Dagegen hatten die Franzoſen un - beſtritten das Land inne. Sie machten ſich daran, nun auch die Feſtungen zu erobern, zunächſt Pavia. Der An - fall auf Frankreich, der Franz I jenſeit der Alpen feſſeln ſollte, hatte nur gedient, alle Kräfte ſeines Reiches noch einmal zu entbinden, und ihm das Übergewicht in Ober - italien zu verſchaffen.

Schlacht bei Pavia.

Allein noch war auch die Sache des Kaiſers nicht ſo ganz verloren, wie es ausſah. Wenn jemals ſo kam es ihm jetzt zu Statten, daß er Deutſche in ſeinen Dien - ſten hatte und ohne Mühe andre herbeiziehen konnte.

Als Franz I es unternahm von den Feſtungen in der Lombardei zunächſt Pavia zu belagern, ſoll ihn dazu die Hofnung vermocht haben, die Deutſchen, welche daſelbſt die Beſatzung bildeten, zum Abfall zu bewegen. Allein er ſollte ſie anders kennen lernen. Die beiden Oberſten, ZollernRanke d. Geſch. II. 20306Viertes Buch. Erſtes Capitel.und Lodron waren dem Haus Öſtreich mannichfaltig ver - pflichtet; auch die Hauptleute ihre Namen verdienen wohl genannt zu werden: es waren Martin Pfaff, Graf Chri - ſtoph von Lupfen, Michael Alting, Eiteleck von Reiſchach, Heinrich von Caſtelalt, Conradin Glürns, Michael Mer - tel, Caspar Schwegler hatten ſich nun ſchon eine Zeitlang daher unter den kaiſerlichen Fahnen eingelebt. Ich will nicht ſagen was ein Jeder gethan haben würde, wenn er zuerſt Dienſte zu nehmen gehabt hätte: allein die genom - menen, in denen er ſich Anſprüche erworben, jetzt wieder zu verlaſſen war gewiß keiner geneigt. 1Bei Sandoval findet ſich zwar, Zollern habe auf Verrath geſonnen, und ſey deshalb bei einem Gaſtmahl vergiftet worden. Auch bei G. Capella findet ſich hievon eine Andeutung, jedoch mit dem Zuſatz: multi existimavere, was dann auch von Andern mehr oder minder bedingt wiederholt worden iſt. Nach dem Bericht des Taͤgius, Phyſicus und Ritter, der waͤhrend der Belagerung in Pa - via war, (de obsidione urbis Ticinensis ed. Pez p. 9) ſtarb Zol - lern post longas vigilias et assiduos labores ex tabida febre XVI Cal. Febr. Man ſagte in Pavia, er ſey ein Verwandter des kaiſerlichen Hauſes: aliquali affinitate cum Caesare conjunctus. In den Liedern wird er gefeiert, als derjenige Mann der an der Vertheidigung den thaͤtigſten Antheil nahm.Auch wäre das gibelli - niſche Pavia nicht geeignet geweſen Gedanken dieſer Art zu erwecken. Hier ſah man vornehme Damen ſelber an der Ar - beit des Schanzens Theil nehmen: der reichſte Bürger Mat - teo Beccaria hatte auf ſeine Koſten aus ſeinem Anhang in der Stadt ein Fähnlein gebildet: er gab wohl den Haupt - leuten auch dann noch als man übrigens ſchon Mangel ſpürte, ein prächtiges Gaſtmahl, und den Gemeinen fehlte es wenigſtens nie an weißem Brod und kühlem Wein. Der kai - ſerliche Befehlshaber Antonio Leiva rühmt den jungen Cas -307Belagerung von Pavia.par Frundsberg, der ſich hier zum Hauptmann aufſchwang, daß er ihn ſelbſt bei gutem Muth erhalten habe. Antonio Leiva war übrigens ganz für Fälle dieſer Art gemacht: eben ſo klug wie entſchloſſen: ſelber voll Aufopferung für die Sache des Kaiſers: er zog ſeine goldne Kette vom Hals und ließ Ducaten daraus prägen. So hielt man ſich auf das beſte, und ſchlug alle Stürme ab. Den Deutſchen kamen zuweilen ihre berginänniſchen Fertigkeiten zu gute;1Carpeſanus ſchreibt das Sprengen einer Bruͤcke Germanis, ingeniosis viris zu; Taͤgius ruͤhmt deshalb beſonders den Gluͤrns, der dieſelbe instrumentis ferreis mirabili arte in medio rescindit. dem König dagegen ſetzte auch der Fluß unüberwindlichen Widerſtand entgegen: der freilich verwegene Verſuch den Teſſin abzuleiten, mißlang ihm vollſtändig: im Januar 1525 ſah er ſich darauf beſchränkt, die Stadt umſchloſſen zu hal - ten und wo möglich auszuhungern. 2Lettera di Pavia 10 Genn. Chr. Ven. MS. Man vernimmt, che il re Xmo avea deliberato di non voler piu dar battaglia a Pavia per non far morir gente, ma volea tener quella assediata et in simil modo averla. Einige tauſend Mann ſonderte er unter dem Herzog von Albanien ab, um eine Diverſion in dem mittlern oder untern Italien zu verſuchen.

Indem aber kamen auch ſchon andre deutſche Schaa - ren die Berge herab. Bourbon hatte die Juwelen ver - kauft die er bei ſeiner Flucht gerettet, war dann ſelbſt nach Insbruck, nach Augsburg gegangen; von Erzherzog Fer - dinand unterſtützt brachte er jetzt achtzehn Fähnlein Lands - knechte unter Marx Sittich von Ems herüber: Graf Ni - colaus von Salm begleitete ſie mit 200 Pferden vom Hofge - ſinde. Indeſſen ließ der Vicekönig in Neapel alles veräußern,20*308Viertes Buch. Erſtes Capitel.was einen Käufer fand: mit dem Geld ſchickte er dann einen Abgeordneten unmittelbar an Georg Frundsberg. Dem lag die italieniſche Macht des Kaiſers, die er mit grün - den helfen, wie eine eigne Sache am Herzen: ein neuer Beweggrund war es für ihn, daß er ſeinen Sohn zu ent - ſetzen hatte. Am 3ten Weihnachtsfeiertag muſterte auch er 11 Fähnlein zu Meran: 25 nahmhafte Hauptleute, viele Kriegsgefährten aus guten Häuſern umgaben ihn, es wa - ren die Junker, die kein Bleiben zu Hauſe hatten, und denen die überzähligen Bauernſöhne folgten. Am 24ſten Januar1Reisner: Hiſtoria Herrn Georgens und Herrn Casparen von Frundsberg p. 38. Vgl. G. Bartholds Frundsberg. vereinigten ſich die beiden Haufen mit dem ita - lieniſchen Heere in Lodi.

Sie ſahen ſich in der Nothwendigkeit, unmittelbar ins Feld zu gehn. Trotz aller jener Anſtrengungen war doch nicht Geld genug vorhanden, um die Truppen lange zu - frieden zu ſtellen. Die Meiſten hatten nichts weiter als das Laufgeld empfangen, ſie verſprachen nur auf eine be - ſtimmte Zeit ohne Sold zu dienen. Auch mußte Pavia errettet werden. Schon am 4ten Februar langte das Heer in der Nähe dieſer Stadt an, warf einige Leute mit Mu - nition hinein, und that alles, um den König zu reizen, aus ſeinem feſten Lager hervorzukommen.

Dieß waren jedoch vergebliche Anſtrengungen. Der König wollte die ſtarke Stellung, die er im Park vor Pavia genommen, nicht verlaſſen; da hatte man ſich auf das beſte befeſtigt:2Extrait des lettres ecrites en Allemand à Monseigneur l’archiduc Ferdinand par Messire George de Fronsberg. Urkun - denbuch zu Bucholtz: Ferdinand I, p. 1. man lebte bereits ziemlich bequem: man hatte Le -309Annaͤherung der Kaiſerlichen.bensmittel die Fülle: er hielt es für vortheilhafter, ange - griffen zu werden, wie ſchon einſt bei Marignano, als an - zugreifen, was den Seinen vor kurzem bei Bicocca ſo übel ausgeſchlagen war.

Dazu mußten ſich nun auch endlich die Kaiſerlichen entſchließen, aus Mangel ſo an Geld wie an Lebensmitteln:1In einer anonymen Zeitungsnachricht Lettere di principi I, 153, und daraus bei Sismondi Hist. de France XVI, 232, heißt es zwar, zwei Tag vor der Schlacht ſeyen 150000 Sc. aus Spanien im Lager angekommen: das muß aber eine falſche Nach - richt ſeyn: in dem Schlachtbericht des Pescara heißt es ausdruͤcklich: De ninguno canto nostra necessidad tenia rimedio; er habe ein - geſehen: que deshazer el exercito a lavio del enemigo era tan mal como perdillo con batalla. ſie urtheilten, es ſey eben ſo ſchlimm wenn man ſich im Angeſicht des Feinds auflöſe, wie wenn man eine Nie - derlage erleide. Gott gebe mir, ſagte Pescara, hundert Jahre Krieg und nicht Einen Schlachttag, aber heute iſt kein Ausweg. Er begab ſich in die Mitte ſeiner Spanier, und ſtellte ihnen vor, daß kein Fußbreit Landes ihnen an - gehöre, kein Stück Brot da ſey, um davon morgen zu le - ben, aber vor Euch, rief er, iſt das Lager, wo man Brot vollauf hat, und Fleiſch und Wein, und Karpfen vom Gardaſee. Wir müſſen es haben, wir müſſen den Feind herausjagen. Wir wollen den Tag des h. Matthäus be - rühmt machen. Schon hatte auch Georg Frundsberg auf ähnliche Weiſe ſeine Deutſchen angeredet. Mit erhobenen Händen hatten ſie ihm verſprochen, es mit dem prächtigen Feinde aufzunehmen ihre Brüder in Pavia zu erledigen.

Es war nicht eine jener glänzenden Feldſchlachten zu erwarten, in denen wohl ſonſt zwei Ritterſchaften um den Preis der Ehre ſchlugen: eine geldbedürftige, Mangel lei -310Viertes Buch. Erſtes Capitel.dende Söldnerſchaar, die ihren Dienſt nur noch auf eine beſtimmte Anzahl Tage zugeſagt, mußte unverzüglich an den Feind herangeführt werden, weil ſie ſich ſonſt aufge - löſt hätte. Sie wollte das reiche Lager des Feindes er - beuten, ihre Waffenbrüder entſetzen, das ſo oft eroberte Land endlich einmal ſichern. Daran gieng ſie auch unter den ungünſtigſten Umſtänden. Entweder, ſchreibt Pescara dem Kaiſer, mußte E. M. den erwünſchten Sieg er - langen, oder wir erfüllten mit unſerm Tode die Pflicht, Ihnen zu dienen.

Der Plan Pescaras gieng eigentlich auf einen nächt - lichen Überfall. Mitten in dem Park lag die Meierei Mi - rabella, wo der Markt des Lagers gehalten zu werden pflegte, und ein Theil der Reiterei aufgeſtellt war. Dort wollte er ſich, wo möglich, mit der Beſatzung von Pavia verei - nigen. Um Mitternacht fieng man an die Mauer des Par - kes einzureißen. Zweitauſend Deutſche, aus dem Frunds - bergiſchen wie dem Emſiſchen Regiment, tauſend Spanier, weiße Hemden über ihre Panzer, ſollten den Uberfall aus - führen. Allein die Mauer war feſter als man dachte: es wurde Tag, ehe eine hinreichende Lücke geriſſen war. Als jetzt an dem Morgen des 24ſten Februar jene Truppen eindrangen, waren die Franzoſen ſchon in voller Bewe - gung. 1Epitre du roi traitant de son partement de France et de sa prise devant Pavie, bei Lenglet und Goͤbel p. XXX. Au matin ils feirent leur entrée Et nous aussi estions ja en bataille. So viel war allerdings erreicht worden, daß ſie ihre feſte Stellung verließen und auf der Haide des Parks in das freie Feld kamen: allein das kaiſerliche Heer ſelbſt ge -311Schlacht bei Pavia.rieth dadurch in die größte Gefahr: das bei weitem über - legene franzöſiſche Geſchütz erreichte die Geſchwader der Landsknechte, indem ſie heranmarſchirten, und brachte ihnen nicht geringe Verluſte bei: auch die leichte Reiterei gerieth in Nachtheil: König Franz, der ſich hier ſelber in das erſte Handgemenge ſtürzte, und einen tapfern Ritter mit eigner Hand erlegte, war ſehr glücklich als er ein paar Fähnlein zerſprengt vor ſich her fliehen ſah: Heute, ſagte er zu einem ſeiner Begleiter, nenne ich mich Herr von Mai - land: er hielt inne, um die Pferde ein wenig verſchnau - fen zu laſſen. 1Lettera di Paulo Luzasco al Sr Marchese di Mantua, nach einer Erzaͤhlung des Koͤnigs ſelbſt, im Anhang.Seine Armee rückte in der beſten Ord - nung vor: unaufhörlich ſpielte ihr Geſchütz.

Allein in dieſem Augenblick ſollte die Schlacht erſt ei - gentlich beginnen. Pescara hatte jene dreitauſend, die nun nichts mehr ausrichten konnten, zumal da auch die Freunde aus Pavia nicht erſchienen, wieder an ſich gezogen: allmäh - lig kamen auch die beiden großen Schaaren Frundsbergs und Marx Sittichs von Ems heran: Frundsberg mit ſei - nen Gefährten, den Grafen von Ortenburg, Hag, Virne - burg, Herrn von Loſenſtein und Fleckenſtein, und ihm zur Seite Marx Sittich bildeten jetzt den linken Flügel:2Ergiebt ſich aus dem frundsbergiſchen Schlachtbericht, moy et ma bande tirasmes à la main senestre vers le dite Marchsith contre les dits françois; da findet ſich auch die Zahl der Haken - ſchuͤtzen. Man nimmt gewoͤhnlich 500 an: auch Taͤgius nennt ſo viel, doch moͤgen das blos die Spanier geweſen ſeyn. Daß auch die Landsknechte mit Buͤchſen bewaffnet waren, beweiſt unter andern der Vers des Liedes: Schießt Drein, ſchießt Drein ihr frumme Lands - knecht. (Bei Soltau p. 250.) denn zur Rechten hielt Pescara mit den Spaniern und312Viertes Buch. Erſtes Capitel.jenen zweitauſend Deutſchen. In deſſen Nähe hatte ſich auch die Reiterei wieder geordnet. Da ſie der franzö - ſiſchen augenſcheinlich nicht gewachſen war, ſo gaben ihr Pescara und Frundsberg 1500 Hakenſchützen zur Seite. Der Vicekönig, der noch immer geglaubt, man könne ſich dem Feinde gegenüber im Park verſchanzen, ſah jetzt wohl ein, daß das nicht mehr möglich war. Es iſt keine Hülfe, als bei Gott, ſagte er, ihr Herrn, macht es wie ich, bezeichnete ſich mit dem Kreuz und gab ſeinem Pferde die Sporen, zum Angriff.

So eröffnete ſich das Treffen zunächſt auf dem rechten Flügel: ein Theil der franzöſiſchen Hommes d’Armes, den König an ihrer Spitze, ſchlug hier mit der ſpaniſch-italieni - ſchen und der ſalmiſchen Reiterei: in dem Centrum, aber noch etwas weiter entfernt, rückten andre franzöſiſche Reiter un - ter Alençon mit 28 ſchweizeriſchen Fähnlein gegen Pescara und Guaſto mit ihren Spaniern und Deutſchen heran: ge - gen den linken Flügel der Kaiſerlichen, die beiden großen Landsknechthaufen, bewegten ſich, vortrefflich mit Geſchütz verſehen, die ſchwarzen Fähnlein, jene Deutſchen von Gel - dern und Lothringen, die unter dem König dienten.

Hier kam es zuerſt zur Entſcheidung. Die franzöſi - ſchen und die kaiſerlichen Deutſchen haßten einander am entſchiedenſten. Aus den Reihen der erſten trat ein Augs - burger, Haus Langenmantel hervor und forderte die beiden deutſchen Oberſten zum Zweikampf heraus. Aber er ward deſſen, da er den Franzoſen diente, gleichſam nicht mehr für würdig gehalten: auf der Stelle war er zu Boden ge - ſtreckt und getödtet: ein Knecht erhob die ihm abgehauene313Schlacht bei Pavia.Hand mit ihren goldnen Ringen wie ein Siegeszeichen. Hierauf ward man um ſo ernſtlicher handgemein. Marx Sit - tich von Ems warf ſich durch eine raſche Wendung den Schwarzen in die Flanke. 1Ein ſchoͤns neüwes Lied von der Schlacht newlich vor Pa - uia geſchehen, zwar nicht ſehr poetiſch, aber deſto richtiger, wie ſich aus ſeiner Uͤbereinſtimmung mit dem Berichte Frundsbergs ergiebt: Da das erſachen die Lanntzknecht, bey dem Frantzoſen, merkendt rechtt, zugendt vnns vnnder augen, Herr Joͤrgen Hauff gryffenn ſie an, vnnd thaͤtten in nitt fragenn. Da dz erſach herr Marxen hauff, an di - ſem orth gryffen ſie drauff gar tapfferlich durchtrungen.Sie wehrten ſich auf das ta - pferſte, ſie kamen faſt ſämmtlich um. Ihr Geſchütz gerieth den Kaiſerlichen in die Hände.

Unterdeſſen hatte ſich das Centrum genähert. Schon brachten die Hakenbüchſen eine furchtbare Wirkung auf die Hommes d’Armes hervor kein Harniſch war ſtark genug, um vor den Kugeln der Handrohre zu ſchützen, als Pescara mit ſeinen ſpaniſchen Veteranen die Schweizer angriff. 2Sein eigentlicher Schlachtbericht, uͤbereinſtimmend mit der Erzaͤhlung des Koͤnigs bei Luzasco. Wenn er ſagt, er habe Guaſto mit den Deutſchen gegen die Landsknechte des Koͤnigs geſchickt, ſo laͤßt ſich das nicht anders verſtehn, als daß auch Guaſto an jenem Anfall Sittichs Theil nahm. Denn daß dieſer ſelbſt und Frundsberg das Beſte dabei thaten, ſteht aus den deutſchen Nachrichten feſt.Es kam alles zuſammen: die Wuth dieſes Anfalles: die Wirkung des Handgeſchützes auf die Reiterei: der Anblick der Niederlage der ſchwarzen Fähnlein: und das Heran - dringen der ſiegreichen Geſchwader der kaiſerlichen Deut - ſchen: das ganze franzöſiſche Centrum gerieth in Unord - nung; von den Hommes d’Armes warf ſich zuerſt Alençon in die Flucht: die Schweizer wurden zum Theil mit fort - geriſſen, zum Theil durchbrochen: in dieſem Augenblick er -314Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſchien auch die Beſatzung von Pavia im Rücken der Wei - chenden: eine allgemeine Flucht erfolgte.

Noch immer tummelte der tapfere König, obwohl auch um ihn her die Hakenſchützen gewaltig wirkten, ſein Streitroß auf dem rechten Flügel, als er um ſich ſah, und ſeine Leute in voller Flucht erblickte. Mein Gott, was iſt das, rief er aus: er dachte wenigſtens die Schweizer zum Stehen zu bringen und eilte ihnen nach. Allein wie war das bei der nunmehr entſchiedenen Uberlegenheit des Feindes ſo ganz unmöglich. Auch er ward vielmehr in die rückgän - gige Bewegung fortgezogen. Er trug eine Stickerei an ſei - nem Ärmel, die ihm in guten Tagen in Frankreich, die Dame die er liebte, gegeben, der er dagegen gelobt hatte, unter keinen Umſtänden vor dem Feind zurückzuweichen. 1L’heureux present, par lequel te promys point ne fuir devant mes ennemys. Epitre du roi. Ritterlich geſinnt, wie er war, wich er wenigſtens ſo lang - ſam wie möglich, nicht ohne ſich unaufhörlich noch zur Wehr zu ſetzen: da erreichten ihn die nacheilenden Deut - ſchen. Nicolaus von Salm erſtach ihm das Pferd unter dem Leibe: der König ſtürzte und mußte ſich ergeben. In dieſem Moment kam der Vicekönig herbei, der ihn erkannte, ihm ehrfurchtsvoll die Hand reichte, und ihn als Gefan - genen annahm.

Binnen anderthalb Stunden war das prächtigſte Heer das man ſehen konnte vernichtet; man rechnet 10,000 die geblieben oder auf der Flucht im Teſſin ertrunken wa - ren: viele Schweizer darunter, deren alter Ruhm von den burgundiſchen Kriegen her nunmehr zu Grunde gieng: die315Naͤchſte Folgen des Sieges.Anführer der Franzoſen, mit wenigen Ausnahmen, waren getödtet oder gefangen: vor allem den mächtigen König ſel - ber hatte man in ſeiner Gewalt: nie war ein Sieg voll - ſtändiger. 1Ich habe bei dieſer Schlachtbeſchreibung mich nicht an die fruͤhern Hiſtoriker, wie Capella, Guicciardini, Jovius, Bellay, hal - ten zu duͤrfen geglaubt, auch bei Reisner alles vermieden was er aus Jovius genommen; da wir jetzt authentiſchere Kunde aus den Be - richten der Befehlshaber ſelbſt ſchoͤpfen koͤnnen: 1) Frundsbergs, bei Bucholtz, wohl identiſch mit einem alten deutſchen Druck: Wahrli - cher Bericht ꝛc., den ich jedoch nicht ſah; 2) Pescaras, im Anhang. 3) Franz des Erſten in dem Briefe Luzascos im Anhang, und in der Epitre. Außerdem exiſtirt noch eine ausfuͤhrliche ſpaniſche Re - lation die bei Sandoval benutzt iſt und einige bezeichnende Zuͤge hat; Das angefuͤhrte Lied, das ich im Anhang mittheilen werde, iſt nur ein Bulletin in Verſen, und deshalb ebenfalls glaubwuͤrdig.

Die Sieger befriedigten ihre nächſten Bedürfniſſe in dem Lager an der Beute. Jetzt waren ſie endlich in dem Staate von Mailand die Herrn und Meiſter, und brauch - ten keinen neuen Anfall zu fürchten. Die italieniſchen Mächte, die ſo lange die Dinge ſchwankend ſtanden, eine ſehr zweifelhafte Stellung angenommen hatten, erinnerten ſich wieder an ihre alten Verſprechungen, und bequemten ſich die rückſtändigen Subſidien zu zahlen, ſo daß dem Heere ſein wohlverdienter Sold allmählig abgetragen wer - den konnte.

Aller Augen aber, alle Befürchtungen der Einen, alle Hofnungen der Andern wandten ſich nun auf den jungen Kaiſer, für den dieſe Siege erfochten worden, während er ſich in tiefem Frieden in Caſtilien von dem Quartanfieber, das ihn geplagt, allmählig wiederherſtellte.

Carl V ſtand in einem Zimmer des Schloſſes von316Viertes Buch. Erſtes Capitel.Madrid und ſprach mit ſeiner Umgebung von dem Gang der Dinge in Italien, von der Lage ſeines Heeres, die er noch für ſehr gefährlich hielt, als ein Courier von dieſem Heere ankam. Ohne etwas von ſeinem Auftrag zu ſagen trat er ein: dem Kaiſer zuerſt wollte er die Nachricht ver - kündigen. Sire, hub er an, bei Pavia iſt es zur Schlacht gekommen: Ew. Majeſtät Truppen, fuhr er fort, haben den Sieg davon getragen: die franzöſiſche Armee iſt vernichtet: der König ſelbſt iſt gefangen und be - findet ſich in der Gewalt Ew. Majeſtät. Ein entſchei - dendes nicht gehofftes Glück muß wohl im erſten Moment eine ähnliche Wirkung hervorbringen wie ein plötzlicher Un - fall. Indem Carl dieſe Worte vernahm, ſchien das Blut in ſeinen Adern zu erſtarren und ein paar Augenblicke ſagte er kein Wort. Dann wiederholte er nur: der König von Frankreich iſt gefangen und in meiner Gewalt: die Schlacht iſt für mich gewonnen! Hierauf entfernte er ſich in das Nebenzimmer, wo ſein Bett ſtand: vor einem Marienbilde kniete er nieder, um ſeine Gedanken zu Gott und zu der Größe ſeines Berufes zu erheben. Er ließ Proceſſionen veranſtalten, und Gott bitten, ihm dereinſt noch andre, höhere Gnaden zu verleihen, im Kampfe gegen die Ungläu - bigen. Er ſprach von einer Unternehmung gegen Conſtan - tinopel und Jeruſalem. 1Schreiben des mantuaniſchen Geſandten Suardin an den Markgrafen von Mantua 15 Maͤrz 1525 bei Sanuto Bd 38.

Gedanken dieſer Art lagen jedoch in weiter Ferne. Zunächſt kam es auf eine Benutzung des gegenwärtigen Momentes an.

317Antraͤge von England.

Und da war nun die erſte Idee die ſich darbot, den großen Sieg zu benutzen, um die Unternehmung auf Frank - reich die man ſo oft verſucht unter günſtigern Umſtänden als jemals ins Werk zu ſetzen.

Dazu bereitete ſich der Herzog von Bourbon unver - züglich: der König von England drang darauf.

Höchſt merkwürdig, und von der weiteſten Ausſicht iſt die Inſtruction, mit der Heinrich VIII eine Geſandt - ſchaft verſah, die er in Folge der Schlacht von Pavia an den Kaiſer abordnete. Er mißbilligt darin, daß man den König von Frankreich unter irgend einer Bedingung wie - derherſtelle es werde doch keine geben, die er halte: er fordert, daß derſelbe der franzöſiſchen Krone geradezu beraubt werde. Und frage man dann, wem dieſelbe zu übertragen, ſo könne man nicht etwa von Bourbon reden, der kein Recht dazu habe, und dem Kaiſer keine Sicher - heit gewähre: dagegen ihm dem König von England ſtehe das beſte unleugbarſte Recht zu, das der Kaiſer auch ſchon anerkannt habe. Im nächſten Sommer möge nun Carl in Perſon Frankreich von Spanien her angreifen, wie er von England aus zu thun gedenke: er werde ihn mit reichen Subſidien unterſtützen: großer Widerſtand ſey in gegenwär - tigem Augenblick nicht zu befürchten: er denke mit Sr. Kai - ſerlichen Majeſtät in Paris zuſammen zu treffen. Sey er daſelbſt gekrönt, ſo werde er dann den Kaiſer zu ſeiner Krönung nach Rom begleiten: alles was von den Fran - zoſen dem Hauſe Burgund oder dem Reiche entzogen wor - den, ſolle an ihn zurückfallen: ja zuletzt Frankreich und England ſelbſt, wenn er ſich nach den Tractaten mit der318Viertes Buch. Erſtes Capitel.jungen Maria vermähle. So viele Schwierigkeiten er dabei macht, ſo zeigt er ſich doch endlich bereit, ſeine Tochter dem Kaiſer ſchon im Voraus, bis ſie erwachſen ſeyn werde, zu übergeben. 1Die Inſtruction an Tunſtall und Wingfield ausfuͤhrlich ex - cerpirt bei Fiddes: Life of Wolsey 346 352. Herbert p. 168 hat davon nur ſehr ungenuͤgende Notiz. Robertſon (B. IV), der nur Herbert, nicht Fiddes kannte, haͤlt ſie daher nur fuͤr eine Art von Vorwand. Aber man braucht nur das Schreiben Wolſeys an den Koͤnig vom 12 Februar 1525, State papers p. 158, worin er ſchon auf den Sieg rechnet, zu leſen, um ſich zu uͤberzeugen, daß man ſich von demſelben Ehre und Vortheil verſprach: The matiers suc - ceding to the avauntage of the Imperiallis the thanke laude and praise shal comme unto Your Grace. Aber eben ſo wenig kann man auch Fiddes beiſtimmen, welcher leugnen moͤchte, daß doch ſchon ein Verhaͤltniß zu Frankreich angeknuͤpft geweſen ſey. Der nemliche Brief ſetzt das ins Licht. Auch fuͤr den Sieg von Frankreich meint Wol - ſey habe man ſich vorgeſehen by such communications as be set furth with France aparte.

Von Zeit zu Zeit tauchen in unſerm Europa Pläne dieſer Art auf, entweder einer univerſalen Herrſchaft ei - nes Einzigen, oder einer Theilung zwiſchen zwei vorwal - tenden Mächten: welche der Phantaſie die Möglichkeit ei - ner allgemeinen Umkehr zeigen, aber doch immer an der Kraft des Beſtehenden ſcheitern.

So jung der Kaiſer auch war, ſo war er doch viel zu geſetzt, um ſich von ſo verwegenen Vorſchlägen fortrei - ßen zu laſſen. Auch hatte ihm England mit nichten einen Beiſtand geleiſtet, der es zu einem ſolchen Antheil an den Früchten des Sieges berechtigt hätte. Man kannte in Spa - nien ſehr gut die Verhandlungen welche der Cardinal mit Frankreich gepflogen.

Kanzler Gattinara rieth dem Kaiſer zu antworten, es319Entwuͤrfe des kaiſerlichen Hofes.zieme ſich nicht einen Feind zu bekriegen, der ſich nicht vertheidigen könne, auch geſtatte das Bedürfniß des Frie - dens kein ſolches Unternehmen: er meinte, wolle der König von England ſein Glück verſuchen, ſo werde man ihn am beſten dadurch hindern, daß man ihm keinerlei Unterſtützung zukommen laſſe. Eine Vereinigung von Frankreich und Eng - land fand er höchſt gefährlich. Dagegen war ſeine Idee, die Krone von Frankreich zwar aufrecht zu erhalten, aber zu - gleich das Übergewicht von Öſtreich auf immer zu fixiren. Ein Entwurf von ihm, den wir aus den öſtreichiſchen Ar - chiven kennen,1Bei Bucholtz II, 280. geht geradezu auf das entſcheidende Ziel los. Der König ſollte auf ſeine italieniſchen Anſprüche, die mailändiſchen wie die neapolitaniſchen, Verzicht leiſten: er ſollte ferner Burgund dem Hauſe zurückgeben dem es gehöre: endlich, er ſollte die Rechte des Kaiſerthums auf das ſüdliche Frankreich anerkennen. Auf die Provence machte man directe Anſprüche, als eine dem Reiche zugehörige Sache: der Kaiſer wollte es dem Herzog von Bour - bon verleihen. Auch Dauphinē glaubte man zurückfordern zu können, weil die Erneuerung der Lehenspflicht ſo lange verſäumt worden ſey: doch war man geneigt, es dem Thron - folger von Frankreich zu laſſen, vorausgeſetzt, daß er ſich mit einer Prinzeſſin des Hauſes Öſtreich vermähle. Wenn Franz I dieſe Bedingungen annahm, ſo war er allerdings dergeſtalt heruntergebracht, daß er nie mehr ſchaden konnte, Das Übergewicht des Kaiſers war dann auf immer feſt - geſtellt. Er hätte keinen ihm gewachſenen Nebenbuhler mehr gehabt. Es gieng ein Gefühl durch Europa, als320Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſey der Kaiſer der vom Schickſal beſtimmte Herrſcher. Eine neapolitaniſche Beſchreibung der Schlacht ſchließt mit den Worten: ſeinen Füßen haſt du die Welt unterworfen. Jetzt, ſagte Wolſey einem Geſandten Carls, wird Euer Herr Kaiſer ſeyn, nicht mehr dem Titel, ſondern der That nach. Die Rathſchlüſſe Gottes, ruft ein päpſtlicher Miniſter aus, ſind ein tiefer Abgrund.

Nicht einem Jeden aber war eine ſolche Ausſicht will - kommen. Es hat noch Niemand in Europa eine Stellung dieſer Art eingenommen, ohne daß ſich alles was ſich ſelb - ſtändig fühlte, dagegen geregt hätte. Es verſteht ſich, daß der König von England ſich durch die abſchlägliche Ant - wort gekränkt fühlte und ſich von Moment zu Moment mehr von dem Kaiſer entfernte. Aber noch in einem an - dern Verbündeten des Kaiſers, dem römiſchen Papſt, wachte der Widerſtand auf. Jener Ausdruck eines päpſtlichen Miniſters zeigt wahrhaftig mehr den Schrecken eines Be - drohten, als die Theilnahme eines Bundesgenoſſen. Schon ſeit einiger Zeit waren Mißverſtändniſſe von ſehr bedenkli - chem Character zwiſchen Papſt und Kaiſer eingetreten. Sie beruhten im Grunde auf einer Territorialfrage, bildeten aber ſehr bald eins der wichtigſten Momente der allgemeinen Weltangelegenheiten.

Mißverſtändniſſe zwiſchen Papſt und Kaiſer.

Als Leo X ſein Bündniß mit dem Kaiſer ſchloß, war es wie wir ſahen ſeine Abſicht, dadurch zu alle den Land - ſchaften zu gelangen, welche der römiſche Stuhl noch inAn -321Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer.Anſpruch nahm, beſonders zu Ferrara: der Kaiſer verſprach ihm dazu ſeine Unterſtützung.

Als Leo ſo plötzlich ſtarb, ließ der Herzog von Fer - rara eine Münze ſchlagen mit der Umſchrift: das Lamm aus dem Rachen des Löwen errettet.

Er war aber nicht allein errettet, er bekam während der Sedisvacanz auch Gelegenheit, Reggio und Rubiera einzunehmen. Auf Adrian VI verſchaffte er ſich ſo viel Einfluß, daß dieſer ihm deſſenungeachtet die Lehen erneuerte.

Von ganz andrer Geſinnung war jedoch der Nachfol - ger Adrians, Clemens VII; ſo wie die Franzoſen 1524 aus Italien verjagt waren, forderte er die Kaiſerlichen auf, ihm auch wider den Herzog Beiſtand zu leiſten, und den - ſelben zunächſt aus Reggio zu vertreiben.

Dazu hielten ſich jedoch Dieſe nicht mehr verpflichtet. All ihr Sinnen gieng damals auf jenen Einfall in Frank - reich und ſie wollten keine Unruhen in ihrem Rücken ver - anlaſſen. Der Vicekönig antwortete: wenn der Papſt den Kaiſer liebe, ſo ſolle er dem Herzog, um ihn ganz zufrie - den zu ſtellen, eher auch noch Modena zurückgeben. 1Giberti agli oratori in Spagna 22 Ott. 1524. Als der Herzog nach kurzer Naͤherung wieder zuruͤcktrat, ſchrieb man das le - diglich den Kaiſerlichen zu, che tal mutatione del duca e deter - minatione di non rendere è processa del vicere. Sanga 21 Nov. Lettere di principi 21 Nov.

Eine Anmuthung, die den Papſt tief beleidigte. Wenn er auch zuletzt nicht eben viel geleiſtet hatte, ſo lebte ihm doch in friſcher Erinnerung, welchen Antheil er vor drei Jahren an der Eroberung von Mailand perſönlich gehabt. Sollte das nun blos zum Vortheil des Kaiſerthums aus -Ranke d. Geſch. II. 21322Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſchlagen? das Papſtthum nicht nur nicht zu der erwünſch - ten Gebietserweiterung gelangen, ſondern ſogar früher beſeſ - ſene Städte aufgeben?

So lange die kaiſerlichen Waffen in der Provence glücklich waren, hielt Clemens an ſich: kaum konnte er aber die Nachricht von dem Rückzug Bourbons von Mar - ſeille erhalten haben, ſo ſchickte er einen Geſandten, den uns wohl bekannten Hieronymus Aleander, an den König von Frankreich:1Bei Molini I, 177 findet ſich ſein Beglaubigungsſchreiben, vom 14ten Oct. 1524: magnis de rebus christianaeque reipubli - cae hoc tempore non solum salutaribus sed etiam necessariis. und ſo wie dann dieſer den italieniſchen Boden betrat, ſo eilte ihm der vertrauteſte Miniſter des Papſtes, Giberti, der immer für franzöſiſch geſinnt gegol - ten, entgegen, um mit ihm, wie ſein Beglaubigungsſchrei - ben ſagt, über Dinge und Pläne zu unterhandeln, welche ſowohl des Papſtes als des Königs Ehre und Nutzen be - treffen. 2Fuͤr Montmorency vom 30 October. Ibid. p. 178. mit - tentes Gibertum ad regem pro rebus ac consiliis utriusque no - strum honorem et commodum spectantibus. Der Gang und das Reſultat ihrer Unterhand - lungen iſt nicht genau bekannt geworden: ſo viel aber wiſ - ſen wir, daß es zu einem Tractat kam, in welchem die Vorausſetzung vorwaltet, daß der König Mailand behalte. Für dieſen Fall verſpricht der König, weder Parma noch Piacenza zurückzufordern, das Salz für Mailand aus den päpſtlichen Salinen zu ziehen, ein für die apoſtoliſche Kam - mer ſehr einträgliches Vorrecht, und den Papſt gegen ſeine rebelliſchen Vaſallen, ohne Zweifel Ferrara, zu unter - ſtützen. 3Die Artikel dieſes Tractats ſind nie authentiſch publicirt:Als Giberti zurückgekommen, bemerkte man, daß323Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer.er nie zum Papſt gieng, ohne die unterſcheidende Kopfbe - deckung der Franzoſen: die Pagen im Pallaſt trugen ſich franzöſiſch: man geſtattete in Rom Werbungen für Frank - reich zu Gunſten jenes Herzogs von Albanien, der einen Zug nach Neapel unternommen: die Deutſchen am Hofe waren überzeugt, der Papſt habe dem König auch Neapel und Sicilien verliehen. 1Ziegler Historia Clementis VII bei Schelhorn Amoenitates II, p. 372. Ziegler war damals am Hofe zugegen.

Das iſt nun wohl ein Irrthum: an der Herrſchaft der Franzoſen in Neapel konnte dem Papſt nichts gelegen ſeyn: ſeine Abſicht war ohne Zweifel nur, eine Diverſion zu begünſtigen, von der ſich die Herſtellung des Gleichgewichts in Italien erwarten ließ;2Fr. Vettori ſagt, der Vertrag den Alb. Carpi vermittelt ſey nur auf Durchzug gegangen: solo a questo che il Papa la (gente) lasciasse passare, pagando quello aveva bisogno: et il Papa sti - certo, che chome questa gente del re si metteva in camino, che gli imperiali si dovessino ritirare verso Napoli, onde segui - rebbe che Francesco diventerebbe Signore di Milano e cia - scuno di loro arebbe cura che l’altro non diventassi maggiore in Italia. allein ſchon dieſe Abſicht, ſein ganzes Betragen, ſeine unleugbare Abtrünnigkeit im Mo - mente der Gefahr, erweckte die Feindſeligkeit der kaiſerlichen Feldhauptleute. Mit Verachtung wieſen ſie ſeine Vermit - telungsvorſchläge von ſich: wer nicht mit mir iſt ſchrieb ihm der Vicekönig, der iſt wider mich. Einen päpſtli - chen Agenten jagte Frundsberg mit dem Schwerte von ſich, und die Beſorgniß vor den Wirkungen der päpſtlichen Um -3doch gab der Papſt dem Erzherzog Ferdinand Notiz davon: in die - ſer Form hat ſie Spalatin aufbehalten: Annales bei Mencken Scriptt. II, 641.21*324Viertes Buch. Erſtes Capitel.triebe beſchleunigte die Schlacht; dem Papſt allein gaben ſie Schuld,1Contarini: Relatione di Spagna 1525. Al Papa davano principalmente la colpa, che V. Celsitudine fosse andata cosi ri - tenuta con S. Mà. daß ſich auch die Venezianer ſo ſäumig ge - zeigt hatten, ihre Verpflichtungen zu erfüllen.

Daher machte die Nachricht von der Niederlage des Königs in Rom einen ſo peinvollen Eindruck. Frundsberg hat wirklich gerathen, dem Papſt auf der Stelle zu Leibe zu gehn. Man fieng im Kirchenſtaat Briefe auch von den übrigen Generalen auf, die mit Drohungen erfüllt waren, und unverzüglich beſetzten kaiſerliche Mannſchaften das Ge - biet von Piacenza. Clemens VII verhehlt es nicht, daß er ſich nur durch dieſen Zwang bewogen geſehen, den Kai - ſerlichen 100000 Duc. zu zahlen und einen neuen Bund mit ihnen abzuſchließen. 2Instruttione al cl Farnese. Fuͤrſten und Voͤlker IV, Anh. 27.

Unglücklicherweiſe iſt auch dieſer Vertrag nicht authen - tiſch bekannt geworden, aber aus den Staatsſchriften die man ſpäter wechſelte ergiebt ſich, daß der Papſt in einigen beſondern Artikeln dieſelben Bedingungen aufſtellte, welche ihm der König gewährt hatte: er forderte den Salzverkauf im Mailändiſchen, die Anerkennung ſeiner Rechte auf Reggio, ſo wie Beihülfe zu deren Ausführung. Er zweifelte nicht, daß ihm der Kaiſer das gewähren werde.

Schon war jedoch das Eine nicht mehr möglich. Erz - herzog Ferdinand, der ſich bei dem letzten Unternehmen ſo viele Verdienſte erworben, hatte den günſtigen Augenblick be - nutzt, mit Franz Sforza einen Vertrag zu ſchließen, kraft deſſen das Salz für Mailand aus Öſtreich genommen wer -325Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer.den ſollte. 1Rescriptum ad criminationes. Es war der erſte feſte Vortheil den Öſtreich aus der Lambardei zog.

Auch zu dem Andern aber wollte ſich der Kaiſer nicht verſtehen. Er hatte keine Neigung den Herzog von Fer - rara mit Gewalt anzugreifen. Überdieß kamen hiebei die Lehnrechte des Reiches mit denen des römiſchen Stuhles in Competenz. Der Kaiſer wollte jene ſchlechterdings nicht aufgeben. Er nahm den Bund übrigens an, aber dieſe abgeſonderten Artikel weigerte er ſich zu ratificiren.

Da nun unſer Herr ſah, heißt es in einer ſpätern päpſtlichen Inſtruction, daß er betrogen war, daß ſein Verhältniß zu dem Kaiſer wider Erwarten immer ſchlim - mer wurde, ſo gab er der alten Behauptung Gehör, die Abſicht des Kaiſers ſey Italien ganz und gar zu unter - jochen: er beſchloß, ſich mit Denen zu verbinden, welche eine gemeinſchaftliche Sache mit ihm hatten, um ſich vor der Gewalt ſicher zu ſtellen die ihm drohte. 2Die angefuͤhrte Inſtruction p. 27.

Wir ſehen: die eigentliche Streitfrage liegt in den ober - italieniſchen Verhältniſſen. Der Papſt machte Anſprüche auf Finanzerträge in Mailand und eine Erweiterung ſei - ner Macht gegen Ferrara, welche der Kaiſer nicht zuge - ben wollte.

Bemerken wir zugleich das Verfahren Carls V. Durch ſeine Verträge von 1521 wäre er wohl zu einer Unterneh - mung wie gegen Frankreich ſo gegen Ferrara verpflichtet geweſen. Seine Verbündeten glaubten auch ihrerſeits An - ſpruch an die Vortheile des Sieges machen zu können. 326Viertes Buch. Erſtes Capitel.Allein ihre Theilnahme war geringfügig, ihre Haltung in den letzten Momenten ſelbſt zweideutig geweſen: der Kaiſer glaubte hiedurch aller jener Verpflichtungen überhoben zu ſeyn. Seinen Waffen allein war der Sieg zu Theil geworden: er wollte auch allein den Vortheil haben: was hätte ihn bewegen können, ſich neuen Gefahren auszuſetzen, um Ver - bündete ſo zweifelhafter Art groß zu machen?

Das Verhältniß des Papſtes war im Grunde nicht an - ders, wie das von England; es bezeichnet den Geiſt dieſer Zeiten, daß der Papſt es war, der zuerſt den Muth hatte ſich der emporkommenden Weltmacht entgegenzuſtellen. Er beſorgte, das Kaiſerthum möchte dem römiſchen Stuhle wie - der zu mächtig werden: die Ideen der Wiederherſtellung der italieniſchen Unabhängigkeit regten ſich in ihm, wie in Julius II. Hatten die Päpſte doch bisher immer den Im - puls zu den großen politiſchen Veränderungen gegeben, und ihre Abſichten in der Regel durchgeführt. Clemens VII wagte es, ſich als den Mittelpunct des Widerſtandes gegen Carl V aufzuſtellen.

Da mußte ihm nun vor allem andern daran liegen, eine Ausſöhnung zwiſchen England und Frankreich zu Stande zu bringen. Schon am 8ten März brachte Lodovico Canoſſa einverſtanden mit Giberti1Vgl. ein ſpaͤteres Schreiben Gibertis Lett. di pr. I, 171. die Sache in Frankreich in An - regung. Am 16ten März forderte dieſer ſelbſt die päpſtli - chen Nuntien in England auf, allen ihren Einfluß bei Hein - rich VIII und Wolſey aufzubieten, um ein gütliches Ab - kommen mit Frankreich zu vermitteln. 2Lettere di principi 157. Im April kannte327Entwuͤrfe der Italiener.man die Unterhandlungen ſchon in den Niederlanden. Sie konnten wenig Schwierigkeiten haben, zumal da der Kai - ſer ſich von der Verpflichtung ſich mit der Tochter des Königs zu vermählen immer augenſcheinlicher zurückzog, Franz I dagegen auf kein Abkommen ohne den guten Rath des Königs von England eingehn zu wollen erklärte. 1Auftraͤge an Tonſtall und Wyngfield bei Herbert 168.Bereits am 14ten Juni zeigte ſich Wolſey, wie Giberti ſagt, nicht ſowohl geneigt zu einer Verſöhnung mit Frank - reich, als von Verlangen danach entzündet. 2In Wolſeys eignem Schreiben an ſeinen Koͤnig (St. P. nr. 88) werden die Forderungen des Kaiſers in Bezug ſowohl auf Frank - reich als auf Mailand fuͤr ſehr ungemaͤßigt erklaͤrt: ſeine Antraͤge an England fuͤr lytel or nothing to your commodite proufit or benefit. Die Nun - tien verſicherten am 30ſten Juni daß alle Zweifel geho - ben ſeyen.

Ein zweiter Moment war, daß man in Italien wie - der eine reſpectable Stellung annahm. Zu dem Ende ſuchte der Papſt das alte Bündniß mit der Schweiz zu erneuern, um ſobald es nöthig ſey, auf den erſten Wink 8 bis 10000 M. kommen laſſen zu können. Schon hatte er Einver - ſtändniß mit dem Herzog von Mailand und den Venezia - nern. Die feſten Plätze welche jener beſaß, das ſtattliche Heer welches dieſe im Stand hielten, von 1000 Lanzen, 500 l. Reitern, 16000 M. z. F. gaben eine treffliche Grundlage für die Entwürfe mit denen man umgieng. 3Paruta: Storia Venetiana V, 243.Man bedurfte und wünſchte eine Verbindung mit Frank - reich: aber die erſte Bedingung des Vertrages ſollte ſeyn,328Viertes Buch. Erſtes Capitel.daß dieſe Macht auf alle ihre italieniſchen Anſprüche Ver - zicht leiſte, auf die mailändiſchen zu Gunſten Sforzas, auf die neapolitaniſchen zu Gunſten des Papſtes. Dann werde auch Italien, denn dieſer Name erſcheint jetzt wieder, ein ſtattliches Kriegsheer zur Befreiung Franz I ins Feld ſtellen.

Wirklich erhob man ſich in der Umgebung des Pap - ſtes zu der Hofnung, die Franzoſen auf immer entfernt halten, die Spanier wieder verjagen, Italien in einen Zu - ſtand wiederherſtellen zu können, wie er vor dem Jahr 1494 geweſen war. Das Gefühl der Nationalität, das ſich ſchon öfter geregt, und vorzüglich in der literariſch - künſtleriſchen Cultur, deren man ſich bewußt war, ſeine Nahrung fand, bemächtigte ſich der Gemüther. Der Papſt war ſehr geneigt, ſich an die Spitze des Unternehmens zu ſtellen.

Und in dem zeigte ſich ſchon eine Ausſicht, auf das raſcheſte zum Ziele zu kommen.

Gleich nach der Schlacht von Pavia waren Mißver - ſtändniſſe zwiſchen den kaiſerlichen Heerführern ausgebro - chen: Lannoy, der am Tage ſelbſt das Wenigſte geleiſtet, empfieng die meiſten Beweiſe perſönlicher Gnade, und nahm ſich endlich heraus, den gefangenen König, einem Beſchluß der übrigen gradezu entgegen,1Schreiben Bourbons 10 Juni, in Raumers Briefen I, p. 244. Uͤbrigens wird in der Refut. apologiae officiell verſichert, die Uͤberfahrt ſey vorgenommen worden auf des Koͤnigs eignen Vorſchlag, inscio atque inconsulto Caesare. auf eigne Hand nach Spa - nien zu führen. Hierüber war Jedermann mißvergnügt. Pescara, der ſein Verdienſt überhaupt nicht wie er wünſchte anerkannt ſah, bat um ſeinen Abſchied, um wie er ſagte329Unterhandlung mit Pescara.in irgend einem Winkel der Erde, fern von Verdacht und von Krieg ſein Leben zu beſchließen. 1Sepulveda Hist. VI, 1. Nach Jovius haͤtte er Carpi oder Sora zu erhalten gewuͤnſcht, waͤre aber mit leeren Worten hinge - halten worden. Nach Sandoval I, 671 machte man ihm das Recht ſtreitig, ſich von dem Koͤnig von Navarra, den er in ſeine Gewalt gebracht hatte, Loͤſegeld zahlen zu laſſen.

Auch den Italienern ward dieß bekannt, und es lag in der That nicht ferne, darauf einen Entwurf zu grün - den. Hatte nicht vor Kurzem der erſte Ritter und Feld - herr von Frankreich das Beiſpiel des Abfalls gegeben? War es ſo unmöglich, Pescara zu einem ähnlichen Schritte zu vermögen? Er war doch auch in Italien geboren und in nächſtem Sinn ein Italiener.

Welch einen unberechenbaren Erfolg aber mußte es haben, dieſen Mann zu gewinnen! Er war der krieggeüb - teſte, fähigſte Feldhauptmann des Kaiſers: in allen Feld - zügen hatte er bisher das Beſte gethan: mit dem ſpaniſchen Fußvolk machte er was er wollte. Mit dem General hätte man den beſten Theil der Armee herübergezogen: der Reſt wäre dann leicht zu vernichten geweſen.

Und einen herrlichen Preis hatte man ihm anzubieten. Man wollte die Spanier aus Neapel und Sicilien vertrei - ben: unmöglich konnte es der Papſt ſelbſt verwalten, ver - theidigen! Man faßte die Idee, den Abfall Pescaras mit dieſer Krone zu belohnen. Seine That ſelbſt hätte ihn auf das engſte an die italieniſchen Mächte geknüpft. Mit Ei - nem Schlag wäre die Einheit und Freiheit Italiens er - fochten geweſen.

Hieronymus Morone, der vertraute Miniſter des330Viertes Buch. Erſtes Capitel.Sforza, der die Wiederherſtellung ſeines Herrn mit ſo viel Verſtand vorbereitet und mit ſo großer Thätigkeit beför - dert hatte, der auch jetzt die Fäden der Umtriebe in ſei - ner Hand vereinigte, faßte ſich eines Tages das Herz, dem Marcheſe die Eröffnung zu machen. Er ließ ſich im Vor - aus ſein Ehrenwort geben, ewig geheim halten zu wol - len was er ihm ſagen werde. Nachdem er dann die po - litiſche Lage von Europa erörtert, kam er auf die Mög - lichkeit, die ſich den Italienern, zu denen auch Pescara ge - höre, darbiete, ſich von dem fremden Joch zu befreien: er ſprach ihm von dem Zutraun das man zu ihm gefaßt, der That die man von ihm erwarte: er nannte ihm endlich den Preis den man ihm dafür zudenke. 1Wie weit man gieng, ergiebt ſich aus der oft erwaͤhnten Antwort des Kaiſers: Cum audivisset marchio nuncium ad id per vestram sanctitatem transmissum, eidem sui parte, ut ait, offerentem sub cujusdam apostolici brevis credentia regni nostri Neapolitani investituram et possessionem ut inde Sancti - tas Vestra nos etiam ab omni imperiali dignitate deponeret. (Goldaſt Pol. Imp. 997.)

Gar mancherlei widerſprechende Bewegungen mag die - ſer Antrag in Pescara angeregt haben. Die Ausſicht die ſich ihm darbot war glänzend, unermeßlich, er empfand doch wirklich Mißvergnügen über den Hof; dagegen ent - rüſtete ihn die Treuloſigkeit der Italiener, ſein altſpaniſches Blut wallte ihm auf; zugleich leuchtete ihm die Nothwen - digkeit ein, er fühlte den Trieb, der Sache auf den Grund zu kommen. Der verſchlagene Kriegsmann, der ſo manchen Feind im rechten Moment überraſcht und ſich nie in ſeinem Leben blosgegeben, nahm ſich auch dieß Mal zuſammen. Es iſt etwas Großes, entgegnete er Morone’n, was ihr mir da331Unterhandlung mit Pescara.ſagt: nicht minder groß iſt, daß ihr es mir ſagt. Er gab zu, daß er Urſache zum Mißvergnügen habe: aber keine Unzufriedenheit der Welt, fuhr er fort, könnte mich ver - mögen, wider die Geſetze der Ehre zu handeln. Sollte ich mich vom Kaiſer losſagen, ſo müßte es auf eine ſolche Weiſe geſchehen, daß der beſte Ritter ſich nicht beſſer zu betragen vermöchte. Ich thäte es nur, um dem Kaiſer zu beweiſen, daß an mir mehr gelegen iſt als an gewiſſen Leuten die er mir vorzieht. 1Eigne Erzaͤhlung Pescaras in einem Schreiben vom 30ſten Juli 1525 in Hormayrs Archiv Jahrg. 1810 p. 29, 30.Ausdrücke in denen Mo - rone eine nur wenig verhüllte, gar nicht zu bezwei - felnde Hinneigung zu erkennen glaubte. Zuſammentreffend mit den günſtigen Nachrichten von Frankreich und Eng - land beflügelte dieſe Meinung alle Entwürfe. Ich ſehe die Welt ſich umwandeln, ruft Giberti aus, Italien wird aus dem tiefſten Elend zum höchſten Glück aufſteigen. 2Lettera a Ghinucci. Lettere di principi I, 170. Wie konnte doch Giovio (Vita Piscar. p. 408) behaupten, Giberti habe den Papſt gegen dieſe Dinge gewarnt.Man ließ Schriften ausarbeiten, um die Scrupel Pesca - ras vollends zu heben: Couriere brachen auf, um den ver - bündeten Höfen Mittheilungen zu machen. Man wollte un - verzüglich an das Werk gehn.

War aber die Sache wohl auch wirklich dazu ange - than, um zum Ziele zu führen?

Die Unabhängigkeit einer Nation iſt ein ſo großes Gut, daß ſie, wenn ſie jemals verloren worden, nur durch eine allgemeine Anſtrengung aller Kräfte des innern und des äußern Lebens wieder errungen werden kann. Hier332Viertes Buch. Erſtes Capitel.war ein Bedürfniß dafür nur erſt in den literariſchen Krei - ſen erwacht: die Maſſe der Nation war davon noch nicht ergriffen: ein militäriſches Selbſtgefühl welches beleidigt ge - weſen wäre, hatte ſie nicht: vom verletzten Rechte war eben ſo wenig die Rede: das Recht des Kaiſers war ur - alt und unbeſtreitbar. Daher zählten auch die Führer nicht auf die eigentliche Nation. Sie dachten ſich vor allem der günſtigen Lage der Umſtände, fremder Kräfte, des unerwarteten Abfalls zn bedienen: eine glückliche Combina - tion der Politik ſollte alles ausrichten.

Gar bald aber zeigte ſich dieß zweifelhaft.

Von den Franzoſen bemerkte Giberti ſchon im Sep - tember 1525,1Al Vescovo di Bajusa 4 Stt. Ibid. ihre Abſicht ſey wohl nur, ſich der Verbin - dung mit Italien zu bedienen, um eine günſtige Abkunft mit dem Kaiſer zu treffen.

Indem man ferner auf den Abfall des kaiſerlichen Heerführers zählte, vernahm man daß im Mailändiſchen an den Feſtungen gearbeitet werde: ein nach Frankreich ab - gefertigter Courier verſchwand in dieſem Gebiete: ja vom ſpaniſchen Hofe trafen Erklärungen ein, welche eine Andeu - tung der Sache durchblicken ließen. Man wußte nicht, was man denken ſollte. War Morone ein Verräther? Aber welchen Vortheil konnte er ſich verſprechen, der den Haß aufgewogen hätte, den er von Italien erwarten mußte? Oder ſpielte Pescara eine doppelte Rolle? Ich kann es nicht glauben, ſagt Giberti. Was er für den Kaiſer ge - than könnte man ihm mit keinem Königreich vergelten: ſollte er ſich die Gnade deſſelben bei dieſer Gelegenheit wieder er -333Pescara.betteln wollen? es wäre eine Sünde, zu denken, daß in einer ſo edlen Seele ein ſo niedriger Gedanke Platz fin - den könnte. 1An Domenico Sauli. Ib. p. 174.

Dennoch war eben dieß der Fall.

Pescara war in Italien geboren, aber er hatte die Seele eines Spaniers. Alle ſeine Vorältern hatten dafür gelebt, die aragoneſiſch-ſpaniſche Herrſchaft in Italien zu begründen. Sein Urgroßvater, Ruy Lopez de Avalos hatte ſich an Alfons V angeſchloſſen: deſſen Sohn, Inigo war der Vertraute dieſes Königs geweſen: deſſen Sohn, Alonſo war bei dem Angriff der Franzoſen durch die Hand eines Mauren umgekommen;2Zurita Anales de Aragon V, 58 b. auf der Fortſetzung dieſer Beſtre - bungen beruhte das Daſeyn auch unſres Pescara. Er lebte und webte in der Anführung der ſpaniſchen Fußvöl - ker, die ihm anvertraut war: er kannte ſeine Leute alle bei Namen: er nahm ihnen nichts übel, ſelbſt nicht die verbotene Plünderung, und ſchonte ſie, ſo lange es irgend möglich: genug wenn ſie nur in der entſcheidenden Stunde tapfer aushielten, wie ſie das thaten: er fühlte ſich glück - lich und ruhmvoll, wenn er vor ihnen herſchritt, mit brei - ten Schuhen, wie die Deutſchen, weithinwehenden Federn auf dem Hut, das bloße Schwerd mit beiden Händen vor ſich hin haltend. Die Italiener dagegen haßte er: er hielt ſie für feig und unzuverläßig: es kam wohl vor, daß er bei der Eroberung einer Stadt alle italieniſchen Soldaten niedermachen ließ. Warum, fragte man ihn, da es doch ſeine Landsleute ſeyen. Eben darum, antwortete er, weil334Viertes Buch. Erſtes Capitel.ſie es ſind und dem Feinde dienen. Wie er in der Krieg - führung eine angeborne Kühnheit durch bedächtige Vor - ſicht in Zaum hielt, ſo war er ehrgeizig, trotzig, hochfah - rend, aber innerhalb der Schranken der Loyalität. Mehr als man glaubt, nährt ſich die Seele von Idealen. Ideen, wie ſie in Italien aus dem Studium des claſſiſchen Al - terthums hervorgiengen, waren ihm völlig fremd; die Vor - ſtellungen perſönlicher Hingebung und Treue dagegen, welche dem Feudalſtaat zu Grunde liegen, und von denen man ſich in Italien zuerſt losgeriſſen hatte, beherrſchten ſeine Ge - danken, ſein Gemüth. Im Umgang mit den Helden der ſpaniſchen Romantik war er aufgewachſen: er mochte ſich vorkommen wie der Cid, der von ſeinem König beleidigt und verwieſen, ihm doch unaufhörlich treu bleibt, ohne ſeine ſtolze Haltung darum einen Augenblick einzubüßen. Dem italieniſchen Weſen, dem ſein Nationalgefühl aus der claſſiſchen Bildung entſprang, das aber zugleich die politi - ſche Moral der Zeiten des Mittelalters aufgegeben hatte, trat hier das Bewußtſeyn des Ritterthums und der feu - dalen Ehre entgegen: gewiß ſie erhob ſich noch einmal, aber dabei verrieth ſie zugleich daß ſie von der Welt des Macchiavell berührt worden. Eine ſo hohe ſittliche Bildung hatte Pescara nicht, um dem Antrag der ihm geſchah, mit dem Widerwillen zu begegnen den derſelbe ver - diente. Er dachte wohl indem er ihn vernahm, Morone ſey werth, zum Fenſter hinausgeworfen zu werden; aber er beſann ſich ſogleich, daß man den Plan vollſtändig kennen lernen müſſe, um ihn zu vereiteln. Indem er nun das Verſtändniß unterhielt, theilte er doch die Sache gleich am335Beſitznahme von Mailand.erſten Tage dem kaiſerlichen Commiſſar und ſeinen beiden Mitbefehlshabern, Bourbon und Leiva mit; unverweilt ſchrieb er nach Insbruck um Hülfe und ſendete einen Cou - rier mit der Nachricht nach Spanien. Während ſich Gi - berti in ſeinem Traume von den Gärten der neuen Freiheit wiegte, war er ſchon verrathen.

Im September gab der Kaiſer dem Marcheſe Voll - macht, in dem vorliegenden Fall zu verfahren wie er für nothwendig halte. 1Pescara an Erzherzog Ferdinand 4 Oct. bei Bucholtz III, 11.

Da war nun nichts unumgänglicher nothwendig, als in Mailand ſelbſt feſten Fuß zu faſſen, und von allen Rechten des Sforza zu abſtrahiren. Die kaiſerlichen Ge - nerale meinten, ohne das Verſtändniß des Marcheſe wür - den ſie ſämmtlich verloren geweſen ſeyn. 2Schreiben Leivas bei Hormayr a. a. O. 29, 30.

Zuerſt ward Morone feſtgenommen: es geſchah am 14ten October 1525, als er Pescara’n einen vertraulichen Beſuch gemacht, bei dem Leiva hinter einer Tapete ver - ſteckt ihr Geſpräch vernommen, und darauf nach Hauſe gehn wollte. Doch bat Pescara den Kaiſer, ihm die Freiheit dieſes Mannes zu ſchenken, der noch ſehr nützlich werden könne, wenn man ſich ſeiner einmal bedienen wolle.

Hierauf forderte Pescara den Herzog auf, die feſten Plätze des Herzogthums den kaiſerlichen Truppen zu über - antworten: denn das mache der Dienſt des Kaiſers noth - wendig. Der Herzog, ſeines Miniſters beraubt, ſeiner Schuld ſich bewußt, wagte es nicht abzuſchlagen, zumal da man ihm die feſteſten, Mailand und Cremona noch ließ.

336Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Allein nur ſo lange ſchwieg man von dieſen, bis die erſteren eingenommen waren: wie es ſo weit war, forderte Pescara auch die Caſtelle von Cremona und Mailand. Der Herzog machte Einwendungen. Pescara erwiederte, er wiſſe aus den Briefen des herzoglichen Bevollmächtig - ten in Rom, Domenico Sauli, daß S. Excellenz dort ihre Perſon und ihren Staat zum Zweck der Befreiung Ita - liens von kaiſerlichem Kriegsvolk angetragen: und beſtand darauf, daß wenigſtens von den Befehlshabern der Caſtelle dem Kaiſer der Eid der Treue geleiſtet werde. 1Pescara an Ferdinand 4 Nov. Bucholtz III, 14.Da Sforza nicht nachgab, trug Pescara kein Bedenken Gewalt zu brau - chen. Er nahm Cremona in Beſitz und gegen das Caſtell von Mailand ſchritt er zur Belagerung. Dreitauſend Deut - ſche waren dabei beſchäftigt. 2Cuſtode Fortſetzung Verri’s aus den einheimiſchen Chroni - ſten p. 29.Zugleich eröffnete er einen Proceß wegen Felonie gegen den Herzog. Dem Kaiſer ließ er wiſſen, Gott und die Welt und die geſunde Ver - nunft verlange daß er Mailand jetzt für ſich behalte. Der Kaiſer war entſchloſſen, dem Proceſſe ſeinen Fortgang zu laſſen, und nach dem richterlichen Spruch, der freilich nicht zweifelhaft ſeyn konnte, zu verfahren. 3Sandoval I, 668 verſichert, er habe die Inſtrumente der Belehnung geſehen, die ſchon fuͤr Bourbon ausgefertigt waren: ja dieſer habe die Lehen in aller Form empfangen.

Dahin führte dieſer erſte Verſuch der Italiener, ſich von dem fremden Kriegsvolk zu befreien. So wie ſie da - bei vor allem auf den Abfall Pescaras gerechnet, ſo ſchei -terte337Friedensunterhandlungen.terte ihr Unternehmen an der Treue, mit der dieſer an dem Kaiſer hielt. Jetzt konnte der Kaiſer wirklich daran den - ken, Mailand zu eignen Handen zu behalten.

Doch war die Sache noch nicht entſchieden. Der allgemeine Widerwille der ſich jetzt dem kaiſerlichen Kriegs - heer, das auf Koſten der Einwohner lebte, auch in der Lombardei entgegenſetzte, die Hartnäckigkeit mit der ſich das Caſtell von Mailand vertheidigte, gaben noch Hof - nung, was mit Liſt nicht gelungen mit offener Gewalt zu erreichen. Es kam hinzu, daß der General den man am meiſten fürchtete und nunmehr mit gutem Grunde am hef - tigſten haßte, Pescara eben damals ſtarb. Vor allem aber: die große Streitfrage zwiſchen dem Kaiſer und dem König von Frankreich ward in Spanien auf eine Weiſe behan - delt, daß ſich eine neue allgemeine Bewegung mit Beſtimmt - heit vorausſehen ließ.

Offenbar ſchlug der Kaiſer, wiewohl er auf die engli - ſchen Pläne nicht eingieng, doch auch den Vortheil der ihm ſelber aus der Gefangenſchaft des Königs erwachſen konnte, zu hoch an. Ich will nicht davon reden, daß er ſich großmüthiger hätte betragen ſollen: obwohl ich dafür halte, daß es ganz wahr iſt: dieſe Eigenſchaft, ſeinen Fein - den durch eine freie und herzliche Bewegung der Seele verzeihen zu können, lag überhaupt nicht in ſeiner Natur; allein überdem läßt ſich wohl ſagen, daß er die Sache auch nicht richtig anſah. Mailand und Genua hatte er er - obert, und die Gefangenſchaft des Königs konnte er viel - leicht benutzen, um ihn zur Verzichtleiſtung auf ſeine ita - lieniſchen Anſprüche zu vermögen. Dem Königreich Frank -Ranke d. Geſch. II. 22338Viertes Buch. Erſtes Capitel.reich ſelbſt jedoch hatte er keinerlei Vortheil abgewonnen: ſein Anfall war vollkommen zurückgeſchlagen worden. Den - noch forderte er hartnäckig und gebieteriſch die Herausgabe von Burgund. Weder die Krankheit, in welche der - nig aus Mißmuth verfiel, noch die Unterhandlung ſeiner Schweſter, die deshalb nach Spanien gereiſt war, noch die Deductionen ſeiner Räthe, machten auf Carl den min - deſten Eindruck. 1Aus der Refutatio apologiae p. 877 ſehen wir, daß es den Kaiſer verdroß, daß die Herzogin von Alençon eine Ruͤckſicht auf die Machinationen in Italien, nicht einmal alle das zugeſtehn wollte, wozu der Koͤnig ſich fruͤher ſelbſt erboten: hauptſaͤchlich, daß ſie ihm zur Flucht behuͤlflich ſeyn wollte.Auf keine Entſchädigung wollte er ſich einlaſſen, er forderte das Stammgut zurück, wovon er Na - men und Wappen trage. Dazu aber war doch ſein Sieg lange nicht vollſtändig genug. Das Prinzip der Einheit und Nationalität, das ſich in Frankreich mächtig und mäch - tiger erhob, hatte ſich ſelbſt bei dem Abfall des Conneta - bel unverletzt erhalten: von dem Verluſt in Italien ward es wenig berührt. So ſehr die Mutter des Königs die Rückkunft ihres Sohnes wünſchte, ſo ſagte ſie doch, es ſey beſſer, er bleibe ewig in Gefangenſchaft, als daß das Reich zerſtückelt werde.

Ein reiner Begriff von Sittlichkeit und Würde hätte nun wohl auch den König veranlaſſen ſollen, lieber ſeine Gefangenſchaft zu erdulden, als auf Bedingungen ein - zugehn, welche er im Voraus entſchloſſen war nicht zu halten. Allein das hieß zu viel von ihm fordern: er fand ſeinen Zuſtand unerträglich und wollte um jeden Preis frei ſeyn.

Endlich am 14ten Januar unterzeichnete er die ihm339Friede zu Madrid 1526.von dem Kaiſer vorgelegten Bedingungen: er verſprach auf alle ſeine italieniſchen Anſprüche, auf die Oberherrlichkeit über Flandern und Artois, auf ſeine Verbindungen mit den Gegnern des Kaiſers in Deutſchland, Wirtenberg, Gel - dern, Robert von der Mark Verzicht zu leiſten, er willigte ein Burgund herauszugeben: er wies die Idee, als werde damit aller Hader am Ende ſeyn, nicht von ſich, und ver - lobte ſich mit der Schweſter des Kaiſers, verwitweten - nigin von Portugal; aber an demſelben Tage, in der - ſelben Stunde, einen Moment vorher, hatte er insgeheim eine Proteſtation unterzeichnet, in der er erklärte, daß er den Vertrag nur durch Gewalt gezwungen annehme, daß alles was darin bedungen werde, null und nichtig ſey und bleibe, daß er nichts deſto minder alle Rechte ſeiner Krone zu behaupten gedenke. 1Vertrag und Proteſtation bei Du Mont IV, i, 399. 412.

Seine Religionsbegriffe ließen zu, daß er hierauf doch bei einem feierlichen Hochamt, die Hand auf das Evan - gelium, den Eidſchwur leiſtete, den Vertrag nicht brechen zu wollen keinen Tag ſeines Lebens.

Auf der einen Seite ließ er nun dem päpſtlichen Le - gaten wiſſen, daß er den Vertrag nicht halten werde:2Giberti an den Biſchof von Bajuſa Lettere di principi II, f. 31 b. ſchon dort in Spanien trug er ſelbſt der König auf eine Verbindung mit den italieniſchen Mächten an: zugleich aber gieng er nach Illescas um ſeine Verlobung mit der Schweſter des Kaiſers zu feiern, die auf der Vorausſetzung der Ausführung des Tractates beruhte.

22*340Viertes Buch. Erſtes Capitel.

Der Kaiſer und der König ſahen ſich hierauf öfter, ritten mit einander über Feld, ließen ſich in Einer Sänfte tragen, und nannten ſich Brüder. Als ſie ſich von ein - ander trennten, bei einem aufgerichteten Crucifix in der Nähe von Illescas, wo die Wege nach Toledo und Madrid ſich ſcheiden, ſagte der Kaiſer: Bruder, denkt daran was wir einander zugeſagt. Der König antwortete: ich wollte die Artikel herſagen, ohne in einem Wort zu fehlen. Sagt mir die Wahrheit, fuhr Carl fort, ſeyd ihr Wil - lens ſie zu halten? Franz verſetzte: nichts in meinem Reiche ſoll mich daran hindern. Der Kaiſer ſagte hier - auf: Eins bitte ich Euch: wollt ihr mich in etwas hin - tergehen, ſo betreffe es nicht meine Schweſter eure Braut, denn dieſe, ſetzte er hinzu, würde ſich nicht rächen können. 1Erzaͤhlung bei Sandoval I, 717.

Man ſieht welche Ungewitter hinter dieſer Vertraulich - keit ſchlummerten.

Auf einer Barke auf der Bidaſſoa wurde hierauf - nig Franz gegen ſeine beiden Söhne, den Dauphin und den nachmaligen König Heinrich II, die als Geiſeln ſei - ner Zuſage dienen ſollten, ausgewechſelt. Sire, ſagte Lannoy, jetzt iſt Eure Hoheit frey: erfülle ſie nun auch was ſie verſprochen. Es wird alles erfüllt werden, ſagte der König, und ſprang in die franzöſiſche Barke. Jetzt war er wieder bei den Seinen und ſah ſich von der Ver - ehrung empfangen, die er ſo lang entbehrt; jetzt kam er wieder zu dem vollſtändigen Gefühle ſeines Selbſt; er ſtieg, als er an das Land trat, auf ein bereitſtehendes türkiſches341Ligue zu Cognac.Pferd; er rief aus: ich bin der König der König, und jagte davon. 1Relation bei Sandoval I, 738.

Dieſen Moment hatten nun die Italiener erwartet.

Als man dem Papſt die Bedingungen des Madrider Friedens nannte, hatte er erklärt, er billige ſie, vorausge - ſetzt daß der König ſie nicht beobachte: der einzige Un - terſchied werde dann ſeyn, daß der Kaiſer ſtatt des - nigs deſſen Söhne in Gewahrſam habe: was ihm wenig helfen könne. 2Der Biſchof von Worceſter an Wolſey 12 Jan. 7 Febr. bei Raumer I, 247.Jetzt ſprach er den König von ſeinem Eide frei:3Sandoval I, 746: Embiò el Papa al rey de Francia re - laxacion del juramento que avia hecho; wir haben bei Rainal - dus eine aͤhnliche Entbindung von einem Eide vom 3ten Juli 1526. XX, 460. er ließ ihm in Gemeinſchaft mit den Venezia - nern vorſtellen, welch ein treffliches Heer ſchon im Felde ſtehe, wie es gar nicht ſo ſchwer fallen werde, beſſere Be - dingungen zu erzwingen: wenn er nur entſchloſſen ſey, zur Erledigung ſeiner Söhne und zur Befreiung Italiens die Waffen zu ergreifen, ſo würden auch ſie Männer ſeyn, und ſich nicht der Willkühr des Kaiſers überlaſſen.

Einen Augenblick zögerte der König noch, dieſen Bund einzugehn. Er ließ die Notabeln von Burgund zuſammen - rufen, und auf ihre Erklärung, dem König von Frankreich ſtehe kraft der alten Verträge der Provinz mit der Krone gar nicht das Recht zu, ſie abzutreten,4Der Kaiſer gab nicht viel auf dieſe Erklaͤrung: Apologiae dissuasoriae refutatio p. 884. Satis plane constat, eos duntaxat vocatos quos rex ipse antea stipendiarios et juratos habebat. ſich ſtützend machte342Viertes Buch. Erſtes Capitel.er dem Kaiſer aufs neue den Vorſchlag, ſich mit einer Summe Geldes zu begnügen. Er mochte glauben, die Gäh - rung in Italien werde ihn vermögen darauf einzugehn. 1Offizielle Angabe in der oratio ad proceres Germaniae in con - ventu Ratisbon. 1527 bei Goldaſt Polit. imp. p. 902. Conditionem ultro sibi delatam tantisper accipere sustinuit, dum legatis rur - sus missis ultimum experiretur.

Vergegenwärtigen wir uns aber die Lage des Kaiſers. An ſeinem Hofe, bei ſeinen ergebenſten Dienern hatte der Tractat vielen Widerſpruch gefunden, nicht ſowohl weil die Forderung zu weit gehe, als weil die Sicherheit zu ge - ring ſey: man meinte, es ſeyen Bedingungen, für Kna - ben beim Spiele gut, aber nicht weiter; er hatte dennoch abgeſchloſſen, eine geheime Beſorgniß, die ſich auch in ihm regte, unterdrückt; er hatte bereits einen Gouverneur von Burgund ernannt, der auf dem Wege dahin war; ſeine Schweſter wartete in Vittoria auf die Vollziehung des Ver - trags um ſogleich als Königin in Frankreich einzuziehn; da erhielt er nun dieſen Antrag, denſelben, den er ſchon früher von ſich gewieſen: er ſah daß man ihn durch die Furcht vor den italieniſchen Feindſeligkeiten nun doch zu zwingen gedachte: das Bewußtſeyn die Sache nicht ganz gut geführt zu haben, der Verdruß betrogen zu ſeyn, das beleidigte Gefühl ritterlicher Ehre, der Stolz der Macht erhoben ſich zugleich in ihm. Er antwortete dem König, wenn er gehindert werde die Bedingungen ſeiner Befreiung zu erfüllen, ſo möge er in die Gefangenſchaft zurückkehren, wo man dann eine andre Übereinkunft treffen wolle. 2So erzaͤhlt Carl ſelbſt in der angefuͤhrten Refutation.

Früher war das wohl ein und das andre Mal ge - ſchehen: jetzt waren ſolche Zeiten vorüber.

343Ligue zu Cognac.

Der König trug kein Bedenken, ſeinen Bund mit den Italienern am 22ſten Mai 1526 zu Cognac abzuſchließen. Der Kaiſer ſollte die franzöſiſchen Prinzen gegen ein Löſe - geld herausgeben, Mailand an Franz Sforza überlaſſen, die italieniſchen Staaten überhaupt in den Zuſtand her - ſtellen in welchem ſie vor Ausbruch der Feindſeligkeiten geweſen: ja er ſollte den Zug zu ſeiner Kaiſerkrönung nur mit ſo viel Truppen unternehmen dürfen als der Papſt und Venedig geſtatten würden: man wollte ihn wieder be - handeln wie einſt Maximilian. Man beſchloß ihm dieſe Bedingungen vorzulegen, mit einem gewaltigen Heere ge - rüſtet: und weigere er ſich ſie anzunehmen, woran kein Zweifel ſeyn konnte, ihn auch aus Neapel zu vertreiben, worüber alsdann der Papſt zu verfügen ſich vorbehielt. 1Traité de conféderation, appellé la sainte ligue bei Du - mont IV, i, 451.

Es war ein Bund des ganzen weſtlichen Europa ge - gen die Folgen der Schlacht von Pavia, gegen die Über - macht die Abſichten und das Glück des Hauſes Burgund. Auch in England war man damit einverſtanden. König und Cardinal forderten Franz den I auf, Verpflichtungen nicht zu erfüllen, die ihn zu einem Knecht von Spanien machen würden:2Auszug der Inſtruction fuͤr Cheney bei Fiddes 380. ſie thaten alles dafür die Ligue zu be - fördern,3 that the leegge shold be, by all meanys possibyll, sett forwardys. Clerk an Wolſey 31 Mai St. P. p. 164. In einem Schreiben vom 9ten Oct. p. 180 ſchreibt Wolſey dem Koͤnig die Ligue ganz eigentlich zu: Your Higness, by whois counsaile this liege had been begon. obwohl Heinrich VIII es nicht für rathſam hielt, ſelber einzutreten.

In der Umgebung des Papſtes erwachten die Ideen344Viertes Buch. Erſtes Capitel.die man vor dem Jahre gehegt, mit verdoppelter Stärke. Es galt jetzt nicht mehr einen Kampf der beiden Fürſten um die Oberherrſchaft in Italien: König Franz wollte ſich mit Aſti und der Lehnsherrlichkeit über Genua begnügen: man hoffte wirklich Italien in den Zuſtand herzuſtellen, in welchem es vor 1494 geweſen war. Die Venezianer zeigten ſich dafür ſo begeiſtert, wie man es in Rom war: ihr Geſandter Franz Foscari rühmt ſich, er ſey es, der den Papſt bei ſeinem Entſchluſſe feſtgehalten habe: ſie ver - ſprachen Wunder zu thun. Über die Florentiner dispo - nirte der Papſt ohnehin: auch von Piemont hörte man, der Herzog wünſche ſich der kaiſerlichen Übermacht zu ent - ledigen. Auf die Hülfe der Franzoſen glaubte man mit Beſtimmtheit zählen zu können, da der König ſelbſt ein ſo großes Intereſſe an dem Kriege hatte; man rechnete mehr als je auf die Schweizer, weil der franzöſiſche und der päpſtliche Einfluß auf den Tagſatzungen zuſammenwirken werde; man hoffte, der König von England werde die Pro - tection des Bundes übernehmen, die man ihm antrug, oder ſich doch wenigſtens zu Geldzahlungen verſtehn. Sollte das kaiſerliche Heer ſo vielen Kräften zu widerſtehen ver - mögen? Noch immer hielt ſich Franz Sforza in dem Ca - ſtell von Mailand: in dem Volke bereitete ſich alles zum Aufruhr: man meinte den Kern der kaiſerlichen Truppen hier zur Stelle vernichten zu können. 1Giberti an Don Michele de Silva 1 Juli. Lre di pn̅pi I, 230. Vgl. Provisioni per la guerra che disegnò Pp. Clemente VII contra l’imperatore. Inform. Politt. Tom. XII, nr. 46. Es ergiebt ſich daraus, daß man zugleich gegen Mailand, Genua, Neapel und auch Siena, wo die kaiſerliche Partei im Vortheil war, zu agirenAlle Briefe des345Ligue zu Cognac.Datario Giberti, der ſich nun endlich in einer Stellung ſah wie er ſie immer gewünſcht hatte, athmen die Ent - ſchloſſenheit die ein großartiges Unternehmen einflößt. Im Juni 1526 ließ der Kaiſer dem Papſt noch einmal die glimpflichſten Bedingungen vorſchlagen:1Sanga an Gambara 19 Juni. Ibid. 210. Clemens VII wies ſie, weil er bereits gebunden ſey, völlig von der Hand.

Noch einmal brach der offene Krieg zwiſchen den bei - den höchſten Gewalten aus.

Dießmal aber, in der Lage der Dinge, in welcher die Weltentwickelung nunmehr angekommen, ſollte ſich zeigen, daß dem Kaiſer noch andre Waffen zu Gebote ſtanden als bisher. Er entſchloß ſich ſie zu brauchen.

1gedachte: in Siena mit Huͤlfe der Ausgewanderten: in Neapel mit Huͤlfe der Orſini: keine Zuſammenkuͤnfte der Spanier in der Stadt, keine Correſpondenz mit Spanien wollte man dulden. Den Antrag des Herzogs von Savoyen ſolle man annehmen, damit die Sache um ſo mehr als eine allgemein italieniſche erſcheine.

[346]

Zweites Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr 1526.

Schon an und für ſich mußten die italieniſchen Er - eigniſſe eine nicht geringe Rückwirkung auf Deutſchland ausüben.

Der Angriff auf den Kaiſer war zugleich ein Angriff auf die Rechte des Reiches, und ſehr wohl hob Carl her - vor, wie in dem Tractat von Cognac des Reiches gar nicht mehr gedacht, wie es gleichſam als aller ſeiner Rechte ſchon verluſtig gegangen betrachtet werde. Alle die Jahre daher waren es die deutſchen Streitkräfte geweſen, welche ſeine Siege in Italien entſchieden hatten. In dem gefähr - licher als jemals ausbrechenden Kriege war er nochmals auf ſie angewieſen. Es konnte der Nation nicht gleich - gültig ſeyn, ob das Reich in Italien wieder etwas zu be - deuten haben würde oder nicht.

So wichtig das aber auch iſt, ſo war es doch im Grunde nur die minder bedeutende Seite.

Das Leben der Nation bewegte ſich ohne Vergleich mehr in den geiſtlichen Angelegenheiten, in den großen Fragen347Herzog Heinrich in Spanien.welche die geiſtige Zukunft der Welt in ſich enthielten. Wir wiſſen, welch mächtigen Einfluß die politiſchen Ver - hältniſſe vom erſten Anfang an bei dem Kaiſer auf deren Behandlung ausgeübt hatten: das Edict von Worms, die Zurücknahme der Verſammlung zu Speier waren eine Frucht ſeiner Verbindung mit dem Papſt geweſen: dem zu Liebe hatte er eine ſo ſtrenge altkirchliche Haltung angenommen: es mußte ſich zeigen ob er dieſelbe nun auch jetzt be - haupten würde.

Im Frühjahr 1526 ließ ſich noch alles ſo an, als würde er um kein Haarbeit davon abweichen. Heinrich von Braunſchweig, der damals in Spanien angelangt war, brachte Erklärungen des Kaiſers aus, die ſo entſchieden lau - teten wie jemals.

In der That war er in einem Momente eigetroffen der für die Anträge welche er in ſeinem und ſeiner Freunde Namen machte, nicht günſtiger hätte ſeyn können.

Der Friede von Madrid war geſchloſſen, und man war am Hofe überzeugt, daß die große franzöſiſche Strei - tigkeit damit auf immer abgethan ſey. 1 Nach dem langen Truͤbſal und Krieg, ſchreibt Heinrich von Naſſau vom ſpaniſchen Hofe an ſeinen Bruder in Dillenburg, hat uns Gott den heiligen Frieden wiedergegeben. Tholeden 22 Jan. bei Arnoldi p. 203.Schon faßte man auf dieſen Grund Abſichten nach der deutſchen Seite hin. Sehen wir den Frieden näher an, ſo enthält er nicht al - lein eine Ausgleichung der politiſchen und perſönlichen Streitigkeiten, ſondern zugleich eine Verabredung zu einer gemeinſchaftlichen Unternehmung wie gegen die Türken, ſo auch gegen die Ketzer, die ſich vom Schooße der heiligen348Viertes Buch. Zweites Capitel.Kirche losgeriſſen: die beiden paciscirenden Fürſten for - dern den Papſt bereits auf, durch kirchliche Zugeſtändniſſe dazu mitzuwirken. 1pour dresser tous les moyens convenables pour les di - tes emprises et expeditions tant contre les dits Turcs et infide - les que contre les dits heretiques aliénés du greme de la sainte eglise. art. 26.Der Willkühr des Kaiſers ward es anheimgeſtellt, mit welcher Unternehmung er den Anfang machen, wann er dazu ſchreiten wolle. Es war das eigne freiwillige Anerbieten des König Franz, wenn der Kaiſer gegen die Ungläubigen oder gegen die Lutheraner Krieg führen wolle, die Hälfte der Koſten zu tragen, und perſön - lich mitzugehn. 2Apologiae dissuasoriae refutatio bei Goldaſt Pol. Imp. 884. Quod inquit (autor apologiae), quocumque proficisceretur Caesar, illuc etiam maxima cum militum manu regi eundum erat (franzoͤſiſcher Seits nahm man daher ein Motiv der Verweigerung, den Tractat auszufuͤhren), hic profecto se proprio gladio percutit, quum potissime rex ipse id obtulerit, ut si Caesari adversus hostes fidei eundum esset aut in Lutheranos movendum, is di - midium impensae sustineret, et si Caesari gratum esset, cum eo personaliter adesset, quam oblationem Caesar pro Christianae religionis augmento respuendam non censuit.

In den Tagen nun, in welchen man am kaiſerlichen Hof noch an die Vollziehung dieſes Tractates glaubte, der König in ſein Reich zurückkehrte, Leonora ſich in Vittoria bereitete ihm nachzureiſen, Oranien, Burgund in Beſitz zu nehmen, in Sevilla, wo der Kaiſer ſo eben unter al - lem Apparat kirchlicher Pracht ſich mit der portugieſiſchen Prinzeſſin vermählt hatte, ein päpſtlicher Legat fungirte bei der feierlichen Cerimonie, ward auch über die Anträge des Herzog Heinrich am Hofe berathſchlagt. Sie waren349Kaiſerliche Inſtructionen.höchſt willkommen: er bekam den günſtigſten Beſcheid. Der Kaiſer erließ am 23ſten März 15261Am 16ten Maͤrz hatte die Auswechſelung des Koͤnig Franz Statt gefunden. Am 23ſten konnten etwa die erſten Briefe ange - langt ſeyn, in denen Franz noch immer verſprach den Tractat zu halten. Selbſt in Cognac ſagte Franz I dem Vicekoͤnig Lannoy noch, der Widerſpruch der Burgunder ſolle nichts zu bedeuten ha - ben. Refutatio apologiae. eine Mahnung an einige Fürſten und Herrn im Reich, bei dem alten Glau - ben zu beharren, und auch bei ihren Nachbarn dahin zu wirken, damit es einmal möglich werde, die ketzeriſche Lehre, welche die Urſache aller Unruhen ſey, wieder zu vertilgen. Er belobt darin das antilutheriſche Bündniß, das zwiſchen Herzog Heinrich, Herzog Georg, Churfürſt Albrecht und ei - nigen andern Fürſten geſchloſſen worden. Er kündigt an, in kurzem nach Rom gehn, und dann alle Anſtalten tref - fen zu wollen, um die Ketzerei gründlich auszurotten. An die Grafen von Naſſau und Königſtein, den Biſchof von Strasburg, Herzog Erich von Calenberg gelangten Mah - nungen dieſer Art. Die erſten ſollten mit den Grafen am Rhein, im Weſterwald und in dem Niederland, der zweite mit den oberdeutſchen, der dritte mit den niederdeutſchen Fürſten unterhandeln. 2Im Weim. Archiv. Vgl. Rommel Urkundenband p. 13.Wir ſehen: der Kaiſer gieng voll - kommen auf die Ideen der altgläubigen Partei in Deutſch - land ein: auch nahm man, ſo wie Herzog Heinrich an - langte, ungewohnten Muth bei derſelben wahr. Herzog Georg ſoll geſagt haben, wenn er wolle, könne er Chur - fürſt von Sachſen werden. 3Vgl. Rommel Ind. p. 22. Aus Herzog Georgs Antwort geht hervor, daß er die Klage ſo auslegt, als haͤtte er geſagt, dieSein Canzler ließ ſich eines350Viertes Buch. Zweites Capitel.Tages in Torgau vernehmen, die lutheriſche Sache werde nicht lange Beſtand haben: man möge wohl zuſehn was man thue.

Nothwendig aber veranlaßte das nun auch die ent - gegengeſetzte Partei, alle ihre Kräfte zuſammenzunehmen, wie ſie denn dazu ſchon einige Fürſorge getroffen. Jener Bund der am Ende des vorigen Jahres beſprochen wor - den, war nunmehr wirklich zu Stande gekommen.

Man nennt ihn gewöhnlich den Torgauer Bund; in Torgau hat man ihn aber nur von ſächſiſcher Seite rati - ficirt: geſchloſſen ward er gegen Ende Februar 1526 zu Gotha.

Hier kamen nach der in Augsburg genommenen Ab - rede der beiderſeitigen Geſandten der Churfürſt von Sach - ſen und der Landgraf von Heſſen perſönlich zuſammen, und vereinigten ſich, einander mit allen ihren Kräften beizuſtehn, im Falle ſie wegen des göttlichen Wortes oder der Ab - ſchaffung der Mißbräuche angegriffen würden. Dem er - ſten Entwurf zufolge ſollte die Einung nur ſo lange dauern, bis auf nächſtem Reichstag eine chriſtliche Gleichmäßig - keit angenommen werde: dieſe Beſtimmung mochte aber denn doch zu beſchränkend ſcheinen und man ließ ſie weg. Dagegen ſetzte man hinzu, man werde einander die - thige Hülfe leiſten, auf eigne Koſten und Schaden. Da die regierenden Fürſten perſönlich verhandelten, ſo iſt kein Protocoll über ihre Conferenzen aufgenommen worden; aber3Raͤthe koͤnnten wenn ſie wollten Churfuͤrſten von Sachſen ſeyn, d. i. das Churfuͤrſtenthum verweſen. Es ſcheint faſt, als ſuche er nur auszuweichen.351Bund zu Gotha.ſo viel ſehen wir, daß man ſich im Gange der Verhand - lung immer enger an einander ſchloß. 1Die Urkunden im Weim. A. Die Ratification zu Torgau geſchah 4ten Maͤrz. Vgl. Hortleder I, viii, 1.

Mit einer Verbindung zwei einzelner Fürſten, wie - wohl ſie zu den mächtigſten gehörten, war jedoch noch we - nig geſchehen: man beſchloß zugleich, wie das ſchon frü - her die Abſicht geweſen war, ſo viel als möglich andre Reichsſtände dazu zu ziehen. Von den beiden Fürſten gieng ein Jeder die zunächſt mit ihm Befreundeten und alten Ver - bündeten deshalb an, Philipp die oberländiſchen, Churfürſt Johann die niederdeutſchen.

Sie hatten aber hiebei ſehr verſchiednen Erfolg.

In den Oberlanden war die Stimmung einem eigent - lichen Bündniß noch nicht günſtig. Auf dem letzten Reichs - tag hatten die Nürnberger ſich geneigt gezeigt; in Gotha jedoch erklärten ſie, noch zur Zeit auf Kaiſ. Maj. und den nächſten Reichstag ihr Aufſehen zu haben. Sie fürchteten, der Kaiſer möchte eine Ungnade auf ſie werfen, und ſie ihren Feinden überlaſſen. Der Landgraf wendete ſich an Frankfurt, allein der Rath lehnte den Antrag ab; und ſich mit der Gemeinde zu verbinden, von der man dem Landgrafen allerdings verſicherte, ſie werde den Rath zu nöthigen wiſſen, wäre doch allzu bedenklich geweſen. An den Churfürſten von Trier war nicht mehr zu denken: er verließ in dieſem Augenblick die Stellung in der Oppoſi - tion, die er bisher behauptet, und nahm eine Penſion von 6000 G. von dem Kaiſer und deſſen Bruder an.2Excerpt des Vertrages bei Bucholtz IX, 5. Da352Viertes Buch. Zweites Capitel.war auch der Churfürſt von der Pfalz nicht zum Abſchluß zu bringen: bei einer neuen Zuſammenkunft mit dem Land - grafen ließ er ſich wohl vernehmen, daß er in der Sache Leib, Gut und Vermögen wagen wolle; das ihm angetra - gene Bündniß ging er jedoch nicht ein: erſt auf dem Reichs - tag gab er Hofnung, dazu zu ſchreiten: auch gegen den Ent - wurf ſelbſt machte er einige Einwendungen. 1Da wolle man, ſagte er die Notel weiter ſtellen. Schrei - ben des Landgrafen an den Churfuͤrſten Mittw. nach Palmarum 28 Maͤrz. W. A.

Dagegen hatten nun die Unterhandlungen des Chur - fürſten von Sachſen in Niederdeutſchland den beſten Er - folg. Es gab hier eine ganze Anzahl Fürſten die ſich von jeher an das Haus Sachſen gehalten, zum Theil die näch - ſten Verwandten deſſelben. Nach einigen vorbereitenden Verhandlungen, auf die Aufforderung des Churfürſten,2Sie lautet: in Meinung und in Sachen des goͤttlichen Wor - tes, damit, ſo der Reichstag Fortgang gewoͤnne, die Sache in chriſt - lichem Bedenken zuvor berathſchlagt waͤre. Inſtruction fuͤr Caspar v. Minkwitz, welcher an Georg von Brandenburg geſendet war, der jedoch nicht erſchien. W. A. kamen die Herzöge Ernſt von Lüneburg, Philipp von Gru - benhagen, Heinrich von Meklenburg, Fürſt Wolf von An - halt, Graf Albrecht von Mansfeld Anfang Juni nach Magdeburg. An dem beſtimmten Tag, 9ten Juni, traf dann auch Churfürſt Johann mit ſeinem Sohn und ſei - nem Vetter zu Lüneburg ein. Alle waren durch jene Mah - nungen erſchreckt, die der Kaiſer von Sevilla erlaſſen, und die nun erſt bekannt geworden waren. Am 10ten Juni eröffnete man die Verhandlungen: Churſachſen führte dasWort.353Verſammlung zu Magdeburg.Wort. Die Verſammelten wurden auf die Gefahr auf - merkſam gemacht, welche aus jener Verbindung zu Mainz und aus dieſem Erlaſſe hervorgehe, auf die Nothwendig - keit, am nächſten Reichstag einmüthige Erklärungen abzu - geben: dann ward ihnen die Übereinkunft zwiſchen Sachſen und Heſſen vorgelegt, und der Vorſchlag gemacht, derſel - ben beizutreten. Sie waren alle dazu willig: am 12ten Juni unterzeichneten ſie das Bündniß, wie es zu Gotha entworfen, zu Torgau ratificirt worden war, und hiengen ihre Siegel daran. 1Handlung uf den Tag zu Magdeburg. Eigentlich eine An - weiſung zu dem Verfahren auf dieſer Verſammlung. Ferner iſt bedacht, das Buͤndniß ſo unſ. gn. Herr mit dem Landgrafen zu Go - tha aufgericht, den Fuͤrſten freundlich und vertraulich zu zeigen, und wo J. F. Gn. auch darein willigen und ſchließen wollten, als u. gn. Hr. ſich genzlichen verſehen auch frundlich bitten thaͤte, ſollt alsdann ſolch Buͤndniß durch eine Verſchreibung immaaßen mit u. gnſten Herrn vorgemeldt (dem Landgrafen) auch aufgericht und vollzogen werden.

Beſonders merkwürdig iſt es, daß die Fürſten es nicht verſchmähten auch eine Stadt in ihren Bund aufzunehmen, die zwar große Freiheiten genoß, aber doch keineswegs als reichsunmittelbar gelten konnte, eben Magdeburg ſelbſt, wo ſie ſich verſammelten. 2Auf ihr unterthaͤniges Suchen Bitten und Erbieten, ſagt der Churfuͤrſt, haben wir Burgermeiſter Rathmannen und Innungmeiſter der alten Stadt Magdeburg in dieſe chriſtliche Verſtaͤndniß genom - men, aus dem, daß wir wiſſen, daß ſie dem goͤttlichen Worte aus Gottes Gnaden wohlgeneigt.Sie war ihnen als ein Mittel - punct für alle niederdeutſchen Gebiete wichtig: überdieß mußten ſie wünſchen, daß ſie ſich gegen den Erzbiſchof ſelbſtändig behaupten möchte.

So bildete ſich zuerſt eine compacte evangeliſche Par -Ranke d. Geſch. II. 23354Viertes Buch. Zweites Capitel.tei: im Angeſicht der durch die Verbindung des Kaiſers mit ihren Gegnern ihnen drohenden Gefahr vereinigte ſie ſich, die erkannte Wahrheit zu vertheidigen, vor allem auf dem nächſten Reichstag jeden widrigen Beſchluß zu verhin - dern. Es war eine Erweiterung der alten ſächſiſchen Al - lianz durch religiöſe Motive.

Dergeſtalt hatte man ſich auf beiden Seiten zu einem entſcheidenden Kampfe gerüſtet, als man im Sommer 1526 in Speier zuſammenkam.

Gleich die Propoſition, die am 25ſten Juni geſchah, brachte vor allem die geiſtlichen Angelegenheiten zur Sprache. 1Nach Maaßgabe des Ausſchreibeus Eßlingen 1ſten April, unterzeichnet Ferdinandus archi. aust. C in Imp Locūt. F. A. Bd 41.Sie war in Ausdrücken abgefaßt, die nach beiden Sei - ten hin genügen konnten. Die Stände wurden darin auf - gefordert, über Mittel und Wege zu berathſchlagen, da - mit chriſtlicher Glaube und wohlhergebrachte gute chriſtliche Übung und Ordnung bis zu einem freien Concilium ge - handhabt werde; man wollte Maaßregeln ergreifen, um dem kaiſerlichen Edicte und den Beſchlüſſen, die man hier faſſen werde, Gehorſam zu verſchaffen. Wie ſehr war die Erwähnung des Wormſer Edicts durch dieſen letzten Bei - ſatz gemildert. 2Auszug in Neudeckers Actenſtuͤcken p. 21.

Die Berathungen begannen in dem fürſtlichen Colle - gium, und auch hier waren die erſten Beſchlüſſe noch in - different. Man ſetzte feſt, daß man in Sachen des Glau - bens keine Determination machen, und die wohlhergebrach - ten guten Gebräuche beobachten wolle: Beſtimmungen, die355Reichstag zu Speier 1526.dann jede Partei nach ihrem Sinn auslegen konnte. An - ders aber war es, als man nun auf die Mißbräuche zu reden kam, die man heben müſſe. Die Geiſtlichen forder - ten, daß dieß Geſchäft einem Concilium anheimgeſtellt werde: einem Reichstag könne es nicht zukommen, das Gute und Böſe von einander zu ſcheiden. Dagegen wollten die Weltlichen ſich nicht aufs neue ins Weite verweiſen laſſen: ſie erklärten, der gemeine Mann ſey ſo weit unterrichtet, daß er ſich mit einfältigem Glauben nicht mehr wolle lei - ten laſſen. Sie hatten die Dringlichkeit der Umſtände, das Vernünftige des Vorhabens überhaupt, auch die Worte der Propoſition, daß die guten Gebräuche gehandhabt werden ſollten, von denen man dann doch die böſen abſondern mußte, für ſich. So lebhaft auch die Geiſtlichen, die ſehr zahlreich erſchienen waren, widerſtrebten, ſo wurde doch am Ende be - ſchloſſen, über die Abſtellung der Mißbräuche zu verhan - deln, und was man beſchließen werde, allenthalben beobach - ten zu laſſen. Die Geiſtlichen mochten ſich damit tröſten, daß auch ſie auf die nähere Beſtimmung, welches die zu he - benden Mißbräuche ſeyen, Einfluß haben würden. 1Gutachten in den Frankf. Acten Bb 42. Uͤber die Verhand - lung ſelbſt giebt Otto von Pack dem Herzog Georg von Sachſen Nachricht Viſ. Mar. 2 Juli. (Dresdn. A.) Iſt daruf geſtanden, daß der einig Artikel den Reichstag ſolt zutrennt haben, wenn dy Geyſtlichen nicht bewilligt das ſy von den Mißbraͤuchen wollten han - deln laſſen.

Aber auf der Stelle zeigte ſich, daß ſie ſchon hiedurch in bedeutenden Nachtheil geriethen.

Die Städte, denen der Beſchluß der Fürſten am 30ſten Juni mitgetheilt ward, nahmen ihn mit Freuden an: zu -23*356Viertes Buch. Zweites Capitel.gleich aber gaben ſie ihm eine unzweideutige Auslegung. In ihrer Antwort erklärten ſie, unter guten Gebräuchen könne man keine andern verſtehen, als die welche dem Glau - ben an Chriſtum nicht zuwider ſeyen. Nun wiſſe aber je - dermann, wie viel entgegengeſetzte zu allgemeinem Verder - ben eingeriſſen. Eine große Freude ſey es ihnen, daß man dieſelben abſtellen wolle. 1Antwort der Staͤdte, gedruckt bei Kapp und bei Walch XVI, 246.

Zwar widerſetzten ſich die Biſchöfe der Annahme die - ſer Erklärung, als ſie am 4ten Juli in dem Fürſtenrath vorkam: ſie behaupteten, nicht von den Mißbräuchen rühre die Bewegung des Volkes her, ſondern von den aufrühre - riſchen Schriften und Predigten: in dem Ungeſtüm der De - batte entfiel Einem der Ausdruck, man ſollte lieber alle ſeit acht Jahren gedruckten Bücher verbrennen; allein durch Übertreibungen ſolcher Art ſchadeten ſie ſich nur: man warf ihnen vor, alle menſchliche Kunſt und Vernunft unterdrücken zu wollen. Die Antwort der Städte ward angenommen wie ſie war.

Und hierauf verwandelte ſich nun der ganze Reichs - tag in verſchiedene Commiſſionen zur Abſtellung der geiſt - lichen Mißbräuche: eine churfürſtliche eine fürſtliche und eine ſtädtiſche: eben wie man einſt zu Worms die Beſchwer - den gegen den päpſtlichen Stuhl zuſammengeſtellt hatte.

Es nahm die dem Clerus ſehr abgeneigte Stim - mung, welche in der Nation vorherrſchte, auch an dem Reichstag überhand. Von den Geiſtlichen, klagt der Frankfurter Geſandte, werde nichts geſucht als ihr eigner357Reichstag zu Speier 1526.Nutzen, und das allgemeine Beſte vernachläßigt. 1Hammann von Holzhuſen 1ſten Aug.: die Geiſtlichen bear - beiten ſich heftiglich um iren eignen und vergeſſen den gemeinen Nutzen. In den Briefen des herzoglich ſächſiſchen Geſandten, ſo ſtreng katholiſch ſein Herr auch war, finden wir doch dieſelben Klagen. Der größere Theil der Geiſtlichen, ſagt er, habe nur ſeine Hoffart im Auge: der Unfug der ein - geriſſenen Mißbräuche könne von ihnen nicht geleugnet wer - den und doch wolle ſie Keiner abſtellen laſſen. In den Laien ſey mehr Sorgfalt für das Beſte der Chriſtenheit wahrzunehmen als in den Geiſtlichen. 2Otto v. Pack: Iſt am Tage, wenn die Geyſtlichen gemeyne Chriſtenheit alſo meinten wy dy Laien, ſo blib Gottes Ehr, alle gute chriſtliche Ordnung, und bliben darzu ſye ſelbſt mit aller irer Hab Ehr und Gut, denn ich hab bisher keyn Leyen vermerkt der da wolt ein Buchſtaben von den guten Kirchenordnungen abthun adder der Geyſtlichen Guͤter um einen Pfennig ſchmaͤlern. Nicht weiß ich was der Kurfuͤrſt von Sachſen und Heſſen bringen werden.

Wie ſehr aber mußte dieſe Stimmung wachſen, als nun erſt die verbündeten evangeliſchen Fürſten anlangten!

Der Churfürſt von Sachſen erſchien als der mächtigſte Reichsfürſt. Er war mit der größten Anzahl von Pferden eingeritten, er hatte alle Tage 700 Perſonen zu verſorgen, und ſeine Begleiter rühmen, wie gut ſie es bei ihm gehabt. Er zeigte ſich gutmüthig und prächtig. Eines Tages gab er ein Bankett, wo 26 Fürſten bei ihm ſpeiſten, an vier Tiſchen, ihr Adel und ihre Räthe an beſondern Tafeln: einige entfernten ſich bald: andre blieben bis nach zehn Uhr und ſpielten hoch. Dagegen machte der Landgraf mit ſei - nem friſchen gelehrten Glaubenseifer viel Eindruck: er zeigte358Viertes Buch. Zweites Capitel.ſich bewanderter in der Schrift als alle Biſchöfe waren. 1Annales Spalatini bei Mencken 659.Beide hatten ihre Leute angewieſen, weil man ſich nach dem Evangelium nenne, ſich aller Leichtfertigkeiten zu enthalten. Einen um den andern Tag ließen ſie in ihren Wohnungen predigen und an den Feiertagen ſah man Tauſende zu der Predigt ſtrömen. An ihren Wohnhäuſern erblickte man ihre Wappen mit der Umſchrift, verbum dei manet in aeter - num, das Wort Gottes bleibet in Ewigkeit.

Unter dieſen Eindrücken wurden nun die Gutachten jener Ausſchüſſe abgefaßt. Alle die alten Klagen kamen aufs neue zur Sprache, über die Eingriffe von Rom, das un - ter andern die Biſchöfe viel zu hoch verpflichte, da ſie doch Räthe des Reiches ſeyen, über Commenden und Annaten, das Unweſen der Bettelorden u. ſ. w. Man meinte, noch nie ſey gegen Papſt und Biſchöfe ſo freimüthig geſprochen worden. Die Städte drangen beſonders auf eine beſſere Ausſtattung der Pfarren aus den geiſtlichen Gütern, und das Recht einer jeden Obrigkeit dieſelben zu beſetzen, ſie forderten die Unterwerfung der Geiſtlichkeit unter die bürgerlichen Laſten und Gerichte. 2Beſchwerung der Frei und Reichsſtaͤdte gegen den Geiſtlichen, von Holzhuſens Hand in den Frankf. A. Bd 42.

Bei weitem das merkwürdigſte aber war das Gutach - ten, das aus dem Schooße des fürſtlichen Ausſchuſſes her - vorgieng. Er beſtand aus den Biſchöfen von Würzburg Strasburg Freiſingen und Georg Truchſeß für die geiſt - liche, Heſſen Pfalz Baden und dem Grafen von Solms für die weltliche Bank. 3Bericht des heſſiſchen Geſandten Schrauttenbach Donner -Ich finde nicht verzeichnet, wer359Reichstag zu Speier 1526.von ihnen den vorwaltenden Einfluß hatte, ob vielleicht die bekannte gemäßigte Geſinnung des Biſchofs von Frei - ſingen, oder der feurige Ernſt des jungen Landgrafen den Ausſchlag gab: genug in den Sitzungen dieſes Ausſchuſſes behielt man die urſprüngliche Idee, eine für beide Theile verbindliche gleichmäßige Norm aufzuſtellen, im Auge, und kam in der That mit einem dahin zielenden Vorſchlag zu Stande. Noch war, bei allem Widerſtreit zwiſchen den herr - ſchenden Gewalten, in der Nation ſelbſt kein eigentlicher Zwieſpalt. Die Stämme ſtanden auf ziemlich gleicher Bil - dungsſtufe: alle, ohne Ausnahme, wir ſahen es noch zu - letzt an Tirol, nördliche und ſüdliche, hatten eine Tendenz zur Reform, wiewohl ihre Ideen hierüber abweichen moch - ten. Allein eben, da dieſelben noch nicht fixirt waren, konn - ten ſie ſich noch in mehr als Einer Form ausprägen. Es ließ ſich denken, daß ein glücklich getroffenes nationales Ver - ſtändniß die Anfänge der Zwietracht und auseinandergehen - den Bildung, die in dem Regensburger Bündniß und deſ - ſen Folgen vorlagen, vielleicht doch wieder beſeitigen würde. Eben in dieſem vermittelnden Sinne waren jene Vorſchläge abgefaßt. Vor allem erklärte man darin die Prieſterehe und den Laienkelch für empfehlenswerth. Man wollte es frei laſſen, das Abendmahl unter Einer oder beiden Geſtal - ten zu empfangen: man wollte dem Kaiſer vorſtellen, daß es für die Prieſter beſſer wäre, in ehelichem Stand zu ſitzen, als mit übelberüchtigten Perſonen Haus zu halten.1Zuzulaſſen, daß die Empfahung des hochwuͤrdigen Sacra - Man3ſtag nach Udalrici (5 Juli) in den Reichstagsacten des Weimariſchen Archivs, die uͤbrigens bei dieſem Jahre in großer Verwirrung und wenig ergiebig ſind.360Viertes Buch. Zweites Capitel.wollte die Faſten, den Beichtzwang ermäßigen, die Privat - meſſe abſtellen, bei Taufe und Abendmahl lateiniſche und deutſche Sprache vereinigen; zwar von den übrigen Sacra - menten nicht abſtehen, aber ſie umſonſt geben. In Hin - ſicht der Predigt ward die Formel von 1523 wiederholt, Gottes Wort ſolle nach rechtem wahren Verſtand, nach Auslegung der von der chriſtlichen Kirche angenommenen Lehrer gepredigt werden, jedoch mit dem Zuſatz, der noch eine ſtärkere Hinneigung zur Reform und dem Sinne Lu - thers ausſpricht: Schrift müſſe man immer mit Schrift erklären. 1Rathſchlag der Acht Verordneten im Dresdner Archiv.

Zu dieſem Vorſchlag vereinigte ſich eine aus geiſtli - chen und weltlichen Mitgliedern gleichmäßig zuſammenge - ſetzte Commiſſion. Man ſieht, wenn früher das Regiment eine der Reform günſtige Haltung genommen, ſo war es nicht Willkühr geweſen: die Nothwendigkeit dieſer Schritte entſprang aus der Lage der Dinge und dem Inhalt der all - gemeinen Überzeugung, der ſich kein Menſch entziehen kann.

Nach ſo vielen Fehlgriffen und Erſchütterungen zeigte ſich der Nation noch einmal die Möglichkeit, in der wich - tigſten Angelegenheit, welche die menſchliche Seele beſchäf - tigen kann, ihre Einheit zu bewahren.

Am 1ſten Auguſt ward ein Ausſchuß aus allen Stän - den niedergeſetzt, um nun dieſen Entwurf in definitive Be - rathung zu ziehen. Eine Berathung, die von dem größten1ments unter einer oder beiderlei Geſtalten eines Jeden Gewiſſen und freiem Willen heimgeſetzt wurde, daß mitlerzeit gegen den eheli - chen Prieſtern von keyner Uberkeyt geiſtlichs oder weltlichs Standes etwas Streflichs werd fuͤrgenommen.361Reichstag zu Speier 1526.Intereſſe zu werden verſprach. Ohne Zweifel würde der Entwurf vielen Widerſpruch erfahren haben, wie ſich denn die Evangeliſch-geſinnten gegen die vier Sacramente erklär - ten, von denen nichts in der Schrift ſtehe:1Aufſatz bei Walch XVI, 258: eine Entgegnung auf die von den acht Verordneten aufgeſtellten Grundſaͤtze, zum Theil beiſtimmend, zum Theil beſtreitend. ſelbſt die Ka - tholiken aber waren noch nicht zufrieden geſtellt: unter andern bemerkt Herzog Georg, daß die ſchlimmſten Miß - bräuche noch nicht berührt ſeyen: der Urſprung alles Übels liege in dem böſen Eingang der Prälaten, mit Hülfe mächti - ger Verwandten, durch die rechte Thüre oder die unrechte: genug, es würde die lebhafteſten Debatten gegeben haben:2Schreiben Herzog Georgs in den Reichstagsacten des Dresd - ner Archivs. aber es iſt kein Grund, zu zweifeln, daß ſich eine Majo - rität gebildet, und definitive, für das ganze Reich verbind - liche Beſchlüſſe gefaßt haben würde.

Es war wieder ein Moment wie vor zwei Jahren, als man ſich zu jener Nationalverſammlung vorbereitete. Man hatte es jetzt ſchwerer als damals, da ſich ſeitdem zu beiden Seiten autonome Bildungen feſtzuſetzen angefan - gen hatten, aber um ſo wichtiger war es, denſelben Ein - halt zu thun, und noch wäre es möglich geweſen.

Abermals kam es nun hiebei auf jene Gewalt an, welche die Nationalverſammlung verboten und ſchon ſo oft einen hemmenden Einfluß auf die Reichsbeſchlüſſe aus - geübt hatte. Der Kaiſer ſchien ſeine alte Politik noch im - mer nicht verlaſſen zu wollen.

In Sevilla, zugleich mit der erwähnten katholiſchen362Viertes Buch. Zweites Capitel.Mahnung, hatte er eine Inſtruction an ſeine Commiſſarien ausgeſtellt, worin er ihnen befahl, an dem Reichstag in keinen Beſchluß zu willigen, der dem alten Herkommen in Lehre oder Gebräuchen entgegenlaufe, und das Wormſer Edict aufs neue einſchärfte. 1Commiſſion vom 23ſten Maͤrz in den Fr. AA. Bd 42, f. 32.Es liegt ein gewiſſes Dun - kel über dieſer Sache. Vorlängſt mußte die Inſtruction an - gelangt ſeyn wie auch Herzog Heinrich längſt zurückgekom - men war; man ſieht nicht, wodurch die Commiſſarien ſich ermächtigt gehalten, doch anfangs mit einer andern auf - zutreten: ob vielleicht durch eine dem Erzherzog ſeitdem zu - gegangene Weiſung oder wodurch ſonſt. Genug erſt jetzt, nachdem die Sachen ſo weit gediehen, kam man mit jener Inſtruction zum Vorſchein: auf Antrieb, wie in Speier behauptet ward, einiger mächtigen Geiſtlichen, nicht ohne Finanz und Hinterliſt: und brachte damit einen gewalti - gen Eindruck hervor. Der große Ausſchuß nahm ſich noch ziemlich zuſammen: er erklärte, ſich ſo halten zu wollen, wie er es verantworten könne; allein was ließ ſich ausrichten, da jeder neuen Anordnung das klare Wort des Kaiſers ent - gegengehalten werden konnte. Man glaubte überhaupt es werde nun gar nichts mehr zu erreichen ſeyn: Viele woll - ten keinen Augenblick länger bleiben: die Evangeliſch-ge - ſinnten fürchteten doch die Anwendung der Gewalt. Des - halb hauptſächlich neigten ſich jetzt die Städte dem ſäch - ſiſch-heſſiſchen Verſtändniß zu, um einen Rückhalt zu ha - ben wenn man zu Thätlichkeiten gegen ſie ſchreite.2Dann werde ſolch Anſuchen und Fulgung zu großem Nutz gereichen. Schreiben von Holzhuſen 21 Aug. 25 A. haben die uͤbrigen Staͤdte ſchon Antwort. Vor dem foͤrmlichen Abſchluß ſoll nur noch abgewartet werden, was die Geſandtſchaft ausrichten wird. Auf363Reichstag zu Speier 1526.den Antrag der Fürſten gaben Nürnberg, Straßburg, Augs - burg und Ulm nunmehr eingehende Antworten.

Die Verwickelung war höchſt ſonderbar. Indem der Papſt den Kaiſer in Italien aus allen Kräften angriff, ihm einen europäiſchen Krieg erweckte, ſollte die kaiſerliche Macht noch einmal dienen, die Autorität des päpſtlichen Stuhles in Deutſchland aufrecht zu erhalten.

In der That aber: ein ſolches Verhältniß widerſtrei - tet zu ſehr der Natur und dem Gange der menſchlichen Dinge, als daß es ſich hätte behaupten ſollen.

Schon glaubte man in Deutſchland nicht mehr an den Ernſt der in der Inſtruction ausgeſprochenen Meinung. So ſehr man hier auch mit ſeinen innern Angelegenheiten beſchäftigt war, ſo wußte man doch auch von dem Bunde zu Cognac, von den Irrungen zwiſchen Papſt und Kaiſer. Zuerſt die Städte bemerkten wie weit zurück das Datum der Inſtruction liege. Damals freilich ſeyen Kaiſer und Papſt noch einverſtanden geweſen, allein jetzt liege das Kriegsvolk des Papſtes wider den Kaiſer zu Felde. Man ſage wohl, jede Verbeſſerung müſſe einem allgemeinen Concilium vorbehalten bleiben: aber wie laſſe ſich unter den obwaltenden Umſtänden ein ſolches noch abwarten. Wäre der Kaiſer zugegen, ſo würde er ſelbſt ſehen, daß man ſein Edict nicht beobachten könnte, wenn man auch wollte.

Man erzählte ſich, an Frau Margaretha in den Nieder - landen ſey bereits die Weiſung gelangt, in Sachen des Evan - geliums ſäuberlich zu thun.

In der Überzeugung, mit der eigentlichen Meinung des Kaiſers zuſammenzutreffen, trugen deshalb die Städte364Viertes Buch. Zweites Capitel.darauf an, eine Geſandtſchaft an ihn abzuordnen, um ihm die Lage der Dinge vorzuſtellen, ihn zu bitten, entweder nun doch ein National-Concilium zu bewilligen oder we - nigſtens von der Forderung abzuſtehn, daß das Wormſer Edict ausgeführt werde. Ihr Vorſchlag fand in dem gro - ßen Ausſchuß geneigtes Gehör. Auf der Stelle hatte ſich hier eine anti-geiſtliche Mehrheit gebildet. Bei der Bera - thung über die Beſchwerden der gemeinen Leute hatte man die Mißbräuche der Geiſtlichen ihnen zum Trotz als die vornehmſte Urſache der Empörung bezeichnet. Jetzt erin - nerte man, das kaiſerliche Edict ſey nur in ſo weit ange - nommen worden, als es möglich ſeyn werde es auszufüh - ren; allein das zeige ſich eben unmöglich, Niemand werde ſich finden, der es ausgeführt habe, ja der ſich nicht ein Gewiſſen daraus mache, es nach dem Wortlaut zu vollſtrecken. 1Daß dieſe Motive angefuͤhrt wurden ergiebt ſich aus einem Entwurfe der Inſtruction im Dresdner Archive, worin die Bitte ſo lautet: der Kaiſer wolle die Execution der Peen und Straf deſſel - bigen Edictes bis uf ein kuͤnftig Concilium in Ruw ſtehn laſſen, Ur - ſach es haben die Stennd das Edict nicht anders angenommen dan ſo vil In muͤglich, wie die kaiſerliche Inſtruction ſelbs mit ir bringt, und nachdem Etlichen unmuͤglich geweſen das Edict zu halten, ſo ſeyen ſie auch nicht in die Peen gefallen, zum andern ſo man die Buchſtaben beſieht, ſo iſt kain Fuͤrſt oder Biſchof der das Edict ge - hallten oder der nicht ein Entſetzen hat daſſelbige ad literam zu hal - ten. Dort folgt dann auch die Inſtruction ſelbſt. Die Frankfurter Geſandten ſagen in einem Schreiben von dieſem Reichstag o. D. So wollen wir auch E. F. W. nicht bergen, daß auch das kaiſ. Edict ſo 21 zu Worms ausgangen, allhie auf dieſem Reichstag von Fuͤrſten Grafen Herrn und Stedten hochlich und faſt als unmoͤg - lich in allen Puncten zu halten angefochten wird. Und wie werde man gegen die Türken Hülfe leiſten wollen, wenn man ſich indeß zu Hauſe gefährdet ſehe? Der große Aus -365Reichstag zu Speier 1526.ſchuß nahm den Vorſchlag an, eine Geſandtſchaft nach Spa - nien abzuordnen, und entwarf ſogleich eine Inſtruction für dieſelbe, worin er den religiöſen Zwieſpalt vor allem dem Ver - bot jener Nationalverſammlung beimaß, und den Kaiſer bat, ſobald als möglich ein Concilium zu berufen, wenigſtens ein nationales, bis dahin aber die Ausführung des Edictes gnä - dig in Ruhe zu ſtellen: Einigen ſey ſie unmöglich ihres Gewiſſens halben: Andern weil ſie eine Empörung ihrer Un - terthanen beſorgen müßten: dritten aus beiderlei Gründen.

Da iſt nun merkwürdig, daß indem man in Deutſch - land dieſe Beſchlüſſe faßte, man ihnen von Spanien her mit entſprechenden Ideen entgegenkam.

Wir wiſſen, aus welchen Geſichtspuncten der kaiſer - liche Hof die lutheriſchen Bewegungen von Anfang an betrachtete. Er hatte ſich ihnen opponirt, ſo lange er mit dem Papſtthum verbündet war: allein ſo weit gieng ſeine Hingebung nicht, um den Krieg, den ihm Clemens VII in Italien machte, mit Freundſchaft in Deutſchland zu erwiedern. Gleich nach der Schlacht von Pavia, als der Papſt ſich zuerſt ſo unzuverläßig gezeigt hatte, dachte der Großcanzler Gattinara ein Concilium zu fordern, nicht darum, wie er ſagte, um es wirklich zu berufen, ſondern nur um den Papſt zu nachgiebigerer Unterhandlung zu - thigen. 1Gutachten bei Bucholtz II, p. 281.Von England her ward Clemens ſchon damals aufmerkſam gemacht, wie leicht eine Begünſtigung der Fran - zoſen ihm die Obedienz der noch zur Kirche haltenden Reichs - ſtände koſten dürfte. 2Excerpt eines Schreibens von Wolſey an den Biſchof vonAber um wie viel entſchiedner wa -366Viertes Buch. Zweites Capitel.ren jetzt die Feindſeligkeiten. In Deutſchland ſelbſt hatte man ihm vorausgeſagt, daß ſeine Sache am Reichstag ſchlechter gehen würde als jemals: er erwartete nichts an - ders. 1Albert da Carpi au Roi de France 24 Juni 1526 bei Molini Doc. stor. I, p. 208: que a cette heure se feroit le tout le pis que se pourroit contre luy et la st. siege. Nach einer Aͤußerung des Churfuͤrſten von Trier, vom 9ten Juni.Lange und beinahe zu lange zögerte der Kaiſer ſich zu erklären. Endlich aber, nachdem die letzten Unter - handlungen geſcheitert waren, nahm er eine entſchloſſe - nere Haltung. Nach mancherlei Berathungen in dem Staatsrath, den er eben damals für die ſpaniſchen und deutſchen Angelegenheiten eingerichtet, ſchrieb er ſeinem Bru - der am 27ſten Juli, es ſey in demſelben ein Entwurf, den er auch ſogleich beilegte, gemacht worden, die Strafbeſtim - mungen des Wormſer Edictes aufzuheben, und die evan - geliſche Wahrheit auf einem Concilium zur Entſcheidung zu bringen. Der Papſt würde ſich darüber nicht zu be - klagen haben, da man ja nur die weltlichen, nicht auch die geiſtlichen Strafen aufhebe. Es laſſe ſich hoffen, daß man dann von den deutſchen Fürſten eine ſtattliche Hülfe an Reiterei und Fußvolk gegen die Türken oder gegen Italien zum Beſten der Chriſtenheit erlangen werde. 2Auszug bei Bucholtz III, 371. es ſey in ſeinem Rath der

2Bath unmittelbar vor der Schlacht von Pavia: (before Parma iſt ohne Zweifel verſchrieben und muß heißen before Pavia.) Fiddes Life of Wolsey 32. Wolſey meinte, daß der von Campeggi eingeſchla - gene Weg zum Ziele zu fuͤhren verſpreche: allein that Germany being now so much infected with the Lutheran heresy, such mem - bers of it, as still continue in the communion of the church, may be provoked to withdraw their obedience, should his holiness appear to act in favour of the French king against the emperor.

367Reichstag zu Speier 1526.

Wer hätte unter dieſen Umſtänden, da der Kaiſer von ſelbſt auf ein Zugeſtändniß kam, das man in Deutſch - land dringend forderte, nicht erwarten ſollen, daß es nun auch gegeben, ausgeſprochen werden würde? Ich finde, daß Markgraf Caſimir von Brandenburg, einer der kaiſer - lichen Commiſſarien, dieſe Aufhebung eifrig verfocht. 1V. d. Lith Erlaͤuterung p. 172.Es wäre ohne Zweifel nur auf Ferdinand angekommen. Der aber war doch nicht dafür.

Sein vornehmſter Grund war ohne Zweifel die Rück - ſicht auf die katholiſch-geſinnten deutſchen Stände. Schon Carl hatte in jenem Schreiben bemerkt, ein Theil ſeiner Räthe halte für gut, das Edict noch zu verſchieben, weil man ſonſt leicht die bisherigen Gegner der Lutheraner ſich zu Feinden machen könne. 2Veranlaſſen d’estre mauvais avec les aultres. Bucholtz 372. Schade daß nicht der ganze Brief gedruckt worden iſt.Ferdinand wußte ohne Zwei - fel noch beſſer als ſein Bruder, wie nothwendig es ſey ſie zu ſchonen. In Rom hatte man in dieſem Augenblick den Gedanken gefaßt, die Römiſche Königskrone irgend ei - nem Gegner des Kaiſers anzubieten,3In den Provvisioni per la guerra di Clemente VII (In - form. Politt. ) wird das als eine wuͤnſchenswerthe Maaßregel geſchildert. und ſchon bewarb2Entwurf zu einem wohl clauſulirten und wohl begruͤndeten Edict ge - macht, deſſen Frucht ſeyn ſolle daß man durch Gelindigkeit und Straferlaß fuͤr Die, welche den Irrthuͤmern Luthers angehangen, ſie zugleich von dieſen Irrthuͤmern abziehe (ſonderbare Art ſich aus - zudruͤcken) und ihnen den Weg gebe, auf welchem die Wahrheit der evangeliſchen Lehre durch ein gutes Concilium ent - ſchieden werden koͤnne, welches der Papſt jetzt fuͤrchte; zugleich werden ſie Ferdinand unterſtuͤtzen gegen die Tuͤrken oder ge - gen Italien zum allgemeinen Beſten der Chriſtenheit. 368Viertes Buch. Zweites Capitel.ſich Herzog Wilhelm von Baiern bei den einflußreichſten Churfürſten um dieſe Würde. Den katholiſchen Fürſten das Edict zu entreißen, auf das ſie ihre Verfolgung der Evangeliſchen hauptſächlich gegründet, hätte ſie zu der re - ſoluteſten und gefährlichſten Feindſeligkeit veranlaſſen können. Auch er hielt für gut, die Aufhebung des Wormſer Edic - tes noch auszuſetzen. Er meinte, erſt wenn der Kaiſer in das Reich zurückgekommen und mächtig daſelbſt gewor - den ſey, werde dieſe Maaßregel mit Vortheil und ohne da - mit die alte Religion zu ſtürzen, ausgeführt werden können: dann werde man auch eine gute Summe Geldes für jene Vergünſtigung erhalten können. 1Excerpt des Schreibens von Ferdinand 22ſten Sept. Daß jenes Schreiben vom 27 Juli Mitte Auguſt angekommen, iſt wohl keine Frage. Briefe von Spanien giengen in der Regel 14 Tage.

Allein eben ſo wenig vermochte er doch oder war er geneigt auf die allgemeine Execution des Wormſer Edictes zu dringen. Ein vollkommener Sieg der Anhänger des Papſtes wäre dem Haus Öſtreich ſogar verderblich geweſen.

Da nun weder die Ausführung noch die Aufhe - bung des Wormſiſchen Edictes rathſam erſchien, da auch jene vermittelnden Vorſchläge nicht durchdringen konnten, ſo machte ſich ein Prinzip geltend, das ſchon eine Zeit daher in den Ereigniſſen mitgewirkt hatte, aber mehr in der Tiefe, ohne zu allgemeinem Bewußtſeyn gelangt zu ſeyn. Das Prinzip der Territorialentwickelung bemäch - tigte ſich auch der religiöſen Angelegenheit. Ich finde, daß zuerſt die Städte daſſelbe offen in Anregung brach -ten.369Reichstag zu Speier 1526.ten. Sie ſtellten vor, es werde nicht mehr möglich ſeyn, die kirchlichen Cerimonien wieder zu vereinigen: an manchen Orten habe man ſie geändert, an andern alles beim Alten gelaſſen, jeder glaube, wie er es mache ſo ſey es recht unmöglich könne man da mit Gewalt einſchreiten, und nichts bleibe übrig, als einen Jeden bei den angenommenen Kirchenbräuchen zu laſſen, bis einmal ein freies Concilium vermöge des göttlichen Wor - tes darin Beſtimmung treffe. 1Eingabe der Staͤdte in den Frankf. AA. Bd 42.Ein Vorſchlag, der im Grunde der Natur eines Reichstags, welcher die Einheit repräſentirte, und den frühern Reichsſchlüſſen, welche im - mer allgemein gültige Feſtſetzungen enthalten hatten, wider - ſprach, aber von der Lage der Dinge empfohlen ward. Es war gleich unthunlich, den katholiſchen Ständen das Worm - ſer Edict wieder zu entziehen, und es den evangeliſchen neuer - dings aufzulegen: der Gedanke brach ſich Bahn, jeder Landſchaft, jedem Reichsſtand in Hinſicht der Religion die Autonomie zu gewähren, die ſie einmal auszuüben begon - nen hatten. Es war das Leichteſte, Ratürlichſte: Niemand wußte etwas Beſſeres anzugeben. Die Triebe der religiö - ſen Sonderung, welche ſeit 1524 hervorgetreten, behiel - ten über die Verſuche, die Einheit durch Reform zu be - haupten und feſter zu ſtellen, die Oberhand. Der Aus - ſchuß beſchloß, jeder Stand möge ſich ſo verhalten wie er es gegen Gott und gegen den Kaiſer zu verantworten gedenke, d. i. er möge thun, wie er es ſelber für rathſam erachte. Dieſen Beſchluß nahm der Ausſchuß in die In - ſtruction für die Geſandtſchaft an den Kaiſer ſogleich mit auf.

Ranke d. Geſch. II. 24370Viertes Buch. Zweites Capitel.

Es iſt ein Moment in welchem alle allgemeinen und deutſchen Verhältniſſe zuſammengreifen, in welchem die frü - here und die ſpätere deutſche Geſchichte ſich von einander trennen, obwohl er äußerlich nicht bedeutend erſchien, daß Erzherzog Ferdinand das Gutachten des Ausſchuſſes an - nahm, die Sendung der Botſchaft billigte, die für ſie ent - worfene Inſtruction guthieß. In dem Reichsabſchied ſetzte man feſt, bis zu der allgemeinen oder nationalen Kirchen - verſammlung, um welche man bitte, werde jeder Stand, in Sachen die das Wormſer Edict betreffe, ſo leben, regie - ren und es halten, wie er es gegen Gott und Kaiſerliche Maj. zu verantworten ſich getraue. 1Demnach haben wir (die Commiſſarien) auch Churfuͤrſten Fuͤrſten und Staͤnde des Reichs und derſelben Bottſchafter uns jetzo allhie auf dieſem Reichstag einmuͤthiglich verglichen und vereiniget, mittler Zeit des Concilii oder aber Nationalverſammlung nichts deſto minder (d. i. ohne die Ruͤckkunft der Geſandtſchaft zu erwarten) mit unſern Unterthanen ein jeglicher in Sachen ſo das Edict, durch Kaiſ. Mt auf dem Reichstag zu Worms gehalten ausgangen, belangen moͤchten, fuͤr ſich alſo zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder ſolches gegen Gott und Kaiſ. Mt hoffet und vertrauet zu ver - antworten. (N. Samml. d. Reichsabſch. II, 274.)

Man verzeihe die Wiederholung dieſer Worte, weil ſie ſo unendlich wichtig geworden ſind. Sie enthalten die geſetzliche Grundlage der Ausbildung der deutſchen Landes - kirchen; zugleich aber involviren ſie, obwohl ſie noch die Möglichkeit dereinſtiger Wiedervereinigung offen laſſen, die Trennung der Nation in religiöſer Hinſicht. Es ſind die für die deutſchen Geſchicke entſcheidenden Worte. Der Ka - tholicismus würde ſich nicht haben behaupten laſſen, wenn das Wormſer Edict förmlich wäre zurückgenommen wor -371Reichstag zu Speier 1526.den. Die evangeliſche Partei hätte ſich nicht auf legalem Wege ausbilden können, wenn man auf der Ausführung deſſelben beſtanden hätte. Die Entwickelung der einen wie der andern Seite knüpft ſich an dieſen Moment.

Im Ganzen war es die unmittelbare und nothwendige Folge des Zwieſpaltes zwiſchen Kaiſer und Papſt. Der Bund des Kaiſers mit dem Papſt hatte das Wormſer Edict herbeigeführt; da der Bund gebrochen war, nahmen der Kaiſer und ſein Bruder auch das Edict zurück, in ſo weit ihre eigenen Intereſſen das zuließen.

24*[372]

Drittes Capitel. Eroberung von Rom im J. 1527.

Während man in Deutſchland dieſe Berathungen pflog, ward in Italien bereits geſchlagen.

Noch im Juni waren die Verbündeten in der Lom - bardei ins Feld gerückt: ohne Zweifel nicht ſo raſch und entſchloſſen, wie nothwendig geweſen wäre: die Kaiſer - lichen behielten Zeit, die Empörung der Mailänder mit Ge - walt zu dämpfen und eroberten ſogar zuletzt das Caſtell; dagegen nahmen aber die Verbündeten Lodi und Cre - mona ein: die lange vergeblich erwarteten Schweizer er - ſchienen doch mit der Zeit in beträchtlicher Anzahl: eine glänzende Schaar franzöſiſcher Hommes d’Armes geſellte ſich dem Heere zu: die Liga war im September offenbar Mei - ſterin im Lande: und die Kaiſerlichen, in einer zur Rebel - lion geneigten Stadt, ſchlecht bezahlt und von dem Lande faſt abgeſchnitten, befanden ſich in einer ziemlich bedräng - ten Lage. 1Aus dem Schreiben Guicciardinis an den Datar 24 Spt. 1526 ergiebt ſich daß man daran dachte, einen neuen Verſuch zu machen, um die Kaiſerlichen aus Mailand zu verjagen.

373Uͤberfall der Colonna’s.

Allein auch dem Kaiſer ſtanden, und zwar zunächſt in Italien ſelbſt, Kräfte des Widerſtandes und der Vergel - tung zu Gebote.

Als er dem Papſt im Juni noch einmal Frieden an - bieten ließ, beauftragte er zugleich ſeinen Bevollmächtigten Ugo Moncada, im Fall er eine abſchlägliche Antwort be - komme, Mittel zu ergreifen um die Macht des Feindes von Mailand abzulenken. 1Schreiben Carls bei Bucholtz III, 52.Nicht ſehr ſchwer war das auszurichten. Der Staat, die Stadt, ja der Pallaſt war mit Kaiſerlich-geſinnten erfüllt. Als der kaiſerliche Bot - ſchafter, Herzog von Seſſa von der letzten vergeblichen Au - dienz nach Hauſe ritt, nahm er einen Narren hinter ſich aufs Pferd, der durch tauſend Poſſen dem Volke zu ver - ſtehen gab, man mache ſich nichts daraus. 2Albert da Carpi an Franz I. Molini Documente I, 205.In den Häu - ſern der Colonnas unter den Augen des Papſtes hielten ſeine offenbaren Feinde Zuſammenkünfte. Um dann die Abſicht des Kaiſers zu vollführen, giengen ſie mit einer ich möchte ſagen groben Verſchlagenheit zu Werke. Sie fiengen an den neapolitaniſchen Grenzen im Gebiet der Colonnas - ſtungen an: auch der Papſt rüſtete. Dann erboten ſie ſich zu einem Vertrag: Clemens ließ ſich darauf ein, und war nun ſo unbeſorgt, daß er eine große Zahl ſeiner Truppen in Rom abdankte. Aber eben dieß war es, was ſie erwar - teten. Nachdem ſie ihn ſicher gemacht, entſchloſſen ſie ſich ihn zu überfallen. Der kriegeriſche Cardinal Pompeo Co - lonna, ein Mann, der einſt ſeine Stola zerriſſen, um eine Streitſache im Zweikampfe auszumachen, der immer eine374Viertes Buch. Drittes Capitel.bittere perſönliche Feindſchaft gegen den Papſt zur Schau getragen, vereinte ſich hiezu mit Don Ugo, wie einſt Sciarra Colonna mit Nogaret. Am 19ten September erſchienen die colonneſiſchen Schaaren vor den Mauern von Rom und drangen ohne Widerſtand ein. Die Stadt war ganz wehrlos: das Volk rührte ſich nicht: es war neugierig zu ſehen, ob Colonna, was er zu wollen behauptete, wirklich den Vatican im Namen des römiſchen Kaiſers beſetzen würde. 1Gleichzeitiger Bericht bei Buder Sammlung ungedruckter Schriften p. 563. Negri an Micheli 24 Sett. Lettere di prin - cipi I, 234. (Das Datum im Druck iſt falſch.)An der Beſetzung wenigſtens konnte ihn Niemand hindern, und wollte der Papſt, der nach der Engelsburg geflüchtet, ſeinen Pallaſt wiederhaben, ſo mußte er ſich zu einem Waf - fenſtillſtand verſtehen, nicht allein für Neapel und die Co - lonnas, ſondern zugleich für Mailand und Genua, für alle ſeine Truppen zu Land und zu See. 2Conventione di Clemente VII con Vgo di Moncada bei Molini I, 229.Nur um dieſen Preis verließen die Colonneſen die Stadt: ſie hatten über - dieß eine Beute von 300000 Duc. gemacht.

Wohl hätte nun Clemens die Gebrechlichkeit ſeiner Macht, die Gefahr erkennen mögen: die Stimme hatte ſich hören laſſen, die im Schneegefild der Alpen die nahende Lawine verkündigt. Allein noch einmal behielten Entrüſtung und Rachſucht in ihm die Oberhand. Wie ſein Bevoll - mächtigter Guicciardini ihm ſchrieb, die Verpflichtungen welche man beim Abſchluß der Liga ſo feierlich und öffent - lich übernommen, ſeyen um vieles heiliger als dieſe auf - gezwungenen Bedingungen,3Guicciardini al Datario 24 Spt. Lettere di principi II, ſo war auch er nicht der Mei -375Ruͤſtungen in Deutſchland.nung, den Waffenſtillſtand auch nur eine Stunde länger als nützlich zu halten;1Excerpt eines Schreibens worin Clemens erklaͤrt, der Ver - trag binde ihn nicht, bei Herbert p. 155. ſo wie er einigermaaßen gerüſtet war, griff er die Colonnas und das neapolitaniſche Gebiet an: in Kurzem empfieng er dazu franzöſiſche und engliſche Gelder; der berühmte Vertheidiger von Marſeille, Renzo da Ceri unternahm ein päpſtliches Heer in die Abruzzen zu führen. Indeſſen dienten ſeine übrigen Truppen, nach wie vor, gegen Mailand und Genua.

In dieſem Momente aber erhob ſich ſchon von einer andern Seite her eine noch viel größere Gefahr: der Kai - ſer hatte noch andre Kräfte aufzubieten als die italieniſchen.

In jenem Schreiben, das für den Ausgang des Reichs - tags ſo entſcheidend wurde, vom 27ſten Juli 1526, hatte Carl ſeinen Bruder aufgefordert, entweder ſelbſt nach Ita - lien zu gehn: in welchem Fall er ihm keine Inſtruction, ſondern nur eine Vollmacht zu geben gedenke, indem er ſeine Perſon darſtelle, als ſein zweites Selbſt: oder wenig - ſtens ein ſtarkes Heer auszurüſten und hinüber zu ſchicken. 2Excerpt bei Bucholtz III, 42.

Selber zu gehn, war Ferdinand durch die Angelegen - heiten von Ungern abgehalten, die ſeine Anweſenheit auf das dringendſte forderten: aber er wendete ſich an den Mann der ſchon immer die Landsknechte in Italien zum Siege ge - führt, George Frundsberg zu Mindelheim, der auch jetzt bereit war, ſeine alternde Kraft noch einmal ſeinem Kaiſer314. Er druͤckt ſich ſehr bezeichnend aus: nell osservare la tregua veggo vergogna, non si fugge spesa e si augumenta il pericolo, perche quanto all onore, N. Sre più è obligato ad una lega fatta con tanta solennità che ad un accordo fatto per forza e con ruina del mondo. 376Viertes Buch. Drittes Capitel.zu widmen. Eine große Schwierigkeit hatte es, Geld auf - zubringen. Ferdinand gab ſeinen Bevollmächtigten volle Gewalt, Land und Leute, Schlöſſer und Städte zu ver - pfänden: er erklärte ſich bereit, ſeine Kleinodien aufladen und in Augsburg verſetzen zu laſſen. 1Aus dem Bericht des Otto v. Pack, der nach Insbruck ge - ſchickt worden, um eine Geldforderung des Herzog Georg einzutrei - ben, ſehen wir, wie viel Schwierigkeiten das hatte: die Welſer wa - ren nicht bei Caſſe, die Fugger brauchten das baare Geld das in ihren Haͤnden war ſelbſt, um ſich nach dem Tode Jacob Fuggers auseinander zu ſetzen. (Dr. A.)Frundsberg ver - ſetzte das Geſchmeide ſeiner Frau: die italieniſchen Be - fehlshaber, welche ſich nur noch eine kurze Zeit halten zu können erklärten, wofern ſie keine Hülfe bekämen, ſchickten einiges baare Geld: endlich brachte man ſo viel zuſammen, um dem Volke wenigſtens das Laufgeld und einen halben Monatſold reichen zu können. Hierauf ward in allen ober - ländiſchen Reichsſtädten die Trommel gerührt: von allen Seiten kamen die Schaaren zuſammen.

Wir werden uns nicht täuſchen wenn wir behaupten, daß es dießmal nicht der bloße Kriegseifer war was ſie verſammelte: ſie kamen herbei, weil man wußte, daß es gegen den Papſt gieng.

Man hatte das in Rom vorausgeſehen. Giberti be - merkte ſchon im Julius: leicht werde man in Deutſchland ſehr zahlreiche Schaaren zuſammenbringen, in Betracht des natürlichen Haſſes den ſie gegen uns hegen, und der Hof - nung auf die Beute.

Die Anmahnungen des Kaiſers waren in den ver - fänglichſten Ausdrücken abgefaßt. Sein Bruder, ſagt er,377Ruͤſtungen in Deutſchland.möge nur vorgeben, daß das Heer das er rüſte gegen die Türken ziehen ſolle: Jedermann werde wiſſen welche Tür - ken das ſeyen. In einem Manifeſt, das der Kaiſer im September 1526 erließ, drückte er ſich auf eine Weiſe aus, deren ſich kein Anhänger Luthers zu ſchämen gehabt hätte: er bezeigt ſeine Verwunderung, daß der Papſt um irgend eines Beſitzthums willen Blutvergießen veranlaſſe: völlig entgegen ſey das der Lehre des Evangeliums. 1Rescriptum ad Papae criminationes. quod tamen Sti Vrae non placuit, heißt es (Goldaſt Constit. I, 489 nr. 19), licet credere non possemus, eum qui Christi vices in terris gerit, vel unius guttae humani sanguinis jactura quamcunque secularem di - tionem sibi vendicare velle, cum id ab evangelica doctrina prorsus alienum videretur. Im Oc - tober bittet er die Cardinäle den Papſt zu erinnern, daß er nicht um die Waffen zu führen, noch zum Verderben des chriſtlichen Volkes den pontificalen Thron inne habe; er trägt aufs neue auf ein Concilium an, und fordert die Cardinäle auf, wenn der Papſt es verweigere, es an ſei - ner Stelle zu berufen: er wenigſtens wolle unſchuldig ſeyn, wenn der chriſtlichen Republik dadurch ein Nachtheil er - wachſe. 2Epistola Caroli ad Collegium Cardinalium VIta Octobris. Goldaſt Pol. Imp. p. 1013.

Und fragen wir nun nach der Geſinnung Frundsbergs, ſo iſt kein Zweifel, daß er vorlängſt evangeliſche Überzeu - gungen hegte,3S. die oben p. 94 angefuͤhrte Stelle. und ſich überdieß in dem letzten Krieg mit dem bitterſten Haß gegen den Papſt erfüllt hatte. Unmit - telbar nach der Schlacht von Pavia hatte er darauf ange - tragen, denſelben im Kirchenſtaate heimzuſuchen. In dieſer378Viertes Buch. Drittes Capitel.Geſinnung beſtärkte ihn vor allem ſein Secretär und Be - gleiter auf dieſem Zuge, Jacob Ziegler, der ſich lange Zeit am römiſchen Hof aufgehalten hatte, von dem eine Lebens - beſchreibung Papſt Clemens VII übrig iſt, aus welcher man ſieht, was die Deutſchen dort von dem Papſt dachten und unter einander beſprachen, von ſeiner unächten Geburt, die ihn ſchon von Anfang an von der Geiſtlichkeit hätte aus - ſchließen ſollen, ſeiner verſchlagenen Pfiffigkeit, ſeinem räu - beriſchen Geiz: Giftmiſchereien und die ſchändlichſten Wol - lüſte gaben ſie ihm Schuld: mit allen Gerüchten des Hofes, wahren oder falſchen, nährten ſie die nationale Antipathie von der ſie erfüllt waren. Dieſe Erzählungen, zuſammen - treffend mit den Feindſeligkeiten gegen den Kaiſer, die man für durchaus unrechtlich hielt, erweckten in den Deutſchen, Hauptleuten und Gemeinen, ungefähr denſelben religiös-po - litiſchen Eifer gegen den Papſt, der in dem Bauernkrieg ſo vie - len deutſchen Prälaten verderblich geweſen: auch G. Frunds - berg war davon durchdrungen:1Schelhorn de vita et scriptis Jacobi Ziegleri § 21. Er weiſt aus einem ungedruckten Werke Zieglers nach, magnanimo he - roi, in G. Fo in expeditione italica versanti eum fuisse vel a consiliis vel ab epistolis. er erklärte ſich entſchloſ - ſen, der Sache ein Ende zu machen, dem Papſt ein Leides zu thun, wenn er ihn in ſeine Hand bekomme.

Wenn die Politik des Kaiſers die religiöſen Beſtre - bungen der Deutſchen unterſtützte, ſo förderte die religiöſe Stimmung hinwieder die Politik des Kaiſers. Bei der er - ſten Annäherung an die Neigungen der Nation kam ſie ihm mit aller ihrer Kraft zu Hülfe.

Im November ſammelten ſich bei 11000 Mann auf379Auszug G. Frundsbergs.den Muſterplätzen zu Meran und Botzen:1Aus dem Tagesbericht in Hormayrs Archiv 1812 p. 424 ſehen wir, daß das Heer aus 10650 M. beſtand, auf den halben Monat mit ſeinen Amt und Hauptleuten 25900 G., mit dem Lauf 34832 G. brauchte. Die Muſtercommiſſarien liehen dem Frunds - berg 2000 G., damit er doch etwas in Haͤnden hatte: mit uͤberlau - fenen Augen nahm er das an. in Trient ge - ſellte ſich ihnen die eben aus Cremona abgezogene Beſatzung unter Conradin von Glürns zu; ſie waren alle willig, dem ſchlechten Solde zum Trotz den ſie erhielten: noch etwa 4000 nahmen ohne alle Löhnung an dem Zuge Theil, ein auserleſener Haufe, wie er bei Menſchen Gedenken nicht in Italien geſehen worden.

Die nächſte große Schwierigkeit war nun, nur erſt dahin zu gelangen, die Alpen zu überſchreiten, und ſich dann drüben in Berührung mit dem Heere in Mailand zu ſetzen.

Frundsberg hatte keine Luſt, ſeine Kraft und Zeit an der wohl beſetzten Clauſe von Verona zu vergeuden: er ſchlug die viel ſchwierigere Straße über die Sarka-berge ein, nach den Herrſchaften ſeines Schwagers, des Grafen von Lodron. Hier boten ſich ihm abermals zwei Wege dar: der eine zur rechten Hand, noch allenfalls von einem Heere zu paſſiren, aber durch die Clauſe von Anfo geſchloſſen: der andre zur Linken, eigentlich nur ein Fußſteig zwiſchen Untiefen und Abgründen, den ein einziger Bauer hätte un - brauchbar machen können: den aber die Feinde nicht be - achtet hatten. Dieſen Pfad ſchlug Frundsberg am 17ten November ein: ſein Schwager, der hier in der Nähe ſei - nes Stammſchloſſes Weg und Steg kannte, gab ihm noch380Viertes Buch. Drittes Capitel.das Geleite, drei Meilen bis zum hohen Gebirg. Nur wenige Pferde konnte man mitnehmen: von dieſen ſtürzten dennoch einige die Klüfte hinab: auch von den Leuten ſtürz - ten einige hinunter: Keiner durfte ſeine Blicke abwärts wenden. Den Feldhauptmann nahmen einige ſichre Knechte in die Mitte: mit ihren langen Spießen bildeten ſie an den gefährlichſten Stellen wie ein Geländer zu ſeiner Seite: er faßte dann wohl den Vordermann an dem Goller, der Hintermann ſchob ihn: ſo gelangten ſie des Abends nach Aa, am 18ten nach Sabbio: Widerſtand fanden ſie nicht: am 19ten erſchienen ſie an dem Fuß des Gebirges, bei dem Markt Gavardo im Gebiet von Brescia. Eben gien - gen ihre Lebensmittel aus: hier aber fanden ſie guten Far - natzer Wein, 8000 Stück Vieh trieben ſie zuſammen, und thaten ſich nach langer Entbehrung gütlich. 1Reisner Frundsberge 86. Thun bei Hormayr 428.

Ihre Abſicht wäre geweſen, ſich nun unmittelbar mit dem Heere in Mailand zu vereinigen. Aber viel zu ſtark war der Feind im Felde, als daß er das zugegeben hätte. Der Oberbefehlshaber der Liga, Herzog von Urbino erſchien mit ſeinen Halbhacken in ihrer rechten Flanke und hielt ſie vom Oglio entfernt. Sie konnten nicht daran denken, irgend eine von den benachbarten Städten anzugreifen: alle waren in zu gutem Vertheidigungszuſtand, und ſie dagegen ohne Geſchütz: es blieb ihnen nichts übrig, als der Verſuch, über den Po zu kommen, wo der Feind nicht ſo ſtark war und ſich Bourbon mit der Zeit mit ihnen vereinigen konnte. 2Bourbon hatte ihm geſchrieben, er koͤnne ihm den Weg nicht angeben: Frundsberg war entſchloſſen im Nothfall zu ſchlagen, doch ſich ſonſt in keine Gefaͤhrlichkeit zu ſtellen. Schreiben bei H. 424.381Frundsberg bei Mantua.Dahin nahm Frundsberg in drei geſchloſſenen Haufen ſei - nen Weg: die Verbündeten hatten doch nicht den Muth, ihn ernſtlich anzugreifen: ſie neckten ihn blos bald mit ihrer leich - ten Reiterei bald mit ihren Schützen, die ſich hinter den Grä - ben den Hecken verbargen;1Leoni Vita di Francesco Maria d’Vrbino p. 364. nur einmal kam er in ernſt - liche Gefahr. Als er in der Landwehr von Mantua, auf dem langen ſchmalen Damm einherzog, griffen ihn die Feinde im Rücken an und machten zugleich eine Bewegung um die Brücke über den Mincio, den er paſſiren mußte, bei Governolo zu beſetzen. Er wäre verloren geweſen, hätte er ſich an dem höchſt ungünſtigen Ort einſchließen laſſen. Frundsberg war aber bei aller ſeiner handfeſten Tapferkeit keinesweges ohne eine einfache und ausreichende Taktik. Jener Brücke hatte er ſich noch im rechten Moment ver - ſichert: den Anfall im Rücken wieſen die Schützen mit ih - ren Handrohren ab; als dann doch eine nicht unbedeutende feindliche Truppe an dem Fluß erſchien und ihm den Übergang zu erſchweren Miene machte, wollte ihm das Glück ſo wohl, daß einer der erſten Schüſſe den Capitän derſelben, Johann Medici, auf welchen die Italiener ihr Vertrauen geſetzt, der ganz ein Mann war nach ihrem damaligen Sinne, gebil - det, klug, allen ſüdlichen Laſtern ergeben, aber zugleich that - kräftig, verwegen, ein guter Anführer, tödtlich verwun - dete. 2Die Erzaͤhlung, daß dieß juſt der erſte Schuß aus den ſo eben angekommenen Falconets von Ferrara geweſen, nahm Reisner aus Jovius Vita Alfonsi, und ſie iſt mir deshalb verdaͤchtig, weil nach dem Tagebuch bei Hormayr p. 429 erſt nachdem man uͤber den Po gekommen, 2 Falconets und 2 Schlangen, mit 10000 G. vom Herzog anlangten. Haͤtt ich, ſagt Frundsberg, 4 bis 500 PferdHierauf gieng Frundsberg bei Oſtiglia über den382Viertes Buch. Drittes Capitel.Po: das rechte Ufer aufwärts nach der Trebbia: am 28ſten Dez. langte er in der Gegend von Piacenza an. Hier ſind wir, ſchrieb er dann an Bourbon: über die hohen Gebirge und tiefen Waſſer, mitten durch die Feinde, in Hunger und Mangel und Armuth ſind wir glücklich ange - langt. Was ſollen wir thun?

Bourbon brauchte noch den ganzen Januar, um Mai - land ſo weit zu beruhigen, daß er es mit einer gewiſſen Sicherheit einem Theile ſeiner Truppen anvertrauen, und mit dem andern ſich mit den Deutſchen verbinden konnte. Am 12ten Februar geſchah die Vereinigung bei Firenzuola. 1Frundsberg war ſehr mißvergnuͤgt daß man ihn ſo lange aufziehe. Er vermuthet ſchon Verraͤtherei: was man ihm ſagt glaubt er wie St. Thomas. Schreiben a. a. O. 430.Was ſie thun ſollten konnte ihnen keinen Augenblick zweifel - haft ſeyn. Die Geſinnung Frundsbergs kennen wir. Auch von Bourbon kann man ſich nicht wundern wenn er jetzt vor allen andern Menſchen den Papſt haßte: daß er Herzog von Mailand werden ſolle, war die Forderung des Kaiſers, an der bisher alle Unterhandlungen geſcheitert wa - ren, die Clemens nie hatte bewilligen wollen. Ihr ein - ziger Verbündeter in Italien war der Herzog von Ferrara, der dem Papſt einen nicht geringern Haß widmete: von Cle - mens wie von Leo war er unaufhörlich ſelbſt in ſeinem an - geſtammten Erbe bedroht worden: er unterſtützte das Heer auf dem Marſch, und forderte die Anführer auf, nur kei -2gehabt, ſo wollt ich mit der Huͤlfe Gottes kaiſerlicher Mt und fuͤrſt - licher Durchlaucht nicht ein klein Ehr eingelegt haben. Ihr muͤgt enndlich glauben, daß ich mein Lebtag heftigern Abzug nicht geſehn habe. Den Feinden wurden 500 Pferde erſchoſſen.383Vereinigung der kaiſerlichen Heere.nen Augenblick zu verlieren und den gemeinſchaftlichen Feind in Rom aufzuſuchen. 1Schon im Nov. hatte ihnen der Herzog von Ferrara gera - then, die Bentivogli in Bologna einzuſetzen: gehe das nicht den Zug auf den Papſt vorzunehmen: wenn Bourbon kein Geld ſchaffe, die Staͤdte und Flecken zu ſchaͤtzen, die Knechte zu unterhalten. Am 22ſten Februar brach dann das vereinigte Heer, bei 20000 M. ſtark, in ſechs Hau - fen vertheilt, mit einigem Geſchütz und einiger leichten Reiterei aus dem Lager von Firenzuola auf und nahm die große Straße die nach Rom führte. Hauptleute und Ge - meine waren davon durchdrungen, der Papſt habe den neuen Krieg angefangen; ſie wußten ſehr wohl, daß wenn es ihnen der Kaiſer an ihrem Sold fehlen laſſe, dieß nur aus Mangel geſchehe, und waren entſchloſſen ſich denſelben in Rom zu holen. Der religiöſe Widerwille und die Be - gierde den Kaiſer zu rächen, das gerechte Verlangen, zu ihrem wohlverdienten Solde zu kommen, und der Ruf von den ſeit einem Jahrhundert aus aller Welt in Rom zu - ſammengehäuften Schätzen durchdrangen ſich in ihnen, und bildeten das wunderlichſte Gemiſch von Leidenſchaften, de - ren Inhalt ſich zuletzt in dem Entſchluß zuſammenfaßte, Rom zu erobern und zu plündern.

Gleich bei dem erſten Hinderniß das ſich ihnen in Weg ſtellte, flammte dieſe Stimmung, nun ſchon ſelbſtändig ge - worden und nicht mehr zu bezähmen, in den heftigſten Ausbrüchen auf.

Ende Februar und Anfang März hatten die päpſtli - chen Truppen einige Vortheile im Neapolitaniſchen davon getragen, und der Vicekönig hatte ſich wirklich entſchloſſen einen Stillſtand mit dem Papſt einzugehn, in welchem ent -384Viertes Buch Drittes Capitel.weder gar nicht oder doch nur unzureichend von den Geld - zahlungen die Rede war, die dem Heere geleiſtet werden ſollten, dagegen deſſen Rückzug in die Lombardei verabre - det wurde. 1Vertrag bei Bucholtz III, 605. Die Inhaltsangabe bei Guicciardini (XVIII, 5) ſtimmt damit nicht ganz zuſammen: na - mentlich findet ſich in dem Text nichts von den 60000 Duc. die nach Guicciardini gezahlt werden ſollten. Ich moͤchte doch glauben, daß es noch einige geheime Artikel gab, wie in der Ligue von Cognac. Vettori ſpricht von 65000 Duc.Es war nicht ſehr wahrſcheinlich, daß dieſer Vertrag von dem Kaiſer ratificirt, oder von den Heerfüh - rern angenommen, ja ſelbſt nicht, daß er von dem päpſt - lichen Befehlshaber ausgeführt werden würde, indem das Heer der Liga ſich in dieſem Fall ganz von den päpſtlichen Truppen zu trennen drohte. 2Dieſe Zweifelhaftigkeiten brachten die paͤpſtl. Agenten in Ver - zweiflung. Si è sempre consigliato lo accordo, ma s’intendeva un accordo che fusse fermo e non dubio e intrigato, come que - sto che si è fatto in Roma e non osservato in Lombardia. Aber das bloße Gerücht da - von, der Anblick eines Geſandten, der von Rom kam und da - hin zurückeilte, brachte das Heer in Bewegung. 3Sepulveda: VI, 1.Zuerſt murr - ten die Spanier. Sie drohten, ſie würden ſich zu einem an - dern Herrn ſchlagen, der ihre Anſprüche beſſer befriedige: al - lein wen hätten ſie finden ſollen, da ihnen der Kaiſer 8 Mo - nate den Sold ſchuldig war! es blieb ihnen nichts übrig, als ſich an die Perſon ihres Heerführers zu halten. Ein Glück daß Bourbon noch entfliehen konnte: ſein Zelt ward geplündert, ſein beſtes Kleid fand man den andern Tag in einem Gra - ben. Und auf der Stelle theilten ſie ihre Aufregung auch den Deutſchen mit; ſie riefen nur immer: Lanz Lanz, Geld Geld:das385Empoͤrung im Lager.das war alles Deutſch was ſie konnten, es war wie der Naturlaut dieſes Aufruhrs. Frundsberg glaubte doch noch nichts fürchten zu müſſen: er traute ſich noch zu, ſeine Landsknechte in Güte zu beſchwichtigen. Er ließ die Trom - meln gehn, einen Ring ſchließen, und hatte das Herz, mit dem Prinzen von Oranien, der dem Heere aus Deutſch - land nachgekommen, und den vornehmſten Hauptleuten in deſſen Mitte zu treten: er glaubte noch durch vernünftige Worte etwas auszurichten. Er ſtellte ihnen vor, wie er bisher für ſie geſorgt,1In einem fruͤhern Schreiben aus dem Heer heißt es: die Knecht ſind vaſt wohl mit im zufrieden: er ritt auch unter ihnen um wie ein Held, und iſt allweg der foͤrdriſte beim Haufen. Wit - tenbach 4ten Febr. 27 in Hormayrs Oͤſtreich. Plutarch XIII, 112. ſie in guten und böſen Tagen nicht verlaſſen: ſo wolle er auch künftig bei den from - men Landsknechten thun: ihr gegenſeitiger Schwur ſey, bei einander zu geneſen und zu ſterben, bis ſie alle bezahlt und befriedigt worden; den denke er zu halten: den Feind des Kaiſers, den Anfänger des Krieges wolle er mit ihnen überziehen. 2Reisner: Frundsberge 104. (Bartholds Frundsberg ſetze ich voraus.) Wahrhaftiger und kurzer Bericht bei Buder p. 536 und bei Goldaſt Politiſche Reichshaͤndel p. 443; es finden ſich einige kleine Differenzen, die ſich ſchwer werden ausgleichen laſſen.Allein es liegt etwas Irrationales in der gewaltſamen Forderung vereinigter Maſſen: ihrem Unge - ſtüm wird durch keine Gründe Einhalt gethan; der ver - nünftigen Anrede des Hauptmanns, den ein jeder Ein - zelne doch verehrte und liebte, antworteten ſie mit dem Ge - ſchrei Geld Geld, das ſich brüllend durch ihre Glieder wälzte: ſie ſenkten die Spieße wider die Oberſten in ihrer Mitte als wollten ſie ſie alle durchbohren. Dem altenRanke d. Geſch. II. 25386Viertes Buch. Drittes Capitel.Frundsberg war es beſchieden, die Landsknechte, als deren Lehrmeiſter und Vater er ſich betrachten konnte, mit de - nen er ſo viel gewaltige Feinde beſtanden, und jetzt dem mächtigſten, den ſie alle haßten, entgegengieng, die Waffen gegen ſich ſelbſt richten zu ſehen. Man hat behauptet, eben dieſer verſchlagene, im Geheimen thätige Feind habe durch ſeine Emiſſäre das Feuer geſchürt. Wenigſtens gegen Frundsberg bedurfte es keiner andern Waffen. Der alte Held, der ſonſt wohl den ſtärkſten Gegenmann, ſpielend, mit einem Finger von ſich geſchoben, den keine Übermacht des Feindes jemals erſchreckt hatte er pflegte zu ſagen: viel Feinde, viel Ehre: der ſelbſt darüber hinwegkam, wenn es ihm nach großen Dienſten bei Hofe ſchlecht gieng, ſeinem Unmuth in ein paar Reimen Luft machte und bei der nächſten Bedrängniß ſeines Herrn die aufgehenkte Wehr wieder von der Wand nahm, der konnte doch dieſen An - blick nicht ertragen: er empfieng davon unmittelbar ſo gut wie den Tod; in dem Momente verlor er das Bewußt - ſeyn und die Sprache, auf eine Trommel ſank er nieder: er war am Ziele ſeiner Heldenlaufbahn. Wunderbare Kata - ſtrophe. Er kam um im Feld, aber nicht durch die Feinde, nicht in dem Waffenkampfe, zu dem er ausgezogen: ſein ein - fach heroiſches Gemüth, das ſich mit alle ſeiner Ehrlichkeit und ſeinem Ernſt anſtrengte, die emporfluthende Bewegung der doch ſonſt des Gehorſams gewohnten Truppen zu bemei - ſtern, als es die Leidenſchaft, den einmal entflammten Trieb der Empörung unüberwindlich, übermächtig ſah, da erlag es: bei dem widrigen Anblick, mit Einem Schlag verließ ihn die Lebenskraft. Hätte aber der Feind dadurch etwas erreicht zu387Empoͤrung im Lager.haben geglaubt, ſo wäre er doch im Irrthum geweſen. In demſelben Grade gewaltig war nun auch die Rückwirkung dieſes Unfalles auf das Heer. Er bewirkte, was keine Zu - ſprache und Überlegung vermocht hatte. Die Speere wurden wieder aufgenommen: das wilde Toben legte ſich: die Worte der Oberſten fanden aufs Neue Gehör: Alles gieng aus einander. Erſt am 4ten Tag bekam Frundsberg die Sprache wieder, doch konnte er den Leuten nun nicht weiter vor - angehn. Er erinnerte nur noch den Herzog von Bourbon, nicht abzuſtehen: bis hieher habe ſie Gott geleitet; es könne nicht anders ſeyn, er werde die Sache auch zu Ende führen. Die Landsknechte ſchrien nun nicht mehr nach Geld: ſie baten Bourbon ſelbſt, keine Zeit weiter zu verſäumen: ſie wollten nur fort fort.

Hätte es Bourbon auch beabſichtigt, ſo würde er nicht mehr im Stande geweſen ſeyn das Heer zurückzuführen. 1Nach Machiavelli Speditione a Francesco Guicciardini lettera XIV 29 Marzo meldete Bourbon dem Legaten, quanto egli ha desiderato la pace et la fatica ch egli ha durata per far con - tenti quelli soldati a questa tregua, e che in effetto non ha po - tuto fargli contenti, mostrando che bisogna più danari dice il numero.

Der Heftigkeit des Haſſes gegen den Papſt entſprach die kühle Lauheit ſeiner Freunde. Das Heer der Liga folgte dem kaiſerlichen immer in einiger Ferne und be - drohte eher den Rückzug als das Vorrücken deſſelben. Alle großen Städte waren im Kirchenſtaat in ſo gutem Vertheidigungsſtand wie in der Lombardei: dem Heere blieb nichts übrig als die Straße die es vor ſich hatte: nur durch übergetretene Flüſſe und Regenwetter und die25*388Viertes Buch. Drittes Capitel.Päſſe im Gebirg ward es gehindert: ein Feind trat ihm nirgends entgegen. Langſam zog Bourbon vorwärts: erſt am 5ten April finden wir ihn bei Imola; einige kleinere Städte wurden erobert und geplündert: dann wandte er ſich zur Rechten nach den Gebirgen: er nahm den Weg von Val di Bagno. Die größern Geſchütze ſendete er an den Herzog von Ferrara, die kleineren wurden die Berge emporgeſchleift: man hatte zuweilen Mangel an Brod, doch fehlte es eigentlich niemals an Wein und Fleiſch: ohne viel Mühe ward die Höhe des Gebirges in den Gegen - den erſtiegen, wo unfern von einander Sapio, Folia, Me - tora, mehrere Zuflüſſe des Arno entſpringen, und aus zahl - reichen Quellen die Anfänge der Tiber zuſammenſtrömen;1Plinius Hist. nat. III, 175 ed. Lugd. Flavius Blondus Italia illustr. p. 344. am 18ten April erſchienen die Kaiſerlichen bei Pieve di S. Stefano und bedrohten von da zugleich die Thäler des Arno und der Tiber, Florenz und Rom, ohne daß man noch wußte, wohin es ſich zunächſt wenden werde. Ein allgemeiner Schrecken ergriff dieſe Gebiete. 2Foscari Relatione di Fiorenza 1527 fuͤhrt aus, daß Bour - bon entweder Val di Lamone, oder la via della Marca von Rimini her, oder Val di Bagno paſſiren konnte. Nur die mittlere, bequemſte war befeſtigt. Auch die andern haͤtte man mit leichter Muͤhe ver - theidigen koͤnnen, si fata deum, si mens non laeva fuisset. Aus Machiavells Briefen ſieht man, daß als das Heer von S. Gio - vanni aufbrach, man immer noch glaubte, es moͤchte vielleicht zuruͤck - gehn, und den Weg nach Lucca nehmen, oder es moͤchte Ravenna angreifen.

Der Papſt ſah nun wohl, daß der Vertrag den er mit Lannoy geſchloſſen zu günſtig war um ausgeführt zu werden. Was die Kaiſerlichen ſchon immer von ihm ge -389Empoͤrung im Lager.fordert, das Geld um das Heer zu befriedigen, konnte er jetzt nicht mehr verſagen. Er ſah: ſeine eigne Rettung hieng davon ab. In ſeinem Auftrag begab ſich Lannoy nach Florenz, um zu ſehen ob es da aufgebracht werden könne. In der That ſicherte man ihm hier zu, 150000 Scudi in beſtimmten Terminen zu zahlen, und er eilte nach dem Gebirg, um mit dieſem Verſprechen das Heer wo möglich zum Rückzug zu bewegen. 1Inſtruction Lannoys in Hormayrs Archiv 1812 p. 377. Die Excerpte bei Bucholtz p. 71 ſtammen wohl aus denſelben Papieren.

Am 21 April langte er in dem Lager an, und blieb drei Tage daſelbſt. Man ſah ihn mit Bourbon eſſen und trinken: alle ihre alten Mißverſtändniſſe waren beigelegt; jedoch zeigte ſich, daß das Anerbieten der Florentiner ihnen nicht genügte: ſie erklärten, daß ſie wenigſtens 240000 Sc. haben müßten, um das Heer zum Rückzug zu bewegen.

Ob ſie alsdann im Stande geweſen wären, oder auch nur den ernſtlichen Verſuch gemacht haben würden, es zu - rückzuführen? Ich möchte es nicht behaupten. Die Tu - multe jenes Lagers waren in zu friſchem Gedächtniß. Auch finde ich nicht, daß ſie der Kaiſer dazu aufgefordert hätte.

Höchſt eigenthümlich iſt doch aufs neue das Verhält - niß des Kaiſers.

Noch öfter wurden zwiſchen ihm und dem Papſt jene oſtenſiblen Äußerungen väterlichen Wohlwollens und kind - licher Ergebenheit gewechſelt, die in der katholiſchen Welt herkömmlich ſind: der Kaiſer ſprach noch zuweilen von der Entwurzelung der Lutheraner: in Hinſicht Italiens gab er Verſicherungen von denen der Papſt ſagt, er würde darauf390Viertes Buch. Drittes Capitel.die ganze Welt und ſeine eigne Seele in die Hände des Kaiſers gegeben haben. 1Instruttione a Farnese Paͤpſte Bd III, Anh. p. 36.Allein ganz anders lauten die Wei - ſungen Carls an ſeine Generale. Lannoy ward im Februar ermahnt, ſich nur durch keinen Vertrag täuſchen zu laſſen: wenn er auf der einen Seite die Colonneſen unterſtütze, und dann auf der andern Bourbon mit dem deutſchen Heere heranrücke, ſo könne man zu vielen großen und gu - ten Dingen gelangen. Wir ſehen wohl, ſchrieb er, ſie werden (in Rom) nicht gut thun, wenn ſie nicht wohl geſtriegelt werden. Es wird nöthig ſeyn aus fremdem Leder Riemen zu ſchneiden d. i. Geld zur Bezahlung un - ſerer Armee aufzubringen: da wo es am nächſten liegt: man muß dabei Florenz nicht vergeſſen, das auch eine derbe Züchtigung verdient hat. 2Excerpte bei Bucholtz III, 57.Ungefähr dieſelben Meinun - gen ſind das, wie die, welche im Heere herrſchten. Nicht anders lauten die Briefe an Bourbon. Er weiſt ihn an, alles zu thun um die Kriegsrechnung abzumachen: ihr ſeht, das Spiel dauert lang, ihr werdet nichts ver - ſäumen um es zu endigen. 314 Febr. und 31 Maͤrz. Bei Bucholtz III, 66.Es iſt wahr, er brach die Unterhandlungen nicht ab, er fertigte ſogar eine Ratifica - tion des Stillſtandes, eine Vollmacht für den Frieden aus: allein er befahl zugleich dem Vicekönig, die Ratification nur in dem Falle auszuantworten, daß indeß das Heer keine Än - derung bewirkt, keinen beſſern Vertrag möglich gemacht habe. Seine Inſtructionen konnten bei ſeiner Entfernung nur ſehr ſpät eintreffen, nur im Allgemeinen wirken. Aber391Empoͤrung im Lager.es bleibt immer merkwürdig, daß er in denſelben Tagen, in welchen Bourbon und Lannoy beiſammen waren, am 23ſten April, nachdem er von dem Stillſtand wiſſen mußte, ſeinen Oberfeldherrn doch auch nicht mit einem Wort er - innert, denſelben zu beobachten. Ich ſehe, mein Vetter, daß Ihr gegen Rom zieht, ſagt er; er hütet ſich wohl, das zu mißbilligen: dort vielmehr meint er könne man von einem Stillſtand oder auch von einem Frieden han - deln: er ſende ihm die Vollmacht, obwohl er darin zuerſt genannt ſey, nicht ſelbſt zu, damit es nicht ſcheine, als komme er um Frieden zu bitten, ſondern damit man wiſſe, er werde ſich denſelben mit Gewalt erzwingen. 1Auszug bei Bucholtz p. 67.Mit Ei - nem Worte, der Kaiſer war es ſehr wohl zufrieden, daß ſein Heer gegen Rom zog, um ſich daſelbſt bezahlt zu ma - chen und dem Feinde den Frieden vorzuſchreiben.

Und bemerken wir, daß in dieſem Moment auch der Papſt nicht mehr geneigt war, den Stillſtand, der ihn von ſeinen Verbündeten trennte, zu halten. Eben in denſelben Tagen, am 25ſten April, ſey es daß er die neuen For - derungen der Armee ſchon erfahren hatte und unannehm - bar fand, oder daß ihn auch die allgemeine Lage der Po - litik ohnehin dazu bewog, ſchloß er ein neues Bündniß mit der Liga ab, welches zwar nicht bekannt geworden, von dem er aber ſelbſt ſagt, es ſey darin Vieles zum Nach - theil des Kaiſers enthalten geweſen. 2Instruttione al Cl Farnese p. 31: consentendo a molte conditioni che erano in pregiudicio della M Cesarea.

Genug, ſowohl der Kaiſer als der Papſt waren ent - ſchloſſen das Kriegsglück wider einander zu verſuchen.

392Viertes Buch. Drittes Capitel.

Hätten ſich die Kaiſerlichen durch den frühern Still - ſtand gebunden gefühlt, ſo hätten ſie nun doch wieder freie Hände gehabt. Bourbon zögerte keinen Augenblick dieſen Vortheil zu benutzen. Nach einigen Demonſtratio - nen gegen Florenz und Arezzo, von Siena unterſtützt ſchlug er am 28ſten April die große Römerſtraße ein, welche die Kriegsheere und die Pilgerſchaaren aus dem Norden Jahrhunderte daher ſo oft abwechſelnd gezogen waren. Die Reiterei der Liga war ihm auf den Ferſen, vor ſich aber fand er keinen Widerſtand. Am 2ten Mai war er in Viterbo, wo er von den deutſchen Herren bewillkommt wurde; am 4ten jagte er die erſten päpſtli - chen Truppen die ihm begegneten, unter Ranuccio Farneſe, aus Ronciglione; am 5ten durchzog er die Campagna und erſchien des Abends von dem Monte Mario her vor den Mauern des Vatican. 1Commentarius captae urbis laͤßt das Heer ſchon am 4ten vor Rom anlangen. Ein Theil muß wohl wirklich ſchon da erſchie - nen ſeyn. Einen Tag und zwei Naͤchte ſey es dem roͤmiſchen Ge - ſchuͤtz ausgeſetzt geweſen.

So kam das deutſche Heer, wie es von Tirol und Schwaben ausgezogen, ohne irgendwo Widerſtand gefun - den zu haben, nachdem alles nach beiden Seiten vor ihm zurückgewichen war, vor Rom an durch die hinzugekom - menen Spanier und Italiener, die auch in Rom Sold und Rache ſuchten, in ſeinem Ingrimm beſtärkt, von ei - nem Feldherrn angeführt, der ſchon von den gewohnten Bahnen des europäiſchen Lebens abgewichen in dem Papſte den vornehmſten Gegner aller ſeiner Anſprüche und Aus - ſichten haßte.

Es würde unbegreiflich ſeyn, wie der umſichtige Cle -393Eroberung von Rom.mens nicht alle Möglichkeiten benutzte um dieß Unwetter zu beſchwören, hätte er ſich nicht im Grunde immer für den ſtärkeren gehalten. In Neapel hatte er Fortſchritte gemacht, in der Lombardei nichts verloren; daß der Feind ſo ungehindert vorrückte, davon maß er die Schuld ſich ſelbſt bei, dem Stillſtand den er geſchloſſen, und der ſeine Verbündeten irre gemacht habe; jetzt nachdem er dieſen zurückgenommen, die Liga erneuert hatte, zweifelte er nicht, daß das Heer derſelben, das ſchon in Toscana ſtand, ihm noch zur rechten Zeit zu Hülfe kommen würde: bis da - hin meinte er ſollte es auch in Rom keine Gefahr haben: die Mauern waren mit Kanonen beſetzt, 5000 Hakenſchützen geworben: dem nemlichen Hauptmann, der vor drei Jahren den nemlichen Anführer und ein gleiches Heer ſo glück - lich von Marſeille abgewehrt hatte, war die Vertheidigung von Rom übertragen.

Das mußte ſich nun eben zeigen. Auch Bourbon ſah ſehr wohl, daß er ſich von dem wohlangeführten Feinde der hinter ihm herzog, nicht durfte vor den Mauern tref - fen laſſen: er hätte noch am Abend angegriffen, hätte man ihm nicht die Nothwendigkeit vorgeſtellt, ſich doch noch mit einigen Sturmleitern zu verſehen.

In der Nacht zum 6ten Mai bereitete ſich alles zum Sturme auf Rom. Man beichtete und machte ſein Teſta - ment. Auch Bourbon gab ſeinem Beichtvater einige Auf - träge, die uns ungefähr den Ideenkreis zeigen, in dem er lebte. Er erinnerte den Kaiſer: erſtens in Zukunft ſeine Truppen zu befriedigen, vor allem die Deutſchen, ohne welche er Italien nicht in Zaum halten könne: ſodann ſich394Viertes Buch. Drittes Capitel.in Rom krönen zu laſſen, was ihm zum Frieden mit dem Papſt und zur Unterwerfung der Fürſten ſehr nützlich ſeyn werde; von ſich ſelbſt verſicherte er, ſeine Abſicht ſey nur, den Papſt zu einem Darlehn für die Beſoldung der Trup - pen zu nöthigen, und die Krönung des Kaiſers vorzube - reiten. Man ſieht er fühlte ſich ganz als ein Soldat des Kaiſers: mit dem ſiegreichen und befriedigten Heer dachte er Rom beſetzt zu halten, und ſeinem Herrn das Anſehn eines alten Kaiſers zu verſchaffen.

Merkwürdigerweiſe neigte auch die Meinung eines Theils der Bevölkerung innerhalb der Mauern dahin. Rom hatte keine feſte, durch ererbte Rechte zuſammengehaltene Bürgerſchaft, wie damals vielleicht alle andern Städte in Europa: die Einwohner waren großentheils erſt in den letz - ten Jahren eingewandert. Sie lebten von den Geſchäf - ten am Hofe. Da deſſen Anſehn und Einkommen Schlag auf Schlag abnahm, ſo hätten ſie es ſo übel nicht gefun - den, wenn die Regierung der Prieſter durch die Hofhaltung eines mächtigen Kaiſers verdrängt worden wäre, die ihnen dieſelben Vortheile gewährt hätte. 1Vettori: Sacco di Roma, scritto in dialogo. Gli Romani si persuadevano che l’imperatore avessi a pigliare Roma e farvi la sua residenza, e dovere avere quelle medesime comodità e utile che avevano dal dominio de preti.

In der Frühe des 6ten Mai, es war ein nebliger Mor - gen, ſchritten die Kaiſerlichen zum Angriff wider die Mauern welche den Vatican umgaben. Sie hatten eine Anzahl von Sturmleitern aus den Gattern der Gärten, die man mit Weidenruthen an einander band, zu Stande gebracht. Ober - halb des Thores Sti. Spirito griffen die Spanier, unter -395Eroberung von Rom.halb deſſelben die Deutſchen an: unter den Spaniern Bour - bon ſelbſt. Die Mauern waren nur niedrig, die Ver - ſchanzungen in der Eile aufgeworfen: das päpſtliche Ge - ſchütz that keine rechte Wirkung; einen einzigen großen Verluſt erlitten die Kaiſerlichen: Bourbon ſelbſt fiel im erſten Anlauf durch den Schuß einer Hakenbüchſe;1Nach dem Ferrariſchen Schreiben bei Hormayr 437 fiel Bourbon als der erſte oder der dritte: eine Musketenkugel zerriß ihm Rippen und Eingeweide, in einer halben Stunde war er todt. er war nur beſtimmt geweſen, das Ereigniß bis auf den Punct zu führen, wo es ſeinem eignen innern Antrieb über - laſſen werden konnte; über ihn dahin gieng es nun ſei - nen Lauf weiter. In Kurzem waren die Verſchanzungen überwältigt; hierauf wurden die Leitern angelegt; unter den Erſten erſtieg Claus Seidenſticker, ſein großes Schlacht - ſchwerd in der Hand, die Mauern; dann ſprang Michael Hartmann mit einigen Gefährten hinab; ſie hatten ſo we - nig nachhaltigen Widerſtand gefunden, daß ſie ſelbſt kaum wußten, wie ſie hinübergekommen: in ihrem evangeliſchen Eifer meinten ſie, Gott ſey ihnen im Nebel vorangegan - gen. Leicht war das päpſtliche Geſchütz genommen, das Thor für den nachdringenden Haufen eröffnet: ein paar hundert Schweizer, die ſich auch hier den Landsknechten gegenüber finden ließen, wurden ohne Mühe zurückgewor - fen: der Borgo war erobert, ehe der Papſt recht wußte daß der Angriff begonnen: er hatte nur eben noch ſo viel Zeit, um nach der Engelsburg zu flüchten. 2Vettori Storia d’Italia erzaͤhlt, was er erfuhr, folgender - geſtalt. La mattina delli sei appresentò (Borbone) la battaglia tra il portone del borgo, che è drieto alla casa del Cl Cesis, e quello di S. Spirito, dove ne piu di luoghi non è muro, ma

396Viertes Buch. Drittes Capitel.

Das Heer war gut genug disciplinirt, um auch nach dem Verluſt des Oberanführers ſich noch aller Plünderung zu enthalten und dem Papſt noch einmal Vorſchläge zu machen. 1Der Ferrariſche Bericht erzaͤhlt, daß nur die Troßbuben in dieſem Moment gepluͤndert. Der Angriff hatte 200 M. gekoſtet.Wie Lannoy vor einigen Monaten 200000, Bourbon vor ein paar Tagen 240000 Sc., ſo forderten jetzt die Oberſten, unter den Augen des Papſtes, 300000 Sc. und als Sicherheit die Überlieferung der transtiberi - niſchen Stadt. Der Papſt, der der Hofnung lebte, je - den Augenblick müſſe das Heer der Liga anlangen ſchon wollte man die erſten Reiter deſſelben in der Ferne ent - deckt haben, ſo lange werde ſich die eigentliche Stadt ſchon zu halten vermögen, wies auch in dieſem letzten Mo - ment alle Vorſchläge zurück.

Nach vierſtündigem Zögern ſetzten ſich die Truppen aufs neue in Bewegung, um ihr Unternehmen zu Ende zu führen. Sie nahmen Trastevere ohne Schwerdſchlag ein; erbrachen das Thor an der Brücke, die nach der eigent - lichen Stadt führt; auch hier fanden ſie ſo gut wie kei - nen Widerſtand: ungehindert rückten ſie in den Straßen vorwärts, Ein Uhr nach Sonnenuntergang war die ganze Stadt in ihren Händen; doch ſtanden ſie in ihrer Ord - nung bis Mitternacht; die Maſſe der Spanier hielt auf2bene vi era facto qualche poco di riparo. Era la mattina neb - bia grande, che causava che l’artigliria non si poteva in modo indirizzare che nocesse alli inimici i quali dettono la battaglia, e quelli di drento si difendevano gagliardamente, ma furono tanti quelli di fuori che con le mani guastavano i ripari, che erano di terra e deboli, e si ridussono a combattere a piano. Vgl. Se - pulveda, der ebenfalls zugegen war, VII, 7.397Eroberung von Rom.der Piazza Navona, die der Deutſchen auf Campofiore, in welchen Gegenden damals der meiſte Verkehr war; end - lich da weder in der Stadt, noch in der Nähe ein Feind ſich zeigte, ſtürzten ſie fort nach den Häuſern zur Plünderung.

Was waren in den letzten 70, 80 Jahren alles für Schätze nach Rom gefloſſen: ſo viel geiſtliche Gefälle aus allen Ländern der Erde, Geſchenke der Pilger, Erträge von Jubileen: Einkünfte von den Pfründen, welche den Prä - laten gehörten: jede geiſtliche Gnade war feil geweſen um Geld;1Francesco Vettori Storia d Italia MS fuͤgt hinzu: Romani vendevano tutte le loro entrate care et affittavano le loro case a gran pregj ne pagavano alcuna tassa o gabella. Er gedenkt noch des Gewinns den ein Jeder gemacht: li artigiani, il popolo minuto, le meretrici. Niemals ward eine reichere Stadt gepluͤndert. alle dieſe Reichthümer fielen nun den entblöſten be - dürftigen beutegierigen Truppen in die Hände, die ſeit ſo lange auf dieſe Stunde vertröſtet worden.

An 20000 Menſchen zahlten in den nächſten Tagen die Schatzung; die Kaiſerlich-geſinnten, Gibellinen wurden ſo wenig geſchont wie die Guelfen, die Kirchen ſo wenig wie die Privathäuſer: die großen Baſiliken vor den Tho - ren S. Lorenzo, S. Paolo wurden geplündert: das Grab des heiligen Peter wurde durchwühlt, der Leiche Julius II der goldne Ring vom Finger gezogen; man rechnete, daß dem Heere bei 10 Millionen Goldes an Werth in die Hände gefallen ſeyen. 2Nova quomodo Roma capta sit relatio bei Schardius II, 611. Per decem integros dies ecclesias gynecia monachos mo - niales et cardinales episcopos praelatos bancarios spoliarunt, de - ditos ceperunt, libros et registra lacerarunt etc. Vettori La ucci -

398Viertes Buch. Drittes Capitel.

Hiebei machten die Spanier die reichſte Beute: ſie hatten man möchte ſagen Witterung von Geld, ſpürten das Verborgenſte auf und wußten es herauszupeinigen.

Die Neapolitaner zeigten ſich perſönlich noch gewalt - ſamer, bösartiger. 1Ein Italiener, Jovius, Vita Pompeji Colonnae p. 191. 2, macht die hier bezeichnete Unterſcheidung.Ein Glück, daß nach einigen Tagen Pompeo Colonna eintraf, der ſich Mühe gab, den römi - ſchen Adel wenigſtens gegen die wildeſten Ausſchweifun - gen zu ſichern, und eine Art von Aſyl in ſeinem Hauſe eröffnete.

Die Deutſchen waren zufrieden, daß ſie endlich wie - der zu eſſen und zu trinken hatten; wenn ſie keinen Wi - derſtand fanden, erſchienen ſie eher gutmüthig. 2In dem Sacco di Roma, der gewoͤhnlich dem Guicciardini zugeſchrieben wird, naͤher detaillirt. Ich habe mich aber dieſer De - tails doch nicht zu bedienen gewagt, da ich uͤber den Urſprung die - ſer Schrift nicht ganz gewiß bin.Sie lie - ßen die Juden ohne Neid ihren Vortheil machen. In Cam - pofiore ward viel geſpielt. Die Leute waren plötzlich ſo reich geworden, daß ſie ein paar hundert Gulden auf Einen Wurf ſetzten. Man ſah Manchen mit goldnen Gefäßen be - laden ankommen: und nachdem er alles verſpielt, wieder leer nach Hauſe gehn. Oder ſie gaben dem Simon Bat - tiſta zu eſſen, den die päpſtliche Regierung eingeſperrt hatte, weil er die Plünderung der Stadt geweiſſagt: ſie hatten ihn befreit, aber auch ihnen verkündigte er kein Glück,2sione fu poca, perche rari si uccidono quelli che non si vo - gliono defendere, ma la preda fu inestimabile di danari contanti, di gioie, d’oro e d’argento lavorato, di vestiti, d’arazzi, paramenti di case, mercantie d’ogni sorte e di taglie. 399Eroberung von Rom.denn Soldatenreichthum und Pfaffengut gehe alles denſel - ben Weg. Nehmt nur, rief er aus, raubt nur, ihr müßt doch alles wieder fahren laſſen. Ihre evangeliſche Meinung entlud ſich in Scherzen. Knechte, als Cardinäle verkleidet, einen Doppelſöldner als Papſt mit der dreifa - chen Krone in der Mitte, ſo ritten ſie in feſtlichem Zug durch die Stadt, von Trabanten umgeben; vor dem Ca - ſtell von S. Angelo hielten ſie ſtill: der vermeinte Papſt gab den Cardinälen, ein großes Baßglas ſchwingend, ſei - nen Segen: dann hielten ſie Conſiſtorium und gelobten, ſich in Zukunft beſſer zum römiſchen Reich zu halten: Lu - ther, dem wollten ſie das Papſtthum ſchenken. 1Reisner: wahrhaftiger Bericht. Noch viel ſtaͤrkere Expecto - rationen Gruͤnewalds wider den Papſt, der gegen Gottes Wort ge - handelt, erzaͤhlt Cochlaͤus und wiederholt Rainaldus aus demſelben.

Zuweilen brach Zwietracht zwiſchen den Nationen aus: dann ward ein Ausſchuß von drei ſpaniſchen und drei deut - ſchen Hauptleuten gemacht, welche Nachts durch die Stra - ßen ritten und die Ordnung handhabten. 2Ἅλωσις Romae bei Hofmann nova collectio p. 535. Die Deutſchen wollten den Spaniern ihre Schandthaten z. B. an 10jaͤh - rigen Maͤdchen nicht geſtatten; die Spanier verboten den Deutſchen dagegen die Verſpottung der Prieſter, die ſie fuͤr eine der groͤßten Gottloſigkeiten erklaͤrten.

Die Anführer lagen in dem Vatican: der Prinz von Oranien hatte die Zimmer des Papſtes inne. Ein Jeder hatte ſeine Pferde ſo nah wie möglich bei ſich, damit ſie ihm nicht geſtohlen würden.

Auch der Vicekönig war nach Rom gekommen, und hatte die alten Unterhandlungen wieder angeknüpft. Eine Zeitlang hoffte der Papſt auf Entſatz: der Herzog von Urbino erſchien400Viertes Buch. Drittes Capitel.in der Nähe, und alle Nacht gab man ihm drei Mal vom Caſtell das Zeichen, daß man ſich noch halte. Aber er ſchien zu fürchten, die Deutſchen möchten ſich beſſer vertheidigen, als ihnen Widerſtand geleiſtet worden. 1Die Deutſchen waren wenigſtens ſehr geneigt ihm entge - genzugehn. Schwegler ſchreibt (bei Hormayr a. a. O. p. 446), im Lager der Feinde ſey Hunger und Unwille: kommen ſie naͤher, ſo wollen wir ſie im Feld aufſuchen.Und ſollte er wohl für den Papſt etwas zu wagen geneigt ſeyn? War er nicht vor wenig Jahren von dem Hauſe Medici auf Leben und Tod bekämpft, aus ſeinem Lande verjagt worden? Er entfernte ſich wieder, ohne das Mindeſte ge - than zu haben. Hierauf mußte der Papſt doch endlich die Bedingungen eingehn, die er ſo oft zurückgewieſen, und die ihm jetzt, aber noch um Vieles geſteigert, vorgelegt wur - den. Er verſprach jetzt, in verſchiednen Terminen 400000 Sc. zu zahlen; zum Unterpfand ließ er einige der feſteſten Plätze die ſich noch hielten, in der Lombardei Modena Parma und Piacenza, in der Nähe Oſtia und Civitavec - chia von den Kaiſerlichen beſetzen. Am 5ten Juni ward dieſer Vertrag geſchloſſen: den Tag darauf zogen Spanier und Deutſche in dem Caſtell S. Angelo auf die Wache. Zweihundert der ſchönſten und ſtärkſten Landsknechte wur - den ausgewählt, um bei dem Papſte den Dienſt zu thun.

Der Kaiſer glaubte nunmehr mit Italien bald am Ziele zu ſeyn. Er zweifelte nicht daß es ſeiner Armee gelingen werde, mit den Florentinern, die in dieſen Bewegungen das Haus Medici verjagt hatten und vom Papſt abgefallen wa - ren, eine vortheilhafte Convention zu ſchließen: dann ſollte ſieſich401Eroberung von Rom.ſich gegen Venedig wenden und ihr Lager im Gebiet der Republik aufſchlagen, um auch ſie zum Frieden zu nöthigen, da werde ihr die Hülfe von Ferrara zu Statten kommen. 1Schreiben Carls vom 30ſten Juni bei Hormayr 1812, 381. Die Abſicht war, den Herzog von Ferrara zum Generalcapitaͤn zu ernennen; Mailand wollte Carl Niemanden verſprechen, ſondern erſt erwarten, wie der Proceß Sforzas entſchieden werde. In einem Schreiben Angerers vom 1ſten Juli heißt es: ſende man jetzt nur 6000 M. nach Mailand zur Unterſtuͤtzung Leivas, ſo ſey ganz Ita - lia gewonnen und erobert.

In Rom ſprach man bereits nicht mehr von der apo - ſtoliſchen, ſondern von der kaiſerlichen Kammer.

Den Deutſchen war es hier an Ort und Stelle recht einleuchtend, wie dem Kaiſerthum von den Päpſten mitge - ſpielt worden; man zeigte ihnen die Ruinen der Kaiſerpal - läſte, und erklärte ihnen die Kunſtgriffe, durch welche dem Kaiſer das Land und die Stadt und ſogar ſeine Hofwoh - nung in der Stadt entwunden worden. Aber ſie tröſteten ſich damit, daß Der, welcher ſich ſelbſt zum Gott auf Er - den erhoben, nun durch die Macht des eifrigen Gottes nie - dergelegt ſey. Sie gaben der Hofnung Raum, daß der junge theure Kaiſer Carolus durch ſeine milde Tugend nach dem einigen Wort unſres Seligmachers regieren werde. 2Worte des wahrhaftigen Berichtes; er ſchließt: damit unſre Seelen, daruͤber Gott Herr iſt, in unſerm zeitlichen Abſchied zu ewi - ger Freud aufgenommen werden, darumb der Herr Jeſus vom Him - mel herab in dieſe Welt kommen iſt und am Kreuz von aller Men - ſchen wegen geſtorben iſt. Das verleihe uns Gott der Herr.

Ranke d. Geſch. II. 26
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Viertes Capitel. Beſitznahme von Böhmen und Ungern.

In dem Augenblicke dieſer großen Erfolge ergoſſen ſich die deutſchen Streitkräfte und zwar ebenfalls zu Gunſten des Hauſes Öſtreich noch nach einer andern Seite nach Un - gern hin.

Erinnern wir uns, um den Urſprung und die Bedeutung dieſes Ereigniſſes zu faſſen, vor allem, daß die drei öſtlichen Königreiche der abendländiſchen Chriſtenheit, Ungern Böh - men und Polen nicht ohne den mannichfaltigſten deutſchen Einfluß zu einer feſtern Verfaſſung gelangt, civiliſirt und chriſtianiſirt worden waren. Am Ende des vierzehnten Jahrhunderts ſchien es noch einmal, als ſollte dieſe Ver - bindung ſich unauflöslich erneuern. Das in Deutſchland vorwaltende Haus, das luxemburgiſche beſaß Böhmen und Ungern: die Erbin von Polen ward als Verlobte eines öſtreichiſchen Prinzen erzogen.

Aber in alle dieſen Ländern war auch ein der deut - ſchen Einwirkung entgegengeſetztes Prinzip. Eben dem ge - fährlichſten Feinde der Deutſchen, dem Großfürſten Jagjel von Litthauen gelang es, den Herzog von Öſtreich vom polniſchen Throne zu verdrängen: ſpäter ſchickte er ſeinen Neffen Koribut nach Böhmen: ſein Sohn erwarb die Krone403Verfall von Ungern.von Ungern. Es bildete ſich eine jagelloniſche Conſolida - tion in dem öſtlichen Europa, die ſich auf der einen Seite den vordringenden Osmanen opponirte, auf der andern allen deutſchen Einfluß ausſchloß, und ſich, obwohl nach mancherlei Wechſel der Weltſchickſale, im Anfang des 16ten Jahrhunderts doch noch immer erhielt: Sigismund I be - herrſchte Polen und Litthauen, Wladislaw II Böhmen und Ungern.

Schon hatte ſie jedoch keine wahrhafte innere Stärke mehr. Wladislaw II war kein Mann, um den ſtürmiſchen Adel in Ungern in Zaum zu halten. 1Auch Matthias haͤtten ſie gern verjagt. Die Relatio Nun - cii Apostolici von 1480 bei Engel II, 14 ſagt ausdruͤcklich: Li Baroni cercano di cacciarlo del reame. Er hätte nur zum einfachſten Privatleben getaugt. Man bemerkte, er ſpreche von den Dingen des täglichen Lebens mit einer gewiſſen Einſicht, jedoch nicht mehr, wenn die Rede auf Staats - ſachen komme; er wollte nicht daran glauben wenn man ihm von Jemand etwas Böſes ſagte, und war nur ſchwer dahin zu bringen ein Todesurtheil zu unterſchreiben. 2Relatione di Sebastian Zustignan venuto orator di Hon - garia bei Sanuto IV 1503. Il re è homo grande di persona e di degnissima genealogia: devoto e religioso, e si dice: nunquam habuit concubitum cum muliere, e mai si adira, mai dice mal di niun, e se niun dice mal di qualcuno, dicit rex: forsan non est verum. Dice assa oration, alde tre messe al zorno, ma in reliquis è come una statua. Est più presto homo rectus quam rex. So machte denn ein Jeder was er wollte. Unter König Mat - thias hatten die Staatseinkünfte über 800000 Duc. be - tragen: unter Wladislaw fielen ſie allmählig auf 200000; in dem königlichen Pallaſt konnte man bald nach ſeinem26*404Viertes Buch. Viertes Capitel.Tod die Ausgaben der Küche nicht mehr beſtreiten. Alles gerieth in den tiefſten Verfall. Jedes Reich, heißt es in den Satzungen von Tolna vom Jahr 1518, bedarf zu ſei - ner Erhaltung zweierlei Mittel, Waffen und Geſetze: in unſrem ungriſchen Reich haben wir weder das eine noch das andre. 1Ex Ludovici II decretis Tolnensis conventus bei Katona: Hist. crit. Vngariae XIX, p. 89

Unter dieſen Umſtänden fanden es allmählich auch die Jagellonen rathſam, ſich wieder an die nächſte und mäch - tigſte deutſche Familie, an das Haus Öſtreich anzuſchlie - ßen. Dem Kaiſer Maximilian, der wie er ſagt, ſeine und der deutſchen Nation Gerechtigkeit an Ungern und Böhmen keinen Augenblick aus dem Geſicht verlor, ward es endlich im Jahr 1515 ſo wohl, beide Könige Sigis - mund und Wladislaw bei ſich zu ſehen und den engſten Erbvertrag mit ihnen zu ſchließen. Wladislaw verlobte ſeinen Sohn und ſeine Tochter mit einem Enkel und einer Enkelin des Kaiſers: Sigismund verſprach, ſich mit Bona Sforza zu vermählen, die ebenfalls zur öſtreichiſchen Ver - wandtſchaft gehörte. Das Jahr darauf ſtarb Wladislaw: Ludwig II gelangte nun unter der gemeinſchaftlichen Vor - mundſchaft Maximilians und Sigismunds auf den Thron. Allmählig ſetzte ſich am Hofe ein deutſches Element feſt, beſonders nachdem ſich Ludwig im Jahr 1521 mit jener Enkelin Maximilians, Maria von Öſtreich wirklich vermählt hatte. Noch war aber alles in der größten Unordnung. Her - berſtein kann nicht Worte genug finden, um den wettei - fernden Übermuth der Großen, der geiſtlichen wie der welt -405Johann Zapolya.lichen, zu ſchildern,1Rerum Moscoviticarum Commentarii Basil. 1571 p. 146. wie die Grenzen ohne Vertheidigung lagen, während ihre bewaffneten Schaaren die Straßen der Hauptſtadt enge machten, wie die lauten Trompeten zum Mittagsmal der Magnaten riefen, während es um den König einſam war: alle Stellen wurden nach Gunſt vertheilt, die Münze ward verſchlechtert. Zuletzt dachte wohl wenigſtens die geiſtreiche Königinn daran, die Staats - gewalt zu erneuern; allein ſchon hatte ſich dem Hofe gegen - über eine Macht gebildet die ihm Widerſtand leiſtete.

Unter König Matthias war beſonders das Haus Za - polly emporgekommen, ſo genannt von einem ſlawiſchen Dorfe bei Poſchega, von wo es ſtammte. Dieſem Hauſe vor allem verdankte König Wladislaw ſeine Thronbeſtei - gung, aber eben darum nahm es auch einen Antheil an der Gewalt, eine gewiſſe Ausſicht auf die Krone ſelber in Anſpruch. Es war wohl das reichſte von allen Magna - tenhäuſern: man zählt 72 Schlöſſer die ihm eigenthümlich gehörten:2Nach Turnſchwamb bei Engel I, 193 waͤren viele davon dem Vater Johanns, Stephan Zapolya, blos zu treuen Handen an - vertraut geweſen. ſeinen vornehmſten Sitz hatte es auf der Burg Trentſin auf einem ſteilen Bergfelſen an der Waag: da waren die ſchönſten Gärten angelegt, gefangene Türken hat - ten einen bei hundert Klaftern tiefen Brunnen gegraben: alles war durch ſtarke Befeſtigungen geſchützt. Man ſagt, dem jungen Johann Zapolya ſey ſchon ſehr früh der Be - ſitz der Krone geweiſſagt worden. Mächtig durch ſein rei - ches Erbe wie er war, Graf von Zips, Woiwode von Siebenbirgen, ſammelte er ſehr bald eine ſtarke Partei um406Viertes Buch. Viertes Capitel.ſich. Durch ihn hauptſächlich geſchah es, daß die Ungern im Jahr 1505 durch förmlichen Beſchluß alle Ausländer von ihrem Throne ausſchloſſen, einen Beſchluß, den ſie zwar nicht ohne Widerſpruch zu behaupten vermochten, aber auch nicht unzweifelhaft zurückzunehmen genöthigt werden konnten. Im Jahr 1514 gelang es dem Woiwoden, einen höchſt ge - fährlichen Bauernaufruhr durch ſeine eigenthümliche Kriegs - macht zu zerſprengen, was ihm der geringere Adel um ſo mehr als ein Verdienſt anrechnete, da nun den Bauern eine deſto härtere Knechtſchaft auferlegt wurde. 1Eben gegen den Adel war der Aufruhr gerichtet. Zeckel nannte ſich in einer ſeiner Proclamationen: regis Hungariae tantum - modo subditus et non dominorum. Bei Katona 18, 720.Er hätte gewünſcht, bei dem Tode Wladislaws Gubernator des Reichs zu werden, ſich mit deſſen Tochter Anna zu ver - mählen und dann der kommenden Dinge zu warten. Al - lein eben hier trat ihm nun die Politik Kaiſer Maximilians entgegen. Anna ward mit dem Erzherzog Ferdinand ver - mählt: Zapolya ward von der Verwaltung des Reichs aus - geſchloſſen: auch das vacante Palatinat ward ihm verſagt, und ſeinem alten Gegner Stephan Bathory gegeben. Er gerieth in eine höchſt gereizte Stimmung: ſchon 1518 hielt der Kaiſer bei dem Zuſammentreten des Rakoſch ein paar tauſend Mann in Bereitſchaft um im Fall einer Ge - waltthätigkeit von Seiten Zapolyas der ungriſchen Regie - rung zu Hülfe zu kommen. 2Inſtruction Maximilians an Herberſtein in Senkenbergs Sammlung ungedruckter Schriften IV, p. 26.Doch dauerte es bis zum Jahr 1525, ehe Zapolya auf einem Rakoſch die Oberhand erhielt. Als der König nichtsdeſtoweniger ſeine Anträge aus -407Innere Unruhen.ſchlug, beriefen ſeine Anhänger einen außerordentlichen Reichs - tag nach Hatwan, auf dem ſie den Verſuch machten, alle Frem - den zu entfernen, die ganze Regierung zu verändern und in ihre eigne Hände zu nehmen. Den Palatin, Bathory, ſetzten ſie ab, und erhoben den vertrauteſten Freund des Woiwoden, Stephan Verböcz, an deſſen Stelle. Von Zapolya ſelbſt zweifelte ſchon Niemand, daß er nach der Krone trachte. Der Woiwode, ſagt eine venezianiſche Relation von 1523, iſt ein guter Kopf, ſehr geſcheidt, allgemein beliebt: es würde ihm nicht unangenehm ſeyn, wenn das Reich einen Unfall erlitte: er würde es mit ſeiner eigenthümlichen Macht wiedererobern und ſich zum König machen. 1Relatione del Sr d’Orio 12 Dc. 1523. Saria contento che quel regno si perdesse e poi lui con il favor de Transilvani ricuperarlo e farsi re. Er trachtet, fügt eine andre im Jahr 1525 hinzu, mit allen Kräften ſeines Geiſtes nach der Krone, und bereitet alles vor, um ſie zu erlangen.

Es war im Widerſtand gegen dieſe ſo raſch auf das letzte Ziel losgehende Macht eines Vaſallen, daß deſſen Gegner, dadurch bedroht, ſich im Frühjahr 1526 enger um den Hof anſchloſſen, auf einer Reichsverſammlung die Be - ſchlüſſe von Hatwan für ungültig erklärten, Bathory wie - der einſetzten, und den König aufforderten, ſeine Autorität endlich einmal zu brauchen. Die Königin war ſehr bereit dazu. Sie forderte eine völlige Freiheit der Finanzverwal - tung, eine unmittelbare Abhängigkeit der Grenztruppen. Schon warnte ſie der päpſtliche Nuntius, nicht allzuviel Holz aus Feuer zu legen.

408Viertes Buch. Viertes Capitel.

Allein, ehe noch irgend etwas erreicht, als vielmehr durch Action und Reaction erſt die volle Verwirrung hervorgebracht war, erſchien ſchon der gewaltige Feind, der Osmanenſul - tan Soliman: entſchloſſen, dieſem ganzen Weſen ein Ende zu machen. So lange ſtanden Osmanen und Jagellonen einander in dem öſtlichen Europa gegenüber: jetzt war der für ihn günſtige Augenblick gekommen, dieſen alten Wett - ſtreit wenigſtens in Bezug auf Ungern auszufechten. Schon vor fünf Jahren hatte er Belgrad erobert: welches, wie man ſich erzählte, unter andern deshalb nicht unterſtützt worden war, weil es der Regierung an 50 Gulden fehlte, um die ſchon bereit liegende Munition von Ofen nach Bel - grad zu ſchaffen. Seitdem waren auch die Grenzplätze von Croatien in die Hände der Paſchas gefallen: das weite Land war zu einem großen Unternehmen eröffnet. Zu ei - nem ſolchen fühlte ſich nun der Sultan zugleich durch die innere Lage von Ungern wie durch die allgemeinen euro - päiſchen Zerwürfniſſe aufgefordert. In ſeiner Gefangen - ſchaft zu Madrid hatte König Franz das Mittel gefunden, Soliman um ſeine Hülfe zu erſuchen: denn einem großen Kaiſer ſtehe es zu, Bedrängte zu unterſtützen: es waren in Conſtantinopel Pläne gemacht worden, zugleich mit einer vereinigten Flotte Spanien anzugreifen und mit einem Land - heer durch Ungern nach Oberitalien vorzudringen. 1Erzaͤhlung Ibraims (des Imberi-Waſcha) in dem Bericht Lambergs und Juriſchitz’s in Gevay’s Urkunden und Actenſtuͤcken zur Geſchichte der Verhaͤltniſſe zwiſchen Oͤſterreich Ungern und der Pforte. 1530 p. 42.So - liman war, ohne Bedingungen unterzeichnet zu haben, durch ſeine Weltſtellung ein Verbündeter der Liga, wie der -409Angriff Solimans.nig von Ungern ein Verbündeter des Kaiſers. Am 23ſten April 1526 erhob ſich Soliman, nachdem er die Gräber ſeiner Vorfahren und der alten moslimiſchen Märtyrer be - ſucht, mit ſeinem gewaltigen Heere aus Conſtantinopel; es mochte 100000 M. betragen, unaufhörlich zogen ihm Verſtärkungen zu. Er wußte die Mannſchaften in der ſtreng - ſten Unterordnung zu halten. Sein Tagebuch bemerkt, er habe Leute köpfen laſſen, weil ſie Pferde der Unterthanen weggetrieben, oder weil ſie die Saaten eines Dorfes zu Grund gerichtet hatten. 1In Hammers Geſchichte der Osmanen Bd III, p. 639.Er ſelber glänzte in ſeiner Ju - gend durch alle die Eigenſchaften der Thatkraft und Er - oberungsluſt, welche ſeine Vorfahren groß gemacht hatten.

Und wie wären nun die Ungern in dem Zuſtand worin ſie ſich befanden fähig geweſen, einem ſolchen Angriff Wi - derſtand zu leiſten.

Ibrahim-paſcha belagerte ſchon Peterwardein, ehe die Ungern noch die mindeſte Anſtalt getroffen. Vorlängſt wa - ren die Mannſchaften einberufen, aber Niemand war er - ſchienen. Man hatte Contributionen ausgeſchrieben: es war ſo gut wie nichts eingegangen. Nur mit Mühe hatte man 50000 G. auf die Neuſohler Bergwerke von Anton Fugger aufgebracht. Mit einem Gefolge von nicht mehr als 3000 M. gieng der junge König am 24ſten Juli ins Feld. 2Broderithus Descriptio cladis Mohaczianae in appendice Bonfinii ed. Sambucus p. 558. Vgl. Turnſchwamb p. 204.

Ibrahim hatte Peterwardein erobert und ſeinen Sultan mit dem Geſchenk von fünfhundert abgeſchnittenen Köpfen410Viertes Buch. Viertes Capitel.auf dem ungriſchen Gebiet empfangen: das osmaniſche Heer war nun bei 300000 M. ſtark und wälzte ſich die Do - nau aufwärts; Soliman ließ in dem Lager ausrufen: ſein Ziel ſey Ofen. Indeſſen ſammelten ſich dieſſeit um den König die Truppen einiger Geſpannſchaften, einzelner Ma - gnaten: einige vom Papſt, einige von Polen beſoldete Fähn - lein: in Tolna konnten 10 bis 12000 M. um ihn ſeyn. 1Darunter 4000 M. z. F. Brod. 559. Die Reiterei giebt er nicht genau an.

Vor allem wäre nun nothwendig geweſen, die Über - gänge der Drau zu beſetzen, und dahin eilte der Palatin, der es wenigſtens an Eifer nicht fehlen ließ. Allein eine Anzahl Magnaten weigerten ſich, ohne den König vorzu - rücken. Soliman behielt Zeit, eine bequeme Brücke zu ſchla - gen, über die ſein Heer fünf Tage lang den Zug hinüber nahm. König Ludwig ſagte: ich ſehe, mein Kopf ſoll für die ihren haften: wohlan! ich will ihn hintragen; er be - gab ſich auf die ſchickſalvolle Ebene von Mohacz: wirklich entſchloſſen, mit ſeinem geringen Haufen die ohne Vergleich überlegene Macht des Feindes in offenem Felde zu erwarten.

Noch waren die Truppen des Reiches lange nicht bei - ſammen, die beiden mächtigſten Vaſallen, der Ban von Croatien, der Woiwode von Siebenbirgen fehlten noch: die böhmiſch-mähriſchen Hülfsvölker waren noch nicht ein - getroffen: mit allen neuen Zuzügen betrug das Heer in Mohacz 20 bis 24000 M. Es waren wohl nur Wenige dabei, die je einer Feldſchlacht beigewohnt. Die Anfüh - rung mußte einem Minoriten, Paul Tomory, Erzbiſchof von Colocza, der ſich einſt in ein paar Streifzügen411Schlacht von Mohacz.hervorgethan, anvertraut werden. Trotz alle dem hegten die Ungern das verwegenſte Selbſtvertrauen. Sie wären nicht zum Rückzug zu bewegen geweſen:1Ongari si havea potuti ritrar salvo verso Buda. Copia di un aviso avuto da Constantinopoli in Hammers Wiens erſte auf - gehobene tuͤrkiſche Belagerung Anh. nr. VIII: eine einfache aber gute Nachricht. nicht einmal eine Wagenburg mochten ſie um ſich ſchlagen; ſo wie der Feind am 29ſten Aug. von den vor ihnen liegenden Hügeln in die Ebene wo ſie lagerten herabſtieg, zögerten ſie keinen Augenblick, auf ihn loszugehn. Allein Soliman war eben ſo vorſichtig wie ſonſt überlegen. Die Ungern dachten die Schlacht durch ungeſtümen Anfall zu entſcheiden, ſie trotz - ten auf ihre Harniſche von blauem Stahl: mit Geſchütz und Fußvolk waren ſie ſchlecht verſehen: ſie führten den Krieg im Sinne der frühern Jahrhunderte. Dagegen hatte Soliman die aufkommenden Tendenzen der neuern Kriegs - kunſt für ſich, ſo ſehr er ſonſt Barbar ſeyn mochte: er wußte ſich der Erfindungen der letzten Zeiten zu bedienen: hinter den erwähnten Anhöhen hatte er 300 Feuerſchlünde aufgeſtellt: ſeine Janitſcharen waren im Gebrauch des Hand - rohrs ſo gut geübt wie irgend eine Miliz der Welt. Den Ungern ward es nicht ſchwer, die vorgerückten türkiſchen Geſchwader zu zerſprengen, die Hügel zu beſetzen, und ſchon glaubten ſie wohl, geſiegt zu haben: hier aber erblickten ſie erſt das unermeßliche Lager der Osmanen: indem ſie unauf - haltſam, unbedacht, als ſey das Unmögliche dennoch mög - lich, darauf losſtürzten, wurden ſie von dem furchtbaren Feuer empfangen, der rechte Flügel von dem Geſchütz, das Mitteltreffen von den Handrohren der Janitſcharen: indeß412Viertes Buch. Viertes Capitel.nahm ſie die Reiterei der Sipahi in beide Flanken. Da konnte keine perſönliche Tapferkeit etwas helfen: die Ungern geriethen auf der Stelle in Unordnung:1Auszug aus des Heiducken Nagy Geſchichte des Mohacſer Feldzuges, erhalten in der osmaniſchen Geſchichte Petſchewi’s: (der merkwuͤrdige Fall, daß eine recht brauchbare occidentaliſche Erzaͤhlung uns aus einem orientaliſchen Werke zuruͤckkommt;) mitgetheilt von Hammer in Hormayrs Archiv Jahrg. 1827 nr. 15. ihre beſten Leute fielen, die übrigen warfen ſich in die Flucht. Auch der junge König mußte fliehen. Es war ihm nicht einmal be - ſchieden im Schlachtgetümmel zu fallen: noch viel elender kam er um. Hinter einem Schleſier her, der ihm den Weg zeigte, war er ſchon durch das ſchwarze Waſſer geſetzt, das die Ebene durchſchneidet: ſein Pferd klimmte bereits den Abhang des Ufers hinauf, als es ausgleitete, zurückſtürzte, und ſich ſammt dem Reiter in Waſſer und Moraſt begrub. 2Dieſe Nachricht (bei Nagy und A.) wird durch den Brief bei Katona 19, p. 697 uͤber das Auffinden des Leichnams beſtaͤtigt.Dadurch ward die Niederlage nun vollends entſcheidend. Die vornehmſten Führer der Nation, der König, und ein großer Theil der Magnaten waren gefallen. 3Katona p. 703: Magna dehinc rerum conversio secuta fuit, pluribus et praesulibus et proceribus una hac dimicatione ex - stinctis. Fürs Erſte war an keinen fernern Widerſtand zu denken. Weit und breit wurde das Land wüſte gelegt. Die Schlüſſel von Ofen wurden dem Sultan entgegengetragen, er hielt den Beiram daſelbſt.

Soliman hatte einen jener Siege erfochten, welche die Schickſale der Nationen auf lange Epochen beſtimmen. Die Weltmacht, an deren Spitze er ſtand, welche die islamiti -413Succeſſionsanſpruͤche.ſchen Prinzipien, wie ſie unter den tartariſchen Einwirkun - gen ſich in Aſien feſtgeſetzt, nach den andern Erdtheilen übertrug, hatte er zu vollem Übergewicht in dem öſtlichen Europa erhoben. Wer wäre fähig geweſen, es ihr wieder zu entreißen. Ohne ſich gerade um die Behauptung der genommenen Plätze zu kümmern, kehrte er zurück und ſtellte die Siegeszeichen von Ofen am Hippodrom und in der Mo - ſchee Aja Sofia auf.

Daß nun aber zugleich zwei Königskronen, deren Suc - ceſſion nicht über allen Zweifel erhaben war, hiedurch va - cant geworden, mußte in der chriſtlichen Welt gewaltige Bewegungen hervorrufen. Es war noch die Frage, ob es eine europäiſche Macht wie Öſtreich geben würde oder nicht. Man braucht ſie blos aufzuſtellen, um inne zu wer - den, welch eine Bedeutung für die Entwickelung der Welt - ſchickſale und beſonders Deutſchlands darin liegt. Ehe noch davon die Rede war, wie das Verhältniß zu den Os - manen ſich nunmehr geſtalten würde, mußte dieſe große Frage erledigt werden.

Den Anſprüchen Ferdinands auf die beiden Kronen, ſo unzweifelhaft ſie auch in Bezug auf die Tractate der regierenden Häuſer ſeyn mochten, ſetzte ſich doch das Wahl - recht der Nationen und die Autorität angeſehener Mitbewer - ber entgegen.

In Ungern erſchien, ſo wie ſich die Türken entfernt hatten, Johann Zapolya mit dem ſtattlichen Heer, das er außerhalb der Conflicte gehalten: die Niederlage des - nigs war zugleich die Niederlage ſeiner Gegner: die Faction welche die Beſchlüſſe zu Hatwan gefaßt, war jetzt die allein414Viertes Buch. Viertes Capitel.herrſchende; auf einer Verſammlung zu Tokay ward be - ſchloſſen, da man ohne einen König und Herrn nichts un - ternehmen könne, zur Wahl eines ſolchen zu ſchreiten,1Bei den Widerſpruͤchen der Chroniſten iſt das einzige zu - verlaͤßige Document die Antwort des Koͤnigs von Polen auf die von Tokay an ihn ergangene Einladung bei Dogiel und Katona 19, 748. und zu dem Ende ein Reichstag nach Stuhlweißenburg be - rufen. Schon in Tokay aber ſoll Johann Zapolya als König begrüßt worden ſeyn.

Indeſſen faßten die Herzoge von Baiern die Abſicht, den böhmiſchen Thron an ſich zu bringen. Von einem und dem andern ergebenen Großen dieſes Landes wurden ſie aufgefordert: noch im September ſendeten ſie ihren Rath Weiſſenfelder nach Prag, und dieſer fand die Ausſichten ſo günſtig, daß ſie beſchloſſen eine feierliche Botſchaft deshalb nach Böhmen abzuordnen.

Und nicht allein in den beiden Reichen ſelbſt hatten dieſe Prätendenten einen bedeutenden Anhang. Es kam hinzu, daß ihnen die Lage der europäiſchen Politik überhaupt ei - nen mächtigen Rückhalt gewährte.

In unmittelbare Verbindung trat vor allem Franz I mit Zapolya; in kurzem fand man einen päpſtlichen Ab - geordneten bei ihm: und die Deutſchen in Rom wenigſtens behaupteten, der Papſt unterſtütze die Faction des Woiwo - den mit Geldzahlungen:2Ziegler Vita Clem. VII bei Schelhorn Amoenit. II, 308: Ea pecunia (es iſt von Erpreſſungen die Rede) Trentschinii factionem contra Ferdinandum regem aliquamdiu juvit. er ſchickte einen Agenten nach Venedig und forderte gradezu, in die Ligue von Cognac auf - genommen zu werden.

415Plaͤne der Herzoge von Baiern.

Auch in Böhmen hatten die Franzoſen ſeit langer Zeit ergebne Anhänger. Wir finden, daß ſie im J. 1523 die Abſicht hegten, Öſtreich von Böhmen her anzugreifen, und hiezu mit einem Ahnherrn Wallenſteins Verbindungen an - knüpften. 1Lettera di Franc. Massario bei Sanuto Tom. 35 nennt ihn. Waldestein, barone e gran capitano di Bohemia, volentieri veni - ria a servir la Sria nra cum 10, 20, 30m persone. Questo è quel capitano, che’l re Xmo voleva condurre. Da es dem König von Polen, der ſich ſeit einiger Zeit von der öſtreichiſchen Allianz abgewendet hatte und auch ſeinerſeits Anſprüche an die böhmiſche Krone machte, damit nicht gelingen wollte, ſo verſprachen ſo der polniſche wie der franzöſiſche Geſandte ihre Unterſtützung dem bairiſchen Agenten.

Und noch zu umfaſſendern Plänen fühlte ſich Herzog Wilhelm von Baiern durch dieſe politiſche Combination an - getrieben.

Wir wiſſen, daß man in Rom die Nothwendigkeit empfand, dem Kaiſer Carl einen römiſchen König zur Seite oder vielmehr entgegen zu ſetzen. Indeſſen hatte Herzog Wilhelm, einer der ergebenſten Anhänger der Curie, ſchon ſelbſt den Gedanken in ſich aufkommen laſſen, ſich zu die - ſer hohen Würde zu erheben, und Schritte dafür gethan.

Auf jenem Reichstag im J. 1524, wo das Regiment geſtürzt wurde, hatten die Häuſer Baiern und Pfalz, welche gegen den Adel eine gemeinſchaftliche Sache verfochten, ihre alten Streitigkeiten beſeitigt, und einen neuen Erbverein geſchloſſen. Leonhard Eck machte dem Churfürſten von der Pfalz freundſchaftliche Vorwürfe, daß er bei der letz - ten Vacanz ſeiner eigenen Anſprüche an die Krone vergeſ -416Viertes Buch. Viertes Capitel.ſen und ſpäter ſeine Vicariatsrechte dem Regimente abge - treten habe. 1Mémoires de la vie et des faicts de Fréderic I (Comte Palatin) in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten ch. 42.

Gleich darauf ſahen die Fürſten einander auf dem er - wähnten Armbruſtſchießen zu Heidelberg. Herzog Wilhelm verbarg nicht mehr, daß er ſelbſt die römiſche Krone zu erlangen wünſche.

Auf einer Zuſammenkunft zu Ellwangen, kurz nachher, beſprachen ſie die Sache weiter. Herzog Wilhelm ſchien bereit, dem Churfürſten von der Pfalz den Vorrang zu laſſen: da dieſer aber keine Anſtalt machte, ſo unterhan - delte er ohne allen Rückhalt für ſich ſelbſt. Im Herbſt 1526 waren ſo gar dem Chu[rfü]rſten von Sachſen Eröff - nungen geſchehen, wiewohl[o]hne Frucht, da dieſer einer ſo durchaus andern Meinung angehörte. 2 Es finden ſich Spuren, ſagt der baieriſche Staatsarchi - var Stumpf, daß der Papſt Clemens VII und der Koͤnig von Frank - reich den Endzweck des Herzogs zu befoͤrdern ſuchten.

Welche Folgen aber hätte es haben müſſen, wenn dieß gelungen wäre! Man kann ſagen: es hätte eine ganz an - dre Staatengeſchichte gegeben. Baiern hätte das Überge - wicht in deutſchen und ſlawiſchen Ländern über Öſtreich da - von getragen: auch Zapolya hätte, hiedurch geſtützt, ſich zu behaupten vermocht: die Ligue und damit auch die am ſchroff - ſten ausgeprägte päpſtliche Meinung hätte im öſtlichen Eu - ropa die Oberhand behalten. Nie gab es ein für die Machtentwickelung des Hauſes Öſtreich gefährlicheres Un - ternehmen.

Fer -417Boͤhmiſche Koͤnigswahl.

Ferdinand betrug ſich mit alle der Klugheit und Ener - gie, welche dieſes Haus in ſchwierigen Augenblicken ſo oft bewährt hat.

Zunächſt kam ihm alles auf die Krone von Böhmen an.

Sein Verhältniß als Gemahl der böhmiſch-ungriſchen Prinzeſſin, als Bruder der verwitweten Königin, ſetzte ihn in vielfache perſönliche Beziehungen zu den mächtigſten Gro - ßen. Er verſtand es vollkommen, die Geneigtheiten die ſich hieran knüpften feſtzuhalten und für ſich zu verwenden, jede keimende Antipathie durch Gnadenerweiſungen zu be - ſeitigen. Der einflußreiche Oberſtburggraf Löw von Roz - mital erhielt die Verſicherung, daß man ihm die Rech - nungslegung, zu der er verpflichtet geweſen wäre, entwe - der erlaſſen, oder doch ſehr erleichtern werde: auch den Schwanberg, Schlick, Pflug, dem Herzog von Münſter - berg geſchahen erhebliche Zugeſtändniſſe: der Canzler Adam von Neuhaus war im Geleite der öſtreichiſchen Geſandtſchaft herbeigeeilt, um ſein Anſehen zu Gunſten Ferdinands geltend zu machen. Indem es hiedurch gar bald dahin kam, daß ſich eine Anzahl böhmiſcher Großen vereinigte, keinen andern Herrn anzunehmen als den Erz - herzog,1Auszug aus einem Schreiben Weiſſenfelders bei Stumpf: Baierns pol. Geſch. I, p. 39. wurde nichts verſäumt, auch der Menge genug zu thun. So ſehr Ferdinand überzeugt war, daß ſeiner Gemahlin und deshalb auch ihm ein unzweifelhaftes Erb - recht zuſtehe, ſo hütete er ſich doch, den Ehrgeiz, welchen die Nation darin ſuchte, daß ſie für einen Fall wie dieſer, im Be - ſitz einer unbedingten Wahlfreiheit ſey, zu beleidigen: erRanke d. Geſch. II. 27418Viertes Buch. Viertes Capitel.ließ geſchehen, daß ſein Recht keineswegs als das Haupt - motiv ſeiner Bewerbung erſchien. Den anfangs gehegten Gedanken, den Königstitel auf der Stelle anzunehmen, ließ er auf den Rath ſeiner Geſandtſchaft fahren. Er unter - warf ſich der Forderung der Böhmen, einen Theil ihrer Staatsſchuld zu übernehmen, ſo unbequem ihm das auch bei dem gedrückten Zuſtand ſeiner Finanzen ſeyn mußte. Auch verſchmähte er nicht, die Ausſtellungen, von denen ſeine Geſandten ihm ſchrieben daß man ſie gegen ihn vor - bringe, mit aller Sorgfalt abzulehnen. 1Auszuͤge aus den Inſtructionen und der geſandtſchaftlichen Correſpondenz bei Bucholtz II, 407.

Mit einem Worte: alle Maaßregeln wurden ſo gut genommen, daß an dem Wahltag, obwohl der bairiſche Agent noch bis auf den letzten Augenblick an dem Suc - ceß ſeiner Unterhandlung gar nicht zweifelte, eine bei wei - tem überwiegende Majorität in dem Ausſchuß der drei Stände den Erzherzog Ferdinand zum Throne von Böh - men berief. Es war am 23ſten October 1526. Eine feierliche Geſandtſchaft gieng nach Wien, um denſelben zur Beſitznahme ſeines neuen Königreichs, eines der ſchönſten der Welt, welches noch Schleſien und die Lauſitzen um - faßte, einzuladen.

Eine ſehr wichtige Frage, die eine noch genauere Er - örterung verdiente, wäre wohl, welchen Einfluß hiebei die religiöſen Verhältniſſe gehabt haben.

Alle Landſchaften der böhmiſchen Krone waren von antirömiſchen Elementen erfüllt. In Schleſien und den Lauſitzen war die evangeliſche Doctrin zu großer Ausbrei -419Einwirkung der religioͤſen Verhaͤltniſſe.tung gediehen: in Böhmen und Mähren bildeten die Utra - quiſten eine überaus mächtige Gemeinſchaft. Läßt es ſich denken daß man bei der Wahl eines Königs nicht auf dieſe confeſſionellen Verhältniſſe Rückſicht genommen haben ſollte?

Verglich man aber in dieſer Hinſicht die Bewerber, wie weit war da Ferdinand einem Herzog von Baiern vorzu - ziehen. Die Herzöge zeigten ſich als unbedingte Anhänger des Papſtthums, als ſcharfe Religionsverfolger. Der Erz - herzog dagegen, ſo katholiſch er ſich hielt, ſo viel Sorge er auch trug daß er ſo erſchien, wie es denn in allen jenen Reichen auch eine noch immer ſehr bedeutende ka - tholiſche Partei gab, hatte doch ſeit einiger Zeit in ſei - nen Erblanden wieder eine gemäßigte Stellung angenom - men: wir ſahen, wie wenig er die weltlichen Rechte des Clerus liebte, wie zweideutige Beſchlüſſe der deutſche Reichs - tag unter ſeiner Vermittelung gefaßt hatte. Überdieß war er in dieſem Momente in offenem Kriege mit dem Papſte: die böhmiſche Wahl fällt in die Tage, in denen die Lands - knechte Frundsbergs geworben wurden.

Wir finden nichts von den Verhandlungen welche in dieſer Hinſicht gepflogen worden ſeyn mögen; aus den Receſſen aber ergiebt ſich, daß ſich Ferdinand zu ſehr be - merkenswerthen Conceſſionen herbeiließ.

Man weiß, daß der römiſche Hof die Compactaten des Basler Conciliums wie ſpäterhin ſo viele andre ihm ungünſtige Verträge niemals vollſtändig anerkannt, ihre Beſtätigung ſeit Pius II ausdrücklich verweigert hatte. Ferdinand gelobte jetzt, die Compactaten zu ihrer vollen27*420Viertes Buch. Viertes Capitel.Gültigkeit zu bringen,1 quod rursum ad suum vigorem pervenirent. Ferdinandi literae 15 Dcb. 1526 ap. Du Mont IV, 1, 469. und hierüber mit dem Papſte un - ter der Vorausſetzung zu verhandeln, als ob ſie beſtätigt ſeyen. 2Promisimus, cum summo Pontifice illud tractare, ac si Bohemis ac Moravis illa (compactata) cum effectu essent con - firmata.

Eine der größten Beſchwerden der Utraquiſten war, daß es ihnen ſchon lange Jahre an Biſchöfen fehlte, um ihre Prieſter zu weihen, und zu mancher ſeltſamen ja ver - derblichen Auskunft hatten ſie ſich deshalb genöthigt ge - ſehen. Ferdinand verſprach, ihnen einen Erzbiſchof zu ver - ſchaffen, welcher die Compactaten in Beziehung auf Geiſt - liche und Weltliche vollziehe.

Genug: er übernahm die Verpflichtung, die Anſprüche der Utraquiſten nicht nur zu ſchützen, ſondern zu neuer Anerkennung zu bringen.

Wohl mochte das dadurch erleichtert werden, daß ſich in den Utraquiſten jetzt ſelbſt eine den Anhängern Luthers entgegengeſetzte Partei regte, allein dieſem Gegenſatz zum Trotz wurden ſie doch immer als Ketzer betrachtet.

Und auch der allgemeinen kirchlichen Irrungen ward hiebei nicht ganz vergeſſen. Ferdinand verſprach den Böh - men, auf eine chriſtliche Vereinigung und Reformation Be - dacht zu nehmen: ein Verſprechen das wohl an ſich nach beiden Seiten ausgelegt werden kann; aber doch, da darin nur von der Theilnahme des Kaiſers, nicht des Papſtes, nur von irgend einer Verſammlung, welche es auch ſey, nicht von einem allgemeinen Concilium unter Theilnahme421Einwirkung der religioͤſen Verhaͤltniſſe.aller chriſtlichen Nationen die Rede iſt,1Excerpt der in die Landtafel eingetragnen Artikel bei Bucholtz II, p. 420. ſchwerlich in anderm Sinne verſtanden wurde, als wie man es an den deutſchen Reichstagen meinte.

Und noch unzweifelhafter, ohne alle Zweideutigkeit drückten ſich die Schleſier aus.

Nachdem ſie auf einer Ständeverſammlung zu Leob - ſchütz 4 Dez. 1526 das Erbrecht Ferdinands, wiewohl nicht ohne den Schein einer gewiſſen Freiheit, anerkannt, beauftragten ſie die Abgeordneten welche dieſe Botſchaft nach Wien zu bringen übernahmen, bei der ein paar ſehr entſchieden evangeliſche Fürſten waren, Friedrich von Lieg - nitz und Georg von Brandenburg, bei dem neuen König und oberſten Herzog die Beilegung der Religionsirrungen in Anregung zu bringen dem Evangelio und Worte Got - tes gemäß. 2Die Worte der Inſtruction lauten bei Bukiſch: Religions - acten MS Tom I, f. 206. Und nachdem der allm. Gott aus ſei - ner goͤttlichen Verordnung geſchickt und verliehen, daß wir S. Koͤn. Mt zu unſerm Erbkoͤnige eintraͤchtiglich angenommen, welcher einmuͤt - tigen und troͤſtlichen Meinung wir ſ. Allmaͤchtigkeit billig Lob und Dank ſagen, ſo befinden wir nun in Notturft unſer Seel und Leibs gluͤckſeliger Wolfahrt, die jetzige vorfallende Irrung und Zwieſpalt ſo ſich in dem h. chriſtl. Glauben zugetragen, bei S. K. M. anzure - gen, damit dieſelb aus ſolchem Irrthum und Zertrennung erhaben, und nach Verordnung der h. chriſtl. Kirchen dem Evangelio und Worte Gottes gemaͤß nach S. K. Mt. Außſatz und durch unſer al - ler einmuͤthig und freundliches Vergleichen in recht chriſtl. Beſtand und gleichfoͤrmigen Gebrauch gebracht wuͤrde, welches E. L. ihn u. E. F. Gn. bei S. K. Mt alles in Unterthaͤnigkeit bitten werden, auf daß S. K. Mt daſſelbe als ein chriſtl. Koͤnig zu Troſt und Heil un - ſrer Seelen Seligkeit, auch zu Dempfung erfolgenden Unraths nach dem h. Evangelio gnaͤdiglich zu verordnen und zu verſchaffen geruhe.So erſuchten denn auch die Abgeordneten422Viertes Buch. Viertes Capitel.den König, auf die Errichtung einer chriſtlichen Ordnung eben nach Maaßgabe des Evangeliums Bedacht zu nehmen, damit Alle in Liebe und Einigkeit unter einander leben. Ferdinand erwiederte, er werde alles thun, was zu chriſtlicher Einigkeit und dem Lobe des allmächtigen Gottes gereiche. 1Forderung und Reſolution bei Schickfuß Schleſiſche Chro - nik III, 171. Auch im Anhang zu Bucholtz II, 523.

Der hergebrachten Meinung gegenüber ſieht es paradox aus, aber im Angeſicht der allgemeinen Combination der Ereigniſſe dürfen wir es ausſprechen, daß die politiſch-an - tirömiſche, religiös gemäßigte Haltung, welche das Haus Öſtreich in dieſem Zeitpunct eingenommen, dazu beitrug, ihm den Gehorſam in dieſen Ländern zu verſchaffen, die mit ſo mannichfaltigen Elementen der Oppoſition gegen Rom erfüllt waren.

Wunderbares Verhängniß, wenn die ſchroff-romani - ſtiſche Meinung, welche Baiern verfocht, gleich im erſten Moment dazu mitgewirkt hat, ſeine Pläne nach Außen hin zu hintertreiben.

Am Geburtstag ſeines Bruders, 24 Februar 1527, ward Ferdinand in Prag gekrönt, am 11 Mai nahm er auf dem Markte von Breslau die Huldigung ein: die deut - ſchen Fürſten eilten herbei, die Lehen der böhmiſchen Krone von dem neuen Lehnsherrn zu empfangen.

Ein moscowitiſcher Geſandter, der damals am Hofe eintraf, bezeigte ſein Erſtaunen, daß ein ſo herrliches Reich ohne Schwerdſchlag in die Hände eines neuen Herrn über - gegangen war. 2Herberſtein R. M. C. p. 154.

423Beſitznahme von Ungern.

Nicht ſo leicht noch friedlich jedoch entwickelte ſich die Ungriſche Angelegenheit.

Eine gewiſſe Analogie in religiöſer Hinſicht bot auch Ungern dar. Königin Maria, um welche ſich die öſtrei - chiſche Partei ſammelte, galt für eine Freundin der neuen Meinungen: ſie hielt die Faſten nicht, las lutheriſche Schrif - ten, hatte Anhänger Luthers an ihrem Hof: im November 1526 widmete ihr Luther vier Pſalmen zum Troſt in ihrem Unglück. Dagegen nahmen die Zapolyaner eine ſtreng alt - gläubige Miene an: ſie ſetzten 1525 den Beſchluß durch, daß alle Lutheraner ausgerottet, wo man ſie nur finde ver - brannt werden ſollten: ihr Wortführer Verböcz galt bei den Deutſchen als ein großer Gleißner: von ſeinem Hauſe hatte er zu ununterbrochener Communication einen hölzer - nen Gang nach dem nahen Barfüßerkloſter anbringen laſ - ſen. 1Turnſchwamb bei Engel I, 197. Stephan Verböcz Ami - cus Stis. Relatio Actorum bei Engel II, p. 55.Von politiſchen Folgen dieſer entgegengeſetzten Stim - mungen wird man jedoch in Ungern noch nicht viel inne. Die Hinneigungen zu einer abweichenden Kirchenform wa - ren noch zu zerſtreut zu geringfügig, um eine irgend merk - liche Wirkung zu haben. Ferdinand, dem man es früher zum Vorwurf gemacht, daß er ſeine Gemahlin mit lauter Deutſchen umgeben,2Diarium in Comitiis Pesthanis bei Engel II, 51. Dedit ei Germanos qui omnes fuerunt Lutherani. bei Katona XIX, 515 Art. V. Fukkarii ablegentur: oratores Caesareus et Venetus (der letzte blos wegen des erſten, wie eine venezianiſche Relation aus - fuͤhrt,) exmittantur: Lutherani etiam omnes de regno extirpen - tur, ubicumque reperti fuerint, libere comburantur. welche alle Lutheraner ſeyen, ſuchte ſeine katholiſche Reputation ſorgfältig zu behaupten. Den424Viertes Buch. Viertes Capitel.Charfreitag 1527 bezeichnete er damit, daß er ſeiner Schweſter Vorſtellungen über ihre religiöſen Hinneigungen machte. 1Briefwechſel bei Bucholtz IX. Am Frohnleichnamstag 1527 ſah man ihn in Wien in der Proceſſion einhergehn: in königlichem Schmuck, mit dem Schwert umgürtet, ſein Gebetbuch in der Hand: er ſah um ſich her, ob auch jedermann dem Hochwürdigen noch die gebührende Ehrfurcht beweiſe. Von Zeit zu Zeit ließ er Man - date zur Aufrechthaltung der alten Gebräuche erſcheinen.

In Ungern kam es zur Zeit noch mehr auf die Über - macht der Waffen an als auf die religiöſen Verhältniſſe.

Man könnte nicht ſagen, daß ſich die ganze Nation in zwei entgegengeſetzte Parteien geſpalten hätte; ſondern es hatten ſich in ihrer Mitte zwei politiſche Tendenzen ge - bildet, die eine des Hofes und des Palatins, die andre der Oppoſition und Zapolyas: nach der Niederlage ſtan - den ſie einander eben ſo gegenüber wie vor derſelben: das Übergewicht einer jeden hieng dann immer von der mo - mentanen Beiſtimmung der größern Anzahl ab, die ſich we - der der einen noch der andern entſchieden zugeſellt hatte.

Anfangs, als Zapolya in dem allgemeinen Ruin be - waffnet und mächtig hervortrat, hatte er die unbeſtrittene Oberhand. Die Hauptſtadt des Reiches rief ihn an, ſie in ſeinen Schutz zu nehmen, dann zog er nach Stuhlwei - ßenburg, wo ſeine Anhänger alle etwa Widerſtrebenden mit ſich fortriſſen:2So entſchuldigte wenigſtens der Biſchof von Nitra, Pod - manizky, daß er dem Zapolya die Krone aufgeſetzt habe. Er wuͤrde in Lebensgefahr gerathen ſeyn, wenn er ſich geweigert haͤtte. Di - ploma Ferdinandi bei Katona XIX, 752. er ward gewählt und gekrönt (11 Nov. 425Beſitznahme von Ungern.1526); auch in Croatien ward er auf einem Landtag an - erkannt; er beſetzte alle die zahlreichen durch den Unfall von Mohacz erledigten Stellen, geiſtliche und weltliche, mit ſeinen Freunden. Wir gedachten der Unterhandlungen die er nach allen Seiten hin anknüpfte. In Venedig und Rom, in München und Conſtantinopel finden wir ſeine Agenten. Er lächelte als man ihm einmal ein Schreiben von Ferdinand zeigte, worin die Ungern zum Abfall von ihm aufgefordert wurden: er meinte, nicht auf dieſe Weiſe erobere man Königreiche.

Indeſſen in Kurzem entwickelte Ferdinand auch andre Mittel.

So viel Haltung hatte die Partei des alten Hofes doch noch, um auch für ihn, den Gemahl einer Jagello - nin, für den ſo viel alte Verträge ſprachen, einen Reichs - tag zu Stande zu bringen zu Presburg, ebenfalls im November 1526, wo er zum König gewählt ward. Ste - phan Bathor, Alexius Thurzo, der Biſchof von Wesprim machten ſich dabei beſonders verdient: wir haben ein Di - plom von Ferdinand, worin er ſeine Anhänger nennt, ihnen ſeinen Dank ausſpricht, und ihnen ſeine Hülfe, für die Zukunft die beſten Stellen zuſichert. 1Bei Katona XX, 19. Praelaturas et dignitates et bene - ficia ecclesiastica ac bona et jura hereditaria et officia quae ad collationem nostram regiam devolventur, praefatis consiliariis et his qui nostras partes sequentur, pro suis cuique meritis ante alios donabimus. Auch an Geldzah - lungen ließ er es nicht fehlen: ſo ſchwer ſie ihm wurden, ſo reichten ſie doch nicht hin, um den Unſtätigkeiten der Magnaten ein Ende zu machen. Ferdinand ſah wohl ein,426Viertes Buch. Viertes Capitel. er hatte Verſtand genug um ſich keine Illuſion darüber zu machen daß es vor allem auf die Übermacht in den Waffen ankomme. Die Erwerbung der böhmiſchen Krone trug dazu bei, daß er allmählig die nöthigen Kräfte dazu erlangte. Wenn er zögerte, und die Unterhandlungen nicht zurückwies, welche der König von Polen zu Olmütz ein - leitete, ſo geſchah das wir haben einen Brief übrig, worin er es ausdrücklich ſagt nur deshalb, weil er Zeit gewinnen und ſich rüſten wollte. 1Ferdinand an Maria 7 April. Combien que n’ay nulle - ment en voulenté riens traiter ny conclure, neanmoins pour entretenir les affaires jusques a ce que soie de tout prest pour me mettre aux champs, je lui (au roi de Pologne) ay bien voulu accorder cettc journée. Endlich war er ſo weit.

Am 31ſten Juli 1527 langte Ferdinand auf der gro - ßen Straße von Wien nach Ofen bei dem halbverfallenen Thurm an, welcher die Mark zwiſchen Öſtreich und Un - gern bezeichnet: der Palatin und ein paar hundert ungri - ſche Reiter empfiengen ihn: er ſtieg ab, ſo wie er die un - griſche Erde berührte, und beſchwur die Privilegien des Reiches. Er hatte ein ſtattliches Heer ins Feld gebracht. Die Bewilligungen ſeiner neuen Reiche hatten ihn in Stand geſetzt ein treffliches Fußvolk zu werben; ſchon war Katzia - ner voran: er zeichnete ſich dießmal durch die ſtrengſte Mannszucht aus, zu der er auch die Böhmen anzuhalten wußte; Rogendorf, der von Spanien wiedergekommen, und die in Italien vielverſuchten Hauptleute, Marx Sittich und Eck von Reiſchach hatten die geübteſten Landsknechte herbeigeführt. Außerdem hatten ſich die neuen Lehnsleute427Beſitznahme von Ungern.des Königs, Caſimir von Brandenburg, Georg von Sach - ſen und der alte Kriegsmann Erich von Braunſchweig be - wegen laſſen, dem König mit einigen Geſchwadern deut - ſcher Reiter zu Hülfe zu kommen. Caſimir, obwohl er ſich fortwährend zu einer zwar gemäßigten, aber doch un - zweifelhaft evangeliſchen Meinung bekannte, ward mit der Oberanführung beauftragt. Nicolaus von Salm, den wir in der Schlacht von Pavia, Johann Hilchen, den wir in der Umgebung Sickingens kennen lernten, finden wir bei dieſem Heer. Es zählte 8000 M. z. F., 3000 z. Pf. Dem König rieth man anfangs, ſeine Perſon nicht zu ge - fährden: damit es ihm nicht etwa gehe, wie ſo eben ſei - nem Vorgänger; da er aber in dieſem Moment die Nach - richt erhielt, daß ihm ein Sohn geboren worden, und die Succeſſion dadurch feſtgeſtellt war, ſo ließ er ſich nicht abhalten, dem Feldzug beizuwohnen. 1Ursinus Velius de bello Pannonico, ed. Kollar. Aus den Vergleichungen bei Katona, der ihn ganz aufgenommen, ſieht man wie ſehr Iſthuanfi und ſelbſt Zerengh gegen dieſe gleichzeitigen und ausfuͤhrlichen Aufzeichnungen zuruͤcktreten.

Auch entwickelte ſich derſelbe nicht ſehr gefährlich. Die erſten Feſtungen fielen ohne viel Widerſtand: Comorn, Tata, Gran: das treffliche Geſchütz, die glühenden Kugeln brachten die Beſatzungen in Verzweiflung. Unaufgehalten rückten die Deutſchen vor. So wie ſich zeigte, daß Ferdinand ſiegen dürfte, begann der Abfall unter den Anhängern Za - polyas. Zuerſt gieng die Donauflotte über, was eben ſo viel militäriſchen wie moraliſchen Einfluß hatte; dann trat der Banus Batthyany, der ſeine Partei ſchon ein paar Mal gewechſelt, zu Ferdinand zurück; Peter Pereny, den428Viertes Buch. Viertes Capitel.man als den erſten evangeliſchen Magnaten in Ungern an - ſieht, Valentin Török, von dem man vermuthet, der Wunſch im Beſitz einiger eingezogenen geiſtlichen Güter zu verblei - ben, habe ihn dazu vermocht, erſchienen mit ſtattlichem Ge - folge;1Gebhardi Geſch. von Ungarn II, 287. Bei Bucholtz IX, 323 findet ſich ein Actenſtuͤck uͤber die Unterwerfung Perenys, das doch wahrſcheinlich hieher gehoͤrt und hoͤchſt merkwuͤrdig iſt. Pereny ſtellt als ſeine erſte Forderung folgende auf. Inprimis cupit D. Pe - trus per S. Mtem assecurari, ne a religione sua unquam prohi - beatur quandoquidem verum et bonum Christianum se profitea - tur et scientem fidem cham per Christum juxta evange - lium. Ferdinand antwortet: Concedit M. S. uti se gerat verum et bonum Chnum ut cujusque erga deum pietas fidesque nostra vera et catolica dictare et postulare videtur. Ein Zugeſtaͤndniß das freilich ſehr zweideutig war, bei dem ſich aber Pereny doch be - ruhigt zu haben ſcheint. Ohne Zweifel glaubte auch er die fides vera et catholica zu haben. dem Beiſpiele der Großen folgten unzählige Ge - ringere nach; Zapolya ſah, daß ſein Gegner der Stärkere war: er wagte es nicht, ihm im Felde zu begegnen: er getraute ſich auch nicht, die Hauptſtadt gegen ihn zu be - haupten: er zog ſich nach ſeinem eigenthümlichen Gebiete zurück. Am 20ſten Auguſt, dem Tag des h. Stephan, hielt Ferdinand ſeinen Einzug in Ofen.

Während ſich die Stände des Reiches dort um ihn ſammelten, verfolgten die deutſchen Reiter, unter Nicolaus von Salm (Markgraf Caſimir ſtarb zu Ofen), den König - Woiwoden die Theis hinauf. Niemals hatten die deut - ſchen Truppen ſich wackerer gezeigt. 2Velius: Haud unquam alias Germani militis virtus et pa - tientia in bello magis enituit. Sie hatten oft we - der Fleiſch noch Brod, und mußten von den Früchten des Herbſtes in den Gärten ſich ernähren: die Einwohner ſchwank -429Beſitznahme von Ungern.ten, unterwarfen ſich und fielen dann wieder ab: die Truppen Zapolyas, von der Kenntniß des Terrains unterſtützt, machten ein paar Mal ſehr gefährliche nächtliche Überfälle; aber die Deutſchen entfalteten in den gefährlichen Momen - ten die Gewandtheit und Entſchloſſenheit einer altrömiſchen Legion; auch übrigens zeigten ſie eine herrliche Ausdauer in den Beſchwerden: ſie ſchlugen Zapolya bei Tokay aufs Haupt und zwangen ihn Ungern zu verlaſſen. Darauf hatten ſie auch die Ehre, den deutſchen Erzherzog nach Stuhlweißenburg zu begleiten, in ihrem glänzenden Har - niſch, die ſeidnen und zerſchnittenen Wappenröcke darüber. Am 3ten November 1527 ward Ferdinand in Stuhlwei - ßenburg gekrönt: von den Magnaten des Reiches hielten nur noch fünf an Zapolya feſt. Der Sieg konnte voll - kommen ſcheinen.

Sehr wohl aber fühlte Ferdinand, daß er das mit nichten war. Monſeigneur, ſchrieb er noch im Novem - ber an ſeinen Bruder, ich zweifle nicht, daß Euch die Natur der Ungern, die Veränderlichkeit ihres Willens be - kannt iſt. Sie müſſen von nahe bei in Zaum gehalten werden, wenn man ihrer gewiß ſeyn will. 1Bei Bucholtz III, 114.Nur mit großer Bedenklichkeit entſchloß er ſich, Ungern in dieſem Augenblick wieder zu verlaſſen.

Auch in Böhmen war er noch lange nicht ſicher. Seine bairiſchen Nachbarn gaben die Hofnung nicht auf, ihn bei der erſten Wendung der allgemeinen Angelegenheiten vom Throne zu ſtoßen.

Und indeſſen rüſteten ſich die Osmanen, in der Mei -430Viertes Buch. Viertes Capitel.nung, jedes Land gehöre ihnen von Rechtswegen, wo das Haupt ihres Herrn geruht, nach Ungern zurückzukehren, ſey es um es für ſich ſelbſt zu behalten, oder auch um es fürs Erſte, wie das immer ihre Sitte geweſen, einem dortigen Oberhaupte, eben dem Zapolya der die Verbindung mit ihnen eifrig ſuchte, als ihrem Lehnsmann zu überlaſſen.

Eine Lage der Dinge, bei der die wichtigſten Ver - hältniſſe noch oft von der Entſcheidung des Schwertes abhängen ſollten. Sich in der eingenommenen Stellung zu behaupten hatte das Haus Öſtreich kein Mittel als die Hülfe des Reiches, die es unaufhörlich in Anſpruch nehmen mußte. An die Deutſchen kam jetzt die Vertheidigung der Chriſtenheit gegen die Osmanen.

[431]

Fuͤnftes Capitel. Gründung evangeliſcher Territorien.

So großartig entwickelten ſich in Bezug auf die aus - wärtigen Verhältniſſe die Momente welche am Reichstag zu Speier zuſammentrafen.

Zugleich aber entſprangen noch andre Folgen, in Be - ziehung auf das Innere des Reichs und der Kirche, dar - aus, welche, wie viel unſcheinbarer ſie auch auftraten, doch in ſich ſelbſt und für die geſammte Zukunft ohne Zweifel noch bedeutender waren. Auf den Grund des Reichsab - ſchiedes unternahmen die evangeliſch-geſinnten Stände eine neue kirchliche Einrichtung ihrer Landſchaften: ſie ſchritten dazu, ſich von der weltumfaſſenden Hierarchie der lateini - ſchen Kirche definitiv abzuſondern.

Wie es aber zu geſchehen pflegt, daß ſich bei dem Beginne durchgreifender Änderungen zunächſt immer die dem Beſtehenden am entſchiedenſten entgegengeſetzten Grund - ſätze hervorheben, ſo ſtellte ſich auch hier das entfernteſte Ziel dem Auge zuerſt dar: es machten ſich Ideen geltend, welche der ſtrengen Monarchie des Papſtthums am mei - ſten widerſprachen.

432Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Luther ſelbſt hatte wohl früher dahin gewirkt. Im Jahr 1523 hatte er den Böhmen, welche in eine uner - trägliche Verwirrung geriethen, weil ſie an der Nothwen - digkeit der biſchöflichen Ordination feſthielten, den Rath gegeben, ihre Pfarrer und Biſchöfe ohne Bedenken ſelbſt zu wählen. Mit Gebet möchten ſie ſich vorbereiten, ſagte er ihnen, dann in Gottes Namen zuſammentreten und zur Wahl ſchreiten. Die Angeſehenſten unter ihnen möchten dem Erwählten getroſt die Hände auflegen; ſey das in mehreren Gemeinden geſchehen, ſo ſtehe dann den Pfarrern das Recht zu, ſich einen Obern zu wählen, der ſie beſuche wie Petrus die erſten Chriſten-gemeinden. 1L. de instituendis ministris ecclesiae ad clarissimum se - natum Pragensem. Opp. Jen. II, p. 554: Convocatis et convenien - tibus libere quorum corda deus tetigerit, ut vobiscum unum sen - tiant et sapiant, procedatis in nomine domini et eligite quem et quos volueritis, qui digni et idonei visi fuerint, tum impositis super eos manibus illorum qui potiores inter vos fuerint, con - firmetis et commendetis eos populo et ecclesiae seu universitati sintque hoc ipso vestri episcopi ministri seu pastores. Amen. Ideen dieſer Art waren in jenen Jahren wie in der Schweiz ſo in Deutſchland ſehr populär und verbreitet. Es findet ſich eine Gemeinde, die ſo unbedeutend ſie übri - gens auch iſt, doch ihrem neu eintretenden Pfarrer erklärt, er ſey nicht ihr Herr, ſondern ihr Knecht und Diener, ihm vor allen Dingen verbietet, ſich gegen irgend einen Pfarrver - wandten an den bisherigen Biſchof zu wenden, und ihn mit Abſetzung bedroht, wofern er nicht bei dem einigen ewigen Worte Gottes bleibe. 2Dorfmaiſter und Gemaind zu Wendelſtanis Fuͤrhalten den Amptleuten zu Schwobach iren newangeenden Pfarrherrn gethanIn ſich ſelbſt ſehen die Gemeinenden433Kirchliche Ideale.den Urſprung der geiſtlichen Gewalt. Nur auf einer rein demokratiſchen Grundlage wäre dann der Aufbau einer neuen Kirche emporgeſtiegen.

In der That machte man jetzt in einem großen deut - ſchen Fürſtenthum einen Verſuch dazu.

Nichts iſt merkwürdiger als der Beſchluß der Synode, welche Landgraf Philipp im October 1526 mit den geiſt - lichen und weltlichen Ständen ſeines Landes zu Homberg hielt. Die Einwendung des Franciscaner-Guardians von Marburg, daß auf einer ſo kleinen Verſammlung nicht über Angelegenheiten entſchieden werden könne, welche vor ein allgemeines Concilium gehören, war leicht beſeitigt, da eben auf dem Reichstag die Unmöglichkeit ein ſolches ab - zuwarten, anerkannt worden war. Dagegen drang Franz Lambert mit dem entgegengeſetzten Grundſatz durch, daß alle Chriſten des Prieſterthums theilhaftig ſeyen, die wahre Kirche nur in ihrer Gemeinſchaft beſtehe, und dieſe Kirche nach dem Worte Gottes über die Glaubensſachen zu ent - ſcheiden habe. 1Paradoxa Francisci Lamberti bei Scultetus Annales Evang. p. 68. Tit. VI § 6. Tit. III § 1.Man faßte die Idee, eine Kirche zu con - ſtituiren welche aus lauter Gläubigen beſtehe. Man ſtellte dazu folgenden Entwurf auf. 2Reformatio ecclesiarum Hassiae juxta certissimam ser - monum dei regulam ordinata in venerabili synodo per clemmum

2Mittw. nach Galli 1524. Abgedruckt in Riederers Nachrichten zur Buͤchergeſchichte ꝛc. II, 334. Nachdem ainer chriſtlichen Gemain ge - buͤrt, einhellig in ſich in die Gemaind zu greifen nach einem erbarn unverleumpten Mann, welchen auch dieſelbe Gemaind Macht hat wieder abzuſchaffen. Der Widerchriſt, der ſie in der babyloniſchen Gefangenſchaft halte, habe ihnen auch dieſe Freiheit entzogen ꝛc.

Ranke d. Geſch. II. 28434Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Nachdem eine Zeitlang gepredigt worden, ſoll eine Verſammlung gehalten, und Jedermann gefragt werden, ob er ſich den Geſetzen zu unterwerfen geſonnen ſey oder nicht. Die welche ſich weigern, gehen hinaus und werden als Hei - den betrachtet. Die aber welche in der Zahl der Heiligen ſeyn wollen werden aufgeſchrieben; ſie laſſen es ſich nicht kümmern, wenn ihrer anfangs nur wenige ſind, denn Gott wird ſchon ihre Anzahl vermehren, ſie ſind es welche die Ge - meine ausmachen. In ihren Verſammlungen werden nun vor allem die geiſtlichen Vorſteher gewählt, die man hier ſchlechthin Biſchöfe nennt. Man kann dazu tadelloſe und unterrichtete Bürger von jeder Profeſſion wählen, doch nur auf ſo lange nimmt man ſie an, als ſie das reine Got - tes Wort verkündigen. Jede Gemeinde hat einige Mit - glieder welche den Dienſt der Armen beſorgen, eine ge - meinſchaftliche Caſſe, zu der Alle beitragen, aus der die Armen, auch die um des Evangeliums willen Verjagten unterſtützt werden; beſonders wohnt einer jeden das Recht der Excommunication bei. Die Verbrechen werden genannt, welche dieſe Strafe nach ſich ziehen; nur nach eingeſtandner und bereuter Miſſethat kann die Abſolution erfolgen. Wir ſehen, mit der Unabhängigkeit der gläubigen Gemeinden iſt zugleich die ſtrengſte Kirchenzucht verbunden; ein tie - fer Ernſt heiligt die Anſprüche die man macht. Alle Jahr ſollen ſich die Kirchen, durch Biſchöfe und Abgeordnete aus der Gemeinde repräſentirt, zu einer Generalſynode ver -2Hassorum principem Philippum 1526 d. 20 Oct. Hombergi celebrata cui ipse princeps interfuit. Schmincke Monumenta Has - sorum II, p. 588.435Kirchliche Ideale.ſammeln, wo alle Klagen zu erledigen, alle Zweifel aus - zumachen ſind. Es wird ein Ausſchuß von Dreizehn ge - wählt, der die Sachen vorbereiten und ſie der Verſamm - lung zur Entſcheidung nach dem Worte Gottes vorlegen ſoll. Von der Generalſynode, deren Zuſammenkunft man immer auf den dritten Sonntag nach Oſtern feſtſetzt, werden drei Viſitatoren gewählt, welche den Zuſtand jeder einzelnen Kirche zu unterſuchen haben.

Es iſt ſehr bemerkenswerth, daß ein Ausländer es war, ein Franzoſe, von Avignon, welcher jedoch von Zwingli bekehrt, in Luthers Schule von der evangeliſchen Lehre durchdrungen worden, der dieſe Ideen ſo weit ausbil - dete. Es ſind dieſelben, auf welche die franzöſiſche, ſchot - tiſche und amerikaniſche Kirche ſpäterhin gegründet wor - den: von denen man wohl ſagen kann, daß das Daſeyn, die Entwickelung von Nordamerika auf ihnen beruht. Sie haben eine unermeßliche welthiſtoriſche Wichtigkeit. Gleich bei dem erſten Verſuche traten ſie auf: eine kleine deutſche Synode nahm ſie an.

Eine andre Frage aber war es, ob ſie in Deutſch - land und zwar damals auszuführen ſeyn würden.

Wenigſtens Luther war ſchon wieder davon zurückge - kommen.

Einmal er hätte dabei faſt unüberwindliche Schwie - rigkeiten gefunden. Bei ſeinem ganzen Unternehmen war ihm der Wunſch des höhern weltlichen Standes, ſich von dem Druck der unmittelbaren geiſtlichen Aufſicht zu eman - cipiren, zu Statten gekommen: die Menſchen wollten ſich einen gleichen Zwang unter anderer Form nicht wieder28*436Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.auflegen laſſen. Ferner fand Luther, er habe keine Leute zu einer Einrichtung dieſer Art. Er war oft über die un - gelehrige Hartnäckigkeit der Bauern, welche nicht einmal dahin zu bringen ſeyen ihre Geiſtlichen zu ernähren, höch - lich entrüſtet; er meinte, mit den Ordnungen der Kirche verhalte es ſich noch als wenn ſie unter Türken und Hei - den auf einem freien Platz ausgeübt werden ſollten: der größte Theil ſtehe und gaffe, als ſehe er etwas Neues. 1Vorrede zu dem Buch uͤber die deutſche Meſſe. Altenb. III. Endlich die ganze Lage der Dinge war dazu nicht ange - than. Wenn jene Ideen die wir als kirchlich demokratiſch bezeichnen können, ſpäter wirklich in andern Ländern zur Herrſchaft gelangten, ſo geſchah das auch deshalb, weil die neue Kirche ſich in Widerſpruch mit den Staatsgewal - ten feſtſetzte: ſie bildete ſich wirklich von unten her, ſie hatte einen demokratiſchen Urſprung. Durchaus anders aber war es in Deutſchland. Die neuen Kirchen wurden unter dem Schutz, dem unmittelbarſten Einfluß der zunächſt re - gierenden Gewalten gegründet. Es iſt natürlich, daß davon auch ihre Geſtaltung beſtimmt ward.

Denn nicht in völliger Unbedingtheit treten die Ideen in der Welt ein. Der Moment ihres Hervortretens be - herrſcht ihr Daſeyn auf immer: ſo leben ſie fort, wie ſie zum Leben gelangten.

Es iſt wohl der Mühe werth, an der Stelle wo wir angekommen, wo wir nun die Gründung der evangeliſchen Kirche näher zu betrachten haben, die Umſtände zuſammen - faſſend uns zu vergegenwärtigen unter denen ſie geſchah. Wir werden die Rechtmäßigkeit des dabei eingeſchlagenen437Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.Verfahrens danach näher würdigen: aus der Geſchichte wird ſich, wenn ich mich nicht irre, das Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts, auf welches alles gebaut worden iſt, ergeben.

Erwägen wir dann vor allem, daß es innere kirchliche Irrungen waren, von welchen die Bewegung herkam, daß der Abfall innerhalb der eigentlich kirchlichen Kreiſe ge - ſchah. Eine Univerſität mit ihren Zöglingen machte den Anfang: die niedere Geiſtlichkeit in einem großen Theile von Deutſchland folgte nach; ſie waren es, welche die Überzeugungen aller Stände, der geringſten wie der vor - nehmſten, umwandelten, mit ſich fortriſſen. Der bisherige Cultus fiel an unzähligen Stellen ganz von ſelbſt.

Es wäre zunächſt die Sache der geiſtlichen Gewalt geweſen, dieſe Bewegung zu erdrücken: allein ſie vermochte es nicht. Die Bulle des Papſtes ward nicht ausgeführt. Den Anordnungen der Biſchöfe lieh man in einem Theile des Reiches von weltlicher Seite den Arm nicht mehr. Die neuen Überzeugungen waren in einer Anzahl von Reichsfürſten ſo ſtark geworden, daß ſie ſich nicht dazu verpflichtet achteten.

Die kirchliche Gewalt hatte ſich deshalb an die kai - ſerliche gewendet: ein Edict zu ihren Gunſten war ergan - gen: allein wie deſſen Urſprung nicht in einem großen Ge - fühl der allgemeinen Nothwendigkeit, ſondern in einſeitigen politiſchen Rückſichten lag, ſo hatte man gar bald unmög - lich gefunden es auszuführen. Nach alle dem Hin und Widerfluthen der religiöſen Bewegungen hatte man ſich endlich am Reichstag entſchloſſen, es zwar nicht zu wider - rufen, aber doch in eines Jeden eignes Ermeſſen zu ſtel - len, ob er es ausführen wolle oder nicht.

438Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Was ſollte nun unter dieſen Umſtänden in den von den Reformationsideen ergriffenen Gebieten geſchehen? Soll - ten die Fürſten eine Autorität wiederherſtellen, mit der ſie unaufhörlich in bittern Zwiſtigkeiten gelegen, die einen all - gemeinen nationalen Widerwillen gegen ſich erweckt hatte, und deren Amtsführung ſie ſogar für unchriſtlich hielten? Der Reichsabſchied befahl ihnen das nicht. Es iſt darin davon die Rede, daß Niemand ſeiner Güter und ſeines Ein - kommens zu berauben ſey: der Herſtellung der geiſtlichen Jurisdiction hatte man abſichtlich nicht gedacht. Oder ſollten ſie warten, bis einmal ein Concilium zuſammenträte und Ordnung machte? Es war nicht abzuſehen, wann das geſchehen würde: der Reichstag ſelbſt hatte es unmöglich gefunden. Man durfte die Dinge nicht ihren innern Trie - ben oder dem Zufall überlaſſen. Sollte nicht eine wilde Anarchie erfolgen, ſo mußten die beſtehenden rechtmäßigen Gewalten dazu ſchreiten, Ordnungen zu treffen.

Fragen wir was die deutſchen Fürſten dazu berech - tigte, ſo läßt ſich ihnen wohl nicht eine Art biſchöflicher Ge - walt zuſchreiben, wenigſtens im Anfang nicht. Eben bei dieſer Gelegenheit erklärt Luther ausdrücklich, der weltli - chen Obrigkeit ſey nicht befohlen geiſtlich zu regieren. Eher ließe ſich eine andere Meinung die man aufgeſtellt hat, vertheidigen, daß nemlich die factiſch bereits beſtehende Kirche den Landesherrn das Amt der Oberaufſicht aufge - tragen habe; Luther, der alle dieſe Dinge bei ſich über - legte und nichts ohne vollkommene Sicherheit thun wollte, ſprach jedoch nur davon, daß man die Fürſten erſuchte ſich aus Liebe und um Gottes willen dieſer Sache anzu -439Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.nehmen. Die neue Kirche war noch nicht conſtituirt; daß ſie ein Recht übertragen dürfe, traute ſie ſich ohne Zweifel ſelbſt nicht zu.

Das eigentliche Recht leitet ſich, wenn ich nicht irre, aus einem andern Urſprung her.

Sollte wohl Jemand dem Reich die Befugniß ab - ſprechen, in der Verwirrung in die man gerathen war, auf einer regelmäßigen Zuſammenkunft, wie die zu Speier beabſichtigte, Anordnungen auch über die kirchlichen An - gelegenheiten feſtzuſetzen? Es iſt wahr: man hat ſchon damals von mehr als Einer Seite allerlei Bedenken dage - gen vorgebracht: die ſpätere Zeit hat dieſelben jedoch ge - hoben. Wir müßten ſonſt an der Rechtsbeſtändigkeit des Religionsfriedens ſo wie des weſtphäliſchen Friedens zwei - feln, welche doch beide von der päpſtlichen Gewalt niemals anerkannt worden ſind.

Auch hat man in Deutſchland nie an der Gültigkeit der Reichsabſchiede von 1523 und 1524 gezweifelt, welche für die religiöſen Angelegenheiten ſo wichtig waren.

Was hätte daraus hervorgehn müſſen, wenn die Reichs - verſammlung auf dieſem Wege fortſchreitend ſich ihres Rech - tes bedient und eine Reform für alle Stände angeordnet hätte: die großartigſte Umgeſtaltung würde erfolgt ſeyn.

Allein die Reichsverſammlung konnte ſich nicht ſo weit vereinigen. Sie gab aber darum ihre Befugniß nicht auf: wie ſie denn ſpäter darauf zurückgekommen iſt. Damals fand ſie es angemeſſen, und das iſt der Moment von dem alles ausgeht, die Ausübung ihres Rechtes den Ter - ritorial-gewalten anheim zu ſtellen.

440Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Denn was Anders heißt es, wenn ſie es den Für - ſten überläßt, über die Befolgung oder Nichtbefolgung des Wormſer Edicts ſich mit ihren Unterthanen zu vereinigen. Darin lag die Nothwendigkeit durchgreifender und umfaſ - ſender Maaßregeln. 1 Das iſt je die Wahrheit, daß das kaiſ. Edict anders nichts innen haͤlt, denn die Sachen unſern h. Glauben und Religion, auch die Irſallehren und Mißbreuch ſo daraus entſprungen ſeyn, belan - gend. So denn an denſelben, nemlich wie und was man glauben, was man lehren predigen und halten, was man auch in ſolchem flie - hen und vermeiden ſoll, ein ganz chriſtlich Leben und unſer einige Seligkeit ohne alles Mittel gelegen iſt, ſo folget gewißlich, daß der angezeigt Artikel auf ein ordentlich chriſtlich Leben Regiment und Weſen muß gezogen werden. Die hineingebrachten Wort des Edicts machen auch den Artikel viel laͤuterer. (Worte der gleich anzufuͤh - renden Schrift.)Was die Reichsverſammlung ſelber auszuführen nicht einmüthig noch entſchloſſen genug war, das überließ ſie den einzelnen Ständen.

So verſtand es Landgraf Philipp, wenn er ſeine Un - terthanen geiſtlichen und weltlichen Standes nach Hom - berg zu kommen einlud, um ſich mit ihnen in Sachen den heiligen Glauben belangend zu vergleichen. Darauf gründet ſich Markgraf Caſimir von Brandenburg, wenn er als ein Gottliebender und kaiſerlicher Maj. gehorſamer Fürſt wie er ſagt, mit den Abgeordneten ſeiner Landſchaft eine Einrichtung trifft, die bei aller Zurückhaltung doch einen unzweifelhaft evangeliſchen Inhalt hat. Wir beſitzen eine kleine Schrift aus jener Zeit, in der man aus den Wor - ten des Reichsabſchiedes nicht allein die Befugniß, ſon - dern die Pflicht der Fürſten herleitet, Anordnungen nach Maaßgabe des göttlichen Wortes zu treffen, über das ge - ſammte chriſtliche Leben und Weſen, denn dieß zu umfaſſen441Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.ſey doch auch der Sinn des Edictes. 1Ein chriſtlicher Rathſchlag welchergeſtalt ſich alle chriſt - liche Perſonen von Obern und Unterthanen halten ſollen, daß ſie das nach Anzeigung eines ſondern Artikels im Abſchied des juͤngſt - gehaltnen Reichstags zu Speier moͤgen verantworten. Bei Hortleder Buch I, Cap. II. Daran ſtreift auch Luther, indem er an Kaiſer Conſtantin erinnert, der bei den arianiſchen Irrungen ſich bewogen gefunden, we - nigſtens durch Berufung eines Conciliums einzuſchreiten, um weitern Unordnungen vorzubeugen.

Mit Einem Worte: es war das unbeſtreitbare Recht der höchſten Gewalt, bei dem Überhandnehmen kirchlicher Entzweiungen eine Auskunft zu treffen, es war das den einzelnen Ständen anheimgeſtellte Recht des Reiches, kraft deſſen die evangeliſchen Fürſten dazu ſchritten die Reform in ihren Gebieten durchzuführen.

Da konnten nun jene demokratiſchen Ideen ſich nicht geltend machen: dahin führte die Thatſache nicht, die Kirche conſtituirte ſich nicht von unten her. Jene Gemein - ſchaft von Wahrhaft-gläubigen, entſprechend der Idee der unſichtbaren Kirche, der das Recht, ſich ſelbſt Geſetze zu geben, hätte überlaſſen werden können, war eben nicht vorhanden. Luther fuhr fort die Kirche als eine göttliche, von allen weltlichen Mächten feſtzuhaltende Inſtitution zu betrachten, jedoch nicht mehr wie bisher, um das Myſte - rium darzuſtellen, ſondern vor allem zur Unterweiſung des Volkes, als eine öffentliche Reizung, wie er ſich aus - drückt, zum Glauben und Chriſtenthume. Indem er Wehe über die Biſchöfe ruft, welche das Volk ſo roh da - hingehen laſſen, daß es weder das Vater unſer noch die442Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.zehn Gebote gelernt, von dem chriſtlichen Glauben nichts erfahren habe, bekämpft er zugleich die Vorſtellungen eini - ger Evangeliſchen, welche nun wohl glaubten, bei der Leich - tigkeit literariſcher Belehrung, der Pfarrer ganz entbehren zu können; die Kirche iſt ihm eine lebendige göttliche In - ſtitution, zur Befeſtigung und Ausbreitung des Evange - liums durch Verwaltung der Sacramente und Predigt; ſein Sinn iſt, die Lehre der Schrift den Menſchen, wie er ſagt, ins Herz zu treiben, gegenwärtige und künftige Generationen damit zu erfüllen.

Dieſe Ideen walteten bei den kirchlichen Einrichtun - gen des ſächſiſchen Gebietes vor.

Der Churfürſt hatte einige Viſitatoren ernannt, um den Zuſtand der einzelnen Gemeinden in Hinſicht auf Lehre und Leben zu prüfen. In ihrem Namen ergieng ein Un - terricht an die Pfarrer, welchen Melanchthon ausgearbei - tet hat und Luther billigte, ja ſelbſt herausgab, der nun höchſt merkwürdig iſt.

Darin tritt die Oppoſition gegen das Papſtthum, ſo lebhaft auch ſonſt der Kampf noch war den man mit ihm beſtand, ſchon ſehr in den Hintergrund: man beſchied ſich, daß er auf die Kanzel vor das Volk nicht gehöre: man ermahnte die Prediger, auf Papſt und Biſchöfe, von denen keiner ſie vernehme, auch nicht zu ſchelten; man faßte nur das Bedürfniß der Menge, die Pflanzung der evangeliſchen Lehre in dem gemeinen Mann ins Auge. Man gieng hiebei mit der größten Schonung des Herkömmlichen zu Werke. Man fand es nicht nothwendig, die lateini - ſchen Meſſen geradehin zu verbieten: man glaubte ſelbſt,443Saͤchſiſche Viſitation.die Mittheilung des Sacraments unter Einer Geſtalt ge - ſtatten zu können, wo ſich Jemand aus Gewiſſensſcrupeln noch nicht von dem alten Ritus losſagen wolle; obgleich man den Zwang der Ohrenbeichte verwarf, da ſie nicht in göttlichen Schriften gegründet ſey, erklärte man es doch für heilſam, daß ein Jeder die Sünden beichte von denen er ſich beſchwert fühle, worin er Rath zu bedürfen glaube; man ſchaffte nicht einmal alle Feſte der Heiligen ab, ſchon genug, wenn man nur dieſelben nicht anrufe, auch nicht um ihre Fürbitte. Die Idee, die wir ſchon öfter wahr - genommen, daß man nur die unbedingte religiöſe Bedeu - tung, die allein ſeligmachende Kraft der in den letzten Jahr - hunderten entwickelten Formationen verwarf, aber übrigens keineswegs den geiſtigen Grund und Boden der lateiniſchen Kirche verließ, ſtellt ſich hier noch einmal ſehr deutlich dar. Man ſuchte ſich nur des Zwanges der tauſendfältigen Tra - ditionen, der hierarchiſchen Anmaaßungen zu entledigen, und den reinen Inhalt der h. Schrift, der Offenbarung wieder - zugewinnen. 1Vgl. Luthers Vorrede auf das Buͤchlin des Herrn Licen - tiaten Klingenbeil 1528. Altenb. IV, 456. Wir haben die Schrift fuͤr uns, dazu der alten Vaͤter Spruͤche und der vorigen Kirchen Ge - ſetze, dazu des Papſts ſelbſt eigenen Brauch, da bleiben wir bei: ſie aber haben etlicher Vaͤter Gegenſpruͤche, newe Canones und ihren eignen Muthwillen ohn alle Schrifft und Wort Gottes. Was damit irgend beſtehen konnte behielt man bei. Man trug Sorge, die Gemüther der gemeinen Leute nicht mit den ſchwierigen controverſen Lehren, na - mentlich über die guten Werke und den freien Willen, zu verwirren. Nicht daß man im Mindeſten von den ein - mal gewonnenen Überzeugungen abgewichen wäre, von der444Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.Grundlehre der Rechtfertigung durch den Glauben, von der Bekämpfung des Irrthums ſein Heil in der Beobach - tung menſchlicher Anordnungen, z. B. der Faſten, der ſieben Gezeiten zu ſuchen: man wiederholte dieſe Sätze viel - mehr ſo präcis wie möglich: aber man forderte zugleich Buße Reue und Leid, Vermeidung der Vergehungen, from - mes Leben. Denn das ſtehe allerdings in des Menſchen Gewalt, das Böſe zu fliehen, das Gute zu wählen: die Unkraft des freien Willens ſey nur, daß er das Herz nicht reinigen, keine göttlichen Gaben hervorbringen könne: dieſe müſſe man allein bei Gott ſuchen. 1Unterricht der Viſitatoren an die Pfarrherrn des Churfuͤr - ſtenthums zu Sachſen. Altenb. IV, 389.Man hat ſich das Ziel geſetzt, die Menſchen zu innerlicher Religion, Glauben und Liebe, unſchuldigem Wandel, Ehrbarkeit und Ordnung anzuleiten. Weit gefehlt, daß man von dem äch - ten Chriſtenthum auf irgend einer Stelle abwiche, ſetzt man vielmehr ſein Verdienſt darin, die Gemüther tiefer und tie - fer mit den Prinzipien deſſelben zu durchdringen. Darin ſucht Luther ſeinen vornehmſten Ruhm, daß er die Grund - ſätze des Evangeliums auf das gemeine Leben anwendet. Vor allem hat er ſich angelegen ſeyn laſſen, von dem re - ligiöſen Standpunct aus die verſchiednen Stände über ihre Pflicht zu unterweiſen: die weltliche Obrigkeit und ihre Un - terthanen, die Hausväter und die Glieder der Familie. Er entwickelt ein unvergleichliches Talent populärer Belehrung. Er weiſt die Pfarrer an, wie ſie zum Heile des gemeinen Mannes predigen, die Schullehrer, wie ſie die Jugend in ihren verſchiednen Stufen unterrichten, Wiſſenſchaft und445Saͤchſiſche Viſitation.Religion verbinden, nichts übertreiben, die Hausherrn, wie ſie ihr Geſinde zur Gottesfurcht anhalten ſollen; er ſchreibt einem jeden Sprüche ſeines Wohlverhaltens vor, den Pfar - rern und den Gemeinen, Männern und Frauen, Ältern und Kindern, Knechten und Mägden, Jung und Alt: er zeigt ihnen eine Formel des Benedicite und des Gratias bei Tiſche, des Morgen und des Abendſegens an. Er iſt der Patriarch der häuslichen, mit Andacht durchdrungnen ſtrengen Zucht und Sitte des norddeutſchen Hausweſens. Wie unzählige Millionen Male hat ſein herzliches Das walt Gott den im dumpfen Treiben des Werkeltags da - hin lebenden Bürger und Bauersmann ſeiner Beziehung zu dem Ewigen wieder erinnert! Der Katechismus, den er im Jahr 1529 herausgab, von dem er ſagt, er bete ihn ſelbſt, ſo ein alter Doctor er auch ſey, iſt eben ſo kindlich wie tiefſinnig, ſo faßlich wie unergründlich, einfach und erhaben. Glückſelig wer ſeine Seele damit nährte, wer daran feſthält! Er beſitzt einen unvergänglichen Troſt in jedem Momente: nur hinter einer leichten Hülle den Kern der Wahrheit, der dem Weiſeſten der Weiſen genug thut.

Um aber dieſer Tendenz der populären Unterweiſung, dem geſammten Predigerweſen, das an die Stelle des Prie - ſterthums trat, ein feſtes Beſtehen zu ſichern, war zunächſt eine äußerliche Begründung der Kirchen nothwendig.

Da dürfen wir nun nicht vergeſſen, daß die geiſtli - chen Güter von allen Seiten gefährdet wurden. Wir ha - ben berührt, wie man zuerſt von der ſtreng katholiſchen Seite Klöſter aufzuheben anfieng, welche Anſprüche die öſt - reichiſche Regierung an die Verwaltung der Weltlichkeit446Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.biſchöflicher Gebiete machte: täglich traten dieſe Vergewalti - gungen ſchroffer heraus; Luther meint, die papiſtiſchen Jun - ker ſeyen in dieſer Hinſicht faſt lutheriſcher als die Luthe - riſchen ſelbſt: er glaubt ſich über die Maaßregeln des Churfürſten von Mainz gegen ſeine Klöſter in Halle be - klagen zu müſſen;1Bericht an einen guten Freund aufs Biſchofs von Meißen Mandat Altenb. III, 895. Man nehme den Kloͤſtern und Stiftern ihre Barſchaft und Kleinodien, greife den Geiſtlichen in ihre Freiheit, beſchwere ſie mit Schatzungen, laure auf ihre liegenden Gruͤnde. auch Landgraf Philipp bemerkt, man fange an ſich um die Kloſtergüter zu reißen: ein Jeder ſtrecke ſeine Hand danach aus, wer auch ſonſt nicht evan - geliſch heißen wolle. 2Schreiben Philipps an Luther 1526 bei Rommel Heſſ. Geſch. V, p. 861: es ſey viel Rappens um die geiſtlichen Guͤter. Es war das aber nicht allein eine deutſche, ſondern eine europäiſche Tendenz. In den zwei Jahren 1524 und 25 hat Cardinal Wolſey in England mehr als 20 Klöſter und Convente aufgehoben, um das neue Collegium, durch das er ſeinen Namen in Oxfort unſterb - lich machte, damit auszuſtatten. 3Verzeichniß in Fiddes Collection nr. 76. Beſonders ſind viel Auguſtinerconvente dabei.Man muß ſich die all - gemeine Stimmung vergegenwärtigen, die ſich mit dieſen Beſtrebungen verband, um die Schritte zu beurtheilen, welche in den evangeliſchen Gebieten geſchahen. In Sachſen hatte ſich eine große Anzahl von Klöſtern von ſelbſt aufgelöſt: die Mönche waren auseinandergegangen: ſchon ſtreckten die benachbarten Edelleute ihre Arme nach den vacanten - tern und Gebäuden aus. Die Meinung Luthers war nicht das zuzulaſſen. Er urtheilte, wie die Güter urſprünglich zum Gottesdienſt beſtimmt worden, ſo müſſe es ihre Ver -447Saͤchſiſche Viſitation.wendung auch in Zukunft bleiben. Er forderte vor allem, daß die Pfarren im Lande, die ohnehin ſehr kärglich dotirt waren, und nach dem Wegfall ſo vieler Accidenzien ſich gar nicht mehr behaupten konnten, mit den erledigten Pfrün - den verbeſſert würden. Was dann noch übrig bleibe, möge den Armen zu Gute kommen, oder zur Landesnothdurft ge - braucht werden. Nur der höchſten Gewalt, wie er ſich ausdrückt, dem oberſten Haupt, ſchrieb er das Recht, zugleich aber auch die Pflicht zu, dieſe Dinge zu ordnen nachdem der päpſtliche Zwang im Lande erloſchen. Er drang einſt in die Gemächer ſeines Churfürſten, um ihm die Pflicht vorzuhalten, die Güter vor dem Um-ſich-greifen des Adels zu ſchützen. 1Schreiben Luthers an den Churfuͤrſten 22 Nov. 1526 bei de Wette III, p. 137; an Spalatin 1ſten Jan. 1527. ibid. 147. Vgl. 153.

Jene Viſitatoren empfiengen nun den Auftrag, die neuen Einrichtungen nach dieſen Geſichtspuncten anzuord - nen. Wir müſſen anerkennen, daß ſie dabei mit großer Mäßigung verfuhren. Die Stifter, deren Mitglieder evan - geliſch geworden, z. B. in Eiſenach und Gotha, blieben un - angetaſtet. In Heusdorf und Weimar duldete man Klo - ſterfrauen die an den alten Cerimonien feſthielten. Die Franciscanerconvente in Altenburg und Saalfeld, welche eine ſehr lebhafte Oppoſition machten, blieben doch beſte - hen: ſie wurden ermahnt, und wie der urkundliche Bericht ſich ausdrückt, Gott befohlen. 2Auszuͤge aus den Viſitations-Acten bei Seckendorf II, 102.Von eigentlicher Auf - hebung noch beſtehender Inſtitute iſt hier überhaupt, ſo viel ich finde, nicht die Rede. Man disponirt nur über448Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.die Güter der bereits vacant gewordenen Pfründen: mit dieſen ſtattet man Pfarren und Schulen etwas beſſer aus: die Stiftungen, welche noch im Weſen ſind, nöthigt man zu Beiträgen zu demſelben Zwecke. Von den Präla - ten waren Einige, z. B. der Abt von Boſau, dazu ſehr willig: Andre mußten ernſtlich angehalten werden. Statt dieß Verfahren der Gewaltſamkeit anzuklagen, möchte man wünſchen, daß es ſogleich entſchiedner geweſen, mehr im Ganzen und Großen angegriffen worden wäre. Bei der Friſche und Macht des religiöſen Antriebes würde es zu viel umfaſſendern bedeutendern Inſtituten gekommen ſeyn, als ſpäter zu Stande gebracht werden konnten. Und um wie weit großartiger, wie geſagt, hätte alles werden müſſen, wenn das Reich ſelbſt die Leitung der Umwandlung hätte über - nehmen wollen! Wie die Sachen jetzt ſtanden, mußte man ſich begnügen, es nur zu einem leidlichen Zuſtand zu brin - gen, in welchem die neue Kirche eben beſtehen konnte.

Nichts deſto minder ſchloſſen auch dieſe Feſtſetzungen einen Keim der großartigſten Entwickelung in ſich ein.

In der Mitte der ſo weſentlich hierarchiſchen lateini - ſchen Chriſtenheit bildete ſich, ohne daß man zu einem gewaltſamen Umſturz geſchritten, oder von den tiefern hi - ſtoriſch gegebnen Grundlagen abgewichen wäre, eine neue Form des Lebens in Staat und Kirche aus, frei von aller Hierarchie. Wenn in Baiern ein Bund zwiſchen der Für - ſtenmacht, der Univerſität und dem Papſtthum geſchloſſen ward, durch welchen die regelmäßigen hierarchiſchen Ge - walten beaufſichtigt und beherrſcht wurden, ſo bildete ſich hier eine Vereinigung zwiſchen dem Fürſten, der Univerſitätund449Saͤchſiſche Viſitation.und der niedern Geiſtlichkeit, welche die biſchöfliche Juris - diction gradezu ausſchloß. Die niedere Geiſtlichkeit ge - langte zu einer großen Selbſtändigkeit. Durch die Super - intendenten, welche der Fürſt aus ihrer Mitte ernannte, und denen einige biſchöfliche Befugniſſe übertragen wurden, regierte ſie ſich gleichſam ſelbſt. Indem ſie dann den - libat verließ, ward ihr ein neuer Einfluß auf die Fortbil - dung der Nation zu Theil. Der Stand der verheirathe - ten Pfarrer wurde eine Pflanzſchule für Gelehrſamkeit und Staatsbeamte, der Kern für einen gebildeten Mittel - ſtand; durch die ſorgfältigere Erziehung, welche die Ruhe des Landlebens möglich macht, und zu der die geiſtliche Würde noch beſonders auffordert, iſt es geſchehen, daß die ausgezeichnetſten Männer aus ſeiner Mitte hervorge - gangen ſind. Daß die Klöſter verfielen und ihre Mitglie - der dem bürgerlichen Leben zurückgegeben wurden, führte allmählig zu einem ſehr bemerkbaren Steigen der Bevöl - kerung. Juſtus Möſer hat im Jahr 1750 berechnet, daß 10 bis 15 Millionen Menſchen in allen Ländern und Erd - theilen Luthern und ſeinem Beiſpiele das Daſeyn verdan - ken: man ſollte ihm eine Statue ſetzen, als dem Erhalter des menſchlichen Geſchlechtes. 1Lettre à Mr de Voltaire Osn. 6 Spt. 1750 in Abekens Reli - quien von Juſtus Moͤſer p. 88.

Deutſchen Zuſtänden nun und den innern Trieben des Ereigniſſes entſprachen Einrichtungen dieſer Art bei wei - tem beſſer, als die in Homberg gefaßten für die Lage der Dinge zu kühnen Ideen. Wie der Unterricht der ſächſiſchen Viſitatoren gleich im J. 1528 auch in Heſſen angenommenRanke d. Geſch. II. 29450Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.ward, ſo giengen die ſächſiſchen Anordnungen ſehr bald dahin über: ſchon 1531 ernannte Landgraf Philipp ſechs Superintendenten. 1Rommel Landgr. Philipp, II, p. 123. 124.Nur in Hinſicht der geiſtlichen Güter waren die Maaßregeln die man in Heſſen traf mehr aus Einem Stücke. Landgraf Philipp war noch in dem erſten Feuer religiös patriotiſcher Ideen: ich will den Heſſen hel - fen ruft er einmal begeiſtert aus; doch verbarg er ſich da - bei die Gefahr nicht, von dem Fleiſche übermannt, von der rechten Bahn abgeführt zu werden; er faßte die Ab - ſicht, die Klöſter einer von Fürſt und Ständen zugleich ab - hängigen Verwaltung zu unterwerfen, ſowohl Die welche darin bleiben, als Die welche herausgehn würden, zu verſorgen, und den Überſchuß zu den allgemeinen beſonders den geiſtlichen Bedürfniſſen zu verwenden: er ſelbſt wollte das Recht nicht haben, ohne den Willen der Landſchaft zu dieſer Caſſe zu ge - langen. 2 Das eine Oberkeit zu dem Kaſten nit kommen kont one Verwilligung der Landſchaft, ſonſt ſo verkompt das Gut, und der Oberkeit oder Landt wurd es nit gepeſſert. Schreiben an Luther: bei Rommel V, p. 862.Die landſchaftlichen Intereſſen traten hier in beſon - derer Stärke hervor. Als Grund zur Einziehung der Kloſter - güter gab man an, daß vielleicht nur der vierte Theil der Mönche und Nonnen Landſaſſen, alle andern Ausländer, daß deshalb die Güter ohne Nutzen für das Land ſeyen. Einige Klöſter ließ man beſtehen, weil ſie ſich zum evan - geliſchen Glauben bekannten; aber bei weitem die meiſten giengen ein: die einen, weil ſie auf Almoſen geſtiftet wa - ren, die Niemand mehr zahlen wollte, die andern weil die Mitglieder heraustraten, entweder aus chriſtlicher Beweg -451Reformation in Heſſen.niß, wie ſie ſich ausdrücken, aus ehrbarlichem Bedenken, oder auch weil ihre Gelegenheit ſich ſo zutrage. Sie nah - men mit Abfindungen in Geld oder in Früchten vorlieb Von dem Überſchuß ſollte nun nach den Beſtimmungen eines Landtags, im October 1527, ein Theil dem Adel,1S. F. Gn. wollen 30 Mannsperſonen (vom Adel), 15 im obern, 15 im niedern Fuͤrſtenthumben, mit etlicher Steuwer an Frucht Korn und Habern Fuͤrſehung thun, damit ſie ſich in Ruͤſtung erhal - ten und auf Erforderung deſto ſtattlicher dienen moͤgen. Was der durchlauchtig Fuͤrſt Hr Philipps mit den Cloſterperſonen Pfarr - herrn und abgoͤttiſchen Bildniſſen vorgenommen hat. Hortleder I, V, II § 11. Es erinnert an die Ideen des Saͤculariſationsentwurfs von Augsburg 1525. ein andrer der Univerſität die man in Marburg zu ſtiften beſchloſſen, zu Gute kommen, der Reſt aber in eine nur in Folge gemeinſchaftlichen Beſchluſſes von Fürſten, Ritter - ſchaft und Städten zu benutzende Caſſe fließen. Es hat ſich in der allmählig langſamen Ausführung wohl auch hier vieles anders gemacht. Doch ſind einige größere Inſtitute wirklich gegründet worden, zwei neue Stifte zum Beſten ad - licher Fräulein: vier große Landes-hospitäler: hauptſächlich die Univerſität Marburg mit ihrem Seminarium theologicum. Denn vor allem eine theologiſche Schule war dieſe erſte neu - gegründete evangeliſche Univerſität; die übrigen Facultäten waren nur in geringfügigen Anfängen vorhanden; die Synode von Homberg hatte beſtimmt, daß da überhaupt nichts vorkommen ſolle, was den Geſchäften des Reiches Gottes entgegen ſey; und wenigſtens ſo viel mußte jedes Mitglied bei ſeinem Eintritt beſchwören, daß es keine Neuerung wi - der das göttliche Wort vornehmen werde. Von großer Be - deutung war es, daß der wittenbergiſchen Schule ein neuer29*452Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.Mittelpunct für die evangeliſche Theologie zur Seite trat: anfangs noch ohne die kaiſerlichen Privilegien, die jedoch ſpäterhin auch erworben wurden.

Dieſe Vorgänge wirkten nun auch auf die fränkiſch - brandenburgiſchen Fürſtenthümer, obwohl hier die Sachen nicht ſo ganz einfach lagen. Von den beiden Fürſten, welche die Regierung gemeinſchaftlich führten, hielt ſich der Eine, Markgraf Caſimir, Gemahl einer baieriſchen Prin - zeſſin, und enge mit dem Haus Öſtreich verbunden, der altgeſinnten Partei ſo nahe wie möglich, während der An - dre, Markgraf Georg, der jedoch in Schleſien reſidirte, eine entſchieden evangeliſche Geſinnung hegte und ausſprach. Im October 1526 hielt Markgraf Caſimir auf den Grund des Speieriſchen Reichsabſchiedes einen Landtag zu An - ſpach, in welchem Beſchlüſſe von doch noch zweideutiger Natur gefaßt wurden. Man kann zwar an ihrer evange - liſchen Tendenz nicht zweifeln: gleich in dem erſten Artikel wird feſtgeſetzt, daß die Prediger im Lande das reine Evan - gelium und Wort Gottes, und nichts was dawider ſey, predigen ſollen: auch wird man die Nachgiebigkeiten in Hinſicht des Ritus nicht zu ſtreng beurtheilen, wenn man weiß, wie viel da ſelbſt von Luther noch geduldet wurde; aber Viele mußten allerdings Anſtoß daran nehmen, daß Markgraf Caſimir die lateiniſche Meſſe befahl: die Haltung der Faſten zwar nicht gerade gebot, aber darum bat: ſogar die Abhaltung der geſtifteten Seelmeſſen und Vigilien rathſam fand. 1Abſchied und Meinung ꝛc. Onolzbach Mittwoch nach Fran - cisci (Fr. war 1526 ſelbſt ein Mittwoch 4 October) bei HortlederBeſonders war Markgraf Georg damit unzufrieden:453Brandenburg und Nuͤrnberg.den Brief, mit welchem ihm ſein Bruder die Beſchlüſſe zuſen - dete, begleitete er mit ſehr bittern Anmerkungen. In dem Lande ward Jedermann zweifelhaft. Und da nun die benach - barten Biſchöfe ſich doch auch nicht zufrieden gaben, ihrer Jurisdiction nicht verluſtig gehen wollten, Verſuche machten die Pfarren nach wie vor zu beſetzen, die man nicht kräf - tig genug zurückwies, ſo gerieth alles in Verwirrung. Un - ter dieſen Umſtänden war es ein entſcheidendes Ereigniß, daß Caſimir auf jenem ungriſchen Kriegszug ſtarb, und Markgraf Georg die Regierung der Fürſtenthümer ſelbſt übernahm. Mit ihm kamen die eifrig evangeliſch geſinnten Räthe, Hans von Schwarzenberg und Georg Vogler wie - der in ungehinderte Wirkſamkeit. Auf einem abermaligen Landtag zu Anſpach, 1ſten März 1528, ward dem frühern Abſchied eine mit rein evangeliſchen Überzeugungen über - einſtimmende Erläuterung gegeben; auch in den Cerimonien ſollte nun ferner nichts geduldet werden, was dem Worte Gottes entgegen ſey. Nach dem Muſter von Sachſen ward hierauf auch hier eine Viſitation veranſtaltet, und zwar in Verbindung mit der Stadt Nürnberg, durch welche beide Gebiete eine evangeliſche Kirchenverfaſſung empfiengen.

1I, I, 3. Der Auszug bei Lang II, 9 verwiſcht das evangeliſche Ele - ment noch vollends. Nach Lang ſoll es z. B. in dem Edict heißen: Das h. Sacrament ſoll man keineswegs in beiderlei Geſtalt empfan - gen, gegen die Verwandlung nichts lehren. In der That aber li[e]ſt man daſelbſt nr. 5 (Hortl. p. 35): Woͤllen uns verſehen, daß ſich ein jeder mit Empfahung des Sacraments alſo halte, wie er das gegen Gott und Kaiſ. Mt verhoff zu verantworten was doch eine voͤllige Freiheit involvirt. Es ſoll auch wider das hochw. Sa - crament als ob in dem h. Sacrament der Leib und das Blut nicht gegenwertig waͤre nit gepredigt werden. Zwiſchen Gegenwart und Verwandlung aber, welch ein Unterſchied!

454Viertes Buch. Fuͤnſtes Capitel.

Denn indeſſen war die Reform auch in Nürnberg durchgeführt. Wir gedachten ſchon der großen Hinneigung welche die Bürger von Anfang an dazu zeigten, der Un - terſtützung die ſie dann bei ihren beiden Pröpſten, ein paar Nürnberger Patriciern, fanden, der Anſtellung evangeliſcher Prediger. Man änderte anfangs auch hier nur das Noth - wendigſte. Im Jahr 1524 z. B. fieng man an in deutſcher Sprache zu taufen; obgleich aber ſchon ein Jahr früher eine Anweiſung dafür von Luther erſchienen war, zog man es in Nürnberg doch vor, das ganze Formular der Bam - berger Agende nur ſchlechtweg zu verdeutſchen; dem Täufling ward nach wie vor Salz in den Mund gelegt, dreimal un - ter die Augen geblaſen, die Bruſt mit Öl beſtrichen, von den altherkömmlichen Beſchwörungsformeln ließ man keine fallen. 1Geſchichte des Exorcismi in der Nuͤrnbergiſchen Kirche bei Strobel Miscell. IV, 173.Zur Bezeichnung des Übergangs verdient an - geführt zu werden, daß der Rector zu St. Sebald das alte Sey gegrüßt, Königin, Mutter der Barmherzigkeit in ein Sey gegrüßt, Jeſu Chriſt, König der Barmher - zigkeit ꝛc. nur eben umſetzte. 2Statt advocata nostra heißt es dann mediator noster: ſtatt Jesum benedictum fructum ventris tui nobis post hoc exilium ostende heißt es: o Jesu benedicte faciem patris tui nobis post hoc exilium ostende.Die vornehmſte Änderung beſtand darin daß man das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt reichte, den Canon ausließ, die Vigilien, Seelmeſſen und Jahrtäge für die Verſtorbenen abſchaffte, die Tagzeiten nicht mehr betete. Allein es verſteht ſich daß ſchon dieß dem Ordinarius Biſchof von Bamberg viel zu viel war. Er455Brandenburg und Nuͤrnberg.ſchloß endlich die beiden Pröpſte von der Gemeinſchaft der Kirche aus, erklärte ihre Stellen für erledigt, und forderte die, denen es gebühre, auf, neue Wahlen zu treffen. Allein wie ſehr hatten ſich die Dinge ſeit dem Jahr 1520 ver - ändert! Damals war es noch nothwendig geweſen, mit dem entfernten päpſtlichen Commiſſarius eine Abkunft zu treffen: jetzt machte die Excommunication des nahen mäch - tigen Biſchofs keinen Eindruck mehr. Die Pröpſte appel - lirten von ihm an ein frei, ſicher, chriſtlich und gottſelig Concilium. 1Appellation und Berufung der Proͤpſt und des Auguſtiner Priors zu Nuͤremberg bei Strobel: Misc. III, 62.Allmählig ergriff ihre Geſinnung die wirk - ſamſten Mitglieder des Rathes, Hieronymus Ebner, einen Mann, in welchem ſich Gewiſſenhaftigkeit und Sanftmuth paart, Caspar Nützel, Chriſtoph Scheurl, Hieron. Baum - gärtner, den Rathsſchreiber Lazarus Spengler, der mit ei - ner außerordentlichen Tüchtigkeit in den Geſchäften die le - bendigſte Theilnahme an den allgemeinen Fragen der Re - ligion und der Kirche verband. Seit dem Spätjahr 1524 nahm der Rath zu Nürnberg auf allen Verſammlungen der Städte, der Mitglieder des ſchwäbiſchen Bundes, der Reichsſtände, dem Kaiſer und deſſen Vertretern gegenüber eine muthvoll evangeliſche Haltung an. Es iſt wohl an dem, wie er unaufhörlich verſichert, daß er ſchon der all - gemeinen Stimmung der Bürger halber nicht anders konnte. Vergeſſen wir aber nicht, daß er auch einige große po - litiſche Vortheile damit erwarb. Die kirchliche Reform war das einzige Mittel, die Unordnungen und Widerſpen - ſtigkeiten der Geiſtlichkeit, mit der man ſchon ſo lange456Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.zu kämpfen gehabt, endlich zu beſeitigen. Die Nürnber - ger benutzten hiezu beſonders die Unruhen des Bauern - aufruhrs. Sie erinnerten die Geiſtlichen, ihre Nothdurft zu bedenken, die Gefahr die ihnen von dem Pöbel drohe, das dringende Bedürfniß des Schutzes, in dem ſie ſeyen, und brachten ſie in der That dahin, daß ſie ſich ſämmtlich in Verpflichtung und Gehorſam der bürgerlichen Obrigkeit begaben. Selbſt der Hauscomthur und Spitalmeiſter des deutſchen Ordens leiſtete mit Bewilligung des fränkiſchen Landcomthurs die Loſungspflicht. 1Auszug aus einer Entſchuldigungsſchrift des Rathes zu Nuͤrn - berg in Muͤllners handſchr. Annalen. Es ſind aber, fuͤgt der Au - tor hinzu, die Haußcommenthur mit nachfolgenden Conditionen zu Buͤrgern aufgenommen worden, 1) daß ſie Buͤrgerpflicht thun und hinter die Viertelsmeiſter ſchworen ſollten, 2) daß ſie den deutſchen Hof mit ſeinen zugehoͤrigen Guͤtern dieſſeit des Waſſers gelegen ver - loſungen ſollten, 3) ſollen von allem Getrank ſo im Hof und Spi - tal eingelegt wird, das Umgeld zahlen, 4) ſollen ſie mit dem Holze auf des Reichs Boden ſich beſcheidentlich halten.Hiedurch ward der Rath erſt Herr innerhalb ſeiner Mauern. Die Klöſter muß - ten evangeliſche Prediger beſtellen, das Verſprechen geben, keine neuen Mitglieder aufzunehmen: in Kurzem löſten ſie ſich auf, oder wurden geſchloſſen. Die Jurisdiction des Biſchofs fand kein Object mehr. Mochte er ſich beklagen wie er wollte, der Rath erklärte, daß er nur die Pflich - ten einer chriſtlichen Obrigkeit, die Anordnungen des Reichs - abſchiedes vollziehe. Ohne Bedenken vereinigte er ſich mit dem Markgrafen zu jener Kirchenviſitation: habe doch der Biſchof niemals in Gebrauch gehabt die Kirchen zu viſi - tiren.

Es liegt am Tage, welchen Fortſchritt die Unabhän -457Brandenburg und Nuͤrnberg.gigkeit der weltlichen Macht ſowohl der Städte wie der Fürſten durch dieſen Gang der Dinge machte.

Erinnern wir uns jener älteſten Einrichtung der deut - ſchen Kirche unter Carl dem Großen, die auf ein Zuſam - menwirken der Gewalt der Biſchöfe und der Grafen be - rechnet war.

Wie es vor Jahrhunderten den Biſchöfen gelungen, in einem Theile ihres geiſtlichen Sprengels auch die welt - liche Autorität an ſich zu bringen und regierende Herrn zu werden, ſo gelang es jetzt den weltlichen Gewalten, die, obwohl in ganz anderer Geſtalt, die gräflichen Gerechtſame ausübten, die biſchöfliche Einwirkung von ihren Gebieten auszuſchließen.

Man würde ſich durch den Schein blenden laſſen, wenn man dieß ſo ſchlechtweg für einen Verluſt des kirch - lichen Prinzipes halten wollte. Denn das läßt ſich doch gar nicht leugnen, daß die biſchöfliche Einwirkung bei wei - tem mehr in der Behauptung von allerlei Exemtionen, Ge - fällen, Anrechten beſtand, die mit der Religion wenig zu ſchaffen hatten. In dieſem Augenblick war es z. B. eine der vornehmſten Streitigkeiten zwiſchen Nürnberg und Bam - berg, daß die Stadt während der Bauernunruhen den kleinen Zehent nachgelaſſen hatte, den der Biſchof ſchlechterdings nicht aufgeben wollte. Den weltlichen Gewalten gelang es nur dadurch, zu ihrem Ziele zu gelangen, daß ſie die religiöſen, reiner-kirchlichen Prinzipien zu vertreten unter - nahmen, z. B. eben die Pfarren beſſer einrichteten. Aus jeder Pfarre im Brandenburgiſchen und Nürnbergiſchen wurde auch ein Abgeordneter der Gemeinde berufen, um458Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.über Leben und Lehre des Pfarrers der Wahrheit gemäß Auskunft zu geben. Das Unweſen der niedern Geiſtlich - keit, um das ſich nie ein Biſchof ernſtlich bekümmert, wollte man nicht mehr dulden. Hatte nicht der höhere Clerus die Ausbildung der Doctrin den Univerſitäten, das Amt am Wort wenig beaufſichtigten und ſchlechtbeſoldeten Mieth - lingen überlaſſen? Man darf ſich nicht wundern, daß endlich nachdem ſich die hohen Schulen ſo lange als Ver - fechter der clericaliſchen Anſprüche erwieſen, auf einer von ihnen auch einmal eine Lehre herrſchend ward die denſel - ben entgegenlief, daß ſich in Denen die ſich dem eigent - lichen Kirchendienſt widmeten, Widerwille gegen ein ſo ver - ächtliches und ſchon verachtetes Verhältniß wie das bishe - rige, Gefühl der eigenen Bedeutung, und nun mit der le - bendig gewordenen Überzeugung von der allein verpflichten - den Autorität des Evangeliums ein feuriger Eifer erhob, die Sache beſſer zu machen. Die weltliche Macht that nichts weiter, als daß ſie, durch den Reichsabſchied dazu berech - tigt, dieſen doch offenbar geiſtlichen Beſtrebungen den Raum verſchaffte ſich zu entwickeln. Wollte doch Niemand ſagen, daß hiedurch die Kirche dem Staat ganz zu eigen gewor - den! Verſteht man unter Kirche den Einfluß geiſtlicher, religiöſer Prinzipien, ſo gelangte ſie vielmehr erſt jetzt dazu. Niemals haben dieſelben mehr bedeutet, als in den Zei - ten, die nunmehr kamen. Was unter den Evangeliſchen begann, ſetzte ſich unter den Katholiſchen auf eine analoge Weiſe fort. Aber zugleich iſt klar, daß die Wirkſamkeit der evangeliſchen Kirche nicht auf reicher Ausſtattung, ho - hem Rang, dem Pomp hierarchiſcher Ordnungen beruhte,459Luͤneburg.ſondern auf innerer Energie, evangeliſchem Eifer, freier gei - ſtiger Entwickelung. Auf ein anderes Fundament wird ſie in Deutſchland niemals zu gründen ſeyn. Darin liegt auch allein ihre Stärke.

Wie in Nürnberg gieng es in vielen andern ober - ländiſchen Städten, zunächſt in Augsburg und in Ulm nicht ſelten wurden zwiſchen dieſen drei Städten Zuſam - menkünfte gehalten, Verabredungen getroffen: im Jahr 1528 war noch einmal von einem neuen Bunde aller Reichs - ſtädte die Rede; ferner in Straßburg; vorzüglich in der Schweiz: eben im Jahr 1528 entſchloß ſich auch Bern zu der Veränderung. Wir werden die Ereigniſſe in dieſen Gegen - den aber erſt im folgenden Buche überſehen können, wenn wir den Modificationen in der Lehre, welche in der Schweiz hervortraten, eine nähere Aufmerkſamkeit gewidmet haben.

In dem niedern Deutſchland hielt man ſich dagegen überall an die in Sachſen unter der Einwirkung Luthers feſtgeſetzten Formen. Die Unterſcheidungen welche etwa eintraten, hiengen nur von der Verſchiedenheit der Verfaſ - ſungen, der in jedem Land vorherrſchenden Macht ab.

In Lüneburg geſchah die Veränderung in Folge einer Vereinigung des Fürſten und des Adels auf dem Landtage zu Scharnebeck im J. 1527. Die Prälaten hatten ſich geweigert, auf frühern Verſammlungen mit zu erſcheinen: auf ihren Antrieb kam ſo eben der alte Fürſt, welcher ab - dicirt hatte, und in Frankreich der katholiſchen Lehre treu geblieben war, in das Land zurück, um ſich den Neuerun - gen zu widerſetzen. Allein ſchon war es zu ſpät. Auf je - nem Landtag verſprachen einander Fürſt und Mannſchaften, das Evangelium rein lauter und klar predigen zu laſſen;460Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.ſie ſetzten feſt, daß auch die Prälaten in ihren Kirchen und Klöſtern dazu verpflichtet ſeyn ſollten, wiewohl man ihnen anheimſtelle, in Hinſicht der Cerimonien ſich zu halten, wie ſie es bei Gott zu verantworten gedächten. 1Auszug aus dem herzoglichen Edict bei Pfeffinger: Hiſtorie des Braunſchweig Luͤneburgiſchen Hauſes II, 347. Vgl. Schlegels Kirchengeſchichte II, 50.Seit - dem durchdrang die Reform allmählig das ganze Gebiet. Der Canzler Klammer machte ſich hier ſo verdient, wie Brück in Sachſen, Feige in Heſſen, Vogler in Anſpach, Spengler in Nürnberg.

In Oſtfriesland war die Gewalt des Grafen noch zu neu, um in ſo ſchwierigen die innerſte Überzeugung her - ausfordernden Angelegenheiten entſcheiden zu können. Als Graf Etzard, der anfangs auch von den lutheriſchen Mei - nungen lebhaft berührt worden, ſpäter zu dem Entſchluß ge - kommen war, an dem bisherigen Kirchenweſen feſtzuhalten, übernahm ein Häuptling, Junker Ulrich von Dornum die Lei - tung der Sache. Auf ſeine Veranlaſſung ward eine feierliche Disputation zu Olderſum veranſtaltet. Sie begann ſehr cha - rakteriſtiſch. Sprechet ein Vaterunſer, ſagte der Vor - kämpfer der Lutheriſchen, Heinrich Arnoldi, und ein Ave - maria, fügte der Dominicaner, der die katholiſche Sache verfocht, Prior Laurenz hinzu. Auch der Streit bezog ſich hauptſächlich auf die Verehrung der Jungfrau Maria. Da die Lutheraner aber dabei blieben, ſich nur mit Stellen der Schrift beſtreiten laſſen zu wollen, ſo konnten die Dominica - ner nichts ausrichten. Vielmehr fieng der Abfall ſogleich in ihren eigenen Reihen an. Am Neujahrstag 1527 beſtieg ein461Oſtfriesland. Holſtein.Dominicaner, Reſius, die Kanzel in der Kirche zu Norden, um einige lutheriſche Sätze zu verfechten, die er ſchon vorher bekannt gemacht hatte; ein einziger Gegner erhob ſich, der aber gar bald zum Schweigen gebracht ward: hierauf noch auf der Kanzel, legte der Dominicaner, zum Zeichen ſeines Übertritts, die Kutte ab. 1Ubbo Emmius Rer. frisicarum hist. lib. LIV, p. 839.Im Jahr 1527 gelangte das Lu - therthum in den Pfarren faſt allenthalben zur Herrſchaft. Im Jahr 1528 erſchienen dann die oſtfrieſiſchen Kirchen mit einer ausführlichen Confeſſionsſchrift.

In Schleswig und Holſtein hatte man den Vortheil daß die Biſchöfe der Diöceſen Schleswig und Lübek der Reformation keinen ernſtlichen Widerſtand leiſteten. Da - gegen gewährte ihnen auch die Regierung Schutz und ließ ihnen ihre Einkünfte zufließen. Der Übergang von dem einen zu dem andern Bekenntniß war hier beſonders leicht. Wie es einer der vierundzwanzig päpſtlichen Vicarien ge - weſen war, Hermann Taſt, der die erſten evangeliſchen Predigten gehalten hatte, ſo fanden ſich auch ſeine Colle - gen ohne Schwierigkeit in die Veränderung, vorausgeſetzt daß ihnen ihr Einkommen auf Lebenszeit verſichert ward. Von den Landpfarrern bekannten ſich viele ohne Widerrede zur gereinigten Lehre: leicht nahmen ſie die Artikel an, die ihnen z. B. in Hadersleben zur Danachachtung vorgelegt wur - den. In den Städten hatte man faſt eben ſo viel mit den Wiedertäufern zu kämpfen, wie mit den Anhängern des Papſtthums. Die unmittelbaren Schüler Luthers, z. B. Marquard Schuldorf von Kiel, leiſteten nach beiden Seiten erſprießliche Hülfe. 2In Muͤnters Kirchengeſchichte von Daͤnemark III, 584 fin -Nach und nach wurden die kirchli -462Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.chen Einrichtungen auch hier in das Geleiſe der ſächſiſchen geleitet.

Auch in Schleſien war, wie wir ſchon berührten, die evangeliſche Lehre ſehr früh und ſehr mächtig vorgedrun - gen. Zwar unterſchied ſich dieſes Land dadurch von an - dern deutſchen Gebieten daß es nicht reichsunmittelbar war, und auf den Reichsabſchied von Speier keine Anſprüche begründen konnte. Allein die Zuſtände waren doch nahe verwandt: Hauptſtadt und Fürſten nahmen der Krone von Böhmen, der ſie angehörten, gegenüber, eine nicht viel weniger ſelbſtändige Haltung ein, als die Reichsſtände im Verhältniß zum Kaiſer: jede geiſtige Bewegung des innern Deutſchlands fand hier ſofort ihre Analogien. So uner - ſchütterlich ſich Breslau vor noch nicht allzulanger Zeit, in den podiebradſchen Händeln, auf der Seite des Pap - ſtes gehalten hatte, ſo gieng es jetzt doch in dem Kampfe wider denſelben voran. Durch gar manchen Vorgang hatte die Stimmung des Rathes und der Bürgerſchaft auch hier eine anti-clericaliſche Richtung empfangen. Man wollte ein Bernhardinerkloſter nicht mehr, weil man durch die Verbindungen deſſelben am königlichen Hof beeinträch - tigt zu werden glaubte. Man war über den Unfug der mit der Pfarre zu Maria Magdalena getrieben wurde, wo immer ein Prätendent den andern verjagte, mißvergnügt. 1Schutzred des erbarn Raths und ganzen Gemeind der K. Stadt Breslau bei Schickfuß: Neuvermehrte Schleſiſche Chronika III, 58.Mit den Domherrn in der Stadt gab es tauſendfältigen2det ſich fleißige Sammlung der einzelnen ſonſt ſehr zerſtreuten No - tizen.463Schleſien.Hader. Da fanden nun die lutheriſchen Tendenzen einen ſehr wohl vorbereiteten Boden. Im Jahr 1523 wagten es die Breslauer, jene Pfarre auf ihre eigne Hand und zwar mit einem der vertrauteſten Freunde Luthers und Me - lanchthons, der jüngſt von Wittenberg gekommen, Dr Jo - hann Heß zu beſetzen. Hierauf giengen nun die Sachen hier wie anderwarts. In einer feierlichen Disputation wur - den die neuen Grundſätze ſiegreich bewährt: das Volk ward gewonnen: man fieng an die Cerimonien zu ändern: ob - wohl man ſich dem herkömmlichen Ritus des Breslauer Bisthums auch in mancherlei Zufälligkeiten ſo nah wie möglich hielt. Jene Bernhardiner hatten ſich ſchon früher lieber aus der Stadt entfernt, als daß ſie ſich mit den Jacobiten wie man ihnen anmuthete vereinigt hätten: jetzt löſten die Klöſter ſich von ſelbſt auf: der Rath ließ geſche - hen, daß Mönche und Nonnen austraten und ſich verhei - ratheten. Doch dürfte man nicht glauben, daß nun die neue lutheriſch-geſinnte Geiſtlichkeit, die dem Rath aller - dings ihr Emporkommen verdankte, ihm ſo ganz und gar zu Willen geweſen wäre. Im April 1525 hörte Dr Heß plötzlich auf zu predigen. Der Rath ließ ihn fragen wes - halb. Er antwortete: er ſehe ſeinen lieben Herrn Chriſtus vor den Kirchthüren liegen, über den könne er nicht hin - wegſchreiten. Er hatte nemlich ſchon öfter den Rath auf - gefordert, für die Bettler zu ſorgen, welche die Stadt an - füllten und ſich zur Zeit des Gottesdienſtes vor den Kirch - thüren lagerten; aber immer vergebens. Allein dieß ſein ernſtes Bezeigen machte Eindruck. Man ſchied die wirk - lich Bedürftigen von den blos Muthwilligen, und brachte464Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.jene in ſechs verſchiedenen Spitälern unter. Im Jahr 1526 ward dann Hand an ein großes Spital gelegt, zu dem der Pfarrer ſelbſt den Grundſtein legen half, die wohlha - bendern Bürger die Materialien lieferten, an dem auch die Handwerker umſonſt arbeiteten: ſo daß man den Bau in Jahresfriſt vollbrachte, ein rechtes Werk des jungen evangeliſchen Eifers. Dem Pfarrer ſtand beſonders der Stadtſchreiber, Johann Corvinus zur Seite, ein Mann, welcher früher der literariſchen Richtung angehört und ſelbſt an einigen der erſten Poetenſchulen unterrichtet hatte. Über - haupt wirkte alles zuſammen, alles war einmüthig: der Rath rühmte bei Hof, nie habe er eine gehorſamere Ge - meine gehabt. 1Die Jahrbuͤcher der Stadt Breslau von Nicolaus Pol Bd III, die Jahre 1521 1527. Gegen die glaubwuͤrdige Erzaͤh - lung dieſes einfachen Chroniſten nehmen ſich die Erzaͤhlungen von Bu - kiſch, der daraus ſchoͤpfte, oft wie eine ſchlechte Carikatur aus. Geſchah das nun von denen, welche Podiebrad bekämpft hatten, was ließ ſich von ſeinen An - hängern erwarten? Noch war ſein Geſchlecht in Schleſien ſehr mächtig. Der Sohn ſeines Sohnes, Herzog Carl, beherrſchte Münſterberg, Öls, Frankenſtein; der Sohn ſei - ner Tochter, Herzog Friedrich II von Liegnitz hatte da - mit Brieg und Wolau vereinigt. Man kann denken, welche Geſinnung ſie hegten. Herzog Carl wünſchte das Anden - ken ſeines Großvaters von Luther rehabilitirt zu ſehen. Her - zog Friedrich ließ ſich von ſeinem Adel und ſeinen Städ - ten leicht bewegen, ihnen freiere Religionsübung zuzuge - ſtehn; allmählig ward er ſelbſt von dem wärmſten Reli -gions -465Schleſien.gionseifer ergriffen:1Des Erlauchten ꝛc. Herzog Friedrichs II Grundurſach und Entſchuldigung auf etlicher Verunglimpfen bei Schickfuß S. 65. er faßte die Abſicht, eine neue evan - geliſche Univerſität zu errichten, und nur die in ſeinem Ge - biete eintretenden Irrungen des Schwenkfeldianismus hin - derten eine großartigere Organiſation. 2Thebeſii Liegnitziſche Jahrbuͤcher III, 29.Eben damals hatte Markgraf Georg von Brandenburg Jägerndorf erworben, und ließ auch bier, wie ſich verſteht, der Lehre freien Lauf. Der junge Herzog Wenzel Adam von Teſchen ward gleich in den neuen Meinungen aufgezogen. Alle dem ſetzte ſich nun weder die geiſtliche noch die weltliche Gewalt ernſtlich entgegen. Der Biſchof von Breslau, Jacob von Salza ſah ſehr wohl, daß das Chriſtenthum nicht in ein paar Cerimonien mehr oder weniger beſtehe. Am Hofe König Ludwigs fand die Lehre mächtige Beſchützer. Von König Ferdinand ſahen wir, daß er die religiöſen Forderungen, die man ihm bei ſeiner Wahl ſtellte, wenigſtens nicht zurück - weiſen durfte; und wenn er gleich zuweilen ſehr eifrig lau - tende Mandate erließ, ſo war er doch nicht im Stande, ihnen Nachdruck zu verleihen. Die Breslauer ſtellten ihm einſt die Unmöglichkeit, zu den alten Gebräuchen zurück - zukehren, ſo lebhaft vor, daß er ſelbſt nicht mehr darauf zu dringen wußte: nun wohl, ſagte er endlich, hal - tet nur Friede und glaubt wie ihrs gegen Gott und den Kaiſer verantworten könnt. 3Nic. Pol III, 52.Er erſtreckte gleichſam die Zugeſtändniſſe des Reiches auch auf dieſe ſeine beſondern Landſaſſen. So bildete ſich zuerſt in Schleſien die Ver - faſſung aus, die hernach wie anderwärts, ſo beſonders inRanke d. Geſch. II. 30466Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.den öſtreichiſchen Gebieten ein Jahrhundert lang geherrſcht hat; evangeliſche Stände hielten gleich eifrig an ihren po - litiſchen und religiöſen Vorrechten feſt; die Regierung war zu Milde und Duldung verpflichtet.

Bei weitem die merkwürdigſte und durchgreifendſte Ver - änderung fand nun aber in Preußen Statt.

Schon war ſie daſelbſt mannichfaltig vorbereitet.

Die politiſche Bedeutung, ja im Grunde auch die ſtaatsrechtliche Stellung des deutſchen Ordens in Preußen war ſchon vor mehr als einem halben Jahrhundert ver - nichtet worden. In dem Thorner Frieden vom J. 1466 hatte der Orden ſich dazu verſtehn müſſen, die größere Hälfte ſeines Gebietes, mit all ſeinen reichſten und mäch - tigſten Städten an Polen abzutreten, und für die kleinere, die ihm gelaſſen wurde, den König dieſes Reiches als ſei - nen Lehnsherrn anzuerkennen.

Fragen wir, wie es dahin kam, ſo lag der Grund nicht ſowohl in der militäriſchen Übermacht der Polen, die zwar im Ganzen nicht geleugnet werden kann, aber an und für ſich nimmermehr fähig geweſen wäre, ſo entſcheidende Erfolge herbeizuführen, als in den innern Landesverhältniſ - ſen, dem Mißverſtändniß zwiſchen dem Orden und ſeiner Landſchaft.

Preußen war eine allmählig zu ſelbſtändigem Da - ſeyn entwickelte Colonie. Der Orden, der nicht mehr von den alten Impulſen der Religion Ehre oder Kriegsluſt angetrieben wurde, und nur um zu regieren und zu ge - nießen ins Land kam, war den Eingebornen höchſt be - ſchwerlich. Sie beklagten ſich, daß man ihnen keinen An -467Preußen.theil an der Verwaltung geſtatte, ſie behandeln wolle wie Leibeigene, ſich Gewaltthätigkeiten gegen ſie erlaube, ihnen kein Recht gewähre. Es bildete ſich ein Verhältniß wie zwiſchen Creolen und Chapetons in Südamerika, zwiſchen Pullanen und Fils Arnaud im Königreich Jeruſalem, wie es nach vorgeſchrittener Cultur in jeder Colonie entſtehn wird. Anfangs ſuchte ſich die Landſchaft durch ihren großen Bund von 1440 zu ſchützen; als der Kaiſer ſich gegen denſelben erklärte, wandte ſie ſich an Polen. Die Landſchaft war es, die dem König von Polen die Waf - fen gegen den Hochmeiſter in die Hand gab, durch die derſelbe den Sieg erfocht und zuletzt einen ſo vortheilhaf - ten Frieden errang wie der Thorner war. Die Stadt Danzig hat es ſich 700000 Mark koſten laſſen, um zu die - ſem Reſultat zu gelangen. Der König von Polen gewährte den Verbündeten dafür die provinzielle Selbſtändigkeit und wenigſtens für die erſten Zeiten die Wohlthat der Selbſt - regierung, die ihnen die Ritter nicht zugeſtehn wollten. 1Gleich ſein erſtes Verſprechen lautete dahin, ut in muta - tione principum commutatam etiam aut sublatam deprehenderent oppressionem. Litterae Casimiri Regis bei Dlugoß Historia Pol. II, 138. Vgl. Voigt Preuß. Geſch. VIII, 378.

In dem kleinern Theile des Landes nun, welcher dem Orden ſeitdem übrig geblieben, wo man an dem Bunde und dem Kriege ebenfalls Theil genommen, machten ſich wie man denken kann, auch ferner verwandte Tendenzen gel - tend. Wir finden, daß die Stände, welche die Steuern zu bewilligen haben, ſie ein und das andre Mal verſa - gen. Sie fordern das Recht, im Fall daß ſich der Hoch - meiſter entfernt, einen Stellvertreter deſſelben zugleich mit ihm30*468Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.zu ernennen, und zuweilen finden wir Bürgermeiſter als Statthalter. In dem Entwurf zu einer Landesvertheidi - gung vom Jahr 1507 werden funfzehn Hauptleute ernannt: von dieſen gehören 14 dem einheimiſchen Adel an, nur ein einziger dem Orden. 1Baczko Preußiſche Geſch. IV, 142.

Ward aber der Orden auf dieſe Weiſe in ſeinen Be - fugniſſen beſchränkt, ſo ward auch allmählig das ihm ei - genthümliche republikaniſche Weſen von einem mehr monar - chiſchen überwältigt. Man fand es rathſam, geborne Für - ſten zu Hochmeiſtern zu wählen, 1498 Friedrich von Sach - ſen, 1511 Albrecht von Brandenburg. Um ihnen eine ſtan - desgemäße Exiſtenz zu verſchaffen, wurden ganze Comthu - reien eingezogen. Dieſe Fürſten ſelbſt beſorgten die Ge - ſchäfte durch Canzler, die nicht zu dem Orden gehörten, durch ihre beſondern Räthe, auf die Weiſe deutſcher Höfe. Sie nahmen um ſo mehr eine landesfürſtliche Stellung an, da ſie ihren Untergebenen außerhalb des Landes, ſowohl dem Meiſter in Liefland als dem Deutſchmeiſter eine große Selbſtändigkeit zu gewähren, namentlich den erſten aller we - ſentlichen Pflichten zu entlaſſen genöthigt waren. 2Albrecht erwaͤhnt bei Schuͤtz Hist. rer. Pruss. p. 331 was er ſich gegen den beiden Meiſtern verſchreiben und obligiren muͤſſen, damit ſie ſich denn ganz und gar aus dem Gehorſam gezogen. An die Stelle allgemeiner Beziehungen traten engere territoriale Ver - hältniſſe.

Da war nun die einzige Frage, die eine weiterausſe - hende Bewegung erhielt, ob man ſich den Verpflichtungen des Friedens von Thorn unterwerfen würde oder nicht. Die letzten Hochmeiſter weigerten ſich die Huldigung zu leiſten,469Preußen.wie ihre unmittelbaren Vorgänger gethan: ſie forderten eine Reviſion der Friedensbedingungen nach natürlichen und chriſtlichen Rechten: ſie nahmen die Hülfe des Reiches, namentlich der Ritterſchaft, welcher dieſer preußiſche Beſitz zu Gute kam, unaufhörlich in Anſpruch; der Hochmeiſter Markgraf Albrecht von Brandenburg griff endlich im Jahr 1519 noch einmal zu den Waffen. Allein, was ſeinen Vorfahren verderblich geworden, ſchlug auch ihm zum Nach - theil aus. Die von dem Orden abgefallenen Städte und Gebiete durften denſelben nicht wieder zu Kräften kommen laſſen. Eben den Städten Danzig und Elbingen, dem Ge - ſchlechte der Bundherrn ſchrieb die öffentliche Meinung je - ner Zeit den Friedensbruch zu: denn ihr Sinn ſey, den Orden ganz und gar von Land und Leuten zu bringen;1Eyn newes Geticht von dem negſtvorgangenen Krieg zu Preuſſen. Beitraͤge zur Kunde Preußens Bd II, p. 287. ſie gaben dem Kriege ſeinen vornehmſten Nachdruck. Von Deutſchland dagegen erſchien dem Orden keine irgend ein - greifende Hülfe. Der Hochmeiſter mußte aufs neue eilf Städte mit ihren Gebieten aufgeben und ſich zu einem Stillſtand auf vier Jahr bequemen, binnen denen unter Vermittelung des Kaiſers und des Königs von Ungern die Sache definitiv erledigt werden ſollte.

Albrecht gieng nach Deutſchland, um noch einmal in Perſon zu verſuchen, was ſich von Ständen und Adel des Reiches erlangen laſſe. Hätte Sickingen, mit dem er ſchon ohnehin längſt in Verbindung ſtand, den Sieg davongetragen, ſo würde auch Preußen auf Hülfe haben rechnen können. Allein Sickingen unterlag, die Ritterſchaft470Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.erlitt die größten Verluſte; ſie konnte ihre Selbſtändigkeit im Innern nicht behaupten, geſchweige an auswärtige Unter - nehmungen denken. Auch das Regiment ward geſtürzt, an das ſich noch einige Hofnungen knüpften. Der Kaiſer war ſo entfernt, Hülfe erwarten zu laſſen, daß er ſich vielmehr den jagelloniſchen Anſprüchen ſelber zuneigte. Die ver - ſprochene Vermittelung ward nicht einmal verſucht. Dem Hochmeiſter blieb nichts übrig, als ſich entweder in die Be - dingungen des Thorner Friedens zu fügen, die Huldigung zu leiſten, oder zu abdiciren. Auch von der Entſagung war in der That ernſtlich die Rede. Sie konnte entweder im Sinne des Ordens geſchehen: dann kam Herzog Erich von Braunſchweig in Vorſchlag; oder im Sinne des Landes und Polens: dann würde ſie zu Gunſten Sigismunds voll - zogen worden ſeyn: der König ſchickte 1524 einen Geſand - ten nach Nürnberg um den Hochmeiſter eben hiezu zu be - ſtimmen. 1Memorial des Hochmeiſter Albrecht, mitgetheilt von Faber Beitr. z. Kunde Preußens IV, 83.

Der Orden und ſeine Herrſchaft in Preußen war ohne Zweifel das eigenthümlichſte Product des hierarchiſch-ritter - lichen Geiſtes der letzten Jahrhunderte in der deutſchen Na - tion; allein wohin war es damals mit ihm gekommen! Der größte Theil ſeines Gebietes verloren: in dem Reſte deſ - ſelben mächtig emporſtrebende Stände: die innere Einheit in der ſeine Stärke lag, gebrochen: ſeine Verbindung mit dem Mutterland ohne Kraft: der Nothwendigkeit ſich zu unterwerfen war nicht mehr auszuweichen: ſeine Zeit war vorüber. Nur ließ ſich noch nicht abſehen, was man thun471Preußen.ſollte und durfte: es gab keine Richtſchnur um aus dem Labyrinth gleich beſchwerlicher Möglichkeiten zu entkommen. Da trat das Element der neuen Lehre ein. An keinem Orte der Welt bedurfte man ihrer mehr, war ſie willkom - mener. Man ſah, daß die als in ſich ſelbſt religiös ver - ehrte Inſtitution mit der Idee oder dem urſprünglichen In - halt des Chriſtenthums keineswegs in dem innern Zuſam - menhang ſtand, den man vorausgeſetzt hatte. Die Stände er - griffen eine Lehre mit Freuden, die ihrer alten Oppoſition die höhere Rechtfertigung verlieh. Die Biſchöfe, welche ihr ſonſt faſt allenthalben entgegentraten, gaben ihr hier freudig Gehör: unter der Leitung des Biſchofs von Samland wur - den die Faſten abgeſchafft, die Feſttage verringert, die deut - ſchen Meſſen eingeführt, die Cerimonien geändert, die Klö - ſter geräumt. Der allgemeinen Stimmung konnten die Mit - glieder des Ordens ſelbſt nicht widerſtehen. Man ſah ſie in den lutheriſchen Predigten: viele legten ihr Kreuz ab: einige entſchloſſen ſich, ſich zu verheirathen. Es war ihrer über - haupt keine große Anzahl mehr: es ſollen nur fünf gewe - ſen ſeyn die bis zuletzt an dem Inſtitute feſthielten. Und indeß durchdrang ſich nun der Hochmeiſter, in den Predigten Oſ[i]an - ders, in dem Umgang mit Männern wie Planitz, in jenem Zwiegeſpräch mit Luther, mit den evangeliſchen Überzeugungen wie ſie in Sachſen und in Nürnberg die Herrſchaft erlangt hatten. Auf der einen Seite ward er inne, daß ſein Stand das Verdienſt nicht in ſich trage das er ihm zugeſchrieben, ja dem göttlichen Wort nicht entſpreche. Auf der andern ſtellte man ihm vor, daß er doch auch nicht abdiciren könne, daß er landesfürſtliche Pflichten habe, denen er ſich nicht472Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.ſo leichtfertig entziehen dürfe. Die Landſchaft forderte ihn auf, ihr Verderben und Unvermögen zu beherzigen und ihr einen ewigen Frieden zu verſchaffen ihr Prediger des reinen Gotteswortes zu vergönnen, und alles abzuſtellen was dem - ſelben entgegen ſey. Höchſt wahrſcheinlich verſtand ſie dar - unter auch die Gelübde des Ordens:1 Sind darum aus geiſtlichem Suchen und Begern derſelben Landſchaft zw dieſer Verenderung und Vertrag mit der Kron Polen kommen. (Antwort Albrechts auf das Anbringen des ſaͤchſiſchen Geſandten Grefendorf. W. A.) Albrecht war, ob - gleich er noch an ſich hielt, in ſeinem Herzen ohne Zweifel entſchloſſen was er thun wollte, als er neue Unterhandlun - gen mit Polen anknüpfte.

In Polen hatte der Reichstag von Petricau ſo eben den Beſchluß gefaßt, daß der Hochmeiſter entweder huldi - gen oder ſammt ſeinem Orden aus Preußen vertrieben wer - den müſſe. 2Literae regiae ad sedem apostolicam: alioquin haec tra - goedia nullum unquam finem habere potuisset, praesertim cum subditi mei omnes a me exigerent modis omnibus neque ab hoc instituto dimoveri potuerint in conventu generali regni mei no - vissimo vel cogendum tandem magistrum Prussiae ad praestan - dam obedientiam et omagium mihi et regno meo debitum vel il - lum ac ordinem ex terris illis exturbandum.

Da kam es nun dem Markgrafen Albrecht ſehr zu Statten, daß er in Schleſien, welches ſich in allen bishe - rigen Irrungen an den König gehalten, ein paar der näch - ſten Verwandten hatte, ſeinen Bruder Markgraf Georg, und ſeinen Schwager Friedrich von Liegnitz, beide eben wie er Neffen des Königs, die es übernahmen, ihn mit demſelben wieder auszuſöhnen, und ihm günſtige Bedingun - gen zu verſchaffen.

473Preußen.

Der König hatte ſich mit einem Ausſchuß des Reichs - tags nach Cracau begeben. Hier ſuchten ihn die beiden Fürſten, wie wir wiſſen, eifrige Vorkämpfer der Evangeli - ſchen, auf; ſie nahmen die Grundlage an, welche der Reichs - tag feſtgeſetzt hatte, aber ſie bemerkten zugleich, daß keine Abkunft mit dem Orden etwas helfen werde, da dieſer im - mer eine unzuverläßige Vielherrſchaft in ſich ſchließe; ſie ſchlugen dem König vor, den Hochmeiſter zum erblichen Herzog in Preußen zu erklären. 1Litterae Andreae Critii Episcopi Presmilie〈…〉〈…〉 nem Antonium Puleonem (ſoll wohl heißen Burgo〈…〉〈…〉 A. v. Burgo war damals Nuntius in Ungern) lib. 〈…〉〈…〉cium Apostolicum. Principes ingenue e vestigio〈…〉〈…〉 ambages id quod attulerant proposuerunt. (Sam〈…〉〈…〉 Miechovia sive promtuarium etc. p. 609.)

Der König ſagt, er habe in Betracht gezogen was ſich thun laſſe und was die Verwandtſchaft von ihm for - dere. 2Litterae regis: condictis conditionibus〈…〉〈…〉 fieri potuerunt, et quales mutua nostra necessi〈…〉〈…〉Er gieng mit Freuden darauf ein.

Als die Sache in dem polniſchen Reichsrath vorge - tragen wurde, erhoben ſich zwar einige Stimmen aus re - ligiöſen Rückſichten dagegen, allein Andre erwiederten, man entziehe dem Katholicismus nichts, da der Orden ſchon zum Lutherthum übergegangen, da nichts bei demſelben ver - haßter ſey als der Name des Papſtes:3Luteranismum apud ordinem ipsum sacr〈…〉〈…〉 nam vero ecclesiam et ejus ritus execrabiles esse〈…〉〈…〉 nomine pontificis contemptibilius esse), plerosqu〈…〉〈…〉 et sacrificos nubere etc. etc. man müſſe Gott danken daß er in ſich ſelbſt zerfalle. Der Reichstag ent - ſchied ſich für das Vorhaben des Königs.

474Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Indeſſen ward auch dieſſeit, in Beuthen, wo ſich mit dem Markgrafen zugleich Bevollmächtigte des Ordens und der Stände eingefunden hatten, unterhandelt. Zuerſt er - klärten ſich die Ordensgeſandten, auf die ohne Zweifel das Meiſte ankam. Sie billigten den Vorſchlag vollkommen und brachten nur zugleich einige ihnen von den Polen zu - zugeſtehenden Vortheile in Antrag. Die Abgeordneten der Stände hatten eher das Bedenken, daß ſie von den Reſten des Ordens in Deutſchland und dem Reich angefochten, von Polen vielleicht nicht hinreichend vertheidigt werden möchten: ſie forderten zugleich von dem neuen Fürſten das Verſprechen, ihre Privilegien eher vermehren als vermin - dern, und keine Fremden anſtellen zu wollen: obwohl er ihnen das letzte nicht gab, ſo wurden ſie doch übrigens von ſeinen Erklärungen befriedigt. 1〈…〉〈…〉lungen finden ſich auf den letzten Blaͤttern bei〈…〉〈…〉 erklaͤrte den Staͤndeabgeordneten, die hiezu im〈…〉〈…〉 evollmaͤchtigt waren, er werde ihnen der -〈…〉〈…〉 kunden mitgeben, daß ſie bei den Ihren ent -〈…〉〈…〉 Das zeigte ſich denn gleich bei der Ruͤck -〈…〉〈…〉Auch die Ordensgeſandten waren zufrieden, als ihnen der König die Rückgabe der im letzten Kriege eroberten Plätze und zugleich eine kleine Rente für den neuen Fürſten bewilligte.

So vereinigten ſich alle Theile leicht und freudig zu〈…〉〈…〉 en Veränderung. Der König von Polen ſah〈…〉〈…〉 heit endlich willig anerkannt, Nachkommen ſei -〈…〉〈…〉 innerhalb ſeiner erweiterten Grenzen verſorgt. 〈…〉〈…〉ngte zu der Unabhängigkeit von dem frem -〈…〉〈…〉 der es ſo lange getrachtet. Der Orden,475Preußen.der ſich ſelber ſäculariſirt hatte, ward dabei geſchützt; er geſellte ſich nun den Landeseingeſeſſenen zu, denen er ſonſt gegenübergeſtanden. Markgraf Albrecht endlich gründete nicht allein eine erbliche Herrſchaft, er glaubte auch ſeinem Lande einen Dienſt zu erweiſen, indem er ihm den Frieden verſchaffte, und dem Evangelium die Bahn frei machte.

Am 10ten April 1525 geſchah die feierliche Belehnung auf dem Ringe zu Cracau. Der König, in ſeinem prieſter - lichen Krönungsornate, umgeben von ſeinen Biſchöfen, über - trug dem neuen Herzog in dem Symbole der Fahne, an der zugleich Markgraf Georg anfaßte, denn auf die ganze Linie er - ſtreckte ſich die Belehnung, das Land in Preußen, welches der Orden gehalten. Albrecht leiſtete den Huldigungseid mit einer Formel, in welcher der Heiligen nicht gedacht war.

In Königsberg begrüßte ihn ein evangeliſcher Predi - ger bei ſeinem Einzug mit einer geiſtlichen Rede. Mit alle den feſtlichen Ehrenbezeugungen, die einem gebornen Fürſten erwieſen werden, ward er empfangen. Die Glocken läute - ten, die Häuſer an den Straßen waren mit Teppichen be - kleidet, die Wege mit Blumen beſtreut.

Wie ſich verſteht, trugen nun die Stände kein Beden - ken, die Handlungen ihrer Abgeordneten zu genehmigen: ſie beſtätigten den Cracauer Vertrag und leiſteten die Hul - digung. Das Original der Urkunde, durch welche Albrecht gleich dort in Cracau die Gerechtigkeiten Freiheiten und löb - lichen Herkommen des Landes beſtätigt hatte, ward dem Altſtädter Magiſtrat in Königsberg übergeben. An die Stelle der Großgebietiger traten Marſchall, Landhofmeiſter, Oberburggraf und Canzler; alle dieſe Ämter ſollten in Zu -476Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.kunft mit Eingebornen beſetzt werden. Mit Beirath des Adels wurden die Landgerichte neu angeordnet.

Von allen Ordensrittern leiſtete nur ein einziger einen etwas nachhaltigen Widerſtand, Erich von Braunſchweig in Memel, zu deſſen Gunſten Albrecht einſt zu reſigniren ge - dacht: ſpäter ward er durch eine kleine Rente abgefunden.

Die religiöſen Einrichtungen wurden ohne Schwierig - keit getroffen: die Biſchöfe ſelbſt, wie geſagt, waren dafür. Gleich in der erſten Verſammlung verzichtete der Biſchof Polenz von Samland auf die weltlichen Zweige ſeiner Ge - walt: denn einem Biſchof komme nur der Dienſt am Evan - gelium, nicht der Genuß weltlicher Ehre zu: und überließ ſie dem Herzog; der Herzog nahm die Stände zu Zeugen dieſer freiwilligen Überlieferung. Der Biſchof Erhard Queis von Pomeſanien that kurz darauf daſſelbe. Um ſo vollſtän - diger ward ihnen ihre geiſtliche Autorität gelaſſen, die ſie nach wie vor durch Offiziale verwalteten. 1Bock Leben Albrechts I, 187.Sie führten eine Agende ein, in der ſie ſich noch immer ſo nah wie möglich an das Altherkömmliche hielten: die Klöſter wurden in Spitäler verwandelt: die Tendenz, das Chriſtenthum auch in den unterſten noch wenig davon ergriffenen Kreiſen zu verbreiten, fand hier einen neuen Wirkungskreis in den Un - deutſchen, die noch in großer Zahl das Land bevölkerten: ne - ben den Pfarrern ſtellte man in den Kirchen die Tolken, d. i. Dolmetſcher auf, welche jeden Satz der Predigt in altpreu - ßiſcher Sprache wiederholten. 2Hartknoch Preußiſche Kirchengeſchichte p. 277.Um die Pfarrer ſelbſt aufdem477Preußen.dem rechten Wege zu erhalten, ließ der Markgraf ſich die Poſtille auf den Winter und den Sommer von Wittenberg kommen, von jeder 200 Exemplare. Lucas Kranach hatte überhaupt den Auftrag, ihm alle guten und leſenswürdi - gen Bücher zuzuſchicken. 1Schreiben an Kranach und deſſen Rechnung, mitgetheilt von Voigt in den Beitraͤgen zur Kunde Preußens III, 246.

Es liegt eine Art von Vollendung und Befeſtigung al - ler dieſer Dinge darin, daß Herzog Albrecht ſich im Jahr 1526 mit der däniſchen Prinzeſſin Dorothea vermählte. Zu einer von allen Seiten anerkannten fürſtlichen Exiſtenz in unſerm Europa gehören nun einmal verwandtſchaftliche Ver - bindungen dieſer Art. Die Herzogin entwickelte allmählig eine eben ſo ſtarke evangeliſche Überzeugung, ein feſtes Trauen und Glauben an unſern einigen Heiland, wie ihr Gemahl; ſie machte ihn überdieß glücklich in ſeinem Hauſe. Er kann ihre edlen theuren Gaben nicht genug rühmen; überdieß: wäre ſie eine arme Dienſtmagd geweſen, ſagt er, ſo würde ſie ſich nicht demüthiger und getreuer, in unwandelbarer Liebe gegen ihn Unwürdigen haben verhalten können. 2Faber: Einiges uͤber die Herzogin Dorothea. Beitr. z. K. Preußens III, p. 126.Indem ihr Bruder Friedrich, nachmals König von Dänemark, ſich mit einer lauenburgiſchen Prinzeſſin verheirathete, aus wel - chem Hauſe ſpäter auch Guſtav Waſa in Schweden ſeine Gemahlin wählte, traten alle dieſe neuen evangeliſchen Ge - walten des Nordens in die engſte Verbindung.

Bemerken wir die allgemeine Wendung der nordiſchen Politik, die ſich in dieſen Ereigniſſen vollzog. Im Jahre 1515 hatte Maximilian alle nordiſchen Gebiete ſlawiſcherRanke d. Geſch. II. 31478Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.und germaniſcher Zunge in einem großen Bunde an ſich zu knüpfen gedacht. Zuerſt trennte ſich Polen: dann ward Chriſtiern II aus Dänemark und Schweden verjagt: jetzt trat Albrecht, der ſich bisher zu Chriſtiern gehalten, mit den neuen Königen in Bund und Verwandtſchaft: jener Erich von Braunſchweig mußte auch darum aus Memel entfernt werden, weil er fortfuhr, Verhältniſſe mit dem Admiral Chriſtierns, Severin Norby zu unterhalten. 1Vgl. die Inſtruction Albrechts 18 Apr. 1525 Beitr. z. K. Pr. IV, 395 und eine Abhandlung von Faber VI, p. 539.Die Stellung, in welche Albrecht gleich bei ſeinem Eintritt zu den nordiſchen Mächten gerieth, war überaus günſtig und ſtark.

Und eine andre Stütze boten ihm nach der deutſchen Seite hin die evangeliſchen Fürſten dar.

Schon damals als Churfürſt Johann von Sach - ſen mit ſeinen gleichgeſinnten Nachbarn über die Zuſam - menkunft zu Magdeburg unterhandelte, ſchickte er auch an den neuen Herzog in Preußen, um ihm anzubieten, wenn er in irgend etwas, was das Evangelium angehe beſchwert werde, mit ihm für Einen Mann zu ſtehen. Höchſt will - kommen war dieſer Antrag dem Herzog. Er ſendete den Biſchof von Pomeſanien, der überhaupt ſeine auswärtigen Geſchäfte leitete, die Verhältniſſe mit Polen und Dänemark geordnet hatte, im September 1526 nach Breslau, wo von ſächſiſcher Seite Hans von Minkwitz mit demſelben zuſam - mentraf. Hier ward eine förmliche Abkunft geſchloſſen. 2Abſchied zu Koͤnigsberg 5 Juli 1526. Weim. A.Der Herzog hatte bemerkt, Preußen ſey durch die letzten479Preußen.Kriege ſo erſchöpft, daß er ſich nur zu einer Hülfe von 100 gerüſteten Reiſigen verſtehen könne. Churfürſt Johann war damit zufrieden: ſo viel verſprach nun auch er dem Herzog wenn derſelbe einmal angegriffen werde. Der Hülfe ſendende Theil ſollte die Beſoldung zahlen und den Schaden tragen: der Hülfe empfangende für die täglichen Bedürfniſſe ſtehen. Im Dezember 1526 langte die Ratification in Weimar an. Der Herzog und ſein Biſchof hatten die Idee, auch die gleichgeſinnten ſchleſiſchen Stände, den Markgraf Georg für Jägerndorf, den Herzog von Liegnitz, die Stadt Breslau, in dieſen Bund zu ziehen. 1Schreiben von Minkwitz: Leipzig Sonntag nach Francisci: Troſt, es ſoll kein Mangel haben. Ich finde doch nicht daß es zu einem Abſchluß gekommen. Auch ſchien dem Landgrafen von Heſ - ſen die gegenſeitige Verpflichtung zu geringfuͤgig.Schon ward über eine ge - meinſchaftliche nähere Verabredung mit Dänemark verhan - delt: der Churfürſt zeigte ſich bereit dazu.

Man hat oft geſagt, und es iſt ganz wahr, daß das Reich durch den Act der Huldigung an Polen einen großen Verluſt erlitten habe. Allein das ließ ſich nun nicht vermei - den. Der polniſche Reichstag hatte den Beſchluß gefaßt ſich auf keinen Mittelweg weiter einzulaſſen, die Sache nöthigen - falls mit Gewalt auszumachen: das Land war durchaus un - fähig Widerſtand zu leiſten, von dem Reiche keine Hülfe zu erwarten. Hätte der Orden ſich nicht gefügt, ſo würde er aus Königsberg ſo gut verjagt worden ſeyn wie aus Dan - zig: die Landſchaft wäre eine polniſche Provinz geworden wie das königliche Preußen. Unter dieſen Umſtänden iſt es ohne Zweifel als eins der glücklichſten und heilbringendſten Ereigniſſe für das germaniſche Prinzip in jenen Ländern an -31*480Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.zuſehen, daß ein Herzogthum, ein erbliches deutſches Für - ſtenthum errichtet ward. Vergleichen wir Liefland damit, ſo war auch da die Reformation eingedrungen: der mäch - tige Ordensmeiſter Plettenberg, der nun völlig unabhängig war, beſchützte ſie, und wußte ſogar den Orden noch eine Zeitlang aufrecht zu erhalten; allein nur eine Zeitlang: ſpäter ward das Land doch auch ſäculariſirt, gerieth aber zugleich un - ter fremde Botmäßigkeit und gieng für das Geſammtbewußt - ſeyn der deutſchen Nation verloren. Eben ſo war das - nigliche Preußen dadurch nicht gefördert, daß es keinen Für - ſten an ſeiner Spitze hatte: ſpäter hat ſich der polniſche Einfluß gewaltig geltend gemacht; welche unbeſchreibliche Be - drängniſſe politiſcher und religiöſer Art hat das Land aushal - ten müſſen! Die Germaniſirung ward hier wie dort nicht al - lein in ihrem Lauf aufgehalten, ſondern rückgängig. Dagegen ward das herzogliche Preußen allmählig völlig deutſch; es blieb politiſch ſchon durch die verwandtſchaftlichen Verhält - niſſe des Fürſten mit einem mächtigen deutſchen Hauſe in unauflöslicher enger Beziehung zu dem großen Vaterlande; unter alle den Verwirrungen theologiſcher und literariſcher Kämpfe, welche im Gefolge der Reformation eintraten, bil - dcte ſich hier doch ein unabhängiger Mittelpunct deutſcher Cultur an, von dem hinwiederum die großartigſten Ent - wickelungen unſrer Nationalität ausgegangen ſind.

Wie mächtig erhob ſich überhaupt das deutſche We - ſen in dieſem Augenblicke.

Man durfte Belgien und die Niederlande, Böhmen und deſſen Nebenländer wieder zum Reiche zählen. Die deutſchen Waffen hatten Italien dem franzöſiſchen, ſo wie481Schlußbemerkung.dem hierin von dem Reiche abgeſonderten ſchweizeriſchen Einfluß entriſſen: ſie hatten den Namen des Reiches in Italien und in der alten Metropole zu Rom wiederherge - ſtellt. Mehr als einmal waren ſie von dem Süden und Oſten in Frankreich drohend vorgedrungen: auch in dem Weſten hatten ſie den Spaniern zur Wiedereroberung ver - lorner Grenzfeſtungen, zur Beſiegung der Mauren von Valen - cia geholfen. So eben hatten ſie Ungern eingenommen. Mit Hülfe der deutſchen Seeſtädte hatten ſich die beiden nordi - ſchen Könige in Beſitz ihrer Kronen geſetzt. Hatte Polen Vor - theile davon getragen, ſo verdankte es ſie doch ganz allein den Provocationen und dem Beiſtand der deutſchen Provinzen ſel - ber, und ſchon daraus ergab ſich wohl, daß es nicht immer ſo bleiben konnte. In Liefland waren die Angriffe der Ruſ - ſen durch glückliche Schlachten zurückgewieſen, noch im Jahr 1522 ſehr vortheilhafte Friedensbedingungen erwor - ben worden.

Und dieß alles war geſchehen, obgleich es an jeder kräftigen centralen Regierung fehlte, unter den Stürmen der heftigſten innern Entzweiungen.

Ja in dieſen ſelber drang eine noch viel weiter reichende die Welt umfaſſende Tendenz zu Tage. Es war dem deutſchen Geiſte gelungen, die innere Wahrheit des Chri - ſtenthums von den Zufälligkeiten der letzten Formationen in dem Papſtthum zu ſcheiden, und derſelben mit eben ſo viel Mäßigung wie Entſchloſſenheit in weiten Gebieten eine legale Geltung zu verſchaffen. In einem Churfürſten - thum, drei oder vier Herzogthümern, der größten Landgraf - ſchaft, der größten Grafſchaft des Reiches, einem oder zwei482Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.Markgrafthümern, und einer ganzen Anzahl von Städten war die neue Lehre zur Herrſchaft gelangt, und durchdrang die Populationen, deren eingeborner Sinn eine natürliche Ver - wandtſchaft damit hatte. Um ſich die urſprünglichen Geſichts - puncte poſitiver und negativer Art wieder zu vergegenwär - tigen, ſollte man einmal die Bekenntnißſchriften zuſammen - ſtellen, die ſchon jetzt an ſo vielen Orten erſchienen: die Arti - kel der ſächſiſch-heſſiſchen und beſonders der brandenburgiſch - nürnbergiſchen Viſitation, die oſtfrieſiſche Confeſſion, die In - ſtruction der ſchleswig-holſteiniſchen Prediger, die Entſchul - digungsſchriften der ſchleſiſchen Stände, die Synodalconſti - tutionen in Preußen. Man wird in allen denſelben Sinn eines nothgedrungenen Zurückgehens von dem Zufälligen auf das Weſentliche, einer noch nicht ſymboliſch-feſtgeſtell - ten, aber ihrer Wahrheit ſich bewußten, mächtig vordringen - den Überzeugung wahrnehmen. Es liegt in der Natur der Sache, da die Entwickelung nur innerhalb beſchränkter Ter - ritorien vorgieng, daß die neu ſich bildende Kirche in Groß - artigkeit und Glanz ihrer Erſcheinung ſich mit der bisherigen Hierarchie, in der ſich die Einheit eines Complexes großer Reiche ausſprach, nicht von ferne meſſen konnte: ihr Werth und ihr Weſen beſtand in ihrer innern geiſtigen Kraft. Sie hatte es übernommen, das chriſtliche Prinzip dem Gemüth und dem gemeinen Volke in unmittelbare Nähe zu bringen, das Verſtändniß deſſelben frei von aller Verunſtaltung fremd - artiger Formeln und Dienſte dahin zu entwickeln, daß es das allgemeine Bewußtſeyn der Nationen der Erde zu erfüllen ver - möchte. Schon ward die neue Lehre faſt in allen Sprachen ver - nommen. Wir gedachten jener Dolmetſcher in Preußen: Doc -483Schlußbemerkung.tor Heß ließ in Breslau das Evangelium ſlawiſch verkündi - gen: Luthers Schüler predigten es in Dänemark und Schwe - den: einer der erſten Inſcribirten in Marburg iſt der Gründer der ſchottiſchen Kirche: im Corpus Chriſt College zu Oxfort bildete ſich 1527 ein Verein Lutheriſch-geſinnter, der als ein Seminar der neuen Meinungen angeſehen werden kann. 1Fiddes: Wolsey p. 416.In - deſſen gieng ſeit 1528 von Bern eine unmittelbare Wirkung auf Genf und die romaniſche Welt aus. In Italien wan - derte die Lehre durch die alten literariſchen Verbindungen ein, in Spanien ward ſie ſehr früh von den Franciscanern ergriffen, in Frankreich fand ſie an der Königin von Navarra eine mächtige Beſchützerin. Luther, der von keinem Ehrgeiz wußte, nicht einmal eigentlichen Bekehrungseifer hatte,2Vgl. ſ. Schreiben an die Erfurter bei de W. III, 227. Wer uns nicht hoͤren will, von dem ſind wir leicht und bald geſchieden. alles von der ſtillen eingebornen Macht der Überzeugung erwartete, bemerkte doch, daß das Evangelium das er wie - derhergeſtellt auch einſt eine Kirchengeſchichte haben werde. Jezuweilen erhob er ſich zu noch höhern Hofnungen. Es wird die Cedern des Libanon zu ſich bringen ſagt er. Er wendet den Spruch bei Jeſaias darauf an:3Eine ſchoͤne herrliche und troͤſtliche Vorrede D. M. L. auf das Buͤchlin der gottſeligen Fuͤrſtin F. Urſulen Herzogin zu Muͤnſterberg: Altenb. IV, 416. Ich ſpreche zum Mittag, gieb her meine Töchter, und zum Abend, wehre mirs nicht.

Gedruckt bei A. W. Schade.

About this transcription

TextDeutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
Author Leopold von Ranke
Extent497 images; 116290 tokens; 18459 types; 811703 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDeutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation Zweiter Band Leopold von Ranke. . IV, 483 S. Duncker und HumblotBerlin1839.

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